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Der Wortschatz des Bündnerromanischen

Elemente zu einer rätoromanischen Lexikologie

1121
2012
978-3-7720-5468-6
978-3-7720-8468-3
A. Francke Verlag 
Ricarda Liver

Diese Skizze des heutigen bündnerromanischen Wortschatzes beschreibt ausgewählte Wortfelder, Phraseologismen und semantische Relationen. Der Hauptteil des Buches beschäftigt sich mit der Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes, seiner Schichtung (vorromanische, lateinische und germanische Elemente) und seiner Vernetzung mit der alpinromanischen Nachbarschaft und der Gesamtromania. Der dritte Teil untersucht die lexikalischen Besonderheiten der frühen Schriftsprachen (16./17. Jh.). Das Bündnerromanische erweist sich in seinem Wortschatz als eine originelle romanische Sprache, gekennzeichnet durch die Bewahrung vorromanischer Elemente, die Fortführung einer besonderen Latinität, die sie teilweise mit anderen romanischen Varietäten der Romania teilt, und vor allem durch die jahrhundertelange Symbiose mit der deutschen Nachbarsprache.

<?page no="0"?> Ricarda Liver Der Wortschatz des Bündnerromanischen Elemente zu einer rätoromanischen Lexikologie <?page no="1"?> Der Wortschatz des Bündnerromanischen <?page no="3"?> Ricarda Liver Der Wortschatz des Bündnerromanischen Elemente zu einer rätoromanischen Lexikologie <?page no="4"?> Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. © 2012 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Internet: http: / / www.francke.de E-Mail: info@francke.de Satz: typoscript GmbH, Walddorfhäslach Druck und Bindung: Hubert & Co., Göttingen ISBN 978-3-7720-8468-3 <?page no="5"?> Inhaltsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 In plaid sin via . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1 Der bündnerromanische Wortschatz der Gegenwart . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1.1 Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1.2 Ausgewählte Wortfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1.2.1 Verwandtschaftsbezeichnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1.2.2 Wahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 1.2.3 Verbale Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 1.2.4 Orientierung im Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 1.2.5 Haustiere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 1.3 Phraseologismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 1.4 Semantische Relationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 1.4.1 Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 1.4.2 Synonymie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 1.4.3 Gegensatzrelationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 1.4.4 Polysemie und Homonymie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 2.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 2.2 Schichtung des Wortschatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 2.2.1 Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 2.2.2 Vorrömische Elemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 2.2.3 Lateinische Elemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 2.2.4 Germanische Elemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 3 Der Wortschatz der frühen Schriftsprachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 3.1 Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 3.2 Die Kapitel 20 - 24 der Apostelgeschichte in den Übersetzungen von Giachem Bifrun und Luci Gabriel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 3.2.1 Material und Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 3.2.2 Unterschiedliche lexikalische Verhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . 206 3.2.3 Höherer Anteil an Germanismen bei Gabriel . . . . . . . . . . . . 215 <?page no="6"?> 3.2.4 Lehnübersetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 3.2.5 Unterschiedliche Übersetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 3.2.6 Probleme der Verständlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 3.2.7 Ergebnisse des Vergleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 3.3 Lexikalische Besonderheiten bei weiteren Autoren des 16. und 17. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 3.3.1 Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 3.3.2 Ältere Gemeinsamkeiten zwischen den Idiomen . . . . . . . . . . 232 3.3.3 Besonderheiten der alten Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 3.3.4 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 4 Schluß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 I. Primärtexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 II. Wörterbücher und Nachschlagewerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 III. Kritische Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 Index der zitierten Formen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 6 Inhaltsverzeichnis <?page no="7"?> Abkürzungsverzeichnis Allgemein geläufige und unmittelbar verständliche Abkürzungen wie f. = feminin, m. = maskulin, fr. = französisch, it. = italienisch, afr. = altfranzösisch, ait. = altitalienisch etc. werden nicht angeführt. Die Abkürzungen für Sprachen und Mundarten, die in den Nachschlagewerken (DRG, DEI, DEG, EWD, FEW, HWR, REW; cf. Bibliographie) verwendet werden, sind dort aufgeschlüsselt. ahd. = althochdeutsch amp. = Mundart von Cortina d ’ Ampezzo, anpezzan bdt. = bündnerdeutsch br. = bündnerromanisch BR = das Bündnerromanische buch. = buchensteinisch, fodom C = Mittelbünden (Grischun central), mittelbündnerisch dl. = dolomitenladinisch DL = das Dolomitenladinische E = Engadin, engadinisch Eb. = Engiadina bassa, Unterengadin eng. = engadinisch enneb. = ennebergisch, marèo Eo. = Engiadin ’ ota, Oberengadin F = Friaul, friulanisch, friaulisch fass. = fassanisch, fascian friul. = friulanisch, furlàn gad. = gadertalisch, badiot gall. = gallisch grödn. = grödnerisch, gherdëina kelt. = keltisch mar. = marèo, ennebergisch mhd. = mittelhochdeutsch oit. = oberitalienisch Pkt. = Punkt (Aufnahmeort im AIS) put. = puter, oberengadinisch RB = Romanisch Bünden rtr. = rätoromanisch S = Surselva, surselvisch, sursilvan schwdt. = schweizerdeutsch surm. = surmeirisch (oberhalbsteinisch), surmiran surs. = surselvisch, sursilvan suts. = sutselvisch, sutsilvan tess. = tessinisch vall. = vallader, unterengadinisch vlat. = vulgärlateinisch Vm. = Val Müstair, Münstertal vorrom. = vorromanisch <?page no="8"?> In plaid sin via Fast gleichzeitig mit diesem Buch ist das große Lexicon romontsch cumparativ von Alexi Decurtins erschienen (cf. Bibliographie). Leider konnte dieses Werk, das auf lexikographischem Weg ähnliche Ziele verfolgt wie die vorliegende lexikologische Studie, nur noch in der Bibliographie erfasst werden. Beide Arbeiten situieren den Wortschatz des Bündnerromanischen in seiner näheren alpinlombardischen Nachbarschaft und im weiteren Rahmen der Gesamtromania. Daneben sind die Verbindung zum Dolomitenladinischen und zum Friulanischen sowie diejenige zum Deutschen (Schweizerdeutsch, Bündnerdeutsch, Walserdeutsch, Tirolisch, Deutsch im Allgemeinen) privilegierte Themen. Freunde und Kollegen haben mir in der langen Zeit der Vorbereitung dieses Buches mit Auskünften, Diskussionen und Ratschlägen geholfen. Ihnen allen danke ich dafür, dem Redaktionsteam des Dicziunari rumantsch grischun, vor allem Carli Tomaschett und Matthias Grünert, ferner Florentin Lutz und Peter Wunderli. Etna Krakenberger hat meinen Text in eine reproduktionsfähige Form gebracht. Schließlich geht mein Dank an den Gunter Narr Verlag, an Herrn und Frau Gunter und Sonja Narr und an Herrn Dr. Bernd Villhauer, der die Drucklegung kompetent und geduldig betreut hat. Lützelflüh, im September 2012 Ricarda Liver <?page no="9"?> Einleitung Der deutsche Ausdruck „ Wortschatz “ bezeichnet mit einer positiv belegten Metapher die Gesamtheit der Wörter, die den Sprechern einer bestimmten Sprachgemeinschaft zur Verfügung stehen. Die westlichen bündnerromanischen Idiome 1 , das Sursilvan und das Sutsilvan, haben den Ausdruck übersetzt: surs. scazi da plaids, suts. stgazi da pleds. Ähnlich spricht man auf deutsch von „ Sprichwortschatz “ , „ Zitatenschatz “ , und das umfassende Wörterbuch des Lateinischen trägt den Titel Thesaurus linguae latinae. Der Trésor de la langue française stellt in 12 Bänden das Wortgut des modernen Französischen dar. „ Schatz “ spielt auf den Reichtum und die Fülle an, die das Inventar der Wörter einer Sprache kennzeichnen. Tatsächlich ist das Inventar der Wörter, im Gegensatz zu demjenigen der Einheiten anderer Teilgebiete der Sprachbeschreibung (Phonologie, Morphologie, Syntax), nicht begrenzt, sondern offen. Eine exhaustive Beschreibung des Wortschatzes ist daher ein Ding der Unmöglichkeit. Nicht einmal die umfangreichsten Wörterbücher einer Sprache geben die Gesamtheit der lexikalischen Einheiten einer Sprache wieder. Es kann denn auch nicht der Sinn einer Beschreibung des Wortschatzes sein, die Wörter einer Sprache erschöpfend zu erfassen. Vielmehr wird eine Darstellung des Wortschatzes versuchen, ein Profil zu entwerfen, das eine Charakteristik des beschriebenen Gegenstandes vermittelt. Mehr als ein Profil, vielmehr ein seinen Gegenstand charakterisierendes Porträt, hat Aurélien Sauvageot 1964 vom französischen Wortschatz gezeichnet: Portrait du vocabulaire français. Diese meisterliche Darstellung, die theoretische Überlegungen mit anschaulichen Illustrationen verbindet, besticht durch ihre Klarheit und die Prägnanz der Formulierung. Die bewundernswerten Kenntnisse der verschiedensten Sprachen, mit denen der Autor seine Aussagen untermauern kann, tragen dazu bei, die Eigenheiten des französischen Wortschatzes deutlich hervortreten zu lassen. Das Bündnerromanische ist nun allerdings nicht im gleichen Sinne eine Sprache, wie das vom Französischen gilt, und entsprechend wird eine Beschreibung seines Wortschatzes auch andere Wege gehen müssen. Während das Französische wie das Italienische oder das Spanische aus einer Vielfalt von regionalen Varietäten im Laufe der Zeit, auf jeweils verschiedenen Wegen, zu einer einheitlichen Hochsprache gefunden hat, ist „ Bündnerromanisch “ ein übergeordneter Begriff 1 Der Terminus „ Idiome “ hat sich in der Praxis der Rätoromanistik in der Schweiz etabliert. Er bezeichnet die regionalen Varietäten sowohl in ihrer mündlichen als auch in ihrer schriftsprachlichen Ausformung. Zu den traditionellen Abgrenzungen der fünf bündnerromanischen Idiome cf. Liver 2010: 43 - 47. <?page no="10"?> für fünf regionale Idiome, dem nicht eine einzige konkrete Sprachform entspricht; in diesem Sinne ist der Begriff „ Bündnerromanisch “ eher vergleichbar etwa mit „ Iberoromanisch “ als Überbegriff für Spanisch, Katalanisch, Galizisch und Portugiesisch, oder „ Romanisch “ für die Gesamtheit der romanischen Sprachen von Portugal bis Rumänien. Das Rumantsch grischun, die 1982 lancierte Einheitssprache für Romanischbünden, ist als eine Kunst- und Kompromißsprache auf einer anderen Ebene angesiedelt. Diese Sprachform bleibt außerhalb unserer Darstellung, die mit den historisch gewachsenen bündnerromanischen Idiomen befaßt ist. Der Wortschatz des Bündnerromanischen wird im Folgenden auf synchronischer und diachronischer Ebene untersucht. In einem ersten Teil wird das Lexikon der Gegenwartssprache dargestellt. Die Beschreibung beschränkt sich auf eine Skizze, die exemplarische Fälle behandelt und Probleme aufzeigt. Ausgehend von den beiden Wörterbüchern, die den Grundwortschatz des Ladinischen und des Surselvischen enthalten 2 , werden einige Wortfelder (z. B. Verwandtschaftsnamen, Verben der sinnlichen und der intellekuellen Wahrnehmung, Verben des Sprechens etc.) beschrieben. Ausführlichere Wörterbücher aller Idiome und Primärtexte liefern Ergänzungen. Semantische Beziehungen innerhalb des Wortschatzes (Polysemie, Homonymie, Synonymie, Antonymie) werden an ausgewählten Beispielen erläutert. Der ausführlichere zweite, historische Teil der Beschreibung des bündnerromanischen Wortschatzes befaßt sich mit der chronologischen Schichtung des Wortguts. Vorrömische Elemente, Resultate einer besonderen Latinität, Auswirkungen des jahrhundertealten Sprachkontakts mit dem Deutschen sind Themen dieser Untersuchung. Die Neologismen verschiedener Provenienz, die in neuerer Zeit einen beträchtlichen Bestandteil des bündnerromanischen Wortschatzes ausmachen, werden hier nicht behandelt 3 . Ein wichtiger Aspekt in der Geschichte des Bündnerromanischen ist die Beobachtung, daß gewisse Worttypen, die heute als charakteristisch für das Rätoromanische gelten, in früherer Zeit in der alpinlombardischen Nachbarschaft viel weiter ausgebreitet waren. Die von den Vertretern der „ unità ladina “ postulierte deutliche Grenze zwischen dem Rätoromanischen und dem Oberitalienischen erscheint dadurch mindestens durchlässig 4 . Ein eigenes Kapitel beschreibt die Veränderungen des Wortschatzes, die sich zwischen den Anfängen der Schriftlichkeit (16. Jh.) und der Sprache der Gegenwart ausmachen lassen. 2 A RQUINT 1980, S PESCHA 1994. 3 Literaturangaben bei L IVER 1989: 802 und in den verschiedenen Forschungsüberblicken von H OLTUS / K AMER . 4 Zu meiner Position in der „ questione ladina “ cf. L IVER 2010: 15 - 28. 10 Einleitung <?page no="11"?> 1 Der bündnerromanische Wortschatz der Gegenwart 1.1 Vorbemerkungen Es gibt bisher keine umfassende Darstellung des bündnerromanischen Wortschatzes. Wenn hier ein Versuch unternommen wird, diese Lücke aufzufüllen, muß sich die Darstellung zwangsläufig auf eine Auswahl von Phänomenen beschränken, die geeignet sind, die Eigenheiten des Bündnerromanischen zu illustrieren. Bedingt durch die Materialbasis (Wörterbücher und Einzelstudien zum bündnerromanischen Lexikon) liegt das Hauptgewicht unserer Untersuchungen auf den beiden vitalsten und sprecherreichsten bündnerromanischen Idiomen, dem Surselvischen (sursilvan) und dem Unterengadinischen (vallader), dem auch die Sprache des Münstertals (jauer) zugerechnet wird 1 . Die übrigen Idiome (Sutselvisch/ sutsilvan, Surmeirisch/ surmiran, Oberengadinisch/ puter) werden fallweise miteinbezogen. Über die bisherigen (vorwiegend historisch ausgerichteten) Studien zum bündnerromanischen Wortschatz geben die seit 1986 periodisch erscheinenden Forschungsberichte von G. Holtus und J. Kramer Auskunft 2 . 1.2 Ausgewählte Wortfelder 1.2.1 Verwandtschaftsbezeichnungen Familie und Verwandtschaft spielen in allen Gesellschaften eine zentrale Rolle, in ländlichen, weniger mobilen Gemeinschaften noch mehr als in der Stadt. Die Verwandtschaftsbezeichnungen im Bündnerromanischen fügen sich weitgehend in die Verhältnisse ein, die in den Nachbarsprachen Italienisch und Französisch vorliegen. Es gibt aber auch signifikante Abweichungen. 1 Eine zuverlässige Angabe der Sprecherzahlen im gesamten br. Gebiet und in den einzelnen Regionen ist äußerst schwierig. In den Volkszählungen von 1990 und 2000 wurde nicht mehr nach der Muttersprache gefragt, sondern nach der „ besten Sprache “ (d. h. der am besten beherrschten Sprache) und nach der „ meistverwendeten Sprache “ . In der Volkszählung von 2000 erklärten in der Surselva 13879 Personen das Romanische als ihre beste Sprache, 17897 als meistverwendete Sprache. Im Unterengadin waren es 5138 respektive 6448 (cf. L IA R UMANTSCHA 2004: 31). Für detailliertere Analysen der Sprachsituation cf. G RÜNERT et al. 2008. Jedenfalls liegt die Sprecherzahl der Rätoromanen unter der kritischen Grenze, die einen Fortbestand der Sprache auf längere Zeit wahrscheinlich macht. 2 Cf. V IDESOTT 2011: 30. <?page no="12"?> In einer skizzenhaften Darstellung des bündnerromanischen Wortschatzes im 3. Band des LRL 3 habe ich die Verwandtschaftsbezeichnungen des Bündnerromanischen am Beispiel des Sursilvan und Vallader dargestellt. Ich gebe hier als erste Orientierung das an G ECKELER 1973 angelehnte Schema „ Blutsverwandtschaft “ mit einigen Korrekturen wieder: Im Folgenden wird die Beschreibung auf sämtliche bündnerromanische Idiome ausgeweitet und nach der Verteilung der lexikalischen Typen innerhalb des Bündnerromanischen gefragt. Im Bereich der engsten Verwandtschaftsbeziehungen, zwischen dem Sprechenden und seinen Eltern, Geschwistern und Kindern, sind die Bezeichnungen innerhalb des Bündnerromanischen sehr homogen. Die lexikalischen Typen sind jeweils für das ganze Gebiet dieselben, nur die phonetische Ausgestaltung (teils auch nur die Graphie) variiert von Dialekt zu Dialekt mehr oder weniger. Die (einzigen) Bezeichnungen für ‚ Mutter ‘ und ‚ Vater ‘ sind die ursprünglich kindersprachlichen mumma/ mamma und bab/ bap : surs. mumma, suts. mama, surm./ put./ vall. mamma, surs./ suts./ surm. bab/ , put./ vall. bap. Es gibt somit im Bündnerromanischen keine Möglichkeit, zwischen einem neutraleren und einem 3 L IVER 1989: 789 - 91. 12 1 Der bündnerromanische Wortschatz der Gegenwart <?page no="13"?> affektiveren Terminus zu wählen wie fr. mère/ maman, père/ papa, it. madre/ mamma, padre/ babbo. ‚ Bruder ‘ und ‚ Schwester ‘ heißen allg. frar (put. frer), sora (vall. sour). Wie das Deutsche kennt das Bündnerromanische einen übergeordneten Begriff ‚ Geschwister ‘ : surs. fargliuns, suts. fardagliuns, surm. fardagliungs, put./ vall. fradgliuns. ‚ Sohn ‘ ist surs./ surm. fegl, suts./ put./ vall. figl, ‚ Tochter ‘ surs./ surm. feglia, suts./ put./ vall. figlia. Einzig bei der Bezeichnung für ‚ Onkel ‘ weist das bündnerromanische Gebiet zwei unterschiedliche lexikalische Typen auf. Während für ‚ Tante ‘ ein einziger Typus ganz Romanischbünden abdeckt (surs./ suts./ surm. onda, put./ vall. anda) 4 , heißt der Onkel im rheinischen Gebiet aug (surs.), ô, oc (suts.) 5 , im Surmeir und Engadin dagegen barba, wie in der oberitalienischen Nachbarschaft 6 . In den weiter von der Origo des Sprechers entfernten Generationen, auf den Ebenen von Großeltern und Enkeln, Urgroßeltern und Urenkeln, wird das Bild der lexikalischen Typen zusehends uneinheitlicher. Die Bezeichnungen für ‚ Enkel ‘ , ‚ Enkelin ‘ gehören zwar ein und demselben Typus an: surs. biadi(a), suts. bieadi(a), surm. beadi(a), put. abiedi, abiedgia, vall. abiadi(a). Die Bezeichnungen für die Großeltern dagegen sind gebietsweise unterschiedlich. Von der Surselva über die Sutselva bis ins Surmeir herrscht der Typus tat, tat(t)a. Das Engadin schließt sich mit put. non, nona, vall. nona an den oberitalienischen Dialektraum an 7 . Speziell ist die Bezeichnung für den Großvater im Unterengadin, der Ehrentitel bapsegner oder bazegner. Noch größer werden die regionalen Unterschiede in der nächst entfernten Generation, auf der Ebene der Urgroßeltern. Alle Idiome mit Ausnahme des Engadinischen, also das Sursilvan, Sutsilvan und Surmiran, haben für ‚ Urgroßvater ‘ , ‚ Urgroßmutter ‘ basat, basatta (suts. basata). Das Engadin benennt die Urgroßeltern mit dem lexikalischen Typus, der in den übrigen Gebieten für die Großeltern gilt: tat, tatta. In der noch weiter zurückliegenden Generation, derjenigen der Ururgroßeltern, zeigt sich wiederum ein neues Bild. In den Gebieten, die für ‚ Urgroßvater ‘ den Typus basat aufweisen, taucht hier das deutsche Präfix urauf, allerdings in unterschiedlichen Kombinationen: surs. bisurat, bisuratta, suts. urat, urata, surm. urat, uratta. Urat, uratta kommt auch in der Surselva vor, scheint jedoch weniger verbreitet zu sein als bisurat, bisuratta. Daneben findet sich in all diesen Gebieten 4 Cf. DRG 1: 263 - 65. 5 Cf. DRG 1: 533 - 36. 6 Cf. DRG 2: 154 - 56. 7 Cf. AIS I: 16. 13 1.2 Ausgewählte Wortfelder <?page no="14"?> eine familiäre Nebenform sfurat 8 . Wie bei der vorigen Generation herrscht im Engadin derjenige Typus, der in den übrigen Gebieten die nächst jüngeren Vorfahren bezeichnet: basat, basatta. Für die Generation der Urenkel gibt es zwei Typen, die jeweils das Lexem für ‚ Enkel(in) ‘ mit einem Präfix versehen: surs. subbiadi(a), suts. bisbieadi(a), sutbieadi (a), surm. sotbeadi(a), put. bisabiedi, bisabiedgia, vall. bisabiadi(a). Auffällig differenziert und lexikalisch im ganzen bündnerromanischen Gebiet homogen sind die Bezeichnungen für Vetternschaft. Es werden Vettern und Basen (Cousins und Cousinen) in 4 Verwandtschaftsgraden unterschieden: 1. Grad surs. cusrin(a), suts./ surm. cusregn(a), put./ vall. cusdrin(a) 2. Grad surs. zavrin(a), suts. zavregn(a), surm. savregn(a), put./ vall. suvrin(a) 3. Grad surs. basrin(a), suts./ surm. basavregn(a), put./ vall. basdrin(a) 4. Grad surs. basaret, suts./ surm. basavret, 9 put./ vall. basdrinet(ta). Daß diese weitgehende Differenzierung einen realen gesellschaftlichen Hintergrund hat (oder besser: hatte), zeigen Rechtssprichwörter wie etwa Baserin e baseret dat letg (Trun). Was bedeutet: im 3. und 4. Grad der Vetternschaft ist die Ehe erlaubt. Auch beim Erbgang und beim Ausstand vor Gericht wirkten sich die Verwandtschaftsverhältnisse aus 10 . Das im Engadin geläufige Sprichwort Basdrin e basdrinet our da schlatta bain ed inandret 11 bedeutet, daß der 3. und der 4. Grad der Vetternschaft nicht mehr als eigentliche Verwandtschaft gilt. Im ganzen Gebiet homogen sind auch die Bezeichnungen, die Personen benennen, mit denen Verwandtschaft durch Heirat entsteht. Für ‚ Schwager ‘ und ‚ Schwägerin ‘ herrscht in ganz Romanischbünden der lexikalische Typus, der auch it. cognato, cognata zugrundeliegt: surs. quinau, quinada, suts./ surm. quino, quinada, put. quino, quineda, vall. quinà, quinada. Auch auf der Ebene der Schwiegereltern ergibt sich ein einheitliches Bild: surs./ suts. sir, sira, surm. seir, seira, put./ vall. sör, söra. Für ‚ Schwiegersohn ‘ und ‚ Schwiegertocher ‘ gibt es, wiederum wie im Italienischen 12 , zwei unterschiedliche lexikalische Typen, die jeweils für das ganze 8 Obschon es hier nicht um die historische Dimension geht, seien die Erklärungen der Wörterbücher zu dieser Form erwähnt: HWR 780 „ Zus. aus ® urat und unklarem š f-, š -. D ECURTINS 2001: „ Zus. mit ® urat mit scherzh. Einw. von ® sfurar ‚ dünn kacken ‘ . “ 9 Die Wörterbücher geben nur die maskuline Form an. Es ist jedoch anzunehmen, daß wie in allen anderen Fällen eine entsprechende feminine Form existiert. 10 Cf. DRG 2: 227 s. basdrin, 4: 602 s. cusdrin. 11 L ÖSSI 1987: 15 (Nr. 141). 12 Genero, nuora. 14 1 Der bündnerromanische Wortschatz der Gegenwart <?page no="15"?> Gebiet gelten: surs. schiender, suts./ surm. schender, put./ vall. dschender 13 , surs./ suts. brit, surm. breit, put./ vall. brüt 14 . Die Heirat mit einem Partner, der vorher schon einmal verheiratet war, bringt neue Verwandte. Im Deutschen werden diese durchweg mit dem semantisch blockierten Kompositionselement „ Stief- “ bezeichnet. Im Bündnerromanischen werden die Beziehungen in der Generation über und unter dem Sprechenden (Stiefeltern, Stiefkinder) mithilfe von pejorativ belegten Suffixen, die an einen sonst nicht geläufigen Stamm treten 15 , ausgedrückt. Für die Stiefgeschwister treten Periphrasen ein. Stiefeltern surs./ suts./ surm. padraster, madregna, put./ vall. padraster, madrastra Stiefkinder surs./ surm./ put./ vall. figliaster, figliastra, suts. fegliaster, fegliastra 16 Stiefbruder surs. frar d ’ ina vart, suts. frar d ’ egna vart, surm. frar d ’ ena vart, put. mez frer, vall. mez frar 17 Stiefschwester surs. sora d ’ ina vart, suts. sora d ’ egna vart, surm. sora d ’ ena vart, put./ vall. mezza sour. Eine weitere Form von Verwandtschaft, die auch nicht auf Blutsverwandtschaft beruht, ist die Beziehung zwischen Taufpaten und Patenkindern. Man könnte sie als „ geistliche “ Verwandtschaft bezeichnen. ‚ Pate ‘ heißt surs./ put./ vall. padrin, suts./ surm. padregn, ‚ Patin ‘ surs./ suts./ surm. madretscha, put. madrütscha, vall. madrina 18 . Für die Patenkinder gilt surs./ suts./ surm. figliol, figliola, put./ vall. figlioul, figlioula 19 . 13 Cf. DRG 5: 448 s. 14 Cf. DRG 2: 549 s. 15 Für ‚ Vater ‘ und ‚ Mutter ‘ kennt das Bündnerromanische nur die kindersprachlichen Formen bab, bap, mumma, mamma (cf. oben p 4). Hier treten jedoch die Stämme von lat. PATER und MATER auf, die auch in früheren Phasen der Sprachgeschichte im Rätoromanischen belegt sind, so z. B. bei Calvenzano 1615: „ il soing Pader, igl soing Figl ad igl soing Spiert “ (D ECURTINS 1888: 23). Cf. auch D ECURTINS 2001 s. pader* II. 16 Zu den volksetymologischen Umbildungen figl jester, figlia jastra etc. cf. DRG 2: 136 s. bap. 17 Nach DRG 6: 565 gilt mez frar, miez frar allgemein, was jedoch durch die regionalen Wörterbücher nicht bestätigt wird. DRG 6: 535 führt zudem put. fradlaster (von it. fratellastro), surs. frajester (Zusammensetzung aus frar + jester ‚ fremd ‘ ) an. Auch diese Formen fehlen in den Wörterbüchern. 18 Auch für diese Bezeichnungen gilt das in N 15 Gesagte. 19 Cf. DRG 6: 291s. J UD 1973: 194 s. FEW 3: 519ss. 15 1.2 Ausgewählte Wortfelder <?page no="16"?> Für die Paten sind in verschiedenen Regionen familiäre und kindersprachliche Kurzformen geläufig, so für padrin vall. pin 20 , für madretscha surs./ suts./ surm. detscha, für put. madrütscha dütscha, für vall. madrina mima und nina 21 . Karl Jaberg beschäftigt sich in seinem anregenden Vortrag „ Zur Struktur onomasiologischer Reihen “ von 1954 22 vor allem mit Zahlenreihen und Verwandtschaftsbezeichnungen. Dabei greift er auch auf bündnerromanische Beispiele zurück. Wenn man seine Unterscheidungen von arbiträren und motivierten, intellektuellen und affektiven Formenreihen auf das hier dargestellte, umfangreichere Material anwendet, ergeben sich einige Resultate, die zur Charakterisierung der rätoromanischen Verwandtschaftsnamen im Vergleich mit benachbarten Sprachen beitragen. Aus dem hier beschriebenen Material ist ersichtlich, daß die Zahl der primären, nicht motivierten Lexeme diejenige der sekundären, motivierten oder teilmotivierten bei weitem übersteigt. Damit geht das Bündnerromanische näher mit dem Italienischen als mit dem Französischen und dem Deutschen zusammen, wo die Reihenbildung mit semantisch blockierten Komponenten (beau-, belle-, Schwieger-, Stief-) viel stärker vetreten ist. Jaberg stellt fest, daß Verwandtschaftsreihen, dort wo sie über die nächsten Generationen hinaus weitergeführt werden, oft mit dem „ banalsten und phantasielosesten Ordnungsmittel “ , der Numerierung, realisiert werden, dies unter gelehrtem Einfluß. Er zitiert unter anderem vall. abiadi, bisabiadi 23 . Dieses und seine Entsprechungen in anderen Idiomen (put. bisabiedi, suts. bisbieadi) dürften für den Sprecher analysierbar und somit motiviert sein, obschon das Präfix bisnicht als wirklich vital gelten kann. Klar identifizierbar ist dagegen das Präfix sutin den Bezeichnungen für ‚ Urenkel ‘ im Surselvischen (subbiadi), Sutselvischen (sutbieadi) und Surmiran (sotbeadi). In der Reihe „ Großvater - Urgroßvater - Ururgroßvater “ , die, wie schon dargestellt, in den einzelnen Regionen unterschiedlich besetzt ist, lassen sich kaum motivierte Formen ausmachen. In surs. bisurat ‚ Ururgroßvater ‘ könnte bisvielleicht als Steigerungselement empfunden werden; nur ist die verbreitete Form für ‚ Urgroßvater ‘ nicht urat, das hier ebenfalls ‚ Ururgroßvater ‘ bedeutet, sondern basat. In basat, surs./ suts./ surm. ‚ Urgroßvater ‘ , eng. ‚ Ururgroßvater ‘ , wird basschwerlich als Präfix aufgefaßt, umso weniger, als eine Form *at im Bündnerromanischen nicht vorkommt. 20 DRG 1: 536 s. aug erwähnt für S auch din, dina und neben detscha ein maskulines detsch. 21 Für die genauere Verteilung der Formen cf. HWR unter den betreffenden Einträgen. 22 Publiziert in J ABERG 1965: 145 - 59. 23 J ABERG 1965: 151. 16 1 Der bündnerromanische Wortschatz der Gegenwart <?page no="17"?> Dagegen hat das Suffix -aster, das einen großen Teil der Verwandtschaftsbezeichnungen bei zweiter Heirat charakterisiert (allg. padraster, eng. madrastra, allg. figliaster, figliastra), für die Sprecher des Rätoromanischen eine klar pejorative Bedeutung (cf. criticaster, poetaster, cavalcaster etc.). Daß die Basislexeme *padr-, *madrim Bündnerromanischen so nicht vorkommen, beeinträchtigt die Durchsichtigkeit der entsprechenden Termini wohl nicht. Obschon für ‚ Vater ‘ und ‚ Mutter ‘ nur die ursprünglich affektiven Formen bab, bap, mumma, mamma vorhanden sind, assoziiert sicher jeder Sprecher *padr- und *madrmit den Inhalten [Vater] und [Mutter], gestützt auf geläufige Ausdrücke wie eng. padernuors ‚ Vorfahren, Ahnen ‘ , auch ‚ Eltern ‘ 24 , allg. patern ‚ väterlich ‘ , matern ‚ mütterlich ‘ , surs. paternies ‚ Vaterunser ‘ u. ä. 1.2.2 Wahrnehmung 1.2.2.1 Physische Wahrnehmung Unter dem Titel „ Die Verben der sinnlichen Wahrnehmung im Bündnerromanischen “ habe ich in Vox Romanica 62 (L IVER 2003) den Sinnbereich der physischen Wahrnehmung im bünderromanischen Wortschatz beschrieben. Ich fasse hier die aus synchronischer Sicht wichtigsten Ergebnisse dieser Untersuchung zusammen. Den fünf Sinnen, die für die physische Wahrnehmung zuständig sind, dem Gesichtssinn, dem Gehör, dem Riechen, Schmecken und Fühlen (Spüren), ordnet das Bündnerromanische (wie seine Nachbarsprachen) entsprechende Lexeme zu. Der Gesichtssinn erscheint insofern privilegiert, als er durch eine größere Zahl von Lexemen abgedeckt und dadurch feiner differenziert wird, als dies bei den übrigen Sinnen der Fall ist. Für das Sehen, das Hören und das Fühlen (Spüren) unterscheidet das Bündnerromanische (wie viele andere Sprachen) zwischen einer Wahrnehmung, die ohne Intention des Subjekts erfolgt, und einer Wahrnehmung, die das Resultat intentional gesteuerter Aktivität des Subjekts ist. In den Bereichen des Riechens und Schmeckens stehen sich jeweils intransitive und transitive Verwendungen gegenüber. Die folgenden Tabellen listen die hauptsächlichen Verben der sinnlichen Wahrnehmung im Bündnerromanischen auf. Verben der visuellen Wahrnehmung mit geringerer Frequenz werden separat behandelt. 24 Laut HWR s. v. nach Material DRG. 17 1.2 Ausgewählte Wortfelder <?page no="18"?> Visuelle Wahrnehmung sehen (-Intention) schauen (+Intention) surs. veser, ver suts. ver surm. veir put. vair vall. verer mirar (uardar) vurdar vurdar guarder guardar it. vedere fr. voir guardare regarder Akustische Wahrnehmung hören (-Intention) Horchen (+Intention) surs. udir suts. udir surm. santeir put. udir vall. dudir tedlar taclar, tarlar tadlar tadler tadlar it. sentire, udire (alt und lit.) fr. entendre ascoltare, sentire écouter Geruchliche Wahrnehmung es riecht (intrans.) riechen (trans.) surs. ferdar, suarar suts. fardar, savurar surm. suarar put. savurer vall. savurar ferdar fardar suarar savurer savurar it. sentire di fr. sentir (bon, mauvais . . .) sentire (l ’ odore) sentir 18 1 Der bündnerromanische Wortschatz der Gegenwart <?page no="19"?> Geschmackliche Wahrnehmung es schmeckt (intrans.) kosten, versuchen (trans.) allg. gustar, put. guster surs. suts. surm. put. vall. (in älterer Sprache allg. gustar, put. guster) schigiar schigear, sagear, ansagear sager insajer insajar it. sapere di fr. sentir (le brulé . . .) assaggiare, degustare gouter, déguster Taktile Wahrnehmung fühlen, spüren (-Intention) berühren, betasten (+Intention) surs. sentir suts. santir surm. santeir put. sentir vall. sentir tuccar, palpar tutgear, palpar tutgier, palpar tucher, palper tocker, palpar it. sentire, provare fr. sentir toccare, palpare, tastare toucher, tâter Die Tabellen enthalten die Verben, die in den jeweiligen Wahrnehmungsbereichen die höchsten Frequenzen aufweisen. Die Vorzugsstellung der visuellen Wahrnehmung in der alltäglichen Erfahrung spiegelt sich in einer größeren Differenziertheit der sprachlichen Mittel, die für diesen Bereich zur Verfügung stehen. Neben den geläufigen Verben für „ sehen “ und „ schauen “ , die in den Tabellen erfaßt sind, kennen die bündnerromanischen Dialekte eine Reihe weiterer Lexeme, die zusätzliche semantische Informationen liefern. Für den Vorgang der visuellen Wahrnehmung, in dem über das nicht-intentionale Sehen hinaus der Anfangspunkt der Wahrnehmung markiert wird ( ‚ erblikken, wahrnehmen ‘ ), herrscht von der Surselva bis ins Surmeir ein Worttypus, der surs. tscharner, suts. tschearner, surm. tscherner zugrundeliegt. Im Engadin wird derselbe Inhalt mit einer verbalen Fügung ausgedrückt: dar/ der ögl, im Vallader auch mit dem Verb adögliar, das sich im Surmeir in der Form diglier wiederfindet 25 . 25 DRG 1: 101. 19 1.2 Ausgewählte Wortfelder <?page no="20"?> Das Surselvische kennt ferner für ‚ erblicken, wahrnehmen ‘ auch engartar, dessen erste Bedeutung ‚ erwischen, ertappen ‘ ist 26 . Für das intentionale Sehen ( „ schauen “ ) kennt das Bündnerromanische eine Reihe von mehr oder weniger expressiv markierten Verben. Nur schwach expressiv ist surs. tgittar 27 , suts./ surm. tgitar, put. tschütter, vall. tschüttar. Vall. cuccar, put. cucker, surs. cuchegiar kann sowohl neutrales Schauen als auch expressives Gaffen ausdrücken 28 . Surm. cucager ‚ zerstreut umherschauen, ins Blaue sehen, statt zu arbeiten ‘ 29 liegt deutlich im Bereich des Pejorativen. Hier ist auch vall. spüffar ‚ gaffen, glotzen ‘ anzusiedeln. Eine in physischer Hinsicht spezielle Form des Schauens ist das Blinzeln: vall. splintriar, tschegnar/ tschögnar, put. tschegner, surm. tschignier, suts. tschignear, surs. tschaghignar. Eine Reihe verbaler Fügungen mit dem Verb dar und verschiedenen Ausdrükken für ‚ Blick ‘ , vom unbestimmten Artikel eingeleitet, stehen ebenfalls für intentionales Sehen, mit einem zusätzlichen Bedeutungselement [rasch, flüchtig] ( ‚ einen Blick werfen, rasch nachschauen ‘ ): surs. dar in ’ egliada, suts. dar egn ’ iglieada, surm. dar en ’ iglieida, put. der ün ’ öglieda, vall. dar ün ’ ögliada. Zum Verb tschüttar (so vall.) kennen ebenfalls alle Idiome Verbalfügungen mit dar: surs. dar in tgit, suts. dar egn tgit, surm. dar en tgit, put. der/ vall. dar ün tschüt. Zu cuccar kennt das Surselvische dar in cuc, das Engadinische der/ dar ün cuc, immer in der Bedeutung ‚ einen Blick werfen, rasch nachsehen ‘ . Eine situationsspezifische Verwendung von dar tschüt (ohne Artikel) liegt in vall. dar tschüt d ’ ui/ in stalla vor: ‚ im Stall vor dem Schlafengehen rasch Nachschau halten ‘ 30 . Im Unterschied zu den eben besprochenen Fügungen, die eine zwar intentionale, aber flüchtige Wahrnehmung bezeichnen, haben die im gesamten bündnerromanischen Gebiet geläufigen Verben fixar ‚ fixieren ‘ , contemplar ‚ betrachten ‘ , observar ‚ beobachten ‘ den semantischen Zug [durativ]. Während der Bereich der visuellen Wahrnehmung durch ein differenziertes Feld sprachlicher Reflexe abgedeckt wird, sind die Bereiche der übrigen Sinne sehr viel einfacher strukturiert. Die akustische Wahrnehmung ist wie die visuelle in einen nicht-intentionalen und einen intentionalen Bereich geschieden: der erstere wird vom Typus udir (so surs., suts., put.; vall. dudir, surm. santeir) abgedeckt, der zweite vom Typus tedlar (so surs.; suts. taclar, tarlar, surm./ vall. tadlar, put. tadler). 26 Cf. D ECURTINS 2001: 333s. DRG 5: 618 s. verzeichnet s. engartar auch suts. angartar, das in den modernen Wörterbüchern des Sutselvischen fehlt. 27 Nach D ECURTINS 2001 aus dem Surmeirisch-Sutselvischen übernommen. 28 Cf. DRG 4: 313. 29 So S ONDER / G RISCH 1970 s. v. 30 DRG 5: 72 s. s. dar. 20 1 Der bündnerromanische Wortschatz der Gegenwart <?page no="21"?> Auch das Feld der taktilen Wahrnehmung gliedert sich in einen nichtintentionalen und einen intentionalen Bereich: im nicht-intentionalen herrscht der Typus sentir (so allg.; suts. santir, surm. santeir), im intentionalen die zwei quasisynonymen 31 Typen tuccar (so surs.; suts. tutgear, surm. tutgier, put. tucher, vall. tocker, 3. Konj.) und palpar (so allg.; put. palper). Anders als der visuelle, der akustische und der taktile Bereich sind die Felder der geruchlichen und der geschmacklichen Wahrnehmung strukturiert. Hier steht jeweils ein intransitiver, vorwiegend unpersönlicher Gebrauch einem transitiven gegenüber: ‚ es (etwas) riecht (gut, schlecht, nach. . .) ‘ vs. ‚ riechen, einen Geruch aufnehmen ‘ , ‚ es (etwas) schmeckt (gut, schlecht, nach. . .) ‘ vs. ‚ kosten, versuchen ‘ . Für intransitives ‚ einen Geruch ausströmen ‘ kennt ganz Romanischbünden den Typus suarar/ savurar (surs. suarar, 3. Ps. suera, suts./ surm./ vall. savurar, put. savurer). Im Surmeir und im Engadin deckt derselbe Typus auch trans. ‚ riechen ‘ ab, während im rheinischen Gebiet für letzteres ausschließlich ferdar (so surs.; suts. fardar) steht. Ferdar/ fardar ist in diesem Gebiet auch für intrans. ‚ einen Geruch ausströmen ‘ geläufiger als suarar/ savurar. Eine spezielle Variante des Riechens, ursprünglich auf die tierische Wahrnehmung bezogen, bezeichnet put. ösner, vall. ösnar ‚ wittern, aufspüren ‘ , surm./ suts. ismar 32 . Das Substantiv ösen steht im Engadin für ‚ Geruchssinn, Riechorgan, Spürsinn ‘ , surm. iesma, Vaz iesem für ‚ Witterung, Spürsinn der Tiere ‘ . Einfacher ist der Bereich der geschmacklichen Wahrnehmung strukturiert. Hier herrscht im ganzen Gebiet je ein einziger lexikalischer Typus für das intransitive ‚ es schmeckt (gut, schlecht, nach. . .) ‘ und für das transitive ‚ kosten, versuchen ‘ . Intrans. ‚ es schmeckt ‘ wird allgemein durch gustar (put. guster) abgedeckt. In älterer Sprache wurde dieser Typus auch für trans. ‚ kosten, versuchen ‘ verwendet. Heute steht dafür nur noch surs. schigiar, 3. Ps. schagia, suts. schigear, sagear, ansagear, surm. sager, put. insajer, vall. insajar. 1.2.2.2 Physische und intellektuelle Wahrnehmung Die physische und die psychisch-intellektuelle Wahrnehmung sind nicht scharf voneinander zu trennen. Die physische Wahrnehmung, vor allem das Sehen und das Hören, kann die Voraussetzung sein für eine intellektuelle Verarbeitung der Information. Umgekehrt ist psychisches oder intellektuelles Wahrnehmen nicht zwingend an einen physischen Vorgang gebunden. 31 Obschon die Wörterbücher die beiden Typen weitgehend mit übereinstimmenden deutschen Erklärungen beschreiben (so etwa ‚ befühlen ‘ , ‚ betasten ‘ für beide Verben), läßt sich doch ein Bedeutungsunterschied ausmachen: palpar hat gegenüber tuccar eine durative und intensive Komponente; das kommt in den deutschen Interpretamenta ‚ berühren ‘ vs. ‚ tasten ‘ , ‚ anrühren ‘ vs. ‚ abtasten ‘ zum Ausdruck, die sich je nur für den einen oder den anderen Typus finden. 32 In den sutselvischen Wörterbüchern fehlt das Verb; es ist jedoch bei M ANI 1965: 41 bezeugt. 21 1.2 Ausgewählte Wortfelder <?page no="22"?> In der Sprache spiegelt sich dieser Sachverhalt so, daß gewisse Ausdrücke sowohl für die physische als auch für die psychisch-intellektuelle Wahrnehmung genutzt werden; in anderen Fällen sind die sprachlichen Mittel jeweils auf die eine oder die andere Art von Wahrnehmung beschränkt. Wie in den Nachbarsprachen (im Deutschen, Italienischen und Französischen) kann im Bündnerromanischen „ sehen “ neben der physisch-visuellen Wahrnehmung auch intellektuelles „ merken, einsehen, begreifen, verstehen “ bedeuten. Das wird aus den folgenden Beispielen deutlich. Sche vus veseis ch ’ el sesprova d ’ emprender romontsch, pertgei narregiar el cun da quellas pulentas? „ Wenn ihr doch seht, dass er sich Mühe gibt, Romanisch zu lernen, warum haltet ihr ihn dann mit solchem Quatsch zum Narren? “ (Halter, Caumsura 85) Pir ossa vei el d ’ aveir fatg ena tupadad „ Erst jetzt merkt er, dass er eine Dummheit gemacht hat “ (Lozza, Novelas 47) „ Vezzast “ , dschaiv ’ la, „ uossa as doda fingià ils sains “ „‚ Siehst du ‘ , sagte sie, ‚ jetzt hört man schon die Glocken ‘“ (Peer, Flüm 25) „ I ’ s vezza ch ’ El ha stübgià “ , ha ’ l dit al ravarenda „‚ Man merkt, dass Sie studiert haben ‘ , sagte er zum Pfarrer “ (Peer, Flüm 249) Die Verben für „ hören “ (udir, dudir) haben auch die abstraktere Bedeutung ‚ vernehmen ‘ , wobei die akustische Wahrnehmung ( ‚ etwas sagen hören ‘ ) hier unmittelbarer präsent ist als die visuelle im Fall von ‚ sehen ® einsehen ‘ . Plü tard as vaiva dudi ch ’ el d ’ eira disgrazchà cun pulir pas-ch da prümavaira „ Später hatte man vernommen, dass er beim Aufräumen von Frühlingsweide verunfallt war “ (Peer, Flüm 116) Im Bereich des Fühlens deckt ein und dasselbe Verb (sentir) den Ausdruck der physischen (taktilen) und denjenigen der psychischen Wahrnehmung ab. Im Unterschied zu der visuellen und (in verstärktem Maße) der auditiven Wahrnehmung ist hier der physische Vorgang nicht Voraussetzung für den psychischen. El surdat la brev alla posta e senta che sia veta survegn ina nova tensiun „ Er übergibt den Brief der Post und spürt, dass sein Leben neue Spannung gewinnt “ (Halter, Caumsura 30) Ün surleivg agreabel sainta ’ l cur ch ’ el va finalmaing our d ’ chasa e chi til vain incunter ün ventin frais-ch „ Er spürt eine angenehme Erleichterung, wie er schliesslich aus dem Haus geht und ihm ein frisches Lüftchen entgegenweht “ (Peer, Flüm 151) Zusätzlich zu dieser Verwendung von Ausdrücken, die primär die physische Wahrnehmung bezeichnen, aber auch die psychisch-intellektuelle Wahrnehmung, kennt das Bündnerromanische eine Reihe von Verben der intellektuellen Wahrnehmung, die nur für diesen zweiten Bereich gelten. Sie lassen sich in zwei 22 1 Der bündnerromanische Wortschatz der Gegenwart <?page no="23"?> semantisch unterschiedlich definierte Gruppen zusammenordnen: eine erste Gruppe bezeichnet die Wahrnehmung an sich (dt. ‚ merken, gewahr werden; in Erfahrung bringen, erfahren, vernehmen ‘ ), eine zweite die Wahrnehmung, die von einer intellektuellen Interpretation begleitet ist (dt. ‚ verstehen ‘ ). Für ‚ merken, wahrnehmen ‘ herrscht der DRG 8: 437 - 42 unter inaccordscher beschriebene Typus, der in den verschiedenen Regionen formal differenziert und variiert erscheint: surs. encorscher, percorscher, suts. ancorscher, parcorscher, surm. accorscher, parcorscher, eng. inaccordscher. Die Verben sind jeweils auch reflexiv, außer percorscher, parcorscher. Weitere reflexive Verben gleicher Bedeutung sind surs./ suts. sefar en, surm. sa far aint (DRG 6: 114 s. s. far), put. s ’ inaffer, vall. s ’ inaffar (DRG 8: 444). Ausschließlich engadinisch ist s ’ inavair (DRG 8: 462 s.). Surs. endriescher, suts. andriescher, surm. andrescher, anderscher 33 , eng. indreschir (DRG 8: 631 - 36) hat neben der Bedeutung ‚ erfahren, vernehmen ‘ , wo das Subjekt passiv bleibt, oft die Bedeutung ‚ in Erfahrung bringen ‘ , die eine intentionale, aktive Beteiligung des Subjekts an der Wahrnehmung impliziert. Diese zweite Bedeutung scheint sogar die vorherrschende zu sein 34 . In den Verben observar (allg.; put. observer) und remarcar (so surs.; suts. remartgear, surm. remarcher, put. remarcher, vall. remarchar) ist die Bedeutung ‚ wahrnehmen ‘ zwar mit enthalten, aber nicht zentral. Observar bedeutet in erster Linie ‚ beobachten ‘ , remarcar ‚ bemerken ‘ (sowohl im Sinne einer physischen oder intellektuellen Wahrnehmung als auch in dem einer verbalen Äußerung). Im Unterschied zu den beschriebenen Verben, die die Wahrnehmung an sich ausdrücken, steht im Zentrum der Bedeutung der folgenden Gruppe das Verstehen, die intellektuelle Verarbeitung der wie auch immer übermittelten Wahrnehmung. Incleger (DRG 8: 514 - 31), chapir (DRG 3: 322 s.) und cumprender (DRG 4: 422 s.) sind die wichtigsten Vertreter dieser Gruppe. Surs. entelgir, entellir, suts. antalir, surm. ancleir, antaleir, eng. incleger gehören ein und demselben Worttypus an; die zentrale Bedeutung ist überall ‚ verstehen ‘ . Die Bedeutung ‚ deutlich hören, vernehmen ‘ , die auf die physische Wahrnehmung zielt, ist zwar auch präsent, aber gegenüber ‚ verstehen ‘ sekundär. Der Worttypus ist in den einzelnen Regionen unterschiedlich vital. Nach DRG 8: 531 ist incleger im Engadin nach wie vor vital, während die entsprechenden Formen in Mittelbünden und in der Surselva im Rückzug sind. In der Surselva sind vor allem die Wendungen dar d ’ entellir ‚ zu verstehen geben ‘ und s ’ entelli ‚ versteht sich, selbstverständlich ‘ gebräuchlich. 33 So HWR. Bei S ONDER / G RISCH 1970 nicht verzeichnet, aber DRG 8: 632 gut belegt. E BNETER 1981 verzeichnet für Vaz tarvagnir ‚ erfahren, in Erfahrung bringen ‘ . 34 Dies ergibt sich sowohl aus den Beispielen, die DRG 8: 633s. anführt (allerdings ohne zwischen den beiden Bedeutungen zu unterscheiden), als auch aus den Glossierungen der regionalen Wörterbücher. 23 1.2 Ausgewählte Wortfelder <?page no="24"?> Der Hauptkonkurrent von incleger/ entelgir ist surs./ suts. capir, surm. tgapeir, eng. chapir (DRG 3: 322 s.). Vor allem in der Surselva, in geringerem Maße in Mittelbünden, hat capir entelgir weitgehend verdrängt. Weniger gebräuchlich ist das von DRG 4: 422s. als allgemein verbreitet angegebene cumprender. Die Bedeutung ‚ verstehen ‘ ist gegenüber der vorherrschenden Bedeutung ‚ umfassen ‘ in der Suselva und in Mittelbünden sekundär, im Engadin überhaupt nicht vorhanden. 1.2.3 Verbale Kommunikation Das Wortfeld der verbalen Kommunikation 35 besteht aus den Verben des Sprechens und den Ausdrücken für ‚ Wort ‘ und ‚ Sprache ‘ . Transitives ‚ sagen ‘ wird in ganz Romanischbünden mit dir (mit den jeweiligen phonetischen Abweichungen) ausgedrückt (DRG 5: 251 - 63). Weniger einheitlich ist das Bild, das sich im Bereich von ‚ sprechen, reden ‘ ergibt. Die einzelnen Worttypen sind sowohl diatopisch als auch diaphasisch unterschiedlich vertreten. Die folgende Tabelle gibt einen ersten Überblick. Fett gedruckte Formen stehen für die in einem bestimmten Idiom vorherrschende Form. Kursivdruck bedeutet, daß die entsprechenden Verben als diaphasisch „ hoch “ einzustufen sind. surs. suts. surm. put. vall. tschintschar tschantscher tschantschar discuorer dascurer discorrer discuorrer discuorrer bagliafar raschunar raschunar ruschanar baterlar risdar tavellar plidar plidar favler favlar Aus dieser Übersicht, die ausschließlich die Verben enthält, welche das Sprechen an sich (ohne zusätzliche semantische Züge) bezeichnen, wird deutlich, daß der Typus discuor(r)er im Bündnerromanischen am weitesten verbreitet ist. Wenn discuorrer 35 Cf. Liver 2004. Ferner C HATTON 1953. 24 1 Der bündnerromanische Wortschatz der Gegenwart <?page no="25"?> als das im Engadin frequenteste Verb des Sprechens bezeichnet wird, dieser Platz jedoch in der Surselva tschintschar zugewiesen wird, muß relativierend beigefügt werden, daß heute discuorer in der Surselva gegenüber tschintschar an Bedeutung gewonnen hat 36 . In manchen Fällen ist in einem bestimmten Idiom ein Typus vorherrschend, der in andern Idiomen zwar auch Verben des Sprechens liefert, aber mit jeweils abweichenden Bedeutungen. So sind die formalen Entsprechungen von suts. bagliafar, das in dieser Gegend neutrales Sprechen ausdrückt (el bagliafa tudestg), in allen anderen Regionen negativ markiert, von ‚ schwatzen ‘ über ‚ aufschneiden ‘ bis hin zu ‚ lügen ‘ 37 . Ähnlich ist im Surmeir baterlar, ein Typus, der anderswo ‚ schwatzen, plaudern ‘ bedeutet, für neutrales Sprechen geläufig, allerdings nicht als vorherrschendes Verb, sondern neben häufigerem ruschanar. Vall. tavellar, das von P EER 1961 als ‚ reden, plaudern ‘ definiert wird, ist sehr oft denotativ austauschbar mit discuorrer. Stilistisch kann man tavellar als „ familiär “ bezeichnen. Münstertalisch taveller (mit dem dort üblichen Rückzug des Akzents auf die zweite Silbe) ist nach G ROSS 2002: 35 dort sogar das vorherrschende Verb für ‚ sprechen ‘ . Im Oberengadin dagegen scheint taveller (Akzent auf der Endung) deutlich pejorativ ( ‚ schwatzen ‘ ) zu sein 38 . Der Worttypus ist auf das Engadin beschränkt. Surs./ suts. raschunar kann wie surm. ruschanar ebenfalls ‚ sprechen ‘ bedeuten, mit dem Unterschied, daß in den beiden ersten Gebieten jeweils andere Verben den ersten Platz einnehmen (surs. tschintschar, discuorer, suts. bagliafar), im Surmeir jedoch ruschanar im Vordergrund steht. Im Engadin dagegen steht put. radschuner, vall. radschunar für ‚ räsonieren, diskutieren ‘ . Surs. risdar, dessen erste Bedeutung ‚ erzählen, berichten ‘ ist, kann auch für ‚ sprechen ‘ gebraucht werden. In den übrigen Gebieten Romanischbündens ist diese Bedeutung nicht belegt. Suts./ surm. risdar bedeutet ‚ erzählen ‘ , put. resder, vall. resdar ‚ rezitieren, hersagen ‘ (neben geläufigerem reciter, recitar). Die beiden jeweils auf ein Teilgebiet des Bündnerromanischen beschränkten Typen plidar (surs./ suts.) und favler (put.), favlar (vall.) als Verben des Sprechens gehören heute der gehobenen Sprache an. In der Bedeutung ‚ plädieren ‘ (vor Gericht) ist plidar im ganzen Gebiet präsent. Favler, favlar dagegen ist auf das Engadin beschränkt. Im Altengadinischen, bei Bifrun und Chiampel, war das Verb noch durchaus geläufig für ‚ sprechen, reden ‘ , ohne stilistische Auszeichnung (cf. DRG 6: 172 und unten p. 211). Das Bündnerromanische besitzt eine Fülle von Worttypen, die ein negativ bewertetes Sprechen ausdrücken. Einige davon stehen, wie schon gesagt, in 36 Cf. L IVER 2004: 37s. 37 Cf. DRG 2: 43 s. 38 Cf. P ALLIOPPI 1895, V ELLEMANN 1929 s. v. 25 1.2 Ausgewählte Wortfelder <?page no="26"?> gewissen Regionen (auch) für neutrales Sprechen (suts. bagliafar, surm. baterlar, vall. tavellar). Die mehr oder weniger negativen Bedeutungen reichen von harmlosem ‚ plaudern ‘ über ‚ plappern ‘ , ‚ schwatzen ‘ , ‚ klatschen ‘ , ‚ tratschen ‘ bis hin zu ‚ aufschneiden ‘ und ‚ lügen ‘ (so etwa surs. bigliaffar). Die folgende Tabelle gibt den von den Wörterbüchern verzeichneten Bestand an „ Verben des Schwatzens “ wieder. surs. suts. surm. put. vall. paterlar batarlar baterlar baderler baderlar bigliaffar bagliaffar bagliaffer bagliaffar tschintschergnar tschintscherlar tschantscherlar tschatscher(l)ar tschatscherlar tscharlatar scaffergnar, scafferlar talatgear talatger talacker taloccar taveller tavellar bajoccar baitar bajer bajar pataflar parlahar, parlatar tarlahar tapperlar Für ‚ Wort ‘ hat ganz Romanischbünden den Typus plaid (surs.), sonst pled. Wie it. parola deckt plaid/ pled sowohl den Raum von fr. mot als auch den von parole ab: surs. scazi da plaids ‚ Worschatz ‘ , il plaid da Diu ‚ das Wort Gottes ‘ . Während das entsprechende Verb, surs./ suts. plidar, heute als literarisch und gewählt eingestuft werden muß, ist plaid/ pled das normale und allgemein gültige Lexem für ‚ Wort ‘ . Deutlich gehoben ist dagegen vierv, das in allen Idiomen außer dem Surmiran (wo 26 1 Der bündnerromanische Wortschatz der Gegenwart <?page no="27"?> nebst pled auch der Italianismus parola vorkommt) eine feierlichere Variante von plaid/ pled darstellt. Sowohl plaid/ pled als auch vierv werden metonymisch für ‚ Sprache ‘ verwendet. So trägt das 1964 von J. C. Arquint publizierte Lehrbuch des Vallader den Titel Vierv ladin, und 1962 hatte W. Scheitlin eine Grammatica ladina d ’ Engiadin ’ ota unter dem Titel Il pled puter veröffentlicht. In der Umgangssprache ist jedoch der geläufige Terminus für ‚ Sprache ‘ von der Surselva bis ins Surmeir lungatg, im Engadin lingua. Beide Worttypen kommen jeweils auch in den anderen Sprachgebieten vor, jedoch mit umgekehrtem stilistischem Status: lingua ist in der Surselva nur literarisch 39 , linguach kommt im Engadin vor allem in der Verbindung linguach matern vor 40 . Alle Idiome kennen deverbale Ableitungen von tschintschar/ tschantschar, die sowohl ‚ Sprache ‘ als auch ‚ Geschwätz, Gerede, Gerücht ‘ bedeuten. Die zweite Bedeutung ist wohl heute in der Umgangssprache vorherrschend. 1.2.4 Orientierung im Raum Für den Bergbewohner ist sein unmittelbarer Lebensraum, der vom Oben und Unten von Berg und Tal und vom Innen und Außen des Tals längs des Flußlaufes bestimmt wird, von zentraler Bedeutung. Entsprechend differenziert ist die lexikalische Erfassung von Situationen und Bewegungen im Raum. Die Origo des Sprechers befindet sich im Schnittpunkt einer vertikalen und einer horizontalen Koordinate 41 . Ortsadverbien und Präpositionen spielen in diesem Zusammenhang die Hauptrolle. Im Einzelnen verfahren die verschiedenen Sprachregionen im Ausdruck der Orts- und Bewegungsangaben unterschiedlich. Chasper Pult hat 1931 in seinem Artikel „ Impronte Grigioni “ auf die Bedeutung und die Vielfalt der Ortsadverbien und -präpositionen im Bündnerromanischen aufmerksam gemacht. Seine Beispiele stammen aus dem Surselvischen und dem Vallader, seinem eigenen Dialekt 42 . Ausführlich setzt sich Theodor Ebneter mit den Ortsadverbien und Ortspräpositionen in der Mundart von Vaz 43 auseinander 44 . Hier soll dargestellt werden, wie das Surselvische Situation und Bewegung im Raum sprachlich erfaßt. 39 D ECURTINS 2001 s. v. DRG 11: 278 - 80. 40 P EER 1962 s. v. DRG 11: 280 - 82. 41 Das gilt nicht nur für das Bündnerromanische, sondern auch für andere romanische und germanische Alpenmundarten. Z INSLI 1946: 177s. und 256 s. beschreibt die Verhältnisse in Safien, die weitgehend mit denen im Surselvischen übereinstimmen. 42 P ULT 1931. 43 Vaz liegt zwischen der Lenzerheide und dem Albulatal und gehört somit in den Bereich des Surmiran, im engeren Sinn den des Sotsés. 44 E BNETER 1982 und 1984, beide auch in E BNETER 1993. 27 1.2 Ausgewählte Wortfelder <?page no="28"?> Die vier Ortsadverbien, die die geschilderten Raumvorstellungen abdecken, sind si, giu, en, ora (o, or). Sie entsprechen dt. ‚ oben ‘ , ‚ unten ‘ , ‚ innen ‘ , ‚ außen ‘ resp. ‚ hinauf ‘ , ‚ hinab ‘ , ‚ herein ‘ , ‚ hinaus ‘ . Alle vier Formen werden auch präpositional verwendet, und zwar sowohl zur Angabe der Lage an einem Ort als auch der Bewegung auf einen Ort hin: si cuolm ‚ auf dem/ das Maiensäss ‘ , giu la Bassa ‚ im/ ins Unterland ‘ , en claustra ‚ im/ ins Kloster ‘ , ora Glion ‚ in Ilanz draußen/ nach Ilanz hinaus ‘ (von der Surselva oder vom Lugnez aus gesehen). Häufig werden zwei Ortsadverbien, eines der vertikalen und eines der horizontalen Dimension, miteinander verbunden, koordiniert durch die Konjunktion e (in der Graphie <a> und <ad>): siado(ra) ‚ hinauf und hinaus ‘ , giuado (ra) ‚ hinab und hinaus ‘ , siaden ‚ hinauf und hinein ‘ , giuaden ‚ hinab und hinein ‘ , wobei ‚ hinein ‘ immer die Richtung taleinwärts, ‚ hinaus ‘ talauswärts bedeutet. Auch die umgekehrte Reihenfolge der Elemente ist möglich: orasi, oragiu, enasi/ entasi, enagiu/ entagiu 45 . Verschiedene Zusammensetzungen ergeben sich aus der Kombination der vier Basisadverbien mit den Elementen -sum ‚ zuoberst ‘ und -dem ‚ zuunterst ‘ . Dabei tritt oft die Bedeutung des ersten Elements vor der des zweiten völlig in den Hintergrund: orasum, osum ‚ zuäußerst ‘ , orasisum ‚ zuoberst ‘ , entasum ‚ zuhinterst ‘ (im Tal), sisum, entasisum ‚ zuoberst ‘ , giusum ‚ zuunterst ‘ , oradem ‚ zuäußerst, ganz draußen ‘ , entadem ‚ zuhinterst, zuinnerst ‘ , giudem ‚ unten, zuunterst ‘ . Losgelöst von den geographischen Koordinaten, einzig auf den Standort des Sprechers bezogen, sind die Adverbien vi ‚ hin ‘ (vom Sprecher weg) und neu ‚ her ‘ (auf den Sprecher zu). Ihre Verbindung im Ausdruck vidaneu entspricht dt. ‚ hin und her ‘ . Die Adverbien vi und neu verbinden sich zudem in mannigfacher Weise mit den vier geographisch gerichteten Lokaladverbien: viaden, viado(ra), viagiu, viasi, viaden(t)agiu, viaden(t)asi; neuaden, neuadora, neuagiu, neuagiudem, neuasi. 1.2.5 Haustiere Aus dem Sektor des Wortschatzes, der sich auf das Leben des Bergbauern bezieht, bieten sich viele Themen an: Wohnen, Essen, bäuerliche Arbeit, Brauchtum, Glaube und Aberglaube, Umwelt (Gelände, Wetter, Jahreszeiten) etc. Wir beschränken uns hier auf das Thema „ Haustiere “ , das vor allem im Bereich „ Rindviehzucht “ und „ Kleinviehzucht “ (Schafe und Ziegen) differenzierte Terminologien aufweist, die sich als strukturierte Wortfelder beschreiben lassen. Das Beispiel der Haustierterminologie illustriert eindrücklich, wie wirtschaftliche Interessen die Gestaltung des Wortschatzes beeinflussen. 45 Das Verhältnis zwischen en und enta ist schwierig zu bestimmen. Laut den Wörterbüchern ist en sowohl Adverb als auch Präposition, während enta nur als Präposition vorkommt. In den erwähnten Zusammensetzungen entasi, entagiu ist das erste Element jedoch adverbial. Cf. DRG 1: 146 - 53 s. aint, DRG 8: 413 - 35 s. in I. 28 1 Der bündnerromanische Wortschatz der Gegenwart <?page no="29"?> Rinder und Schafe sind die Tierarten, die im Leben des Bündner Bergbauern die größte Rolle spielen, was sich in einer entsprechend differenzierten sprachlichen Gestaltung des entsprechenden Wortschatzes spiegelt. Die Ziegen belegen den folgenden Platz. Ökonomisch uninteressante Tiere wie Hunde und Katzen müssen sich mit einer beschränkten Terminologie begnügen. Ähnlich geht es dem Pferd, das nur als Arbeitstier eine Rolle spielt. Da keine Tradition von Pferdezucht vorliegt, fehlen spezifische Bezeichnungen etwa für den Hengst oder den Wallach, ebenso einheimische Bezeichnungen für die Farben des Haarkleides der Pferde. Dagegen ist der Wortschatz im Bereich der Rindvieh-, Schaf- und Ziegenhaltung äußerst vielfältig. Für den Tierzüchter ist es wichtig, ob ein Tier männlich oder weiblich, geschlechtsreif oder noch nicht geschlechtsreif, reproduktionsfähig oder kastriert ist. Beim weiblichen Rindvieh interessiert zudem das Alter, in dem die Geburten erfolgen. Diese Kriterien können zur Strukturierung der Wortfelder herbeigezogen werden, die die Bereiche „ Rindvieh “ , „ Schaf “ , „ Ziege “ sprachlich abbilden. Allerdings sieht sich getäuscht, wer durchweg klare Abgrenzungen und Eindeutigkeit erwartet: Viele Bezeichnungen werden auf zoologisch widersprüchliche Realitäten angewendet, z. B. ein und derselbe Terminus für Schaf und Ziege, für männliches und weibliches Tier, für reproduktionsfähiges und kastriertes männliches Tier, und dies nicht etwa im Falle von Hyperonymen, sondern auf der unteren Stufe spezialisierter Begriffe. Für den übergeordneten Begriff „ Vieh “ kennt das Bündnerromanische verschiedene Worttypen. Während muvel/ muaglia im ganzen Gebiet verbreitet ist, decken die beiden anderen Typen je nur zwei der drei Hauptgebiete ab: biestga die Surselva und Mittelbünden, armainta Mittelbünden und das Engadin. Regional ziemlich unterschiedlich wird die Unterscheidung ,Großvieh ‘ / ,Kleinvieh ‘ , die das Rindvieh von Schafen, Ziegen und allenfalls Schweinen und Federvieh abgrenzt, ausgedrückt. Das hängt auch damit zusammen, daß die genannten Ausdrücke für ,Vieh ‘ nicht überall dieselbe Extension haben. Muvel bedeutet in der Surselva nur ,Großvieh ‘ , d. h. ,Rindvieh ‘ . Synonyme sind biestga oder tiers gronds 46 , ferner armauls (DRG 1: 408s. s. armal). Für ,Kleinvieh ‘ steht tiers (animals) manedels. Im Unterschied zu muvel umfaßt muaglia sowohl Großwie Kleinvieh, also Rindvieh, Schafe und Ziegen. Mittelbünden (Sutselva und Surmeir) unterscheidet biestga grossa von biestga manedla, das Engadin muvel gross von muvel manü (vall.), muaglia grossa von muaglia manüda (vall.), mnüda (put.). Die Unterscheidung ,Schlachtvieh ‘ - ,Zuchtvieh ‘ erfolgt durch den Zusatz da maz respektive da raz (raza, razza) zu den jeweiligen Ausdrücken für Vieh. 46 Die Wörterbücher verzeichnen auch animals gronds, was eher puristischer Sprachpflege als tatsächlichem Gebrauch zuzurechnen sein dürfte. 29 1.2 Ausgewählte Wortfelder <?page no="30"?> Die Terminologie für die verschiedenen Vertreter des Rindviehs, männliche und weibliche, ältere und jüngere, reproduktionsfähige und kastrierte Tiere, ist differenziert. Als Beispiel geben wir den Formenbestand des Surselvischen wieder, zunächst in einer hierarchisch strukturierten Darstellung des Wortfeldes „ Rindvieh “ . Die meisten der hier aufgeführten Lexeme lassen sich eindeutig bestimmten zoologischen Realitäten zuordnen. Eine Ausnahme macht bov, was nicht nur in der hier registrierten Bedeutung ,Ochse ‘ , sondern auch in der Bedeutung ,Stier ‘ vorkommt. Der Ausdruck bov entir (eigentlich eine contradictio in adiecto) setzt zwar die Bedeutung ,Ochse ‘ für bov voraus; aber in den Syntagmen ir cun bovs ,stierig werden ‘ , dar bov ,zum Stier führen ‘ , tener bov ,den Stier annehmen ‘ hat bov unmißverständlich die Bedeutung ,Stier ‘ (cf. DRG 2: 451 s.). Ähnliche Überschneidungen finden sich in der Schaf- und Ziegenterminologie (für einen Erklärungsversuch s. unten). Die Gesamtstruktur und die meisten Elemente des Wortfelds „ Rindvieh “ entsprechen in den übrigen bünderromanischen Idiomen den dargestellten surselvischen Verhältnissen (mit den jeweiligen phonetischen Abweichungen). Ein von surs. genetscha abweichender Worttypus für das dreijährige Rind findet sich in Mittelbünden und im Engadin. In der Sutselva ist neben gianetscha auch trema bezeugt (Domleschg), das im Surmeir allein herrscht, wie trimma im Engadin. Entsprechend hat das Surmeir für den dreijährigen Ochsen trem, das Engadin trim. Für das vierjährige Rind (surs. genetscha dubla) kennt das 30 1 Der bündnerromanische Wortschatz der Gegenwart <?page no="31"?> Oberengadin cutrimma, das Unterengadin quatrimma (cf. auch AIS VI: 1048 „ la manza “ ). Erwartungsgemäß ist im Bündnerromanischen neben der Rindviehterminologie auch die Schafterminologie differenziert. Auch hier sind die Unterscheidungskriterien, die das Wortfeld strukturieren, „ geschlechtsreif “ - „ nicht geschlechtsreif “ , „ männlich “ - „ weiblich “ , bei den geschlechtsreifen weiblichen Tieren „ geworfen “ - „ noch nicht geworfen “ , bei den geschlechtsreifen männlichen Tieren „ reproduktionsfähig “ - „ nicht reproduktionsfähig “ . Allerdings sind die Terminologien lokal sehr unterschiedlich, so daß ein und derselbe Ausdruck an verschiedenen Orten unterschiedliche Bedeutungen haben kann. So ist zum Beispiel barbeisch, das von D ECURTINS 2001 als ‚ Hammel, Widder ‘ glossiert wird, im Medels (obere Surselva) eindeutig ‚ Widder ‘ , aber nicht ‚ Hammel ‘ , dort in der Lautung burbeisch. Eine Strukturierung des Wortfeldes „ Schaf “ kann deshalb nur für eine bestimmte lokale Mundart, nicht für das gesamte Surselvische vorgenommen werden. Der folgende Baumgraph schlägt eine hierarchische Ordnung des Wortfeldes „ Schaf “ für Curaglia im Medels vor. Nach AIS VI: 1069 „ il montone “ gilt als Bezeichnung des Widders der Typus barbeisch für das Tavetsch (Pkt. 10 Camischolas, burbeisch) wie für Medels (unser Baumgraph). Von Surrein (Pkt. 11) über Brigels/ Breil (Pkt. 1) bis ins Lugnez (Vrin, Pkt. 13) herrscht dagegen der Typus anugl (DRG 1: 306 s.). In Mittelbünden und im Unterengadin heißt der Schafbock botsch (Pkte. 5, 16, 27, 7, 9), wie auch gelegentlich in der Surselva (so in Curaglia, s. oben). Im Unterengadin wird botsch von bümatsch (Münstertal gümatsch, jümatsch) konkurrenziert, ein Typus, der auch für Bergün bezeugt ist (vimatsch, bimatsch). Cf. DRG 2: 610. 31 1.2 Ausgewählte Wortfelder <?page no="32"?> Das Oberengadin hat für ‚ Widder ‘ einen lexikalischen Typus, der ausschließlich hier vorkommt: greg (DRG 7: 783 s.). Aus der Darstellung der Schafterminologie von Curaglia geht hervor, daß tschanc, die Bezeichnung für das kastrierte männliche Tier, allen übergeordneten Oppositionen gegenüber neutral ist. Dasselbe gilt für nuorsa. Entsprechend können beide Bezeichnungen (im Plural) auch ‚ Schafe ‘ im allgemeinen bedeuten. Aus der Unmarkiertheit von tschanc 47 ergibt sich die Möglichkeit, diese Bezeichnung auch auf den Bereich des reproduktionsfähigen männlichen Tieres auszudehnen. So erklären sich die vordergründig widersinnigen Ausdrücke tschanc entir (eine contradictio in adiecto, wenn man von der Bedeutung ‚ Hammel ‘ ausgeht) und tschanc castrau (aus derselben Sicht ein Pleonasmus), die D ECURTINS 2001 verzeichnet. Ein Beispiel für tschanc ‚ Widder ‘ aus Leo Tuor, Giacumbert Nau 111: il tschanc grond dil Felici. Dieser tschanc ist eindeutig ein Bock, denn „ da tschiens nuorsas veva il tschanc vuliu grad quella e buc ina autra “ . Das erwachsene weibliche Schaf heißt in ganz Romanischbünden nuorsa 48 . Im Engadin steht der Typus vall. besch, charbesch, koll. bescha, put. bes-ch, koll. bes-cha im Vordergrund (DRG 2: 317 - 23). Für das einjährige weibliche Schaf, das noch nicht geworfen hat, herrscht im ganzen Gebiet ein und derselbe Worttypus: eng. chaisch, surs. tgigisch (Curaglia: tgisch; auch in Mittelbünden in verschiedenen lautlichen Ausprägungen. Cf. DRG 3: 159). Für ‚ Lamm ‘ gibt es in Romanischbünden zwei Worttypen: im Engadin ist agnè, agnella vorherrschend, in der Surselva und in Mittelbünden tschut, tschutta. Beide Typen sind jeweils auch im anderen Gebiet vertreten, allerdings nicht als Hauptlexeme. Im Engadin ist tschut kindersprachlich; ferner dient es als Lockruf für Schafe. In der Surselva ist agni nur kirchensprachlich (igl Agni da Dieus ‚ das Lamm Gottes ‘ ); agnala dagegen bezeichnet in der Surselva das weibliche Lamm (neben tschutta). Für männliche und weibliche Lämmer zusammen sagt man hier anugls ed agnalas. 1.3 Phraseologismen Phraseologismen, definiert als komplexe lexikalische Einheiten, die nur als Ganzes abrufbar sind, umfassen eine Vielzahl von Typen. Diese reichen von unspektakulären präpositionalen Fügungen (etwa surs. per amur da, eng. per chaschun da ‚ wegen ‘ ) über anschauliche, oft metaphorische Redensarten mit verbalem Kern (surs. mirar sin cauras alvas ‚ unentschlossen dastehen ‘ ) bis hin zu sprichwörtlichen 47 WARTBURG 1918: 6 macht darauf aufmerksam, daß Hammel die wirtschaftlich wichtigsten Tiere des Schafbestandes sind (Gewinnung von Fleisch und Wolle). 48 Cf. AIS VI: 1068 „ la pecora “ . 32 1 Der bündnerromanische Wortschatz der Gegenwart <?page no="33"?> Formeln und vollständigen Sprichwörtern, die von den Redensarten zwar syntaktisch, nicht aber in ihrer kommunikativen Rolle abgrenzbar sind 49 . Phraseologismen gehören zu jenen Elementen der Sprache, deren Beherrschung den Einheimischen oder den souveränen Fremdsprecher charakterisieren. Im Englischen heißen sie darum „ idioms “ . Florian Melcher, der in ASRR 25 und 26 eine Sammlung rätoromanischer Phraseologismen publizierte, bezeichnet die Phraseologismen als den charakteristischsten und „ einheimischsten “ Teil der Sprache 50 . Hier sollen einige Beispiele aus dem Bündnerromanischen angeführt werden, die mehrheitlich mit den oben dargestellten Wortfeldern zusammenhängen. Die folgende Auswahl ist nicht mehr als eine ziemlich willkürlich zusammengestellte Blütenlese. Eine systematische Beschreibung der rätoromanischen Phraseologie würde Vorarbeiten voraussetzen, die bisher nicht geleistet sind. Als Quellen für Phraseologismen können außer den Wörterbüchern einige Teile der Rätoromanischen Chrestomathie 51 und die Beiträge von Florian Melcher in ASSR 25 und 26 52 dienen. Kritische Auseinandersetzungen mit dem Thema sind spärlich 53 . Für die rätoromanischen Sprichwörter ist in erster Linie H. L ÖSSI , Proverbis da l ’ Engiadina e da la Val Müstair/ Engadiner und Münstertaler Sprichwörter, zu konsultieren 54 . Eine reiche und regional stark variierte Phraseologie steht im Zusammenhang mit den Verben der Wahrnehmung „ schauen “ und „ hören “ . Surs. mirar cun bucca e tut, mirar cun bucca e nas ‚ gaffen ‘ , mirar per quei en ‚ erstaunt dreinblicken ‘ , mirar en siat vanauns ‚ ganz verloren blicken ‘ (wörtl.: in sieben Kochtöpfe). Ähnlich surs. tedlar cun bucca e nas, suts. tarlar cun buc ’ ad ureglias ‚ ganz Ohr sein ‘ . Im Engadin heißt ‚ glotzen, gaffen ‘ guardar/ verer (be) tais. Das Adjektiv tais bedeutet ‚ steif, starr ‘ . In der Sutselva heißt vurdar allas padealas ‚ sich neugierig für die Angelegenheiten anderer interessieren ‘ , wörtl.: ‚ in die Töpfe gucken ‘ . Stark figurativ ist surs. mirar sin cauras alvas ‚ unschlüssig herumstehen ‘ (wörtl.: ‚ weißen Ziegen nachsehen ‘ ), ebenso vall. avair guardà aint per bocca d ’ pigna ‚ eine schlechte Heirat gemacht haben ‘ (wörtl.: ‚ ins Ofenloch hineingeschaut haben ‘ ) 55 . 49 Cf. RUEF 1995: 6 - 17. Ein und derselbe Phraseologismus kann sowohl als syntaktisch unselbständige Redensart (dt. das Kind mit dem Bade ausschütten) als auch integriert in einen unabhängigen Satz in Form eines Sprichworts vorkommen (Man soll das Kind nicht mit dem Bade ausschütten). 50 M ELCHER 1911: 179: „ quella part chi ais la pü caracteristica, la pü naziunela “ . 51 II (1901): 161 - 69; IV (1911): 1005 - 14; IX (1908): 283 - 88; X (1914): 683 - 97; XI (1917): 246 - 52. 52 M ELCHER 1911 und 1912. 53 Cf. P OPOVICI 2001. 54 Schlarigna/ Celerina 3 1987. Hier weitere bibliographische Angaben. Beizufügen wäre noch B EZZOLA 1939. 55 So für Guarda in DRG 7: 937. Ähnlich pittoresk sind die folgenden Redensarten gleicher Bedeutung aus Riom im Surmeir: chel ò piglía avasontga or d ’ en cagl d ’ en botsch (wörtl.: der hat 33 1.3 Phraseologismen <?page no="34"?> Im Bereich der verbalen Kommunikation fällt auf, daß viele Phraseologismen auf den Gegensatz von Reden und Handeln, Wort und Tat Bezug nehmen. Surs. dar plaid e fatg, surm. dar pled e fatg ‚ Rede und Antwort stehen ‘ (eng. dar pled e resposta). Die sutselvische Schreibung dar pledafatg spiegelt die weitgehende Idiomatisierung des Ausdrucks, ebenso dumandar pledafatg dad anzatgi ‚ jemanden zur Rechenschaft ziehen ‘ . Surs. cun plaid e fatg, suts. cun pled a fatg, eng. cun pleds e fats entsprechen in der Bedeutung dem deutschen Phraseologismus mit Rat und Tat. Die Nichtübereinstimmung von Reden und Handeln thematisieren sprichwörtliche Gemeinplätze in Satzform: S igl ei pli gleiti detg che fatg, Sent id es pü bod dit co fat ‚ es ist schneller gesagt als getan ‘ , Ftan dir e far es duos chausas ‚ reden und tun ist zweierlei ‘ (DRG 5: 262). Tiere, besonders die gebräuchlichsten Haustiere, spielen in den Phraseologismen eine wichtige Rolle. Wie im Deutschen gibt es im Bündnerromanischen viele stereotype Vergleiche nach dem Muster „ wie ein + bestimmtes Tier “ , die als Ergänzung eines Verbs oder eines Nomens (Substantiv oder Adjektiv) auftreten: surs. beiber sc ’ ina vacca, suts. bever sco egna vatga, eng. baiver sco üna vacha ‚ übermäßig trinken, saufen ‘ (daher suts. vatga da cafe ‚ Kaffeetante ‘ ); allg. wie surs. magliar/ beiber sc ’ in bov ‚ fressen/ saufen wie ein Ochs ‘ ; surs. esser crets/ tgunschs sc ’ ina nuorsa ‚ lammfromm sein ‘ ; esser tups sc ’ ina nuorsa ‚ stockdumm sein ‘ ; surs. esser stinaus sc ’ in botsch, suts. esser stino scu ’ n botsch ‚ störrisch sein wie ein Widder ‘ ; Müstair esser airi sco ’ n buc ‚ steif sein wie ein Bock ‘ (DRG 2: 407). Manchmal treibt die Sprachphantasie groteske Blüten. Neben surs. far ina tschera sc ’ in botsch ‚ ein böses Gesicht machen ‘ (wörtl. wie ein Schafbock) ist für die Sur- und Sutselva auch bezeugt: far ina tschera sc ’ in buc en bara ‚ mürrisch dreinschauen ‘ (wörtl. ein Gesicht machen wie ein aufgebahrter Geißbock). Wie in anderen Sprachen entleeren sich auch im Bündnerromanischen Vergleiche dieser Art oft ihrer ursprünglich konkreten Bedeutung und werden zu reinen Elativformeln. Wenn in der surselvischen Wendung in quet sc ’ in cavagl ‚ Größenwahn ‘ (wörtl. eine Einbildung wie ein Pferd) die anthropomorphisierende Interpretation des „ stolzen Pferdes “ noch einigermaßen nachvollzogen werden kann, so sind die Vergleiche surs. haver ina fortuna sc ’ in cavagl ‚ großes Glück haben ‘ (auch E; cf. DRG 3: 486) und haver ina memoria sc ’ in cavagl ‚ ein sehr gutes Gedächtnis haben ‘ (eng. avair üna memoria sco ün chavagl, DRG 3: 486) völlig losgelöst von allen realen Gegebenheiten im Zusammenhang mit dem Pferd. Ähnlich ist aver cletg sc ’ in botsch ‚ großes Glück haben ‘ (wörtl. Glück haben wie ein Schafbock), von DRG 2: 443 für Sumvitg bezeugt, ein reiner Elativ. Neben expliziten Vergleichen zwischen Mensch und Tier begegnen oft Übertragungen von Tierbezeichnungen auf den Menschen: Von einem Lieb- Weihwasser aus dem Labmagen eines Bocks genommen), chel ò detg paternos ainten en cagl d ’ en botsch (wörtl.: der hat in den Labmagen eines Bocks hineingebetet). DRG 2: 443. 34 1 Der bündnerromanische Wortschatz der Gegenwart <?page no="35"?> lingskind kann surs. gesagt werden tschanc dil bab e tschut dalla mumma ‚ Hammel des Vaters und Lamm der Mutter ‘ , tschut dalla mumma, barbeisch dil bab ‚ Lamm der Mutter, Hammel des Vaters ‘ . Für ‚ ein Mädchen heiraten müssen ‘ (weil es schwanger ist) sagt man im Engadin stuvair tour (piglier) la nuorsa ed il tschut, wörtl. ‚ das Schaf und das Lamm nehmen müssen ‘ . Zum Schluß dieser Musterkarte von Phraseologismen noch einige Beispiele von Sprichwörtern, der umfangreichsten Form von festen Mehrwortgefügen. Wenn auch einheimische Lebensbedingungen und die Sprache selbst für die spezifische Form gewisser Sprichwörter verantwortlich sind, so ist doch unübersehbar, daß eine große Zahl auch der rätoromanischen Sprichwörter in ihrer allgemein gültigen Aussage zum europäischen Gemeingut gehören. So ist etwa die Erfahrung, daß zwischen Schwägerinnen leicht Spannungen entstehen, schon in Sprichwörtern des lateinischen Mittelalters präsent 56 . Engadinisch lautet die gereimte Form: Duonnas e quinadas nu s ’ han mai da cour amadas ‚ Frauen und Schwägerinnen haben sich nie von Herzen geliebt ‘ (L ÖSSI 769). Aus dem Italienischen kennt man die sprichwörtliche Aufforderung, Frauen und Rinder solle man aus der näheren Umgebung holen: Donne e buoi dai paesi tuoi. Surs. heißt es Dunna e bos pren aschi datier, sco ti pos (D ECURTINS 1911: 1008), eng. Duonna e bouv piglia plü dastrusch tu poust ‚ Frauen und Ochsen, nimm sie von so nahe du kannst ‘ . Vall. L ’ agnè bandus tetta duos mammas ‚ Das sanfte Lamm saugt an zwei Müttern ‘ (L ÖSSI 1139) ist schon im Mittelalter im Mittelmeerraum belegt 57 . Während die Einsicht „ Alles hat ein Ende “ in dieser abstrakten Form in vielen Sprachen verbreitet ist, nehmen die engadinischen Sprichwörter Va tot, nuorsa e tschot. E va tot, e va nuors ’ e va tschot ‚ Alles geht, (es geht) Schaf und Lamm ‘ (L ÖSSI 2160) auf die konkreten Erfahrungen in der einheimischen Lebenswelt Bezug. Der Reim tot - tschot unterstreicht die sprichwörtliche Prägung. 1.4 Semantische Relationen 1.4.1 Inhalt Gewisse semantische Relationen, nämlich Beziehungen einzelner Lexien innerhalb eines Wortfeldes zueinander, sind in den vorangehenden Darstellungen ausgewählter Wortfelder gelegentlich zur Sprache gekommen. In diesem Abschnitt stehen Synonymie, Antonymie, Polysemie und Homonymie im Zentrum. 56 Cf. TPMA 5: 344, HAHN 2.2. 57 Cf. TPMA 10: 11 s., SCHAF 30., mit mittelgriechischen, italienischen und spanischen Belegen. 35 1.4 Semantische Relationen <?page no="36"?> 1.4.2 Synonymie Die Defintion von Synonymie, der semantischen Äquivalenz von Lexien (Wörtern), ist eines der meistdiskutierten und heikelsten Probleme der Sprachwissenschaft 58 . Das Vorkommen von totaler Bedeutungsidentität (Synonymie im engeren Sinn) wird zum Teil völlig in Abrede gestellt und nur eine mehr oder weniger weitgehende Bedeutungsähnlichkeit (Synonymie im weiteren Sinn) angenommen 59 . Ungeachtet dieser Probleme pflegen Wörterbücher, vornehmlich solche mit didaktischer Ausrichtung, Synonyme zu verzeichnen. Im rätoromanischen Bereich sind es vor allem die beiden Vocabularis fundamentals, das engadinische (A RQUINT 1980) und das surselvische (S PESCHA 1994), die eine reiche Auswahl von Synonymen (wie auch von Antonymen) enthalten. Beide Autoren betonen den didaktischen Wert von Übungen mit Synonymen, die (gerade aufgrund der nicht vollständigen Bedeutungsübereinstimmung) den genauen Wert und die Nüancen der einzelnen Wörter erkennen lassen 60 . Auch das Niev vocabulari romontsch von Alexi Decurtins (2001) verzeichnet Synonyme 61 . Wortfelder, die denotativ klar voneinander abgegrenzte Einheiten enthalten, gleichen eher Terminologien als linguistisch strukturierten Organisationen 62 . Das gilt etwa für die Verwandtschaftsbezeichnungen, aber auch für die Bereiche der Haustierterminologie. In Wortfeldern dieser Art sind Synonyme naturgemäß selten. Während die Nachbarsprachen Italienisch und Französisch (wie auch das Deutsche) für ‚ Vater ‘ und ‚ Mutter ‘ jeweils diaphasisch unterschiedene Synonyme aufweisen (padre/ papà, père/ papa, madre/ mamma, mère/ maman), kennt das Bündnerromanische nur die eine Bezeichnung bab/ bap und mumma/ mamma. Schaut man sich die Praxis der Lexikographen, die Synonyme verzeichnen, genauer an, ergibt sich in vielen Fällen ein ziemlich verwirrliches Bild. Oft ist die Reziprozität nicht gewahrt, und zuweilen laufen Verweise ins Leere, weil das entsprechende Lemma fehlt. Nehmen wir als Beispiel, aus dem Bereich der sinnlichen Wahrnehmung, die Verben für ‚ schauen ‘ , also die intentionale visuelle Wahrnehmung, im Surselvischen. 58 W UNDERLI 1989: 134 - 39. 59 L EWANDOWSKI 1985: 1070s. 60 A RQUINT 1980: Introducziun. S PESCHA 1994: 6s. 61 Auch Decurtins weist in seiner Einleitung (XII) auf den didaktischen Nutzen der Aufnahme von Synonymen ins Wörterbuch hin. Zudem sieht er dort, wo neben einem geläufigen Germanismus auf ein Synonym einheimischer Prägung verwiesen werden kann, eine Möglichkeit der Sprachpflege. Daß die Angabe der Synonyme im Wörterbuch nicht mit letzter Konsequenz erfolgt (sehr oft geht der Verweis nur in einer Richtung, oder es werden je verschiedene Synonyme angeführt), ist ein Mangel, der in einer neuen Auflage leicht behoben werden kann. 62 Cf. W UNDERLI 1989: 145. 36 1 Der bündnerromanische Wortschatz der Gegenwart <?page no="37"?> Das vorherrschende Verb, das diese Aufgabe wahrnimmt, ist mirar (s. oben p. 18). S PESCHA 1996 verzeichnet als Synonyme uardar und contemplar. Das erste dieser Verben hat keinen Eintrag im Vocabulari fundamental, wohl deshalb, weil es das Kriterium der hohen Frequenz nicht erfüllt. Unter contemplar findet man als Synonyme mirar, uardar, examinar. Das letzte dieser Verben wird an seiner Stelle im Alphabet mit den Bedeutungen 1. ‚ far examen ‘ , 2. ‚ controllar ‘ glossiert, nicht aber mit einer Bedeutung, die ‚ betrachten ‘ entsprechen würde. Dagegen finden sich unter observar ‚ beobachten ‘ die Synonyme examinar, mirar exactamein. Schließlich begegnet mirar als Synonym auch unter dem Lemma cuchegiar ‚ gucken ‘ . D ECURTINS 2001 enthält dieselben sechs Verben auch, gibt jedoch bei keinem davon ein Synonym an. Das erstaunt vor allem im Fall von mirar und uardar; ersteres wird mit ‚ sehen, schauen, blicken ‘ , das zweite mit ‚ schauen, betrachten, blicken ‘ glossiert. Der Grund dürfte sein, daß mirar bei weitem geläufiger ist als uardar, was jedoch nichts aussagt über den Grad der Bedeutungsähnlichkeit. Auch zwischen contemplar ‚ betrachten, beschauen ‘ und observar ‚ beobachten, aufmerksam betrachten, wahrnehmen ‘ würde man einen Querverweis erwarten. Daß bei examinar, wo eine Bedeutung ‚ beobachten ‘ nicht verzeichnet ist, kein Verweis auf Verben des Sehens steht, verwundert nicht. Schließlich verzichtet Decurtins auch im Fall von cuchegiar ‚ gucken, gaffen ‘ auf die Annahme einer Synonymie mit mirar, wie Spescha sie postuliert. Der beschriebene Befund gibt Anlaß zu einigen Interpretationen. Mirar und uardar können im Surselvischen als Synonyme gelten. Die beiden Verben haben dieselbe denotative Bedeutung. Allerdings ist mirar eindeutig und mit Abstand das geläufigere Verb für ‚ schauen ‘ als uardar. Ferner scheint transitives uardar ‚ betrachten ‘ heute auf einen bibelsprachlichen und somit archaisch und literarisch konnotierten Gebrauch reduziert zu sein. Die Synonymie zwischen den beiden Verben beschränkt sich somit praktisch auf die Imperativformel uarda! / mira! ‚ schau da ‘ . Zwischen contemplar und mirar, für die Spescha eine Synonymie angibt, besteht zwar eine teilweise semantische Übereinstimmung, aber keine Bedeutungsidentität. Contemplar besitzt gegenüber mirar, mit dem es die Bedeutung ‚ schauen ‘ teilt, ein zusätzliches Sem, das man als ‚ lange und intensiv ‘ umschreiben kann. Noch weniger überzeugt der Vorschlag, zwischen contemplar und examinar eine Synonymie anzunehmen (S PESCHA 1994: 73 s. contemplar). Unter examinar, wo eine Bedeutung ‚ betrachten ‘ nicht verzeichnet ist, finden sich denn auch keine Synonyme, die in Richtung eines Verbs des Sehens gingen. Auch im Artikel examinar in DRG 5: 740, wo zwar ‚ besichtigen ‘ unter den Bedeutungen angegeben wird, findet sich kein einziges Beispiel für ‚ visuell untersuchen ‘ . Eine entsprechende Bedeutung kann höchstens als marginaler Nutzwert von examinar gelten, dessen semantisches Zentrum im Bereich von ‚ prüfen, untersuchen ‘ liegt. Eine weitere Synonymie, die Spescha vorschlägt, nämlich zwischen observar und examinar, ist ebenfalls höchstens approximativ. Außer examinar wird auch 37 1.4 Semantische Relationen <?page no="38"?> mirar exactamein als Synonym von observar angegeben. Diese Glossierung verweist darauf, daß observar zu mirar in einem ähnlichen Verhältnis steht wie contemplar: Es enthält zusätzlich zur Bedeutung ‚ schauen ‘ ein weiteres Sem, das mit ‚ genau ‘ umschrieben werden könnte. Nicht auf der Ebene der Denotation, sondern im konnotativen Bereich liegt der Unterschied zwischen den Verben cuchegiar und mirar, die Spescha ebenfalls als Synonyme bezeichnet. Cuchegiar ist gegenüber dem neutralen mirar als familiär und expressiv markiert, teils auch mit pejorativem Wert ( ‚ gaffen ‘ ). Im Wortfeld der intellektuellen Wahrnehmung ist der zentrale Begriff „ verstehen “ . Die Verben, die im Bündnerromanischen diesen Begriff ausdrücken, sind surs. capir, eng. chapir, surs. entelgir, eng. incleger. Die beiden Worttypen werden von den Wörterbüchern (A RQUINT 1980, S PESCHA 1994, D ECURTINS 2001) jeweils als Synonyme angegeben. In der heute gültigen Norm sind allerdings die Frequenzwerte der beiden Typen in den beiden Gebieten unterschiedlich: In der Surselva ist capir deutlich geläufiger als entelgir; umgekehrt ist incleger im Engadin verbreiteter als chapir. S PESCHA 1994 nennt als Synonyme von capir und entelgir auch cumprender und tschaffar. Cumprender wird in DRG 8: 531 (s. incleger) als selten und emphatisch bezeichnet. Auch tschaffar, eigentlich ‚ packen, fassen ‘ , besetzt nur eine marginale Stellung im Wortfeld der intellektuellen Wahrnehmung. Im Wortfeld der verbalen Kommunikation 63 sind die Verben für ‚ sprechen, reden ‘ zentral. Zwei lexikalische Typen stehen in der Surselva und im Engadin im Vordergrund: surs. discuorer, eng. discuorrer, surs. tschintschar, eng. tschantschar. In der Surselva ist tschintschar, im Engadin discuorrer das geläufigere Verb. Die Angaben von Synonymen zu diesen Verben in den Wörterbüchern sind ziemlich verwirrlich. A RQUINT 1980 nennt als Synonyme von discuorrer tschantschar und pledar. Daß tschantschar im Alphabet fehlt, erklärt sich aus der geringeren Frequenz dieses Verbs im Vergleich zu discuorrer. Fragwürdig ist dagegen eine Synonymie von discuorrer mit pledar. Letzteres figuriert im Alphabet, wird jedoch mit ‚ plädieren ‘ glossiert, und als Synonym erscheint discuorrer avant güdisch. S PESCHA 1994 führt als Synonyme von discuorer tschintschar und plidar an. Unter tschintschar erscheint nebst plidar und discuorer auch raschunar als Synonym. Entsprechend werden für plidar als Synonyme discuorer, tschintschar und raschunar angeführt. Raschunar, offensichtlich von geringer Frequenz, ist im Alphabet des Vocabulari fundamental nicht verzeichnet. Noch disparater sind die Angaben von Synonymen im Bereich des Sprechens bei D ECURTINS 2001. Für discuorer werden als Synonyme plidar und tschintschar angegeben. Unter tschintschar findet man keine Synonyme. Bei plidar erscheint nebst discuorer und tschintschar noch risdar. Unter risdar werden als Synonyme 63 Cf. oben p. 24ss. und L IVER 2004. 38 1 Der bündnerromanische Wortschatz der Gegenwart <?page no="39"?> paterlar, plidar, raschunar und tschintschar angeführt. Für raschunar schließlich figurieren als Synonyme discuorer, risdar, tschintschar. Versucht man diese Daten zu ordnen, so ergeben sich die folgenden Resultate. Discuor(r)er und tschintschar/ tschantschar können im Surselvischen und im Engadinischen als Synonyme gelten, mit den erwähnten Frequenzunterschieden. Eng. pledar, das auf die juristische Bedeutung ‚ plädieren ‘ beschränkt ist, ist kein Synonym von discuorrer und tschantschar. Im Surselvischen dagegen hat plidar auf der denotativen Ebene durchaus dieselbe Bedeutung wie discuorer und tschintschar; es ist jedoch diaphasisch höher als diese beiden Verben, ähnlich wie im Engadinischen favlar (-er), das heute nur noch literarisch und gewählt ist 64 . Surs. raschunar, das vielfach als Synonym von discuorer und tschintschar angegeben wird, hat laut D ECURTINS 2001 eine erste Bedeutung ‚ reden, erzählen, plaudern ‘ , eine zweite ‚ schätzen, einschätzen, werten ‘ . Als Verb des Sprechens tendiert es demzufolge in Richtung des unverbindlichen Plauderns. Im Surmiran ist ruschanar dagegen das zentrale Verb für ‚ sprechen ‘ . Auch in surs. risdar, ebenfalls als Synonym von Verben des Sprechens genannt, steht die Bedeutung ‚ erzählen ‘ im Vordergrund. In der Sutselva und im Surmeir ist ‚ erzählen ‘ die einzige Bedeutung, die die Wörterbücher angeben. Die Bedeutungsbeschreibungen der Wörterbücher decken sich allerdings nicht immer mit dem Sprachgebrauch. Nach A RQUINT 1980, wo vall. tavellar mit ‚ plaudern ‘ glossiert wird, sind Synonyme dieses Verbs taloccar, dar dal taloc, dar da la baja, baderlar, discuorrer. Die drei ersten Ausdrücke sind stark negativ ( ‚ schwatzen, klatschen ‘ ), etwas weniger baderlar ( ‚ plaudern ‘ ). Der Sprachgebrauch von Cla Biert im Roman La müdada 65 rückt dagegen tavellar eher in die Nähe des neutralen discuorrer, das Arquint erst an letzter Stelle nennt. Im Münstertal ist taveller (mit dem dort verbreiteten Akzentrückzug auf den Stamm) sogar das übliche Verb für ‚ sprechen ‘ 66 . 1.4.3 Gegensatzrelationen Die rätoromanischen Grundwortschatz-Wörterbücher geben nebst Synonymen (Wörtern gleicher Bedeutung) auch Antonyme (Wörter entgegengesetzter Bedeutung) an. Mit dem einfachen und für den Laien unmittelbar einsichtigen Begriff cuntraris werden die verschiedenen Typen von Gegensatzrelationen zusammengefaßt, welche die theoretische Linguistik in terminologisch unterschiedlich benannte Kategorien einreiht. In den meisten Modellen der Antonymie werden drei Kategorien von Gegensatzrelationen unterschieden, die jedoch terminologisch jeweils unterschiedlich etikettert werden. In L EWANDOWSKI 1984 wird die Anto- 64 Cf. unten p. 211 und L IVER 2004: 38 65 C. B IERT , La müdada, Thusis 1962. 66 Cf. L IVER 2004: 40 39 1.4 Semantische Relationen <?page no="40"?> nymie aufgegliedert in 1. kontradiktorische Antonymie, 2. konträre Antonymie, 3. komplementäre Antonymie. Beispiele für 1. sind Armut - Reichtum. Liebe - Haß, für 2. kommen - gehen, fragen - antworten, für 3. männlich -weiblich. Bei W UNDERLI 1989 heißen die drei Kategorien 1. kontradiktorische Antonymie (Komplementarität), 2. konträre Antonymie, 3. konverse Antonymie. Für 1. gelten die Beispiele vivant - mort, masculin - féminin, parler - taire, für 2. grand - petit, haut - bas, beau - laid, für 3. père - fils, acheter - vendre, à droite - à gauche. Was für Lewandowski „ konträr “ ist, ist für Wunderli „ konvers “ , umgekehrt bezeichnet Lewandoski mit „ komplementär “ , was bei Wunderli „ kontradiktorisch “ (Zusatz: „ Komplementarität “ ) heißt 67 . Von den Definitionen bei W UNDERLI 1989 68 sei nur soviel festgehalten: Die kontradiktorische Antonymie (Komplementarität) beruht auf einem bipolaren Gegensatz: zwei Terme, die sich logisch gegenseitig ausschließen, stehen einander gegenüber. Entweder ist man tot oder lebendig; es gibt keine dritte Möglichkeit. Die konträre Antonymie (Antonymie im engeren Sinn) bildet eine Gegensatzrelation ab, in der die beiden entgegengesetzten Terme einander nicht ausschließen, sondern vielmehr die Extrempunkte einer gradierbaren Skala darstellen: grand - petit, haut - bas, froid - chaud. Die konverse Antonymie (Konversion, Konversität, Inversion) schließlich beruht auf einer Art „ Spiegelsynonymie “ : wenn zwei Lexien bei der Vertauschung von zwei Argumenten den gleichen Sachverhalt bezeichnen, stehen sie in konverser Relation: Pierre est le père de Paul - Paul est le fils de Pierre. Ähnlich acheter - vendre, donner - recevoir etc. Die beiden Vocabularis fundamentals verfahren in der Angabe von Antonymen, ähnlich wie im Bereich der Synonymie, nicht immer konsequent. Wo es sich um eine einfache Auslassung handelt, wäre leicht Abhilfe zu schaffen 69 . Schwieriger sind Fälle, in denen sich die Inkongruenz nur durch eine genauere semantische Analyse beseitigen läßt. Was ist das Gegenteil von „ Teufel “ ? Laut A RQUINT 1980 sind anguel, Segner, Dieu Antonyme von diavel. Entsprechend findet man bei S PESCHA 1994 unter giavel die Antonyme aunghel, Segner, Niessegner, Dieus, Deus. Geht man dagegen in beiden Wörterbüchern von „ Gott “ aus, reduziert sich die Antonymie auf die Bezeichnungen für den Teufel (vall. diavel, surs. giavel). Im surselvischen Vocabulari fundamental steht bei giavel als Antonym zu Dieus zudem ein enigmatisches „ etc. “ 70 Unter „ Engel “ figuriert jeweils ebenfalls ein einziges Antonym, nämlich 67 Die Monographie von O TTO G SELL , Gegensatzrelationen im Worschatz romanischer Sprachen (1979), setzt sich ausführlich mit L YONS 1969 auseinander. Cf. die Rezension W UNDERLI 1980. 68 W UNDERLI 1989: 139 - 41. 69 So fehlt z. B. in A RQUINT 1980 ein Antonym zu ot, während dieses Adjektiv unter bass als cuntrari figuriert. 70 Gemeint sind wohl Synonyme zu giavel wie gianter, huz, naucli, demuni etc. 40 1 Der bündnerromanische Wortschatz der Gegenwart <?page no="41"?> „ Teufel “ (vall. diavel, surs. giavel). Dieser etwas verwirrliche Befund führt zum Schluß, daß diavel/ giavel als polysem angesehen werden muß, mit zwei unterschiedlichen Bedeutungen, nämlich 1. ‚ Gegenspieler Gottes ‘ , 2. ‚ gefallener Engel ‘ . Während die 2. Bedeutung in der biblischen Tradition begründet ist (Jesaia 14,12, Lukas 10.18), dürfte eine Opposition „ Gott/ Teufel “ , in der der Teufel sozusagen die Umkehrung Gottes ist (höhere Macht mit negativem Vorzeichen), in theologischer Hinsicht eher problematisch sein (was für die sprachlichen Verhältnisse allerdings nicht entscheidend ist). Ein ähnlicher Fall liegt vor in den Antonymien „ Himmel/ Erde “ und „ Himmel/ Hölle “ . Auch hier ist von einer Polysemie auszugehen: „ Himmel “ als Teil des Kosmos steht „ Erde “ gegenüber, „ Himmel “ als religiösem Begriff (Sitz Gottes und der Seligen) „ Hölle “ (Sitz der Verdammten). S PESCHA 1994 trägt diesem Befund Rechnung, indem er für tschiel zwei Bedeutungen unterscheidet, nämlich 1. ‚ Himmel ‘ , 2. ‚ Himmel ‘ (Wohnsitz der Seligen). Als Antonymie zu tschiel (1 und 2) erscheint dann allerdings nur tiara, mund. Andererseits finden sich unter uffiern ‚ Hölle ‘ die Antonyme tschiel, parvis und paradis. Inkonsequent sind auch die Angaben bei A RQUINT 1980, wo zwar terra als Antonym von tschêl angeführt wird, unter terra jedoch kein Gegenbegriff erscheint. Zu infiern, iffiern ‚ Hölle ‘ steht als Antonym tschêl, während als cuntrari von paradis infiern, iffiern figuriert. Andere Probleme stellt die Ermittlung von Antynomie im Fall der Adjektive für „ gut “ und „ schlecht “ , Ausdruck der zentralsten aller Wertungen. Wie in anderen Sprachen steht auch im Bündnerromanischen ein einziger Terminus für „ gut “ einer Mehrzahl von Ausdrücken für „ schlecht “ gegenüber 71 . Dabei handelt es sich jedoch nicht, wie in den vorher besprochenen Fällen, um eine Polysemie des Ausdrucks für „ gut “ ; vielmehr ergeben sich die verschiedenen Antonyme aufgrund der jeweiligen Kontexte, in denen „ gut “ resp. „ schlecht “ verwendet wird. Zudem unterscheiden sich in diesem Fall Vallader und Surselvisch erheblich. Während im Vallader nosch als Antonym von bun im Vordergrund steht, stellt im Surselvischen schliet den Gegenterm von bien dar. Aber vall. nosch und surs. schliet haben unterschiedliche Anwendungsbereiche. Dazu kommt, daß im Surselvischen nausch, die (vom Wortausdruck her gesehene) Entsprechung von vall. nosch, ebenfalls vertreten ist, aber wiederum mit semantischen Abweichungen. Eine Entsprechung zu surs. schliet ist dagegen im Vallader nur marginal präsent 72 . Deshalb müssen die Verhältnisse in den beiden Idiomen gesondert dargestellt werden. Als Antonym von bun gibt A RQUINT 1980 nosch an. Dieses Adjektiv umfaßt ungefähr das Bedeutungsspektrum von dt. schlecht, mit den zwei Anwendungsschwerpunkten „ schlechte Qualität/ schlechte Variante einer Alternative “ und 71 Cf. G SELL 1979: 143. 72 Für Sent, Tschlin und Müstair sind laut HWR s. schliet jüngere Entlehnungen aus tir. schlecht bezeugt. 41 1.4 Semantische Relationen <?page no="42"?> „ Bosheit “ (bei Menschen moralische Schlechtigkeit, bei Tieren Gefährlichkeit). Als Beispiel für die erste Verwendung führen die Wörterbücher nosch ajer ‚ schlechte Luft ‘ , aua noscha ‚ schlechter Kaffee ‘ , liangias gnüdas noschas ‚ verdorbene/ schlecht gewordene Würste ‘ sowie noscha glüna ‚ schlechte Laune ‘ an. Für ‚ Bosheit ‘ stehen ün nosch uman ‚ ein schlechter Mensch ‘ , üna noscha bes-cha ‚ ein bösartiges Tier ‘ . Das surselvische Vocabulari fundamental nennt als Antonym zu bien schliet. Dieses Adjektiv deckt im Surselvischen den für vall. nosch zuerst genannten Anwendungsbereich ab, nämlich „ schlechte Qualität, schlechte Variante einer Alternative “ : schliata luna ‚ schlechte Laune ‘ , schliet gust ‚ schlechter Geschmack ‘ , rauba schliata ‚ verdorbene Ware ‘ , schliata udida ‚ schlechtes Gehör ‘ . Surs. nausch wäre neben schliet ebenfalls als Antonym zu bien zu verzeichnen. Als erste Bedeutung von nausch gibt S PESCHA 1994 ‚ böse, böswillig ‘ an, D ECURTINS 2001 ‚ böse, arg, schlimm ‘ , als zweite Bedeutung ‚ böswillig, bösartig, gehässig ‘ . Die zweite Bedeutung bei S PESCHA 1994, ‚ minderwertig ‘ (bei D ECURTINS 2001 die dritte, ‚ schlecht, minderwertig, wertlos ‘ ), entspricht der ersten Bedeutung von nosch im Vallader. So ergeben sich je nach Kontext unterschiedliche Antonymien: buns calzers/ calzers nauschs ‚ gute/ schlechte Schuhe ‘ 73 , buna luna/ schliata luna ‚ gute/ schlechte Laune ‘ (vall. noscha glüna). Weiterhin steht auch das Adjektiv mal in Antonymie zu vall. bun, surs. bien. Beide Vocabularis fundamentals vermerken denn auch unter mal als Antonym bun resp. bien. Während nosch/ nausch wie auch schliet sowohl auf die Qualität von Dingen als auch auf die (vorwiegend moralische) Beschaffenheit von Lebewesen angewendet werden, ist mal als freies Adjektiv wesentlich auf Belebtes bezogen. In festen Fügungen wie surs. en mala fei ‚ böswillig ‘ , prender ina mala fin ‚ ein böses Ende nehmen ‘ hat mal dagegen die generell ‚ gut ‘ entgegengesetzte Bedeutung ‚ schlecht ‘ , die auch im Adverb mal herrscht. Im Surselvischen (weniger verbreitet im Vallader) ist malzudem privatives Präfix, das die Bedeutung des Basiswortes (Adjektiv, Substantiv, seltener Verb) in ihr Gegenteil verkehrt: malemperneivel ‚ unangenehm ‘ , malsaun ‚ krank ‘ , maldiever ‚ Mißbrauch ‘ etc. 1.4.4 Polysemie und Homonymie Für die Lexikographie ist die Unterscheidung von Polysemie und Homonymie von großer praktischer Bedeutung. Polysemie bedeutet, daß ein sprachliches Zeichen (ein „ Wort “ ) mehrere Bedeutungen hat. Dies ist für die meisten Wörter einer natürlichen Sprache, abgesehen von wissenschaftlich definierten Fachterminologien, der Normalfall 74 . Homonymie liegt vor, wenn zwei gleichlautende (ausdrucksseitig identische) Zeichen radikal unterschiedliche Bedeutungen haben. Dabei spielt es auf synchronischer Ebene keine Rolle, ob die beiden Zeichen 73 Die Stellung von nausch nach dem Substantiv weist auf emphatischen Gebrauch hin. 74 Cf. W UNDERLI 1989: 131, H ILTY 2001b: 915, B LANK 2001: 935. 42 1 Der bündnerromanische Wortschatz der Gegenwart <?page no="43"?> etymologisch auf ein und dieselbe Basis oder auf zwei verschiedene Basen zurückgehen. Ein Standardbeispiel ist fr. voler. Sowohl voler ‚ fliegen ‘ als auch voler ‚ stehlen ‘ leiten sich von lat. VOLARE ab; die beiden Verben sind jedoch in der heutigen Synchronie ganz klar homonym, das heißt, sie stellen zwei in der Wahrnehmung der Sprechenden deutlich unterschiedliche semantische Einheiten dar. Die Abgrenzung von Polysemie und Homonymie ist linguistisch nach wie vor problematisch 75 . Sowohl das Kriterium des mindestens einen gemeinsamen Sems als Grundlage für die Polysemie als auch die Berufung auf die Sprecherintuition für die Feststellung von Homonymie ist schwierig. Die Autoren der beiden rätoromanischen Vocabularis fundamentals äußern sich zu diesem Problem, das für die praktische Gestaltung des Wörterbuchs fundamental ist, in ihren Einleitungen nicht. Man gewinnt den Eindruck, daß sie sich in der Entscheidung, ob ein einziges Lemma mit verschiedenen Bedeutungen (Polysemie) oder zwei unterschiedliche Lemmata (Homonymie) angenommen werden sollen, weitgehend auf die bestehenden Wörterbücher verlassen, das heißt für das Engadin P EER 1962, für die Surselva V IELI / D ECURTINS 1962. Das reichhaltige Niev vocabulari romontsch sursilvan - tudestg (D ECURTINS 2001), das in manchen Fällen andere Wege geht, stand Spescha 1994 noch nicht zur Verfügung. Im Folgenden sollen einige Fälle besprochen werden, in denen die Entscheidung zwischen Polysemie und Homonymie diskutabel ist. Vorher muß jedoch festgehalten werden, daß auch die Abgrenzung verschiedener Bedeutungen für ein und dasselbe sprachliche Zeichen erhebliche Schwierigkeiten bereitet. Wo die deutsche Glossierung aus zwei (oder mehr) Synonymen oder Quasi- Synonymen besteht, verzichten die Autoren auf eine Numerierung der Bedeutungen 76 . Daß auch hier problematische Fälle auftreten, die richtiger als Polysemie behandelt werden sollten, mag das Beispiel von vall. figüra, surs. figura illustrieren. Arquint glossiert vall. figüra mit ‚ Figur, Gestalt, Eindruck ‘ , Spescha surs. figura mit ‚ Figur, Gestalt ‘ . Grund für diesen unzulässigen Verzicht auf eine Auffächerung der Bedeutungen dürfte die Tatsache sein, daß im Deutschen Figur und Gestalt in gewissen Kontexten austauschbar sind. Es wird jedoch außer Acht gelassen, daß die beiden Begriffe in anderen Kontexten deutlich unterschiedliche Bedeutungen aufweisen, was auch für vall. figüra/ surs. figura gilt. D ECURTINS 2001 unterscheidet fünf Bedeutungen für figura, nämlich 1. ‚ Figur, Körperwuchs, Aussehen, Erscheinung ‘ , 2. ‚ Persönlichkeit, Gestalt ‘ , 3. ‚ Abbild, nachgebildete Gestalt ‘ (beim Tarockspiel). 