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Die "Persona" der Virtuosin Eleonora Duse im Kulturwandel Berlins in den 1890er-Jahren

"Italienischer Typus" oder "Heimathloser Zugvogel"?

0912
2012
978-3-7720-5459-4
978-3-7720-8459-1
A. Francke Verlag 
Stefanie Watzka

Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts wird die Stadt Berlin sowohl zur Hauptstadt des Deutschen Reiches als auch zur internationalen Metropole. Diese parallelen Entwicklungen, angesiedelt zwischen Nationalismus und Kosmopolitismus, schlagen sich auch im Geschehen auf den Bühnen der neuen Welt- und "Theaterhauptstadt" Berlin nieder. Insbesondere das florierende internationale Gastspielwesen darf dabei als Spiegel von nationalisierenden und internationalisierenden Strömungen gesehen werden. Ziel dieses Buches ist es, diese Strömungen, die sich, wie gezeigt wird, nur auf den ersten Blick auszuschließen scheinen, anhand des Beispiels der Rezeption der Gastspiele der italienischen Virtuosin Eleonora Duse in den 1890er-Jahren nachzuzeichnen und dadurch sowohl die Wichtigkeit des bisher kaum untersuchten Gastspielwesens für die Theatergeschichte des ausgehenden 19. Jahrhunderts herauszustellen als auch die Perspektive auf das durch einen Kulturwandel geprägte Theater Berlins vor 1900 zu erweitern.

<?page no="0"?> Watzka Die ,Persona‘ der Virtuosin Eleonora Duse Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts wird die Stadt Berlin als Folge der Reichsgründung 1871 sowohl zur Hauptstadt des Deutschen Reiches als auch immer mehr zur internationalen Metropole. Diese parallelen Entwicklungen, angesiedelt zwischen Nationalismus und Kosmopolitismus, schlagen sich auch im Geschehen auf den Bühnen der neuen Welt- und „Theaterhauptstadt“ Berlin nieder. Insbesondere das florierende internationale Gastspielwesen darf dabei als Spiegel von nationalisierenden sowie internationalisierenden Strömungen gesehen werden. Ziel dieses Buches ist es, diese Strömungen, die sich, wie gezeigt wird, nur auf den ersten Blick auszuschließen scheinen, anhand des Beispiels der Rezeption der Gastspiele der italienischen Virtuosin Eleonora Duse in den 1890er- Jahren nachzuzeichnen und dadurch sowohl die Wichtigkeit des bisher kaum untersuchten Gastspielwesens für die Theatergeschichte des ausgehenden 19. Jahrhunderts herauszustellen als auch die Perspektive auf das durch einen Kulturwandel geprägte Theater Berlins vor 1900 zu erweitern. ISBN 978-3-7720-8459-1 Stefanie Watzka Die ‚Persona‘ der Virtuosin Eleonora Duse im Kulturwandel Berlins in den 1890er-Jahren »Italienischer Typus« oder »Heimathloser Zugvogel«? 068912 Mainz. For. 45 - Watzka_068912 Mainz. For. 45 - Watzka Umschlag 02.08.12 14: 18 Seite 1 <?page no="1"?> Die , Persona‘ der Virtuosin Eleonora Duse im Kulturwandel Berlins in den 1890er-Jahren 068912 Mainz. For. 45 - Watzka_068912 Mainz. For. 45 - Watzka Titelei 03.08.12 13: 54 Seite 1 <?page no="2"?> Mainzer Forschungen zu Drama und Theater herausgegeben von Wilfried Floeck, Winfried Herget und Friedemann Kreuder im Auftrag des »Interdisziplinären Arbeitskreises für Drama und Theater« der Johannes Gutenberg-Universität Mainz Band 45 068912 Mainz. For. 45 - Watzka_068912 Mainz. For. 45 - Watzka Titelei 03.08.12 13: 54 Seite 2 <?page no="3"?> Stefanie Watzka Die ,Persona‘ der Virtuosin Eleonora Duse im Kulturwandel Berlins in den 1890er-Jahren »Italienischer Typus« oder »Heimathloser Zugvogel« ? 068912 Mainz. For. 45 - Watzka_068912 Mainz. For. 45 - Watzka Titelei 03.08.12 13: 54 Seite 3 <?page no="4"?> Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. © 2012 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier. Internet: http: / / www.francke.de E-Mail: info@francke.de Printed in Germany ISSN 0940-4767 ISBN 978-3-7720-8459-1 068912 Mainz. For. 45 - Watzka_068912 Mainz. For. 45 - Watzka Titelei 03.08.12 13: 54 Seite 4 <?page no="7"?> 7 Danksagung Die vorliegende Arbeit wurde im Frühjahr 2012 im Fachbereich Philoso-phie und Philologie der Johannes Gutenberg--Universität Mainz (Bereich Theaterwissenschaft) eingereicht und als Dissertation angenommen. Für die Veröffentlichung wurden nur geringfügige Überarbeitungen vorge-nommen. Ohne Menschen an meiner Seite, die mir geholfen, mich ermutigt und tatkräftig unterstützt haben, wäre mir das Verfassen der Arbeit nicht möglich gewesen, daher freue ich mich, an dieser Stelle ein ganz herzliches Dankeschön an all diese aussprechen zu können: Dem Erstbetreuer meiner Doktorarbeit, Prof. Dr. Peter W. Marx, bin ich zu großem Dank für seine Unterstützung verpflichtet. Er hat meine immer noch anhaltende Begeisterung für das 19. Jahrhundert geweckt. Nicht minder groß ist mein Dank an Prof. Dr. Friedemann Kreuder, der mich als mein Zweitbetreuer und Chef stets ermutigte und mir die Mög-lichkeit gab, mir trotz des alltäglichen Uni--Trubels die nötige Zeit für mein Projekt zu nehmen. Auch meinen anderen Kolleg_innen im Bereich Theaterwissenschaft bin ich sehr dankbar in einem so kreativen und freundlichen Team arbeiten zu dürfen, ist ein Privileg. Weiterhin möchte ich mich bei Prof. Dr. Stefan Hulfeld, Prof. Dr. Fred-die Rokem und Prof. Dr. Steve Wilmer bedanken, die ich während unserer jährlich stattfindenden Summer School kennenlernen durfte die Seminare und intensiven Gespräche mit ihnen während dieser som -rbeitsalltag als auch von der Disserta-tion waren eine stete Bereicherung. Wer historisch arbeitet, kommt um eine intensive Nutzung von Archi-ven und Bibliotheken nicht umhin und ist dabei auf ein kompetentes Per-sonal innerhalb der jeweiligen Institution angewiesen. Ich möchte mich daher v.a. bedanken bei den Mitarbeiter_innen der wissenschaftlichen Stadtbibliothek Mainz, der Staatsbibliothek Berlin, insbesondere der Zei-tungsabteilung am Standort Westhafen, der Theatersammlung der Stiftung Stadtmuseum Berlin, namentlich Frau Bärbel Reißmann, der Lipperheide-schen Kostümbibliothek sowie nicht zuletzt der Theaterwissenschaftlichen Sammlung der Universität zu Köln in Schloss Wahn, namentlich Frau Dr. Hedwig Müller. Bedanken möchte ich mich auch ganz herzlich bei Eva Dutz, Dr. Con-stanze Schuler und Dorothea Volz nicht nur für ihre Adleraugen beim Korrekturlesen und ihre guten Ideen, sondern auch für ihre wunderbare Freundschaft. Letzteres gilt natürlich auch für meine anderen Freundinnen und Freunde, v.a. Eva Bauer, Matthias Emrich, Nina Schlüter und Olaf <?page no="8"?> 8 Schneiß. Sie haben mich und meine Promovierendenlaunen ohne Murren und Knurren ertragen und mich während Telefonmarathons, Kaffeetrinken oder Fußballschauen und ganz besonders durch Humorbewahren an das nicht minder schöne Leben jenseits der Dissertation erinnert. Auch Mario J. Wessel danke ich von Herzen für alles. Meiner Familie gebührt auch großer Dank: meinem Onkel Herbert Faber für sein fachfremdes Interesse und seine Unterstützung wie auch meiner Schwester Mirjam Watzka, ihrem Mann Cedrik Britten und meinen Neffen Ian, Bela und Nicolas ihr Zuhause ist stets ein schöner Zufluchts-ort. Mein größter Dank aber gilt meinen Eltern, Gerti und Niels Watzka. Ohne ihre unglaubliche Unterstützung, die Unermüdlichkeit meiner Mut-ter während ihres so hervorragenden Korrekturlesens, die gleichzeitige Geduld meines Vaters, beider stets offene Arme und Ohren, ihre Ermuti-gungen und ihre Liebe hätte diese Arbeit nicht entstehen können aber-tausend Dank dafür! Mainz, im August 2012 <?page no="9"?> 9 1. - Einleitung .............................................................................13 1.1 - Auftakt ................................................................................... 13 1.2 - Zielsetzungen und Forschungsvorhaben.......................... 16 1.3 - ...................... 19 1.3.1 - Eleonora Duse Die Protagonistin.........................................19 1.3.2 - Die Metropole Berlin Mehr als nur ein Schauplatz ...........26 1.4 - Methodische Überlegungen................................................ 36 2. - Schauspiel und Stereotype Theoretische Vorüberlegungen........................................45 2.1 - Schauspielkunst und Nationalcharakter........................... 46 2.2 - Stereotype und Stereotypisierungsmechanismen............ 49 2.2.1 - Walter Lippmann und die wissenschaftliche Etablierung des Stereotyp--Begriffs ..............................................................51 2.2.2 - Stereotype und soziale Kategorien .........................................54 2.2.3 - Dauer und Kontext ...................................................................56 2.2.4 - Stereotype als Bildervorrat des kulturellen Gedächtnisses ............................................................................57 2.3 - Gesellschaftliche Funktionen .............................................. 60 2.3.1 - Die Vereinfachung der Welt ....................................................60 2.3.2 - Affirmation ................................................................................61 2.4 - Stereotype und Vorurteile ................................................... 62 2.5 - Autostereotyp und Heterostereotyp.................................. 64 2.6 - Stereotyp und Nationalismus Nationale Stereotype .... 66 2.7 - Das 19. Jahrhundert.............................................................. 67 2.8 - Abschluss............................................................................... 69 3. - Italienische Stereotype im 19. Jahrhundert....................71 3.1 - Das Italien(er)bild im 19. Jahrhundert............................... 71 3.2 - Italien im deutschen Diskurs ........................................................................ 73 3.3 - Ein Stereotyp ............................................. 74 3.3.1 - Das Italienerbild prägende zeitgenössische Vorurteile .......78 3.3.2 - ..........................................................................80 - <?page no="10"?> 10 4. - Schauspielkunst ..................................................................86 4.1 - Die Verhandlung des italienischen Theaters im deutschen Diskurs ........................................................... 86 4.1.1 - Das Theater in Italien ..............................................................86 4.1.2 - Das italienische Publikum im Spiegelbild des deutschen ..........................................................................101 4.2 - Ein nationales Schauspieltalent Ein nationales Stereotyp? ....................................................................... 106 4.3 - Schauspielkunst ............................................................. 111 4.3.1 - .........................................................................111 4.3.2 - Gebärde und Sprache .............................................................120 4.3.3 - Geist versus Körper ................................................................135 4.4 - Die Beständigkeit des Stereotyps ..................................... 138 Ein Vergleich .................................................................. 140 5. - Die berühmten Vorgänger der Duse.............................146 5.1 - Allgemeines......................................................................... 146 5.2 - Adelaide Ristori .................................................................. 147 Exkurs II: Die Rückkehr der Frauen auf die Bühnen Europas ...................................................... 148 5.3 - Ernesto Rossi und Tommaso Salvini ............................... 151 5.3.1 - Ernesto Rossi ...........................................................................155 5.3.2 - Tommaso Salvini.....................................................................156 5.4 - Abschluss............................................................................. 160 6. - Die Duse als Repräsentantin eines Stereotyps Frühe Berliner Gastspiele (1892/ 1893) ...........................162 6.1 - Die Vorgeschichte Die Gastspiele in Sankt Petersburg und Wien ......................................... 162 6.2 - Eleonora Duses erstes Gastspiel in Berlin ....................... 171 6.3 - Die Duse Schauspielerin? .............................................................. 175 6.3.1 - Schauspielkunst ......................................................................175 <?page no="11"?> 11 6.3.2 - Die körperliche Schauspielkunst als nationales Kennzeichen ............................................................................182 6.4 - Die Stereotypisierung im Nationalismus--Diskurs um 1900 ........................................................................... 188 6.5 - Die Duse als unerreichbares Vorbild ............................... 190 6.6 - Individual-versus Nationalkunst .................................... 197 6.7 - Theater und Printmedien Vermittler von Stereotypen..................................................................... 203 6.8 - der Duse.......................................................................... 207 6.9 - Abschluss............................................................................. 219 7. - Kosmopolitismus versus Nationalismus Die Politisierung der frühen Gastspiele (1892/ 1893) .221 7.1 - Die Weltoffenheit des deutschen Publikums Eine nationale Eigenschaft? ......................................... 221 7.2 - Berlin: Zwischen Metropolitanismus und Kulturhegemonie........................................................... 224 7.3 - Eleonora Duses erstes Gastspiel in Berlin ....................... 232 7.3.1 - Die Selbsteinschätzung der Berliner.....................................232 7.3.2 - Das Duse--Publikum Die Berliner Elite..............................239 7.4 - Der Verlust der Exklusivität Eleonora Duses zweites Gastspiel in Berlin ........................................... 243 7.5 - Die Politisierung der Duse ................................................ 252 7.5.1 - Der Dreibund als kulturelles Bindeglied .............................252 7.5.2 - Eleonora Duse und Sarah Bernhardt Die (un--) freiwillige Politisierung zweier Schauspielerinnen............253 7.5.3 - Nationalisierende Tendenzen in der Rezeption des zweiten Gastspiels ..................................................................262 7.5.4 - Heimat ..............270 7.5.5 - Der Nationalismus und seine Parodie .................................278 7.6 - Abschluss............................................................................. 280 8. - .....................................281 8.1 - Der Gegenentwurf zur Metropole: Das ............ 281 - <?page no="12"?> 12 8.2 - Die Das Gastspiel in Mainz (1895) ..................................... 285 8.2.1 - Das Mainzer Publikum Eine Frage der Quantität ...........285 8.2.2 - Der erste Mainzer Gastspielabend im Spiegel der Kritik ..................................................................................291 8.3 - Abschluss............................................................................. 295 9. - Ein abschließender Ausblick Eleonora Duses Gastspiel in Berlin (1899) ...................297 9.1 - Eleonora Duses neue Kameliendame ....................................... 297 9.2 - Die Universalität der Duse................................................ 305 9.3 - Kameliendame? Das Scheitern der Duse am deutschen (Auto--) Stereotyp ................ 309 9.4 - Zwischen Autochthonie und Metropolitanismus.......... 311 Bibliografie .............................................................................317 Forschungsliteratur .................................................................... 317 Internetquellen ............................................................................ 342 Rezensionen in Tageszeitungen ............................................... 343 Gastspiel 1892 in Wien ......................................................................343 Gastspiel 1892 in Berlin .....................................................................343 Gastspiel 1893 in Berlin .....................................................................344 Gastspiel 1895 in Mainz.....................................................................344 Gastspiel 1899 in Berlin .....................................................................345 Anhang.....................................................................................346 Anhang 1...................................................................................... 346 Anhang 2...................................................................................... 348 <?page no="13"?> 13 1. Einleitung 1.1 Auftakt Im Lessing--Theater fand gestern die Abschiedsvorstellung der Frau Eleo-nora Duse vor ausverkauftem Haus statt. Die Künstlerin stand uns noch einmal als Fedora gegenüber, in der ganzen erschütternden Größe ihrer Natürlichkeit, als wollte sie dem Publikum den Abschied recht schwer ma-- -gen des Beifalls und des Dankes, die namentlich am Schlusse der Vorstel-- Rampe emporgerufen, wo Frau Duse wohl ein Dutzend Mal erscheinen mußte, um für Lorbeer und Applaus sich dankend zu verneigen. 1 Als die italienische Schauspielerin Eleonora Duse (1858--1924) am 23. De-zember des Jahres 1892 ihr erstes Gastspiel im Deutschen Reich beendet hatte, 2 konnte sie ebenso wie die Rezipienten 3 in der deutschen Reichs-hauptstadt und Metropole Berlin überaus zufrieden auf mehr als vier Wochen mit insgesamt 18 Aufsehen erregenden und erfolgreichen Dar-bietungen von neun unterschiedlichen Stücken zurückblicken. 4 5 am Lessing--Theater stellte jedoch nur den Auftakt einer langen Reihe von Besuchen der italienischen Bühnenkünstle-rin in Deutschland und speziell in Berlin dar. Bis zur Erklärung ihres ersten Rücktritts vom Theater, den sie im Jahre 1909 in der deutschen Hauptstadt m --1906) Frau am 1 Vossische Zeitung vom 24.12.1892. 2 Das Gastspiel begann am 21.11.1892 und endete ca. vier Wochen später am 23.12.1892. 3 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im Folgenden bei der Pluralbildung von wiederkehrenden Begriffen wie beispielsweise Schauspieler, Kritiker, Zuschauer, Rezipienten oder Bürger das generische Maskulinum verwendet. 4 Eine Auflistung der Daten zum ersten Gastspiel, der gespielten Stücke, ihrer jeweili-gen Autoren sowie der Rollen, in denen Eleonora Duse zu sehen war, befindet sich im Anhang 1. 5 Wenn im Folgenden vo ist, hat dies mehrere Gründe: Im zeitgenössischen Diskurs wurde auf Eleonora Duse nämlich um eine permanente Wiederholung des ganzen Namens zu vermeiden, übernommen wird. Gleichzeitig weist die Verwendung noch auf eine weitere Ge-pflogenheit hin: Durch die Reduzierung auf den Familiennamen wird aus Eleonora Duse eine Marke. <?page no="14"?> 14 Meer beging, 6 war die Schauspielerin nahezu jedes Jahr nach Berlin gekom-men. Seit 1893 hatte sie auch in anderen deutschen Städten gastiert. 7 Ähnlich euphorisch, wie das Berliner Hauptstadtpublikum im obigen Zitat anlässlich des Abschieds der italienischen Virtuosin nach dem ersten Besuch dargestellt wird, demonstrierte es auch während des gesamten Gastspiels seine Begeisterung für die Duse und bereits im Vorfeld der Deutschland--Premiere der italienischen Virtuosin hatten sowohl die Berli-ner Tagespresse als auch die Zuschauer große Hoffnungen in das kom-mende kulturelle Großereignis gesetzt. So liest man als Reaktion auf die Premiere der Duse am 22. November 1892 im Berliner Lokal--Anzeiger: Im Ernst gesprochen: Signora Duse ist der siegreiche Einzug in Berlin schwer gemacht worden. Die gewaltigen Posaunenstöße der Reclame, die eingehenden Mittheilungen über alle exorbitanten Forderungen der Diva, er sie haben im Verein mit den ungewöhnlichen Eintrittspreisen eine hochgespannte Erwartung her-vorgerufen, die das Höchste, das noch nie Gesehene verlangte, und wer gestern Abend vor Beginn der Vorstellung das Publikum musterte, die Ge-spräche belauschte, der mußte begreifen, daß hier wirklich etwas ganz Au-ßergewöhnliches, Hinreißendes geschehen müsse, um eine allgemeine Ent-täuschung zu vermeiden. Und dennoch ist es der Gastin gelungen, einen wahrhaft glänzenden Erfolg zu erzielen. 8 Trotz einiger Vorbehalte vonseiten des Publikums und der Presse schaffte es die Duse schon bei ihrem ersten Auftritt, alle zu begeistern. Ihr Gastspiel machte dermaßen Furore, dass der Berliner Kritiker Paul Schlenther (1854-- 1916) Nun ist eine Italienerin erschienen und hat alle Welt, nicht am wenigsten die Welt des Theaters, in 9 Dabei ist sein der Duse eine quasi--messianische Rolle zuschreibender Kommentar 10 wörtlich zu nehmen und man könnte ihn als Motto der vorliegenden Arbeit voranstellen. Denn inwiefern das das soll in den kommenden Kapiteln untersucht und aufgezeigt werden. Die Einwirkung der Duse lässt sich (oberflächlich gesehen) relativ einfach nachzeichnen. Die Haltung des Publikums, die ökonomische Bedeutung des Gastspiels für das Lessing-- 6 Vgl. Maurer 1988, 104. 7 Im Jahre 1893 war die Duse außer in der Reichshauptstadt Berlin in Hamburg zu sehen. Bereits 1895 folgte eine Tournee auch durch kleinere deutsche Städte. Die Ak-- -sucht werden. 8 Berliner Lokal--Anzeiger vom 22.11.1892. 9 Schlenther 1930, 169. 10 Das Heil bringende Moment der italienischen Schauspielkunst ist ein im Diskurs wiederkehrendes Motiv, wie später am Beispiel der italienischen Virtuosen Tommaso Salvini und Ernesto Rossi gezeigt wird. <?page no="15"?> 15 Theater, die italienische Bühnenkünstlerin und das sie begleitende Ensem-ble, die Resonanz bei der Presse sowie die Reaktion einer großen Zahl an einheimischen Schauspielern auf die im einleitenden Zitat genannte gründliche Aufarbeitung der historischen Quellen dokumentiert werden. Dass es sich bei diesen Aspekten um eine Einwirkung handelte, die sowohl auf ästhetischer als auch auf ökonomischer Ebene vonstattenging, wird auch in der folgenden Äußerung Schlenthers deutlich: Das Lessing--Theater in Berlin hat dem Namen seines Taufpaten noch nie so viel Ehre erwiesen wie in der Weihnachtszeit 1892, als es Eleonoren Duse zu Gast hatte und durch unerhörte Eintrittspreise zugleich glänzende Ge-schäfte machte. 11 Mit dieser Aussage betont der Autor den Einfluss des Besuchs der Duse auf die Bühnen sowohl auf künstlerischer 12 als auch auf wirtschaftlicher 13 Ebene und zeigt damit gleichzeitig die zwei fundamentalen Seiten des Gastspiels auf, die dieses als Forschungsgegenstand so interessant machen und die im Folgenden näher betrachtet werden sollen. 11 Schlenther 1930, 169. 12 Das Berliner Lessing--Theater gehörte in den 1890er--Jahren zu den erfolgreichsten Privattheatern der Reichshauptstadt, eine Tatsache, die nicht zuletzt auf die unter-nehmerische Findigkeit und Schläue seines Leiters, des Kritikers und Autors Oscar Blumenthal, zurückzuführen ist. Die hier zitierte Bemerkung Schlenthers darf als Seitenhieb auf die gastgebende Berliner Bühne interpretiert werden: Als das Lessing--Theater im Jahre 1888 mit G.E. Lessings Nathan der Weise durch Blumenthal eröffnet worden war, hatte man zu-mindest offiziell ein literarisch anspruchsvolles, dem bürgerlich--intellektuellen Hochkulturgedanken verpflichtetes Theater angestrebt, das eine Mischung aus Klas-sikern und neuer Literatur bieten wollte. Mit der Zeit zeigte sich allerdings, dass die-ser Plan nicht aufging, und man richtete sich immer mehr nach dem Geschmack der Zuschauer, die sich, so wird es in der Theatergeschichte wiederholt dargestellt, ein eher unterhaltsames Programm wünschten. Schlenthers Hinweis darauf, dass Eleo-nora Duse durch ihr Spiel dem Namen des Theaters alle Ehre mache, verweist auf diese vor allem von den zeitgenössischen Intellektuellen oft als negativ empfundene Entwicklung: Von der Italienerin erwartete man eine anspruchsvollere Kunst, größer als die, welche bisher am Lessing--Theater dargeboten worden war. Zur Geschichte des Lessing--Theaters in den 1890er--Jahren siehe Reißmann 1995, 122--133;; Wilcke 1958. 13 So wird in einer großen Zahl von Besprechungen vor allem des ersten Gastspiel-abends am 21.11.1892 von den Kritikern der Berliner Tagespresse darauf aufmerksam gemacht, dass die Eintrittspreise nicht den normalen Preisen des Lessing--Theaters entsprachen, sondern dass diese für das Gastspiel beträchtlich erhöht worden seien. Dementsprechend heißt es beispielsweise in der Berliner Börsen--Zeitung Berliner Börsen--Zeitung vom 22.11.1892.) Selbst in der Kritik in der Theateragentur--Zeitschrift Charivari des Ver-lag (Anonymus 1892a, o.S.). <?page no="16"?> 16 -wendung dieses Ausdrucks deutet der Autor an, dass die italienische Schauspielerin auch jenseits der theaterökonomischen und bühnenästheti-schen Ebene eine Rolle spielte. Deren Nachvollzug stellt sich jedoch wie es bei Schlenther anklingt. Dennoch soll aufgezeigt werden, welche Folgen das Gastspielereignis, das eigentlich ein kulturelles war, in sozialer wie politischer Hinsicht, national wie auch transnational, für die deutsche beziehungsweise die Berliner Gesellschaft des ausgehenden 19. Jahrhun-derts hatte. Darüber hinaus gilt es zu untersuchen, welche Rolle Gastspiele im Hinblick auf die Entwicklung einer kollektiven Identität sowie auf das Ver spielten. Es ist also die Intention dieser Arbeit, am Beispiel der Gastspiele Eleonora Duses in den 1890er--Jahren mit Schwerpunkt ihrer Rezeption in Berlin gesellschaftlich relevante Entwicklungen im Kaiserreich, insbesondere in der deutschen Hauptstadt, zu untersuchen. 1.2 Zielsetzungen und Forschungsvorhaben Die vorliegende Arbeit hat hauptsächlich zwei Ziele, die im Folgenden näher erläutert werden. Zum einen soll der in beträchtlichem Ausmaß stattfindende Austausch in der sich im fortschreitenden Prozess der Urbanisierung, sogar Metropo-lisierung befindenden Stadt Berlin im letzten Jahrzehnt vor 1900 betrachtet werden. Dabei ruht der Fokus jedoch nicht nur auf den innerdeutschen, also nationalen Entwicklungen;; das Thema wird noch um eine transnatio-nale Komponente erweitert: Am Beispiel der italienischen Bühnenkünstle-rin Eleonora Duse lässt sich untersuchen, ob und inwieweit das zu dieser Zeit florierende Gastspielwesen als Werkzeug und Katalysator zu einer grenzüberschreitenden Vernetzung einerseits und zu einer Verstärkung nationalisierender Tendenzen in der deutschen Gesellschaft des Kaiser-reiches andererseits beitrug. Das Gastspielwesen und seine zeitgenössische Bewertung sollen im Folgenden zwar insbesondere vor dem Hintergrund der nationalen Stereotypisierung beleuchtet werden, darüber hinaus bleibt jedoch zu berücksichtigen, dass das zeitgenössische Theater stets einen Knotenpunkt für sowohl nationalisierende als auch transnationalisierende Strömungen darstellte. Auf diesen Ideen aufbauend lautet demnach die erste These, die es zu überprüfen gilt: Das von der (theater--) historischen Forschung bisher na-- <?page no="17"?> 17 hezu unbeachtet gebliebene internationale Gastspielwesen reichte weit über rein theaterspezifische Mechanismen und Prozesse hinaus;; so lassen sich im Zusammenhang mit ihm tief greifende Veränderungen nicht nur in Bezug auf die deutsche Theaterlandschaft des späten 19. Jahrhunderts, sondern auch im Hinblick auf Felder wie die Ökonomie und die Politik, insbesondere hinsichtlich der Sozialstrukturen, aufzeigen. Ein zweites Ziel ist, die berühmte und bis heute unvergessene italienische Schauspielerin Eleonora Duse aus einer innovativen Perspektive zu be-trachten: Durch eine gründliche diskursive Auseinandersetzung mit ihren Gastspielen in den 1890er--Jahren in der Hauptstadt des Kaiserreiches ent-steht so für de -künstlerin. Allerdings handelt es sich bei dieser nicht um den Versuch, die Duse in Form einer weiteren Lebensbeschreibung auf übertriebene Weise und fast hagiografisch zu glorifizieren, wie es bisher in der (deutschspra-chigen) Forschung und dem überwiegenden Teil der Biografien über die italienische Virtuosin häufig der Fall gewesen ist. 14 . Vielmehr steht ihre 15 im Fokus der Untersuchung. So soll gezeigt werden, dass die italienische Künstlerin gerade in den Momenten an Bedeutung für die deutsche Theatergeschichte des ausgehenden 19. Jahrhunderts gewinnt, in erbindung 14 Die große Bewunderung für diese Ausnahmekünstlerin wird in den meisten Biogra-fien nur allzu deutlich. Häufig gipfelt diese sogar in einer unseriösen Idealisierung, beispielsweise bei Bäumer 1958;; Resnevic--Signorelli 1939. Neuere Biografien (wie Maurer 1988 oder Sheehy 2003) arbeiten gewissenhafter. Maurer stellt die einzelnen Lebensabschnitte der Duse jedoch oft nur verkürzt dar, was dem Umfang der Veröf-fentlichung geschuldet ist, während es Sheehys Werk immer wieder an Wissen-schaftlichkeit mangelt;; stattdessen weist es oft eine emotional gefärbte Betrachtungs-weise auf. Weitere Biografien respektive biografische Erzählungen gibt es zum Beispiel von Bolla 1947;; Lichtenberg 1951;; Mazzoni 1937;; Paquet 1928;; Pontiero 1986;; Rheinhardt 1928;; Schwirten 1946;; Zehder--Segantini 1926. Gerade in den letzten Jahren sind mehrere Veröffentlichungen in italienischer Spra-che erschienen, die hier jedoch nur genannt werden sollen, da sich der Fokus der Untersuchungen oft vom Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit unterscheidet. Bei-spiele dafür sind Cacciaglia 1998;; Guerrieri 1993;; Schino 2008;; Simoncini 2011. 15 Der Psychologe C.G. Jung (1875-- Beziehungssystem zwischen dem individuellen Bewußtsein und der Sozietät, pas-senderweise eine Art Maske, welche einerseits darauf berechnet ist, einen bestimm-ten Eindruck auf die anderen zu machen, andererseits die wahre Natur des Indivi-des Schauspielers siehe Carlson 2003, insbesondere 53--95. -figuren soll in der vorliegenden Arbeit nur peripher eingegangen werden. Dazu siehe u.a. Balk 1994;; Müller 2000 sowie die Biografien von Maurer 1988;; Sheehy 2003. <?page no="18"?> 18 aus der sozialen Maske und der kulturellen Rolle der Schauspielerin ver-standen werden. Dahinter verbirgt sich demnach einerseits, wie Eleonora Duse sich in der Öffentlichkeit präsentierte;; andererseits impliziert er, auf welche Weise sie durch die deutsche Eigengruppe rezipiert wurde. Der zweite Aspekt ist insofern von besonderer Relevanz, als man in der Rezep-tion der Duse Strömungen erkennen kann, die wiederum Rückschlüsse auf die gesellschaftspolitische Situation innerhalb des Kaiserreiches zulassen. Der Theaterwissenschaftler Marvin Carlson untersucht in seinem Buch The Haunted Stage: The Theatre as Memory Machine (2003) das Prinzip des 16 : Er stellt die These auf, dass Theater in all seinen Facetten einen im kollektiven Gedächtnis der Zuschauerschaft existierenden Bilder-- und Erinnerungsfundus von bereits vergangenen Aufführungen, auf die das Publikum (unwillkürlich) zurück-greift. Dies führt dazu, dass die Zuschauer stets durch bestimmte latent vorhandene Vorstellungen in ihrer Rezeption wie auch in ihrer Beurteilung des Gesehenen vorgeprägt sind. Carlson schreibt: Everything in the theatre, the bodies, the material utilized, the language, the space itself, is now and always has been haunted, and that haunting has been an essential part of the thea -diences in all times and all places. 17 Das hier von Carlson mit Blick auf die künstlerischen Aspekte der Auffüh-rung beschriebene Prinzip der Überlagerung von Bildern und Erinnerun-gen im Spiel der Akteure soll für die vorliegende Arbeit um eine Ebene erweitert werden: So wird hier davon ausgegangen, dass auch hinsichtlich weiligen Schauspielerin das Prinzip der Übertragung von kollektiv vorhandenem --Wis -schauer vorherrscht. Auf den Akteuren lasten somit nicht nur künstlerische Erwartungen, die es zu erfüllen gilt, sondern auch spezifische 18 . Bühnenkünstlerin Eleonora Duse im Diskurs durch innerhalb der deut-schen Gesellschaft des Kaiserreiches existierende kollektive Vorstellungen ein Akt, der das Bild, das man von ihr zeichnete, nicht nur für die Zeitgenossen, sondern auch für die zukünftige Beschäfti-ein in die bestehenden kulturellen, ökonomischen wie gesellschaftlichen Strukturen verwobenes, (theater--) historisch bedeutendes Objekt sowie als ein Instrument des deutschen Theaterdiskurses auf dem Weg in die Mo-- 16 Carlson 2003, 7. 17 Carlson 2003, 15. 18 Carlson 2003, 59. <?page no="19"?> 19 derne verhandelt. Es wird demnach davon ausgegangen, dass die Duse aktiv und passiv weit mehr als nur einen ästhetischen Einfluss auf die zeitgenössische deutsche (Schauspiel--) Situation ausübte. Die zweite These muss demnach lauten, dass anlässlich der Rezeption der Bühnenkunst Eleonora Duses, insbesondere bei ihren Besuchen in der Reichshauptstadt Berlin, im kollektiven deutschen Bewusstsein teilweise noch latent vorhandene Strömungen offensichtlich werden, anhand derer man das Bild eines Selbstverständnisses nachzeichnen kann, das in einer Zeit des gesellschaftlichen wie kulturellen Wandels innerhalb der deut-schen, insbesondere der Berliner Gesellschaft des ausgehenden 19. Jahr-hunderts mäandert: zwischen den avantgardistischen Dynamiken der Modernisierung und einem sich in bürgerlichen Konservatismen ausprägenden Kunstver-ständnis, das sich in der Kanonisierung sowie der rückgewandten Idea-lisierung des 18. Jahrhunderts und speziell der Aufklärung ausdrückt, zwischen dem vor allem bürgerlichen Wunsch nach einem sich ge-genüber der Welt jenseits der deutschen Grenzen offen und interes-siert zeigenden, von grenzüberschreitenden Austauschprozessen geprägten Transnationalismus, manchmal sogar Kosmopolitismus, und einem im Zuge des deutschen nation building nach der Reichs-gründung im Jahre 1871 immer stärker werdenden Nationalismus sowie zwischen dem Bedürfnis nach dem -- Antwort auf die Angst vor der fortschreitenden Modernisierung und dem gleichzeitig immer manifester werdenden Metropolita-nismus, der nicht nur die Urbanisierung repräsentiert, sondern ähnlich dem Kosmopolitismus einen Austausch zwischen den an-deren Metropolen Europas, aber auch der USA fördert. 1.3 1.3.1 Eleonora Duse Die Protagonistin Anhand exemplarisch ausgewählter Gastspiele Eleonora Duses in der deutschen Hauptstadt 19 sollen die oben angekündigten kontrastiv erschei-- 19 Dabei soll mit ihrem ersten Auftritt im Deutschen Reich im November und Dezember 1892 begonnen werden. Das nächste Beispiel ist das zweite Berliner Gastspiel der Duse, das nur ein Jahr später stattfand, und die Untersuchung endet mit dem Besuch im Jahre 1899 an der Schwelle zur Jahrhundertwende. Zwar wird in der vorliegenden Arbeit auch ein Gastspiel im Jahre 1895 betrachtet. Es handelt sich dabei jedoch um Mainz. Dieses Beispiel dient als vergleichendes Moment: Es ermöglicht einen Blick über die metropolitanen Grenzen hinaus. <?page no="20"?> 20 nenden und doch einander ergänzenden gesellschaftlichen Strömungen aufgezeigt werden. Für das Vorhaben, diese zwischen Tradition und Innovation angesiedelten Bewegungen innerhalb der Gesellschaft im Deut-schen Reich darzustellen, scheint die Italienerin Eleonora Duse ideal geeig-net;; denn sie steht an der Nahtstelle zwischen zwei Entwicklungen man könnte die Bühnenkünstle -- Auch wenn sie als Schauspielerin hauptsächlich im 19. Jahrhundert ak-tiv war, 20 wird die Duse in der theatergeschichtlichen Forschung stets be-reits der klassischen Moderne und damit eher dem 20. Jahrhundert zugeordnet. 21 Theaterdiskurs damals wie heute oft verwendet, dessen Bedeutung jedoch nur selten erläutert wird. Diese Kategorisierung unterscheidet sie bei-spielsweise von ihrer berühmten Kollegin und paradoxerweise auch schon im 19. Jahrhundert größten Konkurrentin, der Französin Sarah Bernhardt (1844-- Jahrhunderts gilt. Diese Zuweisungen haben eine lange Tradition, die schon erstaunlich früh einsetzt. So schreibt der Feuilletonist und Schriftstel-ler Simon Moldauer in seinen im Jahre 1893 in der Zeitschrift Die Gesell-schaft Frau Bernhardt ist nicht nur eine bedeutend ältere Frau, sondern auch eine bedeutend ältere Schauspielerin, und darum gehört auch ihre Kunst einer älteren Zeit an;; die Kunst der Frau Duse hingegen gehört ebenso, wie diese selbst, ganz unserer Zeit, sie ist eine echte Findesiècle--Kunst wir meinten, die Kunst der Duse ist eine echte Findesiècle--Kunst, so konn-ten wir damit nichts anderes sagen, als daß sie gegenüber derjenigen der Französin etwas Neues aufweist, das in dem Geiste unserer Zeit seinen tie-fen Grund hat. Doch worin besteht dieses Neue? wird man fragen. Und wir antworten: In dem höheren Grade von Illusion. 22 Moldauer erkennt in Eleonora Duse demnach das Innovative: Er ordnet sie dem Fin de Siècle zu, jener inhaltlich schwer zu fassenden, ihren Ausdruck -- 20 Da die Duse 1924 starb, fällt der größte Teil ihres Lebens und auch Wirkens als Schauspielerin in das 19. Jahrhundert;; im 20. Jahrhundert war sie außerdem mehrere Jahre nicht auf der Bühne aktiv. 21 -ch erscheint eine solche Wertung hier 20., dort 19. Jahrhundert müßig;; nicht vertikal zwischen den Schauspielerinnen verläuft die Epochengrenze, vielmehr zieht sich horizontal durch beider Leben hindurch jene Entwicklung, die die Moderne des The-aters 22 Moldauer zit. nach Balme 1988, 106 [Hervorhebung im Original]. <?page no="21"?> 21 --Jahren und dem Beginn des Ersten Weltkriegs. 23 Als neu empfindet er besonders den Schauspielstil der Italienerin, der sich allem zuvor Gebotenen abhebt. Was dies allerdings für die Schauspiel-kunst der Duse bedeutet, soll erst an einem späteren Punkt der vorliegen-den Arbeit näher erläutert werden. Auch wenn viele Zeitgenossen Moldauers es ihm gleichtun und die Duse beziehungsweise ihre Art der Darstellung als neuartig oder, wie es gleichen Konsequenz. Oft erfolgt die Verwendung des Adjektivs unbe-dacht oder es gerät zu einem undefinierten Modewort. Dies wird insbeson-dere dann deutlich, wenn die Bühnenkünstlerin gerade in den frühen 1890er--Jahren in eine von vorherrschenden italienischen Stereotypen ge-t ihrer italienischen Kollegen im 19. Jahrhundert gestellt wird, wie sich im Verlauf der Arbeit zeigen soll. Erst kurz vor der Jahrhundertwende beginnt sich die Einordnung der Duse im Diskurs zu verschieben wenn auch nur partiell. Moldauers Kommentar mutet demzufolge vor allem in Anbetracht des frühen Erscheinungsdatums fast prophetisch an und muss vergleicht man ihn mit den Äußerungen seiner Kollegen als Ausnahme gewertet werden. In der vorliegenden Arbeit stehen jedoch nicht die Ausnahmen (wie Moldauer) im Mittelpunkt des Interesses. Vielmehr sollen andere Stimmen Gehör finden, nämlich diejenigen, die deutlich machen, in welch hohem Maße man hinsichtlich einer Bewertung Eleonora Duses zwiegespalten war zwischen Tradition und Innovation;; denn beide Strömungen wollte man in -spielerin, die viel mehr dem 20. als dem 19. Jahrhundert zuzuordnen ist, hier kritisch geprüft werden. Aus dieser Diskussion erwächst die Frage, auf welcher Grundlage die au-genscheinliche epochale Trennung zwischen dem Theater des 19. und dem des Folgejahrhunderts überhaupt stattfand. Dem Theater schreibt man während des erstgenannten Zeitraums bis heute häufig zu, es habe haupt-sächlich versucht, die Sensationslust des Publikums durch oberflächliche Unterhaltung zu befriedigen. Außerdem sei es von einem durch kommer-zialistische Tendenzen verursachten künstlerischen Verfall geprägt gewe-sen. Diese Einschätzung ist unter anderem auf eine Tradition innerhalb der Theaterwissenschaft zurückzuführen, welche die Vorstellung von einem -- und der als 23 Zum Begriff des Fin de Siècle siehe Fischer 1978;; Haupt/ Würffel 2008. <?page no="22"?> 22 opulärkultur lange aufrecht erhielt. 24 Auf-grund dieser den Theaterdiskurs des ausgehenden 19. Jahrhunderts domi-nierenden, jegliche Kommodifizierung des Theaters ablehnenden Meinun-gen, denen man in der Vergangenheit oft bereitwillig Gehör schenkte, wurde über Jahrzehnte hinweg der Eindruck aufrecht erhalten, die Zeit vor 1900 sei bis auf wenige Ausnahmen zur zweiten Kategorie zu zählen. Dies führte lange zu einer wissenschaftlichen Nichtbeachtung beziehungsweise zu einer vorschnellen Be-- und einer häufig daraus resultierenden Abwer-tung, die erst seit einigen Jahren und nur allmählich ihre Ablösung fin-den. 25 -gengesetzt, deren Anfänge man zwar bereits vor 1900 verzeichnet, die aber in der Forschung meist erst dem Beginn des 20. Jahrhunderts zugeschrieben werden. So zählt die Jahrhundertwende häu-fig als Zeitpunkt eines (vorgeblichen) Umbruches. 26 Der dann einsetzenden 24 Zu dieser Trennung und ihrer Bedeutung für die Bewertung des 19. Jahrhunderts siehe Giesing 1987;; Koslowski 1998, 67--71;; Marx 2008, 44--47;; Marx 2009, 11. 25 Peter W. Marx führt die Tatsache, dass das Theater des ausgehenden 19. Jahrhun-derts lange ein Forschungsdesiderat in der (Theater--) Geschichte darstellte, auf zwei Faktoren z -teil, das dem kommerziellen Theater schon von den Zeitgenossen entgegengebracht nation building große Er-wartungen an die Bühnen gehabt, die diese nicht hätten erfüllen können. Zum Strukturwandel der Öffentlichkeit -torischer Perspektive korrigiert worden [ist], dass eine abermalige Replik fast über-von Kunst und Kommerz, von Hochkultur und Populärkultur zurück (vgl. Marx 2009, 11). Wie im anglofonen Raum, wo sich Forscher wie Michael R. Booth, Tracy Davis oder Peter Jelavic seit Jahren mit dem populären Theater der viktorianischen Zeit oder theatralen Unterhaltungsformen wie dem Kabarett beschäftigen, oder im frankofonen Bereich, wo Wissenschaftler wie Christophe Charle sich seit geraumer Zeit mit den Pariser Revuen befassen, gilt es auch hier, eine solche eher hinderliche Kategorisierung zu überwinden. Auch im deutschsprachigen Raum gibt es daher kritische Ansätze diese obsolete Zweiteilung zu durchbrechen. Siehe dazu beispiels-weise Becker/ Littmann/ Niedbalski 2011;; Giesing 1987;; Koslowski 1998;; Maase/ Kaschuba 2001;; Marx 2006;; Marx 2008. 26 zeitlich festlegbarer Moment des Umbruches verstanden werden, sondern als eine längerfristige Entwicklung, die sich in den unterschiedlichsten Gebieten des Lebens niederschlug. Western social science (Auguste Comte, Karl Marx, Ferdinand Toennies, Max Weber, Émil Durkheim) is that it has steadily reinforced the sense of some single moment call it the modern moment that by its appearance creates a dramatic and unprece-- ( Appadurai 1998, 2--3.) Dass es sich eben nicht um ein situatives Umbruchmoment handelt, sondern um einen längerfristigen Pro-zess, der sich in einem Wandel zur Moderne in den gesellschaftlichen Strukturen, Le-- <?page no="23"?> 23 ässt, 27 werden verschiedene Paradigmenwechsel zugesprochen, die bis heute eine nicht zu unterschätzende Bedeutung für die Entwicklung des europäischen Theaters haben. Die Theaterwissenschaftlerin Erika Fischer--Lichte merkt dazu in der Einleitung zu der von ihr herausgegebenen Aufsatzsammlung TheaterAvantgarde Folgendes an: In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts vollzog sich in Europa ein radikaler Wandel, der im alltäglichen häuslichen Leben wie in der Arbeits-welt, in der Freizeitgestaltung wie in Wissenschaft und Kunst überkom-mene Wahrnehmungs--, Denk-- und Handlungsmuster nachhaltig erschüt-terte und zur Herausbildung völlig neuer Verhaltensmodelle führte. 28 Es handelt sich allerdings um eine Zeit, die nicht nur durch die von Fi-scher--Lichte angesprochenen Paradigmenwechsel, sondern auch von einer sich ständig steigernden Diversität geprägt war nicht allein auf der Ebene des Theaters. 29 Ordnet man Eleonora Duse, wie es in der deutschen Forschung oft ge-schieht, der Theatermoderne zu, so ergibt sich daraus jedoch ein unvoll-ständiges Bild nicht nur von der italienischen Schauspielerin, sondern auch vom deutschen Theaterdiskurs der Zeit. Ein Großteil der Äußerungen innerhalb der zeitgenössischen Verhandlungen der Bühnenkünstlerin bleibt dabei nämlich weitgehend unbeachtet. Die daraus resultierende lückenhafte Darstellung will die vorliegende Arbeit revidieren und zeigen, dass die Duse gerade in den frühen Jahren ihrer Gastspieltätigkeit im Deutschen Reich, also in den hier untersuchten 1890er--Jahren, zwar immer bensumständen, Ansprüchen und Ängsten der Menschen auswirkte, kann man par-tiell am Beispiel des internationalen Gastspielwesens als Teil der Institution Theater nachzeichnen, wie im Folgenden geschehen soll. 27 Der Theaterwissenschaftler Christopher den Begriff der Theatermoderne angeht, so läßt sich dieser ebenso schwer definieren -- und Epochenbegriffen beizu-- --12. 28 Fischer--Lichte 1995a, 1. 29 -teristika aus: 1. die Re--Theatralisierung und die Abkehr der Priorisierung des Dra-mas, 2. die Ausrichtung auf die Aufführung und die Aufwertung des Regisseurs, 3. die Neubewertung der Szenografie, 4. die neue Sicht auf den Zuschauer als Mitge-stalter der Aufführung und 5. Demokratisierungstendenzen in den Organisations-strukturen (vgl. Balme 1988, 12-- Komponenten der Moderne zu unterscheiden hat: einer theaterästhetischen und einer Zur Theorie der Moderne beziehungsweise der Avantgarde allgemein siehe Bürger 1999;; zur Theatermoderne siehe Balme 1988;; Balme 2003;; Brauneck 2009;; Fischer-- Lichte 1995;; Lazarowicz 1991. <?page no="24"?> 24 Kennzeichnung jedoch nur die eine Seite der Medaille abbildet. Die andere Seite offenbart die im Kaiserreich vorherrschende Vorstellung von ihrem i künstlerisches Wirken geprägt sah. Diese hier vorgenommene Neueinschätzung der Situation soll demnach neue Erkenntnisse nicht nur zu der italienischen Bühnenkünstlerin brin-gen: Anhand der Rezeption Ele das im kollektiven Bewusstsein der deutschen Gesellschaft des Kaiserrei-ches verwurzelte Denken in nationalen Stereotypen offensichtlich, wie in den folgenden Kapiteln nachgezeichnet wird. Der in dieser Arbeit untersuchte Zeitraum stellt eine beruflich ausgespro-chen erfolgreiche Phase im Leben der Schauspielerin Eleonora Duse dar: So markieren die 1890er--Jahre den Beginn ihrer großen internationalen Karri-ere, nachdem sie bereits in ihrer Heimat Italien unter anderem als Prima-donna der Truppe Cesare Rossi enorme Erfolge hatte feiern können. 30 Die Duse stammte aus einer Familie von Bühnenkünstlern und stand schon seit frühen Kindertagen also seit den 1860er--Jahren auf den unterschied-lichsten Bühnen Italiens;; 31 sie war das Leben in und das Herumreisen mit einer Theatertruppe demnach gewöhnt. Sie begann bereits in den 1880er-- Jahren mit der Truppe Cesare Rossi auch international zu touren, begab in eigener Verant-wortung auf eine ausgedehnte Auslandstournee, die unter anderem nach Alexandria, Kairo, Barcelona, Madrid führte und am 22. September 1890 32 . Diese Gastspielreise diente vornehmlich dazu, ihre in Italien zwar bereits berühmte, außerhalb ihrer Heimat jedoch erst allmählich bekannt werdende Schauspielerpersönlichkeit auch an anderen Orten Europas zu etablieren. Im Zuge dieses Vorhabens fand im Jahre 1891 eine zukunftsweisende Reise statt, die Eleonora Duse nach Sankt Petersburg führte. Dor Antonius und Cleopatra -astische Kritiken eingebracht hatte. Hier riß sie das Publikum zu Beifalls-- 33 . Das Resultat dieses bahnbrechenden Gastspiels war die Anerkennung der Duse auch im west-- und nordeuropäischen Raum und sogar über diesen hinaus, sodass Tourneen durch Österreich, das Deutsche Reich, Frankreich, die skandinavischen Länder und schließlich sogar die USA folgten. Damit legte Eleonora Duse in den 1890er--Jahren endgültig den Grundstein für ihre geradezu einzigartige Karriere als internationale Virtuosin. 30 Vgl. Maurer 1988, 12. 31 Dazu siehe u.a. Maurer 1988, 12--18. 32 Maurer 1988, 44. 33 Maurer 1988, 47. <?page no="25"?> 25 Unter anderem an dieser ausgeprägten internationalen Gastspieltätig-keit kann man die Verwurzelung der Duse in den damals bestehenden Theaterstrukturen erkennen. So gilt das transnational agierende Virtuo-sentum in der Forschung gemeinhin als eines der typischsten Phänomene für die Entwicklung des Theaters im 19. Jahrhundert. Während im 18. Jahr-hundert unter dem Begriff d das Musiktheater beziehungsweise auf musikalische Aufführungen, ein überdurchschnittlich talentierter Künstler verstanden wurde, lässt sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts vor allem im deutschen Diskurs eine Verän-derung im Sprachgebrauch feststellen: Immer häufiger bezeichnete man auch Akteure des Sprechtheaters als Virtuosen allerdings mit überwie-gend pejorativer Konnotation. 34 Diese Abwertung lässt sich unter anderem darauf zurückführen, dass die Akteure hauptsächlich sich selbst in den Vordergrund der Theaterereignisse stellten und nur bedingt die Kunst (respektive das Drama) die Aufführungen dominierte: Während der Virtuose von einem Großteil des Publikums verehrt und ge-feiert wird, weil er das Bedü -schen erfüllt, entwickelt er sich bald zum erklärten Feindbild vieler Literatur-- und Theaterkritiker: Denn er ver-stößt gegen die Forderung nach einer dienenden Funktion des Schauspie-lers auf eklatante Weise, indem er seine Individualität betont und es wagt, eine Gleichrangigkeit, wenn nicht sogar eine Höherwertigkeit seiner künst-lerischen Leistung gegenüber der des Dichters zu beanspruchen. 35 Sieht man einmal von den kritischen Stimmen im zeitgenössischen Thea-terdiskurs ab, die stets den Text über den Schauspieler stellten, so lassen sich folgende Merkmale zusammenfassen, die charakteristisch für die Virtuosen waren: eine individuelle und qualitativ hochwertige Spielweise, die ihnen erlaubte, sich selbst besonders effektvoll in Szene zu setzen, das Bedürfnis, eine möglichst breite Masse an Publikum zu erreichen und die-ser ihre Künste zu präsentieren, was unter anderem durch überregionale oder gar internationale Gastspiele erreicht wurde, und nicht zuletzt neben dem Wunsch nach künstlerischem Erfolg auch ein Streben nach finanziel-lem Ruhm, den gerade das internationale Gastieren häufig einbrachte. 36 Vor diesem Hintergrund soll auch Eleonora Duse in der vorliegenden Arbeit allerdings im Unterschied zur zeitgenössischen Begriffsverwen-- 34 des 19. Jahrhunderts zum Schlagwort. Bis es dazu kommt, hat der Begriff Virtuosität einen Wandel durchgemacht;; die ursprünglich lobende Bedeutung weicht der Asso-- Bedeutung der Virtuosen im 19. Jahrhundert siehe außerdem Schmitt 1990, 194--207;; Stettner 1998;; Wiesel 2002. 35 Eisermann 2010, 138. Eisermann zitiert hier Richard Sennett 2004, 260. 36 Vgl. dazu Hildebrand 2000;; Stettner 1998, 196--206;; Watzka 2006. <?page no="26"?> 26 dung wertneutral als Virtuosin bezeichnet werden. Schließlich lassen sich die oben genannten Kriterien in den 1890er--Jahren auch auf die italienische Bühnenkünstlerin übertragen: Auch sie war der Star ihrer Truppe, gastierte in den unterschiedlichsten Ländern, nutzte die für die Virtuosen typischen Organisationsstrukturen wie beispielsweise die vermittelnde Tätigkeit eines Impresarios oder Agenten, der die Gastspiele plante, und zeigte eine gewisse kommerzielle Ausrichtung, 37 wie es in den kommenden Kapiteln immer wieder zur Sprache kommen wird. Vor diesem Hintergrund kann Eleonora Duse als noch sehr mit dem 19. Jahrhundert verwachsen gelten, obwohl die Art, wie sie auf der Bühne agierte, Züge trug, die man eher mit Auch wenn der Schauspielstil der Italienerin also von ihren Zeitgenos-zeichnet wurde, darf diese Attribuierung nicht einfach übernommen werden, sondern es muss stets eine Kontextualisierung der Situationen, Umstände und Personen erfolgen. Es wäre falsch, Eleonora hängig von der zeitgenössischen Theaterwelt sowie den sozialen Verhältnissen oder Produktionsbedingungen der Schauspieler zu betrachten allein zu -che Vorgehensweise spiegelt eine rückständige, sogar als obsolet zu be-wertende Vorstellung von Kunst und Kultur, von der ich mich hier distan-zieren möchte. 1.3.2 Die Metropole Berlin Mehr als nur ein Schauplatz Neben der Schauspielerin Eleonora Duse wird in der vorliegenden Arbeit die Stadt Berlin zur Protagonistin. Berlin war die Hauptstadt des Kaiserrei-ches und gleichzeitig dessen einzige Metropole und spielte deswegen auf ganz unterschiedlichen Ebenen eine herausragende Rolle in der deutschen (Theater--) Geschichte des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Bis zur Gründung des Deutschen Reiches als Folge des für Preußen und den Norddeutschen Bund siegreich verlaufenen Deutsch--Französischen Krieges von 1870/ 71 und der damit einhergehenden Proklamation Wilhelms I. zum deutschen Kaiser am 18. Januar 1871 im Spiegelsaal von Versailles war Berlin zwar die preußische Hauptstadt und eine königliche Residenz gewesen;; an nati-onaler wie internationaler Relevanz gewann es allerdings vor allem da-durch, dass es zur Hauptstadt des Kaiserreiches erklärt wurde. Herbeige-führt durch unterschiedliche Entwicklungen, unter anderem durch die hohen Reparationen, die Frankreich nach dem verlorenen Krieg an Deutschland zahlen musste, die wirtschaftlich prosperierenden sogenann-- 37 Die kommerzielle Ausrichtung war jedoch verhältnismäßig schwach ausgeprägt, was vor allem im direkten Vergleich mit ihrer Konkurrentin Sarah Bernhardt deutlich wird. <?page no="27"?> 27 ke-rungszuwachs in der Hauptstadt oder auch die nach der Reichsgründung landesweit gültig gewordene Gewerbefreiheit nahm Berlin mehr und mehr die politische, ökonomische sowie kulturelle Vormachtstellung im Deut-schen Reich ein. Der Historiker Martin Baumeister beschreibt diesen Auf-schwung der Metropole wie folgt: Berlin nahm nach der deutschen Einigung einen geradezu schwindelerre-genden Aufstieg von einer zwar militärisch hochgerüsteten, wirtschaftlich und kulturell aber zweitrangigen mitteleuropäischen Residenzstadt zur Kapitale eines der mächtigsten Staaten Europas und zu einem modernen, hoch dynamischen Wirtschafts-- und Kulturzentrum, dessen Bevölkerung sich aufgrund massiver Zuwanderung innerhalb weniger Jahrzehnte zwi-schen 1871 und dem Ende des Ersten Weltkriegs von 930000 auf 3,8 Millio-nen Personen mehr als vervierfachte. 38 Der Historiker Andreas W. Daum fokussiert besonders die politische und wirtschaftliche Seite, wenn er über Berlin schreibt: Berlin was already on its way to becoming a major industrial city in Ger-many when it became the capital o -litical status in turn spurred its development as a major center of finance and trade in Germany and Europe. 39 In der vorliegenden Arbeit sollen diese auf ökonomischer, sozialer und politischer Ebene erfolgten Veränderungen sowie ihre Auswirkungen vor dem Hintergrund ihrer Verzahnung mit den kulturellen Bewegungen in den 1890er--Jahren untersucht werden. In Berlin entstanden nach der Gründung des Deutschen Reiches, beein-flusst insbesondere von dem bereits erwähnten finanziellen Aufschwung, unzählige Stätten der Bildung, der Vergnügung und der Zerstreuung für die Bewohner und die Besucher. 40 Dadurch erlangte die Stadt bald den Status des kulturellen Zentrums im Kaiserreich und machte sich so auf-grund ihrer Vielfältigkeit nicht nur einen Namen als politischer Mittel-- -nenen Reiseführer Kunstgeschichtliche Wanderungen durch Berlin wird dem an der Hauptstadt des Kaiserreiches interessierten Leser dieses neue kultu-relle Angebot angepriesen, wobei der zeittypische Sprachduktus im Text deutlich anklingt. Dort heißt es: Ueberall treten uns Sehenswürdigkeiten entgegen;; ebenso wie Kirchen und Schulen, Paläste und Villen, Museen, Theater, Konzert--, Kauf-- und Bierhäu-- 38 Baumeister 2009, 193--194. 39 Daum 2005, 14. 40 An neuen Museen sind hier beispielsweise das Kunstgewerbemuseum, das von 1877 bis 1881 gebaut wurde, oder das Museum für Völkerkunde, das zwischen 1880 und 1885 entstand, zu nennen. Vgl. Hach 1897, 104--105. <?page no="28"?> 28 ser, fordern Plätze, gärtnerische Anlagen und Denkmäler, errichtet zur Ehre und zum Gedächtnis grosser Männer und Helden, bedeutender Zeiten und Ereignisse, zur Betrachtung und Bewunderung heraus. 41 Der neu erworbene kulturelle Reichtum Berlins wird hier gelobt und die Stadt mit ihren Gebäuden und Plätzen als eine Attraktion dargestellt. Hinzu kommt noch, dass sich sowohl im Titel des Reiseführers als auch in dem Hinweis auf die erst kürzlich errichteten eindrucksvollen Monumente das eigene Geschichtsbewusstsein und gleichzeitig auch das Selbstver-ständnis der Hauptstadtbewohner zeigen. Die Sehenswürdigkeiten dienen also vornehmlich der ostentativ--stolzen Betonung der Stadtgeschichte wie auch der Historie des Deutschen Reiches. 42 Vor dem Hintergrund der erst vor kurzer Zeit erfolgten Reichsgründung nur ca. 25 Jahre vor dem Er-scheinen des Reiseführers mag dies wie ein Paradox wirken, schließlich existierte eine solche Geschichte zumindest im nationalstaatlichen Sinne kaum. Dennoch erfolgt hier wie im zeitgenössischen Diskurs generell sehr häufig im 43 Dieses großzügige Ignorieren der Tatsache, dass es vor 1871 keinen deutschen Nationalstaat gab, und die Illusion von der Existenz einer zurück. So schreibt er, auf den für das 19. Jahrhundert bedeutenden Histo-riker Leopold von Ranke (1795--1886) verweisend, die Idee von der Nation, wie sie häufig im Deutschen Reich zur Anwendung komme, basiere auf der Vorstellung von einer Determination jenseits von nationalstaatlichen Grenzen, unabhängig von Zeit und Ort: Diese Auffassung Rankes, die in der Nation etwas Unvergängliches, ja Göttliches sah, prägte den deutschen Nationsbegriff und den deutschen Nationalismus nachhaltig, da dieser transzendente Aspekt den Abgren-zungscharakter der nationalen Idee nicht nur verschärfte, sondern diese (durch das Phänomen, dass Nationen als exklusive Träger bestimmter Ideen und Prinzipien verstanden werden) auf die Ebene einer nationalen Metaphysik erhob. 44 41 Hach 1897, III. 42 Zu den Berliner Monumenten, die nach 1871 in großer Zahl entstanden, sowie zu weiterführender Literatur zu diesem dicht beforschten Thema siehe u.a. Klein 2005;; Opitz 2011, 43--66. 43 innerhalb von sozialen Gemeinschaften, die der Historiker Eric Hobsbawm in seinem Werk The Invention of Tradition beschreibt. Siehe Hobsbawm 2010. 44 Klein 2005, 39. <?page no="29"?> 29 Vor diesem Hintergrund konnte man sich auch Ereignisse, die vor der Reichsgründung lagen, oder Persönlichkeiten, die weit vor 1871 gelebt hatten, zu eigen machen, um deren Bedeutung und Ansehen zu selbstaf-firmativen, selbstidentifikatorischen Zwecken im Prozess des nation buil-ding 45 , die als -- und Kultur, nicht aus staatlicher Zugehörigkeit, freiheitlicher Verfassung oder demokratischer Selbst 46 Den Prozess des nation building hat der Politikwissenschaftler Benedict Anderson anhand seiner Idee von den sogenannten Imagined Communities 47 erklärt. Nach der Anschauung Andersons existiert das politische Konstrukt Denkgebilde, das auf sozialen Bedürfnissen und kulturellen Wünschen seiner Mitglieder basiert und sich dadurch fortentwickelt. Vor diesem Hintergrund wurden auch die Entstehung des Deutschen Reiches und der Prozess der Bildung der Nation in Deutschland nach 1871 immer wieder bewertet, sodass man die deutsche Geschichte nach der Reichsgründung als fortlaufenden und mehr oder weniger erfolgreichen Versuch der Etab-lierung einer kollektiven Identität durch das gemeinsame Erschaffen von für alle verbindlichen Traditionen und allgemeingültigen Vorstellungen verstehen muss. Indem wieder und wieder auf (vorgeblich) kollektive Ide-berühmter Persönlichkeiten oder die Bedeutsamkeit historisch wichtiger Ereignisse zurückgegriffen wurde und diese sich in einem Akt steter Wiederholung in den Köpfen der Bürger festsetzten, erzeugte man historische, aber auch zeitgenössische Gemeinsamkeiten, auf deren Grundlage eine nicht nur politisch geeinte Nation entstehen und sich als solche immer weiter ent-wickeln und schließlich konstituieren konnte. 45 neueren Zeiten, in denen der Wille zur Staatsnation so mächtig hervorbrach, gingen Zeiten vorher, in denen der nationale Wille noch nicht so bewußt und bestimmt sich regte, in denen von keiner nationalen Selbstbestimmung im vollen Sinne die Rede sein konnte, und in denen doch schon die Franzosen und Engländer eine Staats-- und Kulturnation zugleich, die Deutschen und Italiener wenigstens eine Kulturnation wa-- -- -ner echten Staatsnation wie das Beispiel der Schweiz zeigt die Angehörigen ver-schiedener Kulturnationen leben [können], und wiederum die Kulturnation kann in sich wie das Beispiel der großen deutschen Nation zeigte mehrere Staatsnationen entstehen sehen, d.h. Bevölkerungen von Staaten, die ihr politisches Gemeingefühl zu kräftiger Eigenart ausprägen, die 1911, 3). 46 Kocka 2001, 88. 47 Siehe Anderson 1991. Andersons Buch erschien in der deutschen Übersetzung unter dem Titel Die Erfindung der Nation. <?page no="30"?> 30 Der Ansatz Andersons ist teilweise auch für die vorliegende Arbeit und damit für die Untersuchung des internationalen Gastspiels sowie für des-sen Rezeption im Deutschen Reich respektive in der Hauptstadt Berlin in den 1890er--Jahren interessant;; schließlich lassen sich mithilfe dieses Ge-dankens die ostentativen nationalen und nationalistischen Strömungen innerhalb der deutschen Gesellschaft im Kaiserreich zumindest im Ansatz erklären. Auch im deutschen Theaterdiskurs kann man ein ständiges Be-streben feststellen, aus dem bisher nur auf politischer Ebene zusammenge-führten Deutschen Reich ein auch ideell vereintes zu machen, indem man regelmäßig thematisierte. 48 Allerdings reicht Andersons Idee für die Zwecke der vorliegenden Un-tersuchung nicht aus, denn sie lässt eine wichtige Strömung neben der nationalen völlig außer Acht, die hier jedoch eine grundlegende Rolle spielt: So existierte außer dem Wunsch nach nationaler Gemeinschaft und kollektiver Identität auch der nach Kosmopolitismus, der bei einer intensi-ven Betrachtung des Diskurses, wie sie in der vorliegenden Arbeit am Bei-spiel des internationalen Gastspielwesens erfolgt, zum Vorschein kommt. Man hegte im Deutschen Reich demnach nicht nur den Wunsch nach einer geeinten Na n. Dieses sollte nicht unbedingt den aufklärerischen Gedanken Christoph Martin Wielands (1733--1813), Johann Gottfried Herders (1744--1803), Gotthold Ephraim Lessings (1729--1781) oder Immanuel Kants (1724--1804) entspre-chen, sondern viel eher durch die in zunehmendem Maße globalisierte und von Mobilität geprägte Welt sowie die Vorstellungen der Moderne ge-kennzeichnet sein. Dies zeigt unter anderem die Äußerung des Historikers Friedrich Meinecke (1862--1954), der sich in seinem 1907 geschriebenen und ein Jahr später erschienenen Werk Weltbürgertum und Nationalstaat mit dem Thema des Kosmopolitismus insbesondere hinsichtlich seines Verhältnis-ses zum Nationalstaat auseinandersetzt. Meinecke schreibt: ltene Mei-nung ist die, daß das wahre, das beste deutsche Nationalgefühl auch das weltbürgerliche Ideal einer übernationalen Humanität mit einschließe, daß für uns, das wahre Verhältnis universaler und nationaler Ideale in der Ent-stehung des modernen deutschen Nationalstaatsgedankens nachzuwei-sen. 49 Der Historiker verweist hier auf einen Aspekt, der auch für die vorliegende Arbeit von großer Bedeutung ist: Kosmopolitismus und Nationalismus, 48 Zum Thema Theater und Nation im deutschsprachigen Raum in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, also vor der Gründung des Deutschen Reiches, siehe Stauss 2011. 49 Meinecke 1911, 18. <?page no="31"?> 31 -- Buchtitel zurückzugreifen, für den hier untersuchten Zeitrahmen wie auch hinsichtlich des internationalen Gastspielwesens nicht getrennt voneinan-der gesehen werden. Es handelt sich vielmehr um zwei Strömungen, die, wie bei der Betrachtung der zeitgenössischen Verhandlungen des Theaters deutlich wird, in hohem Maße verwoben waren und die infolgedessen zusammen behandelt werden müssen. Die Korrelation der beiden Vor-stellungen betont auch Meinecke im folgenden Textauszug: Aber jene gemeine Meinung stellt Weltbürgertum und Nationalgefühl zu-gleich wie zwei sich ausschließende, sich lediglich nur bekämpfende und einander ablösende Denkweisen gegen über. Das kann einem geschichtli-chen Sinne, der an jenen größeren Zusammenhängen geschult ist und nach Darlegung innerlichster Kontinuität in jeder Ideenentwicklung verlangt, nicht genügen. 50 Vor allem hinsichtlich der deutschen Hauptstadt Berlin, die sich im Laufe des 19. Jahrhunderts von einer mittelgroßen Residenzstadt zur Metropole entwickelte, wird diese Verknüpfung zwischen dem Wunsch nach Kosmo-politismus und dem Streben nach nationaler Einheit immer wieder deut-lich. Dies lässt sich am Beispiel des oben bereits zitierten Berlin--Reisefüh-rers aufzeigen, in dem es heißt: Seit Berlin Reichs--Haupt-- und Weltstadt geworden, ist es in die Reihe der Millionenstädte getreten;; seine Strassen und Plätze haben sich auf das Vor-teilhafteste verändert und der Verkehr ist derart gewachsen, dass er nur noch von dem in London und Paris überflügelt wird. 51 Hatte der Autor zuvor die (vorgebliche) Historizität der Stadt sowie ihre große Bedeutung auf nationaler Ebene betont, so erweitert er hier seinen -- -- -zig den beiden zur Zeit der Jahrhundertwende wichtigsten europäischen Metropolen Paris und London nach. Man reihte Berlin also den europäi-schen Metropolen ein und zählte es damit zu den Städten, die von be-sonderer Relevanz waren. Sich auf den Historiker Clemens Zimmermann berufend erläutern Tobias Becker und Johanna Niedbalski den Begriff Met-ropole wie folgt: -lein durch die Anzahl ihrer Einwohner oder den Umfang ihrer Fläche, ob-wohl dies immer zentrale Kriterien gewesen sind. Was die Metropole jen-seits bloßer Größe und Dichte ausmacht, ist ihr Reichtum an materiellen 50 Meinecke 1911, 17--18. 51 Hach 1897, III. <?page no="32"?> 32 und kulturellen Ressourcen, ihre ethnische, soziale und kulturelle Diversität und ihre Einbindung in ein Netzwerk, dass [sic! ] heißt ihre Beziehung zum Umland, dem Nationalstaat und zu anderen Metropolen, durch die sie selbst erst zur Metropole wird. Darüber hinaus definiert sich die Metropole Mehr 52 -henden 19. Jahrhundert auszeichnete, machte die deutsche Hauptstadt interessant für Gäste aus dem In-- und Ausland, die aus touristischen, ge-schäftlichen oder politischen Gründen die Hauptstadt bereisten. Doch nicht nur die Besucher der noch recht jungen Metropole erkannten deren Attraktivität. Insbesondere die einsetzende Industrialisierung sowie die davon beeinflussten ökonomischen Entwicklungen, die gesellschaftliche Umstrukturierungen zur Folge hatten, führten seit der Mitte des 19. Jahr-hunderts, also auch schon vor der Reichsgründung, zu größeren Urbanisie-rungs-sowie Binnenmigrationswellen. Diese ließen Berlin in einem ra-santen Tempo wachsen. 53 Vor allem durch Zuwanderer aus den östlichen Gebieten Deutschlands war ein enormer Bevölkerungsanstieg zu verzeich-nen. Der Kritiker und Feuilletonist Siegfried Jacobsohn (1881--1926) kom-allen Seiten der bewohnten Erde, namentlich von Osten her, Kapital und Arbeit, Mammon und Menschenmassen. Stadt und Bevölkerung wuchsen im Sturm, und üb 54 Aufgrund dieses sich in der Metropole ansammelnden ökonomischen und damit auch kul-turellen Kapitals 55 wurde aus Berlin, insbesondere nach der Reichsgrün-- 56 , der immer mehr der Orientie-rung sowohl auf nationaler als auch auf transnationaler Ebene diente. In den 1890er--Jahren, also dem in der vorliegenden Arbeit untersuchten des urbanen Wandels einen Höhepunkt erreicht hatte und der Aufstieg zur 57 . Man gab sich in Berlin 52 Becker/ Niedbalski 2011, 9. Die beiden Autoren verweisen hier auf Zimmermann 1996. 53 De 54 Jacobsohn 1904, 1. 55 Mit diesem Begriff wird Bezug auf die Theorie Pierre Bourdieus genommen, der -ßen das Bildungskapital, das dem Einzelnen in einem Geflecht von sozialen Bezie-hungen -porierte, das objektivierte und das institutionalisierte Kulturkapital. Siehe Bourdieu 1992;; Bourdieu 2010. 56 Reif 2006, 3. 57 Baumeister 2009, 201. <?page no="33"?> 33 selbstsicher und war sich der eigenen nationalen wie internationalen Rele-vanz bewusst, was auch für das Theater galt. Im Kaiserreich spielten die Theater sowohl als Stätten kultureller Ereig-nisse als auch als eindrucksvolle Bauwerke in der Verhandlung der Metro-pole eine wichtige Rolle. 58 Baumeister verdeutlicht dies, indem er schreibt: Die Theater verliehen durch repräsentative Bauten, als Knotenpunkte des sozialen Verkehrs, als Medien der Repräsentation und Instanzen der Pro-duktion vielfältiger Reize und Attraktionen Berlin die Aura des Kosmopo-litischen und Internationalen und halfen dabei, die Stadt in ein exklusives Zugleich bezogen sie sich unmittel-bar auf ihr lokales Umfeld, waren intensiv beteiligt an der Erfindung und Bestätigung lokaler Einheiten in einer Zeit beschleunigten Wandels. 59 -große Bedeutung und Anerkennung. Die Bühnen der Hauptstadt dienten jedoch nicht nur dem Zweck der Repräsentation, sondern sie gal-ten auch als Orte der Selbsterfindung, an denen der metropolitane Wandel rne verhandelt wur-den. 60 Der Theaterwissenschaftler Peter W. Marx erklärt hinsichtlich der urbanen Entfaltung und ihrer Spiegelung auf den Berliner Theaterbühnen, in allen Spielarten -derungen und die sich neu bildenden Strukturen der Metropole [spiegelte], es war in ebensolchem Maße Katalysator und Rhythmusgeber dieser Ent-- 61 -repräsentation und -- 62 zu, eine Aufgabe, die insbesondere auch die soziale Relevanz der Theater im ausgehenden 19. Jahrhundert verdeut-licht. Ermöglicht wurde die neue Situation vor allem durch eine politische Entscheidung, die wie keine andere im 19. Jahrhundert Einfluss auf die Theaterentwicklung nicht nur in der Hauptstadt, sondern im Kaiserreich generell nehmen sollte: die sogenannte Gewerbefreiheit. Am 29. Mai 1869 beschlossen die Mitglieder des Norddeutschen Bundes eine Neuordnung der bis dahin bestehenden Gewerbegesetze, die am 21. Juni 1869 durch König Wilhelm I. verkündet wurde und als Gewerbefreiheit in die deut-- 58 Zu den baulichen Entwicklungen der Theater siehe u.a. Freydank 1988, 286--312. 59 Baumeister 2009, 215. 60 nur zum Wahrzei -tion für die anwachsenden Touristenströme aus Nah und Fern. Vielmehr fungierten die Bühnen auch als ein Medium, in dem die Prozesse des städtischen Wandels re-- 61 Marx 2009, 12. 62 Baumeister 2009, 195. <?page no="34"?> 34 schen Geschichtsbücher einging. 63 In dieser Novelle steht in Paragraf 32 zum Theater: Schauspielunternehmer bedürfen zum Betriebe ihres Gewerbes der Erlaubniß. Dieselbe ist ihnen zu ertheilen, wenn nicht Thatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Nachsuchenden in Beziehung auf den be-absichtigten Gewerbebetrieb darthun. Beschränkungen auf bestimmte Ka-tegorien theatralischer Darstellungen sind unzulässig. 64 Aufgrund dieser Festlegung bedeutete die Gewerbefreiheit im Norddeut-schen Bund gleichzeitig auch eine Theaterfreiheit. Nach der Reichsgründung im Jahre 1871 wurde die Neuordnung für das gesamte Gebiet des Deutschen Reiches rechtskräftig und gewährleis-tete damit die Gewerbe-- und Theaterfreiheit überall in Deutschland. Dies hatte zur Folge, dass nun jeder Privatmann unabhängig vom traditionel-len höfischen Privilegiensystem allein auf der Grundlage einer (recht einfach zu erlangenden) Konzession einen Bühnenbetrieb eröffnen und leiten durfte. Das führte zu einer enormen Welle von Neugründungen privatwirtschaftlich organisierter Theaterunternehmen im Kaiserreich. 65 Insbesondere die Bühnenlandschaft der neuen Hauptstadt veränderte sich durch die Theaterfreiheit schlagartig. Außer den Königlichen Bühnen hatte in Berlin lange Zeit nur das Königsstädtische Theater als privat ge-führter Betrieb bestehen dürfen und dort hauptsächlich Possen gegeben. Nun aber schossen die unterschiedlichsten Häuser wie Pilze aus dem Bo-- 66 Diese hielten sich häufig nicht lange;; so manches Unternehmen überstand nicht einmal eine Spielzeit und die Bühnenleitungen wechselten in kurzen Ab-ständen. Oft scheiterten die Theater an der Unerfahrenheit ihrer Direktoren oder an der großen Konkurrenz der häufigste Grund für die schnelle Aufgabe war aber eine schlechte finanzielle Situation: Misswirtschaft und ökonomische Selbstüberschätzung standen auf der Tagesordnung. Trotz-dem wuchs die Zahl der Bühnen in der deutschen Reichshauptstadt auf-grund der stets wachsenden Nachfrage des urbanen Publikums kontinu-ierlich an. Etwa 20 Jahre nach der Gewerbefreiheit zitiert Paul Linsemann (1871--? ), ein zu seiner Zeit bekannter Kritiker und Dramatiker, in der von ihm verfassten Streitschrift Die Theaterstadt Berlin eine Zählung der Berliner Bühnen durch den Theater--Almanach aus dem Jahr 1897, die 18 feste Spiel-stätten mit insgesamt 22303 Sitzplätzen nachweist. 67 Die Gewerbe-- und damit auch Theaterfreiheit bedeutete jedoch nicht nur eine schlagartige Vervielfachung der Bühnen in Berlin sie brachte 63 Siehe Freydank 1988, 286. 64 Gewerbeordnung von 1880, §32. 65 Siehe zu dieser Entwicklung u.a. Freydank 1988, 286--312. 66 Freydank 1995a, 10. 67 Vgl. Linsemann 2009, 186--187. <?page no="35"?> 35 auch eine Veränderung innerhalb der ökonomischen wie organisatorischen Strukturen mit sich: Theater operierten fortan in ihrer Mehrzahl als Wirtschaftsbetriebe und wurden von Seiten der Behörden auch weitgehend als solche behandelt. Vor allem aber bot die Einrichtung eines weitgehend deregulierten Thea-termarktes zum ersten Mal die Voraussetzung für die Gründung zahlrei-cher neuer Bühnen und verwandter Unternehmen, die zu einem Kennzei-chen der explosionsartig wachsenden neuen deutschen Theaterstadt wur-- 68 Die große Anzahl an Neugründungen kommerzieller Bühnenunternehmen hatte jedoch noch eine weitere Konsequenz: Mit der Kommerzialisierung wuchs die Unzufriedenheit im Theaterdiskurs. Der Vorwurf, die Institution Theater diene nur noch der Spekulation und vergesse über all den ökono-misierenden Tendenzen ihren originären, nämlich den kulturellen Bil-dungsauftrag, wurde kontinuierlich lauter. Man zog Parallelen zwischen den Entwicklungen im Bereich des Theaters und denen, die man vor allem hinsichtlich der durch die Moderne geprägten großstädtischen Lebenswelt feststellte, und diagnostizierte bei beiden Verfallserscheinungen: Theaterdebatte verschränkte sich somit mit den Urbanisierungsdebatten des Kaiserreichs, in denen heftige antiurbane respektive antimoderne Af-- 69 So trat im Verlauf dieser Diskussion ein Interessenskonflikt zwischen der breiten Masse der meist bürgerlichen Zuschauer, deren Kunstver-- 70 fußte, und einer elitären, allerdings auch aus dem Bürgertum stammenden Schicht, die ihre Ideale verteidigte und sic -kenner aus dem ge 71 abhob, instrumentalisierte man das Thea -- 72 . Es bot die Möglichkeit, sich von der im Zug der Industrialisierung und anderer sozialstruktureller Veränderungen immer größer werdenden Schicht des Proletariats sowie Kleinbürgertums, aber vor allem von den Neu 73 abzugrenzen. 74 Assimilation an die bestehenden bürgerlichen Normen, Werte, Verhal-tensweisen und Interessen in die bürgerliche Gesellschaft zu integrieren 68 Baumeister 2009, 196. 69 Baumeister 2009, 199. 70 Schulz 2005, 20. 71 Hein/ Schulz 1996a, 14. 72 Hein/ Schulz 1996a, 14. 73 Schulz 2005, 23. 74 Vgl. Schulz 2005, 23. <?page no="36"?> 36 was ihr Streben nach Teilhabe am Theatergeschehen erklärt. Die Historiker Dieter Hein und Andreas Schulz kommen zu dem Schluss, dass das Re-sultat dieser Spal Spannung zwischen diesen beiden Ausformungen von Bürgerkultur, zwischen einer Kulturhegemonie bürgerlicher Eliten und einer egalitären 75 gewesen sei eine Auswirkung, die sich besonders in der Berliner Bühnenlandschaft und der Rezeption der Theaterereignisse in der Hauptstadt des Kaiserreiches spiegelte. Diese Überlegungen zeigen, welche soziale, politische und auch ökonomi-sche Relevanz der Institution Theater vor der Wende zum 20. Jahrhundert zugeschrieben werden muss. Unter dieser Prämisse soll hier, wann immer es um das Theater geht, der Blick nicht auf die Geschehnisse auf der Bühne beschränkt werden vielmehr gilt es zu untersuchen, auf welch unter-schiedlichen Ebenen Austauschprozesse zwischen dem Theater, hier spezi-ell während der Gastspiele der italienischen Schauspielerin Eleonora Duse in Berlin, und seinem Publikum stattfanden und welche Rückschlüsse auf den gesellschaftlichen Wandel im letzten Jahrzehnt vor 1900 daraus gezo-gen werden können. 1.4 Methodische Überlegungen Er [der historische Materialist] nimmt sie [die unterdrückte Vergangenheit] wahr, um eine bestimmte Epoche aus dem homogenen Verlauf der Ge-schichte herauszusprengen;; so sprengt er ein bestimmtes Leben aus der Epoche, so ein bestimmtes Werk aus dem Lebenswerk. Der Ertrag seines Verfahrens besteht darin, daß im Werk das Lebenswerk, im Lebenswerk die Epoche und in der Epoche der gesamte Geschichtsverlauf aufbewahrt ist und aufgehoben. 76 Diese Sätze des Philosophen und Literaturkritikers Walter Benjamin (1892-- 1940), die aus seinem geschichtsphilosophischen Aufsatz Über den Begriff der Geschichte aus dem Jahr 1940 stammen, sollen den methodischen Vor-überlegungen zu meiner Arbeit voranstehen. Auch wenn die im Folgenden durchgeführte historische Forschung nicht dem historischen Materialismus -nen Werk, Zeit und daher bei der intensiven Auseinandersetzung mit ihr Auskunft über eine bestimmte Epoche geben kann, für die vorliegende Untersu-chung aufgenommen werden. 75 Hein/ Schulz 1996a, 14. 76 Benjamin 1991, 703 (These XVII). <?page no="37"?> 37 So steht diese Arbeit an der Schnittstelle von Biografie und Historiogra-fie: Wie bereits angedeutet, sollen anhand der Analyse eines kurzen Aus-schnitts aus dem Leben der italienischen Schauspielerin Eleonora Duse, nämlich der 1890er--Jahre, und noch präziser, der wenigen Wochen ihrer Gastspieltätigkeit im Kaiserreich, Schlüsse gezogen werden im Hinblick auf die Bedeutung des deutschen Theaters sowie auf gesellschaftliche Ver-änderungen und kulturelle Dynamiken in einer Zeit des Umschwungs auf dem Weg in die Moderne. Bei der biografischen Auseinandersetzung mit der Duse bleibt ihr Privatleben jedoch weitgehend ausgeklammert, ihre in den zeitgenössischen Medien häufig zur Sprache kommenden privaten (Liebes--) Beziehungen finden hier keine Berücksichtigung, ebenso wenig wie die stili-siertes Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit, rückt in den Fokus, wobei vor allem auf ihre Bedeutung als Schauspielerin auf und jenseits der Bühne Bezug genommen werden soll. Es handelt sich also nicht um eine Biografie im eigentlichen Sinne, sondern eher um eine Wirk-- und Werk--Geschichte Eleonora Duses in den 1890er--Jahren. -e versteht sich auch als ein Beitrag zu einer transnationalen (Theater--) Geschichtsschreibung über das ausge-hende 19. Jahrhundert. Schließlich stehen hier Grenzüberschreitungen und vor allem deren Auswirkungen zur Debatte die Untersuchung fördert folgl 77 . Die Beschäftigung mit dem Transnationalismus hat in den letzten 15 bis 20 Jahren auf unterschiedlichen Gebieten der Forschung, unter anderem im Bereich der Geschichte, auch international einen großen Aufschwung er-lebt. 78 Er umfasst, wie er hier verstanden wird, als umbrella term eine Viel-zahl diverser Studien und Forschungen, die sich mit nationale Grenzen überschreitenden Phänomenen und Themen aus zahlreichen Fachgebieten auseinandersetzen. Allerdings ergibt sich aus der Fülle auch ein Problem: Bis heute existiert keine klare Defini Patel, wenn er schreibt: Auch nach 15 bis 20 Jahren Debatte gibt es in der Geschichtswissenschaft keine Einigkeit, was genau als transnationale Geschichte zu fassen sei jen-- 77 http: / / nbn--resolving.de/ urn/ resolver.pl? urn=urn: nbn: de: 0159--20100921309 [25.11.2011]. 78 So schreibt Patel: -schaft zugleich eher ein latecomer. Lange vor ihr hatten andere Disziplinen, etwa die Rechts-- und Politikwissenschaft, aber auch die Anthropologie, mit dem Begriff gear-beitet und ihn in jewei -resolving.de/ urn/ resolver.pl? urn=urn: nbn: de: 0159--20100921309 [25.11.2011]. <?page no="38"?> 38 seits der Negativ--Definition, auf eine Alternative zur bislang vorherrschen-den, national zentrierten Geschichtsschreibung zu zielen. In welcher Bezie-hung transnationale Geschichte jedoch zu Ansätzen mit ähnlicher Stoßrichtung steht wie etwa zur globalen Geschichte und post--colonial studies, zur Weltgeschichte und histoire croisée, entangled history oder In-ternationalen Geschichte , bleibt strittig. Während manche transnationale Geschichte als Dachbegriff in der Debatte verstehen, sehen andere eine Plu-ralität unterschiedlicher Ansätze oder räumen einem der anderen Labels eine Vorrangstellung ein. Auch zur Frage, ob transnationale Geschichte sich epochal und bezüglich ihrer Gegenstände eingrenzen lässt, gibt es keinen Konsens. Weiter erschwert wird das Problem dadurch, dass sich die diver-gierenden Vorstellungen und Konzepte in den verschiedenen Sprachen nicht eins zu eins aufeinander abbilden. 79 Der Transnationalismus als Forschungsansatz bereitet also gewisse Schwierigkeiten, derer sich jeder, der unter dessen kaum vorhandenen Diktum arbeiten möchte, stets bewusst sein muss. Insbesondere das Fehlen einer umfassenden methodischen Grundlage stellt dabei ein Problem dar;; dies kann und sollte jedoch auch als Vorteil gesehen werden, schließlich birgt diese Leerstelle in der Methode auch die Möglichkeit einer Öffnung für ganz unterschiedliche Forschungsgegenstände und verschiedene Untersuchungsgebiete sowie für neue methodische Ansätze. 80 Nicht zuletzt weil Einschränkungen in den methodischen Vorgaben weitgehend fehlen, erweist sich die Überlegung, einen Beitrag zu einer transnationalen Theatergeschichte leisten zu wollen, im Hinblick auf die vorliegende Arbeit als reizvoll. Thematisch gesehen erscheint dies sogar unumgänglich: Denn für eine Untersuchung der auf ganz unterschiedli-chen Ebenen wirkenden Einflussnahme des internationalen Gastspielwe-sens auf die deutsche respektive Berliner Gesellschaft, hier durch die Duse repräsentiert, ist ein Blick jenseits der oft einschränkenden nationalge-schichtlichen Forschung unablässig, möchte man seinen eigenen Interpre-tationshorizont nicht von vornherein limitieren. So wird das internationale Gastspiel in der vorliegenden Arbeit stets nicht nur als ein passageres Ereignis behandelt, sondern als ein wichtiger, 79 http: / / nbn--resolving.de/ urn/ resolver.pl? urn=urn: nbn: de: 0159--20100921309 [25.11.2011] [Hervorhebung im Original]. Patel verweist hinsichtlich weiterführender Literatur zu dieser Debatte u.a. auf http: / / www.historycooperative.org/ journals/ ahr/ 111.5/ introduction.html [25.11.2011];; Budde 2006;; Conrad/ Osterhammel 2004;; Osterhammel 2008. 80 Allerdings entspringt dieses eventuell als Defizit verstandene Fehlen einem selbst der transnationalen Geschichte selbst nicht zu stark theoretisch oder konzeptionell aufzuladen. Trotzdem verbindet sich mit dem Begriff ein explizites Interesse an me-- --resolving.de/ urn/ resolver.pl? urn=urn: nbn: de: 0159--20100921309 [25.11.2011]. <?page no="39"?> 39 Landesgrenzen überschreitender und damit transnationaler Akt verstan-den. 81 Mit dem Überschreiten der nationalen Grenze durch den Gastspieler oder die Gastspielerin, im Fall der vorliegenden Arbeit durch die Italiene-- -- -chen Überlegungen fußende Historiografie enden muss. Schließlich handelt es sich bei diesem Akt um das Überschreiten einer Schwelle oder was den Beginn eines wech-selseitigen Verhältnisses zweier Entitäten markiert. Je nach Priorisierung wobei die deutsche Gastgebernation, repräsentiert durch die Berliner beziehungsweise die deutschen Rezipienten im weites-ten Sinne -darstellen. Selbst wenn nicht das reziproke Verhältnis zwischen dem Gast, der Fremdgruppe also, und dem Gastgeber, das heißt der Eigengruppe, be-handelt wird, sondern die Wirkung auf letztere im Vordergrund steht, wie es hier der Fall ist, muss dennoch aufgrund der theatralen Grundsituation von einem Austauschverhältnis ausgegangen werden. Schließlich handelt es sich bei der Beziehung zwischen dem Zuschauer und dem Schauspieler stets um ein solches 82 und zwar um ein Grenzen überschreitendes, im Fall des internationalen Gastspiels auch nationale Grenzen übertretendes, eben transnationales Ereignis. -strukts nicht als einschränkendes, ausschließendes Moment verstanden;; vielmehr steht der Prozess des Austausches zwischen der Fremd-- und der Eigengruppe über Barrieren hinweg im Vordergrund. Die nationale Grenze (auch die imaginäre nationalstereotypische in den Köpfen der Menschen) darf hier also allen Nationalismusbestrebungen im Kaiserreich zum Trotz nicht nur im Hinblick auf die Aus-- oder Abgrenzung verstanden werden. Viel wichtiger sind der Akt der Überschreitung mit seinen Auswirkungen auf den (nationalen) Selbstkonstituierungsprozess der deutschen Eigen-gruppe und der Beitrag, den die Fremdkultur dazu leistet. Der Akt der Grenzüberschreitung definiert sich hier dementsprechend als ein Akt des Austauschs, der Vernetzung und des Verwebens, als ein transnationales Ereignis sowie als eine Möglichkeit der Selbst-wie auch Fremderfahrung für die deutsche Eigenkultur. 81 Auch andere Grenzen, die im Zuge des internationalen Gastspiels zu überwinden sind, wie beispielsweise die Sprachbarriere, werden in den folgenden Kapiteln immer wieder angesprochen. 82 Vgl. Sauter 2005, 253--259. <?page no="40"?> 40 Demzufolge soll hier der transnational--histor Idee, eine Alternative zur Dominanz einer national zentrierten Geschichtsschreibung 83 , gefolgt werden. Mit Blick auf das italienische Theater, speziell auf das Spiel der Duse, und seine Rezeption im deutschen Diskurs mit dem Zentrum Berlin sowie mithilfe der gründlichen Auswertung der zeitgenös-sischen Quellen lässt sich dabei eine innovative Perspektive auf die gesell-schaftliche Entwicklung innerhalb des Kaiserreiches und die Bedeutung der Institution Theater für diese entwerfen. So geht es in der vorliegenden Arbeit, dem Prinzip der transnationalen Forschung verhaftet, nicht nur um Chronologien, sondern auch um die Parallelität und Verschränktheit scheinbar widersprüchlicher Phänomene. Dass etwa Nati-onalisierung und Transnationalisierung, beziehungsweise Globalisierung Hand in Hand gehen, miteinander verwoben sein und ein dialektisches Potential entwickeln können, 84 soll auch anhand dieser Arbeit am Beispiel des internationalen Gastspiel-wesens verdeutlicht werden. Wenn sich diese Untersuchung auf die Besuche italienischer und damit europäischer Schauspieler im Deutschen Reich beschränkt, so liegt dies hauptsächlich in der theaterhistorischen Entwicklung begründet: Vor 1900 gaben nur wenige außereuropäische Künstler Gastspiele in Deutschland. 85 Mit dem sich ausbreitenden Kolonialismus auch im Kaiserreich wuchs diese Entwicklung ist jedoch weniger auf künstlerischer Ebene zu verorten, sie lässt sich vielmehr auf einen nicht selten von (pseudo--) wissenschaftlichen Motiven angetriebenen bürgerlichen Wunsch nach Exotismus zurückführen. Erst mit der Theater-moderne steigt das künstlerische Interesse am außereuropäischen Schau-spiel wie auch an anderen Theaterformen. 86 Die vorliegende Arbeit stellt jedoch die europäische Theatergeschichte des ausgehenden 19. Jahrhunderts in den Mittelpunkt der Untersuchung. Typisch für diese Zeit war eine größere (soziale) Mobilität, ermöglicht unter anderem durch infrastrukturelle Veränderungen und Verbesserun-gen wie dem Bau der Eisenbahnen, dem Ausbau der Straßen und der Fort-entwicklung des Schiffsverkehrs. Die Epoche zeichnete sich auch durch eine intensive Vernetzung, insbesondere durch das Gastspielwesen, und 83 http: / / nbn--resolving.de/ urn/ resolver.pl? urn=urn: nbn: de: 0159--20100921309 [25.11.2011]. 84 http: / / nbn--resolving.de/ urn/ resolver.pl? urn=urn: nbn: de: 0159--20100921309 [25.11.2011]. 85 Ausnahmen bilden im 19. Jahrhundert u.a. die US--amerikanischen Schauspieler Ira Aldridge (1807--1867) und Edwin Booth. 86 Dies zeigt beispielsweise Erika Fischer--Lichte in ihrem Aufsatz Inszenierung des Fremden. Zur (De--) Konstruktion semiotischer Systeme am Beispiel der Auftritte japani-scher Bühnenkünstler nach 1900 in Deutschland. Siehe Fischer--Lichte 1995b. <?page no="41"?> 41 durch einen regen interkulturellen Austausch aus. 87 Gerade die (Berliner) Bühnen waren es, die ihren Beitrag zur Innovation leisteten, wie Baumeis-ter angibt: Die Unterhaltungstheater boten Repräsentationen des Lokalen, von Region und Nation in komplexen Verschränkungen in einem Geflecht transnatio-naler Bezüge und Einflüsse. Das betraf nicht nur Stoffe, Genres oder Melo-dien, sondern auch die Darbietenden selbst, Sänger und Sängerinnen, Schauspieler und Schauspielerinnen, Unternehmer, Komponisten und Au-toren, um nicht die bekanntermaßen internationale Profession der Zirkus-- und Varietékünstler zu nennen. 88 Auch wenn Baumeister das im ausgehenden 19. Jahrhundert beliebte und daher florierende internationale Gastspielwesen 89 in seiner Aufzählung nicht explizit erwähnt, lassen sich die Folgen transnationaler Austausch-prozesse an ihm besonders gut aufzeigen, wie in den kommenden Kapiteln gezeigt werden soll. Ziel dieser Arbeit ist es also, vor dem Hintergrund solcher vom Trans-nationalismus geprägten Vorstellungen 90 das internationale Gastspielwe-- 87 Patel gibt dazu an und dem schließe ich mich für das vorliegende Thema bezie-hungsweise die europäische Theatergeschichte im ausgehenden 19. Jahrhundert defi-nitiv an http: / / nbn--resolving.de/ urn/ resolver.pl? urn=urn: nbn: de: 0159--20100921309 [25.11.2011]. 88 Baumeister 2009, 207. 89 Eduard Devrient schreibt zu den Ausmaßen des florierenden Gastspielwesens im 19. Jahrhundert in seiner Geschichte der deutschen Schauspielkunst: Gastspielreisen. Devrient 1905, 295. 90 Das hier zum Ausdruck kommende Prinzip folgt dem Ansatz von Conrad und Osterhammel in ihrer Aufsatzsammlung Das Kaiserreich transnational aus dem Jahr 2004. In diesem werden anhand von transnationalen Beziehungen zwischen (einzel-nen) Personen und Institutionen grenzüberschreitende Korrelationen aufgezeigt, der Fokus der Untersuchungen bleibt jedoch immer auf dem deutschen Kaiserreich zwi-schen der Reichsgründung 1871 und dem Beginn des Ersten Weltkrieges 1914. Die Herausgeber sc Betrachtungsweise pauschal ihre Berechtigung abzusprechen. Das nationalistische Apriori, post--nationalistisch entideologisiert, hat einen guten methodischen Sinn. Viele gesellschaftliche, kulturelle und erst recht politische Prozesse in der Epoche zwischen 1871 und 1914 lassen sich tatsächlich am ehesten in nationalstaatlicher Rahmung erfassen. Allerdings wächst im Zuge der supranationalen Integration Eu-ropas, der Zuspitzung ethnischer und religiöser Gegensätze und einer Entgrenzung wissenschaftlichen Leitbegriff macht, der Wille, nationalgeschichtliche durch eine Conrad/ Osterhammel 2004a, 13.) Und an größten Teil im Mittelpunkt: nicht als einheitlicher Akteur, sondern als Aktions-- und Erfahrungs-raum. Deshalb gibt es weder Kapitel, die den Blick von außen auf das Kaiserreich <?page no="42"?> 42 sen, d beziehungsweise Berliner Rezipienten für die deutsche Theatergeschichte des ausgehenden 19. Jahrhunderts neu zu beleuchten. Dafür wurden ganz unterschiedliche historische schriftliche Quellen gesammelt, ausgewertet, einem close reading 91 unterzogen, thematisch geordnet sowie zur Veranschaulichung der Thesen diskutiert. 92 Es handelt sich hauptsächlich um Dokumente wie Buchveröffentlichungen, Zeit-schriften-- und Zeitungsartikel. Dabei ist es ein Anliegen, in der vorliegen-den Arbeit, wenn auch nicht ausschließlich, so doch vorwiegend solche Zeugnisse zu verwenden, die bisher in der Forschung noch nicht oder nur selten in Betracht gezogen worden sind, mit dem Ziel, einen alternativen und innovativen Weg zu beschreiten. Dementsprechend soll der in den biografischen und wissenschaftlichen Veröffentlichungen geläufige, weil immer wieder zitierte Textkorpus zu Eleonora Duse 93 erweitert werden. Neben der Anwendung eines transnationalen Ansatzes strebt die vor-liegende Arbeit methodisch also hauptsächlich eine kulturwissenschaftlich orientierte Diskursanalyse an, die allerdings nur bedingt dem Vorbild einer 94 folgt, wie sie von dem Philosophen Michel Foucault (1926--1984) in den 1960er-- und 1970er--Jahren entwickelt wurde. Vielmehr ist die Vorgehensweise hier als eine Fortsetzung und Weiterschreibung der Ideen Foucaults hin zum New Historicism 95 zu sehen, nach dessen Vorstellungen sich das Archiv auf die -- 96 -- 97 darstellt. 98 behandeln, noch solche über reziproke Transfers zwischen Deutschland und anderen -rad/ Osterhammel 2004a, 15.) An dieser methodischen Festlegung soll sich auch in der vorliegenden Arbeit orientiert werden. 91 Der Begriff des close reading bezieht sich hierbei nicht im engeren Rahmen auf die methodischen Gedanken des New Criticism in der Mitte des 20. Jahrhunderts, sondern vielmehr, wie er im Zuge des New Historicism seit den 1980er-respektive 1990er--Jah-ren zur Anwendung gekommen ist. Vgl. Baßler 2005, 19--20. 92 Dabei liegt der Fokus dieser Arbeit auf den schriftlichen Dokumenten auf die Analyse von Bildmaterial wurde verzichtet, auch um den (theoretischen) Rahmen nicht noch mehr zu erweitern. 93 Wiederkehrend zitierte Äußerungen stammen etwa von den berühmten Theaterma-chern und --kritikern Alfred Kerr, Paul Schlenther, Hermann Bahr oder Hugo von Hofmannsthal. 94 Baßler 2003, 140. 95 Für einen Überblick über die Methoden, Forschungen und Hintergründe des New Historicism siehe Baßler 2001. 96 Baßler 2003, 142. 97 Baßler 2003, 142. <?page no="43"?