Lukas als Ordner des frühchristlichen Diskurses um "Armut und Reichtum" und den "Umgang mit materiellen Gütern"
Eine überlieferungsgeschichtliche und diskurskritische Untersuchung zur Besitzethik des Lukasevangeliums unter besonderer Berücksichtigung des lukanischen Sonderguts
0715
2015
978-3-7720-5569-0
978-3-7720-8569-7
A. Francke Verlag
Helga Kramer
"Wie sollen Christen mit Besitz umgehen? Wie können Reiche zur christlichen Gemeinde gehören?" - Im Lukasevangelium und besonders im lukanischen Sondergut finden sich zu diesen Fragen divergierende Aussagen. Die vorliegende Studie deutet dies als Indiz für einen kontrovers geführten Diskurs um das Thema Armut und Reichtum und den Umgang mit materiellen Gütern. Der Studie liegt nicht daran, ein lukanisches Konzept zu erschließen, sondern die Geschichte eines Diskurses zu rekonstruieren. Die Diskursanalyse interpretiert die einschlägigen Texte als Diskursstrang in einem ethischen Diskurs, der geführt werden musste, als sich die Frage des Umgangs mit materiellen Gütern als unumgängliche ethische Frage für christliches Leben darstellte. Antworten wurden in der Jesusüberlieferung gesucht und gefunden. Das lukanische Sondergut fand neben den anderen Diskurssträngen Mk und Q den Weg ins Lukasevangelium. Im Schlussteil der Studie wird untersucht, wie Lukas in seinem Evangelium diese drei konkurrierenden Diskursstränge zum Thema Armut und Reichtum und dem Umgang mit materiellen Gütern ordnete.
<?page no="0"?> A . F R A N C K E V E R L A G T Ü B I N G E N Helga Kramer Lukas als Ordner des frühchristlichen Diskurses um „Armut und Reichtum“ und den „Umgang mit materiellen Gütern“ <?page no="1"?> Neutestamentliche Entwürfe zur Theologie Band 21 · 2015 Herausgegeben von Eve-Marie Becker, Kathy Ehrensperger, Jens Herzer, Friedrich W. Horn, Oda Wischmeyer und Hanna Zapp <?page no="3"?> Helga Kramer Lukas als Ordner des frühchristlichen Diskurses um „Armut und Reichtum“ und den „Umgang mit materiellen Gütern“ Eine überlieferungsgeschichtliche und diskurskritische Untersuchung zur Besitzethik des Lukasevangeliums unter besonderer Berücksichtigung des lukanischen Sonderguts A. Francke Verlag Tübingen <?page no="4"?> Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. © 2015 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Internet: www.francke.de E-Mail: info@francke.de Printed in Germany ISSN 1862-2666 ISBN 978-3-7720-8569-7 <?page no="5"?> 5 Inhaltsverzeichnis Vorwort .................................................................................................................... 7 A Einleitung .......................................................................................................... 9 I Hinführung ....................................................................................................... 9 II Literaturbericht ............................................................................................... 23 III Anlage der Untersuchung.............................................................................. 53 B Der Diskurs um Armut und Reichtum/ Umgang mit materiellen Gütern im S Lk ....................................................... 63 I Sicherung der Textbasis ................................................................................. 63 II Semantisches Inventar ................................................................................... 70 III Analyse der Texte des S Lk .............................................................................. 72 IV Auswertung ................................................................................................... 168 C Weg des Diskursstrangs Armut und Reichtum/ Umgang mit materiellen Gütern im S Lk ins Lukasevangelium ............. 183 I Annäherungen an Überlieferungsgeschichte und -milieus des S Lk ...... 183 II Konkurrierende Diskursstränge: Mk und Q ............................................ 198 III Theologisch-inhaltliches Profil des vorlukanischen S Lk gegenüber den konkurrierenden Diskurssträngen in Mk und Q ......... 306 D Lukas als Ordner des Diskurses um Armut und Reichtum/ Umgang mit materiellen Gütern ................................................................ 321 I Semantische Bearbeitung der Diskursstränge ......................................... 321 II Theologisch-inhaltliche Lenkung der Diskursstränge ............................ 335 III Aspekte der Komposition der Diskursstränge im Lukasevangelium .. 346 IV Resümee ......................................................................................................... 354 E Literatur- und Abkürzungsverzeichnis .................................................... 357 <?page no="7"?> 7 Vorwort Die vorliegende Studie wurde im Wintersemester 2012/ 13 von der Theologischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen unter dem Titel „Lukas als Ordner des frühchristlichen Diskurses um ‚Armut und Reichtum‘ und den ‚Umgang mit materiellen Gütern‘. Eine überlieferungsgeschichtliche und hermeneutische Untersuchung zur Besitzethik des Lukasevangeliums unter besonderer Berücksichtigung des lukanischen Sonderguts“ als Dissertation angenommen. Für den Druck wurde sie leicht überarbeitet. Danken möchte ich an dieser Stelle denen, die mich bei diesem Forschungsprojekt unterstützt und zu seinem Gelingen beigetragen haben. Mein Dank gilt zunächst meiner Doktormutter Frau Prof. Dr. Oda Wischmeyer. Sie hat sich immer wieder neu in die Fragestellung der Arbeit hineingedacht und mir wertvolle Impulse für die Weiterarbeit gegeben. Aus der Nähe und Ferne hat sie mich mit Rat und Tat unterstützt. Herrn Prof. Dr. Lukas Bormann danke ich herzlich für die Erstellung des Zweitgutachtens. Mein Dank geht auch an die Mitglieder des Erlanger Doktorandenkolloquiums für ihren fachlichen Rat, insbesondere an Frau Prof. Dr. Eve-Marie Becker, Frau Dr. Susanne Luther und Herrn Pfarrer Dr. Florian Herrmann für die gute gemeinsame Zeit in Erlangen. Es freut mich sehr, dass die Untersuchung in die Reihe Neutestamentliche Entwürfe zur Theologie aufgenommen wurde, wofür ich besonders Frau Prof. Dr. Wischmeyer zu danken habe. Die Evang.-Luth. Kirche in Bayern hat die Entstehung dieser Arbeit durch ein großzügiges Stipendium unterstützt und die Evang.-Luth. Landeskirche Hannovers hat einen namhaften Zuschuss zu den Druckkosten gewährt. Frau Daniela Kranemann danke ich herzlich für die Erstellung der Druckvorlage. Schließlich und vor allem danke ich meiner Familie. Meine Eltern Fränzi und Eckart Niessen haben mich immer wieder ermutigt und unterstützt. Sie und meine Schwiegereltern Uta und Erdwig Kramer haben mir durch ihre tatkräftige Hilfe Freiraum für meine Arbeit gegeben - ohne ihren Einsatz wäre dieses Buch sicherlich nicht entstanden. Mein Mann Simon Kramer hat über die Jahre geduldig Last und Freude bei der Erstellung der Arbeit mit mir geteilt und mich tatkräftig unterstützt. Ihm und unseren Kindern Lukas, Frederick und Johanna sei dieses Buch gewidmet. Lörrach, Mai 2015 <?page no="8"?> Für Simon, Lukas, Frederick und Johanna <?page no="9"?> 9 A Einleitung I Hinführung 1 Ziel der Untersuchung Die hier vorgelegte Studie gilt der Besitzthematik im lukanischen Sondergut. Die Aussagen dieser Textgruppe zum Thema Armut und Reichtum/ Umgang mit materiellen Gütern sind ein Gundbestandteil der neutestamentlichen Ethik und haben als solche besondere Bedeutung für die ethische Normbildung im Bereich der Besitzthematik. Der große Umfang der exegetischen Literatur zu dieser Text- und Themengruppe ist weitgehend durch die hohe ethische Relevanz der Texte zu erklären: Das theologische Thema „Armut“ steht seit den Anfängen der Theologie der Befreiung immer wieder im Zentrum theologischer Arbeit. Eine weitere Studie zum Thema muss daher ihre Fragestellung klar formulieren. Schon Vorgängerstudien waren von der exegetischen Wahrnehmung der heterogenen Aussagen zum Thema Armut und Reichtum/ Umgang mit materiellen Gütern im Lukasevangelium und im lukanischen Sondergut geleitet. Ihr Ziel war in erster Linie, aus den divergierenden Aussagen ein lukanisches Konzept zu erschließen. - Doch hinter den heterogenen Aussagen steckt mehr, sie deuten auf eine Geschichte hin: Sie sind ein Indiz für einen kontrovers geführten Diskurs um das Thema Armut und Reichtum/ Umgang mit materiellen Gütern, der von Lukas narrativ geordnet wurde. Dieser Diskurs musste notwendigerweise geführt werden, da sich die damit zusammenhängenden Fragen als unumgänglich für christliches Leben erwiesen. Die Überlieferungsgeschichte dieses Diskurses nachzuzeichnen und zu erforschen, von welchen theologischen Strömungen er getragen wurde und welche Rolle Lukas als Ordner dieses Diskurses spielte - das ist das Interesse dieser Studie. Diese Fragestellung wird in der vorliegenden Studie in drei Untersuchungsgängen bearbeitet: Erstens: Die historisch-kritische Analyse zielt darauf, zu rekonstruieren, in welchen geprägten Zusammenhängen die Texte zu Armut und Reichtum/ Umgang mit materiellen Gütern im lukanischen Sondergut entstanden sind, wirksam waren und tradiert wurden. Zweitens: Die Diskursanalyse interpretiert die Texte als Diskursstrang zum Thema Armut und Reichtum/ Umgang mit materiellen Gütern. Die Texte werden als Teil eines ethischen Diskurses betrachtet, der geführt werden musste, da sich die Frage des Umgangs mit materiellen Gütern als unumgängliche ethische Frage für christliches Leben darstellte. Antworten wurden im Bereich der Jesusüberlieferung gesucht und gefunden. So fand <?page no="10"?> 10 der Diskursstrang S Lk neben den anderen Diskurssträngen Mk und Q den Weg ins Lukasevangelium. Drittens: Das sg. Lukas-Sondergut ist nur im lukanischen Zusammenhang erhalten. Daher wird im Schlussteil der Untersuchung in den Blick genommen, wie Lukas in seinem Evangelium die drei konkurrierenden Diskursstränge S Lk , Mk und Q zum Thema Armut und Reichtum/ Umgang mit materiellen Gütern ordnete. Die Untersuchung wird zeigen, dass Lukas bei der Ordnung der drei konkurrierenden Diskursstränge beabsichtigt, das Verhältnis zwischen Wohlhabenden und Armen in seiner Gemeinde zu ordnen. 1 Die Jesusüberlieferung wirft dabei die grundsätzliche Frage auf, wie Reiche zur christlichen Gemeinde gehören können. 2 Lukas leitet aus der Überlieferung kein Armutsideal ab und vertritt auch nicht die Forderung, Christen müssten radikal auf materielle Güter verzichten. 3 Gleichwohl stellt sich der Umgang mit materiellen Gütern für ihn als unumgängliche ethische Frage für christliches Leben dar; deshalb spitzt er ethische Impulse aus der Jesusüberlieferung zu, konkretisiert sie und fordert seine Hörer bzw. Leser zum Handeln auf. 4 Lukas differenziert dabei einerseits klar zwischen der Zeit Jesu und seiner Zeit 5 und stellt andererseits gleichzeitig den radikalen Besitzverzicht der ersten Jünger als Anfrage an die wohlhabenden Hörer seines Evangeliums dar. 6 2 Forschungsstand Das S Lk hat der Forschung stets eigene Fragen aufgegeben. So werden der Ursprung, die Einheitlichkeit sowie die spezifische sprachliche, theologischinhaltliche und formale Eigenart des Quellenstrangs S Lk in Abgrenzung zu den beiden anderen Quellen des Lukasevangeliums, Mk und Q, und der lukanischen Redaktion in der neutestamentlichen Forschung kontrovers verhandelt. Im Folgenden gebe ich eine knappe Einführung in den gegenwärtigen Forschungsstand. 1 Vgl. S. 354. 2 Vgl. S. 354. 3 Vgl. S. 355. 4 Vgl. S. 355. 5 Vgl. S. 355. 6 Vgl. S. 356. <?page no="11"?> 11 2.1 Das S Lk als Quelle des Lukasevangeliums Das Lukasevangelium weist unter den Synoptikern den größten Anteil an Sondergut auf: Gesamtumfang Sondergut Anteil des Sonderguts Mt 1060 v. 350 v. ca. 33% Mk 661 v. 35 v. ca. 5,1% Lk 1149 v. 549 v. ca. 41% Übersicht: Sondergut in den synoptischen Evangelien 7 Grundlegend ist die Frage, ob es sich bei dieser Textmenge, die sich zunächst rein negativ - Texte, die weder aus Mk noch aus Q stammen - definiert, um eine ursprüngliche literarische Einheit oder um ursprünglich mehr oder weniger selbständige Texte handelt. Das S Lk wurde und wird in der Forschung immer wieder als dritte selbständige Quelle des Lukasevangeliums neben Mk und der Logienquelle Q betrachtet. Schon Weiß (1907) 8 nahm das S Lk als Parallelüberlieferung zu Q an, die er in Jerusalem verortete. Bussmann (1931) 9 ging ebenfalls vom S Lk als einheitlicher Quellenschrift aus, wies aber auf die Schwierigkeiten ihrer sprachlichen Rekonstruktion hin. Radl hält 1988 in seinem Forschungsbericht die Beobachtung fest, dass sich das Lukasevangelium als aus verschiedenen Blöcken zusammengesetztes Werk darstellt: „So ist nicht nur der größte Teil des markusfremden Stoffes (außer Geburts-, Passions- und Ostertexten natürlich) in zwei großen Abteilungen versammelt, nämlich Lk 6,20-8,3 und 9,51-18,14, sondern auch innerhalb dieser Blöcke steht im wesentlichen jeweils das Q-Material voran und das Sondergut folgt wie ein nachträglicher Zusatz.“ 10 2.1.1 Die Protolukashypothese Die weitreichendste Quellenhypothese zur Erklärung dieses Sachverhalts ist die Protolukashypothese, die von Streeter 11 (1927) begründet wurde. Der Unterschied zur Zweiquellenhypothese liegt darin, dass Mk nicht als Leitfaden für das Lukasevangelium, sondern als eingearbeitete Quelle angenommen wird. Streeter nimmt an, dass Lukas zunächst aus der Logienquelle und dem Sondergut ein Evangelium, „Protolukas“, schuf, in das er dann den Markusstoff einarbeitete und dem er Lk 1.2 voranstellte. Hauptargumente für die Protolukashypothese ergeben sich aus der Beobachtung, dass der 7 Nach Schmid, Art. Synoptiker, 1240. 8 Vgl. Weiß, Quellen. 9 Vgl. Bussmann, Synoptische Studien III. 10 Radl, Lukas, 35. 11 Streeter, The Four Gospels, 199-222. - Taylor baute die These von Streeter aus (vgl. Taylor, Third Gospel). <?page no="12"?> 12 Rahmen des Lukasevangeliums sehr speziell ausgeprägt ist, und aus der Analyse der Anordnung des Markusstoffes in Lk. 12 In modifizierter Form wurde die Protolukashypothese auch von Jeremias und Rehkopf vertreten, die von einer lukanischen Sonderquelle (Lk [1,1-2,52] 3,1-4,30; 6,12-16.20-49; 7,1-8,3; 9,51-18,14; 19,1-28; 22,14-24,53) ausgingen, in die Lukas Markusstoff aufgenommen habe. 13 Gegen die Protolukashypothese und für die Priorität des Markusstoffes sprechen die detaillierte Untersuchung der Regeln, nach denen der Markusstoff in Lk angeordnet ist, und insbesondere die Analysen der Stellen, an denen Lukas Dubletten zu vermeiden sucht. Die Annahme der Markuspriorität bietet derzeit immer noch die plausibelste Grundlage für die Erklärung der quellenkritischen Auffälligkeiten im Lukasevangelium. 14 2.1.2 Die Einheitlichkeit des S Lk Einige Forscher gehen anders als Streeter von einer einheitlichen S Lk -Quelle aus, die sie jedoch nicht als Grundlage des Lukasevangeliums betrachten, da sie keine vorlukanische Verknüpfung von Q und S Lk annehmen. Schweizer 15 nennt zusammenfassend folgende Indizien für die Annahme einer einheitlichen lukanischen Sonderquelle: „1. Analogien zu den Abschnitten, die wir aufgrund von Mk und Q kontrollieren können; 2. die Aussage des Vorwortes von den ‚vielen‘ Vorgängern; 3. sprachliche Eigentümlichkeiten […]; 12 Hauptargumente für die Protolukashypothese sind folgende: Erstens der eigene Charakter von Kindheits- und Auferstehungserzählungen in Lk, zweitens der Umstand, dass das Markusmaterial sich in fünf Blöcken (Lk 3,1-4,15; 4,31-6,19; 8,4-9,50; 18,15- 21,33; 22,1-24,12; vgl. Fitzmyer, Luke I, 67; Jeremias, Abendmahlsworte, 91ff.) im Evangelium findet, drittens die befremdliche Tatsache, dass mehr als 30% von Mk in Lk fehlen, viertens die Unterschiede in der Passionserzählung zwischen Mk und Lk und fünftens die Abweichungen im Wortgebrauch bei Parallelstellen von Mk und Lk (vgl. Fitzmyer, Luke I, 90f.). 13 Vgl. Jeremias, Sprache, 91f.; Rehkopf, Sonderquelle, passim. - In neuerer Zeit sprechen sich Evans, Paffenroth und Riesner für sie aus (Evans, Saint Luke, 27-29; Paffenroth, Story of Jesus, passim; Riesner, Lokalkolorit; ders., Prägung und Herkunft). - Riesner plädiert 1993 in einem Aufsatz für die Protolukashypothese, wobei er „Protolukas“ bereits als vorlukanisch verbundene Überlieferung annimmt. Er begründet dies zunächst durch das sprachliche Kriterium der semitischen Prägung des Sondergutes. In seiner Untersuchung arbeitet er dann anhand von 14 das Sondergut durchgängig prägenden theologischen Themen dessen besonderes Profil heraus. Dieses hebt sich seiner Ansicht nach „nicht nur von der Prägung anderer evangelischer Traditionsschichten, sondern teilweise auch von den schriftstellerischen Tendenzen des Lukas“ ab. Er hält die Entstehung in Kreisen um Jakobus für wahrscheinlich (vgl. Riesner, Prägung und Herkunft, 230). 1999 setzte sich Riesner in einem Aufsatz mit der Dissertation von Habbe auseinander. Dort betont Riesner erneut das palästinische Lokalkolorit des S Lk gegenüber Habbe. Dieser betont, hauptsächlich aufgrund von Studien zur Landwirtschaft Galiläas, dass das S Lk zahlreiche Merkmale aufweise, die schlecht nach Palästina passten (vgl. Habbe, Palästina, insb. 115; Riesner, Lokalkolorit 51-64). - Zur Auseinandersetzung mit Paffenroth und Riesner vgl. von Bendemann, DOCA , 60f. Anm. 34. 14 Vgl. Schnelle, Einleitung, 296. 15 Vgl. Schweizer, Quellenbenutzung, 83-85. <?page no="13"?> 13 4. inhaltlich besonders die starke Ausrichtung auf Frauen und Arme, aber auch die Betonung der reinen Gnade; 5. Umstellungen gegenüber Mk, besonders in der Passionsgeschichte; 6. Übereinstimmungen mit Joh, gelegentlich auch Mt gegen Mk, besonders in der Passions- und Ostergeschichte; 7. Spannungen, die auf mehrere Traditionsschichten verweisen“ 16 . Nach Klein lassen die das S Lk prägende Botschaft der „Barmherzigkeit gegenüber den Elenden und Geächteten“, Motivverknüpfungen 17 und eine plausible Abfolge des Materials auf dessen ursprünglich einheitliche Überlieferung schließen. Die Methodik seiner Analyse lässt jedoch Zweifel an seinem Schluss aufkommen. 18 Auch Paffenroth konnte mit dem Versuch, einen durchlaufenden Erzählzusammenhang des S Lk zu rekonstruieren, nicht überzeugen. 19 16 Schweizer, Quellenbenutzung, 84f. 17 Als Motiv ist (literaturwissenschaftlich) die kleinste selbständige Inhalts-Einheit oder das kleinste tradierbare intertextuelle Element eines literarischen Werkes. Es ist nicht an einen konkreten historischen Kontext gebunden, ist damit für die Gestaltung von Ort, Zeit und Figuren frei verfügbar und kann so über ein literarisches Einzelwerk hinaus Wiedererkennungswert in der literarischen Tradition erlangen (vgl. Drux, Art. Motiv, 638). 18 Vgl. Klein, Barmherzigkeit, 12.131. Klein beschränkt seine Untersuchung allerdings vorab auf Traditionen, die sich leicht in das theologische Gesamtbild des S Lk einordnen lassen (vgl. Klein, Barmherzigkeit, 15), was methodisch fragwürdig ist. 19 Paffenroth vertritt die These einer einheitlichen Sondergutquelle, die mit einer Zöllnergeschichte begonnen (Lk 3,10-14) und geendet (Lk 19,2-10) hätte (vgl. Paffenroth, Story of Jesus, 14.115; zur Auseinandersetzung mit Paffenroth vgl. von Bendemann, DOCA , 60f. Anm. 34). - Gegen die Protolukashypothese sprechen darüber hinaus folgende Argumente: Erstens ist wahrscheinlicher, dass die in der Protolukashypothese als S Lk angenommene Genealogie Lk 3,21ff, die durch von Markus abhängigen Stoff (Taufe: Mk 1,9-11 und Versuchung: Mk 1,12-19) gerahmt ist, sekundär in diesen eingefügt wurde, da Lukas auch in den Markusstoff Q einfügte; zweitens sind die Auslassungen von Mk 3,20-30 nach Lk 6,20-8,3 (Q und S Lk ) und von Mk 9,42-50 vor Lk 9,51 besser zu erklären, wenn S Lk und Q als sekundär in den Markusrahmen eingefügt betrachtet werden, und man davon ausgeht, dass Lukas bei größeren Einfügungen Markusmaterial weggelassen hat, um Dubletten zu vermeiden (vgl. Schürmann, Dublettenvermeidungen, 279-289); drittens ist bei Dubletten im Lukasevangelium zu beobachten, dass immer der Markustext der anderen Fassung vorausgeht, bzw. wenn dieser ausgelassen wird, die andere Fassung meist an späterer Stelle folgt; viertens spricht gegen eine Verortung der Perikope Lk 4,16-30 am Anfang des Protolukasevangliums die Unerklärbarkeit von „Kapernaum“ (v. 23). Der Verweis auf die Ausübung des Wirkens Jesu spricht für den ursprünglichen Ort der Perikope in einer späteren Phase der Jesuserzählung - sie findet sich tatsächlich in Mk 6,1-6; fünftens konnten die sprachlichen Untersuchungen Rehkopfs die Einheit von Protolukas als Evangeliumserzählung nicht nachweisen; sechstens sprechen die Stellen, an denen Markusstoff mit Q oder S Lk ausgestaltet wurde, z.B. die „große Einschaltung“ zwischen der zweiten und dritten Leidensankündigung (Lk 9,43ff.; Lk 18,31ff.), für die Markuspriorität. Wäre der Markusstoff sekundär in Protolukas eingefügt worden, wäre die dritte Leidensankündigung, analog zum Abstand zwischen erster und zweiter Leidensankündigung, früher zu erwarten (vgl. Fitzmyer, Luke I, 90f.; Kümmel, Einleitung, 100ff.). - Aus diesen Gründen sprechen sich viele moderne Kommentatoren gegen die Protolukashypothese aus: Vgl. Fitzmyer, Luke I, 90ff.; Schürmann, Lukas II, 16; Nolland, Luke A, xxx; Evans, Saint <?page no="14"?> 14 Die Argumente Kümmels und Schnelles gegen eine ursprüngliche Einheit des S Lk -Stoffes sind von Gewicht. 20 Die sprachlichen und theologischen Unterschiede innerhalb des S Lk sind zu beachten, und das S Lk scheint kein inneres Ordnungsprinzip aufzuweisen, das die überzeugende Rekonstruktion eines durchgehenden Erzählzusammenhanges ermöglicht. Wahrscheinlicher ist, dass das S Lk in geprägten Zusammenhängen überliefert wurde. 21 2.1.3 Der Ursprung des S Lk Eine Gruppe von Forschern nimmt für das S Lk judäische Herkunft an. Oft wird in diesem Rahmen der Ursprung des Sonderguts in Kreisen um die Familie Jesu vermutet. 22 Die meisten modernen Kommentare und neueren Studien enthalten sich jedoch eines eindeutigen Urteils zur Herkunft des S Lk oder kommen aufgrund detaillierter Analysen von Sonderguttexten zu differenzierten Ergebnissen hinsichtlich ihres ursprünglichen Sitzes im Leben. 23 2.2 Das Profil des S Lk 2.2.1 Das sprachliche Profil des S Lk Die Analyse der sprachlichen Merkmale des S Lk ist nach wie vor ein unverzichtbares methodisches Instrument, um das S Lk als möglichen dritten Quellenkomplex im Lukasevangelium vom Markusstoff und Q einerseits und von der lukanischen Redaktion andererseits abzugrenzen. 24 Die älteste greifbare Studie zur Sprache des Lukasevangeliums veröffentlichte Gersdorf 1816. 25 Eine verstärkte Untersuchung des Sprachgebrauchs der Synoptiker Luke, 27-29; Bovon, EKK III/ 1, 19f.; Petzke, Sondergut, 11f.211f. - Auch Dorn, Heininger, Pittner und von Bendemann gehen in ihren Studien von der Priorität des Markusstoffes aus (vgl. Dorn, Gleichnisse, 5; Heininger, Sondergutgleichnisse, 4; Pittner, Studien, 4; von Bendemann, DOCA , 51ff.). 20 Vgl. Kümmel, Einleitung, 100ff.; Schnelle, Einleitung, 295. 21 Vgl. Knox, Sources II, ch. xiv; Dorn, Gleichnisse, 209; Radl, Ursprung, 35; Evans, Saint Luke, 27f. 22 Der hebraisierende Sprachcharakter des S Lk ist Hauptargument für diese These (vgl. Schweizer, Hebraisierende Sonderquelle, 161-185). - Bereits Dibelius führte das S Lk auf die Jerusalemer Urgemeinde zurück (vgl. ders., Herkunft, 325-343). - Neuerdings sprechen sich Klein, Riesner und Manns für diese aus (Klein, Barmherzigkeit, 133, insb. Anm. 2, Riesner, Prägung und Herkunft, 228-248, Manns, Documento). - Aus erläutert in seiner Studie den jüdischen Hintergrund der Weihnachtsgeschichte und der Perikopen vom „Barmherzigen Samariter“ und „Verlorenen Sohn“ aus motivgeschichtlicher Perspektive (ders., Weihnachtsgeschichte, passim). - Mittmann-Richert führt überzeugend die Kindheitsgeschichte auf Kreise um die Familie Jesu zurück (Magnificat und Benedictus, 132ff.). 23 Vgl. Fitzmyer, Luke I, 82-85; Bovon, EKK III/ 1, 22; Nolland, Luke A, xxxf.; Evans, Saint Luke, 27-29; Petzke, Sondergut, 248f.; Heininger, Sondergutgleichnisse, 220f. 24 Vgl. zum Folgenden den Forschungsbericht zur Sprache des Lukas von Kowalski (Sprache I, 44ff., insb. 69). 25 Gersdorf, Sprachcharacteristik. <?page no="15"?> 15 setzte in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts ein, in denen im Rahmen der Formgeschichte die Redaktion der Evangelien Gegen-stand philologischer Forschung wurde. 26 Die Kriterien, die Rehkopf, Jeremias und Schürmann 27 zur Charakterisierung vorbzw. unlukanischen Stoffes und lukanischer Redaktion erarbeiteten, sind bis heute Grundlage der sprachlichen Analyse des Lukasevangeliums und werden von der Forschung kritisch rezipiert. 28 Radl bietet 1988 in seinem Forschungsbericht eine detaillierte Auflistung von lukanischen Stilmerkmalen hinsichtlich Grammatik, Syntax, Wortverwendung und Gebrauch von Wortarten und betont, dass die schriftstellerische Fähigkeit des Lukas bei dessen Bemühung um sprachlich korrekte Formulierung, rhetorische Wirksamkeit und dichterische Sprache zu beachten sei. 29 1990 erschien die Grammatik von Blass und Debrunner in der Überarbeitung von Rehkopf in der 17. Auflage. Sie ist eine Fundgrube für stilistische Charakteristika der lukanischen Sprache. 30 Für die neuere Forschung kann als Tendenz die Einsicht festgehalten werden, dass vokabelstatistische Untersuchungen nicht ausreichen, um die Sprache der Quellen des Lukasevangeliums differenziert zu beschreiben. Die vokabelstatistische Untersuchung ist durch die Untersuchung grammatischer und syntaktischer Phänomene zu ergänzen, wie bereits Jeremias festhielt. 31 „Objektive“ sprachliche Kriterien sind für die Abgrenzung protolukanischer Redaktion nicht hinreichend. 32 Theologisch-inhaltliche Kriterien bieten nicht genug Objektivität. Um das S Lk von den beiden anderen Quellen des Lukasevangeliums und der lukanischen Redaktion abzugrenzen, sind daher neben den sprachlichen Besonderheiten des S Lk auch seine theologischinhaltlichen und formkritischen Charakteristika zu präzisieren. 33 26 Vgl. Kowalski, Sprache I, 55; Rese, Lukas-Evangelium, 2298. 27 Vgl. Rehkopf, Sonderquelle, 87; Schürmann, Protolukanische Spracheigentümlichkeiten, 212; Jeremias, Sprache, 8f. 28 Vgl. Pittner, Studien, 15; von Bendemann, DOCA , 413ff. 29 Vgl. Radl, Lukas, 16-20. 30 Blass/ Debrunner, Grammatik. 31 Vgl. Jeremias, Sprache, 6. - Zu verweisen ist hier auf die sprachstatistische Studie Morgenthalers (Statistik). Er folgert aus seiner Untersuchung, die den lukanischen Stil insbesondere durch die Analyse von „Vorzugswörtern“ beschreibt, zum einen, dass in Lk 1-2 andere Quellen als im übrigen Evangelium verarbeitet sind, zum anderen bestätige sie die gemeinsame Verfasserschaft des Evangeliums und der Apostelgeschichte. Ein Mangel der Studie ist die fehlende Berücksichtigung des Einflusses der Gattung auf die Sprache. 32 Vgl. Kowalski, Sprache I, 69f. 33 Auf diese methodische Notwendigkeit weist Pittner nachdrücklich hin (vgl. Pittner, Studien, 9). - Zur formkritischen Analyse der Gleichnisse des S Lk liegen die Studien von Dorn (Gleichnisse) und Heininger (Sondergutgleichnisse) vor; vgl. den Überblick bei Petzke, Sondergut, 215ff. <?page no="16"?> 16 2.2.2 Das theologisch-inhaltliche Profil des S Lk Hier ergeben sich einige Schwierigkeiten, denn die Thematik der Beziehung zwischen Armen und Reichen und des Umgangs mit Besitz, die gern zur Charakteristik des S Lk verwendet wird, prägt das Lukasevangelium in allen Quellenschichten, Markus, Q und S Lk ; wenn auch besonders die Texte des S Lk von dieser Thematik geprägt sind. 34 S Lk Markus Q 1 1,46-55 5,1-11 4,1-13 2 3,10-14 5,27-32 6,20-23 3 4,18.19 6,1-5 6,27-36 4 6,24-26 8,11-15 7,18-35* 5 7,41-43 9,1-5 9,57-62* 6 8,1-3 18,18-30 10,1-12* 7 10,25-37 19,45f. 11,1-4 8 12,13-15 20,20-26 11,37-44* 9 12,16-21 20,45-47 12,22-34 10 14,12-14 21,1-4 12,42-46 11 14,28-33* 14,15-24 12 15,8-10 16,13 13 15,11-32 19,12-26 14 16,1-12 15 16,19-31 16 19,1-10 17 22,35-38 Übersicht: Texte zur Thematik Armut und Reichtum/ Umgang mit materiellen Gütern in Lk aus S Lk , Mk und Q Auffällig ist innerhalb des Lukasevangeliums und auch innerhalb des S Lk die Differenziertheit, in der die Thematik aufgegriffen wird. Radikale Reichtumskritik (z.B. Lk 1,51ff; 6,24ff; 16,19ff) ist ebenso zu finden wie moderate Aufforderung zum Almosengeben und Teilen (z.B. Lk 19,1ff) sowie Traditionen, 34 Klein charakterisiert das Grundthema des Sonderguts als „Barmherzigkeit gegenüber den Elenden und Geächteten“ (vgl. Klein, Barmherzigkeit, 130ff.). <?page no="17"?> 17 die einen unbefangenen Umgang mit dem Milieu der Oberschicht widerspiegeln (z.B. Lk 15,11ff.). 35 Petzke macht den theologischen Schwerpunkt des S Lk an dessen Aussagen zu den Personengruppen bzw. Gegensatzpaaren „Pharisäer und Zöllner“, „Arm und Reich“ und „Frauen und Männer“ fest. 36 Er weist darauf hin, dass die Theologie des S Lk der des Lukas sehr ähnlich ist und Lukas mit den Texten des S Lk wohl bewusst die Traditionen aus Q und Mk akzentuiert. Daher ist es methodisch schwierig, vorlukanische Tradition und lukanische Redaktion in Lk anhand theologisch-inhaltlicher Kriterien abzugrenzen. 37 2.2.3 Das formkritische Profil des S Lk Spezialuntersuchungen zu den Gattungen des S Lk liegen bisher nur zu den Gleichnissen vor. 38 Petzke weist darauf hin, dass das S Lk besonders durch die Jesuserzählungen und die Gleichnisse bzw. Beispielerzählungen geprägt ist, Spruchgut sich jedoch nur in geringem Maß im S Lk findet. Auch bei der formkritischen Analyse besteht die Schwierigkeit, die Traditionsstränge voneinander und gegenüber der lukanischen Redaktion eindeutig abzugrenzen. 39 Charakteristisch für die Sondergutüberlieferung, wenngleich nicht auf sie beschränkt, scheinen die Personenkonstellationen im Gleichnis- 35 Vgl. Petzke, Sondergut, 250. - Die Diskussion um die Besitzethik im Lukasevangelium ist davon bestimmt, in welchem Verhältnis die divergierenden radikalen und moderaten Ausprägungen zueinander stehen und welche pragmatische Funktion ihnen im Evangelium zukommt. Lösungsansätze sind „zweistufenethische“ Ansätze wie z.B. die Pluralismusthese von Klauck. Sie betont, dass unterschiedliche ethische Forderungen zum Umgang mit materiellen Gütern nebeneinander bestehen können, da sie „von den persönlichen Lebensumständen des Betreffenden“ (ders., Armut der Jünger, 192; vgl. ähnlich Radl, Lukas, 124) abhängen (analog zur Eheethik), oder der Bezug der Aussagen auf verschiedene Adressatenkreise. - Eine Charakterisierung der Besitzthematik im S Lk findet sich auch bei Klein (vgl. Barmherzigkeit, 100), doch fallen die Texte hier einer starken Nivellierung zum Opfer, da sie als Illustration der Interpretation der Theologie des Sonderguts durch Klein dienen (zu seiner Hermeneutik äußert sich Klein selbst - vgl. ebd., 15). Pittner grenzt die Gleichnisse im S Lk , die den Umgang mit Besitz zum Thema haben, klar gegenüber den Sprüchen aus Q ab: erstere hätten ortsansässige Reiche im Auge, letztere stammten von Wandercharismatikern (vgl. Pittner, Studien, 78 unter Berufung auf Theißen, Soziologie). Kritik an der These Theißens äußert Petracca (vgl. ders., Gott oder Geld, 323ff.). - Mit den Unterschieden zwischen synoptischer und lukanischer Reichtumskritik hat Schmidt sich in seiner 1987 vorgelegten Studie beschäftigt (vgl. ders., Hostility to Wealth). 36 Vgl. Petzke, Sondergut, 245. 37 Vgl. Petzke, Sondergut, 242.246. 38 Vgl. Sellin, Gleichniserzählungen; Dorn, Gleichnisse; Heininger, Sondergutgleichnisse, 39 Umstritten ist die Abhängigkeit des Spruchguts des S Lk von Q (vgl. Petzke, Sondergut, 216); die Q-Zugehörigkeit der S Lk -Gleichnisse untersucht Dorn in seiner Dissertation (vgl. Dorn, Gleichnisse, insb. 206). In welchem Maß Lukas selbst auf die formale Gestaltung des S Lk -Stoffes Einfluss genommen hat, ist ebenfalls umstritten (vgl. Petzke, Sondergut, 216). <?page no="18"?> 18 stoff zu sein. Die Personen erscheinen dort als positive (z.B. Lk 10,30ff.) oder negative (z.B. Lk 12,16ff.) Identifikationsfiguren. 40 2.3 Verhältnis von Tradition und Redaktion im S Lk Grundlage der Untersuchung des S Lk ist eine sorgfältige Sicherung der zu analysierenden Textbasis. Zu berücksichtigen ist die prinzipielle Problematik, dass das S Lk eine hypothetische Größe, ein heuristisches Textkorpus, ist und keine klar abgegrenzte Quelle des Lk. 41 Die Textgrundlage der Untersuchung stecke ich bewusst großflächig ab, um den Diskurs um Armut und Reichtum/ Umgang mit materiellen Gütern, der im S Lk reflektiert ist, in möglichst vielen Aspekten zu erfassen. 42 Zunächst ist das S Lk von Mk und Q abzugrenzen. Während der Markusstoff in Lk klar umrissen ist, ist der Umfang von Q umstritten. 43 Wenn bei einem Text des Lk unklar ist, ob er Q oder dem S Lk zuzuordnen ist (z.B. Lk 6,24-26), verfahre ich nach folgender hermeneutischer Grundlinie: Als S Lk werden in der Untersuchung alle Texte des Lk bezeichnet, die weder eine Parallele in Mt noch in Mk besitzen und nicht eindeutig als bloße sprachliche Varianten zu erkennen sind. 44 Die Differenzierung von S Lk -Texten in solche, die auf lukanische Redaktion, lukanische Komposition und vorlukanische Tradition zurückzuführen sind, ist methodisch schwierig. Unter den Texten des Lk, die keine synoptische Parallele besitzen, finden sich erstens Abschnitte, die von Lk selbst stammen, zweitens traditionelle Abschnitte, die Lukas bearbeitet hat, und drittens Texte, die aus vorlukanischer Tradition weitgehend unverändert von Lukas übernommen wurden. Die Untersuchung sprachlicher und stilistischer Eigentümlichkeiten lukanischen bzw. un- oder vorlukanischen Stils 45 lassen in vielen Fällen ein begründetes Wahrscheinlichkeitsurteil über die 40 Vgl. Petzke, Sondergut, 219-221. 41 Der Markusstoff und Q sind durch die Möglichkeit des synoptischen Vergleichs einigermaßen klar zu definieren. 42 Damit wähle ich einen anderen methodischen Ansatzpunkt als Paffenroth (Story of Jesus). Ziel seiner Untersuchung ist es gerade, den Sonderstoff des Lk, für den die Herkunft aus einer Sonderquelle in Frage kommt, einzugrenzen (vgl. Kap. 2 der Untersuchung: „Limiting the Material to be considered“, 27-66), um dann das vermutete Evangelium L zu rekonstruieren (vgl. Paffenroth, Story of Jesus, 159-167). 43 Kloppenborg nimmt verschiedene redaktionelle Stufen von Q an (vgl. ders., Formation); breit wird diskutiert, dass Matthäus und Lukas unterschiedliche Varianten von Q (Q Mt und Q Lk ) vorlagen (vgl. Sato, Q; Tuckett, History); außerdem ist anzunehmen, dass Lukas und Matthäus unterschiedlich mit dem ihnen vorliegenden Q-Stoff umgegangen sind (redaktionelle Bearbeitungen, Auslassungen, Umstellungen). 44 Unter diese Definition fallen folglich auch die beiden Textabschnitte des Lk, die in der Regel gesondert diskutiert werden: Lk 1.2 und Lk 22,1ff. 45 Vgl. besonders Rehkopf, Sonderquelle; Schürmann, Protolukanische Spracheigentümlichkeiten; Jeremias, Sprache. Ein methodischer Ankerpunkt ist die Apg als Vergleichstext. <?page no="19"?> 19 Zuordnung der Texte zu vorlukanischer Tradition oder lukanischer Redaktion bzw. Komposition zu und bleiben unverzichtbar. Doch bei vielen Texten wird unklar bleiben, ob lukanischer Stil darauf hinweist, dass Lukas sie verfasst hat, oder ob anzunehmen ist, dass Lk sie gemäß seinen Interessen gesammelt und bearbeitet hat. 46 Die Arbeitsdefinition für das S Lk lautet folglich: Als S Lk werden in der Untersuchung alle Texte des Lk bezeichnet, die weder eine Parallele in Mt noch in Mk besitzen und nicht eindeutig als bloße sprachliche Varianten zu erkennen sind. Unter der Bezeichnung S Lk sind also weiterhin Texte subsummiert, deren Zuordnung zu vorlukanischer Tradition oder lukanischer Redaktion bzw. Komposition nicht geklärt ist. Auf der Grundlage der Zweiquellentheorie als Vorannahme definiere ich also das virtuelle Textkorpus S Lk zu Untersuchungszwecken als Diskursstrang. Dies scheint aus zwei Gründen sinnvoll. Erstens: Die Gruppe der zu erfassenden Texte ist allein mit den Methoden der Textanalyse noch nicht ausreichend erfasst und interpretiert. Zweitens: Die Analyse der Texte lässt Rückschlüsse auf die Überlieferungsgeschichte zu. Einerseits wird also die Quellenfrage durch die Rückfrage, woher die S Lk -Texte kommen, profiliert; andererseits gibt ein herausgearbeitetes Profil des S Lk wiederum Hinweise darauf, dass verschiedene Quellen vorliegen. 2.4 Armut und Reichtum im Lukasevangelium Die Begriffe „arm“ und „reich“ sind klassisch vorgegeben. Sie soziologisch einzuordnen ist eine moderne Aufgabenstellung, die nicht im Blickfeld antiker Texte liegt. Aus moderner Sicht lässt sich der zu untersuchende Diskurs um Armut und Reichtum/ Umgang mit materiellen Gütern folgendermaßen erfassen: Die Begriffe Armut und Reichtum beschreiben ökonomische Zustände. „Armut liegt vor, wenn Menschen wesentliche Mittel für ihre Existenz fehlen.“ 47 Zu unterscheiden ist zwischen absoluter und relativer Armut. Erstere entspricht der Bedrohung der physischen Existenz; letztere liegt vor, wenn ein soziokulturelles Minimum des Lebens unterschritten wird. Die Maße dafür sind wissenschaftlich nicht klar festzulegen, häufig wird deshalb mit politischen Definitionen gearbeitet. 48 Komplementär zu relativer Armut definiert, ist 46 Zu beachten ist in diesem Zusammenhang der quellenkritische Ansatz Goulders, der die Zweiquellentheorie ablehnt. Er geht davon aus, dass Lukas auf Mt und Mk zurückgriff, und beurteilt in der Folge alle darüber hinausgehenden Texte als lukanische Komposition im Sinne midraschartiger Erweiterungen von Mt, Mk oder LXX (vgl. ders., Paradigm I-II). Goulder nimmt u.a. an, dass das längste Gleichnis des NT Lk 15,11- 32 eine lukanische Bearbeitung von Mt 21,28-32 sei (vgl. ders., Paradigm II, 609-18). 47 Axhauser, Art. Armut, 36. Vgl. zum Folgenden ebd., 36f. 48 Vgl. Butterwegge, Armut, 11-18. - Im Ratsbeschluss der Europäischen Union vom 19.12.1984 findet sich ein Beispiel für eine Definition: „Als verarmt sind jene Einzelpersonen, Familien und Gruppen anzusehen, die über so geringe (materielle, kulturelle <?page no="20"?> 20 Reichtum wesentlich durch einen Überfluss an materiellen, kulturellen und sozialen Mitteln charakterisiert. Das Lukasevangelium spricht von Armut und Reichtum mittels der Adjektive ptvxoßw (bettelarm), in Lk 21,2 findet sich außerdem das Hapaxlegomenon penixroßw , und ploußsiow (reich) bzw. dem Verb plouteiqn . Wer sich seinen Lebensunterhalt nicht selbst verdienen kann und Mangel an Obdach, Nahrung und Kleidung hat ist ptvxoßw . Wer als penixroßw bezeichnet wird, kann sich durch seine Arbeit ernähren. Als Existenzminimum sind ca. 100- 150 Denare/ Jahr/ Person anzunehmen. 49 Mit Ausnahme des Nomens plouqtow , das sich einmal im lukanischen Markusstoff (Lk 8,14) findet, werden die abstrakten Nomina plouqtow (Reichtum) und ptvxeißa (Armut) in Lk nicht verwendet. Bemerkenswert ist, dass Paulus selbst in Gal 2,10 von ptvxoiß in Jerusalem spricht, diese Bezeichnung aber in Apg 15 nicht begegnet. - Aufschlussreich ist ein Vergleich zwischen Lk und Apg: Anders als in Lk finden sich in der Apg weder der Wortstamm plous -/ plout - (reich/ Reichsein) noch ptvxoßw (arm). Dies ist ein Indiz dafür, dass die Gegenüberstellung von Armut und Reichtum nicht von Lukas stammt, sondern auf vorlukanische Tradition zurückgeht, Lukas also als Sammler Interesse an der Thematik hat. Deshalb ist der überlieferungsgeschichtliche Ansatz, den die vorliegende Untersuchung wählt, um das Lukasevangelium von dem Quellenstrang S Lk her zu erfassen, einem redaktionskritischen Ansatz (z.B. Petracca, Mineshige) vorzuziehen. Welche Lebenswirklichkeit steht hinter den lukanischen Texten? Im 1. Jh. suchen die meisten Menschen ihren Lebensunterhalt durch landwirtschaftliche Arbeit zu bestreiten - als Kleinbauern im Familienbetrieb, als Pächter (vgl. Mk 12,1-12/ Lk 20,9-19) oder Lohnarbeiter (vgl. Lk 15,17). 50 Die Landwirtschaft ist der bestimmende Produktionssektor, was der Entwicklung zur Landkonzentration Vorschub leistet. Durch die Akkumulation des Landbesitzes in wenige Hände nimmt die Zahl der Kleinbauern mit eigenem Land ab, die Zahl der Pächter, verschuldeten Kleinbauern und abhängigen Lohnarbeiter dagegen zu. 51 Die ersten Jünger Jesu lebten vor ihrer Berufung nicht von der Landwirtschaft, sondern von der Fischerei im See Genezareth. Sie bestritten ihren Lebensunterhalt durch eigene Arbeit und gehörten nicht zu der Gruppe der „Bettelarmen“. Trotzdem war ihre ökonomische Situation prekär. Dies zeigt und soziale Mittel) verfügen, dass sie von der Lebensweise ausgeschlossen sind, die in dem Mitgliedsstaat, in dem sie leben, als Minimum anwendbar ist.“ 49 Vgl. Jacques/ Scheid, Rom I, 337-339; Stegemann/ Stegemann, Sozialgeschichte, 82-86; Herrmann-Otto, Reiche und Arme, 88. 50 Vgl. Alföldy, Sozialgeschichte, 88; Christ, Kaiserzeit, 81; Stegemann/ Stegemann, Sozialgeschichte, 36f. 51 Vgl. Christ, Kaiserzeit, 81f.; Rathbone, Art. Großgrundbesitz, 1244.1246; Stegemann/ Stegemann, Sozialgeschichte, 48ff. <?page no="21"?> 21 besonders die lukanische Schilderung der leeren Netze in Lk 5,1-9. Jesus selbst war Handwerker und nicht in der Landwirtschaft tätig. In Lk werden zwei Zöllner namentlich erwähnt, mit denen Jesus in Kontakt tritt (Levi in Lk 5,27ff. und Zachäus in 19,1ff.). Die Abgabenpächter sind eher der Gruppe der Wohlhabenden zuzurechnen. Allerdings kennzeichnet sie ein Mangel an Sozialprestige, da sie im Dienst der Besatzungsmacht Geld eintreiben (vgl. Lk 5,30). Sie werden von Beamten der königlichen Finanzverwaltung kontrolliert und müssen eine festgelegte Summe abführen. Die Zöllner tragen also einerseits das Risiko, falls sie die gebotene Summe nicht eintreiben können. Andererseits haben sie aber auch die Chance, Profit zu erzielen, falls sie mehr einnehmen. 52 Auf diese Weise ein beträchtliches Vermögen zu erlangen, war durchaus möglich. 53 Eine zweite Gruppe wohlhabender Menschen, von denen in Lk die Rede ist, sind Eigentümer relativ großer landwirtschaftlicher Flächen. Solche (Groß-)Grundbesitzer verfügten in der Regel über einige Güter mittlerer Größe (20-125 ha), die oft weit verstreut lagen. 54 Sie wurden von abhängigen Arbeitern oder Pächtern bewirtschaftet und häufig von einem Gutsverwalter ( oiökonoßmow , vgl. Lk 16,1ff.) verwaltet. Ein Gutsverwalter ( oiökonoßmow ) ist vielleicht Sklave, auf jeden Fall ein Mensch mit ungesicherter Existenz. Ökonomischer und sozialer Status sind eng miteinander verbunden. Das römische Reich ist im 1. Jh. eine Zweiklassengesellschaft. Kriterium für die Zugehörigkeit zur Ober- oder Unterschicht ist dabei nicht nur das materielle Vermögen, sondern das Verfügen über Prestige und Privilegien. 55 Zur Oberschicht sind etwa 1-5% der Bevölkerung zu rechnen. Die politische Macht in Judäa-Jerusalem und Galiläa liegt zunächst in den Händen der Römer. Diese delegieren sie an Klientelfürsten und die jüdische Verwaltung unter der Führung des Hohepriesters. Diese Führungselite bildet in den Provinzen die Oberschicht. Bisweilen werden auch die Gefolgsleute der Eliteangehörigen, die Funktionen im öffentlich-rechtlichen Bereich inne hatten, zur Oberschicht gerechnet; doch blieb ihre Existenz immer prekär. 56 Der Unterschicht sind in diesem Modell sowohl die relativ Armen oder einigermaßen wohlhabenden Handwerker, Fischer und Bauern bzw. Land- 52 Vgl. Rieß, Randgruppen, 103; Stegemann/ Stegemann, Sozialgeschichte, 109.113.123.180. 53 Der aörxitelvßnhw Zachäus wird als ploußsiow bezeichnet; Josephus berichtet in Bell II, 287 von einem Zöllner Johannes, der über ein Vermögen von acht Silbertalenten (ca. 48.000 Denare) verfügte. 54 Vgl. Fiensy, History, 24ff. - Die Bewirtschaftung von 25 ha Wein verlangte etwa 16 Personen, von 60 ha Oliven etwa 13 Personen (vgl. Stegemann/ Stegemann, Sozialgeschichte, 37). 55 Vgl. Alföldy, Strukturen, 9-12; ders., Sozialgeschichte, 94; Mratschek-Halfmann, Divites, 229-241; Winterling, Kaiserzeit, 103. - Zur methodischen Diskussion vgl. Alföldy, Sozialgeschichte, 78-81; Stegemann/ Stegemann, Sozialgeschichte, 58-70; Winterling, Kaiserzeit, 99-106. 56 Vgl. Stegemann/ Stegemann, Sozialgeschichte, 71ff.; Petracca, Gott oder Geld, 19-21. <?page no="22"?> 22 pächter als auch die ptvxoiß (Bettler, Tagelöhner, Banditen) sowie ländliche Sklaven zuzurechnen. 57 Die ökonomische Situation, in der sich eine Person befindet, und ihr sozialer Status, d.h. ihr Machtpotential und ihr Prestige, sind in der Regel interdependent. 58 Macht ist dabei soziologisch zu verstehen als „jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht“ 59 . Prestige ist soziologisch die Verortung von Personen(gruppen) in der Gesellschaft anhand sozialer Merkmale, Prestigefaktoren. Zu unterscheiden sind hier „objektive“, d.h. von der Person unabhängige soziale Merkmale, und „subjektive“ Faktoren wie persönliche Eigenschaften und persönliche Wertschätzung. 60 In der sozialgeschichtlichen Diskussion wird nicht der Begriff „Prestige“ verwendet, sondern das Begriffspaar Ehre und Schande. 61 Ehre bewegt sich als allgemeiner Wert (in Bezug auf natürliche Gruppierungen) „in dem Bereich von innerem Gutsein bis zu sozialem Vorrang oder Macht“ 62 . Sie gilt als „a positive value of a person in his or her own eyes plus the positive appreciation of that person in the eyes of his or her social group“ 63 . Dabei ist zu beachten: „Honor indicates a person's social standing and rightful place in society. The particular honor position a person might occupy is located by lines drawn according to one's power, gender, and position on the social scale, that is one's precedence […] When a man claims a certain status that is supported by power and gender, he claims honor.“ 64 Ehre erreicht man also, indem man selbst nach einem bestimmten Status strebt und diesen auch von der Gesellschaft anerkannt wissen will. Ehrverlust, „Schande“, tritt ein, wenn die Gesellschaft diese Anerkennung versagt. Die Einschätzung der Ehre ist eine Bewegung von innen (der Anspruch eines Menschen) nach außen (öffentliche Beurteilung). Die Einschätzung der Schande ist eine Bewegung von außen (öffentliche Verurteilung) nach innen (die persönliche Erfahrung der öffentlichen Verurteilung). 65 57 Vgl. Alföldy, Strukturen, 11f.; Stegemann/ Stegemann, Sozialgeschichte, 74. 58 Vgl. Berger, Klassenstruktur, insb. 224. Imbusch benennt als Machtquellen u.a. die Monopolisierung physischer Gewalt oder Ressourcen, Charisma und Persönlichkeit, (vgl. ders., Macht); vgl. Stegemann/ Stegemann, Sozialgeschichte, 62-68. 59 Weber, Wirtschaft, 28. - Weber grenzt in der Folge Macht und Herrschaft voneinander ab (ders., Wirtschaft, 122). 60 Vgl. Lamnek, Prestige, 413ff. 61 Vgl. z.B. Malina/ Neyrey, Honor and Shame; Rohrbaugh, Honor. 62 Malina/ Neyrey, Honor and Shame, 63. 63 Malina/ Neyrey, Honor and Shame, 26. 64 Ebd. 65 Vgl. Malina/ Neyrey, Honor and Shame, 62. <?page no="23"?> 23 II Literaturbericht 1 Moderne Kommentare zu Lk und zum S Lk 1.1 J.A. Fitzmyer, AB (1981.1985) Fitzmyer geht in der Einleitung zu seinem Kommentar 66 ausführlich auf die Quellenkritik des Lukasevangeliums ein und setzt sich mit verschiedenen Positionen auseinander. Er selbst geht von drei Quellen des Lukasevangeliums aus und beschreibt das lukanische Sondergut moderat so: „I would prefer to think about L as a description for source(s) of information about the Jesus-story in the early Christian community Luke would have tapped in various ways.“ 67 Fitzmyer sieht die Möglichkeiten, Tradition und Redaktion voneinander abzugrenzen, pessimistisch: „we shall never know“ 68 . Hinsichtlich der Frage, ob das lukanische Sondergut mündlich oder schriftlich überliefert ist, gibt es kaum klare Positionen. Fitzmyer ist insofern charakteristisch für die Forschungslandschaft, als er es vor allem aufgrund von Lk 1,1 für eine unzulässige Vereinfachung hält, von einer rein mündlichen Tradition auszugehen. 69 1.2 H. Schürmann, HThK (³1984.1993) Schürmanns Kommentar reicht nur bis Lk 11,54. 70 Er ist traditionsgeschichtlich ausgerichtet: „Es ist aufregend zu sehen, wie ipsissima verba Jesu in veränderter Situation sich verändert weitersprechen, um so die intentio Jesu sachgerecht zum Ausdruck zu bringen - bis in die Worte der Evangelien hinein.“ 71 Hinsichtlich der Einleitungsfragen erklärt er sich weitgehend mit den Thesen des Forschungsberichts von Radl einverstanden. 72 Der Kommentar bietet jeweils am Ende der Textabschnitte eine traditionsgeschichtliche Rückfrage anhand an verschiedenen Kompositionsformen orientierter Stufen. 73 66 Vgl. Fitzmyer, Luke I. 67 Fitzmyer, Luke I, 84. 68 Fitzmyer, Luke I, 83. 69 Fitzmyer, Luke I, 84. 70 Der erste Teil (Lk 1,1-9,50) von Schürmanns Kommentar erschien 1969, der zweite Teil (Lk 9,51-11,54) 1993. 71 Schürmann, Lukasevangelium II, xvi. 72 Schürmann problematisiert die Frage, ob synchrone Kompositionsformen diachronen Kompositionsstufen entsprechen (vgl. Lukas II, xvii Anm. 2). 73 Vgl. Evans, Saint Luke, 27f. Evans verweist auf Knox, der mehrere Sammlungen im S Lk für wahrscheinlich hält und diese aufzeigt (vgl. Knox, Sources II, 110ff.). <?page no="24"?> 24 1.3 J. Nolland, WBC (1989.1993) Nolland hält an der klassischen Zweiquellentheorie fest und äußert sich pessimistisch zu der Möglichkeit, hinsichtlich des Sonderguts klare Aussagen zu treffen, sowohl hinsichtlich der Identifizierung von Sammlungen als auch in Bezug auf die Abgrenzung des S Lk . 74 1.4 C.F. Evans, TPI New Testament Commentaries (1990) Auch Evans äußert sich in der Einleitung zu seinem Kommentar ausführlich zum S Lk . Er sieht nur einen Teil des S Lk durch linguistische Merkmale, die auf ein gemeinsames Herkunftsmilieu verweisen, miteinander verbunden und hält deshalb für wahrscheinlich, dass das S Lk ein Komplex aus mehreren Quellen ist. 75 Doch nimmt er an, dass Lukas in seinem Sondergut nicht nur Einzeltraditionen verarbeitet hat, sondern ihm bereits mündlich überlieferte Traditionszusammenhänge vorlagen. 76 In Lk 14,7-14 hält er eine vorlukanische Sammlung von Einzelsprüchen für wahrscheinlich. Eine Sammlung von Parabeln zu gleichen Themen nimmt er in Lk 15,1-10; 15,11-32; 16,1-15; 16,19-31 an. Lukas habe wohl gezielt Material gesucht. Q habe ihm ebenso wenig einheitlich vorgelegen wie das S Lk , das Evans größtenteils als mündlich überliefert betrachtet. Evans weist auf einige Stellen hin, an denen lukanische Redaktion klar erkennbar ist. 77 Dass Lukas einen Großteil des Materials selbst geschaffen hat, hält Evans für unwahrscheinlich, da er Spannungen innerhalb einzelner Perikopen sieht, vor allem zwischen den Einleitungen bzw. Schlüssen und dem Corpus von Parabeln. Er folgert daraus, dass Lukas ihm vorliegendes Material bearbeitet und seinen Zielen untergeordnet habe. 1.5 F. Bovon, EKK (1989.1996.2001.2009) Bovon schließt sich in der Einleitung zu seinem ersten Kommentarband der klassischen Zweiquellentheorie an. Die Frage nach der Überlieferung des Sonderguts hält er für schwierig und beschränkt sich auf die Vermutung, dass das Milieu der Kindheitserzählungen in judenchristlichen Kreisen, möglicherweise der Umgebung des Jakobus zu suchen sei. Zu beachten ist nach Bovon weiterhin, dass die schriftliche Überlieferung die mündliche nicht ablöst, sondern beide parallel stattfinden. 78 74 Nolland, Luke A, xxxf. 75 Damit liegt er auf einer Linie mit Fitzmyer, Luke I, 85; Heininger, Sondergutgleichnisse, passim; Bovon, EKK III/ 1, 19f; Petzke, Sondergut, 211; Schnelle, Einleitung, 295; von Bendemann, DOCA , 60f. Keine Anzeichen für Sammlungen innerhalb des Sondergutes kann Nolland entdecken (vgl. Luke A, xxxi). 76 Bovon betont dagegen die wirkungsgeschichtliche Ausrichtung seines Werkes, die wohl ein Grund dafür ist, dass er die Auseinandersetzung mit quellenkritischen Fragen sehr knapp führt. 77 Vgl. Evans, Saint Luke, 29. 78 Vgl. Bovon, EKK III/ 1, 19ff. <?page no="25"?> 25 1.6 G. Petzke, ZWKB (1990) Bemerkenswert ist, dass in der Zürcher Kommentarreihe ein eigener Band zum S Lk erschien. Damit wird diesem Traditionsstrang ein ähnlicher Stellenwert wie der Logienquelle Q eingeräumt. 79 Petzke gibt dort in bewusst allgemeinverständlicher Weise eine Einführung in die quellenkritische Forschung am Lukasevangelium. 80 Er kommentiert fortlaufend die Sonderguttexte, auch die Texte, deren Abhängigkeit von Mk oder Q umstritten ist. Zum S Lk zählt er die Kindheits- und Passionserzählungen. Besonders interessant ist der zweite Teil des Kommentars, in dem Petzke anhand von Formen, Personen und Themen die Schwerpunkte der lukanischen Sondergutüberlieferung erläutert. Er sieht Lukas als Erzähler und geht daher auf die Formen narrativer Ethik, Gleichnisse und Beispielerzählungen einerseits und die Rede von Jesus als dem göttlichen Menschen in der Form „mythischbiographischer Erzählungen“ andererseits ein. 81 Im Sondergut sieht Petzke besonders in den Gleichnissen eine „deutliche Personalisierung von Sachfragen“ 82 . Deshalb stellt er - nach einer knappen Darstellung der Aussagen zu den klassischen dogmatischen Topoi - im Rahmen der „Ekklesiologie“ unter den Fragestellungen „In welcher Gemeinschaft leben wir? Wer gehört dazu? “ 83 die theologisch-inhaltlichen Aussagen des lukanischen Sonderguts am Beispiel wichtiger Personengruppen (Pharisäer und Zöllner, Reiche und Arme, Frauen und Männer) dar. Der Kommentar beansprucht keinen wissenschaftlichen Charakter, so fehlt auch eine Bibliographie, doch stellt Petzke verschiedene Forschungsmeinungen dar und setzt sich eingehend mit ihnen auseinander. Der Kommentar gibt einen guten Überblick über die Forschung zum S Lk bis etwa 1990. 1.7 H. Klein, KEK (2006) Klein baut seinen Kommentar zum Lukasevangelium auf folgenden Grundannahmen auf: Er geht davon aus, dass Lukas drei schriftliche Quellen vorlagen, nämlich Q, Mk und das S Lk . 84 Daneben sei eine Joh nahe stehende Passions- und Auferstehungsdarstellung überliefert, die in denselben Tradentenkreisen überliefert worden sei, die auch das übrige S Lk (ohne Kindheitsgeschichte) überliefert hätten. Als Beleg zieht er hierfür Lk 7,36-50 heran, eine Perikope, die motivische Übereinstimmung mit der Johannesparallele 79 Vergleichbar dem Kommentar zu Q von Zeller, Logienquelle. 80 Vgl. Petzke, Sondergut, 11f.211f. - Den Abschluss von Petzkes Kommentar bildet so auch eine Reflexion über die „Relevanz der Auslegungsmethoden für die Praxis des Pfarrers und Lehrers“ (Petzke, Sondergut, 254ff). 81 Petzke, Sondergut, 215ff. 82 Petzke, Sondergut, 241. 83 Petzke, Sondergut, 245. 84 Klein, Lukasevangelium, 45. <?page no="26"?> 26 Joh 12,1-8 aufweist. Hier, in Lk 7,36-50 und Joh 12,1-8 sind zwei ähnliche Erzählungen zusammengewachsen und im S Lk und Joh unterschiedlich verbunden worden, was nach Klein wahrscheinlich im mündlichen Überlieferungsprozess geschehen ist. Das S Lk sowie die Passions- und Auferstehungsberichte lokalisiert Klein in Jerusalem. Erst nach dem jüdischen Krieg hält er ein Bekanntwerden des Stoffes auch außerhalb Judäas für wahrscheinlich. Die Kindheitsgeschichten seien eine Überlieferung sui generis. 85 Worte Jesu kenne Lukas hauptsächlich aus mündlicher Überlieferung. 86 Die LXX sei eine wichtige Vorlage für Lukas gewesen, doch konstatiert Klein, dass Lukas oft vom präzisen Wortlaut abweicht. 87 Klein wendet sich gegen Streeters Protolukashypothese. 88 Er hält fest, dass Lk in 3,1-9,50 Q in Markusstoff einarbeitet und dabei wenige S Lk Elemente unterbringt. In 9,51-18,14 verknüpft er S Lk - und Q-Texte, bis 13,35 Q folgend, ab 14,1 eher sich am S Lk orientierend. Von 18,15-21,38 folge er wieder hauptsächlich Mk, wobei er wenige S Lk - und Q-Texte einbaue. 1.8 M. Wolter, HNT (2008) Wolter stellt sich unter den „methodischen Primat der Synchronie“ 89 und ist folglich der Ansicht, dass die Frage nach den Quellen und Vorlagen des Lukasevangeliums an Bedeutung verloren habe. Er hält fest, dass die Möglichkeiten, nicht vorhandene Vorlagen in Gestalt und Wortlaut zu rekonstruieren, äußerst begrenzt sind. Grundsätzlich hält er die Zweiquellenhypothese für das plausibelste Erklärungsmodell, wobei er betont, dass mit sehr viel komplexeren Überlieferungsverhältnissen zu rechnen, sei als die Zweiquellentheorie idealtypisch annehme. Das lukanische Sondergut bezeichnet er als „Restkategorie“. Einziges gemeinsames Merkmal sei, dass die zugehörigen Texte weder eine Parallele in Mk noch in Mt hätten. Versuche, das Sondergut als Quelle zu analysieren, bezeichnet er ausdrücklich als unwissenschaftlich (15). Zur Herkunft des Sondergutes hält er abschließend fest: „Manches ist Q-Stoff, der von Matthäus ausgelassen wurde, bei anderem handelt es sich um verstreute und von Lukas zusammengetragene mündliche Überlieferung, und wieder anderes geht auf Lukas selbst zurück.“ 90 85 Vgl. Klein, Lukasevangelium, 46. 86 Vgl. Klein, Lukasevangelium, 46f. 87 Vgl. Klein, Lukasevangelium, 47. 88 Vgl. Klein, Lukasevangelium, 47f. 89 Wolter, Lukasevangelium, 11. 90 Wolter, Lukasevangelium, 16. <?page no="27"?> 27 2 Studien zur Sprache des Lk 2.1 H. Schürmann (1957) 1957 setzt Schürmann mit seiner Habilitationsschrift 91 eine interessante Diskussion um die Protolukashypothese in Gang. Ziel seiner Untersuchung ist, die lukanische Redaktion durch sprachlich-stilistische Analyse zu profilieren und von der Tradition abzuheben, um so eine vorlukanische Sonderform der Passionsgeschichte nachzuweisen. Mit der folgenden Rekonstruktion eines vorlukanischen Erzählzusammenhangs im Nicht-Markusstoff wäre dann der Nachweis für eine vorlukanische Evangelienschrift geführt. Er bewertet die angenommene lukanische bzw. vorlukanische Redaktion in 13 Wahrscheinlichkeitsstufen. Dies deutet „auf die Lebendigkeit der Sprache und ihrer Anwendung durch verschiedene Autoren/ Redaktoren, die sich nicht allein an objektiven Kriterien festmachen läßt“ 92 , und zeigt die Schwierigkeit auf, vorlukanische Redaktion nachzuweisen. 2.2 F. Rehkopf (1959) 1959 erschien Rehkopfs Dissertation 93 , die er bei Jeremias durchführte. Seine Untersuchung ist darauf gerichtet, den Sprachgebrauch und den Umfang des lukanischen Sonderguts zu bestimmen. Im Anschluss an Jeremias und Streeter geht er aufgrund der Umstellungen des Markusstoffs im Lukasevangelium von der Protolukashypothese aus. Er rechnet die Passionsgeschichte, nicht aber Lk 1-2 zum Sondergut. 94 Vorlukanischer Sprachgebrauch liegt nach Rehkopfs Einschätzung dann vor, wenn ein sprachliches Phänomen erstens selten oder nie in Lk vorkommt, zweitens in Mk vorkommt und von Lukas ersetzt wird, drittens einem Synonym oder lukanischen Vorzugswort gegenübersteht, viertens relativ häufig im Nicht-Markusstoff vorkommt und fünftens selten oder nie in der Apg, in Reden oder Wir-Stücken begegnet. 95 2.3 H. Schürmann (1961) Wie Rehkopf geht Schürmann in dieser Studie 96 von der Protolukashypothese aus. Diese muss nach Schürmann allein durch sprachliche Kriterien begrün- 91 Schürmann, Jesu Abschiedsrede. 92 Kowalski, Sprache I, 64. 93 Vgl. Rehkopf, Sonderquelle. 94 Rehkopf findet Sondergut in Lk 3,1-4.30; 5,1-11; 6,12-8,3 (außer 6,17-19); 9,51-18,14; 19,1-44 (außer 19,29-36); 21,34-38; 22,14-24.53. 95 Vgl. Rehkopf, Sonderquelle, 87. 96 Schürmann, Protolukanische Spracheigentümlichkeiten. - Schürmann setzt sich in diesem Aufsatz mit der Dissertation Rehkopfs auseinander. In dem Sammelband Schürmann, Traditionsgeschichtliche Untersuchungen, finden sich weitere Studien Schürmanns zur lukanischen Sprache: Im Aufsatz „Die Sprache des Christus. Sprachliche Beobachtungen an Herrenworten“ (ebd., 83-108) gibt Schürmann 42 Kriterien für die Bestimmung der Christussprache an die Hand, die durch Septuagintismen und geho- <?page no="28"?> 28 det werden. Die Tatsache der Umstellung des Markusstoffes ist kein hinreichendes Argument für das Postulat der Protolukashypothese. Er verschärft deshalb die Kriterien Rehkopfs und versucht den protolukanischen gegenüber dem unlukanischen Stoff anhand von zehn Kriterien genauer zu profilieren. 97 Er berücksichtigt, dass erstens das S Lk möglicherweise von Matthäus ausgelassenes Q-Material ist und zweitens protolukanischer Stoff dann nicht nachweisbar ist, wenn er sich nur im S Lk und Q findet. Er nimmt drittens eine lukanische Sonderform der Passionsgeschichte als möglich an und zählt viertens Lk 1-2 nicht zum S Lk (wie Rehkopf), wertet die dortigen Spracheigentümlichkeiten also nicht als Hinweis auf protolukanische Sprache. Fünftens betrachtet er lukanische Sonderverse in Q nicht zwingend als S Lk , sechstens sind dem S Lk und Q gemeinsame sprachliche Charakteristika eindeutig lukanisch. Siebtens ist ein zufälliges Zusammentreffen dieser Charakteristika dann nicht auszuschließen, wenn sie auch für das übrige NT charakteristisch sind (auch dann nicht, wenn sie in Apg und lukanischer Redaktion fehlen). Achtens sind bei sprachlichen Vergleichen die formbedingten Sprachcharakteristika zu berücksichtigen. Neuntens kann eine dem S Lk und Q gemeinsame sprachliche Eigenschaft nicht als protolukanisch gewertet werden, wenn sich durch den Vergleich mit Mt nachweisen lässt, dass diese bereits vor der protolukanischen Redaktion für Q charakteristisch war. Zehntens ist eine sprachliche Gemeinsamkeit zwischen dem S Lk und Q dann nicht relevant, wenn es sich um einen Aramaismus bzw. „ipsissima vox“ Jesu handelt. Von 78 unlukanischen Sprachmerkmalen Rehkopfs verbleiben nach Anwendung von Schürmanns Kriterien 49. Von diesen sind nur 20 als protolukanisch zu betrachten - der angestrebte sprachliche Nachweis von Protolukas konnte somit nicht geführt werden. Schürmann betrachtet die Protolukashypothese dadurch jedoch noch nicht als widerlegt, sondern hält die Anwendung anderer Kriterien für notwendig. Mängel der Kriterien Schürmanns sind die unklare Definition von Aramaismen und „eindeutig lukanischer Sprache“, sowie der Umstand, dass die „ipsissima vox“ nicht eindeutig abzugrenzen ist. 2.4 J. Jeremias (1980) Ziel von Jeremias` 1980 veröffentlichter Studie 98 ist, die sprachlichen Charakteristika der lukanischen Redaktion gegenüber der Lukas vorliegenden mündlichen oder schriftlichen Tradition zu ermitteln, nicht aber, vorlukanibenen liturgischen Stil gekennzeichnet sei. Der Aufsatz „Sprachliche Reminiszenzen an abgeänderte oder ausgelassene Bestandteile der Redequelle im Lukas- und Matthäusevangelium“ (ebd., 111-126) zielt darauf, durch das Kriterium sprachlicher Reminiszenzen die sprachlichen Charakteristika der Logienquelle gegenüber der Redaktion des Lukas und Matthäus zu bestimmen. 97 Schürmann, Protolukanische Spracheigentümlichkeiten, 289. 98 Jeremias, Sprache. <?page no="29"?> 29 sche Quellen zu rekonstruieren. 99 Er verzichtet bewusst auf literarkritische Hypothesen, abgesehen von der Annahme, dass Lukas das Markusevangelium benutzt hat. 100 Methodisch ist ihm dabei wichtig, dass der Rückgriff auf Vokabelstatistiken nicht ausreicht, sondern dass die sprachlichen Phänomene von Tradition und Redaktion untersucht werden müssen. Durch die Vergleichsmöglichkeit mit der Apostelgeschichte sieht er eine gute Untersuchungsgrundlage gegeben. Er rechnet mit der Möglichkeit eines gleichen Sprachgebrauchs von Tradition und Redaktion. Dies impliziert allerdings, „daß eine klare Unterscheidung und damit Definition des lk Stils in einem gewissen Rahmen Ermessenssache ist und von quellenkritischen Vorentscheidungen abhängt“ 101 . In seine Untersuchung bezieht Jeremias (wie Rehkopf) auch die Passionsgeschichte mit ein, in der er einerseits den Einfluss der Markusvorlage als wahrscheinlich betrachtet, andererseits aber auch mit dem Einfluss nichtmarkinischer Tradition rechnet 102 . Vorbzw. unlukanischen Sprachgebrauch nimmt er an, „wenn ein Wort, eine Wortgruppe oder eine syntaktische Konstruktion 1. selten oder nie von Lukas selbständig verwendet wird, 2. im Markusstoff weitgehend oder stets von Lukas gemieden wird, 3. einer lukanischen Vorzugswendung mit ähnlichem oder gleichem Inhalt gegenübersteht, 4. deutlich semitischen Sprachhintergrund erkennen läßt, 5. auf den Nichtmarkusstoff des Evangeliums beschränkt ist, 6. durch das übrige Neue Testament als geprägte Gemeindesprache erwiesen wird“ 103 . Als Untersuchungsergebnis hält er fest, dass die Passionsgeschichte wahrscheinlich zum Nicht-Markusstoff zu rechnen ist, außerdem, dass Lukas der Nicht-Markusstoff wahrscheinlich weithin geprägt vorlag und nicht erst von ihm zusammengetragen wurde, da er in diesen weniger eingegriffen habe als in den Markusstoff. Als wichtigstes Ergebnis hebt Jeremias hervor, dass die lukanische Redaktion geringer zu veranschlagen sei als in der Forschung angenommen und hauptsächlich in den Rahmenabschnitten des Evangeliums und der Perikopen zu finden sei. 104 2.5 A. Denaux/ R. Corstjens (2009) Ein neues Instrument zur sprachlichen Arbeit am Lukasevangelium erschien 2009. 105 Die vollständige alphabetische Liste des Vokabulars des Lukasevan- 99 Vgl. zum Folgenden Jeremias, Sprache, 6ff. 100 Die blockweise Abwechslung von Markus- und Nicht-Markus-Stoff ist eine Beobachtung, die unabhängig von der Protolukashypothese gilt. Zum Nicht-Markus-Stoff rechnet Jeremias folgende Blöcke: Lk 1,5-4,30; 5,1-11; 6,20-8,3; 9,51-18,14; 19,1-27.39- 44; 21,34-38; 22,14-24,53 (vgl. Jeremias, Sprache, 7; zur Begründung vgl. ders., Neutestamentliche Theologie, 47-49). 101 Kowalski, Sprache I, 76. 102 Vgl. Jeremias, Sprache, 7. 103 Vgl. Jeremias, Sprache, 8. - Die Kriterien 1-3 und 5 decken sich mit denen Rehkopfs. 104 Vgl. Jeremias, Sprache, 8f. 105 Denaux/ Corstjens, Vocabulary. <?page no="30"?> 30 geliums bietet zu jedem Ausdruck erstens vergleichende statistische Angaben zum Vorkommen in Lk/ Apg, Mt und Mk, zweitens Angaben zu möglichen Wortbedeutungen, drittens eine vergleichende Liste von Wortgruppen, viertens eine vergleichende Liste von Wörtern und Wortgruppen, die charakteristisch für Lukas sind (mit explizitem Bezug auf Studien des 19. und 20. Jahrhunderts, die zu dieser Einschätzung kommen, und einer Auswertung durch Denaux/ Corstjens sowie einer von ihnen erstellten Liste) und schließlich einen Verweis auf relevante Literatur zu jedem Ausdruck. Das Werk bietet zudem einen historischen und kritischen Überblick über die Forschung zur lukanischen Sprache der letzten beiden Jahrhunderte und eine Liste von Wörtern und Wortgruppen, die nur in Lk und/ oder Apg begegnen. Als Grundsatzproblem halten Denaux/ Corstjens die Frage nach verlässlichen Kriterien für einen charakteristischen Sprachgebrauch fest. 106 Sie konstatieren, dass das Phänomen charakteristischer Sprachgebrauch zunächst auf der Ebene des Textes (nicht des Autors) betrachtet werden sollte, wobei klar zwischen Lk und Apg zu differenzieren sei. 107 Sie weisen weiter darauf hin, dass die Untersuchung charakteristischen Sprachgebrauchs nicht auf die lexikalische Ebene eingeschränkt zu betrachten sei, sondern morphologische, syntaktische und semantische Aspekte berücksichtigen müsse. 108 In ihrer eigenen Darstellung des charakteristischen lukanischen Sprachgebrauchs unterscheiden Denaux/ Corstjens zwischen „charakteristischen“ und „beachtenswerten“ Grundzügen lukanischer Sprache, wobei letztere numerisch-statistisch nicht nachweisbar sind, aber trotzdem den lukanischem Stil prägen. 109 Denaux/ Corstjens kategorisieren den charakteristisch lukanischen Wortschatz in drei Wahrscheinlichkeitsstufen 110 und halten dafür folgende Kriterien fest: 111 A: Wenn ein Wort oder eine Wortgruppe mindestens viermal in Lk vorkommt (davon mindestens dreimal in verschiedenem Kontext) und dabei niemals in Mt oder Mk, oder doppelt so häufiges in Lk als in Mt/ Mk zusammen. B: Wenn ein Wortes oder einer Wortgruppe mindestens viermal in Lk vorkommt und dabei viermal häufiger in Lk/ Apg als in Mt/ Mk. C: Wenn ein Wort oder eine Wortgruppe mindestens zwei- oder dreimal in Lk und in Lk/ Apg und in Lk/ Apg sechsmal und nicht in Mt/ Mk vorkommt oder viermal häufiger in Lk/ Apg als in Mt/ Mk. 106 Vgl. Denaux/ Corstjens, Vocabulary, XXV. 107 Vgl. ebd. 108 Vgl. Denaux/ Corstjens, Vocabulary, XXVI. 109 Denaux/ Corstjens, Vocabulary, XXVIIf. 110 Damit folgen sie Hawkins, Horae Synopticae. 111 Denaux/ Corstjens, Vocabulary, XXVIII. <?page no="31"?> 31 3 Studien zum S Lk 3.1 H. Klein (1987) Das S Lk besteht nach Klein aus mindestens drei Überlieferungsblöcken, der Kindheitsgeschichte, der Passionstradition sowie den Worten und Wundern Jesu. 112 Klein wendet sich gegen die Protolukasannahme von Jeremias. Die formalen Unterschiede der S Lk -Stoffe deuten nach Klein eher auf verschiedene Traditionsstränge hin. Dennoch sieht Klein genügend inhaltliche Gemeinsamkeiten, um deren ursprüngliche Zusammengehörigkeit aufzuzeigen. Dementsprechend sortiert er die Texte des S Lk nach neun inhaltlichen Kriterien (1. [Sabbat]heilungen, 2. Wundertaten, 3. Rechtfertigung der Sünderannahme, 4. Samaritaner, 5. Umkehr, 6. Umgang mit Gütern, 7. Gebet, 8. Einladungen, 9. Demut). Er kommt zu dem Ergebnis, dass das S Lk mit Ausnahme von Passionstradition und Kindheitsgeschichte Lukas als einheitlich geprägte mündliche Sammlung vorlag, die vom Grundthema Barmherzigkeit geprägt war. 113 Er nimmt an, dass das S Lk ursprünglich aramäisch überliefert war und erst nach der Zerstörung Jerusalems ins Griechische übersetzt wurde. Die das S Lk tradierende Gemeinde verortet Klein in Jerusalem, wahrscheinlich in Jakobuskreisen. 114 Am Schluss der Untersuchung steht die Rückfrage nach Jesus, weil „ein großer Teil der Überlieferung von Jesus selbst stammt […] Eine künftige Suche nach dem historischen Jesus wird also die Texte des S Lk nicht unbesehen in ein Konzept übernehmen oder von vornherein ausklammern, sondern sorgsam Jesus-Überlieferung und Botschaft der Gemeinde zu trennen versuchen.“ 115 Klein geht allerdings nicht auf die Frage ein, ob die Gemeinsamkeiten der Texte der vorlukanischen Redaktion entspringen oder ob Lukas möglicherweise die Texte nach inhaltlichen Kriterien aus der ihm vorliegenden Redaktion ausgewählt hat. 116 Er grenzt die Untersuchung auf Traditionen ein, die sich leicht in das theologische Gesamtbild des S Lk einordnen lassen. 117 Das ist methodisch fragwürdig. 3.2 B. Pittner (1991) Pittner verfolgt 1991 in seiner bei Schürmann angefertigten Dissertation 118 das Anliegen, das S Lk genauer als bisher von anderen Quellen und der lukanischen Redaktion abzugrenzen. 119 Er möchte der traditionsgeschichtlichen 112 Vgl. Klein, Barmherzigkeit, 12. - Klein verweist hier auf Schneider, Lukas, 28. 113 Vgl. Klein, Barmherzigkeit, 130ff. 114 Vgl. Klein, Barmherzigkeit, 133, insb. Anm. 2. 115 Klein, Barmherzigkeit, 137f. 116 Vgl. zur Auseinandersetzung mit Klein auch Pittner, Studien, 3f. 117 Vgl. Klein, Barmherzigkeit, 15. 118 Vgl. Pittner, Studien. 119 In der mangelnden Abgrenzung von vorlukanischer und lukanischer Redaktion sieht Pittner eine Schwäche der Untersuchung Kleins (vgl. Pittner, Studien, 3). <?page no="32"?> 32 Erforschung des S Lk durch die Untersuchung seiner sprachlichen 120 , theologisch-inhaltlichen und formalen Charakteristika den Weg bereiten. 121 Er grenzt Lk 1-2 und Lk 22-24 sowie „unsichere“ S Lk -Texte aus und erhält so 19 Perikopen als Untersuchungsbasis. 122 Seine sprachliche Untersuchung von Vorzugswörtern, besonderen Wortbedeutungen und grammatischen Wendungen ergibt 15 sprachliche Besonderheiten des S Lk . Methodischer Grundsatz Pittners ist, dass eine unlukanische Spracheigentümlichkeit nur dann als typisch für das S Lk gelten kann, wenn sie dort an mindestens drei Stellen vorkommt. Er kommt zu dem Schluss, dass seine im Anschluss an Rehkopf, Schürmann und Jeremias aufgestellten sprachlichen Kriterien zur Abgrenzung von vorlukanischer Tradition und lukanischer Redaktion im Verbund mit theologischen und formkritischen Untersuchungen tauglich sind. 123 Bei der theologisch-inhaltlichen Untersuchung der Texte des S Lk ist er sich der Schwierigkeit bewusst, dass Lukas „das Sondergut gewiß unter dem Aspekt der ihm wichtig erscheinenden Motive und Themen ausgewählt und aufgenommen“ 124 hat. Pittner sucht deshalb besonders nach Motiven, die zur lukanischen Theologie in Spannung stehen. Er beschränkt sich des Weiteren auf die synchrone Untersuchung der Motive im Vergleich auch mit der Apostelgeschichte und klammert die motivgeschichtliche Untersuchung aus. 125 Als Ergebnis hält er fest, dass die Mehrzahl der Texte des S Lk durch theologische Färbung, jüdische Prägung, erzählerischen Charakter und paränetische Ausrichtung ausgewiesen sei, und leitet daraus einen gemeinsamen traditionellen Hintergrund ab. Mit Zurückhaltung wertet er deshalb auch die theologisch-inhaltliche Untersuchung als brauchbares methodisches Kriterium zur Abgrenzung des S Lk . 126 120 Bei der sprachlichen Untersuchung stützt er sich im Wesentlichen auf die Kriterien von Rehkopf, Schürmann und Jeremias (vgl. Pittner, Studien, 15 Anm. 35), obgleich er die Ergebnisse ihrer Untersuchungen für eine genauere Charakterisierung des Lukassonderguts aufgrund der von ihnen angenommenen Protolukashypothese, der Einbeziehung zweifelhafter Texte und der mangelnden Kenntnisnahme von Lukas als Schriftsteller als wenig geeignet betrachtet (vgl. Pittner, Studien, 13). 121 Vgl. Pittner, Studien, 9. 122 Vgl. Pittner, Studien, 11. - Er beruft sich für die Kriterien der Ausgrenzung auf Schürmann und Lukaskommentare (vgl. Pittner, Studien, 10, insb. Anm. 28). Pittner untersucht Lk 7,12-18; 7,36-50; 10,29-37; 11,5-8; 12,13-15.16-21; 14,7-11 (ohne v. 11); 15,11- 32; 16,1-8.19-31; 18,1-8a.9-14*; 19,1-10. 123 Vgl. Pittner, Studien, 15.43.155. - Pittner wendet die Kriterien Rehkopfs an (vgl. Rehkopf, Sonderquelle, 7), fügt jedoch das Kriterium des dreimaligen Vorkommens im S Lk hinzu. 124 Vgl. Pittner, Studien, 46. 125 Vgl. Pittner, Studien, 47. - Pittner behandelt I. Theologische Motive, II. Christologische Motive, III. Soteriologische Motive, IV. Ekklesiologische Motive, V. Ethische Motive, VI. Eschatologische Motive, VII. Jüdische Motive. 126 Vgl. Pittner, Studien, 105ff.156. <?page no="33"?> 33 Bei der formkritischen Untersuchung sieht Pittner das Desiderat einer Typisierung aller Texte des S Lk . 127 Er untersucht Gleichnistexte (Parabeln und Gleichnistexte) und Jesuserzählungen (Wundererzählungen und Gastmahlgeschichten) und stellt abschließend formale Gemeinsamkeiten aller untersuchten Texte des S Lk dar, die im Lukasevangelium und der Apostelgeschichte nicht zu finden seien. 128 Er hält deshalb für wahrscheinlich, „daß die Texte des lukSg bereits vorlukanisch ihre besondere Form erhalten haben“ 129 . Außerdem weise palästinensisches Lokalkolorit darauf hin, dass die Texte in jüdischem Umfeld und im Umkreis Palästinas ihre Prägung erhalten hätten. Auch die formkritische Untersuchung hält Pittner als dritten Methodenschritt für die Abgrenzung des S Lk von lukanischer Redaktion für unerlässlich. 130 Ergebnis der Untersuchung ist, dass die Texte des S Lk zwar Gemeinsamkeiten haben, jedoch keine traditionsgeschichtliche Einheit bilden, wenig hellenistisch gefärbt sind und palästinensisches Lokalkolorit aufweisen. 131 Die Stärke der Untersuchung Pittners liegt darin, dass sie sprachliche, theologisch-inhaltliche und formale Kriterien miteinander verbindet. Pittner ist sich dessen bewusst, dass seine Arbeit einen teilweise eher oberflächlichen Gesamtüberblick bietet, ohne eine systematische Untersuchung zu leisten, die er aber durchaus als notwendig betrachtet. 132 3.3 K. Paffenroth (1997) Die Studie von Paffenroth 133 betrachtet 197 Verse in Lk 3-19 als Bestandteil einer einheitlichen vorlukanischen Quelle, die von Mk und Q unterschieden ist. Die Studie beinhaltet eine Analyse des Vokabulars, Stils, der Form und des Inhalts des Sondergutmaterials. Die Untersuchung schließt mit der Darstellung der wahrscheinlichen Struktur und des Aufbaus des S Lk , das als schriftliche Quelle betrachtet wird, die mit einer Zöllnergeschichte begonnen und geendet hat (Lk 3,10-14; 19,2-10). Paffenroth charakterisiert das S Lk als Spruchsammlung mit einigen biografischen Erzählungen und betrachtet das Interesse an Besitzfragen, Zöllnern und Frauen als prägend für das S Lk . 134 127 Vgl. Pittner, Studien, 109. - Eine formkritische Analyse des gesamten S Lk steht bis heute aus. Die Gleichnisse des S Lk sind präzise bei Dorn, Gleichnisse, und Heininger, Sondergutgleichnisse, untersucht. Auch in der 2001 erschienenen Habilitationsschrift von von Bendemann, DOCA , sind die Gleichnisse des Reiseberichts präzise analysiert. 128 Vgl. Pittner, Studien, 152. 129 Pittner, Studien, 150f. 130 Vgl. Pittner, Studien, 156. 131 Vgl. Pittner, Studien, 155. 132 Vgl. Pittner, Studien, 158f. 133 Vgl. Paffenroth, Story of Jesus. 134 Vgl. Paffenroth, Story of Jesus, 121. - Zur Auseinandersetzung mit Paffenroth vgl. von Bendemann, DOCA , 60 Anm. 34. <?page no="34"?> 34 4 Studien zu ausgewählten Texten des S Lk 4.1 K. Bornhäuser (1934) Bornhäuser erklärt in seiner Studie 135 zehn Texte des S Lk unter zeitgeschichtlicher und psychologischer Perspektive (Lk 3,1-18; 4,16-30; 5,1-11; 7,11-17; 10,25-37; 12,13-34; 13,1-9; 15,11-32; 16,16-31; 18,1-8). Die Frage nach ihrem Zusammenhang und ihrer Tradition stellt Bornhäuser jedoch nicht. 4.2 K. Dorn (1987) Dorn untersucht in seiner Dissertation 136 die lukanischen Sondergutgleichnisse auf mögliche Q-Zugehörigkeit. Als Ergebnis hält Dorn fest, dass außer den mit „ tißw eöc uÖmvqn “ eingeleiteten Fragegleichnissen alle S Lk -Gleichnisse wohl tatsächlich lukanisches Sondergut sind. 137 Hauptargumente für die Q-Zugehörigkeit jener Gleichnisse sind, dass sie auch nach Abzug lukanischer Redaktion in Q-Kontexten stehen oder sprachliche Reminiszenzen wahrscheinlich machen, dass sie Matthäus bekannt waren. 138 Aufgrund der redaktionellen Interpretationsverse hält er eine lukanische Autorschaft für unwahrscheinlich. 4.3 B. Heininger (1988) Heininger widmet seine Untersuchung 139 der Exegese der zwölf Sondergutgleichnisse, die er in Gleichniserzählungen und Fragegleichnisse einteilt, und füllt so eine Forschungslücke. 140 Den methodischen Rahmen bilden die klassischen exegetischen Schritte „Literarkritik, Formbeschreibung und Gattungsbestimmung, Interpretation der abgegrenzten Einheiten mit Rücksicht auf ihre Traditionsgeschichte, was die Rückfrage nach dem historischen Jesus miteinschließt. Überlegungen zur Redaktion schließen sich an.“ 141 Heininger weist am Beispiel der Einleitungswendung „ aänjrvpoßw tiw “ auf die Problematik der Scheidung von Tradition und Redaktion hin: „J. Jeremias weist z.B. die Einleitungswendung aänjrvpoßw tiw der Tradition zu, da sie nur in S Lk und darüber hinaus noch einmal in Apg 9,33 vorkommt, Lukas auf der anderen Seite aber viermal aänjrvpow von Mk übernimmt, ohne tiw hin- 135 Bornhäuser, Studien. 136 Vgl. Dorn, Gleichnisse. 137 Vgl. Dorn, Gleichnisse, 181. 138 Vgl. Dorn, Gleichnisse, 206. - Zum Argument der sprachlichen Reminiszenzen vgl. auch die Studie von Schürmann, Sprachliche Reminiszenzen. 139 Heininger, Sondergutgleichnisse. 140 Die Untersuchung von Dorn (Gleichnisse) ist quellenkritisch ausgerichtet. 141 Heininger, Sondergutgleichnisse, 5. <?page no="35"?> 35 zuzufügen. Paradoxerweise wertet G. Sellin genau dieselbe Information für einen gegenteiligen Befund aus (Redaktion).“ 142 Heininger kommt in seiner Analyse zu differenzierten traditionsgeschichtlichen Ergebnissen für die untersuchten Gleichnisse. 143 In Bezug auf die Quellenkritik ergibt die Analyse Heiningers, dass die S Lk -Gleichnisse weder von Lukas stammen noch, mit Ausnahme von 15,8ff, aus Q. 144 Zusammenfassend hält er fest, dass die von ihm untersuchten Gleichnisse sich im Laufe ihrer Überlieferung veränderten und zwei bis drei Traditionsstufen durchliefen. Ihr vorlukanischer Sitz im Leben ist nach Heininger unsicher, doch hält er einige Indizien fest. So verweise Lk 18,6-8a auf palästinischapokalyptisches Milieu, während Lk 12,16f. „Reichtumsparänese in weisheitlichem Gewand“ sei und sich auf die Probleme einer sich einrichtenden Gemeinde beziehe. 145 Der Sitz im Leben von Lk 18,6-8a (so wie Lk 16,8b) auf der einen und Lk 12,16f auf der anderen Seite sei also in unterschiedlichen Gemeinden zu lokalisieren. Die Sondergutgleichnisse haben nach der Analyse Heiningers also keinen einheitlichen Sitz im Leben. 146 Mit Ausnahme von Lk 12,16-20 hält Heininger in allen Gleichnissen authentische Jesustradition für möglich. 147 Der Schwerpunkt von Heiningers Studie liegt auf der gattungskritischen Analyse der S Lk -Gleichnisse. Heininger hält fest, dass nur zwischen „Fragegleichnissen“ (eingeleitet mit tißw eöc uÖmvqn ) und Gleichniserzählungen (eingeleitet mit aänjrvpoßw tiw ) zu differenzieren sei. Die „Parabel“ definiert er als Beispielerzählung, da Lukas beide Typen als Handlungsmodelle verstehe. 148 Ein formales Charakteristikum für das lukanische Sondergut scheint die häufige Präsentation von „Identifikationsfiguren“ zu sein. 149 Heininger betont stark die paränetische Intention der Gleichnisse, die Antwort geben auf die Frage: „Was sollen wir tun? “ 150 4.4 U. Mittmann-Richert (1996) Mittmann-Richert stellt in ihrer Dissertation „Magnifikat und Benediktus“ 1996 die traditionsgeschichtliche Rückfrage nach der Herkunft des Gedankenguts der Texte, die sonst am Schluss exegetischer Untersuchung steht, 142 Heininger, Sondergutgleichnisse, 4. - Heininger verweist hier auf Jeremias, Tradition, 182 und Sellin, Gleichniserzähler, 35. 143 Vgl. Heininger, Sondergutgleichnisse, 220ff. 144 Vgl. ebenso Dorn, Gleichnisse, 206. 145 Vgl. Heininger, Sondergutgleichnisse, 219. 146 Vgl. Heininger, Sondergutgleichnisse, 220. 147 Vgl. Heininger, Sondergutgleichnisse, 221. 148 Vgl. Heininger, Sondergutgleichnisse, 223. 149 Diese lassen auch Schlüsse auf den Sitz im Leben zu (vgl. Heininger, Sondergutgleichnisse, 220ff). Vgl. dazu auch Petzke, Sondergut, 249ff. 150 Vgl. Heininger, Sondergutgleichnisse, 226. <?page no="36"?> 36 bewusst an den Anfang. 151 Die Arbeit Mittmann-Richerts unterscheidet sich von der vorliegenden Untersuchung durch die schmalere Textbasis, ist jedoch in methodischer Hinsicht der überlieferungsgeschichtlichen Rückfrage nach den besitzethischen Texten des S Lk ähnlich. Nach der Analyse des alttestamentlichen Hintergrunds und des literarischen Bestands der Texte wendet sich Mittmann-Richert der Frage nach dem Entstehungskreis der Hymnen zu. Sie analysiert die Text- und Traditionsstruktur der Hymnen und diskutiert so als erste sämtliche Einzelthesen, die mit der Annahme einer nichtchristlich-jüdischen Herkunft verbunden sind. 152 Zunächst weist sie Versuche zurück, die die Hymnen zeitgeschichtlich zu verankern suchen. 153 Dann setzt sie sich mit Gunkels These der gattungsgeschichtlichen Klassifizierung der Hymnen als eschatologischen Lobliedern auseinander, die eine jüdische Herkunft ohne konkrete historische Einordnung plausibel machen könnte. 154 Diese erscheint ihr aufgrund der implizierten literarkritischen Entscheidung problematisch, weshalb sie nichtalttestamentliche zeitgenössische Hymnen zum Vergleich heranzieht, wobei die Analyse der qumranischen Hymnen breiten Raum einnimmt. Eine direkte Traditionsverbindung zwischen lukanischen und qumranischen Liedern besteht nach Mittmann-Richert jedoch nicht. 155 Die verbleibende Möglichkeit für einen jüdischen Ursprung der Hymnen bilden als Mittelweg zwischen jüdischer und christlicher Herkunft die Kreise um Johannes den Täufer. Aus inhaltlichen Gründen, wegen mangelnder früher, direkter Zeugnisse für eine messianische Verehrung des Täufers, hält sie auch diese These für nicht vertretbar. 156 Somit geht sie von einer christlichen Herkunft der Hymnen aus. Um das theologische Selbstverständnis der für das Magnifikat und Benediktus verantwortlichen Gemeinde weiter zu erhellen, erscheint ihr die sprachliche Analyse im Rahmen der Frage nach der Originalsprache der Hymnen als objektives Kriterium angemessen. 157 Das Untersuchungsergebnis, die ursprüngliche Abfassung der Hymnen in Hebräisch, lässt Mittmann-Richert in die Nähe der Jerusalemer Urgemeinde gelangen, zumindest kann sie jedoch ihren Ursprung im Zuge späterer Legendenbildung ausschließen. 158 Von hier aus fragt sie weiter traditionsgeschichtlich zurück. Die Analyse der Hymnen führt zu dem Ergebnis, dass das Motiv der leiblichen Geburt des gottgesandten Erlösers ursprünglich christlich ist und nicht aus fremden griechischen oder orientalischen Einflüssen stammt. 159 Der Erzählkranz der 151 Vgl. Mittmann-Richert, Magnificat und Bendictus, 5. 152 Vgl. Mittmann-Richert, Magnificat und Benedictus, 69. 153 Vgl. Mittmann-Richert, Magnificat und Benedictus, 69ff. 154 Vgl. Mittmann-Richert, Magnificat und Benedictus, 77f. 155 Vgl. Mittmann-Richert, Magnificat und Benedictus, 90. 156 Vgl. Mittmann-Richert, Magnificat und Benedictus, 93. 157 Vgl. Mittmann-Richert, Magnificat und Benedictus, 100ff. 158 Vgl. Mittmann-Richert, Magnificat und Benedictus, 132. 159 Vgl. Mittmann-Richert, Magnificat und Benedictus, 224. <?page no="37"?> 37 Kindheitserzählungen habe sich aus den beiden ersten lukanischen Hymnen und dem Sohnesverheißungsorakel an Maria entwickelt. 4.5 J.M. Harrington (2000) Harrington legt in seiner Studie 160 einen knapp 700(! ) Seiten umfassenden Forschungsbericht zur quellenkritischen Forschung am Lukasevangelium von 1885 bis in die Gegenwart vor. 161 Darauf folgt die überarbeitete Dissertation Harringtons zur Herodesperikope Lk 23,6-16. Die Analyse der Perikope stützt Harringtons Ablehnung einer einheitlichen S Lk -Quelle, da er auch in Lk 23,6-16 deutliche Abhängigkeiten von Mk sieht und somit Mk als Grundlage des lukanischen Passionsberichtes annimmt. 162 5 Neuere Studien zum Lukasevangelium 5.1 J. Verheyden (Hg.) (1999) Die von Verheyden edierte Aufsatzsammlung 163 enthält Studien, die den einheitlichen Entwurf des lukanischen Doppelwerkes aus verschiedenen Perspektiven beleuchten. Delobel setzt sich dort in einem Aufsatz mit neueren Theorien zur Überlieferung des Texts des Lukasevangeliums auseinander. 164 Hinsichtlich der Quellenkritik des Lukasevangeliums sieht er sich einer Überzahl an Hypothesen gegenüber: „Entia non sunt multiplicanda“ 165 - Delobel plädiert deshalb hinsichtlich des Sonderguts dafür, die Möglichkeiten der Zuschreibung der Stoffe zur lukanischen Redaktion, Mk, Q und mündlichen Quellen auszuschöpfen. Die von Delobel eingeforderte Differenzierung zwischen „Sondergut“ und „Sonderquelle“ 166 ist methodische Grundlage der vorliegenden Studie. 5.2 R. von Bendemann (2001) Von Bendemann bestreitet in seiner Habilitationsschrift 167 die Existenz eines lukanischen Reiseberichts. 168 Nach einer Darstellung der kontroversen Ansätze in der Forschung zum Reisebericht stellt er die exegetischen Fragen nach seiner literarischen Funktion im Evangelium und seiner form- und 160 Vgl. Harrington, Passion Narrative. 161 Vgl. Harrington, Passion Narrative, 3-692. 162 Vgl. Harrington, Passion Narrative, 802. 163 Verheyden, Unity. 164 Vgl. Delobel, Text. 165 Delobel, Text, 99. 166 Ebd. 167 Von Bendemann, DOCA , 51-55. 168 Zur Auseinandersetzung mit der These von Bendemanns vgl. Schnelle, Einleitung, 293f. Anm. 376. <?page no="38"?> 38 traditionsgeschichtlichen Zuordnung neu. 169 Die umstrittenen Fragen nach den Quellen, Traditionen und lukanisch-redaktionellen Anteilen im „Reisebericht“ möchte er ebenso beleuchten wie die inhaltlich-theologische Einordnung der dort vorhandenen Stoffe in das gesamte lukanische Werk. 170 Folglich wendet er die klassischen exegetischen Methoden zur Untersuchung der Texte des Reiseberichts an. Bewusst steckt er den Analyserahmen weit und analysiert den Textbestand Lk 8,1-21,38. Der erste methodische Schritt ist die diachrone Analyse der Textbasis, die über die der Studie zugrundegelegten Annahmen hinsichtlich der Rezeption des Markusstoffes, der Q-Anteile, der lukanischen Redaktion und der Sondergutstoffe in Lk 8,1- 21,38 Rechenschaft gibt. Prinzipiell geht von Bendemann für das Lukasevangelium von der Zwei-Quellentheorie aus und nimmt das Sondergut nicht als einheitlichen Überlieferungsstrang an. 171 Von Bendemann kommt zu dem Ergebnis, dass Lukas auch in Lk 8,1-21,38 die Markusvorlage rezipiert hat. Dies spricht gegen die Protolukashypothese. 172 Von Bendemann bietet eine tabellarische Übersicht über die Q-, S Lk - und Lk-Red-Anteile in Lk 8,1-21,38. 173 In den Appendices stellt er die detaillierten Begründungen seiner quellenkritischen Entscheidungen dar. 174 Zusammenfassend hält er in Bezug auf das Sondergut fest, dass keine durchlaufende Vorlage nachweisbar sei 175 , Lk 8,1- 21,38 synthetischen Charakter besitze und die in Lk 15f gehäuft auftretenden Sondergutstoffe nicht als einfache Narrativierung von Q-Material zu erklären seien. 176 Die Bestimmung des Umfangs des S Lk hält er wegen der Problematik der Abgrenzung von Tradition und Redaktion für die schwierigste Frage. Nach von Bendemann existieren keine sicheren Indizien für das S Lk als feste Quellengröße, hinter der ein bestimmbarer Sitz im Leben oder eine fassbare Gemeinde stünden. Die vorliegende Studie rezipiert die quellenkritischen Erwägungen von Bendemanns zum Sondergut kritisch und greift die Frage nach dem Sitz im Leben sowie Überlieferungsgeschichte und -milieus des S Lk neu auf. 169 Vgl. von Bendemann, DOCA , 5ff. 170 Vgl. von Bendemann, DOCA , 45f. 171 Von Bendemann verweist darauf, dass die Protolukashypothese wieder Anhänger gewinne ( DOCA , 49 Anm. 2). 172 Vgl. von Bendemann, DOCA , 51-55. 173 Vgl. von Bendemann, DOCA , 55-57. 174 Vgl. von Bendemann, DOCA , 413ff. 175 Diese Ansicht resultiert aus von Bendemanns Zentralthese, dass der sog. „Reisebericht“ keine selbständige, abgegrenzte Form im Lukasevangelium darstelle und insgesamt synthetischen Charakter besitze. 176 Vgl. von Bendemann, DOCA , 57f.60. <?page no="39"?> 39 5.3 L. Bormann (2001) Bormann begründet in seiner Habilitationsschrift 177 die These, dass das Lukasevangelium „die in der Verkündigung Jesu gegebene Spannung zwischen weisheitlicher Lebensbewältigung und Reich-Gottes-Verkündigung“ aufgreift und sie als das „prekäre Verhältnis von Rechtsordnung und Gerechtigkeitsforderung“ 178 reflektiert. Im ersten Hauptteil untersucht Bormann die Beziehung zwischen Recht und Religion in der Antike (bei den Griechen, in Rom und im Judentum). Bei der Analyse der Rechtsterminologie (zweiter Hauptteil) differenziert Bormann auf der Grundlage der Zweiquellentheorie Quellen und die Redaktionsschichten des Lukasevangeliums. Im dritten Hauptteil untersucht Bormann das gesamte Lukasevangelium und beschränkt sich nicht auf „programmatische“ Texte, mit dem Ziel „sowohl die Einzeltexte als auch die kompositorischen Zusammenhänge“ 179 ausreichend zu erfassen. Er geht bei der Analyse in drei Schritten vor: 1. Zusammenstellung der rechtsterminologischen Begriffe für den jeweiligen Text; 2. Untersuchung der von Lukas neu gesetzten Akzente; 3. Interpretation der Texte. Als Ergebnis hält er im Schlussteil in Bezug auf die lukanische Redaktion folgendes fest: In den ältesten Überlieferungen der Lehre Jesu aufgegriffen sei „das prekäre Verhältnis von Recht und Gerechtigkeit […] als Spannung zwischen weisheitlicher Lebensordnung und eschatologischer Gerechtigkeitsforderung“ 180 zentral gewesen. Die vorlukanische Tradition hätte dies in Relation zu den sozialen Beziehungen der Alltagswelt (Familie, Dorfgemeinschaft) der Menschen gesetzt, die Hörer der Botschaft Jesu wurden. Dass die Alltagswelt von einer höheren Rechtsordnung bestimmt ist, komme besonders durch den Prozess Jesu in den Blick, der „seine Anhänger unausweichlich mit der hohen Politik“ 181 konfrontiere. Zu „terminologischer, narrativer und - in Ansätzen - auch begrifflicher Klarheit“ komme „die im Prozeß Jesu vermittelte Erfahrung“ 182 erst durch die lukanisch-redaktionelle Überarbeitung. Vom Prozess und der Hinrichtung Jesu zurückblickend ordne Lukas die Jesustraditionen neu, „um die aösfaßleia der Ereignisse zu erweisen, die die Verkündigung der Kirche begründen“ 183 . Die Gestaltungsmöglichkeiten des Lukas seien dadurch begrenzt, dass er an einer Überlieferung arbeite, die bereits eine feste narrative Struktur aufweise. Lukas bringe die ihm vorgegebene Überlieferung „in eine neue Form, die die Grundstrukturen der Welt aufnimmt, in die hinein die Jesusverkündigung ergeht, nämlich die durch 177 Vgl. Bormann, Recht. 178 Bormann Recht, 13. 179 Bormann, Recht, 14. 180 Bormann, Recht, 356. 181 Ebd. 182 Bormann, Recht, 357. 183 Ebd. <?page no="40"?> 40 Recht und Gerechtigkeit geordnete Welt des palästinischen Judentums“ 184 . Dieses sei bestimmt „durch den Bruch zwischen Volk und Führung (7,29f.; 20,6)“ 185 . Lukas setzt literarische Mittel ein, „die die Jesusüberlieferung dem Blick von außen attraktiver und verständlicher erscheinen lassen“ 186 , z.B. Betonung der Öffentlichkeit des Wirkens Jesu. Die äußere, politische Geschichte mache „dem antiken Leser das Wirken und das Schicksal Jesu auch ohne besondere Vertrautheit mit der jüdisch-biblischen Tradition zugänglich“ 187 . Die innere, theologische Geschichte sei mit dieser verwoben durch die „Sehnsucht, die sich auf den Gott richtet, der sich in der Geschichte seines Volkes und in der Erhaltung der Schöpfung als der gerechte und barmherzige Gott erwiesen hat“ 188 . Zwischen diesen beiden Geschichten stehe „die Jüngergemeinschaft, die eökklhsißa und damit auch die Gemeinde des Lukas“ 189 . Lukas habe aus der Weisheitstradition die „Frage nach der Bewährung des der Weisheitslehre gemäßen Lebens angesichts der durch das biologische Leben gesetzten Grenzen“ 190 aufgegriffen, die durch Jesu Forderungen nach Gewalt- und Rechtsverzicht und Feindesliebe verschärft worden sei. Der lukanische Jesus verheiße an den sich daraus ergebenden Grenzpunkten den Beistand des bzw. die Teilhabe am pneuqma . 191 Die vorliegende Untersuchung arbeitet mit eben den quellenkritischen Grundentscheidungen, die Bormann in Bezug auf Mk, Q und das S Lk getroffen hat. Festzuhalten ist: Der vom IQP rekonstruierte Q-Text ist im Wesentlichen als Basis anzuerkennen. 192 Lukanisches Sondergut sind formal die Texteinheiten, „die weder im Mk noch in Mt vorkommen und durch ihren Umfang oder ihre formgeschichtliche Geschlossenheit vom Kontext isoliert werden können“ 193 . Das methodische Programm (1. Zusammenstellung der rechtsterminologischen Begriffe für den jeweiligen Text; 2. Untersuchung der von Lukas neu gesetzten Akzente; 3. Interpretation der Texte) hat sich in Bormanns Untersuchung als effektiv und ertragreich erwiesen und wird in der vorliegenden Studie analog angewandt (1. Analyse der Texte anhand thematischer Leitfragen; 2. Untersuchung der von Lukas gesetzten Akzente (Redaktionskritik), 3. Schlussfolgerung für die Beschreibung der Lenkung des Diskurses um Armut und Reichtum durch Lukas). 184 Ebd. 185 Ebd. 186 Bormann, Recht, 358. 187 Ebd. 188 Ebd. 189 Bormann, Recht, 359. 190 Ebd. 191 Vgl. ebd. 192 Vgl. Bormann, Recht, 109. 193 Bormann, Recht, 110. <?page no="41"?> 41 5.4 C. Heil (2003) Das Hauptinteresse der Untersuchung Heils 194 ist es, „die Art und Weise, wie Lukas seine Q-Vorlage redigiert“ 195 , transparent zu machen. Der Autor ist sich dessen bewusst, dass „jede Q-Rekonstruktion ein bestimmtes Bild lukanischer Redaktionstätigkeit“ voraussetzt, und man daher einwenden könnte, dass „die jeweilige Q-Rekonstruktion die Art und Weise, wie Lukas Q redigiert habe, schon festlegt“ 196 . Den durch das IQP rekonstruierten hypothetischen Q-Text hält er jedoch für ausreichend objektiv (unterschiedliche wissenschaftliche „Schulen“ der am Projekt beteiligten Mitarbeiter, Beachtung forschungsgeschichtlicher Sammlungen, eigene Forschung), um als Grundlage für seine Untersuchung zu dienen. 197 Diese Prämisse ist umstritten. So urteilt Schröter: „Der Preis dieses Zugangs ist hoch, werden doch etliche Fragen, wie etwa die nach dem Einfluss der mündlichen Überlieferung, nach verschiedenen Weiterentwicklungen von Q vor den Rezeptionen durch Mt und Lk oder nach dem keineswegs geklärten Umfang von Q […] bereits im Ansatz beiseite geschoben.“ 198 Im exegetischen Hauptteil der Untersuchung analysiert Heil den Schlussteil von Q (Q 13-17; 22,28.30). Die Analysen sind zweigeteilt: Auf eine Rekonstruktion des Q-Textes folgt jeweils die Auswertung der lukanischen Redaktion. 199 Im dritten Teil der Arbeit systematisiert Heil die Ergebnisse hinsichtlich der literarischen Gattung von Q, verortet sie sozialgeschichtlich und bietet einen Querschnitt zu theologischen Themen in Q. Für die vorliegende Untersuchung relevant sind Heils Schlussfolgerungen zur sozialgeschichtlichen Fragestellung von „Arm und Reich“ und der diesbezüglichen redaktionellen Arbeit von Lukas. 200 Heil beschränkt sich im Wesentlichen auf folgende Aspekte: 201 Aus der lukanischen Redaktion von Q 11,41 und Lk 19,8 folgert er, dass Lukas in besonderer Weise das Almosengeben akzentuiert, also einen Ausgleich zwischen Arm und Reich empfiehlt. 202 Ziel des Lukas sei letztlich die „Wiedereingliederung der […] ‚Elenden‘ ( ptvxoiß ) in die Gemeinde bzw. in die Gesellschaft“ 203 . Lukas schreibe 194 Vgl. Heil, Lukas. 195 Heil, Lukas, 1. 196 Heil, Lukas, 2. 197 Heil, Lukas, 8. 198 Schröter, Heil, 1284. 199 Die Fragerichtung und Methodik der vorliegenden Arbeit ist - bei unterschiedlicher Textbasis - mit diesem Abschnitt der Untersuchung Heils deckungsgleich. 200 Vgl. Heil, Lukas, 239-246. 201 Heil präsentiert hier nur in Ansätzen Ergebnisse seiner Untersuchung und greift im Wesentlichen auf vorgängige Untersuchungen zurück. 202 Vgl. Heil, Lukas, 244. 203 Heil, Lukas, 244f. <?page no="42"?> 42 „auch aus der Perspektive von Menschen, die die Not ihrer Mitmenschen lindern können“ 204 . Diese motiviere er vor allem mit dem Lohngedanken. 205 6 Studien zu Armut und Reichtum/ Umgang mit materiellen Gütern in Lk 6.1 L. Schottroff/ W.Stegemann (1979. ³1990) In der Studie von Schottroff und Stegemann 206 werden mehrere Perikopen aus dem S Lk analysiert, die sich mit dem Thema „Armut und Reichtum/ Geld und Macht“ beschäftigen. Betont wird, dass die radikale Nachfolge und der Besitzverzicht der Jünger zur Zeit Jesu sich von der lukanischen Behandlung des Themas unterscheidet. Die Studie setzt bei der Untersuchung der Situation der lukanischen Gemeinde an und expliziert die Utopie der sozial ausgeglichenen Gemeinde als Konzept des Lukas. 6.2 F. W. Horn (1983) Mit Schottroff und Stegemann setzt auch Horn 207 bei den sozialen Konflikten in der lukanischen Gemeinde an und betont die Unterscheidung zwischen der Zeit der Nachfolge Jesu und der Zeit des Evangelisten. Im Gegensatz zu Schottroff und Stegemann ist Horns Arbeit redaktionskritisch ausgerichtet, wobei er von der Priorität der Apostelgeschichte gegenüber dem Evangelium ausgeht. 208 Horn sieht sich vor der Frage, „wie die scheinbar unterschiedlichen Aussagereihen in Lk/ Apg einander zuzuordnen sind. Hier ‚Ebionitismus’ […], dort aber Sozialismus“ 209 . Dementsprechend ist das traditionsgeschichtliche Interesse Horns auf die Herkunft der ebionitischen Traditionen im Lukasevangelium gerichtet. Er analysiert die ebionitisch geprägten Texte des Lukasevangeliums Lk 1,46-55 (Magnificat); 6,20-26 (Weherufe); 16,19-26 (Reicher Mann und armer Lazarus), die alle der S Lk -Überlieferung zuzurechnen sind, traditionsgeschichtlich. Im Ergebnis sieht er zwar einige S Lk -Texte (z.B. Lk 18,10-14) vom ebionitischen Motiv der Umkehrung geprägt, doch grenzt er die ebionitische Theologie in ihrer Schärfe und Schroffheit von der S Lk -Theologie ab. 210 Er hält die kontinuierliche Existenz einer Armenpartei im antiken Judentum für unwahrscheinlich. Den Ursprung der ebionitischen Traditionen im Lukasevangelium sieht er deshalb in der Armutstradition der Logienquelle. 211 Lukas habe die ebioniti- 204 Heil, Lukas, 245. - Heil verweist auf Lk 1,3; 8,3; Apg 1,1; 10; 13,1; 17,34. 205 Vgl. Lk 6,24-26; 12,15.21.33f.; 14,12-14; 16,9. 206 Schottroff/ Stegemann, Jesus von Nazareth. 207 Vgl. Horn, Glaube und Handeln. 208 Vgl. Horn, Glaube und Handeln, 22. 209 Horn, Glaube und Handeln, 32. 210 Vgl. Horn, Glaube und Handeln, 121-168, insb. 154f. 211 Vgl. Horn, Glaube und Handeln, 168. <?page no="43"?> 43 schen Traditionen übernommen, deren Sitz im Leben aber nicht mehr geteilt. Für Lukas sind die radikalen ebionitischen Traditionen nur ein Element seiner Paränese, das auf die allgemeine Mahnung zum „Bruch mit dem bisher Bestimmendem im Leben“ gerichtet ist. Horns Studie nimmt die Besitzethik des gesamten lukanischen Werks in den Blick, die traditionsgeschichtliche Rückfrage richtet sich dagegen nur auf das ebionitisch geprägte Material. Sie ist von dem Interesse geleitet, Lukas von jeglichem Verdacht des Ebionitismus bzw. Pauperismus freizusprechen. 212 Da der Ebionitismus eine historisch umstrittene Kategorie ist, sind die traditionsgeschichtlichen Ergebnisse Horns mit Zurückhaltung zu bewerten. 6.3 T.E. Schmidt (1987) Schmidt möchte mit seiner Studie 213 auf das Desiderat der traditionsgeschichtlichen Erforschung der Tradition des Motivs „Hostility to Wealth“ reagieren. Er stellt fest, dass die Forschung sich hauptsächlich der „reconstruction of the social situation in which the material appears“ 214 gewidmet hat, und verweist auf die Studien Theißens, Mealands und Gagers 215 . Er selbst möchte „the development of the tradition in logical and chronological sequence from its origin to the New Testament period“ 216 beschreiben. Nach Schmidt wurden bisher gerade bei der Untersuchung nur eines Evangeliums oder einer Quelle vorhandene Unterschiede nivelliert. Als Grundthese seiner Untersuchung formuliert er: „Hostility to wealth exists independently of socio-economic circumstances as a fundamental religiousethical tenet consistently expressed in the synoptic Gospels.“ 217 Im ersten Teil seiner Studie „Hostility to Wealth and Sociological Method“ weist er die soziologische Methode Theißens und anderer zurück, da diese die historischen Gegebenheiten falsch interpretiere. 218 Der zweite Teil der Studie „Hostility to Wealth as a Developing Tradition“ ist eine Reaktion auf die in den Augen Schmidts ungenügende Berücksichtigung des literarischen Hintergrunds durch Theißen und andere. 219 Der dritte Teil seiner Studie ist dem Vergleich der Ausprägung der Reichtumskritik in den drei synoptischen Evangelien gewidmet. In Bezug auf den reichtumskritischen Stoff des S Lk ist Schmidt der Ansicht, „that material unique to his gospel received its radical stamp prior to his compila- 212 Vgl. dazu Klauck, Armut der Jünger, 186. 213 Schmidt, Hostility to Wealth. 214 Schmidt, Hostility to Wealth, 11. 215 Vgl. Theißen, Soziologie; Mealand, Poverty; Gager, Kingdom. 216 Schmidt, Hostility to Wealth, 12. 217 Schmidt, Hostility to Wealth, 12.164. 218 Schmidt, Hostility to Wealth, 17. - Zu den speziellen Kritikpunkten vgl. ebd., 30.37. 219 Vgl. Schmidt, Hostility to Wealth, 17. <?page no="44"?> 44 tion“ 220 Nach einem knappen Durchgang durch die einschlägigen Passagen des Lukasevangeliums kommt er hinsichtlich des des S Lk zu folgenden Schlüssen: 221 Das S Lk stamme teilweise aus der Weisheitstradition. Es enthalte Material, das hinsichtlich seiner Aussageintention Mk und Q ähnlich sei. Andere Passagen aus dem S Lk verstärkten Aussagen aus Mk oder Q. 222 Insgesamt ist die Studie von einer sehr einseitigen sozioökonomischen Perspektive geprägt. 6.4 V. Petracca (2001) Ziel der Untersuchung Petraccas 223 ist, „auf der literarischen Ebene des Evangeliums die theologische Linie und Intention des Evangelisten zu analysieren, um ein umfassendes Bild der Besitzethik in ihrer Unterschiedlichkeit und gegenseitigen Zuordnung zu erhalten“ 224 . Dazu analysiert er im ersten Hauptteil der Studie die einschlägigen Texte im Lukasevangelium unter Anwendung der Methoden der historisch-kritischen Exegese. Die traditionsbzw. religionsgeschichtliche Einordnung der besitzethischen Aussagen ist in diesem Rahmen darauf ausgerichtet, die spezifische Lösungsrichtung des Lukas zu den unterschiedlichen Problemen seiner Leserschaft zu erfassen. 225 Der zweite Hauptteil ist der Auswertung der dort gewonnenen Ergebnisse und der Gesamtinterpretation der divergierenden Aussagen zum Umgang mit Besitz gewidmet. Nach einem kurzen Abschnitt über die soziale Verortung des Evangelisten und seiner Gemeinde versucht Petracca eine Gesamtinterpretation der divergierenden besitzethischen Aussagen aus der Perspektive des Lukas. Er gruppiert die Aussagen zum Besitz um die vier Bezugspunkte „göttliche Gerechtigkeit“, „Nachfolge“, „unvergängliche Güter“ und „Liebesgebot“. Nach Petracca ist die Vielfalt der lukanischen Besitzaussagen dadurch bedingt, dass sich die Paränese des Lukas an unterschiedliche soziale Schichtungen innerhalb der Gemeinde richtet. Die Grundintentionen des Lukas seien, die Not der Armen zu lindern und die Einheit der Gemeinde zu stärken. Nach außen, hellenistischen oder hellenistisch-jüdischen Führungskreisen zugewandt, verfolge Lukas missionarische Ziele. 226 Im Rahmen der Exegese verortet Petracca die grundlegenden Motive der Besitzethik in der Philosophie- und Religionsgeschichte. Die Frage nach den Trägerkreisen der Traditionen stellt er jedoch nicht. Der Vergleich der besitzethischen Aussagen des Lukas mit denen der anderen synoptischen 220 Vgl. Schmidt, Hostility to Wealth, 135. 221 Vgl. Schmidt, Hostility to Wealth, 137ff. 222 Vgl. Schmidt, Hostility to Wealth, 161. 223 Vgl. Petracca, Gott oder Geld. 224 Petracca, Gott oder Geld, 9. 225 Vgl. Petracca, Gott oder Geld, 11. 226 Zur Zusammenfassung seines Standpunkts vgl. Petracca, Gott oder Geld, 345ff. <?page no="45"?> 45 Evangelien fällt sehr knapp aus Petracca verweist in diesem Zusammenhang auf die Studie Schmidts. 227 Er weist darauf hin, dass das markante Interesse des Lukas am Verhältnis zwischen Arm und Reich auch daran zu ersehen ist, dass er zu den besitzethischen Texten aus der Qbzw. Mk-Tradition noch die etwa gleiche Anzahl aus der S Lk -Überlieferung hinzufügt. 228 Desweiteren zeigt Petracca die Akzentuierung der lukanischen Besitzethik gegenüber Mk und Q hinsichtlich der Radikalität des Besitzverzichts, der Gewichtung der Sozialkritik und des Strebens nach himmlischen Gütern, der Option für die Armen als Zusammenfassung der Sendung Jesu und des Zusammenhangs zwischen Gottesliebe und Nächstenliebe. Er betont, dass sich das Motiv der Umkehrung der sozialen Verhältnisse nur bei Lk findet (Lk 1,46-55; 6,20-26). 6.5 K. Mineshige (2003) Mineshige beschäftigt sich in seiner Studie 229 auf der redaktionellen und kompositorischen Ebene des Lukas mit der Thematik Armut und Reichtum im lukanischen Doppelwerk. Er untersucht, ob Lukas tatsächlich ein harmonisierendes Konzept vorlegt, das radikalen Besitzverzicht und Almosengeben integriert, oder „ob ‚Almosengeben‘ und ‚Besitzverzicht‘ bei Lukas nicht eher eine voneinander verschiedene Bedeutung und Funktion haben“ 230 . Nach einem knappen Forschungsüberblick befasst sich Mineshige in vier Kapiteln zunächst mit der Darstellung von Armen und Reichen im Lukasevangelium 231 , dann mit dem Besitzverzicht der Jünger im Rahmen der Nachfolge 232 . Im dritten Kapitel ist das Almosengeben, verstanden als Umgang mit überschüssigem Vermögen, Thema. 233 Im Schlusskapitel thematisiert Mineshige das „Vermögensethos der Apg“. 234 Als Ergebnis der Studie hält Mineshige zum Verhältnis von Almosen und Besitzverzicht fest: „Es ist unmöglich, die beiden Begriffe bei Lk auf derselben Ebene zu deuten. ‚Besitzverzicht‘ und ‚Almosengeben‘ haben bei ihm offensichtlich voneinander verschiedene Bedeutung und Funktion.“ 235 Insgesamt ist festzuhalten, dass die differenzierte Untersuchung Mineshiges „dem lukanischen Befund gerechter wird, als die bisherigen Versuche, die Aussagenreihen von Besitzverzicht und Almosengeben zu harmonisieren“ 236 . 227 Vgl. Petracca, Gott oder Geld, 359; vgl. Schmidt, Hostility to Wealth. 228 Vgl. die Übersicht bei Petracca, Gott oder Geld, 358. Dort findet sich auch eine Auflistung der besitzethischen Texte des S Lk . 229 Vgl. Mineshige, Besitzverzicht. 230 Mineshige, Besitzverzicht, 9. 231 Vgl. Mineshige, Besitzverzicht, 13-38. 232 Vgl. Mineshige, Besitzverzicht, 40-107. 233 Vgl. Mineshige, Besitzverzicht, 120-209. 234 Vgl. Mineshige, Besitzverzicht, 216-261. 235 Vgl. Mineshige, Besitzverzicht, 264. 236 Stenschke, Mineshige, 1303. <?page no="46"?> 46 6.6 H. Stettberger (2005) Ansatzpunkt der Untersuchung Stettbergers 237 sind die „inhärenten Ambivalenzen bezüglich der Aussagen zum Besitztum innerhalb des Lukasevangeliums sowie der Apostelgeschichte“ 238 . Diese konnten bisher weder durch „differenzierende (traditionsgeschichtlich, adressatenorientiert oder sozialgeschichtlich) noch ganzheitliche (symbolisch, zeitgeschichtlich angelegte oder interessenorientierte) Untersuchungsansätze […] hinlänglich und überzeugend“ 239 erklärt werden. Zudem sieht der Autor in den Untersuchungen der Vergangenheit den Aspekt des Nehmens als unterbelichtet an. Primär komme der „Haben-Aspekt“ und sekundär der „Geben-Aspekt“ in den Blick; Ergebnis sei folglich immer, dass die Reichen den Armen ihren Besitz ganz oder teilweise geben sollten. Stettberger sieht das kognitiv-linguistische Analyseverfahren 240 als geeignete Methode an, um „kognitive, d.h. wissensgesteuerte und damit gezielt initiierte und schließlich verbalisierte Schemata transparent“zu machen und die logische Stringenz der lukanischen „Aussagen über den Besitz und die Besitzverhältnisse“ 241 offenzulegen. Er analysiert das lukanische Doppelwerk hinsichtlich der drei von ihm eruierten kognitiven Grundschemata Haben, Geben und Nehmen. 242 237 Vgl. Stettberger, Nichts haben. 238 Stettberger, Nichts haben, 72. 239 Stettberger, Nichts haben, 72. - In seinem Forschungsbericht (ebd., 51-71) gliedert Stettberger die bisherigen Lösungsansätze in solche, die die Heterogenität und solche, die die Homogenität als Interpretationsbasis haben. Unter ersteren geht er auf traditionsgeschichtlich (z.B. Horn, Glaube und Handeln) und adressatenorientierte (Degenhardt, Evangelist der Armen; Schottroff/ Stegemann, Jesus von Nazareth) Modelle ein; unter den die Homogenität betonenden Ansätzen nennt er symbolisch-ganzheitliche Deutungen, die in der Gefahr stehen, die reale Armut wegzuinterpretieren (z.B. Johnson, Function; ders., Possessions; Seccombe, Possessions), situative (Besitzverzicht wird als von außen her durch Verfolgung erzwungen angesehenbzw. interessenorientierte, befreiungstheologisch geprägte Studien (Krüger, Gott oder Mammon). 240 Vgl. Mineshige, Besitzverzicht, 75ff. 241 Mineshige, Besitzverzicht, 94. 242 Das Grundschema „Haben“ behandelt Stettberger, Nichts haben, 97-215, „Geben“ 215- 378 und „Nehmen“ 378-481. - Die Klassifikationsanalye (80-81.486) untersucht dies an sämtlichen Lexemen. Die Bandbreite der Aussagen erhöht sich auf diese Weise gegenüber den vorgängigen Untersuchungen. Stettberger unterscheidet weiterhin zwischen Abstrakta und Konkreta (81); letztere können seiner Ansicht nach eine Zielgruppe verbindlicher ansprechen. Die Tiefensyntaxanalyse (81-86.486.487) bietet eine weitere Differenzierung gegenüber einer rein formal-syntaktischen Analyse (Haben: Dativ, Objektive; Geben & Nehmen: Dativ, Objektive, Agentive). Dann benennt die pragmalinguistische Prototypensowie Stereotypenanalyse (86-92.487) auf der Basis illokutionärer Indikatoren drei Aussageebenen: metaskopische Aussagen, die die Rezipientenschaft zu einem dynamischen Besitzverständnis animieren; direktskopische Aussagen, die zunächst direkt referentiell das Thema Besitztum ansprechen, aber keine weiteren metakommunikativen Intentionen hinsichtlich des Besitzes daran anknüpfen (vgl. Lk 12,6.59); indirektskopische Aussagen, in denen Wörter aus dem Wortfeld Besitz begegnen, die <?page no="47"?> 47 In der quantitativen Auswertung des Haben-Geben-Nehmen-Schemas hält Stettberger fest, dass im lukanischen Doppelwerk „Transfer-Relationen“ 243 überwiegen. Etwa „drei Viertel der ermittelten metaskopischen Besitztumsaussagen sind dem dynamischen GEBEN- und NEHMEN-Schema zuzuordnen“ 244 . Daraus folgert er, dass das lukanische Doppelwerk handlungsorientiert konzipiert sei und „Aktivität und Praxis“ 245 fordere. Die „Erörterung mentaler und emotionaler Dispositionen gegenüber dem Besitz“ 246 spiele im Gegensatz zur hellenistischen Philosophie eine untergeordnete Rolle. Zudem honoriere Lukas das Haben, da es Grundlage für das Geben sei. Ob also „ein Mensch gut oder böse ist, entscheidet nicht allein der Umfang seines Besitzstandes. […] Die exponiert platzierten Heilszusagen an die Armen und die Mahn- und Weheworte an die Reichen sind in erster Linie als Handlungsimpulse zu verstehen, Besitz im Sinne eines sozialen Mediums zu funktionalisieren“. Als Ergebnis seiner Studie hält Stettberger fest, dass er „eine in sich konsistente Besitzethik des lukanischen Doppelwerks“ 247 offengelegt habe. Selbst wenn man diesem Ergebnis der gründlichen kognitiv-linguistischen Studie Stettbergers Glauben schenken möchte - m.E. ist das Vorhaben, Lukas und die Apostelgeschichte besitzethisch zu harmonisieren, aufgrund des zeitlichen Abstands und veränderten sozialen Kontexts nicht sinnvoll - bleiben die historischen Prozesse, die zu diesem ethischem Konzept führten, im Dunkeln. Die Frage, wie Lukas mit Diskursfragmenten, die er in der Tradition zum Thema Besitztum vorfand, umging, bleibt offen. 