4. ‚ Standbild, Figur, Zeichnung, Verzierung ‘ , 5. ‚ Gleichnis ‘ . Die unter 6. verzeichneten Redewendungen en figura da ‚ in der Gestalt von ‘ , far buna/ schliata 75 Cf. W UNDERLI 1989: 132s., L EWANDOWSKI 1985: 390s. (s. Homonymie), 789 s. (s. Polysemie). 76 Z. B. access ‚ Zufahrt, Zugang ‘ , acziun ‚ Handlung, Tat ‘ , vall. admetter ‚ zulassen, gestatten ‘ , surs. aurora ‚ Morgenröte, Tagesanbruch ‘ , autur ‚ Autor, Verfasser ‘ , beffa ‚ Hohn, Spott ‘ (wo nichts anderes vermerkt ist, gilt das Beispiel für beide Wörterbücher). 43 1.4 Semantische Relationen <?page no="44"?> figura ‚ einen guten/ schlechten Eindruck machen ‘ schließen sich an Bedeutung 1 an. Diese Darstellung der Polysemie von figura entspricht weitgehend derjenigen des Artikels figüra in DRG 6: 293 - 95. Dort wird zusätzlich die Bedeutung 4 bei Decurtins unterteilt in ‚ Plastische Figur, Standbild ‘ und ‚ Graphische, geometrische Figur, Zeichen, Konfiguration ‘ . Freilich ist es eine Ermessenfrage, wie weit ein Wörterbuch in der Differenzierung der oft nur kontextbedingten Bedeutungsnüancen eines Lemmas gehen soll. Einschneidender ist die Entscheidung zwischen Polysemie und Homonymie. Aus dem Vergleich der Vocabularis fundamentals für das Engadin und die Surselva untereinander und mit dem DRG und mit D ECURTINS 2001 ergeben sich drei Typen von problematischen Fällen: 1. Alle Wörterbücher nehmen Polysemie an; es gibt jedoch Argumente für die Feststellung von Homonymie. 2. Die Wörterbücher vetreten in einzelnen Fällen verschiedene Lösungen. 3. Die sprachlichen Verhältnisse im Engadin und in der Surelva sind unerschiedlich und erfordern entsprechend unterschiedliche Lösungen. Ein Beispiel für den ersten Fall ist das Verb vall. chatschar/ surs. catschar. A RQUINT 1980 verzeichnet für chatschar zwei Bedeutungen, 1. ‚ jagen ‘ , 2. ‚ sprießen ‘ , S PESCHA 1994 deren drei: 1. ‚ jagen ‘ , 2. ‚ stecken ‘ , 3. ‚ sprießen ‘ . Sehr viel differenzierter sind die Bedeutungsunterscheidungen, immer unter Annahme von Polysemie, im Artikel chatschar des DRG (3: 469 - 75) und bei D ECURTINS 2001. Zwischen den beiden doch sehr stark divergierenden Bedeutungen ‚ jagen ‘ und ‚ sprießen ‘ , die man aus synchronischer Sicht lieber als zwei Homonyme denn als verschiedene Bedeutungen ein und desselben Zeichens aufzufassen geneigt ist, steht ein Kontinuum von Bedeutungsnüancen, die sich auf einen gemeinsamen Nenner ‚ bewegen, in Bewegung setzen ‘ reduzieren lassen. In diese sehr abstrakt gefaßte Definition passen die Bedeutungen ‚ treiben ‘ (Vieh), ‚ stoßen ‘ , ‚ schieben ‘ , ‚ stecken ‘ . Sozusagen die Nahtstelle zwischen den Bedeutungen, die enger an ‚ jagen ‘ anknüpfen, und denjenigen, die zu ‚ sprießen ‘ führen, bildet der Übergang von ‚ hineinstoßen, hineinstecken ‘ zu ‚ herausstoßen, hervorbringen ‘ . Beispiele (aus DRG 3: 471) sind etwa vall. chatschar aint pals ‚ Pfähle einrammen ‘ und surs. catschar or la madra ‚ die Gebärmutter ausstoßen ‘ . Die Bedeutung ‚ sprießen ‘ liegt im intransitiven Gebrauch des Verbs vor: surs. las plontas catschan ‚ die Bäume schlagen aus ‘ (D ECURTINS 2001) 77 . Vom Verb chatschar/ catschar sind die Substantive chatscha/ catscha und chatsch/ catsch abgeleitet. Die Praxis der Lexikographen zeigt hier ein Schwanken in der 77 Ob es richtig ist, den Ausdruck ei catscha dis ‚ es tagt ‘ dem transitiven Gebrauch zuzuordnen, wie das D ECURTINS 2001 tut, scheint mir fraglich. Jedenfalls handelt es sich um eine feste Wendung, in der die syntaktische Funktion von dis (historisch eindeutig ein Nominativ) kaum mehr analysierbar ist. 44 1 Der bündnerromanische Wortschatz der Gegenwart <?page no="45"?> Einschätzung einzelner Zeichen als polysem oder homonym. Während Alexi Decurtins in DRG 3: 464s. chatsch als ein einziges Lemma behandelt hatte, das sowohl die Bedeutung ‚ Schwung, Anlauf ‘ als auch ‚ Schoß, Trieb, Keim ‘ hat, trennt er in seinem Niev Vocabulari romontsch homonymisch catsch I ‚ Stoß, Anstoß ‘ von catsch II ‚ Schoß, Schößling ‘ . Catscha I ‚ Jagd, Jagdwesen ‘ und catscha II ‚ Schwung, Anlauf ‘ werden schon in DRG 3: 466 s. unterschieden. S PESCHA 1994 behandelt sowohl catsch als auch catscha als polyseme Wörter, ersteres mit den Bedeutungen 1. ‚ Stoß, Anstoß, Anlauf ‘ , 2. ‚ Wasserschwall ‘ , 3. ‚ Trieb, Schoß ‘ , 4. ‚ Streß ‘ , das zweite mit den Bedeutungen 1. ‚ Jagd ‘ , 2. ‚ Hast ‘ . Im Fall des Substantivs costa, von Arquint mit 1. ‚ Rippe ‘ , 2. ‚ Halde ‘ , von Spescha mit 1. ‚ Rippe ‘ , 2. ‚ Talseite ‘ glossiert, möchte man zunächst geneigt sein, eher Homonymie als Polysemie anzunehmen. Was verbindet schon die Côte d ’ Azur mit einer côte de boeuf, abgesehen von den angenehmen Assoziationen, die beide Ausdrücke evozieren, und natürlich von der Eytmologie, die aber in der Synchronie keine Rolle spielt? Der Überblick über das Material, das in D ECURTINS 2001 und in DRG 3: 156 - 59 ausgebreitet ist, führt jedoch zum Schluß, daß die Lexikographen hier zu Recht von einer Polysemie ausgehen. Die Verbindung zwischen den zwei semantisch doch recht unterschiedlichen Bedeutungen ‚ Rippe ‘ und ‚ Halde, Talseite ‘ bildet die Ausweitung der Bedeutung ‚ Rippe ‘ auf ‚ Rippengegend ‘ und somit auf ‚ Flanke, Seite ‘ . Wie im Fall von deutsch Flanke erfolgt dann die Übertragung eines Terminus, der primär auf Lebewesen bezogen ist, auf Geländeformen (cf. Fuß des Berges in verschiedenen Sprachen, it. spalla del monte und Ähnliches) 78 . Beizufügen ist, daß costa ‚ Talseite ‘ im Surselvischen viel weniger geläufig ist als im Engadin (und in Mittelbünden). Hier ist die normale Bezeichnung für ‚ Bergflanke ‘ spunda. In der oben als zweite genannten Gruppe geht es um Fälle, die von den Lexikographen hinsichtlich der Entscheidung „ Polysemie oder Homonymie “ unterschiedlich gelöst werden. Ein erstes Beispiel betrifft cruschada. Sowohl A RQUINT 1980 als auch S PESCHA 1994 geben für dieses Substantiv polysemisch verschiedene Bedeutungen an: Arquint 1. ‚ Kreuzung ‘ , 2. ‚ Kreuzzug ‘ , Spescha 1. ‚ Kreuzung ‘ , 2. ‚ Vermischung ‘ (von Rassen), 3. ‚ Kreuzzug ‘ . Anders verfährt D ECURTINS 2001, der von cruschada I homonymisch cruschada II ‚ Kreuzung ‘ (von Rassen) unterscheidet. Unter cruschada I verzeichnet er die Bedeutungen 1. ‚ Kreuzung, Kreuzungspunkt ‘ , 2. ‚ kreuzweise geschichtetes Holz, Getreide usw., gekreuzte Lage ‘ , 3. (Fußballtor) ‚ Lattenkreuz ‘ , 4. (hist.) ‚ Kreuzzug ‘ , 5. (Schifffahrt) ‚ Kreuzfahrt ‘ . In der Folge wird dann cruschader I ‚ Kreuzfahrer ‘ von cruschader II ‚ (Kriegsschiff ) ‚ Kreuzer ‘ unterschieden. DRG 3: 291 s. ist wenig hilfreich. Hier wird cruschada, ebenso wie das Verb cruschar, von dem es abgeleitet ist, nicht als eigenes Lemma, sondern nur als Ableitung von crusch angeführt. Die aufgelisteten Bedeutungen ‚ kreuzweise 78 Cf. P ORZIG 1986: 39s. 45 1.4 Semantische Relationen <?page no="46"?> angeordnete Sache ‘ , ‚ Kreuz ‘ , als Gerät oder Konstruktionsteil, ‚ Kreuzweg, Kreuzung, Kreuzzug ‘ usw. wirken als zufällige Aufreihung. Vor allem die Nennung von ‚ Kreuzweg ‘ und ‚ Kreuzzug ‘ in einem Atemzug (innerhalb derselben Anführungszeichen) ist problematisch. Der Fall ist ziemlich heikel. Zwar ist in allen Bedeutungen von cruschada die Vorstellung „ Kreuz “ vorhanden. Man könnte also die Auffassung vertreten, es liege ein gemeinsames Sem und somit Polysemie vor. Allerdings ist es zweifelhaft, ob die Sprecher im Fall von cruschada ‚ Kreuzzug ‘ dieselbe Vorstellung von „ Kreuz “ haben wie bei cruschada ‚ Wegkreuzung ‘ , mit andern Worten, ob ersteres nicht homonymisch als eigenes Lemma zu isolieren wäre. Dasselbe gilt für cruschada ‚ Kreuzfahrt ‘ . Umgekehrt scheint es mir nicht zwingend, cruschada ‚ Kreuzung von Rassen ‘ als eigenes Lemma zu führen (dasselbe gilt für die entsprechende Bedeutung des Verbs cruschar). Daß D ECURTINS 2001 für cruschader I ‚ Kreuzfahrer ‘ und cruschader II, (Kriegsschiff ) ‚ Kreuzer ‘ Homonymie annimmt, ist wohl richtig. Dasselbe müßte dann aber auch für cruschada ‚ Kreuzzug ‘ und cruschada ‚ Kreuzfahrt ‘ gelten. Das Beispiel cruschada illustriert die in der Forschung bekannte Tatsache, daß es keine scharfen Kriterien gibt, die in Zweifelsfällen die Entscheidung zwischen Homonymie und Polysemie ermöglichen. Weder die Semanalyse der Sprachwissenschaft noch die Sprecherintuition sind feste Größen, die zu zwingenden Lösungen führen. Unterschiedliche Einschätzungen der Lexikographen liegen auch in den folgenden Fällen vor. - entrada. A RQUINT 1980 unterscheidet (ohne den sonst bei Homonymen verwendeten Zahlenindex) entrada (put. entreda) mit den Bedeutungen 1. ‚ Eingang, Einfahrt ‘ , 2. ‚ Eintritt ‘ von einem zweiten Lemma entrada (put. entredgia) mit der Bedeutung ‚ Einnahmen ‘ . Alle anderen Wörterbücher (S PESCHA 1994, D ECUR- TINS 2001, DRG 9: 579 - 83 s. intrada) behandeln (zu Recht) die verschiedenen semantischen Ausfächerungen von intrada/ entrada als Polysemie. - francar. Beide Vocabularis fundamentals fassen die abweichenden Bedeutungen 1. ‚ festmachen ‘ , 2. ‚ frankieren ‘ (Postsendungen) als Polysemie auf. So hatte auch Alexi Decurtins in DRG 6: 556 s. entschieden. Im Niev vocabulari von 2001 dagegen entschließt er sich, wahrscheinlich aufgrund der eigenen Sprecherintuition 79 , für Homonymie. - straglia/ streglia. Einzig A RQUINT 1980 geht von einer Polysemie aus: 1. ‚ Striegel ‘ , 2. ‚ schmale Gasse ‘ . S PESCHA 1994 unterscheidet wie D ECURTINS 2001 homonymisch streglia I ‚ Striegel ‘ von streglia II ‚ schmales Gäßchen ‘ . - tuornar/ turnar. Während die beiden Vocabularis fundamentals Polysemie zwischen ‚ zurückkehren ‘ und verwandten Bedeutungen einerseits und ‚ drechseln ‘ andererseits annehmen, scheidet D ECURTINS 2001 in turnar I ‚ zurückkehren ‘ (und affine Bedeutungen) und turnar II ‚ drechseln ‘ . 79 Vielleicht hat auch die Herkunft von francar ‚ frankieren ‘ aus dem Deutschen eine Rolle gespielt, ein Kriterium, das allerdings nicht einschlägig ist. 46 1 Der bündnerromanische Wortschatz der Gegenwart <?page no="47"?> Es gibt sehr viele weitere Fälle, in denen D ECURTINS 2001 (zu Recht) Homonymie annimmt, während S PESCHA 1994 von Polysemie ausgeht: era I ‚ Beet, Gartenbeet ‘ , era II ‚ Rasse, Abstammung ‘ ; luschard I ‚ Eidechse ‘ , luschard II ‚ Hagestolz, Geck. . . ‘ ; pérla I ‚ Kreisel ‘ , pérla II ‚ Knopf ‘ ; pugn I ‚ Faust ‘ , pugn II ‚ Punkt ‘ ; pumpa I ‚ Pumpe ‘ , pumpa II ‚ Pomp, Prunk, Pacht ‘ ; recent I ‚ rezent, scharf ‘ , recent II ‚ neuest, jüngst ‘ ; secret I ‚ Geheimnis ‘ , secret II ‚ Abort, Abtritt ‘ ; spért I ‚ Geist, Gespenst ‘ , spért II ‚ Brennsprit ‘ ; taglia I ‚ Steuer, Abgabe ‘ , taglia II ‚ Taille, Wuchs ‘ ; tenda I ‚ Zelt ‘ , tenda II ‚ Vorhang, Segel ‘ , tenda III ‚ Vogelfalle ‘ (fehlt in S PESCHA 1994), tenda IV ‚ weite Strecke, große Fläche ‘ ; tschèc I ‚ scheckig, gefleckt ‘ , tschèc II ‚ schielend ‘ . Zum Schluß wenden wir uns drei Fällen zu, in denen die sprachliche Ausgangslage in den beiden hier verglichenen Idiomen unterschiedlich ist. In A RQUINT 1980 findet man unter misarogn (put. müsaruogl) 1. ‚ Majoran ‘ , 2. ‚ Spitzmaus ‘ . Diese eher ungewöhnliche Polysemie erweist sich bei näherem Zusehen als unhaltbar. Hier liegen zwei unterschiedliche Worttypen vor, die sich (in gewissen Dialekten) phonetisch zufällig einander angenähert haben, also eine Homonymie. S PESCHA 1994 verzeichnet nur misarogn ‚ Spitzmaus ‘ . Im Surselvischen liegen die Dinge nämlich anders als im Vallader: Während dort Homonymie zwischen misarogn ‚ Spitzmaus ‘ und misarogn ‚ Majoran ‘ besteht, bedeutet misarogn im Surselvischen nur ‚ Spitzmaus ‘ . Dagegen besteht zwischen miseron ‚ Majoran ‘ und miseron ‚ Spitzmaus ‘ ein homonymisches Verhältnis. D ECURTINS 2001 unterscheidet miseron I ‚ Majoran ‘ von miseron II ‚ Spitzmaus ‘ ; unter diesem Stichwort wird auf misarogn verwiesen. Für partir gibt A RQUINT 1980 zwei Bedeutungen an: 1. ‚ teilen ‘ , 2. ‚ abreisen ‘ . Auch hier liegt offensichtlich Homonymie vor. Die surselvischen Wörterbücher haben dieses Problem nicht, denn hier sind die beiden Bedeutungen auch im Ausdruck unterschieden: parter ‚ teilen ‘ vs. partir ‚ abreisen ‘ . Ein letztes Beispiel: A RQUINT 1980 unterscheidet unter dem einzigen Lemma quader drei Bedeutungen: 1. ‚ Viereck, Feld ‘ , 2. ‚ Würfel ‘ , 3. ‚ Gemälde ‘ . S PESCHA 1994 glossiert quader mit 1. ‚ Balken ‘ , 2. ‚ Quader ‘ . Obschon ein semantisches Merkmal „ viereckig “ in allen drei Bedeutungen, die Arquint angibt, vorhanden ist, wäre quader ‚ Gemälde ‘ besser als eigener Eintrag zu behandeln. So verfährt auch D ECURTINS 2001, der nach quader I (dem Adjektiv ‚ viereckig ‘ ) und quader II ‚ Balken, Quader etc. ‘ ein eigenes Lemma unter quader III anführt: ‚ Gemälde, Malerei ‘ . Mit dem Hinweis „ dem Eng. entnommen “ wird darauf hingewiesen, daß quader in dieser Bedeutung im Surselvischen marginal ist; der geläufige Ausdruck für ‚ Bild ‘ ist hier maletg (neben pictura, tabla). Die Auswahl problematischer Beispiele zeigt, daß die Unterscheidung zwischen Polysemie und Homonymie in vielen Fällen schwierig ist; in der Praxis der Wörterbücher gibt oft eine subjektive Präferenz den Ausschlag. 47 1.4 Semantische Relationen <?page no="48"?> 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes 2.1 Einleitung Eine Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes zu schreiben kommt einem Drahtseilakt gleich. Immer wieder gilt es, die Abgründe der Informationslücken auf dem schmalen Weg der gesicherten Information oder der Rekonstruktion zu überbrücken. In dieser Geschichte gibt es mehr Grauzonen, um nicht zu sagen schwarze Löcher, als überblickbare, ausgeleuchtete Wegstrecken. Die Frustration des Sprachhistorikers beginnt schon in der ersten Phase der Geschichte des Bündnerromanischen: Über die Umstände und die Modalitäten der Romanisierung Rätiens wissen wir fast nichts. Die widersprüchlichen Positionen der Forschung (frühe und intensive vs. späte und indirekte Romanisierung) können sich jeweils nur auf eine ganz dürftige Datenbasis stützen 1 . Auch in den folgenden Jahrhunderten wird die Quellenlage nicht wesentlich besser. Das fast völlige Fehlen von Zeugnissen für mittelalterliches Bündnerromanisch versetzt den Erforscher der Geschichte des Rätoromanischen in eine schwierigere Situation, als sie die Historiker anderer romanischer Sprachgebiete, etwa des Italienischen, Spanischen oder Französischen, vorfinden. Die Rekonstruktion, ausgehend von den Verhältnissen in der Gesamtromania, und der sprachgeographische Vergleich müssen hier in die Lücke springen. Einen wichtigen Beitrag liefert dabei die Namenforschung 2 . Die Gründe für diese für die Sprachwissenschaft ungünstige Situation sind oft genannt worden 3 : Infolge der politischen und kirchlichen Umorientierung Churrätiens nach dem germanischen Norden im 8./ 9. Jahrhundert konnte sich im Mittelalter kein kulturelles Zentrum rätoromanischer Prägung bilden. Chur, das für diese Rolle prädestiniert gewesen wäre, war in seiner Oberschicht weitgehend germanisiert, obschon die allgemeine Umgangssprache bis zum Stadtbrand von 1464 vorwiegend rätoromanisch geblieben war 4 . Im 16. Jh. beginnt in Romanischbünden die Epoche der Schriftlichkeit. Damit ist es immerhin ein Zeitraum von fünf Jahrhunderten, der uns Texte liefert, welche die Veränderungen des Bündnerromanischen in jener Zeitspanne dokumentieren. Was den Wortschatz angeht, zeichnet sich in vielen Fällen eine Spezialisierung gewisser Worttypen, die in älterer Zeit eine größere Verbreitung hatten, auf 1 Zu den verschiedenen Positionen der Forschung cf. L IVER 2010: 76. 2 Cf. den wertvollen Beitrag von St. Sonderegger, „ Die Siedlungsverhältnisse Churrätiens im Lichte der Namenforschung “ (S ONDEREGGER 1979). 3 Z. B. B ÜHLER 1995: 197ss. L IVER 2010: 78. 4 Cf. B ÜHLER 1995: 197 - 202. <?page no="49"?> bestimmte Gebiete ab. Dasselbe gilt auch für ein weiteres geographisches Gebiet, das über das Bündnerromanische hinaus benachbarte alpinlombardische Nachbardialekte umfaßt. Zahlreiche Beispiele belegen, daß es - historisch gesehen - keine scharfe Grenze zwischen dem Rätoromanischen und dem benachbarten Oberitalienischen gibt. Daß sich die alpinlombardischen Mundarten in jüngerer Zeit zusehends nach Süden orientieren und somit archaische Züge, die sie früher mit dem Bündnerromanischen teilten, ablegen, hängt mit den im weitesten Sinn politischen Entwicklungen zusammen. Eine Konstante in der Geschichte des Bündnerromanischen ist der Kontakt mit dem Germanischen. Seit dem Mittelalter hat das Deutsche durch alle Jahrhunderte hindurch das Rätoromanische massiv beeinflußt, vor allem auf der Ebene des Wortschatzes. Eine geschichtliche Darstellung dieser Kontaktsituation muß versuchen, sowohl die Chronologie als auch die Herkunftsbereiche der Einflüsse (gesprochene/ geschriebene Sprache, Schweizerdeutsch, Tirolisch, allenfalls Hochdeutsch) zu erfassen. Eine Sprache erneuert ihren Wortschatz laufend. Zu den Neuerungen gehören alle möglichen sprachinternen Entwicklungen von vulgärlateinischer Zeit bis in die Gegenwart sowie die Entlehnungen. Was man als „ Neologismen “ zu bezeichnen pflegt, sind lexikalische Neuerungen der jüngsten Zeit; eine befriedigende Definition dieses Begriffs ist allerdings schwierig 5 . Im Folgenden werden Bereiche des bündnerromanischen Wortschatzes, die zur Illustration der skizzierten Probleme geeignet sind, anhand ausgewählter Beispiele dargestellt. Eine vollständige Beschreibung des Wortschatzes ist einerseits, angesichts der Menge der Daten, ein Ding der Unmöglichkeit, andererseits wäre sie auch nicht sinnvoll. Natürlich entbehrt eine selektive Auswahl jeglicher statistischen Relevanz. Diesen Mangel nehme ich in Kauf. 2.2 Schichtung des Wortschatzes 2.2.1 Vorbemerkungen Im Beitrag „ Lexik “ (des Bündnerromanischen) in Bd. 3 des LRL (1989) habe ich versucht, die historische Schichtung des bündnerromanischenWortschatzes graphisch darzustellen. Die Daten stammen aus dem Vocabulari fundamental von G. Arquint (1980), ergänzt durch Äquivalente aus den damals verfügbaren surselvischen Wörterbüchern. Die Datierungen basieren auf den Bänden A-H des DRG. Obschon die Datenbasis beschränkt ist, dürften die Resultate grosso modo zutreffend sein. 5 Cf. L IVER 2001b: 123. 49 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="50"?> Die Graphik macht sichtbar, was als wichtigste Aussage festgehalten werden muß: Den weitaus bedeutendsten Anteil am bündnerromanischen Wortschatz machen die lateinischen Elemente aus 6 . Die erste, höchste Säule (knapp 30 %) steht für erhaltenes lateinisches Wortgut. Die zweite (ca. 15 %) repräsentiert romanische Neubildungen mit lateinischem Material. Säulen 3 (Internationalismen) und 4 (Lateinisch gelehrt) liefern fast ebensoviel Wortmaterial wie Säule 2, wobei die Zuordnung der Wörter zu 3 oder 4 oft nicht eindeutig ist. Die Säulen 5 (Italienisch) und 6 (Germanisch, auch alemannisch) illustrieren die bekannte Tatsache, daß im Engadin das Italienische, in der Surselva das Deutsche die wichtigste Spendersprache für Entlehnungen ist. Allerdings hat sich diese Situation im Engadin in jüngerer Zeit (seit ca. 1920) zugunsten des Deutschen verändert 7 . Säule 8 (Germanisch alt, d. h. vor der Renaissance) bewegt sich, zusammen mit den Onomatopeen (Säule 7), immerhin noch in der Nähe der 5 %-Grenze, während alle folgenden Kategorien (9 Vorrömisch, 10 Französisch, 11 Gallolateinisch, 12 Germanisch in romanischen Neubildungen, 13 Lehnübersetzungen) verschwindend kleine Anteile ausmachen. Der bündnerromanische Wortschatz ist also wesentlich lateinisch geprägt, mit relativ bedeutenden Einflüssen aus dem Deutschen und dem Italienischen. 6 Cf. S CHMID 1993: 103s. 7 Cf. K RISTOL 1985: 114s. 50 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="51"?> 2.2.2 Vorrömische Elemente 2.2.2.1 Allgemeines Die Elemente des bündnerromanischen Wortschatzes, die auf vorrömische Sprachschichten 8 zurückgehen, sind zwar zahlenmäßig nicht besonders gewichtig 9 , aber sie gehören Bereichen des Wortschatzes an, die mit der alpinen Lebenswelt zu tun haben: Flora und Fauna, Geländeformen, Alpwirtschaft, Arbeitsinstrumente und Einrichtungen. Deshalb erstaunt es auch nicht, daß sich in vielen Fällen entsprechende Worttypen auch im Frankoprovenzalischen, im Alpinlombardischen und Dolomitenladinischen, zum Teil auch im Friaulischen finden. 2.2.2.2 Flora Im Bereich der Botanik stammen die Namen einiger Bäume, die in den Alpen heimisch sind, aus vorromanischen Sprachen. Surs. culeischen, eng. culaischem ‚ Vogelbeerbaum, Eberesche ‘ (Sorbus aucuparia) ist nach DRG 4: 343 auf einen vorromanischen Typus * COLÍCINU zurückzuführen, der aus einer Kreuzung zwischen gallisch * KORMISIO und dem lombardisch-trentinischen Typus * MALÍCINU entstanden wäre. Der Worttypus ist in ganz Romanischbünden heimisch (außer im Münstertal, wo der Vogelbeerbaum malfö heißt), zudem im Bergell 10 und gelegentlich im Chiavennasco 11 . Weiter ausgedehnt, nach Osten bis ins Friaul, ist der Typus * ALAUS ( A ), der surs. laussa, eng. alossa ‚ Alkirsche, Traubenkirsche ‘ (Prunus Padus) zugrundeliegt 12 . Typische Alpenbäume sind die Lärche und die Arve. Die Lärchen prägen das Bild des Herbstes in den Alpen mit ihren goldenen Nadeln. Die Arve liefert das Holz für die wunderschönen Engadinerstuben. Arvenholz soll zudem eine positive Wirkung auf das Wohlbefinden der Menschen haben, die sich in diesen Stuben aufhalten. Die „ etymologia proxima “ für surs. larisch, eng. larsch ‚ Lärche ‘ ist zwar das lateinische LARIX , - ICIS , das jedoch auf eine vorromanische Alpensprache zurückgeht 13 . Der Typus ist vom Bündnerromanischen über das Alpinlombardische und 8 Wir schließen uns hier der Praxis des DRG an, die Sprachen, die vor der Latinisierung in den Alpen gesprochen wurden, mit dem generischen Begriff „ vorrömisch “ zu bezeichnen. Einerseits ist es oft schwierig, einen Worttypus einer bestimmten Sprache zuzuordnen, andererseits weiß man von vielen der vorrömischen Alpensprachen ziemlich wenig. Das gilt vor allem für das Rätische. Besser bekannt ist das Keltische. 9 In der Grafik oben p. 33 machen sie ca. 2 % aus. 10 Cf. LSI 2: 131 cule(i)sgium ‚ pianta e frutto del sorbo degli uccellatori ‘ (Breg.). 11 Cf. DRG 4: 343. 12 Cf. DRG 1: 190 s. 13 Cf. FEW 5: 193. DRG 10: 492. 51 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="52"?> das Dolomitenladinische bis ins Friaul präsent. Auch gegen Westen hin ist er in einigen frankoprovenzalischen Mundarten belegt 14 . Auch der Name der Arve (Pinus Cembra) geht auf eine vorromanische Sprache zurück. Surs. schiember, eng. dschember beruht auf einer vorromanischen Form * GIMBERU 15 . Der Worttypus reicht vom Bündnerromanischen über das Veltlin bis ins Bergamaskische, Bresciano und Trentino. In denselben Zusammenhang gehört auch die in ganz Romanischbünden verbreitete Bezeichnung für Tannenreisig, Tannäste. Am geläufigsten ist die Kollektivform la dascha, seltener das sm. dasch (DRG 5: 93 s.). Die Lexikologen setzen allgemein eine vorromanische Basis * DASIA an, deren Zuordnung zu bestimmten Sprachen allerdings umstritten ist 16 . Der Worttypus ist in einem weiten alpinen Gebiet verbreitet, von den frankoprovenzalischen Mundarten der französischen Schweiz 17 über das Bündnerromanische, alpinlombardische und trentinische Mundarten 18 , das Dolomitenladinische 19 bis hin zum Friaulischen 20 . An Bezeichnungen für Früchte und Beeren, die auf eine vorromanische Basis zurückgehen, sind surs. frosla, eng. frousla ‚ Hagebutte ‘ und surs. puauna, eng. ampa ‚ Himbeere ‘ zu nennen. Frosla/ frousla wird allgemein auf ein vorromanisches * FROSULA zurückgeführt, dessen Herkunft allerdings umstritten ist. DRG 6: 612 diskutiert ausführlich die Positionen der Forschung, ohne sich auf eine der vorgeschlagenen Lösungen festzulegen 21 . Der Worttypus kommt außer im Bündnerromanischen auch im Bergell, Puschlav und Veltlin vor, ferner im Bündnerdeutschen, im Tirolischen und im Vintschgau (DRG loc.cit.). Engadinisch ampa, das im ganzen Oberengadin und im Unterengadin bis Ardez die Himbeere bezeichnet, findet sich auch in Trin, ferner im Prättigau. DRG 1: 244 setzt dafür eine vorromanische Basis * AMPA an. Ein 2. Typus * AMPLIA liegt den mittelbündnerischen Formen (suts. omtga, surm. omgia) und Ardez amcha zugrunde; ampia, empa, empla ist auch im Bergell bezeugt 22 . Der 3. Typus * AMPÚA 14 Cf. FEW 5: 193. 15 So DRG 5: 448. Für eine detaillierte Untersuchung des Etymons cf. J OKL 1946: 167 - 72. Ferner DEI s. cémbro. 16 Cf. J OKL 1946: 151 - 57, FEW 3: 19, DEG S . dä ʃ a. 17 FEW 3: 19. 18 Cf. LSI 2: 185 s., T AGLIAVINI 1934. 19 Cf. die einschlägigen Wörterbücher, die den Typus in allen Teilen des Dolomitenladinischen ausweisen. 20 Der N UOVO P IRONA 1972 gibt zwei Bedeutungen von dàsce sf.: 1. ‚ il ramo foglioso dell ’ abete ‘ , 2. ‚ specie di traino o slitta, in montagna, formato da rami d ’ albero per trascinarvi i fasci del fieno o della legna ‘ . 21 DEG s. frò ʃ ula gibt als Basis * FRAUSULA an und schließt sich, ohne dies explizit zu machen, der Auffassung von J UD 1911 an. 22 Cf. LSI 1: 74. 52 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="53"?> ist die Basis von ampua im unteren Unterengadin (von Tarasp abwärts) und im Münstertal. Surs. puauna ist eine Ableitung dieses Typus mit dem Suffix - ANA . Fortsetzer der vorromanischen Basis * AMPA oder * AMPÚA finden sich auch in italienischen 23 und frankoprovenzalischen Dialekten 24 sowie in Teilen des Dolomitenladinischen 25 . Die Bezeichnung für das Wiesenunkraut Bärenklau (Heracleum sphondylium) ist in der Surselva darvena, im Engadin rasvenna. Als Etymologie gilt die vorromanische Wurzel * ARD , ART , die ‚ Bär ‘ bedeutet 26 . Der Worttypus ist auch im Bergell, Puschlav und Veltlin belegt 27 . In der Surselva und in Mittelbünden ist ein Worttypus vertreten, der auch im Puschlav und Veltlin die Gerste benennt: surs. dumiec, suts. dumiac, surm. dumia, posch. doméga 28 , gros. dumèga 29 . Die Lexikologen gehen davon aus, daß es sich auch hier um eine vorromanische Basis handelt. Allerdings bleibt die Herkunft ungeklärt 30 . 2.2.2.3 Fauna Von der Flora zur Fauna: Einige Bezeichnungen für Wildtiere, die in den Alpen leben, und für Haustiere, die in der Berglandwirtschaft gehalten werden, haben ebenfalls vorromanische Wurzeln. Der Adler heißt in der Surselva und im Domleschg tschess, was auf eine vorromanische Basis * CISS unbekannter Herkunft zurückgeführt wird 31 . Im Surmeir ist tschess der Lämmergeier. Suts. tschissun wird als ‚ Adler ‘ und ‚ Geier ‘ glossiert. Die Verbindung tschéss-barbet (surs.), tschissun-barbet (suts.) bezeichnet den Bartgeier. Der Worttypus scheint auf den Raum Surselva/ Mittelbünden beschränkt zu sein 32 . Das Alpenschneehuhn (Lagopus alpinus) wird in Romanischbünden durch einen Worttypus bezeichnet, der auf eine Basis * ALBULANA zurückgeht. Ob es sich hier um eine Ableitung von lat. ALBUS oder von vorromanisch ALB - ‚ Berg ‘ handelt, wird von einigen Lexikographen offengelassen 33 ; andere gehen klar von einer 23 Cf. DEI s. lampone. DEG s. ampómula. 24 Cf. GPSR 1: 446. 25 Grödn. ampom (F ORNI 2002), fass. ampómola (D ELLANTONIO T AIJNA 1998). 26 Cf. D ECURTINS 2001, HWR s. darvena. 27 Cf. LSI 1: 112 s. ardavena, DEG s. arzevéna. 28 Neben domèga, duméga, dumèga ‚ orzo ‘ , ‚ avena ‘ . LSI 2: 303. 29 DEG s. v. 30 J OKL 1946 geht von einem illyrischen *duo-moi-ka ‚ Zweiband, Zweizeile ‘ aus. DEG dagegen postuliert eine Basis *d(e)ghom ‚ terra ‘ + -ega < yewo- ‚ orzo ‘ . DRG 5: 489 enthält sich einer Stellungnahme. 31 Cf. M USSAFIA 1873: 225. 32 Cf. DRG 1: 123s. s. aglia. 33 DRG 1: 231 und HWR s. amblana. 53 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="54"?> vorromanischen Basis aus 34 . Von der Surselva bis ins Unterengadin finden sich lautlich stark voneinander abweichende Formen: surs. urlaun 35 , suts. arblàn, urblàna, surm. arblanga, put. ravulauna, vall. amblana (weitere Varianten HWR). Außerhalb des bündnerromanischen Gebiets ist der Worttypus auch in den Bündner Südtälern Misox, Calanca und Bergell bezeugt 36 , ferner im Nonsbergischen 37 . Überraschend tritt er zudem an drei Orten im Piemont auf, wie die Karte „ la pernice bianca “ des AIS (3: 511) ausweist 38 . Als Alpentiere par excellence gelten der Steinbock und die Gemse. Während der Worttypus, der die Gemse benennt (surs. camutsch, eng. chamuotsch), eine weitverbreitete vorromanische Basis hat, fehlen Belege für ein einheimisches Wort für ‚ Steinbock ‘ . Capricorn ist eine neue, gelehrte Bildung; seit den ältesten schriftlichen Zeugnissen findet sich nur der Germanismus stambuoch 39 . Die einzige Spur von lat. IBEX ‚ Steinbock ‘ , das seinerseits auf eine vorromanische Alpensprache zurückgeht, findet sich in einem Hinweis von Chiampel auf ein alpinlombardisches vesina ‚ Steingeiß ‘ , das *( CAPRA ) IBICINA fortsetzen dürfte 40 . Der Name der Gemse, surs. camutsch, eng. chamuotsch, gehört einem weit verbreiteten Typus an, der auf ein vorromanisches * KAMUKJO zurückgeführt wird 41 . Auf diesen gehen auch die dolomitenladinischen und alpinlombardischen Bezeichnungen der Gemse sowie fr. chamois zurück 42 . Eine latinisierte Form camox ist bei Polemius Silvius, einem in Gallien beheimateten Autor des 5. Jahrhunderts, belegt 43 . Die verschiedentlich geäußerte Annahme, der Typus sei mit lat. CAMURUS ‚ gekrümmt ‘ verwandt, ist bisher unbewiesen 44 . Die zahlreichen Orts- und Flurnamen, die auf CAMOX beruhen, zeugen für die Vitalität des Worttypus in Romanischbünden 45 . Auch im Bereich der Haus- und Nutztiere gehen einige Bezeichnungen auf vorromanische Sprachen zurück. 34 So Schorta RN2: 11 und D ECURTINS 2001. 35 Zum Genuswechsel cf. D ECURTINS 2001 s. urlaun. 36 Cf. LSI 1: 108 s. arbolana. 37 S TAMPA 1937: 32 nennt eine Form amblana. 38 Pkte. 131, 133, 143. 39 Cf. DRG 3: 65. 40 DRG loc.cit. J UD 1991 (BDR 3: 8). D ECURTINS 1993/ II: 182. Chiampel beruft sich an der betreffenden Stelle seiner Topographie von Graubünden (S CHIESS 1900: 58) auf Konrad Gessner und bemerkt, daß er selbst, der doch ein Einheimischer sei, dieses Wort noch nie gehört habe: „ quod tamen nomen equidem Rhaetus nunc primum audivi vel scivi “ . Das im gleichen Paragraphen erwähnte deutsche Ybschgeiss für die Steingeiß, nach Chiampel von Gessner und Stumpf genannt, ist im Schw.Id. (2: 462) zwar erwähnt, es fehlen jedoch Dialektbelege. 41 Zu einem Stamm * KAM -/ GAM - ‚ Stange, Stock, Horn ‘ . Cf. DRG 3: 249 s. HWR s. camutsch. 42 Cf. FEW 2: 148 s. DEG s. camósc. LSI 1: 610 s. s. camoss. 43 Cf. J UD 1973: 529. 44 Cf. T AGLIAVINI 1934: 94, FEW 2: 148 s. Zur Etymologie von CAMURUS cf. W.-H. s. v. 45 Cf. RN 2: 65 s. 54 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="55"?> So surs. mugia, eng. muoja, muia ‚ zweijähriges Rind ‘ , das auf vorromanisch * MUGIA beruht. Vertreter diese Typs und Ableitungen davon sind außer in Romanischbünden im Alpinlombardischen 46 , im Piemont und im Frankoprovenzalischen 47 belegt. Auch das m. surs. mutg, eng. muoj, muj ‚ (zweijähriger) Ochse; ‚ (zweijähriges männliches) Rind ‘ , das ein vorromanisches * MUK - (zu * MUGIA ) voraussetzt, findet sich im benachbarten Alpinlombardischen 48 und (in Ableitungen) sporadisch im Piemont 49 . Ungeklärt ist die Etymologie von nuorsa ‚ Schaf, Mutterschaf ‘ . Eine Herleitung von lat. NUTRIX , NUTRICEM ist aus lautlichen Gründen kaum möglich 50 . Die Lexikographen vermuten eine vorromanische Basis. Der Worttypus ist auf Romanischbünden und das Bergell beschränkt 51 . Problematisch ist auch die historische Einordnung von surs./ suts./ surm. tschanc ‚ Hammel ‘ 52 . Obschon es nicht sicher ist, daß vorromanische Sprachen hier die entscheidende Rolle spielen, ist es angebracht, das Problem an dieser Stelle zu diskutieren. Das HWR beschränkt sich auf ein lapidares „ ungeklärt “ . D ECURTINS 2001 zieht eine onomatopoetische Basis t ʃ ankin Betracht. Eine bisher nicht erwogene Hypothese, die von der Bedeutung ‚ verschnitten, kastriert ‘ ausgeht und die Semantik des homonymen engadinischen Adjektivs tschanc ‚ link, linkshändig ‘ einbezieht, könnte vielleicht Resultate erbringen. Um den Kern dieser Hypothese vorwegzunehmen: tschanc ‚ Hammel ‘ könnte mit einem Stamm zusammenhängen, der ‚ verschneiden, verstümmeln ‘ bedeutet und der auch surs. tschuncar, eng. tschunker, tschuncher (stammbetont) ‚ mähen, abschneiden ‘ zugrundeliegt. HWR und D ECURTINS 2001 führen letzteres (wie die Abl. surs. tschuncanar ‚ kappen, abschneiden ‘ , eng. tschancunar ‚ den gefüllten Wurstdarm abbinden, die entästeten Baumstämme in einzelne Stücke sägen ‘ ) auf eine onomatopoetische Basis *t ʃ onkzurück, wobei sie auf ait. cionco ‚ verstümmelt ‘ , cioncare ‚ troncare ‘ verweisen. Im DEI s. cionco wird dieses als „ formazione del tipo del lat. truncus anch ’ esso di oscura etimologia “ bezeichnet. Zur Basis *t ʃ onk- ‚ Stummel, Stumpf ‘ stellt O. Gsell in seiner Rezension von EWD 2 (G SELL 1990: 356s.) auch gad. ciancügn ‚ Kohlstrunk ‘ und die zum Worttypus von it. cioncare gehörigen Verben des Dolomitenladinischen, Venetischen und Friaulischen 53 . 46 Cf. J UD 1911 (BDR 3): 17. S TAMPA 1937 (Lessico): 47. LSI 3: 463 s. moiata und mioatt, 522 s. mügarela und mügarell. AIS 6: 1047 „ il manzo “ , 1048 „ la manza “ . 47 Cf. FEW 6/ II: 187 - 89 s. *mugia. 48 In Poschiavo (AIS 6: 1047 P. 58 múc) und im Veltlin. Cf. DEG s. móc ’ m. ‚ toro castrato ‘ . 49 Cf. die Punkte 122 und 133 von AIS 6: 1047. 50 Cf. HWR s. nuorsa. 51 Cf. AIS 6: 1068. LSI 3: 595, wo ferner für die Val Colla gnórsa als „ gergale “ bezeugt ist. 52 Zur Stellung von tschanc im Wortfeld „ Schaf “ cf. oben p. 31s. 53 Gad./ grödn. zunché, buch. zonché, fass. ciòncher, ven. zoncare, friaul. zonciâ. 55 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="56"?> Obschon Gsell an der eben zitierten Stelle keine Verbindung zum Adjektiv gad. ciàmp, grödn./ fass. ciànc ‚ link ‘ und den verwandten Formen im Engadinischen, Oberitalienischen und Friaulischen herstellt, scheint es mir wahrscheinlich, daß eine solche Verbindung existiert. Auch Kramer enthält sich im EWD unter ciàmp ‚ links ‘ (2: 139 s.) einer etymologischen Deutung. Er verweist auf die mannigfachen Ersetzungsvorgänge, die im abergläubisch belasteten Bereich von „ links “ stattfinden und eine etymologische Zuordnung erschweren, hält jedoch fest, daß die Typen ciànc und ciàmp sicher zusammengehören und auch von nordit. zanco ‚ links ‘ nicht zu trennen sind. Dieser Meinung war schon S CHUCHARDT 1891: 110 54 . Daß die Ausdrücke für „ links “ oft mit Wortstämmen zusammenhängen, die körperliche Defekte bezeichnen, ist in der allgemein negativen Bewertung der Linkshändigkeit begründet. It. manco ‚ manchevole, sinistro ‘ geht auf lat. MANCUS ‚ verstümmelt, gebrechlich an den Gliedmaßen ‘ zurück, das eine Ableitung von MANUS mit einem Suffix -ko darstellt, von DEI s. manco als „ caratteristico per esprimere difetti fisici, di area it. e romanza occ. “ bezeichnet 55 . Manco für ‚ linkshändig ‘ ist in ganz Sardinien, Sizilien und zum Teil auf dem süditalienischen Festland geläufig (AIS 1: 149 „ la mano sinistra “ ). An MANCUS knüpft auch die standardsprachliche Form mancino an, die neben sinistro in weiten Teilen Italiens in dialektalen Varianten auftritt (ibid.). In den Dolomiten, im Trentino, im Veneto und im Friaul ist dagegen durchwegs der Typus vertreten, dem auch eng. tschanc angehört, das allerdings von AIS 1: 149 nur gerade für Punkt 9 (Ramosch) ausgewiesen wird. Im genannten Raum finden sich die Hauptvarianten t ʃ á ŋ k, t ʃ ámp, ϑ a ŋ k, samp. Aufgrund der hier ausgebreiteten Materialien scheint mir die Annahme, surs. tschanc ‚ Hammel ‘ gehöre zusammen mit eng. tschanc ‚ links ‘ und den damit verwandten Adjektiven in den Dolomiten, im Trentino, Veneto und Friaul, mindestens erwägenswert, wenn auch die lautlichen Probleme im Einzelnen noch nicht gelöst sind. 2.2.2.4 Gestein und Geländeformen Vorromanisches Sprachgut hat sich auch im Bereich der unbelebten Natur erhalten. 54 Auch J UD 1909: 174 schließt sich dieser Stellungnahme an. 55 Entsprechende Phänomene, die zum Thema „ analogie lexicale “ gehören, beschreibt Ferdinand de Saussure in einem Beitrag zur Festschrift für Vilhelm Thomsen von 1912 (B ALLY / G AUTIER 1922: 595 - 99). Es geht ihm im Artikel „ Adjectifs indo-européens du type CAECUS ‚ aveugle ‘“ vorwiegend um vokalische Gemeinsamkeiten im Stamm von Adjektiven, die körperliche Defekte (eingeschlossen Linkshändigkeit! ) bezeichnen. Für unsere Belange interessant ist einerseits die Gruppe ancus, plancus, rancus (596), andererseits die Bemerkung, „ l ’ élèment propagé (in einem Fall von „ analogie lexicologique “ ) est dans le cas ordinaire suffixal (syntagmatique) “ (599). 56 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="57"?> Die miteinander verwandten Bezeichnungen für ‚ Stein ‘ und ‚ Fels ‘ beruhen auf einer vorromanischen Basis. Sowohl crap (allg.) ‚ Stein ‘ als auch surs. grep, eng. grip ‚ Fels ‘ gehören Worttypen an, die weit über das Bündnerromanische hinaus im alpinen Raum verbreitet sind, crap vom Piemont bis ins Friaul (dort clap), grep/ grip auch im übrigen Italien und in Relikten im Dalmatischen und Albanischen 56 . Die Kollektivformen crappa und greppa/ grippa bedeuten ‚ Steine, Gestein ‘ resp. ‚ Felsen, Felsmassiv ‘ . Über die Zugehörigkeit der vorromanischen Basis zum Indogermanischen sind sich die Etymologen nicht einig. Während Jokl und Hubschmid die rekonstruierten Basen * KREPP -, * KRAPP -, * KRIPP einem indogermanischen Verbalstamm *( S ) QER - ‚ schneiden ‘ zuordnen 57 , schreibt Battisti sie dem (nicht-indogermanischen) mediterranen Substrat zu (DEI s. crappa und greppo). Surs. péz, eng. piz ‚ Bergspitze ‘ (und darüber hinaus alle möglichen Arten von Spitzen, Zipfeln, Zacken usw.) liegt ein expressiver Stamm * PITS zugrunde, der in zahlreichen Reflexen mit der Bedeutung ‚ stechen, kneifen ‘ in verschiedenen Sprachen vorkommt 58 . Die Kollektivform la pezza/ pizza ist im Bündnerromanischen geläufig in der Bedeutung ‚ die Berge, das Gebirge ‘ , z. B. la pezza grischuna ‚ die Bündner Berge ‘ . D ECURTINS 2001trennt péz II ‚ Bergspitze ‘ von péz I ‚ Spitze, Zinke, Zacke, Zipfel ‘ , was von einem synchronischen Standpunkt aus gesehen sicher richtig ist. Nicht so P EER 1962 und die Wörterbücher des Dolomitenladinischen, wo die beiden Bedeutungsbereiche jeweils unter demselben Lemma vereint erscheinen. Abgesehen von diesem lexikographischen Entscheid: ein Worttypus [pits] mit der Bedeutung ‚ Bergspitze ‘ ist im alpinen Raum vom Gotthard bis zum Golf von Triest bezeugt, ferner im Alpinlombardischen und vereinzelt weiter südlich bis in den Südwesten der Emilia 59 . Gelegentlich finden sich neben [pits] ‚ Bergspitze ‘ in gleicher Bedeutung auch die Varianten [ ’ pits ɐ ], [pit ʃ ], [pik] und [ ʃ pic], [ ʃ pits]. Gröden hat für ‚ Bergspitze ‘ la piza dl crëp, ebenso das Gadertal mit Enneberg 60 . Während P IRONA 1972 neben piz auch pic [pit ʃ ] verzeichnet, kommt diese Form in den Aufnahmeorten aus dem Friaul des AIS nicht vor, wohl aber [pik] (Punkt 318, 56 Cf. DRG 4: 195 - 203 s. crap I und 7: 814 - 19 s. grip I. 57 J OKL 1945/ 46: 197 - 201. H UBSCHMID 1951: 11 - 13. HWR geht von vorrom. KLAPP ( A ) ‚ flacher Stein ‘ aus. Hubschmid (loc. cit.) führt crap auf eine Kreuzung von * KLAPP - und * KRIPP zurück 58 Cf. FEW 8: 548 s. *pints-. 59 Cf. AIS 3: 421 „ la montagna “ . Im Zusatz „ Bergspitze, hoher, steiler, felsiger Berg, Piz “ finden sich Belege aus Romanischbünden, dem Tessin, der Lombardei, dem Piemont, dem Dolomitenladinischen und dem Friaulischen. Für das Tessin und Südbünden cf. LSI 4: 32 s. pizz. 60 F ORNI 2002; M ISCHÌ 2000; V IDESOTT / P LANGG 1998 s. v. Pkt. 453 des AIS (3: 421), Sologno in der südwestlichen Emilia, hat la pítsa d um múnt. 57 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="58"?> Forni Avoltri) und [píke] (Punkt 357, Ronchis). Píche wird von Pirona als ‚ cima appuntita ‘ glossiert; Beispiele für ‚ Bergspitze ‘ fehlen. Der Typus [ ʃ pic], der im Bünderromanischen herrscht, wird auf eine lateinische Basis zurückgeführt: * SPICUM (zu SPICULUM ). Während surs. spitg ‚ Gipfel, Bergspitze ‘ bedeutet, ist das engadinische Resultat spi(h) ‚ Grat, Berggrat, Gebirgskamm ‘ . Im gadertalischen spiz ‚ Bergspitze, Gipfel, Felszacken ‘ dürfte sich dieser Stamm mit deutsch spitz getroffen haben 61 . Ähnliches gilt wohl für fassan. spiz ‚ punta, cima, vetta ‘ 62 und für friul. spiz ‚ Spitze, Bergspitze ‘ 63 . Der Typus [pits] ist übrigends schon in mittelalterlichen Glossen, die romanische Wörter germanischen Äquivalenten gegenüberstellen, belegt, so in den Kasseler Glossen (pis, first) und in den Wiener Glossen (piz, spiz) 64 . Zurück zu den Geländebezeichnungen vorromanischen Ursprungs. Zu ihnen gehört br. muot, muot(t)a ‚ Kuppe, Anhöhe ‘ . Daß es sich um eine vorromanische Basis handelt, darüber sind sich die Etymologen und die Wörterbücher einig, weniger über deren genaue Herkunft 65 . Der Worttypus ist in der Romania und darüber hinaus weit verbreitet 66 . Fr. motte, it. motta gehören dazu. In der unmittelbaren Nachbarschaft des Bündnerromanischen ist er in den Bündner Südtälern und im Tessin präsent (cf. LSI 3: 512 s. s. mòta 1 ), weiter östlich im Veltlin (cf. DEG s. mót ‚ dosso ‘ ) und im Friaul (P IRONA 1972 s. mòte ‚ poggio, colle ‘ ). Im Dolomitenladinischen fehlt er auffälligerweise in den nördlichen Varietäten (Gröden, Gadertal und Enneberg), während die südlichen (Fassa und Buchenstein) ein f. mota kennen, allerdings nicht in der Bedeutung ‚ Anhöhe ‘ , sondern in den fassanischen Mundarten als ‚ Haufen, Menge ‘ , in Buchenstein als ‚ Erdscholle ‘ 67 . Aus den Ergänzungen zur Karte „ il monticello “ (il poggio, la collina) des AIS (3: 422) ergeben sich außer in den schon genannten Gebieten vereinzelte Belege des Typus [mot, mut, mota] im Nordpiemont und in der Lombardei. Der südlichste Punkt, an dem móta belegt ist, ist Baura bei Ferrara (Punkt 427). Das topographische Gegenstück der Erhöhung ist die Vertiefung, die Mulde, der Talkessel. In einem weitläufigen alpinen Gebiet, das außer Romanischbünden 61 Cf. spiz, spizus ‚ spitzig ‘ , spizé, spizoré spitzen ‘ . V IDESOTT / P LANGG s. v. 62 Auch hier ist ein Adjektiv spiz ’ ‚ acuto ‘ und ein Verb spizèr ‚ guzzare ‘ vorhanden. D ELLANTONIO T AJINA 1998. 63 P IRONA 1972 s. spìz verweist auf die Verbreitung in der karnischen Toponamastik, wo neben spìz auch Spizze vorkommt. 64 M ONACI 1912: 522 und 524. 65 Z INSLI 1946 setzt ein keltisches * MUTTO - * MUTTIO an, urverwandt mit lat. MUTILUS . RN 2: 213 geht von einer Basis MOTTA ‚ Erdhaufen ‘ „ umstrittener Herkunft “ aus. HWR legt wie FEW 6: 294ss. vorroman. MUTT - ‚ Bodenerhebung ‘ zugrunde, D ECURTINS 2001 vorroman. MUTT - ‚ stumpf ‘ . Cf. auch H UBSCHMID 1951: 24. 66 Cf. FEW 6: 298s. 67 T AGLIAVINI 1934: 217s. Tagliavini vermutet wegen des Fehlens des Wortes in den nördlichen Mundarten, dieses könnte von Süden her (ven. mota ‚ greto ‘ ) entlehnt sein. M AZZEL 1976 bezeichnet fassan. (cazét) mòta ‚ mucchio ‘ als Neologismus. 58 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="59"?> die Bündner Südtäler, Teile des Tessins, des Veltlins, der übrigen Lombardei und des Zentralladinischen umfaßt, wird die Mulde durch den Worttyp foppa bezeichnet 68 . Dieselbe Bedeutung hat in ganz Romanischbünden auch das m. fop (surs. auch fiep), das im Engadin zusätzlich ‚ Pfütze, Lache, Teich ‘ bedeutet 69 . Die traditionelle Herleitung von foppa aus lat. FOVEA , nach wie vor von vielen Standardwerken vertreten 70 , wurde schon 1911 von J. Jud in Frage gestellt 71 . Er vermutete, aufgrund der phonetischen Schwierigkeit einerseits (- VJ - > -p-), der weiten Verbreitung des Worttyps als Ortsname auf ursprünglich rätischem Gebiet andererseits, eine vorromanische Basis FOPP -. DRG, HWR und D ECURTINS 2001 machen sich diese Sicht zu eigen. Schon H UONDER 1900: 68 hatte die Herleitung von foppa aus FOVEA als problematisch erkannt. Angesichts der Resultate der phonetisch analogen Etyma * PLOVIA und * JOVIA ( DIES ), plievgia und gievgia, vermutete er für foppa entweder eine Entlehnung (woher? Wahrscheinlich aus dem Oberitalienischen 72 ) oder Einwirkung von CUPPA . Er verweist auf it. cupo 73 . J. Kramer nimmt die Diskussion in EWD 3: 286 s. s. fop wieder auf. Er hält entgegen DRG 6: 473 an der Herleitung von lat. FOVEA fest, unter Berufung auf B LUMENTHAL 1972, der Fälle von - JV - > -pbeibringe. Das Beispiel grödn. sópia < SUBLICA ist jedoch nicht beweiskräftig, da erstens nicht intervokalisches - VJ -, sondern - BL vorliegt, und da zweitens das Etymon überhaupt nicht gesichert ist 74 . Auch der Verweis auf B LUMENTHAL 1972: 160 erbringt keinerlei Stützen für eine organische Entwicklung von - VJ zu -p-. Eine Zusammenschau der einschlägigen Materialien ergibt, daß überall dort, wo der Typus foppa vorliegt, die Resultate von * PLOVIA UND * JOVIA unter sich übereinstimmen, indem sie ein palatales Resultat zeigen (entsprechend surs. plievgia, gievgia), das sich von der Lautung von foppa (-p-) deutlich unterscheidet 75 . Friaulisch fòibe ‚ cavità imbutiforme nelle rocce calcari ‘ (P IRONA 1972) dagegen, völlig parallel zu jóibe ‚ giovedì ‘ , setzt offensichtlich lat. FOVEA fort. Aufgrund dieser Ausgangslage gewinnt der Ansatz von Jud (vorroman. FOPP -) oder der Vorschlag 68 DRG 6: 471 - 73. LSI 2: 510. DEG s. fòpa. C HERUBINI 1814/ 1: 163. M ISCHÌ 2000 s. Mulde. V IDESOTT / P LANGG 1998 s. fopa. 69 DRG 6: 470 s. 70 REW, FEW, DEI, EWD, DEG, RN 2. 71 In seiner Rezension von W ALBERG 1907, RDR 2: 119. 72 Cf. etwa mil. foppa ‚ buca, fossa ‘ (C HERUBINI 1814,1: 163). Aber hier stellen sich genau die gleichen Probleme wie im rätoromanischen Bereich: - VJ wird auch hier normalerweise nicht zu -p-. Cf. das Folgende. 73 Das Adjektiv cupo ‚ oscuro, fosco, tenebroso; profondo ‘ wird DEI s. v. auf lat. CUPA ‚ tina, botte ‘ zurückgeführt. Es ist vor allem in mittel- und süditalienischen Dialekten vital, was den Vorschlag von Huonder als eher unwahrscheinlich erscheinen läßt. 74 Cf. HWR und D ECURTINS 2001 s. sutga. 75 Cf. auch B ATTISTI 1908: 48 für Nonsberg, M ISCHÌ 2000 und V IDESOTT / P LANGG 1998 für das Gadertal und Enneberg (jöbia, plöia). 59 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="60"?> von Huonder (Einfluß eines semantisch affinen Stammes) für die Erklärung der foppa-Zone doch größere Wahrscheinlichkeit. Eher als lat. CUPPA , das Huonder zur Diskussion stellt, könnte vorromanisch * TSUPPO ‚ kleiner Tümpel, Hanfröste ‘ in Frage kommen. Dieser vorromanische Worttypus lebt in Romanischbünden in Toponymen, aber auch als Appellativum fort: RN 2: 350s. s. * TSUPPO registriert zahlreiche Namen aus Mittelbünden (vor allem aus der Sutselva, aber auch aus Surmeir), einige aus dem Unterengadin und dem Bergell. Appellativisch ist zop ‚ Weiher, Teich, Pfütze; Hanfröste ‘ im Unterengadin, zop ‚ Wassergrube für Hanf- oder Flachsröste ‘ im Surmeir, zup ‚ Pfütze, Suhle, Teich, Tümpel, Weiher ‘ im Sutsilvan und zup ‚ Hanfröste ‘ vereinzelt in der Surselva belegt. Die Karte 1496 des AIS ( „ macerare la canapa, maceratoio “ ) bestätigt dieses Bild; zusätzlich weist sie zop auch für Soglio (Punkt 45) und Coltura (Punkt 46) im Bergell aus 76 . Zieht man weiterhin in Betracht, daß fop, foppa vielfach auch die Bedeutung ‚ Pfütze ‘ hat, gewinnt die Hypothese, vorromanisch * TSUPPO könnte für die ungewöhnliche Lautgestalt dieses Worttyps verantwortlich sein, an Wahrscheinlichkeit. C HERUBINI 1814,1: 163 gibt für das mailändische foppa neben der Bedeutung ‚ buca, fossa ‘ auch ‚ pozza, pozzanghera, osteria dei cani ‘ an, übereinstimmend mit Punkt 261 (Milano) der Karte 850 des AIS ( „ la pozzanghera “ ). Dieselbe Karte gibt für Punkt 9 (Ramosch) fops, für Punkt 7 (Ardez) neben fops auch zops! In Punkt 15 (Maton) heißt die Pfütze zup 77 . Ein weiterer Worttypus, repräsentiert durch surs. rieven, eng. röven ‚ Rain, Wiesenrain, Böschung ‘ , ist ebenfalls von Graubünden über das Alpinlombardische und das Dolomitenladinische bis ins Friaul verbreitet. Nach RN 2: 289 s., HWR und D ECURTINS 2001 s. rieven ist eine Basis * ROVINU zu vorromanisch * ROVA ‚ Erdschlipf, Riß, Sturz ‘ anzusetzen, urverwandt mit lat. ruere 78 . H UBSCHMID 1952: 341 - 43, ausgehend von der vielfach archaischen Mundart von Collina (Weiler der Gemeinde Forni Avoltri im Friaul, AIS Punkt 318), erweist die Zusammengehörigkeit der bündnerromanischen, dolomitenladinischen und friaulischen Formen, die in der Legende zur Karte „ il termine (il segno terminale) “ 76 Battisti, DTA 1,2: 745, Nr. 4121 verbindet Zop mit berg. zop ‚ buco in cui si mette a macerare il lino o la cànapa ‘ und fügt bei, östlich des Stilfser Jochs finde er keine Belege für diesen Typus, es sei denn, dolomitenlad. zòpa ‚ Haufen ‘ gehöre hierhin, was er allerdings für wenig wahrscheinlich hält. Kramer dagegen sieht in EWD 7: 31 s. zòpa diesen Zusammenhang für gegeben, gestützt auf H UBSCHMID 1960: 130s. G SELL 1999: 251 zeigt sich skeptisch, was die Festlegung auf ein bestimmtes vorromanisches Etymon angeht. 77 Eine weitere Bedeutungsvariante von fopa ist ‚ Schlamm ‘ , von B ATTISTI 1908: 51 und Q UARESIMA 1964: 197 für Nonsberg bezeugt. Cf. dazu auch C HERUBINI 1814,1: 163 Tirass foeura di fopp ‚ uscir del fango o del pecoreccio. Trarre il cul del fango. Vale uscir d ’ intrigo, di guaj ‘ . 78 So H UBSCHMID 1952: 343. 60 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="61"?> AIS 7: 1421 unter dem Titel „ Böschung zwischen zwei Äckern, (grasiger) Abhang “ für die genannten Gebiete ausgewiesen werden 79 . Geographisch viel enger beschränkt ist der Worttypus, der surs. ruosna, suts. rusna, surm. rosna ‚ Loch, Runse ‘ zugrundeliegt. Er wird auf eine vorromanische Basis * ROSSNA (zu * ROS ‚ Gletscher, Runse ‘ ) zurückgeführt 80 . Im Unterschied zu den bisher behandelten Wörtern ist ruosna nicht in seinem Herkunftsbereich, der Topographie, verblieben, sondern zu einem allgemeinsprachlichen Appellativum geworden. Der Typus findet sich nur in der Surselva und in Mittelbünden 81 . Surs./ vall. gonda, suts./ put. gianda, surm. gionda ‚ Geröllhalde, Geröll, Steine, unproduktives Gelände ‘ geht auf eine vorromanische Basis * GANDA zurück. Der Typus ist appellativisch und (in einem weiteren Gebiet) als Toponym in den Zentral- und Ostalpen verbreitet 82 . In der Form Gand ist er auch in alpinen Dialekten der deutschen Schweiz vorhanden 83 . Die Karte „ Ganda “ (pendio coperto di pietre sfasciate) des AIS (3: 427 a) weist die Verbreitung des Typs * GANDA (in der Südschweiz teils in den Varianten * GANA oder * GANJA ) 84 auch in den Bündner Südtälern, im Tessin, im Chiavennasco, im Veltlin und weiter östlich im westlichen Trentino nach. Die Bedeutung ‚ Haufen, Menge ‘ , die in einigen Tessiner Dialekten, im Puschlav und im Veltlin neben der topographischen Bedeutung bezeugt ist 85 , findet sich im Bündnerromanischen nicht; einzig im Münstertal ist jonda d ’ crappa ‚ Steinhaufen ‘ (auf Äckern) belegt 86 . Der östlichste Punkt auf der Karte 427a des AIS, der den Typus * GANDA (und eine Ableitung davon) aufweist, ist Piazzola (Rabbi), Punkt 310, eine hochgelegene Örtlichkeit im Nordwesten der Val di Sole. Weiter nach Osten im Trentino und im Friaul wird der Typus * GANDA vom Typus * GRAVA oder Ableitungen davon (häufig gravon) abgelöst 87 . 79 Die Wörterbücher bestätigen die Angaben des AIS weitgehend: LSI 4: 444 s. ròvan für Poschiavo (Punkt 58) und das Bergell, F ORNI 2002 s. rone für Gröden, M ISCHÍ 2002 s. rogn für das Gadertal, V IDESOTT / P LANGG 1998 s. rench für Enneberg, D ELLANTONIO / T AJINA 1998 s. regn für Fassa, D ELL ’ A NTONIO 1973 s. roìs für Moena, M AJONI 1929 und T AMBURIN 1973 für Cortina d ’ Ampezzo s. ruói. Einzig das friaulische ruign, das Hubschmid (H UBSCHMID 1952: 343) für Collina zitiert und das auch durch Punkt 318 des AIS (Forni Avoltri) bezeugt ist, findet sich bei P IRONA 1972 nicht. EWD s. rógn folgt H UBSCHMID 1952. 80 RN 2: 286s. HWR und D ECURTINS 2001 s. ruosna. 81 Cf. DRG 6: 515 s. foura und AIS 5: 857 „ fare un buco “ . 82 Cf. DRG 7: 641 - 43. 83 Cf. Z INSLI 1946: 157s., wonach Gand in Graubünden, Glarus, der Innerschweiz, im Wallis und im Berner Oberland vorkommt. J UD 1945 - 46: 77 vermutet, der Worttypus habe sich aus dem ostschweizerischen Raum nach Westen verbreitet. Cf. Schw. Id. 2: 336 s. 84 Cf. RN 2: 159. 85 LSI 2: 618 s. gana 1 , DEG s. ganda. 86 DRG 7: 642. 87 Nebst verschiedenen weiteren Worttypen, auf die wir hier nicht eingehen. 61 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="62"?> Die Fortsetzer von vorroman. * GRAVA ‚ Kies ‘ sind in einem weiten Gebiet der Romania lebendig. Außer in den hier interessierenden Gebieten, dem Friaul, dem Zentralladinischen, dem Alpinlombardischen und dem Bündnerromanischen, finden sie sich auch im Piemont, im Galloromanischen, Katalanischen und bis nach Nordspanien 88 . Die Hauptbedeutung von br. grava (put. greva) ist ‚ Geschiebe, Geröll, Schutt ‘ , meist auf lockeres Gestein in Bächen oder Schwemmland bezogen. Das Wort wird jedoch auch für ‚ Geröllhalde, Schutthalde ‘ in den Bergen verwendet und ist damit weitgehend synonym zu gonda, dies vor allem im Engadin und in Mittelbünden, seltener in der Surselva (DRG 7: 764). Auch die Ableitung gravera (surs. garver, garvera) hat neben ‚ Geschiebe, Geröll ‘ zusätzlich die Bedeutung ‚ Geröllhalde ‘ (DRG 7: 768 s.), ebenso surm. gravitscha (DRG 7: 771). Der semantisch gemeinsame Nenner scheint ‚ lockeres Gestein ‘ zu sein. Dieser gemeinsame Nenner dürfte auch dafür verantwortlich sein, daß sowohl Vertreter des Typus * GONDA als auch solche des Typus * GRAVA die Geröllhalde bezeichnen, wie das aus der oben besprochenen Karte 427a des AIS ersichtlich ist. Diese Situation spiegelt sich auch in den alpinlombardischen, dolomitenladinischen und friaulischen Belegen für den Typus * GRAVA und dessen Ableitungen, die die Wörterbücher verzeichnen: LSI 2: 771 grava ‚ porzione di pendio erbosa e sassosa, compresa tra il limite del bosco e la vetta della montagna ‘ (Poschiavo). Ibid. gravéra ‚ greto asciutto del fiume ‘ (Soazza, Soglio); ‚ terreno prossimo al fiume, incolto, inondato e invaso da detriti alluvionali ‘ (Lumino, Roveredo Grig., Soazza, Breg.). Weitere Ableitungen sind gravina ‚ scoscendimento, frana; terreno ricoperto di materiale detritico, accidentato, improduttivo ‘ (Isone, Rovio, Riva S. Vitale, Mesocco); ‚ burrone, crepaccio ‘ (Rovio); ‚ materiale detritico, ghiaia, pietrisco ‘ ; ‚ grande quantità ‘ (Medeglia); gravinèda ‚ scoscendimento, frana ‘ (Meride, Castel S. Pietro, Cabbio); ‚ terreno ricoperto di materiale detritico ‘ (Rovio, Riva S. Vitale), ‚ materiale detritico, ghiaia, pietrisco ‘ (Stampa); gravinós (Soazza), gravinús (Bondo) ‚ scosceso, franoso; sabbioso, ghiaioso, ingombro di detriti ‘ (LSI 2: 772). Die Wörterbücher des Dolomitenladinischen verzeichnen folgende Formen, teils direkte Fortsetzer von * GRAVA , teils Ableitungen davon: für Gröden F ORNI 2002 gravinia ‚ Steingeröll unter dem zu mähenden Gras ‘ , für das Gadertal M ISCHÍ 2000 grava ‚ Geröll ‘ , für Enneberg V IDESOTT / P LANGG 1998 graa 1. ‚ Schotter, Gesteinsschutt ‘ , 2. ‚ Geröllfeld ‘ , für Fassa D E R OSSI 1999 grava ‚ Geschiebe, Schutthalde, Steinhalde, schottriges Grundstück ‘ , D ELL ’ A NTONIO (moenese) 1973 gràva ‚ terreno ghiaioso e ciottoloso prossimo a un corso d ’ acqua; greto ‘ , M AZZEL 1983 (cazét) grèva ‚ luogo ciottoloso e in lieve declino ‘ , für Cortina d ’ Ampezzo M AJONI 1929 graa ‚ greto; ghiaia portata da torrente, che straripa; china ghiaiosa d ’ un monte ‘ , T AMBURIN 1973 gràa ‚ greto; ghiaia di straripamento ‘ . 88 FEW 4: 259. DRG 7: 765. 62 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="63"?> Für das Friaulische gibt P IRONA 1972 gràve ‚ ghiareto ‘ , gravàte ‚ pegg. e accr. di gràve ‘ , gravòn ‚ accr. di gràve, falda o cono detritico ‘ . Auch der letzte Worttypus, von dem in diesem Abschnitt die Rede sein soll, betrifft den semantischen Bereich „ Stein “ . Und auch hier ist die Basis vorromanisch, wahrscheinlich vorindogermanisch. Br. muschna (surm. mouschna) ‚ zusammengetragener Steinhaufen auf dem Feld, Trümmerhaufen, Schutthaufen ‘ wird auf vorromanisch * MUKINA zurückgeführt 89 . Der Worttypus findet sich auch in den italienischsprachigen Südbündner Tälern 90 , im Veltlin 91 , im Nonsbergischen 92 , in Moena 93 und in einer Ableitung im Grödnerischen 94 . 2.2.2.5 Menschlicher und tierischer Körper, Krankheiten und Defekte Die rätoromanischen Wörter vorromanischen Ursprungs aus diesem Bereich sind nicht sehr zahlreich. Surs. gaulta ‚ Wange ‘ gehört zum selben Worttypus wie it. gota, fr. joue. Aus der Verbreitung des Worttypus schließt FEW 4: 10 auf eine Herkunft aus dem Gallischen 95 . Im Bündnerromanischen ist der Typus außer im Surselvischen, wo er vom synonymen vesta konkurrenziert wird, nur noch in Domat/ Ems geläufig. Die Karte „ la guancia “ des AIS (1: 113) bezeugt gaulta nur gerade für Punkt 13 Vrin (Lugnez); an allen andern Orten der Surselva (und in Domat/ Ems) herrscht der Typus vesta. Außerhalb von Romanischbünden taucht der Typus an zwei Orten im Nonsberg auf 96 , verschiedentlich in der südlichen Lombardei 97 und 89 Cf. J OKL 1945/ 46: 193, H UBSCHMID 1950: 33s. 90 LSI 3: 466 verzeichnet mògina für Roveredo, mósna für Lostallo und Poschiavo, musna für das Bergell und Poschiavo, immer in der Bedeutung ‚ mucchio, cumulo di pietre ‘ . 91 DEG s. mö ʃ na (mu ʃ na) ‚ accumulo di pietre su fondi bonificati ‘ . Cf. auch DEI s. mósna ‚ mucchio di sassi ‘ . 92 Q UARESIMA 1964 s. mó ʃ na, muèsna ‚ cumulo o monte di ciottoli in un campo ‘ . 93 D ELL ’ A NTONIO 1973 s. mójena ‚ cumulo, ammasso di sassi ‘ . 94 F ORNI 2002 verzeichnet s. steinig das m. mujenëj ‚ steiniges Wiesenstück ‘ . Diese Form erscheint auch auf der oben erwähnten Karte 427a des AIS, die den Typus „ ganda “ darstellt, für Punkt 312, Selva in Gardena. Die Abweichung in der Bedeutung erklärt sich wohl dadurch, daß die Begriffe „ Geröllhalde “ , „ Schutthalde “ , „ Schutthaufen “ vielfach nicht scharf voneinander abgegrenzt werden. 95 Die Situation ist jedoch ziemlich undurchsichtig. FEW loc.cit. konstruiert eine Grundform * GAUTA , die auf einem hypothetischen * GABOTA oder * GABUTA beruhe, welches (aus lautlichen Gründen) ausdrücklich von lat. GABATA ‚ Schüssel ‘ getrennt wird. Anders DEI s. gota, wo die Basis * GAUTA als „ verosimilmente dal lat. * GABITA per GABATA ‚ scodella ‘“ bewertet wird. W ALDE -H OFMANN 1938 s. gabata hält * GAUTA jedoch auch nicht für zu GABATA gehörig. Die rätoromanischen Wörterbücher (DRS 7: 48, HWR und D ECURTINS 2001 s. gaulta) folgen dem FEW. 96 Punkt 311 Castelfondo und Punkt 322 Tuenno. 97 Punkt 263 Rivolta d ’ Adda und Punkt 265 Crema in der Provinz Cremona, Punkt 275 Castiglione d ’ Adda in der Provinz Milano, Punkt 288 Mantova. 63 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="64"?> vereinzelt südlich des Po in der Provinz Ferrara 98 . In der Toskana ist der Typus gota vorherrschend. Schließlich findet er sich noch in gallotalienischen Dialekten auf Sizilien 99 . Auch eng. giarlet, surs. garlet ‚ Fersensehne, Kniebug, Sprunggelenk; Fessel (beim Pferd, Rind) ‘ wird auf eine gallische Basis zurückgeführt: * GARRA ‚ Teil des Beines ‘ , wie fr. jarret, it. gar(r)etto. Die Bedeutungsangaben in DRG 7: 175 zeigen eine bei populären anatomischen Bezeichnungen oft beobachtete Unbestimmtheit: 1. ‚ Fersensehne ‘ (beim Menschen); spor. auch ‚ Fußknöchel ‘ ; metonymisch ‚ Fuß ‘ . 2. ‚ Kniekehle, Kniebug, Sprunggelenk, Sprungbein ‘ (beim Pferd, Rind). 3. ‚ Fessel, Afterklaue ‘ . 4. Übertragene Bedeutungen: ‚ schmutzige, schneeige Schuhe ‘ ; ‚ Schneeschicht an den Schuhen ‘ . Besonders 2. ist unbefriedigend, da ‚ Kniekehle, Kniebug ‘ sich auf den Menschen bezieht; für eine solche Verwendung finden sich denn auch keine Beispiele. Die Zusammenfassung von ‚ Fessel ‘ und ‚ Afterklaue ‘ zu einer einzigen Bedeutung ist ebenfalls fragwürdig. Die in nicht wissenschaftlicher Sprache häufige Unschärfe anatomischer Bezeichnungen spiegelt sich auch in den auseinanderstrebenden Entwicklungen, die gall. * GARRA und Ableitungen davon in verschiedenen Teilen der Romania erfahren haben 100 . In den an Romanischbünden angrenzenden Gebieten, wo derselbe Typus auftritt wie in giarlet/ garlet, ist die Bedeutung oft zu ‚ Bein ‘ erweitert 101 , so im veltlinischen Grosio: garlét ‚ gamba ‘ (DEG) und in den Südbündner Tälern: garlétt (Bondo), sgarlett (Poschiavo) ‚ garretto, gamba, zampa, piede ‘ (LSI 2: 628). Auf der Karte „ il calcagno “ des AIS (1: 165) finden sich ebenfalls Ableitungen von * GARRA , so garun im Piemont, garet in Ligurien (dort auch garun) und in der Emilia, gar(r)etto in der östlichen Toskana 102 . Ebenfalls aus dem Gallischen stammt surs. diervet, eng. derv, dert ‚ Flechte, Hautausschlag, Schorf ‘ (DRG 5,175 s.). Den bündnerromanischen Formen liegt eine Basis * DERBITE zugrunde, wie auch den Entsprechungen in der alpinlombardischen Nachbarschaft (Südbünden, Tessin, Veltlin, Comasco) 103 . Im Dolomitenladinischen und im Friaulischen finden sich keine Spuren des Worttypus. Das Adjektiv surs. ziep, suts./ surm./ eng. zop ‚ hinkend, lahm ‘ , das sich an das ganz Italien umfassende Gebiet von zoppo anschließt (AIS 1: 191), geht auf einen expressiven Stamm * TSOPP zurück, der außer im Italoromanischen auch im 98 Punkt 427 Baura, Punkt 439 Comacchio. 99 Punkt 817 San Fratello, Punkt 818 Fantina. 100 Cf. REW 3690 s. garra (gall.? ). 101 Vergleichbar ist dt. Hachse, Haxe, wo (jedenfalls in familiärer Umgangssprache) ebenfalls eine Bedeuutungserweiterung von ‚ Unterschenkel, Fuß ‘ zu ‚ Bein ‘ zu beobachten ist. 102 Eine Karte „ il garretto “ fehlt im AIS. 103 Cf. AIS 4: 683 „ l ’ erpete “ . LSI 2: 212 s. dèrbad ‚ erpete, eczema, tigna ‘ . Für die Verteilung weiterer Spielarten ( DÈRBITA , * DERBICA , * DERBICE ) cf. FEW 3: 46. 64 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="65"?> Galloromanischen weiterlebt 104 . Im Dolomitenladinischen heißt es zot, nach Gsell eine sekundäre Lautvariante von zop 105 . Auch die friaulischen Formen schließen sich diesem Subtypus an 106 . 2.2.2.6 Alpine Landwirtschaft Die Alphütte wird in ganz Romanischbünden mit einem lateinisch belegten 107 Worttypus bezeichnet, der auf ( AT ) TEGIA zurückgeht, eine vorromanische Basis, die meist als gallisch, von Battisti/ Alessio jedoch dem mediterranen Substrat zugehörig bezeichnet wird 108 : surs./ put. tegia, suts. tigia, tegia, surm. tigia, vall. teja. Auf der Karte „ la cascina di montagna “ des AIS (6: 1192) ist der Typus * TEGIA außerhalb Graubündens nur noch in Isolaccia (Punkt 209, Val di Dentro, Veltlin) vertreten: téa. Er ist jedoch in affinen Bedeutungen ( ‚ Wetterdach, Heuschober, Holzhütte etc. ‘ ) in einem weiten oberitalienischem Raum (Lombardei, Trentino, Veneto, Reggio-Emilia) 109 sowie im Zentralladinischen und Friaulischen präsent. Während im Friaul tiéze ‚ tettoia, costruzione rustica bassa, anche murata, ad uso di mettervi al coperto fieno, strumenti rurali od altro ‘ (P IRONA 1972 s. v.) den Typus * TEGIA repräsentiert, ist im Zentralladinischen eine Ableitung auf - ACEU vorherrschend: grödn./ gad./ buch. tiac ‚ Holzhütte ‘ , enneb. ciac ‚ Holzhütte, Schopf ‘ , fass. teac ‚ riparo, tettoia ‘ 110 . Im Friaul ist dieselbe Ableitung ebenfalls belegt: teàz ‚ tettoia ove si ricoverano le vacche in montagna ‘ 111 . Der vorromanische Stamm * MAL -, der ‚ Berg ‘ bedeutet, ist in einigen bündnerromanischen Wörtern von verschiedener Ausdehnung und verschiedener Vernetzung mit Nachbarmundarten erhalten. Surs./ suts. muletg, ‚ Lagerplatz (des Viehs bei Nacht), (fette) Alpweide ‘ ist eine Ableitung von * MAL mit dem Suffix - ICCU 112 . Noch enger auf die Surselva beschränkt ist das nach Bedeutung und Herkunft verwandte muladera ‚ Weide und Ruheplatz der Schafe auf den Alpen 113 . An * MAL - ‚ Berg ‘ knüpft auch surm./ eng. malgia ‚ Herde ‘ an. Dieser Worttypus ist nach Osten (Veltlin, Trentino, Dolomiten) und Süden (Tessin, Lombardei) 104 FEW 13: 347. Die Herleitung von it. zoppo aus CLOPPUS mit Einwirkung von zanca wird hier zurückgewiesen. 105 G SELL 1999: 251. 106 P IRONA 1972 zuèt ‚ zoppo ‘ , zoteâ, zuetâ ‚ andar zoppo, zoppicare ‘ . Cf. AIS 1: 191. 107 Juvenal 14: 196 attegia ‚ Erdhütte ‘ . 108 FEW 1: 167 s. attegia (gall.) ‚ hütte ‘ . DEI s. tèz ’ a ‚ tettoia, fienile ‘ . 109 Cf. REW 761. LSI 5: 457 s. técia 2 . AIS 6: 1192 a, 7: 1401 „ il fienile “ . 110 Cf. T AGLIAVINI 1934: 325s. G SELL 1992: 135. E LWERT 1943: 205 beurteilt fass. tiéja ‚ baita, fienile ‘ (das in den modernen Wörterbüchern nicht belegt ist) als eine Entlehnung aus trent. teza. 111 P IRONA 1972 s. teàz, für Casso und Vajont bezeugt. 112 Cf. J OKL 1946: 161s. und J UD 1946: 217s. HWR und D ECURTINS 2001 folgen Jud. Das Zitat aus einer Urkunde von Soglio 1387 bei D ECURTINS 2001 zeigt, daß der Worttypus früher eine weitere Ausdehnung hatte: „ usufruare et gaudere mulegium ipsius alpis “ . 113 Cf. HWR und D ECURTINS 2001 s. v. 65 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="66"?> weiter verbreitet. In der Bedeutung ‚ Herde ‘ (von Kühen, Schafen) findet sich malga, malgia auch in Südbünden und im Tessin 114 , ferner im Veltlin, im Chiavennasco und im westlichen Trentino 115 . Der östlichste Punkt mit dieser Bedeutung ist Cencenighe in der Provinz Belluno 116 . Eine größere Verbreitung hat malga in der Bedeutung ‚ Sennhütte ‘ . So erscheint das Wort sogar in den Wörterbüchern der italienischen Standardsprache, z. B. bei Zingarelli 117 . Auf der Karte „ la cascina di montagna - Sennhütte “ des AIS (6: 1192) ist der Typus jedoch nur gerade an drei Orten im Sulzberg und Nonsberg bezeugt 118 . Das erstaunt angesichts der Tatsache, daß das Wort im Dizionario etimologico grosino und in zahlreichen Wörterbüchern des Dolomitenladinischen in den Bedeutungen „ Sennhütte, Sennerei, Molkerei ‘ gut belegt ist 119 . Einige Ableitungen von malga weist die Karte „ il caciaio (margaro) - der Senn (Käser) “ des AIS (6: 1198) aus: in der östlichen Nachbarschaft von Trento und am Gardasee finden sich Formen wie malghér, malgár, malghés in der Bedeutung ‚ Senn, Käser ‘ 120 . Im Bündnerromanischen (und nur gerade hier) ist die Bezeichnung für ‚ Senn ‘ signun (S und E), sagnùn (suts.), signung (surm.), was auf einer gallischen Basis * SANIONE beruht 121 . Im Oberengadin ist sain, im Unterengadin und Münstertal sogn belegt 122 . Ins Gallische führt auch der Ursprung von Produkten aus der Alpwirtschaft. Für ‚ Rahm ‘ herrscht in ganz Romanischbünden der Typus groma (surs./ suts. groma, surm. gromma, put. gramma, vall. grom[m]a) von gall. CRAMA , das auch fr. crème zugrundeliegt. Der Typus ist auch in Südbünden und einigen Dialekten des Tessins belegt 123 , ferner im Piemont und sporadisch in Ligurien 124 . In den östlich 114 Cf. LSI 3: 265 s. malga. Für Bergell, Puschlav und einige Orte im Luganese bezeugt. 115 Cf. die Karten „ branco di pecore “ AIS 6: 1072 und „ mandra di vacche “ AIS 6: 1189. 116 AIS 6: 1072 und 6: 1189 Punkt 325. 117 Z INGARELLI 1966: malga ‚ costruzione rustica, parte murata e parte di legno, per temporanea dimora di persone e di bestie nelle praterie alpine ‘ . 118 An den Punkten 310 (Piazzola, Rabbi), 320 (Pejo) und 322 (Tuenno). 119 DEG s. malga ‚ alpeggio con caseificio ‘ , entsprechend die Wörterbücher für Fassa, Gadertal und Cortina d ’ Ampezzo. P IRONA 1972 verzeichnet màlghe ‚ alpe, pascolo alpino, malga ‘ , fügt jedoch bei: „ è voce d ’ importazione recente e più comunemente dicesi mont “ . Auch Kramer (EWD 4: 298 s.) hält malga im Dolomitenladinischen für aus dem Trentino entlehnt, da G vor A hier palatalisiert sein müßte. 120 Umgeschrieben in nicht-phonetische Schrift. Malghér 323 (Predazzo), malgár 332 (Faver) und 333 (Viarago), malghese 344 (Roncegno), malghés 343 (Volano), 248 (Limone), 259 (Toscolano), 360 (Albisano). 121 Cf. H UBSCHMIED 1936: 88 - 92; H UBSCHMID 1951: 23. 122 Cf. AIS 6: 1198. Warum HWR s. sain die Herkunft aus ahd. senno (oder Entlehnung aus dem Schweizerdeutschen oder Tirolischen) als wahrscheinlicher ansieht, sogn dagegen (in Übereinstimmung mit S CHORTA 1938: 24) von gall. * SANIO ableitet, ist mir nicht einsichtig. 123 Cf. LSI 2: 69 s. cram 1 und crama. 124 Cf. AIS 6: 1204 „ la panna “ . 66 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="67"?> an das Bündnerromanische angrenzenden Gebieten finden sich andere Worttypen (Entsprechungen von it. fiore, tela, panna). Dagegen beherrscht das ganze zentralladinische Gebiet, inklusive Comelico und Alto Agordino, der Typus brama, der mit dem gallischen CRAMA zusammenhängen dürfte. Im Friaul schließt sich ein Typus (s)brume an 125 . Ein weiteres Molkereiprodukt ist der Zieger. Aus der Karte „ la ricotta “ des AIS (6: 1219) ist ersichtlich, daß in ganz Romanischbünden der Typus tschagrun, tschigrun herrscht: surs. tschagrun, suts. tschagrùn, tschigrùn, surm. tschigrung, eng. tschigrun. Die Wörterbücher führen diese Formen auf ein gallisches * TSIGRONOS zurück. Der Ursprung des deutschen Zieger ist nach HWR das gallische * TSIGROS . Diesen Etymologien liegt eine Studie von H UBSCHMIED 1936 zugrunde, deren Resultate allerdings von P OKORNY 1948/ 49: 253s. in Frage gestellt werden. Auch K LUGE 1989, der zwar auf H UBSCHMIED 1936 verweist, bezeichnet die Herkunft des Alpenwortes Zieger als unklar. Erklärungsbedürftig ist die Lautung / t ʃ / in tschagrun, tschigrun. Sowohl germanisches als auch vorromanisches / ts/ erscheinen in Romanischbünden allgemein als / ts/ 126 . Der Worttypus begegnet außerhalb des rätoromanischen Gebiets auch in Teilen Südbündens und des Tessins, immer mit einem Anlaut / ts/ : zigher ‚ ricotta ‘ (mit lautlichen Varianten) ist in der Leventina, im Locarnese, Verzasca, Valle Maggia, Calanca und Lostallo bezeugt, zigra in gleicher Bedeutung in der Leventina, Riviera, Bellinzona und Locarno. Für Quinto (Leventina) verzeichnet das LSI zigaréta ‚ tipo di formaggio dolce e cremoso, preparato con latte di capra ‘ (LSI 5: 846 s.). Hubschmied hält diese Formen für Entlehnungen aus den Walser Mundarten 127 . Ebenso wird die Verbreitung von zigher, zigri etc. in den Dolomiten als eine Übernahme aus dem Tirolischen qualifiziert 128 . 2.2.2.7 Arbeit, Werkzeuge, Geräte Die Bezeichnungen für die Radfelge, surs. gavegl, eng. giavagl werden auf ein gallisches * GABILO mit Suffix - ICULU zurückgeführt 129 . Der Worttypus umfaßt über 125 T AGLIAVINI 1934: 85 folgt B ATTISTI 1922: 46s. in der Annahme, dolomitenlad. brama und friaul. (s)brume seien als Kreuzung von gall. CRAMA mit einem anderen vorromanischen Stamm aus den Ostalpen (* BRUMA ) zu erklären. Dieser Auffassung schließt sich auch Kramer EWD 1: 337 an. 126 Cf. L UTTA 1923: 167 (§ 147). Weder HWR noch D ECURTINS 2001 s. tschagrun äußern sich zum Problem. 127 H UBSCHMIED 1936: 94 N 1. 128 K RAMER 1981: 119. EWD 7: 378s. Auch T AGLIAVINI 1934: 346 vertritt diese Auffassung, gestützt auf B ATTISTI 1922: 220. 129 DRG 7: 219s., HWR, D ECURTINS 2001 s. gavegl. DEI s. gavello nimmt „ un tema mediterraneo * GABILO - ‚ curvo ‘“ an, das auch im Iberoromanischen (port. gavi-o ‚ parte curva della falce ‘ , galiz. gabilan ‚ falce ‘ ) vorkomme. Reflexe von gall. * GABILO verzeichnet FEW 4: 16 s. 67 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="68"?> das Bündnerromanische hinaus Südbünden und nördliche Tessiner Dialekte 130 , piemontesische und lombardische Mundarten sowie das Dolomitenladinische und das Friaulische 131 . Gallischer Ursprung wird vielfach auch für den Namen des Schlittens, surs. sliusa, suts. schlieusa, surm./ put. schliesa, vall. schliousa angenommen. Es geht um den größeren Fuhr- oder Handschlitten, im Unterschied zum kleinen Kinder- oder Sportschlitten (Rodel), der surs. scarsola heißt. HWR gibt als Etymon gall. * SLEUDIA an, D ECURTINS 2001 gall. * LEUDIA . Nach H UBSCHMIED 1938: 111 gehören diese Formen zu urkelt. * SLED - und * SLEUD - ‚ gleiten ‘ . Die Karte 1220 des AIS (vol. 6) „ la slitta/ Schlitten/ traîneau “ weist den Typus in weiten Gebieten Oberitaliens, im Dolomitenladinischen und im Friaulischen aus 132 . Angesichts dieser Verteilung stellt Johannes Kramer (EWD 4: 221 s.) die These einer gallischen Herkunft in Frage. Die starke Vitalität des Worttypus in einer Zone, wo eine gallische Präsenz eher gering ist (Zentral- und Ostalpen), läßt die gallische Herkunft als unwahrscheinlich erscheinen. Bei der unbestrittenen Zugehörigkeit des Typus zu idg. *( S ) L ( E ) IDH hält Kramer eine Übernahme aus einem (nicht näher spezifizierten) vorlateinischen Substrat ins Regionallateinische für wahrscheinlicher, eventuell in einer Form * SLODIA . Die Bedenken, die Kramer zum gallischen Ursprung von dl. liösa äußert, wären wohl auch im Fall von gavegl erwägenswert. 2.2.2.8 Verschiedenes Im Unterschied zu vielen der in den vorangehenden Abschnitten behandelten Wörter geht es hier nicht ausschließlich um Termini, die spezifisch mit der alpinen Lebenssituation verbunden sind, sondern auch um Elemente der Allgemeinsprache. Mit dem alpinen Lebensraum verbunden ist die Bezeichnung für den Fußpfad, surs. trutg, vall. truoi. Der Worttypus, der auf ein vorroman. * TROGIU zurückgeführt wird 133 , ist über das Bündnerromanische hinaus nach Süden und Osten verbreitet; 130 Cf. LSI 2: 642 s. gavéil und gavèll (Soglio, Losone, Vicosoprano, Bedretto). 131 Cf. AIS 6: 1230 „ la razza (il fuso) - Speiche “ , Legende „ Felge (quarto del cerchio della ruota) “ . Die dolomitenladinischen und friaulischen Wörterbücher bestätigen diese Daten. In der südlich an die Lombardei angrenzenden Emilia finden sich Formen, die * GABILO ohne Suffix fortsetzen (REW 3629, AIS 6: 1230). 132 Bestätigt durch die Wörterbücher des Dolomitenladinischen und des Friaulischen. Cf. EWD 4: 221. 133 Cf. J OKL 1945/ 46: 205 - 07, HWR und D ECURTINS 2001 s. trutg. Nicht überzeugend DEI s. tròzzo, der von einem griech. triódion ‚ Dreiweg ‘ ausgehen möchte. 68 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="69"?> er begegnet in den Bündner Südtälern und in tessinischen Mundarten 134 , im Veltlin 135 , im Trentino, den Dolomiten und im Friaul 136 . Die Pfütze heißt im Surselvischen pultaun, im Sutsilvan paltàn, pultàn, im Engadin pantan. Der Worttypus entspricht dem it. pantano, einer Ableitung von vorroman. * PALTA ‚ Schlamm, Sumpf ‘ . Sowohl Fortsetzer des Simplex (palta, pauta) als auch solche der Ableitung auf - ANU (pantano) sind in ganz Oberitalien sowie im Dolomitenladinischen und im Friaulischen in der Bedeutung ‚ Schlamm ‘ bezeugt 137 . Das Bündnerromanische hat für ‚ Schlamm ‘ andere Ausdrücke (lozza, büergia); pultaun, pantan bezeichnet hier ausschließlich die Pfütze 138 . Weiter oben (2.2.2.4, p. 60), im Zusammenhang mit dem Worttypus foppa, war vom gelegentlichen Vorkommen von zop, zup in der Bedeutung ‚ Pfütze ‘ in RB die Rede. Die vorromanische Basis * TSUPPO - ‚ Hanfröste ‘ , die hier zugrunde liegt, stellt auch den Ausgangspunkt für das allgemeinsprachlich geläufige Verb surs./ surm. zuppar, suts. zupar, put. zupper, vall. zoppar dar. Dieser Worttypus scheint auf das Bündnerromanische beschränkt zu sein. Einzig das Bergell weist ihn noch auf 139 . Weiter verbreitet ist der letzte Typus, der hier als Beispiel für das Weiterleben vorromanischen Wortgutes zur Sprache kommen soll: surs. mitschar, suts. mitschear, surm. mitschier, eng. mütschir/ mütschar ‚ entkommen, zur Seite gehen, Platz machen ‘ gehören zu einer gallo-lateinischen Basis * MUKIARE ‚ verstecken ‘ 140 . Afr. (soi) mucier ‚ (se) cacher ‘ , ait. mucciare ‚ fuggire ‘ sowie zahlreiche dialektale Belege aus Nord- und Mittelitalien bezeugen die Vitalität des Worttyps vor allem in der Vergangenheit. Im Bündnerromanischen und seiner unmittelbaren Nachbarschaft sowie in Teilen des Dolomitenladinischen ist er auch in der Gegenwart lebendig. LSI 3: 518 verzeichnet mücè ‚ uscire, scappare, fuggire ‘ für das Bergell, 5: 80 smüciá ‚ mucciare, scappare, fuggire; evitare, scansare ‘ für Poschiavo. Im AIS finden sich Spuren des Worttypus in verschiedenen Zusammenhängen. In einer Legende zu Karte 8: 1674 mit dem Titel „ Flieh! flieh! (fuggi! fuggi! ) “ ist er im Unterengadin (Pkt. 7 Ardez, Pkt. 9 Tschlin, Pkt. 19 Zernez) und im Münstertal 134 LSI 5: 629 s. s. tröcc. Nebst verschiedenen anderen Bedeutungen figuriert hier ‚ traccia, sentiero, soprattutto in montagna ‘ , bezeugt in Lodrino, Olivone, Osco, VMaggia, Intragna, Roveredo Grig., Breg., Posch. 135 DEG s. tröc ’ ‚ sentiero tortuoso ‘ . Die Aussage „ voce di larga diffusione alpina, dalla Spagna al Veneto “ berücksichtigt das Resultat von C OROMINES 1943: 564s. nicht, wonach span. trocha ‚ sentier ‘ vom alpinen Typus, der auf * TROGIU zurückgeht, zu trennen ist. 136 Cf. AIS 4: 845 „ il sentiero “ . Ganz spärliche Zeugnisse des Typus im Galloromanischen verzeichnet FEW 13/ 2: 314, nämlich nur gerade für Fiménil (Vosges) und La Baroche (Haut- Rhin). 137 Cf. AIS 4: 849 „ il fango “ . Zu * PALTA auch FEW 7: 522 s. und DEI s. palta. 138 Cf. AIS 4: 850 „ la pozzanghera “ . T AGLIAVINI 1934: 235 verzeichnet für Buchenstein unter pantan nebst der Bedeutung ‚ fango, melma ‘ auch ‚ pozzanghera ‘ . 139 Cf. AIS 4: 742 „ giocare a nascondersi “ Punkt 45 (Soglio), ferner LSI 5: 860 s. zopè. 140 Cf. FEW 6: 193ss., DEI s. mucciare, gefolgt von HWR und D ECURTINS 2001 s. mitschar. 69 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="70"?> (Pkt. 29 Santa Maria) belegt, ferner im Veltlin (Pkt. 209, Isolaccia, Val di Dentro) und im Dolomitenladinischen (Pkt. 312, Selva in Gardena). In der Karte 6: 1246, „ scansati (viene una vettura) “ erscheint der Worttypus mitschar/ mütschar in Graubünden nur gerade in Santa Maria, dazu wiederum in Isolaccia (209) und in Selva (312). AIS 2: 370 „ ripararsi dalla pioggia “ verzeichnet mucé a sosta einzig für Selva. Verschiedene Wörterbücher des Zentralladinischen bestätigen die Präsenz des Typus in den Dolomiten 141 . 2.2.2.9 Schluß Die hier besprochenen Worttypen, die auf vorromanische Etyma zurückgehen, beziehen sich meistens auf Verhältnisse der alpinen Lebenswelt, auf Tiere, Pflanzen, Geländeformen und die alpine Landwirtschaft. Einzelne bezeichnen Körperteile von Menschen und Tieren sowie physische Defekte, nur wenige gehören dem allgemeinen Sprachschatz an wie die Verben zuppar ‚ verbergen ‘ und mitschar ‚ entkommen, entwischen ‘ . Die geographische Verbreitung dieser Worttypen ist höchst unterschiedlich. Sie reicht von der Beschränkung auf das Bündnerromanische oder sogar nur auf Teilgebiete davon 142 von Fall zu Fall über größere Gebiete. Oft gehen Bergell und Puschlav mit Romanischbünden zusammen 143 , vielfach auch die weitere lombardische Nachbarschaft, einerseits die archaischeren Tessiner Dialekte, andererseits das Chiavennasco und das Veltlin 144 . Im Osten reicht der Zusammenhang in vielen Fällen über das Veltlin, das Nonsbergische und Sulzbergische ins Trentino, ins Dolomitenladinische und ins Friaulische 145 . Im Westen und Südwesten decken gewisse Typen auch frankoprovenzalische und piemontesische Dialekte ab 146 . Einige der besprochenen Typen finden sich südlich bis nach Ligurien oder in die Emilia/ Romagna belegt 147 . Gewisse Typen sind aber auch in größeren Teilen der Romania bezeugt, die weit über den Alpenraum hinausgehen 148 . Diese unterschiedliche geographische Vernetzung von lexikalischen Typen läßt sich nicht nur im Fall von Wörtern vorromanischen Ursprungs beobachten. In diesem Sektor des 141 So F ORNI 2002 für Gröden (mucé), V IDESOTT / P LANGG für Enneberg (mücé). Im Fassanischen findet sich die unpersönliche Wendung me mucia da, z. B. in der Verbindung me mucia da piscèr ‚ mi scappa la pipì ‘ (D ELLANTONIO T AJINA 1998; cf. D ELL ’ A NTONIO 1973, M AZZEL 1983). G SELL 1990: 130 äußert Zweifel am Zusammenhang dieses Ausdrucks mit grödn. mucé, was mir angesichts der lautlichen und semantischen Übereinstimmung nicht angebracht scheint. 142 Z. B. tschess oben p. 53, ruosna p. 61, muletg, muladera p. 65, signun/ sain p. 66. 143 Z. B. nuorsa p. 55, zop p. 64 s., 69, zuppar p. 69. 144 Z. B. frosla p. 52, dumiec p. 53, darvena p. 53. 145 Z. B. rieven p. 60s., grava p. 62s., sliusa p. 68, mitschar p. 69 s. 146 Z. B. ampa p. 52 s., mugia p. 55. 147 Z. B. péz p. 57 s., garlet p. 64. 148 Z. B. camutsch p. 54, crap p. 57, grava p. 62 s., groma p. 66s. 70 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="71"?> Lexikons ist jedoch das Festhalten alpiner Dialekte an archaischem Sprachgut besonders augenfällig. In zwei Fällen wurden eigene Lösungsansätze für umstrittene Etymologien vorgeschlagen: für tschanc (p. 55s.) und für foppa (p. 58ss.). 2.2.3 Lateinische Elemente 2.2.3.1 Allgemeines Die lateinischen Elemente machen den weitaus größten Anteil des bündnerromanischen Wortschatzes aus. Mehr als die lateinischen Elemente, die auch in allen oder vielen anderen romanischen Sprachen erhalten sind, interessieren uns vor allem diejenigen Worttypen, die nur im Bündnerromanischen oder hier und in benachbarten alpinen Sprachen, eventuell auch in weiteren Randregionen der Romania, weitergelebt haben. In solchen Fällen ist oft die Rede von einer „ besonderen Latinität “ Rätiens. Diese Formel darf sicher nicht so verstanden werden, daß das rätische Vulgärlatein sich von der lateinischen Sprache in anderen römischen Provinzen grundlegend unterschieden hätte. Vielmehr muß man annehmen, daß Rätien aufgrund seiner besonderen Geschichte eine eigene Auswahl aus den Elementen des lateinischen Sprachgutes getroffen hat. Diese Auswahl ist einerseits von der Bewahrung gewisser Elemente des in Rätien eingeführten Vulgärlateins, andererseits von einer eigenständigen Neubildung mit lateinischem Material geprägt. Im Folgenden werden die Worttypen, die eine besondere Latinität als Grundlage des Bündnerromanischen illustrieren, unter dem Gesichtspunkt der geographischen Verbreitung dargestellt. Dabei gehen wir von den heutigen Verhältnissen aus. Vielfach war ein bestimmter Worttypus im Mittelalter und teilweise bis vor wenigen Jahrzehnten noch weiter verbreitet als heute. Allerdings ist der Ausdruck „ heutige Verhältnisse “ mit einem Fragezeichen zu versehen. Unser Material beruht auf Wörterbüchern und auf dem AIS, Quellen, die zum Zeitpunkt ihres Erscheinens oft schon nicht mehr den aktuellen Sprachzustand wiedergeben. Im Folgenden werden unterschieden: 1. Typen, die ausschließlich im BR (oder in Teilen davon) belegt sind 149 (A). 2. Typen, die im BR und in benachbarten alpinromanischen Gebieten (lomb., dl., friul., trent., ven., piem., seltener frankoprov.) vorkommen (B). 3. Typen, die außer im BR auch in größeren Gebieten der Gallo- und Italoromania belegt sind (C). 149 Wo ein Typus außer im BR nur noch im Bergell belegt ist, wird er in dieser Sektion behandelt, da das Bergell in sprachhistorischer Sicht eine Übergangszone zwischen dem Rätoromanischen und dem Alpinlombardischen darstellt. Ähnlich das Puschlav. Auch wenn ein Typus über das BR hinaus nur hier bezeugt ist, wird er unter A behandelt. 71 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="72"?> 4. Typen, die auf das BR beschränkt sind, jedoch Entsprechungen in gewissen anderen Randzonen der Romania haben (rum., port., sard., südit. in verschiedenen Konstellationen; D). Ein zweiter Gesichtspunkt betrifft die Art der zugrundeliegenden Latinität. Hier wird unterschieden zwischen Basen, die in lateinischen Texten belegt sind, und solchen, die zwar lateinisch belegte Elemente enthalten, aber erst in romanischer Neubildung zum betreffenden Worttypus geführt haben (c). Innerhalb der lateinisch belegten Elemente wird zwischen älterer (klassischer) 150 und jüngerer (spätlateinischer) Latinität unterschieden (a und b). Aus der Kombination dieser beiden Gesichtspunkte, des geographischen und des chronologischen, ergeben sich die folgenden vier Typen: Aa, Ab, Ac Ba, Bb, Bc Ca, Cb, Cc Da, Db, Dc. Im konkreten Einzelfall ist die Abgrenzung dieser Kategorien nicht immer klar gegeben. So gibt es viele Fälle, in denen ein Worttypus über das Bündnerromanische hinaus sowohl in der erweiterten Nachbarschaft (C) als auch in gewissen Randregionen (D) vorkommt. Diesen Sonderfällen wird mit einer zusätzlichen Kategorie C/ D (a, b, c) Rechnung getragen. Völlig ausgegliedert aus der bis hier dargestellten Klassifizierung werden die nicht seltenen Fälle, in denen eine lateinische Basis zwar ausdrucksseitig fortlebt, auf der semantischen (inhaltlichen) Ebene jedoch eine auffällige Veränderung erfahren hat (cf. unten 2.2.3.7). 2.2.3.2 Worttypen, die auf das Bündnerromanische beschränkt sind Von den 45 Beispielen dieser Sektion in unserem Material 151 gehören die weitaus meisten dem Typus Ac an (38); nur gerade 5 Beispiele kommen auf Aa, 2 auf Ab. 150 Die Fälle, in denen ein in der klassischen Latinität belegter Worttypus zwar im BR fortlebt, aber nicht in erbwörtlicher Entwicklung zum heutigen Resultat geworden ist, sondern sich durch seine Lautgestalt als „ gelehrt “ , d. h. durch den Einfluß von Bildungssprache (Kirchensprache, Rechtssprache) geprägt erweist, werden mit entsprechendem Kommentar in der Sektion Aa behandelt (z. B. cudisch). 151 Eine statistische Relevanz hat diese Auswahl nicht, da sie aus den Frequenzwörterbüchern des Surselvischen und des Engadinischen, die ihrerseits auch keine klar definierten Kriterien der Auswahl benennen, im Hinblick auf sprachgeographisch und sprachhistorisch Interessantes (d. h. im Rahmen der Gesamtromania Auffälliges) getroffen wurde. 72 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="73"?> 2.2.3.2.1 Alte Latinität Aa - calonda f. ‚ Erster des Monats ‘ So S, suts. (neben calànda), surm.; put. chalanda, vall. chalenda, chalonda. < CALANDAE (seit augusteischer Zeit belegt neben CALENDAE ) ‚ erster Tag des Monats ‘ . Es scheint, daß sich die Form CALANDAE einzig im BR fortsetzt 152 . Nachfolger von CALENDAE sind dagegen in ganz Italien und im Provenzalischen belegt (REW 1508). Im Galloromanischen lebt CALENDAE in einem geschlossenen ostfranzösischen Gebiet, das sich vom Frankoprovenzalischen rhoneabwärts bis ans Meer erstreckt, in der Bedeutung ‚ Weihnachten ‘ fort (FEW 2: 81 s. J UD 1973: 232s.). Im Tessin und in benachbarten alpinlomb. Gebieten findet sich eine m. Form calénd (LSI 1: 590s. AIS 2: 315 cp.). - cudisch m. ‚ Buch ‘ Lat. CODEX , - ICIS bedeutet schon in der klassischen Antike außer ‚ Baumstamm, Block ‘ auch ‚ Buch ‘ . In dieser Bedeutung lebt der Worttypus ausschließlich im Bündnerromanischen, und zwar auf dem ganzen Gebiet, weiter (surs. cudisch, suts. cudesch, surm. codesch, eng. cudesch). In anderen romanischen Sprachen setzt sich LIBER fort. Allerdings ist die Entwicklung von CODICEM zu cudisch nicht erbwörtlich. Die Erhaltung von -dweist auf einen Einfluß der Kirchen- oder Rechtssprache hin, gegenüber surs. cusch ‚ Wurzelstock, Baumstrunk ‘ , das ebenfalls auf CODICEM beruht 153 . - mellen adj. ‚ gelb ‘ Der Worttypus herrscht im größten Teil von RB. Nur das Unterengadin hat für ‚ gelb ‘ gelg, das nach S CHMID 1958 auf mhd. GËLW beruht. Sowohl HWR als auch D ECURTINS 2001 geben für mellen die Basis MELINUS ‚ quittengelb ‘ an. Diese Etymologie ist nicht unumstritten. Ascoli, Meyer-Lübke und andere möchten vielmehr an MEL ‚ Honig ‘ anknüpfen 154 . Außerhalb des BR weist einzig das Sardische eine Parallele auf: mélinu ‚ fahl, falb ‘ , als Pferdefarbe, nicht jedoch als Farbbezeichung für ‚ gelb ‘ . - patertgar ‚ (nach)denken ‘ Der Worttypus ist auf S und C beschränkt. Das Engadin hat pensar, -er. Im Surmeir koexistieren pansar und patartger. Die lateinische Basis PERTRACTARE hat nebst der konkreten Grundbedeutung ‚ betasten, befühlen ‘ die übertragene Bedeutung ‚ durchdenken, untersuchen ‘ . Die im Mittellateinischen belegten Bedeutungen 152 Einzig Antronapiano (Pkt. 115 des AIS, AIS 2: 315 cp.) weist mit calon auf CALANDAE hin. 153 DRG 4: 322. 154 Cf. L IVER 1980. 73 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="74"?> legen die Vermutung nahe, der Ursprung der Generalisierung von ‚ durchdenken ‘ zu ‚ denken ‘ schlechthin sei in der Rechtssprache zu suchen 155 . - quescher ‚ schweigen ‘ Fast nur surselvisch. Laut D ECURTINS 2001 auch Trin, nach HWR Domat far quescher ‚ zum Schweigen bringen ‘ . Daß der Typus, der auf lat. QUIESCERE zurückgeht, über das Surselvische hinausreicht, zeigt die weitere Verbreitung des Faktitivums cuschentar, suts./ surm. cuschantar ‚ beschwichtigen, zum Schweigen bringen ‘ 156 . Für ‚ schweigen ‘ herrschen außerhalb der Surselva Reflexe von TACERE (suts. tascher, surm. tascheir, eng. taschair). - siglir ‚ springen ‘ In ganz RB leben die Nachfolger von lat. SALIRE (surs. siglir, suts. und E saglir, surm. sagleir) in der ursprünglichen Bedeutung ‚ springen ‘ weiter, während in den anderen romanischen Sprachen überall eine Bedeutungsveränderung eingetreten ist. In mittelalterlichen Belegen (agenov., afr., aspan.) findet sich noch gelegentlich die Bedeutung ‚ springen ‘ (FEW 11: 97). 2.2.3.2.2 Späte Latinität Ab - suenter präp. und adv. ‚ nach; nachher; gemäß; entlang ‘ Heute nur S und C (AIS 5: 945). Im Altengadinischen ist jedoch dsuainter, suainter, seguainter belegt (HWR s. v.). Heute herrscht in Eo. zieva, in Eb. davo. Die Basis SEQUENTER ist lateinisch seit dem 6. Jh. belegt (FEW 11: 487). Der Typus ist für das Mittelalter auch im Galloromanischen, Oberitalienischen und Friaulischen bezeugt (ibid.). - zenn m. ‚ Turmglocke ‘ Streng genommen müßte dieser Worttypus unter C behandelt werden, da einige seiner Repräsentanten im Galloromanischen fortleben (FEW 11: 609). Allerdings handelt es sich dabei um wenige Relikte, während andererseits der Worttypus im gesamten Bündnerromanischen präsent ist, das sich damit deutlich von den Nachbargebieten abhebt, wo der Typus CAMPANA herrscht (wie heute mehrheitlich in Italien), in den westlichen Teilen Oberitaliens (Piemont und Ligurien) gelegentlich CLOCCA , wie heute in Frankreich. 155 Cf. N IERMEYER s. v. 156 DRG 4: 595. 74 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="75"?> 2.2.3.2.3 Romanische Neubildungen Ac Von den 39 Beispielen dieser Kategorie ist die größte Gruppe (14) im gesamten BR lebendig. Es folgt eine wenig kleinere Gruppe (9), die in S und C vertreten ist. 6 Worttypen finden sich außer im Sursilvan auch im Sutsilvan, je einer im Sursilvan und im Surmiran, im Engadin und in C, im S, Sutsilvan und Vallader, einer im Sursilvan allein. 6 Typen, deren etymologische Erklärung unsicher ist, behandeln wir gesondert. 2.2.3.2.3.1 Gesamtbündnerromanisch - derasar ‚ verbreiten, ausstrahlen ‘ DRG 5: 166 < de + rasar (gleiche Bedeutung) < * RASARE , Intensivum zu RADERE . Neben rasar ist in ganz RB auch das Adj. ras ‚ voll gestrichen ‘ < RASUS lebendig. HWR leitet rasar davon ab. Es ist jedoch kaum nachzuweisen, daß die eine oder die andere Form primär wäre. * RASARE nimmt auch im Galloromanischen verschiedene neue Bedeutungen an, jedoch nicht die im BR geltende (FEW 10: 78 s.). - dustar ‚ (ab)wehren ‘ DRG 5: 529 < DE + OBSTARE . Fortsetzer von OBSTARE sind im Galloromanischen erhalten (FEW 7: 287 s.). Im Italienischen sind sie gelehrt (DEI s. ostare). Im Altengadinischen sind ebenfalls Reflexe des Simplex belegt: ustaar, huster, vstaer, ustar (HWR s. dustar). DE + OBSTARE ist auch im Galloromanischen vertreten, allerdings in der Bedeutung ‚ enlever ‘ (FEW 7: 288). Fortsetzer von RE + OBSTARE sind im Galloromanischen und im Alpinlombardischen erhalten, dort in der Bedeutung ‚ abwehren ‘ , wie dustar im BR (FEW loc.cit., LSI 4: 439 s. rostá), wo jedoch dieser Typus fehlt. - encarden m. ‚ Winkel, Ecke, Nische ‘ Surs. encarden m., encarna f., suts. antgearna, put. lincharna. DRG 5: 601 und HWR geben INCARDO als Etymon, was nicht belegt ist. Richtiger D ECURTINS 2001, Zusammensetzung aus IN + CARDO , resp. CARDINE . Die Bedeutungsentwicklung von ‚ Türangel ‘ zu ‚ Winkel ‘ ist nachvollziehbar; cf. fr. carne ‚ coin, angle saillant d ’ un objet ‘ (FEW 2: 367). Das Simplex CARDO lebt weiter in vall. charna ‚ enge Gasse zwischen zwei Häusern ‘ und in Toponymen (DRG 5: 600 s.). - envidar ‚ anzünden ‘ Surs. envidar, C anvidar, vidar, put. invüder, ivider (neben häufigerem impizzer), vall. invüdar, vüdar. Der Typus envidar, invüdar ist eine parasynthetische Ableitung von lat. VITA mit dem Präfix IN und dem Suffix - ARE . Er scheint auf das BR beschränkt zu sein. In der Galloromania und in Oberitalien findet sich, in gleicher Bedeutung, der Typus AD + VITA +- ARE (FEW 14: 542; DRG 9: 783). DRG loc. cit. läßt offen, ob die Formen des Typus vidar, vüdar direkte Ableitungn von VITA oder eher eine sekundäre Reduktion des Parasynthetikums darstellen. Die Präsenz des 75 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="76"?> Typus * VITARE in archaischen alpinlombardischen Mundarten (vidá Cauco, Poschiavo, vidè SottoP., vidèr SopraP.), wo der parasynthetische Typus fehlt, spricht eher für die erste Hypothese. Im übrigen herrscht im Oberitalienischen, Dolomitenladinischen und Friaulischen vorwiegend ein Typus, der eng. impizzar entspricht, das mit invüdar konkurrenziert (AIS 5: 911 „ accendere “ ). - lagugn m. ‚ Versteck ‘ Auch: ‚ Fundstelle (von Beeren, Pilzen etc.) ‘ . So surs., suts.; surm. lavogl. DRG 10: 651ss. figuriert der Typus unter eng. lavuogn, was aber in dieser Form nirgends ausgewiesen ist 157 . Der Anschluß an LOCARE ist evident, sei es mittels eines Suffixes - ONIUM oder als Ableitung der romanischen Form lugar, lovar mittels -ugn, -uogn < - ONIUM . Außerhalb von RB ist der Typus nicht belegt. - marvegl adv. ‚ früh, frühmorgens ‘ So S und C, E mamvagl. Nach HWR und D ECURTINS 2001 von MANE + VIGIL - ( VIGILARE ). Wie ist das zweite Element zu interpretieren? Eine wie auch immer von VIGILARE abgeleitete Verbform als zweites Glied eines Kompositums wäre mehr als ungewöhnlich. Warum sollte es sich nicht um das Adj. VIGIL handeln? Das suggeriert auch L UTTA 1923: 300, wie schon A SCOLI 1873: 66 N 1. Ob wirklich die aeng. bezeugte Form manduailg (HWR), die auf eine Fügung MANE + DE + VIGIL hinweist, der Ursprung von marvegl, mamvagl ist, wo DE sekundär geschwunden wäre (so HWR), bleibt fraglich. Bifrun (Mc. 16: 2) hat übrigens malvalg (Luci Gabriel an derselben Stelle marvelg), eine weitere Variante der konsonantischen Entwicklungen aus dem Zusammentreffen von N und V 158 . - memia adv. ‚ zuviel ‘ Außer Eb. (massa) hat ganz RB diesen Typus, der sich von NIMIA , n.pl. von NIMIUS , herleitet 159 . Der Anlaut ist durch Fernassimilation entstanden. Das Unterengadin schließt sich mit massa einem Typus an, der in der oberitalienischen östlichen Nachbarschaft (Veltlin, Trentino) sowie im DL und FR (gelegentlich neben trop) vertreten ist (AIS 5: 943). - neu adv. ‚ her, herüber, hierher ‘ Surs. neu, suts. nà, surm./ put. no, vall. nan. Allen Formen liegt eine Basis IN + HAC zugrunde, vall. nan IN + HAC + IN . Ungeklärt ist -u in surs. neu, wie auch in leu, cheu, tscheu. Vielleicht ist von IBI auszugehen (cf. DRG 10: 249). Auch dieser Worttyp ist auf das BR beschränkt (cf. AIS 8: 1609 „ venite qui! “ ). 157 Sowohl DRG loc.cit. aus auch HWR s. lagugn geben navuogl für Susch und Ftan, nivogl für Ramosch. 158 HWR spricht von einer Entwicklung von N < r vor Bilabial, vergleichbar mit olma, orma < ANIMA und armal < ANIMAL . Im Falle von marvegl, mamvagl ist jedoch der folgende Konsonant nicht bilabial, sondern labiodental. Cf. E ICHENHOFER 1999: 427 (§ 638a). 159 So FEW 7: 143. Der Asterisk in HWR und D ECURTUNS 2001 ist überflüssig. 76 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="77"?> - ranver m. ‚ Geizhals; geizig, knauserig ‘ Abl. von RENOVARE mit - ARIUS , in ganz RB präsent, in E neben avar und weiteren Synonymen. Die Bedeutungsentwicklung läuft über ‚ Wucherer ‘ . D ECURTINS 2001 bezeichnet die Bed. ‚ Wucherer ‘ für ranver als veraltet. RENOVARE hat schon lateinisch auch die Bedeutung ‚ Zins auf Zins rechnen ‘ , RENOVATIO ‚ Zinserneuerung ‘ . Reflexe von * RENOVARIUS ‚ Wucherer ‘ finden sich im Galloromanischen und Spanischen (FEW 10: 257). AIS 4: 711 „ avaro “ weist den Typus ranver ausschließlich in RB nach. Aus der gleichen Karte wird ersichtlich, daß punktuell in Italien ein Typus usurario die Bedeutung ‚ avaro ‘ aufweist (Punkte 420, 454, 522, 532, 548). - rudien, in der adv. Verbindung da rudien ‚ gründlich ‘ S; surm. radagn, radaint, da r. ‚ dem Boden nahe ‘ , tagler giu igls tgavels da r. ‚ die Haare kurz scheren ‘ ; eng. ardaint adj. ‚ nahe ‘ . < * RETENTUM ( RADENTEM , gekreuzt mit ROTUNDUM ). Cf. DRG 1: 380 s. ardaint II. Direkte Fortsetzer von RADENTEM (cf. it. radente, rasente) sind dagegen in Oberitalien geläufig. Cf. LSI 1: 113 s. arént, prep., avv. e agg.inv. und AIS 2: 353 „ accanto “ . - sfarfatg adj. ‚ ungezogen, unartig ‘ So S und C, E sfarfat. < FORIS / FORAS + FACTUM mit Intensivpräfix ʃ -. Im Spätlatein scheinen die Adverbien FORIS / FORAS zusehends Präfixstatus anzunehmen (S TOTZ 2000: 408). Afr. forfaire, forfait, ait. forfare, forfatto sind als rechtssprachliche Termini in der Bedeutung ‚ Unrecht tun, Missetat ‘ geläufig (FEW 3: 351, DEI s. forfare). Afr. forfait, aprov. forfach ‚ qui a commis un crime ‘ sind als Ausgangspunkt für die einzig im BR lebendige Bedeutung ‚ ungezogen ‘ einleuchtend. Vergleichbar ist höchstens Gren. forfat ‚ étonnant, surprenant ‘ (FEW 3: 351). - spir adj. und adv. ‚ rein, lauter ‘ So S und C, E (s)pür. < PURE mit Intensivpräfix ʃ -. Eine Ableitung von PURUS / PURE , aber mit Suffix, ist auch gad. porí ‚ bloß, lauter ‘ (G SELL 1994: 332 s.). - stemprau m. ‚ Sturm, Unwetter ‘ S und Surm. (stampro) auch Adj. ‚ stürmisch ‘ , suts./ put. stampro, vall. stamprà nur Adj. < TEMPERATUM + Negativpräfix ʃ -. Cf. afr. destamprer ‚ amollir, délayer dans un liquide ‘ , Dol. (Westfr.) détrempe ‚ pluie abondante ‘ (FEW 13: 172 s.). - stuer ‚ müssen ‘ So S und suts., surm. stueir, E stuvair (stuair, stair). < * ESTOPERE , von * ESTOPET , einem in Analogie zu anderen unpersönlichen Ausdrücken wie DECET umgeformten EST OPUS ‚ es ist notwendig ‘ (so HWR s. stuer). Cf. afr. estuet ‚ il faut ‘ und Entsprechungen im ma. Oit. (FEW 7: 381). Ausführlich behandelt J UD 1946/ 47 (VRom. 9: 29 - 56) die Geschichte von stuer. Die Formen aus dem Bergell und dem Puschlav, die er aus älterer Literatur zitiert, finden sich allerdings in AIS 2: 351 und 7: 1391 „ bisogna “ nicht bestätigt, was wohl bedeutet, daß sie zur Zeit der AIS- Aufnahmen nicht mehr gebräuchlich waren. 