> 43 Auch wenn der literatur-- und kulturwissenschaftlich ausgerichtete For-schungsansatz des New Historicism in den letzten Jahren nicht mehr in dem wissenschaftlichen Zenit steht, zu dem er vor allem in den 1990er-- und frühen 2000er--Jahren im europäischen Raum aufgestiegen war, soll sich diese Arbeit dennoch an seinen grundsätzlichen Ideen orientieren. So wer-- 99 [als] kom 100 verstanden. Die hier verwendeten Dokumente, auch wenn es sich bei ihnen nicht unbe-dingt um literarische Quellen handelt, mit denen im New Historicism sonst 101 -als Zeichen kon 102 Ziel ist rellen Hintergrund in gleicher Partikulari-- 103 wie die Texte selbst, um dabei die Formel gewordene 104 , wie Stephen Greenblatt in seiner Schrift Verhandlungen mit Shakespeare 105 die aus den Quellen zu erschließenden Resultate der Verzahnung von Textdokumenten jeglicher Art mit der zeitgenössischen soziokulturellen Situation genannt hat, herauszuarbeiten. Anhand des hier verwendeten Quellenmaterials soll ein breites Spektrum an Darstellungen und Meinungen abgebildet werden, 98 Der Literaturwissenschaftler Moritz Baßler schreibt zu den Unterschieden zwischen der Diskursanalyse nach Foucault und der am New Historicism orientierten Folgen-- New Historicists dagegen bleiben Diskurse als intertextuelle Verbindungen auf der Ebene der Ereignisse Dadurch bleibt die neuhistorische Diskursanalyse dem Klein--Klein des Positiven, der Materialität und Partikularität auch in der Praxis wesentlich stärker verpflichtet als Foucaults Archäologie. Epochale Synthesen werden vermieden und in ihrer Aussa-gekraft bezweifelt, denn genau diesem vitiösen Zirkel, daß die erkennende Abstrak-tion des Historikers sich im determinierenden Faktor der Historie verselbständigt, [Hervorhebung im Original]. 99 Baßler 2003, 135. Diese Formel geht auf den Literaturwissenschaftler Louis A. Mont-- -schichte, die jetzt in der Literaturwissenschaft aufkommt, kann mit einem Chiasmus bezeichnet werden als ein reziprokes Interesse an der Geschichtlichkeit von Texten 100 Baßler 2003, 143. 101 Baßler 2005, 20. 102 Greenblatt 1993, 14. 103 Baßler 2005, 20. 104 Vorstellung dynami verstanden. So geht Greenblatt davon aus, dass sich in jedem Text, unabhängig von gern, an denen zeittypische kulturelle und ökonomische Praktiken abgelesen werden können. 105 Vgl. Greenblatt 1993. <?page no="44"?> 44 das einen möglichst großen Rahmen der Interpretation zulässt, der im weitesten Sinne dem Prinzip der dichten Beschreibung 106 folgend letzten Endes einen zwar ausgedehnten, aber dennoch intensiven Überblick über die im deutschen (Theater--) Diskurs der Zeit vorhandenen Stimmen bietet. Close readings und Diskursanalysen, die sich hauptsächlich mit histori-schen Dokumenten auseinandersetzen, wie es in der vorliegenden Arbeit geschieht, lassen den Forscher schnell in den Verdacht geraten, er be-schränke sich auf das positivistische Zusammentragen von Quellen und -ten drei Jahrzehnten hat sich insbesondere die Theatergeschichtsschrei-bung vehement und auch nicht grundlos von einem solchen dem Posi-tivismus verhafteten Ansatz der Historiografie distanziert. Die Theaterwissenschaftler Thomas Postlewait und Bruce A. McConachie be-- 107 gehen müsse, eine Mei-nung, die auch hinsichtlich der Bearbeitung des Materials für die vorlie-gende Arbeit geteilt wird. Deshalb kommt hier keine positivistisch--de-skriptive Geschichtsschreibung zur Anwendung, sondern es werden bisher meist unbekannte Quellen zu einem bestimmten Zeitraum (den 1890er-- Jahren), einem bestimmten Ort (dem deutschen Kaiserreich mit Priorität auf der Hauptstadt Berlin) und bestimmten Ereignissen (den Gastspielen Eleonora Duses in Berlin beziehungsweise in Mainz) vor dem Hintergrund bestimmter Fragestellungen intensiv und kritisch aufgearbeitet. Die verwendeten Dokumente dienen also der Kontextualisierung des (theater--) historischen Geschehens sowie der Untermauerung von, manchmal aber auch der kritischen Auseinandersetzung mit in dieser Arbeit vorgetragenen Thesen zum internationalen Gastspiel und seiner Rolle im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts im Deutschen Reich. 106 Geertz zurück. Ihr Ziel ist, mit aber sehr dichten Tatsachen weitreichende Schlußfolgerungen zu ziehen und ver-möge einer präzisen Charakterisierung dieser Tatsachen in ihrem jeweiligen Kontext zu generellen Einschätzungen der Rolle von Kultur im Gefüge des gesellschaftlichen 107 Postlewait/ McConachie 1989, IX. <?page no="45"?> 45 2. Schauspiel und Stereotype Theoretische Vorüberlegungen Versucht man sich anhand der großen Anzahl an Zeitungskritiken, Zeit-schriftenartikeln, theaterhistorischen Monografien und anderen Quellen ein Bild von den ersten Berliner Auftritten Eleonora Duses in den frühen 1890er-- 108 galten, so fällt ein immer wiederkehren-des Muster von Topoi in der Verhandlung der Gastspiele auf, das von nahezu allen zeitgenössischen Theaterkritikern aufgegriffen wird: Den Mittelpunkt der Betrachtung bildet die Untersuchung der überwiegend als etwas im positiven Sinne Besonderes empfundenen Schauspielkunst der Duse. Um sie herum ranken sich Diskussionen über das Äußere der Künstlerin und ihre für die Gastspielabende getroffene Rollenauswahl. Häufig wird auch ein Blick auf die der Bühne gegenüberliegende Seite geworfen: Man beschreibt das Berliner Publikum sowie dessen Reaktion auf das Geschehen auf der Bühne. Aber alle Erkenntnisse und Meinungen, und dies soll in den folgenden Kapiteln untersucht werden, beinhalten ein latentes Bewusstsein von der ss es sich um mehr als nur einen interessanten Schauspielstil handele und umso interessanteren Exotismus 109 geprägt sei. Die Rollenwahl der Virtuo-sin wird nicht nur hinsichtlich der Qualität der für die Gastspielabende ausgesuchten Theaterstücke untersucht, sondern stets auch vor der Prä-misse hinterfragt, ob eine italienische Schauspielerin diese Figuren über-haupt angemessen umsetzen könne. Auch das Aussehen der Bühnen-künstlerin muss sich einer kritischen Beurteilung unterwerfen, die insbe-sondere die vorgeblich in ihrem Äußeren erkannte Fremdartigkeit in den Fokus nimmt. Und schließlich wird ein Publikum beschrieben, das nicht einfach an einem beliebigen Gastspiel teilhat, sondern an dem Auftritt einer berühmten italienischen, aber auch internationalen Virtuosin. In den folgenden Kapiteln wird ebenjene Entwicklung der Bühnen-künstlerin zum aktiven othering 110 im Sinne einer Tendenz zu einer perma-- 108 Anonymus 1892a, o.S. 109 Dazu siehe Kap. 3.2. 110 Der Begriff des othering wurde, basierend auf der Theorie Jacques Lacans und sich gleichzeitig davon abhebend, von der Literaturwissenschaftlerin Gayatri Chakravorty Spivak geprägt. Ursprünglich fand er im Kontext der postkolonialen Forschung seine Verwendung und beschreibt den selbstaffirmativen Prozess der Ab-grenzung der Eigengruppe der Kolonialisten von den Fremdgruppen der Koloni-- <?page no="46"?> 46 nenten Charakterisierung der Virtuosin als -sucht. Es soll der Frage nachgegangen werden, weswegen man die Schauspielerin Eleonora Duse in der Verhandlung ihres Gastspiels trotz ihrer individuellen Eigenheiten in die Rolle einer Repräsentantin ihres Heimatlandes presste, was sich einerseits in der expliziten Betonung ihrer italienischen Herkunft und andererseits in der häufigen Charakterisierung -ßem Interesse herauszufinden, warum die Autoren der zeitgenössischen Feuilletons und Monografien über die Duse nicht müde wurden, darauf hinzuweisen, dass es sich bei der Virtuosin um eine aus Italien stammende Künstlerin handelte. Weiterhin soll überlegt werden, auf welche Bilder und Vorstellungen aus dem kulturellen Gedächtnis der deutschen Gesellschaft des ausgehen-den 19. Jahrhunderts die Autoren, Kritiker und auch das Publikum zu-rückgriffen. Ziel wird dabei sein, aus diesem kleinen Stück Theaterge-schichte Schlüsse zu ziehen auf die (Hinter--) Gründe einer von nationali-sierenden Tendenzen geprägten Strömung in der deutschen Gesellschaft um 1900. Gleichzeitig soll am Beispiel des Diskurses zum Thema Duse auch untersucht werden, inwiefern das internationale Gastspiel eine solche Strömung konterkarierte, gerade indem dabei ein international anerkann-ter ausländischer Star gefeiert wurde, dessen Platz man sehr wohl auf den deutschen Bühnen, vor allem auf den Bühnen der Hauptstadt des Deut-schen Reiches Berlin, sah. Demzufolge kann man dem Gastspiel der Duse hier die Funktion eines Katalysators der nationalisierend und gleichzeitig transnationalisierend wirkenden Strömung innerhalb der deutschen Gesellschaft des ausgehen-den 19. Jahrhunderts zuschreiben, was anhand der Verhandlung zu de-monstrieren sein wird. Eleonora Duse übernimmt die Rolle der Protago-nistin in einem Spiel, das seine Grenze nicht an der Rampe findet, sondern das weit über diese hinaus Wirkungen zeigt. 2.1 Schauspielkunst und Nationalcharakter Der dem Diskurs um die internationale Virtuosin Eleonora Duse häufig zu Grunde liegende Gedanke, eine Verbindung zwischen der Schauspielkunst und der nationalen Herkunft und/ oder der Ethnizität des Bühnenkünstlers Aufwertung der Eigengruppe führt (vgl. Ashcroft/ Griffith/ Tiffin 1998, 171--173). Auch wenn es sich bei dem Verhältnis des Deutschen Reiches gegenüber Italien im ausgehenden 19. Jahrhundert natürlich nicht um ein kolonialistisches handelt, funk-tioniert das Prinzip der affirmativen Elitisierung der Eigengruppe auf Kosten der Fremdgruppe ganz ähnlich, weswegen hier der Begriff othering zumindest einmal angeführt werden soll. <?page no="47"?> 47 herzustellen, ist nicht nur um 1900 weit verbreitet, sondern bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts präsent. Auch die Theorien des Münchner Theaterwissenschaftlers Artur Kut-scher (1878-solchen Denken geprägt. 111 Der Wissenschaftler meint damit nicht nur den römisch--antiken Mimus, eine bestimmte Theaterform, sondern er erweitert den Begriff: Wie sein Kölner Kollege Carl Niessen (1890--1969) geht Kut-scher von einem Mimus-eine besondere anthropologische Gegebenheit definierten, nämlich als den angeborenen menschlichen Drang, jede Art geistiger oder seelischer Ver-fassung körperlich auszuagie 112 . Kutschers Ideen müssen heute aller-dings sehr kritisch hinterfragt werden: Nicht allein seine absolute Vorstel-lung von der Schauspielkunst als anthropologischer Größe lässt sich anzweifeln. Auch seine Anschauung von nationalspezifischen Schauspiel-künsten, denen ethnische Charakteristika und Markierungen eindeutig zugeordnet und die in ihrer Qualität hierarchisiert werden können, ist äußerst zweifelhaft. So schreibt Kutscher in seinem Werk Die Elemente der Schauspielkunst 113 Weiter-hin ist zu lesen: Mimische Äußerung ist eine Gabe der menschlichen Natur;; sie liegt in je-dem gesunden, künstlerisch veranlagten Menschen, gewissermaßen als Blüte eines rein entwickelten Körpers und Geistes. Mimische Äußerung ist immer und überall vorhanden, wenn auch mit großen graduellen Unter-schieden, je nach Temperament, Rasse, Alter. 114 Und er führt außerdem aus: Es gibt mimisch arme Völker: Ägypter, Araber, Türken. Die mimischen Anlagen jedoch sind sogar innerhalb eines Erdteils, ja selbst innerhalb eines Sprachstammes, innerhalb eines Landes verschieden. Wie der Norweger 111 Siehe Marx 2008, 228--231. An dieser Stelle soll auf die recht engen Verflechtungen der hier angesprochenen Thesen der frühen Theaterwissenschaftler wie Kutscher, Niessen oder Heinz Kin-dermann (1894 1985) mit dem Nationalsozialismus und der während der Zeit des Nationalsozialismus vorherrschenden Ideologien hingewiesen werden. Dieses Kapi-tel sehr unrühmlicher Fachgeschichte ist bisher nur wenig aufgearbeitet. Einer einge-henderen Beschäftigung damit, wie sie beispielsweise durch Birgit Peter hinsichtlich der Karriere Kindermanns vor allem während der Zeit des Nationalsozialismus statt-gefunden hat, bedarf es daher noch. Zu Kindermann siehe Peter 2008, 15--51. 112 Fischer--Lichte 2010, 20--21. 113 Kutscher 1932, 8. 114 -tempel, Pantomime der Naturvölker und <?page no="48"?> 48 verschlossener, bewegungsärmer, stiller ist als der Italiener, so ist der 115 Mit dieser verallgemeinernden Zuschreibung von einem mimischen als einem nationalen oder sich gar im nationalen Rahmen noch einmal diffe-renzierenden Talent beziehungs -- 116 reiht sich Kutscher in eine Tradition ein, deren Aus-wüchse man bereits im 19. Jahrhundert verfolgen kann. So schreibt der Journalist und Schriftsteller Ludwig Speidel (1830--1906) in seiner bereits 1878 erschienenen Abhandlung Schauspieler in einem Auf-satz über den italienischen Bühnenkünstler Ernesto Rossi: Wie in den Familien die Art des Gähnens und Lachens, der Wortbetonung und der eigentümlichen Bewegung von Händen und Füßen forterbt, so auch bei Völkern die Art und Weise, sich persönlich zu geben, der mimi-sche Charakter. 117 Speidel die Bewohner eines Landes nennt, eigen ist, führt der Autor auf die Evolution, die Vererbung zurück. Damit erhält es nicht nur eine (pseudo--) wissenschaftliche Begründung, sondern auch den Charakter einer biolo-gistisch hergeleiteten Prädisposition, eines essentialistischen Zustands. Ähnlich wie Speidel ordnet auch der Theaterdirektor und Pädagoge Karl Skraup (1851--1909) in seinem 1908 erschienenen Werk Mimik und Gebärdensprache Begabung zur mimischen Gestaltung zu. Anhand seiner pseudowissen-schaftlichen Forschungen kommt er zu folgendem, in einer Tabelle zusam-sw], daß im allgemeinen den romanischen Völkern die ausdrucksreichste Mimik zu Gebote steht, hierauf folgen die Germanen und zum Schluß die 118 lässt sich auf die im 19. Jahrhundert vorherrschende Vorstellung von einem -ren. Charakters vom Individuum auf das Kollektivum der Nation übertragen. Auf solcherart trügerischem Analogieschluß beruhen die generalisierenden 115 Kutscher 1932, 8. 116 Marx 2008, 229. 117 Speidel 1911, 75. 118 Skraup 1908, 224. Interessanterweise gibt Julius Bab Skraups Aussage geradezu konterkarierend <?page no="49"?> 49 Zuschreibungen von Eigenschaften, die als Stereo sozialen Gruppen, Ethnien, Völkern und Nationen prägen. 119 Es handelt sich bei der Idee vom Nationalcharakter demnach um ein es-uen mit einer je 120 und daher eine umfassende Zuschreibung von bestimmten Wesensmerkmalen rechtfertigt 121 denen man auch das mimi-sche Talent zuordnete. Der Autor Adolf Winds (1855--1927) geht sogar noch einen Schritt wei-ter: In seinem Aufsatz Die Nationen und ihr Theater stellt er Theater als eine Art Seismograf dieses Volks-- oder Nationalcharakters dar: Aber nicht nur der Zeiten Lauf und Wandel spiegelt sich im bunten Ge-triebe des Theaters wieder [sic! ], auch auf den ursprünglichen Volkscha-rakter, auf seine Entwicklung und Aufnahmefähigkeit fällt ein helles Licht, nicht minder auf den jeweiligen Stand von Bildung und innerer Regsam-keit, auf die Art und Beschaffenheit der geistigen Nahrung, ihre Rück-- und Wechselwirkung, ihr Eindringen in breitere oder tiefere Schichten und nicht zuletzt auf den Fortschritt oder Stillstand, in dem sich das intellektuelle Le-ben einer Nation befindet. 122 Das jeweilige Theater einer Nation wird nach Winds somit zum Spiegel ihrer eigenen kulturellen sowie intellektuellen Leistung eine Idealvor-stellung, die nicht nur Winds hat, sondern die im deutschen Theaterdis-kurs des ausgehenden 19. Jahrhunderts weit verbreitet ist. 2.2 Stereotype und Stereotypisierungsmechanismen ional-auch Vorstellungen von durch ethnische oder nationale Herkunft gepräg-ten Schauspielstilen beziehungsweise unterschiedlich stark ausgebildeten schauspielerischen Fähigkeiten der Angehörigen verschiedener Nationen oder Ethnien. Diese waren wiederum eng verknüpft mit einem im kollekti-ven deutschen Gedächtnis des 19. Jahrhunderts verankerten System von nationalen und ethnischen Stereotypen. Dies wirkte sich selbstverständlich auch auf das Theater und die Verhandlung desselben aus. Welche Rolle das Theater und dem Fokus der vorliegenden Arbeit entsprechend ganz speziell das italienische Theater und dessen Repräsentantin Eleonora Duse 119 Beller 2006, 46. 120 Florack 2007, 3. 121 Florack argumentiert, dass diese Vorstellung in den Köpfen der Menschen bis heute häufig noch vorhan -- -- 122 Winds 1907, 768. <?page no="50"?> 50 in diesem Prozess der Stereotypisierung für die deutsche und insbeson-dere die Berliner Gesellschaft im ausgehenden 19. Jahrhundert spielte, soll 123 untersucht werden. häufig Starrheit und Unveränderlichkeit 124 impliziert, wurde zum ersten Mal im Jahre 1922 von dem US--amerikani-schen Journalisten Walter Lippmann (1889--1974) in seinem Buch Public Opinion 125 in einem wissenschaftlichen Kontext gebraucht. 126 Seine Thesen zu den Stereotypen gelten bis heute als bahnbrechend. 127 Auch im Kontext der vorliegenden Arbeit ist das Konzept Lippmanns von Bedeutung, einer-seits wegen seiner Aktualität, andererseits als Theorie der Moderne, also der Zeit, in der auch das hier behandelte Thema zumindest partiell seinen Rahmen findet. Insofern bietet es sich an, Lippmanns Ideen zum Thema 123 Zur Begriffsgeschichte siehe u.a. Florack 2007, 38 (besonders Anmerkung 31) sowie Ewen/ Ewen 2008, 51--58. kann und will die vorliegende Arbeit nicht leis-ten;; sie wäre weder möglich noch sinnvoll. Weiterhin wird nicht angestrebt, dieses komplexe Forschungsfeld in seiner ganzen Breite abzubilden. Dem schwierigen Be-griff soll sich nur so weit genähert werden, wie es für die Verhandlung der internati-onalen Gastspiele im ausgehenden 19. Jahrhundert sinnvoll erscheint. Einem kultur-wissenschaftlichen Diktum folgend, das eine möglichst große Aufgeschlossenheit für die von der Stereotypenforschung betroffenen Disziplinen sowie ihre Auslegungen des Begriffs bedeutet, soll sich daher an bereits bestehenden Definitionen orientiert werden, um diese für den Zweck der Arbeit nutzbar zu machen. 124 So definiert beispielsweise das --Lexikon aus dem Jahr 1911, 764) und macht damit die zeitgenössische Verwendung im Sinne eines durch Starrheit geprägten Bildes deutlich. 125 Siehe Lippmann 1965. 126 Petersen und Six weisen allerdings darauf hin, dass die Etablierung des Begriffs als sozialpsychologischer Fachtermi Beginn der sozialpsychologischen Erforschung des Stereotypenkonzepts i.d.R. mit einer von Katz und Braly (1933) durchgeführten Studie gleichgesetzt, die ihre Promi-nenz v.a. durch die Einführung des Eigenschaftenlistenverfahrens erlangte, das lange Zeit zum Standard Peter-sen/ Six 2008b, 21. 127 cep-tualization of stereotypes, it is not only because of its historical importance and rich-ness, but especially because of its actuality. Indeed, it is striking how Lippmann an-- 1994, 10--11. <?page no="51"?> 51 2.2.1 Walter Lippmann und die wissenschaftliche Etablierung des Stereotyp--Begriffs Anhand eines Beispiels, nämlich der Befragung von Augenzeugen nach einem Handgemenge und der Auswertung dieser Befragung, 128 versucht Walter Lippmann in Public Opinion (1922) aufzuzeigen, dass nie exakt das wiedergegeben wird, was wirklich passiert ist. Vielmehr reproduziert der Betrachter ein Bild, das sich zu einem kleinen Teil aus dem zusammensetzt, was von ihm gesehen wurde. Zu einem weitaus größeren Teil wird auf ein im Gedächtnis des Beobachters bereits vorgefertigtes gedankliches Bild von Lippmann es nennt. Dieses überschattet das wirklich Gesehene in seiner Wirkmächtigkeit. Lippmann begreift solche Stereotype zur Erklärung der Welt per se als dringend nötig und den Drang, solche Bilder zu erstellen, als allen Men-schen eigen. 129 Er schreibt außerdem: Inevitably our opinions cover a bigger space, a longer reach of time, a greater number of things, than we can directly observe. They have, there-fore, to be pieced together out of what others have reported and what we can imagine. 130 Stereotype gehen nach Lippmann nicht allein auf die Erfahrung jedes Ein-zelnen zurück;; vielmehr handelt es sich um im kulturellen Gedächtnis verankerte Bilder 131 und damit auch um Einschätzungen und Bewertun-gen von Geschehnissen, Personen oder Personengruppen. They are an ordered, more or less consistent picture of the world, to which our habits, our tastes, our capacities, our comforts and our hopes have ad-justed themselves. They may not be a complete picture of the world, to 128 Vgl. Lippmann 1965, 55--57. Es soll hier nur kurz darauf hingewiesen werden, dass die performative Dimension, Brechts (1898--1956) Straßenszene vergegenwärtigt, anhand derer der Dramatiker und läutert. Siehe Brecht 1993, 370--381. 129 -- -- --Begr -duelle Lebenswelt, als Umfeld eines Individuums im weitesten Sinne verstanden wird. 130 Lippmann 1965, 53. 131 diesen auf der Basis von Maur -vorliegenden Arbeit der Hinweis auf die Schriftlichkeit, also die Dokumente, auf de-ren Grundlage hier diskursanalytisc u.a. Assmann 2007;; Assmann 2010. <?page no="52"?> 52 which we are adapted. In the world people and things have their well-known places and do certain expected things. 132 Die Stereotype werden demnach beim Abruf der Gedächtnisleistung aus dem Unterbewusstsein des Einzelnen hervorgeholt. Hier ist eine Beeinflus-sung Lippmanns durch die zu Beginn des 20. Jahrhunderts florierende --1939) Prägung erkennbar. 133 For Lippmann, the stereotypes did not emanate from the individual. In-stead, they were an inexorable by--product of the surrounding culture, a perpetual reflex that imposed itself between they believed they were seeing. 134 Das Stereotypendenken des Einzelnen prägt somit die persönliche Wahr-nehmung im großen Stil, was allerdings nicht heißt, dass Stereotype mit Idealvorstellungen gleichzusetzen sind, im Gegenteil. Lippmann schreibt 135 Nach Lippmanns Aussage greift jeder Einzelne im Umgang mit der Welt in seiner Imagination auf eine 136 zurück, einen gesellschaftlich geprägten Bildbestand, den er sich wiederum in einem Prozess des Erlernens angeeignet hat: We are told about the world before we see it. We imagine most things be-fore we experience them. And tho whole process of perception. They mark out certain objects as familiar or strange, emphasizing the difference, so that the slightly familiar is seen as very familiar, and the somewhat strange as sharply alien. 137 Die eigene Wahrnehmung ist somit stets durch festgelegte Stereotypen-strukturen vorgeprägt. Diese polarisieren die Lebenswelt des Einzelnen, -zeitig findet eine Verstärkung der Demarkation des Unbekannten vom Bekannten statt ein Vorgang, den Lippmann als einen speziellen Effekt Vorhandensein eines klar umrissenen Rahmens, in dem solche Größen festgelegt werden. Diesen sieht Lippmann in der Zugehörigkeit jedes Ein-- 132 Lippmann 1965, 63. 133 So weisen Ewen und Ewen explizit auf einen solchen Zusammenhang hin, wenn sie ysis, Lippmann understood ste-reotypes that resided, primarily, in the unconscious mind, apart from rational 134 Ewen/ Ewen 2008, 52. 135 Lippmann 1965, 69. 136 Lippmann 1965, 59. 137 Lippmann 1965, 59. <?page no="53"?> 53 zelnen zu einer bestimmten Kultur gegeben, wobei er jedoch den von ihm . 138 Trotz der Generalisierungen kann Lippmanns Text insbesondere durch sches Dokument der Moderne gedeutet werden. Damit erscheint die Stereotypisierung ebenfalls als in einem hohen Maße relevantes Phänomen um 1900. Dessen ist sich der Autor sehr wohl bewusst, wenn er schreibt: [M]odern life is hurried and multifarious, above all physical distance sepa-rates men who are often in vital contact with each oth -ther time nor opportunity for intimate acquaintance. Instead we notice a trait which marks a well known type, and fill in the rest of the picture by means of stereotype we carry about in our heads. 139 Das moderne Leben hier an Schwierigkeiten im Zusammenhang mit zwischenmenschlichen Beziehungen exemplifiziert braucht demnach Stereotype, um individuelle Lücken mit in der Gesellschaft verankerten Bildern zu füllen. Somit erkennt Lippmann das aus der Schnelligkeit, der Schnelllebigkeit und des Facettenreichtums des modernen Lebens erwach-sene Bedürfnis des Menschen nach Unterstützung in seinen Bewertungs-kriterien. 140 Die Notwendigkeit der Stereotypisierung zur Vereinfachung des durch die äußeren Umstände immer komplexer werdenden Lebens begründet Lippmann mit einer (denk--) öko is economy in this. For the attempt to see all things freshly and in detail, rather than as types and generalities, is exhausting, and among busy affairs practically out of the question 141 Die Anstrengung und der Zeitaufwand, die das Anzweifeln bestehen-der Stereotype und das Denken außerhalb von festen Formeln und Bildern bedeuten würden, stehen in keinem Verhältnis zu der Zeit und der Kraft, die dem modernen Mensch zur Verfügung stehen und die er aufzuwenden fähig beziehungsweise bereit ist. Dementsprechend aus der Perspektive einer wirtschaftlich orientierten Kosten--Nutzen--Analyse lohnt sich ein solcher Aufwand nicht und der Mensch greift letztlich auf bereits beste-hende Stereotype zurück. 138 For the most part we do not first see, and then define, we define first and then see. In the great blooming, buzzing confusion of the outer world we pick out what our culture has already defined for us, and we tend to perceive that which we have picked out in th Lippmann 1965, 54--55. 139 Lippmann 1965, 59. 140 Lippmanns Darstellung der Schnelligkeit der modernen Welt erinnert wohl nicht zufällig an die Beschreibung des deutschen Soziologen Georg Simmel von der Le-bensweise des modernen Großstädters. Dazu siehe auch Kapitel 7.4 der vorliegenden Arbeit. 141 Lippmann 1965, 59. <?page no="54"?> 54 Lippmann nennt noch einen weiteren Grund für die Verwendung von Stereotypen: There is another reason, besides economy of effort, why we so often hold to our stereotypes when we might pursue a more disinterested vision. The systems of stereotypes may be the core of our personal tradition, the de-fenses of our position in society. 142 Dem Autor zufolge generieren und unterstützen Stereotype selbstaffirma-tive Mechanismen nicht nur für den Einzelnen, sondern auch für eine Gruppe oder eine Gesellschaft. Die aufgrund ihrer sozialen Verankerung gegebene Zuverlässigkeit von Stereotypen erzeugt dementsprechend bei den Individuen ein Gefühl der (Selbst--) Sicherheit, wobei Lippmann vor allen Dingen den emotionalen Aspekt unterstreicht: A pattern of stereotypes is not neutral. It is not merely a way of substituting order for the great blooming, buzzing confusion of reality. It is not merely a shortcut. It is all these things and something more. It is the guarantee of our self--respect;; it is the projection upon the world of our own sense of our own value, our own position and our own rights. The stereotypes are, therefore, highly charged with the feelings that are attached to them. They are the fortress of our tradition, and behind its defenses we can continue to feel ourselves safe in the position we occupy. 143 Die Bildung von Stereotypen innerhalb einer Gesellschaft oder Kultur dient also hauptsächlich zwei Zwecken: der sozialen Selbstaffirmation und der individuellen Aufwandsminimierung. Auch wenn der Stereotyp--Begriff, den Lippmann in seinem Buch geprägt hat, eine recht große theoretische Unschärfe aufweist und den heutigen Forschungsansätzen längst nicht mehr genügt, so dienen seine Überlegungen trotzdem noch als gedankliche Grundlage für die Ausei-nandersetzung mit Stereotypen und für ihre wissenschaftlich--theoretische Verhandlung in ganz unterschiedlichen Disziplinen. Bis heute allerdings gestaltet sich eine einfache und klare Definition des komplexen Begriffs gezeigt werden soll. 144 2.2.2 Stereotype und soziale Kategorien Eine Definition, die in der sozial--kognitiven Tradition der Stereotypenfor-- 142 Lippmann 1965, 63. 143 Lippmann 1965, 63--64 [meine Hervorhebung]. 144 o-- --20. Hahn und Hahn bieten an derselben Stelle auch eine Auswahl bis dato erschienener Literatur zu diesem Thema. <?page no="55"?> 55 geteiltes Wissen über die charakteristischen Merkmale von Angehörigen sozialer Kategorien enthalten. 145 146 . Nach Lars-- Eric Petersen und Peter Six ieder einer sozialen -- 147 Charakteristika zugeordnet. 148 In Anbetracht dieses Vorgangs der Kategori-sierung schreiben Petersen und Six den Menschen selbst eine aktive Rolle in und ein Interesse an der Entstehung von Stereotypen zu: Ein zentraler Mechanismus bei der Entstehung von Stereotypen besteht in der generellen Bereitschaft von Personen zur sozialen Kategorisierung und Menschen z.B. in Angehörige von Eigen-- und Fremdgruppen aufzuteilen. 149 Hierbei werden unterschiedliche Kategorien gewählt: Die für die Stereotypisierung erforderliche Kategorisierung in Gruppen kann dabei über sehr breite Merkmalskategorien (z.B. Nationalität, Ge-schlecht, Alter) oder auch kleinere soziale Kategorien (z.B. Karrierefrauen) erfolgen. Bereits die reine Kategorisierung hat bedeutsame Auswirkungen 150 So wird sozialen Kategorien die Funktion eines Hilfsmittels zugeschrieben, 151 . Dementsprechend stellen sie vielfach hilfreiche oder als hilfreich wahrgenommene Ordnungsrahmen für das Strukturieren und Vereinfachen einer sozialen Situation dar, insbeson-dere wenn sie wahrgenommene Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der 152 145 Eckes 2008, 97. 146 Eckes 2008, 97. 147 Petersen/ Six 2008b, 21. 148 menschliche Gruppe (ethnische, nationale, auch lokale Gruppen, soziale, religiöse oder konfessionelle Gruppen, Ge 2007, 18). Institutionen von Menschen 149 Petersen/ Six 2008b, 21. 150 Petersen/ Six 2008b, 21. 151 Klauer 2008, 26. 152 Klauer 2008, 23. <?page no="56"?> 56 Im Kontext der vorliegenden Arbeit stehen aufgrund der Konzentration auf die Rezeption der italienischen Bühnenkunst in Deutschland vor allem nationale Stereotype im Mittelpunkt der Betrachtung. 2.2.3 Dauer und Kontext -rien betreffen in der Regel Gruppierungen mit einigem zeitlichen Be-stand. 153 Dieser temporale Aspekt wird auch von Ruth Florack in ihrer (Teil-otype sind allge-mein bekannte, durch Tradition verbürgte Attribute, welche die Gruppen-- 154 Diese Begriffsbestimmung macht meh-rere wichtige Eigenschaften von Stereotypen deutlich. Dass sie in gewissen Traditionen stehen, verweist auf ihre zeitliche Komponente, ihre Bestän-digkeit und Dauerhaftigkeit. Außerdem entwickeln sie sich nach Florack aus sozialen Strukturen, stellen damit eine Verbindlichkeit für die Grup-penmitglieder dar und wirken stabilisierend auf die gesellschaftlichen Verhältnisse. Florack führt weiterhin an: Stereotype tauchen zudem nur als ein begrenztes Repertoire von Zuschrei-bungen auf, die trotz wechselnder Kontexte im wesentlichen [sic! ] gleichbleiben, wie der aus der Druckersprache übernommene Begriff schon sagt. 155 Durch den Hinweis auf die Etymologie des Wortes und seine metaphori-sche Verwendung spricht Florack auch hier dem Stereotyp eine (tempo-rale) Beständigkeit sowie die bereits angesprochene Konstanz zu. Verände-rungspotenzial hingegen sieht sie hinsichtlich der Kontexte, in denen Stereotype situiert sind. Auch Eva Hahn und Hans Henning Hahn verweisen sowohl auf die Zeitlichkeit als auch auf die Kontextualisierung von Stereotypen;; sie schreiben ihnen allerdings eine deutlich größere Wandlungsfähigkeit zu: Stereotypen entstehen also, inhaltlich, formal und in ihrer sozialen (politi-schen, ideologischen) Funktion, und zwar bestimmte Stereotypen in be-stimmten Gesellschaften zu bestimmten Zeiten, verändern sich auch im Laufe der Zeit in Bedeutungsinhalt, Wortlaut und Funktion, haben also ihre Geschichte. 156 Aufgrund der Relativität der Dauer, einer Komponente, die sowohl bei Florack als auch bei Hahn und Hahn ziemlich vage bleibt, und vor allem in Anbetracht des schwierigen Termi -- 153 Klauer 2008, 23. 154 Florack 2007, 39. 155 Florack 2007, 38. 156 Hahn/ Hahn 2002, 24. <?page no="57"?> 57 Folgenden nicht gear-beitet werden. Viel wichtiger ist die Tatsache, dass Stereotype eine Ten-denz zur Temporalität und Historizität aufweisen. 157 Auch wenn es die Dauer und Beständigkeit betreffend unterschiedliche Ansätze und Definitionen gibt, steht die Wichtigkeit der Kontextualisie-rung von Stereotypen generell außer Frage: Will man versuchen, sich ei-nem Stereotyp, seiner Bedeutung für eine bestimmte Gruppe sowie seiner Funktion innerhalb dieser zu einer bestimmten Zeit zu nähern, ist es unab-dingbar, das Stereotyp in seinem (historischen) Zusammenhang zu be-trachten. Dem entsteht durch die besondere Verwendung eines Wortes in einem besonde-- 158 2.2.4 Stereotype als Bildervorrat des kulturellen Gedächtnisses werden Stereotype häufig als eine verbildlichte Reduktion der vom Indivi-duum wahrgenommenen Welt verstanden. Auf die für Stereotype signifi-kante Bildhaftigkeit verweist auch Sander L. Gilman: Wir alle denken in Bildern über Dinge, die wir fürchten oder glorifizieren. Diese Bilder verbleiben niemals im Bereich der Abstraktion: Wir verstehen sie als der Wirklichkeit zugehörig und versehen sie mit Bezeichnungen, um 159 Mithilfe von Stereotypen erschafft sich jeder Einzelne ein Bild von der ei-genen Lebensrealität;; aufgrund der Einordnung in soziale Kategorien wird die Information strukturiert und gleichzeitig vereinfacht. Manfred Beller führt diesen Prozess der Wahrnehmungstransformation auf die Position des Individuums in seinem kontrastiven, polarisierten Verhältnis z selective perception results from suppressed tensions between self--image 160 Im Sinne der Imagologie versteht Beller 157 Auch Elizabeth Ewen und Stuart Ewen nehmen den Gedanken von der Langfristig-- Ewen/ Ewen 2008, 57.) Zwar sprechen die beiden nicht expressis verbis von Geschichte und Tradition, aber der von ihnen verwendete Begr 158 Hahn/ Hahn 2002, 23. 159 Gilman 1992, 7. 160 Beller 2007, 4. <?page no="58"?> 58 mental silhouette of the other, who appears to be determined by the cha-racteristics of family, group, tribe, people or race. Such an image rules our opinion of others and controls our behaviour towards them. Cultural dis-continuities and differences (resulting from language, mentalities, everyday habits, and religions) trigger positive or negative judgements and images. 161 bezeichnet und was in der aktuellen Forschung häufig darunter verstanden wird. In einem anderen Zusammenhang gebraucht Beller schließlich auch predetermine our perceptions, generate projections, identifications and 162 Bellers Verweis auf die kognitive Funktion des Stereotyps spiegelt die Meinung der sozialpsychologischen Forschung wider, die den Gebrauch von Stereotypen als ein allen Menschen inhärentes Merkmal beschreibt. Vor diesem Hintergrund einer Generalisierung gerät die Verwendung von Stereotypen in Denkprozessen zu einem Automatismus, wie P.G. Devine feststellt. 163 Dies setzt jedoch voraus, dass wir ein kulturell geprägtes Wissen haben, das durch die bloße Anwe-senheit eines Vertreters dieser Gruppe [einer Fremdgruppe] automatisch aktiviert wird also ohne dass wir uns dagegen wehren können und zu-nächst ohne dass wir uns dessen bewusst sind. 164 Dieser Automatismus hat nach Schmid Mast und Krings Konsequenzen für das menschlich -dings gar nicht bewusst, dass aktivierte Stereotype unsere Handlungen 165 Die Theorie Devines von einer sich selbst steuernden, unbewussten Re-aktion birgt jedoch eine zumindest auf den ersten Blick moralisch ge-fährliche Konsequenz in sich: So könnte man mit der Vorstellung von einer Aktivierung von Stereotypen im Sinne eines Automatismus und der da-raufhin genauso automatisch ablaufenden Verhaltensweise jegliche menschliche Aktivität als einen unwillkürlichen, vom eigenen Bildervorrat geleiteten Vorgang rechtfertigen. Diese Fehldeutung schließt Devine aber sogleich aus, indem er klarstellt, dass Stereotype zwar automatisch hervor-gerufen werden;; das heißt aber nicht, dass man sich auch in den eigenen 161 Beller 2007, 4. 162 Beller 2007, 13. 163 Marianne Schmid Mast und Franciska Krings weisen auf die Studie Stereotypes and Prejudice: Their Automatic and Controlled Components von P.G. Devine hin. Siehe Schmid Mast/ Krings 2008, 33. 164 Schmid Mast/ Krings 2008, 33. 165 Schmid Mast/ Krings 2008, 35. <?page no="59"?> 59 Handlungen unwillkürlich danach richten muss. Die auf den Automatis-mus der Kategorisierung folgende Aktivität ist nämlich abhängig von der Informationsverarbeitung jedes Einzelnen. So unterscheidet Devine zwischen zwei Prozessen der Informationsverarbeitung, einem automati-schen und einem kontrollierten. Automatische Verarbeitung meint, dass wir uns des ablaufenden Prozesses nicht bewusst sind und keine Kontrolle te Verarbei-tungsprozesse können automatisch aktivierte Stereotype modifizieren oder verdrängen. Sie benötigen allerdings kognitive Ressourcen, d.h. sie kosten kognitive Anstrengung und Aufwand. 166 Ein zweiter Punkt, der hinsichtlich Devines Theorie hinterfragt werden muss, ist die Idee von einem den Stereotypen zugrunde liegenden kulturell geprägten Wissen. 167 So weist Florack auf folgendes, sich aus einer solchen Vorstellung ergebendes Problem hin: Wenn Stereotype demnach zum kulturellen Wissen gehören sollen, so ist daran zu erinnern, daß die Frage, in welchen territorialen Grenzen solches sind. 168 Jacques--Philippe Leyens, Vincent Yzerbyt und Georges Schadron sehen die Existenz von Stereotypen als ein für den Menschen typisches Merkmal. Allerdings sprechen sie sich für eine wichtige Unterscheidung zwischen der Stereotypisierung als Prozess und dem Stereotyp als Resultat dieses Vorgangs aus 169 Yet we insist upon distinguishing stereotypes the social content and ste-reotyping the individual process that takes place in a social context and is moulded by it. People can do without some of the specific contents but they cannot do without the process. 170 166 Schmid Mast/ Krings 2008, 33. Schmid Mast und Krings verweisen an gleicher Stelle darauf, dass aktive Verarbeitungsprozesse immer automatischen nachgestellt sind. Vgl. Schmid Mast/ Krings 2008, 33. 167 Auch Gilman geht von einem den Einzelnen in seinen Verarbeitungsprozessen prä-- Gruppe hat ein bestimmtes Voka-bular von abrufbaren Bildern dieses externalisierten Anderen. Diese Bilder sind ein Produkt der Geschichte sowie einer Kultur, welche sie perpetuiert. Keines ist belie-big, keines steht außerhalb des historischen Kontextes. 168 Florack 2007, 37. 169 Auch Eckes weist auf den Unterschied zwischen dem Stereotyp und dem Prinzip der -scheiden von Prozessen der Stereotypisierung. Unter Stereotypisierung wird die An-wendung stereotypengestützten Wissens auf einzelne Angehörige einer sozialen Ka-- 170 Leyens/ Yzerbyt/ Schadron 1994, 3. <?page no="60"?> 60 Selbst wenn für das Individuum einzelne Stereotype nicht zwingend rele-vant sind und in seinem Denken auch nicht zum Tragen kommen, so ist der Einzelne gegen den generellen Prozess der Stereotypisierung, der Ka-tegorisierung und der Zuschreibung von Attributen in einem bestimmten gesellschaftlichen Rahmen nicht gefeit was ihm allerdings auch Nutzen taste. However, th 171 2.3 Gesellschaftliche Funktionen 2.3.1 Die Vereinfachung der Welt Betrachtet man also die Prozesse der Kategorisierung und Zuschreibung von Stereotypen als menschliche Eigenschaften, so erklärt sich aus dieser Sichtweise -- Nutzen aus? Die Antwort der drei Autoren auf diese Frage erinnert an die bereits von Lippmann gegebene Erklärung: Stereotypes are not only lists of attributes to apply to social categories. They function also, and mainly, as theoretical naïve explanations of the world. To the same extent that a person does not change theories all the time, stereo-eotypes certainly simplify reality, but they do not necessarily result from intellectual laziness. 172 Ewen und Ewen erläutern den Nutzen von Stereotypen auf ganz ähnliche types make sense of the big, complex, often transient world that confronts us. In the pro 173 Stereotype helfen 174 zu erklären, eine (Lebens--) Welt, die sich der Einzelne aufgrund ihrer Komplexität nicht alleine und aus sich heraus verständlich machen kann. Durch den Prozess der Stereo-typisierung werden diese Welt und ihre Wahrnehmung für das Indivi-duum in (Denk--) Muster und Bilder umgewandelt, strukturiert, vereinfacht und damit (be--) greifbarer gemacht. Stereo -mata, die Hand in Hand mit vereinfachenden Verarbeitungs-- und Urteils-- 175 . Auch Florack zeigt diese Funktion auf mit dem expliziten Hinweis auf bereits die Leistung solcher Wahrnehmungsschemata erkannt: Sie bieten 171 Leyens/ Yzerbyt/ Schadron 1994, 206. 172 Leyens/ Yzerbyt/ Schadron 1994, 204. 173 Ewen/ Ewen 2008, 51. 174 Ewen sehr unkonkret. 175 Klauer 2008, 23. <?page no="61"?> 61 dem einzelnen eine Orientierungsmöglichkeit, indem sie Komplexität re-- 176 Florack geht in ihren Überlegungen jedoch noch einen Schritt weiter: Sie versteht Stereotype nicht nur als kognitionspsychologische Phä-nomene, als Kategorisierungen im individuellen Informationsverarbei-tungsprozess, sondern sie weist auch auf deren linguistische Funktion hin. Ob in schriftlicher Form oder als mündliche Äußerung, in beiden Fällen haben Stereotype die Aufgabe, Mittel zur Vereinfachung schwieriger Sachverhalte zu sein. Damit tragen sie insbesondere wenn man von dem oben bereits genannten Prinzip des kulturellen Wissens ausgeht auch zur Erleichterung der Kommunikation innerhalb einer Gruppe bei. Dement-sprechend weist Florack expli Verallgemeinerung zum Zweck der Ori 177 hin. 2.3.2 Affirmation Die zweite soziale Funktion der Stereotype steht in engem Zusammenhang mit der ersten: Denn das Denken in Kategorien, das dem Einzelnen die Wahrnehmung der Welt erleichtern soll, festigt aufgrund seiner vereinfa-chenden Funktion auch dessen (soziale) Position. Die polarisierende For-- -gend in einem eine Wertung implizierenden Sinn) abgrenzen kann, stärkt die eigene Stellung. Übertragen auf einen größeren Rahmen, beispielsweise Rolle als Teil einer sozialen Gruppe eine Schutzfunktion haben. Sie sind, wie es bei Gil-- -- 178 . Wie schon Lippmann, so sieht auch Gilman in der Erschaffung und Aufrechterhaltung von Stereotypenstrukturen das Resultat der menschlichen Angst vor der Auflösung bestehender Ordnun-gen in der eigenen Lebenswelt. Somit fungieren Stereotype als Siche-rungsmechanismen für die Position des Selbst in seinem sozialen Gefüge. Stereotypen wird also auch ein (selbst--) affirmatives Moment zugeschrie-ben. Dieses affirmative Prinzip gilt jedoch nicht nur für den Einzelnen, son-dern es findet seine Übertragung auch auf einen größeren Rahmen, wie praktisch jedes politische und speziale System und werden auch als solche 179 Doch nicht nur das: 176 Florack 2007, 34. 177 Florack 2007, 58. 178 Gilman 1992, 10. 179 Hahn 2002, 42. <?page no="62"?> 62 Stereotypes are not only the natural result of the categorization process, of the individual need to organize and simplify the environment, but they also fulfil a social function: to ex actions. 180 Die hier angesprochene soziale Funktion von Stereotypen unterteilen Leyens, Yzerbyt und Schadron noch einmal in drei Kategorien: in social causality --social events by identifying groups social justification tion of a specific social diffe-rentiation ing and accentuating the differences among groups in 181 Dementsprechend wirken Stereotype nicht nur auf das Ich als Individuum affirmativ, sondern auch auf das Ich als Teil einer sozialen not only strive to reach social judgements that preserve their personal 182 2.4 Stereotype und Vorurteile Wie zu Beginn des Kapitels bereits angedeutet, werden insbesondere in der älteren Literatur zum Thema häufig synonym verwendet. Es bestehen zwischen ihnen jedoch erhebliche Unterschiede wenn den Worterläuterungen auch das Fehlen einer defi-nitorischen Schärfe gemein ist. Petersen und Six weisen trotz der Abwei-chungen auf Gemeinsamkeiten hin. Sie sind der Meinung, dass Stereotype und Vorurteile ihre Ursachen in unseren kognitiven und emotionalen Verarbeitungsprozessen ebenso wie in sich verändernden Umweltbedingungen haben. Auch sind Stereotype und Vorurteile nicht auf immer und ewig zementierte Schablonen und Etikettierungen, die anderen Personen, Gruppen oder Nationen zugeschrieben werden, sondern sie sind wandelbar, manipulierbar und sie erfüllen je spezifische Funktionen. 183 Klauer setzt als Unterscheidungsmerkmal zwischen Stereotyp und Vorur-teil die dem letzteren Begriff inhärente Bewertung einer Person oder Per-sonengruppe ohne faktische Grundlage an: Wenn die [sozialen] Kategorien und die damit verknüpften stereotypischen Inhalte die Realität nicht zutreffend beschreiben, entstehen Urteilsfehler, die im Volksmund oft Vorurteile genannt werden. In der Sozialpsychologie wird mit dem Begriff Vorurteil allerdings ein weiterer Aspekt von Katego-- 180 Leyens/ Yzerbyt/ Schadron 1994, 70. 181 Vgl. Leyens/ Yzerbyt/ Schadron 1994, 70. 182 Leyens/ Yzerbyt/ Schadron 1994, 141. 183 Petersen/ Six 2008a, 17. <?page no="63"?> 63 rien benannt, nämlich die Tatsache, dass Kategorien und deren Repräsen-tanten in der Regel eine positive oder negative Bewertung tragen. Ein Vor-urteil liegt dann vor, wenn die Bewertung auf ein Mitglied einer Kategorie übertragen wird, ohne weiteres Ansehen der Person. 184 Auch Florack gibt die Bewertung als typisches Charakteristikum des Vor-urteils im Gegensatz zum Stereotyp Auffassung von Vorurteilen sind sie [Stereotype] nicht notwendigerweise negativ, es gibt vielmehr auch positive Stereot 185 Leyens, Yzerbyt und Schadron sehen den Unterschied zwischen dem Stereotyp und dem Vorurteil in der hinter dem jeweiligen Denkprozess stehenden persönlichen Einstellung des Einzelnen: However, stereotype is not the same as prejudice. Stereotypes can be posi-types are very spontaneous, or quasi--automatic, whereas personal beliefs are under cognitive control. Personal beliefs are mainly responsible for prejudice. 186 Daneben wird Vorurteilen eine emotionale Aufgeladenheit zugeschrieben, eine Eigenschaft, die aufgrund der Gleichsetzung der Begriffe in der For-schung lange auch als spezifisch für Stereotype galt. Dazu schreibt Bernd Schäfer: Während Lippmann Stereotype als gefühlsgeladen versteht und mit Vor-urteilen gleichsetzt, wird in der Sozialpsychologie seit der sogenannten ren des 20. Jahrhunderts differen-ziert zwischen Stereotyp, Vorurteil und Diskriminierung: Unter dem Ein-- -- --Forschung beziehen heutzutage die meisten Ex -scheidung und Verall -bzw. Antipathien. 187 Florack wiederum schließt nicht aus, dass auch Stereotypen eine negative Bewertung innewohnen kann selbst wenn sie dies eher als eine Aus-- --Weiß--Konstellationen, die das Eigene zur nur 188 184 Klauer 2008, 24. 185 Florack 2007, 36. 186 Leyens/ Yzerbyt/ Schadron 1994, 13. 187 Schäfer 1988, 14. 188 Florack 2007, 52. <?page no="64"?> 64 2.5 Autostereotyp und Heterostereotyp 189 , die das Prinzip von Auto-- und Heterostereotyp kreieren, das an dieser Stelle näher be-trachtet werden -fensichtlich Stereotypen [benötigen], um Ge 190 und sich von anderen abzuheben: Ebenso wird auch durch Stereotypen (bzw. ein Stereotypensystem) nach --Gruppe gestärkt, die u.a. durch einen gewissen Stereotypen--Konsens funktioniert, und nach außen abgegrenzt, indem --Gruppe gehört. Diese gleichzei-tige Integrations-- und Abgrenzungs-- oder gar Ausschließungsfunktion läßt sich fast überall feststellen. 191 Das Moment der eigenen Bestätigung stellt also auch eines der Demarka-- -rung und Festigung des Eigenbildes (Autostereotyp) impliziert zugleich die Abgrenzung vom Fremdbild (Heterostereotyp) wenn es sich, wie bereits betont, bei letzterem auch nicht notwendigerweise um ein Feindbild und bei der Abgrenzung nicht zwingend um eine gleichzeitige Abwertung markation ist die (Wieder--) Herstellung eines Sicherheit erzeugenden Gemeinschaftsgefühls innerhalb einer sozialen Gruppe. 192 Bei dem Bild, das von der Fremdgruppe existiert, handelt es sich jedoch nur zu einem geringen Teil um ein Abbild der realen Situat Anderen zugeschriebenen Qualitäten lassen sich leicht in Muster einord-nen, die wenig oder gar keinen Realitätsbezug auf 193 Allerdings geht es bei der Untersuchung von Stereotypen auch nicht darum, einen Realitätsbezug oder gar --gehalt herauszuarbeiten: Weder Imagologen noch Sozialpsychologen fragen heute noch nach dem Realitätsgehalt na -halten, gilt als unumstritten, man weiß aber inzwischen, wie vergeblich es ist, dieses Quentchen [sic! ] ermitteln zu wollen. 194 189 Schäfer 1988, 35. 190 Hahn/ Hahn 2002, 37. 191 Hahn/ Hahn 2002, 28. 192 --Konsens, man verbindet mit bestimmten Stereotypen die gleichen Emotionen und die gleichen Inhalte. Gleichzei-gefestigt. [M]an fühlt sich sicherer in seiner Gruppe, wenn man gemeinsame Stereo-- Hahn 2007, 22. 193 Gilman 1992, 14. 194 Florack 2007, 37. <?page no="65"?> 65 der Untersuchung von Stereotypen die Beschäftigung mit der Existenz eines Bewusstseins dafür, dass es sich gerade bei nationalen Stereotypen um (partiell fiktive) Bilder aus dem kollektiven Gedächtnis handelt, welche eine Mischung aus unterschiedlichen individuellen Erfahrungen und tradierten Eindrücken sind. 195 Dies bestätigt Gilman: Da alle Bilder des Anderen derselben Tiefenstruktur entstammen, können verschiedene Symbolisierungen des Andersseins ohne Erkenntnisse ihres Geeignetseins, ihrer Widersprüchlichkeit oder gar Unmöglichkeit mitei-nander in Verbindung gebracht werden. Dennoch basieren Assoziations-muster gewöhnlich auf einer Kombination von wirklichen Lebenserfahrun-gen (der Filterung durch verschiedene Modelle der Wahrnehmung entspre-chend) und der Welt der Mythen, welche sich schließlich zu sagenhaften Bildern verweben, die weder ganz zu dieser Welt noch zu der der Märchen gehören. 196 Folgt man Gilmans (ein wenig zu poetisch anmutendem) Gedankengang, so entstehen Stereotype während ihrer Etablierung und Anwendung quasi auf einer Zwischenebene, angesiedelt in der Mitte zwischen Realität und Fiktion. Der hier beschriebene Prozess der Bildung eines Heterostereotyps zum Zweck der Demarkation einer Fremdgruppe lässt sich andererseits na-türlich mit umgekehrten Vorzeichen --Gruppe übertra-gen: So kommt es schließlich nicht nur zur Stereotypisie -- Realität entsprechendes Bild zugeschrieben: Neben dem Heterostereotyp -ht (samt 197 Dabei besteht eine direkte, geradezu wechselseitige Verbindung der beiden Stereotypenvarianten: Das Heterostereotyp verweist uns jedesmal explizit oder implizit auf das Autostereotyp. Man darf die Behauptung wagen, daß es für eine Gruppe [so] wichtig [ist], sich selbst zu definieren, daß das Heterostereotyp hinge-gen der Vorwand und die Form ist, um das Autostereotyp zu explizieren. 198 195 When people from various countries and cultures meet each other, real experiences and mental images compete. Earlier meetings with others shape our pre--expectations Beller 2007, 7. 196 Gilman 1992, 14. 197 Hahn/ Hahn 2002, 28. 198 Andrzei Mirga zit. nach Hahn/ Hahn 2002, 31. <?page no="66"?> 66 Der Zweck der Zuschreibung und Etablierung typischer Eigenschaften an das Heterostereotyp dient demzufolge nicht nur der Demarkation der Fremdgruppe. Wie Andrzei Mirga feststellt, ist das Seiten-- oder gar Hauptprodukt dieses Prozesses die Entwicklung des Autostereotyps. 199 -eine qualitative Selbstbezeich 200 Auch wenn die Stereotypisierung der Fremdgruppe nicht grund-sätzlich nur eine negative Bewertung erfährt, ist trotzdem festzustellen, dass Stereotype über die Fremdgruppe bezüglich ihrer Inhalte und zentra-len Annahmen in der Regel negativer als die Stereotype über die Eigen-gruppe ausfallen. Dies ist u.a. Folge eines systematischen Bias bei der Verwendung von Sprache: Danach wird positives Verhalten eines Eigen-gruppenmitglieds in relativ abstrakten Begriffen beschrieben, das gleiche Verhalten bei Fremdgruppenmitgliedern hingegen in sehr konkreten Be-griffen. 201 -von der Fremdgruppe erfolgt also auch über die Art des sprachlichen Ausdrucks und die Wortwahl, wie es am Beispiel der Verhandlung der Gastspiele von Eleonora Duse aufzuzeigen sein wird. 2.6 Stereotyp und Nationalismus Nationale Stereotype Verdeutlicht man sich den Vorgang der Abgrenzung der Eigen-von einer Fremdgruppe, so liegt der Gedanke nahe, dieses Prinzip nicht nur auf die Demarkation von einer eher unbestimmten sozialen Gruppe, sondern auch auf den Prozess des nation building Etablierung eines Heterostereotyps, der Zuschreibung von nationalen Stereotypen auf eine Fremdgruppe, hier auf eine andere Nation, kommt es gleichzeitig zur Etablierung eines Autostereotyps, eines Bildes von der eigenen Nation. Durch die Fremddefinition entsteht die Eigendefinition sonders aber eigener nationaler 202 beitra-gen. 203 Auf dieser Einsicht basierend stellen Hahn und Hahn eine Analogie 199 Definition des Anderen die Grundkategorien, durch welche sich das Selbst definiert, 200 Hahn/ Hahn 2002, 34. 201 Petersen/ Six 2008b, 21. 202 Siehe S. 23 der vorliegenden Arbeit. 203 Stereotypen erhalten damit eine wichtige Funktion für die Konstruktion von Identi-tät und für die Konstruktion von Alterität. Sie sind ein wichtiger Bestandteil in jeder <?page no="67"?> 67 zwischen der Entstehung und der Verbreitung des Nationalismus 204 und dem Prozess der Stereotypisierung fest: [I]ndem der Nationalismus die Nation als die wichtigste Gruppe, der unbe-dingt die stärkste Loyalität gebührt, propagiert, will und soll er zugleich nach innen integrieren und nach außen abgrenzen. Ebenso wird auch durch Stereotypen (bzw. ein Stereotypen -- Gruppe gestärkt, die u.a. durch einen gewissen Stereotype--Konsens funkti-oniert, und nach außen abgegrenzt, indem deutlich gemacht wird, wer --Gruppe gehört. 205 Stereotypen wird also ein erheblicher Anteil an der Konstituierung von Nationen zugeschrieben: Zur Konstruktion der Nation gehört die Konstruktion von Grenzen, und angesichts sowohl der zugleich integrierenden und ab-bzw. ausgrenzenden Funktion von Stereotypen als auch des Verhältnisses von Hetero-- und Au-tostereotyp boten und bieten sie sich regelrecht an als konstitutive Bauele-- 206 Im Zuge der Schaffung von Grenzen und damit im Prozess der Etablierung eines Auto-wie Heterostereotyps ist folglich auch die Konstruktion beson-derer Nationalcharakteristika, also bestimmter kollektiver, einer Nation zugeschriebener Eigenschaften zu sehen. Doch nicht nur auf der Ebene der theoretisch--charakterlichen Zuschreibungen findet das Prinzip der Stereo-typisierung seine Anwendung: Es entsteht ebenso d -erkennen zu wollen, um so die Demarkation zu erleichtern. Dazu gibt Gil-deren (d.h. in der Konstruktion eines entsprechende -- 207 gesucht würde. möglichst auf mehreren Ebenen erfolgen. 2.7 Das 19. Jahrhundert Im [festzustellen], was den Gebrauch, die Verbreitung, die Rolle und die Hahn 2007, 22. Hahn spielt hier auf die bereits geht, an. Siehe S. 21 der vorliegenden Arbeit. 204 Hahn/ Hahn 2002, 28. 205 Hahn/ Hahn 2002, 28. 206 Hahn/ Hahn 2002, 46. 207 Gilman 1992, 19. <?page no="68"?> 68 208 . Vor allem im Kontext der Bil-dung und Etablierung von ethnischen beziehungsweise nationalen Stereo-- -nikationsmög 209 der Menschen zurück, die sich im 19. Jahrhundert herausbildeten. So war es 210 , vor allem die große Verbreitung von Zeitungen und Zeitschriften, die seit der Mitte des 19. Jahrhunderts eine weite Streuung nicht nur von Informatio-nen, sondern auch von Stereotypen in der deutschen Gesellschaft ermög-lichte. Wie Lippmann festgestellt hat, erleichterten Stereotype dem Men-schen das Leben in der sich schnell verändernden, modernen Welt um 1900. Und die Möglichkeit der massenhaften Verbreitung von Stereotypen durch die Presse trug ihren Teil dazu bei. Schließlich gelten diese in der und eine unverzichtbare Grundlage in der Kommunikation über Erfahrun-gen aus erste 211 . Auch Ewen und Ewen beziehen sich in ihrer Argumentation auf die Veränderung innerhalb der zeitgenössischen kommunikativen, medialen Strukturen: In a rapidly moving world, where firsthand experience was losing ground as a source of useful information, the media system was replacing custo-mary networks, and rendering stereotypes into easily consumable, in-dustrially generated substitutes for intimate knowledge. 212 Folgt man diesen Argumenten, so dienten Stereotype im 19. Jahrhundert als Ersatz für individuelle Erfahrungen, die den Menschen aufgrund von Veränderungen innerhalb der Lebenswelt abhanden gekommen waren. Kommunikation und verstärktem Auftreten von Stereotype 213 , die vor d.h. einer Presse, die sich ihrem An-spruch nach an alle richtete, die lesen konnten, verbunden mit einer mas-- 214 , ihre Umsetzung fand, führen Hahn und 208 Hahn/ Hahn 2002, 52. 209 behaupten, daß Umbruchzeiten meist auch Epochen intensivierter öffentlicher Kom-munikation darstellen, in diesen dann auch wiederum ein verstärkter Einsatz und 19. Jahrhundert verwendeten weiter, sodass nicht deutlich wird, von welchen Umbrüchen hier die Rede ist. 210 Florack 2007, 5. 211 Florack 2007, 5. 212 Ewen/ Ewen 2008, 57. 213 Hahn/ Hahn 2002, 53. 214 Hahn/ Hahn 2002, 53. <?page no="69"?> 69 Hahn noch zwei politische Faktoren für die Proliferation von Stereotypen im 19. Jahrhundert an -hörigkeiten beanspruchte und Dominanz, wenn nicht gar Ausschließlich-keit forderte in bezug auf das Identitätsbewußtsein und das Loyalitätsemp-- 215 Allerdings, so schreibt Marx, habe die Gründung des Deutschen Reiches im Jahre 1871 für eine Neudefinition der nun eine Nation bildenden Eigengruppe eine nicht irrelevante Folge ge-habt: Nationalstaat geschaffen, so war damit keineswegs für die Implementierung einer zentralen, integra-tiven Leitidee für die Lebenswelt gesorgt. Vielmehr korrespondierte die Weiterung des Begriffs der Bürgerlichkeit gerade nicht mehr mit einer Gleichsetzung des Konzepts von der Nation im Sinne einer Bürgernation, sondern ließ viel mehr die Idee des Volks im Sinne einer ethnischen Einheit wichtiger werden. Die rechtliche Gleichstellung aller Bürger beschwor die 216 217 -ll, auch in der Verhandlung von Fremdgrup-pen und deren Definitionen durch die deutsche Eigenkultur nieder. So kam das für sich selbst verwertete Prinzip auch bei anderen Nationen zur An-wendung. In diesem Kontext ist auch der zweite Faktor angesiedelt. Denn neben der Politik auf nationaler Ebene gewann zum anderen die internati-- -- 218 innerhalb der deutschen Gesellschaft des ausgehenden 19. Jahrhunderts in Gang setzte. Demnach stellen Hahn und Hahn die folgende Trias an Ursachen auf, welche die Prolife -tung, Dominanz der nationalen Identität und agonales Verständnis der internationalen Beziehu 219 . 2.8 Abschluss Dass (nationale) Stereotype und Vorurteile dem Zweck der (nationalen) Selbstaffirmation dienen, wird im Folgenden zunächst an stereotypen Italien(er)bildern zu zeigen sein, die in der deutschen Gesellschaft des 215 Hahn/ Hahn 2002, 53. 216 Marx 2008, 48--49. 217 Hahn/ Hahn 2002, 53. 218 Hahn/ Hahn 2002, 53. 219 Hahn/ Hahn 2002, 53. <?page no="70"?> 70 ausgehenden 19. Jahrhunderts fest verankert waren. Ein größeres Interesse gilt im Anschluss daran der im zeitgenössischen Theaterdiskurs verhan-- -bergen sich allerlei italienische Stereotype, die zu untersuchen es sich lohnt. Dabei stellt sich nicht nur die Frage, inwiefern das italienische The-ater und seine Vertreter, unter anderem Eleonora Duse, dieses Klischee repräsentiert werden, sondern insbesondere auch, welche Rückschlüsse es auf die deutsche Gesellschaft des ausgehenden 19. Jahrhunderts zulässt. <?page no="71"?> 71 3. Italienische Stereotype im 19. Jahrhundert 3.1 Das Italien(er)bild im 19. Jahrhundert Möchte man nationale Stereotype untersuchen, so erweisen sich vor allem literarische Quellen n countries, peoples and cultures mainly derive from selective value judgements (which are in turn derived from selective observation) as expressed in travel writing and 220 Auch das im deutschen kollektiven Bewusst-sein vorherrschende Italien(er)bild 221 im ausgehenden 19. Jahrhundert ist in einem hohen Maße durch die sich in der zeitgenössischen (Reise--) Literatur niederschlagende selektive Wahrnehmung von Dritten beeinflusst. Es hat seine Wurzeln allerdings größtenteils bereits im 18. Jahrhundert und damit in einer Zeit, in der Italien zum Sehnsuchtsort avanciert war, der das Bildungsbürgertum zum Reisen, Entdecken und Erforschen herausfor-derte. Stefan Oswald beschreibt diese Entwicklung wie folgt: 222 Die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert bildet die Epoche, in der der Be-griff der Italieni -sache zunächst in den sich wandelnden Reisegewohnheiten. Aus der Peri-pherie, in der Italien für die aristokratische Kavalierstour lag, rückte das Land jenseits der Alpen ins Zentrum der Aufmerksamkeit eines neuen Ty-pus von Reisenden;; nicht mehr Herren von Stand, sondern gebildete Bürger stellten das Gros der Italienreisenden. 223 220 Beller 2007, 5. 221 recht detaillierten Überblick über die Hintergründe der Entstehung des deutschen Italienerbilds seit Beginn der Neuzeit sowie über die Literatur zu diesem Thema. Siehe dazu Münch 2004. 222 Der Historiker Jens Petersen sieht hinsichtlich der gegenseitigen Wahrnehmung insbesondere die Zeit nach 1870, also sowohl die Einheit Italiens als auch die deut-- [i.e. der Einheit Italiens sw] war das neue nationale Gehäuse gezimmert, und in der öffentlichen Meinung beider Länder begann man, die neuen Räumlichkeiten mit dem überkommenen alten Mobiliar der Meinungen und Überzeugungen auszustatten. Hier kamen lang tradierte völkerpsychologische und charakterologische Urteile wie-der zum Tragen, die durch die Jahrzehnte politischen Umbruchs entwertet zu sein 223 Bürgerstand in die Tradition der Kavaliersreisen und schnitt das Ideal des Weltman-nes, das sich immer mehr veräußerlicht hatte, auf seine bürgerlichen Bedürfnisse <?page no="72"?> 72 Italien stellte um 1800 wegen seiner tief in der Antike verwurzelten Kultur für das Bildungsbürgertum das ideale Reiseland dar, 224 das zudem durch infrastrukturelle Veränderungen und Innovationen, beispielsweise durch 225 , kontinuierlich leichter zu erreichen war. Das gesteigerte Interesse an Italien fand seinen Niederschlag in einer Vielzahl von literarischen Schriften. 226 Johann Wolfgang von Goethes (1749--1832) autobiografischer Reisebericht, seine Italienische Reise aus den Jahren 1816/ 17, ist heute wohl das bekannteste Beispiel dafür. Aber auch andere Reisebeschreibungen trugen ihren Teil zur zeitgenössischen Italien-begeisterung bei. 227 Doch nicht nur das: In diesen Berichten und in den parallel zum Reisephänomen entstehenden Reiseführern, unter anderem von Baedeker 228 , wurde durch die Autoren ein selektives, subjektives Bild von der italienischen Kultur, dem Land, den Menschen sowie den vorherr-schenden Sitten und Bräuchen gezeichnet. So manifestierten sich diverse Stereotype von Italien und seinen Bewohnern, die sich wiederum durch ihre massenhafte Verbreitung und Rezeption durch die Leser im kulturel-len Gedächtnis der deutschen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts veranker-ten. Die Reisebeschreibungen und --führer stellen daher bis heute einen reichen Quellenschatz dar, da sie im Zuge der nachhaltigen Beschäftigung mit der Fremdkultur gleichzeitig Rückschlüsse auf die Eigenkultur zulas-sen, wie Oswald anmerkt: Der Blick auf die Fremde gibt immer auch über den Beobachter und Be-richterstatter Auskunft, und so erscheint hinter dem, was deutschen Rei-senden an Italien bemerkenswert schien, zugleich auch ein Bild Deutsch-lands. 229 Vor dem Hintergrund dieses Gedankens einer Selbst--Spiegelung anlässlich der Verhandlung der Fremdkultur soll im Folgenden ein eingehender Blick auf das Italien(er)bild im ausgehenden 19. Jahrhundert geworfen werden. 224 Siehe Kuhn 1966. 225 Oswald 1985, 7. 226 Siehe Egger 2006. 227 Reisen eines Deutschen in Italien (1792/ 93), Johann Gottfried Seumes Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802 (1803), Wilhelm Müllers Rom, Römer und Römerinnen (1820), Heinrich Heines Reisebil-der (1830), darin Die Reise von München nach Genua Wanderjahre in Italien (1856 1877) zu nennen. Bei diesen Reisebeschreibungen handelt es sich allerdings nur um eine Auswahl. Zu den Reisebeschreibungen siehe Oswald 1985. 228 Siehe Oswald 1985. 229 Oswald 1985, 9. <?page no="73"?> 73 3.2 Italien im deutschen Diskurs Das Phänomen der deutschen Italien--Begeisterung, die insbesondere den Bürgern respektive der bürgerlichen Elite das südeuropäische Land zum eskapistischen Sehnsuchtsort werden ließ und ein großes Interesse an seinen Einwohnern sowie der dort herrschenden Kultur offenbart, ist in Deutschland seit dem 18. Jahrhundert zu beobachten. 230 Dieses besondere Verhältnis der deutschen Eigen-zur italienischen Fremdgruppe soll hier 231 sonst eher eine Haltung von europäischen gegenüber außer-europäischen Kulturen beschreibt, ist seine Verwendung in diesem Kontext aufgrund zweier Aspekte gerechtfertigt: Zum einen lässt sich trotz der Faszination für das südeuropäische Land und seine reiche Geschichte, in der man sich selbst bis zu einem gewissen Grad verwurzelt sah, ein Gefühl der Überlegenheit bei der deutschen Eigengruppe gegenüber den Mitglie-dern der italienischen Fremdgruppe feststellen, wenn auch nicht in dem Maß, wie es afrikanischen, südamerikanischen oder anderen sogenannten Fall gewesen wäre. Dies kann man sowohl -kunst und ihren Vertretern veranschaulichen, wie es in den folgenden Kapiteln geschehen wird. So funktionierte auch die Abgrenzung des deutschen Autostereotyps vom italienischen Heterostere-- 232 , einem für den Exotismus typischen Vorgang. 230 Eskapistische Tendenzen hinsichtlich Italiens finden sich in Deutschland auf ganz unterschiedlichen Gebieten weit bis ins 20. Jahrhundert. So soll an dieser Stelle nur -- und 1960er--Jahren, auf die sogenannte -- --Musik der 1970er-- und 1980er--Jahre oder -sen werden. Doch nicht nur das: Sowohl in der Hoch-als auch in der Populärkultur findet nach 1945 eine breit gefächerte Auseinandersetzung mit Italien statt, auf die hier allerdings nicht näher eingegangen werden kann. Zur Verhandlung Italiens auch in der deutschen Populärkultur siehe u.a. Egger 2006;; Kindler/ Siebenmorgen 1997;; Locher 2010. 231 des von Europa ausgehenden epistemologischen Imperialismus, der sich v.a. auf Kulturen in Afrika, Asien und Südamerika be er verweist vielmehr auf ein Interesse an Kulturen (auch innerhalb Europas, vielleicht sogar innerhalb der Grenzen des Deutschen Reiches), die von der deutschen Eigen-sich eine Faszination, gepaart mit leichtem Misstrauen, entwickelte. 232 Horatschek 2004, 167. <?page no="74"?> 74 Zum anderen wird im deutschen Diskurs eine große Faszination für die gewisse Begehrensstrukturen innerhalb der deutschen Gesellschaft des ausgehenden 19. Jahrhunderts ansprach, welche im Verlauf der vorliegen-den Arbeit anhand von Beispielen dargestellt werden sollen. Demnach diente die Beschäftigung mit der italienischen Fremdkultur nicht allein der Abgrenzung der deutschen Eigenkultur zum Zweck einer nationalen Selbstaffirmation;; vielmehr macht die diskursive Verhandlung Italiens und rellen Entwicklungen als auch das Bedürfnis der deutschen Eigengruppe nach einer Öffnung über die nationalen und eigenkulturellen Grenzen hinweg sowie den Wunsch nach internationaler Geltung deutlich. 3.3 Ein Stereotyp deutschen Diskurs gezeichnet? Ein Beispiel für eine kulturgeschichtlich orientierte, inhaltlich sehr breit aufgestellte Abhandlung zum Thema ist das im Jahre 1879 erschienene Buch Italien. Ansichten und Streiflichter von Victor Hehn (1813--1890). In ihm gibt der Kulturgeschichtler einen Abriss über die historische und zeitgenössische politische sowie wirtschaftliche Sitten und Bräuchen und dies ist im Kontext der vorliegenden Arbeit besonders interessant genschaften, -bei entwirft allgemein gesprochen ist der Mensch in Italien von schönerer, edlerer Race als der german 233 Hehn erkennt einen grundlegenden Unterschied zwischen Deutschen und Italienern: Man hat für den Gegensatz beider Völkergruppen die richtige, nur abstracte Formel überwiegenden Wesens auf der einen, vorwaltender Form auf der andern Seite aufgestellt, aber geschichtlich angesehen löst sich derselbe in der realen von Natur und Kultur auf. 234 Auf der Grundlage einer von ihm vertretenen historischen Herleitung Kontinuität auszeichnendes, klares Auto-sowie Heterostereotyp: Dem igen Zuord-- 233 Hehn 1992, 80. 234 Hehn 1992, 105. <?page no="75"?> 75 nung greift Hehn auf eine auf dem kartesianischen Dualismus von Geist und Körper basierende, im 19. Jahrhundert auch in anderen Kontexten, beispielsweise im diskursiven Zusammenhang der Unterscheidung zwi-schen Mann und Frau, oft bemühte Gegenüberstellung von Kultur und Natur zurück. 235 Auf dieser Grundlage aufbauend weist er den beiden -dern auch eindeutige Charakteristika. Der Gynäkologe Carl Heinrich Stratz (1858--1924) nimmt in seinem aus heutiger Sicht äußerst rassistisch anmutenden Werk Die Rassenschönheit des Weibes (1901) eine ähnliche Cha schreibt: Was den eigenthümlichen Reiz Italiens ausmacht, das ist die Seele der ver-schwundenen Zeit von Kunst und Schönheit, die sich nicht nur in den künstlerischen Darstellungen, sondern im Charakter des ganzen Landes und seiner Bewohner erhalten hat. Zu diesem kostbaren Erbe gehört der allen Italienern angeborene Sinn für das malerische Schöne. Unter anderem äussert er sich darin, dass der eigene oder ein fremder Körper in nacktem Zustand nicht gleichgültig lässt, wie bei den niederen Rassen, und auch keinen sinnlichen Eindruck ausübt, wie bei vielen übercivilisirten Völkern des nördlicheren Europas, sondern einen rein künstlerischen und natürli-chen. 236 -funden würde, führt Stratz auf ein allen Italienern vererbtes Charakteristi-- Wesenszug somit in einen pseudo--biologistischen, evolutionären Zusam-- 237 235 Dazu siehe beispielsweise Bab 1915. 236 Stratz 1901, 252--253. 237 Begriff weist eine Prob kret definierte Idee, die soziale Begeh-rensstrukturen widerspiegelt (siehe Heeg 2000). Die Theaterwissenschaftlerin Doris seiner polaren Oppositionen wie Künstlichkeit, Artifizialität oder auch geschichtli-- N[atürlichkeit] aus systematischen Gründen begrifflich definiert werden können, kann nur rekonstruiert werden, was in unterschiedlichen Epochen jeweils als natür-lich konzeptualisiert, diskursiviert und symbolisiert wurde, von welchen historischen Praktiken und Techniken dies beeinflusst war und vor dem Hintergrund bzw. im Dienste welcher Ideologien, Machtinteressen, Normen und Wertvorstellungen dies Vor diesem Hintergrund muss auch die Verhandlung mit ihrer Schauspielkunst, betrachtet werden. Entsprechend wird schen Kontext eingebettet und immer <?page no="76"?> 76 vom Autor hier Sinn für das Künstlerische Leser des Buches als stereotype Eigenschaft etabliert. der Referenz auf die Vererbung gleichzeitig Willkür, Unberechenbarkeit und Unkontrollierbarkeit impliziert, wird auch das Stereotyp vom italieni-schen Temperament begründet. Über dieses schreibt Hehn: [A]n Tiefe der Empfindung fehlt es dem Italiener nicht -hend, zerschmilzt in Zärtlichkeit, begehrt, verzehrend, ist betrübt, zum Tode, jauchzt himmelhoch, spielt in übermüthiger Laune und alles dies drückt er in Geberden und Blicken, in seiner melodiösen Musik und deren Vortrag aus. 238 -perlichen seinen Ausdruck: Sprache und Gesang, vor allen Dingen aber Mimik und Gestik werden zu Instrumenten extremer Gefühlsbezeugung. Die besonders expressiven Gemütsäußerungen führt der Autor auf die Konstitution des Körpers zurück. Er schreibt: Das italienische Knochengerüst ist feiner als das deutsche;; reineres Gleich-gewicht trägt jeden Theil;; elektrisch blitzartig zuckt jede Lebensregung, jede Gemüthsaffektion durch das Nervennetz und die Muskelfaser. 239 -grund und Bedeutung nicht erläutert werden, begünstigen also den hefti-gen Gefühlsausbruch aufgrund ihrer gröberen körperlichen Konstitution gar nicht fähig sein können. Mit dieser der Eigenkultur zugeordneten Unfähigkeitsbekundung as italie-- -schreibt. So heißt es: [D]er Italiener ist im Vergleich mit dem lymphatischen Deutschen ein emp-findlich reizbares, heissblütiges, heftig begehrendes und verabscheuendes Geschöpf. Völlig fremd ist ihm das deutsche Philisterium, ganz undenkbar das Temperament jener phantasielosen und wohlmeinenden Söhne der Gewohnheit, die mit allen Tugenden der Gewöhnlichkeit ausgestattet, eh-renwerth durch Mässigkeit der Ansprüche, langsam in der Auffassung, sich bescheidend in dürftigem Auskommen, die von den Vätern überkommene wieder mit einem vergleichenden Blick auf die deutsche Gesellschaft des Kaiserrei-ches gedacht. Um sowohl die Relativität als auch die fehlende Definierbarkeit zu Arbeit daher in halbe Anführungszeichen gesetzt. 238 Hehn 1992, 103. 239 Hehn 1992, 82. <?page no="77"?> 77 Last bürgerlicher Vorurtheile mit rührender Geduld ihr Leben lang weiter-schleppen. 240 241 äußert der Autor hier deutlich Kritik an der zu nischen Temperaments. An dieser Stelle Ein übermäßiges Ausleben oder gar ein offenes Zurschaustellen von Ge-fühlen gehörte nicht zur geordneten bürgerlichen deutschen Lebenswelt im ausgehenden 19. Jahrhundert. Hier herrschten klare Regeln und Nor-men, 242 auch für Gefühlsäußerungen, und jeder Verstoß dagegen wurde missbilligt oder bestraft: Alle Bürger haben die nicht--esoterischen Folgen der Bildungsorientierung der Bildungsmenschen übernommen, den Umgang mit Wissenschaft und ästhetischer Kultur z.B., [sic! ] die Hemmungen, die Verhaltenheit der Emo-tionen und die Unmittelbarkeit. 243 damit zu-sammenhängend auch die Unterdrückung von Emotionen wurden von Hehn als zu restriktiv und normiert empfunden. Die italienische Kultur, in der Gefühle ohne Scham und gesellschaftlichen Druck ausgelebt und ge-zeigt werden durften, stellte dagegen eine Befreiung aus dieser begrenzen-den Situation dar und so wurde Italien zum eskapistischen Sehnsuchts-ort. 244 -perlichen Konstitution als -scheiden, hatte der Reisebuchautor 240 Hehn 1992, 86. 241 Das --Lexikon aus dem J schaffenheit mit schlaffem, schwammigem Aussehen, gedunsener Haut 242 hen Lebensführung gehörten Sauberkeit und spezifische Kleidung, wohl definierte Tischsitten und an-dere Konventionen, auch der Sinn für symbolische Formen und für die ästhetische 243 Nipperdey 1994, 393. 244 Friedrich Carl Butz macht den Unterschied zwischen den gehemmten Emotionen -- -- -henden 19. Jahrhunderts in vollem Umfang übernehmenden Buch Italiener deutlich. Das stundenlange stumme Zusammenstehen, das verliebte wortlose Zusammen-schlendern mit umschlungenen Armen ist unbekannt. Hier unten reden die Verlieb-ten. Aber sie reden nicht von Liebe, sondern von tausend Nichtigkeiten. Dazwischen die augenscheinliche Überheblichkeit des Autors. <?page no="78"?> 78 Johann Ferdinand Neigebaur (1783--1866) bereits ca. 40 Jahre vor Hehn geäußert. Das kann als Beweis dafür gewertet werden, wie fest dieser Ge-danke offensichtlich im kollektiven Gedächtnis verankert war. So schreibt Neigebaur in seinem Handbuch für Reisende in Italien aus dem Jahr 1840, die -ßeres Empfindungsvermögen als die n 245 . Auch Neige-- -- Er grenzt es ab von der Eigengruppe, die er hier mit dem Sammelbegriff e Euro italienische Gemüt schon bei Neigebaur eine positive Bewertung. Und -- -tzlich herabgesetzt. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass den Italienern ganz allgemein, aber auch verallgemeinernd, eine gesteigerte Neigung zur Kunst, jedoch ohne Künstlichkeit, eine große Be Gestik, eine intensive Körperlichkeit im Ausdruck auch im Alltag und ein stark ausgeprägtes Temperament als stereotypische Charakteristika zuge-wiesen wurden, 246 die auf die deutsche Eigengruppe, zumindest sehen dies , weil exotisch, manchmal sogar bewundernswert wirkten. 3.3.1 Das Italienerbild prägende zeitgenössische Vorurteile Allerdings gewannen nicht alle zeitgenössischen Autoren dem bei Hehn und Neigebaur in Abgrenzung zur Eigenkultur positiv dargestellten Stere-onalen Italieners so viel Gutes ab. Als den bei ihnen negativ bewertet und somit in ihrer Beurteilung emotional aufgeladen: Es entstan-- -pischen Vorstellungen im kollektiven Gedächtnis der deutschen Gesell-schaft des ausgehenden 19. Jahrhunderts absetzten. Diesen Vorgang 245 Neigebaur 1840, 41. 246 All diese Eigenschaften sprach man den Bürgern in der deutschen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts so nicht zu;; vielmehr galt für diese die Vorgabe eines bescheidenen, ruhigen Auftretens in der Öffentlichkeit. Die berühmten Schauspielerpersönlichkei-ten des späten 18. und 19. Jahrhunderts stellen dahingegen eine Ausnahme dar: Ih-um Exzess zugestanden, wie Richard Sennett angibt, wenn er (nicht auf den deutschen Gestalt in der Öffentlichkeit wurde, zum einzigen, der in der öffentlichen Sphäre in an <?page no="79"?> 79 kritisierend zählt Hehn einige der herrschenden Vorurteile beispielhaft auf, indem er auf die Urheber dieser Ressentiments verweist. So schreibt er, -- und Zeitungsschreiber -- und rachgierige, zu fauler Bettelei geneigte, abergläubische, schmutzige, indo-- 247 -ten und Bücher-urteile über ihre Schriften und Berichte kolportierten, macht Hehn deutlich, dass er sich über die Möglichkeiten der Einflussnahme durch die Autoren wie auch über die Macht des geschriebenen und gedruckten Wortes sehr wohl im Klaren ist. Er erkennt, dass die Verfasser von Schrifttum nicht nur den einzelnen Leser und dessen individuelle Vorstellungen, sondern vor allem das kollektive Bewusstsein prägen. So verwundert es nicht, dass sich sein eigenes Buch an der einen oder anderen Stelle wie eine rehabilitierende, das Ansehen wiederherstellende Rechtfertigungs-für Italien und Wie unreflektiert und selbstverständlich die absurdesten Vorurteile ge-- , Ethnien und Natio-nen geäußert wurden, soll das folgende Beispiel verdeutlichen. Es handelt sich hier um einen Ausschnitt aus einem Artikel, der im Jahre 1894 in dem deutschen Freizeitmagazin Fürs Haus erschien. Dort heißt es: Die Deutschen haben die meisten guten Eigenschaften anderer Völker und sehr viele, die Jene überhaupt nicht besitzen. Sie sind treuherziger und ehr-licher als die Slaven, gebildeter als die Franzosen, besonnener, ausdauern-der und fleißiger als die Spanier und Italiener, geistig begabter (den Ge-schäftsgeist vielleicht ausgenommen) als die Engländer. 248 Dieses Zitat exemplifiziert einen scheinbar einfachen Mechanismus. Zum Zweck der Erfindung einer eigenen deutschen Identität sowie zu deren Aufwertung und Stärkung wird auf allgemein als typisch geltende, dem-entsprechend auch vermeintlich allen Lesern bekannte Nationalcharakte-ristika zurückgegriffen. Durch die Verwendung des Komparativs zu-gunsten der Eigengruppe erfolgt nicht nur eine Abgrenzung von den Fremdgruppen, sondern auch die Akzentuierung der eigenen Dominanz diesen gegenüber. Die verwendeten nationalen Stereotype und nationalis-tischen Vorurteile erhalten damit eine identitätsstiftende und affirmative --Gruppe. 247 Hehn 1992, 89. 248 Anonymus 1894, o.S. <?page no="80"?> 80 3.3.2 -schen Vorstellungen geprägtes Bild. Dabei steht deren Physiognomie im Vordergrund, die meist unter dem Gesichtspunkt der Attraktivität be-große, als exotisch empfundene Schönheit zugeschrieben. Der Schriftsteller Curt Moreck (alias Konrad Haemmerling;; 1888--1957) gibt in seinem 1925 erschienenen Werk Das weibliche Schönheits--Ideal im Wandel der Zeiten an: dem Westen schon seit Jahrhunderten den Ruf, die schönsten Frauen zu 249 Auch Stratz teilt diese Meinung, wenn er schreibt: Trotz des Vorzugs, den die Italiener selbst den Merkmalen der nordischen Rasse geben, bleibt der echt italienische Frauentypus doch einer der schönsten, der besteht;; sowohl im Körperbau als in der Gesichtsbildung er-reichen die Italienerinnen die höchste Stufe weiblicher Schönheit und zwar in verhältnismässig viel grösserer Anzahl als die Frauen der meisten ande-ren Länder. 250 Stratz unterstreicht die vorgeblich herausstec -hauptet eine vergleichsweise höhere Anzahl an schönen Frauen in Italien im Gegensatz zu anderen Ländern. Die Einschränkung, die der Autor zuvor allerdings macht, indem er darauf verweist, die Italie-ner selbst -- -mehr wird impliziert, das -funktioniere auch unter umgekehrten Vorzeichen. -tion zurückblicken kann, zeigt einmal mehr eine Aussage Neigebaurs. So ist bei ihm zu lesen: 249 Moreck 1925, 277. 250 Stratz 1901, 271. Stratz betont den höheren Anteil an schönen Frauen in Italien bereits an einer früheren Stelle i auch ausserhalb Italiens, wenn auch viel (Stratz 1901, 252.) Derselbe Autor äußerte diese Einstellung bereits ein Jahr zuvor in seinem Buch Die Schönheit des Weiblichen Körpers dort allerdings etwas präziser und -derswo das Schöne ringsum auf der Strasse, man muss es suchen und darf dabei die Geduld nicht verlieren. Unzweifelhaft besitzt Italien sehr viel mehr Schönheit als die meisten anderen Länder, vollendete Schönheit ist aber hier wie dort eine grosse Sel-tenheit. Volkmann fand wenige schöne Frauen in Rom, viel mehr in Neapel und Ve-nedig. Ich habe bei meinem Aufenthalt in Italien den Eindruck bekommen, dass überhaupt in Süditalien die weibliche Schönheit äusserst selten ist, dass dieselbe je-- --253. <?page no="81"?> 81 Im Ganzen genommen wird Italien von einem schönen Menschenschlage eine schöne Nase, eine ausgezeichnete Büste, eine zarte weiße Haut, sowie üppige und schöngeformte Glieder aus. 251 Ähnlich positiv wie Neigebaur schildern auch andere Autoren das Ausse-- -rischen Reiz der südländischen Farben, die mattgelbe, sammetartig glän-zende Haut, die dunkelroten Lippen, die blauschwarzen Haare und die weissen Zähne. 252 -sehen der Frauen eng mit ihrer geografischen Herkunft verknüpft: In sei-nen Augen spiegelt sich der Herkunftsort der Frauen im charakteristischen bereits beschriebene, im kollektiven Bewusstsein der Zeit vorherrschende Natur sowie die für die Italiener als (stereo-- -hier nicht nur in Gestik und Mimik, sondern sogar in ihrem äußeren Erscheinungsbild. Dies wird vom Autor noch einmal aus-drücklich betont, wenn er schreibt: Selbst in den photographischen Aufnahmen zeichnen sich die Italienerin-nen durch ihre natürliche Ungezwungenheit vor anderen Frauen aus;; schön oder hässlich, bekleidet oder nackt posiren sie nicht, sondern sind einfach da, als ob es nicht anders sein könnte. 253 -treten und Han Subjekt dominierenden Konstanten, nicht nur im Aussehen, sondern im gesamten Wesen. -auch in der Wahl der Kleidung. Diese sei, so behauptet er, vergleichsweise schlicht: Ist es blosser Zufall, dass gerade die Italienerinnen dafür bekannt sind, dass sie die wenigste Sorge auf ihre Kleidung verwenden? Die Spanierin ziert sich mit dem kostbaren Spitzenschleier, der Ungarin geht nichts über das elegante Stiefelchen vom feinsten Leder, die Französin erschöpft sich in den reizvollsten Zusammenstellungen ihrer duftigen Toilette, die Italienerin 251 Neigebaur 1840, 42. 252 Stratz 1901, 267. 253 Stratz 1901, 254. <?page no="82"?> 82 aber ist das, was man in Frankreich fagottée [i.e. unmodisch sw] nennt;; sie wirft ein buntes Tuch um, steckt eine rothe Nelke ins Haar und ist fertig. 254 -- 255 wütete, in der das Thema der eleganten, oftmals als zu extrava-gant und unpraktisch, zu überbordend bewerteten Kleidermode (nicht nur in der deutschen Gesellschaft) ein überaus präsentes war, 256 die Diskussio-nen über die Hygiene der Straßenschleppe und die Praktikabilität des Kor-setts weite, sogar internationale Kreise zogen, 257 erscheint die von Stratz behauptete Schlichtheit, mit der sich die Italienerinnen im Gegensatz zu Frauen anderer Nationalitäten kleideten, fast rückständig. Das Schmücken der Haare mit der Nelke (statt einer aufwendigen modischen Steckfrisur) der Italienerinnen gelesen werden. Vor dem zeitgenössischen Hintergrund wirkt der Schmuck mit der Blume geradezu naiv. Kleides scheint Zeugnis weder von modischem Geschmack noch von Gespür für die zeitgenössische Mode abzulegen, sondern verleiht der Klei-dung eher den Anschein einer Tracht 258 -stellt, als würde sie die modischen Bestrebungen des ausgehenden 19. Jahrhunderts durch die beschriebenen eigenwilligen Reduzierungen un-terminieren, geradezu boykottieren. Das aber ist ein Trugschluss, denn wie überall in Europa, so herrschte auch in Italien ein großer Moderummel und die Frauen blickten nach Paris, um sich an den Kleidertrends zu orientie-ren. Das Bild, zusammenhängende Idealisierung der volkstümlich--einfachen Frau, die betonen, geht an der zeitgenössischen Realität vorbei. Es macht aber ein auf -- 254 Stratz 1901, 267. 255 Siehe Lessing 1884. 256 Folgende Veröffentlichungen (in Auswahl) erschienen im letzten Drittel des 19. sowie den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts und setzten sich mehr oder weniger wissen-schaftlich nander: Elster 1913;; Kleinwächter 1880;; Les-sing 1884;; Simmel 1905;; Sombart 1902;; Vischer 1878;; Vischer 1879. Zum Thema .a. auch Bertschik 2004;; Köhle--Hezinger/ Mentges 1993;; Leh-nert 2000;; Watzka 2011, Westphal 1992. 257 Siehe u.a. Cunningham 2003;; Ober 2005;; Stamm 1976. 258 tragen und bedeu-- -bezeichnet und zuweilen sogar von ei-ner Mode--T. im Unterschied zu Standes--T. Trageweise einheitliche Kleidung einer Gruppe, geprägt durch einen gemeinsamen abgeschwächt Details des modischen Gewandes auf und reprä Loschek 1988, 454--455. <?page no="83"?> 83 mit zusammenhängendes Bedürfnis nach Volkstümlichkeit in der deut-schen Gesellschaft der einsetzenden Moderne deutlich. 259 cht an der aktuellen Mode inte-- Beschreibung von deren Kleidung: Ich glaube, dass die gesuchte Einfachheit der Kleidung, die ausser bunten Farben jede Kunst verschmäht, kein blosser Zufall ist. Es scheint mir da-runter ein gewisses Selbstbewusstsein der eigenen Schönheit verborgen zu sein, die weiss, dass fremde Zuthat unnöthig ist, dass Kleider ihre Reize wohl verbergen, aber sie nicht erhöhen können. Nur der Farbreiz des Kör-pers kann durch bunte Farben der Umgebung noch erhöht werden. 260 Unterstützung noch gesteigert werden kann. 261 Aufgesetzter Putz, wie ihn Frauen anderer Nationalitäten zu ihrer Verschönerung verwenden, würde -den. der deutschen Eigengruppe vorherrschenden Schönheitsidealvorstellun-gen 262 konterkarierte, impliziert gleichzeitig den immer wieder auftreten-eine Alterität, die zwar das Interesse des Autostereotyps hervorrufen sollte, mit der Realität aber nur sehr bedingt etwas zu tun hatte. In einer Zeit ge-sellschaftlicher Normierungen und Restriktionen, die auch den (weibli-chen) Körper in eine enge soziale Schablone pressten, musste eine solche, vom strengen Modediktat gelöste Freiheit wie die hier behauptete einen besonderen Reiz haben. -dern generell allen Italienern zugeschrieben wurde, 263 kommt ein unter-- 259 Marx zeigt ein ganz ähnliches Phänomen auf: Am Beispiel des, wie Marx es nennt, Jahrhundert einsetzenden Begeiste-rung vor allem der Berliner Stadtbevölkerung für den Alpinismus, und seinem Nie-derschlag u.a. im Theater wie im Film wird der Wunsch nach nostalgischer Verklä-- (Marx 2008, 231) deutlich. Siehe Marx 2008, 202--250. 260 Stratz 1901, 267. 261 sich in der Physiognomie der Italienerinnen widerspiegeln, erinnert. 262 Einen Überblick über die Kleidung im ausgehenden 19. Jahrhundert gibt das Werk Menschen und Moden im 19. Jahrhundert von Max von Boehn. Siehe Boehn 1963. 263 ordnete man dem Land doch eher die Natur zu eine an sich paradox erscheinende Situation. <?page no="84"?> 84 schwelliges Begehren nach etwas Volkstümlich--Autochthonem, das den Menschen in Italien gewissermaßen auf den Leib geschrieben wurde, zum --Gebliebe Gleichzeitig wird diese jedoch durch die Überheblichkeit von Teilen der deutschen Eigengruppe untergraben, die auf einem anmaßenden Fort-schrittsgedanken der italienischen Kultur gegenüber basierte. Dieser Dualismus lässt sich darauf zurückführen, dass hier sowohl modernisti-sche als auch anti--moderne Strömungen aufeinandertrafen, die gleichzeitig als Phänomene im Kaiserreich existierten. Der Wunsch, der Moderne, der Schnelligkeit und Schnelllebigkeit, der Urbanität sowie dem Verlust der Traditionen einen alternativen Entwurf entgegenzustellen, war insbeson-dere eine urbane Erscheinung und daher vor allem in der deutschen Hauptstadt Berlin vorhanden. Marx beschreibt dieses Phänomen anhand der großen Popularität des bayerischen Volkstheaters im ausgehenden 19. nti-schen, autoch In einer neuen Welle des Interesses am bäuerlichen Leben seit der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde[n] der ländliche Raum und das Bild der Natur zu einem der Stadt als Inbegriff von Veränderung und Modernisierung entge-gengesetzten Sehnsuchtsort. 264 Dennoch sind unter dem Deck h-- -ren, der bayerischen sowie der italienischen, zu erkennen. Beide wurden zu Gegenentwürfen zur (urbanen) deutschen Kultur stilisiert und durch den antimodernen Wunsch nach Entschleunigung, nach Volkstümlichkeit und Traditionsverbundenheit (ästhetisch) überformt. 265 wurde zum immer wiederkehrenden Schlagwort sei es in Bezug auf die -- -- -pisch beschriebenen Physiognomie. Auch die Verhandlung des italieni-- 264 Marx 2008, 208. 265 Dass man Italien als besonders traditionell wahrnahm, ist, insbesondere aus politi-scher Perspektive betrachtet, natürlich falsch. Wie das Deutsche Reich, so wurde auch Italien nach vielen Jahren des Risorgimento erst im Jahre 1870 endgültig ge-gründet. Diese Einschätzung geht viel eher auf die kulturellen Traditionen zurück, die man Italien zuschrieb eine ähnliche Entwicklung, wie sie für das Deutsche Reich bereits in der Einleitung gezeigt wurde. <?page no="85"?> 85 in den folgenden Kapiteln aufzuzeigen gilt. <?page no="86"?> 86 4. Schauspielkunst Im ausgehenden 19. Jahrhundert wurden unter Rückgriff auf die vorherr-schenden Stereo ihre Schauspielkunst betrachtet und bewertet. Dabei entstand zwar die diesem gezeichnet wurde, war jedoch weder sonderlich präzise noch wirk-lich einheitlich. Der Zweck einer solchen Verallgemeinerung schien ledig-lich zu sein, die italienischen Akteure unter einem Oberbegriff zusammen-zufassen. Dies sollte die Vergleichbarkeit mit den einheimischen Bühnendarstellern ganz allgemein ermöglichen. Damit schlüpften die itali-enischen Schauspieler gleichsam in die Rolle von Repräsentanten ihrer Herkunftsnation oder gerieten zu Vertretern der, wie es in der zeitgenössi-eine Entwicklung, die im Folgenden näher untersucht werden soll. Untersuchung rückt und am Beispiel der vier großen Virtuosen des 19. Jahrhunderts, Adelaide Ristori (1822--1906), Ernesto Rossi (1829--1896), Tommaso Salvini (1829--1915) und Eleonora Duse untersucht wird, soll zunächst ein Blick auf die Theatersituation in Italien, die Organisations-strukturen und das italienische Publikum sowie die Bewertung derselben Faktoren im deutschen Diskurs geworfen werden. 4.1 Die Verhandlung des italienischen Theaters im deutschen Diskurs 4.1.1 Das Theater in Italien Die hier erfolgende Betrachtung des italienischen Theaters im ausgehenden 19. Jahrhundert unter Rückgriff auf zeitgenössische Schriften hat die Auf-gabe, eine auffällige Diskrepanz im deutschen Theaterdiskurs zu verdeutli-chen;; das italienische Theater wurde im Deutschen Reich nämlich überaus zwiespältig betrachtet und beurteilt. So versah man die international be-kannten und berühmtesten Vertreter, Ristori, Rossi, Salvini und Duse, Können und der Kunstfertigkeit schrieb man einerseits Fortschrittlichkeit und Innovation zu;; andererseits erkannte man, dass die italienischen Akteure eine erfolgreiche Schauspielkunst beherrschten, die man in eine bereits jahrhundertealte Traditionslinie stellte. Entsprechend betrachtete man sie als gute Vorbilder für die heimischen Bühnenkünstler, deren Spiel <?page no="87"?> 87 viele nur mäßig schätzten. Die allgemeine Theatersituation in Italien jedoch erfuhr nur selten Beachtung. Anders als beispielsweise das englische oder französische Theater, denen man sich oft widmete und die, auch wenn man sie nicht zwingend positiv bewertete, trotzdem als Orientierung dienten, 266 spielte das italienische eine periphere Rolle. Wenn es Erwähnung fand, dann hauptsächlich, um seine negativen Eigenschaften herauszustellen. Allerdings spiegelten die Defizite, die man im Theater Italiens erkannte, insbesondere die auf struktureller Ebene, zahlreiche Schwierigkeiten wi-der, die man in den vielen um 1900 erschienenen Streitschriften und ande-ren kritischen Veröffentlichungen zum Theater auch hinsichtlich der eige-nen, deutschen Bühnen und ihrer Lage beschrieben findet. Dies führte zu einer abstrusen Situation: Bei dem Versuch, das deutsche Theatersystem in ein positiveres Licht zu rücken, indem man das italienische häufig auf recht undifferenzierte Weise negativ darstellte, unterminierte man seine eigenen Argumentationslinien;; denn indem man Probleme, die man in Italien erkannte, aufdeckte, machte man die eigenen wenn auch ohne Absicht umso deutlicher. Demzufolge fungierte die Verhandlung des italienischen Theaters als Spiegel für die Situation im Deutschen Reich, wie im Folgenden aufgezeigt werden soll. Richard Nathanson (auch Richard Norton;; 1855--? ), ein Schriftsteller, Über-setzer und Kenner des italienischen Theaters, beschreibt in seinem 1893 erschienenen Werk Schauspieler und Theater im heutigen Italien, einer der wenigen zeitgenössischen Veröffentlichungen, die sich dezidiert mit dem Thema auseinandersetzen, die dortige Bühnensituation wie folgt: In Italien giebt es keine ständigen Theater. Jede Stadt besitzt eine Anzahl prächtiger Theatergebäude, aber diese Häuser, welche teils den Städten selbst, teils Privatleuten gehören, haben keinen Direktor und keine Schau-spieltruppe. 267 Die Auftritte der wandernden Schauspieltruppen waren nach dem Sta-gione--Prinzip organisiert. Dies bedeutete, dass sich ein Impresario mit seinem Ensemble für eine begrenzte Zeit, manchmal nur für Tage, seltener für Wochen oder gar Monate, in stehende Theatergebäude einmietete. Den Zuschauern der jeweiligen Städte boten sie dabei ein auf nur wenige Insze-nierungen reduziertes, standardisiertes, sich an den Bedürfnissen des Pub-likums einerseits, an den personellen Kapazitäten und der Truppengröße andererseits orientiertes Repertoire. Hatten sie keinen Erfolg mehr oder 266 Bühne und Welt erschienen, genannt werden. 267 Nathanson 1893, 77. <?page no="88"?