6.7 H.-G. Gradl (2005) Ansatzpunkt der Untersuchung Gradls 248 ist es - angesichts der Vereinnahmung des Evangelisten Lukas aus verschiedenen Richtungen -, „den Text als bleibendes Medium der Kommunikation zu begreifen und jenen Strukturen des Textes nachzugehen, die den Eintritt des Lesers - und zwar jeden Lesers - ermöglichen“ 249 . Gradl möchte also nicht bei den „Erstrezipienten“ stehen aber weder „mit dem Problemkreis Besitztum selbst unmittelbar in Verbindung stehen noch metakommunikativ darauf anspielen (vgl. Bezugnahmen Lk 5,2.6f.)“ (89). Die metaskopischen Aussagen ergeben das Prototypenkonzept des Lukas, die direkt- und indirektskopischen Aussagen das Stereotypenkonzept. Den Abschluss bildet eine „qualitative und quantitative Evaluation“ der Besitztumsaussagen, die Personen, Gegenstände, Handlungen, Situationen beurteilt (positiv, negativ oder neutral) und anschließend synoptisch vergleicht. 243 Vgl. Stettberger, Nichts haben, 488. 244 Ebd. 245 Stettberger, Nichts haben, 525. 246 Stettberger, Nichts haben, 528. 247 Stettberger, Nichts haben, 529. 248 Vgl. Gradl, Arm und Reich. 249 Gradl, Arm und Reich, 23. <?page no="48"?> 48 bleiben, sondern stellt für die Gegenwart die Frage: „Wie und wozu bewegt der Text den Leser? “ Auf einen forschungsgeschichtlichen Überblick verzichtet der Autor, lediglich mit der Studie Petraccas setzt er sich auseinander 250 . Die methodische Grundlegung seiner Untersuchung ist sehr ausführlich, das Kapitel „Methodische Grundsätze und Leitlinien“ umfasst 124 Seiten. In den beiden folgenden Kapiteln analysiert Gradl ausgewählte Texte des Lukasevangeliums („Urbild und Lehre“) und der Apostelgeschichte („Abbild und Entfaltung“). Das Proömium Lk 1,1-4 findet in seiner Funktion als Leseanleitung seinen Ort in Gradls Analyse. „Aus der Spannung zwischen dieser Oberschichtenperspektive und der im Folgenden entwickelten Parteinahme Jesu für die Armen erwächst eine pragmatische Dynamik, die von Anfang an alle Abgrenzungen sozialer Art in Frage stellt.“ 251 Die weitere Analyse nimmt Lk 6,20-38 (Seligpreisungen und Feindesliebe) und Lk 16,19-31 (Reicher Mann und armer Lazarus) in den Blick. Die Apostelgeschichte ist nach Gradl „das von vornherein als solches geplante zweite Buch eines zweiteiligen Geschichtswerks, dessen erster Teil das Lk ist“ 252 . Beide Texte seien deshalb „als Einheit zu lesen“ 253 . Gradl greift aus der Apostelgeschichte exemplarisch die Gemeindesummarien Apg 2,42- 47 und 4,32-35 und die Erzählungen von Barnabas (Apg 4,36f.) und Hananias und Saphira (Apg 5,1-11) auf. Im vierten Kapitel („Sichtung und Ausblick“) präsentiert Gradl das Ergebnis seiner Untersuchung und eine Methodenreflexion. Gradl führt abschließend zwei mögliche Rezeptionslinien bzw. Leseweisen des lukanischen Doppelwerks vor, „ein universales Evangelium der Verkündigung“ 254 und „ein inklusives Evangelium der Zuwendung“ 255 . Aus der angewandten Methode „ergibt sich eine gewisse Schwerfälligkeit, wenn es jetzt am Ende um eine Zusammenfassung und Bündelung der verschiedenen Prozesse und Strategien geht“ 256 , gibt Gradl zu. Als Ergebnis hält Gradl inhaltlich fest, dass es Lukas „weder um ein Askeseideal noch um eine grundsätzliche Verurteilung des Reichtums“ gehe, sondern die „Nachfolge, der Ausgleich, die Einheit und die Gemeinschaft […] zum verbindenden Element zwischen Arm und Reich“ 257 würden. Gradls Untersuchung ist von dem Impuls geprägt, „dass der Text einen unbedingten Anspruch an mich im Hier und Heute besitzt“ 258 . Dementspre- 250 Gradl, Arm und Reich, 22f. 251 Böttrich, Gradl. 252 Gradl, Arm und Reich, 286. - Zitiert nach: E. Plümacher, Art. Apostelgeschichte, in: TRE 3 (1978), 484. 253 Gradl, Arm und Reich, 286 (Hervorhebung im Original). 254 Gradl, Arm und Reich, 418-421. 255 Gradl, Arm und Reich, 422-424. 256 Gradl, Arm und Reich, 425f. 257 Gradl, Arm und Reich, 439. 258 Gradl, Arm und Reich, 449. <?page no="49"?> 49 chend ist die Studie darauf ausgerichtet, herauszuarbeiten, was die historisch unabhängige Botschaft der Texte für den „Modelleser“ ist. Konsequenterweise kommen historische Fragestellungen in der Analyse nur begrenzt und zugeschnitten auf die Fragerichtung vor. Die Textbasis der Untersuchung ist zu schmal, um für das lukanische Doppelwerk repräsentativ sein zu können. 6.8 C. M. Hays (2010) Ausgangspunkt der Studie Hays` 259 ist „the apparent inconsistency in Luke's ethical paradigm“ 260 . In der bisherigen Forschung sieht er vier Strategien im Umgang mit diesem Phänomen, die er als „bi-vocational, interim, literary, and personalist“ 261 bezeichnet: Der von Hays „bi-vocational“ genannte Ansatz erkläre die heterogenen Anweisungen des Lukas dadurch, dass für unterschiedliche Weisen der Nachfolge je andere Bestimmungen gelten. 262 Die „interim“ Erklärungen begrenzen die Anweisungen zum völligen Besitzverzicht auf die Zeit des Wirkens Jesu und ggf. der Zwölf. 263 „Literary“ Lösungsansätze versuchen durch Quellenkritik die Heterogenität in Lk zu glätten. 264 Als „personalist“ bezeichnet er Strategien, die die heterogenen Bestimmungen auf individuelle Lebenssituationen beziehen. 265 Da Hays die lukanische Besitzethik als „fundamentally formed by Jewish morality“ 266 betrachtet, die in griechische Sprache gekleidet ist, stellt er an den Anfang seiner Untersuchung knappe Überblicke über die antike jüdische 267 und griechisch-römische 268 Besitzethik. Nach der Analyse einschlägiger Passagen des Lk 269 legt er seinen eigenen Ansatz zur Bewältigung der scheinbar inkohärenten besitzethischen Aussagen in Lk dar. 270 Seiner Ansicht nach liegt die 259 Vgl. Hays, Wealth Ethics. 260 Hays, Wealth Ethics, 2. 261 Hays, Wealth Ethics, 2f. (Hervorhebung im Original). 262 Hays verortet hier die Studien von Degenhardt (Evangelist der Armen), Klauck (Armut der Jünger) und Kim (Stewardship). 263 Hierunter zählt Hays die Studien von Seccombe (Possessions) und Petracca (Gott oder Geld). 264 Hier nennt Hays: Theißen (Wanderradikalismus), Schottroff/ Stegemann (Jesus von Nazareth) und Horn (Glaube und Handeln). 265 Hays findet diese Strategie bei Johnson (Function) und Gradl (Arm und Reich). 266 Hays, Wealth Ethics, 23. 267 Vgl. Hays, Wealth Ethics, 25-49 (chap. 2: Wealth Ethics in Ancient Judaism). 268 Vgl. Hays, Wealth Ethics, 50-69 (chap. 3: Greco-Roman Wealth Ethics). 269 Hays analysiert Lk 5,1-11.27; 6,20-38; 8,1-3; 9,1-6; 9,57; 10,1-11; 10,25-37; 11,37-44; 12,13-34; 14,7-24.25-35; 16,1-13.14-18.19-31; 17,22-33; 18,18-30; 19,1-10; 20,45-21,4; 22,35-38. Andere relevante Texte bleiben unberücksichtigt, so das Magnificat Lk 1,46-55, die Frage nach der Steuer Lk 20,20-26 und die Gleichnisse Lk 15,8-10.11-32; 12,42-46; 19,1127; 20,9-18. - Vgl. Hays, Wealth Ethics, 70-188 (chap. 4: Coherence and Character of Lukan Wealth Ethics). 270 Vgl. Hays, Wealth Ethics, 184-188. <?page no="50"?> 50 lukanische Ethik „between the personalist and bi-vocational options“ 271 . Lukas habe ein kohärentes ethisches Konzept, das als „renouncing paßnta “ 272 beschrieben werden könne. Die materialen Bestimmungen würden abhängig von der Berufung und dem Besitz der betreffenden Personen angewandt. 273 Daran anschließend verfolgt Hays die Frage, ob die ethischen Leitlinien, die Lukas in der Apostelgeschichte zeichnet, mit denen des Evangeliums kohärent seien und analysiert die thematisch relevanten Texte aus Apg unter dieser Fragestellung. 274 Er kommt zu dem positiven Ergebnis, die besitzethischen Bestimmungen der Apostelgeschichte, die mehrheitlich auf die Jerusalemer Gemeinde bezogen seien, „are essentially contiguous with what Luke wrote in his Gospel“ 275 . 7 Studien zur Eschatologie bei Lukas 7.1 E.E. Ellis (1969) Ellis stellt in seinem Forschungsüberblick 276 die Standpunkte zur Eschatologie des Lukasevangeliums in zwei grundsätzlichen Hypothesen dar: Die meist diskutierte besagt, dass Lukas eine Theologie der Heilsgeschichte entworfen habe, um die Parusieverzögerung zu erklären; die andere, dass die lukanische Eschatologie sich von horizontalen (dieser Äon - kommender Äon) zu vertikalen (Erde - Himmel; Zeit -Ewigkeit) Kategorien verschoben hat. Die Vollendung der Erlösung ist somit aus einem zeitlichen in einen zeitlosen Bereich verlagert. 277 7.2 J. Ernst (1978) Ernst untersucht in seiner Studie 278 die für die individuelle Eschatologie bei Lukas relevanten Perikopen Lk 12,16-21; 16,1-9.19-31; 23,39-43 und setzt sich mit der These Schneiders 279 und Duponts 280 zur individuellen Eschatologie kritisch auseinander. Beide vertreten die Ansicht, dass sich im Lukasevangelium eine systematische Entwicklung hin zu einer individuellen Eschatologie abzeichnet. Nach Ernst deutet sich eine Individualisierung der Eschatologie bei Lukas allenfalls an, „eine systematische Reflexion liegt jedoch nicht vor. Es kann auf keinen Fall aus den behandelten Stellen gefolgert werden, die individuelle Eschatologie habe die allgemeine verdrängt, 271 Hays, Wealth Ethics, 185 (Hervorhebung im Original). 272 Hays, Wealth Ethics, 186. 273 Vgl. Hays, Wealth Ethics, 185. 274 Vgl. Hays, Wealth Ethics, 189-263 (chap. 5: Lukan Wealth Ethics in the Acts of Apostles). 275 Hays, Wealth Ethics, 261f. 276 Vgl. Ellis, Funktion der Eschatologie. 277 Ellis, Funktion der Eschatologie, 390. 278 Vgl. Ernst, Herr der Geschichte. 279 Vgl. Schneider, Parusiegleichnisse. 280 Vgl. Dupont, Individuelle Eschatologie. <?page no="51"?> 51 sie hat sich noch nicht einmal gleichwertig neben sie gestellt“ 281 . Ernst argumentiert christologisch und bezeichnet Christus als „Vollender des individuellen Lebens“ 282 . Eschatologische Christusgemeinschaft ist auf die präsentische Existenz des Einzelnen bezogen. „Der Tod wird gewissermaßen zur ‚Parusie‘ für den Einzelnen“ 283 . 7.3 J.T. Carroll (1988) Carroll behandelt in einem Exkurs „‚Individual Eschatology‘ in Luke-Acts? “ 284 die Frage nach der Ausprägung der individuellen Eschatologie im lukanischen Doppelwerk. Er setzt sich kritisch mit der These auseinander, ob das „personal eschaton“ im Moment des Todes eines Individuums besonderes Gewicht hat. 285 Carroll analysiert die Perikopen Lk 12,16-21; 16,19-31; 23,39-43 und Apg 7,55-60. Seine Analyse ergibt, dass in Lk 12,16-21 jüdische Weisheitsliteratur aufgegriffen wird. Die Reflektion der Beziehung zwischen Reichtum und Gerechtigkeit bzw. menschlicher Verderbtheit und Endlichkeit sei dort sehr intensiv (vgl. Weish). Lukas sei an dieser Stelle also nicht innovativ gewesen. 286 Als Fazit ergibt sich: Die Beurteilung des lukanischen Sonderguts bleibt in der neutestamentlichen Forschung bezüglich Abgrenzung des Textcorpus, der Frage mündlicher oder schriftlicher Überlieferung und der Unterscheidung von Tradition und Redaktion kontrovers. Die sprachliche Analyse ist für die weitere Arbeit an jenen umstrittenen Fragen, die das lukanische Sondergut aufgibt, insbesondere für die Abhebung der lukanischen Sprache von der Tradition, ein unverzichtbares Instrument. 287 Wenngleich die synchrone Betrachtung auch in der Forschung an den lukanischen Texten ein Übergewicht hat, wird der redaktionskritische Ansatz weiter verfolgt. 288 281 Ernst, Herr der Geschichte, 87. 282 Ebd. 283 Ebd. 284 Vgl. Carroll, Response, 60-71. 285 Vertreten wird diese These vor allem von Dupont (vgl. ders., Individuelle Eschatologie und ders., L'après mort), Schneider (vgl. ders., Parusiegleichnisse, 78-84) und Mattill (vgl. ders., Last Things, 26-40). Ähnlich kritisch wie Carroll stehen Ernst und Maddox der These gegenüber, dass sich im lukanischen Doppelwerk eine spezielle Ausprägung individueller Eschatologie zeige (vgl. Ernst, Herr der Geschichte, 78-84; Maddox, Purpose, 103- 105). 286 Kriterium für die Intensität der Ausprägung individueller Eschatologie im Lukasevangelium ist nicht die Innovationskraft des Lukas. Zu untersuchen ist, warum Lukas diese Strömung der jüdischen Weisheitsliteratur aufgriff. 287 Vgl. das 2009 erschienene umfassende Werk von Denaux/ Corstjens, Vocabulary. 288 So von Bendemann, DOCA ; Heil, Lukas; Bormann, Recht. Heil und Bormann nehmen auch den vom IQP rekonstruierten hypothetischen Q-Text als Grundlage. Dabei wird im Blick behalten, dass jede Rekonstruktion eines vorlukanischen Textzusammenhangs die Art und Weise der lukanischen Redaktionstätigkeit in gewisser Weise festlegt (vgl. Heil, Lukas, 2). <?page no="52"?> 52 Die exegetische Beobachtung, dass das Lukasevangelium und insbesondere das lukanische Sondergut ein heterogenes Motivprofil in der Thematik Armut und Reichtum/ Umgang mit Besitz hat, ist Ausgangspunkt mehrerer Studien. Deren Ziel ist es, ein Konzept der lukanischen Besitzethik so zu erarbeiten, dass auf der einen Seite die differenzierten Positionen der einzelnen Texte und textlichen Einheiten dargestellt werden und auf der anderen Seite eine unterliegende konsistente Struktur 289 freigelegt wird. Dabei wird entweder ein sozioökonomischer 290 oder philologischer 291 Ansatz bevorzugt. Mineshige erschließt das lukanische Konzept von Gegenbegriffen (Almosen - Besitzverzicht) her. Alle Studien fragen in erster Linie nach der lukanischen Konzeption und nehmen den überlieferungsgeschichtlichen Aspekt - wenn überhaupt - als einen Aspekt unter anderen wahr. Dies trägt der Tatsache, dass die traditionsgeschichtliche Fragestellung für beide Teile des lukanischen Doppelwerkes zentral ist, nur ungenügend Rechnung. 289 Vgl. besonders Stettberger, Nichts haben. 290 So besonders Petracca, Gott oder Geld 291 So besonders Pittner, Studien. <?page no="53"?> 53 III Anlage der Untersuchung 1 Fragestellung 1.1 Folgerungen aus dem Forschungsbericht Der Forschungsbericht zeigt zunächst, dass es gut erarbeitete Kriterien zur Unterscheidung von traditionellen und redaktionellen sprachlichen Eigenarten im Lukasevangelium gibt. Diese können auf die Analyse des lukanischen Sondergutes angewendet werden. Im Forschungsbericht ist auch deutlich geworden, wie kontrovers die Beurteilung des lukanischen Sondergutes als Quelle des Lukasevangeliums in der neutestamentlichen Forschung ist. Eine Dreiquellentheorie setzte sich für das Lukasevangelium nicht durch. Die Disparatheit des Sondergutmaterials ist der Grund dafür, dass die Fragen zur Überlieferungsgeschichte des S Lk bislang weitgehend offen sind. 292 Aus diesem Grund wird das S Lk programmatisch als Textteilbereich des Lukasevangeliums verstanden. Vorgängige Theorien zum S Lk als homogener oder gewachsener Größe werden nicht verfolgt. Ergebnisse können nur nach der Analyse erzielt werden. Weiter geht aus dem Forschungsbericht hervor, dass verschiedene Konzepte zur Interpretation der heterogenen Aussagen zum Thema Armut und Reichtum/ Umgang mit materiellen Gütern miteinander konkurrieren. Die Erarbeitung einer überlieferungsgeschichtlich transparenten besitzethischen Konzeption des Lukas steht noch aus. 293 Der Schriftsteller Lukas sammelt einzelne Jesustraditionen (S Lk ) und ordnet sie zusammen mit den Q-Traditionen in den Ablauf der markinischen Jesusgeschichte ein. Zugleich ist das Lukasevangelium das Werk eines selbstbewussten Schriftstellers, der einerseits seine Vorläufer berücksichtigt und andererseits im Proemium seine eigene historische Leistung betont. In der vorliegenden Untersuchung wird daher stets neben der überlieferungsgeschichtlichen auch die redaktionsgeschichtliche Perspektive Berücksichtigung finden. Bei der Redaktionskritik kann die vorliegende Untersuchung methodisch an die Studien von Bormann und Heil anknüpfen, die auf der Grundlage des durch das IQP rekonstruierten Q-Textes nach den theologischen Akzenten der lukanischen Redaktion fragen. 294 292 Vgl. Schnelle, Einleitung, 296; Fitzmyer, Luke I, 83f.; Nolland, Luke C, xxxf.; Bovon, EKK III/ 1, 19ff.; Wolter, Lukasevangelium, 15f.; Delobel, Text, 99; von Bendemann, DOCA , 49f. 293 Gegenstand der meisten früheren Studien zum Thema ist dagegen die synchrone Rekonstruktion einer lukanischen Besitzethik, so z.B. Gradl, Arm und Reich; Mineshige, Besitzverzicht; Petracca, Gott oder Geld; Stettberger, Nichts haben; Hays, Wealth Ethics. 294 Vgl. Bormann, Recht, 109; Heil, Lukas, 8. <?page no="54"?> 54 1.2 Grenzen der vorliegenden Untersuchung Die vorliegende Untersuchung setzt bei der Überlieferungsgeschichte an. Sie beschränkt die Analyse auf das Lukasevangelium, das die Jesustraditionen erzählerisch bündelt. Die ganz anderen Traditionszusammenhänge der Apostelgeschichte können in diesem Fragehorizont nicht untersucht werden. Für das Evangelium wird neben der Überlieferungsgeschichte die zusätzliche Perspektive der Dikursanalyse gewählt: Der Schriftsteller „Lukas“ wird als ein Ordner des auf die Jesustradition zurückgehenden Besitz- Diskurses in der zweiten christlichen Generation verstanden. Diese doppelte Perspektive ermöglicht es, sowohl die historische Tiefendimension als auch die synchrone Textoberfläche des Evangeliums zu erschließen. Eine analoge Untersuchung der entsprechenden Traditionen der Apostelgeschichte und ihrer Überlieferungswege (besonders zu Kapitel 1-5) könnte an die hier vorgelegte Analyse anschließen und die Rekonstruktion der Diskursordnung durch den Schriftsteller Lukas vervollständigen. Die vorliegende Studie versteht sich als erster Schritt auf dem Weg zu einem Gesamtbild von Lukas als einem Schriftsteller, der die frühchristlichen Traditionen sammelt und weitergibt und zugleich durch Auswahl, Bearbeitung und Komposition als Diskursordner fungiert, der Einfluss auf den Umgang der frühchristlichen Gemeinden mit Besitz und Vermögen nimmt und damit zugleich führend an der entstehenden Sozialpolitik der christlichen Gemeinden beteiligt ist. Weitere Anschlussfähigkeit besteht auch in Richtung auf sozialgeschichtliche und religionsgeschichtliche Fragestellungen, die im Rahmen der vorliegenden Untersuchung nicht eigens thematisiert werden können. 1.3 Der Weg der Thematik von Armut und Reichtum/ Umgang mit materiellen Gütern vom lukanischen Sondergut zum Lukasevangelium Die vorliegende Untersuchung ist also historisch primär an der Überlieferungsgeschichte des S Lk interessiert und fokussiert thematisch den Diskursstrang um Armut und Reichtum/ Umgang mit materiellen Gütern im S Lk . Das S Lk hat hier - unabhängig von der Frage eines einheitlichen Quellenstatus - ein deutliches Motivprofil. 295 Dies wird vorab erhoben, in der folgenden Analyse synchron und diachron untersucht und anschließend diskurstheoretisch interpretiert. Es ist auffällig, dass im Lukasevangelium und speziell im S Lk Aussagen, die mit divergierenden Intentionen um die Thematik Armut und Reichtum/ Umgang mit materiellen Gütern kreisen, einen Schwerpunkt bilden. 296 Diese Beobachtungen weisen darauf hin, dass die Frage, wie man als Mitglied 295 Vgl. oben S. 16f. 296 Vgl. Klein, Barmherzigkeit; Pittner, Studien; Paffenroth, Story of Jesus. <?page no="55"?> 55 einer christusbekennenden Gemeinde mit Besitz umgeht, im 1. Jh. Anlass zu einem breiten Diskurs bot. Historisch ist zu untersuchen, weshalb neben Mk und Q der Überlieferungsstrang S Lk und der Diskurs um Armut und Reichtum und den Umgang mit materiellen Gütern so hohe Wertschätzung in der Redaktion des Lukasevangeliums fanden und der Diskursstrang Armut und Reichtum/ Umgang mit materiellen Gütern des S Lk so starken Einfluss auf die Gestaltung des Lukasevangeliums hatte. Eine Analyse der spezifischen Prägung der Aussagen zum Umgang mit Besitz im S Lk gegenüber der Ebene der lukanischen Redaktion, Mk und Q steht bisher aus. Daraus ergibt sich die folgende Aufgabe der vorliegenden Arbeit: die Rekonstruktion einer überlieferungsgeschichtlich transparenten besitzethischen Konzeption des Lukasevangeliums, und die Interpretation der Überlieferungsgeschiche als Teildiskurs der frühchristlichen Diskursgeschichte zum Thema. 1.4 Gang der Untersuchung Die Untersuchung setzt an diesen Punkten in der Forschung zum S Lk und der lukanischen Besitzethik an: Sie ist methodisch in der quellen- und überlieferungskritischen Forschung am lukanischen Sondergut verortet und fragt danach, in welcher Art geprägter Zusammenhänge die Aussagen des S Lk über den Umgang des Menschen mit Macht und Besitz entstanden sind, wirksam waren und tradiert wurden. Die Untersuchung fragt damit weiter nach dem ursprünglichen Sitz im Leben der Aussagen zu Armut und Reichtum und zum Umgang mit Besitz in den Sonderguttexten des Lukasevangeliums. Vieles weist darauf hin, dass sie aus verschiedenen Milieus stammen bzw. in verschiedenen Milieus überliefert wurden. Diese genauer zu beschreiben, ist ein Ziel der Untersuchung. Der Diskurs um Armut und Reichtum/ Umgang mit materiellen Gütern im S Lk wird damit zunächst als überlieferungsgeschichtlicher Prozess wahrgenommen. Um diesen Prozess präziser als bisher darzustellen, werden die Texte, in denen er sich widerspiegelt, daraufhin untersucht, wie sie sich in sprachlicher, theologisch-inhaltlicher und formaler Hinsicht veränderten. 297 Die pragmatische Intention von Texten ist von dem Kontext der Aussagen bestimmt, in dem sie überliefert werden. Deshalb ist von Interesse, in welchen geprägten vorlukanischen Überlieferungszusammenhängen die einschlägigen Aussagen standen, bis der Verfasser des dritten Evangeliums sie in sein Werk eingliederte. Daran schließt sich die Frage an, welche Trägerkreise Interesse an der Überlieferung der Aussagen hatten, die im S Lk über das 297 Beispielsweise durch aktualisierende Neuinterpretationen - so stellt Heininger in seiner Studie für die meisten Sondergutgleichnisse mehrere Traditionsstufen fest (vgl. Heininger, Sondergutgleichnisse, 219). - Die Analyse der lukanischen Spracheigentümlichkeiten durch Jeremias (ders., Sprache) ist dafür wegweisend und ein - im Verbund mit der theologisch-inhaltlichen Analyse - tragfähiges methodisches Instrument. <?page no="56"?> 56 Verhältnis des Menschen zu Macht und Besitz und seinen Umgang mit diesen Größen begegnen. Dabei geht es auch um die Frage, welche theologischen Strömungen des Urchristentums sich gegenüber anderen durchsetzten und warum Lukas diese Traditionen in so breitem Maß aufgriff. Nimmt man die Veränderung der Aussagen darüber, wie der Umgang mit Geld und Gütern im Leben von Christen bzw. der Kirche, also der Nachfolge Jesu entsprechend, zu gestalten ist, in den Blick, ist nach den sozioökonomischen, theologischen und anthropologischen Faktoren zu fragen, die diese Veränderungen bewirken. 298 Mehrere Studien haben diesen Aspekt in einer sozialgeschichtlichen Analyse vertieft und nach den sozialen Umständen der Überlieferungsträger gefragt. 299 Die Texte wurden damit als Indikatoren der sozialen Situation ihrer Träger erfasst. Die historische Diskursanalyse der Texte wird es ermöglichen, den Evangelisten und sein Evangelium deutlicher als bisher als Akteur der Sozialgeschichte der frühchristlichen Gemeinden in den Blick zu nehmen. 2 Methodik 2.1 Einführung Die genannten Fragestellungen ermöglichen es, mit den eingeführten methodischen Mitteln der Traditions-, Überlieferungs- und Redaktionskritik alle einzelnen Aspekte des S Lk zu beleuchten, allerdings ohne schon die propositionale und pragmatische Ebene der Textgruppe hinreichend zu erschließen. Diese ist am besten durch die historische Diskursanalyse zu erfassen, die zu den rein historischen Methoden hinzukommt. Das S Lk lässt sich damit als ein Diskursstrang zur Thematik Armut und Reichtum/ Umgang mit materiellen Gütern innerhalb der Auseinandersetzung über den Umgang mit Besitz im antiken Judentum und Urchristentum beschreiben. Die historische Diskursanalyse, die mit der Kategorie von Macht und Unterdrückung von Diskursen arbeitet, ermöglicht es, die Träger und Entwicklungen dieses Diskurses, Veränderungen der Thematik bzw. Unterdrückung von Aussagen zu erfassen. Darüber hinaus nimmt sie Lukas als Autor in den Blick, der ihm überlieferte, heterogene, teils untereinander konkurrierende 300 Aussagen zu Fragen um Armut und Reichtum/ Umgang mit materiellen Gütern ordnet und damit neue Regeln für den Umgang mit Gütern in den Gemeinden schafft. 298 Gegen Schmidt gehe ich mit Mayer davon aus, dass die sich wandelnden sozialen Lebenssituationen christlicher Gemeinden neben anderen Faktoren wohl ein Grund dafür sind, dass ursprünglich radikale Aussagen wie die, dass Reichtum und Jesusnachfolge unvereinbar seien, modifiziert wurden (vgl. Schmidt, Hostility to Wealth, 11f.162; Mayer, Jesus, 121f.). 299 Vgl. z.B. Mayer, Jesus. 300 Vgl. Petracca, Gott oder Geld, 345ff.; Mineshige, Besitzverzicht, 9.264; Stettberger, Nichts haben, 72. <?page no="57"?> 57 Die vorgelegte Analyse des Diskurses um die Thematik Armut und Reichtum/ Umgang mit materiellen Gütern in den drei Quellensträngen des Lukasevangeliums S Lk , Mk und Q lehnt sich daher methodisch an die von Achim Landwehr in seiner Einführung in die „Historische Diskursanalyse“ von 2008 ( 2 2009) vorgeschlagenen Untersuchungsschritte zur historischen Diskursanalyse an. 301 Bevor ich diese Schritte erläutere, gebe ich eine knappe Definition der historischen Diskursanalyse nach Landwehr. Seine Darstellung dokumentiert, in welchem Maße sich die historische Diskursanalyse in den historischen und Kulturwissenschaften erfolgreich etabliert hat und zu einem wichtigen Instrument historischen Verstehens geworden ist. Landwehr führt zunächst gründlich in die komplexe Geschichte und Semantik des Diskursbegriffs und der wissenschaftlichen Terminologie von Diskurstheorie, Diskursanalyse und Diskursgeschichte ein, wie sie sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelt hat, um vor diesem Hintergrund seine eigene Version von historischer Diskursanalyse darzustellen. Im Zusammenhang der vorliegenden Arbeit kann es weder darum gehen, die kontroverse Entwicklung des modernen bzw. postmodernen Diskursbegriffs noch einmal nachzuzeichnen, noch den polysemantischen Diskursbegriff selbständig zu diskutieren. Vielmehr soll der Begriff des Diskurses in der Weise verwendet werden, wie Landwehr ihn definiert, nämlich „als die Menge von Aussagen, die einen Aspekt der ‚Wirklichkeit‘ konstituieren“ oder als „Aussagen, die sich hinsichtlich eines bestimmten Themas systematisch organisieren und durch eine gleichförmige (nicht identische) Wiederholung auszeichnen“. 302 Zwei Aspekte von Landwehrs Definition sind für die vorliegende Arbeit nützlich. Erstens: Die „Aussagenmengen“ nehmen Einfluss auf die sozialen Wirklichkeiten, von denen sie sprechen oder konstruieren diese sogar erst. Landwehr formuliert zugespitzt: „Diskurse bringen Wirklichkeiten hervor“ 303 . Dieser Aspekt der Diskursanalyse macht deutlich, dass es sich bei den lukanischen Aussagen zu Reichtum und Besitz weder nur um ethische Regeln noch um Zustandsbeschreibungen oder im literarischen Sinn um Parabeln u.ä. handelt, sondern um die Formierung neuer sozialer Realität in den Lesergemeinden des Lukasevangeliums. Zweitens: die historische Diskursanalyse ermöglicht eine übergeordnete historische Erfassung der über- 301 Vgl. Landwehr, Diskursanalyse, 100ff. Landwehrs Einführung bietet einerseits solide Basisinformation über den Diskursbegriff und seine theoretischen Implikationen, andererseits aber zugleich eine praktikable Anleitung für eine Arbeit mit historischen Texten, die über die traditions- und überlieferungsgeschichtliche Analyse hiausgeht und dem Umstand Rechnung trägt, dass Diskurse Wirklichkeit prägen und Ausdruck sozialer Einflussnahme und Macht sind (vgl. Landwehr, Diskursanalyse, 91-99). 302 Landwehr, Diskursanalyse, 128 und 92f. Vgl. auch S. 98: „Als Diskurse werden dabei geregelte und untrennbar mit Machtformen verknüpfte Ordnungsmuster verstanden, in denen diese Konstruktionsarbeit organisiert wird“. Hier wird nochmals der Machtaspekt, der mit der Regelung von Diskursen verbunden ist, unterstrichen. 303 Landwehr, Diskursanalyse, 92. <?page no="58"?> 58 lieferungs- und redaktionsgeschichtlichen Prozesse, die der Endfassung des Evangeliums vorausgingen. 2.2 Strukturierung nach Landwehr Im Folgenden strukturiere ich die Thematik nach den sechs methodischen Schritten von Landwehrs Analyse. 1. Der erste Schritt betrifft die Festlegung des zu untersuchenden Themas. 2. folgt die Korpusbildung. Dabei ist aus dem virtuellen Korpus, „dem Restbestand aller erhaltenen Beiträge“ 304 ein konkretes Korpus auszuwählen, das als Untersuchungsgrundlage dient. Die Auswahl der Texte ist subjektiv, weshalb die Offenlegung der Auswahlkriterien von Gewicht ist. In der vorliegenden Untersuchung sind die zu untersuchenden konkreten Korpora nach folgenden Kriterien ausgewählt: Formales Kriterium ist die Zugehörigkeit zum jeweiligen Quellenstrang S Lk , Mk und Q. Die drei untersuchten Quellenstränge sind Träger von Jesustradition, im Einzelnen aber unterschiedlicher Natur: Mk liegt zwar literarisch als Markusevangelium vor. Vieles spricht allerdings dafür, dass Lukas und Matthäus nicht das kanonische, sondern eine überarbeitete Fassung des Markusevangeliums vorlag, der sogenannte Deuteromarkus. 305 Q ist weitgehend zu rekonstruieren. 306 Doch ist damit zu rechnen, dass Matthäus und Lukas verschiedene Versionen von Q (Q Mt und Q Lk ) vor sich hatten. Das S Lk schließlich ist eine hypothetische Größe. Für die vorliegende Untersuchung werden Texte in Lk, die weder eine Parallele in Mt noch in Mk besitzen und nicht eindeutig als bloße sprachliche Varianten zu erkennen sind, zum Quellenstrang S Lk gerechnet; Texte, die eine Parallele in Mk besitzen, zum Quellenstrang Mk; und Texte, die sich in ähnlicher Form in Mt finden, zum Quellenstrang Q. Inhaltliche Kriterien für die Zugehörigkeit zum untersuchten Diskursstrang sind entweder das Vorkommen eines Schlüsselbegriffs mit dem Wortstamm ploutbzw. ptvx- oder die Ausrichtung der Perikope auf die inhaltlichen Zentren Armut und Reichtum bzw. Umgang mit materiellen Gütern. Das Thema „Umgang mit materiellen Gütern“ ist freilich dehnbar. Viele alltägliche Vorgänge haben eine ökonomische Seite. 307 Ebenso dehnbar ist die Definition als „inhaltliches Zentrum“, so dass die Zuord- 304 Landwehr, Diskursanalyse, 103. 305 Die Annahme eines Deuteromarkus erklärt im Rahmen der Zweiquellenhypothes sowohl die Existenz der minor agreements als auch des Markussonderguts (vgl. Schnelle, Einleitung 7 , 194). 306 Das „International Q Project“ hat eine - in abgestuften Wahrscheinlichkeitsgraden - sichere Textgrundlage erstellt. - Vgl. Heil, Rekonstruktion. 307 Vgl. dazu Nolland: „It is clearly right to cast the net more widely, but once we have done so, it is hard to know where to stop. In some way or other, almost every situation in life involves economic resources“ (Role, 188). <?page no="59"?> 59 nung/ der Ausschluss des einen oder anderen Textes zum/ vom Diskursstrang hinterfragbar ist. Insgesamt ist die getroffene Auswahl der Texte aus den drei Quellensträngen bewusst weit gefasst und ausgewogen. 3. In der Kontextanalyse unterscheidet Landwehr vier Ebenen: a) Der situative Kontext (Wer tut wann was? ) nimmt die „Autoren“ der Diskursfragmente in den Blick. Methodisches Instrument dafür ist in der vorliegenden Untersuchung in erster Linie die Redaktionskritik. Da die Untersuchung darauf zielt, die Dynamik des Diskurses um den Umgang mit Besitz aufzuzeigen und deutlich zu machen, welche theologischen Strömungen sich in seiner Entwicklung durchsetzten, sind die Unsicherheitsfaktoren bei der Rekonstruktion der Quellenstränge für das Untersuchungsergebnis marginal: Bei der Analyse des Markusstoffes ist für das Erfassen der Diskursdynamik zweitrangig, ob Lukas oder ein Redaktor des Mk („Deuteromarkus“) Bearbeitungen vorgenommen hat, die Lukas dann übernommen hat. Relevant ist, welche theologische Richtung sich im Laufe der Überlieferungsgeschichte der Texte von Mk zu Lk durchgesetzt hat. Bezüglich Q gilt für die Annahme zweier unterschiedlicher Versionen (Q Mt und Q Lk ) oder eines starken Stroms mündlicher Überlieferung dasselbe wie für die Hypothese eines Deutero-Markus. Entscheidend ist, welche theologische Richtung die Überlieferung der Texte von Q (ggf. über Q Lk ) bis Lk geprägt hat. Das S Lk bietet die größten Herausforderungen, da Vergleichstexte völlig fehlen. Hier ist die Fragestellung leitend, dass Lukas als Sammler, Redaktor oder Autor an diesen Texten tätig war und als „Ordner“ des Diskurses, seine Interessen verfolgte - sammelnd, redigierend oder selbst Texte verfassend. b) Der mediale Kontext fragt danach, in welcher Medienform sich das untersuchte Material präsentiert; übertragen auf die untersuchten Texte betrifft dies die Formkritik. c) Der institutionelle Kontext nimmt in den Blick, unter welchen Bedingungen das Untersuchungsmaterial entstanden ist und ggf. welche Personen daran beteiligt sind. Die Beantwortung dieser Frage ist hinsichtlich der untersuchten Texte schwierig; die Bestimmung des jeweiligen Sitzes im Leben erfolgt annäherungsweise. d) Der historische Kontext schließlich umfasst die politische, gesellschaftliche und soziale Gesamtsituation und wird durch die historische und sozialgeschichtliche Analyse beleuchtet. 4. Zentral ist die Analyse der Aussagen, die durch ihre Funktion bestimmt sind, den Diskurs zu formen. 5. Dazu kommt die Analyse der Makro- und Mikrostruktur der Texte. Neben dem gängigen Instrumentarium der linguistischen Analyse bediene ich <?page no="60"?> 60 mich einiger Leitfragen, um „aus den Texten Aussagen herauszufiltern, welche für die Fragestellung der eigenen Untersuchung relevant sind“ 308 . Sie sind darauf ausgerichtet, möglichst viele Aspekte des Diskurses zu erfassen, und nehmen als Eckpunkte die ökonomische Situation selbst (5.1), das Handeln des Menschen darin (also den Umgang mit materiellen Gütern; 5.2) und das Handeln Gottes in Bezug auf die ökonomische Situation (5.3) in den Blick. 309 5.1 Armut und Reichtum - die ökonomische Situation Der Diskurs um Armut und Reichtum ist im Lukasevangelium sowohl in seiner ökonomischen als auch in seiner theologischen Dimension gespiegelt. Der jeweilige irdische ökonomische Zustand erscheint in Beziehung zum jenseitigen (z.B. 16,19ff.). Im S Lk (z.B. Lk 4,25f; 15,14.16) wird Armut - anders als in Q (z.B. Q 7,25; 9,57ff.) - klar als negativer Zustand wahrgenommen, doch erscheint sie unter theologischer Perspektive auch als Einfallstor für das Handeln Gottes (z.B. 4,25f; 7,13f). Die angenehmen Seiten irdischen Wohlstands treten gleichermaßen deutlich hervor wie die Härte der Armut (vgl. 12,19; 15,22-25; 16,19), doch werden auch Gefahren benannt, die aus theologischer Sicht großer Besitz an materiellen Gütern in eschatologischer Hinsicht birgt (z.B. 1,53; 6,24; 14,33; 16,25). Um den Komplex Armut und Reichtum als Zustand zu erfassen, sind die Texte erstens unter folgender doppelter Fragestellung zu analysieren: 5.1.1 Wie werden die ökonomischen Zustände „Armut“ und „Reichtum“ beschrieben? Was ist den Texten darüber zu entnehmen, wie ihre Überlieferungsträger Armut und Reichtum verstanden? a) Wie werden Armut und Reichtum charakterisiert? b) Wie werden Armut und Reichtum einander gegenübergestellt bzw. wie wird die Beziehung von Armen und Reichen geschildert? c) Welche Ursachen für Armut und Reichtum werden genannt? 5.1.2 Welche theologische Deutung erfahren Armut und Reichtum? 5.2 Das Handeln des Menschen - der Umgang des Menschen mit materiellen Gütern Im Anschluss an die Analyse der ökonomischen Situation und ihrer theologischen Deutung ist zweitens in den Blick zu nehmen, wie sich der Mensch in den jeweiligen ökonomischen Gegebenheiten zu materiellen Gütern verhält, wie also der Umgang des Menschen mit und seine Beziehung zu materiellen Gütern dargestellt wird und welche theologischethischen Begründungen dafür begegnen. Der Mensch ist grundsätzlich in einem Beziehungsdreieck mit den Eckpunkten „Ich - Mitmenschen - Gott“ wahrzunehmen. Die S Lk -Texte reflektieren das Verhältnis des Men- 308 Landwehr, Diskursanalyse, 114. 309 Bei der Analyse der Aussagen, die in Gleichnissen zur Thematik „Armut und Reichtum/ Umgang mit materiellen Gütern getroffen werden, ist besonderes hermeneutisches Augenmerk geboten. Vgl. oben S. 95f. <?page no="61"?> 61 schen zu materiellen Gütern innerhalb dieser drei Beziehungen, also in sozialer (z.B. 10,29ff), religiöser (z.B. 8,3; 14,33) und autoreferentieller Dimension (12,15.19). Um zu erfassen, wie der Mensch als Subjekt in seiner ökonomischen Situation gesehen wird, sind die Texte unter folgenden Fragestellungen zu analysieren: 5.2.1 Wie wird der Umgang mit materiellen Gütern in sozialer, religiöser und autoreferentieller Dimension dargestellt? 5.2.2 Welche ethischen Leitlinien für den Umgang mit materiellen Gütern sind im Text zustimmend, ablehnend oder neutral reflektiert? 5.2.3 Wie wird der Umgang mit materiellen Gütern theologisch interpretiert? 5.3 Das Handeln Gottes bzw. Jesu an armen und reichen Menschen Die Thematik Armut und Reichtum wird im Lukasevangelium sowohl unter der Perspektive des Menschen als Subjekt als auch unter dem Aspekt aufgegriffen, wie Gott sich als Subjekt in Bezug auf Armut und Reichtum verhält. Um die Rolle Gottes als handelndes Subjekt in und an den ökonomischen Zuständen „Armut“ und „Reichtum“ zu beschreiben, ist drittens folgende Fragestellung zu analysieren: 5.4 Wie handelt Gott bzw. Jesus an armen bzw. reichen Menschen - zu Lebzeiten und eschatologisch? 6. Ich komme zum letzten Punkt der diskursanalytischen Methode Landwehrs: Schließlich geht der hermeneutische Rahmen der Diskursanalyse davon aus, dass sich „Diskurs und Aussage […] wechselseitig voran“ 310 bringen, d.h. dass die Diskursanalyse sich immer auf die Aussagen konzentrieren und die Aussagenanalyse auf den Diskursrahmen bezogen sein muss. Wichtig ist hier besonders die Beobachtung von Veränderungen der Merkmale (Worte, Argumentationen, Motive, Differenzierungen). In „historischer Perspektive bietet sich die wichtige Möglichkeit auf das Vergessen, Verdrängen, Unterdrücken oder Beschweigen von Diskursen zu achten“ 311 . 2.3 Erwartungen Welche Erwartungen lassen sich für die vorliegende Studie mit der historischen Diskursanalyse verbinden? Die historische Diskursanalyse wird hier weniger als eine eigene Methode verstanden, sondern eher als eine zusätzliche Perspektive. Die Überlieferungsgeschichte bleibt auf die vorliterarischen und u.U. literarischen Weitergabe- und Übernahmebzw. Verlustprozesse bezogen. Theologiegeschichte fragt einerseits historisch im Sinne von Übernahmen, Abhängigkeiten, Entwicklungen, andererseits propositional-positio- 310 Landwehr, Diskursanalyse, 127. 311 Landwehr, Diskursanalyse, 128. <?page no="62"?> 62 nell nach ‚Theologien‘. Diskursanalyse kann zusätzlich die überlieferungsgeschichtlichen Beobachtungen in eine dynamische Ordnung bringen und mit Personen und Institutionen verbinden, ohne eine eigentliche Geschichtskonstruktion vornehmen zu müssen oder die dynamischen Prozesse der Übernahme, Auswahl und Nebeneinanderstellung von Überlieferungen in neue statisch-propositionale Positionen zu gießen. Sie hält sich also in der Mitte zwischen den beiden ‚klassischen‘ Fragestellungen historischer Exegese. <?page no="63"?> 63 B Der Diskurs um Armut und Reichtum/ Umgang mit materiellen Gütern im S Lk I Sicherung der Textbasis 1. Lk 1,46-55: Magnificat Inhaltliches Kriterium: In v. 53 steht der Schlüsselbegriff plouteiqn . Formales Kriterium: Das Magnificat hat keine Parallele in Mk oder Mt. In den Abschnitten über die Vorbereitung der Wirksamkeit Jesu (Lk 3,1-4,13) und das Wirken Jesu in Galiläa (Lk 4,14-9,50) finden sich folgende thematisch relevante Perikopen: 2. Lk 3,10-14: Standespredigt des Täufers Inhaltliches Kriterium: Lk 3,10-14 thematisiert den Umgang mit materiellen Gütern: V. 11 fordert dazu auf, dem zu geben, der nichts hat ( metadidoßnai tvq # mh? eäxonti , v. 11), v. 14 dazu sich an materiellen Gütern zu begnügen/ nicht mehr haben zu wollen ( aörkeiqsje toiqw uÖyvnißoiw uÖmvqn , v. 14). Formales Kriterium: Plummer und Schürmann 1 plädieren dafür, dass die Standespredigt Johannes des Täufers (Lk 3,10-14) ein von Mt ausgelassenes Q-Stück darstellt. Hauptargument dafür ist, dass sich Lk 3,10-14 gut in das umgebende Q-Material Lk 3,7b-9.16b-17 (par Mt 3,11-12) einfügt. Dagegen ist wahrscheinlich, dass Lk 3,10-14 aus einer Sonderquelle des Lukas stammt oder lukanische Komposition ist. 2 3. Lk 4,16-30*: Antrittspredigt Jesu in Nazareth Inhaltliches Kriterium: In v. 18 findet sich das Schlüsselwort ptvxoßw. V. 25-27 thematisiert mit der Erwähnung der von Hungersnot bedrohten Witwe eine extreme Armutssituation. Formales Kriterium: Die Antrittspredigt Jesu Lk 4,16-30 ist wohl von Mk 6,1-6a inspiriert, besonders in den v. 16.22.24 fallen wörtliche Anklänge an Mk auf. Für die v. 17-21.23.25-30 erwägt Fitzmyer die Herkunft aus einer lukanischen Sonderüberlieferung oder lukanische Komposition. 3 Neben Lk 4,18f. ist noch Lk 4,25-27 (von Hungersnot bedrohte Witwe) in den Blick zu nehmen. Mit Bultmann 4 hält Fitzmyer für wahrscheinlich, dass die v. 25-27 aus einer aramäischen Quelle stammen. Nach Fitzmyer schuf 1 Vgl. Plummer, Luke, 169; Schürmann, Lukas I, 169. 2 Vgl. Fitzmyer, Luke I, 464. 3 Vgl. Fitzmyer, Luke I, 526f. 4 Vgl. Bultmann, Geschichte, 31. <?page no="64"?> 64 Lukas mit v. 17-21.28-30 in Anlehnung an Mk 6,1-6a wohl den Rahmen für die Einfügung der Traditionen, da in diesen Abschnitten spezifisch lukanische Interessen zu erkennen seien. 5 Schürmann nimmt an, dass Lukas in den v. 16-30 eine Version der Logienquelle vorgelegen habe, die mit den v.16.22.23b.24.28-30 die Grundzüge der Erzählung beinhaltet habe. 6 Für die v. 25-27 hält auch Schürmann eine lukanische Sonderquelle für wahrscheinlich. 7 In der sogenannten „kleinen Einschaltung“, Lk 6,20-8,3, ist Material aus Q und S Lk in den Markusstoff eingefügt. Folgende Stellen sind inhaltlich relevant: 4. Lk 6,24-26: Weherufe über Reiche, Satte und Lachende Inhaltliches Kriterium: In v. 24 findet sich der Schlüsselbegriff ploußsiow . Formales Kriterium: In Bezug auf die Weherufe Lk 6,24-26 aus der sogenannten Feldrede Lk 6,20-49 stehen zwei Grundthesen einander gegenüber: Eine Position besagt, dass die Weheworte aus Q stammen und von Mt nach den Seligpreisungen ausgelassen wurden, da sie für seine Redekomposition ungeeignet waren. 8 Dagegen wird die Ansicht vertreten, dass Lukas selbst sie hinzufügte. 9 Für letztere These spricht, dass die Gründe für eine Auslassung der Weherufe in Mt nicht überzeugen. Argument für lukanische Komposition ist die Häufung von lukanischem Vokabular in v. 24-26. 5. Lk 7,41-43 im Kontext von Lk 7,36-50*: Schuldnergleichnis Inhaltliches Kriterium: Das Gleichnis v. 41-43 spricht das Thema „Verschuldung“ an ( dußo xreofeileßtai hQsan danisthq # tini ). Formales Kriterium: Die Erzählung von Jesus und der Sünderin Lk 7,36-40.44-50 10 und das Schuldnergleichnis Lk 7,41-43 stammen aus einer Sonderüberlieferung des Lukas. Vieles spricht dafür, dass die beiden Teile der Perikope, die Verkündigungsgeschichte (v. 36-40.44-47ab) und das Gleichnis vom Schuldenerlass (v. 41-43), Lukas bereits gemeinsam überliefert vorlagen und v. 47c eine redaktionelle Hinzufügung ist, die Erzählung und Gleichnis mit- 5 So auch Creed, The Gospel, 65; Klostermann, Lukasevangelium, 62; Tannehill, The Mission, 52; Schneider, Lukas, 106f. 6 Schürmann, Traditionsgeschichte, 191-205. 7 Zur Auseinandersetzung mit Schürmann vgl. Fitzmyer, Luke I, 530, Anm. zu v. 16. 8 So Frankemölle, Makarismen, 64. 9 So Dupont, Béatitudes I, 299-342. So Fitzmyer, Luke I, 627: Als lukanisches Vorzugsvokabular in Lk 6,24-26 führt er in Anlehnung an Hawkins (Horae synopticae, 15ff; die entsprechenden Vokabellisten finden sich auch bei Fitzmyer, Luke I, 110ff.) an: plhßn, ploußsiow (24), klaißein (25) mit Einschränkung auch paraßklhsiw (24). 10 Die Erzählung von Jesus und der Sünderin reflektiert den Diskurs um den Umgang mit materiellen Gütern nur ansatzweise (Erwähnung von kostbarem Salböl). Überlieferungsgeschichtlich interessant ist jedoch die Frage, warum bei Lk im Vergleich zu den Seitenreferenten (Mt 26,10f.; Mk 14,6f.; Joh 12,7f.) das Motiv „Vergeudung materiellen Besitzes vs. Hilfe für Arme“ fehlt. <?page no="65"?> 65 einander verbindet. 11 Für die v. 48-50 nimmt Fitzmyer Red Lk an, die Markusreminiszenzen enthält. 12 Der synoptische Vergleich ergibt, dass Lk 7,36-50 Detailübereinstimmungen mit der Erzählung von der Salbung in Bethanien in Mk 14,3-9 (vgl. Mt 26,6-13; Joh 12,1-8) aufweist, aber auch einige signifikante Unterschiede. Auffällig ist desweiteren, dass Lk 7,36-50 einige Details mit der johanneischen Version gemeinsam hat, die an anderen Stellen aber wiederum der markinischen bzw. matthäischen Fassung näher steht. Wahrscheinlich ist, dass die Erzählung einer Salbung Jesu durch eine Frau, die in eine Mahlsituation eindrang im Stadium der mündlichen Tradition verschiedene Ausformungen fand, die in Mk 14,3-9; Lk 7,36-50 und Joh 12,1-8 festgehalten sind (s. S. 81ff.). 6. Lk 8,1-3: Das Vermögen dreier Frauen im Dienst der basileißa Inhaltliches Kriterium: V. 3 stellt ins Zentrum, dass die Frauen ihren Besitz für Jesus einsetzen ( tißni diakoneiqn eök tvqn uÖparxoßntvn tini? , v. 3). Formales Kriterium: Die Perikope über Jesu Jüngerinnen (Lk 8,1-3) beschließt die sogenannte kleine Einschaltung. Fitzmyer nimmt an, dass die Perikope insgesamt lukanische Komposition ist, da sich in den v. 1-2a typisch lukanische Worte und Wendungen finden. 13 Für die Liste der Frauennamen ist eine vorlukanische Quelle wahrscheinlich. Die Unterschiede im Wortlaut zu Mt 9,35; 11,1 sind zu stark, um eine Herkunft aus Q anzunehmen. 14 Schürmann nimmt für 8,1 Red Lk an, für 8,2f schließt er diese jedoch aus: Mk 15,40 und Mk 16,1-8 können s.E. nicht im Hintergrund von Lk 8,2-3 stehen, da dort weder von Johanna und Susanna noch vom heilsamen Wirken Jesu an ihnen die Rede ist. Wenn Lukas in 23,49.55 (in Entsprechung zu Mk 15,40f.) die Frauen am Grab erwähnt, die Jesus aus Galiläa nachgefolgt sind, so verzichtet er dort darauf, auf deren Dienst zu verweisen. 15 Ein großer Teil der S Lk -Texte findet sich in Lk 9,51-19,27, dem Abschnitt des Lk, der die Wanderung Jesu nach Jerusalem berichtet („Reisebericht“ 16 ). 11 Vgl. Fitzmyer, Luke I, 684. 12 Vgl. Fitzmyer, Luke I, 685. 13 Vgl. Fitzmyer, Luke I, 695; Creed, The Gospel, 112f; Jeremias, Sprache, 174-178. 14 Vgl. Fitzmyer, Luke I, 695; Schürmann, Lukas I, 447. 15 Schürmann vermutet, dass in einer vorlukanischen Komposition, die unter anderem Lk 7,11-17.36-50; 8,2f. umfasst habe, der dankbare Dienst der geheilten Frauen thematisiert wurde, da dies schon in der unmittelbar vorangehenden Perikope 7,36-50 Thema gewesen sei (Schürmann, Lukas I, 447). 16 Vgl. Schnelle, Einleitung, 293. Schnelle setzt sich ebd. (vgl. insb. Anm. 376) kritisch mit von Bendemann auseinander, der die Existenz eines lukanischen Reiseberichtes bestreitet (vgl. von Bendemann, DOCA , 392). <?page no="66"?> 66 7. Lk 10,29-37: Barmherziger Samaritaner Inhaltliches Kriterium: Die Zuwendung des Samaritaners zu dem unter die Räuber Gefallenen konkretisiert sich in finanziellem Aufwand für ihn (v. 35: eädvken tvq # dußo dhnaßria tvq # pandoxeiq […] oÄ ti aün prosdapanhßsh#w eögv? […] aöpodvßsv soi ). Formales Kriterium: Die Beispielerzählung vom barmherzigen Samaritaner in Lk 10,29-37 stammt aus lukanischem Sondergut. Wohl sekundär wurde sie an v. 25-28 angefügt, da sie die Frage des Schriftgelehrten, wer sein Nächster sei (v. 29), nicht wirklich beantwortet. 17 In v. 37 findet sich möglicherweise Red Lk . 18 8. Lk 12,13-15: Erbstreit und Warnung vor Habgier Inhaltliches Kriterium: Lk 12,13-15 thematisiert mit der Frage der Erbteilung und der Warnung vor pleonecißa den Umgang mit Besitz. Formales Kriterium: Lk 12,13-15 stammt aus lukanischer Sonderüberlieferung, für v. 15 ist möglicherweise lukanische Redaktion anzunehmen. 19 9. Lk 12,16-21: Reiche Ernte nach dem Tod? Inhaltliches Kriterium: In v. 16 steht der Schlüsselbegriff ploußsiow , in v. 21 plouteiqn 20 . Formales Kriterium: Die Erzählung vom reichen Kornbauern Lk 12,16-21 stammt im Kern aus lukanischer Sonderüberlieferung. V. 16 ist im Wortlaut typisch lukanisch (Red Lk ) und auch der sekundäre v. 21 dürfte auf Lukas zurückgehen (lukanische Komposition). 21 10. Lk 14,(7-11)12-14: Gastmahlpraxis - Gäste und Einladende Inhaltliches Kriterium: In v. 12 findet sich der Schlüsselbegriff ploußsiow , in v. 13 ptvxoßw. Formales Kriterium: Lk 14,7-11 dürfte größtenteils aus der lukanischen Sonderüberlieferung stammen. 22 Da v. 11 fast wörtlich mit Lk 18,14, dem Schluss einer anderen Passage aus der lukanischen Sonderüberlieferung (Lk 18,9-14, Gleichnis vom Pharisäer und vom Zöllner), und mit Mt 23,12 übereinstimmt, ist wahrscheinlich, dass Lukas v. 11 aus Q in seine Sonderüberlieferung einfügte. 17 So Fitzmyer, Luke II, 882f. 18 Vgl. ebd.; Jeremias, Sprache, 190-193. 19 Vgl. dazu Fitzmyer, Luke II, 969. 20 Bezogen auf das Reichsein bei Gott. 21 So Fitzmyer, Luke II, 973; eiQpen proßw + Akk. ist lukanische Vorzugswendung (vgl. ders., Luke I, 116). 22 Vgl. Fitzmyer, Luke II, 1044ff. <?page no="67"?> 67 Dass die Paränese vom Einladen zum Gastmahl Lk 14,12-14 aus einer lukanischen Sonderüberlieferung stammt, ist unumstritten. 23 11. Lk 14,28-33: Turmbau, Kriegführen und Nachfolge Jesu Inhaltliches Kriterium: Das Turmbaugleichnis thematisiert den Umgang mit finanziellen Ressourcen bei der Planung und Durchführung eines Bauprojekts (v. 28-30). V. 33 weist darauf hin, dass die Nachfolge Jesu fordert, allen Besitz zurückzulassen ( aöpotaßssetai paqsin toiqw eÖautouq uÖpaßrxousin ). Formales Kriterium: Der Abschnitt 14,28-32 stammt aus einer lukanischen Sonderüberlieferung. 24 Die zusätzliche Bedingung der Nachfolge in v. 33, der Besitzverzicht, stammt wohl von Lukas, der mit ouö dußnatai eiQnaiß mou majhthßw die Schlussworte der v. 26 und 27 wiederholt. 12. Lk 15,8-10: Die Frau und die verlorene Drachme Inhaltliches Kriterium: Kern der Erzählung ist der Verlust und das folgende Suchen und Finden von Besitz. Formales Kriterium: Lk 15,8-10 stammt mit hoher Wahrscheinlichkeit aus lukanischer Sonderüberlieferung. 25 13. Lk 15,11-32: Der Vater und seine beiden Söhne Inhaltliches Kriterium: Das Gleichnis thematisiert, dass ein Vater die Güter des Hofes unter seinen Söhnen aufteilt. Formales Kriterium: Das Gleichnis vom verlorenen Sohn stammt aus lukanischer Sonderüberlieferung. 26 14. Lk 16,1-12: Der kluge Verwalter und der Umgang mit dem Mammon Inhaltliches Kriterium: In v. 1 findet sich der Schlüsselbegriff ploußsiow. Formales Kriterium: Das Gleichnis stammt aus lukanischer Sonderüberlieferung. Red Lk ist in diesem Abschnitt kaum erkennbar, abgesehen vom Einleitungsvers 1a ( eälegen proßw + Akk.). 27 23 Dass die drei S Lk -Perikopen Lk 14,1-6.7-11.12-14 schon vorlukanisch verbunden waren, ist aber nicht wahrscheinlich (vgl. Fitzmyer, Luke II, 1046). 24 Auf redaktionelle Bearbeitung durch Lukas deutet die Wendungen kajißsaw + finites Verb (v. 28) hin (vgl. Fitzmyer, Luke II, 1061.1065; ders., Luke I, 110.114). 25 Vgl. Fitzmyer, Luke II, 1080; Bovon hält sowohl eine Autorenschaft des Lukas als auch eine Herkunft aus dem Sondergut für möglich (vgl. Bovon, EKK III/ 3, 31 Anm. 86). 26 Spuren redaktioneller Bearbeitung durch Lukas sind in eiQpen deß (v.11.21), der Litotes met ö ouö pollaßw hÖmeßraw (v. 13), dem Partizip aönastaßw + finitem Verb (v. 18.20), eiQpen proßw + Akk. (v. 22), hQn aöpvlvßw (v. 18.20) als thematischer Verbindung zu den v. 6 und 9 und dem Optativ in der indirekten Rede tiß aän eiäh tauqta zusammen mit dem Verb puntaßnesjai (v. 26) zu erkennen (vgl. Jeremias, Sprache, 33; Fitzmyer, Luke I, 110-116; ders., Luke II, 1087; Rehkopf, Grammatisches, 213-215. 27 Vgl. Fitzmyer, Luke I, 116; ders., Luke II, 1095f.; Jeremias, Sprache, 255-257. <?page no="68"?> 68 Lk 16,8b-12 enthält Anwendungen des voranstehenden Gleichnisses. Der Abschnitt stammt aus der lukanischen Sonderüberlieferung, bildete aber wohl keine ursprüngliche Einheit. 28 Die v. 8b-12 weisen semitische Ausdrucksweise auf und zeugen von palästinischem Hintergrund, 29 sie waren wahrscheinlich schon vorlukanisch mit dem vorangehenden Gleichnis verbunden. 30 V. 9 scheint vorlukanisch in Anlehnung an 16,4 gebildet zu sein. Ob die v. 10-12 Lukas ebenfalls bereits mit den vorangehenden Versen verbunden vorlagen, ist unklar. Jeremias betont, dass die Form der antithetischen Parallelismen auf vorlukanischen Sprachgebrauch deuten. 31 15. Lk 16,19-31: Reicher Mann und armer Lazarus Inhaltliches Kriterium: In v. 19.22 findet sich der Schlüsselbegriff ploußsiow , in v. 20.22 ptvxoßw . Formales Kriterium: Lk 16,19-31 stammt aus einer lukanischen Sonderüberlieferung, doch finden sich zahlreiche Spuren lukanischer Redaktion. Andererseits fallen zahlreiche unlukanische Spracheigentümlichkeiten auf, die auf eine vorlukanische Quelle hinweisen. 32 16. Lk 19,1-10 „Ökonomische“ Bekehrung des Zachäus Inhaltliches Kriterium: In v. 8 findet sich der Schlüsselbegriff ptvxoßw. Formales Kriterium: Lukas übernahm die Perikope Lk 19,1-10 aus seiner Sonderüberlieferung. Spuren lukanischer Redaktion sind deutlich erkennbar. 33 Drei Passagen (Lk 16,14-18; 18,1-8; 18,9-14) aus dem Abschnitt Lk 9,51-19,27 erfüllen zwar das formale Kriterium der Zugehörigkeit zum S Lk . Hinsichtlich ihrer thematischen Relevanz sind diese Texte Grenzfälle: - In Lk 16,14 wird durch das Adjektiv filaßrgurow auf die Geldgier der Pharisäer hingewiesen. Die Passage 16,14-18 wird so mit 16,1-12.13 und 16,19-31 verknüpft. Der Umgang mit materiellen Gütern ist jedoch in 28 Vgl. Fitzmyer, Luke II, 1105; Lk 16,13 stammt aus Q (vgl. Mt 6,24). In v. 9 liegt mit kai? eögv? uÖmiqn leßgv eine vorlukanische Einleitungswendung vor (vgl. Jeremias, Sprache, 106). 29 Das gilt für oiÖ uiÖoi? touq aiövqnow - oiÖ uiÖoi? touq fvtoßw, oÖ mamvnaqw thqw aödikißaw, aiÖ aiövnißoi skhnaiß (vgl. Fitzmyer, Luke II, 1105); der sogenannte hebräische Genitiv, also der Genitiv eines Nomens zur Beschreibung eines anderen Nomens, wenn im Griechischen ein Adjektiv zu erwarten wäre, gilt als vom Hebräischen bzw. Aramäischen beeinflusste Ausdrucksweise (vgl. ders., Luke I, 123f.). 30 Dies legen die Stichwortverknüpfungen fronißmvw (v. 8a) - fronimvßteroi (v. 8b) und toßn oiökonoßmon thqw aödikißaw (v. 8a) und eök touq mamvqna thqw aödikißaw (v. 9) nahe. Zu beachten ist die Stichwortverknüpfung oÖ mamvnaqw thqw aödikißaw (v. 9) - oÖ aädikow mamvnaqw (v. 11). 31 Vgl. Jeremias, Sprache, 61f.; Fitzmyer vermutet aufgrund der starken Ähnlichkeit der v. 10-12 mit 12,42b-46 (Q) ebenfalls vorlukanische Herkunft (vgl. ders., Luke II, 1106). 32 Vgl. dazu Jeremias, Sprache, 260-262; Bultmann, Geschichte, 193; Schneider, Parusiegleichnisse, 340. 33 Vgl. Fitzmyer, Luke II, 1219. <?page no="69"?> 69 v. 14-18 nicht zentral und wird erst in der folgenden Perikope 16,19-31 wieder aufgenommen. - Lk 18,1-8 macht nicht explizit, worin es in dem Rechtsanliegen der Witwe geht und thematisiert weder ihre soziale Situation noch den Umgang mit materiellen Gütern näher. - In Lk 18,9-14 fällt zwar das Stichwort der Verzehntung ( aöpodekatouqn ), doch ist der Umgang mit materiellen Gütern nicht zentral. Lk 16,14-18; 18,1-8 und 18,9-14 erfüllen damit das inhaltliche Kriterium der Ausrichtung der Perikope auf die inhaltlichen Zentren Armut und Reichtum bzw. Umgang mit materiellen Gütern oder des Vorkommens eines Schlüsselbegriffs mit dem Wortstamm ploutbzw. ptvx- (vgl. S. 45). In Lk 19,28-21,38, dem Bericht über das Wirken Jesu in Jerusalem, finden sich keine thematisch relevanten S Lk -Texte. In der lukanischen Erzählung der Passion Jesu (Lk 22,1-23,56) findet sich nur ein thematisch relevanter Text, der zum S Lk zu rechnen ist: 17. Lk 22,35-38 Rücknahme der früheren Aussendungsbedingungen Inhaltliches Kriterium: Lk 22,35-38 thematisiert im Rückblick den besonderen Besitzverzicht der Jünger während der Zeit ihrer Aussendung. Formales Kriterium: Lk 22,35-38 enthält Elemente aus einer lukanischen Sonderüberlieferung, die Lukas hier jedoch nicht als Einheit vorlag. 34 In 22,35 zitiert Lukas die Aussendungsbedingungen aus 10,4 (Q). 34 So Fitzmyer, Luke II, 1429. - Loisy, L'Evangile selon Luc, 521 und Finegan, Überlieferung, 16, dagegen halten die Perikope für lukanische Komposition und begründen dies unter anderem damit, dass dies der Vorbereitung zur „Schwertbenutzung“ in Lk 22,49f. diene. <?page no="70"?> 70 II Semantisches Inventar Der Diskursstrang Armut und Reichtum/ Umgang mit materiellen Gütern erscheint im S Lk in folgender semantischer Gestalt: Armut und Reichtum Armut (Zustand/ Menschen): aiöxmaßlvtow (4,18); aöpoßllusjai (15,17); douqlow (15,22); eöpaiteiqn (16,3); eöpijumeiqn [ xortasjhqnai ] (16,21); [ ouök / mh? ] eäxein (3,11; 7,42); gunhß (15,8); kakaß (16,25); lißmow (4,25; 15,14.17); mißsjiow (15,17.19 35 ); oiökonoßmow (16,1.3.8); oöfeißlein (7,41; 16,5.7); paiqw (15,26); peinaqn (6,25; 1,53); ptvxoßw (4,18; 16,20.22; 19,8); tapeißnvsiw (1,48); tejraußsmenow (4,18); uÖstereiqn (22,35); uÖstereiqsjai (15,14); xreofeileßthw (7,41; 16,15 36 ); xhßra (4,25 bis ). Reichtum (Zustand/ Menschen): danißsthw (7,41); eömpeplhsmeßnow (6,25); kußriow (16,3.5.8); perisseußein (12,15); ploußsiow (6,24; 12,16; 14,12; 16,1.19.21.22; 19,2); plouteiqn (1,53). Umgang mit materiellen Gütern materielle Güter I Abstrakta: aögajaß (1,53; 12,18.19; 16,25); aöntapoßdoma (14,12); bißow (15,12.30); dapaßnh (14,28); klhronomißa (12,13); paßnta (4,27; 15,13.14); ouösißa (15,12.13); oöyvßnion (3,14); uÖpaßrxonta (8,3; 12,15; 14,33; 16,1; 19,8). II Konkreta: a) Landwirtschaftliche Güter: aöpojhßkh (12,18); eärifow (15,29); karpoßw (12,17); siqton (12,18; 16,7); xvßra (12,16) b) Geld: draxmhß (15,8.9); dhnaßrion (10,35); mamvnaqw (16,9.11) c) Güter des täglichen Bedarfs: aärtow (15,17); ballaßntion (22,35.36); brvßmata (3,12); iÖmaßtion (22,36); maßxaira (22,36); phßra (22,35.36); uÖpoßdhma (15,22; 22,35); xitvßn (3,11). d) Luxusgüter: bußssow (16,19); daktußliow (15,22); moßsxow (15,23.27.30); mußron (7,37.38.46); porfußra (16,19); stolhß (15,22). Dimensionen des Handelns a) sozial: aäriston [ poieiqn ] (14,12); deiqpnon [ poieiqn ] (14,12); diaireiqn (15,12); didoßnai (10,35; 15,29; 19,8); aöntapodidoßnai (14,14); aöpodidoßnai (7,42; 10,35; 19,8); metadidoßnai (3,11); doxhß [ poieiqn ] (14,13); euöfraißnesjai 37 (15,23.24.29.32); merißzesjai (12,13); sugxaißrein (15,9); xarißzesjai (7,42.43). 35 Nur hier im NT. 36 Nur hier im NT. 37 Für die Beschreibung gemeinschaftlichen Genusses. <?page no="71"?> 71 b) autoreferentiell: - alltäglich: eöndidußskein (16,19); eöndußein (15,22); pißnein (12,19); xortasjhqnai (15,16; 16,21); fageiqn (15,23). - öffentlich-rechtlich: aögoraßzein (22,36); aörxitelvßnhw (19,2); oiökodomeiqn (14,28.30); oiökonomeiqn (16,2); oiökonomißa (16,2.3.4); praßssein (3,13); pvleiqn (22,36); telvßnhw (3,12; 5,27.30). - negativ konnotiert: diaskorpißzein (15,13; 16,1); katafageiqn (15,30); lh#sthßw (10,30.36); pleonecißa (12,15); sukofaßntein (3,14; 19,8). - Sonstiges: aöpollußnai (15,8.9); aörkeiqsjai [tini? ] (3,14); dapanaqn (15,14); eiQnai [tini] (12,20); eöpaiteiqn 38 (16,3); eÖtoimaßzein (12,20); euÖrißskein (15,8.9 bis ); euöfraißnesjai (12,19; 16,19); eäxein (3,11.12; 15,8; 14,28); zhteiqn (15,8); jhsaurißzein (12,21); perisseußein (12,15; 15,17); pistoßw [gißgnesjai] (16,12); sunaßgein (12,17.18; 15,13); yhfißzein (14,28). c) religiös: aöpotaßssesjai (14,33); diakoneiqn (8,3); plouteiqn [ eiöw jeoßn ] (12,21). eschatologischer Lohn aölhjinoßn (16,11); aöntapodidoßnai (14,14); zvhß (12,15); skhnai? aiövnißoi (16,9). Handeln Gottes bzw. Jesu an armen bzw. reichen Menschen a) gegenwärtig: aöposteßllein (4,18); aäfesiw (4,18 bis ); dektoßw ( eöniauto? w kurißou ) (4,19); eiöpeiqn (12,20; 19,5); eöpibleßpein (1,48); euöaggelißzesjai (4,18); khrußssein (4,18); poieiqn [ megaßla ] (1,49). b) eschatologisch: - Verheißungshandeln: eömpiplaßnai (1,53); koßlpow ’Abraaßm [ eiQnai eön ] (16,22.23); parakaleiqn (16,25); uÖyouqn (1,52). - Gerichtshandeln: aöpeßxein [ th? n paraßklhsin ] (6,24); basaßnoi [ uÖpaßrxein eön] (16,23); eöcaposteßllein [ kenoußw ] (1,53); kajaireiqn (1,52); kenoßw [ eöcaposteßllein ] (1,53); klaißein (6,25); oödunaqsjai (16,24); peinaqn (6,25); penjeiqn (6,25). 38 In der Bedeutung „betteln“. <?page no="72"?> 72 III Analyse der Texte des S Lk 1 Lk 1,46-55: Magnificat Kontext und Abgrenzung. Die Erzählung Lk 1,26ff. schildert, dass das einfache junge Mädchen Maria von Gott auserwählt ist, den zu gebären, der ewig auf dem Thron Davids regieren wird (Lk 1,31-33). Nach dem Dialog Marias mit dem Engel Gabriel (Lk 1,26-38) berichtet Lukas, dass Maria Elisabeth besucht. Das Magnificat verortet Lukas in der Begrüßungsszene der beiden Frauen. Er legt Maria geprägte Sprache in den Mund, die auf der Ebene der Erzählung im Evangelium zur Interpretation für ihre persönliche Situation dient. 39 Auf das Magnificat folgt eine Notiz über die Dauer des Besuchs Marias und deren Abreise (1,56). In 1,57 nimmt Lukas den Erzählstrang der Geschichte Elisabeths und der Geburt des Täufers wieder auf. Struktur. Das Magnificat ist ein poetischer Text, in dem Gott in der Form eines Hymnus 40 gepriesen wird. Er weist folgende Struktur auf: v. 46b.47: Einleitende Ankündigung Marias zum Lob Gottes. v. 48: erste Begründung des Lobpreises Gottes: oÄti […] + Zwischenruf: iädou […] makariouqsin […]. v. 49a: zweite Begründung des Lobpreises Gottes: oÄti […]. v. 49b.50: Rühmen der Heiligkeit des Namens und des Erbarmens Gottes, des Mächtigen Ausweitung von der Person Marias auf ganz Israel. v. 51-53: Schilderung der machtvollen Taten Gottes: v. 51a: „Überschrift“: eöpoißhsen kraßtow eön braxißoni auötouqv. v. 51b: Zerstreuung der uÖperhfaßnoi (geistliche Dimension). v. 52: Sturz der dunaßstew , Erhöhung der tapeinoiß (soziale Dimension). v. 53: Fülle für peinvqntew , Leere für ploutouqntew (ökonomische Dimension). v. 54f.: Bezug auf Israel und Rückbindung an die Verheißung. 1.1 Redaktionskritik Lukas hat das Magnificat wohl in einem relativ späten Stadium in die Kindheitsgeschichte eingearbeitet; denn spezielle Bezüge zwischen der Erzählung und dem Magnificat gibt es nur in v. 48. 41 Das Magnificat ist ein Mosaik aus Wendungen und Ausdrücken, die aus der Septuaginta stammen. Lukanische Redaktion lässt sich im Magnificat für v. 48 wahrscheinlich machen. 42 39 Vgl. Bovon, EKK III/ 1, 82; Radl, Lukas, 80; Wolter, Lukasevangelium, 100: Lukas lässt Maria „eine Deutung des erzählten Geschehens im Lichte der Erwählungsgeschichte Israels liefern, und er lässt sie dies mit den Worten tun, mit denen Israel schon immer das heilvolle Eingreifen Gottes zugunsten seines Volkes gepriesen hat“. 40 So Gunkel, Lieder, 48; Radl, Lukas, 73. 41 Vgl. zum Folgenden Fitzmyer, Luke I, 359. 42 Vgl. Jeremias, Sprache 60ff.; Fitzmyer, Luke I, 360. <?page no="73"?> 73 Dafür sprechen folgende Indizien: Betrachtet man die Struktur des Magnificat (s.o.), zeigt sich, dass der Vers isoliert steht, während v. 49.50 (Heiligkeit, Macht, Erbarmen als drei Attribute Gottes) und v. 51-53 (Schilderung der machtvollen Taten Gottes) eine innere Verbindung aufweisen. Dass doppelte oÄti in v. 48 und v. 50 ist ungewöhnlich. Zudem weist v. 48 Querverbindungen zur vorangegangenen Erzählung auf und stellt so aus dem allgemeinen Lobpreis einen speziellen Bezug zu Maria her: Die Selbstbezeichnung Marias als doußlh jeouq findet sich schon in v. 38; der Verweis auf die künftige Seligpreisung Marias (aöpo? touq nuqn makariouqsin ) reflektiert die Seligpreisung Elisabeths in v. 45 ( makarißa hÖ pisteußsasa ) 43 . Schließlich geht v. 48b über den restlichen Text hinaus, indem er betont, dass nicht nur Israel, sondern alle Völker ( paqsai aiÖ geneaiß ) das Heilshandeln Gottes preisen werden. 1.2 Theologisch-inhaltliche Analyse (#.1.1) Maria lobt Gott und freut sich über ihn, ihren Retter, da er sich ihrer tapeißnvsiw (v. 48) zugewandt hat ( eöpebleyen eöpiß , v. 48). Das, was im Magnificat über die soziale Situation Marias ausgesagt wird, steckt in dem schillernden Begriff tapeißnvsiw . Das Wort ist im biblischen Sprachgebrauch in sozialem bzw. wirtschaftlichem Sinn zu verstehen und negativ mit Demütigung, Erniedrigung, Elend oder Schande (vgl. Gen 16,11[bezogen auf Hagar]; Dtn 26,7; Ps 9,14; Neh 9,9; Jak 1,10) konnotiert. 44 Die gängige Übersetzung mit „Demut“ ist problematisch, da tapeinoßw in der Septuaginta im Sinne der positiven moralischen Haltung, Demut, nicht eindeutig nachzuweisen ist. Demut ist dort durch tapeino? w thq # kardißa und tapeinoßfrvn ausgedrückt. Im Magnificat legen aber die Selbstbezeichnung Marias als doußlh jeouq, der Ausdruck foboußmenoi (jeouq) 45 sowie uÖperhfaßnoi dianoißa# kardißaw (v. 51) nahe, dass die Konnotation „Demut“ hier zumindest mitschwingt. Die alttestamentlichen Referenzstellen zu v. 48a legen nahe, dass tapeißnvsiw im Magnificat in erster Linie sozioökonomische Bedeutung hat: 46 V. 48a spielt auf die Worte Leas (Gen 29,32 LXX) an und bezeichnet dort die Situation der Verachtung Leas durch ihren Mann Jakob; in 1 Sam 1,11 LXX meint t. die Unfruchtbarkeit Hannahs; in 1 Sam 9,16 ist t. in Bezug auf Israel und dessen Begehren nach einem König gebraucht. - In v. 52 weist die Gegenüberstellung von tapeinoiß und dunaßstew (v. 52) ebenfalls auf die soziale Konnotation von tapeinoßw hin. Dass Lukas Maria als materiell arm darstellt, indem er sie in 2,22ff. als Reinigungsopfer das Armenopfer von zwei Tauben statt eines Schafes darbringen lässt, spricht zudem für diese Deutung. 43 Vgl. auch Gen 30,13 LXX: makarißa eögv? , oÄti makariouqsißn me paqsai aiÖ gunaiqkew . 44 So Leivestad, tapeinoßw ; vgl. Bovon, EKK III/ 1, 88; Radl, Lukas, 74. 45 Die Wendung bezeichnet im biblischen Sprachgebrauch die Frommen in Israel (LXX Ps 14,4; 21,24.26; 24,12.14; 30,20; 32,18), wird aber möglicherweise von Lukas auf die Gruppe der seboßmenoi übertragen (vgl. Radl, Lukas, 82; Bovon, EKK III/ 1, 89). 46 Kowalski vertritt die These, dass in Lk Gott ausschließlich von den Armen gelobt wird (vgl. Magnificat, 48f.). <?page no="74"?> 74 In v. 53 stehen sich Hungernde ( peinvqntew ) und Reiche ( ploutouqntew ) als Adressaten des Handelns Gottes einander antithetisch gegenüber. (#.1.2) Armut wird im Magnificat zweifach theologisch gedeutet: Erstens ist die tapeißnvsiw Marias Grund für Gottes Zuwendung zu ihr ( eöpeßbleyen eöpi? th? n tapeißnvsin , v. 48a). Ihre tapeißnvsiw wird damit zum Einfallstor für das Heil bringende Handeln Gottes. Dieses wirkt sich nicht in der Beseitigung der Armut Marias aus. Auf der Ebene der lukanischen Erzählung verspricht die Geburt eines Sohnes keine Statusverbesserung für Maria, da sie noch unverheiratet ist (anders Lea in Gen 29,32 LXX; Hannah in 1 Sam 1,11). Auch an ihrer materiellen Armut (vgl. Lk 2,23f.) ändert sich dadurch nichts. Gottes Handeln an Maria ist ein heilsgeschichtliches Handeln an Israel: Er macht Maria zur Mutter eines Sohnes, der der Messias Israels auf dem Thron Davids sein wird (vgl. Lk 1,32f.). - Das Magnificat betont zweitens, dass Armut und Reichtum der Macht Gottes unterworfene Zustände sind. Gott will Armut beenden (v. 53). (#.2.1-3) Ökonomisches Handeln und ethische Leitlinien dafür werden im Magnificat nicht thematisiert und dementsprechend nicht theologisch gedeutet. (#.3) Das Handeln Gottes ist das zentrale Thema in Lk 1,46b-55. Mit Ausnahme von v. 48b ist Gott Subjekt aller Verben, 47 er wird für sein Tun gepriesen. In v. 48.49 lobt Maria Gott, weil er sich ihr aufgrund ihrer tapeißnvsiw zugewandt hat ( eöpeßbleyen eöpiß […], v. 48; eöpoißhseßn moi megaßla, v. 49; vgl. die Verheißung an Maria, insb. Lk 1,28.30b.31-33.35). Gott handelt an Maria aufgrund ihrer (sozioökonomischen) tapeißnvsiw . Sein Handeln an ihr hat in erster Linie heilsgeschichtliche Bedeutung (v. 48: paqsai aiÖ geneaiq sollen Maria selig preisen), bleibt aber nicht ohne soziale Konsequenzen. Die Beobachtung, dass auch in den prophetischen Schriften des AT das hebräische Perfekt beibehalten und eschatologisch übertragen wurde 48 , stützt die Annahme, dass die Aoriste in v. 51ff. im Sinne einer prophetischen Ansage der Zukunft, die schon begonnen hat, zu deuten sind. 49 Die Weissa- 47 Vgl. Bovon, EKK III/ 1, 81. 48 Vgl. Bovon, EKK III/ 1, 92. 49 Vgl. Schürmann, Lukas I, 70 insb. Anm. 195. Diskutiert werden folgende Bedeutungen des Aorists: historisch, gnomisch (als allgemeingültige Aussagen über Gott; so Radl, Lukas, 83), inchoativ (als Markierung des Anfangs eschatologischen Geschehens) oder als prophetisches Perfekt aus dem Hebräischen (als Zukunftsschilderung) - als Lobpreis für geschenkte Hilfe oder Prophetie erwarteten Heils. - Vgl. dazu die ausführliche Diskussion bei Mittmann-Richert, Magnificat und Benedictus, 205ff. und Bovon, EKK III/ 1, 83f. - Gunkel, Mineshige und Schürmann halten dafür, dass in den Aoristen Zukünftiges als Vergangenheit beschrieben wird (vgl. Gunkel, Lieder, 53.56, Mineshige, Besitzverzicht, 28, Schürmann, Lukas I, 71). Gunkel bestimmt das Magnificat als eschatologischen Hymnus; Schürmann vertritt eine „Kombinationslösung“: Er sieht in den Aoristen die „letzte Tat“ Gottes gepriesen, „die das Heil Israels verwirklicht (VV 50.54) <?page no="75"?> 75 gung des Engels an Maria (1,31) hat sich bereits erfüllt, Maria erwartet einen Sohn. Dieser Sohn ist der von Gott gesandte Messias auf dem Thron Davids, der Recht und Gerechtigkeit bringen soll. Mit der Sendung des Messias nimmt auch die „Erhöhung der Niedrigen und die Erniedrigung der Hohen […] ihren definitiven Anfang. Die Geburt Jesu ist die Bürgschaft für die Umkehrung der Verhältnisse“ 50 , die in ihrer vollendeten Form von Lukas eschatologisch gedacht ist, aber in der Geschichte ihren Anfang nimmt (vgl. Lk 4,16ff.). Neben dem Handeln Gottes an Maria nimmt das Magnificat das Handeln Gottes an armen und reichen Menschen generell in den Blick. In v. 51a steht die Macht Gottes im Vordergrund (eöpoißhsen kraßtow eön braxißoni, v. 51). Die v. 51b-53 sprechen von der Revolution Gottes, die sich in den drei Dimensionen, Religiosität bzw. Gesinnung, sozialer und ökonomischer Status vollzieht. Gott handelt an den in Bezug auf Gesinnung ( uÖperhfaßnouw, v. 51b) 51 , Macht ( dunaßstaw , v. 52) und Reichtum ( ploutouqntaw , v. 53) „Hohen“ bzw. „Niedrigen“: V. 51b proklamiert die Zerstreuung der Hochmütigen ( uÖperhfaßnouw dianoißa# kardißaw, v. 51 52 ); v. 52 spricht von dem Sturz der Mächtigen (dunaßstaw 53 ) und der Erhöhung der Niedrigen (tapeinoußw); v. 53 schließlich schildert die Zuteilung von Gütern an die Hungernden (peinvqntaw) 54 und die Ignoranz Gottes gegenüber den Reichen ( ploutouqntaw ), Gott schickt sie „ohne etwas, leer“ (kenoußw) weg. V. 53 schildert Gott als Geber. Hungernde und Reiche sind gleichermaßen darauf angewiesen, von ihm das zu erhalten, was sie brauchen. Gott beseitigt den Mangel der Hungernden und füllt sie mit Gütern ( eöneßplhsen und alle Unordnung der Welt zurechtrücken wird (VV 51-53)“. S.E. ist es nur dann möglich, zukünftige Heilstaten Gottes in der Vergangenheit zu beschreiben, wenn ihre Erfüllung bereits ansatzweise realisiert ist. Im Magnificat sieht Schürmann diesen kleinen Anfang in der Freude der werdenden Mutter Maria verborgen, an der Gott bereits gewirkt hat. Er bezeichnet das Magnificat folglich als Mischform von eschatologischem Hymnus und persönlichem Danklied. - Dupont plädiert für eine inchoative Interpretation der Aoriste (ders., Magnificat); Schottroff schwankt zwischen einer historischen und eschatologischen Interpretation der Aoriste: Einerseits preisen sie die verkündete Geburt des Messias, die Gottes geschehene Erbarmungstat ist, andererseits beschreiben sie ein Geschehen, das noch nicht stattgefunden hat, haben also eschatologischen Sinn (dies., Magnificat, 301ff.). - Verbunden ist die Interpretation der Aoriste häufig mit einer Verortung des Magnificat in einem bestimmten ursprünglichen Sitz im Leben: Gilt es als ein Siegeslied der Makkabäer, verweisen die Aoriste auf ein historisches Geschehen. Wird das Magnificat als ein Hymnus betrachtet, in dem Gott ohne konkreten historischen Bezug gepriesen wird, drücken die Aoriste allgemeingültige Aussagen über Gott aus. 50 Vgl. Petracca, Gott oder Geld, 28. 51 Liest man v. 50 als Pendant zu v. 51, dann stehen die foboußmenoi (jeoßn) den uÖperhfaßnoi gegenüber. Beide Begriffe treffen dann eine Aussage hinsichtlich der Beziehung des Menschen zu Gott. 52 Vgl. Ps 88,11 LXX. 53 Vgl. Sir 10,14. 54 Vgl. Ps 106,9 LXX. <?page no="76"?> 76 aögajvqn ) 55 ; den Reichen gibt er nichts, sondern schickt sie ohne etwas weg ( eöcapeßsteilen kenoußw ). Wird eine Personengruppe zugleich durch ihre religiöse Einstellung und durch ihren sozialen Status charakterisiert, sind also die Armen fromm und die Reichen „unfromm“? Bezeichnen die foboußmenoi (v. 50), die tapeinoiß (v. 52) und die peinvqntew (v. 53) und als Pendant dazu die uÖperhfaßnoi (v. 51), die dunaßstew (v. 52) und die ploutouqntew (v. 53) jeweils dieselbe Personengruppe? Eine eindeutige Identifizierung der beiden Gruppen geht aus dem Text nicht hervor; doch zu einem gewissen Grad dürfte das Magnificat die alttestamentliche Tradition aufnehmen, dass das Äußere, also die soziale Situation, Spiegel der inneren Haltung ist. 56 In Lk 1,51-53 ist der Erweis und die Ausübung von Gottes Macht das zentrale Thema ( eöpoißhsen kraßtow eön braxißoni auötouq , v. 51a); diese wirkt sich in vier Dimensionen aus: geistlich, sozial, ökonomisch und heilsgeschichtlich (bezogen auf das Volk Israel). In der sozialen Dimension bewirkt Gott eine Umkehrung der Verhältnisse: Die Mächtigen werden „Opfer“ einer Revolution und werden von ihren Machtpositionen gestürzt, die Unterdrückten erhöht. Fazit: Lukas übernimmt mit dem Magnificat einen von der Septuaginta geprägten Text (vgl. insbesondere 1 Sam 2,1-10), der die Macht Gottes besingt. Dies spiegelt sich in der starken Rückbindung an das Volk Israel und der Betonung der Verheißung Gottes an sein Volk wider. Dass Arme und Niedrige besonders die Zuwendung Gottes erfahren, ist im AT ein gängiger Topos (vgl. 1 Sam 2,1-10; Ez 21,31; Ijob 12,19; Sir 10,14). Im Magnificat gilt: Die Barmherzigkeit Gottes richtet sich auf die, die ihn fürchten (v. 50), und das Volk Israel (v. 54). Lukas setzt eigene Akzente: Er weitet den Blick vom Volk Israel auf alle Völker aus (v. 48b). Durch die Positionierung des Magnificat vor der Geburt Jesu und die Aoristformen, die eine prophetische Ansage ausdrücken, macht Lukas deutlich, dass der Messias auf dem Thron Davids für die Umkehrung der sozialen und ökonomischen Verhältnisse durch Gott steht. 2 Lk 3,10-14: Standespredigt des Täufers Kontext und Abgrenzung. Auf die Verkündigung der Bußtaufe zur Vergebung der Sünden in v. 3ff. ( khrußssvn baßptisma metanoißaw eiöw aö äfesin aÖmartivqn , v. 3), die die Hörer mit Gottes Gericht konfrontiert (vgl. v. 7.9), folgt die so genannte Standespredigt Johannes des Täufers in v. 10-14. Der Neuansatz ist durch die Zwischenfrage der Menge in v. 10 ( eöphrvßtvn […] oiÖ oäxloi leßgontew ) markiert. In v. 15 wird die Rede des Täufers erneut durch einen Kommentar unterbrochen ( prosdokvqntow de? touq laouq ). 55 Vgl. Lk 6,25. 56 So Bovon, EKK III/ 1, 90. <?page no="77"?> 77 Struktur. Die Predigt Johannes des Täufers ist durch die drei Adressatengruppen strukturiert: in v. 10f. die Volksmenge, oiÖ oäxloi , in v. 12f. Zöllner, telvqnai , und in v. 14 Soldaten, oiÖ strateuoßmenoi . Die Gruppen treten jeweils mit der Frage „ tiß poihßsvmen; “ an Johannes heran, die auf das „Wie“ der Umkehr vor der Taufe zielt - besonders deutlich zeigt sich dies in v. 12: hQljon baptisjhqnai . Johannes erteilt den einzelnen Gruppen unterschiedliche Handlungsanweisungen. 2.1 Redaktionskritik Der Ausdruck oiÖ oäxloi (v. 10) dürfte auf lukanische Redaktion zurückzuführen sein. 57 Lukanische Redaktion liegt ebenso mit hoher Wahrscheinlichkeit in der Wendung eöphrvßtvn […] leßgontew (v. 10.14) vor. 58 Desweiteren stammen mit einiger Wahrscheinlichkeit die Partikelverbindung de? kaiß 59 (v. 12), die Konstruktion von verbum dicendi + proßw 60 (v. 12.13) sowie das attische pleßon in v. 13 (statt pleiqon ) von Lukas. Das Verb diataßssv (v. 13) ist ebenfalls eine lukanische Vorzugsvokabel 61 . Lk 3,10-14 weist einige sprachliche Merkmale auf, die auf vorlukanische Tradition hindeuten: 62 Zunächst ist hier die Voranstellung der Kardinalzahl dußo (v. 11) zu erwähnen, die darauf hindeutet, dass Lukas die Wendung aus der Tradition übernommen hat. 63 Die 57 äOxloi findet sich 30mal in Mt und 16mal in Lk und siebenmal in Apg (in Mk und Joh nur je einmal und im sonstigen NT gar nicht). Lukas fügt die Wendung sechsmal in den Markusstoff ein; von den verbleibenden zehn Belegen stehen zwei in Q (Lk 7,24 par Mt 7,11; Lk 11,14 par Mt 12,23), zwei sind auf lukanische Redaktion zurückzuführen, die Q-Stoff einleiten (Lk 3,7; 14,25) und sechs finden sich (häufig in der Einleitung) in S Lk -Abschnitten (Lk 3,10; 5,3; 11,29; 12,54; 23,4.48) - vgl. auch Jeremias, Sprache, 104. 58 Pleonastisches leßgvn ist ein Hebraismus, der in den Evangelien insgesamt häufig begegnet (50mal in Mt, 26mal in Mk, 62mal in Lk/ 29 in Apg, 17mal in Joh und 15mal im übrigen NT). Von den 62 Belegen in Lk sind 25 Einfügungen in den Markusstoff, was erschließen lässt, dass es sich um eine lukanische Vorzugswendung handelt (vgl. Jeremias, Sprache 67-70). 59 Vgl. Jeremias, Sprache, 78f. 60 Vgl. Jeremias, Sprache, 33. 61 Vgl. Jeremias, Sprache, 108. 62 Vgl. Böhlemann, Täufer; Klein, Lukasevangelium, 160; Fitzmyer, Luke I, 464. - Bovon trifft keine Entscheidung (Bovon, EKK III/ 1, 166). - Andere Exegeten weisen den Abschnitt Lukas zu: Eckey, Lukasevangelium I, 183; von Dobbeler, Gericht, 47 Anm. 16; Horn, Glaube und Handeln 92; Müller, Mehr als ein Prophet; Reicke, Verkündigung, 55; Degenhardt, Evangelist der Armen, 59f. 63 Insgesamt stehen in Lk 35 vorangestellte 38 nachgestellten Kardinalzahlen gegenüber, ein Befund der scheinbar keinen Schluss auf lukanische Präferenzen zulässt. Die genauere Analyse macht jedoch wahrscheinlich, dass Lk die Nachstellung deutlich präferiert: Lk übernahm aus dem Markusstoff alle drei vorgefundenen nachgestellten Kardinalzahlen, von den sieben vorgefundenen vorangestellten übernahm er zwei, ersetzte aber fünf durch Nachstellung (Lk 8,43 diff. Mk 5,25; Lk 9,13 diff. Mk 6,38; Lk 9,14 diff. Mk 6,44; Lk 9,17 diff. Mk 6,43; Lk 9,33 diff. Mk 9,5) und fügte dreimal eine nachgestellte Kardinalzahl in den Markusstoff ein (Lk 9,13.14b.30). In der Apg stehen 44 Nachstellungen 11 Voranstellungen gegenüber. Die 33 Belege für vorangestellte Kardinalzahlen im Nicht-Markusstoff sind deshalb eher als traditionell einzustufen (vgl. Jeremias, Sprache, 107). <?page no="78"?> 78 Konstruktion des Komparativs mit paraß + Akk. (v. 13) dürfte ebenfalls vorlukanisch sein. 64 Eher vorlukanisch als lukanisch dürften auch die beiden Verben in v. 10-14 sein, die in dieser Bedeutung nur im S Lk begegnen: Praßssein in der Bedeutung „eintreiben, einfordern“ steht im NT nur in Lk 3,13 und 19,23; 65 sukofaßntein findet sich im NT ebenso nur zweimal - jeweils im S Lk : in 3,14 in Verbindung mit Soldaten, in 19,8 in Verbindung mit dem Zöllner Zachäus; strateuoßmenoi ist Hapaxlegomenon im NT. Dafür, dass Lukas mit 3,10-14 ein Traditionsstück übernommen hat, spricht, dass es nur schwer vorstellbar ist, dass Lukas eine Verkündigung des Johannes „erfunden“ hat, die gegenüber der Verkündigung Jesu eigenständiges Gewicht hat, da in der lukanischen Überlieferung (insb. Lk 1-3) Johannes in erster Linie die Funktion hat, auf Jesus hinzuweisen. 66 Lukas dürfte die v. 10-14 aus einer Sonderüberlieferung übernommen, bearbeitet und die Passage zwischen 3,7-9 (Q) und 3,16b.17 (Q) 67 eingefügt haben. 68 Der Inhalt der Standespredigt steht seinen grundsätzlichen Intentionen nahe (Interesse an Randgruppen, Mahnung zum Teilen, Vermeidung von Habgier). Die Mahnung zum Teilen in v. 11 ist ein Allgemeinplatz urchristlicher Paränese, der bereits im AT fest verwurzelt ist. 69 Eine Überlieferung von v. 10-14* in Johanneskreisen ist deshalb gut vorstellbar. 70 Schüler Johannes des Täufers könnten den eschatologischen Bußruf des Johannes auf konkrete Situationen bezogen und so als Regelwort weitertradiert haben. 71 Die Passage spricht Zöllner und Soldaten an - zwei Gruppen, die in dem zweifelhaften Ruf standen, mit der römischen Besatzungsmacht zu kooperieren. Beachtenswert ist, dass hier von ihnen nicht verlangt wird, ihren Beruf aufzugeben, wie die Pharisäer dies verlangten. 72 64 Die Präpositionen uÄper und paraß + Akk. finden sich in den Evangelien nach Komparativen nur im Nicht-Markusstoff des Lk (Lk 3,13; 16,8). Lukas formuliert Komparativkonstruktionen sonst stets mit Genitiv - entweder in Verbindung mit hä (Lk 9,13 als Zusatz zu Mk 6,38; Apg 4,19; 5,29; 20,35 als Zitat; 27,11) bzw. plhßn (Apg 5,28) oder mit bloßem Genitiv (Lk 11,31f. par Mt 12,41f.; Lk 12,23 par Mt 6,25; Lk 21,3 par Mk 12,43; Apg 4,22; 23,13.21; 24,11; 25,6) - vgl. Jeremias, Sprache, 108f. 65 Doch ist in Lk 19,23 unklar, ob das Verb praßssein an Stelle von komißzein nicht lukanische Redaktion der ursprünglichen Q-Fassung ist (vgl. Hoffmann/ Heil, Spruchquelle, 110; Robinson, Critical Edition, 549 Anm. 7). 66 Vgl. Böhlemann, Täufer, 175. 67 V. 15.16a stammen wohl von Lukas (vgl. Eckey, Lukasevangelium I, 161; Jeremias, Sprache, 109). 68 Dass v. 10-14 ursprünglich ein Bestandteil der Logienquelle war, ist nicht plausibel zu begründen; die Argumente dafür, dass Mt die Passage bewusst ausgelassen habe, überzeugen nicht (vgl. Müller, Mehr als ein Prophet, 156 Anm. 30). - Eingewandt wird bisweilen, dass die isolierte Überlieferung des Abschnitts undenkbar sei (vgl. Horn, Glaube und Handeln, 92). 69 Vgl. Ernst, Johannes, 94. 70 So Böhlemann, Täufer, 179. - Zu möglichen Berührungen zwischen Täuferkreisen und einer S Lk -Gemeinde vgl. Ernst, Johannes, 96. 71 Vgl. Böhlemann, Täufer, 176; Ernst, Johannes, 97.313. 72 Vgl. Petzke, Sondergut, 70. <?page no="79"?> 79 2.2 Theologisch-inhaltliche Analyse (#.1.1) In v. 10f. sind Armut und Reichtum einander nicht explizit gegenübergestellt - die Trennlinie verläuft zwischen denen, die genug, aber nicht überreichlich, und denen, die nicht genug zum (Über-)Leben haben: oÖ eäxvn dußv xitvqnaw / brvßmata - oÖ mh? eäxvn (v. 11). V. 11 stellt dar, wodurch Armut gekennzeichnet ist, nämlich durch Mangel an den existentiellen Grundbedürfnissen Kleidung und Nahrung ( xitvqnaw / brvßmata ) 73 . Reichtum wird nicht in den Blick genommen; angesprochen sind nicht Reiche, sondern die, die ausreichend zum Leben haben und nicht bettelarm sind. (#.1.2) Eine theologische Deutung erfährt Armut in v. 10f. nicht. (#.2.1) In den Blick genommen wird in v. 11.13.14 die soziale und die autoreferentielle Dimension des Umgangs mit materiellen Gütern. Die soziale Dimension ist in der Forderung an die oäxloi (v. 11) betont: Wer genug zum Leben hat, soll mit demjenigen, dem es am Notwendigsten mangelt ( tvq # mh? eäxonti ), Nahrung und Kleidung teilen. Eine soziale Dimension hat freilich auch die Ermahnung an die telvqnai , nicht mehr als vorgeschrieben zu fordern (v. 13) - die Abgabepflichtigen profitieren davon; doch diese sind hier nicht explizit erwähnt. 74 Im Vordergrund steht in der Ermahnung an die telvqnai (v. 13) sowie in der Forderung an die strateuoßmenoi , sich mit ihrem Sold zu begnügen (v. 14), das Verhältnis der angesprochenen Personengruppen zum Geld per se, also der autoreferentielle Aspekt: Das Mehr-haben-Wollen, die Habgier, wird verurteilt. Da die Soldaten sich taufen lassen wollen, ist davon auszugehen, dass es sich um jüdische Soldaten handelt. 75 Wahrscheinlich ist, dass 3,14 auf jüdische Soldaten des Herodes Antipas anspielt. 76 Die Anfrage der Menschen, tiß ouQn poihßsvmen (3,10.12.14), als Reaktion auf die Gerichtspredigt macht die religiöse Dimension des Handelns deutlich: Umkehr/ Bekehrung wirkt sich nicht (nur) als Gesinnungsänderung, sondern in verändertem Verhalten aus. 77 (#.2.2) 3,11 nimmt die traditionelle Forderung des Teilens mit Armen aus der Thora positiv auf. (#.2.3) Die Volksmenge reagiert auf die Gerichtspredigt Johannes des Täufers und seine Aufforderung poihßsate ouQn karpou? w aöcißouw thqw metanoißaw (3,8) mit der Frage tiß ouQn poihßsvmen (3,10.12.14). Die Gerichtspredigt bildet 73 Vgl. auch Lk 4,25f.; 15,13ff.; 16,19ff. 74 Da die Zollverordnungen in der Öffentlichkeit kaum bekannt waren, hatten Zollpächter die Möglichkeit, über die festgesetzte Pachtsumme hinaus Forderungen zu stellen (vgl. Kegler/ Eisen, Art. Berufe, 604). 75 Nach Josephus, Ant XII, 180ff. ist denkbar, dass die Soldaten Begleiter der Zöllner sind; ihre Funktion bleibt im Text unbestimmt. 76 Vgl. McCasland, Soldiers, 70f.; vgl. Bovon, EKK III/ 1, 174 Anm. 39; Böhlemann, Täufer, 195 Anm. 66; Fitzmyer, Luke I, 470. - Vgl. dazu auch Josephus, Ant XVIII. 77 Vgl. auch 7,29f. Red Lk . <?page no="80"?> 80 auf der Ebene des Lukasevangeliums den theologischen Deutungsrahmen für die ethischen Leitlinien, die Johannes präsentiert. Jeder der drei von Johannes vorgeschlagenen Handlungsweisen (teilen, v. 11; nicht mehr als vorgeschrieben fordern, v. 13; nicht betrügen und nicht mehr als den Sold begehren, v. 14) wird theologisch gedeutet, indem die Relevanz des Handelns vor Gott und seinem Gericht betont wird. Die ethischen Leitlinien in v. 11.13.14 geben Antwort auf die Frage, wie man metaßnoia praktisch konkretisieren soll. Die Imperative selbst sind mit keiner Begründung versehen. (#.3) Das Handeln Gottes bzw. Jesu wird in 3,10-14 nicht thematisiert. 3 Lk 4,16-30*: Antrittspredigt Jesu in Nazareth Kontext. Im Vergleich zum Aufbau des Mk (vgl. Mk 6,1-6) ist die Perikope von Jesu Predigt in Nazareth in Lk vorgezogen. Eigentlich müsste sie zwischen Lk 8 und 9 stehen. 78 Lukas hat die Perikope - anders als Markus - an den Anfang des Wirkens Jesu gestellt. 79 Struktur. Die Erzählung Lk 4,16-30 lässt sich wie folgt gliedern: I. Einleitung (v. 16f.): Jesus kommt in die Synagoge von Nazareth. Die Augenblicke vor Beginn seiner „Lesung“ in Zeitlupe. II. „Lesung“ Jesu (v. 18f.): Mischzitat aus Jes 61,1 LXX und Jes 58,6 LXX. III. Einleitung zur „Predigt“ (v. 20-21a): Die Augenblicke vor Beginn seiner „Predigt“ in Zeitlupe. IV. Jesu Predigt I (v. 21b): Erfüllung von Jes 61,1 LXX und Jes 58,6 LXX. V. Reaktion der Zuhörer I (v. 22): Positive, zustimmende Reaktion. VI. Jesu Predigt II (v. 23-27): Ablehnung des Propheten in seiner Heimat (Sprichwort). Sendung von Elia und Elisa zu Heiden. VII. Reaktion der Zuhörer II (v. 28-30): Negative, ablehnende Reaktion. 78 Daher ergibt sich auch die Verschiebung der Berufung der Jünger nach hinten (Mk 1,14.15 par Lk 5,1-11). 79 Vgl. Fitzmyer, Luke I, 71.526; anders Bovon, EKK III/ 1, 215 Anm. 35; Bormann, Recht, 240. - Dass Lukas sich dessen bewusst war, dass Jesus bereits vorher in Galiläa gewirkt hat, zeigt sich in v. 23. <?page no="81"?> 81 3.1 Redaktionskritik Lk 4,16ff. dürfte von Mk 6,1ff. und Mk 1,14f. inspiriert und unter Einfluss von Sondertraditionen von Lukas komponiert sein. 80 Dass er eine zusätzliche Quelle in Form eines Berichts über den Synagogenbesuch Jesu in Nazareth verwendete, ist unwahrscheinlich. 81 Auffällig ist die Erwähnung der Wunder Jesu in Kafarnaum (v. 23), die in Lk dem Bericht über das Wirken Jesu in Galiläa vorangestellt ist. In Lk 4,16ff. findet sich traditioneller Stoff unterschiedlicher Herkunft - Markusstoff, von Q inspirierte Gedanken und aramäische Traditionen. Auf Mk 6,1ff. gehen wohl v. 22, die Erwähnung der Herkunftsfamilie Jesu (vgl. Mk 6,3), v. 24, das Sprichwort über die Ablehnung eines Propheten in seiner Heimat (vgl. Mk 6,4) 82 und vielleicht v. 16, der Besuch Jesu in seiner Heimatstadt und das Lehren in der Synagoge am Sabbat (vgl. Mk 6,2), zurück. Darüber hinaus prägen folgende Motive sowohl Mk 6,1ff. als auch Lk 4,16ff.: 83 1. Verwunderung als Reaktion der Synagogenbesucher (Mk 6,2/ Lk 4,22); 2. Unmöglichkeit, in Nazareth viele Wunder zu tun (Mk 6,5/ Lk 4,24ff.); 3. Ablehnung Jesu (Mk 6,3/ Lk 4,28f.). Die Rückkehr Jesu nach Galiläa, die Verkündigung des Evangeliums durch Jesus (Mk 1,14f./ Lk 4,18) und die Proklamation der Erfüllung (Mk 1,15/ Lk 4,21) sind Motive, die Lukas aus Mk 1,14f. aufgreift. Jeremias sieht in v. 16 zwei vorlukanische Merkmale: 84 Erstens die Ortsbezeichnung Nazaraß . Die - wohl ältere semitische - Form mit der Endung aß begegnet im NT nur hier und in Mt 4,13; üblich ist bei den Synoptikern die Form Nazareßj . 85 Warum Lukas hier Nazaraß schreibt, ist nicht zu ergründen. Die Annahme einer von Mk unterschiedenen, vorlukanischen Quelle ist ein Erklärungsversuch, beantwortet die Frage jedoch letztlich nicht. 86 Zweitens die Wendung eön thq # hÖmeßra# tvqn sabbaßtvn - nach Jeremias ein „Septuagintismus, der im NT nur im lukanischen Doppelwerk vorkommt“ 87 . Lukas übernahm hier wohl eine traditionelle Wendung, die ihm aus der Septuaginta vertraut war. 88 In v. 18-21 präsentiert Lukas ein Programm der Sendung Jesu. 89 Er stellt auf diese Weise dar, was er als Evangelium versteht: Es ist in der hebräischen Bibel verwurzelt und 80 Vgl. Fitzmyer, Luke I, 91.526f; Busse, Manifest, 113. 81 Jeremias ist dagegen der Ansicht, dass es sich bei der Erzählung über das Lehren Jesu in der Synagoge von Nazareth (Lk 4,16-30) um eine vorlukanische Überlieferung handle (vgl. Jeremias, Sprache, 121ff.). Darauf weisen ihn neben anderen Beobachtungen (s.u.) 18 satzverbindende kaiß als erstes Indiz hin (Jeremias, Sprache, 121). - Bovon ist der Ansicht, dass Lukas „in Q oder wahrscheinlicher S Lk […] eine erweiterte Fassung“ vorfand, „in der das Schriftzitat und seine Erklärung, vielleicht auch die alttestamentlichen Beispiele (VV 25-27) und der Angriff der Einwohner gegen den Propheten Jesus (V 29) bereits ihren Platz gefunden hatten, freilich in einer anderen Formulierung“ (Bovon, EKK III/ 1, 208). 82 Lukas verwendet - wohl in Anspielung auf v. 19 - das Adjektiv dektoßw , während Markus aätimow hat; Matthäus übernimmt den markinischen Wortlaut (vgl. Mt 13,54). 83 Vgl. Schreck, Nazareth Pericope, 411. 84 Vgl. Jeremias, Sprache, 120f. 85 Vgl. Mk 1,9; Mt 2,23; Lk 1,26; 2,4.39.51; zudem Apg 10,38. 86 Schürmann folgert daraus, dass Lk hier von Q beeinflusst ist; dieses Erklärungsmodell funktioniert nur, wenn die vorangehende Mt-Episode (Mt 4,13-17) mit integriert wird (ders., Reminiszenzen, 196.201f.). 87 Jeremias, Sprache, 120. - Vgl. Lk 4,16; Apg 13,14; 16,13; singularisch in Lk 13,14.16; 14,5. 88 Vgl. Jeremias, Sprache, 121. 89 Vgl. Lk 7,22 (Q). Lk 4,18f. könnte von 7,22 inspiriert sein - vgl. ähnlich Lk 10,4 und Lk 22,35ff. <?page no="82"?> 82 auf die Benachteiligten der Gesellschaft ausgerichtet (v. 18f.). 90 Das Jesaja-Zitat in v. 18f. ist zusammengesetzt aus Jes 61,1a.b.d; 58,6d; 61,2a LXX (s.o.) mit zwei Abweichungen vom LXX-Text: kerußcai statt kaleßsai (Jes 61,2a LXX) und aöposteiqlai statt aöpoßstelle (Jes 58,6 LXX). Die Stichwortverbindung zwischen Jes 58,6d und 61,1d LXX, eön aöfeßsei — aäfesin , könnte zur Verknüpfung der beiden Zitate geführt haben. 91 Indizien für vorlukanische Tradition findet Jeremias auch in v. 17-21: In v. 17 und 20 bezeichnet biblißon eine biblische Schriftrolle. Lukas bevorzugt als Bezeichnung dafür bißblow . 92 Biblißon begegnet als Bezeichnung von biblischen Schriften im NT außer in Lk 4,17.20 nur in Gal 3,10; Hebr 9,19; 10,7. In v. 18 und 19 finden sich die beiden artikellosen Genitive pneuqma kurißou und eöniauto? n kurißou . Der artikellose adnominale Genitiv kurißou ist eine geprägte biblische Wendung, die in der Septuaginta Äquivalent für das Tetragramm ist. Jeremias stuft sie als vorlukanisch ein, da Lukas, wo er selbst formuliere, kußriow auf Jesus beziehe, während kußriow hier auf Gott bezogen ist. 93 Weiterhin führt Jeremias die Passiva divina 94 als Argument für vorlukanische Tradition an. Die Argumentation von Jeremias 95 überzeugt an dieser Stelle nicht: Lukas übernimmt Passivum divinum aus der Tradition (29mal aus Q, zehnmal aus dem Markusstoff). Er tilgt es dreimal 96 aus seiner Markusvorlage, fügt es aber auch fünfmal 97 von sich aus ein. Diese Beobachtungen bestätigen allerdings nur, dass Lukas hier von der Septuaginta geprägte Sprache verwendet und nicht, dass 4,18f. insgesamt ein vorlukanisches Traditionsstück ist. Insbesondere die Übernahme des Motivs der Evangeliumsverkündigung an die Armen aus Q (vgl. Lk 7,22 par) spricht dafür, dass Lukas v. 18f. von Q und der Septuaginta inspiriert selbst verfasst hat. Die v. 25-27 dürfte Lukas aus einer Sondertradition übernommen haben. 98 Darauf weisen die beiden grammatischen Parataxen pollai? xhqrai […] kai? […] eöpeßmfjh (v. 25) und kai? polloi? leproi? hQsan […] kai? […] eökajarißsjh (v. 27), die trotz logischer Hypotaxe stehen. 99 Diese Redeweise wird von Lukas gemieden: „Von 8 derartigen Parataxen, die er in dem von ihm übernommenen Markusstoff vorfand, hat er 6 beseitigt (Mk 4,12.20; 5,26.31; 8,36; 12,19) und nur zwei übernommen (Lk 4,36 vgl. Mk 1,27; Lk 8,29 vgl. Mk 5,4).“ 100 Mit v. 22-27 begründet Lukas programmatisch die Sendung Jesu „zu allen Armen, innerhalb und außerhalb des alten Gottesvolkes Israel ohne jede Beschränkung“ 101 . 90 ’Euaggelißzesjai ptvxoiqw begegnet noch in Lk 7,22 (Q), auch hier als Zitat von Jes 61,1 LXX. - Vgl. Petzke, Sondergut, 81. 91 So Fitzmyer, Luke I, 533. 92 Vgl. Jeremias, Sprache, 103.121. - Vgl. Lk 20,42 (Bearbeitung des Markusstoffs); Apg 1,20: eön bißblv# yalmvqn ; 7,42: eön bißblv tvqn profhßtvn. 93 Vgl. Jeremias, Sprache, 31f. 122. 94 V. 21: peplhßrvtai ; v. 25: eökleißsjh ; v. 26: eöpeßmfjh . 95 Vgl. Jeremias, Sprache, 122f. 96 Lk 8,10 (vgl. Mk 4,12; Lukas streicht hier den letzten Teil des Zitates aus Jes 6,9 mhßpote eöpistreßyvsin kai? aöfejhq # auötoiqw aus theologischen Gründen); 21,15.19. 97 Lk 4,43; 8,12; 9,22; 18,31; 20,35. 98 Bultmann nimmt aramäische Tradition an (Bultmann, Geschichte, 22). 99 Vgl. Jeremias, Sprache, 64f.126f. 100 Jeremias, Sprache, 64. 101 Albertz, Antrittspredigt, 198. <?page no="83"?> 83 3.2 Theologisch-inhaltliche Analyse von Lk 4,18f. (#.1.1) Die Armen werden in Lk 4,18 als Adressaten der Evangeliumsverkündigung genannt, euöaggelißzesjai toiqw ptvxoiqw (Zitat von Jes 61,1 LXX). Die Sendung Jesu richtet sich darüber hinaus an die aiöxmalvßtoi , tufloiß und tejrausmeßnoi ( Lk 4,18). Die Personengruppen werden nicht näher beschrieben, der Text gibt keine Auskunft darüber, welche Menschen damit gemeint sind. Die Weise, in der Lukas Jes 61,1f. LXX zitiert, legt nahe, dass Menschen in realer sozialer bzw. körperlicher Notlage gemeint sind: 102 Er lässt dabei die Textteile weg, die einen direkten Bezug zu Israel bzw. die um Zion Trauernden herstellen: 103 iöaßsasjai tou? w suntetrimmeßnouw thq # kardißa# ; parakaleßsai […] penjouqntaw ; dojhqnai toiqw penjouqsin Sivn doßcan . Dazu gehört auch das Motiv des Tages der Rache, hÖmeßra aöntapodoßsevw , der Ausdruck der Hoffnung darauf ist, dass Gott Israel Recht schaffen und seine Feinde strafen wird. Lukas weitet so die alttestamentliche Verheißung an Israel über das alte Gottesvolk hinaus aus. 104 Lukas interpretiert Jes 61,1f. LXX mittels eines Zitats aus Jes 58,6 LXX: aöposteiqlai tejrausmeßnouw eön aöfeßsei . Nach Jes 58,6f. muss sich angemessenes Fasten in sozialem Handeln ausdrücken. 105 Das dem Septuagintatext zugrunde liegende hebräische My#px pl#w bezeichnet als terminus technicus das Entlassen von Schuldsklaven. 106 In der Regel wird #px mit eöleußjerow wiedergegeben. 107 In Jes 58,6 LXX allerdings steht als Äquivalent aäfesiw ; denn zur Zeit der Septuagintaübersetzung wurde die individuelle Sklavenentlassung bereits mit der allgemeinen Freilassung ( rwrd ) im Sabbat-/ Jobeljahr identifiziert, die mit aäfesiw bezeichnet wird. 108 In der Formulierung aöposteiqlai […] eön aöfeßsei in Jes 58,6 LXX ist der Sprachgebrauch der Sklaven- und der Sabbat-/ Jobeljahrgesetze ver- 102 Vgl. ebd. 103 Vgl. zum Folgenden Albertz, Antrittspredigt, 190ff.; Tannehill, Narrative Unity, 64. 104 Diese Intention des Lukas zeigt sich auch daran, dass er in 4,25-27 mit der Witwe von Sarepta und dem Syrer Naaman Beispiele von Gottes Heilsangebot an Heiden nennt (vgl. Albertz, Antrittspredigt, 190; Rusam, Testament, 184; anders Wolter, Lukasevangelium, 192). 105 Hintergrund der Mahnungen in Jes 58,6 ist die persische Steuerpolitik seit Darius (vgl. Kippenberg, Klassenbildung, 42ff.; Schottroff, Arbeit; Kessler, Sozialgeschichte, 138- 145). Die Steuern mussten in Münzgeld abgeführt werden. Folge war, dass familiäre Subsistenzbetriebe einen Überschuss erwirtschaften mussten, der verkauft werden konnte. Da dies oft nicht möglich war, mussten judäische Kleinbauern ihre Kinder (d.h. ihre Arbeitskräfte), Felder und Häuser verpfänden (vgl. auch Neh 5). Zwischen Neh 5 und Jes 58 gibt es Parallelen: Neh 5,5 - Jes 58,7: unser Fleisch und Blut; Neh 5,8: Kritik an Schuldsklavenrecht und Aufforderung zu umfassendem Schuldenerlass; Neh 5,9: Begründung der Aufforderung mit Gottesfurcht - Jes 58,8f.: Verheißung Gottes für „rechtes Fasten“. 106 So im deuteronomischen Sklavengesetz Dtn 15,12.13.18; vgl. Ex 21,26.27; Jer 34,9.10.11. 14.16; Ijob 3,19; vgl. Albertz, Antrittspredigt, 193f. (insb. 194 Anm. 45). 107 Vgl. Ex 21,16f.; Dtn. 15,12ff; vgl. Albertz, Antrittspredigt, 194 Anm. 45. 108 Vgl. Ex 23,11; Dtn 15,1ff.; Lev 25,10ff; Jes 61,1. <?page no="84"?> 84 mischt. Bei der Übertragung von Jes 58 ins Griechische wurde also die individuelle Sklavenfreilassung bereits im Kontext einer „periodisch wiederkehrenden generellen Freilassung im Sinn von Lev 25“ 109 gesehen. Die Assoziation von Jes 58,6 LXX zu Jes 61,1 lag somit für Lukas nicht fern. 110 - Reiche Menschen werden in Lk 4,18f. nicht erwähnt. Ein heilsgeschichtliches Verständnis, wie es im ursprünglichen Kontext von Jes 61 LXX zugrunde lag, ist für Lk 4,18 folglich nicht angemessen. 111 (#.1.2) Die ptvxoiß , aiöxmalvßtoi , tufloiß und tejrausmeßnoi gelten als Adressaten der Sendung Jesu; ihre soziale bzw. körperliche Notlage ist es, die sie dafür prädestiniert. Armut erweist sich damit als Einfallstor für die Zuwendung Jesu. Die Verkündigung des euöaggeßlion geht in Lk 4,18f. über die reine Wortverkündigung hinaus und drängt auf eine Veränderung der physischen Situation der ptvxoiß , aiöxmalvßtoi , tufloiß und tejrausmeßnoi . 112 Das Verb euöaggelißzesjai 113 ist den folgenden Infinitiven übergeordnet und wird durch diese konkretisiert. (#.2.1) Die Kombination der beiden Zitate betont das Zusammenwirken göttlichen und menschlichen Handelns. Denn die Ausrufung der aäfesiw Jes 61,1 erfolgt durch den Gesalbten und erscheint damit als Leistung Gottes; die Fastenpredigt Jes 58 dagegen „betont, was Israel tun muss, kann und wird, damit der Schaden des Volkes heilt und der herrliche Glanz Adonais sichtbar hervorbricht“. 114 Das, was in 4,18f. als Ziel der Sendung Jesu beschrieben wird, kann also zugleich als Maßgabe verstanden werden, dementsprechend zu handeln. Die Entschuldung von wirtschaftlich ruinierten Menschen ist folglich als Handlungsaufforderung aus Lk 4,18 abzuleiten. (#.2.2) Lukas greift mit 4,18f. die ethischen Weisungen, Freilassung von Gefangenen und Schuldenerlass, aus Jes 61,1 positiv auf und gibt ihnen 109 Ebd. 110 Demgegenüber äußert sich Tannehill kritisch (Tannehill, Narrative Unity, 68): „While it seems clear that Isa 61: 1-2 develops themes from the Jubilee year, it is not so clear that the author of Luke-Acts was aware of the connection between this passage and the year of Jubilee.“ - Bovon betont den Einfluss der synagogalen Praxis auf die Assoziation von Jes 58,6 zu Jes 61,1f.: „Texte wie Jes 57,15-58,14 und Jes 61,1-11 hatten sich aus Anlass des Kippurfestes einander angenähert, der erste wegen des Fastens und der Buße, der zweite wegen des Anfangs des Jobeljahres.“ (Bovon, EKK III/ 1, 212). 111 Anders Rese und Schmithals, die die tejrausmeßnoi (Lk 4,18) als Sünder interpretieren (Rese, Motive, 146; Schmithals, Lukas, 62); Busse sieht in ihnen von Dämonen Besessene (Busse, Manifest, 25.34). 112 Rusam dagegen verweist von Lk 14,21 ausgehend auf die allegorische Doppelbödigkeit des Begriffs ptvxoßw (vgl. Rusam, Testament, 181f.). 113 ’Euaggelißzesjai begegnet in Lk noch in 1,19 (Geburtsankündigung Johannes des Täufers); 2,10 (Geburtsankündigung Jesu); 3,18 (Predigt des Täufers); in 4,43; 8,1 und 20,1 bezeichnet das Verb die Predigt Jesu und bezieht sich auf 4,18 zurück (vgl. Rusam, Testament, 188f.); in 9,6 bezeichnet es die Predigt der ausgesandten Jünger. 114 Crüsemann, Maßstab, 220. <?page no="85"?> 85 Nachdruck, indem er sie hier programmatisch als Zusammenfassung der Sendung Jesu darstellt. (#.2.3) In theologischer Hinsicht stellt man sich durch solches Handeln in den prophetisch verkündeten Auftrag Gottes, lässt Gottes Willen auf der Erde konkret werden. (#.3) In 4,18f. wird nicht geschildert, wie Gott bzw. Jesus an armen oder reichen Personen handelt. Gott sendet Jesus allerdings mit dem Auftrag, Menschen aus sozialer und körperlicher Not zu befreien. 115 Nach seinem Willen soll das Gnadenjahr auf der Erde Realität werden. 3.3 Theologisch-inhaltliche Analyse von Lk 4,25-27 (#.1.1) Arme und Reiche werden in Lk 4,25-27 nicht gegenübergestellt. Als Ursache bzw. die Armut verstärkender Faktor wird in 4,25 Hungersnot genannt. (#.1.2) Für die in 4,25 genannte Witwe aus Sarepta (vgl. 1 Kön 17) ist ihre Armut Einfallstor für das Handeln Gottes. Sie wird aus den in Israel lebenden Witwen hervorgehoben (wie der Syrer Naaman, zu dem Elisa geschickt wird) und als einzige Adressatin der Zuwendung Gottes dargestellt, nur zu ihr wird Elia gesandt. - Elia und Elisa sind Gottesmänner, sie predigen und handeln im Auftrag Gottes am Volk Israel. 4,25-27 interpretiert die zugrunde liegenden Erzählungen aus 1 Kön 17f. und 2 Kön 5 gegen ihre Intention und begründet durch sie die Zuwendung Gottes zu den Nicht-Israeliten. (#.2.1-3) Ökonomisches Handeln und ethische Leitlinien dafür werden in Lk 4,25-27 weder reflektiert noch theologisch gedeutet. (#.3) Der Topos, dass Gott sich Witwen zuwendet, ist in 4,25f. vorausgesetzt. Er wird insofern variiert, als es in der reflektierten Geschichte nicht nur darum geht, dass Gott sich Witwen aufgrund ihrer benachteiligten sozialen Situation zuwendet, sondern darum, dass eine Nicht-Israelitin die Zuwendung Gottes erfährt und gerade diese Eigenschaft sie auszeichnet. Die Perikope reflektiert das Handeln Gottes an der Witwe von Sarepta. Sie wählt er aus vielen Witwen aus, die unter der Hungersnot leiden. Er schickt Elia zu ihr, der sie und ihren Sohn durch ein Wunder vor dem Verhungern rettet. 4 Lk 6,24-26: Weherufe über Reiche, Satte und Lachende Kontext und Abgrenzung. Auf die vier mit makaßrioi eingeleiteten Seligpreisungen (6,20-23), folgen vier korrespondierende Weherufe ( ouöaiß […]). Das adversative plhßn in v. 24 zeigt an, dass hier ein neuer Abschnitt beginnt. Sein Ende ist markiert durch aölla? uÖmiqn leßgv (v. 27), das den folgenden Redeteil über das Liebesgebot einleitet. 115 Vgl. Albertz, Antrittspredigt, 198; auch Wolter, Lukasevangelium, 192f. <?page no="86"?> 86 Struktur. Die Komposition aus Seligpreisungen und Weherufen Lk 6,20-26 ist wie folgt strukturiert: 1. Redeeinleitung (v. 20a). 2. Vier Seligpreisungen (v. 20b-23) - jeweils mit makaßrioi eingeleitet: v. 20b-21: oiÖ ptvxoiß oiÖ peinvqntew nuqn oiÖ klaißontew nuqn. v. 22f.: makaßrioiß eöste oÄtan […] xaßrhte […] kai? skirthßsate […]. 3. Demgegenüber ( plh? n , v. 24) vier den Seligpreisungen korrespondierende Weherufe - jeweils mit ouöai eingeleitet: v. 24f.: toiqw plousißoiw oiÖ eömpeplhsmeßnoi nuqn oiÖ gelvqntew nuqn. v. 26: ouöaiß oÄtan […]. 4.1 Redaktionskritik Dass Lukas die Weherufe verfasst hat, ist trotz einiger Argumente für eine vorlukanische Verbindung der Weherufe mit den Seligpreisungen wahrscheinlich. Letzterer wird aus einem möglichen Einfluss von paraßklhsiw ( Lk 6,24) und penjhßsete (Lk 6,25) auf Mt 5,4 abgeleitet. Unlukanische Wendungen werden als Argument gegen lukanische Redaktion ins Feld geführt. 116 Bisweilen wird die These vertreten, dass die literarische Gegenüberstellung von Seligpreisungen und Weherufen für Tradition spräche. 117 Folgende Überlegungen sprechen jedoch dafür, dass Lukas selbst die Weherufe verfasst hat: 118 Erstens kennt er die Gattung der Weherufe und verwendet sie an mehreren Stellen in seinem Evangelium. 119 Die Tatsache, dass sie an all diesen Stellen aus Mk oder Q übernommen sind, schließt lukanische Komposition in Lk 6,24ff. nicht aus. Ein starkes Argument ist zweitens, dass peinaqn und eömpiplaßnai (Lk 6,25) zusammen im Magnificat (Lk 1,53) stehen. Für die Autorenschaft des Lukas spricht drittens, dass die zweite Person der Weherufe mit der zweiten Person der lukanischen Seligpreisungen korrespondiert. Für v. 26 ist viertens wahrscheinlich zu machen, dass Lukas ihn als Reflex auf v. 23 formuliert. Darauf weist die Wendung oiÖ pateßrew auötvqn (v. 23c.26) und der sowohl im Makarismus als auch im Weheruf an Stelle der Partizipialkonstruktion stehende temporale Nebensatz ( oÄtan [ …], v. 23.26) hin. Fünftens ist aus der Einleitung des folgenden Abschnitts, aölla? uÖmiqn leßgv toiqw aökoußousin (v. 27), ersichtlich, dass Jesus sich gemäß der lukanischen Schilderung nach den Weherufen (v. 24-26) wieder an die Zuhörenden wendet, die Weherufe 116 Angeführt werden aöpeßxein + Akk., plhßn , paraßklhsiw im eschatologischen Sinn, kata? ta? auötaß (vgl. Jeremias, Sprache, 139) und der antithetische Parallelismus (vgl. Jeremias, Sprache, 61f.138). Dass diese Wendungen unlukanisch sind, ist nur aus wenigen Belegstellen erschlossen. Zudem ist gerade das letzte Argument wenig stichhaltig: Wenn Lukas die Weherufe von sich aus formuliert hat, liegt nahe, dass er sie in Anlehnung an die Seligpreisungen konstruiert hat, die ja gerade von einem antithetischen Parallelismus geprägt sind. 117 Vgl. Bovon, EKK III/ 1, 298. 118 Vgl. zum Folgenden Klein, Weherufe, 152ff.; Bovon, EKK III/ 1, 298. - Bovon betont, dass die Wendung kalvqw leßgein typisch lukanisch sei und weist dabei auf Apg 28,25 hin. Die Wendung hat dort allerdings eine andere Bedeutung als in Lk 6,26 (in Apg 28,25: „etwas mit Recht sagen“; Lk 6,26: „gut über jemanden reden“). 119 Vgl. Lk 10,13; 11,42-52; 17,1; 21,23; 22,22. <?page no="87"?> 87 selbst also einen anderen - fiktiven - Adressaten hatten. Da sowohl v. 24-26 als auch v. 27ff. an die zweite Person Plural gerichtet sind, liegt es nahe, dass Lk nach v. 26 von redaktionellem zu traditionellem Material bzw. einer anderen Quelle wechselt. Schließlich weisen Seligpreisungen und Weherufe eine unterschiedliche traditionsgeschichtliche Entwicklung auf. Die Tatsache, dass ihre Anzahl identisch ist, ist daher auffällig. Die vierte Seligpreisung ist zudem gegenüber den drei ersten als sekundär einzustufen. 120 Der vierte Weheruf ist ihr Pendant. Dass bei Seligpreisungen und Weherufen unabhängig voneinander dieselbe traditionsgeschichtliche Entwicklung abgelaufen ist, ist auszuschließen. Die Weherufe haben folglich mit hoher Wahrscheinlichkeit „no independent existence apart from the beatitudes with which they form now antitheses“ 121 . Fazit: Lukas verstärkt durch seine Formulierung der Weherufe die Vorstellung von der eschatologischen Umkehrung. In dem der Seligpreisung der klaißontew (v. 21) korrespondierenden Weheruf (v. 25) greift er das von ihm eliminierte penjeiqn wieder auf und kombiniert es mit klaißein . Durch die Setzung beider Verben verstärkt er rhetorisch den Schluss des Weherufes. 4.2 Theologisch-inhaltliche Analyse (#.1.1) Im ersten Weheruf (v. 24) werden Reiche explizit genannt. Durch die Komposition der Weherufe stellt Lukas Arme (v. 20.21) und Reiche einander gegenüber. Der folgende Weheruf charakterisiert genauer, was hier mit Reichtum gemeint ist: Reichtum ist von mehr als ausreichend vorhandener Nahrung gekennzeichnet und ist eine Situation, in der man überlegen lachen kann. (#.1.2) Lukas formuliert in Lk 6,24-26 eine ausnehmend klare theologische Deutung von Reichtum, indem er den Seligpreisungen die Weherufe gegenüberstellt. „Prestigereiche“ Menschen, über die alle „ kalvqw eiäpvsin “ (6,26), werden im vorliegenden Abschnitt zusammen mit den Reichen unter das ouöaiß gestellt. Theologisch führt der Abschnitt die Vorstellung der eschatologischen Umkehrung der Verhältnisse aus v. 20-23 weiter: Die, die jetzt lachen ( gelaqn ), werden trauern ( penjeißn ) und weinen ( klaißein ), die jetzt voll Gefüllten ( eömpiplaßnai ) werden hungern. Die Vorstellung der eschatologischen Umkehrung der Verhältnisse zeigt sich deutlich auch im Magnificat (vgl. Lk 1,52f.) und in Lk 16,19ff.: Wohlergehen und Not kehren sich nach dem Tod um. Über die Reichen, Satten und jetzt überlegen Lachenden wird das ouöaiß ausgerufen - keine Verfluchung, aber die Vorhersage von Unglück im Eschaton. Die lukanische Komposition 6,20-26 hat wörtliche Entsprechungen zu beiden Texten: In Lk 1,53 stehen sich wie in Lk 6,25 eömpiplaßnai und peinaqn gegenüber. In Lk 16,19ff. ist die Gegenüberstellung von ploußsiow und ptvxoßw (vgl. Lk 6,20.24; 16,19f.) und der Aspekt des Trostes ( parakaleiqtai , Lk 16,25; paraßklhsin , Lk 6,24) zentral: Nach Lk 16,19ff. und Lk 6,24 haben 120 Vgl. Bovon, EKK III/ 1, 295. 121 Tuckett, Beatitudes, 195. <?page no="88"?> 88 die Reichen ihren Trost im Diesseits bereits aufgebraucht. ’Apeßxein (Lk 6,24) ist ein Terminus technicus aus der Geschäftswelt für das Erhalten von Geld oder Waren. 122 Inhaltlich entsprechen sich beide Texte darin, dass der in dieser Welt Arme dem Reichen im Eschaton überlegen ist (vgl. vor allem Lk 16,25; 6,21.25). Umstritten ist die Funktion der Weherufe. Petracca ist der Ansicht, dass die Weherufe an Reiche innerhalb der lukanischen Gemeinde und an der Gemeinde Interessierte gerichtet seien. 123 Wolter vertritt dagegen die Ansicht, dass die Weherufe so stereotyp formuliert seinen, dass kaum jemand sie auf sich bezogen hören könne. Sie hätten die Funktion Armut und Reichtum innerhalb von Lk 6,20-26 zu deuten. 124 - Letzteres ist unbestritten, doch ist davon auszugehen, dass die in v. 24f. präsentierte Deutung von Reichtum Adressaten hat, die am ehesten unter den Wohlhabenden der Gemeinde des Lukas zu verorten sind. (#.2.1-3) Ökonomisches Handeln, ethische Leitlinien und die theologische Dimension wirtschaftlichen Handelns werden in 6,24-26 nicht reflektiert. (#.3) Die Weherufe nehmen das Ergehen von Reichen im Eschaton in den Blick: Hunger, trostloses Weinen und Klagen. - Dass dieses Geschick von Gott gelenkt ist, ist implizit vorausgesetzt. Ausdrücklich wird Gottes Handeln in Lk 6,24-26 nicht thematisiert. 5 Lk 7,41-43 im Kontext von 7,36-50*: Schuldnergleichnis Kontext und Abgrenzung. Die Erzählung von der Begegnung Jesu mit der Sünderin im Haus des Pharisäers in 7,36-50 schließt an den Abschnitt über Jesus und den Täufer (7,18-35) an. Der Einleitungsvers v. 36 markiert durch das Auftreten des Pharisäers, der Jesus einlädt, deutlich einen Neuansatz. Die Erzählung ist durch das Stichwort aÖmartvloßw (v. 37) mit der vorangehenden Perikope verknüpft. Dort begegnet aÖmartvloßw in v. 34 im Vorwurf an Jesu, er sei ein Freund von Zöllnern und Sündern. Auf die Perikope folgt ein Sammelbericht (8,1), der die Notiz über die drei Frauen, die Jesus mit ihrer Habe unterstützen einleitet (8,2f.). 7,36-50 und 8,1-3 sind dadurch miteinander verbunden, dass in beiden Perikopen Frauen eine zentrale Rolle spielen. 122 Er findet sich in der Regel auf Quittungen. Vgl. dazu Spicq, Art. aöpeßxv , 162-168; Belege aus Papyri ab 276 v. Chr. bei Spicq, Art. aöpeßxv , 163. - Vgl. auch Phil 4,18. 123 Vgl. Petracca, Gott oder Geld, 73. 