77 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="78"?> 2.2.3.2.3.2 Auf Teile des Bündnerromanischen beschränkt S/ C - empalar ‚ leiten, lenken ‘ So S, suts. ampalar und palar, letzteres auch surm. Nach den etymologischen Wörterbüchern von lat. IMPELLERE mit Konjugationswechsel, verursacht durch das bedeutungsverwandte menar. Die Etymologie ist von der Semantik her nicht unbedingt überzeugend: ‚ antreiben ‘ und ‚ leiten, lenken ‘ sind doch zwei verschiedene Dinge. REW 6182 stellt obwald. (am)palar ‚ ein Gespann Rinder bei der Deichsel führen ‘ zu PALUS ‚ Pfahl ‘ , dagegen obwald. empelá, das doch wohl mit (am) palar identisch ist, unter 4299 zu IMPELLERE ! Einwirkungen von pal auf gewisse Formen des Verbs zieht auch HWR in Betracht. Man kann sich fragen, ob nicht ein von PALUS abgeleitetes Parasynthetikum * IMPALARE der Herleitung von IMPELLERE vorzuziehen sei. Cf. RF 11: 463. - fueina f. ‚ Feuerstelle ‘ So S; suts. fuina, fugna ‚ Feuerstelle ‘ , surm. fugna ‚ Mulde; schmales, längliches Tälchen, Rinne (im Gelände); offene Feuerstelle ‘ . Nach HWR < lat. * FÓDINA , DRG 6: 653 und D ECURTINS 2001 < FODINA ohne Akzentbezeichnung. Klass. lat. ist FODÍNA bezeugt, das sich in den gelehrten Formen it. fodina, mfr. fodine fortsetzt. Die br. Formen verlangen jedoch eindeutig eine anlautbetonte Basis. Ortsnamenbelege aus S und C, zudem eine Ableitung in E (Punt Plaun Fugnun) bezeugen den Worttypus für das BR (RN 2: 143). Nach AIS 5: 391 „ il focolare “ geht er (wenigstens in der Bedeutung ‚ Feuerstelle ‘ ) nicht darüber hinaus. - lamegl m. ‚ Docht ‘ So S und suts., dort auch limegl, suts./ surm. glimegl. Die von einigen Wbb. angegebenen engadinischen Entsprechungen sind dialektal nicht belegt (in E gilt pavagl). Nach DRG 10: 380 < * LUMILIUM , dissimiliert aus LUMINIUM (in Glossen belegt; FEW 3: 215). HWR und D ECURTINS 2001 stellen dieses zu LUMEN , was nur insofern richtig ist, als LUMEN die Latinisierung von griech. ellychnium zu LUMINIUM beeinflußt hat (cf. die franz. Abl. lumignon), wie andererseits auch LUX , LUCIS die Variante LUCINIUM (cf. die it. Abl. lucignolo). Cf. FEW 3: 215s. Der Typus * LUMILIUM ist nur im BR (S und C) lebendig. Cf. AIS 5: 908 „ il lucignolo “ . - liua f. ‚ Halszäpfchen ‘ S und suts. 160 , surm. liva. < UVA , mit agglutiniertem Artikel. Die galloromanischen Formen, die ebenfalls UVA fortsetzen, bedeuten mit Ausnahme von prov. nuva 160 Das Pledari sutsilvan 2002 hat für ‚ Halszäpfchen ‘ nur gargliot, ebenso M ANI 1977, nebst lieunga digl culiez. HWR verzeichnet jedoch für Veulden leua, E BNETER 1981 für Vaz liua. 78 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="79"?> ‚ luette ‘ immer ‚ raisin ‘ (FEW 14: 90). Das Engadin hat ügla wie it. ugola < UVOLA . So auch teilweise in der norditalienischen Nachbarschaft 161 . Cf. AIS 1: 111 „ l ’ ugola “ . - migliac m. ‚ Haufen ‘ So S, suts. migliatg, Tuml magliac. HWR verzeichnet außer für Scharans auch für Vaz, Casti, Lantsch magliac. S ONDER / G RISCH 1970 weist jedoch unter ‚ Haufen ‘ nichts Entsprechendes auf; magliac ‚ gekochtes Hühnerfutter ‘ gehört sicher nicht hierhin, sondern zu maglier ‚ essen, fressen ‘ . Allerdings verzeichnet E BNETER 1981, wo unter ‚ Haufen ‘ auch nichts Einschlägiges erscheint, die Redensart (star) an in magliac ‚ zusammengekauert hocken ‘ , was surs. star a migliac in gleicher Bedeutung entspricht. HWR s. v. bezeichnet die Herkunft von migliac als „ ungeklärt “ . Die sowohl hier als auch bei D ECURTINS 2001 als möglich bezeichnete Herleitung von lat. MUTULUS ‚ Sparrenkopf, Kragstein ‘ mit dem Suffix -ac < - ACCUM ist jedoch wahrscheinlich. MUTULUS liegt it. mucchio sowie eng. mügl ‚ Haufen von vier bis acht Garben auf dem Acker ‘ zugrunde. Der Worttypus ist auch dlad. (grödn. mudl, gad. müdl) und oit. in einem weiten Rahmen. Cf. AIS 7: 1399 „ il mucchio di fieno “ , ferner galloromanisch (FEW 6: 307ss.). - pitgogna f. ‚ steile, grasarme Halde ‘ S und suts., surm. pizzogna. Auch ‚ steilesWegstück ‘ wird als Bedeutung angegeben. < PUNCTUM ‚ Stich ‘ + - ANEA . Dieser spezifische Ableitungstypus scheint auf das Bündnerromanische (S und C) beschränkt zu sein. Andere Ableitungen derselben Basis sind jedoch im Dolomitenladinischen und Trientinischen belegt: trient. pontara ‚ Steigung ‘ (REW 6847), grödn. punton ‚ Steigung ‘ (F ORNI 2002), bad. puntun ‚ steile Wegstrekke ‘ (M ISCHÍ 2000), mar. pontun ‚ steile Wegstrecke, Stutz, Steilstück ‘ (V IDESOTT / P LANGG 1998; hier auch als veraltet punt ‚ Steilstelle, Stutz, Weg ‘ ), fass. pontaa ‚ erta, discesa ‘ (D ELLANTONIO T AJINA 1998). Cf. auch G SELL 1990: 158 s., wo ein Hinweis auf die br. Parallelen fehlt. Stich in gleicher Bedeutung ist auch im Tirol (G SELL loc. cit.) und im Schweizerdeutschen (Schw. Id. 10,1297 s.) geläufig. Für Reflexe in der Toponomastik cf. RN 2: 274. - puspei adv. ‚ wieder ‘ S und suts., surm. puspe. E darcheu, darcho (DRG 5: 87 s.). Die etymologischen Wörterbücher sind sich einig, daß POST + PEDE zugrunde liegt. Während HWR feststellt, die Bedeutungsentwicklung bleibe noch abzuklären, zieht D ECURTINS 2001 ein Syntagma PEDE POST PEDE ‚ ein Schritt nach dem andern, immer wieder, von neuem ‘ in Betracht. Das könnte eine mögliche Basis sein, aber angesichts der Tatsache, daß Syntagmen mit PES in veschiedenen Sprachen die Zeitdimension ausdrücken, genügt vielleicht auch einfaches POST 161 DEG ùdula. 79 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="80"?> PEDEM . Cf. it. su due piedi ‚ subito, all ’ improvviso ‘ , afr. pied chaut ‚ aussitôt ‘ , mfr. nfr. pied à pied ‚ pas à pas, peu à peu, tout de suite ‘ , béarn. ta-pè ‚ aussitôt ‘ (FEW 8: 294) 162 , dt. auf dem Fuße ‚ sofort ‘ . - scantschala f. ‚ Kanzel ‘ So S, suts. scantscheala (neben tgànzla), surm. scantschela. E chanzla. HWR bezeichnet die Etymologie von scantschala als ungeklärt (wegen der Dialektform Tuj. scanziala und anlautendem ʃ ), zieht jedoch wie D ECURTINS 2001 eine Basis * CANCELLA (zu CANCELLI , - ORUM ) in Betracht. Es ist anzunehmen, daß zum ursprünglichen Plurale tantum CANCELLI neben einem sg. CANCELLUS m. auch ein n. CANCELLUM gebildet wurde, von dem dann über den pl. CANCELLA ein sf. entstand. Dieses dürfte auch ahd. kanzella, dt. Kanzel zugrundeliegen, das in der dialektalen Form chanzla im Engadin und in Mittelbünden entlehnt wurde (DRG 3: 312 s.). Für ‚ Kanzel ‘ (in der Kirche) hat die unmittelbare Nachbarschaft von RB außer dem Bergell (canzla) durchweg den it. Typus pulpito (AIS 4: 783 cp. Einzig Selva in Gröden hat auch canssla). Im Tessin sind Fortsetzer von CANCELLU in verschiedenen Bedeutungen ( ‚ Gitter ‘ , ‚ Verschlag ‘ etc.), aber nicht als ‚ Kanzel ‘ belegt (LSI 1: 639 s.). Cf. unten p. 195. - sez Identifikator ‚ selbst ‘ S und C < SE + IPSUM , E svess < SIBI + IPSUM . In der ganzen Romania drücken unterschiedliche Zusammensetzungen mit IPSE die Inhalte aus, die lateinisch IPSE ‚ selbst ‘ und IDEM ‚ derselbe ‘ abdeckten. Während im Französischen, Italienischen und Spanischen jeweils der gleiche Ausdruck sowohl den Modifikator eines Personalpronomens, eines Substantivs oder eines Personennamens (lui-même, lui stesso, el mismo) als auch denjenigen des Artikels (la même chose, la stessa cosa, la misma cosa) repräsentiert, hat das Bündnerromanische unterschiedliche Ausdrücke für die beiden Funktionen: S und C sez, E svess für ‚ selbst ‘ , S und E medem, C madem für ‚ derselbe ‘ . In E ist für ‚ derselbe ‘ auch listess geläufig, ferner stess für beide Funktionen (Verstärkung des Pronomens/ Nomens und Verstärkung des Artikels) 163 . Im Surselvischen ist der Modifikator ‚ selbst ‘ , der zum Subjektspronomen tritt, nach den Personen des Kommunikationsaktes differenziert: jeu mez/ mezza (< ME ISPSUM / ISPAM ), ti tez/ tezza (< TE IPSUM / IPSAM ), el sez/ sezza (< SE IPSUM / IPSAM ). Im Plural hat sich die Form der 3. Person (sez) auch auf die 1. und 2. Person ausgedehnt: nus sezs/ sezzas, vus sezs/ sezzas, wie els sezs/ ellas sezzas. Diese Generalisierung (die z. B. beim Reflexivpronomen längst vollzogen ist 164 ) greift in 162 Nach P ALAY 1980 eine Kurzform zu autâ-pè, wobei autâ fr. autant entspricht. 163 Ähnlich wie im BR sind die Verhältnisse im nördlichen DL: Grödn. nstës, gad. instës für die Verstärkung des Pronomens/ Nomens, grödn. medem, gad. medemo für die des Artikels. Dagegen scheinen im Fassanischen stess und medemo synonym zu sein und je für beide Funktionen verwendbar, wie it. stesso und medesimo. 164 Cf. L IVER 2010: 140s. 80 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="81"?> neuerer Zeit auch auf die 1. und 2. Person sg. über: jeu sez statt jeu mez, ti sez statt ti tez 165 . Wenn das Reflexivum in obliquer Funktion (Nicht-Subjekt) auftritt, werden mei, tei, sei geläufig durch den Identifikator mez, tez, sez verstärkt, wobei sich mei zu me-, tei zu te-, sei zu sereduziert: memez, tetez, sesez 166 . Auch das Engadin kennt (oder kannte wenigstens in der Vergangenheit) neben invariablem svess(a) die formale Differenzierung nach Personen. G ANZONI 1977: 69 verzeichnet für das Puter neben que fatsch eau svessa (svess) auch que fatsch eau amvessa, que fest tü atvessa, que fo el/ ella asvessa etc., mit dem nach Person flektierten Reflexivum als erstem Bestandteil von -vessa. Es ist jedoch fraglich, ob diese Formen noch dem lebendigen Sprachgebrauch angehören. Im Unterengadin jedenfalls fehlen sie. S/ sutsilvan - amogna v. a. in den verbalen Verbindungen far/ haver amogna ‚ anbieten ‘ . Auch sm., seltener f. ‚ Anerbieten, Angebot ‘ . Der Eintrag amogna im surmeirischen Wb. von S ONDER / G RISCH 1970 wird weder von DRG 1: 242 noch von HWR bestätigt, wo einzig Trin mugna und Lon mogna für die Sutselva angeführt werden. M ANI 1977 und E ICHENHOFER 2002 verzeichnen für die Sutselva amogna (M ANI m./ f., E ICHENHOFER f.). Die etymologischen Wörterbücher (DRG, HWR, D ECURTINS 2001) erklären amogna als regressive Ableitung * ADMONIA von ADMONERE . Diese (mögliche) Erklärung erscheint mir aus zwei Gründen nicht gesichert. Erstens lebt ADMONERE im BR nicht weiter 167 und zweitens sind viele der dialektalen Formen m., so C 7 (Heinzenberg), C 84 (Pasqual) amogn, S 60 (Schlans) mogni. Es wäre auch möglich, daß ein vlat. n. * ADMONIUM , n.pl. * ADMONIA (das dann ins f. übergehen konnte) zugrunde liegt. - encurir ‚ suchen ‘ So S, suts. ancurir. Die Herkunft von QUAERERE mit Präfix IN - und Übergang in die 4. Konjugation (- IRE ) steht fest. QUAERERE lebt vielerorts in der Romania weiter, aber nur teilweise in der Bedeutung ‚ suchen ‘ . Außer in afr. und kat. querre bedeuten Fortsetzer von QUAERERE ‚ suchen ‘ auch im Aoit., DL., Comelico, FR. Im DL und FR hat wie im BR ein Übergang in die 4. Konjugation (* QUAERIRE ) stattgefunden (EWD 2: 114 s. chirì, T AGLIAVINI 1934: 165). Heute herrschen in E und Surmeir, wie in vielen Teilen der Romania, für ‚ suchen ‘ Nachfahren von CIRCARE . Altengadinische Belege bezeugen jedoch, daß 165 Cf. L IVER 2010: 140s. 166 Beispiele L IVER 2010: 140. 167 DRG 1: 101 admonir ist offensichtlich gelehrt, was jedoch dort nicht gesagt wird. It. ammonire scheint der einzige Reflex von ADMONERE in der Romania zu sein, mit Wechsel der Konjugationsklasse (REW 179). 81 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="82"?> der Typus *( IN ) QUAERIRE ursprünglich in ganz RB verbreitet war (DRG 5: 603 s., 606). - enzerdar ‚ zetten ‘ (gemähtes Gras, Heu ausbreiten) So S, suts. anzardar. Nach DRG 5: 638, HWR und D ECURTINS 2001 von * INSERITARE (zu SERERE , SERTUM ). Die Bedeutungsentwicklung von ‚ einfügen ‘ zu ‚ in Reihen/ Haufen anordnen) ‘ ist nachvollziehbar. Nach AIS 7: 1395 „ spandere (il fieno) “ ist der Worttypus auf die genannten Teile des BR beschränkt. - falien m. ‚ Spinne ‘ S falien, suts. filiant, falient. Die von HWR und D ECURTINS 2001 vertretene Ableitung von FILARE mit dem Suffix - ENTUM ist der Erklärung von DRG 6: 49 vorzuziehen. Die gelegentlich im Suts. auftretenden Formen filun, filung lassen sich mit HWR s. falien überzeugender als Rückbildungen aus filunza erklären, das im Surmeir und teilweise im Engadin für ‚ Spinne ‘ gilt (DRG 6: 331), denn als Reflexe von FIL - ONE , FIL - ONU , wie DRG 6: 49 möchte. Nach AIS 3: 485 „ il ragno; i ragni “ sind die Ausdrücke für ‚ Spinne ‘ , die sich an FILARE anschließen, auf RB beschränkt. Man kann sich fragen, ob das Vorbild von dt. Spinne dabei eine Rolle spielt. A SCOLI 1880 - 83: 484 ist zwar nicht explizit, könnte jedoch als Hinweis auf eine solche Sicht verstanden werden. - mitgiert, macorta adj. ‚ häßlich ‘ Dieser vor allem in der Surselva vitale Worttypus von MALE + * CORTUM (zu CORRECTUM , Part. Perf. von CORRIGERE , so HWR, oder MALE + AD + * CORTUM , so D ECURTINS 2001) findet seine Fortsetzung in der Sutselva: Nach E ICHENHOFER 2002 in der regularisierten Form macort, nach HWR in Veulden und Maton matgiert. Gelegentliche Belege für E sind wohl kaum als heute noch geläufig anzusehen: Schlar. michiert ist nach HWR „ wohl aus C importiert “ , put. melchüert (P EER 1962) Versuch einer Wiederbelebung historischer Belege. Es scheint, daß sich ein in früherer Zeit weiter verbreiteter Typus heute auf die Surselva und einen Teil der Sutselva zurückgezogen hat. In semantischer Sicht ist auffällig, daß hier ein Ausdruck, der ursprünglich eine intellektuelle Qualität bezeichnet, auf die aesthetische Dimension angewendet wird. It. accorgere ‚ merken ‘ , accorto ‚ avveduto, adattabile ‘ wie auch surs. encorscher, E inaccordscher (DRG 8: 442) scheinen auf einer Bedeutungsentwicklung von * ACCORRIGERE zu beruhen, die von ‚ verbessern ‘ über eine Stufe ‚ eine falsche Ansicht durch Berücksichtigung der Tatsachen aufgeben ‘ zu ‚ bemerken, wahrnehmen ‘ führt (cf. FEW 24: 87, DEI s. accorgere). - uclaun m. ‚ Weiler, Hof ‘ So S, suts. uclàn (mit dialektalen Varianten; cf. HWR). Abl. von acla < ACCOLA ‚ Anwohner ‘ , spätlat. auch ‚ Außengut ‘ , mit dem Suffix -aun < - ANU . Nach DRG 1: 82 ist acla aus der fränkischen Rechts- und Verwaltungssprache nach Rätien gelangt. 82 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="83"?> S/ surmiran - vonzei adv. ‚ nach einer Weile, mittlerweile ‘ < ABANTE + SERO . Während surs. vonzei einen unbestimmten späteren Zeitpunkt bezeichnet, bedeutet surm. vanze ‚ diesen Abend, gegen Abend ‘ . Für die heute stark geschrumpfte Mundart von Vaz (Obervaz) verzeichnet E BNETER 1981 die Bedeutung ‚ wenn/ sobald ich Zeit habe ‘ . E/ surmiran -sittola f. ‚ Kaulquappe ‘ Diese Form findet man in surselvischen Wörterbüchern, auch im Vocabulari fundamental (S PESCHA 1996). Bei näherem Hinschauen erweist sich, daß das Wort im rheinischen Gebiet dialektal überhaupt nicht belegt ist; es handelt sich vielmehr um eine lexikographische Übernahme und „ Sursilvanisierung “ von surm. und obereng. Formen (seit V IELI 1944). D ECURTINS 2001 stellt dies klar, während in HWR ein entsprechender Kommentar fehlt. Das Material des DRG verzeichnet für Bravuogn und Latsch tizola, für Riom und Eo. citoula. Eb. hat sajattöla (mit dialektalen Varianten). Überall liegt eine Ableitung von SAGITTA mit -(i)óla zugrunde. Vergleichbar sind nonsb. siton ‚ Libelle ‘ , trent. sital ‚ Regenwurm ‘ (HWR). S/ sutsilvan/ vallader - fravi m. ‚ Schmied ‘ So S und suts., vall. faver. Die Wörterbücher folgen allgemein der von Schorta, RN 2: 136 geäußerten Auffassung, daß sowohl surs./ suts. fravi als auch vall. faver auf ein von FABRICA abgeleitetes FABRICUS 168 zurückgehen. Darauf deutet die für Samnaun und in alten Rechtsquellen belegte Form faverch hin (cf. DRG 6: 170). Es ist wahrscheinlich, daß FABRICUS ursprünglich in ganz RB herrschte; heute trennt ein Keil von farrer (< FERRARIUS )-Formen im Oberengadin und Surmeir die faver-Zone vom fravi-Gebiet. Dieser Typus ist aus Oberitalien entlehnt, wie die AIS-Karte „ il fabbro “ (2: 213) deutlich zeigt. Cf. auch DRG 6: 135 s. farrer II. Außerhalb Graubündens lassen sich keine Reflexe von FABRICUS ausmachen. Nur S -pursanavel m. ‚ Alpgenosse ‘ Der Worttypus ist heute auf S beschränkt. HWR nennt zwar suts. parsunavel, führt jedoch keine dialektalen Belege an. Der Eintrag dürfte aus M ANI 1977 stammen; in E ICHENHOFER 2002 fehlt das Wort. Zu eng. parsnavel/ parsnevel bemerkt HWR, es handle sich um einen Wiederbelebungsversuch von im Altengadinischen belegten Formen, die dort ‚ teilhaftig; Teilhaber ‘ bedeuten. Nebst den von HWR angeführten Belegen wäre auch C HIAMPEL 27,131 zu nennen: Cuntuott staa ferm è 168 HWR und D ECURTINS 2001 geben die Form mit Asterisk., nicht jedoch Schorta loc.cit. und DRG 6: 170. Tatsächlich ist sie mittellateinisch in Italien belegt ( NIERMEYER 1976). 83 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="84"?> stawel/ E spetta fyn la fyn/ Sün lg Sènger, sch ’ èsch hartawel/ Da tuott seis bain parsnawel,/ E baiwesch da seis uyn (128 - 32). Auffällig hier die Parallelisierung von hartawel und parsnawel, die auch bei Bifrun (Rom. 8,17 169 ) vorliegt: Bain herteuels da dieu, mu personaeuels da Christo 170 . Auf diese Übereinstimmung in der Wortbildung macht auch DRG 8: 174 s. iertavel aufmerksam. S pursanavel, aeng. parsnavel/ parsnevel gehen laut den etymologischen Wörterbüchern auf PARTITIONEM (resp. ein verkürztes * PARTIONEM 171 ) + - ABILEM zurück. Dieser offensichtlich rechtssprachliche Ausdruck findet Entsprechungen in afr./ mfr. parçonier 172 , wo das Suffix - ARIUM vorliegt, und in ait. Entsprechungen, die teils mit - ARIUM , teils mit - ABILEM gebildet sind 173 . 2.2.3.2.3.3 Unsicheres/ Problematisches - fadetgna f. ‚ Zweig, Reis ‘ Die von den etymologischen Wörterbüchern vorgeschlagene Herleitung von einem lat. Stamm FET - (cf. FETUS ‚ trächtig ‘ ) mit dem Suffix - UDINE ist zwar möglich, die lexikographische Darstellung des Wortes jedoch problematisch. DRG 6: 9 s. fadetgna weist darauf hin, daß schon lat. FETUS nicht nur animalischen Nachwuchs, sondern auch Vegetatives bezeichnet (was der TLL bestätigt). DRG 6: 8 s. behandelt unter dem surselv. Stichwort fadetgna ‚ Zweig, Reis, Schoß. . . ‘ auch vall. fadögna ‚ Reisig, dürre Baumnadeln . . . ‘ . HWR trennt fadetgna und fadögna in zwei veschiedene Artikel, was sowohl aus synchronischer wie auch aus historischer Sicht gerechtfertigt ist. Während in fadetgna das Suffix - UDINE vorliegt, ist in fadögna - ONIA vorauszusetzen. Zudem sind die Bedeutungen jeweils unterschiedlich. Allerdings gibt es eine Überschneidung der beiden Typen insofern, als die Ableitung auf - ONIA , in der gleichen Bedeutung wie im Vall., auch sporadisch in S auftritt (Breil fadegnas), ferner die Ableitung auf - UDINE in S auch vereinzelt die Bedeutung ‚ Reisig, dürre Baumnadeln ‘ hat (Luven fadetgnas). Diese in DRG 6: 8 s. verzeichneten Fakten werden von HWR nicht erwähnt. - ferdar ‚ riechen ‘ So surs., suts. fardar. DRG 6: 204 s. und D ECURTINS 2001 nehmen als Etymologie * FRAGRITARE (zu FRAGRARE ) an. HWR macht einen Vorbehalt angesichts der unterschiedlichen Resultate von PLACITAT > plaida und * FRAGRITAT > freida, freda, was nicht zwingend erscheint. 169 Nicht 9,17, wie HWR fälschlich angibt. 170 Vulgata: heredes quidem Dei, coheredes autem Christi. Luci Gabriel hat cunhartavels, Luther Miterben. 171 Cf. FEW 7: 693. 172 FEW 7: 692. 173 DEI s. parzionière. Zu - ABILS im Mittellateinischen „ ohne Gehalt der Potentialität “ cf. S TOTZ 2000: 131 S . (§ 66.3.), 352 S . (§ 85.6.). 84 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="85"?> Ferdar/ fardar bezeichnet sowohl intransitives ‚ riechen nach etwas, einen Geruch ausströmen ‘ als auch transitives ‚ riechen ‘ . In S und C ist dagegen suarar (S und surm.), savurar (suts.) < * SAPORIARE auf den intransitiven Gebrauch beschränkt, während eng. savurar, savurer sowohl transitiv als auch intransitiv ist 174 . - lavagar ‚ verderben, beschädigen ‘ Der Typus ist nur surselvisch. DRG 10: 616 führt zwar auch Belege aus C 9 (Plaun) an, aber diese Gegend ist heute weitgehend germanisiert. HWR und D ECURTINS 2001 halten eine Ableitung von LAVARE mit - ICARE für wahrscheinlich. DRG 10: 619 schlägt * LABICARE (zu LABARE ) vor. Daß LABARE (wie LABI ) nur intransitiv ist, macht diese Hypothese wenig wahrscheinlich. - litgiva f. ‚ Forelle ‘ Die Karte „ la trota “ des AIS (3: 528) zeigt, daß der vor allem in der Surselva, ferner an einigen Punkten Mittelbündens 175 belegte Typus stark von aus dem Deutschen übernommenem forella 176 konkurrenziert wird. Die Herkunft von litgiva ist nicht gesichert. Eine Anknüpfung an den Stamm LAC ‚ Milch ‘ ( LACT - IVA ), die schon H UONDER 1900: 108 in Erwägung gezogen hatte, ist jedoch sowohl lautlich wie auch semantisch durchaus plausibel. DRG 5: 325 vertritt ohne Einschränkung diese These. Semantisch wird sie gestützt durch Fischnamen im Galloromanischen, die von LAC , LACTIS abgeleitet sind (FEW 5: 112ss.). Lautlich ist vortoniges litgneben latgauch nicht isoliert; cf. litgera ‚ gute Milchkuh ‘ neben latgera (DRG 10: 5659). Warum HWR sich mit einem lapidaren „ ungeklärt “ begnügt, ist nicht nachvollziehbar. - pischada f. ‚ Butter ‘ Surselvisch, vereinzelt sutselvisch 177 . Während D ECURTINS 2001 die Herkunft für unsicher hält, leitet HWR pischada (mit stimmhaftem -sch-) von einem nicht belegten Verb *pischar < * PISIARE , Nebenform von PISARE ‚ zerstoßen ‘ ab (der Rahm wird im Butterkübel gestoßen). Von derselben Basis (mit dem Suffix - UTTA ) geht surs. pischutta ‚ Butterbrot ‘ aus. In Mittelbünden (Domleschg paschuta, surm. paschotta) bedeutet dieser Typus gelegentlich ‚ Butter ‘ . - zezen m. ‚ Zusenn ‘ So außer surs. noch Sils i. D. und Savognin, sezen in Andiast, im Domleschg (Veulden, Scharans), im Schams (Pignia) und in Riom. Betonung auf der ersten Silbe. HWR und D ECURTINS 2001 sind sich mit REW 7883 und H UONDER 1900: 98 einig, daß zezen zu lat. SETIUS ‚ geringer ‘ gehört. HWR bemerkt, -en sei sekundär. 174 Cf. L IVER 2003: 68ss. 175 DRG 11: 324. 176 DRG 6: 474. 177 HWR nennt Domat pischeda, Scharans paschada. 85 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="86"?> Tatsächlich ist dieser Ausgang des Wortes erklärungsbedürftig. Lat. setius/ secius ist nur in adverbiellen Verbindungen (nihilo setius, haud setius) belegt. Ait. sezzo ‚ ultimo ‘ (DEI s. v.) würde in RB einem nicht belegten *sez entsprechen. Zu lautlichen Bedenken kommen semantische Einwände. Im Engadin heißt der Zusenn chandan, was nach DRG 3: 268 auf CAPITANUS zurückgeht. Warum dieser Unterschied in der Bewertung der Funktion des Gehilfen des Senns? Es wäre zu prüfen, ob dt. Zusenn vielleicht hier eine Rolle spielt 178 . 2.2.3.3 Worttypen des Bündnerromanischen, die sich in benachbarten alpinromanischen Gebieten fortsetzen 2.2.3.3.1 Vorbemerkungen Auch im Folgenden ordnen wir die Worttypen zu den drei Gruppen „ alte Latinität “ , „ spätlateinische Basis “ und „ romanische Neubildungen “ zusammen (cf. oben p. 71s.). Die Gemeinsamkeiten der br. Worttypen mit der geographischen Nachbarschaft sind von Fall zu Fall höchst unterschiedlich. Nebst den Übergangszonen Bergell und Puschlav finden sich Übereinstimmungen mit dem Bündnerromanischen vor allem im Alpinlombardischen (Tessin, Chiavennasco, Veltlin), im Trentino, im Dolomitenladinischen und im Friaulischen. Auch piemontesische und frankoprovenzalische Dialekte kommen zum Zuge, teils auch weitere Gebiete Oberitaliens (ganze Lombardei, vereinzelt Ligurien). 2.2.3.3.2 Alte Latinität - digren f. ‚ Abnahme, Rückgang ‘ S und C, E guaraint m. Für verschiedene lokale Abweichungen in Mittelbünden cf. DRG 7: 929. Vornehmlich vom abnehmenden Mond: (glina) digren < LUNA DECURRENTE 179 . Der Typus ist auch im Bergell präsent: gorént, gurent, ferner in Poschiavo: degorént ‚ fase calante della luna, luna calante ‘ (LSI 2: 202). DRG 7: 932 nennt degrént für Bormio, dagoret für Valvestino (Trentino). - ditg adv. ‚ lange ‘ < DIU . Heute nur in S und C (auch gitg, surm. dei), aber auch altengadinisch (cf. DRG 5: 322, HWR s. v.) und altmailändisch (Bonvesin de la Riva) 180 . Auch für das Bergell des 16. Jh.s ist uscha dig che ‚ solange ‘ bezeugt (DRG loc.cit.). Der Typus findet sich auch in einem Teil des Dolomitenladinischen, und zwar in Gröden (giut) und im Gadertal (dî, enneb. dio), und vereinzelt zwischen diesen beiden Räumen im Veltlin (Bormio) 181 . 178 Cf. Vmüst. suotsogn ‚ Zusenn ‘ (HWR). Wals. Zuosenna (V IELI 2009). 179 Cf. TLL V,1 col. 230. 180 M ONACI / A RESE 1955: 447 (146 I: 96) Perzò ne viv plu digo „ darum lebe ich länger “ . 181 EWD 3: 98. 86 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="87"?> - luar v. intr. ‚ schmelzen ‘ S und C. 3. Ps. S liua, suts. lieuva, surm. liva. E alguar, 3. Ps. leua (put. häufiger alguanter als alguer). < LIQUARE (für klass. LIQUARI ). Cf. DRG 1: 178 s. alguar. In der Nachbarschaft finden sich (neben anderen Typen) häufig Fortsetzer von LIQUARE mit dem Präfix DIS -, so im Lombardischen und im Piemont, z. T. bis ins Ligurische, wie die Karte „ [la neve] si scoglie (al sole); sciogliersi “ AIS 2: 379 zeigt. Auch im Tessin dominiert deslenguá u. ä.; im Sopraceneri gibt es jedoch auch Fortsetzer des Simplex LIQUARE , z. B. luaa (Peccia, Sonogno), liuaa (Cavergno) etc. Cf. LSI 2: 235 s. deslenguá. Für eine weitere Verbreitung des Typus in älterer Zeit spricht aprov. legar (FEW 5: 370). - manedel adj. ‚ klein, kurzgeschnitten ‘ < MINUTULUS , im klassischen Latein belegter Diminutiv von MINUTUS . Während S und C mit manedel die Diminutivform fortsetzen 182 , geht eng. manü auf MINUTUS zurück. Im Alpinlombardischen finden sich beide Typen (cf. LSI 3: 442 s. minüd) 183 . - nuot(a) ‚ nichts ‘ So S; suts. nut, surm. navot, put. ünguotta, vall. inguotta (DRG 9: 186 - 205). < NE ( C ) GUTTA ( M ). Der Negativausdruck ist schon im Altlatein angelegt: neque paratast gutta certi consili (Plautus, TLL). Der Typus ist auch im Lombardischen und im nördlichen Piemont präsent (AIS 4: 829, 8: 1598 und 1613), nicht aber im Dolomitenladinischen und Friaulischen. Cf. LSI 3: 552 s. nagóta. Zur afr. Negation ne. . .gote cf. FEW 4: 351 s. - onda f. ‚ Tante ‘ S und C; put. anda, vall. duonnanda. < AMITA (duonnanda < DOMINA - AMITA ). Der Typus ist in ganz Oberitalien (piem., lomb., trent., ven., auch ligur.) neben zia, das Mittel- und Süditalien dominiert, stark präsent, inklusive Dolomiten und Friaul: grödn. anda, gad. méda, fass. àmeda, friul. àgne. Cf. AIS 1: 20, LEI 2: 815 - 23, LSI 1: 77 s., DRG 1: 265. Fortsetzer von AMITA sind auch afr. und vereinzelt galloromanisch belegt. Cf. FEW 1: 89, 24: 455 s. - rumien m. ‚ Kehricht, Abfall ‘ So S; suts. rumient, surm. rusment, E rument. < RAMENTUM (zu RADERE ) ‚ Späne, Splitter ‘ . Der Worttypus ist auch im Oberitalienischen sporadisch vorhanden, so im Lomb., Piem., Ligur. und im äußersten Südosten des Okzitanischen (REW 7025, FEW 10: 38, AIS 8: 1552). LSI 4: 462 verzeichnet rümenta ‚ materiale 182 Zu ambleden (Savognin) cf. HWR s. manedel. 183 REW 5599, wo bündnerromanische Belege fehlen, nennt neben lombardischen Formen abruzz. menutele. 87 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="88"?> alluvionale, detriti ‘ für den Malcantone, rüminta ‚ merce di scarto, resti, avanzi ‘ für Rovana (Valle Maggia). - sadiala f. ‚ Eimer, Kübel ‘ So S, suts. sadeala, surm. sadela, E sadella. < SITELLA , Dim. zu SITULA ‚ Gefäß ‘ . Während SITULA als Wassergefäß oder als Urne für Lose belegt ist, ist für SITELLA nur die zweite Bedeutung bezeugt, was nicht ausschließt, daß auch die erste, allgemeinere existierte. Der Worttypus ist außer bündnerromanisch auch lombardisch, piemontesisch (im an das Tessin angrenzenden Gebiet) und frankoprovenzalisch (Schweiz). Cf. AIS 6: 1197 „ il secchio da mungere “ , FEW 11: 660, LSI 4: 810. - salin m. ‚ Weizen ‘ S, C salegn. Nach AIS 7: 1451 „ segare il frumento “ auch Sta. Maria saling. < SALIGINEM . Dieselbe Basis in Brav. zleng, E zlin ‚ Dinkel ‘ (HWR). Der Typus setzt sich im Dolomitenladinischen fort: grödn. selin ‚ Saatweizen ‘ , selin d ’ autonn ‚ Dinkel ‘ , gad. selin ‚ dünnschalige Weizensorte ‘ . REW 7917 nennt noch teram. suleneye. - tgietschen (cotschens, cotschna) adj. ‚ rot ‘ < COCCINUS ‚ scharlachfarben ‘ . Während in S umlautbedingtes tgietschen (m. attributiv) von cotschens (m. prädikativ), cotschna (f. attributiv und prädikativ) unterschieden wird, hat sich in C und E die f. Form generalisiert 184 . Allerdings gibt es auch in diesen Gebieten Hinweise auf eine ältere Präsenz des in S erhaltenen Zustands, so aeng. chioeschen neben cuotschen ‚ rot ‘ (Bifrun), chiötschen ‚ Morgenrot ‘ , surm. tgetschen dalla dumang ‚ Morgenröte ‘ . Ferner S maltgietschen ‚ Rotlauf ‘ (Schweinekrankheit), put. mel chötschen (neben mel cotschen, vall. mal cotschen) ‚ Ruhr ‘ . Der Worttypus ist in der Bedeutung ‚ rot ‘ nur im BR und im DL erhalten. In marginalen Sonderbedeutungen läßt er sich auch im Mazedorum. und im Alban. belegen 185 . Grödn. cueciun, gad. cöce, enneb. chiecio 186 . - tschenghel m. ‚ Rasenplatz (in den Felsen) ‘ So S, suts. tschainghel, surm. tschangel. < CINGULUM . Nach AIS 3: 425 a „ la cengia “ sind Reflexe von CINGULUM auch im Engadin bezeugt (Fex-Platta, Ardez, Ramosch), ferner in Poschiavo und im Tessin (LSI 4: 651 s.), im Chiavennasco (Pkt. 205 Prestone) und im nordöstlichen Piemont (Pkte. 109 und 115). In Toponymen ist CINGULUM in ganz Graubünden präsent (RN 2: 93). Seltener die f. Form CINGULA , die in der östlichen Nachbarschaft Graubündens (vom Veltlin über 184 DRG 4: 164, HWR, L IVER 2010: 135. 185 Cf. REW 2008. 186 T AGLIAVINI 1934: 269 hält fest, daß im Livinallongo rós < RUSSUS älteres COCCINUS verdrängt hat. Spuren davon in der Toponomastik. 88 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="89"?> das Trentino bis ins Friaul) wie in weiteren Gebieten Oberitaliens herrscht (AIS loc. cit., DEI s. céngia). 2.2.3.3.3 Späte Latinität - jamna f. ‚ Woche ‘ So S, suts. eanda, eamda, surm. emna, E eivna. < spätlat. HEBDOMAS . Für die br. Formen ist nach DRG 5: 564 von * HEBDINA auszugehen. Der Typus ist auch dl.: grödn. éna, gad./ enneb. édema (EWD 3: 131 s.). Sporadisch ist er auch im Dalmatinischen, Altitalienischen und im älteren Galloromanischen bezeugt (FEW 4: 395). Cf. auch AIS 2: 328 „ la settimana “ . - pleiv f. ‚ Kirchgemeinde ‘ S und C, E plaiv. < lat. PLEBS , PLEBEM , das im christlichen Latein die Bedeutung ‚ Gesamtheit der einer Gemeinde angehörigen Laien ‘ annimmt (seit Tertullian), später (seit dem 4. Jh.) ‚ ländliche Pfarrei ‘ (FEW 9: 56). Der Worttypus, der im Merowingerlatein gut belegt ist, verschwindet später aus dem Galloromanischen und dem größten Teil Italiens. Er wird durch PAROCHIA (fr. paroisse, it. parrocchia) verdrängt. Außerhalb RB ist er vereinzelt im Tessin, im DL und im Friaul belegt. LSI 3: 895 verzeichnet plév für Poschiavo, pcíev für Isone, piév für das Luganese (circ. Tesserete, Viganello). Im Dolomitenladinischen scheint der Typus weitgehend veraltet zu sein. Schon T AGLIAVINI 1934: 252 bemerkt zu buchensteinisch plié: „ quasi solo come nome proprio “ , und V IDESOTT / P LANGG 1998 kennzeichnen pli ‚ Pfarre ‘ als veraltet gegenüber heutigem ploanía. Im grödnerischen Wörterbuch von F ORNI 2002 findet sich für ‚ Pfarrei ‘ nur pluania 187 . Für das Friaul verzeichnet P IRONA 1972 plêf ‚ chiesa parrocchiale, pieve ‘ (auch: ‚ mandria ‘ ), aber AIS 4: 797, wo in der Legende zu „ il frate “ der Begriff „ Kirchgemeinde (parrocchia) “ ergänzt wird, fehlen Beispiele für den Typus PLEBS , PLEBEM aus dem Friaul. - rascha f. ‚ Harz, Pech ‘ [ ˈ r ɑʒɐ ] So S, C und vall., put. rescha. < RASIA , Nebenform von RASIS 188 . Der Worttypus ist in weiten Teilen Oberitaliens, teils auch in Mittelitalien, verbreitet (AIS 3: 586 „ la resina “ ). Die beiden von der Sache her unterschiedlichen Inhalte ‚ Harz ‘ und ‚ Pech ‘ werden vielfach mit ein und derselben Wortform bezeichnet, so br. rascha, it. resina. Im Dolomitenladinischen, wo der Typus RASIA auch präsent ist, steht er teils für ‚ Harz ‘ und ‚ Pech ‘ (so grödn. reja, ampezzan. ragia), teils nur für ‚ Harz ‘ , so fass. rèja; 187 HWR gibt grödn. pliev, gad. pli. 188 RASIS ist bei Columella als ‚ eine Art rohes, ungesottenes Pech ‘ belegt. FEW 10: 86 weist RASIA in einer Glosse nach. Demnach ist der Asterisk, den HWR und D ECURTINS 2001 dem Etymon voranstellen, nicht gerechtfertigt. 89 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="90"?> ‚ Pech ‘ ist dort péngola (cf. AIS 2: 210 „ la pece [del calzolaio] “ ). Friul. rase, rasa ‚ Harz, Pech ‘ (neben pes, peis f. 189 ). - ur m. ‚ Rand, Bord ‘ So S, suts., E; surm. our. < ORUM (zu klass. ORA , als n. belegt im Itinerarium Antonini, ca. 570). Der Typus ist auch oberitalienisch (lomb., piem.), dolomitenladinisch und friaulisch. LSI 3: 636 ör ‚ orlo di un tenuto, margine, bordo. . . ‘ , Grosio ór ‚ margine di un terreno ‘ 190 , grödn. ëur, gad. ur, fass. friul. or 191 . - ventrel m. ‚ Wade ‘ S; C vantregl, E vantrigl. < VENTRICULUM ‚ Bäuchlein ‘ , nach FEW 14: 255 in lat. Glossen auch in der Bedeutung ‚ Wade ‘ belegt. AIS 1: 159 „ la gamba, le gambe “ verzeichnet in der Legende „ Wade (polpaccio) “ nur gerade drei br. Belege (für C und E), aber DEG s. ventresel ‚ polpaccio della gamba ‘ nennt für Bormio ventrèl. Ähnlich kat. ventrell de la cama (REW 9209) 192 . - zeicla f. ‚ Borste ‘ So S, suts. zetla, surm. seida, E saidla. < SETULA , Dim. zu SAETA , belegt seit dem 5. Jh. 193 . Die Karte AIS 6: 1093 „ la setola; le setole “ zeigt, daß in Oberitalien die Typen SAETA und SETULA stark gemischt erscheinen. Die Resultate von SETULA reichen bis nach Süditalien. Fortsetzer von SAETA für ‚ Borste ‘ finden sich auch in einigen br. Dialekten, so Riom, Sav. seida, Ftan saida (HWR s. zeicla), dann im DL (grödn. seïda, gad. sëda) und im Friaulischen (sède). Für Grosio (Veltlin) verzeichnet DEG beide Typen: séda ‚ setola di maiale ‘ , sédula ‚ setola ‘ . 2.2.3.3.4 Romanische Neubildungen Von den 48 Beispielen in dieser größten der Kategorien, die br. Worttypen enthält, die auch in benachbarten alpinen Gebieten vorkommen, sind 28 Substantive, 4 Adjektive, 1 Adverb, 2 Präpositionen, 2 Indefinita und 11 Verben. 189 Im Surselvischen, wo rascha beide Bedeutungen abdeckt, hat das Resultat von PIX , PICEM die spezialisierte Bedeutung ‚ Pflaster, Harzpflaster ‘ . 190 DEG s. v.: „ Il termine è largamente presente nella toponomastica dell ’ alta valle “ . So auch in Südbünden, v. a. Misox und Calanca, seltener in Nordbünden. RN 2: 226. 191 Weitere Beispiele FEW 7: 383. 192 Ein weiterer Beleg für die Metapher „ Bäuchlein “ für „ Wade “ , mit anderen sprachlichen Mitteln, ist der Ausdruck pancet elle jambe in Piazzola (Rabbi), AIS 1: 159 cp. Pkt. 310. 193 FEW 11: 50. 90 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="91"?> Substantive - ansiel m., ansola f. ‚ männl. resp. weibl. Zicklein ‘ So S und suts., surm. ansoul, ansola, put. uzöl, uzoula, vall. usöl, usoula. < * HAEDIÓLU , * HAEDIÓLA 194 . Der Worttypus ist in vielen dem Bündnerromanischen benachbarten Gebieten vorhanden. Die Karte „ il capretto “ des AIS (6: 1081) weist ihn im nördl. Piemont, im Tessin (cf. LSI 1: 94 s. anzèla, 1: 95 s. anzéll, 3: 67 s. iòla), im Veltlin (DEG s. uzol), im Trentino und im Dolomitenladinischen nach: grödn. vesuel, vesuela, gad. (auch enneb.) asó, asora, fass. sol (m. und f.), buchenst. zola (T AGLIAVINI 1934: 349) 195 . - buttatsch m. ‚ Pansen, Bauch, Wanst ‘ Allg. br. < BUTTIS ‚ Faß ‘ (belegt seit dem 6. Jh.: FEW 1: 663) + - ACEU . Der Worttypus ist auch im Tessin (LSI 1: 418 s. botásc) und im Chiavennasco und Comasco (AIS 1: 128 „ il ventre “ ) lebendig. C HERUBINI 1814 verzeichnet bottan, bottasc für das Mailändische. - catsch m. ‚ Schoß, Trieb ‘ So S, C tgatsch, E chatsch. Deverbale von catschar < CAPTIARE . Die intransitive Bedeutung ‚ sprießen ‘ , die diesem Deverbale zugrundeliegt, teilt das BR mit dem Alpinlombardischen: LSI 1: 708 casciá ‚ vegetare, spuntare, germogliare, sbocciare ‘ , DEG cascèr ‚ emettere polloni ‘ (in beiden Fällen neben anderen Bedeutungen). Ein dem br. catsch entsprechendes Deverbale fehlt in Grosio, während LSI 1: 707 casc ‚ getto, germoglio, rimessiticcio, pollone ‘ für das Tessin und Südbünden mehrfach ausweist (SopraC., circ. Taverne, Mendr., Mesolc.). - cocla f. ‚ Beere ‘ Nach D ECURTINS 2001 dürfte diese Form in S aus E stammen, wo cocla neben cocca geläufig ist. Cf. DRG 4: 8s. Letzteres wird hier sowie HWR s. v. zu lat. COCCUM ‚ Fruchtkern, Scharlachbeere ‘ resp. ein f. * COCCA gestellt. D ECURTINS 2001 hält die Herkunft für ungeklärt; er denkt eher an onomat. * KOKK - 196 . Die Form cocla scheint auf diminutives * COCCULA zurückzugehen, dessen Vertreter in Oberitalien vom Veltlin bis ins Friaul in verscheidenen Bedeutungen auftreten, die ein Sem „ (mehr oder weniger) kugelförmig “ gemeinsam haben: posch. còcula ‚ Tannzapfen ‘ 194 Die Wörterbücher geben das Etymon teils mit, teils ohne Asterisk. Bis zum Nachweis eines Belegs gehen wir von einer Rekonstruktion aus. Jedenfalls ist die Verlagerung des Akzents von der Praepaenultima zur Paenultima im Suffix ein Phänomen später und vulgärer Latinität. 195 Cf. DRG 1: 458 - 62, DEI s. z ’ òla. 196 Nach DRG 4: 8 s. coc I ‚ Kern der Nuß ‘ „ dürfte es schwerfallen, die Sippe von COCCUM gegenüber derjenigen von KOK (coc II, Kinderwort für ‚ Ei ‘ ) auch nur einigermaßen abzugrenzen “ . An derselben Stelle wird auf zentrallad. coccola und AIS 7: 1300 „ schiacciare una noce “ verwiesen. In der Legende „ Der Nußkern “ zu dieser Karte findet sich jedoch für das DL nichts Entsprechendes, wohl aber cuc für zwei Punkte im Friaul (Pkt. 318 Forni Avoltri, 327 Forni di Sotto). 91 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="92"?> (LSI 1: 854), borm. còcola ‚ pallottola del lino ‘ (DRG 4: 9), gros. còcula ‚ caletta di legni nelle costruzioni di montagna ‘ (DEG s. v.) 197 , grödn. cocula ‚ Beule (Auswuchs) ‘ (F ORNI 2002), friul. còcule ‚ noce ‘ (P IRONA 1972 s. v.). - curetg m. ‚ Kümmel ‘ So S und Domleschg, sonst suts. wie surm. pulitg, put. pulech, vall. pulè. Diese zweite Form, die sich von lat. PULEIUM ‚ Froschminze, Flohkraut ‘ ableitet, ist in der Romania weit verbreitet (FEW 9: 522). Die erste, auf S und das Domleschg beschränkte Form curetg wird von den Wbb. auf eine Kontamination von CAREUM ‚ Wiesenkümmel ‘ mit PULEIUM zurückgeführt. Der Worttypus ist auch im Veltlin (caré, borm. koré, gros. caràu) 198 , im DL (grödn. ciaruel, gad. ciarì, fass. ciarel, ampezz. ciariè) und im FR (ciarièl) 199 bezeugt. - cuvel m. ‚ Höhle, Unterschlupf ‘ Allg. BR, teils mit verändertem Auslautkonsonant (E 13, 15 -n, S 13, 47, 60 -r) 200 . < * CUBULUM (zu CUBARE ). Das erschlossene Etymon wird durch mittellateinische Belege bestätigt (DEI s. cóvolo). Der Worttypus findet sich außer im BR auch im Lombardischen, im DL und im Trentino, seltener in der Bedeutung „ la caverna “ (AIS 3: 424), häufiger in der Bedeutung „ riparo sotto una roccia sporgente “ (AIS 3: 424 a). - fletga f. ‚ Farn ‘ So S, suts./ surm. felesch, felisch (Betonung auf der ersten Silbe), eng. felsch, Vm. faischel. DRG 6: 41 s. s. faischel unterscheidet drei Typen: 1. faischel Vm., 2. felsch Eb., felisch C und Flem, 3. faletscha allg. S ohne Flem. Die beiden ersten Typen gehen auf lat. FILEX , FILICEM zurück (mit Erhaltung der Anfangsbetonung), der dritte auf FILICTUM ‚ Farnbestand ‘ resp. eine Kollektivform * FILICTA . Vm. faischel setzt eine Metathese FÍLICE > * FÍCILE voraus 201 . Ähnlich bunt wie in Graubünden ist das Bild der Verteilung der veschiedenen Typen im weiteren oberitalienischen Raum, wie die Karte „ la felce “ AIS 3: 618 zeigt. Fortsetzer von FILEX , FILICEM finden sich im Tessin, weiterhin im Lombardischen, im DL und im Friaul. Aber auch der Typus FILICTUM ist in denselben Gebieten vertreten, vor allem im Tessin (cf. LSI 2: 415 s. felécc; ibid. s. félas die Vertreter von FILEX , FILICEM ), im nördlichen Piemont (prov. Novara), in den Provinzen Bergamo und Brescia und im Friaul (cf. P IRONA 1972 s. felèt). Nachfolger von * FILICTA (wie surs. fletga) weist AIS 3: 618 für Domodossola (Pkt. 116) und Pettinengo (Pkt. 135, dort neben m. flec) aus. 197 Cf. EWD 2: 215. 198 Cf. DEG s. caràu. 199 P IRONA 1972: ciarièl v. cumìn. Dort: anche chimel, ciariel. 200 Cf. DRG 4: 640. 201 Es ist nicht einsichtig, warum diese auf Vm. beschränkte und linguistisch auffällige Form im DRG als Lemma gewählt wurde und nicht vall. felsch, wie das sonst üblich ist. 92 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="93"?> - garnedel m. ‚ Preiselbeere ‘ Die Bezeichungen für die Preiselbeere im BR sind vielfältig. Sie gehören, wie DRG 7: 152 s. gialüda festhält, grundsätzlich zwei Typen an: Ein erster Typus umfaßt Ableitungen von lat. GRANUM , der zweite Formen, die wahrscheinlich auf eine vorromanische Basis 202 zurückgehen. Zum ersten Typus gehören surs. (auch Domleschg) garnedel < GRANUM + - UTULUM und vall. granücla, dessen f. Suffix - UTULA offensichtlich von gialüda (Typus 2) beeinflußt ist. Der zweite Typus (gialüda und Varianten davon; put. gilüdra, surm. ghiglidra, suts. guglieadra, gagliedra) findet sich sporadisch im Unterengadin, allg. im Oberengadin und in C. In Eb. und Vm. überlagern sich die beiden Typen. Aus dieser Verteilung und aus der Tatsache, daß Ableitungen von GRANUM (mit Diminutivsuffix -eta) auch im DL und im Trentino vorkommen (cf. AIS 3: 614 „ mirtilli rossi “ , T AGLIAVINI 1934: 145), während der Typus 2 (gialüda) sich in einer südlichen Nachbarschaftszone fortsetzt (Bergell, Puschlav, Veltlin; cf. auch LSI 2: 600 s. galüda), schließt DRG 7: 152, der Typus 1 (zu GRANUM ) sei in RB autochthon, während der Typus 2 (gialüda etc.) von Süden her eingewandert wäre. Ob diese Folgerung zwingend sei, bleibe dahingestellt. Es wäre auch denkbar, daß die heutige Situation das Resultat der Konfrontation eines älteren, vorromanischen Typus mit einem jüngeren, lateinischen, darstellt. - lidimer m. ‚ Misthaufen ‘ So S, suts. ladimer, E aldümer (surm. curt da grascha). Abl. von surs. ladem, eng. aldüm < * LAETUMEN (zu LAETAMEN ). Analoge Ableitungen sind in Oberitalien sporadisch bezeugt, neben Syntagmen der Art, wie sie das Surmeir kennt (mit je verschiedenen Ausdrücken für ‚ Mist ‘ und für ‚ Haufen ‘ ). AIS 6: 1178 „ il letamaio “ verzeichnet Beispiele im Lomb., Piem., Trent., Friaul, Ligur. und Emil. Für Südbünden und das Tessin cf. LSI 3: 122 s. ledamée ‚ letamaio ‘ mit Beispielen für das Bergell, Sopraceneri, Luganese. - mesjamna f. ‚ Mittwoch ‘ So S, suts. measeanda, surm. mesemda (E marcurdi). Nach HWR Zusammensetzung von MEDIAM und HEBDOMAS ; D ECURTINS 2001 geht von den romanischen Elementen mesa und jamna aus. Es stellt sich die Frage, wie alt die Zusammensetzung sei, ferner diejenige nach dem Verhältnis des romanischen Typs zu dt. Mittwoch. B RUPPACHER 1948: 131ss. ist der Auffassung, daß die Fügung in der lateinischen Kirchensprache entstanden war und von den Slaven (im 6. Jh.) und den Germanen übernommen wurde. Kramer (EWD 3: 151 s.) hält das gadertalische (auch ennebergische) dédemesaledema für eine Lehnübersetzung aus dem Deutschen resp. Tirolischen. An deutschen Einfluß könnte man auch angesichts der zahlreichen Notierungen auf der Karte „ mercoledì “ des AIS (2: 331) denken, die für S und C eine Betonung auf dem ersten 202 Cf. DRG 7: 152 s. 93 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="94"?> Element der Zusammensetzung angeben. Zweifel an der Verläßlichkeit dieser Angaben äußert jedoch schon B RUPPACHER 1948: 133, und HWR s. mesjamna geht überhaupt nicht darauf ein. Das Material des DRG weist nur wenige Belege mit Akzent auf dem ersten Element auf 203 . Eine Stütze der Auffassung, MEDIA HEBDOMA sei schon lateinisch (und gegenüber dt. Mittwoch primär), stellen drei Belege aus der Toskana für mezzédima u. ä. dar (AIS 2: 331). - muaglia f. ‚ Vieh, Viehhabe ‘ Allg., < MOBILIA , n.pl. zu MOBILIS . Als juristischer Terminus technicus ist der Ausdruck RES MOBILES ‚ bewegliche Habe ‘ (zu der auch das Vieh gehört) schon lateinisch geläufig. Die Verengung auf ‚ Vieh, Viehhabe ‘ scheint spezifisch alpin zu sein. Außer im BR begegnet der Typus auch im benachbarten Bergell und Puschlav (LSI 3: 517) sowie im Veltlin: borm. móglia, gros. mólgia 204 . Im gleichen Gebiet ist mobilia in der Bedeutung ‚ Vieh, Viehhabe ‘ in lateinischen Urkunden der frühen Neuzeit belegt 205 . - niala f. ‚ Locke ‘ So S; suts. neala; surm. anela (E ritsch, marüschla). < * ANELLA (zu ANELLUS ). Cf. it. anella ‚ Locken ‘ (pl. von anello. Z INGARELLI 1966). LEI 2: 1156 s. anellus belegt piem., bellun. anel in der Bedeutung ‚ Locke ‘ . - ogn m., ogna f. ‚ Erle, Erlen (koll.) ‘ So S, C und vall.; put. agn. < ALNEUS ‚ aus Erlenholz ‘ zu ALNUS f. ‚ Erle ‘ . Der Typus ist auch trent., lomb., posch. (ogn) 206 , breg., friul. (agn). Cf. LEI 2: 193 s., AIS 3: 583 „ l ’ ontano “ . In der Nachbarschaft des BR sind auch andere Ableitungen von ALNUS verbreitet, so vor allem Bildungen auf - ICIUS , - ICIA (Tessin, Dolomiten. Cf. T AGLIAVINI 1934: 64). - parler m. ‚ Kesselflicker ‘ So S und C (E chaldarer, chüderel). Ableitung von * PARIOLU (> priel ‚ Kessel ‘ ) mit - ARIU . Zum urspr. gallischen * PARIUM cf. FEW 7: 657 s. Der Typus der Ableitung findet sich außer im BR noch in Poschiavo (parolé, LSI 3: 739, AIS 2: 202 „ il calderaio “ Pkt. 58) und im Veltlin (AIS loc.cit. Pkt. 209 Isolaccia, 218 Grosio [DEG s. pairulèr], 227 Albosaggia). Südlich und östlich schließt eine Zone mit den Typus parolot an, die im Lomb., Trent., DL und vereinzelt im Friaul herrscht. T AGLIAVINI 1934: 236 nimmt für alle dolomitenlad. Vorkommen Entlehnung aus dem Trentino an, „ dal paese donde vengono i calderai “ . 203 Carli Tomaschett, Chefredaktor des DRG, vermutet, daß diese vom heutigen Sprachgebrauch her ungewöhnlichen Betonungen kontextbedingt sind. 204 DEG nimmt Einfluß von mólger ‚ melken ‘ an. 205 Cf. B RACCHI 1986a: 49, S CHORTA / L IVER 1985: 419. 206 Nach AIS 3: 583 und LSI 1: 49 hat Poschiavo jedoch agn. 94 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="95"?> - puschegn m. ‚ Imbiß ‘ (nach dem Nachtessen) S und suts. (dort auch puschaint). Vall. püschain, aber in anderer Bedeutung: ‚ Frühstück ‘ . < * POSTCENIUM , analog zu belegtem ANTECENIUM 207 gebildet. Wie it. pusigno, nach DEI „ voce toscana e umbra di provenienza settentrionale “ . Der Worttypus ist im Tessin viel stärker verbreitet, als die Legende zur Karte „ la cena; cenare “ des AIS (5: 1031) vermuten läßt. Dort wird nur gerade Pkt. 93 (Ligornetto) puscena, puscená belegt 208 . LSI 4: 109 s. poscéna ‚ pasto o spuntino, generalmente consumato a tarda sera ‘ gibt Beispiele aus der VMaggia, Verzasca, dem Bellinzonese, Locarnese und Luganese. Für Malvaglia (Blenio) ist sogar die auch in der Surselva sekundäre Bedeutung ‚ ultima razione di fieno che si dà la sera alle vacche ‘ bezeugt. Das Verb puscená weist LSI 4: 190 für Comologno (Mendisiotto) nach, puscigné für Ludiona (Blenio) in der Bedeutung ‚ cucinare con abilità, preparare manicaretti ‘ . Der Worttypus kommt auch in frankoprovenzalischen Mundarten der Schweiz vor (FEW 2: 577). - queida f. ‚ Lust, Begierde ‘ So S; suts. cuveda, queda, surm. cueida, E cu(v)aida. Deverbale eines nicht belegten Verbs *kuidar < * CUPIDITARE (zu CUPIDITAS ). Cf. DRG 4: 305. Parallelen aus dem mittelalterlichen Oberitalien und aus der Leventina lassen nach DRG loc. cit. auf hohes Alter des Worttypus schließen 209 . LSI 2: 62 s. covéda führt außer Beispielen aus der Leventina Belege aus dem Bleniotal, dem Bergell und dem Misox an. - rabetscha f. (koll.) ‚ Kartoffelstauden ‘ So S; C und E ravetscha, ravitscha ‚ Kraut ‘ (von Rüben). Nach HWR Abl. von rava ‚ Rübe ‘ mit dem Suffix -etscha, -itscha (< - ÍCEA ), nach D ECURTINS 2001 < * RAPICIA (zu RAPICIUS ‚ zur Rübe gehörig ‘ ). Nach DEI s. ravizza ‚ foglie del navone ‘ hat sich der oberit. Worttypus ins BR, DL und FR ausgebreitet. Cf. LSI 4: 291 s. ravísc, raviscia, grödn. viscia ‚ Blätter einer Rübe ‘ , gad. visces, üsces pl. ‚ Rübenblätter ‘ , enneb. üscia ‚ Kraut der Kartoffel ‘ , üscia da rees ‚ Rübenblatt ‘ ; friul. ravìzze f. ‚ steli di rape in fioritura ‘ (P IRONA 1972). - risdiv m. ‚ Emd, zweiter Schnitt ‘ So S; suts., E rasdiv (vall. auch adgör), surm. rasdeiv. < * RECIDIVUM (zu RECIDERE ‚ abschneiden ‘ ). Der Typus ist auch oberitalienisch (lomb., piem., trent.) und friaulisch (arzive, ariesi, riesi. Cf. P IRONA 1972 s. rïési), aber nicht dolomitenladinisch. Cf. AIS 7: 1402 „ il guaime “ . LSI 4: 336 s. s. resedív weist den Typus in zahlreichen Varianten für das ganze Tessin und die Bündner Südtäler aus. 207 Cf. I SID ., orig. 20,2,12. 208 Ferner ein Beleg in Pkt. 115 (Antronapiana, Nähe Domodossola). 209 Cf. auch DEI s. covidoso. 95 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="96"?> - rugada f. ‚ Tau ‘ S, suts. rujeada (Domleschg rugada), surm. ruada, eng. ruschè, rosedi, ruvi, aruv (alle m.). Die etymologischen Wörterbücher (HWR, D ECURTINS 2001) halten die lautliche Erklärung von rugfür problematisch. Der Zusammenhang mit lat. ROS , RORIS ‚ Tau ‘ dürfte zwar feststehen; man zieht jedoch eine Einwirkung von RIGARE ‚ bewässern ‘ in Betracht. Im Zusammenhang mit it. rugiada sind ähnliche Überlegungen nie vorgebracht worden. Vielmehr steht hier die These einer Herkunft aus dem Provenzalischen (DEI) der Erklärung mit einer Basis * ROSIATA (P RATI ) gegenüber. Rohlfs (FestgGam 115 n 2; cf. FEW 10: 476) hält die it. Formen für einheimisch. Die Karte „ la rugiada “ AIS 2: 374 zeigt in der südlichen und östlichen Nachbarschaft des BR (Tessin, übrige Lombardei, Trentino, DL, FR) ein ausgedehntes Gebiet mit dem Typus rosada, rusada, ruseda, im Piemont und in Ligurien mit dem Typus rosá, rusá 210 . Innerhalb dieser Zonen fallen Pkt. 344 (Roncegno, Trent.) mit rugiada und Pkt. 126 (Pianezza, prov. Novara) mit rugiá auf. Im DL schert Gröden mit ruscel aus dem rosada, rosèda-Gebiet aus. Es geht zusammen mit eng. ruschè, veltl. roschel (Pkt. 209 Isolaccia) < ROSCIDUM + - ELLUM . - salep m. ‚ Heuschrecke ‘ S und C. Suts. auch silep, surm. auch zalep. E silip, salip, sagliuot. Abl. von SALIRE mit dem Suffix - IPPU , das im BR nur gerade hier auftritt (cf. HWR 3: 1302). Nach FEW 11: 98 sind Suffixe mit - PP vorromanisch (Hubschmid). Bezeichungen der Heuschrecke, die mit einem - PP -Suffix von SALIRE abgeleitet sind, verzeichnet AIS 3: 466 „ la cavalletta “ für Sulzberg und Nonsberg: Pkt. 310 (Piazzola, Rabbi) salüp(o), Pkt. 311 (Castelfondo) salup. Nach T AGLIAVINI 1934: 275 kennt auch Erto (Valle del Vajont) eine entsprechende Form: sciajup (cf. Gartner, ZRPh. 16: 342). Das DL weist dagegen Ableitungen auf - OCCU auf: grödn., gad., enneb. saioch, fass. saùch (neben sautarin). Cf. EWD 6: 18 s. salì. Dieser Typus findet sich auch im Tessin (LSI 4: 494 s. saiocch), daneben Formen auf -ot (< - OTTU ) im Lomb. und Piem. (AIS 3: 466; LSI 4: 494 s. saiòtro). - schalun m. ‚ Sensenstiel ‘ S, suts./ E schilun (surm. tscheber). < * AXILONEM (zu * AXILEM ‚ Achse ‘ ). Außerhalb von RB ist der Typus in einem ziemlich begrenzten Gebiet der südlichen und östlichen Nachbarschaft vorhanden: Bündner Südtäler, vereinzelt Tessin (Onsernone; cf. LSI 4: 704), Veltlin (DEG s. silón), Nonsberg und südl. angrenzendes Trentino (AIS 7: 1404 „ il manico della falce “ ). 210 Was die Herkunft von -sstatt zu erwartendem -rangeht, erwähnt W.-H. s. ros neben rorare auch *rosare mit Verweis auf mlt. rosulentus. 96 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="97"?> - stgirat m. ‚ Eichhörnchen ‘ S, C; E squilat. < * SCUÍRUM (zu SCIÚRUM ) mit dem Suffix - ATTUM , das im BR nur hier vorkommt. Der Typus ist auch oberit. (lomb. 211 , trent.), dolomitenladinisch (grödn. schirlata f., gad. schirata f.) und friulanisch (sghirate f. mit zahlreichen lokalen Varianten; cf. P IRONA 1972 s.v.). Die Karte „ lo scoiattolo “ des AIS (3: 442) weist den Typus vereinzelt bis nach Mittelitalien nach (cf. Pkte. 536 und 616). Erstaunlich ist der Alleingang des Tessins (und der Südbündner Täler) mit dem (wahrscheinlich vorromanischen) Typus cósa, güsa, güsgia. Cf. LSI 2: 45. - tschaghera f. ‚ Nebel ‘ S; suts. und E tschiera 212 . < CAECUS ‚ blind, dunkel ‘ + Suffix -era < - ARIA . Der Worttypus ist auch oit. belegt, so im Piemont 213 und in der Lombardei, besonders im Veltlin (DEG s. scighèra ‚ nebbia, foschia ‘ ), im Tessin und in Poschiavo (LSI 4: 645 s. sceghéra), ferner im Chiavennasco, Comasco und nördlich von Mailand (AIS 2: 365 „ nebbia “ ). Ein weiterer lomb. Typus, der auf CAECUS zurückgeht (ohne Suffix), ist scéga (LSI 4: 644), scìga, céga (veltl.; DEG s. scighèra). Er ist außer im Veltlin im Bergell, Puschlav und im nördl. Tessin präsent und hat offensichtlich auch Teile von RB erreicht, so das Surmeir (tscheia ‚ Dunst ‘ ) und punktuell das Schams (Maton) und das Oberengadin (Fex). Cf. HWR s. tscheia. - vadretg m. ‚ Schneebrücke ‘ S und C; E vadret ‚ Gletscher, Firn ‘ . < VETEREM + - ICTUM . Der Typus ist auch im nördl. Tessin und in Südbünden vital. Cf. LSI s. vedrécc (Biasca, Blenio, Calanca, Bregaglia, Poschiavo). AIS 3: 426 a „ il ghiacciaio “ verzeichnet vedrec, vadrec außer für Pkt. 22 (Olivone) auch für Pkt. 205 (Prestone, im Chiavennasco) und Pkt. 224 (Curcio, am oberen Comersee). Sonst herrscht in der lombardischen Nachbarschaft (Veltlin, Trentino, prov. Bergamo und Brescia) verbreitet ein Typus * VETERATA (AIS loc.cit.) 214 . - viarcla f. ‚ Vorwand, Ausrede ‘ S; suts. vearcla, surm. vercla. E s-chüsa, finta. < * VERTULA (zu VERTERE ). Der Worttypus ist dem BR und dem DL gemeinsam. Die (heute eingestürzte) Brücke zwischen dem rheinischen BR und dem DL bilden die aeng. Belege für 211 Aber nicht im Tessin, wo der wahrscheinlich vorromanische Typus cosa, güsa etc. herrscht. Cf. LSI 2: 45. 212 Surm. brainta. Surm. tscheia ‚ Dunst ‘ nach HWR aus oit. céa, scega. Dazu unten. 213 Anzasga und Antrona, FEW 2: 33. AIS 2: 365 „ nebbia “ bestätigt diese Angaben allerdings nicht. Das gilt aber auch für die Belege aus dem Tessin, die LSI 4: 645 s. reichlich beibringt. 214 DEG nennt neben vedréta auch vedrégia, das als Reflex des ursprünglichen * VETERICTA bezeichnet wird. AIS 3: 426 a verzeichnet für Pkt. 216 (Lanzada, Veltlin) üna vedrece. 97 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="98"?> vercla bei Bifrun 215 . Grödn. viertla, gad. vertora, fass. vértola, buch. vièrtola. Cf. G SELL 1992: 152s. Dieser bündnerromanisch-dolomitenladinische Alleingang bei einem Abstraktum ist schon sehr merkwürdig! - viez m. (pl. viazs, koll. viaza) ‚ Weißtanne ‘ S; suts. aviez, surm. gez, ivez, viez. In E schwach bezeugt; nur Tschlin koll. la vieza, l ’ avieza, FN God da Vezza (RN 2: 2). Cf. DRG 1: 597s. s. avez. < * ABETEUS zu ABIES , ABIETIS . Der Typus erstreckt sich über das BR hinaus nach Süden und Osten 216 , so in die Bündner Südtäler und ins Tessin, v. a. Sopraceneri (cf. LSI 1: 38 s. abiézz), ins Chiavennasco und untere Veltlin, weiter südl. bis in die Provinzen Bergamo und Brescia, östl. ins Sulz- und Nonsbergische und das benachbarte Trentino (AIS 3: 577 „ l ’ abete bianco “ ). Er findet sich auch im südlichen Dolomitenladinischen (fass. avez, buch. avaz), während das Gadertalische und das Friaulische eine andere Ableitung von ABIES aufweisen: gad. aidin, friul. avedin 217 . - vischnaunca f. ‚ Gemeinde ‘ S; suts./ surm. vischnanca, put. vschinauncha (vall. cumün). < * VICINANCA , einer Ableitung von VICINUS mit dem eher seltenen Suffix - ANCA , dessen Herkunft nicht geklärt ist 218 . Entsprechungen mit einem Suffix, das lat. - ANTIA fortsetzt, finden sich in den Bündner Südtälern und im Tessin. Cf. LSI 5: 79 o s. visinanza. N IERMEYER s. vicinantia belegt den Worttypus in der Bedeutung ‚ commune rurale, village ‘ für Como a. 1167. - zampugn m. ‚ Kuhschelle ‘ S, C (C auch sampugn), E zampuogn. < * SYMPHONIUM (zu SYMPHONIA ‚ Einklang, Harmoniemusik ‘ ). Während it. zampogna ‚ Dudelsack ‘ bedeutet, setzt sich im alpinen Gebiet ein vorwiegend maskuliner Typus sampogn, zampogn durch, der die Kuhglocke bezeichnet. Außerhalb von RB ist er in der lombardischen Nachbarschaft belegt (Breg., Posch., Chiavennasco, Veltlin; LSI 4: 511 s. sampôgn, AIS 6: 1190 „ la campana [della vacca] “ , DEG s. sampógn), ferner im Sulzberg und Nonsberg sowie im Friaul (AIS loc.cit., P IRONA 1972). Auch im Dolomitenladi- 215 Apg. 27: 30 und I. Tim. 5: 14. An der ersten Stelle entspricht per vercla in der V ULGATA sub obtentu, bei G ABRIEL sut pretext. Die zweite Stelle ist freier übersetzt. Beide Belege fehlen bei F ERMIN 1954. 216 Vereinzelt auch westlich ins Piemontesische, so Pkt. 109 (Premia bei Domodossola). AIS 3: 577. 217 Grödn. len da vëta/ vëtes. 218 Wartburg (FEW 5: 102 s. labina) hält einen vorrömischen Usprung des Suffixes für wahrscheinlich, gegenüber Hubschmid, der die These seines Vaters Hubschmied verteidigt, wonach das Suffix aus dem Germanischen stammen würde (ibid. N 3). Zu den Reflexen im BR cf. E ICHENHOFER 1999: 368 (§ 537d). 98 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="99"?> nischen ist sampügn ‚ Schelle ‘ (gad.), sampün ‚ Glocke, Schelle (aus Bronze, gegossen) ‘ (enneb.) präsent 219 . Adjektive - anetg ‚ plötzlich, jäh, schnell ‘ S und C, suts. auch (sch)nadetg, E dandet. Auch adv., neben anetgamein, dandettamaing 220 . HWR und D ECURTINS 2001 gehen von einer Zusammmensetzung IN + ICTUS aus, die schon DRG 5: 55 s. dandet bevorzugt. Die Deutung wird gestützt durch analoge Ausdrücke, die in der lateinischen Schrifttradition bezeugt sind: uno ictu ‚ auf einen Schlag ‘ (seit. Plautus; W.-H), eodem ictu temporis ‚ in demselbem Augenblicke ‘ (Tac., GEORGES s. ictus). Wenn dl. aiet ‚ Augenblick ‘ auch hierher gehört, wie A SCOLI 1880 - 83: 573 annimmt, erstreckt sich der Worttypus über das BR hinaus nach Osten 221 . - gagl ‚ scheckig, bunt ‘ So S, übrige Gebiete giagl. < * GALLIUS (zu GALLUS ). DRG 7: 120 - 22. Im Engadin scheint das Adjektiv nicht mehr vital zu sein. Der Artikel des DRG hat für diese Region ausschließlich Belege aus alter Literatur. Auch die Legende „ gesprenkelt (brizzolato) “ zu AIS 8: 1574 „ nero, nera, neri “ enthält nur Beispiele aus S, ferner für Zuoz (Pkt. 28) sgiaglio. Hier fehlen auch Belege aus dem Tessin und Südbünden, die allerdings im LSI 2: 599 unter gail ‚ chiazzato, brizzolato, screziato ‘ für Misox, Bergell und Blenio angegeben werden. Cf. auch ibid. gaiell in gleicher Bedeutung (Misox). - gruvi ‚ rauh, uneben ‘ Das Adjektiv ist in S vital. DRG 7: 890 s., HWR und D ECURTINS 2001 leiten es von lat. * RUVIDUS (für * RUGIDUS ) ab. DRG loc.cit. führt unter gruvi auch müst. grubi ‚ spröde, steif, starr (vor Kälte) ‘ an. HWR trennt müst. grubi von surs. gruvi und erklärt es als Lehnwort aus tirol. grûfrig. Das leuchtet ein; andererseits stellt sich die Frage, wie suts. grubi (HWR Veuld., DRG loc.cit. Andeer, Tumegl, Sched, Veuld.) zu erklären ist. Die heutigen Wörterbücher bestätigen diese Form nicht. Es ist fraglich, ob die beiden Typen (gruvi und grubi) überhaupt scharf zu scheiden sind. Daß bei gruvi < * RUVIDUS andere Typen verschiedener Herkunft wie gruogl, grob, grezzo mit im Spiel sind (Anlaut), nimmt auch DRG 7: 891 an. 219 M ISCHÌ 2000; V IDESOTT / P LANGG 1998. AIS 6: 1190 fehlen entsprechende Formen. 220 Gelegentlich substantiviert, so S anetga ‚ Wutanfall ‘ , E (tuot) in ün dandet ‚ auf einmal, jählings ‘ . 221 Cf. grödn. n aiet ‚ plötzlich ‘ , gad./ enneb. aiet ‚ Augenblick ‘ , enneb. t ’ en aiet ‚ plötzlich ‘ . G SELL 1989: 143 nennt als Etymon IN ADIECTO , was nicht das letzte Wort sein dürfte. EWD fehlt ein Eintrag. 99 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="100"?> Der Typus gruvi ist auch im Tessin (LSI 2: 797 s. s. grüvi, oft mit Anlaut sgr-), im Trentino und im DL bezeugt. Grödn. grove, grovia, gad. grou, groia, enneb. grô, grôia, fass. grovech, grovia. - schirau ‚ lahm, gelähmt ‘ S; C und put. schiro, vall. schirà. Pert. perf. von schirar < * SIDERARE (zu SIDERARI ). Zur Bedeutungsgeschichte dieses Verbs, die auf der Vorstellung einer schädlichen Einwirkung der Gestirne ( SIDERA ) auf Menschen, Tiere und Pflanzen beruht, cf. L IVER 2007. Außer ‚ gelähmt ‘ bedeutet surs. schirau auch ‚ verschrumpft, verkrüppelt ‘ (von Früchten), vall. bös-ch schirà ‚ krüppelhafter, gekrümmter Baum ‘ . Der Worttypus setzt sich außerhalb des BR auch im Fassanischen (scirà ‚ avvizzito, rattrappito, contratto ‘ ) und im Friulanischen (sidrât ‚ rattrappito, storpio ‘ ) fort. Zeugnisse aus mittelalterlicher Literatur Oberitaliens belegen, daß die bündnerromanischen, dolomitenladinischen und friulanischen Reflexe des Worttypus die nördlichen Ausläufer einer Zone darstellen, die früher ein größeres Gebiet in Norditalien abdeckte 222 . Adverb - bugen ‚ gerne ‘ S; suts. bugent, surm./ E gugent (E auch jent). Die lange Zeit umstrittene Etymologie des Adverbs (zu GAUDENTE oder VOLENTE ? ) wird nach den Untersuchungen von J UD 1937 223 als * VOJENDO (zu VOLENTEM ‚ wollend ‘ ) erklärt. Cf. DRG 7: 1001, HWR und D ECURTINS 2001 s. v. Der Worttypus ist auch bergellisch (LSI 2: 809 s. gügént) und dolomitenladinisch: grödn. gën, gad. ion, gian, ienn, enneb. ienn, buch. gian. G SELL 1992: 232 s. (Rezension von EWD 4) hält br. bugen, gugent und dl. gën für eine „ frühe alpinromanische Eigenbildung. . ., die durch den Kontakt mit ahd. gerno angeregt worden sein mag. “ Die dl. Formen hält er für eine Übernahme aus dem benachbarten Churwelschen des Mittelalters. Präpositionen/ Konjunktionen - entochen Präp. und Konj. ‚ bis ‘ S entocca, entochen (che), älter auch entrocca, entrochen, suts. antoca, antocen, toca (ca). < INTER + HOC + - QUE . Cf. DRG 5: 631. Der Worttypus ist ein Musterbeispiel für eine Sprachform, die in früheren Zeiten in größeren Gebieten der Romania verbreitet war und heute nur noch in konservativen Reliktzonen weiterlebt. Im Mittelalter findet sich der Typus im Afr., Aprov., Ait. sowie im Iberoromanischen 222 Belege bei Bonvesin della Riva, Uguccione da Lodi, Giacomino da Verona und Pietro da Barsegapè. Cf. L IVER 2007 N 14. Für eventuelle weitere Vertreter der Wortsippe im Lombardischen ibid. N. 13. 223 Cf. J UD 1973: 321 - 37. 100 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="101"?> (FEW 4: 749). Innerhalb des Bündnerromanischen spiegelt sich der Schrumpfungsprozeß des Typus INTER - HOC und das Vordringen von it. fin(o) a, finché in den schriftsprachlichen Zeugnissen. Eine Zeugenaussage von 1394 belegt introekk ‚ bis ‘ für das Münstertal (cf. L IVER 1991: 102), und im Surmeir ist der Typus bis ins 20. Jh. faßbar (DRG 5: 630 s.). Außerhalb von RB wird der Typus für den nördl. Piemont (Antrona, Anzasca) belegt (DRG 5: 631 224 ), im Tessin für einzelne Örtlichkeiten im Verzasca- und Maggiatal (LSI 5: 629 s. tró) 225 . - sper ‚ neben, an, nahe bei ‘ Allg., E dasper. Auch speras, dasperas. Außer Präp. auch Adv., wobei keine klare Abgrenzung ersichtlich ist. In S und C sind die Formen auf -r tendenziell eher Präp., diejenigen auf -as eher Adv. Nach DRG 5: 100 von ( DE )+ EX + PARIU , - A (zu PAR ) 226 . Adverbielles -s in S und suts. Der Typus ist auch im Bergell, Puschlav und Veltlin lebendig (LSI 2: 193 s. daspeir, DEG s. despäer), ferner vereinzelt weiter südlich in der Lombardei (AIS 2: 353 „ accanto “ Pkt. 222 Germasino, Pkt. 275 Castiglione d ’ Adda dapár). Indefinita - enza- ‚ irgend- ‘ Das generalisierende Präfix enza-, oft verkürzt zu za-, tritt in S zu verschiedenen Interrogativa, z. B. tgi ‚ wer ‘ , tgei ‚ was ‘ , co ‚ wie ‘ , cura ‚ wann ‘ : enzatgi ‚ jemand ‘ , enzatgei ‚ etwas ‘ , enzaco ‚ irgendwie ‘ , enzacura ‚ irgendwann ‘ 227 . Ähnlich suts. (an)za-, surm. ensa-, eng. ünsa-, wobei Vitalität und Ausbau des Minisystems von Westen nach Osten abnehmen. Über die etymologische Basis des heute für den Sprecher nicht mehr durchsichtigen Präfixes gibt es unterschiedliche Auffassungen. Einig ist man sich in der Annahme, daß dem Präfix die Lexikalisierung eines Phraseologismus vom Typus EGO NON SAPIO . . . oder UNUS NON SAPIT . . . zugrundeliegt. Gewisse Forscher legen sich nicht fest zwischen den beiden Möglichkeiten (so Gartner und Prader-Schucany) 228 . Ascoli plädiert klar für die Variante mit der 1. Person 229 ; ihm folgt, aus der Perspektive des Dolomitenladinischen, Otto Gsell 230 , während Elwert, Kramer, die Autoren des HWR und Decurtins von UNUS NON SAPIT ausgehen 231 . Tatsächlich ist es schwierig, hier zu einer schlüssigen Antwort zu gelangen. Nach der Sichtung des einschlägigen Materials nicht nur aus 224 Allerdings bestätigt die Karte „ fino all ’ ultimo (del mese) “ AIS 2: 308 diese Angaben nicht. 225 Cf. auch L IVER 1969: 53s. 226 Warum HWR und D ECURTINS 2001 * PARIO ansetzen, ist nicht einsichtig. 227 Für weitere Beispiele und eine ausführliche Diskussion der im Folgenden skizzierten Problematik cf. L IVER 2007. 228 G ARTNER 1883: 105s., G ARTNER 1910: 220. P RADER -S CHUCANY 1970: 143ss. 229 A SCOLI 1873: 48 N2, 201, 266, 271, 360. 230 G SELL 1993 (Ladinia 17): 175. 231 E LWERT 1943: 91; EWD unter den Einträgen mit den Anlautsilben za-, zeinsa-; HWR und D ECURTINS 2001 unter den Einträgen, die mit enzabeginnen. 101 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="102"?> dem Bündnerromanischen, sondern auch aus dem Alpinlombardischen und dem Dolomitenladinischen, wo eng verwandte Formen vorliegen, bin ich zum Schluß gelangt, daß die Hypothese mit der ersten Person, also ein vulgärlateinisches ( EGO ) NON SAPIO ( QUID , QUIS . . .) als Nachfolgekonstruktion des klassischen NESCIO ( QUID , QUIS . . .), mehr für sich hat 232 . Indefinita, die auf za-, ze-, seanlauten (zaché, zeché, seché ‚ qualcosa ‘ ) finden sich in den Südbündner Tälern (Bergell, Misox) und in archaischen Mundarten des Sopraceneri (Leventina, Blenio, Verzasca). Cf. LSI 3: 593 s. s. nonsoché. Im selben Artikel finden sich auch zahlreiche Formen, die auf zo-, zu-, so-, suanlauten. Hier ist eine 1. Ps. als Basis evident, während die Lautung in den andern Fällen noch der Abklärung bedarf. Cf. auch LSI 5: 833 zaquant (Blenio), zaquènt (Ludiano) ‚ alcuni ‘ . Indefinita mit Anlaut za-, ze-, insasind auch im Dolomitenladinischen präsent: grödn./ fass. zachei, gad. zacai, insachê ‚ jemand, irgendeiner ‘ , grödn./ fass. zeche, gad. cizé 233 , insací ‚ irgendetwas ‘ , grödn./ fass. a zeche moda, gad. zacó ‚ irgendwie ‘ , grödn. nzaul, nzauna, gad. inzai, fass. zaolà ‚ irgendwo ‘ , grödn. zacan ‚ irgendwann ‘ . - mintga invar. ‚ jeder, jede, jedes ‘ S und C, E mincha, imincha. < OMNIS + UMQUAM . Cf. it. ognunque, aoit. ominca. Heute nur spärliche Spuren des Typus außerhalb RB: LSI 3: 438 minca agg. ‚ ogni ‘ circ. Giornico, Castasegna, minchi Chironico, mincatant avv. ‚ talora, talvolta ‘ Sopra Porta. LSI 3: 397 menca m. ‚ giorno feriale, lavorativo ‘ Leventina, mencadí, mincadé m. Bergell und Osco, gleiche Bedeutung (cf. S mintgadi, E minchadi ‚ Alltag ‘ ), ferner piem. minca ‚ ogni ‘ 234 . Verben - astgar ‚ dürfen ‘ S; suts. (d)astgear, stgear, surm. dastgeir, put. sus-chair, vall. das-chair. < * AUSICARE zu AUSARE (spätlat. vom Part. AUSUS zu AUDERE ). Anlautendes dwird von DRG 5: 96 s. das-chair als hiatustilgend erklärt, von HWR s. das-chair als and < INDE . Anlautendes sim Oberengadin wird beiderorts auf das Reflexivum SE zurückgeführt. Der Worttypus setzt sich im Bergell und im Puschlav, aber auch im Tessin (vom Sopraceneri bis zum Luganese und Mendrisiotto) und im benachbarten Alpin- 232 L IVER 2007. 233 Metathetische Form. Cf. T AGLIAVINI 1934: 106. 234 Diese Formen werden allerdings in den Karten des AIS, die „ ogni “ enthalten (4: 722 „ s ’ ubriaca ogni giorno “ cp., 8: 1636 „ ogni volta “ cp.), nicht bestätigt. Dasselbe gilt für das verschiedentlich zitierte piem. minca ‚ ogni ‘ ; cf. aber R OHLFS 1949/ 2: 259 (§ 500), wo neben piem. minca (Castellinaldo) auch veltl. mencedé angeführt wird und die piemontesischen Wbb. (P ININ / S EGLIE 1974, B RERO 1976). 102 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="103"?> lombardischen fort, darüber hinaus in der östlichen Lombardei (LEI 3: 2546ss. 235 . LSI 1: 131. VSI 1: 301). - curdar v. ‚ fallen ‘ So S und suts., 3. Ps. croda. Surm. crudar, 3. Ps. croda, put. cruder, vall. crodar, 3. Ps. crouda. Die Etymologie, die A SCOLI 1873: 59, vorgeschlagen hatte, wird von allen etymologischen Wörterbüchern des BR übernommen: < * CORROTARE ‚ zusammenstürzen ‘ . Sowohl FEW 2: 1228 als auch DEI s. crodare melden Bedenken an, ohne allerdings eine Alternative vorzuschlagen. Der Worttypus ist in weiten Teilen Oberitaliens präsent, vor allem im Lombardischen, vereinzelt auch im Piemont und in Ligurien (AIS 7: 1257 „ per far cascare “ , 8: 1621 „ non cadere! non cadete! “ ). Die beiden Karten des AIS zeigen aber auch, daß im BR Verbindungen von dar + Ortsadverb (giu/ gio, entuorn/ intuorn) in der Umgangssprache häufiger sind als Vertreter des Typus curdar/ crodar. Cf. DRG 5: 78ss. 236 - derscher v. trans. ‚ stürzen, kippen; fällen (Baum); ausschütten, gießen ‘ S und suts. Surm. smerscher, E schmerdscher, was aber nur Teile des Bedeutungsumfangs von surs. derscher abdeckt. < * DERGERE (zu DIRIGERE ). Cf. DRG 5: 173. Sporadisch und in verschiedenen affinen Bedeutungen findet sich der Worttypus auch im Tessin, im nördl. Piemont, im Val di Sole und im Friaul. Die Bedeutung ‚ seihen, sieben, filtrieren ‘ ist für surs. derscher (atras) belegt (DRG 5: 172). Auf der Karte „ colare il latte “ AIS 6: 1201 erscheint derscher atras nur gerade in Camischolas (Pkt. 10); sonst herrscht im BR cular vor. Im nördl. Tessin dagegen ist dèrg vielfach präsent. Cf. auch LSI 2: 214 s. Nach AIS loc.cit. setzt sich der Typus auch im nördl. Piemont (Pkte. 107, 109, 114) fort. In der Bedeutung ‚ ein Gefäß schwenken ‘ ist érger im Val di Sole bezeugt (A SCOLI 1880 - 83: 558), dérgi ‚ mettere la segala a seccare ‘ in Collina im Friaul (VRom. 12: 350). - endriescher ‚ erfahren, vernehmen ‘ So S, suts. andriescher surm. andrescher, anderscher, E indreschir. Cf. DRG 8: 631 - 36. < RESCIRE und einem ersten Element, das sowohl IN als auch INDE sein könnte. Die DRG 8: 636 erwähnten Gründe sprechen für INDE , was auch HWR annimmt. RESCIRE (wie auch SCIRE ) lebt sonst in der Romania nicht weiter. Der Worttypus INDE + RESCIRE setzt sich im DL fort, in Bedeutungen, die denjenigen im BR entsprechen: grödn. nrescì, nriescer, gad. inrescí, enneb. enresce, fass. enrescir. Cf. EWD 4: 89. Wie im BR erscheinen auch hier neben Formen der - IRE -Konjugation solche, deren Infinitiv auf unbetontes -er aus den stammbetonten Formen neu gebildet wurde. 235 Erstaunlich, daß hier zwar auf aeng. und asurs. Parallelen, nicht jedoch auf die heute vitalen Formen S astgar, E das-chair verwiesen wird. 236 Im sprachgeschichtlichen Teil dieses Artikels vermißt man einen Kommentar zu dieser semantischen Besonderheit von dar im BR. 103 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="104"?> - rentar ‚ anbinden, intr. kleben ‘ S; C und E rantar (E nur 1. Bedeutung). < * HAERENTARE , Abl. von HAERERE , das in der Romania nicht weiterlebt. Über das BR hinaus findet sich der Worttypus (vor allem in der Bedeutung ‚ das Vieh anbinden ‘ ) auch im Bergell und Puschlav, ferner in Gorduno (Nähe Bellinzona), hier allerdings in der Bedeutung ‚ fermarsi, arrestarsi, stare fermo ‘ (LSI 4: 329). AIS 6: 1165 „ la stalla “ verzeichnet in der Legende „ die Tiere anbinden und losbinden “ den Typus auch in der Val S. Giacomo (Pkt. 205 Prestone), im Veltlin (Pkt. 209 Isolaccia, Pt. 218 Grosio; cf. DEG s. rentèr 237 ) und im Dolomitenladinischen: Pkt. 305 San Vigilio di Marebbe aronté (bestätigt durch V IDESOTT / P LANGG 1998). Q UARESIMA 1964 belegt den Typus auch für das Sulzbergische. - scadenar ‚ rasseln, lärmen, rütteln, schlagen ‘ Nur S und C (dort scadanar). Parasynthetische Abl. von cadeina < CATENA mit -ar und Intensivpräfix ʃ - (< EX ). Die einzige Bezeugung des Typus außerhalb von RB findet sich im Malcantone: scadenaa ‚ trasciare catene o altra ferraglia con grande fracasso ‘ (LSI 4: 589). It. scatenare ist eine formal analoge Bildung anderer Bedeutung, da hier sprivativ ist. - sfraccar ‚ (zer)brechen, zerschlagen ‘ S; suts. sfartgear, surm. sfratger, put. sfracher, vall. sfrachar. < * FRAGICARE (zu FRANGERE ) mit Intensivpräfix ʃ - (< EX ). Der Worttypus ist auch oberitalienisch, dolomitenladinisch und friaulisch, teils mit, teils ohne Intensivpräfix. Cf. LSI 2: 538 s. fracá ‚ premere, schiacciare, calpestare ‘ (die Formen mit seher in den Südbündner Tälern und im Sopraceneri), DEG s. sfracär ‚ fracassare ‘ . Grödn. fracë, sfracë, sfracacë, gad./ enneb. fracé ‚ quetschen ‘ , fass. frachèr ‚ schiacciare, schiantare ‘ , sfracèr ‚ sfracellare, sgretolare ‘ . Cf. EWD 3: 309s. Friul. fracâ ‚ premere ‘ (fraciâ v. fracâ). P IRONA 1972. - schmerscher ‚ zu Grunde gehen, abstürzen ‘ ; ir a smerscha gleiche Bedeutung (v. a. vom Vieh in den Bergen gesagt) S; suts./ surm. schmearscher ‚ abgleiten, abstürzen, verunfallen ‘ , schmearsa ‚ Absturz, Sturz ‘ ; E schmerdscher ‚ fällen ‘ (Bäume, Holz), schmersa f. ‚ Fällen von Bäumen, Abholzung ‘ . < MERGERE mit Intensivpräfix ʃ - (< EX ). Smerscha 238 , schmearsa, schmersa sind deverbale Ableitungen. Der Typus setzt sich südlich im Bergell, Misox und im nördlichen Tessin fort. Cf. LSI 5: 70 s. smèrg(ias), in der Bedeutung ‚ precipitare di un dirupo, cadere rovinosamente, sfracellarsi ‘ . 237 Hier ist der Hinweis auf DRG 8: 40 herentar unzutreffend, da diese vereinzelt bezeugte Form sicher nichts mit * HAERENTARE zu tun hat. 238 Warum D ECURTINS 2001 smerscha als „ adv. “ bezeichnet, ist nicht einsichtig. 104 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="105"?> - smugliar ‚ zerknittern; kauen ‘ S. Entsprechendes in teilweise abweichenden Bedeutungen in den anderen Regionen. Suts. schmugliear 1. ‚ kneten ‘ (Wäsche), 2. ‚ schlecht kauen, schmatzen ‘ (so M ANI 1977. Kein Eintrag bei E ICHENHOFER 2002). Surm. smuglier ‚ kauen, schmatzen ‘ . E schmögliar, -er ‚ eingeweichte Wäsche auswaschen ‘ . So auch Bergün smiglier ‚ Wäsche in heißem Wasser einseifen und reiben ‘ (L UTTA 1923: 102). < * MOLLIARE ‚ einweichen ‘ mit Intensivpräfix ʃ - (< EX ). HWR hält die Bedeutung ‚ kauen, schmatzen ‘ für sekundär, von magliar ‚ essen ‘ beeinflußt. In ganz RB und in einem großen Teil Oberitaliens sind auch deverbale Ableitungen von * EX - MOLLIARE verbreitet, meist in der Bedeutung ‚ Lauge ‘ . Das gilt nicht für S smugl m. ‚ Gedränge, Gewühl; durchnäßtes, nasses Zeug; Geschwätz ‘ (Lauge hier lischiva), wohl aber für suts. schmugl, schmegl ‚ Laugenwasser ‘ , surm. smigl ‚ Aschenlauge ‘ (hier smugl ‚ Gewühl, Durcheinander ‘ ), E schmögl ‚ Lauge, Waschlauge ‘ . Dieser Worttypus ist gemäß AIS 8: 1525 „ il ranno “ weit über das BR hinaus verbreitet, so im nördl. Piemont, im Lombardischen (Südbünden, Tessin, Chiavennasco), aber auch weiter südlich bis in die Emilia-Romagna (Piacenza, Bologna). Cf. auch LSI 5: 74 s. smöi ‚ ranno, liscivia ‘ . Die Verbreitung des surs. smugliar, eng. schmögliar entsprechenden Verbs ist im AIS schlecht nachzuweisen, dürfte aber ebenfalls über das BR hinausgehen (cf. FEW 6: 48 s. * MOLLIARE ). - turschar ‚ rühren, kneten; aushecken, brauen ‘ So S; suts. truschar, surm. truschier 239 , put. truscher. < * TRUSIARE (zu TRUSARE , Intensivbildung zu TRUDERE ‚ stoßen ‘ ). Der Worttypus ist auch in Südbünden und im Tessin präsent. Cf. LSI 5: 644 s. trüsá 240 , darüber hinaus im Nordpiemont und in der Val S. Giacomo (AIS 5: 10022 „ rimestare “ ). Für die Bedeutung ‚ kneten ‘ gibt AIS 2: 237 „ impastare “ außer den Belegen für RB nur noch Soglio (Pkt. 45), Chironico (Pkt. 32, Leventina) und Cavergno (Pkt. 41, Valle Maggia). C HERUBINI 1814 verzeichnet für das Mailändische trusciá in der übertragenen Bedeutung ‚ affaccendarsi, acciappinarsi ‘ . - zanistrar ‚ umkehren, verdrehen ‘ S und E (put. zanistrer), suts./ surm. sanastrar. < * SINESTRARE (zu SINISTER , SINISTRUM ‚ links ‘ ). Der Typus ist auch in oberit. Dialekten bezeugt (REW 7947), ferner im Friaulischen. P IRONA 1972 verweist unter signistrâ auf dissignistrâ ‚ slogare, lussare ‘ . Der Anlaut zder br. Formen dürfte jedoch nicht auf ein Präfix DIS oder EX zurückgehen, sondern vielmehr auf eine satzphonetisch bedingte Lautung. Cf. zavrar < SEPERARE (C ADUFF 1952: 88, L UTTA 1923: 162 [§ 142]). 239 Vaz (nach E BNETER 1981) treuscher, turschier ‚ rühren, kneten ‘ . 240 Verschiedene Ableitungen bezeugen die Vitalität des Typus. 105 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="106"?> 2.2.3.4 Worttypen des BR, die sich im Galloromanischen und/ oder in größeren Gebieten Italiens fortsetzen 2.2.3.4.1 Alte Latinität Substantive - cadruvi m. ‚ Platz vor der Kirche, Dorfplatz ‘ (DRG 3: 6) Nur S. In Flurnamen auch E und Südbünden (cf. RN 2: 277). < QUADRUVIUM ‚ Kreuzweg ‘ . Der Worttypus ist nach REW 6922 auch lomb., gen., log. und französisch belegt. FEW 2: 1407 verzeichnet außer afr./ mfr. carroge ‚ croisement de plusieurs chemins, grande place ‘ zahlreiche Dialektbelege, vor allem aus Nordfrankreich. Cf. auch den Ortsnamen Carouge bei Genf. C HERUBINI 1814 bezeichnet carobbj ‚ crocicchio ‘ als „ voce antica “ . - coller m. ‚ Haselstrauch ‘ (DRG 4: 22 s.) 241 Allg., suts. coler 242 . < * COLURUS (metathetische Nebenform zu CORYLUS ) 243 . Der Typus ist auch in verschiedenen Gebieten Norditaliens (nördl. Tessin, Comasco, westl. Trentino, Piemont, Ligurien und vereinzelt bis in die Emilia/ Romagna belegt (AIS 7: 1302 „ la nocciuola, il nocciuolo “ , LSI 1: 863 s.), ferner im Galloromanischen: afr. und dialektal coudre (FEW 2: 1240ss.). - fuera f. ‚ Durchfall ‘ (DRG 6: 726 s. fuoira) S; suts. fuira, sfuira, surm. foira, put. sfuira, vall. sfuoira. < lat. FORIA , belegt seit Varro (1. Jh. v. Chr.). Der Typus ist auch galloromanisch (fr. foire, dialektal weit verbreitet; FEW 3: 713) und oberitalienisch (Südbünden, Tessin, Piemont, Lombardei). Cf. AIS 4: 677 „ la diarrea “ und LSI 2: 499 s. fóira, wo auch Formen begegnen, die auf sci-, sfanlauten (Blenio, Vma., Leventina, Breg., Poschiavo, Bedretto). Der Anlaut sgeht auf das Intensivpräfix EX zurück (HWR s. fuera). - iral m. ‚ Tenne ‘ (DRG 10: 82ss.) Allg., put. irel. < lat. AREALIS ‚ zur Tenne gehörig ‘ 244 . Der Worttypus bezeichnet in ganz RB die Tenne, im Unterengadin allerdings in Konkurrenz zu era < AREA . In DRG 10: 96 s. iral vermißt man einen Hinweis auf era I (DRG 5: 657 s.). AIS 7: 1468 „ l ’ aia - Tenne - aire “ vermittelt den Eindruck, der Typus AREALIS sei auf das BR beschränkt; in der ganzen italienischen Nachbarschaft 241 Betonung auf der 1. Silbe. 242 Fehlt im romanisch-deutschen Teil von E ICHENHOFER 2002; cf. aber im deutsch-romanischen Teil s. Haselstock fest da coler, Haselstrauch tgaglia coler (neben nitscholer). 243 Daß die Metathese alt ist, beweist die Ableitung colurnus ‚ aus Haselholz ‘ , die bei V ERGIL , Ge. 2: 396 belegt ist. 244 Nach FEW 25: 170 ist die Bedeutung ‚ Tenne ‘ schon für lat. AREALIS bezeugt. Cf. R OHLFS 1920: 30. 106 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="107"?> erscheint ausschließlich der Typus AREA . LSI 2: 350 s. erál weist jedoch den Typus AREALIS auch in den Südbündner Tälern aus, allerdings in verschiedenen Bedeutungen. Für lirá in Grono wird ‚ parte del fienile in cui si esegue la trebbiatura ‘ angegeben, für erál in Poschiavo ‚ tavolato all ’ interno del fienile, su cui si esegue la trebbiatura ‘ . Weitere Vertreter des Typus in oberit. Dialekten (lomb., trent., piem.) nennt LEI 3.1: 1027 s., im Galloromanischen FEW 25: 170. - purgina f. ‚ Reif, Nachtfrost ‘ S; suts. purgegna, surm. purgigna, put. pruigna, vall. braïna. < lat. PRUINA ‚ Reif ‘ . Außer der untereng. Form, in der wie in it. brina und fr. bruine (mit abweichender Bedeutung: ‚ feiner, kalter Staubregen ‘ ) ein Einfluß von lat. BRUMA ‚ Wintersonnenwende, Winterzeit ‘ vermutet wird (REW 6796, FEW 9: 491), setzen alle br. Formen lat. PRUINA fort. Dieser Typus findet sich auch in großen Teilen der Lombardei, im ganzen Tessin (LSI 4: 160 s.), im Chiavennasco, aber auch weiter südlich (neben Formen mit br-) bis zum Po und darüber hinaus (AIS 2: 375 „ la brina “ ) 245 , ferner im Piemont (vor allem im Norden), aber auch in Ligurien (AIS loc.cit.). - slonda f. ‚ Schindel ‘ S und C; E s-chandella. < lat. SCANDULA (E mit Suffixwechsel, - ELLA für - ULA ). Nach HWR über eine Metathese von * ʃ kóndl “ zu * ʃ klónd “ entstanden. Die heutige Lautung muß wohl das Resultat einer Vereinfachung des anlautenden Nexus sein. Der Typus SCANDULA ist in Oberitalien weit verbreitet, vereinzelt auch bis nach Mittelitalien (AIS 5: 866 Leg. „ la scandola “ ). Auch in den Dolomiten und im Friaul: gad. scianora, friul. s ’ ciandule. Im Galloromanischen finden sich sowohl Fortsetzer von SCANDULA als auch von der Nebenform SCINDULA (< dt. Schindel). Cf. FEW 11: 284. - sterp m., koll. sterpa ‚ Reisig ‘ S, surm; suts. stearp (E fruos-cha). < lat. STIRPS , STIRPIS ‚ Stamm, Zweig ‘ . Der Worttypus ist auch italienisch (sterpo ‚ Gestrüpp ‘ , sterpi ‚ Reisig ‘ ) 246 . Im Galloromanischen ist nur bress. khtérbi m. ‚ bois mort en forêt; bois rabougri et de peu de valeur ‘ bezeugt (FEW 12: 277). Von STIRPS stammt auch port. estrepe ‚ Splitter ‘ , während rum. sterp ‚ unfruchtbar ‘ , von HWR als Parallele zu sterp angeführt, anderen Ursprungs sein dürfte 247 . 245 Der südlichste Beleg stammt aus Coli (Pkt. 420, prov. Piacenza). 246 Nach DEI v. a. nordit. und tosk., verbreitet in Ortsnamen. Auch friul. (P IRONA 1972 stèrp ‚ sterpo ‘ ). 247 DEI s. stèrpa leitet die oberit. Formen, die ein noch nicht geschlechtsreifes Schaf bezeichnen, zusammen mit rum. sterp und alb. sterpe ‚ unfruchtbar ‘ vom gleichbedeutenden griech. στέριφος ab. 107 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="108"?> - stierl m. ‚ einjähriges Rind ‘ So S, f. stiarla, suts. stearl, stearla, surm./ E sterl, sterla. < lat. STERILUS , Nebenform zu STERILIS 248 . Die Bedeutung ‚ Tier, das (noch) kein Junges hat ‘ ist in alpinen Zonen weit verbreitet, so außer im BR im Oberitalienischen und Frankoprovenzalischen (FEW 12: 258 s., LSI 5: 257 s.). Meistens handelt es sich um Rindvieh, gelegentlich auch um Ziegen oder Schafe. Die sekundäre Bedeutung ‚ Dummkopf ‘ (von S PESCHA 1994 für S belegt) findet sich auch im Tessin (LSI 5: 258 für Cavergno). - vonn m. ‚ Kornschwinge, Mulde ‘ Allg. < lat. VANNUS f., gleiche Bedeutung. Der Typus ist auch oberitalienisch, zentralladinisch und galloromanisch (AIS 7: 1481 „ il vaglio (capisteo) “ , FEW 14: 161). Im Oberit. und Friulanischen neben van auch val (< * VANNULUS ; bei Varro vallus. Cf. DEI s. vallo 3 ). LSI 5: 709 vann 1 , 5: 704 vall 2 . - zuolper m. ‚ Schwefel ‘ So S; suts. zulper, surm. zolper, put. zuorpel, vall. suolper. < lat. SULPUR , der älteren Form gegenüber gräzisierendem SULPHUR (DEI s. zolfo, FEW 12: 422). Formen mit -pleben weiter in einem Gürtel, der sich vom Friaul 249 über das DL und das BR in die Westschweiz bis ins Massif Central erstreckt (FEW loc.cit.). Verben - reder (stammbetont) ‚ ergiebig sein ‘ Allg., suts. reader. < lat. REDDERE ‚ zurückgeben ‘ . Die Bedeutung ‚ einen Ertrag abwerfen ‘ ist nicht erst bei den römischen Agronomen bezeugt, wie FEW 10: 175 behauptet, sondern schon bei Terenz (G EORGES s. v.). Der Typus ist auch dolomitenladinisch: grödn./ fass. reter, gad. rete ‚ zurückgeben, heimzahlen, vergelten ‘ . Im Tessin ist réd, rèd neben redá (dazu im Folgenden) ebenfalls belegt (LSI 4: 303. Ferner prov. redre, kat. retre (REW 7141). Ob die sowohl im BR als auch im Tessin und im DL bezeugten Formen auf - ARE als Rückbildungen aus der 3. Ps. réda zu erklären sind, wie HWR s. reder vorschlägt, oder ob es sich um eine naheliegende Rekomposition handelt, bleibe dahingestellt; die beiden Vorgänge können sich gegenseitig gestützt haben 250 . Im größten Teil der Romania ist anstelle von REDDERE * RENDERE getreten (cf. it. rendere, fr. rendre etc.) 251 . Letzteres hat auch im BR Einzug gehalte, ohne jedoch das ältere REDDERE zu verdrängen. 248 STERILUS ist bei L UKREZ 2: 844 belegt (G EORGES ). Der Asterisk in HWR s. stierl ist also überflüssig. D ECURTINS 2001 fehlt ein Eintrag stierl. 249 P IRONA 1972: sólfar, anche sólpar. Auch AIS 3: 413 „ zolfo “ verzeichnet für das Friaul mehrheitlich Formen mit -f-. 250 Zu entsprechenden Vorgängen im Mittellatein cf. S TOTZ 1998: 183 (VIII § 106.1). 251 Wahrscheinlich unter dem Einfluß von PRE ( HE ) NDERE . Cf. FEW 10: 175. 108 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="109"?> - resgiar ‚ sägen ‘ S und vall; suts. rasgear, 3. Ps. resgia, surm. razger, 3. Ps. rezgia, put. rasger, 3. Ps. resgia. < lat. RESECARE ‚ abschneiden ‘ , das schon bei Vergil in der Bedeutung ‚ Holz schneiden ‘ vorkommt 252 . Der Worttypus ist außer BR auch lombardisch und piemontesisch und reicht auch südlich des Po ins Emilianische hinein (AIS 3: 555 „ segare “ , LSI 4: 341 s. ressegá). Im DL und FR herrscht dagegen wie im Veneto und im übrigen Italien der Typus SECARE . Im Galloromanischen finden sich Nachfolger von RESECARE im südlichen Lothringen, in der Franche Comté, im Frankoprovenzalischen und im Okzitanischen (FEW 10: 291ss.) 253 . - scuder (stammbetont) ‚ dreschen ‘ Allg. < lat. EXCUTERE ‚ herausschütteln ‘ , das nach FEW 3: 289 schon bei Sueton in der Bedeutung ‚ dreschen ‘ belegt ist. Hier liegt der seltene Fall vor, daß ein für ganz Graubünden charakteristischer Worttypus zwar im galloromanischen, nicht aber im italoromanischen Nachbargebiet Entsprechungen hat. Reflexe von EXCUTERE in der Bedeutung ‚ dreschen ‘ finden sich in der französischen Schweiz und in Ostfrankreich, während sonst in Nordfrankreich wie mehrheitlich in Oberitalien der Typus BATTERE (kl. BATTUERE ) herrscht (AIS 7: 1471 „ trebbiare [battere il grano] “ , FEW 3: 287ss.). Im Dolomitenladinischen finden sich dagegen Ableitungen von FLAGELLUM ‚ Dreschflegel ‘ , das auch in surs. flugi weiterlebt. Ausführlich zur Terminologie des Dreschens handelt der Aufsatz „ Dreschmethoden und Dreschgeräte in Romanisch Bünden “ von Karl Jaberg von 1922 (in: J ABERG 1937: 70 - 96). - zaccuder (stammbetont) ‚ schütteln ‘ S und surm.; suts. zacuder. < lat. SUCCÚTERE ‚ aufschütteln, aufrütteln ‘ , das seit dem 1. Jh. v. Chr. belegt ist 254 . Der Typus ist auch oberitalienisch und galloromanisch, meist in der Bedeutung ‚ schütteln, herunterschlagen von Früchten von einem Baum ‘ . FEW 12: 384 (vorwiegend frankoprov. Belege), LSI 4: 744 s. s. scöd. Ob it. scuotere von SUCCUTERE (so FEW 12: 386) oder von EXCUTERE (so DEI, P RATI , M IGLIORINO / D URO ) stammt, wäre abzuklären. Verbreitet begegnen in Oberitalien Formen mit Konjugationswechsel (auf - ARE und - IRE ), so tess. sachetá (LSI 4: 485), friul. sacodâ (P IRONA 1972), tessin./ südbündn. scudí (LSI 4: 787), mil. secudì, succudì (C HERUBINI 1814). 252 V IRG ., Ge. 2: 78 aut rursum enodes trunci resecantur. 253 Zur Entwicklung dieser Formen, die RESECARE auf indirektem Weg fortsetzen, cf. FEW 10: 294 N 16. 254 Warum HWR und D ECURTINS 2001 SUCCUTERE mit einem Sternchen vesehen, ist nicht einsichtig. Die Lautung CUTERE ergibt sich regelmäßig bei Präfixbildungen von QUATERE . 109 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="110"?> 2.2.3.4.2 Späte Latinität Substantive - andutgel m. ‚ Hauswurst ‘ (DRG 1: 269 s.) S und suts.; surm. andotgel, put. anduochel 255 . < INDUCTILIS , in den spätantiken St.Galler-Glossen (Zdph. 13,448, D IEZ , Wb. 508) im Plural ( INDUCTILES ) als Entsprechung von ahd. scubilinga (schwdt. Schüblinge) belegt. Suffixwechsel (- UCULUM , - UCULA ) liegt vor in SMur anduogl, Tschierv anduglia. Der Worttypus ist außer br. auch aoit. (cf. DEI s. indùgiere) und vor allem galloromanisch: fr. andouille, okz. anduecho, andulho (FEW 4: 652 s.). - fussé m. ‚ Haue, Breithacke ‘ (DRG 6: 146 s. fassuir) Nur S, hier auch als fassuir. < lat. FOSSORIUM , belegt bei Isidor v. Sevilla im Abschnitt „ De instrumentis rusticis ‘ seiner Etymologiae 256 . Der Typus lebt außer im Surselvischen auch im Galloromanischen (FEW 3: 752) und ganz vereinzelt in piemontesischen Dialekten (AIS 7: 1428 „ la zappa “ 257 ). Im übrigen BR und in allen angrenzenden oberit. Gebieten (wie auch im DL und FR) herrscht der it. Typus „ zappa “ . - fustitg m. ‚ Halm, Stengel, Stiel ‘ (DRG 6: 152ss. s. fastü) So S (neben fastitg, fistitg, beide auch suts.), suts. fistei, surm. fastei, put. (fa)stüj, vall. fastü. < lat. FESTUCUM (seit dem 2. Jh. n. Chr. belegt für älteres FESTUCA ) 258 . FESTUCUM lebt auch im Galloromanischen (fr. fétu und dial. Belege; cf. FEW 3: 485 s.) und vereinzelt im Lombardischen fort (FEW 3: 486), ferner im Bergell (LSI 2: 433 s. festücch) und in Teilen des Dolomitenladinischen: gad. föstü, fass. festuch (EWD 3: 360 s. FESTUCUM ). - Tschuncheismas f.pl. ‚ Pfingsten ‘ S; suts./ surm. Tschuntgesma(s), E Tschinquaisma. < QUINQUAGESIMA (scil. DIES ), spätlat. Übersetzung des Gräzismus PENTECOSTE 259 , der in den meisten Teilen der Romania in der Bedeutung ‚ Pfingsten ‘ weiterlebt. Reflexe von QUINQUAGESIMA finden sich heute nur noch im BR 260 und in Wallonien (FEW 2: 1479), waren jedoch im Mittelalter viel weiter verbreitet 261 . 255 Für das Unterengadin ist anduochel, bei P EER 1962 verzeichnet, nach HWR dialektal nicht gestützt. 256 XX, XIV,7: „ Hanc (scil. scudiciam) alii generaliter fossorium vocant, quod foveam faciat, quasi fovessorium “ . 257 Pkte. 121, 140, 150. 258 FEW 3: 485 s. 259 Belegt z. B. in der Peregrinatio Aetheriae 43: 1 (B LAISE 1954). 260 Die Karte „ La Pentecoste “ des AIS (4: 779) zeigt deutlich, daß der Typus heute auf das BR begrenzt ist. 261 Im Gallo- und Iberoromanischen. Cf. FEW 2: 1479. J UD 1973: 165, 183. 110 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="111"?> Verben - cuir ‚ gönnen, vergönnen ‘ (DRG 4: 339 s. s. cuir I) S; suts. cuvir, surm. cueir, E cuir, cuvir. Die 3. Ps. lautet auf -escha, in E auf -ischa. < spätlat. CUPIRE (zu CUPERE ) 262 . Die Bedeutung ‚ gönnen ‘ ist schon in lat. CUPERE angelegt: in der Verbindung mit einem Dativ kann es ‚ einem wohlwollen, günstig, gewogen sein ‘ bedeuten. Dies wäre ein weiteres Argument für die Position, die DRG 4: 340 gegenüber der These einnimmt, die Bedeutung ‚ gönnen ‘ von cuir sei deutschem Einfluß zuzuschreiben. Daß Reflexe von CUPIRE auch im Galloromanischen weiterleben (in Westschweizer Dialekten und im Wallonischen; cf. FEW 2: 1551), betont auch DRG loc.cit. Die Vitalität des Typus im BR spiegelt sich auch in zahlreichen Ableitungen: surs. cuida ‚ Gunst ‘ , scuir ‚ mißgönnen ‘ , scuidonza ‚ Mißgunst ‘ , scuiu ‚ neidisch ‘ . - zavrar ‚ ausscheiden, trennen ‘ Allg. (put. zavrer). 3. Ps. S zeivra, C und E zevra. < SEPERARE (spätlat. belegt für SEPARARE . Cf. FEW 11: 476). In der Bedeutung ‚ entwöhnen ‘ (ein Kind von der Mutterbrust) trifft sich RB mit der Galloromania (fr. sevrer, auch dialektal verbreitet; FEW 11: 474). It. sceverare setzt ein DE - oder EXSEPERARE voraus, das FEW 11: 476 auch den br. Formen zugrundelegen möchte, was nicht notwendig ist, da / ts/ für S im Anlaut, wahrscheinlich satzphonetisch bedingt, hier häufig vorkommt (C ADUFF 1952: 88, L UTTA 1923: 162 [§ 142]). 2.2.3.4.3 Romanische Neubildungen Substantive - genetscha f. ‚ dreijähriges Rind ‘ Nur S und suts., dort gianetscha. < * JENICIA , neben * JUNICIA (zu kl. JUNIX ‚ junge Kuh ‘ ). Cf. DRG 7: 70. Der Typus ist außer im BR auch im Alpinlombardischen und im Galloromanischen präsent, ferner in einer Randzone der Romania, im Sizilianischen. LSI 2: 654 verzeichnet geniscia f. ‚ vitello, giovenca, vacca giovane ‘ für Calanca und Blenio, geníisc m. ‚ vitello, giovenca ‘ für Mesocco und Blenio 263 , ferner, mit Suffixwechsel, genuscia f. (circ. Mesocco) 2: 659. Hier figurieren verschiedene Varianten des Typus gianüc, gianücia, genüc, genücia für das Bergell, sgenuscia für Soazza. AIS 6: 1048 „ la manza “ bestätigt die Formen für Mesocco und Soglio. Hierhin dürfte auch nécc 1 m. (LSI 3: 567) gehören, bezeugt für Blenio, Leventina, Onsernone und Verzasca in der Bedeutung ‚ giovane capra o pecora di meno di due anni ‘ , für das Locarnese als ‚ giovenca, vacca giovane ‘ . AIS 6: 1048 gibt nécc für Sonogno in der Bedeutung ‚ manza ‘ . 262 Formen auf - IRE statt - ERE sind vereinzelt schon in älterer Zeit belegt. Das Part. perf. lautet schon klassisch auf - ITUM mit langem I . 263 Auf m. Formen weist auch die Legende zu AIS 6: 1048 hin. 111 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="112"?> Im Galloromanischen ist der Typus * JENICIA in fr. génisse und dialektalen Varianten gut vertreten (FEW 5: 74). Weiterhin lebt er im siz. yinittsa fort (REW 4622, AIS 6: 1048). - ischel m. ‚ Achse, Radachse ‘ S; C ischegl, ischigl, surm. auch aschigl, E aschigl. < * AXILIS , Abl. von AXIS ‚ Achse ‘ . Cf. DRG 1: 448 s. aschigl, AIS 6: 1228 „ la sala - Wagenachse - essieu “ . Nach FEW 1: 190 s. axis sind es drei Typen, die in der Romania die Bezeichnungen für die Radachse liefern: 1. Reflexe von AXIS in Süditalien, Sardinien, Südfrankreich und der Iberoromania, 2. Reflexe von * AXILIS im Rätoromanischen, Dolomitenladinischen, im Trentino, im Veneto und in Nordfrankreich (fr. essieu), 3. Reflexe von * AXALIS im Lombardischen, Piemontesischen und in Mittelitalien (it. la sala). Die Karte 1228 des AIS (Bd. 6) zeigt jedoch, daß diese Abgrenzungen nicht ganz so sauber verlaufen. Reflexe von AXIS finden sich auch in Norditalien (Piemont, Friaul), solche von * AXILIS ebenfalls vereinzelt in der Lombardei (Pkt. 267). - pigliola f. ‚ Wochenbett, Kindbett ‘ S; C pagliola, E paglioula. < PALEA ‚ Spreu ‘ + -óla. Der Typus ist auch galloromanisch (Savoyen, Westalpen, Westschweiz); er setzt sich fort in Oberitalien (Ligurien, Piemont, Lombardei) und im BR (FEW 4; 497. 501 N 33. AIS 1: 74 „ è gravida “ , Leg. „ sie ist im Kindbett “ ). In der Südschweiz ist paiöla in der Bedeutung ‚ periodo del puerperio ‘ in Leontica und Poschiavo belegt, in der Bedeutung ‚ puerpera ‘ in der Leventina, im Onsernone, im Locarnese und ebenfalls in Poschiavo (LSI 3: 690). Für ‚ Kindbetterin ‘ hat RB Ableitungen: S piglialaunca, E pagliolainta. In Südbünden (Bergell, Poschiavo) und im Nordtessin (Leventina, Blenio, Bellinzona) setzen sich diese Typen fort: paiolanca, paiolenta ‚ puerpera ‘ (LSI 3: 690). - santeri m. ‚ Friedhof ‘ S; suts. santieri, sumantieri, surm. santieri, E sunteri. < CIMITERIUM (spätlat. belegt neben COEMETERIUM 264 ) in halbgelehrter Entwicklung 265 . Cf. fr. cimetière, it. cimitero, ait. cementerio, mit zahlreichen dialektalen Varianten (FEW 2: 834 s., für die italienische Schweiz LSI 1: 812). Die an sich bestechende Hypothese von Jakob Jud, im Anlaut der br. Formen hätte lat. sanctus eingewirkt 266 , erscheint vor diesem Hintergrund zwar plausibel, aber nicht zwingend. Suts. sumantieri hängt jedenfalls unmittelbar mit den Formen der alpinlomb. Nachbarschaft zusammen (samantéri Leventina, scementéri Mesocco etc., LSI 1: 812). Sicher sind jedoch nebst der nicht regulären phonetischen Entwicklung volksetymologische Ein- 264 B LAISE 1954. 265 Darauf verweisen erhaltenes auslautendes -i und der Anlaut sstatt tsch-. Cf. HWR s. santeri. 266 J UD 1973: 179 und 206 (N 75 und 76) verweist auf die im Mittelalter häufige Formel „ sanctis/ martyribus sociare “ für ‚ begraben ‘ und auf westschweiz. marterei < MARTYRETUM für ‚ Friedhof ‘ . 112 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="113"?> wirkungen verschiedener Art anzunehmen. In ait. cementerio scheint lat. CAEMEN- TUM ‚ Bruchstein ‘ hineinzuspielen (DEI s. v.). - suost m., suosta f. ‚ Unterstand, Schutzdach, Obdach ‘ S und E; suts. sust, susta, surm. sost, sosta. Das f. suosta erklärt sich leicht als deverbale Abl. * SUBSTA von SUBSTARE , das nach FEW 12: 359 die Bedeutung von SUBSISTERE übernommen hat. Daneben steht überall auch ein m. sust, sost, suost, das vor allem in verbalen Verbindungen auftritt: surs. esser/ ir a suost ‚ unter Dach sein/ gehen ‘ , dar suost ‚ Schutz vor dem Regen bieten ‘ (Analoges in anderen Idiomen). Auch in adjektivischer Funktion: cheu ei suost ‚ da ist man vom Regen geschützt ‘ , in refugi cauld e suost ‚ ein warmer und trockener Unterstand ‘ (cf. D ECURTINS 2001 s. suost) Der Typus * SUBSTA ist auch im Oberitalienischen (lomb., piem., lig.), im Dolomitenladinischen und im Galloromanischen (ostfr., okz. östl. der Rhone) präsent. Cf. FEW 12: 359, AIS 2: 370 „ ripararsi dalla pioggia “ . Weniger ausgedeht ist der m. Typus (br. sust, suost). Er ist im BR, im Alpinlombardischen (It. Bünden, Nordtessin; cf. LSI 5: 122) und vereinzelt im nördl. Piemont 267 zu Hause. Reflexe des Verbs * SUBSTARE in der Bedeutung ‚ zu regnen aufhören ‘ (unpers.) finden sich in der Westschweiz (FEW 12: 359), im Nordtessin und Südbünden (LSI 5: 122) und, innerhalb des BR, im Surmeir. Ob es sich da wirklich um eine Entlehnung aus dem benachbarten Alpinlombardischen handelt, wie HWR s. sustar annimmt, scheint mir angesichts des ganzen hier ausgebreiteten Materials fraglich. Eine Basis SUBSTARE , die sich semantisch sowohl zu ‚ unterstehen ‘ als auch zu ‚ aufhören zu regnen ‘ entwickeln konnte, scheint jedenfalls in einem weiten galloromanischoberitalienisch-rätoromanischen Gebiet vorhanden gewesen zu sein. - zetga f. ‚ Kürbis ‘ S und C (suts. auch setga), E zücha (Müstair auch sücha). Wie it. zucca < * ZUCCA durch Aphärese und Metathese < *( CO ) CUZZA zu CUCUTIA 268 . Der Typus ist nord- und mittelitalienisch, aber nicht galloromanisch (AIS 7: 1372 „ la zucca “ , FEW 2: 1461 s. cucutia ‚ Kürbis ‘ . LSI 5: 864). Verben - serrar ‚ schließen, zumachen ‘ Allg., < * SERRARE 269 . Reflexe dieses Etymons mit der Bedeutung ‚ schließen ‘ finden sich heute außerhalb Graubündens auch in großen Teilen Oberitaliens (vom 267 Pkt. 115 des AIS (2: 370), Antronapiana. 268 Der Asterisk bei HWR ist überflüssig, da COCUTIA bei Plinius belegt ist (FEW 2: 1461). 269 Das Verb gehört zu SERA ‚ Querbalken, Riegel zum Verschließen der Tür ‘ , wozu verschiedene Ableitungen ( RESERO , OBSERO ) belegt sind. Daraus die spätlat. Rückbildung SERO ‚ schließe ‘ (Ven. Fort.) und Formen mit - RR - ( SERRA , SERRACULUM , * SERRARE ), die nach W ALDE - H OFFMANN 1954 entweder als expressiv oder aus Einwirkung von SERRA ‚ Säge ‘ zu erklären sind. 113 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="114"?