> 88 war der Vertrag mit dem Verpächter abgelaufen, reiste die Truppe in eine andere Stadt weiter und mietete sich dort in einem Theater ein. Dieses System galt den deutschen Kritikern als größter Stein des An-stoßes und Hauptgrund für die Ablehnung des Theaters in Italien, vor allem weil man es nicht mehr als zeitgemäß ansah. War im deutschspra-chigen Raum seit dem 18. Jahrhundert und den bürgerlich--emanzipatori-schen Kulturbestrebungen ein System von stehenden Theaterbauten mit fester Direktion und saisonal gleichbleibendem Ensemble auf dem Vor-marsch, 268 so dominierte in Italien im 19. Jahrhundert das Wander-truppenwesen. 269 Allerdings gilt es zu bedenken, dass es bis ins 19. Jahr-hundert hinein auch in Deutschland wandernde Schauspieltruppen gab und sich diese Situation erst mit der Etablierung privater Schauspielhäuser oder Stadttheater, vor allem im Zuge der Gewerbefreiheit von 1869 res-pektive 1871, grundlegend änderte. 270 Das italienische Wandertruppensys-tem wurde im Deutschen Reich jedenfalls nicht ohne Überheblichkeit häufig vor allem aus zwei Gründen als rückständig oder gar schlecht beurteilt. Zum Ersten konterkarierte die italienische Praxis den Wunsch nach ei-- Diskurs im 19. Jahrhundert anhaltend zur Sprache gebracht wurde. Diese Bestrebung ging auf spätaufklärerische Strömungen innerhalb des Bür-gertums im 18. Jahrhundert zurück. Fischer--Lichte macht die Entstehung der Idee vom Nationaltheater in den 1760er--Jahren fest;; diese sei jedoch, anders als es der Begriff erwarten ließe, nicht einer chauvinistisch--nationalistischen Gesinnung [entsprungen], son-dern meinte vielmehr eine Zusammenfassung aller Tendenzen der Theater-form: Entwicklung einer deutschen dramatischen Literatur, die der auslän-dischen, vor allem der französischen, gleichwertig sein sollte;; Artikulierung bürgerlicher Werte und bürgerlichen Selbstbewußtseins in Opposition zur 268 Zur Entwicklung des deutschen Theaters von den Wandertruppen zu den stehenden Theaterhäusern im 18. Jahrhundert siehe Brauneck 1996, 704--751;; Fischer--Lichte 1999, 107--115. 269 alienische Theater bis zum 2. Weltkrieg praktisch in den Händen seiner, noch immer wandernden Schauspieler, [sic! ] befand. Die Schauspielgesellschaften, in denen der capocomico d.h. der Hauptdarsteller teurs en 270 Da es sich bei diesem Thema, also der Entwicklung von den Wanderbühnen zu den stehenden Theatern, im deutschen theatergeschichtlichen Diskurs immer noch um ein Forschungsdesiderat handelt, soll an dieser Stelle auf die Arbeit des Schweizer Theaterwissenschaftlers Stefan Koslowski hingewiesen werden, der sich mit ebendie-- und auf ganz unterschiedlichen Ebenen (beispielsweise hinsichtlich der Kunstauffas-sung, der rechtlichen Situation etc.) einen interessanten Einblick in diese Entwicklung bietet. Siehe Koslowski 1998. <?page no="89"?> 89 höfischen Lebensform;; Appell an die Einheit der Nation jenseits der Viel-staaterei absolutistischer Fürstentümer. 271 So folgte das Ideal von einem Nationaltheater einem Entwurf, der aus dem Drang heraus entstanden war, ein bürgerliches Publikum, das sich der Macht des Adels gegenüber immer mehr zu emanzipieren versuchte, äs-thetisch wie auch moralisch erziehen zu wollen. Im Zuge des im 18. Jahrhundert zu beobachtenden wirtschaftlichen Aufschwungs innerhalb des Bürgertums sowie den damit zusammenhän-genden bürgerlichen Emanzipationsbestrebungen in einem föderalisti-schen, von der umfassenden Macht des Adels beherrschten System 272 forderten also insbesondere bürgerliche Intellektuelle die Einrichtung von Nationaltheatern. Diese Bühnen fanden ihre Umsetzung entweder als von Bürgern selbst initiierte Theaterunternehmen das berühmteste Beispiel hierfür ist sicherlich G. E. Lessings --1769). Hoftheatern, die einfach umbenannt wurden, primär der Aufbesserung der Finanzen des jeweiligen Fürsten dienten und nur sekundär etwas mit dem Wunsch nach Umsetzung der aufklärerischen bürgerlichen Ideale zu tun hatten. Zu diesen schreibt Ute Daniel: Nirgends manifestierte sich deren [der Bürger respektive der bildungsbür-gerlichen Bestrebungen] intensiviertes Verhältnis zu Herrschern und Höfen im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts augenfälliger, flächendeckender und publikumswirksamer als in den oft -- Hoftheatern neuen Typs, die jetzt die Formen und Gegenstände der Unterhaltung in großen und kleinen Residenzstädten zu prägen begannen. 273 Der bürgerlich-- -schen Theaterdiskurs war also seit der Spätaufklärung präsent und erfuhr 271 Fischer--Lichte 1999, 109--110. Für umfassendere Informationen zur Idee des Natio-naltheaters siehe auch Meyer 1983. 272 Kriegsführung geschwächten finanziellen Lage des Adels], die im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts an den meisten europäischen Höfen das Sparen geradezu zu einer Modeerscheinung werden [ließen], bahnte sich eine Vorform dessen an, was dann für -ben worden ist, und zwar in zweierlei Hinsicht: Zum einen bewirkten der sparsa-mere Zuschnitt der Hofhaltungen und die geringere Bedeutung der höfischen Lu-- -die Regenten und ihre höfische Umgebung in sehr viel intensiverer und folgenreiche-guts bil-dungsbürgerlicher Provenienz ein, die geeignet waren, diese neue Mode zu mehr als einer Notlösung z --118. 273 Daniel 1995, 118. <?page no="90"?> 90 insbesondere nach der Gründung des Deutschen Reiches im Jahre 1871 große Aufmerksamkeit. 274 Nun schrieb man jedoch einem Nationaltheater, -lung vom Theater als einer moralischen Anstalt, wie sie führend Gottsched, Lessing und Schiller 275 , nicht nur eine erhebliche Relevanz hinsichtlich der sittlichen Bildung des (bürgerlichen) Publikums zu, sondern auch eine große Rolle im Prozess des nation building. Nachdem durch die Reichsgründung die Auflösung des Föderalismus in Deutschland besiegelt worden war, sollten die Bühnen mit neuem Zentrum Berlin sowie die dort präsentierten Dramen als wichtigste Nati-onalkunst 276 ihren Teil zur Vereinigung der Deutschen beitragen. Daher blickte man um 1900 mit jener die vergangene Situation idealisierenden und gleichzeitig verklärenden Sehnsucht auf das 18. Jahrhundert und die ersten Versuche zurück, fest stehende, an den kulturellen Interessen und moralischen Vorstellungen der Bürger orientierte Theater zu gründen, und referierte dabei stets -- 277 274 die Sehnsucht nach einem Nationaltheater, das der gefühlten Größe des historischen Augenblicks künstlerischen Ausdruck verleihen sollte, so sehr, dass die stattfindende 2009, 10. 275 Möller 1996, 20. 276 Drama als Le das bürgerliche Sprechtheater [nahm] seit den Zeiten Lessings und der Weimarer Klassik den höchsten Rang in der Hierarchie der Künste und damit eine zentrale Stellung im bürgerlichen Bildung Baumeister 2009, 199) ein. Dies ist mit-unter auf Georg Wilhelm Friedrich Hegels (1770--1831) Vorlesungen über die Ästhetik hnet. 277 Dass man sich sogar auf Seiten des Monarchen der nicht zu unterschätzenden politi-schen Rolle des Theaters bewusst war, zeigt die berühmt gewordene Rede Wilhelms II. vom 16. Juni 1898, in welcher der Kaiser sich wie folgt zur Macht der Bühnen äu-- Idealismus, in welchem Mich Mein Vater erzogen hatte. Ich war der Ansicht, daß das Königliche Theater vor allen Dingen dazu berufen sei, den Idealismus in unserem Volke zu pflegen, an welchem es, Gott sei Dank! noch so reich ist und dessen warme Wellen noch in seinem Herzen reichlich quellen. Ich war der Überzeugung und hatte Mir fest vorgenommen, daß das Königliche Theater ein Werkzeug des Monarchen sein sollte, gleich der Schule und der Universität, welche die Aufgabe haben, das her-anwachsende Geschlecht heranzubilden und vorzubereiten zur Arbeit für die Erhal-tung der höchsten geistigen Güter unseres herrlichen deutschen Vaterlandes. Ebenso soll das Theater beitragen zur Bildung des Geistes und des Charakters und zur Ver-- (Kaiser Wilhelm II. zit. nach Laverrenz 2009, 249.) Es wird deutlich, dass auch der deutsche Kaiser sich der politischen Wirk <?page no="91"?> 91 Allerdings wurde damit im Zuge der Glorifizierung der Nationalthea-ter-- 278 verwendet, der auch schon in seiner Entstehungszeit weder eindeutig defi-niert gewesen war noch wirklich inhaltliche Klarheit hatte aufweisen kön-nen. Reinhardt Meyer gibt an, bereits im 18. Jahrhundert sei zu unterschei-den gewesen zwischen der zeitgenössischen offiziellen Bezeichnung des theatralischen Insti-tuts in Akten, offiziellen Verlautbarungen oder auf den Theaterzetteln und der (inoffiziellen) Benennung durch Literaten in Publikationen. Bei letzte-rer handelt es sich mehr um theoretische Programme, um Wünsche und Hoffnungen der Autoren als um die Wiedergabe der realen Verhältnisse und Möglichkeiten. 279 Vor dem Hintergrund dieser fehlenden begrifflichen Eindeutigkeit sowie der sowohl nicht näher definierten als auch häufig zu hoch gesteckten Ziele verwundert es nicht, dass die praktische Umsetzung des Nationaltheaters mit seinen hehren politischen und moralischen Vorsätzen bereits im 18. Jahrhundert scheiterte. Zu den Interessenunterschieden zwischen den Theatermachern und den bürgerlichen Rezipienten, denen ein anderes Theater vorschwebte, als das, welches ihnen geboten wurde, 280 kamen vor allem finanzielle Schwierigkeiten, für die man keine Lösung fand. Im Fall te, mögliche Einnahmeeinbußen auszugleichen und das Theater wenigstens relativ un 281 . Dieser Plan schlug jedoch fehl -nungs--) Bildung des Volkes nach den Vorstellungen des Monarchen genutzt werden;; hier sollte mithilfe der präsentierten Theaterstücke die kaiserliche Macht legitimiert und Reichsgründungsmythen etabliert werden. Die Vorstellungen des Kaisers ba-sierten damit nicht auf dem nach den Ideen der Aufklärung gerichteten Ideal einer an e es die Stimmen im Dis-kurs äußerten, und so lässt sich eine große Diskrepanz zwischen den kaiserlichen Überlegungen zum Theater und den bürgerlichen Bestrebungen feststellen. Zum Verhältnis Kaiser Wilhelms II. zum Theater siehe Förster 2009, 113--119. 278 Meyer 1983, 124. 279 Meyer 1983, 124 [Hervorhebung im Original]. 280 im mangelnden Inte Publikum getan, damit etwas geschehen könnte? Auch nichts;; ja noch etwas Schlimmers, als nichts. Nicht genug, daß es das Werk nicht allein nicht befördert: es hat ihm nicht einmal seinen natürlichen Lauf gelassen. Über den gutherzigen Ein-fall, den Deutschen ein Nationaltheater zu verschaffen, da wir Deutsche doch keine Nation sind! Ich rede nicht von der politischen Verfassung, sondern bloß von dem 281 Fischer--Lichte 1999, 111. <?page no="92"?> 92 und so musste das Unternehmen nach nur zwei Jahren für gescheitert er-klärt werden. 282 Weiterhin darf nicht vergessen werden, dass sich nun auch die bereits erwähnten Hofbühnen, die bis dato hauptsächlich dem höfischen Vergnü-gen und der Repräsentation des jeweiligen Fürsten gedient hatten, auf-grund ihrer häufig verbesserungswürdigen wirtschaftlichen Lage für ein finanzstarkes bürgerliches Publikum öffneten und sich im Zuge dessen, dies zeigt das Beispiel des Nationaltheaters Mannheim, 283 -dienten, sich dabei jedoch weder an den politischen Ideen der Aufklärer orientierten noch diese auch nur im Ansatz umzusetzen versuchten. 284 Jahrhundert zu einem fast inflationär gebrauchten Modewort, das hin-sichtlich seiner inhaltlichen Füllung immer mehr zerfaserte. Auf das Scheitern der Nationaltheater--Bestrebungen des 18. Jahrhun-derts wurde um 1900 jedoch nur selten referiert. Vielmehr übertrug man die Vorstellung von einem einenden, moralisch bildenden und kulturell orientierten Nationaltheater nach spätaufklärerischem Vorbild in den eige-nen Kontext wobei man fundamentale Unterschiede zwischen der Situa-tion im 18. und der im 19. Jahrhundert geflissentlich übersah: Seit den An-fängen der Nationaltheater--Bewegung hatte es soziale, ökonomische und politische Veränderungen innerhalb der deutschen Gesellschaft gegeben. Die Idee von einer einigen Nation war zumindest auf politischer Ebene Realität geworden, das Deutsche Reich hatte mit Berlin seine zentrale Hauptstadt und das Bürgertum als eine zwar kleine, aber immer bedeu-tender werdende soziale Schicht hatte sich im Laufe des Jahrhunderts we-sentlich gewandelt. Vor allem die Rolle der Bürger in Kultur, Wirtschaft und Politik hatte sich verändert. Und so war es genau diese Neuorientie-- -rigkeiten bei der Übertragbarkeit der Nationaltheateridee vom 18. auf das 19. Jahrhundert mit sich brachte. 285 282 Zu dieser Theaterunternehmung, ihren Zielen, ihrer Umsetzung und ihrem Scheitern siehe Fischer--Lichte 1999, 107--115. 283 Dazu siehe Daniel 1995, insbesondere 186--187. 284 So schildert Daniel, Lessing, der im Jahre 1777 als Betreuer der Theaterneugründung in Mannheim engagiert worden war, habe über die dort herrschenden Zustände, die nichts mit der ursprünglichen aufklärerischen Idee von einem Nationaltheater ge-mein gehabt hätten, in einem Brief an seinen Bruder verbittert geschimpft. Vgl. Da-niel 1995, 186. 285 Zum Konzept der Nation siehe u.a. Anderson 1988, 11--17;; Kocka 2001, 80--97;; Langewiesche 1995, 190--236;; Langewiesche 2000. Zum Konzept des Bürgers seit dem 18. Jahrhundert siehe u.a. Friedrich/ Jannidis/ Willems 2006;; Gall 1989;; Gall 1993;; Gall 1997;; Hein/ Schulz 1996;; Kocka 1988a;; Kocka 1988b;; Kocka 1988c;; Kocka 1989, Langewiesche 1999;; Schulz 2005. <?page no="93"?> 93 Dennoch beherrschte das Ideal eines Nationaltheaters den elitär--bür-gerlichen Theaterdiskurs um 1900. Siegfried Jacobsohn beschreibt im Jahre 1904 in seinem Buch Das Theater der Reichshauptstadt -dachte Rolle Berlins in dieser Entwicklung an: Seit Lessings gutherzigem Einfall hatte man vertraut, daß die Deutschen nur eine Nation zu werden brauchten, um sogleich ein National--Theater ten und verlangten Idealisten von der Hauptstadt des geeinigten Deutschlands, von dem Berlin des Franzosenbe-siegers Wilhelms des Ersten nationales Drama und nationale Bühne. Hier und sein Mut, seine Liebe und sein Haß, sein Gefühl des Lebens und der Welt, befreit von den Nebengeräuschen des Alltags weithin vernehmlich ertönen. 286 In Wirklichkeit, dies deutet sich bei Jacobsohn an, sah die Theatersituation um 1900 im Deutschen Reich und insbesondere in Berlin jedoch anders aus: Trotz aller Forderungen entwickelte sich nach der Reichsgründung keine deutsche Bühne, der man die Rolle eines Nationaltheaters, wie die bürger-liche Intellektuelle es sich vorstellte, hätte zuschreiben können, auch wenn man in dem einen oder anderen Berliner Theater so beispielsweise in Otto Brahms (1856--1912) Deutschem Theater Ansätze dazu erkannte. 287 Im Gegenteil, unter den zahlreichen unsubventionierten und privatwirt-- 288 , wie sie oft pejorativ bezeich-net wurden, sowie den vielen Operettenbühnen und anderen Stätten theatraler Unterhaltu 289 war keine Bühne am deutschen Theaterhorizont auszumachen, die den hehren Forderungen Genüge getan hätte. Also konfrontierten die bürgerli-chen Intellektuellen ebenjene Theater, die man massiv ablehnte, weil sie den im Diskurs vorherrschenden geistigen oder moralischen Ansprüchen nicht nachkamen, immer wieder und mit großer Eindringlichkeit mit ihren Vorstellungen von einem idealen Nationaltheater als positivem Gegenent-wurf. 286 Jacobsohn 1904, 4. 287 --1908), dann unter Otto Brahm und später unter Max Reinhardt (1873--1943) siehe Hart/ Hart 2009;; Raeck 1928;; Weigel 1999. 288 Siehe Seelig 1914. 289 Was im zeitgenössischen deutschen Diskurs als Theater und theaterverwandte Insti-tutionen galt, lässt sich an einer Aufzählung des Kritikers und Feuilletonisten Paul Linsemann aufzeigen. In der bereits angesprochenen Zählung der Berliner Bühnen in seiner Streitschrift Die Theaterstadt Berlin -- (Linsemann 2009, 186), die großen Vaudeville-- und Revuebühnen sowie die Zirkusse. Vgl. Linsemann 2009, 186--187. <?page no="94"?> 94 Der bürgerlichen Elite waren allerdings nicht nur die Geschäftstheater ein Dorn im Auge, sondern auch das deutsche respektive Berliner Publi-kum;; denn es zeigte vorgeblich keinerlei Bereitwilligkeit, ein den morali-schen Vorstellungen entsprechendes Nationaltheater anzuerkennen. 290 Vielmehr, so wurde die Situation im Diskurs dargestellt und gleichsam verurteilt, sehnten sich die Zuschauer nach leichter Unterhaltung und oberflächlicher Zerstreuung und verkörperten somit ein Publikum, das man für die Rezeption der erhabenen Ideale eines Nationaltheaters als nicht geeignet ansah. 291 Entsprechend erläutert Jacobsohn: Eine solche Blüte hat aber zur Voraussetzung nicht bloß eine mächtige Zentralstätte nationalen Lebens, sondern ein Volk, das im ästhetischen Ge-nuß seine einzige ungetrübte Freude findet, ein Publikum, das sich zu hö-herer Existenz erheben lassen will. Die aufgescheuchte Dürftigkeitsnatur der eingeborenen Spreestädter und das wüste Glückrittertum der Zuge-- 292 Trotz der zahlreichen, manchmal sogar aggressiven Meinungsäußerungen zu diesem Thema ging die erhoffte Verbesserung der Theatersituation im Deutschen Reich nicht vonstatten: Die Bühnen mit vermeintlich unterhal-tendem Anspruch überwogen in der deutschen Theaterlandschaft;; die Gründung oder Durchsetzung eines repräsentativen deutschen National-theaters unterblieb. Enttäuscht resümiert Wilhelm Klein die Situation in seiner im Jahre 1924 erschienenen Schrift Der Preußische Staat und das Thea-ter im Jahre 1848 wie folgt: Seitdem in uns Deutschen das Gefühl der kulturellen und nationalen Zu-sammengehörigkeit erwacht ist, träumt die nach der Volksgemeinschaft dürstende deutsche Seele den schönen Traum eines in dem Boden deut-scher Kultur und nationaler Eigenart wurzelnden Nationaltheaters. Voll ist 290 Dass das Publikum eine schwer einzuschätzende Größe im Schauspielbetrieb dar-never have been) homogenous social and psychological groups, their experiences are not uniform and impossible to standardize, their reactions are chiefly private and in-ternal, and recording their encounters with events, regardless of the mechanism used to survey or register them, is usually belated and inevitably partial. Almost anything one can say about a specta (Kennedy 2011, 3.) Und Carl ein Totalbegriff: nicht zu definieren, kaum gefühlsmässig zu fassen auf keine Formel zu bringen, und sei es auch im kompli-- -chenbar und daher nur zu oft für den Fortschritt der Kunst und Kultur von hem-- --220. 291 Interessant ist hierbei die Parallele zum 18. Jahrhundert: Wie bereits erwähnt, hatte auch Lessing auf das fehlende Interesse der Zuschauer an einem Nationaltheater verwiesen. Die Ablehnung durch das vorgeblich oberflächliche, unwillige Publikum zog sich, dies wird immer wieder deutlich, wie ein roter Faden durch die Verhand-lung der Nationaltheateridee vom 18. bis ins 20. Jahrhundert. 292 Jacobsohn 1904, 4--5. <?page no="95"?> 95 dieser Traum niemals in Erfüllung gegangen. Das deutsche Nationaltheater 293 Wie die Bemühungen im 18. Jahrhundert, so müssen auch die Bestrebun-gen nach einem Nationaltheater im 19. und frühen 20. Jahrhundert in der Retrospektive als gescheitert angesehen werden. Um 1900 kritisierte man zwar permanent diesen Misserfolg, obwohl viele ihn sich nie ganz einge-stehen wollten, und man gab den Wunsch nach einem Theater, das eine einende Funktion im Prozess des nation building übernehmen konnte, sowie von einem nationalen Drama mit der gleichen Aufgabe nicht auf. 294 Vor diesem Hintergrund ist es umso erstaunlicher, dass die bürgerlich-elitären Stimmen im deutschen Diskurs nicht davon abließen, das italieni-sche Wandertheater zu verurteilen. Ein Grund dafür ist, dass man in die-sem nicht einmal Ansätze dazu erkennen konnte, mithilfe des Theaters eine nationale Einigung voranzutreiben. Den Zustand in Italien bewertete man daher noch negativer als die erfolglosen heimischen Bemühungen aller-dings überwiegend zum Zweck der positiven Abgrenzung von den italie-nischen Theatern. Man versuchte, vom eigenen Unvermögen und Scheitern abzulenken. Dabei greift aber die Argumentation gegen das italienische Theater zu kurz;; denn die hinter dessen Entwicklung stehenden unver-trauten Traditionen, Hintergründe und Umstände wurden nicht bedacht Kontrast zu den eigenen, als positiv postulierten Wünschen, Hoffnungen und Forderungen. 293 Klein 1924, 1. Zweifel an den so hoch gelobten vergangenen Nationaltheater--Bestre-bungen hatte es jedoch bereits unter den Zeitgenossen gegeben. So stellt beispiels-weise der Autor der kleinen Streitschrift Die Entwicklung des modernen Theaters (1899), Karl Freiherr von Perfall (1867--1893), der ehemalige Generalintendant des königlich-bayerischen Hoftheaters in München, in Fra -rer Litteratur das Theater so ideal gewesen sei, wie es heute vielfach geglaubt wird 294 An dieser Stelle soll wenn auch nur als Randbemerkung an die unterschiedlichen Bestrebungen Richard Wagners (1813--1883) hinsichtlich der Errichtung eines Natio-naltheaters erinnert werden. So strebte Wagner ein solches bereits im Zuge der Re-volution von 1848 an und äußerte sich diesbezüglich in mehreren theaterreformatori-schen Schriften (siehe dazu u.a. Lucas 1973;; Stauss 2011, 195--199). Auch seine Idee von einem als Nationaltheater fungierenden Festspieltheater in Bayreuth fernab der wachsenden Metropole Berlin in der oberfränkischen Provinz kann als Versuch dessen Etablierung gewertet werden. Allerdings standen hinter seiner Festspielidee dies macht schon die Wahl des Ortes deutlich antimoderne Gedanken, sodass das Unternehmen so, wie es letzten Endes seine Umsetzung fand, hinsichtlich seiner ur-sprünglichen Vorstellung als gescheitert bewertet werden kann. Zu Wagners Fest-spielidee siehe Elfert 2009, 57--64;; Lucas 1973. <?page no="96"?> 96 Zum Zweiten kritisierte man die ökonomische Orientierung der Wander-truppen in Italien. Doch auch diese ablehnende Haltung spiegelte eher die eigene Lage, die ebenfalls als defizitär empfunden wurde, als dass sie der Kritik am italienischen System diente. Man war der Ansicht, nicht das künstlerische Interesse stehe beim Theater in Italien im Vordergrund, son-dern das wirtschaftliche. So galten gerade die italienischen Impresarios als besonders findig und schlau: 295 Ihre einzigen Ziele seien der Profit, nicht die Kunst, sowie die Befriedigung des Zuschauergeschmacks, sagte man ihnen nach. Die im deutschen Diskurs beanstandete Orientierung am Publikum war jedoch für die italienischen Wandertruppen eine Notwen-digkeit, denn sie erhielten keine Subventionen. Ihre Arbeit wurde von den ökonomischen Prinzipien von Angebot und Nachfrage beherrscht. Dem-entsprechend brachte nur ein Erfolg bei den Zuschauern das nötige Geld ein, um sich finanziell über Wasser halten zu können: Schließlich mussten die teuren Mieten für die Theater genauso wie die Gagen für die Schau-spieler der Truppe bezahlt werden. Weiterhin bedurfte es der Anschaffung sowie Instandhaltung von Kostümen und Requisiten und auch das Reisen von einer Stadt zur nächsten sowie die Unterkunft und Verpflegung der Ensemblemitglieder waren zu finanzieren. 296 Das italienische Theater galt den deutschen Kritikern als Inbegriff eines kommerzialisierten Systems: So lautete die vorherrschende Meinung, dass hier Kunst zum Wirtschaftsgut und zur Ware wü unterlägen der Kommodifizierung, sobald sie ein Teil des Systems würden. Matthias Müller beschreibt diesen Vorgang am Beispiel der Virtuosin Eleo-nora Duse, die mit fortschreitendem (auch internationalem) Erfolg hin-sichtlich der Organisation ihrer Gastspieltourneen immer mehr auf die 295 Friedrich Carl Butz warnt ein potentielles deutsches Publikum vor dieser Schläue. So bezeichnen, diesen künstlerischen Kreditbrief zu unrecht vorweisen. Sie können vielleicht von einer Theatertruppe sein, die in jenem berühmten Theater von riesen-- (Butz 1925, 75--76.) Butz mahnt hier seine deutschen Leser zur Vorsicht: Im Falle eines -digen, aber unlauteren Werbetricks hereinfallen. 296 Einen Hinweis auf das Leben von Schauspielern in Armut gibt beispielsweise das Theatergöttinnen, in dem ein kurzer Einblick in die Kindheit Eleonora Duses als Tochter von Schauspie-lern in einer reisenden Theatertruppe gegeben wird (siehe Balk 1994, 176--177). Auch in den Duse--Biografien von Resnevic--Signorelli und Sheehy klingt an, wie beschwer-lich das Leben in einer italienischen Wandertruppe war. Dazu siehe Resnevic--Signo-relli 1939;; Sheehy 2003. <?page no="97"?> 97 unsichtbar für das Publikum, die Unternehmerin sich selbst als Künstlerin 297 Diese (Selbst--) Kommodifizierung und Ökonomisierung, die man in Deutschland am italienischen Theater und seinen Akteuren massiv bemän-gelte, traf jedoch auch auf das eigene System zu. So wurde die am Geschäft orientierte Situation der Bühnen im Kaiserreich ebenfalls als defizitär emp-funden und häufig kritisiert. Stimmen, die behaupteten, dass im deutschen 298 299 , wurden mit der Zeit immer lauter und angriffslustiger. Die intellektuelle bürgerliche Elite, die Wortführerin im Diskurs, erkannte in der Kommerzialisierung des Theatersystems den Grund für die missliche Entwicklung sowie für das Scheitern der hehren Nationaltheateridee. Rückblickend erläutert der Jurist und Schriftsteller Max Epstein (1874 1948) im Jahre 1914 dazu: Früher, zur Zeit unserer Klassiker hätte man sagen können: Theater ist die Aufführung dramatischer oder dramatisch musikalischer Kunst, wobei man den Ort, an welchem die Aufführung stattfindet, ebenfalls Theater nennt. ater in unserem Sinne ist der Betrieb von wirtschaftlich geleiteten Unternehmungen, welche dem Publi-kum die Aufnahme dramatischer oder mit den Mitteln des Dramas arbei-tender Geisteserzeugnisse ermöglichen. 300 Die unliebsame Lage wurde insbesondere auf die Folgen eines der wich-tigsten wirtschaftspolitischen Ereignisse zurückgeführt, das die deutsche Theatergeschichte und Bühnenlandschaft im 19. Jahrhundert maßgeblich prägte, nämlich die Gewerbefreiheit von 1869 respektive 1871. Baumeister bewertet ihre Auswirkungen auf die urbane Entwicklung der deutschen Reichshauptstadt Berlin positiv und beschreibt ihr Resultat als einen Teil des Prozesses der Metropolisierung: Schnelle Expansion, die Ausdifferenzierung der theatralischen Angebote, die nahezu alle Schichten und sozialen Kreise erfassen und ansprechen konnten, Konkurrenz und Innovation, das vielfältige Ineinander und Ge-geneinander von Eliten-- und Populärkultur, von Kunst und Kommerz, Ernst und Unterhaltung dies waren Kennzeichen einer Sphäre, die sich in Verbindung zur technischen Infrastruktur, zur Ökonomie und Gesellschaft 297 Müller 2000, 272. Zum Prinzip der Sichtbarkeit beziehungsweise Unsichtbarkeit der Agenten, Manager und Impresarios siehe auch Watzka 2006. Anna Stettner spricht im Kontext der Virtuosen mit ihren Impresa -tung der Geschäftsbeziehun 298 Seelig 1914, 6. 299 Seelig 1914, 6. 300 Epstein 1914, 4. <?page no="98"?> 98 der Großstadt entwickelte und zum quasi naturwüchsigen Forum wurde, wo sich Berlin als moderne Metropole konstituierte. 301 Resonanzböden der urbanen Moderne, der sie mit einer Mischung aus Affirmation, Nostalgie und gedämpfter Kritik be 302 . Auch Marx gibt an, dass zur Konstituierung Berlins als Metropole und als deutscher Hauptstadt das Theater seinen wesentlichen Beitrag geleistet habe. So gelte die Grundlage für die kulturelle Entfaltung von Berlin als Großstadt, denn erst die Multiplizierung von Möglichkeiten und Formen konnte der neuen, stets größer werdenden Aufgabe gerecht werden. Konsum als performative Praxis nicht verstanden als Kommerzialisierung, sondern als Teil kultu-reller Verhandlungen stellt sich so als Strategie dar, Berlin zu imaginieren und zum konkreten Teil individueller Lebenswirklichkeit werden zu las-sen. 303 Dementsprechend dürfen Metropolisierung und Theater um 1900 als zwei voneinander nicht trennbare Größen angesehen werden. Gemeinsam eb-neten sie Berlin den Weg in die Moderne, was die soziale Wichtigkeit des zeitgenössischen deutschen respektive Berliner Theaters allen kritischen Stimmen zum Trotz verdeutlicht. Wie die italienischen Wandertruppen, so waren die nach der Gewerbefrei-heit entstandenen deutschen Bühnen unsubventionierte und privatwirt-schaftlich organisierte Unternehmen. Aber anders als die italienischen Theater hatten die deutschen eine feste Direktion sowie ein saisonal relativ gleichbleibendes Ensemble, das sich in einem stehenden Theaterbau be-fand, wo ein Spielbetrieb mit wechselndem Repertoire unterhalten wurde. Ausnutzung des Unterhaltungsbedürfnisses des Publikums angewie-- 304 . Diese pekuniäre Orientierung brachte ihnen schnell die bereits implizierte, dass das hauptsächliche Interesse der Theaterdirektoren der Unterhaltung des Publikums und der damit zusammenhängenden Um-satzsteigerung galt. Um ökonomisch handeln und als Unternehmen über-leben zu können, mussten die Bühnenleiter ihre Planungen nach ihrem (groß--) städtischen Publikum und dessen schnelllebigen Vorlieben und Unterhaltungsbedürfnissen ausrichten. 301 Baumeister 2009, 214. 302 Baumeister 2009, 215. 303 Marx 2007c, 102. 304 Anonymus 1907, 404. <?page no="99"?> 99 Ludwig Seelig verurteilt dieses Verhalten in seiner 1914 veröffentlichten Streitschrift mit dem die Problematik andeutenden Titel Geschäftstheater oder Kulturtheater? , die man als eine Abrechnung mit der zeitgenössischen Bühnensituation bezeich dargebotenen Kunstleistung gilt als oberstes Gesetz. Es ist neben der Spe-kulation auf die niederen Instinkte die Fülle des Gebotenen, mit der das Geschäftsthe 305 Seelig zufolge versuchte man, den Spiel-plan möglichst vielseitig und abwechslungsreich zu gestalten, ein häufig kritisiertes Vorgehen, das der Feuilletonist und Schriftsteller Conrad Al-berti (1862--1918) in seinem im Jahre 1887 erschienenen Werk Ohne Schminke! 306 bezeichnet. Als Gegenentwurf zum Geschäftstheater entwickelte man die Idee des -- -wurden häufig sogar synonym benutzt. Seelig stellt beide solchen] Schaubühne ist das vollkommene Zusammenspiel, die innere 307 Es wurde also insbeson-dere ein Ensemblespiel angestrebt, wie es im deutschen Diskurs des ausge-henden 19. Jahrhunderts immer wieder gefordert wurde. Sogenanntes lose Unterhaltung und oberflächliche Zer-streuung für das Publikum und die Umsetzung von als literarisch unbe-deutend bewerteten Stücken all dies galt als verpönt für das Kulturthea-ter. Dessen Aufgabe sah man dem Diktum des 18. Jahrhunderts folgend sowohl in der moralischen Bildung der vor allem bürgerlichen Zuschauer als auch im positiven Einwirken auf den Prozess des deutschen nation building. Das Geschäftstheater bildete im Gegensatz dazu, wie Baumeister angibt ein Feindbild, auf das sich Ängste bürgerlicher Eliten vor der Auflösung traditioneller Kulturzusammenhänge, vor den Verschiebungen gesell-schaftlicher Hierarchien und vor dem Verlust der Kontrolle und Meinungs-führerschaft projizieren lassen. 308 Aus der Gegenüberstellung der beiden Theaterformen durch die Intellek-tuelle ergab sich ein Dualismus, 309 -- 305 Seelig 1914, 15. 306 Alberti 2009, 105. 307 Seelig 1914, 17. 308 Baumeister 2009, 199. 309 19. und frühen 20. Jahrhundert im deutschen Theaterdiskurs weite Kreise. Dazu siehe u.a. Epstein 1911;; Epstein 1914;; Epstein 1927;; Freydank 1995a;; Freydank 1995b;; Möl-ler 1996;; Seelig 1914. <?page no="100"?> 100 310 abbildete, das in den Verhandlungen des deutschen Theaters im ausge-henden 19. Jahrhunder -- -wickelt habe, sei Baumeister zufolge begleitet gewesen von zum Teil heftigen, apokalyptisch gefärbten publizistischen Klagen über den Niedergang und die Krise des Theaters. Die Debatten um das Theater 311 -onaltheater hemmender Faktor empfunden. Seelig erkannte in ihm eine Unterminierung, ja sogar einen Boykott des Wunsches nach einer alle ei-- -kunst, eine einheitliche Theaterkultur haben wir nicht. Das Theatergeschäft steht de 312 Da sich also auch bei Seelig der immer wieder laut werdende Wunsch nach einer Nationalkunst, begleitet von einem Natio-naltheater, äußert, verwundert seine Forderung nicht. Sie lautet: -schäftstheater muß überwunden werden, wenn wir zum Kulturtheater 313 Wie bereits erläutert, waren die italienischen Wandertheater ebenso wie die nach 1869 beziehungsweise 1871 gegründeten stehenden deutschen Bühnen aufgrund des nicht subventionierten Theatersystems auf die Ökonomisierung der Strukturen angewiesen, was im Deutschen Reich Bemühungen zur Schaffung eines National-- oder Kulturtheaters. Daraus resultierte eine oft recht klare Ablehnung des italienischen Theaters im Kaiserreich. Dies macht die oben aufgezeigte abstruse Situation im deut-schen Diskurs nur umso deutlicher: In den Streitschriften wurden die deutschen Theater pejorativ als Geschäftstheater ohne Interesse an einer moralischen Verfeinerung des Publikumsgeschmacks oder an einer Ver-breitung nationalkünstlerischer Inhalte dargestellt. Sich selbst als Vertreter einer bürgerlich--intellektuellen Elite sahen die Meinungsführer allerdings in einem anderen Licht und ließen daher keine Möglichkeit aus, auch die stellen, die sich sehr wohl ein Kultur-- oder Nationaltheater wünschten, diese Bestre-bungen aber aufgrund der negativen Umstände nicht in die Realität um-setzen konnten. Kritik an der Kommodifizierung des italienischen Theaters 310 Baumeister 2009, 199. 311 Baumeister 2009, 199. 312 Seelig 1914, 23. 313 Seelig 1914, 23. <?page no="101"?> 101 war wie so oft Kritik an der Situation im Deutschen Reich die kam aller-dings aus dem Mund von selbst ernannten Theaterexperten, die von der Potenzialität eines anderen, idealen Theaters überzeugt waren und deshalb die reale deutsche Situation genauso ablehnten wie die Missstände in Ita-lien. In Adolf bereits erwähntem Artikel über Die Nationen und ihre Theater wird die absurde Situation besonders deutlich. Der Autor macht dort auf eine vorgebliche Diskrepanz zwischen den Theatern verschiedener -schen dem deutschen Ideal von einem einenden und die Zuschauer bil-denden Nationaltheater und der vor allem auf die oberflächlichen Ansprü-che des Publikums ausgelegten Spielsituation von Fremdkulturen verweist. Es heißt dort: nen, dem Engländer ist das Theater eine gesell-- 314 Winds nimmt damit eine klare Zuordnung der unterschiedlichen Ansprüche der verschiedenen Nationen an das eigene Theater vor. Allerdings reicht ein Blick auf die Theatergeschichte des ausgehenden zumindest was die zeitgenössische Theaterpraxis angeht zu widerlegen. Der Autor gibt hier lediglich die den Diskurs dominierende elitär--bürgerli-che Idealvorstellung wieder, die im Kaiserreich in den intellektuellen Krei-sen weit verbreitet war und sich über Jahrzehnte bis zum Ersten Weltkrieg und den großen Veränderungen in der Theatersituation, die dieses Ereignis mit sich bringen sollte, 315 hielt. 4.1.2 Das italienische Publikum im Spiegelbild des deutschen Doch nicht nur das Theatersystem in Italien mit seinen wandernden Trup-pen stieß im deutschen Diskurs oft auf Ablehnung. Auch an den italieni-schen Zuschauern wurde häufig kein gutes Haar gelassen: Man stellte sie als unterhaltungssüchtig und sensationsgierig dar. Wie schon hinsichtlich des Theaters aufgezeigt, so wird auch im Bezug auf die Zuschauer die abstruse Situation der Spiegelung deutlich: Die unter dem Deckmantel der Publikums durch die intellektuelle Elite im Deutschen Reich traf automa-- 314 damit erklären, dass der Kritiker gewisse Parallelen zwischen der Organisation des italienischen und des englischen Theatersystems sah. So waren auch die meisten Bühnen Englands wie die Italiens im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert ökonomisch orientiert, denn auch bei ihnen handelte es sich um unsubventionierte Privattheater. Weiterhin herrschte auch im englischen Theatersystem das Prinzip der Tournee vor. Zum britischen Theatersystem der Viktorianischen Zeit siehe u.a. Booth 1991;; Davis 2000;; Jackson 1989. 315 Zum Theater während des Ersten Weltkriegs siehe Baumeister 2005;; Krivanec 2012. <?page no="102"?> 102 tisch auch die Eigengruppe was die Zuschauer der Fremdgruppe zur Projektionsfläche für eigene Begehrensstrukturen werden ließ. wolle durch das Theater nicht primär gebildet, sondern hauptsächlich unterhalten und von den Alltäglichkeiten abgelenkt werden, so richtete henen artistischen Hang seine helle Lust und Freude am Komödienspiel an sich und wird um 316 . Nicht die anspruchsvolle Tragödie, sondern die unterhaltsamere Komödie, die möglichst virtuos, also schauspielerisch meisterhaft inszeniert sein müsse, gefalle den italienischen Zuschauern, denen der Kritiker einen 317 Mit diesen Worten betont Winds, dass weder das italienische Theater noch sein Publikum dem deut-schen Ideal von einem bürgerlichen Bildungstheater entsprechen. Auch Nathanson äußert sich hinsichtlich der italienischen Zuschauer im Vergleich zu seinen Kritikerkollegen allerdings auf recht positive Weise. Er stellt das italienische Publikum ins Verhältnis zum dort herrschenden Theatersystem, wenn er schreibt: Das Publikum in Italien ist deshalb [aufgrund des Stagione--Wesens sw] weit feinfühliger und unduldsamer, aber auch weit enthusiastischer im Theater, als anderwärts. Diese Lebhaftigkeit entspringt nicht nur dem Na-turell des Südländers, sondern vornehmlich dem geschärften Kunstempfin-dungsvermögen des Menschen, der fortwährend Verschiedenartiges zu se-hen bekommt und deshalb bewußt Vergleiche anstellt. 318 Die italienischen Zuschauer werden vom Autor als ein in ihren Sehge-wohnheiten durch das italienische Theatersystem geschultes Connaisseur-- Publikum dargestellt: Das Stagione--Wesen führt in den Augen Nathansons zu einer Steigerung der Vergleichs-- und Bewertungsfähigkeit der Zu-schauer;; sie werden zu Kennern des Theaters, die aufgrund der Erfahrung mit ganz unterschiedlichen Truppen recht schnell gute von schlechten Aufführungen unterscheiden können. Nicht zuletzt damit erklärt der Autor auch die vergleichsweise lauten Unmuts-sowie Lobesäußerungen durch das Publikum. 319 316 Winds 1907, 769. 317 zwingend ein Hinweis auf die Vorliebe des italienischen Publikums für die Artistik, sondern es soll eher die Körperlichkeit im Spiel der Bühnenkünstler als die Dekla-mation der Worte des Dichters betont werden. 318 Nathanson 1893, 81--82. 319 Einen ähnlichen Ansatz erkennt man in der folgenden Äußerung Friedrich Carl Butz, der den charakteristischen Stagione--Spielbetrieb nicht ausschließlich negativ bewer-- <?page no="103"?> 103 Nathanson verweist in diesem Zusammenhang auch auf die gesteigerte -- -rungen der Zuschauer. Der Autor bedient sich hier der im deutschen kol-lektiven Bewusstsein fest etablierten Vorstellung von einer stärker nach au-- So ist es nicht verwunderlich, dass Nathanson noch einmal an anderer Stelle darauf verweist, wenn er schreibt: Die vernehmlich und eindringliche Art der Zustimmung oder des Mißfal-lens [des italienischen Publikums sw], wie sie sich jeden Moment geltend macht, mag als ein natürlicher Ausfluß der temperamentvollen Race gel-ten. 320 Die italienischen Zuschauer werden dem deutschen Leser in dieser Text-passage als ein lautes, sich nicht zurückhaltendes Publikum beschrieben. Es tu achten, ob der Ablauf der auf der Bühne stattfindenden Theateraufführung gestört werde oder nicht. Erklärt wird dieses Verhalten einmal mehr durch -gruppe in hohem Maße unterscheidenden emotionaleren Temperaments Warum dieses gefühlsbestimmte Benehmen dem ruhigeren deutschen Zuschauer befremdlich vorkommen mag und dass das Theater in Italien eben nicht ausschließlich der Bildung dient, sondern dass es, wie es bereits 321 darstellt, versucht auch der Kunsthistoriker Ernst Förster (1800--1885) dem deutschen Leser in seinem in mehreren Auflagen erschienenen Werk Hand-buch für Reisende in Italien zu erklären. In der Ausgabe von 1866 heißt es: sich dort aufs Gegentheil gefasst. Die Musik oder die Darstellung ist in tet, sondern gerade die durch den ständigen (Orts--) Wechsel der Ensembles zustande kommende Kurzweil für das Publikum als angenehm empfindet. So erkannte Butz im Reisen der Schauspieltruppen eine Chance, die Qualität der Aufführungen zu verbessern gerade aufgrund der Beurteilung durch immer neue Zuschauer an an-deren Orten. Der Autor im Umher-ziehen ist in Italien bis auf den heutigen Tag im Schwange geblieben. Sogenannte stehende Theater wie bei uns gibt es nicht. Der Unternehmer stellt seine Truppe zu-sammen, pachtet ein Theater und gibt dort Vorstellungen. Der Leistungsfähigkeit seiner Truppe gemäß wählt er sich die Größe der Städte bzw. die passenden Theater aus. Das hat neben Nachteilen auch große Vorzüge. Die Darbietungen unterliegen immer wieder der Kritik eines wechselnden Publikums, und die Städte haben in der --76. 320 Nathanson 1893, 206. 321 Siehe Fußnote 314 der vorliegenden Arbeit. <?page no="104"?> 104 Italien n 322 Vielmehr sei dieser 323 , das Theater ein Ort der sozialen Zusammenkunft und des Austauschs nicht nur über das künstlerische Ereignis auf der Bühne. Über den einseitigen Ausführungen Försters, die das Verhalten der Zu-schauer beschreiben und dabei das italienische vom deutschen Publikum abgrenzen, darf jedoch nicht vergessen werden, dass auch das Theater im Deutschen Reich weitaus mehr war als nur ein Ort der moralischen Bil-dung. Auch ihm muss eine gesellschaftliche Funktion insbesondere für die bürgerlichen Besucher, die den Zuschauerraum meist dominierten zugeschrieben werden. Und wenn es in Deutschland kein -lin, zumin der Theaterbesuch ein Teil der Lebenswelt dar und die Institution hatte eine affirmative, konstituierende Funktion für die bürgerliche Identität. Marx erläutert dies wie folgt: Bürgerlichkeit als soziales Konzept stützt sich folglich nicht länger nur auf Besitz oder Bildung, sondern wird definiert als eine soziale Praxis, d.h. Bür-- -tig sein, dass Theater eine der zentralen Formen kultureller Praxis ist, durch die sich eine solche Zuordnung vollzieht. Dem Theaterbesuch kommt somit nicht allein durch die Aufführung selbst, sondern auch durch den sozialen Akt der offensichtlichen Teilhabe eine konstitutive Bedeutung zu. 324 Das Theater war im Kaiserreich ein Ort sozialer Integration. Der Theaterbe-such meinte weit mehr als nur die Rezeption einer Aufführung: Es bedeutete Sehen und Gesehenwerden, stellte ein gemeinsames Erlebnis dar und gab den Anreiz zur Kommunikation über das Gesehene. Das The-ater beeinflusste und definierte bis zu einem bestimmten Grad die Selbst-wahrnehmung vor allem des bürgerlichen Publikums und fungierte damit als soziale wie auch kulturelle Institution, die zur Herausbildung einer ur-banen, bürgerlichen Identifikation führte. 325 All dies geschah in einem sehr eng gesteckten Rahmen und war geprägt von einem klaren gesellschaftlichen Verhaltenskodex, gegen den nicht verstoßen werden durfte weder durch falsches Handeln noch durch ein unpassendes Erscheinungsbild. Theater war im Kaiserreich also nicht we-niger ein soziales Ereignis als in Italien. Mit der Aussage, dass das italienische Publikum das Theater in höhe-rem Maße, als es in Deutschland der Fall war, als einen Ort sozialer Zu-- 322 Förster 1866, 13. 323 Förster 1866, 29. 324 Marx 2007c, 101. 325 Watzka 2010, 107. Siehe auch Marx 2007a;; Marx 2008;; Watzka 2007. <?page no="105"?> 105 sammenkunft nutze, lässt der Autor ein weiteres, den Italienern zugeord-netes nationales Stereotyp anklingen und unterstützt damit die Streuung Klischee wird von Victor Hehn angesprochen: Seiner Meinung nach findet das gesellschaftliche Leben der Südeuropäer nämlich häufiger in der Öffentlichkeit statt als das der Deutschen. 326 Diese nach außen gerichtete 327 . Gleichzeitig 328 zu. Die den Südeuropäern nachgesagte Vorliebe für Öffentlichkeit stellt als Gegensatz zu dem durch die Präferenz bürgerlicher Privatheit geprägten en Aspekt bei der Charakterisie-rung der italienischen Zuschauer dar und wahrscheinlich einen noch wichtigeren bei der Selbst--Charakterisierung der deutschen. 329 So macht die Betonung des Unterschieds deutlich, in welch hohem Maße die italieni-sche Leben weil sie diametral zu der im 19. Jahrhundert in Deutschland vorherrschen-den bürgerlichen Priorisierung des Privaten stand. Die Privatsphäre war ein Gegenentwurf zum öffentlichen Geschehen außerhalb des Wohnraums und kann als antimoderner Rückzugsort, als intimer Raum der Wahrung von bürgerlichen Normen und Werten interpretiert werden. Sie verkör-land, in dem man zeitweilig die Augen schließen konnte vor dem draußen vor der Tür so unfaßbar schnell und radikal 330 . Im privaten Kreis der Familie, die als -- 326 blem insofern dar, als sie keine stabile Größe sind, sondern sowohl eine große Wandelbarkeit sowie Orts-- und Zeitgebundenheit als auch eine von sozialen Strukturen abhängige Bedeutung aufweisen. So lassen sich im Zuge von gesellschaftlichen Veränderungen stets auch klare Definition der Begriffe ist daher unmöglich, es besteht lediglich die Möglichkeit, sich diesen (diskursiv) zu nähern. Auch in der vorliegenden Arbeit wird von einer eindeutigen Bestimmung abgesehen. Zu den Begriffen sowie zu den sich im 19. Jahr-hundert vollziehenden Veränderungen siehe u.a. Habermas 1995;; Hausen 1992, 81-- 88;; Hohendahl 2000, Sennett 2004. 327 Hehn 1992, 86. 328 Hehn 1992, 86. 329 Richard -prägten öffentlichen Leben müßte es also eine Verwandtschaft zwischen Bühne und Straße geben;; die Ausdruckserfahrungen, die die Menge in diesen Bereichen macht, müßten vergleichbar -che Öffentlichkeit eine erhöhte Theatralität im Ausdruck bedeuten würde, erscheint mir jedoch zu generell und sehr schwierig zu belegen. 330 Wüsten/ Wolf/ Flieger 1993, 164. <?page no="106"?> 106 streben 331 -nale Zuwendung. Die Familie war ein Refugium vor den belastenden An-forderungen der Arbeitswelt, in der das unmündige Individuum zur 332 . Dies bestätigt auch der Soziologe Andreas Reckwitz, wenn er schreibt: Über die im Moralcode integrierte Einheit der bürgerlichen Praxis lagert -schen der Welt der Arbeit und jener der als Familie modellierten Intim-sphäre, wobei letztere als Kompensation für erstere repräsentiert wird. 333 Öffentlichkeit wurde im deutschen Kontext dementsprechend nicht unter dem Aspekt der wohltuenden Geselligkeit empfunden, wie es die Be-nischen Öffent das moderne Subjekt überfordernde, ja sogar bedrohliche Züge. Den Rezi-pienten war diese unterschiedliche Begriffsverwendung vermutlich be-wusst nicht zuletzt, weil sie, wie bereits gezeigt wurde, das stereotypi-sche Bild der nur wenig modernen, sondern vielmehr autochthonen Italiener im Kopf hatten. Diese Diskrepanz im Gebrauch des Begriffs terschiede zwischen der Eigen-- und der Fremdgruppe noch mehr und so kann davon ausgegangen werden, dass gleichzeitig aber auch interessant gewirkt haben muss. Dass man dem Theater dabei eine Spiegelfunktion der gesellschaftlichen Verhältnisse in Italien zuschrieb, wird in der folgen-- Fremde so unwiderstehlich zur italienischen Lebensweise gebracht, als durch das Thea 334 und damit auch durch die Schauspieler, deren Reputation im deutschen Diskurs im Folgenden näher untersucht werden soll. 4.2 Ein nationales Schauspieltalent Ein nationales Stereotyp? So wie dem italienischen Publikum bestimmte Charakteristika zugeordnet wurden, schrieben die Autoren und Kritiker auch den italienischen Schau-spielern (vor allem national--) stereotypische Eigenschaften zu. Infolge-dessen wurde die kollektive Vorstellung von einer (stereo-pischen itali-- 331 Schulz 2005, 3. 332 Schulz 2005, 3. 333 Reckwitz 2006, 243. 334 Förster 1866, 13. <?page no="107"?> 107 Äußerungen gemeinsame Idee zugrunde: nämlich die von einer auf der nationalen oder ethnischen Herkunft der Italiener basierenden besonderen Befähigung zum Theaterspiel, die sich nicht nur beim Agieren auf der Bühne, sondern auch in einer Affinität zum theatralen (nicht theatralisch-übertriebenen) Verhalten im Alltag ausdrückte. Ludwig Speidel stellt hinsichtlich dieser allen Italienern und damit auch den Bühnenkünstlern zugeschriebenen Fähigkeit eine Genealogie auf, deren Wurzeln er bereits in der römischen Antike verortet. In seinen zu verwalten. Würde und Lebhaftigkeit, das aristokratische und demo-kratische Element der Repräsentation, haben ihnen die Römer ver-- 335 . Adolf Winds formuliert einen ähnlichen Gedanken, wenn er auch hin-sichtlich des Ursprungs der theatralen Begabung der Italiener nicht so konkret wird wie Speidel. So heißt es bei i leugnen, daß der Romane von Haus aus viele Eigenschaften besitzt, die ihn 336 Vor allem die die Ausdruc wie fest und unumstößlich diese Vorstellung im deutschen kollektiven Bewusstsein der Zeit verankert war. Die Fähigkeit zur Schauspielerei sah man nicht als eine erlernbare Handwerkskunst an, sondern als eine von Generation zu Generation weitergegebene, also gewissermaßen vererbte und erbliche Prädisposition und sie wurde zu den stereotypischen (Natio-nal-ausdrückt, gezählt. Auf einer ganz ähnlichen Grundlage bewertet auch der Schriftsteller und Journalist Eugen Zabel (1851--1924) die allgemeine Begabung aller Italiener zum Schauspiel in seinem Buch Die italienische Schauspielkunst in Deutschland aus dem Jahre 1893. So schreibt er, die italienischen Bühnen-künstler hätten darin etwas gemeinsames, daß sie die natürlichen Gaben der romanischen Rasse als glückliche Vorbedingung ihrer Kunst besitzen. Was im Grunde genommen den Schauspieler ausmacht, daß er auf die Anschauung wirkt, indem er seinen Körper zum Ausdruck seelischer Stimmungen stempelt, ist eine Eigentümlichkeit, die der Italiener bereits in der Wiege als ererbten Be-sitz empfindet und mühelos ausbildet, je mehr er zur Reife des bewußten Menschen kommt. 337 335 Speidel 1911, 75. 336 Winds 1907, 768. 337 Zabel 1893, 11. Ganz ähnlich äußert sich auch der österreichische Dramaturg und Theaterdirektor Alfred von Berger (1853-mmerhin ei-ner guter Theul der italienischen Schauspielkunst Raceneigenschaft, also Naturer-- <?page no="108"?> 108 Wie bei den beiden zuvor zitierten Autoren basieren die schauspielerischen -ter 338 und damit auf einer Eigenschaft, die als genetisch prädisponiert angesehen wurde. Was in all diesen Äußerungen deutlich wird, sind die klaren Referen-zen auf die neu erlangten wissenschaftlichen Erkenntnisse auf dem Gebiet der Genetik, etwa von der Existenz der Gene als Träger des menschlichen Erbguts und der darauf basierenden Vererbungslehre, wie sie von Gregor Mendel (1822--1884) oder Charles Darwin (1809--1882) für ihre evolutionsbi-ologischen Forschungen genutzt wurden. Diese Einsichten brachten im ausgehenden 19. Jahrhundert einen Paradigmenwechsel innerhalb der Natur-- und Sozialwissenschaften mit sich und ermöglichten einen neuen Blick auf Themen und Begrifflichkeiten wie Herkunft, Abstammung und Glaube, aber auch Nation und Volk. So schlugen sich die innovativen Ein-sichten nicht nur auf anderen Gebieten der Wissenschaft oder Populärwis-senschaft nieder, sondern führten auch dazu, dass bestehende gesellschaft-liche Denkmuster hinterfragt wurden und sich das traditionelle Verhältnis von Mensch und Glaube respektive Kirche veränderte. 339 Von einer genetischen Prädisposition ausgehend sieht Zabel auch die herausragende italienische Schauspielkunst als eine biologisch begründete Eigenschaft aller Italiener. Damit denkt der Autor nicht in ästhetischen, sondern in naturwissenschaftlichen Bahnen und öffnet so das Gebiet der Verhandlung kultureller Ereignisse für einen (pseudo--) naturwissenschaft-lichen, biologistischen Ansatz. Mit diesem Schritt verlassen seine Überle-- -rende und pauschalisierende Weise den Blickwinkel erweitert, zeichnet er ein ethnisch--national geprägtes Bild nicht nur von den italienischen Schau-- und prägt so ein natio-nales Stereotyp. zeugnis sein, woran dem einzelnen Künstler kein Verdienst zukommt, so steht doch die Thatsache fest, daß der italienische Schauspieler in diesem natürlichen mimischen 250. 338 Nach dem --Lexikon aus dem Jahr 1911 versteht man Stammes--, Sprach--, Sitten-- und Kulturgemeinschaft, die bestimmten Menschenmas-sen ein eigentümliches Rassengepräge (Nationalcharakter) [Hervorhebung im Original]). Dieser Eintrag macht die genetische Prädisposition für den Nationalcharakter deutlich und impliziert, dass das Talent zum Schauspiel kein 339 Weiterführend dazu siehe u.a. Rheinberger/ Müller--Wille 2009;; Weigel 2002. <?page no="109"?> 109 Auch für Nathanson bildet die Idee einer allen Italienern immanenten Veranlagung zum Schauspiel die Grundlage seiner Überlegungen. So ist bei ihm zu lesen: Selbst der mittelmäßigste italienische Schauspieler, wenn er an Pflichteifer, an Fleiß und Intelligenz auch oft genug hinter gleichstehenden Kollegen im Auslande zurückbleiben mag, hat in gewissen Momenten etwas, das man anderwärts nur bei großen Künstlern findet. Es mag in der Naturanlage seiner Race begründet und nicht sein Verdienst sein, aber es ist vorhanden und reißt die Zuschauer mit sich fort. 340 Dass auch Nathanson von jener genetisch bedingten Fähigkeit zum Schau-- -- Somit sei auch das herausragende Spiel eines Büh nenkünst-lern die Fähigkeit zum bewussten individuellen künstlerischen Schaffen teilweise abspricht, verdeutlicht sie die große Faszination des Autors von der die Zuschauer stets mitreißenden italienischen Schauspielkunst. Die These vom geringeren Fleiß der italienischen Akteure, die bei Nathanson nur anklingt, wird von Winds umso klarer vertreten. So heißt es bei Letzterem, d wie sein französischer Kollege. Proben und exakte szenische Anordnungen 341 . Die in mehreren Kritiken im Diskurs erfolgte allgemeine Charakterisierung als faul oder zumindest dem deutschen Fleißanspruch nicht genügend kann in einen weiteren kulturellen Rahmen eingeordnet werden: So klingt hier der sich im Zuge der Industrialisierung im ausgehenden 19. Jahrhundert als religionssoziologisches Gedankenbild etablierende preu-ßisch--protestantische Arbeitsethos an, wie er sich unter anderem in Schrif-ten wie Max Webers (1864--1920) zweiteiligem Aufsatz Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus 342 aus den Jahren 1904 und 1905 oder 340 Nathanson 1893, 174. 341 Winds 1907, 769. -- Entwicklung ist auch folgende Eigenart des Volkscharakters. Hat im Süden der Ar-wollen. Ganz aber wird es sicher nicht gelingen, die im Blut steckende, Jahrhunderte 34-- -tor Hehn diese und sieht in ihr fast eine Tugend, -- 342 Vgl. Weber 1993. <?page no="110"?> 110 auch in Werner Sombarts (1863--1941) mehrbändigem Werk Der moderne Kapitalismus 343 (1902) niederschlug. Mehr oder weniger bewusst aus dieser Perspektive her argumentierend meinte man, auch auf der Ebene des The-aters und nicht allein auf volkswirtschaftlicher Ebene hinsichtlich der eige-nen Tüchtigkeit den dem Katholizismus angehörenden und damit implizit n eine Überlegenheit vorweisen zu können. Doch auch jenseits der Generalisierung der (katholischen) Italiener als Während sich die Schauspielkünstler anderer Nationen, hier bei Zabel am zugrunde liegenden Regiekonzept unterstellen und in einem intensiven Probenprozess darauf hinarbeiten, eine künstlerische Idee umzusetzen, -sage kann als eine Abwertung der italienischen Bühnenkunst verstanden werden, bedenkt man die Umstände ihrer Äußerung: Zu einer Zeit, in der zumindest im deutschen Theaterdiskurs die Rolle des Regisseurs an Wichtigkeit gewann, in der man Diskussionen über die oft als zu kurz empfundenen Probenzeiten, das defizitäre, weil kaum vorhandene Ensem-blespiel und häufig fehlende Regiekonzepte führte, wird das Spiel der italienischen Akteure, das Winds zufolge die eigene Intuition höher ansie-delt als die künstlerische Idee, vom Autor geradezu als rückständig und vor allem naiv dargestellt. Das Bild, das Winds hier vom italienischen Bühnenkünstler erstellt, widerspricht grundlegend der hehren Vorstellung vom idealen Schauspieler, wie sie der den Theaterdiskurs anführenden intellektuellen Elite vorschwebte. Einmal mehr wird jedoch die große Diskrepanz zwischen den Erwar-deutlich zung aus dem Jahr 1907 steht ein Fakt der Theatergeschichte gegenüber, der einer allgemeinen Ablehnung der italie-nischen Schauspieler widerspricht: Zum Zeitpunkt der Äußerung des Kritikers konnte man bereits auf 50 Jahre erfolgreicher Gastspieltätigkeit von italienischen Virtuosen im Deutschen Reich zurückblicken. Diese Büh-nenkünstler waren dort in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen aufgetreten und immer wieder sowohl auf ein begeistertes Publikum als auch auf relativ zufriedene Kritiker gestoßen und man hatte sie gerade wegen ihrer als herausragend empfundenen Schauspielkunst gelobt. Die von Winds behauptete Rückständigkeit und Naivität erfreute sich beim Publikum offenbar großer Beliebtheit: Das emotionale, der italienischen Virtuosen ohne eine dogmatische Regie im Hintergrund entsprach augenscheinlich dem Geschmack der Zuschauer im ausgehen-den 19. Jahrhundert und deckte deren (Unterhaltungs--) Bedürfnis auf nahezu ideale Weise. 343 Vgl. Sombart 1987. <?page no="111"?> 111 4.3 Schauspielkunst 4.3.1 kehrend -gemein als auch speziell mit der italienischen Schauspielkunst in Verbindung gebracht wurde, ist, wie bereits angesprochen, inhaltlich sehr problematisch, insbesondere, da er sich durch hochgradige Zeitlichkeit sowie kulturelle Bedingtheit auszeichnet. Im Kontext der Schauspielkunst werden diese Eigenschaften deutlich: Ein Blick auf die Theatergeschichte auch weit über das 19. Jahrhundert hinaus 344 -diskutiert und idealisiert wurde;; dabei wird eine große Heterogenität hin-sichtlich der Aussage des Begriffes offensichtlich. das Spiel der Bühnenkünstler im 18. Jahrhundert, also während der An-fänge des bürgerlichen Theaters und damit zu einer Zeit, in der eine Vielzahl von Regelpoetiken und normativen Schauspieltheorien entstand. Fischer--Lichte erklärt dazu: Spätestens seit dem 18. Jahrhundert kreist in Theorie und Praxis der Schau-spielkunst die Diskussion unablässig um die Frage, wie im Körper des Schauspielers Natur und Kultur, Sinnlichkeit und Bedeutung sich zueinan-der verhalten: ob sie in einem unversöhnlichen Gegensatz zueinander ste-hen oder sich miteinander vermitteln, ja versöhnen lassen, oder ob von ei-ner je verschiedenen Wechselwirkung zwischen beiden Polen auszugehen ist. 345 Das in den philosophischen Überlegungen der Aufklärung, beispielsweise bei Jean--Jacques Rousseau (1712--1778), immer wieder thematisierte Gegen-satzpaar Natur--Kultur wird also auch in der theoretischen Diskussion über den Schauspieler aufgegriffen und beeinflusst die zeitgenössischen Ausei-nandersetzungen mit dem Schauspielstil entscheidend. Das von standardi-sierten Gesten und Deklamation geprägte und der adeligen Repräsentation dienende Theater der Barockzeit erfährt in den bürgerlichen Verhandlun-gen im 18. Jahrhundert eine vehemente Ablehnung. Der Auftrag des Büh-nenkünstlers, der Gebrauch des eigenen Körpers sowie dessen Einsatz in der Aufführungssituation und die damit beabsichtigte Wirkung auf das 344 Bereits zu Zeiten des Elisabethanischen Theaters gab es Diskussionen zu der Frage, wie natürlich oder artifiziell gespielt werden solle. So wird an dieser Stelle nur an die berühmte Szene in Shakespeares Hamlet erinnert, in welcher der dänische Prinz der an den Hof gekommenen Theaterspieltruppe Unterweisung hinsichtlich des Schau-spielstils erteilt (vgl. Shakespeare, Hamlet, III, 2, 1--22). 345 Fischer--Lichte 2000, 14. <?page no="112"?> 112 Publikum, werden kritisch hinterfragt sowie neu bewertet. Fischer--Lichte schreibt diesbezüglich, im 18. Jahrhundert [sollte] der Schauspieler in einem langwierigen Prozeß der Beobachtung, Nachahmung und Erfindung seinen sinnlichen Körper -d.h. 346 seit der Mitte des 18. Jahrhunderts wenn auch auf dem (Um--) Weg über die Deutung des Körpers des Schauspielers als etwas absolut Zeichenhaftes zum Ideal einer bürgerlich--aufgeklärten Schauspielkunst. Der Zeichen--Transfer, den die Schauspielkunst zu Beginn des bürgerlichen Illusionstheaters vornimmt, steht so in einer direkten Beziehung zu seinem ausdrücklich formulierten besonderen Ziel, durch Darstellung von Empfin-dungen die Empfindungsfähigkeit des Menschen zu steigern. Um diese Wirkung ausüben zu können, muß der Schauspieler seinen Körper also in ein natürliches Zeichen der Seele umformen. Damit hört dieser jedoch auf, sinnliche Natur zu sein bzw. als sinnliche Natur wahrgenommen zu wer-den. Der Körper wird vielmehr als sinnliche Kultur von Natur aus präsen-tiert er wird als ein von der Natur herausgestellter Zusammenhang von -ben. 347 Jahrhundert angestrebt wurde, sollte ni -- -- und damit die Moralvorstellung der bürgerlichen Aufklärer verdeutlichte. 348 Jahrhunderts bestimmte, war demzufolge nicht nur auf ästhetische Ge-sichtspunkte zurückzuführen, sondern sie ließ sich ebenfalls durch gesell-schaftliche Entwicklungen erklären. So wurde die Institution Theater auch hinsichtlich der Darstellungsweise instrumentalisiert und diente nun der Verbreitung bürgerlicher Vorstellungen von Tugend und Moral. Auch wenn die bürgerlichen Ideale und die daraus resultierenden For-derungen an das Theater und seine gesellschaftliche Funktion zumindest im Diskurs bis ins späte 19. Jahrhundert hinein relativ konstant blieben, vollzog sich mit dem Beginn der Romantik ein Wandel in der Schauspiel-praxis. Fischer--Lichte zufolge setzte um 1815 eine Entwicklung -net wird: Die Ausstattung avancierte zu einem der wesentlichen Faktoren 346 Fischer--Lichte 2000, 14. 347 Fischer--Lichte 2000, 33. 348 Vgl. Fischer--Lichte 2000, 34. <?page no="113"?> 113 einer Aufführung, Oper und Ballett traten wieder verstärkt neben das Sprechtheater, drängten es sogar mehr und mehr in den Hintergrund. Das Sprechtheater nahm seinerseits Elemente aus Oper und Ballett in sich auf, ließ den Sprechstil zur hohlen Deklamation verkommen und wandte sich mit besonderer Sorgfalt der Pflege der visuellen theatralen Komponenten Posen, Kostüme, Dekorationen, Beleuchtung zu. 349 Vor allem hinsichtlich des Schauspielstils offenbarten sich grundlegende Veränderungen im Vergleich mit dem ausgehenden 18. Jahrhundert. Hatte -rgrund gestanden, wurde nun die Abkehr davon so-wohl auf ästhetischer als auch auf gesellschaftspolitischer Ebene deutlich. So bestimmte seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts eine hochgradige Stili-ebe für große, pa-- 350 machten, hielten Einzug auf den Bühnen. Unterstützt und gleichzeitig für seine Zwecke weidlich ausgenutz das gerade entstehende Virtuosentum. So galt beispielsweise Ludwig De-vrient (1784--1832) als einer der berühmtesten Bühnenkünstler seiner Zeit, weil er wegen seines leidenschaftlichen, mehr von den eigenen Gefühlen als von Beobachtungen oder gar Nachahmungen geleiteten Schauspielstils den Vorstellungen vom idealen Schauspieler nahezu vollständig ent-sprach. 351 Für die Virtuosen bot diese zwar weitgehend stilisierte, dennoch eigenwillige, vor allem Emotionen zulassende Art des Agierens alle Mög-lichkeiten, sich in den Vordergrund des Bühnengeschehens zu drängen und seinen schauspielerischen Ambitionen wie auch Extravaganzen freien Lauf zu lassen. Durch diese Tendenz, eine extrovertierte Person ins Zent-rum des Bühnengeschehens zu stellen, wurde der Grundstein für die pros-perierende Entwicklung des Virtuosentums gelegt, eine Strömung, die das ganze 19. Jahrhundert durchziehen sollte und bis heute als typisch für jenen Zeitraum gilt. Eine Abkehr von diesem Schauspielstil, soweit man aufgrund der feh-lenden Normierung überhaupt von einem solchen sprechen konnte, denn letztlich war das Spiel der Virtuosen eher durch Vielfalt als durch feste Regeln und strenge Prinzipien gekennzeichnet, erfolgte zumindest in Deutschland erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts: Das Hoftheater unter Herzog Georg II. von Sachsen--Meiningen (1826-ein Ensemble-statt eines Virtuosenspiels zu etablieren, 352 und nicht zuletzt 349 Fischer--Lichte 2000, 173--174. 350 Fischer--Lichte 2000, 181. 351 Vgl. Fischer--Lichte 2000, 179--181. 352 Zu den Meiningern siehe Kapitel 4.3.2 der vorliegenden Arbeit. <?page no="114"?> 114 der aus Frankreich kommende, sich auch im Deutschen Reich ausbreitende Schauspiel an. So war es das erklärte Ziel der Theoretiker, insbesondere der Naturalisten wie etwa dem bereits genannten Otto Brahm, Direktor des Deutschen Theaters in Berlin sowie Mitglied des in der deutschen Haupt-- 353 -utschen Bühnen zu verwirklichen, mit dessen Unterstützung die Realität, insbesondere die zeitgenössischen sozialen Missstände, abgebildet werden könnten und es Naturalisten ist jedoch nur eingeschränkt mit den Vorstellungen der Auf-klärung in Einklang zu bringen, wie Fischer--Lichte beschreibt: Obwohl sich Otto Brahm ausrücklich [sic! ] auf die Tradition der in der Auf-klärung entwickelten realistischen Schauspielkunst eines Ekhof oder Schrö-der, eines Beil oder Iffland berief, ging man in der Freien Bühne vom sinnli-- Bedeutung zugesprochen wurde. 354 Das Prinzip, dem noch die Aufklärung gefolgt war, wurde bei den Natura-listen dementsprechend umgekehrt. Allerdings, so lässt sich retrospektiv festhalten, waren die Vorstellun-- Umsetzung durch die zeitgenössischen deutschen Bühnenkünstler nicht unbedingt kongruent: Es gelang nur wenigen Schauspielern, dies lässt sich den zeitgenössischen Kritiken zu den Aufführungen von naturalistischen Stücken entnehmen, 355 die hochgesteckten Zielsetzungen zu erfüllen und die durch Drastik und politische Brisanz gekennzeichneten naturalistischen Dramen so umzusetzen, dass die Zuschauer in ihnen ein Spiegelbild der eigenen Gesellschaft erkannten. Dies ist verständlich, weil sich der Schauspielstil, den man von den Akteuren erwartete, von dem von ihnen erlernten respektive angeeigneten und über Jahre hinweg praktizierten in hohem Maße unterschied. 353 Zu Otto Brahm siehe Kapitel 4.3.2 der vorliegenden Arbeit. 354 Fischer--Lichte 2000, 14. 355 Karl Frenzel lobt in seiner Kritik zur Premiere von Gerhart Hauptmanns Vor Sonnen-aufgang, die am 21.10.1889 in der National--Zeitung erschien, zwar die Hauptdarsteller, schreibt jedoch über die anderen Schau Mühen. Aber das Ganze blieb im Fratzenhaften und Dilettanti -zel zit. nach Jaron/ Möhrmann/ Müller 1986, 93.) Im Gegensatz dazu lässt Maximilian Harden kein gutes Haar an den Akteuren, wenn er in einem Artikel in der Zeitschrift Die Gegenwart dürfte man bedauern, die sich an dem abscheulichen Dialekt die Zungen zerbrachen. Die Vorstellung litt unter vielfachen <?page no="115"?> 115 man sich also am Ende des 19. Jahrhunderts im Deutschen Reich (noch) in der Darstellung auch den deutschen Schauspielern vor der Jahrhundert -setzt werden sollte. In den Augen der deutschen Kritiker hatten die italie-nischen Virtuosen dieses Ziel bereits erreicht, wenn es sich jedoch auch bei ihr Theater angemessenen handelte. zutage: Es fehlte in dieser Epoche im Gegensatz beispielsweise zu der Zeit der Aufklärung, in der man diesem Begriff aus der Schauspieltheorie eine exakt umrissene Bedeutung zuordnete eine klare Definition dessen, was man darunter verstand. So war man sich im ausgehenden 19. Jahr-hundert der Zeitlichkeit, der Relativität sowie der damit einhergehenden Problematik der Sinngebung dieses Begriffs wohl bewusst, wie eine Äuße-rung Simon Moldauers deutlich macht. Dieser schreibt im Kontext seiner Verhandlung der Schauspielkunst Eleonora Duses: Greifen wir ein wenig zurück zu den deutschen Klassikern. Ihre Ansichten über die Illusion sind bekannt und längst Gemeingut geworden. Die Illu-sion im Theater soll eine beschränkte sein, der Gedanke an Kunst in uns immer lebendig bleiben, und durch das Spiel nur eine Art bewußter Täu-schung hervorgebracht werden. So wollte es Goethe haben, so wurde es uns von Schiller gehalten, so auch von allen Dichtern und Schauspielern bis auf Wirklichkeit erreichen;; Denn siegt Natur, so muß Aber dieser Satz sollte nicht ewig unangefochten bleiben. Wir erlebten es ja selber, wie erst schwach und wenig beachtet, bald stärker und immer stär-der Kunst, Natürlichkeit in der Malerei, in der Poesie, in der dramatischen Darstellung. Was in den beiden ersten Künsten unter Natürlichkeit zu ver-stehen sei, darüber war man nicht uneins;; wohl aber über deren Berechti-gung. Anders, was den Begriff der Natürlichkeit in der Schauspielkunst betrifft. Da ist es nun allerdings keine neue Wahrheit mehr, daß dieser Be-griff im Laufe der Zeit den mannigfachen Veränderungen unterliegt, dem Geiste der Zeit sich anschmiegt, so daß oft das, was unseren Vorfahren als das Natürlichste erschien, uns als höchste Unnatur abstößt. Was dieser Be-griff aber heute umfasse, mit anderen Worten, welchem Begriffe das Wort scharf genug bestimmt worden. 356 356 Moldauer zit. nach Balme 1988, 106--107 [Hervorhebung im Original]. <?page no="116"?> 116 Doch trotz der fehlenden Klarheit in der Begriffsdefinition 357 wurde den italienischen Schauspielern allgemein und insbesondere den italienischen -lichkeit, welche nunmehr 358 geworden sei. Dies bedeu-tete, zumindest kann man das auf der Grundlage der für die vorliegende Arbeit ausgewerteten Quellen so interpretieren, dass die italienischen Ak-teure weder die gewohnten virtuosen Finessen noch einen deklamatori-schen Stil bemühten ganz im Gegensatz zu den deutschen Schauspielern. Da keine klare Begriffsbestim -grenzung von den heimi-schen Bühnenkünstlern und ihrem Schauspielstil vornahm. Diesen kompa-ratistisch--abgrenzenden Vorgang macht folgende Äußerung eines Kritikers der Berliner Zeitung deutlich, der aus Anlass eines der Gastspiele von Eleonora Duse im Jahre 1899 sch ringste italienische Schauspieler hat gewöhnlich viel mehr Natürlichkeit als manch einer 359 An diesem Zitat offenbart sich jedoch noch ein anderer Aspekt: Die, wie 360 im Schauspiel wurde zurückgeführt auf die allen Italienern zugeschrie -gistischen Vorstellungen basierenden Grundeigen -leichte Ver--, vor allem aber große Bewunderung aus. Dies lässt sich zum Beispiel aus der folgenden Anekdote Nathansons ableiten: Menschen sind die heutigen italienischen Schauspieler stets auf der Bühne, und nichts ist bezeichnender für ihre Einfachheit und Wahrheit, als das na-ive Erstaunen von vielen meiner Landsleute, welche den einen oder den 357 Wie schwer sich die Zeitgenossen mit einer sinnvollen Begriffsdefinition taten und dass dies nicht selten zu paradoxen Situationen oder tautologischen Erklärungen führte, lässt sich anhand einer Äußerung Alfred von Bergers zeigen, der in seiner De-- -- -türlichkeit sonst gebraucht. Wenn man das von Jemandem sagt, er habe ein natürli-ches Benehmen, so meint man keineswegs, sein Benehmen gleiche dem Benehmen anderer Menschen, sondern man will eine Eigenschaft bezeichnen, die dem Beneh-- 358 Nathanson 1893, 11. 359 Berliner Zeitung vom 17.9.1899. 360 Es muss an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass sich im diskursiven Ge-brauch der beiden Be -terschied feststellen lässt. Im Folgenden soll dennoch weitgehend mit dem Begriff der gearbeitet werden. <?page no="117"?> 117 aber anders vorgestellt;; die sind ja im Leben gerade so wie auf dem Thea-- 361 Hier wird erkennbar, in welch hohem Maße man das mimetische Prinzip im Spiel der Italiener perfektioniert sah: Es gelingt den Bühnenkünstlern, dies bringt Nathanson zum Aus -- -tisch nachzuahmen, dass für die Zuschauer der deutschen Eigengruppe der Eindruck entsteht, die im Theater präsentierten Figuren kongruierten fast voll -weise des jeweiligen Schauspielers, es gäbe somit kaum einen Unterschied -vielmehr als ein von nationalen Stereotypen geprägter Repräsentant ver-standen wer -- Die Faszination, die der Eindruck von der, wie es im obigen Zitat heißt, der Italiener auf der Bühne wie auch im realen Leben bei den deutschen Rezipienten auslöste, blieb nicht ohne Wirkung auf die Eigenkultur und zwar sowohl in gesellschaftlicher als auch in ästhetischer Hinsicht: Zum einen beschwor sie einmal mehr den zeitgenös-sischen Wunsch nach dem Autochthonen herauf. Zum anderen bewirkte sie eine kritische Haltung gegenüber der zeitgenössischen deutschen The-atersituation und Schauspielkunst. Galten die italienischen Schauspieler Publikum aus diesem Grund mit Bewunderung, ja sogar Verehrung wahr-genommen und mit großer Begeisterung gefeiert, kann im Umkehrschluss davon ausgegangen werden, dass der für die deutschen Bühnenkünstler typische Schauspielstil im ausgehenden 19. Jahrhundert bei den Zuschau-ern der Eigengruppe auf Ablehnung stieß, da er mit der so häufig gefor-hatte. Diese jedoch wünschte man sich auch für die heimischen Akteure. Im Zuge der Beschäftigung mit der Italienerin Eleonora Duse befasste sich der Kritiker und Schriftsteller Hermann Bahr (1863--1934) auch mit dem Spiel der deutschen Künstler einmal mehr wurde dabei der Weg ex ne-gativo gewählt: Der Kritiker erkannte zwar im Spiel der deutschen Akteure -schen Schauspieler erklärt er wie folgt: 361 Nathanson 1893, 13. <?page no="118"?> 118 Wir haben auch realistische Schauspieler, aber das ist meist ein ganz ande-rer Realismus. Ich möchte ihn den photographischen Realismus nennen;; denn, was er verrichtet, ist Photographie. Er will die Wahrheit, er will die Wirklichkeit, aber er kennt keine andere als die gegebene Wirklichkeit ir-gend eines Moments. Diese aufzufassen, festzuhalten und wiederzugeben, mit der äußersten Redlichkeit und Treue, ist seine einzige Absicht. Er hat keine Ahnung, daß dieselbe Wahrheit alle Tage anders aussieht, unablässig sich verwandelt und rastlos sich erneut. Es sind darum immer nur starre, fertige und unveränderliche Typen, die er spielt: er spielt Masken. Wenn er irgend einen Charakter unternimmt, dann zergliedert er ihn sorgsam in alle Elemente und alle Merkmale, die an ihm vorkommen, merkt er gewissen-haft an. Den Fund trägt er dann eifrig zusammen, zu einem großen Bild, in dem alle kleinen Züge untergebracht sind, bis sie ein verträgliches und ver-ständiges Gefüge geben;; daran darf nicht gerührt werden, sonst zerfiele es und die Arbeit müßte noch einmal beginnen. Es ist fertig;; Wechsel, Wachs-tum und Veränderung sind ausgeschlossen. 362 Nach Bahr gestalten die deutschen Schauspieler im Gegensatz zu den itali-enischen ihre Figuren wenig flexibel. Sie entwickeln sie im Spiel nicht wei-ter, sondern halten sich akri ähnlich, so stellt es der Kritiker dar, sammeln sie Erkenntnisse zu be-stimmten Situationen und Menschen, formen sie und formen sie um, bis sie 363 Charakteren, wie sie im 18. Jahrhundert in der Zeit der Aufklärung gefor-dert wurden, noch denen der Italiener, die eine situative Veränderbarkeit erkennen und sich danach richten, sondern es kommt zur Bildung eines -lich ist. Die Figuren werden dadurch zu hölzernen, sich nicht weiterentwi-ckelnden Abbildern, zu (fast fotografischen) Momentaufnahmen statt zu Akteure nehmen einen einmaligen Moment des Menschen für den ganzen Menschen als ob er immer ebenso gewesen und immer ebenso bleiben würde und als ob in seiner augenblicklichen Erscheinung seine ganze Vergangenheit 362 Bahr 1891, 122. 363 Das von Bahr besch erinnert wohl nicht zu Unrecht an die naturalistische Dramentheorie, wie sie u.a. Empirismus, der Verwendung von Sozio-- und Dialekt und den bis ins Detail ge-zeichneten Regieanweisungen offenbart sich eine innovative Akribie, die dazu führte, dass viele naturalistische Autoren hinsichtlich ihrer Dramen einen fast wissenschaft-lichen Anspruch erhoben. Zum Drama des Naturalismus und seiner Theorie siehe Brauneck 1974, besonders 135--148;; Fischer--Lichte 1999, 243--259;; Kafitz 1989, 288--326. <?page no="119"?> 119 und seine ganze Zukunft enthalten sein müßte. Sie glauben noch an die al-ten Charaktere, die doch nur nachträgliche Abstraktionen des Beobachters sind, der die wirren Widersprüche eines abgeschlossenen Schicksales in Gruppen sammelt und zu Zusammenhängen fügt. Sie wissen nicht, daß der lebendige Mensch vielmehr aus tausend Fähigkeiten, die nur die Hilfe des richtigen Zufalles zur Entbindung erwarten, und aus tausend heimlichen Möglichkeiten besteht, die alle zu stolzen Wirklichkeiten gedeihen, aber auch unverbraucht verwelken können. 364 Eine falsche Herangehensweise an die sowie fehlende Umsicht in der Aus-gestaltung der Figuren attestiert der Intendant und Theaterwissenschaftler Carl Hagemann (1871--1945) den deutschen Schauspielern. In seiner Ab-handlung Schauspielkunst und Schauspielkünstler aus dem Jahre 1903 fordert er wie Bahr, die Metapher der Fotografie verwendend Schulung an der Natur nicht Natur selbst. Das Künstlerauge ist keine Kodaklinse. Es sieht die Dinge nicht nur es schaut, erschaut sie. Der Künstler nimmt die Erscheinungen nicht einfach photographisch ab, son-dern erfasst sie und stellt sie dar. 365 Hagemanns Meinung nach mangelt es den deutschen Schauspielern an der Bereitschaft und Fähigkeit, selbstschaffende, kreative Künstler zu sein. So dominiert die Deklamation im Sinne der Rhetorik statt der Kreativität ihr Spiel ein Zustand, den er kritisiert, wenn er schreibt: Unsere Bühnenkünstler sind nun durchweg zu viel Redner und zu wenig Schauspieler: sie geben eine Paraphrase des Dichtwerks, nicht aber den ge-wünschten Ausdruck des dichterischen Gehalts. Anders gesagt: sie sind zu 366 Ähnlich wie Hagemann schildert auch Eugen Zabel die Missstände im deutschen Theater, wenn er erklärt, die Schauspielkunst der Eigengruppe kranke an dem Uebermaß des Rhetorischen und an dem Zurücktreten des sinnli-chen Moments der Anschauung, das dem Schauspiel den Namen gegeben hat. Die deutschen Theatervorstellungen sind, sobald sie sich auf das Drama höheren Stils beziehen, fast immer nur Hörspiele. 367 Auch Zabel verweist hier auf das Fehlen der spektakulären Note des The-aters und auf die Dominanz der deklamatorisch--rhetorischen Darstel-- -- -künftigen Generationen von Schauspielern einen Vorschlag zur Lösung des Problems, indem er Folgendes fordert: 364 Bahr 1891, 124--125. 365 Hagemann 1903, 48. 366 Hagemann 1903, 194. 367 Zabel 1893, 28. <?page no="120"?> 120 Als eigentli Streben nach ungeschminkter Wahrhaftigkeit zu gelten. Nicht absolute Natürlichkeit, sondern naive Natürlichkeit wird vom Künstler in den Pro-dukten seines künstlerischen Könnens verlangt. 368 Der -handlung der italienischen Schauspielkunst durch die deutschen Kritiker. Das hier zitierte Postulat des Autors impliziert nicht eine absolute Nach-ahmung der Realität;; vielmehr versteht Hagemann unter einer idealen Schauspielkunst die Erfassung der Wirklichkeit, gepaart mit einer künstle-risch--kreativen Komponente. Es ist demnach nicht die reine Abbildung der Natur, die er fordert, sondern eine Orientierung an dieser, kombiniert mit dem Bewusstsein beim Schauspieler dafür, dass es sich bei dem Geschehen auf der Bühne trotz allem um ein Kunstprodukt handelt. -ferische Element. Es wird derart angestrengt versucht, ein Abbild der Wirklichkeit zu schaffen und daran festzuhalten, dass der künstlerische Ansatz dabei verlorengeht. So schreibt Bahr, die deutschen Bühnenkünstler spielten in der ersten Scene immer schon gleich den letzten Akt. Sie sind fertig, wenn sie das erste Mal herauskommen;; es wird an ihnen nichts mehr. Sie entwickeln niemals. Das ist der landläufige Realismus von heute, auf den deutschen wie auf den französischen Bühnen. 369 -tt Emotion sowie schlichte Realitätsabbildung statt künstle-rischer Nachahmung darin sah man die Probleme der deutschen Schau-- -spielkunst nicht: Hier erkannte man eine naive Kreativität, die Lust am (Körper--) Spiel sowie das Vertrauen auf die eigene Gefühlswelt, ohne diese jedoch in hohler Deklamation übersteigert darzustellen. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass den italienischen Schauspielern schon bald eine Vorbildfunktion für ihre deutschen Kollegen deutsche Publikum als auch die Kritiker begeisterten und faszinierten und viele Akteure zur Nachahmung animierten. 4.3.2 Gebärde und Sprache -- 368 Hagemann 1903, 46. 369 Bahr 1891, 123. <?page no="121"?> 121 aterkritikern und --theoretikern zufolge insbesondere im beständigen Ge-brauch der Arme und Hände während des Spiels, in einer äußerst expres-siven Gestik also, die immer wieder hervorgehoben wird. Dass dieser Aspekt der kinesischen Zeichen 370 stets besondere Aufmerksamkeit fand, mag deswegen nicht sonderlich verwundern, da ein die Worte des Spre-chenden unterstützendes Gestikulieren als ein stereotypisches Merkmal der italienischen Kommunikation galt. Diesbezüglich äußert Friedrich Carl Butz (1877--1941): In Italien wird noch mit etwas anderem viel geredet, nämlich mit den Hän-den. Die Gebärdensprache ist außerordentlich mannigfaltig. Mißfall, Beifall, Verachtung, Stolz und Liebeserklärungen können durch sie ausgedrückt werden. 371 Die Gestik der Italiener wurde also nicht allein als ein zeichenhaftes, sinn-tragendes, die verbale Kommunikation ergänzendes und unterstützendes Element bewertet;; vielmehr schrieb man ihr, wie auch Butz es hier tut, die -- Dies thematisiert auch der Religionsphilosoph Martin Buber (1878--1965) in seinem Artikel über einen von ihm mit großem Interesse verfolgten Gesten basieren -- 372 -l, der sich 373 darstellt. Dieser in hohem Maße die Gestik ihrer Ahnen, die im Gange des Alltags an ihrer Wort-- und Geberdensprache unendlich langsam wieder un 374 . Bubers Aussage liegt hier eine Genese der Zeichensprache zu Grunde: In -- -ihre Wurzeln bereits -nach das Resultat eines aktiven, sich über Generationen hinweg durch Weiterentwicklung vollziehenden Prozesses, von dem die italienischen Bühnenkünstler nun weidlich profitierten. Zu einem ganz ähnlichen 370 Siehe Fischer--Lichte 1998, 47--93. 371 das Mittelstadium der Gebärdensprache als Ausdrucksmittel am längsten erhalten 653. 372 Buber 1905, 422. 373 Buber 1905, 422. 374 Buber 1905, 422. <?page no="122"?> 122 alles nicht, sondern die Gebärdensprache wird seit Jahrtausenden gepflegt und ist dem heutigen Italiener von seinen antiken Vorfahren überkom-- 375 Zabel hebt ebenfalls die gestenreiche und sehr körperorientierte Art der Darstellung der italienischen Schauspieler hervor. Der Autor lässt sich diesbezüglich zu wahren Lobeshymnen auf deren Bühnenkunst hinreißen: Wir sehen sie [die auf eine nahezu ideale Weise dargestellten Figuren] ver-körpert in den genannten italienischen Künstlern, die des Wortes so mäch-tig sind, daß sie mit ihm allein schon die größten Wirkungen hervorbringen können, die zugleich aber auch ihre Gefühle mit alphabetischer Deutlichkeit bis in die Fingerspitzen körperlich auszudrücken wissen. 376 Zabel erkennt im Spiel der italienischen Künstler eine optimale Synergie von Wort und Geste. Allerdings ist zu beachten, dass das Subjekt seiner Aussage nicht der italienische Schauspieler generell ist. Zabels Beschrei-bung zielt explizit auf die aus Italien stammenden berühmten und interna-tional anerkannten Meister ihres Fachs Adelaide Ristori, Eleonora Duse, Tommaso Salvini und Ernesto Rossi ab, die in Deutschland gastierten und somit einem breiten Publikum zugänglich waren. Diesen Virtuosen schreibt der Autor eine doppelte Rolle zu: Zwar ragen sie aufgrund ihrer besonderen Begabung aus der Masse der italienischen Bühnenkünstler rakterisiert, was sie zu einem interessanten Untersuchungsobjekt macht: Haben diese Künstler als Kinder deselben Volke [sic! ], als Meister in der Technik ihrer Kunst, als geistig gleich hochstehende Individualitäten und als Träger eines Weltruhmes sehr viel Gemeinsames, so büßen sie hierdurch doch in keiner Weise etwas von ihrer künstlerischen Eigenart ein. Der Reiz, sie als originelle Nature zu betrachten, ist ebenso groß wie das Verlangen, die Berührungspunkte ihrer Kunst ausfindig zu machen. 377 Zabel spricht mit dieser Äußerung den in den Verhandlungen der italieni-schen Virtuosen ständig präsenten Zwiespalt der Kritiker zwischen der nationalen Stereotypisierung der Schauspieler und der Akzeptanz ihrer Individualität an, wie sie später am Beispiel Eleonora Duses noch einmal näher betrachtet werden wird. Zwar schien man sich der Kunstleistung des -spielkunst überdeckten die das Individuum in den Mittel-punkt der Untersuchung stellenden Gedanken der Rezensenten jedoch immer wieder. 375 Butz 1925, 39. 376 Zabel 1893, 12. 377 Zabel 1893, 13. <?page no="123"?> 123 Die bereits angesprochene Wortgewandtheit der oben genannten Bühnen-künstler wird Zabel zufolge noch durch ihre nahezu perfekte, präzise auf das Wort abgestimmte, auf besonders elaborierte Art Emotionen aus-drückende Körpersprache ergänzt. So schreibt der Autor hinsichtlich des Spiels weiter: Solcher und ähnlicher Wirkungen ist das stumme Spiel von Rossi und Salvini, der Ristori und der Duse fähig, die man gleichfalls zu hören glaubt, wenn sie nur mit dem Körper, nur mit den Händen sprechen. 378 Und er fügt hinzu: Besonders erscheint bei ihnen [den italienischen Bühnenkünstlern] die Hand als ein Instrument, das sie auf fünf Saiten zu spielen scheinen. Jeder Finger gleicht einem Buchstaben, setzt sich mit seinen Nachbarn in Bezie-hung und plaudert mit ihnen, bis ein Begriff, ein Wort entsteht. 379 -- -tes und vom gesprochenen (aufgrund der Darbietung in der fremden Sprache nicht für jeden Zuschauer verständlichen) Text des dramatischen Dichters galt somit in der Verhandlung der italienischen Schauspielkunst immer wieder als besonderes bühnenkünstlerisches Qualitätsmerkmal. 380 Demzufolge ist es auch nicht verwunderlich, dass der Kritiker Julius Bab (1880--1955) gerade die Hän -- 381 bezeichnet. Eine solch perfekte Abstimmung von Geste und Wort, wie Zabel sie den italienischen Virtuosen schwärmerisch attestiert, konnten die deut-schen Schauspieler in den Augen der Kritiker niemals erreichen. Dies wird zumindest von dem Theaterleiter, Kritiker und Dramatiker Oscar Blu-menthal (1852--1917) in seinen Theatralischen Eindrücken aus dem Jahr 1885 behauptet, in denen er sich anlässlich des Deutschland--Gastspiels Tom-maso Salvinis intensiv mit dem Virtuosen auseinandersetzt. Im Zuge seiner Beschreibung der Schauspielkunst des italienischen Stars prangert er dieses Defizit als einen der größten Missstände im deutschen Theater an. Vor allem der wirklichkeitsfremde deklamatorische Stil der deutschen Bühnen-künstler, dem das mit dem Wort abgestimmte Körperspiel und die für das Publikum verständlichen, den gesprochenen Text unterstützenden Gesten, die Produkte der vom Schauspieler empfundenen Emotionen sind, fehlte, ist ihm ein Dorn im Auge. Dieses Manko bei den deutschen Akteuren führt Blumenthal insbesondere auf einen Mangel an Körperbewusstsein sowie 378 Zabel 1893, 12. 379 Zabel 1893, 12--13. 380 Die Bezeichnung des Körpers der Virtuosen als ein Instrument ist eine wiederkeh-rende Metapher im deutschen Diskurs. Dazu siehe Kapitel 6.8 der vorliegenden Ar-beit. 381 Bab 1954, 188. <?page no="124"?> 124 auf das fehlende Gefühl für einen sinnlichen wie sinnvollen Körpereinsatz zurück. Als Rezensent attestiert er den einheimischen Bühnenkünstlern eine auf nur wenige und dazu noch standardisierte Bewegungen redu-zierte Gestik und kritisiert: Das schauspielerische Vocabularium ihrer [der deutschen Schauspieler] Geberdensprache ist oft von trauriger Dürftigkeit, die körperliche Erzie-hung zur theatralischen Kunst wird vornehmthuend unterschätzt und so scheint unsere Bühne immer mehr der Herrschaft von klugen Sprechern anheimzufallen, welche die Schauspielkunst in eine Hörspielkunst zu ver-wandeln drohen und sicherlich besser auf den Pulten der Vorleser zu -- 382 Vergeistigung anstelle von Sinnlichkeit, Hörspielkunst statt Schauspiel-kunst, mehr Klangerzeugnis als Körpererlebnis: Diese Prinzipien seien typisch für die defizitäre Entwicklung des deutschen Theaters. Dies wiede-rum sei auf eine Verkennung der Körperlichkeit der Bühnenkünstler be-reits während ihrer Ausbildung zurückzuführen. Ein genaues Studium des von Blumenthal überschwänglich gelobten Stils des italienischen Virtuosen Salvini könne jedoch dem Autor zufolge bei dieser eigens gewählten und selbst verursachten Beschränkung innerhalb der deutschen Schauspiel-kunst Abhilfe schaffen. So ist bei Blumenthal zu lesen: [G]erade die italienischen Schauspieler helfen uns über diese Klippen durch die erstaunliche, sinnliche Prägnanz hinweg, die den tiefsten Zauber ihrer Darstellungen ausmacht und die Ursache ist, daß sich alle ihre Gestalten so tief und dauernd in unser Gedächtniß schmiegen. 383 Das (Wieder--) Erlernen einer das Publikum der Eigengruppe verzaubern-den und in ihren Bann ziehenden sinnlichen Körperlichkeit nach italieni-nennt, soll dem durch steife Gestik und Deklamation geprägten deutschen Theater als eine Art Patentrezept zur Wiedererlangung von Qualität und Nachhaltigkeit dienen. Auch Zabel erkennt in einem wirkungs--, aber vor allem sinnvollen Zu-sammenspiel von gesprochenem Wort und Körpersprache eine Möglich-keit der Verbesserung der deutschen Schauspielkunst. So schreibt er: Erst wenn es gelingt, das Wort in den Dienst einer bestimmten Charakteris-tik zu stellen und andererseits wieder die Gliedersprache geistig zu läutern, 382 Blumenthal 1885, 185--186. 383 Blumenthal 1885, 170. <?page no="125"?> 125 ist es möglich, jene Einheit herzustellen, aus der die reinsten Gebilde der Menschendarstellung hervorgehen. 384 Das Ziel der deutschen Schauspieler sollte es also auch Zabel zufolge sein, sich an den italienischen Bühnenkünstlern in ihrer brillanten Rolle als -ren. Man solle sie sich zum Vorbild nehmen und ebenjener kunstvollen, von den italienischen Virtuosen nahezu perfektionierten sinnvollen und sinnlichen Kombination von Geste und Wort nacheifern. Selbst Winds, der in seinem Aufsatz allen Nationen mit Ausnahme der deutschen äußerst kritisch gegenübersteht, lobt die körperliche Ausdrucks-stärke der italienischen Bühnenkünstler, wenn er schreibt: Von allen fremdländischen Schauspielern imponiert dem Deutschen der Italiener am meisten, und mit gutem Grund: was man auf der Bühne vor-gehen sieht, wirkt stärker als alles, was man hört, und keine andere Schau-spielkunst hat die körperliche Beredsamkeit so ausgebildet wie die italieni-sche, weil angeborene nationale Eigenschaften hier zur Hilfe kommen 385 Durch ihr den ganzen Körper einbeziehendes Spiel sowie die daraus resul-tierende starke (Bühnen--) Präsenz und Publikumswirksamkeit gelang es den italienischen Schauspielern also, sich bei den deutschen Theaterexper-ten zu qualifizieren. Allerdings wurden sie nicht nur von den Kritikern, die ihnen sogar eine Vorbildfunktion für die deutschen Bühnenkünstler zuschrieben, auffallend positiv bewertet: Auch den Zuschauern galten ihre Gastspiele als ein besonderes Theaterereignis und dies trotz der fremden Sprache, die wäh-rend der Auftritte gesprochen wurde, sowie den Verständnisschwierig-keiten, die sich aus dieser besonderen Bühnensituation ergeben konnten. 384 lässt sich hier als ein Verweis auf die Überlegungen des Theatertheoretikers Heinrich Theodor Rötscher (1803--1871) lesen. Dieser schreibt im ersten Band seiner Abhandlung Die Kunst der dramatischen Darstellung Die Aufgabe des dramatischen Künstlers ist die Menschendarstellung, in der sich die Wahrheit des wirklichen Lebens mit der Bedeut-- Und in seinem Buch Dramaturgische und ästhetische Abhandlungen von 1867 liest man: pielkunst ist wesentlich Menschendarstellung;; den ganzen Reichthum des (Rötscher 1867, 71 [Hervorhebung im Original].) Inwiefern es sich bei Zabels Äuße-rung um eine direkte Referenz auf Rötscher handelt, also um einen direkten Verweis erkennt, oder ob er hier mit einem in der Fachsprache etablierten Begriff argumen-tiert, darüber kann in diesem Fall nur spekuliert werden. Letzteres ist aber wahr-scheinlicher, denn der Begriff findet immer wieder Erwähnung in zeitgenössischen Kritiken und Auseinandersetzungen mit der Schauspielkunst ganz allgemein. 385 Winds 1907, 769. <?page no="126"?> 126 Dass das Spiel in fremden Sprachen während internationaler Gastspiele vom deutschen Publikum wie auch der Presse als schwierig empfunden wurde, macht die Bemerkung Nathansons deutlich, der erklärt, vor den Gastspielen der italienischen Virtuosen in Deutschland sei die einheimi-fremde Sprache am Ende doch ein unüberwindliches Hindernis sein 386 . Winds äußert ebenfalls Bedenken;; er beleuchtet die Problematik der Verständigung jedoch nicht nur aus der Sicht des Publikums, sondern sieht auch für die in einem fremden Sprachraum agierenden Schauspieler Schwierigkeiten. So schreibt er: [L]osgelöst von seinem heimischen Wirkungskreis, gleicht der Schauspieler einem Seefisch, der sich im Süßwasser tummelt, namentlich dann, wenn er sich einem Publikum gegenüber befindet, das seine Sprache nicht ver-steht. 387 Die Situation der Darbietung eines Schauspiels in einer dem Publikum fremden Sprache beschreibt Winds demnach nicht nur für die Zuschauer vor, sondern auch für die Akteure auf der Bühne als irritierend. Bei den italienischen Gastspielern, welche die deutschen Theater bereisten, ergaben sich diese Schwierigkeiten und dies ist ein interessantes Phänomen jedoch nicht oder nur in einem vergleichsweise geringeren Maße. Anders als es heutige Quellen häufig angeben, lag das nicht daran, dass die Zuschauer aufgrund ihrer Opernerfahrung der italienischen Sprache einigermaßen mächtig waren dies traf wohl nur auf einen geringen Teil des Publikums zu. 388 Vielmehr erkannte man die Gründe dafür, warum die 386 Nathanson 1893, 9. 387 Winds 1907, 769. 388 im 19. Jahrhundert die internationalen Theaterkarrieren den Italienerinnen und den Französinnen vorbehalten waren. Französisch war die Kultursprache und Italienisch die Sprache der Oper;; beide Sprachen vereinten damit die in ganz Europa respek-tierte kulturelle Bedeutung mit jenem Wohlklang für ausländische Ohren, der die 277). Allerdings vermitteln die zeitgenössischen Quellen einen anderen Eindruck. So liest man etwa und dies ist nur ein Beispiel unter vielen in der Berliner Börsen--Zei-tung -spielt wurde und wir hier in der Gesellschaft die Sprache Dantes und Petrarcas we-- Berliner Börsen--Zeitung vom 22.11.1892. -genden Kritik aus dem Kleinen Journa -schauer der Führung weniger in Berlin lebender Italiener fügsam an und klatschten lebhaft, sobald das Zeichen dazu von maßgebenden italienisch Redenden gegeben Das Kleine Journal vom 5.12.1893.) Hier wird klar, dass das nicht vorhandene Verständnis der italienischen Sprache in den Reihen des Publikums innerhalb der deutschen Eigengruppe während der Duse--Abende doch mehr Probleme bereitete, <?page no="127"?