124 Vgl. Wolter, Lukasevangelium, 253. Die vierte Seligpreisung und der korrespondierende vierte Weheruf (Lk 6,22f.26) thematisieren den sozialen Status; vgl. dazu Bormann, Recht, 250f. <?page no="89"?> 89 Struktur. Auf das Schuldnergleichnis 7,41-43 bezogen ist 7,36-50 folgendermaßen zu strukturieren: v. 36: Einleitung der Erzählung: Einladung Jesu durch den Pharisäer. v. 37a: Anzeige des Schlüsselthemas: gunh? hÄtiw hQn eön thq # poßlei aÖmartvloßw. v. 37b-38: Darstellung des Handelns der Frau an Jesus. v. 39: Reaktion des Pharisäers: Vorwurf der Unwissenheit über die Frau an Jesus: eiö hQn profhßthw. v. 40: Kurzdialog zwischen Jesus und dem Pharisäer, der mit einer Redeaufforderung an Jesus endet. v. 41-43: Schuldnergleichnis und Deutungshinweis: v. 41: Beschreibung des Schuldner-Gläubiger-Verhältnisses. v. 42a: Reaktion des Gläubigers: Erlass aller Schulden. v. 42b: „Deutefrage“ Jesu: ti? w ouQn auötvqn pleiqon aögaphßsei auötoßn; v. 43a: Antwort des Pharisäers: # ’to? pleiqon eöxarißsato. v. 43b: Bestätigung Jesu. v. 44-46: Jesus vergleicht das Handeln der Frau mit dem des Pharisäers an ihm. v. 47: Schlussfolgerung Jesu mit Bezug auf v. 42b.43a: Die Sünden der Frau sind vergeben - „Beweis“ ist die von ihr gezeigte Liebe. v. 48f.: Vergebungszuspruch Jesu an die Frau und Reaktion der Anwesenden ( tißw ouWtoßw eöstin ). 5.1 Redaktionskritik a) Überlieferungsgeschichte Die Salbungserzählungen in Mk 14,3-9; Mt 26,6-13; Joh 12,1-8 und Lk 7,36-50 weisen dasselbe narrative Schema auf: a) Jesus ist zu Gast bei einem Mahl, b) eine Frau kommt hinzu, berührt Jesus und Jesus lässt sich dies gefallen, c) das Verhalten der Frau löst eine negative Reaktion aus, d) Jesus verteidigt die angeklagte Frau und deutet ihr Handeln. 125 Die lukanische Fassung weist mit Mk 14,3-9 und Joh 12,1-8 Detailübereinstimmungen auf. 126 In Mk und Lk heißt der Gastgeber Simon (Lk 7,40.43.44/ Mk 14,3) und die Frau bringt eine Alabasterflasche mit Duftöl (Lk 7,37/ Mk 14,3). Joh und Lk schildern übereinstimmend, dass die Frau die Füße Jesu salbt (Lk 7,38/ Joh 12,3) und sie danach mit ihren Haaren abwischt (Lk 7,38/ Joh 12,3) - bei Lukas vor dem Salben, bei Johannes danach. Die Detailübereinstimmungen zwischen Lk 7,36-50 und Joh 12,1-8 könnten darauf zurückzuführen sein, dass Johannes sowohl auf die markinische als auch auf die lukanische Salbungserzählung zurückgegriffen hat. Johannes hat entweder eine Mischtradition aus vorlukanischer und -markinischer Überlieferung vorgelegen oder er kannte die markinische und lukanische Erzählung und verfasste seine Version unter 125 Vgl. Bovon, EKK III/ 1, 387f.; Theobald, Johannes, 769. 126 Vgl. Wolter, Lukasevangelium, 290. <?page no="90"?> 90 Aufnahme einer eigenen Tradition. Gerade die Johannes eigene Personenkonstellation, Martha, Maria, Lazarus sowie Judas Iskariot, spricht für letzteres. 127 Beim Vergleich von lukanischer und markinischer Fassung ergeben sich folgende Hauptdifferenzen: 128 In Lk ereignet sich die Begebenheit in Galiläa, in Mk in Betanien und außerdem kurz vor Jesu Passion; nach Lk werden Jesu Füße gesalbt, nach Mk sein Kopf; nach Mk ist der Gastgeber ein Aussätziger, nach Lk ein Pharisäer; der Vorwurf bezüglich der Salbung wird in Mk von einigen ( tinew ) vorgebracht, in Lk vom Pharisäer; der Vorwurf der Verschwendung fehlt in Lk; 129 nur in Lk findet Erwähnung, dass die Frau eine „Sünderin“ sei. Der Vergleich der drei Versionen legt den Schluss nahe, dass die Salbungserzählung in Lk zwar dieselbe Begebenheit wie Mk 14,3-9 reflektiert, aber keine bloße Umgestaltung der markinischen Version ist. Dagegen sprechen die Differenzen zwischen beiden Fassungen. Die plausibelste Erklärung dieses Befundes ist, dass den drei Fassungen die Überlieferung einer Erzählung zugrunde liegt, die beinhaltet, dass „eine Sünderin dem bei einem Mahl anwesenden Jesus (aus Reue, nicht aus Dankbarkeit) die Füße mit Tränen benetzt, sie mit ihren Haaren abwischt und küsst und dass Jesus eine sich daran entzündende negative Reaktion der Anwesenden oder des Gastgebers mit den Worten zurückweist, dass der Frau die Sünden vergeben seien, weil (nicht: wie daran sichtbar werde, dass) sie viel Liebe erwiesen habe“ 130 . Diese Begebenheit hat ursprünglich nicht im Kontext der Passion stattgefunden. Erst im Prozess (der mündlichen) Überlieferung wurde die Erzählung „in eine Salbungsgeschichte transformiert und in die alte Passionserzählung integriert“ 131 , die ihren Ort in Bethanien hat. Aus der Sünderin wurde dabei eine Frau mit kostbarem Öl, und die berichtete Deutung des Verhaltens der Frau durch Jesus verschob sich dabei von der Sündenvergebung weg - hin zu einer Deutung auf seinen eigenen Tod. Die Detailübereinstimmungen insbesondere zwischen Lk 7,37f. und Joh 12,3 sind am ehesten so zu erklären: Johannes und Lukas haben „über ihre Passionserzählung einen gemeinsamen Ahnen“, „der seinerseits eine Weiterentwicklung des Urahns […] darstellt“ 132 . Dieser ist die alte Passionsgeschichte, in die die zur Salbungserzählung transformierte Geschichte von Jesus und der Sünderin integriert wurde. Lukas verzichtet in seiner Passionserzählung (Lk 22f.) auf die in Bethanien lokalisierte Erzählung, die ihm aus dem ihm mit Johannes gemeinsamen „Ahnen“ bekannt ist und 127 Vgl. Schnelle, Johannes, 223; eine ausführliche Darstellung der gängigen Erklärungsmodelle findet sich bei Dauer, Johannes, 132-151. 128 Vgl. Fitzmyer, Luke I, 684f. 129 Textpragmatisch übernimmt in der lukanischen Version der vom Pharisäer (im Selbstgespräch) geäußerte Vorwurf (v. 39), die Frau sei eine Sünderin, die Funktion des Motivs: Von einem Anwesenden wird gegen die salbende Frau ein Vorwurf gerichtet, gegen den Jesus sie dann verteidigt. 130 Theobald, Johannes, 770. - Im Folgenden wird die 2009 von Theobald in seinem Johanneskommentar vorgeschlagene Überlieferungsgeschichte skizziert (vgl. Theobald, Johannes, 766-773). Diese entspricht in wesentlichen Punkten der von Bovon in seinem Lukaskommentar (vgl. Bovon, EKK III/ 1, 387) dargestellten Hypothese, modifiziert sie jedoch an einigen Punkten (insbesondere darin, dass er die Integration in die Passionsgeschichte in einem sehr frühen Stadium annimmt). - Vgl. auch Fitzmyer, Luke I, 686; Wolter, Lukasevangelium, 291. Wolter hält für möglich, dass von Anfang an zwei unabhängige Traditionen von Salbungsereignissen existierten: eine nicht biographisch verortete von der Salbung der Füße und eine von der Salbung des Kopfes Jesu in Betanien kurz vor Jesu Tod. Im Zuge der mündlichen Überlieferung wären dann Details von einer Erzählung in die andere gewandert (Wolter, Lukasevangelium, 291). 131 Theobald, ebd. 132 Theobald, Johannes, 771. <?page no="91"?> 91 trägt stattdessen das Salbungsmotiv in die alte Geschichte von Jesus und der Sünderin ein (Lk 7,36-50). Im markinischen Überlieferungszweig wurde das Motiv von der Salbung der Füße in die Salbung des Hauptes Jesu umgewandelt und mit dem alttestamentlichen Motiv der königlichen Salbung verbunden. b) Lk 7,41-43 - originärer Bestandteil von 7,36-50 oder sekundäre Hinzufügung? An die Überlieferungsgeschichte der lukanischen Salbungserzählung schließt sich die Frage an, ob das Gleichnis 7,41-43 originärer Bestandteil von Lk 7,36-50 ist oder sekundär - lukanisch oder vorlukanisch - hinzugefügt wurde. Zu eruieren sind die Anteile von Red Lk ; insbesondere ist zu untersuchen, ob v. 47c die ursprüngliche Anwendung des Gleichnisses ist. Indizien für lukanische Bearbeitung finden sich an folgenden Stellen: Die Einleitung eiQpen proßw + Akk. (v. 40) ist sicher lukanisch. Auch eäxein mit folgendem Infinitiv in der Bedeutung „können, müssen“ dürfte auf Lukas zurückgehen, da es im lukanischen Doppelwerk signifikant häufig begegnet. 133 Dass Lukas an zwei Referenzstellen Qbzw. Markusstoff entsprechend bearbeitet hat (Lk 12,4.50) und darüber hinaus in allen Belegen der Apg (mit Ausnahme von 25,26a) und auch in 7,40 auf eäxein ein Verb des Sprechens im Infinitiv folgt, spricht dafür, dass die Formulierung redaktionell ist. 134 Das adjektivische tiw in v. 41 ist wohl lukanisch, 135 da es sich zum einen signifikant häufig im lukanischen Doppelwerk findet, 136 es demgegenüber in den Evangelien nur vereinzelt vorkommt 137 und Lukas es außerdem sechsmal in seinen Markusstoff eingefügt hat 138 . Da v. 47 (v. 47c: vW # de? oölißgon aöfißetai, oölißgon aö ögapaq #) eine direkte Anwendung des Gleichnisses ist, ist auch für diesen Vers der Anteil von Red Lk zu analysieren. Das Verb aöfießnai dürfte Lk vorgefunden haben. Jeremias 139 ist zwar der Ansicht, die Perfektform aöfeßvntai sei lukanische Redaktion, da sie im NT insgesamt nur sechsmal begegnet 140 und Lk in 5,20.23 jeweils das markinische Präsens aöfißentai (Mk 2,5.9) ins Perfekt umgewandelt hat. Dies ist aufgrund der geringen Anzahl der Belege ein schwaches Indiz dafür, dass Lukas die vorliegende Stelle entsprechend bearbeitet hat. Die v. 48-50 dürften von Lukas stammen. 141 Typisch vorlukanische Sprachmerkmale finden sich an mehreren Stellen: Das Praesens historicum in v. 40 ist eine „Meidewendung“ des Lukas. 142 Die Redeeinleitungen leßgei bzw. fhsißn sind davon jedoch ausgenommen (letztere begegnet zehnmal in der Apg). Ebenfalls als lukanische Meidewendung betrachtet Jeremias die Kombination von aöpokrijeißw […] eiQpen mit der Überleitungspartikel kaiß , da Lukas von sich aus mit deß überleite: 143 An allen sechs Belegstellen für aöpokrijeißw […] eiQpen in der Apg (Apg 4,19; 5,29; 8,24.34; 133 Elfmal in Lk/ Apg (7,40.42; 12,4.50; 14,14; Apg 4,14; 23,17.18.19; 25,26a; 28,19) gegenüber acht Einzelvorkommen in neutestamentlichen Schriften (Mt 18,25a; Mk 14,8; Eph 4,28a; Tit 2,8; Hebr 6,13; 2 Petr 1,15; 2 Joh 12; 3 Joh 13) und einem Doppelvorkommen bei Joh (Joh 8,26; 16,12). - Vgl. Jeremias, Sprache, 170. 134 Die Formulierung eäxein + aöntapodouqnai begegnet auch in Lk 14,14, ebenfalls im Nicht-Markusstoff des Lk. 135 Vgl. Jeremias, Sprache, 15.170. 136 39mal in Lk und 63mal in Apg. 137 Mt einmal, Mk dreimal, Joh achtmal. - Bei Pls begegnet adjektivisches tiw 28mal, in Hebr siebenmal, in Jak zweimal und in Jud einmal. 138 Lk 8,27; 9,8.19; 18,18.35; 21,2. 139 Vgl. Jeremias, Sprache, 172. 140 Lk 5,20.23; 7,47.48; Joh 20,23; 1 Joh 2,12. 141 Vgl. Jeremias, Sprache, 173f.; vgl. auch Fitzmyer, Luke I, 687; Bovon, EKK III/ 1, 389. 142 Vgl. Jeremias, Sprache, 169f.; vgl. auch Cadbury, Style, 158f. 143 Vgl. Jeremias, Sprache, 40; Cadbury, Style, 142-144. <?page no="92"?> 92 19,15; 25,9) ist dies der Fall; darüber hinaus verwandelt Lukas zweimal ein entsprechendes kaiß im Markusstoff in deß (Lk 5,22; 8,21) und fügt an zwei Stellen deß hinzu (Lk 9,20; 9,49). Das Nomen xreofeileßthw (v. 41) findet sich im NT nur an zwei Stellen im Nicht- Markusstoff des Lk: in 7,41 und 16,5. 144 Dass x. hier zudem - unlukanisch - mit vorangestellter Kardinalzahl begegnet, legt nahe, dass der Ausdruck vorlukanisch ist; 145 danißsthw (v. 41) ist als Hapaxlegomenon mit hoher Wahrscheinlichkeit ebenso traditionell. Dualisches eÄterow ist ebenfalls unlukanisch; Lukas verwendet die Vokabel ausgiebig in Aufzählungen. 146 Der asyndetische Anschluss von mh? eöxoßntvn in v. 42 ist unlukanisch; Lukas merzt bei der Bearbeitung des Markusstoffs Asyndeta konsequent aus: 36 Meidefällen, stehen vier - sämtlich emphatische - Übernahmen gegenüber. 147 Hinsichtlich des gnomischen Futurs aögaphßsei in einer rhetorischen Frage ist auffällig, dass Lukas dies nur einmal aus seinem Markusstoff übernimmt und nie in der Apg schreibt. Im Nicht-Markusstoff finden sich dagegen 16 Belege (6,39; 7,42; 11,5 bis .11 bis .12 bis .18; 14,5 bis .31; 16,11.12; 17,7.8); für 11,11 bis .12 bis .18 und 14,5 bis bestätigen die Mt-Parallelen, dass die Konstruktion dort vorlukanisch ist. Die Indizien sprechen also stark dafür, dass hier vorlukanischer Sprachgebrauch vorliegt. 148 In v. 43 fällt der asyndetische Anschluss von aöpokrijeißw + finites Verbum dicendi auf: Lukas verwendet zwar das Partizip aöpokrijeißw mit Verbum dicendi gerne, übernimmt es aus seinen Vorlagen und führt es auch von sich aus ein, doch schließt er es nie asyndetisch an. 149 Auch die folgende Redeeinleitung fand Lukas mit großer Wahrscheinlichkeit vor: Lukas meidet oÖ de? eiQpen + Dativ in seinem Markusstoff zehnbzw. elfmal 150 , übernimmt es nur einmal (Lk 8,48 par Mk 5,34) und schreibt es in der Apg nie; aller Wahrscheinlichkeit nach sind deshalb alle zwölf Belege für oÖ de? eiQpen + Dativ im Nicht-Markusstoff vorlukanisch. 151 V. 47 enthält das formelhafte leßgv uÖmiqn / soi , das im NT nur in den Evangelien und der Apg (Mt 58; Mk 16; Lk 47/ Apg 1; Joh 25) begegnet. Sechs der 47 Belege in Lk finden sich im Markusstoff; 152 Lukas schreibt die Wendung dort nicht von sich aus, sondern streicht sie sogar einmal (Mk 5,41). Der Gebrauch der Wendung im Nicht-Markusstoff weist Eigenheiten auf, die nahe legen, dass sie vorlukanisch ist (häufiger asyndetischer Anschluss, parenthetischer Gebrauch, Voranstellung des Dativs). 153 Doch erinnert das leßgv uÖmiqn in Apg 5,38 daran, dass dies nur Indizien, keine Beweise für Vorlukanizität sind. - Dass adverbiell gebrauchtes substantivisches pollaß lukanisches Meidewort ist, schließt 144 Das Nomen simplex oöfeileßthw begegnet öfter: in Mt 6,12; 18,24; Lk 13,4; Röm 1,14; 8,12; 15,27; Gal 5,3. X reofeileßthw findet sich zweimal in der LXX (Spr 29,13; Ijob 31,37), oöfeileßthw nicht. 145 Vgl. Jeremias, Sprache, 170; Cadbury, Style, 153; vgl. nur: Lk 9,13 diff Mk 6,38; Lk 9,14 diff Mk 6,44; Lk 9,17 diff. Mk 6,43; Lk 9,33 diff Mk 9,5; Lk 11,26 diff Mt 12,45. 146 Vgl. Jeremias, Sprache, 111.170. 147 Vgl. Jeremias Sprache, 60.170; Cadbury, Style, 147f. 148 Vgl. Jeremias, Sprache, 146.170. 149 Vgl. Cadbury, Sprache, 170; Lk 4,8 - Mt 4,10; Lk 4,12 - Mt 4,7; Lk 5,22 - Mk 2,8; Lk 5,31 - Mk 2,17; Lk 6,3 - Mk 2,25; Lk 9,19 - Mk 8,28; Lk 9,49 - Mk 9,38; Lk 20,3 (par Mt 21,24) - Mk 11,29. 150 Vgl. Jeremias, Sprache, 171; vgl. Mk 6,37; 8,28; 9,23; 10,18.51; 11,6.29; 12,15.16.17; 14,20 (vgl. Lk 22,21-23, hier aber weiterreichende Umgestaltung). Lukas schreibt von sich aus eiQpen proßw (fünfmal als Überarbeitung des Markusstoffs: Lk 4,43; 5,33.34; 8,21; 20,25; und viermal in der Apg: Apg 4,19; 12,15; 22,10; 28,21). 151 Lk 7,43; 12,14; 14,16; 15,27.29.31; 16,6; 17,37; 22,25.33.38; 24,19. 152 Vgl. Jeremias, Sprache, 106; Lk 5,24; 9,27; 18,17.29; 21,3.21. 153 Vgl. dazu ebd., Belege ebd. Anm. 8. <?page no="93"?> 93 Jeremias aus der Analyse des Markusstoffs: In keinem der neun Fälle hat Lukas es übernommen. 154 Auch in der Apg begegnet pollaß nirgends adverbiell, poluß allerdings dreimal (Apg 18,27 mit sumbaßllein ; 27,14 und 28,26 als Zeitangabe ). Dies lässt Jeremias` Schluss weniger zwingend scheinen und macht es unmöglich, sein Argument darauf auszudehnen, dass es für die Vorlukanizität von poluß und oölißgon spricht. Dafür, dass die Applikation v. 47b-d in ihrer Grundstruktur vorlukanisch ist, spricht die hier einmalige absolute Verwendung von aögapaqn (v. 47b.d). Ob v. 47a ( aöfeßvntai [ … ] pollaiß ) vorlukanisch oder Red Lk ist, bleibt unklar. Insgesamt macht der Befund der sprachlichen Analyse wahrscheinlich, dass v. 47b-d eine vorlukanische Anwendung des Gleichnisses v. 41-43 ist. c) Textpragmatische Beobachtungen Die Textpragmatik spricht dafür, dass das Gleichnis 7,41-43 originärer Bestandteil von Lk 7,36-47 ist. Es bestimmt den Erzählduktus: Die v. 44-46 nehmen die im ersten Teil der Erzählung geschilderten Geschehnisse (v. 37.38) in die konkrete Interpretation des Gleichnisses auf; diese führt die in v. 43 vom Pharisäer selbst gegebene Deutung fort (v. 44-47b), die schließlich in v. 47c abstrahiert wird. Die Interpretation des oÄti -Satzes in v. 47 ist dogmatisch ebenso umstritten wie relevant: Die kausale Übersetzung „weil sie viel geliebt hat“, lässt die theologisch denkwürdige und als Anwendung des Gleichnisses zumindest spannungsreiche Interpretation zu, dass Liebe Voraussetzung für Vergebung ist. 155 Als Anwendung des voranstehenden Gleichnisses ist v. 47b nur folgendermaßen zu verstehen: Weil die Frau so viel geliebt hat, müssen ihr ihre Sünden vergeben sein ( aöfeßvntai steht im Perfekt). Der oÄti- Satz leitet also den „Erkenntnisgrund“ 156 ein. Welche Intention verfolgt Lukas durch die Hinzufügung der v. 48-50? Er betont hier, dass Jesus die Frau direkt anspricht und ihr die Sündenvergebung zusagt (v. 48), nachdem er zuvor nur in der 3. Person über sie (mit dem Pharisäer) gesprochen hat. In v. 49 schildert Lukas die Reaktion der Zuhörer, die über die Person Jesu, insbesondere darüber, dass er Sünden vergeben kann, erstaunt sind. Hier liegt ein Bezug auf v. 39 vor: dort zweifelt der Pharisäer gerade die Besonderheit der Person Jesu an. Lukas legt in v. 50 nochmals die Betonung darauf, dass Jesus sich direkt an die Frau wendet, und hebt den Glauben als Grund ihrer - letztgültigen - Rettung ( pißstiw sou seßsvkeßn se ) und des schon jetzt wirksamen Heils ( poreußou eiöw eiörhßnhn ) hervor. 154 Vgl. Jeremias, Sprache, 173; Lk 4,41 diff Mk 3,12; Lk 5,15 diff Mk 1,45; Lk 8,4 diff Mk 4,2; Lk 8,31 diff Mk 5,10; Lk, 8,41 diff Mk 5,23; Lk 8,52 diff Mk 5,38; Lk 8,56 diff Mk 5,43; Lk 9,11 diff Mk 6,34; Lk 23,2 diff Mk 15,3. 155 „Der Streit über die Bedeutung des oÄti- Satzes hat durch konfessionelle Interessen besondere Schärfe erhalten; der Protestantismus verlangt Sündenvergebung als Vorbedingung für das Liebenkönnen; den Jesuiten […] war es wertvoll, einen Beleg dafür zu besitzen, dass Liebe auch der Sünden Menge decket; Unbefangenere […] sprachen für eine Wechselwirkung von Liebe und Vergebung; erst die Liebe des um Vergebung Flehenden, dann die Vergebung, zuletzt ungeheure Liebeskraft in dem der Vergebung gewissen Herzen.“ (Jülicher, Gleichnisreden, 297); vgl. ähnlich Bovon, EKK III/ 1, 394, insb. Anm. 60. 156 Jülicher, Gleichnisreden, 297. <?page no="94"?> 94 5.2 Theologisch-inhaltliche Analyse (#.1.1) Charakteristikum von Armut ist in 7,41-43 das Unvermögen, Geldschulden zurückzubezahlen. Armut äußert sich hier in Überschuldung durch die nicht sehr hohen, für Lohnarbeiter jedoch beträchtlichen Beträge von 50 bzw. 500 Denaren. 157 Dem voran geht die - im Gleichnis nicht beschriebene - Notsituation, die jemanden zwingt, Geld zu leihen. 158 Dass der Gläubiger im Verständnis des Gleichnisses reich war, impliziert sein Vermögen, Geld zu verleihen. Die Beziehung zwischen ökonomisch Potenten und Armen ist der Kern des Gleichnisses: Der Gläubiger erlässt beiden Schuldnern ihre Zahlungsverpflichtung komplett; diese reagieren darauf mit Dank (im Gleichnis hypothetisch formuliert). Die in Lk 7,42 geschilderte Reaktion des Gläubigers überrascht, liegt aber im Bereich des Möglichen. 159 Die Zahlungsunfähigkeit der beiden Schuldner bewirkt, dass sie existentiell von ihrem Gläubiger bzw. seinem Vorgehen - Schuldenerlass, Schuldennachlass, Unterlassung des Einforderns der Schuld, Stundung der Schuld, öffentliche bzw. private Schuldhaft, Pfändung oder Verkauf in die Schuldsklaverei - abhängig sind. 160 Der Gläubiger hätte Macht über seine beiden Schuldner, gibt diese aber durch den Schuldenerlass auf. Der Text verzichtet darauf, Ursachen für die Verschuldung der Gläubiger zu nennen; 161 das Phänomen der Verschuldung wird als gängig vorausgesetzt. (#.1.2) Dem in der Erzählung geschilderten ökonomischen Vorgang - Verschuldung, Schuldenerlass, Dank - wohnt keine religiöse Dimension inne. Die Salbungserzählung, in die der Text eingebettet ist, und die interpretierenden Worte Jesu (v. 47b-d) machen bereits vorlukanisch die Erzählung transparent auf die Beziehung von Menschen („Sünderin“, Pharisäer) zu Jesus. Die theologische Deutung, dass die finanzielle Verschuldung hier allegorisch als Bild für die Verschuldung des Menschen bei Gott fungiert, und der Gläubiger (7,41) für Gott steht, greift zu weit. 157 Zum Vergleich: Eine dreiköpfige Familie konnte im Pompeji des Jahres 79 n. Chr. mit knapp 600 Denaren die Lebenshaltungskosten für etwa ein Jahr decken; 50 Denare hätten ihr also etwa einen Monat zum Leben gereicht, 500 Denare etwa zehn Monate (vgl. Stegemann/ Stegemann, Sozialgeschichte, 46f.); die 100 Bat Öl bzw. 100 Kor Weizen in Lk 16,7 bewegen sich in einem ähnlichen Rahmen (vgl. Stegemann/ Stegemann, Sozialgeschichte, 47.51): Letztere entsprechen etwa 89 Denaren (1 Modius Weizen kostete in Pompeji im Jahr 79 n. Chr. ca. 2 Denare; 1 Modius entsprechen ca. 9 l, 1 Kor ca. 4 hl = 44,44 Modii, entsprechend 88,88 Denare). 158 Zur Verschuldungsproblematik vgl. Stegemann/ Stegemann, Sozialgeschichte, 23,125f. 159 Belege für Schulderlass, den Herrscher in der Antike bei Regierungsantritt oder bei Überschuldung der steuerpflichtigen Bevölkerung vollzogen, finden sich bei Kloft, Liberalitas. 160 Zu den Handlungsmöglichkeiten von Gläubigern bzw. Schuldnern vgl. Leutzsch, Verschuldung, 108-112. 161 Zu den sozialgeschichtlichen Hintergründen der Verschuldung im 1. Jh. in Palästina vgl. Leutzsch, Verschuldung, 108-111; Stegemann/ Stegemann, Sozialgeschichte, 125f. <?page no="95"?> 95 (#.2.1) In der kurzen Erzählung steht der soziale Aspekt des Umgangs mit materiellen Gütern im Vordergrund: Der Gläubiger handelt zu Gunsten der Schuldner, indem er ihnen als Reaktion auf ihre Zahlungsunfähigkeit überraschend 162 ihre Zahlungsverpflichtung erlässt, und dabei seine eigenen Interessen völlig zurückstellt. - Die Schuldner bleiben im Gleichnis passiv: Ihre Zahlungsunfähigkeit wird vermerkt (v. 42) und über ihre zu erwartende Reaktion (Liebe zum Gläubiger) wird gemutmaßt (v. 42b.43). (#.2.2) Ethische Leitlinien für ökonomisches Handeln reflektiert der Text nicht. (#.2.3) Die kurze Erzählung selbst deutet ökonomisches Handeln nicht theologisch. - Den Deutungsrahmen bildet die Begebenheit, in der Jesus selbst agiert (7,36-50*). Er macht den Schuldenerlass des Gläubigers auf sein vergebendes Handeln gegenüber der Frau hin transparent. (#.3) In 7,41-43 wird das Handeln Gottes bzw. Jesu nicht thematisiert. 5.3 Hermeneutische Reflexion Hilfreich ist es, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Gleichnisse Jesu aus drei zusammengehörigen Teilen - der Gleichniserzählung, der Gleichnisanwendung und einer meist nur impliziten Antwort der Hörenden oder Lesenden - bestehen. 163 Die Gleichniserzählung beschreibt politische, soziale und ökonomische Strukturen. Die sozialgeschichtliche Untersuchung analysiert hier das Verhältnis von Gleichniserzählung und sozialer Welt. Die Gleichnisanwendung stellt die gesellschaftliche Analyse der Gleichniserzählung in einen theologischen Zusammenhang - die Gleichniserzählung ist also nicht nur reines Bildmaterial für einen anderen Sachverhalt, sondern per se theologisch relevant. Die Analyse hat danach zu fragen, wo sich im Gleichnis das Evangelium, die befreiende Botschaft, für die Hörer ausdrückt. 164 Nimmt man ernst, dass Gleichnisse in Bezug zur Erwartung des letzten, gerechten Gerichtes Gottes stehen, sind sie „eschatologisch“ zu lesen. 165 Dieser eschatologischen Deutung steht die so genannte ekklesiologische 166 Deutung gegenüber: Ekklesiologisch in diesem Sinne ist eine Auslegungstradition, die den der auslegenden Gruppe eigenen (gesellschaftlichen) Kontext zum Maßstab setzt. Die auslegende Gruppierung interpretiert - folgt sie dieser Hermeneutik - die in einer Gleichniserzählung dargestellten ungerechten gesellschaftlichen Strukturen so, dass sie die von diesen Strukturen privilegierte Gruppe allegorisch mit der „Ekklesia“, d.h. der auslegenden Gruppierung, identifiziert; diejenigen, die von den im Gleichnis dargestellten Strukturen benach- 162 Üblich war es, in Schuldurkunden Strafklauseln einzubauen. - Vgl. Roose, Rollenwechsel, 534; Heininger, Sondergutgleichnisse, 92. 163 Vgl. Schottroff, Gleichnisse, 135. 164 Vgl. Schottroff, Gleichnisse, 136. 165 Vgl. ebd. 166 Vgl. Schottroff, Gleichnisse, 109ff. <?page no="96"?> 96 teiligt sind, werden mit den Außenseitern, „den Anderen“, identifiziert. Die eschatologische Interpretation geht dagegen von der Voraussetzung aus, dass die im Gleichnis dargestellten Strukturen an Gottes Willen und Verheißung zu messen sind. Gleichnisse, in denen die erzählten Strukturen „im Widerspruch zu Gottes Willen und Handeln, Gottes Königtum“ 167 stehen, sind „antithetische“ Gleichnisse. Die Antwort der Adressaten schließlich, „mit Verstehen, mit Worten und Taten“ 168 ist im Text nicht immer explizit, sondern oft in rhetorischen Fragen oder einem offenen Schluss nur implizit angedeutet. Klassisch wird bei der Analyse von Gleichnissen zwischen Sach- und Bildebene unterschieden. Eine Reflektion auf der Sachebene läge dann vor, wenn die Reflektion der Thematik Armut und Reichtum eine Hauptintention des Textes ist. Um eine Reflektion auf der Bildebene handelte es sich, wenn die Thematik Armut und Reichtum/ Umgang mit materiellen Gütern als metaphorisches oder bildhaftes Argumentationsmaterial für die Hauptaussage des Textes dient, die Aussageintention des Textes jedoch in einem anderen Themenkreis angesiedelt ist. 169 Zu beachten ist grundsätzlich, dass die untersuchte Thematik entweder explizit angesprochen, - d.h. es finden sich in den Texten Schlüsselbegriffe aus dem Themenbereich Armut und Reichtum/ Umgang mit materiellen Gütern -, oder implizit durch die Verwendung einschlägiger Motive reflektiert werden kann. Da die vorliegende Untersuchung von einer dualistischen Gleichnisdeutung (s.u.) Abstand nimmt, ist diese Unterscheidung in Sach- und Bildebene problematisch. Bei der Betrachtung der von (dem lukanischen) Jesus erzählten Lebenswirklichkeit müssen die folgenden beiden Relationen deutlich in den Blick genommen werden: 170 erstens das Verhältnis der Gleichniserzählung zur sozialen Wirklichkeit, zweitens das Verhältnis der erzählten Lebenswirklichkeit zu Gott. 171 Dabei ist von der Annahme „stehender Metaphern“ zunächst abzusehen. 172 Das Gleichnis v. 41-43 und seine Anwendung v. 44-47b (konkret, situationsbezogen) und v. 47c (abstrakt) transportiert folgende theologische Sachverhalte: erstens, Vergebung bewirkt Liebe und zwar „direkt proportional“ zur Höhe der Vergebung; zweitens, sowohl Sünder nach Ansicht der Phari- 167 Schottroff, Gleichnisse, 137. 168 Ebd. 169 Vgl. Nolland, Role, 179.187f.190ff. - Nolland führt noch eine dritte Kategorie für die Charakterisierung von Gleichnissen ein, in denen Bildmaterial aus dem Bereich Geld und Besitz aufgegriffen wird: Gleichnisse, in denen Geld und Besitz gar keine Rolle spielt. Dieser Gruppe ordnet er 7,40-43; 12,57-59; 14,28-30; 18,1-7 und mit Abstrichen auch 16,1-9; 19,11-27; 20,9-16 zu (vgl. Nolland, Role, 190-192). Zumindest für 16,1-9 ist diese Kategorisierung problematisch, da spätestens in den Applikationen der Parabel die Frage nach dem Umgang mit Besitz bestimmend ist. 170 Dazu und zum Folgenden vgl. Schottroff, Gleichnisse, 120-142. 171 Vgl. Schottroff, Gleichnisse, 120. 172 Vgl. Schottroff, Gleichnisse, 32.137. <?page no="97"?> 97 säer als auch diese selbst bedürfen der göttlichen Vergebung. 173 Die Aussage, dass die Sünden der Frau bereits vergeben sind (Perf. aöfeßvntai in v. 47), als sie Jesus berührt (v. 39), ist für die Erzählung als Widerlegung des Selbstgesprächs des Pharisäers wichtig, in dem er Jesus mangelnde Kenntnis der „Sündigkeit“ der Frau zur Last legt (v. 39). Hat das Gleichnis von vornherein unbesehen nahegelegt, das Schuldenwesen als Allegorie für Schuld und Vergebung zu verstehen, oder wohnt ihm auch Kritik am Schuldenwesen als einer ungerechten Struktur inne, die Menschen aufgrund materieller Not in sich steigernde existentielle Abhängigkeit ökonomisch Mächtiger zwingt? - Für letzteres spricht, dass das Gleichnis einen Gläubiger vorstellt, der wider Erwarten gegen seine Interessen und für diejenigen seiner Schuldner handelt. Private Schuldenerlässe in der Antike sind wenig bezeugt - allenfalls von Herrschern die oft mehr aus politisch-propagandistischen denn aus sozialen Erwägungen heraus Schulden erließen. Auf der Ebene des Lukasevangeliums deutet Jesus das Gleichnis von der Liebe der Schuldner zum Gläubiger her. Er führt dabei (v. 42b) einen graduellen Aspekt ein, der im Gleichnis selbst fehlt: „Wer wird mehr lieben? “ Im folgenden Dialog zwischen Jesus und dem Pharisäer wird dieser Gedanke weiter ausgeführt und auf den Punkt gebracht (v. 42a.43). Der Schuldner, dem die höhere Summe erlassen wurde, entwickelt eine größere Liebe zum Gläubiger. Das, was (der lukanische) Jesus deutlich machen will, entwickelt er im weiteren Gespräch mit dem Pharisäer (v. 44-46). Jesus führt die in v. 42b eingeführte Perspektive der graduellen Unterscheidung fort, indem er das Verhalten der Frau ihm gegenüber mit dem Handeln des Pharisäers an ihm vergleicht. Er zieht daraus die Schlussfolgerung (v. 47): Die Frau hat ihm (Jesus) viel Liebe gezeigt - und damit darauf reagiert, dass er ihre Sünden vergeben hat. Jesus macht mit dem Bild des Schuldenerlasses deutlich, dass die Liebe der Frau „beweist“, dass ihre Sünden vergeben sind. Damit rehabilitiert er sie vor den Anwesenden und weist zugleich auf Gottes Barmherzigkeit hin. Die Erzählung Lk 7,41f. ist äußerst knapp gehalten 174 und wurde nicht unabhängig, sondern im Kontext von 7,36-47 überliefert (s.o.). Für die Deutung der Erzählung ergibt sich daraus: Jesus antwortet mit dem Gleichnis auf den Vorwurf des Pharisäers (v. 39) an ihn selbst ( ouWtow eiö hQn profhßthw ) und die Frau ( aÖmartvloßw eöstin ). Das Gleichnis greift die geprägte Vorstellung aus dem AT auf, „dass der Mensch durch Unreinheit und Übertretungen schuldig vor Gott wird“ 175 . Dies wird jedoch nicht mit dem in Lk 7,41f. verwendeten Vokabular ( oöfeißlhma, xreofeileßthw ) zur Sprache gebracht. - Dass Gott explizit mit einem Geldverleiher identifiziert würde, findet sich in vorneutestamentli- 173 Vgl. Schürmann, Lukas I, 434: „Totalverschuldung des Menschen bei Gott“. 174 Vgl. Roose, Rollenwechsel, 532f. 175 Roose, Rollenwechsel, 534; vgl. Lev 16,16; Gen 26,10; Num 5,7f.; Jes 24,6; Ps 34,22f.51. <?page no="98"?> 98 chen Texten nicht; auch im NT wäre das Motiv in Lk 7,41f. singulär. Eine Identifikation des Gläubigers mit Gott (v. 41) greift bei der Deutung des Gleichnisses zu weit. Jesus erzählt eine Geschichte, die transparent ist auf seine Beziehung zur Frau und dem Pharisäer. Sie ist aber keine Allegorie. Zu beachten ist zudem, dass Jesus selbst und nicht Gott in v. 48f. (Red Lk ) als der gilt, der Sünden vergibt. 6 Lk 8,1-3: Das Vermögen dreier Frauen im Dienst der basileißa Kontext und Abgrenzung. Lk 8,1-3 folgt auf die Erzählung von Jesus und der Sünderin (Lk 7,36-50*). Der Neuansatz ist deutlich durch kai? eögeßneto eön tvq # kajechqw (8,1) markiert. Die beiden Perikopen verbindet, dass Frauen jeweils eine Schlüsselrolle spielen. In Lk 8,4 beginnt das markinische Gleichnis vom Sämann mit dem Genitivus absolutus sunißontow de? oäxlou ; die in v. 2 und 3 genannten Frauen werden nicht mehr erwähnt. Struktur. Der Abschnitt Lk 8,1-3 beginnt mit einem Summarium (v. 1-2a) der Taten Jesu in Galiläa. In v. 1c wird vermerkt, dass die Zwölf Jesus begleiten. In v. 2 schwenkt der Blick auf Frauen, die mit Jesus unterwegs sind; sie sind alle dadurch charakterisiert, dass Jesus sie von Krankheiten oder bösen Geistern geheilt hat (v. 2a). Drei werden namentlich genannt (v. 2b-3b): Maria Magdalena (vgl. Lk 24,10) - nur von ihr wird berichtet, von welchem Leiden Jesus sie befreit hat (sieben böse Geister, v. 2c); Johanna - sie wird über ihren Mann charakterisiert ( gußnh Xouzaq eöpitroßpou ÖHrvß #dou , v. 3a); schließlich Susanna, von der nichts als ihr Name berichtet wird und die auch sonst nicht erwähnt wird (v. 3b). Es wird vermerkt, dass neben diesen drei namentlich genannten Frauen viele andere ( eÄterai pollaiß ) Jesus begleiteten und ihn und die Zwölf ( auötoiqw , v. 3) mit ihrem Besitz ( eök tvqn uÖparxoßntvn auötaiqw ) unterstützten ( dihkoßnoun ). 6.1 Redaktionskritik Das Summarium 8,1-2a dürfte Lukas selbst gestaltet haben. 176 Die Namen der Frauen hat Lukas wohl aus der Tradition übernommen. 177 Der Vermerk, dass die Frauen Jesus mit ihrem Besitz unterstützen (Lk 8,3c) ist von lukanischer Sprache geprägt: uÖpaßrxein als Partizipialkonstruktion ist lukanische Vorzugswendung. 178 Möglicherweise ist Lk 8,3c von 176 Darauf deuten die zahlreichen lukanischen Spracheigentümlichkeiten hin (vgl. Fitzmyer, Luke I, 695): kai? eögeßneto eön […] kai? auöto? w ; kajechqw : im NT nur im lukanischen Doppelwerk (zweimal in Lk, dreimal in Apg; vgl. Jeremias, Sprache, 175); euöaggelißzesjai : medialer Gebrauch von euö . findet sich in den Geschichtswerken des NT nur in Lk (achtmal) und in der Apg (15mal); zudem fügt Lukas es dreimal (Lk 4,43 diff. Mk 1,38; Lk 9,6 diff. Mk 6,13; Lk 20,1 diff. Mk 11,7) in seinen Markusstoff ein (vgl. Jeremias, Sprache, 39); aösjeßneia in der Bedeutung „Krankheit“ (vgl. ebd., 695). 177 Vgl. Fitzmyer, Luke I, 695; Jeremias, Sprache, 178. 178 Von 60 Belegen im NT finden sich 40 (Lk 15; Apg 25) im lukanischen Doppelwerk. Lukas ersetzt eiQnai durch uÖpaßrxein (vgl. die Belege Jeremias, Sprache, 163 Anm. 36). <?page no="99"?> 99 Mk 15,41 beeinflusst. Markus erwähnt dort, dass Frauen Jesus gedient haben ( dihkoßnoun ). Maria Magdalena wird dort ebenfalls erwähnt. Ob Lukas den Gedanken, dass die Frauen Jesus materiell unterstützt haben, in der Tradition vorgefunden und sprachlich bearbeitet oder selbst entwickelt hat, lässt sich anhand semantischer Merkmale nicht erweisen. Dass Lukas diesen Vermerk ohne Anhalt in der Tradition „erfindet“, ist jedoch unwahrscheinlich. 6.2 Theologisch-inhaltliche Analyse (#.1.1) Die Charakterisierung einer der Frauen (Johanna) impliziert, dass sie wohlhabend war, da sie als Ehefrau eines Beamten des Herodes ( eöpitroßpow ÖHrvß #dou ) bezeichnet wird. Über den Besitzstand der übrigen Frauen wird nichts ausgesagt. - Armut wird in Lk 8,1-3 nicht angesprochen; doch ist aus vorangehenden Texten (z.B. Lk 5,27ff.) deutlich, dass die Jünger Jesu allen Besitz zurückgelassen haben und Jesus und die Seinen - also diejenigen, die von den uÖpaßrxonta der Frauen profitieren - ohne Besitz, „freiwillig arm“, unterwegs sind. Die Erwähnung von Johanna, der Frau eines Herodesbeamten, zeigt, dass Jesu Predigt und Wirken auch politisch einflussreiche Stellen erreichte und er Menschen aus diesen Kreisen überzeugen konnte. 179 (#.1.2) Armut und Reichtum erfahren in Lk 8,1-3 keine theologische Bedeutung. (#.2.1) Ökonomisches Handeln wird in Lk 8,1-3 in seiner sozialen und religiösen Dimension angesprochen. Die Frauen versorgen ( dihkoßnoun 180 ) mit ihrem Besitz Jesus und seine Jünger (soziale Dimension). Sie haben die heilende Kraft Jesu erfahren und unterstützen ihn mit ihren Gütern bei der Verkündigung der basileißa touq jeouq (religiöse Dimension). Über die Höhe der Untertützung ist nichts ausgesagt, wichtig ist, dass sie ihr Vermögen in den Dienst der basileißa -Verkündigung stellen. 181 (#.2.2) Ethische Leitlinien für ökonomisches Handeln werden in Lk 8,1-3 nicht reflektiert. (#.2.3) Ökonomisches Handeln erfährt keine theologische Interpretation. (#.3) Jesus ist in 8,3 nicht der Handelnde, sondern derjenige, der von wohlhabenden Frauen Unterstützung erfährt. Zudem verwendet im NT nur Lukas die Wendung ta? uÖpaßrxontaß tini (vgl. ebd., 163. 178). 179 Vgl. Fitzmyer, Luke I, 698. 180 Das Imperfekt verdeutlicht, dass die Frauen Jesus und die Jünger über einen langen Zeitraum unterstützen (durativer Aspekt). 181 Hentschel betont, dass Lukas das Tun der Frauen bewusst auf eine materielle Form der Unterstützung (ohne vorangehende Beauftragung durch Jesus! ) hin konkretisiert; sie weist zudem darauf hin, dass diese von Anfang an der gesamten Nachfolgegemeinschaft ( dihkoßnoun auötoiqw ) zu Gute kommt (Hentschel, Diakonia, 234). <?page no="100"?> 100 7 Lk 10,(25-29.)30-37: Barmherziger Samaritaner Kontext und Abgrenzung. Die Perikope steht zwischen Jesu Seligpreisung der Jünger (10,23-24) und der Erzählung von Maria und Marta (10,38-42). Sie ist nach oben und unten jeweils deutlich durch Subjekts- und Ortswechsel abgegrenzt (v. 25: iödou? nomikoßw tiw aöneßsth ; v. 38: eön de? tvq # poreußesjai ). Struktur. Die Passage Lk 10,25-37 hat zwei Ebenen: den Dialog Jesu mit dem Schriftgelehrten und die von Jesus erzählte Beispielgeschichte. v. 25-29: Dialog zwischen Jesus und einem Schriftgelehrten: v. 25a: Exposition ( eökpeiraßzvn auöto? n leßgvn ) v. 25b: Frage des Schriftgelehrten, wie das ewige Leben zu erreichen sei. v. 26: Gegenfrage Jesu nach dem Inhalt des Gesetzes. v. 27: Antwort des Schriftgelehrten: Zitat des Doppelgebotes von Gottes- und Nächstenliebe. v. 28: Reaktion Jesu: touqto poißei kai? zhßsh#. v. 29: Rückfrage des Schriftgelehrten: tißw eöstißn mou plhsißon; v. 30-35: Erzählung der Beispielgeschichte vom barmherzigen Samaritaner: v. 30: Exposition: Ein Mensch fällt auf dem Weg zwischen Jericho und Jerusalem unter Räuber und wird halbtot zurückgelassen. v. 31-35: Hauptteil: Reaktionen der Vorbeikommenden: v. 31f.: Priester und Levit gehen vorbei ( aöntipareßrxesjai ). v. 33-35: Erbarmen des Samaritaners: v. 33: „ eösplagxnißsjh “. v. 34: „Erste Hilfe“. v. 35: Finanzielle Vorsorge für die weitere Pflege. v. 36f.: Deutung der Erzählung: v. 36: „Deutefrage“ Jesu: Wer der drei ist dem unter die Räuber Gefallenen der Nächste gewesen? v. 37: Antwort des Schriftgelehrten: „ oÖ poihßsaw to? eäleow “. v. 38: Aufforderung Jesu zur Nachahmung. 7.1 Redaktionskritik Für die Perikope ist folgender Entstehungsprozess anzunehmen: 182 V. 25 hat starke lukanische Redaktion erfahren. 183 Die Formulierung didaßskale, tiß poihßsaw zvh? n aiövßnion klhronomhßsv findet sich auch in der Perikope vom reichen Jüngling, die Lukas aus dem Markusstoff übernommen und redaktionell bearbeitet hat (Lk 18,18 par Mk 10,17). 184 Die Bezeichnung nomikoßw für den Gesprächspartner Jesu dürfte auf Lukas zurückgehen 185 : Lukas hat die im NT seltene Vokabel (einmal in Mt, zweimal in Tit, sechsmal in Lk) viermal in Q eingefügt. 186 Die Redeeinleitungen oÖ de? eiQpen / eiQpen de? in v. 26.28 dürften auf lukanische 182 Aus, Weihnachtsgeschichte, 119 nimmt v. 25-37 als vorlukanische Einheit an. 183 ’Ekpeiraßzvn dürfte vorlukanisch sein (vgl. Jeremias, Sprache, 190). 184 Lukas hat hier mit poihßsaw - wie auch sonst häufig - eine Konstruktion des Markus ( poihßsv ) durch Partizip ersetzt (vgl. ebd.). Vgl. auch Mk 12,28-31. 185 Gegen Jeremias, Sprache, 190. 186 Lk 11,45.46 vgl. Mt 23,4; 11,52 vgl. Mt 23,13; 14,3 vgl. Mt 12,10f. <?page no="101"?> 101 Redaktion zurückzuführen sein, ebenso wie eiQpen proßw in v. 26.29 187 . Die Doppelfrage selbst ist mit einiger Wahrscheinlichkeit vorlukanisch 188 . Die folgende Septuagintaparaphrase (v. 27) ist aus Dtn 6,5 und Lev 19,18 kombiniert. Die lukanische Version von Dtn 6,5 weicht dabei von der Septuagintafassung ab 189 , ist aber auch nicht mit der Markusversion (Mk 12,30) identisch: Von Mk 12,30 und der LXX unterscheidet sich Lk 10,27 durch die Verwendung der Präposition eön + Dativ an Stelle von eök + Genitiv in den letzten drei Gliedern der Aufzählung menschlicher Fähigkeiten, sowie in deren Anzahl (die LXX nennt nur drei, Mk und Lk vier) und Reihenfolge. Der Gebrauch der Präposition eön ist ungewöhnlich und dürfte semitisch beeinflusst sein, da im masoretischen Text tatsächlich die Präposition b; @ steht. Dies könnte darauf hinweisen, dass Lukas das kombinierte LXX-Zitat Lk 10,27 bereits in traditionellem Material vorfand, das von Kreisen überliefert wurde, die mit dem semitischen Wortlaut umgingen; denn Lukas selbst lehnt sich in seinem Sprachstil an die LXX an. Die Wendung touqto poißei kai? zhßsh# (v. 28) begegnet ähnlich in der LXX (vgl. Lev 18,5; Dtn 4,1; 6,24; 8,1) im Kontext des Haltens des Gesetzes. Lukas greift mit den Stichworten poißei und zhßsh# die Eingangsfrage auf. Die Selbstrechtfertigung 190 des nomikoßw (v. 29) dürfte von Lukas stammen, da er in Lk 16,15 eine Q-Stelle (vgl. Mt 23,28) ebenso bearbeitet. 191 Die Frage ti? w eöstißn mou plhsißon (v. 29) ist - wie das vorangestellte Possessivpronomen nahe legt - traditionell; 192 und dürfte schon vorlukanisch die folgende Erzählung eingeleitet haben. In der Beispielerzählung selbst (v. 30-35) finden sich mehrere Hapaxlegomena, die darauf hindeuten, dass Lukas hier auf vorgegebenes Material zurückgreift: uÖpolambaßnein (in der Bedeutung „das Wort ergreifen“, „erwidern“), hÖmijanhßw ( v. 30), sugkurißa (v. 31), aöntipareßrxesjai (v. 31.32), oÖdeußein (v. 33), katadeiqn, traußmata, eöpixeiqn, eöpibibaßzein, pandoxeiqon (v. 34); pandoxeußw, prosdapanaqn (v. 35). Die Erzählungseinleitung aänjrvpoßw tiw geht aller Wahrscheinlichkeit nach auf Lukas zurück. 193 Sie begegnet in Lk noch neunmal in Erzählungseinleitungen, davon sechsmal im S Lk (10,30; 12,16; 14,2; 15,11; 16,1.19), zweimal im Q-Stoff (14,16; 19,12) und einmal im Markusstoff (20,9) - also in allen drei Quellensträngen; zudem in Apg 9,33. Jeremias ist der Ansicht, dass Lukas von sich aus aönhßr bevorzugt, und schreibt die Wendung aänjrvpoßw tiw der Tradition zu. 194 Vergleicht man jedoch den lukanischen Gebrauch von aönhßr tiw bzw. tiw aönhßr mit dem von aänjrvpoßw tiw , ist festzustellen, dass im Doppelwerk beides etwa gleich häufig begegnet. 195 Beide Einleitungswendungen sind in den Evangelien nur in Lk zu finden. 187 Vgl. Jeremias, Sprache,190.33. 188 Vgl. Jeremias, Sprache, 101.190. 189 Vgl. Bovon, EKK III/ 2, 86 Anm. 16. 190 Dikaiouqn + Reflexivpronomen findet sich im NT nur in Lk 10,29 und 16,15. 191 Gegen Jeremias, Sprache, 190. 192 Vgl. Jeremias, Sprache, 143.190. 193 Vgl. Fitzmyer, Luke II, 886. 194 Vgl. Jeremias, Sprache, 134.191: Als Argument dient unter anderem Lk 8,27 (die einzige Stelle, an der Lukas aönhßr in aänjrvpow ändert. - S. auch Pöhlmann, Sohn, 162-167. - Zu aänjrvpoßw tiw als Einleitung vgl. Berger, Hellenistische Gattungen, 1116-1120: Die Einleitung aänjrvpoßw tiw sowie die Kombination anderer, das Geschlecht, das Alter, die soziale Stellung oder eine besondere Eigenschaft bezeichnender Nomina regentia mit tiw besitzen Parallelen in zwei hellenistischen Gattungen: erstens in literarischen Briefen, wo sie Novellen einleiten, die den neutestamentlichen Gleichnissen strukturell ähnlich sind (vgl. z.B. Aristainetos, Epist. I,6.9.11; II,7.22); zweitens in hellenistischen Fabeln. Ebenso wie bei Lukas spielt auch bei letzteren das Haben ( eäxein ) eine große Rolle, oft auch so, dass jemand zwei verschiedene Dinge hat (wie in Lk 15,11ff.). 195 Die Wendung aönhßr tiw findet sich achtmal im Doppelwerk (Lk 8,27; Apg 5,1; 8,9; 10,1; 13,6; 16,9; 17,5; 25,14), tiw aönhßr begegnet nur in Apg (3,2; 14,8; 17,34). <?page no="102"?> 102 Sowohl zwischen v. 29 und v. 36 als auch zwischen v. 29 und der Erzählung (v. 30-35) besteht eine Spannung: Die in v. 29 formulierte Frage lautet: „Wer ist mein Nächster? “; in der Erzählung „wird eine Umkehrung aus dem Passiven in das Aktive vorgenommen und avanciert der, der Mitleid hat, zum Nächsten“ 196 ; v. 36 reflektiert dann explizit die Frage: „Wer ist zum Nächsten geworden? “. Die Targumim 197 zu Lev 19,18 haben für „lieben“ „barmherzig sein“ ( Mxr ) 198 . V. 33 ist somit mit v. 27b verklammert: Für den Hörer war klar, dass der Samaritaner darin, dass er sich erbarmt ( eösplagxnißsjh , v. 33), das Gebot der Nächstenliebe erfüllt. Die Spannung zwischen v. 29 und v. 36 ergibt sich daraus, dass der Dialog zwischen Jesus und dem nomikoßw ein Streitbzw. Lehrgespräch ist: Jesus spitzt dessen Frage daraufhin zu, dass es darum geht, aktiv zum Nächsten zu werden und führt ihn - ihm seine Frage gewissermaßen „im Munde herumdrehend“ - vor. Dies deutet sich bereits durch den Aufbau der Beispielerzählung an und wird dann in v. 36 explizit. Die Redeeinleitung oÖ de? eiQpen (v. 37) stammt wohl von Lukas; 199 die Antwort selbst oÖ poihßsaw to? eäleow met ö auötouq (v. 37a) dürfte vorlukanisch sein, da eäleow traditionelles Vokabular ist; 200 die Tatsache, dass eöleeiqn sich im lukanischen Doppelwerk nur im S Lk (Lk 16,24; 17,13) und eäleow nur in Lk 1 (1,50.54.58.72.78) und hier in 10,37 findet, ist ein deutliches Indiz dafür. 201 Ob v. 37b von einer vorlukanischen Redaktion stammt, die den bereits deutlichen Handlungsimpuls noch verstärkte, und die Perikope somit ursprünglich mit v. 37a schloss 202 , oder ob v. 37b zum lukanischen Rahmen der Erzählung gehört, ist nicht zu entscheiden. Sowohl die Beispielgeschichte (v. 30-35) als auch der Rahmen (v. 26-29.36f.) sind also im Grundbestand vorlukanisch, weisen aber Spuren lukanischer Bearbeitung auf. Sie dürften bereits vorlukanisch eine Einheit gebildet haben. 203 Durch textpragmatische Beobachtungen können zwei Überlieferungsstufen (v. 26-28 und v. 30-35) differenziert werden. 204 Beide Einheiten, v. 26-28*, die mit der Verheißung touqto poißei kai? zhßsh# (v. 28) geendet hat, und v. 30-35 sind in sich schlüssig. Wahrscheinlicher, als dass sie die Erinnerung an eine historische Begebenheit bewahren, ist, dass sie mit der Absicht, Samaritaner und Levit/ Priester einander gegenüberzustellen, entworfen wurden; und zwar von jemandem, „der mit den Lokalitäten zwischen Jerusalem und Jericho vertraut war“ 205 . Dass die Frage nach der richtigen Erfüllung des Gesetzes die Beispielgeschichte motiviert hat, liegt nahe; denn die strenge Gesetzesobservanz ist gerade das, was die Samaritaner mit dem pharisäisch geprägten Judentum verbindet. 206 So könnte zumindest v. 36f. und viel- 196 Böhm, Samarien, 249. 197 Aus verzichtet hier auf die Angabe konkreter Belege. Zum Pentateuch sind mehrere Targumim erhalten. Offizielle Geltung erhielt schon früh der Targum Onquelos, dessen schriftliche Redaktion in das 2. Jh. zu datieren ist (vgl. Stemberger, Geschichte, 81f.). 198 Dies entspricht auch dem weiteren jüdischen Umgang mit dieser Stelle in Zitaten und Paraphrasen (vgl. Aus, Weihnachtsgeschichte, 119). 199 Vgl. Jeremias, Sprache, 193. 200 Vgl. ebd. 201 Vgl. auch Jeremias, Sprache, 60. 202 V. 37a korrespondiert mit v. 25b, den Lukas im Anklang an ersteren formuliert haben könnte. 203 Vgl. Aus, Weihnachtsgeschichte, 119. 204 Vgl. Aus, Weihnachtsgeschichte, 120. 205 Böhm, Samarien, 254. 206 Schon der Talmud erwähnt die Gesetzesobservanz der Samaritaner (bBer 47b); vgl. Jeremias, Art. Samaßreia , 89. - Trennend ist die Frage des legitimen Kultortes. Die Samaritaner halten unter Berufung auf Dtn 11,29 den Garizim für den einzigen, legitimen von Gott erwählten Kultort. - Während der Römerzeit herrschte offene Feindschaft <?page no="103"?> 103 leicht auch schon v. 29b im ersten Stadium der Überlieferung mit v. 30-35 verbunden gewesen sein. 207 Die Personenkonstellation und Abfolge in der Perikope zielt darauf, das erbarmende Handeln des Samaritaners vom Verhalten des Priesters und des Leviten abzuheben. Die Erzählung war nie als Affront gegen die Einhaltung kultischer Reinheitsgesetze konzipiert; dass aber letztlich hier Hos 6,6 208 rezipiert wird, wie dies ja wörtlich in Mt 9,13; 12,7 geschieht, ist auf jeden Fall anzunehmen. 209 Priester und Levit sind zwar Repräsentanten des Kultpersonals des Tempels, doch gelten erstens die Reinheitsvorschriften (hier die Verunreinigung durch Berührung einer Leiche) nur für die Priester, nicht die Leviten (vgl. Lev 21,1ff) 210 und kommen zweitens beide gerade von Jerusalem her, so dass die Gefahr der kultischen Unreinheit aufgrund des Dienstzyklus nicht gegeben ist 211 . Beide vertreten den Typos des frommen, d.h. gesetzestreuen Juden; sie gelten als Autoritäten der Schriftauslegung 212 . Der Samaritaner repräsentierte einen Außenseiter der jüdischen Gesellschaft, in der die Pharisäer die dominierende Gruppe waren, doch einen Außenseiter, für den die zwischen Juden und Samaritanern (vgl. Jos Ant, XVIII, 29f.85-89; XX, 118-136; Mt 10,5 (Aussendung der Zwölf); Lk 9,52 (Nichtaufnahme Jesu in Samarien; dies ist auch Beleg für Feindschaft gegenüber Juden, die von den Samaritanern ausgeht: Jesus wird abgelehnt, da er Richtung Jerusalem unterwegs ist); Joh 8,48 ( S. ist als Schimpfwort verwendet); Samaritanerfreundliche Belege sind dagegen Lk 10,30ff.; 17,16ff. (die Heilung der zehn Aussätzigen, der einzige, der Jesus dankt, ist Samaritaner) sowie die Belege in der Apg, die Samaria als Missionsziel nennen: Apg 1,8; 8,4-25). - Die Samaritaner sind in Lk, S Lk , Apg und Joh von einigem Interesse, während sie in Mk gar nicht und in Mt nur einmal negativ erwähnt sind (Mt 10,5). 207 Klein hält die Verbindung von Gottes- und Nächstenliebe für einen dem palästinischen Judentum fremden, allenfalls dem Diasporajudentum, hauptsächlich aber dem in der griechischen Welt missionierenden Christentum vertrauten Topos. Damit spricht er sich grundsätzlich gegen die Möglichkeit einer Rückführung des Gedankens auf Jesus aus (vgl. Klein, Lukasevangelium, 388f.). 208 Hos 6,6: dioßti eäleow jeßlv kai? ouö jusißan kai? epißgnvsin jeouq hü oÖlokaußtama . - Vgl. 1 Sam 15,22; Am 5,21; Mi 6,6-8. 209 Aus weist in diesem Zusammenhang auf das ironische Moment hin, „das im Ausgießen von Öl und Wein auf die Wunden des Überfallenen durch den Samariter liegt: Der Priester, der - aus Jerusalem kommend - gerade vorübergezogen ist und seine Hilfe verweigert hat, ‚goß‘ zuvor in Gegenwart des assistierenden Leviten - einer von ihnen ist ebenfalls gerade vorübergezogen - im Jerusalemer Tempel Öl und Wein auf die Brandopfer des Altares.“ (Aus, Weihnachtsgeschichte, 106; Aus verweist dazu auf Josephus, Bell V, 565 und Ant III, 234). 210 Vgl. Sanders, Jewish Law, 41f, der erwägt, dass die Leviten u.U. die Reinheitsvorschriften der Priester auf sich ausdehnten. Die Kritik an Priester und Levit zielt s.E. zunächst darauf, dass sie ja nicht wussten, ob der Mann tot war oder nicht und aus Angst unrein zu werden, nicht einmal die Chance, helfen zu können, wahrnahmen. 211 „Vollzogen […] wurden die Riten im Auftrag des Hohenpriesters von einander ablösenden Wachabteilungen gewöhnlicher Priester, die von Leviten unterstützt wurden.“ (Reicke, Zeitgeschichte, 169). „24 Priesterwachen sind im Land Israel und zwölf in Jericho. - Zwölf in Jericho? Dann waren es ja erheblich mehr (als 24)? - Nein, vielmehr ist gemeint: Zwölf davon in Jericho. Wenn die jeweilige Wache an der Reihe war hinaufzuziehen, so zog die eine Hälfte vom Land Israel hinauf nach Jerusalem, und die andere zog hinauf von Jericho, um ihre Brüder in Jerusalem mit Nahrung zu versorgen.“ (Vgl. pTaan 67d; pPes 30c; Übersetzung bei Böhm, Samarien, 233); vgl. Aus, Weihnachtsgeschichte, 74f.121. 212 Vgl. Stern, Aspects, 580; vgl. Josephus, Bell III, 352. <?page no="104"?> 104 Achtung der Thora charakteristisch ist. Zudem ist das Motiv samaritanischer Gastfreundschaft ein aus 2 Chr 28,15 bekannter Topos. Fazit: Zunächst (S Lk ) stand die Erzählung (v. 30-37*) im Zusammenhang mit der Frage danach, wer der „Nächste“ sein kann, den zu lieben es nach Lev 19,18 gilt. Es ging also um die Interpretation des Gesetzes. Die Antwort wird daraufhin zugespitzt, dass Nächstenliebe als „Erbarmen“ ( eösplagxnißsjh , v. 33; eäleow , v. 37) definiert wird. Somit erhält die Fragestellung eine neue Richtung: Ausschlaggebend ist nicht mehr eine - immer auch ausgrenzende - Definition einer Personengruppe, die potentiell unter das Gebot der Nächstenliebe fallen könnte, sondern diejenige Person und ihre Einstellung, die das Nächstenliebe-Gebot ausübt (v. 36). Im Sinne dieser Konzeption wird dies anhand einer Erzählung verdeutlicht, deren Protagonist gesellschaftlicher Außenseiter ist. 213 Denkbar ist, dass v. 35 nachträglich (jedoch vor der Verbindung der Perikope mit v. 26-28) eingefügt wurde; denn der Spannungsbogen ist spätestens mit v. 34, der die Soforthilfemaßnahmen des Samariters berichtet, abgeschlossen. Wenn jemand die Erzählung dementsprechend bearbeitete, dann lag ihm an einer Verschärfung und Ausweitung des Nächstenliebegebotes: Nächstenliebe schließt auch finanziellen Aufwand zur Fürsorge für den Nächsten ein. Die Verknüpfung mit v. 26-28 (S Lk I) verdeutlicht schließlich, dass Gottes- und Nächstenliebe nicht voneinander zu trennen sind (v. 27), und korrigiert ein eventuelles Missverständnis der Erzählung, das die Liebe zum Nächsten gegen die Verehrung Gottes im Kult ausspielt. Als Adressaten der Perikope in der S Lk -Fassung kommen nur Juden bzw. Judenchristen in Betracht, da die Pointe der Erzählung voraussetzt, dass die Hörer zunächst mit dem Priester und Leviten sympathisieren und der Samaritaner ihnen als Außenseiter gilt. Adressaten der S Lk I-Redaktion und ihrer Tradenten könnten - gerade dann, wenn man eine Korrektur der als Abwertung des Kultes misszuverstehenden Vorform annimmt - Personen sein, die die jüdische Kultpraxis kritisieren. Zumindest eine Diskussion um die Frage des Stellenwertes jüdischer Kultpraxis ist als Auslöser der Redaktion anzunehmen. Lukas hat dann mit touqto poißei kai? zhßsh# (v. 28b) das Doppelgebot der Liebe mit der Frage nach dem ewigen Leben verknüpft und die Auseinandersetzung Jesu mit der pharisäischen Gesetzesauslegung reflektiert (v. 29a; vgl. auch Lk 16,15). 7.2 Theologisch-inhaltliche Analyse Lk 10,30-37 ist eine Beispielgeschichte, die „a practical model for Christian conduct with radical demands and the approval/ rejection of certain modes of action“ 214 zur Verfügung stellt. (#.1-3) Die Gegenüberstellung von Armut und Reichtum ist nicht Thema der Perikope. Dass der Samaritaner dem Wirt zwei Denare 215 sowie das Versprechen gibt, sämtliche weiter anfallenden Kosten für die Pflege zu übernehmen (v. 34), deutet darauf hin, dass er gut situiert war. 213 Es ist davon auszugehen, dass eine Intention des S Lk - ebenso wie des Lukas - darin besteht, in besonderer Weise Fürsprecher für gesellschaftliche Außenseiter zu sein. Auffällig ist die positive Einstellung des S Lk und des Lk gegenüber den Samaritanern (vgl. Lk 17,16ff. S Lk und Apg 1,8; 8,4-25). 214 Fitzmyer, Luke II, 883. 215 Ein Denar entspricht nach Mt 20,10 dem Lohn eines Tagelöhners. - Vgl. auch Stegemann/ Stegemann, Sozialgeschichte, 45-48. Duncan-Jones, Economy, 63ff.345ff., gibt in seinem Werk einen Überblick über die verschiedenen Preise im römischen Reich, differenziert nach Regionen und Waren bzw. Dienstleistungen. Demnach entsprach ein Denar in der mischnischen Zeit in Palästina etwa dem Gegenwert von 12 Broten. <?page no="105"?> 105 (#.2.1) Im Zentrum der Geschichte steht das barmherzige Handeln eines Samarißthw (v. 33f.), das durch das Verhalten der beiden anderen Protagonisten, des iÖereußw und des Leuißthw, kontrastiert wird (v. 31.32): Vor dem Prädikat, das die Handlung der drei Protagonisten beschreibt, steht jeweils das Partizip iödvßn (v. 31.32.33) - alle drei sehen, nehmen die Situation also gleichermaßen wahr, reagieren jedoch unterschiedlich. Priester und Levit gehen vorüber ( aöntiparhqljen , v. 31.32), der Samariter erbarmt sich ( eösplagxnißsjh 216 , v. 33). Dies wird zunächst darin konkret, dass er die nötige Soforthilfe leistet: Er verbindet die Wunden des von den Räubern Geschlagenen, salbt ihn mit Öl und Wein, dann lädt er ihn auf sein Reittier, bringt ihn in ein Gasthaus und kümmert sich dort weiter um ihn (v. 33). Tags darauf (v. 34) wird das Erbarmen des Samariters dann in finanziellen Aufwendungen konkret: Er gibt dem Gastwirt fürs erste zwei Denare, damit er den Verletzten weiter versorgt; zudem verspricht er, ihm bei seiner Rückkehr eventuelle Mehrausgaben zu erstatten. Die Perikope nimmt ökonomisches Handeln in seiner sozialen Dimension in den Blick; das, was den Samaritaner auszeichnet, ist, dass er sich von der Not des unter die Räuber Gefallenen berühren lässt. (#.2.2) Ethische Leitlinien für ökonomisches Handeln reflektiert die Perikope nicht. (#.2.3) Die ökonomische Komponente bezeichnet nur einen Teil des von Nächstenliebe geleiteten Handelns des Samaritaners; die Nächstenliebe des Samaritaners wird ökonomisch konkret, indem er sein Geld einsetzt, um sie zu verwirklichen. Theologisch gedeutet wird in Lk 10,25ff. der Topos Nächstenliebe: Dabei wird geklärt, dass sie nicht im Gegensatz zur (rituellen) Gottesliebe steht (v. 26-28; S Lk I), und dass beide Gebote den Weg zum ewigen Leben zeigen (v. 28b; Red Lk ). (#.3) Das Handeln Gottes bzw. Jesu nimmt die Perikope nicht in den Blick. 8 Lk 12,13-15: Erbstreit und Warnung vor Habgier Kontext und Abgrenzung. Das Apophtegma 12,13f. folgt auf Worte über den Heiligen Geist, die Lukas aus verschiedenen Kontexten des Mk aufgreift (Mk 3,28f.: keine Vergebung für Lästerung gegen den Heiligen Geist; Mk 13,11, markinische Endzeitrede: Heiliger Geist spricht für Verfolgte). Auf 12,15 folgt die Erzählung vom reichen Kornbauern, die Lukas aus seinem Sondergut überliefert ist. 12,13f. ist durch den Subjektswechsel ( tiw eök touq oäxlou , v. 13) und die Redeeinleitung eiQpen de? (v. 13) klar nach oben abgegrenzt. Der Wechsel der Adressaten der Rede Jesu ( auötvq # , v. 14 - pro? w auötoußw , v. 15) markiert die Zäsur zwischen dem Apophtegma v. 13f. und dem Logion v. 15. 216 Das Verb splagxnißzesjai findet sich in Lk noch in 7,13; 15,20 (beides S Lk ). Die Grundbedeutung ist „im Inneren bewegt werden“ - ta? splaßgxna bedeutet „Eingeweide, Herz“. <?page no="106"?> 106 V. 16 setzt mit einer erneuten Redeeinleitung ( eiQpen de? ) und dem Hinweis auf die folgende parabolhß ein . Struktur. Das Apophtegma v. 13f. setzt sich zusammen aus der Frage bzw. des Antrags an Jesus, einen Erbstreit zu schlichten (v. 13) und der Zurückweisung dieses Antrags durch Jesus in Form einer rhetorischen Frage (v. 14). V. 15 warnt im Anschluss daran zunächst vor Habgier (v. 15b a ) und begründet dies in einem syntaktisch unübersichtlichen Nebensatz damit, dass das Streben nach Überfluss am wahren Leben vorbeiführt. 8.1 Redaktionskritik V. 14b ist ein bearbeitetes LXX-Zitat von Ex 2,14 217 , das auch in Apg 7,27.35 - dort allerdings wörtlich - begegnet. Von Bendemann wertet diesen Befund als „lukanischen Septuagintismus“ und betrachtet v. 14b als Red Lk , was dafür spräche, dass v. 15b von Lukas stammt. 218 Heininger steht der Ansicht, dass v. 14b Red Lk sei, kritisch gegenüber. Die Tatsache, dass sich das Zitat noch zweimal in Apg findet, ist zwar ein starkes Indiz dafür, dass es auf Red Lk zurückzuführen ist. In Lk 12,14 ist allerdings im Gegensatz zu Apg 7,27.35 die Stelle nicht wörtlich zitiert, sondern aärxonta durch dikaßsthw ersetzt. Dies deutet darauf hin, dass v. 14b vorlukanisch ist. Gegen lukanische Abfassung des Verses spricht folgendes: Die beiden Verben oÖraqn und fulaßssesjai begegnen in der Bedeutung „sich hüten vor“ im lukanischen Werk nur hier ( fulaßssesjai findet sich außerdem in Apg 21,25 - dort allerdings mit Akkusativobjekt, nicht mit aöpoß) . Das Substantiv pleonecißa kommt im lukanischen Werk ebenso nur in Lk 12,15 vor (es findet sich noch in Mk 7,22, sonst nur in der Briefliteratur). Diese Vokabeln sind also nicht zum lukanischen Wortschatz zu zählen. Die schwerfällige und ungeschickte Syntax von v. 15b 219 verweist eher darauf, dass der Satz nicht aus einem Guss ist und spricht damit gegen lukanische Komposition. Auf vorlukanische Tradition deutet außerdem hin, dass die Warnung vor Habgier schon früher im Urchristentum in Form von Lasterkatalogen (vgl. Mk 7,22; Röm 1,29; 1 Kor 6,9) und anderen Ermahnungen (vgl. 2 Kor 9,5) zu finden ist. Wahrscheinlich ist, dass Lukas v. 15 sekundär durch eök tvqn uÖparxoßntvn auötvq # erweiterte. 220 Einiges spricht dafür, dass v. 15a ein unabhängiges Logion ist und sekundär mit v. 13f. verbunden wurde: - Die Wendung eiQpen de? , die in v. 14 noch mit dem Singular ( auötvq # ) verbunden war, ist in v. 15 mit dem Plural ( proßw auötoußw ) konstruiert. - V. 15 gibt dem vorangehenden Apophtegma von der Zurückweisung der Erbschlichtung durch Jesus eine neue Interpretation. Die Forderung nach der Teilung des Erbes wird in v. 15a als Habgier gedeutet (v. 15a). - Zugleich leitet v. 15 das Gleichnis vom reichen Kornbauern ein, indem er aufzeigt, dass ein sinnvolles Leben nicht im Genuss im Überfluss vorhandener Güter besteht 217 Tißw se kateßsthsen aärxonta kai? dikaßsthn eöf ö hÖmvqn . 218 Von Bendemann, DOCA , 422. 219 Bovon, EKK III/ 2, 280. 220 So auch ebd. - &Upaßrxein in partizipialer Verwendung ist ein lukanisches Vorzugswort. Es findet sich achtmal in Lk, einmal in Apg, dreimal in Mt, nie in Mk und Joh (außerdem in 1 Kor 13,3; Heb 10,34). Zweimal hat Lukas es aus dem Q-Stoff übernommen (12,33; 12,44), einmal in den Markusstoff eingefügt (11,21; vgl. Mk 3,22-27; Mt 12,22- 30) und fünfmal im Nicht-Markusstoff (8,3; 12,15; 14,33; 16,1; 19,8). <?page no="107"?> 107 (v. 15b). Diese „Brückenfunktion“ des Verses zwischen v. 13f. und v. 16ff. legt nahe, dass er gezielt - von Lukas - an dieser Stelle eingefügt wurde. Bei 12,13f. und 12,16ff. handelt es sich um verschiedene Gattungen (Erzählung und Gleichnis) und Passagen, die auf verschiedenen Erzählebenen verortet sind (in v. 13f. gibt es einen externen Erzähler, in v. 16ff. ist Jesus der Erzähler) und die sekundär durch eine - zumindest von Lukas bearbeitete - redaktionelle Überleitung miteinander verbunden wurden. 221 Fazit: V. 15 ist eine sekundäre Verbindung zwischen der Erzählung vom Erbstreit (v. 13f.) und dem Gleichnis vom reichen Kornbauern (v. 16ff.). Lukas hat wohl die Warnung vor der Habgier (v. 15a) kombiniert mit dem Hinweis, dass das Leben nicht im Überfluss bestehe (v. 15b a ), vorgefunden 222 und seiner Intention gemäß sprachlich und inhaltlich bearbeitet. Die Wendung eök tvqn uÖparxoßntvn auötvq # fügte er erklärend hinzu, um einerseits der Mahnung Nachdruck zu verleihen, nicht über das Maß hinaus materiellen Besitz anzuhäufen 223 und andererseits den Blick darauf zu lenken, dass Habgier sich nicht nur auf fremden Besitz richtet, sondern auch die Fixiertheit auf den eigenen Besitz ( ta? uÖpaßrxonta auötvq #). Er nutzte den Vers dann als Überleitung zwischen dem Apophtegma v. 13f. und dem Gleichnis v. 16-20, die er als separate Überlieferungseinheiten seines Sondergutes kennen gelernt hatte. 8.2 Theologisch-inhaltliche Analyse (#.1.1) Reichtum wird in v. 15 implizit, als Besitz materieller Güter im Überfluss, angesprochen. (#.1.2) Die Perikope deutet nicht Reichtum an sich, sondern den Weg zum Reichtum, die Habgier, theologisch (s.u.). (#.2.1) Die kurze Erzählung schildert einen Erbstreit, der sich offenbar unter Brüdern ereignet. Einer der beiden tritt an Jesus mit der Bitte heran, seinen Bruder zu überzeugen, dass er das Erbe ( klhronomißa , v. 13) mit ihm teile. Die Erzählung hinterfragt nicht, ob dieses Anliegen juristisch gerechtfertigt ist. V. 15 warnt vor Habgier ( pleonecißa ). Der Text lässt damit die Deutung offen, dass auch eine juristisch korrekte Forderung habgierig sein kann. Thematisiert wird also selbstbezogenes, autoreferentielles Streben nach Vermehrung materieller Güter. Pleonecißa ist im Griechischen von pleßon eäxein her etymologisch klar als die „Gier mehr zu haben“ zu verstehen. 224 Sie bezeichnet das Bestreben, 221 So Heininger, Sondergutgleichnisse, 108; ähnlich Fitzmyer, Luke II, 968f.; Bovon, EKK III/ 2, 273f.279f; Klein geht dagegen davon aus, das v. 13f. und v. 16ff. schon vorlukanisch miteinander verbunden waren, und v. 15 von Lukas stammt (Klein, Lukasevangelium, 443). 222 Eine schriftliche Vorlage der Wendung ouök eön tvq # perisseußein tini? hÖ zvhß eöstin findet sich nicht. Für perisseußein in der Bedeutung „Überfluss haben“ ist außerneutestamentlich nur ein Beleg nachzuweisen (Polyb 18,8,5; vgl. Hauck, Art. perisseußv , 58f.); auch im NT selbst ist das Verb in dieser Bedeutung nur noch in Mk 12,44 par Lk 21,4 und in Lk 12,15 belegt. 223 Diese Intention ist kompatibel zur Almosenforderung in 12,33: Wer zuviel hat, soll davon abgeben (vgl. Horn, Glaube und Handeln, 59ff). 224 Vgl. Frisk, Wörterbuch II, 556. <?page no="108"?> 108 mehr zu haben als zum Leben notwendig ist, also Überfluss zu haben ( perisseußein) . V. 15a warnt vor Habgier, da sie am wahren Leben vorbeiführt. Die Warnung vor pleonecißa wird dann in v. 15b begründet: „Denn nicht im Überfluss-Haben besteht für jemanden sein Leben, [nicht im Überfluss haben] von dem, was er besitzt“ bzw. „denn nicht im Überfluss-Haben besteht für jemanden sein Leben, [nicht besteht für jemanden sein Leben] von dem, was er besitzt“. 225 Die beiden Übersetzungsvarianten machen die Bedeutungsnuancen des Griechischen deutlich: Erstere betont das, worauf perisseußein bezogen ist, nämlich auf die Güter, die jemand besitzt; in der zweiten Version wird der Gegensatz zwischen (eigentlichem, spirituellem) Leben/ Sein und Gütern/ Haben betont. Dabei changiert die Bedeutung von zvhß in 12,15b zwischen „physischem“ Leben und Leben im spirituellen Sinn (vgl. Lk 10,25). 226 V. 15b weist damit auf zweierlei hin: 1. Das Leben erschöpft sich nicht in der Dimension des (Mehr-)Habens. Wer danach „giert“, verfehlt den eigentlichen Sinn des Lebens. 227 2. Zum Leben reicht das Lebensnotwendige aus, Überfluss ist nicht nötig oder sogar schädlich. (#.2.2) Mit der Warnung vor Habgier greift v. 15a einen gängigen Topos sowohl der zeitgenössischen ethischen Literatur in griechischer Sprache 228 als auch in der jüdischen Weisheitsliteratur auf (vgl. Spr 23,4f.; 28,20-22; Koh 5,9-6,9; Sir 31,5-11). (#.2.3) Habgier, also das Streben, Güter im Überfluss zu besitzen, ist gefährlich, da es nicht nur an einem diesseitig erfüllten Leben vorbeigeht, sondern auch den Weg zum ewigen Leben verfehlt (v. 15). (#.3) In 12,13-15 wird das Handeln Gottes bzw. Jesu an armen oder reichen Menschen nicht thematisiert. 9 Lk 12,16-21: Reiche Ernte nach dem Tod? Kontext und Abgrenzung. 12,16-21 steht zwischen zwei Perikopen, die die Kritik an einem autoreferentiellen Umgang mit materiellen Gütern als thematisches Zentrum haben: dem Apophtegma vom Erbstreit aus dem S Lk (12,13-15) und den Sprüchen vom Sorgen aus Q (12,22-32). Die Perikope ist vom vorangehenden Apophtegma 12,13-15 deutlich durch die Redeeinleitung eiQpen de? parabolh? n (12,16) abgegrenzt. Ebenso ist 225 Diese Übersetzungen greifen den Vorschlag Moules auf, dass Lukas in 12,15 mit eön tvq # perisseußein und eök tvqn uÖparxoßntvn auötvq # zwei ähnliche Ausdrücke miteinander kombiniert habe (vgl. ders., Acts 4,25, 220-221). 226 Das Bedeutungsspektrum von zvhß umfasst all diese Nuancen (vgl. Bultmann, Art. zaßv , 856ff.). 227 V. 15b gibt keine Information darüber, worin die Dimension besteht, die sinnvolles Leben ausmacht; erst in v. 21 wird diese mit ploutvqn eiöw jeoßn angedeutet. 228 Dio Chrysostomos widmet der Habgier eine eigene Abhandlung ( Peri? pleonecißaw , Or 17); vgl. auch Philo, VitMos II, 186. <?page no="109"?> 109 der Beginn des nachstehenden Abschnitts aus Q (12,22ff.) durch eiQpen de? pro? w auötou? w (12,22) markiert). Struktur. v. 16: Exposition: Guter Ernteertrag eines reichen Menschen. v. 17-20: Hauptteil: v. 17-19: Darstellung der gedanklichen Reaktion des Reichen (innerer Monolog): v. 17: Problematik der Lagerung der Ernte. v. 18: Lösung: Plan, neue, größere Scheunen zu bauen. v. 19: Vorsatz, in den nächsten Jahren zu ruhen und den Wohlstand zu genießen. v. 20: Verbale Intervention Gottes: Ankündigung des nahen Todes und Hinweis auf die postmortale Wertlosigkeit der Güter. v. 21: Abschließende theologische Deutung: Hinweis auf den Gegensatz zwischen irdischem und himmlischen Reichtum. 9.1 Redaktionskritik Red Lk liegt eindeutig in der Einleitung eiQpen de? proßw + Akk. (v. 16) 229 und in der Phrase kai? dielogißzeto eön eÖautvq # leßgvn: tiß poihßsv […] ; oÄti […] poihßsv (v. 17f.) vor. 230 Auch aönjrvßpou tinoßw (v. 16) ist Lukas zuzuschreiben. Aufmerksamkeit verdienen zunächst die strukturellen und semantischen Parallelen zwischen Lk 16,3f. und 12,17b-19a. Beiden Abschnitten ist gemeinsam, dass auf (1.) Verbum dicendi + eön eÖautvq # (2.) die Frage tiß poihßsv […] ; folgt, (3.) daran kausales oÄti + Situationsschilderung angefügt und (4.) schließlich das Ergebnis des Monologs mit „ touqto poihßsv […]/ tiß poihßsv […]“ formuliert wird. 231 Der innere Monolog hebt hervor, wie sehr der Reiche danach trachtet, seine Güter anzuhäufen (zweimaliges sunaßgein , aufwendiger Plan, seine Scheunen einzureißen und neue zu bauen) und dabei nur sich selbst und seinen Besitz im Blick hat (viermaliges mou) . Der Aufwand, den er um der Anhäufung seiner Güter willen zu betreiben plant, erscheint im Licht von v. 20 als nicht nachahmenswert. Dafür, dass v. 21 sekundär ist, spricht: Das Gleichnis ist ohne v. 21 vollständig. Dies belegen Sir 11,18f und die Parallele im ThEv §63, in denen die in v. 21 formulierte Interpretation fehlt. V. 21 trägt eine neue Interpretation an das Gleichnis heran, indem er dem geschilderten egoistischen Handeln die bisher fehlende Dimension der Ausrichtung des Umgangs mit Besitz auf Gott gegenüberstellt. 229 Vgl. Jeremias, Sprache, 215. 230 Die von Jeremias angeführten Belege, von denen zwei aus dem Markusstoff stammen, machen dies plausibel (vgl. ebd.). - Vgl. unten S. 140ff (zu Lk 16,1-8a.8b-12). 231 Gelegentlich wird dieser Befund als Hinweis auf lukanische Komposition des gesamten inneren Monologs gewertet (vgl. z.B. Heininger, Sondergutgleichnisse, 113). Heininger argumentiert folgendermaßen: Er setzt zunächst hypothetisch tiß poihßsv (v. 17b) als ersten greifbaren Ansatzpunkt lukanischer Komposition und eörvq thq # yuxhß # mou (v. 19a) , den Abschluss der Kette der parataktischen Futura kajelvq, oiökodomhßsv und sunaßcv , die das „Ergebnis“ des inneren Monologs schildern, als letzten möglichen Hinweis auf lukanische Komposition und erhält - nach Eliminierung der Passage - eine stringente Geschichte in v. 16b.17a.19b.20. Er weist darauf hin, dass sich eÖtoimaßzein (v. 20) nicht auf das Errichten der Scheunen etc. beziehe, da dies in der Erzählung nicht in die Tat umgesetzt wird, sondern nur als Plan des Bauern geschildert wird. Betrachte man die Erzählung ohne v. 17b-19a, so beziehe sich eÖtoimaßzein direkt auf den Hinweis vom guten Feldertrag (v. 16) und setze voraus, dass der Bauer den Ertrag seines Feldes sammelt und hortet. <?page no="110"?> 110 12,15.21.33 werden von einigen Exegeten als Themaverse der lukanischen Reichtumsparänese betrachtet. 232 Doch hier ist Zurückhaltung angebracht: Das Motiv des Reichseins bei Gott ist traditionell; allenfalls die Ablehnung des Güteranhäufens für sich selbst ließe sich stringent in das lukanische Konzept der Aufforderung zum Almosengeben einordnen (vgl. 12,33 und 11,41: dort ist die Aufforderung jeweils in Q-Stoff eingefügt). 233 Der Vers geht wahrscheinlich auf Lukas zurück 234 , könnte aber auch eine vorlukanische Anwendung auf die vorangehende Beispielerzählung sein. Ziemlich sicher wurde der Vers als Interpretation zur Parabel verfasst und nicht selbständig überliefert. V. 21 ist mit lukanischer Pastoral, der Aufforderung zum Almosengeben (Lk 12,33), „kompatibel“. Wenn v. 21 von Lk stammt, dann wollte er einen nur auf die eigene Person bezogenen Umgang mit Gütern anprangern und dagegen ein „Reichsein bei Gott“ propagieren - letzteres wird dann seiner Ansicht nach im Teilen des Besitzes bzw. im Almosengeben (12,33a) konkret. Fazit: Die ältesten Überlieferungseinheiten in 12,13-21 sind v. 13f. und v. 16b-20 * . Der letzte Bearbeiter von v. 15, vermutlich Lukas, hat v. 13f. und mindestens v. 16b-20* gekannt (v. 15 ist ein Klammervers). V. 21 wurde nicht selbständig überliefert, sondern interpretiert die vorangehende Beispielerzählung (v. 16b-20) 235 . Deshalb ist wahrscheinlich, dass v. 21 erst von Lukas und nicht schon vorlukanisch hinzugefügt wurde. 9.2 Theologisch-inhaltliche Analyse (#.1.1) Der Reichtum resultiert hier aus dem guten Ertrag von Feldfrüchten, euöfoßrhsen hÖ xvßra (v. 16). Das Feld trägt so gut, dass die Ernte für mehrere Jahre reichen wird. Materielle Güter haben über den Tod hinaus keinen Bestand ( tißni eästai; v. 20). Materielle Güter bilden keine Grundlage für sinnvolles, wahres Leben (v. 15b). Der reiche Mann wird anders als in 16,1.19 nicht als Subjekt eingeführt, sondern im Genitiv erwähnt ( aönjrvßpou tino? w plousißou, v. 16). Reichtum besteht darin, dass - lebensnotwendige - materielle Güter im Überfluss ( keißmena eiöw eäth pollaß , v. 19) vorhanden sind. Reichtum wird von Freude begleitet ( euöfraißnou, v. 19). Armut bzw. Mangel an materiellen Gütern wird in der Perikope nicht angesprochen - weder implizit noch explizit. (#.1.2) Das irdische Reichsein bzw. Sammeln von materiellen Gütern wird gegenüber dem Reichsein bei Gott, eiöw jeo? n plouteiqn ( v. 21), relativiert. Gott fällt über das Handeln des Reichen ein hartes Urteil: Er bezeichnet ihn als aäfrvn , da er verkennt, dass materielle Güter über den Tod hinaus keinen Bestand haben und sein Leben nur geliehen ist. 232 Vgl. z.B. Heininger, Sondergutgleichnisse, 108. 233 Vgl. auch Apg 3,2; 9,36; 10,2.4.31; 24,17. 234 Bovon äußert diese Vermutung zurückhaltend (Bovon, EKK III/ 2, 289); Fitzmyer geht davon aus, dass v. 21 auf lukanische Redaktion zurückzuführen ist (Fitzmyer, Luke II, 971); Heininger hält lukanische Abfassung für wahrscheinlich (Heininger, Sondergutgleichnisse, 108); von Bendemann enthält sich eines eindeutigen Urteils (von Bendemann, DOCA , 423.442). 235 Auch Jeremias trennt v. 21 von der Parabel - vgl. ders., Gleichnisse, 44 Anm. 5; 86 Anm. 2; 105f. <?page no="111"?> 111 (#.2.1) Im Text ist die autoreferentielle Beziehung des Reichen zu seinen Gütern dargestellt. Er sammelt und hortet diese ( sunaßgein , v. 17.18). Die v. 20.21 interpretieren dieses Verhalten als jhsaurißzein eÖautv# q (v. 21, Red Lk ), führen die Beschränkt- und Begrenztheit dieses Verhaltens vor Augen (v. 20) und verdeutlichen, dass das egoistische Anhäufen von materiellen Gütern eine Rechnung ohne Gott ist. Das jhsaurißzein eÖautvq # beinhaltet nicht das eiöw jeo? n plouteiqn , sondern steht diesem konträr gegenüber (v. 21, Red Lk ). Lukas interpretiert mit v. 21 das Verhalten des Reichen und dessen Konsequenzen in Form einer verallgemeinernden Sentenz. Das Fehlen der sozialen Dimension und damit die Konsequenzen des Umgangs des Reichen mit seinem Besitz für andere Menschen werden in der Perikope nicht thematisiert. (#.2.2) Die Maxime, das Leben zu genießen, die der Kornbauer als Selbstaufforderung an seine Seele richtet „ yuxhß, […] aönapaußou, faßge, piße, euöfraißnou “ (v. 19) erfährt in der Perikope zunächst keine negative Wertung. V. 19 nimmt die Stichworte fageiqn, pieiqn und euöfraißnesjai aus Koh 8,15 LXX auf. Dort wird die Maxime, das Leben zu genießen, positiv reflektiert: kai? eöphß #nesa eögv? nu? n th? n euöfrosußnhn, oÄti ouök eästin aögajoßn tv# q aönjrvßpv# uÖpo? touq hÄliou oÄti eiö mh? touq fageiqn kai? touq pieiqn kai? touq euöfranjhqnai . Der Einwand Gottes und seine negative Bewertung des Verhaltens des reichen Kornbauern, die durch die Anrede „ aäfrvn “ ausgedrückt ist, bezieht sich sachlich auf das Anhäufen der Güter, sunaßgein (v. 18.19) und eÖtoimaßzein (v. 20), das damit als sinnloses Tun disqualifiziert wird ( tißni eästai , v. 20 ). N icht das jhsaurißzein eÖautvq # (v. 21, Red Lk ) an sich wird problematisiert, sondern die Tatsache, dass der Kornbauer bei seinen (geplanten) Aktivitäten das Reichsein bei Gott außer Acht lässt. Worin dieses Reichsein besteht, ist in der Perikope nicht entfaltet. Die Selbstaufforderung „ aönapaußou “ des reichen Kornbauern ist darauf ausgerichet, dass er nach dem Sammeln seiner Vorräte sich auf Jahre hin ein ruhiges Leben zu machen gedenkt und weder in sozialer noch in religiöser Dimension aktiv zu werden beabsichtigt. Er bleibt auf sich selbst und seinen Besitz zurückgezogen. Wird in der gesamten Perikope am „mangelnden Sozialverhalten“ des Kornbauern keine Kritik geübt, so kritisiert v. 20 doch, dass die Aktivitäten des Kornbauern in keiner Weise auf Gott ausgerichtet sind. 236 In v. 21 wird die Handlungsleitlinie, für sich selbst Schätze anzuhäufen, ablehnend reflektiert, indem das Reichsein bei Gott als Kontrastfolie aufgelegt wird. Für die „relevante“ Zukunft, nämlich das Ergehen nach dem Tod, ist dieses Handeln nutzlos ( tißni eästai […] ; v. 20). Das Reichsein bei Gott (v. 21, Red Lk ) dagegen ist „nachhaltig“, es hat „Nutzen“ über den Tod hinaus. 236 Vgl. dazu Koh 2,24f.; 3,12f.; 9,7; dort wird betont, dass die Möglichkeit, seinen Besitz zu genießen, eine Gabe Gottes ist. Vgl. auch Jes 22,13. <?page no="112"?> 112 (#.2.3) Der Text verdeutlicht, dass das egoistische Sammeln irdischer Güter der religiösen Dimension entbehrt und deshalb mangelhaft ist (v. 20). Theologisch ist das beabsichtigte Handeln des Kornbauern sinn- und wertlos. Jhsaurißzvn eÖautvq # ist mit Vergänglichkeit konnotiert, für eiöw jeo? n ploutvqn gilt das Gegenteil, Relevanz über den Tod hinaus. (#.3) Gott tritt mit dem reichen Kornbauern verbal in Kontakt ( eiQpen de? auötvq oÖ jeoßw , v. 20). Er kündigt ihm die Zukunft, nämlich seinen in der kommenden Nacht bevorstehenden Tod an, taußth# thq # nukti? th? n yuxhßn sou aöpaitouqsin aöpo? souq (v. 20) und fällt ein vernichtendes Urteil über sein - in den v. 18-19 geschildertes - Verhalten. Die Todesankündigung impliziert den Verweis auf die Sinnlosigkeit irdischen Raffens, aber keine Strafandrohung (z.B. bezüglich der eschatologischen Existenz). 10 Lk 14,(7-11.)12-14: Gastmahlpraxis - Gäste und Einladende Aufgrund der vielfältigen inhaltlichen und sprachlichen Verknüpfungen (s.u.) werden v. 7-11 in die Analyse von 14,12-14 einbezogen. 237 Kontext. Die Worte in Lk 14,12b-14 richtet Jesus auf der Erzählebene des Evangeliums an einen nicht näher charakterisierten Vertreter der aörxoßntew der Pharisäer. Jesus ist am Sabbat in dessen Haus gekommen, um an einer Mahlzeit teilzunehmen (vgl. 14,1). Der Abschnitt v. 12-14 ist die dritte von insgesamt vier Episoden, die sich im Haus des Pharisäers abspielen: In v. 2-6 wird die Heilung eines Wassersüchtigen und die Auseinandersetzung Jesu mit den Pharisäern und Schriftgelehrten um Heilung am Sabbat geschildert. In v. 7-11 richtet Jesus das Gleichnis „Vom rechten Platz als Gast“ an die übrigen Eingeladenen ( oiÖ keklhmeßnoi , v. 11). In v. 12 wendet Jesus sich an seinen Gastgeber ( thq # keklhkoßti auötoßn ) und belehrt ihn darüber, wer zu einem Mahl einzuladen ist ( oÄtan poih#w aäriston hü deiqpnon , v. 13). In v. 15 tritt ein neuer Sprecher auf: Einer der Gäste ergreift das Wort und preist denjenigen selig, der am eschatologischen Festmahl im Reich Gottes teilnimmt ( makaßriow oÄstiw faßgetai aärton 238 eön thq # basileißa# touq jeouq , v. 15). Jesus antwortet ihm mit dem Gleichnis vom großen Festmahl in v. 16-24, das die Mahlszene beschließt. 14,12-14 ist eng mit der vorangehenden und der folgenden Perikope verknüpft: Der Aufbau von 14,7-10 und 14,12-14 ist parallel ( oÄtan + 2. Pers. Konj. Aor in 14,8.12, aöll ö oÄtan + 2. Pers. Sg. Aor. in 14,10.13). Durch keklhkoßti , aöntikaleßsousin (v. 12) und kaßlei (v. 13) ist der Abschnitt v. 12-14 mit 237 Vgl. auch Klein, Lukasevangelium, 500ff.; Bovon, EKK III/ 2, 481ff., Fitzmyer, Luke II, 1043ff.; die Lutherbibel in der revidierten Fassung von 1984 fasst beide Perikopen unter dem Titel „Von Rangordnung und Auswahl der Gäste“ zusammen; anders Eckey, Lukasevangelium II, 649ff.653ff. 238 14,15 nimmt fageiqn aärton aus 14,1 auf. <?page no="113"?> 113 den vorangehenden v. 7-10 239 verbunden, in denen das Verb kaleiqn in jedem Vers, insgesamt sechsmal, steht. Durch die Stichwortverbindung ptvxoiß, aönapeißroi, xvloiß, tufloiß ist der Abschnitt mit der folgenden Perikope 14,16-24 verknüpft. Struktur. Auf die Redeeinleitung in v. 12a folgt ein dreigliedriges Jesuswort: In v. 12b sagt Jesus seinem Gastgeber zunächst, wen er nicht einladen soll, wenn er ein Mahl ausrichtet: Er soll seine Einladung nicht an Personengruppen richten, von denen eine Gegeneinladung, also eine Vergeltung ( aöntapoßdoma ), zu erwarten ist. In v. 13 setzt Jesus dann neu an ( aöll ö oÄtan doxh? n poihq #w ) und erklärt seinem Gastgeber, wen er stattdessen einladen soll, wenn er ein Mahl ausrichtet, nämlich Arme und Behinderte (v. 13). Am Ende der Rede Jesu (v. 14) steht eine eschatologische Deutung: eine Seligpreisung ( makaßriow eäsh# ) dessen, der Menschen einlädt, die nichts haben, um auf die Einladung hin einen Ausgleich mit ihm herzustellen ( ouök eäxousin aöntapodouqnaiß soi , v. 14a) und die Verheißung eines eschatologischen aöntapoßdoma ( eön thq # aönastaßsei tvqn dikaißvn ). 10.1 Redaktionskritik In 14,7-11 deuten folgende sprachliche Indizien auf Red Lk hin: In v. 7 sind eälegen deß 240 , leßgv parabolhßn 241 sowie proß ßw + Akk. nach einem verbum dicendi 242 lukanische Vorzugswendungen. Auch der pleonastische Gebrauch von leßgein in der Wendung eälegen […] parabolhßn […] leßgvn könnte auf lukanischen Sprachgebrauch hinweisen. 243 Das Verb kataklißnesjai in v. 8 deutet auf lukanischen Sprachgebrauch hin; denn Lukas bevorzugt „ kata- Komposita der Verben des Zu-Tische-Liegens, während die Tradition die aöna- Komposita 239 14,11 (vgl. Mt 23,12) ist wahrscheinlich nachträglich aus Q zu 14,7-10 hinzugefügt worden. Der Vers findet sich fast wörtlich in Lk 18,14, wo er den Abschluss einer weiteren S Lk -Perikope bildet (vgl. Fitzmyer, Luke II, 1044). 240 äElegen deß findet sich im NT einmal in Mt, einmal in Joh, aber neunmal in Lk. Mk 7,20 und Joh 6,71 zählt Jeremias nicht mit, da leßgein hier deutende Funktion hat. - Vgl. dazu ders., Sprache, 33, insb. Anm. 86: „Daß Lukas diese Satzeinleitung 2mal in den Markustext einfügt (5,36; 9,23) und daß er kai? eälegen […] am Satzbeginn meidet […], bestätigt, daß eälegen deß lukanische Vorzugswendung ist“ (zur Vermeidung von kai? eälegen vgl. auch Jeremias, Sprache, 123). 241 Vgl. Jeremias, Sprache, 124: Die Wendung findet sich im NT außer in Mk 12,2 nur in Lk, dort viermal im Markusstoff (5,36; 20,9.19; 21,29) und zehnmal im Nicht-Markusstoff (4,23; 6,39; 12,16.41; 13,6; 14,7; 15,3; 18,1.9; 19,11). Jeremias weist darauf hin, dass beim Vergleich mit Mt und Mk besonders der einheitliche Sprachgebrauch des Lk bei Wendungen mit parabolhß auffällt. 242 Vgl. Jeremias, Sprache, 33: Proßw + Akk. nach Verba dicendi zur Bezeichnung des Angeredeten findet sich nie in Mt und Mk, dagegen 149mal im lukanischen Doppelwerk (100mal in Lk, 49mal in Apg), sonst im NT nur noch in Joh (14mal) und Hebr (sechsmal). 29 der 100 Vorkommen in Lk sind Änderungen bzw. Hinzufügungen zum Markusstoff. 243 Er findet sich noch in den Gleichniseinleitungen 12,16; 15,3; 18,1f. vgl. Jeremias, Sprache, 215. 67f. <?page no="114"?> 114 vorzieht“ 244 . Da sich kateßxein (v. 9) in den Evangelien ausschließlich in Lk findet und beide Male in den Markusstoff eingefügt ist (4,42 diff. Mk 1,36 und diff. Mk 8,15), ist wahrscheinlich, dass das Verb auf Lukas zurückzuführen ist. 245 Einem redaktionellen Eingriff des Lukas entstammt wahrscheinlich ebenso die Präposition eönvßpion (v. 10). 246 Red Lk liegt möglicherweise auch in der Wendung paßntvn tvqn sunanakeimeßnvn (v. 10) vor, da die Konstruktion paqw oÖ + Partizip im lukanischen Doppelwerk signifikant häufig im Vergleich zum übrigen NT auftritt. 247 Zumindest die partizipiale Formulierung paqw oÖ uÖyvqn […] oÖ tapeinvqn der Sentenz in v. 11 geht mit großer Wahrscheinlichkeit auf Lk zurück: Sie begegnet in identischer Form in 18,14. Anders, nämlich als Relativsatz formuliert, begegnet die Sentenz in Mt 23,12. Lukas ersetzt gerne Relativsätze durch Partizipien. 248 Außerdem treten Formulierungen der Art paqw oÖ + Partizip im lukanischen Doppelwerk im Vergleich zum übrigen NT signifikant häufig auf. In der folgenden Perikope v. 12-14 weist bereits die Einleitung v. 12 einige sprachliche Eigenarten auf, die auf Red Lk hindeuten: zunächst die Wendung eälegen deß , die im NT signifikant häufig in Lk auftritt (s.o.); dann die Partikelverbindung de? kaiß , die besonders häufig bei Pls (22mal) sowie bei Lukas (26mal in Lk, siebenmal in Apg) auftritt. 249 Die Formulierung doxhßn poieiqn (v. 13) ist nach Ansicht von Jeremias Red Lk zuzurechnen. 250 Die Wendung eäxousin aöntapodouqnai (v. 14) dürfte auf Red Lk zurückzuführen sein. Dafür spricht, dass eäxv + Infinitiv in der Bedeutung „können“ im NT signifikant häufig im lukanischen Doppelwerk vorkommt. 251 244 Vgl. Jeremias, Sprache, 167: Dreimal findet Lukas aöna -Komposita im Markusstoff vor und verwandelt sie in kata- Komposita (5,29 diff. Mk 2,15; 9,14 diff. Mk 6,39; 9,15 diff. Mk 6,40). 245 In 4,42 meint kateßxein „festhalten“ (Jesus am eäremow toßpow ), in 8,15 „bewahren, halten“ (Gleichnis vom Sämann) und hier in 14,9 „(einen Platz) besetzen, einnehmen“. 246 Eine Vorliebe des Lukas für diese Präposition lässt sich daraus erschließen, dass sie in den Evangelien nur bei Lk und in Joh 20,30 und 13mal in der Apg begegnet, und Lk sie zweimal zum Markusstoff hinzufügt (5,18; 8,47) und einmal mit ihr eämprosjen ersetzt (5,25 diff. Mk 2,12). Jeremias weist allerdings darauf hin, dass im Einzelfall eönvßpion auch traditionell sein könne, da es im übrigen NT relativ häufig ist: Es begegnet achtmal bei Pls, achtmal in den Pastoral- und sechsmal in den übrigen Briefen, 32mal in der Offb (vgl. Jeremias, Sprache, 238). 247 Die Wendung paqw oÖ + Partizip begegnet 48mal in Mt, 19mal in Mk, 19mal in Joh, aber 71mal in Lk und 70mal in Apg; vgl. auch Jeremias, Sprache, 30. 248 Viermal ersetzt er im Markusstoff einen Relativsatz durch eine Partizipialwendung: 8,8 diff. Mk 4,9; 8,21 diff. Mk 3,35; 20,27b diff. Mk 12,18 (einmal verfährt Lukas jedoch umgekehrt, 20,47 diff. Mk 12,40, was aus dem stilistischen Grund, den Anakoluth zu beseitigen, geschehen sein könnte); vgl. dazu Jeremias, Sprache, 116, insb. Anm. 3. 249 Dagegen begegnet de? kaiß aber nur dreimal in Mt, zweimal in Mk, achtmal in Joh und fünfmal im übrigen NT. Lukas hat de? kaiß sechsmal zum Markusstoff hinzugefügt (4,41; 5,36; 20,11.12.31; 21,16); vgl. dazu Jeremias, Sprache, 78. 250 Vgl. Jeremias, Sprache, 238: Im NT begegnet doxhß nur in Lk 5,29; 14,13, beide Male in Verbindung mit poieiqn. In 5,29 schreibt Lukas die Wendung als Hinzufügung zum Markusstoff. 251 Es begegnet in acht Schriften des NT je einmal, in Joh zweimal und in Lk sechsmal, in Apg fünfmal (vgl. Jeremias, Sprache, 238. 169 Anm. 54). <?page no="115"?> 115 Wahrscheinlich stammt der Kern von 14,7-11, nämlich v. 8-10, aus vorlukanischer Tradition. 252 V. 11, der eine Parallele in Q (vgl. Mt 23,12) besitzt, dürfte als Interpretation der vorangehenden ethischen Belehrung angefügt worden sein. Zunächst muss offenbleiben, ob dies durch Lukas oder einen Autor des S Lk geschah. Stammen die v. 12f. aus der Hand des Lukas oder sind sie traditionell? Folgende sprachliche Indizien in v. 12f. sind für die Entscheidung heranzuziehen: die Lukanismen in v. 12a.13a.14b (s.o.), sprachliche Charakteristika, die dafür sprechen, dass die v. 12f. im Kern traditionell sind, nämlich erstens die grammatische Parataxe mhßpote kai? […] kaiß , die trotz logischer Hypotaxe steht und zweitens der antithetische Paralellismus, die parallele Konstruktion in v. 8-10 und v. 12f., der gehäufte Gebrauch von Verbformen, die von kaleiqn abgeleitetet sind, in v. 7-10 und v. 12f. sowie in der nachfolgenden Perikope in v. 16.17.24 und schließlich die nahezu identische Aufzählung der einzuladenden bzw. eingeladenen Gäste in v. 13 und v. 21. 253 Die Lukanismen in v. 12f. (1.) können sowohl darauf hindeuten, dass Lukas die Perikope redigiert als auch darauf, dass er sie selbst verfasst hat. Die traditionellen Sprachmerkmale in v. 12f. (2.) sind starke Indizien dafür, dass Lukas die Passage aus der Überlieferung übernommen hat. Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist die Konstruktion mhßpote kai? […] kaiß traditionell 254 und schreibt Lukas von sich aus keinen antithetischen Parallelismus 255 . Die Parallelität von v. 8-10 und v. 12f. (3.) und das abundante Vorkommen von kaleiqn in beiden Perikopen (4.) weisen darauf hin, dass der Verfasser von v. 12f. die vorangehende Perikope v. 8-10 bereits kannte. Die Stichwortverknüpfung durch kaleiqn zwischen den drei Perikopen v. 7-11, v. 12-14 und v. 16-24 deutet weniger darauf hin, dass diese en bloque überliefert wurden, als dass sie bewusst zusammengestellt wurden. 256 Eine weitere Stichwortverbindung liegt auch in der Reihe der Eingeladenen in v. 13 und v. 21 (5.) vor. Die Analyse des Gleichnisses vom großen Festmahl in v. 16-24 ergibt, dass der Kernbestand der Perikope aus Q stammt, und Lukas bzw. Matthäus sie ihrer Intention gemäß bearbeiteten. Lukas hat die „Gästeliste“ in v. 21b wohl in Anlehnung an die ihm aus dem S Lk bekannte „Gästeliste“ in v. 13 formuliert; denn im Q-Bestand von v. 16-24 kommt sie nicht vor. Die Gründe für die Abweichungen in der Formulierung 252 Vgl. Bovon, EKK III/ 2, 484; Fitzmyer, Luke II, 1044. 253 Die beiden Aufzählungen der Personengruppen unterscheiden sich in drei Punkten: Verschieden ist erstens die Reihenfolge von tufloiß und ptvxoiß , zweitens steht in 14,21 ein bestimmter Artikel und drittens sind die einzelnen Gruppen in 14,21 durch kaiß verbunden. 254 Lukas fand diese Konstruktion achtmal in von ihm übernommenem Markusstoff vor und hat sie sechsmal beseitigt (Mk 4,12 diff. Lk 8,10; Mk 4,20 diff. Lk 8,15; Mk 5,26 diff. Lk 8,43; Mk 5,31 diff. Lk 8,45; Mk 8,36 diff. 9,24; Mk 12,19 diff. Lk 20,28) und zweimal übernommen (Mk 1,27 vgl. Lk 4,36; Mk 8,6 vgl. Lk 8,29). In der Apostelgeschichte findet sich diese Konstruktion, die Jeremias als „volkstümlichen Semitismus“ bezeichnet, nur zweimal (Apg 7,53; 23,3 - außerdem noch zweimal in Apg 28,26, doch handelt es sich dort um Septuagintazitate). Jeremias schließt daraus, dass sämtliche 46 Belege (vgl. Jeremias, Sprache, 65 Anm. 78) für grammatische Parataxe trotz logischer Hypotaxe im Nicht-Markusstoff (mehr als 20mal im Mt-Lk-Logiengut) vorlukanisch sind (vgl. Jeremias, Sprache, 64f. 238). 255 Im Markusstoff übernimmt er ihn von 20 Fällen 13mal, siebenmal (Mk 2,27; 3,33f.; 4,31f.; 10,27; 13,11.20; 14,38) beseitigt er ihn (vgl. Jeremias, Sprache, 61f.238). Für die Beurteilung, ob die Formulierung oÄtan […] aöll ö oÄtan traditionell ist oder von Lukas stammt, ist diese Beobachtung freilich nur eine vage Entscheidungshilfe, da v. 8-10 hier als Vorlage präsent ist. 256 Gegen eine zusammenhängende Überlieferung spricht sich auch Fitzmyer aus (vgl. Fitzmyer, Luke II, 1044). <?page no="116"?> 116 zwischen v. 13 und v. 21 sind nicht zu eruieren. 257 Der abschließende Makarismus in v. 14 ist wohl traditionell. 258 Fazit: Im ersten Teil (v. 7-11) des untersuchen Textes trägt die Einleitung v. 7 lukanische Handschrift und ist mit großer Wahrscheinlichkeit auf Lukas zurückzuführen. 259 Der Kern der Perikope (v. 8-10) weist einige lukanische Sprachmerkmale auf. Sehr wahrscheinlich hat Lukas v. 8-10 sprachlich bearbeitet, der Kernbestand des Abschnitts ist jedoch traditionell. V. 11 dürfte Lukas aus der Tradition (Q; vgl. Mt 23,12) übernommen und stilistisch überarbeitet haben. In der Einleitung (v. 12) zum zweiten Teil (v. 12-14) ist anhand der sprachlichen Analyse nur die Redeeinleitung eälegen de? kaiß Red Lk zuzuweisen. In den nachfolgenden Text scheint Lukas nur wenig (in v. 13a und v. 14b, s.o.) eingegriffen zu haben. 260 Daraus ergibt sich als wahrscheinlichste Hypothese, dass Lukas die Perikopen v. 7-10 * und v. 12f. * aus seinem Sondergut übernommen 261 , sprachlich bearbeitet und theologisch interpretiert hat (v. 11.14). Pragmatisch sind die Textteile folgendermaßen aufeinander bezogen: a) V. 8-10 * - S Lk Die v. 8-10 enthalten eine von Alltagsweisheit 262 inspirierte Belehrung darüber, wie man sich als eingeladener Gast bei einem Mahl zu verhalten hat: Gegenüber der Handlungsalternative, sich unaufgefordert an den Ehrenplatz zu setzen, wird die Handlungsalternative, abzuwarten, bis man vom Gastgeber dazu aufgefordert wird, propagiert. Ersteres Verhalten führt dazu, dass man vor den übrigen Gästen in Schande gerät, letzteres dazu, dass man in den Augen der anderen Ehre erhält. b) V. 11 - lukanische Interpretation aus Q V. 11 interpretiert die voranstehende Verhaltensregel, die in v. 9 mit dem Verweis auf Schande bzw. dem Erlangen von Ehre begründet ist, indem sie den in v. 8-10 geschilderten Ablauf im „Grundsatz“ der eschatologischen Umkehrung der diesseitigen sozialen Verhältnisse verallgemeinert: Wer sich selbst erhöht, sich selbst Ehre zuweist, der wird eschatologisch erniedrigt, wer sich selbst erniedrigt, nicht nach „Imageaufbesserung“ strebt, der wird im Eschaton zu Ehren kommen. c) V. 12-14* - S Lk Die v. 12.13 enthalten einen ethischen Impuls an potentielle Gastgeber: nämlich nicht ökonomisch potente Verwandte, Freunde und reiche Nachbarn einzuladen, von denen man eine Gegeneinladung erwarten kann, sondern Arme, Kranke und Behinderte. 257 Zur Frage der Herkunft von Lk 14,16-24 aus Q oder S Lk s.o. - Bovon weist die Belehrung an potentielle Gastgeber v. 12f. Lukas zu (vgl. Bovon, EKK III/ 2, 484). Seine Argumente dafür, die zu v. 8-10 parallele Konstruktion und die Lukanismen, sind jedoch nicht überzeugend. 258 Bovon stellt die Hypothese auf, dass der Makarismus in einem anderen Wortlaut, etwa „glücklich wirst du, wenn du denen gibst, die dir nichts zur Vergeltung anbieten können […]“, selbständig überliefert wurde, und Lukas ihn im Anschluss an v. 12f. neu formuliert habe (vgl. Bovon, EKK III/ 2, 486). 259 Vgl. auch Bovon, EKK III/ 2, 484; Jülicher, Gleichnisreden II, 246. 260 Gegen Bovon, EKK III/ 2, 486, der die v. 12b-14 als von Lukas geschaffenes Gegenstück zu v. 7-11 betrachtet. 261 Aufgrund der parallelen Struktur und Formulierung halte ich es für wahrscheinlich, dass die beiden Perikopen v. 7-10 * und v. 12f. * zusammenhängend im S Lk überliefert wurden. 262 Vgl. Spr 25,6f. <?page no="117"?> 117 d) V. 14* - Lukanische Interpretation durch Bearbeitung des traditionellen Makarismus V. 14 begründet die ethische Mahnung aus v. 12.13 mit einer Seligpreisung. Derjenige wird im Eschaton, das als „ aönaßstasiw tvqn dikaißvn “ beschrieben ist, Vergeltung erhalten, der in seinem Verhalten als Einladender im Diesseits darauf verzichtet hat. 263 Durch die Hinzufügung von oÄti ouök eäxousin aöntapodouqnaiß soi betont Lukas die Vorstellung, dass es Lohn nur einmal gibt bzw. dass irdischer Lohn himmlischen Lohnes beraubt. 10.2 Theologisch-inhaltliche Analyse (#.1.1) Die Zugehörigkeit zur Gruppe der Reichen bzw. Armen entscheidet sich in v. 12-14 an der Fähigkeit, am „System der Reziprozität“ 264 teilzunehmen ( mhßpote […] aöntikaleßsousin , v. 12 - ouök eäxousin 265 aöntapodouqnai , v. 14). Die Armen, ptvxoiß, werden in 14,13 zusammen mit drei anderen Personengruppen, Krüppeln, aönapeißroi, Lahmen, xvloiß, und Blinden, tufloiß , genannt, deren gemeinsames Merkmal ist, dass sie körperlich beeinträchtigt sind. 266 Charakteristisch in 14,13 ist die Kombination von Armut und körperlicher Beeinträchtigung. 267 Die Gruppe der Armen, ptvxoiß (v. 13), und der Reichen, plousißoi 268 (v. 12), stehen in 14,12-14 einander gegenüber. Der Kontrast zwischen den beiden Personengruppen ist anders als beispielsweise in 16,19ff. schwach gezeichnet: Erstens werden Arme und Reiche im Verbund mit jeweils drei anderen Gruppen genannt, zweitens stehen sich Arme und Reiche in erster Linie nicht direkt als Subjekte gegenüber, sondern sind als Eingeladene „Objekte“ und drittens ist plousißoi adjektivisch verwendet, während ptvxoiß absolut steht. Die Beziehung zwischen den Subjekten des Textes ist durch das gemeinsame Essen (v. 12: aäriston , 263 Hier klingt ein Gedanke aus der Feldrede an, der in Lk 6,32-35 formuliert ist (vgl. insbesondere v. 35). 264 Zum Reziprozitätsprinzip vgl. Stegemann/ Stegemann, Sozialgeschichte, 41f.; Neyrey, Ceremonies, 385. 265 äExein + Inf. (14,13) steht auch in Lk 7,42 S Lk ; 12,4.50 und Apg 4,14; 23,17.18.19; 25,26; 28,19. 266 Ähnliche Zusammenstellungen von Personengruppen finden sich in Lk 4,18 und 7,22 (Q). 267 In den Qumranschriften erwähnt die „Kriegsrolle“ 1 QM 7,4, dass die drei letztgenannten Gruppen vom eschatologischen Kampf der Söhne des Lichts gegen die Söhne der Finsternis ausgeschlossen sind; in 1 QSa 2,5-6 findet sich die Anweisung, dass körperliche Gebrechen zum Ausschluss vom gemeinschaftlichen Mahl führen. 2 Sam 5,8 und Lev 21,17-23 beinhalten das Motiv des Ausschlusses von Lahmen und Blinden vom Tempel bzw. Kult (vgl. auch 4 QD b ). Alttestamentlicher Hintergrund für die Ermahnung, diese Personengrupen einzuladen, sind Dtn 14,28-29; 16,11-14; 26,11-13; Tob 2,2. In der späteren rabbinischen Literatur findet sich der Hinweis von R. Jose b. Yohanan, „offene Türen zu haben“ und Bedürftige als Hauszugehörige zu behandeln (m Abot 1,5) (Fitzmyer, Luke II, 1047f). 268 Mhde? geißtonaw plousißouw (v.12) ist textkritisch unklar: D it und vg s lesen mhde? tou? w geißtonaw mhde? tou? w plousißouw . Dadurch entsteht eine Fünfergruppe, die nicht mehr zu der Aufzählung in 14,13 parallel ist (Vgl. Fitzmyer, Luke II, 1047). <?page no="118"?> 118 deiqpnon ; v. 13 doxhß 269 ) und das Moment des Zurückgebens bzw. Tauschens (v. 12: aöntikaleiqn ; v. 14: aöntapodidoßnai ) konstituiert. (#.1.2) Eine theologische Deutung erfahren Armut und Reichtum im Text nicht. (#.2.1) In v. 12-14 spiegelt sich das als „do, ut des“ 270 oder „manus manum lavat“ sprichwörtliche ethische System der Reziprozität. 271 Kritisiert wird, dass Menschen zu einem Gastmahl nur sozial Gleichrangige einladen, die mit einer gleichwertigen Gegenleistung aufwarten können. Dieses Handeln ist auf den Austausch materieller Güter ausgerichtet und schließt damit Menschen, die keine Gegenleistung erbringen können, vom gesellschaftlichen Leben aus. (#.2.2) V. 12f. kritisiert das ethische System der Reziprozität und dessen Folge, dass Reiche unter sich bleiben und sozial Schwache ausgegrenzt sind. Aufgefordert wird dazu, aus dem System der innerweltlichen Reziprozität „auszusteigen“. 272 (#.2.3) Die theologische Deutung in v. 14 knüpft an die populäre ethische Denkweise an. Vordergründig wird mit aäntapodojhßsetai (v. 14b) eine logische Spannung zu mhßpote […] geßnetai aöntapoßdomaß soi (v. 12) aufgebaut, da wieder ein aöntapoßdoma in Aussicht gestellt wird, das nach v. 12 ja gerade nicht mehr Handlungsanreiz sein soll. Doch variiert v. 14 das „klassische“ Reziprozitätssystem an zwei Punkten: Erstens ist das aöntapoßdoma , die Vergeltung für das irdische Handeln, eschatologisch definiert und liegt nicht im menschlichen Verfügungsbereich; zweitens durchbricht der Text das System einer exklusiven Reziprozität, an der nur ökonomisch gut Situierte teilhaben. Gott vertritt diejenigen ( aöntapodojhßsetai , v. 14, ist passivum divinum), die nicht in der Lage sind, ein aöntapoßdoma zu geben. Als ethische Leitlinie wird in 14,12-14 propagiert, diejenigen einzuladen, die nicht in der Lage sind, dies z.B. durch eine Gegeneinladung (14,12) zu vergelten. Solches Verhalten wird eschatologisch vergolten (v. 14: aöntapodojhßsetai eön th# q aönastaßsei tvqn dikaißvn ). 273 269 Doxhß begegnet im NT nur in Lk 14,13 und in Lk 5,29. Der Ausdruck poieiqn doxhßn ( megaßlhn ) steht dort im Kontext der Berufung des Levi und des daraufhin von diesem ausgerichteten Mahles, an dem Jesus zusammen mit „Zöllnern und Sündern“ (5,30) teilnimmt. Er findet sich nur in der lukanischen Version der aus dem Markusstoff stammenden Perikope Lk 5,27-32. 270 Vgl. Xenophon, Symp. 1,15 (Fitzmyer, Luke II, 1047). 271 Vgl. Neyrey, Ceremonies, 372.385f. 272 Vgl. dazu auch Platon, Apologie des Sokrates, cap. 22: Sokrates vertritt die Ansicht, dass man das Gute um des Guten willen tun müsse, auch wenn dies keinen persönlichen Nutzen bringt oder gar mit Leiden verbunden ist. 273 Vgl. Sir 17,22f. - Die Vorstellung von der Auferstehung der Gerechten findet sich auch in äthHen 26f. und Dan 12,1-3. <?page no="119"?> 119 Der verneinte Finalsatz mhßpote […] genhßtai aöntapoßdomaß soi (v. 12) weist darauf hin, dass der Erhalt des irdischen aöntapoßdoma 274 das himmlische (v. 14) zu verhindern scheint. Hinter 14,14 scheint die Überzeugung zu stehen, dass es Lohn nur einmal gibt: 275 Sprechen reiche Freunde und Verwandte eine Gegeneinladung aus, ist alles abgegolten. Diese Ansicht deckt sich mit der rabbinischen, dass irdischer Lohn himmlischen Lohnes beraube. 276 (#.3) Von Gott ist in 14,12-14 nicht explizit, sondern nur implizit im passivum divinum aöntapodojhßsetai (v. 14) die Rede. 14,14 verweist darauf, dass Gott als Stellvertreter für die Armen einsteht und bei der Auferstehung der Gerechten ( eön thq # aönastaßsei tvqn dikaißvn) denen eine Vergeltung ( aöntapoßdoma) zukommen lässt, die im irdischen Leben ihr Handeln nicht nach dem Erhalt eines solchen ausgerichtet, sondern uneigennützig und zum Wohl von sozial Benachteiligten gehandelt haben. Gott wendet sich den Armen damit in spezieller Weise zu und fördert die Beziehung zwischen Armen und Reichen. Gottes eschatologisches Handeln hat so Konsequenzen für die Gegenwart: Er vertritt in einem System der exklusiven Reziprozität diejenigen, die aufgrund ihrer ökonomischen Situation aus diesem System ausgeschlossen sind. Er gliedert sie in das System ein (s.o. „inklusive Reziprozität“), indem er an ihrer Stelle für ein eschatologisches aöntapoßdoma bürgt. 11 Lk 14,28-33: Turmbau, Kriegführen und Nachfolge Jesu Kontext. Lukas hat hier eine Sondergutpassage eng mit einer Q-Überlieferung verwoben und so das Thema „Nachfolge“ bearbeitet. Das Doppelgleichnis vom Turmbau und Kriegführen (v. 28-32) ist eng mit den vorangehenden Worten zur Nachfolge aus Q 14,26f. verknüpft und seine Anwendung v. 33 rezitiert v. 27b (Q). - Das nachfolgende Wort vom Salz (v. 34f.) klingt an Mk 9,50 an. Der Abschnitt 14,25-35 schließt an die Erzählung vom großen Gastmahl aus Q an (14,16-24) und steht vor der Gleichnistrilogie vom Verlorenen (15,11-32 Q/ S Lk ). 274 Die Ausdrücke aöntapoßdoma (v. 12) und aöntapodidoßnai (v.14) finden sich in den Evangelien nur hier. In Röm 11,9 begegnet aöntapoßdoma angelehnt an Ps 68,23 (LXX) in der Bedeutung „Vergeltung, Strafe“. Das Verb findet sich in Röm 12,19 (Zitat von Dtn 32,35) und Heb 10,30 in der Bedeutung „rächen, strafen“ mit Gott als Subjekt, in Röm 11,35 ebenfalls mit Gott als Subjekt, ist dort aber positiv konnotiert und bedeutet „vergelten, zurückgeben“. In 1 Thess 3,9 weist aöntapodidoßnai demgegenüber darauf hin, dass der Mensch Gott dankend „zurückgibt, vergilt“. In 2 Thess 1,6 ist das Verb damit konnotiert, das „Bedrängnis mit Bedrängnis“ zu vergelten bzw. auszugleichen ist. Die Substantiv und Verb gemeinsame Konnotation ist „Vergeltung“, die sich in dem weiten Spektrum von Dank bis Strafe vollziehen kann. 275 Vgl. Petracca, Gott oder Geld, 146f. 276 Vgl. ebd. <?page no="120"?> 120 Struktur. Beide Gleichnisse (im Folgenden I und II) weisen im Anfangsteil eine parallele Struktur auf: Sie schildern jeweils das Vorhaben einer Person (1), den Turmbau einer in ihrer Funktion unbestimmten - tißw eöc uÖmvqn - Person bzw. die Kriegsführung eines Königs, fordern hierauf in der Form einer rhetorischen Frage zum vorherigen Überlegen und zur Abschätzung der Kosten bzw. Ressourcen auf (2), um beurteilen zu können, ob das Vorhaben zu einem erfolgreichen Ende gebracht werden kann (3): I: tißw […] jhßlvn […] oiökodomhqsai (1) II: tißw […] poreuoßmenow […] sumbaleiqn […] (1) I: ouöxi? […] kajißsaw […] yhfißzei […], (2) II: ouöxi? kajißsaw […] bouleußsetai , (2) I: eiö eäxei eiöw aÖpartismoßn (3) II: eiö dunatoßw eöstin […] uÖpanthqsai […] (3) Dann weichen die Gleichnisse voneinander ab: Gleichnis I schildert die Folgen eines unbedachten Vorgehens: Der Turmbau scheitert und der „Baumeister“ fällt dem Spott seiner Umwelt anheim (4); Gleichnis II geht dagegen davon aus, dass vor der Durchführung des Vorhabens zwar Überlegungen angestellt werden, die Ressourcenabschätzung aber negativ ausfällt, und präsentiert deshalb eine Verhaltensalternative (4): I: iÄna mhßpote jeßntow [ … ] mh? iösxußontow eökteleßsai [ … ] aärcontai eömpaißzein leßgontew [ … (4) II: eiö de? mhß ge, [ … ] eäti [ … ] aöposteißlaw eörvtaq # [ … ] (4) 11.1 Redaktionskritik Im Abschnitt 14,28-30.33 wird inhaltlich relevante Red Lk nur für die direkte Rede in v. 30 und die Anwendung in v. 33 diskutiert. Die Einleitung tißw eöc uÖmvqn (v. 28) ist sehr wahrscheinlich sekundär, da sie eine direkte Anrede enthält. Die Ansicht, dass v. 30 von Lukas stamme, wird häufig vertreten 277 , doch sind die hierfür beigebrachten Argumente schwach. Drei sprachliche Indizien werden zur Begründung herangezogen: 278 erstens das negierte iösxußein mit Infinitiv , zweitens das (abundante) aärxesjai mit Infinitiv und drittens die direkte Rede. Das negierte iösxußein mit 277 So z.B. Heininger, Sondergutgleichnisse, 139, ohne Begründung; Bovon, der nicht sprachlich, sondern rein inhaltlich argumentiert: Lukas rufe Wesentliches in Erinnerung und wolle die fehlende wesentliche Aussage hinzufügen (vgl. Bovon, EKK III/ 2, 529); von Bendemann vermerkt im Appendix zur Stelle einige sprachliche Indizien (s.o.), die s.E. auf Red Lk hinweisen, die Begründung ist jedoch äußerst knapp (von Bendemann, DOCA , 428). - Fitzmyer findet dagegen keine Indizien, die eine Zuweisung von v. 30 zu Red Lk nahelegen (Fitzmyer, Luke II, 1060-1062). 278 Vgl. die Auflistung bei von Bendemann, DOCA , 428 (zur Stelle). <?page no="121"?> 121 Infinitiv lässt sich tatsächlich als typisch lukanischer Sprachgebrauch werten 279 - gewichtigstes Indiz, das das „Häufigkeitsargument“ 280 stützt, ist, dass Lukas zweimal den Markusstoff entsprechend geändert hat. 281 Das Vorkommen der Wendung in 16,3 (lukanische Komposition) spricht ebenfalls dafür, dass sie lukanisch ist. - Für die Wendung aärxesjai mit Infinitiv kann weder nachgewiesen werden, dass sie traditionell ist, noch dass sie von Lukas stammt. Jeremias möchte zwar den Nachweis führen, dass abundantes aärxomai (Medium) mit Infinitiv vorlukanisch sei, doch ist die Abundanz ein blasses sprachliches Merkmal - zumal in 14,30. 282 Die direkte Rede schließlich kann die Annahme, dass v. 30 auf lukanische Redaktion zurückzuführen sei, nicht stützen. Nach der sprachlichen Analyse ist also die Hypothese am wahrscheinlichsten, dass Lukas die v. 28-30 aus seinem Sondergut übernommen und stilistisch bearbeitet hat. In v. 33 finden sich sowohl Lukanismen als auch Sprachmerkmale, die auf vorlukanische Tradition hinweisen. Zu diskutieren sind insbesondere die beiden Wendungen ta? uÖpaßrxonta und ouö dußnatai eiQnai mou majhthßw . Jeremias 283 hält die Konstruktion ta? uÖpaßrxonta mit Genitiv der Person für traditionell, da Lukas selbst in Lk 8,3 und in Apg 4,32 das substantivierte Partizip mit dem Dativ der Person konstruiere; im Nicht-Markusstoff stehe das Partizip immer mit Genitiv. 284 Dagegen ist einzuwenden, dass auch in 11,21 ta? uÖpaßrxonta mit Genitiv steht, dort aber Red Lk zuzurechnen ist. 285 Lukas ist die Konstruktion also durchaus zuzutrauen. Für die Beurteilung, aus welchem Quellenstrang die Apodosis ouö dußnatai eiQnai mou majhthßw stammt und ob Lukas es war, der sie in v. 33 gesetzt hat, ist v. 26f. zu berücksichtigen. Sehr wahrscheinlich hat Lukas die Wendung nicht von sich aus verfasst. Folgende drei Beobachtungen legen nahe, dass die Voranstellung des Possessivpronomens ( mou majhjhßw) traditionell ist: 286 Erstens stellt Lukas mou bzw. sou , das er im Markusstoff und in der Septuaginta vorangestellt vorfindet, immer nach. 287 In der Apg stehen zweitens 126 Nachstellungen von mou, sou, hÖmvqn und uÖmvqn nur neun Voranstellungen gegenüber. 288 Drittens finden sich alle Belege für vorangestelltes mou, sou und uÖmvqn 289 im Nicht- Markusstoff. 290 279 Vgl. dazu Jeremias, Sprache, 150.242. 280 Die Konstruktion begegnet achtmal in Lk (6,48; 8,43; 13,24 - hier ist der Infinitiv zu ergänzen; 14,6.29f.; 16,3; 20,26) und dreimal in Apg (6,10; 15,10; 25,7) gegenüber einem sechsmaligen Vorkommen im übrigen NT (Mt 18,28; 26,40 par Mk 14,37; Mk 4,5; 9,18 (hier fehlt der Infinitiv); Joh 21,6. 281 Lk 8,43 diff. Mk 5,26; Lk 20,26 diff. Mk 12,17. 282 Jeremias, Sprache, 105. - Von Bendemann führt die Wendung als typisch lukanischen Sprachgebrauch an, doch begründet er diese Annahme nicht. Für den „typisch lukanischen“ Gebrauch von aärxesjai mit Infinitiv liefert von Bendemann anstelle einer Begründung nur eine Auflistung weiterer Stellen, an denen aärxesjai typisch lukanisch konstruiert sei (vgl. von Bendemann, DOCA , 420 zu 11,29ab). Davon sind jedoch nur zwei Belege auf Red Lk zurückzuführen. 283 Vgl. zum Folgenden Jeremias, Sprache, 243. 284 Nämlich in Lk 11,21; 12,33.44; 14,33; 16,1; 19,8. - Vgl. Jeremias, Sprache, 150. 285 Lukas redigiert hier Mk 3,27. 286 Vgl. Jeremias, Sprache, 143. 287 Mk 5,30 diff. Lk 8,45; Mk 5,31 diff. Lk 8,46; Mk 2,5.9 diff. Lk 5,20.23; Gen 30,23 LXX diff. Lk 1,25. 288 Mou : Lk 1,8; 2,26; 21,13; 22,1; sou : Lk 10,31; 22,18; hÖmvqn : Lk 16,20; uÖmvqn : Lk 3,19; 27,34. 289 Vorangestelltes hÖmvqn findet sich in Lk nicht. 290 mou : 6,47; 7,44b.45; 10,29; 12,18; 14,23f.26f.33; 19,8.23; sou : 6,29; 7,44a.48; 15,30; 16,6f.; uÖmvqn : 11,19; 12,30.35; 22,53. - Offen bleibt, warum Lukas das in v. 33 vorgefundene mou majhthßw nicht wie im Markusstoff geändert hat. Respekt vor Herrenworten scheidet <?page no="122"?> 122 Die beiden in v. 26f. genannten Bedingungen für die Nachfolge, „Verwandten- und Selbsthass“ sowie das Kreuztragen, sind traditionell und sowohl in Q als auch im Markusstoff bezeugt. 291 Mh? miseiqn in Lk 14,26 ist, da härter und anstößiger formuliert, gegenüber fißlein uÄper in Mt 10,37ff primär. 292 Das Verlassen der Ehefrau, gunaiqka (v. 26), findet sich bei Mt nicht; Lukas hat - eventuell in Anlehnung an Mk 10,28 und Lk 18,28 - die Liste der Verwandten vervollständigt. Durch die Positionierung von eäti te kai? th? n yuxhßn eÖautouq 293 am Ende der Liste betont Lukas, dass um der Jüngerschaft willen alle Beziehungen 294 , die zu sich selbst eingeschlossen, zurückzustellen sind. Ouö dußnatai eiQnai mou majhthßw (Lk 14,26.27.33) dürfte ursprünglicher als ouök eästin mou aäciow (Mt 10,37ff) sein. 295 - Matthäus geht es nicht um die Entscheidung Jünger Jesu zu werden, sondern um die Bewährung in der Existenz als Jünger. Dies zeigt der jeweilige Kontext des Logions: Bei Mt ist es im Rahmen der Aussendungsrede an die Zwölf gerichtet (vgl. Mt 10,5), nach Lk richtet Jesus es an die Volksmenge (vgl. Lk 14,25). Weitere Hinweise für die Redaktionskritik liefern Überlegungen zur pragmatischen Funktion des Doppelgleichnisses. 296 In Gleichnis I führt die fehlende Vorüberlegung zum Scheitern des angegangenen Vorhabens aufgrund des Mangels an finanziellen Ressourcen und der verhinderte „Baumeister“ gerät in Schande ( auötvq # eömpaißzein ). In Gleichnis II ermöglicht die Vorüberlegung auch bei negativem Ergebnis ( eiö de? mhß ge ) eine Handlungsalternative ohne Prestigeverlust. Gemeinsamer ethischer Impuls der beiden Gleichnisse ist es, vor einem Vorhaben genau zu überlegen, ob die Ressourcen dafür ausreichen. In I wird dies durch die Negativkonsequenz des Ehrverlustes begründet, in II durch den ermöglichten „positiven“ Handlungsspielraum. als Grund deshalb aus, weil alle geänderten Markusbelege (Mk 2,5.9; 5,30.31) Herrenworte sind. 291 Vgl. Mt 10,37f.; 16,24; Mk 8,34; 10,29; Lk 9,23; 17,33; 18,29.30. - Vgl. Bovon, EKK III/ 2, 527f. 292 Vgl. Klein, Lukasevangelium, 512 Anm. 6. 293 Die Formulierung ist vermutlich eine Reminiszenz des nach 17,33 verschobenen Logions vom Preisgeben des Lebens (vgl. Mt 10,39), wo es „das dem Leiden des Menschensohns (17,25) entsprechende Leiden der Jünger“ bezeichnet (Luz, EKK I/ 2, 134); vgl. Dupont, Renoncer, 561ff. 294 Vgl. Klein, Lukasevangelium, 514. 295 Vgl. das IQP; 450ff; Hoffmann/ Heil, Spruchquelle, 96. - Klein liest an der matthäischen Version eine Christologisierung ab (vgl. Klein, Lukasevangelium, 512 Anm. 6). - Auffällig ist, dass sich in der synoptischen Tradition die Konstruktion eiQnai majhth? w nur hier findet. Wird Jüngernachfolge thematisiert, stehen Verben der Bewegung ( deuqte, eöljeiqn, aökoloujeiqn, eärxesjai [Mt 4,19; 16,24; Mk 1,17.20; 8,34; Lk 9,23 Q; 14,27 Q] + oÖpißsv ). - Manson vertritt die These, dass die beiden Versionen auf eine Leseverwechslung zurückgehen (vgl. ders., Teaching, 237-40): „If, however, we begin with mouq aäciow […]. These words may be rendered into Aramaic by yli yw'#; $ . The Eastern Aramaic dialects have a word )yIl; wI#; $ [in der Bedeutung „Lehrling“, Anm. d. Verf.] […] ‚My disciple’ could therefore be in Aramaic yyIl; w: #$ . If, then, we may retranslate ouök eästin mou aäciow by ylyw# )wh tyl it becomes at once possible to take it as corruption or misreading of yylw# )wh tyl , ‚he is disciple of mine’ […]“ (Manson, Teaching, 238). Diese Hypothese geht - wie Manson selbst zugesteht - davon aus, dass Jesus nicht das gebräuchliche Wort )dymlt zur Bezeichnung für seine Jünger benutzt hat, sondern das ungebräuchliche )ylw# . Fitzmyer und Luz wenden dies ebenfalls ein und halten Mansons Hypothese für unnötig und kompliziert (vgl. Fitzmyer, Luke II, 1064). 