> Piemont über das Lombardische bis in die Dolomiten, ins Veneto und ins Friaul), aber auch südlich des Po in der Emilia-Romagna und vereinzelt in Mittel- und Süditalien (AIS 5: 890 „ chiudere a chiave “ , 8: 1624 „ chiudete la porta; è chiusa “ . LSI 4: 842 s. s. será). Im Galloromanischen war derselbe Typus im Afr. und Mfr. vital, heute noch in nordfr., frankoprov. und okz. Dialekten (FEW 11: 507). Darüber hinaus ist er in span./ port. cerrar erhalten. Für die Bedeutung ‚ schließen ‘ hat das Französische heute jedoch fermer, das Italienische chiudere. - stizzar tr. ‚ löschen ‘ , intr. ‚ erlöschen ‘ So S; suts. stizar, put. stüzzer. < * EXTUTIARE (für * EXTUTARE ), vielleicht mit Einwirkung von * TITIARE (zu TITIO ‚ Feuerbrand ‘ ). So HWR. Daneben suts./ surm. stidar, vall. stüder (mit Stammbetonung) < * EXTUTARE . Die Verteilung dieser und weiterer Worttypen, die ‚ auslöschen ‘ bedeuten, in Graubünden und in der gesamten Romania hat Jakob Jud in einer Studie von 1925 eingehend behandelt 270 . Daraus geht hervor, daß beide Typen im Bündnerromanischen, Dolomitenladinischen, Friulanischen und in großen Teilen Italiens präsent sind (J UD 1973: 99ss. AIS 5: 921 „ spegnere la fiamma “ ). Fortsetzer von *( EX ) TUTARE in der Bedeutung ‚ löschen ‘ finden sich auch in einem Teil des Galloromanischen, im Westen, Südwesten, Languedoc, den Westalpen, im Lyonnais, dem Unterwallis und Savoyen (J UD 1973: 103 S ., FEW 13: 449). Im französischen tuer hat sich die Bedeutung ‚ töten ‘ durchgesetzt. Adverb - tscheu ‚ hier, da ‘ S; suts./ vall. tscha, surm./ put. tscho. < ECCE + HAC . Die Herkunft des finalen -u, das in S auch bei anderen Lokaladverbien auftritt (cheu, leu, neu), ist nicht geklärt (DRG 10: 249 s. là, HWR s. tscheu). A SCOLI 1873: 10 hatte IBI als Quelle des Labiallautes vorgeschlagen. Der Worttypus ist weit verbreitet im Galloromanischen (franz. ça, prov. sa, sai; FEW 4: 373), darüber hinaus im Katalanischen (sa). In der Nachbarschaft des Bündnerromanischen findet er sich im Alpinlombardischen (Südbünden und Sopraceneri; LSI 4: 677 s. s. sciá), ferner im Piemont (sa, dsa). Die Karte „ venite qui! “ des AIS (8: 1609) weist auch ein vereinzeltes sa am Gardasee auf (Pkt. 360 Albisano, Torri del Benaco). Daß der Typus in früherer Zeit weiter verbreitet war, zeigen ait. Belege (cia ‚ qua ‘ bei Guittone d ’ Arezzo und weitere Formen bei verschiedenen oberit. Autoren. M ONACI / A RESE 1955, Glossar p. 684 s. ça 1 ). 270 „ Éteindre dans les langues romanes “ , RLiR 1: 92 - 236. Auch in: J UD 1973: 75 - 120. 114 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="115"?> 2.2.3.5 Worttypen des BR, die sich in der erweiterten Nachbarschaft und in einzelnen Randzonen der Romania fortsetzen 2.2.3.5.1 Alte Latinität Substantive - scalper m. ‚ Meißel ‘ S; suts./ surm. stgalper, put. s-charpel, vall. s-chalpen (alle auf der ersten Silbe betont) < lat. SCALPRUM ( SCALPER , - PRI m. und SCALPRUM n.). Nach FEW 11: 274 lebt der Typus außer im BR in Teilen des Galloromanischen weiter (äußerster Norden und Osten, Frankoprovenzalisch, Okzitanisch) und auf der iberischen Halbinsel (kat. escarpre, arag. escobre, span. escoplo, port. escopro), während das Italienische und das Sardische SCALPRUM durch SCALPELLUM ersetzt haben. Diesen Befund bestätigt AIS 2: 265 „ scalpello “ ; allerdings weist ein Punkt in der Provinz Brescia (Pkt. 238, Borno) ʃ kálper auf, was auf eine weitere Ausdehnung der Typus SCALPRUM hindeutet. - sibla f. ‚ Ahle ‘ S, teilweise suts. (Domleschg), suts. sivla, surm. seivla, put. süvla, vall. sübla. < lat. SUBULA . In der Nachbarschaft des BR ist der Typus auch im Bergell (sübla, süpla, LSI 5: 357), im Trentino und im Veneto, ferner im DL (grödn. subla, gad. sibla) und FR (sùble) lebendig. Im übrigen Oberitalien wie auch im größten Teil Mittelitaliens herrscht ein Typus vor, der auf germ. * ALISNO zurückgeht und die Basis von it. lesina (wie fr. alêne) darstellt (FEW 15: 17). Der Typus SUBULA dominiert dann wieder in Süditalien (außer Sizilien), beginnend im südl. Umbrien und den südl. Marche, zudem auch in Sardinien (AIS 2: 208 „ la lesina “ ). Dieser Befund weist den Worttyp als alt aus, was auch das Vorkommen in weiteren Randzonen der Romania (Rumänien, Gallizien) bestätigt (REW 8403). - tissi m. ‚ Gift ‘ S, suts.; surm. teissa, E tössi. < lat. TOXICUM . Der Typus ist in ganz Oberitalien inklusive Dolomitenladinisch und Friaulisch präsent, ebenso in Süditalien (cf. AIS 4: 692 „ il tossico “ ). Nach FEW 13/ 2: 134 lebt er in weiteren konservativen Sprachgebieten weiter, so im Sardischen, Korsischen, Ostokzitanischen und Frankoprovenzalischen. Allerdings wird er von AIS loc.cit. für das Sardische nicht bestätigt. In Mittelitalien und somit in der italienischen Standardsprache setzt sich (wie im Spanischen) lat. VENENUM fort (it. veleno, span. veneno), während im Französischen die Fortsetzer von lat. POTIO , - IONEM ‚ Trank ‘ , das schon in klassischer Zeit ‚ Zaubertrank, Liebestrank ‘ bedeutete, den Typus VENENUM verdrängte (fr. poison). - tschespet m. ‚ Rasen, Scholle ‘ So S und suts. (neben zespet); surm. tschispet. < lat. CAESPITEM . E tschisp, zisp, koll. tschispa geht dagegen auf eine zweisilbige Basis zurück wie it. cespo, * CAESPUM 271 271 So DEI s. cespo aufgrund eines bei Columella belegten Adjektivs caesposus. 115 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="116"?> oder * CISPUM 272 . Die auf z-/ ts/ anlautenden Formen erklären sich durch Dissimilation (HWR s. tschespet). Der Typus CAESPITEM / CISPITEM findet sich außer in RB auch in der alpinlombardischen Nachbarschaft (Tessin 273 , Veltlin 274 , Sulzberg 275 ), ebenso der Typus * CAESPUM / CISPUM im Tessin 276 . Ferner lebt CAESPITEM / CISPITEM im span. césped weiter. - zavrin m., -a f. ‚ Vetter, Base ‘ (2. Grades) S; suts. zavregn, surm. savregn, E suvrin. < lat. SOBRINUS , SOBRINA ‚ Geschwisterkind, Vetter, Base ‘ . Wenn die etymologischen Wörterbücher des BR (HWR, D ECURTINS 2001) als Bedeutung von SOBRINUS ‚ Neffe ‘ angeben, ist das mindestens ungenau. SOBRINUS , eine Ableitung von SOROR , bedeutet eigentlich ‚ Kind der Mutterschwester ‘ , dann auch ‚ Geschwisterkind, Vetter ‘ überhaupt (G EORGES ). Der Terminus wurde allerdings zusehends auf verschiedene weitere Verwandtschaftsbeziehungen ausgedehnt, was zu einer Merkmalsentleerung führte (L EUMANN 1943: 165). In der Folge wurde die Gleichheit auf einer Generationsstufe durch das Präfix CON -, CONSOBRINI , verdeutlicht. Damit wurde SOBRINI frei für die entfernteren Vettern (ibid.). Das Bündnerromanische besitzt (wie oben p. 14 dargestellt) eine ungewöhnlich differenzierte Terminologie für die verschiedenen Verwandtschaftsgrade der Vetternschaft: 1. Grad cusrin (< CONSOBRINUS ), 2. Grad zavrin (< SOBRINUS ), 3. Grad basrin (< * BISSOBRINUS ), 4. Grad basret (< basrin mit Suffixwechsel, - ITTU ) 277 . Die sprichwörtliche Formulierung Baserin e baseret dat letg „ Vetter im 3. und im 4. Grad berechtigt zur Eheschließung “ 278 illustriert die praktische Bedeutung dieser Unterscheidungen. Aus sprachgeographischer Sicht fällt auf, daß in Graubünden durchwegs der Typus CONSOBRINUS die Vetternschaft im ersten Grad ausdrückt, während in den angrenzenden Gebieten (wie auch in der italienischen und französischen Standardsprache) eine verkürzte Form COSINUS (mlat. belegt) zugrunde liegt (it. cugino, fr. cousin). Resultate von CONSOBRINUS bezeichnen dagegen in it. Dialekten vielfach den Vetter zweiten Grades (cf. AIS 1: 24 „ mio cugino, i miei cugini “ ), dies vor allem in Mittel- und Süditalien. Der Typus SOBRINUS als Bezeichnung entfernterer Vetternschaft findet sich außer in Graubünden, wo er für den 2. Grad gilt, nur noch in einer Randzone des Galloromanischen, im Gaskognisch/ Bearnesischen: cosin seurin, sourin ‚ cousin germain ‘ (3 e degré) (FEW 12: 10). Vereinzelt ist auch für 272 Formen mit I statt AE sind belegt, was den Zweifel von HWR S . tschespet gegenstandslos macht. Cf. L UTTA 1923: 146s. (§ 129), S TOTZ 1996: 85 (§ 69.1). 273 LSI 4: 664 s. 274 DEG s. scéspet ‚ zolla di terra con cotica erbosa ‘ . 275 AIS 7: 1420 „ la zolla “ Pkt. 310, Piazzola (Rabbi). Das ist der einzige Beleg auf dieser Karte, im Widerspruch zu LSI und DEG (N 351 und 352). 276 LSI 4: 664 scésp Gravesano (bei Lugano), scèsp Cevio (Vallemaggia). 277 Hier die surselvischen Formen im m. 278 So bezeugt für Trun DRG 2: 227 s. basdrin. 116 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="117"?> Pesaro fradej subren bezeugt 279 . Span. sobrino, port. sobrinho bezeichnet dagegen den Neffen. Adjektive - misch ‚ schimmlig ‘ S und suts.; surm. meisch; E vereinzelt müsch (sonst müf; cf. HWR). < lat. MUCIDUS (gleiche Bedeutung). Das Etymon lebt auch in it. mucido und in rum. muced fort, vereinzelt im Afr. und Okz., dort allerdings in der Bedeutung ‚ feucht ‘ (FEW 6: 184). Auch grödn. muje, gad./ enneb. müje ‚ schimmlig ‘ beruhen auf MUCIDUS (EWD 4: 488). Das Substantif für ‚ Schimmel ‘ , S,C mef(f )a, E müffa geht wie it. muffa, dl. mufa, span. moho, port. môfo auf eine Basis MUFF zurück, die teils als germanisch, teils als allgemein onomatopoetisch angesehen wird (FEW 16: 572, DEI s. muffa, EWD 4: 485). - tschiec (präd. tschocs, f. tschocca) ‚ blind ‘ S; Domleschg tschoc, Müst. tschiec (nach HWR durch die Kirchensprache aus S importiert).< lat. CAECUS . Im übrigen BR wie auch im DL, FR und dem größten Teil Oberitaliens herrscht dagegen der Typus ORBUS . Cf. AIS 1: 188 „ cieco “ , LSI 3: 639 s. òrb. Fortsetzer von CAECUS finden sich in pov./ kat. cec, span. ciego, port. cego. Die Verteilung der Typen CAECUS und ORBUS in der Romania ist nach FEW 2: 33 ziemlich bunt. Es ist deshalb schwierig, etwas auszusagen über die Chronologie. Der Blick auf die Gesamtromania, wo CAECUS eher in Randzonen, ORBUS dagegen in Gebieten der inneren Romania vorkommt, führt eher zur Annahme, der Typus CAECUS sei der ältere. Verben - ir ‚ gehen ‘ (DRG 10: 1ss.) Allg., surm. eir. Lat. IRE mit seinen kurzen Formen IS , IT etc. ist in der Romania weitgehend durch ausdrucksseitig vollere Formen (fr. aller, it. andare) abgelöst worden. Der Infinitiv IRE ist jedoch außer im BR, im DL (jì, cf. EWD 4: 125) und im Friulanischen (zì, cf. P IRONA 1974; heute geläufiger lâ < AMBULARE ) auch in Teilen Mittel- und Süditaliens erhalten (AIS 8: 1669 „ io non potevo andare “ ), ferner aprov., kat., span., port. ir (DRG 10: 78). Zu den br. Formen cf. D ECURTINS 1958: 5ss. - stiarner (3. Konj.) ‚ streuen, ausstreuen ‘ S; suts. stearner, surm., E sterner. < lat. STERNERE , im BR auf die landwirtschaftliche Bedeutung ‚ dem Vieh einstreuen ‘ spezialisiert. Der Worttypus ist über das BR hinaus nach Osten und Süden im Veltlin 280 , in den Dolomiten 281 und im Friaul 282 279 FEW 12: 10 nach Rlomb. 30: 1515. 280 DEG s. stèrner ‚ sparpagliare lo strame che serve da letto alle mucche ‘ . AIS 6: 1191 gibt dagegen für Grosio (Pkt. 218) métek sot al sternam. 281 Grödn. stierder, gad. sterne, fass. sterder, buchenst. stierne. T AGLIAVINI 1934: 310. 282 P IRONA 1972 stièrni. 117 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="118"?> verbreitet. Im Tessin ist stèrn im oberen Sopraceneri geläufig, während weiter südlich ein Typus starní mit Konjugationswechsel vorherrscht. Ähnlich im Nordpiemont: stérna ist nach AIS 6: 1171 in Antronapiana (Pkt. 115) belegt, während in der Nachbarschaft sterní vorherrscht. Der Typus STERNERE ist außer in RB und dessen alpiner Nachbarschaft in einigen Randzonen der Romania vorhanden: so im Sardischen (campid. stérriri, logud. istérrere) 283 und im Rumänischen (asterne) 284 . 2.2.3.5.2 Späte Latinität Substantive - futgé m. ‚ Käseform ‘ (DRG 6: 362 s. s. fitguir, futgé) Nur S und vereinzelt C (Scharans futger), auch fitguir. < lat. FACTORIUM , seit 5. Jh. (Palladius) in der Bedeutung ‚ Ölpresse ‘ bezeugt 285 . Die Karte „ arnese che serve a dar forma al formaggio “ des AIS (6: 1216) zeigt eine Vielfalt von Bezeichnungen für das Gerät, das in verschiedenen Formen und Materialien vorhanden ist. Der Typus FACTORIUM findet sich außer in der Surselva an einigen Punkten im nördlichen Piemont, allerdings in f. Form (fazura, facciura etc.). Weiterhin ist er in Südfrankreich (Aveyron) und im Korsischen belegt (FEW 3: 361). Das it. fattoio setzt die Bedeutung ‚ Ölpresse ‘ fort. Futgé lebt heute im Surselvischen vor allem in der Redensart metter tut el medem futgé ‚ alles in den gleichen Topf werfen ‘ . - gievgia f. ‚ Donnerstag ‘ (DRG 7: 651ss. s. gövgia) S,C; E gövgia. < spätlat. JOVIA , belegt in einer Oribasiusrezension (ca. 630) 286 . Der Typus ist außer im BR im Dolomitenladinischen, im Friaulischen und in verschiedenen Gebieten Oberitaliens präsent (AIS 2: 332 „ giovedì “ ; LSI 2: 695 s. giöbia). B RUPPACHER 1948: 143ss. zeigt, daß er in früheren Zeiten in Oberitalien viel weiter verbreitet gewesen war. Darüber hinaus findet er sich auch in Sardinien, weshalb er hier im Kapitel 2.2.3.5 erscheint. - miula f. ‚ Brosame, Krümel ‘ S; suts. mieula, schmieula, surm. gnoula, mioula, put. mievla, vall. micla. < lat. MICULA (spätlat. belegt bei Celsius und Arnobius). In der Nachbarschaft des BR sporadisch im Veltlin und im westlichen Trentino, in den Provinzen Bergamo und Brescia (AIS 5: 991 „ le briciole “ ). Für Poschiavo verzeichnet LSI 3: 434 als einzigen Beleg mígoilg ‚ briciole di pane ‘ (aber AIS für denselben Punkt: frígule). In einer 283 FEW 12: 261. AIS 6: 1171 gibt istérrere für Dorgali (Pkt. 949, Prov. Sassari), stérri für Escalaplano (Pkt. 967, Prov. Nuoro). 284 FEW 12: 260. 285 Zu den Ergebnissen von - ORIUM cf. DRG 6: 363. 286 B RUPPACHER 1948: 28. 118 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="119"?> Randzone der Romania, im Meglenorumänischen, findet sich der Typus in der Form ñikura (REW 5564). FEW 6: 79 s. micula bringt Beispiele aus Belgien bei. Eine Ableitung von MICULA mit dem Suffix - ONES , Bezeichnung für eine nahrhafte Bauernspeise aus Kartoffeln und Gersten- oder Maismehl, in Butter geröstet, belegt die Vitalität des Worttypus in RB: S, suts., put. maluns, surm. malungs, vall. migluns, micluns (cf. HWR s. v.). - mona f. ‚ Garbe ‘ S und C, put. manna, vall. monna. < * MANNA 287 (zu lat. MANUA 288 , MANNUA ‚ Handvoll, Bündel, Garbe ‘ ). Der Typus ist außer BR auch oberitalienisch 289 , dolomitenladinisch, toskanisch und sardisch (cf. AIS 7: 1454 „ i covoni, il covone “ ). Im Tessin und in Italienisch Bünden ist er als mana (im Sopraceneri, aber auch im Mendrisiotto, Misox und Puschlav) und mèna (Leventina und Riviera) lebendig (LSI 3: 284 s. mana 2 ) 290 . In den Dolomiten ist mana für alle Teilgebiete bezeugt (T AGLIAVINI 1934: 198; EWD 4: 304 s.). Im Friaul taucht der Typus nur sporadisch auf 291 , öfters dagegen im Veneto (Prov. Belluno, Treviso, Venezia) 292 . - stria f. ‚ Hexe ‘ S und E; C streia. < lat. STRIGA (seit Petron belegt, für älteres STRIX , - IGIS , aus dem Griechischen entlehnt). Die romanischen Nachfolger von STRIGA setzen teils langes, teils kurzes I voraus. Auf STRIGA mit langem I beruhen die br., dl., friulan. und oit. Formen, ferner port. estria und rum. striga, auf kurzem I it. strega und sardische und korsische Entsprechungen (FEW 12: 302; AIS 4: 814). 2.2.3.5.3 Romanische Neubildungen Substantive - mescal m. ‚ Moos ‘ S; suts. mescel, surm. mestgel, E müs-chel. < * MUSCULUS , Diminutiv zu MUSCUS , - I m. ‚ Moos ‘ . Der Typus ist auch in großen Teilen Italiens (muschio u. ä. in Nord- und 287 Ob der Asterisk bei MANNA (so HWR und D ECURTINS 2001) notwendig ist, scheint mir fraglich. Jedenfalls mittellateinisch ist die Form belegt. N IERMEYER 1976 s. manua setzt zwar ein Fragezeichen zu manna und zieht eine Verschreibung von manua in Betracht. Die Verhältnisse im Romanischen lassen jedoch die Existenz einer späten Form MANNA als möglich erscheinen. DEI s. manna 1 zitiert einen Beleg von 1004 in Pomposa (Lombardei). 288 Seit der Itala belegt. Cf. W.-H. 1954 s. manus. 289 Warum DEI s. manna 1 feststellt, der Typus MANUA befinde sich in Norditalien in Konkuurrenz mit dem Typus * MANIA , der die Basis von span. maña, port. manha darstellt, ist nicht nachvollziehbar. 290 AIS 7: 1454 verzeichnet mena einzig für Pkt. 53 Prosito (Lodrino). 291 Nach AIS 7: 1454 im Pkt. 337 Aviano (prov. Udine) und Pkt. 397 Rovigno und 398 Dignano, beide an der istrischen Küste, die heute zu Kroatien gehört, zu Zeiten der AIS-Aufnahmen noch italienisch (Prov. Pola). In P IRONA 1972 fehlt mana. 292 Pkte. 317, 325, 336 (Belluno), 346 (Treviso), 356 (Venezia). 119 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="120"?> Mittelitalien; im Süden ist zum Teil der Typus musco < MUSCUS vertreten), im Rumänischen und im Albanischen vorhanden (DEI s. muschio und musco). AIS 3: 620 „ il musco (muschio) “ weist den Typus in der Nachbarschaft des Bündnerromanischen für Poschiavo aus (Pkt. 58 müsclu), dann verschiedentlich im Lombardischen, im Trentino, Veneto und durchgehend im DL (cf. auch T AGLIA- VINI 1934: 221, K RAMER 1981: 153, EWD 4: 506) und im Friaul (P IRONA 1972 s. mùscli). Log. muskyu (REW 5771) wird von AIS 3: 620 nicht bestätigt. - parvis m. ‚ Paradies, Himmel ‘ S und suts., surm. parveis. Überall daneben auch paradis, das in E heute allein gilt. Im Altoberengadinischen war jedoch der Typus mit -vnoch vorhanden 293 . In S und C ist heute paradis die vorherrschende Form; parvis, parveis ist auf die spezifisch religiöse Bedeutung ‚ Ort der Seligen im Himmel ‘ beschränkt. Paradis setzt das kirchenlatinische PARADISUS fort, eine Entlehnung aus dem Griechischen ( παράδεισος ‚ Park, Paradies ‘ , das seinerseits aus dem Persischen entlehnt ist), die in gelehrter Lautung in den meisten romanischen Sprachen (auch im Deutschen und Englischen) weiterlebt. Der Typus PARAVISUS dagegen, der parvis, parveis zugrunde liegt, geht auf eine mittelalterliche Form zurück, die sich wahrscheinlich durch den Einfluß des byzantinischen Griechisch erklärt, wo intervokalisches δ als Spirans ausgesprochen wurde und im Romanischen als -vrealisiert worden wäre 294 . Gestützt auf diese Interpretation wird der Worttypus an dieser Stelle (als romanische Neubildung) behandelt. Parallelen zu parvis finden sich in südit. Dialekten (einer Randzone der Romania) und im Grödnerischen (paravis), wie AIS 4: 806 „ il paradiso “ belegt. Daß der Typus in früheren Zeiten weiter verbreitet war, zeigt das Vorkommen in galloit. Predigten des Mittelalters sowie im Ortsnamen Paraviso (bei Lanzo d ’ Intelvi). Cf. FEW 7: 616. Nach DEI s. paradiso lebt parvis im nördl. Trentino auch in der Bedeutung ‚ sottotetto della baita ‘ weiter. Paravisus, parvisus, parvisius ist neben paradisus auch im mittelalterlichen Latein belegt. Cf. N IERMEYER 1976, S TOTZ 2002: 393 s. (Bd. 1, Buch 3, § 26.6). Verben - sgular ‚ fliegen ‘ So S und C (3. Ps. sgola); put. svuler, vall. svolar (3. Ps. svoula), teils auch sgolar (Ardez, Sent). VMüst. sgóler, svóler. < * EXVOLARE (bezeugt ist seit Plautus EVOLARE ) 295 . 293 HWR s. parvis zitiert Bifrun, Apoc. 2: 7 paruîs da dieu und S CHUCHIAUN , Inform. 5 paravijs. Parvis bei Bifrun auch Luc. 23: 43 und 1. Kor. 12: 4. 294 So FEW 7: 616. 295 Das Präfix EX hat in den romanischen Resultaten sicher nicht mehr die ursprünglich separative Bedeutung des lateineischen E , EX , sondern lediglich eine semantisch entleerte Intensivbedeutung. 120 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="121"?> Der Typus ist in großen Teilen Oberitaliens (außer im Piemont) vital, zum Teil neben dem im übrigen Italien vorherrschenden Typus VOLARE : in der Lombardei, im Trentino, im Veneto sowie im Dolomitenladinischen und im Friaulischen 296 . Die lautlichen Varianten bewegen sich, ähnlich wie im BR, zwischen sgol-, sgul-, svol-, svul- und Formen mit Rotazismus (sgor-, sgur-), wie LSI 5: 800 s. volá belegt. Dasselbe gilt für das DL: grödn. julé, gad. jorè, fass. sgolèr, buch. sgolé, svolé, sgolá (T AGLIAVINI 1934: 351; EWD 4: 136). Friaul. svolâ. Der Typus * EXVOLARE lebt ferner in rum. zburà fort. Auch ait. ist svolare bezeugt. - tschorver (stammbetont) ‚ blenden ‘ S und suts.; surm. ansurvar, put. assorver, vall. (t)schiorbar. < EXORBARE 297 . Der stammbetonte Infinitiv tschórver muß sekundär nach der 3. Ps. gebildet sein (HWR s. v.). Altsurs. ist tschurvar, schurvar belegt (D ECURTINS 2001 s. tschorver, M AISSEN / S CHORTA 1945: 293). DRG 1: 482 s. assorver macht darauf aufmerksam, daß der Typus ORBUS für ‚ blind ‘ offenbar auch in S und C vorhanden war, wo heute tschiec, tschoc < CAECUS herrscht (cf. oben p. 117). Der Anlaut von tschorver dürfte von tschiec ‚ blind ‘ , tschochentar ‚ blenden ‘ beeinflußt sein. Reflexe von EXORBARE finden sich außerhalb des BR auch im Bergell (sciorbé u. ä.) und Puschlav (sciorbá, insciorbá) und vereinzelt im Tessin (Minusio insciorbíi) 298 , ferner im Comelico (zgurbá) 299 und im Friaul (suarbâ) 300 . Im Dolomitenladinischen herrscht dagegen der Typus ADORBARE 301 . Auch für Triest ist sorbar < EXORBARE bezeugt (FEW 3: 301). Der Typus findet sich auch in der südlichen Randzone des Italienischen (kalabr. sciurbari, siz. asurbari ) und in prov./ kat. eisorbar (REW 3026; FEW 3: 301). - tuffar (3. Ps. toffa) ‚ stinken, furzen ‘ S,C; E toffar, -er nur ‚ furzen ‘ ( ‚ stinken ‘ spüzzir). Abl. mit - ARE von vlat. * TUFUS , entlehnt aus gr. τύφος ‚ Rauch, Dunst ‘ 302 . Beispiele für das Nachleben von * TUFUS und für dasjenige der verbalen Ableitung * TUFARE sind in vielen Nachbargebieten des BR, in italienischen 296 AIS 3: 516 „ volare; vola 3 “ . 297 EXORBARE wird von den etymologischen Wörterbüchern teils mit, teils ohne Asterisk geschrieben. 298 LSI 4: 717. Im nördlichen Tessin ist auch ein Adj. und Subst. m. sciörb, sciorb ‚ miope, debole di vista, cieco ‘ bezeugt (ibid.). 299 T AGLIAVINI 1934: 55. 300 P IRONA 1972 s. v. 301 Grödn. adurbé, gad. adurbè, fass. adorbèr, buch. adorbé. Cf. T AGLIAVINI 1934: 55. 302 Die Entlehnung ist im christlichen Latein nur in der übertragenen Bedeutung ‚ Hochmut, Einbildung ‘ bezeugt, die auch dem griechischen Vorbild eignet, was nicht ausschließt, daß eine konkrete Bedeutung ‚ Dunst, Geruch ‘ in der Umgangssprache vorhanden sein konnte. Die Verhältnisse im Romanischen sprechen dafür. 121 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="122"?> Dialekten von Norden bis Süden und in der Iberoromania belegt. Nicht überall ist die im BR allein vorhandene Bedeutung ‚ stinken ‘ vorherrschend. AIS 8: 1676 „ puzzare; puzza 3 “ verzeichnet den Typus * TUFARE einzig für Graubünden; alle angrenzenden Gebiete haben püzar, spüzar u. ä. Wenn für Pkt. 305, San Virgilio di Marebbe, tofé, al tófa genannt wird, muß das mit den Auskünften der Wörterbücher in Zusammenhang gebracht werden, die den Reflexen von * TUFARE im DL durchweg die neutrale Bedeutung ‚ riechen ‘ zuordnen: grödn. tufé bon, gad. tofè bun ‚ gut riechen ‘ . Auch der Eintrag zu Pkt. 314, Colfosco in Badia, al tófa ri ‚ es riecht schlecht ‘ verweist auf eine neutrale Bedeutung des Verbs 303 . Auch im Tessin und in Südbünden ist die Bedeutung von tófa teils negativ, ‚ Gestank ‘ , teils neutral, ‚ Geruch ‘ (LSI 5: 539 s. tófa 2 ); tüff 2 (LSI 5: 652), das im nördlichen Tessin und in Südbünden belegt ist, wird mit ‚ puzza, tanfo ‘ glossiert (cf. surs. tef ). Ähnlich sind die Verhältnisse im Friaul. P IRONA 1972 s. tüf ‚ zaffata di cattivo odore ‘ vermerkt: „ Ma pure per odori non cattivi “ . Im Spanischen haben tufo ‚ Ausdünstung, Gestank ‘ und dessen figurative Bedeutung ‚ Dünkel ‘ , die dem christenlateinischen TYPHUS (B LAISE 1954 s. v.) entspricht, eindeutig negative Bedeutung. Cf. REW 9024, FEW 13: 458 s. Adverbien - pusmaun ‚ übermorgen ‘ S; suts. puschmàn, surm. puschmang, put. puschmaun, vall. puschman. < POST 304 + MANE . HWR stellt fest, daß der Worttypus, der außer im BR nur noch im Rumänischen vertreten ist (poimîine), außerhalb dieser Gebiete nicht nachweisbar sei. Dagegen weist AIS 2: 348 „ dopodomani “ für Pkt. 50, Campo Valle Maggia, genau diesen Typus aus: posmagn. LSI 4: 110 s. posdomán bestätigt diesen Befund: possmágn, pussmágn VMaggia, ferner adpussmágn Linescio (ebenfalls VMaggia.). Alte Belege für Reflexe von MANE in der Bedeutung ‚ morgen ‘ , welche pusmaun etc. voraussetzt, lassen sich allerdings nicht ausmachen. Die Karte 348 des AIS verzeichnet im Nordpiemont (Prov. Novara) drei Punkte, in denen Nachfolger von MANE (nicht DE - MANE , wie in der Umgebung) mit dem Präfix surauftreten: Pt. 107, Trasquera zurmang, Pkt. 115, Antronapiana, surmagn, Pkt. 118, Malesco, surmang. Dieser Befund macht es wahrscheinlich, daß MANE in einem Teil des alpinen Raums in der Bedeutung ‚ morgen ‘ vorhanden war. 303 Cf. die einschlägigen Wörterbücher und T AGLIAVINI 1934: 327s. 304 POST als erstes Element einer Zusammensetzung auch in puspei (oben p. 79s.) und puschegn (oben p. 95). 122 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="123"?> - uonn ‚ dieses Jahr ‘ S und suts.; put. inguan, vall. ingon 305 . Zugrunde liegt lat. HOC ANNO ‚ in diesem Jahr ‘ . Ob für die br. Formen von HOC ANNO oder von * HOCQUE ANNO , wie A SCOLI 1880 - 83: 527 vorgeschlagen hatte, auszugehen ist, darüber sind sich die etymologischen Wörterbücher nicht einig. HWR s. uonn bezweifelt eine Basis * HOCQUE ANNO (die auch D ECURTINS 2001 annimmt) aus lautlichen Gründen. DRG 9: 122 s. s. ingon geht auf diese Diskussion nicht ein und postuliert als Ausgangspunkt * HOCQUE ANNO . Auch bezüglich der Frage, ob die Präposition IN bei den engadinischen Formen inguan, ingon und bei angon (Bergün) eine Rolle spiele, sind sich HWR und DRG nicht einig 306 . Wie auch immer die lautlichen Verhältnisse in den einzelnen Gebieten zu beurteilen sind, ein grundsätzlich auf HOC ANNO resp. * HOCQUE ANNO zurückgehender Typus mit der Bedeutung „ dieses Jahr “ ist in weiten Teilen der Romania bezeugt 307 . Die geographische Verteilung der heute noch lebendigen Formen und die Tatsache, daß der Typus im Mittelalter viel weiter verbreitet war als heute, lassen das Adverb als einen im Rückzug begriffenen Archaismus erscheinen. Auf der Karte „ quest ’ anno “ des AIS (7: 1247) ist der Typus HOC ANNO außerhalb des BR im Norden nur noch in Pkt. 305, San Vigilio di Marebbe, belegt. V IDESOTT / P LANGG 1998 geben eniann ‚ heuer ‘ 308 . Daß diese Formen Zeugen eines ursprünglich viel weiter verbreiteten Worttypus sind, zeigen die Verhältnisse im Altitalienischen 309 und in den Dialekten Mittel- und Süditaliens. AIS 7: 1247 weist den Typus für Mittel-und Süditalien reichlich aus, ebenso für Sardinien (okkánnu). Er ist auch in der iberischen Halbinsel präsent (span. ogaño, port. oganho). Cf. REW 4161, FEW 4: 446 s. 2.2.3.6 Worttypen des Bündnerromanischen, die sich auch in weiteren Randzonen der Romania fortsetzen 2.2.3.6.1 Alte Latinität Substantive - èr m. ‚ Acker ‘ S; suts. er, surm. êr, E er. < AGER , AGRUM . AIS 7: 1416 „ il campo “ zeigt eine scharfe Abgrenzung des br. Typus von der in der Nachbarschaft und in weiten Teilen 305 Für Surmeir verzeichnen weder S ONDER / G RISCH 1970 noch E BNETER 1981 Entspechendes. DRG 9: 121 nennt jedoch für C 1 (Bravuogn, Latsch, Stogl, Filisur) angón, für C 27 (Vaz) uón. Cf. auch L UTTA 1923: 48 (§ 27). 306 HWR plädiert dafür, DRG zeigt sich skeptisch. 307 Für die Vitalität des Typus HOC ANNO im Spätlatein spricht die in Horazscholien (zu Epod. 2: 47) belegte Ableitung HOCANNIVUS , zitiert von DEI s. uguanno. 308 Nach K RAMER , EWG von HOC IN ANNO . 309 Cf. etwa M ONACI / A RESE 1955, Glossar s. oguano. 123 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="124"?> Italiens herrschenden CAMPUS -Zone. Die für Bergamo bezeugte Form agher (FEW 1: 53; 24: 257; DRG 5: 653) wird hier nicht bestätigt. Der Typus ist in weiteren Randzonen, so im Rumänischen, Kalabresischen, Sardinischen, Portugiesischen und Galizischen nachgewiesen (FEW loc.cit.). Außerordentlich präsent ist er in Graubünden in Orstnamen (RN 2: 5 - 10). - reischen m. ‚ Schafzecke; Schmarotzer ‘ Nur S und vall. raischen 310 . AIS 3: 475 „ il pidocchio; i pidocchi “ verzeichnet reischen in der Legende „ Die Zecke (la zecca) “ nur für Pkt. 3, Pitasch, und Pkt. 10, Camischolas (Tavetsch). < lat. RICINUS ‚ Ungeziefer an Schafen, bei Hunden, am Rind ‘ . Fortsetzer von lat. RICINUS sind außer im BR. in verschiedenen Randregionen der Romania erhalten, so im Sardischen (cf. AIS loc.cit.) und im Spanischen (rezno) 311 . Aber auch in der unmittelbaren Nachbarschaft Graubündens, im Tessin, scheint der Typus RICINUS in der Bedeutung ‚ Zecke ‘ weiterzuleben. LSI 4: 312 s. régan verzeichnet für VMaggia, Verzasca, Onsernone, aber auch Malcantone Formen wie regien, reghen in der Bedeutung ‚ zecca grossa turgida di sangue ‘ und in affinen Bedeutungen 312 . - splem m. ‚ Milz ‘ S und Domleschg; in der übrigen Sutselva spletga (neben schmielza, schnielza), surm. spletga, put. splecha, vall. splemgia (alle f.). Splem < lat. SPLEN , - IS m., einer seit Vitruv bezeugten Entlehnung aus dem Griechischen 313 . Der Typus findet sich auch in andern Randgebieten der Romania, im Sardischen (log. ispréne) und Rumänischen (splina). Afr. esplen m., ait. splena f., friaul splem m. (von P IRONA 1974 als „ termine antico “ bezeichnet, für heutiges splènze f. neben milze f.), tess. spièna f. (Leventina, VVerzasca, VMaggia; LSI 5: 178) beweisen eine größere Verbreitung des Typus in älterer Zeit. Die Karte „ la milza “ des AIS (1: 141) zeigt, daß im größten Teil Italiens (Sardinien ausgenommen) der Typus SPLEN durch den german. Typus MILZ verdrängt ist. Vall. splemgia beruht auf einer Abl. von SPLEN , * SPLÉNIA oder * SPLÉNICA , genau wie die dolomitenlad. Formen grödn. splëngia, gad. splënja etc. (T AGLIAVINI 1934: 306; FEW 12: 200; HWR s. splem). Unklar ist dagegen 310 P EER 1962 verzeichnet raischen ‚ Schweinelaus ‘ , ohne zu präzisieren, daß die Form nur für das Unterengadin gilt. Im dt.-roman. Wb. von B EZZOLA / T ÖNJACHEN 1976 figuriert raischen nur unter ‚ Schweinelaus ‘ . Unter ‚ Schafzecke ‘ findet man tschecha, zecha, plotta, clavarun. 311 REW 7300 und DEI s. ricino führen ferner ein französische rouane an, das nirgends belegt ist! FEW 10: 395 gibt rouanne für einige Orte in der Ile-de-France. 312 Wie sich allerdings die im gleichen Artikel an erster Stelle belegte Bedeutung ‚ tralcio di vite novello, germoglio ‘ erklärt, ist mir nicht klar. Handelt es sich tatsächlich um ein und denselben etymologischen Typus? 313 Für auslautendes -m statt -n vermutet HWR Einfluß von lom ‚ Lunge ‘ . 124 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="125"?> die Herkunft von C spletga, put. splecha, das sich im Bergell (spleca) und sporadisch im Nordtessin (Cevio spleca) fortsetzt (T AGLIAVINI , HWR loc.cit.). Zu den gesamtromanischen Verhältnissen cf. auch S CHUCHARDT 1917. - tuorp f. ‚ Scheu, Scham; Schande ‘ S und E; C turp. < lat. TURPIS , - E adj. ‚ häßlich, schändlich ‘ . Das n. TURPE wird schon im klass. Latein in der Bedeutung ‚ etwas Schimpfliches ‘ substantivisch verwendet ( GEORGES 2002). Wie in fr. honte und in it. vergogna ist auch in br. tuorp sowohl die Bedeutung ‚ Scham, Schamgefühl ‘ als auch die an die lat. Basis anknüpfende Bedeutung ‚ Schande ‘ vorhanden. Die Wörterbücher tragen dieser Tatsache allerdings in unterschiedlicher Weise Rechnung. Im Lateinischen sind die beiden Bedeutungen ‚ Scham ‘ einerseits und ‚ Schande ‘ andererseits klar getrennt und an unterschiedliche Worttypen gebunden: ‚ Scham ‘ an VERECUNDIA zu VERERI ‚ fürchten ‘ (neben PUDOR , PUDICITIA ), ‚ Schande ‘ an TURPITUDO zu TURPIS . TURPIS lebt in der Romania außer im BR nur noch in kat. torp ‚ dumm ‘ und in span./ port. torpe ‚ unbeholfen, schwerfällig, unzüchtig, häßlich ‘ fort (HWR s. tuorp, FEW 13: 433). Verben - entscheiver ‚ anfangen, beginnen ‘ (DRG 5: 634 s.) S; C antschever (im Surmeir in Konkurrenz mit scumanzar). E cumanzar, -er. < lat. INCIPERE , das außer im BR nur noch in rum. începe fortbesteht 314 . - quitar ‚ meinen, sich einbilden ‘ Nur S und Trin 315 . Es gibt jedoch Belege aus dem Engadin des 16. Jh.s, die eine größere Verbreitung des Worttypus in älterer Zeit beweisen 316 . < lat. COGITARE . Für die stammbetonten Formen ist nach HWR von einer Akzentverschiebung von CÓGITO zu COGÍTO auszugehen, was die Sonorisierung von - T verhinderte, die in afr. cuidier, alomb. cuidar 317 normal eingetreten ist. Der Worttypus lebt in der Bedeutung ‚ glauben, meinen ‘ außer in ma. romanischen Sprachen auch in rum. cugetà fort (REW 2027, FEW 2: 841 s.). 314 Ob tscheiver ‚ Fastnacht ‘ auf INCIPERE zurückgeht, wie J UD 1973: 171 möchte, ist zweifelhaft. J ABERG 1925: 135 N 8 (RLiR 1) verbindet dagegen tscheiver mit friul. scévri ‚ letzter Tag des Karnevals ‘ , das er zu lat. * EX - SEPERARE stellt. 315 Dazu die Abl. quet ‚ Stolz, Einbildung ‘ und quitau ‚ Sorge ‘ < COGITATUS . Cf. iberorom. cuidado. 316 G ALLICIUS im Vorwort zu Bifruns NT: sco bgiers quaitan (G ARTNER 1913: 4). C HIAMPEL in der Summa zu Ps. 14: cuitand, Gerundium, nicht Gerundiv, wie HWR s. quitar sagt (U LRICH 1906: 26,20. P ULT 1941 (Meis testamaint): 11 bemerkt, daß quidar, quiter, el quaida, quaita im Engadin bis gegen 1700 lebendig war. 317 Cf. M ONACI / A RESE 1955: 696, Glossar s. cuidar. 125 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="126"?> - urar ‚ beten ‘ S, suts., vall.; surm. orar, put. urer. < lat. ORARE . Während Italien und Frankreich den Typus ORARE durch PRECARI resp. PRECARE (it. pregare, fr. prier) ersetzt haben, leben Reflexe von ORARE in der Bedeutung ‚ beten ‘ außer im BR auch in kat./ span./ port. orar fort. In der unmittelbaren Nachbarschaft Graubündens zeugt urè im Bergell (Bondo) und oraa im Maggiatal (Cavergno) für eine ursprünglich größere Verbreitung des Typus ORARE (LSI 3: 638) 318 , die auch von altoberitalienischen Denkmälern bezeugt ist (J UD 1973: 165). Adverb - resch ‚ ganz, überaus ‘ Allg. resch, vall. risch. Das Adverb ist auf die Verbindung mit wenigen Adjektiven beschränkt, wo es elativische Bedeutung hat, am häufigsten auf diejenige mit NOVUS : S resch niev, reschniev, suts. reschnov, put. resch nouv, vall. risch nouv ‚ brandneu, nigelnagelneu ‘ . In S kann es auch mit tgietschen ‚ rot ‘ kombiniert auftreten (resch tgietschen ‚ feuerrot ‘ ) oder mit bletsch ‚ naß ‘ (resch bletsch ‚ pudelnaß ‘ ). AIS 4: 671 „ era tutta nuda “ gibt für Ramosch (Pkt. 9) ell ’ era reschanüda. Die etymologischen Wörterbücher (HWR, D ECURTINS 2001) geben als Basis * RECE ( M ) zu lat. RECENS , - ENTEM . Wenn dieser Worttypus an dieser Stelle und nicht unter den romanischen Neubildungen (2.2.3.6.3) behandelt wird, so deshalb, weil ein lat. bezeugtes Adverb RECENS in normaler phonetischer Entwicklung genügt, um die br. Form zu erklären 319 . Der Typus ist außer im BR nur noch in einer weiteren Randzone der Romania belegt, nämlich rum. rece ‚ frisch ‘ . Neben resch < RECENS ist in Graubünden jedoch auch das Resultat von RECENTEM präsent, immer in der elativen Bedeutung ‚ ganz, völlig ‘ : C raschaint, put. reschaint, vall. rischaint 320 . 318 Die Karte „ pregare Dio “ des AIS (4: 801) gibt keine Belege für den Typus ORARE außerhalb des BR. 319 Recens fungiert invariabel als Adverb: puer recens natus bei Plautus, sole recens orto bei Vergil (G EORGES 2002). 320 In der Sutselva steht raschaintnov neben reschnov; surm. nov-raschaint, E nouv rischaint, nouv reschaint. Hier auch resch nüd neben nüd reschaint ‚ splitternackt ‘ (P ALLIOPPI 1895). Es würde sich lohnen, diese Beispiele in den Zusammenhang der Elativbildungen zu stellen, die Jaberg untersucht hat (J ABERG 1965: 177 - 93: 194 - 222). Ein Typus *resch reschaint ist zwar nicht belegt, würde jedoch ins Bild der von Jaberg untersuchten Elativformeln passen. Cf. noch L IVER 1989b: 281 - 90. 126 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="127"?> 2.2.3.6.2 Späte Latinität - geina f. ‚ bewegliches Zauntor ‘ S; suts. gena, surm., E genna 321 . < * JENUA , Nebenform zu JANUA ‚ Türe ‘ . Cf. DRS 7: 73ss. Sowohl JANUA als auch die späte Nebenform * JENUA sind im größten Teil der Romania verschwunden. In der Bedeutung ‚ Türe ‘ leben beide Formen in Sardinien weiter (AIS 5: 880 „ la porta; le porte “ ; FEW 5: 29). JANUA ist ferner in südit. Dialekten und in den Pyrenäen erhalten, in Ableitungen auch im Port. und Galizischen (FEW 5: 29). * JENUA ist über das Sard. und das BR hinaus vereinzelt in Nordfrankreich belegt (bress., Vendôme; FEW 5: 29). * JENUA ist in RB und im benachbarten Vinschgau und Passeiertal auch in Toponymen erhalten (RN 2: 178 s., DRG 7: 77). - sonda f. ‚ Samstag ‘ Allg., put. sanda. < * SAMBATA (für SABBATUM ). Der Typus ist über RB hinaus im Bergell (samda, sanda, LSI 4: 510) und am Südwestrand Piemonts (sonda, sande, sonde etc., AIS 2: 334 „ sabato “ , Pkte. 140, 150, 152, 160, 161, 170, 181) belegt, ferner im Rumänischen (sâmbata). Aprov. sabde, sande m., sapta f. und fr. samedi bezeugen den Typus auch in der inneren Romania (FEW 11: 3ss.). Zu der komplizierten Verteilung der Typen * SAMBATA und SABBATUM in der Romania und in benachbarten Gebieten cf. B RUPPACHER 1948: 176ss. und S CHMID 1950: 333ss. (Rezension von B RUPPACHER in VRom. 11). 2.2.3.6.3 Romanische Neubildungen - gada f. ‚ Mal ‘ S, Kurzform ga (ina ga, ina gada ‚ einmal ‘ ). Suts. geada, gea, eada, ea; surm. geda, eda, già; put. geda, vall. jada, jà (E heute geläufiger vouta) . < * VICATA zu lat. VICES , VICIUM . Cf. DRG 10: 161. Der Typus * VICATA ist in mittelalterlichen Zeugnissen aus Italien, Spanien und der Galloromania belegt (FEW 14: 409), weiterhin in kat./ port. vegada. Die Karte „ è la terza volta “ des AIS (8: 1636) ergibt keine Zeugnisse außerhalb Graubündens 322 . 321 In S hat geina ein weiteres Bedeutungsspektrum: neben ‚ Gattertüre ‘ bedeutet es auch ‚ Schafpferch ‘ (cf. AIS 6: 1074 „ il parco “ ), ‚ Spulrahmen ‘ , ‚ Heutragrahmen ‘ sowie fig. ‚ Windfahne, wankelmütiger Mensch ‘ (so auch suts.). 322 Grödn. iede, gad. iade (m.! ) geht nach T AGLIAVINI 1934: 341s. nicht auf * VICATA , sondern auf VIATICUM zurück. Er folgt damit G ARTNER 1910: 270 gegenüber HÖGBERG 1930: 33 S . Auch Johannes Kramer (EWD s. iade) folgt dieser Auffassung. Zu VIATICUM gehört auch das im nördlichen Tessin und in Posch. belegte viacc ‚ volta ‘ (LSI 5: 769). 127 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="128"?> - squarsas adv. ‚ vorvorgestern ‘ S und surm; suts. (an)squarzas, E squartas. < NUDIUS (für NUNC DIES 323 ) QUARTUS . Die Endung -as ist nach HWR sekundär. Sie findet sich in veschiedenen Adverbien, wo sie teils etymologisch (beinduras, DRG 2: 286), teils analogisch ist (antruras, daveras, invidas). Die Lautung s, z statt t in S und C lehnt sich nach HWR an stiarsas (s. den folg. Eintrag) an. Zu Parallelen in Süditalien cf. den folg. Eintrag. - stiarsas adv. ‚ vorgestern ‘ S; suts. anstearzas, surm. stersas, E sterza(s). < NUDIUS TERTIUS . Der Ausdruck scheint im Lateinischen in dieser Form, unflektiert, als adverbiale Fügung verwendet worden zu sein 324 , wie eine Stelle aus der Vulgata (Ex. 21: 36) belegt: „ Sin autem sciebat quod bos cornupeta esset ab heri et nudiustertius “ , was bei Luther heißt: „ Ist ’ s aber bekannt gewesen, daß das Rind zuvor stößig gewesen ist “ 325 . NUDIUS TERTIUS / QUARTUS hat nur in zwei Randzonen der Romania überlebt, im Bündnerromanischen und in süditalienischen Dialekten. Die Karte „ ier l ’ altro “ des AIS (2: 350) zeigt die Verbreitung des Typus in Graubünden und als nusterza, nasterza u. ä. in einem größeren Gebiet Süditaliens, das das nördliche Kalabrien und das südliche Apulien umfaßt. Cf. auch REW 5987, DEI s. nusterza. Für ‚ vorvorgestern ‘ , br. squarsas, verzeichnet die Legende zur Karte „ ier l ’ altro “ in den entsprechenden südit. Dialekten vorwiegend Formen mit NUDIUS TERTIUS , nicht mit NUDIUS QUARTUS . Nur gerade Pkt. 740, Omignano (prov. Salerno), hat isquerta. Häufig sind Formen wie isterza, disterza, wo DIES hineinspielt. Cf. DEI s. distèrza. Dasterza, aber in der Bedeutung ‚ vorgestern ‘ , ist auch bergellisch (Pkt. 45, Soglio, Pkt. 46, Coltura). 2.2.3.7 Worttypen mit auffälliger semantischer Entwicklung „ Auffällige semantische Entwicklung “ ist sicher nicht ein wohldefinierter Begriff. Die Formulierung läßt jedoch intuitiv erfassen was gemeint ist: semantische Entwicklungen, welche die Bedeutung der etymologischen Basis spürbar verändern, sei es als Spezialisierung, Konkretisierung oder Übertragung. Die einzelnen Entwicklungen lassen sich schwer systematisieren. Deshalb behandeln wir die Beispiele, nach Wortarten getrennt, in alphabetischer Reihenfolge. Oft ist die etymologische Erklärung nicht gesichert. 323 Zu dius für dies cf. W ALDE -H OFMANN 1938: 350. 324 Es ist deshalb hier (und auch bei squarsas) nicht angebracht, eine Obliquusform NUDIUM TERTIUM / QUARTUM anzusetzen, wie das HWR und D ECURTINS 2001 tun. 325 Zitiert bei B LAISE 1954 s. nudiustertius. Dort auch die adj. Ableitungen nudiustertianus ‚ qui date de trois jours ‘ (belegt bei Ambrosius und Augustin) und nudiusquartanus ‚ qui date de quatre jours ‘ (Itala). 128 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="129"?> Substantive - cauma f. ‚ Lagerplatz, Ruheplatz des Viehs (im Freien, bes. während der Mittagshitze) ‘ S; suts. tguma, surm. tgoma (Bedeutung auch: ‚ leichter Dunst nach heißen Tagen ‘ ), E choma. < lat. CAUMA , CAUMATIS n., auch CAUMA f., einem seit dem 4. Jh. bei christlichen Schriftstellern belegten Gräzismus (gr. καῦμα n. ‚ Brand, Hitze, Glut, Sonnenhitze, Schwüle ‘ ). Cf. DRG 3: 107 s. Die ursprüngliche, meteorologische Bedeutung ist noch im ehesten in surm. tgoma ‚ leichter Dunst nach heißen Tagen ‘ erhalten. Sonst herrscht die agrarische Bedeutung ‚ Lagerplatz des Viehs ‘ vor 326 . Als Zwischenglied in der Bedeutungsentwicklung muß das seit der Spätantike (Oribasiusübersetzungen; cf. FEW 2: 540) belegte Verb CAUMARE gelten: von einem deverbalen Abstraktum CAUMA ‚ das Ausruhen ‘ führt eine metonymische Übertragung zum Konkretum ‚ Ruheplatz ‘ 327 . Die entscheidende Bedeutungsveränderung hat also schon im Verb CAUMARE stattgefunden, der Übergang von ‚ heiß sein ‘ zu ‚ sich während der Hitze ausruhen ‘ 328 . Reflexe von CAUMARE ‚ Mittagsrast halten (vom Vieh) ‘ finden sich über das Bündnerromanische hinaus in der alpinlombardischen Nachbarschaft, im Piemontesischen bis gegen Ligurien hin und in frankoprovenzalischen und provenzalischen Mundarten (cf. FEW 2: 538 s., AIS 6: 1186 „ meriggiare “ ) 329 . Weitere Ableitungen von CAUMA in S und C zeugen von der Päsenz des Worttypus in Graubünden: cametg m. ‚ Blitz ‘ , Deverbale von camegiar ‚ blitzen ‘ ( CAUMA + - IDIARE ), cametsch adj. ‚ schwül ‘ ( CAUMA + - ICIUS ). Cf. DRG 3: 37ss. - dargun m. ‚ Wildbach, Bergbach ‘ Nur S 330 . < DRACO , DRACONEM ‚ Drache ‘ . DRG 5: 88 s. Zur Übertragung der Bezeichnung des Drachen (oder der Schlange) auf wilde Gewässer cf. H UBSCHMIED 1938: 61ss. und J UD 1973: 550ss. 331 . Während die Bedeutung ‚ Wildbach ‘ auf Graubünden beschränkt zu sein scheint, sind Reflexe von DRACO (und Ableitungen davon) als Bezeichnung für Phänomene bewegten Wassers oder für meteorologische Erscheinungen in der Italo- und Galloromania weit verbreitet. Cf. it. 326 Davon abgeleitet put. choma ‚ Schafpferch ‘ , surs. cauma ‚ Bett, Klappe, Gefängnis ‘ in jargonhafter Verwendung. Surs. cauma ‚ Streik ‘ ist ein gelungener Neologismus des 20. Jh. s, in Anlehnung an fr. chômer, chômage (seit 1944). 327 Ähnlich wird untgida, deverbale Ableitung von untgir ‚ ausweichen ‘ , vom Abstraktum ‚ das Ausweichen ‘ zum Konkretum ‚ Ausweichstelle ‘ . Cf. L IVER 2002/ 03: 16. 328 Im TLL ist das Verb caumare nicht verzeichnet. 329 Zum Verhältnis von walserdt. hitzen zum Typus CAUMARE cf. J UD 1937: 190. C OROMINES 1943 (Festschr. Jud, RH 20): 571 macht auf „ bas aranais kumá “ gleicher Bedeutung aufmerksam. 330 E ICHENHOFER 2002 verzeichnet dragùn ‚ Wildbach ‘ allerdings auch für das Sutselvische. DRG 5: 88 s. und HWR s. v. enthalten keine entsprechenden Beispiele. 331 Zum Drachen als Bach- und Seedämon auch HDA 2: 382ss. Weitere Literatur bei B RACCHI 1986b: 160ss. 129 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="130"?> dragone, fr. dragon ‚ Wasserstrudel ‘ und die Dialektbelege DEI s. dragone 5 , FEW 3: 150 s. LSI 2: 318 s. dragh ‚ drago ‘ : ‚ arcobaleno ‘ in Gorduno, Cavergno (drai), Verz. Auch die verbale Ableitung von DRACO mit dem Suffix - ICARE , S draccar, suts. dracar, surm. daratger, put. daracher, vall. darachar ‚ heftig regnen, gießen ‘ (DRG 5: 86 s.) reicht als Worttypus über das BR hinaus, westlich ins Piemontesische und östlich ins Zentralladinische, südlich ins Nordtessin: draghè ‚ piovere a dirotto ‘ (circ. Airolo), ‚ nevicare a larghe falde ‘ (Giornico, Airolo). Cf. LSI 2: 318. - dir m. ‚ Leber ‘ S und suts., surm. deir (put. fio, vall. gnirom). Cf. DRG 5: 263 s. dir III, 6: 350 s. fio, 7: 578s. s. gniram. Die Bezeichnung der Leber als hart (< DURUM ) im Gegensatz zur Lunge als weich (S und C lom m. Cf. unten p. 131. Zum Adjektiv lom unten p. 141s.) findet sich auch in Ostfrankreich (FEW 3: 193 s. durus, 6: 55 s. mollis). - englar m. ‚ Waldlichtung, kleine Wiese, Weideplatz ‘ Nur S 332 . < lat. ANGULARIS , - E . Das lat. Adjektiv wurde schon in der Antike substantiviert (z.B als ANGULARIS m. ‚ eckiges Gefäß ‘ bei Apicius). Als Substantiv lebt es in rum. unghier ‚ Ecke ‘ , afr. angler ‚ angle, coin ‘ , apr. anglar ‚ pierre angulaire; quartier de rocher ‘ weiter. Diese letzte Bedeutung kommt derjenigen von surs. englar am nächsten, das außer ‚ Waldlichtung ‘ auch ‚ von Wald oder Fels umgebener Weideplatz ‘ bedeutet. In die Richtung von surs. englar weist auch lat. ANGULUS in der Bedeutung ‚ verborgener Ort ‘ (TLL s. angulus I,3). In Toponymen sind Reflexe von ANGULARIS verschiedentlich belegt (Bormio, Westschweiz, Toscana), in Graubünden allerdings nur gerade im Tavetsch (RN 2: 17) 333 . - intschess m. ‚ Gebiet ‘ S; suts. antschies, surm. antschess (neben intschess). < lat. ACCESSUS 334 , ‚ das Herangehen ‘ , ‚ der Zugang ‘ (Ort, durch den man wohin kommen kann). Die zweite Bedeutung dürfte Ausgangspunkt für die br. Verwendungen sein. Schon A SCOLI 1873: 18 N 1 skizziert die Bedeutungsentwicklung: „ passo, adito, e quindi confine, territorio “ . Ähnlich wie in lat. FINES hat sich die Bezeichnung für die Grenze 332 Nach DRG 5: 622 hat das Wort „ in einer vielleicht durch clar, cler ‚ licht ‘ abgelenkten Form . . . auch in die Schulbücher von Surmeir Eingang gefunden “ . 333 Surs. englar ‚ Waldlichtung ‘ macht nicht den Eindruck eines in der Volkssprache verwurzelten Wortes. Die ältesten Belege DRG 5: 622 stammen erst aus dem 19. Jh. und bedeuten ‚ umgrenzter Raum ‘ . Ähnlich eng. clerai, das nach DRG 3: 729 durch R. O. Tönjachen in das deutsch-ladinische Wörterbuch von 1976 aufgenommen wurde, basierend auf einem Flurnamen von Ftan, der ebenso vereinzelt ist wie in der Surselva Glinglá (Tuj.) < ANGULARIS (RN 2: 17 und 96). Sowohl surs. englar wie eng. clerai werden vor allem in literarischen Texten für ‚ idyllische Waldlichtung ‘ verwendet (DRG 3: 719 und 5: 622). 334 Nach DRG 9: 641 direkt von ACCESSUS mit Nasaleinschub, nach HWR und D ECURTINS 2001 mit Einkreuzung von IN . 130 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="131"?> eines Gebiets metonymisch zur Bezeichnung für das entsprechende Gebiet gewandelt. Der Typus scheint auf das BR beschränkt zu sein. Ein Ursprung der Bedeutungsentwicklung in der Rechtssprache ist wahrscheinlich. Es fehlen jedoch lateinische Belege, welche die Entwicklung illustrieren könnten 335 . - lom m. ‚ Lunge ‘ . S und C. DRG 11: 412 s. Substantivierung des Adjektivs lom (cf. unten p. 141 s.): das Weiche, im Gegensatz zum Harten (S und C dir ‚ Leber ‘ , oben p. 130) 336 - perdetga f. ‚ Zeuge; Zeugnis ‘ S; C pardetga, E perdütta. < PRODUCTA , Part. perf. von PRODUCERE . So HWR und D ECURTINS 2001. Die Anknüpfung an den lat. Rechtsausdruck producere testem in iudicium ‚ einen Zeugen vor Gericht vorführen ‘ schlägt überzeugend D ECURTINS 1993/ I: 182 vor. Cf. fr. produire ‚ faire apparaître en justice (des témoins) ‘ , FEW 9: 424. Ob perdetga ‚ Zeuge ‘ auf ein Partizip im f. sg. (ev. Verkürzung von PERSONA PRODUCTA ), perdetga ‚ Zeugnis ‘ dagegen auf eine Form im n. pl. zurückzuführen ist (cf. eng. tasmuongia < TESTIMONIA ), bleibt abzuklären. Der Worttypus scheint auf das BR beschränkt zu sein. - pieun m. ‚ eingesottene Butter ‘ S; suts./ surm. paintg (surm. auch pantg), eng. painch. < lat. PINGUIS adj. ‚ fett ‘ . Die Bedeutungsentwicklung zu br. pieun, painch kann als Spezialisierung und Konkretisierung charakterisiert werden. Der Worttypus ist auch in der alpinlombardischen Nachbarschaft und im Dolomitenladinischen bezeugt. LSI 3: 818 nennt für das Bergell pénch, péinch ‚ burro ‘ , für Maggia pènch ‚ pasticcio di burro e tonno ‘ . T AGLIAVINI 1934: 245 gibt für Arabbia penk ‚ strutto ‘ mit den Parallelen fass. penek ‚ Larde ‘ (von den fassan. Wörterbüchern nicht bestätigt) und valtell. penk ‚ residuo del burro cotto ‘ (nicht im DEG). Zu adjektivischen Verwendungen des Typus ( ‚ dick, dickflüssig ‘ ) im Oit., DL und FR cf. FEW 8: 525 s. - piogn m. ‚ Steg ‘ S und C; put. piaunch, vall. piagn, pianch. < lat. PEDANEUS ‚ zum Fuß gehörig ‘ . Die Entwicklung zur Bedeutung ‚ Steg ‘ kann, ähnlich wie der eben besprochene Fall von pieun, als Spezialisierung und Konkretisierung bezeichnet werden. Fortsetzer von PEDANEUS leben in der Romania vielfach und in verschiedenen Bedeutungen weiter (REW 6343, FEW 8: 119 s.). In Oberitalien ist die Bedeutung ‚ Baumstrunk, Baumstamm ‘ verbreitet (cf. neben REW und FEW loc. cit. LSI 3: 789 335 Cf. immerhin N IERMEYER 1976 s. accessus ‚ dépendance - appartenance ‘ . Hier ein Beleg vom Jahr 875: „ Cum . . . accessibus et adjacensiis “ . 336 E hat für ‚ Lunge ‘ leiv, neben pulmun, curaglia, eine Substantivierung des Adjektis leiv ‚ leicht ‘ . Entsprechendes in weiten Teilen der Romania. Cf. DRG 11: 63. 131 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="132"?> s. pedagn). Die Bedeutung ‚ Steg ‘ , die im BR vorherrscht 337 , ist schon im Vocabularius Sancti Galli (8. Jh.) bezeugt: peanius : stec. Außer im BR findet sich der Worttypus auch im DL (grödn. piani, gad. piagn) und gelegentlich in Oberitalien 338 . - plaid m. ‚ Wort ‘ S; C und E pled. < lat. PLACITUM . Das substantivierte Part.perf. von PLACERE , das im klassischen Latein ‚ Meinung, Verordnung, Lehre ‘ bedeutete, nimmt im Ma. eine Menge von technischjuristischen Bedeutungen an, darunter ‚ Vertrag ‘ , ‚ Gerichtsverhandlung ‘ , ‚ Streitfall ‘ (cf. FEW 9: 9, N IERMEYER 1976 s. v.). Die Ableitung PLACITARE , die unter anderem ‚ vor Gericht plädieren ‘ bedeutet, lebt im BR in plidar (S und suts.), pledar, -er (E) in gleicher Bedeutung weiter, in der Surselva und und im Sutsilvan auch in der Verallgemeinerung zu ‚ sprechen, reden ‘ . In dieser Bedeutung ist plidar auch im Altengadinischen bezeugt 339 . Das Substantiv plaid, pled ‚ Wort ‘ scheint auf das BR beschränkt zu sein 340 . In der unmittelbaren Nachbarschaft des BR findet sich der Worttypus in affinen Bedeutungen, jedoch nirgends als ‚ Wort ‘ , wieder, so posch. plait, pléit ‚ lite; gergo ‘ (LSI 4: 40), veltl. plat ‚ linguaggio segreto, gergo ‘ (D ECURTINS 2001 s. plaid, von DEG nicht bestätigt). - purment m. ‚ Alpprodukte, Molken ‘ S,C purmaint (auch pulmaint), E pulmaints. < lat. PULMENTUM ‚ Zukost ‘ , zu PULPA ‚ Fleisch ‘ . Außer im BR ist der Typus in der heutigen Romania nicht vorhanden; er ist jedoch afr., aprov. und ait. belegt (FEW 9: 545; J UD 1946: 83 341 ). Jud vermutet, er sei „ wahrscheinlich einst auch im alpinlombard. wie im frankoprov. Bereich lebendig “ gewesen. In den alten engadinischen Rechtsquellen ist pulmaint gut belegt (S CHORTA / L IVER 1985: 213). - pustretsch m. ‚ Alprechnung ‘ S und suts. (hier auch pastretsch), surm. pastrietsch, E pastraretsch (auch pastaretsch, pastretsch). < lat. PASTORICIUS adj., ‚ zum Hirten gehörig ‘ . Dieses semantisch generische Adjektiv hat im Mittellateinischen und im Romanischen verschiedene Konkretisierungen erfahren, so mlat. pastoricium ‚ Weide ‘ (N IERMEIER 1976), dolomitenladinisch ‚ Herde ‘ (grödn. pastrëc, gad. pastrorëc, fass. pastrec, buch. pastorac 342 ), bündnerromanisch ‚ Alprechnung ‘ 343 . 337 PEDANEUS ist auch in Toponymen gut belegt. Cf. RN 2: 236. AIS 4: 845 „ il sentiero “ notiert piogn in der Bedeutung ‚ Fußweg ‘ für Santa Maria. 338 DEI s. pedagna nennt ven. peagno ‚ palancola ‘ . 339 Cf. oben p. 38s. und L IVER 2004: 45. 340 Für gelegentliche Parallelen im Galloromanischen cf. C HATTON 1953: 110 - 14, FEW 9: 6 - 10. 341 Jud zitiert pulmento ‚ specie di companatico ‘ bei Bonvesin de la Riva. 342 Cf. T AGLIAVINI 1934: 239. EWD 5: 203 S . pasturëc m. ‚ Herde ‘ (ein Hinweis auf br. pustretsch fehlt). 343 N IERMEYER 1976 verzeichnet pasturagium ‚ redevance de pacage ‘ . 132 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="133"?> - sitg m. ‚ Schluck ‘ S (neben sit), surm. sei (neben got, tschitsch). E süerv. Nach D ECURTINS 2001 von lat. SUCUS , was nach HWR lautlich möglich, semantisch jedoch problematisch ist. Überblickt man die Situation in ganz Graubünden, drängt sich die Annahme einer Einwirkung von SUCTUS m. ‚ das Saugen ‘ (belegt bei Varro und Plinius) und * SUCTIARE , der Basis der br. Verben für ‚ saugen ‘ (surs. tschitschar, suts. tschitschear, surm. tschitschier 344 eng. tschütschar, -er) auf. - stizun f. ‚ Laden, Geschäft ‘ S und suts.; surm. stizung (E butia). < lat. STATIONEM . Lat. STATIO ‚ Aufenthaltsort, Standort ‘ führt schon in klassischer Zeit zu verschiedenen Konkretisierungen, so ‚ Poststation ‘ oder ‚ Ankerplatz ‘ . Die Bedeutung ‚ Kaufladen ‘ , die heute auf Teile des BR beschränkt zu sein scheint, findet sich vereinzelt auch im Gallo- und Italoromanischen (FEW 12: 244 S , DEI s. stazzone). Mlat. ist STATIO in der Bedeutung ‚ Marktstand ‘ belegt (N IERMEYER 1976 s. statio Bed. 8.). Der Nominativ STATIO lebt in it. stazzo ‚ stazione, posta, rada, addiaccio del gregge ‘ weiter, ebenso in Ortsnamen. Cf. RN 2: 325. - streglia f. I ‚ Striegel ‘ ; II ‚ Gäßchen ‘ S und C (suts. auch straglia), E straglia. Nach den Wörterbüchern sind beide Bedeutungen, die zu Recht nicht als polysem, sondern als homonymisch dargestellt werden, im ganzen br. Gebiet vorhanden. AIS 4: 843 „ il vicolo “ bezeugt allerdings streglia ‚ Gäßchen ‘ nur für S und C. In E herrscht der Typus giassa (giassetta, giassa stretta). < * STRIGILA (für STRIGILIS ). Die Übertragung von ‚ Striegel ‘ auf ‚ enge Gasse ‘ hat das BR mit dem Schweizerdeutschen gemeinsam (Schwdt. Id. 11: 2146). Außerhalb dieses Gebiets ist sie nur spärlich bezeugt 345 . Toponyme in S und C. Cf. RN 2: 327 s. - treglia f. ‚ Pritsche ‘ (im Stall oder in Maiensäss- und Alphütten) S und surm., hier auch ‚ große Holzladung, großes Heufuder ‘ . Nach HWR und D ECURTINS 2001 < lat. TRICHILA resp. TRICLA 346 ‚ Laubhütte ‘ . FEW 13/ II: 267 stellt die Verhältnisse im Galloromanischen dar, wo die Bedeutungen ‚ Weinlaube ‘ , ‚ Spalierrebe ‘ , ‚ Gitter ‘ und (in verbaler Ableitung) ‚ flechten, winden ‘ bezeugt sind, nicht jedoch eine Bedeutung, die dem br. ‚ Pritsche ‘ entsprechen würde. Eine solche könnte am ehesten an ‚ Gitter ‘ angeknüpft werden, da die Pritsche als eine Art Holzrost gelten kann. Was ist aber mit den surm. Bedeutungen ‚ große Holzladung, großes Heufuder ‘ ? Meine Vermutung geht dahin, 344 E BNETER 1981 gibt für Vaz neben tschitschier auch tgitgier. 345 AIS 4: 843 „ il vicolo “ : ganz vereinzelt ist die Angabe von Pkt. 771 (Serrastretta, Prov. Catanzaro) u stragulacciu ‚ enge Dorfgasse ‘ . 346 Inschriftlich und mittellateinisch sind verschiedene Spielformen belegt: tricla, triclea, triclena, triclia (S OUTER 1949); trigila, trigula, trilia (N IERMEYER 1976). 133 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="134"?> daß lat. TRICHILA , zu dessen Herkunft W ALDE / H OFMANN 1954 nur eine wenig überzeugende Vermutung äußern 347 , mit derselben griechischen Basis zusammenhängt, die auch in * TRICHIA ‚ Zopf, Seil ‘ vorliegt (it. treccia, br. tretscha) 348 . - zuler m. ‚ Gang, Hausflur, Diele ‘ S und suts.; surm und E suler. < lat. SOLARIUM . Die lateinische Substantivierung des Adjektivs SOLARIUS ‚ zur Sonne gehörig ‘ bezeichnete nebst der Sonnenuhr jeden der Sonne ausgesetzten Ort, einen Erker, ein flaches Dach, einen Söller, eine Terrasse (G EORGES 2002). Die Fortsetzer von SOLARIUM im Romanischen werden denn auch auf verschiedene Teile von Gebäuden angewendet (FEW 12: 38; LSI 5: 97 s. solée. Cf auch solaio im Index des AIS, wo auf soffita, camera da dormire, pavimento, stalla d ’ alpe, camera nella cascina . . . verwiesen wird). Die Bedeutung von br. zuler, soler , ‚ Hausgang, Hausflur ‘ ist eher erstaunlich, da diese Teile des Hauses ja nicht besonders der Sonne ausgesetzt sind. Verben - anflar ‚ finden ‘ Nur S (C cattar, E chattar, -er). < lat. AFFLARE ‚ anwehen ‘ . DRG 1: 275 s. Die Bedeutungsentwicklung zu ‚ finden ‘ , die außer im BR auch in anderen Gebieten, vor allem Randzonen, der Romania vorliegt (rum. aflá, span. hallar, port. achar und in verschiedenen süditalienischen und spanischen Dialekten), ist nicht endgültig geklärt. Neben einer Sonderentwicklung der Jagdsprache (über ‚ Witterung bekommen ‘ zu ‚ finden ‘ ; so auch HWR) sind weitere Erklärungsversuche vorgebracht worden ( ‚ treffen ‘ , versengen ‘ vom Blitz gesagt, ‚ berühren, ergreifen, anstekken ‘ ; cf. FEW 24: 253). Auch die Erklärung des Nasaleinschubs (asurs. oft aflar, afflar) bleibt offen. - carplinar ‚ streiten, zanken ‘ S (auch refl. secarplinar ‚ sich streiten, sich zanken ‘ . In gleicher Bedeutung scarplinar, sescarplinar). E s-charplinar, -er ‚ zupfen, zerrupfen, zausen, zerzausen ‘ . < lat. CARPERE ‚ pflücken, abrupfen ‘ mit dem Suffix - INARE und z. T. Intensivpräfix - EX . Die Lautung -plist sekundär, wie alte Belege zeigen (E chiarpinar, HWR s. carplinar). Die Bedeutungsentwicklung von ‚ Wolle zerzupfen ‘ über ‚ zerzausen ‘ zu ‚ streiten ‘ ist auffällig, aber nachvollziehbar. Sie ist außer im BR auch im Provenzalischen und Frankoprovenzalischen belegt (FEW 2: 402 b), ferner in der alpinlombardischen Nachbarschaft Graubündens. LSI 4: 628 verzeichnet unter scarpiná 1 verschiedene Bedeutungen, die mit der Bearbeitung von Wolle zu tun haben ( ‚ entflechten ‘ , ‚ auskämmen ‘ . . .), aber auch das reflexive scarpinass ‚ litigare, accapi- 347 „ Abkürzung von triclinium? “ S TOTZ 1996: 98 (VII, § 82.2) erwähnt okkasionelles trichilinium für triclinium. 348 Im Walserdeutschen des Prättigaus heißt eine mit Seil oder Stricken gebundene Heubürde Seilätä (Prättigauer Mundartwörterbuch 1991). 134 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="135"?> gliarsi ‘ in der Leventina und Valle Maggia, ferner scarpina 2 ‚ lite, alterca, zuffa ‘ , ebenfalls in der Leventina. In den einzelnen Regionen Romanisch Bündens sind Fortsetzer des Stamms von CARPERE in verschiedenen Ableitungen sowohl in der konkreten Grundbedeutung ‚ Wolle zupfen ‘ als auch in der übertragenen Bedeutung ‚ streiten ‘ vorhanden. Die Wörterbücher geben allerdings zum Teil widersprüchliche Auskünfte 349 . So verweist E ICHENHOFER 2002 für das Sutselvische unter carplignear auf (s)carplignear, das jedoch fehlt. Dagegen ist (s)carpleagna ‚ Auseinandersetzung, Streit ‘ verzeichnet, ferner scarplir ‚ auskämmen (Wolle), zupfen; entwirren ‘ (wie surs. scarplir). Im Surmeir herrscht für diese Bedeutung scarpinar (wie in der Surselva scarplinar 350 ), für ‚ Streit, Zank ‘ scarpitsch und carplina (E BNETER 1981 carplinna). P EER 1962 glossiert s-charplinar, -er nur mit ‚ zupfen, zerrupfen, zausen, zerzausen ‘ , während B EZZOLA / T ÖNJACHEN 1976 unter streiten auch as s-charplinar ‚ zanken ‘ anführen, was dann unter zanken allerdings fehlt. - draccar ‚ heftig regnen, gießen ‘ . Cf. oben p. 130s. - encorscher ‚ bemerken, wahrnehmen ‘ ; auch refl. s ’ encorscher (3. Konj.) S; suts. ancorscher, surm. accorscher, E inaccordscher (immer auch refl.). < * ACCORRIG- ERE mit Akzentrückzug wie DIRIGERE > derscher. Der Anlaut (en-, an-, in-) dürfte eher auf INDE als auf IN zurückgehen. Cf. DRG 8: 442. Die Bedeutungsentwicklung läuft laut DEI s. accorgere über „ correggere una falsa impressione dopo aver preso una più tranquilla visione della cosa “ . Dieselbe Erklärung schon REW 85. In S und C sind percorscher, parcorscher synonym zu transitivem encorscher, ancorscher, accorscher, in S auch corscher, das heute allerdings nur noch in gewissen Fügungen auftritt 351 . Der Worttypus ist außer br. auch italienisch (accorgere) und friulanisch (inacuárzisi. P IRONA 1972). - gentar ‚ zu Mittag essen ‘ ; gentar m. ‚ Mittagessen ‘ S; sonst allg. giantar (put. gianter). < lat. JENTARE , JANTARE ‚ frühstücken ‘ . Cf. DRG 7: 160. Der Worttypus findet sich außer im BR nur noch in der Iberoromania: aspan. yantar ‚ frühstücken ‘ , port. jintar, jantar ‚ zu Mittag essen ‘ , mit derselben Bedeutungsverschiebung wie im BR. 349 Das gilt vor allem für B EZZOLA / T ÖNJACHEN 1976 und P EER 1962 sowie E ICHENHOFER 2002. 350 D ECURTINS 2001 trennt aus synchronischer Sicht richtigerweise scarplinar I ‚ zanken, streiten ‘ von scarplinar II ‚ entwirren, auseinandernehmen ‘ . 351 Buca schar corscher enzatgei ‚ nichts verlauten lassen ‘ , schar corscher nuot ‚ sich nichts anmerken lassen ‘ . In alter Sprache wurde corscher allerdings in S und C auch reflexiv verwendet (DRG 4: 439). 135 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="136"?> - lignar ‚ erraten ‘ Nur S und suts. (lignear) 352 . Nach HWR und D ECURTINS 2001 ist die Herkunft unsicher. Beide führen als Möglichkeit die von H UONDER 1901: 107 N 1 vorgeschlagene Anknüpfung an lat. LINEA im Sinne von ‚ Handlinie ‘ (Wahrsagerei) an, ziehen jedoch auch eine Verbindung mit LUNA in Betracht 353 . DRG 11: 242 s. lignar spricht sich für die Deutung von Huonder aus. Denkbar wäre auch eine Bedeutungsentwicklung, die direkt an lat. LINEARE ‚ nach der Richtschnur richten ‘ im Sinne von ‚ auf die Reihe bringen, herausfinden ‘ anknüpft. - percorscher cf. oben encorscher - perver ‚ füttern ‘ (2. Konj.) S (auch perveser) und suts. (parvaser, parver). < lat. PROVIDERE ‚ vorsehen, vorsorgen ‘ . Surmeir und E verwenden in gleicher Bedeutung pavlar < PABULARI . Die Bedeutungsspezialisierung von ‚ vorsorgen ‘ zu ‚ das Vieh versorgen, füttern ‘ scheint auf das BR und auf das Ennebergische in den Dolomiten beschränkt zu sein: AIS 6: 1166 „ dar da mangiare alle bestie “ gibt für Pkt. 305, San Vigilio di Marebbe, prudéy, was von V IDESOTT / P LANGG 1998 bestätigt wird (prodëi ‚ das Vieh besorgen, füttern ‘ ) 354 . - pinar ‚ vorbereiten, bereitstellen ‘ Der Worttypus ist in ganz RB verbreitet, meist in obiger Bedeutung. S und C auch ‚ flicken, ausbessern ‘ , allg. auch ‚ fällen ‘ (Bäume). In E ist letztere Bedeutung gegenüber schmerdscher sekundär 355 . Die Basis lat. PAGINARE ‚ zusammenfügen ‘ (zu PANGERE ‚ befestigen, einschlagen ‘ ) steht seit A SCOLI 1880 - 83: 580 (mit N 1 und 2) fest 356 . Sie führt zu einer Auffächerung von Spezialbedeutungen, wie im BR auch in der alpinlombardischen Nachbarschaft. LSI 3: 683s. s. pagná verzeichnet ‚ unire, commettere, accoppiare, collegare ‘ . Für Poschiavo painá ‚ preparare la porzione di fieno ‘ 357 . 352 Keine Beispiele in HWR. DRG 11: 242 führt ein Beispiel aus dem Altsutselvischen an (M OLITOR 1656). 353 Ein Beleg aus dem Altsurselvischen (Amitg Relig. 14: 55) gibt glinar. Die FEW 5: 449 zitierten galloroman. Fortsetzer von LUNARE mit der Bedeutung ‚ aufmerksam/ angestrengt schauen ‘ eignen sich wenig zur Stütze einer Anknüpfung von lignar ‚ erraten ‘ an LUNA . 354 Kramer (EWD s. provéde) hält gadertal. prodëi für eine interne Neubildung, was angesichts der Verankerung des Worttypus im BR wenig wahrscheinlich ist. 355 Die modernen Wörterbücher außer HWR verzeichnen diesen Gebrauch nicht, wohl aber P ALL . 1895 s. piner: Nach ‚ rüsten, bereiten, zubereiten ‘ hier auch ‚ fällen, umhauen ‘ . AIS 3: 532 „ abbattere “ hat pinar nur für S und C, für E schmerdscher. 356 PAGINARE ist bei Ambrosius (4. Jh.) in der Bedeutung ‚ composer, écrire ‘ bezeugt, das Partizip PAGINATUS in der Bedeutung ‚ gebaut ‘ bei Paulinus Nolanus (353 - 431): solido navis paginata robore (B LAISE 1954). 357 Dieselbe Form nennt REW 6147 für das Veltlin, was von DEG nicht bestätigt wird. Cf. auch DRG 8: 318s. s. impiner II. 136 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="137"?> - reiver ‚ klettern ‘ (3. Konj.) S; E raiver. Auch von Pflanzen: ‚ sich schlingen, emporklettern ‘ . < lat. REPERE ‚ kriechen ‘ . Mit Konjugationswechsel auch atosk. ripire ‚ arrampicarsi ‘ (DEI s. v.) und galiz. rubir (REW 7222). Als Verb der 3. Konj. offenbar nur br. Die Bedeutungsentwicklung läßt sich aufgrund des gemeinsamen Sems „ langsame Fortbewegung “ verstehen. Lat. ist übrigens DEREPERE ‚ herabkriechen, herabschleichen ‘ bezeugt. - sevilar ‚ schimpfen, aufbegehren ‘ S, suts. savilar. Nach HWR sporadisch auch surm. (Brav.) und E (Tschlin). Nach HWR und D ECURTINS 2001 ungeklärt. Beide nehmen jedoch mit REW 9328 einen Zusammenhang mit lat. VILIS ‚ wohlfeil, gering ‘ an. Ein Verb *vilar ist nicht bezeugt, wird aber von den Ableitungen vilau ‚ zornig, aufgebracht ‘ und vilentar ‚ erzürnen, ärgern, reizen ‘ vorausgesetzt. Es müßte etwa ‚ schlecht machen, herabsetzen ‘ bedeutet haben, ähnlich wie lat. VILITARE ‚ erniedrigen ‘ . Von hier aus wäre eine Bedeutung ‚ beschimpfen ‘ leicht verständlich. Cf. mfr. viller ‚ outrager ‘ (FEW 14: 448). Die Verbindung mit SE , das hier nicht ein eigentliches Reflexivpronomen ist, sondern vielmehr mediale Bedeutung hat 358 , scheint auf das BR beschränkt zu sein. - sittar (3. Ps. setta, sietta) ‚ schießen ‘ S; suts. sagitar (neben siatar, sitar); surm. sagiattar (neben trer, schluppettar); E sajettar, -er (neben schluppettar). < lat. SAGITTARE ‚ mit Pfeilen schießen ‘ . In dieser Bedeutung auch rum. sagetà. Die Bedeutung ‚ mit dem Gewehr schießen ‘ scheint auf das BR beschränkt zu sein 359 . - snizzar, 3. snezza ‚ anschneiden, ritzen; anzapfen (Faß) ‘ S und surm.; suts. snizar, 3. sneza, E nizzar, -er. < lat. INITIARE ‚ anfangen ‘ , in S und C mit Intensivpräfix s- (von EX oder DIS ). Der Worttypus ist in der alpinlombardischen Nachbarschaft des BR, im DL und FR bezeugt. Cf. AIS 5: 1001 „ manimettere (una salsiccia ecc.) “ . LSI 3: 587 nizzá, in nördl. Dialekten (Posch., Mes., VMaggia, Blenio) oft snizzá u. ä., DEG 358 Ähnlich surs. senudar ‚ schwimmen ‘ . Zu den vielfältigen Bedeutungsnüancen medialer pronominaler Verben im Afr. cf. M OIGNET 1984: 187. 359 An dieser Stelle darf die Wörterbuchblüte des Jahrhunderts (des 20.) nicht unerwähnt bleiben. B EZZOLA / T ÖNJACHEN 1976 führen unter schießen nach verschiedenen Phraseologismen an: in die Hosen - ‚ chajar (chier) - , far in chotscha(s) ‘ . Für Nicht-Schweizer: Die dialektale Aussprache von dt. schießen ist im Bündnerdeutschen zwar nicht identisch mit derjenigen von scheißen, aber doch sehr ähnlich: fallender Diphthong ie im ersten, langes i im zweiten Fall.. Ausschlaggebend für die Verwechslung von schießen mit scheißen dürfte jedoch die Zuordnung der jeweiligen mundartlichen Formen zu den schriftsprachlichen Entsprechungen sein (schieße : schießen, schiiße : scheißen). 137 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="138"?> ʃ nizèr ‚ incignare, intaccare pane, formaggio o altro cibo ‘ . Grödn. minsér, gad. nizé, fass. nizèr 360 . Friaul. disnizzâ, disniciâ, snizzâ 361 . Es ist wahrscheinlich, daß im synchronischen Bewußtsein der Sprecher eine (nicht etymologisch begründete, aber lautlich und semantisch naheliegende) Verbindung von surs. snizzar mit snez ‚ Schnitt, Einschnitt ‘ , das aus dem Bündnerdeutschen entlehnt ist, besteht. In verschiedenen Dialekten des nördlichen Tessins und Südbündens ist snizz m.pl. in der Bedeutung ‚ fette, spicchi di frutta fatti seccare ‘ = schwdt. Schnitz belegt (LSI 5: 83 s.). Verschiedene Ableitungen, die theoretisch sowohl auf snez als auch auf snizzar zurückgehen könnten, sprechen für diese Auffassung: surs. snizzada ‚ großer Schnitt, Anschnitt; Schnittwunde ‘ , snizzergnem ‚ Geschnetzeltes ‘ (Fleischgericht); Schnitzelabfälle ‘ , snizzergiada ‚ Geschnetzeltes; häßliche Schnittwunde ‘ , snizzergiar ‚ schnitzeln ‘ 362 . - solver ‚ frühstücken ‘ , m. ‚ Frühstück ‘ S, auch ensolver; suts. (an)zolver, surm. ansolver (E hat andere Worttypen: put. cruschiner, vall. püschgnar). Die Formen ohne Präfix lassen sich klar von lat. SOLVERE herleiten, das in der Verbindung IEIUNIUM SOLVERE schon bei Ovid bezeugt ist 363 . Ob für ensolver, ansolver allerdings wirklich ABSOLVERE vorauszusetzen ist, wie HWR und D ECURTINS 2001 s. v. ohne Kommentar vorschlagen, scheint mir zweifelhaft 364 . G RISCH 1939 geht von einer Basis * INSOLVERE aus 365 , was lautlich eher überzeugt. Einfluß von en- (< IN ) als häufigem Verbalpräfix nimmt auch H ERZOG 1916: 32 N 2 an. 360 Cf. F ORNI 2002, M ISCHÌ 2000, V IDESOTT / P LANGG 1998, D ELLANTONIO T AJINA 1998. 361 P IRONA 1972. 362 Alles bei D ECURTINS 2001, der für snizzada beide Anknüpfungen offenläßt, bei snizzergiar dagegen einzig die Herkunft von snez, das auf schwdt. Schnitz zurückgeführt wird, angibt. 363 Met. 5: 534 s. und Fasti 4: 607, beide Male in der Geschichte von Ceres und Proserpina, bezogen auf die Übertretung des Gebotes, nicht von den Früchten des Granatbaumes zu essen, durch Proserpina. Der Kontext ist also hier durchaus ein sakraler. Lat. IANTACULUM , IENTACULUM , das ebenfalls zu IEIUNUS gehört, hat jedoch schon in der Antike auch die profane Bedeutung ‚ Frühstück ‘ , nach G EORGES 2002 „ beim Frühaufstehen von Schwelgern, schwächlichen Personen und Kindern genommen “ . Wenn Isidor v. Sevilla (et. 20,2,10) seiner Erklärung „ Iantaculum est primum cibum quo ieiunium solvitur “ ein Zitat aus Nigidius (109) folgen läßt: „ Nos ipsi ieiunia ientaculis levibus polluimus “ , so weist dies wiederum auf einen ursprünglich sakralen Kontext hin. 364 It. asciolvere ‚ far colazione, merenda ‘ , das nach DEI s. v. auf ABSOLVERE mit Einwirkung von asciogliere (< EXSOLVERE / ABSOLVERE ) beruht, ist zwar vergleichbar mit br. ensolver, ansolver, beweist jedoch eine Herkunft des br. Verbs von ABSOLVERE keineswegs. Zu der Schwierigkeit, bei einem br. Verbalpräfix in-, en-, anzu entscheiden, ob es sich um IN oder um INDE handelt, cf. oben p. 135 zu encorscher. 365 Cf. p. 25, 27, 119 N 1, 138, 149, 242.. 138 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="139"?> - susdar ‚ gähnen ‘ S und C; E suosdar, -er. Nach HWR und D ECURTINS 2001 < lat. SUSCITARE , wahrscheinlich mit Einwirkung von OSCITARE . Von der Semantik her gesehen, würde man eher sagen: umgekehrt, da lat. OSCITARE , - ARI ‚ gähnen ‘ bedeutet. Der Typus ist außer br. auch friul.: sossedâ ‚ gähnen ‘ (P IRONA 1972 s. v., AIS 1: 170 „ sbadigliare “ ). Weitere Reflexe von SUSCITARE in affinen Bedeutungen ( ‚ schluchzen, seufzen, keuchen . . . ‘ ) in weiten Gebieten Italiens und vereinzelt im Galloromanischen verzeichnet FEW 12: 468. Cf. grödn. susté, gad./ enneb. süsté, fass. sustér, ampezz. sustà ‚ seufzen ‘ . Fass. sustér auch ‚ keuchen, schluchzen ‘ , friul. sustâ ‚ schluchzen ‘ . Die zugrundeliegende Vorstellung ist überall diejenige eines physischen Prozesses, der sich von unten nach oben bewegt. In lat. SUSCITARE ‚ erheben, aufbauen, erregen ‘ ist diese Bedeutung zwar angelegt, aber noch nicht explizit bezeugt. - tedlar ‚ hören, zuhören ‘ S; suts. tarlar (Domleschg tadlar), surm./ vall. tadlar, put. tadler. HWR und D ECURTINS 2001 s. v. geben als Basis lat. * TITULARE an. Warum dieses Etymon mit einem Sternchen versehen ist (wie schon im REW), ist nicht einsichtig. Zudem bleibt der Leser im Ungewissen, wie die Autoren den auffälligen Bedeutungswandel von ‚ benennen ‘ zu ‚ hören, horchen ‘ begründen. Diesem Problem geht L IVER 2005 nach. Dort wird eine Entwicklung von ‚ mit einem Merkzeichen versehen ‘ zu ‚ ein Merkzeichen aufnehmen, horchen ‘ postuliert, ähnlich wie in dt. merken (L IVER 2005: 565). - zundrar ‚ fluchen ‘ Nur S 366 . < DISHONORARE . Im Mittellatein steht DISHONORARE neben DEHONORARE , das seit dem 5. Jh. belegt ist 367 . Die Bedeutungsentwicklung kann von ‚ entehren ‘ über ‚ herabsetzen, beleidigen, beschimpfen ‘ zu ‚ schimpfen, fluchen ‘ gelaufen sein. Cf. auch surs. zanur ‚ Schande ‘ < DISHONOREM . Adjektive - castg ‚ zart, schwächlich ‘ Nur S. < lat. CASCUS ‚ uralt ‘ . Cf. DRG 3: 95. Das Adjektiv ist im klassischen Latein schwach belegt. Es scheint in der Literatursprache als Archaismus empfunden worden zu sein (Ennius bei Cicero, Varro). Wenn es im BR (und sporadisch, meist in Ableitungen, in weiteren romanischen Sprachen 368 ) weiterlebt, muß es sich wohl um ein Wort handeln, das in der Umgangssprache lebendig war, nicht aber in der Schriftsprache. 366 HWR nennt auch Tumegl. In den Wörterbüchern des Sutselvischen fehlt jedoch ein Eintrag. 367 Zur Vermengung von DE - und DIS im ma. Latein cf. S TOTZ 2000: 406 (vol. 2, § 117.5). Zu den lautlichen Varianten von DEHONORARE ( DISHONORARE , DESHONORARE ) cf. N IERMEYER s. v. 368 Ait. casco, astur. cascañu ‚ alt ‘ , béarn. cascan, -te ‚ sale, grossier en ses paroles ‘ (FEW 2: 456). 139 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="140"?> Die Bedeutungsentwicklung von ‚ uralt ‘ zu ‚ zart, schwächlich ‘ ist über eine Zwischenstufe ‚ hinfällig ‘ leicht nachvollziehbar. - cut ‚ schlecht gebacken, teigig (Brot); schmutzig, schmierig; verschlagen, verstockt ‘ Allg., surm. cout. < lat. CUTIS ‚ Haut ‘ . DRG 4: 632 bezeichnet die adjektivische Verwendung von cut in RB als „ sehr auffällig und schwer erklärbar “ , dies angesichts der Tatsache, daß Fortsetzer von CUTIS im benachbarten Alpinlombardischen ausschließlich als sf. vorkommen (cf. LSI 1: 825 s. cód 369 ). L IVER 2007: 209s. untersucht den Worttypus im Zusammenhang mit der alpinlombardischen Umgebung 370 und äußert die Vermutung, daß die adjektivische Verwendung des Resultats von CUTIS aus einem Syntagma paun cut zu erklären sein könnte, in dem cut zunächst substantivisches Determinans von paun wäre, ähnlich wie das zweite Element in paun casa, paun segal, paun salin etc. - garmadi ‚ anmaßend, frech ‘ S und C. Die Herleitung von lat. GRAMMATICUS , die schon A SCOLI 1880 - 83: 507 vorgeschlagen hatte, übernimmt DRG 7: 32 als gegeben. Die Bedeutungsentwicklung von ‚ Grammatiker ‘ zu ‚ frech ‘ wird hier über eine Zwischenstufe ‚ überheblich, stolz ‘ einer Epoche fast allgemeinen Analphabetentums zugewiesen, in der die Schreibkundigen als arrogant galten 371 . A SCOLI loc. cit. weist auf eine ähnliche Pejorisierung der Bedeutung in it. saccente (zu SAPIENS ) hin, das ‚ naseweis, überklug ‘ bedeutet. Cf. auch surs. sabiut gleicher Bedeutung, eine Ableitung von sabi ‚ weise ‘ (zu SAPIDUS ). HWR und D ECURTINS 2001 bezeichnen die Herkunft von garmadi beide als ungeklärt. HWR zieht eine Entlehnung aus dem Oberitalienischen in Betracht, mit Verweis auf moden. grammadg ‚ permaloso ‘ (cf. DEI s. grammatico), was letztlich wieder auf GRAMMATICUS zurückführt 372 . D ECURTINS 2001 zieht neben lat. GRAMMATICUS ein oberit. gram ‚ misero, cattivo, malvagio ‘ in Betracht, das auf eine germanische Basis zurückgeht (cf. dt. Gram; FEW 16: 50 s.). Die Semantik der it. 369 Fälschlicherweise werden hier die Homonyme cód ‚ Wetzstein ‘ und cód ‚ schlecht gebackenes Brot ‘ in ein und demselben Lemma behandelt. Auch im Bündnerromanischen besteht eine entsprechende Homonymie (cut m. ‚ Wetzstein ‘ und cut adj. ‚ schlecht gebacken ‘ ). Die Wörterbücher tragen dieser Tatsache Rechnung, indem sie zwei Artikel aufweisen. 370 Zur Zeit der Abfassung des Artikels war mir nicht bekannt, daß es im Dolomitenladinischen Parallelen gibt, immer in substantivischer Form: buchenstein. pân de cou (EWD 2: 330), grödn. pan de chëut (L ARDSCHNEIDER 1933, nicht im EWD). Die Informationen verdanke ich Otto Gsell. 371 A SCOLI loc. cit. bemerkt: „ Compungiamoci, fratelli! “ 372 DEI s. grammatico nennt zudem Beispiele für Reflexe von GRAMMATICUS im Altoberitalienischen mit einer positiv wertenden Bedeutung: a.gen. gramaigo, a.trev. e pad. gramégo ‚ grazioso ‘ . 140 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="141"?> Reflexe dieser germanischen Basis weist jedoch eher in Richtung ‚ traurig, unglücklich ‘ , was mit br. garmadi ‚ frech ‘ schlecht vereinbar ist. - ladin ‚ engadinerrromanisch, dolomitenladinisch ‘ So allg. 373 (suts. ladegn). < lat. LATINUS ‚ lateinisch ‘ . Neben dem Latinismus latin ‚ lateinisch ‘ , der sich auf die lateinische Sprache der Antike oder die Bildungssprache späterer Zeiten bezieht, bezeichnet das volkstümlich entwickelte ladin im Engadin und in den Dolomiten die einheimische Umgangssprache 374 . Eine von dieser Bedeutung abgeleitete zweite Bedeutung ‚ schnell, flink, beweglich ‘ findet sich in einem größeren Gebiet der nördlichen Romania (Teile des Büdnerromanischen, Norditalienisch, Dolomitenladinisch, Friaulisch, Frankoprovenzalisch) 375 . P EER 1962 vermerkt zu ladin adj./ adv. ‚ schnell, flink, aufgeweckt ‘ : „ archaisch “ . D ECURTINS 2001 verzeichnet das Adv. ladinamein ‚ unverzüglich, sogleich ‘ , zu einem surs. nicht belegten Adj. ladin. Im Engadin ist auch ein vom Adj. ladin abgeleitetes Verb ladinar und (mit Intensivpräfix) schladinar sowie refl. as ladinar, as schladinar ‚ sich beeilen, sich sputen ‘ geläufig (P EER 1962). Sowohl das Adjektiv als auch das davon abgeleitete Verb finden sich in der südlichen und östlichen Nachbarschaft des Büdnerromanischen wieder: LSI 3: 83 ladín agg. e avv. in nüancierten Bedeutungen im Umkreis von ‚ leicht, beweglich, zart, sanft ‘ , ladiná und sladiná ‚ allargare, rendere agevole, sollecitare. . . ‘ , als reflexives Verb ladinass im oberen Bergell und in Poschiavo. DEG bezeugt für Grosio ladìn ‚ scorrevole, sciolto nei movimenti ‘ und sladinèr ‚ rendere più scorrevole ‘ . Im Dolomitenladinischen ist das Adjektiv ladin in den erwähnten Bedeutungen überall außer im Gadertal (hier ist nur ladin als Sprachbezeichnung geläufig) bezeugt. Cf. T AGLIAVINI 1934: 183, EWD 4: 156ss., ebenso im Friaul (P IRONA 1972). - lom ‚ weich ‘ S und C, E lam, f. lamma. HWR und D ECURTINS 2001 machen sich kommentarlos die Hypothese von L ÜDTKE 1963: 179ss. zu eigen, wonach lom auf lat. LAMA f. ‚ Sumpf, Morast ‘ zurückgeführt wird, über eine verbale Ableitung * LAMICARE (> surs. lumiar, put. allamger, vall. lamgiar ‚ einweichen, naß machen ‘ ) und von da zum Adj. lom, lam. Diese Erklärung stellt auch DRG 10: 370 s. lam in den 373 HWR nennt nur S und E; surm. ladin adj. ‚ ladinisch ‘ , m. ‚ das Romanische des Engadins und des Münstertals ‘ ist jedoch auch bei S ONDER / G RISCH 1970: 268 verzeichnet. 374 Außer in diesen Gebieten bezeichnen Reflexe vonl LATINUS nur in Dalmatien (wo das Romanische inzwischen ausgestorben ist) und im Judenspanischen in Osteuropa (cf. LRL 7: 372 - 95) die einheimische romanische Sprache. Zu Verwendungen von ladino in Südamerika cf. T AGLIAVINI 1982: 201 N 87. Zum Verhältnis von LATINUS zu ROMANUS bzw. ROMANICUS cf. L IVER 1974 und K RAMER 1998. 375 Die Bedeutungsentwicklung verläuft über ‚ klar, leicht verständlich ‘ als Kennzeichen der einheimischen Sprache zu ‚ leicht zu tun ‘ . Cf. L IVER 1974: 37. 141 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="142"?> Vordergrund, erwähnt jedoch auch abweichende Hypothesen, die eine Herkunft aus dem Germanischen annehmen. Schon Ascoli, der zwar die Herkunft des Adjektivs lom von lat. LAMA auch für wahrscheinlich hält, hatte auf schwdt. luem hingewiesen und bemerkt: „ l ’ incontro rimane assai notevole “ (A SCOLI 1880 - 83: 578s.). Tatsächlich deckt sich die Semantik von luem ‚ weich, locker, schwach ‘ (Schw. Id. 3: 1270), das auch in Graubünden (unter anderem in Walser Dialekten) belegt ist, weitgehend mit derjenigen von br. lom 376 . Das Problem muß jedenalls als offen bezeichnet werden 377 . - malsaun ‚ krank ‘ S; suts. malzàn 378 , surm. malsang, Vaz (E BNETER 1981) malzamn. Aus DRG 12: 405 ss. malsan wird nicht genügend deutlich, daß der Worttypus MALE - SANUS 379 resp. mal + saun nur in S und C ‚ krank ‘ bedeutet, in E dagegen (wie allg. in der Romania 380 ) ‚ kränklich, ungesund, krankhaft ‘ . Hier ist der Italianismus amalà < ammalato an die Stelle eines älteren MALE - SANUS getreten. AIS 4: 701 „ (Sono meno) ammalato di te “ bestätigt dieses Bild. Auch die Ableitung malsogna ‚ Krankheit ‘ ist weitgehend auf S und C beschränkt (suts. malzogna) 381 - nui ‚ frisch, neu ‘ ; da nui ‚ selten, lecker, wohlschmeckend ‘ ; far da nui ‚ sich befangen zeigen, schüchtern tun ‘ So S, wo neben nui auch nuvial, nuviala (von D ECURTINS 2001 als Synonym bezeichnet) in gleicher Bedeutung (aber ohne die Verbindungen mit da) als Adjektiv begegnet. Beide Formen werden auf lat. NOVELLUS zurückgeführt. Suts. (an)zatge da nui ‚ ein Leckerbissen ‘ , easser da nui ‚ selten sein (von Speisen), wohlschmeckend ‘ . Surm. nuvel ‚ neu ‘ , messa nuvela ‚ Primiz ‘ (so auch S messa nuviala). E nuè/ nuel, nuella ‚ neu, jung, frisch (Käse, Brot, Wein); nuorsa nuella ‚ junges Mutterschaf ‘ , messa nuella ‚ Primiz ‘ . 376 Cf. Prättigauer Mundartwörterbuch 1991: 67: luom 1. (von Menschen) ‚ matt, weichlich, energielos ‘ , 2. (von Sachen) ‚ halbdürr, halbgebacken ‘ . V IELI 2009: 111: lüem ‚ müde, lustlos, kränklich ‘ . 377 Ob auch die Beispiele für lam ‚ alentato, lento, molle ‘ im nördlichen Tessin (LSI 3: 86) und die Varianten lamp, lemp, slamp (ibid.) zu br. lom gehören, wäre abzuklären. 378 E ICHENHOFER 2002 unterscheidet malsàn ‚ ungesund ‘ von malzàn ‚ krank ‘ , malzogna ‚ Krankheit ‘ . 379 Bei Plautus ist male sanus ‚ nicht recht vernünftig ‘ belegt. 380 Cf. DEI s. malsano, FEW 11: 90. 381 Cf. DRG 12: 429. A SCOLI 1873: 12 und 1880 - 83: 534 setzt lat. MALSÁNIA als Etymon an. Diesen Ansatz übernimmt HWR. Vorsichtiger (und wohl realistischer) äußert sich D ECURTINS 2001: „ ausgehend von malsaun ‚ krank ‘ und ausgerichtet an magogna ‚ Gebresten ‘ und ragonga ‚ Röcheln ‘ . Cf. auch ait. malsanía ‚ Krankheit ‘ , mit abweichender Akzuentierung des Suffixes, z. B. in der Lauda 48 von Jacopone da Todi: O Signor, per cortesia, manname la malsanía (V ARANINI 1972: 163). 142 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="143"?> Im Galloromanischen übernehmen die Reflexe von NOVELLUS den Bereich von lat. NOVUS (fr. nouveau), während im Italienischen wie im Bündnerromanischen die Fortsetzer von NOVUS weiterleben (it. nuovo, br. niev. nov). Ausschließlich br. scheint die Entwicklung zu ‚ wohlschmeckend, lecker ‘ zu sein. - perdert ‚ gescheit, klug ‘ S; suts. pardeart, surm./ E pardert (E schwach bezeugt). Nach HWR von lat. PER + DERCTUM (zu DIRECTUM ). D ECURTINS 2001 p. p. von *perderscher < * PERDIRIGERE . Die auf das Bündnerromanische beschränkte Bedeutungsentwicklung scheint singulär zu sein. Immerhin besteht in fr. adroit, einer analogen Präfixbildung zu lat. DIRECTUS , eine Parallele. Nach FEW 3: 90 bedeuten Reflexe von AD - DIRECTUS allg. ‚ habile ‘ , aber auch ‚ intelligent ‘ (ang.) 382 , ‚ fin, qui a de l ’ esprit ‘ (loch.) 383 . - prus ‚ rechtschaffen, sanft, fromm; zahm (von Tieren) ‘ Allg., surm. prous. HWR und D ECURTINS 2001 geben als Basis lat. PROSUS (zu PRORSUS ) ‚ nach vorwärts gewendet ‘ an. Sie folgen damit REW 6785. Mißverständlich ist der Hinweis bei D ECURTINS 2001 „ vgl. frz. preux ‚ brave, vaillant “ . FEW 9: 420 stellt preux zu lat. PRODE und leitet auch br. prus von dieser Basis ab. Wenn die Herleitung von PROSUS , PRORSUS richtig ist, was überzeugt, trägt dieser Hinweis nichts zur Geschichte von br. prus bei. Eine Basis PROSSUS (für PRORSUS ) nimmt auch Kramer EWD 5: 400 für gadertalisch und ennebergisch pros an, dessen Bedeutung derjenigen von br. prus entspricht 384 . Da die Bedeutung ‚ zahm, brav ‘ , auf Tiere angewendet, im Vordergrund steht, könnte man sich eine Bedeutungsentwicklung vorstellen, die vom willigen Vorwärtsgehen von Ochsen oder Pferden am Pflug oder am Wagen ausgeht und von dort zu ‚ sanft, rechtschaffen ‘ führt 385 . Die Bedeutung ‚ fromm ‘ erinnert an die Verhältnisse im Deutschen, wo fromm im Mittelhochdeutschen und Frühneuhochdeutschen ebenfalls ‚ gutartig, rechtschaffen ‘ bedeutet, nicht ‚ fromm ‘ in der heutigen religiösen Bedeutung 386 . - spert adj. und adv. ‚ schnell, rasch ‘ Allg.; suts. speart. < lat. EXPERTUS . Eine Bedeutungsentwicklung von ‚ erfahren ‘ zu ‚ schnell ‘ wäre über eine Zwischenstufe ‚ geschickt ‘ zwar nachvollziehbar, aber doch nicht gerade auf der Hand liegend. FEW 3: 308 s. (s. expergiscere) und 3: 319 (s. expertus) macht auf den lautlichen Zusammenfall des Part. perf. von EXPER- 382 Anjou. 383 Loches (Indre-et-Loire). 384 V IDESOTT / P LANGG 1998: ‚ brav, artig, nett, gehorsam, fromm ‘ . 385 Kramer EWD 5: 400 bemerkt, daß die Bedeutung ‚ gerade gerichtet ‘ von PROSSUS leicht das romanische ‚ redlich,brav ‘ erkläre, womit er sich bestimmt eher im Bereich menschlichen als tierischen Verhaltens bewegt. 386 Nach K LUGE 1989 gehört dt. fromm zu einer Wurzel *per- ‚ vorne, früh, erster ‘ . 143 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="144"?> GISCERE ‚ wecken ‘ ( EXPERRECTUS > * EXPERCTUS ) mit EXPERTUS aufmerksam 387 , wodurch sich letzteres mit Bedeutungsnüancen von EXPERPGISCERE bereichert hätte, was vor allem in der Bedeutung ‚ flink, rasch ‘ zum Ausdruck komme. Außer im BR sind Reflexe von EXPERTUS in der Bedeutung ‚ schnell, rasch ‘ auch im angrenzenden Alpinlombardischen und vereinzelt im Galloromanischen belegt. LSI 2: 362 s. espert, spert weist den Typus für Blenio, Leventina, Misox und Puschlav in der Bedeutung ‚ pratico, abile, rapido, sbrigativo, intelligente ‘ nach. FEW 3: 309 gibt afr., aprov. espert ‚ adroit, rapide, alerte ‘ , als Adv. gask. und bearn. espert ‚ bientôt ‘ , sowie ebenda die Zusammensetzung autaspert ‚ aussitôt ‘ . - stgis ‚ fähig ‘ Nur S. Abgeleitet vom Verb stgisar < EXCUSARE . D ECURTINS 2001 denkt an ein Kurzpartizip (cf. stez/ stizzau, unsch/ unschiu) 388 . Die Bedeutungsentwicklung von ‚ entschuldigen ‘ zu ‚ fähig, tauglich ‘ ist nicht ohne weiteres einsichtig. Sie läßt sich wohl über die Bedeutung ‚ genügen ‘ , die in Reflexen von EXCUSARE im BR und Oberitalienischen vorliegt, erklären: S und C stgisar, E s-chüsar, -er ‚ genügen ‘ 389 , LSI 4: 799 scüsá ‚ essere bastevole, sufficiente, essere utile, servire ‘ . Im Friaulischen bedeutet scusâ nebst ‚ scusare ‘ auch ‚ servire come surrogato ‘ (P IRONA 1972), was in mfr. excuser ‚ remplacer ‘ (FEW 3: 286) eine Parallele hat 390 . - stuorn ‚ betrunken; verrückt; schwindlig ‘ Allg. (C sturn). Die Herleitung von lat. STURNUS ‚ Star ‘ , die seit REW 8339 sowohl in FEW 12: 322 als auch in den etymologischen Wörterbüchern des Bündnerromanischen (HWR und D ECURTINIS 2001) Zustimmung gefunden hat, läßt ein gewisses Unbehagen zurück. Ausgangspunkt dieser Deutung ist die Beobachtung, daß junge gefangene Stare oft mit dem Kopf gegen den Käfig stoßen. Sie würden sich dann ungeschickt, wie beschwipst, benehmen. Zur Stützung dieser Interpretation könnte fr. étourdi, it. stordito ‚ schwindlig, benommen ‘ angeführt werden, das auf lat. TURDUS ‚ Drossel ‘ zurückgeführt wird 391 . Es sind jedoch auch andere Erklärungsversuche vorgebracht worden. DEI führt storno 3 ‚ soggetto al capogiro ‘ , das er für Teile Oberitaliens (ven., trent., lomb.) und 387 Dazu auch S TOTZ 2000: 173 (V.84.5). N IERMEYER 1976 gibt expertus = expergitus, wobei letzteres fehlt. 388 Eine entsprechende Kurzform ist auch im Altengadinischen belegt: sckiüs ‚ entschuldigt ‘ bei Bifrun (Lu. 14: 18 und 19), s-chüs ‚ unverdächtig, frei von ‘ in den Rechtsquellen des Oberengadins (S CHORTA / L IVER 1985: 241). 389 D ECURTINS 2001 trennt (richtigerweise aus synchronischer Sicht) stgisar I ‚ genügen ‘ von stgisar II ‚ entschuldigen ‘ , ebenso E ICHENHOFER 2002. 390 Eine weitere Bedeutungsnüance liegt in gad./ enneb. a scüsa ‚ nach Wunsch ‘ vor. Ebenso fass. non me va a scusa ‚ non mi va a genio ‘ . 391 Cf. it. tordo ‚ Drossel ‘ , auch: ‚ uomo semplice e balordo ‘ . Übertragung eines Vogelnamens auf ungeschickte, tölpelhafte Menschen liegt auch in it. alloco ‚ Waldkauz ‘ vor. 144 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="145"?> für das Bünderromanische und das Friaulische ausweist, auf langobard. stornjan ‚ spaventare ‘ , ahd. stornen zurück 392 , mit dem Zusatz „ accostato probabilmente all ’ it. ‚ storno ‘ (stornello) “ . Eine weitere Fährte, die es zu verfolgen gilt, führt auf lat. TORNARE ‚ drechseln ‘ zurück, ein Verb, das in der Romania eine gewaltige Bedeutungserweiterung erfahren hat 393 . ‚ Drehen, wenden, umkehren, zurückkehren ‘ sind nur einige der zahlreichen neuen Bedeutungsnüancen (cf. FEW 13: 46 - 80). Die Verhältnisse im Surselvischen, wo stuorn nebst ‚ betrunken ‘ und ‚ schwindlig ‘ in gewissen Verbindungen auch ‚ gedreht, krumm ‘ bedeutet, läßt eine Herkunft von TORNARE als wahrscheinlich erscheinen: panaglia stuorna ‚ Drehbutterfaß ‘ , tanviala stuorna ‚ Bohrwinde ‘ , begl stuorn ‚ Blinddarm ‘ . Das Drehholz des Käsekessels heißt tuorn < TURNUS . Daß Ableitungen von TORNARE die Bedeutung ‚ Schwindel ‘ annehmen können, liegt nahe (cf. lat. VERTIGO zu VERTERE ). Ein mittellateinischer Beleg aus dem 9. Jh. liefert eine willkommene Bestätigung: tornutio ‚ vertige ‘ bei Ardo Anianensis (N IERMEYER 1976). Auch im Galloromanischen findet sich Entsprechendes (cf. FEW 13: 49). Im Übrigen ist nicht auszuschließen, daß im Adj. stuorn und dessen oberit. Entsprechungen STURNUS und TORNARE zusammengewirkt haben 394 . Schließlich ist noch auf die weitgehende semantische Übereinstimmung von br. stuorn mit schwdt. sturm (Schw.Id. 11: 1496ss.) hinzuweisen. D ECURTINS 2001 vermutet, daß letzteres auf den Ausdruck tuccar da stuornas ‚ die Sturmglocken läuten ‘ eingewirkt hat. In der geographischen Nachbarschaft Graubündens ist der Worttypus sowohl im Veltlin als auch in Italienisch Bünden und im Tessin lebendig. Cf. DEG stórnu ‚ in preda a vertigini, intontito ‘ , LSI 5: 279 s. stórn 2 ‚ storno, strordito, frastornato, preso da vertigine, stupido, sciocco, ubriaco ‘ (und weitere Bedeutungen). Problematisch ist die Erklärung der dolomitenladinischen Formen: grödn. cëurn, gad./ enneb. ciurn, fass. ciorn, buch. ciourn ‚ schwindlig ‘ . T AGLIAVINI 1934: 112 ortet „ difficoltà fonetiche “ . EWD 2: 211 s. s. ciùrn erklärt den Anlaut mit Einwirkung „ des sinnverwandten Verbs ciaurié ‚ träumen ‘ (cf. 2: 172) “ , was nicht einleuchtet. - terrein ‚ schneefrei, aper ‘ S; suts. taragn, surm. tarragn, E terrain. < lat. TERRENUS ‚ erdig, irdisch ‘ . Die Bedeutung ‚ schneefrei ‘ findet sich außer im BR auch im Frankoprovenzalischen, in verschiedenen Gebieten Oberitaliens und im Dolomitenladinischen. Cf. FEW 13: 261, AIS 2: 379 „ (la neve) si scioglie (al sole) “ , mit piem., lomb., trent. und 392 Fehlt in FEW 17. 393 Cf. DEG s. stórnu. 394 FEW 12: 323 deutet mit seiner Formulierung eine volksetymologische Umdeutung der Resultate von STURNUS nach TORNARE an. Ich würde eher eine Priorität von TORNARE annehmen. 145 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="146"?> dolomitenlad. Belegen, LSI 5: 488 s. terén, v. a. im nördlichen Tessin verbreitet, ebenso die Abl. terená ‚ mostrarsi, affiorare allo sciogliersi della neve: del terreno ‘ (ibid.). So auch DEG terenèr (cf. borm. terén ‚ sgombro di neve ‘ ). - uap, f. uappa ‚ schlaff, müde ‘ S; surm. vap. Das Adjektiv ist auch im Altengadinischen belegt: bei Gian Travers in der Histoargia da Ioseph V 396 uapass spiass „ schlaffe Ähren “ (D ECURTINS 1900: 29) und bei Durich Chiampel Psalm 22, Str. 4, V. 58 Schkoa augua uapp alguad ch ’ eug sun „ wie Wasser bin ich schlaff geschmolzen “ (U LRICH 1906: 47). Nach HWR von lat. VAPPA ‚ verdorbener Wein ‘ 395 . Auf diese Herkunft verweisen auch die Verhältnisse im Galloromanischen, wo Reflexe von VAPPA in Bedeutungen belegt sind, die mit br. uap übereinstimmen (FEW 14: 168 s.). Daß D ECURTINS 2001 s. uap an erster Stelle einen germanischen Ansatz * WAPP nennt, dessen Bedeutung allerdings nicht erklärt wird, dürfte mit der Schwierigkeit zusammenhängen, den Anlaut zu erklären. Lat. vergibt normalerweise br. v-. Auch FEW loc. cit. erklärt den Wechsel zwischen v-, w- und gim Anlaut mit germanischem Einfluß. Außerhalb von RB begegnet der Worttypus einzig im Puschlav 396 . LSI 5: 712 verzeichnet vapp für Poschiavo, svapp für Brusio ‚ allentato, non teso, molle, floscio ‘ . - vengonz ‚ würdig ‘ S; suts. vangiànt, surm. vengont, put. vangiaunt, vall. vangiant. So HWR; P EER 1962 verzeichnet nur put. vangiaunt. HWR bezeichnet die Formen für E als archaisch; bei P ALLIOPPI 1895 und 1899 fehlen sie, ebenso bei S ONDER / G RISCH 1970. E BNETER 1981 gibt jedoch für Vaz vangonz ‚ würdig ‘ . Bifrun braucht 1. Petr. 2: 19 das Substantiv vengiô in der Bedeutung ‚ Verdienst ‘ : incunter sieu vengiô „ entgegen seinem Verdienst “ (Vulg. patiens iniuste). Gartner verzeichnet im Glossar zu Bifrun das Adj. vengiaunt, leider ohne Stellennangaben. Gemäß den Materialien des DRG verwendet Bifrun das Adjektiv 7 mal, immer in einer Bedeutung, die dem lat. DIGNUS entspricht ( ‚ etwas verdienend, befugt, berechtigt ‘ ) 397 < lat. VINDICANTEM (zu VINDICARE ‚ in Anspruch nehmen ‘ ). Die Bedeutungsentwicklung dieses offensichtlich in der Rechtssprache verwurzelten Worttypus ist auf Anhieb schwer nachvollziehbar; sie läßt sich aber wohl ungefähr so rekon- 395 Lat. VAPPA gehört zu VAPOR ‚ Dunst, Dampf ‘ . Davon abgeleitet ist das Adjektiv VAPIDUS ‚ umgeschlagen, kahnig, verdorben ‘ , vom Wein gesagt. Spätlateinisch ist der Ausdruck se vapide habere (= se male habere), also ‚ sich schlecht fühlen ‘ , belegt (W ALDE -H OFMANN 1938: 732). 396 FEW 14: 169 hält posch. vap ‚ molle, vano ‘ für das einzige Vorkommen des Worttypus außerhalb des Galloromanischen. Von br. uap ist nicht die Rede. 397 Matth. 10: 10; Luc. 7: 4; Luc. 23: 15; Act. Apost. 23: 29: Act. Apost. 26: 31; 1. Tim. 5: 18; Apoc. 16: 6. Der Vergleich mit der surselvischen Übersetzung von Luzi Gabriel ergibt, daß hier vengiaunt bei Bifrun zum Teil vengonz, zum Teil haver meritau entspricht. Bei L UZZI 1943 ist die Entspechung durchweg degno. 146 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="147"?> struieren: ‚ in Anspruch nehmen ‘ , ‚ zu Recht beanspruchen ‘ , ‚ einen Anspruch haben ‘ , ‚ berechtigt, würdig sein ‘ . Es scheint, daß diese Bedeutung auf das BR beschränkt ist. In vielen romanischen Sprachen hat sich VINDICARE in der spätlateinisch belegten Bedeutung ‚ rächen ‘ fortgesetzt (FEW 14: 470), so auch im BR, wo S vindicar, E (s)vindichar, -er von it. vendicare beeinflußt sind, gegenüber put. svanger mit einheimischer Entwicklung (cf. fr. vanger). HWR s. vindicar und svanger. Adverbien - fetg ‚ sehr ‘ (DRG 6: 245ss.) S und suts.; surm. fitg, E fich. < FICTUM . Sowohl HWR als auch D ECURTINS 2001 geben als Bedeutung dieser Basis ‚ festgeheftet ‘ an, ohne darauf aufmerksam zu machen, daß FICTUS das Partizip Perfekt von FINGERE ‚ gestalten, bilden; ersinnen, fälschlich vorgeben ‘ ist, während das Partizip Perfekt, das ‚ festgeheftet ‘ bedeutet, FIXUS ist, von FIGERE ‚ heften, befestigen ‘ . Allerdings sind in späterer Zeit (wann? spätestens im Mittelalter) die beiden Verben FINGERE und FIGERE miteinander vermengt worden, so daß FICTUS = FIXUS wurde, was sich z. B. in den Varianten fixorium, fictorium ‚ Grenze ‘ niederschlägt 398 . Die Verwendung der Reflexe von FICTUS als Elativausdruck scheint auf das BR beschränkt zu sein. Reflexe von FIXUS (fis, fisc, fesc) haben in oit. Dialekten analoge Bedeutung (DRG 6: 247). Die Bedeutungsentwicklung von ‚ fest ‘ zu elativem ‚ sehr ‘ ist leicht nachvollziehbar; Analoges findet sich im Schweizerdeutschen 399 . - strusch S,C ‚ kaum ‘ , E ‚ nahe ‘ S, suts.; surm. strousch ‚ kaum ‘ , S auch ‚ knapp ‘ . E ‚ nahe ‘ , vor allem Verbindungen wie strusch paraint ‚ nahe verwandt ‘ , sgiar (sger) strusch ‚ das Gras ganz nahe am Boden wegmähen ‘ . Abgeleitet von struschar ‚ reiben, scheuern ‘ (nur vall.) < * EXTRUSIARE (zu TRUSARE 400 ). Der Worttypus, der nach HWR ursprünglich in ganz RB gelebt hat, ist auch italienisch (strusciare ‚ schleifen, streifen ‘ ). LSI 5: 344 verzeichnet strüsciá 1 ‚ strusciare, trascinare, rasentare, strofinare ‘ (nebst weiteren Bedeutungen) und, für einige archaische Mundarten im Misox und Calanca (ferner Lumino bei Bellinzona), die adverbiale Fügung a strüsc ‚ a strascico, per trascinamento ‘ . HWR s. strusch macht auf die vergleichbare Bedeutungsentwicklung von TERSUM ‚ gewischt ‘ zur Präposition tier ‚ (nahe) bei ‘ aufmerksam: in beiden Fällen liege ein Verb zugrunde, das die Beseitigung von Stoffen auf einer Unterlage beschreibt. Insofern ist die engadinische Bedeutung ‚ nahe ‘ der Basis näher als S, C ‚ kaum, knapp ‘ , das sich jedoch leicht aus der Verbindung von strusch mit 398 N IERMEYER 1976. Cf. S TOTZ 1996: 304 (Bd. 3, Buch VII, 264.1) und S TOTZ 2000: 175 (Bd. 2, Buch V, 84.8). 399 Es tuet fescht weh ‚ es schmerzt sehr ‘ . 400 TRUSARE , Intensivum zu TRUDERE ‚ stoßen ‘ , ist bei Catull (56,6) belegt. 147 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="148"?