> 127 deutschen Theaterbesucher den italienischen Akteuren gut folgen konnten, im körperbetonten Stil und in der stark expressiven Gestik, die den sprachlichen Verständnisproblemen entgegen zu wirken schienen. Dazu äußert sich Winds wie folgt: Kein anderer fremdländischer Schauspieler wird darum dem deutschen Publikum leichter verständlich als der italienische, denn er spricht in Miene und Geste eine vernehmliche Sprache, selbst wenn man der Rede nicht zu folgen vermag. 389 Folgt man dieser Aussage, so galten die italienischen Bühnenkünstler den deutschen Zuschauern selbst im Fall der fehlenden Kenntnis der italieni-schen Sprache als so verständlich, dass die Sprachbarriere den Kunstge-nuss nicht wesentlich zu trüben vermochte. Damit werden den kinesischen Zeichen, der Mimik und Gestik eine geradezu universell verstehbare, weil für alle Rezipienten dechiffrierbare Note zugeschrieben, was die italieni-schen Schauspieler zu idealen Interpretanten macht. der italienischen Akteure den Anschein, als seien die durch die Bühnen-künstler gesprochenen Worte der Dramatiker nur ein unwichtiges Beiwerk per-- -punkt der Aufführungen. Das italienische Sprechtheater wird fast mit einer Pantomime gleichgesetzt und dabei trotzdem mit viel Lob versehen. 390 Doch genau das führt zu einer paradoxen Situation: Schließlich galt Sprechtheater im deutschen Diskurs hauptsächlich dann als qualitativ hochwertig, wenn von den Akteuren vornehmlich der Umsetzung des Dichterworts Genüge getan wurde. 391 Ein wenn auch indirekter Vergleich als, vor allem in neueren Quellen, immer wieder beschrieben wird. Es ist interessant, dass man sich aus der Angst heraus, falsch zu reagieren, an der italienischen Ge-meinde in Berlin orientierte, deren Mitglieder das Gastspiel dazu nutzten, italieni-ßen zu können. Wie es häufig der Fall war, wollten die Berliner Zuschauer als ein kosmopolitisches Kennerpublikum wirken, auch wenn dies hier nicht der Realität entsprach. Man kann aus der beschriebenen Situation zwei Schlüsse ziehen: Zum Ersten zeigt Theater auch in diesem Fall seine einende Wirkung;; zum Zweiten werden die Makel des sich häufig als so gebildet darstellenden Berliner Publikums in dieser Kritik deutlich herausgestellt. 389 Winds 1907, 769. 390 Diesen Eindruck führt der Autor auf den theaterhistorisch als strittig anzusehenden sche Theater des ausgehenden 19. Jahr-hunderts wird hier von Winds in eine direkte Traditionslinie mit der Commedia estellt, die ihre Blütezeit im 17. Jahrhundert hatte und sich durch eine stark körperlich orientiere Art der Darstellung auszeichnete, weswegen diese Theaterform auch häufig von der Pantomime hergeleitet wird. Zu dieser Einordnung siehe u.a. Vollmer 2011, 11--20. 391 Der sonst vom italienischen Theater so begeisterte Eugen Zabel weist echauffiert darauf hin, dass, im Gegensatz zum deutschen Theater, welches das Drama als Pri-- <?page no="128"?> 128 -nen, theatral--visuelle Elemente in den Vordergrund stellenden Panto-mime 392 wäre nicht gerechtfertigt gewesen, selbst wenn es sich um die literarische Pantomime gehandelt hätte, wie sie um 1900 entstand, 393 und nicht um die Pantomime, die im 19. Jahrhundert in Zirkussen zu finden war. So wäre ein Vergleich zwischen der Pantomime und den italienischen Gastspielen in jedem Fall einer Abwertung der Fähigkeiten der italieni-- -tung der Situation fällt jedoch positiver aus: Zwar steht bei der Rezeption der Kunst der Italiener nicht der Genuss der theatralen Umsetzung eines literarischen Werkes im Vordergrund, was zwar auf dem Unverständnis der fremden Sprache basiert, aber eigentlich gegen das vorherrschende bürgerliche Ideal von Theater sprach;; gleichwohl überzeugte ihn das her-ausragende, gestische Spiel der italienischen Bühnenkünstler in einem Eine ähnliche Interpretation lässt auch eine Äußerung Zabels zu, in der er die Schauspielstile der deutschen Eigen-- und der italienischen Fremd-gruppe vergleicht und dabei zu folgendem Ergebnis gelangt: mat der Aufführung anerkenne, das italienische mit den Worten des Dichters nicht allz ein Fakt, der so vom Kritiker allerdings nicht akzeptiert -springen, unterscheidet sich wesentlich von der nothwendigen Regiethätigkeit, wel-cher diese Dramen auf deutschen Bühnen unterworfen werden müssten, wenn sie nicht über den Rahmen eines Theaterabends hinauswachsen sollen. Der Deutsche vereinfacht den Szenengang, wo er allzu verwickelt wird, verwischt vielleicht auch einmal einen Übergang, wenn er im Interesse des Ganzen entbehrlich erscheint, aber er tastet den Organismus des Dramas nicht an, wie es die italienischen Schauspieler reinste Willkür erklären lassen, ist auch in den übrigen Stücken kein Mangel sodaß wir dieser Seite der italienischen Vorstellungen in keiner Weise eine vorbildliche Be-deutung zuerkennen kön --15. 392 In seinem Aufsatz Die Unmöglichkeit der Szenenphotographie von 1920 äußert Julius Bab ablehnend seine Meinung zur Pantomime eine Meinung, mit der Bab nicht alleine war, denn die Kunstform der Pantomime wurde als eine solche von der Mehrzahl der zeitgenössischen Kritiker nicht anerkannt. Vielmehr galt sie als minderwertige Ku -gung kann nur dann künstlerischen Wert gewinnen, wenn sie sich als Tanz den rhythmischen Gesetzen der Raumbildung unterordnet. Ein Mimodrama dagegen, das sich nicht unter die Gesetze des Tanzes beugt, sondern wirkliche dramatische Wirkungen anstrebt, muß notwendig den Geist des sprachbegabten Menschen in alle Niederungen des Physischen hinabziehen;; alles Differenzierte, Feinere, Höhere, was sich zwischen Menschen zuträgt, ist in seinem Unterschied vom bloß Tierischen ohne Sprache gar nicht kenntlich zu machen. Mag sie deshalb als Filmdrama oder als Zir-kuspantomime, höchst primitiv oder mit allem sinnlichen Raffinement in Form und Farbe realisiert sein, alle aus den bildenden Künsten entlehnten Feinheiten werden --129. 393 Zu Entstehung der literarischen Pantomime um 1900 siehe Vollmer 2011. <?page no="129"?> 129 Während der Deutsche zaghaft und ängstlich erscheint, wenn er eine Vor-stellung und Empfindung körperlich ausdrücken soll, empfindet der Ro-mane ein wahres Behagen, über seinen Körper frei schalten zu können und ihm die verschiedensten Formen zu geben. So entwickelt er selbst bei den gleichgültigen Veranlassungen eine pantomimische und mimische Be-redtsamkeit, die uns völlig unerreichbar ist. Darin liegt das Talent der ganzen Rasse zu der proteusartigen Wandlungsfähigkeit, die den Anfang und das Ende aller Schauspielkunst bildet. 394 Das Bild, das Zabel hier von den beiden Schauspielstilen zeichnet, macht hinsichtlich der Körperlichkeit der Akteure eine absolute Überlegenheit der italienischen Bühnenkünstler gegenüber ihren deutschen Kollegen -dacht, erwecken die deutschen Schauspieler den Eindruck der körperlichen Gehemmtheit, während die italienischen Akteure sich der eigenen Physis bühnenkünstlerischen Ausdruckszwecken einsetzen zu dürfen und das in jeder bedeutsamen wie auch nebensächlichen Situation während der Aufführung. Wo nach Zabels Äußerung das gesellschaftlich einge-schränkte Körperbewusstsein in Deutschland auch im Verhalten der -r umso deutlicher herausgestellt. Einmal mehr entlarvt die Verhandlung der italienischen Schauspielkunst dadurch (unterbewusst wahrgenommene) Defizite und Einschränkungen innerhalb der deutschen Gesellschaft und deckt so bestehende bürgerliche Begeh-rensstrukturen auf. Das Resultat, das vom Körper dominierte Spiel der Italiener, führt Za-in den Augen des Autors die Grundlage einer guten Schauspielkunst bil-det, verleiht Zabel mit seiner Äußerung den italienischen Schauspielern und ihrer Kunst das Prädikat des Idealen, Perfekten. Betrachtet man sich diese Ausführungen Zabels und nimmt man auch die bereits zitierten Äußerungen von Winds mit in den Blick, so fühlt man sich an die zu Beginn der vorliegenden Arbeit angesprochenen Theorien -gen von den den jeweiligen Nationen zugeordneten unterschiedlich großen Fähigkeiten und Talenten zur schauspielerischen Darstellung erinnert. Wie Wie der Norweger verschlossener, bewegungsärmer, stiller ist als der Italiener, so ist der Norddeutsche körperlich gelassener, ruhiger als der Süddeut-- 394 Zabel 1893, 11. <?page no="130"?> 130 395 Kutscher bringt hier zum Ausdruck, was in der obigen Textpas-- -nen unterscheidende besondere Fähigkeit der Italiener, ihren Körper zu betonen und sich zu bewegen, wird auf ihren spezifisch mimisch begabten Nationalcharakter beziehungsweise ihren, wie Niessen es in seinem Hand-buch der Theater--Wissenschaft 396 zurückgeführt. Dabei handelt es sich um einen Begriff, der ganz ähnlich bereits 1928 von Julius Bab in seinem Buch Das Theater der Gegenwart verwendet wird, wenn dieser geradezu euphorisch über die italienischen Schauspieler schreibt: mimische Urkraft genug, um jahrelang 397 Ob in Nies-es wird -keit zur theatralen Verstellung zuschrieb. In Babs Ausführungen offenbart sich immer wieder die Vorstellung, dass die Angehörigen verschiedener Nationen und Völker eine graduell unterschiedliche Talentiertheit zum Schauspiel haben. Entsprechend äußert 398 Man hat schon vor hundert Jahren mit einigem Recht gesagt, daß jeder itali-enische Maultiertreiber mehr mimisches Talent habe als ein norddeutscher Hofschauspieler! Das will besagen, daß im Körper des italienischen Durch-schnittsmenschen eine Kraft und Lust zu körperlichen Ausdrucksbewegun-gen wohnt eine südliche Begabung, deren Häufigkeit mit jedem Breiten-grad nach Norden abnimmt. Der Italiener hat eine Durchlässigkeit des Kör-pers, eine Lust an eindrucksamer Gebärde, am ungehemmten Schrei, am Weinen und Lachen, wie es der nordische Mensch nur bei seltenen, beson-ist ein latenter Schauspieler. 399 Der Autor vertritt die Meinung, dass nicht nur den italienischen Bühnen-innewohnt, die sie zum theatralen Ausdruck prädestiniert. Auch die den hemmung, die zu laut-starken Äußerungen und verstärktem körperlichem Ausdruck von Gefüh-len führt, begründet er mit ihrer Herkunft und dem nationalen Talent. Den Mitgliedern der deutschen Eigengruppe sieht er ein solches nicht gegeben. Im Gegenteil, bei den Menschen, die ihre naturgegebene Hemmung able-gen können und frei von körperlichen Zwängen und geistigen Schranken agieren können, handelt es sich nach Bab um große Ausnahmen. Er stellt 395 Kutscher 1932, 8. 396 Niessen 1949, 502. 397 Bab 1928, 9 [meine Hervorhebung]. 398 Siehe Bab 1954, 187--190. 399 Bab 1954, 187. <?page no="131"?> 131 sind, als etwas Besonderes heraus schließlich heben sich diese positiv von der Menge ab. Dahingegen entsteht der Eindruck, in Italien seien gute Einen ähnlichen Unterschied erkennt auch der Dramaturg und Schrift-steller Richard Fellner (1861--1910) zwischen der deutschen und der italieni-schen Schauspielkunst: Die Eigenart und die Entwicklung der Deutschen haben es mit sich ge-bracht, daß wir unser Empfinden in uns verschließen, daß wir die Aus-drucksfähigkeit unseres Körpers absichtlich kasteien. Daher ist die Sprache der Gesten und Mienen auf unseren Bühnen zumeist nicht volksthümlich national, sondern künstlich konventionell. Anders bei den Kindern des sonnigen Südens, namentlich bei den Italienern, die das Herz nicht nur auf der Zunge, sondern auch in den Fingerspitzen tragen. Denken und Fühlen treten da plastisch in die Erscheinung. 400 Mit dieser Zuordnung kennzeichnet Fellner das Spiel der Deutschen als künstlich kon Volkskunst. Fellners Äußerung kann so als ein Verweis auf das bestehende -lichkeit und Naturverbundenheit wurden zwar als naiv empfunden, was er des son Autor einen gewissen Anspruch auf Überlegenheit nicht ganz verbergen kann, aber nicht als negativ. Im Gegenteil, Italien mit seiner ungezwunge-eit wird auch hier zum Sehnsuchts-ort für die einer restriktiven Moderne unterworfenen deutschen Bürger -kunst wider. Dass der Gedanke vom die Kunst statt der Natur in den Vordergrund stel-lenden deutschen Bühnendarsteller genauso eine von Stereotypen geprägte Vorstellung innerhalb der Eigengruppe war wie die Idee vom die Natur der Kunst bevorzugenden italienischen Darsteller, macht das Beispiel der Überlegungen von Adolf Winds zum Thema der nationalen Schauspiel-künste deutlich. Der Kritiker hat für den Unterschied zwischen den beiden Stilen eine passende Erklärung, der allerdings eine abstruse Argumenta-tion zu Grunde liegt, die vom Autor auch für seine Darstellung des deut-schen Publikums geltend gemacht wurde: Gibt Winds an, dass es das Hauptziel der deutschen Zuschauer sei, sich durch das Theater moralisch belehren zu lassen, so stellen die heimischen Bühnenkünstler für ihn das Pendant dazu dar. Dies bestätigt seine folgende Aussage: 400 Vossische Zeitung vom 20.12.1892. <?page no="132"?> 132 Er [der deutsche Schauspieler] ist auch lebhafter an der Dichtung interes-siert als sein fremdsprachiger Kollege, weil im Gegensatz zu den Romanen, die reine Freude am artistischen haben, zu den Engländern, die sich unter-halten, zu den Russen, die sich berauschen wollen, der Deutsche kritisch veranlagt ist und im Theater verlangt, daß ihm die Dichtung etwas sagen, ihm eine Anregung bieten soll. 401 Das Augenmerk der deutschen Schauspieler richtet sich nach Winds nicht nur auf die Dichtkunst und die persönliche Bildung, sondern auch auf die Belehrung des Publikums im Unterschied zu den Bühnenkünstlern aus anderen Ländern. Letzteren ordnet er in einem Akt der Stereotypisierung charakteristische Absichten und Ziele zu, die von denen der Eigengruppe abweichen. Der sich durch kritisches Denken auszeichnende Deutsche sehe etwas anderes im Theater als zum Beispiel der Romane, Engländer oder Russe, nämlich (im Sinne der Idealvorstellungen des aufgeklärten 18. Jahr-- -dung und Anregung und gleichzeitig eine Stätte, an der man dem Bil-dungsauftrag gegenüber dem Rezipienten gerecht wird: eben das Idealbild des Kulturtheaters. Dass es sich hier um eine nicht nur absolut pauschali-sierende, sondern auch noch weitgehend unbegründete Behauptung Schönreden der oft so beanstandeten deutschen Theatersituation, vorhan-dene Defizite unter dem Deckmantel der Generalisierung und Stereotypisierung zu verbergen, um die Eigengruppe gegenüber den sich (vorgeblich) unterscheidenden Fremdgruppen positiv hervorzuheben. kein Ende. So schreibt er weiter: Hatte die deutsche Schauspielkunst vielleicht auch zuzeiten einen größeren Reichtum an Talenten aufzuweisen, so war sie niemals emsiger an der Ar-beit als heute, die ihr anvertrauten Güter zu pflegen, und strebt weniger als je nach bestechender Einzel--, sondern nach harmonischer Gesamtwirkung. oder vielmehr die im Theater zu Gehör gebrachte Dichtung in Deutschland einen Einfluß auf das geistige Leben, wie ihn keine Bühne einer anderen Nation besitzt. 402 Obwohl der Autor zunächst darauf verweist, dass es im zeitgenössischen Theater an herausragenden Talenten mangele, relativiert er seine Aussage hinsichtlich der negativen Auswirkungen dieses Defizits sogleich wieder: Er erklärt, dass di 401 Winds 1907, 771--772. 402 Winds 1907, 772. <?page no="133"?> 133 Fleiß ein um 1900 oft als Nationalcharakteristikum angesehenes Autoste-reotyp. 403 Andererseits deutet er an, welchen Stellenwert das Drama auf den deutschen Bühnen hat, indem er die Literaturpflege durch die Büh-nenkünstler betont. Weiterhin gibt Winds an, man benötige an den deutschen Theatern Talente, die sich besonders hervortun, schließlich strebe man ein Ensemblespiel und kein Virtuosentheater an. Damit argu-mentiert er im Sinne der Kultur-- und Nationaltheater--Bewegung im ausge-henden 19. Jahrhundert, welche die Ansätze zu einem solchen Theater in den Bestrebungen der Meininger Hofbühne 404 sowie in Bühnen wie dem Deutschen Theater unter Otto Brahm oder der Freien Bühne in Berlin er-kannte: Wie bereits erwähnt, galt diesen ein umfassendes Ensemblespiel, . 405 Dazu schreibt Paul 403 Auch an einer anderen Stelle verweist Winds darauf, dass die deutschen Schauspieler durch Selbstkontrolle und Fleiß eventuelle mimische Defizite wettmachten. So heißt deutscher Arbeitskraft bezwingt auch der deutsche Schauspieler, was ihm nicht mü-- 1907, 771. 404 Zum Meininger Hoftheater, seiner Bedeutung und Ästhetik siehe Erck 2006;; Grube 1926;; Osborne 1988. 405 An dieser Stelle soll nur als Randbemerkung an die von Franz von Dingelstedt (1804-- 1881) am Münchner Hoftheater bereits im Jahre 1854, also fast 20 Jahre vor der den immer wieder auftretenden Wunsch nach einer geeinten deutschen Nation im 19. Jahrhundert widerspiegelten. Dingelstedt, zu dieser Zeit Intendant in München, be-as Hoftheater, die er gemeinsam mit zehn Bühnenkünstlern aus dem eigenen Haus spielen ließ zu dem Zweck, dem Pub-- -lung der größten deutschen Schauspiele, zur Anschauung zu bringen, und dadurch der Nation ein möglichst vollkommenes Gesammtbild des gegenwärtigen Zustandes vrient 1905), was einen vereinend wirkenden Charakter haben sollte. Allerdings kann auch diese Unterneh-mung als gescheitert bewertet werden. Eduard Devrient begründet den Misserfolg wahrhaft Mustervorstellungen zu nen-nenden, Schöpfungen zu beweisen, daß unsrer Kunst nichts mangle: als Sammlung und Erhebung des Gesammtgeistes;; der das Moment der Vitalität in der dramati-schen Kunst ist. Statt dessen traten die Künstler und Künstlerinnen ohne genügende Vorbereitungen, rasch, wie man zu Gastspielen zu kommen pflegt, zusammen, ein Jedes in gespannter Rivalität, eine Jedes darauf angewiesen, seinem Namen die ge-wohnten Gastspielehren zu schaffen. Wer konnte bei dieser Virtuositätsausstellung daran denken sich unterzuordnen, in Ton, Haltung, Rhythmus der Gesammtwirkung --397.) Einmal mehr wird deutlich, wie sehr man das als egozentrisch empfundene Verhalten der Virtuosen für das fehlende En-- <?page no="134"?> 134 Schlenther in seinem 1897 in der Zeitschrift Cosmopolis erschienenen Artikel Gegenüber dem alten Virtuosentum, an dem die deutsche Bühne seit Be-ginn des Jahrhun h dem Auftreten der Mei-ninger und, verstärkt durch die Bestrebungen der Freien Bühne, ein mehr demokratisches Kunstgesetz langsame Geltung verschafft. Zeitgemäß wurde auch hier das grosse soziale Prinzip der Arbeitsteilung befolgt. Aus vielen kleinen Kräften sollte ein grosses Ganze [sic! ] bei der Theaterauffüh-rung entstehen. Keiner sollte über den Andern herausragen. 406 Dieses abgestimmte, alle Akteure in ihrem Wirken auf der Bühne verei-nende Spiel entsprä -kunst und der präsentierten Dra-men könne man das Publikum der Eigengruppe anregen und dadurch -rung wird der bei ihm immer wieder anklingende Wunsch nach einem Kultur-respektive Nationaltheater deutlich, auch wenn es sich dabei um eine Idealvorstellung von stets von Neuem aufgewärmtem Gedankengut des 18. Jahrhunderts handelte, wie sie durch eine bürgerlich--intellektuelle Elite im Diskurs kolportiert wurde -schäftstheater-- Ideal in der Theatersituation des Deutschen Reiches bereits umgesetzt fände, als ob es dort also nur belehrende Schauspieler gäbe, die in perfek-tem und gleichberechtigtem Ensemblespiel intellektuelle Inhalte von genialen Dichtern an ein wissbegieriges und bildungshungriges Publikum vermittelten. Genauso erstaunt es, dass er dem Theater im Deutschen Reich eine qualitative Sonderstellung im internationalen Vergleich zuschreibt semblespiel, hier im übertragenen Sinne sogar für das fehlende Interesse an einer na-tionalen Einigung verantwortlich machte. 406 -tum in hässlichem Sinne kann aber als eine der schlimmsten Verfehlungen des Thea-ters vor allem auch deshalb nicht scharf genug verurteilt werden, weil es dem in-nersten Prinzip der Schauspielkunst schlechthin und besonders der modernen Schauspielkunst mit ihrer unerbittlichen Forderung nach künstlerischem Ausfeilen (Hagemann 1903, 71.) Dies begründet er auf der Basis der literarischen Vorlage, was als ein Verweis auf die vorherrschende Hie-sentliche, das Zweck-volle im Drama ist doch einzig und allein die Handlung: der Ablauf einer nach höhe-ren künstlerischen Gesichtspunkten geordneten Reihe von Geschehnissen. Das Drama besteht nicht aus dem Nebeneinander, sondern aus dem Miteinander einzel-ner Individuen. Das Bühnenspiel will und soll also nicht nur eine Kette von Einzel-leistungen darbieten, deren Glieder nur dünn und locker untereinander verknüpft es will und soll eine künstlerische Gesamtleistung, eine geschlossene Summe von künstlerischen Eindrücken liefern, die sich auf eine ganze Anzahl ver-schiedener Faktoren mit gleichmässiger Verantwortlichkeit für das Gelingen des --72. <?page no="135"?> 135 ein mit Blick auf die zeitgenössische deutsche Theatersituation nicht nach-vollziehbares Urteil, das ein überschätztes Eigenbild deutlich nach außen trägt. 4.3.3 Geist versus Körper n überragenden deutschen Schauspielern, die intellektueller seien als beispielsweise die italienischen, war weit verbreitet und wurde häufig mit ethnisch--nationalen Eigenschaften begründet. So gibt beispielsweise Zabel die deutsche und italienische Schauspielkunst vergleichend an, man gehe allgemein von der Voraussetzung aus, daß die Bühnenkunst der Germanen vom Geiste her-kommt und sich an der Hand einer mühsam erworbenen Technik in das Sinnliche hineinarbeitet, während die Romanen vom sinnlichen Bilde aus-gehen und das technische Rüstzeug mit viel größerer Leichtigkeit gebrau-chen lernen. Es erklärt sich hieraus, daß unsere Schauspieler das Hauptge-wicht auf den Träger des Geistes, die Sprache legen, während die Romanen virtuos sind in der Beweglichkeit des Gesichts, der Arme und Hände, der Bewältigung des ganzen Körpers. Jede dieser Richtungen hat ihre Gefahren, sie kann dort zu Schönrednerei und Deklamation, hier zur saloppen Mus-kelbeweglichkeit werden. 407 ihrer Sinnlichkeit frönten und aus dem Kör künstlerische Kraft aus dem In -- -hen kann, was zu einem sehr beweglichen, körperbetonten Spiel führt, vom Sprache und dem Wort liege. Zabel zufolge zeige sich die Qualität der deutschen Schauspieler in einer gründlichen und intellektuellen Auseinan-dersetzung mit der vom dramatischen Dichter gewählten Sprache. Die bereits erwähnte höhere Gewichtung des Dichterworts gegenüber dem Spiel der Bühnenkünstler, die man immer wieder forderte, wird auch in Zabels Aussage deutlich. Trotz der Vorteile, die diese oder jene Herangehensweise an eine Auf-führung mit sich bringt, sieht Zabel auch die Schwierigkeiten, die sich aus den beiden Möglichkeiten ergeben könnten: Hinsichtlich der deutschen rednerei und Deklama-- Primat der Dichtung könnten die Überbetonung des Wortes durch den Schauspieler sowie die hohle Geste zur Folge haben was von den Zeitge-nossen wiederkehrend aufgezeigt und bemängelt wurde. Die italienischen Akteure wiederum warnt Zabel vor einer Entliterarisierung des Theaters, 407 Zabel 1893, 11--12. <?page no="136"?> 136 einem allzu nachlässigen Umgang mit dem Text und einer Überbetonung des Körpers. Verkäme das Resultat auf der Bühne allerdings weder zu ei-nem -- Dementsprechend ist es nicht verwunderlich, dass Nathanson in der potenziellen Synthese aus beiden Stilen die perfekte Form der Schauspiel-kunst erkennt. Er schreibt: In der Menschendarstellung nimmt es [das italienische Schauspielwesen sw] den höchsten Platz ein, in der Darstellung eines Gesamtwerkes sind die deutschen Bühnen weit voraus. Italien und Deutschland haben noch man-ches von einander zu lernen. Durch die Exkursionen der bisher über die Alpen gekommenen großen Schauspieler des Südens haben die deutschen Künstler schon eine beträchtliche Dosis Natürlichkeit gewonnen. Was ihnen noch fehlt, ist der naturgetreue, nicht übertriebene Ausdruck der großen Leidenschaften und die Abstreifung des traditionellen Pathos im Affekt. 408 409 n zufolge eine neue und qualitativ besonders hochwertige Form des Sprechtheaters ergeben. Demzufolge müsse es das Ziel sein, dass sich beide Nationen aneinander orientierten, damit die Stärken der jeweils anderen erkannt und für sich nutzbar gemacht würden. Als Katalysatoren für einen solchen Lernvorgang macht Nathanson die internationalen Gastspiele der italieni-- -möglichten, sondern bei einer Öffnung dafür auch die eigene Entwicklung vorantrieben. Er weist, wie schon Blumenthal vor ihm, darauf hin, dass durch die bereits durchgeführten Tourneen der italienischen Bühnenstars, Lernprozess in Gang gesetzt worden sei, du -gewonnen hätten. Die Gastspiele der italie-nischen Virtuosen sollen den deutschen Bühnendarstellern also vorwie-gend als Anschauungsunterricht dienen. Durch das Aneignen einer stellungsweise, wie sie die Italiener praktizieren, könne den schweren Defiziten der eigenen Schauspieler, etwa dem von -beides Expressionen einer übermäßigen Künstlichkeit entgegengewirkt werden. Besonders interessant scheint noch eine weitere Äußerung Nathansons, die im selben Kontext zu lesen ist. Im Zuge der positiven Bewertung des 408 Nathanson 1893, 208--209. 409 -beit. <?page no="137"?> 137 internationalen, speziell des italienischen Gastspielwesens als praktischem Anschauungsunterricht für die deutschen Bühnenkünstler verlässt der Autor nämlich die Welt des Theaters und erweitert seine Perspektive auf die politische Ebene, wenn er schreibt: Es muss in nicht zu ferner Zeit gelingen, die gegenwärtigen Vorzüge des Theaters beider Nationen miteinander zu vereinen und zu verschmelzen. Die politische Annäherung des neuen Deutschlands und des neuen Italiens wird sich dann auch auf dem Gebiete der dramatischen Kunst als eines der schönsten und bedeutungsvollsten Kulturmomente unserer Zeit erwiesen haben. 410 Wo die Politik des Kaiserreiches und Italiens bereits eine Vorreiterrolle eingenommen hat und über die Grenzen hinweg international miteinander in Kontakt getreten ist, 411 sollen auch auf kultureller Ebene Barrieren über-wunden werden, um sich einander anzunähern. Dies müsse zum Wohl der Kunst und zugunsten einer Vervollkommnung des Theaters im Deutschen Reich, aber ebenso in Italien geschehen. Dem Theater wird hier die Politik als Vorbild präsentiert, an dem es sich zu orientieren gelte;; dem internatio-nalen Gastspiel wird also auch eine politische Dimension zugeschrieben, auf die im späteren Verlauf der vorliegenden Arbeit noch einmal näher eingegangen wird. Hier muss jedoch die Frage gestellt werden, ob es durch Nathanson nicht zu einer übermäßig idealisierten Einschätzung der Bezie-hungen zwischen Politik und Theater kommt, das heißt, ob die Rolle der internationalen Politik als einflussnehmendem Element auf die kulturelle Entwicklung nicht falsch verstanden oder zumindest überbewertet wird. Es hat den Anschein, dass es sich bei der Äußerung Nathansons um das euphorische Wunschdenken eines rundherum italienbegeisterten Men-schen des ausgehenden 19. Jahrhunderts handelt und nicht um eine realistische Einschätzung. Dafür spricht zumindest die folgende, leise Frustration ausdrückende Aussage des Autors, in der er ganz deutlich Kulturkritik an der deutschen Eigengruppe übt: Wir kümmern uns um die Franzosen, die nichts von Deutschland wissen wollen, und deren Schauspieler nicht zu uns kommen würden. Jedoch um die viel bedeutenderen und interessanteren Schauspieler innerhalb Italiens kümmern wir uns nicht. 412 410 Nathanson 1893, 209--210. 411 Dies wird beispielsweise anhand des 1882 abgeschlossenen und bis zum Beginn des -reich-schen Verhältnis zwischen Italien und dem Deutschen Reich, auf das hier nicht näher eingegangen werden soll, siehe u.a. Afflerbach 2002. 412 Nathanson 1893, 7. <?page no="138"?> 138 Dieser Aussage Nathansons lässt sich partiell zustimmen: Ganz allgemein spielte das italienische Theater im deutschen Theaterdiskurs nur eine untergeordnete Rolle. Die Gastspiele der italienischen Virtuosen jedoch wurden im Deutschen Reich sehr wohl wahrgenommen und die Auftritte in Berlin und auch in den anderen deutschen Städten waren heiß disku-tiertes Stadtgespräch, wie man heute noch an der großen Dichte von Be-sprechungen in den zeitgenössischen Tageszeitungen wie auch an den zahlreichen Bucherscheinungen zum Thema erkennen kann. 413 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Italien auch noch im ausge-henden 19. Jahrhundert zum kulturellen Sehnsuchtsort stilisiert wurde und damit das traditionelle Interesse an diesem Land und seiner (Theater--) Kultur, die im 18. Jahrhundert ihre Wurzeln hat, bis ins 20. Jahrhundert trotz der immer wieder laut werdenden Kritik etwa am italienischen Stagione--Spiel oder an der volkstümlichen Naivität ohne literarische Ansprüche nicht nur eine Orientierungshilfe dar für das von schauspielerischen Defiziten geprägte, oft als künstlerisch marode empfundene deutsche Theater. Man schrieb den sich vorgeblich durch ein naturgegebenes und somit erbliches Talent zur theatralen Darstellung auszeichnenden und sehr körperbetont agieren-den italienischen Schauspielern sogar die Rolle von Vorbildern für die -interessant wahrgenommen wurden, auch die exotistischen Bedürfnisse, die in der bürgerlichen Gesellschaft des Kaiserreiches bestanden. 4.4 Die Beständigkeit des Stereotyps Dass die Halbwertszeit von Stereotypen meist lange dauert und Klischees wie auch Vorurteile gegen politische und geistesgeschichtliche Entwick-lungen und Veränderungen oft resistent sind, 414 zeigt die retrospektive Einschätzung der italienischen Virtuosen und ihrer Schauspielkunst in den 1950er--Jahren. Insbesondere vor dem Hintergrund der Gräuel der Natio-nalsozialisten, die bekanntermaßen das Prinzip von Stereotypisierung und Vorurteil als Rechtfertigung für ihre Verbrechen weidlich auszunutzen 413 Dies wird beispielsweise an der positiven Rezeption Eleonora Duses in Mainz deut-lich, deren Gastspiel einen enormen Zuspruch in der Lokalpresse erfuhr. Siehe Kapi-tel 8.2 der vorliegenden Arbeit. 414 Resistenz von Stereotypen zeitlich verstanden, daß es sich also bei Stereotypen um erstaunlich langlebige und nur schwer veränderliche sprachliche Phänomene han-- <?page no="139"?> 139 wussten, 415 ist es erstaunlich, wie hartnäckig sich die seit dem 19. Jahrhun-- -ischen Schauspielkunst selbst noch über die Zeit des NS--Regimes bis in die 1950er--Jahre hinein hielten und wie unreflektiert diese auch nach 1945 in (theaterhistorischen) wissenschaftlichen wie po-pulärwissenschaftlichen Werken geäußert und angewandt wurden. Dies soll im Folgenden anhand zweier Beispiele aufgezeigt werden. Der Theaterwissenschaftler Ulrich Berns widmet sich in seiner Promo-tionsschrift Das Virtuosengastspiel auf der deutschen Bühne aus dem Jahr 1959 unter anderem den vier bekanntesten italienischen Bühnenkünstlern Ade-laide Ristori, Ernesto Rossi, Tommaso Salvini und Eleonora Duse. Aus seiner mit harscher Kritik am Virtuosentum gespickten retrospektiven Betrachtung der Gastspiele seit der Mitte des 19. Jahrhunderts zieht er das folgende F im körperlichen als im sprachlichen Ausdruck mitteilt, erleichtert ihm den Zugang zu einem internationalen Publi 416 Berns bemüht hier ohne Reflexion sowie ohne Kommentar das oben anhand der zeitgenössischen Quellen dargestellte und im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert fest verankerte Stereotyp. Er beschränkt sich dabei nicht auf die italieni-- -grund seiner H -- -hende Reduktion des italienischen Schauspielstils auf den Status der Pan-tomime steht im krassen Gegensatz zu der oben aufgezeigten Tradition vom bürgerlichen Hochkulturgedanken des 19. Jahrhunderts. Sie kommt der generalisierenden Unterstellung einer Unfähigkeit zur intellektuellen Auseinandersetzung mit der Dichtersprache nahe. Allerdings schwächt Berns seine pauschalisierende negative Einschätzung ab, indem auch er wiederum im Gleichklang mit einigen Theaterkritikern des 19. Jahrhun-derts behauptet, der größere körperliche Einsatz führe zu einem univer-gang zu einem internationalen Auch die im Theaterdiskurs um 1900 immer wieder behauptete Latenz des Schauspielerhaften bei allen Italienern, unabhängig von ihrer Erzie-hung, Bildung, Profession etc., war in den Köpfen der Menschen selbst nach 1945 noch fest verankert. In einem 1957 erschienenen Zeitschriftenar-- 415 u.a. bereits durch Kinder-- und Schulbücher kolportiert wurde und das auf abstoßende Weise die Verwendung von Stereotypen zu Propagandazwecken missbrauchte. Zur u.a. während des Nationalsozialismus, siehe Benz 2010;; Gilman 1991;; Lamm 1985, 103--106;; Rohr-bacher/ Schmidt 1991. 416 Berns 1959, 120. <?page no="140"?> 140 tikel, der den vielsagenden Titel Jeder Italiener ein Schauspieler trägt, schreibt der 1933 nach Italien emigrierte Germanist und Italien--Liebhaber Sante David (1908-- 417 Hier handelt es sich um eine Äußerung, die zwar auf den ersten Blick an Erving Goffmans (1922--1982) bahnbrechendes Buch Wir alle spielen Theater erinnert, 418 Die Ausführungen zu den Italienern als Schauspieler im Theaterdiskurs des 19. Jahrhunderts lassen sich in die zeitgenössischen Entwicklungen einer sich auf dem Weg in die Moderne befindenden deutschen Gesell-schaft einordnen. In ihr ging die Verhandlung von Begriffen wie Rasse, Nation und Volk auf diverse, in der Retrospektive betrachtet politisch häu-fig zweifelhafte Weise von statten. Den pauschalisierenden, manchmal auch abwertend gemeinten oder zumindest negativ anklingenden Äuße-rungen um 1950 fehlt jedoch jeglicher Anspruch auf Rechtfertigung und sie geraten zu fragwürdigen Anachronismen. Ein Vergleich Schauspielkunst am Beispiel berühmter italienischer Virtuosen zu untersu-chen, soll noch ein Seite geworfen werden. 419 Bei der Analyse der stereotypischen Darstellungen der italienischen Bühnenkünstler fällt auf, dass diese denen der sogenann-urs des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts verhandelt wurden, in vielerlei Hinsicht ähneln. 420 In den zeitgenössischen Schilderungen finden 417 David 1957, 66. 418 Siehe Goffman 2008. 419 wird an dieser Stelle als Exkurs betrachtet und behandelt. Es kann wegen seines Um-fangs und des inhaltlichen Textflusses im direk -- 420 Schauspielkunst siehe Bayerdörfer 1997, 195--215;; Malkin 2010, 1--20;; Marx 2007b, 239-- 258;; Marx 2008, 121--201;; Marx 2010, 116--131. Einen gut recherchierten Überblick mit umfassenden Angaben zu weiterführender Forschungsliteratur zu diesem Thema bietet Judith Eisermann in ihrem Buch über den Schauspieler Josef Kainz. An seinem Beispiel zeichnet die Autorin die im deutschen Diskurs um 1900 vorherrschenden antisemitischen Vorurteile nach und erfasst außerdem die Äußerungen Richard Wagners und Eduard Devrients zu diesem Thema, sodass hier Ansätze genügen sol-len. Siehe Eisermann 2010, 138--154. <?page no="141"?> 141 en zwischen diesen beiden -man etwa in der Veröffentlichung Juden auf der deutschen Bühne des Schrift-stellers Arnold Zweig (1887--1968) aus dem Jahre 1928: Der Jude ist wesentlich Mittelmeermensch;; unter nordischen Völkern ein südöstliches Wesen, sein Habitus, seine inneren Spannungsverhältnisse, seine Wege der Entladung werden vom Mittelmeer her definiert. Er hat in seinem vielgestaltigen Charakter niemals die Grundnoten verleugnet, die ihn in die Nachbarschaft der Spanier, Griechen, Araber, Italiener, Provençalen, Ägypter stellen. Er sieht aus wie sie;; in Italien, der Türkei, in Spanien oder Süd -r, wenn er blond ist. 421 Allerdings und dies soll nachgewiesen werden zeigt sich im Diskurs ein eich lebende, an deutschen Theatern engagierte Bühnenkünstler mit jüdischem Hintergrund eingeordnet wie zum Beispiel Bogumil Dawison (1818--1872) oder Adolf von Sonnenthal (1834--1909), 422 um nur zwei der berühmtesten zu nennen, aber auch Akteure nicht--jüdischer Herkunft 423 wie Josef Kainz (1858--1910) 424 . Dabei wurde sowohl die jüdische als auch die italienische Schauspielkunst durch bestimmte stereotypische Merkmale charakterisiert. Das macht die folgende Aussage deutlich: Der jüdische Schauspielstil zeigt sich in einem nervös hitzigen Gebaren, ei-ner raschen sich überstürzenden, halb singenden, halb monotonen Dekla-- 421 Zweig 1928, 22. 422 beiden, vor allem im Hinblick auf ihre Rezeption in Deutschland, siehe Marx 2008, 146--164. Neben u.a. in Berlin an speziellen jüdischen Theatern auftraten. Diese sollen hier nicht dis-kutiert werden. Zu diesen siehe Sprengel 1995. 423 Dass nicht--jüdischen Schauspielern ein jüdischer Hintergrund zugeschrieben wurde unterschiedlichen Gründen: So diente diese Kategorisierung zum Beispiel zur Diffa-sehr negativ bewertet. Manchmal glaubte man auch, gewisse stereotypische Merk-- -chend ein. Letzteres war hauptsächlich bei als besonders modern geltenden Schau-spielern der Fall. Vgl. Eisermann 2010, 143. 424 Wie Eisermann nachweist, war Josef Kainz nicht jüdischer Herkunft, obwohl diese ihm immer wieder zugeschrieben wurde. Vgl. Eisermann 2010, 132--133. <?page no="142"?> 142 -- und Herschleudern der Hände und in dem ner-vös--sinnlichen Abtasten der Arme der Mitspielenden, andrerseits aber in einer gera 425 Gerade durch die hier erfolgte Hervorhebung der Gestik, also der expres-siven Bewegungen der Arme und Hände, 426 und durch die Betonung des rt, vermehrtes Aufkommen der kinesischen Zeichen. Allerdings deutet sich hier bereits ein Unterschied an: Während man bei den italienischen Bühnenkünstlern den Gebrauch von großen, ausdrucksstarken Gesten lobte, wurden die -keit, Nachlässigkeit und Ungenauigkeit bei der Ausübung der im Deut-schen Reich geforderten hehren Kunst auf der Bühne. -wendet wird, lässt sich nur auf den ersten Blick eine Gemeinsamkeit fest-stellen. Auf zeitgenössische Quellen verweisend gibt Judith Eisermann an, chen und körperli-- 427 . In diesem Zitat offenbart sich, wie sehr der Während er in Bezug auf die Italiener von den deutschen Kritikern als ein positives Merkmal dargestellt wird, in dem sich das Begehren der bürgerli-chen Stimmen nach einem künstlerisch--mimetischen Schauspielstil im Akteure ei Schauspieler ist negativ konnotiert. Be im Spiel eine allgemein gelobte und nachahmenswerte Alternative zur als -le dass es sich überhaupt nicht um Kunst handele. Dies darf als Hinweis auf das zeitgenössische Vorurteil verstan 425 --Kürschner, Spalte 83, zit. nach Eisermann 2010, 142. 426 Ohne den im obigen Zitat anklingenden Antisemitismus äußert sich Zweig zur Verwendung der Gesten bei dem jüdischen Akteur -per zum Sprechorgan, die Hand mit ihren Fingern zu einer Zunge mehr, und in der Gestikulation erst, oft erheiternd anzusehen, vollendet sich die Wortseite seines We-einen Buchstaben des Alphabets am eigenen Leib erfährt, trägt ihn hinein in fremde 427 Eisermann 2010, 142. <?page no="143"?> 143 428 , also ein Gemisch aus Deutsch und Jiddisch sprechen, das 429 Stellt Eiser-im zeitgenössischen Kontext wahrscheinlich ist, dann betont diese Attri-- -- und deutet weiterhin die mangelnde Bereitschaft zur Anpassung an die deutsche (bürgerliche) Gesellschaft und ihre ästhetischen Normen an. Die vermeintliche Ähnlichkeit hin ty-deutlichsten, wenn, wie es immer wiederkehrend der Fall ist, sowohl den jüdischen als auch den italienischen Akteuren eine genetische Prädisposi-tion zum (Theater-- 430 . Und bei Speidel, der einen Vergleich man: Wer sieht hier nicht in der deutschen Unbeholfenheit die offene Tür, durch welche der jüdische Genius in die Welt der Bretter eintrat? Die mimische Begabung, die sozusagen leibliche Phantasie des Volkes Israel ist weit rei-cher als die des deutschen Volkes. Wo der Deutsche seine Seele mühsam, wie aus einem Futteral, hervorholt, ist sie bei unseren Brüdern aus dem Osten schon in lebhafter körperlicher Bewegung. Indem der J -d.h. an Leib und Seele zappelt, ist er für uns ruhigere Naturen ein Schauspieler, und wenn man einen jüdischen Roßkamm mit einem deut-schen Bauer um ein Pferd handeln sieht, springt der Blutunterschied beider Leute deutlich genug ins Auge. 431 428 In Meyers Großem Konversations--Lexikon von 1908 findet sich zum Begriff (abgeleitet vom hebr. Mausche, »Moses«, oder Mauschel, »Herr-scher«), Spottname für Jude;; mauscheln --deutschen Jargon re-- Mauschel 1908, 470. 429 Die Historikerin Shulamit Volkov schreibt, dass die Angleichung an die deutsche Hochsprache und der Verzicht auf das Jiddische ein Teil der Assimilationsbestrebun-gen deutscher Juden seit dem 18. Jahrhundert gewesen seien, die dazu dienten, einer -tum sie geschaf 430 Zweig 1928, 23. 431 Speidel 1911, 74-ben angestellten In-terpretation trotzdem nach dem Lexikoneintrag von 1908 gerichtet werden. <?page no="144"?> 144 wurden, denen man stereotypisch ein temperamentvolles Wesen zu-schrieb. hauspiel ge-geben auch abseits des Theaters , so wird in Speidels Äußerung eine -rekten Abgrenzung von der deutschen Eigenkultur noch stärker zum Tra-gen kommt. Während man die theatrale Gabe der Italiener als positiv den Willen zur perfiden Täuschung und Verstellung an, wie es im obigen Zitat vom Autor durch die Pferdehändler--Metapher angedeutet wird 432 eine von Vorurteilen geprägte Einstellung, die nicht nur im Deutschen Reich eine lange und traurige Tradition hatte. Damit werden in dieser Auseinandersetzung in der deutschen Gesellschaft des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts herrschende antisemitische Strömungen 433 waren. Und genau an diesem Punkt, nämlich an der gesellschaftlichen Proble-- 434 , in den verschiedenen Kontexten also, in denen beide Gruppen be -- -kurs grundlegend: Bei der Auseinandersetzung mit den Gastspielen der italienischen Virtuosen in Deutschland respektive in der Hauptstadt Berlin handelte es sich um kurzfristige, transnationale Prozesse innerhalb eines von beiden Seiten intendierten Kulturaustauschs;; die Stereotypsierung funktionierte dabei vor allem auf der Grundlage eines Exotismus, einer Faszination der -- -wertung sowie die antisemitische Diffamie-rung zeigen hingegen einen anderen längerfristigen Mechanismus: Hier wird der innerhalb der deutschen Gesellschaft um 1900 herrschende Anti-- 432 Diese permanente Unterstellung einer Täuschung oder Verstellung hatte (nicht nur im Deutschen Reich) eine lange Tradition. Siehe dazu u.a. Rohrbacher/ Schmidt 1991. 433 Volkov 2000, 70. 434 -men-- -mäß gewissen Organisationsprinzipien für Ereignisse zumindest für soziale und für unsere persönliche Anteilnahme an ihnen Definitionen einer Situation aufstellen;; --34. <?page no="145"?> 145 semitismus aufgedeckt, eine innergesellschaftliche anti--jüdische Haltung, die bereits über Jahrhunderte hinweg Bestand hatte. Die italienischen Schauspieler waren im wahrsten Sinne des Wortes -ten nach Berlin oder in andere deutsche Städte, wurden dort als Repräsentanten ihrer Nation wahrgenommen und als solche ge-sowie behandelt und zogen dann wieder weiter. Ihrer als in-teressant empfundene ner-halb der Eigengruppe stets bewusst, was auch die Basis für den Exotismus darstellte. Dagegen ging der Status der jüdischen Bühnenkünstler über eine -- Kaiserreich häufig nicht oder nur in Ansätzen akzeptiert wurde und die deutsch--jüdi-schen Mitglieder der Gesellschaft immer wieder Objekt von starren, im deutschen kollektiven Bewusstsein bestehenden antisemitischen Vorurtei-len wurden, waren sie ein Teil des sozialen Gefüges, selbst wenn sie einer mehr oder weniger assimilierten Minorität angehörten. So lassen sich zwar prinzipiell Gemeinsamkeiten hinsichtlich der Stere-otype der italienischen und der jüdischen Schauspieler feststellen die Perspektive, aus der diese im deutschen Diskurs betrachtet wurden, sowie der Rahmen ihrer Verhandlung und die Akzeptanz durch die deutschen Zuschauer unterscheiden sich jedoch grundlegend. <?page no="146"?> 146 5. Die berühmten Vorgänger der Duse 5.1 Allgemeines Bevor Eleonora Duse im Jahre 1892 ihr Gastspieldebut im Berliner Lessing-- Theater gab, waren vor ihr bereits die drei international nicht minder be-kannten italienischen Virtuosen Adelaide Ristori, Ernesto Rossi und Tommaso Salvini in Deutschland erfolgreich auf Tournee gegangen. Dem-entsprechend galt der erste Auftritt der Duse wie auch ihre in den 1890er-- Jahren nahezu jährlich erfolgenden Gastspieltourneen durch das Kaiser-reich, so wird es in den zeitgenössischen Quellen häufig dargestellt, als krönender Abschluss der Reihe von Gastspielen der berühmtesten italieni-schen Schauspielstars des 19. Jahrhunderts. 435 Ob Adelaide Ristori, die als 436 , ihre männlichen Kollegen Tommaso Salvini und Ernesto Ro 437 ablösten, oder eben Eleonora Duse die ita-lienischen Schauspieler waren seit der Blütezeit des internationalen Virtuo-sentums, also seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, regelmäßig wiederkeh-rende und gefeierte Gäste auf den deutschen Bühnen. Im Kaiserreich, vor allem in Berlin, konnte man demnach am Ende des 19. Jahrhunderts auf eine etwa 50--jährige Tradition von Gastspielen italie-nischer Schauspielvirtuosen zurückblicken und man war stolz auf die Rolle des freundlichen, interessierten und dem italienischen Theater ge-genüber offenen Gastgebers für die aus der, wie Berns Italien abwertend 438 stammenden Büh-nenkünstler. Doch die Gastspiele bedeuteten nicht nur für die Zuschauer Höhepunkte im Theaterjahr, sie prägten auch die Theaterkultur der deut-schen Eigengruppe. Die kulturelle Relevanz dieser Bühnenereignisse und das Ausmaß des Einflusses auf die heimische Theatersituation versucht Zabel seinen Lesern zu vermitteln, wenn er erklärt, es habe sich die Beliebtheit und das Ansehen der italienischen Schauspielkunst seit der -- 435 Sowohl Berns als auch Zabel geben einen groben Überblick über die Gastspiele der vier berühmtesten italienischen Bühnenkünstler Adelaide Ristori, Ernesto Rossi, Tommaso Salvini und Eleonora Duse an deutschen Theatern im 19. Jahrhundert. Siehe Berns 1959, 120--126;; Zabel 1893. 436 Berns 1959, 120. 437 Berns 1959, 121. 438 Berns 1959, 120. zu betrachtende, fast schon rassistisch--chauvinistische Ausdrucksweise zum Tragen, die in Anbetracht des Erscheinungsjahrs der Dissertation zu denken gibt. <?page no="147"?> 147 tenmal aus dem Munde von Adelaide Ristori vernahmen, in dem Grade ge-steigert, daß wir ihren Einfluß auf den Geschmack des Publikums und die einheimischen Künstler kaum unterschätzen können. 439 Auf welche Weise und in welchem Maß die drei berühmtesten italieni-schen Vorgänger der Duse das deutsche Publikum mit ihrer Einzigartigkeit und ihrem herausragenden schauspielerischen Talent zu beeindrucken wussten, soll im Folgenden exemplarisch aufgezeigt werden. 5.2 Adelaide Ristori Adelaide Ristori gilt als die erste italienische Virtuosin, welche die deut-schen Zuschauer im 19. Jahrhundert bei ihren Gastspielen von der Qualität Deutschland zwischen 1852 und 1862 fast jedes Jahr;; auch später gastierte sie noch 440 . Aus der Re-trospektive betrachtet, beschreibt Julius Bab sie wie folgt: Adelaide Ristori ist sicherlich einer der schönsten Menschen gewesen, die je die Bühne betreten haben von jener Schönheit, die keineswegs mehr bloß eine Sache des Körpers ist, die nur durch die höchste Spannung aller Züge unter dem Ansturm einer tiefen, leidenschaftlichen Seele möglich wird. 441 Wie in Babs Schilderung und seiner Betonung der Leidenschaftlichkeit der Ristori bereits anklingt, ist die Rolle der italienischen Bühnenkünstlerin nicht nur deswegen so interessant, weil sie die erste der vier Virtuosen aus Italien war, die das deutsche Publikum kennenlernte. Weitaus bedeutender ist ihre (sozio--) kulturelle Relevanz: Adelaide Ristori prägte als erste Büh-nenkünstlerin in hohem Maß das sich im kollektiven Gedächtnis veran-von einer italienischen Schauspielkunst beim deutschen Publikum. Victor Hehn veranschaulicht diese Aussage im folgenden Zitat: Wer diese Menschen [die Italiener] und ihre Geberden nicht gesehen, ihre Accente nicht gehört hat, der konnte durch Adelaide Ristori einen Begriff davon bekommen. Die tragische Plastik dieser Künstlerin war die einge-borne Tochter des Volkes: so deklamieren die Weiber am Brunnen, so lei-denschaftlich streiten sie über die Strasse, jede an der Schwelle ihrer Haus-- 439 Zabel 1893, 6. Interessanterweise stammte Adelaide Ristori keineswegs aus der Toskana, sondern aus dem Friaul. Das Italienisch der Toskana galt allerdings als na-hezu dialektfrei und damit als der italienischen Hochsprache nahe. Siehe Schlösser 2001, 84. 440 Berns 1959, 120--121. 441 Bab 1928, 8. <?page no="148"?> 148 tür sitzend, so stehen sie versteinert da, so blitzschnell schwingen sie das Messer, so funkeln ihre Augen, so schleudern sie Zorn-- und Schmachrufe. 442 verkörperte die Ristori Hehn zufolge vor allem die italienische Leiden-schaft und Sinnlichkeit, wobei der Autor sich in diesem Punkt von ande-ren deutschen Kritikerkollegen unterscheidend 443 insbesondere ihre Ex-pressivität bei der Darstellung von Gefühlen wie Wut und Zorn in den -r für den deutschen Leser gezeichnet wurde: Als Prototyp der Italiene Schauspielerin Ristori die deutsche Vorstellung von der volkstümlich-autochthonen leidenschaftlichen Frau, die mit großer Sinnlichkeit liebt und hasst und deren Handlungen von ihrer ursprünglichen Naivität geleitet werden. Auch Zabel erkennt in der Ristori eine typische Repräsentantin der ita-lienischen Schauspielkunst. Vor allem aber ordnet er sie historisch--genea-logisch ein, wenn er schrei mit der künstlerischen Entwicklung Italiens steht und nur den höchsten Gipfel in einer Kette unter sich verwandter schauspielerischer Größen 444 . Zabels Einschätzung, Adelaide Ristori nehme nicht nur hin-sichtlich ihrer speziellen Schauspielbegabung und ihrer Rolle als internati-- 445 , enthält gleichzeitig einen Hinweis auf die immer wieder thematisierte große Bedeutung der italienischen Schauspielerinnen im theaterhistori-schen Kontext. Exkurs II: Die Rückkehr der Frauen auf die Bühnen Europas Italien gilt in vielen theaterhistorischen Abhandlungen bis heute als das erste westeuropäische Land, in dem nach dem Mittelalter erstmals wieder 442 Hehn 1992, 115. 443 Julius Bab gibt an, dass Adelaide Ristori im Gegensatz zu der meist nur bei ihrem Vornamen genannten französischen Schauspielerin Rachel Felix (1820--1858) zu sol-chen Gefühlsäußerungen nur mäßig fähig gewe liebevollen, auch in majestätischer Klage alles Dinge, die der Rachel verschlossen von V (Bab 1954, 189.) Ähnlich wie Bab schreibt auch Zabel über die Ristori im Vergleich das Gebiet, auf dem ihre große Rivalin, Rachel Felix, ihren Genius frei schal (Zabel 1893, 22.) Die Verschiedenheiten innerhalb der Charakteristika der beiden Schauspielerinnen sollen an dieser Stelle jedoch nicht weiter ausgeführt werden. 444 Zabel 1893, 23. 445 Zabel 1893, 13. <?page no="149"?> 149 professionelle Schauspielerinnen auf der Bühne auftraten: 446 Darstellerin-nen wie Isabella Andreini (1562--1604) prägten zu Beginn der Neuzeit sowohl in ihrer Funktion als Bühnenkünstlerinnen als auch als Prinzipalin-im Unterschied zu der zeitglei-chen Theatersituation in anderen europäischen Ländern, wo Frauenrollen immer noch mit Männern und Jungen besetzt wurden. 447 Im deutschen Diskurs um 1900 fand man für dieses theatergeschichtlich höchst interessante Phänomen recht schnell eine Erklärung: 448 Man führte die Entwicklung auf den von Kritikern und Theoretikern so oft zitierten spielfreudi angeborene Grundbegabung zum Spiel und der Lust an der mimischen Verstellung zurück. Diese ließ eine Wiederkehr der Frauen auf die Bühne als eine (theater--) historische Unumgänglichkeit erscheinen. Der zeitgenössische Theatermacher und Autor Heinrich Stümcke (1873-- 1923) schreibt in seiner Abhandlung Die Frau als Schauspielerin aus dem den wir die ersten Spuren des Wieder-auftretens von Frauen auf der Bühne in den romani 449 Und er führt weiter aus: 446 Was hier zur Anwendung kommt, ist natürlich ein sehr enger Theaterbegriff. So -rung des Theater--Begriffs von Rudolf Münz nennt (siehe Hulfeld 2000, 379--401). Dass dieser Begriff für die theaterhistorische Forschung heute nur noch sehr eingeschränkt geeignet ist, da er zu viel theaterhistorisch Relevantes ausklammert, wie u.a. die schriftlich nicht fixierten Spielformen des Mittelalters, bei denen man davon ausgeht, dass in diesen auch Frauen agierten (vgl. Helleis 2006, 53--55), soll an dieser Stelle zwar angemerkt, jedoch im Kontext der vorliegenden Arbeit nicht weiter diskutiert werden. 447 Italien nennt Schauspielerinnen bereits für die Siehe zu den weibli-- --Schauspielern und ihrer Bedeutung Hecker 2000, 27--58. 448 Bis heute gibt es allerdings keine wissenschaftlich belegte Antwort auf die Frage nach dem Grund für die Wiederkehr der Frauen auf die Bühnen Europas. Helleis verweist auf Carlo Goldoni (1707-mit dem Volkstheatercharakter dieser Theaterform erklärt. So führt er diese auf die -derbe Spielformen der römischen Antike, zurück, in denen auch Frauen agierten (vgl. Helleis 2006, 55--56). Doch auch diese Begründung bleibt nur eine Vermutung. Daher sendjährigen Verbannung hält am Ausgang der Renaissance die Schauspielerin Einzug auf die europäischen Bühne. Das bedeutet: Gleichzeitig mi findet auch das weibliche Geschlecht Eingang in Thalias Reich. Wie kommt es zu die-ser Öffnung? Die Theatergeschichtsschreibung hat hierfür nicht bloß keine Antwort gefunden, sondern noch nicht 449 Stümcke 1905, 16. <?page no="150"?> 150 und heitere Lebensauffassung des Südländers, der ja noch heute einen gro-ßen Teil der im Norden in die vier Wände gebannten häuslichen und ge-werblichen Verrichtungen und Gewohnheiten auf der Straße übt, die Inti-mität des oft nur mit ein paar Fässern auf offenem Markte inszenierten sw] gewich-tige, in andern Ländern gegen das öffentliche Auftreten der Frauen wir-kende Gründe. 450 Wie schon anhand der zeitgenössischen Rezeption des Zuschauerverhal-tens der Italiener im deutschen Diskurs gezeigt worden ist, wurde auch hinsichtlich der Betrachtung der historischen Entwicklung der Schauspiele-rin der Öffentlichkeitsbegriff der italienischen Fremdkultur betont, der sich von dem der deutschen Eigenkultur in hohem Maße unterschied: So wurde ein freizügigeres Leben coram publico imaginiert. Sich auf diese Vorstellung stützend führt der Autor -- Stümcke argumentiert, dass es da, wo der Wunsch der Menschen nach privater Intimität so klein und der nach öffentlicher Präsentation von Ge-fühlen und Handlungen so groß ist, auch nicht problematisch erscheinen kann, dass nicht mehr ausschließlich die die Gesellschaft dominierenden Männer, sondern eben auch die Frauen die weiblichen Rollen auf dem Theater übernehmen können und als professionelle Bühnenkünstlerinnen agieren dürfen. Dementsprechend wurde die theaterhistorisch so wichtige Entwicklung nicht als ein Schritt der Frauenemanzipation verstanden, als der er heute häufig interpretiert wird, sondern als eine logische Folge, ba-sierend auf der typischen performativen Eigentümlich 451 . Ganz ähnlich wie Stümcke stellt auch Rudolf K. Goldschmit (auch Ru-dolf Karl Goldschmit--Jentner;; 1890--1964) diese Entwicklung in seinem Werk Die Schauspielerin. Ihr Weg, ihre Gestalt und ihre Wirkung aus dem Jahr 1922 dar: Es ist nun charakteristisch und entspricht durchaus der seelischen Struktur der europäischen Kulturvölker, daß es in den germanischen Ländern am längsten dauerte, bis die Frau als Schauspielerin wieder auf dem Theater erschien. Der Germane ist immer bestrebt, die Erlebnisse der Seele keusch zu verbergen, der Romane und der Jude, der ja schon durch jahrhunderte-langes Leben in der Diaspora zur Ausgleichung oder Nachahmung der 450 Stümcke 1905, 17--18. 451 Siehe Fußnote 397 der vorliegenden Arbeit. <?page no="151"?> 151 fremden Völker genötigt ist, sind bereiter und geneigter zur mimischen Darstellung. 452 Goldschmit macht seine Leser ebenfalls auf den kulturellen Unterschied Vorstellungen von Öffentlichkei schreibt, die Intimität zu wah-größere Bereitschaft und Neigung zur öffentlichen Zurschaustellung seiner Gefühle zu. Auf dieser Grundlage erklären Goldschmit und Stümcke die Vorreiterrolle der professionellen italienischen Schauspielerinnen auf den europäischen Bühnen zu Beginn der Neuzeit. In diesem Kontext lässt sich auch die oben zitierte Äußerung Zabels zu Adelaide Ristori deuten, der diese als Teil der historisch--genealogischen Entwicklung in die Reihe der italienischen Schauspielerinnen einordnet. 5.3 Ernesto Rossi und Tommaso Salvini Mehr noch als Adelaide Ristori waren ihre beiden männlichen Schauspie-lerkollegen Tommaso Salvini und Ernesto Rossi, die etwa 20 Jahre nach der italienischen Virtuosin deren Nachfolge auf den Bühnen des Deutschen Reiches antraten, den deutschen Zuschauern willkommene Gäste. Sie wurden, als beide in den 1870er--Jahren zum ersten Mal nach Deutschland kamen, sowohl vom Publikum als auch von der heimischen Presse überaus wohlwollend aufgenommen. 453 Dementsprechend stellte man in einer Re-zension des ersten Duse--Gastspiels in Berlin im Kleinen Journal mit Stolz fest: Die italienischen Theater--Koryphäen haben seit je in Berlin ein freundliches Gast--Asyl gefunden, nicht nur die Meister und Meisterinnen des bel canto, sondern auch Künstler wie Rossi und Salvini, von denen der Erstere beson-ders von der Gunst der distinguirten Damen in Berlin W. getragen wurde (was bei seiner Korpulenz schon immerhin als Opferung für die Kunst an-- 452 Goldschmit 1922, 13-- 453 Siehe dazu Zabel 1893;; Berns 1959, 120--126. Während Zabel größtenteils Lobeshym-nen auf die italienischen Virtuosen singt, fallen bei Berns die sehr verkürzten Analy-sen der Gastspiele der italienischen Virtuosen häufig ohne jegliche Begründung und zudem mit einem chauvinistischen Gestus überaus negativ aus. So bezeichnet -- ) oder er wirft Adelaide Ristori auch er wie Zabel einen Einfluss der italienischen Bühnenkünstler auf das deut-- Bühnenkunst gaben <?page no="152"?> 152 zusehen war) und der Letztere stets die Werthschätzung der kompetenten Kunstkenner heimtrug. 454 Auch wenn der anonyme Kritiker Ernesto Rossi leicht spöttisch eine eher sexualisierte Rolle als die eines großen Schauspielers zuschreibt, wird deutlich, dass sich einerseits das deutsche respektive Berliner Publikum hinsichtlich seiner eigenen Gastgeberfunktion den italienischen Virtuosen gegenüber betont wichtig darstellte und es sich andererseits der kulturellen Relevanz der Gastspiele der internationalen Schauspielstars für das Deut-sche Reich bewusst war. Allerdings wurden aus den Reihen der Rezipienten die Gastspiele nicht nur als Gelegenheit zur kulturellen Teilhabe an einem bedeutenden inter-nationalen Theaterereignis wahrgenommen. 455 Wie bereits beschrieben, diente die von den italienischen Virtuosen präsentierte Schauspielkunst den deutschen Theoretikern sowie Bühnenkünstlern vor allem auch als qualitative Orientierungsmarke. deutschen Schauspieler schloss man jedoch aus. Dazu äußert sich Zabel wie folgt: Nun glauben wir zwar nicht, daß sich die Art und Weise der italienischen Schauspielkunst ohne weiteres auf deutsche Verhältnisse übertragen läßt. Hier kommen nationale Unterschiede in Frage, die sich nicht verwischen lassen. Ein deutscher Tragöde, der sich im Affekt so viele malende, deu-tende und charakterisierende Geberden gestatten wollte wie seine italieni-schen Kollegen, würde vielleicht ausgelacht werden. Wohl aber läßt sich ein Teil dieser Fertigkeit aneignen, ohne daß dadurch der auf ruhige Innerlich-keit hinweisende Grundzug unserer Nationalität beeinträchtigt zu werden braucht. Die kraftvolle ritterliche Männlichkeit der Italiener, die sie befä-higt, den Ruhm ihrer Kunst in alle Länder zu tragen, das Leben in allen Richtungen, im Guten wie im Bösen, zu genießen und ihrer Phantasie stets neue Bilder zuzuführen, kann man natürlich nicht erlernen;; wohl aber ihr aufmerksames Belauschen der Natur und den Fleiß im Technischen, welche sie auszeichnet. 456 Wie Zabel deutlich macht, können und sollen die deutschen Akteure die italienische Spielweise gar nicht gänzlich übernehmen, dem stünden die Kopie durch die deutschen Bühnenkünstler jegliche Authentizität verloren expressiven Gesten und Ausbrüche großer Leidenschaften würden dem 454 Das Kleine Journal vom 22.11.1892. 455 Dies zeigt sich an den ausverkauften Häusern, von denen in den Kritiken und ande-ren Quellen immer wieder berichtet wird, sowie an der großen Anzahl von Gast-spielen der italienischen Bühnenkünstler im Deutschen Reich, speziell in Berlin. 456 Zabel 1893, 38--39. <?page no="153"?> 153 Spiel der deutschen Akteure eine geradezu lächerliche Note verleihen. Auf griff ruhigen der Italiener, ihrer Naturwahr profitieren und den eigenen Stil verbessern. Wo eine solche ästhetische Einflussnahme der italienischen Bühnen-künstler auf die deutsche Schauspielkunst stattfand, wurde sie überwie-gend als ein Akt empfunden, der sich positiv auf die Entwicklung des oft so negativ bewerteten deutschen Theaters auswirkte. Dazu liest man in einem Zeitschriftenartikel zu Eleonora Duse: Das Heil [einer neuen Schauspielkunst sw] wenn man es nun einmal so nennen will ist ausnahmsweise aus dem Süden gekommen. Die Italiener Salvini und Rossi haben uns seit zwei Jahrzehnten durch zahlreiche Gast-spiele daran gewöhnt, den Ausbruch der Leidenschaft ungemildert über uns ergehen zu lassen, und die deutsche Schauspielkunst verdankt ihnen eine erhebliche Mehrung ihrer Darstellungs--Mittel. 457 wird, eine geradezu messianische Rolle hinsichtlich ihrer Einflussnahme auf die Entwicklung des deutschen Theaters zugeschrieben. Zwar hätten sich die deutschen Zuschauer erst an den von großen Leidenschaften und il gewöhnen müssen, dieser habe aber nicht nur die Sehgewohnheiten des Publikums der Eigenkultur verändert. Vielmehr hätten die Gastspiele der beiden itali-enischen Stars auch die Qualität des deutschen Theaters verbessert und vermehrt: Beider schauspielerisches Können habe den deutschen Bühnen-stil dadurch nachhaltig geprägt, dass neue Mög -lungs-- 458 Dies bestätigt auch Zabel, wenn er schreibt: Etwa 20 Jahre später als Frau Ristori begannen Ernesto Rossi und Tommaso -erst Rossi, der Realist, im Winter 1873/ 74, darauf Salvini, der Idealist, im Winter 1876/ 77. Jeder gewann seinem Publikum gleich beim ersten Auf-treten einen vollen Eindruck ab, fesselte und streute Anregungen aus, die sich noch jetzt ununterbrochen als gute Saat erweisen. 459 457 Werner 1892, 168. 458 -gensc -- 459 Zabel 1983, 24. Wenig später ergänz Realisten, den anderen einen Idealisten. Das sind jedoch Verschiedenheiten, die sich lediglich auf die Auffassung der von ihnen dargestellten Charaktere beziehen. In der <?page no="154"?> 154 Zabel unterstreicht hier, dass die beiden italienischen Virtuosen bereits bei ihren ersten Auftritten im Deutschen Reich überzeugend auf das heimische Publikum gewirkt hätten, und betont zugleich die ästhetische Relevanz der Gastspiele, indem er auf den Einfluss verweist, den beide Virtuosen auf die Schauspielkunst der Eigenkultur nahmen. Dieser halte sogar bis zum Zeit-punkt der Erscheinung d betont, also bis etwa 20 Jahre nach den Gastspieldebüts Ernesto Rossis und Tommaso Salvinis im Deutschen Reich: Es ist nicht zu bestreiten, daß sich aus solchen Einflüssen heraus ein neuer realistischer Stil der Menschendarstellung geltend gemacht und die letzten Überlieferungen eines lebensunfähigen Idealismus beseitigt [hat], der von jeder Natur und Wahrheit entfernt war. Von jedem bedeutenden deutschen Schauspieler kann man gegenwärtig sagen, daß er bewußt oder unbewußt ein Schüler von Rossi und Salvini sei. 460 461 nennt und der sich am Ende des 19. Jahrhunderts auch im Zuge des Naturalismus im deutschen Theater immer mehr durchsetzte, wie man beispielsweise an Akteuren wie Albert Bassermann (1857--1952), Else Lehmann (1866--1940), Emanuel Reicher (1849--1924) oder Rudolf Rittner (1869--1943) sieht, 462 führt Zabel also fast ausschließlich auf das Vorbild von Rossi und Salvini während ihrer Gast-spiele im Deutschen Reich zurück. Dabei handelt es sich jedoch um eine Überbewertung der Einflussnahme der beiden italienischen Stars auf das deutsche Theater, auch wenn ihre Wirkung nicht unterschätzt werden darf. 463 Und spätestens seit ihrem Auftreten in Berlin muss Eleonora Duse Ausführung des einmal entworfenen Bildes sind sie beide Realisten, insofern sie -ben alle eine gewisse göttliche Abstammung, während Rossi die seinigen nicht über das Maß bürgerlicher Natürlichkeit hinauswach 460 Zabel 1893, 39. 461 allerdings im Hinblick auf das Drama: langen, ist ein realistisches modernes Drama: unter Realismus aber ver-stehen wir die Nachschöpfung des zeitgenössischen Lebens durch einen echten Dichter, die Behandlung der großen Tagesfragen in echt künstlerischer Gestalt, sei es nach der tragischen, sei es nach der komischen Seite, die poetische Lösung der Conflicte des Lebens oder den Versuch des Dichters, dieselben in seiner Dichtung darzustellen und zu lösen, die Darstellung der großen Gesetze des Lebens in ge-- 462 Zu diesen sowie weiteren naturalistischen Schauspielern siehe u.a. Bab 1954, 303--326. 463 Eisermann erklärt, Josef Kainz sei zumindest bis zu einem gewissen Grade durch Tommaso Salvini beeinflusst gewesen. Für den österreichischen Schauspieler habe der Italiener eine Vorbildfunktion gehabt. Sie schreibt aller Schauspieler, den Olympier der Theaterwelt, den vollendetsten Techniker der <?page no="155"?> 155 in die Reihe der Bühnenkünstler gestellt werden, die einen großen Einfluss auf die deutsche Schauspielkunst nahmen. 5.3.1 Ernesto Rossi Im Zusammenhang mit der vorliegenden Arbeit ist ein Blick auf die Re-zeption der Auftritte von Rossi und Salvini insbesondere unter dem Ge-sichtspunkt der nationalen Stereotypie interessant: Vielen Kritikern mutete das Spiel der zwei Bühnenkünstler deswegen so überzeugend an, weil sie italienischer Herkunft seien und entsprechend positive Voraussetzungen für eine große Fähigkeit zur Verstellung und zum Agieren auf der Bühne -ziert. So äußert sich etwa Ludwig Speidel zu Rossi wie folgt: Ernesto Rossi ist romanischer Abkunft, ist Italiener, und dieses einzige Wort sagt viel für einen Schauspieler. Der Franzose, der Italiener kommt schon als Schauspieler auf die Welt;; er ist der geborene Repräsentant, dem das Wort von der Lippe und die Bewegung von der Hand geht. Er spielt schon im Leben, weil er eine natürliche Freude daran hat, sich selbst darzustellen, seine Seele in den Leib hervorzuarbeiten. Ganz anders beim Deutschen. Der Deutsche besitzt ein Ungeschick, eine Art Schamhaftigkeit, die ihn hindert, auch mit dem Körper das zu scheinen, was er geistig ist. 464 Hier werden drei Aspekte deutlich: zum Ersten die Einsicht in die Tatsa-- -künstler im deutschen kollektiven Bewusstsein verankert war, schließlich betont Speidel die nicht vorhandene Notwendigkeit weiterer Erläuterun-gen dazu;; zum Zweiten die Vorstellung, dass in jedem Italiener ein Schau-- und eine latente Freude an der theatralen Verstellung nicht nur in Hinblick auf die Bühne, sondern auch auf ihre Lebenswelt allgemein zuschrieb, und Übertragung innerer Seelenvorgänge auf den Körper ein Prozess, der den deutschen Schauspielern aufgrund des gehemmten Verhältnisses zu sich selbst nicht so leicht gelingen könne. An anderer Stelle heißt es: Rossis Beholfenheit in Bewegung und Gebärde ist erstaunlich, und man muß ihn gleich als Sohn eines Volkes denken, dem der malerische und -dings habe es auch große Unterschiede zwischen den Schauspielstilen der beiden Künstler gegeben, beispielsweise hinsichtlich der Einfühlung in die Figuren: Diese habe Salvini präferiert, wohingegen Kainz immer eine Distanz gewahrt hätte. Vgl. Ei-sermann 2010, 39. 464 Speidel 1911, 74. <?page no="156"?> 156 plastische Genius angeboren, dem die Seele bis in die Fingerspitzen gegen-wärtig ist. 465 In seiner Beschreibung greift Speidel nahezu auf jedes stereotypische Merkm wurde: die geschickte Bewegung, die besonders ausgeprägte Gestik wie auch die schnelle Übertragung der inneren Empfindungen auf den Körper. Autor gleichzeitig das im deutschen kollektiven Bewusstsein existierende -- Zabel erwähnt zusätzlich insbesondere um Ernesto Rossi von seinem Kollegen und Konkurrenten Tommaso Salvini abzuheben die besondere Leidenschaftlichkeit, im Schauspielstil Rossis starken Sinnen und intensiver Lebenslust werden immer Rossi für den größeren Schauspieler hal 466 , nicht Salvini. Rossi wird hier zum Inbe-stilisiert, der vor allem solche Zuschauer an-nennt, befriedigt werden möchte. Damit wandte man sich an diejenigen im den man in den Italienern personifi -cher Zurückhaltung Ernesto Rossi stand als Symbol für die Freiheiten, die man selbst nicht oder nur sehr bedingt ausleben konnte. 5.3.2 Tommaso Salvini Stellten die deutschen Kritiker und Theoretiker schon bei Rossi die beson-ders expressive Gestik heraus, so stand diese in der Verhandlung der Schauspielkunst Tommaso Salvinis sogar noch stärker im Mittelpunkt der Betrachtung. Sein ausgefeiltes Spiel galt vielen deutschen Rezensenten, beispielsweise Oscar Blumenthal, als nahezu perfekt. Dieser schreibt: Die Schauspielkunst als die Kunst der Seelen--Malerei und Menschenzeich-nung, als die Kunst der bildnerischen Veranschaulichung von inneren Vor-gängen zu verehren erst Salvini hat es uns wieder gelehrt;; er hat gezeigt, wie der Körper zu einem fügsamen Instrument erzogen werden kann, das 465 Speidel 1911, 78. 466 Zabel 1983, 26. In der Wortwahl erinnert dieser Ausspruch an die bereits zitierte Äußerung von Fellner aus einem Artikel in der Vossischen Zeitung, in dem dieser über -- Vossische Zeitung vom 20.12.1892. <?page no="157"?> 157 jedem Anschlag der Empfindung willig nachgiebt und von dem Künstler wie eine Klaviatur beherrscht und bewegt wird. 467 Blumenthal greift am Beispiel Salvinis den im Diskurs immer wieder in Erscheinung tretenden Gedanken auf, die Schauspielkunst spiegele im Idealfall das durch die Körperlichkeit zum Ausdruck gebrachte Seelenle-ben der Rolle, die der Akteur spiele. Diese Vorstellung sieht er in Salvinis Agieren auf nahezu perfekte Weise realisiert. Die bis in die kleinste Bewe-gung hinein kontrollierte Körpersprache des Virtuosen als ein Ausdrucks-mittel, das durch den lenkenden und leitenden Geist des Schauspielers gesteuert wird genau diese Kombination macht für Blumenthal die Inno-vation aus. So erkennt er darin den Vorbildcharakter des italienischen Virtuosen für die Bühnenkünstler der Eigenkultur. Wie sehr Blumenthal Salvini bei all seiner vorgeblichen Perfektion trotzdem in einer italienischen Schauspieltradition verwurzelt sieht, wird an folgendem Zitat deutlich: Alles Allgemeine ist aus diesen Darstellungen getilgt: Die Sonderart jedes bestimmten Charakters springt uns in persönlichen Unterscheidungszei-chen reliefartig entgegen. Jedes gesprochene Wort ist mit dem vollen Inhalt der Scene gesättigt;; jedes vernommene Wort wirft seinen deutlichen Schat-ten auf die Mienen des Hörers;; jede Empfindung schreibt sich von innen heraus leserlic -tigen Augen auf und zuckt dann sichtbar bis in die Spitzen der Finger. So wird ein Bilderbuch von lebendigen Illustrationen jedes Bühnenwerkes ge-- 468 betont vor allem die expressive Verwendung von Körper und Gestik als spezifisches Ausdrucksmittel allerdings nicht im Sinne eines allgemein-gültigen und damit oberflächlichen Gestenkanons. Vielmehr sollen die im Dramentext implizierten Gefühle und Empfindungen der jeweils darge-stellten Figur durch die Physis des Akteurs zum Ausdruck gebracht wer-den und in der individuell--spezifischen Gestik des Künstlers ein Ventil finden. Mittels einer Visualisierung des geschriebenen Wortes und mithilfe des expressiven Körpergebrauchs des interpretierenden Schauspielers soll auch der Zuschauer in seinen Emotionen angesprochen werden. Ziel ist es, 467 Blumenthal 1885, 185--186. An dieser Stelle soll auf die von Blumenthal verwendete metaphorische Sprache hingewiesen werden, die sich der Begrifflichkeiten aus dem ). Diese Bilder ge-ben dem Leser einen Hinweis auf die Virtuosität Salvinis: denn, wie bereits erläutert, -braucht. Durch die metaphorische Referenz wird die Besonderheit des italienischen Stars einmal mehr betont. 468 Blumenthal 1885, 170. <?page no="158"?> 158 die Zweidimensionalität des Dramentextes in eine lebendige, körperbezo-gene Dreidimensionalität auf der Bühne zu transportieren. Auch Speidel erkennt die Qualität der Schauspielkunst Salvinis, verzichtet aber auf Lobeshymnen. Vielmehr relativiert er die individuellen Fähigkei-ten des Italieners, wenn er schreibt: Bei solcher Virtuosität des Schauspielers darf man übrigens nie vergessen, daß sie nicht ganz sein persönliches Werk, man muß vielmehr bedenken, daß sie wenigstens eine nationale Erbschaft ist. Der mächtigste Schauspieler wäre nicht imstande, aus sich heraus die Fülle von Gebärden zu erfinden, über welche Salvini verfügt. Es steht hinter ihm ein nationales Gebärden-epos, das mit seinen Formeln durch das ganze Volk geht, von jedem ge-braucht und von jedem verstanden. 469 Nicht der Akteur selbst lenkt demnach in Speidels Augen sein herausra-- Auftreten wird hauptsächlich durch seine Herkunft, sein nationales Erbe, geprägt. Dies macht die Schauspielkunst Salvinis nur zu einem gewissen Anteil zum Resultat seiner individuellen Fähigkeiten. Wie bereits bei der Betrachtung des Schauspielstils von Rossi, so führt Speidel auch bei der Beurtei -schaften zurück und reduziert so ihre individuellen Begabungen. Damit spricht der Kritiker Salvini die Fähigkeit ab, die ganze von ihm während des Gastspiels gezeigte Bandbreite an Gesten selbst entwickelt dazu imstande. Hinter dem elaborierten Spiel der Arme und Hände er-gro jedem italienischen Schauspieler und somit auch den italienischen Virtuo-sen zur Verfügung, sondern er werde von allen Landsleuten genutzt und deshalb auch von allen verstanden. Gleiches gilt Speidel zufolge auch für -sichts, jenes offene Arbeiten der Gedanken und Empfindungen, ist bei Salvini ein nati 470 Die Genetik als neues Paradigma der Naturwissenschaft findet auch hier Einzug in die Verhandlung eines künstlerischen Phänomens. Obwohl der Autor mit seiner Aussage zur Vererbung einerseits die Schauspielkunst Salvinis reduziert, zeigt Speidel andererseits eine große Begeisterung für die herausragende künstlerische Leistung des italieni-schen Virtuosen: 469 Speidel 1911, 106. 470 Speidel 1911, 105. <?page no="159"?> 159 Was [Salvini] nun mit Hand und Fuß alles kann, ist erstaunlich. Die Hand, at bei ihm so viel Ausdrucksmittel als Finger, ja in der Kombination der Hände oder je nachdem sie offen oder ge-schlossen sind, steigern sich diese Mittel ins Wunderbare. 471 Diese Aussage vor dem Hintergrund des bereits Zitierten erscheint jedoch paradox: -mit dessen individuelle Fertigkeiten auf ein generelles Talent aller Italiener reduziert, so schildert er an dieser Stelle die Fähigkeiten Salvinis doch als etwas persönlich Außergewöhnliches, wenn er schreibt, das Auftreten sei ein theatrales Ereignis, das sich besonders etwas Neues, etwas Erhabenes steigere. 472 Der Zweck seiner expressiven Gestik scheint gelegentlich, so meint Speidel, über das rein Ästhetische hinauszugehen: Ein solcher Redner mit den Händen ist Salvini. Er wendet seine Gebärden-sprache manchmal an, um über die schwache Stelle einer Dichtung hin-wegzutäuschen, dann und wann aber auch, um sich mit seiner Kunst selbst zu regalieren. 473 Der Gebrauch der Gesten bei Salvini dient folglich bisweilen als Korrektiv, das die Aufgabe hat, gewisse Schwächen eines Dramentextes zu kaschie-ren. In einer Zeit, in der des Dichters Wort jedoch in der Hierarchie der Künste an erster Stelle angesiedelt war 474 und eine Veränderung desselben 471 Speidel 1911, 105. 472 -kunst Salvinis nennt, im Sinne Johann Jakob Breitingers (1701--1776), so impliziert es 473 Speidel 1911, 106--107. Nach Meyers Großem Konversations--Lexikon bedeutet der Begriff 8, 697). 474 Diese Idee führt Fischer--Lichte zurück auf eine Neuerung im Verhältnis von Autor -cher Intellektueller, die Vorherrschaft des Schauspielers auf dem Theater zu brechen, zielte darauf, den Text des Dramatikers zur kontrollierenden Instanz des Theaters zu Bedeutungen erzeugen, sondern die vom Dichter ge--/ erfundenen und in seinem Text niedergelegten lediglich zum Ausdruck bringen. Performativität sollte sich in den Dienst von Expressivität stellen, die Schauspielkunst vom Dichter vorgegebene Be-- --Lichte 2004, 143. Im Jahre 1908 diskutiert der Philosoph Georg Simmel in seinem Werk Zur Philosophie des Schauspielers dieses Problem und führt dabei sowohl Eleonora Duse als auch Tommaso Salvini als Beispiele an. An seiner Äußerung ist die bereits in der Einlei-tung der vorliegenden Arbeit angesprochene, für die Moderne typische, um 1900 er-folgte Veränderung hinsichtlich der Hierarchie der theatralen Mittel erkennbar. So schreibt Simmel: der sie zu einem kunstphilosophischen Rätsel macht. Wie sie sich darbietet, wirkt sie als spontane, aus dem Wesensgrunde und Temperament des Leistenden hervorbre-- <?page no="160"?> 160 gewissermaßen wie ein Frevel verhandelt wurde, ist diese Aussage über die Aktivitäten Salvinis fast schon ein Skandalon. Schließlich galt es als hauptsächliche Aufgabe des Schauspielers, den Text des Dramatikers durch seine Mittel umzusetzen, nicht, diesen zu verändern oder gar durch ein Kaschieren auf seine Schwächen erst aufmerksam zu machen. Salvini maßte sich also, folgt man dem zeitgenössischen Diskurs, eine Rolle an, die ihm nicht zustand. Speidel unterstellt dem italienischen Schauspieler weiterhin, er ergötze sich ganz in der für die internationalen Virtuosen des 19. Jahrhunderts typischen Art am eigenen elaborierten Gestenspiel. Diese Behauptung rückt den Bühnenkünstler trotz allen Lobes und aller geleisteten Anerken-nung wegen seines virtuos--manierierten, geradezu selbstverliebt--arrogan-ten Verhaltens in ein schlechtes Licht. 5.4 Abschluss Als Abschluss der Betrachtung der Gastspiele der großen italienischen Virtuosen Adelaide Ristori, Ernesto Rossi und Tommaso Salvini soll hier ein Zitat des Publizisten und Kritikers Maximilian Harden (1861--1927) dienen. Dieser fasst in einem Artikel zum ersten Gastspiel Eleonora Duses im Deutschen Reich in seiner Zeitschrift Die Zukunft im Jahre 1892 die Situ-ation wie folgt zusammen: Und Salvini ging, wie der nicht ganz so schlackenfreie, aber ungleich geni-alere Ernesto Rossi, in den Spuren einher, die eine lange nationale Tradition geschaffen, und die Adelaide Ristori durch ganz Europa verbreitet hatte. Alle Theaterkünstler, die einmal als ganz besonders modern gefeiert wur-chende Aeußerung, als das Sich--Auswirken eines unmittelbaren, durch sich selbst und die vorgeführten Schicksale bestimmten Lebens. Und nun ist das Wunder, daß dieses an einem von anderswoher gegebenen und geformten Inhalt zum Ausdruck gelangt, an Worten und Handlungen, deren Sinn und Zusammenhänge als eine fremde, feste Notwendigkeit von jenem persönlichen, eigengesetzlichen Gefühl und Verhalten vorgefunden werden. Indem so der objektive Inhalt der Leistung und die schöpferische Subjektivität des Künstlers in einzigartiger Weise außereinander und ineinander sind, muß die ideale Forderung an seine Leistung sich als ein besonderes und nicht ohne weiteres durchsichtiges Gebilde aus diesen Elementen und doch jen-seits ihrer ergeben. Die Rolle nämlich, wie sie in dem Dichtwerk als solchem vorliegt, kann diese Forderung noch nicht fixieren: denn es leuchtet wohl unmittelbar ein, daß eine Rolle, z.B. die Kameliendame, die Sarah Bernhard [sic! ] in vollkommener Weise darstellt, unbefriedigend und widerspruchsvoll wirken würde, wenn eine ganz an-dere Künstlerpersönlichkeit, z.B. die Duse, sie in derselben Auffassung und Ausfüh-rung darböte, oder wenn Kainz die Auffassung Hamlets von Salvini kopierte. Wir würden empfinden: die objektiv dichterischen Gebilde, Marguerite Gautier oder Hamlet, stellen keine starren Forderungen, in die der Schauspieler sich einfach zu 1993, 424. <?page no="161"?> 161 den, sind von den Italienern beeinflußt worden: die Desclée, die erste, Sarah Bernhardt, die zweite berühmte Frou--Frou, Edwin Booth und Coquelin, Sonnenthal und Kainz. 475 Wie Harden das Ausmaß der Beeinflussung nicht nur auf die deutsche Schauspielkunst, sondern auf die ganze westeuropäische Theaterlandschaft einschätzt, verdeutlicht einmal mehr die kulturelle und ästhetische Rele-vanz der italienischen Virtuosen im ausgehenden 19. Jahrhundert. Wie Eleonora Duse in diesen Kontext eingeordnet werden kann, wie sie im Jahre 1892 bei ihrem ersten Auftritt am Berliner Lessing--Theater wahr-genommen wurde, wie sich die Einstellung der Rezipienten der deutschen Eigengruppe zu der italienischen Virtuosin während der 1890er--Jahre im-mer mehr veränderte und unter welchen ästhetischen, politischen, wirt-schaftlichen und sozialen Prämissen dies geschah, wird in den folgenden Kapiteln näher untersucht. Es folgt die Klärung der Frage, welche Rück-schlüsse sich aus der Art der Rezeption der Künstlerin durch die Rezen-senten sowie durch das heimische Publikum auf die zeitgenössische deut-sche Kultur ziehen lassen. Als Untersuchungsgegenstand dienen dabei Eleonora Duses Gastspiele in Berlin in den Jahren 1892, 1893 und 1899 in der Stadt Mainz, der im Jahre 1895 stattfand. 475 Harden 1892, 470. Bei den hier genannten Personen handelt es sich um die französischen Schauspie-lerinnen Aimée Olympe Desclée (1836--1874) und Sarah Bernhardt, den Amerikaner Edwin Booth und den Franzosen Benoît Constant Coquelin (1841--1909) sowie die beiden österreichischen Schauspieler Adolf von Sonnenthal (1834--1909) und Josef Kainz. Sie alle gehörten zu den berühmtesten und qualitativ besten Bühnenkünstlern ihrer Zeit. <?page no="162"?> 162 6. Die Duse als Repräsentantin eines Stereotyps Frühe Berliner Gastspiele (1892/ 1893) Eleonora Duses erstes Deutschland--Gastspiel im November und Dezember des Jahres 1892 am zu dieser Zeit stark prosperierenden Berliner Lessing-- Theater galt, dies wird in den Quellen deutlich, nicht nur als absoluter Höhepunkt der Gastspielreihe der italienischen Virtuosen, die seit der Mitte des 19. Jahrhunderts immer wieder auf deutschen Bühnen zu sehen gewesen waren. Der Besuch der Künstlerin wurde in der deutschen Haupt-stadt auch als kulturelle Krönung des Theaterjahrs empfunden. Obwohl der Weltruhm der italienischen Schauspielerin noch in den Kinderschuhen steckte und sie recht am Anfang ihrer außerordentlich erfolgreichen inter-nationalen Karriere stand, wurde sie vom Berliner Publikum mit großen Hoffnungen und noch größeren Erwartungen empfangen. 6.1 Die Vorgeschichte Die Gastspiele in Sankt Petersburg und Wien Bevor Eleonora Duse Ende des Jahres 1892 am Berliner Lessing--Theater auftrat, hatte sie in den Jahren 1891 und 1892 bereits in Sankt Petersburg und Wien gastiert. Ihre Besuche in den beiden Städten nehmen hinsichtlich ihrer internationalen Karriere eine besondere Rolle ein, weswegen ihre Gastspiele dort näher untersucht werden sollen. Der Auftritt der Schauspielerin in Sankt Petersburg ist dabei besonders interessant, gilt die Stadt doch als der Ort, an dem die Duse für den öffentlichkeitswirksame Legende, die insbesondere durch Hermann Bahr, lerin dar-stellte, kolportiert wurde und die sich bis heute gehalten hat. Ihr, auf die 476 soll hier Aufmerksamkeit geschenkt werden. Im Jahre 1891 begleitete Bahr die Russland--Tournee einer Gruppe von -- 476 Geschichte gewählt, denn der Begriff impliziert sowohl die Form der Erzählung als auch einen transzen-denten Inhalt. Das Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft Dingen oder Ereignissen. <?page no="163"?> 163 schen Schau 477 bezeichnete. Er berichtet, mit ihnen in Sankt Peters-burg gewesen zu sein, wo diese gastieren sollten. In einem Artikel, der am 9.5.1891 in der Frankfurter Zeitung veröffentlicht und in seinen Tagebuch-aufzeichnungen mit dem Titel Russische Reise abgedruckt wurde, schreibt Bahr über dieses Gastspiel Folgendes: Man hat nirgends eine vortrefflichere Gelegenheit, das europäische Theater zu studiren, als in Petersburg. In den Fasten [i.e. der Fastenzeit sw], wenn die russischen Bühnen schweigen müssen, schicken alle Nationen ihre Meister dahin. Es sind jetzt neben der ständigen französischen zwei deut-sche Gesellschaften dort gewesen, eine polnische, eine finnische, eine engli-sche und die italienische der Duse. 478 Ob die erste Begegnung mit Letztgenannter sich wirklich so zugetragen hat, wie Bahr es schildert, bleibt sekundär. Entscheidend sind die Drama-turgie und die Personen, die hinter der Legendenbildu -nora Duses für den deutschsprachigen Raum stehen. Bahr wird von der österreichischen Schauspielerin Jenny Groß (1863-- 1904) 479 auf Eleonora Duse aufmerksam gemacht. Dazu schreibt er: Bei der Zollrevision an der Grenze sagte mir die schöne Jenny Groß, mitlei-dig auf eine dun Katzelmacher, die auch in Petersburg gastieren. Der armen Person war die und in dem ungewissen Licht sah sie nicht nach Berühmtheit aus. 480 Eleonora Duse wird hier durch Jenny Groß unter drei Gesichtspunkten für den Leser charakterisiert: Zum Ersten als Schauspielerin, die mit der deutschsprachigen Gastspieltruppe im Wettbewerb steht, zum Zweiten als risch/ österreichische Bezeichnung für die Italienerin ist, 481 und zum Dritten als unbekannte, gegenübergestellt, einer sogenannten 482 , die in der deutschsprachigen Theaterlandschaft 477 Bahr 1891, 11. 478 Bahr 1891, 116. 479 Die anfangs genannte Schauspielerin Jenny Groß war in den 1880er--Jahren am Wie-ner Carl-- --Theaters [in Berlin] dort als (Marx 2008, 300). Zu Jenny Groß siehe auch Marx 2008, 300--303;; Vely 1899/ 1900, 375--378. 480 Bahr zit. nach Maurer 1988, 47--48. 481 Kluges Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache gibt die Bedeutung des Be-- 1989a, 362) an. 482 So wurden Bühnenkünstlerinnen bezeichnet, deren Kostüme, vor allem die moder-nen, stets der aktuellen internationalen Mode entsprachen, die besonders elegant und prachtvoll aufzutreten wussten und damit als modisches Vorbild für die weiblichen Zuschauer im Publikum dienten. Häufig unterstellte man diesen Schauspielerinnen, <?page no="164"?> 164 ihresgleichen suchte. 483 Der erste Eindruck, den man von der italienischen Schauspielerin bekommt, überrascht insofern, als die Situation, in der man 484 handelt sich weder um die Beschreibung einer Bühnenfigur, welche die --) Inszenierung. Jenny Groß hingegen erfährt man in ihrer sozialen Maske. Hatte Bahr die Duse zunächst als eine Frau dargestellt, die eine poten-zielle Besonderheit keineswegs vermuten lässt, so wendet sich das Blatt bei der Beschreibung ihrer Schauspielkunst auf der Bühne: Hier kommen ihre wahren Vorzüge zum Vorschein. Ihr Spiel erlebt der Wiener Kritiker als ein -- Russischen Reise zum Ausdruck, in der er die Emotionen schildert, die auf ihn ein-- 485 zum ersten Mal auf der Bühne erlebt: Das war noch größer und reicher [als Kainz in der Rolle des Shakes-sw]. Ich kann davon nicht erzählen. Es muß sich seltsame und irre Zeichen, mit denen eine starke Freude verbunden ist, aber die ich nicht deuten und nicht ausdrücken kann. Ich will ganz stille halten, unter dem stäubenden Sturze der Impressionen, die mich gesund baden. sie legten mehr Wert auf das äußere Erscheinungsbild auf der Bühne als auf die Dar-stellung, was ihrem Renommee als Künstlerin schadete. Dennoch erfreuten sie sich, insbesondere beim weiblichen Publikum, großer Beliebtheit. Das Theatermagazin Bühne und Welt --Künst-nhardt, Eleonora Duse und auch Jenny Groß porträtiert wurden. Im Gegensatz zur Groß und auch zur Bernhardt fällt die Duse jedoch ein wenig aus der Reihe, da es sich bei ihr nicht im eigentlichen Sinne um eine Toilettenkünstlerin handelte. Schließlich war sie nicht unbedingt für ihr modisches Auftreten bekannt auch wenn die Tatsache, dass man sie in diese Reihe aufnahm, sehr wohl ein Zeichen dafür ist, dass die Italienerin in ihrem Verhältnis zu Kostüm und Mode (vor allem heute) weithin unterschätzt wird. Siehe Grünwald--Zerkowitz 1900, 717--721. 483 So heißt es in der Großen Modenwelt mindestens eine ebenso interessante Erscheinung, wie auf den Brettern, von denen man seit Alters her behauptet, daß sie die Welt bedeuten. [Sie ist eine] allbekannte Schauspielerin des Lessing--Theaters, diese Geschmückteste aller Geschmückten unter den hervorragenden Schauspielerinnen unserer Gegenwart ohne Zweifel einen o.S. 484 4 der vorliegenden Arbeit. 485 Dabei handelt es sich um die Titelrolle in Victorien Sardous Stück Fernande, welche die Duse fest in ihrem Gastspielrepertoire hatte und die sie u.a. auch in Berlin im Jahre 1892 während ihres ersten Besuchs im Deutschen Reich präsentierte (dazu siehe Anhang 1). <?page no="165"?> 165 Aber es wird noch eine Weile dauern, bis der langsame Verstand die jähe Flucht der Erlebnisse einholt und eine Botschaft davon gewähren kann. 486 eses er-leuchtende Moment, das Bahr während des Spiels der Duse hat, deutlich. Er beschreibt die Situation wie folgt: Eines Abends spielte Kainz nicht. Er hatte frei. Wohin gehen wir? Er ent-anten, noch so schlecht, sind mir lieber als die deutschen;; auch von italienischen wurde gespielt. Hinter uns saß Mitterwurzer. Plötzlich packt mich Kainz am Arm, er klammert sich an und ich höre Mitterwurzer aufstöhnen;; und ich selber sagte mir nur in einem fort: Du darfst nicht heulen, du machst dich lächerlich! Unvorbereitet, ganz ungewarnt, gar nicht darauf gefaßt, die Duse plötzlich zu erleben, in Erwartung irgendeiner begabten Komödiantin sich plötzlich vor der Duse zu finden, zum erstenmal angesichts der Duse 487 Bahrs die eigene Überwältigung ausdrückende Worte unterstützen die Konstruktion eines bestimmten Bildes von Eleonora Duse für die deut-- Bühne doch ihr Spiel entspricht einem quasi--religiösen Ereignis. Sobald sie eine Figur verkörpert, verändert sie sich, was von Bahr fast wie eine Transfiguration der Schauspielerin wahrgenommen wird, 488 die ihm die Worte nimmt. Die genannten Akteure Joseph Kainz 489 und Friedrich Mitterwurzer (1844--1897) 490 spielen bei diesem Vorgang der Charakterisierung der Duse auch eine nicht unerhebliche Rolle: Beide Künstler waren dem deutschen Publikum bekannt, beide verkörperten auf der Bühne einen modernen Realismus und galten daher im ausgehenden 19. Jahrhundert hinsichtlich ihres Schauspielstils als sehr fortschrittlich. 491 Mit ihnen präsentiert Bahr 486 Bahr 1891, 57. 487 Bahr zit. nach Maurer 1988, 47--48. 488 Zum Thema der Transfiguration auf der Bühne siehe Fischer--Lichte 2006, 163--182. 489 Der österreichische Schauspieler Kainz gilt bis heute als einer der bekanntesten Büh-nenkünstler seiner Zeit. Er hatte Engagements am Meininger Hoftheater, am Hofthe-ater München, am Deutschen Theater in Berlin und am Berliner Theater sowie am Wiener Burgtheater. Vor allem seine Darstellung der Titelrolle in William Shakes-peares Hamlet -mann 2010. 490 Friedrich Mitterwurzer war einer des berühmtesten österreichischen Schauspieler seiner Zeit, der vor allem am Wiener Burgtheater große Erfolge feiern konnte. 491 Josef Kainz war bei einem großen Teil des Publikums und der Kritiker sehr beliebt;; es finden sich jedoch auch negative Stimmen, die nicht nur seine Einstufung als Virtu-os den, von Nervosität und Impulsivität, aber auch von einer hohen Musikalität im Sprechen geprägten Schauspielstil, der <?page no="166"?> 166 zwei Experten für eine kompetente Bewertung des Spiels der Duse. So können sie aufgrund ihres Sachverstandes die Eindrücke des Wiener Kritikers den Lesern gegenüber glaubwürdig bezeugen. Wenn sich also nicht nur ein (wenn auch manchmal umstrittener) etablierter Kritiker, son-dern außerdem noch zwei populäre, international agierende und vor allem als modern geltende Schauspieler von dem Können der Duse in Sankt Pe-tersburg begeistert zeigten, so musste dies für das deutschsprachige Publi-kum als Beleg für das hohe künstlerische Niveau der bisher weitgehend unbekannten italienischen Schauspielerin gelten. Bahr führt seine Erzählung fort: Ich schrieb dann in der Frankfurter Zeitung etwas wirr über die Duse. Da-rauf fragte ein eifriger Wiener Theateragent behutsam bei mir an, ob das nur ein Feuilleton, oder aber eine so begabte Schauspielerin tatsächlich vor-handen, und es rätlich wäre, sie nach Wien zu bringen. Auf meine Beteue-rung ihrer Tatsächlichkeit und dieser Rätlichkeit ließ der brave Täncer sie nach Wien kommen;; am ersten Abend spielte sie vor leerem Hause, den nächsten Tag war sie weltberühmt. 492 Mit seinem Zeitungsartikel und seiner Kontaktaufnahme zu dem Theater-agenten besiegelt Bahr angeblich das Schicksal Eleonora Duses, indem er ihr den Weg für ein Gastspiel in Wien ebnet das, wie er es darstellt, das Sprungbrett für ihre steile internationale Karriere bedeutete und den Grundstein für ihre Erfolgsgeschichte legte. Dass die Legende, die Bahr hier schuf, in der deutschen Theatergeschichte bis heute kolportiert wird, zeigt folgende Äußerung von Matthias Müller: Was Bahr [während des Duse--Gastspiels in Sankt Petersburg sw] wie den wuchtigen Zusammenprall mit einer metaphysischen Größe erlebt, hat für die Theatergeschichte weitreichendere Folgen: es vollzieht sich der Durch-bruch onalen Bühnenstar. 493 Die Aussage des letzten Satzes ist jedoch fragwürdig: Denn was Müller unerwähnt lässt, ist die Tatsache, dass Eleonora Duse zuvor sehr wohl schon international aufgetreten und bis dahin nicht nu strikt ablehnten. -welt und zugleich ein so leiden-schaftliches Ahnen des Nichtkörperlichen das mußte die Spannung ergeben, das Schwingen der Nerven, die Aufgewühltheit mit der die Moderne die fertigen For-meln des Idealismus abstreifte und nach neuen Werten zu tasten begann. In diesem Sinne war Mitterwur 492 Bahr zit. nach Maurer 1988, 47--48. 493 Müller 2000, 255. <?page no="167"?