296 Klein nimmt aufgrund der strukturellen Unterschiede zwischen beiden Gleichnissen an, dass sie sekundär zusammengestellt seien (vgl. Klein, Lukasevangelium, 513). <?page no="123"?> 123 Wozu und in welchem Kontext wird in einer christlichen Gemeinde ein Gleichnis gepredigt, das sich „Allerweltsweisheit“ bedient, um zu verdeutlichen, dass man vor einem Vorhaben, die eigenen Ressourcen sorgfältig abschätzen soll? 297 Das Doppelgleichnis wurde wohl nicht tradiert, nur um zum „Nachdenken vor dem Handeln“ zu mahnen, sondern wahrscheinlich von Anfang an mit einer Applikation gepredigt. 298 Es richtet sich an Menschen in einer Entscheidungssituation; denn beide Einzelgleichnisse betonen die Wichtigkeit des Innehaltens und Überlegens, bevor man zur Tat schreitet. Im Kontext einer christlichen Gemeinde ist vor allem daran zu denken, dass sie die Entscheidungssituation vor dem Christwerden aufgreifen. Dass es sich um eine Entscheidungssituation handelt, in der die Qualität der Beziehung zu Jesus ausschlaggebend ist, legt nicht zuletzt der Kontext nahe, in den Lukas das Gleichnis integrierte. Wahrscheinlich ist, dass die originäre Anwendung sich auf die Jüngerschaft bezogen hat. Dass sie schon die Bedingung der Besitzaufgabe enthielt, ist deshalb unwahrscheinlich, da diese sich von der eigentlichen Intention des Gleichnisses unterscheidet und zu ihm in Spannung steht: 299 Was jemand besitzt, über welche Ressourcen er verfügt, hat in den beiden Gleichnissen einen deutlich höheren Stellenwert als in v. 33: In v. 28-32 ist er aufgefordert, sich auf seine Mittel zu besinnen, in v. 33 dagegen, von seinem Hab und Gut Abschied zu nehmen. Plausibler ist deshalb, dass erst Lukas die ursprüngliche Applikation um die Bedingung des Besitzverzichts erweitert und so eine dritte Nachfolgebedingung eingeführt hat. 300 Von Lukas ist die Nachfolgebedingung durch paqw eöc uÖmvqn (v. 33) deutlich auf alle Jesusnachfolger bzw. Christen bezogen. Fazit: Am Gleichnis vom Turmbau hat Lukas nur wenige Änderungen vorgenommen. Die plausibelste Hypothese ist, dass Lukas v. 26f.* die Formulierung ouö dußnatai eiQnai mou majhthßw in Q vorgefunden und die Apodosis in v. 33 im Anklang an v. 26f. formuliert hat. Eine selbständige Überlieferung des Logions v. 33* (ohne ouÄtvw ouQn ) ist denkbar. Lukas dürfte es um die Bedingung der Besitzaufgabe ergänzt haben. Die beiden Gleichnisse v. 28-32 wurden wohl vorlukanisch mit einer Applikation tradiert, die nur die Entscheidung zur Jüngerschaft ohne zusätzliche Bedingung beinhaltete; Lukas hat diese dann um die Bedingung der Besitzaufgabe erweitert. 11.2 Theologisch-inhaltliche Analyse Nur im Gleichnis vom Turmbau (v. 28-30) spielt die Thematik „Armut - Reichtum“ eine im Rahmen der Untersuchung relevante Rolle. 301 Gegenstand der folgenden inhaltlichen Analyse ist daher nur v. 28-30.33. (#.1.1) Im Gleichnis vom Turmbau (v. 28-30) fehlen Vokabeln aus dem Wortfeld „Armut und Reichtum“, doch ist es von ökonomischer Sprache 297 Eine mögliche Antwort auf eine derartige Frage ist freilich immer der Verweis auf die „Authentizität“ des betreffenden Logions und - damit verbunden - auf die Absicht der Gemeinde, authentische Jesusworte zu bewahren. Grundsätzlich ist eine Rückführung des Doppelgleichnisses auf Jesus denkbar (vgl. Bovon, EKK III/ 2, 529f; Klein, Lukasevangelium, 514). 298 Diese Annahme liegt auch deshalb nahe, weil in beiden Gleichnissen ein tertium comparationis fehlt. 299 Vgl. Bovon, EKK III/ 2, 543, insb. Anm. 109; Fitzmyer, Luke II, 1062. 300 Diese hat er nach 14,26f. Q wohl beiseite gelassen bzw. nach 17,33 verschoben (vgl. Dupont, Renoncer, 561ff.). 301 Im weiteren Sinn geht es auch im Gleichnis vom Kriegführen um ökonomische Ressourcen, nämlich Soldaten; doch ist eine Ausgrenzung des Abschnittes hier trotzdem sinnvoll (vgl. Nolland, Role, 188). <?page no="124"?> 124 geprägt ( yhfißzei th? n dapaßnhn , v. 28). Derjenige, der einen pußrgow errichtet, verfügt auf jeden Fall über ein eigenes Grundstück, 302 er muss nicht extrem reich sein, zählt aber gewiss nicht zur armen Bevölkerungsschicht. Der Gegensatz von Armut und Reichtum ist hier nicht Thema, sondern der Umgang mit materiellen Ressourcen: die Investition in ein Bauvorhaben. (#.1.2) Die Erzählung in v. 28-30 hat per se keine religiöse Dimension; der in v. 28-30 geschilderte Vorgang erfährt erst durch v. 33 eine theologische Deutung. Die Anwendung v. 33 bringt nach den beiden voranstehenden Gleichnissen das Thema Armut neu zur Sprache: freiwillig gewählte im Gegensatz zu schicksalhafter Armut (vgl. z.B. Lk 16,19f.). Angesprochen sind Menschen, die über einen gewissen Besitzstand verfügen: Wer sich nicht dazu entscheidet, sich von ihm zu verabschieden und den Status der ökonomischen Abgesichertheit zu verlassen, der kann, so wird Jesus in 14,33 zitiert, nicht sein majhjhßw sein (Red Lk ). (#.2.1) Das Gleichnis geht hypothetisch davon aus, dass jemand, auf der Erzählebene einer der Zuhörer aus der Volksmenge, vorhat, einen Turm zu bauen. Dieses Bauvorhaben, das wohl in erster Linie zur Sicherung einer landwirtschaftlichen Anlage 303 gedient hat, ist nicht eindeutig als autoreferentielle oder soziale Maßnahme zu klassifizieren: Die Sicherung des (Land-) Besitzes an sich ist eine autoreferentielle Handlung. Der Gedanke der Besitzerhaltung (keinesfalls jedoch Besitzvermehrung) ist im Gleichnis vielleicht mitimpliziert, steht aber im Hintergrund. Andererseits hat ein solcher Turm auch Wehrfunktion und schützt zugleich die Arbeiter auf dem Landstück, womit seine Errichtung auch eine soziale Dimension hat. Die religiöse Dimension des Handelns spielt in der Erzählung v. 28-30 keine Rolle. (#.2.2) Eine ethische Leitlinie dafür, wie man sein Geld einsetzen soll, wird im Gleichnis nicht reflektiert. Stattdessen stellt das Gleichnis die Abschätzung der Kosten vor dem Ausführen einer Geldinvestition als notwendig und selbstverständlich dar (rhetorische Frage: tißw […] ouöxiß […] ; ). Die geschilderte Reaktion der Allgemeinheit auf das Abweichen von diesem Vorgehen ( iÄna mhßpote […]) und das mit Spott quittierte Scheitern des Vorhabens, reflektiert einen gesellschaftlichen Konsens. Ein (Bau-)Vorhaben zu beginnen und nicht zu Ende führen zu können, führt zu Prestigeverlust - so spiegelt es das Gleichnis wider. Die Begründung für die präsentierte ethi- 302 Vgl. Lichtenberger, Architektur und Bauwesen, 203. 303 Ein pußrgow ist wohl weder ein einfacher Feldturm (vgl. Mk 12,1 par) noch ein großes öffentliches Bauwerk (z.B. Festungsturm), da dies die Anrede eöc uÖmvqn ausschließt (vgl. Michaelis, Art. pußrgow , 953-956). Die Vokabel begegnet vor allem in landwirtschaftlichen Kontexten (Mk 12,1 vgl. Jes 5,1f; Mt 21,33; Lk 13,4: der Einsturz des Turms von Siloah. Siloah war keine städtische Siedlung). Dies legt nahe, dass es sich weniger um ein reines Wohnals ein Nutzgebäude handelt (vgl. Lichtenberger, Architektur und Bauwesen, 202; Michaelis, Art. pußrgow , 956). <?page no="125"?> 125 sche Leitlinie, vor einer Investition die Kosten zu kalkulieren, ist die Vermeidung von Ehrverlust. 304 (#.2.3) V. 33 präsentiert keinen Handlungsimpuls, sondern eine Aussage: Es wird nicht zur Jüngerschaft aufgefordert, sondern deutlich gemacht, dass die Entscheidung, sein Hab und Gut zu verlassen, unbedingte Voraussetzung für die Existenz als Jünger Jesu ist (Red Lk ). Nur Hörer, die Jesus nachfolgen wollen, leiten daraus die Handlungsaufforderung ab, ihren Besitz zu verlassen. Ökonomisches Verhalten steht somit in Relation zur Jüngerschaft, also zur Beziehung zu Jesus. Das Abschiednehmen von materiellen Gütern wird in v. 33 theologisch als Voraussetzung für die Existenz als Jünger Jesu gedeutet. (#.3) In 14,28-30.33 wird das Handeln Gottes bzw. Jesu an armen und reichen Menschen nicht thematisiert. 11.3 Hermeneutische Reflexion Dass Lukas das Gleichnis vom Turmbau v. 28-30 aufgrund seiner ökonomischen Sprache für besonders geeignet hielt, um die Bedingung der Besitzaufgabe für die Jüngerschaft daran zu knüpfen, ist wahrscheinlich. - Die Erzählung vom Umgang mit materiellen Ressourcen in 14,28-30 besitzt einen Mehrwert: „The cost of discipleship is illustrated in terms of economic ressources […]. The attached moral in v. 33 is an important supplementary indicator of the influence of the topos here.“ 305 Es kann doppelt auf die Erzählebene des Evangeliums angewandt werden: „[…] the resources for building the tower that Luke has in mind are hating one's family and taking up a cross“. 306 Die ökonomische Sprache im Gleichnis vom Turmbau (v. 28-30) ist Medium, um die Hauptintention des Gleichnisses auszudrücken. Es fordert - wie das nachfolgende Gleichnis vom Kriegführen (v. 31f.) - in erster Linie dazu auf, vor dem Beginn eines Vorhabens genau zu überlegen, ob man dieses erfolgreich zu Ende führen kann (v. 28: [ ouöxi? prvqton ] kajißsaw yhfißzei th? n dapaßnhn ; v. 30: ( ouöxi? prvqton ) kajißsaw bouleußsetai ). Bei einem Scheitern steht der Verlust von Ehre auf dem Spiel. Die Anwendung der beiden Gleichnisse (v. 33) nimmt wieder ausdrücklich den Umgang mit 304 Dass die soziale Kategorie Ehre-Schande als ethische Begründung herangezogen wird, ist Ausdruck der hohen Relevanz von Prestige bzw. Ehre im gesellschaftlichen Kontext, in dem das Gleichnis wirksam war (vgl. z.B. Malina/ Neyrey, Honor and Shame, passim). - Vgl. dazu Lk 16,3; 14,9 wo ebenfalls die Gefahr, in Schande zu geraten, als Hinderungsgrund für Verhaltensweisen herangezogen wird. 305 Vgl. Holgate, Prodigality, 85. 306 Nolland, Role, 191. - Nolland ordnet das Gleichnis in seiner Studie trotzdem den Gleichnissen zu, die keine Aussage zum Umgang mit Geld oder Besitz treffen (Nolland, Role, 192). Dies ist richtig, doch ist festzuhalten, dass das Gleichnis die gesellschaftliche Achtung ökonomischer Potenz bzw. Verachtung ökonomischen Unvermögens reflektiert. <?page no="126"?> 126 Besitz in den Blick, indem es das „Sich-Verabschieden“ 307 von all seiner Habe als Voraussetzung dafür darstellt, Jesu Jünger zu sein. Fazit: Durch die Kombination des Aufrufes zu genauen Überlegungen vor einem Vorhaben, das Ernsthaftigkeit 308 erfordert, mit der Nachfolgebedingung betont Lukas, dass die Entscheidung zur Existenz als Jünger Jesu eine gewichtige und ernste ist. Sie fordert die Bereitschaft, einen Verzicht auf materielle Güter mit der Konsequenz von Prestigeverlust auf sich zu nehmen. 12 Lk 15,8-10: Die Frau und die verlorene Drachme Kontext und Abgrenzung. Auf der Ebene des Lukasevangeliums ist die Gleichnistrilogie vom Verlorenen (15,3-32) Rede Jesu unter Zöllnern und Sündern. Diese sind zu ihm gekommen, um ihn zu hören. Gleichzeitig anwesend sind Pharisäer, die über die Nähe Jesu zu diesen unwillig sind ( dihgoggußzon , v. 2). Das Gleichnis von der verlorenen Drachme steht in der Mitte der Gleichnistrilogie vom Verlorenen und folgt auf das Gleichnis vom verlorenen Schaf (Lk 15,3-7). Die Abgrenzung nach oben und unten ist eindeutig: Das vorangehende Gleichnis schließt mit einer Applikation in v. 7; Lk 15,8-10 setzt mit hä tißw gunhß neu an. In v. 11 markiert die Redeeinleitung eiQpen deß eine Zäsur. Struktur. Die Erzählung von der verlorenen Drachme weist folgende Struktur auf: v. 8a: Exposition (in Frageform): tißw gunh? draßxmaw eäxousa [ … ] eöa? n aöpoleßsh# draxmh? n mißan [ … ]. v. 8b-9: Hauptteil: Frau sucht die Drachme und teilt ihre Freude über die wiedergefundene Drachme mit Nachbarinnen und Freundinnen. v. 10: Applikation (eingeleitet mit leßgv uÖmiqn ): Die Freude der Frau wird zum Bild für die Freude bei den Engeln Gottes über einen Sünder, der Buße tut. 12.1 Redaktionskritik Im Gleichnis gibt es keine signifikanten Hinweise auf lukanische Redaktion. 12.2 Theologisch-inhaltliche Analyse (#.1.1) Die Erzählung weist auf die Armut der Frau hin, indem sie deutlich macht, dass ihr gesamtes Geldvermögen in zehn Drachmen besteht. Die Frau dürfte kein eigenes Land besessen haben, welches ihr die Möglichkeit geboten hätte, Lebensmittel aus eigenem Anbau selbst zu verzehren oder zu verkaufen bzw. zu tauschen. 309 Sie ist also zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes von Geld abhängig. Die zehn Drachmen sind im Moment das ein- 307 „Sich-Verabschieden“ ist die Grundbedeutung von aöpotaßssesjai (vgl. Bauer, Wörterbuch, 202; Liddell/ Scott/ Jones, Lexicon, 222. 308 Vgl. auch Fitzmyer, Luke II, 1062. 309 Vgl. Schottroff, Ungeduldige Schwestern, 138-151. <?page no="127"?> 127 zige, was ihr dazu zur Verfügung steht, solange bis sie eine neue Einkommensquelle hat. 310 Eine einzige Drachme ist für sie deshalb so wertvoll, dass sie erstens großen Aufwand betreibt um sie zu finden, und sich zweitens über den Fund so sehr freut, dass sie ihre Freude mit den Freundinnen und Nachbarinnen teilen möchte. Die Währungsbezeichnung draxmhß begegnet im NT nur hier. Zum Wert einer Drachme finden sich verschiedene Angaben. Zur Zeit Neros entsprach er dem eines Denars, also dem Tagelohn eines erwachsenen Mannes (vgl. Mt 20,1-16). 311 (#.1.2) Die Erzählung stellt Arme und Reiche nicht in Beziehung zueinander. (#.1.3) Die Freude einer armen Frau wird in v. 10 transparent für die Freude, die im Himmel ( eönvßpion tvqn aöggeßlvn touq jeouq , v. 10) über einen Sünder herrscht, der metaßnoia praktiziert. Damit gewinnt das Alltagsleben eine armen Frau theologische Relevanz. (#.2.1) Die Frau sucht unermüdlich ihre verlorene Drachme, da sie für ihre Existenz sorgen muss. Damit kommt in der Erzählung zunächst der autoreferentieller Aspekt des Umgangs mit materiellen Gütern in den Blick. Als sie das Geldstück gefunden hat, bleibt sie nicht auf sich zentriert, sondern bezieht ihre Freundinnen und Nachbarinnen in ihre Freude mit ein. Die autoreferentielle Sicherung ihres Lebensunterhalts bekommt also eine soziale Dimension. Die Erzählung schweigt darüber, welchen Ausdruck die gemeinsame Freude der Frauen gefunden hat. Man kann sich ein Fest mit gemeinsamem Singen, Tanzen etc. vorstellen, zudem jede das mitbringt, was sie hat. 312 (#.2.2) Die Erzählung reflektiert keine ethischen Leitlinien zum Umgang mit materiellen Gütern. (#.2.3) Eine theologische Deutung erfährt in der Erzählung die soziale Dimension des Verhaltens der Frau. Die mit den Freundinnen und Nachbarsfrauen geteilte Freude wird transparent für die Freude, die bei den Engeln Gottes über einen Sünder herrscht, der metaßnoia vollzieht. Dies ist auf der Erzählebene des Lk nicht zuletzt ein Appell an die murrenden Pharisäer, sich darüber mitzufreuen, dass Sünder durch Jesus zu Gott finden. 313 (#.3) Die Erzählung thematisiert das Handeln Gottes bzw. Jesu an reichen oder armen Menschen nicht. 310 Vgl. Merz, Last und Freude, 612. 311 Vgl. Merz, ebd. 312 Vgl. Schottroff, Gleichnisse, 201f. 313 Vgl. Merz, Last und Freude, 616. <?page no="128"?> 128 13 Lk 15,11-32: Der Vater und seine beiden Söhne Kontext und Abgrenzung. Das Gleichnis vom Vater und den beiden Söhnen schließt die Gleichnistrilogie vom Verlorenen in Lk 15 ab. Die beiden vorangehenden Gleichnisse schließen jeweils mit einer durch leßgv uÖmiqn eingeleiteten Applikation ab (15,7.10), so dass die Erzählung 15,11-32 klar nach oben abgegrenzt ist. Auf sie folgt nach einem Adressatenwechsel zu den Jüngern die Erzählung vom klugen Verwalter 16,1-7. Struktur. Die Erzählung 15,11-32 lässt sich folgendermaßen gliedern: v. 11: Exposition: aänjrvpoßw tiw eiQxen dußo uiÖoußw. v. 12-24: Hauptteil I: Der jüngere Sohn und der Vater: v. 12-13a: Bitte des jüngeren Sohnes um Zuteilung des Erbteils, Verteilung des Erbes und Aufbruch des Sohnes. v. 13b-16: „Verprassen“ des Erbteils, Darben in der Hungersnot. v. 17-19: Entschluss zur Buße und zur Rückkehr zum Vater (innerer Monolog). v. 20f.: Rückkehr zum Vater und Sündenbekenntnis. v. 22f.: Festliche Wiederaufnahme durch den Vater. v. 24a: Proklamation des Vaters: nekro? w hQn kai? aöneßzhsen, hQn aöpolvlv? w kai? euÖreßjh. v. 24b: Beginn der Feier. v. 25-32: Hauptteil II: Der ältere Sohn und der Vater: v. 25-27: Hinzukommen des älteren Sohnes und Information über das Fest zur Rückkehr des jüngeren Bruders. v. 28: Reaktion des älteren Bruders: Zorn; Bitte des Vaters. v. 29-32: Dialog zwischen Vater und älterem Sohn: v. 29f.: Sohn: - Betonung der Loyalität gegenüber dem Vater. - Hinweis auf ungerechte Behandlung im Vergleich zum jüngeren Bruder. v. 31f.: Vater: - Hinweis auf gleichberechtigte Verfügungsgewalt über den Besitz. - Aufforderung zum Fröhlichsein. - Proklamation: nekro? w hQn kai? aöneßzhsen, hQn aöpolvlv? w kai? euÖreßjh. 13.1 Redaktionskritik Lukanische Redaktion wird für Lk 15,11-32 mit verschiedenen Modifizierungen vertreten. So werden der innere Monolog v. 18f., die deutenden v. 24.32, der zweite Teil des Gleichnisses v. 25-32 oder auch das Gleichnis als Ganzes auf Lukas zurückgeführt. 314 In der 314 Bovon ist der Ansicht, v. 24.32 stammten von Lukas, der damit die thematische Einheit von Kap. 15 betone und einen Interpretationsschlüssel liefere (vgl. ders., EKK III/ 3, 53). Für eine nachträgliche Hinzufügung von v. 25-32 in der Sondergutüberlieferung plädiert Klein (vgl. ders., Barmherzigkeit, 52-54; ders., Lukasevangelium, 528), Lk schreibt er v. 24b.32b zu (ebd.). Sanders dagegen schrieb die v. 25-32 tatsächlich Lukas zu und begründete dies mit drei Hauptargumenten: sprachlich mit dem Vorkommen zehn lukanischer Stileigenheiten in v. 25-32, die im ersten Teil nicht begegneten, juristisch mit dem s.E. unauflöslichen Rechtsgegensatz zwischen v. 12 und v. 31 und hermeneutisch mit der Allegorisierung der Parabel in v. 25-32. Problematisch an seiner Methode ist, dass er Vokabeln bzw. grammatische Strukturen allein aufgrund ihrer relativen Häufigkeit in Lk/ Apg gegenüber dem übrigen NT zu Lukanismen erklärte (vgl. ders., Tra- <?page no="129"?> 129 neueren exegetischen Diskussion werden die weitgehendsten literarkritischen Entscheidungen von Heininger und in der Folge durch von Bendemann vertreten, die v. 18f.24.25-32 Red Lk zurechnen; wobei Heininger noch weiter geht und auch v. 21 Red Lk zuweist. 315 Anlass für Heininger, die Einheitlichkeit des Textes in Frage zu stellen, sind für ihn erstens der innere Monolog 316 in v. 17-19 und zweitens die - im Verhältnis zu vergleichbaren Gleichniserzählungen - sehr umfangreiche Textmenge. Seiner These liegt folgende Argumentation zugrunde: Das Sündenbekenntnis - in v. 18b.19a und v. 21 markant wiederholt - sei von dem Entschluss nach Hause zurückzukehren (v. 18a) und dessen Realisierung (v. 20a) gerahmt; da Lukas eine Vorliebe für den Monolog habe, habe er aus der folgenden Erzählung, einem im Ansatz bereits vorhandenen Monolog (v. 17), das Motiv von der Rückkehr des Sohnes (aus v. 20a in v. 18a) und das Sündenbekenntnis (aus v. 21 in v. 18b.19) eingefügt. 317 Die Erzählung wirke ohne das zweimalige Sündenbekenntnis des Sohnes geschlossener. 318 Die v. 24ab.32 fallen nach Heininger aus dem Erzählduktus heraus, da dieser nicht das „Finden“ des jüngeren Sohnes impliziere, wohingegen dieses Motiv sich bestens in die - von Lukas komponierte - Gleichnistrilogie in Lk 15 einfüge (ebenso wie xarhqnai in v. 32a). Als stärkstes Argument gilt Heininger jedoch die in den v. 12.22-24.31 widersprüchliche juristische Situation: Die Verfügungsgewalt des Vaters (v. 22-24.31) widerspreche der Teilung des Vermögens (v. 12). Heininger geht davon aus, dass sich die juristischen Fakten nicht harmonisieren lassen, und sieht das Problem in erster Linie in v. 31, den er deshalb zunächst hypothetisch aus der Erzählung eliminiert. 319 Da weder v. 29 noch v. 30 (für v. 32 geht Heininger von Red Lk aus, s.o.) einen befriedigenden Erzählschluss bilden, bleibe - wolle man die juristischen Widersprüchlichkeiten nicht ignorieren - nur die Lösung, die v. 25-32 späterer Redaktion zuzuweisen und davon auszugehen, dass das ursprüngliche Gleichnis mit der Notiz von der Festfreude in v. 24c geendet habe. 320 Die sich daraus ergebende Problematik, dass der ältere Sohn in der Erzählung dann nicht mehr vorkommt, obwohl er in v. 11f. zusammen mit dem jüngeren eingeführt wird, löst Heininger, indem er diese „erzählerische Nullstelle“ 321 als Anlass für die lukanische Komposition in v. 25-32 darstellt. dition, 433-438). Seine Argumentation wurde 1971 von Jeremias widerlegt (vgl. ders., Tradition, 172ff.). - Die früher u.a. von Schottroff (vgl. dies., Sohn, 51f.) vertretene These, das Gleichnis gehe insgesamt auf Lukas zurück, wird kaum mehr vertreten und auch sie selbst ist heute vorsichtiger in der Annahme, einzelne Personen als „Autoren“ von Texten anzusehen (vgl. dies., Gleichnisse, 188 Anm. 43). - Für die Einheitlichkeit des Gleichnisses und nur stilistische lukanische Bearbeitung sprechen sich dagegen Jeremias (Tradition, 173ff.), Fitzmyer (Luke II, 1085) und Rau (ders., Auseinandersetzung, 5-29) aus. 315 Heininger, Sondergutgleichnisse, 146ff.; von Bendemann, DOCA , 429. 316 Ebenso nimmt Heininger für den inneren Monolog in Lk 12,17-19 Red Lk an (vgl. Heininger, Sondergutgleichnisse, 113). 317 Vgl. Heininger, Sondergutgleichnisse, 147; so auch von Bendemann, DOCA , 429. 318 Vgl. Heininger, Sondergutgleichnisse, 149. 319 Nach Schottroff ist es durchaus möglich, die juristischen Angaben des Textes in einem schlüssigen Gesamtkonzept zu vereinbaren (die in der Erzählung vorausgesetzte Eigentumssituation kann sinnvoll „als Beteiligung der Söhne an der Verfügungsmacht des Vaters auf guten Glauben hin“ verstanden werden: die Besitzaufteilung in 15,12 ist so zu deuten, dass der Rest des Besitzes späteres Erbteil des älteren Sohnes ist; 15,31 setzt voraus, dass auch der ältere Sohn Verfügungsgewalt über den Besitz hatte), doch betont sie zugleich, dass der Text bestimmte Details aus Desinteresse an den Besitzverhältnissen verschweigt (Schottroff, Gleichnisse, 185). 320 Vgl. Heininger, Sondergutgleichnisse, 149. 321 Heininger, Sondergutgleichnisse, 152. <?page no="130"?> 130 Wie ist die These Heiningers zu beurteilen? Sie wäre nur dann haltbar, wenn sich in den Passagen, die er auf Red Lk zurückführt, keine vorbzw. unlukanischen Sprachmerkmale nachweisen ließen. Diese finden sich jedoch: Die Untersuchung von v. 18b.19a. 21 zeigt, dass die These, dass beide Wiederholungen von Lk stammen, der sprachlichen Analyse nicht standhält: 322 Die Wendung aÖmartaßnein eiöw findet sich im NT nur neunmal - im lukanischen Doppelwerk außer in 15,18.21 noch in 17,4 (Q) und in Apg 25,8. Dieser Befund allein lässt sich weder für noch gegen lukanische Komposition auswerten. V. 21b ( ouökeßti […] sou ) liefert keine Indizien, weder für Tradition noch für Red Lk . 323 Die Formulierung allerdings ist eine Paraphrase des Sündenbekenntnisses des Pharao vor Moses und Aaron, „ hÖmaßrthka eönantißon kurißou touq jeouq uÖmvqn kai? eiöw uÖmaqw “ , aus Ex 10,16 LXX. Dies kann sowohl ein Indiz dafür sein, dass der Halbvers in jüdischem Kontext geprägt wurde 324 , als auch dafür, dass Lukas sich stark an die LXX anlehnt. Der Gebrauch von ouöranoßw jedenfalls ist eine semitische Ausdrucksform 325 und mit hoher Wahrscheinlichkeit traditionell, da Lukas von sich aus nicht ouöranoßw / ouöranoiß als Umschreibung für Gott bzw. die Sphäre Gottes verwendet. Bleibt die Frage, ob v. 18b.19 ganz oder teilweise von Lukas stammen. Von Bendemann 326 schlägt vor, dass Lukas v. 18b.19 im Anschluss an v. 21 formuliert habe. Die Analyse vorbzw. unlukanischer und lukanischer Sprachmerkmale kann diese These nur bezüglich v. 19b, des Schlussteils des inneren Monologes, der in v. 21 nicht mehr ausgesprochen wird, überprüfen; doch sind die auswertbaren Indizien spärlich: Die Konstruktion poieiqn tina vÖw ist unklassisch 327 und begegnet im NT nur hier; üblicherweise steht poieiqn im Sinne von „jemanden zu etwas machen“ mit doppeltem Akkusativ. Die hier vorliegende Wendung mit vÖw wird von Carlston und Pöhlmann als semitisierend eingeschätzt, 328 doch werten beide diesen Befund unterschiedlich aus: Carlston ordnet den Semitismus als lukanisches Sprachcharakteristikum ein, Pöhlmann als vorlukanische Tradition. Da sich im lukanischen Doppelwerk die Konstruktion mit doppeltem Akkusativ nicht findet, gibt es keinen Hinweis darauf, welche Konstruktion Lukas bevorzugt haben könnte. Indefinites eiWw ( mißa, eÄn ) wie in v. 19 ( eÄna tvqn misjißvn ) ist nach Jeremias aramaisierender Sprachgebrauch, den Lukas an zahlreichen Stellen, die er aus Mk übernommen hat, durch tiw / tinew , aönhßr oder touqto ersetzt 329 und einmal (Lk 20,3 diff. Mk 11,29) sogar 322 Heininger zeigt in seiner Analyse diesbezüglich selbst ausgeprägtes Problembewusstsein (vgl. Heininger, Sondergutgleichnisse, 148 Anm. 6). 323 Pöhlmanns Argumentation, dass ouökeßti ohne Negation sehr selten sei, und für aäciow mit Infinitiv - trotz häufigen Gebrauchs im klassischen Griechisch - nach Apg 13,25 (durch Joh 1,27 als Überlieferungsvariante zu Mk 1,7 erwiesen); Offb 4,11; 5,2.4.9.12 semitischer Hintergrund anzunehmen sei, überzeugt an dieser Stelle nicht (vgl. Pöhlmann, Abschichtung, 176f., insb. Anm. 235f.). 324 Vgl. auch Schottroff, Gleichnisse, 181 Anm. 17. 325 Lukas übernimmt die Umschreibung dreimal von Mk (Lk 18,22 par Mk 10,21; Lk 20,4 par Mk 11,30; Lk 20,5 par Mk 11,31), verwendet sie jedoch weder in Lk noch in der Apg von sich aus. Im Nicht-Markusstoff des Lk finden sich sieben Belege, drei davon besitzen Parallelen in Mt (Lk 6,23 par Mt 5,12; 11,16 par Mt 16,1; 12,33 par Mt 6,20; mit einiger Wahrscheinlichkeit sind deshalb auch die Belege in 10,20; 15,7.18.21 vorlukanisch. - Vgl. dazu Carlston, Reminiscence, 380; Jeremias, Sprache, 139.177.183.251. 326 Vgl. von Bendemann, DOCA , 429. 327 Vgl. Blass/ Debrunner, Grammatik, § 453,7. 328 Vgl. Carlston, Reminiscence, 371; Pöhlmann, Abschichtung, 177, insb. Anm. 240. 329 Ersetzung durch tißw : Lk 9,8.19; 18,18; 21,2 diff. Mk 6,15; 8,28; 10,17; 12,42; vgl. auch Lk 10,25 diff. Mk 12,28; Lk 22,56 diff. Mk 14,66); tinew : Lk 21,5 diff. Mk 13,1; aönhßr : Lk 8,41; 9,38 diff. Mk 5,22; 9,17); touqto : Lk 9,48 diff. Mk 9,37. - Von sich aus schreibt Lukas indefinites eiWw, mißa, eÄn nur in redaktionellen Orts- oder Zeitangaben in der fes- <?page no="131"?> 131 streicht. 330 Dass v. 19b aller Wahrscheinlichkeit nach vorlukanisch ist, spricht gegen die Hypothese, dass Lukas v. 18b.19 im Anschluss an v. 21 formuliert haben könnte. 331 Der zweite relevante Punkt, für den lukanische Komposition diskutiert wird, sind die v. 24.32. Nach Jeremias ist hQn aöpolvlvßw redaktionell. Die periphrastische Konjugation im Perfekt ( eiQnai + artikelloses Partizip Perfekt) ist im lukanischen Doppelwerk im Vergleich zu Mk und Mt relativ häufig. Dass Lukas zudem diese Perfektkonstruktion achtmal in den Markusstoff einfügte, legt nahe, dass sie auch hier von ihm stammt. 332 Hat Lukas hier eine traditionelle Aussage stilistisch bearbeitet oder ist v. 24 und damit auch v. 32bc originär auf ihn zurückzuführen? Dafür, dass hier redaktionelle Bearbeitung vorlukanischer Überlieferung vorliegt, spricht der doppelte antithetische Parallelismus tot - lebendig/ verloren - gefunden, den Lukas zu meiden scheint. 333 Bovon betont die über die Erzählebene hinausreichende religiöse 334 Dimension von v. 24.32. Er verweist auf die Schlüsselbegriffe „tot sein - leben“, „verloren sein - gefunden werden“, mit denen Lukas auf 15,3-7 zurückverweist und einen hermeneutischen Schlüssel für Kapitel 15 gibt (vgl. 15,7.10); 335 zudem böten die v. 24.32 eine verdichtende Zusammenfassung des Gleichnisses - den Übergang vom Tod zum Leben. In 15,11-23 finden sich zwei Motive, die Lukas kaum aus der Septuaginta übernommen hat: das Schweinehüten als Zeichen menschlicher Erniedrigung und die Verwendung von Johannisbrotbaumschoten als Nahrungsmittel. 336 Das Verb eöpijumeiqn mit Infinitiv (v. 16) begegnet in den Evangelien außer in Mt 13,17 nur im Nicht-Markusstoff des Lk (viermal) 337 ; Lukas konstruiert von sich aus mit Genitiv (Apg 20,33). 338 ten Wendung eön miaq # tvqn (Lk 5,12.17; 8,22; 13,10; 20,1). - Vgl. Jeremias, Tradition, 176f.; ders., Sprache, 208.251. 330 Allerdings verwendet Lukas in der Apg zweimal (Apg 11,28; 23,17) indefinites eiWw ( mißa, eÄn ). 331 Die sprachliche Analyse kann nur Kriterien dafür liefern, ob die fraglichen v. 18b.19ab.21 von Lukas stammen. Ob sie möglicherweise vorlukanisch, aber sekundär zur Erzählung in der Überlieferungsphase des Sonderguts hinzugefügt wurden, muss die inhaltliche Analyse klären. Vgl. Carlston, Reminiscence, 383: „Linguistic analysis, however, cannot show whether a parable transcribed by Luke but not created by him arose as a unit or whether it arose in two pre-Lucan stages. Only a careful study of the content itself can decide this question“. 332 Vgl. Jeremias, Sprache, 24.252. 333 Jeremias, Tradition, 178; ders., Sprache, 252; Pöhlmann, Sohn, 79. - Die Annahme von Jeremias, der doppelte antithetische Parallelismus sei traditionell, ist überzeugend (vgl. Jeremias, Sprache, 61f.): Die Konstruktion begegnet 138mal in Jesuslogien, in allen Überlieferungsschichten (Mk 30, Q 34, S Mt 44, S Lk 30). Lukas ist ihr gegenüber zurückhaltend, er fand sie in seinem Markus-Stoff 20mal, übernahm sie 13mal (Mk 2,19f.22; 4,4-8.11.15-20.21.25; 8,35; 10,18f.31; 11,17 cit.; 12,44; 13,31 und „zerstörte“ sie siebenmal (Mk 2,27; 3,33f.; 4,31f.; 10,27; 13,11.20; 14,38). Dass Lukas von sich aus einen antithetischen Parallelismus setzte, ist an keiner Stelle nachweisbar. - Carlston weist jedoch darauf hin, dass dieses Argument nicht überstrapaziert werden sollte, da Lukas eben nicht alle antithetischen Parallelismen gestrichen habe (Carlston, Reminiscence, 377). 334 Dagegen vertritt Rengstorf die Ansicht, dass v. 24.32 traditionell seien und juristisch bzw. ethisch zu verstehen seien: Das Weggehen des Sohnes sei Teil eines Ritus gewesen, der bekräftigt habe, dass der Sohn von nun von der Familie getrennt, für sie verloren, ja tot sei; die v. 24.32 schildern nach Rengstorf juristisch präzise die offizielle Reinvestitur (vgl. ders., Re-Investitur, 24). 335 Lukas könnte an das Stichwort aöpvlvloßw aus v. 6.9 angeknüpft haben oder die Gleichnisse aufgrund der Stichwortverbindung zusammengestellt haben. 336 Vgl. Dalman, Jesus-Jeshua, 230f.; Carlston, Reminiscence, 379. 337 In Lk 15,16; 16,21; 17,22; 22,15. 338 Vgl. Jeremias, Tradition, 176; ders., Sprache, 250; Carlston, Reminiscence, 381. <?page no="132"?> 132 Welche sprachlichen Indizien im Schlussabschnitt des Gleichnisses v. 25-32a legen lukanische Bearbeitung bzw. vor- oder unlukanischen Sprachgebrauch nahe? Das einzige Indiz für Red Lk in v. 25-32a ist die Phrase eöpunjaßneto tiß aün eiäh tauqta (v. 26). 339 Dafür, dass die Wendung Red Lk ist, spricht, dass Lukas sie auch in 18,36 in Markusstoff eingetragen hat, sich punjaßnomai neunmal im lukanischen Doppelwerk gegenüber sieben Vorkommen im übrigen NT findet, 340 der Optativus potentialis mit aün ausschließlich in Lk/ Apg begegnet. 341 Unbzw. vorlukanische Elemente finden sich dagegen gehäuft - Semitismen und zwar solche, die nicht auf die LXX zurückgehen, 342 und andere, die sich aufgrund der Analyse der Quellen des Lk als unlukanisch erweisen, 343 und für Lk uncharakteristische griechische Ausdrücke. 344 Das „überflüssige“ ouWtow in v. 24.30.32 ist ein Aramaismus, der kein Beweis, aber ein weiteres Indiz dafür ist, dass Lukas hier Tradition übernommen hat. Unlukanische griechische Ausdrücke, die auf Tradition schließen lassen, sind oÄti (v. 27) zur Einleitung eines Zitats 345 , der Dativ nach Verben des Sprechens (v. 27.29.31; vgl. v. 12.18.21) 346 , das unbestimmte eiWw, mißa, eÄn (v. 26; vgl. v. 15.19) und mit großer Wahrscheinlichkeit auch das vorangestellte Possessivpronomen sou to? n bißon (v. 30). 347 Fazit: Insgesamt ergibt die sprachliche Analyse, dass die Perikope erstens überdurchschnittlich viele Abweichungen vom lukanischen Sprachgebrauch aufweist, zweitens diese Besonderheiten gleich stark auf beide Teile der Erzählung verteilt sind und schließlich drittens die sprachlichen Auffälligkeiten eher auf vorbzw. unlukanischen Sprachgebrauch hindeuten als auf lukanische Redaktion. Die Schlussfolgerung, dass mit 15,11-32 ein von Lukas redaktionell bearbeitetes Traditionsstück vorliegt, ist deshalb die wahrscheinlichste. 339 Sanders hat zehn angeblich lukanische Spracheigenheiten in 15,15-29 (nämlich v. 25: vÖw temporis; aägrow sing.; eöggißzv ; v. 26: eiäh Optativ in indirekter Frage; v. 27.29.31: oÖ de eiQpen ; v. 27.30: jußv ; v. 27: aöpolambaßnv ; v. 28: de? kaiß ; v. 29: pareßrxomai nachzuweisen versucht; seine Argumentation weist allerdings den methodischen Fehler auf, dass er Vokabeln/ Wendungen bereits dann als Lukanismen klassifiziert, wenn sie in Lk bzw. dem Doppelwerk häufiger als im übrigen NT vorkommen (vgl. Sanders, Tradition; zur Widerlegung seiner These vgl. Jeremias, Tradition, 172-174). 340 Übriges NT: Mt 2,4; Joh 4,52; Lk 15,26; 18,36 (Zufügung zu Mk 10,47); Apg 4,7; 10,18.29; 21,33; 23,19.20.34. - Vgl. Jeremias, Tradition, 172; ders., Sprache, 253. 341 Der Optativ findet sich in den Evangelien sonst einmal in Mk, 28mal in Lk/ Apg, 31mal bei Pls und siebenmal im übrigen NT (vgl. Jeremias, Sprache, 48). 342 „One must either, therefore, understand Luke as acquainted at first-hand with Jewish life and thought - a conclusion that practically all current Lucan research in varying degrees rejects - or see in this material the deposit of pre-Lucan tradition.“ (Carlston, Reminiscence, 379). 343 „Linguistically, these words are exactly analogous to those ordinary Greek words which Luke had read (or heard) and understood but for personal reasons did not regularly use in his own writing. Every author amply illustrates this phenomenon, and proper stylistic analysis requires that an author's actual habits, not the content of his reading vocabulary, be given pride of place in characterizing his style“ (Carlston, Reminiscence, 380). 344 Mit dieser Differenzierung arbeitet auch Carlston (vgl. Carlston, Reminiscence, 378ff.). 345 Vgl. Cadbury, Style, 139f. 346 Lukas setzt nach Verben des Sprechens proßw. - Vgl. Jeremias, Tradition, 178.181; ders., Sprache, 30; Carlston, Reminiscence, 381f. 347 Carlston merkt an, dass die ungewöhnliche Stellung auch eine Betonung auf das Geld des Vaters legen könnte (Carlston, Reminiscence, 382). Vgl. auch Cadbury, Style, 153; Jeremias, Tradition, 179; ders., Sprache, 251.253 (s. oben S. 121 zu 14,33). <?page no="133"?> 133 13.2 Theologisch-inhaltliche Analyse (#.1.1) Schlüsselbegriffe aus dem Wortfeld „arm-reich“ finden sich in 15,11-32 nicht. Gleichwohl sind Reichtum wie auch Armut im Text implizit Thema: Am Hof des Vaters, eines freien Bauern, herrscht relativer Wohlstand, 348 er bietet genug Güter ( bißow , v. 12), die der Vater aufteilen kann, Sklaven (v. 22.26) und Tagelöhner werden beschäftigt (v. 17.19) und letztere, eigentlich arme Menschen, haben am väterlichen Hof Nahrung im Überfluss (v. 17). Das feine Gewand und der Ring 349 , die der Vater für den heimgekommenen jüngeren Sohn bereit hält (v. 22), sind ebenso Indizien für seinen Reichtum. Die existentielle Not, in die der jüngere Sohn gerät, ist durch den Mangel an überlebensnotwendiger Nahrung charakterisiert: 350 Eine starke Hungersnot ( limo? w iösxuraß , v. 14) kommt auf, und er kann sich nicht einmal von Schweinefutter ernähren, obgleich er selbst dazu schon bereit wäre (v. 16), sondern droht am Hunger zu sterben ( limvq q q # vWde aöpoßllumai , v. 17). Zudem treibt die Not den jüngeren Sohn dazu, dass er sich als Klient an einen wohlhabenden Bürger hängt 351 (v. 15) und bei ihm die verachtete und für einen Juden darüber hinaus religiös verunreinigende Arbeit eines Schweinehirten 352 anzunehmen bereit ist (v. 15). - Das Motiv, dass jemand sich in Not von minderwertiger Nahrung zu sättigen begehrt, findet sich in derselben semantischen Gestalt, eöpijumeiqn xortasjhqnai , auch in 16,21. 353 Lebensbedrohende Armut und annehmlicher Wohlstand werden im Text deutlich kontrastiert: Der jüngere Sohn selbst vergleicht seine Armut mit dem Wohlstand am väterlichen Hof - selbst die „Ärmsten“ dort, die Tagelöhner, haben im Gegensatz zu ihm Brot im Überfluss (v. 17). Die Dramatik existentieller Armut, die Bedrohung durch den Hungertod, führt der Text ungeschönt vor Augen. Die Beziehung zwischen den Sklaven und Tagelöhnern, die in ihrem Abhängigkeitsverhältnis struktureller Armut unterworfen sind, und den Herren am Hof (Vater, älterer Sohn) stellt sich in der Erzählung weitgehend im Rahmen des üblichen Schemas von Gehorchen und Befehlen dar. An zwei Punkten schert die erzählte Situation aus dem Rahmen dieses Beziehungsmusters aus: Erstens werden die Tagelöhner am Hof überaus gut versorgt ( perisseußontai aärtvn , v. 17); zweitens herrscht 348 Vgl. Stegemann/ Stegemann, Sozialgeschichte, 125. 349 Der Ring ist in erster Linie ein Machtsymbol (vgl. insb. Gen 41,42); es dürfte sich um einen Siegelring handeln, der dem jüngeren Sohn Verfügungsgewalt über den väterlichen Besitz verleiht (s.u.). 350 So auch in Lk 3,11; 4,25f.; 16,21. 351 Schottroff hält für wahrscheinlich, dass die Abhängigkeit, die er eingeht, am ehesten als Patron-Klient-Verhältnis zu beschreiben sein dürfte (Schottroff, Gleichnisse, 181 Anm. 12); sie verweist auf Friedländer, Darstellungen, Bd. 1, Kap. 3 IV §5 und Marquardt, Privatleben I, 200f. 352 Zur Unreinheit des Schweines vgl. Lev 11,7; Dtn 14,8; 1 Makk 1,47. 353 Diskutiert wird, ob in 15,16 eine nachträgliche Angleichung der anstößigen, derberen Formulierung gemiqsai th? n koilißan auötouq an 16,21 erfolgte (so z.B. Bovon, EKK III/ 3, 41). <?page no="134"?> 134 zwischen „Herren und Sklaven“ ein so gutes Verhältnis, dass der Vater die Sklaven einlädt, mitzufeiern ( euöfranjvqmen , v. 23). Den Wohlstand am väterlichen Hof sowie die patriarchale Ordnung, die Beschäftigung von Sklaven und Tagelöhnern setzt die Erzählung voraus; Faktoren oder Ursachen dafür sind in der Erzählung kein Thema. Kritik an den Strukturen wird - zumindest explizit - nicht geübt. Die Armut des jüngeren Sohnes wird in erster Linie auf dessen ausschweifende Lebensweise ( zvqn aösvßtvw, v. 13) nach dem Verlassen des väterlichen Hofes zurückgeführt. Die Hungersnot kommt verschärfend erst hinzu, als er bereits all sein Hab und Gut verbraucht hat ( dapanhßsantow de? auötouq paßnta eögeßneto limoßw , v. 14). (#.1.2) Armut und Reichtum erfahren in der Gleichniserzählung keine theologische Deutung. (#.2.1) In der Perikope finden sich drei ökonomische Handlungsstränge der Hauptakteure: die des Vaters und seiner beiden Söhne. Vater: Das ökonomische Handeln des Vaters ist in der Perikope auf seine Söhne bezogen. Durch die gesamte Erzählung hindurch ist und bleibt er es, der über die Güter des Hofes verfügt und bestimmt, in welcher Weise er seine Söhne daran partizipieren lässt. Der Vater kommt der Forderung des jüngeren Sohnes nach und verteilt die Güter des Hofes unter beide Söhne ( dieiqlen auötoiqw to? n bißon, v. 12b). Diese Aussage steht in einer gewissen Spannung zur weiteren Erzählung. 354 Sie legt nämlich nahe, dass der jüngere Sohn sein Erbteil erhält - mit einem Ausdruck aus dem germanischen Recht „abgeschichtet“ wird - und der ältere Sohn ebenso bereits über sein Erbteil verfügen konnte. V. 22ff. impliziert dagegen, dass der ältere Sohn noch nicht die vollen Eigentumsrechte innehat: Der Vater kann offensichtlich ohne Rücksprache mit seinem älteren Sohn den jüngeren wieder in die „Sohnesrechte“ einsetzen (v. 22f.) und verfügt über die zum Hof gehörigen Tiere ( eömoi? ouödeßpote eädvkaw eärifon, v. 29); alle Güter des Hofes gehören zwar seinem Älteren mit, unter ihnen besteht Gütergemeinschaft ( paßnta ta? eöma? saß eöstißn , v. 31), doch hat der Vater die Verfügungsgewalt und ist noch Eigentümer. 354 Daube hat die juristische Inkonzinnität der Erzählung stark hervorgehoben (vgl. ders., Inheritance, 334); doch lassen sich die juristischen Gegebenheiten unter der Vorannahme, dass das Hauptaugenmerk der Erzählung nicht auf ihnen liegt (ähnlich auch Pokorný, Theologie, 160ff., der betont, dass trotz des Gebrauchs juristischer termini technici, die wohl aus der Vorlage stammten, die juristische Seite bewusst relativiert werde), und deshalb einige Details verschwiegen werden, plausibel vereinbaren: V. 22 und v. 31 verweisen darauf, dass dem Vater alles gehört; die Teilung des Vermögens in v. 12 sei als Bestimmung der Erbteile zu deuten. Der Vater hat also den jüngeren Sohn ausbezahlt und behält weiter die Nutznießungsrechte, d.h. Verkauf o.ä. ist erst nach seinem Tod möglich. <?page no="135"?> 135 Nach der Heimkehr des jüngeren Sohnes setzt der Vater diesen - seinem Schuldbekenntnis ( ouökeßti eiömi? aäciow klhjhqnai uiÖoßw sou, v. 19.21) entgegen - wieder in die Sohnesrechte, d.h. Eigentums- und Entscheidungsrechte, ein. Problematisch daran ist, dass der Vater dem jüngeren Sohn, der sein Erbteil eigentlich bereits erhalten und somit sämtliche weiteren Rechte verwirkt hat, wieder Verfügungsrechte über die Güter des Hofes gibt. Das Anstecken des Ringes ( doßte daktußlion eiöw th? n xeißra, v. 22), ist ein Zeichen für die Übertragung von Macht: Es handelt sich wohl um einen Siegelring, der dem Sohn erlaubt, an Stelle seines Vaters zu agieren und zu befehlen. 355 Dass der liebende Vater aus Anlass der Rückkehr seines Sohnes ein Fest ausrichtet (v. 22.23), ist Zeichen seiner Freigebigkeit. 356 Hier findet sich das Motiv, dass der Genuss materieller Güter mit Freude verbunden ist ( feßrete to? n moßsxon to? n sißteuon, jußsate, kai? faßgontew euöfranjvqmen, v. 23; härcanto euöfraißnesjai , v. 24; euöfranjhqnai kai? xarhßnai eädei , v. 32). Der Vater wird ansonsten als ein sparsamer und strikter Verwalter der Güter des Hofes (v. 29c) dargestellt, was den autoreferentiellen Aspekt seines Umgangs mit materiellen Gütern fokussiert. Jüngerer Sohn: Beim Umgang des jüngeren Sohnes mit materiellen Gütern ist die autoreferentielle Dimension bestimmend: Zunächst begehrt und verbraucht er diese für sich (v. 12-14), dann benötigt er sie, um sein Überleben zu sichern - dieses Ziel bestimmt seine weiteren ökonomischen Aktivitäten. Im Erzählduktus stellt sich der Handlungsstrang des jüngeren Sohnes folgendermaßen dar: Er fordert von seinem Vater, ihm sein Erbteil, to? eöpißballon meßrow, 357 vorzeitig auszuhändigen; dieser rechtliche Vorgang (im germanischen Recht „Abschichtung“ 358 ) ist im jüdisch-hellenistischen Kontext als bekannt vorauszusetzen (vgl. Sir 33,20-24; Tob 8,21). Die Erzählung geht davon aus, dass der jüngere Sohn den ihm zugeteilten Besitz vor seiner Abreise verkauft bzw. der Vater oder der ältere Sohn von ihrem Erstkaufsrecht Gebrauch machen; 359 tatsächlich erwähnt wird nur, dass er „alles zusammengesammelt“ hat ( sunagagv? n paßnta , v. 13). Danach verschleudert er seine Habe, indem er einen ausschweifenden Lebensstil führt ( dieskoßrpisen th? n ouösißan auötouq zvqn aösvßtvw , v. 13). 360 Aus der Not heraus, in die er gera- 355 Vgl. Gen 38,18.25; 41,42; Est 3,10; 8,2; 1 Makk 6,15. - Zum Siegelring vgl. Fitzer, Art. sfragißw , 940-942. 356 Ein gemästeter Ochse ist Luxus - vgl. Spr 16,17. 357 Nach Dtn 21,17 erhält der erstgeborene Sohn gegenüber den nachgeborenen den doppelten Anteil. 358 Vgl. Daube, Inheritance; vgl. auch Pöhlmann, Abschichtung, 195 u.ö. - Der Terminus to? eöpißballon meßrow ist terminus technicus für den auf eine Person entfallenden Anteil an Besitzbzw. Eigentumsrechten, wie Pöhlmann anhand von Papyrusbefunden aufzeigt (vgl. Pöhlmann, Abschichtung, 204-208). 359 Vgl. Pöhlmann, Abschichtung, 203. 360 Obwohl die „Abschichtung“ „dem Sohn die sofortige Verfügung über den zugeteilten Besitz gewährte, befereite sie ihn nicht von der Pflicht, für die Eltern zu sorgen. Auch <?page no="136"?> 136 ten ist, verdingt er sich bei einem Bürger, der ihn als Schweinehirt beschäftigt ( eäpemyen […] boßskein xoißrouw , v. 15) - er nimmt die entehrende 361 Arbeit an. Doch selbst diese sichert ihm das Überleben nicht: Er strebt danach, sich mit Schweinefutter zu sättigen; doch nicht einmal dies wird ihm gewährt. Er unternimmt daraufhin einen zweiten Versuch - die beiden Anläufe sind in v. 15.18 jeweils durch das Verb poreußesjai markiert -, sein Leben zu retten und beschließt, sich bei seinem Vater als Tagelöhner zu verdingen ( poreußsomai prow to? n pateßra mou [ … ] kai? eörvq auötvq #: [ … ] poißesoßn me vÖw eÄna tvqn misjißvn auötouq, v. 18f.). Älterer Sohn: Der ältere Sohn arbeitet auf dem Feld (v. 25). Die Erzählung schweigt darüber, welche Art von Tätigkeit er dort versieht. Nahe liegt, dass er Aufseher, vielleicht auch Vorarbeiter 362 ist. Er ist erzürnt (v. 28), als er vom Fest aus Anlass der Wiederkehr seines Bruders hört. Was löst diesen Zorn aus? Ist es Neid - er wirft dem Vater vor, dass dieser ihm nie einen Bock zum Feiern gegeben habe, jetzt aber für seinen abtrünnigen jüngeren Sohn das Mastkalb schlachtet (v. 29.30)? Oder ist der eigentliche Grund der Protest gegen die Wiederaufnahme des Bruders, die gegen die Ordnung und Gerechtigkeit des Hauses verstößt? 363 - Auf der Erzählebene schwingt sicherlich beides mit. Entscheidend ist jedoch, dass Vater und (älterer) Sohn ein unterschiedliches Verständnis der „Hausordnung“ vertreten: Der Sohn ist der Ansicht, dass er aufgrund seines integren und dem Vater gegenüber loyalen Verhaltens von diesem mehr erhalten müsse als sein Bruder; der Vater dagegen behandelt beide Söhne mit derselben Vaterliebe. Die Einstellung des Vaters, euöfranjhqnai de? kai? xarhqnai eädei (v. 32), unterstreicht die Erzählung als die gültige „Hausordnung“. Festzuhalten ist, dass der ältere Sohn sich als ungerecht behandelt betrachtet und der Ansicht ist, nicht genug von den Gütern des Hofes zu bekommen (v. 29) - eine autoreferentielle Beziehung zu materiellen Gütern kommt hier zum Ausdruck. Im Urteil des Vaters ist diese Einstellung nicht gerechtfertigt: Er betont, dass der Sohn Anteil an allen Gütern des Hofes habe. (#.2.2) Der Text reflektiert traditionelle ethische Leitlinien für den Umgang mit materiellen Gütern nicht explizit. Implizit ist die Erzählung stark von der weisheitlichen Hausordnung geprägt, auf die in verschiedenen Varianten angespielt wird: Die Ordnung des Sammelns und Bewahrens „ist Gemeingut weisheitlichen Denkens […] Vater, Söhne, Besitz und Erbe sind die einleitenden Signale der Parabel. Sie reichen aus, um das ganze Haus als der abgeschichtete Sohn blieb also mit seinem Vermögen in der sozialen Verantwortung für das Wohl der Eltern“ (Pöhlmann, Abschichtung, 200). 361 Schottroff verweist darauf, dass die Arbeit als Schweinehirt in allen Gesellschaften als entehrend gegolten habe (vgl. Schottroff, Gleichnisse, 181; dies., Volk, 194-196). 362 Vgl. Pöhlmann, Sohn, 11. 363 So Pöhlmann, Sohn, 15. <?page no="137"?> 137 Einheit von Person und Gütern zu umschreiben“ 364 . Sie basiert darauf, dass die Güter des Hauses durch Weisheit und harte, vor allem landwirtschaftliche, Arbeit zu erhalten und zu vermehren sind. 365 Die Erzählung kontrastiert die unterschiedliche Einstellung der beiden Brüder zu diesem Ethos: Der ältere arbeitet auf dem Feld (v. 25), tut stetig seine Pflicht auf dem Hof, nicht einmal zu feiern ist ihm vergönnt (v. 29), und hat teil an allen Gütern des Hofes (v. 31); er verteidigt die Ordnung des Hauses vehement und verurteilt das Verhalten seines jüngeren Bruders (v. 30), der das Haus verlassen und damit zugleich Güter vom Hof abgezogen hat, zügellos gelebt und damit Hab und Gut verschwendet (v. 13) hat (v. 13-16). Der Vater steht patriarchalisch Haus und Hof vor und hält - ganz gemäß der weisheitlichen Ordnung - den Besitz strikt zusammen (vgl. 15,29c); an einigen Punkten weicht er jedoch vom klassischen weisheitlichen Ethos der Besitzstandswahrung ab: erstens mit der Abfindung des jüngeren Sohnes, die wohl rechtlich möglich, aber nicht üblich war, und von der Sir 33,20-24 abrät; zweitens mit der feierlichen Wiedereinsetzung des jüngeren Sohnes; drittens mit der freigebigen, fröhlichen Feier seiner Rückkehr. Der Vater steht so einerseits für die weisheitliche „Hausordnung“, doch lässt er Vaterliebe und Freigebigkeit an ihre Seite treten. (#.2.3) Das ökonomische Handeln des jüngeren Sohnes wird in der Erzählung theologisch gedeutet, in dem er eine Selbstbewertung seines Handelns ausspricht: Er deutet das Verprassen seiner Habe ( zvqn aösvßtvw , v. 13) als Sünde, sowohl gegen Gott und als auch gegen seinen Vater ( hÄmarton eiöw to? n ouöranoßn 366 kai? eönvßpioßn sou, v. 18.21). 367 Mit dem Verprassen der ihm anvertrauten Güter, hat er auch die Fähigkeit verloren, später für seinen alten Vater zu sorgen und so das Gebot der Elternliebe (vgl. Ex 20,12; Dtn 5,16) zu halten. (#.3) Das Handeln Gottes bzw. Jesu ist auf der Ebene der Erzählung nicht im Blick. 364 Pöhlmann, Sohn, 21. 365 Vgl. Spr 1,13; 3,9f.; 10,22; 13,11; 14,23; 15,27; 19,14; 20,4; 21,5.15.20; insb. 24,3f.; 24,17.30-34; 28,19; 31,10-31. - Das weisheitliche Ethos des Hauses stellt ausführlich Pöhlmann dar (vgl. Pöhlmann, Sohn, 49-70). 366 „Himmel“ ist im Judentum eine gängige Umschreibung für Gott (vgl. Dan 4,26; 1 Makk 3,18); nach Schottroff zeigt dies, dass dem Text die Ehrfurcht vor dem Namen Gottes wichtig sei (vgl. Schottroff, Gleichnisse, 181 Anm. 17). 367 Vgl. Lohfink, Exegese von Lk 15,18-21, 51f. <?page no="138"?> 138 13.3 Hermeneutische Reflexion Von einer vorschnell allegorisierenden Lektüre des Gleichnisses, die den Vater mit Gott und die beiden Söhne in der Folge mit religiösen Gruppen identifiziert, ist abzusehen. 368 Der ältere Sohn würde im Rahmen einer solchen Deutung die Pharisäer, bzw. ein Zerrbild dieser Gruppierung, repräsentieren. 369 Das Sündenbekenntnis des jüngeren Sohnes und die Einladung zur Freude durch den Vater bestimmen die Erzählung und geben Hinweise auf die Anwendung. Zunächst ist Lk 15,12-32 als fiktive Geschichte aus dem Leben der Menschen erzählt und enthält aus ihren Erfahrungen seine Logik. Die Erzählung spiegelt die reale Welt wider und liefert so Einsichten in sozialgeschichtliche Phänomene und Strukturen und darüber, wie der Text sie deutet. Sie versucht nicht, eine allegorisch eingekleidete Darstellung der Liebe Gottes zu geben. So ist der Vater ein Patriarch, der von Gott zu unterscheiden ist (s. auch die Unterscheidung in V. 17 und 20). 370 Welche Relevanz also besitzen die im Gleichnis geschilderten gesellschaftlichen Strukturen für das Verständnis des Gleichnisses? Die in 15,11-32 geschilderten realen Strukturen verdeutlichen teils Aussagen über das Reich Gottes (z.B. die Liebe des Vaters zu seinen beiden Söhnen, die im Rahmen einer patriarchalen Ordnung zwar denkbar, aber eher unüblich ist, und die Tatsache, dass die Tagelöhner am Hof des Vaters Brot im Überfluss haben). Doch ist die im Gleichnis geschilderte reale Welt wesentlich von Strukturen geprägt, die im Widerspruch zum Reich Gottes stehen und vor dem letzten Gericht Gottes nicht bestehen können (z.B. die Orientierung an Besitzstandswahrung und -vermehrung, Sklavenhaltung, Tagelöhnerei, Hungersnot). Hinweise auf die Textpragmatik gibt zunächst der Kontext des Gleichnisses: Lk 15,2 stellt das Gleichnis in Bezug zur Auseinandersetzung Jesu mit den Pharisäern und Schriftgelehrten über den Umgang mit Sündern. Die beiden vorangehenden Gleichnisse 15,3-7 (verlorenes Schaf) und 15,8-10 (verlorene Drachme) und die zugehörigen Schlussverse 15,7.10 betonen die Freude, die im Himmel über einen umgekehrten Sünder unter vielen Gerechten herrschen wird. Weitere Hinweise sind in der Erzählung selbst zu finden: das Sündenbekenntnis des jüngeren Sohnes (v. 18.21) und die - das Gleichnis abschließende - Einladung des Vaters an den älteren Sohn zur Mitfreude (v. 32). Sie 368 „Es wäre zweifellos vorschnell, wollte man den Vater der verlorenen Söhne in der Parabel ohne weiteres mit Gott identifizieren. Denn die Gleichnisse Jesu wollen ja gerade nicht identifizieren […]. Wohl aber entsprechen die Gleichnisse Jesu der Gottesherrschaft, deren Nähe sich darin zeigt, daß sie in den Gleichnissen Jesu zur Sprache kommt. In dieser Parabel kommt die Gottesherrschaft als die sich ereignende Liebe zur Sprache.“ (Jüngel, Paulus und Jesus, 162). 369 So Schottroff 1971 in ihrem Aufsatz „Das Gleichnis vom verlorenen Sohn“, 49-51, von dem sie sich neuerdings distanziert hat (vgl. dies., Gleichnisse, 188 Anm. 43). - Vgl. Levine, News, 95f. 370 Vgl. Schottroff, Gleichnisse, 193-195. <?page no="139"?> 139 legen nahe, dass die Erzählung die gewinnen will, die sich mit dem älteren Sohn identifizieren, indem sie versucht, seinen Zorn verständlich zu machen. 371 Die Vision, die diese Geschichte von der Liebe eines Vaters, der seine beiden Söhne zu einem Freudenfest zusammenbringen will, bei den Zuhörern wecken soll, ist die „Erneuerung Israels, als eines Volkes, das nach Gottes Thora lebt und Gottes Willen tut“. 372 15,11-32 ruft seine Hörer zur Umkehr, zur Liebe zu Gott und zum Halten der Thora und ist an zwei verschiedene „Gruppen von Sündern“ gerichtet: an die, die die Thora bewusst übertreten und an die, die nicht wahrhaben wollen, dass sie gegen die Thora verstoßen. 373 Erstere sind aufgefordert, Jesus nachzufolgen oder an ihrem Platz gegen das zu kämpfen, was dem Reich Gottes entgegensteht - Hunger, Krankheit, Dämonen, Unterdrückung; 374 letztere, die Sünder als vom Heil ausgeschlossen betrachten, sollen im Sinne von Lk 11,42 zur Thora umkehren und erkennen, dass das Volk Gottes nur gemeinsam leben kann (die Reaktion des älteren Sohnes wird in 15,11-32 nicht erzählt und steht noch aus). 375 14 Lk 16,1-12(.13): Der kluge Verwalter und der Umgang mit dem Mammon Kontext und Abgrenzung. Die Erzählung vom klugen Verwalter 16,1-7 folgt auf die Trilogie vom Verlorenen in 15,1-32. Mit der Erzählung vom Vater und den beiden Söhnen ist sie durch das Thema „Verschwendung anvertrauten Gutes“ bzw. das Stichwort diaskorpißzein (15,13; 16,2) verbunden. Sie leitet die Thematik „Umgang mit materiellen Gütern in Lk 16 ein, die in v. 14 mit dem Vorwurf der Geldgier an die Pharisäer und dann zugespitzt in 16,19-31 (Reicher Mann und armer Lazarus) behandelt wird. Durch die Redeeinleitung eälegen de? pro? w tou? w majhtaßw ist die Erzählung klar nach oben abgegrenzt. Sie endet abhängig vom Verständnis des Wortes kußriow (v. 8), entweder in v. 7, wenn kußriow auf Jesus bezogen wird (wofür einiges spricht, s.u.), oder in v. 8, wenn kußriow auf den Herrn in der Erzählung gedeutet wird. Die v. 8-13 deuten das Gleichnis und zeigen ethische Konsequenzen auf (v. 13 stammt aus Q). Mit v. 14 beginnt mit dem Auftreten der Pharisäer ein neuer Abschnitt. 371 Schottroff, Gleichnisse, 186. 372 Schottroff, Gleichnisse, 195. - „Das Gleichnis bricht ab. Nun sind die Zuhörenden an der Reihe, in die Schuhe des Älteren zu schlüpfen, dem Vater zu antworten und am Fest teilzunehmen.“ (Schottroff, Gleichnisse, 186). 373 Vgl. Schottroff, Gleichnisse, 192. 374 Zugespitzt: gegen das, was in der erzählten Wirklichkeit des Gleichnisses dem Reich Gottes entgegensteht. 375 Vgl. dazu Schottroff, Gleichnisse, 193. <?page no="140"?> 140 Struktur. Die Erzählung vom ungerechten Verwalter (16,1-7) und ihre Applikationen (16,8-13) sind folgendermaßen zu gliedern: v. 1: Exposition: Ein reicher Mensch hat einen Verwalter ( oiökonoßmow ), der der Verschwendung bezichtigt wird. v. 2-7: Hauptteil: v. 2: Kündigung des oiökonoßmow durch seinen Herrn. v. 3-7: Reaktion des oiökonoßmow : v. 3f.: Überlegung des oiökonoßmow über die zukünftige Existenzsicherung (innerer Monolog). v. 5-7: Praktische Konsequenz: Teilschuldenerlass für Schuldner des Herrn, um sich deren Gunst zu erwerben. v. 8-13: Deutung: v. 8a: Jesus lobt den oiökonoßmow für sein kluges Handeln. v. 8b: Gegenüberstellung der uiÖoi? touq aiövßnow toußtou und der uiÖoi? touq fvtoßw - erstere sind klüger. v. 9: 1. Applikation: Freunde machen mit dem ungerechten Mammon, um einst in die ewigen Hütten aufgenommen zu werden. v. 10-12: 2. Applikation: oÖ pisto? w eön eölaxißstv# […]/ to? aölhßjinon tißw uÖmvqn pisteußsei; / to? uÖmeß teron tißw uÖmiqn dvßsei; v. 13: 3. Applikation: Man kann nicht Gott und dem Mammon dienen. 14.1 Redaktionskritik Die Erzählung 16,1-7* schildert das Verhalten des oiökonoßmow : Nachdem ihm von seinem Arbeitgeber gekündigt worden ist, handelt er im Zuge der eigenen Existenzsicherung betrügerisch an diesem, indem er dessen Schuldnern eine Teilschuld erlässt. Lukanische Redaktion liegt auf jeden Fall in der Einleitung (v. 1: eälegen […] proßw ) vor; auch die Wendung aänjrvpoßw tiw ist dem Evangelisten zuzuschreiben. 376 Jeremias führt die den inneren Monolog einleitende Wendung eiQpen de? eön eÖautvq # 5,21; 7,49; (12,17f. S Lk ); 20,13 auf lukanische Redaktion zurück. Auch tiß poihßsv schreibt er Lukas zu und führt dazu als Belege neben 16,3 nur noch 12,17 und 20,13 an. Da sowohl 12,17 als auch 16,3 S Lk sind und somit nur der geänderte Markusbeleg in 20,13 lukanische Redaktion belegen könnte, ist die Argumentation wenig schlagkräftig. 377 376 Vgl. oben S. 101 (zu 10,30). 377 Anders Heininger, Sondergutgleichnisse, 167.170; Klein, Lukasevangelium, 538. - Zur sprachlichen Analyse der Perikope vgl. Jeremias, Sprache, 255-257; von Bendemann übernimmt weitgehend die Analyse von Jeremias (von Bendemann, DOCA , 430). - Die Einleitungsphrase eälegen […] proßw + Akk. sowie die Partikelverbindung de? kaiß und kaiß ouÖtow (zur Fortführung der Beschreibung) dürften auf Lukas zurückgehen (vgl. Jeremias, Sprache, 255). Wahrscheinlich ist desweiteren, dass Lukas die Gliederung tvq # prvßtv# (v. 5) - tvq # eÖteßrv# (v. 7) eingefügt hat, da eÄterow in Aufzählungen (trotz ursprünglich dualer Bedeutung) von Lukas signifikant häufig verwendet wird: Lk 32mal, Apg 17mal, aber nur Mt neunmal, Mk 0, Joh einmal (vgl. Jeremias, Sprache, 110, zu Lk 3,18). Von Bendemann ( DOCA , 235f.) findet auch in v. 9 Red Lk und argumentiert mit der sprachlichen Korrespondenz zu v. 4. Ich halte es für wahrscheinlicher, dass der Vers vorlukanisch ist (so auch Parrott, Dishonest Steward, 499; Jeremias, Gleichnisse, 42; Fitzmyer hält v. 9 zwar für vorlukanisch, doch geht er von einer Bildung in Anlehnung an v. 4 (Fitzmyer, Luke II, 1105) - die umgekehrte Reihenfolge ist jedoch m.E. wahrscheinlicher (vgl. Bovon, EKK III/ 3, 72f., der v. 9 einer frühen mündlichen aramäischen Phase zurechnet; Eckey, Lukasevangelium II, 697; Klein, Lukasevangelium, 537); <?page no="141"?> 141 Das ursprüngliche Ende der Perikope und damit die Frage, ob v. 9 der primäre Schluss der Perikope oder eine sekundäre Interpretation ist, ist umstritten. Eine erste Interpretation des Verhaltens des oiökonoßmow bietet die Erzählung in v. 8a an: Sein Herr bezeichnet seine Vorgehen hier zwar als „unmoralisch“ (o iökonoßmow thqw aödikißaw ), dennoch lobt er sein Vorgehen als fronißmvw . 378 Vieles spricht dafür, dass mit v. 8b eine frühe Erweiterung vorliegt, die sehr bald mit der ursprünglichen Erzählung verbunden wurde. 379 Beim Anschluss von v. 9 an die Parabel wurde dann der genitivus qualitatis oiökonoßmow thqw aödikißaw genutzt, um eine Stichwortverbindung zu mamvnaqw thqw aödikißaw herzustellen. Die Wendung fißlouw poieiqn ist eine Interpretation des Handelns des oiökonoßmow an den Schuldnern. Diese Interpretationsrichtung, nämlich kluger, vorausschauender Umgang mit dem ungerechten Mammon, nimmt den Impuls aus v. 8a auf. Zudem ist v. 9 stark von eschatologischer Hoffnung geprägt: Das Handeln ist auf die Sicherung der Existenz in der Zeit ausgerichtet, in der Geld keine Bedeutung mehr haben wird ( oÄtan eöklißph# ), Ziel des Handelns ( iÄna ) ist es, einst in den ewigen Hütten wohnen zu dürfen. Die eschatologische Prägung hat v. 9 mit v. 8b gemeinsam, der mit dem Dualismus uiÖoi? touq fvtoßw - uiÖoi? touq aiövqnow toußtou ein apokalyptisch geprägtes Motiv aufgreift. V. 9 interpretiert das Motiv des Gastfreundschaftsrechts aus v. 4. V. 9 weist eine intensive sprachliche Kongruenz zu v. 4 auf ( deßcvntai + Akk., oÄtan + Konj. Aor.). Dies deutet darauf hin, dass der Verfasser von v. 9 bewusst an die Motivik von v. 4 angeknüpft hat. Das Aufgenommenwerden in die aiövnißouw skhnaßw ist ein Motiv, das selbständig existierte, bevor es als Applikation der Parabel diente. Die in v. 9 vorliegende Motivverbindung „sich Freunde machen mit dem ungerechten Mammon“ und „Aufgenommenwerden in die ewigen Hütten“ ist damit so zu verstehen, dass die Freunde in v. 9 Subjekt von deßcvntai (v. 9) sind. §Eklißph# ist als „Ausgehen des Mammons“, verstanden als Wert- und Bedeutungsverlust desselben, zu deuten und greift möglicherweise den Erzählzug des Verlustes der Haushalterschaft, aöfaireiqtai th? n oiökonomiß an (aöp ö eömouq) , auf. Exkurs: Freunde, Besitz und ewiges Heil Die Fragestellung, wie Besitz in Bezug auf Freunde einzusetzen ist und welche Konsequenzen dies für das ewige Heil hat, findet sich im S Lk neben 16,9 noch in 14,12. Das irdische Gastfreundschaftsrecht wird in 16,9 zur Aufnahme eiöw ta? w aiövnißouw skhnaßw transzendiert. 16,9 greift damit v. 4 auf, der den Plan des oiökonoßmow schildert, sich Gastfreundschaftsrecht zu erwerben. In der Antike war eine Möglichkeit dies zu erreichen, sich „Freunde zu machen“. Der Ausdruck fißlouw poieiqn verweist nicht auf moralisch gutes Handeln, sondern bezeichnet ein Agieren, das von Eigeninteresse geleitet ist, zumindest mit. Das Motiv, sich mit Geld Freunde zu erwerben, begegnet im NT nur in Lk 16,9. 380 In der Weisheitsliteratur wird der Zusammenhang zwischen Reichtum und Freundschaft reflektiert. Der Gedanke, dass Freundschaft nicht nur ein von reinen, philosophischen Idealen geprägtes, personales Verhältnis ist, sondern auch von „ökonomischen“ Faktoren dies legen m.E. in erster Linie die sprachlichen Semitismen sowie der palästinische Vorstellungshintergrund nahe. 378 Anders z.B. Reinmuth, der v. 8a zum ursprünglichen Teil der Parabel rechnet und darauf verweist, dass der in v. 2b eröffnete Handlungsstrang hier abgeschlossen wird (vgl. Reinmuth, Alles muss raus, 226). 379 So von Bendemann, DOCA , 235; Fitzmyer, Luke II, 1105. 380 Weitere Belege für fißlow im NT sind: Mt 11,19 (par Lk 7,34) - die einzige synoptische Belegstelle außerhalb von Lk; Lk 7,6; 11,5; 12,4; 14,10.12; 15,6.9.29; 21,16; 23,12; Joh 3,29; 11,11; 15,13.14; 19,12; Apg 10,24; 19,31; Jac 2,23; 4,4; 3. Joh 15. <?page no="142"?> 142 beeinflusst ist, hat dort also eine Vorlage. 381 Das in der Septuaginta verwendete fißlow hat mehrere hebräische Entsprechungen: 382 Mehr als 30mal gibt f. (r wieder. Freundschaft ist vor allem in der alttestamentlichen Weisheitsliteratur ein ausführlich behandeltes Thema. 383 Sir 6,5-17 bietet eine kleine zusammenhängende Abhandlung über die Freundschaft, wobei es in den v. 8-13 überwiegend um zweifelhafte Freunde geht. Das griechische fißlow gibt hier hebr. bhw) (#y) wieder. Das Sich-Verschaffen von Freunden, für das Geld eine bedeutende Rolle spielt, ist ein vielbehandeltes Thema der antiken Freundschaftsliteratur. 384 Die alte Stoa leitete eine Freundschaftstypologie aus ihrer Tugendlehre ab. Kriterium für sie ist oÖmodogmatißa (Einmütigkeit), weshalb Freundschaft nur unter Weisen möglich ist. 385 Cicero (106-43 v.Chr.) formuliert als Grundbedingungen der Freundschaft intellektuelle und moralische Übereinstimmung (consensio) in Verbindung mit gegenseitiger Zuneigung (cum benevolentia et caritate). 386 Wenngleich Ciceros Freundschaftsverständnis vom Primat der „virtus“ bestimmt ist 387 und gegen ein utilitaristisches Verständnis von Freundschaft gewandt ist, sieht Cicero doch wechselseitige Wohltaten als notwendige Voraussetzung für die Realisierung von Freundschaft an. 388 In Senecas (5-65 n.Chr.) Konzept von Freundschaft macht erst die „(Mit-)Teilbarkeit an einen Freund […] jedes einzelne Gut zu einem erfreulichen Besitz“ 389 . Die gesellschaftliche Realität des Patronatssystems im römischen Reich spiegelt sich in folgender Aussage Senecas wider: „Qaeris quomodo amicum cito facturus sit? Dicam, si illud mihi tecum convenerit, ut statim tibi solvam quod debeo et quantum ad hanc epistulam paria faciamus.“ 390 In den Reden des Dio Chrysostomus (40-112 n.Chr.), der aus der Sicht einer reichen Elite schreibt 391 , zeichnet sich ein ähnliches Bild ab - in Or. 3,131 begegnet das Motiv, dass dem Herrscher alle möglichen Mittel zur Verfügung stehen, um sich die besten Männer zu Freunden zu machen: „ paßnta ga? r uÖpaßrxei toußtv#, di ö vWn kthtoßn eösti filißa “. Dass Geld dazu eingesetzt werden kann, ja soll, um Wohltaten zu üben und Freunde zu erwerben, anstatt im Luxus zu schwelgen, kommt in einem Lehrgespräch des Musonius (ca. 30-108 n.Chr.) zum Ausdruck: „ kaiß toi me? n euökleeßsteron touq 381 Vgl. Spr 14,20: fißloi mishßsousin fißlouw ptvxoußw, fißloi de? plousißvn polloiß ; Spr 19,4: plouqtow; prostißjhsin fißlouw polloußw, oÖ de? ptvxo? w kai? aöpo? touq uÖpaßrxontow fißlou leißpetai ; Sir 6,15: fißlou pistouq ouök eästin aöntaßllagma; 7,18: mh? aöllaßch#w fißlon eÄneken diafoßrou ; 13,21: ploußsiow saleuoßmenow sthrißzetai uÖpo? fißlvn, tapeino? w de? pesv? n prosapvjeiqtai uÖpo? filvqn ; 14,13: prißn se teleuthqsai euQ poißei fißlv# kai? kata? th? n iösxußn sou eäkteinon kai? do? w auötvq # ; 29,10: aöpoßleson aörgußrion di ö aödelfo? n kai? fißlon, kai? mh? iövjhßtv uÖpo? to? n lißjon eiöw aöpvßleian ; 37,6: mh? eöpilaßjh# fißlou eön thq # yuxhq # sou kai? mh? aömnhmonhßsh#w auötouq eön xrhßmasißn sou . 382 Vgl. Stählin, Art. fißlow , 152. 383 Vgl. Stählin, Art. fißlow , 154. 384 Vgl. Pellegrini, oiökonoßmow , 170. 385 Vgl. von Reibnitz, Freundschaft, 673. 386 Cic., Lael. 20. 387 Vgl. auch Cic., Lael. 80f.: „verus amicus […] est enim is, qui est tamquam alter idem. […] qui et se ipse diligit et alterum anquirit, cuius animum ita cum suo misceat, ut efficiat paene unum ex duobus.“ Vgl. dazu Suerbaum, Freundschaft, 136-170. 388 Cic., Lael. 29; vgl. von Reibnitz, Freundschaft, 673. 389 Ebd.; vgl. Sen., Ep. 6,4. 390 Sen., Ep. 9,6 („Du fragst, wie man sich schnell einen Freund machen kann? Ich werde es sagen, wenn es mir mit dir bezüglich jenem zur Übereinkunft kommen wird, dass ich dir sofort zahlen werde, was ich dir schulde, und wir - soweit es sich auf diesen Brief bezieht - einen Ausgleich schaffen werden.“ [Übersetzung d. Verf.]). 391 Vgl. Moxnes, Patron-Client-Relations, 245. <?page no="143"?> 143 polutelvqw oiökeiqn to? pollou? w euöergeteiqn; […] poßsv# de? vöfelimvßteron touq peribeblhqsjai megaßlhn oiökißan to? kekthqsjai fißlouw poßllouw, oÄ perigißnetai tvq # projußmvw euöergetouqnti; “ 392 Freundschaft stellt sich im 1. Jh. also als ein Beziehungsverhältnis dar, das zwischen einem hehren philosophischen Freundschaftsideal und einem utilitaristischen Freundschaftsverständnis oszilliert. Dabei bewegt sich auch ersteres innerhalb des Reziprozitätsprinzips. Einiges lässt darauf schließen, dass Freundschafts- und Patronageverhältnisse nicht klar voneinander zu trennen waren. Die Verbindung der Themenkomplexe „Freundschaft“ und „Umgang mit Besitz“ ist im römischen Reich des 1. Jh. besonders in zwei sozialen Strukturen von Bedeutung: erstens innnerhalb des Patronatssystems, zweitens im Rahmen der Institution „Gastfreundschaft“. 393 Ob Klienten als Freunde ihrer Patrone bezeichnet werden können, ist umstritten. Konstan vertritt die These, dass Freundschaft und Patronage klar voneinander abgegrenzte soziale Strukturen sind. 394 Freundschaft sei ein wahrhaft personales Verhältnis, während die Patron-Klienten-Beziehung von formalen Regeln geprägt sei. Ein Freundschaftsverhältnis kann s.E. zwar mit einem Patronageverhältnis kompatibel sein, 395 doch ist es nicht auf dieses zu reduzieren. 396 Doch die Grenzen zwischen den Strukturen verschwimmen, „patently, the Romans applied the language of patronage to a range of relationships, with both humble dependants and their junior aristocratic colleagues labelled clientes: usage was more fluid than usually supposed, and the connotations of amicus, cliens and patronus were subtly and variously manipulated“ 397 . Darüber, dass Freundschaft prinzipiell zwischen Menschen aus verschiedenen sozialen Schichten möglich ist, scheint Einigkeit zu bestehen. 398 V. 9 setzt das Lob des Handelns des oiökonoßmow als fronißmvw voraus und hält aödikißa und froßnhsiw für miteinander vereinbar. Fronißmvw scheint in der synoptischen Tradition die Konnotation „Klugheit bezüglich des Eschatons“ zu besitzen; darauf verweisen alle Belege in den Evangelien außer Mt 10,16. 399 Die Interpretation v. 8b ist durch die Konjunktion oÄti kausal auf v. 8a bezogen. Sie liefert als neuen Aspekt die Eigendefinition der Gemeinde als uiÖoi? touq fvtoßw in Abgrenzung zu den uiÖoi? touq aiövqnow toußtou . Letztere zeichnen sich im irdischen Kontext ( eiöw th? n genea? n th? n eÖautvqn ) durch größere Klugheit aus als die Gemeinde (der Verwalter des Gleichnisses ist aufgrund seines klugen Verhaltens letzteren zuzurechnen). Klugheit wird als lobenswerte Eigenschaft hervorgehoben. V. 9 interpretiert die Parabel dann in Form eines Jesus- 392 Musonius XIX: „Und gewiss, um wie viel rühmlicher als so luxuriös zu wohnen wäre es, den Vielen zu helfen? […] Um wie viel nützlicher als sich ein großes Haus zu bauen wäre es, sich viele Freunde zu erwerben, was dem gelingt, der mit ganzer Seele gut handelt? “ [Übersetzung d. Verf.]). 393 Zur Gastfreundschaft vgl. Koenig, Art. Hospitality, 299-301. - Im Hintergrund von Lk 16,9 steht zunächst die Realität der Gastfreundschaft; doch ist das Patronatssystem für die Gesellschaft im römischen Reich des 1. Jh. so bestimmend, dass das Thema „Freundschaft und Besitz“ nicht losgelöst davon zu betrachten ist. Dass Patronage- und Freundschaftsverhältnis oft ineinander übergehen (s.u.), bekräftigt dies. 394 Konstan, Friendship, 82; zur Auseinandersetzung Konstans mit Saller vgl. ebd., 137. 395 Vgl. Konstan, Friendship, 21. 396 Vgl. ders., Patrons, 329-341. 397 Saller, Patronage, 57; so auch Moxnes, Patron-Client-Relations, 245; Pellegrini, oiökonoßmow , 170. 398 Vgl. Konstan, Patrons, 341; Saller, Patronage, 60. 399 Mt 7,24: kluger Mann baut sein Haus auf Stein; Mt 24,45 par Lk 12,42: Knechtsgleichnis; Mt 25,2.4.8.9: Gleichnis von den zehn Jungfrauen; Mt 10,16: klug wie Schlangen - kein eschatologischer Kontext. <?page no="144"?> 144 wortes an die Jünger: Er fordert sie dazu auf, sich mit dem Mammon Gastfreundschaftsrecht zu erwerben 400 , und qualifiziert dabei den Mammon als ungerecht ( thqw aödikißaw ). Das Erwerben des Gastfreundschaftsrechts ist als notwendige Voraussetzung für das Heil im Eschaton, das Aufgenommenwerden in die ewigen Hütten, dargestellt ( iÄna […] deßcvntai ). Das Eschaton ist in v. 9 definiert als die Zeit, in der der Mammon bedeutungslos geworden ist ( oÄtan eöklißph# ). Es ist davon auszugehen, dass die v. 8b-9 ebenso wie der Parabelkern v. 1b-2.5-8a vorlukanisch in einer Gemeinde überliefert wurden. In v. 10 findet sich eine Applikation, die als allgemeine Sentenz formuliert ist: Wer in kleinen, unbedeutenden Dingen treu ist, ist auch im Großen, Bedeutenden treu; wer im Kleinen ungerecht 401 ist, von dem ist selbiges auch für das Große, Bedeutende zu erwarten. Diese Interpretation der Parabel steht der vorangehenden in v. 8b.9 entgegen und beugt dem Missverständnis vor, dass Christen zu unredlichem Umgang mit Geld aufgefordert sind. Die Spannung zwischen v. 8b.9 und v. 10-12 versuchte man durch die Annahme einer ursprünglich offenen Schlussfrage der aramäischen Parabelversion zu erklären. Parrott 402 nimmt an, dass die ursprüngliche, aramäische Version der Parabel mit einer Frage geendet habe - etwa mit: „Hätte der Herr den ungerechten Verwalter gelobt? “ 403 Im Aramäischen sei es zwar einfach, in Sätzen ohne Fragewort eine Frage anzuzeigen - nämlich durch das Setzen eines Interrogativpartikels, weniger einfach dagegen sei es anzuzeigen, dass eine negative Antwort erwartet werde (beispielsweise im Vergleich mit dem Griechischen, wo dies durch die Einfügung von mhß möglich ist). Parrott vertritt nun die These, dass die Parabel zunächst als (eschatologisches) Vorbereitungsgleichnis gelesen worden sei, so dass eine positive Antwort auf die Schlussfrage des Gleichnisses möglich gewesen sei: Der Herr lobt den Verwalter für die Klugheit, mit der er für die Zukunft vorsorgt. S.E. sei diese Interpretation das Ergebnis der Übersetzung des Gleichnisses ins Griechische. V. 8a könne durchaus auch im Griechischen als Frage verstanden werden, erst das in v. 8b folgende oÄti mache v. 8a zum Aussagesatz. Einmal als (eschatologisches) Vorbereitungsgleichnis verstanden, sei der Abschluss des Gleichnisses mit einer Frage nicht mehr angemessen, sondern die Entscheidung des Verwalters zu betonen gewesen, was in v. 8b.9 geschehen sei. Die v. 10-12 stützten die Annahme einer ursprünglichen Schlussfrage: Sie nähmen keinen Bezug auf die v. 8b.9, sondern könnten als negative Antwort auf die ursprüngliche Schlussfrage gelesen werden. In diesem Fall wäre davon auszugehen, dass die v. 8b.9 eingefügt wurden, sobald die Parabel als (eschatologische) Vorbereitungsparabel verstanden wurde. - Die Hypothese klingt zunächst plausibel, weist jedoch einige Schwachpunkte auf: Sie hängt an der „Übersetzungstheorie“ vom Aramäischen ins Griechische; es fehlt zudem eine Erklärung dafür, warum die Parabel auf einmal als (eschatologische) Vorbereitungsparabel verstanden worden ist. Insgesamt bleibt die Hypothese zu vage. V. 11 nimmt die Fragestellung, wie mit dem ungerechten Mammon 404 umzugehen sei, aus v. 9 auf, verbindet sie mit dem Gedanken der Treue/ Ungerechtigkeit im Geringen/ Bedeutenden und richtet dann den Blick wieder auf das Ergehen im Eschaton (Fut. pisteußsei ). Als eschatologisches Heil gilt hier, dass den Angesprochenen ( uÖmiqn ) das wahre, im Eschaton relevante Gut ( to? aölhjinoßn 405 ) anvertraut wird. Voraussetzung hierfür ist die Treue 400 Das Reflexivpronomen eÖautoiqw „für euch“ betont, dass dieses Handeln im Interesse der Angesprochenen liegt - es hebt „die Identität der handelnden Person“ hervor (vgl. Bauer, Wörterbuch, 424). 401 Mit aädikow liegt eine Stichwortverbindung zu v. 8a.9 vor. 402 Vgl. Parrott, Dishonest Steward, 513f. 403 Vgl. ebd. 404 Auffällig ist, dass v. 11 vom mamvnaqw aädikow spricht, während in v. 9 mamvnaqw thqw aödikißaw steht. 405 In den Synoptikern begegnet aölhjinoßn nur hier; als Substantiv findet es sich einmal in Joh 7,28, als Adjektiv kommt es achtmal bei Joh vor (Joh 1,9 par 1 Joh 2,8; 4,23.37; 6,32; <?page no="145"?> 145 gerade im Umgang mit dem ungerechten Mammon. Die Antithese in v. 12 steht parallel zu derjenigen in v. 11 und ist ebenfalls als rhetorische Frage formuliert: In v. 12 ist der treue Umgang mit fremdem Gut ( to? aölloßtrion ) Voraussetzung dafür, dass die Angesprochenen das Ihre ( to? uÖmeßteron ) erhalten. Dass die Anfügung der v. 10-12 bereits vorlukanisch erfolgte, ist aus folgenden Gründen wahrscheinlich: Erstens ist davon auszugehen, dass Lukas den aus Q stammenden v. 13 an seinen Ort stellte. Zweitens korrigiert v. 13 die Weisung des allzu treuen Umgangs mit dem Mammon (v. 10-12); ähnlich hatten die v. 10-12 einen von allzu großem Eigeninteresse geleiteten Umgang mit Geld - wie ihn die v. 8b-9 propagieren - korrigiert. Die v. 10-12 dürften also mit zeitlichem Abstand zu den v. 8b.9 bereits vorlukanisch an die Parabel angefügt worden sein. Eine andere Gemeinde anzunehmen, ist nicht zwingend notwendig; auf jeden Fall neu ist die Zielgruppe. Zu v. 8b.9 analog ist das Motiv, dass der korrekte Umgang mit materiellen Gütern Auswirkung auf das Ergehen im Eschaton hat. V. 11 nutzt die Stichwortverbindung mamvnaqw in Verbindung mit aädikow . Dabei fällt auf, dass v. 11 das Adjektiv und nicht die Formulierung mit genitivus qualitatis verwendet. Die pragmatische Intention der v. 10-12 ist es, nachdrücklich darauf hinzuweisen, dass treuer Umgang mit dem Geld angezeigt ist, dass es nicht so sehr darauf ankommt, froßnimow zu sein (wie es v. 8b.9 nahelegen), sondern pistoßw . 406 Mit der Anfügung von Lk 16,13 Q (par Mt 6,24) bringt Lukas die traditionelle Aufforderung ein, sich zu entscheiden, entweder Gott oder dem Mammon zu dienen. Die Sentenz korrigiert die Weisung eines allzu treuen Umgangs mit dem Mammon. Fazit: Die ursprüngliche Parabel, in der sogar der wohlhabende Herr das unlautere Verhalten des Verwalters als (ökonomisch) klug honoriert, war wohl schon für Lukas und die vorlukanische Tradition nicht einfach zu verstehen. Die Schwierigkeit, die Bedeutung der Parabel zu fassen, dokumentieren die verschiedenen Kommentare ab v. 8b. Dem Trägerkreis der v. 8b.9 kam es darauf an, die Gemeinde zu klugem Handeln zu ermahnen. In v. 8b war dies, bevor die Aussage auf die Parabel angewandt und mit v. 9 verbunden wurde, nicht (nur) auf den Umgang mit materiellen Gütern bezogen. 407 Die Gemeinde soll sich zu einem gewissen Grad den Gesetzen der Welt anpassen und die „Söhne dieses Äons“ als Vorbild nehmen. Beide Verse sind von der - in v. 8b apokalyptisch gefärbten - Erwartung des Eschatons geprägt. Die v. 10-12 sind von Kreisen überliefert, die die Endzeit zwar im Blick haben (Anvertrauen des wahren Gutes), doch eine Ethik zu vermitteln suchen, die den „redlichen Umgang mit Geld in dieser Welt stärker fokussiert als v. 8b.9. Wurde dort „ aödikißa “ im Umgang mit Geld um der „eschatologischen“ Klugheit willen billigend in Kauf genommen, so halten die „Prediger“ von v. 10-12 diese für inakzeptabel. Dies könnte daraufhin deuten, dass die v. 10-12 an Menschen gerichtet sind, die konkret mit der Verwaltung von Geld betraut sind. 408 8,16; 15,1; 17,3; 19,35); außerdem noch in 1 Thess, Heb, 1 Joh und Offb. Die Konnotation „Gültigkeit im Eschaton“ ist in Joh 1,9 (par 1 Joh 2,8); 4,23; 6,32; 7,28; 8,16; 15,1; 17,3 impliziert. 406 Die Stichwortverbindung pistoßw und froßnimow ist traditionell und charakterisiert in Lk 12,41 einen oiökonoßmow (vgl. Mt 24,25, dort einen douqlow ). 407 Dies gilt dann, wenn man davon ausgeht, dass v. 8b und v. 9 getrennt überliefert wurden. 408 So Klein, Lukasevangelium, 542. <?page no="146"?> 146 14.2 Theologisch-inhaltliche Analyse (#.1.1) $Anjrvpoß ßw tiw hQn ploußsiow (16,1) ist parallel zu aänjrvpow deß tiw hQn ploußsiow ( 16,19 ) formuliert. In beiden Perikopen (16,1ff. und 16,19ff.) wird der reiche Mensch als Subjekt vorgestellt. 409 Der Wohlstand des Reichen ist dadurch näher charakterisiert, dass er einen oiökonoßmow beschäftigt, der für die Verwaltung seiner Habe ( uÖpaßrxonta ) zuständig ist. Er klagt ihn an, seinen Besitz zu verschleudern ( vÖw diaskorpißzvn 410 , v. 2). Über den Reichen wird weiterhin ausgesagt, dass er zwei Schuldner ( xreofeileßtai ) hat (v. 5-7). Die angegebenen Schulden, der erste Schuldner hat 100 Bat Öl Schulden, der zweite 100 Kor Weizen, lassen auf die Höhe des Vermögens des Reichen schließen. Dem oiökonoßmow ist gekündigt (v. 2b), so dass er dazu gezwungen ist, einen neuen Weg zu suchen, seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Zu schwerer körperlicher Arbeit ist er offensichtlich nicht fähig und er schämt sich, zu betteln (v. 3). Körperliche Arbeit und Betteln stellt der Text als die nächstliegenden Möglichkeiten dar, um Geld zu verdienen; „Verwaltungsaufgaben“ sind als nicht leicht zu erreichen dargestellt. In der Regel sind Finanzverwalter Sklaven. Da der oiökonoßmow im vorliegenden Text seine Zukunft plant, scheint er hier allerdings kein Sklave zu sein. 411 Armut wird hier als eine Situation reflektiert, in der der persönliche Lebensunterhalt (hier des oiökonoßmow ) nicht mehr gewährleistet ist. Armut zwingt dazu, Wege zu suchen, um die physische Existenz zu sichern: körperlich schwer zu arbeiten ( skaßptein , v. 3), die Schande des Bettelns auf sich zu nehmen ( eöpaiteiqn aiösxußnesjai , v. 3) oder Gastfreundschaftsrecht bei anderen beanspruchen zu können ( deßxesjai eiöw tou? w oiäkouw, v. 4). Der Reichtum des „ aänjrvpow ploußsiow “ (v. 1) geht mit Machtfülle einher. Seine Macht entfaltet sich darin, dass er Arbeitgeber eines Vermögensverwalters ist und die Macht besitzt, diesen zu beschäftigen oder zu entlassen, und dass er Gläubiger mehrerer Schuldner ist, die ihm zu Zahlungsleistungen verpflichtet sind. Der innere Monolog des oiökonoßmow , der die Alternativen zu seinem Handeln ( skaßptein, eöpaiteiqn ) aufzeigt, unterstreicht zum einen das Moment der Entscheidung und damit die Klugheit des Verwalters; darüber hinaus wird gerade durch die Explikation der beiden Alternativen - schwere körperliche Arbeit und Betteln - der Gegensatz zwischen dem wohlhabenden, mächtigen Herrn und dem in seiner physischen Existenz bedrohten, abhängigen Verwalter unterstrichen. Der oiökonoßmow erfährt seine ökonomische und soziale Situation, die drohende Armut und Machtlosigkeit, als interdependent. Bezüglich der Sicherung seiner Existenz ist er von seinem Arbeitgeber abhängig, er muss seine 409 In 12,16 wird er dagegen im Genitiv eingeführt. 410 Das Verb diaskorpißzein begegnet noch in Lk 15,13. 411 Vgl. Schottroff, Gleichnisse, 206; Horsley, Slave Systems, 55f. <?page no="147"?> 147 Lebensumstände gemäß dessen Entscheidung über ihn arrangieren. Prestige ist in der Perikope ebenfalls im Zusammenhang mit der ökonomischen Situation thematisiert: Betteln bringt Schande mit sich ( eöpaiteiqn aiösxußnesjai). 412 (#.1.2) Armut und Reichtum erfahren im Text keine theologische Deutung. (#.2.1) Der Text thematisiert zunächst die autoreferentielle Beziehung des Reichen zu seinen Gütern: Der Grund für die Entlassung des oiökonoßmow ist, dass dieser angeblich den Besitz seines Arbeitgebers verschleudere ( diaskorpiß ßzvn , v. 1). Das autoreferentielle Streben des Herrn nach Besitzerhaltung hat eine soziale Dimension, indem es sich auf die Existenz des oiökonoßmow auswirkt, der durch die Entlassung in eine existenzbedrohliche Lage gerät. Sein künftiges Auskommen sucht er dadurch zu sichern, dass er sich durch Betrug und listiges Ausnutzen seiner Macht als Verwalter die Gunst der Schuldner seines Herrn erkauft (v. 5-7). Auch sein - autoreferentieller - Umgang mit Besitz erhält auf diese Weise eine soziale Dimension - in doppelter Hinsicht: Dadurch, dass er den Schuldnern seines Herrn eine Teilschuld (50% bzw. 20%) 413 erlässt, werden diese ökonomisch besser gestellt. Dafür erwartet er eine Gegenleistung in Form von zu erweisender Gastfreundschaft (Red Lk ). 414 (#.2.2) V. 8 stellt kluges Handeln, fronißmvw poieiqn als lobenswert dar. In v. 9 wird als Handlungsmaxime propagiert, sich mit dem mamvnaqw thqw aödikißaw Freunde zu machen ( fißlouw poieiqn ) - vor dem Hintergrund der Erzählung heißt die Aufforderung: „Handelt wie der oiökonoßmow , das verspricht eschatologisches Heil . “ Freundschaft ist in der Antike in erster Linie ein juristischer terminus technicus. 415 Vor diesem Hintergrund ist die Wendung am ehesten als Erlangen des Gastfreundschaftsrechts zu deuten. 416 Die fißloi 412 Vgl. Malina/ Neyrey, Honor and Shame, 25-66. 413 Dem ersten Schuldner werden von 100 Bat Öl 50 erlassen. 1 Bat entspricht etwa 40 Liter. Nimmt man einen Durchschnittsertrag von 0,25 hl pro Olivenbaum an, hätte die Schuldenhöhe die Ernte von etwa 160 Olivenbäumen betragen (vgl. Stegemann/ Stegemann, Sozialgeschichte, 51). 500-600 Arbeitstage eines Arbeiters können als Äquivalent dafür gelten (vgl. Bovon, EKK III/ 3, 78). - 100 Kor Weizen entsprechen etwa 400 hl oder 1.200 Zentnern. 414 Diese fordert er nicht ein, sondern kann sie im Rahmen der gesellschaftlichen Konvention erwarten. Außerdem: 1.) Das jüdische Schuldenrecht, nicht alles von den Schuldnern zu fordern, das der Verwalter praktisch umsetzt und so seinem Herrn hilft, es zu verwirklichen, könnte Ausgangspunkt für das Jesuslob sein; vgl. auch Ukpong, Manager, 189-210, insb. 201. Ukpong deutet kußriow in 16,7 auf den reichen Mann, dessen Umkehr zur Gerechtigkeit im Sinne der Thora und Jesus sich im Lob des Verwalters äußere. 2.) Die Stichworte aädikow / aödikißa könnten mit dem jüdischen Begriff der z e dakah zusammenhängen, der wiederum mit dem Almosengeben inhaltlich gefüllt ist; mamonaqw thqw aödikißaw wäre dann Mammon, der nicht dem Almosengeben dient. 415 Vgl. Pellegrini, oiökonoßmow , 169ff. 416 Vgl. Pellegrini, oiökonoßmow , 171. <?page no="148"?> 148 werden in der Literatur auch mit Gott 417 , den Armen 418 und Engeln 419 identifiziert, woraus sich andere, weniger plausible, Interpretationsmodelle ergeben. Die Interpretation der genannten Topoi in v. 9 ist sehr vielfältig. Folgende Interpretationsansätze werden vertreten: Fitzmyer stellt fest, dass der Text keinen Hinweis auf die Interpretation der Wendung f. p. liefert, vermutet jedoch, dass f. p. Almosengeben bedeutet. 420 Dies nimmt die Mehrheit der Exegeten an - meistens wird als Begründung auf Lk 12,33f. verwiesen. 421 Schottroffs Interpretation ist aus der Perikope selbst abgeleitet, indem sie von dort die beiden Aspekte Gastfreundschaft und kluges Nutzen des Geldes aufnimmt: 422 F. p. bedeute nicht „Almosengeben, sondern weiterreichende ökonomische Solidarität“ 423 d.h. Gastfreundschaft; das Geld sei dazu zu nutzen, Freundschaften in dieser Welt und mit Gott aufzubauen. Auch Pellegrini schließt sich der Interpretation von f. p. als Almosengeben nicht an, sondern deutet es im Kontext der Perikope als das Erwerben des Gastfreundschaftsrechts und vertritt damit einen technisch-juristischen Freundschaftsbegriff; sie bezieht sich in ihrer Argumentation auf die v. 4-7 und betont, dass das Handeln des oiökonoßmow zwar klug sei, aber nicht durch Liebe motiviert. 424 Unklar bleibt nach Fitzmyer, wer mit den fißloi gemeint sei. Die Annahme, dass Gott Subjekt von deßcvntai ist, ist nach Fitzmyer unnötig; s.E. lässt sich die Form grammatikalisch korrekt als unpersönliches Passiv interpretieren. Einiges legt jedoch nahe, dass die fißloi diejenigen sind, die in die ewigen Hütten aufnehmen. Deshalb ist unwahrscheinlich, dass f. p . Almosengeben bzw. Erweis von Wohltaten meint, was nur aus dem lukanischen Kontext, insbesondere 12,33f., belegt ist. Interpretiert man v. 9 aus der Perikope heraus, insbesondere unter Berücksichtigung der v. 5-7, ergibt sich folgendes: Der Umgang des oiökonoßmow mit dem Geld ist nicht von Barmherzigkeit bzw. Liebe den Schuldnern gegenüber motiviert, sondern ist kluges, berechnendes Handeln, das darauf ausgerichtet ist, die eigene Existenz zu sichern. Es bewegt sich 417 So Manson, Sayings, 293. 418 So ders., Gospel of Luke, 183f. 419 So Grundmann, Lukas, 321. 420 Vgl. Fitzmyer, Luke II, 1109f. 421 Bovon interpretiert f. p. als Güter teilen, Eckey als Almosengeben bzw. allgemein als Wohltätigkeit ebenso wie Horn und Heininger, der hier einen Aufruf an reiche Christen zum Umgang mit Besitz im Sinne der Almosenfrömmigkeit erkennt: Er interpretiert v. 9 als Antwort auf die in v. 3 gestellte Frage und verweist auf die Stichwortverbindung, die durch eöklißph# mit 12,33 besteht (Bovon, EKK III/ 3, 80; Eckey, Lukasevangelium II, 703; Horn, Glaube und Handeln, 75; Heininger, Sondergutgleichnisse, 176f.); Jeremias versteht darunter eine „opferwillige soziale Gesinnung“ (Jeremias, Sprache, 43); von Bendemann erkennt in f. p. einen Aufruf zur Wohltätigkeit und Distanz vom eigenen Besitz, der sich s.E. als roter Faden durch den Reisebericht zieht - er verweist auf Lk 11,13; 12,13-34; 18,18-30. 422 Vgl. Schottroff, Gleichnisse, 211-213. 423 Schottroff, Gleichnisse, 211 Anm. 16. 424 Vgl. Pellegrini, oiökonoßmow , 169.171. <?page no="149"?> 149 also im Rahmen einer Ethik, die auf Reziprozität beruht 425 . Dieses Verhalten wird innerhalb des Gleichnisses (v. 8a) als fronißmvw gelobt (das möglicherweise eine eschatologische Konnotation hat - „klug“ im Hinblick auf das eschatologische Ergehen -, auf jeden Fall aber seine Klugheit im Hinblick auf die Zukunft lobt und nicht seine Wohltätigkeit/ Barmherzigkeit). 426 Die Aufforderung wird mit einem Verweis auf das Eschaton begründet: Ziel des Handelns ist es, einst in die aiövnißoi skhnaiß aufgenommen zu werden. Die Vorstellung der aiövnißoi skhnaiß ist religionsgeschichtlich folgendermaßen verortet: Die Wendung aiövnißoi skhnaiß begegnet nur hier und in 2 Esra 2,11. 427 Das Wohnen in Hütten kann als Attribut der eschatologischen Vollendung interpretiert werden (vgl. Mk 9,5; Apg 15,16; Offb 7,15; 21,3). 428 Die Vorstellung von dem Jubel in den Hütten der Gerechten in Psalm 117,15 (LXX) „ fvnh? aögalliaßsevw kai? svthrißaw eön skhnaiqw dikaißvn “ klingt daran an, ist jedoch nicht eschatologisch konnotiert. 429 Die Idee einer ewigen Behausung als Ort für die Toten findet sich in Koh 12,5 LXX: „ ÄOti eöporeußjh oÖ aänjrvpow eiöw oiQkon aiövqnow auötouq “. Das Aufbrechen in das ewige Haus ist dort Bild für das Sterben. 430 Im Hintergrund steht die Vorstellung, dass jedem Menschen eine Wohnung in der Ewigkeit bereitet ist. 431 Die Benennung des himmlischen Wohnortes der Gerechten im nichthellenistischen Judentum ist uneinheitlich: So ist in äthHen 39,4ff. von Wohnungen bei Engeln, die für die verstorbenen Gerechten bereitstehen die Rede, in äthHen 40,5 werden die Auserwählten bei Gott lokalisiert und äthHen 71,16 erwähnt, dass sie zum Himmel eingehen. V. 4 weist eine strukturelle Parallelität zu v. 9 auf: Er schildert, dass der oiökonoßmow durch listiges Umgehen mit dem Besitz seines Arbeitgebers, der ihm in Form von Schuldscheinen, graßmmata , vorliegt, seine Existenz zu sichern beabsichtigt. Er hofft, dass dessen Schuldner ihn in ihre Häuser aufnehmen werden - deßcvntaiß me eiöw tou? w oiäkouw auötvqn (v. 4). Ebenso legt v. 9 425 Dies widerspricht anderen Belegen bei Lk, die sich gegen das Reziprozitätsprinzip beim Geben wenden (vgl. Lk 6,34-35a.; 14,12-14; Apg 20,35). 426 In den „Verklärungsperikopen“ steht griechisch für die drei „Behausungen“, die die Jünger Jesus, Mose und Elia bauen wollen, skhnaiß (vgl. Mk 9,5; Mt 17,4; Lk 9,33). Zur Diskussion um die aiövnißoi skhnaiß vgl. Krämer, Rätsel, 102; aufgrund ihrer literarkritischen Befunde halten Bovon und Pellegrini die aiövnißoi skhnaiß zunächst für eine Transposition der Häuser und Freunde in v. 4 in die himmlische Realität (so Bovon, EKK III/ 3, 81; Pellegrini, oiökonoßmow , 173). 427 Vgl. Fitzmyer, Luke II, 1110. - Das 2. Esrabuch stammt wohl aus dem 3. Jh.; 2. Esra 2,11 dürfte von Lk abhängig sein. 428 So legt Jeremias, Sprache, 43 die Wendung aus. Die „Hütten“ erinnern s.E. an die Wüstenzeit. Jeremias verweist zum Begriff skhnhß auf die Ausführungen von Lohmeyer, Bornhäuser und Riesenfeld (vgl. Lohmeyer, Verklärung, 191ff.; Bornhäuser, Sukka, 126- 128; Riesenfeld, Jésus transfiguré, 181ff). 429 Die „Zelte“ der Gerechten spielen hier auf das Lager der Israliten in der Wüstenzeit an (Ex 16,6; Num 11.10); vgl. Hossfeld/ Zenger, Psalmen 101-150, 326. 430 Vgl. Lauka, Kohelet, 214. 431 Vgl. Hertzberg, Prediger, 213. <?page no="150"?> 150 dar, dass der geschickte Umgang mit Besitz ( mamvqnaw thqw aödikißaw ) das Aufgenommenwerden in eine Wohnstatt - hier die ewige - zur Folge hat: deßcvntai uÖmaqw eiöw ta? w aiövnißouw skhnaßw , v. 9. Irdisches Verhalten, präziser der Umgang mit materiellen Gütern auf der Erde, hat Auswirkungen auf die eschatologische Existenz. Die v. 10-12 betonen, dass man sich im Umgang mit dem Mammon als pistoßw erweisen soll und nicht als aädikow. De minore ad maius hat man so die Aussicht auf das wahre Gut, to? aölhjinoßn. (#.2.3) Aus dem Mund des kußriow 432 erfährt das Verhalten des oiökonoßmow eine positive Wertung, es wird als fronißmvw bezeichnet . V. 9 verortet den oiökonoßmow und sein Verhalten in diesem Äon - die uiÖoi? touq aiövqnow toußtou 433 und die uiÖoi? touq fvtoßw werden einander gegenübergestellt. (#.3) Gott oder Jesus werden im Parabelkern nicht explizit erwähnt. 15 Lk 16,19-31: Reicher Mann und armer Lazarus Kontext. Die Erzählung vom reichen Mann und armen Lazarus (16,19-31) schließt das 16. Kapitel ab, in dem der Umgang mit Besitz Leitthema ist: 1. 16,1-8 (S Lk ): Gleichnis vom klugen Verwalter. 2. 16,9-13* (S Lk ) 434 : Logien vom rechten Gebrauch des Besitzes und vom Mammon. 3. 16,14-18 (Q): Worte an die Pharisäer: v. 14f. (S Lk ): Gegen die Geldgier. v. 16f. (Q) 435 : Vom Gesetz. v. 18 (Mk) 436 : Über die Ehescheidung. Struktur. Auf lukanischer Ebene richtet Jesus die Erzählung 16,19-31 an die Pharisäer (vgl. 16,15), in 17,1 wendet Jesus sich wieder an seine Jünger. Die Erzählung beginnt nach dem Logion über die Ehescheidung (v. 17) unvermittelt mit „ aänjrvpow deß tiw hQn “ (v. 19). 437 Die Erzählung ist deutlich zweigeteilt: Der erste Teil (16,19-26) hat die doppelte eschatologische Umkehrung der Verhältnisse des irdischen Lebens zum Thema 438 , im zweiten Teil (16,27-31) wird die Umkehrmöglichkeit der Reichen diskutiert. Die v. 19-21 schildern die Situation des reichen Mannes und des armen Lazarus im Diesseits. V. 22 markiert die Wende, die durch den Tod der beiden eintritt und zu einer Umkehrung der diesseitigen Verhältnisse im Jen- 432 Zur Diskussion darüber, ob kußriow hier Jesus meint (so z.B. Jeremias, Sprache, 45f.) vgl. Pellegrini, oiökonoßmow , 175 Anm. 6; Krämer, Rätsel, 166-182. 433 Vgl. Lk 20,34, wo die uiÖoi? touq aiövqnow toußtou im Gegensatz zu denen stehen, die die Auferstehung erlangen. 434 16,13 stammt aus Q (vgl. Mt 6,24). 435 Lk 16,16-17 findet sich ähnlich in Mt 5,18; 11,12f. 436 Vgl. Mk 10,11f; Mt 19,9. 437 D (Codex Bezae) hat eine Einleitung, s.o. Textkritik. 438 So schon Bultmann, Geschichte, 193; ebenso Fitzmyer, Luke II, 1126; Petzke, Sondergut, 148; Mineshige, Besitzverzicht, 157. <?page no="151"?> 151 seits führt. In den v. 23-26 ist die Jenseitssituation eindrücklich geschildert: Lazarus gelangt in „Abrahams Schoß“ und wird dort getröstet, während der Reiche Höllenqualen erleidet. Der Reiche führt einen Dialog mit Abraham. Am Ende des ersten Dialogteils konstatiert Abraham die Unumkehrbarkeit der jenseitigen Verhältnisse (v. 26). Die Erzählung v. 19-26 stellt die „schicksalhafte“ Umkehrung (vgl. v. 25) der diesseitigen ökonomischen Verhältnisse im Jenseits ins Zentrum und betont die Endgültigkeit der eschatologischen Situation. Menschliches Handeln spielt dabei keine Rolle. Im zweiten Teil des Dialogs (v. 27-29) bittet der Reiche, dass Abraham Lazarus zu seinen fünf Brüdern schicke und sie warne, damit sie nicht auch in den Hades kämen. Auch diese Bitte wird verweigert, indem Abraham auf Mose und die Propheten als Richtschnur verweist. Menschliches Handeln und der Gedanke der Umkehr geraten hier in den Blick, werden aber noch nicht explizit angesprochen. Im Schlussteil des Dialogs (v. 30-31) bringt der Reiche den Gedanken ins Spiel, dass die Auferstehung eines Toten seine Brüder von der metaßnoia überzeugen könnte. Abraham beharrt auf der Gültigkeit von Mose und Propheten. Innerhalb des Dialogs spricht der Reiche dreimal Abraham mit paßter an (v. 24.27.29); nur in v. 25, in der Eröffnung der ersten Redesequenz Abrahams antwortet dieser mit der Anrede „ teßknon “. 15.1 Redaktionskritik Im ersten Teil der Erzählung v. 19-26 lässt sich lukanische Redaktion an folgenden sprachlichen Merkmalen festmachen: 439 Die Einleitung aänjrvpow […] tißw (v. 19) ist Lukas zuzuschreiben. 440 Das Adverb lamprvqw in v. 19 geht vermutlich auf Lukas zurück, da dieser eine Vorliebe für Derivate des Stammes lamphat. 441 Das nachgestellte adjektivische tißw + oönoßmati + Eigenname (v. 20) zeigt insbesondere in dieser Wortfolge typisch lukanische Handschrift und begegnet im NT nur im lukanischen Doppelwerk. 442 Die Wendung eögeßneto de? in v. 22 ist ein Septuagintismus und findet sich im NT ausschließlich im lukanischen Doppelwerk; 443 die Kombination mit dem folgenden Infinitiv ist zudem lukanische Vorzugswendung. 444 Die Wendung de? kaiß in v. 22 ist eine Partikelverbindung, die von 439 Vgl. zum Folgenden Jeremias, Sprache, 260f. 440 S. die Analyse zu Lk 10,30. 441 Vgl. Jeremias, Sprache, 80. - Laßmpein begegnet in Lk 17,24/ Apg 12,7, aber auch in Mt 5,15.16; 17,2; lampaßw in Apg 20,8, aber auch in Mt 25,1.3.4.7.8 und Joh 18,3; lamproßw findet sich in Lk 23,11/ Apg 10,30, aber auch 2mal in Jak und 5mal in Offb; lamprvqw ist Hapaxlegomenon im NT; perilaßmpein in Lk 2,9/ Apg 26,13. 442 Nämlich in Lk 1,5; 10,38; 16,20/ Apg 8,9; 9,33; 10,1; 16,1. 443 Dort 17mal in Lk und 21mal in Apg, davon siebenmal von Lukas in den Markusstoff eingefügt. 444 „ Gißnesjai mit folgendem Infinitiv, um das Eintreten der vom Verb bezeichneten Handlung hervorzuheben, begegnet im NT bei Mt nur 18,13, bei Mk nur 2,23, bei Lk dagegen 5mal im Ev und 17mal in der Apg. Nimmt man hinzu, daß Lukas die Wendung 2mal in seinen Markusstoff einfügt (Lk 6,6.12), so haben wir zu schließen, daß wir es bei gißnesjai mit einer lk Vorzugswendung zu tun haben.“ (vgl. ebd.). <?page no="152"?> 152 Lukas bevorzugt wird. 445 Generell als lukanisches Vorzugswort ist uÖpaßrxein in v. 23 zu bezeichnen; 446 gerade der hier vorliegende Gebrauch in der Funktion als Ersatz von eiQnai mit Prädikatsnomen zeigt sich in Lk/ Apg deutlich häufiger als im übrigen NT. 447 EiQpen deß in v. 25.27.31 begegnet mit einer Ausnahme nur im lukanischen Doppelwerk. 448 Diabaißnein in v. 26 kommt insgesamt nur dreimal im NT vor. 449 Diabaißnein und auch diamartußresjai in v. 27 können als lukanische Vorzugswörter bezeichnet werden, da eine deutliche Vorliebe des Lukas für Verbkomposita mit diazu verzeichnen ist. 450 Diamartußresjai begegnet im lukanischen Doppelwerk deutlich häufiger als im übrigen NT. 451 Als sprachliches Indiz dafür, dass Lukas v. 27-31 verfasst habe, wird häufig gewertet, dass Hapaxlegomena bzw. Wörter, die im Lukasevangelium nur in 16,19-31 begegnen, sich in der vorliegenden Perikope nur in v. 19-26 finden. 452 Inhaltlich fällt auf, dass die Erzählung bereits mit v. 26 einen befriedigenden Schluss aufweist. Folgende Erzählelemente treten ab v. 27 unvermittelt auf: die fünf Brüder (v. 28), das Umkehrmotiv (v. 30) und der Verweis auf Mose und Propheten (v. 29.31). 453 Die genannten Indizien sprechen in der Tat dafür, dass in v. 27-29 eine erste Erweiterung der 445 Sie begegnet häufig auch bei Pls (22mal). Im lukanischen Doppelwerk findet sie sich 33mal, 26mal in Lk/ siebenmal in Apg, davon sechsmal zum Markusstoff hinzugefügt (Lk 4,41; 5,36; 20,11.12.31; 21,16); in den übrigen Evangelien findet sie sich 13mal, dreimal in Mt, zweimal in Mk, achtmal in Joh, und weitere fünfmal im NT. - Vgl. auch Jeremias, Sprache, 78f.; Plummer, Luke, 90. 446 &Upaßrxein begegnet 60mal im NT, davon 40mal im lukanischen Doppelwerk. 447 Nämlich siebenmal in Lk/ 16mal in Apg, davon zweimal - Lk 8,41 und 9,48 - in den Markusstoff eingefügt, gegenüber neunmal bei Pls und dreimal im übrigen NT. 448 Nämlich in Joh 12,6; demgegenüber 59mal in Lk und 15mal in Apg, davon 13mal als Änderung im Markusstoff. 449 Nämlich hier in Lk 16,26, in Apg 16,9 und in Hebr 11,29. 450 Vgl. dazu und zum Folgenden Jeremias, Sprache, 70f. - Im NT finden sich 80 Verbkomposita mit dia- : 20mal in Mt, 16mal in Mk, 7mal in Joh und 67mal in Lk/ Apg, davon 36 nur in Lk/ Apg. In absoluten Zahlen begegnet im NT 344mal ein Verbkompositum mit dia- : 32mal in Mt, 32mal in Mk, 84mal in Lk/ 119mal in Apg (insgesamt 203mal im lukanischen Doppelwerk), zehnmal in Joh und im übrigen NT 67mal; Lukas fügt 16mal ein dia- Kompositum in den Markusstoff ein: Lk 5,15; 6,1.11.12; 8,24.29.39.55; 9,6.7.10.33.41; 18,22.36; 20,14. 451 Nämlich einmal in Lk, neunmal in der Apg und im übrigen NT fünfmal. Mit Dativ der Person begegnet es nur in Lk/ Apg, nämlich hier in Lk 16,28 und in Apg 18,5; 20,21.23. 452 Vgl. Heininger, Sondergutgleichnisse, 179f. - Hapaxlegomena sind bußssow, eöpileißxein, katayußxein, eÖlkouqsjai ; nur hier in Lk begegnen eöndidußskein (noch in Mk 15,17), lamproßw ( noch in Mk 15,17.20; Apg 18,12), eÖlkow (noch in Offb 16,2.11), aöpofeßrein (noch in Mk 15,1; 1 Kor 16,3; Offb 17,3; 21,19; Apg 19,12); baßsanow (noch in Mt 4,24), baßptein ( noch Joh 13,26; Offb 19,13), aäkron (noch in Mt 24,31 par Mk 13,27; Hebr 11,21), floßc (noch in 2 Thess 1,8; Hebr 1,7; Offb 1,14; 2,18; 19,12; Apg 7,30), diabaißnein ( noch in Hebr 11,29; Apg 16,9) - diabaiß ßnein wertet Heininger mit Hinweis auf nur einmaliges Vorkommen in Lk als Hinweis auf Tradition; Jeremias dagegen betrachtet diabaiß ßnein mit Hinweis auf die lukanische Vorliebe für dia- Komposita als lukanisch; diaperaqn ( noch in Mt 9,1; 14,34; Mk 5,21; 6,53; Apg 21,2). Ein Wort, das im NT ausschließlich in Lk/ Apg begegnet, ist oödunaqsjai in v. 24.25; es findet sich in Lk 2,48; 16,24f. und Apg 20,38. 453 Vgl. Heininger, Sondergutgleichnisse, 179; das Motiv der fünf Brüder könnte auch aus einer Quelle stammen. - „Mose und die Propheten“ (v. 29.31) entspricht inhaltlich der Wendung „Gesetz und Propheten“ (v.16). Vgl. dazu Mineshige, Besitzverzicht, 161; vgl. Lk 24,27.44; Apg 28,23. <?page no="153"?> 153 ursprünglichen Erzählung vorliegt. Da v. 30f. die v. 27-29 noch auf das Thema der Umkehr hin präzisieren, fand die erste Erweiterung auf jeden Fall noch vorlukanisch statt. Ihre Hauptintention ist der Verweis auf die Propheten und die Forderungen der Thora. 454 V. 30f. präzisiert dann - in einer zweiten Erweiterung - den Gedanken der metaßnoia . In der synoptischen Tradition gehört die metaßnoia zur erwarteten Reaktion auf die Predigt Jesu (Mk 1,15f.; Q/ Lk 3,8; 10,13; 11,32), ist aber kein typischer Zug der Tradition über die Tätigkeit Jesu. 455 Markus thematisiert die metaßnoia in 1,15 und 6,12, Matthäus nur in traditionellen Passagen 456 , Johannes gar nicht. Lukas dagegen spricht 22mal von metaßnoia bzw. metanoeiqn, davon allerdings 17mal in S Lk -Passagen. In der Apostelgeschichte begegnet metaßnoia in 2,38 mit folgender Taufe und Sündenvergebung, in 16,31ff. in Verbindung mit Glauben und in 26,20 in Verbindung mit der Aufforderung zum Fruchtbringen. Dass v. 31 die Auferstehung Jesu reflektiert und darauf verweist, dass diese nicht zur Umkehr des auserwählten Volkes Israels geführt habe, greift zu weit und kann nicht als Indiz gewertet werden, dass diese zweite Erweiterung auf Lukas zurückzuführen ist. 457 Wahrscheinlich liegen also sowohl in in v. 27-29 als auch in v. 30f. vorlukanische Erweiterungen vor. 15.2 Theologisch-inhaltliche Analyse (#.1.1) Irdischer Reichtum, Leben in Luxus, kaj ö hÖmeßran lamprvqw, wird in v. 19.21 über vornehme Kleidung, Freude und überreiches Nahrungsangebot definiert. Über die Person des Reichen wird ausgesagt, dass er sich gewöhnlich vornehm kleidete, eönedidußsketo porfußran kai? bußsson ( v. 19), und dabei freudig gestimmt ist, euöfrainoßmenow (v. 19). Nahrung steht ihm im Überfluss zur Verfügung, so dass die Reste des Reichen noch für den Armen zur Sättigung ausreichen würden. Demgegenüber ist Armut durch passives Hingeworfensein an einen Aufenthaltsort, der durch Abgrenzung ( pro? w to? n pulvqna auötouq eiÖlkvmeßnow , v. 20) definiert ist, durch Krankheit und Hunger charakterisiert. Der arme Lazarus findet sich vor der Tür des Reichen „hingeworfen“, eöbeßblhto ( v. 20, Plquperf. Pass.), hat also keine Behausung. Er ist zudem mit Geschwüren bedeckt, eiÖlkvßmenow (v. 20, Part. Pf. Pass.), und leidet Hunger, eöpijumvqn xortasjhqnai 458 (v. 21). Der Armut 454 Bovon vermutet, dass diese Erweiterung in einem judenchristlichen Milieu stattfand, das „am Gesetzesgehorsam als Heilsbedingung“ festhielt (Bovon, EKK III/ 3, 125). 455 So Pokorný, Theologie, 123. 456 Vgl. Mt 3,2.8.11; 4,17 (Markusstoff); 11,20f.; 12,41 (Q-Stoff). 457 Gegen Bovon, EKK III/ 3, 126; Heininger, Sondergutgleichnisse, 179; Jülicher, Gleichnisreden II, 639. - Fitzmyer hält dagegen auch vorchristliches Setting für möglich und stützt sich dabei auf Dtn 30,11-14 und äthHen 108 (Fitzmyer, Luke II, 1128). 458 Die Wendung eöpijumeiqn xortasjhqnai findet sich auch in 15,16. Dort begehrt der „verlorene Sohn“ mit dem Schweinefutter seinen Hunger zu stillen. - Das Motiv, sich mit dem zu sättigen, was von einem Tisch abfällt ( aöpo? tvqn piptoßntvn apo? thqw trapeßzhw touq plousißou , v. 21) findet sich in Mk 7,28 par Mt 15,27 in der - von Lukas ausgelassenen - Perikope von der syrophönizischen bzw. kanaanäischen Frau. In Lk 16,19ff. bilden der Reiche und der Arme das Gegensatzpaar, in Mk 7,24ff. par stehen sich Israeliten und Heiden gegenüber. - Ein auffälliges Detail ist, dass in Lk 16,21 ebenso wie in Mk 7,24 par Hunde im nächsten Kontext des Motivs erwähnt werden: In Mk 7,27 par sind (junge) Hunde Metapher für die Heiden, die den Kindern das Brot „wegessen“. In Lk 15,21 lecken Hunde die Geschwüre des armen, hungrigen Lazarus. Hunde gelten <?page no="154"?> 154 und Reichtum werden in der Erzählung stark kontrastiert. Die angenehmen Seiten des Wohlstandes per se sind zwar zunächst kritiklos geschildert, Reichtum und irdische Güter werden durchaus als etwas Positives dargestellt. 459 In v. 25 wird der in v. 19 geschilderte Reichtum als das Gute, ta? aögajaß, qualifiziert. ’Agajaß ist dabei nicht im Sinne von „materiellen Gütern“ verwendet, sondern wertend im Gegensatz zu kakaß. Erst durch die Kontrastierung mit der Grausamkeit der Armut, die in drastischen Zügen gezeichnet ist (v. 20f.), wird vor Augen geführt, dass der Wohlstand des Reichen nicht unproblematisch ist. Durch die Verknüpfung von Details in der Schilderung der beiden Lebenssituationen wird der Kontrast noch drastischer. Der Arme hat keine Behausung und lebt vor den Toren des Reichen (v. 20); ersterer leidet Hunger und begehrt sich zu sättigen von dem, was bei letzterem übrig bleibt, aöpo? tvqn piptoßntvn aöpo? thqw trapeßzhw (v. 21). (#.1.2) Ab v. 22 erfahren die irdischen ökonomischen Zustände eine theologische Deutung. Auf der Erzählebene tritt durch den Tod der beiden vorgestellten Personen eine Wende ein, die eine Änderung des „Aufenthaltsortes“ 460 der beiden Personen nach sich zieht: Lazarus wird nach seinem Tod umgehend von Engeln in Abrahams Schoß, eiöw to? n koßlpon ’Abraaßm ( v. 22) 461 , hinweggetragen. Der Reiche stirbt, wird begraben 462 und findet sich in der Unterwelt, eön toiqw basaßnoiw (v. 23), wieder. Der Reiche befindet sich in Distanz, makroßjen (v. 24), zu Lazarus und dem Schoß Abrahams. Er leidet Qualen, die als Schmachten im Feuer geschildert sind (v. 24). Lazarus dagegen wird in Abrahams Schoß getröstet, parakaleiqtai (v. 25). Der Jenseitsschilderung in v. 22-26 liegt die Vorstellung zu Grunde, dass die verstorbene Person weiter existiert, ohne das eine Veränderung der psychischen oder physischen Existenz eintritt. 463 Der Gedanke, dass das jenseitige Leben als unreine Tiere (so Heininger, Sondergutgleichnisse, 184, unter Verweis auf Lev 11,27; äthHen 89,42f.; 90,4). 459 In der weisheitlichen Literatur ist das Tragen von Gewändern aus Purpur und Byssus deutlich positiv gewertet (vgl. Spr 31,22 im „Lob der tüchtigen Frau“). 460 Zu beachten ist die durch die zahlreichen Ortsangaben hervorgehobene Bedeutung des „Ortes“ in 16,19-31: pro? w to? n pulvqna (v. 20), eiöw to? n koßlpon ’Abraaßm (v. 22), eön tvq # aÄdh# (v. 23), aöpo? makroßjen (v. 23), metacu? hÖmvqn kai? uÖmvqn (v. 26), eänjen pro? w uÖmaqw (v. 26), eökeiqjen pro? w hÖmaqw (v. 26), eiöw to? n oiQkon touq patroßw mou (v. 27), eiöw to? n toßpon touqton thqw basaßnou (v. 28), aöpo? nekrvqn […] pro? w aöutou? w (v. 30). 461 Zu beachten ist, dass koßlpow in v. 22 im Sg. und in v. 23 im Plural begegnet. 462 Dass die nur knappe Darstellung der Bestattung durch eötaßfh auf einen Tod in „Glück und Reichtum“ oder auf Kritik an prunkvollen Begräbniszeremonien verweist, ist unwahrscheinlich (s. Mineshige, Besitzverzicht, 159). Das Verb jaßptein bedeutet schlicht „bestatten, beerdigen“, vgl. Mt 8,21f. par Lk 9,59f.; Mt 14,12; Apg 5,6.9.10; 1 Kor 15,4 und ist nicht mit dem Hinweis auf eine Zeremonie konnotiert; in den meisten Belegen schwingt eine Bekräftigung des Faktums des Todes durch das Begräbnis mit (vgl. besonders 1 Kor 15,4). 463 Eine andere Vorstellung der postmortalen Existenz findet sich in 1 Kor 15,35ff. - Vgl. Petzke, Sondergut, 149. <?page no="155"?> 155 eine kontinuierliche Fortsetzung der diesseitigen Existenz ist, ist die Grundlage für das Konzept eines postmortalen Ausgleichs der diesseitigen ökonomischen Situation. V. 25 fasst dies zusammen: ’Apeßlabew ta? aögajaß sou eön thq # zvhq # sou, kai? Laßzarow oÖmoißvw ta? kakaß ; nuqn de? vWde parakaleiqtai, su? de? oödunaqsai. Demgemäß empfangen der Reiche und Lazarus ein Mensch bezogen auf ihre gesamte - d.h. prä- und postmortale - Existenz Gutes und Schlechtes in ausgewogenem Maße. 464 Postmortal, im Jenseits, werden folglich irdischer ökonomischer Wohlstand mit qualvollem Dasein im Hades, und irdische Armut mit Trost im Schoß Abrahams ausgeglichen. Durch das Motiv des Trostes in Abrahams Schoß in v. 22.23.25 erscheint der Ausgleich im Jenseits als von Gott bestimmt. Das Gewicht der Erzählung liegt auf der Schilderung der jenseitigen Verhältnisse, 465 diese sind endgültig. Die unüberwindbare Kluft, xaßsma meßga ( v. 26) , die zwischen den beiden Bereichen im Jenseits befestigt ist, eösthßriktai (v. 26), verdeutlicht dies metaphorisch. (#.2.1) In 16,19-21 bleiben sowohl der arme Lazarus als auch der Reiche passiv. 466 Sie handeln nicht, lediglich ihre Gefühle, Freude bzw. Hunger, werden geschildert. Für Lazarus gilt dies auch im zweiten Teil der Erzählung v. 22ff. Ihm kommt lediglich eine potentielle Mittlerfunktion zu: 467 Der Reiche fordert Abraham auf, Lazarus zu ihm in den Hades zu schicken, damit er dort seine Zunge befeuchte, um seine Qual zu lindern (v. 24). In v. 27 wird dieses Motiv ein zweites Mal aufgegriffen: Nun verlangt der Reiche, dass Lazarus ins Diesseits gesandt werden soll, um dort seine Brüder zur Umkehr zu überzeugen. Der Reiche wird also „verbal aktiv“ und führt einen Dialog mit Abraham: Er ruft und bittet Abraham um Erbarmen (v. 24). Er fordert, dass Lazarus zu ihm komme, um ihm zu helfen. Er erstrebt also eine Beziehungsaufnahme zwischen ihm und Lazarus. Bemerkenswert ist, dass das menschliche Verhalten in 16,19-26 weder als Ursache für den ökonomischen Zustand im Diesseits noch für das Ergehen im Jenseits thematisiert wird. Gutes und Schlechtes empfängt der Mensch unabhängig von seinem Verhalten (v. 25). Das Verhalten im irdischen Leben wird erst in v. 27-31 unter der Fragestellung der Umkehrmöglichkeit ( metanohßsousin, v. 30) für Reiche und der Möglichkeit der Beeinflussung 464 Merklein wendet sich dagegen, dass die jenseitige Situation in 16,19-31 als fatale Gesetzmäßigkeit dargestellt sei. Die eschatologische Umkehrung ist seines Erachtens die jenseitige Fixierung der im Diesseits praktizierten Distanz des Reichen zu dem Armen (vgl. v. 20f.26). Die „Rechtmäßigkeit“ der Umkehr der Geschicke im Jenseits werde durch die Autorität Abrahams garantiert, der in v. 25 Sprecher ist (vgl. Merklein, Art. ploußsiow , 275). 465 Vgl. Fitzmyer, Luke II, 1128. 466 In 16,19-21 herrschen Verben im Passiv vor. Die Partizipien sind nicht von dynamischen Verben gebildet, sondern von Verben der Gefühlsregung ( eöpijumeiqn, euöfraißnesjai ). 467 Vgl. Horn, Glaube und Handeln, 81. <?page no="156"?> 156 der Geschicke im Jenseits explizit reflektiert. 468 In den v. 29.31 weist Abraham auf „Mose und die Propheten“ hin. Die Möglichkeit zur Umkehr metaßnoia (v. 30) - und damit zur Beeinflussung des jenseitigen Schicksals - besteht im Hören auf diese. Die These, dass die Situation im Jenseits zugleich Ausgleich und Bestrafung für die „implizite Schuld“ des Reichen sei, nämlich dass er sich vom Elend des armen Lazarus zu Lebzeiten nicht anrühren ließ, wird diskutiert. 469 Als Begründung dafür, dass die Schuld des Reichen nicht thematisiert wird, wird beispielsweise die „Erzählkunst“ des Autors angeführt. „Gesetz und Propheten“ (v. 29.31) 470 seien direkt mit der Forderung zu Barmherzigkeit konnotiert. Aus der Erwähnung von Moses und den Propheten in den v. 29.31 sei zu schließen, dass die Erzählung dem Reichen zur Last lege, ebenso wie jetzt seine Brüder Moses und die Propheten ignoriert zu haben. In diesem Sinne sei seine Sünde unterlassene Barmherzigkeit. Die rettende Umkehr bestünde demnach im Hören auf Moses und die Propheten und daraus resultierendem barmherzigen Handeln. 