> Bewegungsverben herleiten läßt (cf. vall. sgiar strusch ‚ nahe am Boden mähen ‘ , bescha tusa strusch ‚ kahlgeschorene Schafe ‘ ). - tgunsch ‚ leicht, mühelos ‘ ; auch adj. ‚ zahm, fügsam ‘ 401 S und surm.; suts. tgientsch, E chöntsch. (DRG 3: 604ss.) < * COMPTIU (von * COMPTIARE zu lat. COMERE ‚ zurechtlegen, zurechtmachen ‘ ). Auf * COMPTIARE gehen die Verben E chöntschar, S cuntschar zurück. DRG 3 stellt sie als chöntschar I ‚ flicken, ausbessern ‘ (3: 606 - 10) und chöntschar II ‚ gerben ‘ (3: 610 - 20) dar, eine aus synchronischer Sicht richtige Entscheidung. Historisch lassen sich beide Bedeutungen (wie auch weitere Bedeutungen von chöntschar I und diejenigen von Adj. und Adv.) problemlos von der lat. Grundbedeutung ‚ herrichten ‘ ableiten. Deshalb ist die Bemerkung von HWR, „ Bedeutungsentwicklung . . . unklar “ nicht gerechtfertigt 402 . Der Worttypus ist außer im BR auch im Italienischen, Sardischen, Katalanischen und Dolomitenladinischen präsent (FEW 2: 99; T AGLIAVINI 1934: 171). Das Bedeutungsspektrum von it. conciare deckt sich weitgehend mit demjenigen von br. chöntschar/ cuntschar: Z INGARELLI 1966 s. conciare nennt unter anderem eine veraltete Bedeutung ‚ addomesticare, uccelli di rapina ‘ , was zu br. chöntsch/ tgunsch ‚ zahm, fügsam ‘ paßt. Vor allem in S wird tgunsch oft pleonastisch mit dem bedeutungsähnlichen maneivel verbunden: tgunsch e maneivel, was an walserdt. ring und khand ‚ ohne weiteres ‘ (Prättigauer Mundartwörterbuch 1991) erinnert. - ual ‚ gerade, eben; nur ‘ S; suts. (hier auch gual, angual). Surm. angal ‚ nur, doch ‘ . < lat. AEQUALIS , - E ‚ gleich ‘ (HWR s.v.). Die Bedeutungsentwicklung zum Adverb oder zur Abtönungspartikel ist vergleichbar mit derjenigen von dt. gerade. Cf. DRG 1: 277 s. angal, DRG 9: 163 s. s. ingual I. - vess ‚ schwer, mit Mühe; kaum ‘ S und suts. < lat. VIX , das sonst nicht weiterlebt. REW 9421 403 . Cf. surm. aveissas in gleicher Bedeutung, wo außer VIX anaveidas ‚ ungern ‘ (cf. surs. nuidis < INVITUS resp. * INVITAS ) mitgewirkt hat. HWR s. vess, DRG 1: 589. 401 Wird unter den Adverbien behandelt, weil die adverbiale Funktion in der heutigen Sprache klar primär ist. 402 HWR gibt als Bedeutung von * COMPTIARE ‚ schmücken ‘ , was gegenüber der lat. Grundbedeutung, aus der sich die romanischen Bedeutungen mühelos erklären lassen, eine Spezifizierung ist. 403 Hier Verweis auf REW 224 AD VIX ‚ kaum ‘ , wo rum. abea und aspan. aves angeführt werden. 148 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="149"?> 2.2.3.8 Ergebnisse aus den Untersuchungen zu den lateinischen Elementen im bünderromanischen Wortschatz Aus den im Vorigen dargestellten Untersuchungen ergibt sich ein zwar äußerst buntes, in Bezug auf eine Charakterisierung des bündnerromanischen Wortschatzes lateinischen Ursprungs jedoch dennoch aussagekräftiges Bild. Es wird klar, daß das Bündnnerromanische sowohl in der Bewahrung gewisser Elemente des in Rätien eingeführten Vulgärlateins als auch im Bereich romanischer Neubildungen mit lateinischem Material ziemlich originell ist. Das ist gewiß keine neue Erkenntnis, aber sie wird hier mit einer großen Zahl von Wortgeschichten belegt. Die Vernetzung des Bündnerromanischen mit Nachbargebieten und größeren Räumen der Romania ist von Fall zu Fall unterschiedlich. Eine statistische Auswertung der Ergebnisse ergibt keinen Sinn, da schon die Datenbasis arbiträr ist. Es wurden nur Fälle untersucht, die für eine „ besondere Latinität “ interessant sind, das heißt für die Bewahrung von lateinischen Elementen, die anderswo verschwunden oder auf andere Weise verändert worden sind. Der Gesamtwortschatz der Sprache ist ohnehin nicht erfaßbar, und selbst wenn er z. B. aufgrund der vorliegenden Wörterbücher exhaustiv untersucht würde, stünde der Gewinn für die hier interessierende Problematik in keinem Verhältnis zum Aufwand. Gesamthaft zeichnet sich eine Tendenz zur Bewahrung von Worttypen ab, die in den größten Teilen der Romania nicht weiterleben. Diesen Konservativismus teilt das BR vielfach mit den unmittelbar benachbarten Gebieten (Alpinlombardisch, Oberitalienisch im weiteren Sinn, DL, FR), zum Teil auch mit anderen, nicht unmittelbar benachbarten konservativen Zonen der Romania (Randzonen wie Sardinien, südit. Dialekte, Rumänien). Oft stimmt das BR mit früheren Sprachstufen anderer Gebiete überein. Besonders das Oberitalienische hat sich unter dem Einfluß der italienischen Standardsprache in vielen Fällen von älteren Situationen entfernt. Diese Beobachtung gilt vielfach auch für die Worttypen, die eine auffällige semantische Entwickung vom Latein zum Romanischen erfahren haben. In diesem Kapitel wurden als Alternativen zu den oft nicht befriedigenden Kommentaren der Wörterbücher verschiedentlich eigene Erklärungsversuche (sitg p. 133, treglia p. 133s., lignar p. 136s., snizzar p. 137s., tedlar p. 139, zundrar p. 139, cut p. 140, garmadi p. 140, prus p. 143, stgis p. 144, stuorn p. 144s., vengonz p. 146s., tgunsch p. 148) 404 . 404 Cf. auch zezen p. 85s. 149 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="150"?> 2.2.4 Germanische Elemente 2.2.4.1 Historische Voraussetzungen Der seit dem Mittelalter bis heute bestehende, massive Einfluß des Germanischen auf das Rätoromanische ist in der Forschung immer wieder betont worden. Es fehlt aber bis jetzt eine Gesamtdarstellung dieses Themas. Eine frühe, immer noch wertvolle Untersuchung ist B RANDSTETTER 1905, Das schweizerdeutsche Lehngut im Romontschen. Ausführliche Auseinandersetzungen mit der Thematik enthalten auch S CHMID 1993 405 und D ECURTINS 1993 406 , eine kurze Übersicht L IVER 1989: 799s. L IVER 2009 liefert eine neuere Standortbestimmung. L IVER 2011 behandelt die Integration deutschen Wortguts im br. Verbalsystem. Im Folgenden wird nur von den deutschen Einflüssen im lexikalischen Bereich die Rede sein. Die Auswirkungen des Sprachkontakts mit dem Deutschen sind jedoch auch im Bereich der Morphosyntax und der Intonation spürbar 407 . Die historischen Voraussetzungen für den jahrhundertealten Kontakt des Rätoromanischen mit dem Deutschen sind oft beschrieben worden 408 . Hier in Kürze die wichtigsten Fakten. Nach fünf Jahrhunderten römischer Herrschaft (von der Eroberung 15 v. Chr. bis zum Untergang des weströmischen Reiches) kommt Rätien für kurze Zeit unter die Herrschaft der Ostgoten (493 - 537), in der Folge für ca. drei Jahrhunderte (Mitte 6. - Mitte 9. Jh.) unter die der Franken. Während Rätien in der ersten Zeit dieses Abschnitts, unter der Herrschaft der merowingischen Franken, noch eine weitgehende politische Selbstbestimmung genoß (wie auch in den vorangehenden Zeiten), änderte sich die Situation unter Karl d. Großen radikal. Nachdem bisher weltliche und geistliche Gewalt in der Hand des Bischofs von Chur vereinigt gewesen war, trennte Karl d. Große die beiden Bereiche, indem er 806 die fränkische Grafschaftsverfassung in Churrätien einführte. Diese Maßnahme hatte einschneidende Folgen nicht nur für die politische, sondern auch für die sprachliche Situation. Sie leitete eine Umorientierung Rätiens nach dem germanischen Norden ein. Der Graf, den Kaiser Karl einsetzte, war ein Deutscher. Mit ihm kamen deutsche Gefolgsleute ins Land, so daß sich eine Oberschicht bildete, die nicht die rätoromanische Sprache der großen Mehrheit der Bevölkerung sprach. Diese für das Rätoromanische schicksalhafte Entwicklung wird weiter verschärft, als durch die Reichsteilung von Verdun 843 Churrätien an Ludwig den Deutschen fällt. Gleichzeitig wird das Bistum Chur von der Erzdiözese Mailand abgelöst und in die Erzdiözese Mainz eingegliedert. Von da an sind auch die 405 ASRR106: 102 - 33. 406 D ECURTINS 1993/ I: 172 - 91. 407 Cf. L IVER 2010: 176 ss. Liver 2009. 408 Eine Zusammenfassung in L IVER 2010: 78 SS . 150 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="151"?> meisten Bischöfe und mit ihnen ein großer Teil der Geistlichkeit deutscher Sprache 409 . Diese Vorgänge sind mindestens teilweise dafür verantwortlich, daß sich im rätischen Mittelalter kein kulturelles Zentrum rätoromanischer Prägung bilden konnte. Die Stadt Chur, die für diese Rolle prädestiniert gewesen wäre, war in ihrer Oberschicht schon weitgehend germanisiert, wenn auch die allgemeine Umgangssprache bis zum Stadtbrand von 1464 vorwiegend rätoromanisch war 410 . Zu dieser „ Germanisierung von innen “ kommt eine „ Germanisierung von außen “ hinzu. Seit dem Ende des 5. Jh.s dringen Alemannen sukzessive von Norden nach Süden durch das Rheintal zwischen dem Bodensee und Chur vor. Eine lange Phase deutsch-romanischer Zweisprachigkeit endet in diesem Gebiet erst im 12. Jh. mit dem Sprachwechsel zum Deutschen 411 . Seit dem Ende des 13. Jh.s erhält das germanische Element in Graubünden eine weitere Verstärkung. Einheimische Feudalherren laden ausgewanderte Oberwalliser Bauern ein, auf ihrem Gebiet zu siedeln. Siedlungstätigkeit und Waffendienst für die Feudalherren werden mit weitgehenden rechtlichen Privilegien belohnt. Die lebenstüchtigen Walser, die zum Teil vom Südrand der Alpen (Monte Rosa- und Tocegebiet) nach Graubünden kommen, setzen sich trotz schwierigen Lebensbedingungen in unwirtlichen Höhen bald durch und dehnen sich zusehends auf tiefer gelegene, vorher von Romanen besiedelte Gebiete aus. So werden ab dem 14. Jh. in kurzer Zeit Davos, das Schanfigg (mit Arosa) und das Prättigau (mit Klosters, Seewis usw.) germanisiert 412 . Die Verkleinerung des rätoromanischen Sprachgebiets bedeutet nicht zwingend eine Zunahme der Germanismen im Rätoromanischen. Dennoch wächst mit der veränderten Situation die Bedeutung des Deutschen im rätoromanischen Alltag. Im Freistaat der Drei Bünde (15. Jh. bis zur Französischen Revolution) war Deutsch die offizielle Verhandlungs- und Amtssprache, obschon jeder der drei Bünde mehrsprachig war. Mit der Eingliederung Graubündens in die Schweizerische Eidgenossenschaft (1803) verstärkte sich Gewicht und Prestige des Deutschen weiter, eine Situation, die auch heute (mehr denn je) in der rätoromanischen Sprache ihre Spuren hinterläßt. 2.2.4.2 Probleme der Darstellung der germanischen Elemente im br. Wortschatz Es ist nicht leicht, eine Chronologie der Entlehnungen aus dem Deutschen ins Bündnerromanische zu erstellen. Am einfachsten ist es, alte Germanismen 409 Cf. B ÜHLER 1995: 200. Zu den geschichtlichen Hintergründen ausführlich P IETH 1945: 22 - 34, C OLLENBERG 2003: 55 - 58; 410 Cf. B ÜHLER 1995: 197 - 202. 411 Cf. S ONDEREGGER 1979, S TRICKER 1981, H ILTY 2001a. 412 Cf. Z INSLI 1968. P IETH 1945: 62 - 67. Zur Germanisierung des Schanfiggs S TRICKER 1986. 151 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="152"?> auszumachen, d. h. Entlehnungen, die schon ins Spätlatein und damit in verschiedene romanische Sprachen eingegangen sind (2.2.4.3). Durch den jahrhundertelang anhaltenden Sprachkontakt mit dem Deutschen ist es jedoch oft zu zeitlich gestaffelten Mehrfachentlehnungen gekommen, die dann zu unterschiedlichen lautlichen Resultaten führten. Diese erlauben zuweilen eine chronologische Einordnung. Eichenhofer 1999 arbeitet zahlreiche Ergebnisse der lautlichen Überführung von Germanismen ins Bündnerromanische auf; dennoch fehlt bislang eine Gesamtdarstellung dieses Aspekts. Unter 2.2.4.6, „ Entlehnungen aus dem Deutschen (Schweizerdeutschen/ Tirolischen) zu verschiedenen Zeiten “ , wird eine Aufarbeitung der bis jetzt vorhandenen Resultate versucht. Im Abschnitt 2.2.4.4 behandeln wir romanische Neubildungen auf germanischer Basis. Von Neubildung wird dann gesprochen, wenn die germanische Basis mit romanischen Morphemen (Präfixen, Suffixen) modifiziert wird. Wo keine neuen Morpheme hinzukommen, sprechen wir von Entlehnung, auch wenn die lautlichen Modifikationen beträchtlich sind. Ein wichtiger Aspekt in der Auswirkung des germanisch-romanischen Sprachkontakts ist das Thema „ Lehnübersetzung/ Lehnbedeutung “ . Es wird im Abschnitt 2.2.4.5 behandelt. Unter 2.2.4.7 besprechen wir Fälle von umstrittener oder zweifelhafter Herkunft, in denen germanischer Ursprung eine Rolle spielen könnte 413 . Sogenannte „ Internationalismen “ , Wörter auf lateinischer Basis, die in mehreren europäischen Sprachen vorkommen, werden hier nicht behandelt. Sie können auf verschiedenen Wegen ins Bündnerromanische gelangt sein, am häufigsten wohl über das Deutsche, aber auch über das Italienische oder das Französische. Dazu K RISTOL 1985. 2.2.4.3 Alte Germanismen Substantive - bara f. allg. ‚ Leiche, Leichnam ‘ (put. bela), E, spor. S ‚ Sarg ‘ (mit der Leiche), S, suts. ‚ Todesfall, Begräbnis ‘ . < ahd./ lomb. BARA ‚ Bahre ‘ . DRG 2: 146. FEW 15: 93 s. anfrk. * BËRA > fr. bière. Die Bedeutung ‚ Bahre, Tragbahre, Totenbahre ‘ , die auch im It. und teilweise im DL erhalten ist (gad. bara, fass. bera, LSI 1: 209 s. bara 1 ), ist im BR weitgehend der Bedeutung ‚ Leiche, Leichnam ‘ gewichen, eine Entwicklung, die auch im Afr. bezeugt ist. Die in S geläufige Bedeutung ‚ Begräbnis ‘ kommt sporadisch auch mfr. vor (FEW 15: 94). - baun m. ‚ Bank ‘ . So S; suts. bànc, surm./ vall. banc, put. baunch. < germ. * BANK - (HWR * BANKI , D ECURTINS 2001 * BANKS ). Nach FEW 15: 63 ist das germanische Wort früh mit andern Ausdrücken der Holzbaukunst ins Spätlatein übernommen worden und findet sich entsprechend in vielen romanischen Sprachen. Die 413 Cf. dazu auch oben 2.2.3.7, wo einige Fälle umstrittener Herkunft diskutiert werden. 152 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="153"?> Ableitung bancale ist in lat. Glossen belegt (FEW loc.cit.). N IERMEYER 1976 verzeichnet sie für das Mlat. in der Bedeutung ‚ Polster ‘ . - bostg m., bostga f./ koll. ‚ niedriges Gesträuch ‘ . So (ohne grammatische Angaben) der Eintrag für S in S PESCHA 1994. DRG 2: 435ss. behandelt unter „ bös-ch, pl. böschs, koll. bos-cha engad., bostg, pl. bostgs, koll. bostga surselv. “ einen Worttypus in einem einzigen Artikel, der zwar etymologisch eine gemeinsame Basis hat (germ. BOSK ‚ Busch ‘ ), in seiner semantischen Auffächerung in den verschiedenen Teilen des BR jedoch zu unterschiedlichen Resultaten geführt hat. So ist denn die Bedeutungsangabe „ Baum, Strauch, Gesträuch usw. “ ein unbefriedigender Notbehelf. HWR trennt richtigerweise eng. bös-ch ‚ Baum ‘ von surs. bostga ‚ Gebüsch, Gestrüpp ‘ . Allerdings ist eine klare Darstellung des vielfach zusammenhängenden Wortmaterials schwierig. In den Bezeichnungen für ‚ Baum ‘ weist das br. Gebiet eine deutliche Zweiteilung auf: Während das Engadin bös-ch hat, sagt das übrige Gebiet plonta (S), plànta (suts.), planta (surm.) für ‚ Baum ‘ allgemein, pumer für ‚ Obstbaum ‘ 414 . Neben dem pl. bös-chs steht im Engadin eine Kollektivform bos-cha: boscha d ’ aguoglia ‚ Nadelbäume ‘ , bos-cha da föglia ‚ Laubbäume ‘ . Bos-cha bedeutet dort auch ‚ Stauden, Gebüsch, Sträucher ‘ (z. B. ‚ Kartoffelstauden ‘ [P EER ], ‚ Beerensträucher ‘ [DRG 2: 36]), ähnlich wie bostga in S und C, wo vor allem ‚ Alpenrosen-, Wacholder-, Heidelbeergesträuch ‘ im Vordergrund steht (D ECURTINS 2001). Gesamthaft bedeutet bostga in S und C ‚ Gebüsch, Unterholz, Gestrüpp ‘ ; für diese Inhalte hat E jedoch vorwiegend frus-chaglia, bos-chaglia, tscheppa, chaglias. Auffällig ist, daß die Bedeutung ‚ Wald ‘ , welche die Resultate von germ. BOSK in großen Teilen der Romania angenommen haben (galloroman., it., span., port., aber auch DL und FR. Cf. FEW 15: 208), im BR fehlt; für ‚ Wald ‘ herrschen hier durchwegs Reflexe von germ. WALD . Cf. unten p. 156 zu surs. uaul, eng. god. - brit f. ‚ Schwiegertochter ‘ . So S und suts., surm. breit, eng. brüt. Zu germ. * BRÛDI ‚ jungvermählte Frau ‘ (FEW 15: 304). Das Wort muß aus dem Gotischen früh ins Latein übergegangen sein. Lat. BRUTIS , - EM ist inschriftlich seit dem 3. Jh. belegt, und zwar in Aquileia, Noricum und auf dem Balkan. Es lebt außer im Br. weiter im FR (brût ‚ nuora ‘ neben niore, P IRONA 1972) und im Galloromanischen (fr. bru, heute belle-fille), nicht jedoch im Italienischen, auch nicht im Alpinlombardischen und im DL (cf. AIS 1: 34 „ la nuora “ ). - broda f. ‚ Brühe, Suppe ‘ . Allg., vall. auch brouda. DRG 2: 523ss. Wie it. broda (neben brodo) von germ. * BROD - ‚ Brühe ‘ . Auch gallorom. (FEW 15: 291ss.). Der Worttypus ist auch im DL (grödn., gad.) und FR (in Ableitungen) heimisch. EWD 1: 359ss., P IRONA 1972 s. brodac, brodet. 414 Nach DRG 2: 436 geht das oberste Albulatal mit dem Engadin. Es werden jedoch keine Belege angeführt. 153 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="154"?> - buordi m. ‚ Bürde, Last ‘ . S und E, C burdi. DRG 2: 665 nimmt wegen der lautgerechten Entwicklung des Tonvokals eine frühe Entlehnung von schwdt. Burdi (Schw. Id. 4: 1541) an. - cria f. ‚ Krug ‘ . Nur E und Bravuogn (creia). Die Form cria, von PEER 1962 allein aufgeführt, gilt für das untere Unterengadin (von Scuol abwärts). Daneben verzeichnet DRG 4: 244 cröa, cröja, crüa, crüja. Wie fr. cruche geht cria auf germ. * KRUKA ‚ Krug ‘ zurück. FEW 16: 413. In C und S finden sich jüngere Entlehnungen von schwd. Chrueg (suts. hrui, hruac, cruac), surm. crug (HWR s. ruog), cruac (E BNETER 1981, Dim. criecli). Cf. unten p. 182. - faulda f. ‚ Falte, Runzel, Furche ‘ . So S; suts. fòlda, surm., E foda. Nach FEW 15: 101 legt das Vorkommen des Worttyps in Italien, Südfrankreich und der Iberoromania (in der Bedeutung ‚ Zipfel, Saum eines Kleides ‘ ), nicht aber in Nordfrankreich Herkunft aus dem Gotischen (* FALDA ‚ Falte ‘ ) nahe. Die ursprüngliche Bedeutung ‚ Falte ‘ ist im BR, DL und teilweise im Alpinlombardischen (LSI 2: 382) erhalten. DRG 6: 455 vermutet, für die Erhaltung könnte die deutsche Nachbarschaft eine Rolle gespielt haben. Diese könnte auch für die Ausweitung der Bedeutung auf ‚ Runzel, Hautfalte ‘ im BR mitverantwortlich sein. - fleter m. ‚ Filz ‘ . So put., wovon wahrscheinlich surs./ suts. fleter übernommen ist. Vall. fieuter. Von fränk. * FILTIR , woraus mlat. filtrum, feltrum (N IERMEYER 1976). Cf. DRG 6: 284 s. fieuter, FEW 15: 127s. Der Worttypus ist in verschiedenen romanischen Sprachen lebendig (it. feltro, fr. feutre, span. fieltro). - glieud f. ‚ Leute ‘ . So surs./ suts./ eng., surm gliout. < ahd. LIUT . Cf. DRG 7: 417. - launca f. ‚ Lende ‘ . So S, surm. anca. < germ. HANKA ‚ Hüfte ‘ , in S mit Agglutination des Artikels. DRG 1: 260 s. anca. FEW 16: 142 s. E geläufiger flanc, flaunch, aber auch gelegentlich Reflexe des Typus HANKA (DRG loc.cit.). Nach FEW loc.cit. weist die weite Verbreitung in der Romania auf eine alte Entlehnung aus dem Germanischen hin. - lautga f. ‚ Laube, Balkon; Empore (in der Kirche) ‘ . So S, suts. loptga, lotga, surm., E lobgia. < germ. LAUBJA ‚ Laube ‘ , wie fr. loge, it. loggia. Nach FEW 16: 450 s. ist lobia in Frankreich seit 584 belegt, später auch in Italien. Cf. N IERMEYER 1976 s. laubia. Auf hohes Alter der Entlehnung weist die Erhaltung von AU in S hin. Cf. DRG 11: 371ss. - rauba f. ‚ Ware, Gut ‘ . So S; C, E roba. Von germ. RAUBA ‚ Beute ‘ , das in verschiedenen Bedeutungsentwicklungen in mehreren roman. Sprachen weiterlebt (it., rätorom., DL, FR, galloroman., kat.). Cf. FEW 16: 676 s. - scaffa f. ‚ Schrank ‘ . So S, suts. stgafa, surm. stgaffa, E s-chaffa. < langob. SKAFA ‚ Gestell mit Brettern ‘ . HWR, D ECURTINS 2001. Cf. it. scaffa, neben der häufigeren Abl. scaffale (DEI s. v.). REW 7965. - scalgia f. ‚ Splitter, Scherbe ‘ . S, suts. Surm. scaia, E s-chaglia. In S auch scaglia (cf. taglia ‚ Steuer ‘ neben talgia ‚ Schnitte, Scheibe ‘ ). < germ. * SKALJA ‚ Schale ‘ . HWR, D ECURTINS 2001. Nach FEW 17: 92s. außer br. auch it. (scaglia), gallorom. (fr. écaille) und DL (grödn. scaia ‚ Mundschaum, Geifer ‘ , gad. scaia ‚ Schaum, Feilspäne ‘ , enneb. scaia ‚ Schaum, Geifer, Schleim, Gischt ‘ [wirklich hierhin? ]), fass. scaa 154 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="155"?> ‚ scaglia di pietra, ferro, legno; squama ‘ . Auch FR: scàe ‚ scaglia, sverza di pietra, di mattone, ecc. ‘ (P IRONA 1972). - stalla f. ‚ Stall ‘ . Allg. HWR setzt sicher zu Recht got. * STALLA an, das auch it. stalla zugrunde liegt, nicht anfrk. * STAL . Cf. FEW 17: 210 N 21. DL stala, FR stàle. - stgeina f. ‚ Schienbein, Wadenbein ‘ (+ weitere Bedeutungen). S; suts./ surm. stgagna, put. s-chagna, vall. s-chaina. < germ. * SKINA ‚ schmales Stück Holz oder Knochen ‘ . FEW 17: 115. Cf. dt. Schiene, Schienbein. Die Bedeutungsentwicklung dieser germ. Basis im Romanischen ist vielfältig: fr. échine ‚ Rückgrat ‘ , it. schiena ‚ Rücken ‘ . Im BR variieren die Bedeutungen der Reflexe von * SKINA von Region zu Region. In S dominiert die Bedeutung ‚ Schienbein, Wadenbein ‘ ; daneben verzeichnet D ECURTINS 2001 die Bedeutungen ‚ Rippenstück ‘ , ‚ Schiene (bei Verbänden) ‘ , ‚ Bergabdachung, Bergschulter ‘ (cf. RN 2: 315 s.). In Mittelbünden (suts., surm.) stehen die Bedeutungen ‚ Eßgabel, Stricknadel ‘ im Vordergrund. ‚ Stricknadel ‘ wird auch für E s-chaina, s-chagna an erster Stelle angeführt, gefolgt von ‚ Spießchen zum Binden der Würste ‘ und ‚ Rippenstück ‘ . Daneben existiert auf dem ganzen Gebiet ein m.: surs. stgein, suts./ surm. stgagn, put. s-chagn, vall. s-chain, nach HWR eine Rückbildung von als Kollektiv aufgefaßtem stgeina etc., in der Bedeutung ‚ Holzscheit, Hölzchen ‘ und ähnlich, surm. auch ‚ Schienbein ‘ . - stgella f. ‚ Kuh-, Viehschelle ‘ . S, surm.; suts. stgela, E s-chella. < germ. * SKILLA ‚ Schelle ‘ . Der Worttypus ist nach FEW 17: 111 in der Romania verbreitet (afr., kat., span., ait.). In Italienisch Bünden (Bergell, Puschlav) setzt er sich als schèla ‚ campano, campanaccio, campanello ‘ fort (LSI 4: 667). Cf. auch HWR. Die Terminologie für die verschiedenen Typen von Viehglocken ist im BR äußerst reichhaltig (S bransin ‚ Glöckchen ‘ , bransina ‚ gegossene Kuhglocke ‘ , platiala ‚ große Kuhschelle ‘ , talac ‚ flache Kuhschelle ‘ , zampugn ‚ unten verengte Kuhschelle, Treichel ‘ ). - stiva f. ‚ Stube, Wohnzimmer ‘ . So S., suts. Surm. steiva, E stüva. Die Zuordnung zur Sektion „ Alte Germanismen “ , die germanische Worttypen enthält, die in verschiedene romanische Sprachen eingegangen sind, ist in diesem Fall nicht unproblematisch. Zwar finden sich in mehreren romanischen Sprachen Reflexe von * EXTUPA / EXTUFA (zu griech. τύφειν ‚ rauchen ‘ ) in der Bedeutung ‚ Ofen ‘ , ‚ geheiztes Zimmer ‘ , das als stuba ins Mlat. und von dort ins Althochdeutsche übergegangen ist (it. stufa ‚ Ofen ‘ , friul. stùe ‚ stufa; stanza di abitazione con stufa ‘ , fr. étuve ‚ Schwitzbad ‘ ); es ist jedoch fraglich, ob die im BR, DL und FR, aber auch im Alpinlombardischen (LSI 5: 353) geläufigen Repräsentanten des Typus in der Bedeutung ‚ Stube ‘ auf eine vulgärlateinische oder eine althochdeutsche Basis zurückgehen. HWR neigt zur zweiten Lösung, gestützt auf T AGLIAVINI , RLiR 9: 296 s., ebenso D ECURTINS 2001. Anders B RACCHI 1986b: 167ss. - suppa f. ‚ Suppe ‘ . So S, suts. supa, surm. soppa, E schopa. < germ. * SUPPA ‚ eingetunkte Brotschnitte ‘ . Allg. romanisch, außer rum., dalm., sard. FEW 17: 287 s. - tacca f. ‚ Einschnitt, Kerbe ‘ . S; suts. taca, tatga, surm. tatga, E tacha. < * TACCA zu got. TAIKNS ‚ Zeichen ‘ . Nach FEW 7: 296 s. ein sehr alter Germanismus im Vlat. 155 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="156"?> (it. tacca, fr. tache, kat. taca ‚ Fleck, Maser ‘ , arag., astur. taca). Dazu auch surs. tac, suts./ surm. tatg ‚ Fleck, Schmutzfleck ‘ , surs. taccau ‚ wurmstichig ‘ , tachel ‚ Tupf, Tüpfel ‘ . - triep m. pl. trops, koll. troppa ‚ Schar, Trupp, Rudel ‘ . So S, suts. triep, surm. troppa f., E tröp. Nach HWR und D ECURTINS 2001 < germ. * TROP -, FEW 17: 399 anfrk. thorp ‚ Dorf ‘ . Die Bedeutung ‚ Rudel, Herde ‘ ist außer in RB im Aprov. und im Oit. belegt. Cf. AIS 6: 1072 „ il branco di pecore “ und 6: 1189 „ una mandria di vacche “ . LSI 5: 637 s. tròpp 2 ‚ branco, gregge, mandria, gruppo, moltitudine di animali, di persone ‘ . Belege aus dem ganzen Kanton Tessin und aus Südbünden (Roveredo, Mesocco). Troppus ‚ Herde ‘ ist auch mlat. belegt (N IERMEYER 1976). - tschadun m. ‚ Löffel ‘ , S. Suts. tschadùn, surm. sdom, sdong, E sdun. < * SCETONEM (zu germ. SKEITHO ). Nach D ECURTINS 1993/ I: 115, gestützt auf P FISTER 1985: 80, ist der Worttypus, der außerhalb von RB auch im Bergell (LSI 4: 804 sdun), im DL (grödn. sciadon f.) und im FR (sedòn f.) vorkommt, ein „ ostgotisches Reliktwort, das in Randzonen abgedrängt wurde, einst aber größere Teile Oberitaliens umfaßte “ . - uaul m. S; suts. gòld, surm. gôt, E god. < germ. WALD , wie afr. gaut (FEW 7: 486), ait. gualdo, heute nur noch in Ortsnamen. DRG 7: 637 nimmt für RB Entlehnung aus dem Alemannischen an. - uiara f. ‚ Krieg ‘ . S; suts. veara, guera, surm. ghera, E guerra. < fränk. * WERRA ‚ Wirren, Streit ‘ , wie fr. guerre, it. guerra (auch iberorom., engl. war). FEW 17: 568. DRG 7: 985. - uisa f. ‚ Art, Weise ‘ . S; suts. uisa, guisa, surm. veisa, E guisa (nach DRG 7: 1021 hier archaisch). < germ. WISA ‚ Weise ‘ . Nach FEW 17: 597 gesamtromanisch außer rum., vegl., sard. Spätlateinisch seit spätestens 4. Jh. - von m. ‚ Handschuh ‘ . S; suts. vànt, guànt, surm. gant, put. guaunt, vall. guant. < fränk. WANT ‚ Handschuh ‘ , das sich vom Galloromanischen aus in andere roman. Sprachen verbreitete (FEW 17: 507). DRG 7: 929. - zeiver m. ‚ Gelte, Waschzuber ‘ . S; C zever. < ahd. ZWIBAR ‚ zweiträgiges Gefäß ‘ . Nach HWR s. v. auch vall. zaiver, was nach P ALLIOPPI 1895 und B EZZOLA / T ÖNJACHEN 1976 jedoch ‚ Backmulde ‘ bedeutet. Anz. sévar, friul. sevre, sere (HWR s. zeiver) sind weder im AIS noch in P IRONA 1972 belegt. - zundra f. ‚ Legföhre ‘ . S, suts.; surm. zundregn m., E zuonder m. < germ. ZUNDER . Auch breg. zondar ‚ pino mugo, pino silvestre ‘ (LSI 5: 859), fass. zondra ‚ rododendro ‘ , tirol. Zuntern pl. ‚ Zwergkiefern ‘ (HWR). Adjektive - blau ‚ blau ‘ S, vall.; suts. blo, blova, surm. blo, blava, put. blov, blova. < germ. * BLAO ‚ blau ‘ . DRG 2: 380. Nach FEW 15: 150 aus dem Galloromanischen kat. blau, ait. biavo, während it. blu eine späte Entlehnung aus fr. bleu ist. Ausführlich zur Geschichte von * BLAO in der Romania K RISTOL 1978: 229ss. Nach diesem Autor ist 156 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="157"?> germ. * BLAO früh in einer Zone heimisch geworden, die Nordostitalien, Friaul, die Dolomiten 415 und Graubünden umfaßt (K RISTOL 1978: 231). - bletsch ‚ naß ‘ , allg. S, C auch ‚ teig, überreif ‘ (von Birnen). DRG 2: 389ss. Zu fränk. BLETTJAN ‚ quetschen ‘ . FEW 15: 157ss. Adjektivische Entsprechungen der Bedeutung ‚ teig, überreif ‘ finden sich im Französischen (blet, afr. blece) und im Piemontesischen (blet, biet etc., cf. AIS 7: 1259 „ una pera mezza “ ). Die Bedeutung ‚ naß ‘ scheint auf das BR und das Bergell beschränkt zu sein. LSI 1: 350 blecc agg. ‚ bagnato, fradicio ‘ (Castasegna, Bondo), ‚ umido, inumidito ‘ (Soglio). - blond ‚ blond ‘ , allg. Nach DRG 2: 397 und D ECURTINS 2001 von germ. * BLUND . Im HWR fehlt ein Lemma blond. Der Worttypus ist in verschiedenen romanischen Sprachen vertreten (fr. blond, it. biondo, sard. brundu, brondu, span. blondo [< port.]). Die Tatsache, daß die blonde Haarfarbe bei germanischen Völkern überwiegt, ferner die Häufigkeit von germanischen Entlehnungen im Bereich der Farbadjektive lassen FEW 15: 171 die germanische Herkunft des Worttyps als gegeben erscheinen 416 , obschon * BLUND im Germanischen nicht belegt ist. Ähnlich DEI s. biondo und K LUGE 1989 s. blond, wogegen K RISTOL 1978: 304s. starke Zweifel anmeldet. - brin ‚ braun ‘ . S; suts./ surm. bregn, E brün. < germ. * BRUN ‚ braun ‘ . DRG 2: 533ss. Nach FEW 15: 309 durch germanische Söldner ins Vulgärlatein eingeschleppt. Brunus in einer Isidorglosse und im Reichenauer Bibelglossar belegt. N IERMEYER 1976 brunus, bruneus. Fr. brun, it. bruno, kat. bru; span./ port. bruno nach FEW loc. cit. aus dem It. entlehnt. Cf. auch K RISTOL 1978: 233ss. - franc ‚ fest, sicher ‘ . S, C, vall.; put. fraunch. Nach DRG 6: 554 in E auch ‚ frei, befreit, freigelassen ‘ . Als Adverb allg. ‚ gewiß, sicher, bestimmt, wirklich ‘ . < fränk. FRANK ‚ frei ‘ , nach HWR in S von dt. frank überlagert, nach D ECURTINS 2001 in S über it. franco, dt. frank. DRG 6: 555 hält die engad. Resultate für lautgerecht, die surselvischen für „ eher jung “ . Nach FEW 15/ II: 169s. ist die Bedeutung ‚ frei ‘ , die sich von der beherrschenden Stellung der Franken im spätantiken/ frühmittelalterlichen Gallien herleitet, von dort in die romanischen Sprachen übergegangen. Es fällt auf, daß im BR diese ursprüngliche Bedeutung heute vor der daraus abgeleiteten Bedeutung ‚ fest, sicher ‘ zurückgewichen ist. DRG 6: 554 gibt für ‚ frei ‘ ausschließlich alte Belege aus E. Die Entwicklung zu ‚ sicher, fest ‘ ist auch in it. franco eingetreten ( ‚ sicuro, affrancato ‘ ; ‚ franchezza ‚ sicurezza ‘ , Z INGARELLI 1966), während sie weder in fr. franc noch in daraus entlehntem dt. frank vorhanden ist. 415 Heute ist/ blau/ in den Dolomiten von/ brun/ zurückgedrängt. K RISTOL 1978: 233 - 36. 416 Hier ist von „ vlt. blundus “ die Rede; es fehlen jedoch Belege für eine solche Form. 157 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="158"?> - frestg ‚ frisch ‘ . S, C; put. fras-ch, vall. frais-ch. < germ. FRISK ‚ frisch ‘ , das nach FEW 15/ II: 179 früh in alle roman. Sprachen außer rum. und dalmat. eingegangen ist (fr. frais, it. fresco etc.). Mlat. friscus ‚ frais, non salé ‘ N IERMEYER 1976. DRG 6: 550. - reh ‚ reich ‘ . S, suts.; surm. retg, E rich. Nach HWR ist surs./ suts. reh aus schwd. riich, surm. retg, E rich aus it. ricco entlehnt. Der Worttypus, der auf germ. (anfrk.) RIKI ‚ mächtig ‘ beruht, ist jedoch in der gesamten Romania vertreten (FEW 16: 714 s.). - uiersch ‚ schief, krumm ‘ . S; suts. viertsch, surm. ghersch, E guersch. Allg. ‚ schielend, scheel ‘ ; die Bedeutung ‚ schief, krumm ‘ ist heute auf Rheinischbünden beschränkt. DRG 7: 993. Nach HWR und D ECURTINS 2001 von vlat. * GUERCIU zu got. * THWAIRS ‚ zornig ‘ . FEW 17: 411 s. Cf. it. guercio ‚ schielend, einäugig, kurzsichtig ‘ . Nach FEW loc.cit. weist die Verbreitung des Worttyps über Italien (+ Rät. und Sard.), Südfrankreich und Katalonien eindeutig auf gotischen Ursprung hin. 2.2.4.4 Romanische Neubildungen auf germanischer Basis Wie andere romanische Sprachen hat das BR germanische Elemente durch romanische (zum Teil schon vulgärlateinische) Wortbildungsprozesse in die einheimische Sprache integriert. Bei den Substantiven sind die Suffixbildungen am häufigsten, gefolgt von Ableitungen von einer verbalen Basis (germanischer Stamm mit romanischem Suffix). Allerdings ist oft nicht auszumachen, ob das Verb oder das Substantiv primär ist. Substantive Von den 26 Substantiven in unserem Material, die romanische (oder vulgärlateinische) Weiterbildungen auf germanischer Basis darstellen, gehören die meisten (18) zu den Suffixbildungen. 4 sind Deverbalia, 4 weitere Umgestaltungen lateinischer Etyma. Folgende Suffixbildungen, alphabetisch geordnet nach dem romanischen Suffix, sind in unserem Material vertreten: -ada <- ATA : schlittada f. ‚ Schlittenfahrt ‘ . Allg., put. schlitteda. Abl. von S schletta, E schlitta < schwd. Schlitte n . Das Suffix -ada < - ATA , das häufig zu einem Verbalstamm tritt, hat in den selteneren Verbindungen mit nominalen Basen eine kollektive oder elative Bedeutung. Cf. S baselgiada ‚ das in der Kirche versammelte Volk ‘ , bratschada ‚ Armvoll, große Futterration ‘ , tatschada ‚ große Menge Schnee ‘ etc. Im Falle von schlittada ist wohl mit M ELCHER 1925: 41 von der kollektiven Bedeutung ( ‚ üna fila da schlittas ‘ ) auszugehen; ein Verb *schlittar, das Ausgangspunkt für die Bedeutung ‚ Schlittenfahrt ‘ sein könnte, existiert nicht. -adira < - ATURA : urdadira f. ‚ Aussehen ‘ . S und suts., surm. urdadeira, E guardadüra ‚ Augenausdruck, Blick ‘ . Abl. von uardar < germ. * WARDON . DRG 7: 935. FEW 510 - 25. In der Einsiedler Interlinearversion (10./ 11. Jh.) erscheint wardadura als Äquivalent von lat. custodia (L IVER 1995: 75). 158 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="159"?> -ard < - ARDU : luschard m. ‚ hochmütiger Mensch ‘ . Auch adj. ‚ stolz, eitel ‘ . S und C 417 . DRG 11: 577. Abl. von losch ‚ stolz ‘ (cf. unten p.135) mit dem Suffix -ard (< - ARDU ), das seinerseits aus dem Germanischen stammt. Analoge Formen (lozard u. ä.) in verwandten Bedeutungen ( ‚ spöttisch, faul ‘ ) sind sporadisch auch im Galloromanischen belegt (FEW 16: 480). -ari < - ARIU : scrinari m. ‚ Schreiner ‘ . S und C (E falegnam). Nach HWR und D ECURTINS 2001 eine Neubildung des 19. Jh.s (seit 1869 belegt) auf der Basis von schwdt. Schriner mit dem halbgelehrten Suffix -ari (das erbwörtliche Resultat von - ARIU ist -e, -er. L UTTA 1923: 43s. § 22), die den damals üblichen Germanismus meister ersetzen sollte. Cf. lennari ‚ Zimmermann ‘ (DRG 11: 85). -atsch < - ACEU : scanatsch m. ‚ Holzscheit ‘ . S und surm. Abl. von germ. * SKINA ‚ Schiene ‘ mit dem Suffix -atsch < - ACEU . Nach FEW 17: 115 leben Reflexe von * SKINA in mehreren roman. Sprachen weiter, und zwar in der Bedeutung ‚ Rückgrat ‘ (cf. it. schiena) und in der Bedeutung ‚ schmales Stück Holz ‘ . Diese zweite Bedeutung ist außer im BR auch im Lombardischen und in verschiedenen galloromanischen Dialekten bezeugt (wallon., lothr., pik., ferner frcomt. Schweiz). Cf. LSI 4: 669 S . schéna 2 . Neben scanatsch ist in S auch scanetsch vertreten. Hier ist das Suffix - ICEU . -egl < - ICULU : scalegl m. ‚ Speckstein ‘ . S und suts. Nach HWR Abl. von germ. * SKALJA ‚ Schale ‘ mit dem Suffix - ICULU , nach D ECURTINS 2001 von scaglia (gleiche Etymologie). Reflexe von * SKALJA auch in Italien und der Galloromania (FEW 17: 92). -eina < - ENA : schlatteina f. ‚ Geschlecht, Familienname ‘ . S; suts. schlatagna, surm. schlattagna. Abl. von schlatta allg., gleiche Bedeutung, < fränk. * SLAHTA (cf. eng. schlatta, it. schiatta, afr. esclate) mit dem Suffix -eina etc. < - ENA . Das Suffix ist sehr selten und war wohl nur in früher Zeit produktiv. In den Suffixindices der 11 bisher erschienenen Bände des DRG gibt es kein einziges Beispiel für eine romanische Neubildung damit, außer dem Toponym Lumneins (DRG 11: 518). Meistens ist romanisch -eina etc. von lat. - ENA ererbt (cadeina ‚ Kette ‘ < CATENA , aveina ‚ Hafer ‘ < AVENA , pluschein, pluscheina ‚ Küken ‘ < PULLICENUS , PULLICENA ). -et < - ITTU : neghelet ‚ Gewürznelke ‘ . Nur S. Offenbar eine Nachbildung des schwdt. Diminutivs Nägeli (Schw. Id. 4: 692 s.) mit dem geläufigen Diminutivsuffix -et, neben neghel (unten p. 131). -ezia < - ITIA : luschezia f. ‚ Stolz, Hochmut ‘ . S; suts. loschezia, surm. luschezza. Abl. von losch ‚ stolz ‘ (cf. unten p. 135) mit dem Suffix - ITIA . Der heute auf S und C beschränkte Worttypus kommt auch im Aeng. vor (loscheza, luscheza, luschetza). Cf. DRG 11: 444 - 46. Das Resultat -ezza ist lautgerecht aus - ITIA entwickelt, -ezia 417 Von S PESCHA 1996 fälschlich als 2. Bedeutung zu luschard ‚ Eidechse ‘ (< LACERTUS ) gestellt. Ebenso E ICHENHOFER 2002. HWR verzeichnet nur luschard ‚ Eidechse ‘ . D ECURTINS 2001 unterscheidet richtigerweise zwei Lemmata. 159 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="160"?> ist halbgelehrt 418 . Im Fall von S rihezia, suts. reheztga, surm. retgezza, E richezza ‚ Reichtum ‘ ist das Basisadjektiv auch heute im ganzen br. Gebiet lebendig. Die Suffixvarianten verteilen sich gleich wie bei luschezia. -ida < - ITA : urida f. ‚ Narbe ‘ . Nur S. Das Verb urir ‚ verheilen, vernarben ‘ ist das erbwörtliche Resultat von germ. * WARJAN ‚ wehren ‘ ; urida kann als Substantivierung des f. Part.perf. gelten. Daneben findet sich in ganz RB guarir (suts. gurir, surm. guareir), das wohl aus it. guarire entlehnt ist. Laut DRG 7: 953 ist es jedoch schwierig, die verschiedenen Entlehnungsschichten voneinander abzugrenzen. Während Reflexe von * WARJAN in der ganzen Romania (mit Ausnahme von Rumänien) belegt sind (FEW 17: 528), scheint die Bedeutung ‚ Narbe ‘ der Ableitung urida singulär zu sein. -ientscha< - ENTIA : strufientscha f. ‚ Unsinn ‘ . Nur S. Abl. von strof m. (nach D ECURTINS 2001 veraltet) < schwdt. Straaf, Stroof ‚ Tadel, Schelte ‘ mit dem Suffix -ientscha < - ENTIA (HWR). -in < - INU : scalin m. ‚ Glöckchen ‘ . S; suts. scalegn; surm. scalign. Ableitung von germ. * SKILLA ‚ Schelle ‘ mit - INU . Dazu das Verb scalinar ‚ schellen, klingeln ‘ (S und C). So HWR. -iu < - ETU : burniu m. ‚ Glut, glühende Kohlen ‘ . S; suts. burnieu, surm. barnia. Cf. DRG 2: 690, HWR, D ECURTINS 2001. Es wird eine Ableitung mit dem Suffix - ETU angenommen, das zum Stamm von langobard. brinnan ‚ brennen, glühen ‘ tritt. Im BR ist der Worttypus auf das rheinische Gebiet beschränkt. Neben dem m. burniu steht ein f. burnida gleicher Bedeutung, verbreitet in S und gelegentlich bezeugt in C (DRG 2: 689). -la < - ULA : grefla f. ‚ Kralle, Klaue ‘ (der Raubvöggel ‘ ). S, C; E grifla. DRG 7: 807. Ableitung von langobard. GRÎFAN ‚ greifen ‘ mit - ULA . Im synchronischen Bewußtsein wird -la mit Sicherheit nicht mehr als Suffix empfunden. Der Typus ist auch im Bergell (LSI 2: 779) bezeugt, ferner in grödn. sgrinfla. -otta < - OTTA : fifferlotta f. ‚ leichtsinniges Mädchen ‘ . Nur S. Wie fiffer m. ‚ Pfeifer ‘ (< schwdt. Pfiffer) hat fifferlotta eine depreziative Bedeutung, die sowohl in der Basis als auch im Suffix -otta begründet ist. Cf. DRG 6: 285. Die Erklärung von -list unsicher. D ECURTINS 2001 möchte von einem nicht belegten Verb *fifferlar ausgehen. DRG loc. cit. erwägt einen Einfluß von sapperlot. Die folgenden Fälle unterscheiden sich von den bisher behandelten darin, daß nicht in romanischer Zeit produktive Suffixe zu einer germanischen Basis treten, sondern ältere Modifikationen germanischer Entlehnungen den rätoromanischen Ergebnissen zugrunde liegen. - brastga f. ‚ Funke ‘ . S und C, E bras-cha. Nach DRG 2: 470 s., gefolgt von HWR und D ECURTINS 2001, < * BRAS ( I ) CA , einer Ableitung des germ. * BRAS - ‚ glühende Kohle ‘ (FEW 15: 259). Dieser etymologische Typus ist auch in Oberitalien (piem., lomb.) verbreitet, wobei die Bedeutung lokal variiert. LSI 1: 444 gibt für weit- 418 Im einschlägigen Artikel des DRG vermißt man den Hinweis auf diesen Unterschied. 160 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="161"?> verbreitetes brasca die Bedeutungen ‚ brace, tizzone, scintilla ‘ an. AIS 5: 926 „ la favilla “ weist den Typus * BRAS ( I ) CA nur für S aus. In der Karte 927 „ la brace “ erscheint er dagegen nur im Piemont und der Lombardei, nicht aber im BR. Im Falle von magun ‚ Magen ‘ , sparun ‚ Sporn ‘ , tappun ‚ Hosenladen ‘ wurde eine auf - O auslautende germanische Basis in die lateinische Deklinationsklasse auf -o, -onis eingegliedert (cf. sermo, sermonis, latro, latronis, caupo, cauponis etc.). - magun m. ‚ Magen ‘ . S, suts. magùn, surm. magung. E magun ‚ Kropf der Vögel ‘ , in der Bedeutung ‚ Magen ‘ nur in der Wendung quai l ’ ais restà sül magun ‚ das hat er nicht verdauen können ‘ (sonst stomi). < germ. MAGO ‚ Magen ‘ . Der Typus * MAGONE ( M ) ist auch galloromanisch, italienisch, dolomitenladinisch und friulanisch, oft in der Bedeutung ‚ Kropf der Vögel ‘ . FEW 16: 499. DRG 11: 785. - sparun m. ‚ Sporn ‘ . S, suts. sparùn, surm. sparung, E sprun. < fränk. * SPORO , - ONEM . Cf. fr. éperon, it. sperone. Das von D ECURTINS 2001 angesetzte SPERO ist nicht belegt, sondern nach FEW 17: 187 N 7 das Resultat einer Dissimilation o - o > e - o. HWR s. sparuns. - tappun m. ‚ Hosenladen, Hosenlatz ‘ . S, suts. tapùn, tipùn, surm. tapung (hier auch ‚ Ofentüre ‘ ), E tapun ‚ dickes, kürzeres Brett; Faßzapfen, Stöpsel, Spund ‘ . Der gemeinsame Nenner, der den verschiedenen Bedeutungen des Worttypus zugrundeliegt, ist im fränk. * TAPPO ‚ Zapfen ‘ angelegt: eine Bedeutung, die von der Idee des Verstopfens, Abschließens ausgeht. FEW 17: 308 - 12. Hierhin gehören auch vier Deverbalia. - baghetg m. ‚ Gebäude ‘ . S, suts. (hier auch bighetg); surm. bietg. DRG 2: 40 s. Ableitung von baghegiar ‚ bauen ‘ (unten p. 166). - ricla f. ‚ Reue ‘ . S, C. Ableitung von s ’ enriclar ‚ bereuen ‘ (unten p. 171). - sgnap m. ‚ Dummkopf ‘ . S, suts. Deverbale von sgnappar ‚ schnappen ‘ < schwdt. schnappe n (Schw. Id. 9: 1237ss.). - sgregn m. ‚ schriller Schrei ‘ . S und surm.; suts. sgragn. Ableitung von sgargnir ‚ schreien, brüllen ‘ (unten p. 165). Adverb - dabot ‚ schnell, unverzüglich ‘ . S, Eo., VMüst. Auch aeng. (Chiampel). DRG 5: 19 s. Cf. it. di botto, afr. de bot ‚ sofort ‘ . FEW 15: 219. Zu fränk. BÔTAN ‚ stoßen ‘ . Alter, in verschiedenen romanischen Sprachen verbreiteter Germanismus. Präposition - enstagl (da) ‚ statt, anstatt, an Stelle von ‘ . S, C. Surm. anstagls da. Zusammensetzung aus en und stagl (en miu, tiu, siu . . . stagl ‚ an meiner, deiner, seiner . . . Stelle ‘ ). Stagl < fränk. * STALL ‚ Stand ‘ . FEW 17: 206ss. Verben Zahlreiche Verben des BR beruhen auf germanischen Stämmen, die zu verschiedenen Zeiten mit einem romanischen Suffix (zum Teil auch zusätzlich mit einem 161 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="162"?> Präfix; dann handelt es sich um Parasynthetika) versehen wurden. Von den 63 Verben in unserem Material sind 24 mit der Verbalendung -ar, 8 mit -ir gebildet. Besonders produktiv bei der Integration von germanischen Basen in das bündnerromanische Verbalsystem ist jedoch das Suffix - IDIARE (surs. -egiar, -iar, suts. -agear, -igear, surm. -agier, put. -ager, vall. -iar). In unserem Material sind es 22 Verben. Einige weitere Suffixe liefern nur vereinzelte Beispiele (-anar 2, -ergiar 3, -ergnar 1, -ignar 1, -itschar 1, -lar 2). Verben auf -ar - barhar ‚ pflügen, umbrechen ‘ . In S ist diese Bedeutung veraltet; barhar bedeutet heute ‚ angestrengt arbeiten ‘ . Suts. bartgear, surm. bratger, put. bracher, vall. brachar haben dagegen die ursprüngliche Bedeutung ‚ den Acker, das Brachfeld vorpflügen ‘ erhalten. < ahd. BRÂCHÔN , mhd. BRÂCHEN ‚ den Boden in den Zustand der Brache bringen ‘ . DRG 2: 198ss. behandelt barhar ‚ brachen ‘ und barhar ‚ Hanf, Flachs brechen ‘ im gleichen Artikel. Besser HWR und D ECURTINS 2001, wo die beiden (auch etymologisch verschiedenen) Lemmata getrennt werden. D ECURTINS 2001 führt auch barhar ‚ angestrengt arbeiten ‘ als eigenes Lemma, was aus synchronischer Sicht vertretbar ist. Der Worttypus ist auch im DL vertreten: gad. braiscé, fass. braichér etc. (cf. T AGLIAVINI 1934: 86). - binglar ‚ schlagen, prügeln ‘ . Nur S. Nach HWR und D ECURTINS 2001 Ableitung von benghel ‚ Stock, Prügel ‘ , dieses < dt./ schwdt. Bengel. DRG 2: 307; 350. - blamar, seblamar ‚ (sich) blamieren ‘ . Allg. < dt. (sich) blamieren. - blessar ‚ verwunden, verletzen ‘ . Allg. <dt./ schwdt. blessieren. - bloccar ‚ blockieren ‘ . Allg. <dt./ schwdt. blockieren. - drenar ‚ (Sümpfe) trockenlegen ‘ . Allg. < dt. dränieren. DRG 5: 322. - dressar ‚ dressieren ‘ . Allg. < dt. dressieren. DRG 5: 393. - enramar ‚ einrahmen ‘ . S; suts./ surm. anramar, put. inramer, vall. inramar. Nach DRG 9: 277 s. inramar Ableitung von ram ‚ Rahmen ‘ mit Päfix IN - und Infinitivendung - ARE , also ein Parasynthetikum. Übernahme von dt. einrahmen mit Anpassung ans Romanische ist jedoch ebenso wahrscheinlich. So auch D ECURTINS 2001. - marschar ‚ marschieren ‘ . S und C < dt. marschieren, E marchar, -er < it. marciare. Cf. DRG 13: 206ss. - munglar ‚ sollen, müssen ‘ . S; C manglar, E manglair, manglar. Nach DRG 12: 740 < schwd. mangle n ‚ vermissen, nötig haben, brauchen ‘ ; modal ‚ sollen ‘ . Neueres manglair in E nach den Modalverben dovair, stuvair. EWD 4: 317 führt gad. armangoré auf ahd. MANGOLÔN ‚ etwas entbehren ‘ zurück. Cf. DRG 12: 733ss. s. manglar. - raffar ‚ rauben, an sich reißen ‘ . S, surm., vall.; suts. rafar, put. raffer. Nach HWR und D ECURTINS 2001 < ahd. RAFFÔN ‚ raffen ‘ . Der Worttypus ist auch it. (raffare, arraffare) und dolomitenladinisch. Cf. T AGLIAVINI 1934: 262. FEW 16: 655 geht für 162 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="163"?> afr. rafer ‚ ravir ‘ von mhd. RAFFEN aus, knüpft jedoch die it. Reflexe an die Sprache der Langobarden, die portugiesischen (rafar ‚ abnützen ‘ , rafa ‚ Wolfshunger) an die der Sueben an. - reglar ‚ regulieren, ordnen, regeln ‘ . Allg. (put. regler). < dt. regeln resp. schwdt. regle n . Neben diesem offensichtlichen Germanismus stehen andere Varianten desselben Worttypus, die zum Teil auf it. regolare bzw. dt. regulieren zurückgeführt werden, zum Teil als erbwörtliches Resultat von lat. REGULARE betrachtet werden. S, suts., vall. regular, put. reguler < it. regolare bzw. dt. regulieren. In S ‚ ausbessern, flicken, besorgen, pflegen ‘ . S rugalar (3. ragola, rugalescha), Bedeutung wie regular, suts. rualar, rugalar (3. rugola) ‚ in Ordnung bringen, in Ordnung halten, pflegen, regeln ‘ , surm. rugalar, rigular (3. rughela) ‚ regeln, ordnen, herichten ‘ , vall. ruelar, ragolar ‚ putzen, säubern, aufräumen ‘ (bes. die Wiesen im Frühling) < lat. REGULARE . - rullar ‚ (ein)rollen, einwickeln ‘ . S; suts. rular, put. roller, vall. rollar. < dt. rollen 419 . - sbluccar ‚ abnagen; durchhecheln ‘ . Nur S. Nach HWR und D ECURTINS 2001 (mit Vorbehalt) zu sbluttar ‚ kahl fressen, abnagen ‘ , einem vom Adj. blut ‚ nackt ‘ (< schwdt. blutt) abgeleiteten Parasynthetikum (mit Intensivpräfix s- und Verbalendung -ar), wahrscheinlich mit Einkreuzung von bdt. blugge n ‚ pflücken, herauszupfen ‘ (Schw.Id. 5: 45 s.) 420 . - sgartar, 3. sgrata ‚ kratzen, reiben (Käse) ‘ . S und C. E sgrattar, -er. < germ. KRATTÔN ‚ kratzen ‘ , mit Intensivpräfix und Verbalendung -ar. Der Worttypus ist in vielen romanischen Varietäten präsent. Cf. besonders fr. gratter, it. grattare. FEW 16: 377. - sgnuflar ‚ schnaufen, schnauben; kichern ‘ . S; suts. schnuflar, auch schnuflagear. HWR verzeichnet auch Belege aus den andern Regionen (surm. sgnuflar, put. schgnüfler, vall. schgnüflar, Vmüst. schnüfler (stammbetont). In den Wörterbüchern fehlen sie jedoch. < schwdt. schnufle n ‚ schwer atmen ‘ usw. Cf. Schw. Id. 9: 1165. - sluccar ‚ lockern ‘ . S, suts. lucantar, put. schlucher, vall. schlockiar. Parasynthetische Ableitung von luc adj. ‚ locker ‘ < schwdt. lugg (Schw. Id. 3: 1232) mit Intensivpräfix und Verbalendung -ar. Im Suts. ist die Endung - ENTARE , im Vall. - IDIARE . Daneben häufig far luc (S, C), put. fer pü luoch, vall. far plü loc. - spargnar ‚ sparen ‘ . S und vall.; suts. spargnear, surm. und put. spargner. < * SPA- RANIARE zu germ. * SPARÔN ‚ verschonen ‘ . Cf. fr. épargner und zahlreiche Reflexe in it. Dialekten, im DL und im FR. FEW 17: 167, T AGLIAVINI 1934: 303. LSI 5: 146. Dazu das Deverbale spargn ‚ Ersparnis ‘ allg. und das Adjektiv auf - OSUS spargnus ‚ sparsam ‘ allg., mit phonetischen Varianten. 419 S, C ruclar, E rodlar, -er ‚ rollen, wälzen ‘ geht dagegen auf lat. * ROTULARE zurück. 420 Sbluttar, das in den üblichen phonetischen Abwandlungen in ganz RB vorkommt, wäre ein besseres Beispiel für eine rätoromanische Neubildung aufgrund einer germanischen Basis als sbluccar. Es fehlt aber in S PESCHA 1996, wovon unser Material ausgeht. 163 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="164"?> - strihar ‚ streichen, durchstreichen; streifen; streicheln ‘ . S und suts.; surm. stritgier, put. stricher, vall. strichar. < schwdt. striiche n . So HWR und D ECURTINS 2001. Der Worttypus umfaßt auch das Bergell: strichè ‚ stendere, spalmare ‘ (LSI 5: 326). - stuschar, 3. stauscha ‚ stoßen, schieben ‘ . S, suts.; surm. stuscheir ‚ angrenzen ‘ . P EER 1962 verzeichnet stuschar ‚ schieben, stoßen ‘ , aber B EZZOLA / T ÖNJACHEN 1976 s. stoßen haben nichts Entsprechendes. < dt. stoßen. Die Palatalisierung von s zu ʃ erklären HWR und D ECURTINS 2001 als Assimilation an den Anlaut. - trottar ‚ traben, laufen ‘ . Allg.; suts. trotar, put. trotter. < fränk. * TROTTÔN . So HWR. D ECURTINS 2001 scheint an eine spätere Entlehnung von dt. trotten zu denken, da er keine Etymologie angibt. Der Worttypus ist auch im Galloromanischen (fr. trotter) und Italienischen (trottare) gegenwärtig. In andern Regionen der Romania nach FEW 17: 374 aus diesen Gebieten entlehnt. - ziclar, 3. zecla ‚ kneifen; necken, foppen ‘ . S, suts. Brav. zicler. Nach HWR von schwdt. ziggle n , nach D ECURTINS 2001 von onomat. * TSIKK -, zu dem auch schwdt. ziggle n gehört. - ziplar, 3. zepla ‚ kneifen; naschen, stibitzen ‘ . So S. C und E ‚ Späne schneiden, schnitzen ‘ . < langob. * ZIPIL ‚ zugespitztes Ende ‘ . Cf. dt. Zipfel. Die für C und E belegte Bedeutung setzt sich im Alpinlombardischen und DL fort. LSI 5: 849 verzeichnet zipolà (Mesocco), ziplè (Sotto P.), ziplèr (Stampa), zipulà (Poschiavo) ‚ tagliare, tagliuzzare, affettare finemente ‘ . Grödn., gad. ziplé, fass. zipièr ‚ schnitzen ‘ . REW s. zippel (langobard.) ‚ spitziges Ende ‘ erwähnt nur it. zipolo ‚ Zapfen eines Fasses ‘ , zipolare ‚ zuspunden ‘ . Die im Surs. herrschenden Bedeutungen müssen sekundäre Übertragungen sein. Ob Parallelen im Schweizerdeutschen bestehen, wäre zu untersuchen. - zuarnar ‚ zwirnen (Faden); durchprügeln ‘ . S, suts. (hier nach E ICHENHOFER 2002 nur die 1. Bedeutung). Nach HWR Abl. von dt. Zwirn, nach D ECURTINS 2001 von der br. Entlehung desselben, surs. zuiern, vall. suviern. Verben auf -ir Es ist nicht ohne weiteres einsichtig, warum aus dem Germanischen entlehnte Verben teils in die Konjugation auf - ARE , teils in die auf - IRE integriert werden. D ECURTINS 1993/ I: 186s. vermutet, daß das Verb finir, 3. finescha der „ morphologische Schalthebel “ für die Integration vieler Verben in die - IRE -Klasse gewesen sein könnte. Tatsächlich ist das Inkohativ-Infix - ISC in Verben auf -ir mit germanischer Basis oft vorhanden (enrihir, sblihir, scaffir, untgir). - engurgnir, 3. engrugna ‚ verbittern, mürrisch machen, verdrießen ‘ ; s ’ engurgnir ‚ mürrisch werden, eine böse Miene machen ‘ . Das Verb ist vor allem surselvisch, sporadisch puter (ingrignir). DRG 5: 622 verzeichnet zudem Bergün zangrignecr. Das Part.perf. ist als Adjektiv in den Bedeutung ‚ mürrisch, verstimmt, zornig ‘ geläufig: S engurgniu, put. ingrignieu 421 . Die etymologischen Wörterbücher gehen 421 S PESCHA 1996 verzeichnet nur dieses. Das Verb fehlt. 164 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="165"?> für ingrignir von einer Basis * IN - GRIN - IRE aus, einer parasynthetischen Bildung zu fränk. oder langobard. * GRINAN ‚ den Mund verziehen ‘ (cf. dt. greinen). Für surs. engurgnir wird Einwirkung des semantisch nahestehenden grugn m. ‚ Schnauze, Rüssel; mürrisches Gesicht ‘ < spätlat. GRUNIUM ) angenommen. Cf. auch S gregna, E grigna ‚ Fratze ‘ . DRG 7: 810. FEW 16: 67. LSI 3: 21 verzeichnet für Poschiavo ingrignà (sa -) 1 ‚ ridersi, infischiarsi, non temere ‘ 422 . - enrihir, 3. enrihescha, s ’ enrihir ‚ (sich) bereichern ‘ . So S; suts. anrihir, surm. anritgier, E inrichir. Parasyntheticum von reh/ rich ‚ reich ‘ < schwdt. riich mit Präfix IN - und Verbalendung - IRE . Cf. fr. enrichir, ait. irricchire, inricchire. Der Artikel inrichir des DRG (9: 279 - 81), wo nebst den Reflexen dieses Typus auch aeng. arichir, asurm. arritgier, arritgeir vorkommen, bleibt die Erklärung für diese Formen schuldig. Handelt es sich um einen Einfluß von it. arricchire oder um den im Altengadinischen verbreiteten Sproßvokal avor L , R (L UTTA 1923: 141 § 123)? - lubir, 3. lubescha ‚ erlauben ‘ . S, suts., E (vall. 3. -ischa). < ahd. LAUBJAN . In den verschiedenen Regionen haben sich verschiedene Bedeutungen etabliert. Cf. DRG 11: 478 - 81. Laubire ‚ consentire ‘ ist auch in ma. Rechtstexen aus dem Piemont belegt (VRom. 3: 278). D ECURTINS 1993/ I: 185. - rumir ‚ wegräumen ‘ . Allg.; S, suts., surm., put. 3. -escha, vall. -ischa. Nach HWR < mhd. rumen, nach D ECURTINS 2001 < schwdt. ruume n . Cf. grödn. rumé ‚ Steine, Äste von einer Wiese räumen ‘ . Auch gad. romené scheint hierhin zu gehören. - sblihir, 3. -escha ‚ bleichen, bleich werden ‘ . So S, surm.; suts. sblihir, 3. sbleha; E sblachir (put. 3. -escha, vall. -ischa). Zu blihir ‚ bleichen ‘ < schwdt. bleiken, bleichen mit Intensivpräfix s-. Cf. DRG 2: 393. - scaffir, 3. -escha ‚ schöpfen, erschaffen ‘ . So S; suts. stgafir, surm. stgafeir, E s-chaffir. < ahd. SKAFFAN , SKAFFÔN (dt. schaffen). Dazu die Ableitungen scaffider ‚ Schöpfer ‘ , scaffiziun ‚ Schöpfung ‘ (so S: C in lautlichen Varianten, E creader, creaziun). Der Germanismus scheint nur gerade im BR vorzukommen. Cf. HWR, D ECURTINS 2001. - sgargnir, 3. sgregna ‚ brüllen, schreien; grunzen; knarren ‘ . S; suts. sgargnir, sgrignir; surm. sgrigneir; E sgrignir ‚ wiehern, grinsen ‘ . < fränk. * GRÎNAN ‚ den Mund verziehen ‘ (cf. oben engurgnir) mit Intensivpräfix s- und Verbalendung - IRE . Cf. HWR s. v. FEW 16: 72 N 28 nimmt für die oit. und rtr. Reflexe des Etymons langobardische Herkunft an. LSI 2: 780 gibt unter grigná 1 Belege für Poschiavo, Verzasca, Brusio, Soglio mit der Bedeutung ‚ sghignazzare, ridacchiare ‘ . Ferner sgrignaa Intragna, sgrignii Moghegno. Für Intragna, Lostallo, Poschiavo wird auch die Bedeutung ‚ nitrire ‘ ausgewiesen. DEG grignèr ‚ ridere ‘ . 422 Daneben, ebenfalls in Poschiavo, ingrignà (sa -) 2 ‚ rannicchiarsi, raggomitolarsi ‘ . Dazu paßt surm. angurgnia ‚ zusammengekauert ‘ (S ONDER / G RISCH s. v.). Im Artikel engurgnir des DRG sucht man jedoch vergeblich nach einer Bestätigung. Für Riom findet sich dort (5: 623) das Beispiel: el è lò angurgnia = pansarucs (nachdenkend, grollend), vilo (wütend). 165 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="166"?> - untgir, 3. untgescha ‚ ausweichen, aus dem Weg gehen, vermeiden ‘ . S; suts. guntgir, (v)untgir, surm. untgeir, E guinchir, sguinchir. < fränk. * WENKJAN ‚ wanken ‘ . Cf. ait. guencire, guenciare, afr. guenchir. FEW17: 555ss., DRG 7: 1011. Verben auf - IDIARE Das Suffix ist in RB stark vertreten, sowohl mit lateinischen als auch mit germanischen Basen. Untersucht man die 22 Beispiele unseres Materials für Bildungen auf - IDIARE mit germanischer Basis auf ihre regionale Verteilung hin, zeichnet sich eine stärkere Vertretung dieses Wortbildungstypus in S und C gegenüber E ab: 8 Verben gehören dem gesamten Gebiet von RB an, wobei sich in zwei Fällen die Bedeutungen regional unterscheiden (betlegiar 423 , garegiar, gartegiar, lutegiar, manegiar, schanegiar; mit regional abweichender Bedeutung baghegiar, sestellegiar). 9 Verben sind für S und C bezeugt (blughegiar, cuchegiar, cumbrigiar, laghegiar, malegiar, ruchegiar, schurmegiar, sfranzlegiar, turzegiar), 4 für S und die Sutselva (haregiar, schazegiar, spanegiar, ughegiar), eines einzig für S (zachegiar). Allerdings ist oft die Vitalität dieser Verben in S und C größer als in E. Wir führen die Beispiele in alphabetischer Reihenfolge an. Eine Präsentation nach regionaler Verteilung würde die von Fall zu Fall unterschiedlichen Verhältnisse verwischen. - baghegiar ‚ bauen ‘ . S; suts. biagear, bighigear, surm. biagier, put. biager, vall. bear (neben häufigerem fabrichar). < mhd. BÛWEN ‚ bauen, Land bebauen ‘ . DRG 2: 40, entsprechend HWR und D ECURTINS 2001. DRG 2: 330 behandelt put. biager, vall. biar ‚ düngen ‘ , das etymologisch zu baghegiar gehört, als eigenes Lemma 424 . - betlegiar ‚ betteln ‘ . S; suts. batlagear, surm. batlager, put. betlager, batlager, vall. patliar. In E ist der Worttypus allerdings wenig vital. Bei P EER 1962 fehlen die entsprechenden Formen. Bei B EZZOLA / T ÖNIACHEN 1976 figuriert petliar, batlager s. betteln an 4. Stelle nach murdieuar, barguottar, tracottar. Cf. DRG 2: 326 s. betlager. - blughegiar ‚ plagen, quälen ‘ (vom Magen). < schwd. plage n , dt. plagen. DRG 2: 398 verzeichnet Belege aus S und C. Die mittelbündnerischen Wörterbücher enthalten jedoch nichts Einschlägiges. Auch in HWR fehlt das Verb. Cf. Schw. Id. 5: 34. - cuchegiar ‚ gucken ‘ . S, surm. cucager ‚ zerstreut umherschauen, ins Blaue sehen, statt zu arbeiten ‘ . DRG 4: 313 behandelt cuchegiar unter cuccar I (vall.), das direkt an dt. gucken (und dessen schwdt. Varianten) anschließt. HWR trennt richtigerweise cuchegiar als Abl. mit - IDIARE von cuccar. - cumbrigiar, 3. cumbregia tr. ‚ bekümmern, betrüben ‘ , refl. secumbrigiar ‚ betrübt sein, Kummer haben ‘ . S; suts. cumbargear, surm. cumbriier. Lebendiger als das heute veraltete Verb ist das Partizip Perfekt: surs. cumbrigiau, suts. cumbargieu, surm. 423 In dieser Übersicht wird jeweils die surs. Form angeführt. 424 Ausführlicher zu baghegiar und dessen älteren Bedeutungen ( ‚ erbauen ‘ im, geistlichen Sinn) L IVER 2012 (im Druck). 166 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="167"?> cumbriia ‚ bekümmert ‘ . Die Wbb. gehen alle von dt. Kummer, schwd. Chummer, Chumber resp. dessen rätoromanischer Entsprechung cumber (heute veraltet; DRG 4: 379 s.) aus. Wahrscheinlicher scheint mir die Anknüpfung an das schwdt. Verb chummere n (Schw. Id. 3: 301 s. chumbere n ), da die Ableitungen auf - IDIARE mit germanischer Basis mehrheitlich (ausschließlich? ) auf Verben zurückgehen. Das in E vereinzelte sa chambriar von Müstair ist nach DRG 4: 382 wahrscheinlich durch Geistliche und Lehrer aus der Surselva eingeschleppt worden. - garegiar ‚ begehren, fordern ‘ . S; suts. garagear, surm. garager, put. grager, vall. grajar. DRG 7: 680 s. grajar gibt der Herleitung von ahd. GERÔN gegenüber verschiedenen Hypothesen, die das Verb an eine lateinische Basis anknüpfen möchten ( GRATUS , * AGGREDERE , * ACRIDIARE ), den Vorzug. Ebenso HWR, während D ECURTINS 2001 neueres dt. (be)gehren angibt. Die ganze Situation rund um diesen verbalen Typus ist ziemlich verwirrlich. Der Artikel grajar im DRG zeigt, daß das Verb heute mundartlich nur schwach vertreten ist, dies vor allem in E (besser in S und C). In den Belegen älterer Literatur dagegen ist es gut bezeugt, in E als (a)grajar, agragiar (vall.), (a)grager (put.). Bifrun verwendet agragiêr in der Bedeutung ‚ verlangen, bitten um etwas ‘ Mt. 5: 42 und Mc. 6: 25. HWR trennt wohl zu Recht E agrajar/ agrager intr. ‚ (jmdm) recht sein ‘ als Lehnwort von fr. agréer (mit Anpassung an grajar/ grager) von garegiar/ grajar 425 . - gartegiar ‚ treffen, geraten, gelingen ‘ . S; suts. gartagear, surm. gartager, put. gratager, vall. gratiar, gragiar. < mhd. GERÂTEN resp. schwdt. grate n . DRG 7: 757, Schw. Id. 6: 1605. - haregiar ‚ beharrlich verlangen; mit Ausdauer arbeiten ‘ . S; suts. haragear. DRG 8: 19s., wo nur sporadische Belege aus C ausgewiesen sind, und D ECURTINS 2001 gehen von dt. harren aus, während HWR schwdt. chäre n ‚ jammern, betteln ‘ (Schw. Id. 3: 429 s.) als Basis angibt. Letzteres paßt gut für die Bedeutungen ‚ beharrlich verlangen, auf etw. drängen, drängeln ‘ , weniger für die ebenso häufigen Bedeutungen ‚ ausharren, ausdauernd arbeiten ‘ . Es ist nicht auszuschließen, daß in haregiar zwei germanische Basen zusammengeflossen sind. - laghegiar ‚ lauern, erspähen; zielen, abzielen ‘ . S; suts. liagear, laghigear, surm. liagier. Abl. von dt. lugen, schwdt. luege n ‚ Ausschau halten ‘ . DRG 10: 298, HWR, D ECURTINS 2001. Zum Lautlichen E ICHENHOFER 1999: 201. Vereinzelt ist das Verb auch ins Frankoprovenzalische entlehnt worden, jedoch nicht mit dem Suffix - IDIARE (FEW 16: 487). - lutegiar ‚ löten ‘ . S; suts. lutagear, surm. lutager, put. lutger, vall. lutiar. Nach HWR und DRG 11: 588 von schwdt. löte n , nach D ECURTINS 2001 von mhd. lotjan. - malegiar ‚ malen ‘ . S; suts. malagear, surm. malager. In S und C vital, in E (put. schmalager, vall. schmaliar) nur sporadisch, sekundär gegenüber pittürar. Abl. von dt. malen. Schim Anlaut ist ungeklärt (HWR). DRG trennt schmaliar von malegiar (12: 266ss.). 425 DRG 7: 680 hält fest, daß keine Belege für diesen Gebrauch von agrajar vorliegen. 167 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="168"?> - manegiar ‚ meinen ‘ . S; suts. managear, surm./ put. manager, vall. maniar. Abl. von dt. meinen, schwdt. meine n . Der gleiche Germanismus (jedoch nicht mit - IDIARE ) ist auch im DL vorhanden (grödn./ gad. miné). DRG 12: 758 s. maniar. - ruchegiar ‚ rücken, verrücken ‘ . S; suts. rucagear, surm. rucager. Abl. von schwdt. rucke n gleicher B Bedeutung. HWR, D ECURTINS 2001. - schanegiar ‚ schonen, verschonen ‘ . Der Typus ist im ganzen Gebiet des BR präsent. S schanegiar, suts. schinagear, surm. schinigier, put. schinager, vall. schaniar. Zu dt./ schwdt. schonen. Auch die retrograde Ableitung mit der Bedeutung ‚ Schonung ‘ ist in allen br. Idiomen vorhanden: surs. schanetg, C schinetg, put. schinag, vall. schanai. DL sconé, scuné scheint ahd. SCÔNEN fortzusetzen (EWD 6: 149). - schazegiar ‚ schätzen, bewerten ‘ . Nur S und suts. schazagear. Abl. von dt. schätzen. - schurmegiar ‚ beschützen ‘ . S; suts. schurmagear, surm. schurmager. Abl. von dt. schirmen. Ebenfalls in S und C die rückläufige Ableitung schurmetg ‚ Schutz ‘ . - sestellegiar ‚ sich anstellen, sich benehmen ‘ . S; in gleicher Bedeutung suts. sastalagear, surm. sa stalager. Put. as stallager, vall. as stalliar ‚ sich träge und breit an etwas lehnen ‘ . Abl. von dt. stellen. - sfranzlegiar ‚ ausfransen ‘ . S; suts. sfranzlagear, surm. sfranslager. Nicht in HWR. D ECURTINS 2001 gibt keine Erklärung, stellt jedoch sfranzlar gleicher Bedeutung (der Typus ist in ganz RB präsent) zu franzlar mit intensivem ʃ -. Ein Eintrag franzlar fehlt. Die Basis ist schwdt. Franse, Fransle (Schw. Id. 1: 1310). Cf. DRG 6: 564. - spanegiar ‚ die Augen aufreißen, gespannt schauen ‘ . S; suts. spanagear ‚ lauern ‘ . Abl. von schwdt. spanne(n) ‚ lauern, passen ‘ . So HWR 426 . Verbreitet ist das Part. Perf. S spanegiau, suts. spanagieu, surm. spanagea ‚ gespannt ‘ . - Unklar ist die Herkunft von turzegiar ‚ züchtigen, strafen ‘ . S; surm. strurzager, tursager. HWR geht von bdt. tratze n , trätze n ‚ necken, reizen, ärgern ‘ (Schw. Id. 14: 1661 s., 1667) aus. Für das Prättigau bezeugt von Prättigauer Mundartwörterbuch 1991. D ECURTINS 2001 schlägt Abl. von *truz ‚ Trotz, Widerstand ‘ + -egiar vor. Er verweist auf eng. truzzager, das bei P ALLIOPPI 1895 verzeichnet ist, in den modernen Wörterbüchern aber fehlt. Beide Erklärungen überzeugen in semantischer Hinsicht nicht. Cf. unten p. 202. - ughegiar ‚ wagen ‘ . S; suts. uagear, bu(g)agear. Nach HWR vereinzelt auch surm. (Lantsch guiazear) und E (guajar). Abl. von dt. wagen. - zachegiar ‚ verzagen, mutlos werden ‘ . Nur S. Abl. von dt. zagen. Cf. E varsiar, varsager ‚ behindern, bedrücken ‘ < dt. verzagen. So HWR. Vereinzelte Bildungen mit anderen Suffixen -anar < - ONARE 426 D ECURTINS 2001 trennt spanegiar I ‚ spannen, gespannt schauen ‘ von spanegiar II ‚ spannen ‘ (veraltet). 168 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="169"?> - rumpanar, 3. rampuna ‚ lärmen, rütteln; grob behandeln, mißhandeln ‘ 427 . S; die Beispiele für C, die HWR anführt, werden durch die praktischen Wörterbücher nicht bestätigt. Einzig E BNETER 1981 verzeichnet für Vaz rumpanar, 3. rampeuna ‚ dröhnen, lärmen, poltern ‘ . HWR und D ECURTINS 2001 sind sich einig in der Ableitung des Verbs von germ. ( H ) RAMPA ‚ Kralle, Haken ‘ , HWR mit - ONEM + - ARE , D ECURTINS 2001 mit -anar < - ONARE , das er als Intensivsuffix bezeichnet. Es bleiben jedoch Zweifel an der Richtigkeit dieser Erklärung. Erstens ist nicht einsichtig, wie von einer Bedeutung ‚ grob behandeln ‘ , die man ja mit einem Ausgangspunkt ‚ Kralle ‘ einigermaßen vereinbaren könnte, eine Bedeutung ‚ lärmen ‘ entstehen könnte. Zweitens findet sich im Artikel rampa des FEW (16: 658ss.) kein Anhaltspunkt für eine Entwicklung, wie sie br. rumpanar, wenn es dann hierhin gehören sollte, durchgemacht hätte. Die Bedeutung ‚ grob behandeln ‘ weckt die Assoziation zu einem lautlich und semantisch verwandten Verb, das im Altfranzösischen vital war und in verschiedene Nachbarsprachen eingegangen ist: rampo(s)ner ‚ beschimpfen ‘ (aprov. ramponar, it. rampognare, dt. ramponieren). Nach FEW 9: 478 s. leitet sich dieses Verb wie prône ‚ Predigt ‘ , prôner ‚ predigen ‘ von prothyrum ‚ Einfriedung vor der Tür ‘ her. Allerdings wird ramnicht erklärt, und auch die semantische Erläuterung ( „ jm. an das gitter in der kirche anbinden, als irren zur schau stellen “ ) ist nicht wirklich überzeugend. Die Etymologie von rumpanar bleibt problematisch. Für die Bedeutung ‚ lärmen, rütteln ‘ könnte auch der Zusammenhang mit dem im Folgenden zu besprechenden rumplanar eine Rolle spielen. - rumplanar, 3. rampluna ‚ lärmen, poltern ‘ . S,C; put. rampluner, vall. ramplunar. Abl. von schwdt. rumple n gleicher Bedeutung (Schw. Id. 6: 339) mit -anar < - ONARE . K LUGE 1989 bezeichnet dt. rumpeln als Schallnachahmung. Eine Deutung als Onomatopöe wäre auch für rumpanar ‚ lärmen, rütteln ‘ in Betracht zu ziehen, während rumpanar ‚ grob behandeln, mißhandeln ‘ eine weitgehende Affinität zu afr. rampo(s)ner aufweist, die die Etymologie der br. Wörterbücher (zu germ. RAMPA ) in Frage stellt. - ergiar 428 In synchronischer Sicht ist -ergiar oft austauschbar mit -egiar und -ergnar. Historisch gesehen stammt das Suffix vorwiegend von germanischen Basen, die im Auslaut -r enthalten und mittels - IDIARE ins Rätoromanische integriert wurden. 427 S PESCHA 1996 verzeichnet nur die erste Bedeutung, D ECURTINS 2001 an erster Stelle die zweite, dazu auch ‚ verschneiden, kastrieren ‘ (eines Stiers, Hahns). Im HWR fehlt die Bedeutung ‚ lärmen, rütteln ‘ . 428 Zu -ergiar, -ergnar, -ignar cf. L IVER 2011. 169 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="170"?> Von den 22 Verben auf -ergiar, die L UTZ / S TREHLE 1988 verzeichnen, gehen 18 auf eine germanische Basis zurück. 13 davon haben -r im Stammauslaut. Es scheint, daß -ergiar in der Folge als eigenständiges Suffix aufgefaßt wurde. Das belegt z. B. surs. sunergiar ‚ schlecht spielen, klimpern ‘ , wo das Suffix pejorative Bedeutung hat (gegenüber neutralem sunar ‚ spielen ‘ ). - handergiar I ‚ hindern, quälen, streiken ‘ DRG 8: 11 s., HWR (hier nur handergiar I, II fehlt). Bei D ECURTINS 2001 als handergiar II. Nur S. HWR gibt auch Belege aus dem asuts. Schrifttum. Abl. von dt. hindern, schwdt. hindere n mit Suffix - IDIARE . Schw. Id. 2: 1419. - handergiar II ‚ hantieren, werken ‘ DRG 8: 12, bei D ECURTINS 2001 als handergiar I. S, vereinzelt C (Razén handergé, Domat hantieragé). S PESCHA 1994 trennt II nicht von I. Abl. von schwdt. hantiere n . Schw. Id. 2: 1476. - zambergiar ‚ zimmern, basteln, werken ‘ . S; suts. zambragear, put. zambrager, vall. zambriar. Abl. von dt. zimmern, schwdt. zimmere n mit - IDIARE . - ergnar - lahergnar, 3. lahrogna ‚ kichern ‘ . Nur S. < dt. lachen resp. schwdt. lache n mit dem Suffix -ergnar. Nach DRG 2: 284 s. beffergnar ist die Herkunft des in S vitalen Suffixes nicht geklärt. Dort wird ihm eine augmentativ-pejorative Bedeutung zugeschrieben. Angesichts der Beispiele im Surselvischen (cf. L UTZ / S TREHLE 1988: 353s.) wäre es wohl richtiger, von einer expressiven Bedeutung zu sprechen, die gelegentlich pejorativen Charakter hat. - ignar < - IGINARE - smuschignar, 3. smuschegna, smuschigna ‚ leicht regnen; rascheln ‘ . So S; suts. schmuschignear, surm. smuschignier (so HWR), smuschiglier (S ONDER / G RISCH 1970) ‚ rascheln, rauschen ‘ , refl. S sesmuschignar ‚ sich leise anschleichen ‘ , E as schmuschignar, -er ‚ sich sputen, sich rühren ‘ . Smresp. schmim Anlaut ist immer stimmlos ( ʃ ), -schintervokalisch stimmhaft ( ʒ ). Zu einem onomatopoetischen Ansatz ʃ mu ʃ -, ʃ mu ʒ -, der auch schwdt. muschele n ‚ dumpfe, undeutliche Töne hören lassen ‘ , ‚ leise, unverständlich reden ‘ (Schw. Id. 4: 506) zugrundeliegt. Cf. HWR, D ECURTINS 2001. Eine Herleitung aus dem Deutschen ist bei diesen Voraussetzungen nicht zwingend. -itschar < - ICIARE - rabitschar ‚ bringen, dahinbringen, schleppen ‘ . S; suts. rabitschear, surm. rabitschier. < germ. * RAUBÔN ‚ rauben ‘ mit - ICIARE . Von D ECURTINS 2001 als Synonym bezeichnetes surs. rabigliar und dessen engadinische Entsprechungen (put. rabaglier, vall. rabagliar) sind von derselben Basis mit dem Suffix - ICULARE abgeleitet, vall. rablar mit - ULARE . 170 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="171"?> -lar < - ULARE - enriclar, häufiger refl. s ’ enriclar ‚ bereuen ‘ . S; suts. s ’ anriclar, surm. s ’ anriglar, put. s ’ arüvler, vall. s ’ inrüclar. < mhd. RIUWEN ‚ Reue empfinden ‘ mit dem Suffix - ULARE . D ECURTINS 201: 185 bezeichnet diese Suffigierung als „ wenig transparent “ , während W ALBERG 1907: 58 N 4 auf die Parallele zu den im Schwdt. geläufigen Verben auf ´-elen hinweist. Zu den lautlichen Entwicklungen cf. HWR s. s ’ enriclar, DRG 9: 286 s. inrüclar. Was die Anlautsilbe betrifft, überzeugt der Vorschlag von HWR (< INDE ) mehr als derjenige des DRG (< IN ). - Zu vall. rablar cf. oben unter rabitschar. - sgarflar, 3. sgrefla ‚ kratzen, ritzen ‘ . S (auch sgriflar). C sgriflar, 3. sgrefla, put. sgrifler, vall. sgraflar. < langob. * GRÎFAN ‚ greifen ‘ + - ULARE bzw. - ELLARE und Intensivpräfix s- ( ʒ ). So HWR (= D ECURTINS 2001 ohne - ELLARE ). Die von P EER 1962 unter sgriflar als „ fam. “ markierte 2. Bedeutung ‚ mitlaufenlassen, stibitzen, mausen ‘ dürfte von dt. klauen beeinflußt sein. 2.2.4.5 Lehnübersetzungen und Lehnbedeutungen Die Formel „ materia romana e spirito tedesco “ , die Ascoli in seinen „ Annotazioni soprasilvane “ (1880 - 83: 556) für die im Bündnerromanischen so häufigen Lehnübersetzungen und Lehnbedeutungen prägte, hat in ihrer Prägnanz zu Recht Berühmtheit erlangt. Sie besagt, daß im Rätoromanischen ein bestimmter Wortinhalt (signifié) oft durch einen Wortkörper (signifiant) repräsentiert ist, der mit romanischem Sprachmaterial ein germanisches Vorbild nachbaut. Die Beispiele in unserem Material sind nicht besonders zahlreich, was an den Quellen (Grundwortschatz) liegen dürfte. Von den 18 Beispielen gehören 5 der Rechtsterminologie an. 10 sind das Resultat einer Übernahme von deutschen Wortbildungsmustern. Die zwei restlichen sind spezielle Lösungen (Lehnübersetzung, aber romanische Folge der Elemente). Zwei Beispiele (eines davon unter Rechtsterminologie) können als Lehnbedeutungen gelten. - Rechtsterminologie Zu den ältesten Lehnübersetzungen gehören vermutlich die Ausdrücke, die im Zusammenhang mit dem Einfluß des germanischen Rechts stehen, der in Rätien seit karolingischer Zeit wirksam war (cf. oben 150s.). T UOR 1927, der die Rechtsverhältnisse Graubündens vom Mittelalter bis in die Neuzeit beschreibt, macht auf eine Reihe von Lehnübersetzungen in der Rechtsterminologie aufmerksam. Cf. auch D ECURTINS 1993/ I: 180 - 82. - lètg f. ‚ Ehe ‘ . S, C; put. alach, vall. lai. Materiell stellt lètg usw. lat. LEGEM dar, das inhaltlich die Bedeutungsentwicklung nachvollzieht, die im Germanischen von ahd. EWA ‚ Sitte, Recht ‘ zu ‚ Ehe ‘ geführt hat. Cf. D ECURTINS 1993/ I: 181. DRG 10: 315. L IVER 2010: 179 s. 171 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="172"?> - plonscher v. ‚ klagen, jammern; klagen (vor Gericht) ‘ . So S. Die Bedeutung ‚ vor Gericht klagen ‘ gilt nach HWR für S und suts. E ICHENHOFER 2002 verzeichnet jedoch nur tgisar. S ONDER / G RISCH 1970 geben für ‚ gerichtlich klagen ‘ ebenfalls tgisar, daneben aber auch purtar plant (cf. fr. porter plainte). Andererseits geben die engadinischen Wörterbücher die Bedeutung ‚ vor Gericht klagen ‘ für put. plaundscher, vall. plandscher, was auch von DRG 3: 662 s. chüsar bestätigt wird. Dort auch der Hinweis auf den Lehnwortcharakter des Ausdrucks. Genauer müßte von Lehnbedeutung gesprochen werden, da ‚ vor Gericht klagen ‘ eine dem Deutschen entlehnte Zusatzbedeutung zu allgemeinem ‚ klagen ‘ (< lat. PLANGERE ) ist. Cf. P ULT 1912: 411, T UOR 1927: 17. - spindrar v. ‚ erlösen, erretten ‘ . S, C; E spendrar, -er. Materiell geht das Verb auf lat. EXPIGNORARE , also ‚ ein Pfand auslösen ‘ , zurück. EXPIGNORARE ist mlat. bezeugt (N IERMEYER 1976 s. v.); spätlat. findet sich REPIGNERARE in gleicher Bedeutung bei Ulpian (um 200 n. Chr.). Die Übertragung des juristischen Begriffs in die religiöse Sphäre scheint spezifisch bündnerromanisch zu sein. D ECURTINS 1993/ I: 180s. reiht sie in die Bedeutungsentlehnungen aus dem Germanischen ein, zieht jedoch die Möglichkeit einer frühen, schon rätolateinischen Prägung in Betracht (p. 181). Cf. auch L IVER 2010: 105. - truar v., 3. truescha, trova ‚ richten, verurteilen ‘ . Allg., put. truer. Für ‚ richten ‘ , ‚ Richter ‘ kennt das BR zwei Worttypen, die beide Entsprechungen im ma. deutschen Recht haben: derscher/ derschar, derschader und truar, truader. Schon A SCOLI 1873: 181 hatte erkannt, daß das asurs. derscher ‚ richten ‘ (heute derschar, wohl nach truar), das materiell lat. DIRIGERE (resp. * DERGERE ) darstellt, in seiner Bedeutung von dt. richten beeinflußt ist, derschader ‚ Richter ‘ von dt. Richter. Surs. derscher bedeutet heute (wie sicher auch im Altsurselvischen) ‚ umstoßen, eingießen ‘ . Die terminologische Unterscheidung von derscher/ derschader und truar/ truader spiegelt eine Besonderheit des mittelalterlichen deutschen Rechts: Der derschader ist der eigentliche Richter, der Gerichtspräsident, der das Urteil verkündet und vollstrecken läßt, der truader der „ Rechtsfinder “ , sozusagen der Untersuchungsrichter (T UOR 1927: 17). Truar entspricht fr. trouver, it. trovare, dessen Etymologie eine alte Knacknuß der Romanistik darstellt. Eine Basis * TROPARE wird heute mehrheitlich angenommen (FEW 13.2: 321ss.). Voraussetzung für die vorgeschlageene Lehnbedeutung ‚ Recht finden ‘ von truar wäre ein (nicht belegtes) Vorkommen des Verbs in der Bedeutung ‚ finden ‘ im ma. BR. Dazu und zu der Etymologie von fr. trouver L IVER 2001 429 . - tschentament m. ‚ Satzung, Verordnung ‘ . S, C; E tschantamaint. Abl. von tschentar ‚ setzen ‘ < lat. * SEDENTARE mit dem Suffix - MENTUM in Anlehnung an dt. Satzung. Zu tschentau ‚ stämmig; gesetzt ‘ cf. unten p. 174s. 429 Surs. truar ‚ finden ‘ weist D ECURTINS 2001 s. truar* II als Italianismus aus. 172 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="173"?> - Entsprechung deutscher Wortbildungsmuster Das privative Suffix malentspricht oft dt. un-, ist jedoch in seiner Herkunft durchaus lateinisch (cf. lat. male sanus ‚ unklug ‘ , male fidus ‚ unzuverlässig ‘ , male gratus ‚ undankbar ‘ ). Die Bildungen mit romanischen Elementen sind denn auch zahlreich (surs. malsaun ‚ krank ‘ , malfideivel ‚ untreu ‘ etc.). Wenn malzu einem Adjektiv tritt, das aus dem Deutschen entlehnt ist, entsteht nicht eigentlich eine Lehnübersetzung (die ja dadurch definiert ist, daß eine anderssprachige Vorlage mit einheimischem Sprachmaterial wiedergegeben wird); vielmehr wird ein im Romanischen geläufiges Wortbildungsmuster, das der deutschen Präfigierung mit unentspricht, auf Entlehnungen aus dem Deutschen angewendet. - malidi adj. ‚ verdrießlich, mürrisch ‘ . S und suts. Nach DRG 12: 326 Lehnübersetzung von schwdt. unlidig ‚ ungeduldig, verdrießlich, mürrisch ‘ (Schw. Id. 3: 1093), Zusammensetzung von adv. mal und lidi ‚ leidlich ‘ . Ähnlich D ECURTINS 2001: mal + lidi ‚ leidig ‘ . Ein Adj. lidi ist jedoch im BR nicht bezeugt. Cf. DRG 11: 228 s., wo lidi nur als Interjektion und als Elativpräfix ausgewiesen ist. - malrecli adj. ‚ unredlich, betrügerisch ‘ . S und C. DRG 12: 396 gibt auch E 34 (SMaria) malrecli, malregli. Die Basis ist recli ‚ ehrlich, redlich ‘ (S, C) < schwdt. redli, dt. redlich mit Präfix mal-. Zum Wandel von sekundärem - TL zu -klin lateinischem Erbgut, der hier auch in einer Entlehnung aus dem Deutschen stattfindet, cf. C ADUFF 1952: 122s. (§ 152). Lokal findet sich jedoch auch teilweise -dl-, -tl- (DRG loc. cit.). - malschuber adj. ‚ unsauber, unrein, unkeusch ‘ . S, suts.; surm. malsober. Zu schuber < schwdt. suuber mit privativem mal-. Das Adjektiv muß einst in ganz Graubünden verbreitet gewesen sein. Dafür spricht in E die Verbindung schuber net ‚ samt und sonders, säuberlich ‘ und die Abl. malschubrezza, die DRG 12: 413 für das Altunterengadinische belegt. Zur Palatalisierung von mhd. sin bündnerromanischen Entlehnungen unten p. 182s. - maltschec adj. ‚ unartig, ungehobelt ‘ . S und C. Von tschéc ‚ schick, artig, anständig ‘ . Zugrunde liegt schwdt./ bdt. gschickt ‚ artig, anständig ‘ (Schw. Id. 8: 514). Die Bedeutung ‚ schick ‘ ist aus dt. schick (< fr. chic) übernommen (HWR s. tschéc). Cf. DRG 12: 452 - 55). - preleger v. ‚ vorlesen ‘ . S und vall.; suts./ surm. preliger, put. preler. Das deutsche Vorbild ist evident. Im Engadin, das im Allgemeinen zurückhaltender ist als S und C in der Übernahme von Germanismen, verzeichnen die Wörterbücher unter ‚ vorlesen ‘ das stärker germanisierende leger/ ler ava(u)nt vor preleger/ preler. Auch A RQUINT 1980 gibt unter leger ein Beispiel mit leger avant: „ Id es ün godimaint, cur ch ’ ün scriptur legia avant bain alch ch ’ el ha scrit “ . Dieser oft als Inbegriff das deutschen Einflusses aus das Rätoromanische taxierte Wortbildungstypus (Verb + Ortsadverb) ist in unserem Material schwach vertreten, was mit einer puristischen Tendenz der vocabularis fundamentals zusammenhängen dürfte. Zu diesem Problem Näheres bei L IVER 2012 (im Druck). 173 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="174"?> - suries m. ‚ Überbein ‘ . S, suts. E suröss (surm. osset). Nach HWR Lehnübersetzung von dt. Überbein. Angesichts des Vorkommens dieses Worttypus in verschiedenen romanischen Sprachen (fr. suros, it. soprosso, kat. sobreos) erscheint diese Erklärung nicht als zwingend. Cf. FEW 7: 429, 431 N 13, DEG s. suros, LSI 5: 117 s. soròss. Auch D ECURTINS 2001 scheint eine innerromanische Bildung anzunehmen. - surmar m. ‚ Übersee ‘ . S und suts. Eine Lehnübersetzung aus dt. Übersee ist angesichts der abweichenden Lösungen des Fr. und It. (outre-mer, oltremare) wahrscheinlich. D ECURTINS 2001 spricht nur von „ Zusammensetzung “ von sur und mar. In HWR fehlt ein Eintrag. - surmaun m. ‚ Oberhand ‘ . S; suts. surmàn, surm. suramang, put. suramaun vall. suraman. Nach D ECURTINS 2001 Zusammensetzung von sur und maun, „ in Anlehnung an das dt. Modell “ . Fehlt in HWR. - surmenar v. ‚ verführen, verleiten ‘ . S, C und vall. surmanar, put. surmner. Zusammensetzung aus sur und menar, Lehnübersetzung von schwdt. überfüere n gleicher Bedeutung (Schw. Id. 1: 978 Bed. 3). So HWR. Ähnlich D ECURTINS 2001. - suttascriver v. ‚ unterschreiben ‘ . S; suts. sutascriver, surm. sottascriver, E suottascriver. Für HWR handelt es sich um eine Lehnübersetzung von dt. unterschreiben, während D ECURTINS 2001 die it. und fr. Parallelen sottoscrivere, souscrire anführt. Beide Einflüsse dürften zusammenwirken. - suttastrihar v. ‚ unterstreichen ‘ . S; suts. sutastrischear, put. suottastricher, vall. suottastrichar. Fehlt in HWR. D ECURTINS 2001 sagt nichts von einer Lehnübersetzung nach dt. unterstreichen, was jedoch auf der Hand liegt. Als Synonym führt er sutlingiar an (cf. it. sottolineare, fr. souligner), was jedoch wesentlich weniger geläufig ist als suttastrihar. Zum Schluß einige isolierte Fälle. - vegnentsuenter m. ‚ Nachkomme ‘ . S; suts. suaintervagnànt. Fehlt in HWR. Bei D ECURTINS 2001 kein Hinweis auf das Vorliegen einer Lehnübersetzung. In der sutselvischen Form ist das dt. Vorbild evident, in der surselvischen liegt eine Anpassung an die romanische Syntax vor. Bei B EZZOLA / T ÖNJACHEN 1976 findet sich für ‚ Nachkomme ‘ neben descendent, das in ganz RB vorkommt, die Umschreibung quels chi vegnan davo/ zieva. Als ein Fall von Lehnbedeutung (ähnlich wie oben plonscher ‚ vor Gericht klagen ‘ neben ‚ klagen ‘ allg.) kann wohl das surs. Adj. tschentau gelten, wo es ‚ gesetzt, erfahren ‘ bedeutet. Während die primäre Bedeutung ‚ gesetzt, gestellt ‘ dem entspricht, was vom Part. Perf. des Verbs tschentar ‚ setzen, stellen, legen ‘ (< * SEDENTARE ) zu erwarten ist, bildet ‚ gesetzt, erfahren ‘ dt. gesetzt (in der Verwendung: ein gesetzter Mann, in gesetztem Alter usw.) nach. Ob auch die zweite übertragene Bedeutung, ‚ stämmig, kurzleibig ‘ , vom Deutschen beeiflußt ist 174 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="175"?> (cf. untersetzt), müßte untersucht werden. In HWR fehlt tschentau, D ECURTINS 2001 kommentiert die übertragenen Bedeutungen nicht 430 . Ein Sonderfall ist der verbale Ausdruck far not (S und C), wo nur ein Teil der Lehnübersetzung aus romanischem Material besteht (far), während der zweite Teil eine unveränderte Entlehnung aus dem Schweizerdeutschen ist (< schwdt. Noot ‚ Notwendigkeit, Zwang ‘ ). In S bedeutet far not (per enzatgei) ‚ etwas begehren, verlangen ‘ , negiert buca far not (per enzatgei) ‚ etwas nicht besonders mögen, nicht erpicht sein auf ‘ , in S und C (surm.) auch ‚ nötigen ‘ (zum Essen). Cf. bündnerdt. Not tuen. I tuen nid not ‚ ich muß es nicht unbedingt haben, bin nicht erpicht darauf ‘ (aus eigener Spracherfahrung. Keine entsprechenden Beispiele in Schw. Id. 4: 854). 2.2.4.6 Entlehnungen aus dem Deutschen/ Schweizerdeutschen/ Tirolischen zu verschiedenen Zeiten 2.2.4.6.1 Allgemeines Der Anteil der Germanismen am bündnerromanischen Wortschatz ist beträchtlich. In unserem Material sind es 220 Einträge. Das Alter der einzelnen Entlehnungen ist schwer zu bestimmen, zudem ist immer mit Mehrfachentlehnungen zu veschiedenen Zeiten zu rechnen. Wo lautliche Anpassungen an romanische Verhältnisse vorliegen, kann mit einem höheren Alter der Entlehnung gerechnet werden. Zunächst wird das Problem des grammatischen Genus besprochen (2.2.4.6.2). Es folgt eine Übersicht über die Gesetzmäßigkeiten der phonetischen Anpassung der Germanismen an das Romanische (2.2.4.6.3). Unter 2.2.4.6.4 behandeln wir Fälle von starker Umgestaltung der Entlehnungen. Die relativ große Menge von Beispielen einer minimalen Umgestaltung der Entlehnungen, die meist jüngeren Datums sind, wird durch eine Liste abgedeckt, die nur knappe Angaben zu Verbreitung und Herkunft enthält (2.2.4.6.5). 2.2.4.6.2 Das grammatische Genus der Entlehnungen aus dem Deutschen Im Allgemeinen bleibt das grammatische Genus der Ausgangssprache in den Entlehnungen erhalten. Wo die dt./ schwdt./ tirol. Gebersprache ein Neutrum hat, das ja im BR nicht existiert, wird die Entlehnung ins Maskulin übergeführt: cletg ‚ Glück ‘ m. < dt. Glück n., crefli ‚ krapfenartiges Gebäck ‘ m. < schwdt. Chräpfli n., crut ‚ Kraut ‘ m. < schwdt. Chrut n. etc. 431 430 Eine figurative Bedeutung ‚ gesetzt ‘ ist allerdings auch ohne deutschen Einfluß denkbar. Cf. fr. un homme posé, it. un uomo posato, surs. pusau ‚ gesetzt, bedacht ‘ , ebenso put. puzzo, vall. pozzà. 431 Überlegungen zum grammatikalischen Geschlecht von Entlehnungen ins BR bei K RISTOL 1985: 115ss. 175 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="176"?> Zu den folgenden Ausnahmen, wo ein Genuswechsel vorliegt, drängt sich die Hypothese auf, daß br. Entlehnungen f. werden, wenn die Ausgangsbasis auf Vokal auslautet, m., wenn die germanische Basis auf Konsonant ausgeht 432 . Diese Regel bestätigt sich in den folgenden Fällen: - gatti m. ‚ Anschein, Art, Benehmen ‘ . S; suts. gatti, surm. gatta < schwdt. Gattig f. DRG 7: 46 sagt nichts zum Genuswechsel. - lumpa f. ‚ Lumpen, Staubtuch ‘ . S; surm. lompa. < schwdt. Lumpe n m. DRG 11: 520. Kein Kommentar zum Genuswechsel, auch nicht in HWR und D ECUR- TINS 2001. - meini m. ‚ Meinung ‘ . S, surm; suts. meni. < schwdt. Meinig f. Gallicius verwendet den Germanismus meinung als m. in seinem Vorwort zu Chiampels Cudesch da psalms (L IVER 1991: 123). - rama f. ‚ Rahmen ‘ . S und suts. < schwdt. Rahme n m. Nach HWR jüngere Entlehnung als rom m. (S, C, vall; put. ram). - resti m. ‚ Wäsche, Kleider ‘ . S und C. < schwdt. Rüsti(n)g f. ‚ Rüstung ‘ (HWR), Rüstig ‚ alter Plunder ‘ (D ECURTINS 2001). - rintga f. ‚ Ohrring ‘ . S und suts. < schwdt. Ringge n m. - socca f. ‚ Socke ‘ . Schwdt. ist socke n allerdings meistens m. (cf. Schw. Id. 7: 681ss.). Es ist nicht wahrscheinlich, daß das Wort über das Schriftdeutsche entlehnt wurde. Demnach würde auch hier die Regel „ schwdt. vokalischer Auslaut > rom. f. “ gelten. Zudem wird das Wort meist im Plural gebraucht, was ebenfalls einen a-Auslaut begünstigt. - struha f. ‚ Schnupfen ‘ . S und suts.; surm. stroca < bdt. Struhe n m. gleicher Bedeutung. Cf. Schw. Id. 11: 2043. - tolca f. ‚ Tintenklecks ‘ . Allg., suts. teilweise mit Palatalisierung (tolgia, toltga. Cf. HWR). < schwdt. Tolgg, Tolgge n m., wobei die zweite Form den Ausgangspunkt bilden dürfte. - toppa f. ‚ Tatze, Pranke ‘ . S, suts. topa, tapa, surm. toppa, tapa. < schwdt. Taape n , Toope n m. (gleiche Bedeutung). Das Wort ist allerdings auch im Schweizerdeutschen (auch im Walserdeutschen) sporadisch f. Cf. Schw. Id. 13: 911ss. Im Fall von flanella f. ‚ Flanell, Wollstoff ‘ (allg.) dürfte it. flanella für das Genus ausschlaggebend sein. Allerdings kennt auch das Schweizerdeutsche f. Formen wie Franelle (Schw. Id. 1: 1199), das verschiedenen Formen in C zugrunde liegt. Cf. DRG 6: 389). - firlefanza f. ‚ Firlefanz ‘ , meist pl. firlefanzas. Im DRG (6: 356) figuriert das Wort unter firlifanz m. engad., firlefanza f. surselv. Es ist jedoch fraglich, ob die m. Form in E überhaupt vital ist. Sie erscheint nur gerade bei P EER 1962. P ALLIOPPI 1895 hat firlifanza f., und im zitierten Artikel des DRG lauten sämtliche Beispiele für das 432 Das in den Wörterbüchern als hochgstelltes n notierte n ist hier vernachlässigbar. Basen, die es enthalten, werden als vokalisch auslautend behandelt. 176 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="177"?> Engadin auf -anzas. Der Übergang des dt. m. Firlefanz zu br. firlefanza, firlifanza f. dürfte eine Angleichung an das Suffix -anza darstellen, das zuweilen pejorative Bedeutung hat. Cf. surs. parlahanza, parlamanza ‚ Geschwätz ‘ , it. parlanza ‚ diceria ‘ . DRG loc.cit. sagt nichts zum Genus, und HWR fehlt ein Eintrag firlefanza überhaupt. Ranunchel m. (allg) ‚ Hahnenfuß ‘ < dt. Ranunkel f. ist nach HWR über die Schulbücher in RB verbreitet worden. Der Übergang von f. zu m. entspricht dem oben formulierten Prinzip. In einigen Fällen gibt es Doppelformen, Substantive, die in einer m. und in einer f. Variante vorliegen. Teils handelt es sich um diatopisch unterschiedliche Formen, in denen verschiedene Basissprachen wirken, teils um Synonyme in ein und demselben Idiom, wo die eine Form primär ist (entsprechend der germanischen Basis), die andere sekundär davon abgeleitet. - numer m., numera f. ‚ Nummer ‘ . Die m. Variante ist allg., die f. in S und C verbreitet. Die Wbb. gehen für das m. von it. numero, fr. numéro aus, für das f. von dt. Nummer. Besser wohl: von schwdt. Nummere f. - stuc m., stucca f. ‚ Streich, Spaß ‘ . M. allg., f. S. < schwdt. resp. tirol. Stuck. D ECURTINS 2001 nimmt für S stucca Anlehnung an bedeutungsverwandtes filistucca, filiberga an. - truc m. ‚ vereckiger, hölzerner Behälter ‘ , trucca f. ‚ Truhe; Chorstuhl ‘ . Beides S und C. Nach D ECURTINS 2001 ist trucca < schwdt. Trucke n primär. In verschiedenen Regionen sind Ableitungen dieser Basis vorhanden, so surs. truchet ‚ Schublade ‘ , suts. trucla ‚ Lade, Schublade ‘ , E trocla ‚ Schachtel, Büchse ‘ . - zuc m., zucca f. ‚ Zuck, Ruck; eine Weile ‘ . S, zuc auch suts. Nach D ECURTINS 2001 ist zuc <dt. Zuck primär. Abl. S zuccanar ‚ rütteln ‘ , E zuckiada, zuckeda ‚ heftiger Zug, Ruck, Zuckung ‘ . Ein Sonderfall ist die Entlehnung von schwdt. Nägeli n. ‚ Gewürznelke; Nelke ‘ , das als neghel m. in der ersten, als negla f. in der zweiten Bedeutung entlehnt wurde. Neghel ‚ Gewürznelke ‘ ist in S und C geläufig (S auch neghelet, surm. negel neben groffel, Vaz naiel), während E stachetta und groffel (DRG 7: 847 s.) hat. Negla f. als Bezeichnung für die Blume ist in ganz Romanisch Bünden mit Ausnahme des Oberengadins (put. groffel) verbreitet (surm. auch gnegla). Das f. Geschlecht dürfte eine Anpassung an die im BR üblicherweise femininen Blumennamen sein. 2.2.4.6.3 Gesetzmäßigkeiten phonetischer Anpassung Generell kann man feststellen, daß Germanismen mit phonetischen Veränderungen, die den Entwicklungen lateinischer Etyma entsprechen, älter sind als diejenigen, die den germanischen Lautstand unverändert übernehmen. So erweist sich z.B glienda ‚ Linde ‘ durch die Palatalisierung von L vor Palatalvokal (cf. etwa glina ‚ Mond ‘ < LUNA ) als älter als luna ‚ Laune ‘ . Auch die Öffnung von I zu E vor N in 177 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="178"?> geschlossener Silbe entspricht der Entwicklung in lateinischen Etyma (cf. etg m. ‚ Salbe ‘ < UNCTUM ). Sie liegt auch in tenta ‚ Tinte ‘ vor, fehlt jedoch in jüngeren Entlehnungen wie etwa zinn ‚ Zinn ‘ . Es folgt eine Übersicht über die Gesetzmäßigkeiten phonetischer Anpassung von Germanismen an das Bündnerromanische, die in unserem Material zu beobachten sind. Vokalismus a < o 433 In Erbwörtern wird lat. A vor M zu br. o: RAMUM < rom m. ‚ Ast, Zweig ‘ , STRAMEN > strom m. ‚ Stroh ‘ etc. So auch in aus dem Deutschen resp. Schweizerdeutschen entlehntem rom m. allg. ‚ Rahmen ‘ (daneben surs. rama f. in gleicher Bedeutung). Cf. E ICHENOFER 1999: 51 (§ 38b). Für surs. toppa f. ‚ Tatze, Pfote ‘ kann als Ausgangspunkt schwdt. Toope n neben Taape n gelten. Im Schweizerdeutschen ist eine Variation a/ o oft diatopisch bedingt. Suts. tapa, topa in gleicher Bedeutung, surm. tapa nach S ONDER / G RISCH ‚ schwere Hand ‘ . Auch im Fall von surs. troma ‚ Balken, Tagbalken ‘ < schwdt. Traame n gleicher Bedeutung koexistieren Formen mit a mit andern auf o: troma auch surm., trama suts. und put. Cf. HWR und E ICHENHOFER 1999: 51 (§ 38b). Auch surs. honta ‚ Kanne ‘ < schwdt. Chante n weist den Übergang von a zu o auf. Die übrigen br. Idiome bewahren a: suts. tgànta, surm. tganta, put. chaunta (heute als Monophthong e gesprochen), vall. chanta. Cf. DRG 3: 276. ä > e Schwdt. ä wird in Entlehnungen oft als e realisiert, was angesichts der bündnerdeutschen Aussprache, wo ä zu e tendiert, nicht überrascht. So in surs./ suts. crefli m. ‚ krapfenartiges Gebäck< schwdt. Chrä(p)fli. Cf. DRG 4: 223. Ebenso in surs./ suts. neghel m. ‚ Gewürznelke ‘ , surm. negel < schwdt. Nägeli. ä > a Wenn die oben besprochene Übernahme von schwdt. ä als e die phonetisch naheliegendste Form der Anpassung ist, so stellt ein Wandel von ä zu a sozusagen eine Überanpassung dar, indem der Öffnungsgrad des Vokals, der in der Ausgangssprache größer ist als in der Sprache der Entlehnung, nicht nur nachgeahmt, sondern übertrieben wird. Es ist in diesem Zusammenhang gelegentlich von „ Überentäußerung “ gesprochen worden 434 . Es handelt sich um eine Art Hyperkorrektion. 433 Im Hinblick auf eine einfache Darstellung wird in dieser Übersicht anstelle einer phonetischen Umschrift die offizielle Schreibweise verwendet. Die Verweise auf Referenzwerke (vor allem E ICHENHOFER 1999, D ECURTINS 2001, DRG und HWR) führen zu detaillierteren Informationen. 434 So zuerst bei G ARTNER 1883: 34 (§ 25). 178 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="179"?> Oben besprochenes crefli erscheint im mittelbündnerischen Schams (C 62 Andeer, C 69 Maton) als grafli resp. graflis (DRG 4: 223). Surs. hazer, hazra adj. ‚ groß, mächtig ‘ , adv. ‚ sehr ‘ , suts. tgeazer, tgeazra, surm. tgazzer, tgazra, E chazzer, chazra ‚ verflixt ‘ wird von den Wörterbüchern auf schwdt. Chätzer ‚ Ketzer ‘ zurückgeführt. Die ursprüngliche Bedeutung ist nur noch in literarischen Belegen nachweisbar. DRG 4: 534 s. chazzer erwägt eine Anknüpfung der Formen mit -aan ait. cazzaro ‚ eretico ‘ , gibt jedoch in der Folge dem schwdt. Chätzer dennoch den Vorzug, ohne sich über die Lautung -aauszusprechen. So auch HWR und D ECURTINS 2001. Warum E ICHENHOFER 1999: 74 (§ 62 b) hazer als ältere Entlehnung als chezzer etc. bezeichnet, wird nicht klar. Das wäre eigentlich nur mit einem Rückgriff auf ait. cazzaro zu rechtfertigen, aber es fehlt ein entsprechender Kommentar. Zudem wäre der Italianismus im Surselvischen weniger wahrscheinlich. i > e S, C sdrema f. ‚ Streifen, Strich; (Gesteins)schicht ‘ , surm. auch ‚ Schwiele ‘ , ist nach HWR (mit Vorbehalt) und D ECURTINS 2001 aus schwdt. Striime (Schw. Id. 11: 2258ss.) entlehnt. Der Ausgangspunkt ist ein sehr offenes i. Die Anlautkonsonanten sind dialektal teils sonorisiert (so in den offiziellen Idiomen, wie die Wörterbücher sie verzeichnen), teils als stimmlos erhalten (str-). Cf. HWR, wo die sonorisierte Variante als jünger bezeichnet wird. Nach D ECURTINS 2001 s. sdrisar ‚ verstreuen ‘ ist in S die Sonorisierung von STR auch bei lateinischer Basis in S verbreitet. S, E sez, C séz m. < dt. Sitz. Bei Bifrun siz. S, surm. snez ‚ Schnitt, Einschnitt; Schnittwunde ‘ < schwdt. Schnitz. Cf. E schnics pl. ‚ Schnitze ‘ , schnics da maila ‚ Apfelschnitze ‘ 435 . In dieser Bedeutung in S schnecla, schnetla, suts. schnezla < schwdt. Schnittli. Cf. HWR. 436 Bei den Reflexen von dt. Tinte weisen S und C mit tenta die Öffnung von i zu e auf, während in E i erhalten bleibt (tinta), entsprechend der Entwicklung von I vor N in Erbwörtern (E ICHENHOFER 121, § 143 a). o < ie Wenn in surs. bliec m., pl. blocs, koll. blocca ‚ Holzblock, Holzklotz ‘ von schwdt. Bloch, Block und tschiep m., pl. tschops ‚ Jacke, Männerrock ‘ < schwdt. Tschoope n der Vokal o der dt. Basis als ie erscheint, liegt ebenfalls eine Anpassung an innerromanische Verhältnisse vor. Die Formen bliec, tschiep sind aus den Pluralformen 435 LSI 5: 83 s. weist snizz m.pl. ‚ fette, spicchi di frutta fatti seccare ‘ für das nördliche Tessin und die Bündner Südtäler aus. Airolo ‚ tedeschi, svizzeri tedeschi ‘ ! Cf. oben p. 138. 436 Hierhin könnte auch surs. gep m. ‚ Gips ‘ gehören, wenn es dann eine Entlehnung von dt. Gips ist, wie HWR annimmt. DRG 7: 305 und D ECURTINS 2001 ziehen sowohl diese Möglichkeit als auch eine Herkunft von lat. GYPSUM in Betracht. Die germanische Hypothese erscheint wahrscheinlicher. 179 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="180"?> rückgebildet (E ICHENHOFER 199: 144 § 1829), nach dem Muster von COCCINU > tgietschen, COCCINOS > cotschens und ähnlich (E ICHENHOFER 1999: 129 S . § 155a). Eine Anpassung an die alte Umlautdiphthongierung von O liegt auch in put. blöch vor, während sowohl das Unterengadin als auch Mittelbünden o haben (DRG 2: 395ss.). Im Fall von tschiep hat einzig S die Lautung -ie-. ü > i, e Lat. langes U wird im Bündnerromanischen zu ü, eine Lautung, die im Engadinischen bis heute besteht, während es im Surselvischen in offener Silbe zu i, in geschlossener Silbe zu e entrundet wird. MURUM > eng. mür, surs. mir, FRUCTUM > eng. früt, surs. fretg. Die Sutselva geht mit der Surselva, während Surmeir diphthongische Resultate aufweist. Eine Zwischenstufe ü wird auch für die Surselva postuliert. E ICHENHOFER 1989: 81 nimmt an, daß sie bis ins 14. Jh. (Ankunft der Walser) bestanden habe. Jedenfalls erfahren ältere Entlehnungen aus dem Germanischen, die in der Basis ü aufweisen, dieselbe Entrundung wie lat. Basen mit U . Beispiele für ü zu i in Lehnwörtern sind surs. fieter m. ‚ Futter ‘ (in Kleidern) < schwdt. Füeteri (DRG 6: 283); allg., heute vorwiegend surs.; hisli m. ‚ Toilette, Abort ‘ < schwdt. Hüsli (DRG 8: 53 s.); S, C vieti adj. 437 ‚ wütend, zornig ‘ < schwdt. wüetig. Die folgenden Entlehnungen weisen e als Entsprechung von dt. ü auf, wie bei Erbwörtern in geschlossener Silbe ( FUSTUM > fest, USTIUM > esch etc,). S, C cletg m. ‚ Glück ‘ < dt. Glück (DRG 3: 722ss.). Die Palatalisierung des Auslautkonsonanten weist auf alte Entlehnung hin. Cf. E ICHENHOFER 1999: 432 (§ 647). S, suts. plesch m. ‚ Plüsch ‘ (E plüsch); surs. resti m. ‚ Wäsche, Leibwäsche ‘ < schwdt. Rüsti(n)g (Schw. Id. 6: 1531ss.); surs., suts. terc m. und adj. ‚ Türke, türkisch ‘ , m. ‚ Mais ‘ (E türch, türcha). Konsonantismus Von der Palatalisierung von l in surs. glienda f. ‚ Linde ‘ war schon die Rede (oben p. 177). DRG 7: 407 s. und HWR halten die Formen mit Palatal für älter als die in C und E bezeugten ohne. Ähnlich ist die Palatalisierung von -k in surs. cletg m. ‚ Glück ‘ zu werten. Cf. surs./ suts. etg, surm. itg < lat. UNCTUM (aber E üt). E ICHENHOFER 1999: 432 (§ 647) zu germ. -k, -g zeigt ein buntes Bild von Formen mit und ohne Palatalisierung quer durch Graubünden. Weitere Palatalisierungen erfahren n und g in Konsonantenverbindungen, so surs. schlegn m. ‚ Riegel ‘ < schwdt. Schlängge n ‚ Schließvorrichtung ‘ (Schw. Id. 9: 589), S, C sgnocca ‚ Witz, Stichelei ‘ < schwdt. Schnagge n , Schnogge n ‚ Witz ‘ (Schw. Id. 9: 1191), S und E slingia ‚ Halstuch, Binde ‘ , C slengia < bdt. Schlinge n (Schw. Id. 9: 584). Dt./ schwdt. ng wird zum Teil zu n vereinfacht, zum Teil palatalisiert. Dt. 437 S auch Adverb mit Intensivbedeutung: vieti lom ‚ sehr weich ‘ . 180 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="181"?> Ring ergibt in S rin, in C rentg, in E rinch. Schwdt. Ringge n m. ‚ Ring, Schnalle ‘ wird in S zu rintga, suts. rentga (zum Genuswechsel cf. oben p. 176). G im Anlaut erscheint palatalisiert in suts. giater m. (neben gater), surm., E giatter ‚ Gitter, Gatter ‘ < schwdt. Gatter (Schw. Id. 2: 495), Gätter (Schw. Id. 2: 503). Surs. garter (auch gatter) ohne Palatalisierung; -rnach DRG 7: 216 durch Einwirkung von grat ‚ Bahre ‘ , nach HWR von it. grata ‚ Gitter ‘ . Ähnlich surs. gheisla f. ‚ Geißel, Peitsche ‘ , suts. ghesla, ghisla, surm. giaschla, E giaischla < schwdt. Geisle n (Schw. Id. 2: 465). DRG 7: 128. Hier Näheres zu weiteren lautlichen Varianten. Entsprechend der Regel, daß s vor Konsonant im Bündnerromanischen zu ʃ palatalisiert wird, erscheint s in der Entlehnung rispli m. ‚ Bleistift ‘ < schwdt. Riss- Bli in S und E als ʃ . Vielerorts in C und E bleibt jedoch s erhalten. Cf. HWR s. rispli. In S zeigt sich die weitgehende Integration der Entlehnung auch in der Pluralbildung: rispials wie utschi - utschals, risti - ristials etc. Zu den phonetischen Veränderungen, die sich an Lautentwicklungen innerhalb des Romanischen orientieren, gehört auch der Wandel von -tl-, -dlzu -kl-. Wie in surs. ruclar ‚ rollen, wälzen ‘ < lat. * ROT ( U ) LARE wird -tlin surs. schnecla ‚ Schnitte, Schnitz ‘ < schwdt. Schnittli zu -kl- 438 . S, C recli adj. ‚ ehrlich, redlich, anständig ‘ beruht auf schwdt. redli, dt. redlich 439 . Cf. E ICHENHOFER 1999: 315s. (§ 436 a/ b). Ebenfalls hierhin gehört wohl S, C zocla ‚ Mistknollen ‘ (im Haar des Viehs), E zotla, schotla. HWR s. zocla spricht zwar von „ ungeklärt “ , neigt aber zu der auch von D ECURTINS 2001 vertretenen Anknüpfung an schwdt. Zottle n . Ein Sonderfall ist surs. ualti adv. ‚ ziemlich, gehörig ‘ < schwdt. gwaltig. Der Anlaut entspricht dem Resultat alter Germanismen wie uaul m. ‚ Wald ‘ < germ. WALD , uardar v. ‚ schauen, hinschauen ‘ < germ. * WARDON , wobei jedoch hier der Ausgangspunkt g ’ vvorliegt und die Entlehnung eher jüngeren Datums sein dürfte. Cf. E ICHENHOFER 1999: 220 s. (§ 288b). Weitere Fälle von Anpassung germanischer Lautungen an romanische Verhältnisse betreffen Laute, die in ihrer germanischen Form keine Entsprechung im Romanischen haben. Schwdt. ch- [ χ ] erscheint im Surs. oft als h-: surs. harta f. ‚ Spielkarte ‘ < schwdt. Charte n (neben E charta < lat. CHARTA . cf. DRG 3: 4069), hazer, hazra adj. ‚ sehr groß, mächtig ‘ < schwdt. Chätzer ‚ Ketzer ‘ (E chazzer. DRG 3: 534), heighel m. ‚ Kegel ‘ < schwdt. Cheigel (E chejel. DRG 3: 542. Schw. Id. 3: 179), honta ‚ Kanne ‘ < schwdt. Chante n (E chanta, chaunta. DRG 3: 276), surs. hucla f. ‚ Kugel ‘ < schwdt. Chugle n (DRG 4: 354. Schw. Id. 3: 187), surs. hutla f., hutlas f.pl. ‚ Kutteln ‘ (so auch suts.; surm. cotlas, E cutlas) < schwdt. Chuttle n . DRG 4: 633. 