> 167 hatte in den Jahren 1889 und 1890 bereits meh-rere erfolgreiche Tourneen unter anderem nach Nordafrika und Spanien absolviert, bevor sie die Gastspiele in Russland (1891 und 1892) und in Wien (1892) gab. Auch wenn die frühen Reisen für die große internationale Karriere der Duse nicht von vergleichbarer Relevanz waren wie die Besu-che in Sankt Petersburg, Wien oder auch Berlin, förderten sie dennoch die Entwicklung der Bühnenkünstlerin und trugen damit auch zu ihrem inter-nationalen Durchbruch bei. Es zeugt von Kurzsichtigkeit, das Jahr 1892 mit den Gastspielen in Wien und Berlin als das eines überraschenden interna-tionalen Durchbruchs zu bewerten, wie es in der deutschen Forschung oft der Fall ist;; 494 denn eine solche Betrachtungsweise lässt die langjährige und langwierige Entwicklung der Künstlerin außer Acht. Und so relativiert Müller seine oben angeführte Aussage sogar selbst zieht jedoch wiede-rum ein fragwürdiges Fazit daraus: Natürlich hätte die Duse auch ohne Hermann Bahr zum Weltruhm gefun-sie für Wien entdeckte und daß sie hier seit 1892 die Verehrung durch ein intellektuelles Publikum genoß wie in keiner anderen europäischen Haupt-stadt, war ein günstiges Zusammentreffen verschiedener Faktoren mit dem Fortgang ihrer Karriere aber hatte es wenig zu tun. 495 Müllers Aussage bleibt leider unbewiesen, ist hypothetisch und damit historiografisch nicht relevant. Es ist sinnlos darüber zu spekulieren, ob die Duse auf einem anderen Weg genauso berühmt geworden wäre. Müller relativiert, er gibt jedoch die folgende Erklärung dafür, warum die itwelt ihre Erzählungen für die Nachwelt allemal lieber nach den beteiligten Personen als nach ihren zu-grundeliegenden abstrakten Gesetzen ordnet, gilt Bahr seither als Entde-- 496 Folgt man diesem Gedanken, so scheint es für den Autor weniger relevant, wer der Protagonist bei einer Legendenbil-dung ist es bedarf lediglich einer (beliebigen) Person, der man diese Rolle explizit zuschreiben kann. Dies mag generell richtig sein, für die deutsche Theaterlandschaft spielte Bahr im Zusammenhang mit Eleonora Duse und ihrer Rezeption dennoch eine wichtige Rolle. Was ihm nämlich gelang, war die Schaffung eines prototypischen Bildes von der Duse für den deutsch-sprachigen Raum. An diesem schieden sich zwar die Geister, denn nicht jeder zeigte sich mit Bahrs Bewertungen der Talente der italienischen Schauspielerin einverstanden. Trotzdem wurde ein Großteil der darauf folgenden Auseinandersetzungen mit der Bühnenkünstlerin, sei es hin-- 494 Dazu siehe u.a. Maurer 1988, 44--65. 495 Müller 2000, 272. 496 Müller 2000, 255--256. <?page no="168"?> 168 sichtlich ihres Schauspielstils, ihrer Rolleninterpretation oder ihres Ausse-hens an dem gemessen, was Bahr in seinen frühen Äußerungen von sich gegeben hatte. Bahrs Zeugenschaft bei jenem Gastspiel der Duse in Sankt -- Frankfurter Zeitung erinnern an jene experimentelle Situ-ationen, die Walter Lippmann zur Untersuchung von Stereotypen nutzte: Zeugen eines bestimmten Vorfalls sollten im Anschluss daran Auskunft über das Beobachtete geben. Das führte zur Äußerung von wirklich Gese-henem, kombiniert mit bereits vorhandenen Stereotypen im Kopf der Probanden. 497 Dieser Mechanismus kann auch auf Bahrs Reaktion übertra-gen werden: Der Kritiker erlebte Eleonora Duse auf der Bühne in Sankt Petersburg. Dabei konstruierte er einerseits aus dem Beobachteten und andererseits aus den durch seine Seherfahrungen als etablierter Kritiker vorhandenen Vorstellungen ein Bild von der Schauspielerin. Dieses kol-portierte er im großen Stil und prägte so eine prototypische Vorstellung von Eleonora Duse, an der die nachfolgenden Kritiker (und wahrscheinlich auch die Leser) ihre eigenen Beobachtungen maßen. Die Verbreitung un-terstützten nicht nur seinen Artikel in der Frankfurter Zeitung, sondern auch sein Buch Russische Reise sowie der nahezu omnipräsente Führer durch das Gastspiel von Eleonora Duse aus dem Jahr 1892, 498 der nach ihrem Auftritt in zeitgenössische kulturelle Gedächtnis und es bis heute prägt. Entspre-chend muss Müllers Behauptung, Bahr spiele nur eine geringfügige Rolle bei der Entwicklung der Karriere Eleonora Duses, zumindest für den deutschsprachigen Raum vehement widersprochen werden. -- Transf bringende Qualitäten für das deutsche Theater. Er schreibt: Ihr Ruhm ist in Italien ohnegleichen. Sie will ihn jetzt durch Europa ver-breiten. Es ist zu hoffen, daß sie bald nach Deutschland kommt: es wird ein gewaltiges Erlebnis der deutschen Bühne sein, eine Offenbarung ver-schwiegener Mächte, um die sie lange schon in herben Qualen ringt. 499 -schen Theaterlandschaft dar und greift damit auf ein Bild zurück, das auch den italienischen Kollegen der Duse, Ernesto Rossi und Tommaso Salvini, zugeschrieben worden war. Dabei ähnelte sich das Vokabular für die Beschreibung der Wirkung der italienischen Virtuosen auf die deut-schen Kritiker auf erstaunliche Weise und auch die Ansprüche, die man 497 Dazu siehe Kapitel 2.2.1 der vorliegenden Arbeit. 498 Siehe Bahr 1892. 499 Bahr 1891, 125. <?page no="169"?> 169 an sie stellte, waren offenbar die gleichen: Durch genaue Beobachtung der italienischen Virtuosen sollten die deutschen Bühnenkünstler lernen und ihre eigene Schauspielkunst optimieren. Gleichzeitig spricht Bahr hier einen interessanten Aspekt an. Es ist kein Zufall, dass Eleonora Duse in Sankt Petersburg entdeckt wurde dahinter steckte vielmehr Kalkül: In Italien als Star etabliert zu sein, legte den Schritt nahe, sich auch im übrigen Europa einen Namen zu machen, sodass das russische Gastspiel als ein geschickt geplanter Schachzug der Virtuosin haben würde, der seinen Erfolg auch für sich selbst und seine Reputation so clever auszunutzen wusste, darf wohl als großes Glück für die italieni-sche Schauspielerin gewertet werden. Bei den deutschen respektive Berliner Rezipienten, für welche die Le-gende der Entdeckung durch Bahr kolportiert wurde und denen auch die Begeisterung der Wiener Zuschauer während des Gastspiels der italieni-schen Künstlerin in der österreichisch--ungarischen Hauptstadt sicher nicht verborgen geblieben war, musste sich auf zwei Ebenen der Wunsch nach Teilhabe einstellen: Zum Ersten wollte man die von Bahr und anderen Kritikern in höchsten Tönen gelobte Schauspielerin auch erleben. Zum 500 Denn dort hatte Eleonora Duse die Zuschauer in einem solchen Aus-maß begeistern können, dass sie nach ihrem Debüt noch zwei weitere Male 500 Das Verhältnis von Wien und Berlin im ausgehenden 19. Jahrhundert war auf ganz unterschiedlichen Ebenen durch ein anhaltendes Konkurrenzbewusstsein zwischen den beiden Metropolen geprägt, welches sich vor allem aus spezifischen Bildern von preußischer und österreichischer Mentalität bildeten die beiden Städte--Images ein wichtiges Muster in der medialen Vermittlung von Kunst, Literatur und Theater zwi-schen beiden Zentren um 1900. Die Polarisierung zwischen Berlin und Wien spiegelte dabei die ökonomische und nationale Konkurrenz zwischen Österreich und dem De Wettbewerb auch ein reges Austauschverhältnis zwischen den beiden Metropolen, die immer wieder in einen Dialog traten. Dieses wird insbesondere hinsichtlich der literarischen Produktion wie der Bühnensituation deutlich (siehe Sprengel/ Streim 1998, insbesondere 11--41). Baumeister verweist weiterhin darauf, dass die Berliner Bühnenlandschaft sich mitunter auch deswegen so fruchtbar entwickelte, weil ein nicht unerheblicher Anteil an Theaterschaffenden, seien es Schauspieler, Regisseure oder Theaterleiter, aus Wien stammte (vgl. Baumeister 2009, 207--208). Dieser Aus-tausch respektive die daraus folgende Zirkulation kulturellen Kapitals zwischen den Hauptstädten Österreich--Ungarns und des Deutschen Reiches machte Berlin zu ei-nem überaus kreativen Umfeld. <?page no="170"?> 170 im Jahre 1892 erfolgreich in Wien gastierte. 501 Der österreichische Theater-agent Taencer, dem die Italienerin von Bahr empfohlen worden war, engagierte Eleonora Duse für den Februar 1892 nach Wien. Sie trat im Carl-- Theater auf, einem Haus von geringerer Bedeutung in der Hierarchie der österreichischen Bühnenwelt. Am 20. Februar 1892 erlebten die wenigen er-- -man war zunächst skeptisch, dann hingerissen. Täncer hatte vorerst nur vier Vorstellungen mit ihr verabredet, doch der Erfolg war so Oktober, als sie zum drittenmal in einem Jahr in Wien auftrat, riß sie die 502 -- Berlin ausbreiten sollte, hatte Wien bereits etwa ein Dreivierteljahr vor dem Auftritt der Schauspielerin am Lessing--Theater in vollem Maße erfasst. So war in einer Wiener Tageszeitung schon vor dem ersten Gastspiel Eleonora Duses zu lesen: Der lang gehegte Wunsch, wieder einmal eine italienische Tragödin ersten Ranges auf einer Wiener Bühne spielen zu sehen, geht seiner Erfüllung ent-gegen, Eleonora Duse-jetzt lebenden italienischen Tragödinnen ist mit ihrer unter der Direction des Herren Andò stehenden Gesellschaft gestern um 4 Uhr Nachmittags aus Warschau eingetroffen. 503 Nach nur einer Woche Gastspieltätigkeit der Duse am Carl--Theater konnte und Band vor Begeisterung für eine italienische Schauspielerin mit dem 504 . Hier klingt an, dass deren Bekanntheitsgrad im deutschsprachigen Raum bis zu ihrem Wien--Gast-spiel doch noch recht niedrig gewesen war. Umso mehr mag erstaunen, wie schnell und in welch hohem Maße es ihr gelang, sich während ihres Besuchs in der österreichisch--ungarischen Hauptstadt beim Publikum und bei der Presse einen Namen zu machen. Die Duse kam also mit einer ausgesprochen positiven Reputation im Gepäck nach Berlin, wo mithilfe der sehr gut funktionierenden Werbe-- und PR--Maschinerie das Interesse an der italienischen Virtuosin und die Er-wartungen der Berliner Zuschauer schon im Vorfeld kräftig angeheizt worden waren. Der Erfolg, wie ihn die Duse in Wien hatte feiern können, 501 Ihre ersten Auftritte in Wien hatte Eleonora Duse in der Zeit vom 20. bis zum 27. Februar 1892. Sie gastierte am dortigen Carl-- Kameliendame, Ib-sens Nora und Sardous Fedora. 502 Maurer 1988, 49. 503 Wien 1892a, o.S. 504 Wien 1892c, o.S. <?page no="171"?> 171 und die Euphorie, die das Wiener Theaterpublikum ihr entgegengebracht hatte, sollten in der deutschen Hauptstadt zumindest wiederholt, wenn nicht sogar gesteigert werden. 6.2 Eleonora Duses erstes Gastspiel in Berlin In einer Besprechung des ersten Gastspielabends von Eleonora Duse in der deutschen Hauptstadt, die Paul Schlenther verfasst hat, klingt jener Medi-enrummel, der im Vorfeld des Gastspiels um die italienische Schauspiele-rin gemacht worden war, mit Nachdruck an: Die geniale Tragödin, die wochenlang alle Wiener Feuilletons beherrschte, deren Ruhm mit wahrhaft beängstigendem Getöse aus aller Herren Länder verkündet wurde, deren Interviewer selbst die intimsten Gewohnheiten der Diva auszukundschaften verstanden, hat sich im Lessing--Theater dem kunstverständigen Publikum der Reichshauptstadt, soweit es zahlungsfähig ist, vorgestellt. 505 Schlenther deutet hier nicht nur an, dass Eleonora Duse aufgrund des ihr vorauseilenden internationalen Renommees, das insbesondere auf ihrem enormen Publikumserfolg in Wien und der äußerst positiven Aufnahme durch die dortige Presse basierte, große Hoffnungen auf ein sensationelles Theater-- und Kunstereignis im Vorfeld ihrer Deutschlandpremiere auch beim Berliner Publikum geweckt hatte. Es wird auch deutlich, dass man aktiv darauf hinarbeitete, das Gastspiel der italienischen Künstlerin zu einem außergewöhnlichen Medienereignis hochzustilisieren was im Nachhinein betrachtet, schaut man sich die große Anzahl von Besprechun-gen in deutschen respektive Berliner Tageszeitungen und Zeitschriften an, 505 Berliner Lokal--Anzeiger hauptsächlich für berühmte Opernsängerinnen gebraucht wurde, mit der Zeit jedoch, insbesondere durch so extrovertierte Schauspielerinnen wie Sarah Bernhardt, immer mehr Einzug in die Betrachtung von Akteurinnen des Sprechtheaters hielt, impliziert, und Adres 13) handelte. Diese unterschied sich in ihren qualitativ hochwertigen schauspieleri-schen Fähigkeiten und in der Extrava -spielerinnen. Zu text siehe Grotjahn/ Schmidt/ Seedorf 2011, 7--14. Die in dieser historischen Quelle erfolgte Verwendung hat mit dem Gebrauch, wie er in Elisabeth Bronfens und Barbara Straumanns im Jahre 2002 erschienenen Veröf-fentlichung Die Diva: eine Geschichte der Bewunderung erfolgt, nach der es die Diva als Unfall gilt, jedoch nur bedingt etwas zu tun, auch wenn man Eleonora Duse unter der bei den beiden Autorinnen aufgegriffenen Prämisse des besonderen Leidens als Cha-rakteristikum der Diva (vgl. Bronfen/ Straumann 2002, 47) untersuchen könnte, was hier allerdings nicht geschehen soll. <?page no="172"?> 172 auch gelang. Der Besuch der Duse war demnach nicht nur vom künstleri-schen Standpunkt aus gesehen ein besonderes Gastspiel;; er deckte gleich-zeitig die Mechanismen des kommodifizierten internationalen Virtuosen-systems auf: Die Vorankündigungen, der überall zum Kauf angebotene Gastspielführer Hermann Bahrs, die Porträts und unzähligen Besprechun-gen in den Printmedien, sie all 506 wandelte. Die Italienerin wurde dabei nicht nur als Bühnenkünstlerin be--, sondern auch als Ware gehandelt. Dies macht folgende Bemerkung aus einer Kritik des Berliner Lokal--Anzeigers zum ersten Gastspiel der Duse deutlich: In Rom sowohl, wie hier, in Wien, Budapest und überall, wo sie nur er-scheint, übt sie den gleichen Zauber aus, und wenn auch eine sehr betrieb-same und geschäftige Reklame die Impresarii Italiens verstehen sich auf diese Kunst noch viel großartiger als diejenigen anderer Staaten nicht we-nig zum Ruhme der Diva beigetragen, so muß doch gesagt werden, daß das Gold ihres europäischen Namens echt ist. 507 Wie andere Kritiker beschreibt dieser Rezensent die italienischen Impresa-rios, welche die Vermarktung der Schauspieler (auch) auf internationaler Ebene übernahmen, als wirtschaftlich besonders findig und damit am flächendeckenden Erfolg der Künstler jenseits der italienischen Grenzen rege beteiligt. Diese Aussage macht deutlich, dass es nicht allein ihr schau-sondern dass ihr Impresario mit seinen geschickten Reklamestrategien einen nicht unerheblichen Anteil daran hatte. Ganz dem zeittypischen Duktus folgend, der die Dichotomie Kunst versus Ökonomie betonte und dabei letztere stets als negativ herausstellte, relativiert der Kritiker seine Aussage allerdings gleich wieder: Um nicht dem kommerziellen Aspekt rischer Ebene dem ihr vorauseilenden Ruf gerecht wird. Dies scheint ein ökono-misch orientiertes Verhalten, wie es das Zitat zur Sprache bringt, zumin-dest partiell zu rechtfertigen. Hier klingt an, dass man im deutschen Theaterdiskurs eine Ökonomi-sierung prinzipiell zwar nicht gutheißen wollte, dass man sich jedoch der Tatsache bewusst war, dass das (internationale) Gastspielwesen ohne die hinter der Kunst stehenden Organisationsstrukturen niemals hätte existie-ren können. Am Beispiel der Duse wird deutlich, dass das internationale 506 ezu unbeein-- -schaffenen Vorgangs unterschieden werden (vgl. Kuhn 2009, 47). Durch diese Diffe-renzierung soll insbesondere auf die klaren Strukturen der Kommodifizierung sowie 507 Berliner Lokal--Anzeiger vom 22.11.1892. <?page no="173"?> 173 Gastspiel die sonst so strikt gezogene Grenze zwischen der Kultur respek-tive Kunst und dem Kommerz beziehungsweise der Ökonomie verwischt, da es sie überschreiten muss. Wie man den Auftritt der Duse in Berlin wahrnehmen konnte, davon gibt Linsemann eine interessante Zusammenfassung, die in leicht spötti-schem Ton das Besondere an diesem Ereignis auf den Punkt bringt. Er schreibt: Aber eine ungeheure Reklame ging ihr voran, der Parkettplatz kostete zehn Mark, die italienische Sprache erschwerte das Verständniß kein Wunder, daß es bald zum guten Ton gehörte, in die Duse--Verhimmlungen mit ein-zustimmen. 508 Linsemann spricht hier drei relevante Aspekte des Duse--Gastspiels an: Zum Ersten weist er auf den ökonomischen Hintergrund hin, der das Kunstereignis begleitete und die Berliner auf den Besuch der Italienerin vorbereitete, nämlich die hervorragend funktionierende PR--Maschinerie. Zum Zweiten erwähnt er die Anhebung der Eintrittspreise, die Auswir-kungen in zwei Richtungen zur Folge hatte: 509 Einerseits verlieh sie dem Gastspiel eine Aura des Exklusiven und Luxuriösen nicht jeder konnte (und sollte) es sich leisten. Andererseits ließ die Erhöhung auf die hohe Qualität des anstehenden Events schließen. Demzufolge musste der Zu-schauer mehr zahlen, um an diesem kulturellen Ereignis teilzuhaben. Zum Dritten geht er auf die fremde Sprache ein, in der gespielt wurde und die ebenfalls dazu beitrug, dass das Gastspiel den Anstrich eines extravagan-ten Erlebnisses bekam. Diese drei Gesichtspunkte machten die Gastauf-tritte der italienischen Virtuosin zu wichtigen gesellschaftlichen Ereignis-sen auch wenn die Teilhabe nur einem geringen Teil der Berliner vorbehalten blieb. Der Besuch der Duse und ihre damit einhergehende Stilisierung zum internationalen Star durch die Berliner Presse brachte internationalen Glanz in die Hauptstadt des Deutschen Reiches ein-drucksvoller und nachhaltiger, als dies bei ihren italienischen Vorgängern der Fall gewesen war. Als Eleonora Duse endlich nach Berlin kam, wurde sie, zumindest sugge-rieren das die zeitgenössischen Quellen, vom überwiegenden Teil der Ber-liner Kritiker, aber vor allem von den Zuschauern in der deutschen Haupt-stadt mit ebenjener großen Bewunderung und Begeisterung gefeiert, die zu erwarten gewesen waren. In der Theaterzeitschrift Charivari, dem Publika-tionsorgan des bekannten Berliner Bühnenverlags Felix Bloch Erben, heißt es dazu in einer Besprechung: 508 Linsemann 2009, 211. 509 Zur Exklusivität des Duse--Gastspiels siehe die Kapitel 7.3 und 7.4 der vorliegenden Arbeit. <?page no="174"?> 174 Die italienische Stagione hat am Montag begonnen und sofort mit einem Er-folge eingesetzt, wie ihn seit den Zeiten der Ristori noch keine fremde Künstlerin in Berlin erzielt hat. Der Ruf, der Fr. Eleonora Duse vorausging, war ein so außerordentlicher, daß man fast befürchten mußte, es werde der Künstlerin schwer fallen, die hochgespannten Erwartungen, die man ihr hier entgegenbrachte, voll zu befriedigen. Die Befürchtung hat sich als eitel nach wenigen Scenen war das Publikum sich klar, daß ihm hier eines jener schauspielerischen Genies gegenüberstand, die auf der Bühne wirklich das sind, was sie zu spielen scheinen. 510 Diese Kritik ist insofern interessant, als hier schon früh das angedeutet wird, was in der Verhandlung der Gastspiele Eleonora Duses im deutschen Theaterdiskurs in den Jahren ihrer wiederkehrenden Besuche im Deut-schen Reich immer stärker zum Vorschein kommt: eine Ambivalenz in der Einschätzung der italienischen Bühnenkünstlerin, rangierend zwischen der Betonung des in ihrem Schauspielstil gespiegelten Nationalcharakters und der Hervorhebung der Genialität und damit gleichzeitig auch Individuali-tät ihrer Schauspielleistung. Diese Doppel--Wertigkeit spiegelte die nicht weniger ambivalente Ein-stellung der Kritiker zu der Virtuosin wider: Auf der einen Seite betrach-tete man die Duse im Zuge des Prozesses des eigenen nation building vor dem Hintergrund einer nationalen Stereotypie: Durch die Herausstellung Eigengruppe beziehungsweise man versicherte sich der bereits bestehen-den;; die Abgrenzung von der Fremdkultur diente somit der nationalen Selbst--Affirmation. Auf der anderen Seite dies deutet sich an nahm man sie sehr wohl nicht nur innerhalb eines durch nationale Grenzen be-schränkten Denkens wahr, sondern man erkannte auch die Qualität ihrer eigens geschaffenen Kunstleistung. 511 Schließlich wird, wenn die Duse als 512 bezeichnet wird, wie es im zitierten Textaus-schnitt der Fall ist, ihre individuelle Begabung in den Vordergrund gestellt: Ihre mehr als außergewöhnlichen mimischen Fähigkeiten lassen sie zur 510 Anonymus 1892a, o.S. 511 Dass sich die deutschen Rezensenten in einem Zwiespalt zwischen der Anerkennung einer eigenkreativen Leistung und der Prägung der Künstler durch ihre italienische Herkunft befanden, ist bereits bei Rossi und Salvini gezeigt worden. Siehe dazu Ka-pitel 5.3 der vorliegenden Arbeit. 512 siehe Fußnote 585 der vorliegenden Arbeit), sondern eher im Sinne Denis Diderots gedacht, der das Genie als jemand erkennt, der eine besondere Aufnahme-- und Einfühlungsfähigkeit vor-also von allen Dingen Empfindungen erfährt, Anteil an allem nimmt, was in der Natur existiert und deshalb keine Idee empfängt, ohne daß in der Seele ein Gefühl <?page no="175"?> 175 kreativen Schöpferin der eigenen Bühnenfiguren werden;; diese verkörpert die Duse aufgrund ihres persönlichen Könnens nicht allein aufgrund oder einer biologistisch begründeten Begabung aller Italiener zur theatra-len Darstellung auf überzeugende wie überragende Art und Weise. Da-her wird die Bühnenkünstlerin, für die Leserschaft deutlich erkennbar, trotz ihrer vom Kritiker hier erkannten und betonten Genialität zusätzlich noch als Italienerin gekennzeichnet, um damit in den Köpfen der Leser gewisse Assoziationen und stereotype Bilder zu wecken. -t auf jenes für Italien so typische Theatersystem und damit auf ihre Herkunft hin. Dadurch wird beim Leser ein bestimmtes Bild von Theater hervorgerufen. Weiterhin stellt der Verfasser eine direkte Verbindung zwischen Eleonora Duse und ihrer berühmten italienischen Vorgängerin Adelaide Ristori her und ordnet erstere damit nicht nur in die Traditionslinie von Gastspielen italienischer Schauspielkünstler in er kon-textualisiert die Duse also lokal wie künstlerisch. Der Leser erfährt das Schaffen der Virtuosin Eleonora Duse als etwas -sie eine Zwischenposition ein zwischen der Tradition und der Moderne. Allerdings zeigt sich zumindest in der Auseinandersetzung mit den frü-hen Gastspielen der Duse , dass der erste Gesichtspunkt bei der Einschät-zung durch die Kritiker noch überwiegt. Zur Verdeutlichung dieser Situation soll im Folgenden die Rezeption Eleonora Duses in diesem Kontext, nämlich unter der Prämisse der natio-- -sucht werden. Dabei ist richtungsweisend, dass, wie es schon bei ihren italienischen Kollegen der Fall war, auch hinsichtlich der Schauspielkunst -stimmende Körperlichkeit im Mittelpunkt der Verhandlung stehen. 6.3 Die Duse 6.3.1 In der Tradition der Bewertung der anderen italienischen Virtuosen ste-hend, wird auch der Schauspielstil Eleonora Duses von den deutschen Kritikern stets als auch vom oben zitierten Kritiker der Zeitschrift Charivari, wenn dieser anmerkt, die Italie-- <?page no="176"?> 176 513 . -kern im Mittelpunkt der Verhandlung stand, wird in einer Äußerung Si-mon Moldauers deutlich. Dieser versucht, die Bewertungen des Spiels der Duse im Theaterdiskurs zusammenzufassen, wenn er schreibt: Und was pri Und wollte damit sagen? Etwa daß sie auf der Bühne ganz so sprach und sich geberdete wie man im Leben spricht und sich geberdet? Weit gefehlt. Solches ist aus tausend Gründen nicht möglich. Es gilt nur, den Schein zu wecken, daß dem so sei. Und der Duse gelingt dies allerdings in hohem sonst müß sich ihr vollständig anpaßt, lauter Kunstkräfte ersten Ranges erblicken. Vielmehr hob man als glänzende Illustrierung ih -lem hervor, daß sie die ganze Gefühlswelt nicht vorzustellen, sondern in ihr aufzugehen schien;; daß wir in ihrem alle Schminke entbehrenden Gesichte kurz, daß sie auf der Bühne nicht zu spielen, sondern zu leben schien. 514 Kritiker das Spiel der Duse auszeichne. Er macht jedoch deutlich, dass es sich bei der Spielweise der Italienerin nicht bloß um eine absolute Nach-ahmung der Natur handele;; denn diese Erklärung würde für ein Resultat wie das Gesehene nicht ausreichen. Vielmehr beinhaltet die Art der Dar-stellung der Duse einen sowohl kreativen als auch emotionalen Aspekt, der dem Zuschauer allerdings nicht unbedingt sichtbar sei, werde er doch ge-- -dahinter aber verberge sich eine große Schauspiel-kunst, ein enormer Akt mimetischer und emotionaler Kreativität, wie sie ganz allgemein den italienischen Darstellern, insbesondere den Virtuosen, zugeschrieben wurde. Beim Spiel der Duse handele es sich also um eine Erst in uns machte sich eine Unzufriedenheit mit dem traditionellen Spiel geltend, die Sehnsucht nach einer Neuerung ward in uns lebendig, und wir 513 Siehe dazu Fußnote 509 der vorliegenden Arbeit. 514 Moldauer zit. nach Balme 1988, 106 [Hervorhebung im Original]. Mit der Umgebung der Duse ist in diesem Kontext nicht ihr italienischer Hintergrund gemeint, sondern das sie während ihrer Gastspieltourneen begleitende Ensemble, das, mit wenigen Ausnahmen, als qualitativ schlechter als die Virtuosin selbst be-wertet wurde. <?page no="177"?> 177 riefen: mehr Natürlichkeit! meinten aber: mehr Illusion! Da kam Frau Duse und gab uns, was wir eigentlich wollten, den höchsten Grad von Illusion! 515 Emotionalität ist, sei es, welche die Duse als schauspielerisches Phänomen einerseits so besonders mache, die sie andererseits jedoch auch in hohem Maße von den deutschen Schauspielern abhebe, denen eine solche Spiel-weise fremd sei, was von den Kritikern bemängelt wurde. Auch die Schriftstellerin Lou Andreas--Salomé (1861--1937) schloss sich der Berliner Duse--Euphorie an. Sie schreibt über das Gastspiel und den speziellen Stil der Virtuosin in einem in der Zeitschrift Die Freie Bühne er-schienenen Artikel: Der Begeisterungssturm, den Frau Duse während ihres Berliner Gastspiels entfesselt hat, ist ein derartig überschwenglicher, aller Grenzen spottender, jegliches Maß übersteigender gewesen, daß es fast peinlich ist, in gemäßig-n der Tat um etwas wie ein Wunder, nicht bloß um das, wodurch die Eigenart einer Duse vielleicht von der Eigenart anderer guter Künstler absticht, nicht bloß um die Italienerin neben der Deutschen, sondern um das Nochnichtdage-wesene, außer Vergleich Stehende, um das Wunder einer wahrhaften Ver-schmelzung von Schein und Sein zu naturwahrer Lebenswirklichkeit. 516 In Andreas--Salomés Äußerung wird erneut deutlich, wie sehr man einen Schauspiel -dem Spiel der Duse durch die sogar zweimalige Verwendung des Begriffs bereits andere Kritiker, nicht zuletzt Hermann Bahr, Eleonora Duse wie auch ihren männlichen Kollegen Salvini und Rossi Heil bringende Quali-täten und damit ein Potenzial zur Verbesserung der eigenen als desolat empfundenen Theatersituation zugeschrieben eine Kennzeichnung der italienischen Künstler, die sich augenscheinlich etablierte und sich daher wie ein roter Faden durch die Kritiken zog. Lob erfährt die Duse auch durch Richard Nathanson, wenn dieser schreibt: Verschmelzen der dichterischen Figuren mit der eigenen Persönlichkeit des Künstlers, das wir eben jetzt an der Duse bewunder 517 Das hier verwendete Vokabular ähnelt dem der Beschreibung von Andreas--Salomé 515 Moldauer zit. nach Balme 1988, 109 [Hervorhebung im Original]. 516 Andreas--Salomé 1893, 76. 517 Nathanson 1893, 11. <?page no="178"?> 178 sowie dem anderer Kritiker. Selten definierte, dafür umso häufiger ge-benswirklich-- -gang in die Verhandlung der italienischen Schauspielkunst allgemein und in die der Duse speziell. Dies gibt zum einen einmal mehr den Hinweis darauf, dass es sich um ein im kulturellen Bewusstsein verwurzeltes kunst handelte, der man auch die Duse zuordnete;; zum anderen deutet es auf den Mechanis-mus der Stereotypisierung generell hin: Durch stete Wiederholung erfolgt im Kopf des Rezipienten die Konsolidierung des Bildes. Als weiteres Beispiel dafür dient eine Kritik aus der Berliner Börsen--Zei-tung, in der es heißt: Das Gastspiel ist mehr als ein Ereignis, es ist eine künstlerische Offenba-rung und zeigt uns nicht nur, wie Kunst und Natur sich vereinigen, son-dern was Lessing darunter verstanden wissen sollte, wie nämlich Realismus und Poesie sich verschmelzen müssen, um diejenige Bühnenwirklichkeit hervor zu rufen, die wahrscheinlich und dennoch weitab vom Alltäglichen ist. 518 Der Rezensent betont nicht nur den besonderen (metaphysischen) Kunst-genuss ( ). Er stellt die für die Duse cha-- G. E.Lessings Schaupieltheorien. Dessen Vorstellungen von einer idealen Spielweise seien von Eleonora Duse realisiert. Allerdings lässt der Kritiker offen, wie Lessings Ideen sich in der Kunst der Duse widerspiegeln. Den-noch ist die Aussage interessant, denn sie stellt einen Zusammenhang zwischen zwei Idealen der bürgerlichen Elite des ausgehenden 19. Jahr-- Schauspielkunst, wie man sie Eleonora Duse zuschrieb, und den theoretischen Überlegungen zum Schauspiel im 18. Jahrhundert, als deren Erben und Verwalter sich die Intellektuellen sahen. Die intensive Beschäftigung mit dem Theater als Institution der bürgerlichen Emanzipationsbestrebungen wie auch mit den Schauspieltheorien machte einen großen Teil des Theaterdiskurses um 1900 aus;; schließlich ordnete man den aufklärerischen Nationaltheater--Bestre-bungen sowie der intensiven theoretischen Beschäftigung mit der Schau-spielkunst in der Vergangenheit einen Vorbildcharakter für das 19. Jahr-dabei als ideale Projektionsfläche der Wünsche einer bürgerlichen Elite, die sich die Umsetzung der Ge deutschen Nationaltheaters zum Zweck der moralischen Bildung wie auch der politischen Einigung ersehnte. Genauso wenig wie der Kritiker es al-- 518 Berliner Börsen--Zeitung vom 22.11.1892. <?page no="179"?> 179 Lessings für die italienische Virtuosin näher zu erläutern, erklärt er auch, was man sich unter einem Nationaltheater vorzustellen habe sowie was man von diesem erwarte Schlagwort. Es erfolgt noch eine weitere Bezugnahme auf das 18. Jahrhundert, wenn Diderot, und verneigt sich nach dem Fallen des Vorhanges noch ganz mit dem Gesichtsausdruck der letzten Scene und hält uns solcher Art in der 519 Hier wird direkt auf den französischen Theatertheoretiker Denis Diderot (1713--1784) und seine in der von ihm verfassten Schrift Para-doxe sur le comédien (1773-- 520 -- Distanz dazu wahrt. Damit entspricht sie zwar nicht dem Ideal Diderots, 521 , eine Mischung von Feuer und Kälte plädierte. 522 Für den Kri-tiker birgt ihr der Vernunft entgegenstehendes, das Gefühl in den Vorder-grund rückendes Verhalten auf der Bühne dennoch eine große Faszination, weil Eleonora Duse über das Szenenende hinaus in ihrer Rolle verharrt;; es gelingt ihr nicht, diese innerhalb kürzester Zeit abzulegen, und so nimmt -dern als die von ihr verkörperte Figur entgegen. Sie wahrt damit ihren Abschluss hätte finden müssen, und verlängert so das theatrale Kunstereignis über sein eigentliches Ende hinaus. Der Kritiker macht durch seine Beschreibung deutlich, in welch hohem Maße sich die Duse in ihre Rollen einlebt und grenzt sie auf diese Weise von den inter-nationalen Virtuosen ab, denen der Applaus alles bedeutet, die nur ihre wie die italienische Akteurin aus hehren künstlerischen Beweggründen auf der Bühne stehen. In welch hohem Maße die Duse die Fähigkeit dazu besaß, ihre Zuschauer durch die Darstellung großer Emotionen zu begeistern, zeigt eine Kritik aus dem Kleinen Journal. Dort heißt es: vor Allem sind die Ausbrüche des Schmerzes und der Sehnsucht von einer -- 519 Berliner Börsen--Zeitung vom 22.11.1892. 520 u.a. wenn auch recht verkürzt Roselt 2005, 134--147. 521 Roselt 2005, 124. 522 Vgl. Lessing 1985, 199. <?page no="180"?> 180 chen Situationen anwenden, geradezu lächerlich erscheinen läßt. Keine ih-rer lebenden Rivalinnen versteht sich wohl so auf die Sprache der Thränen, wie die große Italienerin. 523 -- 524 hinterließen im Ge-beim Kritiker großen Eindruck. 525 Die das Spiel der Duse charakterisie-- -zeugend, dass sogar die Behauptung aufgestellt wurde, man würde nicht merken, dass man im Theater sei. Man fühlte sich nicht als Betrachter einer fiktiven, sondern als Zeuge einer sich wirklich ereignenden menschlichen Tragödie. Eugen Zabel schreibt: Niemand dachte daran, daß die Absicht einer holden Täuschung durch verkleidete Personen vorliege. Jeder sah vielmehr in Wirklichkeit einen Menschen leben, lieben und leiden. An diesem Abend waren die Unter-schiede zwischen Kunst und Natur vollständig verwischt. 526 Für den Kritiker löst sich durch die Schauspielkunst der Duse die theatrale Situation in der Realität auf. Darin sieht er den größten Fortschritt im Kön-nen der Italienerin. In Zabels Äußerung wird der im ausgehenden 19. Jahr-- -zeugenden Theater jenseits von Deklamation sowie übertriebenen Gesten und Beto-nungen deutlich allerdings nicht im Sinne des Naturalismus, dessen Protagonisten parallel zu den frühen Gastspielen der Duse versuchten, die deutsche Theaterlandschaft zu reformieren. 527 Während hinter den Bemü-hungen der Naturalisten klare (sozial--) politische Belange standen, fehlte dem Repertoire der Duse und ihrer Truppe das politische Potenzial. 528 523 Das Kleine Journal vom 24.11.1892. 524 Zum Leiden der Duse siehe auch Kapitel 6.8 der vorliegenden Arbeit. 525 Die Betonung der Fähigkeit zur Expression großer und -äußerungen stellt Eleonora Duse, obwohl hier ihre Einzigartigkeit betont wird, wie-der in die Tradition der italienischen Schauspielkünstler. Schließlich war beispiels-von Emotionen immer wieder gelobt worden. Dazu siehe Kapitel 5.2 der vorliegen-den Arbeit. 526 Zabel 1893, 40. 527 Zum Naturalismus (auch als eine politische Strömung) siehe u.a. Brauneck 1974;; Fischer--Lichte 1999, 243--259;; Kafitz 1989, 288--326. 528 Beispiel Nora gewesen sein, in denen sich die emanzipatorischen Strömungen der Zeit niederschlugen, jedoch auch diese wurden kaum politisch motiviert dargestellt. Ansonsten kann im Gastspielrepertoire der Duse von politischen Stücken nicht die Rede sein. Ihr Interesse galt vielmehr der Darstellung großer Emotionalität. Eine In-- <?page no="181"?> 181 Dessen war man sich bewusst und nur wenige Kritiker stellten direkt poli-tische Ansprüche an sie. Man erkannte auch so die Vorzüge ihrer Schau-spielkunst: Es dominierten Einfühlung, Identifikation und Authentizität, die auf das Publikum und dessen Empfindungen in einem Maß einwirkten, wie man es selten zuvor erlebt hatte Eigenschaften, die man sich auch für die eigenen Bühnenkünstler im Deutschen Reich wünschte. Bab ordnet die Duse dennoch dem Naturalismus zu, schränkt jedoch sogleich wieder ein, wenn er schreibt: Soweit der Naturalismus eine Theorie ist, die den Unterschied zwischen ei-ner künstlerischen Äußerung und einem bloßen Naturlaut aufhebt, ist er ja nur töricht aber als eine Gemütsbewegung, die das Stagnieren in Form-konventionen bekämpft und der inneren Natur zu eigener Äußerung ver-hilft, hat sie doch ihren Wert. Innerhalb der europäischen Schauspielkunst hat diese Befreiung der Seele zu unkonventioneller Äußerung ihr höchstes Ergebnis im Spiel der Italienerin Eleonore Duse gehabt. 529 Nicht das, was im Kaiserreich unter Naturalismus verstanden wurde, nämlich das der For el, 530 sollte ange-- -gungen zum Ausdruck bringe, ein Spiel, das gegen die Konventionen an-gehe und in dem innere Vorgänge ihren körperlichen Ausdruck auf , wie es die Duse darbiete. anders als es hier bei Bab anklingt nicht ausschließlich auf ihr individuelles Potenzial zurück, wenn dieses auch die Grundlage ihres hervorragenden Talents bil-dete;; vielmehr erklärte man ihre besondere Begabung vorwiegend mit ihrer italienischen Herkunft. Dies kann an einem Beispiel von Nathanson gezeigt werden. Er schreibt: Denn diese Menschenbildnerin ist keine plötzlich in einer Kunstwüste auf-getauchte Wunderblume, sondern nur ein zu besonders schöner Blüthe ge-diehenes Produkt des Bodens, aus welchem die neuere italienische Schau-spielweise eine ganze Reihe ähnlicher, wenn auch minder vollkommener Exemplare hervorwachsen ließ. 531 strumentalisierung der Duse in Richtung des politischen Naturalismus käme meiner Meinung nach einer Verfälschung der Situation gleich. 529 Bab 1954, 305. 530 Diese auf den Dramatiker und Theoretiker Arno Holz (1863--1929) zurückgehende Formel erklärt das hinter dem naturalistischen Schauspiel stehende Prinzip: Indem man x möglichst gen 0 gehen ließ, sodass die Kunst der Natur entsprach, sollte ein konsequenter Naturalismus entstehen, der seinen Niederschlag auf den Theaterbüh-nen in einem solch idealisierten Maß allerdings nie fand. Zu den Theorien des Natu-ralismus siehe vor allem Brauneck 1974. 531 Nathanson 1893, 11. <?page no="182"?> 182 Dieser Satz macht deutlich, dass zumindest hinsichtlich der frühen Gast-spiele die Herkunft der Akteurin bemüht wurde, sowohl um ihre künstle-rischen Fähigkeiten zu erklären als auch ihren Schauspielstil zu charakteri-sieren. Die Duse galt den deutschen Kritikern als Symbolfigur einer mit ihren italienischen Kollegen, eine Besonderheit darstellte und auch als eine solche bewertet wurde. 6.3.2 Die körperliche Schauspielkunst als nationales Kennzeichen steht ein weiterer Aspekt im Mittelpunkt der Verhandlung der Schauspielkunst Eleonora Duses: ihre als besonders ex-pressiv geltende Gestik und Mimik. Ob ihr Spiel wirklich in einem solch hohen Maße davon beeinflusst war oder ob die deutschen Kritiker einfach sehr geprägt waren von dem über die Jahre hinweg zum Stereotyp gewor-- -kunst, dass ihnen gerade diese Merkmale besonders auffielen, ist heute auch aufgrund fehlender aussagekräftiger Bildquellen nicht mehr nach-vollziehbar. 532 Tatsache bleibt aber die permanente Betonung des Ge-brauchs kinesischer Zeichen in den zeitgenössischen Quellen, so wie es einige Jahre zuvor schon bei Tommaso Salvini und Ernesto Rossi der Fall gewesen war. Di Kontext lässt sich anhand eines Artikels von Richard Fellner in der Voss-ischen Zeitung ist die echte Tochter Italiens, und die Ausdrucksfähigkeit ihres Körpers ist unbegrenzt. 533 Als Italienerin nicht nur als italienische Schauspielerin scheint auch sie zu einer mimischen wie gestischen Expressivität prädesti-- 532 Sieht man einmal von den meist in Ateliers gemachten Fotografien ab, so fehlt es an verlässlichem Material, das die Duse zum Beispiel während einer ihrer Aufführun-gen abbildet, was natürlich den Möglichkeiten und Konventionen der Zeit geschuldet ist. Nach Angela Dalle Vacche lässt der nicht sehr erfolgreiche, aber einzige Film, in dem Eleonora Duse jemals mitspielte, Cenere (dt. Asche;; 1916, Regie: Febo Mari), al-lerdings Rückschlüsse auf den Schauspielstil der italienischen Bühnenkünstlerin zu. So gibt sie an, die Duse hätte ihren Bühnenschauspielstil auf den Film übertragen, lehnte daher auch das Prinzip der Nahaufnahme ab und hätte Probleme mit dem Spiel mit und vor der Kamera. Ce-nere is simply Duse, once again at her best in her self--absorbed and absorbing theatri-cal approach. Yet she is displaced in relationship to the constitutive specificity of the (Dalle Vacche 2008, 148.) Auch wenn die Autorin angibt, der Schau-- -kunst, bleibt in ihrer Beschreibung des Stils aber sehr in den in der Forschungslitera-tur zur Duse vorherrschenden Konventionen verhaftet. Zum Film und der Art der Darstellung der Duse siehe Dalle Vacche 2008, 137--141. 533 Vossische Zeitung vom 20.12.1892. <?page no="183"?> 183 Kritiker der Berliner Börsen--Zeitung in seiner Besprechung des Duse--Gast-spiels an, wenn er schreibt: Schlicht, ohne Effecthascherei ist ihr Spiel, und wenn die Worte bisweilen mehr hervorgesprudelt als gesprochen werden, wenn Arme und Hände manchmal in eine vibrierende Bewegung geraten, die für den ruhigen Norddeutschen etwas Beängstigendes hat, so ist dies eben Italienische Art. 534 Der Kritiker gibt hier eine Situation wieder, die das bereits erläuterte di-chotome Prinzip vom Auto-- und Heterostereotyp deutlich zum Ausdruck bringt: Er schildert sowohl die Aktion der italienischen Bühnenkünstlerin als auch die Reaktion des deutschen (beziehungsweise Berliner) Publikums und stellt damit die als typisch empfundenen Verhaltensweisen beider Gruppen gegenüber: Auf der Bühne agiert die Duse mit ihren ausdrucks-star wirkenden Bewegungen, während im Zuschau-- -- 535 , sitzen und damit konfrontiert werden. Letztere begutachten das sich in hohem Maße vom Gewohnten unterscheidende Verhalten des italienischen Heterostereotyps sogar leicht verängstigt, auch wenn dies sicherlich als eine überspitzte Darstellung gewertet werden kann. Einmal mehr stellt hier der Autor die in der komparatistischen Beschreibung der Eigen-- und der Fremd verwunderte deutsche Zuschauer nimmt trotz der Unterschiede den-- Das Heterostereotyp wird demnach auch jenseits von Ästhetik und künstlerischer Äußerung nicht nur als solches erkannt, sondern gleich-falls, wenn auch mit leichter Befremdung, aber trotzdem mit großem Inte-resse beobachtet und akzeptiert und sein Agieren letzten Endes auch genossen. Schließlich präsentierte sich Eleonora Duse stets vor einem be-geisterten deutschen Publikum, das an ebenjener n Schauspielkunst teilhaben -schied sie sich nicht nur sehr von dem, das man sonst auf der Bühne von den einheimischen Künstlern zu sehen bekam, sondern sie bot zumindest wurde dies so empfunden auch einen Einblick in eine andere Kultur sowie in sich von den eigenen unterscheidende Verhaltensweisen. 534 Berliner Börsen--Zeitung vom 23.11.1892. Zu diesem Zitat siehe auch Watzka 2010. 535 ganz dem zeitgenössischen Duktus ent-sprechend -liner ist überdies ein Norddeutscher und als sol 372.) Auch eine Kritik der Berliner Börsen--Zeitung d.h. ohne Berliner Börsen--Zeitung vom 3.12.1893. <?page no="184"?> 184 Wie den deutschen Schauspielern von Zabel verallgemeinernd eine 536 charakterisiert der Kritiker im obigen Textausschnitt auch die deutschen (beziehungsweise die Berliner) 537 In beiden Zitaten erfolgt also dieselbe Zuschrei-bung;; so entwickelt sich die Vorstellung von dem deutschen Autostereo-typ, einem Menschen von verhaltener, besonnener Wesensart. Diesem gegenüber steht das italienische Heterostereotyp: die lebhafte, heißblütige Person. Dies impliziert eine deutliche Unterscheidung hinsichtlich des Temperaments der Angehörigen der jeweiligen Gruppe. Die klar zugeord-neten Charakterisierungen spiegeln nicht nur eine Etablierung von stereo-typen Vorstellungen (in diesem Fall von Nationalcharakteren) wider;; es wird auch augenscheinlich, wie unkritisch und kaum hinterfragt solche Gedankenbilder wohl zum Zweck der Vereinfachung vor allem der eige-nen, aber auch der Fremdidentifizierung kolportiert wurden. Im Zuge der Verhandlung der starren Muster kommt der bereits be-- -zwar in den Augen des deutschen Publikums sowie der Kritiker eine Repräsentantin ihrer Heimat, aber gerade diese Tatsache machte sie zum Mittelpunkt des Interesses und zwar jenseits der Demarkation und der künstlerischen Situation. Schließlich stellte sie die ideale Projektionsfläche dar für die Neu An-hand ihrer Auftritte auf der Theaterbühne wurden im kollektiven Bewusst-naturverbunden sowie als offener und temperamentvoller als die deut-schen Frauen galt, verhandelt, abgeglichen, verworfen oder bestätigt. Dies zeigt ein Beispiel aus dem Kleinen Journal, wo es heißt: Im Lessing--Theater herrschte gestern wieder Duse--Temperatur, jene süd-ländische Temperatur, in welcher die behäbigsten Skeptiker und Kritiker und unbehäbigen N -cker mitjubeln und applaudiren. 538 In der Begeisterung des deutschen Publikums werden dementsprechend nicht nur Stereotype, sondern auch in der deutschen Gesellschaft vorherr-schende Begehrensstrukturen nach einem Alterität herstellenden Exotis-die man trotz der räumlichen Nähe als sehr verschieden von der eigenen hn-- 536 Dazu siehe Fußnote 456 der vorliegenden Arbeit 537 -berti 2009, 100. 538 Das Kleine Journal vom 27.11.1892. <?page no="185"?> 185 Die Tatsache, dass der Kritiker der Berliner Börsen--Zeitung in der oben zi-tierten Textpassage die Ausdruckskraft der Geste im Spiel Eleonora Duses als typische Eigenheit einer italienischen Schauspielkunst erachtete, stellt keine Ausnahme dar. So spricht auch der Feuilletonist Leopold Schönhoff (1853--1908) in einem Artikel über die Italienerin in der Zeitschrift Die Na-tion -- 539 . Auch Schönhoff führt Künstlerin zurück, 540 -che, die mitunter so naturalistisch wird, daß sie an animalische Heftigkeit 541 , hervorhebt. Durch seine Äußerung drückt Schönhoff vordergründig sein Lob für die Schauspielkunst der Duse aus. Indem er ihre Leistung mit dem Attribut eine dem menschlich--intellektuellen Verhalten fremde, potenzi -- -- Tertium Comparationis 542 bedeuten kann, offen-bart bei der Bewertung der Bewegungen, wie ungewohnt dem Kritiker eine solch uneingeschränkte körperliche Ausgelassenheit, ein solch künstleri-scher Freisinn und ein in einem so hohen Maße umge ist dem-- 539 Schönhoff 1893/ 94b, 200. 540 Max Martersteig weist in seinen Äußerungen zum Gastspiel von Ernesto Rossi auch auf die typische Ver -der Nerv des Gesichtes, des Körpers und namentlich der Hände in so zwingender De 541 Schönhoff 1893/ 94b, 200. 542 ll konnotiert verstanden werden, dafür bieten die Quellen keinen Anlass. Meiner Meinung nach lässt sich zumindest für die hier in den Fokus genommene Zeit zwar eine Exotisierung, aber nur bedingt eine Erotisierung der Duse feststellen, obwohl es sich bei den Kritikern -- -schen Konkurrentin Sarah Bernhardt aus, bei deren Verhandlung häufig eine kokett-erotische Komponente eine Rolle spielte. Allerdings ist dies wiederum auf das Kli-schee von der sexuell freizügigeren Französin zurückzuführen, das auf Sarah Bern-- und Sarah Bernhardt als Projektionsfläche erotischer Fantasien siehe u.a. Balk 1994, 104--111;; Thorun 2010, 285--295. Eine Erotisierung der Duse findet erst allmählich statt, vor allem im Zuge ihrer Liai-io, die von 1895, also bereits nach den ersten Gastspielen in Deutschland, bis 1904 hielt, und insbesondere durch seinen Schlüsselroman Il fuoco (1900;; deutsch: Feuer, 1900), in dem er mitunter recht unver-hohlen das Liebesleben der beiden schildert. Bei dieser biografischen Randnotiz soll es hier allerdings belassen werden. Zum Verhältnis von Eleonora Duse und Gabriele <?page no="186"?> 186 entsprechend als Ausdruck einer Überforderung des Kritikers durch das spektakuläre, befreite Spiel des italienischen Gastes zu bewerten. 543 In der auch körperlich restriktiven bürgerlichen deutschen Gesellschaft um 1900 stellten eine derartig große physische Freiheit und Freizügigkeit ein absolutes Gegenmodell zu den Konventionen dar. Die im Deutschen Reich üblichen strikten, gesellschaftlich festgelegten Bewegungs-- und Körpernormen sollten sowohl im privaten als auch im (semi--) öffentli-chen Bereich durch die Lebensreformbewegung 544 um 1900 erst allmäh-lich gelockert werden. In den Berliner Kreisen, die das Gastspiel der Duse verfolgten, es besuchten und es öffentlich diskutierten, spielte die Reform-bewegung zu dieser Zeit aber noch keine entscheidende Rolle;; hier domi-nierten die traditionell--bürgerlichen Regeln, Kleiderordnungen und Ver-haltensnormen. 545 Außerdem verweist die Wortwahl auf den stets wiederkehrenden Ver-such, durch eine Assoziation mit dem dualistischen Prinzip Natur--Kultur die italienische Fremd-- und die deutsche Eigengruppe voneinander zu trennen. Durch diese Abgrenzung defnierte man seine eigene nationale Rolle und Funktion in dem immer mehr durch Transnationalität geprägten und damit facettenreicher werdenden Gefüge der europäischen Theater-landschaft um 1900. der Duse zeigt, und überwältigt von ihrem faszinierenden Spiel wirkt ein anonymer Kritiker der Berliner Börsen--Zeitung, wenn er schreibt: Und wie sich bei den lebhaften Italienern überhaupt Wort und Geste de-cken, ist bekannt. Nun denke man sich diese Naturanlage künstlerisch aus-gestaltet und von dämonischem Temperament durchglüht und man kann 543 Kontext des Rollenrepertoires verwendet, das Eleonora Duse während des Gastspiels darbot;; denn bei den Stücken, die sie spielte, handelte es sich größtenteils um (fran-zösische) Konversations-- und Salondramen. Diese ließen zwar eine gewisse Leiden-schaft der Virtuosin zu, beispielsweise in den Sterbe-- oder Liebesszenen. Einem triebhaften, tierhaften Agieren gaben die Werke von Dumas, Sardou oder Ibsen aber sicher keinen Rahmen. 544 Zur Geschichte des Körpers und der Entwicklung der Lebensreformbewegung um 1900 siehe Barlösius 1997, Buchholz 2007;; Sarasin 2003;; Wedemeyer--Kolwe 2004. 545 Dies lässt sich beispielsweise auch daran aufzeigen, wie überrascht, manchmal sogar schockiert sich die Berliner Kritiker hinsichtlich der Tatsache gaben, dass Eleonora Duse kein Korsett trug. Dieser Akt des Verzichts auf das einengende Kleidungsstück könnte als ein symbolischer Akt gedeutet werden, der einem Diktum der Kleiderre-formbewegung folgt. Diese kämpfte aus gesundheitlichen und hygienischen Grün-den gegen die Einschnürung und die Einschränkung des weiblichen Körpers an. Al-lerdings hatte ein Weglassen des Korsetts bei Eleonora Duse wohl eher praktische als emanzipatorische Gründe. Zur Kleiderreformbewegung siehe u.a. Cunningham 2003;; Ober 2005;; Stamm 1976. <?page no="187"?> 187 nur schwach ahnen, wie Eleonora Duse spricht, spielt, vor uns das Darge-stellte durchlebt und uns bis ins tiefste Innere bewegt. 546 Auch für diesen Rezensenten reichen menschliche Attribute für eine Be-- -- 547 der Italienerin die Rede. Wie Bahr und andere Kritiker zuvor bringt auch dieser eine transzendente Komponente in die Verhandlung ihrer Schauspielkunst: Die Virtuosin hat ein Temperament, das jenseits des rein Menschlichen anzusiedeln ist. Ihr Spiel wird dadurch auf eine metaphysische, faktisch nicht erklärbare Ebene gehoben. Überhaupt, so der Kritiker, kann einem deutschen Rezipienten, der die italienische Bühnenkünstlerin während ihrer Gastspielaufführungen nicht live erlebt hat, die Größe des Kunstereignisses sowie das Ausmaß des phä-nomenalen Zuschauererlebnisses unter ausschließlicher Verwendung von konventionellen Begriffen für die Schilderung nur schwer vermittelt wer-den, fehlen doch die passenden Worte zur Beschreibung des Gesehenen. Die Verwendung von B Folgendes deutlich: Die Auftritte der Duse erschienen den Vertretern der -ren und an die Grenzen ihrer Rhetorik stießen, weil ihnen die treffenden Adjektive und Superlative fehlten. Dem Spiel der Duse wohnte also ein faszinierendes Moment inne: Es zeigte Emotionen, körperliche Freiheiten und künstlerische Möglichkeiten, die man von den deutschen Bühnenkünstlern so nicht kannte. Damit zeigte das Gastspiel Eleonora Duses, wie es schon bei Salvini und Rossi der Fall --Gruppe die eigenen Grenzen und Defi-zite auf. Gleichzeitig erkannte man im Stil der italienischen Virtuosin ein großes Potenzial zur Verbesserung der deutschen Schauspielkunst, selbst wenn man sich der Tatsache bewusst war, dass man nicht alle Charakteris-tika ihres italienischen Stils übernehmen konnte, sondern einen eigenen Weg finden musste. 548 546 Berliner Börsen--Zeitung vom 22.11.1892 547 In Meyers Großes Konversations--Lexikon als 548 Die vielen Hinweise auf die italienische Herkunft und das damit in Zusammenhang stehende nationale Talent lassen auch hinsichtlich der Duse darauf schließen, dass man davon ausging, von der italienischen Virtuosin lernen zu können. Ähnlich wie bei Rossi und Salvini war man sich aber auch bewusst, dass man das hohe Niveau der Kunst der Duse aufgrund der eigenen eingeschränkten Prädisposition niemals Ich wüßte denn auch nicht, was unsere Schauspieler von Frau Duse unmittelbar lernen sollten. Die Me-thode, alles von innen heraus zu schöpfen, in ein fremdes Ich zu verwandeln, ist Vossische Zeitung vom 20.12.1892. <?page no="188"?> 188 Schauspielkunst als , deutet die folgende paradoxe Situation an: Man sprach Eleonora Duse zwar ein herausragendes Talent zu, dieses wurde in den Augen vieler deutscher Kritiker jedoch als Teil ihres für das Schauspiel sowieso schon prädestinierten italienischen Naturells verhandelt. Das führte zu einer Reduktion des Könnens der Bühnenkünstlerin um ihre 549 , dessen Bühnenstil sich durch eine individuelle Gestik und eine ihr eigene Mimik auszeichnete, im Mittelpunkt der Quellen, sondern die Itali-enerin wird zur Projektionsfläche auf zwei Ebenen: zum einen von natio-nalen Stereotypen, anhand derer sich die Eigengruppe abgrenzen konnte und sich in diesem Prozess selbst definierte, zum anderen von bürgerlichen Begehrensstrukturen, die von dem Wunsch nach dem Autochthonen und dem Exotismus geprägt waren und die neben dem Bedürfnis nach natio-naler Identifikation gleichzeitig eines nach Kosmopolitismus offenbarten. Demnach wurde Eleonora Duse nicht unbedingt als kreative Künstlerin wahrgenommen, die ihr Talent ausschöpfte, ihrer Kunst auf originäre Weise nachging und diese nach ihrem persönlichen Können gestaltete. Vielmehr machte man die italienische Akteurin zur Vertreterin einer gan-zen Nation, zum Symbol einer Nationalkunst, zur Repräsentantin be-stimmter, im deutschen kollektiven Bewusstsein verankerter italienischer Stereotype, um die eigenen Bedürfnislagen zu befriedigen. So geriet sie im deutschen Theaterdiskurs der frühen 1890er--Jahre beinahe ohne ihr Zu-tun zum Sinnbild der italienischen Kultur, wie man sie sich im Deutschen Reich des ausgehenden 19. Jahrhunderts stereotypisch imaginierte. 6.4 Die Stereotypisierung im Nationalismus--Diskurs um 1900 Der Vorgang einer Etablierung und Verbreitung von nationalen Stereoty-pen über den Weg der Reduzierung des Individuellen, wie es bei der Duse der Fall war, lässt sich in den Kontext des um 1900 aktuellen Nationalis-mus--Diskurses einordnen. So macht Friedrich Meinecke, einer der Prota-gonisten dieser Debatte, in seinem bereits erwähnten Werk Weltbürgertum und Nationalstaat folgende Aussage: 549 z. Dieser -symbolischer Ordnungen, welche auf sehr spezifische Weise modellieren, was ein Subjekt ist, als was es sich versteht, wie es zu handeln, zu reden, sich zu bewegen hat, was es wollen kann. Der Einzelne als körperlich--mentale Entität wird zum Subjekt und existiert in der zeitlichen Sequenz seiner Existenz allein im Rahmen kollektiver symbolischer Ordnungen, die in spezifischer Weise Subjektpositionen definieren und <?page no="189"?> 189 Schon in der geistigen Reibung zwischen Individuum und Umwelt, in dem Emporstreben des Einzelnen aus der Sphäre der Nation in die Sphäre des nur ihm Eigenen liegt oft ein universales Moment, indem die individuellen Güter dem sie Erstrebenden zugleich als rein menschliche Güter erscheinen können, während sie das doch keineswegs schlechthin sind, sondern auch immer noch ein Stück Wurzelerde der nationalen Sphäre, die er nie ganz verlassen kann, mit sich führen. 550 Meineckes Auffassung nach bleibt das Individuum aufgrund seiner natio-seiner Umwelt verwurzelt, sodass es ihm niemals gelingen kann, sich von dieser vollständig zu lösen, was eine Universalität, also eine absolute Übertragbarkeit und generelle Verständlichkeit unmöglich macht. Betrachtet man die im letzten Kapitel zitierten Textpassagen, beispiels-weise Schönhoffs Kritik oder den Artikel aus der Berliner Börsen--Zeitung vom 23.11.1892, dann lässt sich ein diesen Quellen zugrunde liegender Gedanke erkennen, der dem Meineckes ähnelt. Er erklärt, weshalb Eleo-nora Duse trotz ihrer Besonderheit unter der Prämisse ihrer italieni-schen Herkunft beurteilt wurde. Durch diese Einstellung hinderte man sich jedoch selbst und auch die Mitglieder der Eigengruppe am Denken abseits von ster Schauspielkunst wurde herausgestellt, nicht aber ihre individuellen An-sätze. Entweder man erkannte diese nicht oder man wollte sie nicht wahr-haben. Durch eine solche Einschätzung reduzierte man nicht nur die per-sönliche künstlerische Leistung Eleonora Duses, sondern man förderte auch ein schablonenhaftes Denken bei den Rezipienten. Diese Vorgehens-weise bedeutete für die Kritiker eine meist unbewusste, in einigen Fällen selbst gewählte Limitierung des eigenen freien Denkens zugunsten einer nationalen Stereotypie und diese einseitige Sicht übertrug man auch auf seine Leser. Weiterhin hatte diese Denkweise eine Vereinfachung hinsichtlich der ästhetischen Bewertungsnormen zur Folge, vor deren Hintergrund man das künstlerische Schaffen der italienischen Virtuosin betrachtete. So -- Übertragbarkeit der Vorzüge auf die Eigenkultur aus, sodass man sich selbst in den im zeitgenössischen Diskurs vorhandenen Bestrebungen nach einer Reform des Theaters im Kaiserreich ausbremste. Das nationalstereo-typische Denken, das manchmal sogar nationalistische Züge trug, führte also trotz aller Reformbestrebungen eher zur Selbstblockade als zum Fort-schritt. 550 Meinecke 1911, 18. <?page no="190"?> 190 Wenn demgemäß der Kritiker Maximilian Harden aus dem ersten Gast-- -spielkunst aber ists wieder einmal nichts;; neu ist nur: eine Virtuosin der 551 , sollte man diese Einschätzung mit großer Vorsicht genie-ßen. Schließlich, so lässt sich retrospektiv folgern, konnte das Potenzial t wurde, zwar bei den internationalen Gästen für das Deutsche Reich erkannt werden;; man sah die kulturellen und nationalen Unterschiede zwischen den beiden Gruppe aber als unüberwindbar an und ließ dadurch die Möglichkeit einer Übertragung von der Fremd-auf die Eigenkultur auch nicht gelten. Selbst wenn man sich den eigenen kosmopolitischen Wünschen folgend für man es dennoch nicht, das internationale Gastspiel als Chance wahrzu-nehmen, die vorherrschenden stereotypischen Bilder zu hinterfragen: Vielmehr blieb man einem starren Glauben an unüberwindbare nationale Eigenschaften verhaftet und damit auch einem Denken mit lokalen wie mentalen Grenzen und Barrieren. 6.5 Die Duse als unerreichbares Vorbild Auch wenn man im Diskurs davon überzeugt war, dass die deutschen Bühnenkünstler sich aufgrund nationaler Prägungen von den italienischen zu sehr unterschieden, als dass ihnen eine vollständige Übernahme der dennoch viele Schauspieler und vor allem Schauspielerinnen, die Duse zu kopieren. 552 Häufig wurde dies jedoch schon im Ansatz als zum Scheitern verurteilt angesehen. Ein Kritiker der Berliner Börsen--Zeitung äußert sich und belauschen jeden Aufschrei, beobachten jede Bewegung, sie werden es 553 In den Augen vieler Kritiker war Eleonora Duse aufgrund ihr -- 551 -im Spiel, welche die Duse so virtuos beherrscht, einmal mehr auf eine solche Kontextualisierung durch den Autor schließen. 552 Dass es auch Ausnahmen gab und sich nicht jede Schauspielerin die Duse zum Vorbild nahm, im Gegenteil, zeigt ein Ausschnitt aus einem Artikel in der Berliner Börsen--Zeitung. In diesem erfolgt ein Hinweis auf das Lager ihrer einheimischen -grimmigen, fäusteballenden Opposition waren dagegen etliche Berliner Schauspiele-rinnen, die allerdings vor der peinlichen Frage standen, entweder die eigene künstle-rische Freiheit oder die Kunst der Duse zu leug Berliner Börsen--Zeitung vom 22.12.1893. 553 Berliner Börsen--Zeitung vom 24.11.1892. <?page no="191"?> 191 -schen Kolleginnen schlichtweg überlegen und damit für diese unerreich-bar. Andere Kritiker erwarteten sich von der Nachahmung der Duse eine Verbesserung des deutschen Schauspielstils, schließlich zeige die Italiene-- Berliner Börsen--Zeitung schreibt: In dieser Hinsicht bedeutet das Gastspiel von Fr. Duse somit eine Klärung, denn nun haben wir es gesehen, wie man Wahrheit und Natürlichkeit, Schönheit und Leidenschaft harmonisch zu vereinen vermag, zu erheben-der Gesamtwirkung. 554 Aufgrund ihrer nahezu perfekten Spielweise meint auch Eugen Zabel, dass die Duse als Vorbild diene: Alle Schauspielerinnen werden von nun an von Eleonora Duse lernen wol-len, aber nur wenige werden sie verstehen. Wie alles Bedeutende wird auch sie in den Köpfen der geistlosen Nachahmer eine wunderliche Verwirrung hervorrufen, aus der sich erst allmälig [sic! ] ein wirklicher Gewinn für die Kunst ergeben kann. 555 Zabel glaubt zwar an die Möglichkeit einer Verbesserung, diese bräuchte jedoch sehr viel Zeit. Ein weniger gemächliches Tempo erhofft sich ein Kritiker der Berliner Börsen--Zeitung. Euphorisch erkennt er im Gastspiel der Italienerin das Potenzial für eine Wende: Daß ein großer Theil sieggewohnter heimischer Kräfte, die erweiterte Erkenntniß der Menge vom wahren Wesen der Schauspielkunst, zuerst peinlich empfinden wird, ist zweifellos. Sie mögen auf ihrer Hut sein die Tagesgrößen der Bühne und sich vertiefen, an sich modeln und meißeln, die neue Aera ist angebrochen und darf und wird nicht wieder dem alten Schlendrian weichen! 556 Seine Ankündigung an die deutschen Schauspieler, sie müssten aufpassen, da nun auch viele Z -künstler im Kaiserreich steigern würden, klingt wie eine Warnung an die deutschen Akteure. 557 So deutet dieses Zitat an, dass die Rezensenten eine 554 Berliner Börsen--Zeitung vom 29.11.1892. 555 Zabel 1893, 40. 556 Berliner Börsen--Zeitung vom 21.12.1892. 557 Eine ähnliche Warnung spricht auch der Kritiker der Täglichen Rundschau aus, wenn er in der Versinnbildlichung seelischer Zustände durch äußere Mimik bringen kann;; unser Darstellungs--Ideal hat damit neue ganz bestimmte Linien gewonnen. Und wir wer-den daher in dieser Hinsicht an die heimischen Künstler zukünftig höhere Forderun-- <?page no="192"?> 192 häufig unberechtigte Arroganz und Selbstüberschätzung der einheimi-schen Bühnenkünstler erkannten. Besonders die weiblichen Stars und Sternchen der Berliner Theaterszene ver offenbart sich in einer großen Zahl an ähnlich formulierten Kritiken, in denen beschrieben wird, wie diese im Publikum sitzen und konzentriert der Duse folgen. So schreibt ein Rezensent, erneut in der Berliner Börsen-- Zeitung: Wie gespannt verfolgen lernbegierige oder berühmte Berliner Schauspiele-rinnen die Art der Frau Duse, eine Rolle zu erschaffen und zu leben. Das schöne Frl. Reisenhofer, die geniale Lazar und andere, sie sind immer da und sind in den Zwischenacten die lautesten Verkünderinnen des Ruhmes der gr 558 Nur fünf Tage später zeichnet ein Kritiker desselben Blattes erneut ein ganz ähnliches Bild: Das Haus war wieder total ausverkauft und die Theater Berlins waren unter den Zuschauern wieder durch eine stattliche Reihe von Künstlerinnen ver-treten, die der Sgra. Duse voll Begeisterung zujubelten. Wieder machte Rosa Poppe mimische Studien, wieder erfreute das Schwesternpaar Clara und Selma Meyer durch neidlose Bewunderung der Kunst dieser großen Italie-nerin und diesmal befand sich auch das aus Dresden zurückgekehrte Frl. Jenny Groß im Theater, sie, welche die Erste war, die den Ruhm der Duse in Berlin verkündete, da sie dieselbe in Petersburg sah, sie, die zu bescheiden ist, um es sich zu sagen, daß sie in allen Conversationsrollen dasselbe hin-reißende Wesen, dieselbe Fähigkeit der Stimmungsmalerei besitzt, wie die gefeierte Künstlerin aus dem fernen, sonnigen Süden. 559 Interessant ist hier, dass der Kritiker den Duse--Abend als eine Art Unter-richtsstunde schildert, der die Schauspielerinnen beiwohnen und, wie die bekannte Rosa Poppe (1867--1940), jede Bewegung studieren, um von dem Dargebotenen möglichst viel zu lernen. Auch der Verweis auf die Anwesenheit der bereits im Kontext der enswert: Der hungsweise schreibt sie neu, sodass die Berliner Schauspielerin im Mittelpunkt steht Hermann Bahr findet nicht einmal Erwähnung. Weiterhin behauptet der Rezensent, zu gen ste Tägliche Rundschau vom 24.12.1892. 558 Berliner Börsen--Zeitung vom 3.12.1892. 559 Berliner Börsen--Zeitung vom 8.12.1892. <?page no="193"?> 193 stehe die Groß der Duse in nichts nach. Dies erstaunt umso mehr, als Jenny Groß in der deutschen Theatergeschichte eher unbekannt und heute fast 560 , war in Theater-wie auch Frauen-- und Modezeit-schriften sehr präsent und erfuhr gerade für ihre Darstellungen in den populären Salonkomödien und Konversationsdramen sogar von den Berliner Kritikern Lob;; 561 im historischen Diskurs aber konnte sie sich nicht behaupten. Dies ist sicherlich zum einen darauf zurückzuführen, dass sie 562 bekannt wurde, die überwiegend aus der Feder von französischen Autoren wie Henri Meilhac (1831--1897), Victorien Sardou oder Alexandre Dumas fils stammten und damit nicht unbedingt zum Dramenkanon gehörten. Diese Theatertexte wurden von den intellektuellen, bürgerlich--elitären Kreisen abgelehnt, denn man schrieb ihnen nicht das Potenzial für ein Kulturtheater zu. Zum anderen galt Jenny Groß als äußerst findige Frau mit einem großen wirt-schaftlichen Geschick. Sie fuhr regelmäßig nach Paris, um sich dort an den neusten Theatertrends zu orientieren. Dabei kaufte sie beispielweise die Rechte an dem von Sardou geschriebenen Stück Madame Sans--Gêne, das dieser ursprünglich für Gabrielle Réju (1856--1920), Réjane genannt, verfasst hatte. Sie orientierte sich am Bühnenkostüm, das die berühmte französi-sche Schauspielerin in Madame Sans--Gêne trug, brachte es mit nach Berlin und begeisterte dort damit vor allem das weibliche Publikum. 563 Sowohl ihre Vorliebe für Mode und Putz als auch ihr ökonomisches Geschick, für das sie bei ihren Zeitgenossen bekannt, aber nicht unbedingt beliebt war, entsprachen jedoch nicht den Vorstellungen von einer intellektuellen, an der Bildung des Publikums und der Wahrung der Kunst interessierten Schauspielerin und damit nicht dem Idealbild. Durch ihre stete und offene Selbstvermarktung konterkarierte sie dieses viel eher und wurde so als (Geschäfts--) Frau und Bühnenkünstlerin immer wieder angefeindet. Aufgrund dessen lässt sich ihre Absenz in den deutschen Theaterge-schichtsbüchern, die noch bis heute häufig durch ein bildungsbürgerliches 560 Anonymus 1900, 272. 561 So liest man über Jenny Groß in einer Besprechung in der Agenturzeitschrift Theater-- Herold -menthals Lustspiel Das zweite Gesicht] nicht nur als die vollendete Weltdame, die die entzückendsten Kostüme geschmackvoll zu tragen weiß, sondern sie bewies auch in Wort, Mienenspiel und Geberden, daß sie die höchste Ausdrucksfähigkeit für die 562 563 Vgl. Reißmann 1995, 131. <?page no="194"?> 194 Dogma geprägt sind, erklären ein Zustand, der sich erst allmählich än-dert. 564 --1927) 565 hinge-gen, die weniger für eine intensive Eigenvermarktung und mehr für ihre hervorragende Schauspielkunst bekannt war, hat bis heute einen festen Platz in der Theatergeschichte 566 , -- 567 , ein Rollenfach, das man der Duse allerdings nicht zuschrieb, 568 und somit galten die beiden hinsichtlich ihres Schauspielerinnentyps als sehr -chend, so behauptete man in Berlin, trug sie ihren Beinamen zu Recht und viele Kritiker sahen die beiden Bühnenkünstlerinnen sogar als ebenbürtig an. 569 Ein Rezensent der Berliner Börsen--Zeitung schreibt: Die Aeußerlichkeiten haben ihr [Eleonora Duse] Alle nachgemacht, das aber, was die Größ -- Künstlerin nachmachen, Agnes Sorma ausgenommen, die neben ihr ge-nannt werden darf. 570 564 Umso lobenswerter sind die Versuche, die Schauspielerin und damit symbolisch auch ein Stück deutscher Theatergeschichte zu rehabilitieren. Siehe Marx 2009, be-sonders 300--303;; Reißmann 1995, 129--132. 565 Agnes Sorma (mit bürgerlichem Namen Agnes Martha Karoline Zaremba, verheira-tete Minotto) war an unterschiedlichen Bühnen, u.a. in Görlitz und Weimar, enga-giert gewesen, bevor sie 1883 ans Deutsche Theater in Berlin kam. Sie wechselte für den Zeitraum von 1890 bis 1894 zwar ans Berliner Theater, kehrte dann aber wieder zurück. Nach 1898 zeichnete sie sich hauptsächlich durch eine rege Gastspieltätigkeit in Europa und den USA aus, trat jedoch ab 1904 erneut für weitere vier Jahre am Deutschen Theater auf. Agnes Sorma galt zu Lebzeiten zwar als Virtuosin, was ihr Kritik einbrachte, jedoch auch als eine der besten Charakterdarstellerinnen im Deut-schen Reich. Zu Agnes Sorma und ihrem Schauspielstil siehe Bab 1927;; Krause 1969. 566 Bab 1927, 76. 567 Berliner Börsen--Zeitung vom 29.11.1892. 568 In einer Kritik aus der Berliner Börsen--Zeitung liest man hinsichtlich des Rollenfachs -genössischen Colleginnen so hoch erhebt, denn diese sind namentlich bei uns entwe-der Berliner Börsen--Zeitung vom 27.11.1892. 569 denn den Weltruhm der Duse konnte die deutsche Schauspielerin trotz überaus erfolgreicher internationaler Gastspiele niemals erreichen. 570 Berliner Börsen--Zeitung vom 3.12.1893. <?page no="195"?> 195 Heinrich Stümcke rückt in einer Betrachtung, die allerdings erst im Jahre 1900 angestellt wurde, sogar Agnes Sorma anstatt Eleonora Duse in den Mittelpunkt. Erstere lobt er mit folgenden Worten: Doch das Vergessen wir gern über der wundervollen Vertiefung ihrer Dar-stellung in den entscheidenden Momenten: diese unendlich rührende stumme Verzweiflung, dieses fassungslose Entsetzen in dem todtraurigen Antlitz. Da hat Agnes Sorma fürwahr nur in Eleonora Duse eine Rivalin. 571 Die Sorma galt (und gilt bis heute) als (einzige) ernstzunehmende Konkur-rentin Eleonora Duses im Deutschen Reich. 572 Allerdings schieden sich am Wettstreit der beiden die Geister: So ist in einem Artikel im Kleinen Journal hinsichtlich der Sympathieverteilung im Kreis der Rezipienten sogar von 573 die Rede. In einer Kritik im Berliner Lokal--Anzeiger wird diese von der Berliner Presse dem Leser eher sugge-rierte als wirklich existierende Konkurrenz jedoch positiv beschrieben: Der Nora-- Anton Rubinstein bei. Sie erschienen zu Beginn der Vorstellung und ver-blieben bis zum Schlusse, die Darstellerin der Titelrolle, Agnes Sorma, durch lebhaften Beifall auszeichnend. Insbesondere applaudirte Eleonore Duse nach dem zweiten Aufzuge in enthusiastischer Weise. 574 -- Nora, 575 dient der Suggestion einer Gleichstellung der beiden Künstlerin-nen. Die Duse erkennt Agnes Sorma durch ihren hier als großzügig be-schriebenen Applaus als ebenbürtig an und trägt so zur Steigerung des An-sehens der Sorma beim deutschen Publikum bei. Gleichzeitig sah sich die Eigengruppe durch die Anwesenheit der Duse, ihr Verharren im Zuschau-erraum bis zum Ende der Vorstellung sowie ihr enthusiastisches Klatschen bestätigt und in ihrer internationalen Geltung anerkannt: Man konnte eine dem italienischen Star Eleonora Duse gleichwertige deutsche Schauspiele-- 571 Stümcke 1900, 643. 572 Die New York Times schrieb, dass Heinrich Conried (1855--1909), der von 1892 bis 1903 Leiter des Irving Place Theaters und im Anschluss daran Direktor der New Yorker New York Times vom 11.4.1897). Der Anlass für diese Äußerung war ein Gastspiel, das die Sorma 1897 in New York absolvierte, und das Ziel augenscheinlich Werbung dafür, die das Publikum zur Teilhabe an diesem Er-eignis animieren sollte. 573 Das Kleine Journal vom 14.12.1892. 574 Berliner Lokal--Anzeiger vom 1.12.1892. Anton Grigorjewitsch Rubinstein (1829--1894) war ein russischer Komponist und Pianist. In welchem Verhältnis Rubinstein zu Eleonora Duse stand, ist nicht näher bekannt und für die vorliegende Arbeit auch nicht weiter relevant. 575 Siehe Anhang 1 der vorliegenden Arbeit. <?page no="196"?> 196 rin vorweisen, die deren künstlerischen Ansprüchen voll und ganz ge-nügte. Die sonst aktive Rolle der sich auf Gastspieltournee befindenden italie-nischen Bühnenkünstlerin erfährt in der dargestellten Situation eine Um-kehrung: Die Duse wird intentional zur Zuschauerin 576 und scheint da-durch ein Interesse an der ihr fremden Kultur des Deutschen Reiches zu bestätigen. So kommt es zu einer Kosmopolitisierung: Denn durch die Theaterereignis findet ein transnationaler Kulturaustausch statt. Wie bereits angesprochen, stellte Agnes Sorma offenbar eine Ausnahmeer-scheinung unter den deutschen Schauspielerinnen dar. So zeigten sich viele Kritiker hinsichtlich der Frage, inwieweit das Gastspiel der Duse einen positiven Effekt auf das deutsche Theater haben könne, eher skeptisch. Den heimischen Schauspielerinnen unterstellten sie, falsche Prioritäten bei der Nicht die Unarten der Duse, nicht die mancherlei Absichtlichkeiten im Spiel, nicht ihr besonderes sensibles Temperament, das sich ja nicht nachäf-- -- Abenden im Lessingtheater als Gäste weilten, vorbildlich wirken;; vielmehr die modern--verfeinerte Art der Künstlerin, ein Menschenschicksal, das nicht allein von den größten Püffen, sondern auch von zarteren und um so verwickelteren Einflüssen beherrscht wird, in seiner Entwicklung schau-- 577 und die Nuancierung der Gefühlsäußerungen, von denen das Spiel geprägt war, sollen übernommen wer werden können. Wie Schönhoff bereits mit dem für den deutschen Theaterdiskurs so ty-pischen pessimistischen Duktus ein Scheitern der Bemühungen vorherge-sagt hatte, attestiert auch Zabel im Jahre 1903 das Misslingen des Versuchs, 576 Bei der Beschreibung dieser Situation ist der Fokus des Berichterstatters besonders interessant: Der Zeitungskritiker scheint der Duse im Zuschauerraum mehr Auf-merksamkeit geschenkt zu haben als Agnes Sorma auf der Bühne was wiederum die passive Rolle der Duse infrage stellt. So ist sie hier eine Beobachtende, die jedoch gleichzeitig zur Beobachteten wird. 577 Schönhoff 1893/ 94b, 201. Schönhoff äußert sich in einem anderen Artikel inhaltlich en sie eifrig, ihre Kollegen und Kollegin-nen, sie werden sie häufig nachahmen, und wahrscheinlich in manchen Unarten, die jedem Individuum anhaften. Sie werden in fahrigem Ungestüm auf die Kniee klopfen und die Schultern schief emporrecken, wie die Duse thut. Ob sie aber die seelische Konzentrirung begreifen werden, die im Wandel der flüchtigsten Stimmungen doch ein Gemeinsames fest <?page no="197"?> 197 die außerordentliche Schauspielkunst der Duse imitieren oder übernehmen zu wollen. Letzterer äußert in seinem Werk Zur modernen Dramaturgie: Wir haben uns zu jener Zeit wiederholt beklagt, daß der Erfolg von Frau Duse einem nicht geringen Teil der deutschen Schauspielerinnen ein wenig den Kopf verdrehte. Anstatt der großen Italienerin in die Tiefe ihrer Auffas-sung, in die Wärme ihrer Empfindung und die Hoheit ihrer Intelligenz zu folgen, suchten sie ihr in Äußerlichkeiten nachzueifern, die ganz und gar an ihrer Persönlichkeit hafteten, bei jedem anderen dagegen gemacht und zum Teil sogar komisch wirkten. 578 Der Versuch der Nachahmerinnen, sich der Kunst der großen Duse anzu-nähern dadurch die eigene zu verbessern, schlug fehl, nicht zuletzt, weil man sich der Schauspielerinnen auf der Bühne wirkte Zabel zufolge eher wie eine Karikatur. Die wahre künstlerische Größe der Duse wurde nicht erreicht. Die Ursache für das Misslingen erkannte man jedoch nicht in den eigenen, meist überzogenen und an der Realität der Theatersituation vorbeigehen-den Ansprüchen, sondern in der Unfähigkeit der deutschen Bühnenkünst-lerinnen ein für die das elitäre Bürgertum typisches Fazit, das jedoch nicht (nur) das Schauspielwesen im Deutschen Reich des ausgehenden 19. Jahrhunderts als defizitär dastehen lässt, sondern auch die Intellektuellen selbst in ein schlechtes Licht rückt. 6.6 Individual-versus Nationalkunst Das zu Beginn des Kapitels 6.4 zitierte, von Meinecke beschriebene Prinzip vom Einzelnen, der niemals dazu fähig sein kann, sich vollständig von seiner nationalen Herkunft zu lösen, findet sich ganz ähnlich auch in Eu-gen Zabels Beobachtungen zu den italienischen Virtuosen wieder, wenn er tion, die ihren 579 Zabel versteht den Einzelnen als Stellvertreter einer Nation, die ihm im Prozess des künstlerischen Schaffens ihre charakteristischen Züge aufer-legt. So verhandelt er, wenn auch nur indirekt, die Vorstellung von einer über die gesellschaftliche Sozialisation hinausgehenden nationalen Zuge-hörigkeit, von der sich der Einzelne nicht lösen kann wie es ebenso bei Meinecke der Fall ist. Zabel impliziert in seiner Äußerung die mögliche Existenz einer für jede Nation typischen Kunst, die den Einzelnen in sei-nem Schaffen prägt. Dies beinhaltet natürlich auch das potenzielle Vor-handensein einer nationalen Schauspielkunst. 578 Zabel 1903, 106. 579 Zabel 1893, 11. <?page no="198"?> 198 Ein analoger Gedanke liegt einer Kritik Richard Fellners zum Duse-- Gastspiel zugrunde. In dieser bringt der Autor seinen Glauben an eine nationale Determination zum Ausdruck, die er im Schauspielstil der italie-nischen Bühnenkünstlerin zu erkennen vermag: Da Frau Duse ihre eigene Individualität in die darzustellenden Charaktere umsetzt, ist allen diesen ein starker italienischer Grundton eigen. Es sei mir gestattet, auf die Berechtigung dieser Eigenart hinzuweisen. Keine Kunst ist abstract menschlich;; die konkrete nationalste ist allein die echteste, da nur sie aus dem Leben und nicht aus der todten Regel hervorgeht. 580 -tung 581 und damit nicht im Sinne von menschlicher Einzigartigkeit ge-braucht. Im Gegenteil: Der Begriff ist hier vielmehr mit dem der nationalen Herkunft konnotiert, womit der Rezensent die eigentliche Bedeutung nationale Herku welche die Bühnenkünstlerin in der Entwicklung, Ausarbeitung und Darbietung ihrer Rollen nicht nur sehr stark beeinflusst, sondern geradezu gelenkt wird. Die eigentliche Individualität der Schauspielerin wird nur markiert und Eleonora Duse ist nicht mehr die Herrin über ihre eigene schauspielerische Kreativität. Einmal mehr kommt es hier zu einer Reduktion des schöpferischen Akts der Gestaltung der Bühnenfiguren als individueller Handlung der Schauspielerin zugunsten einer Aktivität, die durch die nationale Herkunft und die damit assoziierten italienischen Nationalcharakteristika vorbe-stimmt ist. Hinter der herausragenden Schauspielkunst Eleonora Duses stehen demnach nicht ihr schöpferischer Genius, sondern die der Akteurin angeborenen, national -- -ziehen kann. 582 Gastspiele auch eine politische Dimension, in der eine Universalität ver-heißende Abstraktion hinsichtlich der Kunst sowie die Abstraktionsfähig-- 580 Vossische Zeitung vom 20.12.1892. 581 So heißt es z Meyers Großem Konversations-- Lexikon eigentümliche geistige Beschaffenheit und Kraft zukommt, wodurch es sich von je-dem andern Wesen seiner Gattung unterscheidet. Der Inbegriff der Merkmale, wo-- 1907, 807. 582 Diese aus heutiger Sicht nicht mehr vertretbare Behauptung sowie jene oben ange-führte, eine Reduktion der Bühnenkünstlerin implizierende Äußerung Fellners scheinen geradewegs auf Meineckes These, der Einzelne könne sich von seiner natio-nalen Herkunft niemals vollständig lösen und somit auch keine absolute Universali-tät erreichen, zu verweisen. Dazu siehe Kapitel 6.4 der vorliegenden Arbeit. <?page no="199"?> 199 keit der Künstlerin in den Augen der Kritiker nicht gegeben sind. Damit lässt die vorgeblich starke nationale Prägung ihres Spiels die große itali-enische Bühnenkünstlerin zu einer bloßen Repräsentantin ihrer Heimat werden. Eine transnationale Universalität sollte man zumindest nach Fellner Einem ähnlichen Gedanken folgt die Schriftstellerin und Frauenrechtle-rin Laura Marholm (1854-- -derne Weib auf der S Das Buch der Frauen schreibt sie zum ersten Gastspiel der Duse: Ein gutes italienisches Stück spielte die Duse nur täglich vor Augen gehabt, ihre Umgebung, ihre Landesmannschaft, nicht so, was sie ihrer eigenen Seele abhorchte. 583 In den Augen der Autorin überzeugt die Duse nur in einer Rolle: nämlich Vergas (1840--1922) Volksstück Cavalleria rusticana. Marholm zufolge stellt sie die junge Bäuerin besonders überzeugend dar, weil sie diese gar nicht nisches Autostereotyp, für die Bühne abrufen muss. Besonderes Lob erfährt die Duse also in dem Moment, in dem sie die nationalstereotypischen Vor-stellungen des deutschen Pub -tiert. 584 Da aber, wo die Duse Rollen spiele, die sie durch ihre eigene Kreati-vor und das Ziel, das im ausgehenden 19. Jahrhundert vorherrschende t erreicht. Als stereotypische Italienerin funktioniert die Duse also, Marholm zufolge, nahezu perfekt 583 Marholm 1895, 93. 584 Im Kleinen Journal -detste Darstellerin moderner Frauenrollen geworden, besonders solcher, in denen das Temperament heißblütiger Romaninnen pulsirt. Hierbei kommt ihr allerdings zweierlei zu Statten, erstens, daß sie selbst einem Volksstamm zugehört, welchem die anderswo, in welchem die passende Geste zum Wort sich wie von selbst findet und dann, daß sie einer alten Schauspieler Das Kleine Journal vom 11.12.1892.) Auf den Fakt, dass Eleonora Duse aus einer Schauspielerfamilie stammt, soll an dieser Stelle verwiesen, jedoch nicht näher eingegangen werden. Dazu siehe die vielen Biografien der Eleonora Duse, in denen ihre familiäre Herkunft stets the-matisiert wird, u.a. Bäumer 1958;; Maurer 1988;; Resnevic--Signorelli 1939;; Sheehy 2003. <?page no="200"?> 200 als selbstschöpferischem Genie bleibt ihr jedoch eine überzeugende Leis-tung versagt. 585 In der Cavalleria rusticana schlug offensichtlich der Exotismus der Italie-nerin am stärksten durch, wie man in einer schwärmerischen Kritik aus dem Kleinen Journal lesen kann: Das Duse--Gastspiel im Lessing--Theater brachte gestern eine wahre Überra-schung, nämlich etwas wirklich unverfälscht Italienisches, auf die Bühne. Während Signora Duse und ihre großer Partner Andó bislang die Menschen Frankreichs und des französirten Skandinaviens uns vorführten, waren sie gestern in ihr Vaterland, in ihr schönes Land des blauen Himmels und des blauen Meeres, der todten und lebenden Künste, der herrlichen Erinnerung und des packenden Lebens, das Land der Klassizität und des frisch kehrt und boten uns die Früchte aus dem Hesperidengarten der Heimath. 586 Hier wird deutlich, in welch hohem Maße der Rezensent Italien als Sehn-suchtsorts auf ganz unterschiedlichen Ebenen stilisiert und dafür auf be-kannte Italien--Stereotype zurückgreift. Die Funktion der Duse als Repräsentantin ihrer Nation wird noch an einer weiteren Stelle innerhalb der bereits zitierten Kritik Richard Fellners offen-sichtlich. Dort heißt es bezüglich der Art der Rollenauslegung durch die Italienerin: [S]o giebt sie die fremdnationalen Charaktere doch immer so, daß sie dem italienischen Empfinden verwandt erscheinen. Die Tragödin ist keine routinirte Allerwelts--Virtuosin, sondern sie spielt für ihre Landsleute, deren Abgott sie ist, für ihr eigenes Gefühl, dem Haß, Liebe und Eifersucht sich anders offenbaren als den Franzosen oder den Deutschen. 587 Abweichend von Marholm, die einen qualitativen Unterschied zwischen -will, gibt Fellner an, die Bühnen -- 588 Meinung nach spricht es für die Duse, dass sie auf der Bühne die ihr ange-- 585 Laura Marholm war eine glühende Anhängerin und Verfechterin Friedrich Nietz-sches (1844--1900) und so erstaunt es nicht, dass in ihrer Sicht der Duse Nietzsches Idee, der Schauspieler und das Genie müssten strikt voneinander getrennt werden, anklingt. Seine Abneigung gegenüber dem Theater teilt die Frauenrechtlerin jedoch nicht. Zu Laura Marholms Nietzsche--Verehrung siehe Diethe 1996, 129--131. Zur --Schauspieler--Problematik siehe Brusotti 1997, 171--173. 586 Das Kleine Journal vom 17.12.1892. 587 Vossische Zeitung vom 20.12.1892. 588 Die Kameliendame, Victorien Sardous Fedora oder Hendrik Ibsens Nora alles Figuren, die Eleonora Duse während ihres Berlin--Gastspiels verkörperte. <?page no="201"?> 201 borenen nationalen Eigenschaften authentisch und ohne die für Virtuosen typische Künstlichkeit umsetzt und sich nicht auf Kosten ihrer Glaubwür-digkeit verstellt. Darin erkennt er das Besondere an ihrer Schauspielkunst: Diese basiert für ihn auf nationaler Authentizität, nicht auf transnationaler --Virtuo-t pejorativ bezeichnet und von denen er die Duse bewusst abhebt. Deren Schauspielkunst verfolge andere Ziele als die der Italienerin;; denn sie sei zum Zweck der globalen Verständlichkeit und transnationalen Allgemein-gültigkeit zu überspielen was für Fellner einer Negierung der eigenen Nationalcharakteristika gleichkommt. Damit würden die Virtuosen zu wie der Kritiker sie an anderer Stelle bezeichnet hat und damit wiederum zu Repräsentanten einer Kunst, die zumindest in den Augen Fellners nicht -len Virtuosen will der Rezensent nicht akzeptieren und so lehnt er deren Auftritte als routiniert, unkünstlerisch und artifiziell ab. Eleonora Duse hingegen steht für eine Kunst, die ganz in Fellners Sinne ist: Die Schauspielerin stellt ihre nationalstereotypischen Eigenschaften, Gefühle und Empfindungen zur Schau und wird dadurch zur Repräsen-macht sie gleichzeitig zum Symbol eines Exotismus, der die deutsche Ei-gengruppe im Publikum anspricht: So erweist sich ihre Art der Darbietung als sehr ver -stellten Fremdheit einen großen Reiz auf die Zuschauer wie auch auf die --Gruppe aus. Diese Wirkung bedingt eine interessante Konsequenz nicht nur für die Bedeutung der Schauspielerin Eleonora Duse, sondern auch für den Stel-lenwert des Theaters als dem Ort, an dem die internationalen Gastspiele vonstattengehen. Hier wird unter dem Deckmantel der Schauspielkunst Theater zu einem A zu einer abge-schwächten, fast versteckten Variante der sogenannten Völkerschauen. 589 Eleonora Duse als Protagonistin dieser Schau wird den Mitgliedern der deutschen Eigen , ihrer Bewe-gungen wie auch der Art ihrer Gefühlsäußerungen präsentiert, wenn sie aufgrund ihrer (süd-- 589 Völkerschauen waren Zurschaustellungen von Angehörigen so Gärten stattfanden und sich um 1900 beim bürgerlichen Publikum wegen des großen Exotismus enormer Beliebtheit erfreuten. Zu den Völkerschauen siehe Dreesbach 2005;; Fischer--Lichte 1995b;; Grewe 2006;; Honold 2004;; Schwarz 2001;; Thode--Arora 1989;; Wolter 2005. <?page no="202"?> 202 -rd sie zu einem über ihre Funktion als Bühnen-künstlerin weit hinausreichenden Sensationsobjekt stilisiert: nämlich zur stereotypischen Italienerin, durch die ein im ausgehenden 19. Jahrhundert im Deutschen Reich vorherrschender bürgerlicher Wunsch nach der Aus-stellung und Betrachtung exotischer Lebenswelten, ein Verlangen nach Alterität, das auch in anderen europäischen Ländern, die meist zu den Kolonialmächten zählten, wie beispielsweise England oder Frankreich, vorherrschte, befriedigt wurde. Die italienische Schauspielerin wurde also auf der Theaterbühne, einem eindeutig der (Hoch--) Kultur zuzuordnenden Ort, zu einer Repräsentantin 590 Dieser existierte jenseits der parallel dazu in der zeitgenössischen deutschen Gesellschaft geführten Kolonialismus--Debatte und auch jenseits der in Zoologischen Gär -schen. Indem sie ihr Repertoire darbot, wandelte sich die italienische Vir-tuosin zum Sinnbild eines paradox an exotischen Völkerschauen. 591 Ähnlich wie in letzteren bestimmte stereotype 590 Siehe dazu Kapitel 3.2 der vorliegenden Arbeit. 591 Ein ähnliches Phänomen betrachtet Peter W. Marx, wenn er sich mit den Gastspielen er erfolgreichen bayerischen Volkstheatergruppe, in Berlin aus-einandersetzt. Diese Tracht tragenden und in Mundart spielenden Schauspieler wur-den vom Publikum der Metropole als Exoten empfunden (siehe Marx 2008, 232--235). Der Unterschied zwischen den Gastspielen der Duse und denen bayerischer Volkstheatergruppen bestand jedoch darin, dass die Duse nur bedingt intentional italienische Traditionen, Trachten oder Dialekt auf die Bühne brachte. Denn es han-delte sich bei der Schauspielkunst der Italienerin nicht um die Präsentation autoch-thoner theatraler Formen;; vielmehr gab sie international bekannte, auch von Schau-spielerinnen aus anderen Ländern dargestellte Dramen und sie zeigte sich auch sonst (beispielsweise hinsichtlich der Bühnenausstattung) eher konventionell und den Auf-führungsbedingungen angepasst. Das Theater der Duse hatte den Ruf, anspruchs-ehesten charakterisieren konnte. Manch eine kritische Stimme sprach dieser Truppe -dere bayerische Volkstheater-gruppe, die durch das Deutsche Reich tourte sw] und wie sie sonst alle heissen mö-gen, sind nach unseren strengen Anschauungen vom Wesen der Menschendarstel-lung grösstenteils keine Künstler. Wir begegnen bei diesen gewiss kunstfreudigen und aufgeweckten Menschenkindern wohl einer mehr oder weniger gesteigerten Be-obachtungs-- und Nachahmungs--Fähigkeit, einem gesunden Sinn für Realität und einem festen Verständnis zu dem eigenartigen Gebaren der verschiedenen stammes-verwandten Mitmenschen wir treffen aber nicht auf irgend ein nennbares Gestal-- <?page no="203"?> 203 Darstellung ihrer Lebensräume sowie (rituellen) Handlungen für das kol-lektive deutsche Bewusst mit prägten, fungierten auch das Theater in seiner Rolle als Ort des internatio-nalen Gastspiels sowie die zeitgenössische Theaterkritik in ihrer Funktion als Verteilerin der im Diskurs geäußerten Meinungen: Sie dienten beide als Institutionen, die der Eigengruppe das Lernen über die Fremdgruppe er-möglichten. Mit ihrer Hilfe wurden andere, im Kaiserreich offensichtlich -schen näher standen als di (hoch--) kultureller Ereignisse, nämlich der dargebotenen Schauspielauffüh-rungen, erfahrbar gemacht. Mithilfe bereits bekannter, (inter--) national erfolgreicher Dramen und deren Umsetzung durch den ausländischen, hier italienischen Star verbreiteten und verfestigten sich im zeitgenössischen kollektiven Bewusstsein bestehende Vorstellungen von stereotypischen wie auch Vorurteile diesen gegen-über. Parallel zu dieser Abgrenzungstendenz und den nationalen Strömun-gen in der deutschen Gesellschaft des ausgehenden 19. Jahrhunderts zeig-ten internationale Gastspiele wie das der Duse die Tendenz zum Kosmo-politismus auf: Die ausverkauften Häuser, das begeisterte Berliner Publikum, die rege Berichterstattung in den Printmedien, all dies bewies, in welch großem Ausmaß Interesse an den internationalen Theaterereignis-sen vor allem in der Deutschen Reichshauptstadt vorhanden war. Eine Metropole zu sein, bedeutete eben auch, sich mit dem auseinanderzuset-zen, was außerhalb der Stadt-- oder Reichsgrenzen passierte. Die Institution des Gastspiels brachte viele solcher transnationaler Ereignisse auf die hei-mischen Bühnen und damit direkt zu den Menschen. Entsprechend war es ein Leichtes, sein Kulturen vor Ort zu stillen und den kosmopolitischen Wunsch, Teil trans-nationaler Geschehnisse zu sein, zu befriedigen. Dem Theater wie auch der Presse kam damit eine nicht zu unterschät-zende Katalysatorfunktion sowohl im Prozess der Stereotypisierung, also der Etablierung von Fremd-wie auch Eigenbildern und der Fremd-sowie Eigenidentifikationsstiftung, als auch der Kosmopolitisierung zu. 6.7 Theater und Printmedien Vermittler von Stereotypen Das Theater des ausgehenden 19. Jahrhunderts eignete sich wegen der räumlichen Disposition von Zuschauer-- und Bühnenraum, nämlich der Guckkastenform, und der damit einhergehenden klaren Trennung beider <?page no="204"?> 204 Bereiche besonders gut als Ort zur Etablierung von Stereotypen. 592 Und die Theaterkritik diente um 1900 als Teil des gut ausgebauten, eine weite Streuung aufweisenden Systems von Tageszeitungen und Zeitschriften hervorragend zu ihrer Distribution. Der beim Guckkastentheater vom Prinzip der abgrenzenden Konfron-tation geprägten Anordnung des Bühnen-- und des Zuschauerraums mit einer die beiden Sphären während der Aufführung trennenden Rampe 593 kann hinsichtlich der Etablierung von Stereotypen eine wichtige Funktion zugeordnet werden: Das Bühnengeschehen bedeutete für die Rezipienten im (verdunkelten) Zuschauerraum eben nicht nur die Möglichkeit des Konsums von ästhetischen Kunstprodukten;; man bot auch, wie oben be-- Publikum in seiner Funktion als Repräsentant der Eigenkultur konsumierte und interpretierte. Aufgrund der besonderen Konstellation der zwei Räume, der Produzenten und Rezipienten voneinander trennenden, die beiden Seiten erst am Ende der Aufführung wieder vereinenden Rampe und der Lichtsituation (erleuchtete Bühne und verdunkelter Zuschauer-raum während der Vorstellung) war eine Interaktion der einander gegen-übergestellten Instanzen zwar vorhanden, wie dies im Kunsttheater stets der Fall ist, diese findet aber nur sehr bedingt statt: Der Anblick des Publi-kums blieb dem Akteur aufgrund des Rampenlichts fast vollständig ver-wehrt, was ein interaktives Spiel stark einschränkte wobei ein solches auch nicht erwünscht war. Erst das nach dem Fallen des Vorhangs einset-zende Applaudieren, Rufen oder Zischen des Publikums, das als eine akustische Eroberung des Bühnenraums verstanden werden kann, das Werfen von Blumen oder Kränzen, was einem Aufbrechen der nicht nur imaginären räumlichen Grenze zwischen Zuschauern und Künstlern gleichkommt, sowie das Vortreten der Schauspieler an die Rampe zur 592 Dass sowohl der innere als auch der äußere Aufbau eines Theaters, außerdem seine Ausstattung und Lage entscheidend sind für das Geschehen auf der Bühne sowie für das Publikum und dass auch der Theaterbau ein Spiegel der jeweils zeitgenössischen Gesellschaft ist, hat Marvin Carlson in seiner 1989 erschienenen Publikation Places of Performance gezeigt (siehe Carlson 1989). Auf seiner Idee basieren auch die Gedanken, die hier zur Guckkastenbühne entwickelt werden. 593 Fischer-- Guckkastenbühne verfiel daher ihrem gnadenlosen Verdikt. Denn einerseits trennte seine Rampe unübersehbar die Bühne vom Zuschauerraum und andererseits richtete --Lichte 1997, 15.) Dass es bereits im 19. Jahrhundert, vermehrt dann im frühen 20. Jahrhundert un-terschiedliche Versuche gab, die scharfe Trennung sowohl hinsichtlich des Verhält-nisses der Zuschauer untereinander als auch zwischen Publikum und Bühne aufzu-heben, machen u.a. Beispiele wie Richard Wagners Bayreuther Festspielhaus, Georg 1949) Vorstellungen von einer Reformbühne oder Walter Gropi (1883--1969) nie umgesetzter Plan vom Totaltheater deutlich. Siehe Fischer--Lichte 1997, 15--24. <?page no="205"?> 205 Verbeugung, das einen ersten Schritt der Auflösung des theatralen Zu-stands und der Annäherung an die reale Situation symbolisiert all das darf als ein Akt der Auflösung der zuvor klar getrennten Produzenten-- Rezipienten--Konstellation gelten. 