471 Zu konstatieren ist, dass in 16,19-26 ethisches und religiöses Verhalten im Diesseits nicht thematisiert wird, weder Verfehlungen des Reichen erwähnt, noch Lazarus als fromm dargestellt wird. 472 Die Handlungsperspektive tritt erst - ansatzweise - in v. 27 zu Tage: Die metaßnoia ist zunächst Gesinnungsänderung gemäß Gesetz und Propheten und dann die Grundvoraussetzung für rechtes Handeln. 468 Metanoeiqn bedeutet zunächst eine gesinnungsmäßige Umkehr. Weder in 16,30 noch an anderer Stelle in der Erzählung ist eine konkrete Verhaltensänderung angesprochen. Dies legt auch der Begriff peisjhßsontai (v. 31) nahe, der klar auf die Änderung der Gesinnung abhebt. 469 Vgl. Petracca, Gott oder Geld, 185. 470 Bovon geht davon aus, dass 16,19-29 aus der Hand eines Autors des Sondergutes stammen und v. 30f. redaktioneller Zusatz des Lukas sind (vgl. Bovon, EKK III/ 3, 112f.); Fitzmyer sieht keinen Grund dafür, die Einheit als ganze nicht Jesus zuzuschreiben (vgl. Fitzmyer, Luke II, 1127); andererseits könnte der gedankliche Bruch ein Indiz dafür sein, dass die v. 27-31 eine sekundäre lukanische oder vorlukanische Erweiterung sind - so Jülicher, Gleichnisreden II, 634. - Vgl. dazu die Diskussion bei Mineshige, Besitzverzicht, 143, der selbst vorsichtig für sekundäre Erweiterung plädiert. 471 Vgl. Bovon, EKK III/ 3, 118; ähnlich Seccombe, Possessions, 173. - Bammel umgeht die Frage, ob und ggf. welches konkrete Verhalten mit dem Verweis auf Mose und die Propheten konnotiert ist, und weist darauf hin, dass die Erzählung nicht darauf ausgerichtet sei, ein konkretes Versagen des Reichen gegenüber dem Armen darzustellen, sondern exemplarisch verdeutliche, wie das Leben dieses Reichen sich geradezu zwangsläufig von der Sphäre Gottes entferne (vgl. Bammel, Art. ptvxoßw , 906). 472 Dies betont Mineshige zurecht (vgl. Mineshige, Besitzverzicht, 160). Dass in 16,19-26 der soziale Status (arm - reich) entscheidend ist, und nicht das sittliche oder religiöse Verhalten des Reichen und des Lazarus, betont auch Petzke (vgl. Sondergut, 150), ebenso vgl. Bolkestein, Wohltätigkeit, 409. Auch Horn sieht keine moralische Wertung des Verhaltens des Reichen und des Lazarus (vgl. Horn, Glaube und Handeln, 145). Bammel weist darauf hin, dass weder eine besondere Verschuldung des Reichen noch ein Verdienst des Armen angedeutet ist (vgl. Bammel, Art. ptvxoßw , 906). <?page no="157"?> 157 (#.3) Gott ist in der Erzählung vom reichen Mann und armen Lazarus nicht explizit erwähnt. Die Diesseitsschilderung kommt völlig ohne religiöse Elemente aus, erst nach dem Tod der beiden Hauptfiguren wird die Sphäre des Jenseits fokussiert: Die Engel tragen Lazarus in Abrahams Schoß und der Reiche findet sich im Hades wieder (v. 22f). Gott findet jedoch auch in diesem Erzählabschnitt keine Erwähnung. In die diesseitigen ökonomischen Verhältnisse greift er nicht ein - weder „zustandsverändernd“ noch indem er sich an eine der beiden Personen wendet. Auch die jenseitigen Verhältnisse, auf denen das Gewicht der Erzählung liegt, sind nicht als Sphäre des Handelns Gottes dargestellt. Die Umkehrung der Verhältnisse erscheint in 16,19-26 als „Fatum“ (v. 25). Darauf, dass der Gott Israels hinter diesem „Schicksalsgesetz“ steht, verweisen lediglich die tragende Rolle, die dem Erzvater Abraham in der Erzählung zukommt sowie die Betonung von Mose und den Propheten. Abraham ist es, der den „Ausgleich“ der diesseitigen Geschicke im Jenseits proklamiert (v. 25) und auf die einzige Umkehrmöglichkeit, nämlich Mose und die Propheten (v. 31) im Diesseits hinweist. 16 Lk 19,1-10: „Ökonomische“ Bekehrung des Zachäus Kontext. Die Begegnung zwischen Jesus und Zachäus (19,1-10) steht nach der dritten Leidensankündigung (18,31-34) und der Heilung des Blinden bei Jericho (18,35-43) kurz vor der Ankunft Jesu in Jerusalem. Sie ist durch die Einleitung eiöseljv? n dihßrxeto th? n ’Ihrixvß klar von der vorangehenden Erzählung abgegrenzt, die mit einem Lob Gottes durch das Volk endet. Die Blindenheilung und die Erzählung von Zachäus sind durch ihre Lokalisierung bei Jericho verknüpft. Mit der folgenden Perikope, dem Gleichnis vom anvertrauten Geld (19,11-26), das mit der Situationsbeschreibung aökouoßntvn de? auötvqn (19,11) einen Neuansatz aufweist, verbindet die Zachäuserzählung die Frage nach dem Umgang mit Geld. Struktur. Die Begegnung von Jesus und Zachäus (19,1-10) lässt sich wie folgt strukturieren: v. 1.2: Exposition mit Nennung der Hauptpersonen: Jesus kommt nach Jericho; dort befindet sich der reiche Zöllner Zachäus. v. 3-9: Hauptteil: v. 3f.: Wunsch des Zachäus, Jesus zu sehen; Hindernis (Menschenmenge, geringe Körpergröße); Verwirklichung des Anliegens (Klettern auf einen Baum). v. 5: Zuwendung Jesus zu Zachäus: shßmeron ga? r eön tvq # oiäkv# sou deiq me meiqnai. v. 6: Spontane, freudige Reaktion des Zachäus: Er nimmt Jesus auf. v. 7: Reaktion der Menge: Murren über Kontakt Jesu mit Sündern. v. 8: „Ökonomisches“ Bekehrungsbekenntnis des Zachäus vor Jesus. v. 9: Heilszuspruch Jesu: kai? auöto? w uiÖo? w ’Abraaßm eöstißn. v. 10: Schluss: Zusammenfassende Beschreibung der Sendung des Menschensohnes als Sendung zum Verlorenen. <?page no="158"?> 158 16.1 Redaktionskritik Folgende sprachliche Merkmale lassen auf lukanische Redaktion schließen: Dießrxomai in der Einleitung v. 1 stammt wohl von Lukas, es ist eine lukanische Vorzugsvokabel; in v. 4 ist das Verb absolut verwendet - ein lukanisches Spezifikum, das nur in Lk und Apg begegnet. 473 Die beiden Formulierungen mit aönhßr, kai? iödou? aönhßr (v. 2) und aÖmartvlvq # aöndri? (v. 7) gehen mit hoher Wahrscheinlichkeit ebenfalls auf Lukas zurück: Zum einen ist aönhßr ein lukanisches Vorzugswort 474 ; zum anderen begegnet die Wendung kai? iödou? aönhßr nur in Lk und Apg, zudem stehen von elf Belegen fünf gegen Mk 475 . Die Adjektivierung eines Substantivs (hier aÖmartvloßw ) durch die Hinzufügung von aönhßr ist ein Phänomen, das sich im klassischen Griechisch häufig, im NT nur in Lk (5,8; 11,32; 17,12; 19,7; 24,19) und der Apg findet. 476 Die pleonastische Wendung oönoßmati kaloußmenow (v. 2) findet sich im NT nur hier, die beiden Elemente für sich sind jeweils lukanisch: öOnoßmati steht im NT siebenmal in Lk und 21mal in Apg, sonst nur noch je einmal in Mt (27,32) und Mk (5,22). 477 Das Partizip kaloußmenow ist im NT nur in Offb (dreimal) und im lukanischen Doppelwerk (Lk elfmal/ Apg 13mal) zur Einführung eines Namens verwendet. 478 Der Befund, dass Lk fünfmal kaloußmenow zum Markusstoff hinzufügt, 479 stützt die Annahme, dass das Partizip redaktionell ist. 480 Die Wendung eiQpen proßw + Akk. (v. 8.9) ist mit hoher Wahrscheinlichkeit lukanisch. 481 ÖO kußriow (v. 8) als absolute Bezeichnung des irdischen Jesus in einer Erzählung findet sich in den Evangelien 15mal bei Lk und fünfmal in Joh 482 . Bei Lk finden sich sieben Belege in S Lk -Passagen 483 und acht in lukanischen Hinzufügungen zu Qbzw. Markusstoff 484 . Jeremias schließt aus der Tatsache, dass Lukas die Bezeichnung in der Apg nicht auf den irdischen Jesus anwendet, dass sie traditionell ist. Dagegen ist erstens einzuwenden, dass Lukas an zwei Stellen in der Apg (1,21 und 20,35) den irdischen Jesus mit oÖ kußriow ’Ihsouqw bezeichnet; zweitens ist an diesem Punkt die Apg kaum zur Argumentation heranzuziehen, da in der Apg wenig vom irdischen Jesus und der Zeit seines irdischen Wirkens die Rede ist: Die Apg behandelt ja gerade die Zeit nach der Auferstehung des „Herrn“ und nicht die Zeit des irdischen Wirkens Jesu. Zumindest in den genannten Q- und Mk-Abschnitten 473 Vgl. Jeremias, Sprache, 275f.84. - Dießrxomai findet sich bei Mt einmal, bei Mk zweimal, bei Pls fünfmal, im übrigen NT einmal und demgegenüber 30mal im lukanischen Doppelwerk (zehnmal in Lk und 20mal in Apg); absolute Verwendung liegt in Lk 5,15 diff. Mk 1,45; Lk 19,4; Apg 8,4.40; 10,38; 17,23 vor. 474 ’Anhßr findet sich 116mal im lukanischen Doppelwerk (23mal in Lk, 93mal in Apg), aber nur viermal in Mt, zweimal in Mk, einmal in Joh und fünfmal bei Pls. 475 Lk 5,12 diff. Mk 1,40; Lk 5,18 diff. Mk 2,3; Lk 8,41 diff. Mk 5,22; Lk 9,30 diff. Mk 9,4; Lk 9,38 diff. Mk 9,17; Lk 19,2; 23,50; 24,4; Apg 1,10; 8,27; 10,30. - Kai? iödou? aänjrvpow ist demgegenüber vorlukanisch (vgl. Jeremias, Sprache, 93f.). 476 Vgl. Jeremias, Sprache, 275.134f. 477 Vgl. Jeremias, Sprache, 275.15. 478 Sonst ist im NT legoßmenow gängig, das Lukas nur viermal (Lk 22,1.47 und Apg 3,2; 6,9) schreibt (vgl. Jeremias, Sprache, 53). 479 Kaloußmenow findet sich im Nichtmarkusstoff in Lk 1,36; 7,11; 8,2; 10,39; 19,2; 23,33. Lukas fügt es an folgenden Stellen zum Markusstoff hinzu: Lk 6,15 diff. Mk 3,18; Lk 9,10 diff. Mk 6,32; Lk 19,29 diff. Mk 11,1; Lk 21,37 diff. Mk 11,1; Lk 22,3 diff. Mk 14,10 (vgl. ebd., 53). 480 Ob die pleonastische Formulierung insgesamt von Lukas stammt, ist unklar. Dass Lukas an dieser Stelle sprachlich bearbeitet hat, ist jedoch sehr wahrscheinlich. 481 Vgl. Jeremias, Sprache, 276.33. 482 Vgl. Jeremias, Sprache, 277.158. 483 Lk 7,13; 10,39.41; 13,5; 16,8; 18,6; 19,8. 484 Lk 7,19; 10,1; 11,39; 12,42a; 17,5.6; 22,61 bis . <?page no="159"?> 159 dürfte die Bezeichnung auf Lukas zurückgehen. 485 Die so verwendete Bezeichnung oÖ kußriow spiegelt den Sprachgebrauch der Zeit wider, in der der Titel des Auferstandenen schon fest zum Namen Jesu geworden ist. Er ist also Ergebnis einer vergleichsweise späten theologischen Entwicklung. Dass der Titel auch in einigen S Lk -Passagen, so z.B. in 19,8, von Lukas eingefügt wurde, ist gut vorstellbar. 486 Stilistisch auffällig ist, dass in mehreren S Lk -Erzählungen, die wie Lk 19,1ff. mit redundantem kaiß fortgeführt werden, an einem entscheidenden Punkt diese Regelmäßigkeit durchbrochen ist, und Partizip + Aorist + de? + verbum dicendi im Aorist steht. 487 Die Beobachtungen, dass das Partizip stajeißw (v. 8) im NT ausschließlich im lukanischen Doppelwerk begegnet, und Lukas es außerdem einmal als Änderung in den Markusstoff (Lk 18,40 diff. Mk 10,49) einträgt, legt nahe, dass die Wendung stajei? w de? […] eiQpen (v. 8) mit hoher Wahrscheinlichkeit von Lukas stammt. Diagoggußzein (v. 7) findet sich im NT nur im S Lk (hier und in 15,2), das verbum simplex goggußzein begegnet in den Evangelien in Mt 20,11; Lk 5,30; Joh 6,41.43.61; 7,32; da das Verb insgesamt sehr selten ist, kann es kaum als Indiz für lukanische Redaktion gewertet werden. 488 Die folgenden sprachlichen Merkmale sind starke Indizien auf vorlukanische Tradition: 489 erstens das nichtemphatische kai? auötoßw (v. 2 bis ), das mit hoher Wahrscheinlichkeit 485 Vgl. Hahn, Hoheitstitel, 88 Anm. 4. 486 Hahn betrachtet den Titel in 19,8 als redaktionell; in Lk 16,8 und 18,6 allerdings als vorlukanisch. Für die übrigen Belege trifft er keine klare Entscheidung, da „die Ursprünglichkeit einzelner Elemente des Sondergutes […] immer schwierig“ sei, „wenn damit eine bestimmte vom Evangelisten selbst vertretene Tendenz“ zusammenfalle (Hahn, Hoheitstitel, 89). 487 Lk 9,54f.; 10,40f.; 13,14; 17,17; 18,11; 19,8. - Vgl. Herrenbrück, Zöllner, 276. 488 Gegen Jeremias, Sprache, 277.244. 489 Einige sprachliche Charakteristika in 19,1-10 deuten auf vorlukanische Tradition hin, sind aber für sich allein nicht als eindeutige Indizien auswertbar. Zunächst ist das gehäufte, zwölfmalige satzverbindende kaiß (v. 1.2 bis .3 bis .4-10) zu nennen; es entspricht, wie der Vergleich mit der Apostelgeschichte zeigt, nicht lukanischem Stil (vgl. Jeremias, Sprache, 275). Auch eiöw to? eämprosjen ist nach Jeremias vorlukanisch, doch lässt sich diese These kaum eindeutig begründen (vgl. Jeremias, Sprache, 276). - aöneßbh […] iÄna (v. 4): Die Konstruktion ist mit einiger Wahrscheinlichkeit traditionell, denn Lukas scheint eher aönabaißnein mit Infinitiv des Zwecks zu bevorzugen (diese Konstruktion findet sich außer in Mt 14,23 nur im lukanischen Doppelwerk Lk 2,4f.; 18,10. Lukas fügt sie einmal in den Markusstoff ein (Lk 9,28 diff. Mk 9,2) und schreibt sie in der Apg 10,9 (vgl. Jeremias, Sprache, 276.78). Dass eöpi? to? n toßpon (v. 5) auf vorlukanischen Sprachgebrauch zurückzuführen ist, wird von Jeremias zwar postuliert, lässt sich jedoch nur schwach begründen, da sich die Konstruktion im NT nur dreimal findet (Mk 15,22; Lk 19,5; 23,33), dazu in Offb 18,17 ohne Artikel. An einer redaktionellen Stelle (in Lk 22,40) konstruiert Lukas mit Genitiv ( eöpi? touq toßpou) . Dies und die Tatsache, dass der zweite Beleg mit Akkusativ neben 19,5 auf die Markusvorlage zurückgeht, lassen Jeremias eöpiß to? n toßpon der Tradition zuweisen). Die Belege für shßmeron (v. 9) „mit eschatologischem Beiklang zur Bezeichnung der Gegenwart des Heils“ (vgl. Jeremias, Sprache, 81) sind mehrheitlich vorlukanisch. Es findet sich mit Ausnahme des Vaterunsers und zwei LXX-Zitaten (Mt 6,11; Zitat von Ps 2,7 LXX in Apg 13,33; Hebr 1,5; 5,5 und Ps 94,7 LXX in Hebr 3,7.13.15; 4,7 bis ) nur in Lk (2,11; 4,21; 5,26; 19,9; 23,43) und dort viermal im Nichtmarkusstoff. Jeremias deutet diesen Befund auf vorlukanischen Sprachgebrauch hin. Die Analyse ist jedoch nicht eindeutig, da Jeremias außer Acht lässt, dass shßmeron in 5,26 dem Markusstoff von Lukas hinzugefügt sein dürfte. Im Vergleich zu den anderen Evangelien begegnet aÖmartvloßw (v. 7) bei Lk relativ <?page no="160"?> 160 vorlukanischer Tradition zuzuschreiben ist; 490 zweitens ist kai? vÖw (v. 5) als temporale Konjunktion eine Vorzugswendung des Lukas. 491 Auffällig ist dabei, dass von den 29 Belegen in der Apg 28 vÖw deß lauten und sich nur einmal kai? vÖw findet (1,10). Wendet man diesen Befund auf Lk an, so stammen die beiden Belege für vÖw deß (5,4; 7,12) wohl von Lukas, während die sechs Belege für kai? vÖw (2,39; 15,25; 19,5.41; 22,66; 23,26), die alle mit Aorist konstruiert sind, mit einiger Wahrscheinlichkeit vorlukanischer Tradition zuzuschreiben sind. Das vorangestellte Possessivpronomen in der Wendung mou tvqn uÖparxoßntvn (v. 8) ist mit hoher Wahrscheinlichkeit traditionell. 492 Bovon 493 macht folgende Entstehungsgeschichte der Perikope plausibel: Ursprünglich sei eine Anekdote über das Abenteuer des Zachäus überliefert worden (S Lk ); postuliert ist hierbei, dass schon früh Interesse nicht nur an Jesus, sondern auch an den Erfahrungen der Jesusanhänger bestand (v. 2-6*). Die v. 7 und 9 494 dürften in einem nachfolgenden Überliehäufig (18 Belegen bei Lukas stehen sechs bei Mt, fünf bei Mk und vier bei Joh gegenüber, im übrigen NT findet sich aömartvloßw 14mal). Lukas fügt die Vokabel nie in den Markusstoff ein, übernimmt (Lk 5,30 par Mk 2,16b; Lk 5,32 par Mk 2,17) und meidet (Lk 5,29 diff. Mk 2,15; Lk 9,26 diff. Mk 8,38) sie je zweimal. In der Apg begegnet sie nicht; in Lk legt sich eventuell für 24,7 lukanische Redaktion nahe. Dies führt Jeremias zu dem Schluss, für die verbleibenden 16 Belege (Lk 5,8; 6,32.33.34 bis ; 7,34Q.37.39; 13,2; 15,1.2.7.10; 18,13; 19,7; 24,7) im Nicht-Markusstoff vorlukanische Herkunft anzunehmen (vgl. Jeremias, Sprache, 277.135). Dass sukofaßntein (v. 8) sich im NT nur im S Lk (3,14; 19,8) findet, deutet auf vorlukanische Tradition hin. Jeremias betrachtet uiÖo? w ’Abraaßm (v. 9) als vorlukanisch, da fast alle artikellosen Genitivverbindungen in Lk Entsprechungen in der Septuaginta besäßen; doch legt sich der artikellose Genitiv vom Inhalt her nahe (vgl. die Ausführungen sowie die Liste dieser Genitivkonstruktionen bei Jeremias, Sprache, 18-20, insb. 19 Anm. 12). Für die Konstruktion hQljon mit Infinitiv (v. 10) gibt es in Lk zwei Belege, die die Wendung als vorlukanisch auszeichnen: einen aus dem Markusstoff (Lk 5,32 par 2,17) und einen aus Q (Lk 12,51 par Mt 10,34). Daraus ist jedoch nicht zu schließen, dass auch die beiden anderen Belege in den S Lk - Passagen vorlukanisch sind - v. 10 kann also durchaus von Lukas stammen (mit Bovon, EKK III/ 3, 269; gegen Jeremias, Sprache, 277.223). - Lukas hat das Menschensohnwort aus Mk 10,45 ausgelassen; 19,10 dient möglicherweise als Ersatz dafür. Unter dieser Voraussetzung wäre die Intention des Lukas, zu betonen, dass nicht nur Jesu Tod, sondern sein gesamtes Wirken Heilsbedeutung hat (so Petzke, Sondergut, 168; Pokorný, Theologie, 15, 185; Klein, Lukasevangelium, 599 Anm. 8). Eine Rückführung des Menschensohnwortes auf Jesus hält Hampel (Jesus, 204) für möglich. 490 Die Wendung begegnet als Satzeinleitung 102mal im NT, 39mal in den Evangelien, davon 34mal in Lk und ist dort bis auf sechsmal stets betont. Alle sechs unbetonten Belege finden sich im Nichtmarkusstoff des Lk: 15,14; 16,24; 17,13; 19,2 bis ; 24,14. 491 Vgl. Jeremias, Sprache, 276.45. Sie findet sich im NT einmal in Mk, 18mal in Lk und 29mal in der Apg, 18mal in Joh und viermal bei Pls. 492 Vgl. Jeremias, Sprache, 277.142f. - Dass substantiviertes Partizip mit Genitiv der Person grundsätzlich eine vorlukanische Konstruktion sei und Lukas von sich aus mit Dativ konstruiere (vgl. Lk 8,3; 12,15; Apg 4,32) ist allerdings aufgrund der wenigen Belege (substantiviertes uÖpaßrxein mit Genitiv begegnet dreimal in Mt und sechsmal in Lk, mit Dativ zweimal in Lk und einmal in Apg [mit Genitiv: Mt 19,21 par Lk 12,33; Mt 24,47 par Lk 12,44; Mt 25,14; Lk 11,21; 14,33; 16,1; 19,8; mit Dativ: Lk 8,3; 12,15; Apg 4,32]) kaum zu begründen (gegen Jeremias, Sprache, 277.163.201). 493 Vgl. Bovon, EKK III/ 3, 269f. 494 Bovon, EKK III/ 3, 271 hält für möglich, dass v. 9a lukanisch ist. - Klein hält v. 7 für sekundär und v. 8 für ursprünglich. Jesus spräche dann dem Heil zu, der sich zuvor <?page no="161"?> 161 ferungsstadium (S Lk I) die Auseinandersetzung der ersten Christen mit jüdischen Kritikern um das Verständnis von Sünde und ihrer Relevanz für das Heil des Einzelnen widerspiegeln. Dass einem Oberzöllner die Zuwendung Gottes widerfahren könnte, wird hinterfragt; Streitpunkt ist, wem von Gott Heil widerfahren kann (v. 9) und wer als Sünder 495 einzustufen ist (v. 7). 496 In diesem Konflikt bleibt die Zugehörigkeit zum Volk Israel für die Christen die Grundlage für das Heilsgeschehen, wie die Begründung der Heilszusage mit der Abrahamskindschaft (v. 9b) zeigt. Die „Murrgeschichten“ aus Ex und Num dienen als Deutungsmuster für den Konflikt mit den jüdischen Kritikern: die murrenden paßntew in v. 7 repräsentieren den Teil des Volkes Israel, der in der Wüste murrte. 497 Im folgenden Überlieferungsstadium (S Lk II) scheinen die Frage des Reichtums und die Stellung der reichen Christen innerhalb der Gemeindeglieder beherrschendes Thema gewesen zu sein: V. 7, der vorher (S Lk I) in der Auseinandersetzung um die Zugehörigkeit von Zöllnern 498 zum Gottesvolk verortet war, steht jetzt in Verbindung mit v. 8 im Kontext der Auseinandersetzung darüber, ob und wie Reiche zur christlichen Gemeinde gehören können. V. 8 verteidigt die problematische Stellung der reichen Christen innerhalb der eökklhsißa : Voraussetzung ist, dass diese erstens wirklich Christus begegnen wollen ( eözhßtei iödeiqn to? n ’Ihsouqn, v. 3) und zweitens ihr Vermögen in den Dienst anderer stellen (v. 8). 499 V. 9 ist jetzt als Reaktion Jesu auf Zachäus Umkehr zu lesen. Theologisch ist diese als Rückkehr in den Zustand der Abrahamskindschaft und nicht als Werkgerechtigkeit zu deuten. 500 In v. 9 liegt mit der Akklamation des Zachäus als Sohn Abrahams eine deutlich jüdische Prägung vor; die theologische Vorstellung, dass den Kindern Abrahams Heil verheißen ist, ist prägend. 501 Worauf die Heilszusage Jesu präzise zu beziehen ist, hängt davon ab, welcher Redaktionsebene man die v. 7.8 zuschreibt: Dementsprechend ist die Heilszusage in v. 9 entweder Jesu Reaktion auf die Worte des Zachäus (v. 8), korrigierende Antwort auf die Anklage der Menge (v. 7) oder Würdigung dessen, dass Zachäus der Aufforderung Jesu folgt und ihm mit Freude Gastfreundschaft gewährt (v. 6b). Lukas dürfte die Heilszusage Jesu als Reaktion auf das Bußbekenntnis des Zachäus gelesen haben. bekehrt hat und tätige Nächstenliebe übt (vgl. ders., Barmherzigkeit, 69; Klein bekräftigt diese These in seinem Lukaskommentar [vgl. ders., Lukasevangelium, 598 Anm. 3]). V. 7 sei lukanischer Zusatz, möglicherweise auch nur von Lukas bearbeitet. Die Reaktion des Zachäus (v. 8) ist in diesem Modell direkt auf die Aufnahme Jesu in seinem Haus bezogen und fügt sich mit v. 6 und v. 9 zu einer geschlossenen Szene. - V. 9b ist nach Klein eine sekundäre (aber vorlukanische Begründung) der Heilszusage in v. 9a mit der Abrahamskindschaft (vgl. Klein, Lukasevangelium, 599 Anm. 10). 495 Zum Verständnis von aÖmartvloßw s.o. 496 Bovon, EKK III/ 3, 270f. 497 Die LXX bezeichnet das Murren des Volkes Israel in der Wüste gerade mit dem Verb diagoggußzein (vgl. Ex 16,2.7f; Num 14,2.36; 16,11) bzw. dem verbum simplex goggußzein (vgl. Ex 17,3; Num 14,27.29; 17,6; 1 Kor 10,10). 498 Und anderen sozioreligiösen Randgruppen - vgl. dazu auch Herrenbrück, Zöllner, 229-235. - Die Verbindung aÖmartvloßw - telvßnhw findet sich in Mt 21,31; Mk 2,16b; Lk 7,34 (Q); 15,1. 499 So Bovon, EKK III/ 3, 270. - Dagegen schreiben Bultmann, Geschichte, 33; Petzke, Sondergut, 168; Fitzmyer, Luke II, 1219, v. 8 Lukas zu. Bovon bestreitet die lukanische Verfasserschaft von v. 8 mit dem Argument, dass Lukas verlange, sein gesamtes Vermögen zur Verfügung zu stellen, was aus Lk 12,33; 14,33; 18,22 (von Bovon als redaktionell eingestuft) hervorgehe, während Zachäus in 19,8 nur die Hälfte seines Vermögens abgebe. 500 Vgl. Klein, Barmherzigkeit, 68ff. 501 Vgl. Tannehill, Zacchaeus, passim. <?page no="162"?> 162 V. 10 ist sekundär. Ob er bereits vorlukanisch hinzugefügt wurde oder von Lukas stammt, ist schwierig zu entscheiden. Ich halte ihn für lukanisch. 502 Fazit: Die sprachliche Analyse zeigt, dass 19,1-10 ein von Lukas bearbeitetes Überlieferungsstück ist. Lukas interpretiert die Erzählung mit dem Menschensohnwort in v. 10. 16.2 Theologisch-inhaltliche Analyse (#.1.1) In Lk 19,1-10 begegnen die Schlüsselbegriffe ploußsiow , in v. 2 als Attribut zu Zachäus, und ptvxoßw , in v. 8 als indirektes Objekt im Plural. 503 Dass es sich bei den Armen hier um eine fest definierte Gruppe handelt, wird durch den bestimmten Artikel verdeutlicht. 504 Als Berufsbezeichnung des Zachäus wird im Text aörxitelvßnhw 505 (v. 2) genannt, in v. 7 folgt auf die ökonomische Charakterisierung des Zachäus ( ploußsiow , v. 2) durch den Erzähler aus dem Mund der Menge ( paßntew ) eine religiöse, nämlich aÖmartvloßw . 506 (#.1.2) ’Apolvloßw (v. 10) verweist auf das zukünftige Verlorensein des Zachäus. Als lukanische Interpretation bezieht es sich auf die gesamte Perikope und die Charakteristika, mit denen Zachäus dort bezeichnet wird: aörxitelvßnhw und ploußsiow (v. 2). Reichtum und die einem Zöllner zueigene Amtsgewalt bergen - so die Interpretation in v. 10 - Gefahr, verloren zu 502 Nach Pokorný, Theologie, 143f. ist die soteriologische Vorstellung, dass Gott das Verlorene sucht bzw. die Sendung Jesu als das Suchen des Verlorenen zusammenzufassen ist, lukanisch. Fitzmyer plädiert dagegen dafür, dass v. 10 eine vorlukanische Interpretation ist (vgl. Fitzmyer, Luke II, 1219). 503 Auch in Lk 3,11 sind diejenigen, die nichts haben ( tvq # mh? eäxonti ), als indirektes Objekt erwähnt. 504 Die ptvxoiß als soziale Gruppe begegnen in den Evangelien an folgenden Stellen: mit Artikel neunmal, nämlich in Mt 26,11 (Salbungsperikope); Mk 14,5.7 (Salbungsperikope); Lk 6,20 S Lk ; 14,21 S Lk ; 19,8 S Lk ; Joh 12,6.8 (Salbungsperikope); 13,29; ohne Artikel achtmal, nämlich in Mt 11,5; 19,21 (reicher Jüngling; textkritisch umstritten); 26,9 (Salbungsperikope; textkritisch umstritten); Mk 10,21 (reicher Jüngling; textkritisch unklar); Lk 4,18; 7,22; 14,13 S Lk ; 18,22; Joh 12,5 (Salbungsperikope). 505 Die genaue Funktion eines aörxitelvßnhw ist unklar, die Vokabel ist im außerneutestamentlichen Griechisch nicht belegt (vgl. Herrenbrück, Zöllner, 277). 506 An anderen Stellen in Lk, die aus Q stammen, begegnet die direkte Verbindung telvqnhw - aÖmartvloßw im Mund der Pharisäer (vgl. Lk 5,30; 7,34; 15,1.2). &Amartvloßw im Zusammenhang mit Umkehr begegnet in Lk noch in 15,1.2Q; 5,32Q und im S Lk in 5,8; 6,32.33.34; 7,37.39; 13,2; 15,7.10; 18,13. - Grundsätzlich bezeichnt aÖmartvloßw im Neuen Testament als Substantiv wie als Adjektiv „den Sünder als einen Menschen, der sich durch sein schuldhaftes Verhalten gegenüber dem jüdischen Gesetz um ein korrektes Verhältnis zu Gott bringt“ (Rengstorf, Art. aÖmamartvloßw , 331f. - Hervorhebung im Original). - Rengstorf beobachtet in den Evangelien im Vergleich zu Paulus einen auffällig naiven Gebrauch des „schwerwiegenden“ Begriffs; denn „in den synoptischen Evangelien“ diene er „als durchgehende Bezeichnung nicht etwa der Jesu Verkündigung ablehnend gegenüberstehenden Kreise, sondern einer einzelnen Schicht innerhalb des Volkes […], mit der er sogar in ständigem Verkehr steht“ ( telvqnai kai? aÖmartvloiß ) (Rengstorf, Art. aÖmartvloßw , 321). - Zu aömartvloßw bei Lukas vgl. Schottroff/ Stegemann, Jesus von Nazareth, 136-140; Bovon, EKK III/ 1, 247f.; ders., EKK III/ 2, 376. <?page no="163"?> 163 gehen (im Sinne des eschatologischen Heils). 507 Jesus wendet sich jedoch gerade dem so gefährdeten Zachäus zu (v. 5) und sucht den verlorenen Menschen zu retten (v. 10). Der von Gott gesuchte Mensch kann sich bekehren und mit materiellen Gütern und Macht richtig umgehen (v. 8). In 19,1-10 ist Reichtum (und der von Zachäus begangene Amtsmissbrauch) zugleich das, was ihn „verloren“ sein lässt, und das, weshalb Jesus sich ihm zuwendet. (#.2.1) Das ökonomische Handeln des Zachäus wird in v. 8 thematisiert: Dieser sagt von sich selbst, dass er den Armen die Hälfte seines Besitzes bzw. Einkommens gebe ( ta? hÖmißsiaß mou tvqn uÖparxoßntvn [ …] toiqw ptvxoiqw dißdvmi ) und dem, den er betrogen 508 habe, die Summe vierfach erstatte ( eiä tinoßw ti eösukofaßnthsa 509 aöpodißdvmi tetraplouqn ). Das angekündigte Handeln des Zachäus ist sozial ausgerichtet, hat aber als Bußhandlung eine religiöse Dimension. (#.2.2) V. 8f. greift die ethische Leitlinie, Almosen an Arme zu geben, aus der Thora auf (vgl. Dtn 15,7ff.). Die Rückerstattung von unrechtmäßig Erworbenem zuzüglich einer Zusatzleistung (hier: vierfacher Schadensersatz) reflektiert ebenfalls jüdische Gesetzestradition (vgl. Ex 21,32; Num 5,7). 510 Hinter der vierfachen Erstattung könnte auch 2 Sam 12,1-6 stehen, 511 denn dort findet sich wie in Lk 19,7f. die Motivverbindung der Verurteilung eines Reichen, der seine Macht missbraucht und einen Armen beraubt hat, mit der vierfachen (LXX: siebenfachen) Erstattung des unrechtmäßig Erworbenen 512 . Auch das römische Recht kennt ähnliche Vorschriften. Bei Josephus und Seneca finden sich Rechtssätze, die diesen Topos beinhalten. Josephus greift 507 Vgl. zur Gefährdung des eschatologischen Heils durch Reichtum auch Lk 1,53; 6,24 (Red Lk ); 16,19ff. - Zum rechten Gebrauch von Amtsgewalt als Voraussetzung um gerettet aus dem Gericht hervorzugehen vgl. Lk 3,13f. 508 Das Verb sukofaßntein bedeutet „bei einem Prozeß ‚eine Falschaussage machen‘, ‚verleumden‘, ‚denunzieren‘; in einem weiteren Sinn kann es bedeuten: ‚Schlechtes sagen‘, ‚schikanieren‘, ‚spotten‘, ‚erpressen‘. […] Wenn man der Art der Steuereintreibung Rechnung trägt, ist hier wahrscheinlich die engere juristische Bedeutung zu wählen. Denn wenn ein Steuereintreiber nicht zu seinem Ziel kam, verfolgte er den säumigen Zahler gerichtlich und konnte sogar versucht sein, falsches Zeugnis abzulegen.“ (Bovon, EKK III/ 3, 276). 509 Sukofaßntein findet sich nur in Lk 3,14; 19,8. In 3,14 steht das Verb absolut, Subjekt sind die strateuoßmenoi . 510 Ex 21,37: fünf Rinder als Wiedergutmachung für ein Rind, vier Schafe für ein Schaf. In Num 5,7 findet sich die allgemeine Forderung einer Wiedergutmachung von 120%. 511 2 Sam 12,6a ist möglicherweise eine spätere erläuternde Einfügung in Anlehnung daran, dass das Gesetz keine sieben-, sondern nur eine vierfache Erstattung verlangt (vgl. Ex 21,37 LXX). Die Septuaginta-Fassung greift möglicherweise eine sprichwörtliche Erstattungspraxis aus Spr 6,31 auf (vgl. Anderson, 2 Samuel, 162). 512 2 Sam 12,1-3.6: Dußo hQsan aändrew eön poßlei miaq #, eiWw ploußsiow kai? eiWw peßnhw: kai? tvq # plousißv# hQn poißmnia kai? boukolißa polla? sfoßdra, kai? tvq # peßnhti ouöde? n aöll ö hü aömna? w mikraß. [ … ] kai? th? n aömnaßda aöpoteißsei eÖptaplasiß ona aönj ö vWn oÄti eöpoißhsen to? rÖhma touqto. - Vgl. Ex 21,37. <?page no="164"?> 164 in Ant VII, 150 2 Sam 12,6 auf und berichtet von einem entsprechenden Gesetz, das Diebstahl mit der vierfachen Erstattung ahndet. Seneca überliefert einen ähnlichen Rechtssatz. 513 Die vierfache Rückerstattung war also ein gängiger Topos, der sowohl von jüdischer als auch von römischer Gesetzestradition her verständlich war. 514 Dass v. 8 bewusst auf eine real wirksame römische Rechtsvorschrift anspielt und das Umkehrbekenntnis inhaltlich mit der Verpflichtung auf staatliches Recht füllt, ist allerdings unwahrscheinlich. (#.2.3) Die Deutung von v. 8 wirft die theologische Frage auf, ob es sich in v. 8 um ein Bußbekenntnis des Zachäus oder ob er als Verteidigung gegen die Anklage der Menge sein gewohntes Verhalten schildert. Die Entscheidung ist sprachlich davon abhängig, ob die Verben dißdvmi und aöpodißdvmi auf die unmittelbare Zukunft hinweisen („ich werde gleich […]“) 515 oder als iteratives bzw. duratives Präsens zu verstehen sind („ich bin gewohnt zu […]“) 516 . Dafür, dass es sich um ein Bußbekenntnis handelt, spricht zum einen, dass das vierfache Zurückgeben von Erpresstem als gewohnheitsmäßige Handlung nicht sinnvoll ist; zum anderen ist die regelmäßige Abgabe der Hälfte des Einkommens unwahrscheinlich. 517 Zudem deutet das Wortfeld „Verlorensein - Rettung“ stark darauf hin, dass die Aussage des Zachäus in ersterem Sinn zu verstehen ist. (#.3) In der Perikope tritt Jesus auf mehreren Ebenen mit dem reichen aörxitelvßnhw Zachäus in Interaktion: Zunächst fordert Jesus Zachäus auf, eilends von seinem Baum hinabzusteigen ( speußsaw kataßbhji , v. 5) und teilt ihm mit, dass er am selben Tag in dessen Haus einkehren müsse ( shßmeron ga? r eön tvq # oiäkv# sou deiq me meiqnai ). Das deiq ist hier Ausdruck der Notwendigkeit im Sinne des göttlichen Heilsplans. 518 Diese Hinwendung Jesu zu Zachäus erfolgt zeitlich vor dessen Umkehrversprechen. Umkehr gilt hier also nicht als Vorbedingung für die Zuwendung Jesu - er wendet sich gerade dem Verlorenen zu (v. 10). Zudem richtet Jesus zwei Heilszusagen an Zachäus: Auf der Erzählebene folgt die Zusage der (eschatologischen) Rettung des Zachäus und seiner Familie durch Jesus (v. 9) unmittelbar auf die Worte des Zachäus und steht so in der Erzählung als unmittelbare Reaktion auf das ökonomische Umkehrbekenntnis des 513 Josephus, Ant VII, 150: „ oÜw dh? touqto eötoßlmhsen, aöpefhßnato kai? tetraplh? n aöpotiqsai th? n aömnaßda dißkaion eiQnai “; Sen, Exc Controv, V 5: „Qui sciens damnum dederit, reddat quadruplum; qui insciens simplum.“ 514 „‚I restore fourfold‘ seems to have been a standard undertaking.“ (Derrett, Law, 284); vgl. auch Michel, Art. telvßnhw , 104. 515 So Bovon, EKK III/ 3, 275; Hamm, Zacchaeus, 249-252; Nolland, Luke C, 906; Tannehill, Zacchaeus, 203. 516 So Fitzmyer, Luke II, 1220f.; Mitchell, Zacchaeus, 153ff. 517 Vgl. Klein, Lukasevangelium, 602 Anm. 38; das Partizip uÖpaßrxonta ist außerdem in der Bedeutung „Einkommen“ ungebräuchlich (vgl. ebd.). 518 Vgl. Fitzmyer, Luke I, 179f. <?page no="165"?> 165 Zachäus. Dass v. 9 in der dritten Person formuliert ist, Jesus also Zachäus nicht direkt anspricht, sondern ein größeres Publikum (wohl die paßntew aus v. 7), steht dazu in Spannung. An v. 9 schließt sich eine zweite Heilsverheißung (v. 10) an, in der Jesus von sich selbst in der 3. Person als Menschensohn spricht: 519 „Der Menschensohn ist gekommen, um das Verlorene ( aöpolvloßw ) zu suchen und zu retten.“ Die Verwendung des Partizips aöpolvloßw an dieser Stelle wirft ein weiteres Licht darauf, warum v. 8 aller Wahrscheinlichkeit nach als Bekehrungsbekenntnis zu verstehen ist: Abgesehen vom übertragenen, bildlichen Gebrauch in 15,4.7 begegnet aöpoßllusjai im lukanischen Doppelwerk noch in Lk 13,3.5; 15,32 (alles S Lk ) mit eschatologischer Konnotation: Dort geht der Rettung jeweils eine Umkehr voraus: In 13,1ff. ist die Rettung aus dem durch die Sünde bewirkten Verlorensein ( aöpoleiqsje ) an die Bedingung der Umkehr geknüpft; 520 in 15,11ff. trifft der „verlorene Sohn“ die Entscheidung, nach Hause zu seinem Vater zurückzukehren (15,18); und wird so in 15,32 als „verloren und (wieder)gefunden“ ( aöpolvlv? w kai? euÖrhßjh ) bezeichnet. Die beiden Vergleichsstellen aus dem S Lk deuten darauf hin, dass der Rettung des vorher verlorenen Zachäus seine Umkehr vorausgehen muss. Umso nachdrüchklicher ist zu betonen, dass die Zuwendung Jesu zu Zachäus bedingungslos vor dessen Bekehrung erfolgt, als dieser noch Sünder ist - ein weiteres Argument dafür, dass v. 8 ein Bekehrungsbekenntnis und nicht Verteidigung gegen die Polemik der Menge ist. 17 Lk 22,35-38: Rücknahme der früheren Aussendungsbedingungen Kontext und Abgrenzung. Lk 22,35-38 ist Teil der lukanischen Passionsgeschichte. Jesus hat das letzte Abendmahl mit seinen Jüngern gefeiert (Lk 22,14-23), die Jünger sitzen noch mit ihm zu Tisch. Die Passage schließt die Abschiedsworte Jesu an seine Jünger ab (v. 24-38) und folgt unmittelbar auf Jesu Ansage der Verleugnung des Petrus (v. 31-34). Ihr Anfang ist durch eine neue Redeeinleitung mit Adressatenwechsel markiert ( eiQpen auötoiqw , v. 35). Nach unten ist der Abschnitt deutlich durch einen Ortswechsel abgegrenzt, Jesus geht zum Ölberg ( kai? eöceljv? n eöporeußjh , v. 39). 519 Dass Jesus von sich selbst als Menschensohn gesprochen hat, ist sehr wahrscheinlich - zur Diskussion vgl. Theißen/ Merz, Jesus, 470ff.; Hahn, Hoheitstitel, 23ff.; Hampel, Menschensohn, 204. 520 Lk 13,2: ouWtoi aÖmartvloi? para? paßntaw […] , oÄti tauqta pepoßnjasin . - Lk 13,3.5: […] aöll ö eöa? n mh? metanohq qte paßntew […] aöpoleiqsje. - Mt kennt das Motiv der Sendung zu den verlorenen Schafen Israels (vgl. Mt 10,6; 15,24 - beides S Mt ). In der johanneischen Tradition tritt der Glaube an die Stelle der metaßnoia als Voraussetzung für die Rettung (vgl. Joh 3,16; 10,28; 17,2). In Mk findet sich aöpoßllusjai nicht. <?page no="166"?> 166 Struktur. Lk 22,35-38 ist ein Dialog Jesu mit seinen Jüngern. v. 35ab: Frage Jesu an die Jünger: Haben die Bedingungen der Aussendung (ohne Geld, Tasche, Schuhe) zu Mangel geführt? v. 35c: Antwort der Jünger: Verneinung. v. 36.37: Aufforderung Jesu an die Jünger: Aufforderung zum Schwertkauf und Ankündigung des Endes. v. 38ab: Antwort der Jünger: maßxairai de dußo . v. 38cd: „Schlusswort“ Jesu: iÖkanoßn eöstin . 17.1 Redaktionskritik Einiges spricht dafür, dass Lukas ab 22,14 nicht mehr Markus, sondern einer Sonderquelle folgt. 521 Lk 22,35-38 hat in Mk keine Parallele. Spezifisch lukanisches Vokabular findet sich in Lk 22,35-38 kaum. Merkwürdig ist, dass Lukas hier die Aussendung der 70 (10,4) und nicht die Aussendung der Zwölf (9,3) zitiert, obwohl er sich an die Jünger wendet. 522 10,4 stammt jedoch aus Q. 17.2 Theologisch-inhaltliche Analyse (#.1.1) Armut und Reichtum werden nicht explizit angesprochen. Jesus nimmt in seinen Worten an die Jünger deren zeitlich begrenzte, extreme Armut während der Zeit ihrer Aussendung in den Blick. Der Dialog führt zur Unterscheidung zwischen (zeitlich begrenzter) Besitzlosigkeit (ohne etwas sein) und Mangel ( uÖstereiqn , v. 35): Die Jünger bestätigen, dass es ihnen in der Zeit, in der sie von Jesus ausgesandt waren ( aöpeßsteilen auötou? w khrußssein th? n basileißan touq jeou kai? iöaqsjai , 9,2), an nichts gefehlt hat. (#.1.2) Die Situation der Jünger während der Zeit ihrer Aussendung (ohne Geld, Tasche, um Nahrung für den Tag bei sich zu tragen, und ohne Schuhe) impliziert zwangsläufig einen Mangel. - Die Frage Jesu an die Jünger und deren Antwort legt das Verständnis nahe, dass sie in der Zeit ihrer Sendung ( oÄte aöpeßsteila , v. 35) unter dem Schutz Jesu bzw. Gottes ( kußriow touq jerismouq , 10,2) standen: „Mangel/ uÖsteßrhma - obwohl er auf provozierende Weise inszeniert wird - den leiden die Boten des Evangeliums nicht. Wer sich auf die Botschaft des Evangeliums einlässt, kann Gottes Fürsorge vertrauen. […] Das unbedingte Vertrauen ist es, das hier so unübersehbar, schockierend und herausfordernd in Szene gesetzt wird.“ 523 (#.2.1) Die Tatsache, dass das Ende Jesu unmittelbar bevorsteht ( to? gegramme? non deiq telesjhqnai eön eömoiß , v. 37), verändert die Situation von damals (Lk 9,1ff.; 10,1ff.) grundlegend gegenüber der jetzigen ( aölla? nuqn , 521 Vgl. Bovon, EKK III/ 4, 261f. 522 Vgl. Fitzmyer, Luke II, 1429; Bovon, EKK III/ 3, 263. - Bovon vermutet, dass Lukas darauf hinweisen will, dass die Aufgabe der christlichen Prediger der kommenden Periode weniger die Mission in Israel (Auftrag der Zwölf) als die Verkündigung des Evangeliums in der Welt (Auftrag der 70) ist (Bovon, EKK III/ 4, 279). 523 Böttrich, Ausrüstungsregel, 391. - Böttrich interpretiert die Ausrüstungsregel in der Linie der prophetischen Zeichenhandlungen (vgl. ebd., 386-391). <?page no="167"?> 167 v. 36). Damals sandte Jesus die Jünger vÖw aärnaw eön meßsv# lußkvn (10,3), jetzt ersetzt er die Weisung von damals, ohne Ausrüstung aufzubrechen (vgl. Lk 9,3; 10,4), durch eine neue: oÖ eäxvn ballaßntion aöraßtv, oÖmoißvw kai? phßran, kai? oÖ mh? eäxvn pvlhsaßtv to? iÖmaßtion auötou kai? aögorasaßtv maßxairan (v. 36). Sprachlich sind vier Deutungsvarianten möglich: 524 Erstens: oÖ eäxvn und oÖ mh? eäxvn haben beide ballaßntion und phßran als Objekt. - Betont wird, dass Ausrüstung ab jetzt nötig ist. Wer Geldbeutel und Tasche hat, soll sie mitnehmen, wer nicht, soll seinen Mantel verkaufen und dafür ein Schwert erwerben. Zweitens: oÖ eäxvn hat ballaßntion und phßran als Objekt, oÖ mh? eäxvn hat maßxairan als Objekt. - Intendiert ist: Jeder braucht ab jetzt Geldbeutel, Tasche und Schwert. Drittens: oÖ eäxvn hat ballaßntion und phßran als Objekt, oÖ mh? eäxvn ist absolut verwendet. Daraus ergibt sich folgender Sinn: Wer Geldbeutel und Tasche hat, soll sie mitnehmen; wer mittellos ist, soll Kleidung verkaufen, weil ein Schwert jetzt unbedingt nötig ist. Viertens: oÖ eäxvn und oÖ mh? eäxvn sind beide absolut verwendet. Dies stellt Wohlhabende und Mittellose gegenüber. Betont wird, dass Ausrüstung jetzt unbedingt nötig ist. Wer Geld und Tasche hat, soll sie mitnehmen, er braucht sie; wer mittellos ist, soll seine Kleidung verkaufen, weil ein Schwert jetzt unbedingt nötig ist. Alle vier Interpretationen machen mit verschiedenen Akzenten deutlich, dass die Jünger ab jetzt zum einen Ausrüstung auf ihrem Weg brauchen und zum anderen eine Zeit anbricht, in der sie auf Widerstand treffen, also ein Schwert benötigen. Darauf, dass der Schwertkauf in übertragenem Sinn zu verstehen ist, weist zum einen die abwehrende Reaktion Jesu ( iÖkanoßn eöstin , v. 38) auf das wörtliche Verständnis seiner Jünger ( maßxairai de dußo , v. 38) und zum anderen die Heilung des Angreifers, dem einer der Jünger ein Ohr abgeschlagen hat (vgl. Lk 22,49-51) hin. 525 (#.2.2) Grundlegende ethische Leitlinien für ökonomisches Handeln werden in Lk 22,35ff. nicht reflektiert. (#.2.3) Das in Lk 22,35ff. zur Sprache gebrachte ökonomische Handeln ist auf den Tod Jesu und die Zeit danach bezogen. Der Schwertkauf ist ein Bild dafür, dass jeder, der „sets out in Jesus` name must be fully equipped - not with material armor, but with armor in his sense.“ 526 (#.3) Lk 22,35 setzt voraus, dass Gott die Jünger mit Fürsorge begleitet hat, als sie ohne Besitz und Ausrüstung die basileißa verkündeten. 524 Vgl. Fitzmyer, Luke II, 1431f; Bovon, EKK III/ 4, 280. 525 Vgl. Fitzmyer, Luke II, 1432; Bovon, EKK III/ 4, 280. 526 Fitzmyer, Luke II, 1432. <?page no="168"?> 168 IV Auswertung 1 Redaktionskritik 1. Lk 1,46-55: Das Magnificat ist ein geprägter Text; lukanische Redaktion lässt sich nur für v. 48 wahrscheinlich machen. 2. Lk 3,10-14 ist von Lukas nur sprachlich, nicht inhaltlich bearbeitet, also im Grundbestand vorlukanisch. 3. Lk 4,16-30*: Lukas verarbeitet in 4,16-30 traditionellen Stoff unterschiedlicher Herkunft: Mk, Q und (aramäische) Sondertradition. V. 18f. sind von Q und der Septuaginta inspirierte lukanische Komposition; v. 25-27 stammt aus einer Sonderquelle des Lukas. 4. Lk 6,24-26: Lukas hat die Weherufe als Pendant zu den Seligpreisungen verfasst. 5. Lk 7,41-43 stammt aus vorlukanischer Tradition und war von Anfang an mit der Erzählung 7,36-50* verbunden. Im Rahmen der Erzählung finden sich interpretierende Zusätze des Lukas (insbesondere v. 48-50), die sich auf 7,41-43 beziehen. 6. Lk 8,1-3: Das allgemeine Summarium in 8,1.2a dürfte Lukas verfasst haben. Die Notiz, dass Frauen Jesus gedient haben, ist stark von lukanischer Sprache geprägt; trotzdem ist anzunehmen, dass Lukas in v. 3 eine entsprechende mündliche oder schriftliche Information verarbeitet. 7. Lk 10,(25-29.)30-37 ist mit Ausnahme von v. 25 und v. 29a (Selbstrechtfertigung des Pharisäers) nur sprachlich von Lukas bearbeitet, also im Grundbestand vorlukanisch. Dabei sind im vorlukanischen Stoff zwei Überlieferungsstufen zu differenzieren: Die älteste Überlieferung umfasst mindestens die Beispielerzählung (v. 30-34) und die Frage nach dem Nächsten (v. 29b); v. 35 ist vielleicht eine spätere Hinzufügung. In der Überlieferungsstufe S Lk I wurde die Passage v. 26-28 angeschlossen. 8. Lk 12,13-15: Lk 12,13f. ist ein traditionelles Apophtegma. V. 15 dürfte unabhängig überliefert und von Lukas in bearbeiteter Fassung als Kommentar zu 12,13f. und Überleitung zu 12,16ff. positioniert worden sein. 9. Lk 12,16-21: 12,16-20* dürfte vorlukanischer Herkunft sein. V. 21 ist lukanische Interpretation. 10. In 14,12-14 finden sich sprachliche Bearbeitungen des Lukas, deren umfangreichste die Neuformulierung des Makarismus (v. 14) im Anklang an v. 12 ist. 11. Lk 14,28-33: Die beiden Gleichnisse wurden vorlukanisch mit einer Anwendung (v. 33*) tradiert, die die Entscheidung zur Jüngerschaft beinhaltete. Lukas erweiterte sie um die Bedingung der Besitzaufgabe. <?page no="169"?> 169 12. Lk 15,8-10 stammt aus vorlukanischer Tradition, die Lukas kaum bearbeitet hat. 13. Lk 15,11-32 ist ein von Lukas redigiertes Traditionsstück. 14. Lk 16,1-12 weist mehrere Redaktionsstufen auf. Die Parabel erfuhr eine erste Interpretation durch die Applikation v. 8b.9 (S Lk I). Die zweite Applikation v. 10-12 (S Lk II) unterscheidet sich intentional von der ersten und wurde wohl mit einigem zeitlichen Abstand an die Perikope angefügt. Lukas erläuterte und interpretierte 16,1-12 weiter, indem er Q 16,13 anfügte. 15. Lk 16,19-31 weist durchgehend Spuren lukanischer Redaktion auf, ist aber im Grundbestand vorlukanisch. Der Text wurde zweimal vorlukanisch erweitert, um v. 27-29 (S Lk I) und v. 30f. (S Lk II). 16. Lk 19,1-10 weist bereits im vorlukanischen Bestand mehrere Redaktionsstufen auf: Die v. 2-6* zählen zum ältesten Teil der Erzählung über Zachäus. Die v. 7.9 reflektieren soteriologische und hamartiologische Auseinandersetzungen der christlichen Gemeinde mit jüdischen Kritikern in einem späteren Überlieferungsstadium (S Lk I). V. 8 (S Lk II) entstammt der Auseinandersetzung um die Frage, ob und wie Reiche zur christlichen Gemeinde gehören können, und verleiht v. 7.9 einen neuen Bezugsrahmen. Von Lk stammen v. 1.2*, sowie einige sprachliche Überarbeitungen und der deutende v. 10. 17. Lk 22,35-38 stammt aus vorlukanischer Tradition. Text S Lk S Lk I S Lk II Red Lk 1. 1,46-55 1,46-47.50-55* 1,48 2. 3,10-14 3,10-14 3. 4,16-30* 4,25-27 4,18f. 4. 6,24-26 6,24-26 5. 7,41-43 im Kontext von 7,36-50 7,36-47 7,48-50 6. 8,1-3 (8,2b*) 8,1-2a.3* 7. 10,25-37 10,29b.30-34.35 10,26-28 10,25.29a 8. 12,13-15 12,13f. 12,15* 12,13-15 * 12,15* 9. 12,16-21 12,16-20* 12,21 10. 14,12-14 14,12-13 14,14* 14,14* 11. 14,28-33 14,28-33* 14,33* 12. 15,8-10 15,8-10 <?page no="170"?> 170 Text S Lk S Lk I S Lk II Red Lk 13. 15,11-32 15,11-32 14. 16,1-12 16,1-8a* 16,8b-9 16,10-12 15. 16,19-31 16,19-26 * 16,27-29 16,30f. 16. 19,1-10 19,2-6 19,7.9 19,8 19,1.10 17. 22,35-38 22,35-38 Übersicht: Vorlukanische und lukanische Passagen im S Lk 2 Semantisches Inventar Folgendes Vokabular ist wahrscheinlich auf lukanische Redaktion zurückzuführen: 1. Armut und Reichtum - Armut (Zustand/ Menschen): aiöxmaßlvtow (4,18); tapeißnvsiw (1,48); tejraußsmenow (4,18). - Reichtum (Zustand/ Menschen): eömpeplhsmeßnow (nuqn) (6,25); ploußsiow (6,24). - materielle Güter: uÖpaßrxonta (8,3; 12,15; 14,33; 16,1; 19,8). 2. Umgang mit materiellen Gütern - autoreferentielle Dimension: jhsaurißzein [eÖautvq #] (12,21). - religiöse Dimension: aöpotaßssesjai [ paqsin toiqw eÖautouq uÖpaßrxousin ] (14,33); [ eiöw jeo? n ] plouteiqn (12,21). 3. Handeln Gottes/ Jesu an Armen und Reichen - an Armen: aöposteßllein eön aöfeßsei (4,18); euöaggelißzesjai (4,18); khrußssein aäfesin (4,18); eöniauto? w kurißou dektoßw (4,19). - an Reichen: aöpeßxein th? n paraßklhsin (6,24); klaißein (6,25); peinaqn (6,25); penjeiqn (6,25). 3 Theologisch-inhaltliches Profil des vorlukanischen S Lk 3.1 Armut und Reichtum 3.1.1 Darstellung von Armut und Reichtum Charakteristik von Armut und Reichtum Armut ist in den analysierten Perikopen des S Lk dadurch charakterisiert, dass die existentiellen Grundbedürfnisse, Nahrung, Kleidung und Obdach, nicht gedeckt werden können (Nahrung: 1,53; 4,25; 15,14f.; Kleidung: 3,11; Nahrung, Kleidung, Obdach: 16,19-21; allgemein: 16,3b). Armut und Krankheit bzw. Behinderung fallen häufig zusammen und werden in einem Atemzug erwähnt (14,13; 16,20). Deutlich wird auch, dass die Möglichkeit zur aktiven Teilnahme am gesellschaftlichen Leben fehlt (14,12-14). <?page no="171"?> 171 22,35-38 berichtet von der Armut der Jünger während ihrer Aussendung, doch wird hier gerade betont, dass die Jünger keinen Mangel litten. Reichtum ist dagegen der Überfluss an Gütern, die zur Stillung der existentiellen Grundbedürfnisse nötig sind (Nahrung: 12,18f.; Nahrung und Kleidung: 16,19f.), allgemein der Besitz vieler Güter (12,15; 16,1), das Leben in Wohlstand (15,11ff.) und die Möglichkeit zur aktiven Teilnahme am gesellschaftlichen Austausch (14,12-14). Freude ist ein typischer Begleitumstand von Reichtum (12,19; 16,19); 15,22-24.29 stellt - als Variante dieses Motivs - materielle Güter als Voraussetzung und Möglichkeit dar, um in Gemeinschaft fröhlich zu sein. Wertung von Reichtum In 15,11ff. wird Wohlstand unhinterfragt positiv dargestellt. 12,15, 12,16-20 und 16,19-31 haben eine reichtumskritische Tendenz. 14,12-14 und 16,19-31 fordern diejenigen, die viele Güter besitzen, zu einem angemessenen Umgang mit ihnen auf (s.u.). Die reichtumskritische Tendenz von 16,19-31 ist ursprünglich (insb. v. 19-26) reichtumskritisch und wird entlang der Frage weiter entwickelt, wie Reiche zur christlichen Gemeinde gehören können (v. 27-29.30f.). Ursachen für Armut und Reichtum Armut und Reichtum werden in einigen der untersuchten S Lk -Texten als gegebene Fakten vorausgesetzt (1,53; 3,10-14; 8,3; 14,12-14; 14,28-30; 19,1-10). In anderen finden sich Ansichten darüber, wie Besitz vermehrt werden kann - auf legale Weise durch die Behauptung in einem Erbstreit (12,13-15) oder illegal durch Betrug oder anderes rechtswidriges Handeln (dies gilt für die Zöllner in 3,12; 19,8 und die Soldaten in 3,14). In 12,16 wird guter Feldertrag als Grund für Reichtum genannt; in 16,25 werden Reichtum und Armut als schicksalhaft zugeteilt dargestellt. Die Witwe (4,25) leidet unter der Hungersnot. Der jüngere Sohn in 15,11 gerät selbstverschuldet in Armut, indem er sein Hab und Gut verschleudert, die Hungersnot verstärkt dies noch. Der oiökonoßmow in 16,1ff. gerät in eine existenzbedrohende Lage, weil ihn sein Herr wegen des Vorwurfs der Veruntreuung seines Besitzes entlässt. Beziehung zwischen Armen und Reichen In 1,52f.; 6,24f.; 14,12-14; 16,19-31 und 19,2.8 stehen Arme und Reiche explizit einander gegenüber. In 14,12-14 wird der Gegensatz zwischen beiden Personengruppen zur Kenntnis genommen, Ziel der Darstellung ist es aber - wie in 19,1-10 - einen Ansatzpunkt für die Gestaltung von Beziehung greifbar zu machen. In 1,52f.; 6,24f. und besonders in 16,19-21 wird drastisch der Kontrast von Menschen in Armut und in Reichtum gezeichnet: Hier ist nicht von einer Beziehung zwischen dem Armen und dem Reichen die Rede, sondern von der Trennung zwischen beiden - vor und nach dem Tod. In 7,41f., 8,1-3; 10,30-37; 15,11-32 und 16,1-8 steht die Gestaltung der Beziehung zwischen Armen und Reichen im Vordergrund. 7,41f. berichtet von <?page no="172"?> 172 der Überschuldung zweier Menschen und einem Gläubiger, der als verhältnismäßig wohlhabend angenommen werden kann. Die Erzählung hat weniger den Kontrast zwischen Gläubiger und Schuldnern im Blick als die Gestaltung der Beziehung zwischen ihnen. Das in 16,5-7 geschilderte Schuldner-Gläubiger-Verhältnis setzt zwar den Gläubiger als reich voraus (16,1), aber auch die beiden Schuldner dürften aus mehreren Gründen nicht zu den Armen zu rechnen sein: Zahlungsunfähigkeit liegt nicht vor; die Schuldenhöhe lässt darauf schließen, dass sie Händler sind; der oiökonoßmow spekuliert darauf, die Gastfreundschaft als Existenzsicherung bei ihnen in Anspruch nehmen zu können. Er setzt also voraus, dass sie wohlhabend sind. Dem reichen Menschen (16,1) steht die ungesicherte Existenz des oiökonoßmow gegenüber (16,3f.); dieser wiederum knüpft Beziehungen zu den (wohlhabenden) Schuldnern seines Herrn. In 15,11-32 gerät der jüngere Sohn in Armut. Seine Notsituation steht im Kontrast zum Wohlstand am Haus des Vaters; dieser wird ausführlich geschildert. Ein Schwerpunkt der Erzählung liegt auf der Schilderung der Beziehungen (Vater-Söhne-Tagelöhner/ Sklaven). 10,30-37 setzt voraus, dass der Samaritaner bemittelt ist (10,34f.). Armut ist nicht als strukturelle Situation beschrieben, sondern als plötzliche Notsituation, in der der Samaritaner helfend eingreift. In 8,1-3 dienen wohlhabende Frauen Jesus und seinen Jüngern, die mittellos sind, mit ihrem Besitz. Bei der Aufnahme einer Beziehung zwischen Armen und Reichen geht einmal (16,3ff.) die Initiative von einem Menschen mit ungesicherter Existenz aus. 3.1.2 Theologische Deutung von Armut und Reichtum Im S Lk finden sich fünf theologische Deutungsmuster von Armut und Reichtum: Armut als Einfallstor für das Handeln Gottes (4,25f.; 22,35; in einem weiteren Sinn: 15,8-10); Reichtum als Gefährdung für das eschatologische Heil (1,52f.; 12,15; 16,19ff.); eschatologische Umkehrung der Verhältnisse (1,52f.; 16,19-31); postmortale Wertlosigkeit irdischen Reichtums (12,15; 12,16-20); schließlich gibt es den Sonderfall „freiwilliger“ Armut, die Voraussetzung dafür ist, der basileißa in besonderer Form zu dienen (22,35f.). Armut als Einfallstor für das Handeln Gottes Armut wird in 4,25f. als Einfallstor für die Zuwendung Gottes gedeutet: Die Witwe gilt als exemplarisch arme Person. Sie ist zweifach marginalisiert - als arme Frau und als Heidin - und ist so für Gottes Zuwendung prädestiniert. 15,8-10 macht die Alltagserfahrung einer armen Frau (Freude über das Wiederfinden eines verlorenen Geldstücks) für himmlische Freude transparent. Die Erzählung verdeutlicht damit Jesu Wertschätzung des (Alltags-)Lebens einer armen Frau. Lk 22,35 verdeutlicht (im Rückblick), dass Gott die ohne jegliche Ausrüstung ausgesandten Jünger mit seiner Fürsorge begleitet: Sie haben niemals Mangel gelitten ( uöstereiqn ). <?page no="173"?> 173 Freiwillige Armut als Voraussetzung für besonderen Dienst an der basileißa 22,35f. macht deutlich, dass die um der Verkündigung der basileißa willen gewählte Armut von Gottes Fürsorge begleitet ist. Exkurs: Interdependenz von ökonomischer Situation und sozialem Status - Existenz als Jünger Jesu und gesellschaftliches Ansehen (Lk 14,28-33) Die Interdependenz von ökonomischer Situation und Prestige bzw. Machtpotential spiegelt sich im untersuchten Diskursstrang um Armut und Reichtum/ Umgang mit materiellen Gütern im S Lk deutlich wider: - Die Weherufe in Lk 6,24-26 gelten sowohl Satten und Reichen (6,24f.) als auch denen, die bei jedermann in gutem Ruf stehen (6,26). - Die Zahlungsunfähigkeit der beiden Schuldner in Lk 7,41-43 bewirkt, dass ihre materielle Existenz von ihrem Gläubiger bzw. seinem Vorgehen - Schuldenerlass, Schuldnachlass, Unterlassung des Einforderns der Schuld, Stundung der Schuld, öffentliche bzw. private Schuldhaft, Pfändung oder Verkauf in die Schuldsklaverei - abhängig ist. 527 Der Gläubiger hätte Macht über seine beiden Schuldner, gibt diese aber durch den Schuldenerlass auf. - In Lk 14 wird das Problem von sozialem Prestige (14,7-11) in Verbindung mit der Thematik des Verhältnisses von Armen und Reichen (14,12-14) verhandelt. - Lk 15,11-32 schildert, dass der Vater als Hausherr Macht über die Verteilung der Güter auf seinem Hof (auch darüber, was seine Söhne bekommen, vgl. 15,29) hat. Er ist Herr über zahlreiche Sklaven und Tagelöhner. - Schließlich wird die Verbindung der beiden Themenkreise an Personengruppen deutlich, die im S Lk eine besondere Rolle spielen: Die Zöllner, eine Personengruppe mit niedrigem sozialen Prestige, aber unter Umständen durchaus wohlhabend, werden im S Lk einerseits in Bezug auf ihr Verhalten zu materiellen Gütern (3,10f.; 19,8) dargestellt; andererseits zeichnet sich ab, dass gerade ihr Außenseiter- und Sünderdasein sie für die Zuwendung Gottes prädestiniert (19,7.11 vgl. auch 18,14). Die Witwen sind sowohl durch ihre prekäre ökonomische Situation (4,25f.) als auch durch ihr geringes Machtpotential charakterisiert (vgl. auch 18,1-8). Einen interessanten Aspekt zeigt Lk 14,28-33 (S Lk ) auf. Hier wird der Zusammenhang zwischen der Existenz als Jünger Jesu und gesellschaftlichem Ansehen reflektiert. In 14,28-30 steht das ökonomische Durchsetzungsvermögen eines Menschen zur Debatte: Ist jemand ökonomisch potent genug, um ein begonnenes Vorhaben zu Ende zu führen? Gerade dieses Durchsetzungsvermögen steht, so reflektiert es das Gleichnis vom Turmbau, im Zusammenhang mit den gesellschaftlichen Konventionen von Ehre und Schande: 528 Mangelnde ökonomische Durchsetzungskraft, hier das Unvermögen, den begonnenen Turmbau zu vollenden, führt zu Schande, hier zum Spott der Umwelt. Genau das härcato […] kai? ouök iösxusen eökteleßsai , ist es, was den Spott der Umwelt auslöst - das Beginnen und dann Nicht-vollenden-Können: Hätte der so verhinderte Baumeister des Gleichnisses sein Vorhaben gar nicht erst begonnen, wäre er nicht zum Gespött der Leute geworden. Ökonomische Potenz und soziales Ansehen werden in v. 28-30 als direkt zueinander proportionale Faktoren reflektiert. 527 Zu den Handlungsmöglichkeiten von Gläubigern bzw. Schuldnern vgl. Leutzsch, Verschuldung, 108-112. 528 Vgl. Malina/ Neyrey, Honor and Shame, 33f. Sie weisen insbesondere darauf hin, dass Reichtum allein nicht zu Ehre führt, sondern es auf den Umgang damit ankommt (vgl. Lk 16,9). <?page no="174"?> 174 V. 33 stellt die Wahl des ökonomischen Status, Entscheidung zum „Reichbleiben“ vs. Entscheidung zur Armut, in Relation zur Art der Beziehung zu Jesus 529 und knüpft die Jüngerschaft an die Bedingung, jegliche ökonomische Potenz aufzugeben. Dies zog in der Gesellschaft des Mittelmeerraums im 1. Jh. zwingend einen Verlust an sozialem Ansehen nach sich. 530 Im Kontext der beiden vorangehenden Nachfolgebedingungen v. 26f. 531 betrachtet ist der Verlust des sozialen Ansehens, der mit der Jüngerschaft verbunden ist, noch deutlicher. In den Termini „Ehre und Schande“ ausgedrückt fordert v. 33 von demjenigen, der sich dazu entscheidet, Jünger Jesu zu sein, auf Ehre in seiner ursprünglichen sozialen Gemeinschaft 532 zu verzichten und möglicherweise dort in Schande zu geraten 533 , und stattdessen innerhalb der von ihm gewählten Gruppe der Jünger Jesu Ehre zu erwerben, die mit der Person Jesu steht und fällt: „As head of his faction Jesus bears the honor of his group; hence, even when his disciples are attacked, it is Jesus who defends his and their honor.“ 534 Diese „neu erworbene“ Ehre ist nur innerhalb der - religiös definierten - Gemeinschaft um Jesus anerkannt. - In v. 33 spiegelt sich also eine komplexe Interdependenz von ökonomischem Status und Verhalten, sozialem Ansehen und religiöser Handlungsdimension wider. Reichtum als Gefährdung des eschatologischen Heils/ Eschatologische Umkehrung der Verhältnisse Als Gefahr für das eschatologische Heil gilt Reichtum in 1,52f.; 12,15; 16,19ff. In 1,52f. und 16,19-31 ist dies Folge einer eschatologischen Umkehrung der Verhältnisse: Reiche (16,19ff.; 1,53) haben - eschatologisch - keine glückliche Zukunft. Das Gute, das ihnen zusteht, haben sie bereits im Diesseits erhalten (16,25) und gehen schließlich leer aus (1,53). Arme erhalten im Eschaton den Ausgleich für ihre diesseitige Not (1,52f.; 16,22ff.), ohne eine ethische Leistung dafür zu erbringen. Das Ergehen im Eschaton ist letztentscheidend, weshalb die Umkehrung der Verhältnisse über einen Ausgleich hinausgeht. 529 Die Aufgabe des Reichtums ist hier speziell als Bedingung für das „Jüngersein“ formuliert und nicht als allgemeine Forderung (vgl. Degenhardt, Evangelist der Armen, 76. 80.87.97.127.131.148.158). Degenhardt unterscheidet auf der lukanischen Ebene Forderungen an alle Gläubigen und an die Amtsträger; Klauck, Armut der Jünger, 183, bestreitet die Plausibilität dieser Unterscheidung und vertritt die Ansicht, dass die majhtaiß im Unterschied zu oiÖ dvßdeka allgemein die Christen in der Gemeinde des Lukas darstellen. Auf der Erzählebene des Lukas ist die Existenz als Jünger keine allgemein geforderte, sondern eine spezielle Form der Nachfolge Jesu. 530 Vgl. Stegemann/ Stegemann, Sozialgeschichte, 62-68. 531 „Honor your father and mother’ is honorable behavior for most Jews in Jesus` world (Luke 18,20), but in certain circumstances, an offspring might be told that unless he hates his father and mother’ (14,26) he cannot have honor as a disciple of Jesus.“ (Malina/ Neyrey, Honor and Shame, 26f.). 532 Vgl. die Differenzierung von Ehre innerhalb der „natural Group“ und der „voluntary Group“ bei Malina/ Neyrey, Honor and Shame, 38ff. 533 Zu einem ähnlichen Schluss kommt Bovon: „Es gibt also einen erschreckenden Zusammenhang im evangelischen Radikalismus von Lukas: die Macht, sein Jünger zu sein (vv. 26.27.33) hängt menschlicherseits wesentlich von einem Verzicht auf Macht ab, sei es die Macht des Geldes, der Geburt, der religiösen Zugehörigkeit oder der Waffen“ (Bovon, EKK III/ 2, 543). 534 Malina/ Neyrey, Honor and Shame, 60. <?page no="175"?> 175 Postmortale Wertlosigkeit irdischen Reichtums 12,15 und 12,20 betonen die postmortale Wertlosigkeit irdischen Reichtums: Der Besitz vieler Güter führt nicht zum ewigen Leben (12,15; Red Lk unterstreicht dies noch). 535 Die Deutung in 12,20 ist profan und erhält in der Erzählung ihre theologische Qualität nur dadurch, dass Gott als Sprecher auftritt. 3.2 Umgang mit materiellen Gütern 3.2.1 Darstellung des Umgangs mit materiellen Gütern Soziale Dimension In narrativer Form greifen 7,41-43; 10,30ff.; 15,22ff. und 19,8 die soziale Dimension des Umgangs mit Besitz auf. 7,41-43 erzählt von einem vollständigen Schuldenerlass. Ein Gläubiger lässt sich zu Gunsten seiner beiden Schuldner Geld entgehen, das ihm juristisch zusteht (v. 42). Sein ökonomisches Handeln orientiert sich an seinen Mitmenschen (soziale Dimension), von denen zu erwarten ist, dass sie darauf mit Liebe zu ihm reagieren (v. 43). Von einem (Teil-)Schuldenerlass wird auch in 16,5-7 berichtet, doch ist dieser autoreferentiell motiviert (s.u.). In 19,8 kommt die soziale Dimension ökonomischen Handelns in Form einer Absichtserklärung zur Sprache: Der Zöllner Zachäus kündigt an, die Hälfte des eigenen Besitzes an Arme zu geben und unrechtmäßig Eingenommenes vierfach zurück zu erstatten. In 10,30ff. ist das Handeln des Samaritaners an den Bedürfnissen dessen, der unter die Räuber gefallen ist, ausgerichtet. Die Sorge um ihn ( eöpimeleiqsjai , v. 34.35), ist der Maßstab; der Geber (Samaritaner) legt kein Limit für seine finanziellen Leistungen fest, er will den Wirt später nach seinem Aufwand bezahlen (v. 35). 10,37 ruft zur Nachahmung des geschilderten Verhaltens auf. 15,22ff. (ähnlich 15,9) zeichnet sich dadurch aus, dass ein gemeinschaftlicher Genuss materieller Güter beschrieben wird: Anders als die beiden Reichen in 12,19 und 16,19 bleibt der Vater in seiner Freude nicht auf sich selbst bezogen, 536 sondern teilt sie mit anderen; die materiellen Güter dienen ihm und den zum Hof Gehörigen (auch Sklaven und Tagelöhner) als Ausdruck von und Mittel zur Freude. Die vier narrativ geschilderten sozial ausgerichteten ökonomischen Handlungsstränge sind heterogen, es handelt sich um - einen Schuldenerlass, der die Liebe der (Ex-)Schuldner nach sich zieht und auf die Beziehung von Menschen zu Jesus hin transparent ist (7,41-43), 535 zvhß ist hier im Sinn von 10,28 ( zhßsh# ) als ewiges Leben zu verstehen. 536 Das Motiv des Mitfreuens findet sich auch in den beiden vorangehenden Gleichnissen in 15,6 und 15,9: „ sugxaßrhteß moi “. <?page no="176"?> 176 - eine Nothilfemaßnahme, die mit finanzieller Aufwendung verbunden ist (10,30ff.) und als vorbildliche Thoraerfüllung zur Nachahmung empfohlen wird (10,37), - eine wertungsfrei dargestellte Willkommensfeier (15,22ff.) bzw. die gemeinsame Freude über das Wiederfinden verlorenen Geldes (15,9), - ein Bekehrungsbekenntnis, das Wiedergutmachung von Betrug und Zuwendung zu Armen beinhaltet (19,8). Eine klare Aufforderung zu sozialem Umgang mit materiellen Gütern findet sich in 3,11 und 14,12-14. Johannes der Täufer fordert in seiner Predigt (3,10-14) zum Teilen von existentiell Notwendigem - Kleidung und Nahrung - auf (3,11). Die Verhaltensregel in 14,12-14 fordert zu einer sozial orientierten Praxis bei der Einladung zu Gastmählern auf. In 14,12-14 geht es in erster Linie um das Gestalten von menschlichen Beziehungen durch Einladungen zu einem Gastmahl mit bewusster Inkaufnahme materieller Einbussen (eine Gegeneinladung ist von Armen nicht zu erwarten): Gefordert wird ein Ausstieg aus dem gängigen System der Reziprozität, das ökonomisch nicht Potente - Arme, Kranke, Behinderte - ausschließt. Der Verzicht auf das, was einem im reziproken System des Gebens und Nehmens zusteht, hat die Funktion, Beziehungen zu konstituieren: Die aufgrund mangelnder ökonomischer Handlungsfähigkeit aus dem System Ausgeschlossenen sollen integriert werden. Autoreferentielle Dimension Autoreferentieller Umgang mit materiellen Gütern wird in 12,13f.; 12,16-21; 15,8f.; 15,11ff.; 16,5-7 und 16,19f. narrativ dargestellt. 12,16-21 schildert autoreferentiell geprägtes ökonomisches Handeln, das nur am Sammeln und Anhäufen materieller Güter orientiert ist. Vorlukanisch wird das egozentrierte Genießen reichlich vorhandener Güter thematisiert (v. 19b) und das Streben nach Vermehrung der Güter in Frage gestellt ( aÜ de? hÖtoißmasaw, tißni eästai; v. 20). - 16,19 führt vor Augen, wie ein reicher Mensch egozentrischem Gütergenuss frönt und sich nach seinem Tod in der Unterwelt wiederfindet (v. 23ff.). Ohne Wertung schildert 15,8f. das Verlieren, Suchen und Wiederfinden von Geld. In 15,11-32 ist zunächst der autoreferentielle Umgang des jüngeren Sohnes mit materiellen Gütern augenfällig: Er fordert sein Erbteil, macht es zu Geld und verprasst anschließend seine Habe (15,13.18.21). - Doch auch das Verhalten des älteren Sohnes deutet auf ein am Besitz orientiertes Denken: Er begehrt einen größeren Anteil an Gütern als ihm vom Vater zugestanden wird (v. 29). Der Vater setzt diesem Denken das Modell der Gütergemeinschaft („Was mein ist, ist auch dein.“, v. 31) entgegen. Grundsätzlich ist das ökonomische Handeln des Vaters am Erhalt bzw. der Vermehrung der Güter des Hofes orientiert, was sich im Vorwurf des älteren Sohnes (v. 29) widerspiegelt. <?page no="177"?> 177 Auch 16,1 erwähnt beiläufig autoreferentiell motiviertes ökonomisches Handeln: Es wird berichtet, dass ein oiökonoßmow angeklagt ist, die ihm anvertrauten Güter nachlässig zu verwalten, und deshalb von seinem Herrn gekündigt wird. Hinter der Kündigung steht das verständliche Bestreben des Herrn, seinen Besitz zu erhalten. Die Erzählung macht deutlich, dass sein Handeln soziale Konsequenzen hat und der oiökonoßmow dadurch seine materielle Existenzgrundlage verliert (v. 3f.). 16,5-7 schildert daraufhin den autoreferentiell motivierten Schuldenerlass des oiökonoßmow . Er erlässt den Schuldnern seines Herrn eine Teilschuld. Sein ökonomisches Handeln kommt den Schuldnern zwar zu Gute (soziale Dimension), dient aber letztlich der Sicherung seiner eigenen Existenz, da er sich auf diese Weise bei ihnen Gastfreundschaftsrecht erwerben möchte. 16,1f.5-7 verdeutlicht also zwei Aspekte autoreferentiell motivierten Umgangs mit materiellen Gütern: erstens die Angst vor Besitzverlust, die Grund für die Entlassung des oiökonoßmow ist (16,1.2); zweitens das Ziel der Existenzsicherung, die den Schuldenerlass des oiökonoßmow motiviert (16,5-7, s.o.). In 12,13f. wird von einem Erbstreit berichtet. Das Bestreben, durch Erbe Besitz zu vermehren, wird mit einer Warnung vor Habgier kommentiert (12,15). Neben 12,15 ist autoreferentielles ökonomisches Handeln noch in 3,13f. und 16,9.10-12 Gegenstand ethischer Weisungen: In 3,13f. wird vor autoreferentiellem Umgang mit Besitz gewarnt: Zwei Berufsgruppen, Zöllner und Soldaten, erhalten Weisungen, die sich gegen das Mehr-haben-Wollen richten. 16,9 (S Lk I) spricht in der Form eines Imperativs die Verquickung sozialer und autoreferentieller Dimension des Umgangs mit Geld an (vgl. 16,5-7): Man soll sich selbst ( eÖautoiqw ) mit dem ungerechten Mammon Freunde machen ( fißlouw poieiqn ). „Sich Freunde zu machen“ in 16,9 bedeutet, sich Gastfreundschaftsrecht zu erwerben. Der Imperativ leitet dazu an, Geld zur Begünstigung anderer einzusetzen (sozialer Aspekt), allerdings mit dem Ziel, dafür etwas zu erhalten (autoreferentielle Motivation). In 16,10-12 (S Lk II) wird der Umgang mit Geld unter der Kategorie des Treuseins ( pisto? w eiQnai ) als kritische Interpretation von 16,1.5-7 verhandelt. Der Abschnitt ist komplex, da die Treue sich auf unterschiedliche Güter bezieht - sowohl auf den ungerechten Mammon ( mamvqnaw thqw aödikißaw ) als auch auf anvertrautes Gut (v. 10.12). Mit anvertrautem Gut treu umzugehen, hat eine ausgeprägte soziale Dimension, da es um die Loyalität gegenüber dem Auftraggeber geht. Treue gegenüber dem mamvqnaw thqw aödikißaw impliziert dagegen den Dienst am Mammon und hat damit eine ausgeprägte autoreferentielle Dimension. Der Abschnitt löst diese Spannung nicht auf. Er spitzt sie vielmehr zu, indem er mit to? aölhjinoßn und to? uÖmeßteron ambivalente Begriffe einführt, die sowohl materiell/ diesseitig als auch geistlich/ eschatologisch verstanden werden können. Die Spannung, dass die Treue im <?page no="178"?> 178 Umgang mit dem Mammon Voraussetzung dafür ist, to? aölhjinoßn anvertraut zu bekommen, bleibt bestehen. Autoreferentiell motivierter Umgang mit materiellen Gütern wird im S Lk in mehreren Perikopen deutlich kritisiert bzw. verboten (3,13f.; 12,13-15; 12,16-21; 15,13.18.21; 16,19ff.): Habgier, Raffen und egoistischer Genuss (12,13-15.16-21; 16,19ff.) werden verurteilt; Genügsamkeit und Orientierung am Recht werden Zöllnern und Soldaten geraten (3,13f.); dass Verschwendung allgemeingültigen moralischen Standards, dem „common sense“, widerspricht, reflektiert 15,13.18.21. Besitzerhaltung schildert das S Lk in zwei Perikopen schlicht als normales Verhalten (15,11ff. vgl. insb. v. 29; 16,1). Im apokalyptisch geprägten Abschnitt 16,9.10-12 wird sogar um des eschatologischen Heils willen in gewissem Maß dazu aufgefordert bzw. wird es als notwendig und klug gebilligt (16,3f.8). Religiöse Dimension 8,1-3 berichtet, dass wohlhabende Frauen Jesus und seine Jünger mit ihrem eigenen Besitz unterstützen (soziale Dimension). Ihr Umgang mit materiellen Gütern ist religiös motiviert, da er der Verkündigung der basileißa touq jeouq dient. In eine spezielle Situation ist 22,35-38 eingebettet: Der Tod Jesu steht kurz bevor. Der Text beinhaltet die Aufforderung an die Jünger, sich in der folgenden Zeit bei der Verkündigung der basileißa auf ihrem Weg mit materiellen Dingen gut auszurüsten. Dazu gehören Geld und (im übertragenen Sinn) ein Schwert. 22,36f. rät also angesichts des unmittelbar bevorstehenden Todes Jesu von radikaler Askese bei der Verkündigungstätigkeit ab. 3.2.2 Reflektion ethischer Leitlinien In den analysierten Texten werden traditionelle ethische Leitlinien zum Umgang mit materiellen Gütern zustimmend bzw. ablehnend reflektiert oder kommentarlos übernommen. Expliziter Rückgriff auf die Thora Ein expliziter Rückgriff auf Traditionen findet sich in 10,27; 4,18f. und 16,29.31. 10,27 (S Lk I) setzt das Thoragebot der Nächstenliebe (Lev 19,18) und der Gottesliebe (Dtn 6,5) voraus; die Frage, wie sie zu vereinbaren und zu leben sind, bestimmt die Perikope ab 10,29b. 16,29.31 weist auf Thora und Propheten als Grundsätze hin (16,29 S Lk I; 16,31 S Lk II), nennt aber keine konkreten Leitlinien zum Umgang mit Besitz. 3,11 und 19,8 greifen die Forderung der Thora auf, Arme materiell zu unterstützen (vgl. Dtn 15,7ff.). Unrechtmäßig Gefordertes zuzüglich eines Schadensersatzes zurückzuerstatten (19,8), ist ein sowohl im jüdischen als auch im römischen Recht gängiger Topos. Dass er hier auf eine Vorschrift <?page no="179"?> 179 aus der Thora (Ex 21,37; vgl. auch 2 Sam 12,6) anspielt, legt Jesu Zusage der Abrahamskindschaft (19,9) nahe. Weisheitliches Gedankengut Die Erzählungen 12,16ff. und 16,19ff. greifen den weisheitlichen Gedanken, materielle Güter, Essen und Trinken zu genießen (vgl. Koh 8,15 LXX), auf. Er erfährt im Lauf der Erzählungen jeweils eine Modifikation: 12,20 führt ähnlich wie Koh 2,24f. und 3,12 LXX vor Augen, dass irdischer Besitz vergänglich ist und die Rechnung nicht ohne Gott zu machen ist. In ähnlicher Weise machen auch Koh 2,24ff. und 3,12 LXX deutlich, dass irdische Güter eine Gabe Gottes sind und das menschliche Leben vergänglich. Ab 16,20 wird der Luxus des Reichen durch die drastisch geschilderte Armut des Lazarus in Frage gestellt. Die weisheitliche Hausordnung, Besitz durch Weisheit und Arbeit zu erhalten und zu vermehren greift 15,11-32 auf. Ihre Gültigkeit wird in der Erzählung dadurch unterstrichen, dass der jüngere Sohn sein dagegen verstoßendes Handeln als Sünde gegen Gott und den Vater bewertet (15,18.21). 537 Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Konventionen Als Maxime gilt in 3,13f., mit dem zufrieden zu sein, was man hat, und nicht mehr zu begehren. Konkret greifen 3,13 und 3,14 staatliche Rechtsvorschriften auf: nicht mehr Steuern als vorgeschrieben fordern (an Zöllner gerichtet), mit dem Sold begnügen (Soldaten). 14,12-14 setzt sich kritisch mit der gesellschaftlichen Konvention des „do, ut des“ auseinander: Als Kontrapunkt zu einer exklusiven Reziprozitätsethik setzt 14,12f. die ethische Leitlinie, sich Benachteiligten (Armen, Kranken) in besonderer Weise zuzuwenden. 14,28-30 greift die gesellschaftliche Konvention, Investitionen vorab zu Ende zu kalkulieren, auf; wer von diesem „common sense“ abweicht, macht sich zum Gespött der Leute. Sonderfall „kluger Verwalter“ In 16,8a-9.10-12 kreuzen sich kontroverse ethische Leitlinien zum Umgang mit (anvertrauten) Gütern und dem mamvnaqw thqw aödikißaw . Als Maximen gelten Klugheit, Recht/ Gerechtigkeit und Treue: V. 8a-9 (S Lk I) stützen erstere, auch in 16,1-8 gültige Maxime; v. 10-12 (S Lk II) korrigieren diese und greifen dagegen zustimmend die Regel auf, (anvertrautes) Gut - und sei es noch so wenig - treu und zuverlässig zu verwalten. 537 Vgl. Spr 1,13; 3,9f.; 10,22; 13,11; 14,23; 15,27; 19,14; 20,4; 21,5.15.20; insb. 24,3f.; 24,30-34; 28,19; 31,10-31. - Für dieses Ethos stehen in der Erzählung Vater und älterer Sohn. <?page no="180"?> 180 3.2.3 Theologische Deutung des Umgangs mit materiellen Gütern Umgang mit materiellen Gütern als Erfüllung der Thora 10,29b-36* (S Lk I) setzt an der Frage an, wie das Nächstenliebe-Gebot richtig zu erfüllen ist. Die als vorbildlich dargestellte Bereitschaft, finanzielle Aufwendungen für den in Not geratenen Nächsten zu tätigen, ist somit eine Frage der rechten Erfüllung der Thora. In 10,26-28.29b-37* (S Lk II) liegt die Betonung darauf, dass so verstandene Nächstenliebe untrennbar mit der Liebe zu Gott verbunden ist. 538 - Dass Gesetz und Propheten Richtschnur für den Umgang mit Besitz sind, betont auch 16,29.31. Umgang mit materiellen Gütern als metaßnoia Der rechte Umgang des Menschen mit materiellen Gütern in 3,10-14 erscheint im lukanischen Kontext (Gerichtspredigt des Täufers) als Voraussetzung für die Errettung im göttlichen Gericht. Die ethischen Weisungen in 3,10-14 dürften von Anfang an ihren Ort in der Bußpredigt des Täufers gehabt haben. Rechtes ökonomisches Handeln gilt hier als die ethische Seite der Umkehr zu Gott. - In 19,1-10 gilt die Veränderung ökonomischen Handelns (die Hälfte des Besitzes an Arme geben; vierfache Wiedergutmachung von Betrug) wie in 3,10-14 als metaßnoia . Diese ist Zeichen der Abrahamskindschaft (3,8 Q; 19,9 S Lk ) und führt zum Heil. - Ökonomisches Handeln wird in 16,19ff. nur als egozentrischer, passiver Genuss des Reichen dargestellt. Ab v. 27 wird deutlich, dass diese Passivität an dem in der Thora und durch die Propheten verkündigten Willen Gottes vorbeigeht und metaßnoia gefordert ist. Umgang mit materiellen Gütern im Rahmen der weisheitlichen Hausordnung In 12,16-20 ist nicht der Genuss des irdischen Wohlstandes (v. 19b) zentraler Kritikpunkt, sondern diejenige Lebenshaltung, die nur auf die - geliehene ( th? n yuxhßn sou aöpaißtousin , v. 20) - diesseitige Existenz setzt und Gott dabei ausblendet (v. 20). Diesen Aspekt betont Lukas in v. 21. Materielle Güter, Wohlstand dürfen durchaus genossen und wertgeschätzt werden. Allerdings unter der Prämisse, dass man sich Gottes und der Tatsache bewusst ist, dass das eigene, irdische Leben endlich und geliehen ist. 539 In ähnlicher Weise stellt 12,15 dar, dass das Streben nach Gütervermehrung kein Weg zum ewigen Leben ist. Mit einer indirekten positiven theologischen Deutung wird das Erhalten von Besitzstand in 15,11-32 versehen: Der jüngere Sohn qualifiziert durch die Selbstbewertung seines Handelns ( paßter, hÄmarton eiöw to? n ouörano? n kai? eönvßpioßn sou , v. 18.21) die Verschwendung des ausbezahlten Erbes als Sünde. 538 Mit der Einleitung 10,25 präsentiert Lukas Gottes- und Nächstenliebe als Voraussetzung für die Erlangung des ewigen Lebens. 539 Vgl. Koh 2,24ff.; 3,12 LXX. <?page no="181"?> 181 Eschatologischer Lohn/ Bestrafung als Motivation zu „rechtem“ Umgang mit materiellen Gütern Ziel der Handlungsaufforderung in 14,12-14 ist es, ausgeschlossene Menschen in die durch Geben und Nehmen bestimmte gesellschaftliche Gemeinschaft einzubeziehen und dabei materiellen Verlust in Kauf zu nehmen. Der Makarismus in v. 14 deutet dieses Vorgehen theologisch und motiviert damit zum Handeln, dass letztendlich entscheidend nicht die diesseitige materielle Entschädigung, sondern der Lohn bei der Auferstehung der Gerechten ist. - 16,19-26 evoziert bei den Hörern die Vorstellung, dass man Lohn nur einmal empfangen kann (vgl. 14,12-14), und fordert so dazu auf, in diesem Leben Empfangenes weiterzugeben, oder zu Gunsten bei der „Güterverteilung“ Benachteiligter auf zugeteilte Güter zu verzichten. 16,1-12 setzt differenzierte theologische Akzente: 540 Auch hier wird der „richtige“ Umgang mit Geld als Voraussetzung für das Ergehen im Eschaton bzw. das Erhalten eschatologischen Lohnes dargestellt. Im S Lk I wird empfohlen, klug (v. 8b.9), im S Lk II dagegen, zuverlässig (v. 10-12) mit Geld umzugehen. Besitzverzicht im Rahmen der Nachfolge Jesu und der basileißa- Verkündigung 22,35-38 verdeutlicht, dass die von den Jüngern auf sich genommene Besitzlosigkeit für die Verkündigung der basileißa touq jeouq von der Fürsorge Gottes begleitet war - die Jünger haben niemals Mangel gelitten (22,35). In der Situation kurz vor dem Tod Jesu wird die Haltung, sich völlig auf die Fürsorge Gottes zu verlassen, modifiziert: Geld, Ausrüstung und das Rechnen mit harschem Widerstand gegen die Verkündigung der basileißa werden ab jetzt den Weg der Boten zeichnen. 3.3 Das Handeln Gottes/ Jesu an armen und reichen Personen Handeln Gottes/ Jesu an armen und reichen Personen zu Lebzeiten Gott wählt Maria aufgrund ihrer tapeißnvsiw aus, Mutter Jesu zu werden (1,48 Red Lk ). Ihre materielle Armut ändert sich dadurch nicht, das Handeln Gottes ist ein heilsgeschichtliches. - Konkrete Hilfe aus der Armut erfährt die Witwe von Sarepta (4,25f.): Gott schickt Elia zu ihr („Alleinstellungsmerkmal“: nichtisraelitische Witwe), der sie durch ein Wunder vor dem Verhungern rettet. 22,35 setzt voraus, dass Gott die Jünger mit seiner Fürsorge begleitet hat, während sie besitzlos unterwegs waren, um die basileißa touq jeouq zu verkünden. Einige Texte des S Lk schildern, wie Gott bzw. Jesus mit Reichen Beziehung aufnehmen: Gott spricht in 12,20 den reichen Bauern an und macht 540 Gott wird zwar in 16,1-12 nicht erwähnt, doch ist der Textabschnitt von eschatologischen Motiven durchzogen, die sowohl in einem jüdischen als auch in einem christlichen Kontext, theologische Bedeutung besitzen. <?page no="182"?> 182 ihm die Vergänglichkeit irdischen Reichtums klar. Zum Zeitpunkt der Kontaktaufnahme hat der Reiche allerdings keine Möglichkeit zur Umkehr mehr, seine Zukunft ist beschlosssen (v. 20: tauqth# thq # nußkti […] aöpaitouqsin ). Anders bei Zachäus: Die Zuwendung Jesu zu ihm (19,5) ist dadurch ausgezeichnet, dass Jesus ihn als Menschen aufsucht und anspricht, der an anderen durch Betrug schuldig geworden ist (vgl. 19,8). Erst auf die Begegnung mit Jesus hin kündigt er an umzukehren. 8,3 spricht eine Beziehung von Reichen zu Jesus an, bei der dieser passiv ist: 541 Jesus lässt sich von wohlhabenden Frauen materiell unterstützen. Eschatologisches Handeln Gottes In 16,19ff. handelt Gott postmortal an einem armen und einem reichen Menschen. Die in 16,22-26 geschilderten jenseitigen Geschicke sind von Gott gelenkt, Abraham agiert als Ausführender des Willens Gottes. Im Kontext des Magnificat schildert 1,53 das Handeln Gottes an Armen und Reichen. Gott beseitigt Hunger und beendet Reichtum in einer Zukunft, für die er mit der Ankündigung von Jesu Geburt bürgt (Lk 1,30-33). 542 14,12-14 schildert, wie Gott ökonomische Prozesse indirekt beeinflusst: Nach 14,14 verpricht er Wohlhabenden für deren Verzicht auf diesseitigen Profit ein aöntapoßdoma im Eschaton. Gott ermöglicht also ökonomisches Handeln zu Gunsten der Armen in der Gegenwart, indem er sie in das Reziprozitätssystem eingliedert. 541 8,1-2a schickt allerdings voraus, dass Jesus die Frauen geheilt bzw. von Dämonen befreit hat. 542 Vgl. Petracca, Gott oder Geld, 28. <?page no="183"?> 183 C Weg des Diskursstrangs Armut und Reichtum/ Umgang mit materiellen Gütern im S Lk ins Lukasevangelium I Annäherungen an Überlieferungsgeschichte und -milieus des S Lk Die Analyse der Texte des S Lk erfolgte ohne eine Vorentscheidung hinsichtlich der Verfasstheit des S Lk als lukanischer Komposition, zusammenhängender schriftlicher Quelle, eines mündlich oder schriftlich überlieferten Konglomerats von Einzeltexten oder der Zusammensetzung aus mehreren geprägten Überlieferungszusammenhängen. Das Ergebnis der Analyse legt nahe, dass sich ein geringer Anteil lukanischer Komposition unter den Texten des S Lk findet (4,18f.; 6,24-26) und sich für die meisten analysierten Texte kein geprägter Überlieferungszusammenhang nahelegt. Für wenige Texte (10,25-37; 16,19-31 und 19,1-10) kann mit einiger Wahrscheinlichkeit eine gemeinsame Überlieferungsgeschichte angenommen werden. Rein formale Charakteristika (z.B. die Annahme einer Gleichnissammlung) reichen als Kriterium für die Rekonstruktion eines Überlieferungszusammenhangs nicht aus, da die inhaltliche und motivgeschichtliche Analyse darauf hinweist, dass gerade die Gleichnisse eine sehr unterschiedliche theologische Prägung besitzen. Pragmatisch-intentionale Gemeinsamkeiten sind als Kriterien problematisch, da auch in ein und derselben Gemeinde, demselben Milieu, u.U. Texte mit unterschiedlichen Intentionen kursieren können. Am tragfähigsten für die Erschließung eines Überlieferungszusammenhangs sind Indizien, die darauf hindeuten, dass Texte in einem bestimmten Milieu entstanden sind oder wirksam waren oder von einer gemeinsamen theologischen Ausrichtung geprägt sind. Einerseits sind dies relativ „grobe“ Kriterien, die keine Zusammenhänge beweisen, sondern nur nahelegen können; andererseits sind sie für die Entscheidung, ob Texte in einem traditionsgeschichtlichen Zusammenhang stehen, unabdingbar. Lukas hat also aus eigenem Interesse am Thema „Umgang mit materiellen Gütern“ und dem Gegensatz von „Armut und Reichtum“ in der Überlieferung Texte gesucht, gefunden und in sein Evangelium integriert, die von unterschiedlichen theologischen Strömungen geprägt sind, bei denen zentral sind: - die Auslegung bzw. Einhaltung der Thora, - weisheitliches Gedankengut (kritische und unkritische Übernahme der weisheitlichen Hausordnung), <?page no="184"?> 184 - die kritische Auseinandersetzung mit jüdischer Theologie/ jüdischer religiöser Praxis, - oder die Naherwartung/ Apokalyptik. Falls sich tatsächlich ein größerer geprägter Überlieferungszusammenhang wahrscheinlich machen ließe, wäre dies ein Indiz dafür, dass die entsprechende theologische Strömung starken Einfluss auf das Lukasevangelium gehabt hat bzw. durchsetzungsstarke Überlieferungsträger besaß. Auslegung/ Einhaltung der Thora In zwei Texten (10,25-37 und 16,19-31), die Lukas aus seinem Sondergut in das Evangelium integriert, wird die Antwort auf besitzethische Fragen explizit in der Auslegung der Thora gesucht: die Auslegung des Nächstenliebegebots anhand der Beispielerzählung vom barmherzigen Samaritaner (10,25-37) und der Schlussteil der Erzählung vom reichen Mann und dem armen Lazarus (16,27-31 S Lk I+II), wo Mose und Propheten als die Richtschnur genannt werden, nach der Leben und Umgang mit Gütern zu gestalten ist. In drei Texten (vgl. 1,55; 16,22ff.; 19,9) werden nicht Mose oder die Thora als Bezugspunkt genannt, sondern es wird auf Abraham rekurriert. Der rechte Umgang mit Besitz gilt als entscheidend für die Abrahamskindschaft. In 16,22ff. begegnet das Motiv im Rahmen der Jenseitsschilderung, ist dort aber ambivalent: Lazarus findet nach seinem Tod Trost in Abrahams Schoß als Ausgleich für das Böse, das er im Leben erlitten hat. Auch der Reiche gilt und versteht sich als Nachkomme Abrahams; doch ist dies für ihn nicht (mehr) heilsrelevant: Selbst wenn Abraham wollte, könnte er sich seiner nicht erbarmen ( eöleßhsoßn me , v. 24 ) und ihn nicht aus der Unterwelt holen (S Lk ). Seine Taubheit für Mose und die Propheten (S Lk I+II) lassen die Heilsverheißung an die Abrahamskinder für ihn unwirksam werden. Umgekehrt deutet 19,9 die Umkehr des Zachäus gemäß der Thora als Weg (zurück) in die Abrahamskindschaft und damit ins wahre Volk Israel. Sowohl in 16,19ff. als auch in 19,9 hängt damit die Heilswirksamkeit der Abrahamskindschaft von der ethischen Praxis bzw. der metaßnoia ab. In 1,55 fungiert die Abrahamskindschaft als Begründung für Gottes Zuwendung, die der Nachkommenschaft Abrahams verheißen ist ( tvq # ’Abraa? m kai? tvq # speßrmati auötouq ). Der ausdrückliche Bezug auf die Thora und das Motiv der Abrahamskindschaft weist darauf hin, dass die genannten Texte in christlichen Gemeinden zu verorten sind, in denen die jüdische Tradition eine bedeutende Rolle spielte. Im Detail lassen sich zu Überlieferungsgeschichte, Intention, Sitz im Leben und Milieu folgende Aussagen machen: Die Erzählung 10,29-37* (S Lk ) diente von Anfang an der Auslegung des Nächstenliebegebots (Lev 19,18). Die Schilderung der Hilfeleistung des Samaritaners macht deutlich, dass Nächstenliebe finanziellen Aufwand zur Fürsorge für den Mitmenschen einschließt. Der Blick wird auf den gelenkt, der zum Nächsten wird, weg von der - immer auch ausgrenzenden - Definition <?page no="185"?> 185 einer Personengruppe, die als „Nächste“ zu betrachten ist. Sprachliche Indizien legen nahe, dass Lukas das kombinierte Septuagintazitat (10,27) bereits in traditionellem Material vorfand, das von Kreisen überliefert wurde, die mit dem semitischen Wortlaut umgingen. Die Personenkonstellation Priester/ Levit - Samaritaner lässt darauf schließen, dass judenchristliche Kreise an der Überlieferung interessiert waren, die mit Juden in engem Kontakt standen und sich mit ihnen auseinandersetzten. 1 Die strenge Gesetzesobservanz ist gerade das, was die Samaritaner mit dem pharisäisch geprägten Judentum verbindet. 2 - Die Lokalisation der Erzählung zwischen Jerusalem und Jericho macht wahrscheinlich, dass sie zunächst in Palästina tradiert wurde. Lukas lernt die Erzählung und ihren Rahmen als einen Text kennen, der widerspiegelt, dass im Laufe der Auseinandersetzung zwischen Juden und Judenchristen das Missverständnis stark geworden ist, dass Nächstenliebe in Spannung zur kultischen Verehrung Gottes steht. Die Tradenten von v. 26-28 (S Lk I) gehen gegen dieses Missverständnis an. Sitz im Leben von 10,26-28 (S Lk I) ist entweder die direkte Auseinandersetzung mit Kritikern oder die Diskussion über den Kult. Adressaten sind Personen, die die jüdische Kultpraxis kritisieren. Die Erzählung 16,19-26 (S Lk ) ist in ihrem Kern reichtumskritisch. Dass sie von Beginn an eine Funktion in einer an Wohlhabende gerichteten Paränese hatte, ist sehr wahrscheinlich. Spezifisch jüdische Elemente (Vorstellung von Abrahams Schoß) mischen sich mit allgemein-theologischem Gedankengut (Gott bestimmt die Zuteilung von Gut und Böse für die gesamte Existenz des Menschen vorher, v. 25). Die erste Erweiterung v. 27-29 (S Lk I) hat ihren Sitz im Leben in der Auseinandersetzung mit der Frage, wie Reiche zur christlichen Gemeinde gehören können. Sie dürfte sich in einem judenchristlichen Milieu abgespielt haben, das am Gesetz als Heilsvoraussetzung festhielt. V. 30f. (S Lk II) vertieft die Diskussion und spitzt sie auf die Aufforderung zur metaßnoia gemäß Gesetz und Propheten zu. Aus dieser Diskussion heraus greift Lukas den Text auf und integriert ihn in sein Evangelium. 19,1-6* (S Lk ) erzählt eine Begebenheit aus Jesu Leben und gibt die Erfahrung eines Gläubigen weiter. Funktion ist in diesem Stadium die geistliche Erbauung einer christlichen Gruppe. Die v. 7 und 9 greifen in einem nachfolgenden Überlieferungsstadium (S Lk I) die Frage auf, wie „Sünde“ zu verstehen ist, wer also als „Sünder“ gilt und wem Gottes Heil widerfahren kann. Die Betonung der Abrahamskindschaft weist darauf hin, dass die Zugehörigkeit zum Volk Israel für diese Christen heilsrelevant ist. 3 Im S Lk II (v. 8) spiegelt sich die Auseinandersetzung in der Gemeinde darüber, ob und wie Reiche zur christlichen Gemeinde gehören können. Zwei Antworten werden gefunden: Eine auf der Ebene des Glaubens: Sie müssen tatsächlich Jesus begegnen wollen. Die andere auf der Handlungsebene: Sie 1 Böhm, Samarien, 254. 2 Vgl. Jeremias, Art. Samaßreia , 89. 3 Vgl. Bovon, EKK III/ 3, 296f. <?page no="186"?> 186 müssen ihr Vermögen in den Dienst anderer stellen. Durch diese Form von Umkehr gelangen sie in die Abrahamskindschaft zurück. Die Auseinandersetzung darüber deutet darauf hin, dass zur Gemeinde Arme und Reiche gehören. In dieser Zuspitzung greift Lukas den Text auf und deutet ihn (v. 10). 10,25-37, 16,19-31 und 19,1-10 sind in einem gemeinsamen Milieu zu verorten, in dem die Thora als Leitlinie für den Umgang mit materiellen Gütern gilt (10,25ff.; 16,19ff.) bzw. die Umkehr in Bezug auf den Umgang mit materiellen Gütern als „heilsnotwendige“ Rückkehr in die Abrahamskindschaft gewertet wird. 16,19ff. und 19,1ff. haben als gemeinsames Thema die Frage, wie Reiche zur christlichen Gemeinde gehören können. Diese Indizien könnten einen überlieferungsgeschichtlichen Zusammenhang der drei Texte nahelegen. Intention SiL Milieu 10, 25-37 S Lk v. 29-37*: Auslegung des Nächstenliebegebots (Lev 19,18). Akzent liegt auf folgenden Punkten: Keine ausgrenzende Definition einer Personengruppe, die als „Nächste“ bezeichnet wird; finanzieller Aufwand ist im Nächstenliebegebot mit eingeschlossen. Gesetzesauslegung; Erzählung zur Konkretisierung des Nächstenliebegebots Judenchristen im engen Kontakt mit Juden; Ort: Palästina S Lk I v. 26-28*: Verdeutlichung des Aspekts, dass Nächstenliebe und kultische Gottesverehrung einander nicht widersprechen, sondern zusammengehören. direkte Auseinandersetzung mit Kritikern oder die Diskussion über den Kult: Adressaten sind Personen, die die jüdische Kultpraxis kritisieren Judenchristen im engen Kontakt mit Juden 16,19-31 S Lk v. 19-26: Warnung vor egozentriertem, blindem, passiven Besitzgenuss reichtumskritische Paränese in der Gemeinde jüdisch/ judenchristlich; städtisch; evtl. wohlhabend S Lk I v. 27-29: Nach Gesetz und Propheten leben (vor allem als Wohlhabender) Paränese; Auseinandersetzung mit der Frage, wie Reiche zur christlichen Gemeinde gehören können Judenchristen; Gesetz bleibt heilsrelevant S Lk II v. 30f.: Präzisierung des metaßnoia -Gedankens Paränese: metaßnoia gemäß Gesetz und Propheten Judenchristen; Gesetz bleibt heilsrelevant <?page no="187"?> 187 Intention SiL Milieu 19,1-10 S Lk v. 2-6*: Weitergabe einer Anekdote über Zachäus/ Jesus Bewahrung von Glaubenszeugnis bzw. Jesusüberlieferung in der Gemeinde v. 8*: Reflexion über Zugehörigkeit von Reichen zur Gemeinde: Glauben und rechter Umgang mit Besitz als Voraussetzung S Lk I v. 7.9*: Reflexion über Hamartiologie; Abrahamskindschaft ist Voraussetzung für das Heil Auseinandersetzung der ersten Christen mit jüdischen Kritikern Judenchristen im engen Kontakt mit Juden S Lk II - Auseinandersetzung in der Gemeinde über Zugehörigkeit von Reichen Judenchristliche Gemeinde, zu der Arme und Reiche gehören Übersicht: Veränderung von Intention, Milieu und Sitz im Leben in 10,25-37*; 16,19-31 und 19,1-10* Das Magnificat (1,46-55) ist ein von der Septuaginta geprägtes Textstück (vgl. 1 Sam 2,1-10 als engsten Paralleltext; aber auch Anklänge an Psalmen, z.B. Ps 107,9). Besungen wird Gottes Zuwendung zu Armen und Geringen und seine Macht über irdische, politische Mächte und irdischen Reichtum. Die Barmherzigkeit Gottes richtet sich auf die, die ihn fürchten (v. 50) und das Volk Israel (v. 54). Insgesamt weist der Text eine starke Rückbindung an das Volk Israel und Gottes Verheißung an sein Volk auf und ist in einem armenfreundlichen, machtkritischen jüdischen oder judenchristlichen Milieu zu verorten. 4 Eine überlieferungsgeschichtliche Verbindung zu den anderen analysierten Texten des S Lk ist nahezu auszuschließen. Die Täuferpredigt 3,10-14 setzt voraus, dass der rechte Umgang mit materiellen Gütern unabdingbare Voraussetzung für die Erlangung des Heils ist. Sie bietet konkrete Handlungsanweisungen zum Umgang mit Besitz für das Volk im Allgemeinen und die beiden Berufsgruppen Zöllner und Soldaten. Die Weisung, mit Armen zu teilen, wird, obgleich sie in der Thora fest verankert ist (vgl. z.B. Dtn 15,7ff.), nicht ausdrücklich von dort abgeleitet. Interesse an der Überlieferung der Predigt des Johannes hatten mit Sicherheit Jüngerkreise des Täufers. Als Sitz im Leben ist die ethische Unterweisung 4 So Mittmann-Richert, Magnificat und Benedictus, 97ff.; Bovon hält einen jüdischpharisäischen Hintergrund des Magnificat für wahrscheinlich (Bovon, EKK III/ 1, 82f.); Wolter hält alle Aussagen über eine Vorgeschichte des Magnificat für hochspekulativ und methodisch fragwürdig (ders., Lukasevangelium, 99). <?page no="188"?> 188 innerhalb des Täuferkreises anzunehmen. 5 Ein überlieferungsgeschichtlicher Zusammenhang mit anderen analysierten Texten des S Lk ist deshalb unwahrscheinlich. Weisheitliches Gedankengut Die Analyse hat gezeigt, dass im S Lk in großer Zahl Motive aus den Weisheitstexten der Septuaginta aufgegriffen werden. 6 Häufig finden sich über die Motivanklänge hinaus sogar sprachliche Parallelitäten mit den in der Septuaginta überlieferten Texten - die nachfolgende Übersicht verdeutlicht dies anhand einer Auswahl der Paralleltexte. S Lk LXX Motive 1,52; 14,8-10 Spr 18,12; 25,6f.10 Sir 3,19f. „Hochmut kommt vor dem Fall“ Lob der Demut 12,15; 12,20 Spr 23,4f.; 28,20-22; Koh 5,9-6,9; Sir 31,5-11 Warnung vor Habgier/ Anhäufen von Gütern 12,19 Koh 8,15 Essen, Trinken und Freude daran 12,20 Koh 2,24f.; 3,12f.; 9,7 Koh 2,24f.; 3,12 Möglichkeit, Besitz zu genießen, ist eine Gabe Gottes Vergänglichkeit irdischen Besitzes 14,28-32 Spr 24,3-6 Verknüpfung von Hausbau und Kriegsführung 15,11ff. Spr 24,3f.; 24,30-34; 28,19; 31,10-31 weisheitliche Hausordnung des Bewahrens und Vermehrens von Besitz 16,3 Sir 40,29 Ehrverlust durch Betteln 16,19-26 Spr 31,22 Sir 21,9-10 Kleidung aus Purpur und Byssos blinder Genuss ohne Blick auf Arme führt ins Verderben Übersicht: Weisheitliche Traditionen im S Lk Typisch weisheitliche Redeweisen sind aphoristische Aussagen (Gnomen, Sentenzen), die verallgemeinernden Charakter besitzen (z.B. Lk 14,11 Q), rhetorische Fragen, die häufig als Begründung für Mahnungen dienen (vgl. Lk 12,25Q) und Mahnungen (Imperative, Vetitive), die in der Regel begründet 5 Vgl. Böhlemann, Täufer, 179. 6 Vgl. dazu v.a. Schenke u.a., Jesus von Nazaret, 195 Anm. 8; Ebner, „Weisheitslehrer“, 99-119; Klauck, Christus, 251-275; eine enzyklopädische Übersicht über weisheitliche Texte in der synoptischen Tradition bietet von Lips, Traditionen; des weiteren auch Bultmann, Geschichte, 73-113, der das Logien-Kapitel mit dem eingeklammerten Zusatz „Jesus als Weisheitslehrer“ versieht. <?page no="189"?> 189 werden. Letztere sind in der synoptischen Tradition meist in der 2. Pers. Pl. formuliert (in der alttestamentlichen Weisheit meist in der 2. Pers. Sg.). Neben den Formulierungen im Imperativ finden sich auch Weisungen im Singular, die mit einem Konditional- oder Relativsatz eingeleitet werden (so z.B. Lk 14,7ff.12ff S Lk ). 7 Lassen sich aus der Tatsache, dass die analysierten Perikopen häufig weitreichende Ähnlichkeiten mit konkreten weisheitlichen Texten aufweisen bzw. in der weisheitlichen Literatur gängige Motive aufgreifen, Rückschlüsse auf den Trägerkreis des jeweiligen Textes ziehen? Erschwert wird dies dadurch, dass sich Texte weisheitlicher Prägung nicht nur im S Lk , sondern in allen Schichten - Q, Mk, S Mt - der synoptischen Tradition finden. 8 Selbst die Verbindung von weisheitlichen mit eschatologischen bzw. apokalyptischen Elementen, die den analysierten Texten z.T. zu eigen ist (s.u.), ist kein dem S Lk eigenes Charakteristikum. Die Tendenz zur Verbindung von Weisheit und Apokalyptik zeichnet sich bereits im Frühjudentum ab (vgl. besonders äthHen 42, Weish 1-5). 9 Schöpfen die weisheitlichen Texte der S Lk -Passagen also schlicht „aus dem Vollen“, aus dem breiten Strom der Volksweisheit? Warum und wozu hielten Christen es dann für wert, diese „banalen“, profanen Weisheitssprüche als authentische Jesusworte zu tradieren? 10 Plausibel für die Wahrscheinlichkeit, ob ein Logion von Jesus stammt, erscheint das Kriterium, dass dies dann sehr wahrscheinlich der Fall ist, wenn es jüdisch geprägt ist oder schlicht „Allerweltsweisheit“ ausdrückt, ohne spezifisch christliche Prägung aufzuweisen. In einem solchen Fall, d.h. wenn die Intention des Logions nicht im Einklang mit der der christlichen Gemeinde steht, ist anzunehmen, dass der Grund für die Weiterüberlieferung war, ein authentisches Jesuswort weiterzugeben. 11 Wenn Jesus sich weisheit- 7 Vgl. Zeller, Weisheitliche Ethik, 195. 8 Vgl. Klauck, Christus, 251-275, insb. 261. 9 Vgl. Theißen, Historischer Jesus, 333. 10 Zu den Kriterien die in der Forschung für die Historizität von Jesusworten angelegt werden s. Ebner, „Weisheitslehrer“, 1-53; allgemein auch Theißen/ Merz, Jesus, 117ff. 11 So Ebner, „Weisheitslehrer“, 48ff. Ebner modifiziert damit das lange für die Authentizität von Jesuslogien als entscheidend geltende Differenzkriterium, demzufolge auf Jesus zurückzuführen ist, was sich weder „in das jüdische Denken noch in die Auffassung der späteren Gemeinde einfügen läßt“ (so Conzelmann, Art. Jesus, 623). Ähnlich argumentiert Bultmann. Er nennt zwei alternative Antworten auf die Frage nach der „Echtheit“ profaner weisheitlicher Jesuslogien: Jesus hat profane Sprüche selbst gebraucht oder die Gemeinde hat Jesus profane Sprüche „in den Mund gelegt“. Nach Bultmann sind Logien, die nicht charakteristisch für eine neue, individuelle Frömmigkeit sind oder allgemeine Regeln der Klugheit ausdrücken, kaum auf Jesus zurückzuführen (vgl. ders., Geschichte, 105ff.). Mit dieser Argumentation zählt Bultmann u.a. auch 14,8-10.12-14 zu den Logien, die erst durch die Tradition zu Jesusworten wurden (vgl. die Liste der weisheitlichen Logien in Bultmann, Geschichte, 107f.). Theißen/ Merz beziehen zudem die Weiterwirkung von Jesuslogien in ihre Kriteriologie ein: „Das Differenzkriterium ist durch das historische Plausibilitätskriterium zu ersetzen, das mit Wirkungen auf das Urchristentum und seiner Einbindung in den jüdischen Kontext rechnet. Historisch ist <?page no="190"?> 190 licher Traditionen bedient hat, ist dies ein Zeichen für seine Verwurzelung im Judentum. 12 Die eruierten weisheitlichen Motive sind relativ unspezifisch. So kommt nur in einem Motiv „Gott“ vor (er ist beim Genuss materieller Güter einzubeziehen, vgl. 12,20 S Lk ). Eine theologische Weiterentwicklung der Weisheitstexte der Septuaginta lässt sich an den analysierten Texten nicht ablesen. Bleibt die Beobachtung, dass sich Jesus selbst oder spätestens die Überlieferungsträger der Septuagintatexte bedient haben. Mehr als eine gewisse Nähe zu jüdischer Tradition und die Kenntnis jüdischer Schriften lässt sich daraus nicht ableiten. Eine Sonderstellung nimmt die Erzählung vom Vater und den beiden Söhnen 15,11ff. ein. Hier wird die weisheitliche Hausordnung des Bewahrens und Vermehrens von Besitz unkritisch, ja sogar positiv reflektiert. Die theologische Hauptintention der vorlukanischen Überlieferung von 15,11-32 ist es allerdings, die Geschichte einer gelungenen Umkehr darzustellen. 13 Diese wird nicht nur mit Vergebung, sondern sogar mit freudiger, festlicher Wiederaufnahme beantwortet. Sie hatte in der Gemeinde die Funktion, einerseits zur Umkehr zu ermutigen und andererseits zur Barmherzigkeit mit Menschen einzuladen, die schuldig geworden sind. Weitere Spezifika der Gemeinde auszumachen fällt schwer, da die Erzählung für ein breites Adressatenspektrum offengehalten ist: Die vorausgesetzten ethischen Grundsätze (Besitzstandswahrung, negative Bewertung von Verschwendung und ausschweifendem Lebensstil) sind gesellschaftlich akzeptiert; auch die einzige explizit geäußerte religiöse Vorstellung (Sünde gegen den Himmel, 15,18.21) ist allgemeinverständlich. Der Begriff „sündigen“ wird in der Erzählung nicht nur religiös ( eiöw to? n ouöranoßn ), sondern auch moralisch ( eönvßpioßn sou ) verstanden. Ein traditionsgeschichtlicher Zusammenhang mit den beiden vorangehenden Erzählungen (15,3-7.8-10) ist unwahrscheinlich. Erst Lukas dürfte mit hQn aöpolvlv? w kai? euÖreßjh (v. 24.32) eine Stichwortverbindung zu 15,6.9 geschaffen haben. in den Quellen das, was sich als Auswirkung Jesu begreifen läßt und gleichzeitig nur in einem jüdischen Kontext entstanden sein kann.“ (Theißen/ Merz, Jesus, 117); vgl. dazu auch Theißen/ Winter, Kriterienfrage. 12 „Anstelle der Abhebung Jesu aus dem Judentum ist die Abhebung aus der christlichen Tradition und zugleich die Sichtung von Anknüpfungspunkten für die Traditionsbildung zu setzen. Läßt sich hinsichtlich dieser so aussondierten Jesusworte zusätzlich eine gewisse Nuancierung gegenüber vergleichbaren jüdisch weisheitlichen Sprüchen feststellen, ist das Äußerste erreicht, was das Unähnlichkeitskriterium in dieser Handhabung erreichen kann: eine gewisse Akzentuierung einer Einzelpersönlichkeit innerhalb ihres zeitgeschichtlichen Umfelds.“ (Ebner, „Weisheitslehrer“, 50). 13 Fitzmyer betont, dass die ursprüngliche (wahrscheinlich jesuanische) Erzählung „may well have stressed the boundless, unconditioned love of the father“ (Fitzmyer, Luke II, 1085). <?page no="191"?> 191 Kritische Auseinandersetzung mit jüdischer Theologie/ jüdischer religiöser Praxis 15,11-32 hat als gemeinsames Motiv mit 7,36-50 (insb. 7,39.41-43.47) und 19,1-10 (insb. 19,7), dass hamartiologische Fragen in Verbindung mit dem Umgang mit materiellen Gütern aufgegriffen werden. 7,36-47 und 19,1-10 verbindet, dass Jesus wegen seines vorbehaltlosen Umgangs mit „Sündern“ kritisiert wird. In 7,39 bezieht die Bezeichnung „Sünder“ sich auf Prostitution; in 19,2.7 auf die Tätigkeit als Zöllner; in 15,18.21 handelt es sich um einen Selbstvorwurf des jüngeren Sohnes, der sich auf seinen verschwenderischen Umgang mit Besitz bzw. seine ausschweifende Lebensweise bezieht (nur hier steht das Verb aÖmartaßnein und nur hier wird zwischen Sünde eiöw to? n ouörano? n kai? eönvßpioßn sou , vor Gott und Menschen differenziert). In Lk 15,18.21 und 19,7 ist Sünde also mit dem Umgang mit materiellen Gütern konnotiert (Verschwendung bzw. unrechtmäßiges Eintreiben von Steuern). In 7,41-43 fungiert der Schuldenerlass als Bild für Sündenvergebung. Lk 7,41-43 (im Kontext von 7,36-47) und Lk 19,1-10 weisen inhaltliche Parallelen auf: In den Blick genommen wird die Beziehung der Sünder zu Jesus. Jesus spricht ihnen Vergebung bzw. Heil zu und deutet so den Begriff „Sünder“, den der Pharisäer (7,39) bzw. die Menge (19,7) im Mund führt, um. Die hamartiologische Fragestellung ist in 19,1-10 besonders in der Überlieferungsstufe S Lk I fassbar. Dort wird die Frage reflektiert, wer als aÖmartvloßw einzustufen ist (v. 7) und wem von Gott Heil widerfahren kann (v. 9). Die Begründung der Heilszusage mit der Abrahamskindschaft (v. 9b) zeigt, dass die Zugehörigkeit zum Volk Israel für die Christen unbedingte Voraussetzung für das Heil bleibt. Das S Lk I dürfte eine Auseinandersetzung der ersten Christen mit jüdischen Kritikern widerspiegeln und in einem judenchristlichen Milieu zu verorten sein (Judenchristen oder Christen im engen Kontakt mit Juden). 7,36-47* ist dagegen durch die Parallelisierung von Pharisäer und Prostituierter von einem polemischen Unterton gegen Juden geprägt. Ein überlieferungsgeschichtlicher Zusammenhang von 7,36-47 und 19,1-10* ist folglich unwahrscheinlich. Naherwartung/ Apokalyptik Die Erzählung 16,1-9 S Lk ist stark von der Erwartung des baldigen Anbruchs des Gottesreiches geprägt und weist apokalyptische Motive auf. Sie vertritt eine Reihe von Texten des S Lk , die enge Parallelen zu Passagen aus dem äthiopischen Henochbuch aufweisen. Besonders in den so genannten „Mahnreden“ äthHen 91-105 wird wie im S Lk das Gefälle zwischen Reichtum und Armut auf vielfältige Weise thematisiert. 14 Daraus wurde geschlossen, dass sie „eine Trostschrift für eine jüdische Gemeinschaft, die als politisch unterdrückte und sozial schwache Minderheit“ 15 lebte, gewesen seien. 14 Wacker, 1 Henoch 22; Wacker beruft sich hier auf Aalen, St. Luke's Gospel, und Nickelsburg, Riches. 15 Wacker, 1 Henoch 22, 10. <?page no="192"?> 192 S Lk äthHen Motive 1,52f. (s. 12,17-19) 97,8 Wehe über Menschen, die Güter angehäuft haben 6,24 (Red Lk ) 94,8 Wehe über Reiche und Gottlose 12,17-19 97,8-10 Wehe über Menschen, die Güter angehäuft haben Disqualifizierung gottlosen Sammelns 14,14 26f. 16 Auferstehung der Gerechten 16,9 39,4 63,10 „Hütten der Gerechten und Ruheorte der Heiligen“ durch Ungerechtigkeit angesammelter Besitz 16,19-26 96,4-8 98,2 22,9ff. Verdammung von Reichen, die ihren Reichtum auf Kosten Armer genießen Kleidung aus Purpur, überfließendes Nahrungsangebot Aufenthaltsorte der Toten sind für Gerechte und Ungerechte getrennt Übersicht: Motivische Parallelen zwischen äthHen und S Lk Historisch und thematisch sind die oben genannten Abschnitte - mit Zugeständnis an die komplexe Entstehungsgeschichte des äthiopischen Henochbuches - grob folgendermaßen einzuordnen: 17 1. Das Buch der Wächter (äthHen 1-36): äthHen 1-5: spät-vorchristlich; 6-11: spät-vormakkabäisch; 12-16: früh-vormakkabäisch; 17-36: 5.-3. Jh. v. Chr. 18 2. Die Bilderreden äthHen 37-71: 105-64 v. Chr. 19 3. Das astronomische Buch äthHen 72-82: 110 v. Chr. 4. Das Buch der Traumvisionen äthHen 83-90: 165-161 v. Chr.; 91,1-11.18f.: 105/ 4 v. Chr. (oder früher? ); 91,12-17: früh-vormakkabäisch. 5. Henochs Epistel/ Mahnreden äthHen 92-106: äthHen 92.94-104: 105/ 4 v. Chr. (oder früher? ); 93,1-10: früh-vormakkabäisch. Um aus diesen Parallelen mögliche Folgerungen für die Überlieferungsgeschichte des S Lk abzuleiten, ist zu prüfen, welchen Verbreitungsgrad äthHen um die Zeitenwende besaß und in welchen religiösen Kreisen es gelesen wurde. Bis ins 1. Jh. war die Schrift wohl weit verbreitet. Darauf weisen zu- 16 Vgl. auch Dan 12,3. 17 Vgl. insgesamt zu den Einleitungsfragen Uhlig, Henochbuch (2003), 461ff.; Oegema, Apokalypsen, 131-151; Collins, Enoch, 585. Oegema bezieht sich in der Datierung (vgl. Oegema, Apokalypsen, 134) auf Uhlig, Henochbuch (2003), 490f. und Isaac, 1 Enoch, 10-12. 18 Vgl. Oegema, Apokalypsen, 134, Sacchi, Jewish Apocalyptic, 47-71. - Collins nimmt für das Buch der Wächter und das astronomische Buch eine Abfassungszeit im 3 Jh. v. an (vgl. Collins, Enoch, 585). 19 Collins nimmt für die Bilderreden eine Abfassungszeit zwischen dem 1. Jh. v. und dem 1. Jh. n. an (Collins, Enoch, 585). <?page no="193"?> 193 nächst Textfunde in Qumran hin. 20 Das Buch scheint für die qumranische Gemeinschaft einen hohen „Gebrauchswert“ gehabt zu haben, da dort mehrere aramäische Kopien gefunden wurden. Diese ältesten Textzeugen des Henochbuches stammen aus der Zeit vom 2. Jh. v. Chr. bis zur Zeitenwende. 21 Darüber hinaus deuten Parallen in der jüdischen apokryphen Literatur (Jub, TextXII, AssMos, 4 Esr und Apc-Bar [syr]) und im NT (Jud 4-6.13-14.16) 22 auf einen hohen Verbreitungsgrad des Buches hin. Das äthiopische Henochbuch dürfte vor allem in apokalyptischen Kreisen des 3./ 2. Jh. v. Chr. zu lokalisieren sein, die in ihrer religiösen Prägung der jüdischen Strömung der Chasidim nahestanden, 23 die sich politisch durch ihre antiseleukidische Haltung ausgezeichnet haben dürften: Ein „endgültiger Beweis für einen Zusammenhang zwischen dem Gedankengut der chasidäischen Autoren der Danielapokalypse wie auch den Autoren von äthHen und den politischen Erfolgen der Makkabäer ist schwer zu erbringen, aber sie resultierten alle aus ein- und derselben antiseleukidischen ‚frommen’ Haltung (vgl. 1 Makk 2,42)“ 24 . Ein direkter sprachlicher Vergleich der S Lk -Texte mit den Passagen aus äthHen gestaltet sich schwierig, da es ursprünglich wohl in Aramäisch abgefasst und über eine griechische Zwischenstufe ins Äthiopische übersetzt wurde. 25 Die zum Teil engen Parallelen zwischen beiden Textgruppen haben in der Forschungsgeschichte zu der Annahme einer direkten Abhängigkeit des Lk von äthHen 92-105 geführt, die Aalen hauptsächlich durch sprachlich-formale Parallelen nachzuweisen suchte. 26 Berechtigte Kritik an der Argumentation Aalens und dessen These formulierte Nickelsburg: 27 Aalens Belege bewiesen keine direkte Abhängigkeit zwischen Lk und äthHen. Die von Aalen angeführten Belege seien entweder zu formal oder „natural enough Greek formulations that they could have derived at some stage in the tradition from the Aramaic version of 1 Enoch 92ff. an still coincide with the readings of the Greek version“ 28 . Die Parallelen zwischen S Lk -Texten und äthHen lassen also einen Schluss auf einen Überlieferungszusammenhang kaum zu. Dass die apokalyptische Prägung der betreffenden Texte unterschiedlich stark ist, spricht ebenfalls gegen diese Schlussfolgerung. 20 Uhlig, Henochbuch (2003), 479ff. 21 Die Fragmente umfassen Teile aus dem Buch der Wächter (äthHen 1-10; 12-14; 18; 22-23; 25-26; 30-36), dem astronomischen Buch (äthHen 73; 76-79; 82), dem Buch der Traumvisionen (äthHen 86; 88-89; 91) und den Mahnreden (äthHen 92-94; 104-107). 22 Oegema, Apokalypsen, 135. 23 Vgl. Uhlig, Henochbuch (2003), 491f.; Oegema, Apokalypsen, 134. 24 Oegema, Apokalypsen, 138. 25 Oegema, Apokalypsen, 134. - Die ältesten griechischen Textfragemente enthält der Chester-Beatty-Papyrus aus dem 4. Jh., er umfasst äthHen 97,6-107,3 (vgl. Uhlig, Henochbuch [2003], 479). 26 Aalen, St. Luke's Gospel, 1-13. 27 Vgl. Nickelsburg, Riches. 28 Nickelsburg, Riches, 342. <?page no="194"?> 194 Die Erzählung Lk 16,1-9(10-12) ist stark von Endzeiterwartung und apokalyptischem Dualismus geprägt. Angesichts der bevorstehenden Krise (Verlust der Amtsgewalt und seiner materiellen Existenzgrundlage) nutzt der gekündigte oiökonoßmow die ihm verbleibende kurze Zeit, um den Schuldnern seines Herrn eine Teilschuld zu erlassen und sie auf diese Weise für sich einzunehmen (Gastfreundschaftsrecht). Die Erzählung 16,1-8a (S Lk ) enthielt schon von Anfang ein Lob des „ungerechten“ Verwalters durch den kußriow (v. 8a). Sympathieträger ist der oiökonoßmow ; möglicherweise lässt dies auf ein Überlieferungsmilieu schließen, in dem zwar Handlungsspielraum für den Umgang mit Geld bestand, deren Existenz aber ähnlich wie die des oiökonoßmow von anderen abhängig war. 29 V. 8a wertet das Verhalten des Verwalters zwar als unmoralisch ( oiökonoßmow thqw aödikißaw, 16,8a), aber bezeichntet es trotzdem als klug und lobenswert ( eöphß #nesen oÖ kußriow [Jesus]). Das Lob der Klugheit des Verwalters unterstreicht, dass die Erzählung von der Erwartung des baldigen Anbruchs des Gottesreiches geprägt ist. 30 Die erste Applikation (v. 8b.9, S Lk I) greift die anstößige Verbindung der beiden Stichworte aödikißa und fronißmvw auf und deutet sie eschatologisch. Kluger, vorausschauender Umgang mit dem ungerechten Mammon wird positiv bewertet: aödikißa und froßnhsiw sind miteinander vereinbar. Deutlicher noch als die Erzählung selbst verweist v. 8b.9 darauf, dass der Text in einem Milieu überliefert wurde, dass von der Erwartung des nahen Weltendes geprägt ist. V. 8b.9 ist stark dualistisch geprägt: Die Kinder des Lichts werden den Kindern dieses Äons gegenübergestellt. Zu klugem Handeln wird aufgefordert, nicht nur beim Umgang mit Geld. In dieser Zeit kurz vor dem Ende soll man sich ein wenig an die Gesetze der Welt anpassen und die „Kinder dieses Äons“ in ihrer Klugheit als Vorbild nehmen. Aufgrund der Semitismen (Genitivus qualitatis; mamvnaqw ) ist anzunehmen, dass Aramäisch oder Hebräisch im Kontext dieses wohl mündlichen Überlieferungsstadiums gängig war; Palästina legt sich als Ort der Überlieferung nahe. 31 Sitz im Leben von v. 8b-9 (S Lk I) ist die gemeindliche Paränese. Eine stark ausgeprägte Endzeiterwartung und die Identifizierung mit den uiÖoi? touq fvtoßw einerseits und ein gewisser Wohlstand andererseits, der Spielraum für den Umgang mit Geld offenhält, zeichnen die Gemeinde aus. Die später hinzugefügte zweite Applikation (v. 10-12, S Lk II) richtet sich gegen das Missverständnis (das sich aus v. 8b-9 ergeben könnte), dass Christen zu einem unredlichen Umgang mit Geld aufgefordert seien. Die allgemeine Sentenz parallelisiert die Treue/ Unredlichkeit bei der Verwaltung geringer anvertrauter Güter mit der Treue/ Unredlichkeit bei der Verwaltung großer anvertrauter Güter; der treue Umgang mit dem ungerechten Mammon wird als Voraussetzung dafür betrachtet, dass einem das „wahre 29 Vgl. Stegemann/ Stegemann, Sozialgeschichte, 51. 30 Zum synoptischen Gebrauch von fronißmvw vgl. Fitzmyer, Luke II, 1102. 31 Vgl. Bovon, EKK III/ 3, 73. <?page no="195"?