438 So in Trun und in der offiziellen Schriftsprache. Andere Dialekte der Surselva bewahren -tl-. Cf. HWR. Die umgekehrte Entwicklung (lat. - CL zu -dl-) tritt im Dolomitenladinischen ein: grödn. uedl, gad. edl ‚ Auge ‘ < OCULUM . 439 Daß schwdt. -dldie gleiche Behandlung erfährt wie -tlerklärt sich damit, daß das Schweizerdeutsche keine stimmhaften Konsonanten kennt. Die Lenis des Schweizerdeutschen wird im Romanischen als stimmlos aufgenommen. Dazu unten zu schwdt. b > rom. p. 181 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="182"?> Schw. Id. 3: 574. E ICHENHOFER 1999: 219 (§ 286c). Auch im Auslaut erscheint schwdt. chin manchen Dialekten als h-: surs./ suts. streh. Cf. HWR. Im Inlaut schwindet es: surs./ suts. schliet, surm. schlet < ahd./ mhd. SLËHT , S, C buis f. ‚ Flinte, Gewehr ‘ < schwdt. Büchs, Buchs (E ICHENHOFER 1999: 123 [§ 146 c]), S, C bustab m. ‚ Buchstabe ‘ < mhd. buochstab 440 . Schwdt. chrim Anlaut wird im Surselvischen oft als hrübernommen, wobei h schwinden kann. E ICHENHOFER 1999: 251 (§ 327c). So rida f. ‚ Kreide ‘ < schwdt. Chride. Suts. rida, hrida, crida, surm. creida, put. crida, vall. craida, letzteres nach DRG 4: 179 und HWR < tirol. Graide. Schwdt. Chrueg ‚ Krug ‘ ergibt entsprechend surs. ruog, suts. hrui, hruac, cruac, surm. cruc. E cria (mit regionalenVarianten cröa, crüa) ist nach DRG 4: 244 ein altes Lehnwort von germ. * KRUKA . Cf. FEW 16: 413. Surs. rucla f. stammt nach DRG 4: 354 von schwdt. Chrugel (Schw. Id. 3: 799). Warum nicht von Chrugle n (Schw. Id. 3: 802)? Bei dt./ schwdt. Wortendungen auf -ich, -ig schwindet in romanischen Entlehnungen oft der Endkonsonant, umso mehr, als auch im Schweizerdeutschen Formen auf -i geläufig sind. So in den Adjektiven surs. fasierli, ‚ seltsam, merkwürdig ‘ , Vaz fisierli, fisierla ‚ zart, fein ‘ (E BNETER 1981) < schwdt. visierlich ‚ drollig ‘ (Schw. Id. 1: 1078), surs./ suts. honzeli ‚ freundlich, höflich ‘ < dt./ schwdt. holdselig (Schw. Id. 2: 1184, DRG 8: 98), surs. muoti ‚ übermütig ‘ < schwdt. muetig (nach HWR auch C und E; in denWörterbüchern nicht bezeugt), S, C recli ‚ ehrlich, redlich ‘ < schwdt. redli ch , surs. steri ‚ steif, starr ‘ < bdt. stärrig (so HWR. D ECURTINS 2001: < schwdt. stäärig. Cf. Schw. Id. 11: 1204 s.), surs./ suts. vieti adj. ‚ wütend ‘ < schwdt. wüetig, auch adv. ‚ sehr ‘ . Adverbien: surs. gleiti ‚ bald, demnächst ‘ < schwdt. gleiti g gleicher Bedeutung, surs./ suts. ualti adv. ‚ ziemlich ‘ < schwdt. gwaltig. Ebenso in surs. teppi m. ‚ Teppich ‘ < dt./ schwdt. Teppich (nach HWR auch einige Belege aus C und E, wo sonst tarpung und tarpet herrschen). Während in älteren Entlehnungen aus dem Germanischen bals stimmhafter Laut erhalten ist (z. B. surs. baul, E bod < mhd. bald, balde. E ICHENHOFER 1999: 207 [§ 275d]), wird schwdt. b-, das ja nicht stimmhaft, sondern eine Lenis ist, in jüngeren br. Entlehnungen als pwiedergegeben. Surs. penda f. ‚ Binde ‘ , S, C peter adj. ‚ bitter ‘ , allg. pot m. ‚ Briefträger, Postbote ‘ < schwdt. Bott ‚ Bote ‘ . E ICHENHOFER 1999: 205s. (§ 274 d). Ebenso -d im Auslaut: S, C fat, fatta adj. ‚ fade, ungesalzen ‘ (put. spor. fad, fada; DRG 6: 154, HWR). Ein Problem, für das bisher keine Erklärungen vorliegen, stellen die palatalen Resultate in br. Entlehnungen dar, die auf dt. sberuhen. Surs. schetta f. ‚ Speckseite ‘ wird auf schwdt. Siite n , S, C losch adj. (früher auch E) ‚ stolz ‘ auf mhd. lôs ‚ frei, ledig, mutwillig ‘ zurückgeführt (DRG 11: 440). Surs./ suts. schuber adj. ‚ sauber ‘ (E in der Fügung schuber net ‚ samt und sonders ‘ ) geht auf schwdt. suuber zurück, surs. 440 Nach DRG 4: 613 und HWR im 16./ 17. Jh. in RB vital geworden. Aus dieser Sicht wäre wohl eher eine schwdt. Basis anzunehmen. E custab ist laut denselben Wörterbüchern als Dissimilation zu erklären. 182 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="183"?> schumber m. ‚ Trommel ‘ auf mhd./ schwdt. sumber, surs. schuffar ‚ gierig trinken ‘ auf schwdt. suufe n ‚ saufen ‘ . Ob hier die Verhältnisse im Alt- und Mittelhochdeutschen, wo zwei verschiedene Realisierungen von S vorliegen (B RAUNE 2004: § 168), eine Rolle spielen, oder ob die Walserdialekte, die eine Palatalisierung von s, allerdings nur vor Palatalvokal, kennen, mitverantwortlich sind, müßte untersucht werden 441 . Konsonantenverbindungen, die im Romanischen nicht vorkommen, werden in Entlehnungen aus dem Deutschen/ Schweizerdeutschen vereinfacht, so pf zu f in surs. crefli < schwdt. Chräpfli (und in andern Idiomen; cf. DRG 4: 223), surs. fiffa, suts. fifa ‚ Pfeife ‘ (DRG 6: 284 s.), rts zu rs in surs. stuors m., surm. sturs ‚ Blech ‘ < schwdt. Sturz, Sturzblech, lts zu ls in allg. valser m. ‚ Walzer ‘ < dt. Walzer. Eine weitere Art der Anpassung ungewöhnlicher Konsonantenverbindungen an das Romanische stellt der Einschub eines Sproßvokals dar, z. B. in surs. sparun m. ‚ Sprung ‘ < dt. Sprung, surs. caraun m. ‚ Kurve, Rank ‘ < schwdt. Chrank (DRG 4: 194, HWR). Suffix -ía S canzlia f. ‚ Kanzlei ‘ , C canzleia stammen von dt. Kanzlei, während S cancellaria, E chancellaria auf it. cancelleria zurückgehen. Die Darstellung im DRG s. cancellaria ist unbefriedigend; canzlia hätte einen eigenen Eintrag erfordert 442 . HWR fehlt dieses Lemma. Br. -ia entspricht teils dt. -ei (so außer in canzlia in S, E conditoria, C conditoreia ‚ Konditorei ‘ , S polizia, C polizeia, E pulizia ‚ Polizei ‘ ), teils dt. -ie (epidemia, alchemia, economia usw.) 443 . 2.2.4.6.4 Auffällige Umgestaltungen Während in den bisher besprochenen Entlehnungen die Anpassung an das Bündnerromanische nur einzelne Laute oder Lautgruppen betrifft, erfahren gewisse Übernahmen aus dem germanischen Bereich tiefgreifende Umgestaltungen. Das deutsche Vorbild ist in diesen Fällen nur schwer oder gar nicht zu erkennen, umso mehr, als es sich oft um Wörter handelt, die in der deutschen/ schweizerdeutschen Sprache der Gegenwart nicht mehr lebendig sind. Entspre- 441 E ICHENHOFER 1999: 229 (§ 298) behandelt das Phänomen, ohne jedoch eine Erklärung zu geben. 442 Im etymologischen Teil wird zudem auf chanzler, canzler verwiesen, das jedoch fehlt. 443 Br. -ía stammt aus verschiedenen Quellen. Neben den Resultaten von lat. - ÍA und - ÍCA (via < VIA , furmia < FORMICA etc.), die in den Indices des DRG allein figurieren, erscheint -ía in Entlehnungen aus dem Deutschen, Französischen und Italienischen. Bezeichnungen für Geschäfte/ Unternehmungen auf -aria entsprechen it. -eria, fr. -erie, dt. -erie: drogaria ‚ Drogerie ‘ , mazlaria ‚ Metzgerei ‘ , scrinaria ‚ Schreinerei ‘ , wobei zum Teil schon die Basis eine Entlehnung aus dem Deutschen ist. In S canzlia ‚ Kanzlei ‘ , barbaria ‚ Barbarei ‘ entspricht -ía dt. -ei. 183 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="184"?> chend macht sich zuweilen das Motivierungsbedürfnis der Sprecher in volksetymologischen Anlehnungen bemerkbar. - hardumbel m. ‚ Plunder, Durcheinander ‘ . S und suts.; surm. hardombel, cardombel, E curdombel ‚ Lärm, Gepolter ‘ . Nach DRG 4: 563 s. curdombel, HWR und D ECURTINS 2001 s. hardumbel von schwdt. Char-Tum(m)el (Schw.Id. 12: 1859 s.). Die Beziehung zu schwdt. Karsumpel ‚ Plunder, Gerümpel ‘ wäre noch zu klären. Zum Lautlichen E ICHENHOFER 1999: 218. - mischlos m. ‚ Vorhängeschloß ‘ . S; suts. marschloss, surm. mischles, mischlies, mischlos (E BNETER 1981 mischiel, mischlies), E maschlöss, marschlöss < mhd. MALSLOZ , schwdt. Marschloss 444 . Zu den lautlichen Umgestaltungen E ICHENHOFER 1999: 136 (§ 166b), 332s. (§ 466 d). - printgas f.pl. ‚ Anstoßen, Zuprosten ‘ , vor allem in der Verbindung far printgas. S; suts. prengias, surm. prentgas, E impringias. Wie it. brindisi und weitere Entsprechungen in romanischen Sprachen aus dem dt. Trinkspruch „ ich bring dir ’ s “ . DRG 8: 376ss. FEW 15: 288. - teschamber m. Sakristei ‘ . S, suts.; surm. ischcamber (E sacristia). Nach HWR und D ECURTINS 2001 von schwdt. Tristkammer ‚ Rüstkammer ‘ (Schw. Id. 3: 254). In Surmeir dürfte isch ‚ Türe ‘ volksetymologisch eingewirkt haben. Zu weiteren Varianten cf. E ICHENHOFER 1999: 247 (§ 320 d). - tschentaloscha f. ‚ Herbstzeitlose ‘ . S; suts. tschaintaloscha, tschitilosch m., surm. tschitalosa (E: minchületta d ’ utuon). Nach D ECURTINS 2001 < bdt. Zitlose n 445 mit Einwirkung von tschenta ‚ Riemen ‘ und losch ‚ stolz ‘ . - tuargia f. ‚ Konfitüre ‘ . S, suts. (hier auch tuaria), surm. lugargia, E latvergia < dt. Latwerge (dieses < lat. ELECTUARIUM ). So HWR und D ECURTINS 2001. Wohl eher < mhd. Latwarje, schwd. Latwärje (so Prättigauer Wb. 1991). Schw. Id. 3: 1486. Die Formen auf tusind durch Abtrennung von la-, das als Artikel interpretiert wurde, entstanden. E ICHENHOFER 1999: 449 (§ 677 a). - zagrender m. ‚ Zigeuner ‘ . S; suts. zengher, surm. zighingher, zaghiner. Put. tschiaunger, vall. tschiainder. Nach HWR <schwdt. Zigüüner, nach D ECURTINS 2001 zudem mit Einwirkung von it. zingaro. Cf. E ICHENHOFER 1999 p.123 (§ 146b). Für die Erklärung der Lautung [t ʃ ] in E fehlt in HWR ein Kommentar. Eine Parallele wäre das oben besprochene tschentaloscha, aber eine analoge volksetymologische Angleichung ist nicht ersichtlich 446 . 444 L EXER 1949: malch-, mal-sloz stn. ‚ schloss an einem mantelsack (malhe), überh. vorhängeschloss, auch mahel-, marhen-, marenmalensloz. Cf. berndt. maletschloss ‚ Vorhängeschloss ‘ ( V . G REYERZ / B IETENHARD 1981 s. v.). Schw. Id. 9: 736 s. s. Malchen-, Malen-, Marschloss 9: 736 s. 445 Schw. Id. 3: 1437 s. los. 446 Eine Parallele zu tschiainder wäre surs. tschagrun, eng. tschigrun ‚ Zieger ‘ , insofern, als auch dort -tsin einer alten Entlehnung (hier aus dem Gallischen. HWR * TSIGROS , D ECURTINS 2001 * TSIGRONOS ) zu -t ʃ geworden ist. L UTTA 1923: 167 (§ 147) bekennt seine Ratlosigkeit bezüglich der Erklärung dieser beiden Worttypen. In HWR und E ICHENHOFER 1999 sucht man vergeblich eine Erklärung. Cf. oben p. 67. 184 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="185"?> 2.2.4.6.5 Neuere Entlehnungen ohne größere Umgestaltung Eine größere Zahl von neueren Entlehnungen, die das deutsche resp. schweizerdeutsche Vorbild ohne wesentliche Umgestaltung in Ausdruck und Inhalt ins Bündnerromanische übernehmen 447 , belegt den unvermindert großen Einfluß des Deutschen auf das Bündnerromanische. Substantive - ampla f. ‚ Ampel, Lampe ‘ . Nach DRG 1: 246 S und C allg., E sporadisch. < dt. Ampel, wohl über schwdt. Ample (Schw. Id. 1: 239). - bal I m. ‚ Ball ‘ (Spielball). Neben allg. verbreitetem balla f. in gleicher Bedeutung vor allem in S häufig. < dt. Ball. DRG 2: 96ss. s. balla I. - bal II m. ‚ Ball, Tanzanlaß ‘ , allg. Folgte man den Etymologien von DRG und HWR, die bal als Deverbale von ballar erklären (DRG 2: 81 sogar von lat. BALLARE ! ), hätte das Wort in dieser Darstellung keinen Platz. Richtiger wohl D ECURTINS 2001, der auf fr. bal, dt. Ball verweist. Am naheliegendsten ist die Entlehnung aus dem Deutschen, umso mehr, als bal laut DRG loc.cit. erst in neuerer Zeit auftritt. - balla I f. ‚ Ball ‘ (Spielball) und weitere Bedeutungen ( ‚ Gewehrkugel ‘ , ‚ Schneeball ‘ , ‚ Warenballen ‘ ). Allg. DRG 2: 98 gibt germ. * BALLA als Etymon, verweist jedoch auf die vielen Neuentlehnungen aus dem Deutschen im Laufe der Zeit. Balla ‚ Spielball ‘ dürfte einer neueren Entlehnungsschicht aus dem Schweizerdeutschen anghören. Cf. Balle n Schw. Id. 4: 1148. - boller m. ‚ Knirps ‘ . Nur S. Nach DRG 2: 430 s. boller I < schwdt. Boler ‚ Faß ‘ , „ woraus im Luzernischen und im Wallis ‚ dicker, fetter Mensch ‘ (Schw. Id. 4: 1178) “ . Cf. auch schwdt. Bölli ‚ unerwachsener Mensch, Knirps ‘ (Schw. Id. 4: 1176). D ECURTINS 2001 folgt dieser Erklärung; im HWR fehlt boller. Zu den Bezeichnungen für ‚ Knirps ‘ , die oft die Idee des Kugeligen, Rundlichen beinhalten, cf. DRG 2: 448 s. botter I. - buob m. ‚ Bub, Knabe ‘ . S, C buab; E puob. S, C < schwdt. Buob, E > tirol. Puob. HWR; DRG s. puob (noch nicht erschienen). Die Vitalität der Entlehnung wird durch die Ableitungen buoba ‚ Mädchen ‘ , buobanaglia ‚ Kinder, Kinderpack ‘ (so S, in den übrigen Idiomen mit den entsprechenden phonetischen Abwandlungen) unterstrichen. - camoda f. ‚ Kommode ‘ . S; suts. cumoda, camoda, surm., E cumoda. < schwdt. Kummode (Schw. Id. 3: 293). DRG 4: 388. - chit m. ‚ Kitt ‘ . Allg., < dt. Kitt. DRG 3: 593. - clappa f. ‚ Klappe ‘ . Allg., < dt. Klappe. DRG 3: 689. - cofra f. ‚ Koffer ‘ . Allg., E auch m. cofer, cufar. < schwd. Goffere n , Guffere n (Schw. Id. 2: 131). Die m. Formen wie grödn. cufer < tir. Gûfer. DRG 4: 13, HWR. 447 In vielen Fällen gibt es allerdings lokale Varianten, die eine gewisse lautliche Angleichung an bündnerromanische Verhältnisse aufweisen. 185 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="186"?> - conditer m. ‚ Konditor ‘ . Allg., < dt. Konditor resp. schwdt. Konditer. DRG 4: 57 s. - confirmand m. ‚ Konfirmand ‘ . Allg., suts. cunfirmand, < dt. Konfirmand. - crut m. ‚ Kraut ‘ . S, C und put. < schwdt. Chrut (im Bündnerdt. kr ausgesprochen). Schw. Id. 3: 883. Vall. craut < tirol. Kraut. DRG 4: 216. - cucumera f. ‚ Gurke ‘ . S, C < schwdt. Guggumere (Schw. Id. 2: 191), E cucumer m. < it. cocomero. DRG 4: 315. - culissa f. ‚ Kulisse ‘ . Allg. Nach DRG 4: 352 < fr. coulisse, zum Teil über dt. Kulisse. Letzteres ist wahrscheinlicher. - docter m. ‚ Doktor, Arzt ‘ . Allg. (suts. sporadisch auch dohter), < dt. Doktor, schwdt. Dokter. DRG 5: 333ss. - droga f. ‚ Droge ‘ . Allg. Nach DRG 5: 430 < fr. drogue, woraus it. droga, dt. Droge. Wahrscheinlicher ist Vermittlung durch das Deutsche. - drogaria f. ‚ Drogerie ‘ . Allg. < dt./ schwdt. Drogerie. - duscha f. ‚ Dusche ‘ . Allg., < dt. Dusche. - falla f. ‚ Falle, Türklinke ‘ . Allg., mit regional unterschiedlicher Bedeutung (auch: ‚ Tierfalle ‘ ). < dt. Falle. Sporadisch auch oit., Südbünden, Tessin. DRG 6: 50ss. LSI 2: 378 s. fala 2 . - flanca f. ‚ Flanke ‘ (beim Turnen oder beim Ballspiel). Allg., < dt. Flanke. - flausa f. ‚ Flause ‘ . Allg., oft pl., < dt. Flause. DRG 6: 392 s. - flauta f. ‚ Flöte ‘ . S, suts. (hier auch flieuta), surm., E flöta (E auch flötna, flötra). Die Form flauta < schwdt. Flaute n (Schw. Id. 1: 1229), flöta etc. < dt. Flöte. DRG 6: 413. - franzla f. ‚ Franse ‘ . Allg., meist pl.; surm. franslas. < schwdt. Franse n , Fransle n . DRG 6: 564. - friessen m. ‚ Hautausschlag ‘ . S; suts. friesel, surm., E fries. < mhd. VRIESEN , schwdt. Friesel, Frisel (Schw. Id. 1: 1320). DRG 6: 597 s., HWR, D ECURTINS 2001. Dt. Frieseln pl. (K LUGE 1989). - galop m. ‚ Galopp ‘ . Allg. Wie das Verb galoppar aus dem Deutschen entlehnt. DRG 7: 16 448 . - gamascha f. ‚ Gamasche ‘ . Allg. Lehnwort von dt. Gamasche. DRG 7: 17 s. - gamella f. ‚ Gamelle ‘ . Allg. Wie gamascha durch die dt. Militärsprache vermittelt. DRG 7: 19. - garascha f. ‚ Garage ‘ . Allg. Das f. Genus verweist auf Übernahme aus dem Deutschen. DRG 7: 24. - gardaroba f. ‚ Garderobe ‘ . S, suts.; E guardaroba. Nach DRG 7: 945 Entlehnung von fr. garde-robe, it. guardaroba. Für S, C ist Vermittlung von dt. Garderobe wahrscheinlicher. Fehlt in HWR. - gardina f. ‚ Gardine ‘ . Allg. < dt. Gardine. DRG 7: 27. 448 Anfr. WALA HLAUPAN ‚ gut springen ‘ war im Ma. in die romanischen Sprachen eingedrungen. FEW 17: 484. 186 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="187"?> - gheisla f. ‚ Geißel, Peitsche ‘ . Surs. gheisla sieht nach einer jungen Entlehnung von schwdt. Geisle n aus, während die lautlichen Anpassungen in C und E auf eine ältere Übernahme hindeuten. Cf. DRG 7: 128 s. giaischla, E ICHENHOFER 1999: § 225 b, 287 a und c, 466 c. - ghitara f. ‚ Gitarre ‘ . S, C; E guittarra. DRG 7: 1026: „ teils über dt. Gitarre entlehnt “ . Guin E ist Graphie für/ gi/ (wie in guirlanda). - glasura f. ‚ Glasur ‘ . So der Eintrag in S PESCHA 1994. D ECURTINS 2001 hat einzig glasira, DRG 7: 387 glasura allg., surs. glasira. Fehlt in HWR. < dt. Glasur; glasira nach D ECURTINS 2001 angepasst an calira ‚ Hitze ‘ (wohl eher: an die häufigen Resultate -ira von einer Basis - URA ). - glisner m. ‚ Heuchler ‘ . S, C. < schwdt. Glisner, Glîchsner ‚ Heuchler ‘ (Schw. Id. 2: 604). DRG 7: 463. - grad m. ‚ Grad, Stufe; Maßeinheit ‘ . S, C (spor. E) < dt. Grad. Dieses nach K LUGE 1989 entlehnt aus lat. GRADUS ‚ Schritt ‘ , das ebenfalls die genannten Bedeutungen hatte. Im BR stehen Entlehnungen von dt. Grad neben erbwörtlichen Resultaten von lat. GRADUS . Diese treten in S und C vor allem in stehenden Wendungen auf, in denen grau/ gro die Bedeutung ‚ Hinsicht ‘ hat: S en mintga grau, suts. an mintga gro ‚ in jeder Hinsicht ‘ , surm. an chel gro ‚ in dieser Hinsicht ‘ . In E steht grà, gro für ‚ Grad, Rang ‘ . DRG 7: 664 s. grà II. - grobian m. ‚ Grobian ‘ . Allg. < dt. Grobian. Auch oit., dl., frankoprov. FEW 16: 89. LSI 2: 786 weist gróbian ‚ individuo rozzo, zoticone ‘ für alle Südbündner Täler aus. Cf. grop adj. unten p. 191. - gruppa f. ‚ Gruppe ‘ . Allg. (suts. grupa) < dt. Gruppe. DRG 7: 883. - gummi m. ‚ Gummi ‘ , S und E (so HWR). Nach DRG 7: 639 S gumma f. und gummi m., E gomma f. Tatsächlich sind im ganzen Gebiet beide Typen vorhanden, wie die Beispiele DRG 7: 640 belegen. Gummi m. ist Lehnwort von dt. Gummi, gumma, gomma von it. gomma. - guva f. ‚ Stecknadel ‘ S < schwdt. Gufe n , allerdings mit Sonorisierung von -fzu -v- (cf. E ICHENHOFER 1999: 287). In den übrigen Gebieten liegt älteres mhd./ schwdt. Glufe n (Schw. Id. 2: 607 s.) zugrunde: suts. globa, gluva, surm. gloua, E glua. DRG 7: 481, HWR s. guva. - halla f. ‚ Halle, Saal ‘ . Allg. < dt. Halle. - hotta f., meist pl. hottas ‚ Zügel ‘ . S, suts. hotas < schwdt. Hotte n (Schw.Id. 2: 1773). - hurscha f. ‚ Auseinandersetzung; Unwetter ‘ . S und C 449 , put. horscha. DRG 8: 123 s., HWR. < schwdt. Hursche n ‚ Ohrfeige; Lärm, heftiger Auftritt ‘ (Schw. Id. 2: 1637). - hutscha f. ‚ Mutterschwein, Sau ‘ . S und suts., ‚ Schlampe ‘ S, C und put. < schwdt. Hutsche n ‚ Schwein ‘ (urspr. Lockruf für Schweine). DRG 8: 129, HWR. - jass m. ‚ Jass ‘ (Kartenspiel). Allg., < schwdt. Jass. DRG 10: 165. 449 In S ONDER / G RISCH 1970 nicht verzeichnet, jedoch für Vaz bei E BNETER 1981: hoarscha 1. ‚ große Menge, lange Weile ‘ , 2. ‚ Streit, Brüllen ‘ . 187 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="188"?> - lac m. ‚ Lack ‘ . Allg., < dt. Lack. DRG 10: 254. - lappalia f. ‚ Lappalie, Kleinigkeit ‘ . S, vereinzelt C. < dt. Lappalie. DRG 10: 453. - lulli m. ‚ Schnuller ‘ . Allg., in verschiedenen Spielformen (C, E luli, vall. auch lul, luler, nuler). DRG 11: 510 s. < schwdt. Luller, Lulli (Schw. Id. 3: 1262), Nulli (Schw. Id. 4: 717). - luna f. ‚ Laune ‘ . S und C (E glüna, cf. DRG 7: 494 s.) < schwdt. Luune n (Schw. Id. 3: 1295). - mantel m. ‚ Mantel ‘ . Allg. < dt. Mantel. Daneben S und suts. erbwörtlich manti < lat. MANTELLUM . Cf. DRG 13: 46. Weder S PESCHA 1996 noch E ICHENHOFER 2002, wo jeweils sowohl mantel als auch manti verzeichnet sind, geben Auskunft über allfällige Gebrauchsnormen. Bei D ECURTINS 2001 fehlt mantel. W ALTHER 1987: 111 stellt fest, daß in S beide Formen „ völlig gleichberechtigt und gleichbedeutend nebeneinanderstehen “ . - mappa f. ‚ Mappe ‘ . Allg. (suts. mapa) < dt. Mappe. - marca f. ‚ Marke, Postmarke ‘ . Allg. (surm. auch martga) < dt. Marke. - masca f. ‚ Maske ‘ . Nur S < dt. Maske. Sonst allg. (auch S) mascra < it. maschera. - matros m. ‚ Matrose ‘ . S und suts. < dt. Matrose. Surm., E mariner < it. marinaio. - meister m. ‚ Handwerksmeister, Lehrer, großer Könner ‘ . S; C mester, E maister < dt./ schwdt. Meister. - mina f. ‚ Mine, Sprenggeschoß ‘ . Allg. < dt. Mine. - muster m. ‚ Muster, Modell ‘ . - negher m. ‚ Schwarzer, Neger ‘ , negra f. ‚ Schwarze, Negerin ‘ . Allg. (neben ner, nera, nair, naira) < dt./ schwdt. Neger. Die f. Form folgt den Regeln der br. Wortbildung (magher, magra, legher, legra etc.). - nichel m. ‚ Nickel ‘ . S, suts. nicel, E nical. < dt. Nickel. - orgla f. ‚ Orgel ‘ . S und C (surm. auch orgels m.pl.), E orgel m.(nach B EZZOLA / T ÖNJACHEN 1976 put. orgen m.). Die f. Formen schließen an dt. Orgel, schwdt. Orgele n an (Schw. Id. 1: 447), die m. wohl an it. organo, wobei in orgel dt. Orgel ebenfalls eine Rolle spielen dürfte. - ost m. ‚ Osten ‘ , allg. < dt. Ost, Osten. - petsch m. ‚ Schmutzkruste ‘ . Sund C, sts. und Vaz auch patsch. < bdt. Pätsch ‚ Masse von Teig, Dreck, Schnee . . . ‘ Schw. Id. 4: 1925. - platta f. ‚ Platte, Schallplatte, Herd ‘ . Allg. (suts. plata) < dt. Platte. Schw. Id. 5: 196. - plumba f. ‚ Füllung ‘ (Zahn). S und suts.; surm. und E plomba < dt. Plombe. Die Lautung -uin S und suts. dürfte von plum ‚ Blei ‘ beeinflußt sein. - polizist m. ‚ Polizist ‘ . Allg. < dt. Polizist. - postura f. ‚ Postur, Statur ‘ . Allg. < dt. Postur. - professer m. ‚ Professor ‘ . Allg. < dt. Professor, schwdt. Professer. Daneben allg. professur nach it. professore, fr. professeur. Eine f. Form geben nur wenige Wörterbücher, so HWR professuressa (nach it. professoressa), D ECURTINS 2001 professoressa. In der Presse liest man auch surs. professra. - proporz m. ‚ Proporz ‘ (Verhältniswahlverfahren). Allg. < dt. Proporz. 188 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="189"?> - pudel m. ‚ Pudel ‘ . Allg. < dt. Pudel (Hunderasse). Daneben hat pudel (anderer Herkunft) auch die Bedeutung ‚ Gläschen Schnaps ‘ (Flüssigkeitsmaß), nach D ECURTINS 2001 von schwdt. Pudel zu Buddel ‚ Flasche ‘ . Cf. Schw. Id. 4: 1035. - racher m. ‚ Geizhals ‘ . S; surm. racher, f. racra Subst. und Adj. ‚ Geizhals, geizig ‘ , ebenso E racar, racra. < schwdt. Ragger ‚ Geizhals ‘ . Schw. Id. 6: 766. - randa f. ‚ Rande, rote Rübe ‘ . S, sts. < schwdt. Rande n . Surm./ put. risch-cotschna, vall. rona (auch S) < schwdt. Rahne. Letzteres auch in Poschiavo (LSI 4: 400 ròana, ròna ‚ barbabietola ‘ ) und im Friaul (ròna, P IRONA 1992). - rap m. ‚ Rappen ‘ , raps m.pl. ‚ Geld ‘ . Allg. < schwdt. Rapp, Rappe n . Schw. Id. 6: 1173. - rec m. ‚ Reck ‘ (Turngerät). Allg., <dt. Reck. - riz m. ‚ Rizinus ‘ , ieli da riz ‚ Rizinusöl ‘ . S, < schwdt. Riz(in)öl, E öli da ritsch < oit. ric. Nach LSI 4: 357s. s. ricin ‚ ricino ‘ sind die Reflexe von RICINUS sehr vielfältig; ric ist für Maggia und Palagnedra (Locarno) bezeugt. - runda f. ‚ Runde ‘ . S, suts. < dt. Runde. Surm., E ronda dürfte an it. ronda anschließen. - sabel m. ‚ Säbel ‘ . Allg., < schwdt. Sabel. Schw. Id. 7: 34. - sardella f. ‚ Sardelle ‘ . S, E; suts. sardeala. < dt. Sardelle. - sardina f. ‚ Sardine ‘ . S, E; suts. sardegna. < dt. Sardine. - scandal m. ‚ Skandal ‘ . S, suts. < dt. Skandal. Daneben S, suts. scandel, surm. stgandel, E s-chandel < it. scandalo. - schablona f. ‚ Schablone ‘ . Allg., < dt. Schablone. - schal f. ‚ Schal ‘ . Allg., < dt. Schal. - schanza f. ‚ Chance; Sprungschanze ‘ . Allg. Hier handelt es sich um zwei verschiedene Entlehnungen aus dem Deutschen/ Schweizerdeutschen. D ECURTINS 2001 trägt dieser Tatsache Rechnung, indem er schanza I ‚ Chance, Aussicht ‘ < dt. Chance von schanza II ‚ Schanze, Sprungschanze ‘ < dt. Schanze trennt. Mit der Denasalierung von schwdt. Chance zu schanza fallen die beiden Entlehnungen lautlich zusammen. - scharnier m. ‚ Scharnier, Drehgelenk ‘ . Allg., < dt./ schwdt. Scharnier. - schema m. ‚ Schema, Muster, Rahmen ‘ . Allg., < dt./ schwdt. Schema. - schiba f. ‚ Scheibe, Zielscheibe ‘ . S, suts.; surm. scheba, tscheba < schwdt. Schiibe n , E schaibgia < tir. Schaibn. - schicana f. ‚ Schikane ‘ . Allg., < dt. Schikane. - schoc m. ‚ Schock ‘ . Allg., < dt. Schock. - schuba f. ‚ Frauenrock ‘ . Nur S, < schwdt. Schube n . Cf. Schw. Id. 8: 93ss. Zum Sachlichen W ALTHER 1987: 62ss. - sminca f. ‚ Schminke ‘ . Nur S, < dt. Schminke. Nach HWR ist das Verb smincar, sesmincar ‚ (sich) schminken ‘ in ganz RB verbreitet; put. schminker, vall. schminkar wird jedoch von den Wörterbüchern nicht bestätigt. - sola f. ‚ Sohle ‘ . S und C, E soula. Die Herleitung von lat. * SOLA (für SOLEA . Cf. FEW 12: 40ss., 44) ist zwar möglich, die Einwirkung von dt. Sohle jedoch 189 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="190"?> angesichts des Bedeutungsumfangs ( ‚ Fußsohle, Schuhsohle, Unterlage von Werkzeugen und Geräten ‘ ) sehr wahrscheinlich. Cf. HWR, D ECURTINS 2001. - sosa f. ‚ Sauce ‘ . Allg., < dt. Sauce (Soße). - spass m. ‚ Spaß, Scherz ‘ . Allg., < dt. Spaß. - spieghel m. ‚ Spiegel; Brille ‘ . S und suts., hier neben spievel. Surm./ put. spievel, vall. spejel. Die Bedeutung ‚ Brille ‘ gilt nur für S und C (surm. neben spievels auch iglers, E ögliers). Die Entwicklung von lat. SPECULUM im BR ist problematisch (cf. HWR). Mindestens für spieghel, aber auch für die Endsilbe von spievel, spejel muß der Einfluß von dt./ schwdt. Spiegel angenommen werden. - spinat m. ‚ Spinat ‘ . Allg., < dt. Spinat. In C und E auch spinatsch < it. spinacio (HWR). - tanc m. ‚ Tank, Behälter, Panzerwagen ‘ . Allg., < dt. Tank. - tapeta f. ‚ Tapete ‘ . Allg., < dt. Tapete. - tatsch m. ‚ Tatsch (in Butter gebackener Teig aus Mehl, Eiern, Weinbeeren) ‘ . Allg., < bdt. Tatsch (gleiche Bedeutung). Cf. Schw. Id. 13: 2114 s. - tier m. ‚ Tier ‘ . S und C. E ‚ Kerl, Geselle ‘ (auch f. tiera). Nach HWR wäre diese Bedeutung allgemein, was jedoch von den Wbb. S und C nicht bestätigt wird. < dt./ schwdt. Tier. - tigher m. ‚ Tiger ‘ . Allg., < dt./ schwdt. Tiger. - trot m. ‚ Trott, Trab ‘ . Allg., dt. Trott. - tschuppel m. ‚ Menge, Haufen ‘ . Nur S, < bdt. Tschuppel. Cf. Schw. Id. 14: 1777, 1780. Müst. tschüppel < tir. Tschüppel ‚ kleines Büschel ‘ . Cf. HWR. - tubac m. ‚ Tabak ‘ . S, C; E tabac.< schwdt. Tabak, Tubak. - tunnel m. ‚ Tunnel ‘ . S, E; suts. tunel. < dt. Tunell (endbetont, süddt. und schweiz., gegenüber dt. Tunnel). - tusch m. ‚ Tusche, Tuschtinte ‘ . Allg., < schwdt. Tusch m. - vatta f. ‚ Watte ‘ . Allg. (suts. vata), < dt. Watte. - zinc m. ‚ Zink ‘ . Allg. < dt. Zink. - zinn m. ‚ Zinn ‘ . S, C zegn, E zin. < dt. Zinn. - zuic m. I ‚ Zwick ‘ (an der Peitsche). S, suts. zvic, < schwdt. Zwick. - zuic m. II ‚ Zwitter ‘ (bei Tieren). S (zu lautlichen Varianten cf. HWR); C (Vaz zuec), E zvic, <schwdt. Zwick. S auch Adj.: caura zuica ‚ unfruchtbare Ziege ‘ . Die Entlehnung aus dem Schweizerdeutschen ist in beiden Bedeutungen (I und II) auch in der it. Schweiz bezeugt: LSI 5: 873 belegt zvicch 1 ‚ sverzino della frusta ‘ für Vicosoprano und Poschiavo, zvicch 2 ‚ ermafrodito, sterile ‘ für zahlreiche Orte des Tessins und Italienisch Bündens. Adjektive/ Adverbien - grad, grada adj., grad adv. ‚ gerade ‘ . S, sporadisch C, < schwdt. g(e)rad, gerade. Schw. Id. 6: 497. DRG 7: 664ss. s. grad II. 190 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="191"?> - grop, groppa adj., grop adv. ‚ grob, dick, roh, unfein ‘ . S und C (hier teils auch grob, groba), E grob, groba, < dt./ schwdt. grob. DRG 7: 841ss. Auch in Südbünden belegt: LSI 2: 786 grób (SottoP., Stampa), gróbi (Poschiavo) ‚ rozzo, grossolano, zotico ‘ . - schamper, schampra adj. ‚ schäbig, erbärmlich ‘ . Nur S, < schwdt. schamper (dt. schandbar). Schw. Id. 8: 881ss. - strict, stricta adj. ‚ strikt, entschieden ‘ . Allg., < dt. strikt. 2.2.4.7 Ungeklärtes/ Unsicheres In manchen Fällen ist die germanische Herkunft eines br. Wortes mehr oder weniger wahrscheinlich, aber nicht gesichert. Das gilt in unserem Material für 22 Substantive, 6 Adjektive, 13 Verben und 2 Elativpräfixe. Es wird hier nicht zwischen älteren und neueren Entlehnungen unterschieden; die Beispiele werden in alphabetischer Reihenfolge angeführt. Substantive - barschun m. ‚ Bürste ‘ . S und vall.; suts. barschùn, sum. barschung, put. braschun. DRG 2: 217, HWR und D ECURTINS 2001 legen sich nicht fest zwischen einer (vorwiegend) lateinischen und einer germanischen Basis. Es ist die Rede von * BRUSCIA , einer Ableitung von BRUSCUS ‚ Mäusedorn ‘ und von germ. BORSTI ‚ Besen ‘ , zu dem dt. Bürste gehören soll (K LUGE 1989 hat allerdings Vorbehalte). BRUSCUS , in Glossen belegt, ist nach W ALDE -H OFMANN 1938 eine Kontamination von lat. RUSCUM und gallorom. * BRUCUS ‚ Heidekraut ‘ . DRG loc. cit. weist auf Parallelen im DL und FR hin. Die Ableitung auf -un teilt das BR mit dem Bergell und dem Chiavennasco. Cf. LSI 1: 448 s. brasciún Breg. ‚ spazzola di varie foggie e dimensioni adibita a diversi impieghi ‘ . - brescla f. ‚ feiner Neuschnee, leichter Schneefall ‘ . S, suts. HWR und D ECURTINS 2001 sind sich einig, daß brescla eine Ableitung vom Verb brisclar ‚ leicht schneien ‘ ist. Dieses gehört nach D ECURTINS 2001 zu * BRISJA ‚ frischer Nordwind ‘ (cf. dt. Brise). HWR verweist auf dieselbe Basis, allerdings mit der Warnung „ ungeklärt “ . Tatsächlich lassen auch die Artikel in DRG 2, die mit brescla verwandte Formen behandeln (eng. brüs-cha, surm. brestga, 544 s., vall. brüschla 547 ‚ leichter Schneefall ‘ , eng. brüscha ‚ Nordwind, leichter Schneefall ‘ 544), keine eindeutige Lösung erkennen. Das supponierte * BRISJA wird teils als germanisch (nordisch), teils als gallisch aufgefaßt (so H UBSCHMID 1951, VRom. 12: 112ss., DEG s. brìs-cia). K LUGE 1989 spricht in Bezug auf die Basis von dt. Brise von „ einem Wort, das in mehreren romanischen und germanischen Sprachen verbreitet, aber unklarer Herkunft ist “ . Cf. auch FEW 15: 289 s. *brisa. - culla f. ‚ Kugel ‘ . So S und E, suts. cula, surm. cula, coula, cheula. Auch in diesem Fall stehen sich verschiedene Erklärungen gegenüber; die einen sehen die Basis im germanischen, die andern im romanischen Bereich. Für die surs. Varianten hucla, rucla ist die Herkunft aus dem Schweizerdeutschen plausibel (cf. oben p. 181, 182). 191 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="192"?> Schwieriger ist der Fall von culla. DRG 4: 354 plädiert für Anbindung an dt. Kugel resp. schwdt. Chugle (Schw. Id. 3: 187). HWR hält den Fall für ungeklärt. Mhd. kûle (md. neben kugele, kugel ; cf. L EXER 1949) wäre lautlich zwar möglich, ist im alemann. Gebiet jedoch nur in der Bedeutung ‚ Kopf ‘ (verächtlich) belegt, was HWR veranlaßt, eher eine kindersprachliche Form von dt. Kugel bzw. surs. hucla in Betracht zu ziehen. D ECURTINS 2001 stellt culla ohne weiteren Kommentar zu „ spätlat. * CUCULA ‚ runder Körper ‘“ 450 und verweist auf ait. cogola. DRG 4: 354 möchte die ait. Formen cogola, cugola lieber zu dt. Kugel stellen als zu einer lat. Basis, die auf COCHLEA zurückgeht. Die Lage ist ziemlich undurchsichtig. Daß cula eine Spielform von cucla, hucla sein könnte, wie HWR suggeriert, findet eine Stütze in der surs. Doppelform mazzacula, mazzacucla ‚ Mazzaspiel ‘ (eine Art Hornussen). Cf. D ECURTINS 2001. - fletg m. ‚ Fleck, Ort, Stelle ‘ . So S. Suts. flatg ‚ Fleck, Schmutzfleck; kleines Grundstück ‘ , surm. flatg ‚ Grundstück ‘ , E flach, flech m. ‚ Fleck, Stelle ‘ , flacha f. ‚ Flecken, Makel, Klecks ‘ . Die Ausführungen im etymologischen Teil des Artikels flach in DRG 6: 378 spiegeln die Problematik dieser Wortgeschichte: Der Autor (Decurtins) nimmt an, daß veschiedene Schichten einander überlagern. Die älteste vermutet er im Typus flach, flacha, das kaum direkt an dt. Fleck, Flecken angebunden werden kann. Die Herleitung von lat. FLACCUS , die in Betracht gezogen wird, ist allerdings unwahrscheinlich, und die zitierten Referenzen auf REW, FEW und DEI stützen die Hypothese nicht. Möglich wäre nach DRG loc. cit. auch eine Umgestaltung von flech zu flach unter der Einwirkung von tach, tac. HWR bezeichnet die Herkunft von fletg als ungeklärt. Am wahrscheinlichsten erscheint ihm auch die Anbindung an dt. Flecken, schwdt. Flecke n . Den a-Laut in den Dialekten von C hält HWR für von tac vermittelt; in E bezeichnet es ihn als unklar. Es könnte sich auch um eine Hyperkorrektion handeln (cf. oben p. 178). Die häufige adverbiale Verbindung S sil fletg, E sül flach, sül flech ‚ sogleich, auf der Stelle ‘ ist mit Sicherheit von dt. auf der Stelle beeinflußt. - fliua f. ‚ Pflug ‘ . S PESCHA 1996 verzeichnet nur fliua da neiv ‚ Schneepflug ‘ . Dieser Neologismus des Surselvischen (suts. fliàn m.) beruht auf fliua ‚ Nachpflug ‘ , einem etymologisch äußerst problematischen Lexem. DRG 6: 399s. s. fliana (so vall.) diskutiert ausführlich die unterschiedlichen Erklärungshypothesen. Am wahrscheinlichsten ist die Herkuft von einer germanischen Basis, die mit dt. Pflug verwandt ist. Ein got. Ansatz * FLUGA (zu vorrom. * PLOG -) wird auch von HWR und D ECURTINS 2001, die fliua als unerklärt bezeichnen, angenommen. Vorausgesetzt, diese Hypothese stimmt, handelt es sich um einen sehr alten Germanismus, der mit Sicherheit nicht mehr als Entlehnung wahrgenommen wird. 450 Belegt ist eine entsprechende Form nicht. Das rechtfertigt den Asterisk, macht jedoch die Zuweisung zum Spätlatein fragwürdig. 192 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="193"?> - gomia f. ‚ Spott, Spöttelei ‘ . So S. Oft pl. Suts. gomgias, surm. giomas, E giamgias, giomgias. Die von den etymologischen Wörterbüchern vertretene Anbindung an ahd. GÁMAN ‚ Freude, Fröhlichkeit, Lust, Spaß, Spiel ‘ (DRG 7: 156 s. giamgia, HWR und D ECURTINS 2001 s. gomia) muß mindestens mit einem Fragezeichen versehen werden. DRG loc.cit. bemerkt: „ Der Bedeutungswandel von ‚ Lust, Spaß ‘ zu ‚ Spott, Hohn ‘ bedarf keiner näheren Erklärung “ . Ein solcher Wandel ist zwar nachvollziehbar (cf. lat. ludus und ludibrium), aber auffälligerweise in den angeführten schwdt. Parallelen (Gammel, Schw. Id. 2: 298) nicht belegt. Umgekehrt fehlt im BR die positive Bedeutung ( ‚ Lust, Freude . . . ‘ ) völlig. Das letzte Wort zur Geschichte von gomia etc. dürfte noch nicht gesprochen sein. - gretta f. ‚ Zorn, Wut ‘ . So S und surm., suts. greta, E gritta. In E ist das im Altengadinischen gut bezeugte Substantiv heute selten; dagegen ist das Adj. grit, gritta ‚ zornig, schlecht gelaunt ‘ hier vital, während es im Surselvischen als veraltet gilt. Die faktitive Verbalableitung E grittantar, S grittentar ‚ ärgern, erzürnen ‘ ist dagegen allg. vital. Als etymologische Basis für gretta, gritta wird allgemein got. * GRIMMITHA (cf. dt. Grimm) angenommen. Allerdings lassen die lautlichen Verhältnisse diese Erklärung für DRG 7: 838 und HWR (s. grit) als problematisch erscheinen. Zu erwarten wäre ein Resultat mit -nd- (cf. etwa AMITA > onda). D ECURTINS 2001 geht von einem Ansatz GRITT für GRINT - (zu got. * GRIMMITHA ) aus und verweist auf it. grinta ‚ finsteres Gesicht, Fratze ‘ . Semantisch ist ein Zusammenhang mit diesem Worttypus, der auf got. * GRIMMITHA zurückgeführt wird (cf. DRG loc. cit. Ebenso DEI s. grinta), durchaus naheliegend, dies umso mehr, als in alpinlomb. Dialekten grinta außer in der im Italienischen geläufigen Bedeutung auch in Bedeutungen bezeugt ist, die derjenigen von br. gretta nahekommen: ‚ rabbia, collera ‘ in Peccia und Landarenca, ‚ ardire, coraggio ‘ in Iragna, ‚ vanità, superbia ‘ im Verzascatal (LSI 2: 783). Zu erklären bleibt der Schwund des Nasals. - liufa f. ‚ Mutterschwein, Sau ‘ . So für S S PESCHA 1994; bei D ECURTINS 2001 auch ‚ liederliche Frau ‘ . Suts. (Domleschg) leufa ‚ Mutterschwein ‘ . Die etymologische Erklärung ist höchst problematisch. Keine der vorgeschlagenen Deutungen überzeugt wirklich. Alle Wörterbücher schicken ihrer Stellungnahme die Feststellung voraus, daß die Etymologie ungeklärt ist. In ihren Präferenzen der verschiedenen vorgeschlagenen Deutungen gehen sie jedoch auseinander. HWR verwirft den Ansatz von H UONDER 1900: 120 N, wonach sich eine Fortsetzung von lat. LUPA in der Bedeutung ‚ Hure ‘ , wie sie in romanischen Sprachen mehrfach belegt ist (FEW 5: 459ss.), mit dem Schimpfwort liofa (cf. DRG 7: 467 s. gliufa ‚ Luder, Faulenzer ‘ ) gekreuzt hätte, aus lautlichen Gründen. Als möglich wird dagegen ein Einfluß von dt. läufig ‚ brünstig ‘ angenommen. HWR verweist auf Schw. Id. 3: 1147 s., wo entsprechende Anwendungen des Adjektivs und des Substantifs Läuferi n auf Frauen, die den Männern nachlaufen, nachgewiesen sind. In denselben Zusammenhang wird surs. liufer ‚ Schweinehund ‘ gestellt. 193 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="194"?> D ECURTINS 2001 hält nichts von dieser Hypothese. Er zieht einen onomat. Ansatz LOFFIA vor und verweist auf it. loffa, loffia ‚ Wind, Furz ‘ , kat. lluffa ‚ Hure ‘ . DRG 11: 337s. schließt sich der Interpretation von HWR an. Für surs. liufer ‚ schmutziger, nichtsnutziger Kerl ‘ wird direkte Herkunft von schwdt. Läufer ‚ vierteljähriges Ferkel, junges Schwein ‘ (Schw. Id. 3: 1145) postuliert. D ECURTINS 2001 erklärt liufer dagegen als sekundäre Ableitung von liufa. All das ist ziemlich verwirrend und wenig überzeugend. Gegen die Hypothese einer Entlehnung aus dem Deutschen spricht Verschiedenes. Einmal ist es rein formal kaum einzusehen, wie ein deutsches Adjektiv läufig zum romanischen Substantiv liufa führen könnte; noch abwegiger ist Läuferi n . Ferner wäre es seltsam, wenn eine primär auf Menschen bezogene Bezeichnung (hier ‚ Hure ‘ ) sekundär auf das Tier übertragen würde 451 . Verbreitet ist das Umgekehrte der Fall: Bezeichnungen für Tiere (Sau, Kuh, Wölfin), die als schmutzig oder lüstern gelten, werden figurativ auf die lasterhafte Frau angewendet. Die Karte „ la puttana “ des AIS (4: 721) illustriert diese Tatsache eindrücklich. Dabei kommt der Sau (in den Typen troia, scrofa, porca neben anderen) eine Hauptrolle zu (auch vacca ist gut vertreten). Auch im BR bestätigt allg. verbreitetes hutscha ‚ Mutterschwein, Sau; Hure ‘ (DRG 8: 128 s.) diese Regel 452 . Ob der Entscheid, gliufa f. ‚ liederliche Person, Schmutzfink ‘ in einem eigenen Artikel zu behandeln (DRG 7: 467), berechtigt war, erscheint fraglich. Die Zusammengehörigkeit mit liufa liegt auf der Hand und wird loc. cit. auch postuliert. In DRG 11: 338 s. liufa dagegen vermißt man einen Hinweis auf gliufa. In semantischer Hinsicht fällt die Übereinstimmung von liufa ‚ Mutterschwein ‘ und ‚ Hure ‘ mit oit. lögia, logia auf (LSI 3: 182; AIS 4: 721; 6: 1090). D ECURTINS 2001 s. liufa hält eine Verbindung damit aus lautlichen Gründen für unwahrscheinlich 453 . - meffa f. ‚ Schimmel, Pilzbelag ‘ . S, surm.; suts. mefa; E müffa. HWR bezeichnet die Herkunft als ungeklärt. Für möglich hält es die Anknüpfung an spätmhd. müffeln ‚ nach Schimmel riechen ‘ , während germ. MUFF ‚ Schimmel ‘ aus lautlichen Gründen ausgeschlossen wird. D ECURTINS 2001 gibt ahd. MUFF als Basis an und verweist auf eng. und oit. müf ‚ schimmlig ‘ sowie auf schwdt. müffele n , muffele n (Schw. Id. 4: 95). FEW 16: 572 weist auf die weite Verbreitung des Stammes MUFF mit der 451 Daß dies bei der Hypothese, die auf dt. läufig setzt, der Fall wäre, sagt ausdrücklich HWR. 452 AIS 4: 721 nur für Lantsch belegt. 453 Auch die Etymologie von oit. lögia ist umstritten. DEG s. lögia ‚ mucca vecchia, persona anziana, astuta e smaliziata; sgualdrina ‘ gibt neben anderen Erklärungsversuchen dem Vorschlag von H UBSCHMID 1958: 406 den Vorzug. Danach wäre oit. lögia das Resultat einer jüngeren Entwicklung von schwdt. lobe (< voralem. * LOBA ), Lockruf für Kühe. Beispiele für die Anwendung auf das Schwein sind serbokroat. laba, gallur., kors. lovia. Einen anderen Ansatz vertritt P ROSDOCIMI 1991: 530 - 32. Er postuliert „ latino sommerso “ * LUPIA (zu LUPA ). Damit wäre der Ansatz von H UONDER 1900: 120 für die Erklärung von liufa wieder in der Diskussion. 194 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="195"?> Bedeutung ‚ Schimmel ‘ in romanischen und germanischen Sprachen hin. Zu den Reflexen in der italienischen Schweiz cf. LSI 3: 521. - quex in der Verbindung in quex ‚ nichts, keine Spur ‘ . S und C. Nach HWR ungeklärt. Die Verbindung mit schwdt. Gägg ‚ etwas Nichtiges ‘ (Schw. Id. 2: 161) und wals. ggätz (in der Wendung das geit dich ä ggätz a ‚ das geht dich gar nichts an ‘ ; L OREZ 1943: 82) wird aus lautlichen Gründen (wegen qu-) abgelehnt. D ECURTINS 2001 dagegegen hält diesen Zusammenhang für offensichtlich. Er verweist zudem auf die Wendung ni chix ni cax ‚ rein gar nichts ‘ . Daß diese schwdt. weder Gix no Gax (Schw. Id. 2: 567) nachgebildet ist, nimmt auch DRG 3: 594 (s. chix) und 4: 49 (s. gax) an. Was die Lautsequenz qu- (kw) betrifft, sei daran erinnert, daß diese häufig in lautmalerischen Bildungen auftritt und deshalb nicht unbedingt an einer bestimmten etymologischen Basis festgemacht werden muß (cf. quac ‚ Rabe ‘ , quacra ‚ Wachtel ‘ , dt. quaken, quiecken etc.). - rubaglia f. ‚ Runzel, Falte ‘ . S und surm.; suts. rabaglia. Nach HWR zu germ. * RUP - ‚ rauh ‘ + - ACULA (resp. - ICULA für rabeglia in Trin, Maton und Vaz). Anders D ECURTINS 2001, der rubaglia an lat. RUGA ‚ Runzel, Falte ‘ anknüpfen möchte, was lautlich schwierig erscheint und auch angesichts von eng. (auch suts.) rapla ‚ Runzel, raplar ‚ runzeln ‘ 454 wenig überzeugt. - rumien m., pl. rumians ‚ Kehricht, Abfall ‘ . So S; suts. rumient, rimient, surm. rusment, E rument. Die von HWR und D ECURTINS 2001 vorgeschlagene Etymologie zu lat. RAMENTUM ‚ Abfall, Splitter ‘ (zu RADERE ) ist nicht anzuzweifeln. Cf. auch FEW 10: 38. Wenn rumien, rument hier erwähnt wird, so deshalb, weil sich die Frage stellt, ob nicht mindestens sekundär, im Bewusstsein des Sprechers, sich eine Verbindung mit dem Verb rumir ‚ räumen, beseitigen ‘ eingestellt hat, das auf schwdt. ruume n zurückgeht (cf. oben p. 87s., 165). - sbrenzla f. ‚ Funke, Feuerfunke ‘ s. unten (p. 200) zu sbrinzlar. - scantschala f. ‚ Kanzel ‘ . S; suts. scantscheala, tgànzla, cànzla, surm. canzla, E chanzla. Nach HWR ungeklärt; lat. * CANCELLA 455 (zu CANCELLUS , häufiger pl. CANCELLI ) wird jedoch in Betracht gezogen. Davon geht auch D ECURTINS 2001 aus, „ vielleicht mit Einwirkung von dt. Kanzel “ . Zum Anlaut (s-, Lautwert ʃ ), der nach HWR nicht geklärt ist, verweist Decurtins auf venez. scancello ‚ scrigno ‘ . Cf. auch it. scancellare neben cancellare, nach DEI „ forma intensiva “ . C canzla, E chanzla beruht auf dt. Kanzel resp. schwdt. Chanzle (DRG 3: 312 s.). - scarnuz m. ‚ Papiertüte ‘ . S, suts.; surm. scarnoz; E s-charnütsch, s-charnüz. Nach HWR Lehnwort von tir. Skarnuz, Skarnizel, Starnizel. D ECURTINS 2001 hält dagegen eine Ableitung von lat. CORNU ‚ Horn ‘ mit - OTTIU und intensiv sfür 454 Nach HWR zu oit. rappa. Laut DEI bedeutet ait. rappa (von oit. rapa) ‚ grinza, falda ‘ , ferner als t. t. der Veterinärmedizin ‚ sorta di malattia dei cavalli nei piedi, creppaccio ‘ , was zu got. RAPPA ‚ rogna ‘ gestellt wird. Cf. auch FEW 16: 667 s. rappe (mhd.). 455 Cancella f. ist lat. bezeugt. Cf. B LAISE 1954 s. v. Cf. oben p. 80. 195 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="196"?> „ lautlich und sachlich möglich “ . Schgarnutz ist auch bdt. (Schw. Id. 8: 1302) und dolomitenladinisch (grödn. scarnuz, gad. scarnüz). Es fragt sich, ob nicht auch den tirolischen und bündnerdeutschen Formen eine ursprünglich romanische Basis zugrundeliegt. Diese Meinung vertritt auch Johannes Kramer (EWD 2: 106 s.), der scarnüz als „ zweifellos “ zu lat. CARNARIUM ‚ kleine Tasche ‘ gehörig betrachtet. Mlat. belegt ist carnarium ‚ Jagdtasche ‘ (N IERMEYER s. v.), das auch ins Germanische übernommen wurde (mhd. karnier, kernier. L EXER s. v.). - scussal m. ‚ Schürze ‘ . Allg., put. squassel. Nach HWR < ahd. SCOSS ( O ) ‚ Schoß ‘ mit - ALEM , nach D ECURTINS 2001 über oit. scussal (gleichen Ursprungs). Nach AIS 8: 1573 „ il grembiule “ schließt sich RB einer oit. Zone an, in der der Typus scussal herrscht (Piem., Lomb., Ligur.). Cf. auch LSI 4: 767 s. s. scossaa. W ALTHER 1987: 195s. - sgrezi m. ‚ Sehnenscheidenentzündung ‘ s. unten sgriziar (p. 201). - sguezia, sguozia f. ‚ Kitzel ‘ . S; suts. sguztga, sguzia, surm. sgoztga, E sguozchas f. pl. 456 Die Herkunft ist laut den etymologischen Wörterbüchern ungeklärt. Nach HWR vielleicht zu schwdt. chüzle n < ahd. chutzilon, chitzilon ‚ kitzeln ‘ (Schw. Id. 3: 606). D ECURTINS 2001 setzt eine Basis * CUTTIA , * CUTTICIARE an, zu der intens. sgetreten wäre. Beide Wörterbücher verweisen auf Parallelen im Friaulischen. P IRONA 1972 verzeichnet ghìti, cùzzi m. ‚ solletico ‘ , ghitïâ, cuzzïâ ‚ solleticare ‘ . Cf. auch breg. ghézga, ghizga ‚ sollecito, prurito ‘ (LSI 2: 671). AIS 4: 682 „ solleticare “ . Bestimmt ist der Ausgangspunkt all dieser Formen lautsymbolisch, wie das K LUGE 1989 für dt. kitzeln annimmt. - tastga f. ‚ Tasche ‘ . S und C; E tas-cha. Nach HWR und D ECURTINS 2001 ist die Etymologie klar: germ. * TASKA ‚ Tasche ‘ . Beide verweisen auch auf it. tasca. Somit würde das Wort zu den alten Germanismen gehören (oben 2.2.4.3). Sowohl FEW 17: 322 s. *taska als auch K LUGE 1989 s. Tasche betonen jedoch, daß die Entlehnungsrichtung (vom Germanischen zum Romanischen oder umgekehrt? ) nicht geklärt ist. Es ist deshalb nicht zu entscheiden, ob es sich bei tastga um einen alten Germanismus oder um einen Italianismus handelt. - tgaper m. ‚ Krähe, Rabenkrähe ‘ . Nur S. Ungeklärt. HWR zieht Herkunft von schwdt. -Chäpper in Betracht ( „ in Verbindung mit Donners-, Hell-, Siibe n auf Tiere und leblose Sachen angewendet “ , Schw. Id. 3: 403), was semantisch nicht einleuchtet. D ECURTINS 2001 denkt an eine Kreuzung von ahd. * KRAPPA , schwdt. Krapp, Rapp ‚ Rabe, Krähe ‘ mit schwdt. Ggaagger ‚ Krähe ‘ . - uldauna f. ‚ Waldfee ‘ . Nur S. Fehlt in HWR. D ECURTINS 2001 plädiert für Anknüpfung an dt. Holda, Hulde ‚ die Holde ‘ mit dem Suffix -auna < - ANA . Zu den dämonischen Holden (verwandt mit Frau Holle) und Unholden cf. HWDA 6: 1485 s. im Artikel Perhta (6: 1478 - 92). 456 HWR gibt als Lemma sguezi m. und bezeichnet sguezia als Kollektiv. Unter seinen phonetischen Beispielen kommt jedoch sguezi nicht vor. 196 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="197"?> - veschla f. ‚ Küchlein, Gebäck ‘ . S, suts.; put. vascla, vall. vaischla. Die Vorschläge der Wörterbücher, die die Herkunft des Wortes als ungeklärt bezeichnen, überzeugen kaum. HWR möchte im Anschluß an Spitzer (R 64: 397 s.) von einer Ableitung von lat. VISCUM ‚ Mistel ‘ , * VISCULA ausgehen, da der spiralförmig in die Pfanne eingegossene Teig der Küchlein die Form eines Wurmes annehme. Venez. véscola, neap. iskula ‚ Wurm ‘ (REW 9376) sollen diese Deutung stützen. D ECURTINS 2001 möchte an germ. WASTIL ‚ Kuchen ‘ , dazu * WASTILA , anknüpfen, was von FEW 17: 548 abgelehnt wird. Adjektive - brausel, f. brausla ‚ schwach, gedämpft (Licht), leise, heiser (Stimme) ‘ . S neben braus, f. brausa gleicher Bedeutung. Für die Sutselva nennt M ANI 1977 ein Adverb bros ‚ schwach, leise, heiser ‘ ; far bros ‚ tun, als ob man am Sterben wäre ‘ . Bei E ICHENHOFER 2002 fehlt ein entsprechender Eintrag, woraus wohl hervorgeht, daß der Gebrauch in diesem Gebiet erloschen ist. Schon DRG 2: 484 s. braus nennt für C nur C 88 (Sched) bros, brosa und C 92 (Domat) braus. Put. bros, vall. braus 457 . Seit DRG loc. cit. wird ein Zusammenhang mit einem germanischen Stamm * BRAUS ( K ), * BRUS ( K ) angenommen, der in zahlreichen dt. Dialekten Reflexe mit der Bedeutung ‚ mürbe, morsch, brüchig ‘ aufweist, so u. a. schwdt. brüüsch (Schw. Id. 5: 830). Surs. brausel (neben braus) dürfte unter dem Einfluß des bedeutungsverwandten fleivel entstanden sein. - emperneivel, f. emperneivla ‚ angenehm ‘ . S; C amparnenevel, amparnevla. Die etymologischen Wörterbücher stellen zwei Erklärungsansätze zur Diskussion: 1. Abl. von emprender ‚ lernen ‘ , 2. Lehnübersetzung von dt. angenehm. Für die 1. Hypothese plädieren DRG 5: 593 s. emperneivel und D ECURTINS 2001, für die 2. HWR. Der Anschluß an emprender wird DRG loc. cit. aufgrund von zwei Belegen aus der Frühzeit der Schriftsprachen postuliert: asurs. emprendeivel ‚ gelehrig ‘ in der Consolaziun dell ’ olma devoziusa (2: 139 Str. 5. 1. Ausg. 1690) und aeng. imprendaiwel ‚ lernfähig, lerneifrig ‘ bei Chiampel (Intraguidamaint 3, 1562). Als Bedeutungsentwicklung wird ‚ lerneifrig - aufgeschlossen - liebwert, angenehm ‘ vorgeschlagen. HWR hält diese Entwicklung für problematisch und gibt der schon von Ascoli (A SCOLI 1880 - 83: 558) vorgeschlagenen Deutung, wonach emperneivel eine Lehnübersetzung von dt. angenehm wäre, den Vorzug. Die angeführten Parallelen aus dem Schweizerdeutschen überzeugen allerdings auch nicht, und als Lehnübersetzung im eigentlichen Sinn kann emperneivel wohl nicht bezeichnet werden, auch wenn dt. angenehm dabei eine Rolle gespielt haben sollte. 457 Als f. gibt P EER 1962 brausla, brosla, was angesichts der Beispiele aus E in DRG 2: 484 erstaunt (plantas brasas, roba braussa, tuoss brossa). 197 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="198"?> In der Consolaziun finden sich neben dem zitierten Beispiel, wo emperneivel ‚ gelehrig ‘ bedeutet 458 , zwei weitere Belege, wo sich das Adjektiv auf ein Opfer bezieht, das der Gottheit angenehm, willkommen ist 459 . Es scheint mir nicht notwendig, die eine Bedeutung von der andern herzuleiten; vielmehr handelt es sich um zwei Ableitungen von imprender/ emprender, in denen das Suffix unterschiedliche Bedeutungen hat: im Fall von ‚ gelehrig ‘ eine aktive, in dem von ‚ angenehm ‘ eine passive 460 . - lonzi, f. lonzia ‚ weich, biegsam, geschmeidig ‘ . Nur S 461 . Für HWR und D ECURTINS 2001 ist die Herkunft des Adjektivs ungeklärt. Beide weisen auf einen möglichen Zusammenhang mit it. lonzo ‚ floscio, languido, molle, pigro ‘ hin, das nach DEI zu langob. * LUNZ ‚ pigro ‘ gehören könnte. Sie verweisen auch auf schwdt. luenze n ‚ faul herumhängen ‘ . HWR gibt zu bedenken, daß letzteres nach Schw. Id. 3: 1347 s. im Bündnerdeutschen nicht bezeugt ist. DRG 11: 36 hält eine Herkunft von it. lonzo für wahrscheinlich. Sehr überzeugend wirken diese Vorschläge nicht, auch weil die it. und germanischen Parallelen durchweg eine pejorative Bedeutung haben, was für lonzi nicht gilt. Seltsamerweise wird ein Zusammenhang mit dem lautlich und inhaltlich naheliegenden Adjektiv lom ‚ weich ‘ 462 nirgends in Erwägung gezogen. Allerdings wäre bei diesem Ansatz die Endung -zi (< - TIUS ? ) erklärungsbedürftig 463 . - rubiesti, f. rubiestia ‚ derb, roh, ungehobelt ‘ . S; nach HWR auch surm. rubiest (nicht in den Wörterbüchern). HWR schlägt ohne Einschränkung eine Ableitung von germ. RAUB - (zu RAUBÔN ‚ stehlen ‘ ) vor. D ECURTINS 2001 stellt das Adj. zu it. rubesto (dieses nach DEI zu lat. ROBUSTUS ) und verweist auf tess. rubèstigh ‚ burbero, arrogante ‘ . Die germanische Hypothese mit Hinweis auf Lüdtke wird ohne Kommentar über Präferenzen danebengestellt. L ÜDTKE 1963 (Festschr. A. K UHN , ed. P LANGG / T IEFENTHALER , Innsbruck, p. 179 - 83) verwirft den Vorschlag von Alessio (RLiR 17 [1952]: 199 s.), wonach rubiesti und oit. Parallelen durch eine Kreuzung von ROBUSTUS mit DOMESTICUS zu erklären wären. Er stößt sich an der Erhaltung von - B -, bleibt jedoch eine semantische Begründung seiner germanischen These schuldig. Eine nicht volkstümliche Entwicklung von - B wie in it. robusto neben lautgerechten Resultaten wie atrev. regosto, friul. revost (DEI s. robusto) ist m. E. kein Anlaß, rubiesti von ROBUSTUS zu trennen. 458 En schola ha el adina/ Giu emperneivel tgiau,/ Che giud sia doctrina/ Tuts han se smervegliau „ In der Schule hatte er immer einen gelehrigen Kopf, so dass alle sich über seine Gelehrsamkeit wunderten “ . 459 2: 14 Str. 3; 2: 242 Str. 4. 460 Zu aktiver und passiver Bedeutung von ital -evole cf. T EKAV Č I Ć 1980/ III: 81 § 1045.3 461 DRG 11: 435 verzeichnet außerhalb der Surselva einzig lönzi, lönzia für Dalin am Heinzenberg (C 74), wo das Romanische inzwischen ausgestorben ist. 462 Auch die Etymologie von lom (E lam) ist weniger evident, als die Wörterbücher glauben machen. Cf. oben p. 141s. 463 Der Übergang von m zu n wäre als Assimilation an das folgende dentale ts leicht verständlich. 198 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="199"?> Laut LSI 4: 450 ist rübèstigh ‚ burbero, scontroso, sgarbato; rozzo, grossolano ‘ im Tessin vielfach bezeugt. - sgarscheivel, f. sgarscheivla ‚ schrecklich, furchtbar ‘ . S; C sgarschevel, E sgrischaivel. Sowohl HWR als auch D ECURTINS 2001 gehen von einer Ableitung von germ. GRISI ‚ grau ‘ mit dem Suffix -eivel und Intensivpräfix saus. Semantisch ist diese Herleitung schwach abgesichert. HWR bringt deshalb ahd. GRU ( WI ) SON , mhd. GRUSEN , GRIUSEN ‚ Schrecken empfinden ‘ in die Diskussion, verwirft jedoch eine direkte Herkunft davon aus lautlichen Gründen. Neben dem Adjektiv sgarscheivel steht das Substantiv S sgarschur, E sgrischur. Intervok. -sch-ist hier wie beim Adj. stimmhaft. Für Samn. ʃ kri' ʃ ur nimmt HWR Desonorisierung unter tirolischem Einfluß an. Wie erklärt sich aber surs. scarschenteivel, scarschentiu, scarschentus ‚ schrecklich ‘ , wo ebenfalls Desonorisierung vorliegt (cf. D ECURTINS 2001)? - step, f. steppa ‚ schwül, stickig ‘ . S, surm. stip. HWR plädiert nach Ausschluß verschiedener anderer Hypothesen für einen Zusammenhang mit schwdt. tüppig (Schw. Id. 13: 946). D ECURTINS 2001 hält diese Erklärung neben einem vorröm. Ansatz * TUPP - ‚ dunkel ‘ (was semantisch nicht überzeugt) für möglich. Verben - engartar ‚ erblicken; ertappen ‘ . S; die Aussage von DRG 5: 619, wonach das Verb auch für die Sutselva „ hinlänglich bezeugt “ sei, wird weder durch den Artikel selbst noch durch die suts. Wbb. gestützt. DRG loc. cit., HWR und D ECURTINS 2001 halten eine Herleitung von dt. ergattern wenn auch nicht für unproblematisch, so doch für möglich. Der Vorschlag von G ENELIN 1900, an mhd. ane-geraten anzuknüpfen, wird mit der Begründung zurückgewiesen, eine Mehrfachentlehnung von geraten (gartegiar neben engartar) sei unwahrscheinlich. Angesichts der häufigen Mehrfachentlehnungen germanischen Wortguts im BR überzeugt diese Argumentation nicht. - mislar ‚ geißeln, peitschen ‘ . S und suts. Die Herkunft des Verbs gilt beiden etymlogischen Wörterbüchern als ungeklärt. Während es D ECURTINS 2001 dabei beläßt, zieht HWR eine Entlehnung aus dem Schweizerdeutschen in Betracht: bdt. müschele n ‚ zersägen, spalten; fig. aufreiben, zugrunde richten ‘ , Kt. Glarus uufmüsele n ‚ durchprügeln ‘ (Schw. Id. 4: 487). Für die Lautung -slwird eine Einwirkung von synon. gheslegiar angenommen. - runar ‚ schleppen, schleifen ‘ . S und C (E: struozchar, struzcher). Eines von vielen Beispielen für einen unterschiedlichen Umgang der Wörterbücher mit problematischen Etymologien. HWR erklärt die Herkunft des Verbs für ungeklärt. Ein Zusammenhang mit mhd. runen, rünen ‚ wälzen ‘ und schwdt. rune n ‚ Holz schleifen ‘ , für den Kanton Glarus bezeugt (Schw. Id. 6: 1015), wird in Betracht gezogen. D ECURTINS 2001 geht ohne Vorbehalt von einem vorromanischen Ansatz * RUNARE ‚ schleppen ‘ aus. Er verweist auch auf Glarus rune n , das er wohl auch dieser 199 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="200"?> Basis zuordnet, was allerdings nicht explizit gesagt wird. Als Deverbale von runar betrachtet er runa f. ‚ großer Heu-, Getreidehaufen ‘ . HWR dagegen gibt für runa eine Basis * RUNA an, ohne sich über deren Zugehörigkeit (vorromanisch, germanisch? ) zu äußern. Über den Zusammenhang von runa mit runar erfährt man nichts. Angesichts der Verbreitung des Worttypus auch im Alpinlombardischen (cf. LSI 4: 423 róna, runa ‚ mucchio di fieno ‘ und weitere Bedeutungen, 4: 464 runá ‚ radunare il fieno in strisce ‘ in Brusio, runé ‚ ammucchiare il fieno ‘ in Castasegna) ist es wahrscheinlich, daß die Beispiele aus Glarus einen Ausläufer des bündnerromanisch-alpinlombardischen Typs darstellen. RN 2: 292 verzeichnet Runa und die Ableitung Runal als Toponyme für S und C. - sbrinzlar, 3. sbrenzla ‚ funkeln, glitzern ‘ . S und suts.; surm. sbrinslar, 3. sbrensla (Vaz auch sbrinzlar). E sbrinzlar, -er ‚ sprühen, Funken sprühen ‘ , daneben die Ableitung sbrinzlajar, -ager ‚ funkeln ‘ . HWR erklärt sbrinzlar als Ableitung von sbrenzla f. ‚ Funke ‘ . Dieses, „ ungeklärt “ , wird an eine Kreuzung verschiedener schwdt. Verben angeknüpft: bränzele n , bransele n ‚ brandig riechen ‘ (Schw. Id. 5: 767; 739) mit bdt. gut belegtem brinne n ‚ brennen ‘ (Schw. Id. 5: 637 s.). Warum da das Substantiv der Ausgangspunkt sein soll, ist nicht einsichtig. D ECURTINS 2001 stellt sowohl sbrenzla/ brenzla als auch sbrinzlar zu einem germ. Ansatz * BRENTS -, BRINTS -, der nicht weiter erläutert wird. Eine überzeugende Erklärung steht somit noch aus. - scaffergnar ‚ schnüffeln ‘ . Nur S. Die etymologischen Erklärungen der Wörterbücher (HWR, D ECURTINS 2001) sind widersprüchlich und wenig überzeugend. L IVER 2004: 50ss. versucht, die verschiedenen Interpretationen gegeneinander abzuwägen und eine eigene Hypothese vorzuschlagen. Sowohl bei der Anknüpfung an scaffa ‚ Schrank ‘ (HWR) als auch derjenigen an schwdt. gaffe n (D ECURTINS 2001 s. caffergnar, abweichend von der Erklärung von scaffergnar) ist Skepsis angebracht. Ein Zusammenhang von scaffergnar ‚ durchwühlen ‘ mit gleichbedeutend caffergnar und fuffergnar scheint dagegen naheliegend. Lat. CAVARE und onomatopoetische Basen dürften hier zusammengewirkt haben 464 . - schabegiar ‚ geschehen ‘ . S; suts. schabigear. Dazu das Deverbale schabetg m. ‚ Geschehen, Zufall ‘ (S und C). Nach HWR ungeklärt. Wahrscheinlich ist für HWR und D ECURTINS 2001 ein Zusammenhang mit dt. geschehen resp. schwdt. gschee mit dem Suffix -egiar < IDIARE . Lautlich schwierig bleibt die Erklärung von -b-. - scultrir ‚ kämmen ‘ . S und suts. HWR gibt auch ein Beispiel aus dem Surmeir (Brinz. scultroir). HWR und D ECURTINS 2001 bezeichnen die Herkunft des Verbs 464 L IVER 2004: 52 plädiert für eine Trennung von scaffergnar ‚ durchwühlen ‘ von scaffergnar (auch: scafferlar) ‚ ausplaudern ‘ . 200 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="201"?> als unerklärt. Beide ziehen jedoch einen Zusammenhang mit aschwdt. chlot ‚ Knollen von Kot an Tieren in unreinlichen Ställen ‘ (Schw. Id. 3: 702) in Erwägung. Diese Hypothese wirkt ziemlich abenteuerlich. Eine lateinische Basis CULTUS ‚ geschmückt ‘ dürfte eher naheliegen. H UONDER 1900: 16 hatte eine Herkunft von * SCALPTURIRE (zu belegtem scalpturo, scalpturare, scalpturire) postuliert. Der Asterisk ist überflüssig, und semantisch ist scalpturire ‚ kratzen ‘ auch nicht überzeugend. - sesnuir ‚ schaudern ‘ . S; suts. saschnuir, surm. sa snueir, E as schnuir, s ’ inschnuir. D ECURTINS 2001 geht von germ. * SNAUWJAN ‚ schnauben ‘ aus; diese Erklärung wird von DRG 9: 320 s. inschnuir übernommen(< mhd. snâwen). HWR s. sesnuir dagegen lehnt sie aus semantischen Gründen ab und bleibt bei „ ungeklärt “ . Tatsächlich ist eine entsprechende Bedeutungsentwicklung schwer zu begründen, es sei denn, man gehe von der nur schwach bezeugten Verwendung ‚ scheuen, erschrecken ‘ (vom Pferd) aus (DRG 9: 3219). Zum gleichen Stamm gehören verschiedene Ableitungen: snavur f. ‚ Schrecken, Schauder ‘ (S; suts. schnavur, surm. snavour), snuezi ‚ Schrecken, Grauen ‘ (S und surm., suts. schnuezi, E schnuizi), snueivel, -eivla adj. ‚ schrecklich, entsetzlich ‘ (S; suts. schnuevel, surm. snuevel, E schnuaivel). - sgriziar, sgriztgar ‚ knirschen ‘ . S; suts. sgriztgear, surm. sgriztgier, E sgrizchir. D ECURTINS 2001 geht von einem onomatopoet. Ansatz * KRITT -, * GRITT aus. HWR äußert Bedenken zu einem Anschluß an fränk. * KRÎSAN (davon nach FEW 16: 932 fr. grincer) wegen -ts-, hält aber letztlich einen Anschluß an eine Variante * KRITI -, * GRITI -, mit Ableitung auf - ICARE und Präfix EX für möglich. Ein Einfluß von schwdt. gritze n , gritzge n ‚ knirschen ‘ (Schw. Id. 2: 836 s.) wird als unwahrscheinlich angesehen. - snarrir ‚ (vor Angst) vergehen ‘ . Sowohl HWR als auch D ECURTINS 2001 halten die Herkunft für ungeklärt. Beide Wörterbücher führen zusätzlich die Bedeutungen ‚ sich wälzen (vor Lachen) ‘ und ‚ zusammenschrumpfen ‘ (Obst) an. HWR verweist auf schwdt. schnarre n ‚ schnuppernd nagen, vom Rindvieh auf einer Weide ‘ (Schw. Id. 7: 1271), was nicht einleuchtet, D ECURTINS 2001 denkt an einen onomat. Ansatz ʃ narrin Anlehnung an sesnuir ‚ schaudern ‘ . Beides überzeugt nicht. Vielleicht müßte snarrir ‚ vor Angst vergehen, sich wälzen vor Lachen ‘ von snarrir ‚ zusammenschrumpfen (Obst) ‘ getrennt werden. Das erste könnte an dt. Narr angeschlossen werden (cf. narregiar), das zweite an schwdt. schnure ‚ schrumpfen ‘ (cf. G ALLMANN 2009: 401. Schw. Id. 9: 1288 s. schnurre n III). - squitschar ‚ drücken, quetschen; bedrücken; drucken ‘ . S und vall.; suts. squitschear, surm. s-chitschier, put. squitscher. Ein problematischer Fall. D ECURTINS 2001 hält eine alte Ableitung von dt. quetschen für möglich. Angesichts der geläufigen Synonymität von quetschen und pressen und der von pressen resp. PRESSARE abgeleiteten Ausdrücke für Druckerzeugnisse (fr. presse, dt. Presse) hat diese Interpretation in semantischer Hinsicht viel für sich. HWR meldet Bedenken an, da quetschen nicht süddeutsch ist und auch im Schweizerdeutschen schwach 201 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="202"?> belegt ist. Die dort vorgeschlagenen lateinischen Basen (* COACTIARE , * COICTIARE ) überzeugen dagegen semantisch nicht. - trubistgar ‚ durcheinanderbringen, verwirren ‘ . Nur S. Für HWR und D ECURTINS 2001 ungeklärt. HWR hält lat. TURBIDUS ‚ verwirrt ‘ oder TURPIS ‚ schändlich, enstellt ‘ für einen möglichen Ausgangspunkt, aber auch ahd. TRUOBI ‚ trübe ‘ . D ECURTINS 2001 hält lat. TURBARE ‚ trüben, stören ‘ mit einem Suffix -estgar/ -istgar für möglich. - turzegiar ‚ züchtigen, strafen ‘ . S; surm. sturzager. Während sonst beide etymologischen Wörterbücher sehr vorsichtig sind im Umgang mit nicht geklärten Etymologien, präsentieren sie in diesem Fall beide je eine Hypothese ohne Einschränkungen: HWR möchte das Verb an bdt. tratze n , trätze n ‚ necken, reizen, ärgern ‘ mit -ager usw. < - IDIARE anschließen. Ein Verweis auf Schw. Id. (14: 1661ss., 14: 1667 s.) fehlt 465 . D ECURTINS 2001 schlägt Anknüpfung an veraltet *truz ‚ Trotz, Widerstand ‘ vor. Beides ist semantisch wenig überzeugend. Cf. oben p. 168. Präfixbildungen Zwei elativische Präfixbildungen gehören zu den unsicheren Fällen, in denen germanische Herkunft in Betracht gezogen wird. - lidiin den Verbindungen lidinuot indef. ‚ rein nichts, gar nichts ‘ (nur dies in S PESCHA 1994), lidifreid adj. ‚ ganz kalt ‘ , lidimarsch adj. ‚ ganz faul, durch und durch faul ‘ (D ECURTINS 2001, DRG 11: 228 s.). Fehlt in HWR. Nur S. D ECURTINS 2001 verweist auf schwdt. liidi(g), ohne dessen Bedeutung zu präzisieren. DRG loc. cit. hält verschiedene schwdt. Adjektive (ledig, lidig, lötig) als Basen von lidifür möglich. Am wahrscheinlichsten ist lidig (schon mhd. lidic), das außer ‚ unverheiratet ‘ auch ‚ rein, voll, ganz ‘ bedeutet (cf. Schw. Id. 3: 1079; 1094; 1502), was zum Elativpräfix paßt. - murin der Verbindung mureri ‚ mäuschenstill ‘ . HWR: „ ungeklärt “ , geht von einer Lehnübersetzung von dt. mäuschenstill aus, ebenso für murtgeu (gleiche Bedeutung) und die Fälle, in denen mur ein Adjektiv elativisch steigert (mur alv, mur grond). Überzeugender D ECURTINS 2001, wo auf Domat murz ‚ sehr ‘ verwiesen wird, das offensichtlich auf schwdt. mordszurückgeht. Denselben Ansatz vertritt L IVER 1989: 289. 2.2.4.8 Ergebnisse aus den Untersuchungen zu den germanischen Elementen im bündnerromanischen Wortschatz Die voranstehenden Untersuchungen (2.2.4.2 - 2.2.4.7) zeigen, daß der Anteil an Wörtern, die aus dem Germanischen (Deutschen, Schweizerdeutschen, Tirolischen) entlehnt sind oder auf der Basis von germanischen Stämmen mit 465 Das Prättigauer Mundartwörterbuch 1991 verzeichnet trätze, trätzen unter den Bedeutungen 1. ‚ necken, foppen, ärgern, reizen ‘ , 2. ‚ (von Kindern) absichtlich nicht so tun, wie man es gerne hätte ‘ . 202 2 Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes <?page no="203"?> romanischen Wortbildungsverfahren ins Bündnerromanische integriert sind, einen beträchtlichen Teil des bündnerromanischen Wortschatzes ausmachen. Auch Lehnübersetzungen ( „ materia romana e spirito tedesco “ ; cf. 2.2.4.5) sind gut vertreten. Wenn man sich eine Vorstellung von den numerischen Relationen zwischen germanisch und romanisch basiertem Worschatz machen möchte, darf man nicht von einem Vergleich zwischen den Kapiteln 2.2.3 (Lateinische Elemente) und 2.2.4 (Germanische Elemente) unserer Darstellung ausgehen, da im Kapitel über die lateinischen Eemente nur eine Auswahl von Wörtern aufgrund bestimmter Kriterien behandelt wurden. Es geht dort nicht um die Gesamtheit der lateinisch basierten Wörter des Bündnerromanischen, sondern um diejenigen Elemente, die eine „ besondere Latinität “ fortsetzen, welche entweder das Bündnerromanische allein charakterisiert oder es mit gewissen Teilen der Romania verbindet (alpinromanische Nachbarschaft, größere Gebiete der Italo- und Galloromania, Randzonen). Im Kapitel über die Germanismen dagegen wurden alle Fälle besprochen, die im Vocabulari fundamental (S PESCHA 1994) enthalten sind. Es erscheint daher sinnvoll, die Zahl der Germanismen der Gesamtzahl der im Vocabulari fundamental verzeichneten Wörter gegenüberzustellen. Das Resultat ist insofern überraschend, als die Germanismen nur einen Prozentsatz von ca. 5 % ausmachen: 377 Germanismen auf eine Gesamtzahl von 7521 im Wörterbuch verzeichneten Lexemen. Das Ergebnis muß noch weiter relativiert werden, weil bei den Germanismen auch die unter 2.2.4.7 behandelten unsicheren Fälle mitgezählt sind. Vergleicht man den Anteil der Germanismen im bündnerromanischen Wortschatz mit dem der französischen Elemente im Englischen, der auf mehr als 50 % geschätzt wird 466 , so erscheint er, angesichts des jahrhundertelangen intensiven Sprachkontakts mit dem Deutschen, auffallend gering. Und es sind auch nicht die lexikalischen Entlehnungen aus anderen Sprachen, die die Substanz einer Sprache untergraben, sondern vielmehr Einflüsse in der Syntax und der Wortstellung; aber dieses Problem steht hier nicht zur Diskussion 467 . 466 Cf. D IENSBERG 2005: 38. 467 Cf. L IVER 2010: 180s. 203 2.2 Schichtung des Wortschatzes <?page no="204"?> 3 Der Wortschatz der frühen Schriftsprachen 3.1 Vorbemerkungen Eine erschöpfende Beschreibung des Wortschatzes der frühen br. Schriftsprachen ist genauso wenig möglich wie die des Wortschatzes der Gegenwartssprache. Die folgende Analyse einiger ausgewählter Texte aus den Anfängen der bündnerromanischen Schriftsprachen richtet ihr Augenmerk auf die folgenden Gesichtspunkte: - Wörter, die nur der alten Sprache angehören und heute fehlen. - Wörter, die heute auf bestimmte Gebiete beschränkt sind, in der alten Sprache jedoch weiter verbreitet waren. - Germanismen. - Kirchensprache, Rechtssprache, Abstraktwortschatz. Aus den Resultaten dieser Untersuchungen versuchen wir Antwort zu geben auf die folgenden Fragen: - Wie weit ist die heutige Verschiedenheit des Wortschatzes zwischen den Idiomen schon im 16./ 17. Jahrhundert ausgeprägt? - Gibt es seit den Anfängen der rätoromanischen Schriftlichkeit regionale Unterschiede in Bezug auf den Anteil von Germanismen resp. Italianismen im bündnerromanischen Wortschatz? - Wie groß sind die Unterschiede zwischen dem Wortschatz des 16./ 17. Jahrhunderts und dem der Gegenwart? Im Kapitel 3.2. werden die Übersetzungen von Bifrun und von Luci Gabriel der Kapitel 20 - 24 der Apostelgeschichte miteinander verglichen. Folgende Gesichtspunkte stehen dabei im Zentrum: - Unterschiedliche lexikalische Verhältnisse - Mehr Germanismen im Surselvischen - Unterschiedliche Übersetzungen - Probleme der Verständlichkeit. Im Kapitel 3.3 werden weitere Autoren der frühen Schriftlichkeit beigezogen: aus dem Engadin Travers und Chiampel, aus der Sutselva Daniel Bonifaci und Adam Nauli, aus der Surselva Balzer Alig und Zacharia da Salò. <?page no="205"?> 3.2 Die Kapitel 20 - 24 der Apostelgeschichte in den Übersetzungen von Giachem Bifrun und Luci Gabriel 3.2.1 Material und Probleme L. Mourin geht in seiner Darstellung der Morphologie comparée des langues romanes 1 für das Bündnerromanische von der Übersetzung der Kapitel 20 - 24 der Apostelgeschichte durch Giachem Bifrun (1560, oberengadinisch) und Luci Gabriel (1648, surselvisch) aus. Dieses Textcorpus ist auch für eine Beschreibung des Wortschatzes der frühen rätoromanischen Schriftlichkeit geeignet. Die gemeinsame Basis des Bibeltextes erlaubt es, die jeweiligen Lösungen der Übersetzer direkt miteinander zu vergleichen. Allerdings müssen verschiedene Faktoren, welche die Vergleichbarkeit einschränken, in Betracht gezogen werden. Da ist einmal die Freiheit des Übersetzers. Ein Ausgangstext kann verschieden interpretiert und verschieden in die Zielsprache umgesetzt werden. Dazu kommt, daß in vielen Fällen auch der Ausgangstext nicht mit Sicherheit zu bestimmen ist. Bifrun erklärt auf der Frontseite, seine Übersetzung des Neuen Testaments ins Rätoromanische sei „ prais our delg Latin & our d ’ oters launguax “ , er habe aus dem Latein und aus anderen Sprachen übersetzt. Daß seine lateinische Hauptvorlage die Übersetzung des Erasmus war, steht inzwischen fest. Schon G ARTNER 1913 hatte es vermutet, F ERMIN 1954 bestätigt; H EINIMANN 1976 weist nach, daß Bifrun von der Ausgabe von 1522 ausgegangen ist. Im DRG wird seit einiger Zeit den Bifrunzitaten der Text des Erasmus beigefügt. Es ist jedoch nicht sicher, daß dieser in jedem Fall als Ausgangspunkt gelten kann. Welches die anderssprachigen Versionen waren, die Bifrun für seine Übersetzung konsultierte, ist nicht mit Sicherheit auszumachen. H EINIMANN 1976 nimmt an, daß deutsche (Lutherbibel, Zücher Bibel) und italienische Übesetzungen (hier kommen verschiedene vorreformatorische Versionen in Frage 2 ) im Vordergrund stehen. Auch im Fall der Übersetzung von Luci Gabriel ist es schwierig, an konkreten Stellen die jeweilige Vorlage auszumachen. Nach D EPLAZES 1988: 21 ist Luci Gabriel vom griechischen Urtext ausgegangen, hat jedoch auch zeitgenössische Versionen in anderen Sprachen benutzt: die deutsche Piscatorbibel (1606), die italienische Übersetzung des Giovanni Diodati (1607) und die engadinischen Versionen, die zu seiner Zeit verfügbar waren 3 . Trotz diesen Einschränkungen lassen sich aus dem Vergleich der Kapitel 20 - 24 der Apostelgeschichte in den Übersetzungen von Bifrun und Luci 1 M OURIN 1964. 2 Cf. H EINIMANN 1976: 93. 3 Nebst Bifrun 1560 die 2. Auflage von 1607 (von Bifruns Enkel Lüci Papa besorgt) und Joann Lucius Gritti, L ’ nouf S. Testamaint 1640. 205 3.2 Die Kapitel 20 - 24 der Apostelgeschichte (Bifrun/ Gabriel) <?page no="206"?> Gabriel einige Beobachtungen ableiten, die ein Licht werfen auf die lexikalischen Verhältnisse im Engadin und in der Surselva im 16./ 17. Jahrhundert. Zunächst gilt unser Augenmerk den lexikalischen Verschiedenheiten zwischen Engadin und Surselva, die noch heute bestehen, sich jedoch schon in den Texen der frühen Schriftlichkeit abzeichnen (3.2.2.). Ein zweiter Abschnitt befaßt sich mit dem Anteil der Germanismen in der frühen Schriftsprache. Er ist schon damals höher in der Surselva als im Engadin (3.2.3.). Ein Spezialfall der Kontaktphänomene sind die Lehnübersetzungen (3.2.4.). Ein weiteres Kapitel stellt Fälle unterschiedlicher Übersetzung in den beiden Texten dar (3.2.5.). Hier ist es oft schwierig zu beurteilen, ob die Abweichungen durch unterschiedliche lexikalische Verhältnisse in den jeweiligen Sprachen bedingt sind, ob sie vom Ausgangstext abhängen oder ob sie als individuelle Lösungen der Übersetzer zu werten sind. Der letzte Abschnitt dieser Einheit (3.2.6.) ist mit besonderen Fällen befaßt, in denen die Verständlichkeit einer sprachlichen Lösung zur Debatte steht. Hier geht es weniger um die Sprachverhältnisse der Zeit als um den Umgang der Übersetzer mit ihren Adressaten in speziellen Situationen. 3.2.2 Unterschiedliche lexikalische Verhältnisse Zwischen dem Engadin und der Surselva gibt es im Wortschatz (wie auch in anderen Bereichen des Sprachsystems) erhebliche Unterschiede. Daß das nicht erst in der heutigen Sprache, sondern schon in den frühen Phasen der Schriftlichkeit der Fall ist, zeigt die Analyse der fünf Kapitel aus der Apostelgeschichte, welche die Textbasis unserer Untersuchung bilden. Hier die Beispiele, nach Wortarten geordnet. Substantive - ‚ Brief ‘ . Bifrun chiarta, Gabriel brev. 22.5; 23.25; 23.33. Ascoli (A SCOLI 1880 - 30: 571) hatte surs. brev als Entlehnung aus dem Deutschen aufgefaßt und in die Kategorie „ rude materia tedesca “ eingereiht. Das f. Genus erklärt er als Angleichung an LETTERA . Letra ‚ Brief ‘ ist allerdings im BR nur schwach vertreten, im Surselvischen überhaupt nicht 4 . Deshalb und aus lautlichen Gründen hält DRG 2: 498 eine Herkunft von surs. brev aus lat. BREVIS für wahrscheinlicher. HWR und D ECURTINS 2001 teilen diese Sicht. DRG loc. cit. vermutet zudem, der Worttypus BREVIS für ‚ Brief ‘ könnte in vorliterarischer Zeit auch im Engadin bestanden haben und wäre „ relativ spät “ durch charta verdrängt worden. Vorauf sich diese Vermutung stützt, wird nicht gesagt. Tatsache ist, daß seit der frühen Schriftlichkeit für ‚ Brief ‘ in S brev f., in E charta f. gilt. Beide Worttypen sind im Lateinischen angelegt, breve n./ brevis m. ‚ kurzes Verzeichnis, Liste ‘ , charta f. ‚ auf Papier geschriebene Schrift, Brief, Gedicht ‘ , eine metonymische Verwendung 4 Cf. DRG 11: 112, wo nur altengadinische Beispiele angeführt sind. 206 3 Der Wortschatz der frühen Schriftsprachen <?page no="207"?> von charta ‚ Papier ‘ . Beide Typen setzen sich in der Romania fort, CHARTA ‚ Brief ‘ außer in E rum., prov., kat., span., port., BREVE / BREVIS ‚ Brief ‘ in afr. brief m., it. breve m. Wie sich das f. Geschlecht von surs. brev erklärt, ist bei dieser Ausgangslage unklar. Keines der etymologischen Wörterbücher gibt darauf eine Antwort. - ‚ Stadt ‘ . Bifrun cittêd, Gabriel marcau. 24.12. Die Bedeutung ‚ Stadt ‘ für Resultate von lat. MERCATUS ist auch heute auf S und C beschränkt (cf. DRG 13: 182ss.). Sie findet sich auch nicht in anderen Gebieten der Romania. Eng. marchà, marcho bedeutet ‚ Markt, Marktort ‘ . D ECURTINS 2001 s. marcau I erklärt die Bedeutung als „ vereinzelt auch aeng. “ DRG loc. cit. gibt jedoch keine Beispiele dafür. Worauf sich HWR stützt, wenn die Bedeutung ‚ Stadt ‘ als Resultat von deutschem Adstrateinfluß bezeichnet wird, bleibt unklar. - ‚ Mensch ‘ . Bifrun hum, Gabriel carstiaun. 23.9. Die unterschiedliche Praxis der beiden Übersetzer spiegelt nicht unbedingt den Sprachgebrauch der Zeit. Heute besteht sowohl in E als auch in S lexikalisch eine klare Trennung zwischen den Bezeichnungen für ‚ Mann ‘ und für ‚ Mensch ‘ : E hom, S um ‚ Mann ‘ , E uman, umaun, crastian, crastiaun, S carstgiaun ‚ Mensch ‘ . DRG 4: 257 hält fest, daß cristian, crastian ‚ Mensch ‘ heute in E neben uman selten und eher depreziativ ist. Im Altengadinischen dagegen war crastiaun (so bei Chiampel u. a.) durchaus geläufig für ‚ Mensch ‘ , wie DRG ibid. zeigt. Bifrun allerdings verwendet crastiaun überhaupt nicht, dagegen hom sowohl in der Bedeutung ‚ Mensch ‘ als auch in der Bedeutung ‚ Mann ‘ und ‚ Gatte ‘ 5 . Der Kommentar DRG 8: 96 s. hom I, die Verwendung von hom ‚ Mensch ‘ bei Bifrun sei als Versuch zu werten, dem semantischen Dilemma cristian ‚ Christenmensch/ Mensch ‘ auszuweichen, ist wenig überzeugend. Vielmehr dürfte Bifrun dem in vielen romanischen Sprachen geläufigen Usus folgen, wonach die Nachfolger von HOMO sowohl ‚ Mensch ‘ als auch ‚ Mann ‘ und ‚ Gatte ‘ bezeichnen (so it., fr.). - ‚ Auferstehung ‘ . Bifrun aresüstaunza, Gabriel lavada. 23.6; 23.8; 24.15; 24.21. Diese lexikalische Verschiedenheit besteht auch heute noch: E resüstanza, resüstaunza, S und C levada. Cf. DRG 1: 213 s. alvada 6 . H EINIMANN 1987: 95 zitiert Bifruns aresüstaunza als Beispiel für die Terminologie vorreformatorischer Predigtsprache im Engadin. - ‚ Opfergabe ‘ . Bifrun hufertas, Gabriel unfrendas. 24.17. In E gilt heute offertas, in S wie bei Gabriel unfrendas. E offerta ist nach HWR aus it. offerta etlehnt, während S unfrenda auf mlat. offerenda zurückgeht. So auch D ECURTINS 2001 s. unfrenda. Nach N IERMEYER 1976 ist sowohl offerta f. (auch n.pl.) als auch offerenda f. in der 5 Cf. F ERMIN 1954: 32. Daß das Beispiel Mt. 12: 43, wo hum ‚ Mensch ‘ bedeutet, in der Rubrik „ Le sexe “ escheint, gehört zu den vielen Inkonsequenzen dieser Darstellung. 6 In S und C auch das gelehrtere resurrecziun. Analog die Verteilung beim Verb ‚ auferstehen ‘ : E resüstar, resüster, S levar (si). Cf. DRG 1: 220 s. alvar. Im Surmiran neben lavada und resurrecziun auch restizanza, neben lavar se auch restizar. Dieses nach HWR s. resüstar < lat. * RESUSCITARE . 207 3.2 Die Kapitel 20 - 24 der Apostelgeschichte (Bifrun/ Gabriel) <?page no="208"?> Bedeutung ‚ offrande de pain et de vin apportée à l ’ autel pendant la messe ‘ mittellateinisch belegt 7 . Die drei folgenden Beispiele gehören alle in den Zusammenhang mittelalterlicher Lehnübersetzungen im Gebiet der Rechtsterminologie, von denen oben (2.2.4.5, p. 127 s.) die Rede war. Während Bifrun durchwegs in der lateinischen Tradition bleibt, wie sie auch im Italienischen weiterlebt, verwendet Gabriel die offenbar zu seiner Zeit in der Surselva üblichen Ausdrücke, die germanische Rechtsterminologie mit lateinisch-romanischem Sprachmaterial nachbildet (nach A SCOLI 1880 - 83: 556ss. „ materia romana e spirito tedesco “ ). - ‚ Gesetz ‘ . Bifrun lescha, Gabriel schentament. 23.3; 24.6; 24.14. E modern ledscha, S lescha und tschentament. Nach DRG 11: 19 und HWR s. lescha ist ledscha, lescha aus it. legge entlehnt 8 . Surs. tschentament ist wie eng. tschentamaint eine Nachbildung von dt. Satzung mit romanischem Sprachmaterial 9 . In der modernen Sprache bedeutet tschentamaint im Engadin ‚ Satzung, Verordnung ‘ , während der allgemeinere Begriff ‚ Gesetz ‘ durch ledscha abgedeckt ist. In der Surselva dagegen kann tschentament neben lescha auch für ‚ Gesetz ‘ verwendet werden. Insofern dürfte die Übersetzungspraxis von Gabriel den Usus seiner Region spiegeln. - ‚ Richter ‘ . Bifrun giüdisth, Gabriel derschader. 24.10. Auch in diesem Fall steht Bifrun in der lateinisch-italienischen Tradition des Engadins, während Gabriel den surselvischen Ausdruck verwendet, der eine Lehnübesetzung deutscher Rechtsterminologie darstellt. E güdisch ist nach DRG 9: 974 und HWR s. v. Lehnwort von it. giudice < lat. IUDICEM . Gemäß DRG 5: 169 war der Typus derschader früher auch im Engadin und im Bergell präsent und wurde dann (wann? 10 ) durch den Reflex von it. giudice verdrängt. Das Verb derscher (3. Konj.) von lat. DIRIGERE resp. * DERGERE ist die Basis für die Ableitung derschader. Heute bedeutet derscher in S und C ‚ umstürzen, fällen, ausgießen ‘ (DRG 5: 171ss. s. derscher II) 11 . Daß derscher im Alträtoromanischen die Bedeutung ‚ richten ‘ (im juristischen Sinn) hatte, setzt voraus, daß das Verb damals auch ‚ richten, leiten, lenken ‘ bedeutete (DRG 5: 173). Nur so erklärt sich die Lehnbedeutung ‚ richten ‘ (im juristischen Sinn). Der Übergang von der 3. 7 Die entsprechenden Verben sind heute E offrir (neben häufigerem sacrifichar), S unfrir. HWR und D ECURTINS 2001 geben für letzteres als Basis lat. OFFERRE an. Richtiger wäre * OFFERIRE . E ICHENHOFER 1999: 329 (§ 458 a) gibt vlat. * OFFRIRE . Cf. auch S TOTZ 1998: 191 (VIII, § 108.7). 8 Das lautgerechte Resultat von lat. LEGEM ist surs. lètg, eng. lai ‚ Ehe ‘ , ebenfalls eine Lehnübersetzung nach deutschem Muster. Cf. DRG 10: 315 und oben p. 171. 9 Das Verb surs. tschentar, eng. tschantar, -er ‚ setzen, stellen ‘ , von dem tschentament, tschentamaint abgeleitet ist, geht auf lat. * SEDENTARE , Kausativum zu SEDERE , zurück. Cf. HWR s. v. und FEW 11: 407 s. sedere. 10 DRG 5: 169 weist derschader einzig für Müstair aus. Spuren im Abergell. und im Aoengad. lassen auf eine größere Verbreitung des Worttypus in älterer Zeit schließen. 11 In E deckt schmerdscher diese Bedeutungen ab. 208 3 Der Wortschatz der frühen Schriftsprachen <?page no="209"?> in die 1. Konjugation im Surselvischen (derscher > derschar) dürfte vom bedeutungsähnlichen truar ausgegangen sein 12 . Auch im Substantiv E dret, S dretg ‚ Recht ‘ liegt eine Übertragung des Begriffs „ gerade “ auf den juristischen Ausdruck „ Recht “ vor 13 . Cf. oben p. 172 s. - ‚ Gericht ‘ . Bifrun giüdizi, Gabriel truvament. 24.25. Es geht um das „ Jüngste Gericht “ . Dafür steht heute in E il di dal güdizi, l ’ ultim güdizi, in S il davos truament, il truament general, il di adessa, il giuvenessendi. Während güdizi als Entlehnung aus dem Italienischen gewertet wird (DRG 5: 979, HWR s. giudezi), gehört truament zu den Rechtsausdrücken, die den Einfluß des germanischen Rechts im mittelalterlichen Rätien belegen. Zur Unterscheidung derscher/ truar, derschader/ truader cf. oben p. 172. Verben - ‚ begehren ‘ . Bifrun aggiavüscher, Gabriel griar. 20.33. Hier liegt weniger ein lexikalischer Gegensatz im Sprachgebrauch der Zeit als eine unterschiedliche Wahl der beiden Übersetzer vor. Beide Worttypen finden sich (auch heute) in beiden Sprachgebieten. E giavüschar, -er, S giavischar und E grajar, grager, S garegiar (griar gehört nur der alten Sprache an 14 ) haben beide nebst ‚ wünschen ‘ auch die Bedeutung ‚ begehren ‘ . Cf. DRG 7: 227ss. s. giavüschar, DRG 7: 676ss. s. grajar. Sowohl in der Vulgata als auch bei Erasmus steht an der betreffenden Stelle concupivi. Die a-Prothese in Bifruns aggiavüscher ist ein im Altengadinischen verbreitetes Phänomen, dessen Herkunft bisher nicht geklärt ist 15 . - ‚ weinen ‘ . Bifrun crider, Gabriel bargir. 21.13. Die Unterscheidung entspricht den heutigen Sprachverhältnissen 16 . Cf. DRG 4: 251 s. cridar. - ‚ schreien ‘ . Bifrun bragir, Gabriel garrir. 22.23. Heute hat E sbragir, S grir, wobei die im Altsurselvischen geläufige Vollform garrir auch heute noch in einem großen Teil der (unteren) Surselva geläufig ist. Cf. DRG 7: 823 s. grir. Daß Bifrun an anderer Stelle (21.36) für ‚ schreien ‘ clamer vewendet (Gabriel hat auch dort garrir), hängt mit seiner Vorlage zusammen. Erasmus: „ Sequebatur enim multitudo populi clamans, Tolle eum “ . Bifrun folgt diesem Text eng: „ Per che üna granda quantitaet d ’ poevel giaiva sieva clamand: l ’ g prain via “ . Lat. CLAMARE bedeutet sowohl ‚ rufen ‘ als auch ‚ schreien ‘ , was für rtr. clamar nicht der Fall ist. Bifruns enge Anlehnung an 12 Cf. DRG 5: 173. Zu truar L IVER 2001. 13 Reflexe von DIRIGERE resp. DIRECTUS haben in der ganzen Romania lat. IUS ersetzt. Cf. FEW 3: 90. S TOTZ 2002: 146 (I.61.2.). 14 Nach DRG 7: 676 s. grajar auch für Samnaun belegt. 15 E ICHENHOFER 1999: 447 (§ 672) nennt einschlägige Literatur, die jedoch vorwiegend beschreibend, nicht erklärend ist. Einzig L UTTA 1923: 141 (§ 123 N 1) spricht sich dafür aus, daß das Phänomen als Sproßvokal zu werten sei. Er führt Parallelen aus dem Gaskognischen an. Cf. oben p. 165. 16 Daß DRG unter bargir auf bragir und dort auf sbragir verweist, ist ein Fehlentscheid, der von etymologischen Zusammenhängen statt vom effektiven Sprachgebrauch ausgeht. S bargir ‚ weinen ‘ (auch suts. und surm.) hätte in einem eigenen Artikel behandelt werden sollen. 209 3.2 Die Kapitel 20 - 24 der Apostelgeschichte (Bifrun/ Gabriel) <?page no="210"?> Erasmus hat an dieser Stelle zu einer unbefriedigenden Lösung geführt. Der griechische Urtext läßt keinen Zweifel darüber, daß an dieser Stelle ein expressiveres Verb am Platz ist 17 . - ‚ hören, zuhören ‘ . Bifrun udir, Gabriel tadlar. Am Anfang des 22. Kapitels ruft Paulus die anwesenden Männer zum Zuhören auf. Bifrun: „ Humens frars et babs udi la mia sckiüsa “ . Gabriel: „ Vus, humens, frars e babs, tadleit sin mia defensiun “ . Auch in diesem Fall dürfte das lateinische Vorbild die Wortwahl Bifruns beeinflußt haben. Erasmus (ebenso die Vulgata) hat audite, das Verb, das im Lateinischen sowohl ‚ hören ‘ im Sinn von ‚ vernehmen ‘ als auch intentionales Hören ( ‚ zuhören, horchen ‘ ) ausdrückt. In der modernen Sprache wird sowohl in S als auch in E lexikalisch unterschieden zwischen dem passiven Hören ( ‚ vernehmen ‘ ), udir, und dem intentionalen Hören ( ‚ zuhören, horchen ‘ ) S tedlar, E tadlar, -er 18 . Bifrun verwendet für das intentionale Hören anderswo auch at(t)adler 19 . - ‚ werfen ‘ . Bifrun bittêr, Gabriel fierer. 22.23. Bifrun: „ Et bragiand els, et bittand la vesckiamainta in terra, et sthlavazand la puolvra ilg laer. . . “ Gabriel: „ Mo cur els garrivan a frivan la vascadira, a frivan la puolvra ent ilg luft . . . “ . Das Verb büttar, -er (E), better (S, 3. Konj.) ist in ganz Graubünden verbreitet, mit einer differenzierten Semantik, in der ‚ werfen ‘ eine grundlegende Rolle spielt neben mehreren sekundären Bedeutungen. Cf. DRG 2: 737ss. Dagegen ist fierer (3. Konj.) auf S und C beschränkt. Cf. DRG 6: 273ss. Für eine größere Verbreitung von fierer in älterer Zeit gibt es keine Anhaltspunkte. Das Verb sthlavazzêr (heute schlavazzer), das Bifrun an zweiter Stelle verwendet, ist expressiver als bütter ‚ werfen. Die Wbb. geben ‚ schmeißen, schleudern ‘ als Bedeutung an. Cf. HWR s. schlavazzar. - ‚ richten ‘ . Bifrun giüdichier, Gabriel truar. 23.3. Bifrun: „ Et tü sêzas à giüdichier me suainter la lescha “ . Gabriel: „ A sês ti, a trovas sur mei suenter il schentament “ . Cf. oben p. 209 zu giüdizi/ truvament. Nach HWR ist güdichar, -er aus ital giudicare entlehnt. Surs. truar gehört zu den Lehnübersetzungen, die germanische Rechtsterminologie mit romanischem Sprachmaterial nachbilden. Cf. oben p. 172 s. und L IVER 2010: 179 S . - ‚ finden ‘ . Bifrun acchiattêr, Gabriel afflar. 23.9; 24.5; 24.12; 24.20. Der lexikalische Gegensatz, den die alten Bibelübersetzungen belegen, besteht auch heute: E hat chattar, chatter, S anflar. Mit E geht auch Mittelbünden (cattar). Die bei Bifrun und in andern altengadinischen Quellen belegte Form achatter setzt nach DRG 3: 480 eine Basis AD - CAPTARE voraus. Das heutige anflar in S weist gegenüber den alten Formen einen nicht geklärten Nasaleinschub auf 20 . Im Altsurselvischen 17 Gr. κράζειν bedeutet ‚ krächzen, schreien ‘ . Auch die andern Übersetzungen haben jeweils expressive Ausdrücke: L UTHER schreien, die modernen engadinischen Versionen (G AUDENZ 1953, G AUDENZ 2004) sbragir. 18 Cf. oben p. 18, 20; L IVER 2005. 19 Cf. Glossar G ARTNER 1913, F ERMIN 1954: 36. 20 Cf. DRG 1: 275 s., HWR s. v. 210 3 Der Wortschatz der frühen Schriftsprachen <?page no="211"?> haben die protestantischen Autoren durchwegs aflar, die katholischen Formen mit und ohne Nasaleinschub (DRG 1: 276). Reflexe von lat. AFFLARE , vielleicht einem Terminus der Jagdsprache, finden sich auch in anderen Randzonen der Romania (rum., siz., span, port.). Cf. oben p. 134. - ‚ rüsten, bereitmachen ‘ . Bifrun appinêr, Gabriel sampchar. 23.23. Bifrun „ Appino duatschient sudôs “ . Gabriel „ Sampcheit duotschient schuldaus “ ( „ Rüstet 200 Soldaten “ ). Das Verb pinar in der Bedeutung ‚ rüsten, bereitmachen ‘ , zu dem Bifruns appinêr eine Variante darstellt, ist heute in ganz RB verbreitet 21 . Semtgar dagegen ist nur in S und C geläufig (suts. samtgear, surm. samtger). 23.24 verwendet Bifrun für ‚ bereitmachen ‘ adrizêr, während Gabriel wiederum sampchar hat. Bifrun: „ et adrizô mnadüras, che vus mettas sü Paulum “ . Gabriel: „ A sampcheit lgimaris per metter Paulum sisura “ 22 . - ‚ beginnen, anfangen ‘ . Bifrun cumanzêr, Gabriel antscheiver. 24.2. Die lexikalische Zweiteilung in E cumanzar, -er und S entscheiver (3. Dekl.) ist heute klar. In C (vor allem im Surm.) scheint neueres scumanzar älteres antschever zu vedrängen (cf. DRG 5: 635). Das Sutsilvan hat antschever. In E fehlen jegliche Spuren von lat. INCIPERE , das surs. entscheiver zugrunde liegt. Außerhalb von RB lebt INCIPERE einzig in einer weiteren Randzone der Romania, in rum. începe ‚ anfangen ‘ , weiter (DRG loc.cit., HWR s. entscheiver). Cf. oben p. 125. - ‚ sprechen, reden ‘ . Bifun favlêr, Gabriel plidar. 23.9 Bifrun: „ schi l ’ g spiert ù l ’ g aungel haun faflô cun el “ . Gabriel: „ sch ’ ün spirt ner ün aungel ha plidau cun el “ . 24.6. Bifrun: „ suens fafleva el cun aquel “ . Gabriel: „ a plidava cun el “ . Erasmus wie auch die Vulgata verwenden hier überall das Verb loqui. Sowohl E favlar, -er als auch S plidar, die in der alten Sprache neutrales Sprechen ausdrückten (so in den zitiereten Beispielen), sind heute nur noch in einem gehobenen oder poetischen Register gebräuchlich. Favlar, -er ist auf E beschränkt; in C und S fehlt der Worttypus (DRG 6: 172). Dagegen ist das Substantiv S faviala, suts. faveala, surm. favela, E favella ‚ Sprache, Sprachfähigkeit ‘ im ganzen br. Gebiet bezeugt. Auch faviala etc. gehört heute stilistisch einem gehobenen Register an (cf. oben p. 25 und L IVER 2004: 39). Ähnliches gilt für plidar. In der Surselva (3. Ps. plaida) steht es als gewähltere Form für ‚ sprechen ‘ neben geläufigem discuorer und tschintschar, in der Sutelva (3. Ps. plidescha) neben bagliafar und raschunar. Das Vorkommen von plidar in der Einsiedler Interlinearversion 23 , altengadinische Zeugnisse, die Verbreitung von S plaid, sonst pled ‚ Wort ‘ und diejenige des Faktitivums plidentar ‚ ansprechen ‘ im gesamten BR sprechen für eine größere Verbreitung des Verbs in älterer Zeit (L IVER 2004: 38). 21 Im Surmiran ‚ Holz rüsten, fällen ‘ . S und C auch ‚ flicken, ausbessern ‘ . 22 Für drizzer, die moderne Entsprechung von adrizêr, ist die Bedeutung ‚ bereitmachen ‘ gelegentlich bezeugt, allerdings nur für das Unterengadin (drizzar). Alte Belege fehlen. Cf. DRG 5: 425. 23 Si plaida ille diavolus, periphrastische Übersetzung von lat. dicens. L IVER 1991: 101. 211 3.2 Die Kapitel 20 - 24 der Apostelgeschichte (Bifrun/ Gabriel) <?page no="212"?> 24.25, wo Gabriel plidar verwendet ( „ Mo cur el plidava davart la gistia “ ), wählt Bifrun in engerer Anlehnung an den Text des Erasmus ( „ disputante autem illo “ ) das Verb araschuner: „ Mu araschunant el de la giüstia “ . Im heutigen Engadinischen hat radschunar, -er genau diese Bedeutung: ‚ diskutieren ‘ 24 . - ‚ vergehen, vorübergehen ‘ . Bifrun finir, Gabriel vargar. 24.27. Luther hat an dieser Stelle „ Da aber zwei Jahre um waren “ , Erasmus (wie die Vulgata) „ Biennio autem expleto “ . Beide Übersetzer wählen hier eine für das Bündnerromanische charakteristische Syntax, in der ein unpersönlicher Ausdruck (mit Verb im Singular) grammatikalisch inkongruent von einem pluralischen Subjekt aufgenommen wird 25 . Bifrun: „ Et siand finieu duos ans “ . Gabriel: „ Mo cur ei fo vargau duos ans “ . Das Verb finir, das Bifrun verwendet, wäre in diesem Kontext auch im Surselvischen möglich, wie aus DRG 6: 346 hervorgeht. Der Worttypus von surs. vargar ‚ vergehen, verstreichen ‘ dagegen ist heute nur noch im Sutselvischen präsent (vargear). Daß er aber ursprünglich weiter nach Mittelbünden hineinreichte, zeigt die Präposition varga ‚ mehr als, über ‘ im Surm. (auch S, suts. vargia) und das Verb vargantar ‚ überschreiten ‘ in Vaz (E BNETER 1981; surs. varghentar) 26 . - ‚ bekommen, erhalten ‘ . Bifrun arschaiver, Gabriel survangir. 24.27. Bifrun: „ schi ho Felix arfschieu in sieu loe Portium Festum “ . Gabriel: „ scha survangè Felix en sieu stailg Portium Festum “ . Hier handelt es sich weniger um einen lexikalischen Unterschied zwischen den Regionen als um eine unterschiedliche Wortwahl der beiden Übersetzer. Beide Worttypen, die Reflexe von lat. RECIPERE sowie die Lehnübersetzung von schwdt. überchoo in der Bedeutung ‚ bekommen, erhalten ‘ , sind in beiden Regionen vorhanden: E retschaiver, artschaiver und survgnir, S retscheiver und survegnir. Cf. HWR s. retscheiver und survegnir und die regionalen Wbb. Erasmus hat an dieser Stelle accepit, wie auch die Vulgata. G AUDENZ 1953 übersetzt: „ alura survgnit el a Porcius Festus sco successur “ . Die andern modernen Übersetzungen wählen abweichende Lösungen. - ‚ aufhören ‘ . Bifrun laschêr stêr, Gabriel calar. 21.32. Bifrun: „ schi laschaun è stêr da batter Paulum “ . Gabriel: „ scha calanen els da pichiar Paulum “ . Heute ist calar ‚ aufhören ‘ auf S und C beschränkt. E chalar, -er bedeutet ‚ zurückgehen, abnehmen ‘ . Im Altengadinischen ist chalar ‚ aufhören ‘ jedoch durchaus geläufig, wie DRG 3: 173 belegt. Auch Bifrun verwendet chiallêr oder achiallêr verschiedentlich in dieser Bedeutung, ebenso Chiampel (chiallar) und andere Autoren. Bifruns Lösung an dieser Stelle ist die Ausnahme. 24 Die neueren engadinischen Übersetzungen verwenden jeweils Verben, die unmarkiertes ‚ reden, sprechen ‘ bedeuten (G AUDENZ 1953 tschantschar, G AUDENZ 2004 discuorrer). Die surselvische Bibla ecumena von 1988 hat wie Gabriel plidar. 25 Cf. L IVER 2010: 148s., wo das Phänomen als „ Nicht-Kongruenz “ bezeichnet wird. 26 In E bedeutet vargiar, das auf dieselbe etymologische Basis zurückgeht wie surs. vargar (lat. VARICARE ), ‚ waten, durchwaten ‘ . Die Übertragung von konkretem ‚ überschreiten ‘ zu fig. ‚ vorübergehen ‘ (von der Zeit) ist auch im Italienischen belegt (DEI s. valicare). 212 3 Der Wortschatz der frühen Schriftsprachen <?page no="213"?> Präpositionen/ Konjunktionen - ‚ bis ‘ . Bifrun infina, Gabriel antroqua. Der lexikalische Unterschied zwischen E und S, der sich hier zeigt, ist noch heute charakteristisch für die Gliederung des Bündnerromanischen. E hat als Präposition fin und synonymes infin, S entochen, als Konjunktion gilt in E (in)fin cha, in S entochen che 27 . Die Forschung ist sich einig in der Annahme, daß der Typus INTER HOC , der den surselvischen und mittelbündnerischen Formen zugrunde liegt, in vorliterarischer Zeit auch im Engadin heimisch war und dann von einem Typus verdrängt wurde, der it. fino a, finché entspricht 28 . Diese Annahme stützt sich auf ein Dokument aus dem späten 14. Jh. aus Müstair, wo sich ein Zeuge zu den Besitzverhältnissen des Klosters äußert: „ Introekk in sum la vall de Favergatscha et introekk eintt la vall da Vafergatscha “ (bis zuoberst in die Val Favergiatscha und bis hinein in die Val Favergiatscha) 29 . Daß der Typus INTER HOC , der im Mittelalter in der Romania weit verbreitet war (afr. entrues que, ait. introcque. Cf. DRG 5: 631), auch in der unmittelbaren Nachbarschaft des Rätoromanischen vorkommt, ist eine weitere Stütze dieser These. In konservativen Dialekten des Tessins (Valle Maggia, Val Verzasca) sind Formen wie trò, trö etc. für ‚ fino (a), finché ‘ erhalten (LSI 5: 629). Cf. oben p. 100s. Beispiele für präpositionales infina bei Bifrun, antroqua bei Gabriel in den Kapiteln 20 - 24 der Apostelgeschichte: 20.4; 20.7; 22.22; 3.1, für die Konjuktion infina cha, antroqua che 23.21. - ‚ nach ‘ (temporal). Bifrun dapoeia, Gabriel suenter. 24.17. Bifrun: „ dapoeia bgiers ans “ . Gabriel: „ bear ons suenter “ . Suenter entspricht dem heutigen surselvischen Gebrauch. Im modernen Puter dagegen würde man zieva erwarten (vall. davo). So an unserer Stelle bei G AUDENZ 2004. Bifrun hat dsieva, sieva als Adverb ‚ nachher, später ‘ 30 . Auch dapoeia, daspoeia verwendet Bifrun als Adverb (Mt. 21.29; Io 5.14). Der präpositionale Gebrauch, wie er an unserer Stelle vorliegt, ist absolut vereinzelt. DRG 5: 100 s. daspö, dapöja führt das Zitat unter „ Präposition ‚ seit, nach ‘ an. Es ist jedoch das einzige Beispiel für die Bedeutung ‚ nach ‘ ; daspö, dapöja bedeutet, wie surs. dapi, immer ‚ seit ‘ 31 . - Präpositionale Wendung ‚ an Stelle von ‘ . Bifrun in sieu loe, Gabriel en siu stailg ‚ an seiner Stelle ‘ . 24.27. Bifrun: „ schi ho Felix arfschieu in sieu loe Portium Festum “ . Gabriel: „ scha survangé Felix en sieu stailg Portium Festum “ . Es scheint, daß hier die Übersetzung von Luther Vorbild war: „ kam Porcius Festus an des Felix Statt “ . 27 Die Sutselva geht mit S: Präp. (an)tocen, (an)trocan, Konj. (an)tocan ca. Im Surmeir scheint anfignen (tgi) älteres antochen zusehends zu verdrängen. Cf. DRG 5: 630 s. E BNETER 1981 gibt für Vaz nur antoccan (tga) an. 28 L IVER 1969: 53. DRG 5: 631. 29 Cf. L IVER 1991: 102. 30 Gloss. G ARTNER 1913. Apg. 10.17 „ haun dmando dsieva la chiaesa da Simonis “ macht den Anschein einer Nachbildung von dt. fragen nach. Luther: „ da fragten die Männer . . . nach dem Hause Simons “ . 31 Zu den konjunktionalen Verwendungen (temporal und kausal) cf. L IVER 1969: 43s. und 69ss. 213 3.2 Die Kapitel 20 - 24 der Apostelgeschichte (Bifrun/ Gabriel) <?page no="214"?> Die lateinischen Versionen, sowohl die Vulgata als auch Ersamus, haben: „ accepit successorem Felix Portium Festum “ . Die neueren Bibelübersetzungen folgen alle diesem Vorbild. Im modernen Surselvischen ist enstagl da immer noch die geläufige Entsprechung von dt. anstelle von: en miu, tiu . . . stagl. Cf. HWR und D ECURTINS 2001 s. enstagl. Im modernen Engadinischen dagegen scheint in (il) lö da qch. gegenüber impè, invezza weniger gebräuchlich zu sein. DRG 11: 364 s. lö I qualifiziert die Wendung als „ alit. “ (der alten Literatur angehörig). Adverbien - ‚ sogleich, sofort ‘ . Bifrun impestiaunt, Gabriel ladinameng. 21.30. Beide Adverbien gehören der alten Sprache an. Cf. DRG 8: 309s. s. impestiant und 10: 269ss. s. ladin I. 22.29 und 23.30, wo Gabriel ebenfalls ladinameng hat, steht bei Bifrun adüntrat 32 . - ‚ plötzlich ‘ . Bifrun subitamang, Gabriel nechiameng. 22.6. Erasmus (wie die Vulgata) hat an dieser Stelle „ subito “ , Luther „ schnell “ . Im modernen Engadinischen ist subit (endbetont) auf das Unterengadin beschränkt (puter dalum). Surs. anetgamein steht neben anetg (adj. und adv.). Die aphäretische Form, die Gabriel gebraucht, ist auch sonst im Altsutselvischen und Altsurselvischen bezeugt, so bei Gabriels Vater Steffan. Cf. DRG 5: 54 s. dandet. Indefinita - ‚ einige ‘ . Bifrun alchiüns, Gabriel anzaquonts. 23.12. - ‚ etwas ‘ . Bifrun ünqualchiosa, Gabriel anzachei. 23.17; 24.19. Die Unterschiede zwischen den beiden Übersetzungen spiegeln lexikalische Verschiedenheiten zwischen Engadin und Surselva, die auch heute bestehen. Bifrun hat Indefinita, die an italienische Verhältnisse erinnern (alcuni, qualcosa), während Gabriel das für das Bündnerromanische charakteristische Indefinitpräfix anza- (modern -enza) verwendet. Cf. surs. enzatgei ‚ etwas ‘ , enzatgi ‚ jemand ‘ , enzaco ‚ irgendwie ‘ , enzanua ‚ irgendwo ‘ etc. Der Typus, dessen etymologische Erklärung einige Probleme aufgibt 33 , ist zwar auch im Engadin vertreten (vall. insaquants, put. ünsaquaunts), hier jedoch neben verschiedenen Konkurrenzausdrücken viel weniger dominant als in der Surselva 34 . Identifikator ‚ selbst ‘ Bifrun tü . . . d ’ vessa, Gabriel ti tez ‚ du selbst ‘ . 24.8. Bifrun aquaists s ’ vessa, Gabriel els sezs ‚ sie selbst ‘ . 24.5. Zwei Aspekte stehen zur Diskussion: 1. die unterschiedliche 32 Heute bedeutet die Wendung tuot in ün trat ‚ in einem Zug, auf einmal ‘ . 