594 Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse kann man vom Guckkasten-bühnentheater des ausgehenden 19. Jahrhunderts als einem die (passive) Ausstellung von Fremdkultur begünstigenden Raum sprechen, der eine genaue Beobachtung und eine sich daran anschließende Interpretation des --Gruppen--Publi-kum begünstigte. Aber nicht nur die Guckkastenbühne wirkte förderlich auf die Weitergabe die weiträumige Distribution und Rezeption von Zeitungen und Zeit-schriften im Deutschen Reich gegen Ende des 19. Jahrhunderts 595 bot die Möglichkeit einer breiten Streuung von Informationen und erleichterte damit die Verbreitung und Etablierung von Stereotypen in der deutschen Gesellschaft. Theater galt wenn auch nicht bei allen, so doch beim kultu-- 594 Fischer-sw] wurde die Struktur der theatralen Kommunikation im europäischen Theater einer grundlegenden Veränderung unterzogen. Während seit dem ausgehenden 18. Jahr-hundert sich das Interesse auf die Personen auf der Bühne und ihre interne Kommu-nikation konzentriert hatte, verlagerte sich nun der Schwerpunkt auf das Verhältnis zwischen Bühne und Zuschauern: Die externe Kommunikation zwischen Bühne und --Lichte 1997, 9.) Diese Äußerung impliziert, dass vor der Avantgarde, auf die hier indirekt verwiesen wird und während der das Publikum von unterschiedlichen Künstlern mehr in das Zentrum des theatralen Ge-schehens gerückt wurde, das Verhältnis von Zuschauern und Akteuren im 19. Jahr-hundert ein sehr passives war. Dies ist allerdings, das macht Fischer--Lichte an ande-rer Stelle auch deutlich, so nicht richtig (vgl. Fischer--Lichte 1997, 10). Doch selbst wenn die bürgerlichen Zuschauer im Kaiserreich ein eher passives als kreativ mit-wirkendes, aktives Publikum waren, sollte auch die Passivität meines Erachtens nicht unterschätzt werden. So mag zwar eine direkte Kommunikation zwischen Darstel-lern und Zuschauern kaum gegeben gewesen sein, die indirekte, nachhaltigere Passi-vität trug jedoch zur gesellschaftlichen Meinungsbildung und auch Stereotypisierung in hohem Maße bei und hatte demzufolge wichtige soziale Folgen. Zum Paradigmen-wechsel im 20. Jahrhundert hinsichtlich der Bedeutung des Zuschauers, der wiede-rum Rückschlüsse auf die Rolle des Publikums auch im 19. Jahrhundert zulässt, siehe Fischer--Lichte 1997, 38. 595 Zur Geschichte der Zeitschriften und Zeitungen im 19. und frühen 20. Jahrhundert siehe Schlawe 1965;; Wilke 2008. Zu den Zeitschriften am Beispiel Berlin siehe Men-delssohn 1982;; Oschilewski 1975. Außerdem soll an dieser Stelle auf Peter Fritzsches Buch Reading Berlin hingewiesen werden, in dem er die deutsche Reichshauptstadt --, Lese--, Zeitschriften-- und visuellen Kultur Berlins um 1900 widmet. Siehe Fritzsche 1996. <?page no="206"?> 206 rell interessierten Bürgertum als ein gesellschaftlich relevantes Ereignis, dem ein vergleichsweise großes Interesse entgegenschlug, das wiederum in den Printmedien aufgenommen und verarbeitet wurde. Marx weist in Theater und der 596 um 1900 hin. So war in nahezu jeder Tageszeitung ob in der Reichshauptstadt Berlin oder in der sogenannten Provinz eine (meist) feste Theaterspalte im Kulturteil vorhanden, was Max Martersteig dazu verleitete, so -- 597 zu sprechen. Marx erwähnt außerdem die parallel zu den vielfältigen Theatergrün-- 598 anwachsende Zahl von Kulturzeitschriften -- -- 1915) -- -- --1933) von Siegfried Jacobsohn. 599 Neben diesen Kulturzeitschriften wiesen auch noch andere Blätter eine spezielle Theater--Rubrik auf, selbst dann, wenn ihre Priorität nicht auf feuilletonistischen Inhalten lag. Dazu zählen die im 19. Jahrhundert äußerst beliebten Frauen--, Mode-- oder Familienzeitschriften. 600 Ebenso geben die vielen populären Theaterfach-- oder Theatersachzeitschriften, die im 19. Jahrhundert herausgegeben wurden, wie Dramaturgische Blätter, Die Volks-bühne, Die freie Volksbühne, Das Theater, Die Deutsche Bühne, Bühne und Leben, Der Theatercourier, Bühne und Brettl oder Bühne und Welt 601 sowie die Publi-kationsorgane der seit den 1830er--Jahren entstehenden Bühnenverlage und Stellenvermittlungen für Schauspieler 602 Hinweise auf die zentrale Bedeu-tung und besondere Beliebtheit des Theaters in der zeitgenössischen bürgerlichen Gesellschaft. Wie Marx schreibt, befriedigte die durch die zahlreichen Zeitschriften und Zeitungen erfolgende Berichterstattung über das Bühnengeschehen vor allem in der Reichshauptstadt Ber nicht allein die kulturell--lukulli-sche Genusssucht der wachsenden Großstadt sie konstituierte vielmehr überhaupt erst einen öffentlichen Raum, in dessen Rahmen sich eine kultu-- 596 Marx 2009, 12. 597 Martersteig 1904, 268. 598 Marx 2009, 12. 599 Marx 2009, 12. 600 Als ausgewählte Beispiele sollen hier die berühmte Familienzeitschrift Die Garten-laube, Modeblätter wie Die große Modenwelt und Der Bazar oder die im frühen 20. Jahrhundert besonders erfolgreiche Frauenzeitschrift Die Dame genannt werden. Zur Gartenlaube siehe Zimmermann 1967;; zu den Frauen-- und Modezeitschriften siehe Krempel 1935;; Völkel 2006. 601 Zu den Theaterzeitschriften siehe Schlawe 1965, 96--102. 602 Beispiele hierfür sind Charivari (Agentur Felix Bloch Erben), Der Theater--Diener (Agentur Theodor Entsch) und Theater--Figaro (Agentur Emil Drenker). <?page no="207"?> 207 603 die es im Zuge der Metropolisierung einerseits und der Reichsgründung sowie dem darauffolgenden Prozess des nation building andererseits auszu-bilden galt, wurde maßgeblich geprägt von der Etablierung von Fremd-wie auch Eigenbildern eine Entwicklung, die durch das (transnationale) Geschehen auf den Bühnen unterstützt wurde. Indem man sowohl in der Rolle des Zuschauers als auch des Lesers von Zeitungen und Zeitschriften ständig mit Bildern von der Eigenkultur sowie mit den immer wieder kol-portierten Stereotypen von unterschiedlichen Fremdgruppen konfrontiert wurde und sich damit aktiv oder auch nur passiv auseinandersetzte, konnte sich die eigenidentifikationsstiftende Wirkung der beiden Insti-tutionen beim Rezipienten entfalten. Somit liegt es auf der Hand, dass die Beschäftigung mit Stereotypen nen, die man durch ausländische Schauspieler und Schauspielerinnen wie Eleonora Duse repräsentiert sah, in den Medien Theater und Zeitung beziehungsweise Zeitschrift einen reichen Nährboden fand. 604 Beide Institutionen begünstigten die Etablierung der Stereotype und deren Verbreitung via Theater und Printmedien konnte schnell und flächendeckend vonstattengehen. 6.8 Wie bereits erläutert wurde, nahm Eleonora Duse als italienische und da-mit zwar europäi -künstlerin in der Rezeption ihrer Gastspiele eine passive und deshalb bizarre Position als Vermittlerin zwischen der deutschen Eigen-- und der italienischen Fremdkultur ein. Ihre Rolle gab ihr auch aufgrund der star-ren Stereotypenstrukturen so gut wie keinen Interpretationsspielraum;; schließlich lag ein Großteil der Macht bei den deutschen Rezensenten. Die Duse verlieh zwar den Figuren, die von ihr auf der Bühne dargestellt wur-den, eine individuelle Note. Dies wurde jedoch von den deutschen Kriti-kern nur bedingt wahrgenommen und dementsprechend der Leserschaft lediglich ansatzweise vermittelt. Wie deutlich die starren Strukturen der nationalen Stereotypie auch im (zeitgenössischen) Sprachgebrauch zum Ausdruck gebracht wurden und wie festgefahren sie in den Köpfen der Menschen waren, lässt sich anhand des folgenden Ausschnitts aus einer Kritik im Berliner Lokal--Anzeiger zu einem der ersten Gastspielabende Eleonora Duses in Berlin im Jahre 1892 603 Marx 2009, 12. 604 Die Diskussion, ob das Theater ein Medium ist oder nicht, soll an dieser Stelle nicht verfolgt werden. Einen Überblick über die Diskussion bieten Balme 2008;; Kotte 2005;; Schoenmakers 2008. <?page no="208"?> 208 zeigen. Besprochen wird hier eine Aufführung von Ibsens Nora, in dem die Eine triviale Redewendung nicht wundern, wenn alle Gestalten der Duse etwas von der italienischen Quecksilberhaftigkeit ha 605 Folgt man dem Gedanken des Rezensen-ten, so kann auch die Duse ihre Herkunft nicht verleugnen und man er-zeichen, in diesem Zitat mit dem bildhaft geb 606 beschrie-ben. Diese heute nicht mehr gebräuchliche und daher nicht unbedingt allgemein verständliche Metapher bestätigt das Stereotyp von der lebhaf-ten, heißblütigen Italienerin. Durch die wiederkehrende Charakterisierung Eigengruppe nicht nur als Mitglied der italienischen Fremdgruppe ge-kennzeichnet, sondern mit deren Merkmalen geradezu stigmatisiert. Die Alterität erzeugende Stereotypisierung erfolgte zumindest teilweise auch hinsichtlich Eleonora Duses Körper. Ohnehin wurde ihre äußere Erscheinung in den Besprechungen erstaunlich häufig thematisiert. Daran wird deutlich, dass die Kritiker nicht allein an der Schauspielkunst der Duse interessiert waren;; die Leserschaft sowie das Theaterpublikum zeig-- -enischen Virtuosin. Auf der Ebene der künstlerischen Darstellung schrieb man dem Körper des Schauspielers im zeitgenössischen Diskurs generell eine nicht uner-hebliche Rolle zu. Dies bringt Paul Schlenther im Kontext mit dem ersten Duse--Gastspiel zum Ausdruck, wenn er schreibt: Des Gegenstandes wegen ist die Gestalt der Schauspielerin, die äußere wie die innere, wichtig. Denn was für den Bildhauer der Marmor, für den Gei-ger die Fiedel ist, das ist für den Schauspieler seine körperliche Erschei-nung: das Instrument, daraus seine Seele haucht. 607 Gerade der hier von Schlenther für den Schauspielerkörper verwendete 608 der ein Bewusstsein des Rezensenten für den 605 Berliner Lokal--Anzeiger vom 26.11.1892. 606 Zimmert lässt sich die erste Silbe des Wortes zurückführen auf das 607 Schlenther 1930, 170--171. 608 -tive der Duse fand bereits an mehreren Stellen der vorliegenden Arbeit eine Nen-nung. <?page no="209"?> 209 intentionalen Zugriff des Bühnenkünstlers auf seine eigene Physis impli-ziert, deutet den Ansatz einer phänomenologischen Betrachtung des Schauspielers und seines Körpers an, wie er in der anthropologischen For-schung nach 1900 noch relevant werden sollte. Die selbstinszenatorische a-- -- -- Plessner (1892--1985) in seinem Werk Die Stufen des Organischen und der Mensch 609 anspricht. Der Theaterwissenschaftler Friedemann Kreuder er-läutert dazu: Ausgangspunkt der Selbstinszenierung des Einzelnen ist eine Bedingung beschrieben hat: Jeder Mensch hat ein gebrochenes, distanziertes Verhältnis nicht nur zu seiner Umwelt, sondern auch zu sich selbst. Weil man stets au-ßerhalb seiner Welt steht, und sich beim Handeln mehr oder minder distan-ziert zuschaut, kommt man nicht umhin, das Bild, das man sich und ande-ren von sich vermittelt, gestalten zu wollen, um eine Beziehung zu sich selbst aufbauen zu können. Selbstdistanz ist gegeben, Selbstbezug muß in-szenatorisch erarbeitet werden. Vor diesem Grundgedanken der Plessnerschen Anthropologie her wird verständlich, warum auch er den Schauspieler als Modell wählte, um eben diese inszenatorische Erarbeitung eines Selbstbezugs zu reflektieren. 610 Bezogen auf Eleonora Duse, die ihren Körper im höchsten, für die deut-schen Zuschauer manchmal geradezu übertriebenen, aber dennoch das Publikum faszinierenden Maß einsetzte, ist die Idee von einer subjektkon-stituierenden Selbstinszenierung insofern besonders interessant, als ihr dieser Akt im zeitgenössischen Diskurs häufig verwehrt wurde: Zwar erkannte man, wie es bei Schlenther und anderen deutlich wird, den (Schauspieler-r Körper rierte. Entspre-chend wurde der Künstlerin die hinter dem Körpergebrauch stehende Ab-sichtlichkeit, das subjektkonstituierende Moment während ihres Spiels, aufgrund der häufig erfolgten Reduktion auf ihre nationalen Eigenschaften aberkannt. Dies wird auch an der folgenden Textpassage deutlich: Frau Duse ist Italienerin echtester Rasse. Darin liegt ihre künstlerische Kraft und ihre künstlerische Grenze. Darin liegt auch ihr persönlicher Zauber und die Fremdartigkeit ihres Wesens. Wer sie wegen dieser Fremdartigkeit 609 Siehe Plessner 1975. 610 Kreuder 2010, 156--157. <?page no="210"?> 210 für häßlich erklärt, hat einen solchen Eindruck mit sich selbst auszuma-chen. 611 Schlenther zeigt hier klar auf, worauf die Körperlichkeit der Duse basiert: -- 612 wandelt, wird nur sehr eingeschränkt als ihr Subjekt-- Körper verstanden. In den Augen der stets subjektiven Zuschauer wird er --Körper 613 , der das symbolisiert. Es gab aber auch andere Kritiker, die sich ob absichtlich oder nicht dem Thema des Aussehens der Duse aus einer von der dargestellten Position abweichenden Perspektive näherten: nämlich in größerer Unabhängigkeit von nationalstereotypischem Denken und damit auf einer die Schauspiele-rin mehr individualisierenden Ebene. So beschreibt ein Kritiker der Berliner Börsen--Zeitung die Duse seinen Lesern wie folgt: Eleonora Duse hat ein markantes Gesicht von echt Italienischem Typus, sie ist nicht viel über mittelgroß und sehr hager. Diese Art des Komödienspiels, ob es auch gleichsam ohne Anstrengung zu Wege gebracht erscheint, muß den Organismus angreifen, denn es ist genial im wahrsten Sinne des Wor-tes. Und das Genie verbrennt den zarten Körper, wenn es zufällig in einen solchen gebannt ist, immer. 614 -enischem Ty so, ihren Körper jedoch beschreibt und individualisiert ihn damit. Die leibliche Versehrtheit führt er auf die massiv Kräfte verbrauchende Schau-spielkunst der Akteurin zurück, die für die Inszenierung auf der Bühne und, zieht man Plessners Gedanken hinzu, auch für ihre Selbstinszenie-- 611 Schlenther 1930, 172. 612 Gemeint ist hier das von Jean--Paul Sartre in seiner Schrift Das Sein und das Nichts --für-der Leib wird, sobald er in den Mittelpunkt der Betrachtung durch einen anderen rückt, wie es zum Beispiel bei einer theatralen Aufführungssituation der Fall ist (siehe Sartre 1991, 539-wird, ist sein Für--Andere-- 613 Fischer--Lichte 2000, 11. Zur Zeichenhaftigkeit des Körpers auf der Bühne schreibt Fischer-ist ein Zeichen--Körper, ein semiotischer Körper. Zugleich aber geht er niemals in sei-ner Zeichenfunktion auf. So sehr sich die Theoretiker und Theaterdirektoren seit dem 18. Jahrhundert bemüht haben, den Körper des Schauspielers und vor allem der Schauspielerin ganz und gar in einen Text aus theatralen Zeichen zu transformie-ren, hat der Körper des Schauspielers in seiner spezifischen Leiblichkeit, seiner Sinn-lichkeit, seinem In--der--Welt--Sein diesem Bemü -- Lichte 2000, 11. 614 Berliner Börsen--Zeitung vom 22.11.1892. <?page no="211"?> 211 rung an ihre mentalen wie physischen Grenzen geht. Ihr Schauspieler-gestalteten Kunst geschundener beschrieben. 615 So kommt es zur Vermi-schung einer von nationalstereotypischen Vorstellungen geprägten Denk-weise mit einer subtil anklingenden Akzeptanz des individuellen Subjekts Eleonora Duse, was 1892 zwar eher noch die Ausnahme blieb, sich in den Folgejahren aber immer mehr durchsetzen würde. Die Vorstellung, die Duse betreibe mit ihren physischen Ressourcen, also mit ihrem phänomenalen, ausdrucksstarken Leib, Raubbau zur Opti-mierung ihrer körperlichen Bühnenpräsenz teilt auch ein Rezensent des Kleinen Journals: Und ihre körperliche Wesenheit opfert sie dem hohen Kunstideal, dem sie nachstrebt. Wer sie je auf der Bühne agiren sah, weiß, wie ihr schmächtiger durchgeistigter Körper der seelischen Kraft der Künstlerin unterthan ist und von ihr unterjocht wird. Er ist ihr Instrument, das jeder seelischen Re-- 615 Das Prinzip des kranken Körpers der Duse findet sich insbesondere in späteren Quellen nach 1900 immer wieder. So soll hier nur als Beispiel eine Bemerkung von -- 917, 344) spricht. Einen zerbrechlichen, angegriffenen, kränklichen Körper attestiert der Duse auch die Theaterwissenschaftlerin Claudia Balk, die der italienischen Schauspielerin retro-spektiv Züge einer femme fragile zuschreibt (siehe Balk 1994;; Balk 1997;; Blank 2011, insbesondere 65--68). Die femme fragile stellt ein um 1900 vor allem in den literarischen Werken der (Wiener) Moderne sehr häufig verwendetes Motiv dar: Es handelt sich dabei um ein weibliches Rollenbild von einer am Leben leidenden, Schutz suchen-den, eine Opferrolle einnehmenden Frau, die sich nicht nur durch eine morbid--äthe-rische, sondern vor allem durch eine ent--sexualisierte, dadurch jedoch eine differen-zierte Erotik aufweisende Schönheit auszeichnet. Zum Konzept der femme fragile siehe Catani 2005;; Thomalla 1972. Die von Claudia Balk vorgenommene Einordnung der Duse als femme fragile soll in der vorliegenden Arbeit allerdings nur eine untergeordnete Rolle spielen, da eine sol-che Charakterisierung in der zeitgenössischen Verhandlung -spielkunst während der frühen 1890er--Jahre im deutschen Diskurs nicht im Vor-dergrund stand. Dass die Duse ihre Gastspieltourneen mehrfach wegen unterschied-licher Krankheiten unter-- oder gar abbrechen musste und ein Lungenleiden hatte, welches ihr regelmäßig Probleme bereitete, unterstützt aber sicherlich Balks These, genauso wie die vielen Rollen von leidenden oder sterbenden Frauen, die sie offenbar gerne spielte. Zu den immer wiederkehrenden Krankheiten und Leiden der Duse siehe Maurer 1988. Für den Forschungsansatz sowie die Fragestellung der vorliegenden Untersuchung stellt diese Stereotypisierung der italienischen Schauspielerin nur in einem sehr ein-geschränkten Maß einen gewinnbringenden Ansatz dar, auch wenn nicht bezweifelt wird, dass dieser beispielsweise bei einer Betrachtung Eleonora Duses unter feminis-tischen oder gender--theoretischen Aspekten überaus interessant und hilfreich wäre. <?page no="212"?> 212 gung folgt und auf dem sie Alles austönen läßt, was sie bewegt, in jener Harmonie, die nur die höchste Kunstvollendung zu bieten vermag. 616 Die in beiden Beispielen deutlich werdende Vorstellung von der ver-brauchten Physis der Duse, der gleichzeitig ein Ansatz zu einer Individua-lisierung der Künstlerin innewohnte, teilt auch Hermann Bahr. Der Kritiker reits in seinem Führer durch das Gastspiel der Elenora Duse thematisiert. Gleich zu Beginn des Bu-ches schildert er das eher unscheinbare, morbide Aussehen der italieni-schen Virtuosin recht präzise: gehört oder gelesen hat, dann ist man vor ihrem ersten Bilde oder bei ihrer ersten Begegnung bitter enttäuscht. Sie ist klein, ein bisschen plump und ih-ren schweren, trägen Geberden fehlt die Anmut. Ihre Augen sind groß und schön, aber wehmütig und verzagt: sie haben eine flehentliche Demut;; kräftige Leidenschaft kann in ihnen nicht vermutet werden. Die Nase ist -diesen süßen, wunden Mund ist in seltsamen Strichen ein unsäglicher Gram verbreitet, der von stürmischen Begierden, von mutigen Hoffnungen und die Duse erst auf der Bühne sehen. Da ist sie schön. 617 Bahr nimmt hier eine genaue Beschreibung der Schauspielerin vor: Vom vorherrschenden Schönheitsideal ausgehend, an dem er die Duse misst, deckt er schonungslos Makel ihrer Physiognomie auf und verschleiert auch nicht das Hässliche an ihr. Einzig ihre ausdrucksstarken Augen und ihr lung dennoch auf ein bekanntes Klischee zurück: Seine Schilderung erinnert an christlichen Ikonografie. 618 Diesen Vergleich zwischen der Duse und der Heiligendarstellung führt auch Claudia Balk an. Sie lädt das Bild zweifach auf, wenn sie zusätzlich darauf verweist, dass die Duse aus Italien stammt, 616 Das Kleine Journal vom 11.12.1892. 617 Bahr 1892, 3--4. Ein Wiener Kritikerkollege Hermann Bahrs charakterisiert Eleonora Duse zwar einerseits auf recht ähnliche Weise, indem er ihre mangelnde Schönheit herausstellt;; die von Bahr negierte Eleganz in den Bewegungen meint der Rezensent allerdings sehr wohl erkennen zu können. So schreibt er: telgroß, schlank und von einnehmendem Aeußeren;; aus ihren ernsten, nicht gerade schön zu nen-nenden Gesichtszügen blicken zwei große, schöne Augen hervor. Ihr Gang, ihre Haltung und Geberden sind elegant und vornehm und machen auf den Beobachter sofort den Eindruck, daß er eine große Künstlerin, eine ungewöhnliche Erscheinung 618 --203. <?page no="213"?> 213 dem Land, in dem der Marienkult am stärksten ausgeprägt ist, wo Maria als Stellvertreterin Gottes mehr verehrt wird als Jesus Christus. Kein Land hat so viele beeindruckende Gestaltungen der Pietà [also der Mater Dolorosa unter dem Kreuz sw] hervorgebracht wie Italien. In dem Leid der trau-ernden Mutter um ihren hingemordeten Sohn ist das Leid aller Frauen ein-gefangen;; sie ist diejenige, die hier nach Gottes Willen für die gesamte Menschheit leidet. 619 Wenn Bahr den Schmerz und das Leid betont, das sich im nicht--schönen Gesicht der Duse ausdrückt, dann referiert er auf diese Ikonografie ganz ähnlich übrigens wie die vielen Fotografien, Zeichnungen und Gemälde, die von Eleonora Duse im Laufe ihres Lebens angefertigt wurden. 620 Das in ihrem Gesicht, 621 sondern auch in ihrem Spiel, wie Balk anmerkt: Eine moderne Schauspielerin war Eleonora Duse durch ihr Leiden an der Welt. Sie litt als Marguerite Gautier und in anderen Rollen an der Liebe, sie litt in den Frauenrollen Ibsens an der Gesellschaft, speziell an deren Beschaffenheit für die Frau Ende des 19. Jahrhunderts. 622 Dass gerade dieses immer wieder Leiden darstellende Spiel auch einen interessanten Aspekt für die Zuschauer entwickelte, wird dann deutlich, wenn Bahr behauptet, ihre wahre Schönheit entfalte Eleonora Duse erst auf Äußerung hatte Bahr die erste Begegnung mit der Duse als Schauspielerin wie ein -- Erlebnis und die Verwandlung der italienischen Akteurin auf der Bühne fast wie eine Transfiguration dargestellt. 623 Für seine Beschreibung der Duse bedient er sich demnach immer wieder indirekt religiöser, überna-türlicher Bilder und Metaphern, die der Schauspielerin eine besondere, fast transzendent--göttliche Wirkung zuschreiben. Vor diesem Hintergrund but, das ihr bis heute anhaftet. 619 Balk 1994, 141. 620 Auf Bildquellen zur Duse kann aus Gründen des Umfangs in der vorliegenden Ar-beit nur hingewiesen werden. Eine nähere Beschäftigung mit diesen würde den Rahmen sprengen. Um allerdings einen Einblick in die Darstellung der Duse auf Gemälden, Zeichnungen und Fotografien zu bekommen, empfiehlt sich die Einsicht-nahme in den Ausstellungskatalog Theatergöttinnen;; denn es finden sich eine Vielzahl an Bilddokumenten sowie die Interpretationen in diesem. Siehe Balk 1994, 130--197. 621 In einer italienischen Biografie zu Eleonora Duse wird dieser Eindruck bestätigt. Dort Divina Eleonora 2001, 92. 622 Balk 1994, 140. 623 Dazu siehe Kapitel 6.1 der vorliegenden Arbeit. <?page no="214"?> 214 Bahrs Meinung, die Duse sei generell nicht sehr schön, teilten zahlreiche seiner deutschen und deutschsprachigen Kritikerkollegen. Eugen Zabel äußert sich dazu wie folgt: Niemand bringt, wenn man nur von äußeren Vorzügen redet, für die Bühne so wenig Vorteilhaftes mit als diese Schauspielerin. Es fällt zunächst gar nichts an ihr auf, weder das Gesicht, noch das Spiel, noch die Stimme, höchstens der edel geformte Hals und Nacken, auf den sie durch ihre Toi-lette gern die Aufmerksamkeit zu lenken liebt. 624 Duse: Er beschreibt sie nicht nur als unattraktiv, sondern hinsichtlich ihres Aussehens obendrein als für die Bühne ungeeignet, weil zu unauffällig. Die körperliche Tauglichkeit für den Theaterbetrieb war im deutschen Diskurs um 1900 generell ein wiederkehrendes Thema. Dies ist darauf zurückzuführen, dass sich im Zuge der allgegenwärtigen und stetig stei-genden Theaterbegeisterung im 19. Jahrhundert eine große Zahl von jun-gen Menschen, auch viele junge Frauen dem Schauspielerberuf widmen wollten. 625 Dies fü angehenden Bühnenkünstlerinnen, 626 weswegen eine Vielzahl von Veröf-- Pamphleten mit marktschreierischen Titeln und Umschlägen [entstand], in denen das Thema vom Schauspielerinnenelend und von den Lastern der 627 aufgebracht wurde, um die angehenden Akteurin-nen vor einer erfolgslosen Karriere und dem damit oft einhergehenden sozialen Abstieg zu warnen. 628 Den Bühnenkünstlerinnen gegenüber be-stand eine recht hohe Erwartungshaltung sowohl vonseiten der Kritiker als auch vonseiten des Publikums, die diese zu erfüllen hatten. So galt, die am gendes Organ, verst -- 629 besitzen. Doch nicht nur das: Neben einem rudimentären Talent zum Schauspiel sollte auch der Körper der angehen-den Bühnenkünstlerinnen gewisse Vorzüge mit sich bringen. Dazu schreibt der Anatom und Kunsthistoriker Wilhelm Henke (1834--1896) in seinem 624 Zabel 1893, 40--41. 625 Weitere Gründe dafür, dass Frauen im 19. Jahrhundert den Beruf der Schauspielerin wählten, finden sich bei Anna Helleis (siehe Helleis 2006, 80--85). Die Autorin referiert dabei hauptsächlich auf Schmitt 1990 und Davis 1991. 626 Siehe u.a. Davis 1991;; Engel--Reimers 1911;; Helleis 2006, 80--85;; Möhrmann, Malte 2000;; Schmitt 1990;; Schwanbeck 1957, 69--103. 627 Stümcke 1905, 54. 628 Solche Ratgeber sind u.a. Hahn 1899;; Kellen 1902;; Schlenther 1895;; Sonntag o.J. 629 Roland 1893, 6. <?page no="215"?> 215 Die plastisch--harmonisch--graziöse Entfaltung der verschiedenen Glieder in leichtem, gefälli den Körper, die der Schauspieler und besonders der Schauspielerinnen, zumal wenn sie wirklich schön sind, auch recht zur Geltung kommen lassen, und dies ist der natürliche Grund, wenn auch vielleicht nur unbewußt, daß die große Mehrzahl, zumal der Damen, die auf den Brettern erscheinen, in dieser gra-ziösen Manier sich zu geben beflis ist im Leben und so auch im Theater ein starkes Motiv, unsere Theilnahme für eine Person zu gewinnen, oder uns begreiflich zu machen, wie das Inte-resse für die Anderen zu einer Quelle von Lust und Leid wird. 630 Ein gutes Aussehen der Bühnenkünstlerin fördert Henke zufolge also die Gunst des Publikums und unterstützt erfolgreiche Auftritt sowie eine ruhmvolle Karriere. Obwohl Eleonora Duse diesem Bild von der attraktiven und deswegen allseits anerkannten Schauspielerin nicht entsprach, gelang es ihr dennoch, die deutschen Kritiker zu beeindrucken. Zabel führt dies in seiner Ab-handlung Italienische Schauspielkunst Denn verkehrt man Zabels oben zitierte Aussage, so besticht die Duse viel mehr durch ihren faszinierenden Schauspielstil als durch ein makelloses Aussehen. Dementsprechend äußert sich der Autor an einer anderen Stelle seines Buches und belegt dadurch diese Einschätzung: Das Antlitz wirkt weder durch Schönheit, noch durch Regelmäßigkeit, son-dern nur durch ein ganz unvergleichliches Ausdrucksvermögen. Alles redet auf ihm seine eigene Sprache, das sorglos zurückgestrichene und zu einem losen Knoten aufgeraffte schwarze Haar, die bewegliche Stirn, die durch die Stellung der Augenbrauen beliebig geformt werden kann, die tiefen dunk-len Augen, von denen das rechte etwas größer als das linke erscheint, die ziemlich breite Nase mit sehr erregbaren Flügeln, endlich der Mund, der zwei Reihen prachtvolle Zähne zeigt. 631 Trotz aller Faszination, die ihr schauspielerisches Können ausübt, ent-spricht die Duse zwar nicht dem zeitgenössischen Schönheitsideal, 632 aber sich in ihrem Schauspielstil äußert. Es wird deutlich, dass man bei Eleonora Duse, im Unterschied zu anderen Schauspielerinnen, die Abweichungen von den eigenen Schönheitsidealen zugunsten einer hervorragenden Schauspielkunst akzeptierte. So einig sich die meisten Kritiker hinsichtlich der fehlenden Schönheit der Duse sind, so unterschiedlich bewerten sie ihre spezifisch weibliche Aus-- 630 Henke 1877, 418--419. 631 Zabel 1893, 41. 632 Zum Schönheitsideal um 1900 siehe Stratz 1900. <?page no="216"?> 216 strahlung. Ein Wiener Rezensent schreibt in seiner Kritik zu ihrem Gast-spiel in der österreichisch-schön, aber sie besitzt in außerordentlichem Maße den Reiz eines Ge-- 633 Dieser Meinung steht allerdings die folgende Äußerung eines Kritikers der Berliner Börsen--Zeitung entgegen: Wir wollen dabei nicht blos der äußeren Erscheinung gedenken, denn Eleo-nora Duse ist keineswegs so häßlich, wie sie ihr Prophet Bahr, zur Erhö-hung des Gegensatzes, schildert, vielmehr ähnelt sie mehr dem, was die Franzosen laideron nennen, und dergleichen picante Huldinnen gewinnen häufig den Sieg über die statuarische Schönheit. 634 sehen und ihrer Schauspielkunst als körperlich angegriffen und verbraucht und damit als von nur sehr be-dingter Schönheit zu beschreiben, kritisiert der Rezensent, indem er die Äußerung seines Kollegen als falsch, überzogen und strategisch bewertet. Dennoch macht auch er seine Leserschaft auf die vorhandenen äußeren Makel der italienischen Schauspielerin aufmerksam, wenn er den französi-- -bung des Aussehens der Duse verwendet. Dieser Vergleich mit der Mär-chenfigur impliziert jedoch auch das Potenzial der Schauspielerin zum seine Entfaltung wartet. In diesem Punkt unterscheiden sich der anonyme Kritiker und Bahr gar nicht so sehr, denn letzterer spricht ja auch eine heit an und zwar während des Spiels. Es ist gerade diese Wandlungsfähigkeit, dies attestieren beide Kriti-ker der Duse, die sie so interessant macht. Daher scheint es nur folgerich-tig, dass der anonyme Kritiker sogleich darauf hinweist, dass die nicht dem vorgezogen wird. Paul Schlenther gebraucht ein ähnliches Argument: Wer sie für ihre Fremdartigkeit für häßlich erklärt, hat einen solchen Ein-druck mit sich selbst auszumachen. Allerdings käme bei Ausschreibungen so wäre sie weniger verwandlungsfähig, also eine schwächere Schauspiele-rin. Denn Schönheit, die auf die Dauer vergeht, ist für einen Abend etwas -seln angewiesen. 635 Schlenther macht hier die Abweichung des Aussehens der italienischen Bühnenkünstlerin vom normierten (deutschen) Schönheitsideal noch ein-- 633 Wien 1892b, o.S. 634 Berliner Börsen--Zeitung vom 23.11.1892. 635 Schlenther 1930, 172. <?page no="217"?> 217 mal deutlich. Ähnlich wie der Kritiker der Berliner Börsen--Zeitung erkennt auch er in der Unvollkommenheit ihres Aussehens einen Vorteil: Das vom Inbild einer schönen Frau abweichende Äußere Eleonora Duses macht ihre Erscheinung interessant und bietet erst die Grundlage für die große Wandlungsfähigkeit, durch die sich das Spiel der Virtuosin auszeichnet. Die Abweichung begünstigt damit das künstlerische Schaffen der Schau-spielerin. In ih -- Eleonora Duse nämlich eine Stellung als, wie er 636 -punkt doppelt will 637 sei. Auf der anderen Seite aber könne sie aus ihrer -santen Exotismus fernab vom vorherrschenden Schönheitsideal, wiederum Eleonora Duse gerade durch die aus ihrem spezifischen Aussehen resultie-rende Wandlungsfähigkeit an Möglichkeiten, die sie befähigen, e -ren und für sie typischen Schauspielstil zu pflegen. So schreibt er: Und auch darum wirkt das Auftreten der Frau Duse befreiend, daß sie uns vom Fluche der Schönseligkeit erlösen hilft. Denn gerade das, was man an dieser Frau unschön gefunden hat, steigert und vervielfältigt ihre schau-spielerischen Ausdrucksmittel. Wäre diese Stirn erhabener, dies Näschen mehr griechisch als römisch, dieser Mund weicher, dieser Hals voller, die-ser Gang edler, diese Bewegungen runder, so könnten sie von all dem vie-len, was sie jetzt sagen, nur eines oder das andere aussprechen. Was aber ihrem ruhigen Antlitz, ihrem Photographiegesicht an Ebenmäßigkeit der Formen gebricht, das ersetzen im reichsten Maße ihre bewegten Züge durch die Kraft ihres Ausdrucks. Wenn Frau Duse nicht schön ist, so kann sie schön werden. 638 Wie Bahr, der äußert, die Duse sei erst dann schön, wenn sie spiele, führt auch Schlenther an, die italienische Schauspielerin entwickele sehr wohl eine Schönheit allerdings nur, wenn sie sich auf der Bühne bewege. Der Kritiker deutet bezüglich ihres Gesichts eine interessante Polarität an: Zeigt Eleonora Duse ihr starres, nur eine momentane Empfindung abbildendes gkeit ein Defizit dar: Es wirkt unproportioniert und uneben. Dagegen triumphiert die Bühnenkünstlerin, sobald sie zu spielen beginnt und dabei ihrer Mimik freien Lauf lassen kann. In dem Moment, in dem das Gesicht der Duse in Bewegung gerät und sie ihr schauspielerisches Können zum Ausdruck 636 Schlenther 1930, 173. 637 Schlenther 1930, 173. 638 Schlenther 1930, 173. <?page no="218"?> 218 bringt, tritt das vom normierten Ideal abweichende Äußere in den Hinter-grund, weicht die Hässlichkeit der Schönheit und ihre Wandelbarkeit und Ausstrahlung erwachen zum Leben eine Qualität, die zu einem Marken-zeichen der Duse wurde. Dass auch ihr dies offenbar bewusst war, zeigt ihre lebenslange Weigerung, sich über ihr Aussehen anstatt über ihre Schauspielkunst definieren zu lassen. 639 Interessant ist hierbei, dass, wie am Zitat von Schlenther deutlich wird, die Diskussion um ihre Schönheit oder eben das Fehlen derselben auch auf der medialen Ebene wirkt. Wie bereits während der Verhandlung der spielerin aufgezeigt wurde, kam der Form der Guckkastenbühne, die das Prinzip der konfron-tativen Ausstellung begünstigte, schon in diesem Kontext eine besondere Rolle zu. Auch im Zusammenhang mit dem mimischen Talent der Virtuo-sin zeigt diese ihre Bedeutung: Die Duse wurde im zeitgenössischen Dis-kurs dann als faszinierend wahrgenommen, wenn sie ausgestellt war, je-doch nur unter der Bedingung, dass sie sich in dieser Ausstellungssituation auch bewegte. Entsprechend kam ihr Können in keinem anderen Medium zum Tragen als auf der Theaterbühne, und zwar während ihres aktiven Spiels. Führt man diesen Gedankengang fort, so eignete sich am allerwe-nigsten die Fotografie als das zeitgenössische Konkurrenzmedium zum Theater dazu, 640 die Vorzüge der Duse aufzuzeigen. Lichtbilder würden sie 639 Ein Beispiel dafür ist die bereits in einem anderen Kontext angesprochene Weigerung der Duse, beim Spielen ein Korsett zu tragen und sich auch auf diesem Weg und auf Kosten ihrer künstlerischen Ausdruckskraft in das Idealbild einer Frau bezie-hungsweise in die Idealvorstellung von einer weiblichen Figur hineinzwängen zu Und wie das Antlitz, so die ganze Gestalt. Kennerinnen sagen mir, Frau Duse kleide sich nach der neuesten Pariser Mode. Je-denfalls ist dieser eng an die Formen des Körpers sich anschmiegende, teils an das Gewand der Antike, teils an die Empirezeit erinnernde Schnitt den schlanken, schmalen Formen der Dusegestalt höchst günstig. Er gönnt den Bewegungen freies-ten Spielraum. Kein Mieder schnürt die Brust oder gibt ihr eine unnatürliche, feste Wölbung. Frau Duse darf, wie ein Mann, die Knie übereinanderschlagen, wenn der dramatische Augenblick ein Grübeln ob dem Schicksal fordert oder die Schwere der Situation einen naiven Verzicht auf gute Umgangsformen gestattet oder gar er-heischt. So kostbar die Mittel sind, mit denen Frau Duse zur höchsten Bewunderung unserer gesamten vornehmen Damenwelt ihr Toilettenziel erreicht, so ist dieses Ziel fast überall Einfachheit. Ihre Toilette ist wie ihr Spiel. Mit feinster und höchster Kunst wird das Selbstver --175.) Auch in einem Ar-tikel in der Illustrirten Frauen--Zeitung wird auf den Fakt des fehlenden Mieders hinge-- -dung macht den Eindruck, als ob sie lediglich das Obergewand trüge. Dadurch hat sie etwas ungemein Anschmiegendes an sich, das sehr natürlich aussieht und ihrer Anonymus 1892b, 137. 640 Es ist interessant, dass bereits im zeitgenössischen Diskurs verhandelt wurde, inwie-- -eignissen eignete. So stellt beispielsweise Bab in seinem Artikel Die Unmöglichkeit der <?page no="219"?> 219 nicht nur weniger schön, sondern als Schauspielerin geradezu unterdurch-schnittlich erscheinen lassen ein Eindruck, der sich aus heutiger Sicht weder bestätigen noch widerlegen lässt. 6.9 Abschluss All diese Äußerungen zur Physis der italienischen Schauspielerin machen deutlich, dass Eleonora Duse keineswegs den im deutschen Diskurs vor-herrschenden Vorstellungen von einer schönen oder gar anbetungswürdi-gen Frau entsprach eine Tatsache, welche die Kritiker offensichtlich als so relevant empfanden, dass sie diese für ihre Leser immer wieder hervorho-- -- Folgendes: Eleonora Duse wurde vom Publikum der deutschen Eigen-gruppe durch die Betonung ihres eigentümlichen Aussehens einerseits als den, als sie aufgrund ihrer italienischen Herkunft sowieso schon wirkte. Andererseits machte die Herausstellung der Diversität ihres Äußeren deutlich, dass es sich bei der Szenenphotographie aus dem Jahr 1920 die Frage: kende Sze-nenphotographien überhaupt möglich? Diese Frage muß durchaus verneint werden. Das, was die Äußerungen des Schauspielers zur Kunst macht, ist ausschließlich das rhythmisierte Leben, das ununterbrochene organische Auseinanderwachsen immer verschiedener Augenblicke. Sobald diese Kette irgendwo abgerissen wird, sobald irgendein Moment der schauspielerischen Entwicklung zum Stehen gebracht wird, haben wir den Eindruck der Starre, des Todes oder auch der Fratze, der Karikatur, niemals aber einen künstleri --126.) Verneint Bab die Sinnhaftigkeit einer fotografierten Theaterszene aufgrund der fehlenden Aktion in iemals ge-recht werden kann, so macht er doch eine, wenn auch nur eingeschränkt nutzbare -tungen ist also nicht der Photograph, sondern der Kinematograph. Und auch der keineswegs allein. Denn dramatische Bewegung ist eine seelische;; die körperlichen Bewegungen kommen also nur in Betracht, soweit sie seelischen Ausdruck verraten oder verstärken, und auf die Spuren des Geistes zu lenken ist seit Bestehen der menschlichen Kultur das weitaus vor Erst wenn die gesprochene und für den Zuschauer hörbare Sprache zum bewegten Bild des Films hinzukommt, so Bab, wird sich das Schauspiel in korrekter Weise re-produzieren lassen (vgl. Bab 1920, 129). Dass der Autor hier in seiner Zukunftsvision -- Tatsache liegen, dass sich mit dem Film ein neues Medium auftat, das Möglichkeiten bot, die man sich im zeitgenössischen Diskurs kaum vorstellen konnte. Hier über-wiegt dementsprechend die Faszination vom neuen Medium Film, so scheint es. Zur neueren Forschungsliteratur zum Thema Theaterfotografie um 1900 siehe u.a. Balk 1989;; Balme 1995;; Balme/ Leonhardt 2002;; Bongartz 1995;; Bronfen/ Straumann 2002, 70--75;; Holschbach 2006;; Spötter 2003. <?page no="220"?> 220 italie 641 , jener -auch auf dem internationalen Parkett in Hülle und Fülle gab und derer man schnell überdrüssig war (oder wenigstens vorgab zu sein). 642 Duse, wie sie zumindest von einem Teil der Kritiker erfolgte, blitzte zu einer Zeit, die so sehr durch nationale Stereotype geprägt war, die Vor-stellung von der Möglichkeit eines kreativen, individuellen Schaffens mit der Physis der Künstlerin erkannte man, dass es sich bei ihr um einen höchst talentierten Einzelfall handelte, der einen ungewöhnlich hohen Stellenwert im deutschen Theatertagesgeschäft einnahm. Auch wenn dieser Gedanke häufig nicht weiterverfolgt wurde, klingen hier bereits Tendenzen an, die auf das verweisen, was um 1900 immer stärker zum Vorschein treten sollte: die Vorstellung von der Duse als einer nicht allein -versellen Schauspielkünstlerin. 641 -dung, der im Jahre 1899 in dem deutschen Modemagazin Der Bazar erschien. Mit ihm wurden jene jungen Schauspielerinnen beschrieben, deren Talent sich auf das Tragen von schönen Kostümen beschränkte und deren Verträge nie sehr lange, oft nicht länger als eine Spielzeit, liefen kurzlebig wie die Mode eben. Als Beispiel hierfür diente dem Autor die damals noch unbekannte französi-sche Schauspielerin Cecile Sorel (1873--1966), die allerdings später sogar Mitglied der Comédie--Française werden sollte und die man deshalb auf Dauer nicht auf die Rolle 899, 332. 642 Zum Verhältnis der Schauspielerin des ausgehenden 19. Jahrhunderts zur zeitge-nössischen Mode siehe u.a. Bertschik 2004;; Heising--Piltzing 1989;; Neumeier 2000;; Reißmann 1995, 129--132;; Watzka 2011. <?page no="221"?> 221 7. Kosmopolitismus versus Nationalismus Die Politisierung der frühen Gastspiele (1892/ 1893) Wie in den vorangegangenen Kapiteln gezeigt wurde, hinterließ die aktive und passive Teilhabe 643 an Gastspielen von internationalen Schauspielgrö-ßen wie denen Eleonora Duses oder ihrer italienischen Schauspielkollegen vermittels der Verwendung, Etablierung und Distribution von vor allem nationalen Stereotypen eindeutige Spuren im deutschen kollektiven Be-wusstsein. Dementsprechend lässt sich diesen Theaterereignissen durch ebenjene Etablierung von Fremd-- und Eigenbildern ein nicht zu unter-schätzender Einfluss auf den Selbst(er)findungs-- und Selbstversicherungs-prozess im Kaiserreich des ausgehenden 19. Jahrhunderts zuschreiben. Dieser basierte auf einer intensiven Beschäftigung mit der durch den jeweiligen Gastspielkünstler repräsentierten Fremdkultur und auf der Grundlage dieser Auseinandersetzung auch mit der deutschen Eigenkul-tur. Von zentraler Bedeutung ist daher in den kommenden Kapiteln die Frage, wie sich die Selbstwahrnehmung der Mitglieder innerhalb der Ei-gengruppe in diesem Kontext darstellte. Die deutsche Metropole Berlin steht dabei im Mittelpunkt der Verhandlung nicht nur, weil sie die Hauptstadt des Deutschen Reiches war, sondern auch, weil es die erste deutsche Stadt war, in der Eleonora Duse gastierte. 7.1 Die Weltoffenheit des deutschen Publikums Eine nationale Eigenschaft? Auch wenn weder ein einheitliches Bild im Hinblick auf die Rezeption von Seiten der Berliner Zuschauer erkennbar wird, noch ein eindeutiges Muster hinsichtlich der Strukturen des dortigen Publikums zu rekonstruieren ist, kann man doch eine Gemeinsamkeit feststellen, die eine große Zahl der Kritiken und anderer Schriften aufweist: Man bemühte sich in der Ver-handlung der Gastspiele berühmter internationaler Bühnenvirtuosen stets, die positiven Qualitäten der Eigenkultur hervorzuheben oft nicht ohne Überheblichkeit und Selbstlob. Es ist auffällig, dass dabei die häufig beteu-erte Weltoffenheit sowie Toleranz des Berliner Publikums gegenüber 643 Gemeint ist damit entweder die aktive Teilnahme als Zuschauer im Theater oder die Teilhabe an den großen Theaterereignissen als lesender Rezipient der vielen Bespre-chungen, Kritiken oder Schriften, die zu diesen veröffentlicht wurden. <?page no="222"?> 222 en, die man durch die Gastspieler repräsentiert sah, im Mittelpunkt stehen. Die Zuschauer der Hauptstadt übernehmen damit eine (nationale) Stellvertreterrolle wie sie ebenso den internationalen Gästen zugeschrieben wurde: Bei allem Stolz, den die Berliner hinsichtlich ihres Status als Metropole entwickelt hatten, und bei allen Versuchen, sich von der sogenannten Provinz abzuheben, wurden die Hauptstadtbewohner immer wieder in eine repräsentative Pars pro Toto--Situation gedrängt. So zog man im Theaterdiskurs aus den Reaktionen der Berliner Zuschauer, wie sie in der (Hauptstadt--) Presse dargestellt wurden, sehr häufig Rück-- Zur Verdeutlichung dieses Generalisierungsvorgangs soll hier eine Re-zension dienen, die im Zuge des zweiten Berlin--Gastspiels der Eleonora Duse im Jahre 1893, also nur etwa zwölf Monate nach ihrem ersten Besuch in der deutschen Hauptstadt, im Kleinen Journal veröffentlicht wurde. Dort heißt es: Es ist eine Eigenthümlichkeit Deutschlands, die eher als ein Vorzug, denn als ein Fehler gelten kann, daß man bei uns stets reges Interesse für fremde Kunst empfand. Darin setzte selbst die nationalste aller Künste, die des Schauspielers, keine Schranken. 644 -deren Kulturen wird gewissermaßen als Teil des deutschen Nationalcha-rakters dargestellt, auch wenn es so wirkt, als müsse der Kritiker seiner Leserschaft erst noch erklären, dass es sich bei dieser generellen Eigen-schaft wirklich um eine positive handelte. 645 Die Betonung der Aussage, -pliziert andererseits eine Verteidigung des Attributs gegen potenzielle Kritiker, die in der deutschen Offenheit anderen Kulturen gegenüber eher einen Makel als eine positive Qualität erkennen möchten. Indem der Re-- Fremdkulturen stets begünstige, wie er behauptet, verstärkt er sein Argu-ment noch. Mit dieser Ausführung schlägt er gleich zwei Fliegen mit einer Klappe: Zum einen hält er chauvinistisch--nationalistische Kritiker im Zaum, die jede Weltoffenheit der Deutschen wie auch die transnationalisierenden Strömungen der Zeit als Schwäche auslegen und für überflüssig halten. 644 Das Kleine Journal vom 7.12.1893. 645 Im Fortlauf des Artikels schränkt der konservative Kritiker diese als positiv ausgege-bene Eigenschaft auch selbst ein, nämlich dann, wenn sie zu weit geht, wenn also über die Begeisterung für die Fremdkultur nicht mehr reflektiert wird. <?page no="223"?> 223 Zum anderen unterstreicht er mit der A -folgt man dem Gedankengang des Kritikers, also in der reflektierten Of-fenheit gegenüber fremden Kulturen, wie sie sich unter anderem auf den Theaterbühnen präsentieren und nicht in deren unbedingter Ablehnung. Ganz ähnlich wie der anonyme Kritiker argumentiert Eugen Zabel in sei-nem Buch Die italienische Schauspielkunst in Deutschland. Zwar liegt hier der Fokus auf dem Geschehen auf der Bühne und der Autor findet hauptsäch-lich preisende Worte für die italienischen Virtuosen, doch er lobt auch die deutsche Eigenkultur im Publikum und betont die Vorzüge der Zuschauer. sierend ein sich über natio-nale Grenzen und Eigenschaften hinwegsetzendes, besonders empathi-der Deutsche in das Empfindungsleben anderer Völker hineinzudenken versteht, drückt sich kaum irgendwo so deutlich aus wie auf dem Thea-- 646 Der Autor ordnet dem Theater damit indirekt die Funktion eines Duse bereits mehrmals geschehen ist. Gleichzeitig wird es aber auch zu einer Stätte des bewussten Wahrnehmens und Akzeptierens von fremd-ländischer Kultur durch die Zuschauer, welche die Akteure auf der Bühne trotz beziehungsweise wegen ihres Exotismus annähmen. Einmal mehr wird das Theater als ein ambivalenter Ort des (bewussten und gewollten) Aufeinandertreffens von Fremd-- und Eigenkultur ausgewiesen, an dem das deutsche Publikum über den Weg der positiven Rezeption und be-geisterten Akzeptanz von internationalen Gastspielen (vorgeblich) zum Ausdruck bringt, wie aufgeschlossen es anderen Völkern und Nationen sowie deren Kulturen gegenübersteht. Zabel suggeriert damit, dem deut-schen Publikum wohne ein Kosmopolitismus inne. Das Gastspiel als Insti-- Akt der öffentlichen Rezeption durch die Medien auf zwei Ebenen wie ein Katalysator: Zum Ersten wird die sukzessive Erfindung der Eigenkultur als tolerant, interessiert und weltoffen vorangetrieben, indem Bilder, die dies zum Ausdruck bringen, im kulturellen Bewusstsein verankert werden;; zum Zweiten kommt es durch die redundante Wiederholung ebendieser selbst gewählten Stereotypen zu einer Festigung der Vorstellungen von --Gruppe. Durch die kosmopolitische Akzep-tanz und das universelle Verständnis der Fremdkultur als einer ebensol-chen sowie die damit einhergehende Bewusstmachung und Anerkennung der Eigenkultur verstärken das internationale Gastspiel und folglich auch das diesem den Raum gebende Theater in ihrer Rolle als Basis der Ver-handlung ein vereinendes, ein die Idee von einer offenen und wissbe-- 646 Zabel 1893, 5. <?page no="224"?> 224 gierigen Gemeinschaft innerhalb der Eigenkultur vertiefendes Gefühl, das zudem durch die Medien (massenweise) verbreitet wird. Im Theaterdis-kurs entsteht damit ein sowohl von Toleranz nach außen hin als auch von Nati --Gruppe. 7.2 Berlin: Zwischen Metropolitanismus und Kulturhegemonie Diese Ambivalenz zeigt sich besonders in der kosmopolitischen Metropole Berlin: In der Stadt, die seit 1871 Reichshauptstadt war, zeigte man sich überaus interessiert an allem, was außerhalb des Deutschen Reiches oder gar Europas passierte. Berlin nahm seine Doppelrolle als nationale Haupt-stadt sowie als einzige deutsche Metropole überaus ernst und sich selbst sehr wichtig. Mit dem Anwachsen der Bevölkerungszahlen und dem Über-steigen der Millionengrenze im Jahre 1877, 647 der Zunahme an politischer und wirtschaftlicher Bedeutung, dem Ausbau der Infrastruktur und dem steigenden transnationalen Austausch, sei es auf politischer, ökonomischer oder kultureller Ebene, 648 -- 649 , eine Eigenschaft, die der Stadthistoriker Heinz Reif den Metropolen als typisches Charakteristikum zuschreibt. So erfolgte im Dis-kurs stets die Orientierung an den Geschehnissen in den anderen europäi-schen Metropolen des ausgehenden 19. Jahrhunderts wie Paris oder Lon-don. Außerdem richtete man seinen Blick auf die nordamerikanischen Großstädte und verfolgte die Ereignisse dort. Gleichzeitig setzte eine nic ein. Berlin entwickelte auf kultureller Ebene ein großes nationales Sen-dungsbewusstsein: Von der Hauptstadt als selbst ernanntem kulturellem Zentrum des Deutschen Reiches aus versuchte die bürgerliche Elite zu-nehmend, die künstlerische Entwicklung sowie die kulturellen Strömun-gen im restlichen Deutschland zu beeinflussen. So wollte man in Bezug auf die Theatersituation den Geschmack des deutschen Publikums lenken auch wenn dieses Diktat nicht immer und überall auf fruchtbaren Boden -schen Kunstverständnis zu überzeugen. 647 Vgl. Bauer 2007, 56. 648 Zur Urbanisierung Berlins und den für einen solchen Prozess typischen Eigenschaf-ten siehe außerdem Bauer 2007, 13--75, insbesondere 59;; Becker/ Niedbalski 2011;; Marx 2007a;; Reif 2006. 649 Reif 2006, 4 Große Städte gelten auch deshalb als Metropolen, weil sie der gegenseitigen Anerkennung, der Bestätigung von Zugehörigkeit zum Kreis der <?page no="225"?> 225 Dennoch gewann Berlin, was das Theater anging, erstaunlich schnell an Bedeutung für die ästhetische wie ökonomische Theaterentwicklung im Deutschen Reich, sodass man am Ende des 19. Jahrhunderts von einer kulturellen Vormachtstellung der Metropole sprechen kann. Nach der Einführung der Gewerbefreiheit im Jahre 1869 und der Reichsgründung zwei Jahre später kam es in Berl der die Reichs 650 . Dabei handelte es sich um eine Rolle, die man mit oft auch übertriebenem, geradezu überheblichem Stolz zu erfüllen und gegen die immer wieder aufkommende Kritik von außen (aber auch aus den eigenen Reihen) zu verteidigen suchte, was bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein gelang. Aus der Retrospektive schreibt der Drehbuchautor und Regisseur Walter Turszinsky (1874--1915) in einem Artikel, der im Jahre 1912 in der Zeitschrift Bühne und Welt veröffentlicht wurde: Heute aber ist seltsamerweise Berlin als trotz der eiligen, von keinem mehr bestrittenen Dekadenz seiner künstlerischen und materiellen Theatersitua-tion noch immer die Spruchsprecherin, wenn es gilt, große Theatererfolge abzustempeln. 651 Auch wenn Turszinsky in seiner Kritik dem traditionellen Muster folgt und die Berliner Bühnen aufgrund ihrer ökonomischen Orientierung sowie der künstlerisch als unbefriedigend empfundenen Situation eher abmahnt, als sie zu loben, sieht er die Vormachtstellung der deutschen Hauptstadt auf dem Gebiet der Bühnenkunst auch noch in den 1910er--Jahren gegeben. Die Macht der Metropole Berlin als wichtigste nationale Theaterkunstrichterin scheint dementsprechend bis zu der Zeit nach der Jahrhundertwende un-gebrochen. Wie erwähnt, war diese Rollenzuweisung ein Erbe des 19. Jahrhunderts, in dem die deutsche Hauptstadt und die dort angesiedelten Theater zum Referenzpunkt und zur Orientie wurden. Keine andere deutsche Stadt konnte eine so große Wirkung auf das kulturelle Geschehen im Deutschen Reich vorweisen wie Berlin. Zwar fühlten sich viele Kritiker in der Provinz von der Hauptstadt bevormundet, es wurden aber auch Stimmen laut, die eine Einflussnahme begrüßten. Die Entwicklung Berlins zu einem kulturellen Zentrum galt als ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem Nationaltheater, das man sich im 19. Jahr-- 650 -schen Diskurs immer wieder. Man war sich in Berlin seiner Rolle und seiner Rele-vanz überaus bewusst. So spricht beispielsweise Siegfried Jacobsohn von der Metro-bsohn 1904, VII) und Maximilian Harden betitelte sogar seine 1888 erschienene Streitschrift mit Berlin als Theaterhauptstadt (Harden 2009). 651 Turszinsky 1912/ 13, 27. <?page no="226"?> 226 hundert so sehr wünschte und dem man immer noch auch nach 1871 eine nicht zu unterschätzende Bedeutung im Prozess des nation building zuschrieb. Conrad Alberti äußert sich diesbezüglich wie folgt: Auch hat Deutschland nie eine einzige anerkannte Hauptstadt gehabt, wel-che wie Wien oder Paris für die Entwickelung der Kunst und des künstleri-schen Geschmackes im Lande maßgebend war;; jede größere Provinzialstadt schuf sich ihr eigenes Theater nach ihrem eigenen Geschmacke, ohne sich daran zu kehren, wie man in Berlin über dasselbe dächte. Dieser Umstand war eben so vortheilhaft für das Erstarken und Aufblühen der einzelnen stehenden Bühnen, für die Entfaltung eines ungemein reichen, mannigfalti-gen Theaterlebens, wie es kaum ein zweites europäisches Land in ähnli-chem Maße besitzt, als nachtheilig für die Geschmacksbildung des deut-schen Publikums, dem feste Grundsätze vollständig fehlten, das nie zu einer einheitlichen nationalen Geschmacksrichtung kommen, und daher auch nie eine wirklich nationale Bühne, ein nationales Drama besitzen konnte. Denn nationale Eigenart auf allen Gebieten ist nur möglich bei her-lins ist heute glücklicher-weise bereits ein derartiger, daß ein theatralischer Erfolg in Berlin beinahe ausschlaggebend für das Reich ist, allein noch immer wird es in den Zei-tungen als besonders denkwürdig angezeigt, wenn ein Stück, das in Berlin gefallen hat, auch bei seiner ersten Vorstellung in Danzig oder Stuttgart Bei-fall findet. 652 Die Lenkung des Geschmacks durch eine zentralisierende Hauptstadt, in diesem Fall Berlin, wird von Alberti begrüßt, da sie dem Autor zufolge auf der Ebene des Theaters dazu beitrage, eine einheitliche Eigenkultur und darauf aufbauend schließlich auch eine Nation zu erschaffen, wie es in anderen europäischen Ländern mit zentralistischer Organisation bereits geschehen sei. Der Wunsch des Schriftstellers nach einem sich in der Reichshauptstadt Berlin beheimateten, auf ganz Deutschland ausstrahlen-den Nationaltheater spiegelt eine im ausgehenden 19. Jahrhundert weit verbreitete, die Realität aber verkennende Meinung wider, dem Theater müsse eine größere politische Rolle und auch Verantwortung überschrie-ben werden, da es dazu geeignet sei, seinen Beitrag zum Entstehungspro-zess einer deutschen Nation auch jenseits der bereits erfolgten politischen Einigung zu leisten. Siegfried Jacobsohn beschreibt diesen hehren Wunsch nach einer Zent-ralisierung mithilfe eines Nationaltheaters in der Retrospektive wie folgt: Weil Molière und Calderon die in Paris und in Madrid vereinte Volkskraft dichterisch ausgeatmet hatten;; weil Shakespeares Aufstieg im London der Elisabeth mit der Vernichtung der spanischen Armada zusammengefallen war;; weil das antike Drama um dieselbe Zeit geboren ward, als sich die 652 Alberti 2009, 81--82. <?page no="227"?> 227 Stämme des Hellenenvolks zum Bunde schlossen und Athen als Führerin im nationalen Kampf an ihre Spitze trat: darum erhofften und verlangten Idealisten von der Hauptstadt des geeinigten Deutschland, von dem Berlin des Franzosenbesiegers Wilhelms des Ersten nationales Drama und natio-sollte sein Glaube und sein Mut, seine Liebe und sein Haß, sein Gefühl des Lebens und der Welt, befreit von den Nebengeräuschen des Alltags und weithin vernehmlich widertönen. 653 Jacobsohns Äußerung macht besonders drei Aspekte deutlich: Zum Ersten wird mithilfe des historischen Vergleichsmoments herausgestellt, als was für ein (auch international) bedeutendes Ereignis man die Reichsgründung interpretierte. Zum Zweiten offenbart sich, wie sehr man es sich erhoffte, dieses Ereignis einer politischen Vereinigung als Ausgangspunkt auch für eine die ganze kulturelle Vielfalt Deutschlands zusammenfügende und -nen. Und zum Dritten betont Jacobsohn die Sendungsaufgabe, die man dem Theater in Berlin damit zuschrieb. Nur zehn Jahre später als Alberti erklärt Paul Linsemann mit Genugtuung -sche Reichshauptstadt als gescheitert, wenn er im Jahre 1897 schreibt: rale im Kunstleben zu sein und den Geschmack zu bestimmen. Es hat auch, weiß Gott, keine Berechti-- 654 Mit großer Vehemenz negiert der Autor die noch von Al-berti erhoffte Entwicklung Berlins zum Zentrum der deutschen Theater-landschaft. Dies spiegelt die latent im Diskurs vorhandene Einstellung jener wider, die in den meisten Bühnen der Reichshauptstadt rein ökono-künstlerisches Niveau aufwiesen, sondern nur der Zerstreuung des Publi-kums dienten. Diese waren den Kritikern ein Dorn im Auge, da sie ihrer Meinung nach den eigentlichen Zweck des Theaters, nämlich die morali-sche und auch die politische Bildung der Zuschauer, nicht nur nicht er-füllten, sondern diesen durch die Kommerzialisierung sogar untergruben. Auch wenn Linsemanns Äußerung die einer großen Anzahl von Kriti-kern repräsentiert, trifft sie trotzdem nicht die reale Situation: Berlin be-- -tig, auch wenn sich das, was sich dort kulturell abspielte, von dem, was sich die bürgerli-che Elite unter guter Bühnenkunst vorstellte, unterschied. 653 Jacobsohn 1904, 4. 654 Linsemann 2009, 202. <?page no="228"?> 228 Diese sich gegenüber den Bühnen in den kleineren und größeren deut-schen Städten immer mehr herausbildende Vormachtstellung der Berliner Theater, seien es die Königlichen Bühnen, aber vor allem die erwähnten kommerziellen Privattheater, lässt sich besonders gut am Beispiel der Dis-tribution von Dramentexten aufzeigen;; schließlich bildete sich dabei ein eindeutiges und wiederkehrendes Muster heraus: Viele Theaterstücke fanden zuerst in Berlin erfolgreich ihre Umsetzung, um sich dann in Win-deseile in der Provinz zu verbreiten, wo sie sich im Anschluss an die Triumphe in der Metropole meist ebenfalls großer Beliebtheit erfreuten. 655 Denn man wollte auch in den kleineren oder mittelgroßen Städten im Kai-serreich der stets propagierten Kunstkennerschaft der Hauptstadt in nichts nachstehen und bei den Trends, die in Berlin im Zusammenhang mit dem Theater geprägt wurden, mithalten. Diese Entwicklung macht der Schrift-steller und Feuilletonist Friedrich Lienhard (1865--1929) deutlich, wenn er scher Mittel-städte es gewagt, ein Stück abzulehnen, das in Berlin zehn und zwanzig 656 Lienhard lässt hier keinen Zweifel daran aufkommen, dass die Berliner Bühnen sich ihres Einflusses auf und ihrer Macht gegenüber der Provinz sehr wohl im Klaren waren. Dass von Berlin ausgehend der Geschmack in ganz Deutschland gelenkt und geleitet wurde, wie es der oben zitierte Lienhard verdeutlicht, bestätigt auch der Schrifteller Karl Strecker (1862--1933), wenn er -stößliche Ansicht der meisten Dramatiker und aller Verleger, daß nur ein Berliner 657 . Doch nicht nur die Berliner Theater galten als Vorbilder für das ganze Deutsche Reich auch die Berliner Presse und das Hauptstadtpublikum machten ihren Beitrag zu dieser Vormachtstellung geltend. So gründeten die Erfolge nicht nur auf dem Können findiger Direktoren, den Inhalten und Umsetzungen künstlerisch (mehr oder minder) hochwertiger Stücke, der Kreativität der Regisseure oder Spielleiter sowie den überzeugenden Leistungen der Berliner Schauspieler;; eine nicht zu unterschätzende Rolle muss auch den Rezipienten, vor allem den Kritikern, zugesprochen wer-den. In diesem Sinne schreibt Lorraine Commeret in ihrer Arbeit über das Deutschland--Gastspiel des vor allem durch seine Darstellungen von Shakespeare--Figuren berühmt gewordenen US--amerikanischen Virtuosen Edwin Booth (1833--1893), das in Berlin seinen Ausgang nahm und dann mit einer Tournee durch verschiedene kleinere und größere Städte inner-halb des Deutschen Reiches fortgeführt wurde: 655 Siehe dazu u.a. Watzka 2006, 84--92. 656 Lienhard 1915, 282. 657 Strecker 2009, 341 [Hervorhebung im Original]. <?page no="229"?> 229 audiences were seeing and what Berlin critics were saying were common knowledge to theater lovers all over Germany. Drenker [Edwin Booths Agent sw] had been right to beginning the tour in the capital;; it would provide the best advance press Booth could have. 658 Wie sich hier bei Commeret und auch im zeitgenössischen Diskurs immer wieder andeutet, war die Berliner Presse äußerst selbstbewusst: Man sah sich als das wichtigste deutsche Organ zur kulturellen Meinungsbildung auch über die Grenzen der Hauptstadt hinweg an. Mit diesem Stolz und (übersteigertem) Selbstvertrauen aber gewann man auch in den eigenen Reihen nicht nur Freunde. Der oben bereits zitierte Linsemann macht seinem Ärger der Hauptstadtpresse gegenüber wie folgt Luft: Nein, die Presse ist im Allgemeinen keine Macht mehr in Berlin. Und wie sollte es auch anders sein? Das dumme, leichtfertige und verlogene Ge-schwätz, das wir hier zumeist aufgetischt bekommen, kann auf keine Auto-rität mehr Anspruch erheben. Gewiß. Sie werden hier und da einen Kritiker von Kenntniß und Geschmack treffen, denn es wäre schlimm, wenn unter soviel Sündern nicht einige Gerechte wären. Aber ihre Stimmen verhallen Kritiken! Nicht in einer mittleren Provinzstadt wäre der freche Unsinn möglich, den die Leser mancher Blätter vorgesetzt bekommen. Und doch geberden sich die Herren in Berlin immer, als hätten sie die Weisheit ge-- -ihnen die Arroganz steht! 659 Auch wenn Linsemann mit seiner Einschätzung sicherlich bis zu einem gewissen Grad Recht hatte, weil die Überheblichkeit der Kritiker gegen-qualitativ besten Seite präsentierte, darf die Wirkmacht der Berliner Kriti-ker für die Entwicklung des Theaters in Berlin wie auch im Kaiserreich nicht unterbewertet werden. 660 Sowohl bekannte Kritiker wie Oscar Blu-menthal, Theodor Fontane (1819--1898), die Brüder Julius (1859--1930) und Heinrich Hart (1855--1906), Alfred Kerr (1867--1948), Maximilian Harden, Siegfried Jacobsohn, Monty Jacobs (1875--1945) oder Julius Bab, aber auch die weniger bekannten Rezensenten prägten die Berliner und die deutsche Theaterlandschaft. Schließlich waren sie die vermittelnde Instanz zwischen dem Geschehen auf der Bühne und den Rezipienten nach dem Theaterer-eignis und hatten damit eine große Macht: Sie prägten Stereotype, verbrei-- 658 Commeret 1980, 32. 659 Linsemann 2009, 190. 660 Zu einzelnen Theaterkritikern, aber auch zum Kontext der Theaterkritik um 1900 siehe Adamski 2007;; Marx 2007b;; Marx 2010;; Nickel 2007;; Stüssel 2007. <?page no="230"?> 230 teten Vorurteile, normierten und formten den Geschmack, informierten (auch falsch), trieben moderne literarische Strömungen voran, förderten Talente oder verrissen Aufführungen und machten Karrieren oder zer-störten sie und das in einer Zeit, in der das Zeitungswesen das wichtigste Medium der Übermittlung von Information aller Art war. Hinsichtlich des Hauptstadtpublikums, das neben den Kritikern den größten Teil der direkten Rezipienten des Theaterereignisses ausmachte, gestaltet sich die Untersuchung als schwierig: Empirische Zuschauerstu-dien, die nähere Auskünfte darüber geben könnten, wer wann wie oft und in welches Theater ging, liegen nicht vor und es wird sehr deutlich, dass sich aus dem Diskurs kein einheitliches Bild vom Publikum erschließen lässt. 661 Baumeister schreibt diesbezüglich: Das Großstadtpublikum war per se keine feste empirische, etwa nach Krite-rien der Klassen-bzw. Schichtenzugehörigkeit klar bestimmbare Größe, vielmehr war es im Fluss, in ständiger Bewegung begriffen, ähnlich wie Programmangebote und --moden wechselten, wie sich die Theaterlandschaft der Hauptstadt mit der Schließung bestehender und der Eröffnung neuer Häuser wandelte, aber auch wie sich die Großstadtbevölkerung insgesamt in den Jahrzehnten schnellen sozioökonomischen Wandels veränderte. 662 Der Eindruck, den man beispielweise durch die Berliner Zeitungspresse und zum Teil auch durch Zeitschriftenartikel gewinnt, gestaltet sich oft grundlegend anders als der, welcher durch die übrige zeitgenössische Literatur, also durch die vielen Abhandlungen und Streitschriften über das Theater, vermittelt wird. Betrachtet man die Gruppe der Theatergänger in der Hauptstadt, so wird deutlich, dass sich diese gerne mitunter auf-grund ihres Bildungsstandes und ihrer vergleichsweise breiten Seherfah-rung als Connaisseur--Publikum darstellten. Untersucht man allerdings die gedruckten Quellen, vor allem die vielen Theaterstreitschriften, die sich mit dem Bühnengeschehen in Berlin um 1900 auseinandersetzten, wandelt sich das Bild und es präsentiert sich dem Leser ein völlig anderes Publi-kum: eines, das den hehren Ansprüchen seiner Kritiker nicht im Gerings-ten nachkam, weil es vorgeblich viel eher Zerstreuung als moralische Bil-dung suchte. Stellvertretend für unzählige Äußerungen dieser Art soll an dieser Stelle nur der Berliner Verleger August Scherl (1849--1921) zitiert werden, der in seiner 1898 veröffentlichten Streitschrift mit dem aussa-gekräftigen Titel Berlin hat kein Theater--Publikum! das Folgende schrieb: 663 661 -- 662 Baumeister 2009, 210. 663 Im Rahmen der beiden ersten Gastspiele von Eleonora Duse soll in Kapitel 7.3 noch einmal genauer auf das Berliner Publikum eingegangen werden, weswegen das <?page no="231"?> 231 Berlin hat kein Theater--Publikum. Wer an die Fülle bei Premièren--Abenden denkt, dem mag dieser Satz paradox erscheinen. Und doch ist er richtig, soweit man den Begriff Theater--Publikum nicht eben ausschließlich auf das eberhaftem Interesse für alle Personalien des Bühnenlebens beseelten Theaterhabitués anwenden will. 664 Trotz der heftigen Kritik, die dem Berliner Publikum entgegenschlug, kann man die kulturelle Vormachtstellung der Hauptstadtzuschauer gegenüber denen der stellt allerdings die bis dahin nicht zu unterschätzende Rolle der Zuschauer in der deutschen Hauptstadt für die Zukunft infrage, wenn er schreibt: Es wird vielleicht einmal so kommen, daß der Chronist für seine Paraphrase über dieses Thema kein Gehör mehr findet: dann nämlich, wenn die Vor-stände der größeren Theaterunternehmungen draußen im Reiche den ihn auch durch Taten ausdrücken werden. Dann wird die Hegemonie des 665 -hier als Hegemonialmacht dar. Turszinsky zufolge waren sie es, die über den nationalen Erfolg oder Misserfolg einer Bühnenproduktion und eines Theatertextes bestimmten, und zwar allein dadurch, dass ihre Meinung von den Zuschauern in der Provinz ungeprüft übernommen wurde eine Einschätzung, die in ihrem Schluss sicherlich richtig ist, die jedoch den Aspekt der Einflussnahme der Produzenten am Theater und der Distri-buenten in der Presse übersieht. Trotz dieser Lücken bleibt zu vermerken, dass der Einfluss des Berliner Publikums auf das The -ner Linsemann geäußerte Einschätzung zu den Hauptstadtzuschauern, die versucht, diese bis zur Bedeutungslosigkeit zu reduzieren, auch um die als Wunschdenken des hitzigen Autors bewertet werden: Der Geschmack Berlins ist zum überwiegend großen Theil maßgebend ge-worden für den Geschmack der Provinzdirektoren nicht des Provinzpub-likums. Der Provinztheaterdirektor nimmt selten noch ein Stück an, was nicht in Berlin seine Première erlebt das Provinzpublikum bewahrt sich noch seine eigene Meinung und erlaubt sich ein Stück abzulehnen, worüber Thema an dieser Stelle nur so kurz und nicht hinreichend angesprochen wird. Zum Publikum in der Metropole siehe außerdem Leonhardt 2007, 57--61;; Marx 2006;; Marx 2008, vor allem 294--304. 664 Scherl 2009, 276. 665 Turszinsky 1912/ 13, 27. <?page no="232"?> 232 dann die Herren in der Berliner Presse moquant die Achseln zucken. Was, -feln? 666 So bleibt festzuhalten, dass man sich in den Kreisen der Hauptstadtpresse der eigenen Bedeutsamkeit und Funktion als Sprachrohr des Berliner Kennerpublikums und als meinungsprägendes Medium nicht nur für die war oder dies zumindest in großem Stil kolportierte. 7.3 Eleonora Duses erstes Gastspiel in Berlin 7.3.1 Die Selbsteinschätzung der Berliner Auf dieser Grundlage verwundert es auch nicht, in welch selbstbewusstem Tonfall die im Folgenden zitierte Kritik aus dem Berliner Lokal--Anzeiger vom 22.11.1892, dem Premierenabend der Duse in der deutschen Haupt-stadt, aufwartet. Der Rezensent Julius Keller äußert sich hinsichtlich der Rolle der Metropole so: Spät, sehr spät ist Eleonora Duse in Berlin erschienen;; im Allgemeinen sind wir hier daran gewöhnt, Erfolge und Carrieren zu machen, und wer als fer-tige, angeblich unantastbare Berühmtheit nach Berlin kommt, der muß es sich gefallen lassen, daß man ihn gar eindringlich mustert und der Berech-tigung seines Ruhmes mit echt deutscher Gründlichkeit nachspürt. 667 Berlin wird hier als eine Art (inter--) nationale Talentschmiede dargestellt: Vor den Augen der Kritiker und Zuschauer dort solle sich der angehende deutsche oder ausländische Star präsentieren;; daraufhin würden die bei-den Gruppen ein Urteil über ihn fällen und entscheiden, ob ihm in Zukunft eine große Karriere auf den nationalen, vielleicht auch internationalen Bühnen winkt oder nicht. Man versuchte, die Vormachtstellung Berlins im Deutschen Reich aber auch über die Landesgrenzen hinweg geltend zu machen. Als Eleonora Duse, die in den frühen 1890er--Jahren zwar noch nicht den Gipfel ihres internationalen Erfolgs erklommen hatte, aber schon eine über die Grenzen Italiens hinweg etablierte Künstlerin war, nach Berlin kam, wurde den Theaterinteressierten dort schmerzhaft bewusst, dass sie die so beliebte aktive Rolle des Talentsuchers, auf die sie (unrealistisch oder nicht) so stolz waren, hinsichtlich der internationalen Karriere der italienischen Bühnenkünstlerin nicht mehr spielen konnten, schließlich war 666 Linsemann 2009, 202. 667 Berliner Lokal--Anzeiger vom 22.11.1892. <?page no="233"?> 233 668 Zwar kam die Duse nach Berlin, bevor sie 1893 nach London und New York reiste, und sie war auch noch nicht in Paris aufgetreten 669 in einer der wichtigsten europäischen Metropolen des 19. Jahrhunderts würde sie erst im Jahre 1897, also fünf Jahre nach ihrem ersten Gastspiel in Berlin, bestehen müssen;; dennoch war ihr Weg zur internationalen Karriere längst geebnet. Trotz aller Freude und erwartungsvollen Aufregung, die im Vorfeld des Gastspiels der Duse in Berlin und auch noch bei ihrem Premierenabend herrschten, klingt in der oben zitierten Rezension zu ihrem ersten Auftritt auch ein wenig Misstrauen gegenüber dem Können der italienischen Schauspielerin an. Dies wird indirekt damit begründet, dass man in der deutschen Hauptstadt am Aufbau dieser Karriere nicht selbst beteiligt gewesen war. Keller scheint dadurch seiner Leserschaft suggerieren zu wollen, man habe als Bürger Berlins gewissermaßen ein Recht darauf, ein wenig beleidigt zu sein und sich auch ein bisschen verschmäht zu fühlen, -durfte. Dass die italienische Schauspielerin keineswegs die erste internationale Virtuosin war, deren Erfolgsgeschichte nicht in Berlin begann, wird hier zu Gunsten einer Stärkung des hauptstädtischen Selbstbewusstseins und der Etablierung eines positiven, vor allem Macht und Einfluss zur Schau stel-lenden Bildes der Eigengruppe unterschlagen. Dessen ungeachtet waren nämlich auch andere berühmte Schauspieler bereits international erfolg-reich und etabliert, bevor sie zum ersten Mal nach Deutschland respektive nach Berlin kamen. Viele galten vor ihrem Besuch sogar schon als Welt-stars: Der bereits erwähnte Amerikaner und Shakespeare--Darsteller Edwin Booth war bereits 1851 zum ersten Mal in London aufgetreten und be-suchte erst im Jahre 1883 die deutsche Hauptstadt und andere Städte im 668 So hatte sich nicht zuletzt Hermann Bahr d -lem durch den Gastspielführer, den er auf der Grundlage ihres Gastspiels in Wien verfasst hatte. Dazu siehe Kap. 6.1. 669 Die Duse war mehrmals von ihrer großen französischen Konkurrentin Sarah Bern-hardt nach Paris ans Théâtre de la Renaissance eingeladen worden und nahm diese Of-ferte nach langem Zögern im Juni des Jahres 1897 endlich an. Dort gab sie u.a. die Kameliendame sowie das von ihrem damaligen Geliebten Gabriele . Die Reaktionen auf letzteres waren sehr positiv, ihre Auftritte wurden vom französischen Publikum be-geistert aufgenommen und sie konnte das Gastspiel als einen großen Erfolg verbu-chen. Von ihrer Darstellung der Kameliendame, welche die Pariser sehr mit der Bern-hardt in Verbindung brachten, zeigten sich die Zuschauer in der französischen Hauptstadt jedoch ein wenig enttäuscht. Im Jahre 1898 erfolgte ein weiteres Frank-reich--Gastspiel der Duse. Siehe dazu u.a. Maurer 1988, 75 und 142;; Müller 2000, 274-- 277. <?page no="234"?> 234 Kaiserreich;; die französische Starschauspielerin Réjane hatte schon 1894 in London und New York gastiert, bevor sie 1897 nach Berlin kam;; und natürlich nicht zu vergessen die französische Virtuosin Sarah Bernhardt, die aus politischen Gründen erst 1902 ein Gastspiel in Berlin gab, als sie schon längst ein weltweit gefeierter Star, wenn nicht sogar die bekannteste Schauspielerin des 19. Jahrhunderts geworden war. Die Rolle als internati-onale Karriereschmiede, die hier dem Berliner Theater, den Zuschauern und dem Hauptstadt--Feuilleton durch die Rezensenten zugeschrieben wird, entspricht also keineswegs der Realität des ausgehenden 19. Jahrhunderts. 670 Einmal mehr offenbart sich die Differenz zwischen der übersteigerten Selbsteinschätzung, wie sie den Lesern der Eigenkultur im deutschen Diskurs präsentiert wurde, und der realistischen Bewertung der Situa Publikum ein völlig verzerrtes Eigenbild zu vermitteln, um es diesem glaubhaft zu machen. Noch auf einer anderen Ebene ist die Kritik aus dem Berliner Lokal--An-zeiger aufschlussreich, auch hier deshalb, weil sie sich von der Realität weit entfernt: Der Rezensent stellt es so dar, als würde Eleonora Duse durch das Berliner Publikum und die Hauptstadtpresse auf eine besonders harte Probe gestellt, als müsse die Bühnenkünstlerin damit rechnen, dass die Laien sowie die professionellen Kunstrichter in der deutschen Metropole sie außerordentlich kritisch beurteilen würden. Dies führt Keller auf den Tug jedoch die Rezensionen des ersten Gastspiels der Duse in Berlin, so fällt auf, dass hier nicht kritische Sorgfalt, besondere Strenge oder gar Miss-trauen in Bezug auf die Beurteilungsnormen dominierten;; vielmehr herrschte eine geradezu kindliche Freude darüber vor wie auch ein naiver Stolz darauf, ein Teil dieses international bedeutenden Theaterereignisses gewesen zu sein, als das der Auftritt der Italienerin in den Feuilletons bewertet wurde. Es wurden nur sehr wenige Stimmen laut, die es wagten, Eleonora Duse und ihre Schauspielkunst zu kritisieren. Einmal mehr wird die eigene Rolle aufgrund von überspitztem und überheblichem National-- oder in diesem Fall Regionalstolz und dem Versuch, diesen zu etablieren, grenzenlos überschätzt und damit falsch bewertet. Und so erscheint es fast paradox, dass dieser offenbar so große Wunsch nach nationaler Bedeutung, wie er hier augenscheinlich wird, gerade durch das Bedürfnis der Zu-- 670 -rieren gestaltet sich die Situation anders. So ließen sich unzählige Beispiele von Schauspielern nennen, die erst an einer kleineren Provinzbühne engagiert waren und dann nach Berlin gingen, um dort eine erfolgreiche Laufbahn zu beginnen. Es galt, dass, wenn man als Schauspieler erst einmal ein gutes Engagement an einer seriösen Bühne in Berlin hatte, einem ein ruhmreicher Werdegang bevorstand. <?page no="235"?> 235 schauer der Eigengruppe nach Sensation und kosmopolitischer Teilhabe unterminiert werden würde. Ein Rezensent des Kleinen Journal entwirft ein ähnliches Bild von einem besonders wählerischen und außerdem ein wenig misstrauischen Berliner Publikum: Es war interessant, das Spiel des Publikums gestern bei dem Spiel der Sig-nora Duse und ihrer Truppe zu beobachten. Zuerst fühlten sich die Zu-schauer, welche das Theater bis auf den letzten Platz füllten, wie etwas Fremdem gegenüber, Fremdem nicht nur in sprachlicher Beziehung (hier hilft bekanntlich auch der beste Wille und die zur Schau getragene Ver-trautheit mit den Geheimnissen des Italienischen nicht), sondern mehr noch merkte das Publikum wohl, daß es sich hier einer großen Kunstschule ge-- -schen will, sondern nur die Erste unter Gleichen ist. 671 Schauspielkunst gegenüber möchte so gar nicht in das Bild passen, das man vom ansonsten als geradezu euphorisch beschriebenen Publikum bekommt. Aber sie wird in dem Moment aufgebrochen, in dem offensicht-lich wird, dass hier keine die reine Sensationsgier befriedigende Virtuosin ihr überbordendes Geltungsbedürfnis und ihre egomanische Schauspiel-kunst präsentiert, dann also, wenn der im Diskurs, nicht jedoch unbe-dingt bei den Zuschauern vorherrschende Wunsch nach einem besonders realistischen, den hehren Kunstvorstellungen der Kritiker entsprechenden Schauspielstil von der Italienerin umgesetzt wird. Einmal mehr dienen die Berliner Zuschauer als Projektionsfläche, indem sie als ein intellektuelles Connaisseur--Publikum ausgegeben werden eine Darstellung, die sich mit den sonst so häufig laut werdenden Stimmen, die sich in aller Vehemenz gegen das Hauptstadtpublikum aussprachen und es als niveaulos und sensationsgierig charakterisierten, nicht decken möchte. Hielt man sich in Publikationen wie Streitschriften und anderen Veröf-fentlichungen zur deutschen respektive Berliner Theatersituation mit scharfer Kritik nicht zurück, sondern ließ man dort seinem Ärger über das fehlende Kunstverständnis und die Unterhaltungssucht des Publikums freien Lauf, so war man im Gegensatz dazu offenbar sehr darum bemüht, sich selbst in einem besonders guten Licht zu präsentieren, wenn es um die Außenwirkung im Medium Zeitung ging;; denn dieses deckte eine breitere Leserschaft ab und erreichte mehr Menschen auch solche, die sich nur bedingt für das Theater interessierten. Hier wird der bereits erwähnte Un-- 671 Das Kleine Journal vom 22.11.1892. <?page no="236"?> 236 terschied innerhalb der Darstellung in den verschiedenen Druckerzeugnis-sen sehr deutlich. Das Bild von einem künstlerisch gebildeten, Fremdem gegenüber toleran-ten Publikum wird von der Mehrzahl der Kritiker in den Berliner Tages-zeitungen suggeriert. Auch der Verfasser einer Rezension in der Berliner Börsen--Zeitung, die zwei Tage nach dem ersten Auftritt Eleonora Duses erschien, schließt sich diesem Tenor an und schreibt mit metropolitanem Stolz über das Publikum der Duse in der Reichshauptstadt: Man muß Respect vor einem Publicum haben, das in solchen Schaaren her-beiströmt, um eine große Künstlerin zu sehen und sich an deren Spiel zu erbauen, trotzdem die Preise unverhältnismäßig hoch, die Stücke abgespielt und die Sprache, in der uns dieselben vorgetragen werden, nur den We-nigsten geläufig ist. 672 Einmal mehr wird das Bild eines Berliner Kennerpublikums vermittelt, das insbesondere die Kunst in den Mittelpunkt seines Interesses stelle und daher über all die Defizite, welche die Gastspielabende der Duse aufwie-sen, hinwegblicken könne. Das ostentative Lob trägt dabei deutlich selbst-affirmative Züge, vor allem, weil der Kritiker hier nicht nur die Bildung und Erfahrung der Berliner Zuschauer betont, sondern diesem Eindruck sogar mehr Platz einzuräumen scheint als der Veranstaltung selbst. Beson-ders die Herausstellung des Be selbstkonstituierende Wirkung der Rezensent mit der Beschreibung des Verhaltens des metropolitanen Berliner Publikums bei seinen Lesern evo-zieren wollte. Dies wird noch prägnanter, wenn man sich einen weiteren Ausschnitt aus der Kritik betrachtet, in dem es heißt: In solchen Momenten tritt das Weltstädterthum bemerkenswerth in die Er-scheinung: der Kreis der Interessen, der Horizont des geistigen Bedürfnis-ses, sie umspannen einen weiten Bogen. Jener Theil der Gesellschaft, der sich zu den Duse--Abenden Stelldichein im Lessing--Theater giebt, er ist der wahrhaft fortgeschrittene, dessen internationaler Interessenkreis in wün-schenswerthester Weise das nationale Bildungsbedürfnis, das echt Deutsche Bestreben zu lernen, zur Grundlage hat. Das Urtheil durch die Erfahrung zu erweitern, das ist Deutsch und großstädtisch zugleich. An solchen Abenden legt Berlin das Zeugniß der Reife nach bei 673 Das erstaunlich große Interesse der Berliner an dem Theaterereignis und der daraus resultierende massenhafte Zulauf basierten schenkt man dem Rezensenten Glauben nicht (nur) auf dem Kunstinteresse der Zuschauer oder auf der sensationshungrigen Neugier am internationalen Star: Viel-mehr wird die überwiegend positive Reaktion des Berliner Publikums auf 672 Berliner Börsen--Zeitung vom 24.11.1892. 673 Berliner Börsen--Zeitung vom 24.11.1892. <?page no="237"?> 237 das Gastspiel der Duse zum einen ausgelegt als ein Zeichen für die Weltof-- -lich erlangt hätte. Zum anderen, so führt der Kritiker an, kommen im gro-man sich stolz zeigte, etwa des bürgerlichen Bildungstheaters umgesetzt. Dies führt allerdings erneut zu der bereits erwähnten paradoxen Situa-tion: Denn demselben Publikum, das an dieser Stelle als interessiert, gera-dezu lernbegierig dargestellt wird, unterstellte man sonst so häufig der Wunsch nach Zerstreuung statt nach Bildung. Das Bild von den Berlinern als Pars pro Toto der deutschen Zuschauerschaft erfährt hier im Zug der begeisterten Verhandlung des ersten Duse--Gastspiels eine Aufwertung zumindest falls man davon ausgeht, dass das Verhalten, wie es in der häu-fig geäußerten Kritik am Hauptstadtpublikum beschrieben wurde der Realität entsprach. Wie kaum ein anderes offenbart das oben angeführte Zitat die ambiva-lente Situation Berlins um 1900: Der hier verwendete, Toleranz, Offenheit d geltenden Künstlerin Eleonora Duse zum Ausdruck kam, stehen sich nicht nur gegenüber und schließen sich auch nicht gegenseitig aus. Vielmehr wird das Lessing--Theater zu einem Ort der Synthese der beiden Strömun-gen erklärt und die Berliner Zuschauer, die den Duse--Abenden beiwohnen, zu Akteuren, die diese Verbindung aus nationalem wie auch transnationa-lem Interesse heraus vorantreiben. Berlin, deutsche Hauptstadt und kos-mopolitische Metropole zugleich, zeigt damit, dass es sich nicht nur auf nationaler Ebene als mächtig und tonangebend präsentiert, sondern dass es auch einen Blick über die Staatsgrenzen hinweg wirft und mit aller dafür notwendigen Offenheit in den transnationalen Dialog eintritt. Die Äußerung des Kritikers macht gleichzeitig die Wirkmacht der In-stitution internationales Gastspiel deutlich: Schließlich kam es in diesem Kontext zu einer Bewusstmachung der ambivalenten Situation. Theater wird hier einmal mehr in seiner (idealen) Funktion als Ort der Vermittlung von Inhalten zum Zweck des Lernens und der Wissenserweiterung, aber der Nachdruck zumindest in der Theorie auf seiner Katalysatorfunktion sowohl für nationalisierende als auch für transnationalisierende Strö-mungen, die im Theaterereignis, hier im Gastspiel der berühmten Italiene-rin Eleonora Duse, kulminiert. Das Berliner Publikum erwies sich dabei, wie es die Hauptstadtpresse kolportierte, aufgrund seiner guten Voraus-setzungen als ideal für diesen Prozess. Dies wird besonders deutlich am <?page no="238"?> 238 Urtheil durch die Erfahrung zu erweitern, das ist Deutsch und großstäd-tisch zugleich. An solchen Abenden legt Berlin das Zeugniß der Reife nach eine Äußerung, in der sowohl Stolz auf die eigene Entwicklung als auch Pathos anklingen. Eine Ausnahme unter den Kritikern, die das Hauptstadtpublikum und damit auch sich selbst mit oben beschriebenem Lob versahen, ist Josef Grünstein (1841--? ), ein Rezensent der Berliner Börsen--Zeitung, der über den auch deswegen am Gastspiel der Duse teilnahmen, um dabei gewesen zu den das Duse--Gastspiel neben dem Kunstcharakter auch hatte: Mag man auch sagen, es war nicht ausschließlich künstlerisches Interesse, das unser Publicum veranlaßte, sich in Schaaren bei Eleonora Duse einzu-finden nur das Künstlerische, wirklich Bedeutende, erweckt aber jene Neugierde, die des Theaterdirectors beste Kassirerin ist. Aus Neugierde, n Viele ins Theater an Abenden, wo Ereignisse stattfinden, das ist sicher. 674 Mit dieser ehrlichen Aussage steht der Kritiker allerdings allein dar zu-mindest was das erste Gastspiel der Duse im Jahre 1892 angeht. Man wollte sich offenbar nicht die Blöße geben, die eigene Sensationslust offen zuzu-geben;; vielmehr stellte man lieber die positiven Qualitäten heraus, die das Berliner Publikum vorgeblich auszeichneten und mit denen man sich nach außen hin schmücken konnte. Dass das Gastspiel der Duse in Berlin wirklich solch hohe Wellen schlug, wie es in all den Quellen anklingt, lässt sich anhand eines Ausschnitts aus einem Artikel, der in der Berliner Börsen--Zeitung erschien, aufzeigen. In diesem setzt der Kritiker sich auf humoristische Weise mit dem Publikum auseinander, das den Gastspielen Eleonora Duses beiwohnte, sowie mit den Legenden und Gerüchten, die sich um den Besuch der italienischen Virtuosin rankten. Es heißt dort: Von Wien und Budapest waren die brausenden Hymnen herübergeklun-gen, ein Echo we tauchten in den gesellschaftlichen Kreisen die atembeklemmenden Legen-den auf: der Mäcen X, der es sich leisten kann, habe gleich für alle Vorstel-lungen die besten 200 Plätze auf einmal gekauft, und die nicht minder be-kannte Frau Y, der leuchtende Stern aller Premièren, sei in Folge eines 674 Berliner Börsen--Zeitung vom 22.11.1892. <?page no="239"?> 239 Trauerfalles, der sie in das gewöhnliche Parquet verwies, an einem schwe-ren Nervenleiden erkrankt. 675 Hier wird klar, welche Relevanz der Besuch Eleonora Duses für die Haupt-städter hatte und diese basiert nicht allein auf den Wunsch des Publi-kums nach Bildung: Die hier parodistisch beschriebenen Ängste und Nöte des Berliner Publikums, das so gerne den Duse--Abenden beiwohnen wollte, offenbart eine enorme Sensationsgier und ein noch größeres Be-dürfnis, ein Teil des Ereignisses zu sein. sich nicht nur auf die Ebene der Hochkultur beschränkte, sondern seinen Eingang auch in die Berliner Populärkultur fand: So setzte sich selbst das Varieté mit dem Event humoristisch auseinander und stellte es als aktuel-les Geschehen für die Reichshauptstadt dar. Der Besuch der Duse kann also als ein übergreifendes, in Berlin allgegenwärtiges Ereignis gewertet werden wenn es auch längst nicht für jeden direkt zugänglich war, wie im folgenden Kapitel gezeigt wird, das sich mit der Zusammensetzung der Zuschauer während der Duse--Abende auseinandersetzt. 7.3.2 Das Duse--Publikum Die Berliner Elite Trotz der hinter nahezu allen Kritiken stehenden Bestrebung, nicht nur die Duse und das Geschehen auf der Bühne, sondern auch das Berliner Gast-spielpublikum beim ersten Besuch der Virtuosin darzustellen, geben die Beschreibungen im Diskurs kein einheitliches Bild ab. So werden die The-aterbesucher als sehr kritisch, als künstlerisch besonders interessiert, als gebildet und weltgewandt, aber auch als sensationshungrig und als leicht befremdet durch die Spielweise der italienischen Bühnenkünstlerin darge-stellt. Diese Attribute erwecken beim Leser die Vorstellung von einer viel-schichtigen Zuschauerschaft, die der neuen Situation, der Konfrontation scheint. Dieser Eindruck findet auch in den Beschreibungen der Zusammensetzung des Publikums Bestätigung, wie sie in einigen Kritiken zum ersten Deutschland--Gastspiel der Duse ausgemacht werden kann. So heißt es beispielsweise in der Berliner Börsen--Zeitung vom 23.11.1892: Trotz der verdoppelten Preise war das Haus ausverkauft bis auf ein paar Logenplätze, von denen aus man überhaupt nichts sehen kann. Hier ge-wahrt man die Häupter der hohen Finanz-- und der Großindustrie, dort be-rühmte Gelehrte und Künstler, in einer Loge sogar einen General an die-- 675 Berliner Börsen--Zeitung vom 23.11.1892. Bei dem hier genannten Eduard Jacobsohn (1833--1897) handelt es sich um einen deutschen Theaterdichter, der vor allem auf Schwänke und (Gesangs--) Possen spezialisiert und heute beinahe unbekannt einer der erfolgreichsten Autoren seiner Zeit war. Eines seiner populärsten Werke ist die Posse in fünf Bildern Der Mann im Monde. <?page no="240"?> 240 ser Stätte eine sehr seltene Erscheinung. Aus dem vorderen Parquet ragt Friedrich Haases aristokratische Gestalt auf, die vom ersten Rang aus Mar-cella Sembrich eifrig durch das Lorgnon studirte;; vergnügt nickt Gustav Kadelburg seiner Specialkollegin Frauendorfer zu oder gilt sein Gruß dem größeren Fräulein Poppe? Doch wollten wir sie alle nennen, die Koryphäen der Berliner Bühnen, wir müßten ein gut Stück des braven Entsch abschrei-ben. 676 Die hier zu Beginn des Textausschnitts genannte Preisverdopplung für die Theaterkarten beschäftigte nicht nur diesen Kritiker, sondern auch einen großen Teil seiner Kollegen;; so wird in der Berliner Tagespresse diese Tat-sache in nahezu jeder Besprechung des ersten Gastspielabends der Duse im Jahre 1892 thematisiert. 677 Die beträchtliche Erhöhung der Ticketpreise hatte eine nicht unerhebliche Folge. Sie führte zu einer finanziellen Elitebil-dung im Publikum, das den Duse--Abenden, zumindest den ersten Auf-tritten des knapp vierwöchigen Gastspiels, beiwohnte. 678 Schließlich waren nicht leisten konnten, da sie eine unverhältnismäßig hohe, für viele uner-schwingliche Investition bedeutet hätten. Diese für die Berliner Zuschauer ungewohnte und wie man aus dem Grad der Empörung der Kritiker schließen kann unliebsame Situation brachte ein interessantes Phänomen zutage, das in der oben zitierten Text-passage deutlich wird: Auf der einen Seite stieß die Preiserhöhung bei den meisten Rezensenten auf Ablehnung, die offen und häufig mit Sarkasmus 676 Berliner Börsen--Zeitung vom 23.11.1892. Bei den hier erwähnten Namen handelte es sich um folgende Personen: Marcelina Sembrich--Koch --1935) war eine polnische Sängerin, die auch unter dem Namen Marcella Sembrich bekannt war. Gustav Kadelburg (1851--1925) war ein Bühnenschriftsteller und Schauspieler, der u.a. von 1884 bis 1894 am Deutschen Theater in Berlin engagiert war. Gemeinsam mit Os-car Blumenthal, dem Leiter des Lessing--Theaters, bildete er eines der erfolgreichsten Autorenduos der Zeit. Marie Frauendorfer (1868--1941) gehörte zu den bekannteren Schauspielerinnen ihrer Zeit und war u.a. in Breslau, Königsberg am Berliner Residenztheater und am Deut-schen Theater in Berlin engagiert. Theodor Entsch (1853--1913) war ein bekannter und erfolgreicher Berliner Theater-agent und Bühnenverleger, dem die Agentur Entsch gehört, die er von seinem Vater Albert Entsch geerbt hatte. 677 Stellvertretend für die vielen Verweise auf die Ticketpreiserhöhung soll hier Maximi-lian Hardens offensichtlich zynische Bemerkung dienen: Harden 1892, 469. 678 Nur in den Besprechungen der ersten Gastspielabende kommt es zu Beschreibungen des Publikums. In den folgenden Wochen wird in den Kritiken weitgehend darauf verzichtet. <?page no="241"?> 241 versetzt geäußert wurde. 679 Man vermutete hinter der Verteuerung den Versuch sowohl des in den Kritiken immer wieder als äußerst findig be-schriebenen Impresarios der Du 680 als auch des für sein ökonomisches Geschick bekannten Leiters des Les-sing--Theaters, des bereits in anderen Kontexten erwähnten Oscar Blumen-thal, so viel Gewinn aus dem Bühnenereignis zu schlagen wie möglich. 681 Nach den Gastspielen vor allem in Wien und in Sankt Petersburg galt die Duse auch für die Berliner Bühne als eine Erfolgsgarantin. Es wäre also erstaunlich gewesen, wenn sie das Haus nicht hätte füllen können. Da es sich sowohl bei der Truppe der Duse als auch beim Lessing--Theater um nicht--subventionierte und damit zwangsweise wirtschaftlich orientierte Unternehmen handelte, für die ein finanzieller Erfolg wichtig war, musste die Gelegenheit, hohe Einnahmen erzielen, von beiden Seiten genutzt wer-den. Auf der anderen Seite konnte man der Preiserhöhung für die Eintritts-karten auch etwas Positives abgewinnen: Daraus resultierte nämlich, wie man von den im Zitat beschriebenen Personen und Personengruppen ab-- Elitepublikum han-delte, das der Gastspielpremiere beiwohnte: Die finanziell sehr gut ge-stellten, kulturell interessierten, gebildeten und eher großbürgerlichen Zuschauer ver Crème de er Kunst-beziehungsweise Theaterszene. Es handelte sich bei so manchem Anwesenden jedoch nicht um einen regelmäßigen Theaterbesucher, wie es am Beispiel des nicht näher ausgewiesenen Gene-rals deutlich wird, und so kann das in der Kritik dargestellte Publikum si-cher nicht als typisch für einen gewöhnlichen Theaterabend im Berliner Lessing--Theater angesehen werden. Aber um sich nach innen wie auch nach außen als kultiviertes, künstlerisch versiertes, weltoffenes und metro-politanes Kennerpublikum zu präsentieren, dazu eignete sich diese Zu-sammenstellung aus (Bühnen--) Künstlern, Militärs, Ökonomen und Aka-- 679 lger rennen und die hohen Preise bezahlen, wenn hier nicht ein Phänomen der bewunde-- 680 José Schurmann war auch der Impresario Sarah Bernhardts, der ihre internationale Karriere auf faszinierende Weise plante und organisierte. Signorelli nennt Schur-- -relli 1962, 41), was sowohl auf seinen Theateragenten und Impresarios ist auch über José Schurmann nur sehr wenig be-kannt. 681 An dieser Stelle sei auf die in der Fußnote 294 der vorliegenden Arbeit zitierte Text-passage von Butz verwiesen, der seine deutschen Leser davor warnte, sich durch fal-sche Versprechungen der italienischen Impresarios locken zu lassen, die mehr Auf-sehen um das ein oder andere Gastspiel machten, als dieses eigentlich verdiente. Ein Misstrauen mit einem ähnlichen Hintergrund lässt sich hinter der Ablehnung der er-höhten Preise für die Eintrittskarten für das Lessing--Theater vermuten. <?page no="242"?> 242 demikern hervorragend. Dementsprechend handelte es sich beim Publikum der ersten Duse--Abende zwar nicht um eine repräsentatives, dafür aber um ein in hohem Maße präsentables. Dieses gab ein Bild ab, das zwar nicht dem Alltagsgeschäft des Lessing--Theaters (oder einer anderen Berliner Bühne, vielleicht mit Ausnahme des Königlichen Opernhauses) entsprach, über das die Berliner Kritiker mit ihrem typischen (und einmal mehr übertriebenen) Stolz aber gerne Bericht erstatteten. Wie wichtig dieses die Realität zwar verzerrende, den Regional-- und Nationalstolz jedoch fördernde Bild war, wird noch deutlicher, wenn man liest, wie der Rezensent seine Beschreibung Frau Duse, welche durchs Guckloch des Vorhanges sah, hatte wohl Recht, befriedigt zu sagen: 682 Ob Eleonora Duse diese die deutsche Eigenkultur bestätigenden Worte wirklich sprach oder ob, was wahrscheinlicher ist, diese Aussage der Schauspielerin fiktiv und so-mit eine Erfindung des stolzen Kritikers war, erscheint nebensächlich. Die Äußerung macht jedenfalls noch deutlicher, wie wichtig es dem Kritiker war, das metropolitane Berliner Hauptstadtpublikum für die Leserschaft der Berliner Börsen--Zeitung in ein gutes Licht zu rücken und damit ein affir-matives Gefühl zu erschaffen. Die Duse in ihrer Rolle als internationaler Virtuosin wirkt hier als Bürgin zum einen für die hohe Qualität, zum ande-ren für die transnationale Geltung des Berliner Publikums. Auch der folgende Ausschnitt aus einer Kritik, die zum Ende des ersten Gastspielbesuchs Eleonora Duses in der deutschen Hauptstadt im Dezem-ber 1892 ebenfalls in der Berliner Börsen--Zeitung erschien, nimmt das Publi-kum in den Blick. Dort heißt es: Das Theater war natürlich total ausverkauft und zwar von einem überaus distinguirten Publicum, welches keine Gelegenheit vorübergehen ließ, Sgra. Duse und Sgr. Andó auszu umenthal der Künstlerin auf offener Scene einen prachtvollen Kranz mit weißer At-nicht werden, als sie in Berlin wurde. 