> 195 Gut“ ( aölhjinoßn ) anvertraut wird. Wie in v. 8b.9 ist also der richtige Umgang mit materiellen Gütern Voraussetzung für eschatologisches Heil. Im Blick ist dabei der redliche Umgang mit Geld in dieser Welt. Das Weltende ist in v. 10-12 zwar im Blick, doch hat sein Einfluss auf die Ethik im Vergleich zu v. 8b.9 abgenommen. Wahrscheinlich sind Menschen angesprochen, die konkret mit der Verwaltung von Geld betraut sind. V. 10- 12 sind ebenfalls in der Gemeindeparänese zu verorten. Adressaten sind wohl Menschen, die konkret mit der Verwaltung von Geld betraut waren. Die Erwartung der Endzeit ist präsent, schlägt sich in der Ethik aber weniger nieder als im S Lk I. S Lk S Lk I S Lk II 16, 1-12 Intention v. 1b.2.5-8a*: Kryptische Erzählung von Jesus v. 8b-9*: Aufforderung zu klugem Handeln, nicht nur beim Umgang mit Geld; angesichts des nahen Weltendes soll man sich ein wenig den Gesetzen der Welt anpassen v. 10-12: Dem Missverständnis vorbeugen, Christen seien zu unredlichem Umgang mit Geld aufgefordert. - Treuer Umgang mit Geld ist nötig und heilsnotwendig. SiL Erzählung aus der Jesusüberlieferung; Bestärkung in klugem, aber unrechtmäßigem Verhalten Gemeinde-Paränese Gemeinde-Paränese, möglicherweise an Menschen gerichtet, die konkret mit der Verwaltung von Geld betraut waren. Milieu christlicher Kontext; Überlieferungsmilieu das in ähnlicher Weise wie der oiökonoßmow der Erzählung sozial nicht abgesichert war. Gemeinde mit stark ausgeprägter Endzeiterwartung; relativer Wohlstand: Möglichkeit, mit Geld umzugehen ist vorhanden. Gemeinde, in der Endzeiterwartung präsent ist, aber weniger ausgeprägt als im S Lk I. Übersicht: Veränderung von Intention, Milieus und Sitz im Leben in 16,1-12 14,12-14 kritisiert eine gesellschaftliche Konvention, nämlich die Praxis, Gastmähler nach dem Reziprozitätsprinzip - mit der Erwartung, eine Gegeneinladung zu erhalten - auszurichten. Stattdessen wird von den Adressaten gefordert, Arme einzuladen, die keine Gegeneinladung aussprechen können. Als Motivation dazu dient das Versprechen eines himmlischen aöntapoßdoma bei der Auferstehung der Gerechten. Die Argumentationsstruktur entspricht dem kritisierten Reziprozitätssystem, transzendiert dieses jedoch. Die Argumentation ist auf diese Weise zunächst allgemein einsichtig und nicht von religiösen Vorkenntnissen ab- <?page no="196"?> 196 hängig. 32 Allerdings dürfte der Topos der Auferstehung der Gerechten aus der jüdischen Apokalyptik 33 sein - mithin fremd für Menschen, die nicht jüdisch sozialisiert sind. Ein weiteres Element der Argumentation ist die Vorstellung, dass irdischer Lohn himmlischen ausschließt, die im pharisäischen Judentum präsent war. 34 Die Überlieferungsträger sind im Judentum beheimatet und bereit, gesellschaftliche Konventionen in Frage zu stellen. Der Text ist an Juden oder Judenchristen gerichtet, die einem gehobenen sozialen Milieu angehören, die die Praxis von Gastmahleinladungen pflegt. Sonstiges Lk 12,13f. überliefert eine Jesustradition, der an einer Unterscheidung zwischen Jesus und religiösen Lehrern liegt. Von Jesus zurückgewiesen wird die Funktion eines Schlichters in Erbangelegenheiten. 12,15 hat seinen Ort in der religiösen Paränese, die über Alltagsweisheit hinausweist. Dies zeigt das Stichwort zvhß , das schon vorlukanisch die Bedeutung „Leben über den Tod hinaus“ hatte. 35 Das zentrale Thema des Doppelgleichnisses vom Turmbau und Kriegsführen (14,28-33*) dürfte von Anfang an die Entscheidung zur Jüngerschaft bzw. zum Christsein gewesen sein. Beide Doppelgleichnisse fokussieren die Klugheit bei der Einschätzung der eigenen Ressourcen, wenn es um die Realisierung eines Vorhabens geht (finanzielle Ressourcen beim Turmbau; militärisches Potential beim Kriegführen). Theologische Botschaft ist die Aufforderung, die eigenen Kräfte und Möglichkeiten für die Nachfolge Jesu bzw. das Christsein zu überprüfen. 36 Die Aufforderung zur Klugheit findet sich ähnlich in der Spruchweisheit (vgl. Spr 24,3ff.), ist aber nicht spezifisch weisheitlichem Denken zuzuordnen. Da das Gleichnis vom Turmbau bei der Frage ansetzt, wie bei finanziellen Investitionen vorzugehen ist, könnten die Überlieferungsträger in einem wohlhabenden Milieu zu verorten sein, wo der Umgang mit größeren Summen Geld an der Tagesordnung ist. Hinweise auf jüdischen oder judenchristlichen Kontext geben die beiden Gleichnisse und ihre Anwendung auf die Nachfolge Jesu hin nicht. Möglicherweise deutet die dargestellte Gefahr des Prestigeverlustes in der ursprünglichen sozialen Gemeinschaft, die die Nachfolge Jesu mit sich bringen kann, auf eine Situation der Bedrängnis der christlichen Überlieferungskreise hin. 32 Vgl. z.B. Seneca, Beneficiis, 4,11,3. 33 Im Judentum sind zwei konkurrierende Vorstellungen von der Auferstehung zu beobachten: zum einen die Vorstellung von der Auferstehung der Gerechten und der Ungerechten (vgl. Apg 24,15; Dan 12,2), zum anderen die Vorstellung, dass nur Gerechte auferstehen (vgl. z.B. äthHen 91,10; 92,3). 34 Vgl. Rabbi Aquiba, Pesiqtha 73a. 35 Vgl. Mk 10,17. 36 Vgl. Petzke, Sondergut, 135. <?page no="197"?> 197 Das allgemeine Summarium in 8,1.2a dürfte Lukas verfasst haben. Die Notiz, dass wohlhabende Frauen Jesus mit ihrem Besitz gedient haben (8,3), ist stark von lukanischer Sprache geprägt. Redaktionelle Absichten des Lukas sind schwer auszumachen. Eine entsprechende mündliche oder schriftliche Überlieferung wird zumindest in v. 3 zugrunde liegen. Den Überlieferungsträgern lag daran, die Information weiterzugeben, dass namentlich genannte, wohlhabende Frauen Jesus mit ihrem Besitz unterstützt haben. Dass diese Notiz über die Funktion von Frauen bei der Verkündigungstätigkeit Jesu und seiner Jünger den Weg ins Lukasevangelium gefunden hat, ist beachtlich. Für einen traditionsgeschichtlichen Zusammenhang mit den anderen „Frauengeschichten“ des S Lk (7,11ff.; 7,36ff.; 10,38ff.) gibt es allerdings keine Anhaltspunkte. In 22,37 (Rücknahme der früheren Aussendungsbedingungen) findet sich ein Zitat Deuterojesajas (Jes 53,12). Es hat die Funktion, die Ereignisse der Passion als Eintreten der prophetischen Weissagung zu deuten und legt damit einen judenchristlichen Überlieferungskontext nahe. 22,35-38 stellt die Krise, die mit dem Tod Jesu für seine Nachfolger eintritt, vor Augen und bereitet auf eine Zeit des Konfliktes vor, in der es nötig sein wird, sich mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln (Geld und Ausrüstung) zu wappnen. Wahrscheinlich ist, dass bedrängte Christen Interesse an der Überlieferung der Perikope hatten. <?page no="198"?> 198 II Konkurrierende Diskursstränge: Mk und Q 1 Der Diskurs um Armut und Reichtum/ Umgang mit materiellen Gütern im Markusstoff 1.1 Sicherung der Textbasis Das formale Kriterium, die Zugehörigkeit zum Markusevangelium, steht bei allen Texten außer Frage. 1. Mk 1,16-20/ Lk 5,10b.11: Nachfolge der ersten Jünger Inhaltliches Kriterium: Dass die ersten Jünger für die Nachfolge Jesu ihre materielle Existenzgrundlage verlassen, ist in der Perikope zentral. 2. Mk 2,13-17/ Lk 5,27-32: Nachfolge Levis Inhaltliches Kriterium: Levi verlässt seine materielle Existenzgrundlage, um Jesus nachzufolgen. 3. Mk 2,23-27/ Lk 6,1-5: Mundraub am Sabbat Inhaltliches Kriterium: Die Perikope berichtet von einem Mundraub: Die Jünger pflücken an einem Sabbat Ähren, um sie zu essen. Der Umgang mit materiellen Gütern steht hier im Kontext der Frage nach der korrekten Befolgung der Thora. 4. Mk 4,13-20/ Lk 8,11-15: Deutung des Sämannsgleichnisses - Reichtum erstickt Inhaltliches Kriterium: In Lk 8,14 steht das Schlüsselwort plouqtow . 5. Mk 6,7-13/ Lk 9,1-6: Ausrüstungsvorschriften für die Zwölf Inhaltliches Kriterium: Die Perikope thematisiert - einen zeitlich begrenzten - extremen Verzicht auf materielle Absicherung, der im Dienst der Verkündigung des Evangeliums steht. 6. Mk 10,17-31/ Lk 18,18-30: Reiche, das Reich Gottes und der Lohn der Nachfolge Inhaltliches Kriterium: In Mk 10,17-31 begegnen die Schlüsselwörter ptvxoßw (v. 21) und ploußsiow (v. 25). Der Umgang mit Besitz wird als eschatologisch relevant betrachtet (v. 17-27). V. 28-31 greift auf, dass die Jünger alles verlassen haben, um Jesus nachzufolgen, und fragt nach dem Lohn dafür. <?page no="199"?> 199 7. Mk 11,15-17/ Lk 19,45f.: Räuber im Tempel Inhaltliches Kriterium: Zentraler Kritikpunkt Jesu in Mk 11,15-17 ist die ökonomische Aktivität der Händler und Wechsler im Tempel, durch die sie diesen zu einer Räuberhöhle ( sphßlaion lhstvqn ) gemacht haben. 8. Mk 12,1-12/ Lk 20,9-19: Weinbergsbesitzer und pachtende Winzer Inhaltliches Kriterium: Die Perikope berichtet von der Verpachtung eines Weinbergs und den sich anschließenden ökonomischen Vorgängen: Eintreibung der Pacht, Verweigerung der Zahlung und gewalttätige Usurpation des Weinbergs. 9. Mk 12,13-17/ Lk 20,20-26: Geld für den Kaiser, Verehrung für Gott? Inhaltliches Kriterium: Zentrale Frage der Perikope ist, ob die Zahlung der Steuer an den Kaiser mit dem Alleinverehrungsgebot Gottes vereinbar ist. 10. Mk 12,38-40/ Lk 20,45-47: Habgier der Schriftgelehrten Inhaltliches Kriterium: Die Perikope wirft den Schriftgelehrten in drastischer Weise Habgier vor. 11. Mk 12,41-44/ Lk 21,1-4: Die Witwe und die Reichen am Opferkasten Inhaltliches Kriterium: In Mk 12,41-44 finden sich die Schlüsselwörter ploußsiow (v. 41) ptvxoßw (v. 42.43). Reiche und eine arme Witwe werden beim Einlegen von Geld in den Opferkasten des Tempels einander gegenübergestellt. 12. Mk 14,3-9: Kostbares Öl für Jesus - eine Verschwendung? Inhaltliches Kriterium: Die Perikope greift die Frage auf, ob es angemessen ist, kostbares Öl zur Verehrung Jesu zu verwenden oder ob es zu Gunsten von Armen ( ptvxoiß , v. 5.7) verkauft werden sollte. 1.2 Semantisches Inventar Armut und Reichtum Armut (Zustand/ Menschen): douqlow (Mk 12,2.4/ Lk 20,10.11); peinaqn (Mk 2,25/ Lk 6,3); penixroßw (Lk 21,2); ptvxoßw (Mk 10,21/ Lk 18,22; Mk 12,42; Mk 12,43/ Lk 21,3); uÖsteßrhma (Lk 21,4); uÖsteßrhsiw (Mk 12,44); xhßra (Mk 12,40/ Lk 20,47; Mk 12,42/ Lk 21,2; Mk 12,43/ Lk 21,3); xreißa (Mk 2,25). Reichtum (Zustand/ Menschen): eäxvn [xrhßmata / kthßmata] (Mk 10,21/ Lk 18,24; Mk 10,22); klhronoßmow (MK 12,7/ Lk 20,14); kußriow (Mk 12,9/ Lk 20,15; Lk 20,13); perisseußein (Mk 12,44/ 21,4); ploußsiow (Lk 18,23; Mk 10,25/ Lk 18,25; Mk 12,41/ Lk 21,1); plouqtow (Mk 4,19/ Lk 8,14). <?page no="200"?> 200 Umgang mit materiellen Gütern materielle Güter I Abstrakta: bißow (Mk 12,44/ Lk 21,4); dvqron (Lk 21,1.4); iädion (Lk 22,28); khqnsow (Mk 12,14); klhronomißa (Mk 12,7/ Lk 20,14); kthqma (Mk 10,22); paßnta (Lk 5,11.28; Lk 18,22; Mk 10,28; Mk 12,44/ Lk 21,4); foßrow (Lk 20,22); xrhqma (Mk 10,21/ Lk 18,24). II Konkreta a) Landwirtschaftliche Güter: aägrow (Mk 10,29); aömpelvßn (Mk 12,1.2.8.9/ Lk 20,9.10.13.15.16); karpoßw (Mk 12,2/ Lk 20,10); staßxuw (Mk 2,23/ Lk 6,1). b) Geld: aörgußrion (Lk 9,3); dhnaßrion (Mk 12,15/ Lk 20,24); kodraßnthw (Mk 12,42); leptoßn (Mk 12,42/ Lk 21,2); xalkoßw (Mk 6,8). c) Güter des täglichen Bedarfs: aärtow (Mk 2,26/ Lk 6,4; Mk 6,8/ Lk 9,3); oiökißa (Mk 10,29/ Lk 18,29; Mk 12,40/ Lk 20,47); phßra (Mk 6,8/ Lk 9,3); rÖaßbdow (Mk 6,8/ Lk 9,3); sandaßlion (Mk 6,8); xitvßn (Mk 6,8/ Lk 9,3). d) Luxusgüter: mußron (Mk 14,3.4.5); polutelhßw (Mk 14,3). Dimensionen des Handelns a) sozial: didoßnai (Mk 2,23/ Lk 6,4; Mk 10,21; Mk 12,14/ Lk 20,22); aöpodidoßnai (Mk 12,17/ Lk 20,25); diadidoßnai (Lk 18,22); doxhß [poieiqn] (Lk 5,29). b) autoreferentiell - alltäglich: eösjißein (Lk 6,1); fageiqn (Mk 2,26; Lk 6,4). - öffentlich-rechtlich: eökdißdosjai (Mk 12,1/ Lk 20,9); oiökodomeiqn (Mk 12,1); pvleiqn 37 (Mk 10,21/ Lk 18,22; Mk 11,15/ 19,45); telvßnhw (Lk 5,27; Mk 2,15/ Lk 5,29; Mk 2,16/ Lk 5,30); telvßnion [kajhßmenow eöpi? ] (Mk 2,14). - negativ konnotiert: aöpostereiqn (Mk 10,19); aöpvßleia (Mk 14,4); katesjißein (Mk 12,40/ Lk 20,47); kleßptein (Mk 10,19/ Lk 18,20); lh#sthßw (Mk 11,17/ Lk 19,46); - Sonstiges: eäxein (Mk 10,21/ Lk 18,22; Mk 10,22; Mk 12,44/ Lk 21,4); lambaßnein (Lk 6,4; Mk 10,30/ Lk 18,30); pipraßskesjai (Mk 14,5); tißllein (Mk 2,23/ Lk 6,1). c) religiös: aöfießnai (Lk 5,11; Mk 10,28/ Lk 18,28; Mk 10,29/ Lk 18,29); baßllein ( Mk 12,41 bis / Lk 21,1; Mk 12,42/ Lk 21,2; Mk 12,43 bis / Lk 21,3; Mk 12,44 bis / Lk 21,4 bis ; kataleißpein (Lk 5,28). eschatologischer Lohn: zvh? aiövßniow (Mk 10,30/ Lk 18,29); jhsauroßw [ eön ouöranvq # ( oiqw )] (Mk 10,21/ Lk 18,22); kefalhß [gißgnesjai eiöw ] (Mk 12,10/ Lk 20,17); 37 Das Verkaufen, Besitz weggeben und Geld als Tauschwert dafür erhalten, ist ein Akt, der sich nur um die materiellen Güter dreht. <?page no="201"?> 201 Handeln Gottes bzw. Jesu an armen bzw. reichen Menschen a) gegenwärtig: aögapaqn (Mk 10,21); eiöpeiqn (Mk 1,17/ Lk 5,10; Mk 2,14/ Lk 5,27); kaleiqn (Mk 1,20); leßgein (Mk 10,21/ Lk 18,22). b) eschatologisch - Verheißungshandeln: basileißa [ touq jeouq ] (Mk 10,23.24.25/ Lk 18,24.25) - Gerichtshandeln: likmaqn (Lk 20,18); sunjlaqsjai (Lk 20,18). 1.3 Analyse der Texte des Markusstoffs 1.3.1 Mk 1,16-20 par Lk 5,10b.11: Nachfolge der ersten Jünger Kontext. In Lk ist die Perikope Teil eines längeren Abschnitts (4,31-6,19), der mehrere Heilungserzählungen, die Berufung des Levi (5,27-32, s.u.) sowie Auseinandersetzungen mit Pharisäern (5,30-32.33-39; 6,1-11) in Galiläa umfasst und schließlich mit der Berufung der Zwölf (6,12-16) und der Notiz vom Andrang des Volkes (6,17-19) endet. Im Makrokontext schließt dieser Abschnitt an die Antrittspredigt in Nazareth (4,16-30) an, auf ihn folgt die „Feldrede“ (6,20-49). Der ihm vorangehende Abschnitt Lk 3,1-4,30 folgt im Aufbau Mk, doch finden sich hier umfangreiche Qbzw. S Lk / Red Lk - Passagen. In der nachfolgenden Feldrede 6,19-40 greift Lukas im Wesentlichen Q- Tradition auf. Lukas schiebt 5,1-11 nach Taufe und Versuchung Jesu sowie einer Notiz seiner Verkündigung in Galiläa hinter den Aufbruch aus Kafarnaum (4,42-44). Bei Mk eröffnet sie dagegen die Passage der Heilungserzählungen (1,21-2,12). Struktur. Der Abschnitt Mk 1,16-20 ist wie folgt aufgebaut: v. 16: Beschreibung der Situation I: Jesus beobachtet Simon und Andreas beim Fischen. v. 17: Nachfolgeruf Jesu und Verheißung (Menschenfischer! ). v. 18: Reaktion Simons und Andreas` (Verlassen der Netze). v. 19: Beschreibung der Situation I: Jesus beobachtet Jakobus und Johannes beim Flicken der Netze. v. 20a: Nachfolgeruf Jesu. v. 20b: Reaktion Jakobus` und Johannes` (Zurücklassen des Vaters im Boot). 1.3.1.1 Redaktionskritik Bei der Positionierung dieser Perikope weicht Lukas vom Markusrahmen ab. In der Abfolge der markinischen „Petruserzählung“ gehört Simon und Andreas noch nach der Berufung (Mk 1,16-18) ein Haus; Jesus kehrt dort ein und heilt Simons Schwiegermutter (Mk 1,29f.). Lukas erzählt diese Episode (Lk 4,38-41) vor der Berufung Simons. - Damit ist sie nach der lukanischen Version die erste Begegnung zwischen Simon und Jesus. Er umgeht es auf diese Weise, nach der Entscheidung Simons, Jesus nachzufolgen, noch von dessen Haus und Schwiegermutter zu sprechen. 38 38 Denkbar ist, dass Markus zum einen mit dem Genitiv th? n oiökißan Sißmvnow kai? ’Andreßou (Mk 1,29) schlicht das Haus bezeichnen wollte, in dem die Brüder lebten, bevor sie Jesus nachfolgten (und nicht das Haus, was ihnen aktuell gehört); und dass Mk <?page no="202"?> 202 Am Text selbst nimmt Lukas folgende Änderungen vor: a) Er stellt der Anrede Jesu an Simon (5,10 vgl. Mk 1,17) zwei Passagen voran, die Markus nicht erwähnt: zum einen, dass Jesus von Simons Boot aus vor dem Volk predigt (v. 1-3); zum anderen die Erzählung vom wunderbaren Fischfang (v. 4-9). 39 Die markinische Version ist schlichter: Jesus kommt am Boot Simons vorbei und ruft zunächst die Brüder Simon und Andreas in die Nachfolge ( deuqte oÖpißsv mou kai? poihßsv uÖmaqw geneßsjai aÖlieiqw aönjrvßpvn, v. 17); diese lassen umgehend ihre Netze zurück und folgen Jesus nach ( euöju? w aöfeßntew ta? dißktua hökoloußjhsan auötvq #, v. 18). Hierauf ruft er die Zebedaiden ( eökaßlesen auötoußw, v. 20); diese lassen ihren Vater samt den Tagelöhnern zurück und gehen ebenso mit Jesus weg ( aöfeßntew to? n pateßra auötvqn Zebedaiqon eön tvq # ploißv# meta? tvqn misjiontvqn ). 40 b) An der Schilderung vom Ruf in die Nachfolge selbst nimmt Lukas folgende Änderungen vor: Nach Lukas spricht Jesus nur Simon, nicht dessen Bruder Andreas und nicht die Zebedaiden, an. Letztere treten damit zusammen mit Simon die Nachfolge an, ohne dass Jesus sie vorher angesprochen hat. Außerdem lässt Lukas im Unterschied zu Markus Jesus Simon nicht explizit in die Nachfolge rufen, sondern konzentriert sich auf die Verheißung, er werde von nun an Menschenfischer, aöpo? touq nuqn aönjrvßpouw eäsh# zugrvqn (Lk 5,10). Während Mk differenziert erläutert, dass Simon und Andreas die Fischernetze verlassen und die beiden Zebedaidensöhne ihren Vater mit den Tagelöhnern im Boot zurücklassen (Mk 1,18.20), verallgemeinert Lukas und berichtet, dass alle vier dasselbe tun: Sie ziehen die Boote an Land, verlassen dann alles und folgen Jesus nach (5,11); das Verlassen des Vaters vermerkt Lukas nicht. Lukas hebt die Radikalität des Aufbruchs der Jünger hervor, indem er berichtet, dass die ersten Jünger alles, paßnta , verlassen . 1.3.1.2 Theologisch-inhaltliche Analyse (#.1.1) Armut und Reichtum werden nicht explizit erwähnt, allerdings ist der Beruf der ersten Jünger Gegenstand der Erzählung: Sie sind Fischer ( aÖlieiqw; Lk 5,2/ Mk 1,16). Damit sind sie nicht bettelarm ( ptvxoßw ) und können ihren Lebensunterhalt durch Arbeit sichern. Doch ist ihre materielle Existenzgrundlage prekär. 41 Durch die Einfügung der Erzählung vom wunderbaren Fischfang (Lk 5,4-9) unterstreicht Lukas diesen Aspekt. 42 zum anderen das Verlassen der Ehefrau nicht als Auflösung der Ehe, sondern als Zurücklassen der Ehefrau zu verstand: Dies könnte erklären, dass die Erzählung von der Heilung der Schwiegermutter Simons noch nach dessen Berufung für ihn unproblematisch war. 39 In der Reaktion Simons auf das Wunder des Fischfangs fällt an dieser Stelle erstmals in Lk das Stichwort aÖmartvloßw und zwar als Selbstbezeichnung Simons, der Jesus damit zurückweist ( eäcelje aöp ö eömouq , oÄti aönh? r aÖmartvloßw eiömi ). Dies wird in der folgenden Perikope, der Berufung Levis wieder aufgegriffen: In der Debatte mit den Pharisäern beim Gastmahl im Haus des Levi fasst Lukas den Zweck des Kommens Jesu als „ kaleßsai […] aÖmartvlou? w eiöw metaßnoian “ (5,32) zusammen. 40 Der Bericht bei Mt lehnt sich in diesen Details weitgehend an Mk an (der Verweis auf die Tagelöhner allerdings fehlt bei Mt). - Das Motiv, ohne Verzögerung Jesus nachzufolgen, begegnet ähnlich in Q (vgl. Lk 9,61f. par Mt 8,21f.). 41 Darauf weist die Äußerung Simons in 5,5 hin. - Vgl. dazu auch Stegemann/ Stegemann, Sozialgeschichte, 178. 42 Vgl. Joh 21,1-11. - Lk 5,4-9 und Joh 21,1-11 gehen wohl auf eine rahmenlose, mündliche Tradition zurück, die beide Evangelisten unterschiedlich verarbeiteten (so Bovon, EKK III/ 1, 229; Fitzmyer, Luke I, 561). <?page no="203"?> 203 (#.1.2) Armut und Reichtum werden nicht theologisch gedeutet. (#.2.1) Die ersten Jünger, die Jesus nach der synoptischen Tradition beruft, lassen um der Nachfolge Jesu willen Besitz, Beruf und Familie zurück. Weder nach Mk noch nach Lk fordert Jesus die Jünger explizit dazu auf, alles zurückzulassen. Der Ruf in die Nachfolge ( hökoloußjhsan, Mk 1,18) bzw. die Verheißung, Menschenfischer zu werden ( aönjrvßpouw eösh# zurgvqn, Lk 5,11), selbst ist es, die bei Simon, Jakobus und Johannes zu der Reaktion führt, sich von ihrer materiellen Existenzgrundlage zu trennen ( aöfeßntew ta? dißktua , Mk 1,18). Das Verlassen von Besitz steht im Dienst der Nachfolge (Mk 1,20: aöphqljon oöpißsv auötouq ; Lk 5,11: hökoloußjhsan auötvq # ) bzw. des Gewinnens von Menschen für das Reich Gottes. (#.2.2) Ethische Leitlinien für den Umgang mit materiellen Gütern werden nicht reflektiert. (#.2.3) Der Umgang mit materiellen Gütern wird nicht theologisch gedeutet. (#.3) Jesus ruft Fischer in seine Nachfolge. Mit ihnen beruft er Menschen zum Dienst an der basileißa , die nicht bettelarm sind, deren materielle Existenz aber ungesichert ist. 1.3.2 Mk 2,13-17 par Lk 5,27-32: Nachfolge Levis Kontext. Die Perikope steht in Lk und Mk im selben Kontext: Lukas schließt Mk folgend die Berufung des Levi an den Bericht von der Heilung und der Sündenvergebung des Gelähmten (Lk 5,17-26 par Mk 2,1-12) an. Auf die Berufung folgt in beiden Evangelien das Mahl Jesu mit den Zöllnern; die „Frage nach dem Fasten“ (Lk 5,33-38 par Mk 2,18-22) schließt in Mk und Lk daran an. - Dadurch, dass Lukas die Berufung der ersten Jünger (resp. Petrus) im Vergleich zu Mk nach hinten verschoben hat, folgen die beiden Berufungsgeschichten der ersten Jünger und Levis (Lk 5,10f.; 5,27ff.; Mk 1,16ff.; 2,13ff) kurz aufeinander. Struktur. Mk 2,13-17 weist folgende Struktur auf: v. 13-14a: Situationsbeschreibung: Jesus lehrt und sieht Levi. v. 14b: Nachfolgeruf Jesu an Levi. v. 14c: Reaktion Levis: Unmittelbare Nachfolge. v. 15: Mahl im Haus des Levi (Jesus, Jünger, Zöllner, Sünder). v. 16: Reaktion der Pharisäer: meta? tvqn telvnvqn kai? aÖmartvlvqn eösjißei; v. 17: Antwort Jesu: ouök hQljon kaleßsai dikaißouw aölla? aÖmartvloußw . 1.3.2.1 Redaktionskritik Jesus ruft Levi übereinstimmend in Mk und Lk (Lk 5,27f. par Mk 2,14) direkt von der Zollstation ( telvßnion ) in die Nachfolge, „ aökoloußjei moi “, worauf dieser prompt reagiert, aufsteht und Jesus nachfolgt (Mk 2,14: aönasta? w kai? hökoloußjhsen ; Lk 5,28: aönasta? w hökoloußjei auötvq # ). Er lässt dafür ebenso wie vorher Simon und die Zebedaiden seine Arbeit liegen. Auf Red Lk sind folgende Änderungen zurückzuführen: Erstens der Vermerk, dass Levi für die Nachfolge alles zurückgelassen hat, katalipv? n paßnta (v. 28); Markus schreibt <?page no="204"?> 204 nur, dass Levi sich in die Nachfolge begibt, nicht dass er etwas zurücklässt. Zweitens das (durative) Imperfekt hökoloußjei statt des markinischen (ingressiven) Aorists hökoloußjhsen und betont dadurch die Langfristigkeit der Nachfolgeentscheidung Levis; drittens: In der Schilderung Lk 5,29-32 par Mk 2,15-17, dass Jesus im Haus Levis zu Gast ist, formuliert Markus wenig präzise gißnetai katakeiqsjai auöto? n eön thq # oiökißa auötouq , Mk 2,15). Lukas klärt hier, dass Levi ein großes Gastmahl ausrichtet: eöpoißhsen doxhßn megaßlhn ( damit stellt Lukas das Ausrichten des Gastmahls als ersten Schritt der Trennung von den eigenen materiellen Gütern dar) ; viertens die Ergänzung des metaßnoia- Motivs in v. 32. 1.3.2.2 Theologisch-inhaltliche Analyse (#.1.1) Armut und Reichtum werden in der Perikope nicht explizit erwähnt. Levi ist Zöllner, telvßnhw (Lk 5,27; vgl. Mk 2,14: kajhßmenow eöpi? to? telvßnion ). Dass er wohlhabend ist, legt der Gang der Erzählung nahe: Er richtet ein großes Mahl für Jesus aus (Lk 5,29: doxhßn megaßlhn ); Markus beschreibt, dass viele weitere Gäste, Zöllner und Sünder, in Levis Haus kommen ( polloi? telvqnai kai? aÖmartvloi? sunaneßkeinto ). 43 Die Perikope reflektiert in der Äußerung der Schriftgelehrten (Mk 2,16/ Lk 5,30), dass Levi als Abgabenpächter ein niedriges Sozialprestige hat. 44 (#.1.2) Armut und Reichtum erfahren in der Perikope keine theologische Deutung. (#.2.1) Die Perikope stellt ins Zentrum, dass Levi prompt auf den Nachfolgeruf Jesu reagiert und - ähnlich wie Simon, Andreas, Jakobus und Johannes - seine Erwerbsgrundlage zurücklässt, um Jesus zu folgen. Er steht auf und tritt die Nachfolge an ( aönasta? w hökoloußjhsen auötvq # , Mk 2,14). Seine erste Handlung in der Nachfolge ist es, ein Mahl auszurichten, an dem Jesus mit seinen Jüngern und viele Zöllner und Sünder teilnehmen. 45 Er setzt so materielle Güter für den Dienst an der basileißa touq jeouq ein. Lukas legt Wert darauf zu betonen, dass Levi für die Nachfolge alles verlässt ( katalipv? n paßnta, Lk 5,28). (#.2.2) Traditionelle ethische Leitlinien für ökonomisches Handeln greift die Perikope nicht auf. (#.2.3) In Mk steht im Vordergrund, dass Levi mit seiner Nachfolge unmittelbar auf den Ruf Jesu antwortet. Lukas bringt eine zusätzliche Deutung ins Spiel, indem er Besitzverzicht und Nachfolge als Antwort auf den Ruf Jesu (Lk 5,27) als Umkehr interpretiert ( kaleiqn eiöw metaßnoian, Lk 5,32). (#.3) Jesus ruft mit dem Zöllner Levi keinen armen Menschen in seine Nachfolge, aber den Vertreter einer sozialen Randgruppe. 43 Nach Stegemann/ Stegemann „war er aber eher auch ein kleiner Mann und kaum reich“ (dies., Sozialgeschichte, 178); Herrenbrück hält ihn dagegen für wohlhabend (ders., Zöllner, 227). 44 Vgl. Herrenbrück, Zöllner, 89ff., 198ff., 229ff. 45 In der Zwölferliste (Mk 3,16-19 par Lk 6,12-14) wird Levi nicht erwähnt. Theißen schließt daraus, dass Levi „bewusst als ‚Nachfolger‘ eingeführt“ wird, „der Jesus nicht wie die Zwölf nachfolgt. Mit ihm können sich die sesshaften Leser und Hörer des MkEv leichter identifizieren als mit den anderen Jüngern“ (ders., Jesusbewegung, 86). <?page no="205"?> 205 1.3.3 Mk 2,23-27 par Lk 6,1-5: Mundraub am Sabbat Kontext. Die Perikope steht bei Lk und Mk im selben Kontext: zwischen der Fastenfrage (Lk 5,33-39 par Mk 2,18-22) und einer Sabbatheilung (Lk 6,6-11 par Mk 3,1-6). Struktur. Die Perikope weist in Mk folgende Struktur auf: v. 23: Darstellung der Situation, die Diskussionsgegenstand wird: Jesu Jünger pflücken am Sabbat Getreideähren. v. 24-28: Dialog zwischen Jesus und Pharisäern: v. 24: Kommentar der Pharisäer: tiß poiouqsin […] oÜ ouök eäcestin. v. 25-28: Antwort Jesu: v. 25f.: Verweis auf Davids Essen der Schaubrote in Notsituation. v. 27f.: Auslegung des Sabbatgebots: Sabbat ist für den Menschen da; der Menschensohn besitzt Auslegungshoheit über das Sabbatgebot. 1.3.3.1 Redaktionskritik Lukas hat einige Details der markinischen Fassung beiseite gelassen: den markinischen Vermerk, die Jünger hätten den Weg bereitet ( oÄdon poieiqn ; Mk 2,23), die irrtümliche Erwähnung des Hohenpriesters Abjatar (vgl. Mk 2,26), die Betonung der Not Davids, xreißan eäsxen (Mk 2,25) und das Logion Mk 2,27: „ to? saß ßbbaton dia? to? n aänjrvpon eögeßneto kai? ouöx oÖ aänjrvpow dia? to? saßbbaton. “ 46 Über Mk hinausgehend schildert Lukas, dass die Jünger die Ähren nicht nur pflücken, sondern mit den Händen zerreiben und sie essen (Lk 6,1: häsjion tou? w staßxuaw yvxoßntew taiqw xersißn) . 47 Während Markus berichtet, dass die Pharisäer sich mit ihrer Kritik am Handeln der Jünger an Jesus wenden (Mk 2,24), lässt Lukas sie die Jünger direkt ansprechen (Lk 6,2). 1.3.3.2 Theologisch-inhaltliche Analyse (#.1.1) Armut und Reichtum werden in der Perikope nicht explizit thematisiert. Angespielt wird auf eine spezielle Situation aus dem Leben des späteren Königs David (vgl. 1 Sam 21,2-7) auf der Flucht vor Saul: David bittet den Priester Ahimelech um Brot und erhält schließlich Schaubrote. Die Erzählung geht davon aus, dass die Jünger aus Hunger Ähren abreißen und essen. Lukas schildert das Zerreiben und Essen der Ähren, Markus lässt dies unerwähnt. Vorausgesetzt ist, dass Jesus und seine Jünger mittellos unterwegs sind und deshalb in eine akute Mangelsituation (Hunger) geraten. (#.1.2) Armut und Reichtum erfahren in der Perikope keine theologische Deutung. 46 Das Fehlen von Mk 2,27 bei Lk und Mt ist ein überlieferungsgeschichtliches Problem. Bovon stellt deshalb die Frage, ob Lukas neben seiner markinischen Vorlage eine weitere Überlieferung kenne oder ob das Markus-Exemplar, das Lukas benutzte, 2,27 nicht enthalten habe (Bovon, EKK III/ 1, 268). Er hält Mk 2,27 für ein authentisches Jesuswort, „das gut in den Kampf Jesu für den an die Schöpfung gebundenen Urwillen Gottes gegen eine degradierte Spätinterpretation des Gesetzes hineinpaßt und vormarkinisch als Kommentar zugefügt wurde“ (ebd.). Später sei es durch v. 28 interpretiert worden. 47 Lk stimmt in diesen Punkten mit Mt (vgl. Mt 12,1ff.) gegen Mk überein (minor agreement); vgl. dazu auch Fitzmyer, Luke I, 605; Bovon, EKK III/ 1, 267. - Das Ährenraufen beim Durchgang durch ein Feld war grundsätzlich erlaubt (vgl. Dtn 23,26). <?page no="206"?> 206 (#.2.1) Lk 6,1-5 schildert, dass die Jünger Jesu sich durch Mundraub Nahrung beschaffen. In einem weiten Sinn wird hier also autoreferentieller Umgang mit materiellen Gütern reflektiert. (#.2.2) Die Perikope reflektiert kritisch eine religiöse Vorschrift, die aus der Auslegung des Gebots der Sabbatruhe entstanden ist (Verbot des Ährenlesens am Sabbat). Den Pharisäern legt die Perikope in den Mund, dass sie das Ährenraufen der Jünger als Gesetzesübertretung kritisieren (Mk 2,24/ Lk 6,2). Als verwerflich gilt nicht der Mundraub - dieser ist nach Dtn 23,26 ausdrücklich erlaubt -, sondern der Bruch der Sabbatruhe während der Erntezeit (vgl. Ex 34,21). Dabei wird das Ährenraufen der Jünger als Erntearbeit interpretiert. 48 Tatsächlich finden sich Belege für eine unterschiedlich strenge Auslegung des Sabbatgebots, wobei das pharisäische Judentum im Grunde eine humane Richtung vertrat. 49 (#.2.3) Die Perikope verhandelt die Frage, ob in akuter Notlage (Hunger) das Gebot der Sabbatruhe bzw. das Arbeitsverbot pharisäischer Auslegung gebrochen werden darf, um diese zu lindern. Damit steht sie im Kontext der Diskussion um das Verhältnis von religiösem Gebot bzw. Gottesliebe und existenziellen menschlichen Bedürfnissen. 50 Jesus betont, dass die Vorschriften des Gesetzes so auszulegen sind, dass sie menschliches Leben fördern. Begründet wird diese Interpretation der Sabbatruhe zunächst mit einem Beispiel aus der Schrift und der Autorität des (späteren Königs) David (vgl. 1 Sam 21,2-7). 51 Markus argumentiert schöpfungstheologisch damit, dass Gott den Sabbat dem Menschen zugute als Ruhetag eingerichtet hat (Mk 2,27). Mk 2,28 führt die Argumentation christologisch fort: Jesus ist größer als David, da in ihm die Davidsverheißung erfüllt ist; er ist Herr über den Sabbat. 52 Indem Lukas nur dies übernimmt (und auf die Schöpfungstheologie verzichtet), stellt er Jesus gegenüber den Pharisäern als die maßgebende Autorität für die Auslegung des Sabbatgebots deutlicher als Markus ins Zentrum. (#.3) Die Perikope berichtet davon, dass Jesus sich auf die Seite seiner - mittellosen - Jünger stellt. Er verteidigt sie gegen die verbale Attacke der Pharisäer. In Analogie zu David räumt er seinen Gefährten eine über das Gesetz hinausgehende Freiheit ein. 48 Ex 34,21 hebt hervor, dass die Sabbatruhe auch in der Erntezeit gilt; „tradition ‚built a fence‘ for it by explaining ‚plucking‘ as a form of proscribed ‚reaping‘“ (Fitzmyer, Luke I, 608); vgl. dazu auch Philo, Mos. II,22: „Denn nicht ein Reis, nicht einen Zweig, ja nicht einmal ein Blatt abzuschneiden oder irgendeine andere Frucht zu pflücken ist erlaubt.“ 49 Vgl. Gnilka, EKK II/ 1, 121; Lohse, Art. saßbbaton , 6ff.; Billerbeck/ Strack, Kommentar I, 615-618. 50 Hier liegt eine ähnliche Fragestellung wie in Lk 10,27ff. (S Lk ) vor. 51 Die matthäische Interpretation lautet: eäleow jeßlv kai? ouö jusißan (Mt 12,7). 52 Vgl. Fitzmyer, Luke I, 606. <?page no="207"?> 207 1.3.4 Mk 4,13-20 par Lk 8,11-15: Deutung des Sämannsgleichnisses - Reichtum erstickt Kontext. Mit dem Sämannsgleichnis (8,4-8) folgt Lukas nach der sogenannten „kleinen Einschaltung“ (6,20-8,3), wieder der Struktur des Mk. Zwischen den Bericht vom „Andrang des Volkes“ (Lk 6,17-19 par Mk 3,7-12) und das Sämannsgleichnis (Lk 8,4ff. par Mk 4,1ff.) fügt Lk eine Passage ein, die überwiegend aus Q stammt: Feldrede (6,20-49 Q; Red/ S Lk ), Hauptmann von Kafarnaum (7,1-10 Q), Auferweckung des jungen Mannes in Naïn (7,11-17 S Lk ), Täuferanfrage (7,18-23 Q), Jesu Urteil über den Täufer (7,24-35 Q), Salbungserzählung (7,36-50 S Lk ), Frauen in der Nachfolge Jesu (8,1-3 Red/ S Lk ). So folgt das Sämannsgleichnis bei Lk auf die Notiz über die Frauen in der Nachfolge Jesu, während ihm bei Mk die Perikope „Von den wahren Verwandten Jesu“ (Mk 3,31-35) vorangeht. In beiden Versionen schließen sich die Worte vom Licht und vom rechten Maß (Mk 4,21-25; Lk 8,16-18) an. Struktur. Die Deutung des Sämannsgleichnisses ist in Mk folgendermaßen strukturiert: v. 13: Einleitung: Relevanz des Verständnisses dieses Gleichnisses v. 14-20: Deutung der Einzelelemente des Gleichnisses: v. 14: Der Same ist das Wort. v. 15: Die, bei denen das Wort auf den Weg fällt: Der Satan nimmt das Wort weg. v. 16f.: Die, bei denen das Wort auf felsigen Boden fällt: Sie fallen unter Widrigkeiten sofort wieder ab. v. 18f.: Die, bei denen das Wort unter Dornen fällt: Reichtum etc. erstickt es. v. 20: Die, bei denen das Wort auf gutes Land gesät ist: Sie bringen Frucht (in unterschiedlicher Menge). 1.3.4.1 Redaktionskritik Die lukanische Version der Gleichnisdeutung ist von Mk abhängig. 53 Thematisch relevant für die Analyse ist v. 14. Lukas ändert dort die Markusvorlage: Er schreibt pesoßn statt speiroßmenoi (Mk 4,18) und streicht das Objekt to? n loßgon an dieser Stelle. Die merißmnai etc. führt Lukas nicht als Subjekt ein, sondern die Menschen, weshalb er mit der Passivwendung uÖpo? merimnvqn konstruiert. Lukas übernimmt also die allegorische Rede aus Mk nicht vollständig, sondern personalisiert die Deutung des Gleichnisses: Nicht das Wort ist es, das fruchtlos bleibt, sondern die Menschen (8,14); nicht das Wort wird erstickt, sondern die Menschen ersticken. Dadurch ergibt sich eine Inkonzinnität zu 8,7 ( aöpepnißcan auötoß ) - die Dornen ersticken den „Samen“ müsste allegorisch so gedeutet werden, dass Reichtum, Sorgen usw. das „Wort“ ersticken. Stärker als Markus fokussiert Lukas somit die Aktivität des Menschen, die in der Grundhaltung der uÖpomonhß dessen, der das Wort gläubig angenommen hat, verwurzelt sein muss (8,15). In diesem Zuge ändert Lukas auch das markinische aäkarpow gißnetai (Mk 4,19) in das Hapaxlegomenon ( ouö ) telesforouqsin (v. 14). Dies betont, dass die Zeit für die Reife fehlt, während das Adjektiv aäkarpow das Fehlen des Ergebnisses in den Blick nimmt. 54 53 Vgl. Fitzmyer, Luke I, 710; Wenham, Interpretation, 299-319. - Die These, dass die Deutung des Sämannsgleichnisses frühchristliche Missionssprache aufweise und einer späteren Überlieferungsschicht als das Gleichnis angehöre, wird vielfach vertreten (vgl. nur Gnilka, EKK II/ 1, 173; Jeremias, Gleichnisse, 75-77; Fitzmyer, Luke I, 711). 54 Vgl. Fitzmyer, Luke I, 411. <?page no="208"?> 208 Lukas sieht Reichtum, plouqtow , an sich als Gefahr, nicht die Täuschung des Reichtums, hÖ aöpaßth 55 touq ploußtou (Mk 4,19). Deshalb streicht er hÖ aöpaßth. 56 1.3.4.2 Theologisch-inhaltliche Analyse (#.1.1) Reichtum wird in Lk 8,14 (Mk 4,18) explizit erwähnt, aber nicht näher beschrieben. Markus nennt die „Illusion des Reichtums“ zusammen mit den Begierden, aiÖ peri? ta? loipa? eöpijumißai . Nach Lukas bringt er Annehmlichkeiten des Lebens ( hÖdonai? touq biouq ) 57 mit sich. (#.1.2) Im Rahmen einer Gleichnisdeutung weist die Perikope auf die Gefahr von Reichtum hin: Er ist dem Bewahren des Wortes Gottes hinderlich. Nach Lukas ist es der Reichtum selbst, der die Macht hat, die Gläubigen zu ersticken. In der markinischen Vorlage besteht die Gefahr in der Täuschung durch den Reichtum. (#.2.1-3) Der Umgang mit materiellen Gütern und traditionelle ethische Leitlinien dafür werden in 8,11-15 nicht thematisiert und theologisch gedeutet. (#.3) Das Handeln Gottes bzw. Jesu spielt in 8,11-15 keine Rolle. 58 1.3.5 Mk 6,7-13 par Lk 9,1-6: Ausrüstungsvorschriften für die Zwölf Kontext. Während in Mk die „Aussendung der Zwölf“ auf die „Ablehnung Jesu in Nazareth“ (Mk 6,1-6) folgt, steht sie in Lk unmittelbar nach der „Heilung der blutflüssigen Frau und der Auferweckung der Tochter des Jaïrus“ (Lk 8,40-56), da Lk die Ablehnung Jesu bereits in 4,24.28-30 berichtet. Bei Lk 55 In den Evangelien findet sich aöpaßth nur in Mk 4,19 par Mt 13,22. Die acht übrigen Belege für aöpaßth im NT finden sich in der Briefliteratur vorwiegend in paränetischen Zusammenhängen (vgl. Kretzer, Art. aöpaßth , 280f.). 56 Lukas streicht außerdem das Motiv des verschieden hohen Ertrages (30-, 60-, 100fach). Desweiteren fällt auf, dass die Dreierreihe aus Mk 4,19 - aiÖ meßrimnai touq aiövqnow kai? hÖ aöpaßth touq ploußtou kai? aiÖ peri? ta? loipa? eöpijumißai eiösporeuoßmenai in Lk im Passiv ( uÖpo? + Gen.) erscheint. Der Gedanke, dass das „feine und gute Herz“ der Ort ist, an dem das Wort gehört wird, findet sich nur in Lk; ebenso die Akzentuierung des standhaften Bewahrens des Wortes: Lukas setzt kateßxein statt paradeßxesjai und bestimmt katafeßrein näher durch eön uÖpomonh# q . Lukas verzichtet auch auf eine Näherbestimmung der merißmnai (ohne Artikel und Attribut). An die Stelle der aiÖ peri? ta? loipa? eöpijumißai setzt Lukas hÖdonai? touq bißou (Matthäus bearbeitet die Perikope in anderer Weise: Er singularisiert zu meßrimna, behält das Attribut touq aiövqnow und die „Täuschung des Reichtums“ bei, lässt aber das Element der „Begierden“ vollständig beiseite. Wie die markinische Version steht auch die matthäische im Aktiv; das „Objekt des Erstickens“ ist bei beiden das Wort, nicht der Mensch). Die lukanische Deutung der „Dornen“ in v. 14 ist vom kontrastierenden Abschluss in v. 15 her zu verstehen: Wenn der Same auf gute Erde fällt, dann nehmen die Hörer das Wort in einer kardißa kalhq # kai? aögajhq # an, bewahren es ( kateßxousin ) und bringen Frucht in Standhaftigkeit ( karpoforoußsin eön uÖpomonhq # ). - Vgl. dazu auch Fitzmyer, Luke I, 711f; Bovon, EKK III/ 1, 408. 57 Der Ausdruck eöpijumißai ist im Griechischen eher positiv konnotiert, weshalb Lukas ihn hier vermeidet (Bovon, EKK III/ 1, 411). 58 So bleibt auch in der Deutung des Gleichnisses unklar, wer der Sämann ist (Jesus, Gott, die Jünger? ). <?page no="209"?> 209 und Mk folgt auf die Aussendung die Notiz „Herodes und Jesus (Mk 6,14-16; Lk 9,7-9). Lukas berichtet von zwei Aussendungen: der Aussendung der Zwölf und der Aussendung der 72 (10,1-12), in der er Q-Stoff verarbeitet. Struktur. Die Erzählung von der Aussendung der Jünger Mk 6,7-13 lässt sich folgendermaßen gliedern: v. 7: Aussendung der Jünger durch Jesus: zu zweit; eöcousißa über unreine Geister. v. 8-11: Instruktionen für die Zeit der Aussendung: v. 8f.: Ausrüstungsvorschriften. v. 10: Verhalten unterwegs bei Aufnahme/ Nichtaufnahme. v. 12f.: Tätigkeit der Jünger während der Aussendung: Bußpredigt, Exorzismen, Krankensalbung und -heilung. 1.3.5.1 Redaktionskritik Jesus sendet seine Jünger aus und unterrichtet sie darüber, was sie auf ihren Weg mitnehmen dürfen und was nicht. Der Vergleich der Ausrüstungsvorschriften nach Mk 6,8 und Lk 9,3 (vgl. Mt 10,9f.) stellt sich schematisch wie folgt dar: Mk 6,8 Lk 9,3 Mt 10,9f. dass sie nichts mitnähmen auf den Weg iÄna mh? aiärvsin eiöw oÖdo? n nehmt nichts mit auf den Weg mhde? n aiärete eiöw th? n oÖdoßn habt nicht mh? kthßshsje 1. nur einen Stab eiö mh? rÖaßbdon moßnon 1. keinen Stab mhßte rÖabdon 5. (keinen) Stab mhde? rÖabdon 2. kein Brot mh? aärton 3. kein Brot mhßte aärton 3. keinen Vorratssack mh? phßran 2. keinen Vorratssack mhßte phßran 2. (keinen) Vorratssack auf den Weg mh? phßran eiöw oÖdo? n 4. keine Kupfermünze im Gürtel mh? eiöw th? n zvßnhn xalkoßn 4. kein Silberstück mhßte aörgußrion 1. (kein) Gold, Silber, Kupfer in euren Gürteln xruso? n mhde? aärguron mhde? xalko? n eiöw ta? w zvßnaw uÖmvqn 5. untergebundene Sandalen aölla? uÖpodedemeßnouw sandaßlia 4. (keine) Sandalen/ Schuhe mhde? uÖpodhßmata 6. nicht zwei Gewänder anziehen mh? eöndußsasje dußo xitvqnaw 5. nicht zwei Gewänder haben mhßte [aönaß] dußo xitvqnaw eäxein 3. (keine) zwei Gewänder mhde? dußo xitvqnaw <?page no="210"?> 210 Lukas setzt die in Mk überlieferten Mitnahmevorschriften von der indirekten Rede in den Imperativ der direkten Rede. In der in Mk überlieferten Version der Aussendungsrede lässt Jesus die Zwölf nur einen Stab mitnehmen, nach Lk untersagt er ihnen dies ganz und verbietet ihnen damit „das geringste Mittel zur Selbstverteidigung“ 59 . Lukas spricht nicht von xalkoßw, der römischen Kupfermünze 60 , sondern von aörgußrion , der griechischen Silbermünze 61 , die zu seiner Zeit gängiger war und damit auch seinen Adressaten vertrauter war. Die bei Mk erlaubten Sandalen erwähnt Lukas gar nicht. Aus dem Verbot, zwei Kleider anzuziehen, wird bei ihm das Verbot, zwei Kleider zu haben. 62 Die Rede von den dußo xitvqnaw (vgl. auch Lk 3,11) erklärt sich aus der üblichen hellenistischen Tracht. 63 Die Ermahnung Jesu an die Jünger, in einem Haus, in dem sie Gastfreundschaft finden, zu bleiben, bis sie weiter ziehen (Mk 6,10; Lk 9,4), bearbeitet Lukas nur stilistisch. Ebenso die Aufforderung, bei Nichtaufnahme den Staub von den Füssen zum Zeugnis gegen die entsprechenden Menschen zu schütteln. 1.3.5.2 Theologisch-inhaltliche Analyse (#.1.1) Die Perikope berichtet von der Armut der Zwölf während der Zeit ihrer Aussendung zur Predigt der Buße (Mk) bzw. Verkündigung der basileißa (Lk) und zur Heilung von Menschen. Es handelt sich dabei um eine Form von gewählter und freiwillig auf sich genommener Armut. (#.1.2) Die Armut der Jünger steht im Dienst der basileißa : Sie sollen auf materielle Reiseausrüstung verzichten, werden aber von Jesus geistlich mit dußnamiw und eöcousißa ( Lk; Mk nur eöcousißa ) ausgerüstet. (#.2.1) In Mk 6,8/ Lk 9,3 instruiert Jesus die Zwölf darüber, dass sie während der Zeit ihrer Aussendung auf Ausrüstungsgegenstände verzichten sollen, 59 Theißen, Wanderradikalismus, 92 Anm. 36 (mit Verweis auf Hoffmann, Logienquelle, 313ff.). 60 Vor dem jüdischen Krieg wurden aller Wahrscheinlichkeit nach von keiner jüdischen Regierung (Hasmonäer, Herodes I, Tetrarchen, Prokuratoren) Silbermünzen geschlagen, nur Kupfermünzen - immer jedoch mit griechischer Aufschrift (vgl. Schwank, Art. aörgußrion , 360f.). 61 „Folgende Münzen wurden in Silber geprägt und zeigten Bilder von Göttern oder Kaisern: Denar (der röm. Name entspricht der griech. Drachme); Doppeldrachme, Tetradrachme (= Stater entspr. einem hebr. Schekel).“ (Schwank, Art. aörgußrion , 360). - Vgl. auch Fitzmyer, Luke I, 754. 62 Vgl. Musonius XIX. - Matthäus bearbeitet die Markusversion folgendermaßen: Er formuliert das Geldmitnahmegebot durch die Trias der drei Edelmetalle Gold, Silber und Kupfer; auch in seiner Version verbietet Jesus die Mitnahme eines Stabes (Lk mit Mt gegen Mk). 63 Josephus berichtet von einem Sklaven (Bote des Antiphilus), der zwei xitvqnaw übereinander trägt (Josephus, Ant. XVII, 136). - Wie in Kleinasien, so auch in Syrien und Palästina war in der Folge der Eroberungszüge Alexanders des Großen diese - hellenistische - Tracht verbreitet, deren Grundmodell folgendermaßen aussah: Männer und Frauen kleideten sich mit einem xitvßn, „einem aus zwei rechteckigen Stoffstücken zusammengenähten Stoffzylinder, der an den Seiten bis auf die Öffnung der Arme hin geschlossen war. Oben ließ man für den Kopf nur einen Durchschlupf. […] Über dem chit n trugen die Männer und die Frauen Mäntel. Es waren auch dies einfache große rechteckige Tücher, deren Größe je nach den Körpermaßen des Trägers oder je nach Art der Drapierung unterschiedlich ausfiel. Im griechischsprachigen Raum wurde dieses Tuch himation genannt.“ (Böhme-Schönberger, Kleidung, 43). <?page no="211"?> 211 die für eine Wanderschaft eigentlich notwendig und selbstverständlich sind. Lukas verschärft dabei die markinische Version noch (s.o.). 64 Als Mission der Zwölf beschreibt Mk die Austreibung unreiner Geister, die Heilung Kranker und die Predigt der metaßnoia (6,12f.). (#.2.2) Traditionelle ethische Leitlinien für den Umgang mit materiellen Gütern werden nicht reflektiert. (#.2.3) Durch ihren Verzicht machen sich die Zwölf abhängig von Gottes fürsorglicher Vorsehung und vertrauen nur auf ihn. Der Hinweis auf die mögliche Ablehnung und Nichtaufnahme (Mk 6,11/ Lk 9,5) unterstreicht, dass die Jünger völlig auf Gottes Fürsorge angewiesen sind. - Ihr Besitzverzicht macht sie für Gottes Fürsorge zugänglich. (#.3) Das Handeln Gottes an den Jüngern, die sich mittellos und ohne Ausrüstung auf dem Weg befinden, wird nicht explizit erwähnt. Implizit ist jedoch vorausgesetzt, dass seine Vorsehung sie fürsorglich begleitet, so dass sie auf Reiseausrüstung verzichten können. - Jesus gibt seinen Jüngern für ihren Weg Macht, eöcousißa , über unreine Geister (Mk 6,7) bzw. dußnamiw und eöcousißa über Dämonen und Krankheiten (Lk 9,1). 1.3.6 Mk 10,17-31 par Lk 18,18-30: Reiche, das Reich Gottes und der Lohn der Nachfolge Kontext. Lukas hat im „Markusblock“ 18,15-21,33 keine Umstellungen vorgenommen. Auch Lk 18,18-30 steht in Lk wie auch in Mk zwischen Kindersegnung (Mk 10,13-16/ Lk 18,15-17) und dritter Leidensankündigung (Mk 10,32-34/ Lk 18,31-34). Struktur. Die Perikope gliedert sich in drei Abschnitte: I. Mk 10,17-22 „Reicher und ewiges Leben“, II. Mk 10,23-27: „Kommen Reiche ins Reich Gottes? “ und III. Mk 10,28-31 „Vom Lohn der Nachfolge“. I. v. 17-22: Ein Reicher und das ewige Leben: v. 17: Frage eines Reichen an Jesus, wie das ewige Leben zu erlangen sei. v. 18f.: Antwort Jesu: v. 18: Korrektur der Frage: tiß me leßgeiw aögajoßn; v. 19: Hinweis auf die Gebote (zweite Gebotstafel). v. 20: Antwort des Reichen: tauqta paßnta eöfulacaßmhn. v. 21: Reaktion Jesu: - högaßphsen auötoßn […] — Hinweis auf das, was dem Reichen fehlt, - Aufforderung zum Verkauf seiner Güter und Almosengeben, - Verheißung eines „ jhsauro? w eön ouöranvq # “ als Lohn, - Aufforderung zur Nachfolge. v. 22: Reaktion des Reichen: Trauer, Weggehen. 64 Downing ist der Ansicht, dass die Darstellung der Armut Jesu und seiner Jünger auf der Folie des Kynismus zu verstehen ist (vgl. ders., Cynics, 115 u.ö.). Tuckett sieht dies kritisch (vgl. ders., Cynic, passim). <?page no="212"?> 212 II. v. 23-27: Kommen Reiche ins Reich Gottes? v. 23: Feststellung Jesu: Schwierigkeit für Reiche, in die basileiß ßa zu gelangen. v. 24a: Reaktion der Jünger: Erschrecken. v. 24b.25: Bekräftigung der Feststellung durch Jesus: Hinweis auf allgemeine Schwierigkeit, in die basileiß ßa zu gelangen; „Kamelwort“. v. 26: Reaktion der Jünger: Gesteigertes Erschrecken; tißw dußnatai svjhqnai; v. 27: Reaktion Jesu: Tröstender Hinweis auf Allmacht Gottes. III. v. 28-31: Lohn der Nachfolge v. 28: Petrus. v. 29-31: Antwort Jesu: v. 29f.: Verheißung hundertfacher diesseitiger Entschädigung; Verheißung ewigen Lebens. v. 31: Abschließendes Logion: polloi? de? ? eäsontai prvqtoi eäsxatoi kai? oiÖ eäsxatoi prvqtoi. 1.3.6.1 Redaktionskritik Die lukanische Version unterscheidet sich von der markinischen folgendermaßen: Lk 18,18-23 a) Bei Lk wird der Fragesteller als aärxvn 65 eingeführt, bei Mk als Jüngling. Lukas charakterisiert ihn damit als Mitglied der religiösen Führungsschicht. 65 In den Synoptikern und Apg werden meist Personen in besonderen Stellungen mit aä . bezeichnet (bei Lk z.B. der Richter in 12,58; 23,13 Mitglieder des Synhedriums). Die genaue Funktion ist unklar (vgl. Merk, Art. aärxvn , 401-404). Bovon bleibt vage und vermutet, dass es sich „entweder um einen bedeutenden Pharisäer handelt, der in seiner Gruppe eine moralische Autorität ist, oder um einen jüdischen Magistraten pharisäischer Ausrichtung, um einen Richter, Synagogenvorsteher oder Mitglied des örtlichen Sanhedrin“ handele (ders., EKK III/ 2, 470 [zu Lk 14,1]). Die nachfolgende Übersicht zur Konnotation von aärxvn in den Evangelien und der Apostelgeschichte zeigt, wie vage die Bedeutung des Begriffs im NT bleibt: Lk 8,41: Amt in der Synagoge, äquivalent zu aörxisunaßgvgow (Mk 5,22 par Lk 8,41). Eine Synagoge hat mehrere Vorsteher (vgl. Mk 8,41: eiWw tvqn aörxisunagvßgvn ); Mt 9,18 einer unter mehreren aärxvn eiWw [Mt 9,22 ist Fortsetzung von 9,18]; Mt 20,25: polit. Herrscher ( aö. tvqn eöjnvqn ); Lk 12,58: im Sinne von „Richter“; Lk 14,1: [tißw] tvqn aörxoßntvn Farisaißvn : (Führungs-)Gruppe der Pharisäer; Lk 18,18: bleibt unbestimmt - die Parallele 10,25, wo ein nomikoßw an Jesus mit der Frage nach dem ewigen Leben herantritt, und die Antwort Jesu mit dem Verweis auf das Gesetz legen nahe, dass es sich auch hier um eine jüdische Führungsperson handelt; Lk 23,13: tou? w aörxiereiqw kai? tou? w aärxontaw (kai? to? n laoßn) : Eine jüdische Gruppe, die im Zusammenhang mit der Schuld am Tod Jesu (v. 14: proshneßgkateß moi to? n aänjrvpon touqton ) genannt wird, neben den Hohepriestern; Lk 23,35: aärxontew verspotten Jesus; werden als vom Volk unterschiedene Gruppe genannt; Lk 24,40: als Gruppe neben den Hohepriestern, vom Volk unterschieden ( oiÖ aörxiereiqw kai? oiÖ aärxontew hÖmvqn ), schuldig am Tod Jesu; Apg 3,17.27: vom Volk unterschiedene jüdische Gruppe, die schuldig am Tod Jesu ist; Apg 4,5: jüdische Gruppe neben presbuteßroi und grammateiqw und Hohepriestern, die in der Anklage gegen Petrus und Johannes aktiv sind; Apg 4,8: Fortsetzung von 4,5: jüdische Gruppe neben presbuteßroi; Apg 7,27.35: polit. Amt; Apg 14,5: Juden und ihre aä. gegen Paulus; Joh 3,1: jüdische Gruppe: aä. der Juden (Nikodemus); Joh 7,26: jüdische Gruppe: „unsere aä. “; Joh 7,48: jüdische Gruppe: aä. und Pharisäer, unterschieden vom Volk (auch in Bezug auf Stellung zu Jesus; Joh 12,42: jüdische Gruppe: unterschieden von Pharisäern (in Bezug auf die Stellung zu Jesus: viele aä. glauben an ihn). <?page no="213"?> 213 b) Bei Lk fehlt die markinische Ergänzung der Gebotsreihe um mh? aöposthrhßseiw , einer Doppelung zu mh? klhßyh#w , die sich nicht in Dtn 5,16-20 findet; dort wird die Reihe durch das Begehrensverbot abgeschlossen. Dies ist in der vorliegenden Perikope das einzige minor agreement. 66 c) In v. 22b streicht Lukas das markinische uÄpage , das die Aufforderung Jesu einleitet, der Fragesteller solle seine Güter verkaufen und den Armen geben - dadurch erlange er einen Schatz im Himmel - und ihm nachfolgen (Mk 10,21; Lk 18,22). Lukas unterstreicht damit die Radikalität der Entscheidung zur Nachfolge: uÄpage betont die Spontaneität und Kurzfristigkeit der Entscheidung. d) Lukas steigert die Forderung Jesu an den Reichen, die Güter zu verkaufen, indem er dem markinischen oÄsa eäxeiw ein paßnta hinzufügt (v. 22b). e) Lukas streicht (wie auch Matthäus) den markinischen Erzählzug, dass Jesus den Fragesteller liebgewonnen habe (Mk 10,21: högaßphsen ; Lk 18,22). f) Lk schreibt diadoßw an Stelle von doßw (v.22b). Möglicherweise setzt Lukas dadurch einen Akzent auf das gemeinschaftliche Teilen gegenüber dem Almosengeben. Almosengeben vollzieht sich „von oben nach unten“, von dem, der hat, zudem, der nicht hat. Das „Modell“ gemeinschaftlichen Teilens führt Lukas in der Apg aus (vgl. Apg 2,44-47; 4,32-34). - Zu beachten ist allerdings, dass Lukas generell eine Vorliebe für Verbkomposita mit diazeigt. 67 g) Im Unterschied zu Markus (und Matthäus) verzichtet Lukas auf den Vermerk, dass der Fragesteller auf die Aufforderung Jesu hin weggeht, und notiert nur, dass dieser traurig wird ( perißlupow eögenhßjh, Lk 18,23; aöphqljen lupoßmenow Mk 10,22). h) Lukas verwendet in v. 23b anders als Markus (und Matthäus), der den Wohlstand des Fragenden mit der Partizipialwendung eäxvn kthßmata pollaß (v. 22) umschreibt, den mit sfoßdra verstärkten terminus technicus ploußsiow . In v. 24b übernimmt Lukas dagegen die markinische Partizipialwendung xrhßmata eäxvn. Lk 18,24-27 a) Das folgende Logion (Mk 10,23b; Lk 18,24b), „wie schwer kommen die, die Güter haben, in das Reich Gottes hinein“, ist in der markinischen Version an die Jünger Jesu gerichtet (ebenso bei Mt). Lukas stellt den Fragesteller als noch anwesend vor Augen und verdeutlicht durch das einleitende iödv? n […] auöto? n - an Stelle des markinischen peribleyaßmenow -, dass Jesus sich mit seinen Worten seinem bisherigen Gesprächspartner zuwendet. b) Lukas ersetzt das markinische Verb eiöseßrxesjai durch eiösporeußesjai und verlagert die Aussage vom Futur ins Präsens. 68 Hinter der Änderung könnte eine präsentische Vorstellung der basileißa stehen. c) Lukas eliminiert die Notiz, dass die Zuhörer Jesu über seine Äußerung erschrecken (Mk 10,24.26) - weder die Jünger 69 , da diese in Lk ja nicht in der Erzählung eingeführt 66 Klein führt es darauf zurück, dass Lukas eine revidierte Markusfassung (DtMk) vorgelegen habe (ders., Lukasevangelium, 589). 67 Vgl. Jeremias, Sprache, 70f.201; Fitzmyer, Luke, 247-248.1200. Vgl. bei Fitzmyer darüber hinaus die Anmerkungen zu 3,16; 4,15; 9,1; dort trägt die Verwendung von diatatsächlich zu einer inhaltlichen Differenzierung bei. 68 Anders als Bovon (EKK III/ 3, 231 Anm. 12) lege ich an dieser Stelle die textkritische Entscheidung von Nestle 27 zugrunde (lectio difficilior; die Lesart eiöseleußsontai dürfte eine Angleichung an Mk sein). 69 Matthäus lässt ihn zwar hier in 19,24 beiseite, übernimmt ihn aber in 19,25 aus Mk 10,26. Das Logion vom Kamel und dem Nadelöhr findet sich bei allen drei Evangelisten übereinstimmend; dass Lukas für „Nadelöhr“ trhqma beloßnhw an Stelle von trumaliaß rÖayißdow schreibt, fällt nicht weiter ins Gewicht. <?page no="214"?> 214 sind, noch die umstehenden Zuhörer (Mk 10,26). Zudem strafft er die die Erzählung, indem er die Bemerkung Jesu darüber, dass das Reich Gottes schwer zu erreichen sei (Mk 10,24), streicht und die Worte Jesu direkt mit dem Logion vom Durchgang eines Kamels durch ein Nadelöhr weiterführt (Mk 10,25/ Lk 18,25). d) Lukas streicht das markinische paßnta (Lk 18,27/ Mk 10,27) und damit den Hinweis, dass bei Gott alles möglich ist. 70 So tritt in seiner Formulierung klarer der Kontrast zwischen Menschen und Gott hervor. 71 Lk 18,28-30 a) Lukas (18,28) zitiert Petrus hier anders als Markus (Mk 10,28 par Mt 19,27). Nach Mk haben er und die Jünger 72 alles, paßnta , zurückgelassen; nach Lk spricht Petrus vom Verlassen des Eigentums/ Eigenen, ta? iädia. b) In der Aufzählung dessen, was und wen diejenigen, die in der Nachfolge Jesu stehen, verlassen haben, nimmt Lukas eine Reihe von Änderungen an der Markusvorlage vor: Mk 10,29 Lk 18,29 ouödeißw eöstin oÜw aöfhqken ouödeißw eöstin oÜw aöfhqken 1. oiökißan 1. oiökißan 2. hü aödelfou? w hü aödelfa? w 3. hü aödelfou? w 2. hü gunaiqka 3. hü pateßra hü mhteßra 4. hü goneiqw 4. hü teßkna 5. hü teßkna 5. hü aögrou? w 6. eÄneken eömouq kai? eÄneken touq euöaggelißou […] 6. eÄneken thqw basileißaw touq jeouq […] Lukas fügt in die Aufzählung der verlassenen Verwandten die Ehefrau 73 ein (wie auch in 14,26) und zwar herausragend positioniert an der Spitze der Verwandtenreihe. Geschwister und Eltern fasst er jeweils zusammen ( aödelfou? w, goneiqw ). Lukas spricht nur das Verlassen des Hauses und der Familienangehörigen an, den Landbesitz ( aögrou? w ) lässt er beiseite (anders Mk 10,30; Mt 19,29). 74 c) Markus betont, dass der Lohn bzw. Ausgleich für das Verlassen von Haus, Verwandten und Äckern nicht erst im ewigen Leben des kommenden Äons, sondern bereits jetzt, nuqn eön tvq # kairvq # toußtv# (Mk 10,30) , erfolgt, und illustriert dies nachdrücklich, indem er die Aufzählung aus v. 29 wiederholt; zudem weist er darauf hin, dass dies unter Verfolgungen ( meta? divgmvqn ) geschieht. Lukas verzichtet auf diese Passage (Lk 18,30; 70 Mt 19,26 geht hier mit Mk parallel. 71 Hier geht es „um die Radikalität der Allmacht des Bösen, der menschlichen Unfähigkeit, das Gute zu tun. Die einzige Lösung findet sich in einer göttlichen Ökonomie, im Aufweis der umsonst geschenkten Gerechtigkeit […].“ (Bovon, EKK III/ 3, 236; vgl. Gen 18,14). Indem er kürzt, konzentriert Lukas sich auf diesen Kern der Aussage. 72 Mindestens Jakobus und Johannes, vgl. Lk 5,10. 73 In 1. Kor 9,4 ist hingegen die Tradition bewahrt, dass oiÖ loipoi? aöpoßstoloi kai? oiÖ touq kurißou kai? Khfaqw eine Schwester ( aödelfhß , also eine Mitchristin) zur Ehefrau ( gunaiqka) hatten. 74 In Anbetracht dessen, dass Lukas nur fünf „Verzichtsobjekte“ nennt, während Markus sieben aufzählt, zieht Fitzmyer in Erwägung, dass die Fünfzahl mit den in 18,20 genannten fünf Geboten in Zusammenhang stehe (vgl. Fitzmyer, Luke I, 1205). <?page no="215"?> 215 ebenso Mt 19,29). 75 Er ändert das markinische eÖkatoplasißona in das unbestimmte pollaplasißona und verzichtet auf die Aufzählung der in der Lebenszeit zu empfangenden Güter. d) Den Satz über die Ersten und Letzten (Mk 10,31) lässt Lukas hier beiseite. Er hat ihn bereits in 13,30 im Anschluss an die eschatologische Chrie 13,23-30 zitiert. Diese leitet die eben in Lk 18,26 - mit etwas anderer Akzentuierung - gestellte Frage danach, wer gerettet werden wird, ein: „ Kußrie, eiö oölißgoi oiÖ sv#zoßmenoi; “ (13,23). 76 e) Als Motivation für das Verlassen von Familie und Besitz gibt Lukas die Gottesherrschaft ( eÄneken thqw basileißaw touq jeouq ) an; Markus weist dagegen auf Jesus selbst und das Evangelium 77 (Mk 10,29) hin. 1.3.6.2 Theologisch-inhaltliche Analyse (#.1.1) In der Perikope kommt Reichtum als Besitz vieler Güter zur Sprache ( ploußsiow sfoßdra , Lk 18,23; eöxvn kthßmata poßlla , Mk 10,22; oiÖ ta? xrhßmata eäxontew , Lk 18,24/ Mk 10,23). Der reiche Mensch, der sich mit seiner Frage an Jesus wendet (ein aärxvn nach Lk; in Mk wird der Fragesteller nicht näher charakterisiert), und Arme werden explizit gegenübergestellt: Letzere sollen die Güter aus dem Verkaufserlös, den der Reiche erzielt, bekommen (Lk 18,22). (#.1.2) Der Abschnitt Lk 18,18-30 ist der Verhältnisbestimmung von Besitz und eschatologischem Heil gewidmet. Ewiges Leben ( zvh? aiövßniow , Mk 10,17/ Lk 18,18) wird durch den Hinweis Jesu eÄn se uÖstereiq (Mk 10,21) und seine Aufforderung, sich von Besitz zu trennen (Mk 10,21/ Lk 18,22), als vom Besitz materieller Güter abhängig dargestellt. Mk 10,23-27/ Lk 18,24-27 spitzt die Frage, ob Reichtum das Erlangen des ewigen Lebens erschwert oder gar verhindert, zu und diskutiert sie kontrovers: Jesus stellt zunächst fest, dass der Besitz vieler Güter den Zugang zur basileißa erschwert (Mk 10,23/ Lk 18,24). Markus legt im Folgenden dar, dass es grundsätzlich schwierig ist, in die basileißa zu gelangen. Er berichtet, dass die Jünger die Worte Jesu auf sich beziehen und darüber erschrecken und Jesus diese Gefühlsregung sogar noch verstärkt, indem er sie auf diese grundsätzliche Schwierigkeit hinweist (Mk 10,24: teßkna, pvqw dußskoloßn eöstin […]). Lukas eliminiert diese Passage und grenzt so die Frage nach dem Zugang zur basileißa touq jeouq zu gelangen, klar auf die Problematik des Besitzes materieller Güter ein. Der „Kamelspruch“ (Mk 10,25/ Lk 18,25) steigert die vorangehende Aussage Jesu und betont: Nicht nur schwierig, sondern unmöglich ist es aus menschlicher Sicht für Reiche, ins Reich Gottes zu kommen. 75 Als Ursache für die starke Betonung des Ausgleichs in diesem Leben, sind Verfolgungs- und Bedrängniserfahrungen in der markinischen Gemeinde anzunehmen. 76 Vgl. Bovon, EKK III/ 3, 232. 77 Zur Diskussion darum, ob der euöaggeßlion -Begriff in Mk auf die Redaktion von Markus zurückzuführen ist, vgl. Strecker, Überlegungen, 91-104. - Matthäus spricht von eÄneken touq oönoßmatow mou (Mt 19,29). <?page no="216"?> 216 (#.2.1) Jesus fordert den aärxvn auf, seinen gesamten Besitz zu verkaufen (Mk 10,19/ Lk 18,21) und den Erlös an die Armen zu verteilen. Die autoreferentielle Dimension des Umgangs mit materiellen Gütern ist hier mit der sozialen Dimension verbunden. Die Forderung Jesu ist neu und radikal und geht über die Einhaltung der Gebote (Mk 10,19/ Lk 18,20) hinaus. Jesus verbindet sie mit dem Ruf in seine Nachfolge. Die Perikope stellt hinsichtlich der autoreferentiellen Beziehung eines Menschen zu materiellen Gütern fest, dass großer Besitz den Menschen emotional stark bindet, so dass eine Trennung von ihm schwer fällt. Die Aufforderung Jesu ruft beim Fragesteller Trauer hervor. Markus berichtet, dass er betrübt weg geht, Lukas hält die Szene offen (Mk 10,22: aöphqljen lupoußmenow / Lk 18,23: perißlupow eögenhßjh ). In Mk 10,28-31/ Lk 18,28-33 meldet sich Petrus in Vertretung für die Jünger aus einer anderen Perspektive zu Wort und weist darauf hin, dass er und die übrigen Jünger alles (Mk)/ ihr Eigentum (Lk) zurück gelassen und die Nachfolge Jesu angetreten haben (religiöse Dimension). (#.2.2) Die Perikope bezieht sich auf die zweiten Gebotstafel des Dekalogs (vgl. Ex 20,12-16/ Dtn 5,16-20). In der markinischen Version findet sich darüber hinaus der Imperativ mh? aöposterhßsh#w (Mk 10,19). Diese Hinzufügung deutet auf eine spezielle interpretationsgeschichtliche Situation des Verfassers. Das „zweite“ Verbot des Stehlens könnte eine Zusammenfassung des neunten und zehnten Gebotes sein. Der Kontext (Lk 18,22/ Mk 10,21) legt jedoch eine Deutung nahe, die von Sir 4,1 und Dtn 24,14 ausgeht (an beiden Stellen steht ebenfalls aöpostereiqn ). Mk 10,19 deutet die zweite Gebotstafel des Dekalogs damit ausdrücklich sozial und betont, dass der Lebensunterhalt bzw. Lohn der Armen nicht zurückgehalten werden darf. 78 (#.2.3) In Lk 18,18-23 ist die Frage nach den Konsequenzen des Umgangs mit Reichtum an einer speziellen Person in zweierlei Hinsicht entfaltet: Einerseits im Zusammenhang mit dem Erreichen des ewigen Lebens und der Nachfolge Jesu; andererseits im Kontext der zweiten Gebotstafel, die das Verhältnis zum Mitmenschen regelt und damit auch den Einsatz des Besitzes für die Armen. In der ersten Gesprächssequenz (v. 18-21) hatte Jesus auf das Halten der Gebote als Weg zum ewigen Leben hingewiesen; jetzt (v. 22) stellt er heraus, dass man sich einen Schatz im Himmel, jhsauro? w eön ouöranoiqw (v. 22), erwerben kann, indem man zu Gunsten der Armen auf seinen Besitz verzichtet. Der jhsauro? w eön ouöranoiqw (v. 22) und das ewige Leben, nach dem der aärxvn in v. 18 fragt, werden im Text differenziert gebraucht. Der Weg zum ewigen Leben liegt im Halten der Gebote, der Weg zum Schatz im Himmel im Verteilen des Besitzes an die Armen und der Nachfolge Jesu. 79 Die Jünger erhalten als Lohn für die Nachfolge das ewige Leben (Mk 10,30). 78 Vgl. Gnilka, EKK II/ 2, 86f. 79 Vgl. Fitzmyer, Luke II, 1200. <?page no="217"?> 217 In Mk 10,23/ Lk 18,24 deutet Jesus autoreferentielle Beziehung zu materiellen Gütern theologisch. Materielle Güter halten das Herz fest, so dass denen, die sie besitzen, die Trennung von ihnen schwer fällt. Der Weg ins Reich Gottes wird dadurch schwierig. Implizit gilt (vgl. v. 23): Je größer der Besitz, desto stärker seine anziehende Kraft auf den Besitzenden und desto größer die Gefahr, dass er den „Besitzer“ davon abhält, den Weg in die basileißa zu finden. Die Intervention Petri (Mk 10,28/ Lk 18,28) greift die durch Mk 10,27/ Lk 18,27 eingebrachte ethische Relativierung auf und drängt zur Klärung der Frage, was die „Leistung“ der Jünger, Besitz und Familie zu verlassen ihnen einbringt. Die synoptische Überlieferung (Mk 10,30 par Lk 18,30; Mt 19,29) lässt Jesus den Besitzverzicht der Jünger willen mit dem Versprechen irdischen und himmlischen Lohns versehen: vielfache Entschädigung im Diesseits ( eön tvq # kaißrv# toußtv#, Mk 10,30/ Lk 18,30) und das ewige Leben. (#.3) Jesus wendet sich dem reichen Fragesteller zu und zeigt ihm den Weg zum ewigen Leben auf. Nach Markus gewinnt er ihn sogar lieb ( högaßphsen auötoßn , Mk 10,21). Lukas streicht diesen Erzählzug. Jesus stellt deutlich fest, dass der Weg in die basileißa für Reiche schwer ist; dies halten Mk und Lk gleichermaßen fest (Mk 10,23/ Lk 18,24). Die Jünger (Mk 10,26) bzw. die umstehenden Menschen (Lk 18,26) stellen nach den Ausführungen Jesu (Mk 10,23-25/ Lk 18,24f.) die Frage, wer überhaupt gerettet werden könne ( kai? tißw dußnatai svjhqnai; Mk 10,26/ Lk 18,26). Mk 10,27/ Lk 18,27 relativiert daraufhin die ethische Forderung aus Mk 10,21/ Lk 18,22 und bringt den Gedanken ein, dass es letztlich von Gott abhängt, ob jemand zum Heil gelangt: Für Gott ist alles möglich, auch das Reiche den Weg in sein Reich finden. Anders als für Menschen ist für Gott Reichtum also kein unüberwindliches Hindernis. Jesus betont die Macht Gottes gegenüber menschlichen Möglichkeiten (explizit) und weist damit (implizit) auf seinen Willen zur Rettung der Menschen hin. Weder in der markinischen noch in der lukanischen Fassung verurteilt Jesus also den Reichen oder spricht ihm die Möglichkeit ab, in die basileißa zu gelangen. Er weist aber deutlich auf die Gefahr hin, die Reichtum für Menschen auf dem Weg in die basileißa darstellt. 1.3.7 Mk 11,15-17 par Lk 19,45f.: Räuber im Tempel Kontext. Die sogenannte Tempelreinigung erzählt Lukas ebenso wie Markus kurz nach dem Einzug Jesu in Jerusalem (Lk 19,28-38; Mk 11,1-11). 80 Bei Lk mündet die Ankunft Jesu in Betanien und sein Einzug in Jerusalem (19,28-40) nach dem Weinen Jesu über Jerusalem (19,41-44 S Lk ) direkt in die Tempel- 80 Zur Historizität der Tepelreinigung vgl. Eckey, Lukasevangelium II, 811; Gnilka, EKK II/ 2, 130f.: Gnilka hält das Handeln Jesu für historisch, da Markus Jesu Handeln mit LXX-Jes/ Jer-Zitaten verknüpft hat. <?page no="218"?> 218 reinigungsszene (19,45f.). Dagegen geht Jesus Mk gemäß nach seinem Einzug in die Stadt zwar direkt in den Tempel, aber sieht sich dort zunächst nur um und kehrt dann zurück nach Betanien (11,11); erst am nächsten Tag kommt Jesus nach Jerusalem zurück und treibt die Händler aus dem Tempel (11,15-17). 81 Mk schildert vor der „Tempelaktion“ die Verfluchung des Feigenbaums (11,12-14), die sich in Lk nicht findet. 82 Auf die Tempelreinigungsszene lässt Mk eine zweite Feigenbaumsszene folgen, anhand derer er die Macht des Glaubens und des Gebets verdeutlicht (Mk 11,20-25); diese übernimmt Lukas konsequent ebenfalls nicht. Lk folgt der Struktur des Mk wieder, indem er die Diskussion Jesu mit den Hohepriestern, Ältesten und Schriftgelehrten um seine Vollmacht (Lk 20,1-8 par Mk 11,27-33) aufgreift. Struktur. Die Darstellung der sogennanten Tempelreinigung nach Mk 11,15- 17 lässt sich folgendermaßen gliedern: v. 15-16: Aktion Jesu im Tempel. v. 17: Lehre Jesu: „ oÖ oiQkoßw mou oiQkow proseuxhqw klhjhßsetai paqsin toiqw eäjnesin; uÖmeiqw de? pepoihßkate auöto? n sphßlaion lh#stvqn “. 1.3.7.1 Redaktionskritik a) Lukas übernimmt von Markus die Notiz, dass Jesus den Tempel betritt und die Verkäufer ( pvlouqntew ) hinauszutreiben ( eökbaßllein ) beginnt (Lk 19,45 par Mk 11,15a). Die eigentliche Schilderung des Auftretens Jesu im Tempel kürzt Lukas stark: Er übergeht, dass Jesus auch die Käufer ( aögoraßzontew) vertreibt, und verzichtet auf alle „gewalttätigen“ Details, die Markus schildert (Mk 11,16): dass Jesus Tische und Stände umwirft und Leute daran hindert, Kultgeräte 83 , skeuqow, durch den Tempel zu tragen. b) Das auf die Austreibung folgende Jesuswort übernimmt Lukas (Lk 19,46 par Mk 11,17), verzichtet aber auf das einleitende didaßskein und verwendet stattdessen leßgein ; während in Mk die Schriftworte Jesu in eine rhetorische Frage eingebettet sind, „ ouö geßgraptai [ … ]; “ leitet Lukas sie als Aussage, „ geßgraptai [ … ]. “ ein. 84 Den Verweis auf das Lehren Jesu stellt Lukas der Reaktion der Hohenpriester und Schriftgelehrten auf seine Tempelaktion voran: Kai? hQn didaßskvn to? kaj ö hÖmeßran eön tvq # iÖervq # ( 19,47 vgl. auch 21,37f.). Er erhält dadurch ein eigenes, stärkeres Gewicht als in der Markusüberlieferung. Lk illustriert 81 In Lk liegt zwischen dem Einzug in Jerusalem (19,28ff.) und seiner Verhaftung (22,47ff.) eine unbestimmte Zahl von Tagen: Jesus lehrt täglich ( kaj ö hÖmeßran ) im Tempel; die Diskussion mit den Schriftgelehrten um seine Vollmacht (20,1ff.) spielt sich „eines Tages“ ( eön mißa tvqn hÖmervqn ) ab. Mk bietet zwar ab 11,12 relative Zeitangaben, jedoch kein Zeitschema, das sich bis zur Passion durchzöge; in 14,1 beginnen mit der Notiz, dass die Hohenpriester und Schriftgelehrten zwei Tage vor dem Pascha ( hQn de? to? paßsxa kai? ta? aäzuma meta? dußo hÖmeßraw) einen Tötungsgrund suchen, die absoluten Zeitangaben neu, die die Zeit bis Jesu Tod (15,25-33) und dem Auffinden des leeren Grabes durch die Frauen am Ostermorgen (16,1f.) strukturieren (vgl. dazu Niemand, Modellbild, 249 Anm. 94). 82 Dass Lukas diese Perikope und das Gleichnis vom unfruchtbaren Feigenbaum, das er in Lk 13,6-9 berichtet, als Dubletten betrachtete, ist eher unwahrscheinlich (vgl. Bovon, EKK III/ 2, 373). 83 So Gnilka, EKK II/ 2, 129. 84 So auch Mt 21,13. <?page no="219"?> 219 auf diese Weise auch, dass in der Zweckbestimmung „Haus des Gebetes“ mitschwingt, dass Jesus den Tempel als Ort der Lehre nutzen will. 85 c) An den Schriftworten, Zitaten aus Jes 56,7 (LXX) und Jer 7,11 (LXX), nimmt Lukas im Vergleich zur Markusversion einige Änderungen vor: Markus lässt Jesus der Septuaginta folgend sagen, dass der Tempel „ oiQkow proseuxhqw “ heißen werde. Nach Lukas weicht Jesus in zwei Punkten von der Septuaginta ab: Er sagt erstens, dass der Tempel nicht nur „ oiQkow proseuxhqw “ heißen (klhjhßsetai) , sondern sein (eästai ) werde; zweitens lässt er den Zusatz paqsin toiqw eäjnesin weg. 86 Die abschließende Anspielung auf Jer 7,11 LXX „ sphßlaion lh#stvqn “ (Lk 19,46) unterscheidet sich bei den drei Evangelisten im Tempusgebrauch: 87 Markus verwendet Perfekt, Matthäus Präsens und Lukas Aorist. Während in der markinischen Version durch das Perfekt pepoihßkate das Ergebnis des Handelns betont ist, lenkt Lukas durch den Aorist eöpoihßsate den Blick stärker auf das Handeln selbst und die angesprochenen Akteure. 88 Lukas verstärkt die Aussage über den Tempel, indem er das markinische klhjhßsetai durch eästai ersetzt; er betont, dass der Tempel tatsächlich „Haus des Gebetes“ sein - und nicht nur diesen Namen tragen - wird. Dass die Bestimmung „für alle Völker“, die Markus wiedergibt, in Lk (und auch Mt) fehlt, dürfte daher rühren, dass Lukas nach der Zerstörung des Tempels (70 n. Chr.) schreibt. 89 1.3.7.2 Theologisch-inhaltliche Analyse Jesus wird gegen den Handel im Tempel aktiv. Die historische Deutung dieser Handlung ist in der Forschung umstritten: Jesus könnte sich mit seiner Aktion, die den Tempelmarkt und die Wechsler betraf, gegen die „ungerechtfertigte Bereicherung der korrupten Tempelaristokratie und ihrer Klientel“, die „zu Lasten der Armen ging“ 90 , gewendet haben (nicht-eschatologische Deutung) oder gegen den Tempelhandel vorgegangen sein, weil er nach seiner Ansicht - grundsätzlich oder auch auf den Einzelnen bezogen - der basileißa touq jeouq entgegenstand (eschatologische Deutung). 91 Auch eine Deutung als „messianic purification“ wird in Erwägung gezogen. 92 Da im AT zwar eine Reinigung des Tempels verheißen (Jes 56,7; Jer 7,11; Sach 14,21; Mal 3,1), jedoch nirgends vom Messias erwartet wird, scheint diese Deutung 85 Vgl. auch Fitzmyer, Luke II, 1267. 86 Sowohl Lukas als auch Matthäus streichen diesen Teil des Zitats von Jes 56,7 LXX. Vermutlich geben sie sich nach der Zerstörung des Tempels im Jahr 70 „Rechenschaft, dass dieses Heiligtum nicht mehr ‚allen Völkern‘ als Ort des Gebetes dienen kann. […] zu ihrer Zeit sei es die christliche Kirche, die zum einzigen für die Gebete aller Völker offenen Ort geworden sei“ (Bovon, EKK III/ 4, 49). 87 Es handelt sich hier um eine Anspielung auf, kein Zitat von Jer 7,11 LXX; dort steht an der entsprechenden Stelle kein Verb: mh? sphßlaion lh#stvqn oÖ oiQkoßw mou (Jer 7,11a LXX). 88 Vgl. Eckey, Lukasevangelium II, 810. 89 Vgl. ebd.; Fitzmyer, Luke II, 1261. 90 Niemand, Modellbild, 232. 91 Vgl. Niemand, Modellbild, 203ff. - Gnilka deutet den Auftritt Jesu im Tempel als Protest gegen die bestehende Tempelpraxis (ohne aktuellen Anlass) (Gnilka, EKK II/ 2, 130). 92 Vgl. Fitzmyer, Luke II, 1267: „[…] it is not a question of the eschatological end of the Temple, but of its cleansing; in other words, Jesus prepares it as an area where he can stay, and from now on he occupies it as a place belonging to him, where he can teach“; Conzelmann, Theology, 77. <?page no="220"?> 220 jedoch nicht die ursprüngliche zu sein. Wahrscheinlicher ist, dass die Tempelaktion nicht das eschatologische Ende des Tempels bedeutet, sondern eine tatsächliche Reinigung: Jesus macht ihn damit zu seinem Ort, von dem aus er von nun an lehrt. 93 Das Vorgehen Jesu ist als historisch anzunehmen, wird aber nicht von großem Ausmaß gewesen sein, da weder ein Einschreiten der levitischen Tempelpolizei noch des römischen Militärs, das die Burg Antonia besetzt hielt, erwähnt wird. 94 (#.1.1/ 2) Armut und Reichtum werden in der Perikope nicht erwähnt und nicht theologisch gedeutet. (#.2.1) Lk 19,45f. thematisiert den Handels- und Wechselbetrieb im Tempel und nimmt damit die autoreferentielle Dimension ökonomischen Handelns in den Blick: Das Bild der „Räuberhöhle“ steht für den Vorwurf, dass Händler und Wechsler sich im Tempel unrechtmäßig bereichern. Damit handeln sie nicht nur auf Kosten anderer Menschen, sondern auch im Widerspruch zum Willen Gottes. Hintergrund des Wechselsystems ist, dass die Tempelsteuer (vgl. Ex 30,13- 16) in tyrischen Di- oder Tetradrachmen Halbschekeln 95 entrichtet werden musste. Da nicht jeder solche Münzen besass, hatte sich ein Geldwechsel etabliert, der in erster Linie für die herrschenden hohepriesterlichen Familien gewinnbringend gewesen sein dürfte. 96 (#.2.2) Traditionelle ethische Leitlinien für den Umgang mit materiellen Gütern werden in der Perikope nicht reflektiert. (#.2.3) Jesus verurteilt den Handels- und Wechselbetrieb im Tempel. Dabei wirft er den Wechslern nicht nur „Raub“ vor, sondern auch eine Nichtachtung des Tempels in seiner eigentlichen Funktion, der Beziehung zwischen Menschen und Gott einen Raum zu geben. 97 - Historisch ist umstritten, ob die Händler tatsächlich im Tempelbezirk selbst ihr Geschäft ausübten. 98 (#.3) Das Handeln Gottes bzw. Jesu an armen und reichen Personen reflektiert die Perikope nicht. 93 So Fitzmyer, Luke II, 1267. 94 Vgl. Bovon, EKK III/ 4, 46; Hengel/ Schwemer, Geschichte I, 559f. 95 Vgl. Stegemann/ Stegemann, Sozialgeschichte, 116; Hengel/ Schwemer, Geschichte I, 559. 96 Pro Halbschekel (etwa 7,2 g Silbergewicht) war ein Aufpreis von etwa 8% zu bezahlen (vgl. Stegemann/ Stegemann, Sozialgeschichte, 116). - Vgl. Hengel/ Schwemer, Geschichte, 559. 97 Nach Lukas wurde die Halle Salomos zum Versammlungsort der christlichen Gemeinde (vgl. Apg 5,12). - Zum Tempel als Versammlungs-/ Gebetsort vgl. Apg 2,46; 3,1. 98 Stegemann/ Stegemann betrachten diese Behauptung als tendenziös (dies., Sozialgeschichte, 116); anders Bovon, EKK III/ 4, 47, der sich auf Eppstein, Historicity, beruft. <?page no="221"?> 221 1.3.8 Mk 12,1-12 par Lk 20,9-19: Weinbergsbesitzer und pachtende Winzer Kontext. Lukas überliefert die Erzählung im selben Kontext wie Markus, in der Passage der Auseinandersetzung Jesu mit seinen Gegnern (Mk 11,27- 12,44/ Lk 20,1-21,4) sie steht dort zwischen der Frage nach der Vollmacht Jesu (Mk 11,27-33/ Lk 20,1-8) und der Frage nach der kaiserlichen Steuer (Mk 12,13-17/ Lk 20,20-26). In Lk ist sie damit Teil des gößeren Abschnitts der Lehre Jesu im Tempel (Lk 19,47-21,38), der von der Gegenüberstellung des Volkes ( laoßw ), das Jesus gebannt zuhört (19,47; 21,38), und den Führungspersonen ( oiÖ prvqtoi touq laouq ), die Jesus nach dem Leben trachten (19,47), geprägt ist. Struktur. Die Perikope hat in Mk folgende Grundstruktur: v. 1a: Redeeinleitung und Exposition: Pflanzung des Weinbergs, Verpachtung und Abreise des Weinbergsbesitzers. v. 2-8: Erzählung: Sendung der Sklaven zur Eintreibung der Pacht und Gewalt der Winzer, danach Sendung des Sohnes und seine Ermordung durch die Winzer. v. 9: Rhetorische Frage und Antwort: Reaktion des Weinbergsbesitzers. v. 10f.: Deutung: Schriftzitat Ps 117,22f. LXX (Mk 12,10f./ Lk 20,17, ohne Ps 117,23 LXX). v. 12: Reaktion der Schriftgelehrten und Hohenpriester. 1.3.8.1 Redaktionskritik Exkurs: J.S. Kloppenborg, The Tenants in the Vineyard Kloppenborg hat 2006 eine ausführliche Studie zur Traditionsgeschichte und zur Frage der allegorischen Interpretation von Mk 12,1-12 vorgelegt. 99 Er stellt dort zunächst „the ideological environment“ (Kloppenborg, a.a.O. 5) dar, in dem Mk 12,1-12 in der Regel wahrgenommen wird. Die gegenwärtige Forschung findet er durch drei Interpretationsansätze bestimmt: Eine Forschungsrichtung betrachtet die Parabel als Allegorie, die von der frühen Jesusbewegung erfunden wurde (chap. 1: Ideology and the Momentum of Interpretation; p. 7-31). Eine andere ist der Ansicht, die Allegorie sei auf Jesus zurückzuführen und die Synoptiker hätten die allegorischen Elemente betont herausgearbeitet (chap. 4: Israel, the Temple and the Fate of Jesus; p. 71-105). Die dritte Perspektive, die auch Kloppenborg selbst einnimmt, interpretiert die Parabel zunächst als realistische Erzählung (chap. 5: The Parable as Realistic Fiction; p. 106-147). Die sozialgeschichtliche Plausibilität der einzelnen Erzählzüge beleuchtet Kloppenborg detailliert im Schlusskapitel (chap. 9: Reading Ancient Viticulture; p. 278-349). Die beiden Appendices bieten reiches Quellenmaterial dazu (Appendix I: Dossier on Vineyard Leasing and Operations (III BCE - IV CE), p. 350-583 und Appendix II: List of Vineyard Leases (III BCE - VII CE), p. 584-586). Eine Schlüsselfrage für die Interpretation der Parabel ist, ob sie ursprünglich auf Jes 5 anspielt oder nicht (chap. 6: Isaiah 5,1-7, Egyptian Viticulture and Mark 12,1.9; p. 149-172). Kloppenborg beobachtet, dass Mk mit der Septuaginta übereinstimmt und nie mit dem masoretischen Text gegen die Septuaginta. Unter der Voraussetzung, dass die Parabel auf den historischen Jesus zurückzuführen ist, folgert er daraus, dass die ursprüngliche Parabel kaum eine Anspielung auf Jes 5 beinhaltete (p. 172). Kloppenborg untersucht dann die Parabel in ihren unterschiedlichen Bearbeitungen: zunächst bei Matthäus und Lukas (chap. 7: The Parable of the Tenants in Matthew an Luke), dann bei Markus und im Thomasevangelium (chap. 8: The Parable of the Tenants in Mark and Thomas). Ergebnis seiner Untersuchung ist, dass Mk 12,1-12 zur Verkündigung der frühesten Jesusbewegung und vielleicht zur Lehre des historischen Jesus gehört. Die Funktion der 99 Kloppenborg, Tenants. <?page no="222"?> 222 „realistic fiction“ (349) Mk 12,1-12 bestand s. E. zunächst darin, bestimmte „normale“ Aspekte des Lebens in Palästina aufzuzeigen. Diese werden durch die Wendung in der Erzählung angefragt. „The story deliberately invokes the contrast between the relatively high status of the owner and the inferior social position oft he tenants.“ (349) Normalerweise führt dieser dazu, dass die „inferiors“ sich beugen. Hier widersetzen sie sich auf katastrophale Weise dem Willen des Eigentümers. Lukas nimmt an der Markusvorlage zahlreiche Änderungen vor. Beachtenswert sind folgende redaktionelle Bearbeitungen: 100 a) Lukas nennt in 20,9 als Adressaten des Gleichnisses das Volk ( laoßw ), während es nach Mk (11,27) an aörxiereiqw, grammateiqw und presbußteroi gerichtet ist. b) Lukas streicht die Einzelheiten der Kultivierung des Weinbergs und verzichtet damit auf Anspielungen auf Jes 5,2. Der Weinberg bleibt trotzdem als Hinweis darauf, dass es um das Volk Israel geht, verstehbar. c) Das lange Ausbleiben des Besitzers ist in der lukanischen Version betont ( xroßnouw iÖkanoußw ). 101 d) Lukas ersetzt das markinische laßbh# (v. 2) durch das Futur dvßsousin (v. 10). e) Lukas spricht von genau drei Sklaven, während nach Markus (v. 5b) eine unbestimmte Anzahl von Sklaven ausgesandt wird, um die Pacht einzutreiben. f) Nach Markus (v. 5) ermorden die Winzer auch Sklaven, nach Lukas nur den Sohn des Weinbergbesitzers. g) Lukas fügt vor der Sendung des Sohnes einen inneren Monolog des Weinbergbesitzers ein ( tiß poihßsv; v. 13), während Markus in der dritten Person formuliert ( tiß ouQn poihßsei oÖ kußriow touq aömpelvqnow; ). h) Nur nach Lk intervenieren die Zuhörer auf die Ankündigung, dass der Besitzer kommen und die Winzer umbringen wird, mit dem Zwischenruf mh? geßnoito (v. 16). 102 i) Lukas redigiert die Deutung des Gleichnisses. Er streicht das Zitat von Ps 117,23 LXX, das in Mk 12,11 das Wort vom Eckstein (Ps 117,22 LXX) fortsetzt. Stattdessen fügt er ein kryptisches Wort vom todbringenden Stein ein (v. 18), das eine Paraphrase von Jes 8,14 mit Elementen aus Dan 2,34.44 sein dürfte. 103 Auffällig ist dabei, dass die von Lukas gewählte Fortsetzung von Ps 117,22 LXX nicht die Identifikation des verworfenen Ecksteins mit Jesus voraussetzt. Vielmehr wird Jesus hier als der Stein präsentiert, an dem man sich stößt (Jes 8,14; vgl. die Aussage Simeons in Lk 2,34). 100 Vgl. dazu ausführlich Kloppenborg, Tenants, 202-218. 101 Kloppenborg weist darauf hin, dass ein neu angelegter Weinberg fünf Jahre braucht, um das volle Produktionslevel zu erreichen und hält für wahrscheinlich, dass „the prolonged absence of v. 9b is Luke's way of acknowledging this horticultural fact before narrating the attempts oft he owner to obtain rent in vv. 10-12“ (Kloppenborg, Tenants, 205). 102 Fraglich ist, worauf dieser Kommentar zielt. Ist er eine Reaktion auf die in der gesamten Erzählung geschilderte Gewalt oder bezieht er sich nur auf die Absicht des Eigentümers, die Pächter zu töten und den Weinberg anderen zu geben? (vgl. Kloppenborg, Tenants, 211f.). Letztere Deutung setzt mindestens voraus, dass sich die Hörer mit den Pächtern identifizieren. 103 In Dan 2,34.44f. fällt der Stein auf die Füße des Standbildes, das die Weltreiche verkörpert: „Da wurden miteinander zermalmt […] und wurden wie Spreu auf der Sommertenne und der Wind verwehte sie“ (Dan 2,35). Das Verb likmaqn bezieht sich ebenfalls auf das Worfeln (vgl. Bauer, Wörterbuch, 963). Schottroff ist der Ansicht, dass durch die Anspielung auf Dan 2 der Vers auf das römische Imperium zu deuten sei, dem der Untergang angesagt werde (vgl. Schottroff, Gleichnisse, 38). <?page no="223"?> 223 1.3.8.2 Theologisch-inhaltliche Analyse Die Erzählung wird von vielen Exegeten allegorisch mit christologischer Zuspitzung gedeutet. 104 Sozialgeschichtliche Einsichten lassen die im Gleichnis geschilderten Ereignisse allerdings als durchweg kongruent mit der „Lebenswirklichkeit der Landwirtschaft Palästinas“ 105 erscheinen. Das Auffällige im Erzählverlauf ist, „that all of these ‚ordinary‘ expedients, which rest on assumptions about the connection between status and social power, the privileges of ownership, and the normalcy of status are so singularly unsuccessful“ 106 : Der Eigentümer verliert seinen Sohn und Erben. Die Erzählung „deliberately invokes the contrast between the relatively high status of the owner and the inferior social position oft he tenants“ 107 . Normalerweise führt der Statusunterschied dazu, dass die Unterlegenen sich beugen; hier widersetzen sie sich auf katastrophale Weise dem Willen des Eigentümers. Die lukanische Bearbeitung geht mit dem allegorischen Potential, das Mk 12,1-12 bietet, zurückhaltend um. 108 Dass der uÖioßw aögaphtoßw (Lk 20,13) auf Jesus hindeutet, ist wahrscheinlich. Von einer allegorischen Deutung der geschilderten Details zur Interpretation des Gleichnisses ist aber abzusehen. (#.1.1) Armut und Reichtum werden in Mk 12,1-12/ Lk 20,9-19 implizit angesprochen. Der Text gibt eindeutige Hinweise darauf, dass man sich den Besitzer des Weinbergs als wohlhabend vorzustellen hat: Ihm gehört erstens ein Weinberg von einer Größe, dass er ihn an mehrere Winzer ( gevrgoiß ) verpachten kann. Zweitens ist er imstande einen Lebensstil zu führen, der es ihm ermöglicht, fortzureisen und woanders, möglicherweise in einer größeren Stadt, zu leben. 109 Er hat, drittens, mehrere Sklaven, die er losschicken kann, um die Pacht einzutreiben. Die gevrgoiß dürften Kleinbauern sein, die keinen eigenen Besitz haben und deshalb gezwungen sind, abhängig zu wirtschaften und Land zu pach- 104 Vgl. Jülicher, Gleichnisreden II, 406; Klauck, Allegorie, 413; Fitzmyer, Luke I, 1281; Wolter, Lukasevangelium, 643. 105 Schottroff, Gleichnisse, 27; ausführlich Kloppenborg, Tenants, 278-349. 106 Kloppenborg, Tenants, 349. 107 Ebd. 108 Kloppenborg, Tenants, 216. - Kloppenborg vertritt die Ansicht, dass Mk 12,9 eine sekundäre Allegorisierung ist (ebenso Mk 12,1b: Anspielung auf Jesaja; 12,5b: zusammenfassender deuteronomistischer Kommentar; and the designation aögaphtoßw in 12,6). Im Zuge der Allegorisierung sei die Kernaussage der Parabel auf den Kopf gestellt worden. Während vorher der Misserfolg des Eigners, die Grundlage seines Reichtums und Namens zu erhalten im Zentrum gestanden habe, stellte die Allegorisierung den Erfolg „despite the egregious wrongs he suffered“ heraus. Für Kloppenborg ist Mk 12,1-12 „a story of status vindicated, not challenged, of the values of property and wealth upheld, not lampooned“ (Kloppenborg, Tenants, 349). 109 Dass Großgrundbesitzer „standesgemäß“ eher in einer Stadt lebten als bei ihren Gütern auf dem Land, war üblich (vgl. Columella, Landwirtschaft, I.7.7). <?page no="224"?> 224 ten. 110 Dass Landpächter Probleme hatten, die Pacht aufzubringen, ist im 1. Jh. ein strukturelles Problem. 111 (#.1.2) Die Erzählung misst der Unterdrückung und daraus resultierenden Armut unterschwellig theologische Bedeutung bei: Unterdrückung und Armut können zu gewaltsamer Gegenwehr und damit zu einer Spirale der Gewalt führen. Die Opfer der Ausbeutung werden zu Mördern (Tätern) und handeln gegen den in der Thora bezeugten Willen Gottes (Ex 20,13; Dtn 5,17). (#.2.1) Der Umgang mit materiellen Gütern wird in der Perikope in vielfältiger Weise in seiner autoreferentiellen Dimension thematisiert. Der Weinbergsbesitzer handelt profitorientiert: Er treibt - vertreten durch mehrere Sklaven, die nacheinander von den Pächtern misshandelt oder getötet werden - die Pacht ein. Es handelt sich wahrscheinlich um ein Teilpachtverhältnis, bei dem die Pächter verpflichtet waren, etwa ein Drittel der Ernte abzuführen. 112 Der zuletzt gesandte Sohn ist - anders als die Sklaven - juristischer Vertreter seines Vaters und könnte dessen Rechtsanspruch vor den örtlichen Gerichten geltend machen. 113 Nach der Ermordung seines Sohnes kommt der Weinbergbesitzer selbst (dies ist nicht erzählte, sondern angekündigte Handlung), vernichtet Pächter und führt seine Geschäfte fort, indem er seinen Weinberg anderweitig verpachtet. Die Erzählung schweigt darüber, ob die Winzer nicht bezahlen wollen oder nicht können. Die sozialgeschichtliche Realität legt letzteres nahe (s.o.). Sie misshandeln bzw. töten (nur in Mk), die Sklaven, die kommen, um die Pacht zu holen, sie wollen den Weinberg in ihre Hand bringen und töten den Sohn und einzigen Erben. (#.2.2) Traditionelle ethische Leitlinien für ökonomisches Handeln werden in der Perikope nicht reflektiert. (#.2.3) Die Adressaten des Gleichnisses sind in der jüdischen (religiösen und politischen) Führungsschicht zu finden: Lk 20,17f. legt eine Identifikation der Winzer mit den „Bauleuten“ (Ps 117,22 LXX) nahe. Lk 20,19 weitet diese dann auf die religiöse Führungsschicht, oiÖ grammateiqw kai? oiÖ aörxiereiqw , aus. 114 Die Winzer repräsentieren somit einerseits - sozialgeschichtlich - die verschuldete Landbevölkerung. Damit kritisiert die Erzählung als Ganze die katastrophale ökonomische Situation der Landbevölkerung, die Menschen aus ihrer Ohnmacht heraus mit Hass und Gewalt reagieren lässt. 110 Zum Phänomen der Landkonzentration zu Latifundien vgl. Stegemann/ Stegemann, Sozialgeschichte, 48-50. 111 Vgl. Hengel, Weingärtner, 26f.; Stegemann/ Stegemann, Sozialgeschichte, 52. - Missernten gingen grundsätzlich zu Lasten der Pächter (ebd.). 112 Vgl. Stegemann/ Stegemann, Sozialgeschichte, 51. 113 Schottroff, Weingärtner, 191. 114 Vgl. Kloppenborg, Tenants, 216. <?page no="225"?> 225 (#.3) Das Hoffnungswort aus Ps 117,22f. LXX (Mk 12,10/ Lk 20,17) spricht Gottes Verheißung an sein Volk aus, das verworfen wurde, also Unrecht und Ausbeutung erfahren hat: Es soll zum Eckstein werden und ist es mit dem Anbruch der Gottesherrschaft schon anfangsweise. Das „Ecksteinwort“ ist konsequent auf das Volk Gottes zu deuten, das sich so bekehrt hat, dass es nicht mit Hass und Gewalt reagiert, sondern „gemeinsam und gewaltlos für die Zukunft arbeitet“ 115 . Lk 20,18 weist deutlich darauf hin, dass die Stellung zu Jesus entscheidend ist. Auf lukanischer Ebene fordert das Gleichnis Umkehr - sowohl für die Führung als auch für die, die aus Verzweiflung Gewalt anwenden. Damit hat das Gleichnis möglicherweise auch eine antizelotische Spitze. 1.3.9 Mk 12,13-17 par Lk 20,20-26: Geld für den Kaiser, Verehrung für Gott? Kontext. Vor der Perikope steht bei Lk wie Mk das Gleichnis von den gewalttätigen Winzern (Mk 12,1-12; Lk 20,9-20) mit der anschließenden Deutung auf Hohepriester und Schriftgelehrte sowie dem Hinweis auf ihren Plan, Hand an Jesus zu legen (Mk 12,12 [s. Mk 11,27]; Lk 12,19). Nur Lukas nimmt bei der Schilderung der Verhandlung vor Pilatus die Szene wieder auf (vgl. Lk 23,2): Dort klagen die Hohenpriester Jesus bei Pilatus damit an, dass er verboten habe, dem Kaiser Steuern zu zahlen. Die Perikope weist folgende Struktur auf: v. 13: Exposition: Gesandtschaft von Pharisäern und Herodianern soll Jesus durch eine Diskussion eine Falle stellen. v. 14-17ab: Diskussion zwischen Jesus und der Gesandtschaft: v. 14: Rede der Gesandtschaft: v. 14ab: „Schmeichelei“. v. 14c: „Fangfrage“: eäcestin douqnai khqnson Kaißsari hü ouä; v. 15: Reaktion Jesu. - auf die Heuchelei: tiß me peiraßzete; - Aufforderung, ihm einen Denar zu bringen. v. 16a: Reaktion der Gesandtschaft: Herbeibringen des Denars. v. 16b: Gegenfrage Jesu: tißnow hÖ eiökv? n auÄth kai? hÖ eöpigrafhß; v. 16c: Antwort der Gesandtschaft: Kaißsarow. v. 17: Abschließendes Votum Jesu: ta? Kaißsarow aöpoßdote Kaißsari kai? ta? touq jeouq tvq # jevq #. v. 17c: Reaktion der Gesandtschaft: Verwunderung über Jesus. 115 Schottroff, Gleichnisse, 38. - Vgl. auch 1 Petr 2 ( lißjoi zvqntew ). - Zur Schilderung gewaltlosen Widerstands des jüdischen Volkes 66-70 n. Chr. durch Josephus vgl. Horsley, Jesus. <?page no="226"?> 226 1.3.9.1 Redaktionskritik Mit einer Reihe von Änderungen 116 , die Lukas an der Perikope vornimmt, stellt er deutlicher als in der Vorlage heraus, dass die Hohenpriester und Schriftgelehrten 117 hinterhältig und heuchlerisch handeln. a) In v. 20 fügt Lukas das Partizip parathrhßsantew und die Personenbezeichnung eögkaßjetow 118 ein: Parathreiqn ist in der Regel pejorativ konnotiert 119 und legt wie eögkaßjetow einen Akzent auf die Hinterhältigkeit des Vorgehens von Schriftgelehrten und Hohepriestern. Deren List besteht darin, Jesus mit der Frage, ob dem Kaiser Steuern zu zahlen sind oder nicht, zu einer Antwort zu verführen, die ihn in Schwierigkeiten bringt: Tritt er gegen die Steuerzahlung ein, wäre er ein Aufrührer, der verbotenen Widerstand gegen die Römer leistet; spricht er sich für die Steuerzahlung aus, schürt er Unruhe im Volk, da er sich römerfreundlich zeigt. 120 Lukas spricht in Bezug auf die Schriftgelehrten nicht von uÖpoßkrisiw (Heuchelei, Mk 12,15), sondern von panourgißa (List, Lk 20,23) und legt damit - wie schon in v. 20 einen weiteren Akzent auf deren Hinterhältigkeit. Den Vorwurf Jesu an sie, ti? me? peiraßzete (Mk 12,15), allerdings streicht Lukas. Auf diese Weise schildert er die Hinterhältigkeit der Schriftgelehrten aus der Perspektive des Erzählers und nimmt aus den Worten Jesu die Anklage. Der inhaltliche Aspekt der Antwort Jesu kommt so stärker zur Geltung. b) Lukas nennt explizit (zusätzlich zur Andeutung in Lk 20,19 par Mk 12,12) die Absicht, die hinter dem Vorgehen der Hohepriester und Schriftgelehrten steht ( vÄste paradouqnai auöto? n thq # aörxhq # kai? thq # eöcousißa# touq hÖgemoßnow, Lk 20,20), nämlich Jesus in die Gewalt des Statthalters auszuliefern. Er verzichtet auf die Erwähnung von Pharisäern und Herodianern (vgl. Mk 12,13). c) Lukas legt der Gesandtschaft als Anrede an Jesus „ oörjvqw leßgeiw kai? didaßskeiw “ (Lk 20,21), in den Mund, während Mk sie, aölhjh? w eiQ kai? ouö meßlei soi peri? ouödenoßw (Mk 12,14b), sagen lässt. Während die Gesandtschaft in Mk Eigenschaften, also das Sein Jesu lobt, schmeichelt sie ihm nach Lk mit seiner Lehrtätigkeit. 121 d) Für den Latinismus khqnsow (Mk 12,14) setzt Lukas - wohl um der besseren Verständlichkeit für seine Hörer willen - den adäquaten griechischen Ausdruck foßrow (Lk 20,23). e) Lukas fügt zu Beginn der Frage hÖmaqw ein. So erscheint sie von Beginn an vom persönlichen Interesse der Schriftgelehrten geprägt. Er streicht den zweiten Frageteil, dvqmen hü mh? dvqmen (Mk 12,14). f) Nach Mk weiß ( eiödvßw , Mk 12,15) Jesus um die Heuchelei der Gesandtschaft, nach Lk erkennt er diese ( katanoßhsaw , Lk 20,23). Lukas hebt stärker als Markus den Prozess hervor, dass Jesus sein Gegenüber durchschaut; nach Mk ist ihm die Heuchelei einfach bewusst. 116 Lukas bearbeitet darüber hinaus die Markusvorlage stilistisch: Er setzt z.B. eiQpen pro? w auätoußw (Lk 20,23.25) für den Dativ (Mk 12,15.17); das Verb aöposteßllein setzt er vom Präsens (Mk) in den Aorist. Lk setzt häufig markinisches historisches Präsens in ein Vergangenheitstempus (vgl. Fitzmyer, Luke I, 107). Lk schreibt für bleßpein eiöw proßsvpon aönjrvßpvn (Mk 12,14b) den Septuagintismus proßsvpon lambaßnein (Lk 20,21c); vgl. z.B. Lev 19,15; Ps 82,2; Thr 4,16; Sir 4,22.27 (LXX); dort steht der Ausdruck für das hebräische mIyInIpf @)#f onF (vgl. Fitzmyer, Luke I, 115). 117 Diese sind aus Lk 20,19 als Subjekte der Szene bekannt; Mk führt als Subjekte die Pharisäer in Mk 12,13 neu ein. 118 Hapaxlegomenon im NT. 119 Vgl. Lk 6,7; 14,1; Fitzmyer, Luke II, 1294. 120 Diese Überlegung setzt voraus, dass das Volk bei dem Gespräch anwesend war (vgl. Wegner, Steuern, 162). 121 Vgl. dazu ausführlich Betz, Lehrer, 68-76, insb. 70. <?page no="227"?> 227 g) Lukas kürzt die Szene: Die Schriftgelehrten sollen Jesus gleich einen Denar zeigen und nicht erst holen (die Bemerkung, dass sie ihm selbigen bringen, fällt folglich weg ; vgl. Mk 12,16); Lukas lässt Jesus den Zweck seiner Aufforderung, ihm einen Denar zu bringen, iÄna iädv (Mk 12,15), nicht nennen. Möglicherweise setzt Lukas voraus, dass sie den Denar bei sich haben. 122 h) Lukas fügt eine abschließende Bemerkung über den Misserfolg der Aktion der Schriftgelehrten ein, in der er noch einmal ihre Absicht, Jesus zu fangen, vor Augen führt und erwähnt, dass die Gesandtschaft in Schweigen verfällt ( ouök iäsxusan eöpilabeßsjai auötouq rhßmatow […] kai? […] eösißghsan Lk 20,26). Lukas betont auf diese Weise das Versagen der Hohenpriester und Schriftgelehrten. 1.3.9.2 Theologisch-inhaltliche Analyse (#.1.1/ 2) Armut und Reichtum werden in der Perikope nicht reflektiert und theologisch gedeutet. (#.2.1) Die Frage, ob man als Jude dem Kaiser Steuern zahlen soll, hat eine religiöse Dimension. Sie ist im Spannungsfeld jüdischen Widerstands gegen die römische Besatzungsmacht und der Kooperation mit ihr angesiedelt. 123 Steuerzahlung ist die per Gesetz verordnete Abgabe von Geld an die Obrigkeit, im Palästina des 1. Jh. also an die römische Besatzungsmacht. Aus der Perspektive einiger jüdischer Gruppierungen verstößt diese gegen den alleinigen Herrschaftsanspruch Gottes über sein Volk. 124 Dass der Kaiser für sich göttliche Verehrung beansprucht, wie auch die Prägung des Denars zeigt, ist ein Symptom dieses unrechtmäßigen weltlichen Herrschaftsanspruchs. - Jesus fragt nach Bild ( eiökvßn) 125 und Aufschrift ( eöpigrafhß ) der Münze (Mk 12,16/ Lk 20,24): Auf ihrer Vorderseite ist das Bild des Kaisers zu sehen, das mit der Aufschrift TI ( BERIUS ) CAESAR DIVI AUG ( USTI ) F ( ILIUS ) AUGUSTUS umgeben ist. Die Rückseite zeigt das Bild der Mutter des Kaisers, die als Repräsentantin der Göttin Pax mit Szepter und Ölzweig dargestellt ist, dazu die Aufschrift: PONTIFEX MAXIMUS . Die Perikope greift die Ansicht auf, dass das Bezahlen der Steuer an den Kaiser göttlicher Verehrung entspreche und damit gegen Gottes Alleinverehrungsanspruch verstoße. Die Entgegnung Jesu gibt der Diskussion eine neue Richtung - was heißt es, Gott das Seine zu geben? - und löst die Steuerfrage von der Frage der Gottesverehrung ab (s.u.). (#.2.2) Traditionelle ethische Leitlinien für den Umgang mit materiellen Gütern werden nicht reflektiert. 122 Vgl. Eckey, Lukasevangelium, 827. 123 Vgl. Fitzmyer, Luke II, 1293: Fitzmyer ist der Ansicht, dass die Zeloten zur Zeit Jesu die Steuerzahlung verweigerten. - Frankemölle weist darauf hin, dass die Zeloten keine einheitliche Gruppe sind, sondern man von priesterlichen, pharisäischen und politisch sozialen Zeloten sprechen müsste (vgl. ders., Frühjudentum, 115-118). 124 Vgl. Josephus, Ant XVIII, 4ff.; Bell II, 118. 125 Eine Abbildung der Münze findet sich bei Hart, Coin, 241-248. <?page no="228"?> 228 (#.2.3) Die Gegenfrage Jesu, wessen Bild und Aufschrift der ihm gezeigte Denar trage, und seine Antwort darauf, dem Kaiser zu geben, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist, ist vielfältig gedeutet worden. Drei grundsätzliche Ansätze sind zu unterscheiden. 126 Erstens: Jesus verträte die Haltung, dass das Reich Gottes tatsächlich angebrochen sei, aber die politischen Herrschaften dieser Welt weder ersetze noch unterwerfe. Demnach wären auf jeden Fall Steuern zu zahlen. Zweitens: Die Äußerung Jesu ist ironisch zu verstehen. Dann hätte Jesus kein wirkliches Interesse an der Zahlung der Steuer gehabt: Man solle dem Kaiser geben, was ihm gehört, aber gegenüber dem Königreich Gottes habe dies keine Relevanz. Drittens: Die so genannte „anti-zelotische“ Interpretation setzt einerseits voraus, dass Jesus öffentlich gegen die Steuerverweigerung eingetreten sei; andererseits geht sie davon aus, dass seine Äußerung eigentlich nicht politisch zu verstehen sei, sondern bedeute „die Münze, die des Kaisers Bild trägt, seid ihr dem Kaiser schuldig, euch selbst aber, den Menschen, der Gottes Bild trägt, schuldet ihr Gott“ 127 , dass die Frage also eigentlich nicht relevant sei. Die dritte Deutung weist wohl in die richtige Richtung: Die Worte Jesu legen die Betonung darauf, dass man in erster Linie Gott dienen muss. Dass der Alleinverehrungsanspruch des Kaisers ein Angriff auf dieses Gebot ist, war den Hörern des 1. Jh. bewusst. Jesus weist also mit seinen Worten die Ansprüche des Kaisers in ihre Schranken und macht zugleich deutlich, dass der „Dienst an Gott“ nicht losgelöst von „der Wirklichkeit der sozialen Verflechtungen und Lasten“ 128 zu erfüllen ist. (#.3) Das Handeln Gottes bzw. Jesu an armen und reichen Personen thematisiert die Perikope nicht. 1.3.10 Mk 12,38-40 par Lk 20,45-47: Habgier der Schriftgelehrten Kontext. Zwischen 20,20-26 und 20,45-47 folgt Lukas weiter dem von Markus vorgegebenen Erzählrahmen: Mk 12,18-27/ Lk 20,27-40: Frage der Sadduzäer nach der Auferstehung; Mk 12,35-37a/ Lk 20,41-44: Davidsohnfrage der Schriftgelehrten. Einzige Abweichung ist, dass Lukas Mk 12,38-34 übergeht (Frage eines Schriftgelehrten nach dem höchsten Gebot). Mk 12,38-34 müsste eigentlich zwischen Lk 20,40 und 20,41 stehen, doch stellt sie eine Doppelung zu Lk 10,25ff. dar. Die Perikope schließt somit gefolgt von der Erzählung vom Opfer der Witwe (Mk 12,41-44/ Lk 21,1-4) die Reihe der Auseinandersetzungen Jesu mit seinen Gegner in Jerusalem (Lk 20,1-21,4) ab. 126 Vgl. Fitzmyer, Luke II, 1293f. 127 Bornkamm, Jesus, 108; vgl. Bünker, Kaiser, 87-98. 128 Bovon, EKK III/ 4, 97. <?page no="229"?> 229 Struktur. Die Vorwürfe Jesu an die Schriftgelehrten in Mk 12,38-40 weisen folgende Struktur auf: v. 38ab: Redeeinleitung und Mahnung zur Vorsicht vor den Schriftgelehrten. v. 38c-40b: Vorwürfe gegen die Schriftgelehrten: v. 38c.39: Ehrsucht. v. 40a: Habgier: katesjißontew ta? w oiökißaw tvqn xhrvqn. v. 40c: Heuchelei beim Gebet. v. 40c: Gerichtsansage. 1.3.10.1 Redaktionskritik Lukas formuliert die Worte gegen die Schriftgelehrten als Warnung ( proseßxete , v. 45; Mk: bleßpete ) Jesu an seine Jünger, die das Volk ( laoßw ; Mk: oÖ polu? w oäxlow ) mithört. 129 Bei der Schilderung des Ansehen und Ehre heischenden Verhaltens der Schriftgelehrten ergänzt Lukas die Markusversion in v. 46 nur um filoußntvn ( aÖspasmoußw ), das das markinische Prädikat jeloßntvn ablöst. Im Vorwurf, die „Häuser der Witwen zu fressen“ (v. 47) löst Lukas das markinische Partizip katesjißontew in einen Relativsatz auf. 1.3.10.2 Theologisch-inhaltliche Analyse (#.1.1) Die Perikope reflektiert Armut, indem sie auf die existentielle Bedrohung von Witwen anspielt ( kateßsjontew / katesjißousin ta? w oiökißaw tvqn xhrvqn ). Sie macht dafür die Habgier der Schriftgelehrten verantwortlich, ohne allerdings diesen pauschalen Vorwurf zu erklären oder zu belegen (s.u.). Das Judentum sah für Witwen besonderen Rechtsschutz vor (vgl. Ex 22,21). (#.1.2) Eine theologische Deutung erfährt Armut in der Perikope nicht. (#.2.1) Lk 20,47 spricht bildhaft die autoreferentielle Dimension ökonomischen Handelns an: Die Schriftgelehrten verleiben sich die Häuser der Witwen ein. Dieser Vorwurf der Habgier auf Kosten der Witwen steht ohne Beleg im Raum. Spielraum für Verdächtigungen diese Art hat sich wohl daraus ergeben, dass u.a. auch Schriftgelehrte als Verwalter oder Vormund für Witwen fungierten und für ihre Arbeit bezahlt wurden. 130 - Die Perikope reflektiert damit die Meinung einer Gruppierung, die einerseits das Schriftgelehrtentum attackierte und sich andererseits auf die Seite sozial Schwacher stellte. (#.2.2) Traditionelle ethische Leitlinien für den Umgang mit materiellen Gütern reflektiert die Perikope nicht. (#.2.3) Das Urteil Jesu, lhßmyontai perissoßteron krißma (Mk 12,40/ Lk 20,47), über die Schriftgelehrten verweist auf das eschatologische Gericht Gottes über sie. Neben der Habgier wird scheinheiliges Beten verurteilt. (#.3) Das Handeln Gottes bzw. Jesu an armen und reichen Personen wird in der Perikope nicht angesprochen. 129 Matthäus verarbeitet die Passage in der Rede Jesu gegen die Schriftgelehrten und Pharisäer (23,1-36). 130 Vgl. Bovon, EKK III/ 4, 144 Anm. 60; Fitzmyer, Luke II, 1318, der auch andere Erklärungsmöglichkeiten vorstellt. <?page no="230"?> 230 1.3.11 Mk 12,41-44 par Lk 21,1-4: Die Witwe und die Reichen am Opferkasten Kontext. Die Perikope folgt in Mk und Lk auf die Warnung vor den Schriftgelehrten und schließt die Reihe der Auseinandersetzung Jesu mit seinen Gegnern ab. Auf sie folgt die Ankündigung der Zerstörung des Tempel (Lk 21,5-6; Mk 13,1-2) und die Rede Jesu über die Vorzeichen der Endzeit (Lk 21,7-11; Mk 13,3-8). Struktur. Die Perikope von der Witwe und den Reichen am Opferkasten weist in Mk 12,41-44 folgende Struktur auf: v. 41ab: Exposition: Jesus beobachtet die Menschen, wie sie Geld eiöw to? gazofulaßkion werfen. v. 41c.42: Darstellung der Vorgänge am Opferkasten: Abgabe der Reichen - Abgabe der armen Witwe. v. 43f.: Kommentar Jesu, an die Jünger gerichtet: - Die Witwe hat mehr als alle eingelegt. - Gegenüberstellung: Die Reichen geben eök touq perisseußontow auötoiqw - die Witwe gibt eök thqw uÖsterhßsevw. 1.3.11.1 Redaktionskritik Lukas nimmt folgende Änderungen an seiner Markusvorlage vor: 131 a) Lukas strafft die markinische Einleitung. Nach Mk sitzt Jesus gegenüber vom Gotteskasten und beobachtet das Volk, wie es Geld in den Gotteskasten einlegt (Mk 20,41); nach Lk hebt Jesus seinen Blick wie zufällig und nimmt dabei wahr, wie Reiche etwas in den Gotteskasten einlegen. b) Markus unterscheidet in seiner Schilderung Volk ( oäxlow ) und Reiche ( ploußsioi ) und berichtet, dass viele Reiche viel einlegen (v. 42). Lukas erwähnt nur Reiche, die ihre Gabe ( dvqra ) einlegen (v. 1) - er erwähnt nicht ob viel oder wenig. Der Kontrast zwischen ihnen und der Witwe tritt dadurch schärfer hervor. c) Die Episode von der Witwe leitet Markus mit eöljouqsa mißa xhßra ein (v. 42), Lukas beginnt mit eiQden deß tina xhßran (v. 2) und fährt nach dem Verb der Wahrnehmung im Partizipialstil fort ( balloußsan ). d) Das Adjektiv ptvxoßw (v. 42) ersetzt Lukas in der Erzählung durch das Hapaxlegomenon penixroßw (v. 2); im Jesuswort behält er das markinische ptvxoßw (Mk 12,43 par Lk 21,3) bei. e) Auf die markinische Erläuterung durch den Latinismus kodraßnthw (v. 42) verzichtet Lukas (v. 2). f) Lukas streicht das Zusammenrufen der Jünger (Mk 12,43), da er schon in 20,45 vermerkt hat, dass Jesus zu ihnen spricht. g) Lukas schreibt aölhjvqw (v. 3) statt aömh? n (v. 43) h) Lukas streicht den Genitivus comparationis tvqn balloßntvn (v. 43), der inhaltlich nichts Neues bringt . i) Lukas fügt das Demonstrativum o toi ein (v. 4), wodurch er stilistisch wie oben den Kontrast zwischen den Reichen und der Witwe herausarbeitet. Wie in v. 1 ergänzt er dvqra ( eiöw ta? dvqra , v. 4). j) Lukas kürzt und fasst die umständliche markinische Formulierung paßnta oÄsa eiQxen eäbalen, oÄlon to? n bißon auöthqw (v. 44) zu paßnta to? n bißon oÜn eiQxen eäbalen (v. 4) zusammen. 131 In Mt fehlt die Perikope. <?page no="231"?> 231 1.3.11.2 Theologisch-inhaltliche Analyse (#.1.1) Die Reichen, die von ihrem Überfluss geben, und die arme Witwe, die unter großen Mühen ihren Lebensunterhalt verdient, stellt die Perikope kontrastierend einander gegenüber. 132 Lukas setzt hier abweichend von Markus das Adjektiv penixroßw , das gerade dies ausdrückt. Es hat dieselbe Wurzel wie das Verb peßnesjai , das in erster Linie „arbeiten“, „sich abrackern“ und dann erst „arm sein“ bedeutet. 133 Reichtum ist mit Überfluss konnotiert (v. 4). (#.1.2) Armut und Reichtum erfahren in 21,1-4 keine theologische Deutung. (#.2.1) Die Perikope thematisiert den Umgang mit materiellen Gütern in seiner religiösen Dimension. Es geht um das Bezahlen von Opfergaben, die den Gottesdienst unterstützen. 134 Von der Witwe wird berichtet, dass sie aus ihrer Situation des Mangels heraus das gibt, was sie zum Leben hat. Die Reichen bezahlen die religiöse Abgabe dagegen aus ihrem Überfluss ( eök touq perisseußontow ) heraus. Jesus weist darauf hin, dass die arme Witwe mehr gibt als alle Reichen (v. 3). Diskutiert wird, ob Jesus mit seinem Ausspruch die Witwe lobt 135 oder ob er das System der Tempelabgaben kritisiert, das dazu führt, dass Menschen das, was sie dringend für ihren Lebensunterhalt benötigen, abgeben 136 . Über eventuelle geistliche Motive der Witwe schweigt die Perikope. Auch ist der Text nicht als exemplarische Geschichte für vorbildliches Almosengeben zu lesen. Die folgende Ankündigung der Tempelzerstörung (Lk 21,5f./ Mk 13,1f.), mit der Jesus auf die von einigen geäußerte Bewunderung der prachtvollen Ausstattung des Tempels reagiert, deutet eher darauf hin, dass eine Kritik am Tempelkult im Hintergrund von 21,1-4 steht. (#.2.2/ 3) Die Perikope reflektiert keine traditionellen ethischen Leitlinien für den Umgang mit materiellen Gütern und liefert keine theologische Interpretation. (#.3) Jesus ergreift für die arme Witwe verbal Partei. 132 Gegenübergestellt werden nicht die Witwe und ihre Ausbeuter (20,47), dies zeigt die semantische Gestaltung von 21,1-4. 133 Vgl. Bovon, EKK III/ 4, 155. 134 Vgl. Bovon, EKK III/ 4, 154. 135 So Bovon, EKK III/ 4, 156f.: „Indem die Witwe alles, was sie hat, ihr ganzes Leben ( bißow hat einen doppelten Sinn) gibt, zieht sie Jesu Aufmerksamkeit auf sich; dieser Jesus liebt gerade sie, statt dass er sich, wie manche Exegeten das möchten, von Funktionären des Tempels verbittern lässt.“ (157); ähnlich Petracca, Gott oder Geld, 249f. 136 So Fitzmyer, Luke II, 1321: „He heaps no praise on the widow, but rather laments the tragedy of the day.“; Wright interpretiert: „She has been taught and encouraged by religious leaders to donate as she does, and Jesus condemns the value system that motivates her action.“ (Wright, The Widow´s Mites, 262). <?page no="232"?> 232 1.3.12 Mk 14,3-9: Kostbares Öl für Jesus - eine Verschwendung? Kontext. Die Erzählung von der Salbung Jesu durch eine Sünderin (Mk 14,3-9) steht am Beginn des markinischen Passionsberichtes. Sie schließt an die Tötungsankündigung der Hohepriester und Schriftgelehrten (Mk 14,1f.) an. Auf sie folgt der Judasverrat (14,10f.). Struktur. Die Erzählung von Jesus und der Sünderin im Haus des Pharisäers Simon ist nach Mk 14,3-9 folgendermaßen strukturiert: v. 3a: Exposition: Jesus ist zu Gast bei Simon, dem Aussätzigen. v. 3b: Ungewöhnliche Handlung: Frau kommt mit wertvollem Nardenöl und salbt damit Jesu Haupt. v. 4f.: Reaktion der Beobachter: Entrüstung über die Salbung und Vorwurf der Verschwendung und Darstellung der Alternative: Verkauf des Öls und Almosengeben. v. 6-9: Reaktion Jesu: Verteidigung der Frau: Interpretation der Salbung als gute Tat an ihm - „Arme habt ihr allezeit“; Verweis auf sein Begräbnis; bei Verkündigung des Evangeliums Erinnerung an die Tat der Frau. 1.3.12.1 Redaktionskritik Mk 14,3-9 reflektiert im Kern dieselbe Begebenheit wie Lk 7,36-50. Lukas hat die markinische Version wahrscheinlich gekannt, in 7,36-50 aber wohl die ältere Überlieferung einer Begegnung Jesu mit einer Sünderin zugrunde gelegt und mit dem Salbungsmotiv verknüpft (s. S. 81ff.). Ein inhaltlicher Grund dafür, dass Lukas sich an dieser Überlieferung und nicht an der in markinischen (in die Passionsgeschichte integrierten) orientierte, könnte sein, dass Jesus der Armenfürsorge hier eine niedrigere Priorität zuweist als seiner Salbung. Möglicherweise störte Lukas auch das „ oÄtan jeßlhte “, das die Armenfürsorge als beliebig darstellt und nicht als Pflicht. 1.3.12.2 Theologisch-inhaltliche Analyse (#.1.1) Arme werden als potentielle Empfänger von Wohltaten genannt (v. 5.7). Darüber hinaus wird Armut nicht näher charakterisiert. (#.1.2) Armut und Reichtum werden nicht theologisch gedeutet. (#.2.1) Die Salbung Jesu durch die Frau wird zweimal gegen das Almosengeben abgewogen, einmal durch die Beobachter, das zweite Mal durch Jesus selbst. Damit steht die Verwendung eines kostbaren Gutes, Nardenöl, zu einem religiösen Dienst, Salbung Jesu, der Alternative des Almosengebens entgegen. In den Augen der Beobachter verwendet die Frau ihr kostbares Öl verschwenderisch ( aöpvßleia auÄth touq mußrou , v. 4) für Jesus. Sie halten dagegen, dass es besser gewesen wäre, das Öl zu verkaufen (für 300 Denare 137 ) und damit Arme zu unterstützen. Jesus dagegen beurteilt die Handlung der Frau als angemessen: Arme könnten immer unterstützt werden; seine Zeit mit ihnen (den Beobachtern) 137 1 modius Weizen entspricht etwa 2 Denaren (vgl. Stegemann/ Stegemann, Sozialgeschichte, 48). <?page no="233"?> 233 sei begrenzt. Damit stellt er die Armenfürsorge dem Dienst an ihm selbst gegenüber und räumt letzterer Priorität ein. (#.2.2) Die Beobachter urteilen nach der ethischen Leitlinie, dass materielle Güter möglichst zur Unterstützung der Armen verwendet werden sollen. Der Text wertet diese ethische Leitlinie zu Gunsten der Verehrung Jesu ab. (#.2.3) Jesus sieht seine Salbung aufgrund seines nahe bevorstehenden Todes als Sonderfall und interpretiert sie als Totensalbung ( proeßlaben murißsai to? svqmaß mou eiöw to? n eöntafiasmoßn , v. 8) Die Handlung der Frau wird theologisch durch die Verheißung aufgewertet, dass von ihrem Handeln bei der Verkündigung des Evangeliums erzählt werden wird (v. 9). (#.3) Das Handeln Gottes bzw. Jesu an armen und reichen Personen thematisiert die Perikope nicht. 1.4 Auswertung 1.4.1 Redaktionskritik Lukas folgt im Wesentlichen dem Markusrahmen. Zwei der analysierten Perikopen stellt er in seinem Evangelium an eine andere Position, als es durch Mk nahe liegt: - Mk 1,16-20 par Lk 5,10b.11 steht in Lk erst nach der Heilung von Simons Schwiegermutter und dem Aufbruch aus Kafarnaum (Lk 4,38-44). Wäre Lukas hier Mk gefolgt, hätte die Perikope ihren Ort im Anschluss an Lk 4,15. - Lukas stellt stellt die von Mk 6,1-6a inspirierte „Antrittspredigt in Nazareth“ (Lk 4,16-30) programmatisch dem Bericht über das Wirken Jesu voran; Mk folgend hätte sie ihren Ort im Anschluss an Lk 8,56. Außerdem fällt auf, dass Lukas zwei Aussendungen berichtet: Er nimmt den Bericht über die Aussendung der Zwölf aus Mk 6,7-13 auf (Lk 9,1-6) und den über die Aussendung der 72 aus Q (Lk 10,1-12). Dabei verfolgt er wohl die theologische Intention, die beiden Missionsgebiete Israel (Lk 9) und Völker (Lk 10) zu unterscheiden. 138 Die Erzählung von Jesus und der Sünderin nach Mk 14,3-9 übernimmt Lukas nicht. Er berichtet in Lk 7,36-50 von einer Salbung Jesu, die unabhängig von Mk ist. 138 Vgl. Bovon, EKK III/ 2, 45. <?page no="234"?> 234 1.4.2 Theologisch-inhaltliches Profil 1.4.2.1 Armut und Reichtum 1.4.2.1.1 Darstellung Die Darstellung von Armut als gesellschaftlichem Phänomen ist in Mk von Gewicht. Die Texte stellen jeweils einen relativ knappen Reflex auf ein als bekannt vorausgesetztes gesellschaftliches Phänomen dar. Reichtum ist dagegen nur in Mk 4,19; 10-17-31 und 12,41-44 Thema. Dementsprechend ist in Mk die Gestaltung von Beziehung zwischen Armen und Reichen kein relevantes Thema. Armut Strukturell bedingte Armut kommt in mehreren Perikopen zum Ausdruck: Markus erwähnt, dass die ersten Jünger Fischer sind. Mit diesem Beruf bestreiten sie ihren Lebensunterhalt, bewegen sich aber am Rande der Prekarität. - In Mk 12,1-12/ Lk 20,9-19 wird das Problem der um sich greifenden Verschuldung von Kleinbauern implizit reflektiert (die gevrgoiß bezahlen ihre Pacht nicht). 