33 Die gängige Etymologie UNUS NON SAPIT QUID , QUOD etc., die HWR und D ECURTINS 2001 vertreten, wird von LIVER 2007: 212ss. in Frage gestellt und zugunsten von EGO NON SAPIO entschieden, dies in Übereinstimmung mit A SCOLI 1873. Cf. oben p. 101s. 34 E varsaquants, varquants, alchüns, qualchedüns, qualchüns, insaquants, ünsaquaunts. S enzacons, entgins, naparts. Cf. DRG 8: 507ss. s. inchün. 214 3 Der Wortschatz der frühen Schriftsprachen <?page no="215"?> Form des Identifikators in den beiden Dialektgebieten, 2. die fortschreitende Generalisierung des Paradigmas. Die noch heute herrschende diatopischeUnterscheidung S, C sez, E svess (neben stess) besteht schon in alter Sprache 35 . Die Differenzierung nach Personen, die in älteren Sprachstufen gut bezeugt ist und zum Teil auch im heutigen Surselvischen fortbesteht, weicht zusehends einer Generalisierung, welche die Form der 3. Person auf die übrigen Kontexte ausbreitet 36 . 3.2.3 Höherer Anteil an Germanismen bei Gabriel Daß der Anteil der Germanismen im Wortschatz der Surselva höher ist als in demjenigen des Engadins, während umgekehrt das Engadin mehr Italianismen aufweist als die Surselva, ist eine bekannte Tatsache, die sich weitgehend aus der geographischen Lage und damit der unterschiedlichen Sprachkontaktsituation der beiden Gebiete erklärt 37 . Auch der Vergleich zwischen Bifrun und Gabriel bestätigt diesen Befund, wobei viele der Germanismen, die Gabriel verwendet, aus der heutigen surselvischen Sprache verschwunden sind. Andererseits ist in manchen Fällen, in denen ein Germanismus bei Gabriel, nicht aber bei Bifrun steht, die entsprechende Entlehnung bei andern Autoren des frühen engadinischen Schrifttums bezeugt. Es ist darum damit zu rechnen, daß Bifrun vielleicht bewußt zurückhaltend war bei der Verwendung von Germanismen. Die Entlehnungen aus dem Deutschen (vorwiegend aus dem Schweizerdeutschen) bei Gabriel sind teils unverändert übernommene Entlehnungen, teils in verschiedener Weise in das Romanische integrierte deutsche Vorbilder. Die Integration erfolgt oft mit Hilfe von romanischen Suffixen (bei Verben -egiar, -iar, bei Adjektiven -eivel). Zahlreich sind auch Lehnübersetzungen von deutschen Präfixverben. Am verbreitetsten ist die Nachbildung durch Verb + Ortsadverb (z. B. dt. zufallen durch surs. curdar tiers). Seltener bleibt die Präfixbildung in der Lehnübersetzung erhalten (z. B. in surs. surplidar, eng. surpledar nach dt. überreden). 35 S und C sez wird auf SE IPSUM , E svess auf SIBI IPSUM zurückgeführt. Cf. HWR und D ECURTINS 2001. Zur Form svessa neben svess äußert sich HWR nicht. G ANZONI 1977: 69 hält svessa (wie gleichbedeutendes stessa) für ein Femininum, was bestimmt falsch ist. Vielmehr dürfte hier ein zu anderen Indefinita und Adverbien (imincha, ünguotta etc.) analogisches -a vorliegen. 36 Zur Generalisierung von sez im Surselvischen cf. L IVER 2010: 140s. G ANZONI 1977: 69 gibt für das Puter neben einem Paradigma mit generalisiertem svess(a) ein zweites, wo ein nach Personen flektiertes Pronomen mit vessa verbunden ist: que fatsch eau amvessa, que fest tü atvessa etc. Es dürfte aber kaum mehr aktuell sein, wie schon P RADER -S CHUCANY 1970: 157 zeigt. 37 Cf. zum Beispiel K RISTOL 1985: 123s. L IVER 1989: 799s. 215 3.2 Die Kapitel 20 - 24 der Apostelgeschichte (Bifrun/ Gabriel) <?page no="216"?> Wenn die Germanismen bei Gabriel auch deutlich zahlreicher sind als bei Bifrun, so gibt es doch auch Fälle, in denen beide Übersetzer einen Germanismus verwenden, der dann aus den neueren Bibelversionen wieder veschwindet. Lautlich nicht (oder minimal) angepaßte Entlehnungen Substantive - ufruor. Gabriel hat Apg. 20.1; 21.38; 24.18; 23.7; 23.10; 24.5 immer ufruor, eine schweizerdeutsche Entsprechung von dt. Aufruhr, während Bifrun verschiedene Ausdrücke verwendet: 20.1 rimur, 21.38, 24.18 arimur 38 , 23.7 dabat 39 , 23.10 schguardin, 24.5 sthguardin 40 . Luther hat an den entsprechenden Stellen Getümmel, Aufruhr, Zwietracht. Ausdrücke aus dem Bereich des Militärs sind bei Gabriel oft Entlehnungen aus dem Deutschen, während sie bei Bifrun der italienischen Terminologie entsprechen. - obrist ‚ Oberst ‘ . 21.31; 23.15; 23.18 und öfters. Bifrun hat durchwegs chiapitauni. Beide Ausdrücke stehen für lateinisch tribunus (cohortis) (Erasmus und Vulgata). Die Form obrist entspricht dem geläufigen Familiennamen Obrist, der laut RN 3: 659 vor allem in Mittelbünden belegt ist. Vielfach handelt es sich um aus dem St. Galler Rheintal oder aus dem Aaargau eingewanderte Familien. Beide Übersetzungen sind insofern anachronistisch, als sie für einen Grad der römischen Militärhierarchie einen modernen Terminus einsetzen 41 . Neuere Übersetzungen (G AUDENZ 1953, G AUDENZ 2004, Bibla ecumena 1988) geben tribunus durch cumandant (da la cumpagnia, da la guarnischun romauna, da la cohorta) wieder. - laeger ‚ Lager, Feldlager ‘ . 21.34; 21.37 und öfters. Bei Bifrun durchwegs chiamp. In den lateinischen Versionen (Vulgata, Erasmus) steht castra. Laeger bei Gabriel (mit velarem g) ist dem mhd. Leger, Läger entlehnt. Der Germanismus ist durchaus auch im Altengadinischen präsent, etwa bei Chiampel (Ps. 27,3) 42 . - morder ‚ Meuchelmörder ‘ . 21.38. Gabriel: „ quattermilli morders “ . Bifrun: „ quater milli humens giuttuns “ . Die lateinischen Versionen (Vulgata und Erasmus) haben sicarii, Luther Meuchelmörder. Der Germanismus morder < mhd. mordaere, morder (L EXER : ‚ Mörder, Verbrecher, Missetäter ‘ ) erscheint auch in D ECURTINS 2001 s. morder II ‚ Räuber ‘ und in P EER 1962 s. morder ‚ Mörder, Verbrecher, Räuber ‘ . 38 Heute rumur ‚ Tosen, Getöse ‘ . 39 Cf. DRG 5: 19 dabat ‚ Hader, Streit, Zank, Wortwechsel ‘ . 40 Nach F ERMIN 68 Ableitung von schguardiner ‚ in Aufruhr bringen ‘ (Apg. 17.6). Heute sgurdin, dessen Herkunft nach HWR ungeklärt ist (ev. zu germ. * WARDON ). 41 Chapitauni ‚ Hauptmann ‘ (DRG 3: 324) ist noch weniger adäquat als obrist ‚ Oberst ‘ . Luther übersetzt: „ vor dem obersten Hauptmann der Schar “ . 42 Cf. DRG 11: 38 s. Der Artikel leger III m., allg. ‚ Lager ‘ ist lexikographisch nicht unproblematisch, da hier einerseits Formen mit velarem und mit palatalisiertem g, die auf mhd. Leger, Läger zurückgehen, andererseits Entlehnungen von nhd. Lager zusammengefaßt werden. In den modernen Wörterbüchern fehlen diese Formen weitgehend, außer in den surmeirischen, die legher ‚ Lagerplatz (des Viehs) ‘ verzeichnen. 216 3 Der Wortschatz der frühen Schriftsprachen <?page no="217"?> Bifruns giuttun dürfte eine Entlehnung von it. ghiottone sein. Cf. DRG 7: 355. Die neueren Übersetzungen haben verschiedene, nicht überzeugende Lösungen: G AUDENZ 1953 brigants, G AUDENZ 2004 terrorists, Bibla ecumena 1988 partisans. - flis ‚ Fleiß ‘ . 22.3. Paulus sagt von sich, er sei „ mussaus cun grond flis ent ils schentaments da noss babs “ . Bifrun: „ adestro in la lescha da nos babuns cun diligijntia “ . Erasmus: „ institutus accurate in patria lege “ . Luther: „ unterwiesen mit allem Fleiß im väterlichen Gesetz “ . Der Germanismus flis ist laut DRG 6: 406 vor allem in S und C heimisch. Es gibt jedoch auch Beispiele aus dem alten engadinischen Schrifttum und aus dem Münstertal (dort fleis, flais nach tirol. Flais). Auch D ECURTINS 2001 verzeichnet flis. Von flis abgeleitet (mit - IDIARE ) ist auch das sowohl im Engadin als auch in der Surselva in alter Sprache belegte as flissiar, seflissegiar, dem dt. sich befleißigen nachgebildet (cf. DRG 6: 407 s.). Gabriel verwendet das Verb (notabene mit noch nach Personen flektiertem Reflexivum) Apg. 24.16: „ Mo fartont mi flissig jou da ver ünna conscientia nunlavagada “ . Wiederum vermeidet Bifrun den Germanismus und übersetzt, in Anlehnung an Erasmus, der „ studeo “ hat: „ Et taunt plü in aquaist eau m ’ vess stüdg dad havair saimper üna netta cunschinscha “ 43 . - luft m. ‚ Luft ‘ . 22.23. Gabriel: „ Mo cur els garrivan a frivan davend la vascadira, a frivan lu pulvraent ilg luft “ . Bifrun: „ Et bragiand els, et bittand la vesckiamainta in terra, et sthlavazand la puolvra ilg laer “ . Der Germanismus luft ist heute noch in S und C lebendig. Cf. DRG 11: 500 - 506 und D ECURTINS 2001. Zu laer (heute in E ajer) cf. DRG 1: 143 s. ajer. Das Staub in die Luft Werfen scheint wie das Abwerfen der Gewänder eine Geste der Empörung zu sein 44 . - ritters m.pl. ‚ Reiter ‘ . 23. 23. 23.32. Gabriel: „ settonta ritters “ . Bifrun: „ settaunta chiavalgiauns “ . Während der Terminus, den Bifrun verwendet, auch im heutigen Puter ‚ Reiter ‘ bedeutet (chavalgiaunt. Cf. DRG 3: 491 s. chavalgiaint), ist in der Surselva ritter ‚ Reiter ‘ nur noch als ‚ Reiter ‘ im Tarrockspiel gebräuchlich (D ECUR- TINS 2001). Die surselvische Bibla ecumena 1988 hat an unserer Stelle cavaliers. Adjektive - guiss ‚ gewiß, sicher ‘ . 21.34. Gabriel: „ a cur el pudet bucca saver naginna caussa, guissa “ . Bifrun: „ Et nu pudiant el savair üna chiosa scherta “ 45 . Im heutigen 43 Auffällig der reflexive Gebruch von stüdger ( „ ich bemühe mich selbst “ ), der in den Wörterbüchern nicht verzeichnet ist. Auch Bifrun selbst braucht stüdger nur gerade hier reflexiv (weitere Verwendungen: Eph. 4.3, Tim. 2. 2. 15, Hebr. 4.11). Ev. liegt Einfluß von dt. sich bemühen, sich üben vor, vielleicht auch von as flissager. Luther übersetzt: „ Dabei aber übe ich mich. . . “ . 44 Ähnlich der Ausdruck „ den Staub von den Füßen schütteln “ Mt. 10.14. Grimm sagt im Deutschen Wörterbuch dazu: „ Einen Ort mit erklärter Uzufriedenheit und für immer verlassen “ (X.2. 1. 1081). 45 Bifrun hat oft sch- , wo das heutige Puter tschaufweist. Es geht um die Resultate von lat. C vor palatalem Vokal. L UTTA 1923: 145 N 4 bemerkt, es handle sich „ um eine wenig differen- 217 3.2 Die Kapitel 20 - 24 der Apostelgeschichte (Bifrun/ Gabriel) <?page no="218"?> Surselvischen ist nur der adverbiale Gebrauch von guess geläufig; der adjektivische ist veraltet (D ECURTINS 2001 s. guess. In DRG 7: 995 s. wird dies nicht explizit gemacht). - griechisch ‚ griechisch ‘ . 21.37. Gabriel: „ Sas Griechisch? “ . Bifrun: „ Saest Graec? “ . Die Sprachbezeichnung ‚ griechisch ‘ ist heute allg. grec, entsprechend it. greco, fr. grec. Cf. DRG 7: 782s. In alten Texten in C und S ist jedoch der Germanismus griechisch, wie bei Gabriel, verbreitet. Völker- und Sprachbezeichnungen sind überhaupt oft schwankend, vielfach durch das Deutsche vermittelt 46 . So lautet ‚ hebräisch ‘ bei Gabriel Hebreisch. 21.40. Gabriel: „ sch ’ ils plidentà ’ l ent ilg languaich Hebreisch “ . Bifrun: „ schi faflo el ilg launguaick Hebreer “ . Bifrun verwendet außer Hebreer auch hebre, hebrea (Apg. 22.2), Hebraic, Hebraica (Luc. 23.38) und Hebreesth (Jo. 5.2). Gabriel hat überall Hebreisch. Die Schwankungen zwischen der direkten Übernahme eines Völkernamens aus dem Deutschen und innerromanischen Lösungen spiegeln sich auch Apg. 21.38, wo ausnahmsweise einmal Bifrun den Germanismus, Gabriel eine romanische Umschreibung aufweist. Bifrun: „ Nun ist tü forza aquel Aegipter “ . Gabriel: „ Eis ti bucca quel dad Egipta “ . Alle neueren Übersetzungen verwenden das heute geläufige Adjektiv/ Substativ egipzian (put. egipziaun). Integrierte Germanismen Das Adjektiv E nüzzaivel, S nizeivel ‚ nützlich ‘ , von der mhd. Basis nuz ‚ Nutzen ‘ mit dem Suffix -aivel, -eivel < - IBILIS abgeleitet, ist in ganz RB präsent. Daneben sind auch die Reflexe von lat. UTILIS , E ütil, S util vorhanden. Apg. 20.20 übersetzt Gabriel eine Stelle, die bei Luther lautet: „ nichts . . .das da nützlich ist “ mit „ anchinna caussa da quei ch ’ ei nizeivel “ . Bifrun hat „ ünguotta d ’ aquellas chioses, quaelas chi eran in vos üttel “ . Wenn Bifrun hier nicht nüzzzaivel , das bei ihm gut bezeugt ist (neben nüz ‚ Nutzen ‘ , nüzzagiêr ‚ nützen ‘ ), verwendet, liegt es nicht an zierende Schreibung für mehrere Laute ( ʃ und t ʃ ) “ . Immerhin kann man aus dieser Schreibung schließen, daß im Oberengadinischen zur Zeit Bifruns die Lautung / ʃ / vorherrschte. Dieses Resultat von C vor E , I ist auch sonst lokal belegt, so im Münstertal (Lü, Tschierv. Cf. S CHORTA 1938: 67) und vereinzelt im Albulatal (Alv. Cf. L UTTA loc.cit.). Die Reduktion der Affrikata / t ʃ / zum Frikativ / ʃ / ist ein verbreitetes Phänomen, das sich z. B. im Altfranzösischen des 13. Jh.s (B OURCIEZ 1978: 135, § 120 Hist.) oder in kotextbedingten Variationen des Toskanischen (W EINRICH 1969: 115s.) zeigt. 46 Apg. 21.38, wo bei Luher steht: „ Bist du nicht der Ägypter, der. . . “ , hat Bifrun: „ Nun ist tü forza aquel Aegipter “ , und Gabriel: „ Eis ti bucca quel dad Egipta “ . Das heute geläufige egipzian fehlt in den Wörterbüchern, auch im DRG. Es findet sich einzig bei B EZZOLA / T ÖNJACHEN 1976. 218 3 Der Wortschatz der frühen Schriftsprachen <?page no="219"?> den lexikalischen Verhältnissen des Engadinischen seiner Zeit, sondern vielmehr an einer anderen Wahl der Übersetzung, vielleicht bedingt durch die Vorlage 47 . - vandlegiar ‚ wandeln ‘ . 21.21. Gabriel: „ a bucca vandligiar suenter las isonzas “ . Bifrun: „ ner viver suenter l ’ s moeds hurdenos da vivêr “ . D ECURTINS 2001 verweist s. vandlegiar auf undlegiar. Beide Formen sind als veraltet gekennzeichnet. Basis der Ableitung auf -egiar ist wohl eher schwdt. wandle n als dt. wandeln (letzteres bei D ECURTINS 2001). Gabriel folgt der Version von Luther: „ auch nicht nach desselben Weise wandeln “ , während Bifrun hier nahe bei seiner Vorlage Erasmus bleibt: „ neque secundum instituta vivere “ . Die neueren Übersetzungen haben alle viver. Wo jedoch Erasmus ein Verb verwendet, das ‚ einhergehen ‘ bedeutet (ambulare), übersetzt auch Bifrun mit einem Verb des Gehens. 21.24 Bifrun: „ che tü chiaminas er tü salvand la lescha “ . Gabriel hat wiederum den integrierten Germanismus vandlegiar: „ ca ti vandlegias er, cun salvar il schentament “ (Luther: „ sondern daß du auch einhergehst und hältst das Gesetz “ ). - schubriar ‚ reinigen ‘ . 21.24 geht es um rituelle Reinigung. Gabriel. „ ta schubrege cun els “ . Bifrun: „ t ’ natagia tè cun els “ . Surs. schubriar, schubergiar ist eine Ableitung mit dem verbreiteten Suffix -iar, -egiar (< - IDIARE ) von schuber ‚ sauber ‘ , einer Entlehnung von schwdt. suuber 48 . In E ist heute schuber nur in der Verbindung schuber net präsent (magliar sü schuber net ‚ alles auffressen ‘ , pulir üna stanza schuber net ‚ ein Zimmer blitzblank reinigen ‘ ). Das Verb, das Bifrun an dieser Stelle verwendet, natagiêr, ist in der modernen Sprache der Engadins auf das profane Reinigen, Putzen beschränkt (vall. nettiar, put. nettager). Für sakrales ‚ läutern, reinigen ‘ gilt pürifichar, -er. Apg. 1.26 wiederholt sich die Verteilung von 21.24. Bifrun: „ siand natagio “ , Gabriel: „ cur el vet sa schubriau “ . An weiteren Stellen, an denen Gabriel immer Ableitungen von schuber hat, braucht Bifrun latinisierendes purifichiêr, purificatiun. 21.26 Bifrun purificatiun, Gabriel schubriament. 24.18 Bifrun purifichio, Gabriel schubriaus. In der surselvischen Bibla ecumena von 1988 heißt es dann Apg. 21.26 anstelle von Gabriels schubriau, schubriament: „ ei l ’ auter di sepurificaus “ und „ la fin dils dis da purificaziun “ . 3.2.4 Lehnübersetzungen Wie bei den vorangehenden Beispielen zeigt sich auch im Bereich der Lehnübersetzungen aus dem Deutschen ein differenziertes Bild: Zwar hat Gabriel im allgemeinen mehr Ausdrücke, die sich an einem deutschen Vorbild inspirieren. Es gibt aber auch Fälle, wo Bifrun ebenfalls eine Lehnübersetzung aufweist. Zudem ist 47 Die Vulgata hat: „ quomodo nihil subtraxerim utilium, quominus adnuntiarem vobis. . . “ . Erasmus: „ ut nihil suffugerim eorum quae essent in rem vestram “ . Man fragt sich, ob hier nicht utilia (vor oder nach essent) ausgefallen sei. 48 Zum Lautlichen cf. oben p. 182s. 219 3.2 Die Kapitel 20 - 24 der Apostelgeschichte (Bifrun/ Gabriel) <?page no="220"?> oft die Lösung Gabriels auch im Altengadinischen belegt, was die schon geäußerte Vermutung nahelegt, daß Bifrun zurückhaltend war in der Verwendung von Germanismen. Bei den Fällen, in denen die Nachbildung eines deutschen Präfixverbs mit rätoromanischen Mitteln wahrscheinlich ist, lassen sich zwei Typen unterscheiden: 1. Dem deutschen Präfixverb entspricht im Rätoromanischen eine Fügung aus Verb + Adverb. 2. Dem deutschen Präfixverb entspricht auch im Rätoromanischen ein Präfixverb. Der erste Fall ist der häufigere. Beispiele aus der Übersetzung von Gabriel sind curdar tiers ‚ zufallen ‘ , curdar giu ‚ abfallen ‘ , tagliar giu ‚ abschneiden ‘ , tadlar tiers ‚ zuhören ‘ , staliar suenter ‚ nachstellen ‘ , tener si ‚ aufhalten ‘ . Beispiele für den zweiten Fall: Gabriel surcurdar ,überfallen ‘ , surtagliar ‚ beschneiden ‘ , surplidar ‚ überreden ‘ (Bifrun: surpladêr). Zu 1., deutsches Präfixverb > Verb + Adverb Es ist oft darauf hingewiesen worden, daß die Fügungen von Verb + Ortsadverb im Bündnerromanischen vorwiegend auf deutschem Einfluß beruhen. Allerdings sind entsprechende Muster auch in romanischen Sprachen bekannt, aber sie sind bei weitem nicht so verbreitet und beschränken sich weitgehend auf konkrete Bedeutungen, während in den bündnerromanischen Beispielen wie im Deutschen auch abstrakte Bedeutungen vorkommen (surs. mirar suenter ‚ nachschauen ‘ [in einem Buch], curdar atras ‚ durchfallen ‘ [im Examen] etc.) 49 . Wie in den bisher dargestellten Bereichen ist es auch hier Gabriel, der die meisten Beispiele liefert. - curdar tiers ‚ zufallen ‘ . 20.22. Gabriel: „ sai bucca chei lou ven a curdar tiers á mi “ . Bifrun: “ aque chi vain à mi ad intervegnir, aque nu sae eau “ . Luther: „ weiß nicht, was mir daselbst begegnen wird “ . Erasmus: „ quae in ea obventura sint mihi ignorans “ . DRG 4: 265 weist crodar tiers ‚ zustoßen, sich ereignen ‘ als gesamtbündnerromanisch aus. Tatsächlich verwendet auch Bifrun diese Fügung. Apg. 28.6: „ veziand che agli nu crudeva 50 tiers ünguotta d ’ mêl “ . Gabriel hat an dieser Stelle: „ cur els . . . vasenan ch ’ ei lgi daventà nagutta d ’ mal “ . - curdar giu ‚ abfallen ‘ . 21.21. Gabriel: „ ca ti muossias . . . ch ’ els deigian curdar giu da Moises “ . Bifrun: „ che tü amuossas . . . da stêr giu dalla lescha da Mosi “ . Luther hat an dieser Stelle „ abfallen “ , während sowohl die lateinischen Versionen (Vulgata und Erasmus) als auch alle neueren rätoromanischen Übersetzungen abweichende Formulierungen aufweisen. DRG 4: 265 belegt crodar gio, curdar giu für ganz RB. 49 Cf. L IVER 2009: 142, mit Literaturhinweisen. 50 Ed. G ARTNER : rcudeua. 220 3 Der Wortschatz der frühen Schriftsprachen <?page no="221"?> Die Beispiele aus Lüci Papa (Enkel von Bifrun) belegen den Ausdruck auch für das Oberengadin 51 . - talgiar giu ‚ abschneiden ‘ (die Haare). 21.24. Gabriel: „ ch ’ els fetschien talgiar giu ils cavels d ’ ilg cheau “ . Bifrun: „ che d ’ arean lur chios “ . Auch in diesem Fall wäre es verfehlt, aus der Wortwahl der beiden Übersetzer an einer bestimmten Stelle auf die allgemeinen Sprachverhältnisse in den entsprechenden Regionen zu schließen, insbesondere, anzunehmen, daß die Lehnübersetzung tagliar giu ‚ abschneiden ‘ auf S beschränkt wäre. Bifrun wählt arêr wohl aufgrund seiner Vorlage. Erasmus hat (wie auch die Vulgata) „ ut radant capita “ 52 . Mt. 3: 10 verwendet er jedoch tagliêr giu in der Bedeutung ‚ zurückschneiden ‘ (von einem Baum). Gabriel hat an dieser Stelle talgiar anturn. Während D ECURTINS 2001 tagliar giu nicht verzeichnet, findet sich tagliar gio (neben tagliar) in den engadinischen Wörterbüchern 53 . Die neueren rätoromanischen Bibelübersetzungen vermeiden an unserer Stelle alle die Lehnübersetzung von dt. abschneiden. - tadlar tiers ‚ zuhören ‘ . 22.22. Gabriel: „ Mo els lgi tadlavan tiers antroqua sin quei plaid “ . Bifrun: „ Mu els l ’ g atadlevan infina ad aque plêd “ . Luther: „ Sie hörten aber ihm zu “ . Keine der neueren rätoromanischen Bibelübersetzungen verwendet die Lehnübersetzung aus dem Deutschen. D ECURTINS 2001 weist jedoch tedlar tier ‚ zuhören ‘ als geläufig nach. - staliar suenter ‚ nachstellen ‘ . 23.30. Gabriel: „ ch ’ anchins Judeus staliassen suenter la vita da quei hum “ . Bifrun hat wie alle späteren Bibelversionen (inklusive die surselvische Bibla ecumena von 1988) eine völlig abweichende Formulierung. Auch Luther: „ daß etliche Juden auf ihn lauerten “ kann nicht als Vorbild für Gabriels staliar suenter gelten. D EURTINS 2001 verzeichnet jedoch stellegiar suenter ‚ nachstellen, verfolgen ‘ , allerdings als veraltet. - tener si ‚ aufhalten ‘ . 24.4. Gabriel: „ Mo par ca jou ta tengig bucca si memma gig “ . Bifrun: „ Mu ch ’ eau nu t ’ surtreia memma loeng “ . Luther: „ Auf daß ich dich nicht zu lange aufhalte “ . Die Vulgata hat protrahere, Erasmus detinere. Alle neueren rätoromanischen Versionen weisen abweichende Formulierungen auf. Surs. tener si wie auch eng. tgnair sü ist nach Ausweis der Wörterbücher auch heute in der Bedeutung ‚ aufhalten, hinhalten ‘ geläufig. Dagegen hat eng. surtrar, surtrer heute nicht die Bedeutung, in der Bifrun an unserer Stelle das Verb verwendet. Nach P EER 1962 bedeutet es nebst ‚ überziehen ‘ (mit Stoff, Leder) auch ‚ verschieben, aufschieben ‘ . - ‚ aufnehmen ‘ (in eine Gruppe, eine Gemeinschaft). 21.17 Gabriel: „ scha nus parnevan ils frars si bugent “ . Bifrun: „ schi arfschettan l ’ s frars gugiend nus “ . Luther: 51 Ob Bifruns stêr giu ebenfalls eine Lehnübersetzung aus dem Deutschen ist (nach abstehen), wäre zu untersuchen. P EER 1962 verzeichnet far star giò qchs. ‚ etwas ableugnen, abstreiten ‘ . 52 DRG 1: 398 s. arêr (bei Bifrun) verweist auf rader, das jedoch in den modernen Wörterbüchern nicht verzeichnet ist. Der Vorschlag d ’ ist ein Reflex von lat. INDE , wie oft bei Bifrun. Cf. DRG 1: 263. 53 B EZZOLA / T ÖNJACHEN 1976 s. abschneiden, P EER 1962 s. tagliar. 221 3.2 Die Kapitel 20 - 24 der Apostelgeschichte (Bifrun/ Gabriel) <?page no="222"?> „ nahmen uns die Brüder gerne auf “ . Die lateinischen Versionen haben exceperunt. Auch die neueren rätoromanischen Bibelübersetzungen vermeiden die Lehnübersetzung aus dem Deutschen. Sie verwenden accoglier, retschaiver (E), retscheiver (S). Die Nachbildung von dt. aufnehmen ist jedoch in der heutigen Umgangssprache durchaus geläufig: E tour sü, piglier sü a qchn (P EER 1962, B EZZOLA / T ÖNJACHEN 1967 s. aufnehmen., S prender si (HWR). 22.18 wiederholt sich die Wortwahl der beiden Übersetzer (Gabriel prender si, Bifrun arschaiver), wobei die Bedeutung von derjenigen in 21.17 abweicht. - ‚ vornehmen ‘ (einen Vorsatz fassen). 20.16. Gabriel: „ Paulus veva prieu avont sesez da navigar sper Epheso via “ . An dieser Stelle verwendet auch Bifrun die dem Deutschen nachgebildete Wendung, die in ganz RB geläufig ist 54 : „ Paulus havaiva prais avaunt se da passer via Ephesum “ . Die neueren rätoromanischen Bibelversionen wählen alle abweichende Formulierungen (resolver, decider). Zu 2., deutsches Präfixverb > rätoromanischem Präfixverb In den hier untersuchten Kapiteln 20 - 24 der Apostelgeschichte gibt es drei Beispiele von Verben mit dem Präfix sur-, das dem deutschen über- oder beentspricht: Gabriel surcurdar ‚ überfallen ‘ (20.9), surtagliar ‚ beschneiden ‘ (21.21), Bifrun surpladêr, Gabriel surplidar ‚ überreden ‘ (21.14). Die Präfixbildungen mit sursind im BR außerordentlich häufig. In vielen Fällen liegt eine Lehnübersetzung aus dem Deutschen auf der Hand. Allerdings sind auch im Französischen Bildungen mit surziemlich verbreitet (surmonter, surpasser, survivre etc.) 55 . Die drei Fälle aus unserem Vergleichsmaterial sind je verschieden zu beurteilen. - surcurdar ‚ überfallen ‘ . 20.9. Gabriel: „ a vangit surcurdaus dad ün ault sien “ . Das deutsche Vorbild ist offensichtlich, allerdings diesmal nicht von Luther vermittelt, der übersetzt: „ und sank in einen tiefen Schlaf “ . Bifrun folgt dem Vorbild des Erasmus eng: „ gniand agravò d ’ ün hot s œ n “ . Ersamus: „ cum degravaretur somno profundo “ . Es ist also anzunehmen, daß surcurdar ‚ überfallen ‘ im Surselvischen schon zur Zeit Gabriels geläufig war. D ECURTINS 2001 bestätigt den Gebrauch. - surtagliar ‚ beschneiden ‘ . 21.21. Gabriel: „ ca ti . . . gigias ch ’ els deigian buc surtalgiar lur filgs “ . Bifrun: „ dschant che nu ’ s daia armunder l ’ s filgs “ . Für die rituelle Beschneidung der jüdischen Knaben braucht Gabriel durchwegs surtagliar, Bifrun armunder oder circuncider. E armundar, armunder (< lat. RE - MUNDARE ) bedeutet laut B EZZOLA / T ÖNJACHEN 1976 wie das Simplex mundar ‚ beschneiden ‘ 54 B EZZOLA / T ÖNJACHEN 1976 s. vornehmen: as tour avant, as piglier avaunt. D ECURTINS 2001 seprender avon ‚ sich vornehmen ‘ . Schon Travers verwendet die Fügung am Anfang seiner Chianzun da Müs (V. 5 - 6): „ Avaunt me he eau piglio da quinter/ Quaunt la guerra ans ho duos ans do da fer “ . 55 Die italienischen Präfixverben mit sorsind teilweise aus dem Französischen übernommen (sorpassare, sorprendere). Das Verhältnis zwischen sor- und soprawäre näher zu untersuchen. 222 3 Der Wortschatz der frühen Schriftsprachen <?page no="223"?> (Bäume) 56 . DRG 1: 411 verweist unter armundar auf ramundar, was so in den modernen Wörterbüchern nicht verzeichnet ist. Cf. aber ramuonda ‚ unebene, mit Steinen besetzte und schwer zu mähende Stellen einer Wiese ‘ (P EER 1962, HWR). Bifrun erklärt Lu. 1: 59 „ armunder l ’ g infaunt “ in einer Anmerkung mit dem Latinismus circuncider, den er selbst auch verwendet (Io.7: 22): „ Par armunder. par circuncider. Par che els armundevan giu la pelluotta dalg nember maschulin “ . Ebenso Apg. 7: 51, wo die Anmerkung lautet: „ Armundo circuncis “ . Es ist schwer nachvollziehbar, daß der latinisierende Terminus technicus eine Hilfe für die Leser Bifruns hätte sein können! DRG 3: 670 erklärt circumcider ‚ beschneiden ‘ für „ allg. “ , d. h. im ganzen Gebiet des BR, gültig. Tatsächlich herrscht jedoch in S und C der Typus, den auch Gabriel verwendet, surtagliar. Daß es sich hier wirklich um eine Lehnübersetzung aus dem Deutschen handelt, wie unsere Behandlung des Verbs an dieser Stelle suggeriert, ist zwar wahrscheinlich, aber nicht völlig gesichert 57 . Das Präfix surhat in vielen Fällen eine ziemlich vage Bedeutung, die außer dem dt. überauch be- oder verentsprechen kann 58 . Cf. etwa surcuser ‚ besticken, survegliar ‚ überwachen, bewachen ‘ , surgentar ‚ versilbern ‘ , surteisser ‚ verweben ‘ . - surplidar ‚ überreden ‘ . 21.14. Gabriel: „ Mo cur el sa laschà buc surplidar “ . Bifrun hat an dieser Stelle dieselbe Lehnübersetzung aus dem Deutschen: „ Et nu pudiant el gnir surpladô “ . Luther: „ Da er aber sich nicht überreden ließ “ . Das Verb persvader, das die neueren engadinischen Übersetzungen hier verwenden (ebenso die surselvische Bibla ecumena: perschuader), kommt bei Bifrun nicht vor, obschon seine Vorlage Erasmus an unserer Stelle sagt: „ Cum vero illi non persuaderetur “ . Surplidar ist bei D ECURTINS 2001 verzeichnet, bei V IELI / D ECURTINS 1975 s. überreden sogar an erster Stelle, vor perschuader. B EZZOLA / T ÖNJACHEN s. überreden lassen surpledar auf persvader folgen; für Überredung geben sie einzig surpledamaint. Im knapper gehaltenen P EER 1962 ist weder surpledar noch surpledamaint verzeichnet. 56 Zu Parallelen in der Romania cf. FEW 6: 214. 57 Die Verben mit dem Präfix sursind in S häufig offensichtliche Lehnübersetzungen von dt. Verben mit dem Präfix über-, so surbaghegiar ‚ überbauen ‘ , surdar ‚ übergeben ‘ , surdumandar ‚ überfordern ‘ etc. Survegnir ‚ bekommen ‘ bildet schwdt. überchoo n nach. Im Rahmen einer immer noch ausstehenden Wortbildungslehre des Bündnerromanischen wäre der Wert des Präfixes sur- und sein Verhältnis zu fr. sur-, it. sor-, soprasovrazu untersuchen. 58 Die Unterscheidung in sur II und sur III, die D ECURTINS 2001 trifft, ist kaum aufrechtzuerhalten. Die Bedeutung ‚ übermäßig ‘ von sur III, die in manchen Präfixverben vorkommt (surbeiber ‚ übermäßig trinken ‘ , surmagliar ‚ zu viel essen ‘ etc.), ist nichts anderes als ein Nutzwert von sur II in der Bedeutung ‚ darüber hinaus ‘ . 223 3.2 Die Kapitel 20 - 24 der Apostelgeschichte (Bifrun/ Gabriel) <?page no="224"?> 3.2.5 Unterschiedliche Übersetzungen Während die in den vorangehenden Abschnitten behandelten Unterschiede in den Versionen von Bifrun und Gabriel meistens Verschiedenheiten im Sprachgebrauch der Zeit widerspiegeln (auf die Möglichkeit anders bedingter Unterschiede wurde von Fall zu Fall hingewiesen), sollen hier Beispiele besprochen werden, die freie Entscheide der Übersetzer illustrieren. Allerdings spielt sehr oft die Wortwahl der Vorlage eine Rolle. Bifrun folgt Erasmus meist eng, Gabriel hält sich möglichst an den griechischen Urtext, weist aber zuweilen auch auffällige Übereinstimmungen mit deutschen Übersetzungen (Luther, Piscator) auf. Aus der Menge der Beispiele werden einige Fälle ausgewählt, die ein Licht werfen auf die individuelle Praxis der beiden Übersetzer. Der Vergleich der beiden Übersetzungen läßt keinen Schluß darauf zu, daß der eine oder der andere Übersetzer in seiner Wortwahl umgangssprachlicher wäre als der andere. Gabriel steht zwar in der Syntax der gesprochenen Sprache näher als Bifrun. Sein Satzbau ist linearer, einfacher, während Bifrun mit seiner Vorliebe für die Gerundialkonstruktion in der juristischen Tradition verhaftet ist 59 . Im Wortschatz gibt es jedoch bei beiden Autoren an unterschiedlichen Stellen Beispiele für umgangssprachliche Lösungen. Apg. 20.38 wird berichtet, die Begleiter von Paulus wären betrübt über seine Aussage, sie würden ihn nicht wiedersehen. Die lateinischen Versionen (Vulgata und Erasmus) haben dolentes, der griechische Urtext ὀδυνώμενοι , Luther und Piscator betrübt. Bifruns Übersetzung „ haviand mela vitta “ greift hier auf eine umgangssprachliche Wendung zurück 60 , während Gabriel mit „ els vevan gronda dalur “ eine stilistisch neutrale Lösung aufweist, die den antiken Versionen entspricht 61 . Auch Apg. 23.7 ist Bifrun näher bei der Umgangssprache als Gabriel. Für gr. πλῆϑος , lat. multitudo sagt Bifrun schlicht „ la lieud “ , während Gabriel den spezifisch religionssprachlichen Terminus bearezia verwendet: B et la lieud gnittan in parts G a la bearezia mà enten parts 62 . 59 L IVER 2010: 106. 60 Cf. DRG 12: 229 s. malavita. Unser Beispiel hätte p. 230 hingehört, wo als erster engad. Beleg eine Stelle aus P APA , Sabg. zitiert ist. 61 Die neueren rätoromanischen Bibelübersetzungen wählen alle eine stärkere Formulierung: G AUDENZ 1953 „ tuot contuorblats “ , G AUDENZ 2004 „ il plü da tuot ils attristaivan sieus pleds “ , Bibla ecumena 1988 „ il pli fetg eran els cuntristai “ . 62 Alle neueren Übersetzungen sind freier. G AUDENZ 1953: „ la radunanza as separet in partits “ . G AUDENZ 2004: „ Cun quels pleds ho el separo il cussagl in duos parts “ . Bibla ecumena 1988: „ ei ha dau duas partidas ella radunonza “ . DRG 2: 388ss. bemerkt, daß biarezia in den protestantischen Bibelübersetzungen der Surselva bis 1870 geläufig war. 224 3 Der Wortschatz der frühen Schriftsprachen <?page no="225"?> Es gibt aber auch Beispiele, in denen Gabriel umgangssprachlicher übersetzt als Bifrun. Apg. 21.36 folgt Bifrun den lateinischen Versionen (Vulg. und Er.), die griech. αἷρε αὐτόν mit „ tolle eum “ wiedergeben: „ L ’ g prain via! “ Gabriel wählt wie Luther ( „ Weg mit ihm! “ ) und Piscator ( „ Hinweg mit ihm! “ ) expressiveres „ Navend cun el! “ . Ebenso verfahren die beiden Übersetzer Apg. 22.22. Neuere rätoromanische Versionen folgen mehrheitlich Gabriel. G AUDENZ 1953 „ Davent cun el! “ , Bibla ecumena 1988 „ Naven cun el! “ 63 . Apg. 23.29 steht im Brief, den Claudius Lysias dem Landpfleger Felix schreibt, in dessen Gewahrsam er Paulus gibt, daß dieser keines Verbrechens beschuldigt werde, das die Todesstrafe oder Gefängnis fordern würde. Bei Erasmus: Quem comperi accusari de quaestionibus legis ipsorum, nullum dignum morte aut vinculis habentem crimen. Bifrun übersetzt: Quael ch ’ eau sun gnieu parschet ch ’ el gniva acchiüso par differijntias de la lur lescha, nun haviand üngiün fal vengiaunt da mort ù da praschun. Vengiaunt ist die genaue Entsprechung von lat. dignus, griech. ἄξιος . Auch Luther hat „ des Todes oder der Bande wert “ . Gabriel hätte surselvisch vengonz wählen können. Er entschied sich jedoch für eine umgangssprachliche Umschreibung: Ad hai afflau ch ’ el ei vangeus chisaus davart dumandadas da lur schentament, a ch ’ el veva naginna culpa da naginna caussa ca vess meritau la mort, ner da vangir ligiaus. G AUDENZ 1953 ersetzt Bifruns vengiaunt durch moderneres degn. Die Bibla ecumena 1988 wählt eine Formulierung, die der Version von Gabriel nahesteht: „ ei dat buc in plogn, tenor il qual el meritass la mort ni perschun “ . Aus den zahlreichen Stellen, an denen der jeweilige Vorbildtext (meist Erasmus für Luther, das griechische NT für Gabriel) für die Verschiedenheit der Übersetzung verantwortlich sein dürfte, wählen wir im Folgenden ein paar Beispiele aus. Apg. 20.28 ermahnt Paulus die Verantwortlichen der christlichen Gemeinde, die er als Herde bezeichnet, gut auf diese aufzupassen. Erasmus: Attendite igitur vobis et cuncto gregi, in quo vos spiritus sanctus posuit episcopos ad regendum ecclesiam dei . . . Luther: So habt nun acht auf euch selbst und auf die ganze Herde, unter welche euch der heilige Geist gesetzt hat zu Bischöfen, zu weiden die Gemeinde Gottes . . . Das Bild des Weidens ist durch den griechischen Urtext vorgegeben ( ποιμαίνειν ). Diesem folgt Gabriel, während Bifrun regere bei Erasmus (auch in der Vulgata) mit arischèr wiedergibt: 63 G AUDENZ 2004 übersetzt noch drastischer „ Cuppè ’ l! “ (schlagt ihn tot). 225 3.2 Die Kapitel 20 - 24 der Apostelgeschichte (Bifrun/ Gabriel) <?page no="226"?> B per arischér la baelgia da dieu G par paschentar la baselgia da Deus. Gartner glossiert arischer (der Akzent ist offensichtlich ein Fehler, da arischer der 3. Konj. angehört) mit ‚ regieren, leiten ‘ , was modernem redscher entspricht. Alle neueren Übersetzungen nehmen das Bild des Weidens auf. G AUDENZ 1953 „ per paschantar “ , G AUDENZ 2004 „ Sajas pasters fidels “ , Bibla ecumena 1988 „ per che vus pasculeies la Baselgia da Diu “ . Apg. 21.20 ist die Rede von gläubigen Juden, die, nach Luther, „ Eiferer für das Gesetz “ sind. Diese Übersetzung bleibt nahe beim griechischen Urtext: ζηλωταὶ τοῦ νόμου . Ihm folgt auch Gabriel, während Bifrun sich offensichtlich von der Formulierung des Erasmus ( „ studiosi sectatores sunt legis “ ) leiten läßt. B e sun tuots diligiains da ir dsieva la lescha G a tuts ean dschiglius d ’ ilg schentament. Die neueren rätoromanischen Bibelübersetzungen wählen durchwegs freiere Lösungen. Das griech. πᾶν τὸ πρεσβυτέριον ‚ der ganze Rat der Ältesten ‘ Apg. 22.5 übersetzt die Vulgata frei mit „ omnes maiores natu “ , Erasmus mit „ totus seniorum ordo “ . Ihm folgt Bifrun: tuot l ’ g huorden dals seniours, Gabriel: tut la raspada dils seniors. Im modernen Engadinischen ist uorden auf die Bedeutungen ‚ Ordnung, Verordnung ‘ beschränkt. Die neueren Bibelübersetzungen, auch die surselvische Bibla ecumena, entscheiden sich alle für cussagl, cussegl. Auch in Apg. 24.16 ist es klar Erasmus, der Bifrun als Vorlage dient. B . . . eau m ’ ves stüdg dad havair saimper üna netta cunschinscha sainza intup via à dieu, et via alla lieud G . . . mi flissig jou da ver üna conscientia nunlavagada da tut temps avont Deus ad avont ils carstiauns. Erasmus übersetzt (ganz ähnlich die Vulgata): „ in hoc et ipse studeo sine offendiculo conscientiam habere erga deum, et erga homines semper “ . Er gibt damit den griechischen Urtext exakt wieder, wo es heißt: ἀπρόσκοπον συνείδησιν ἔχειν . Bifrun verdeutlicht den Sinn der Stelle zusätzlich, indem er das Adjektiv netta hinzufügt, das wohl in Verbindung mit conscienza geläufig war 64 . Gabriel seinerseits 64 DRG 9: 571 s. intop fehlt unsere Stelle. Für die Fügung sainza intop(s) wird nur die Bedeutung ‚ ungehindert, problemlos ‘ abgegeben, nicht jedoch ‚ unanstößig ‘ . 226 3 Der Wortschatz der frühen Schriftsprachen <?page no="227"?> scheint mit „ üna conscientia nunlavagada “ deutschen Versionen (Luther, Piscator: „ ein unverletzt Gewissen “ ) zu folgen. Unter den neueren Übersetzungen ins Rätoromanische behält G AUDENZ 1953 Bifruns Adjektiv bei ( „ üna conscienza netta “ ), G AUDENZ 2004 hat „ üna buna conscienza “ , die Bibla ecumena 1988 „ ina schubra cunscienzia “ . Alle lassen das Bild vom Anstoß fallen. Apg. 24.4 sagt der Redner Tertullus zum Landpfleger Felix, in der Version von Luther: „ . . . bitte ich dich, du wollest uns kürzlich hören nach deiner Gelindigkeit “ , in der revidierten Fassung von 1974: „ nach deiner Geneigtheit “ . Im griechischen Text heißt es ἐπιεικεία ( ‚ Schicklichkeit, Milde, Nachsicht ‘ ), in der Vulgata „ clementia “ . Erasmus übersetzt „ pro tua humanitate “ , mit einem Terminus, der lateinisch (seit Cicero) auch ‚ Freundlichkeit ‘ bedeutet, und ihm folgt wiederum Bifrun, während Gabriel eine leichter verständliche Lösung wählt: B . . . schi arou eau te par tia humanited tü voeglias atadler nus cun pougs plêds G . . . scha ta rog jou a ti nus velgias tadlar ampaug suenter tia buntad. Die neueren Übersetzungen sind alle eher auf der Linie von Luther und Gabriel (die dem Urtext besser entspricht): G AUDENZ 1953 „ seguond tia cumplaschentscha “ , G AUDENZ 2004 „ gentilmaing “ , Bibla ecumena 1988 „ buntadeivlamein “ . 3.2.6 Probleme der Verständlichkeit In den Vorreden zu ihren Übersetzungen betonen sowohl Bifrun als auch Gabriel, daß sie ihren Lesern, auch den weniger gebildeten, einen leicht verständlichen Bibeltext bieten möchten. Bifrun: „ m ’ hae eau affadio che l ’ g sainc nuof testamaint saia chioensth & clêr da lijr à tuots & prüvô à scodün dals nos in nossa leaungia “ (habe ich mich bemüht, daß das heilige Neue Testament für alle leicht und klar lesbar sei und jedem der Unsrigen in unserer Sprache vertraut) 65 . Luci Gabriel hält fest, daß das Griechische, die Originalsprache des Neuen Testaments, eine sehr knappe, konzise Sprache sei ( „ ün languaig curt “ ), weshalb eine wörtliche Übersetzung unverständlich wäre. Er habe daher, wie Piscator in seiner deutschen und Diodati in seiner italienischen Version, zuweilen etwas hinzugefügt ( „ mess tenter ent anqual plaidet “ ) 66 . Bifrun entschuldigt sich in seinem Vorwort für gewisse unvermeidliche Latinismen, wie „ vocatiun, giustificatiun, circun[ci]siun “ , die er jedoch alle in seinen Anmerkungen erklärt habe 67 . Tatsächlich sind diese Anmerkungen aber eher spärlich und fehlen oft gerade dort, wo man sie erwarten würde. 65 G ARTNER 1913: 16. 66 G ABRIEL 1648, Prefatiun (letzte Seite). 67 G ARTNER 1913: 16. 227 3.2 Die Kapitel 20 - 24 der Apostelgeschichte (Bifrun/ Gabriel) <?page no="228"?> Es folgen einige Beispiele aus den Übersetzungen von Bifrun und Gabriel, in denen das Verständnis der zeitgenössischen Leser mit Sicherheit überfordert war. Wenn Bifrun civitas im Sinn von ‚ Bürgerrecht ‘ (so Apg. 22.28 bei Erasmus) mit cittêd wiedergibt, dürfte ihm sein etymologisches Wissen um die Herkunft von cited ‚ Stadt ‘ einen Streich gespielt haben. B Eau hae par granda summa acunchiüsto aquella cittêd G Jou hai survangieu quels dregs da burgeis cun üna gronda summa Gabriel orientiert sich an griech. πολιτεία und der deutschen Übersetzung „ Bürgerrecht “ (Luther und Piscator). Im mageren Artikel cità des DRG (3: 674) fehlt unsere Stelle. Erstaunlich ist, wie uneinheitlich Bifrun den Begriff „ Sekte “ (lat. secta, griech. αἵρεσις ) übersetzt. Während Gabriel stets secta hat, verwendet Bifrun dafür drei verschiedene Übersetzungen: upiniun, setta und arlîa. Erasmus hat (wie die Vulgata) durchwegs secta. Apg. 24.5 übersetzt Bifrun „ authorem sectae Nazarenorum “ bei Ersamus mit „ ün curpurel d ’ üna upiniun dals Nazareners “ . Gabriel hat: „ il principal da la secta dals Nazareers “ . Upiniun für secta verwendet Bifrun auch Apg. 26.5 und 2. Petr. 2.1 68 . Da Bifrun im 24. Kapitel auch den Ausdruck heresia verwendet (Gabriel hat wiederum secta) 69 , hält er es für nötig, am Schluß des Kapitels die Anmerkung zu machen: „ Heresis, secta, upiniun es tuot üna chiosa “ . Was diese angeblich synonymen Ausdrücke aber bedeuten, sagt er nicht! Seltsamerweise kommt secta, das durch die alten Rechtsquellen für das Engadin des 17. Jahrhunderts belegt ist 70 , bei Bifrun außer in der zitierten Anmerkung überhaupt nicht vor. Einzig die italianisierte Form setta erscheint Apg. 28.22 als Entsprechung von secta bei Erasmus (Gabriel hat auch hier secta). Es ist der einzige Beleg für setta im Material des DRG. Überraschend ist die Wiedergabe von lat. secta durch das ausgefallene Lexem arlîa (Gal. 5.20). In einer Aufzählung von Lastern, „ Werken des Fleisches “ , wie es bei Luther heißt, figurieren in der griechischen Bibel αἱρέσεις , in den lateinischen Versionen sectae, bei Luther Rotten (in der modernisierten Übersetzung von 1974 Spaltungen). Gabriel hat wiederum sectas. Das im Bündnerromanischen nur ganz sporadisch belegte arlia dürfte eine Entlehnung aus dem Oberitalienischen sein 71 . 68 Apg. 26.5 Bifrun: „ suainter la plü perfetta upiniun de la nossa devoziun “ . Gabriel: „ suenter la pli ligida (Fehler für rigida. So noch in der Ausgabe von 1820. Bibla S dagegen: rigurusa) secta da nossa religiun “ . 2. Petr. 2.1 Bifrun: „ upiniuns nuscheivlas “ . Gabriel: „ nuscheivlas sectas “ . 69 Apg. 24.14 Erasmus: „ iuxta viam quam vocant haeresim “ . Bifrun: „ suainter la via quela ch ’ els claman heresia “ . Gabriel: „ suenter quella via, la quala els numnan ünna secta “ . 70 Rq. B 2: 798 „ secta da religiun “ . 71 DRG 1: 404. Cf. LSI 1: 119 arlía ‚ pregiudizio, superstizione, . . . stramberia ‘ . 228 3 Der Wortschatz der frühen Schriftsprachen <?page no="229"?> Wie es um die Verständlichkeit bei Bifruns Lesern steht, läßt sich nicht mehr feststellen 72 . Im folgenden Beispiel dürften die Versionen beider Übersetzer dem rätoromanischen Leser Probleme bereitet haben. Im 20. Kapitel der Apostelgeschichte wird erzählt, daß Paulus eines Abends in Troas predigte, und zwar bis gegen Mitternacht hin. Während der langen Predigt schlief ein Jüngling namens Eutychus, der in einer Fensternische saß, ein und stürzte aus dem dritten Stock des Gebäudes zu Boden, wo er tot liegen blieb. Paulus nahm ihn in die Arme und erweckte ihn wieder zum Leben. Poblematisch für die rätoromanischen Bibelleser des 16. und 17. Jahrhunderts dürfte weniger die Wundergeschichte gewesen sein als vielmehr die Terminologie für die Örtlichkeiten des Geschehens bei den beiden Übersetzern. Bei Bifrun (Apg. 20.8 - 9) heißt es: Et eran bgierras liüsths in la sæla innua che nus eran araspôs. Et seziand ün giuven cun num Eutijchus sün la fenestra, et gniand agravô d ’ ün hot s œ n aradschunand dîch Paulus, es el plü fick chialchiô dalg s œ n, et es tumô giu da la terza sæla, et prais sü muort. Bei Gabriel: Mo ent il sâl, nu ’ ch ’ els eran raspai, fov ’ ei bearas lgischs. Ad ün juvnal, ca veva num Eutichus, saset sin ünna fanestra, a vangit surcurdaus dad ün ault sien; a cur Paulus plidava bein a la lieunga, scha vangit el ounc pli fich graviaus d ’ ilg sien, a curdà giu d ’ ilg tierz cumach, a vangit prieus si morts. Weder Bifruns „ la terza sæla “ noch Gabriels „ ilg tierz cumach “ dürften ohne weiteres als „ das dritte Stockwerk “ verstanden worden sein. Der zweimalige Gebrauch von sæla bei Bifrun ist wohl durch dieVorlage bedingt. Erasmus hat an beiden Stellen coenaculum: 8 „ in coenaculo “ , 9 „ ex tertio coenaculo “ (ähnlich die Vulgata). Vom lateinischen Sprachgebrauch her ist diese Wortwahl gerechtfertigt, da cenaculum sowohl ‚ Speisezimmer ‘ (das meist im oberen Stockwerk gelegen war) als auch ‚ Stockwerk ‘ bedeutet. Der griechische Urtext verwendet dagegen zwei unterschiedliche Termini: 8 ὑπερώον ‚ Oberstock, Obergemach, Söller, Erker ‘ , 9 τρίστεγον ‚ 3. Stockwerk ‘ . Gabriel, der vom Griechischen ausgeht, wählt ebenfalls zwei verschiedene Ausdrücke. Aber „ tierz cumach “ für ‚ 3. Stockwerk ‘ ist auch keine überzeugende Lösung. Jedenfalls weist DRG 4: 376 s. s. cumà keine entsprechende Bedeutung aus 73 . 72 Bei P EER 1962 ist arlia als ‚ Zwietracht, Zweispalt, Hader ‘ verzeichnet. So schon P ALL . 1805 mit dem Vermerk „ alt “ . Die problematische Etymologie des Wortes steht hier nicht zur Debatte. VSI 1: 272 und P RATI knüpfen an HARIOLUS an, DEI zieht eher RELIGARE in Betracht. 73 In älteren Luther-Versionen findet sich ebenfalls die dem lateinischen entsprechende Übereinstimmung der Termini in 8 und 9, so L UTHER 1921 8 „ es waren viel Lampen auf dem Söller “ , 9 „ und fiel herunter vom dritten Söller “ . In der modernisierten Ausgabe von 1974 dagegen 8 „ es waren viele Lampen in dem Obergemach “ , 9 „ fiel hinunter vom dritten Stockwerk “ . 229 3.2 Die Kapitel 20 - 24 der Apostelgeschichte (Bifrun/ Gabriel) <?page no="230"?> Eine weitere Stelle, an der die Phantasie der Leser gefordert ist, findet sich am Anfang des 23. Kapitels (Apg. 23.3). Paulus schleudert dem Hohepriester Ananias, der seinen Leuten befiehlt, ihn zu schlagen, ein Schimpfwort entgegen, das nur versteht, wer über gute Bibelkenntnis verfügt: B Deus vain a batter te, tü paraid imblaunchida! G Deus ta ven a pichiar, ti, prei alva! „ Getünchte Wand “ (so Luther), „ paries dealbate “ (Vulgata und Erasmus) als Bezeichnung für einen Heuchler knüpft an ältere Bibelstellen an. So Matth. 23.27: Vae vobis, scribae et pharisaei, Hypocritae, quia similes estis sepulcris dealbatis, quae a foris parent hominibus speciosa, intus vero plena sunt ossibus mortuorum et omni spurcitia. (Vulgata) Weh euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr seid gleichwie die übertünchten Gräber, welche auswendig hübsch scheinen, aber inwendig sind sie voller Totengebeine und lauter Unrat! (Luther) Von der getünchten Wand der falschen Propheten, welche Gott einreißen wird, hatte schon Ezechiel (13.10 - 15) gesprochen. Auch neuere Übersetzungen ins Rätoromanische muten ihren Lesern das ungewöhnliche Bild zu, so G AUDENZ 1953: „ paraid dada giò ad alb cha tü est! “ und die Bibla ecumena 1988: „ ti preit dada alv! “ G AUDENZ 2004 dagegen übersetzt: „ tü fendscheder! “ 3.2.7 Ergebnisse des Vergleichs Die Leistung der beiden Pioniere der Bibelübersetzung, Bifrun und Luci Gabriel, verdient Bewunderung. Beide haben am Anfang der Schriftlichkeit ihrer Region einen Text verfaßt, der das Neue Testament den romanischsprachigen Lesern des 16. und 17. Jahrhnderts in verständlicher Form zugänglich machte. Der detaillierte Vergleich der beiden Versionen unter verschiedenen Gesichtspunkten, den wir in den vorangehenden Abschnitten durchgeführt haben, erlaubt es nicht, die eine oder die andere Übersetzung als besser zu beurteilen. In syntaktischer Hinsicht ist wohl Gabriel leserfreundlicher als Bifrun. Sein Satzbau ist einfacher und linearer, während derjenige Bifruns mit seinen häufigen Gerundialkonstruktionen und seiner engen Abhängigkeit vom Vorbildtext (Erasmus) höhere Anforderungen an den Leser stellt. Im Wortschatz dagegen, der hier im Vordergrund steht, läßt sich eine solche Abstufung nicht beobachten. Über die individuellen Unterschiede hinaus läßt der Vergleich des ersten engadinischen und des ersten surselvischen Neuen Testaments erkennen, daß die heute bestehenden regionalen Unterschiede im Wortschatz im Wesentlichen schon in den Anfängen der Schriftlichkeit bestanden haben. In diesen Befund paßt auch die größere Präsenz von Germanismen, die wir bei Gabriel festgestellt haben. 230 3 Der Wortschatz der frühen Schriftsprachen <?page no="231"?> Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, daß Bifrun bewußt gewisse Germanismen, die im Engadinischen seiner Zeit geläufig waren, vermieden hat 74 . Im großen Ganzen ist der Wortschatz der alten Bibelübersetzungen nicht wesentlich verschieden von dem der heutigen Schriftsprachen 75 . Natürlich gibt es auch Besonderheiten der alten Schriftsprache. Wir haben an gegebener Stelle jeweils auf entsprechende Beispiele hingewiesen 76 . Daß die Unterschiede nicht größer sind, dürfte auch mit der Textsorte zusammenhängen. Im folgenden Kapitel, das den Wortschatz weiterer Autoren des 16. und 17. Jahrhunderts untersucht, zeigen sich teilweise weiter gehende Abweichungen. 3.3 Lexikalische Besonderheiten bei weiteren Autoren des 16. und 17. Jahrhunderts 3.3.1 Vorbemerkungen Im folgenden Kapitel werden einige Textproben von Autoren des 16. und 17. Jahrhunderts ausgewertet. Es sind Ausschnitte aus der literarischen Produktion von je zwei Autoren aus dem Engadin, aus der Sutselva und der Surselva. Die beiden Engadiner, Gian Travers (puter) und Durich Chiampel (vallader), gehören dem 16. Jahrhundert an. Von Travers wurde die Chianzun dalla guerra dagl Chiaste da Müs (1527. Ed. S CHORTA / G ANTENBEIN 1942) exzerpiert, von Chiampel das Vorwort zu seinem Cudesch da psalms (1562), dazu das Vorwort von Philipp Gallicius zu diesem Werk (ed. U LRICH 1906). Die vier Textabschnitte aus dem rheinischen Gebiet sind dem 1. Band der Rätoromanischen Chrestomathie von Caspar Decurtins entnommen (D ECURTINS 1888). Aus der Sutselva stammen der Protestant Daniel Bonifaci (Catechismus 1601) und der Katholik Adam Nauli (Anatomia dil Sulaz dil Steaffan Gabriel 1618), aus der Surselva die katholischen Geistlichen Balzer Alig (La Passiun de nies Segner Iesu Christi 1672 und Epistolas ad Evangelis 1674) und Zacharia da Salò (Spieghel de devoziun 1665 und La Glisch sin il Candelier envidada 1685). Es versteht sich von selbst, daß aus so kurzen und heterogenen Textstücken kein repräsentatives Bild des Wortschatzes der Zeit gewonnen werden kann. Aber auch 74 Cf. oben p. 215. 75 Die Unterschiede liegen eher in der Syntax und in der Morphologie: häufiges Gerundium bei Bifrun, vortonige Personalpronomina bei Gabriel, stark präsentes Präteritum bei beiden Übersetzern. 76 Z. B. p. 211 auf put. favler, das in alter Sprache für neutrales Sprechen steht, modern jedoch einem gehobenen Register angehört. Ähnlich das Adverb put. impestiaunt, surs. ladinameng (p. 214). P EER 1962 bezeichnet imperstia(u)nt als archaisch. DRG 10: 270 bemerkt zu ladinamaing, ladinamein, das Adverb sei in E und C praktisch erloschen, in S noch literarisch und gehoben. 231 3.3 Lexikalische Besonderheiten bei weiteren Autoren d. 16./ 17. Jahrhunderts <?page no="232"?> ein wesentlich umfangreicheres Corpus von Texten würde nur unbefriedigende Resultate liefern, da eine Vergleichbarkeit, wie sie bei den oben behandelten Bibeltexten vorliegt, nicht gegeben ist. Zudem ist eine umfassende Darstellung des Wortschatzes einer Sprache ohnehin ein Ding der Unmöglichkeit. Wir beschränken uns darauf, anhand der exzerpierten Texte einige Aspekte des Bündnerromanischen des 16. und 17. Jahrhunderts zu beleuchten, die auch im Vergleich zwischen Bifrun und Gabriel zur Sprache gekommen sind: Regionale Verschiedenheiten respektive alte Gemeinsamkeiten zwischen den Regionen, Besonderheiten der alten Sprache, Sondersprachliches (Kirchensprache, Rechtssprache), Entlehnungen (in erster Linie Germanismen, am Rande Italianismen). Das Material aus diesen Texten wird durch Beispiele aus den Wörterbüchern und aus den Ausgaben von Bifrun und Chiampel (G ARTNER 1913, U LRICH 1906) ergänzt. 3.3.2 Ältere Gemeinsamkeiten zwischen den Idiomen Oben (3.2.2 p. 206ss.) wurden lexikalische Verschiedenheiten zwischen den Idiomen dargestellt, die auch heute bestehen und das gegenseitige Verständnis erschweren. Sie ließen sich auch an den hier behandelten Texten illustrieren. An dieser Stelle gilt unser Augenmerk jedoch nicht den Verschiedenheiten, sondern vielmehr alten Gemeinsamkeiten, Phänomenen, die in vorliterarischer Zeit, aber auch noch im 16. und 17. Jahrhundert in einem größeren Raum verbreitet waren als heute. Die umlautbedingte Diphthongierung von lat. offenem O in der Tonsilbe ergab im Adjektiv BONUS im Surselvischen das Resultat bien, im Engadinischen bön 77 . Während im Surselvischen diese Lautung bis heute erhalten ist (bien m. attributiv vs. buns m. prädikativ, buna f., buns, bunas pl.), hat im Engadinischen ein analogischer Ausgleich stattgefunden, in dem die Formen des Feminins und des Plurals die Lautung des Maskulins an sich anglichen (bun, buna, buns, bunas). Die Form bön ist heute nur noch in festen Wendungen erhalten, so in cuort e bön ‚ kurz und gut ‘ , far bön (fa bön ‚ mach, was du willst ‘ ) 78 . Die Substantivierung il bön 77 Ausgelöst durch den Auslaut - U ( M ). Im Feminin und im Plural, wo diese Bedingung fehlt, ist das Resultat u: buna, buns, bunas. 78 Ein ähnlicher Fall liegt im Adj. für ‚ rot ‘ vor. Surs. tschietschen (m. attibutiv < COCCINU ), cotschens (m. prädikativ < COCCINUS ), cotschna (f. < COCCINA ), cotschens (m.pl. < COCCINOS ), cotschnas (f.pl. < COCCINAS ). Im Engadinischen hat sich die Lautung von Feminin und Plural verallgemeinert (cotschen, cotschna). Einzig in der Krankheitsbezeichnung mel chötschen ‚ rote Ruhr ‘ im Puter ist das ursprüngliche Resultat der Umlautdiphthongierung erhalten (neben mel cotschen, vall. mal cotschen). Bei Bifrun finden sich chiöschen und cuotschen nebeneinander. Cf. DRG 4: 164. 232 3 Der Wortschatz der frühen Schriftsprachen <?page no="233"?> ‚ das Gute ‘ ist heute veraltet. Bei Chiampel ist sie noch durchwegs vorhanden (XXXI,280 et passim) 79 . Im rheinischen Gebiet (Surselva, Sutselva, Surmeir) lautet der Infinitiv ‚ geboren werden ‘ nescher, gegenüber nascher im Engadin. Die etymologischen Wörterbücher erklären diese Lautung als Einfluß von crescher 80 . In den alten Texten (und noch bis ins 19. Jh.) ist jedoch auch nascher im rheinischen Bündnerromanischen belegt, so bei Balzer Alig, wo kurz nacheinander beide Formen auftreten 81 , und bei Luci Gabriel 82 . Die Adverbien cumpatg ‚ offenbar ‘ und detschiert ‚ entschieden ‘ sind heute vor allem in der Surselva lebendig. Im Altengadinischen lassen sich beide Worttypen ebenfalls nachweisen. C HIAMPEL XXVI,103 - 04 „ Ilg qual ais cumpack ydt pro brichia pür cun pissar è tschantschar “ (was sich also gewiß nicht nur gedacht oder besprochen . . . zutrug. So die Übersetzung DRG 4: 204). C HIAMPEL XXX,242 „ brichia datschiert è cun hunestad “ , übersetzt aus Z WICK , Nüw gsangbüchle „ nit mit ernst vnd zucht “ 83 . Der Ausdruck il giuvenessendi ‚ der Jüngste Tag ‘ ist heute noch in S und Teilen von C lebendig (DRG 7: 364). E hat heute il di dal güdizi; altengadinisch ist jedoch der Typus giuvenessendi gut belegt, so bei Chiampel „ aunt il giuwonessem dy “ (C HIAMPEL XXI,76) und weiteren Autoren. Für dt. ‚ Becher ‘ hat das Engadin heute bacher (endbetont), eine Entsprechung von it. bicchiere. In S und C zeigt biher (ebenfalls endbetont) Einfluß von dt. Becher 84 . Altsurselvische und altsutselvische Quellen belegen jedoch bicher, bacher auch für das rheinische Gebiet, so Bonifaci bachær (5,7). Cf. DRG 2: 17 s. Dt. ‚ speisen ‘ wird in S mit den Synonymen spisgiar und spisgentar ausgedrückt. In E scheint das Faktitivum spisgiantar, -er älteres spisagiêr abgelöst zu haben (HWR s. spisgiar). T RAVERS , Müs 366: „ ch ’ el (scil. l ’ g Chiaste da Clavenna) nun des gnir spisagio pü “ (daß es nicht mehr verproviantiert werden solle). P APA , Sabg. 49 spisagiaer. Für ‚ brennen, verbrennen ‘ hat E heute vorwiegend arder, die Surselva barschar 85 . Im Altengadinischen ist jedoch auch der Typus barschar, brüschar 79 Bifrun hat b œ n, wo er das Adjektiv areferentiell (traditionell: neutral) verwendet: „ es ist gut “ . Mt. 19: 10. Jo. 18: 14. 80 HWR, D ECURTINS 2001 s. nescher. 81 Crest. I,108,1 nescher, 108,18 nascher. 82 Lu. 2.4: „ nua Christus deigig nascher “ . Ferner: Crest. IV,243,29 s. (Cudisch da priedis, 17. Jh.), IV,659,38 s. (Otto Carisch, Priedis, Sarn 1853). 83 Cf. DRG 5: 102ss. 84 Noch deutlicher ist der deutsche Einfluß in surs. beher (auf der Anlautsilbe betont), das D ECURTINS 2001 als Synonym von biher angibt. Ein Eintrag fehlt allerdings! 85 DRG 1: 381ss. arder, 2: 213ss. barschar. Sumeir geht mit E (arder), die Sutselva hat beide Typen sowohl trans. als auch intrans., während in S arder nur intransitiv ist. 233 3.3 Lexikalische Besonderheiten bei weiteren Autoren d. 16./ 17. Jahrhunderts <?page no="234"?> gut belegt. T RAVERS , Müs 393: „ Ünna stalla d ’ chiavals fü brüschieda “ . Bifrun verwendet abrüscher sowohl transitiv (Mt. 22.7) als auch intransitiv (Apoc. 8.7). Im Surselvischen ist das Adjektiv tanien, tanienta ‚ solch ‘ geläufig. Die anderen Idiome haben tal, tala (das auch im Surselvischen vorkommt). Altengadinisch ist eine Entsprechung von tanien belegt, tgnin, das vorwiegend (aber nicht ausschließlich) unflektiert verwendet wird. Im Vorwort von Gallicius zu Chiampels Cudesch da psalms liest man: „ üna tgnyn ouwra “ (XVIII,21, ein solches Werk). Auch Chiampel selbst (XXVI,105) und Bifrun (Ju. 7) verwenden das Wort 86 . 3.3.3 Besonderheiten der alten Sprache Auf die morphologischen Besonderheiten der alten Sprache, die in den untersuchten Texten zum Ausdruck kommen, gehen wir hier nicht ein, da sich unsere Darstellung auf den Wortschatz beschränkt. Vor allem die vielfältigen Formen des synthetischen Perfekts, die oft fehlende Konkordanz zwischen Adjektiv und Substantiv, die Präsenz unbetonter Pronomen im rheinischen Gebiet unterscheiden die Sprache des älteren Schrifttums in morphologischer Hinsicht vom heutigen Bündnerromanischen. In der Folge werden drei Aspekte behandelt, die für den Wortschatz der frühen Schriftlichkeit charakteristisch sind: Alte Lautungen, alte, heute nicht mehr gebräuchliche Bedeutungen von immer noch vorhandenen Worttypen, alte Worttypen oder Wendungen, die in der heutigen Sprache nicht mehr existieren. 3.3.3.1 Alte Lautung Die Texte der Frühzeit weisen oft Lautungen auf, die eine ältere Sprachstufe darstellen als die heute geläufigen Formen. So hat Chiampel dschuneist ‚ unanständig ‘ (p. 407,24), dschunestad ‚ Unschicklichkeit ‘ (XXX,244; p. 406, Ch. 89,4) für heutiges dischonest, dischonestà. Noch älter als diese Resultate von DIS - HONESTUS (und Ableitungen davon) ist die Form tzgnur (< DIS - HONOREM ), die sich ebenfalls bei Chiampel (und anderen altengadinischen Autoren) findet (p. 15, Ps. 9,77). Sie entspricht im Anlaut surs. zanur (neben neuerem dishonur) 87 . 86 Die historische Erklärung von tanien und tgnyn ist schwierig. D ECURTINS 2001 s. tanien schlägt ohne Vorbehalt lat. TAM MENTE mit Einwirkung von ton ‚ so viel ‘ vor, was ungefähr den Überlegungen von A SCOLI 1880 - 83: 585 s. entspricht. Daran knüpft auch HWR s. tanien an, allerdings mit dem Vorbehalt „ Ungeklärt “ . Der Vorschlag von L IVER 1991: 123 N 183, tanien als eine Ableitung von TANTUM mit einem Elativsuffix - ENTU aufzufassen, mag für die surselvische Form überzeugen, für die engadinische bleibt sie problematisch. Das gilt allerdings auch für die Argumentation von Ascoli. 87 Cf. DRG 5: 276 s. dischonur. Zu der vor allem im Oberengadinischen häufigen Synkope des Anlautvokals cf. E ICHENHOFER 1999: 195 (§ 263 c). 234 3 Der Wortschatz der frühen Schriftsprachen <?page no="235"?> Travers schreibt in der Chianzun da Müs (319 - 20): L g Düchia da Milaun nun füt brick muot cufdus, Da la tregua languneda cun nus ( „ Der Herzog von Mailand war nicht sehr begierig auf den mit uns verlängerten Waffenstillstand “ ). Cufdus ist eine ältere Form des heutigen cuaidus, cuvaidus, die auch Bifrun und Chiampel verwenden (DRG 4: 305). Wie in dschuneist der Vokal der Anlautsilbe, so wird hier der vortonige Vokal synkopiert 88 . Von alten Diphthongierungen im Engadin, die in der modernen Sprache durch analogischen Ausgleich von Paradigmen verschwunden sind, während sie in der Surselva weiter bestehen, war oben (p. 232s.) die Rede. Es gibt jedoch auch Beispiele für Diphthongierung in altengadinischen Texten, die in der Surselva keine Entsprechung finden. So findet sich bei Travers die Form achöert für heutiges accord ‚ Übereinkommen, Vergleich ‘ : Zieva que in Clavenna s ’ cumantze a trattêr Schia cun achöert s ’ pudaiv ’ la aquister (T RAVERS , Müs 252 - 53). DRG 1: 72 übersetzt: „ darauf fing man in Cleven zu verhandeln an, ob man es (Cleven) mittels Übereinkommen zurückerhalten könne “ . V. 581 steht Paick et achürdt „ Vertrag und Übereinkommen “ . Acchiürd, achüert ist auch in den alten Rechtsquellen des Oberengadins belegt 89 . DRG loc.cit. und HWR sind sich einig, daß diese Formen einer älteren Schicht angehören als das später generalisierte accord. Ähnlich ist altes ingürgia < lat. INIURIA , das bei Travers (Müs 26), Bifrun, Chiampel und andern altengadinischen Autoren belegt ist, später durch das latinisierende ingiuria ersetzt worden 90 . Im Altengadinischen (vor allem im Puter, aber auch im Vallader) finden sich sehr häufig Lexien, die auf aanlauten, während in der modernen Sprache dieser Anlaut fehlt. Das Phänomen ist noch nie umfassend untersucht worden. Es ist nicht anzunehmen, daß für alle Fälle ein und dieselbe Erklärung gilt 91 . 88 Zum häufigen Fall von E in der Anlautsilbe im Engadinischen (vor allem im Oberengadinischen) cf. L UTTA 1923: 132 s., zum Fall von E , I in der Vortonsilbe E ICHENHOFER 1999: 186s. 89 Rq. 4: 24 (Romanisches Glossar). 90 Cf. DRG 9: 111s. Ebenso wurden in ganz RB diphthongierte Resultate von lat. FURIA (z. B. aoeng. füergia) durch furia abgelöst (DRG 6: 659). 91 Cf. oben p. 165, 205 N 15. Neben einer rein phonetischen Erklärung, wie sie L UTTA 1923: 141 (§ 123 UND N 1) für Wörter vorschlägt, die mit L oder R anlauten (Sproßvokal), mag in gewissen Fällen eine Metathese von rezu areingetreten sein (retschaiver > artschaiver, returnar > artunar). Auch die Präposition AD dürfte gelegentlich im Spiel sein. Bei Verben ist diese Erklärung besonders plausibel, da auch im Italienischen, sowohl im Standard 235 3.3 Lexikalische Besonderheiten bei weiteren Autoren d. 16./ 17. Jahrhunderts <?page no="236"?> In der Chianzun da Müs von Travers begegnen verschiedene Verben mit Anlaut a-, die heute im Puter (wie in den anderen Idiomen) auf Konsonant beginnen. In einigen Fällen verwendet jedoch Travers neben der Form mit aauch die Variante mit konsonantischem Anlaut. Sehr häufig ist der a-Anlaut im Altoberengadinischen vor r. Travers hat araster ‚ bleiben ‘ (373) und aridscher in reflexiver Verwendung: Uscheia cun pochia sabgêntscha las lias s ’ aridsche(n) (31) Ch ’ els s ’ havessen â tuotta via, Sainza prudenschia aridschieu (620 - 21). In beiden Fällen legt der Kontext eine Übersetzung „ sich verhalten “ nahe. In den modernen Wörterbüchern wird redscher (3.Konjugation) mit ‚ lenken, (be)herrschen ‘ glossiert, reflexives as redscher mit ‚ Herr seiner selbst sein, maßhalten ‘ . Beide Verben finden sich mit a-Anlaut auch bei Bifrun: arester ‚ bleiben ‘ und arischer ‚ regieren, leiten ‘ (so Gloss. Gartner). Auch das Verb arender ‚ zurückgeben, vergelten ‘ (modern render) ist bei Travers und Bifrun belegt 92 . In zwei Fällen tritt das prothetische abei Travers zu Verben, die mit l beginnen: alunganer und aluver. Al(l)unganer wird mehrmals in Verbindung mit tregua verwendet ( ‚ den Waffenstillstand verlängern ‘ ), so 304 und 664. In gleicher Bedeutung begegnet auch languner (320, 361) 93 . U LRICH 1882 erklärt aluvêr (T RAVERS , Müs 354) wie alver im Glossar als ‚ erheben ‘ , was sicher falsch ist. Vielmehr gehört das Verb zu lovar, luver < LOCARE (DRG 11: 458ss.), dessen semantisches Zentrum heute ‚ ordnen, einordnen ‘ ist. DRG loc.cit. fehlt unsere Stelle: Ma quella (scil. la pesch) me nun s ’ pudet aluvêr. Sie müßte unter ‚ regeln ‘ (463 s.) oder ‚ verbindlich festlegen ‘ (465 94 ) erscheinen: „ aber dieser (der Frieden) konnte nie festgelegt (besiegelt) werden “ . Das Verb sögnar, -er bedeutet heute in E ‚ pflegen, kultivieren ‘ . Es entspricht etymologisch fr. soigner (cf. FEW 17: 273). Travers verwendet sowohl sügner (Müs 181) als auch asügner (29) in einer Bedeutung, die mit ‚ besorgen, verrichten ‘ umschrieben werden kann: als auch in Dialekten, die Präfigierung mit AD verbreitet ist. Zu diesem Phänomen in der frankoitalienischen Dichtung des Mittelalters cf. W UNDERLI 2007: 185s. 92 T RAVERS , Müs 33. G ARTNER , Glossar zu Bifruns NT s. arender. 93 Cf. DRG 11: 549ss. s lunganar. Das Verb gehört offensichtlich nur der alten Sprache an (modern schlungunar, zeitlich prolungar), was im Artikel nicht explizit gemacht wird. Ein Relikt des alten Gebrauchs ist die Wendung tuot il lungunà di ‚ den lieben langen Tag ‘ (vall.). Sie fehlt im Artikel lunganar. Cf. aber DRG 5: 200 s. di. 94 Dort Beispiele für aluver aus den alten Rechtsquellen. 236 3 Der Wortschatz der frühen Schriftsprachen <?page no="237"?> Da chürer lur Chiastels et terras nun asügnen ( „ ihre Schlösser und ihr Gebiet zu bewachen, daran dachten sie nicht “ 95 ). Neben attantêr verwendet Travers auch tantêr, beide in einer Bedeutung, die von derjenigen der gleichlautenden Verben bei Bifrun und Chiampel sowie von der modernen Bedeutung von eng. tantar, -er abweicht. P EER 1962 unterscheidet drei Bedeutungsbereiche: 1. ‚ foppen, necken ‘ , 2. ‚ reizen, versuchen, verleiten ‘ , 3. ‚ ärgern ‘ . Zum zweiten Bereich gehört das kirchensprachliche ‚ in Versuchung führen ‘ , das bei Bifrun begegnet: attantêr, mit dem Substantiv attantamaint ‚ Versuchung ‘ 96 . Die einzige Stelle, an der das Verb bei Chiampel erscheint, kann wohl wie folgt verstanden werden: Guardad lg eir oura stüdgiamaingk, Chia wuo fick nun lg attaintet ( „ Folgt ihm [scil. Gott] auch immer sorgsam, dass ihr ihn nicht erzürnt “ C HIAMPEL , Ps. 2,67-68). Die beiden Stellen, an denen Travers das Verb verwendet, müssen anders interpretiert werden. Beide Male geht es um kriegerische Handlungen, so daß es naheliegt, tantêr, attantêr mit ‚ angreifen ‘ zu übersetzen, einer Bedeutung, die auch die lateinische Basis dieser Verben, ATTENTARE , ATTEMPTARE im klassischen Latein hatte 97 . Per pudair la Vutlina attantêr ( „ um das Veltlin angreifen zu können “ ) T RAVERS , Müs 195. Ls Jnimis co giu Sak s ’ laschaun, Et vêr quaunt dis Morbèing tentaun ( „ Da zogen die Feinde nach Sacco hinunter und griffen ein paar Tage lang Morbegno an “ ) T RAVERS , Müs 561 - 62. 3.3.3.2 Alte Bedeutung Das zuletzt behandelte Beispiel (tenter, attenter bei Travers) könnte auch hier stehen: Ein heute in anderer Bedeutung lebendiger Worttypus weist in der alten Sprache eine Bedeutung auf, die inzwischen verschwunden ist. Dasselbe gilt für die oben p. 236 besprochenen Verben lunganer, alunganer und aluver. Lat. DUBITARE ‚ zweifeln ‘ lebt im BR in der latinisierenden Form dubitar fort. Die seit dem Spätlatein bezeugte Bedeutung ‚ fürchten ‘ 98 begegnet einmal bei 95 So die Übersetzung DRG 3: 659 s. chürar. Angemessener wäre wohl: „ darum waren sie nicht besorgt “ . 96 Cf. G ARTNER 1913, Glossar. F ERMIN 1954: 117. 97 Cf. G EORGES s. attento. 98 Cf. B LAISE 1954 s. dubitare, S TOTZ 2000: 65 (V 29.9). 237 3.3 Lexikalische Besonderheiten bei weiteren Autoren d. 16./ 17. Jahrhunderts <?page no="238"?> Travers. Die Stelle ist der einzige Beleg, den DRG 5: 464 s. dubitar für diese Verwendung anführt: Tuot l ’ g pöevel havaiva stramitzzi, Dubitandt da stair purter pantizzi ( „ Das ganze Volk hatte Angst und befürchtete, [dafür] büßen zu müssen “ ) T RAVERS , Müs 273 - 74. Das Verb spiar ‚ ausspähen ‘ wird heute von durch das Deutsche vermitteltem spiunar zurückgedrängt. Bei den alten Autoren finden sich einige semantische Weiterentwicklungen dieses Verbs, die aus der modernen Sprache verschwunden sind. Im Altsurselvischen hat spiar oft die Bedeutung ‚ fragen, ausfragen ‘ . So steht bei Luci Gabriel in seiner Übersetzung des Neuen Testaments jeweils spiar, wo Bifrun dumander hat 99 . Diese Bedeutung romanischer Fortsetzer von germ. * SPEHÔN (dt. spähen) ist auch aus anderen archaischen Sprachstufen und peripheren Dialekten der Romania bekannt, so (noch heute) in süditalienischen Dialekten und in Zeugnissen aus dem mittelalterlichen Italienischen aus dem Süden und dem Norden 100 . Eine weitere Bedeutungsentwicklung des Verbs spiar, die im alten Engadinischen begegnet, ist diejenige zu ‚ erfinden, ersinnen, ausdenken ‘ . Bifrun schreibt Apg. 17.29 „ qualchiosa spieda delg hum “ (etwas vom Menschen Ausgedachtes), und 2. Petr. 2.3 „ cun spiôs plêds “ (Luther: mit erdichteten Worten) 101 . Im heutigen Engadinischen, aber auch schon im Altengadinischen, ist in gleicher Bedeutung die präfigierte Form inspiar geläufig. DRG 9: 371 glossiert: ‚ mit List ausdenken, ersinnen,. . . vortäuschen,. . . erfinden ‘ . Es fällt auf, daß das Verb weitgehend negativ belegt ist, genau wie die Ableitung inspiamaint ‚ plötzlicher (unmöglicher, verrückter) Gedanke, Einfall,. . . Erfindung ‘ (DRG 9: 370 s.). Vereinzelt ist die Verwendung von spier in V. 25 der Chianzun da Müs von Travers: Schi vules el â sia pusaunza spiêr Da quel ingürgia vers las Lias da s ’ svangiêr. DRG 9: 111 s. ingiuria übersetzt die Stelle: „ dann würde er (der Herzog) sich auf seine Macht besinnen und sich an den Drei Bünden für jenes Unrecht rächen “ . Spier scheint hier die Bedeutung ‚ achten auf, aufpassen ‘ zu haben. 99 Luc. 8,9. Joh. 5,12. Apg. 21,33. 23. 34 und öfters. 100 Cf. FEW 17: 175. D ’ A MBRA 1873 spiare ‚ domandare interrogare ‘ . Ritmo cassinese V. 36 - 37: „ Quillu d ’ Oriente pria/ altia l ’ occlu, sì llu spia “ (M ONACI / A RESE 1955: 32). 101 Gabriel hat im ersten Fall: „ ad inventiun da carstiaun “ , im zweiten: „ cun plaids dichiaus si “ (heute ditgau si ‚ erfunden, ersonnen ‘ ). 238 3 Der Wortschatz der frühen Schriftsprachen <?page no="239"?> Das Verb tschintar (zu E tschinta, S tschenta ‚ Gürtel ‘ ) bedeutet heute einzig ‚ umgürten ‘ . Im Altengadinischen sind zusätzlich die Bedeutungen ‚ einkreisen, umzingeln ‘ belegt, so bei Travers: A quelas la Pelafiga tschintaun, Et cun granda fürgia in quell intraun ( „ Diese [Boote] kreisten die Pelafiga [Schiffsname] ein und [die Soldaten] drangen mit grosser Wucht in sie ein “ ) T RAVERS , Müs 433 - 34 und bei Bifrun: tes inimichs . . . uignen â schintêr te (Luther: „ deine Feinde werden . . . dich belagern “ ) Luc. 19.43. Das Substantiv fantaschia, fantasia bedeutet ‚ Phantasie, Einbildung, Hirngespinst ‘ . Im Altengadinischen ist eine Bedeutungsentwicklung zu ‚ Kummer, Sorge ‘ gut belegt, eine Verwendung, die heute nicht mehr lebendig ist 102 . Zuond grand pisser, chia l ’ piglaiva, Fantasia, et rampoargna l ’ g cusümaiva ( „ Sehr grosse Sorge erfasste ihn, Kummer und Schmerz zehrten an ihm “ 103 ) T RAVERS , Müs 519 - 20. E fruost, S frust hat heute vor allem die Bedeutung ‚ Bissen ‘ , in S und Teilen von C auch ‚ Landstück ‘ . In der alten Schriftlichkeit wird das Lexem (wie dt. Stück) auch auf abstraktere Inhalte bezogen, so auf Textabschnitte oder Punkte in der Argumentation (DRG 6: 631). Dies z. B. im Vorwort von Chiampel zum Cudesch da psalms über den Nutzen des Kirchengesangs, eine Übersetzung der Vorred von Johannes Zwick zu seinem Nüw gsangbüchle: in quell èd in auter fruosts (Zwick: „ in dem vnd anderen stucken “ ) C HIAMPEL XXXI,273. E maschun, S mischun bedeutet in der modernen Sprache ‚ Hühnerstange ‘ , eine Spezialisierung der urspünglichen Bedeutung von lat. MANSIO ‚ Aufenthalt, Aufenthaltsort ‘ (cf. fr. maison). Die weiteren Bedeutungen ‚ Bau, Gebäude, Wohnstättte ‘ , die DRG 13: 467 verzeichnet, gehören alle der alten Sprache an. So auch die Bedeutung ‚ Verlies ‘ , die einzig bei Travers belegt ist: Ls fet metter in sias maschuns Chi sun uschiè mellas praschuns ( „ Er liess sie in seine Verliese bringen, die so schlimme Gefängnisse sind “ ) T RAVERS , Müs 481 - 82. 102 Cf. DRG 6: 88 s. fantaschia, wo sämtliche Beispiele unter 2. ‚ Aufregung, Angst, Sorge, Betrübnis ‘ und unter 3. Verbale Verbindungen aus dem altengadinischen Schrifttum stammen. 103 Die Übersetzung ist nicht unproblematisch, vor allem, weil die Bedeutung von rampoargna schwer zu fassen ist. Die Stelle wird sowohl DRG 4.104 s. consümar als auch 6: 88 s. fantaschia zitiert und jeweils unterschiedlich übersetzt. 239 3.3 Lexikalische Besonderheiten bei weiteren Autoren d. 16./ 17. Jahrhunderts <?page no="240"?> E urdegn, S urdein bedeutet heute ‚ Werkzeug, Gerät ‘ . D ECURTINS 2001 verzeichnet auch ‚ Anordnung, Zubereitung ‘ als veraltete Bedeutung. In die Nähe dieser Verwendung, die der lateinischen Basis genauer entspricht als die Bedeutung ‚ Werkzeug ‘ 104 , gehört auch maal urdeng bei Chiampel, Übersetzung von vnrat in seiner Vorlage: quai haa dritzad proa brichia pauck maal urdeng (Zwick: „ Dann es hat nit wenig vnrat 105 angericht “ ) C HIAMPEL XXXI,276 - 77. Das Adjektiv vadrüsch 106 wird heute im Engadin nur noch in der Verbindung vegl (e) vadrüsch ‚ uralt, abgenutzt ‘ (von Kleidern) gebraucht 107 . Diese Verwendung begegnet auch schon bei Bifrun 108 , während Chiampel noch die generellere Bedeutung ‚ alt ‘ hat: ouwras da lg uadrüsch chiarnal crastian (Zwick: „ werck des alten fleischlichen menschen “ ) C HIAMPEL XXV,70. Während vadrüsch von neutralem ‚ alt ‘ zu depreziativem ‚ abgenutzt ‘ eine Pejorisierung erfahren hat, läßt sich im Fall von puter vangiaunt, surs. vengonz eine umgekehrte Bedeutungsentwicklung beobachten. Vangiaunt, vengonz ist heute ‚ würdig ‘ im positiven Sinn, während das Adverb vangiauntamaing bei Travers ‚ gebührend, angemessen ‘ bedeutet. Cun dret füt bain fal achiatto, Ma üngiün vangiauntamaing chiastio ( „ Das wurde durch das Gericht wohl mit Recht als Vergehen bezeichnet. Aber niemand wurde gebührend bestraft “ 109 ). T RAVERS , Müs 339 - 40. 3.3.3.3 Alte Worttypen Seltener als die Lexeme, die heute noch vorhanden sind, in der alten Literatur aber eine andere oder zusätzliche Bedeutung hatten, sind diejenigen, die völlig aus der 104 Cf. FEW 7: 401 s. *ordiniare, dazu *ordinium. 105 Mhd. unrat bedeutet u. a. ‚ Unheil, Nachteil ‘ . L EXER 1949. 106 Nach HWR s. v. eine Ableitung von VETEREM mit dem Suffix - UCEUM . 107 Im Surmeir geht die Pejorisierung der Bedeutung noch weiter: vadreisch bedeutet dort ‚ halbfaul, halb verdorben ‘ (Holz, Kleider). S ONDER / G RISCH 1970 s. vadreisch, E BNETER 1981 s. vadroisch. Der engadinische Autor Reto Caratsch (1901 - 78), der sich in seiner Satire La Renaschentscha dals paragons (1949) über die rätoromanische Sprachbewegung lustig macht, braucht vegl vadrüsch in Beziehung auf sprachliche Archaismen, in deutlich satirischer Absicht: „ lo (scil. bei den „ klassischen “ Autoren des 16. Jahrhunderts) as stuvet el fermer, nun siand bun da chatter documaints linguistics auncha plü vegls vadrüschs “ (da mußte sie [scil. die Zeitung] Halt machen, da sie keine noch älteren Sprachzeugnisse finden konnte). Cf. R IATSCH 1998: 183. 108 Mc. 2.21. 109 So die Übersetzung DRG 6: 43 s. fal. 240 3 Der Wortschatz der frühen Schriftsprachen <?page no="241"?> modernen Sprache verschwunden sind. Sehr oft handelt es sich um alte Germanismen, zum Teil auch um Italianismen. Wir beginnen mit den Beispielen, die keiner dieser beiden Kategorien angehören. Völlig vereinzelt ist das Verb infuliar ‚ befehlen ‘ , das Chiampel in seiner Vorrede zum Cudesch da psalms verwendet 110 : . . . chia Christ nun lg hagia in lgur infulliad nè cummandad (Zwick: „ Dann Christus habs nienen befollen noch potten “ ) C HIAMPEL XXIV,20. Laut DRG 4: 460s. s. cungüstar ‚ erwerben, erobern ‘ ist dieses Verb zwar nicht ganz aus der modernen Sprache verschwunden 111 , hat seinen Schwerpunkt jedoch eindeutig im Altengadinischen. Bei Chiampel lautet es cunchiüstar, bei Bifrun acunchiüstêr, bei Travers congüster, acungiüstêr, ähnlich bei einigen Autoren des 17. Jahrhunderts (DRG loc.cit.). per fer vendetta da lur dan arfschieu, Et congüstêr que ch ’ els havaivan perdieu ( „ um sich für den Schaden, den sie erlitten hatten, zu rächen, und um wieder zu erobern, was sie verloren hatten “ ) T RAVERS , Müs 159 - 60. Cf. 380. Im modernen Engadinischen ist für ‚ erwerben ‘ aquistar, für ‚ erobern ‘ conquistar bei weitem geläufiger als cungüstar. Travers verwendet das Verb sgiudair in der Bedeutung ‚ entgelten ‘ : Dalg quel l ’ Imperadur prandêt grand displaschair Et las Lias sainza dubi ho fat sgiudair ( „ Das verdross den Kaiser sehr, und er liess es die Bünde zweifellos entgelten “ ) T RAVERS , Müs 336 - 37. Pallioppi verzeichnet das Verb schgiudair als veraltet und führt ein Beispiel aus Susanna, einem Drama des 16. J.s, an 112 . Ähnlich liegen die Dinge im Fall von vadar, vader ‚ vorenthalten, verweigern ‘ 113 . Das nach Pallioppi veraltete Verb erscheint bei Travers als avdêr: Tuot âque vous l ’ g Castelaun da Müs avdêr ( „ All das wollte der Schlossherr von Musso verhindern “ ) T RAVERS , Müs 259 114 . Das Substantiv cumbagl m. ‚ Sitte, Gewohnheit, Verhalten ‘ (und weitere Bedeutungen. Cf. DRG 4: 377) ist auf das Altengadinische beschränkt. Es ist bei verschiedenen alten Autoren bezeugt, unter andern bei Travers: 110 Unsere Stelle ist das einzige Beispiel unter infuliar DRG 9: 67. Die Herkunft ist nicht geklärt. 111 Man muß in Rechnung stellen, daß die Aufnahmen, die dem Material des DRG zugrunde liegen, in den Anfang des 20. Jahrhunderts zurückgehen. 112 V. 1638. Cf. U LRICH 1888. Zum Lautlichen p. 105. 113 Wie it. vietare, afr. veer < lat. VETARE , allerdings in leicht abweichender Bedeutung. Cf. FEW 14: 357 s. 114 Derselbe Autor verwendet das Verb auch im Drama vom Verlorenen Sohn, D ECURTINS 1900: 70 V. 987 und 71 V. 1043 in der Form afder. 241 3.3 Lexikalische Besonderheiten bei weiteren Autoren d. 16./ 17. Jahrhunderts <?page no="242"?> Dalg tuot avisaiva l ’ g Düchia alg cunsailg Chia d el nun plaschaiva noas cumbagl ( „ alles meldete der Herzog dem Rate [und liess wissen], dass ihm unser Verhalten missfalle “ 115 ) T RAVERS , Müs 21 - 22. Bei Chiampel begegnet der Ausdruck giandesflas vaunas, „ leere Flausen “ als Übersetzung von dt. „ leichtfertiger schimpf “ 116 bei Zwick: tschauntschas narras è giandesflas vaunas (Zwick: „ narrenthädig vnd leichtfertiger schimpf “ ) C HIAMPEL XXXI,59 - 60. DRG 7: 156 verweist unter giandefla auf das Verb sgiandaflar ‚ laut herauslachen ‘ , von dem giandefla abgeleitet wäre. Bei Travers ist eine Ableitung von schluppet ‚ Gewehr ‘ belegt, die ‚ Gewehrschütze ‘ bedeuten muß 117 , in der modernen Sprache jedoch nicht mehr vorkommt: L ’ g Capituni Grâs, cun 500 slupatêrs, Per val da l ’ g Bit, vous gnir da tiers ( „ Der Hauptmann Grass wollte mit 500 Gewehrschützen durch die Val Bett 118 dazukommen “ ) T RAVERS , Müs 543 - 44. Das Substantiv chavagl (die Schreibung reduziert die unterschiedlichen alten Graphien auf eine Version, die modernen engadinischen Schreibgewohnheiten entspricht) kommt nicht als freies Nomen vor, sondern nur in festen Fügungen, so cun chavagl ‚ mit Sorgfalt ‘ , dar chavagl ‚ sich bemühen ‘ . Die erste Wendung ist bei Chiampel belegt: . . . queaus chi haun scritt giuo, haun tgnüd pauca diligentza è scritt maal cun chiawalg ( „ diejenigen, die es abgeschrieben haben, haben wenig Sorgfalt walten lassen und unaufmerksam [unsorgfältig] geschrieben “ ) C HIAMPEL XXII,115 - 116. Sgundar pür saimper lur cussailg E lg dritzan our cun maal chiawailg ( „ [sie wollen] nur immer ihren eigenen Ratschluss befolgen und führen ihn unsorgfältig aus “ ) C HIAMPEL , Ps. 2,27-28. Travers sagt am Ende seines Gedichts über den Müsserkrieg, er habe darin Cun pitschna destrezza do chiavalg, Haves h ’ gieu bsöeng d ’ meilder cusailg ( „ Mit geringem Geschick habe ich mir Mühe gegeben; ich hätte bessere Einsicht nötig gehabt “ ) T RAVERS , Müs 697 - 98. 115 So die Übersetzung DRG 4: 377, die nicht wirklich befriedigt. Dagl tuot dürfte eher ein adverbialer Ausdruck sein als Objekt von avisaiva. Allerdings paßt die übliche Bedeutung ‚ ganz, völlig ‘ auch schlecht. Ms. F hat (als einziges) ilg tuot, was wohl die Übersetzung in DRG bedingt hat. 116 Schimpf hat hier die im Mhd. und Frühneuhochdeutschen geläufige Bedeutung ‚ Scherz ‘ . 117 Schluppet + Suffix - ARIUS , das Nomina agentis bildet. 118 Es muß sich um ein Seitental des Veltlins handeln, das ich bisher nicht identifizieren konnte. Die Mss. BC haben Bitt, DF Bett. 242 3 Der Wortschatz der frühen Schriftsprachen <?page no="243"?> Ausgehend von dieser Stelle habe ich 1997 versucht, die Bedeutung von aeng. chavagl und dessen etymologische Herkunft zu klären 119 . Eine Besonderheit des Altsutselvischen ist die Form nui, die bei Bonifaci und Nauli als unbestimmter Artikel ( ‚ ein ‘ ) oder als Indefinitum ( ‚ einem, irgend einem, keinem ‘ ) im Dativ vorkommt 120 . In Artikelfunktion braucht Bonifaci nui verschiedentlich: perche che statt nagutta plij mal à nui Giuvnal ha mentchir ( „ Denn nichts steht einem Jüngling schlechter an als lügen “ ) B ONIFACI 7,18-19 Scha tij vedzas quegl cha à nui auter statt mal, fui tij lgietz ( „ Wenn du siehst, was einem andern übel ansteht, dann vermeide das “ ) B ONIFACI 7,26-27 Scha tij vedzas quegl cha à nui auter statt bein & vean laudaa, bigchia te turpagear da far scò ell ( „ Wenn du das siehst, was einem andern wohl ansteht und gelobt wird, dann schäme dich nicht, zu tun wie er “ ) B ONIFACI 7,27-29 121 . In Kombination mit der Negation na bedeutet nui ‚ jemandem ‘ , na nui ‚ niemandem ‘ : guarda cha tij . . . na nui fetschas da laed ( „ pass auf, dass du niemandem schadest “ ) B ONIFACI 6,1-2 Gijr na nui mal, scha chi gij ear nagün mal ( „ sag über niemanden Böses, dann sagt auch niemand Böses über dich “ ) B ONIFACI 7,4-5 far na nui da laed ne digl mal ( „ Tu niemandem Böses oder Übles “ ) B ONIFACI 7,24. Auch Adam Nauli verwendet nui als Indefinitum, in der Gegenüberstellung à nui . . . gl ’ autrui ‚ dem einen . . . dem andern ‘ : Item cò prouas quest priuilegi, à nui & biggia ear gl ’ autrui? ( „ Ferner, wie beweisest du dieses Privileg, [dass es] dem einen und nicht auch dem andern [zukommt]? “ ) 122 N AULI 32,23-24. 119 L IVER 1997. Ich bin immer noch der Meinung, daß die dort vertretene Auffassung (aeng. chavagl, surs. cavegl wären mit it. in incavigliare, fr. encheviller zu verbinden) überzeugender ist als der Etymologievorschlag in DRG 3: 116ss. s. cavegl I. D ECURTINS 2001 s. cavegl nimmt meinen Vorschlag nicht zur Kenntnis. 120 Die etymologische Basis dieser Form muß ein vlat. * UNUI sein, eine Umgestaltung des kl. Dativs UNI nach dem Muster des Relativpronomens CUI , wie in it./ fr. lui < ILLUI für kl. ILLI . Weitere UI -Formen, immer aus dem Altsutselvischen, verzeichnet DRG 7: 403 s. gli. Cf. rum. unui, Genitiv/ Dativ-Form des proklitischen unbestimmten m. Artikels. FEW 14: 56 s. unus macht darauf aufmerksam, daß lat. unus in Texten mit umgangssprachlichen Merkmalen, z. B. bei Plautus (Asin. 521), „ ungefähr gleichbedeutend “ mit quidam sein konnte. Die Aphärese des Anlautvokals in nui erklärt sich leicht aus den Akzentverhältnissen (Betonung auf -úi). Aphärese von uim unbestimmten Artikel (f.) ist übrigens auch im Italienischen weit verbreitet (na). Cf. AIS 1: 49 „ una bella signora “ . 121 A nui auter auch B ONIFACI 6,13, in einer nicht ganz klaren Passage. 122 Gemeint ist, daß die einen ohne Buße ins Paradies kommen könnten, die andern aber nicht. Cf. auch das Zitat bei G ARTNER 1883: 106. 243 3.3 Lexikalische Besonderheiten bei weiteren Autoren d. 16./ 17. Jahrhunderts <?page no="244"?> Bei Bonifaci findet sich als Entsprechung der dt. Adversativ-Fügung ‚ nicht nur. . . sondern auch ‘ geläufig bigchia namae. . . mò era, so 1,11-12, 2,6-8, 3,9, 4,21-22 (mit graphischen Varianten). Derselbe Typus ist bei Chiampel belegt: . . . lg chiantar, chi devainta brichia numae in lg cour, moa eir cun lg fladt (nach Zwick: „ vom singen/ nit das im hertzen allein/ sunder mit dem athem gschicht “ ) C HIAMPEL XXVI,92 - 93 123 . Ebenfalls bei Bonifaci findet sich die Konjunktion per nott cha ‚ damit, auf daß ‘ : . . . per nott ch ’ igl num da Deu vignig hundraa & glorificaa „ auf dass der Name Gottes geehrt und verherrlicht werde “ B ONIFACI 2,2-3. Dieselbe Konjunktion finaler Bedeutung ist auch 2,29 bezeugt. Sie ist auch in alten Texten aus dem Engadin, dem Surmeir und der Surselva belegt 124 . Guar ist bei Bonifaci die übliche Form für die Konjunktion ‚ oder ‘ : . . . quest praescheint cudisch guar Catechism ( „ dieses vorliegende Buch oder Katechismus “ ) B ONIFACI 3,6-7 und öfters. DRG 7: 929 verzeichnet guar ‚ oder ‘ als altsutselvisch (die Belege stammen alle aus Bonifaci), var gleicher Bedeutung als altsurmeirisch 125 . Unter der Überschrift Cô ün Giuvnal de ordinar la mesa „ Wie ein Jüngling den Tisch bereiten soll “ schreibt Bonifaci: Avncha tij seadzas à mesa, ordeina & paregia vivaunt tuttas chiausas ( „ Bevor du dich zu Tische setzest, sollst du voher alles ordnen und vorbereiten “ ) B ONIFACI 5,26. D ECURTINS 2001 verzeichnet aunc, aunca für S als veraltete Konjuktion in der Bedeutung ‚ bevor ‘ 126 . Unter den Worttypen, die in den untersuchten Texten vorkommen, in der heutigen Sprache jedoch nicht mehr gebräuchlich sind, befinden sich auch zahlreiche Entlehnungen aus dem Deutschen resp. Schweizerdeutschen oder Tirolischen. Im obigen Vergleich zwischen Bifrun und Luci Gabriel haben wir festgestellt, daß die surselvische Bibelübersetzung mehr Germanismen aufweist als die oberengadinische (oben 3.2.3 p. 215 - 19). Aus den hier untersuchten Textabschnitten 123 DRG 11: 622 s. mâ ‚ nie ‘ wird für S und Suts. buca mai . . .mo (er) angeführt, nicht aber unsere Form, die auch unter ma I ‚ aber ‘ fehlt, wo p. 608 Ausdrücke für ‚ nicht nur . . . sondern auch ‘ verzeichnet sind. 124 Cf. D ECURTINS 2001 s. pernot und L IVER 1969: 84s., wo die schwierige Etymologie der Konjunktion diskutiert wird. Ein Zusammenhang mit not von dt. Not (cf. surs. far not ‚ etwas sehnlich begehren ‘ , nottbasüngs ‚ Notdurft ‘ bei Bonifaci, unten p. 249) ist wahrscheinlich. 125 Es wird auf it. ovvero verwiesen, dem lat. VERUS resp. VERE oder VERO zugrundeliegt, wie br. ver, var ‚ ungefähr ‘ (cf. HWR s. ver). 126 Im Artikel ant DRG 1: 294 s. fehlen Beispiele aus C. 244 3 Der Wortschatz der frühen Schriftsprachen <?page no="245"?> ergibt sich ein ähnliches Bild: Die surselvischen und die sutselvischen Autoren verwenden häufiger Germanismen als die engadinischen. Krude, unangepaßte Germanismen finden sich jedoch durchaus auch bei Chiampel und Travers. Im Vorwort zum Cudesch da psalms spricht Chiampel von Philipp Gallicius als „ meis spetzial bun amich è uègl fidel schuolmaister u preceptor (mein besonders guter Freund und alter treuer Schulmeister und Lehrer) “ . C HIAMPEL XXIII,130. Derselbe Germanismus ist auch bei Steffan Gabriel, dem ersten Autor des Surselvischen, belegt 127 , ebenso bei Zacharias da Salò 128 . Auch Travers verwendet in der Chianzun da Müs unangepaßte Germanismen, so 313 und 115 abscheid in der Bedeutung ‚ Bescheid ‘ 129 , 329 rüters ‚ Reiter ‘ 130 . Am meisten krude Germanismen finden sich bei Zacharia da Salò. Als gebürtiger Italiener hatte er surselvisch im direkten Kontakt mit den Einheimischen gelernt 131 . Man kann darum davon ausgehen, daß die Germanismen in seinen Texten in der gesprochenen Sprache der Zeit geläufig waren. In unserem Textabschnitt begegnen die folgenden Germanismen, die in ihrer Lautgestalt meist auf eine Entlehnung aus dem Schweizerdeutschen hinweisen: zuiuel ‚ Zweifel ‘ 91,5; ifer ‚ Eifer ‘ 94,8 132 ; erbarm ‚ Erbarmen ‘ 133 , strofgricht ‚ Strafgericht ‘ 95,2; Rechtsprechers 9,34; vershmochs ‚ Erniedrigungen ‘ 134 ; Landschriber 98,39. Bei Balzer Alig findet sich der Germanismus vfrür ‚ Aufruhr ‘ (A LIG 105,2), von dem oben p. 216 im Zusammenhang mit der Bibelübersetzung von Luci Gabriel die Rede war. Bonifaci verwendet in seinen Vorschriften zur Tischkultur die Germanismen schüsselring (B ONIFACI 5, 28 UND 30) 135 und tischzvechli: Cur tij bevas furba la bucca cun dus detts guar tischzvechli ( „ Wenn du trinkst, dann reib dir den Mund mit zwei Fingern oder der Serviette 136 ab “ ) B ONIFACI 6,16. Adam Nauli sagt von seinem Gegner Steffan Gabriel: schi isch tei & tutts ils auters sectierers della doctrina dil antichrist ( „ so bist du und alle andern Anhänger [Sektierer] der Lehre des Teufels “ ) NAULI 37,3-4. 127 Cf. L IVER 1991: 103. 128 D A S ALÒ 93,19: „ sco el vegnieva ludaus dels ses Schuelmeisters “ (wie er von seinen Lehrern gelobt wurde). 129 Cf. DRG 1: 65. 130 DRG 6: 259 s. fidar wird die Stelle übersetzt: „ als diese Reiter so sorglos daherkamen “ . 131 Cf. D EPLAZES 1988: 27ss. 132 Durch D ECURTINS 2001 als veraltet ausgewiesen. Cf. DRG 8: 176. 133 Durch D ECURTINS 2001 als veraltet ausgewiesen. Cf. DRG 5: 667. 134 Cf. DRG 6: 220 s. ferschmoch ‚ Schmach, Schimpf ‘ < schwdt. Verschmach ‚ Geringschätzung, Verachtung ‘ (Schw. Id. 9: 828). Unsere Stelle fehlt. 135 Wahrscheinlich ein Untersatz für die heißen Schüsseln. 136 Cf. berndeutsch (veraltet) Zwächeli ‚ Handtuch ‘ (V ON G REYERZ / B IETENHARD 1981). Cf. mhd. twehel, zwehel, twehele ‚ leinenes tuch, . . . tischtuch ‘ (L EXER 1949). 245 3.3 Lexikalische Besonderheiten bei weiteren Autoren d. 16./ 17. Jahrhunderts <?page no="246"?> Er beschuldigt ihn auch, nur diejenigen Bibelstellen zu benutzen, die seine Thesen stützten: & lais blear platts ils quals ean conter tei ( „ und du lässt viele Stellen [Blätter] beiseite, die gegen dich sprechen “ ) N AULI 31,11-12. D ECURTINS 2001 bezeichnet plat ‚ Blatt, Papierblatt ‘ für das Surselvische als veraltet. Neben den unverändert ins Rätoromanische übernommenen Germanismen finden sich auch mehr oder weniger assimilierte Entlehnungen, die ebenfalls aus der modernen Sprache wieder verschwunden sind. Eine rein lautliche Anpassung liegt in schencks ‚ Geschenke ‘ 137 vor, das Alig in seiner Wiedergabe von Matthäus 2,11 verwendet: ad arvenen si lur scazis, à gli vnfrinen schencks ( „ und sie öffneten ihre Schätze und brachten ihm Geschenke dar “ ) A LIG 108,31. Luci Gabriel hat an dieser Stelle duns. Zacharias da Salò schreibt in seinem Spieghel da devotiun über die Jungfau Maria, sie sei la plii schobra, ziechtia, & la pli perfegghia, enten tuttas virtuts ( „ die reinste, züchtigste und vollkommenste in allen Tugenden “ ) D A S ALÒ 90,4-5. Die lautliche Anpassung von ziechtia < dt. züchtig ist dieselbe wie im surs./ suts. Adjektiv fiehti < schwdt. füechtig: Entrundung von ü zu i und Schwund von -g 138 . Oft geschieht die Integration durch romanische Wortbildungsverfahren, die auf die germanische Basis angewendet werden. Vom in E veralteten Adjektiv fri ‚ frei ‘ ist frytad mit dem Suffix -( IT ) ATE abgeleitet 139 . Gallicius schreibt im Vorwort zu Chiampels Cudesch da psalms: . . . lg Chiastlaun da Müsch . . . incuntra gl qual Deis ans haa datt uittoargia è ns cussaluad in noassa frytad ( „ der Kastellan von Musso, gegen den uns Gott den Sieg gegeben und uns in unserer Freiheit bewahrt hat “ ) C HIAMPEL XVIII,32 - 35. Verben mit germanischem Stamm werden häufig mit dem Suffix - IDIARE (surs. -egiar, -iar, suts. -agear) in das Bündnerromanische integriert 140 . Balzer Alig übersetzt Iesaia 60.3 wie folgt: 137 Vereinfachung von aus dem Schweizerdeutschen entlehntem gschzu schliegt auch in surs. schledra ‚ grobes, krautiges Gras ‘ < schwdt. G ’ schlüder vor. Cf. D ECURTINS 2001 s. v. und E ICHENHOFER 1999: 221 (§ 288 c). Cf. auch D ECURTINS 1911: 217 (Cudisch da priedis): „ la mortt . . . prenda nagins duns à schencks “ (der Tod nimmt keine Gaben und Geschenke an). 138 Cf. DRG 6: 262 und E ICHENHOFER 1999: 170 (§ 226 b) und 432 (§ 647 d). 139 Cf. DRG 6: 598. In S ist fri als Rechtausdruck ‚ frei, eigen ‘ noch lebendig, ebnso frietad ‚ Freiheit, verbrieftes Recht. Cf. D ECURTINS 2001. 140 Cf. oben p. 166ss. Zur Integration von germanischem Wortgut ins Bündnerromanische cf. auch L IVER 2011. 246 3 Der Wortschatz der frühen Schriftsprachen <?page no="247"?> Als pagauns vegnien vnligiar enten tia glisch (Vulgata: „ Et ambulabunt gentes in lumine tuo “ ) A LIG 108,2-3. D ECURTINS 2001 verzeichnet undlegiar < dt. wandeln + -egiar als altsurselvisch. Travers verwendet das Verb spisager in der militärsprachlichen Bedeutung ‚ mit Lebensmitteln versehen, verproviantieren ‘ : L ’ g Chiastè, chia m laschien spisagiêr ( „ Sie sollen mich das Schloss verproviantieren lassen “ ), T RAVERS , Müs 477. Cf. auch 77. Die Ableitung mit dem Suffix - IDIARE geht von aus dem Schweizerdeutschen entlehntem spisa aus, das im älteren Engadinischen belegt ist 141 . Spisgiar ‚ speisen ‘ (trans.) ist im Surselvischen noch heute geläufig, während im Engadin altes spisgiar, spisager durch spisgiantar, -er abgelöst worden ist 142 . Eine weitere - IDIARE -Bildung mit deutscher Basis ist E handliar, S hanlegiar. Das Verb wird heute nur noch im Sinne von ‚ Handel treiben, feilschen ‘ verwendet 143 . In der alten Sprache war es, wie dt. handeln, auch in der Bedeutung ‚ sich benehmen, sich verhalten ‘ geläufig. Bonifaci schreibt in seinem Katechismus: Mò scha tij handlegias cun mala fee eint ’ igl côr, te vean Deus bigchia à laschar îr vij seinza castigameint (übersetzt nach: „ handelst du aber vngtrewlich im Hertzen/ so wird es Gott nit vngestraffet lassen “ ) B ONIFACI 7,13-14 144 . Im heutigen Sutselvischen ist die Bedeutung des Verbs handlagear wie in E und S auf ‚ feilschen, markten ‘ eingeschränkt (E ICHENHOFER 2002 s. v.). Eine Übernahme des ahd./ mhd. Adjektivs gram ‚ zornig, unmutig ‘ ist im Altengadinischen gelegentlich bezeugt, meist als Interjektion ‚ weh mir/ euch . . . ‘ (cf. DRG 7: 682). Bei Travers findet sich das Adverb grammamaing: In la fortezza füt el grammamaing condüt ( „ Er wurde mit Gewalt in die Festung gebracht “ ) T RAVERS , Müs 53. Das im Aeng. und Asurs. gut belegte Substantiv craft ‚ Kraft, Macht ‘ < dt. Kraft ist aus der modernen Sprache verschwunden. Dagegen lebt die adjektivische Ableitung craftaivel (Suffix - IBILE ) in der Bedeutung ‚ kräftig, schmackhaft ‘ in Bezug auf Speisen weiter (DRG 4: 177 s.). Chiampel verwendet die adverbiale Form kraft- 141 Heute spaisa, was nach HWR s. v. von tirol. Spais beeinflußt sein dürfte. 142 Spisagiaer ist auch bei Lüci Papa belegt (cf. HWR s. spisgiar). In spisgentar etc. ist das Faktitivsuffix - ENTARE zum Stamm von spisgiar getreten. 143 Zudem konkurrenziert von geläufigerem commerciar, far commerzi (E), far commerci (S) ‚ Handel treiben ‘ , marchantar (E), marcadar (S) ‚ feilschen ‘ . 144 So zitiert in DRG 8: 13, wo weitere alte Zeugnisse aus verschiedenen Regionen für diese Verwendung angeführt sind. Cf. auch D ECURTINS 2001 s. hanlegiar. 247 3.3 Lexikalische Besonderheiten bei weiteren Autoren d. 16./ 17. Jahrhunderts <?page no="248"?> aiwelmaingk ‚ kraftvoll ‘ , um die Ausdrucksstärke der biblischen Psalmen zu beschreiben: . . . aint in lg cudesch da ls psalms . . . ais tuotta la süstauntza da la uaira cretta Christiauna . . .uschè bain, claer è kraftaiwelmaingk . . . cumpillgada è sarrada ( „ im Buch der Psalmen ist die ganze Substanz des wahren christlichen Glaubens so gut, klar und kraftvoll erfasst und enthalten “ ) C HIAMPEL XXI,59 - 63. Eine Art Kontamination von rätoromanischer Form und deutscher Entsprechung liegt in erbtavel m. ‚ der Erbe ‘ vor, das bei Bonifaci vorkommt: . . . schi veans à plascheer à Deu, & esser seu erbtavel ( „ so wirst du Gott gefallen und sein Erbe sein “ ) B ONIFACI 7,35-36. Im Artikel iertavel (DRG 8: 172) wird diese Stelle zwar zitiert, es fehlt jedoch ein Kommentar zu der auffälligen Form. Neben den unveränderten Übernahmen und den integrierten Entlehnungen spielen auch Lehnübersetzungen eine Rolle. Seit den Anfängen der Schriftlichkeit bis heute ist die Wiedergabe von deutschen Fügungen aus Verb + Ortsadverb mit einheimischem Sprachmaterial im BR äußerst verbreitet. Chiampel übersetzt zuofaelle bei Zwick mit chiaussas chi lg croudan proa „ Dinge, die ihm zufallen “ : Lg oastan laproa blearas autras fantaschias è chiaussas chi lg croudan proa (Zwick: „ Es weeret darby vil anderen fantisyen vnd zuofaellen “ ) C HIAMPEL XXVII,134 - 35. Im Artikel crodar des DRG, wo alle Erweiterungen des Verbs mit Adverb aufgeführt sind, fehlt ein Eintrag crodar pro; unter crodar tiers in der Bedeutung ‚ zufallen, zukommen ‘ findet sich jedoch überraschend ein Beispiel für diese Fügung aus dem Münstertal aus dem 18. Jh. (crodada pro ‚ zugefallen ‘ . DRG 4: 265). Adam Nauli schreibt in seiner polemischen Schrift Anatomia dil sulaz, in der er die Argumentationen des reformierten Theologen Steffan Gabriel, Autor von Ilg Vêr Sulaz da pievel giuvan (1611), zu widerlegen versucht: donque stò ei esser in liug nua ch ’ el possig fâr trâs quels pugiaus ( „ also muss es einen Ort geben, wo er diese Sünden abarbeiten kann “ ) N AULI 32,21. Es geht um die Kontroverse, ob es ein Fegefeuer gebe oder nicht. Die Fügung far tras entspricht dem schwdt. dürtue, was soviel wie ‚ aufheben, auslöschen ‘ bedeutet 145 . Bonifaci verwendet gir tier, was dem dt. zusagen nachgebildet ist: Ilg qual ell . . . ans ha gitgh tiers „ Was er uns zugesagt hat “ B ONIFACI 3,17-18 146 . 145 Cf. Schw. Id. 13,439. Im Artikel far DRG 6: 93ss. kommt far tras nicht vor. 146 Cf. DRG 5: 257 s. dir I, wo unsere Stelle das einzige Beispiel ist. 248 3 Der Wortschatz der frühen Schriftsprachen <?page no="249"?> Derselbe Autor gibt eine Psalmenstelle, die in verschiedenen Versionen der Bibel verschieden lautet, wie folgt wieder: Chi ees scò igl Signer noss Deus, igl qual igl seu esser & habitatiun aschi ault ha, & auncalur se bassa & s ’ lascha giu; per guardar tutt eintin tschiel & eintin terra ( „ Wer ist wie der Herr unser Gott, der sein Wesen und seinen Sitz so hoch oben hat, und der dennoch herabkommt und sich herablässt, um alles im Himmel und auf Erden anzuschauen “ ) B ONIFACI 8,26-28, P SALM 112. Es scheint, daß se bassa und s ’ lascha giu hier synonym sind. Der zweite Ausdruck ist offensichtlich eine Lehnübersetzung von dt. sich herablassen. Unter den Beispielen von laschar refl. + Ortsadverb im Artikel laschar DRG 10: 511 s. ist diese Verwendung nicht verzeichnet. Zum Schluß noch zwei besondere Fälle von Lehnübersetzung. Wenn Bonifaci das dt. Notdurft mit nottbasüngs wiedergibt, liegt eine Art Kombination von Entlehnung und Lehnübersetzung vor. Dt. Not ist in der surs. Wendung far not ‚ etwas sehr gerne haben; nötigen ‘ ins BR eingegangen (cf. oben p. 175); basegns ist die suts. Entsprechung von dt. Bedürfnis. . . . fui la ebriauntza, beva & mandigia teas nottbasüngs, che ch ’ ees memgia, porta malzognia ( „ vermeide die Völlerei, trink und iss, was du nötig hast, was zuviel ist, macht krank “ ) B ONIFACI 6,9-10. Cf. 2,23. Travers verwendet in der Chianzun da Müs zweimal das Verb incraser ‚ einkreisen, umzingeln ‘ : Lg Chiaste savaiv ’ el ch ’ eira mel spisagiô, Et da bun Grischuns p(er) tuot incrasô ( „ Er wusste, dass das Schloss schlecht versorgt und von tapferen Bündnern umzingelt war “ ) T RAVERS , Müs 520 - 21. Cf. 545. Der Autor des Artikels incresar im DRG (8: 559ss.) hält eine einheimische Bildung eines Parasynthetikums, ausgehend von der alten Entlehnung cres ‚ Kreis ‘ für wahrscheinlicher als eine direkte Übernahme (besser: Lehnübersetzung) von dt. einkreisen. Das eine schließt das andere nicht aus. Beide Wege sind möglich und können durchaus zusammengewirkt haben. Nach den Belegen im zitierten Artikel ist die Bildung alt und nur literarisch. Sie ist auch bei Bifrun belegt (incrasêr aint Lu. 21,20, Io. 10,24). Unter den Worttypen, die in der alten Sprache belegt sind, im modernen BR aber nicht mehr vorkommen, sind natürlich auch Italianismen. Wir haben die Italianismen in dieser Untersuchung nicht berücksichtigt, da eine umfassende Untersuchung zu diesem Thema zur Zeit in Arbeit ist 147 . 