683 Gerade der letzte Satz des Zitats macht deutlich, in welch hohem Maße man davon überzeugt war beziehungsweise wie sehr man sich selbst durch solche Äußerungen immer wieder versichern wollte, auf dem (inter--) nationalen Parkett eine wichtige Rolle zu spielen. Was mit der Beschrei-geschieht, ist das Einräumen einer Sonderstellung für die Berliner Zuschauer nicht nur hinsichtlich ihrer Begeisterungsfähigkeit, die auch Ausdruck von Naivität sein kann, son-dern insbesondere hinsichtlich ihrer Kunstkennerschaft. Diesen Sachver-- 682 Berliner Börsen--Zeitung vom 24.11.1892. 683 Berliner Börsen--Zeitung vom 24.12.1892. <?page no="243"?> 243 stand sieht der Kritiker offensichtlich auch im internationalen Vergleich als herausragend an. Dadurch wird einmal mehr jene an Hybris grenzende und kulturelle Dominanz suggerierende deutsche respektive Berliner Selbstsicherheit offenbart, die so häufig und retrospektiv betrachtet oft unbegründet vor allem in Artikeln der Hautstadtpresse zum Ausdruck kommt. Es wird weiterhin deutlich, dass sich ein großer Teil des Publi-kums nicht allein von künstlerischem Interesse dazu anleiten ließ, diesem besonderen Theaterereignis beizuwohnen. Die meisten wollten vor allem profitieren. Zwar stellten sich die Berliner Zuschauer des ersten Gastspiels der Eleo-nora Duse im Jahre 1892 im Spiegel der Berliner Presse als vielschichtig dar, dennoch hob man bei all der Unterschiedlichkeit stets zwei Eigen-schaften hervor: die Kunstkennerschaft und die kosmopolitische Weltge-wandtheit der metropolitanen Hauptstadtpublikums. Damit entstand das Bild einer großstädtischen (Bildungs--) Elite, die sich ihrer herausragenden Stellung bewusst war eine Ansicht, die sich besonders gut dazu eignete, nach außen transportiert zu werden, auch um damit im In-- und Ausland Eindruck zu machen. 7.4 Der Verlust der Exklusivität Eleonora Duses zweites Gastspiel in Berlin Beim zweiten Gastspiel Eleonora Duses in Berlin, das vom 2. bis zum 22. Dezember 1893 und damit fast genau ein Jahr, nachdem die italienische --Pre 684 zeigt sich eine interessante Entwicklung in Hinblick auf den Status der Zuschauer. Ein Kritiker des Kleinen Journals schildert im Zuge der Besprechung des zweiten Berliner Auftritts der Duse ein Publikum, das in seiner Zusam-mensetzung anders anmutet als das, welches ein Jahr zuvor die Sitze des Lessing--Theaters gefüllt hatte. In dem Artikel ist Folgendes zu lesen: as ten, welche durch das Tam--Tam der Reklame herbeige-- -che für die Künstlerin schwärmen und sie auch verstehen. 685 684 Eine Auflistung der Daten zum ersten Gastspiel, der gespielten Stücke, ihrer jeweili-gen Autoren sowie der Rollen, in denen Eleonora Duse zu sehen war, befindet sich im Anhang 2. 685 Das Kleine Journal vom 3.12.1893. <?page no="244"?> 244 Schenkt man dem Rezensenten Glauben, so sah sich Eleonora Duse auch bei ihrem zweiten Besuch in Berlin mit einem äußerst gemischten Publi-kum konfrontiert;; dieses schien allerdings weniger präsentable Züge auf-zuweisen als dasjenige, das im Kontext des ersten Gastspiels der italieni-schen Virtuosin in der bereits zitierten Kritik beschrieben worden war. Die hier dargestellte Zuschauerschaft wies eine unverhältnismäßige Zweitei-lung auf. Die erste große Gruppe bildeten diejenigen, die man als sensationslüs-künstlerischen Interesses stand hier die zum Prinzip erhobene Teilhabe an einem als sensationell geltenden Ereignis im Vordergrund. -kum gestellt hatte. Sie kamen nicht aus der akademischen Welt oder aus Künstlerkreisen;; mit ihnen schmückte man sich nicht gerne nach außen hin. Die hier geschilderte Zusammensetzung des Publikums entlockt dem Leser viel mehr die Assoziation mit einer bestimmten gesellschaftlichen Schicht von Berlinern, die nicht den besten Ruf genossen: Hauptstadtbe-wohner, die im zeitgenössi -net wurden, soziale Emporkömmlinge und Aufsteiger, die, ursprünglich aus einfachen Verhältnissen und nicht unbedingt aus Berlin stammend, insbesondere im Zuge des wirtschaftlichen Aufschwungs der Gründerjahre einerseits zu viel Geld, andererseits in die neue deutsche Reichshauptstadt gekommen waren. 686 Siegfried Jacobsohn beschreibt diese als Menschen, die durch den ungeheuren Glückwechsel der Gründungsepoche aus niede-ren Lebenslagen an die Oberfläche gehoben worden und die, so tüchtig sie im übrigen sein mochten, doch ohne die nötige Erziehung waren, um ein wahrhaft künstlerisches Verlangen hegen zu können. 687 -schaft durch ostentative Assimilation bestimmter sozial vorgegebener Verhaltensweisen zu etablieren. Dazu orientierten sie sich an den beste-- 686 Zum Thema der Metropolisierung der Reichshauptstadt und der Parvenüs in Berlin, ufig auch Antisemitismus mitschwingt, siehe auch Bauer 2007, 13--72;; Marx 2007a;; Marx 2007c. An dieser Stelle soll auch auf den so häufig zitierten Aphorismus von Walther Rathe-nau (1867--1922) verwiesen werden, der die noch junge Metropole Berlin selbst als deutschen Hauptstadt verweist. Rathenau beschreibt Berlin als -- 687 Jacobsohn 1904, 6. <?page no="245"?> 245 henden Traditionen, Sitten, Werten, Verhaltensweisen und Normen, die in der bürgerlichen Lebenswelt des ausgehenden 19. Jahrhunderts fest veran-kert waren und diese definierte. Die Parvenüs strebten nach einer Über-nahme dieser Lebensweise auf ganz unterschiedlichen Ebenen ein Ver-such, der aufgrund seiner oft übertriebenen und damit geradezu grotesk-karikaturesken Züge nicht selten fehlschlug. Das Berliner Bürgertum deu-tete nicht ohne Dünkel die Bemühungen der Emporkömmlinge häufig als Affront gegen sich und die bestehenden Traditionen und damit gleich-zeitig als Angriff auf die eigenen Verhaltensweisen und die eigene nor-mierte Lebenswelt in der eben auch das Theater seinen festen Platz hatte. Frank Möller schreibt hinsichtlich der Rolle der Theater: Sie regten die Selbstreflexion der betrachtenden Bürger an, vermittelten Verständnis für bürgerliches Rollenverhalten und dienten mit dem passiven und aktiven Erleben von Emotionen einer modellhaften Erprobung der neuentstehenden bürgerlichen Innenwelt. Letztlich war bürgerliche Thea-terkultur damit eines der wichtigsten Mittel zur Durchführung bürgerlicher Normen. 688 Betrachtet man den obigen Textausschnitt aus dem Kleinen Journal unter inem anderen Licht. Denn offenbar ist nicht der künstleri-sche Wert des Bühnenereignisses gemeint, der von einem kulturell ver-sierten Publikum auf seine Qualität hin überprüft werden soll. Es scheint vielmehr, als wollten jene Zuschauer den Marktwert der Eintrittskarten abwägen, das heißt, als würden sie gewissermaßen das Preis--Leistungs-- Verhältnis beim Gastspiel der Duse testen, um am Ende mit einem kultu-rellen Mehrwert nach Hause zu gehen, weil sie auf ihre Kosten gekommen sind. 689 Ein solches Verhalten verstärkte natürlich auch die Kommodifizie-rung der Künstlerin und trieb diese voran. Vor diesem Hintergrund war es daher nicht verwunderlich, dass die Parvenüs im Theaterdiskurs immer wieder auf Abwehr und Kritik stießen. Allerdings darf nicht vergessen werden, dass es sich dabei um eine Stereotypisierung eines Teils der Ei-gengruppe handelte: Fehlende Bildung, Sensationslust, Gier nach Zer-streuung, Verschwendungssucht all diese Eigenschaften wurden auf die Emporkömmlinge projiziert. Durch die wiederholt geäußerte Verurteilung 688 Möller 1996, 24. 689 Nimmt man noch einmal die in der Einleitung angesprochene Theorie Bourdieus in den Blick, so bedeutete das Theater für die Parvenüs nur sehr bedingt eine Bereiche-den sie in ihrer Rolle weder als Bürger n allein der finanzielle Aspekt in den Blick genommen wurde. Da es sich aber um eine diese Schicht Berliner diffamierende Darstellung handelt, sollte dieser Gesichtspunkt nicht überbewertet werden. Zu Bourdieu siehe Fußnote 55 der vorliegenden Arbeit. <?page no="246"?> 246 des Verhaltens der Parvenüs, die einer Diffamierung gleichkam, schuf man sich so ein Bild von einer gesellschaftlichen Untergruppe, der damit gleich-zeitig eine Sündenbockfunktion hinsichtlich der als Fehlentwicklung emp-fundenen Theatersituation seit 1869 respektive 1871 zugeschrieben wurde. Vor diesem Hintergrund stellen Rezensionen, wie die oben zitierte, thea-terhistorisch überaus interessante Quellen dar, sollten aber kritisch gelesen werden. Ein Rezensent des Berliner Lokal--Anzeigers entwirft ein ganz ähnliches Bild vom Publikum während des zweiten Gastspiels der Duse in Berlin, das die oben geschilderte Situation fast perfekt widerspiegelt. Er schreibt: schwärmt, ist mir nicht zu Theil geworden. Ich wage sogar kühn zu be-haupten, daß unter denen, die schallend in den Beifall einstimmten, sich -ich nicht viel, sehen noch weniger, so will ich wenigstens mit der Begeiste-rung auf meine 690 Bei der weiteren Betrachtung der ersten Gruppe aus dem Publikum er-staunt es nicht, dass beide hier zitierten Kritiker gerade vor dem Hinter-grund der im zeitgenössischen Diskurs immer wieder erfolgten Auseinan-dersetzung mit den Parvenüs in der Berliner bürgerlichen Gesellschaft um 1900 diesen Teil der Zuschauer besonders herausstellen. Die Beschrei-bung als reich aber ungebildet, als sensationslüstern aber nur wenig kulti-viert, die in beiden Kritiken mehr oder weniger deutlich anklingt, ent-spricht genau dem zeitgenössischen Ste Berliner. Diese wird unter anderem auch von Maximilian Harden beschrie-ben: 691 In unseren Schauspielhäusern aber fehlt gerade der beste Theil unseres Volkes, Gelehrte, Beamte, geistige Arbeiter jeglicher Art haben längst auf den Besuch der Theater verzichtet, den sie ebenso wie die schöngeistige Li-teratur [als] einen ernsthafter Männer unwürdigen Zeitvertreib betrachten. Woraus setzt sich denn unser viel genanntes, oft gerühmtes und öfter geta-- -seren Theatern die Plutokratie, jene gefürchteten Premièrentiger, in deren 690 Berliner Lokal--Anzeiger vom 23.11.1892. 691 ieb [der der neubürgerlichen Zu-- 6-- -zuregen als der Geist jener disparaten Elemente, aus denen sich ein modernes Thea-- <?page no="247"?> 247 Händen oft das Schicksal eines ernsten Kunstwerkes liegt, sind fast aus-nahmslos in den Koulissen der Börse mehr noch und besser bewandert, als in denen der Bühne. In diesen engen Kreisen wohnt einzig noch Interesse für das Theater, aber dieses Interesse klebt immer und ewig an Personalien fest und keine befruchtende Anregung ist aus diesen Regionen zu erwar-ten. 692 Geld statt Bildung, Plutokratie statt Bildungsbürgertum, Geschäft statt Kultur an Hardens Äußerung wird deutlich, dass die im zeitgenössischen Theaterdiskurs so oft erwähnten Dichotomien auch hinsichtlich der Berli-ner Parvenüs, die oft als Grund allen Theaterübels angesehen wurden, wie ein Mantra beschworen werden. -steht, folgt man dem Rezensenten des Kleinen Journals, die kleine Gruppe der wahrhaft kulturell Interessierten gegenüber, die nicht allein wegen des --Theater gekommen ist, sondern die meist (noch einmal) die herausragende Schauspielkunst der Italienerin genießen möchte. So gering ihr Anteil ist, so beiläufig erwähnt sie auch der Kritiker. Nicht einmal die Zusammensetzung dieser Minderheit wird prä-- Die Einschätzung des Publikums während des zweiten Gastspiels der Duse in der deutschen Metropole ist deswegen so interessant, weil sie nicht nur ein anderes Bild von den die Zuschauer betreffenden Verhältnissen zeichnet als die Kritiken ein Jahr zuvor und damit nicht allein einen auf-schlussreichen Wandel innerhalb der Zuschauerstruktur deutlich macht. Vielmehr spiegelt diese Entwicklung ein neues Phänomen auf einer weite-ren Ebene wider, nämlich die bereits angedeutete fortschreitende Kommo-difizierung der Duse auf der einen und den damit einhergehenden Status-verlust nach dem ersten Gastspiel auf der anderen Seite. Konnte man vor allem den ersten Auftritten der Duse in Berlin im Jahre 1892 den Charakter eines Luxusguts 693 zuschreiben, verloren die Aufführungen diesen in den folgenden Jahren mehr und mehr;; und es veränderte sich mit dem Schwund an Exklusivität eng verknüpft auch ihre gesellschaftliche Bedeutung. Hinsichtlich der sozialen Strukturen des Publikums hatte es schon beim ersten Besuch Einschränkungen gegeben: Die oben beschriebenen Zu-- 692 Harden 2009, 148--149. 693 Das bedeutet, dass Luxusgüter ihren Status in dem Moment verlieren, in dem sie einer größeren Menge zugänglich gemacht oder durch (massenhafte) Nachahmung und günstige Reproduktion für viele Konsumen-ten erreichbar werden. <?page no="248"?> 248 schauer wirken fast wie ausgesucht, so, als hätte man akribisch darauf wem nicht. 694 Auch während des zweiten Gastspiels der Duse waren die Karten teu-rer als gewöhnlich. Ein Kritiker der Theaterzeitschrift Bühne und Leben spricht 695 , die weiterhin eine gewisse Exklusivität bedingten. Trotzdem blieb das Interesse an den Gastspielen der Duse beim Publikum ungebrochen, was sich aus den zeitgenössischen Quellen schließen lässt. Diese besagen nämlich, dass die Abende auch während ihres zweiten Gastspiels fast immer ausverkauft waren. Im Wesentlichen schienen die Auftritte der Duse 1893 aus ökono-mischer Sicht also eine erfolgreiche Fortsetzung der vorjährigen zu sein. Dennoch lassen sich Veränderungen feststellen: Die Rezeption in den Berli-ner Zeitungen war nicht mehr annähernd so umfangreich und auch nicht mehr ganz so begeistert wie noch ein Jahr zuvor. Und es gab den oben beschriebenen Wandel in der Publikumsstruktur. Dies wiederum führte zu einem Statuswechsel, der im Folgenden näher untersucht wird. Dass das Gastspiel im zweiten Jahr den Anspruch auf Besonderheit und auf eine großen Teil seiner Exklusivität eingebüßt hatte, lag auch daran, dass Eleonora Duse für ihren zum ersten Auftritt doch recht zeitnahen zweiten Besuch in der Reichshauptstadt mit einem nahezu deckungsglei-chen Repertoire angereist war und während des mehrwöchigen Gastspiels mit nur wenigen neuen Rollen aufwartete. Julius Hart zeigt diesen Mangel in seiner Kritik zum zweiten Gastspiel der Duse in Berlin nicht ohne Miss-billigung auf, wenn er schreibt: Getreu den Gewohnheiten des reisenden Virtuosenthums hat Eleonore Duse in diesem Jahr noch einmal an den Berlinern den Reigen derselben Gestalten vorübergeführt, die sie uns schon vor einigen Monaten kennen 696 Noch deutlichere Worte findet Maximilian Harden: Nun ist Frau Duse nach Berlin zurückgekehrt;; sie hat wieder die selben Virtuosenrollen in den selben französischen Stücken gespielt, die sie seit Jahren schon von Petersburg bis nach Montevideo zerrt;; und nun ist auf den großen Taumelrausch vom vorigen Jahr eine öde Katzenjämmerlichkeit gefolgt. 697 694 Beispiele dafür sind sowohl die beschriebenen Akademiker als auch die Schauspieler. Diese Gruppen, die sich die Karten sicherlich nur bedingt leisten konnten, waren aber umso präsentabler, schließlich dienten sie hinsichtlich ihrer Beurteilungsnormen als besonders glaubwürdig. 695 Anonymus 1893, 156. 696 Tägliche Rundschau vom 15.12.1893. 697 Harden 1893b, 576. <?page no="249"?> 249 Harden macht seiner Enttäuschung über die Redundanz in der Stücke-- Auswahl der italienischen Gastspielerin energisch Luft. Man kann zwar nicht davon ausgehen, dass jeder eine derart radikale Meinung vertrat und auch nicht jeder hätte dem Urteil Hardens zustimmen wollen, dass -ließlich wurde Eleonora Duse auch bei ihrem zweiten Besuch in Berlin vom Publikum noch frenetisch gefeiert. Was allerdings sowohl an Harts als auch an Hardens Kritik sicher zutrifft, ist die Tatsache, dass die Duse und ihre während der Gastspielabende dargebotene Schau-spielkunst im Jahre 1893 in den besseren Berliner Kreisen bereits bekannte Phänomene waren, sodass man sich gesellschaftlich nicht mehr verpflichtet bereits im Jahr zuvor erfüllt und war damit Teil der modischen Avant-garde gewesen. Also musste man sich 1893 nicht noch einmal dem typisch großstädtischen Diktat unterwerfen, Anhänger der aktuellen Mode zu sein und ständig etwas Neues erleben zu wollen. Aufgrund des Wiederholungscharakters des Dargebotenen und des damit einhergehenden Schwindens des Interesses innerhalb der gehobenen Schichten Berlins bot das zweite Gastspiel der Duse in der Reichshaupt-stadt nun einer anderen Schicht Gelegenheit zum Besuch: den bereits er-wähnten Parvenüs, die Teil des Berliner Bürgertums sein wollten. Mit dem Verlust der Exklusivität und dem Gewinn einer neuen, nicht mehr annä-hernd so elitären Zuschauerklientel, wie sie im Jahr zuvor angetreten war, machte das Gastspiel einen ersten Schritt in Richtung der, wie der Histori-- 698 : Im Zuge ihrer --innovati-vem Charakter als auch an sozialer Bedeutsamkeit. Julius Hart zeigt den typischen Verlauf dieser Warenentwicklung, den Abstieg vom Luxus-zum Alltagsgut, auf, wenn er diesen Prozess am Beispiel der Gastspieltätigkeit Eleonora Duses wie folgt beschreibt: [Eleonora Duse] wird vielleicht noch einige Male wiederkommen und im-mer von Neu Großstadt, der nur ein einziges ästhetisches Gesetz kennt: Sei neu neu 698 other thing is its socially releva Dass die direkte Nachahmung laut Georg Simmel und Werner Sombart zu einem Verlust des Modecharakters eines Produkts führe, soll hier nur erwähnt, aber nicht weiter ausgeführt werden. So heißt es beispielsweise bei Sombar bekannte Eigenart der Mode ist, dass sie in dem Augenblick ihren Werth einbüsst, in dem sie in minderwerthiger Ausführung nachgeahmt wird, so zwingt diese unausge-setzte Verallgemeinerung einer Neuheit diejenigen Schichten der Bevölkerung, die etwas auf sich halten, unausgesetzt auf Abänderungen ihrer Bedarfsartikel zu sin-- <?page no="250"?> 250 Die Mode hat auch sie bei Seite geschoben, die Mode und die Großstadt, denen kein Begriff fremder ist, als der der Pietät. 699 Rollenauswahl Schnelllebigkeit und Vergänglichkeit entgegenstellen, wer-den von Hart als rücksichtlose Ungeheuer gezeichnet, als die zwei maß-geblichen Ursachen für die als negativ empfundene Entwicklung. 700 Mit dieser Äußerung referiert Hart bewusst oder unbewusst auf eine zeitgenössische Strömung der sozialpsychologischen und soziologischen Forschung. Sie setzte sich mit den Phänomenen der Mode und ihres Wan-dels, der Großstadt als wesentlichem Ort des Konsums und, als Kombinat rem schreibt der bereits erwähnte Soziologe und Ökonom Werner Sombart in seinem Werk Wirthschaft und Mode grossstädtischen Bedarf vor allem zu charakterisiren scheint im Gegensatz zu dem ländlich--kleinstädtischen, ist seine viel grössere Unstetigkeit und 701 Der hier geschilderte Wunsch der Großstädter nach stetiger Innovation wurde auf die sich ständig verändernden Lebens-umstände der großstädtischen Gesellschaft der Moderne um 1900 zurück-geführt, die sich vor allem durch ein gesteigertes Tempo sowie durch eine vergrößerte (soziale) Mobilität auf allen Ebenen des modernen Lebens auszeichnete. Durch das wachsende Bedürfnis ihrer Bewohner nach stetem Wandel eroberte sich die Großstadt auch eine Vormachtstellung gegenüber der arfsgestaltung ein Phä-- 702 bezeichnet. Demzufolge wandelten sich Großstädte zu Orientierungspunkten, sodass socialen Lebens, d -tung, wie jeder andere Güterbedarf in ihrer Eigenart für das ganze Land 703 wurden ein Mechanismus, der, wie bereits beschrieben, auch auf die Bühnen Berlins und ihre Einflussnahme auf die sogenan -- Alexander Elster (1877--1942) schreibt zum Phänomen der Kommodifi-zierung und zur Schnelllebigkeit der Mode in seinem im Jahre 1913 er-- 699 Tägliche Rundschau vom 15.12.1893. 700 Dass die Stadt Berlin um 1900 immer wieder als Ungeheuer oder als Moloch darge-stellt wurde, zeigt beispielsweise Châtellier 2001, 567--583. 701 Sombart 1902, 7. 702 Sombart 1902, 6. 703 Sombart 1902, 6. <?page no="251"?> 251 Dieses Tempo ist in der Gegenwart mit ihrer großen Entwicklung des Ver-kehrswesens und der Nachrichtenübermittlung ganz naturgemäß ins Un-geheure gewachsen, und das entspricht sowohl der Raschheit der Verbrei-tung einer neuen Mode wie dem raschen Ableben derselben Mode. 704 Auch der Soziologe Georg Simmel (1858--1918) greift in seiner Forschung das Thema der Schnelllebigkeit im Kontext von Metropole und Moderne auf. Sowohl in seiner Schrift Philosophie der Mode, die er im Jahre 1905 ver-öffentlichte, als auch in seinem berühmt gewordenen Aufsatz Die Groß-städte und das Geistesleben von 1903 beschäftigt er sich mit der veränderten Situation. Dabei stellt er insbesondere die wachsende Nervosität der Men-schen in den Fokus seiner Untersuchung. Er spricht von einer für den Großstadtmenschen typi Steigerung des Nervenlebens, die aus dem raschen und ununterbrochenen Wechsel äußerer und innerer Eindrücke 705 . Die Veränderung der Lebensumstände führe auch zu einem permanenten Streben der metropolitanen Bevölkerung nach Neuerungen, was einen andauernden Modewandel zur Folge habe. Simmel schreibt dazu: Der Wechsel der Mode zeigt das Maß der Abstumpfbarkeit der Nervenreize an, je nervöser ein Zeitalter ist, desto rascher werden seine Moden wech-seln, weil das Bedürfnis nach Unterschiedreizen, einer der wesentlichen Träger aller Mode, mit der Erschlaffung der Nervenenergien Hand in Hand geht. 706 Das System des Gastspiels der Besuch eines allenfalls sporadisch auftre-tenden Künstlers, der für kurze Zeit ein nur sehr eingeschränktes Reper-toire präsentiert, um dann wieder weiterzureisen entspricht ganz genau diesem Prinzip von der Schnelllebigkeit der Mode. Gastiert der Bühnen-künstler nur ein einziges Mal, so bedeutet dieser Akt eine gewisse Exklusi-- 704 Elster ergänzt, dass sich das Tempo des Modenwechsels durch Verbesserungen in den Distributionsbedin Namentlich die großstädtische Entwick-lung mit ihrer Wechselhaftigkeit des Lebens, mit ihren freieren Ansichten, der Un-stetigkeit und der Abstellung auf unseren Eindruck gegenüber den sonst unbekann-- Elster 1913, 181. 705 Simmel 1903, 185. 706 Simmel 1905, 16. Ganz ähnlich beschreibt dies auch Siegfried Jacobsohn. Allerdings -nomie des werdenden -senden Verkehrs, der atemlose Interessenkampf einer entwurzelten Emporkömm-lingskaste erzeugte übermüdete, reizbare, abwechslungsbedürftige Nerven Groß-s Zum Paradigma der Nervosität um 1900 siehe Radkau 1993, 37--52;; Radkau 1994, 211-- 241;; Steiner 1964. Zum Verhältnis von Moderne, Nervosität und Theater siehe Warstat 2011, 77--90. <?page no="252"?> 252 vität, einen bestimmten Luxus. Wiederholt sich der Besuch aber innerhalb kurzer Zeit und ohne besondere Veränderungen etwa in Hinblick auf das Repertoire (wie es bei Eleonora Duses Gastspielen von 1892 und 1893 der Fall war), so reduziert sich das Interesse und das Prinzip von der schnelllebigen Mode wird aktiviert. Und so konnte die Exklusivität der Duse--Premiere im Jahre 1892 und die daraus resultierende hohe Resonanz im Diskurs beim Gastspiel von 1893 und bei allen folgenden vor 1900 nicht mehr erreicht werden. 707 Die Zuschauer entsprachen zwar auch 1893 einer-- Theater der deutschen Hauptstadt besuchte. Andererseits handelte es sich aber längst nicht mehr um dieselbe kulturelle, intellektuelle, finanzielle und vor allem präsentable Elite wie im Jahre 1892, mit der man sich im Diskurs so gerne geschmückt hatte, um Berlin und sein Publikum einmal mehr in einem besonderen Licht zu präsentieren und um die eigene Wich-tigkeit im nationalen wie auch transnationalen Kontext zu demonstrieren. 7.5 Die Politisierung der Duse 7.5.1 Der Dreibund als kulturelles Bindeglied Nicht nur im Hinblick auf die oben ausgeführten gesellschaftlichen Aus-wirkungen der frühen Berliner Gastspiele der Duse, sondern auch auf anderen Ebenen lassen sich Anhaltspunkte dafür finden, dass die Auftritte der Italienerin in Berlin nicht nur auf das theatrale Ereignis zu reduzieren sind, sondern dass ihre Bedeutung weit über die Sphäre der Kunst hinaus-ging. Schließlich wurden die Aufführungen immer wieder zur politischen Angelegenheit stilisiert. Ein Indiz dafür waren die politisch aktuellen Hintergründe, die vereinzelt Eingang in die zeitgenössischen Kritiken und in andere Veröffentlichungen fanden. Auf diese Weise wurde das Verhält-nis von (re--) präsentierender Fremdgruppe auf der Bühne und rezipieren-der Eigengruppe im Publikum politisiert und die Mitwirkenden einer-seits die Schauspieler, andererseits die Zuschauer gerieten zu politischen Akteuren im sonst aufgrund des offensichtlichen Unterhaltungs-- und Kunstcharakters des Virtuosentheaters so unpolitisch anmutenden Kon-text. 707 Um 1900 veränderte sich die Situation grundlegend: Die Duse erweiterte ihr Reper-- -spielerin noch einmal verstärkten. Außerdem zog sie sich im Jahre 1909 von der -fens der Duse im Kontext der vorliegenden Arbeit nicht eingegangen werden, würde dies doch eine viel umfassendere Untersuchung unter ganz anderen Prämissen voraussetzen, die hier nicht geleistet werden kann. <?page no="253"?> 253 Zur Verdeutlichung dieser Entwicklung soll hier eine Bemerkung des Feuilletonisten Adolph Kohut (1848--1917) dienen, der das zweite Gastspiel Eleonora Duses aus dem Jahr 1893 mit den folgenden spöttischen Worten legenheit bietet sich hier, dem Auslande gegenüber von unseren Sympathien für Italien, den Dritten im 708 Mit der spitzfindigen Erwäh -bündnis, das im Jahre 1882 zwischen dem Deutschen Reich, Österreich--Ungarn und Italien geschlossen wurde und bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges Bestand hatte. Durch diese vom Rezensen-das Theater seinen Anspruch darauf, als ein rein künstlerisches Ereignis zu gelten: Die Schauspielerin auf der Bühne steht damit nicht mehr im Vor-dergrund des Geschehens;; vielmehr werden die Zuschauer in diesen ge-rückt. Mit einer zur Unterstützung der positiven Außenwirkung geeigne-ten Reaktion des Hauptstadtpublikums kann man, so wird im obigen Zitat angedeutet, dem politischen Partner zeigen, wie wichtig einem die Allianz ist. Das heißt, überspitzt ausgedrückt: Äußern die Theatergänger Begeiste-rung, dann soll dies von außen nicht allein als Beifall für die italienische Schauspielerin und das gerade erlebte Kunstereignis interpretiert werden, sondern auch als Sympathiebekundung für den politischen Bündnispart-ner. Eleonora Duses künstlerische Leistung wird von politischen Interessen verdrängt und rückt damit in den Hintergrund. Dementsprechend sieht man in den deutschen Zuschauern auch nicht mehr nur die Theatergenie-ßer, sondern man zwängt sie ebenfalls in ein Korsett der Repräsentation eine Situation, die Kohut ablehnt. Die Äußerung des Kritikers überspitzt die existente Allgegenwärtigkeit der zeitgenössischen Kontextualisierung von Kultur und Politik, legt sie dadurch jedoch umso deutlicher offen. 7.5.2 Eleonora Duse und Sarah Bernhardt Die (un--) freiwillige Politisierung zweier Schauspielerinnen Kohut war längst nicht der einzige Kritiker, der die Politisierung der In-stitution Gastspiel und seiner Protagonisten feststellte und, indem er sie schriftlich äußerte, sogar vorantrieb. Vielmehr zieht sich dieser Mechanis-mus wie ein roter Faden durch den Theaterdiskurs des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Im Kontext des Besuchs der Duse in Deutschland wurde dabei immer wieder vor allem auf den Dreibund referiert, der als Symbol für die politische Verbundenheit und das gute Verhältnis zwischen dem Deutschen Reich und Italien diente. 708 Kohut 1893, 147. Zum hier zitierten Artikel Kohuts siehe auch Kapitel 7.5.5 der vorlie-genden Arbeit. <?page no="254"?> 254 Um Eleonora Duses Rolle in diesem Zusammenhang untersuchen zu können, ist es allerdings nötig, einen Seitenblick auf ihre direkte Konkur-rentin, die berühmte französische Virtuosin Sarah Bernhardt, zu werfen. Schließlich wurde die Bernhardt nicht nur immer wieder herangezogen, um an ihr die Duse und deren schauspielerisches Können zu messen, 709 sondern die Französin übernahm auch im politisierten System des Gast-spiels ihren Konterpart. Sarah Bernhardt ist das beste Beispiel dafür, wie die Institution des in-ternationalen Gastspiels oder, wie es bei ihr lange Zeit der Fall gewesen war, dessen Verweigerung eine Politisierung im deutschen Theaterdiskurs erfuhr: Anhand der Rezeption der französischen Schauspielerin im Deut-schen Reich lässt sich einerseits aufzeigen, wie bestehende nationale Vor-urteile gestärkt wurden und ihre Verbreitung fanden. Andererseits wird -den kosmopolitischen Bestrebungen des deutschen Publikums bedeutete und wie gekränkt und sogar diffamiert man sich fühlte, nicht Teil eines Ereignisses sein zu dürfen, dem andere europäische Länder wie England und Italien oder auch die USA bereits beigewohnt hatten. Sarah Bernhardt, die bis heute als die bekannteste und wichtigste Schauspielerin des ausgehenden 19. Jahrhunderts gilt, 710 nimmt in der deutschen Theatergeschichte eine ganz besondere, politisch brisante Rolle ein. Sie war als internationale Virtuosin im deutschen Diskurs zwar absolut gegenwärtig, glänzte jedoch in der Theaterrealität über Jahrzehnte hinweg durch Abwesenheit. Die Französin war bekannt für ihr 711 , was in einem flammenden Patriotismus Ausdruck fand, den sie immer wieder auch öffentlich äußerte und der sich insbesondere in ihrem schlechten Verhältnis zum Kaiserreich niederschlug. Nach dem Ende des Deutsch--Französischen Krieges von 1870/ 71, der zur Gründung des Deutschen Reiches geführt hatte, war Sarah Bernhardt dem neuen Staat gegenüber in einem solch hohen Maße feindselig eingestellt, dass sie 709 tsein der Mitwelt eine Einheit, und der Gedanke der Rivalität lebt fort;; kaum einer ihrer Bio-graphen vermag die eine darzustellen, ohne sie zugleich gegen die andere abzugren-rinnen siehe Moldauer 1988, 106--112. Zur Konkurrenzsituation zwischen Eleonora Duse und Sa-rah Bernhardt siehe u.a. Balk 1994, 168--169;; Müller 2000;; Stauss 2010, 88--91. 710 Aufgrund ihrer Bedeutung für das Theater um 1900, ihrer Extravaganz und ihrer Berühmtheit sind zu Sarah Bernhardt unzählige Biografien, Aufsätze und andere Untersuchungen erschienen. Bis heute kommen beinahe jährlich weitere Lebensbe-schreibungen hinzu. Als Beispiel einer solchen soll an dieser Stelle mit Gottliebs Sa-rah. The Life of Sarah Bernhardt nur eine der neuesten Werke zu Sarah Bernhardt ge-nannt werden, in dem auch eine Bibliografie zur Künstlerin enthalten ist. Siehe Gottlieb 2010. 711 Stokes/ Booth/ Bassnett 1988, 11. <?page no="255"?> 255 beschloss, dort niemals ein Gastspiel zu geben. 712 Diese Entscheidung, die kam und die im deutschen Diskurs auch als ein solches empfunden wurde, 713 hatte interessante und überraschende Folgen: Obwohl die Bernhardt das Deut-sche Reich boykottierte, war sie dort so bekannt wie kaum eine andere (ausländische) Künstlerin. Dies lag nicht allein an ihren besonderen schau-spielerischen Fähigkeiten, über die man zwar lesen, die man aber nur wäh-rend eines Auslandsaufenthaltes hätte live erleben können;; sondern dies ist hauptsächlich auf ihre Extravaganz und vor allem ihre geschickte Art zu-rückzuführen, diese besonders öffentlichkeitswirksam zu vermarkten. So -hardt ist vielleicht menschengeschichtlich ein noch erstaunlicheres Phäno-- 714 Und er gibt weiterhin an: [Sie] hat ein wahrhaft undurchdringliches Gewölk von Gerüchten über ihr Leben und ganz besonders über ihre Jugend verbreitet. Es dürfte sich empfehlen, bis zum Beweis des Gegenteils alles für falsch zu hal-- 715 Wie an Babs Äußerung deutlich wird, war Sarah Bernhardt die unange-fochtene Meisterin der Selbstvermarktung: Unzählige Mythen wurden über sie kolportiert auch im deutschen Diskurs. Es wurden Artikel über ihr schauspielkünstlerisches Schaffen für Theaterzeitschriften und Tages-zeitungen verfasst sowie Neuigkeiten über ihren extravaganten Lebensstil darin verbreitet. Dazu äußert sich Bab wie folgt: 712 Zwar hielt Sarah Bernhardt sich im 19. Jahrhundert an ihren Vorsatz, brach diesen jedoch, als sie im Jahre 1902 ein Gastspiel in Berlin sowie in Hamburg gab. Dazu liest man in der Zeitschrift Die Woche spiel der Sarah Bernhardt hat in Berlin wie in Hamburg fast das gesamte Theaterinteresse der jüngsten Zeit beherrscht. In Berlin schwankte das Urteil über die Pariser Künstlerin, den einen Fehlschlag, die Darstellung Hamlets, ausgenommen. Hier hat sich die Schauspielerin auf ein Gebiet verirrt, das ihrem künstlerischen Geist fremd ist und fremd bleiben wird. Das Rein-ste, was sie zu geben hatte, gab sie wohl als Phädra in Racines Trauerspiel und als Kameliendame aus. Man verspürte hier die Macht einer gefestigten Tradition, und doch auch mancherlei von ganz persönlichem Zauber, einen ganzen Sinn für die Schönheit der Form und die lyrische Beredtsamkeit der Sprache. Freilich ist von dem persönlichen Zauber der Schimmer der Jugendlichkeit weggewischt, und auch die reife Vollkraft scheint im Welken, und so bleibt als Gesamteindruck doch das Bedau-ern zurück, daß Sarah Bernhardt als Hauptvertreterin französischer Bühnenauffas-- 713 So bezeichnet beispielsweise Bab diese Entscheidung der Bernhardt und das daraus resultierende Fernblei 714 Bab 1954, 138. 715 Bab 1954, 138. Mit den Memoiren meint Bab Sarah Bernhardts Autobiografie Ma double vie. Mémoires, die 1907 in Frankreich erschien und nur ein Jahr später, übersetzt von Franz Schubert, als Mein Doppelleben. Memoiren auch in Deutschland veröffent-licht wurde. <?page no="256"?> 256 Es kann uns nicht einfallen, hier die unzähligen Schwankungen ihrer lan-gen Karriere zu registrieren, und noch weniger all die Sensationen aufzu-zählen, mit denen sie nun schon lange die Öffentlichkeit versorgte. Nur um eine Vorstellung zu geben, eine kleine Auswahl aus einer schier unendli-chen Masse: in London erregte sie einiges Aufsehen, weil sie mit einem Panther an der Kette durch die Straßen spaziert in Amerika läßt sie sich auf dem Riesenkörper eines Walfischs photographieren;; in Paris bricht sie mit einigen Freunden in die Wohnung einer Kollegin ein, die sie beleidigt hat, und schlägt die ganze Einrichtung kurz und klein. Sie schreibt nicht nur zum eigenen Bedarf Stücke, sie malt und sie bildhauert auch, sie hat natürlich ein eigenes Atelier, und dies Atelier brennt an. Und in ihren Salon stellt sie einen Sarg, legt sich hinein und läßt sich darin photographieren. Außerdem gibt es eine nie endende Kette von Prozessen mit Direktionen und Autoren und Kollegen teils geschäftliche, teils Beleidigungsklagen. Und dann Liebesgeschichten. Genug davon! Es vergeht jedenfalls keine Woche, so nicht in Europa oder Amerika neue Sensationsnotizen über Sarah Bernhardt erscheinen. Manche Leute bekommen davon den Eindruck, sie ist überhaupt nur eine Reklamegröße. 716 Auch wen auch eine durch ihr herausragendes Schauspiel überzeugende, den Stil der Zeit prägende Bühnenkünstlerin, rückte dieser Fakt jedoch, wie der Autor hier zeigt, sehr häufig in den Hintergrund. Sie wu -merat aus Person, Rollenfigur und Publicity-- 717 . Claudia Balk gibt machen: Für Magenbitter, Absinth, Reispuder zum Schminken und Kekse wurde Reklame mit i 718 . Dem deut-schen Publikum war sie auch als Mode-- und Stilikone bekannt. 719 So schreibt der Kunsthistoriker Julius Lessing (1843--1908) in seiner Veröffent-lichung Der Modeteufel: Unsere ernsthaften Zeitungsleser lächeln oder zürnen, wenn die Pariser Blätter umständlich melden, in welcher Robe Sarah Bernhardt in der Première von Fedora oder Odette aufgetreten ist. Aber von dem Erfolg die-- 716 Bab 1954, 141. Der dänische Schriftsteller und Journalist Herman Bang (1857--1912) zeigt vor allem die Diskrepanzen im Verhalten Sarah Bernhardts auf, wenn er Sarah Bernhardt regie -landsliebe schreiben. Sie ist unbezähmbar in des Lebens Lust und stellt den Sarg neben ihr Bett. Millionen gleiten durch ihre Hände, und sie lebt in vergoldeter Armut. Sie beteuert beständig ihre Krankheit und durchzieht die Welt, die Stärke eines Riesen vergeu-- Bang 1909, 39. 717 Stettner 1998, 193. 718 Balk 1994, 112. 719 Vgl. Balk 1994, 112. <?page no="257"?> 257 ser Toiletten hängt das Vermögen von Tausenden, ja von Industriezweigen ganzer Städte un 720 Lessings Aussage mag übertrieben sein, zeigt aber trotzdem, wie wichtig der Einfluss der französischen Virtuosin auf die zeitgenössische Mode war. Zeichnungen und Schnittmuster von den Kleidern, die sie auf der Bühne 721 trug, wurden in Frauenzeitschriften veröffent-licht. In der Illustrirten Frauenzeitung berichtet eine Wien--Korrespondentin vom Besuch der Bernhardt in der Hauptstadt Österreich--Ungarns im Jahre 1892 und dt beweist uns neuer-dings, wie sehr diese merkwürdige Frau noch immer die Mode be-- 722 Auf diese Äußerung folgt nicht etwa eine Beschreibung der Spielweise oder der Rollenauswahl der Bühnenkünstlerin;; vielmehr findet sich hier eine präzise Beschreibung der Kostüme, welche die Französin -in die von ihr bestimmten Trends bekamen. Sarah Bernhardt kann somit als Sinnbild der Kommodifizierung des Theaters des ausgehenden 19. Jahrhunderts gelten. In ihrer Rolle als sich selbst vermarktender Star erlangte sie eine bis heute anhaltende Berühmt-heit auch wenn ihre Schauspielkunst dabei zur Nebensache geriet. Dies machte sie allerdings für die deutschen Rezipienten nicht weniger interes-sant, im Gegenteil: Der Wunsch, das Phänomen Sarah Bernhardt selbst einmal im Kaiserreich erleben zu dürfen, war allgegenwärtig. Umso verär-gerter zeigte man sich über ihren Boykott. Trotzdem bleibt es Fakt, dass Sarah Bernhardt im zeitgenössischen deutschen Diskurs omnipräsent war ohne bis dato im Deutschen Reich präsent gewesen zu sein. Als Gegenbewegung zu der Allgegenwart der französischen Schauspiele-rin entwickelte sich jedoch eine Anti--Haltung, die mit der Ablehnung des Deutschen Reiches durch die Virtuosin begründet werden kann. So nahm man die Bernhardt in den deutschen Feuilletons immer wieder unter Beschuss und es wurde keine Gelegenheit ausgelassen, die Französin we-gen ihres Patriotismus ins Lächerliche zu ziehen. Der Paris--Korrespondent der deutschen Zeitschrift Der Bazar macht aus seiner Abneigung Sarah Bernhardt gegenüber in ei den er im Jahre 1899 schrieb, keinen Hehl: weiter so schlechte Geschäfte machen sollte wie bisher, so wird auch sie bald die Antipathie gegen Deutschland überwinden und in München, in 720 Lessing zit. nach Elster 1913, 188. 721 Zur Selbstinszenierung und Persona der Bernhardt siehe Balk 1994, 94--104. 722 Bruck 1892, o.S. <?page no="258"?> 258 Frankfurt, ja selbst in Berlin als Chismonda weinen und als Theodora rasen. Schlechter Geschäftsgang ist aller Weisheit Anfang. Einst begehrte die große Sarah nichts anderes als Elsaß--Lothringen, heute wäre ihr ein Stück-chen Kalifornien das Liebste. 723 Seine von Zynismus geprägte Äußerung spielt auf zwei Aspekte an, die jenseits des künstlerischen Schaffens als charakteristisch für Sarah Bern-hardt galten: ihre Selbstvermarktungsstrategien zum Zweck der steten Verbesserung ihrer ökonomischen Situation und ihre ostentative patrioti-sche Einstellung. Dabei deutet der Journalist an, erstere übersteige letztere sogar noch, wenn er der französischen Virtuosin unterstellt, sie würde, stünde ihr Theaterunternehmen vor dem Ruin, all ihre politischen Ideale verraten und nach Deutschland kommen. So suggeriert das Zitat, Sarah Bernhardt sei ihr gewinnbringendes Leben als international anerkannte Virtuosin inzwischen wichtiger als ihre vormals so häufig geäußerte Liebe zum Vaterland. Auch Eugen Zabel zeigt sich als deutlicher Kritiker der Bernhardt. Ihm dient dazu der direkte Vergleich mit ihrer italienischen Konkurrentin Eleonora Duse. Der Autor schreibt: Davon wollen wir gar nicht reden, daß Madame Sarah Bernhardt, als dra-matischer Genius der Revanche, für ein einmaliges Auftreten in Berlin die Kleinigkeit von Elsaß und Lothringen verlangte, während man ihre Kolle-gin im Lessingtheater für zehn Mark genießen konnte. 724 Frankreich hatte Elsass--Lothringen nach dem verlorenen Deutsch--Franzö-sischen Krieg als Teil der Reparationen an das Kaiserreich abgeben müs-sen. Zabels zynische Bemerkung, Sarah Bernhardt verlange als Gage für ihr Gastspiel die Rückgabe von Elsass--Lothringen an Frankreich, wohingegen ihre italienische Konkurrent ater für zehn itisch brisante Dimension der Gast-spiel--Verweigerung der Bernhardt im Deutschen Reich: Man empfand das Verhalten der Französin als eine Schmälerung der eigenen Autorität im internationalen Kontext. Gerade in der deutschen Hauptstadt Berlin, wo man sich seiner eigenen internationalen wie auch nationalen Bedeutung sicher war oder sich zumindest sicher wähnte, mussten die Einstellung der französischen Bühnenkünstlerin sowie ihre daraus resultierende Konse-quenz zwangsläufig auf laute Kritik stoßen. Dass sich diese Missbilligung des Verhaltens der französischen Schau-spielerin mit einer Herabsetzung und Ablehnung der Bühnenkünstlerin Aber es ist Thatsache, daß die Französin sowohl in Petersburg wie in Wien, wo sie 723 724 Zabel 1893, 63--64. <?page no="259"?> 259 gleich nach der Duse erschien, für das Interesse des Publikums wie für die 725 Diese Äußerung deckt einen interessanten Mechanismus auf: Da man sich selbst im deutschen Diskurs durch das Verhalten der Bernhardt politisch diffamiert und künstlerisch boykottiert fühlte, begann man selbst einem infantilen , die französische Virtuosin zu diffamieren, indem man behauptete, die Italienerin Eleonora Duse sei viel besser ange-kommen als ihre französische Konkurrentin. Eine ganz ähnliche Einschätzung in Bezug auf die beiden Schauspiele-rinnen wie Zabel gibt Paul Schlenther in seiner Rezension zum ersten Gast-spiel der Duse in Berlin. Dort heißt es: Da [Eleonora Duse] nicht aus dem Lande und dem Wahne der Revanche herkommt, wie ihre Nebenbuhlerin Sarah Bernhardt, mit der sie oft vergli-chen wird, sondern da sie einem uns bundesbrüderlich befreundeten Volk angehört, so durfte die Hauptstadt des Deutschen Reiches nicht gar zu lang auf ihr Erscheinen harren. 726 Auch Schlenther nimmt in seiner Äußerung wichtige politische Ereignisse in den Blick und assoziiert sie mit der jeweiligen Künstlerin. So kennzeich-net er Sarah Bernhardt als französisch und Eleonora Duse als italienisch mit allen (politischen) Konsequenzen. Im Zuge der eindeutigen Zuordnung der Schauspielerinnen in den jeweiligen nationalen Kontext und der davon abgeleiteten Beurteilung werden im Kopf der Leser stereotype Bilder sowie Vorurteile evoziert und die Sympathien beziehungsweise Antipathien der Mitglieder der Eigengruppe in bestimmte Richtungen gelenkt. Schlenther scheint seinen Lesern weiterhin den Eindruck zu vermitteln, Eleonora Duse sei aufgrund der guten internationalen Beziehungen zwi-schen Italien und dem Deutschen Reich geradezu verpflichtet nach Deutschland zu kommen. So wirkt es, als würde sie ihr Gastspiel nicht in ihrer Funktion als international anerkannte Schauspielerin und mit dem Ziel, Ruhm und internationale Anerkennung (sowie einen finanziellen Zugewinn) zu erringen, geben, sondern als müsse sie in Berlin in der ihr einmal mehr zugewiesenen Rolle als Repräsentantin ihrer Heimatnation gastieren. Das Gastspiel wird so zum quasi--politischen Akt und die Duse zur italienischen Botschafterin. Damit wird sie freiwillig oder unfreiwillig als Person des öffentlichen Interesses politisiert. Ähnlich ergeht es Sarah Bernhardt: Diesen Akt selbst durch ihr Verhalten und ihre Äußerungen unterstützend, wird sie im deutschen Reich zur Stellvertreterin Frankreichs 725 Zabel 1893, 63--64. Gemeint sind hier die Jahre 1891 und 1892, in denen die Duse erst in Sankt Petersburg, dann in Wien auftrat, immer in recht kurzem Abstand gefolgt von der französischen Konkurrentin. 726 Schlenther 1930, 170. <?page no="260"?> 260 dem Ende des Deutsch--Französischen Krieges ein schwieriges Verhältnis hatte. So wirkte sich auch in ihrem Fall das politische Verhältnis zwischen den beiden Nationen auf ihre Beurteilung aus: Sarah Bernhardt erfuhr eine vehemente Ablehnung zumindest bei den Kritikern im Theaterdiskurs. Einmal mehr wird der fast schon paradox erscheinende Unterschied zwi-schen den Meinungen innerhalb der diskursiven Verhandlungen und denen des (potenziellen) Publikums deutlich: Während sich der Großteil -- -hardt ab sei es wirklich aus politischen Gründen oder, was wahrscheinli-cher ist, aus verletztem Stolz und missachteter Würde. Was hier deutlich wird, ist ein bemerkenswerter Mechanismus, der im deutschen Diskurs aus Gründen des politisch--affirmativen Selbstzwecks einsetzte: Das internationale Gastspielwesen, das zum Zeitpunkt des ersten Besuchs der Duse in Berlin bereits eine nahezu 50 Jahre alte Tradition vor-weisen konnte, erfuhr im Zuge der Politisierung in den Rezensionen und anderen Veröffentlichungen eine Umcodierung hinsichtlich der Rezeption. So taten viele deutsche Kritiker die Gastspiele internationaler Stars immer wieder als anspruchslose Unterhaltung ab und monierten, die international tourenden Virtuosen seien geldgierige Selbstdarsteller, die nicht der Kunst, sondern dem Kommerz frönten. -sentum klebt eine materialistische Tendenz an, es übt seine Kunst oder besser gesagt, es zeigt seine Kunststücke, um Ruhm und was noch locken-der ist als Ruhm, um Geld zu gewinne 727 Allerdings verschweigt die Kritik an der ökonomischen Orientierung als Hauptmerkmal der Virtuosen die Tatsache, dass eine große Zahl gerade der international erfolgreichen und berühmten Bühnenkünstler auch herausragende schauspielkünstleri-sche Qualitäten vorzuweisen hatte, in deren Genuss der Zuschauer eben nur während der Gastspiele kommen konnte. Dies verdeutlicht Theodor Fontane, wenn er schreibt: Es ist Mode, ja geradezu guter Ton geworden, von dem Virtuosentum als von etwas Schrecklichem, als von der Wurzel allen Übels zu sprechen. Ich finde dies einfach absurd und bekenne mich offen und beinah uneinge-schränkt zu der entgegengesetzten Ansicht. Alles, was mich von Personen auf der Bühne noch interessiert, sind Virtuosen oder doch solche, die we-nigstens in der einen oder anderen Rolle virtuos aufzutreten verstehn. Ein paar Ausnahmen laß ich gelten. Wenn ich aber im großen und ganzen über-schlage, was in den letzten sechs, acht Jahren schauspielerisch überhaupt 727 Paldamus 1857, 291. <?page no="261"?> 261 noch einen Eindruck auf mich gemacht hat, so waren es immer virtuose Leistungen. Es gibt keine Kunst ohne Virtuosität. 728 Fontane erkennt in der Leistung der Virtuosen also sehr wohl die hohe schauspielerische Qualität, die das durchschnittliche Theater offensicht-lich nicht einmal das in der deutschen Hauptstadt Berlin hätte bieten müssen. So lässt sich zusammenfassen: Zusätzlich zu der anhaltenden Kritik an den internationalen Virtuosen wegen der Kommerzialisierung ihrer Schau-spielkunst kommt eine weitere, nämlich eine politische Komponente in den Bewertungsmaßstäben zum Tragen. Im Fall von Sarah Bernhardt kulmi-nierten diese beiden Aspekte, wie gezeigt wurde, auf eine für die Künstle-rin besonders ungünstige Weise. Allerdings deckt die Auseinandersetzung mit der französischen Schauspielerin gleichzeitig ein zeitgenössisches Pa-radoxon auf: An ihr bemängelte man nämlich in aller Schärfe sowohl ihre finanzielle Orientierung als auch ihre politische Ausrichtung und ver-ehrte sie doch in einem kaum vorstellbaren Maß, wie an der umfangrei-chen Berichterstattung in den Zeitschriften und Zeitungen und deren Prä-senz im Deutschen Reich deutlich wird. Und noch ein weiterer Gesichts-punkt tritt zutage: Die Theaterkunst, das Wirken der Schauspielerin auf der Bühne, wurde in der gesamten Verhandlung der Bernhardt eher zu einer zweitrangigen Angelegenheit, ein Mechanismus, den man im Diskurs eigentlich bemängelte. Schließlich herrschte bei vielen Kritikern die Mei-nung vor, das Drama müsse den Mittelpunkt des Theaterereignisses bil-den. Dem Schauspieler respektive der Schauspielerin kam damit lediglich die Funktion eines Mediums zur Literaturvermittlung zu. Eine Bühnen-künstlerin wie Sarah Bernhardt, die nicht nur die jeweilige Figur darbot, altung mit ein-brachte, konnte von den Vertretern dieses Standpunkts nur abgelehnt wer-den, denn sie nahm sich zu viele Freiheiten heraus. Eleonora Duse hingegen waren die deutschen Kritiker um einiges wohler gesonnen als der Französin. Dies lag vor allem daran, dass bei ihr der öko-nomische Aspekt nicht in dem Umfang im Vordergrund stand bezie-hungsweise in diesen gestellt wurde, wie es bei der Bernhardt der Fall war. Dieses, den finanziellen Gesichtspunkt dem künstlerischen hintanstellende Verhalten wurde im Deutschen Reich sehr geschätzt, denn es entsprach der vorherrschenden Meinung, die Kunst dürfe nicht vom Kommerz regiert werden. Dass diese Einstellung als eine Art der Selbstvermarktungsstrate-gie verstanden werden kann, kehrte man im deutschen Diskurs gerne un-- 728 Fontane 1926, 520. <?page no="262"?> 262 ter den Teppich. 729 Die Gunst der deutschen Kunstrichter lässt sich aber auch durch die nationale Herkunft Eleonora Duses erklären: Einem politi-- -das sogleich ein positives Licht auf sie warf. Bei all ihrer Unterschiedlichkeit verband die beiden berühmten Virtuo-sinnen dennoch eines: Sie wurden im deutschen Diskurs zu politischen Schachfiguren gemacht Rollen, die sie, wie es bei Sarah Bernhardt der Fall war, selbst wählten oder in die sie, das sieht man exemplarisch an Eleonora Duse, durch die Kritiker gedrängt wurden. Auf dem Rücken der Schauspielerinnen beziehungsweise auf Kosten der von ihnen ausgeübten Kunst wurden im Diskurs internationale politische Kämpfe ausgefochten sowie Grenzen ausgelotet respektive überschritten. Es wurden Sympathien und Antipathien bekundet und man verbrüderte sich oder distanzierte sich voneinander. Damit erfuhren das Virtuosentheater, das eigentlich als kommerziell und unpolitisch galt, sowie das dazugehörige Gastspielwesen eine Politisierung. Die Besuche internationaler Bühnenstars leisteten damit mehr oder weniger freiwillig einen nicht zu unterschätzenden Beitrag sowohl zur Transnationalisierung als auch zur Nationalisierung im ausge-henden 19. Jahrhundert. 7.5.3 Nationalisierende Tendenzen in der Rezeption des zweiten Gastspiels Nationalisierend wirkende Tendenzen, die bei der Beschäftigung mit den beiden internationalen Virtuosinnen bereits anklangen, sind im deutschen Diskurs spätestens während des zweiten Gastspiels der Duse im Jahre 1893 nicht mehr zu übersehen. Hatte sich ein großer, wenn nicht der überwie-gende Teil der Berliner Rezensenten ein Jahr zuvor noch bemüht, sowohl das deutsche Hauptstadtpublikum als auch den Rest der deutschen Eigen-gruppe als tolerant, kosmopolitisch und an anderen Kulturen interessiert darzustellen, so machen sich in den Kritiken zum zweiten Gastspiel auch gegenläufige Strömungen bemerkbar. In unterschiedlich hohem Maße treten nationalisierende Tendenzen auf, durch welche die paradoxerweise -- Gruppe einen bitteren Beigeschmack erhält. Diese Strömungen kann man noch nicht oder nur ansatzweise als Ausdruck eines offenen Chauvinismus bezeichnen. Sie sind zu subtil und nicht direkt gegen die (re--) präsentierte Fremdkultur gerichtet. Dennoch machen sie deutlich, dass im deutschen Diskurs anhand der Gastspiele ausländischer Schauspieler, in diesem Fall 729 So machte Eleonora Duse zu Beginn ihrer internationalen Karriere, also in den frühen 1890er--Jahren und damit im Zeitraum, der in der vorliegenden Arbeit untersucht wird, nicht mit großen und lukrativen Werbeverträgen von sich reden, sondern hielt sich, auch was die kommerzielle Ausrichtung ihrer Gastspiele anging, eher bedeckt. <?page no="263"?> 263 der italienischen Virtuosin, die eigene Position im nationalen wie im trans-nationalen Kontext verhandelt wurde. Man suchte nach einer für die rin Duse auf der Bühne zeigte, und es wurden zumindest in den hier verwendeten Quellen keine nati-onalistischen Parolen auf Kosten der italienischen Schauspielerin ausgege-ben. Vielmehr richtete man den Blick nach innen, auf die Eigengruppe, und versuchte, sich durch Akzeptanz beziehungsweise Ablehnung des Gesche-hens auf, aber auch vor der Bühne selbst zu definieren. Dies ist der Grund dafür, dass im Folgenden eher von nationalisierenden Tendenzen als von nationalistischen Strömungen die Rede sein wird. Schließlich spiegelt sich zumindest in den meisten Beispielen nicht die im 19. Jahrhundert so häufig zum Tragen kommende chauvinistische Bewegung wider, sondern das Bestreben der deutschen Eigengruppe, über die Verhandlung von auslän-discher Kunst auf der Theaterbühne einen Weg der Selbstdefinition sowie Selbstaffirmation zu finden. Maximilian Harden, seines Zeichens Kritiker und Provokateur, Zyniker und Herausforderer der deutschen Konservativen, 730 zeigt in seinem in der Zeitschrift Die Zukunft erschiene -nora Duse in Berlin eine Tendenz zur nationalisierenden Normierung. 731 Sie betrifft die Kunst der Fremdkultur auf der Bühne, aber vor allem das Verhalten der Eigenkultur im Publikum. So schreibt er: Seit vier Monaten etwa ist der Theaterbetrieb nun wieder im Gang und als einziges Kunstereignis wird uns das Gastspiel einer Italienerin angepriesen, die einem deutschen Publikum französische Stücke vorgeführt hat. Das wäre, weil die Kunst und die Künste vom nationalen Boden nicht so im Handumdrehen zu entfernen sind, allerliebste Barbarei, selbst wenn Frau Duse, anstatt in billigen und seit Jahren von ihr durch zwei Welten ge-schleppten Rollen mit den morphinistischen Zuckungen einer erschöpften 730 Harden, der als Kritiker u.a. für seine eigene Kulturzeitschrift Die Zukunft sowie für die Gegenwart, die Nation und das Berliner Tageblatt schrieb, war bekannt für seine äu-ßerst bissige und extrem provokante Art, die ihm nicht nur einmal den Unmut vor allem national--konservativer Kräfte einbrachte. Zu Maximilian Harden siehe Neu-mann/ Neumann 2003. 731 Mit seinen Ansätzen stand der Feuilletonist Harden natürlich nicht allein da. Viele seiner Kritikerkollegen hatten ähnliche Ideen und äußerten diese auch als Ausdruck eines modernen Zeitgefühls. Fortschrittliche, moderne Ideen und Nationalismus (nicht Chauvinismus und Konservatismus) schlossen sich nicht aus. So schreibt gegenüber den literarischen Salons auf, artikulierten Nationalgefühl, riefen zur Wiedergewinnung einer neuen großen Literatur durch die Hinwendung zum mo-dernen Leben auf, und brachten die Basis der anstehenden literarischen Veränderun-- <?page no="264"?> 264 Natur zu brilliren, an ernsteren Aufgaben frischere Kräfte erprobt hätte. Für ein Publikum aber, das schon längst das Zuhören verlernt hat, ist es sehr charakteristisch, daß es sich künstlerische Genüsse vorlügen läßt und sich selbst gläubig nachlügt, wo ihm nicht einmal der Sinn des gesprochenen Wortes verständlich ist. Ich glaube, die französischen Stücke besser und die italienische Sprache mindestens eben so gut zu kennen, wie das liebe Publi-kum und seine journalistischen Vorkauer;; aber ich zögere nicht mit dem Bekenntniß, daß ich von den Duse--Abenden kaum den flüchtigsten künstle-rischen Genuß heimgetragen habe, weil mit dem ängstlich gespannten Verlangen, den Sinn des Gesprochenen zu enträthseln, mir die Fähigkeit zur Aufnahme künstlerischer Eindrücke verloren ging. 732 Auf die für Harden so typische herausfordernde Art wagt er hier einen die deutsche Theatersituation, die keinerlei künstlerischen Anspruch er-hebe, Luft, sondern greift auch den Star des Abends, Eleonora Duse, an, -dere Rezensenten taten, beanstandet er dabei, dass die Bühnenkünstlerin nun bereits im zweiten Jahr in Folge dem Berliner Publikum nahezu das gleiche, vorwiegend aus leichten französischen Stücken bestehende Re-pertoire präsentierte. Harden bemängelt jedoch nicht nur die fade Redundanz und Routine bei der Auswahl der Dramen. Er geht vielmehr auf einen grundlegenden Kritikpunkt ein, nämlich die Schwierigkeit der nationalkünstlerischen Mischung der Gastspiele. In seinen Augen erscheint die Übertragung der nationalen Kunst eines Landes auf ein anderes und er sieht sowohl die Literatur als auch das Schauspiel als Nationalkünste an schwierig. Gleichzeitig stellt er in Frage, ob die Nationalkunst der einen von der ande-ren Nation angemessen rezipiert und verstanden werden kann. Auf dem Weg, den Eleonora Duse während ihres Gastspiels geht, nämlich als Italie-nerin einem deutschen Publikum französische Stücke zu präsentieren, aller-ansieht. Damit bringt er seine Zweifel am Sinn einer solchen Veranstaltung wie dem internationalen Gastspiel generell zum Ausdruck und macht seine Abneigung gegen das ganze System deutlich. Weiterhin bemängelt er die Schauspielkunst der italienischen Virtuosin selbst und erklärt, diese werde mehr durch übertriebene Nervosität getra-gen als durch wahren künstlerischen Ausdruck. Allerdings war diese von Harden kritisierte Nervosität und Fahrigkeit ein typischen Charakteristi-- Richard 732 Harden 1893a, 34. <?page no="265"?> 265 die Gestaltungs 733 . Und Laura gerade weil sie die feine echte Sensibilität der 734 Was andere Rezensenten als typische Eigenschaft der herausragenden Schauspielkunst Eleonora Duses lobten, als ein Kennzeichen insbesondere der Modernität in der Darstellung der Italienerin und was deutsche Schauspielkolleginnen verzweifelt versuchten nachzuahmen, wurde von Harden als fades Über-spielen empfunden. Mit dieser Meinung befand sich Harden jedoch in der Minderheit: Die meisten deutschen Kritiker, Schauspieler und Zuschauer zeigten sich fasziniert vom modernen, nervösen Spiel der Italienerin. Harden moniert weiterhin, dass sich der von allen erwartete und vor-hergesagte Kunstgenuss, den auch er beim Gastspiel zu erleben erhofft hatte, nicht eingestellt habe. Allerdings führt er dies nicht nur auf die Defi-uspielkunst zurück, sondern auch auf die Auf-führungen französischer Stücke. Schließlich sei der Inhalt dieser von der Duse dargestellten Dramen so schlecht, dass man über der inhaltlichen Sinnsuche den Genuss der präsentierten Schauspielkunst verpasse ein zuvor bereits negiert. Dennoch ist das Herausstellen der Dramenauswahl interessant, denn auch bei Harden wird die für den zeitgenössischen Dis-kurs typische Kritik an den französischen Theatertexten deutlich, wie sie trotz der Begeisterung des Publikums dafür so häufig geäußert wurde. Als Beispiel einer solchen offen geäußerten Kritik soll ein Zitat von Al-n, daß der miserabelste Pariser Schund, die blödesten Rührdramen und Schwänke 735 Franzosenthum ist der Tod unserer deutsc 736 Diese Abneigung gegenüber den französischen Stücken lässt sich hauptsächlich auf zwei Aspekte zurückführen: Zum einen entsprachen sie nicht den hehren Vor-stellungen eines bürgerlichen Bildungstheaters. Sowohl sprachlich als auch inhaltlich reichten sie an die Bewertungsnormen der Kritiker nicht heran. Abgesehen davon waren sie der Umsetzung der bürgerlichen Moralvor-stellungen nicht dienlich, spielten sie doch allzu oft in mehr als zwielichti-gen Kreisen. 737 Zum anderen kommt in der Abwertung natürlich auch eine 733 Nathanson 1893, 71. 734 Marholm 1895, 78. 735 Alberti 2009, 104. 736 Alberti 2009, 104. 737 An dieser Stelle soll exemplarisch auf das so häufig von den internationalen Virtu-osinnen gezeigte Drama Die Kameliendame von Alexandre Dumas fils verwiesen wer-den, in dem die weibliche Hauptfigur eine Pariser Kurtisane ist. Dieses Beispiel macht den Unterschied zwischen dem Begehren des zeitgenössischen Publikums nach anrüchigen oder reißerischen Inhalten und den davon abweichenden morali-- <?page no="266"?> 266 politische Komponente zum Tragen. Wie bereits am Beispiel Sarah Bern-hardts aufgezeigt wurde, war man dem Nachbarland Frankreich nicht sonderlich wohl gesonnen. Einen (kulturellen) Austausch betrachtete man daher häufig als Unterwer 738 Dabei hatte die Auswahl der Theatertexte durch die Duse zumindest noch zu Beginn der 1890er--Jahre weder mit einem literarischen Anspruch noch mit politischen Fragen etwas zu tun;; vielmehr bemühte sich die Vir-tuosin darum, Texte zu finden, bei deren Umsetzung auf der Bühne sie als Primadonna im Mittelpunkt brillieren konnte. Die französischen Salonstü-cke eigneten sich dazu sehr gut. Sie waren häufig auf eine weibliche Hauptrolle hin konzipiert, manchmal sogar speziell für eine Virtuosin geschrieben 739 und gaben den Schauspielerinnen viel Raum, ihre Kunst zu Schauspielerinnen vielfältige Möglichkeiten zum stummen, pantomimi-- 740 , was die Verständlichkeit über nationale und Sprachgrenzen hinweg begünstigen sollte. Die französischen Dramen von Sardou oder Dumas waren also perfekt auf die Situation der internationalen Virtuosin-nen abgestimmt. Dies barg aber im deutschen Kontext ein Problem, das Hardens Ablehnung deutlich macht: Einem Teil der intellektuellen Kreise der deutschen Kritiker galt Theater als eine Kunst, die ausschließlich auf nationaler Ebene wirkungsvoll sein kann. Vor diesem Hintergrund konn-ten weder die Aufführung von französischen Dramen noch ihre Präsenta-tion durch eine ausländische Künstlerin anerkannt werden. Also wurde dieses Format des internationalen Gastspielwesens von Vertretern dieser Einstellung von vornherein als zum Scheitern verurteilt angesehen. schen Normen des Bürgertums deutlich. So zeigt Balk am Beispiel der Schauspielerin Sarah Bernhardt auf, vo -das Stereotyp der sexuell freizügigeren Französin zurück, das zur erotischen Projek-tion in einer triebunterdrückten bürgerlichen Gesellschaft wurde. Siehe Balk 1994, 104--112;; Neumeier 2000, 122--136 sowie 155--173. Zu den anderen Frauenfiguren, welche die Duse (wie auch die Bernhardt, denn die Repertoires der beiden Konkurrentinnen waren zumindest zu Beginn der internatio-nalen Karriere Eleonora Duses nahezu deckungsgleich) in ihrem Programm hatte, siehe Müller 2000, 277--282. 738 Dieses Phänomen lässt sich auch am Beispiel der Mode sehr gut aufzeigen. Siehe dazu u.a. Watzka 2011. 739 So schrieb beispielsweise Sardou mehrere Stücke für Sarah Bernhardt, u.a. Kleopatra zeitweilige Lebensge-fährtin Eleonora Duse Stücke wie Francesca di Rimini oder La Gioconda;; diese eigneten sich aber nicht als Virtuosenstücke und waren außerdem trotz des Versuchs der Verbreitung durch die Duse bei den Kritikern und beim Publikum nur mäßig er-folgreich. Vgl. Maurer 1988, 85. 740 Müller 2000, 278. <?page no="267"?> 267 Aber nicht nur am Geschehen auf der Bühne, sondern auch am Verhal-ten der Eigengruppe, den Berliner Zuschauern, lässt Harden kein gutes Haar: Das Publikum, das den Schein des Intellektuellen, Weltoffenen zu wahren versuche, obwohl es weder fähig sei, dem Geschehen zuzuhören noch ihm zu folgen oder dieses gar zu verstehen, sei niveaulos. Harden kolportiert hier das stereotypische Bild der Berliner Zuschauer, wie es im Diskurs so häufig dargestellt wird: nach außen hin mondän und kosmopo-litisch, im Grunde jedoch ungebildet und an Kunst nicht interessiert. Auch seine Berliner Kritikerkollegen wertet er ab: Mit dem beleidigenden Erachtens versuchten, die Rezipienten in ihrer Meinungsbildung zu sehr zu beeinflussen. Bereits ein Jahr zuvor, im Zuge des ersten Gastspiels der Duse in Berlin, hatte sich Harden ganz ähnlich geäußert. So liest man in einem Artikel zu der italienischen Virtuosin in der Zukunft: Den Faust und den Götz, Karl Moor und Paul Werner, auch die österreichi-schen Lebeherren Bauernfelds spielen die Fremden uns nicht leicht vor;; in den echten oder nachgeahmten Französeleien aber irrlichteliren unsere Schauspieler hin und her und können die Typen nicht packen. Das ist kein Wunder: der Franzose, der Engländer, der Italiener und der Holländer übersetzt sich die Fremdwörter und die Fremdmenschen resolut in seine Sprachbequemlichkeit;; nur der Deutsche hält darauf, in ausländischem Staate zu prunken, und sieht den über die Achsel an, der das l mouillé nicht korrekt ausspricht. 741 Harden macht hier deutlich, dass er den seiner Meinung nach zum Schei-tern verurteilten Versuch deutscher Künstler, Offenheit gegenüber anderen Nationen zu schaffen und zu wahren, indem die Stücke auch bei Gastspie-len im Ausland möglichst sprachgetreu gespielt wurden, als einen Anbie-derungsversuch ansieht. Die anderen westeuropäischen Schauspieler veränderten die Dramen und Rollen so, dass sie (zu) ihnen passten. Nur die deutschen versuchten sich zu assimilieren ein Verhalten, das Harden harsch kritisiert. 742 741 Harden 1892, 470. 742 Textveränderungen durch die Schauspieler waren allerdings gängig, vor allem im Kontext des Virtuosentums. Dies zeigen einige Kritiker auch am Beispiel der Duse auf. So liest man im Kleinen Journal sw] wuchs in ihrer Darstellung weit über die Intentionen des Dichters hinaus, das was mehr als das Das Kleine Journal vom 27.11.1892.) Auch ein Rezensent der Berliner Börsen--Zeitung sieht ielpartner der Duse sw] erfüllen den vornehmen Zweck der Schauspielkunst: Menschen in greifbarer Wirklichkeit vor uns zu stellen und wenn es nöthig ist, Lücken in der Intu-ition des Dichters durch die eigene Phantasie nachdichtend, darstellerisch auszufül-- Berliner Börsen--Zeitung vom 21.12.1892.) Dahingegen kritisiert ein Journalist des <?page no="268"?> 268 -ren wird auch im folgenden Ausschnitt aus einer Kritik des Kleinen Journals zum zweiten Gastspiel Eleonora Duses in Berlin im Jahre 1893 angespro-chen. Dort heißt es: Es geht jetzt ein internationaler Zug durch die Kunst. Nicht nur England und Italien beginnen sich für unser Theater zu interessiren sondern auch das schmollende Frankreich verschließt sich nicht mehr den Schöpfungen unserer Dichter. Aber würde sich das Publikum in London, in Mailand oder gar in Paris ein deutsches Stück in deutscher Sprache anhören? 743 Im Gegensatz zu Harden erkennt der Kritiker in der Aufnahme von Dra-men deutscher Autoren in das Repertoire ausländischer Bühnen durchaus Transnationalisierungstendenzen im zeitgenössischen Theater und er zeigt sich von einem solchen nationale Grenzen überschreitenden Verhalten angetan. Er sieht jedoch die deutschsprachige Schauspielkunst im Ausland nicht genug gewürdigt: Während es im Kaiserreich üblich sei, dass auslän-dische Schauspieler ihre Gastspiele in ihrer Muttersprache abhielten, würde man dies im Ausland nicht schätzen, wie seine rhetorische Frage impliziert. Dies suggeriert dem Leser der Kritik erstens, dass im Ausland das deutsche Theater und damit die Eigenkultur nicht anerkannt wird, und zweitens, dass man sich einzig in Deutschland dem Sprachdiktat der gast 744 Und der Rezensent setzt seine Kritik an dieser in seinen Augen defizitären Situation fort, indem er schreibt: Nichts ist häßlicher als Chauvinismus, und gewiß verdient derjenige, der uns den französischen Chauvinismus als nachahmungswerth empfehlen wollte, harten Tadel. Wir aber sind allzu leicht geneigt, in den entgegenge-setzten Fehler zu verfallen. Höflichkeit gegen Fremde wird bei uns zur ver-- Berliner Lokal--Anzeigers das Verhalten der Duse. Er schreibt, das Lob auf die Wand-- -zeichneten Grundlinien der Gestalten festhält, nicht wenn sie die Figuren ihrer per-sönlichen Eigenart anzupassen versucht. Wenn man behauptet, die Künstlerin verstehe es, jede Gestalt glaubwürdig und interessant zu verkörpern, so ist das ganz etwas Anderes, als wenn gesagt wird, sie träfe stets die Intentionen des Dichters und ginge ganz in den von ihm geschaffenen Gestalten auf. Das letztere wird von der Duse behauptet eben dies hat mir ihre Clotilde [in Sardous Fernande sw] nicht be-- Berliner Lokal--Anzeiger vom 25.11.1892). 743 Das Kleine Journal vom 7.12.1893. 744 Auf die Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache bei internationalen Gastspielen verweist auch Müller in seinem Artikel über Sarah Bernhardt und Eleonora Duse und gibt an, dies sei das Hauptproblem der in Deutschland berühmten Schauspielerinnen wie Agnes Sorma oder Fanny Janauschek (1829--1904) bei ihren Versuchen gewesen, im Ausland erfolgreich Fuß zu fassen. Vgl. Müller 2000, 277. <?page no="269"?> 269 blendeten Schmeichelei. Während wir einen Vorzug des Ausländers aner-kennen, übersehen wir zugleich seine sämmtlichen Fehler. 745 Hier wird das Bemühen weiter Theaterkreise deutlich, sich von einem radikalen Nationa Kritiker mit einem Seitenhieb auf den westlichen Nachbarn schreibt, zu distanzieren, ohne sich im Verhältnis zu den internationalen Künstlern devot zu verhalten. Der Rezensent fordert eine angemessene Distanz zu den gastspielenden ausländischen Bühnenkünstlern und die Reduzierung einer zu großen und undifferenzierten Euphorie diesen gegenüber, kriti-scheres Denken im Umgang mit den im Gastspiel repräsentierten Fremd-kulturen sowie mehr Selbstbewusstsein im Hinblick auf die eigene Kultur auch im transnationalen Kontext. Dass es Kritiker gab, die ein geradezu überbordendes Selbstbewusstsein an den Tag legten und eine deutsche Dominanz gegenüber anderen Kultu-ren und Nationen erkannten oder zumindest erkennen wollten, macht die folgende kurze, aber vielsagende Bemerkung aus einer anderen Rezension aus dem Kleinen Journal zu einem Gastspielabend der Duse während ihres zweiten Besuchs deutlich. So schreibt der nicht näher ausgewiesene Kriti-zu bedanken, wie wir es von unseren Künstlern gewöhnt sind und wie es 746 Die deutschen Gewohnheiten werden hier mit einem idea-len Verhalten gleichgesetzt und so zur allgemein gültigen Norm stilisiert. Das Zögern der Duse, gleich wieder auf die Bühne zu kommen, während ihr großer Applaus durch das Berliner Publikum zuteilwird, bewertet man als Fehlverhalten, als Undankbarkeit und Unhöflichkeit. Hatte man sich während des ersten Gastspiels der Duse in Berlin noch sehr darum bemüht, die deutsche Eigenkultur nicht nur der Italienerin gegen-über, sondern auch ganz allgemein als weltoffen und metropolitan zu präsentieren, so verschiebt sich, wie gezeigt wurde, spätestens während des zweiten Gastspiels der Schwerpunkt. Kritische Stimmen fordern einen größeren Stolz und, davon abgeleitet, eine größere Dominanz der deut-schen Eigenkultur gegenüber Fremdkulturen. Diese richten sich nicht nur Eigengruppe, die in ihrem als zu euphorisch empfundenen Verhalten der Gastspielerin gegenüber nicht den Vorstellungen im Diskurs entsprach. Demzufolge ist die Kritik am Ausland gleichzeitig als eine mehr oder we-niger versteckte Rüge des eigenen Publikums zu verstehen. Außerdem möchte sie aufzeigen, dass metropolitaner Kosmopolitismus und die naive Offenheit anderen Kulturen gegenüber falsch sind. 745 Das Kleine Journal vom 7.12.1893. 746 Das Kleine Journal vom 3.12.1893. <?page no="270"?> 270 Die sich hier andeutenden nationalisierenden Tendenzen steigern sich manchmal sogar ins Nationalistische. Dies wird insbesondere dann er-kennbar, wenn man die Rezeption der Duse--Abende betrachtet, an denen die italienische Schauspielerin sich an die Umsetzung eines deutschen Dramas wagte und versuchte, das Hauptstadtpublikum mit einer Rolle aus einem Werk zu überzeugen, das von einem deutschen Autor verfasst wor-den war. Dies soll anhand eines Beispiels verdeutlicht werden 7.5.4 Heimat Das Stück Heimat des deutschen Schriftstellers Hermann Sudermann (1857-- 1928), eines der erfolgreichsten deutschen Dramatiker seiner Zeit 747 , von Oscar Blumenthal als eine Art Hausautor an das Berliner Lessing--Theater geholt, 748 war bereits 1892 entstanden und hatte am 7. Januar 1893 an eben-jenem Haus seine Uraufführung gefeiert. Der Erfolg war beachtlich und so 749 , wurde also auch dem Publikum anderer Theater-städte präsentiert. Bereits vor der Premiere im Deutschen Reich war es von -setzung ins Italienische für ihr 1893 geplantes Gastspiel in den Vereinigten Staaten von Amerika angefragt worden. In einem Brief von Hermann Su-dermann an seine Frau vom 19.11.1892 schreibt der Dramatiker: Nathanson hat mich gestern angehalten und mich gebeten, ihm das Stück für die Duse nach Amerika zur Übersetzung zu geben. In Italien soll es derweil die Tina di Lorenzo spielen. Ich habe natürlich nicht nein gesagt. Besser kann es in Amerika nicht eingeführt werden. 750 zeigte die Schauspielerin großes Interesse an dem Drama, eine Tatsache, die den Autor euphorisch stimmte. Im Deutschen Reich präsentierte sie es während ihres zweiten Gast-spiels im Dezember 1893 dem Berliner Publikum in italienischer Sprache 747 Hermann Sudermanns Dramatik lässt sich schwer in eine bestimmte literarische Salonstück hmetterlings-- 748 Unter der Leitung von Oscar Blumenthal wurden im Lessing--Theater nicht nur sein Stück Heimat, sondern auch Sudermanns Dramen Die Ehre (1889) und Sodoms Ende (1890) uraufgeführt. 749 Jaron/ Möhrmann/ Müller 1986, 213. 750 Sudermann 1932, 65. Bei dem hier genannten Nathanson handelt es sich um den bereits mehrfach zitierten Richard Nathanson, wie aus einer Kritik aus dem Kleinen Journal ersichtlich wird. Dort schreibt der Rezen -- Das Kleine Journal vom 5.12.1893. <?page no="271"?> 271 und unter dem Titel Casa paterna. Ein deutsches Stück stellte im Repertoire der italienischen Virtuosin eine große Ausnahme dar und auch die Rollen der deutschen Klassiker spielte sie, zumindest in den frühen 1890er--Jahren nicht, was im deutschen Diskurs wahrgenommen und nicht nur gutgehei-ßen wurde. So schreibt etwa Richard Nathanson: Von dem klassischen deutschen Repertoir hat sich die Duse fern gehalten. Sie verehrt Schiller als Dichter, aber seinen Frauenrollen eine menschliche 751 Für die Schauspielerin gab es bis zu diesem Zeitpunkt wohl keinen deut-schen Klassiker, in dessen weibliche Hauptrolle sie sich so hätte einfühlen können, dass sie diese auch einem Publikum hätte präsentieren wollen. 752 Doch auch moderne deutsche Theaterstücke waren in ihrem Repertoire nicht zu finden. Erst Sudermanns Heimat änderte etwas an diesem Zu-stand. Dazu liest man in einer Nachbesprechung der Aufführung der Suder-- Heimat in der Berliner Börsen--Zeitung die folgende äußerst kritische Anmerkung: Aber Schauspielerinnen schwärmen darum für dieselbe und selbst Frau Duse glaubte sie ihrem Repertoire einreihen zu sollen, weil auch sie trotz der Tausende [sic! ] von Theaterstücken so wenig Rollen findet, die im Vorder-grund stehen. Das ist eben der Fehler des Virtuosenthums, daß nicht die Kunst, nicht ein ganzes Werk seines Werthes wegen liebevoll insceniert wird, sondern daß das Hauptaugenmerk auf die Rolle gelegt wird. 753 Die Rezension übt offen Kritik am Beweggrund für die Wahl des Stückes. Es wird bemängelt, dass sich das Drama für die Virtuosinnen nur aufgrund der Möglichkeit der besonders guten Selbstdarstellung eigne. Dieser Nar-zissmus wie auch der überbordende Hang zur Selbstinszenierung statt des Wunsches nach einem Ensemblespiel waren Aspekte, die man den Büh-nenkünstlern im ausgehenden 19. Jahrhundert und in diesem Kontext offensichtlich auch Eleonora Duse immer wieder zur Last legte. Sebastian Stauss erwähnt 751 Nathanson 1893, 57. 752 Balk zitiert ein Zeitungsinterview mit Eleonora Duse aus dem Jahr 1881, in dem diese Balk 1994, 172.) Es wird deutlich, wie sehr es Eleonora Duse um das Einfühlen in eine Figur ging. Dies bestätigt auch Nathanson, wenn er schreibt: 753 Berliner Börsen--Zeitung vom 5.12.1893. <?page no="272"?> 272 direkt. 754 Er führt die Tatsache, dass sie sich für die Figur von Sudermann entschied, viel eher darauf zurück, dass hatte die italienische Schauspielerin schon seit Längerem sehr erfolgreich Möglichkeit gesehen, wie sie selbst auch in einem Brief an den Autor äu-ßerte, 755 -zipierende Frau zu spielen. 756 Zweifellos stellten diese Aspekte für die ita-lienische Virtuosin entscheidende Kriterien dar, nach denen sie ihr Repertoire auswählte. Allerdings sollten die im ausgehenden 19. Jahrhun-dert vorherrschenden Produktionsbedingungen im Theater nicht außer Acht gelassen werden. Schließlich war auch Eleonora Duse diesen un-terworfen. Deren Ausschluss würde einmal mehr zu einer ästhetischen Überformung der Duse führen, wie sie im theaterhistorischen Diskurs bis heute immer wieder vorkommt. Dass die Wahl der Duse auf Sudermanns Drama Heimat kann daher als eine Synthese aus beiden Aspekten gesehen werden: So bot die Rolle einen breiten Interpretationsspielraum sowohl was das Schau-spielerische angeht als auch in Bezug auf das Inhaltliche. Kritik daran, nach welchen Kriterien die Duse ihre Stücke auswählte, und dass sie keine Klassiker--Rollen in ihr Repertoire aufnahm, findet sich noch an anderer Stelle. So schreibt ein Rezensent im Kleinen Journal Künstlerin, die international gefeiert werden will, muß Rollen solcher 757 Zwar spielte die Duse mit Sudermanns Heimat keinen Klassiker, sondern ein modernes deutsches Stück, das Anleihen an die naturalistischen Dra-men der Zeit vorwies, dennoch warteten Publikum wie Presse in der deut-schen Hauptstadt gespannt darauf, wie die Italienerin die Figur der Aufführung waren allerdings geteilt und reichten von absoluter Begeiste-- 754 Siehe Stauss 2010, 88--89. 755 Vgl. Stauss 2010, 88. 756 denn er meint viel eher ein sich erst in der Weimarer Republik herausbildendes Frau-- Bertschik 2004, 180--182 und 255--273;; Frevert 1986, 174. Außerdem weist ein Kritiker in der Vossischen Zeitung Vossische Zeitung vom 5.12.1893. 757 Das Kleine Journal vom 7.12.1893. <?page no="273"?> 273 rung bis hin zu totaler Ablehnung, was sich in den Kritiken einiger Berliner Feuilletons widerspiegelte. -- -ckes im Lessing--Theater beiwohnte, ließ sich von der Rolleninterpretation schrieb er in einem Brief an seine Frau am Tag nach der Aufführung immer noch völlig euphorisch und mit größter Hochachtung für die berühmte Bühnenkünstlerin: [D]as war ein großer Abend! Meine Magda steht rein und gerechtfertigt da, und niemand darf mehr daran rütteln. Über Ihr [sic! ] Spiel etwas zu sagen, vermag ich nicht. Denke Dir das Ideal unserer Magda und tausend Über-- Es war zum Sterben schön! Als ich ihr dann auf der Bühne entgegentrat und ihre beiden Hände faßte, selbst mit den Tränen kämpfend, da zitterte sie am ganzen Leibe im Nach-klang der furchtbaren Erregung. Und immer wieder und wieder dankte sie mir. Sie mir! Es ist zum Lachen! 758 Auch wenn Sudermann in Eleonora Duse die Idealbesetzung für seine vorstellen kann, dass eine andere Akteurin jemals diese Figur besser werde spielen können, betrachteten viele Berliner Kritiker die italienische Virtuo-sin als Fehlbesetzung. Den Grund für ihre Missbilligung bildete dabei nicht unbedingt die Ablehnung der Schauspielkunst der Duse an sich;; sie be-zweifelten vielmehr, dass eine fremde Bühnenkünstlerin -- -barkeit einer Nationalkunst auf eine andere, wie sie Maximilian Harden bereits angesprochen hatte. Wenn auch in unterschiedlichem Maße, so werden hier doch nationalistische Strömungen deutlich, wie an Beispielen aus dem Diskurs gezeigt werden soll. In seiner Besprechung der Heimat--Aufführung in der Theaterzeitschrift Bühne und Leben macht ein Kritiker seinem Unmut sowohl hinsichtlich der Rollenwahl als auch der Interp Eleonora Duse Luft: -lienischer Sprache dem Umstande verdanken, daß die Duse einmal vor Deutschen eine Deutsche darstellen wollte, oder ob sich die seltene Gattung ihrer Kunst in einem so engen Rahmen bewegt, daß sie nur gewisse Rollen zu spielen vermag, wollen wir hier ganz dahingestellt sein lassen, soviel steht jedoch fest, und sowohl die Direktion des Lessing--Theaters, als auch Signora Duse selbst und ihr ingenieuser Impresario werden wohl nun unter einander darüber einig sein, daß, zum Schaden der Diva, damit ein großer Fehler begangen worden ist;; denn wer ehrlich sein will, muß offen zugeben, 758 Sudermann 1932, 81. <?page no="274"?> 274 daß die Magda bei uns schon weit besser gegeben worden ist, als am Mon-tag Abend, an dem Signora Duse, sich vor einem nichtdeutschen Publikum wähnend, statt einer deutschen Künstlerin eine Abenteurerin gespielt hat. 759 Dem Kritiker zufolge passt die Italienerin nicht zu dem Bild von der Figur, wie sie im kollektiven Gedächtnis verankert ist;; denn einerseits war die Interpretation der beliebten Berliner Schauspielerin Marie Reisenhofer (1865-- --Theater verkörpert hatte, sehr gelobt worden und prägte das nicht nur in den Köpfen der Berliner Kritiker entstandene Bild jener Rolle. Andererseits verstand man die Figur, eine in Europa und den USA berühmt gewordene deutsche Sängerin, die nach vielen Jahren des Erfolgs in ihre kleinbürgerli-che Heimat zurückkehrt als unpassend und zu exotisch. Der Rezensent stellt noch mehr Mängel an -- Eine ausländische Künstlerin, die sich an eine Aufgabe wie die Magda her-anwagt, muß entweder in den Geist des Volkes, vor welches sie hintritt, oder doch wenigstens in den Geist der Dichtung eingedrungen oder aber eine solche Künstlerin sein, daß man durch ihre hinreißende Spielweise den Mangel jeglichen feineren Verständnisses für die Aufgabe vergißt. 760 -so die Kritik die Duse nicht mit dem Drama auseinandergesetzt und zeige ein defizitäres Ver-ständnis für die Umsetzung der Rolle an sich eine recht harsche Kritik, die man so im Kontext der Auseinandersetzung mit -spiel in den allerwenigsten Fällen zu lesen bekommt;; schließlich überwiegt in den Rezensionen das Lob. Die Besprechung eines anonymen Kritikers des Kleinen Journals zu der hnliche Grundlage auf wie die oben zitierte Rezension, gestaltet sich aber in ihrer Meinungsäußerung noch viel radikaler. Insbesondere der mitschwingende Nationalismus wie auch die Demonstration eines dem heutigen Leser un-angenehmen Gefühls kultureller Üb Künstlerin machen diese Quelle interessant widerspricht sie doch dem kosmopolitischen Bild, das der Leserschaft in vielen Kritiken zu den Gast-spielen der Duse suggeriert wurde. Dort heißt es: Er [Sudermann] als Verfasser mag wohl entzückt sein, daß eine Auslände-rin so trefflich seine Gestalten verkörpert, wir aber, die wir das Drama nicht wortgetreu im Gedächtnis haben, wie er, können uns für das Fremde nicht 759 Anonymus 1893, 156. 760 Anonymus 1893, 156. <?page no="275"?> 275 mpfinden soll -ders als deutsch denken und wir ziehen die Reisenhofer der Duse vor, die frische, duftige Blüthe dem effektvollen, aber duftlosen Arrangement. 761 Hier bringt der Kritiker sein kulturnationalistisches Denken klar zum Aus-druck: Deutsche Stücke, die von einer ausländischen Künstlerin umgesetzt werden dies wirkt auf ihn unangemessen, weil es den Kern der Sache, die wahre Bedeutung, die hinter des Dichters Schöpfung als einem nationalen Gut steht, niemals treffen kann und daher auch nicht bei der Duse treffen wird. Aus diesem Gedanken eines radikalen Kulturnationalismus heraus er-klärt sich auch die negative Beurteilung des eigenen, sich von der Auffüh-rung der Duse begeistert zeigenden Berliner Publikums, das ebenfalls vom --Theater so benommen, daß es manchem spanisch erscheinen könnte. Ein Drama, das ein Deutscher verfaßt hat, das in Deutschland spielt und deutsche Charak-tere, deutsche Empfindungen veranschaulicht, lassen wir ins Italienische übersetzen und wollen es dann in der Gestaltung die ihm die italienische Künstlerin giebt, genießen. 762 Diese Aussage, die einer rhetorischen Frage gleichkommt, wenn sie auch nicht durch die entsprechende Interpunktion abgeschlossen ist, impliziert das absolute Unverständnis des Kritikers für die begeisterte Reaktion des Hauptstadtpublikums und damit der Mitglieder seiner Eigengruppe. Die-ses Fehlverhalten sowie sein mangelndes Verständnis dafür bringt er an anderer Stelle sogar noch deutlicher zum Ausdruck, wenn er schreibt: [W]enn die deutschen das außergewöhnliche Bühnentalent einer reichbe-gabten Künstlerin anstaunen, auf Kosten der intimen Wirkung eines deut-nervöse Überreizung des Geschmacks, einen wirren Sinnestaumel. 763 beide Ausdrücke erinnern an im zeitgenössischen Diskurs latente Phra-sen, wie sie beispielsweise im Kontext von Georg Simmels soziologischen Auseinandersetzungen mit der Moderne und der Großstadt oder im Zu-sammenhang mit der Psychoanalyse Freuds, die um 1900 einen ersten wissenschaftlichen Höhepunkt erreichte, vorkommen. 764 Beide Wendungen implizieren die Gefahr einer Pathogenese oder zumindest einer psychi-schen Überforderung der Menschen, wie der Kritiker hier warnend aufzei-- 761 Das Kleine Journal vom 5.12.1893. 762 Das Kleine Journal vom 5.12.1893. 763 Das Kleine Journal vom 5.12.1893. 764 Siehe Worbs 1983. <?page no="276"?> 276 gen möchte. Er erkennt im weltoffenen und toleranten Verhalten der Zu-- -aus dem Kleinen Journal, der man den nationalkonservativen Impetus nur allzu deutlich anhört, stellt hier folglich die Transnationalisierung durch das zeitgenössische Theater als eine Krankheit der Moderne dar, als, wie -ben gelte. Aufgrund des bereits oben angeklungenen empörten bis polemisieren-den Gestus hinter der Kritik verwundert es nicht, dass zwei Tage nach der Aufführung von Sudermanns Heimat durch die Duse und ihre Truppe im Kleinen Journal noch ein Artikel dazu verfasst wurde, der mit den folgen-den Worten beginnt: enisi-rung des Suder -seits der Alpen verdient wohl noch eine weitere Betrachtung als Zusatz zu unserer in der vorgestrigen (Dienstag)--Morgenausgabe veröffentlichten Be-sprechung. 765 Gleich zu Anfang dieser Rezension macht der Kritiker deutlich, wie gering seine Wert Grenze auf;; der Hinweis auf das eine Barriere bildende Gebirge hinterlässt den Eindruck, als zöge er damit auch eine kulturelle Trennlinie. Gleichzei-tig erhält das Gastspiel der Duse durch diese Bemerkung geradezu Quasi--Kolonialisie durch die Virtuosin nennt, überrollt das deutsche Publikum wie eine Invasion, weswegen es einer zweiten Besprechung bedurfte, die dem Ver-such einer Aufklärung hinsichtlich der Mängel des Gastspiels gleich-kommt. Der Rezensent empfindet -schen Heimat als Peinlichkeit für die Duse und als eine Verunglimpfung der deutschen Kunst und damit auch des ge-samten Deutschen Reiches , insbesondere dann, wenn die Duse das Stück auch weiterhin spielt und sogar in anderen Ländern präsentiert: Nun stellt die italienische Virtuosin ihre hohe Kunst in den Dienst der deut-schen Muse, und wir sollen ihr dankbar sein, dafür, daß sie die Vermittlerin zwischen unseren Dichtern und dem Publikum ihres Landes spielt. Gewiß! Diesen Dank soll sie auch haben, wenn sie Herrn Sudermann in ihre Heimath einführt. Aber daß sie uns in Deutschland ein deutsches Bühnen-werk vorspielt, ist doch keine Vermittelung zwischen Deutschland und Ita-lien. Die Duse genießt einen Weltruf, und wenn sie einmal ein Stück dem 765 Das Kleine Journal vom 7.12.1893. <?page no="277"?> 277 Repertoir einverleibt hat, dann sieht es nicht nur Berlin, wo sie zuerst darin auftrat, sondern die Welt. Sudermann kann sich freuen, denn nun wird man lernen. Welchen Ruhm wird unser Dichter da allenthalben ernten! Der arme Sudermann! 766 Die Transnationalisierungstendenzen des Theaters, der transmetropolitane und transnationale Austausch, der durch das länderübergreifende Gast-spielwesen zustande kommen sollte, sie werden hier vom Kritiker als eine Bürde für die Kultur des Kaiserreiches dargestellt: Die Fehlinterpretation schei die theatrale Stellvertreterfunktion der Duse als Italienerin erfährt hier eine geradezu paradoxe Doppelung: Es wird ihr nicht nur die Rolle als Repräsentantin ihrer Heimatnation aufgezwungen, auch noch als eine für diese Aufgabe allerdings nicht geeignete Vertre-terin der deutschen Kunst. Aufgrund dieser Situation ist es kaum verwun-derlich, welches Fazit der Kritiker aus seinen Überlegungen zieht: Wenn je deutsche Vaterlandsliebe gepredigt werden soll, so muß es hier sein, in der deutschen Kunst, die berufen ist, unsere deutsche Mutterspra-che zu verherrlichen. Von einem Deutschen darf und kann unsere Poesie nicht anders als deutsch genossen werden. 767 Vom und im Theater postuliert der Kritiker also ganz offen den kulturellen Nationalismus, der dazu dient, sich von anderen Kulturen und Nationen abzugrenzen. Durch die bis hierher vorgenommene Normi über fordert er von ihm, eine klare Haltung einzunehmen, was einen Aufruf zum Boykott nicht nur bedeutet. Dem Theater als Schnittstelle von Drama und Schauspielkunst wird -- und zwar auf eine gesteigert nationalistische, geradezu chauvinis-tische Weise. Leise, aber doch schon deutlich vernehmbare Anklänge an die radikale Kulturpolitik, wie sie nicht ganz 40 Jahre später in Deutsch-land unter der Herrschaft der Nationalsozialisten aufkommen sollte, wer-den deutlich. 766 Das Kleine Journal vom 7.12.1893. 767 Das Kleine Journal vom 7.12.1893. <?page no="278"?> 278 7.5.5 Der Nationalismus und seine Parodie Eine im Zusammenhang mit dem Nationalismus überaus interessante theaterhistorische Quelle soll diesen Themenkomplex abschließen. Es ist der bereits zitierte Artikel des Journalisten Adolph Kohut, der 1893 in der Theaterzeitschrift Bühne und Leben erschien. Er beschäftigt sich mit dem zweiten Berlin--Gastspiel der Duse und dessen Bedeutung für die deutsche Hauptstadt und gibt ein wahrscheinlich fiktives Zwiegespräch zwischen einem nicht näher definierten lyrischen Ich und einer Kommerzienrats-gattin, also einer Dame der besseren Berliner Gesellschaft, wieder. Der Artikel ist als eine Parodie auf die Meinung der national--konservativen Elite Berlins vertreten durch die von der Kommerzienratsgattin wieder-gegebene Einstellung ihres nationalbewussten Ehemannes zu lesen. Im Zeitschriftenartikel werden dem Kommerzienrat die folgenden Worte in den Mund gelegt: Der Tanz um das goldene Kalb des Auslandes, die Vergötterung des nicht-deutschen Künstlers war von jeher eine berechtigte Eigenthümlichkeit un-seres Volkes, eine Nationalkrankheit, welche der Erfolg des Krieges von 1870/ 71 zwar ein wenig gelindert, aber keineswegs gründlich beseitigt hat. 768 hier nicht nur als (ne schon seit sehr langer Zeit existiert, sondern, und dies erinnert an die oben zitierte Kritik aus dem Kleinen Journal, als eine pa ch den Sieg im Deutsch--Französischen Krieg sowie die Reichsgründung und den damit zusammenhängenden Prozess des nation building seien, so wird im Artikel behauptet, solche negativen transnationalisierenden Tendenzen zwar ein wenig reduziert worden, der be immer noch vorhanden. Daher rühre auch die falsch verstandene und genauso falsch umgesetzte Begeisterung für die Gastspiele: Wir näherten uns ihnen [den internationalen Gastspielvirtuosen sw] nicht mit objektivem, kritischem Sinn, sondern geblendet von den glühenden -ner Sarah Bernhard [sic! ], einer Adelaide Ristori, eines E. Rossi, eines Salvini, eines Edvin Booth [sic! ] und man wird zugeben, daß der Götzen-dienst, welcher mit der Duse getrieben wird und dessen Ausschreitungen wir in den nächsten Tagen mit sehr gemischten Gefühlen entgegensehen, nur eine Wiederholung des alten, wenig erbaulichen Schauspiels des deut-schen Erbübels ist. 769 768 Kohut 1893, 148. 769 Kohut 1893, 148. <?page no="279"?> 279 Die von Generation zu Generation vererbtes Problem, als ein Teil des ge-schwächten deutschen Nationalcharakters also, sowie das (übersteigerte) Interesse an der ausländischen Kunst als Symptom eines kränkelnden Nationalverständnisses führten schließlich zu einer Überschätzung der be-rühmten ausländischen Bühnenkünstler, die in keinem Verhältnis zu deren Position als Vertreter einer Fremdkultur stünde: Daher kam es, daß französische, englische, italienische Schauspieler und Schauspielerinnen, die auf deutschen Bühnen auftraten, hier fast durchweg in überschwenglicherer Weise gefeiert wurden, wie in ihrem eigenen Va-terlande. 770 Um solchen Missständen entgegenzuwirken, fordert die im Dialog von seiner Gattin zitierte Figur des national--konservativen Kommerzienrats schließlich eine Steigerung der Wertschätzung der eigenen deutschen Bühnenkünstler statt einer übermäßigen Verehrung der fremden Akteure: Bevor ihr euch vor dem ausländischen Fetisch in den Staub werft und ihm Hekatomben aller Art opfert, lernt erst die eigenen Götter ehren und die Ei-- -mopolitisch aber auch die Wahrheit, die Tugend der Gerechtigkeit sollte kosmopolitisch sein und sich nicht blos auf das Ausland, auf die durch Re-klame und Humbug großgewordenen Wander--Virtuosen, welche von Zeit zu Zeit das Land mit ihren Heerzügen durchziehen und verwüsten, be-schränken! 771 Beim Lesen von Kohuts Artikel stellt sich dem heutigen Rezipienten die Frage, ob das Gespräch ein fiktives ist oder ob es eine reale Grundlage hat. Das erscheint jedoch sekundär: Selbst wenn Kohut sich die Formulierun-gen des Kommerzienrats nur ausgedacht und es diese Meinungsäußerung wie auch das Gespräch so niemals gegeben hat, zeigt der Dialog, dass sol-che Gedanken hinsichtlich des internationalen Gastspielwesens und damit auch hinsichtlich einer nationalisierenden sowie vor allem einer transnati-onalisierenden Wirkung der Institution Theater, die auf einer radikalen kulturnationalistischen Grundlage basierten, aktuell und gegenwärtig waren. Sie existierten im kollektiven deutschen Bewusstsein des ausgehen-- 770 Kohut 1893, 148. 771 Kohut 1893, 148-- Anspielung auf Phineas Taylor Barnum (1810--1891) statt, der ein für sein wirtschaftli-ches Geschick, seine Selbstvermarktungsstrategien und seine Reklametricks bekann-ter amerikanischer Impresario war. Ihm gelang es, mit ganz unterschiedlichen Unter-nehmen, beispielsweise dem Zirkus Barnum & Bailey und seinen Kuriositäten-kabinetten, durch Tourneen auch international große Erfolge zu feiern. Vor allem referiert wird. Siehe Adams 1997;; Barnum 2000;; Cook 2001;; Cook 2005;; Springhall 2008. <?page no="280"?