139 Die prekäre Situation von Witwen wird in Mk 12,37-40/ Lk 20,45-47 und Mk 12,41-44/ Lk 21,1-4 erwähnt. Arme, ptvxoiß , als gesellschaftliche Gruppe, die auf Almosen angewiesen ist, werden in Mk 10,21; 14,5.7 erwähnt, aber nicht näher charakterisiert. Markus weist darauf hin, dass das Leben in der Nachfolge Jesu ein Leben in „freiwilliger“ Armut ist ohne die Möglichkeit, durch Besitz oder Beruf die eigene Existenzgrundlage zu sichern. Von den ersten Männern, die die Nachfolge Jesu antreten, berichtet er, dass sie ihren Besitz und Beruf verlassen (Mk 1,18.20/ Lk 5,11; Mk 10,28/ Lk 18,28 Petrus im Rückblick). Wie die Armut der Jünger im alltäglichen Leben akut wird, reflektiert der in Mk 2,23-28/ Lk 6,1-5 geschilderte Mundraub der Jünger (Ährenpflücken). Armut oder Hunger werden dabei nicht explizit erwähnt, nur der Mundraub als Folge. Bei der Schilderung der Situation der Jünger spielt Markus auf die Notlage Davids während seiner Flucht vor Saul an (1 Sam 21). Reichtum In Mk 10,22f. (Lk 18,24) wird Reichtum als der Besitz vieler Güter definiert. Betont wird, dass diese eine starke Bindung der besitzenden Person an sie bewirken (Mk 10,22/ Lk 18,23). Mk 4,13-20 (vgl. Lk 8,11-15) spricht von der gefährlichen Täuschung des Reichtums und nennt diese zusammen mit eöpijumißai . Ähnlich wie Mk 10,22f. verweist auch Mk 4,19 auf die Macht, die Reichtum über Menschen gewinnen kann. Implizit reflektieren zwei Perikopen in Mk Wohlstand bzw. Reichtum: Die Erzählung von der Berufung 139 Der Text macht keine Aussage darüber, aus welchem Grund sie ihren Teil des Pachtvertrags nicht erfüllen. Die sozialgeschichtliche Forschung hat jedoch gezeigt, dass die Verschuldung von Kleinbauern aufgrund von Landkonzentration bei Großgrundbesitzern ein die Gesellschaft prägendes strukturelles Problem war. <?page no="235"?> 235 Levis (Mk 2,13-17/ Lk 5,27-32) setzt voraus, dass dieser ein wohlhabender Mann ist, da er viele Leute bewirtet (Mk 2,15). In Mk 12,1-12/ Lk 20,9-19 ist von einem Großgrundbesitzer die Rede, der einen Weinberg verpachtet und fern von seinen Ländereien wohnt. Über das Bild des Weinbergs verweist die Erzählung auf die grundlegende Beziehung zwischen dem römischen Imperium als ausbeuterischer Besatzungsmacht und dem Volk Israel. Beziehung zwischen Armen und Reichen Eine kontrastierende Gegenüberstellung von Armen und Reichen erfolgt in 12,41-44. Der Text stellt die geringe Opfergabe einer armen Witwe am Tempel den reichlichen Gaben der vielen Reichen gegenüber. Mk 10,21 (Lk 18,22) thematisiert eine Form der Beziehung zwischen Armen und Reichen: Ein Reicher soll seine Güter verkaufen und den Erlös den Armen geben. In Mk 12,1-12/ Lk 20,9-19 werden Arme und Reiche nicht explizit als solche benannt. Die Erzählung schildert den Konflikt zwischen einem Großgrundbesitzer und pachtenden Kleinbauern, die die Pacht nicht bezahlen können - die Situation eskaliert zu einem Blutbad. Ursachen von Armut und Reichtum Faktoren, die zu Armut oder Reichtum führen, werden im Markusstoff als bekannt vorausgesetzt bzw. scheint es nicht relevant, sie darzustellen. Nur Mk 12,37-40/ Lk 20,45-47 nennt die Schriftgelehrten als Bedrohung der Existenz von Witwen. Die Verschuldungsproblematik in Mk 12,1-12/ Lk 20,9-19 ist als bekanntes Phänomen vorausgesetzt und wird nicht genauer ausgeführt. 1.4.2.1.2 Theologische Deutung Armut im Dienst der Nachfolge In Mk 6,7-13 stehen Armut (und Besitzverzicht) der Jünger im Dienst ihres Auftrags in der Nachfolge Jesu. Markus beschreibt den Auftrag der Jünger als Dämonenaustreibung, Krankenheilung und Predigt der Buße (Mk 6,7.12f.). Die extreme, aber freiwillig auf sich genommene Armut der Jünger während der Zeit ihrer Aussendung gibt Gott Raum, zu wirken und seine Fürsorge an den Jüngern zu zeigen. Markus setzt dies implizit voraus, ohne es ausdrücklich zu erwähnen. Armut als Gefährdung der Thorabefolgung Mk 12,1-12/ Lk 20,9-19 beschreibt das Phänomen struktureller Armut: Verschuldete Kleinbauern versuchen durch Gewalt, die sich bis zum Mord steigert, ihre Situation zu ändern. Damit werden die, die eigentlich Opfer von Ausbeutung sind, zu Tätern, die gegen die Thora (vgl. Ex 20,13; Dtn 5,17) handeln. <?page no="236"?> 236 Reichtum als Gefährdung des eschatologischen Heils Mk 4,19 verdeutlicht, dass die Illusion des Reichtums die Wirksamkeit des Wortes Gottes so gefährdet, dass es keine Frucht bringen kann. Mk 10,17-31 weist darauf hin, dass Reichtum den Zugang zur basileißa touq jeouq erschwert. Markus betont allerdings, dass der Weg dorthin für alle Menschen schwierig bis unmöglich ist. Demgegenüber stellt er die Macht Gottes ins Zentrum, für die auch Reichtum kein unüberwindliches Hindernis darstellt, das Menschen den Zugang zur basileißa ein für allemal verwehren würde. 1.4.2.2 Umgang mit materiellen Gütern 1.4.2.2.1 Darstellung Soziale Dimension Der Umgang mit materiellen Gütern in seiner sozialen Dimension wird im Markusstoff dreimal thematisiert: In Mk 2,15/ Lk 5,29 wird davon berichtet, dass Levi nach seiner Entscheidung zur Nachfolge Jesus und seinen Jüngern zusammen mit Zöllnern und Sündern in seinem Haus Gastfreundschaft gewährt. Zweimal greift Markus das Almosengeben auf: In Mk 10,21/ Lk 18,22 fordert Jesus einen Reichen auf, seine Güter zu verkaufen und den Verkaufserlös den Armen zu geben. - In Mk 14,3-9 wird die Forderung des Almosengebens relativiert: Die Anwesenden stellen die Option, das teure „Luxusgut“ Nardenöl zu verkaufen und den Erlös den Armen zu geben, gegen die damit vollzogene religiöse Handlung (Salbung Jesu). Autoreferentielle Dimension Der autoreferentielle Aspekt des Umgangs mit materiellen Gütern wird im Markusstoff unterschiedlich wahrgenommen: In Mk 2,23/ Lk 6,1 geht es um die Stillung von Hunger (Mk 2,23/ Lk 6,1). Die Erfüllung dieses existentiellen Grundbedürfnisses durch Mundraub wird den Jüngern in der Perikope ausdrücklich von Jesus zugebilligt. An anderen Stellen wird die autoreferentielle Beziehung von Menschen zu materiellen Gütern kritisch gesehen und die persönliche Bereicherung zum Nachteil anderer Menschen kritisiert: Den Wechslern im Tempel wirft Jesus vor, sie würden in räuberischer Weise Gewinn aus dem Geschäft am Tempel ziehen ( sphßlaion lh#stvqn , Mk 11,17/ Lk 19,46); gegen die Schriftgelehrten wird vorgebracht, sie bereicherten sich auf Kosten von Witwen (Mk 12,38-40/ Lk 20,45-47). Dass letzteres in nennenswertem Ausmaß vorkam, ist sozialgeschichtlich kaum zu belegen. Trotzdem bekam dieser Vorwurf in der synoptischen Tradition so großes Gewicht, dass er hier unreflektiert geäußert wird. Eine theologische Strömung, die einerseits gegen das Schriftgelehrtentum polemisierte und andererseits für sozial Schwache (Witwen) Partei ergriff, gewann mit ihrer Überlieferung so großen Einfluss, dass sie die sozialge- <?page no="237"?> 237 schichtlichen Verhältnisse in einem neuen - von ihr gefärbten - Licht einem breiten Publikum (den Adressaten der synoptischen Evangelien) darstellen konnte. Mk 10,17ff./ Lk 18,18ff. führt das Phänomen vor Augen, dass Menschen an ihrem Besitz kleben, und materielle Güter Besitz von ihrem Besitzer ergreifen und ihn so lähmen, dass er unfähig ist, sich von ihnen zu trennen. Mk 12,1-12/ Lk 20,9-19 schildert das profitorientierte Handeln eines Großgrundbesitzers: Er legt einen Weinberg an, verpachtet ihn an Winzer und treibt schließlich die Pacht ein. Die verschuldeten Winzer sind Opfer der Ausbeutung. Aus ihrer Situation wollen sie sich mit mörderischer Gewalt befreien und enden in einer Spirale aus Habgier und Gewalt. Religiöse Dimension Markus berichtet an mehreren Stellen vom Verzicht auf den Lebensunterhalt sichernde materielle Güter als Akt, der der Nachfolge Jesu vorangeht: Die ersten Jünger verlassen ihre Fischernetze auf die Verheißung Jesu hin, Menschenfischer zu werden, oder folgen einfach seinem Ruf (Mk 1,16-20/ Lk 5,10b.11). Nach Mk 10,28/ Lk 18,28 erinnert Petrus Jesus im Rückblick an den kompletten ( paßnta ) Besitzverzicht der Jünger. Markus weist darauf hin, dass die Jünger alles (Lukas: das Eigene, ta? iädia ) verlassen haben und Jesus nachgefolgt sind. - Ebenso reagiert der Zöllner Levi unmittelbar auf den Ruf Jesu und lässt seine Arbeitsstelle zurück (Mk 2,13-17/ Lk 5,27-32). Seine erste Handlung nach dem Antritt der Nachfolge ist der Einsatz von materiellen Gütern für andere (Gastfreundschaft). Einen punktuellen Dienst an der Person Jesu, der mit hohem materiellen Aufwand verbunden ist, schildert Mk 14,3-9: Eine Frau verwendet kostbares Nardenöl, um Jesus damit zu salben. Mk 6,7-13/ Lk 9,1-6 schildert eine radikale Form des Besitzverzichts der Jünger während einer begrenzten Zeit der Aussendung, um Kranke zu heilen, Dämonen auszutreiben und Umkehr zu predigen. Die Jünger sind dabei ohne jegliche Ausrüstung unterwegs. Mk 12,13-17/ Lk 20,20-26 diskutiert die Frage, ob das Bezahlen von Steuern der göttlichen Verehrung des Kaisers gleichkomme und damit dem Alleinverehrungsanspruch Gottes widerspreche. Aufgegriffen wird damit eine theologische Strömung des jüdischen Widerstands gegen die römische Besatzungsmacht. Jesus (nach Markus) macht deutlich, dass die Gottesverehrung auf einer anderen Ebene als das Bezahlen der Steuer liegt. Gott die Ehre zu geben, ist das entscheidend Wichtige - das Bezahlen von Steuern nimmt Gott nichts von seiner Ehre (auf die der Kaiser selbstverständlich keinen Anspruch hat). Eine tempelkritische Strömung greift Mk 12,41-44/ Lk 21,1-4 auf. Dort wird die religiöse Vorschrift kritisiert, Tempelsteuer zu bezahlen. Die Perikope stellt dabei in den Mittelpunkt, dass eine Witwe ihren Lebensunterhalt opfert, um diese Pflicht zu erfüllen. Die Darstellung beabsichtigt nicht, die <?page no="238"?> 238 Aufopferungsbereitschaft der Witwe zu loben, sondern kritisiert ein System, das Gefahr läuft, Armen das zum Leben Notwendige zu rauben, während die Reichen kaum davon berührt sind. 1.4.2.2.2 Reflektion traditioneller ethischer Leitlinien Zwei Perikopen reflektieren die Auslegung der zehn Gebote in Bezug auf den Umgang mit materiellen Gütern. Mk 6,1-5/ Mk 2,23-27 kritisiert eine strikte Auslegung des Sabbatruhegebotes, die Ährenraufen als Erntearbeit betrachtet und keine besondere Berücksichtigung menschlicher Grundbedürfnisse (Hunger) kennt. Mk 10,19/ Lk 18,20 greift die zweite Gebotstafel des Dekalogs auf. Bei Markus findet sich durch die doppelte Erwähnung des Verbotes zu stehlen ( mh? kleßyh#w; mh? aöposterhßsh#w ; Lukas streicht letzteres) eine Betonung ihrer sozialen Ausrichtung. Mk 14,7 schwächt die ethische Leitlinie, dass materielle Güter denen zur Verfügung gestellt werden sollen, die sie benötigen, ab. Die Weisung, Almosen zu geben, wird von Jesus zugunsten des Dienstes an seiner Person relativiert und durch die Wendung oÄtan jeßlhte als unverbindliche Handlungsmöglichkeit dargestellt. 1.4.2.2.3 Theologische Deutung Besitzverzicht als Voraussetzung für die Nachfolge Jesu Mk 1,16-20/ Lk 5,10b.11; Mk 2,13-17/ Lk 5,27-32 und Mk 10,28/ Lk 18,28 stellen die Trennung von Besitz und das Verlassen materieller Existenzsicherung als Voraussetzung für die Bindung an Jesus dar. Einen noch stärkeren Akzent setzt Mk 6,7-13/ Lk 9,1-6: Indem die Jünger auf jegliche Reiseausrüstung verzichten, zeigen sie ihr völliges Vertrauen auf die Fürsorge Gottes und öffnen sich so für sein Wirken an ihnen. Relevanz des Umgangs mit materiellen Gütern für das eschatologische Heil Mk 10,21 verheißt für Besitzverzicht, das Verkaufen des Besitzes und das Geben des Erlöses an die Armen, einen Schatz im Himmel. 140 Das ewige Leben sagt Jesus dem zu, der die Gebote hält, und bezieht sich dabei auf die zweite Gebotstafel in einer Form, die ein doppeltes Verbot des Stehlens aufweist (10,18). Auch den Jüngern, die ihren Besitz verlassen haben und ihm nachgefolgt sind, verspricht Jesus das ewige Leben (10,30). Besitzverzicht und Lohn im Diesseits Jesus verspricht seinen Jüngern für den Verzicht auf ihren Besitz bereits diesseitigen Lohn: das, was sie seinetwillen verlassen haben, sollen sie schon im Diesseits hundertfach empfangen Vergeltung (10,30). Ähnlich wie in Mk 6,7-13 scheint die Vorstellung im Hintergrund zu stehen, dass das Verlassen von materieller Sicherheit dem Wirken Gottes Raum gibt. 140 Die Forderung der Nachfolge Jesu folgt erst auf die Zusage des Schatzes im Himmel. <?page no="239"?> 239 Verurteilung von Habgier Mk 12,37b-40/ Lk 20,45-47 berichtet, dass Jesus über die Scheinheiligkeit und die Habgier der Schriftgelehrten urteilt und ihnen das Gericht Gottes ankündigt. Verhältnis von Gottesverehrung und dem Umgang mit materiellen Gütern Markus reflektiert an drei Stellen einen Konflikt zwischen der Verehrung Gottes und den Umgang mit materiellen Gütern. Mk 2,23-28/ Lk 6,1-5 verdeutlicht, dass die Stillung menschlicher Grundbedürfnisse die Auslegung des Sabbatgebots bestimmen. Gott hat die Gebote der Thora für den Menschen eingerichtet, nicht den Menschen zur Erfüllung der Gebote geschaffen. Den eigenen Hunger zu stillen - auch durch das Pflücken von Ähren - entspricht dem Willen Gottes. Mk 11,15-17/ Lk 19,45f. verurteilt den Wechselbetrieb im Tempel als „Zweckentfremdung“ des Gebetsortes. Die Perikope Mk 12,13-17/ Lk 20,20-26 relativiert das Bezahlen von Steuern gegenüber der Verehrung Gottes - es ist nicht irrelevant, aber zweitrangig. Festzuhalten bleibt: Die Gottesverehrung muss in der Welt mit ihren sozialen und politischen Gegebenheiten gestaltet werden, nicht losgelöst von ihr. 1.4.2.3 Das Handeln Gottes/ Jesu Handeln Gottes/ Jesu an Armen und Reichen zu Lebzeiten Jesus beruft einerseits Menschen mit ungesicherter Existenz in seine Nachfolge (Mk 1,16-20/ Lk 5,10b-11) aber auch einen reichen, aber wenig geachteten Zöllner (vgl. Mk 2,13-17). Das Bedürfnis seiner mittellosen Jünger, am Sabbat durch Ährenraufen ihren Hunger zu stillen, verteidigt er gegen die Kritik der Pharisäer (Mk 2,23-27/ Lk 6,1-5). Gott kümmert sich um die Menschen, die in seinem Auftrag unterwegs sind - dies setzt Mk 6,7-13/ Lk 9,1-6 implizit voraus. Der Markusstoff überliefert einige Aussagen, die die Zuwendung Jesu zu reichen Menschen ausdrücken: Jesus beruft den wohlhabenden Zöllner Levi (2,14). Nach Mk gewinnt Jesus den Reichen lieb, der an ihn herantritt, um den Weg zum ewigen Leben zu finden (10,21). Eschatologisches Handeln Gottes an Armen und Reichen Jesus macht deutlich, dass Gott im Grunde willens ist zu tun, was für Menschen unmöglich ist und alle Menschen - auch Reiche - zu retten und in sein Reich zu führen (Mk 10,26f.). Während in diesem Äon noch materielle Güter im Zentrum der Diskussion stehen, verheißt Jesus für den kommenden Äon das ewige Leben (Mk 10,30/ Lk 18,30). 141 141 Vgl. oben S. 217. <?page no="240"?> 240 Mk 12,10f./ Lk 20,17 ruft die Verheißung Gottes für sein geschundenes und ausgebeutetes Volk, oÜn aöpedokißmasan oiÖ oiökodomouqntew , in Erinnerung. Diejenigen, die erlittene Gewalt nicht mit Gegengewalt beantworten, sondern seinem Willen folgen und den Weg des gewaltlosen Widerstands gehen, sollen zum Eckstein in Gottes neuem Volk werden. 2 Der Diskurs um Armut und Reichtum/ Umgang mit materiellen Gütern im Q-Stoff 2.1 Sicherung der Textbasis 1. Lk 4,1-13: Jesu Versuchung Inhaltliches Kriterium: Die Perikope thematisiert die Armut, die Jesus während seiner Zeit in der Wüste auf sich nimmt. Die Frage, ob er Stein in Brot verwandeln darf, ist in Lk 4,3f. zentral. Formales Kriterium: Lk 4,1-13 und Mt 4,1-11 weisen eine hohe wörtliche Übereinstimmung auf, die auf eine gemeinsame literarische Vorlage (Q) schließen lässt. 2. Lk 6,20-23: Seligpreisungen Inhaltliches Kriterium: In Lk 6,20 steht das Schlüsselwort ptvxoßw . Formales Kriterium: Lukas überliefert vier, Matthäus neun Seligpreisungen. Dass die lukanischen Seligpreisungen und Mt 5,3-6.11f. eine gemeinsame literarische Vorlage haben, ist trotz der Unterschiede in der sprachlichen Gestaltung wahrscheinlich. Die Abweichungen zwischen beiden Versionen sowie die matthäische Erweiterung lassen sich mit den redaktionellen Interessen der Evangelisten erklären. 3. Lk 6,27-36: Von der Feindesliebe Inhaltliches Kriterium: Einige Weisungen in Lk 6,27-36 beziehen sich auf den Umgang mit materiellen Gütern (v. 29b.30.34). Formales Kriterium: Die Reihe von Imperativen, die um die Feindesliebe kreisen, sind bei Lukas und Matthäus verschieden angeordnet. Beide haben sie nach ihren redaktionellen Interessen sprachlich und inhaltlich bearbeitet. Lukas hat in v. 33f. eine Erweiterung vorgenommen. Die hohen wörtlichen Übereinstimmungen lassen auf eine gemeinsame literarische Vorlage schließen. 4. Lk 7,18-23: Anfrage des Täufers Inhaltliches Kriterium: In Lk 7,22 findet sich das Schlüsselwort ptvxoßw. Formales Kriterium: Lk 7,18-23 und Mt 11,2-6 weisen (mit Ausnahme der lukanischen Erweiterung in v. 20) eine sehr hohe wörtliche Übereinstimmung auf. Von einer gemeinsamen literarischen Vorlage ist deshalb auszugehen. <?page no="241"?> 241 5. Lk 7,24-28: Jesu Zeugnis über den Täufer und seine Worte über diese Generation Inhaltliches Kriterium: Die asketische Lebensweise des Täufers wird dem extremen Reichtum in den Königshäusern gegenübergestellt. Formales Kriterium: Lk 7,24-28 und Mt 11,7-11 weichen sprachlich nur wenig voneinander ab. Eine gemeinsame literarische Vorlage ist deshalb anzunehmen. 6. Lk 9,57-62: Nachfolge und Armut des Menschensohnes Inhaltliches Kriterium: Lk 9,58 stellt die Armut Jesu als extrem dar, der Menschensohn ist schlechter gestellt als die Tiere. Die Perikope nimmt in den Blick, dass Nachfolge Jesu bedeutet, völlig auf materielle Absicherung zu verzichten. Formales Kriterium: Lk 9,57-59 und Mt 8,18-22 weisen einen hohen Grad sprachlicher Übereinstimmung auf. Die Unterschiede zwischen beiden Versionen sind im Wesentlichen auf die matthäische Redaktion zurückzuführen. 142 7. Lk 10,1-12: Aussendung der 72 Jünger Inhaltliches Kriterium: Die Perikope thematisiert den besonderen Besitzverzicht der Jünger während der Zeit ihrer Aussendung. Formales Kriterium: Die Erzählung von der Aussendung der siebzig Jünger findet sich nur in Lk. Mk und Mt kennen nur eine Aussendung der Zwölf (Mk 6,6b-13; Mt 9,37-10,16). Mit hoher Wahrscheinlichkeit hat Mt in 9,37- 10,16 Mk- und Q-Stoff miteinander verbunden und Lk die beiden ihm vorliegenden Traditionen je eigen in Lk 9,1-6 (Aussendung der Zwölf) und Lk 10,1-20 (Aussendung der Siebzig) ausgestaltet. 143 8. Lk 11,1-4: Vaterunser Inhaltliches Kriterium: Das Vaterunser beinhaltet die Bitte, dass Gott den Menschen die Güter geben möge, die sie zum Leben brauchen (Lk 11,3); zudem ist der Schuldenerlass zwischen Menschen angesprochen (Lk 11,4). Formales Kriterium: Die lukanische und die matthäische Version des Vaterunsers weisen einige Unterschiede auf, die mehrheitlich auf lukanische Redaktion zurückgehen. 142 Vgl. Luz, EKK I/ 2, 21f. 143 Vgl. Bovon, EKK III/ 2, 45; Fitzmyer, Luke II, 843. <?page no="242"?> 242 9. Lk 11,37-52: Weherufe gegen die Pharisäer Inhaltliches Kriterium: Die Perikope fordert zum Almosengeben auf (v. 41) und äußert Kritik an der Verzehntungspraxis der Pharisäer (v. 42). Formales Kriterium: Eine gemeinsame literarische Vorlage der Weherufe ist schwer zu rekonstruieren. Dafür, dass es einen Q-Text gibt, spricht der Makrotext bei Lk und Mt. „Lk 11,39-52 sind Teil des Abschnittes Lk 11-12, welcher der längste zusammenhängende Q-Text im Lk-Evangelium ist. Bei Mt stammen alle in Kap. 24 noch folgenden Q-Stücke aus Q-Abschnitten nach Q 11,39-52. Trotzdem sind die Weherufe kein Paradestück der Hypothese einer schriftlichen Q-Quelle, sondern nach den in Lk 14-16 verstreuten (m.E. sogenannten) Q-Stücken ihr schwierigster Teil.“ 144 10. Lk 12,22-34: Von falscher und rechter Sorge Inhaltliches Kriterium: Zentrales Thema in Lk 12,22-34 ist die Sorge um und Vorsorge für materielle Güter. Formales Kriterium: Lk 12,22-32 und Mt 6,25-34 weisen eine hohe wörtliche Übereinstimmung auf, die ein gemeinsame literarische Vorlage annehmen lässt. Fraglich ist die ursprüngliche Position von Q 12,33f. 11. Lk 12,42-46: Vom treuen und untreuen Sklaven Inhaltliches Kriterium: Es geht in der Perikope um einen oiökonoßmow , der während der Zeit der Abwesenheit seines Herrn seine Mitsklaven versorgen soll (v. 42). Erfüllt er seinen Auftrag soll er als Belohnung über alle Güter seines Herrn ( eöpi? paqsin toiqw uÖpaßrxousin , v. 44) gesetzt werden. Formales Kriterium: Lk 12,42-46 und Mt 24,45-51 stimmen mit Ausnahme einiger sprachlicher Präzisierungen, die Lukas vornimmt, wörtlich überein. 12. Lk 14,16-24: Das Gleichnis vom Gastmahl Inhaltliches Kriterium: In Lk 14,21 findet sich das Schlüsselwort ptvxoßw . Formales Kriterium: Lk 14,15-24 und Mt 22,1-14 weisen geringe verbale Übereinstimmungen auf. 145 Strukturelle, sachliche und wörtliche Parallelen liefern aber gute Gründe für die Annahme, dass beide Versionen eine gemeinsame literarische Vorlage besitzen, 146 deren Umfang Lk 14,16b-24 bzw. Mt 22,2-10 entsprechen dürfte. 147 144 Luz, EKK I/ 3, 293. 145 Luz ist deshalb der Ansicht, dass die beiden Versionen literarisch unabhängig seien (EKK I/ 3, 233). 146 Vgl. Schottroff, Schwierigkeit, 593; Heil, Lukas, 85; Hoppe, Gastmahlgleichnis, 277; Fitzmyer, Luke II, 1052. 147 Dass Mt 22,11-14 auf sekundäre Redaktion zurückzuführen ist, ist nahezu unbestritten (vgl. Kloppenborg, Formation, 229). <?page no="243"?> 243 13. Lk 16,13: Gott oder Mammon Inhaltliches Kriterium: In Lk 16,13 wird der „Dienst“ am Mammon dem Dienst an Gott gegenübergestellt. Formales Kriterium: Das Logion lautet in Lk und Mt (6,24) fast gleich. Eine gemeinsame literarische Vorlage ist deshalb anzunehmen. 14. Lk 19,12-26: Das Gleichnis vom anvertrauten Geld Inhaltliches Kriterium: Zentrales Thema der Erzählung ist die Frage, wie mit anvertrautem Geld umzugehen ist. Formales Kriterium: Die Zugehörigkeit zu Q ist umstritten. Bovon führt das Gleichnis auf lukanisches Sondergut zurück. 148 Er argumentiert mit dem großen Unterschied zu Matthäus und damit, dass die voran stehende Perikope (Lk 19,1-10) aus dem S Lk stammt. Das Gleichnis sei ebenso Element von Q wie des S Lk gewesen. Bovon möchte daraus ein auf mündlicher Überlieferung basierendes Gleichnis rekonstruieren. Die strukturellen und wörtlichen Übereinstimmungen zwischen Mt und Lk sprechen m.E. für die Zugehörigkeit zu Q. 149 2.2 Semantisches Inventar Armut und Reichtum Armut (Zustand/ Menschen): douqlow (Q 12,42; Q/ Lk 12,43.45.46; 14,17.21.22.23; Q/ Lk 19,13.15.17.22); sußndoulow (Q 12,45); douleußein (Q/ Lk 16,13); [ ouök / mh? ] eäxein (Q/ Lk 9,57; Q/ Lk 19,27); oiökeßthw (Lk 16,13); oiökonoßmow (Lk 12,42); oöfei-leßthw (Q 11,4); oöfeißlein (Lk 11,4); paidißskh (Lk 12,45); paiqw (Lk 12,45); peinaqn (Q/ Lk 6,21; Q/ Lk 4,2); ptvxoßw (Q/ Lk 6,20). Reichtum (Zustand/ Menschen): euögenhßw (Lk 19,12); kußriow (Q/ Lk 12,42.43. 45.46; 14,21; Lk 14,22.23; Q/ Lk 16,13; Q/ Lk 19,15.16.18.20); trufhß (7,25). Umgang mit materiellen Gütern materielle Güter I Abstrakta: eölehmosußnh (Lk 11,41; 12,33); oöfeißlhma (Q 11,4); toßkow (Q/ Lk 19,23); uÖpaßrxonta (Lk 12,33; Q/ Lk 12,44). II Konkreta: a) Landwirtschaftliche Güter: aägrow (Q 14,18); aänhjon (Q 11,42); aöpojhßkh (Q/ Lk 12,24); bouqw (Lk 14,19); hödußosmon (Q/ Lk 11,42); kußminon (Q 11,42); laßxanon (Lk 11,42); phßganon (Lk 11,42); tameiqon (Lk 12,24). 148 Vgl. Bovon, EKK III/ 3, 290 Anm. 38. 149 Vgl. die Diskussion bei Kloppenborg, Q-Parallels, 200; Fitzmyer, Luke I, 79. Dafür spricht sich Fitzmyer aus (vgl. ders., Luke II, 1230; dagegen votieren Grundmann, Lukas, 14, und Bovon, EKK III/ 3, 290 Anm. 38. <?page no="244"?> 244 b) Geld: aörgußrion (Q/ Lk 19,15.23); mamvnaqw (Q/ Lk 16,13); mnaq (Q/ Lk 19,13. 16.18.20.24.25) 150 . c) Güter des täglichen Bedarfs: aärtow (Q/ Lk 4,3.4; Q/ Lk 11,3); ballaßntion (Q/ Lk 10,4); eänduma (Q/ Lk 12,23; Q 12,26); phßra (Q/ Lk 10,4); uÖpoßdhma (Q/ Lk 10,4); sitomeßtrion (Lk 12,42); trofhß (Q 12,42; Q/ Lk 12,23); xitvßn (Q/ Lk 10,4). d) Luxusgüter: eändoßcow [ iÖmatismoßw ] (Lk 7,25); jhsauroßw (Q 12,33); iÖmatismoßw [ eändoßcow ] (Lk 7,25); malakaß (Q/ Lk 7,25). Dimensionen des Handelns a) sozial: aöpaiteiqn (Lk 6,30); aöpolambaßnein (Lk 6,34); aöpostreßfein (Q 6,30); aöfießnai (Q/ Lk 11,4); danißzesjai (Q 6,30; Lk 6,34 zweimal; Lk 6,35); deiqpnon (Q/ Lk 14,16.17.24); didoßnai (Q/ Lk 6,30; 12,42; 19,13.26; Lk 11,41; 19,15.23); kajistaßnai eöpiß (Q/ Lk 12,44). b) autoreferentiell: - alltäglich: eöndußesjai (Q/ Lk 12,22); peribaßllein (Q/ Lk 12,27; Q 12,29); pißnein (Q/ Lk 12,29); fageiqn (Q/ Lk 4,2; 12,22.29). - öffentlich-rechtlich: aögoraßzein (Lk 14,18.19); pragmateußesjai (Q/ Lk 19,13); diapragmateußesjai (Lk 19,15); prosergaßzesjai (Q/ Lk 19,16); pvleiqn (Lk 12,33); trapeßza / trapezißthw (Q/ Lk 19,23). - negativ konnotiert: aÖrpaghß (Q/ Lk 11,39); eösjtißein (Q/ Lk 12,45); mejußskesjai (Q/ Lk 12,45); pißnein (Q/ Lk 12,45). - Sonstiges: aiärein (Lk 6,29.30; Q/ Lk 19,21.22); aiöteiqn (Q/ Lk 6,30); jerißzein (Q/ Lk 12,24; 19,21.22); jhsaurißzein (Q 12,33); sunaßgein (Q 12,24; 19,21.22) c) religiös: aöpodekatouqn (Q/ Lk 11,42); ballaßntion [ poieiqn mh? palaioußmenon ] (Lk 12,33); jhsaurißzein (Q 12,33); jhsauroßw [ poieiqn aöneßkleipton ] (Lk 12,33). eschatologischer Lohn: jhsauroßw [ eön ouöranvq # / oiqw ] (Q 12,34); misjoßw (Lk 6,35 151 ); uiÖo? w jeouq [ eiQnai, gißgnesjai ] (Q/ Lk 6,36). Handeln Gottes bzw. Jesu an armen bzw. reichen Menschen a) gegenwärtig: basileißa touq jeouq (Q/ Lk 6,20); didoßnai (Q/ Lk 11,3); euöaggelißzesjai (Q/ Lk 7,22). b) eschatologisch: - Verheißungshandeln: gelaqn (Lk 6,21); parakaleiqn (Q 6,21); xortaßzesjai (Q/ Lk 6,21). 150 Im Neuen Testament nur hier. 151 Vgl. Q 6,23. <?page no="245"?> 245 2.3 Analyse der Q-Texte 2.3.1 Q 4,1-13: Jesu Versuchung (vgl. Mt 4,1-11) Kontext und Abgrenzung. Lukas berichtet von der Versuchung Jesu anders als Matthäus nicht direkt im Anschluss an die Taufe Jesus, sondern schaltet den Stammbaum 3,23-38 dazwischen, der Jesus auf ’Ada? m touq jeouq zurückführt. Lk 4,14 par Mt 4,12 beginnt deutlich eine neue Episode: Der Teufel ist abgetreten, Jesus zieht nach Galiläa und beginnt seine Verkündigungstätigkeit. Struktur. Die Grundstruktur ist bei Lk und Mt identisch, in der Feinstruktur unterscheiden sie sich durch die Reihenfolge der Versuchungen: 1. Jesus geht in die Wüste und fastet (Lk 4,1f. par Mt 4,1f.). 2. Darauf tritt der Teufel herzu und versucht Jesus dreimal. Jesus bewährt sich und antwortet mit Zitaten aus den ersten Kapiteln des Deuteronomium: a) Versuchung, Stein zu Brot zu machen (Lk 4,3f. par Mt 4,3f.; vgl. Dtn 8,3), b) Versuchung der Weltherrschaft (Lk 4,5-8 par Mt 4,8-10; vgl. Dtn 6,13), c) Versuchung, sich vom Tempel zu stürzen und von Gott gerettet zu werden (Lk 4,9-12 par Mt 4,5-7; vgl. Dtn 6,16). 3. Der Teufel verlässt Jesus (Lk 4,13 par Mt 4,11). 2.3.1.1 Redaktionskritik 152 Die Formulierung plhßrhw pneußmatow aÖgißou (v. 1) dürfte Lukas hinzugefügt haben, um zu betonen, dass Versuchung und Taufe Jesu (Lk 3,21f.) zusammengehören (vgl. Lk 3,22: katabhqnai to? pneuqma to? aÄgion) ; diese sind durch die Genealogie (Lk 3,23-38) getrennt. 153 Es fällt auf, dass Lukas die hÖmeßraw tesseraßkonta noch in der Einleitung der Erzählung (v. 2) erwähnt, während Matthäus sie erst im Zusammenhang mit dem Fasten Jesu nennt. Wahrscheinlich stützt Lukas sich hier auf die Notiz in Mk 1,13a. 154 Im Zusammenklang mit dem Dativ eön thq # eörhßmv# (Mt 4,1: eiöw th? n eärhmon ), dem durativen Imperfekt hägeto (Mt 4,1: aönhßxjh ) ist so in der lukanischen Version der Gedanke prägend, dass Jesus 40 Tage lang in der Wüste geführt wurde. 155 In Lk (v. 2: peirazoßmenow ) findet sich nicht der finale Aspekt, der im matthäischen peirasjhqai (Mt 4,1) liegt. Ob der finale Aspekt bereits in der Quelle vorhanden war, die Matthäus und Lukas vorlag, ist nicht klar zu entscheiden; nahe liegt jedoch, dass Lukas hier weiter der markinischen Notiz folgt (vgl. Mk 1,13). Matthäus spricht explizit davon, dass Jesus 40 Tage fastet (Mt 4,2: nhsteußsaw) , während Lukas schlicht vermerkt, dass Jesus nichts isst (v. 2: ouök eäfagen ouödeßn ). Wie die ursprüngliche Version lautet, ist schwer zu entscheiden. Wahrscheinlich ist, dass Matthäus aus Interesse am Fasten (vgl. Mt 6,16-18) die Wendung gesetzt hat. 156 Nach Mt formuliert der Teufel seine Aufforderung, Jesus solle aus Stein Brot machen, als einen freien Wunsch (Mt 4,3: eiöpe? iÄna ), nach Lk soll Jesus den Stein direkt anreden (v. 3: eiöpe? tvq # lißjv# ). Die lukanische Konstruktion ist präziser und 152 Die sprachlichen Überarbeitungen von Lk 4,9-12 par Mt 4,5-7 lasse ich unberücksichtigt. Ihre Analyse verspricht keinen Erkenntnisgewinn für die Redaktionsgeschichte von Lk 4,1-8.13 und ist inhaltlich hier nicht relevant. 153 Vgl. Dupont, Versuchungen, 45. - Die Wendung plhßrhw pneußmatow aÖgißou findet sich auch in Apg 6,5; 7,55 für Stephanus und 11,24 für Barnabas; die verbale Form plhsjhqnai pn. aÖg. begegnet noch häufiger: Lk 1,15.41.67; Apg 2,4; 4,8.31; 9,17; 13,9.52. 154 Vgl. Dupont, Versuchungen, 47. 155 Vgl. ebd. 156 Das IQP ist unentschieden. <?page no="246"?> 246 könnte auf Lukas selbst zurückgehen; es ist davon auszugehen, dass Mt sie aus der Quelle übernommen hätte. Die Variante des Lukas, dass es sich nur um einen Stein und ein Brot handelt, ist in der geschilderten Situation verständlicher; wahrscheinlich hat also Lukas die gemeinsame Quelle an dieser Stelle entsprechend bearbeitet. 157 Jesus reagiert auf die Aufforderung des Teufels mit dem Zitat von Dtn 8,3 LXX - nach Lk in der Kurzform, nach Mt in der vollständigen Fassung. Dass Lukas gekürzt hat, ist wenig wahrscheinlich; vermutlich schlägt sich in der matthäischen Erweiterung nieder, dass Matthäus nicht mehr automatisch damit gerechnet hat, dass der Schluss des Zitats automatisch mitgehört wurde. Lukas schildert die Versuchung der Weltherrschaft an zweiter Stelle, Matthäus dagegen an dritter Stelle, nach der Versuchung, dass Jesus sich vom Tempel stürzen soll. Gründe für die Änderung der Abfolge liegen bei beiden Evangelisten in der Gesamtkomposition der Evangelien: Lukas stellt Jerusalem pointiert als Zielpunkt des Weges Jesu dar; in Mt spielt das Motiv „Berg als Ort der Gottesbegegnung“ eine herausragende Rolle. Dafür, dass sich in Mt die ursprüngliche Version abbildet, spricht die Klimax der drei Zitate aus dem Dtn hin zum Alleinverehrungsgebot (vgl. Dtn 6,13). Lukas ersetzt ( ta? w basileißaw ) touq koßsmou (Mt 4,8) durch ( t. b. ) thqw oiökoumeßnhw 158 und konzentriert so den Blick vom Kosmos auf die bewohnte Welt; möglicherweise spielt Lukas hier auch auf das römische Reich an. Lukas führt an dieser Stelle den Terminus eöcousißa ein, den er - anders als Matthäus - auch in politischer Konnotation verwendet (vgl. Lk 12,11; 19,17; 20,20; 23,7; Apg 9,14; 26,10.12); dieser Bedeutungsaspekt schwingt hier auf jeden Fall mit. Lukas entfaltet ausführlich die Vorstellung, dass der Teufel eöcousißa und doßca bekommen hat und nun Entscheidungsgewalt darüber hat, an wen er sie weitergibt. 159 2.3.1.2 Theologisch-inhaltliche Analyse Eine Grundfrage für die Interpretation der Versuchungen Jesu ist, ob sie allgemein menschlich oder spezifisch messianisch zu verstehen sind. 160 Ersteres ergibt eine paränetische Aussagerichtung; die zweite Deutung legt eine christologische Interpretation nahe. 161 Ich entscheide mich nicht für eine exklusive Deutung; aber der Text ist deutlich christologisch ausgerichtet. In Frage steht bei den Versuchungen, wie Jesus selbst seine Gottessohnschaft im Hinblick auf sein Wirken in Israel bis hin zu seinem Tod versteht: 162 Nämlich im Gehorsam gegenüber dem Wort Gottes im AT und damit im Vertrauen auf die (aktuelle) Macht Gottes. Hier ist die Perikope für eine paränetische Deutung offen. 157 Vgl. Dupont, Versuchungen, 49. 158 Ein lukanisches Vorzugswort - vgl. Lk 2,1; 21,26; Apg 11,28; 17,6.31; 19,27; 24,5 (vgl. Jeremias, Sprache 78). In Mt begegnet es nur in 24,14. 159 Zur jüdischen Vorstellung, dass hinter den Weltreichen die Herrschaft des Teufels steht vgl. Söding, Gehorsam, 743 Anm. 94. 160 Vgl. Luz, EKK I/ 1 ( 5 2002), 222f. 161 Verständnis Jesu als jeiqow aönhßr ( 1. und 2. Versuchung); politisches Verständnis der Gottessohnschaft, z.B. Zelotismus (3. Versuchung); Darstellung der grundlegenden Dimensionen der Messianität Jesu: prophetisch, priesterlich, königlich; Jesus als typologischer Repräsentant des wahren Gottesvolkes besteht die Versuchungen, an denen Israel in der Wüstenzeit gescheitert ist (paränetische Entfaltung möglich). 162 Vgl. Stegemann, Versuchung, 42. <?page no="247"?> 247 (#.1.1) In Lk 4,1-4 wird „Armut“ implizit thematisiert. Jesus wird im Geist (Lukas schreibt eön + Dat., Matthäus hat uÖpoß + Gen.) in der Wüste ( eön thq # eörhßmv# ) geführt; Matthäus beschreibt, dass Jesus in die Wüste, eiöw th? n eärhmon geführt wird. Diese vierzigtägige Wüstenzeit (vgl. Lk 4,2; Mt 4,2) ist eine begrenzte Zeit unter extremen Armutsbedingungen: In der Wüste gibt es keine Nahrung, Jesus isst nichts (Lk 4,2: ouök eäfagen ouöde? n ; Mt verwendet den terminus technicus nhsteußein für Fasten) und empfindet Hunger ( eöpeißnasen , Lk 4,2; Mt 4,2). In dieser Situation spricht der Teufel (Lk 4,3: diaßbolow , Mt 4,3: peiraßzvn ) zu Jesus und fordert ihn auf, die Armutssituation, in die er geführt wurde ( hägeto , Lk 4,1), zu beenden: Er hält Jesus seine Gottessohnschaft vor und befiehlt ihm, zu einem Stein zu sagen, er solle zu Brot werden (Lk 4,3). Durch die Aktualisierung seiner göttlichen Macht könnte Jesus seinen physischen Hunger stillen. (#.1.2) Armut wird in Lk 4,1-4 durch die Reaktion Jesu theologisch gedeutet: Jesus hält der Aufforderung des Teufels Dtn 8,3 LXX entgegen, ouök eöp ö aärtv# moßnv# zhßsetai oÖ aänjrvpow . Lukas verzichtet - anders als Matthäus - auf den Schluss von Dtn 8,3 LXX, aöll ö eöpi? panti? rÖhßmati tvq # eökporeuomeßnv# dia? stoßmatow jeouq zhßsetai oÖ aänjrvpow . Wahrscheinlich setzte Lukas voraus, dass er mitgehört wurde. Jesus deutet seine Hungersituation, den Mangel bzw. Verzicht auf Brot, indem er auf einen Leben erhaltenden Faktor hinweist, der über die Nahrungszufuhr hinausgeht: das Wort Gottes. Deutlich wird, dass die „Armut“ Jesu zu eben jener Zeit, an eben jenem Ort von Gott gewollt ist; der Wille des Teufels, sie zu beenden, ist somit Widerstand gegen den Willen Gottes. Die Bindung des Menschen an Gottes Wort und sein Angewiesensein auf Brot konkurrieren in Dtn 8,3 LXX. Doch zielt Lukas mit der Darstellung dieser Episode nicht auf eine generelle Überordnung der lebenserhaltenden Kraft des Wortes Gottes vor der von Nahrung. Dtn 8,2f. erinnert daran, dass Gott sein Volk durch die Wüste geführt hat. Durch Hunger einerseits und Versorgung mit Manna andererseits zeigte er ihm, dass der Mensch nicht vom Brot allein lebt, sondern von der Anrede und damit Beziehungsaufnahme Gottes. Das tatsächliche Essen (Ex 16,13-15) ist spirituell interpretiert. Der physische Hunger des Menschen ist dennoch ernst genommen - in Lk 4 auch dadurch, dass der Hunger Jesu erwähnt wird. Der allgemeingültige Aspekt von Dtn 8,3 ist, dass der Mensch nicht nur auf physische, sondern auch auf geistliche Nahrung angewiesen ist. Er bringt zur Sprache, dass der Mensch nicht auf sein Nahrungsbedürfnis reduziert ist, sondern dadurch lebt, dass er von Gott angesprochen wird. (#.2.1) Dass Jesus einen Stein in Brot verwandeln soll, ist im Horizont der Perikope Lk 4,1-11 eine Handlungsoption, die innerhalb der Beziehung zwischen Jesus, Teufel und Gott relevant ist. Durch die autoreferentielle Befriedigung seines Bedürfnisses würde Jesus sich auf die Seite des Teufels schlagen; durch sein fortgeführtes Fasten bleibt er Gott treu. <?page no="248"?> 248 (#.2.2) Q 4,1-13 reflektiert keine traditionellen Leitlinien zum Umgang mit materiellen Gütern. (#.2.3) Der Verzicht auf die Stillung des Hungers gilt hier als Gehorsam gegen Gott. (#.3) Das Handeln Gottes/ Jesu an Armen oder Reichen wird nicht thematisiert. Exkurs: Politische Macht und Macht Gottes in Lk 4,1-11 Lk 4,1-4 verhandelt ausgehend von der Gottessohnschaft Jesu ( eiö uiÖoßw eiQ touq jeouq + Imperativ) die Beziehung zwischen politischer Macht und der Macht Gottes. Der Teufel argumentiert in Lk 4,3 dabei mit dem klassischen Machtbegriff. 163 Jesus unterwirft sich dieser Spielregel nicht und verzichtet darauf, Macht zu dem ihm vom Teufel vorgeschlagenen Zweck zu gebrauchen. Die Macht, über die er verfügt, aktualisiert er dadurch, dass er den Zweck seiner Macht selbst bestimmt und ihn sich nicht vorschreiben lässt. Pointiert wird politische Macht in v. 5-7 angesprochen. Die zweite Versuchung wird oft so gedeutet, dass sie in Machtstreben bestanden, Jesus dieses als teuflisch erkannt und zurückgewiesen habe. 164 Dass man Jesus so darstellen wollte, als hätte es ihn gedrängt, für sich selbst die Weltherrschaft zu erlangen, ist schwer vorstellbar. Das einzige Motiv, wie die Macht für Jesus zur Versuchung werden konnte, ist m.E. die Verantwortung Jesu für die Menschheit. So hätte es ihm „einen Augenblick lang als möglich erscheinen können, sogar mit dem Teufel zu paktieren, wenn anders die Ordnung dieser Welt nicht zu ändern und zu bessern“ 165 wäre. In Lk 4,6 tritt die Vorstellung hervor, dass der Teufel die Weltherrschaft zu vergeben hat. 166 - Hätte Jesus diese Macht aus den Händen des Teufels genommen, „um mit den Mitteln der Macht dem Rad der Gewalt in die Speichen zu greifen und es für sich in Gang zu bringen“ 167 , hätte er die Macht der Welt in der Gestalt des Bösen für endgültig gehalten und „vergessen“, dass Gott eine Macht anderer Kategorie hat, die die Menschen befreien kann. Deshalb ruft Jesus hier Dtn 6,13 LXX ins Gedächtnis (nicht wörtlich! ). Dtn 6,12f. erinnert an die Erfahrung der befreienden Macht Gottes, die zum Gebot führt, Gott zu dienen. 2.3.2 Q 6,20-23: Seligpreisungen (vgl. Mt 5,2ff.) Kontext und Abgrenzung. Die Seligpreisungen (v. 20-23) bilden den Auftakt der sogenannten Feldrede (Lk 6,20-49). Ihr Beginn ist durch die Redeeinleitung eälegen (v. 20) deutlich markiert. Als Adressaten der Seligpreisungen sind in Lk 6,20 die majhtaiß genannt. In 6,17 ist von einem weiteren Sympathisantenkreis, oäxlow polußw majhtvqn auötouq und plhqjow polu? touq laouq […] , die Rede. 168 Auf die vier mit makaßrioi eingeleiteten Seligpreisungen (v. 20-23) 169 , 163 Macht ist soziologisch „jede Chance, innerhalb einer Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht“ (Weber, Wirtschaft, 28). 164 So z.B. Luz, EKK I/ 1 ( 5 2002), 228. 165 Drewermann, Matthäus, 333; ähnlich Schweizer, Quellenbenutzung, 35. 166 Vgl. Luz, EKK I/ 1 ( 5 2002), 227; Schweizer, Quellenbenutzung, 35. 167 Drewermann, Matthäus, 335. 168 Vgl. Bovon, EKK III/ 1, 289. 169 Die drei ersten Makarismen sind als antithetische Parallelismen formuliert. Der vierte (Lk 6,22f.) ist wesentlich ausführlicher, seine Konstruktion unterscheidet sich von der <?page no="249"?> 249 folgen vier korrespondierende Weherufe ( ouöaiß […], v. 24-26). Das adversative plhßn in v. 24 zeigt an, dass hier ein neuer Abschnitt beginnt. Struktur. Die Seligpreisungen sind in Lk 6,20-23 wie folgt strukturiert: 1. Redeeinleitung (v. 20a) 2. Vier Seligpreisungen: v. 20b: makaßrioi oiÖ ptvxoiß - uÖmeteßra eösti? n hÖ basileißa […] v. 21: makaßrioi oiÖ peinvqntew nuqn , - oÄti xortasjhßsesje . oiÖ klaißontew nuqn, - oÄti gelaßsete. v. 22f.: makaßrioiß eöste oÄtan […] oÄtan […] xaßrhte […] kai? skirthßsate […] - oÖ misjo? w uÖmvqn polußw […] 2.3.2.1 Redaktionskritik Die Seligpreisungen in Lk 6,20-23 und Mt 5,3-12 weisen Unterschiede auf, die Hinweise auf die Redaktionsgeschichte des Abschnitts geben. In Lk stehen vier, in Mt neun Seligpreisungen. 170 Die drei ersten Seligpreisungen des Lukas (Lk 6,20b.21) dürften in den Grundzügen jesuanisch sein. 171 In Q wird die Erweiterung um die in der Gemeinde entstandene vierte Seligpreisung Q 6,22f. erfolgt sein. 172 In der Einleitung Lk 6,20 par Mt 5,1.2 bewahrt Lukas leßgein (6,20) während Matthäus ausdrücklich den Aspekt des Lehrens einfügt ( eödißdasken). 173 Der erste Makarismus bei Lk preist die ptvxoiß selig (Lk 6,20). Matthäus fügt tv# q pneußmati (Mt 5,3) hinzu; dadurch tritt in Mt die soziale Not hinter die psychische zurück. 174 Eine ähnliche „Tendenz zur Verinnerlichung und Ethisierung“ 175 liegt auch in Mt 5,6 par Lk 6,21 vor: Dort ergänzt Matthäus kai? diyvqntew th? n dikaiosußnhn , während Lk den Bezug auf die physisch Hungernden beibehält. 176 Matthäus formuliert die Seligpreisungen mit Ausnahme der letzten (Mt 5,11) durchgehend in der 3. Person Plural, Lukas in der 2. Person Plural. Die Argumente für die Originalität der dritten Person sind stark: 177 Erstens ist die dritte Person Plural besser aus dem AT abzuleiten. Zweitens kann in der Septuaginta zwar auf makaßriow ein Personalpronomen der ersten drei Makarismen: In der Protasis (v. 22a) steht als Prädikat kein Nominalsatz, sondern makaßrioiß eöste . Die Apodosis (v. 22b) ist nicht kausal mit oÄti , sondern mit zwei durch oÄtan eingeleitete Nebensätzen konstruiert. Die eigentliche Heilszusage findet sich erst in v. 23. 170 Mt hat zusätzlich die Seligpreisung der praeiqw, eölehßmonew, kajaßroi thq # kardißa#, eiörhnopoioiß und dedivgmeßnoi eÄneken dikaiosußnhw . 171 Vgl. Luz, EKK I/ 1 ( 5 2002), 271: Eine explizite Christologie fehlt, es erfolgt ein direkter Heilszuspruch an die Deklassierten und der Adressatenkreis ist nicht ekklesiologisch begrenzt. 172 Vgl. Fitzmyer, Luke I, 631; Bovon, EKK III/ 1, 295; Luz, EKK I/ 1 ( 5 2002), 271. - Luz nimmt zudem an, dass zwischen Q und matthäischer Redaktion eine Umformulierung sowie die Erweiterung um eine vierte Seligpreisung (Mt 5,5) zu einer „ p -Reihe“ stattgefunden habe. Auch die v. 7-9 seien hinzugefügt worden, so dass Matthäus wohl bereits eine Liste von sieben Seligpreisungen vorgefunden habe. 173 Vgl. das IQP. 174 Vgl. Luz, EKK I/ 1 ( 5 2002), 279; Bovon, EKK III/ 1, 297; Fitzmyer, Luke I, 631. Dagegen bestreitet Hoppe (No poor among you, 148f.) die spiritualisierende Tendenz des Matthäus. Zur Bedeutung von tv# q pneußmati s. Luz, EKK I/ 1 ( 5 2002), 277f. 175 Luz, EKK I/ 1 ( 5 2002), 279. 176 Fitzmyer ist der Ansicht, Lukas habe diyvqntew gestrichen (Fitzmyer, Luke I, 634). 177 Vgl. die Übersicht bei Hieke, Q 6: 20-21, 141ff. <?page no="250"?> 250 folgen, z.B. suß (vgl. Dtn 33,29; Ps 128,2; Koh 10,17), aber häufiger folgt dort ein Relativpronomen, z.B. aönhßr oÄw oder aänjrvpow oÄw (vgl. z.B. Ps 34,9; 127,5; Spr 3,13 LXX). 178 Zudem legt, drittens, der erste Teil ( makaßrioi oiÖ […]) die zweite Person nicht nahe. Ein Grund für Lukas, die Seligpreisungen in die zweite Person zu setzen, könnte zum einen eine Angleichung an die - bei Matthäus und Lukas gleichermaßen - in der zweiten Person formulierte letzte Seligpreisung sein ( makaßrioiß eöste , Lk 6,22 par Mt 5,11). 179 Zum anderen werden die Seligpreisungen so zu einer direkten Anrede an die ptvxoiß. Lukas fügt in die Seligpreisung der peinvqntew (Lk 6,21 par Mt 5,6) und in die der klaißontew (Lk 6,21 par Mt 5,4) ein nuqn ein. Zusammen mit dem lukanischen eön eökeißnh# thq # hÖmeßra (v. 23) zeigt dies das Interesse des Lukas an der Gegenüberstellung von Gegenwart und Zukunft. 180 Die Seligpreisung der klaißontew steht bei Lukas an dritter Stelle (Lk 6,21), während Matthäus die Seligpreisung der penjouqntew an zweiter Stelle hat (Mt 5,4). Die matthäische Verheißung lautet paraklhjhßsontai , während Lukas gelaßsete hat. Matthäus hat hier wohl die ursprüngliche Fassung bewahrt: 181 gelaqn ist in der Septuaginta - mit zwei Ausnahmen - immer pejorativ gebraucht und mit Überlegenheit oder Spott konnotiert (vgl. Gen 17,17; 18,12.13.15; Jer 20,8; Ps 51,8; Ijob 19,7; 22,19; Klgl 1,7; Ausnahmen: Ijob 29,24; Koh 3,4). In Lk 6,25 hat gelaqn sicher diese Bedeutung: Das Lachen derer, über die das Wehe ausgerufen wird, ist von Überlegenheit und Spott erfüllt. Wenn v. 25 ein Reflex auf v. 21 ist - dies legt die Analyse nahe (s.u.) -, ist anzunehmen, dass diese Konnotation auch in dem in v. 21 angesprochenen „eschatologischen“ Lachen mitschwingt: Die im Eschaton lachen, sind dort die Überlegenen. 182 Seligpreisungen und Weherufe sprechen von einer eschatologischen Umkehrung der Verhältnisse: Die jetzt Überlegenen haben ihre Portion Glück im Eschaton bereits verbraucht und sind dort den einst Unterdrückten unterlegen. 183 In Q wird die matthäische 178 Vgl. Fitzmyer, Luke I, 632f. - Das IQP trifft keine Entscheidung. 179 Vgl. Bovon, EKK III/ 1, 297. 180 Vgl. Bovon, ebd.; ebenso das IQP. 181 Vgl. Fitzmyer, Luke I, 634; dagegen hält Bovon Lk für ursprünglich: Matthäus habe die Formulierung geändert, weil er Q als zu prosaisch empfunden habe (Bovon, EKK III/ 1, 297). - Das IQP trifft hier keine Entscheidung. 182 Dabei setze ich voraus, dass Lukas die Septuaginta gut kannte und sich des dort üblichen Sprachgebrauchs bewusst war. - Gegen Bovon, EKK III/ 1, 302; Klein, der die Vorstellung hat, dass es sich in v. 21 um „ein Gemeinschaft stiftendes Lachen“ handelt, „das aus einer tiefen Freude herauswächst“ (Klein, Lukasevangelium, 247); Tuckett, der seine redaktionskritische Entscheidung auf die unbegründeten Vorannahmen stützt, dass erstens Lukas den Sprachgebrauch der Septuaginta nicht gekannt habe und zweitens gelaqn in v. 21 nicht so wie in der Septuaginta verwendet sein könne: „ gelaßv in v. 21 […] does not fit the OT background so well. It would appear most likely that, of the two the usage in v. 25 is more original and gelaßv in v. 25 is due to redactional assimilation by Luke, who may have been unaware of the slightly specialised use of the verb in the OT“ (ders., Beatitudes, 198); Rengstorf geht in seiner Analyse, die den jüdischen Sprachgebrauch des Verbs herausarbeitet, ebenfalls davon aus, dass Lukas gelaßv in Unkenntnis des jüdischen Sprachgebrauchs setzte (vgl. ders., Art. gelaßv , 660). - Vgl. Luz, EKK I/ 1 ( 5 2002), 200 Anm. 9: „Die Weherufe Lk 6,24.25b setzen v. 4 in der matthäischen Fassung wohl bereits voraus, da nicht anzunehmen ist, dass Mt zugleich die Formulierung zweier verschiedener Weherufe in einer neuformulierten Seligpreisung verbunden und erst noch die Assoziation an Jes 61,1f hergestellt hätte […].“ 183 Diese oft als anstößig empfundene theologische Aussage findet sich auch in Lk 1,51- 55; 16,22-26ff. - Zur theologischen Problematik vgl. Schottroff/ Stegemann, Hoffnung, 45-47.145f.149; Pokorný, Theologie, 184. <?page no="251"?> 251 Version gestanden haben, die in der Wortwahl ( penjeiqn, parakaleiqn ) nahe an Jes 61,1f. LXX ist. Lukas hat durch seine Redaktion, vor allem dadurch, dass er parakaleiqn durch gelaqn ersetzt hat, die Vorstellung von der eschatologischen Umkehrung der Verhältnisse stärker in den Blick gerückt. Mit der Formulierung der Weherufe verstärkt er dies noch. In dem der Seligpreisung der klaißontew (v. 21) korrespondierenden Weheruf (v. 25) greift er das von ihm eliminierte penjeiqn wieder auf und kombiniert es mit klaißein ; durch die Setzung beider Verben verstärkt er rhetorisch den Schluss des Weherufes. 2.3.2.2 Theologisch-inhaltliche Analyse (#.1.1) In der ersten Seligpreisung (v. 20) werden Arme explizit genannt. Die folgende Seligpreisung charakterisiert genauer, was hier mit Armut gemeint ist: peinaqn und klaißein sind typische Begleiterscheinungen der Armut, Armut ist von Hunger und Trauer gekennzeichnet (v. 21). Ursachen für Armut und Reichtum werden nicht genannt. (#.1.2) Lukas formuliert in 6,20-26 eine ausnehmend klare theologische Deutung von Armut und Reichtum, indem er den Seligpreisungen die Weherufe gegenüberstellt. Theologisch ist der Abschnitt geprägt von der Vorstellung der eschatologischen Umkehrung der Verhältnisse: Die jetzt weinen ( klaißein ) werden aus einer Situation der Überlegenheit heraus lachen ( gelaqn ); die jetzt Hungernden ( peinaqn ), werden gesättigt (xortaßzesjai). Nach Lk 6,20 spricht Jesus den Armen die basileißa touq jeouq zu. Gegenwart und Zukunft stehen in einem spannungsvollen Verhältnis: Die basileißa t. j. ist bereits in der Gegenwart den Armen eigen ( eöstißn , v. 20b; vgl. Lk 4,18; 7,22): Sie erhalten Zuspruch in ihrer Situation 184 und die basileißa t. j. ist bereits jetzt in Jesus gegenwärtig. Zugleich ist die basileißa t. j. eine zukünftige Größe. Gottes Reich, das von Gerechtigkeit geprägt ist, wird kommen, die irdischen Macht und Herrschaftsstrukturen umkehren und den jetzt Unterlegenen Recht verschaffen (vgl. Ps 140,13 LXX). 185 Diese Spannung zwischen Gegenwart und Zukunft betont Lukas besonders im zweiten und dritten Makarismus durch die Einfügung von nuqn : Das makaßriow erweist sich schon in der Gegenwart ( nuqn ) als real. Durch diese Akzentuierung wird Lukas` „concern for Christian life here and now“ 186 deutlich. Die endgültige Beseitigung der Not wird sich aber erst in der Zukunft ereignen ( xortasjhßseste, gelaßsete ). Die Seligpreisungen spiegeln wider, dass die Folge von Gegenwart und Zukunft, die es in dieser Ganzheit gibt, umfassender ist, als die von Tun und Ergehen, sie aber auch mit einschließt. 187 Weder die Makarismen noch die Weherufe beziehen sich auf ein bestimmtes Verhalten. 184 Vgl. Petracca, Gott oder Geld, 84. 185 Die basileißa t. j. ist Gegenstand des euöaggelißzesjai (vgl. Lk 4,43; 8,1; 16,16; Apg 8,12; vgl. auch euöaggelißzesjai toiqw ptvxoiqw, Lk 4,18; 7,22). - Vgl. Schmidt, Art. basileußw , 584. 186 Fitzmyer, Luke I, 630. 187 Vgl. Berger, Formen, 247. <?page no="252"?> 252 (#.2.1) In Lk 6,20-23 geht es wesentlich um die theologische Interpretation von Armut und Reichtum. Der Umgang mit materiellen Gütern ist Thema im folgenden Abschnitt (Q 6,27ff.). (#.2.2) In Lk 6,20-23 und 6,24-26 geht es weniger um ethische Leitlinien als um die Gegenüberstellung von Lebensmodellen. 188 Die Seligpreisungen geben Menschen Zuspruch in ihrer gegenwärtigen Leidenssituation. Sie sind an Menschen gerichet, die selbst nichts an ihrem Zustand ändern können. Ihnen wird versichert, dass Gott sich ihrer annimmt: Ihnen gehört die basileißa touq jeouq . (#.2.3) Ökonomisches Handeln wird in Q 6,20-23 nicht theologisch gedeutet. (#.3) Das Handeln Gottes bzw. Jesu an armen und reichen Personen wird in Q 6,20-23 nur implizit. Dass die basileißa t. j. mit Jesus angebrochen ist (vgl. Lk 4,18; Q 7,22), ist vorausgesetzt. Die Botschaft von Q 6,20-23 ist, dass Gott die ökonomischen Verhältnisse ändern, ja umkehren wird, wenn seine Herrschaft die irdischen Herrschaftsverhältnisse ablöst. 2.3.3 Q 6,27-36: Von der Feindesliebe (vgl. Mt 5,38-48; 7,12) Kontext und Abgrenzung. Der paränetische Abschnitt Q 6,27-36 steht in Lk innerhalb der Feldrede (Lk 6,20-49) im Anschluss an Seligpreisungen und Weherufe (Lk 6,20-26). Sein Beginn ist deutlich markiert durch einen Neueinsatz der Rede Jesu, der den vorangehenden Worten adversativ gegenüber steht ( aölla? uÖmiqn leßgv , v. 27). Die Zäsur zwischen v. 36 und v. 37 ist schwach. Erst v. 39 ( eiQpen de? kai? parabolh? n auötoiqw ) leitet ein Gleichnis und damit einen neuen Redeabschnitt ein. Struktur. Q 6,27-36 ist eine Reihung von Imperativen, die auf das Verhalten zum Mitmenschen bezogen sind. In Q weist der Abschnitt folgende Struktur auf: 1. v. 27f: Gebot, die Feindesliebe nachzuahmen 2. v. 35: Theologische Begründung mit dem Vorbild Gottes, der seine Sonne auch über Böse scheinen lässt 3. v. 29.30: Verzicht auf Rechtsansprüche - Vier Imperative zum Thema Verzicht auf Vergeltung und freiwilliges Geben 4. v. 31: Imperativ: Goldene Regel 5. v. 32: Hinterfragen der Reziprozitätsethik: Wenn ihr die liebt, die euch lieben […] 6. v. 36: Theologische Begründung mit Nachahmung der Barmherzigkeit Gottes Lukas bearbeitet den Abschnitt so, dass er in Lk in folgender Struktur erscheint: 1. v. 27a: Redeeinleitung 2. v. 27b.28: Vier Imperative zum Thema Feindesliebe 3. v. 29.30: Vier Imperative zum Thema Verzicht auf Vergeltung und freizügiges Geben 4. v. 31: Imperativ: Goldene Regel 188 Vgl. ebd. <?page no="253"?> 253 5. v. 32-34: Drei rhetorische Fragen ( kai? eiö / eöa? n) , die die Reziprozitätsethik hinterfragen. Dazu jeweils ein Kommentar, der auf das Handeln der Sünder ( aÖmartvloiß ) verweist. 6. v. 35: Drei Imperative zu voran stehenden Themen: aögapaqte tou? w eöxjroußw (vgl. wörtlich v. 27b), aögajopoieiqte (vgl. v. 33), danißzete mhde? n aöpelpißzontew (vgl. v. 34). Eine theologische Begründung der Imperative schließt sich an. 7. v. 36: Mahnung zur Barmherzigkeit nach dem Vorbild Gottes. 2.3.3.1 Redaktionskritik Das Thema „Feindesliebe“ knüpft an die vierte Seligpreisung (Lk 6,22) an, „ oÄtan mishßsousin uÖmaqw “. Die beiden Imperative kalvqw poieiqte und euölogeiqte (v. 27.28) dürften von Lukas stammen. In der Parallele Mt 5,44 finden sie sich nicht. Kalvqw poieiqn (v. 27) korrespondiert mit kalvqw leßgein im vierten Weheruf (Lk 6,26). V. 29f.: In Lk 6,29b par Mt 5,40 haben beide Evangelisten unterschiedliche Situationen im Blick: Lukas einen Raubüberfall (Mantel wird weggenommen, es geht darum, das Untergewand zu behalten), Matthäus eine Gerichtssituation (Einfügung von „rechter“ Backe, schmachvolle Strafe; es geht darum, den Mantel als Decke zu behalten). 189 Lukas verwendet die Konstruktion kvlußein + aöpoß nur in Lk 6,29. In der Bedeutung „jemandem etwas verwehren“ gebraucht Lukas das Verb nur ein weiteres Mal (Apg 24,23). 190 Panti? ( Lk 6,30) dürfte von Lukas eingefügt sein. 191 Die Tatsache, dass paqw + artikelloses Partizip nur an zwei Stellen belegt ist, lässt nicht den Schluss zu, dass Lukas hier geprägtes Gut verwendet. 192 Ebensowenig hinreichend für eine solche Schlussfolgerung ist, dass aöpaißtein nur zweimal im NT und nur im lukanischen Nicht-Markusstoff begegnet. 193 - Matthäus weist mit dem Imperativ Aorist ( doßw ) auf ein Handeln im Einzelfall hin, während der Imperativ Präsens durative bzw. iterative Funktion hat. Lukas hat deshalb bewusst den Imperativ Präsens gesetzt und pantiß ergänzt. Für v. 30b geht das IQP davon aus, dass weder Lukas noch Matthäus den ursprünglichen Text bewahrt haben. Vorgeschlagen wird touq danizomeßnou ta? sa? mh? aöpaißtei (Q 6,30b). Folgt man dieser Hypothese, hätte Lukas bewusst danizomeßnou durch aiärontow ersetzt. Damit ginge es in der lukanischen Version nicht um das Leihen, sondern um gewaltsames Wegnehmen bzw. Diebstahl. 194 Für die Ursprünglichkeit der matthäischen Version spricht zudem, dass Lukas in v. 30 wohl be- 189 Vgl. Bovon, EKK III/ 1, 320f. - „Matthäus hat die Situation eines jüdischen Gerichts vor Augen ( soi? krijhqnai ), wo der Richter nur die Unterwäsche konfiszieren darf, weil der Mantel (für die Nacht) aus göttlicher Sorge heraus Eigentum des verurteilten Menschen bleibt.“ Lukas denkt „hingegen an Räuber […] die natürlich das erste, was sie erreichen, nämlich den Mantel, stehlen.“ (Bovon, EKK III/ 1, 321). - Das IQP hält mit Wahrscheinlichkeit C die matthäische Version für ursprünglich. Offen bleibt die Voran- oder Nachstellung von souq . 190 An allen anderen Stellen (Lk 9,49; 11,52; 18,16; Apg 8,36; 11,17) steht kvlußein ohne direktes Objekt und hat die Bedeutung „jemandem wehren“, in Apg 24,23 „jemandem (Akk.) etwas (Infinitivkonstruktion) verwehren“ und in Apg 27,43 „jemanden (Akk.) abhalten von etwas (Akk.). Die hier verwendete Konstruktion kvlußein + aöpoß + Gen. ist hebraisierend (vgl. Gen 23,6 LXX; Blass/ Debrunner, Grammatik, §180.1). Nur ein weiteres Mal (Apg 24,23) also verwendet Lukas kvlußein in der Bedeutung „jemandem etwas verwehren“. Dass Lukas die Konstruktion aus einer Quelle übernommen hat, lässt sich daraus nicht schließen (gegen Jeremias, Sprache, 143). 191 Vgl. Fitzmyer, Luke I, 639. 192 Gegen Jeremias, Sprache, 144. 193 Das IQP hält mit Wahrscheinlichkeit C den Imperativ Aorist des Matthäus für ursprünglich. - Gegen Jeremias, Sprache, 144. 194 Vgl. Fitzmyer, Luke I, 639. <?page no="254"?> 254 wusst das Verb danißzesjai durch aiärein ersetzt hat, um im Bild des Raubüberfalls aus v. 29 zu bleiben. V. 32-35: In v. 34.35 greift Lukas das Verb dann redaktionell auf: In v. 34 ersetzt er damit aöspaßzesjai 195 , in v. 35 wiederholt er die von ihm in v. 32-34 gebildete Trias aögapaqn - aögajopoieiqn - danißzesjai . Lukas dürfte tißna misjo? n eäxete durch poiqa uÖmiqn xaßriw eöstißn ersetzt haben. 196 Das IQP vermutet, dass Mt in Q 6,32b den ursprünglichen Text bewahrt hat. Lukas hätte dann telvqnai durch aÖmartvloi? ersetzt und so das Bedeutungsspektrum erweitert. 197 Zöllner sind für die Adressaten des Lukas als Negativbild nicht mehr geeignet. 198 &Amartvloiß ist ein Wort, das Heidenchristen geläufig ist und tou? w aögapvqntaw auötou? w aögapvqsin ergänzt. Jeremias ist der Ansicht, dass aÖmartvloßw (Lk 6,32.33.34) in Lk zwar häufig sei (18mal), aber grundsätzlich der Tradition zuzuschreiben. 199 Lukas übernimmt die Vokabel zweimal aus dem Markusstoff (Lk 5,30 par Mk 2,16; LK 5,32 par Mk 2,17), streicht sie zweimal (Lk 5,29 diff. Mk 2,15; Lk 9,26 diff. Mk 8,38) und fügt sie nie in den Markusstoff ein; zudem begegnet sie nie in Apg. Jeremias schließt daraus, dass Lukas die Vokabel nicht von sich aus verwendet; allenfalls in Lk 24,7 hält er dies für möglich. Aus diesem Befund zu schließen, die übrigen 15 Belege seien durchweg vorlukanisch, ist zu weit gegriffen. Insbesondere für Lk 6,32 gibt es kein starkes Argument für die vorlukanische Herkunft von aÖmartvloßw . Lukas ersetzt eöjnhikoiß durch aÖmartvloiß . Da er sich auch an „Heiden“ wendet, können diese nicht als Negativbild fungieren. Das IQP stellt zur Debatte, ob v. 33 schon in Q stand oder auf lukanische Redaktion zurückzuführen ist. Wenn Lukas v. 33 von sich aus geschrieben hat, dann hat er bewusst die Klimax aögapaqn - aögajopoieiqn - danißzein gestaltet: 1. Lieben als Einstellung/ Gesinnung, 2. Wohltaten erweisen, 3. konkrete Liebe im Umgang mit materiellen Gütern. Diese Klimax wiederholt er pointiert in v. 35a (das IQP führt v. 35a auf Red Lk zurück). - Dies ist wahrscheinlicher als, dass Mt hier eine Passage gestrichen haben soll. 200 Jeremias dagegen ist der Ansicht, dass das Verb aögajopoieiqn vorlukanisch sei, da Lukas von sich aus aögajourgeiqn 201 (vgl. Apg 14,17) schreibe. Diese Argumentation ist aus zwei Gründen nicht stichhaltig: Zum einen ist in Apg 14,17 Gott Subjekt, weshalb der Gebrauch des Verbs nicht mit Lk 6,33 vergleichbar ist; zum anderen basiert sie u.a. auf der strittigen textkritischen Entscheidung, dass Lukas in 6,9 aögajopoieiqn aus Mk 3,4 übernommen habe: In Mk 3,4 ist aögajo? n poihqsai nur von ) und W bezeugt. 202 Die Variante aögajopoihqsai , die Jeremias zugrunde legt, ist in der Tat besser bezeugt (A, B, C, L, J, f 1.13 , 2427). Doch ist aögajopoihqsai als Anpassung an kakopoihqsai zu verstehen, weshalb aögajo? n poihqsai (mit Nestle-Aland) als lectio difficilior vorzuziehen ist. Folglich hat Lukas in Lk 6,9 von sich aus das Verb aögajopoieiqn eingefügt, was Red Lk für Lk 6,33.35 wahrscheinlich macht. Das IQP geht davon aus, dass Lukas in v. 34 im Wesentlichen den ursprünglichen Q-Text bewahrt hat. Lukas hätte gemäß dieser Hypothese tißna misjo? n eäxete durch poiqa uÖmiqn xaßriw eöstißn (s.o. v. 32) und oiÖ eöjnhikoi? to? auöto? poiouqsin durch aÖmartvloi? aömartoloiqw danißzousin, iÄna aöpolaßbvsin ta? iäsa ersetzt bzw. erweitert . 195 „[…] ‚grüßen‘ (Q und Mt 5,47) spiegelt jetzt jedoch nicht mehr die aktuelle Sitte und Pflicht wider und muß ersetzt werden (vgl. Lk 10,4)“ (Bovon, EKK III/ 1, 316). 196 Vgl. das IQP. 197 Vgl. Fitzmyer, Luke I, 640. 198 Vgl. Bovon, EKK III/ 1, 316. Lukas stellt Zöllner eher als Identifikationsfiguren dar (vgl. Lk 18,9-14; 19,1-10). 199 Vgl. Jeremias, Sprache, 134f.145. 200 Vgl. Luz, EKK I/ 1 ( 5 2002), 306. 201 Das Verb ist ein Hapaxlegomenon und steht nur in Apg 14,17. 202 D, b und e lesen die Variante ti agajon poihsai . <?page no="255"?> 255 Die Bedeutung von ta? iäsa (v. 34) ist unklar. Beim Geldverleihen erwartet man in der Regel mehr zurück als man verliehen hat (Zinsen). - Folgende Erklärungen sind denkbar: 203 a) Juden dürfen von Juden keinen Zins nehmen; b) ta? iäsa könnte die verliehene Geldsumme plus den Zins meinen; c) das Leihen ist dem Schenken gegenübergestellt - Christen sollen sich durch das Schenken auszeichnen; am wahrscheinlichsten ist, dass hier ein ökonomisches Problem benannt wird (d) und gleichzeitig die Reziprozitätsethik kritisiert ( iÄna aöpolaßbvsin ta? iäsa ) wird; dadurch entsteht freilich eine gewisse Unschärfe. OiÖ eöjnhikoiß ersetzt Lukas durch aÖmartvloiß . Da er sich auch an „Heiden“ wendet, können diese nicht als Negativbild fungieren. Die Konstruktion eölpißzete labeiqn dürfte auf Lukas zurückgehen. In keinem der vier Evangelien außer in Lk findet sich eölpißzein mit Infinitiv (Lk 6,34; 23,8; vgl. auch Apg 26,7). Im klassischen Griechisch ist der Infinitiv ein geläufiger Sprachgebrauch, 204 im hellenistischen Griechisch steht bei Verben der Wahrnehmung, des Glaubens, Sagens usw. in der Regel oÄti . 205 Jeremias stellt folgende „Faustregel“ auf: Im lukanischen „Doppelwerk geht die Ergänzung durch den Inifinitiv im Allgemeinen auf das Stilempfinden des Evangelisten, also auf die Redaktion, die Ergänzung durch iÄna bzw. oÄti dagegen auf die von Lukas übernommene Tradition zurück“ 206 . Das IQP ist der Ansicht, dass v. 35a auf lukanische Redaktion zurückzuführen ist. - Dem ist zuzustimmen, da der Vers eine pointierte Zusammenfassung von v. 32-34 ist, aber keine wesentliche Neuerung bringt. Das Verb aöpelpißzein hat die Bedeutung „verzweifeln“. Zu übersetzen ist also: „[…] leiht, ohne dabei in irgendeiner Weise zu verzweifeln“ 207 . Das IQP schlägt die Variante oÄpvw geßnhsje uiÖoi? touq patro? w uÖmvqn, oÄti to? n hÄlion auötouq aönateßllei eöpi? ponhrou? w kai? aögajou? w kai? breßxei eöpi? dikaißouw kai? aödißkouw und die Position nach Q 6,27f. vor. Lukas hätte dann folgende Bearbeitungen vorgenommen: - eäsesje für geßnhsje, - uÖyißstou für touq patro? w uÖmvqn, - auöto? w xrhstoßw eöstin für to? n hÄlion auötouq aönateßllei, - eöpi? tou? w aöxarißstouw kai? ponhroußw für eöpi? dikaißouw kai? aödißkouw. Jeremias nimmt an, dass die Wendung uiÖoi? uÖyißstou (artikelloser Genitiv) traditionell sei. 208 In der Septuaginta findet sich beim adnominalen Genitiv 29mal die Wendung uÖyißstou und dreimal touq jeouq touq uÖyißstou . In Lk findet sich diese artikellose Konstruktion außer in Lk 6,35 nur in Lk 1 (v. 32.35.76). Aus dem einzigen Gegenbeleg mit Artikel (Apg 16,17) kann nicht der Schluss gezogen werden, dass Lukas grundsätzlich so konstruiert. 209 Vielmehr ist festzuhalten, dass diese „im Griechischen harte, einen Status constructus nachahmende Konstruktion“ 210 den Stil der Septuaginta übernimmt. Die meisten artikellosen Genitivverbindungen im lukanischen Doppelwerk 211 haben direkte Entsprechungen in der Septuaginta. In v. 36 hat Lukas im Wesentlichen Q bewahrt. 212 Fazit: Lukas betont durch seine Komposition Lk 6,32-34 die Trias „lieben - Gutes tun - leihen“ besonders und spitzt die Feindesliebe auf diese Weise auf wirtschaftliches Handeln zu. 203 Vgl. Bovon, EKK III/ 1, 317f. 204 Vgl. Jeremias, Sprache, 93. 205 Vgl. Blass/ Debrunner, Grammatik, § 397. 206 Jeremias, Sprache, 94; vgl. auch 145. 207 Vgl. Bovon, EKK III/ 1, 318. 208 Vgl. Jeremias, Sprache, 18f.51.142. 209 Gegen Jeremias, Sprache, 51. 210 Ebd. 211 Eine Liste findet sich bei Jeremias, Sprache, 19. 212 Vgl. das IQP. <?page no="256"?> 256 2.3.3.2 Theologisch-inhaltliche Analyse (#.1.1) Armut und Reichtum werden nicht explizit angesprochen. Der Text setzt ein soziales Gefälle voraus, das sich vor allen in Q 6,30 manifestiert: Dem, der etwas von einem fordert, soll man geben. (#.1.2) Armut und Reichtum erfahren in Lk 6,27-36 keine theologische Deutung. (#.2.1) Der Umgang mit materiellen Gütern ist in Lk 6,27-36 vornehmlich in seiner sozialen Dimension dargestellt: Geben, nicht zurückfordern, leihen etc. Es geht darum, anderen etwas zur Verfügung zu stellen und dabei von sich selbst abzusehen. Besonders deutlich wird dies auf lukanischer Ebene am Beispiel des Raubüberfalls (v. 29f.), da dort gefordert wird, auf das, was einem von Rechts wegen zusteht zu verzichten. Ebenso klar ist - nach Lk - die Forderung, beim Darlehengeben nicht zu verweifeln ( aöpelpißzein im Imperativ Präsens, also durativer bzw. iterativer Aspekt). Die religiöse Dimension spielt auf der Handlungsebene keine Rolle, sie wird erst bei der Begründung relevant. (#.2.2) Q 6,27 greift die traditionelle Forderung der Feindesliebe auf. Der Topos begegnet in der stoischen Ethik 213 und in der jüdischen Theologie, wo sie mehrheitlich als individualethische Aufforderung zur Barmherzigkeit mit dem Feind in Not formuliert ist 214 . Die Feindesliebe kann für die jüdische Ethik trotzdem nicht als charakteristisches Prinzip gelten - in Bezug auf politische Feinde und Besatzer ist maßgebend, dass sich gegen die Bösen, die Feinde Israels, der Hass Gottes richtet. 215 Auf der Ebene von Q ist damit zu rechnen, dass die Gemeinschaft derer, die sich als Nachfolger Jesu verstehen, als soziale Gruppe marginalisiert sind, sich also gegenüber ihren „Feinden“ nicht in einer überlegenen Situation befinden. Auf lukanischer Ebene wird sich die Situation bereits ein wenig verändert, aber dennoch nicht umgekehrt haben: Zur Gemeinde des Lukas zählten sicherlich schon wohlhabende Menschen, die ökonomische in der Lage sind den Imperativ der Feindesliebe, auf den Umgang mit materiellen Gütern anzuwenden (Lk 6,33f.). Mit der Reziprozitätsethik setzt sich Q 6,32 kritisch auseinander, Lukas vertieft das Thema noch (Lk 6,33f.). Die von Lukas übernommen Argumentation aus Q „transzendiert“ die Logik der Reziprozität: Die Adressaten sollen nichts ohne Aussicht auf Belohnung tun; allerdings dürfen sie den Ausgleich für die Einbussen, die ihnen ihr Handeln einbringt, von Gott erwarten. Seine „Gegenleistung“ ist die Annahme als Gottes Kind (Q 6,35). Lukas führt den Ausdruck xaßriw zur Bezeichnung der Vergeltungsleitsung an. In Sir 12,1 wie auch in anderen hellenistisch-jüdischen Texten, 213 Vgl. zu den Belegstellen Bovon, EKK III/ 1, 313 Anm. 19 u. 314 Anm. 24. - Vgl. Seneca, De otio 1,4; De beneficiis IV 26; Epiktet, Diss III 13,11.13; III,22,54; III 22,81.82. 214 Vgl. Spr 25,21; Ex 23,4f.; TestBenj 4,2f.; TestJos 18,2. 215 Vgl. Dtn 30,7; <?page no="257"?> 257 bezeichnet der Ausdruck „die Frucht der Gegenleistung, die Vergeltung“ 216 . (#.2.3) Ökonomisches Handeln wird in Lk 6,27-36 auf drei Ebenen theologisch interpretiert: Erstens, das in v. 32-34 dargestellte ökonomische Handeln wird als spezifisch für die Nachfolger Jesu in Abgrenzung zu den aÖmartvloiß dargestellt (lukanische Ebene). Die Abgrenzung Christen - aÖmartvloiß ist typisch für Lukas. Zweitens, Gott garantiert auf der Begründungsebene Lohn für ein Handeln, das nach irdischen Gesetzmäßigkeiten ökonomisch unsinnig ist: Q nennt die Gotteskindschaft, Lukas spricht darüber hinaus konkret von einem misjo? w polußw (vgl. Q 6,23). Drittens, die Nachfolger Jesu ahmen mit ihrem Handeln Gott nach (Q 6,35b.36; vgl. Mt 5,45.48). (#.3) Das Handeln Gottes bzw. Jesu an armen und reichen Personen oder an ökonomischen Zuständen wird in Lk 6,27-36 nicht thematisiert. 2.3.4 Q 7,18-23: Anfrage des Täufers (vgl. Mt 11,2-6) Kontext und Abgrenzung. Der dreiteilige Abschnitt über Johannes den Täufer (Lk 7,18-23.24-28.29-35 par Mt 11,2-6.7-11.12-19) stammt aus Q; Lukas fügt redaktionell v. 20.21 und v. 29.30 ein. Er folgt auf eine Perikope aus dem S Lk (Lk 7,11-17: Die Auferweckung eines jungen Mannes in Nain), die den mit der „Feldrede“ einsetzenden Q-Block Lk 6,20-7,35* beendet. Auf Lk 7,18-35 folgt ein längerer Mk-Block (Lk 7,36-9,50*). Lk 7,18ff. ist durch das Auftreten des neuen Subjekts ( oiÖ majhtaiß , v. 18) klar nach oben abgegrenzt. Beschlossen wird der erste Teil durch eine Seligpreisung, die Jesus ausspricht (v. 23). Darauf folgt Jesu Zeugnis über Johannes den Täufer (Lk 7,24-28 par Mt 11,7-15) folgt. Die Worte Jesu über diese Generation und die Kinder der Weisheit (Lk 7,29-35 par Mt 7,16-19) schließen die dreiteilige Sequenz ab. Die Person des Täufers verbindet die drei Teile inhaltlich. Eine deutliche Zäsur ist zwischen v. 35 und 36 mit dem Wechsel von Subjekt ( tiw […] tvqn Farisaißvn, v. 36) und Ort ( eiöseljv? n eiöw to? n oiQkon , v. 36) markiert. Struktur. Die Perikope Lk 7,18-23 par Mt 11,2-6 weist bei beiden Evangelisten dieselbe Grundstruktur auf. Anders als Matthäus schildert Lukas den Dialog zwischen Jesus und den Jüngern des Johannes explizit (v. 20) und präsentiert einen Bericht über Heilstaten Jesu (v. 21). 1. Johannes sendet seine Jünger, Jesus nach seiner Messianität zu fragen (Lk 7,18f. par Mt 11,2f.). 2. Dialog zwischen Jesus und den Johannesjüngern: Die Johannesjünger stellen Jesus die Messiasfrage (Lk 7,20; fehlt bei Mt). 3. Bericht über Heilstaten Jesu (Lk 7,21; fehlt bei Mt). 4. Jesus sendet die Johannesjünger mit dem Auftrag zurück, das Gesehene und Gehörte zu berichten (Lk 7,22 par Mt 11,4f.). 5. Seligpreisung (Lk 7,21 par Mt 11,6). 216 Bovon, EKK III/ 1, 317. <?page no="258"?> 258 2.3.4.1 Redaktionskritik Lukas nimmt keine Eingriffe an der Q-Vorlage vor, die inhaltlich relevant wären. 217 2.3.4.2 Theologisch-inhaltliche Analyse (#.1.1) In Q 7,22 werden die ptvxoiß explizit als Personengruppe genannt, die in besonderer Weise Adressat der Evangeliumsverkündigung ist. Sie steht am Ende einer Aufzählung der Heilserfahrungen von Kranken ( tufloiß, xvloiß, leproiß, kvfoiß ) und Toten ( nekroiß ). 218 Die Schilderung, die Jesus in v. 22 den Johannesjüngern als Zeichen seiner Messianität präsentiert, und der Bericht der Heilstaten Jesu in v. 21 sind nicht kongruent: In v. 21 stehen noßsoi und maßstigew als Sammelbegriffe; anders als in v. 22 wird die Heilung von bösen Geistern erwähnt, aber keine Totenauferweckung. 219 Die Armen, Kranken, Besessenen, Blinden, diejenigen, die sich aufgrund ihrer Krankheit am Rande der Gesellschaft befinden, versteht Lukas als Menschen in einer realen sozialen bzw. körperlichen Notlage. 220 Das Motiv der Evangeliumsverkündigung an die ptvxoiß stammt aus Jes 61,1 LXX 221 und begegnet hier nach Lk 4,18 (S Lk ) zum zweiten Mal in Lk. Hier wie dort werden die ptvxoiß nicht genauer charakterisiert oder zu reichen Menschen in Beziehung gesetzt. Ursachen für die Armut werden ebenfalls nicht explizit genannt. (#.1.2) In Lk 7,22 ist Armut das Kriterium dafür, dass Menschen Adressaten der Evangeliumspredigt sind. Die Bedeutung des Motivs ptvxoi? euöaggelißzontai in Lk 7,22 erhellt die Zusammenschau mit Lk 4,18f. deutlich: Lukas denkt Jes 61,1f. LXX konkret in einer sozialen Richtung (s.o.). Der Sendungsauftrag Jesu besteht darin, Menschen aus konkreter sozialer und körperlicher Not zu befreien. (#.2.1-3) Ökonomisches Handeln ist in der Perikope nicht thematisiert. (#.3) Dass die ptvxoiß Adressaten des Evangeliums werden, gilt in Lk 7,22 als Zeichen der messianischen Heilszeit. Aus Lk 4,18 ( ouW eiÄneken eäxriseßn me euöaggelißsasjai ptvxoiqw ) ist klar, dass dies die Mission Jesu ist. 217 Die lukanische und die matthäische Version weichen in folgenden Punkten voneinander ab: 1. In Lk ist der Dialog zwischen Jesus und Johannes ausführlicher als in Mt gestaltet (Lk 7,20.21). Wahrscheinlich hat Lk hier Q erweitert, um mehr Anschaulichkeit zu erreichen und die Rolle der Zeugen hervorzuheben. 217 2. In der lukanischen Redeeinleitung (Lk 7,22) steht der Aorist ( eiädete, hökousate ), bei Mt (Mt 11,4) das Präsens; die Verben für Hören und Sehen stehen in unterschiedlicher Reihenfolge. 3. Lk verzichtet in der Aufzählung in v. 22 auf die Konjunktion kaiß. 218 Vgl. ähnlich die Reihe von Armen und Kranken in Lk 14,13.21. 219 Bovon weist darauf hin, dass es sich nicht um einen Sammelbericht handle. Der Aorist als Erzähltempus und die Zeitangabe eön eökeißnh# thq # vÄra# wiesen darauf hin, dass Jesus vor den Augen der beiden Jünger des Johannes die Wunder wirke (vgl. Bovon, EKK III/ 1, 370). 220 Also nicht in einem übertragenen Sinn als geistlich oder bezüglich ihres Heilsstatus defizitäre Menschen. - Vgl. Albertz, Antrittspredigt, 198; Wolter, Lukasevangelium, 192f. 221 Lk 7,22 ist ein Mischzitat aus Jes 61,1; 42,18; 26,19a; 35,5f. LXX. <?page no="259"?> 259 Der Makarismus in v. 23 weist denjenigen als makaßriow aus, der am Heilshandeln Jesu keinen Anstoß nimmt. Die Aussage von v. 22 wird dadurch verstärkt. Deutlich wird, dass es nicht nur um den Hinweis auf „Zeichen“ der messianischen Zeit geht, sondern um die Zustimmung des Einzelnen zu ihnen; daran entscheidet sich das persönliche Heil. Die Perikope führt exemplarisch aus, dass Jesus tatsächlich Menschen aus konkreter sozialer und körperlicher Not befreit. 2.3.5 Q 7,24-35: Jesu Zeugnis über den Täufer und seine Worte über diese Generation (vgl. Mt 11,7-11) Kontext und Abgrenzung. Die Worte Jesu über Johannes den Täufer (Lk 7,24-28 par Mt 11,7-11) folgen in Lk und Mt direkt auf die Jüngeranfrage (Lk 7,18-23 par). Die Jünger des Johannes treten ab ( aöpeljoßntvn , Lk 7,24; ähnlich Mt 11,7) und härcato leßgein (Lk 7,24 und Mt 11,7) signalisiert den Beginn eines neuen Abschnitts, der Rede Jesu an das Volk. Die v. 29.30 führen die Rede Jesu fort und beschreiben die Reaktion des Volkes ( laoßw ) und der religiösen Führungsschicht ( Farisaiqoi, nomikoiß ) auf die Predigt Johannes des Täufers. Die Verse sind narrative Einleitung und Reflexionsgrundlage zum nachfolgenden Gleichnis und leiten so einen neuen Sinnabschnitt ein. Von der nachfolgenden Perikope Lk 7,36ff. ist Lk 7,29-35 durch Wechsel von Subjekt und Ort klar abgegrenzt; inhaltlich geht es weiter um die Gegenüberstellung von Pharisäern und Sündern. Struktur. Die Perikope ist bei Lk wie folgt gegliedert: 1. Einleitung (v. 24a) 2. Drei rhetorische Fragen in v. 24b.25.26a, die mit tiß eöchßljate eingeleitet sind; die zweite und dritte Frage ist mit einem Kommentar Jesu versehen. 3. Aussage Jesu über Johannes den Täufer (v. 26b-28) 4. Aussage Jesu über die Stellung von Zöllnern, Pharisäern und Gesetzesgelehrten zu Johannes dem Täufer und dem Willen Gottes (v. 29f.) 5. Gleichnis über die spielenden Kinder (v. 31f) 6. Erklärung des Gleichnisses (v. 33f.) 7. Weisheitswort (v. 35) 2.3.5.1 Redaktionskritik Die lukanische und die matthäische Version unterscheiden sich in folgenden Punkten: 1. Der Einleitungsvers (Lk 7,24 par Mt 11,7) weist nur stilistische Unterschiede auf (Lk: aöpeljoßntvn , Mt: poreuoßmenvn ). Lukas hat ausführlicher tvqn aöggeßlvn I övaßnnou (Mt: toußtvn) , wohl um schon wie in v. 18 ( aöphßggeilan ) die Bedeutung der Gesandten hervorzuheben. 2. Um die Verständlichkeit zu verbessern, hat Lukas in 7,25 par Mt 11,8 wohl eön malakoiqw durch iÖmatißoiw ergänzt und die Umschreibung oiÖ eön iÖmatismvq # eöndoßcv# kai? trufhq # uÖpaßrxontew erweitert. 3. Die Formulierung eön toiqw basileißoiw dürfte von Lukas stammen (Mt: eön toiqw oiäkoiw tvqn basileßvn ). 4. Lukas wird v. 28 stilistisch vereinfacht haben. <?page no="260"?> 260 V. 29f. findet sich bei Mt nicht. Dafür, dass v. 29f. nicht aus Q stammt, sondern auf Lukas zurückgeht, 222 spricht, dass lukanische Sprache und Theologie sie prägen: erstens das Konzept der hÖ boulh? touq jeouq ; 223 zweitens begegnet laoßw in Q sonst nicht, bei Lk dagegen ist es ein häufiger, positiv konnotierter Begriff; 224 drittens findet sich das Motiv, dass Zöllner sich taufen lassen (7,29) 225 , ebenso in Lk 3,12 (S Lk ). Intention des Lukas war dabei wohl, das negative Verhalten der genea? auÄth , dass in 7,31ff. angeprangert wird, auf die Farisaiqoi und nomikoiß zu beziehen. 226 Wahrscheinlich stand an der Stelle, wo Lukas v. 29f. einfügte, das Logion Q 16,16. 227 Lukas akzentuiert dadurch den Aspekt des noßmow ; das Logion behält dabei die Funktion, das Verhältnis „von Johannes zu Jesus und der von ihm verkündigten basileißa “ 228 zu klären. Lukas formuliert die Kritik an Johannes und Jesus in der 2. Person Plural (v. 33f.). 229 Matthäus dürfte mit der 3. Person Plural die ursprüngliche Q-Fassung bewahrt haben. Lukas fügt in v. 33 aärton und oiQnon hinzu; in v. 35 ergänzt er paßntvn . 2.3.5.2 Theologisch-inhaltliche Analyse (#.1.1) Reichtum wird in Lk 7,24-28 implizit thematisiert. Charakterisiert ist er durch das Tragen von feinen Kleidern ( eön malakoiqw iÖmatißoiw hömfiesmeßnow ; oiÖ eön iÖmatismvq # eöndoßcv# , v. 25) und üppiges Leben ( eön […] trufhq # uÖpaßrxontew , v. 25 Red Lk ). Auch die Ansicht, dass Reichtum in enger Verbindung mit politischer Macht steht, spiegelt sich hier: Das, was Reichtum nach v. 25 ausmacht, ist in Herrscherhäusern ( eön toiqw basileiqoiw , v. 25) zu finden. Die Gestaltung des Abschnitts durch die rhetorischen Fragen akzentuiert den Gegensatz zwischen einem von Armut und einem von Reichtum geprägten Lebensstil: Johannes der Täufer ist mit seiner bewusst gelebten Armut das Kontrastbild zu einem von Reichtum geprägten höfischen Leben. Als Ursache für Reichtum ist politische Macht dezent angedeutet, aber nicht explizit genannt. (#.1.2) Armut ist nach Lk 7,24ff. eine charakteristische Eigenschaft des Johannes. In welcher Weise sie Grundlage seiner religiösen Qualität ist - Jesus bezeichnet Johannes als perissoßteron profhßtou (v. 26b) und als Weg- 222 Dass Mt 21,32 und Lk 7,29f. Q-Parallelen sind, ist aufgrund des großen Unterschiedes in der Formulierung unwahrscheinlich. - Vgl. Heil, Lukas, 122; ähnlich auch Bovon, EKK III/ 1, 372; Dömer, Heil, 31f.; Ernst, Johannes, 103; Hoffmann, Studien, 194f. 229; Fitzmyer, Luke I, 670f. („comment of the evangelist“); Wolter, Lukasevangelium, 284. Für eine Herkunft von Lk 7,29f. aus dem S Lk plädiert Meier, Jew II, 167.170.224. 223 Vgl. Heil, Lukas, 122, insb. Anm. 20. 224 Zweimal in Mk, 14mal in Mt, 36mal in Lk, 48mal in Apg. 225 Das eigentlich für ihn ungewöhnliche Verb eödikaißvjesan (v. 29) übernahm Lukas wohl aus v. 35 (vgl. Bovon, EKK III/ 1, 379; Fitzmyer, Luke I, 677). 226 So Heil, Lukas, 123; Nolland, Luke A, 342; Hoffmann, Studien, 229. 227 Vgl. Heil, Lukas, 124; Schröter, Erwägungen, 447. - Kloppenborg dagegen hält es für schwer vorstellbar, dass Lukas das Logion hier vorgefunden und in einen anderen Kontext verschoben hat (ders., Nomos, 44). - Dass ein Logion aus Q als Kommentar zu einer Perikope gestellt wird, kommt jedoch durchaus vor (vgl. z.B. Lk 18,9-14: v. 14b). 228 Heil, Lukas, 266. 229 Vgl. Fitzmyer, Luke I, 678. <?page no="261"?> 261 bereiter (v. 27) 230 -, wird nicht weiter erläutert; dass Johannes mit der ihn auszeichnenden Armut als religiöser Maßstab gilt, zeigen die v. 29f. (s.u. 3.3): Die Entscheidung gegen die Taufe des Johannes entspricht einer Auflehnung gegen die boulhß touq jeouq . (#.2/ 3) Ökonomisches Handeln wird in Lk 7,24ff. nicht thematisiert, ebenso wenig wie das Handeln Gottes bzw. Jesu an armen und reichen Menschen. 2.3.6 Q 9,57-62: Nachfolge und (vgl. Mt 8,19-22) Kontext und Abgrenzung. Lk 9,57ff. steht am Anfang des so genannten Reiseberichts (Lk 9,51-19,27). In Mt hat die Perikope ihren Ort nach den drei Heilungserzählungen, die auf die Bergpredigt folgen. Lk 9,57ff. ist durch den Genitivus absolutus kai? poreuomeßnvn auötvqn (Lk 9,51) klar nach oben abgegrenzt. Der Übergang zur folgenden Perikope (Lk 10,1ff.: Aussendung der 72 Jünger) ist ebenfalls deutlich durch den Neuansatz mit meta? de? tauqta (Lk 10,1) markiert. Struktur. Lk 9,57-62 ist dreigliedrig aufgebaut. Auf die Einleitung (v. 57a) folgen drei Dialoge. Der erste greift das die Armut des Menschensohnes auf: 1. Dialog (v. 57b-58): a) Eine Person bietet an, Jesus nachzufolgen. b) Antwort Jesu: aiÖ aÖlvßpekew fvleou? eäxousin kai? ta? peteina? tou ouöranouq kataskhnvßseiw, oÖ de? uiÖo? w touq aönjrvßpou ouök eäxei pouq […] 2. Dialog (v. 59f.): a) Jesus fordert eine Person zur Nachfolge auf. b) Antwort der Person: […] jaßyai to? n pateßra mou. c) Entgegnung Jesu: aäfew tou? w nekrou? w jaßyai tou? w eÖautvqn nekroußw […] 3. Dialog (v. 61f.): a) Eine Person bietet an, Jesus nachzufolgen - mit der Einschränkung: […] aöpotaßcasjai toiqw eiöw to? n oiQkoßn mou . b) Entgegnung Jesu: ouödei? w eöpibalv? n th? n xeiqra eöp ö aärotron […] 2.3.6.1 Redaktionskritik Lukas erweitert die Q-Vorlage um v. 61f. 231 Darüber hinaus nimmt er keine inhaltlich relevanten Änderungen an der Q-Vorlage vor. 2.3.6.2 Theologisch-inhaltliche Analyse In Lk 9,57ff. ist die Nachfolge Jesu das zentrale Thema, um das alle drei Dialoge kreisen. Der erste (v. 57b.58) ist für die vorliegende Untersuchung inhaltlich relevant; denn hier weist Jesus auf seine eigene Armut hin. Er geht seinen Weg nach Jerusalem ohne jegliche materielle Absicherung und ist 230 Kryptisch ist v. 28, der das Vorangegangene zu relativieren scheint (s. Heil, Lukas, 264ff.). 231 Vgl. Jeremias, Sprache, 182; Bovon, EKK III/ 2, 32; anders Petzke, Sondergut, 104.106- 107). <?page no="262"?> 262 ohne Obdach. Jesus spricht in Lk 9,58 von sich rhetorisch pointiert als uiÖo? w touq aönjrvßpou , der nicht einmal das hat, was die Füchse und Vögel haben. 232 (#.1.1) Im ersten Dialog weist Jesus auf seine eigene Armut hin (Lk 9,58). Er verdeutlicht damit, dass derjenige, der ihm nachfolgen will, bereit sein muss, diese Armut und Obdachlosigkeit mit ihm zu teilen. (#.2.1) Lukas übernimmt aus Q unverändert die Botschaft, dass die Nachfolge Jesu mit dem Zurücklassen jeglicher materieller Sicherheit einhergeht. (#.2.2/ 3) Ethische Leitlinien für den Umgang mit materiellen Gütern und eine theologische Deutung bietet Q 9,57ff. nicht. (#.3) Das Handeln Gottes bzw. Jesu an armen und reichen Personen oder ökonomischen Zuständen ist kein Thema in Lk 9,57ff. 2.3.7 Q 10,1-12: Aussendung der 72 Jünger (vgl. Mt 10,7-15) Kontext und Abgrenzung. Lk 10,1-12 ist die dritte Perikope des so genannten Reiseberichts (Lk 9,51-19,27). In Lk 10,1 markiert meta? de? tauqta einen Neuansatz nach der dialogischen Passage Lk 9,57-62. Eine Zäsur findet sich erst zwischen v. 16 und 17, der Rede Jesu und der Erzählung von der Rückkehr der 72. 233 Struktur. Auf die Situationsbeschreibung und Redeeinleitung in Lk 10,1.2a folgt in v. 2b-16 die Rede Jesu an die 72. Sie ist wie folgt gegliedert: 1. Aufforderung zum Gebet (v. 2b): Gott soll Arbeiter in die Ernte senden. 2. Situation der ausgesandten 72 (v. 3): Wie Lämmer unter Wölfen. 3. Missionsinstruktionen (v. 4-11a). 4. Versicherung an die 72 (v. 11b-12): basileißa touq jeouq ist nah. 5. Jesu Weherufe über galiläische Städte (v. 13-15). 6. Spruch (v.16): „ ÖO aökoußvn uÖmvqn eömouq aökoußei, […].“ 2.3.7.1 Redaktionskritik Lk 10,1-12 ist eine Dublette zu Lk 9,1-6, die Lukas aus zu Mk 6 parallelem Q-Material komponiert hat. Nur in Lk ist zusätzlich zur Aussendung der Zwölf (Lk 9,1ff. par Mk 6,6ff., Mt 10,5ff.) eine weitere Aussendung berichtet. 234 Lukas verwendet die beiden parallelen Traditionen aus Mk und Q, um die theologische Idee der Mission in Israel einerseits und unter den Völkern andererseits zu entfalten. Diese theologische Sichtweise inspiriert ihn dazu, den Bericht aus Mk für die Aussendung der Zwölf (Lk 9,1-6) und den Bericht aus Q für die Aussendung der 72 (Lk 10,1-16) zu verwenden. Dass in Mt 9,37-10,16 Markus und Q miteinander verschmolzen sind, lässt den Schluss zu, dass in Q die 72 mit den Zwölf identifiziert worden sind. 235 232 Vgl. Luz, EKK I/ 2, 22; Bovon, EKK III/ 2, 34; zum Menschensohntitel vgl. Luz, EKK I/ 2, 23; anders Fitzmyer, Luke I, 835; Bultmann, Geschichte, 27. - Zum Menschensohn bei Lk vgl. Bovon, EKK III/ 1, 249, insb. Anm. 31. 233 Für die vorliegende Untersuchung sind die v. 13-20 nicht relevant, weshalb ich mich auf die v. 1-16 beschränke. 234 Vgl. Fitzmyer, Luke I, 843; Bovon, EKK III/ 2, 45. 235 Vgl. Bovon, EKK III/ 2, 45. <?page no="263"?> 263 Darüber hinaus ist lukanische Redaktion ist in 10,1ff. kaum nachzuweisen. 236 Schwierig ist die Analyse besonders in v. 4, den Ausrüstungsvorschriften, da dort der Vergleich mit Mt fehlt, der sich hier im Wesentlichen auf Mk 6 stützt. Dass Matthäus die Q-Version kannte, ist aus dem Verbot der Sandalen (Mt 10,10) zu schließen. Lk 22,35-38 nimmt Bezug auf Lk 10,4. Durch die Komposition von Lk 22,35-38 nimmt Lukas die Radikalität für seine Zeit zurück (Lk 22,36: aölla? nuqn oÖ eäxvn ballaßntion aöraßtv, oÖmoißvw kai? phßran, kai? oÖ mh? eäxvn pvlhßsatv to? iÖmaßtion auötouq kai? aögoraßsatv maßxairan ). 237 2.3.7.2 Theologisch-inhaltliche Analyse (#.1.1) Bei der Aussendung der 72 geht es - wie bei der Aussendung der Zwölf in Lk 9 - nicht um Armut, die aufgrund ökonomischer und gesellschaftlicher Umstände strukturell bedingt ist, sondern um Armut, die den Jüngern von Jesus auf Zeit - für die Dauer ihrer Missionstätigkeit - aufgetragen ist. In Lk 10,4 findet sich die Vorschrift darüber, was die 72 Missionare nicht auf ihrem Weg mitnehmen dürfen: keinen Geldbeutel ( ballaßntion ), keine Reisetasche ( phßra ), keine Sandalen ( uÖpodhßmata ). Dies impliziert, dass die 72 auch das, was in Geldbeutel und Reisetasche gewöhnlich aufbewahrt wird - Geld, Nahrungsmittel, Ersatzkleidung -, nicht auf ihren Weg mitnehmen dürfen. Umstritten ist, ob in Lk 10,4 den Ausgesandten verboten wird, Ersatzschuhe mitzunehmen, oder ob sie tatsächlich barfuss laufen sollen. 238 Vieles spricht für letzteres, auch der Vergleich von Lk 10,4 mit den Parallelen Mk 6,9 und Mt 10,10 sowie mit Lk 22,35: Lk 10,4 untersagt die Mitnahme einer Reisetasche, was den Schluss nahe legt, dass auch dort aufzubewahrende Ersatzkleidung nicht mitgenommen werden darf. Ersatzkleidung ist in Mk 6,9 und Mt 10,10 verboten, wird aber deutlich mit „ dußo […]“ bezeichnet. 239 Sämtliche Indizien weisen darauf hin, dass hier tatsächlich das Barfusslaufen gefordert ist. 240 In Lk 22,35 schließlich stehen die uÖpodhßmata kommentarlos in einer Reihe mit ballaßntion und phßra , ohne Hinweis da- 236 V. 1 ist auf lukanische Redaktion zurückzuführen. - Vgl. Bovon, EKK III/ 2, 46; Fitzmyer, Luke II, 842; detailliert Jeremias, Sprache, 182. Jeremias verweist allerdings darauf, dass kußriow als Bezeichnung des irdischen Herrn nicht lukanisch sei. 237 Vgl. Bovon, EKK III/ 2, 51f. - „For Luke the early period of the Christian movement, especially Jesus` ministry, was an ideal period with special conditions that gave way to a later period in which the Christian movement faced considerable opposition resulting in changed rules. The passion of Jesus marks a turning point […].“ (Fleddermann, Doublets, 426); vgl. Fitzmyer, Luke II, 1428.1432. 238 Vgl. Schröter, Erinnerung, 176: „[…] nicht die typisch kynischen, sondern die notwendigen Ausrüstungsgegenstände mitzunehmen, wird untersagt“. 239 Mk 6,9 erlaubt ausdrücklich, sandaßlia unterzubinden, verbietet dagegen ausdrücklich ein Ersatzhemd. Mt 10,10 verbietet wie Lk 10,4 uÖpodhßmata und spricht ebenso präzise wie Mk vom zweiten Hemd ( dußo xitvqnaw ). 240 Dagegen verweist Wolter darauf, dass bastaßzein nie das Tragen von Kleidung am Körper bezeichne (Wolter, Lukasevangelium, 378); Spitta bezeichnet die Forderung, keine Sandalen zu tragen, als undurchführbar (ders., Verbot, 39.44). <?page no="264"?> 264 rauf, dass es sich um Ersatzschuhe handelt. Lk 15,22 zeigt, dass es durchaus vorstellbar war, ohne Schuhe unterwegs zu sein. In Lk 10,4 sowie in Mt 10,10 241 wird die Radikalität von Q sichtbar. Lukas weist den Vorschriften aus Lk 10,4 ihren Ort in der Zeit Jesu zu, in Lk 22,35 modifiziert er sie für die Zeit nach seinem Tod. (#.1.2) Armut kennzeichnet in Lk 10 das Dasein der 72 während ihres Missionsauftrags. Theologisch betrachtet ist die Armut Zeichen dafür, dass die ausgesandten Jünger völlig von Gott abhängig sind und ihr Vertrauen auf ihn setzen. 242 (#.2.1-3) Umgang mit materiellen Gütern und ethische Leitlinien dafür werden in Lk 10 weder reflektiert noch theologisch interpretiert. (#.3) Lk 10,1ff. setzt implizit voraus, dass Gottes Fürsorge die 72 auf ihrem Weg begleitet. 2.3.8 Q 11,1-4: Vaterunser (vgl. Mt 6,7-13) Kontext und Abgrenzung. Auf die beiden Sondergutperikopen „Barmherziger Samariter“ (Lk 10,29-37) und die Erzählung von „Maria und Martha“ (Lk 10,38-42) folgt ein Abschnitt über das Beten (Lk 11,1-13). Dieser beginnt mit einer redaktionellen Einleitung in Lk 11,1, die nach der vorangehenden Perikope in eine neue Situation einführt: Jesus betet und wird danach von einem der Jünger aufgefordert, sie das Beten zu lehren. Durch kai? eögeßneto ist die Perikope nach oben klar abgegrenzt. Darauf folgen die Gebetssätze in Lk 11,2-4. In v. 5 schließt sich mit dem „Gleichnis vom bittenden Freund“ (Lk 11,5-8; S Lk ) ein neuer Abschnitt der Rede Jesu an ( kai? eiQpen pro? w auötoußw ). Das Vaterunser steht in Lk also zwischen Sondergut-Perikopen; in Mt ist es Element der Bergpredigt (Mt 6,7-13). Struktur. Die Perikope Q 11,1-4 ist folgendermaßen strukturiert: v. 1: Einleitung v. 2-4: Vaterunsergebet v. 2a: Anrede Gottes: paßthr v. 2b.c: Zwei Bitten: Heiligung des Namens; Kommen des Reiches Gottes v. 3.4a: Zwei Bitten „für uns“ ( hÖmiqn ): Brot; Vergebung v. 4b: „Begründung/ Bedingung“ der Vergebungsbitte v. 4c: Bitte um Bewahrung vor Versuchung 241 Matthäus folgt hier im Wesentlichen Mk 6, greift aber das Verbot der Sandalen aus Q auf. 242 Vgl. Bovon, EKK III/ 2, 52. <?page no="265"?> 265 2.3.8.1 Redaktionskritik Die Einleitung des Vaterunsers v. 1.2a ist auf lukanische Redaktion zurückzuführen. 243 V. 2b übernimmt Lukas aus Q. 244 In v. 3, der Bitte um das aärton eöpioußsion , hat wohl Matthäus die Q-Version bewahrt. 245 Die lukanische Wendung to? kaj ö hÖmeßran betont gegenüber dem Bezug auf das unmittelbare Heute ( shßmeron , Mt 6,11) die Dauerhaftigkeit. Der Imperativ Präsens dißdou betont gegenüber dem punktuellen Aspekt in Q, dem Bezug auf das unmittelbare Heute ( doßw , Mt 6,11), die Dauerhaftigkeit. Lukas denkt an die Dauer des Lebens. 246 Der Wechsel vom Imperativ Aorist in Q zum Imperativ Präsens in Lk ist grammatisch durch den Wechsel von shßmeron zu kaj ö hÖmeßran bedingt . 247 Strittig ist die Bedeutung von eöpioußsiow. Im NT begegnet es nur in Lk 11,3 par Mt 6,11. Sprachlich lässt es sich nur von eöpießnai (zukommen) bzw. von hÖ eöpiouqsa (der kommende Tag) 248 ableiten. Legt man die Vorstellung vom Manna, das am Vorabend des Sabbat für den kommenden Tag gegeben wird (vgl. Ex 16) zugrunde, ist diese Deutungsvariante plausibel, zumal es im Griechischen kein anderes Adjektiv mit der Bedeutung „morgig“ gibt. 249 Die Vergebungsbitte ( aäfew hÖmiqn […] v. 4) hat Lukas folgendermaßen bearbeitet: Den Begriff oöfeilhßmata aus Q ersetzt er durch aÖmartißai . Da oöfeißlhma im Griechischen nicht mit der Verfehlung göttlicher Gebote konnotiert ist, wählt Lukas den Begriff aÖmartißa (Sünde), um zunächst klar zu stellen, dass es genau darum geht. 250 Zugrunde liegt das aramäische ( ) ) bwx , das beide Konnotationen hat. Es kann sowohl auf „Sünde“ als auch auf „Geldschuld“ verweisen. 251 Dies erklärt die metaphorische Verwendung. 252 243 Vgl. detailliert Jeremias, Sprache, 195; Fitzmyer, Luke II, 897f.; Wolter, Lukasevangelium, 403. 244 Vgl. das IQP; Luz, EKK I/ 1 (1985), 335; Jeremias, Sprache, 195. 245 Vgl. das IQP. 246 Vgl. Bovon, EKK III/ 2, 129. - Vgl. Lk 9,23 par Mk 8,34: Dort fügt Lukas in Bezug auf das Tragen des Kreuzes kaj ö hÖmeßran ein. 247 Vgl. Blass/ Debrunner, Grammatik, §§ 336,1; 337,4. 248 Vgl. Apg 7,26 ( thq # […] hÖmeßra# ); 16,11; 20,15; 21,18. 249 Vgl. Luz, EKK I/ 1 ( 5 2002), 345f.; Philonenko, Vaterunser, 80; Jeremias, Theologie, 193. Belegt ist dieses Verständnis im aus dem Griechischen übersetzten Nazaräerevangelium ( rhm ; 1. Hälfte des 2. Jh.), etwas später auch in der koptischen Übersetzung und bei Origenes (Or 27,13). - Andere Deutungsmöglichkeiten sind nach Luz, EKK I/ 1 [ 5 2002], 345f.): 1. Eine sakramentale Deutung: Sie ist unmöglich, da sie Christologie, Eucharistieverständnis und Substanzdenken einer späteren Zeit voraussetzt. - 2. Ouösißa als „Existenz“ bzw. „Lebensunterhalt“; dann würde eöpioußsiow „existenznotwendig“ bedeuten. Dagegen spricht die Etymologie; denn die Verbindung von eöpi? + eiQnai führt zur Elision des i . - 3. Die Bedeutung „für den heutigen Tag“: Diese Variante geht von eöpi? th? n ouQsan ( hÖmeßran ) aus. Dagegen spricht, dass der Ausdruck ohne hÖmeßra nie belegt ist, und auch hier müsste es eöpoußsiow heißen. - 4. Die Interpretation des Brotes als eschatologische Mahlzeit im Reich Gottes (vgl. Mk 14,25; Mt 8,11f.; Lk 14,15 [Verbindung von himmlischer Herrlichkeitsmahlzeit mit der Alltagsnahrung Brot]; 22,30). Diese Deutung beruft sich auf to? eöpioßn (Zukunft) oder darauf, dass das semitische rxm auch die Bedeutung „zukünftig“ haben kann (vgl. Jeremias, Vater-Unser, 165-167). Dagegen spricht, dass rxmld Nmxl gerade mit dem Suffix „unser“ von einem unvoreingenommenen Hörer anders verstanden worden wäre. Zudem spricht to? kaj ö hÖmeßran dagegen. 250 Vgl. Bovon, EKK III/ 2, 134; zu aÖmartißa bei Lukas vgl. J.-W. Taeger, Mensch, 31-44. 251 Vgl. Luz, EKK I/ 1 ( 5 2002), 336. 252 Vgl. Lk 7,41-43. <?page no="266"?> 266 Das lukanische Präsens aöfißomen betont gegenüber dem Aorist aöfhßkamen (Mt 6,12 Q) die performative Dimension des Gebets: 253 Wir vergeben, indem wir das Vaterunser sprechen und zugleich versprechen wir, dass wir es bei der nächsten Gelegenheit tun werden. 254 2.3.8.2 Theologisch-inhaltliche Analyse (#.1.1) Das Thema „Armut und Reichtum“ als Besitz materieller Güter ist im Vaterunser implizit präsent; denn es ist vorausgesetzt, dass der Mensch darauf angewiesen ist, dass er materielle Güter, insbesondere lebensnotwendige Nahrung empfängt - sie also weder selbstverständlich hat noch sie einfach erwerben kann. Deutlich wird dies an der Bitte um das aärton eöpioußsion , das Brot für den morgigen Tag (Lk 11,3) (#.1.2) Hintergrund der Bitte um das Brot ist die Vorstellung von der Gabe des Manna aus Ex 16. Prinzipiell kam diese Bitte nur am Vorabend des Sabbat zur Anwendung. Lukas weitet die theologische Idee auf alle (Wochen-) Tage aus, indem er shßmeron durch kaj ö hÖmeßran ersetzt. Das Brot für den nächsten Tag gilt im Vaterunser nicht als selbstverständlich vorhanden. Als wichtigstes Nahrungsmittel kann es „als pars pro toto für ‚Nahrung‘ überhaupt stehen, aber nicht darüber hinaus auf irgendwelche Lebensbedürfnisse überhaupt ausgeweitet werden. […] ‚Brot für morgen‘ enthält zugleich eine Begrenzung: Es geht um das Überlebenkönnen, nicht um Reichtümer“ 255 . (#.2.1/ 3) Die Schuldenmetaphorik (Q 11,4) dient als Bild für das vergebende Handeln Gottes am Menschen, bzw. für die Schuld, die der Mensch in seiner Beziehung zu Gott anhäuft. Dabei ist das vergebende Handeln Gottes an das vergebende Handeln des Menschen gekoppelt (Lk 11,4: kai? ga? r auötoi? aöfißomen). 256 Dieses erfüllt sich nicht darin, dass Menschen moralische Schuld vergeben, sondern auch darin, dass sie materielle Schulden erlassen. Sprachlich ist dies daraus abzuleiten, dass das zugrunde liegende aramäische ( ) ) bwx „der allgemeinste Ausdruck für ‚Sünde‘“ 257 „und zugleich ein Begriff für materielle Schulden“ 258 ist. Zudem steht im Vaterunser die Bitte um das Brot für den morgigen Tag der Vergebungsbitte voran. Wenn dies als nicht gesichert betrachtet und von Gott erbeten wird, ist auch die religiöse und die materiell-finanzielle Seite der Schuldenthematik nicht zu trennen. 259 Deshalb kann in der Vaterunserbitte nicht gemeint sein „wie wir 253 Vgl. Wolter, Lukasevangelium, 409. 254 Bovon, EKK III/ 2, 135. 255 Luz, EKK I/ 1 ( 5 2002), 347. 256 Dass göttliche Vergebung an menschliche Vergebung gebunden ist, ist im Judentum verbreitet (vgl. Luz, EKK I/ 1 [ 5 2002], 348; vgl. Sir 28,2-5). 257 Dalman, Worte, 338. 258 Crüsemann, Schuld, 92f. 259 Vgl. Crüsemann, Schuld, 101f. <?page no="267"?> 267 vergeben unseren Schuldnern - soweit nicht materielle Schulden berührt sind“ 260 . (#.2.2) Das Vaterunser reflektiert keine traditionellen ethischen Leitlinien. (#.3) Dass Gott in die irdische ökonomische Situation eingreift, kommt im Vaterunser implizit zum Tragen: Erstens wird Gott als derjenige betrachtet, von dem das lebensnotwendige Brot kommt. Zweitens ist Gottes vergebendes Handeln an menschliches vergebendes Handeln geknüpft. Es ist also nicht ausgesagt, dass Gott direkt in ökonomische Zustände eingreift, doch wird sein Handeln als abhängig von menschlichem ökonomischen Handeln (Schuldenerlass) dargestellt. 2.3.9 Q 11,37-52: Weherufe gegen die Pharisäer (vgl. Mt 23,1-7*.23-28*) Kontext und Abgrenzung. Lukas situiert die Weherede gegen die Pharisäer im Kontext des Weges Jesu nach Jerusalem; Jesus befindet sich dabei im Haus eines Pharisäers. 261 Struktur. Die lukanische Weherede umfasst zwei Teile, Lk 11,37-44 (an die Farisaiqoi gerichtet) und Lk 11,45-52 (an die nomikoiß gerichtet). 262 In Lk 11,37-44 folgen auf die Einleitung (v. 37-39a) ein Streitgespräch und drei Weherufe: - Streitgespräch zum Thema „innere und äußere Reinheit“ (v. 39b-41): Kritik der „Ritualisierung des Ökonomischen“ 263 , stattdessen Forderung der Ethisierung. - 1. Weheruf (v. 42): Verzehntung landwirtschaftlicher Produkte gegenüber der Achtung der krißsiw und aögaßph touq jeouq . - 2. Weheruf (v. 43): Kritik am Anspruch der Pharisäer auf Ehrenposition in der Synagoge und auf dem Markt. - 3. Weheruf (v. 44): Die Ehrenposition der Pharisäer ist „todbringender Schein“ 264 . 2.3.9.1 Redaktionskritik Die Rekonstruktion von Q erweist sich im vorliegenden Abschnitt als äußerst schwierig, insbesondere aufgrund der unterschiedlichen Reihenfolge der Paralleltexte bei Lukas und Matthäus. 260 Crüsemann, Schuld, 102. 261 Nach lukanischer Darstellung treten Pharisäer in Lk 19,39 das letzte Mal auf, in Jerusalem setzt Jesus sich nicht mehr mit ihnen auseinander. Im Gegensatz dazu verortet Matthäus die Perikope in Jerusalem (vgl. dazu Löning, Auseinandersetzung, 218). 262 Die folgende Analyse beschränkt sich auf die vv. 37-44, da nur sie thematisch interessant sind. 263 Löning, Auseinandersetzung, 227. 264 Löning, Auseinandersetzung, 229. <?page no="268"?> 268 Lk 11 Mt 23 Einleitung (v. 37-39a) Einleitung (v. 1-12) Rahmenerzählung: Jesus wird von einem Pharisäer eingeladen Rede Jesu mit Vorwürfen gegen Pharisäer: - Schriftgelehrte und Pharisäer auf „Stuhl des Mose“ - Heuchler - Menschen unerträgliche Lasten auflegen - Ehrenplätze - sich „Rabbi“ nennen lassen Mahnung Jesu an seine Hörer: - sich nicht Rabbi nennen lassen - „Der Größte unter euch soll euer Diener sein! “ Wehe gegen Pharisäer (v. 39b-44) Wehe gegen Pharisäer und Schriftgelehrte (v. 13-33) einleitende Feststellung: innere und äußere Reinheit (v. 39b-41) 1. WR: Verzehntung (v. 42) 1. WR: Himmelreich zuschließen; selbst nicht hineingehen, anderen den Zugang verwehren (v. 13) 2. WR: Ehrenplätze (v. 43) 2. WR: Proselyten gewinnen, zu Kindern der Hölle machen (v. 15) 265 3. WR: verdeckte Gräber (v. 44) 3. WR: Schwören beim Gold des Tempels; Worte über das Schwören (v. 16-22) Wehe gegen Schriftgelehrte (v. 45-52) 4. WR: Menschen unerträgliche Lasten auflegen (v. 46) 4. WR: Verzehntung; „Mücken aussieben, Kamele verschlucken“ (v. 23f.) 5. WR: Grabmäler der Propheten (v. 47-51) 5. WR: innere und äußere Reinheit (v. 25f.) 6. WR: Schlüssel der Erkenntnis; selbst nicht hineingehen, anderen den Zugang verwehren (v. 52) 6. WR: übertünchte Gräber (v. 27f.) 7. WR: Grabmäler der Propheten (v. 29-33) Schluss (v. 53f.) Schluss (v. 34-36) 265 Spätere Textzeugen (f 13 ; it; vg cl ; sy c ; bo mss ) überliefern nach v. 13 einen weiteren Weheruf (vgl. Mk 12,40). <?page no="269"?> 269 Die Weherufe dürften in einem dreistufigen Wachstumsprozess entstanden sein. 266 Ihr Kern ist Q 11,42.39-41, der von Judenchristen überliefert wurde, die den ethischen Aspekt der Thora gegenüber einem pharisäischen Legalismus betonten (besonders das Liebesgebot). 267 Eine erste Erweiterung stellt wohl die relativ milde Kritik in Q 11,43.46. Die hochpolemischen Verse 11,44.47-48.52 dürften den Wachstumsprozess abgeschlossen haben. In Q 11,47f. ist der Konflikt zwischen der christlichen Gemeinde und den Pharisäern sehr deutlich spürbar, er scheint sich gegenüber Q 11,42.39-41 verhärtet zu haben. Aus der Perspektive der Endredaktion von Q „Israel is guilty of rejecting God´s envoys, and her leaders actively attempt to thwart the unfolding of the kingdom“ 268 . Die wahrscheinliche Reihenfolge in Q ist folgende: 269 Lukas Matthäus 11,42 23,23 1. Verzehntung 11,39-41 23,25f. 2. Reinheit 11,43 23,6-7 3. Ehrenplätze 11,44 23,27f. 4. Verdeckte Gräber 11,46 23,4 5. Lasten auf Menschen legen 11,47f. 23,29-32 6. Gräber der Propheten 11,49-51 23,34-36 7. Weisheit Gottes 11,52 23,13 8. Schlüssel des Himmelreiches Matthäus und Lukas haben die Weherufe jeweils selbständig, gemäß ihrer redaktionellen Intention aufgebaut. 270 Die Reihenfolge von Q 11,42 und Q 11,39-41 dürfte Lukas verändert haben, um eine Verbindung zwischen dem Thema „Waschen vor dem Essen“ (v. 38) und dem entsprechenden Weheruf zum Thema „Reinheit des Geschirrs“ zu erreichen. 271 266 Vgl. Kloppenborg, Formation, 143. 267 Vgl. Kloppenborg, Formation, 141; Schürmann, Basileia, 174. 268 Kloppenborg, Formation, 147. Kloppenborg führt aus: „It is worthwile noting that very little if anything in this section of Q holds out to ‚this generation‘ an opportunity for repentance and rehabilitation. Quite the contrary. Everything suggests that in the community´s view, Israels rejection of the kingdom, Jesus and Sophia´s envoys is final and that nothing remains but the inevitability of judgement and eschatological punishment“ (Kloppenborg, Formation, 148). 269 Vgl. Kloppenborg, Formation, 140; ebenso das IQP. 270 Vgl. Bultmann, Geschichte, 118; Bovon, EKK III/ 2, 222. - Die beiden Evangelisten haben vier Weherufe gemeinsam (Lk 11,46 par Mt 23,4: Menschen Lasten auflegen; Lk 11,47f. par Mt 23,29-32: Grabmäler der Propheten; Lk 11,52 par Mt 13,13: Schlüssel der Erkenntnis); Mt 23,4 (Menschen Lasten auflegen) und Mt 23,6.7 (Ehrenplätze) bilden eine inhaltliche Parallele zu den Weherufen in Lk 11,46 und Lk 11,43, sind aber der Form nach keine Weherufe; Lk 11,39-41 (Äußeres und Inneres) entspricht inhaltlich dem, was in Mt 23,25f. in der Form eines Weherufes steht. 271 Vgl. Kloppenborg, Formation, 139. <?page no="270"?> 270 Spuren lukanischer Redaktion lassen sich in der Rahmenerzählung (Lk 11,37-39a.45.53f.) nachweisen. 272 Das historische Präsens eörvtaq # ist wahrscheinlich vorlukanisch, 273 die Einleitung dürfte also nicht im Ganzen von Lukas stammen. Die Schlussverse v. 53f. finden sich nur bei Lukas. Lukas hat seine einleitende Feststellung wohl bewusst an die Reinheitsfrage (v. 38) angeknüpft. Auf diese Weise ist sie harmonisch in die von ihm komponierte Szenerie eines Gastmahls eingefügt. Die folgenden Weherufe hat er in zwei Dreierreihen zusammengestellt: drei Weherufe gegen die Farisaiqoi (Lk 11,42-44) und drei Weherufe gegen die nomikoiß (Lk 11,46-52). Lk 11,39b-41 und Mt 23,25f. unterscheiden sich in ihrer Struktur. Die lukanische Jesusrede setzt mit einer zweiteiligen Feststellung ein, die den Kontrast zwischen der Reinheitsauffassung Jesu und derjenigen der Pharisäer darstellt (v. 39). 274 Darauf folgt die Beschimpfung der Pharisäer als aäfronew sowie eine kurze Belehrung (v. 40). Eine Ermahnung schließt die Sequenz ab (v. 41). Matthäus hat in der Parallele (Mt 23,25f.) die Form des Weherufs aus Q bewahrt; die Beschimpfung und Belehrung der Pharisäer fehlt dort. Im Detail unterscheiden sich Lk 11,39-41 und Mt 23,25f. in folgenden Punkten: a) Bei Lukas handelt es sich nicht um einen Weheruf, die Anrede lautet nuqn uÖmeiqw oiÖ Farisaiqoi (Lk 11,39b). Matthäus lässt Jesus hier das Wehe über grammateiqw kai? Farisaiqoi uÖpokritaiß (Mt 23,25) aussprechen. - In Q dürfte ein Weheruf gestanden haben, den Lukas in eine „einleitende Feststellung“ abgewandelt hat. 275 Lukas wirft den Pharisäern keine Heuchelei vor, für ihn ist ihr Verhalten „egozentrische Bosheit“ 276 . b) Lukas hat touq pot. kai? touq pißnakow (Lk 11,39b), Matthäus touq pot. kai? touq paroyißdow (Mt 23,25). - Die ursprüngliche Version lässt sich nicht rekonstruieren. 277 c) Lukas verweist mit dem Singular geßmei ( aÖrpaghqw kai? ponhrißaw ) auf das Herzensinnere der Pharisäer (v. 39), Matthäus bleibt mit dem Plural geßmousin ( eöc aÖrpaghqw kai? aökrasißaw ) bei der „Beschreibung“ der Gefäße (v. 25). d) Nach Lukas beschimpft Jesus die Pharisäer mit aäfronew (v. 40), nach Matthäus spricht er den Pharisäer mit Farisaiqe tufleß (v. 26) an. Dann verweist Lukas mittels einer rhetorischen Frage auf Gott als Schöpfer, der Inneres und Äußeres geschaffen hat. Da unter den Synoptikern nur Lukas aäfrvn verwendet (hier und in Lk 12,20), ist es wahrscheinlich, dass er hier die Q-Formulierung ersetzt hat. Für lukanische Redaktion spricht außerdem die Parallelität zu Lk 12,20: Hier wie dort folgt auf die Anrede aäfrvn bzw. aäfronew eine rhetorische Frage, die auf Gott und die transzendente Wirklichkeit hinweist bzw. von Gott selbst ausgesprochen wird (11,40: oÖ poihßsaw to? eäcvjen ; in 12,20 spricht Gott selbst: th? n yuxh? n sou aöpaitouqsin ). 278 Der mit der Anrede aäfronew be- 272 Infinitiv mit Artikel begegnet im NT besonders häufig bei Lukas (Lk 70/ Apg 51) und Paulus. Lukas übernimmt ihn zweimal aus seinem Markusstoff und fügt ihn 15mal dort ein. Als einziger neutestamentlicher Autor verwendet Lukas eön tvq # + Inf. Aor. zur Bezeichnung der Vorzeitigkeit. Dies spricht für Red Lk in v. 37: eön tvq # lalhqsai (vgl. Jeremias, Sprache, 27.29.205). - EiQpen de? […] pro? w (v. 39) ist lukanische Vorzugswendung (vgl. Jeremias, Sprache, 33.206). - Mt gestaltet die Passage, indem er das, was er aus Mk übernommen hat, nämlich die Warnung vor den Schriftgelehrten (Mk 12,7-40), als Aufhänger an den Anfang stellt (vgl. Luz, EKK I/ 3, 292). Daran fügt er die sieben Weherufe aus dem Q-Material an. 273 Lukas hat im Markusstoff 92 von 93 praesentia historica getilgt (vgl. Jeremias, Sprache, 205; Fitzmyer, Luke I, 107). 274 Zur Gliederung vgl. Luz, EKK I/ 3, 335. 275 Vgl. Bovon, EKK III/ 2, 222.227 Anm. 46. 276 Bovon, EKK III/ 2, 227. - Lukas ersetzt aökrasißa durch ponhrißa. 277 Luz rechnet hier mit der Möglichkeit zweier Q-Rezensionen (Luz, EKK I/ 3, 335). 278 Auch von Bendemann schreibt die Frage in v. 40 Lukas zu (von Bendemann, DOCA , 421). <?page no="271"?> 271 zeichnete Verständnismangel der Pharisäer ist ein geistliches Versagen; aäfrvn ist derjenige, der die Wirklichkeit Gottes verkennt. 279 e) Lukas hat plh? n […] doßte eölehmosußnhn […] (v. 41); Matthäus kajaßrison prvqton to? eönto? w […] (v. 26). Dass Lukas hier Q bearbeitet, ist vor allem aus inhaltlichen Gründen wahrscheinlich: 280 In Lk 11,39b.c sind die Gefäße reine Metaphern; to? eäsvjen bezieht sich eindeutig auf die Pharisäer ( eäsvjen uÖmvqn ). Entsprechend fordert Jesus hier die Pharisäer direkt zum Almosengeben auf (v. 41). Matthäus spricht durchgehend von Gefäßen (v. 25f.) und fordert zu deren Reinigung auf ( kajarißson , v. 26). In Q/ Matthäus geht es also im Kern darum, wie Reinheit zu erreichen ist. Für Lukas ist die abstrakte Frage der Reinheit aus Q nur Ausgangspunkt, um konkret von Barmherzigkeit zu sprechen. Seine Aufforderung lautet doßte eölehmosußnhn , die Reinheit ist nur ein „Nebenprodukt“ ( iödou? paßnta kajaraß , v. 41). Lukas hat sich also von der ursprünglichen Fragestellung zum Thema „Reinheit“ entfernt. Die inhaltliche Analyse spricht dafür, dass die lukanische Fassung sekundär ist; sprachlich lässt sich dies nicht aufweisen. 281 Im Vergleich zu Lk 11,39 ist Mt 23,25 schwierig und auffällig unsymmetrisch. Dies ist ein weiteres Indiz dafür, dass Lukas hier redigiert hat: Bei Matthäus lautet die „Opposition zu ‚ihr reinigt das Äußere […]‘ […] nicht: ‚das Innere reinigt ihr nicht …‘, sondern: ‚innen sind sie [die Gefäße] voll‘ - man erwartet mindestens ‚von Unreinheit‘“ 282 . - Lukas stellt dagegen pointiert das Äußere der Gefäße dem Inneren der Pharisäer gegenüber: to? eäcvjen touq pothrißou - to? de? eäsvjen uÖmvqn : Das Äußere der Gefäße reinigt ihr, euer Inneres ist voll von aÖrpaghß 283 und ponhrißa. In diesem Zuge dürfte Lukas auch to? eöntoßw (Q; Mt 23,26) in ta? eönoßnta geändert und auf diese Weise in sein neues Bild eingefügt haben. Die lukanische Formulierung lässt die Assoziation zu, dass in den Gefäßen Geld aufbewahrt wurde. 284 Lk 11,42 und Mt 23,23, der Weheruf mit dem Vorwurf der minutiösen Verzehntung, unterscheiden sich in folgenden Punkten: a) Objekte der Verzehntung sind in Lk (v. 42): to? hÖdußosmon (Minze) , to? phßganon (Raute) , paqn laßxanon (allerlei Gemüse). Matthäus (23,23) nennt eine Aufzählung von Kräutern ( to? hÖdußosmon, to? aänejon, to? kußmnion ). Lk und Mt haben also nur to? hÖdußosmon (Minze) gemeinsam. - Die Verallgemeinerung paqn ist wohl lukanisch, da Lukas dazu neigt, bereits spezifizierte Wendungen zu generalisieren. 285 279 Vgl. Bovon, EKK III/ 2, 228 Anm. 51. 280 Vgl. das IQP. 281 Vgl. Luz, EKK I/ 3, 335. - Folgende Wendungen in v. 41 gehen wahrscheinlich auf lukanische Redaktion zurück: plhßn - Jeremias ist allerdings der Ansicht, dass adversatives plhßn auf Tradition hinweise (vgl. Jeremias, Sprache, 206); didoßnai eölehmosußnhn findet sich im NT nur zweimal, hier und in Lk 12,33; Jeremias plädiert für Tradition (Jeremias, Sprache, 206) - auf jeden Fall hat Lukas hier Q korrigiert; kai? iödou? findet sich 27mal in Lk und achtmal in Apg, in Mt 28mal und in Mk nicht; ist in Lk also relativ häufig; paßnta kajaraß entspricht Röm 14,20b und Tit 1,15 - möglicherweise handelt es sich hier um einen „Slogan der Starken“, den auch Lukas kannte (vgl. Luz, EKK I/ 3, 335 Anm. 70). 282 Luz, EKK I/ 3, 335. 283 „ &Arpaghß ist der äußerliche Akt des Raubes oder die geraubte Sache, nur ganz selten subjektiv die Gier.“ (Luz, EKK I/ 3, 337.) 284 Vgl. Luz, EKK I/ 3, 335, insb. Anm. 96. 285 Vgl. Cadbury, Style, 115f. - Ähnliche Verallgemeinerungen finden sich auch in Lk 3,19 diff Mk 6,18; Lk 13,28 diff Mt 8,11; Lk 19,47 diff Mk 11,18; Lk 21,29 diff Mk 13,28; Lk 23,48 diff Mk 15,39; Lk 23,49 diff Mk 15,40; Lk 24,10 diff Mk 16,1. - Vgl. Luz, EKK I/ 3, <?page no="272"?> 272 b) Lukas kommentiert die Verzehntungspraxis der Pharisäer als Vorbeigehen am Recht 286 und der Liebe Gottes ( pareßrxesje th? n krißsin kai? th? n aögaßphn touq jeouq , v. 42). Der Begriff aögaßph findet sich bei Lukas nur hier. 287 Nach Mt 23,23 verstoßen die Pharisäer und Schriftgelehrten durch die strikte Verzehntung gegen die wichtigsten Werte der Thora, nämlich das Recht ( krißsiw) , die Barmherzigkeit ( eäleow ) und die Treue ( pißstiw ). Die lukanische Version ist von der Ansicht geprägt, dass Gottes Liebe Menschen zu ethisch gutem, d.h. barmherzigem, Handeln bewegen kann. 288 Lukas übernimmt aus Q die grundsätzliche Akzeptanz des Verzehntungsgebots ( tauqta de? eädei poihqsai kaökeiqna mh? aöfießnai, Lk 11,42/ Mt 23,23). Dies steht in Spannung zur Polemik gegen die pharisäische Praxis. Ob die matthäische oder die lukanische Fassung näher am ursprünglichen Q-Text ist, ist kaum zu entscheiden. 289 Lk 11,43 und Mt 23,6f. (Weheruf mit dem Vorwurf der Ehrsucht) unterscheiden sich in folgenden Punkten: a) Bei Lukas handelt es sich um einen Weheruf, bei Matthäus nicht. b) Lukas hat aögapaqte , Matthäus filouqsin (v. 6). Das lukanische aögapaqte dürfte redaktionell sein. Lukas greift hier das Stichwort aögaßph aus v. 42 auf und geißelt so durch den Mund Jesu „eine Ethik der auf Abwege geratenen aögaßph , ‚Liebe‘; denn es lieben, sich nach vorne zu stellen, bedeutet, die anderen in den Hintergrund zu drängen“ 290 . c) Bei Lukas fehlt th? n prvtoklisißan eön toiqw deißpnoiw (Mt 23,6). Lukas bearbeitet das Thema Gastmahl ausführlich in 14,7-11. Zudem passt die Aussage schlecht in den Rahmen, den er seiner Erzählung gibt: Jesus selbst ist gerade bei einem Pharisäer zu Gast. d) Lukas hat den Singular th? n prvtokajedrißan , Matthäus den Plural ta? w prvtokajedrißaw. Welches die ursprüngliche Version ist, ist nicht zu entscheiden; inhaltlich ist dies nicht relevant. e) Bei Lukas fehlt kai? kaleiqsjai uÖpo? tvqn aönjrvßpvn rÖabbiß. Matthäische Redaktion ist hier wahrscheinlich. Bei Lukas, der sich vornehmlich an Nichtjuden wendet, begegnet der Titel rÖabbiß nie, bei Matthäus viermal. 329f. Die lukanische Version „verdirbt […] die rhetorisch pointierte Gegenüberstellung von Winzigem und Wichtigem“ (ebd., 330 Anm. 70), die sich in Q/ Mt findet. 286 Krißsiw entspricht dem biblischen +p#$m und hat etwa die Bedeutung Rechtsanspruch (vgl. Liedke, Art. +p#$ , 1004-1007). 287 In Verbindung mit Gott findet sich der Wortstamm aögap in Lk nur noch in 3,22 ( oÖ uiÖoßw mou oÖ aögaßphtow ). 288 „Allein eine echte Beziehung zu Gott führt zu einer wahrhaft ethischen Existenz.“ (Bovon, EKK III/ 2, 230). 