147 Es handelt sich um die Habilitationsschrift von Matthias Grünert, Universität Zürich und DRG. 249 3.3 Lexikalische Besonderheiten bei weiteren Autoren d. 16./ 17. Jahrhunderts <?page no="250"?> Am Schluß dieses Kapitels sei nur am Rande auf einige Fälle hingewiesen, die illustrieren, wie vertraut Travers mit dem Italienischen war, was ja nicht erstaunt, da er von 1523 - 27 Statthalter im Veltlin war. Statt dem br. temma braucht Travers für ‚ Furcht ‘ den Italianismus paiüra: Brick per schivir ls Jnimis d ’ paiüra ( „ Nicht um den Feinden aus Angst auszuweichen “ ) T RAVERS , Müs 219 148 . Chiatalauns ‚ Katalanen ‘ als Schimpfwort ist altengadinisch nicht nur bei Travers bezeugt: Pü barchas lo pareten per mauns, Plainas da mêl chiatalauns ( „ Dort erschienen noch mehr Schiffe voll von schlimmen Kerlen “ ) T RAVERS , Müs 431 - 32 149 . Das Wortspiel mit dem Namen „ Travers “ , das der Autor dem Schloßherrn von Musso in den Mund legt (und das dieser vielleicht wirklich gemacht hat), funktioniert nur auf dem Hintergrund von it. traversare ‚ impedire ‘ : Johan Travers, traversô taunt m hest tü Ch ’ eau nun vöelg tü ’ m traversast plü ( „ Gian Travers, du bist mir so lange in die Quere gekommen, dass ich nicht will, dass du mir weiterhin in die Quere kommst “ ) T RAVERS , Müs 473 - 74 150 . 3.3.4 Ergebnisse Die untersuchten Texte enthalten einige Beispiele für eine weitere Verbreitung gewisser Worttypen in alter Sprache, die heute regional begrenzt sind (oben p. 232 - 34). Häufiger sind die Fälle, in denen die Unterschiede zwischen alter und moderner Sprache nur in einem bestimmten Idiom auftreten. So ist etwa die auffällige a-Prothese (oben p. 235 - 37) auf das Altoberengadinische beschränkt. Die Bedeutungsveränderungen, die manche Worttypen im Laufe der Zeit erfahren haben, sind vielfältig und lassen sich kaum systematisieren. Relativ häufig ist eine Spezialisierung zu beobachten. E fruost, S frust bedeutet in der alten Schriftlichkeit allgemein ‚ Stück ‘ ; heute überwiegen die spezifischeren Bedeutungen ‚ Bissen ‘ und ‚ Landstück ‘ (oben p. 239). E maschun, S mischun bezeichnet in ältererer Sprache ‚ Wohnstätte ‘ in einem weiten Sinn, entsprechend der lat. Basis MANSIO . Heute ist der Ausdruck auf den Aufenthaltsort der Hühner, die Hühnerstange, eingeschränkt (oben p. 239). 148 Ähnliche Formen im Nordtessin. Cf. LSI 3: 685 s. pagüra. 149 Auch D ECURTINS 1900: 387 V. 505 (Histoargia dalls trais Iuvans). 150 Zu den Italianismen in der Chianzun da Müs ausfühlicher L IVER 2012 (im Druck). 250 3 Der Wortschatz der frühen Schriftsprachen <?page no="251"?> Zuweilen überlebt eine alte Bedeutung nur in festen Fügungen, so E vadrüsch ‚ alt ‘ in vegl (e) vadrüsch ‚ uralt, abgenutzt ‘ (p. 240), E lungunar ‚ verlängern ‘ in der Wendung tuot il lunganà di ‚ den lieben langen Tag ‘ (p. 236). Völlig aus dem Sprachgebrauch verschwunden sind der asuts. Dativartikel nui ‚ einem ‘ (p. 243) und die Konjunktionen asuts. guar, asurm. var ‚ oder ‘ und allgemein verbreitetes per nott che ‚ damit ‘ (p. 244). Auch aeng. chavagl ‚ Sorgfalt ‘ (p. 242s.) ist heute nicht mehr verständlich. Die vielen unangepaßten und angepaßten Germanismen und Lehnübersetzungen aus dem Deutschen, die oben (p. 245 - 49) besprochen wurden, sind inzwischen aus dem BR verschwunden, dies aus unterschiedlichen Gründen, die sich in vielen Fällen nicht ausmachen lassen. Der Sprachwandel ist ein komplexer Vorgang, dessen vielfältige Modalitäten im konkreten Einzelfall oft verborgen bleiben 151 . Das Ziel dieses Kapitels war es, Eigenheiten der frühen Schriftsprachen Romanisch Bündens darzustellen, die die alte Sprache vom heutigen Bündnerromanischen unterscheiden. 151 Cf. K ELLER 1990. 251 3.3 Lexikalische Besonderheiten bei weiteren Autoren d. 16./ 17. Jahrhunderts <?page no="252"?> 4 Schluß Es war von Anfang an klar, daß eine umfassende, geschweige denn eine vollständige Beschreibung des bündnerromanischen Wortschatzes (wie des Wortschatzes irgend einer Sprache) ein Ding der Unmöglichkeit ist. Auswahl und Gewichtung der behandelten Inhalte und Gesichtspunkte der Interpretation sind denn auch von subjektiven Entscheidungen abhängig. Abschließend sollen diese Entscheidungen und die Resultate der Untersuchungen zusammenfassend kommentiert werden. Im 1. Kapitel (p. 11 - 47) wird der bündnerromanische Wortschatz der Gegenwart dargestellt. Ausgewählte Wortfelder illustrieren die lexikalische Umsetzung gewisser Sektoren der Lebenswelt der Bündner Romanen: Verwandtschaftsbezeichnungen, Wahrnehmung (physische, psychische und intellektuelle Wahrnehmung), verbale Kommunikation, Orientierung im Raum, Haustiere. Einige dieser Themen spiegeln die Lebensbedingungen einer traditionell bäuerlichen Gesellschaft im alpinen Raum. Am charakteristischen System der Ortsadverbien und -präpositionen mit seinen Koordinaten „ hinauf - hinab, hinein - hinaus “ läßt sich ablesen, wie wichtig die Orientierung im Raum in der alpinen Umwelt ist (1.2.4). Die differenzierten Terminologien im Bereich der Tierzucht, vor allem für die wichtigsten Nutztiere Rind, Schaf und Ziege, illustrieren die wirtschaftliche Bedeutung dieses Sektors für die Bergbauern (1.2.5). Weniger spezifisch auf die alpine Lebenswelt bezogen ist der Bereich der Verwandtschaftsbezeichnungen, dessen lexikalische Repräsentation weitgehend vergleichbar ist mit derjenien in den Nachbarsprachen Deutsch, Italienisch und Französisch (1.2.1). Einzig in der differenzierten Ausgestaltung der Bezeichnungen für die Vetternschaft nach 1.-4. Grad zeigt sich der gesellschaftliche Hintergrund einer Gesellschaft, die in einem engen geographischen Raum lebt und sich entsprechend gegen die Gefahr von Inzucht schützen muß. Die Themen „ Wahrnehmung “ (physische, psychische, intellektuelle Wahrnehmung; 1.2.2) und „ Verbale Kommunikation “ (1.2.3) gehören zu den zentralen Bereichen menschlicher Aktivitäten. In der lexikalischen Repräsentation dieser Inhalte unterscheidet sich das Bündnerromanische nicht wesentlich von anderen Sprachen. Der Wildwuchs von expressiven Verben für „ schwatzen, plaudern “ kann als Merkmal einer schwach normierten, vorwiegend in der Mündlichkeit praktizierten Sprache gewertet werden. Das Auswahlkriterium für die im 1. Kapitel behandelten Themen ist nicht eine besondere Originalität der jeweiligen lexikalischen Beispiele. Die besprochenen Wortfelder gehören mehrheitlich zu zentralen Bereichen der Kommunikation. Daß in einigen davon die besondere Lebenswelt der Bergbauern, die ja heute nur <?page no="253"?> noch einen kleinen Teil der Rätoromanen ausmachen, eine größere Rolle spielt, in anderen weniger, ist sekundär. Im Abschnitt über die semantischen Relationen (1.4) spielt dieser Gesichtspunkt ohnehin keine Rolle. Im 2. Kapitel, das die Geschichte des bündnerromanischen Wortschatzes behandelt, kommt den Besonderheiten des Rätoromanischen eine größere Bedeutung zu. Hier stehen Worttypen im Zentrum, die das Rätoromanische als eigenständige Sprache innerhalb der Romania charakterisieren. Deshalb werden diejenigen Worttypen behandelt, in denen sich eine Sonderstellung des Bündnerromanischen zeigt, sei es durch die Erhaltung vorrömischer Basen in gewissen Bereichen des Wortschatzes (2.2.2), sei es durch die Fortführung einer besonderen Latinität. Entsprechend finden hier gesamtromanisch verbreitete lateinische Basen wie CASA oder CABALLUS , die einem großen Teil des bündnerromanischen Wortschatzes zugrunde liegen, keine Erwähnung. Die besprochenen lexikalischen Elemente sind vielmehr weitgehend Archaismen, die sich vor allem in konservativen Randzonen erhalten haben (2.2.3). Neben der besonderen Latinität prägt ein zweiter Faktor den Charakter des bündnerromanischen Wortschatzes: der jahrhundertealte Sprachkontakt mit dem Deutschen. Mit den germanischen Elementen im Bündnerromanischen befaßt sich der 3. Teil des Kapitels, das der historischen Schichtung des bündnerromanischen Wortschatzes gewidmet ist (2.2.4). Die vielfältigen Vernetzungen bündnerromanischer Worttypen mit Entsprechungen in alpinen Nachbargebieten, aber auch in größeren Räumen und teilweise in weit von Graubünden entfernten Randzonen der Romania, ergeben ein kompliziertes und uneinheitliches Bild. Sie lassen erkennen, daß in älterer Zeit viele der archaischen Züge, die das Rätoromanische charakterisieren, weiter nach Süden reichten. Die heute deutlichen Sprachgrenzen zwischen dem Bündnerromanischen umd den südlich und östlich angrenzenden alpinlombardischen Dialekten sind das Resultat von historischen (politischen und kulturellen) Prozessen, die zu einer Italianisierung der ursprünglich stark konservativen alpinlombardischen Dialekte geführt haben. Die zahlreichen lexikalischen Übereinstimmungen mit dem oberitalienischen Nachbargebiet, vor allem mit dem Bergell, dem Puschlav und konservativen Dialekten des Tessins, aber auch mit dem Chiavennasco und dem Veltlin, lassen ältere Gemeinsamkeiten erkennen. Wenn auch der Wortschatz weniger geeignet ist als andere Sprachbereiche, um Sprachzonen voneinander abzugrenzen, trägt dieser Befund doch dazu bei, das Konzept einer „ unità ladina “ zu relativieren. Der Sprachkontakt mit dem Deutschen ist neben der besonderen Latinität ein großes Thema in der Geschichte des Bündnerromanischen. Unsere Darstellung geht aus von den historischen Gegebenheiten, die die Voraussetzung für den jahrhundertelangen, intensiven Sprachkontakt zwischen dem Bündnerromanischen und dem Deutschen bilden (2.2.4.1). In einem ersten Abschnitt werden alte Germanismen behandelt, die schon ins Spätlatein eingegangen waren und somit in 253 4 Schluß <?page no="254"?> verschiedenen romanischen Sprachen weiterleben (2.2.4.3). Ein weiteres Kapitel stellt die Integration germanischen Lehnguts mithilfe romanischer Wortbildungsverfahren dar (2.2.4.4). Der folgende Abschnitt (2.2.4.5) befasst sich mit Lehnübersetzungen und Lehnbedeutungen, einem Phänomen, dem Ascoli in seiner Charakterisierung des Bündnerromanischen große Bedeutung zugemessen hatte. Seine Formel „ materia romana e spirito tedesco “ (A SCOLI 1880 - 83: 556) ist noch heute berühmt. Im Teilstück „ Entlehnungen aus dem Deutschen/ Schweizerdeutschen/ Tirolischen zu verschiedenen Zeiten “ (2.2.4.6) werden zunächst zwei generelle Probleme der Integration von Entlehnungen aus dem Deutschen besprochen: das grammatische Genus der Entlehnungen im Bündnerromanischen und die Gesetzmäßigkeiten phonetischer Anpassung. Es folgt eine Liste von Entlehnungen ohne größere Anpassung. Anschließend werden problematische Fälle diskutiert, in denen die Herkunft aus dem Deutschen nicht gesichert ist (2.2.4.7). In der abschließenden Bilanz (2.2.4.8) wird festgehalten, daß der Anteil an Germanismen, gemessen am Gesamtwortschatz des Vocabulari fundamental (S PESCHA 1994), erstaunlich gering ausfällt: 377 Germanismen auf eine Gesamtzahl von 7521 Wörtern, ca. 5 %. Dabei muß jedoch in Rechnung gestellt werden, daß viele in der Umgangssprache geläufige Germanismen aus didaktisch-puristischen Gründen aus dem Wörterbuch ausgeschlossen wurden, so etwa die äußerst geläufigen Abtönunspartikel aber, eba, halt, schon, zuar. Die Präsenz der Germanismen im Bündnerromanischen ist in der Forschung verschieden bewertet worden. Während Ascoli im Einfluß des Deutschen auf das Romanische eine zerstörerische Kraft sah, „ l ’ influenza deleteria del linguaggio di un ’ altra civiltà “ (A SCOLI 1880 - 83: 407), nimmt Alexi Decurtins eine pragmatische Haltung ein, die das geschichtlich Gewachsene akzeptiert, ja sogar eine Chance darin sieht. Er betont, daß das deutsche Lehngut im Bündnerromanischen gut integriert ist und in vielen Fällen sogar zum volkstümlichsten Teil der Sprache gehört; die von Ascoli gerügte Doppelnatur der Sprache ( „ un linguaggio come doppio “ ) erlaubt nach Decurtins eine Öffnung nach Norden und nach Süden (D ECURTINS 1993: 189 S .). Der dritte, letzte Teil unserer Darstellung (3., p. 204 - 51) beschäftigt sich mit dem Wortschatz der frühen Schriftsprachen. Die Materialbasis bilden ausgewählte Texte des 16. und 17. Jahrhunderts. In einem ersten Schritt werden die jeweils ältesten Bibelübersetzungen des Engadins und der Surselva einander gegenübergestellt (3.2). Anhand der fünf Kapitel 20 - 24 der Apostelgeschichte wird der Wortschatz von Giachem Bifrun mit demjenigen von Luci Gabriel verglichen. Diese Konstellation (gleicher Ausgangstext, zwei verschiedene Übersetzungen) erlaubt einen punktuellen Vergleich 1 . 1 Zu Einschränkungen der Vergleichbarkeit cf. oben p. 205. 254 4 Schluß <?page no="255"?> Ein Hauptergebnis der Untersuchung ist die Feststellung, daß sich die wesentlichen Unterschiede im Lexikon des Puter und des Sursilvan schon in den Bibelversionen von Bifrun und Gabriel abzeichnen. Auch die anteilmäßig größere Präsenz von Germanismen in der Surselva, die noch heute zu beobachten ist, wird vom Vergleich zwischen den beiden Übersetzungen bestätigt. Allerdings ist nicht auszuschließen, daß Bifrun in dieser Hinsicht bewußt zurückhaltend war. Überhaupt ist mit individuellen Entscheidungen der Übersetzer zu rechnen, die zu Abweichungen führen. Im großen Ganzen fällt jedoch auf, daß der Wortschatz der beiden Übersetzer nicht wesentlich von dem der entsprechenden heutigen Schriftsprachen abweicht. Dieses Resultat hängt mit Bestimmtheit auch mit der Textsorte zusammen. Die Sprache biblischer Texte hat sich im Laufe der Zeit weniger verändert als die anderer Lebensbereiche. Als Ergänzung und Korrektiv zu der speziellen Situation der Bibelübersetzung wurden abschließend Textbeispiele weiterer Autoren des 16. und 17. Jahrhunderts untersucht (3.3). Aus dem Engadin des 16. Jahrhunderts sind es das Versepos Chianzun dalla guerra dagl Chiaste da Müs von Gian Travers (1527, puter) und die Vorreden von Chiampel und Philipp Gallizius zu Chiampels Cudesch da psalms (1562, vallader). Das Sutsilvan vertreten der protestantische Domleschger Lehrer Daniel Bonifaci (Catechismus 1601) und der katholische Geistliche Adam Nauli, der in seiner Anatomia dil Sulaz dil Steaffan Gabriel (1618) das erfolgreiche Werk des älteren Gabriel, Ilg Vêr sulaz da pievel giuvan (1611), polemisch seziert. Als Beispiel für die katholische Version des Altsurselvischen werden Ausschnitte aus Balzer Aligs Passiun de nies Segner Iesu Christi (1672) und aus den Epistolas ad Evangelis (1674) untersucht, ferner Textproben aus dem Spieghel de devoziun (1665) und aus La Glisch sin il Candelier envidada (1685) des im Lugnez tätigen italienischen Kapuziners Zacharia da Salò. Die Untersuchung dieser Texte ergänzt die Ergebnisse aus dem Vergleich der Bibelübersetzungen von Bifrun und Gabriel. Unterschiede in der Lautgestalt gewisser Wörter zwischen der frühen Schriftlichkeit und der modernen Sprache illustrieren das Zusammenspiel von erbwörtlicher Entwicklung und neueren Entlehnungen (p. 234 - 37). Zahlreiche Worttypen, die heute auf ein bestimmtes Idiom begrenzt sind, kommen im alten Schrifttum in einem größeren Raum vor (p. 232ss.). Manche sind völlig aus der modernen Sprache verschwunden (p. 240ss.). Oft hat sich der Bedeutungsumfang eines Wortes verändert (p. 237ss). Eine große Zahl von heute nicht mehr geläufigen Entlehnungen aus dem Deutschen, sowohl unverändert übernommene als auch an das Rätoromanische angepaßte, tauchen in den alten Texten auf (p. 245 - 49). Soll man das Bild, das wir vom bündnerromanischen Wortschatz entworfen haben, ein Panorama, ein Mosaik, einen Flickenteppich nennen? Es hat von allem etwas. Vom Panorama, weil wir die Sicht von den Bündner Bergen aus in die umliegenden Alpen und darüber hinaus geöffnet haben. Vom Mosaik, weil unsere 255 4 Schluß <?page no="256"?> Darstellung aus zahlreichen Einzelteilchen zusammengesetzt ist. Vom Flickenteppich, weil die Natur des Gegenstandes eine klare geometrische Ordnung nicht zuläßt. Trotz aller Unvollständigkeit ergibt sich aus unserer Darstellung des bündnerromanischen Wortschatzes das Bild einer originellen Sprache, die mit ihrer Bewahrung vorromanischer Elemente, der Fortführung einer besonderen Latinität und der jahrhundertelangen Symbiose mit der deutschen Nachbarsprache eine einzigartige Prägung erfahren hat. 256 4 Schluß <?page no="257"?> Bibliographie I. Primärtexte (hier auch Bibelversionen) Bibla ecumena 1988: Bibla romontscha ecumena. Niev testament. Ediziun procurada per incarica dil Decanat Sursilvan e dil Colloqui Sur igl uaul, Mustèr/ Cuera B IERT , C LA 1962: La müdada, Thusis B IFRUN s. 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Saggio lessicale, Bolzano T AGLIAVINI , C ARLO 6 1982: Le origini delle lingue neolatine. Introduzione alla filologia romanza, Bologna T EKAV Č I Ć P AVAO 1980: Grammatica storica dell ’ italiano. I Fonematica. II Morfosintassi. III Lessico (3 vol.), Bologna T UOR , P IEDER 1927: „ Ils documents giuridichs romontschs “ , Ischi 20: 1 - 48 W ALTHER , L UCIA 1987: Deutsches Wortgut im Bündnerromanischen. Dargestellt am Beispiel der Terminologie der Bekleidung, Zürich (RR 5) W ARTBURG , W ALTHER VON 1918: Zur Benennung des Schafes in den romanischen Sprachen, Berlin W EINRICH , H ARALD 2 1969: Phonologische Studien zur romanischen Sprachgeschichte, Münster Westfalen (Forschungen zur Romanischen Philologie 6) *W UNDERLI , P ETER 1980: Rezension von G SELL 1979, VRom. 39: 222 - 29 W UNDERLI , P ETER 1989: Französische Lexikologie. Einführung in die Theorie und Geschichte des französischen Wortschatzes, Tübingen (Romanistische Arbeitshefte 32) W UNDERLI , P ETER 2007: R AFFAELE DA V ERONA , Aquilon de Bavière. Introduction, édition et commentaire. Vol. 3, Tübingen (Beih. ZRPh 337) Z INSLI , P AUL 1946: Grund und Grat. Die Bergwelt im Spiegel der schweizerdeutschen Alpenmundarten, Bern Z INSLI , P AUL 1968: Walser Volkstum in der Schweiz, in Vorarlberg, Liechtenstein und Piemont, Frauenfeld 267 III. Kritische Literatur <?page no="268"?> Index der zitierten Formen Auf die Auszeichung der Etyma durch Kapitälchen, wie sie im Text erscheint, wird hier verzichtet. Das hochgestellte n in schweizerdeutschen Formen wird ausgeschrieben. Homonyme, die auch homograph sind, werden durch den Zusatz der grammatischen Bezeichnung, allenfalls auch der Bedeutung oder der Sprachzugehörigkeit, unterschieden. a scüsa 144 a zeche moda 102 abante + sero 83 *abeteus 98 abiadi 13, 16 abiadi(a) 13 abiedgia 13 abiedi 13 abies 98 abietis 98 abiézz 98 abrüscher 234 abscheid 245 abschneiden 221 absolvere 138 abstehen 221 access 43 accessus 130 - 131 acchiattêr 210 acchiürd 235 accola 82 accord 235 accorgere 82, 135 *accorrigere 82, 135 accorscher 23, 135 accorto 82 achar 134 achatter 210 achiallêr 212 achöert 235 achüert 235 acla 82 *acridiare 167 acunchiüstêr 241 acungiüstêr 241 acziun 43 ad-captare 210 ad-directus 143 adgör 95 admetter 43 admonere 81 *admonia 81 admonir 81 *admonium 81 adögliar 19 adorbare 121 adorbé 121 adorbèr 121 adpussmágn 122 adrizêr 211 adroit 143 adüntrat 214 adurbé 121 ad+vita+-are 75 aequalis, -e 148 afder 241 afflar 134, 210 afflare 134, 211 aflá 134 aflar 134, 211 ager 123 aggiavüscher 209 *aggredere 167 agher 124 aglia 53 agn 94 agnala 32 agnè 32 <?page no="269"?> àgne 87 agnella 32 agni 32 (a)grager 167 agragiar 167 agragiêr 167 (a)grajar 167 agréer 167 agrum 123 aidin 98 aiet 99 aint 28 ajer 217 al tófa 122 al tófa ri 122 alach 171 *alaus(a) 51 alb- 53 *albulana 53 albus 53 alchemia 183 alchiüns 214 alchüns 214 alcuni 214 aldüm 93 aldümer 93 alêne 115 alguanter 87 alguar 87 alguer 87 allamger 141 aller 117 alloco 144 al(l)unganer 236 alneus 94 alnus 94 alossa 51 alunganer 236 - 237 aluver 236 - 237 alvada 207 alvar 207 alver 236 amalà 142 amblana 53 - 54 ambleden 87 ambulare 117, 219 amcha 52 àmeda 87 amita 87, 193 ammalato 142 ammonire 81 amogn 81 amogna 81 ampa 52 - 53, 70 ampalar 78 amparnenevel 197 amparnevla 197 Ampel 185 ampia 52 ampla 185 Ample 185 *amplia 52 ampom 53 ampómola 53 ampómula 53 *ampúa 52 - 53 amvessa 81 anaveidas 148 anca 154 ancleir 23 ancorscher 23, 135 ancurir 81 ancus 56 and 102 anda 13, 87 andare 117 anderscher 23, 103 andotgel 110 andouille 110 andrescher 23, 103 andriescher 23, 103 anduecho 110 anduglia 110 andulho 110 anduochel 110 anduogl 110 andutgel 110 ane-geraten 199 anel 94 anela 94 269 Index der zitierten Formen <?page no="270"?> *anella 94 anello 94 anellus 94 anetg 99, 214 anetga 99 anetgamein 99, 214 anfignen (tgi) 213 anflar 134, 210 angal 148 angartar 20 angenehm 197 anglar 130 angler 130 angon 123 angual 148 anguel 40 angularis, -e 130 angulus 130 angurgnia 165 anima 76 animal 76 anramar 162 anrihir 165 anritgier 165 ansagear 19, 21 ansiel 91 ansola 91 ansolver 138 ansoul 91 (an)squarzas 128 anstagls da 161 anstearzas 128 anstelle von 214 ansurvar 121 ant 244 antaleir 23 antalir 23 antecenium 95 antgearna 75 antoca 100 (an)tocan ca 213 antoccan (tga) 213 antocen 100, 213 antochen 213 (an)trocan 213 antroqua 213 antroqua che 213 antruras 128 antscheiver 211 antschess 130 antschever 125, 211 antschies 130 anugl 31 anugls ed agnalas 32 anvidar 75 (an)za- 101 anzachei 214 anzaquonts 214 anzardar 82 (an)zatge da nui 142 anzèla 91 anzéll 91 (an)zolver 138 appinêr 211 aquaists s ’ vessa 214 aquistar 241 araschuner 212 araster 236 arblàn 54 arblanga 54 arbolana 54 *ard 53 ardaint 77 ardavena 53 arder 233 area 106 - 107 arealis 106 - 107 arender 236 arént 77 arêr 221 arester 236 aresüstaunza 207 arichir 165 aridscher 236 ariesi 95 arimur 216 arischer 225 - 226, 236 arlîa 228 - 229 armainta 29 armal 29, 76 270 Index der zitierten Formen <?page no="271"?> armangoré 162 armauls 29 armundar 222 - 223 armunder 222 aronté 104 arraffare 162 arricchire 165 arritgeir 165 arritgier 165 arschaiver 212, 222 *art 53 artschaiver 212, 235 artunar 235 aruv 96 arzevéna 53 arzive 95 as flissager 217 as flissiar 217 as ladinar 141 as piglier avaunt 222 as redscher 236 as s-charplinar 135 as schladinar 141 as schmuschignar, -er 170 as schnuir 201 as stallager 168 as stalliar 168 as tour avant 222 aschigl 112 asciolvere 138 asó 91 asora 91 assorver 121 asterne 118 astgar 102 asügner 236 asurbari 121 asvessa 81 at(t)adler 210 attantamaint 237 attantêr 237 (at)tegia 65 attemptare 237 attentare 237 attenter 237 attento 237 atvessa 81 audere 102 auf dem Fuße 80 auf der Stelle 192 aufnehmen 222 Aufruhr 216 aug 13, 16 aunc 244 aunca 244 aunghel 40 aurora 43 ausare 102 *ausicare 102 ausus 102 autâ 80 autant 80 autâ-pè 80 autaspert 144 autur 43 avaro 77 avaz 98 avdêr 241 avedin 98 aveina 159 aveissas 148 avena 159 avez 98 aviez 98 avncha 244 *axalis 112 *axilem 96 *axilis 112 *axilonem 96 axis 112 bab 12, 15, 17, 36 bacher 233 baderlar 26, 39 baderler 26 baghegiar 161, 166 baghetg 161 bagliafar 24 - 26, 211 bagliaffar 26 bagliaffer 26 271 Index der zitierten Formen <?page no="272"?> baitar 26 bajar 26 bajer 26 bajoccar 26 bal 185 bal I 185 bal II 185 bald 182 balde 182 Ball 185 balla 185 balla I 185 ballar 185 ballare 185 Ballen 185 bànc 152 bancale 153 *bank- 152 *banki 152 *banks 152 bap 12, 15, 17, 36 bapsegner 13 bara 152 barba 13 barbaria 183 barbeisch 31 bargir 209 barguottar 166 barhar 162 barnia 160 barschar 233 barschun 191 barschung 191 bartgear 162 basaret 14 basat 13 - 14, 16 basata 13 basatta 13 - 14 basavregn(a) 14 basavret 14 basdrin 14, 116 basdrin(a) 14 basdrinet(ta) 14 basegns 249 baselgiada 158 basret 116 basrin 116 basrin(a) 14 bass 40 batarlar 26 baterlar 24 - 26 batlagear 166 batlager 166 battere 109 battuere 109 baul 182 baun 152 baunch 152 bazegner 13 beadi(a) 13 bear 166 bearezia 224 Becher 233 Bedürfnis 249 beffa 43 beffergnar 170 (be)gehren 167 begl stuorn 145 beher 233 beinduras 128 bela 152 belle-fille 153 benghel 162 bera 152 *bëra 152 besch 32 bescha 32, 42, 148 bes-ch, bes-cha 32 betlager 166 betlegiar 166 betteln 166 better 210 biadi(a) 13 biagear 166 biager 166 biagier 166 biar 166 biavo 156 bicchiere 233 bieadi(a) 13 272 Index der zitierten Formen <?page no="273"?> bien 41 - 42, 232 bière 152 biestga 29 biestga grossa 29 biestga manedla 29 biet 157 bietg 161 bigchia namae 244 bighetg 161 bighigear 166 bigliaffar 26 biher 233 bimatsch 31 binglar 162 biondo 157 bisabiadi 14, 16 bisabiadi(a) 14 bisabiedgia 14 bisabiedi 14, 16 bisbieadi 14, 16 bisbieadi(a) 14 *bissobrinus 116 bisurat 13, 16 bisuratta 13 bittêr 210 blamar 162 *blao 156 - 157 blau 156 blava 156 blecc 157 blece 157 bleichen 165 bleiken 165 blessar 162 blessieren 162 blet 157 bletsch 126, 157 blettjan 157 bleu 156 bliec 179 blihir 165 blo 156 blocca 179 bloccar 162 Bloch 179 - 180 Block 179 blockieren 162 blocs 179 blond 157 blondo 157 blov 156 blova 156 blu 156 bluggen 163 blughegiar 166 *blund 157 blut 163 blutt 163 bod 182 Boler 185 boller 185 boller I 185 Bölli 185 bön 232 - 233 borsti 191 bös-ch 153 bös-ch schirà 100 bos-cha 153 bos-cha da föglia 153 bos-cha d ’ aguoglia 153 bos-chaglia 153 bös-chs 153 bosk 153 bostg 153 bostga 153 bostgs 153 bôtan 161 botásc 91 botsch 31 Bott 182 bottan 91 bottasc 91 botter I 185 bov 30 bov entir 30 brachar 162 brâchen 162 bracher 162 brâchôn 162 bragir 209 273 Index der zitierten Formen <?page no="274"?> braichér 162 braïna 107 brainta 97 braiscé 162 brama 67 branselen 200 bransin 155 bransina 155 bränzelen 200 *bras- 160 brasca 161 bras-cha 160 braschun 191 brasciún 191 *bras(i)ca 160 - 161 brastga 160 bratger 162 bratschada 158 braus 197 brausa 197 brausel 197 *braus(k) 197 brausla 197 bregn 157 breit 15, 153 *brents- 200 brenzla 200 brescla 191 brestga 191 brev 206 breve 206 - 207 brevis 206 - 207 brief 207 brin 157 brina 107 brindisi 184 brinnan 160 brinnen 200 brints- 200 *brisa 191 brìs-cia 191 brisclar 191 Brise 191 *brisja 191 brit 15, 153 *brod- 153 broda 153 brodac 153 brodet 153 brodo 153 brondu 157 bros 197 brosa 197 brosla 197 brouda 153 bru fr. 153 bru kat. 157 *brucus 191 *brûdi 153 bruine 107 bruma 107 *bruma 67 brün 157 brundu 157 bruneus 157 bruno 157 brunus 157 brüs-cha 191 brüschar 233 brüschla 191 *bruscia 191 bruscus 191 *brus(k) 197 brüt 15, 153 brutis, -em 153 brüüsch 197 buab 185 buca far not (per enzatgei) 175 buca mai 244 Buchs 182 Büchs 182 Buddel 189 büergia 69 bu(g)agear 168 bugen 100 bugent 100 buis 182 bümatsch 31 bun 41 - 42, 232 buna 232 274 Index der zitierten Formen <?page no="275"?> bunas 232 buns 232 buob 185 buoba 185 buobanaglia 185 buochstab 182 buordi 154 burbeisch 31 burdi 154 burnida 160 burnieu 160 burniu 160 Bürste 191 bustab 182 butia 133 büttar, -er 210 buttatsch 91 buttis 91 bûwen 166 ça 114 ça1 114 cadeina 104, 159 cadruvi 106 caecus 56, 97, 117, 121 caementum 113 caespitem 115 - 116 caesposus 115 *caespum 115 - 116 caffergnar 200 calànda 73 calandae 73 calar 212 calénd 73 calendae 73 calira 187 calon 73 calonda 73 camegiar 129 cametg 129 cametsch 129 camoda 185 camósc 54 camoss 54 camox 54 campana 74 campus 124 camurus 54 camutsch 54, 70 *cancella 80, 195 cancellare 195 cancellaria 183 cancelleria 183 cancelli 80, 195 cancelli, -orum 80 cancellu 80 cancellum 80 cancellus 80, 195 canssla 80 canzla 80, 195 canzleia 183 canzler 183 canzlia 183 capir 24, 38 capitanus 86 *(capra) ibicina 54 capricorn 54 captiare 91 caràu 92 caraun 183 cardine 75 cardo 75 cardombel 184 caré 92 careum 92 carnarium 196 carne 75 carobbj 106 Carouge 106 carpere 134 carplignear 135 carplina 135 carplinar 134 carplinna 135 carroge 106 carstgiaun 207 carstiaun 207 casc 91 cascan, -te 139 cascañu 139 275 Index der zitierten Formen <?page no="276"?> cascèr 91 casciá 91 casco 139 cascus 139 castg 139 catena 104, 159 catsch 44 - 45, 91 catsch I 45 catsch II 45 catscha 44 - 45 catscha I 45 catscha II 45 catschar 44, 91 cattar 134, 210 cauma, caumatis 129 caumare 129 caupo, cauponis 161 cavalcaster 17 cavare 200 cavegl 243 cavegl I 243 cazzaro 179 céa 97 cec 117 céga 97 cego 117 cémbro 52 cementerio 112 - 113 cenaculum 229 céngia 89 cerrar 114 césped 116 cespo 115 cëurn 145 chaglias 153 chaisch 32 chalanda 73 chalar, -er 212 chaldarer 94 chalenda 73 chalonda 73 chamuotsch 54 Chance 189 chancellaria 183 chandan 86 chanta 178, 181 Chanten 178, 181 chanzla 80, 195 chanzler 183 chapir 23 - 24, 38 Chapitauni 216 -Chäpper 196 charbesch 32 chären 167 charna 75 charta 181, 206 - 207 Charten 181 Char-Tum(m)el 184 chatsch 44 - 45, 91 chatscha 44 chatschar 44 chattar, -er 134, 210 Chätzer 179, 181 chaunta 178, 181 chavagl 242 - 243 chavalgiaint 217 chavalgiaunt 217 chazra 179 chazzer 179, 181 Cheigel 181 chejel 181 cheu 76, 114 cheula 191 chezzer 179 chiallar 212 chiallêr 212 chiamp 216 chiapitauni 216 chiarpinar 134 chiarta 206 Chiatalauns 250 chic 173 chiecio 88 chimel 92 chioeschen 88 chiöschen 232 chiötschen 88 chirì 81 chit 185 chitzilon 196 276 Index der zitierten Formen <?page no="277"?> chiudere 114 chix 195 chlot 201 choma 129 chômage 129 chômer 129 chöntsch 148 chöntschar 148 chöntschar I 148 chöntschar II 148 Chrank 183 Chräpfli 175, 178, 183 Chride 182 Chrueg 154, 182 Chrugel 182 Chruglen 182 Chrut 175, 186 chüderel 94 Chugle 192 Chuglen 181 Chumber 167 chumberen 167 Chummer 167 chummeren 167 chürar 237 Chuttlen 181 chutzilon 196 chüzlen 196 cia 114 ciac 65 ciàmp 56 ciànc 56 ciancügn 55 ciarel 92 ciarì 92 ciariè 92 ciarièl 92 ciaruel 92 ciaurié 145 ciego 117 cimetière 112 cimiterium 112 cimitero 112 cingula 88 cingulum 88 cioncare 55 ciòncher 55 cionco 55 ciorn 145 ciourn 145 circare 81 circumcider 223 circuncider 222 - 223 cispitem 116 cispum 116 cità 228 cited 228 citoula 83 cittêd 207, 228 ciurn 145 civitas 228 cizé 102 clamar 209 clamare 209 clamer 209 clap 57 clappa 185 clar 130 clavarun 124 clementia 227 cler 130 clerai 130 cletg 175, 180 clocca 74 cloppus 65 co 101 *coactiare 202 coc I 91 coc II 91 cocca 91 coccina 232 coccinas 232 coccinos 180, 232 coccinu 180, 232 coccinus 88, 232 coccola 91 *coccula 91 coccum 91 cöce 88 cochlea 192 277 Index der zitierten Formen <?page no="278"?> cocla 91 còcola 92 cocomero 186 còcula 91 - 92 còcule 92 cocutia 113 *(co)cuzza 113 cód 140 codesch 73 codex, -icis 73 codicem 73 coemeterium 112 coenaculum 229 cofer 185 cofra 185 cogitare 125 cogitatus 125 cógito 125 cogola 192 *coictiare 202 coler 106 *colícinu 51 coller 106 colurnus 106 *colurus 106 comere 148 commerciar 247 *comptiare 148 *comptiu 148 conciare 148 conditer 186 conditoreia 183 conditoria 183 confirmand 186 congüster 241 conquistar 241 conscientia 226 consobrini 116 consobrinus 116 consümar 239 contemplar 20, 37 - 38 cornu 195 correctum 82 corrigere 82 *corrotare 103 corscher 135 corylus 106 cósa 97 cosin seurin, sourin 116 cosinus 116 costa 45 cotlas 181 cotschen 232 cotschens 88, 180, 232 cotschna 88, 232 cotschnas 232 coula 191 coulisse 186 cousin 116 cout 140 covéda 95 covidoso 95 cóvolo 92 craft 247 craftaivel 247 craida 182 cram 66 crama 66 - 67 crap 57, 70 crap I 57 crappa 57 crastian 207 crastiaun 207 craut 186 creader 165 creaziun 165 crefli 175, 178 - 179, 183 creia 154 creida 182 crème 66 cres 249 crescher 233 cria 154, 182 crida 182 cridar 209 crider 209 criecli 154 cristian 207 criticaster 17 cröa 154, 182 278 Index der zitierten Formen <?page no="279"?> croda 103 crodar 103, 248 crodar gio 220 crodar pro 248 crodar tiers 220, 248 crodare 103 cröja 154 crouda 103 crüa 154, 182 cruac 154, 182 cruc 182 cruche 154 crudar 103 cruder 103 crug 154 crüja 154 crusch 45 cruschada 45 - 46 cruschada I 45 cruschada II 45 cruschader I 45 - 46 cruschader II 45 - 46 cruschar 45 cruschiner 138 crut 175, 186 cuaidus 235 cubare 92 *cubulum 92 cuc 91 cucager 20, 166 cuccar 20, 166 cuccar I 166 cuchegiar 20, 37 - 38, 166 cucker 20 cucla 192 *cucula 192 cucumer 186 cucumera 186 cucutia 113 cudesch 73 cudisch 72 - 73 cueciun 88 cueida 95 cueir 111 cufar 185 cufdus 235 cufer 185 cugetà 125 cugino 116 cugola 192 cui 243 cuida 111 cuidado 125 cuidar 125 cuidier 125 cuir 111 cula 191 - 192 culaischem 51 cular 103 culeischen 51 cule(i)sgium 51 culissa 186 culla 191 - 192 cultus 201 cumà 229 cumach 229 cumandant 216 cumanzar, -er 125, 211 cumanzêr 211 cumbagl 241 cumbargear 166 cumbargieu 166 cumber 167 cumbregia 166 cumbrigiar 166 cumbrigiau 166 cumbriia 167 cumbriier 166 cumìn 92 cumoda 185 cumpatg 233 cumprender 23 - 24, 38 cumün 98 cun chavagl 242 cunchiüstar 241 cunfirmand 186 cungüstar 241 cunschinscha 226 cuntrari 40 - 41 cuntraris 39 279 Index der zitierten Formen <?page no="280"?> cuntschar 148 cuort e bön 232 cuotschen 88, 232 cupa 59 cupere 111 *cupiditare 95 cupiditas 95 cupire 111 cupo 59 cuppa 59 - 60 cura 101 curaglia 131 curdar 103 curdar atras 220 curdar giu 220 curdar tiers 215, 220 curdombel 184 curetg 92 curt da grascha 93 cuschantar 74 cuschentar 74 cusdrin 14 cusdrin(a) 14 cusregn(a) 14 cusrin 116 cusrin(a) 14 cussagl 226 cussegl 226 custab 182 custodia 158 cut 140, 149 cutere 109 cutis 140 cutlas 181 cutrimma 31 *cuttia 196 *cutticiare 196 cu(v)aida 95 cuvaidus 235 cuveda 95 cuvel 92 cuvir 111 cùzzi 196 cuzzïâ 196 da nui 142 da rudien 77 dabat 216 dabot 161 dagoret 86 dalum 214 dandet 99, 214 dandettamaing 99 dapár 101 dapi 213 dapoeia 213 dapöja 213 dar 19 - 20, 103 dar bov 30 dar chavagl 242 dar da la baja 39 dar dal taloc 39 dar d ’ entellir 23 dar egn tgit 20 dar egn ’ iglieada 20 dar en tgit 20 dar en ’ iglieida 20 dar in cuc 20 dar in tgit 20 dar in ’ egliada 20 dar suost 113 dar tschüt 20 dar tschüt d ’ ui/ in stalla 20 dar ün tschüt 20 dar ün ’ ögliada 20 darachar 130 daracher 130 daratger 130 darcheu 79 darcho 79 dar/ der ögl 19 dargun 129 darvena 53, 70 dàsce 52 dasch, dascha 52 das-chair 102 dascurer 24 *dasia 52 daspeir 101 dasper 101 280 Index der zitierten Formen <?page no="281"?> dasperas 101 daspö 213 daspoeia 213 dasterza 128 (d)astgear 102 dastgeir 102 daveras 128 davo 74, 213 davos truament 209 dä ʃ a 52 de + obstare 75 de bot 161 decet 77 dédemesaledema 93 (de)+ex+pariu 101 *d(e)ghom 53 degn 225 degorént 86 degrént 86 dehonorare 139 dei 86 deir 130 de-mane 122 demuni 40 de+obstare 75 der ün ’ öglieda 20 derasar 75 dèrbad 64 *derbica 64 *derbice 64 dèrbita 64 *derbite 64 der/ dar ün cuc 20 derepere 137 dèrg 103 *dergere 103, 172, 208 dérgi 103 derschader 172, 208 - 209 derschar 172, 209 derscher 103, 135, 172, 208 - 209 derscher (atras) 103 derscher II 208 dert 64 derv 64 descendent 174 deseperare 111 deshonorare 139 deslenguá 87 despäer 101 destamprer 77 détrempe 77 detsch 16 detscha 16 detschiert 233 Deus 40 di 236 dî 86 di adessa 209 di botto 161 di dal güdizi 209, 233 diavel 40 - 41 diervet 64 dies 128 Dieu 40 Dieus 40 dig 86 diglier 19 dignus 225 digo 86 digren 86 diligiains 226 din 16 dina 16 dio 86 dir m. 130 - 131 dir v. 24 dir I 248 directum 143 directus 143, 209 dirigere 103, 135, 172, 208 - 209 dis 44 dischonest 234 dischonestà 234 dischonur 234 discorrer 24 discuorer 24 - 25, 38 - 39, 211 discuorrer 24 - 25, 38 - 39, 212 dis-honestus 234 dishonorare 139 dishonorem 139, 234 281 Index der zitierten Formen <?page no="282"?> dishonur 234 disniciâ 138 disnizzâ 138 dissignistrâ 105 disterza 128 ditg 86 ditgau si 238 diu 86 dius 128 docter 186 dohter 186 Dokter 186 Doktor 186 dolentes 224 doméga 53 domesticus 198 domina-amita 87 dovair 162 dracar 130 draccar 130, 135 draco, draconem 129 - 130 dragh 130 draghè 130 dragon 130 dragone 130 dragùn 129 drai 130 dränieren 162 drenar 162 dressar 162 dressieren 162 dret 209 dretg 209 drizzar 211 drizzer 211 droga 186 drogaria 183, 186 Droge 186 Drogerie 186 drogue 186 dsa 114 dschember 52 dschender 15 dschiglius 226 dschuneist 234 - 235 dschunestad 234 dsieva 213 dsuainter 74 dubitar 237 - 238 dubitare 237 dudir 18, 20, 22 dumander 238 dumèga 53 dumia 53 dumiac 53 dumiec 53, 70 *duo-moi-ka 53 duonnanda 87 dürtue 248 durum 130 durus 130 duscha 186 Dusche 186 dustar 75 dütscha 16 ea 127 eada 127 eamda 89 eanda 89 easser da nui 142 écaille 154 échine 155 economia 183 eda 127 édema 89 edl 181 egipzian 218 egipziaun 218 ego non sapio 101 (ego) non sapio (quid, quis. . .) 102 einkreisen 249 einrahmen 162 eir 117 eisorbar 121 eivna 89 el sez/ sezza 80 electuarium 184 ellychnium 78 els sezs 214 282 Index der zitierten Formen <?page no="283"?> els sezs/ ellas sezzas 80 emna 89 empa 52 empalar 78 empelá 78 emperneivel 197 - 198 emperneivla 197 empla 52 emprendeivel 197 emprender 197 - 198 en 28, 161 en siu stailg 213 éna 89 enagiu 28 enasi 28 encarden 75 encarna 75 encheviller 243 encorscher 23, 82, 135 - 136, 138 encurir 81 endriescher 23, 103 engartar 20, 199 englar 130 engurgnir, engrugna 164 - 165 engurgniu 164 eniann 123 enramar 162 enresce 103 enrescir 103 enrichir 165 enriclar 171 enrihir, enrihescha 165 ensa- 101 ensolver 138 enstagl 214 enstagl (da) 161, 214 enta 28 entadem 28 entagiu 28 entasi 28 entasisum 28 entasum 28 entelgir 23 - 24, 38 entellir 23 entgins 214 entocca 100 entochen (che) 100, 213 entrada 46 entreda 46 entredgia 46 entrocca 100 entrochen 100 entrues que 213 entscheiver 125, 211 entuorn 103 envidar 75 enza- 101 enzaco 101, 214 enzacons 214 enzacura 101 enzanua 214 enzatgei 101, 214 enzatgi 101, 214 enzerdar 82 épargner 163 éperon 161 epidemia 183 èr 123 era 106 era I 47, 106 era II 47 erál 107 erbarm 245 erbtavel 248 ergattern 199 érger 103 escarpre 115 esch 180 esclate 159 escobre 115 escoplo 115 escopro 115 espert 144 esplen 124 esser/ ir a suost 113 essieu 112 est opus 77 *estopere 77 *estopet 77 estrepe 107 283 Index der zitierten Formen <?page no="284"?> estria 119 estuet 77 etg 178, 180 étourdi 144 étuve 155 ëur 90 evolare 120 ewa 171 examinar 37 excusare 144 excuser 144 excutere 109 *ex-molliare 105 exorbare 121 *experctus 144 expergiscere 143 - 144 experpgiscere 144 experrectus 144 expertus 143 - 144 expignorare 172 exseperare 111, 125 *extrusiare 147 *extufa 155 *extupa 155 *extutare 114 *extutiare 114 *exvolare 120 fa bön 232 fabrica 83 fabricus 83 facciura 118 factorium 118 fad, fada 182 fadegnas 84 fadetgna 84 fadetgnas 84 fadögna 84 faischel 92 fal 240 fala 186 *falda 154 falegnam 159 faletscha 92 falien 82 falient 82 falla 186 Falle 186 fantaschia 239 fantasia 239 far 248 far bön 232 far commerci 247 far commerzi 247 far da nui 142 far luc 163 far not 175, 244, 249 far not (per enzatgei) 175 far plü loc 163 far tras 248 fardagliungs 13 fardagliuns 13 fardar 18, 21, 84 - 85 fargliuns 13 farrer 83 fasierli 182 fassuir 110 fastei 110 fastitg 110 fastü 110 (fa)stüj 110 fat, fatta 182 faulda 154 faveala 211 favela 211 favella 211 faver 83 faverch 83 faviala 211 favlar 24 - 25 favlar (-er) 39, 211 favler 24 - 25, 211, 231 fazura 118 fegl 13 feglia 13 fegliaster 15 fegliastra 15 félas 92 felécc 92 felesch 92 284 Index der zitierten Formen <?page no="285"?> felèt 92 felisch 92 felsch 92 feltro 154 feltrum 154 fer pü luoch 163 ferdar 18, 21, 84 - 85 fermer 114 ferrarius 83 ferschmoch 245 fesc 147 fest 180 fest da coler 106 festuca 110 festücch 110 festuch 110 festucum 110 fetg 147 fétu 110 fetus 84 feutre 154 fich 147 *fícile 92 fictorium 147 fictum 147 fictus 147 fidar 245 fiehti 246 fieltro 154 fiep 59 fierer 210 fieter 180 fieuter 154 fifa 183 fiffa 183 fiffer 160 *fifferlar 160 fifferlotta 160 figere 147 figl 13, 15 figlia 13, 15 figliaster 15, 17 figliastra 15, 17 figliol 15 figliola 15 figlioul 15 figlioula 15 Figur 43 figüra 43 - 44 filare 82 filex, filicem 92 filiant 82 filiberga 177 fílice 92 *filicta 92 filictum 92 filistucca 177 fil-one 82 fil-onu 82 *filtir 154 filtrum 154 filun 82 filung 82 filunza 82 fin 213 finché 101, 213 fines 130 finescha 164 fingere 147 finir 164, 212 fin(o) a 101, 213 finta 97 fio 130 Firlefanz 177 firlefanza 176 - 177 firlefanzas 176 firlifanz 176 firlifanza 176 - 177 first 58 fis 147 fisc 147 fisierla 182 fisierli 182 fistei 110 fistitg 110 fitg 147 fitguir 118 fixar 20 fixorium 147 fixus 147 285 Index der zitierten Formen <?page no="286"?> flaccus 192 flach 192 flacha 192 flagellum 109 flais 217 flanc 154 flanca 186 flanella 176 Flanke 186 flatg 192 flaunch 154 flausa 186 Flause 186 flauta 186 Flauten 186 flec 92 flech 192 Fleck 192 Flecken 192 fleis 217 fleivel 197 fleter 154 fletg 192 fletga 92 fliàn 192 fliana 192 flieuta 186 flis 217 fliua 192 fliua da neiv 192 flöta 186 Flöte 186 flötna 186 flötra 186 *fluga 192 flugi 109 foda 154 *fódina 78 fodine 78 fòibe 59 fóira 106 foire 106 fòlda 154 fop 59 - 60 fòpa 59 - 60 fopp- 59 foppa 59 - 60, 69, 71 fops 60 forella 85 forfach 77 forfaire 77 forfait 77 forfare 77 forfat 77 forfatto 77 foria 106 foris/ foras 77 foris/ foras+ factum 77 formica 183 fossorium 110 föstü 110 foura 61 fovea 59 fracâ 104 fracë 104 frachèr 104 fraciâ 104 fradej subren 117 fradgliuns 13 fradlaster 15 *fragicare 104 fragrare 84 *fragritare 84 *fragritat 84 frais 158 frais-ch 158 frajester 15 franc 157 francar 46 franchezza 157 franco 157 Franelle 176 frangere 104 frank 157 Franse 168 Fransen 186 franslas 186 Fransle 168 Franslen 186 franzla 186 286 Index der zitierten Formen <?page no="287"?> franzlar 168 frar 13, 15 frar d ’ egna vart 15 frar d ’ ena vart 15 frar d ’ ina vart 15 fras-ch 158 fraunch 157 *frausula 52 fravi 83 freda 84 freida 84 frer 13, 15 fresco 158 frestg 158 fretg 180 fri 246 fries 186 friesel 186 Frieseln 186 friessen 186 frígule 118 friscus 158 Frisel 186 frisk 158 fromm 143 frosla 52, 70 *frosula 52 frousla 52 frò ʃ ula 52 fructum 180 fruos-cha 107 fruost 239 frus-chaglia 153 frust 239 früt 180 frytad 246 füechtig 246 fueina 78 fuera 106 füergia 235 Füeteri 180 fuffergnar 200 fugna 78 fuina 78 fuira 106 fuoira 106 furia 235 furmia 183 fussé 110 fustitg 110 fustum 180 futgé 118 futger 118 ga 127 gabata 63 gabilan 67 *gabilo- 67 *gabita 63 *gabota 63 *gabuta 63 gada 127 gaffen 200 Gägg 195 gagl 99 gagliedra 93 gaiell 99 gail 99 *gallius 99 gallus 99 galop 186 galoppar 186 galüda 93 gáman 193 gamascha 186 Gamasche 186 gamella 186 Gammel 193 *gana 61 Gand 61 *ganda 61 *ganja 61 gant 156 garagear 167 garager 167 garascha 186 gardaroba 186 garde-robe 186 gardina 186 Gardine 186 287 Index der zitierten Formen <?page no="288"?> garegiar 167, 209 garet 64 gargliot 78 garlet 64, 70 garlétt 64 garmadi 140 - 141, 149 garnedel 93 *garra 64 gar(r)etto 64 garrir 209 gartagear 167 gartager 167 gartegiar 167, 199 garter 181 garun 64 garver 62 garvera 62 gater 181 gatta 176 Gatter 181 gatti 176 Gattig 176 gaudente 100 gaulta 63 gaut 156 *gauta 63 gavegl 67 - 68 gavéil 68 gavèll 68 gavello 67 gavi-o 67 gax 195 gea 127 geada 127 geda 127 geina 127 Geislen 181, 187 gelg 73 gëlw 73 gën 100 gena 127 genetscha 30, 111 genetscha dubla 30 geníisc 111 geniscia 111 génisse 112 genna 127 gentar 135 genüc 111 genücia 111 genuscia 111 gep 179 g(e)rad 190 gerade 148, 190 geraten 199 gerâten 167 gerno 100 gerôn 167 geschehen 200 gesetzt 174 Getümmel 216 gez 98 Ggaagger 196 ggätz 195 gheisla 181, 187 ghera 156 ghersch 158 ghesla 181 gheslegiar 199 ghézga 196 ghiglidra 93 ghiottone 217 ghisla 181 ghitara 187 ghìti 196 ghitïâ 196 ghizga 196 già 127 giagl 99 giaischla 181 gialüda 93 giamgia 193 giamgias 193 gian 100 gianda 61 giandefla 242 gianetscha 30, 111 giantar 135 gianter 40 gianüc 111 288 Index der zitierten Formen <?page no="289"?> gianücia 111 giarlet 64 giaschla 181 giassa 133 giassa stretta 133 giassetta 133 giater 181 giatter 181 giavagl 67 giavel 40 - 41 giavischar 209 giavüschar, -er 209 gievgia 59, 118 gilüdra 93 *gimberu 52 gio 103 giöbia 118 giomas 193 giomgias 193 gionda 61 Gips 179 gir tier 248 Gitarre 187 gitg 86 giu 28, 103 giuaden 28 giuado(ra) 28 giudem 28 giudezi 209 giudicare 210 giudice 208 giüdichier 210 giüdisth 208 giüdizi 209 - 210 giusum 28 giut 86 giuttun 217 giuvenessendi 209, 233 glasira 187 Glasur 187 glasura 187 gleiti 182 gleitig 182 gli 243 glieud 154 Glîchsner 187 glienda 177, 180 glimegl 78 glina 177 (glina) digren 86 Glinglá 130 glisner 187 gliufa 193 - 194 globa 187 gloua 187 glua 187 Glück 175, 180 Glufen 187 glüna 188 gluva 187 gnegla 177 gniram 130 gnirom 130 gnoula 118 god 156 Gofferen 185 gòld 156 gomgias 193 gomia 193 gomma 187 gonda 61 - 62 gorént 86 got 133 gôt 156 gota 63 - 64 gövgia 118 grà 187 grà II 187 graa 62 grad m. 187 grad, grada adj. 190 grad II 190 gradus 187 grafli 179 graflis 179 grager 167, 209 Graide 182 grajar 167, 209 gram 140, 247 gramaigo 140 289 Index der zitierten Formen <?page no="290"?> gramégo 140 gramma 66 grammadg 140 grammamaing 247 grammatico 140 grammaticus 140 granücla 93 granum 93 grat 181 grata 181 gratager 167 graten 167 gratiar 167 grattare 163 gratter 163 gratus 167 grau 187 *grava 61 - 62, 70 gravàte 63 gràve 63 gravera 62 gravinèda 62 gravinia 62 gravinós 62 gravinús 62 gravitscha 62 gravon 61, 63 grec 218 greco 218 grefla 160 greg 32 gregna 165 greinen 165 grep 57 greppa 57 greppo 57 greta 193 gretta 193 greva 62 grezzo 99 griar 209 griechisch 218 grîfan 160, 171 grifla 160 grigna 165 grignèr 165 Grimm 193 *grimmitha 193 *grinan 165 grincer 201 grint- 193 grinta 193 grip 57 grip I 57 grippa 57 grir 209 grisi 199 grit 193 *griti- 201 gritt- 193, 201 gritta 193 grittantar 193 grittentar 193 gritzen 201 gritzgen 201 griusen 199 gro 187 grô 100 grob 99, 191 groba 191 gróbi 191 grobian 187 groffel 177 groia 100 groma 66, 70 gromma 66 grop 187, 191 groppa 191 grou 100 grove 100 grovech 100 grovia 100 grubi 99 grûfrig 99 grugn 165 grunium 165 gruogl 99 grupa 187 gruppa 187 Gruppe 187 290 Index der zitierten Formen <?page no="291"?> grusen 199 gruvi 99 - 100 gru(wi)son 199 gschee 200 gschickt 173 G ’ schlüder 246 guajar 168 gual 148 gualdo 156 guànt 156 guar 244 guaraint 86 guardadüra 158 guardar 18 guardaroba 186 guarder 18 guareir 160 guarir 160 guarire 160 guaunt 156 gucken 166 güdichar, -er 210 güdisch 208 güdizi 209 guenchir 166 guenciare 166 guencire 166 guera 156 guercio 158 *guerciu 158 guerra 156 guerre 156 guersch 158 guess 218 Gufen 187 Gûfer 185 Gufferen 185 gugent 100 Guggumere 186 guglieadra 93 guiazear 168 guinchir 166 guirlanda 187 guisa 156 guiss 217 guittarra 187 gümatsch 31 gumma 187 gummi 187 guntgir 166 gurent 86 gurir 160 güsa 97 güsgia 97 gustar 19, 21 guster 19, 21 guva 187 gwaltig 181 - 182 gypsum 179 Hachse 64 *haedióla 91 *haediólu 91 *haerentare 104 haerere 104 halla 187 hallar 134 Halle 187 handeln 247 handergé 170 handergiar I 170 handergiar II 170 handlagear 247 handliar 247 hanka 154 hanlegiar 247 hantieragé 170 hantieren 170 haragear 167 hardombel 184 hardumbel 184 haregiar 166 - 167 hariolus 229 harren 167 harta 181 hartawel 84 haud setius 86 Haxe 64 hazer 179, 181 hazra 179, 181 291 Index der zitierten Formen <?page no="292"?> *hebdina 89 hebdomas 89, 93 Hebraic 218 Hebraica 218 hebre 218 hebrea 218 Hebreer 218 Hebreesth 218 Hebreisch 218 heighel 181 herentar 104 heresia 228 hinderen 170 hindern 170 hisli 180 hitzen 129 hoarscha 187 hoc anno 123 hoc in anno 123 hocannivus 123 *hocque anno 123 Holda 196 holdselig 182 hom 207 hom I 207 homo 207 honta 178, 181 honte 125 honzeli 182 horscha 187 hotas 187 hotta 187 hottas 187 Hotten 187 (h)rampa 169 hrida 182 hruac 154, 182 hrui 154, 182 hucla 181, 191 - 192 hufertas 207 Hulde 196 hum 207 humanitate 227 humanited 227 huorden 226 hurscha 187 Hurschen 187 Hüsli 180 huster 75 hutla 181 hutlas 181 hutscha 187, 194 Hutschen 187 huz 40 iade 127 iantaculum 138 ibex 54 ibi 76, 114 idem 80 iede 127 ieiunium solvere 138 ieiunus 138 ieli da riz 189 ienn 100 ientaculum 138 iertavel 248 iesem 21 iesma 21 ifer 245 iffiern 41 iglers 190 il bön 232 illi 243 illui 243 imincha 102, 215 *impalare 78 impè 214 impellere 78 imperstia(u)nt 231 impestiant 214 impestiaunt 214, 231 impiner II 136 impizzar 76 impizzer 75 imprendaiwel 197 imprender 198 impringias 184 in 103, 123, 135, 138 in + cardo 75 292 Index der zitierten Formen <?page no="293"?> in (il) lö da 214 in quex 195 in sieu loe 213 inaccordscher 23, 82, 135 inacuárzisi 135 incardo 75 incavigliare 243 începe 211 inchün 214 incipere 125, 211 incleger 23 - 24, 38 incraser 249 incrasêr aint 249 incresar 249 inde 102 - 103, 135, 138, 221 inde+rescire 103 indreschir 23, 103 indùgiere 110 infiern 41 infin 213 (in)fin cha 213 infina 213 infina cha 213 infuliar 241 ingiuria 235, 238 ingon 123 ingrignà (sa -) 165 ingrignieu 164 ingrignir 164 - 165 *in-grin-ire 165 ingual I 148 inguan 123 ingon 123 inguotta 87 ingürgia 235, 238 in+hac 76 in+hac+in 76 initiare 137 iniuria 235 *(in)quaerire 82 inramar 162 inramer 162 inrescí 103 inricchire 165 inrichir 165 inrüclar 171 insachê 102 insací 102 insajar 19, 21 insajer 19, 21 insaquants 214 inschnuir 201 insciorbá 121 insciorbíi 121 *inseritare 82 *insolvere 138 inspiamaint 238 inspiar 238 instës 80 inter + hoc + -que 100 inter hoc 213 inter-hoc 101 intop 226 intrada 46 introcque 213 introekk 101 intschess 130 intuorn 103 intup 226 invezza 214 invidas 128 *invitas 148 invitus 148 invüdar 75 - 76 invüder 75 inzai 102 iòla 91 ion 100 ipse 80 ir 117 ir a smerscha 104 ir cun bovs 30 iral 106 ire 117 irel 106 irricchire 165 isch 184 ischcamber 184 ischegl 112 ischel 112 293 Index der zitierten Formen <?page no="294"?> ischigl 112 iskula 197 ismar 21 ispréne 124 isquerta 128 istérrere 118 isterza 128 itg 180 ius 209 ivez 98 ivider 75 jà 127 jada 127 jamna 89, 93 jantar 135 jantare 135 janua 127 jarret 64 jass 187 *jenicia 111 - 112 jent 100 jentare 135 *jenua 127 jeu mez 81 jeu mez/ mezza 80 jeu sez 81 jì 117 jintar 135 jöbia 59 jóibe 59 jonda d ’ crappa 61 jorè 121 joue 63 jovia 59, 118 jovia (dies) 59 julé 121 jümatsch 31 *junicia 111 junix 111 *kam-/ gam- 54 *kamukjo 54 Kanzel 80, 195 kanzella 80 Kanzlei 183 karnier 196 Karsumpel 184 kernier 196 khtérbi 107 Kitt 185 kitzeln 196 *klapp- 57 klapp(a) 57 Klappe 185 kok 91 *kokk- 91 Konditer 186 Konditor 186 Konfirmand 186 koré 92 *kormisio 51 Kraft 247 kraftaiwelmaingk 248 Krapp 196 *krapp- 57 *krappa 196 krattôn 163 Kraut 186 *krepp- 57 *kripp- 57 *krîsan 201 *kriti- 201 *kritt- 201 *kruka 154 Kugel 192 kugele 192 *kuidar 95 kûle 192 Kulisse 186 kumá 129 Kummer 167 Kummode 185 là 114 lâ 117 laba 194 labare 85 labi 85 *labicare 85 294 Index der zitierten Formen <?page no="295"?> labina 98 lac, lactis n. 85 lac m. 188 lachen 170 Lack 188 lact-iva 85 ladegn 141 ladem 93 ladimer 93 ladin 141 ladin I 214 ladiná 141 ladinamaing 231 ladinamein 141, 231 ladinameng 214, 231 ladinar 141 ladinass 141 ladino 141 laeger 216 laer 217 laetamen 93 *laetumen 93 Läger 216 laghegiar 166 - 167 laghigear 167 lagugn 76 lahergnar 170 lahrogna 170 lai 171, 208 lam 141 - 142, 198 lama 141 - 142 lamegl 78 lamgiar 141 *lamicare 141 lamma 141 lamp 142 lampone 53 Landschriber 245 languner 236 lappalia 188 Lappalie 188 larisch 51 larix, -icis 51 larsch 51 laschar 249 laschêr stêr 212 latgera 85 latin 141 latinus 141 latro, latronis 161 latvergia 184 Latwarje 184 Latwerge 184 laubia 154 laubire 165 laubja 154 laubjan 165 Läufer 194 Läuferin 193 - 194 läufig 193 - 194 launca 154 laussa 51 lautga 154 lavada 207 lavagar 85 lavar se 207 lavare 85 la vieza, l ’ avieza 98 lavogl 76 lavuogn 76 ledamée 93 ledig 202 ledscha 208 legar 87 legem 171 leger 173, 216 leger III 216 leger/ ler ava(u)nt 173 legge 208 legher 216 legher, legra 188 leiv 131 lemp 142 len da vëta 98 lennari 159 lescha 208 lesina 115 lètg 171, 208 letra 206 lettera 206 295 Index der zitierten Formen <?page no="296"?> leu 76, 114 leua 78 *leudia 68 leufa 193 levada 207 levar (si) 207 liagear 167 liagier 167 liber 73 lidi 173 lidic 202 lidifreid 202 lidig 202 lidimarsch 202 lidimer 93 lidinuot 202 lieud 224 lieunga digl culiez 78 lieuva 87 lignar 136, 149 lignear 136 liidi(g) 202 limegl 78 lincharna 75 linea 136 lineare 136 lingua 27 linguach 27 liofa 193 liösa 68 liquare 87 liquari 87 lirá 107 lischiva 105 listess 80 litgera 85 litgiva 85 liua 78 liuaa 87 liufa 193 - 194 liufer 193 - 194 liva f. 78 liva v. 87 lluffa 194 lö I 214 *loba 194 lobe 194 lobgia 154 lobia 154 locare 76, 236 loffa 194 loffia 194 loge 154 loggia 154 lögia 194 lom 124, 130 - 131, 141 - 142, 198 lompa 176 lonzi, lonzia 198 lonzo 198 loptga 154 loqui 211 lôs 182 losch 159, 182, 184 loscheza 159 loschezia 159 löten 167 lotga 154 lötig 202 lotjan 167 lovar 76, 236 lovia 194 lozard 159 lozza 69 luaa 87 luar, 3. liua 87 lubir, 3. lubescha 165 lubischa 165 luc 163 lucantar 163 lucignolo 78 lucinium 78 ludibrium 193 ludus 193 luegen 167 luem 142 luenzen 198 luft 217 lugar 76 lugargia 184 lugen 167 296 Index der zitierten Formen <?page no="297"?> lugg 163 lui 243 lul 188 luler 188 luli 188 Luller 188 lulli 188 lumen 78 lumiar 141 lumignon 78 *lumilium 78 luminium 78 Lumneins 159 lumpa 176 Lumpen 176 luna ‚ Laune ‘ 177, 188 luna ‚ Mond ‘ 136, 177 luna decurrente 86 lunare 136 lunganar 236 lunganer 237 lungatg 27 *lunz 198 luom 142 lupa 193 - 194 *lupia 194 luschard 159 luschard I 47 luschard II 47 luschetza 159 luscheza 159 luschezia 159 - 160 luschezza 159 lutagear 167 lutager 167 lutegiar 166 - 167 lutger 167 lutiar 167 Luunen 188 luver 236 lux, lucis 78 mâ 244 ma I 244 macort 82 macorta 82 madem 80 madrastra 15, 17 madregna 15 madretscha 15 - 16 madrina 15 - 16 madrütscha 15 - 16 magher, magra 188 magliac 79 magliar 105 maglier 79 mago 161 magogna 142 *magone(m) 161 magun 161 magung 161 mahel- 184 maison 239 maister 188 mal 42 mal- 173 *mal- 65 mal cotschen 88, 232 malagear 167 malager 167 malavita 224 malch- 184 Malchen- 184 maldiever 42 male + ad + *cortum 82 male + *cortum 82 male fidus 173 male gratus 173 male sanus 142, 173 malegiar 166 - 167 malemperneivel 42 malen 167 Malen- 184 malensloz 184 maletg 47 maletschloss 184 malfideivel 173 malfö 51 malga 66 malgár 66 297 Index der zitierten Formen <?page no="298"?> màlghe 66 malghér 66 malghés 66 malghese 66 malgia 65 - 66 malhe 184 *malícinu 51 malidi 173 malrecli 173 malregli 173 malsan 142 malsang 142 malsánia 142 malsanía 142 malsano 142 malsaun 42, 142, 173 malschuber 173 malschubrezza 173 malsloz 184 malsober 173 malsogna 142 maltgietschen 88 maltschec 173 malungs 119 maluns 119 malvalg 76 malzamn 142 malzàn 142 malzogna 142 mamma 12, 15, 17, 36 mamvagl 76 mana 119 managear 168 manager 168 mancino 56 manco 56 mancus 56 manduailg 76 mane 122 manedel 87 mane+de+vigil 76 manegiar 166, 168 maneivel 148 mane+vigil- 76 manglair 162 manglar 162 manglen 162 mangolôn 162 manha 119 *mania 119 maniar 168 manna 119 mannua 119 mansio 239 mantel 188 mantellum 188 manti 188 manü 87 manua 119 manus 56 mapa 188 mappa 188 Mappe 188 mar 174 marca 188 marcadar 247 marcau 207 marcau I 207 marchà 207 marchantar 247 marchar, -er 162 marcho 207 marciare 162 marcurdi 93 maren- 184 marhen- 184 marinaio 188 mariner 188 Marke 188 marschar 162 marschieren 162 marschloss 184 marterei 112 martga 188 martyretum 112 marüschla 94 marvegl 76 marvelg 76 masca 188 maschera 188 298 Index der zitierten Formen <?page no="299"?> maschlöss 184 maschun 239 mascra 188 Maske 188 massa 76 matgiert 82 matros 188 Matrose 188 maun 174 mäuschenstill 202 mazlaria 183 mazzacucla 192 mazzacula 192 me ispsum/ ispam 80 measeanda 93 méda 87 medem 80 medemo 80 medesimo 80 media hebdoma 94 mediam 93 mef(f )a 117, 194 mei 81 meinen 168 meini 176 Meinig 176 meinung 176 meisch 117 meister 159, 188 mel 73 mel chötschen 88, 232 mel cotschen 88, 232 melchüert 82 mélinu 73 melinus 73 mellen 73 memez 81 memia 76 mèna 119 menar 78, 174 menca 102 mencadí 102 mencedé 102 meni 176 mercatus 207 mergere 104 merken 139 mesa 93 mescal 119 mescel 119 mesemda 93 mesjamna 93 - 94 messa nuella 142 messa nuvela 142 messa nuviala 142 mester 188 mestgel 119 mez 81 mez frar 15 mez frer 15 mezza sour 15 mezzédima 94 michiert 82 micla 118 micluns 119 micula 118 - 119 mieula 118 mievla 118 miez frar 15 migliac 79 migliatg 79 migluns 119 mígoilg 118 milz 124 milza 124 milze 124 mima 16 mina 188 minca 102 mincadé 102 mincatant 102 mincha 102 minchadi 102 minchi 102 minchületta d´utuon 184 Mine 188 miné 168 minsér 138 mintga 102 mintgadi 102 299 Index der zitierten Formen <?page no="300"?> minüd 87 minutulus 87 minutus 87 mioatt 55 mioula 118 mir 180 mira! 37 mirar 18, 32 - 33, 37 - 38 mirar suenter 220 misarogn 47 misch 117 mischiel 184 mischles 184 mischlies 184 mischlos 184 mischun 239 miseron 47 miseron I 47 miseron II 47 mislar 199 mitgiert 82 mitschar 69 - 70 mitschear 69 mitschier 69 Mittwoch 93 - 94 miula 118 mnüda 29 mo (er) 244 mò era 244 mobilia 94 mobilis 94 móc ’ 55 môfo 117 mògina 63 móglia 94 mogna 81 mogni 81 moho 117 moiata 55 mójena 63 mólger 94 mólgia 94 *molliare 105 mollis 130 mona 119 monna 119 mordaere 216 morder 216 morder II 216 mords- 202 mósna 63 mót 58 mòta 58 mòte 58 motta 58 motte 58 mouschna 63 mó ʃ na 63 mö ʃ na (mu ʃ na) 63 muaglia 29, 94 muaglia grossa 29 muaglia manüda 29 múc 55 mucchio 79 mucciare 69 mücè 69 - 70 mucé a sosta 70 muced 117 mucido 117 mucidus 117 mudl 79 müdl 79 muèsna 63 muetig 182 müf 117, 194 mufa 117 muff 117, 194 müffa 117, 194 müffelen 194 müffeln 194 mügarela 55 mügarell 55 mugia 55, 70 mügl 79 mugna 81 muia 55 muj 55 muje 117 mujenëj 63 *muk- 55 300 Index der zitierten Formen <?page no="301"?> *mukiare 69 *mukina 63 muladera 65, 70 mulegium 65 muletg 65, 70 multitudo 224 mumma 12, 15, 17, 36 mund 41 mundar 222 munglar 162 muoj 55 muoja 55 muot 58 muoti 182 muot(t)a 58 mür 180 mur- 202 mur alv 202 mur grond 202 murdieuar 166 mureri 202 murtgeu 202 murum 180 murz 202 müsaruogl 47 müsch 117 müs-chel 119 muschelen 170, 199 muschio 119 - 120 muschna 63 mùscli 120 müsclu 120 musco 120 *musculus 119 muscus 120 muscus, -i 119 muskyu 120 musna 63 muster 188 mutg 55 mutilus 58 mütschar 69 - 70 mütschir 69 mutt- 58 *muttio- 58 *mutto- 58 mutulus 79 muvel 29 muvel gross 29 muvel manü 29 n aiet 99 na 243 nà 76 na nui 243 Nägeli 159, 177 - 178 nagóta 87 naiel 177 nair, naira 188 nan 76 naparts 214 Narr 201 narregiar 201 nascher 233 nasterza 128 natagiêr 219 naucli 40 nausch 41 - 42 navot 87 navuogl 76 neala 94 ne(c) gutta(m) 87 nécc 111 nechiameng 214 negel 177 - 178 Neger 188 neghel 159, 177 - 178 neghelet 159, 177 negher 188 negla 177 ne. . .gote 87 negra 188 ner, nera 188 nescher 233 nescio (quid, quis. . .) 102 nettager 219 nettiar 219 neu 28, 76, 114 neuaden 28 neuadora 28 301 Index der zitierten Formen <?page no="302"?> neuagiu 28 neuagiudem 28 neuasi 28 niala 94 nical 188 nicel 188 nichel 188 Nickel 188 Niessegner 40 niev 143 nihilo setius 86 ñikura 119 nimia 76 nimius 76 nina 16 niore 153 nitscholer 106 nivogl 76 nizé 138 nizeivel 218 nizèr 138 nizzá 137 nizzar, -er 137 no 76 non 13 nona 13 nonsoché 102 Noot 175 nosch 41 - 42 not 244, 249 Not tuen 175 Notdurft 249 nottbasüngs 244, 249 nouv reschaint 126 nouv rischaint 126 nouveau 143 nov 143 novellus 142 - 143 nov-raschaint 126 novus 126, 143 nrescì 103 nriescer 103 nstës 80 nüd reschaint 126 nudium tertium/ quartum 128 nudius 128 nudius quartus 128 nudius tertius 128 nudius tertius/ quartus 128 nudiusquartanus 128 nudiustertianus 128 nudiustertius 128 nuella 142 nuè/ nuel 142 nui 142, 243 nuidis 148 nuler 188 Nulli 188 numer 177 numera 177 numero 177 Nummer 177 Nummere 177 nunc dies 128 nuorsa 31 - 32, 55, 70 nuorsa nuella 142 nuot(a) 87 nuovo 143 nus sezs/ sezzas 80 nusterza 128 nut 87 nutricem 55 nutrix 55 nuva 78 nuvel 142 nuvial, nuviala 142 nüz 218 nüzzagiêr 218 nüzzaivel 218 nzaul 102 nzauna 102 o 28 ô 13 obrist 216 obsero 113 observar 20, 23, 37 - 38 observer 23 obstare 75 oc 13 302 Index der zitierten Formen <?page no="303"?> oculum 181 offerenda 207 *offerire 208 offerre 208 offerta 207 offertas 207 offrir 208 *offrire 208 oganho 123 ogaño 123 ögliers 190 ogn 94 ogna 94 ognunque 102 oguano 123 okkánnu 123 öli da ritsch 189 olma 76 oltremare 174 omgia 52 ominca 102 omnis + umquam 102 omtga 52 -onare 168 onda 13, 87, 193 or, ora adv. 28 or, ôr m. 90 oraa 126 oradem 28 oragiu 28 orar 126 orare 126 orasi 28 orasisum 28 orasum 28 òrb 117 orbus 117, 121 *ordiniare 240 *ordinium 240 ordo 226 organo 188 orgel 188 Orgelen 188 orgels 188 orgen 188 orgla 188 orma 76 orum 90 oscitare, -ari 139 ösen 21 ösnar 21 ösner 21 osset 174 ost 188 ostare 75 Osten 188 osum 28 ot 40 our 90 outre-mer 174 ovvero 244 pabulari 136 padernuors 17 padraster 15, 17 padregn 15 padrin 15 - 16 paginare 136 paginatus 136 pagliola 112 pagliolainta 112 paglioula 112 pagná 136 painá 136 painch 131 paintg 131 paiöla 112 paiolanca 112 paiolenta 112 pairulèr 94 paiüra 250 pal 78 palar 78 palea 112 palpar 19, 21 palper 19, 21 *palta 69 paltàn 69 palus 78 pan de chëut 140 303 Index der zitierten Formen <?page no="304"?> pân de cou 140 panaglia stuorna 145 pancet elle jambe 90 pangere 136 pansar 73 pantan 69 pantano 69 pantg 131 par 101 paradis 41, 120 paradiso 120 paradisus 120 paravijs 120 paravis 120 Paraviso 120 paravisus 120 parçonier 84 parcorscher 23, 135 pardeart 143 pardert 143 pardetga 131 *pariolu 94 *parium 94 parlahanza 177 parlahar 26 parlamanza 177 parlanza 177 parlatar 26 parler 94 parochia 89 paroisse 89 parola 26 - 27 parolé 94 parolot 94 parrocchia 89 parsnavel 83 - 84 parsnawel 84 parsnevel 83 - 84 parsunavel 83 parter 47 *partionem 84 partir 47 partitionem 84 paruîs 120 parvaser 136 parveis 120 parver 136 parvis 41, 120 parvisius 120 parvisus 120 parzionière 84 paschada 85 paschotta 85 paschuta 85 pastaretsch 132 pastorac 132 pastoricium 132 pastoricius 132 pastraretsch 132 pastrëc 132 pastretsch 132 pastrietsch 132 pastrorëc 132 pasturagium 132 pasturëc 132 pataflar 26 patartger 73 paterlar 26, 39 patern 17 paternies 17 patertgar 73 patliar 166 patsch 188 paun 140 paun casa 140 paun cut 140 paun salin 140 paun segal 140 pauta 69 pavagl 78 pavlar 136 pcíev 89 peagno 132 peanius 132 pedagn 132 pedagna 132 pedaneus 131 - 132 pede post pede 79 péinch 131 peis 90 304 Index der zitierten Formen <?page no="305"?> pénch 131 penda 182 penek 131 péngola 90 penk 131 pensar, -er 73 pentecoste 110 per + derctum 143 per amur da 32 per chaschun da 32 per nott cha 244 percorscher 23, 135 - 136 *perderscher 143 perdert 143 perdetga 131 *perdirigere 143 perdütta 131 pérla I 47 pérla II 47 pernot 244 perschuader 223 persvader 223 pertractare 73 perver 136 perveser 136 pes 90 peter 182 petliar 166 petsch 188 péz 57, 70 péz I 57 péz II 57 pezza 57 Pfiffer 160 Pflug 192 piagn 131 - 132 pianch 131 piani 132 piaunch 131 pic 57 píche 58 pictura 47 pied à pied 80 pied chaut 80 pieun 131 piév 89 piglialaunca 112 piglier sü a qchn 222 pigliola 112 [pik] 57 [píke] 58 pin 16 pinar 136, 211 piner 136 pinguis 131 *pints- 57 piogn 131 - 132 pis 58 pisare 85 pischada 85 *pischar 85 pischeda 85 pischutta 85 *pisiare 85 pitgogna 79 *pits- 57 - 58 [pítsa] 57 pittürar 167 [pit ʃ ] 57 piz 57 - 58 pizz 57 pizza 57 pizzogna 79 placere 132 placitare 132 placitat 84 placitum 132 plagen 166 plaid 26 - 27, 132, 211 plaida 84, 211 plait 132 plaiv 89 plancus 56 plandscher 172 plangere 172 planta, plànta 153 plat ‚ linguaggio segreto, gergo ‘ 132 plat ‚ Blatt, Papierblatt ‘ 246 plata 188 platiala 155 305 Index der zitierten Formen <?page no="306"?> platta 188 Platte 188 platts 246 plaundscher 172 plebs, plebem 89 pled 26 - 27, 132, 211 pledar 38 - 39 pledar, -er 132 plêf 89 pléit 132 pleiv 89 plesch 180 plév 89 pli 89 plidar 24 - 26, 38 - 39, 132, 211 - 212 plidentar 211 plidescha 211 plié 89 pliev 89 plievgia 59 ploanía 89 *plog- 192 plöia 59 plomba 188 Plombe 188 plonscher 172, 174 plonta 153 plotta 124 *plovia 59 pluania 89 plum 188 plumba 188 plüsch 180 pluschein 159 pluscheina 159 poetaster 17 poimîine 122 poison 115 polizeia 183 polizia 183 polizist 188 pontaa 79 pontara 79 pontun 79 porca 194 porí 77 porter plainte 172 poscéna 95 posdomán 122 posmagn 122 possmágn 122 post 122 post + mane 122 post + pede 79 post pedem 79 - 80 *postcenium 95 Postur 188 postura 188 pot 182 potio, potionem 115 pozzà 175 precare 126 precari 126 pregare 126 pre(he)ndere 108 preleger 173 preler 173 preliger 173 prender si 222 prengias 184 prentgas 184 pressare 201 presse 201 pressen 201 preux 143 prier 126 printgas 184 prode 143 prodëi 136 producere 131 producta 131 produire 131 professer 188 professeur 188 Professor 188 professore 188 professoressa 188 professra 188 professur 188 professuressa 188 306 Index der zitierten Formen <?page no="307"?> prolungar 236 prône 169 prôner 169 proporz 188 prorsus 143 pros 143 prossus 143 prosus 143 prothyrum 169 prous 143 provéde 136 providere 136 prudéy 136 pruigna 107 pruina 107 prus 143, 149 puauna 53 pudel 189 pudicitia 125 pudor 125 pugn I 47 pugn II 47 pulè 92 pulech 92 puleium 92 pulitg 92 pulizia 183 pullicena 159 pullicenus 159 pulmaint 132 pulmaints 132 pulmento 132 pulmentum 132 pulmun 131 pulpa 132 pulpito 80 pultàn 69 pultaun 69 pumer 153 pumpa I 47 pumpa II 47 punctum 79 punt 79 punton 79 puntun 79 puob 185 pure 77 purgegna 107 purgigna 107 purgina 107 purificatiun 219 pürifichar, -er 219 purifichiêr 219 purifichio 219 purmaint 132 purment 132 pursanavel 83 purtar plant 172 purus 77 pusau 175 puscena 95 puscená 95 püschain 95 puschaint 95 puschegn 95, 122 püschgnar 138 puschman 122 puschmàn 122 puschmang 122 puschmaun 122 puscigné 95 pusigno 95 pusmaun 122 puspe 79 puspei 79, 122 pussmágn 122 pustretsch 132 püzar 122 puzzo 175 quac 195 quacra 195 quader 47 quader I 47 quader II 47 quader III 47 quadruvium 106 quaerere 81 *quaerire 81 quaida 125 307 Index der zitierten Formen <?page no="308"?> quaita 125 quaken 195 qualchedüns 214 qualchüns 214 qualcosa 214 quatere 109 quatrimma 31 queda 95 queida 95 querre 81 quescher 74 quet 125 quetschen 201 quex 195 quidam 243 quidar 125 quiecken 195 quiescere 74 quinà 14 quinada 14 quinau 14 quineda 14 quino 14 quinquagesima 110 quitar 125 quitau 125 quiter 125 rabaglia 195 rabagliar 170 rabaglier 170 rabetscha 95 rabigliar 170 rabitschar 170 - 171 rabitschear 170 rabitschier 170 rablar 170 - 171 racar 189 racher 189 racra 189 radagn 77 radaint 77 radente 77 radentem 77 rader 221 radere 75, 87, 195 radschunar, -er 25, 212 rafa 163 rafar 162 - 163 rafer 163 raffar 162 raffare 162 raffen 163 raffer 162 raffôn 162 Ragger 189 ragia 89 ragola 163 ragolar 163 ragonga 142 Rahmen 176 Rahne 189 raischen 124 raiver 137 ram 162, 176 ram- 169 rama 176, 178 ramentum 87, 195 rampa 169 rampeuna 169 rampluna 169 ramplunar 169 rampluner 169 rampoargna 239 rampognare 169 ramponar 169 ramponieren 169 rampo(s)ner 169 rampuna 169 ramum 178 ramundar 223 ramuonda 223 rancus 56 randa 189 Randen 189 rantar 104 Ranunchel 177 Ranunkel 177 ranver 77 rap 189 308 Index der zitierten Formen <?page no="309"?> rapa 195 *rapicia 95 rapicius 95 rapla 195 raplar 195 Rapp ‚ Rappen ‘ 189 Rapp ‚ Rabe, Krähe ‘ 196 rappa 195 rappe 195 Rappen 189 raps 189 ras 75 rasa 90 rasar 75 *rasare 75 rascha 89 - 90 raschaint 126 raschaintnov 126 raschunar 24 - 25, 38 - 39, 211 rasdeiv 95 rasdiv 95 rase 90 rasente 77 rasgear 109 rasger 109 rasia 89 rasis 89 raspada 226 rasus 75 rasvenna 53 rauba 154 *raubôn 170, 198 rava 95 ravetscha 95 ravísc 95 raviscia 95 ravitscha 95 ravizza 95 ravìzze 95 ravulauna 54 razger 109 reader 108 rec 189 rece 126 *rece(m) 126 recens, -entem 126 recent I 47 recent II 47 Recht 209 Rechtsprechers 245 recidere 95 *recidivum 95 recipere 212 recitar 25 reciter 25 Reck 189 recli 173, 182 réd, rèd 108 redá 108 reddere 108 reder 108 redli 173, 181 redlich 173, 181 - 182 redre 108 redscher 226, 236 régan 124 regeln 163 regere 225 reghen 124 regien 124 reglen 163 regler 163 regn 61 regolare 163 regosto 198 regular 163 regulare 163 reguler 163 regulieren 163 reh 158, 165 reheztga 160 reischen 124 reiver 137 reja 89 religare 229 remarcar 23 remarchar 23 remarcher 23 remartgear 23 re-mundare 222 309 Index der zitierten Formen <?page no="310"?> rench 61 render 236 *rendere 108 rendre 108 renovare 77 *renovarius 77 renovatio 77 rentar 104 rentèr 104 rentg 181 rentga 181 re+obstare 75 repere 137 repignerare 172 resch 126 resch bletsch 126 resch niev 126 resch nouv 126 resch nüd 126 *resch reschaint 126 resch tgietschen 126 rescha 89 reschaint 126 reschniev 126 reschnov 126 rescire 103 resdar 25 resder 25 resecare 109 resedív 95 resero 113 resgia 109 resgiar 109 resina 89 ressegá 109 resti 176, 180 restizanza 207 restizar 207 resurrecziun 207 *resuscitare 207 resüstanza 207 resüstar 207 resüstaunza 207 resüster 207 rete 108 *retentum 77 reter 108 retg 158 retgezza 160 retre 108 retschaiver 212, 235 retscheiver 212 returnar 235 revost 198 rezgia 109 rezno 124 ric 189 ricco 158 rich 158, 165 richezza 160 richten 172 Richter 172 ricin 189 ricino 124 ricinus 124, 189 ricla 161 rida 182 riesi 95 rieven 60, 70 rigare 96 rigular 163 rihezia 160 riich 158, 165 riki 158 rimient 195 rimur 216 rin 181 rinch 181 ring und khand 148 Ringgen 176, 181 rintga 176, 181 ripire 137 risch 126 risch nouv 126 rischaint 126 risch-cotschna 189 risdar 24 - 25, 38 - 39 risdiv 95 rispials 181 rispli 181 310 Index der zitierten Formen <?page no="311"?> Riss-Bli 181 risti 181 ristials 181 ritsch 94 ritter 217 ritters 217 riuwen 171 riz 189 Riz(in)öl 189 ròana 189 roba 154 robusto 198 robustus 198 rodlar, -er 163 rogn 61 roìs 61 rollar 163 rollen 163 roller 163 rom 176, 178 romanicus 141 romanus 141 romené 165 rona 189 róna 200 ronda 189 rone 61 rorare 96 ros roris 96 *ros 61 rós 88 rosá 96 rosada 96 *rosare 96 roschel 96 roscidum 96 rosèda 96 rosedi 96 *rosiata 96 rosna 61 *rossna 61 rostá 75 rosulentus 96 Rotten 228 *rotulare 163, 181 rotundum 77 rouane 124 rouanne 124 *rova 60 ròvan 61 röven 60 *rovinu 60 ruada 96 rualar 163 rubaglia 195 rübèstigh 198 - 199 rubesto 198 rubiest 198 rubiesti 198 rubiestia 198 rubir 137 rucagear 168 rucager 168 ruchegiar 166, 168 rucken 168 rucla 182, 191 ruclar 163, 181 rudien 77 ruelar 163 ruere 60 rugada 96 rugalar 163 rugalescha 163 rughela 163 rugiá 96 rugiada 96 *rugidus 99 rugola 163 ruign 61 rujeada 96 rular 163 rullar 163 rumé 165 rumen 165 rument 87, 195 rümenta 87 rumescha 165 rumians 195 rumien 87, 195 rumient 87, 195 311 Index der zitierten Formen <?page no="312"?> rüminta 88 rumir 165, 195 rumischa 165 rumpanar 169 rumpeln 169 rumplanar 169 rumplen 169 rumur 216 runa 200 Runal 200 runar 199 - 200 *runare 199 runda 189 Runde 189 runé 200 runen, rünen 199 ruog 154, 182 ruói 61 ruosna 61, 70 *rup- 195 rusá 96 rusada 96 ruscel 96 ruschanar 24 - 25, 39 ruschè 96 ruscum 191 ruseda 96 rusment 87, 195 rusna 61 russus 88 Rüstig 176 Rüsti(n)g 176, 180 rüters 245 ruumen 165, 195 ruvi 96 *ruvidus 99 sa 114 sa chambriar 167 sa far aint 23 sa snueir 201 sa stalager 168 sabbatum 127 sabde 127 sabel 189 sabi 140 sabiut 140 saccente 140 sachetá 109 sacodâ 109 sacrifichar 208 sadeala 88 sadela 88 sadella 88 sadiala 88 saeta 90 sagear 19, 21 sager 19, 21 sagetà 137 sagiattar 137 sagitar 137 sagitta 83 sagleir 74 saglir 74 sagliuot 96 sagnùn 66 sai 114 saida 90 saidla 90 sain 66, 70 saiocch 96 saiòtro 96 sajattöla 83 sajettar, -er 137 sæla 229 salegn 88 salep 96 salì 96 saliginem 88 salin 88 saling 88 salip 96 salire 74, 96 salup 96 salüp(o) 96 samantéri 112 *sambata 127 samda 127 samedi 127 sampchar 211 312 Index der zitierten Formen <?page no="313"?> sampogn 98 sampugn 98 - 99 sampün 99 samtgear 211 samtger 211 sanastrar 105 sanctus 112 sanda 127 sande 127 *sanio-, *sanione 66 s ’ anriclar 171 s ’ anriglar 171 santeir 18 - 21 santeri 112 santieri 112 santir 19, 21 sapidus 140 sapiens 140 *saporiare 85 sapperlot 160 sapta 127 sardeala 189 sardegna 189 sardella 189 Sardelle 189 sardina 189 Sardine 189 s ’ arüvler 171 saschnuir 201 sastalagear 168 Satzung 172, 208 Sauce 190 sautarin 96 savilar 137 savregn 116 savregn(a) 14 savurar 18, 21, 85 savurer 18, 21, 85 sblachescha 165 sblachir 165 sblachischa 165 sbleha 165 sblihescha 165 sblihir 164 - 165 sbluccar 163 sbluttar 163 sbragir 209 - 210 sbrensla 200 sbrenzla 195, 200 sbrinslar 200 sbrinzlajar, -ager 200 sbrinzlar 195, 200 sbrinzlar, -er 200 (s)brume 67 scaa 154 scadanar 104 scadenaa 104 scadenar 104 scàe 155 scaffa 154, 200 scaffale 154 scaffergnar 26, 200 scafferlar 26, 200 scaffescha 165 scaffider 165 scaffir 164 - 165 scaffiziun 165 scaglia 154, 159 scaia 154 scalegl 159 scalegn 160 scalgia 154 scalign 160 scalin 160 scalinar 160 scalpellum 115 scalper, scalpri 115 scalprum 115 scalpturare 201 *scalpturire 201 scalpturo 201 scanatsch 159 scancellare 195 scancello 195 scandal 189 scandalo 189 scandel 189 scandula 107 scanetsch 159 scantschala 80, 195 313 Index der zitierten Formen <?page no="314"?> scantscheala 80, 195 scantschela 80 scanziala 80 scarnoz 195 scarnuz 195 - 196 scarpina 135 scarpiná 134 scarpinar 135 scarpinass 134 scarpitsch 135 (s)carpleagna 135 (s)carplignear 135 scarplinar 134 - 135 scarplinar I 135 scarplinar II 135 scarplir 135 scarschenteivel 199 scarschentiu 199 scarschentus 199 scarsola 68 scatenare 104 scazi da plaids 9, 26 scéga 97 sceghéra 97 scementéri 112 scésp 116 scéspet 116 *scetonem 156 sceverare 111 scévri 125 schabegiar 200 schabetg 200 schabigear 200 schablona 189 Schablone 189 s-chaffa 154 schaffen 165 s-chaffir 165 schagia 21 s-chaglia 154 s-chagn 155 s-chagna 155 schaibgia 189 Schaibn 189 s-chain 155 s-chaina 155 schal 189 s-chalpen 115 schalun 96 schamper, schampra 191 schanai 168 schandbar 191 s-chandel 189 schanegiar 166, 168 schanetg 168 schaniar 168 schanza 189 schanza I 189 schanza II 189 Schanze 189 scharnier 189 s-charnütsch 195 s-charnüz 195 s-charpel 115 s-charplinar, -er 134 - 135 schätzen 168 schazagear 168 schazegiar 166, 168 scheba 189 schèla 155 s-chella 155 schema 189 schéna 159 schencks 246 schender 15 schentament 208 schetta 182 Schgarnutz 196 schgiudair 241 schgnüflar 163 schgnüfler 163 schguardin 216 schguardiner 216 schiatta 159 schiba 189 schicana 189 schick 173 schiember 52 schiena 155, 159 Schienbein 155 314 Index der zitierten Formen <?page no="315"?> schiender 15 Schiene 155 schigear 19, 21 schigiar 19, 21 Schiiben 189 Schikane 189 schilun 96 Schimpf 242 schinag 168 schinagear 168 schinager 168 Schindel 107 schinetg 168 schinigier 168 schirà 100 schirar 100 schirata 97 schirau 100 schirlata 97 schirmen 168 schiro 100 s-chitschier 201 schladinar 141 Schlänggen 180 schlatagna 159 schlatta 159 schlattagna 159 schlatteina 159 schlavazzar 210 schlavazzer 210 schlecht 41 schledra 246 schlegn 180 schlet 182 schletta 158 schliesa 68 schliet 41 - 42, 182 schlieusa 68 Schlingen 180 schliousa 68 schlitta 158 schlittada 158 *schlittar 158 schlitteda 158 Schlitten 158 schlockiar 163 schlucher 163 schlungunar 236 schluppet 242 schluppettar 137 schmalager 167 schmaliar 167 schmearsa 104 schmearscher 104 schmegl 105 schmerdscher 103 - 104, 136, 208 schmersa 104 schmerscher 104 schmielza 124 schmieula 118 schminkar 189 Schminke 189 schminker 189 schmögl 105 schmögliar, -er 105 schmugl 105 schmugliear 105 schmuschignear 170 (sch)nadetg 99 Schnaggen 180 schnappen 161 schnarren 201 schnavur 201 schnecla 179, 181 schnetla 179 schnezla 179 schnics 179 schnics da maila 179 schnielza 124 Schnittli 179, 181 Schnitz 138, 179 Schnoggen 180 schnuaivel 201 schnuevel 201 schnuezi 201 schnuflagear 163 schnuflar 163 schnuflen 163 schnüfler 163 schnuizi 201 315 Index der zitierten Formen <?page no="316"?> schnure 201 schnurren III 201 schoc 189 Schock 189 schonen 168 schopa 155 schotla 181 schreien 210 Schriner 159 schuba 189 Schuben 189 schuber 173, 182, 219 schuber net 173, 182, 219 schubergiar 219 Schüblinge 110 schubriament 219 schubriar 219 schubriau 219 schubriaus 219 schuffar 183 schumber 183 schuolmaister 245 schurmagear 168 schurmager 168 schurmegiar 166, 168 schurmetg 168 schurvar 121 s-chüs 144 s-chüsa 97 s-chüsar, -er 144 sciá 114 sciadon 156 sciajup 96 s ’ ciandule 107 scianora 107 scìga 97 scighèra 97 scindula 107 sciörb 121 sciorbá 121 sciorbé 121 scirà 100 scire 103 sciurbari 121 sciúrum 97 sckiüs 144 scöd 109 sconé 168 scônen 168 scossaa 196 scoss(o) 196 scrinari 159 scrinaria 183 scrofa 194 scubilinga 110 scuder 109 scudí 109 scuidonza 111 scuir 111 *scuírum 97 scuiu 111 scultrir 200 scultroir 200 scumanzar 125, 211 scuné 168 scuotere 109 scüsá 144 scussal 196 sdom 156 sdong 156 sdrema 179 sdrisar 179 sdun 156 se- 81, 137 se + ipsum 80 se bassa 249 se ipsum 215 se ipsum/ ipsam 80 seblamar 162 secare 109 secarplinar 134 seché 102 secius 86 secret I 47 secret II 47 secta 228 sectae 228 sectierers 245 secudì 109 secumbrigiar 166 316 Index der zitierten Formen <?page no="317"?> séda 90 sëda 90 sède 90 *sedentare 172, 174, 208 sedere 208 sedòn 156 sédula 90 sefar en 23 seflissegiar 217 Segner 40 seguainter 74 sei pron. 81 sei m. 133 seida 90 Seilätä 134 seir 14 seira 14 seivla 115 selin 88 selin d ’ autonn 88 semtgar 211 s ’ encorscher 135 senno 66 s ’ enriclar 161, 171 s ’ enrihir 165 sentir 19, 21 - 22 senudar 137 separare 111 seperare 105, 111 seprender avon 222 sequenter 74 sera 113 será 114 sere 156 serere 82 sermo, sermonis 161 sero 113 serra 113 serraculum 113 serrar 113 *serrare 113 sertum 82 sescarplinar 134 sesez 81 sesmincar 189 sesmuschignar 170 sesnuir 201 sestellegiar 166, 168 setga 113 setius 85 - 86 setta 228 setula 90 sévar 156 sevilar 137 sevre 156 sevrer 111 sez id. 80 - 81, 215 sez, séz m. 179 sezen 85 sezzo 86 sfarfat 77 sfarfatg 77 sfartgear 104 sfracacë 104 sfracär 104 sfraccar 104 sfracë 104 sfracèr 104 sfrachar 104 sfracher 104 sfranslager 168 sfranzlagear 168 sfranzlar 168 sfranzlegiar 166, 168 sfratger 104 sfuira 106 sfuoira 106 sfurar 14 sfurat 14 sgarflar 171 sgargnir 161, 165 sgarlett 64 sgarscheivel, sgarscheivla 199 sgarschevel 199 sgarschur 199 sgartar 163 sgenuscia 111 sghirate 97 sgiaglio 99 sgiandaflar 242 317 Index der zitierten Formen <?page no="318"?> sgiudair 241 sgnap 161 sgnappar 161 sgnocca 180 sgnuflar 163 sgol- 121 sgola 120 - 121 sgolar 120 sgolé 121 sgóler 120 - 121 sgor- 121 sgoztga 196 sgraflar 171 sgragn 161 sgrata 163 sgrattar, -er 163 sgrefla 171 sgregn 161 sgregna 165 sgrezi 196 sgriflar 171 sgrifler 171 sgrignaa 165 sgrigneir 165 sgrignii 165 sgrignir 165 sgrinfla 160 sgrischaivel 199 sgrischur 199 sgrizchir 201 sgriziar 196, 201 sgriztgar 201 sgriztgear 201 sgriztgier 201 sguezi 196 sguezia 196 sguinchir 166 sgul- 121 sgular 120 sguozchas 196 sguozia 196 sgur- 121 sgurdin 216 sguzia 196 sguztga 196 si 28 siaden 28 siado(ra) 28 siatar 137 sibi + ipsum 80 sibi ipsum 215 sibla 115 sich befleißigen 217 sich bemühen 217 (sich) blamieren 162 sich herablassen 249 sich üben 217 *siderare 100 siderari 100 sidrât 100 sieva 213 siglir 74 signistrâ 105 signun 66, 70 signung 66 Siiten 182 sil fletg 192 silep 96 silip 96 silón 96 s ’ inaffar 23 s ’ inaffer 23 s ’ inavair 23 *sinestrare 105 sinister 105 sinistro 56 sinistrum 105 s ’ inrüclar 171 s ’ inschnuir 201 sir 14 sira 14 sisum 28 sit 133 sital 83 sitar 137 sitella 88 sitg 133, 149 siton 83 sittar, 3. setta, sietta 137 sittola 83 318 Index der zitierten Formen <?page no="319"?> situla 88 Sitz 179 sivla 115 siz 179 skafa 154 skaffan 165 skaffôn 165 *skalja 154, 159 Skandal 189 Skarnizel 195 Skarnuz 195 skeitho 156 *skilla 155, 160 *skina 155, 159 sladiná 141 sladinèr 141 *slahta 159 slamp 142 s ’ lascha giu 249 *sled- 68 slëht 182 *(s)l(e)idh- 68 slengia 180 *sleud- 68 *sleudia 68 slingia 180 sliusa 68, 70 *slodia 68 slonda 107 sluccar 163 slupatêrs 242 smèrg(ias) 104 smerscha 104 smerscher 103 smigl 105 smiglier 105 sminca 189 smincar 189 smöi 105 smüciá 69 smugl 105 smugliar 105 smuglier 105 smuschegna 170 smuschiglier 170 smuschigna 170 smuschignar 170 smuschignier 170 snarrir 201 *snauwjan 201 snavour 201 snavur 201 snâwen 201 snez 138, 179 sneza 137 snezza 137 snizar 137 snizz 138, 179 snizzá 137 - 138 snizzada 138 snizzar 137 - 138, 149 snizzergiada 138 snizzergiar 138 snizzergnem 138 snueivel, -eivla 201 snuevel 201 snuezi 201 sobreos 174 sobrina 116 sobrinho 117 sobrini 116 sobrino 117 sobrinus 116 socca 176 socken 176 sogn 66 sögnar, -er 236 Sohle 189 (soi) mucier 69 soigner 236 sol 91 sola 189 *sola 189 solaio 134 solarium 134 solarius 134 solea 189 solée 134 soler 134 sólfar 108 319 Index der zitierten Formen <?page no="320"?> sólpar 108 solver 138 solvere 138 sonda 127 sonde 127 sópia 59 soppa 155 soprosso 174 sör 14 sora 13 - 15 sora d ’ egna vart 15 sora d ’ ena vart 15 sora d ’ ina vart 15 sorbar 121 soror 116 soròss 174 sorpassare 222 sorprendere 222 sosa 190 Soße 190 sossedâ 139 sost 113 sosta 113 sotbeadi 14, 16 sotbeadi(a) 14 sottascriver 174 sottolineare 174 sottoscrivere 174 soula 189 souligner 174 sour 13, 15 souscrire 174 spähen 238 Spais 247 spaisa 247 spanagea 168 spanagear 168 spanagieu 168 spanegiar 166, 168 spanegiar I 168 spanegiar II 168 spanegiau 168 spanne(n) 168 *sparaniare 163 spargn 163 spargnar 163 spargnear 163 spargner 163 spargnus 163 *sparôn 163 sparun ‚ Sporn ‘ 161 sparun ‚ Sprung ‘ 183 sparung 161 sparuns 161 spass 190 speart 143 speculum 190 *spehôn 238 spejel 190 spendrar, -er 172 sper 101 speras 101 spero 161 sperone 161 spert 143 - 144 spért I 47 spért II 47 spiar 238 spiare 238 spiculum 58 *spicum 58 spiegel 190 spieghel 190 spièna 124 spier 238 spievel 190 spievels 190 spi(h) 58 spinacio 190 spinat 190 spinatsch 190 spindrar 172 spir 77 spisa 247 spisager 247 spisagiaer 247 spisagiêr 233 spisgentar 233, 247 spisgiantar, -er 233, 247 spisgiar 233, 247 320 Index der zitierten Formen <?page no="321"?> spitg 58 spitz 58 spiunar 238 spiz 58 spizé 58 spizèr 58 spizoré 58 spizus 58 Spizze 58 spleca 125 splecha 124 - 125 splem 124 splemgia 124 splen 124 splen, -is 124 splena 124 splëngia 124 *splénia 124 *splénica 124 splënja 124 splènze 124 spletga 124 - 125 splina 124 splintriar 20 *sporo, -onem 161 sprun 161 Sprung 183 spüffar 20 spunda 45 (s)pür 77 spüzar 122 spüzzir 121 *(s)qer- 57 squarsas 128 squartas 128 squassel 196 squilat 97 squitschar 201 squitschear 201 squitscher 201 stäärig 182 stachetta 177 stagl 161 stair 77 *stal 155 stala 155 stàle 155 staliar suenter 220 - 221 *stall 161 stalla 155 stambuoch 54 stamprà 77 stampro 77 starní 118 Starnizel 195 stärrig 182 statio 133 stationem 133 stauscha 164 stazzo 133 stazzone 133 stearl 108 stearla 108 stearner 117 stearp 107 stec 132 steiva 155 stellegiar suenter 221 stellen 168 stemprau 77 step, steppa 199 stêr giu 221 sterder 117 steri 182 sterilis 108 sterilus 108 sterl 108 sterla 108 stèrn 118 stérna 118 sterne 117 sterner 117 sternere 117 - 118 sterní 118 sterp 107 sterpa 107 sterpe 107 sterpi 107 sterpo 107 stérri 118 321 Index der zitierten Formen <?page no="322"?> stérriri 118 stersas 128 sterza(s) 128 stess 80, 215 stessa 215 stesso 80 stez 144 stgafa 154 stgafeir 165 stgaffa 154 stgafir 165 stgagn 155 stgagna 155 stgalper 115 stgandel 189 stgazi da pleds 9 stgear 102 stgein 155 stgeina 155 stgela 155 stgella 155 stgirat 97 stgis 144, 149 stgisar 144 sthguardin 216 sthlavazzêr 210 stiarla 108 stiarner 117 stiarsas 128 Stich 79 stidar 114 stierder 117 stierl 108 stierne 117 stip 199 stirps, stirpis 107 stiva 155 stizar 114 stizun 133 stizung 133 stizzar 114 stizzau 144 stomi 161 stordito 144 stórn 145 stornen 145 stornjan 145 storno 144 stórnu 145 stoßen 164 Straaf 160 straglia 46, 133 stragulacciu 133 stramen 178 strega 119 streglia 46, 133 streglia I 46 streglia II 46 streh 182 stria 119 strichar 164 strichè 164 stricher 164 strict, stricta 191 striga 119 *strigila 133 strigilis 133 strihar 164 striichen 164 Striime 179 strikt 191 stritgier 164 strix, -igis 119 stroca 176 strof 160 strofgricht 245 strom 178 Stroof 160 strousch 147 strufientscha 160 struha 176 Struhen 176 struozchar 199 strurzager 168 strusch 147 struschar 147 strüsciá 147 strusciare 147 struzcher 199 stuair 77 322 Index der zitierten Formen <?page no="323"?> stuba 155 stuc 177 stucca 177 Stuck 177 stüder 114 stüdger 217 studiosi 226 stùe 155 stueir 77 stuer 77 stufa 155 stuorn 144 - 145, 149 stuors 183 sturm 145 sturn 144 sturnus 145 sturs 183 Sturz 183 sturzager 202 Sturzblech 183 stuschar 164 stuscheir 164 stüva 155 stuvair 77, 162 stüzzer 114 su due piedi 80 suainter 74 suaintervagnànt 174 suarar 18, 21, 85 suarbâ 121 subbiadi 14, 16 subbiadi(a) 14 subit 214 subitamang 214 sübla 115 sùble 115 sublica 59 subsistere 113 *substa 113 substare 113 subula 115 succudì 109 succútere 109 sücha 113 *suctiare 133 suctus 133 sucus 133 suenter 74, 213 suera 21 süerv 133 sügner 236 sül flach 192 sül flech 192 suleneye 88 suler 134 sulpur 108 sumantieri 112 sunar 170 sunergiar 170 sunteri 112 suolper 108 suosdar, -er 139 suost 113 suosta 113 suotsogn 86 suottascriver 174 suottastrichar 174 suottastricher 174 supa 155 süpla 115 suppa 155 sur 174 sur II 223 sur III 223 suraman 174 suramang 174 suramaun 174 surbaghegiar 223 surbeiber 223 surcurdar 220, 222 surcuser 223 surdar 223 surdumandar 223 surgentar 223 suries 174 surmagliar 223 surmagn 122 surmàn 174 surmanar 174 surmang 122 323 Index der zitierten Formen <?page no="324"?> surmar 174 surmaun 174 surmenar 174 surmner 174 surmonter 222 suros 174 suröss 174 surpasser 222 surpladêr 220, 222 surpledamaint 223 surpledar 215, 223 surplidar 215, 220, 222 - 223 surtagliar 220, 222 - 223 surteisser 223 surtrar 221 surtrer 221 survangir 212 survegliar 223 survegnir 212, 223 survgnir 212 survivre 222 sus-chair 102 suscitare 139 susdar 139 sust 113 susta 113 sustà 139 sustar 113 susté 139 sustér 139 sutascriver 174 sutastrischear 174 sutbieadi 14, 16 sutbieadi(a) 14 sutga 59 sutlingiar 174 suttascriver 174 suttastrihar 174 suuber 173, 182, 219 suufen 183 suviern 164 süvla 115 suvrin 116 suvrin(a) 14 svanger 147 svapp 146 svess 80, 215 svess(a) 81, 215 (s)vindichar, -er 147 svol- 121 svolâ 121 svolar, 3. svoula 120 svolare 121 svolé 121 svóler 120 svul- 121 svuler 120 symphonia 98 *symphonium 98 Taapen 176, 178 tabac 190 Tabak 190 tabla 47 tac 156, 192 taca 155 - 156 tacca 155 - 156 taccau 156 tacere 74 tach 192 tacha 155 tache 156 tachel 156 taclar 18, 20 tadlar 18, 20, 139, 210 tadlar, -er 210 tadlar tiers 220 - 221 tadler 18, 20, 139 taglia 154 taglia I 47 taglia II 47 tagliar 221 tagliar gio 221 tagliar giu 220 - 221 taikns 155 tais 33 tal, tala 234 talac 155 talacker 26 talatgear 26 324 Index der zitierten Formen <?page no="325"?> talatger 26 talgia 154 talgiar giu 221 taloccar 26, 39 tanc 190 tanien 234 tanienta 234 Tank 190 tantar, -er 237 tantêr 237 tantum 234 tanviala stuorna 145 tapa 176, 178 ta-pè 80 tapeta 190 Tapete 190 tapperlar 26 *tappo 161 tappun 161 tapùn 161 tapung 161 taragn 145 tarlahar 26 tarlar 18, 20, 139 tarpet 182 tarpung 182 tarragn 145 tasca 196 tas-cha 196 taschair 74 Tasche 196 tascheir 74 tascher 74 *taska 196 tasmuongia 131 tastga 196 tat 13 tatg 156 tatga 155 tatsch 190 tatschada 158 tat(t)a 13 tavellar 24 - 26, 39 taveller 2. Konj. 25 - 26 taveller 3. Konj. 25, 39 te- 81 te ipsum/ ipsam 80 téa 65 teac 65 teàz 65 técia 65 tedlar 18, 20, 139, 149, 210 tedlar tier 221 tef 122 tegia 65 *tegia 65 tei 81 teissa 115 teja 65 temma 250 temperatum 77 t ’ en aiet 99 tenda I 47 tenda II 47 tenda III 47 tenda IV 47 tener bov 30 tener si 220 - 221 tenta 178 - 179 tenter 237 teppi 182 Teppich 182 terc 180 terén 146 terená 146 terenèr 146 terra 41 terrain 145 terrein 145 terrenus 145 tersum 147 teschamber 184 testimonia 131 tetez 81 tez 81 tèz ’ a 65 tgaglia coler 106 tgànta 178 tgànzla 80, 195 tgapeir 24 325 Index der zitierten Formen <?page no="326"?> tgaper 196 tgatsch 91 tgazra 179 tgazzer 179 tgeazer 179 tgeazra 179 tgei 101 tgetschen dalla dumang 88 tgi 101 tgientsch 148 tgietschen 88, 126, 180 tgigisch 32 tgisar 172 tgisch 32 tgitar 20 tgitgier 133 tgittar 20 tgnair sü 221 tgnin 234 tgnyn 234 tgoma 129 tguma 129 tgunsch 148 - 149 tgunsch e maneivel 148 thorp 156 *thwairs 158 ti sez 81 ti tez 81, 214 ti tez/ tezza 80 tiac 65 tiara 41 tiéja 65 tier m. 190 tier präp. 147 tiera 190 tiers (animals) manedels 29 tiers gronds 29 tiéze 65 Tiger 190 tigher 190 tigia 65 tinta 179 Tinte 179 tipùn 161 tischzvechli 245 tissi 115 *titiare 114 titio 114 *titulare 139 tizola 83 toca (ca) 100 tocker 19, 21 tófa 122 tofé 122 tofè bun 122 toffar, -er 121 tolca 176 Tolgg 176 Tolggen 176 tolgia 176 toltga 176 ton 234 Toopen 176, 178 topa 176, 178 toppa 176, 178 tordo 144 tornare 145 tornutio 145 torp 125 torpe 125 tössi 115 tour sü 222 toxicum 115 Traamen 178 tracottar 166 trama 178 tratzen 168, 202 traversare 250 treccia 134 treglia 133, 149 tregua 236 trem 30 trema 30 trer 137 tretscha 134 treuscher 105 tribunus 216 tribunus (cohortis) 216 *trichia 134 trichila 133 - 134 326 Index der zitierten Formen <?page no="327"?> trichilinium 134 tricla 133 triclea 133 triclena 133 triclia 133 triclinium 134 triep, trops 156 trigila 133 trigula 133 trilia 133 trim 30 trimma 30 Tristkammer 184 tró 101 trò 213 tröc ’ 69 tröcc 69 trocha 69 trocla 177 *trogiu 68 - 69 troia 194 troma 178 trop 76 *trop- 156 tröp 156 *tropare 172 tròpp 156 troppa 156 troppus 156 trot 190 trotar 164 Trott 190 trottar 164 trottare 164 trotten 164 trotter 164 *trottôn 164 trouver 172 trova 172 trovare 172 tròzzo 68 truader 172, 209 truament 209 truament general 209 truar 172, 209 - 210 truar* II 172 trubistgar 202 truc 177 trucca 177 truchet 177 Trucken 177 trucla 177 trudere 105, 147 truer 172 truescha 172 truncus 55 truobi 202 truoi 68 trüsá 105 trusare 105, 147 truschar 105 truscher 105 truschier 105 trusciá 105 *trusiare 105 trutg 68 truvament 209 - 210 *truz 168, 202 truzzager 168 tscha 114 tschadun 156 tschaffar 38 tschaghera 97 tschaghignar 20 tschagrun 67, 184 tschainghel 88 tschaintaloscha 184 tschanc 32, 55 - 56, 71 tschanc castrau 32 tschanc entir 32 tschancunar 55 tschangel 88 tschantamaint 172 tschantar, -er 208 tschantschar 24, 27, 38 - 39, 212 tschantscher 24 tschantscherlar 26 tscharlatar 26 tscharner 19 tschatscher(l)ar 26 327 Index der zitierten Formen <?page no="328"?> tschearner 19 tscheba 189 tscheber 96 tschéc 173 tschèc I 47 tschèc II 47 tschecha 124 tschegnar 20 tschegner 20 tscheia 97 tscheiver 125 tschêl 41 tschenghel 88 tschenta 184, 239 tschentaloscha 184 tschentamaint 208 tschentament 172, 208 tschentar 172, 174, 208 tschentau 172, 174 - 175 tscheppa 153 tscherner 19 tschespet 115 - 116 tschess 53, 70 tschéss-barbet 53 tscheu 76, 114 tschiainder 184 tschiaunger 184 tschiec 117, 121 tschiel 41 tschiep 179 - 180 tschiera 97 tschignear 20 tschignier 20 tschigrun 67, 184 tschigrung 67 Tschinquaisma 110 tschinta 239 tschintar 239 tschintschar 24 - 25, 27, 38 - 39, 211 tschintschergnar 26 tschintscherlar 26 (t)schiorbar 121 tschisp 115 tschispa 115 tschispet 115 tschissun 53 tschissun-barbet 53 tschitalosa 184 tschitilosch 184 tschitsch 133 tschitschar 133 tschitschear 133 tschitschier 133 tscho 114 tschoc 117, 121 tschocca 117 tschochentar 121 tschocs 117 tschögnar 20 Tschoopen 179 tschops 179 tschorver 121 tschuncanar 55 tschuncar 55 Tschuncheismas 110 tschuncher 55 tschunker 55 Tschuntgesma(s) 110 tschuppel 190 tschurvar 121 tschut 32 tschütschar, -er 133 tschutta 32 tschüttar 20 tschütter 20 *tsigronos 67 *tsigros 67 *tsikk- 164 *tsopp- 64 *tsuppo 60, 69 tuargia 184 tuaria 184 tubac 190 Tubak 190 tuccar 19, 21 tuccar da stuornas 145 tucher 19, 21 tü . . . d ’ vessa 214 tuer 114 tüf 122 328 Index der zitierten Formen <?page no="329"?> *tufare 121 - 122 tufé bon 122 tüff 122 tuffar, 3. toffa 121 tufo 122 *tufus 121 tunel 190 Tunell 190 tunnel 190 tuorn 145 tuornar 46 tuorp 125 tuot il lungunà di 236 tuot in ün trat 214 *tupp- 199 tüppig 199 turbare 202 turbidus 202 türch 180 türcha 180 turdus 144 turnar 46 turnar I 46 turnar II 46 turnus 145 turp 125 turpe 125 turpis 125, 202 turpis, -e 125 turpitudo 125 turschar 105 turschier 105 turzegiar 166, 168, 202 tusch 190 tutgear 19, 21 tutgier 19, 21 twehel 245 twehele 245 typhus 122 tzgnur 234 uagear 168 ual 148 ualti 181 - 182 uap, uappa 146 uarda! 37 uardar 18, 37, 158, 181 uaul 156, 181 Überbein 174 überchoo 212 überchoon 223 überfüeren 174 überreden 215, 223 Überredung 223 Übersee 174 uclàn 82 uclaun 82 udir 18, 20, 22, 210 ùdula 79 uedl 181 uffiern 41 ufruor 216 ughegiar 166, 168 ügla 79 ugola 79 uguanno 123 uiara 156 uiersch 158 uisa 156 uldauna 196 ultim güdizi 209 um 207 uman 207 umaun 207 unctum 178 undlegiar 219, 247 unfrenda 207 unfrendas 207 unfrir 208 unghier 130 ünguotta 87, 215 uni 243 unlidig 173 ünqualchiosa 214 unrat 240 ünsa- 101 ünsaquaunts 214 unsch 144 unschiu 144 unterschreiben 174 329 Index der zitierten Formen <?page no="330"?> untersetzt 175 unterstreichen 174 untgeir 166 untgescha 166 untgida 129 untgir 129, 164, 166 *unui 243 unus 243 unus non sapit 101 uón 123 uonn 123 uorden 226 upiniun 228 ur 90 urar 126 urat 13 - 14, 16 urata 13 uratta 13 urblàna 54 urdadeira 158 urdadira 158 urdegn 240 urdein 240 urè 126 urer 126 urida 160 urir 160 urlaun 54 üsces 95 üscia 95 üscia da rees 95 usöl 91 usoula 91 ustaar 75 ustar 75 ustium 180 usurario 77 üt 180 util 218 ütil 218 utilis 218 utschals 181 utschi 181 uufmüselen 199 uva 78 uvola 79 uzöl 91 uzoula 91 vacca 194 vadar 241 vader 241 vadrec 97 vadreisch 240 vadret 97 vadretg 97 vadroisch 240 vadrüsch 240 vair 18 vaischla 197 val 108 valicare 212 vall 108 vallo 108 vallus 108 valser 183 van 108 vandlegiar 219 vanger 147 vangiànt 146 vangiaunt 146, 240 vangiauntamaing 240 vangonz 146 vann 108 *vannulus 108 vannus 108 vànt 156 vantregl 90 vantrigl 90 vanze 83 vap 146 vapidus 146 vapor 146 vapp 146 vappa 146 var 244 varga 212 vargantar 212 vargar 212 vargear 212 330 Index der zitierten Formen <?page no="331"?> varghentar 212 vargia 212 vargiar 212 varicare 212 varquants 214 varsager 168 varsaquants 214 varsiar 168 vascla 197 vata 190 vatta 190 veara 156 vearcla 97 vedrec 97 vedrécc 97 vedrece 97 vedrégia 97 vedréta 97 veer 241 vegada 127 vegl (e) vadrüsch 240 vegl vadrüsch 240 vegnentsuenter 174 veir 18 veisa 156 veleno 115 vendicare 147 veneno 115 venenum 115 vengiaunt 146, 225 vengiô 146 vengont 146 vengonz 146, 149, 225, 240 ventrel 90 ventrell de la cama 90 ventresel 90 ventriculum 90 ver 18, 244 vercla 97 - 98 vere 244 verecundia 125 verer 18 vereri 125 vergogna 125 vero 244 Verschmach 245 vershmochs 245 vertere 97, 145 vertigo 145 vértola 98 vertora 98 *vertula 97 verus 244 verzagen 168 veschla 197 véscola 197 veser 18 vesina 54 vess 148 vessa 215 vesta 63 vesuel 91 vesuela 91 vetare 241 *veterata 97 veterem 97, 240 *vetericta 97 vëtes 98 vfrür 245 vi 28 via 183 viaden 28 viaden(t)agiu 28 viaden(t)asi 28 viado(ra) 28 viagiu 28 viarcla 97 viasi 28 viaticum 127 viaza 98 viazs 98 *vicata 127 vices 127 *vicinanca 98 vicinantia 98 vicinus 98 vicium 127 vidá 76 vidaneu 28 vidar 75 331 Index der zitierten Formen <?page no="332"?> vidè 76 vidèr 76 viertla 98 vièrtola 98 viertsch 158 vierv 26 - 27 vietare 241 vieti 180, 182 vieti lom 180 viez, vieza 98 vigil 76 vigilare 76 *vilar 137 vilau 137 vilentar 137 vilis 137 vilitare 137 viller 137 vimatsch 31 vindicantem 146 vindicar 147 vindicare 146 - 147 visces 95 vischnanca 98 vischnaunca 98 viscia 95 *viscula 197 viscum 197 visierlich 182 visinanza 98 vita 75 *vitare 76 vix 148 vnligiar 247 vnrat 240 *vojendo 100 volá 121 volare 121 volente 100 volentem 100 von 156 vonn 108 vonzei 83 vouta 127 vriesen 186 vschinauncha 98 vstaer 75 vüdar 75 (v)untgir 166 vurdar 18 vus sezs/ sezzas 80 wagen 168 wala hlaupan 186 wald 156, 181 Walzer 183 wandeln 219, 247 wandlen 219 want 156 *wapp- 146 wardadura 158 *wardon 158, 181, 216 *warjan 160 wastil 197 *wastila 197 Watte 190 *wenkjan 166 *werra 156 wisa 156 wüetig 180, 182 yantar 135 Ybschgeiss 54 yinittsa 112 za- 101 zacai 102 zacan 102 zaccuder 109 zaché 102 zachegiar 166, 168 zachei 102 zacó 102 zacuder 109 zagen 168 zaghiner 184 zagrender 184 zaiver 156 zalep 96 zambergiar 170 332 Index der zitierten Formen <?page no="333"?> zambragear 170 zambrager 170 zambriar 170 zampogn 98 zampogna 98 zampugn 98, 155 zampuogn 98 zanca 65 zanco 56 zangrignecr 164 zanistrar 105 zanistrer 105 zanur 139, 234 zaolà 102 zaquant 102 zaquènt 102 zavrar 105, 111 zavregn 116 zavregn(a) 14 zavrer 111 zavrin 116 zavrin(a) 14, 116 zburà 121 zecha 124 zeché 102 zegn 190 zeicla 90 zeiver 156 zeivra 111 zengher 184 zenn 74 zespet 115 zetga 113 zetla 90 zever 156 zevra 111 zezen 85 zgurbá 121 zì 117 zia 87 ziclar, 3. zecla 164 zicler 164 ziechtia 246 Zieger 67 ziep 64 zieva 74, 213 zigaréta 67 zigglen 164 zigher 67 zighingher 184 zigra 67 zigri 67 Zigüüner 184 zimmeren 170 zimmern 170 zin 190 zinc 190 zingaro 184 Zink 190 zinn 178, 190 Zipfel 164 zipièr 164 *zipil 164 ziplar 3, zepla 164 ziplè 164 ziplèr 164 zipolà 164 zipolare 164 zipolo 164 zippel 164 zipulà 164 zisp 115 Zitlosen 184 zleng 88 zlin 88 zocla 181 zola 91 zolfo 108 zolper 108 zoncare 55 zonché 55 zonciâ 55 zondar 156 zondra 156 zop m. 60, 69 - 70 zop adj. 64 - 65 zòpa 60 zopè 69 zoppar 69 zoppo 64 - 65 333 Index der zitierten Formen <?page no="334"?> zops 60 zot 65 zoteâ 65 zotla 181 Zottlen 181 zuarnar 164 zuc 177 zucca ‚ Kürbis ‘ 113 zucca ‚ Zuck, Ruck ‘ 177 zuccanar 177 zücha 113 züchtig 246 Zuck 177 zuckeda 177 zuckiada 177 zuec 190 zuèt 65 zuetâ 65 zufallen 215 zuic I 190 zuic II 190 zuiern 164 zuiuel 245 zuler 134 zulper 108 zunché 55 zunder 156 zundra 156 zundrar 139, 149 zundregn 156 Zuntern 156 zuofaelle 248 zuolper 108 zuonder 156 zuorpel 108 Zuosenna 86 zup 60, 69 zupar 69 zuppar 69 - 70 zupper 69 zurmang 122 zusagen 248 Zusenn 86 zvic 190 zvicch 190 Zwächeli 245 zwehel 245 zwibar 156 Zwick 190 Zwietracht 216 Zwirn 164 Phonetisch dä ʃ a 52 mó ʃ na 63 mö ʃ na 63 pits ɐ 57 pit ʃ 57 samp 56 ϑ a ŋ k 56 t ʃ amp 56 t ʃ ank- 55 t ʃ a ŋ k 56 *t ʃ onk- 55 Griechisch αἵρεσις , αἱρέσεις 228 ἄξιος 225 ἐπιεικεία 227 ζηλωταὶ 226 καῦμα 129 κράζειν 210 ὀδυνώμενοι 224 παράδεισος 120 πλῆϑος 224 ποιμαίνειν 225 πολιτεία 228 πρεσβυτέριον 226 στέριφος 107 συνείδησιν 226 τρίστεγον 229 τύφος 121 τύφειν 155 ὑπερώον 229 334 Index der zitierten Formen