> 280 den 19. Jahrhunderts und wurden öffentlich geäußert in Form von ernst-hafter Kritik oder als Satire, die ohne reale Grundlage jedoch nicht möglich ist. 7.6 Abschluss Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass in der Rezeption der Duse-- Gastspiele zwischen dem ersten und dem zweiten Jahr eine Veränderung stattfand: Zeigte man sich 1892 vonseiten der Zuschauer sowie der Kritik noch weltoffen und interessiert sowohl der ausländischen Virtuosin als auch ihrer künstlerischen Darbietungen gegenüber, so nahm diese ostenta-tive Toleranz im Folgejahr zumindest partiell deutlich ab. Die Struktur des Publikums veränderte sich. Nicht mehr allein die Berliner Elite besuchte die Gastspiele, sondern diese wurde durchmischt mit sensationshungrigen -intellektuellen Quellen Glauben, bald die Zuschauerschaft sogar dominiert bei den Kritikern der Eigengruppe allerdings nicht mehr als so repräsenta-bel wie die Zuschauer im Vorjahr. Außerdem wurden im zweiten Jahr wenn auch nur vereinzelt Stimmen laut, welche die sich mondän und aufgeschlossen gebende Berli-ner Presse mit ihrem (Kultur--) Nationalismus unterminierten. Hatte man die transnationalisierende Wirkung der Institution Gastspiel 1892 noch als positiv auch für den (inter--) nationalen, metropolitanen Ruf Berlins wahrgenommen, so rief man nun dazu auf, die eigene, deutsche Kultur in den Mittelpunkt zu stellen. Im Kontext des Besuchs von Eleonora Duse in Berlin wird folglich deutlich, wie sehr man sich der beiden Tendenzen des Gastspiels, der transnationalisierenden wie auch der nationalisierenden, bewusst war und wie man versuchte, beide Strömungen für die eigenen Zwecke zu nutzen sei es zur Forcierung der Metropolisierung der deut-schen Hauptstadt und zu einer damit zusammenhängenden positiven Außenwirkung, die aber letztlich wieder nach innen strahlen sollte, sei es zur Förderung der Nationalisierung und damit zur Schaffung eines eige-nen Nationalbewusstseins im Zuge des nation building. Der Blick auf Berlin zeigt jedoch nur die eine Seite der Medaille;; denn ein latenter Dualismus beeinflusste den Diskurs: Der Hauptstadt gegen-- -schränkt, Beachtung geschenkt werden soll. Welche kulturelle Rolle die en das Beispiel von Mainz am Rhein. Es soll dargestellt werden, wie die Duse auch in kleineren Städten im Deutschen Reich während eines Gastspiels rezipiert wurde, wie man den Besuch der großen Virtuosin auf lokaler Ebene verhandelte und welche (Aus--) Wirkungen ihr Gastieren auf das <?page no="281"?> 281 8. 8.1 Der Gegenentwurf zur Metropole: diese Bezeichnung wurde in zeitgenössischen Quellen oft abschätzig für die Bühnen im Deutschen Reich verwendet, die nicht Teil der regen Berliner Theaterlandschaft waren, das heißt für alle Bühnen der deutschen Groß--, Mittel-- oder Kleinstädte (mit Ausnahme der Hofthea-ter). 772 Von ihnen versuchte man sich in der deutschen Hauptstadt abzuhe-- Zuschreibung: Alles, was nicht auf den und um die Hauptstadtbühnen herum passierte, wurde in der Metropole Berlin mit Argusaugen beobach-tet. Schließlich hatte man im Laufe der Jahre ein großes Sendungsbewusst-sein entwickelt und sah sich selbst als den wichtigsten Ort im Deutschen Reich an in kultureller, politischer sowie gesellschaftlicher Hinsicht. Die en die Berliner als rückständig, konser-vativ und künstlerisch minderwertig ab und belächelten sie mit der Über-heblichkeit der Großstädter und mit metropolitanem Dünkel. Als Beispiel für die herablassende Haltung gegenüber dem Provinzthe-ater sei hier der Artikel des Journalisten Hermann Ginsheimer (1883--1950) in der Schaubühne angeführt, in dem der Autor angibt, das Publikum dort -- 773 Provinztheater! Das Wort hat einen gräßlichen Klang, eine ominöse Nebenbedeutung;; den theaterstolzen und theaterverwöhnten Berlinern läuft dabei eine Gänsehaut 774 Selbst wenn in Ginsheimers Aussage ein satirischer Unterton mitschwingt, macht sie doch eines deutlich: Den unangefochte-nen Mittelpunkt der deutschen Theaterlandschaft wollte und sollte Berlin mit seinen vielen unterschiedlichen Bühnenunternehmen und verschiede-nen Stätten der theatralen Unterhaltung bilden. Die deutsche Hauptstadt setzte alles daran, ihre Vormachtstellung zu behaupten und als Metropole nach innen wie nach außen Einfluss nehmend zu glänzen. 772 Obwohl es zwar unterschiedliche theatergeschichtliche Veröffentlichungen zu einzel-nen Bühnen in deutschen Groß--, Mittel-- und Kleinstädten gibt, ist eine intensive Be-gehenden 19. Jahrhundert (auch hin-sichtlich ihres Verhältnisses zur Metropole Berlin) immer noch ein Desiderat der theaterhistorischen Forschung. Auch hier soll das Thema nur sehr kurz betrachtet werden, nämlich als eine Art Seitenblick von der deutschen Reichshauptstadt. Zu den 773 Ginsheimer 1905, 350. 774 Ginsheimer 1905, 350. <?page no="282"?> 282 So ließ man in der Reichshauptstadt keine Möglichkeit aus, die kom-munalen Bühnen der Provinz in der Öffentlichkeit als fortschrittsfeindlich und unmodern abzuqualifizieren und sie auf dieser Basis zu verurteilen. Vor allem die den kleinen Bühnen im Diskurs häufig nachgesagten künst-lerischen Defizite, vorgeblich mit verschuldet von einem rückständigen, unterhaltungssüchtigen und oberflächlichen Publikum, standen dabei im Zentrum der Kritik. Ginsheimer schreibt dazu: Da spricht man in Berlin von Höhenkunst und ähnlichen Begriffen und so ein Stadttheaterdirektor ist froh, wenn er hie und da dem be-- und geliebten Sudermann in gemessener Entfernung einen Hauptmann oder Halbe folgen lassen kann. Im übrigen hält er sich, muß er sich an Blumenthal, Kadelburg und ihre epigonenhaften Vor-- 775 Künstlerische Rückständigkeit, konservative Inszenierungen, zweit--, wenn nicht sogar drittklassige Stoffe und Akteure all diese Kritikpunkte fanden Einzug in die Diskussion und standen dem modernen Denken, dem met-ropolitanen Fortschritt und dem Auftreten der Elite der deutschen Büh-nenlandschaft in der Hauptstadt entgegen. Doch nicht nur auf ästhetischer Ebene, sondern auch im praktischen Be-reich wurden Defizite aufgezeigt. So waren die Arbeitsbedingungen der Schauspieler an den Provinzbühnen den Kritikern ein Dorn im Auge. Sie sagten den kleineren und größeren Stadttheatern im Deutschen Reich ge-nerell eine schlechte Bezahlung, die kaum erfüllbare Forderung nach gro-ßer künstlerischer Flexibilität der Darsteller, sexuelle Belästigung sowie Ausbeutung insbesondere des weiblichen Bühnenpersonals, unzumutbare Arbeitsbedingungen und vieles mehr nach. Dazu schreibt der Schriftsteller und ausgewiesene Berlin--Kenner Victor Laverrenz (1862--1910): Betrachten wir in einigen Zügen die Lage und Stellung der ausübenden dramatischen Künstler. Diese ist, abgesehen von den wenigen, welche das große Glück haben, an einem Hoftheater oder guten Stadttheater mit Jah-reskontrakten plaziert zu sein, einfach entwürdigend. Die Misère ist an einer großen Anzahl von Provinz-- und Stadttheatern gradezu eine zum Himmel schreiende. Die Künstler haben in vieler Beziehung die bittersten und herbsten moralischen wie physischen Leiden durchzumachen und werden sie leider noch weiter durchmachen müssen, wenn nicht endlich Kämpfer für ihr Wohl eintreten, welche den Mut haben, mit dem alther-kömmlichen Unwesen zu brechen. 776 Auch auf die provinziellen Kollegen der Berliner Journalisten hagelte es heftige Kritik. So bemängeln Heinrich und Julius Hart an ihren Fachkolle-gen fehlendes Können sowie mangelndes Interesse: 775 Ginsheimer 1905, 350. 776 Laverrenz 2009, 255. <?page no="283"?> 283 Auch von dem kleinsten Provinzial-- und Stadtblättchen verlangt der Leser einen kritischen Bericht über die am Tage vorher geschaute Theatervor-stellung. Redaktion und Verleger beugen sich diesem allmächtigen Verlan-gen und [p]räsentiren dem hochverehrten Publikum zum Morgenkaffee ei-nige mehr oder weniger lobende oder tadelnde Zeilen, deren größter Werth darin besteht, daß sie einen Raum ausfüllen. In zahlreichen, vielleicht in den meisten Fällen bringt der Redakteur eines Provinzialblattes der Bühne überhaupt gar kein persönliches Interesse entgegen! Sein Sinn ist vielleicht auf die hohe Politik, auf die Nationalökonomie oder sonst einen anderen Gegenstand gerichtet, und doch beugt er sich dem Zwange und schreibt über Dinge, von denen er nicht das geringste oder doch nur das oberfläch-lichste Ve -werk, aus Phrasen, stereotypen Redensarten, halbwahren und schiefen Urtheilen zusammengesetzt, für jeden Erfahrenen den Stempel der Un-kenntniß an sich tragend, ist seine Folge! Das Theater aber, Dichter und Schauspieler werden mit gebundenen Händen einem Kunstbarbaren aus-geliefert, den sie vielleicht aus Furcht vor der Macht der Zeitung nicht ein-freuen, wenn all diese Herren Recensenten noch so viel inneren Stolz und Charakterfestigkeit besitzen, daß sie ihr Urtheil wenigstens nicht von der Bezahlung, so oder so, abhängig machen. 777 Allerdings ließ man bei Weitem nicht jeden Vorwurf gelten und ohne Wi-derstand auf sich sitzen nicht in der Provinz und auch nicht im deutschen Theaterdiskurs generell. So warf man den Berliner Kritikern im Gegenzug grenzenlose Überheblichkeit und einen metropolitanen Dünkel vor, von denen deren Rezensionen sowie ihr Urteilsvermögen überschattet seien. -der in ihrer gegenseitigen Ablehnung noch in deren Bekundung etwas. Die Belangen bevormundet jede Seite verteidigte ihre eigene Position in der deutschen Theaterlandschaft aufs Eifrigste. Letzten Endes waren sich die Bühnen der Metropole und die Theater der kleineren, mittleren und größeren deutschen Städte jedoch ähnlicher, als sie hätten zugeben wollen aller vermeintlichen Qualitätsunterschiede zum Trotz. Denn auch wenn ein großer Teil der kommunalen Häuser eine finanzielle Unterstützung in Form von Subventionen erhielt, 778 reichte dies 777 Hart/ Hart 2009, 59--60. 778 Manfred Brauneck schreibt zu den kommunalen Theatern, es hätten -- -sames Merkmal war, daß die Stadt sich an der Finanzierung beteiligte: in Form von einer Subvention, die dem privaten Pächter eines der Stadt gehörenden Theaterge-bäudes gewährt wurde oder einem privaten Theaterunternehmer, der seinen Spiel-- <?page no="284"?> 284 nicht aus und man sah sich gezwungen, nach ganz ähnlichen oder sogar den gleichen ökonomischen Prinzipien zu wirtschaften: Man hatte sich nach dem Geschmack des Publikums zu richten, war abhängig von ver-mittelnden Institutionen, die auch das eigene künstlerische wie wirtschaft-liche Schaffen beeinflussten wie zum Beispiel Theateragenten oder Büh-nenbau-- und Ausstattungsfirmen, musste sich an Angebot und Nachfrage orientierten etc. Ein Gastspiel wie das der berühmten internationalen Vir-tuosin Eleonora Duse spielte dabei natürlich dem jeweiligen Theaterdirek-tor ob in Berlin oder in der Provinz in die Hände;; schließlich bedeutete ein solches Ereignis einen absolut sicheren Zugewinn. So ergriff man die Gelegenheit, die Neugierde und das Sensationsbedürfnis der am Theater interessierten Menschen zu den eigenen wirtschaftlichen Zwecken auszu-nutzen. 779 Der Journalist Ludwig Fleischner beschreibt diese die Finanzie-rung der Theater betreffende Situation mit den folgenden Worten: An vielen Bühnen [i.e. Provinzbühnen sw] giebt es nämlich gewöhnliche und erhöhte Operettenpreise, gewöhnliche und erhöhte Lust-- und Schau-spielpreise, Gastspielpreise, Preise für Kindervorstellungen, für Novitäten u.s.w. Man läßt sich nun gewiß eine Erhöhung der Preise gefallen, wenn etwa das Aufführungshonorar des Stückes oder die Honorar--Forderungen eines bedeutenden Gastes so große sind, daß selbst ein volles Haus bei normalen Preisen keinen Ueberschuß über die Auslagen ergeben würde . 780 Eine solche wie im obigen Zitat geschilderte Ausnahmeerscheinung stellte die italienische Virtuosin Eleonora Duse dar, die Mitte der 1890er--Jahre nicht mehr nur in Berlin, sondern auch in anderen Städten im Deutschen Reich Gastspiele gab. Als Beispiel für die Rezeption der Duse in der -- -ter Mainz im April und Mai des Jahres 1895 dienen. betrieb in einem Gebäude unterhielt, das ihm selbst, dem Souverän oder einer Ak-tiengesellschaft gehörte. In eigener Regie, der kostenaufwendigsten Form des Unterhalts einer Bühne, betrieben 1914 lediglich zehn Städte ihre Theater. 113 Städte besaßen um 1900 eigene Theatergebäude, die sie verpachtet hatten, in zahlreichen -ihre verpachteten oder in privatem Besitz befindlichen The-- 779 Carl Hagemann bestätigt und bedauert die ökonomische Notwendigkeit der Gast-spiele berühmter Schau ist eben das traurige: das Publikum will Virtuosen und verdient auch Virtuosen. Ohne gelegentliche Gastspiele kann sich kein Provinztheater finanziell über Wasser 780 Fleischner 1902, 109. <?page no="285"?> 285 8.2 Das Gastspiel in Mainz (1895) Das Gastspiel der Duse in Mainz am Rhein war Teil einer größeren Tour-nee durch mehrere deutsche und europäische Städte. So bereiste sie in dam, Arken, Aja, Bremen, Brüssel, Düs-seldorf, Elberfeld, Köln, Mainz, Straßburg, Mannheim, London, Wien, Budapest, Wien, Kopenhagen, Stockholm, Göteburg 781 und war somit ständig und in fast ganz Europa unterwegs. Ursprünglich hatte man für den Besuch in Mainz zwei Abende angesetzt. 782 Nach ihrem ersten Auftritt am 23. April 1895 musste jedoch das Gastspiel aufgrund einer Erkrankung der Virtuosin unterbrochen werden. 783 Seine Fortführung fand es am 6. Mai, also zwei Wochen später, sodass das Publikum der Pro-vinzstadt doch in den Genuss der beiden angekündigten Auftritte der be-rühmten italienischen Bühnenkünstlerin kam. 8.2.1 Das Mainzer Publikum Eine Frage der Quantität Eleonora Duses Gastspiel galt schon im Vorfeld als ein großes Ereignis für die kleine Provinzstadt Mainz. 784 Die Lokalpresse war sich des künstleri-schen Ranges des internationalen Stars wie auch der enormen Bedeutung 781 Müller 2000, 271. 782 Auf dem Programm standen Die Kameliendame von Alexandre Dumas fils am ersten und Giovanni Vergas Cavalleria Rusticana am zweiten Gastspielabend. 783 So war am 24.5.1895 folgende Nachricht im Mainzer Tagblatt Schürmann, dem Impresario der Signora Duse erhielt die Direktion am gestrigen Madame Duse Donnerstag, den 25. nicht auftreten kann. Nach beifolgendem Attest des Herrn Professor Leichtenstern in Köln ist Madame Duse unbedingte Ruhe ver-ordnet, widrigenfalls sie sich der Gefahr aussetzt, ernstlich und schwer krank zu werden. Die Truppe wird in Mainz verbleiben und wird Madame Duse uns [sic! ] in 8 bis 10 Tagen mittheilen, ob und wann sie ihre Tournée wieder aufnehmen kann. In dem Falle werde ich Ihnen dann sofort das Datum der zweiten nun ausgefallenen Vorstellung bestimmen. Ich bedaure, daß sowohl Madame Duse als auch uns beiden dieser Verlust entsteht, kann aber daran leider nichts ändern. Trösten Sie sich damit, daß auch Mannheim, Straßburg, Kopenhagen etc. durch die Erkrankung von Ma-- Mainzer Tag-blatt Duse ist heute Früh nach Mailand abgereist um sich dort, wie wir vernehmen, einer Mainzer Tagblatt -- -cherlich nicht sehr prestigeträchtigen europäischen Städte machte, ob es sich hierbei also eher um eine unlust-als eine krankheitsbedingte Pause handelte, darüber lässt -kulieren. Der Mainzer Begeisterung für die italienische Virtuosin, dies kann man zu-mindest den Zeitungen entnehmen, tat der Aufschub nur wenig Abbruch. 784 Zur Mainzer Stadtgeschichte um 1900 siehe Kläger 1998, 429--474. <?page no="286"?> 286 des Besuchs für die Stadt bewusst und stimmte ihre Leser darauf ein. Vor allem denjenigen, die noch nicht so viel über die Duse wussten, leistete man Hilfestellung: Wenige Tage vor dem ersten Gastspielabend fand sich in der Theaterspalte der Lokalzeitung Mainzer Tagblatt ein speziell zum hinwies, dass zur vorbereitenden Lektüre auf den Besuch des italienischen Stars der Gastspielführer von Hermann Bahr an der Theaterkasse erhältlich sei;; außerdem wurde in der Zeitung aus dieser (inzwischen bereits drei Jahre alten! ) Schrift zitiert und damit dem Leser ein Eindruck vom Ausse-hen der Italienerin sowie von der Besonderheit ihrer Schauspielkunst vermittelt. 785 Aufgrund der im Vorfeld der Auftritte kräftig geschlagenen Werbe-trommel war es nicht erstaunlich, 786 dass das Gastspiel der Duse in Mainz zumindest auf quantitativer Ebene einen beachtlichen Erfolg errang. Ein Kritiker des Neuesten Mainzer Anzeigers, einer Zeitung, die der Italienerin äußerst wohl gesonnen war, schreibt als Reaktion auf den ersten Abend, an Kameliendame gab, voller Begeisterung: lich war der große Abend, der Duse--Abend, herangekommen: wir haben sie gesehen, gehört und bewundert[,] die gefeierte Italienerin. Auch 787 Auch der Kritiker des Mainzer Anzeigers bringt in seiner Besprechung die Freude über das Gastspiel der Duse zum Ausdruck, schränkt jedoch seine Begeisterung sogleich wieder ein, wenn er schreibt: nach Mainz, wo man so gerne das Große anerkennt;; gestern erst hielt sie 788 Dieses einen leichten Vorwurf enthal-tende Zitat erinnert auf erstaunliche Weise an den an anderer Stelle bereits zitierten Artikel aus dem Berliner Lokal--Anzeiger, in dem ein ungenannter Kritiker als Reaktion auf das erste Gastspiel der Duse im Jahre 1892 ange-- 789 , wo man es gewöhnt sei, Karrieren zu machen, nicht bereits fertige Karrieren nur noch zu unterstützen. Wenn schon der Aussage des Berliner Journalisten ein überzogenes Selbstbewusstsein bezeugt werden kann, denn schließlich idealisiert er die Rolle der Reichshauptstadt, so darf man der Äußerung des Mainzer Kriti-- 785 Vgl. Mainzer Tagblatt vom 22.4.1895. 786 Im Mainzer Anzeiger heißt es di dem geschäftsgewandten Impresario der Duse so viel schreiende Reklame aufge-wendet worden, daß man nur Zweifel hegen konnte, ob die Kunst der Italienerin wirklich über alles Maß sei;; aber Kleppern gehört zum Handwerk, denkt Herr Mainzer Anzeiger vom 24.4.1895. 787 Neuester Mainzer Anzeiger vom 24.4.1895. 788 Mainzer Anzeiger vom 24.4.1895. 789 Berliner Lokal--Anzeiger vom 22.11.1892. <?page no="287"?> 287 -tor;; gleichwohl überbewertet der Rezensent hier die eigene Bedeutsamkeit. Schließlich gehörte Mainz zu den kleinsten Städten, die Eleonora Duse während ihrer Gastspieltournee 1895 im Deutschen Reich besuchte. Es war weder national noch international berühmt, nicht für sein Theater und auch nicht für sein Publikum und für den internationalen Erfolg der Duse daher nahezu belanglos. Dennoch, und das wird durch die Äußerung des Kritikers im Mainzer Anzeiger wie man es in der deutschen Hauptstadt getan hatte, die eigene Wichtig-keit und Größe für sein Leserpublikum zu definieren und zu statuieren, um seine Position affirmativ zu stärken selbst wenn man dabei seine eigene Bedeutsamkeit überbewertete, die Realität für persönliche Zwecke schönte und so Die Stärkung des Selbstbewusstseins der Provinzstadt durch das Thea-ter funktionierte vor allem über den Faktor der Quantität: Angelockt von den großen im Voraus gemachten Versprechungen von einem besonderen Ereignis kam eine enorme Anzahl an Zuschauern, die sich durch die er-höhten Eintrittspreise nicht abschrecken ließen. Die Plätze für die Duse-- Abende im Mainzer Stadttheater waren ausverkauft und damit setzte man ein deutliches Zeichen nach außen hin. Für den ersten Gastspielauf-tritt der Duse bestätigt dies ein Journalist des Mainzer Anzeigers, wenn er schreibt: Ein bei ganz ungewöhnlich hohen Preisen fast bis auf den letzten Platz ge-fülltes Haus, dem sogar durch die Erhöhung des Orchesters noch eine ziemliche Zahl neuer Plätze zugeführt war das ist der äußere, materielle Erfolg des gestrigen ersten Duse--Abends. 790 Mit der vollen Auslastung des Stadttheaters, die in nahezu jeder Kritik erwähnt wurde, 791 zeigten die Mainzer Zuschauer, dass man auch hier in schehen ver-folgte und diesem aufgeschlossen gegenüberstand und dass es sich für internationale Größen wie die Duse lohnte, eine Stippvisite in die kleineren Städte zu machen. Schließlich wusste man sie auch dort zu schätzen und brachte dies durch sein zahlreiches Erscheinen zum Ausdruck. Allerdings bedeutete ein volles Haus nicht gleichzeitig auch ein begeis-tertes Publikum: So gingen in den Redaktionen der Mainzer Lokalzeitun-gen zumindest hinsichtlich des ersten Gastspielabends die Meinungen 790 Mainzer Anzeiger vom 24.4.1895. 791 So verweist der Kritiker des Neuesten Mainzer Anzeigers ebenfalls sowohl darauf, dass Haus war trotz der exorbitant hohen Preise ausverkauft;; selbst im Orchester waren Neuester Mainzer Anzeiger vom 24.4.1895. <?page no="288"?> 288 der Kritiker zur Akzeptanz der künstlerischen Leistung der Duse bei den -- Neuesten Mainzer Anzei-gers und des Mainzer Anzeigers gehörten, und aus den Kritikern des Mainzer Tagblatts und der Mainzer Volkszeitung. Von den einen wurde die Virtuosin in den höchsten Tönen gelobt und sie be-schrieben das Gastspiel fast wie eine künstlerische Offenbarung;; die ande-ren sahen die Situation nicht ganz so positiv. Sie erkannten zwar die Vor-züge, aber sie bemerkten auch die Defizite der Duse und äußerten leichten Unmut darüber. Ein Kritiker des Mainzer Tagblatts schreibt: [D]er Beifall, den die berühmte Tragödin fand, war stark, aber nicht in dem Maße enthusiastisch, wie an anderen Orten. Der Eindruck der künstleri-schen Leistung der Duse war trotzdem ein tiefgehender aber die volle Entwickelung [sic! ] der Beifallsfreudigkeit wurde durch mancherlei äußere Dinge gestört. 792 Man hatte sich in der kleinen Stadt Mainz so sehr darauf gefreut, die be-rühmte Virtuosin Eleonora Duse endlich empfangen zu dürfen und an diesem, vor allem lokal bedeutenden Ereignis teilzuhaben, dass die Er-wartungshaltung sowohl beim Publikum als auch bei der Presse enorm hoch war. Wie schon erwähnt, musste die berühmte Bühnenkünstlerin ihren Gastspielbesuch in Mainz bereits nach dem ersten Abend aus ge-sundheitlichen Gründen für zwei Wochen unterbrechen. Diese körperliche Beeinträchtigung schlug sich, glaubt man einem Teil der Kritiker, auch in ihrem Spiel nieder, sodass die Duse die bei den Rezipienten vorhandenen hehren Erwartungen nur bedingt erfüllen konnte. Dies sorgte zumindest bei der Presse in der Provinzstadt für Enttäuschung. Trotzdem war man sich grundsätzlich der überragenden Bedeutung des künstlerischen Ereig-nisses auf den Brettern des eigenen Stadttheaters bewusst. Die aus dieser Situation resultierende gemischte Gefühlslage fasst ein Kritiker der Mainzer Volkszeitung wie folgt zusammen: Wir können die Begeisterung begreifen, welche die originelle, geniale Schauspielerin überall, auch auf deutschem Boden, entfacht hat, wenn auch hier der Erfolg gerade kein besonders stürmischer gewesen ist, denn das gestrige Auftreten litt offenbar unter dem leidenden Zustande, in welchem sich die Künstlerin gegenwärtig befindet und der auch zum Abbruch des Gastspiels geführt hat. 793 Die Aussage macht deutlich, dass sich zumindest ein Teil des Mainzer Publikums sowie einzelne Vertreter der lokalen Presse von dem groß an-gekündigtem Gastspiel der Duse weitaus mehr erwartet hatten, dass die Virtuosin diese Hoffnungen jedoch nicht erfüllte, vielleicht auch nicht 792 Mainzer Tagblatt vom 24.4.1895. 793 Mainzer Volkszeitung vom 24.4.1895. <?page no="289"?> 289 erfüllen konnte. So büßte der (inter--) nationale Mythos Duse wenigstens für einen Teil der Rezipienten an Zauber ein. 794 Allerdings ließ sich nicht jeder Rezensent seine Begeisterung für das Gastspielereignis trüben. Geschickt stellte man in einigen Zeitungsartikeln das künstlerische Geschehen auf der Bühne des Mainzer Stadttheaters hintan, ließ die oben angedeutete nicht übermäßig begeisterte Publikums-- --Charak-- --Abend für die Besucher hatte. So findet sich in einem Artikel aus dem Mainzer Anzeiger nicht nur ein mehr oder weniger detail-lierter Bericht zum Geschehen auf der Bühne, sondern auch der folgende Hinweis auf sensationelle Ereignisse im Umfeld des Gastspiels: War das eine Spannung! In Hunderten waren die Duse--Begeisterten nicht nur aus Mainz, sondern auch aus den umliegenden Ortschaften und Vater-ländern herbeigeeilt;; Hessische Ludwigsbahn, Pferdebahn und Droschken-kutscher erzielten ein gleich gutes Geschäft. 795 Der Besuch der Duse lockte, folgt man der Kritik, die an der Virtuosin und dem Ereignis interessierten Menschen aus Mainz und Umgebung in für die Provinzstadt ungewohnten Scharen an. Dadurch wurde das Gastspiel für die lokalen Transportfirmen zu einem nicht unerheblichen positiven Wirt-schaftsfaktor. Die Verkehrssituation befand sich in einem derartigen Aus-nahmezustand, dass der Rezensent ihn für erwähnenswert hielt. War man beispielsweise in Berlin aufgrund des recht gut ausgebauten Verkehrsnet-zes auf die Beförderung von (Zuschauer-- 796 so stellte die Unternehmung im kleinen Mainz eine logistische Höchstleistung dar, die alle zur Verfügung stehenden Kräfte mobilisierte. Diese Bemerkung des Kritikers, die man leicht als unwichtige Randnotiz abtun könnte, beinhaltet -eignis wie ungewohnt großen Zuschauerandrang gewachsen war. Somit diente der Text der Hervorhebung der eigenen Fähigkeiten und auch dem Eigenlob. Das Mainz--Gastspiel der Italienerin wird im obigen Zitat vom Rezen-eine Darstellung, die sicherlich auch auf die Wahrnehmung der Leserschaft Einfluss hatte: 794 Der zweite Gastspielabend hingegen gestaltete sich hinsichtlich der Rezeption positi-ver. Es heißt dazu: Mainzer Tagblatt vom 6.5.1895. 795 Mainzer Anzeiger vom 24.4.1895. 796 Als Beispiele für eine gute Verkehrsanbindung sollen hier zwei Beispiele von Berliner Theaterunternehmen dienen: So hatte dies zeigt eine zeitgenössische Postkarte das Lessing-- 2007a, 142), die vor dem Gebäude entlanglief (vgl. Marx 2007a, 414--142). Und das Berliner Varieté Wintergarten im Central--Hotel war sogar direkt am Central--Bahnhof Friedrichstraße gelegen und besaß einen eigenen Droschkenhalteplatz für seine Besu-cher (vgl. Ret 1995, 50--52). <?page no="290"?> 290 beizuwohnen, und eine beträchtliche Menschenmenge füllte das Mainzer Stadttheater. Die Provinz zeigte auf eindrucksvolle Art Präsenz. Vergleicht man diese ersten Duse--Vorstellungen in Mainz mit den frühen Gastspielen der Italienerin in Berlin in den Jahren 1892 und 1893 in Hin-blick auf die Zusammensetzung der Zuschauer, dann lässt sich ein großer Unterschied konstatieren: In der deutschen Reichshauptstadt konnte man im Diskurs eine Veränderung innerhalb der Publikumsstruktur vom ersten zum zweiten Jahr feststellen: Waren insbesondere die frühen Vorstellungen der Italienerin in Berlin im Jahre 1892 sehr exklusive Veranstaltungen ge-wesen, bei der sich die Berliner Finanz-- und Kunstelite versammelt hatte, Stück weit ein. Das Publikum in Mainz hingegen wurde unter anderen Prämissen be-schrieben. Der exklusive Charakter der Zuschauer war dabei eher neben-sächlich. Auch spiegelten sich in der Zusammensetzung der Theaterbesu-cher keine veränderlichen innerstädtisch--gesellschaftlichen Strukturen wider. Diese wurden in den Kritiken nicht einmal im Ansatz verhandelt. In der Provinzstadt besuchte man das Duse--Gastspiel, um ein Teil des großen internationalen, aber auch für die eigene künstlerische Prägung als wichtig empfundenen Ereignisses zu werden. Man wollte damit bewusst oder -sität der deutschen Theaterlandschaft leistete. Die Selbstrepräsentation 797 , sondern quantitativen Ebene statt. Vielfalt und Masse statt Exklusivität damit ließe sich, das vermitteln zumindest die Quellen, die Zusammenset-zung des Mainzer Publikums charakterisieren. Ein Kritiker des Mainzer Anzeigers macht dieses Prinzip deutlich, indem er die Zuschauer des ersten Duse--Abends wie folgt beschreibt: Und dann im Inneren des Theaters! Die Loge der Behörden war so gefüllt, daß man über den Kunstsinn unserer Spitzen in Entzücken gerathen konnte;; nicht minder besetzt zeigten sich die Plätze, wo wir gewöhnlichen 798 Die Mainzer Stadtadministrative, die schönen Damen und die, wie es heißt, Haus. Der einzige Umstand, der, wenn auch auf einer anderen als der künstlerischen Ebene, zu einer gewissen Exklusivität führte, war die in den 797 Qualitativ meint in diesem Zusammenhang natürlich nicht eine Bewertung des Publikums als gut oder schlecht, sondern es soll einzig als Antonym zu quantitativ verstanden werden. 798 Mainzer Anzeiger vom 24.4.1895. <?page no="291"?> 291 unterschiedlichsten Kritiken immer wieder als Missstand erwähnte Anhe-bung der Preise für die Theaterkarten, die damit nicht mehr für alle er-schwinglich wurden. Dies stellte ein Problem dar, mit dem man sich bereits in der deutschen Hauptstadt auseinandersetzen musste. Dazu heißt es in einem Artikel im Mainzer Anzeiger zum zweiten Duse--Abend in der Dom-wir etwas bedauern, so ist es, daß die große Menge, zu denen auch die armen Gebildeten zählen, durch die Höhe der Eintrittspreise von 799 Hier wird nur bedingt der Exklusivitätsaspekt betont, wenn der Kritiker von traurig, dass diese spezielle Gruppe fast ganz fehlt, viel trauriger aber scheint man darüber zu sein, dass nicht noch mehr Menschen, und damit -gemäß geht es hier erneut eher um die Anzahl der Zuschauer ein typi-sches Charakteristikum des Provinz--Gastspiels. Im Wunsch nach repräsentativer Quantität statt nach präsentabler Ex-klusivität in Bezug auf die Publikumsstruktur darin lag folglich einer der größten Unterschiede zwischen dem Mainzer und dem Berliner Gastspiel der Duse. 8.2.2 Der erste Mainzer Gastspielabend im Spiegel der Kritik Bei allen Unterschieden im Hinblick auf die Zusammensetzung der Zu-- -ragenden Spielweise musste die Duse als Ausnahmekünstlerin bewertet werden. Trotz der schlechten Tagesform während des ersten Mainzer -- Der Kritiker des Mainzer Tagblatts fand allerdings den Kunstgenuss durch die Darbietung in der Muttersprache der italienischen Akteure ein-geschränkt und sprach damit ein Thema an, das seit den ersten Duse-- Gastspielen im Deutschen Reich immer wieder aufkam und auch in den Mainzer Kritiken diskutiert wurde. Er schreibt: Für deutsche Ohren gar zu hastig und sprudelnd spielte das italienische --sentimentale Tragödie ab, und das schon dadurch schwierige Verständniß wurde noch durch leises Sprechen einzel-h das unmittelbare Verständniß des Wortes. 800 799 Mainzer Anzeiger vom 6.5.1895. 800 Mainzer Tagblatt vom 24.4.1895. Es handelte sich bei dem dargebotenen Stück natür-lich nicht um ein Werk von Victorien Sardou, sondern um Die Kameliendame von Alexandre Dumas fils. <?page no="292"?> 292 -zer Kolle-gen nicht im gleichen Maße. Zwar erwähnen auch sie in ihren Rezensionen die Sprachproblematik und die daraus resultierenden Verständnisschwie-rigkeiten;; die Gestik und Mimik betonende Spielweise gleiche diese aller-dings wieder aus. Dazu erklärt ein Kritiker des Mainzer Anzeigers: und unverständliches Geschnatter, das erst dann aufhört, als die Duse selbst die Bühne betritt. Ohne Applaus tritt sie herein, fast unbeachtet glei-tet sie auf die Ottomane, doch nach wenigen Augenblicken ist Alles ge-bannt. Der unbeschreiblich eindringliche Klang ihrer Stimme, die vollen-dete Grazie ihrer Bewegungen und nicht zuletzt das geistig belebte Gesicht bannen sofort und doch versteht von Hunderten kaum Einer, was diese Margaretha sagt. Aber nein! Wir behaupten, daß wenn Eleonora Duse chi-nesisch spräche, die Menschen ebenso ergriffen sein würden;; denn das ist eben die Meisterschaft der genialen Italienerin, daß sie jene Herzenssprache beherrscht, die alle Erdenmenschen verstehen. 801 tierische Lautäußerung, wie sie Enten oder Gänse von sich geben, macht eines deutlich: Hinter den Worten des Kritikers verstecken sich die in der zeitgenössischen deutschen Gesellschaft latent vorhandenen Vorurteile niert er die Gäste mit Ausnahme der Duse als tier 802 , und er impliziert damit eine kulturelle Unterentwicklung der Fremdkultur. Bewusst stellt er sich als Vertreter der Eigengruppe über die italienischen Schauspieler und deutet zunächst ein-mal die eigene kulturelle Dominanz an. 803 Umso interessanter ist der abrupte Bruch innerhalb der Kritik, der das kulturelle Überheblichkeitsgefühl des Mainzer Journalisten gegenüber den italienischen Kollegen der Duse auf der Stelle konterkariert: Mit dem Auf-tritt von Eleonora Duse endet nämlich für den Rezensenten nicht nur das -druck bringenden Sprachgestus ein und eine fast demütig anmutende 801 Mainzer Anzeiger vom 24.4.1895. 802 Arbeit. 803 Es muss an dieser Stelle betont werden, dass, bis auf sehr wenige Ausnahmen wie zum Beispiel die oben erwähnte Beleidigung, nationalistische Tendenzen aufwei-sende Kommentare in den mir vorliegenden Kritiken, die während des Mainzer Gastspiels verfasst wurden, ausblieben. Dies macht einen weiteren Unterschied zur Rezeption der Berliner Gastspiele der italienischen Künstlerin aus. <?page no="293"?> 293 Faszination von der berühmten Schauspielerin wird deutlich. Vergessen ren italienischen Akteure in seinem Eleonora Duse. 804 eich-net und sie damit auf ihre Nationalität festlegt, schafft sie es dem Kritiker zufolge, dem Publikum ihre Kunst in einer grenzüberschreitenden Sprache zu vermitteln. Diese bezeichnet der Rezensent ein wenig unpräzise, dafür -- Auch in dieser Kritik tritt zutage, wie widersprüchlich die Denkweise im zeitgenössischen Diskurs häufig ist: Hier prallen die Idee von einer Prägung der Duse durch bestimmte starre Nationalcharakteristika und die Vorstellung von ihrer universalistische Tendenzen aufweisenden Virtuo-sität aufeinander zwei Gedanken, die sich eigentlich ausschließen müss-ten. Da sich der Rezensent aber weder von der einen noch von der anderen Sichtweise frei machen kann, (er--) findet er als Lösung für das Problem dieses Paradoxons eine quasi-- -die Situation für sich und für die Zeitungsleser. Weitere Rezensionen zum Mainzer Gastspiel machen ein vom bisheri-- -dest anderen Dualismus: Der artikulierten Nationalsprache steht die von Gesten bestimmte Universalsprache der Duse gegenüber, wie die Kritik in der Mainzer Volkszeitung deutlich macht: Trotzdem der der italienischen Sprache unkundige Zuhörer das Gespro-chene nicht versteht, steht er vollständig unter dem Eindruck ihres unver-gleichlichen Mienenspiels und ihrer bannenden Sprechweise. Ihre Sprache klingt wie Musik und ohne daß man ihre Worte versteht, weiß man was sie sagt. 805 -doch überwinden die nationalen Sprachgrenzen und machen die Akteurin für jeden Zuschauer verständlich, auch oder gerade für den, der nicht italienisch spricht. Dies beschreibt auch ein Journalist des Neuesten Mainzer Anzeigers: Soll ich nun noch viele Worte machen über ihre Ausdrucksmittel, die Gra-zie ihrer Bewegungen, die sprechenden Blicke, die Macht und Feinheit ihrer Geberdensprache? Es genüge zu sagen: die Sprache verstanden wir alle, auch wenn wir des Italienischen nicht mächtig waren. 806 804 Mainzer Anzeiger vom 24.4.1895. 805 Mainzer Volkszeitung vom 24.4.1895. 806 Neuester Mainzer Anzeiger vom 24.4.1895. <?page no="294"?> 294 Eleonora Duses Gestik und Mimik wirkten offenbar auf die Mainzer Kriti-ker nicht nur transnational, sondern sogar universell. Dadurch rückten zwar die Worte des Dichters in den Hintergrund, 807 dafür gewann das körperliche Spiel der berühmten Akteurin aber immer mehr an Zentralität. Es passierte genau das, was man sich von dem Gastspiel der berühmten italienischen Bühnenkünstlerin in Mainz erhofft hatte: Man wurde Zeuge der überragenden universalistischen Virtuosität der Duse, die alle anderen, auch ihr Ensemble, in den Hintergrund spielte. 808 -stellungen unterschied, wird auch in einer Besprechung im Mainzer Tag-blatt deutlich: [Durch ihr Spiel] wird Frau Duse zur Vertreterin des Naturalismus, aber ei-nes durchaus edlen und künstlerisch durchgebildeten Naturalismus;; und so wird Frau Duse zu einer Vertreterin nicht irgend einer mehr oder minder national angehauchten Kunst, sondern der Kunst, die im schönsten und besten Sinne des Wortes international ist: der wahren und echten Kunst. Es liegt in der Natur der Sache, daß dies am wenigstens bei den Stellen der Konversation hervortritt;; hier zollt auch die Duse ihren italienischen Nationaleigenthümlichkeiten ihren Tribut in dem ungewöhnlich raschen Hervorsprudeln der Worte. Aber in Momenten großer innerer Bewegung tritt das rein Künstlerische umso reiner und schöner hervor. 809 Wie hier ersichtlich wird, verbindet zwar der Rezensent vom Mainzer Tag-blatt die gesprochene Sprache der Duse mit ihrer nationalen Herkunft, der Gebärdensprache attestiert er jedoch eine generelle, von der Abstammung unabhängige Verständlichkeit und damit einen Universalismus. Damit gewann die gestenreiche Sprache der Duse eine neue Bedeutung: Bisher 807 Diese Tatsache störte den Rezensenten sicher nicht;; denn es handelte sich um ein -einem (die nationalistische Einstellung des Verfassers widerspiegelnden) Artikel aus dem Mainzer Journal -der gegen die griechischen und deutschen Gewaltigen Aischylus--Shakespeare--Schil-ler--Naturen. Die Romanen sind anderen natürlichen Bedingungen unterworfen und fühlen deshalb anders. Es hat seinen tiefen Grund, weshalb in Frankreich das Conversations--Drama literarisch die Blüthe der Dramatik bedeutet, während in Deutschland dasselbe nur versteifte Zerrbilder hervorbringt. Fratzenhaft ist die tragi-sche Classicität Frankreichs, während die deutsche groß dasteht. Frankreich hat keine große nationale Tragödie, während es das seiner Nationalität entspringende Lust-- Mainzer Journal vom 24.4.1895. 808 Paradoxerweise waren die Hoffnungen des Mainzer Publikums genau gegenläufig zu dem, was man sich im zeitgenössischen Theaterdiskurs ersehnte und von den ein-heimischen Schauspielern auch verlangte, nämlich das an anderer Stelle bereits er-wähnte Ensemblespiel, das man beispielsweise bei den Meiningern realisiert sah. Vgl. Kapitel 4.3.2. 809 Mainzer Tagblatt vom 24.4.1895. <?page no="295"?> 295 galt, was zuvor am Beispiel der Gastspiele in Berlin zu Beginn der 1890er-- Jahre gezeigt wurde, dass nämlich der Gebrauch einer durch Gebärden unterstützten Sprache, die fast einer Zeichensprache gleichkam, beim Pub-- -deutliche Auflösung und das Spiel der Duse damit eine Umcodierung. 8.3 Abschluss Und so deutet sich in den oben zitierten Kritiken aus der Mainzer Lokal-presse bereits eine langsame, aber kontinuierliche Veränderung in der Wahrnehmung der Virtuosin in den 1890er--Jahren an: Hatte man Eleonora Duse bei ihren ersten Gastspielen im Deutschen Reich respektive in Berlin Diskurs fast einstimmig und meist unkritisch in eine Reihe und in eine Traditionslinie mit den anderen italienischen Virtuosen Adelaide Ristori, Ernesto Rossi oder Tommaso Salvini gestellt, so erfuhr die Bewertung ihres Schauspiels gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine Diversifizierung. Neben nora Duses als und Gruppe von Kritikern: Diese diskutierten die Virtuosin unter einer bisher nicht geläufigen Prämisse, nämlich in Unabhängigkeit von ihrer Herkunft. In ihren Augen schien sich die Duse mehr und mehr von ihrer nationalen Prägung zu emanzipieren, weswegen sie als noch größer und bewun-dernswerter wahrgenommen wurde. So ließen sich Mitte der 1890er--Jahre bei der Bewertung der Kunst der italienischen Schauspielerin (mindestens) zwei Strömungen erkennen: Ein Teil der Kritiker behielt die Einstellung bei, dass das Spiel der Duse von Nationalcharakteristika geprägt sei. Ein anderer Teil glaubte, in Eleonora Kunst nicht länger nur national geprägt war, sondern universalistische Züge annahm. Das alte Bild von der Duse, gekennzeichnet von nationalen Stereotypen und starren Vorstellungen, von Verwurzelungen und Traditi-onslinien, durch die man sich mittels der Abgrenzung als Eigenkultur zu definieren versuchte, erfuhr eine langsame Ablösung durch ein neues Bild eines, das Eleonora Duse als Ideal, ja 810 zeigte. -mus von nationaler Stereotypie versus Universalismus hervorbrachte, lässt 810 Berliner Zeitung vom 17.9.1899. <?page no="296"?> 296 sich an dem letzten Berliner Gastspiel der Duse im 19. Jahrhundert aufzei-gen, das im Jahre 1899 stattfand. Es soll in der vorliegenden Arbeit als ab-schließender Ausblick, wenn auch nur kurz, untersucht werden. <?page no="297"?> 297 9. Ein abschließender Ausblick Eleonora Duses Gastspiel in Berlin (1899) Eleonora Duse ist wieder das große Ereigniß in der Berliner Theaterwelt. Nicht die Gesellschaft, die sich um sie gruppiert, nicht die Dramen, die aufgeführt werden, Eleonora Duse allein mit ihrer Kunst. 811 Mit diesen Worten läutete das Kleine Journal den Besuch der Duse in der deutschen Reichshauptstadt im September des Jahres 1899 ein. Eleonora Duse trat 812 an. Dieses fand erneut im Lessing--Theater statt, wo sie bereits 1892 ihr Deutschland-- Debüt gegeben hatte und danach immer wieder aufgetreten war. Die Itali-enerin hatte inzwischen den Status eines Weltstars erlangt: Sie hatte wäh-rend ihrer unzähligen Tourneen auf allen für das ausgehende 19. Jahrhun-dert wichtigen Bühnen der westlichen Welt gespielt und galt inzwischen neben ihrer Konkurrentin Sarah Bernhardt als die größte Schauspielerin ihrer Zeit. 9.1 Eleonora Duses neue Kameliendame Doch nicht jeder Kritiker in der deutschen Hauptstadt zeigte sich in einem solch hohen Maße begeistert von der Rückkehr Eleonora Duses an die Ber-liner Bühne wie der Journalist des oben zitierten Kleinen Journals. Im Ge-genteil, in den Reihen der Rezensenten ganz unterschiedlicher Berliner Zeitungen machte sich sogar leichter Unmut breit. Dieser hatte seinen Grund: Als im Vorfeld des Auftritts der italienischen Virtuosin das Gast-spielrepertoire bekannt gegeben wurde, musste man feststellen, dass sich dieses trotz der zweijährigen Absenz von dem der vorherigen Besuche der Italienerin nur unwesentlich unterschied. Zwar kündigte man für das Gastspiel im Jahre 1899 die deutsche Erstaufführung des Dramas Gioconda, das vom Lebensgefährten Eleonora Duses, dem Dichter Gabriele --1938), verfasst worden war, an;; diese wurde jedoch Stö 813 , wie es in einer Mitteilung in der Täglichen Rundschau hieß, wieder abgesagt. Dem Césarine in dem Drama [i.e. Das Weib des Claudius sw] von Alexandre 814 nur die Abschiedsvorstellung der Duse eine Novität im 811 Das Kleine Journal vom 17.9.1899. 812 Tägliche Rundschau vom 17.9.1899. 813 Tägliche Rundschau vom 29.9.1899. 814 Berliner Börsen--Courier vom 18.9.1899. <?page no="298"?> 298 Gastspielrepertoire dar, alle anderen Rollen war bereits bekannt. Der letzte Auftritt in Berlin für das Jahr 1899 sollte den Ankündigungen nach aus -- -- 815 . Wie bereits angedeutet, wurde die Vorankündigung von der Berliner Presse nicht nur positiv aufgenommen: Man war des redundanten Reper-toires der Duse überdrüssig, wollte Neues sehen. Die Tägliche Rundschau drohte nach der ersten Vorstellung der Schauspielerin wegen der sich wie-trotz der hohen Wertschätzung für die große italienische Bühnenkünstle-rin: Die Flitterwochen unserer Begeisterung sind vorüber, aber mit einer inni-gen Freude huldigen wir immer der genialen Frau, die ihrer Kunst neue Gebiete erobert, neue Ausdrucksmittel erschaffen hat. Daß Frau Duse am gestrigen Sonnabend, der ohnehin an Theaterereignissen reich war, mit der -- Gastspiels lassen wir folgen, sobald sich uns Frau Duse kommende Woche in einer neuen Rolle vorgestellt hat. 816 -schluss der Duse und ihres Impresarios, erneut die Kameliendame zu prä-sentieren, wurde als nicht geschickt emp -- 817 815 Tägliche Rundschau vom 29.9.1899. Es handelte sich um eine für das (internationale) Virtuosentum des ausgehenden 19. Jahrhundert typische Zusammenstellung von Dramenauszügen, die ausgewählt wurden, um den Star besonders in den Mittel-punkt zu rücken. füh-rung stieß nicht auf Wohlwollen. Man fand, sie entbehre jeglichen Respekts vor den der-- Berliner Börsen--Zeitung äußert sich der Kritiker diesem Potpourri gegenüber ablehnend, wenn er schreibt, die Duse habe ein Kunststück, wie wir es sonst nur von Virtuosen zu sehen gewohnt sind, und das wir der Duse nur deshalb nicht übel nehmen, weil wir wissen, wie himmelweit sie mit ihrem Fleiß und ihrer literarischen Gewissenhaftigkeit von allem Virtuosenthum entfernt ist. Immerhin wollte in den gestrigen Abend mit seinem zerstückelten Pro-gramm keine rechte Stimmung kommen und der gewaltige, tiefe Erfolg der früheren Abende blieb aus. Lieber ein schlechtes, aber ganzes Werk von Sardou, als ein mixtum compositum aus den Fragm Berliner Börsen--Zei-tung vom 6.10.1899. 816 Tägliche Rundschau vom 17.9.1899. 817 Es handelt sich hierbei um eine äußerst interessante Bemerkung, zeigt sie doch die der Italienerin in <?page no="299"?> 299 Im Jahre 1892 hatte die Duse am Berliner Lessing-- -tiert und diese bei all ihren Gastspielen in der deutschen Reichshauptstadt verkörpert. Die Rolle gehörte zum international geprie-senen Stammrepertoire der italienischen Schauspielerin. Nach den vielen Gastspielen, in denen sie Die Kameliendame immer wieder gegeben hatte, wollte man diese Partie in Berlin aber nicht mehr sehen auch deshalb nicht, weil das Stück von Dumas schon vor, aber auch nach dem Debüt der Duse von vielen anderen deutschen wie auch internationalen Schauspiele-rinnen in Berlin aufgeführt worden war. 818 Für Bühnenkünstlerinnen, die sich als Virtuosinnen profilieren wollten, galt es als eines der am besten geeigneten Dramen: Nahezu alle Zuschauer im Publikum kannten es, viele hatten von den Interpretationen berühmter Schauspielerinnen gehört, vor allem von denen der Sarah Bernhardt, oder eine Inszenierung, in der eine mehr oder weniger bekannte Büh gegeben hatte, gesehen und so bot das Drama eine hervorragende Mög-lichkeit, die individuelle Rolleninterpretation an der von (berühmten) Vorgängerinnen zu messen und das eigene Talent vor Publikum unter Beweis zu stellen. 819 Daher war man nun der Kameliendame der Duse, die man einst so überschwänglich gelobt hatte, 820 überdrüssig. Berlin findet man nicht die kleinste Randbemerkung zu parallelen Theaterereignis-sen. Diese schienen in der Situation des Gastspiels der Duse so unwichtig, dass sie nicht erwähnt werden mussten. Hier sieht es anders aus: Die Duse wird zu einem Er-eignis unter vielen die Exklusivität des ersten Gastspiels, die bereits beim zweiten im Schwinden begriffen war, scheint nach sieben Jahren fast nicht mehr vorhanden zu sein. 818 So spielte neben Marie Reisendorfer beispielsweise auch Louise Dumont (1862--1932) Die Kameliendame. 819 meisten berühmten, aber auch minder bekannten Schauspielerinnen in Europa so be-liebt, dass sie ein wunderbares Beispiel für das in der Einleitung bereits angespro-- The Haunted Stage anhand von anderen Beispielen, u.a. -- Kameliendame mit Eleonora Duse sowie maßgeblichen, auch andere Inszenierungen prägenden Produktionen, sowie in ande-ren Zusammenhängen. Siehe Carlson 2003, insbesondere 101. 820 So hatte man 1892 bei der Gastspiel--Premiere der Duse Die Kameliendame der italieni-schen Schauspielerin geradezu als ein erhellendes Moment, ein noch nie dagewese-nes Ereignis empfunden, das sich von all dem zuvor Gesehenen abhob. Ein Kritiker des Berliner Tageblattes schrieb vol das in der alten Hülle! Das war nicht die herkömmliche Kameliendame, die schon vom Dichter schauspielerisch empfunden, stets nur mit Schminke und wechselnden Garderoben gesehen wurde! Das war nicht die mit echtem Flitter und falschem Ge-fühl aufgeputzte Hetäre, an der gut dotirte Schauspielerinnen so gern ihre Künste zeigen! Das war ein Menschenschicksal, ein Lebenslauf, durchfühlt und durchlebt vor unseren Augen von einem Menschen, dessen Erregungen in Inhalt und Farbe aus dem eigenen Inneren quellen, gleichsam wie losgelöst von den Worten des Textes. Da <?page no="300"?> 300 Da die Organisatoren des Gastspiels offenbar ahnten, dass wegen der Wiederholungen eine Missstimmung nicht ausbleiben würde, versuchten die Duse und ihr Impresario, eventuell auch die Leitung des Lessing--The-aters, 821 bereits im Vorfeld die Unzufriedenheit über das Repertoire der Bühnenkünstlerin mit einer von außen gelenkten Steigerung der Erwar-tungsh Es wurde eine werbewirksame Pressenotiz herausgegeben mit dem Ziel, die Zuschauer und Rezensenten bei der Stange und den Marktwert der Duse möglichst hoch zu halten. In dieser Meldung, die noch am Morgen des ersten Gastspieltages, also am 16.9.1899, in nahezu jeder Berliner Tageszeitung mit auffallend ähnlichem Wortlaut zu lesen war, 822 hieß es: Eleonora Duse äußerte sich über ihre Cameliendame, mit der sie heute ihr diesjähriges Gastspiel im Lessing--Theater eröffnet, zu einem ihrer Berliner Freunde, daß sie seit ihrem Pariser Gastspiel der Figur eine neue Gestalt gegeben hätte. Die nähere Bekanntschaft mit der Pariser Bevölkerung, die vielfachen Unterhaltungen mit Pariser Schriftstellern hätten ihr die Ueber-zeugung beigebracht, daß ihre bisherige Marguerite Gautier zu viel Ele-mente von der italienischen Weibsnatur in sich berge: sie glaube, jetzt eine echte Pariserin gestaltet zu haben. 823 Demnach hatte Eleonora Duse im Zuge eines Gastspielbesuchs in der fran-- --und--Magen-- -der Umgestaltung tat ihre Wirkung: Die Neuinterpretation der Rolle be-geisterte nicht nur das Berliner Publikum, das der italienischen Künstlerin seit ihrem ersten Gastspiel in der deutschen Hauptstadt im Jahre 1892 ohnehin meist wohlgesonnen war. Auch der überwiegende Teil der Berli-- -ist jedes schauspielerische Mittel so in den Dienst des unmittelbaren Durchlebens ge-stellt, daß man es nicht mehr als Mittel empfindet, die Kunst geht völlig in Natur und Berliner Tageblatt vom 22.11.1892. 821 Dieses stand inzwischen nicht mehr unter der Direktion von Oscar Blumenthal, der sich aus dem Theaterbetrieb zurückgezogen hatte, sondern seit 1897 bis 1905 unter der Leitung von Gilbert Otto Neumann--Hofer (1857--1941). 822 In der Berliner Zeitung im Lessing--Theater eröffnet, zu einem ihrer Berliner Freunde dahingehend, daß sie seit ihrem Pariser Gastspiel der Figur eine neue Gestalt gegeben hätte, da sie durch die nähere Bekanntschaft mit der Pariser Bevölkerung die Ueberzeugung gewonnen habe, daß ihre bisherige Marguerite Gautier zu viel Elemente von der italienischen Berliner Zeitung vom 16.9.1899. 823 Das Kleine Journal vom 16.9.1899. <?page no="301"?> 301 ritik, die am 17.9.1899, also am Folgetag des ersten Gastspielabends der Duse in Berlin, in der Berliner Zeitung erschien, liest man: Und wirklich, mir schien gestern, als wenn diese Cameliendame ein wenig mehr Koketterie posieren wollte, ganz abgesehen davon, daß Frau Duse auch in kleinen Aeußerlichkeiten, der Frisur á la française u. dergl. die Pari-serin betonte. 824 Und ein Kritiker der Vossischen Zeitung beschreibt seine Eindrücke wie folgt: Während ihres Pariser Gastspiels hat sie wohl einen tiefen Einblick in das Wesen und den Charakter der französischen Frau gewonnen und danach ihre Auffassung der Kameliendame modifizirt. Sie hat das würdevolle, her-ablassende Gebahren ihrer früheren Marguerite fallen lassen und ist nun nichts weiter als das liebende Weib. Eine unendliche Weichheit, eine rüh-rende Hingebung und Schwäche ist nun der Hauptzug dieser ergreifenden Figur geworden, die in dieser Vollkommenheit noch niemals dargestellt worden ist. 825 Schenkt man den beiden Rezensenten Glauben, so fruchtete Eleonora Du-ses Rollenüberarbeitung in doppelter Hinsicht: Erstens glückte ihr ein erneuter Bühnenerfolg in der Hauptstadt des Kaiserreiches, der nach der Veröffentlichung des redundanten Repertoires zunächst als wenig wahr-scheinlich gegolten hatte. Die Künstlerin konnte sich einmal mehr der Für-sprache des Berliner Publikums wie auch der Hauptstadtpresse versichern, -sentierte. Zweitens und das ist im Zusammenhang mit der vorliegenden Arbeit besonders relevant brachte die Duse es fertig, die ihr nur wenige Jahre zuvor im deutschen Diskurs fest zugeschriebene Rolle als Repräsentantin zu revidieren und so das -- Eindruck von einem Kunst schaffenden, kreativen Individuum abgelöst -darstellte. Das verlieh dem Verhalten der Virtuosin einen sonderbaren Zug;; denn anstatt ihre ursprünglich eigens geschaffene Rolleninterpreta-tion zu zeigen, griff sie nun wirklich auf stereotypische Merkmale und Konventionen zurück und reduzierte sich so selbst um ihre schöpferische 824 Berliner Zeitung vom 17.9.1899. 825 Vossische Zeitung vom 17.9.1899. <?page no="302"?> 302 Qualität zu dem Zweck, den sich wandelnden Bedürfnissen des Publikums (natürlich nicht nur, aber auch in Berlin) anzupassen. -chen die Kritiker an ganz unterschiedlichen Veränderungen fest: Ihr sonst locker gebundener Haarknoten, der so gar nicht den neuesten Frisuren-trends entsprach, dafür aber als umso typischer für die autochthone und 826 wich einer Hochsteckfrisur, wie sie die modebewussten Pariserinnen zu dieser Zeit trugen. 827 So deutete die Duse schon durch ihr Äußeres einen Wechsel an, der einer Entindividualisierung und damit gleichzeitig einer Anpassung an die Konventionen der zeitge-nössischen französischen Mode gleichkam. Mithilfe der Veränderungen Kamelien-dame. Außerdem, so gibt zumindest der oben zitierte Kritiker an, modifizierte -devolle, herablassende Geb stattete sie die Figur mit Koketterie aus, 828 einer Eigenschaft, die im zeitge-nössischen Kontext als so typisch für die Französinnen galt. stellt die Kritik eines Rezensenten aus der Berliner Börsen--Zeitung eine Aus-nahme dar. Dort heißt es: Die gestrige Cameliendame bot auch so wie so kaum etwas wesentlich Neues: Besetzung und Inscenierung sind dieselben geblieben, wie bei den 826 Laura Marholm beschreibt die Frisur der Duse wi I]hr Haar blieb immer dasselbe wellige, blank--schwarze Italienerinnenhaar, das in einen bescheidenen Knoten, bald ein bißchen höher, bald ein bißchen tiefer aufgesteckt war, von dem sich immer im Laufe des Abends zwei halbangewachsene Vordersträhnchen loslösten, in denen sie immer mit den blassen, etwas knochigen, nervösen Händen über der Stirn herumruschelte, als mache jede Erregung ihr Kopfweh und sie müsse die Schwere lo-- 827 Diese Veränderung der Frisur, die als ein Zeichen für das Modebewusstsein der Duse gewertet wurde, stellt auch die Journalistin und Schriftstellerin Sidonie Grünwald-- Zerkowitz (1852--1907) in einem Artikel über die Duse, der im Folgejahr (1900) in der Zeitschrift Bühne und Welt erschien, fest. Sie s nach der herrschenden Mode, was ein Charakterkopf in einem modernen Stück ei-gentlich nicht sollte. Früher trug sie das Haar zu einem griechischen Knoten am Hinterhaupte gewunden, was ihre Kopfform klassisch anmutiger und auch jugendli-- -- Zerkowitz 1900, 719. 828 In einer Besprechung in der Täglichen Rundschau zum ersten Gastspiel der Duse hatte Julius Hart nicht unkritisch darauf hingewiese der Italienerin nichts von einer Dame aus dem zwielichtigen Milieu hätte. So schreibt --Typus abgestreift, und darin wird der Tägliche Rundschau vom 23.11.1892. <?page no="303"?> 303 letzten Auffüh der vielversprochenen neuen Auffassung wenig zu merken. Nur schien uns die Künstlerin gestern mit ihrem ewig eintönigen Sprechen, ihrem etwas gewaltsamen Augenaufschlag stellenweise an Manierirtheit zu streifen und schon sehr weit entfernt zu sein von der unheimlichen, beinahe dämoni-schen Naturwahrheit ihrer ersten Epoche. Einige kleine Nuancen, die sie of-fenbar in Paris der klugen und kühlen Réjane abgeschaut hat, sind recht 829 Der Kritiker macht seinen Überdruss nicht nur an der Kameliendame, son-- Er erkennt sehr wohl eine Veränderung im Spiel der Italienerin schätzt sie jedoch als eine Entwicklung zum Ne -- 830 , die sieben Jahre zuvor noch als typisch für sie galt, sie auszeichnete und die deutschen Rezipienten faszi-was sie nä-her an das Virtuosentum rücke, denn diesem wurde Künstlichkeit immer wieder unterstellt. Interessant an dieser Kritik ist auch, dass der Rezensent der italieni-schen Virtuosin nicht nur Redundanz in der Auswahl der Stücke vorwirft, sondern auch eine Imitation bei der Ausarbeitung der Rolle: die Momente, -schauspielerin Réjane, die bekannt für ihre überzeugende Darstellung von erinnen war, -spruch darauf, selbst kreativ gehandelt und die Rolle individuell ausge-staltet zu haben. Es muss jedoch beachtet werden: Bei dieser Besprechung handelt es sich um eine Ausnahme, die im Kontrast zu den Äußerungen der anderen Kritiker steht. Im Mittelpunkt der Beurteilung der Kameliendame im Jahre 1899 stand also nicht mehr nur die Verhandlung Eleonora Duses unter dem Aspekt von Zumindest ein Teil der Berliner Kritiker sah die Virtuosin vor einem ande-ren Hintergrund: Es schien ihr gelungen zu sein, die Berliner Rezensenten wenigstens partiell davon zu überzeugen, dass sie die ihr zuvor zuge-schriebene Rolle abgestreift habe 831 geschlüpft sei , was man wenige Jahre zuvor noch nicht für möglich ge-- 829 Berliner Börsen--Zeitung vom 17.9.1899. 830 -genden Arbeit. 831 spiel der Duse beschrieben. Dazu siehe S. 195 der vorliegenden Arbeit. <?page no="304"?> 304 der informierten Zuschauerschaft die Bindung an ihre nationale Herkunft und die Funktion als Repräsentantin ihrer Heimat sowie alle damit zusam-menhängenden Implikationen und erweiterte ihre Rolleninterpretation wenn dieser Vorgang auch einer erneuten Stereotypisierung der Figur entsprach. Die Suche nach einer Erklärung für das Bestreben der Duse, ihre Parade-rolle neu zu gestalten (und sich dabei selbst neu zu erfinden), ist im Kon-text der vorliegenden Arbeit besonders interessant: Die Entwicklung der rise Paris--Aufenthalts der Italienerin von 1898, dem Jahr des zweiten Gastspiels der Duse in Paris, und der während dieses Besuchs von ihr unternomme-nen Charakterstudien und Forschungen angesehen. Man betrachtete die Neuinterpretation als einen aktiven, einen selbstschöpferischen Akt. Die Fähigkeit dazu hatte man der Duse während ihrer frühen Gastspiele in Berlin mit dem Verweis auf die Dominanz ihres Nationalcharakters über ihren Genius noch abgesprochen. Dass man jetzt der Italienerin die Entwicklung der Rolle nach eigenen Vorstellungen zutraute, änderte jedoch nichts an der Tatsache, dass im deutschen Diskurs bei der Auslegung der Neuinterpretation wiederum lediglich auf ein bestehendes nationales Stereotyp, in diesem Fall auf das -neralisierende Zuschreibungen zurückgegriffen wurde. So blieb die einge-fahrene Haltung, in starren Bildern zu denken, grundsätzlich bestehen und die vorherrschenden stereotypischen Vorstellungen wurden erneut nicht hinterfragt. Einzig der Mechanismus hatte sich verlagert, und zwar hin zu einem Stereotyp, das sogar noch potenzierter den zeitgenössischen Kon-ventionen hinsichtlich der Rolleninterpretation entsprach, 832 was Publikum und Presse, glaubt man den Quellen, sogar erfreute;; denn man erkannte darin eine besonders realistische Umsetzung des Dramenstoffes für die verzichtete die Duse also auf eine eigenständige Interpretation und griff lieber auf Klischees und Konventionen zurück. Zieht man nun ein Fazit aus der veränderten Situation, so ergibt sich hin-sichtlich der Wirkung der Uminterpretation auf die deutschen Rezipienten folgende These: Ob es sich um eine italienisch--stolze oder um die franzö-sisch-des Berliner Lessing--Theaters im Jahre 1899 präsentierte, handelte, sie war und blieb wegen beziehungsweise trotz der im Diskurs oder durch die 832 nach Sarah Bernhardt, siehe Balk 1994, 104--111. <?page no="305"?> 305 Schauspielerin selbst vorgenommenen Auto-respektive Heterostereotypi-- -kum als auch die einheimische Presse. Und trotz aller Bemühung um An-passung, die Eleonora Duse in ihr -dem deutschen Eigengruppenpublikum er fremden Kultur, die sich nicht mit der eigenen zur Deckung bringen ließ. Die Kameliendame durch Eleonora Duse lässt sich aufzeigen, dass der Vorgang der Heteroste-reotypisierung unabhängig von einer konkreten nationalen Stereotypie erfolgen konnte. 9.2 Die Universalität der Duse Doch es ist noch ein weiteres Phänomen im Zusammenhang mit der Neu-interpretation zu beobachten. Diese wurde, wie bereits erläutert, von der und galt damit als ein schöpferischer Akt der Bühnenkünstlerin, den man, anders als noch während der frühen Gast-spiele, unabhängig von ihrer nationalen Herkunft erkannte. Die neue Aus-legung der Rolle hatte nicht nur die Ansicht von einer Verbesserung der schauspielkünstlerischen Fähigkeiten Eleonora Duses zur Folge, sondern -vollkommnung gegenüber den Auftritten, die man noch wenige Jahre zuvor in Berlin mehrfach erleben konnte. Im Zuge der Verhandlung der Kameliendame im Jahre 1899 lässt sich also zumindest bei einem Teil der Berliner Kritiker eine Veränderung bezüglich der Bewertung der Duse feststellen. Hatte man bis in die frühen 1890er-tensiven und expressiven auf ihre italienische Herkunft zurückgeführt und sie dadurch in ihren künstlerischen und kreativen Fähigkeiten reduziert, so entdeckte man nun Diese agierte unabhängiger von ihrer Heimatnation Ita-lien und deren nationalcharakteristischen Eigenschaften. Auf der Grund-lage ihres großen internationalen Erfolges, der sie überall in der (westli-chen) Welt zum Star gemacht hatte, wurde sie mit neuen Attributen versehen: Statt der italienischen Stereotype erkannte man nun den Inter-- oder Transnationalismus der Eleonora Duse sowie einen damit zusam-- <?page no="306"?> 306 menhängenden Universalismus, also eine Allgemeingültigkeit, die ihre als 833 erkannte Bühnenkunst auszeichnete. Als Beispiel für diese Neubewertung der Duse dient die Äußerung ei-nes Kritikers der Täglichen Rundschau zu ihrem Gastspiel im Jahre 1899. Sein Fazit aus dem Besuch der Virtuosin in Berlin lautet wie folgt: Italienische Gastspiele bedeuten heutzutage kein gesellschaftliches Ereigniß mehr. Unsere Geschmacksbildung ist soweit fortgeschritten, daß wir zu den mehr gläubig aufschauen: wir nehmen ihre Gegenwart hin als Ausdruck ih-res nationalen Wesens, um zu erkennen, daß wir andere Ziele der dramati-schen Darstellung verfolgen als sie. Große Ausnahmeerscheinungen wie die 834 durch Eleonora Duse und andere Künstlerinnen überdrüssig war, stellte sich, auch hinsichtlich der Gast -ler ganz allgemein, eine Übersättigung auf Seiten der Rezipienten in Berlin ein, wie dieser Kritiker deutlich macht. Die Schauspielkunst der Italiener, die man noch einige Jahre zuvor in den höchsten Tönen gelobt und als Vorbild für das eigene, als defizitär empfundene deutsche Theater angese-- -sent bewertet den bis in die frühen 1890er--Jahre noch als modern empfun-- Anführungszeichen gesetzt, nun als rückständig und dem deutschen Anspruch nicht mehr genügend. Auf der Ebene der Schauspielkunst er-folgt also eine Demarkation der inzwischen als überholt gekennzeichneten -- Modernität und Fortschrittlichkeit identifiziert;; auf sie wird mit Stolz an-statt mit Ablehnung verwiesen. Auf diese Weise versucht der Kritiker, das Jahrhundert abzuwerten als ein Überbleibsel aus einer Epoche, die man bereits als vergangen und abgeschlossen ansah. -- Augen eine Sonderstellung ein. In ihr, die über viele Jahre hinweg als Büh-nenkünstlerin immer wieder auf ihre italienische Herkunft reduziert worden war, erkannte man nun, gegen Ende der 1890er--Jahre, das Mo-derne, die Zukunft des Schauspiels. Sie nahm einen anderen, von ihrer Heimatnation unabhängigen und damit höheren Status an. Dieser kenn-- 833 In einem Artikel aus dem Kleinen Journal liest man: sich zu ihrer jetzigen wie das Außerordentliche zum Außerordentlichsten. Sie hat Das Kleine Journal vom 18.9.1899. 834 Tägliche Rundschau vom 4.10.1899. <?page no="307"?> 307 zeichnete sie nicht nur als universalistische Bühnenkünstlerin, die über die Grenzen hinweg und unabhängig von ihrer Herkunft und den noch zu Beginn der 1890er--Jahre damit in Verbindung gebrachten Nationalcharak-teristika agierte, sondern er gliederte sie sogar aus ihrer eigenen Kultur und damit aus der Fremdkultur aus. Trotzdem blieb sie für die Eigen-- Noch deutlicher zeigt sich diese Neubewertung in einer Kritik, die nach dem Ende ihres Gastspiels im Oktober 1899 in der Vossischen Zeitung er-schien. In dieser wurde eigentlich das dem der Duse folgende Gastspiel der französischen Schauspielerin Gabrielle Réju besprochen. Diese galt beim deut repräsentierte damit ein stereotypisches Bild. 835 Dies wurde sowohl von der Bühnenkünstlerin durch ihre klischeehafte Darstel stück -auswahl und ihre stets an der neuesten Pariser Mode orientierten Bühnen-kostüme bestätigt als auch von der deutschen Presse mit Nachdruck beschrieben. 836 Während die Réjane den deutschen Zuschauern also ausschließlich das Stereotyp der modischen und koketten Pariserin prä-sentierte, verzichtete man nun bei der Beschreibung der Duse auf die At-folgt: Die Duse ist ein Vogel hohen Fluges, aber ein heimathloser Zugvogel. Ihr Wesen ist international, sagt uns nichts weder von der Kunst noch von der Literatur ihres Vaterlandes. 837 -- -zugeschriebenen nationalstereotypischen Eigenschaften deutlich. Bei Eleonora Duse handelt es sich, so der Tenor der Kritik, um eine ganz be-sondere Schauspielerin: ganz oben in der Liste der internationalen Stars etabliert, heimatlos dadurch, dass sich ihr Stil nicht auf eine spezifische nationale Herkunft zurückführen lässt. Im Gegensatz zur Réjane, der 835 Zur Réjane siehe Baudot 2001. 836 So heißt es in einer anderen Kritik zum Gastspiel der Réjane in Berlin im Jahre 1899: sehr durch den liebenswürdig--frischen Ton im Dialog, wie durch die Grazie ihrer Bewegungen und das ausdrucksvolle Spiel dieses Gesichtes, das bald weltdamenhaft Das Kleine Journal vom 6.10.1899.) Noch deutlicher beschreibt der Kritiker der Theaterzeitschrift Bühne und Welt die F und die ausländischen Theaterfreunde werden in ihr das Urbild der modernen Pari-serin bewundern, die Herrscherin im Reich der Mode, den Höhepunkt liebenswürdi-ger Keckheit, 1899, 70. 837 Vossische Zeitung vom 6.10.1899. <?page no="308"?> 308 eigentlichen Protagonistin des Zeitungsartikels, dient die Duse nicht mehr als Repräsentantin für eine bestimmte Nationalkunst respektive für ein bestimmtes Land. Sie kann die Rolle, die sie bis zu diesem Zeitpunkt im deutschen Diskurs gespielt hat beziehungsweise die ihr, oft ohne Rücksicht Die im 19. und auch noch im frühen 20. Jahrhundert vor allem im deut-schen (Theater--) Kontext immer wieder aufgegriffene Idealvorstellung von einer nationalen Kunst 838 wird hier der Idee von einem von Landesgrenzen unabhängigen, künstlerischen Universalismus gegenübergestellt. Eleonora Duse als Protagonistin des Gastspiels von 1899 wechselt der Darstellung des Kritikers zufolge die Seiten innerhalb dieses im Diskurs aufgemachten Dualismus von Nationalkunst versus Universalismus: Sie räumt ihre Vertreterin dieser für sie ne Kunst. Das eingeschränkte und gleichzeitig einschränkende Denken in natio-nal(stereotypisch)en Bahnen, wie es bei den Kritikern während der ersten Jahre der Gastspieltätigkeit Eleonora Duses auf deutschen Bühnen noch gang und gäbe war, wird hier, das machen die beiden zitierten Kritiken Diskurs zum Gastspiel der italienischen Virtuosin aufgebrochen. Galt Eleonora Duse in den frühen 1890er--J wandelt sich das Bild um die Jahrhundert 838 Das in der obigen Kritik erfolgte Lob auf den Universalismus der Duse, also die Loslösung von nationalen Bindungen hinsichtlich der Kunst, ist insofern interessant, als dieses Konzept im deutschen Diskurs eigentlich eher umstritten war. Dies lässt sich nicht nur an den in den vorigen Kapiteln untersuchten Zeugnissen aufzeigen, sondern auch anhand von späteren Quellen belegen. So beschwert sich beispiels-weise der bereits zitierte Adolf Winds noch im Jahre 1907 darüber, dass man sich in -en die deutschen Schauspieler noch andere Kriterien erfüllen, um als gut empfunden zu werden und seien außerdem viel zu sehr abhängig vom modernen Literaturmarkt, der eine Schnelllebigkeit innerhalb der Schauspielkunst forciere, die wiederum die Ausprägu Dazu wogt die literarische Bewegung in Deutschland auf und nieder, und vom Schauspie-ler wird verlangt, daß er ihr folgen soll;; er muß heute den Ton herabstimmen, um ihn morgen wieder zu erhöhen, andere Schauspieler haben bloß national, er hat auch <?page no="309"?> 309 9.3 Kameliendame? Das Scheitern der Duse am deutschen (Auto--) Stereotyp Dass es sich bei der Rezeption der Duse jenseits eines Denkens in national-stereotypischen Bildern und traditionellen Vorstellungen jedoch nur um eine Meinung innerhalb eines breiten Spektrums von Äußerungen han-delte, zeigt das folgende, abschließende Beispiel. Eleonor -sondere Überra Publikum geplant: Wenn sie auch nicht eine Aufführung des gesamten Dramas zum Besten gab, so hatte sie sich doch dazu entsch deutschen Zuschauern zumindest eine Szene aus Johann Wolfgang von Goethes Trauerspiel Egmont präsentieren. In einer Vorankündigung dazu heißt es in der Berliner Börsen-- Zeitung: Auf besonderen Wunsch von Eleonora Duse ist an das Ende ihres diesmali-- -setzt worden. Als Ausdruck ihres Dankgefühls gegen das Berliner Publicum, von dem Eleonora Duse mehrfach ausgesprochen hat, daß sie es für das künstlerisch erste und reifste Europas hält, will sie sich bei ihrem morgigen letzten Auftreten mit den Worten unseres größten Dichters von ihm verabschieden. 839 Zum einen wird der Leserschaft hier vermittelt, welch positiven Eindruck die Duse vom Berliner Publikum hatte. Die Schauspielerin, die aufgrund ihrer internationalen Virtuosentätigkeit die besten Vergleichsmöglichkeiten hat, bewertet die Zuschauer der Reichshauptstadt hinsichtlich ihrer Ken-nerschaft im europäischen Theaterraum als herausragend. Diese Äußerung legt nahe, dass beim Leser Nationalstolz evoziert werden soll. Zum ande-ren ist der Beschluss der Duse, eine Szene aus Goethes Egmont zu spielen, auch jenseits dieses Lobes für das deutsche Publikum zu beurteilen: Es handelte sich dabei nämlich nicht nur um das Vorhaben, sich bei einem über Jahre hinweg treuen Publikum zu bedanken, sondern es war auch ein schwand, wie bereits aufgezeigt wurde, das Interesse an der italienischen Bühnenkünstlerin kontinuierlich, das heißt, die Begeisterung erreichte längst nicht mehr das Ausmaß, wie es noch sieben oder selbst sechs Jahre lz der Nation, wurde ein geschickter Schachzug unter-nommen, das Interesse der Zuschauer wiederzubeleben. Allerdings, dies machen die Rezensionen deutlich, misslang dieser Plan. Die Reaktionen 839 Berliner Börsen--Zeitung vom 4.10.1899. <?page no="310"?> 310 -elen ver-halten aus. Hatte man Jahre zuvor noch bemängelt, dass sich Eleonora Duse nicht an die klassischen deutschen Texte heranwagte, 840 so war man nun von der Realisierung ihres Versuchs enttäuscht. Ein Kritiker des Klei-nen Journals schreibt: Das Klärchen, das sie zum Schluß gab, entsprach nicht unseren Vorstellun-gen von dem herzlichen, germanischen Geschöpf. Es war eine leidenschaft-liche, dunkelhaarige Italienerin, die mit aller Kraft ihres Temperaments die Bürger aufwiegelt. 841 Und ein Rezensent der Berliner Zeitung erklärt das Scheitern der Duse am denn schon ihre Erscheinung widerspricht unserer Clärchen--Vorstellung: sie wirkt zwar schlicht und ursprünglich, aber durch aus wie eine Italiene-- 842 Zwar schien man, das haben die anderen Beispiele in diesem Kapitel gezeigt, Eleonora Duse als internationale Künstlerin sowie weltgewandte Virtuosin und damit als transnational agierende, Universalismus zum Ausdruck bringende Schauspielerin anerkannt zu haben diese Akzeptanz stieß jedoch an dem Punkt an Grenzen, an dem es um die deutsche Eigen-anderen Rollen, seien es die französischen oder die italienischen, sah man die Duse als geeignet an unabhängig von ihrer Interpretation, ihrem Bahnen des nationalstereotypischen, nationalkünstlerischen und damit des eine Übertragbarkeit der deutschen auf eine Fremdkultur ausschließenden Denkens: Hier brachte man ähnliche Gedanken auf den Plan, wie die hin-- Heimat: 843 Man beurte spreche dem Äußeren , habe zwar etwas Autochthon--Ursprüngli-- -pera alles Stereotype und Vorurteile der Fremd--, aber auch der Eigengruppe gegenüber. Viel zu starr und vor allem festgefahren waren demnach die Vorstel-ese in den Köpfen der Kritiker, Zuschauer und Leser verankerten Kriterien konnte die Italienerin Eleonora nen 840 Dazu siehe Kapitel 7.5.4 der vorliegenden Arbeit. 841 Das Kleine Journal vom 6.10.1899. 842 Berliner Zeitung vom 6.10.1899. 843 Dazu siehe Kapitel 7.5.4 der vorliegenden Arbeit. <?page no="311"?> 311 und so blieb auch im Jahre 1899 das Denken einer nationalen Stereotypie verhaftet, wie sie bereits in den frühen Jahren der Gastspieltätigkeit der Italienerin im Deutschen Reich verbreitet war. Anstelle der für andere Be-reiche bereits akzeptierten Auffassungen von Universalismus und Trans-nationalismus trat also, sobald es um die Eigenkultur (hier das Theater respektive das Drama) ging, wieder das dem Nationalismus verpflichtete Denken hervor, das den offenbar immer noch ausgeprägten Wunsch nach Wahrung der eigenen Normen und Werte innerhalb der bürgerlichen Kultur des Kaiserreiches um 1900 deutlich zum Ausdruck brachte. 9.4 Zwischen Autochthonie und Metropolitanismus Auch noch im Jahre 1899 und damit sieben Jahre nach dem ersten Auftre-ten Eleonora Duses in Berlin, lässt sich in der Rezeption ihres Gastspiels im Diskurs ihre in der Einleitung der vorliegenden Arbeit genannte zweitei-der ande 844 erkennen. In Bezug auf Erstere wird im Hinblick auf die Akzeptanz der Duse als individueller und zugleich universeller Schauspielerin ein Wandel inner-halb der theoretischen Strukturen des Theaters deutlich: Es durchlief im Zuge der sich stärker durchsetzenden Moderne einen Prozess, in dem es sich selbst und seine Mittel (wieder--) entdeckte. Auch wenn es sich beim Theater, das die Duse repräsentierte, um ein grundlegend bürgerliches handelte, das nur schwerlich mit den einsetzenden Bemühungen avant-gardistischer Bühnenkunst der Zeit in Relation zu setzen war, zeigt sich dennoch dadurch, dass Eleonora Duse als genial--kreative Schöpferin ihrer Rollen in der Rezeption in einem solch hohen Maße in den Mittelpunkt des künstlerischen Ereignisses gestellt wurde, 845 dass man nicht mehr das Pri-- Bühne priorisierte;; vielmehr entwickelte sich ein Bewusstsein für eine und -- 846 und damit auch eine Akzeptanz des Akteurs als in ihrer Bedeutung nicht zu unter-- 844 Dazu siehe Kapitel 1.1 der vorliegenden Arbeit. 845 Auch die Virtuosen des 19. Jahrhunderts stellten sich selbst in den Mittelpunkt des Geschehens, was sehr häufig zu einer Reduktion des Primats des Textes führte, weil die berühmten Schauspieler die Texte nach Belieben kürzten, verlängerten oder ver-änderten, um sich selbst besser präsentieren zu können. Dies stieß im Diskurs jedoch stets auf große Kritik eine Kritik, die an dieser Stelle bei der Verhandlung der Duse allerdings ausbleibt. 846 Dieser Gedanke ging ursprünglich auf die Ideen Richard Wagners (1813--1883) zu-rück, wurden im Zuge der Avantgarde allerdings leicht abgewandelt. Vgl. Fischer-- Lichte 1999, 263--264. <?page no="312"?> 312 schätzende Entität im Ablauf der Aufführung. Der Schauspieler als Träger theatraler Zeichen wurde nun hinsichtlich seiner Relevanz für die szeni-sche Darstellung anerkannt und emanzipierte sich damit kontinuierlich von der im 19. Jahrhundert vorherrschenden Idee vom lediglich den Text wiedergebenden, nicht selbstschöpferisch tätig werdenden Medium, sozu-sagen dem verlängerten Arm des Dichters. Das Drama als künstlerisches Produkt des Autors rückte so zwar nicht zwingend in den Hintergrund, es reihte sich jedoch in die anderen theatralen Mittel ein und verlor damit seine von der bürgerlichen Elite im 19. Jahrhundert stets hoch gehaltene und verteidigte Vormachtstellung. Hatte man in den intellektuellen Krei-sen an den Virtuosen kritisiert, sie würden das Drama zugunsten der eige-nen Aufwertung und eines egozentrischen Sich--In--Szene--Setzens hint-anstellen, so begann man nun zumindest partiell die größere Bedeutung des Schauspielers und seiner interpretatorischen Aufgabe für das theatrale Ereignis zu akzeptieren. Nicht mehr nur den Autoren, sondern auch den Akteuren wurde somit im deutschen Diskurs eine kreative Kraft zuer-kannt, ein Potenzial, das letztere in den Augen der Kritiker auch jenseits ihrer nationalen Herkunft und Prägung entfalten konnten. Damit verlor Theaterkunst dies machen die diese Einstellung vertre-tenden Äußerungen innerhalb des Diskurses deutlich an Bedeutung als Nationalkunst und geriet immer mehr zu einem Mittel des Ausdrucks wachsender transnationaler Verbindungen, kosmopolitischer Austausch-prozesse und internationaler Beziehungen. Gleichzeitig wurden aber und dies ist als eine durchlässige Parallel-- und nur bedingt als eine Gegenentwicklung zu verstehen auch Stimmen innerhalb des Theaterdiskurses laut, die diese Meinung nicht teilten: Nicht jeder empfand nämlich die Schauspielkunst der Duse als universell, im Gegenteil. So, wie es bereits für die Jahre 1892 und 1893 gezeigt wurde, lässt sich auch noch für 1899 nachweisen, dass in den Köpfen existierende nationalstereotypische Bilder weiterhin Bestand hatten. Wegen der perma-nenten Betonung einer Prägung durch ihre Herkunft und damit durch die wurde den ausländischen Künstlern wie hier am Beispiel der Duse gezeigt, Individualität abgesprochen und sie galten hinsichtlich ihres Schauspiel-stils, aber vor allem in Bezug auf die Möglichkeiten der Umsetzung künst-lerischer Ideen, als eingeschränkt. Wurde d den (autostereotypischen) Vorstellungen der deutschen Eigengruppe gemäß umzusetzen. Man kann diese Einstellung als Resultat einer Strö-mung auffassen, die den Wunsch nach dem eigenen Autochthonen und -den Nationalkunst vertrat, diesen ursprünglich aus dem 18. Jahrhundert <?page no="313"?> 313 stammenden Gedanken weiterhin verherrlichte und ihn gegenüber allen Entwicklungen, die nicht in die Vorstellungswelt der bürgerliche Elite passten, namentlich der zunehmenden Ökonomisierung und Kommodifi-zierung des Theaters, verteidigte. Der Wunsch nach einem Nationaltheater als (wenn auch überkommenem) Ausdruck einer politischen Einheit, glei-cher moralischer Vorstellungen und homogener bürgerlicher Werte be-stand also auch um 1900. Nationalisierende und nationalistisch--chauvinis-tische Äußerungen sind ebenso festzustellen wie ein Verharren in traditio-nellen, von nationalstereotypischen Bildern geprägten Bahnen, was am Beispiel des Gastspiels der Duse aufgezeigt wurde. Die Universalität des Theaters und die internationale Bedeutung der Schauspielkunst wurden zwar von einem Teil der Kritiker im Diskurs behauptet, ein mindestens genauso großer anderer Teil hielt dieser Idee jedoch die Vorstellung von einer durch nationale Stereotype geprägten Schauspielkunst entgegen. Manchmal und paradoxerweise scheinen sich diese einander ausschließenden Strömungen sogar miteinander zu verschränken, sodass es zu Meinungsäußerungen kommt, die beide ver-treten, die aber auf den heutigen Leser absonderlich wirken. Doch auch außerhalb des Theaters lassen sich die Auswirkungen des Gast-spiels der Duse von 1899 aufzeigen, nämlich auf jene von Schlenther so Auswirkungen, die weit über die zeitnahe Rezeption der Auftritte Eleonora Duses hinausgingen und bereits Strö-mungen andeuten, die das anstehende 20. Jahrhundert in hohem Maße prägen sollten. Die Einflussnahme äußerte sich hauptsächlich in einem veränderten Blick auf Eleonora Duse und ihre im Diskurs mehr oder weniger selbst kreierte , der eine im Zuge der fortschreitenden Moderne bestän-dig größer werdende Meinungsvielfalt offenbarte: War man sich im Jahre 1892 noch weitgehend darüber einig gewesen, dass die italienische Künst-lerin ihre Rollen vor allem auf der Grundlage ihrer nationalen Prägung gestaltete, sodass man ihr deshalb ein individuelles Talent zum Spiel und eine Kreativität im Sinne eines eigenschöpferischen Tuns nahezu ab--, dafür aber eine umso engere Verbindung zu ihrer italienischen Herkunft zu-sprach, wurde dies nun, im Jahre 1899, zumindest von einem Teil der Kritiker negiert. Man erkannte im Spiel der italienischen Virtuosin wie auch in ihr selbst jetzt eine von Landesgrenzen unabhängige Universalität sowie eine Individualität und lobte die Duse auf der Grundlage dessen e transnationale und kosmopolitische Begehrensstrukturen innerhalb der deutschen Gesellschaft um 1900 zum Ausdruck bringende Einstellung macht eine Öffnung in der Meinungsbildung abseits jener den Traditionen und nationalen Stereotypien verhafteten Denkweisen deutlich. <?page no="314"?> 314 Gleichzeitig wurden jedoch solche Stimmen laut, die einen starken, manchmal überbordenden Nationalismus, gepaart mit einem großen Wunsch nach einer deutschen Nationalkunst, zum Ausdruck brachten, der über den Wunsch nach einer einheitlichen deutschen Nation (insbesondere mit kosmopolitischer Ausrichtung) im Zuge des nation building des Deut-schen Reiches hinauszugehen schien. Figuren urden nationalisti-sche Strömungen deutlich, welche den heutigen Leser der Rezensionen retrospektiv schon sehr an die folgenden Jahre der deutschen Geschichte, die immer wieder von nationalistischen Ideen durchzogene Zeit vor und vor allem nach dem Ersten Weltkrieg und natürlich nicht zuletzt den Nati-onalsozialismus erinnern mag. Am Exempel des Gastspiels von Eleonora Duse im Jahre 1899 lässt sich demnach die Diversifizierung innerhalb des Meinungsspektrums sowie der öffentlich gemachten Ideen aufzeigen, die man einerseits zumindest als die Andeutung einer Aufweichung der strikten Beschränkungen, strengen Normierungen und kanonisierenden Konservatismen, welche die bürgerli-che Welt des Kaiserreiches prägten, definieren kann, andererseits jedoch eine Verhärtung und sogar Radikalisierung ebendieser impliziert. Eine solche Vielfalt der Perspektiven auf die Virtuosin lässt wiederum Schlüsse auf die Rezipienten und damit auf die deutsche Eigengruppe zu: Denn mit der veränderten Wahrnehmung der Duse diversifizierte sich auch die --Gruppe. Wo die Akzeptanz des universalistischen Kunstprinzips, das man in der Virtuosin erkannte, im-mer größer wurde, da musste auch die Öffnung für kosmopolitische Prin-zipien und ein Denken jenseits von nationalen Grenzen nachhaltiger wer-den und all dies geschah als Parallelbewegung zum offensichtlich erstarkenden Denken in nationalen Bahnen und zu dem Wunsch nach hungs-weise Transnationalismus sowie Metropolitanismus (im Falle Berlins) auf der einen Seite und ein sich modifizierender Nationalismus auf der ande-ren schlossen sich um 1900 also nicht aus, sondern existierten als in der Gesellschaft gleichzeitig vorhandene Strömungen. Die Institution des internationalen Gastspielwesens, und speziell die Gastauftritte der italienischen Virtuosin Eleonora Duses, können als be-sonderer Spiegel dieser diversifizierten Situation angesehen werden: In ihrer Rezeption und deren Niederschlag in den zeitgenössischen Printme-dien fanden die oben angesprochenen unterschiedlichen, in der bürgerli-chen deutschen Gesellschaft in den 1890er--Jahren vorherrschenden Be-dürfnislagen, seien es die Wünsche nach kosmopolitischer Öffnung, nach transnationaler Orientierung, nach nationaler Identifikation oder nach <?page no="315"?> 315 moderner Diversifikation, ihre Verwirklichung;; an den Gastspielen Eleo-nora Duses brachen sich Tradition und Moderne. Im (semi--) öffentlichen Theaterraum und der dort durch den Besuch stattfindenden (mehr oder weniger aktiven) Betrachtung einer Fremdkul-tur wurden sowohl die Begehren der Eigengruppe, insbesondere der Berli-ner Zuschauer in ihrer Rolle als Hauptrezipienten der Gastspiele der Duse, -en Einzelnen häufig überfordernden metropolitanen Lebenswelt als auch das für das Leben in der Großstadt als typisch geltende Bedürfnis nach Schnelllebigkeit und Wandelbarkeit glei-chermaßen befriedigt. Auch der (manchmal sogar in übersteigerter Form vorhandene) Wunsch nach einer beständigen, einheitlichen deutschen Identität konnte durch die Abgrenzungsprozesse, die das internationale Gastspiel mit sich brachte, und die selbstidentifikatorischen Prozesse in-frem emp friedigte man auch wenn dies paradox erscheinen mag sein Bedürfnis, ein Teil von transnationalen, transmetropolitanen und kosmopolitischen Aus-tauschprozessen zu sein, die sich im ausgehenden 19. Jahrhundert genauso entwickelten wie das Nationalgefühl. Gerade durch die Herausstellung des jenseits ihrer Schauspielkunst zuschrieb, konnte man sich in seiner eigenen Fortschrittlichkeit und Modernität bestätigt sehen. So forcierte man durch -gegenüber denen der Fremdgruppe eine Stärkung der Eigenkultur, ließ jedoch auch seinem Interesse an der und der Neugier auf die Fremdkultur freien Lauf. Das Autochthone, der Transnationalismus, die Nationalisierung, der Kosmopolitismus wie auch der Metropolitanismus: All diese sind Schlag-worte, die in den ausgehenden 1890er--Jahren bestehende Übergangssitua-charakterisieren. Dieser Prozess und all seine Implikationen sind besonders klar an den Gastspielen der italienischen Virtuosen und hier ganz speziell der Eleonora Duse und ihrer deutschen respektive Berliner Rezeption zu zeigen. Anknüpfungspunkt, schließlich brechen sich an kaum einer anderen Schauspielerin der Zeit die bestehenden Bedürfnislagen so deutlich wie an ihr. Wirft man nun einen abschließenden Blick auf die Ergebnisse der vorlie-genden Arbeit Diskurs, die mit dem Jahr 1899 enden, so wird eines deutlich: Das hier behandelte Thema impliziert eine große Anzahl stiller Voraussagen in Hinblick auf die (Theater--) Situation der darauffolgenden Jahrzehnte wie <?page no="316"?> 316 auch auf , sei es hinsichtlich der immer stärker werdenden Entwicklungen hin zu einer globalisierten Welt oder in Hinblick auf die faschistischen Strömungen des 20. Jahrhunderts, die sich in einem noch viel stärkeren Ausmaß dem Prinzip der Auto-- und Heterostereotypisierung zum Zweck nationalisierender respektive nationalistischer Orientierung bedienten, dass sich hier, wo die vorliegende Arbeit ein Ende nimmt, erneut ansetzen ließe, um deutsche, europäische und transnationale Thea-tergeschichte zu untersuchen, neu zu bedenken und mit einem differen-zierten Blick auf die Geschehnisse zu schreiben. Schauspielerin Eleonora Duse mit ihrem Facettenreichtum eignet sich dafür in einem exzellentem Maße eine Tat-sache, die einem Kritiker des Berliner Börsen--Couriers offenbar bereits im Jahre 1899 bewusst war. Denn dieser schrieb: Und wenn ein Weiser glaubt, die Bedeutung ihrer Persönlichkeit für die Theatergeschichte endgiltig begriffen und festgestellt zu haben, so wird ei-ne neue Entwicklungsphase, ein neuer Versuch der Künstlerin, ihre neue Auffassung einer scheinbar veralteten, scheinbar erschöpften Rolle ihm sa-gen, daß er sich getäuscht hat und daß sich in das Capitel, das der Duse in der Theatergeschichte unseres Jahrhunderts vorbehalten ist, wohl täglich eine wichtige Beobachtung einfügen läßt, niemals aber ein abschließendes Urteil. 847 847 Berliner Börsen--Courier vom 12.10.1899. <?page no="317"?> 317 Bibliografie Forschungsliteratur Adams, Bluford (1997): E Pluribus Barnum: The Great Showman and the Making of U.S. Popular Culture. 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Berliner Börsen--Zeitung --n. Berliner Lokal--Anzeiger vom 1.12.1892 Berliner Börsen--Zeitung --n. Berliner Börsen--Zeitung --n. Das Kleine Journal Das Kleine Journal Anonymus. Das Kleine Journal vom 17.1 --Gastspiel im Lessing--Thea-- Vossische Zeitung Berliner Börsen--Zeitung --n. Berliner Börsen--Zeitung --n. Tägliche Rundschau Vossische Zeitung Gastspiel 1893 in Berlin Das Kleine Journal -- Berliner Börsen--Zeitung --n. Das Kleine Journal -- Vossische Zeitung -- Das Kleine Journal Tägliche Rundschau vom 15. Berliner Börsen--Zeitung --n. Gastspiel 1895 in Mainz Mainzer Tagblatt Mainzer Anzeiger Mainzer Journal v Mainzer Tagblatt vom 24.4.1895 Mainzer Volkszeitung vom 24.4.1895 Neuester Mainzer Anzeiger <?page no="345"?> 345 Mainzer Anzeiger Oh Mainzer Tagblatt Gastspiel 1899 in Berlin Berliner Zeitung Das Kleine Journal Berliner Börsen--Zeitung vom 17.9.1899: Berliner Zeitung -- Das Kleine Journal Tägliche Rundschau Vossische Zeitung Berliner Börsen--Courier Das Kleine Journal Tägliche Rundschau Berliner Börsen--Zeitung Tägliche Rundschau Berliner Börsen--Zeitung Berliner Zeitung Das Kleine Journal Das Kleine Journal N.F. Vossische Zeitung Ohne Titel Berliner Börsen--Courier <?page no="346"?> 346 Anhang Anhang 1 Gastspielplan Eleonora Duse am Berliner Lessing--Theater (21.11.1892 bis zum 23.12.1892) Im Voraus angekündigte Gastspiele Datum Stück Autor Rolle Montag, 21.11. Die Kameliendame Alexandre Dumas fils Mittwoch, 23.11. Fernande Victorien Sardou Freitag, 25.11. Nora (Ein Puppenheim) Henrik Ibsen Samstag, 26.11. Fedora Victorien Sardou Zusätzliche Gastspiele Montag, 28.11. Die Kameliendame Alexandre Dumas fils Mittwoch, 30.11. Fernande Victorien Sardou Freitag, 2.12. Cyprienne Victorien Sardou Montag, 5.12. Fedora Victorien Sardou <?page no="347"?> 347 Mittwoch, 7.12. Francillion Alexandre Dumas fils Freitag, 9.12. Nora (Ein Puppenheim) Henrik Ibsen Samstag, 10.12. wg. Krankheit ausge-fallen Die Kameliendame Alexandre Dumas fils Montag, 12.12. Die Kameliendame Alexandre Dumas fils Mittwoch, 14.12. Cyprienne Victorien Sardou Donners-tag, 15.12. Cavalleria rusticana/ La Locandiera Giovanni Verga Samstag, 17.12. Die Kameliendame Alexandre Dumas fils Montag, 19.12. Odette Victorien Sardou Dienstag, 20.12. Fernande Victorien Sardou Donners-tag, 22.12. Cavalleria rusticana/ La Locandiera Giovanni Verga Freitag, 23.12. Fedora Victorien Sardou <?page no="348"?> 348 Anhang 2 Gastspielplan Eleonora Duse am Berliner Lessing--Theater (2.12.1893 bis zum 22.12.1893) Datum Stück Autor Rolle Samstag, 2.12. Die Kameliendame Alexandre Dumas fils Montag, 4.12. Heimat/ Casa paterna Hermann Sudermann Mittwoch, 6.12. Odette Victorien Sardou Freitag, 8.12. Frou--Frou Henri Meilhac/ Ludovic Halévy Montag, 11.12. wg. Krankheit ausgefallen Heimat/ Casa paterna Hermann Sudermann Dienstag, 12.12. wg. Krankheit ausgefallen Heimat/ Casa paterna Hermann Sudermann Mittwoch, 13.12. Ursprgl. geplant: Cavalleria rusticana/ La Locandiera Heimat/ Casa paterna Hermann Sudermann <?page no="349"?> 349 Donners-tag, 14.12. kein Beleg dafür, evtl. ausgefallen Fedora Victorien Sardou Freitag, 15.12. Cavalleria rusticana/ La Locandiera Giovanni Verga Samstag, 16.12. Fedora Victorien Sardou Montag, 18.12. Heimat/ Casa paterna Hermann Sudermann Dienstag, 19.12. Die Kameliendame Alexandre Dumas fils Donners-tag, 21.12. Cyprienne Victorien Sardou Freitag, 22.12. Heimat/ Casa paterna Hermann Sudermann <?page no="351"?> Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Tel. +49 (07071) 9797-0 • Fax +49 (07071) 97 97-11 • info@francke.de • www.francke.de JETZT BESTELLEN! Jan Lazardzig, Viktoria Tkaczyk Matthias Warstat Theaterhistoriogra! e Eine Einführung UTB M 3362 2012, VI, 266 Seiten, diverse Abbildungen ! [D] 22,99/ SFr 32,90 ISBN 978-3-8252-3362-4 Als wichtiges Teilgebiet der Theaterwissenschaft hat sich die Theaterhistoriogra"e in den letzten Jahrzehnten zu einer Geschichtsschreibung des Theatralen und Performativen erweitert. Diese Einführung vermittelt Bachelorstudierenden ein offenes und weit gefasstes Verständnis von Theaterhistoriogra"e. Sie gibt Einblicke in Perspektiven, Theorien und Methoden und ermutigt dazu, eigene Fragen an die Theatergeschichte zu richten. ! "#! $"%&'()*+,+-'./ %&0-*)%"! $"1*.22%%%3# $41! 51$"%%%$67"5 <?page no="352"?> Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Tel. +49 (07071) 9797-0 • Fax +49 (07071) 97 97-11 • info@narr.de • www.narr.de JETZT BESTELLEN! Annette Bühler-Dietrich Drama, Theater und Psychiatrie im 19. Jahrhundert Forum Modernes Theater, Band 39 2012, 404 Seiten ! [D] 68,00/ SFr 91,00 ISBN 978-3-8233-6688-1 Psychisch kranke Figuren bevölkern die Bühne des 19. Jahrhunderts. Im Bemühen um die hohe Form der Tragödie beleben die Dramatiker tradierte Stoffe wie die Orestie oder die römische Geschichte unter dem Vorzeichen der Krankheit neu. Wahnsinn wird zum effektvollen Auslöser oder Resultat von Handlungen. Für Schauspieler sind dies begehrte Rollen, weil sie eine maßlose Darstellung erlauben. Doch die theatrale Prominenz Wahnsinniger verdankt sich auch der Medikalisierung des 19. Jahrhunderts. Der Bildungsauftrag des Theaters verbindet sich derart mit der Popularisierung und Erklärung von Krankheitsbildern. Die Studie geht aus von bekannten (Hebbel, Judith; Hofmannsthal, Elektra) und heute vergessenen Dramen des 19. Jahrhunderts. Ihr Ziel ist es, den Schnittpunkt von Drama,Theater und Psychiatrie auf der Bühne des Hoftheaters des 19. Jahrhunderts sichtbar zu machen. ! "#! $"%&'()*+,+-'./ %&0-*)%"! $"1*.22%%%"3 $#1! 41$"%%%$#5! $ <?page no="353"?> Watzka Die ,Persona‘ der Virtuosin Eleonora Duse Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts wird die Stadt Berlin als Folge der Reichsgründung 1871 sowohl zur Hauptstadt des Deutschen Reiches als auch immer mehr zur internationalen Metropole. Diese parallelen Entwicklungen, angesiedelt zwischen Nationalismus und Kosmopolitismus, schlagen sich auch im Geschehen auf den Bühnen der neuen Welt- und „Theaterhauptstadt“ Berlin nieder. Insbesondere das florierende internationale Gastspielwesen darf dabei als Spiegel von nationalisierenden sowie internationalisierenden Strömungen gesehen werden. Ziel dieses Buches ist es, diese Strömungen, die sich, wie gezeigt wird, nur auf den ersten Blick auszuschließen scheinen, anhand des Beispiels der Rezeption der Gastspiele der italienischen Virtuosin Eleonora Duse in den 1890er- Jahren nachzuzeichnen und dadurch sowohl die Wichtigkeit des bisher kaum untersuchten Gastspielwesens für die Theatergeschichte des ausgehenden 19. Jahrhunderts herauszustellen als auch die Perspektive auf das durch einen Kulturwandel geprägte Theater Berlins vor 1900 zu erweitern. ISBN 978-3-7720-8459-1 Stefanie Watzka Die ‚Persona‘ der Virtuosin Eleonora Duse im Kulturwandel Berlins in den 1890er-Jahren »Italienischer Typus« oder »Heimathloser Zugvogel«? 068912 Mainz. For. 45 - Watzka_068912 Mainz. For. 45 - Watzka Umschlag 02.08.12 14: 18 Seite 1