289 Luz hält es aus sachlichen Gründen für denkbar, dass Mt 23,23bc ( oÄti […] pißstin ) auf Jesus zurückgehen könnte, da die Aussage die „grundsätzliche Vorordnung des Sittengebotes bei Jesus ebenso wie seine Distanz gegenüber dem Zehntengebot“ widerspiegelt; „Jesus gehörte zum galiläischen Ö Am ha Ö aräz und zugleich zur ländlichen Unter- oder Mittelschicht dieses Teils Israels, für die die Last des Verzehntens besonders groß war“ (Luz, EKK I/ 3, 330). - Trotz des hypothetischen Charakters der diachronen Analyse, lassen sich Schlüsse für das frühchristliche Gesetzesverständnis ziehen (vgl. ebd.): 1. Q-Gemeinden stellten sich die Frage nach dem Zentralen des Gesetzes; 2. Q-Gemeinden hielten Zehnten- und Reinheitsgesetz (vgl. Mt 23,25f.), auch wenn es nicht das Zentrum des Gesetzes war; 3. Q-Gemeinden standen in sachlicher Kontinuität zu Jesus: auch er schafft kultische und rituelle Gesetze nicht ab, sondern stellt diesen pointiert das Liebesgebot gegenüber und bezeichnet sie als zweitrangig. 290 Bovon, EKK III/ 2, 230f. <?page no="273"?> 273 Fazit: Lukas setzt durch seine Redaktion folgende Akzente: 291 Er fordert zum Almosengeben auf, das innere Reinheit mit sich bringt. Reinheit als Wert per se verliert in Lk gegenüber Q an Relevanz. Q/ Matthäus fordern zu einer ethischen Reinigung von aÖrpaghß kai? aökrasißa auf, die jedoch nicht konkretisiert wird. 2.3.9.2 Theologisch-inhaltliche Analyse (#.1.1) Armut und Reichtum werden in Q 11,37ff. nicht direkt thematisiert. Die Aufforderung zum Almosengeben (v. 41) setzt „sozialen Abstand und ein Ausgleich forderndes ökonomisches Gefälle voraus“ 292 . (#.1.2) Armut und Reichtum erfahren in Q 11,37ff. keine theologische Deutung. (#.2.1) Lk 11,39-41 spricht die soziale und religiöse Dimension ökonomischen Handelns an. Dort ist als soziale Ebene das ökonomisch autarke Haus im Blick, es „gilt als der von fremder politischer Herrschaft freie, durch religiöse Kultur gestaltbare Raum, in dem die Tora das Leben ordnet“ 293 . Das Almosengeben ist von der Thora geboten (vgl. Dtn 14,28ff.; 15,7-11). Wohltätigkeit gegen Bedürftige wird im AT an verschiedenen Stellen gefordert (vgl. z.B. Tob 4,7-9; 16-18; Spr 14,21; Sir 4,1-6). Lukas knüpft in Lk 11,41 seine Aufforderung zum Almosengeben an die Reinheitsfrage an: Jesus hat sich vor dem Essen nicht - wie im pharisäischen Judentum üblich - die Hände gewaschen; dies löst beim Gastgeber Verwunderung aus. 294 Dass Almosen eine reinigende Funktion haben, ist ein verbreiteter Topos in der jüdischen Weisheitsliteratur (vgl. Spr 15,27 LXX; Tob 9,10: Almosen rettet vom Tod und reinigt jede Sünde: aöpokajareiq paqsan aÖmartißan ). 295 Der Ausdruck eölehmosußnh ist dort Äquivalent für hqdc . Später werden Almosen zum „Erkennungszeichen für das Verhältnis von Gottesfürchtigen und Proselyten zum Gottesvolk“ 296 (vgl. Lk 7,5). Die Adressaten von Almosen werden oft nicht genannt (vgl. Lk 11,41; 12,33). In der Regel wird vorausgesetzt, dass die Empfänger Juden bzw. „das Volk“ sind. 297 Die soziale Funktion von Almosen betonen Lk 10,25-37 und 18,22. Almosengeben wird hier als einziger Weg zur Zugehörigkeit zur Gruppe der Gerechten dargestellt: 298 In Lk 18,22 hängt die Bekehrung des reichen Jünglings zu Jesus am umfas- 291 „Der ursprüngliche Weheruf passt zwar zu Jesu ganzheitlicher Interpretation und ethischer Akzentuierung des Reinheitsgebotes, aber die Unterscheidung zwischen der Innen- und der Außenseite eines Gefäßes weist vielleicht doch eher auf eine spätere Zeit.“ (Luz, EKK I/ 3, 336f.) Der Sprecher schlägt sich nicht auf eine Seite (Hilleliten - Schammajiten), sondern macht sich über die Unterscheidung zwischen der Innen- und Außenseite eines Gefäßes lustig. 292 Hahn, Art. Almosen, 529. 293 Löning, Auseinandersetzung, 226. 294 Vgl. Mk 7,3. 295 Vgl. Berger, Almosen, 183ff. 296 Berger, Almosen, 191. 297 Vgl. Berger, Almosen, 191f.; Bammel, Art. ptvxoßw , 893. 298 Vgl. Berger, Almosen, 193. <?page no="274"?> 274 senden Besitzverzicht; er soll seinen Besitz als Almosen geben. Lk 10,25-37 berichtet vom erbarmenden Handeln eines Ausländers an einem Juden. Eine institutionalisierte Form des Almosengebens ist der sogenannte alle drei Jahre zur entrichtende Armenzehnt (vgl. Dtn 14,28f. 26,12-15). Auf das Wehe aus Q verzichtet Lukas hier. Dies entschärft die Exposition der Feststellung zur Reinheit (v. 39b) und klingt weniger konfrontativ. Mit dem anschließenden Vorwurf (v. 39c) und der Anrede aäfronew legt Lukas Jesus freilich einen sehr polemischen Ton in den Mund. Die heidenchristlichen Adressaten des Lukas dürften auf die Reinheitsfrage von einer Außenperspektive geblickt haben - die innerjüdische Diskussion dieser Fragestellung war ihnen mit Sicherheit fremd. 299 An den Reinheitsgedanken in seiner ethischen Dimension - verstanden als Reinigung des Menschen in seinem Inneren - konnten die Hörer des Lukas anknüpfen. 300 Lukas argumentiert hier damit, dass Gott der Schöpfer ist, der Äußeres und Inneres - eben nicht nur von Gefäßen, sondern auch von Menschen - gemacht hat. 301 Beides und besonders das eigene Innere ist reinzuhalten. Dass in Raubgier, aÖrpaghß , die wesentliche Verunreinigung besteht, übernimmt Lukas aus Q. Das erste lukanische Wehe gegen die Pharisäer (Lk 11,42) fokussiert eine minutiöse Verzehntungspraxis. Der „Zehnte“ ist keine jüdische Besonderheit; er ist eine im Mittelmeerraum und im Vorderen Orient übliche Institution. 302 Das Zehntgesetz (Dtn 14,22-29) regelt die Abgabe des Zehnten für den Tempel (v. 22-27) und den alle drei Jahre fälligen Armenzehnt (v. 28f.). Die Verzehntungspraxis, von der in Lk 11,42 par die Rede ist, spricht eine Durchführung an, die über das in der Thora geforderte Maß weit hinausgeht. (#.2.2) Dementsprechend reflektiert Lk 11,39b-42 ethische Leitlinien für ökonomisches Handeln in religiöser Dimension. Verschiedene Forderungen bzw. Maßstäbe der Thora sind miteinander zu vereinbaren: Reinheitsgebot (Lev 11-15) und Almosengeben (Dtn 14,28f.; 15,7-11), Verzehntungsgebot (Lev 27,30; Num 18,21; Dtn 14,22-29) und Recht/ Liebe Gottes. 299 Die Unterscheidung zwischen der Innen- und der Außenseite eines Gefäßes greift die ab der zweiten Hälfte des ersten Jh. intensiv geführte Diskussion zwischen Hilleliten und Schammajiten auf (vgl. Luz, EKK I/ 3, 336f.; Neusner, First Cleanse the Inside, 493ff). 300 Die Stoa verstand die Freiheit von Affekten als Reinheit, vgl. Epiktet II,18,19. 301 Vgl. auch die markinische Argumentation zum Thema innere und äußere Reinheit (Mk 7,20ff.): „Was aus dem Menschen herauskommt, das macht den Menschen unrein; denn von innen, aus dem Herzen der Menschen, kommen heraus böse Gedanken, Unzucht […] Bosheit ( ponhrißa ) […]. Alle diese Dinge kommen von innen heraus und machen den Menschen unrein.“ 302 Vgl. Schaper/ Tilly, Art. Abgaben, 2. <?page no="275"?> 275 (#.2.3) Bereits Q hat die Ansicht überliefert, dass die minutiöse Verzehntung der krißsiw (touq jeouq) widerspricht. Bei den Synoptikern hat krißsiw in der Regel die Bedeutung „Gericht, Jüngster Tag“. In der LXX ist krißsiw die Übersetzung von +p#$m und erhält so die Bedeutung „Recht“, Rechtsanspruch „des Unterdrückten, das der Richter zur Durchsetzung bringt“ 303 . Den Pharisäern wird also zum Vorwurf gemacht, dass ihnen der Rechtsanspruch der Armen gleichgültig sei 304 und die Liebe Gottes zu den Menschen ( aögaßph touq jeouq , Genitivus subjectivus! ) nicht verwirkliche. Lukas verweist hier noch nicht darauf, dass Menschen nur das geben können, was sie selbst von Gott erhalten haben; in Lk 11,42 dagegen klingt dies in der Formulierung aögaßph touq jeouq an. Der Umgang mit materiellen Gütern steht in Lk 11,39b-42 von vornherein in einem religiösen Kontext. Verzehntung und Almosengeben sind von der Thora geboten. Lukas verknüpft das Almosengeben mit der rituellen Frage der Reinheit. Schon Q stellte die Befolgung der Verzehntungsgebote dem Recht, dem Erbarmen und der Treue gegenüber. Lukas akzentuiert darüber hinaus die aögaßph touq jeouq , die Voraussetzung für menschliches Erbarmen ist. Im Hinblick auf die Reinheitsgebote entwickelt Lukas Q weiter, indem er die Argumentationslinie „Gott als Schöpfer“ einbringt: Gott hat alles gemacht, folglich steht alles zu ihm in Beziehung - vor allem das Innere des menschlichen Herzens. Almosengeben, so überträgt Lukas die jüdischen Reinheitsgesetze für seine Leser, reinigt alles (v. 41). Lukas stellt die Reinheit von Gefäßen der „Unreinheit“ von Menschen pointiert gegenüber. Während die Gefäße nebensächlich werden, wird die Beseitigung der Unreinheit im menschlichen Herzen - ponhrißa und aÖrpaghß - zum ethischen Ziel, das (der lukanische) Jesus anzustreben fordert. Lk 11,42b macht schließlich deutlich, dass - trotz aller Polemik - die Kultgesetze in den Weherufen nicht verworfen werden. (#.3) Das Handeln Gottes bzw. Jesu an armen und reichen Personen wird in Lk 11,37ff. nicht thematisiert. 2.3.10 Q 12,22-34: Von falscher und rechter Sorge (vgl. Mt 6,19-21.25-34) Kontext und Abgrenzung. Lukas schließt die Spruchreihe über das Sorgen (Lk 12,22-32) an die Erzählungen vom Erbstreit (Lk 12,13-15) und vom reichen Kornbauern (Lk 12,16-21) mit Stichwortverbindungen ( pißnein, fageiqn, aöpojhßkh, yuxhß) an. Nach zwei Perikopen, die die Anhäufung von Reichtum thematisieren, ist jetzt das Thema der Sorge um die eigene materielle Existenz zentral. Die Sequenz vom Schatz im Himmel (Lk 12,33f. par Mt 6,19-21) folgt bei Lukas auf die Spruchreihe vom Sorgen; bei Matthäus steht sie ihr - 303 Büchsel, Art. krißnv, 942; in Apg 8,33 ist krißsiw ebenfalls Übersetzung von +p#$m (Zitat von Jes 53,7 LXX). 304 Vgl. ebd. <?page no="276"?> 276 unterbrochen von Mt 6,22-24 (Mt 6,22f. par Lk 11,34-36: Auge als Licht des Leibes; Mt 6,24 par Lk 16,13: Gott oder Mammon) - voran. In Lk ist die Einheit durch die Redeeinleitung (v. 22) klar nach oben abgegrenzt. Danach folgt eine klare Zäsur erst wieder nach v. 34, vor der neuen Einheit Lk 12,35-40 (Gleichnis vom treuen und vom schlechten Knecht). Struktur. Lk 12,22-32 par Mt 6,25-34 mahnt dazu, sich nicht um die eigene Existenz zu sorgen, sondern das Reich Gottes zu suchen. Die Einheit stimmt bei Mt und Lk bezüglich Wortlaut und Aufbau weitgehend überein. - Sie beginnt bei Lukas mit v. 22ab, der eine Rede Jesu an seine Jünger einleitet. Sie ist dort wie folgt aufgebaut: 305 v. 22c: Erste negative Anweisung: mh? merimnaqte […] v. 23: Erste Begründung: hÖ ga? r yuxhß pleiqoßn eöstin […] v. 24a: Erste positive Anweisung: katanohßsate tou? w koßrakaw […] v. 24b: Erste Illustration: oÄti ouö speißrousin […] v. 24c: Erste Folgerung de minore ad maius: poßsv# maqllon uÖmeiqw […] v. 25: Rhetorische Frage: tißw de? eöc uÖmvqn […] v. 26: Anwendung: eiö ouQn […] tiß […] merimnaqte […] v. 27a: Zweite positive Anweisung: katanohßsate ta? krißna […] v. 27bc: Zweite Illustration: pvqw auöcaßnei […] v. 28: Zweite Folgerung de minore ad maius: eiö […] to? n xoßrton […] oÖ jeoßw ouÄtvw aömfießzei, poßsv# maqllon uÖmaqw […] v. 29: Zweite negative Anweisung: kai? uÖmeiqw mh? zhteiqte […] v. 30: Zweite Begründung: tauqta ga? r paßnta ta? eäjnh touq koßsmou eöpizhtouqsin, uÖmvqn de? oÖ path? r oiQden […] v. 31: Dritte positive Anweisung: plh? n zhteiqte th? n basileißan […] v. 32: Dritte negative Anweisung/ Zuspruch: Mh? foßbou […] v. 33a: Ethische Konkretion: Pvlhßsate […] v. 33b.34: Eschatologische und geistliche Begründung: ballaßntia mh? palaioußmena, jhsauro? n aöneßkleipton eön toiqw ouöranoiqw […] : oÄpou [ … ] oÖ jhsauro? w, eökeiq kai? hÖ kardißa […]. 2.3.10.1 Redaktionskritik Die kausale Einleitung dia? touqto leßgv uÖmiqn steht sowohl in Lk 12,22 als auch in Mt 6,25, stammt also mit hoher Wahrscheinlichkeit aus Q. 306 Dies wirft die Frage nach der Position der vorliegenden Perikope in Q auf: In Mt leitet dia? touqto eine Schlussfolgerung aus dem Wort vom Mammon (Mt 6,24) ein, in Lk erhält es die Funktion, eine Schlussfolgerung aus der in Lk vorangehenden Perikope vom Reichen Kornbauern einzuleiten. 307 Das Wort vom Schatz im Himmel (Q 12,33f./ Mt 16,19-21) folgt bei Lk auf Jesu Rede vom Sorgen, bei Mt steht es ihr - unterbrochen von 6,22-24 - voran. Dia? touqto schließt gut an Q 12,33f. an, was für die Ursprünglichkeit der matthäischen Reihenfolge spricht. Die lukanische Reihenfolge und damit ein Anschluss von dia? touqto an Q 12,12 ist weniger plausibel. Q 12,33f. bildete wohl die Überleitung zwischen Q 12,2-12 und Q 12,22-31. Dort bezog sich dia? touqto auf das Logion vom furchtlosen Bekenntnis 305 Vgl. Bovon, EKK III/ 2, 296. 306 Vgl. dazu auch Schröter, Erinnerung, 360 Anm. 252. 307 In ähnlicher Weise fungiert dia? touqto in Mt. Dort folgt die Perikope vom Sorgen auf das „Mammonwort“ (Mt 6,24) <?page no="277"?> 277 (Q 12,11f.). 308 Lukanisches Motiv für die Umstellung könnte gewesen sein, „dass er das Verbot des Sorgens als Warnung vor der Fixierung auf Besitz interpretieren wollte“ 309 . Die markantesten Abweichungen zwischen Mt und Lk sind folgende: a) Lukas markiert in v. 22 eine Anrede Jesu an die Jünger ( eiQpen proßw ist typisch lukanisch). 310 b) Lukas erwähnt in v. 22 das Trinken nicht; hü tiß pißhte ist in in Mt 6,25 wohl ursprünglich 311 . Lukas streicht in v. 22 zweimal das Personalpronomen uÖmvqn. 312 c) Während Matthäus in v. 25b eine rhetorische Frage überliefert, steht in Lk 12,23 eine Aussage 313 ; ebenso hat Mt in v. 26 und 30 rhetorische Fragen, während Lukas in v. 24 und v. 28 Aussagen mit poßsv# maqllon formuliert. d) Lukas verwendet in v. 24 und 27 den Imperativ katanohßsate , vereinheitlicht also, während Matthäus in v. 26 eömbleßyate und in v. 28 katamaßjete verwendet. 314 Außer in Mt 7,3 par Lk 6,41 findet sich katanoeiqn nur im lukanischen Doppelwerk (dreimal in Lk, viermal in Apg); dass Lukas einmal markinisches eiödvßw durch katanohßsaw ersetzt (Lk 20,23 diff Mk 12,15) könnte auf eine Vorliebe des Lukas für das Verb hindeuten. 315 Das Verb katanoeiqn betont „das noetische Moment im Wahrnehmungsvorgang“ und hat etwa die Bedeutung „mit Überlegung beobachten“, „denkend innewerden“. 316 Das matthäische eömbleßyate (Mt 6,26) weist direkter auf das „Schauen“ an Stelle des „Wahrnehmens“ hin. e) Lukas spricht in 12,24 von koßrakaw (Raben), Matthäus in 6,26 von peteina? touq ouöranouq (Vögel des Himmels). Koßrac ist Hapaxlegomenon. Lukas dürfte hier die ursprüngliche Form bewahren, Matthäus generalisieren. 317 f) Lukas betont in v. 24, dass die Raben nicht einmal tameiqon oder aöpojhßkh besitzen. Matthäus (v. 26) stellt fest, dass die Vögel nicht die Tätigkeit ausüben, eiöw aöpojhßkaw zu sammeln ( sunaßgousin ). 318 g) Lukas hat „ oÖ jeoßw “ (v. 24), während Matthäus „ oÖ paßthr uÖmvqn oÖ ouöraßniow (v. 26)“ überliefert. h) Lk 12,25 par Mt 6,27 sei (so Fitzmyer 319 ) schon in Q integriert gewesen, aber ein vorher unabhängiges Logion. 320 Ausschlaggebend sei dafür das Partizip merimnvqn gewesen. Die Einheit wird durch die Stichwortverbindung merimnaqn zusammengehalten (v. 22c, 25, 26). 321 In Q könnte die Frage tatsächlich auf die Körpergröße bezogen gewesen sein, da sich in Mt 6,28 der auffällige Hinweis auf das Wachsen der Lilien findet. 322 308 Vgl. Luz, EKK I/ 1 (1985), 365; Petracca, Gott oder Geld, 134. 309 Schröter, Erinnerung, 360 Anm. 252; so auch Hoffmann, Verbot des Sorgens, 115-119. 123-132. 310 Vgl. Fitzmyer, Luke II, 976; ebenso das IQP. 311 Textkritische Anmerkung: In Mt 6,25a überliefern L J 0233 M sy ph kai? tiß pißhte ; B W f 13 33 al it sa mss mae bo sowie Or Hier mss haben hü tiß pißhte ; in ) f 1 892 l 2211 pc a b ff 1 k l vg sy c sa mss fehlt der Satz. 312 Auch das IQP nimmt an, dass hier lukanische Redaktion vorliegt. 313 Das IQP nimmt mit einiger Wahrscheinlichkeit lukanische Redaktion an. 314 Vgl. Fitzmyer, Luke II, 976; Jeremias, Sprache, 217. 315 Das IQP nimmt dementsprechend an, dass in Q 12,24 katanohßsate stand und in v. 27 mit katanohßsate lukanische Redaktion vorliegt (Wahrscheinlichkeit C). 316 Hoffmann, Rekonstruktionsversuch, 134. 317 Vgl. Fitzmyer, Luke II, 978; Bovon, EKK III/ 2, 297; auch das IQP hält koßrakaw für ursprünglich. - Lukas schreibt peteina? touq ouöranouq in 8,5; 9,58; 13,19. 318 Das IQP geht von lukanischer Redaktion aus. 319 Fitzmyer, Luke II, 978. 320 Vgl. Bultmann, Geschichte, 84. 321 Ähnlich Kloppenborg, Formation, 217. 322 Hoffmann, Rekonstruktionsversuch, 139. <?page no="278"?> 278 Für lukanische Redaktion in v. 25 spricht, dass Lukas phqxuw als Zeitspanne verstanden hat. In v. 26 bezeichnet er die Verlängerung als eölaßxiston - wenn es dabei um die Verlängerung der Körpergröße um eine Elle ginge, wäre dies fraglich. i) Mt 6,28 hat hier die Frage nach dem Sorgen um Kleidung als Überleitung zu Mt 6,29ff. (Aufforderung zum Betrachten der Lilien); Lk ersetzt diese durch eine verallgemeinernde ( ta? loipaß ) zugleich pointierte, grundsätzliche Frage (v. 26): „Wenn ihr nun auch das Geringste nicht vermögt, was sorgt ihr euch um das andre? “ Er betont damit das menschliche Unvermögen. 323 Die Zuspitzung geht auf lukanische Redaktion zurück. Lukas führt als Argument gegen das Sich-Sorgen an, dass es schlicht zwecklos ist. j) Der Singular der Verben nach Neutrum Plural in v. 27 ist besseres Griechisch und dürfte auf Lukas zurückgehen. 324 k) In v. 29 setzt Lukas das positive Verb zhteiqn , während Mt weiter merimnaqn verwendet (v. 31). 325 Lukas markiert auf diese Weise deutlich den Beginn des zweiten, positiven, Teils der Spruchreihe, in dem es positiv um das Streben nach dem Reich Gottes geht (Lk 12,29-31). - Lk hat hier (v. 29) indirekte Rede, Mt direkte (v. 31). 326 l) Bei Lk findet sich in v. 29 nicht die Frage nach der Bekleidung, stattdessen der Imperativ mh? metevrißzesje, „lasst euch nicht hin und her werfen! “, „seid nicht ängstlich! “. Das Hapaxlegomenon dürfte auf lukanische Redaktion zurückzuführen sein. 327 - Zu erwarten wäre hier, dass Lukas die Frage nach der Bekleidung, die sich seit v. 22 durchzieht (v. 23; v. 28: Lilien auf dem Feld) aufnimmt. Durch die Einfügung von metevrißzesjai stellt er das grundsätzliche Problem des Sich-Sorgens in den Vordergrund. m) Matthäus spricht in v. 32 von ta? eäjnh ( jüdische Prägung), Lk ergänzt den Genitiv touq koßsmou (v. 30) . - Lukas betont, dass es sich um alle Menschen (eben nicht speziell „Heiden“ handelt), die nicht den Weisungen Jesu folgen. 328 n) Mt 6,33 und Lk 12,31 stimmen im Wesentlichen überein, doch finden sich jeweils für die beiden Evangelisten typische Wendungen - so ergänzt Lukas plhßn am Satzanfang; Matthäus hat prvqton und dikaiosußnh auötouq . o) Die Spruchreihe wird in Mt und Lk mit unterschiedlichen Sentenzen abgeschlossen, ein Hinweis darauf, dass „frei zirkulierende Sentenzen gerne an den Schluß von Gleichnissen oder Reden angehängt wurden“ 329 . Bei Matthäus geht es weiter um das Sorgen (v. 34); Lukas ermutigt die „kleine Herde“, indem er bekräftigt, dass Gott ihr seine basileißa geben will (v. 32). - Lk 12,32 dürfte vorlukanischen Ursprungs sein. 330 Der 323 Auch das IQP nimmt die matthäische Version als ursprünglich an und Lk 12,26 als redaktionell. 324 Fitzmyer, Luke II, 978. - Das IQP nimmt dagegen mit der Wahrscheinlichkeit C an, dass der Singular schon in Q stand. 325 Laut IQP ist zhteiqn lukanische Redaktion. 326 Das IQP hält die indirekte Rede für lukanische Redaktion. 327 So Fitzmyer, Luke II, 978; vgl. auch das IQP. - Hoffmann ist der Ansicht, dass Lukas den Begriff metevrißzesjai einführt, um „seine Leser an diesen dem hellenistischen Ideal der Euthymia entgegengesetzten Seelenzustand“ zu erinnern (Hoffmann, Rekonstruktionsversuch, 146). 328 Auch das IQP führt touq koßsmou auf lukanische Redaktion zurück. - Klein sieht v. 29 als ethischen boundary marker (ders., Lukaskommentar, 456f.). 329 Bovon, EKK III/ 2, 298. 330 So Fitzmyer, Luke II, 977; auch Jeremias, Sprache, 218 ordnet den Vers wegen der Gottesbezeichnung oÖ path? r uÖmvqn als vorlukanisch ein: oÖ path? r mou / uÖmvqn finde sich in Lk/ Apg nur im Nicht-Markusstoff (Lk 2,49; 6,36; 10,22; 12,30.32; 22,29; 24,49; dass der Ausdruck vorlukanisch sei, legten die drei Matthäusparallelen Lk 6,36 par Mt 5,48; Lk 10,22 par Mt 11,27; Lk 12,30 par Mt 6,32 nahe (Jeremias, ebd., 102); Bultmann dagegen ist der Ansicht, dass es sekundäre Gemeindebildung sei (ders., Geschichte, 116). <?page no="279"?> 279 Vers beinhaltet einen Adressatenwechsel von uÖmeiqw zu to? mikro? n poißmnion . Die Anrede dürfte sich wohl „auf eine kleine, am selben Ort lebende Gruppe von Christen“ 331 beziehen; dies ist wahrscheinlicher als der Bezug auf Wanderprediger, die einzeln oder zu zweit umherzogen. - Durch poißmnion kommt das Bild Gottes als fürsorglicher Hirte hinzu. p) Die Einheit Q 12,33f. ist in Mt und Lk unterschiedlich gestaltet: 332 Die Aufforderung zum Almosengeben (Lk 12,33a) dürfte von Lukas stammen. Sie findet sich redaktionell auch in Lk 11,41. 333 Lukas präsentiert hier eine ähnliche Verknüpfung, wie er sie auch in Lk 18,18ff. akzentuiert: Das Suchen der basileißa touq jeouq (Lk 12,31; 18,24) verspricht einen Schatz im Himmel (Lk 12,33; 18,22). 334 Die wörtlichen Übereinstimmungen zwischen Lk 12,33b und Mt 6,19f. sind gering, allenfalls jhsauro? n eön ouöranvq # (Lk) bzw. jhsaurou? w eön toiqw ouöranoiqw (Mt). Die motivischen Gemeinsamkeiten sind dagegen stark: Der zu erwerbende Schatz im Himmel ist nicht von Dieben oder Motten bedroht und kann nicht gestohlen werden. Dass es in Q einen Spruch vom Schatz im Himmel gab, ist wahrscheinlich. Da die Formulierung bei Lk straffer und weniger bildhaft ist, 335 ist davon auszugehen, dass Mt hier im Wesentlichen die ursprüngliche Form bewahrt hat. 336 - Der begründende Nachsatz lautet bei beiden Evangelisten (Lk 12,34 und Mt 6,21) fast gleich. 337 Fazit: Lukas bearbeitet die Q-Vorlage, indem er verdeutlicht, dass es sich beim „verbotenen“ Sorgen um das ängstliche Besorgtsein handelt ( metevrißzesjai , v. 29). Er liefert mit der Betonung menschlicher Ohnmacht und Abhängigkeit von der Fürsorge Gottes eine zusätzliche Begründung (v. 26) dieses „Verbots“. Der von ihm angefügte v. 32 macht deutlich, dass er v. 22ff. weniger als Anspruch denn als Zuspruch ( mh? foßbou ) verstanden wissen will. Das Verkaufen von Besitz und das Almosengeben stellt Lukas als ethische Konsequenz aus der Rede Jesu über das Sorgen dar. 2.3.10.2 Theologisch-inhaltliche Analyse (#.1.1) In Lk 12,22ff. begegnen Reichtum und Armut implizit. König Salomo ( Solomv? n eön paßsh# thq # doßch# , Lk 12,27) symbolisiert Reichtum. Hier geht es um seine prächtige Kleidung, sie wird mit den Lilien verglichen: Diese sind - ohne jedes eigene Zutun - prächtiger gekleidet als er. Das Motiv, dass Reichtum sich in prächtiger Kleidung manifestiert, begegnet auch in Q 7,25 und Lk 16,19 (S Lk ). 331 Schmeller, Radikalität, 87. - Kloppenborg ist der Ansicht, dass die Spruchreihe ursprünglich an Wanderprediger gerichtet war (insbesondere 12,22b-28). Da in der lukanischen Version jeglicher Hinweis auf das Predigen fehlt und stattdessen der Imperativ in v. 31 zhteiqte lautet, ist anzunehmen, dass sich der Abschnitt auf der Ebene des Lukas an eine Gemeinde richtete. Charakteristisch für diese ist auch die Abgrenzung zu anderen Gruppen (v. 30) - vgl. Kloppenborg, Formation, 221. 332 Umstritten ist die Frage der ursprünglichen Position des Spruches vom Schätzesammeln (Lk 12,33f.; Mt 6,19-21): In Mt steht er der Spruchreihe vom Sorgen voran (diese Reihenfolge vertritt das IQP und Bovon, EKK III/ 2, 296), in Lk folgt er danach. - In Q steht die Belehrung über das Bekenntnis Q 12,1-12 beiden Einheiten voran. 333 Vgl. das IQP; Fitzmyer, Luke II, 981. 334 Vgl. Klein, Lukasevangelium, 457. 335 Mt 6,20 schildert, dass Diebe einbrechen und stehlen, Lk 12,33 weist nur darauf hin, dass ein Schatz im Himmel für Diebe unerreichbar ist. 336 Vgl. das IQP. 337 Lukas hat uÖmvqn , Matthäus souq . <?page no="280"?> 280 Armut spiegelt sich in Lk 12,22ff. in der angstvollen Sorge: Angst, vor der Situation, Mangel an den lebenswichtigen Gütern Nahrung und Kleidung zu haben. (#.1.2) Armut, der Mangel, und Reichtum, der Überfluss an materiellen Gütern werden theologisch gedeutet, indem beide Situationen in ihrem Bezug zu Gott dargestellt werden. Nach Q gibt Gott den Seinen das für die physische Existenz Notwendige (v. 24c.30b). Angesichts der in der Realität tatsächlich existierenden Armut verweist das weisheitliche Interpretament v. 23 darauf, dass das Leben mehr sei als die Nahrung: yuxh? pleiqoßn eöstin thqw trofhqw (vgl. Q 4,4). - Andererseits wird am Beispiel der Lilien Überfluss auf das gnädige Handeln Gottes zurückgeführt (Q 12,27). (#.2.1) Thema in Q 12,22ff. ist die Sorge um die Existenzsicherung (Nahrung und Kleidung). Reflektiert wird also ein stark auf materielle Güter ausgerichtetes Denken und Handeln. Q 12,22ff. ermahnt diesbezüglich zur Sorglosigkeit. Grundlage dieser Ermahnung ist die Zusage, dass Gott als Vater handelt und seinen Kindern das, was zum Leben notwendig ist, gibt (Lk 12,30b.31). - Vorsorge, das Sammeln in Speichern und Scheunen, ist nicht nötig (v. 24). Die Raben werden als Vorbild dargestellt: 338 speißrein , jerißzein und das Sammel der Ernte in tameiqon und aöpojhßkh , der Dreischritt bäuerlichen Handelns, liegt ihnen fern. 339 Es geht darum, sich nicht von der Sorge ( merimnaqn, metevrißzesjai ) um materielle Dinge gefangen nehmen zu lassen. Das Verb merimnaqn beschreibt den Affekt „des Besorgt-Seins, das mit Angst und Furcht verbunden ist“ 340 ; es geht nicht um ein Handeln, ein „Sich-Kümmern um etwas“ 341 . Stattdessen rät der Text zum Vertrauen auf Gott und dazu, die existentielle Abhängigkeit von ihm zu akzeptieren und aus dem Vertrauen auf ihn zu leben. (#.2.2) Der Gedanke, dass die Sorge um die Existenz für die Suche nach Gott bzw. Weisheit hinderlich ist, findet sich schon in der Weisheitsliteratur des Alten Testaments (vgl. Sir 31,2-4; Weish 6,14.15). 342 (#.2.3) Theologisch wird das Ablassen von der Sorge um materielle Güter damit begründet, dass dies vom Streben nach der basileißa touq jeouq abhält. Dazu aufzufordern, ist das Ziel von Q 12,22ff. Ermöglicht wird dies - so macht der Text deutlich - durch die Fürsorge Gottes (v. 24c.28.30b.31) Die Vorsorge - also etwas aufbewahren oder als Vorrat anlegen (v. 24) - gilt hier als Misstrauen gegen die Vorsehung. 343 Mit v. 25 und v. 26 unterstreicht Lukas die menschliche Ohnmacht ( tißw […] dußnatai , v. 25; ouöde? […] 338 Vgl. auch Ps 146,15 LXX. 339 Dieser Dreischritt ist eine Motivverknüpfung zum Reichen Kornbauern in Lk 12,16ff. 340 Hoffmann, Tradition, 112. 341 Bultmann, Art. merimnaßv , 593,21. 342 Vgl. Wischmeyer, Spruchreihe, 10. 343 Vgl. Bovon, EKK III/ 2, 304. <?page no="281"?> 281 dußnasje , v. 26). Der Mensch ist von der Fürsorge Gottes abhängig. 344 Lukas betont dieses „Ideal des völligen Abhängens von Gott“ 345 bzw. die physische Tatsache, dass wir von Gott abhängig sind und unser Leben selbst nicht verlängern können. 346 Wenn der Mensch sich auf Gott verlässt, ist er frei, um nach der basileißa zu streben. Lukas stellt deutlich den Zuspruchscharakter des Textes in den Vordergund; unterstrichen wird dies durch die Anfügung von v. 32 ( mh? foßbou). Die in v. 33 als Anspruch geäußerte Aufforderung zum Almosengeben ist nur auf der Grundlage der Fürsorge Gottes und seiner Zusage ( euödoßkhsen oÖ path? r uÖmvqn douqnai […]) möglich. Die aus Q aufgenommene Sentenz „ oÄpou gaßr eöstin oÖ jhsauro? w uÖmvqn, eökeiq kai? hÖ kardißa uÖmvqn eästai “ (v. 34) stellt auf dem Hintergrund von Lk 12,22-32 das Ziel vor Augen, das eigene Herz im Himmel zu verankern. Almosengeben ist also nicht nur ethischer Anspruch, sondern auch Weg zu diesem Ziel. (#.3) In Q 12,22ff. sagt Jesus zu, dass Gott für die materiellen Bedürfnisse der Menschen sorgt - zwischen Armen und Reichen wird hier nicht differenziert. Von Gott ist als Vater und Hirte (Lk) die Rede (v. 32). 2.3.11 Q 12,42-46: Treuer und untreuer Sklave Kontext und Abgrenzung. Matthäus und Lukas dürften den Text vom treuen und schlechten Knecht (Q 12,42-46) schon in Q in einem Kontext vorgefunden haben, der Wachsamkeit im Hinblick auf das nahende Ende thematisierte. Er stand dort im Anschluss an die kurze Erzählung vom Dieb (Q 12,39f.) Wahrscheinlich folgten in Q die Worte vom Schwert und der Entzweiung der Familien (Q 12,51.53). - Lukas gibt der Passage Q 12,42-46 einen neuen Rahmen: Davor fügt er die Frage des Petrus ein, ob Jesus dieses Gleichnis (bezogen auf Q 12,39f.) an alle oder nur an den Zwölferkreis gerichtet sage (v. 41). Mit v. 47f. fügt er wohl einen Text aus seinem Sondergut an, der das Bild von einem Knecht, der nicht nach dem Willen seines Herrn handelt, fortführt. Auf der Ebene des Lukasevangeliums wechselt mit 12,35 das Thema von dem Fokus auf den Umgang mit irdischen materiellen Gütern hin zu eschatologischer Wachsamkeit (12,35-48). 344 Die Fürsorge Gottes ist ein weisheitliches Grundmotiv (vgl. Ps Sal 5,8-10). - Vgl. Wischmeyer, Spruchreihe, 10. 345 Bovon, EKK III/ 2, 304. 346 Hier muss hÖlikißa Länge des Lebens und nicht Körpergröße bedeuten. „Die zusätzliche Elle wird als Kleinigkeit betrachtet (was für Lukas nur verständlich ist, wenn hÖlikißa die Bedeutung von Lebensspanne und nicht des Körperwuchses hat! ).“ (Bovon, EKK III/ 2, 305). <?page no="282"?> 282 Struktur. Die Erzählung vom treuen und schlechten Knecht teilt sich in zwei Abschnitte. Im ersten (v. 42-44) geht es um den treuen Sklaven, der seine Aufgabe erfüllt, im zweiten um den Sklaven, der gegen seinen Auftrag handelt (v. 45f.): 347 v. 42: (als Frage formuliert: tißw aära eösti? n oÖ pisto? w douqlow […] ; ) - der Herr beauftragt einen Sklaven, die übrigen Sklaven mit Essen zu versorgen - der Sklave erfüllt seine Aufgabe v. 43: willkommene und unerwartete Rückkehr des Herrn v. 44: Heilsverheißung: eöpi? paqsin toiqw uÖpaßrxousin auötouq katasthßsei auötoßn v. 45: (als Eventualis formuliert: eöa? n de? […]) der Sklave erfüllt seine Aufgabe nicht v. 46a: (Futur im bedingten Satz; somit erscheint dieser als Folge des Verhaltens des Sklaven) unwillkommene und unerwartete Rückkehr des Herrn v. 46b: Ankündigung der Strafe 2.3.11.1 Redaktionskritik Die lukanische Einleitung v. 41 differenziert zwischen dem Zwölferkreis und der Menge ( pro? w hÖmaqw hü pro? w paßntaw ). An mehreren Stellen präzisiert und differenziert Lukas die aus Q überlieferten Formulierung: In v. 42 legt er Wert auf die präzise Bezeichnung oiökonoßmow und setzt sie an die Stelle des in Q überlieferten douqlow (Q 12,42; Mt 24,45). In v. 43.45.46 übernimmt Lukas den Begriff douqlow . In v. 45 ersetzt Lukas den in Q überlieferten Ausdruck sundoußlouw zu tou? w paiqdaw kai? ta? w paidißskaw und führt damit auch eine Differenzierung der Geschlechter ein. Bei der Schilderung der Versorgung der Hausgemeinschaft mit Nahrungsmitteln (v. 42) setzt Lukas an zwei Stellen eigene Akzente: Statt oiöketeißa schreibt er jhrapeißa 348 . Das allgemeine trofhß ersetzt er durch sitomeßtrion und hebt damit hervor, dass es sich um abgemessene Essensrationen handelt. Außerdem fällt auf, dass Lukas das Geschehen ins Futur setzt (Q 12,42 kateßsthsen ; Lk 12,42: katasthßsei ). 349 In v. 43 formuliert wohl Lukas poiouqnta ouÄtvw , um das Adverb hervorzuheben und der ganzen Wendung Nachdruck zu verleihen. Damit betont er, dass der Verwalter handelt und nicht nur gute Absicht zeigt. 350 Den Semitismus aömh? n (Q 12,44) ersetzt Lukas durch aölhjvqw . In v. 45 fügt er eärxesjai ein. Lk 12,47.48a dürfte Lukas aus seinem Sondergut als Interpretation zu 12,42-46 angefügt haben. 351 Das Logion v. 48b war auch Matthäus bekannt und stammt wohl aus Q. Es begegnet in Mt 13,12 und Lk 19,26 par Mt 25,29. 2.3.11.2 Theologisch-inhaltliche Analyse (#.1.1) Die Erzählung charakterisiert Armut und Reichtum implizit: Der Reichtum des kußriow (v. 42) zeigt sich daran, dass er über viele Sklaven verfügt ( oiöketeißa , v. 42 Q; Lukas schreibt jhrapeißa ) und den beauftragten Sklaven als Lohn über alle seine Güter setzen kann ( eöpi? paqsin toiqw uÖpaßrxousin auötouq katasthßsei auötoßn , v. 44 Q). Die gesamte Sklavenschaft - also auch der mit der Fürsorge für seine Mitsklaven beauftragte douqlow (so 347 Vgl. Bovon, EKK III/ 2, 321. 348 In der hier vorliegenden Bedeutung „Hausgemeinschaft“ begegnet jhrapeißa im NT nur in Lk 12,42. 349 Bovon deutet dies so, dass Lukas „das Geschehen in die Zeit der Kirche“ versetzt“während Matthäus (= Q) die Vergangenheit der empfangenen Aufgabe (Mt 24,45) dem Futurum der Entlohnung (Mt 25,47) gegenüberstellt“ (vgl. Bovon, EKK III/ 1, 324). 350 Vgl. Bovon, EKK III/ 2, 335. 351 Vgl. Bovon, EKK III/ 2, 325; Fitzmyer, Luke II, 991. <?page no="283"?> 283 Q, Lukas schreibt oiökonoßmow ) - ist de facto mittellos und von ihrem Herrn abhängig. Die umfassende existentielle Abhängigkeit der Sklaven kommt pointiert darin zum Ausdruck, dass jemand eingesetzt wird, der den Sklaven ihre Essensration zuteilt. Auch auf lukanischer Ebene dürfte der eingesetzte oiökonoßmow ein Sklave sein. 352 Im Römischen Reich waren Verwalter in der Regel Sklaven. 353 „Their masters retained the power to torture and kill even the most powerful managerial slave.“ 354 Die Beziehung zwischen dem reichen Herrn und seinen mittellosen Sklaven ist streng hierarchisch: Der Herr setzt einen douqlow über die restliche Sklavenschaft ( oÄn kateßsthsen oÖ kußriow eöpi? thqw oiöketeißaw , v. 42 Q) und beauftragt ihn mit der Versorgung. Die Erfüllung bzw. Nichterfüllung der Aufgabe zieht umfassende Belohnung (v. 44 Q) bzw. Strafe (v. 46 Q) des beauftragten Sklaven durch seinen Herrn nach sich. Ursachen für Armut und Reichtum werden im Text nicht genannt. Wenn der Herr seinen Sklaven als Belohnung über alle seine Güter setzt, so wird dieser dadurch nicht reich. Er erhält Verwaltungsbefugnisse und wohl auch Macht über andere Sklaven, bleibt aber existentiell ganz von seinem Herrn abhängig; die Verwaltung der Güter kann sein Herr ihm jederzeit wieder entziehen (vgl. Lk 16,2). Die soziale Stellung von Verwaltern „was always dependent“ und „insecure at best“ 355 . (#.1.2) Armut und Reichtum werden in der Erzählung nicht theologisch gedeutet. (#.2.1) Die Aufgabe des Sklaven während der Abwesenheit seines Herrn besteht in der Verteilung von Nahrung an seine Mitsklaven. Der Umgang mit materiellen Gütern zu dem er beauftragt ist, hat also eine ausgeprägte soziale Dimension (anders als in Q 19,13; dort besteht der Auftrag in der Vermehrung des Geldes). Die Belohnung des treuen Sklaven mit der Einsetzung über die Verwaltung aller Güter des Herrn ist autoreferentiell. Die Erzählung schildert nicht etwa, dass der Herr seinem Sklaven etwas von seinem Besitz abgibt; dieser verbleibt in seinem Eigentum; es geht nur um die Verantwortung, diesen zu verwalten. Die autoreferentielle Dimension des Umgang mit materiellen Gütern kommt in der Schilderung des Verhaltens des untreuen Sklaven zum Ausdruck: Dieser missbraucht seine Verfügungsgewalt über die Nahrungsmittel seines Herrn, indem er sie unangemessen zu seinem eigenen Genuss verwendet und sich sogar betrinkt. 352 Anders als in Lk 16,1ff (s. oben S. 146). - Hier verwendet Lukas im weiteren Verlauf der Erzählung die aus Q stammende Bezeichnung douqlow . 353 Vgl. Schottroff, Gleichnisse, 206.231. 354 Horsley, Slave Systems, 56. 355 Ebd. <?page no="284"?> 284 (#.2.2) Oberste ethische Leitlinie auf der Ebene der Erzählung ist der Wille des Herrn, dem zu gehorchen ist. In Bezug auf den Umgang mit materiellen Gütern wird ihr Einsatz zur Versorgung der Mitsklaven positiv reflektiert. Der Missbrauch materieller Güter zum persönlichen Genuss wird negativ reflektiert. Auf der Erzählebene wird dieses Verhalten belohnt bzw. bestraft. Der Sklave, der den Auftrag seines Herrn erfüllt, wird pistoßw und froßnimow genannt (Q 12,42), in v. 43 als makaßriow gepriesen und schließlich belohnt (v. 44). Das vom Auftrag des Herrn abweichende Verhalten wird bestraft. Die ethischen Kriterien des Gleichnis fallen mit denen der Sklavenbesitzer in eins. (#.2.3) Eine allegorische Deutung der Erzählung identifiziert den Herrn mit Gott und den beauftragten Sklaven mit einem Christen, der angesichts des nahenden Endes, sein Leben nach Gottes Willen zu gestalten hat. Die Versorgung der Mitsklaven mit Nahrung wird dabei zum Bild für eine dem Willen Gottes entsprechende Lebensgestaltung. Die Einsetzung in die Verwaltung aller dem Herrn eigenen Güter als Lohn ist dann als umfassender eschatologischer Lohn zu verstehen. Das Verhalten, das in der Erzählung bestraft wird, besteht zum einen in der Misshandlung der Mitsklaven und zum anderen im Missbrauch der zur Verfügung stehenden Speisen und Getränke bis hin zur Trunkenheit. Dies wird in der Erzählung nicht auf materieller Ebene bestraft, sondern sogar mit dem Tod ( dixotomhßsei , v. 46 Q). Allegorisch verweist dies auf die endgültige Verdammnis im Jüngsten Gericht. (#.3) Gottes bzw. Jesu Handeln an armen und reichen Menschen zu Lebzeiten bzw. eschatologisch reflektiert die Erzählung nicht. 2.3.11.3 Hermeneutische Reflexion Der Deutungsrahmen für das Gleichnis ist durch v. 40 vorgegeben: Das Thema „Wachsamkeit“ ist hier auf die Parusie Jesu als Menschensohn bezogen. Im Gleichnis 12,42-46 geht es nicht um das Ausbleiben der Parusie, sondern darum, dass die Zeit bis dahin falsch eingeschätzt, die eigene Aufgabe vernachlässigt wird und der Ernst der Erwartung nachlässt. 356 Ein ethischer Dualismus wird vor Augen geführt, indem der Spielraum des Sklaven in seinen äußersten Extremen dargestellt wird. Das Gleichnis stellt gehorsames und ungehorsames Verhalten des Sklaven gegenüber und nimmt so unkritisch die Perspektive von Sklavenhaltern ein. Das entscheidende ethische Kriterium ist der bedingungslose Gehorsam des Sklaven unter den Willen des Herrn. Die Herrschaftsbeziehung zwischen Herr und Sklave wird nicht kritisiert. Allerdings wird die Überordnung des Sklaven über seine Mitsklaven als Fürsorge interpretiert, der dann negativ egoistisches Verhalten gegenübergestellt wird. 357 356 Vgl. Gerber, Höchste Zeit, 168. 357 Vgl. Gerber, Höchste Zeit, 169. <?page no="285"?> 285 2.3.12 Q 14,15-24: Das Gleichnis vom Gastmahl (vgl. Mt 22,1-14) Kontext und Abgrenzung. Auf der Ebene der Evangelisten hat das Gleichnis verschiedene Adressaten: In Mt sind die Hohepriester und Pharisäer angesprochen (vgl. Mt 21,43-46), in Lk ist das Gleichnis Antwort auf die Seligpreisung eines Menschen, der mit Jesus bei einem Pharisäer zu Gast ist (vgl. Lk 14,1; 14,15 S Lk ). Das lukanische Setting ist vom Markusrahmen unbeeinflusst. Lk 14,16ff. folgt auf zwei Sondergutperikopen (Lk 14,7-11 und 12-15) und steht in einer Kette von Stichwortverbindungen: deiqpnon (v. 12.16.24) und keklhßmenow (v. 7.8.12.17.24). Wenn auch die Szene Lk 14,1-24 zweifellos von Lukas komponiert ist, dürfte das Gastmahlgleichnis in Lk trotzdem in seiner relativen Q-Position (nach Q 13,24-30.34-35 358 ) stehen. Matthäus` Stellung (Mt 22,1-14) nach dem markinischen Gleichnis von den bösen Weinbergspächtern ist sekundär. 359 Struktur. Die für Q 14,16-24 zu rekonstruierende Erzählung weist folgende Grundstruktur auf: 1. Ein Mensch richtet ein Gastmahl aus. 2. Erste Aussendung eines Sklaven: Zum Zeitpunkt des Mahles, um die Eingeladenen zu erinnern 3. Absage der Eingeladenen 4. Reaktion des Gastgebers: Zorn 5. Zweite Aussendung eines Sklaven: Er soll alle einladen, die er außerhalb der Stadt findet, damit sich das Haus fülle. 2.3.12.1 Redaktionskritik Der detaillierte Vergleich von Struktur und Vokabular ergibt folgendes: 360 a) Die beiden Versionen weisen eine unterschiedliche Einleitung auf (Lk 14,16a: aänjrvpoßw tiw ; Mt 22,1: vÖmoivßjh hÖ basileißa tvqn ouöranvqn ). Die lukanische Einleitung aänjrvpoßw tiw begegnet in Lk häufig, vor allem in den Gleichnissen des S Lk (Lk 10,30; 15,11; 16,1; 16,19; vgl. auch Lk 19,12 diff Mt 25,14). Dies könnte darauf hinweisen, dass Lukas hier von Sondertraditionen beeinflusst ist. Adjektivisches tißw allerdings ist typisch lukanisch. 361 Das IQP geht davon aus, dass die Einleitung aänjrvpoßw tiw bereits in Q stand. - Es ist anzunehmen, dass entweder aänjrvpow oder oiökodespoßthw (Lk 14,21) ursprünglich ist und Matthäus in basileußw umgestaltet hat. 362 b) Bei Matthäus und Lukas geht es um die Einladung zu einem Mahl. Bei Mt lädt ein König ( aönjrvßpv# basileiq , v. 2) zur Hochzeit seines Sohnes ein; bei Lukas ein Mensch ( aänjrvpoßw tiw , v. 16), genauer ein oiökodespoßthw (v. 21). Die Stichworte aänjrvpow und poieiqn (als Verb für das Ausrichten des Gastmahles) sind beiden gemeinsam. 358 Nach der Rekonstruktion des IQP findet sich Q 13,24 in Mt 7,13f.; Q 13,25 in Mt 25,10-12; Q 13,27 in Mt 7,23; Q 13,29.28 in Mt 8,11-12; das Logion 13,30 in Mt 20,16; Q 13,34-35 in Mt 3,37-39. 359 Vgl. Kloppenborg, Formation, 229f. 360 Vgl. zum Folgenden insbesondere Hoppe, Gastmahlgleichnis, 278ff.; Heil, Lukas, 85ff. 361 Vgl. Jeremias, Sprache, 15.239. Lukas fügt in seinen Markusstoff sechsmal ein adjektivisches tiw ein; in der Apg gibt es 63 Belege dafür. 362 Vgl. Heil, Lukas, 85f. <?page no="286"?> 286 c) Beide Evangelisten berichten von der Aussendung ( kai? aöpeßsteilen, Mt 22,3; Lk 14,17) eines (Lk) oder mehrerer (Mt) Sklaven 363 , um die Eingeladenen herbeizurufen ( eiöpeiqn toiqw keklhmeßnoiw, Mt 22,3; Lk 14,17), da das Mahl bereit ist (Mt 22,4: paßnta eÄtoima ; Lk 14,17: eÄ Ätoima eöstißn ). Bei Mt folgt auf die erste Einladung unmittelbar eine zweite (Mt 22,4; mit demselben Vokabular), da die Eingeladenen auf die erste ablehnend reagierten. Lukas schildert im Anschluss an die erste Einladung die Entschuldigungsgründe der Erstgeladenen ausführlich (Lk 14,18-20). d) Die Passage unterscheidet sich bei Mt und Lk stark, weshalb das IQP die Rekonstruktion von Q 14,18.19-20 bewusst als unentscheidbar offenlässt. Mt 22,5f. stellt die Entschuldigungsgründe knapper als Lk 14,18-20 dar; berichtet aber von gewalttätigen Reaktionen der Eingeladenen, nachdem sie eine zweite Einladung erhalten haben. Folgende Gemeinsamkeiten sind dennoch festzuhalten: Bei beiden Evangelisten spielt ein Acker als Entschuldigungsgrund eine Rolle. Lukas berichtet in 14,19 vom Kauf von fünf Gespannen Ochsen als Hinderungsgrund, Matthäus berichtet ebenfalls von einem geschäftlichen Hinderungsgrund, den er abstrakt als eömporißa, „Arbeitsverpflichtung“, bezeichnet. Lukas fügt in 17,28 (ebenfalls Q-Stoff) redaktionell das Motiv des Kaufens ein. Dort beschreibt es die Sorglosigkeit, „mit der der Ernst der heilsgeschichtlichen Situation verkannt wird“ 364 . Bei Lukas findet sich ein dritter Grund für die Absage: Der Eingeladene hat geheiratet. Möglicherweise weist die Eheschließung als Entschuldigungsgrund „auf das lukanische Motiv der Relativierung der Ehe gegenüber dem Nachfolgeruf Jesu“ 365 hin. Auffällig ist, dass der dritte zitierte Gast bei seiner Absage nicht um Entschuldigung bittet, während die beiden ersten Absagen jeweils von der Formel eörvtvq # se, eäxe me parh#thmeßnon beschlossen werden. 366 Von der ersten zur dritten Absage ist also eine Steigerung zu verzeichnen. Bei Matthäus fällt diese wesentlich extremer aus: Die ablehnende Reaktion der Eingeladenen steigert sich bis hin zu gewaltsamem Handeln, Verspottung und Mord an den einladenden Sklaven (Mt 22,6). e) Die Einladung der ptvxoiß, aönapeißroi, tußfloi und xvloiß (Lk 14,21) formuliert Lukas im Anschluss an Lk 14,13b. Q dürfte nach der Absage der einmal oder zweimal Eingeladenen nur von einer weiteren Einladung berichtet haben, die an diejenigen ergeht, die auf der Straße zu finden sind. 367 Nur Lukas erzählt davon, dass der Sklave seinem Herrn von der Ablehnung seiner Einladung berichtet (Lk 14,21a). Beide Versionen berichten vom Zorn des Gastgebers ( toßte oörgisjei? w oÖ oiökodespoßthw, Lk 14,21b; oÖ de? basileußw vörgißsjh ). Bei Lukas betont das einleitende toßte die Plötzlichkeit des Wutausbruches. 368 Lukas führt in v. 21 oiökodespoßthw als Bezeichnung des einladenden Menschen ein. In v. 21a wird er bereits als kußriow des als Bote fungierenden Sklaven bezeichnet. Im Laufe der Erzählung ist also eine Steigerung von aänjrvpow über kußriow zu oiökodespoßthw zu verzeichnen. 363 In der matthäischen Version handelt es sich um einen König, der natürlich mehrere Sklaven hat. In Q dürfte es sich um einen Sklaven gehandelt haben (vgl. Heil, Lukas, 86). 364 Heil, Lukas, 87. 365 So ebd. 366 Die Formel ist sicher lukanisch. - Vgl. ebd.; Jeremias, Sprache, 130.239. ’Ervtaßv ist lukanisches Vorzugswort; in der Bedeutung „bitten“ verwendet Lukas das Verb vorzugsweise mit Infinitiv. 367 Vgl. das IQP; Heil, Lukas, 89. 368 Mt 22,7b.8 dürfte auf Matthäus zurückgehen; denn das Niederbrennen einer Stadt setzt einen König voraus; in v. 8 weist die Mehrzahl der Sklaven, das Hochzeitsmotiv, und die Unwürdigkeit der Geladenen auf matthäische Redaktion hin. - Vgl. das IQP; Heil, Lukas, 88; Bultmann, Geschichte, 189: „sekundäre Allegorese“. <?page no="287"?> 287 f) Lk 14,23a ist redaktionell von Lukas eingefügt, da nach der Meldung des Sklaven der Herr wieder das Wort bekommen muss. Lukas und Matthäus schildern, dass der Sklave (Lk) bzw. die Sklaven (Mt) aus der Stadt herausgehen sollen, um andere Gäste einzuladen (Lk 14,23; Mt 22,9). Bei Lk steht diesem Einladungsakt eine Einladung an Menschen ( ptvxoiß, aönapeißroi, tufloiß, xvloiß ) innerhalb der Stadt voran. Lukas erwähnt die Ausführung des Auftrages nicht explizit. 369 Lk 14,23 (der Auftrag an den Sklaven) und Mt 22,10a (die Schilderung der Ausführung des Auftrags) weisen ähnliches Vokabular auf: 370 eöceljeiqn (Lk 14,23; Mt 22,10a); eiöw ta? w oÖdou? w (Lk 14,23; Mt 22,10a). - Diejenigen, die außerhalb der Stadt eiöw ta? w oÖdou? w zu finden sind, sind gesellschaftliche Außenseiter. 371 - Die Erweiterung kai? fraßgmouw dürfte lukanisch sein. 372 g) Die Ersatzgäste sind bei Matthäus durch eine ethische Kategorie definiert ( ponhroiß, aögajoiß ), bei Lukas durch eine im weiten Sinn soziale. h) Das Motiv der Fülle findet sich bei beiden Evangelisten: Lukas gibt als Ziel der Einladung an, dass das Haus voll werden soll ( iÄna gemisjhq # mou oÖ oiQkow , Lk 14,23); Matthäus schildert das erfolgreiche Ergebnis der zweiten Einladung ( eöplhßsjh oÖ gaßmow aönakeimeßnvn, Mt 22,10). 373 Matthäus dürfte den Finalsatz aus Q in einen Aussagesatz umformuliert haben, um 22,11-14 vorzubereiten. 374 i) In Mt lautet der letzte Auftrag des Gastgebers kai? oÄsouw eöa? n euÄrh#w kaleßson . 375 Lukas betont, dass die zweiten Ersatzgäste zum Eintritt gedrängt werden müssen ( aönaßgkason eiöseljeiqn ). j) Lk 14,24 hat keine direkte Matthäusparallele 376 und wird vom IQP nicht zu Q gerechnet. Fazit: Auf der Ebene der lukanischen Redaktion ist der heilsgeschichtliche Bezug auf Israel in den Hintergrund gerückt. Zentral ist hier die Gerechtigkeitsvision der basileißa touq jeouq , an der die Hörer des Gleichnisses ihr Leben messen sollen. Dass auch in Q das alttestamentliche Motiv des eschatologischen Festmahls mitschwang, legt der Kontext (13,24-30; 34-35) nahe. 377 Heil folgert aus dem voranstehenden Vers Q 13,34, dass im Gleichnis eine „polemische Kritik an dem zuerst geladenen Israel - besonders an seinen ‚Frommen‘ zu sehen“ 378 sei; Israel habe den kairoßw verpasst. Der Zorn des Herrn (Q 14,21) weise auf das Gericht hin. Neben dieser heilsgeschichtlichen Perspektive könnte das Gleichnis auch Mahnung an die Jünger gewesen sein, eigene Interessen der basileißa touq jeouq unterzuordnen. Dies würde den Anschluss der Worte über die Nachfolge Q 14,26; 17,33 an das Gleichnis erklären. 369 Lk 14,23: eäcelje eiöw ta? w oÖdou? w kai? fragmou? w kai? aönaßgkason eiöseljeiqn ; Mt 22,9: poreußesje ouQn eöpi? ta? w diecoßdouw tvqn oÖdvqn kai? oÄsouw eöa? n euÄrhte kaleßsate eiöw tou? w gaßmouw . - Matthäus schildert die Ausführung des Auftrags so: kai? eöceljoßntew oiÖ douqloi eökeiqnoi eiöw ta? w oÖdou? w sunhßgagon paßntaw ouÜw euWron, ponhroußw te kai? aögajoußw (Mt 22,10a). 370 Lk 14,23: eäcelje eiöw ta? w oÖdou? w kai? fragmou? w kai? aönaßgkason eiöseljeiqn ; Mt 22,9: poreußesje ouQn eöpi? ta? w diecoßdouw tvqn oÖdvqn kai? oÄsouw eöa? n euÄrhte kaleßsate eiöw tou? w gaßmouw . 371 Vgl. Heil, Lukas, 89; Rohrbaugh, Pre-Industrial City, 145. 372 Vgl. das IQP; Heil, Lukas, 89. 373 Bereits in Q dürfte oiQkow gestanden haben; das Hochzeitsmotiv stammt von Matthäus. 374 Vgl. Heil, Lukas, 90. 375 Vgl. das IQP. 376 Vgl. aber Mt 22,8. 377 Vgl. auch Kloppenborg, Formation, 229. Kloppenborg betont, dass das Gleichnis bereits in Q allegorisch verstanden worden sei. Nach dem IQP ist die Abfolge Q 13,24-27.29. 28.[30].34f.[11]; 14,16f.[18-20].21-23.26f.; 17,33 wahrscheinlich. 378 Heil, Lukas, 92. <?page no="288"?> 288 2.3.12.2 Theologisch-inhaltliche Analyse Die folgende Auslegung interpretiert das Gleichnis nicht von allegorisierenden Elementen her. Eine allegorische Auslegung des Gleichnisses führt zu dem Ergebnis, dass die Erstgeladenen Gäste auf Israel hin gedeutet werden und die Ersatzgäste auf die Armen bzw. die Heilsgemeinde gedeutet werden. 379 Heil 380 geht in seiner Auslegung einen Schritt weiter, indem er die Verhaltensänderung des Gastgebers zwischen der ersten und den beiden folgenden Einladungen tatsächlich ernst nimmt. Er interpretiert dies als dessen Ausstieg aus dem Reziprozitätssystem und somit als „social conversion“ 381 . Die zweite Einladung ist in diesem Modell vom Gefühl der Beleidigung und Wut über die Beschämung motiviert - das macht den Akt der Bekehrung plausibel. Problematisch bleibt der Rachegedanke in 14,24. Heil 382 unterscheidet - dem allegorischen Auslegungsmuster folgend - zwischen einer heilsgeschichtlichen (im Blick auf Israel) und einer ethischen (im Blick auf Reiche) Deutung. Lukas illustriere den „Wohlhabenden unter seinen Adressaten, die wohl an Einladungen zu deiqpna megaßla gewöhnt waren, […] den drängenden Ernst der Nachfolge“ 383 . Lukas betone aber auch die Heidenmission, indem er gegen Q auf die Ablehnung der ersten Einladung zwei weitere folgen lässt. Die Armen, Verkrüppelten, Blinden und Lahmen stünden für marginalisierte Juden, für Lukas die Judenchristen. In Lk 14,12-14 kritisiert Jesus eine von Vergeltungserwartung bestimmte Einladungspraxis (Lk 14,12-14, S Lk ). Er stellt den Kontrast zwischen dieser Praxis einerseits und dem Willen und der Verheißung Gottes andererseits gegenüber. - Darauf antwortet ein nicht näher bezeichneter Gast mit einer Seligpreisung derer, die in Gottes Reich am eschatologischen Mahl teilnehmen (v. 15). Lukas lässt Jesus in diesem Deutungsrahmen eine Geschichte aus dem Leben erzählen (Lk 14,16-24). Diese verlangt eine Antwort der hörenden Gemeinschaft. „Diese soll mit ihren Gebeten und ihrem Leben antworten.“ 384 (#.1.1) Arme werden im Gleichnis explizit erwähnt (Lk 14,21.23 385 ). In der Szenerie des Gastmahls werden sie wohlhabenden Menschen gegenübergestellt: arme und reiche Gäste, arme Gäste und reicher Gastgeber. Das Motiv des Gastmahls übernimmt Lukas aus Q, dort verweist es im jüdischen Kontext auf das eschatologische Festmahl. 386 Die Vorstellung eines 379 So z.B. Jeremias, Gleichnisse, 124f. 171ff. 380 Vgl. Heil, Meal Scenes, 109ff. 381 Heil, Lukas, 109. 382 Vgl. Heil, Lukas, 83ff. 383 Heil, Lukas, 95. 384 Schottroff, Schwierigkeit, 600. - Eine explizite Aufforderung zum Vergleich vor dem Gleichnis fehlt allerdings (im Unterschied zu Mt 22,1). 385 Dass die Menschen, die außerhalb der Stadt lokalisiert sind, marginalisierten Personengruppen angehören arbeitet Rohrbaugh heraus (Rohrbaugh, Pre-industrial City, 144f.). 386 Vgl. Billerbeck/ Strack, Kommentar IV/ 2, 1158. <?page no="289"?> 289 göttlichen Gastmahls existiert auch in der griechisch-römischen Gedankenwelt. Sowohl der Makarismus in 14,15 als auch die Gastmahlerzählung selbst (14,16-24) stehen also potentiell Nichtjuden für ein metaphorisches Verständnis offen. 387 Der Gastgeber ist ein gut situierter Mann, der mindestens einen Sklaven, wahrscheinlich mehrere besitzt. 388 Auch bei den Ersteingeladenen handelt es sich um wohlhabende Leute, die auf derselben sozialen und wirtschaftlichen Stufe wie der Gastgeber zu stehen scheinen. Die Entschuldigungen der erstgeladenen Gäste deuten darauf hin, dass diese nicht extrem reich, aber durchaus wohlhabend waren. 389 Die zweit- und drittgeladenen Gäste dagegen sind Menschen, die am Rand der Gesellschaft stehen. Ursachen für Armut und Reichtum werden in Lk 14,16ff. nicht genannt. (#.1.2) Armut und Reichtum werden in Q 14,16-24 nicht theologisch gedeutet. (#.2.1) Lk 14,16ff. thematisiert das ökonomische Handeln des Gastgebers und der Eingeladenen, die aufgrund wirtschaftlicher Tätigkeiten die Einladung ablehnen. Der Gastgeber verhält sich zunächst entsprechend der von Jesus kritisierten Praxis und lädt seinesgleichen zu einem Gastmahl ein. Hierauf schickt der Gastgeber seinen Sklaven ein zweites Mal aus, um Arme und Behinderte, also die Personengruppen einzuladen, die (der lukanische) Jesus in 14,13 genannt hat. Für die Deutung der sozialen Dimension dieses Verhaltens des Gastgebers sind dessen Handlungsmotive ausschlaggebend. Die Erzählung stellt den Zorn des Gastgebers in den Mittelpunkt. Die Feststellung des Sklaven, dass es noch Platz gibt, ist ein extravaganter Erzählzug. „Jedermann weiß, dass es mehr ‚Arme, Behinderte, Blinde und Lahme‘ auf den ‚Straßen und Gassen der Stadt‘ gibt als solche Menschen, die ein Angehöriger der städtischen Oberschicht üblicherweise zu einem privaten Festmahl einlädt, auch wenn dieses Festmahl ‚groß‘ ist und viele eingeladen werden (V. 16). Demgegenüber suggeriert die Bemerkung des Sklaven, dass das Zahlenverhältnis umgekehrt ist.“ 390 Dadurch entsteht ein „narrativer Knotenpunkt“, mit mehreren Optionen für den Fortgang der Handlung. - Bei der dritten Einladungsrunde betont Lukas, dass der Sklave die Gäste zwingen soll zu kommen. 391 Als Ziel gibt der Gastgeber jetzt an, iÄna gemisjhq # mou oÖ oiQkow - niemand soll mehr hineinpassen. 387 Vgl. Heil, Lukas, 93. - Vgl. Epiktet, Diss III 5,10. 388 An der Durchführung eines derartigen Festmahles waren in der Regel mehrere Sklaven beteiligt (vgl. Schottroff, Schwierigkeit, 597). 389 Vgl. Wolter, Lukasevangelium, 511. - Der absagende Gast hat fünf Gespanne Ochsen gekauft - zum Vergleich: Hiobs Reichtum wird in Ijob 1,3; 42,12 mit 500 bzw. 1.000 Gespannen angegeben. 390 Wolter, Lukasevangelium, 513. 391 Vgl. Schottroff, Schwierigkeit, 595. - Die außerhalb der Stadt lebenden Menschen durften nicht in die Stadt kommen (vgl. Rohrbaugh, Pre-industrial City, 144f.) <?page no="290"?> 290 Umstritten ist, wer der Sprecher ( leßgv ) und die Angesprochenen ( uÖmiqn ) in 14,24 sind. Nimmt man für die abschließende Aussage in v. 24 den Gastgeber als Sprecher an (und die zweit- und drittgeladenen) Gäste als Adressaten 392 , hat die dritte Einladung die erzählerische Funktion, die Möglichkeit einer Teilnahme der Erstgeladenen auszuschließen, indem diesen von den Ersatzgästen die die Plätze weggenommen werden. 393 Dies unterstreicht wiederum, dass - auf der Ebene der Erzählung - für den Gastgeber Wut die treibende Kraft für die Einladung der „armen“ Ersatzgäste ist, sein Handeln also autoreferentiell und nicht sozial motiviert ist. Hier - so die Intention des Gleichnisses auf lukanischer Ebene - sollen die Hörer ansetzen und das Handeln des Gastgebers mit der Lehre Jesu (insbesondere Lk 14,12-14) vergleichen. Der Makarismus in v. 15 ist ein Wegweiser für diesen Vergleich, indem er dazu anleitet, das geschilderte Gastmahl in Relation zu dem eschatologischen Mahl zu betrachten, zu dem Gott in seinem Reich einlädt. 394 Im Mittelpunkt stehen die Teilnehmer des Festmahls ( oÄstiw faßgetai aärton , Lk 14,15). 395 Das ökonomische Handeln der erstgeladenen Gäste (Ackerkauf, Kauf von Ochsengespannen) 396 wird im Gleichnis nicht explizit kritisch reflektiert. Die Absagen der Eingeladenen aufgrund ihrer ökonomischen Aktivitäten (bzw. Heirat) erregen allerdings den Zorn des Gastgebers. Die Eingeladenen kannten den Zeitpunkt des Festmahles bereits, der Sklave erinnert sie nur daran. 397 Die Einladung war ihnen nicht wichtig genug, um sie bei der Planung ihrer Aktivitäten zu berücksichtigen. 392 So Schottroff, Schwierigkeit, 595; Bovon hält eine beabsichtigte Doppeldeutigkeit für wahrscheinlich: zugleich der Hausherr der Parabel, der von den Ersteingeladenen und seinem Mahl spricht, und der lukanische Jesus (Bovon, EKK III/ 2, 503); Wolter nimmt Jesus als Sprecher an (Wolter, Lukasevangelium, 514). - Die im Gleichnis Eingeladenen versteht Bovon als die „Armen und vom Leben Verletzten“. „Die soziale geht mit der religiösen Perspektive zusammen“ (Bovon, EKK III/ 2, 513). Jeremias deutet die Einladungen heilsgeschichtlich: die Erstgeladenen auf das Volk Israel, die Zweitgeladenen auf die im doppelten Sinn Armen (wie Bovon) und auf die Völkerkirche (vgl. Jeremias, Sprache, 61.124f.145.171.177.179). Bei dieser Deutung ergibt sich das Problem, dass der Gastgeber aus Verärgerung handelt - Jeremias sieht dies, identifiziert den Gastgeber jedoch trotzdem mit Jesus (178f.). Schottroff deutet die Parabel als Aufforderung an die Zuhörenden, die Forderung Jesu mit dem Handeln des Gastgebers zu vergleichen. Sie betont, dass der Gastgeber gar kein gutes Werk tun will (Schottroff, Schwierigkeit, 600). 393 Vgl. Wolter, Lukasevangelium, 514. 394 Vgl. Schottroff, Schwierigkeit, 600. 395 Vgl. Heil, Lukas, 93. 396 Schottroff sieht alle drei Entschuldigungsgründe unter dem Aspekt der Inbesitznahme. Schottroff, Gastmahl, 206: dreifache „Inbesitzahme“, rechtliche Gründe; bei Hochzeit: Jungfrauenschaft der Frau begutachten, nur am 1. Tag ist „Reklamation“ möglich. 397 Vgl. Schottroff, Gastmahl, 200; dies., Schwierigkeit, 597; Wolter, Lukasevangelium, 510; Bovon, EKK III/ 2, 509: „Das „In-Erinnerung-Rufen hätte nur eine einfache Formalität sein sollen.“ - Zur Praxis, die Gäste zu einem Festmahl zuerst einzuladen und dann zu erinnern, wenn alles vorbereitet ist, vgl. Spr 9,2-3 LXX. <?page no="291"?> 291 (#.2.2) Lk 14,16ff. folgt im Lukasevangelium auf zwei Perikopen, die gesellschaftliche Strukturen in Frage stellen: das Streben nach Ehrenplätzen beim Gastmahl (14,7-11) und die Praxis, nur sozial Gleichrangige einzuladen (14,12-14). Jesus prangert die von der Erwartung einer Gegenleistung bestimmte Einladungspraxis (Reziprozitätsethik) an und fordert Solidarität mit den Armen (vgl. 14,13.21). Dies entspricht grundsätzlich den Forderungen der Thora auch in ihrer pharisäischen Auslegung. 398 (#.2.3) Der Makarismus Lk 14,15 weist auf das eschatologische Mahl im Reich Gottes als implizites Thema des Gleichnisses hin. Als Reaktion auf die Forderung und Verheißung Jesu in 14,13f. stellt es eine Gerechtigkeitsvision vor Augen: Arme und Kranke sitzen gemeinsam mit Reichen und Wohlhabenden zu Tisch. Das Gleichnis lädt unter anderem dazu ein, den Unterschied zwischen der „selbstgerechten Wohltätigkeit“ des Gastgebers im Gleichnis und der „messianischen Gerechtigkeit“ 399 zu entdecken und darauf mit einem Handeln in der Nachfolge Jesu zu antworten. Das eschatologische Festmahl unterscheidet sich von „Wohltätigkeitsveranstaltungen“. Diese finden innerhalb einer gesellschaftlichen Struktur statt, die davon bestimmt ist, dass es auf der einen Seite Wohlhabende und Mächtige und auf der anderern Seite Arme und Machtlose gibt. Der Gastgeber im Gleichnis löst sich nicht aus „seiner Elitearroganz“ 400 . (#.3) Die Gastmahlerzählung Lk 14,16-24 äußert sich nicht explizit zum Handeln Gottes bzw. Jesu an armen und reichen Menschen oder ökonomischen Zuständen. 2.3.13 Q 16,13: Gott oder Mammon (vgl. Mt 6,24) Kontext und Abgrenzung. Das Logion von Gott und dem Mammon steht bei Mt und Lk in unterschiedlichem Kontext: In Mt 6,24 folgt es auf das Schätzesammeln im Himmel (6,21) und das apokalyptische Wort vom Auge als Licht des Leibes (6,23). Matthäus führt das Logion mit der Spruchreihe vom Sorgen weiter. Er wendet sich hier an Leute, die nicht in der „Gefahr“ stehen zu viel Geld zu haben, sondern zu wenig, und tröstet sie mit dem Hinweis, dass Schätze im Himmel mehr zählen als Geld im Diesseits (v. 19-21), man nach den rechten Gütern/ dem rechten Ziel ausschauen soll (v. 22f.) und schließlich sich nicht sorgen muss, weil Gott, der himmlische Vater für einen sorgt. 398 Vgl. Schottroff, Schwierigkeit, 594. - „Die Probleme entstehen daraus, dass die faktische Lebenspraxis sich von der Tora entfernt […]. Strittig ist […], wie weit die Anpassung an eine Gesellschaft gehen kann, die Klassengegensätze verschärft“ (Schottroff, Schwierigkeit, 594), indem Einladungen nur an Menschen ausgesprochen werden, die eine Gegenleistung erbringen können. 399 Vgl. Schottroff, Schwierigkeit, 601. 400 Schottroff, Schwierigkeit, 600. <?page no="292"?> 292 Lukas hat das Logion als Applikation zur Erzählung vom ungerechten Verwalter (16,1-8) hinzugefügt. Er fährt in 16,14 mit dem Hinweis auf die Geldgier der Pharisäer ( oiÖ Farisaiqoi filaßrguroi ) fort. In 16,15 kontrastiert Lukas Selbstrechtfertigung bzw. die Sicht der Menschen und die Sicht Gottes. Ab v. 16 betont er die beständige Gültigkeit des Gesetzes. Lukas setzt den Spruch an eine Stelle, an der es ihm auf die Auseinandersetzung mit Menschen ankommt, die tatsächlich mit Geld umgehen ( S. 126 [zu 16,1-12]) und die in der Gefahr stehen, der Macht des Mammons und des „Zuviel an Geld“ zu erliegen. Struktur. Das Mammonwort weist folgende Struktur auf: v. 13a-c: Bild des Sklavendienstes: v. 13a: Loyaler Dienst für zwei Herren ist unmöglich. v. 13bc: Mögliche Sklave-Herr-Beziehungen für einen Sklaven mit zwei Herren: v. 13b: den einen hassen ( miseiqn ), den anderen lieben ( aögapaqn ), v. 13c: an dem einen hängen ( aönteßxesjai ), den anderen verachten ( katafroneiqn ). v. 13d: Applikation: Gottesdienst und Dienst am Mammon sind unvereinbar. 2.3.13.1 Redaktionskritik Der Begriff oiökeßthw dürfte von Lukas stammen (lectio brevior). 401 2.3.13.2 Armut und Reichtum in Q 16,13 (#.1.1) Armut und Reichtum werden bildhaft angesprochen. Sklaven dienen ihren Herren; ein Sklave hat nur einen Herrn. (#.1.2) Eine theologische Deutung von Armut und Reichtum findet sich in Q 16,13 nicht. (#.2.1) Thema in Q 16,13 ist der Umgang mit materiellen Gütern. V. 16d hält fest, dass es unvereinbar ist, Gott und dem Mammon zu dienen. (#.2.2) Traditionelle ethische Leitlinien reflektiert Q 16,13 nicht. (#.2.3) Q 16,13 stellt den Mammon mit Gott auf eine Ebene und konstituiert so eine Konkurrenzsituation: Der Dienst am Mammon steht dem Dienst an Gott entgegen (v. 13d). Der Mammon gilt also nicht nur als materielles Gut, mit dem man umgeht, sondern ihm wird die Eigenschaft zugeschrieben, dass er Macht über Menschen erlangen kann, so dass Menschen ihm dienen. Somit besteht die Gefahr, dass Sorge um Geld zu Dienst am bzw. für das Geld wird. Im lukanischen Kontext ergeben sich folgende theologische Akzente: Als Applikation von 16,1-7 betont 16,8f. die Relevanz der Endzeit gegenüber moralischem Handeln. In 16,10-12 wird die Bedeutung ethisch guten Handelns wieder wichtiger, auch wenn die Endzeit („ to? aölhjinoßn “ im Blick bleibt). 16,13 schließlich - von Lukas an dieser Stelle redaktionell eingefügt - 401 Klein nimmt aufgrund der differenzierten Bezeichnungen für Sklaven in Lk an, dass Lukas selbst dem Sklavenstand entstammt (vgl. ders., Lukasstudien, 29). <?page no="293"?> 293 fordert eine klare Entscheidung. Die Pole sind nicht Ethik und Eschatologie, sondern Gott und die Macht des Mammons. (#.3) Das Handeln Gottes bzw. Jesu thematisiert Q 16,13 nicht. 2.3.14 Q 19,12-26: Das Gleichnis vom anvertrauten Geld (vgl. Mt 25,14-30) Kontext und Abgrenzung. Lukas dürfte die relative Q-Position beibehalten haben (zwischen Q 17,23-37 und Q 22,28.30). In Q geht dem Gleichnis vom anvertrauten Geld (Q 19,12f.15-24.26) ein Abschnitt von der Parusie des Menschensohnes voran (Q 17,23-37). Danach ist nur noch der Spruch vom Richten der Zwölf Stämme Israels gesichert (Q 22,28.30). Der Kontext gibt dem Gleichnis also eine eschatologische Ausrichtung. Matthäus hat die Abfolge Mt 25,1-13 (kluge und törichte Jungfrauen), Mt 25,14-30 (Gleichnis von den anvertrauten Talenten) und Mt 25,31-46 (Vision vom Weltgericht) bewusst gestaltet. 402 Struktur. Folgende Grundstruktur lässt sich für die Version des Gleichnisses in Q rekonstruieren: 1. Ein Mensch reist außer Landes. 2. Er ruft seine Sklaven zusammen und verteilt sein Vermögen an sie mit dem Auftrag, während seiner Abwesenheit damit zu wirtschaften. 2. Der Herr kehrt zurück und verlangt von den Sklaven Rechenschaft. 4. Die ersten beiden Sklaven haben das Vermögen des Herrn vermehrt und werden von ihm gelobt und belohnt. 5. Ein dritter Sklave wirft dem Herrn Härte und Profitgier vor und gibt an, aus Furcht nicht mit dem Geld gewirtschaftet und keinen Gewinn gemacht zu haben. 6. Der Herr tadelt den Sklaven und weist ihn darauf hin, dass er zumindest das Geld mit Zinsgewinn bei Geldwechslern hätte anlegen können. Er bestraft ihn. 7. Abschließendes Logion: „Wer hat, dem wird gegeben und wer nicht hat, dem wird auch das genommen, was er hat.“ 2.3.14.1 Redaktionskritik Lukanische Einleitung Nur in Lk findet sich eine Einleitung, die das Gleichnis in Zusammenhang mit der Nähe Jesu zu Jerusalem und der Erwartung der Offenbarung des Reiches Gottes in Verbindung setzt (v. 11). 403 Matthäus verbindet es mit dem Gleichnis von den zehn Jungfrauen ( gaßr , Mt 25,14). Lukanischer und matthäischer Rahmen (Lk 19,12.14-15a.17d.19b.27; Mt 25,30) In Lk ist das Gleichnis mit der Thronprätendentenerzählung (v. 12.14-15a.17d.19b.27) verwoben. 404 Matthäus berichtet nach der Notiz von der Abreise des Herrn davon, wie die 402 Vgl. Heil, Lukas, 198. 403 Vgl. Jeremias, Sprache, 112.277f.; Fitzmyer, Luke I, 115. 404 Bovon hält diese für „eine auf das Schicksal Jesu transparente Allegorie“ (Bovon, EKK III/ 3, 288). - Wolter und von Bendemann sehen in der Rahmenerzählung eine Anspielung auf die Vorgänge bei der Bewerbung des Archelaos 4 v. Chr (Wolter, Schwierigkeit, 620; von Bendemann, DOCA , 165-167; vgl. Josephus, Ant XVII, 8-9.11.13). - Bovon EKK III/ 3, 293) und Fitzmyer äußern sich zurückhaltender: „Though the detail <?page no="294"?> 294 Sklaven mit dem anvertrauten Geld umgehen (Mt 25,15c-18); Lukas vermerkt im Duktus der Thronprätendentenerzählung, dass die Bürger ihm eine Gesandtschaft hinterherschicken, um zu verhindern, dass er ihr König wird (Lk 19,14). Beide Passagen dürften redaktionelle Einschübe sein. 405 - Das Gerichtswort Lk 19,27 bildet den Abschluss der lukanischen Rahmenerzählung, stand also sicher nicht in Q. 406 Das abschließende Gerichtswort in Mt 25,30 dürfte ebenfalls redaktionell sein. 407 Q 19,12f.: Abreise des Herrn Eine ähnliche Erzählungseinleitung findet sich in Mk 13,34. Möglicherweise ist Matthäus von Mk beeinflusst, da er das Gleichnis an der Stelle von Mk 13,34 positioniert (vgl. Mk 13,33 par Mt 25,13). 408 Das Subjekt der Erzählung muss in Q 19,12 genannt worden sein. Die Bezeichnung euögenhßw (Lk 19,13) wird auf Lukas zurückgehen (Angleichung an Thronprätendentenerzählung), da Matthäus sie bestimmt übernommen hätte. 409 Q wird die Einleitung aänjrvpoßw tiw gehabt haben. 410 Matthäus dürfte mit aöpodhmvqn die Q-Fassung bewahrt haben; denn Lukas schreibt in 15,13 aöpedhßmesen und übernimmt es in 20,9 aus Mk 12,1. Anzunehmen ist, dass sein Interesse an der Rahmenerzählung dazu geführt hat, das Partizip zu streichen. 411 Zudem ist poreußesjai lukanisches Vorzugswort. 412 Q dürfte den Auftrag des Herrn pragmateußsasje gekannt haben (Q 19,13). Mt hat in eÖkaßstv# kata? th? n iödißan dußnamin redigiert (der eigentliche Auftrag fehlt also in Mt! ) und die jeweilig anvertraute Geldmenge entsprechend angepasst (s.u.). Q 19,13: Anzahl der Sklaven und anvertraute Geldmenge Matthäus spricht von drei (Mt 25,14-15), Lukas von zehn Sklaven (Lk 19,13). Lukas spricht später (Lk 19,16ff.) nur noch von drei Sklaven. Diese Diskrepanz ist als lectio difficilior zu betrachten. Deshalb ist wahrscheinlich, dass in Q 19,13 bei der Abreise des Herrn zunächst zehn Sklaven gerufen wurden. 413 Heil sieht in der matthäischen Formulierung pareßdvken auötoiqw ta? uÖpaßrxonta auötouq markinischen Einfluss (Mk 13,34: dou? w toiqw douqloiw auötouq th? n eöcousißan ) und nimmt deshalb an, Lukas habe den Q-Text bewahrt. - In der Tat ist anzunehmen, dass Lukas ta? uÖpaßrxonta bewahrt hätte. 414 may be derived from some real Palestinian historical incident, it is built into the parable only for verisimilitude.“ (Fitzmyer, Luke II, 1234). Diese dürfte nie eine selbständige Erzählung gewesen, sondern erst von Lukas in das Gleichnis vom anvertrauten Geld hineingeschrieben worden sein (vgl. auch Fitzmyer, Luke II, 1231). 405 Vgl. das IQP; Heil, Lukas, 200. 406 Vgl. Lk 12,46. 407 Dass in Q ein abschließendes Gerichtswort stand, schließt das IQP mit der Wahrscheinlichkeit C aus. 408 Vgl. Heil, Lukas, 200. 409 Vgl. ebd. 410 Vgl. das IQP. 411 Vgl. Heil, Lukas, 198f. 412 Vgl. Fitzmyer, Luke I, 168f. 413 Vgl. Heil, Lukas, 199; das IQP. - Bovon ist dagegen der Ansicht, dass die Dreizahl ursprünglich sei, da Lukas später auch nur von drei Sklaven spreche (vgl. Bovon, EKK III/ 3, 287). 414 Die Vokabel begegnet mehrmals im lukanischen Sondergut, vgl. Lk 12,15; 14,33; 16,1; 19,8. - Vgl. Heil, Lukas, 199. <?page no="295"?> 295 Lukas spricht von zehn mnaqw , jeder der Sklaven bekommt eine (v. 13). Matthäus berichtet, dass der erste von drei Sklaven fünf taßlanta bekommt, der zweite zwei, der dritte eines (v. 15). 415 - Dass sowohl Matthäus als auch Lukas betonen, dass die Summe niedrig ist (Lk 19,17/ Mt 25,21.23), spricht für die lukanische Version. 416 Josephus gibt in Bell. II, 95-97 die Steuereinkünfte des Herodes Antipas mit 200 Talenten, die des Philippus mit 100 und die des Archelaus mit 400 an, umgerechnet also zwischen 600.000 und 2.400.000 Denare. 417 Die zehn Minen (1.000 Denare) des Lukas scheinen entsprechend niedrig. Andererseits ist bei Lukas (anders als bei Matthäus) auch nicht die Rede davon, dass der abreisende Herr sein gesamtes Vermögen den Sklaven zur Verwaltung übergibt. Lukas dürfte also bezüglich der Währung und der Geldmenge Q bewahrt haben. 418 Nimmt man an, dass in der Q- Version einfach von einem Menschen die Rede war (s.o.), spricht dies ebenfalls für die Ursprünglichkeit der lukanischen Version (geringere Geldmenge! ) an dieser Stelle. Die Erweiterung eÖkaßstv# […] dußnamin (Mt 25,15), „jedem nach seiner Fähigkeit“, könnte von Markus beeinflusst sein und auf das Konto von Matthäus gehen. 419 - Der substantivierte Infinitiv eön vW eärxomai ist wiederzugeben mit „während meiner Abwesenheit“. 420 Q 19,16: Gewinn der Sklaven Bei Matthäus verdoppeln die beiden „guten“ Sklaven das ihnen anvertraute Geld (Mt 25,16f.); bei Lukas verzehnfacht der erste Sklave das ihm Anvertraute (Lk 19,16), der zweite verfünffacht es (Lk 19,18). Das IQP folgt hier Lukas. 421 Q 19,16: Rückkehr des Herrn und Abrechnung mit den Sklaven In Mt 25,20 steht kerdaißnein , Lukas verwendet stattdessen das Hapaxlegomenon prosergaßzesjai (v. 16). Das matthäische kerdaißnein passt besser dazu, dass die Sklaven hier als Subjekte sprechen (die kata? th? n iödißan dußnamin gewirtschaftet haben); das lukanische prosergaßzesjai entspricht eher der einen Mine. Die lukanische Version ist somit als ursprüngliche anzunehmen. 422 - Nach Matthäus kommt der Herr meta? de? polu? n xroßnon zurück (Mt 25,19). Möglicherweise hat Lukas die Formulierung gestrichen, da sie seiner Einleitung (Erwartung der baldigen Offenbarung des Reiches Gottes widerspricht; v.11). 423 - Die lukanische Reaktion des Herrn gegenüber den beiden ersten Sklaven (v. 17b-d.19b) kann nicht ursprünglich sein, da hier wieder die lukanische Rahmenerzählung aufgenommen wird. Das IQP folgt bei der Rekonstruktion im Wesentlichen Matthäus. 424 415 Eine Mine entspricht etwa 100 Denaren, ein Denar (nach Mt 20,2) in etwa dem Tageslohn eines Arbeiters (vgl. Münch, Gewinnen, 244). - Mnaq begegnet im NT nur in Lk 19,11ff. 416 Bovon ist dagegen der Ansicht, Lukas habe hier redaktionell eingegriffen, um die Vorstellung, dass alle Gläubigen als einander Gleiche ihr christliches Leben beginnen, zu verankern (vgl. Bovon, EKK III/ 3, 288). 417 Vgl. Heil, Lukas, 199f. 418 Vgl. das IQP. 419 Das IQP folgt mit der Wahrscheinlichkeit C dem lukanischen Wortlaut ( kai? eiQpen […] eärxomai ). Allerdings mit der Konjektur auötoiqw statt des lukanischen pro? w auötoußw . - Vgl. auch Heil, Lukas, 200. 420 Vgl. Fitzmyer, Luke II, 1235; Blass/ Debrunner, Grammatik, § 383.1. 421 Bovon vermutet einen „Hang zur Übertreibung in den lukanischen Spekulationen“, weshalb er annimmt, dass Matthäus die ursprüngliche Version bewahrt hat (Bovon, EKK III/ 3, 288). 422 Vgl. das IQP. 423 Vgl. Heil, Lukas, 200. 424 Ohne eiäselje eiöw th? n xara? n touq kurißou sou (Mt 25,21.23). <?page no="296"?> 296 - Die Formulierung eögeßneto eön tvq # eöpaneljeiqn 425 auöto? n (Lk 19,15a) ist an die Septuaginta angelehnt und lukanisch 426 und dürfte eärxetai oÖ kußriow ersetzt haben. Ab v. 15b ist die lukanische Version wieder an der Rahmenerzählung ausgerichtet. - Belohnung der „tüchtigen“ Sklaven: Nach Mt werden sie gelobt (Mt 25,21.23); Lukas verwandelt die Belohnung (entsprechend der Rahmenerzählung) in Macht über Städte. - Die Notiz vom Ablegen der Rechenschaft dürfte Matthäus in der Q-Version bewahrt haben ( sunaißrei loßgon met ö auötvqn, Mt 25,19), Lukas dürfte die Wendung durch Lk 19,15b ersetzt haben. Darauf verweist z.B. aörgußrion (Lk 19,15b), das ein bei Lukas beliebtes Wort ist. 427 Q 19,20-22: Der dritte Sklave - Nach Mt hat der dritte Sklave sein Talent eön thq # ghq # vergraben (Mt 25,25), nach Lukas seine Mine eön soudarißv# versteckt (v. 20). Das IQP tendiert dazu, die matthäische Version als ursprünglich anzunehmen. Nach rabbinischem Recht gilt Vergraben als der sicherste Schutz vor Dieben, anvertrautes Geld dagegen in einem Tuch aufzubewahren, als leichtfertig. 428 - Nach Lk verteidigt sich der dritte Sklave mit den Worten eöfoboußmhn […] auösthro? w eiQ 429 (v. 21), nach Mt mit eägnvn […] sklhro? w eiQ (Mt 25,24). Das IQP übernimmt die matthäische Version. Lukas hat demnach die Kritik des Sklaven an seinem Herrn abgeschwächt; denn auösthroßw hat eher die Bedeutung „streng“, während in sklhroßw die Bedeutung „grausam“ mitschwingt. - Der dritte Sklave wird bei Matthäus ponhroßw, oöknhroßw (Mt 25,26) und aöxreiqow (Mt 25,30), bei Lukas nur ponhroßw (Lk 19,22) genannt. Das IQP folgt Lukas. - Lukas verwendet in 19,21.22 die Ausdrücke tijeßnai und aiärein , Matthäus hat in 25,24.26 diaskorpißzein und sunaßgein , übereinstimmend haben beide speißrein und jhrißzein . Lukas verwendet also spezifisch banktechnische Ausdrücke und präzisiert auf diese Weise Q. 430 - In Lk 19,22 findet sich im Vergleich zu Mt die Erweiterung eök touq stoßmatoßw krinvq se . Das IQP hält dies für eine lukanische Erweiterung. - Das IQP folgt in Q 19,23 (der Herr fragt den Sklaven, warum er das Geld nicht auf die Bank gebracht hat) im Wesentlichen der matthäischen Fassung. Lukas und Matthäus unterscheiden sich nicht an inhaltlich relevanten Punkten. - Nach Lk soll dem dritten Sklaven die eine Mine weggenommen und dem ersten Sklaven gegeben werden, der mit der einen Mine zehn dazu gewonnen hat, tvq # ta? w deßka mnaqw eäxonti (Lk 19,24). Bei Mt wird analog dazu berichtet, dass dem dritten Sklaven sein Talent genommen werden und dem ersten Sklaven mit den zehn Talenten gegeben werden soll (Mt 25,28). Heil erkennt in der lukanischen Fassung ein logisches Problem, da der erste Sklave ja inzwischen elf Minen besitzen müsste. Die Erzähllogik ist hier in der Tat nicht zu durchschauen. Es ist außergewöhnlich, dass es als Strafe gilt, dass dem dritten Sklaven sein 425 Im NT nur noch in Lk 10,35. 426 Vgl. Fitzmyer, Luke I, 119, Jeremias, Sprache, 278. 427 Vgl. Heil, Lukas, 200 Anm. 24. - Lukas übernimmt aörgußrion aus Mk 14,11, fügt es Lk 9,3 diff. Mk 6,8 ein und gebraucht es fünfmal in der Apg. Auch Matthäus verwendet das Wort gerne (er fügt es in Mt 25,18; 27,3.5.6.9; 28,12.15 ein). Deshalb ist davon auszugehen, dass er es übernommen hätte , wenn er es in Q vorgefunden hätte. 428 Vgl. Jeremias, Gleichnisse, 57 Anm. 1; Billerbeck/ Strack, Kommentar I, 970-972. 429 Heil schließt sich der Rekonstruktion des IQP an und argumentiert damit, dass auösthroßw im NT nur hier begegnet (Hapaxlegomenon), sklhroßw dagegen mehrmals im NT (Joh 6,60; Apg 26,14; Jak 3,4; Jud 15). 430 So auch das IQP. <?page no="297"?> 297 Geldbetrag weggenommen wird. Eigentlich sollte dies auf der Ebene der Erzählung selbstverständlich sein. Zu erwarten wäre, dass der Herr sein Vermögen inklusive Gewinn zurückfordert (so auch Lk 19,23 par Mt 25,27) und die Sklaven allenfalls eine Belohnung bzw. Gewinnbeteiligung bekommen (Mt 25,21.23 spricht von einem Vertrauensbonus: eöpi? pollvqn se katasthßsv ; in Lk 19,17.19 wird den beiden ersten Sklaven - verflochten mit der Rahmenerzählung - als Belohnung die Verantwortung über Städte übertragen). - Lk 19,25 ist textkritisch umstritten. Wahrscheinlich handelt es sich um einen lukanischen Einschub. 431 Das Logion Lk 19,26 par Mt 25,29 Das Logion Lk 19,26 par Mt 25,29 hat bereits in Q das Gleichnis abgeschlossen. Da es sich auch in Mk 4,25 par Mt 13,12 par Lk 8,18 findet, dürfte es sich hier um ein frei zirkulierendes Logion handeln. Die Differenzen zwischen Mt 25,29 und Lk 19,26 sind stilistischer Natur. 432 2.3.14.2 Theologisch-inhaltliche Analyse Für die Interpretation des Gleichnisses ist entscheidend, welche Perspektive als maßgebend betrachtet wird: das auf der Ebene der Erzählung entscheidende Urteil des Herrn oder die von der Erzählung für den dritten Sklaven eingeworbene Sympathie? 433 Der Q-Kontext legt eine Identifikation des Herrn mit Jesus nahe, weshalb es zunächst eindeutig scheint, dass das Urteil des Herrn in der Erzählung vom anvertrauten Geld maßgebend ist. Dem steht die sozialgeschichtliche Analyse entgegen, die den Herrn und sein am persönlichen Profit orientiertes ökonomisches Handeln und damit seine Identifikation mit Gott bzw. Jesus/ dem Menschensohn in Frage stellt. 434 Lukas stellt das Gleichnis von den anvertrauten Minen durch die Einleitung (v. 11) in den Kontext der Offenbarung der basileißa touq jeouq . Angesichts der bevorstehenden Ankunft Jesu in Jerusalem wirft Lukas die Frage auf, ob ihre Offenbarung kurz bevorsteht ( oÄti paraxrhqma hÖ basileißa touq jeouq aönafaißnesjai, v. 11). Lukas verwebt das Gleichnis von den anvertrauten Minen mit der Erzählung vom Thronprätendenten. Damit lässt er Jesus auf zwei Ebenen einen Gegenentwurf zu seiner Königsherrschaft bzw. dem Königreich Gottes beschreiben: Das machtpolitische Verhalten des Thronprätendenten steht in Kontrast zu der Art, wie Jesus König ist (vgl. den Einzug Jesu in Jerusalem Lk 19,19-28). Sein ökonomisches Handeln (insbesondere die Selbstaussage in Lk 19,23) spiegelt die kapitalistische Gesetzmäßigkeit der Welt wider 431 Die besten Textzeugen bezeugen allerdings die ursprüngliche Zugehörigkeit des Verses zu Lk; er findet sich nicht in D, W, 69. 432 Mit Ausnahme des matthäischen perisseujhßsetai , das Matthäus auch in Mt 13,12 hinzufügt. 433 Vgl. Münch, Gewinnen, 248f. Er ist der Ansicht, dass die zeitweilige Sympathie für den dritten Sklaven den Sinn hat, Leser zu gewinnen, denen die Haltung des dritten Sklaven nahe steht, um sie dann von der anderen Sicht zu überzeugen. 434 Vgl. Münch, Gewinnen, 247. <?page no="298"?> 298 (insbesondere das Zinswesen), die die Vermehrung der Güter der Reichen und Mächtigen forciert. Die Adressaten des Lukas sind aufgefordert, die Erzählungen vom Thronprätendenten und den anvertrauten Minen mit der Königsherrschaft Jesu zu vergleichen. (#.1.1) Reiche und Arme stehen sich im Gleichnis vom anvertrauten Geld einander gegenüber: ein vermögender Mensch und zehn seiner Sklaven, die sein Vermögen zeitweise verwalten sollen. Reichtum zeigt sich hier im Besitz von Sklaven und Vermögen. Auffällig ist, dass in der vorliegenden Erzählung das Zinswesen als Faktor für die Vermehrung von Kapital explizit genannt wird (Lk 19,23). In neutestamentlicher Zeit dürfte im Judentum ein Zinsverbot geherrscht haben, auch in der paganen Welt hatte das Zinswesen keinen guten Ruf. „So wirft die Empfehlung, zu den Bankiers zu gehen und Zinsen zu kassieren auch ein Licht auf den Herrn selbst. Darf man bei den Leserinnen und Lesern die skizzierten Wertmaßstäbe voraussetzen, dann wird der […] Vorwurf des Sklaven, sein Herr sei geldgierig und mache fragwürdige Gewinne noch einmal bestätigt […].“ 435 (#.1.2) Armut und Reichtum werden auf der Ebene der Erzählung nicht theologisch gedeutet; hier ist das ökonomische Handeln des Herrn und der Sklaven relevant. (#.2.1) Das ökonomische Handeln des Herrn kommt in seiner sozialen (Verhalten den Sklaven gegenüber) und autoreferentiellen (Wille zur Vermehrung seines Vermögens) Dimension in den Blick. Drei Sklaven wirtschaften mit dem Geld ihres Herrn. Die ersten beiden erzielen einen Gewinn von 1.000 bzw. 500% - wie, darüber schweigt die Erzählung. Auch der Zeitraum, in dem sie die Gewinne machen, bleibt im Dunkeln. Es geht darum, dass sie das Kapital des Herrn vermehrt haben und dass der Herr sie dafür belohnt, indem er ihnen Macht verleiht: auf der Ebene der lukanischen Redaktion Herrschaft über Städte; in Q unpräzise eöpi? pollvqn se katasthßsv (Q 19,17.19). Die ersten beiden Sklaven verstehen sich als verlängerter Arm des Herrn, sie führen seinen Befehl (Lk 19,13: pragmateußsasje ) aus. In ihrem Rechenschaftsbericht geben sie keine Auskunft darüber, wie sie gehandelt haben, sondern teilen nur das Ergebnis, die Kapitalvermehrung, mit. „Subjekt“ sind dabei nicht sie selbst, sondern das Geld (Lk 19,16.18: hÖ mnaq souq […] prosergaßsato […]; ebenso Q 19,16.18). Die Erzählung betont hier stark die autoreferentielle Dimension ökonomischen Handelns, das Interesse des Herrn an der Kapitalvermehrung bzw. die Sklaven als sein verlängerter Arm. Die soziale Dimension ihres ökonomischen Handelns spiegelt sich im Urteil des Herrn über die Sklaven wider. Sie handeln für ihren Herrn und 435 Münch, Gewinnen, 245. <?page no="299"?> 299 haben selbst nichts vom Gewinn; er lobt ihre Loyalität, bezeichnet sie als pistoßw und belohnt sie. Die beiden Sklaven haben sich mit ihrem Tun Anerkennung beim Herrn erworben. Der dritte Sklave gibt Rechenschaft über sein Handeln, spricht also von sich selbst (nicht vom Kapital) als Subjekt. Er hat seine Mine verborgen (nach Lk in einem Schweißtuch, nach Q in der Erde) und damit das anvertraute Geld seines Herrn bewahrt, jedoch nicht vermehrt. Dem Auftrag „ pragmateußsasje “ (Q 19,13) seines Herrn hat er sich widersetzt. Als Grund dafür gibt er Furcht an ( eöfoboußmhn, Lk 19,21; Q 19,21). Der Sklave hatte Angst vor einer Bestrafung bei Verlust des Geldes. Die Angst ist auf der Ebene der Erzählung nicht unbegründet, der Herr bestätigt den Vorwurf, er sei streng und fixiert auf sein Geld (Q 19,22). Sein Handeln bedient das autoreferentielle Interesse des Herrn an der Vermehrung seines Kapitals nicht, sondern läuft diesem zuwider. (#.2.2) Die Erzählung reflektiert die für ökonomisches Handeln gängige Leitlinie: „Geld ist dazu da, um damit Geschäfte zu machen. Kapital muss wachsen.“ (Q 19,27) Die beiden ersten Sklaven und der Herr sind sich darüber einig. Der dritte Sklave stellt diese Leitlinie in Frage und wird dafür vom Herrn disqualifiziert (Q 19,22: ponhre? douqle ). Auf der Erzählebene behält der Herr aufgrund seiner Machtbefugnisse Recht. 436 (#.2.3) Auf der Ebene der Erzählung findet keine theologische Deutung ökonomischen Handelns statt. 437 (#.3) Das Handeln Gottes/ Jesu an armen und reichen Personen bzw. an ökonomischen Zuständen thematisiert die Erzählung nicht. 2.4 Auswertung 2.4.1 Redaktionskritik Einigen Perikopen gibt Lukas eine neue Struktur (z.B. Q 4,1-11f.; 6,27-36; 11,37-52 und die Umstellung von Lk 12,33f. hinter 12,22-32 438 ). An vielen Stellen überarbeitet er sprachlich oder fügt sogar eigene Passagen ein (Lk 6,33f.). 436 Dass auf der Erzählebene das Urteil des Mächtigen Recht behält, darf nicht mit der Erzählintention gleichgesetzt werden. Es ist also nicht davon auszugehen, dass der Erzähler das Urteil des Herrn über den Sklaven stark macht - die Sympathie für den dritten Sklaven bleibt auf der Erzählebene ebenso wirksam wie die Charakterisierung des Herrn als geldgierig und hart (gegen Münch, Gewinnen, 247). 437 Ein allegorisches Verständnis des Gleichnisses von den anvertrauten Talenten betrachtet das geschilderte ökonomische Handeln als positives Bild für menschliches Handeln im Auftrag Gottes. Vgl. z.B. von Bendemann, DOCA , 170: Die Leser werden „zum pragmateußesjai in ihrer Gegenwart bis zur ausstehenden Rückkehr des königlichen Herrn ermahnt bzw. jeder [sic! ] Passivität und Illoyalität diesem gegenüber gewarnt“. 438 Die ursprüngliche Position der Perikope in Q war hinter Q 12,2-12. <?page no="300"?> 300 2.4.2 Theologisch-inhaltliches Profil 2.4.2.1 Armut und Reichtum 2.4.2.1.1 Darstellung Charakteristik Strukturell bedingte Armut wird in Q 6,20-23; 7,18-23; 12,22-32; 14,16-24; 19,11-27 angesprochen. In Q 6,20-23 werden die ptvxoiß seliggepriesen (v. 20). Neben den ptvxoiß werden in 6,20-23 noch Hungernde ( peinvqntew ) und Weinende ( klaißontew ) genannt. In Q 7,22 werden Arme zusammen mit Kranken genannt. Diese Kombination verdeutlicht, dass der Terminus ptvxoßw auf Menschen in konkreter sozialer und physischer Notlage verweist. In Q 14,23 ist das Leben außerhalb der Stadt Charakteristikum für Armut. Die Armut der Sklaven in Q 19,11ff. ist durch ihre existentielle Abhängigkeit und ihr Ausgeliefertsein von einem profitgierigen Herrn bestimmt. In Q 12,22ff. wird auf Armut angespielt, indem die menschliche Angst vor dem Mangel an lebensnotwendiger Kleidung und Nahrung thematisiert wird. Armut, die aus religiösen Gründen freiwillig auf sich genommen wird, wird neben Q 7,18ff. (Askese des Täufers) noch in Q 10,4 angesprochen. Dort geht es um die extreme Armut der Jünger während der Zeit ihrer Aussendung: Sie sind auf die Weisung Jesu hin ohne Geld(beutel), Tasche und Schuhe unterwegs. Ein Spezifikum von Q ist die Thematisierung der Armut des erwachsenen Jesus: Jesus geht 40 Tage in die Wüste und nimmt für diese begrenzte Zeit extremen materiellen Mangel in Kauf (Q 4,2f.). Das Logion Q 9,58 betont, dass Jesus, der Menschensohn, auf seinem Weg ohne Obdach ist und es ihm damit sogar schlechter geht als den Tieren. Charakteristisches Merkmal von Reichtum ist in 7,25 und 12,27 der Überfluss des lebensnotwendigen Gutes „Kleidung“. An beiden Stellen gilt die Möglichkeit, sich prächtig zu kleiden, als politisch Mächtigen vorbehalten. In Q 14,16ff. und Q 19,11ff. ist von reichen Personen die Rede, wobei der Begriff ploußsiow nicht verwendet wird. Q 14,16ff. schildert einen reichen Gastgeber und erstgeladene Gäste, die auf derselben sozialen Stufe stehen. In Q 19,11ff. wird ein vermögender Mensch dargestellt, der mehrere Sklaven hat, Geld, dessen Verwaltung er ihnen anvertraut, und die Möglichkeit außer Landes zu reisen. Beziehung zwischen Armen und Reichen Pointiert stellt Q 7,24ff. Reiche und Arme gegenüber. Das Tragen feiner Gewänder und höfischer Reichtum steht im Kontrast zum asketischen Leben Johannes des Täufers, der freiwillig in Armut lebt. Das Vaterunser setzt mit dem Thema „Schuldenvergebung“ (Q 11,4) ein Gefälle zwischen reichen Gläubigern und armen Schuldnern voraus und fordert dazu auf, durch Schuldenerlass einen Ausgleich zu schaffen. In ähn- <?page no="301"?> 301 licher Weise postulieren die Imperative zum Umgang mit materiellen Gütern in Q 6,27-36 ein soziales Gefälle zwischen Reichen und Armen (z.B. v. 30: paßnti aiötouqnti se dißdou ). Arme und Reiche stehen in Q 19,11-27 und Q 14,16-24 in hierarchischer Beziehung zueinander. Q 19,11ff. beschreibt einen reichen Menschen, der Herr über Sklaven ist. Diese sind materiell von ihm abhängig und seiner Willkür ausgeliefert (Q 19,15.24f.). In Q 14,16ff. sind die Zweitgeladenen Menschen, die am Rand der Gesellschaft stehen (sie leben außerhalb der Stadt), und von dem Zorn des reichen Gastgebers über die erstgeladenen Gäste profitieren. Ursachen von Armut und Reichtum Ursachen für Armut und Reichtum werden in Q nicht direkt angesprochen. In Q 7,25 gerät die Verquickung von politischer Macht und Reichtum in den Blick. Q 19,23 erwähnt das Zinswesen als Möglichkeit zur Kapitalvermehrung. 2.4.2.1.2 Theologische Deutung Eschatologische Umkehrung von Armut Q 6,20-23 verheißt die eschatologische Umkehrung strukturell bedingter Armut: Die Weinenden werden überlegen lachen ( gelaqn ) und die Hungernden werden gesättigt werden ( xortaßzesjai ). Den Armen gehört die basileißa touq jeouq schon jetzt ( uÖmeteßra eösti? n , v. 20). Sie gilt hier zugleich als schon gegenwärtige und zukünftige Realität. Gottes gerechtes Reich wird kommen und die irdischen Herrschaftsstrukturen außer Kraft setzen. Die Seligpreisungen, makaßrioi , sind schon real, die endgültige Beseitigung der Not wird erst in der Zukunft stattfinden. Armut als Raum für die Zuwendung Gottes Q 10,1ff. deutet die Armut der 72 Jünger während der Zeit ihrer Aussendung (Q 10,4) nicht explizit; implizit wird sie als Zeichen für ihre Abhängigkeit von Gott und ihr Vertrauen auf ihn verstanden. Damit schafft ihr Verzicht auf materielle Ausrüstung Raum für das Wirken Gottes. Armut als Zeichen der Abhängigkeit von Gott Die zeitlich begrenzte extreme Armutssituation Jesu in der Wüste (Q 4,1ff.) wird an diesem Ort zu dieser Zeit als von Gott gewollt dargestellt. Indem Jesus den Verzicht auf sich nimmt, folgt er dem Willen Gottes. Das ausreichende Vorhandensein von Brot, das physisches Überleben sichert, und das Wort Gottes, das für das Leben des Menschen ebenso nötig ist, werden in Q 4,2f. (vgl. Dtn 8,2f.) einander gegenübergestellt. Auf diese Weise wird deutlich, dass der Mensch nicht auf sein Nahrungsbedürfnis reduziert verstanden werden darf, sondern aus der Beziehung zu Gott lebt. In ähnlicher Weise wie die Armut der ausgesandten 72 Jünger (Q 10,1ff.) verweist die Armut Jesu (Q 9,58) auf seine Abhängigkeit von Gott, in die er sich entschieden hineinbegibt. <?page no="302"?> 302 Materielle Güter als Gabe Gottes Q 11,1-4 und 12,22-32 betonen, dass Gott will, dass Menschen genug zum Leben haben. In Q 11,1-4 wird der Besitz materieller Güter als Gabe Gottes gedeutet - das, was ein Mensch hat, ist ihm von Gott gegeben. Der Mensch kann sich Lebensnotwendiges nicht selbst schaffen. Q 12,22-32 beantwortet die Angst vor der Armut mit dem Trost, dass Gott den Seinen gibt, was sie brauchen (v. 24c.30). V. 23 relativiert die Notwendigkeit materieller Dinge (auch Nahrung) gegenüber geistlichen Dingen ( hÖ ga? r yuxh? pleiqon eöstin thqw trofhqw ; vgl. Q 4,2). Q 12,27f. differenziert zwischen Reichtum (verstanden als Besitz wertvoller Güter) und von Gott geschaffenem Überfluss: Gott ist fähig und willig, mehr als das Lebensnotwendige zu geben und Prächtiges zu schaffen, z.B. das Kleid der Lilien; Menschen, z.B. Salomo, können selbst für viel Geld nichts Vergleichbares in ihren Besitz bringen. Postmortale Wertlosigkeit irdischen Reichtums Q 12,33f. betont, dass irdischer Reichtum der Vergänglichkeit unterworfen ist (Diebe, Motten). Himmlischer Reichtum wird ihm als Wert gegenübergestellt, an dem das Leben auszurichten ist. 2.4.2.2 Umgang mit materiellen Gütern 2.4.2.2.1 Darstellung Soziale Dimension Sozialen Umgang mit materiellen Gütern zu Gunsten von Bedürftigen nehmen Q 6,29f., 11,1-4 und 14,16-24 in den Blick. Als Konkretion des Gebotes der Feindesliebe fordert Q 6,29 (vgl. Mt 5,40) dazu auf, vor Gericht zu Gunsten des Gegners auf das zu verzichten, was einem juristisch zusteht. Q 6,30 legt nahe, jedem, der etwas von einem fordert, zu geben, und Geliehenes nicht zurückzufordern. In Q 11,4 ist im Gebet das Versprechen formuliert, Schulden zu erlassen und Schuld zu vergeben. Zudem ist die Aufforderung, dem zu geben, der einen darum bittet (Lk 6,30) analog zur Bitte an Gott, aärton eöpioußsion zu geben und aÖmartißai zu vergeben (Lk 11,3), so wie Menschen ihren Schuldnern - im moralischen und materiell-finanziellen Sinn - vergeben: „The practice of the Q community of forgiving debts thus stands in a relation of reciprocity with God´s action toward the Q community. This comes to expression most clearly if the statements both of the humans` and of God's action use the same term for what is forgiven: debts.“ 439 Auch die am Rande der Gesellschaft stehenden Ersatzgäste profitieren von dem Entschluss des reichen Gastgebers (Q 14,21), sie einzuladen. Dieser handelt jedoch aus Zorn auf die Erstgeladenen (Q 14,23f.) und nicht, um den neuen Gästen Gutes zu tun. 439 Caruth/ Garsky, Q 11: 2b-4, 155. - Vgl. Oakman, Economic Questions, 153ff. <?page no="303"?> 303 Q 14,16-24 und 19,11-27 schildern jeweils den Umgang mit materiellen Gütern auch in seiner sozialen Dimension, doch steht dabei nicht das Wohl der Mitmenschen im Vordergrund; materieller Ausgleich wird immer erwartet, Q 14,16-24 berichtet davon, dass ein wohlhabender Mensch ein Gastmahl ausrichtet und dazu Gäste einlädt, die gleichen sozialen Ranges sind. Nach Q 19,11-27 wirtschaften Sklaven als verlängerter Arm ihres Herrn und sorgen dafür, dass seine Güter vermehrt werden. Autoreferentielle Dimension Umgang mit materiellen Gütern in seiner autoreferentiellen Dimension thematisieren Q 12,22-32, Q 14,16-24 und Q 19,11-27. Q 12,22ff. rät von der Sorge um bzw. Vorsorge für materielle Güter und die Existenzsicherung ab und macht Mut zur Sorglosigkeit im Vertrauen auf Gott. Pures Profitstreben reflektiert Q 19,11ff.: Der reiche Herr in der Erzählung gibt seinen Sklaven den Auftrag, sein Kapital zu vermehren und belohnt sie dafür. Ein Sklave widersetzt sich diesem Auftrag und wird dafür bestraft. In Q 14,16ff. ziehen die erstgeladenen Gäste geschäftliche, besitzorientierte Tätigkeiten der Teilnahme am Mahl vor (Q 14,18-20). Religiöse Dimension Drei Perikopen aus Q sprechen religiös motivierten Verzicht auf Besitz an. In Q 9,57f. und 10,1ff. handelt es sich um Besitzverzicht um der Nachfolge bzw. um der Verkündigung der basileißa willen. In Q 9,57f. weist Jesus einen Menschen, der ihm nachfolgen will, darauf hin, dass diese Entscheidung den Verzicht auf jegliche materielle Sicherheit (Obdach) bedeutet. Q 10,1ff. berichtet, dass die 72 Jünger während der Zeit ihrer Aussendung zur Heilung Kranker und der Ankündigung der Nähe der basileißa extreme Armut, d.h. den Verzicht auf jegliche Reiseausrüstung, in Kauf nehmen. In Q 4,2f. wird thematisiert, dass Jesus darauf verzichtet, Stein in Brot zu verwandeln und so seinen Hunger zu stillen. Q 4,1ff. steht im Spannungsfeld des Gehorsams gegenüber Gott oder dem Satan. Q 11,42f. kritisiert die minutiöse Praxis bei der Befolgung des Zehntgebots nach pharisäischer Tradition. 2.4.2.2.2 Reflektion traditioneller ethischer Leitlinien Die Feindesliebe (Q 6,27) hat Vorläufer in der jüdischen und stoischen Ethik, gilt aber nur in der christlichen Ethik als ethisches Prinzip, das auch in der Beziehung zu überlegenen Feinden zu praktizieren ist. Q kritisiert auf der Grundlage der Feindesliebe die Reziprozitätsethik und ersetzt die zwischenmenschliche Reziprozität durch ein System, in dem der Mensch die „Gegenleistung“ für sein Tun nicht von seinem menschlichen Gegenüber, sondern von Gott erwartet (Q 6,32). Lukas wird dies auf den Umgang mit materiellen Gütern ausweiten (Lk 6,33f.). <?page no="304"?> 304 Q 11,39b setzt sich mit der Auslegung und Praxis der Reinheitsgesetze (Lev 11-15) auseinander. Die äußere Reinheit wird der inneren Reinheit als Folge ethisch guten Verhaltens kritisch gegenübergestellt. In Q 11,42 wird die pharisäische Praxis der Verzehntung (vgl. das Zehntgesetz Dtn 14,22-29) kritisiert und hinterfragt, ob diese mit dem Recht Gottes in Einklang steht. Q 12,22-32 ist von der weisheitlichen Ansicht (vgl. Sir 31,2-4; Weish 6,14.15) geprägt, dass die Sorge um materielle Güter der Suche nach Gott bzw. der Weisheit abträglich ist. 2.4.2.2.3 Theologische Deutung Verheißung der Gotteskindschaft für Verzicht auf materielle Vergeltung Q 6,27-38 verdeutlicht, dass der Umgang mit materiellen Gütern nicht an Besitzstandswahrung und der Aussicht auf materielle Vergeltung orientiert sein muss. Festgestellt wird, dass es möglich und ratsam ist, materielle Verluste in Kauf zu nehmen und zu Gunsten Bedürftiger auf Besitz zu verzichten, da dies mit der Gotteskindschaft belohnt wird. Theologische Kritik an der Orientierung an materiellen Gütern Q 12,22ff. interpretiert die Sorge um lebensnotwendige Güter als Verhalten, das von dem Streben nach der basileißa ablenkt (Q 12,31: plh? n zhteiqte th? n basileißan ). Stattdessen ist es geraten, sich auf die Fürsorge Gottes zu verlassen. Gott sorgt dafür, dass die Seinen das Lebensnotwendige haben; Vorsorge gilt entsprechend als Zeichen des Misstrauens gegenüber der Vorsehung Gottes. „Reziprozität“ der Schuldenvergebung Gott - Mensch, Mensch - Mensch In Q 11,4 ist Schuldenerlass (und Schuldvergebung) unter Menschen in ihrem Verhältnis zur Vergebung gedeutet, die Menschen von Gott erfahren. Einerseits ist die Vergebung Gottes im Vaterunser an menschliches vergebendes Handeln (materiell und moralisch) geknüpft; andererseits bilden Menschen mit ihrem vergebenden Handeln an den Mitmenschen die Vergebung Gottes an ihnen selbst ab. Besitzverzicht als Voraussetzung für basileißa -Dienst In Q 10,1ff. gilt der Verzicht auf jegliche, auch lebensnotwendige, materielle Güter als Voraussetzung für den Dienst der 72 für die basileißa . Sie stellen sich damit in die völlige Abhängigkeit von der Fürsorge Gottes und leben damit das, was sie verkündigen: Die Nähe der basileißa touq jeouq . Gehorsam gegenüber Gott Durch den Verzicht darauf, seinen Hunger zu stillen (vgl. Q 4,2f.), zeigt Jesus seinen Gehorsam gegenüber Gott und seine Treue zu ihm und widersteht der verführerischen Macht des Satans. <?page no="305"?> 305 2.4.2.3 Handeln Gottes/ Jesu an armen und reichen Menschen Q thematisiert nur das Handeln Gottes/ Jesu an armen Menschen, das Handeln an Reichen wird nicht angesprochen. Fast durchweg wird die Zuwendung Gottes/ Jesu zu Armen oder allen Menschen im Diesseits reflektiert. Handeln Gottes/ Jesu an Armen zu Lebzeiten In Q 7,19 werden Arme als herausragende Adressaten der Evangeliumsverkündigung genannt. Diese ist sozial konnotiert und zielt auf die Befreiung von körperlicher und sozialer Not. Q 7,21f. charakterisiert die Mission Jesu dadurch, dass er Menschen aus sozialer und körperlicher Not befreit. Q 12,24.28 betont, dass Gott für die materiellen Bedürfnisse der Menschen sorgt; ähnlich setzt Q 11,3 voraus, dass die Menschen darauf angewiesen sind, dass Gott ihnen lebensnotwendige Nahrung gibt. Q 10,4ff. thematisiert implizit die Zuwendung Gottes zu den 72 Jüngern, die im Dienst an der basileißa mittellos unterwegs sind. Betont wird, wie sehr die ausgesandten Jünger auf seine Vorsehung angewiesen sind. Q 11,4 kann als Verweis darauf verstanden werden, dass Gott ökonomische Prozesse zu Gunsten von Armen beeinflusst: Gott knüpft seine Vergebung an das moralische und materielle Vergebungshandeln der Menschen. Eschatologisches Handeln Gottes an Armen Nur in Q 6,21 gerät das eschatologische Handeln Gottes an Armen in den Blick: Die basileißa touq jeouq ist zwar bereits gegenwärtig und Gott gibt den Armen Anteil daran ( uÖmeteßra eöstin ). Ihre Vollendung steht aber noch aus und dann wird Gott die ökonomischen und sozialen Verhältnisse umkehren und irdische Herrschaftsverhältnisse auflösen. <?page no="306"?> 306 III Theologisch-inhaltliches Profil des vorlukanischen S Lk gegenüber den konkurrierenden Diskurssträngen in Mk und Q Mk und Q liegen Lukas als schriftliche Quellentexte vor, in der Anlage seines Evangeliums folgt er Markus. Das S Lk ist ein virtuelles, heterogenes Textkorpus, das möglicherweise aus einigen geprägten Überlieferungszusammenhängen, hauptsächlich aber aus Einzeltexten besteht, die Lukas gemäß seinen Interessen sammelt. Ein Sammlungsinteresse des Lukas besteht darin, Aussagen zum Thema „Armut und Reichtum“ und „Umgang mit Besitz“ zu finden, die in Bezug auf die christliche Gemeinde relevant sind. Vor diesem Hintergrund liefert das im Vergleich mit dem Markus- und Q-Stoff herausgearbeitete besondere Profil des vorlukanischen S Lk Hinweise darauf, wie Lukas die Diskursaussagen ordnet. Tabellarisch lassen sich die Motivprofile der drei Quellenstränge S Lk , Mk und Q folgendermaßen darstellen: <?page no="307"?> 307 317 Übersicht: Motivprofil der Diskursstränge S Lk , Mk, Q und der lukanischen Redaktion S Lk Mk Q Red Lk I Darstellung von Armut und Reichtum Charakteristika von - Armut - Mangel an Nahrung ( peinvqntew , 1,54; uÖstereiqn , 15,14.16; eöpijumeiqn xortasjhqnai , 16,21) - Situation der Ausgrenzung/ Obdachlosigkeit (16,20); Krankheit (16,20); Mangel an Kleidung (3,11) - Suche nach Weg, um Lebensunterhalt zu sichern (15,8.15.17-19; 16,3f.) - Lebensunterhalt durch Betteln erwerben (16,4.21) - Witwe, deren Existenz bedroht ist (4,25f.) - Mangel an Nahrung (Mundraub der Jünger, Mk 2,23-28) - ungesicherte Existenz trotz Arbeit aÖlieußw (Mk 1,16), gevrgoßw (Mk 12,1); xhßra penixroßw (Mk 12,42) - Witwen, deren Existenz bedroht ist (Mk 12,38ff.; Mk 12,41ff.) - Leben ohne materielle Sicherheit in der Nachfolge Jesu (Mk 1,18.20; Mk 2,23-28; Mk 10,28) - Armut der Jünger während ihrer Aussendung (Mk 6,8ff.) - Trauer und Hunger (Q 6,20f.); - Ausgrenzung (Leben außerhalb der Stadt, Q 14,23) - Sorge um materielle Existenzgrundlage (Q 12,22ff.) - Armut Jesu: Hunger Jesu während vierzigtägiger Wüstenzeit ( eöpeinaßsen, Q 4,1f.); Obdachlosigkeit Jesu (Q 9,57f.); - Armut der Jünger während der Zeit ihrer Aussendung (Q 10,1ff.) - Verschuldung ( tejraußsmenow , 4,18 S Lk ) - Reichtum - Wohlstand auf dem Gutshof (zu verteilendes Erbe, Siegelring […]; 15,11ff. passim) - überreiches Nahrungsangebot (gemästetes Kalb, 15,23; zahlreiche Tagelöhner, die gut versorgt sind [ perisseußontai aärtvn, 15,17]) - allgemein: Besitz vieler Güter (Mk 10,22f.) - Besitz eines Latifundiums (Mk 12,1ff.) - Herr über Sklaven sein (Mk 12,1ff.) - prächtige, feine Kleider (Q 7,25; 12,27) - Königshäuser als Ort des Reichtums (Q 7,25; 12,27) - Vermögen verwalten lassen (Q 19,12f.) - Herr über Sklaven sein (Q 12,42ff.; 14,16ff.; 19,12ff.) <?page no="308"?> 308 318 S Lk Mk Q Red Lk - feine Kleider (15,22; 16,19 [ porfußra kai? bußssow ] - Freude (12,19; 16,19) - Vermögen verwalten lassen (16,1ff.); - Herr über Sklaven/ Tagelöhner sein (15,17.19.22.26; 16,1) - Schuldner haben (7,41f. implizit; 16,5-7) Ursachen für - Armut - Reichtum - Hungersnot ( lißmow , 4,25; 15,14); ausschweifende Lebensweise (15,13.30) - gut tragendes Feld (12,16); Zolleinnahmen (19,2.8) - Zinswesen als Möglichkeit der Kapitalvermehrung (Q 19,23) Beziehung zwischen Armen und Reichen - Gefälle zwischen Reichen und Armen ist vorausgesetzt: Besitzende sollen Armen geben (3,11; 8,3; 10,34; 14,13; 19,8) - Schuldenerlass (7,42; 16,5-7) - Kontrastierung (1,53; 14,12f.; 15,11; 16,19ff.) - Gefälle zwischen Reichen und Armen ist vorausgesetzt: Besitzende sollen Armen geben (Mk 10,21; 14,5) - Pachtverhältnis (Mk 12,1-12) - Kontrastierung (Mk 12,41-44) - Gefälle zwischen Reichen und Armen ist vorausgesetzt: Besitzende sollen Armen geben (Q 6,27ff.) - Reicher lädt Arme als Ersatzgäste ein (Q 14,21ff.) - Kontrastierung: Johannes der Täufer - Menschen in feinen Kleidern (Q 7,18ff.) - Gefälle zwischen Reichen und Armen ist vorausgesetzt (Forderung des Almosengebens, 11,41 Q) - Kontrastierung (6,24 S Lk [zu 6,20]) Theologische Deutung von - Reichtum - Gefährdung eschatologischen Heils/ eschatologische Umkehrung: Reiche haben keinen Trost mehr zu erwarten (16,25) - Gefährdung eschatologischen Heils: Reichtum erschwert den Zugang zur basileißa (Mk 10,23.25) - materielle Güter sind von Gott gegeben (Q 11,2) - postmortale, geistliche Wertlosigkeit (Q 12,33f.) - Gefährdung eschatologischen Heils: Reiche haben keinen Trost mehr zu erwarten (6,24f. S Lk ) <?page no="309"?> 309 319 S Lk Mk Q Red Lk - Reiche haben in diesem Leben das Gute bekommen, das ihnen insgesamt zusteht (1,53; 16,25) - postmortale Wertlosigkeit (12,15.16-20) - Reichtum steht dem Bewahren des Wortes Gottes im Weg (Mk 4,19) - Reiche haben in diesem Leben das Gute bekommen, das ihnen insgesamt zusteht (6,24f. S Lk ) - Reichtum birgt Gefahr für das Heil (19,10S Lk ) - Armut - Wohlergehen für Arme im Jenseits/ Eschaton (1,53[f.]; 16,22.25) - Freude im Alltag einer armen Frau wird transparent für himmlische Freude (15,9f.) - Armut für basileißa -Dienst; diese gibt Gottes Fürsorge Raum (22,35) - Armut gefährdet Thorabefolgung (Mk 12,1-12) - gewählte Armut als Zeichen des Vertrauens auf Gottes Fürsorge (implizit Mk 6,7-13) - Arme sind Adressaten der Evangeliumsverkündigung (Q 7,22) - Armut ist Voraussetzung für Nachfolge (Q 9,57f.) - Armut prädestiniert für die Teilhabe an der basileißa : schon jetzt und eschatologisch (Q 6,20) - Armut Jesu ist Gehorsam gegen Gott (Q 4,1-4) - Mensch ist nicht auf Nahrungsbedürfnis reduziert, sondern lebt daraus, dass er von Gott angesprochen wird (Q 4,4? ) - gewählte Armut als Zeichen des Vertrauens auf Gottes Fürsorge (implizit Q 10,1ff.; Jesus: Q 4,1-4) - Arme sind Adressaten der Evangeliumsverkündigung (4,18 S Lk ) - Armut ist Voraussetzung für die Nachfolge Jesu (14,33 S Lk ) <?page no="310"?> 310 320 S Lk Mk Q Red Lk II Ökonomisches Handeln sozial - gemeinschaftlicher Genuss materieller Güter (15,9.22f.) - Gewähren des Gastfreundschaftsrechts als Gegenleistung für erlassene Schulden (16,4) - Tischgemeinschaft mit sozial Gleichgestellten als Realität (14,12) - Aufforderung zur Tischgemeinschaft mit ökonomisch Schwächeren (14,13) - am Mitmenschen orientierter Einsatz materieller Güter (3,11; Auslegung des Nächstenliebegebots (10,34) - (Teil-)Schuldenerlass (7,41f.; 16,5-7) - Teilen mit Armen/ Almosengeben (19,8) - Gastfreundschaft Levis gegenüber Jesus, Jüngern, Zöllnern und Sündern (Mk 2,15) - Almosengeben vs. Verehrung (Salbung) Jesu (Mk 14,5.9) - Aufforderung eines Reichen zum Almosengeben (Mk 10,21) - Ausrichten eines Gastmahls für sozial Gleichgestellte (Q 14,16ff.) - Einladung armer „Ersatzgäste“ aus Wut (Q 14,24) - Konkretion des Feindesliebegebots: immer geben, wenn man gebeten wird! (Q 6,30) - Schulden erlassen als Versprechen und performative Rede im Gebet, verknüpft mit dem Handeln Gottes (Q 11,4) - loyale Sklaven vermehren für ihren Herrn Güter (Q 19,12-28) - Ausrichten eines Gastmahls (Lk 5,29 Mk) - Einladung armer Ersatzgäste zu einem Gastmahl (14,21ff. Q) - Durchbrechen der Reziprozitätsethik: Darlehen geben, ohne Rückzahlung zu erwarten (Lk 6,34 Q) - Aufforderung zum Almosengeben (11,41 Q; 12,33 Q) autoreferentiell - Aufforderung: sich mit dem begnügen, was einem von Rechts wegen zusteht (3,13f.) [Auf spezielle Berufsgruppen bezogen (Zöllner und Soldaten)] - Verurteilung/ Kritik: Sammeln in Scheunen (12,17ff.) - Auslegung des Sabbatruhegebotes: Nahrung beschaffen durch Mundraub ist am Sabbat ausdrücklich erlaubt (Mk 2,23) - Verurteilung: Händler-Profit im Tempel (Mk 11,15-17) - Jesus verzichtet auf Stillung seines Hungers (Q 4,4); - Kritik: Sammeln in Scheunen (Q 12,24) - Auftrag zur Kapitalvermehrung (Q 19,12ff.) - Kritik: Streben nach Gütervermehrung (12,21 S Lk ) <?page no="311"?> 311 321 S Lk Mk Q Red Lk - Verprassen materieller Güter (15,13.30) - Streben nach Besitzvermehrung (12,15.20) - Habgier/ Mehr-haben- Wollen (3,13.14; 12,15) - egozentrischer Genuss materieller Güter (12,19; 16,19) - neutraler Bericht: Streben nach Besitzerhaltung (15,8f.29; 16,2) - gemeinschaftlicher Genuss materieller Güter (15,23f.) - Schuldenerlass, um sich Gastfreundschaftsrecht zu erkaufen (16,4-7) - Besitz materieller Güter bindet Menschen emotional (Mk 10,22) - Habgier der Schriftgelehrten (12,38-40) - Großgrundbesitzer treibt Pacht ein (Mk 12,1-12) - Pächter/ Winzer wollen den Weinberg in ihre Gewalt bringen, morden (Mk 12,1-12) religiös - materielle Unterstützung Jesu (8,3) - Verlassen der Existenzgrundlage (Mk 1,18; Mk 2,14; Mk 10,28) - Aufforderung eines Reichen zur Aufgabe seine Besitzes (Mk 10,21) - Verzicht auf Reiseausrüstung (Mk 6,8) während der Aussendungszeit - Steuern zahlen als Verstoß gegen den Alleinverehrungsanspruch Gottes? (Mk 12,13-17) - Verzicht auf materielle Sicherheit für Nachfolge Jesu (Q 9,57f.) - Verzicht auf Reiseausrüstung (Q 10,4) während der Aussendungszeit - Verzehntung (Q 11,42) - Jesus fastet (Q 4,1-4) - alles für die Nachfolge Jesu zurücklassen (Lk Mk 5,11.28) - Almosengeben (11,39 Q) - reich bei Gott sein (12,21 S Lk ) <?page no="312"?> 312 322 S Lk Mk Q Red Lk - Kritik am System der Tempelabgaben (Mk 12,41-44) - Salbung Jesu mit kostbarem Öl (Mk 14,3-9) Reflektion ethischer Leitlinien: - zustimmend - Thora: Mose und Propheten als Leitlinien für Umgang mit materiellen Gütern (16,29.31) - Teilen mit Bedürftigen/ Almosengeben (3,11; 19,8) - Gottes- und Nächstenliebegebot (10,27) - vierfache Erstattung von Gestohlenem (19,8) - Thora: zweite Dekalogtafel in sozialer Auslegung: doppeltes „du sollst nicht stehlen“ (Mk 10,19) - Almosengeben (10,21) - ablehnend/ kritisch - Geben, um etwas dafür zu bekommen (Einladung zum Gastmahl, 14,12) - Verehrung Jesu hat Vorrang vor Almosengeben (14,8) - (pharisäische) Auslegung des Sabbatgebots, „Ernte inklusive Ährenraufen ist verboten“: religiöses Gebot menschliches Grundbedürfnis - Priorität des Almosengebens vor Dienst an Jesus (Mk 14,4) - Kritik an einer an Reziprozität orientierten Ethik (Q 6,32) - Goldene Regel (Q 6,31) - Feindesliebe (Q 6,27-35) - Reinheitsthora (Q 11,38-41) - Verzehntungsgebot (Q 11,42)) - „kapitalistische“ Logik: „Wer hat, dem wird gegeben […]“ (Q 19,26) - (Verstärkung der) Kritik an einer an Reziprozität orientierten Ethik (Lk 6,33f. Q) - neutral - sorgfältige Kalkulation finanzieller Investitionen (14,28) <?page no="313"?> 313 323 S Lk Mk Q Red Lk Theologische Deutung ökonomischen Handelns - Erfüllung der Thora (10,34; 16,29.31) - Beziehung zwischen Gläubiger und Schuldner ist transparent auf Beziehung zwischen Jesus und anderen Menschen (7,41-43; 7,36-47*) - weisheitliche Hausordnung als Deutungsrahmen (12,19; 15,11ff. passim, u.a. ausschweifender Lebensstil als Sünde, 15,18.19) - eschatologischer Lohn/ eschatologisches Heil als Motivation: Lohn im Eschaton (dafür, dass man Arme einlädt: 14,13f.); Lohn kann man nur einmal empfangen (16,19-26) - kluger Umgang mit dem Mammon führt zu Heil im Eschaton („aufgenommen werden in die ewigen Hütten“, 16,9) - rechter und treuer Umgang mit Geld führt zu Heil im Eschaton („das wahre Gut wird einem anvertraut“, 16,10-12) - metaßnoia (3,10ff., 16,27ff.; Abrahamskindschaft als Folge der Umkehr, 19,8f.) - Gottesverehrung: Handels- und Wechselbetrieb nimmt dem Tempel seine Funktion als Ort der Beziehung zwischen Mensch und Gott (Mk 11,15-17) - Salbung Jesu wird Gegenstand der Evangeliumsverkündigung werden (Mk 14,9) - Steuerzahlung ist gegenüber Gottesverehrung nicht irrelevant, aber zweitrangig (Mk 12,13-17) - Umgang mit materiellen Gütern im Rahmen der Nachfolge/ Verkündigung: Trennung von Besitz ist Voraussetzung für Bindung an Jesus (Mk 1,16- 20; Mk 2,13-17; Mk 10,28) - Verzicht auf Reiseausrüstung ist Zeichen für Vertrauen auf Gottes Fürsorge (Mk 6,7-13) - eschatologisches Heil als Motivation: Besitzverzicht um Jesu willen wird diesseitig entschädigt, jenseitig mit ewigem Leben belohnt (Mk 10,21.30) - Gottesverehrung: Dienst an materiellen Gütern ist unvereinbar mit Gottesdienst (Q 16,13) - Theologische Kritik an Sorge um materielle Güter: Sorge um lebensnotwendige materielle Güter ist Mißtrauen gegen Fürsorge Gottes (Q 12,22ff.) - Sorge um materielle Güter steht Streben nach basileißa entgegen (Q 12,22ff.) - „Wo [euer] Schatz ist, da ist [euer] Herz.“ (Q 12,33f.) - ethische Unreinheit: aÖrpaghß macht unrein (Q 11,39) - Parteinahme Gottes für Arme als Maßstab: minutiöse Verzehntung widerspricht Rechtsanspruch der Armen (Q 11,42) - eschatologisches Heil als Motivation: Gotteskindschaft (Q 6,35) - Anhäufen irdischer Schätze steht Reichtum bei Gott entgegen (Lk 12,21 Mk) - Verlassen der materiellen Existenzgrundlage und Nachfolge als metaßnoia (Lk 5,32 Mk) - Orthopraxie als boundary marker: Geben ohne Gegenleistung unterscheidet Nachfolger Jesu von Sündern (Lk 6,34 Q) - Almosengeben macht rein (11,39-41 Q) - minutiöse Verzehntung widerspricht der Liebe Gottes (11,42 Q) - eschatologischer Lohn für Geben ohne Gegenleistung (Lk 6,35 Q) - 14,14 S Lk : Lohn gibt es nur einmal bzw. irdischer Lohn beraubt himmlischen Lohnes <?page no="314"?> 314 324 S Lk Mk Q Red Lk - Eschatologische Strafe: egozentriertes ökonomisches Handeln führt zu Bestrafung/ Zukunftslosigkeit nach dem Tod (12,15.20; 16,22ff.) - Eschatologische Strafe: Gericht Gottes über die habgierigen Schriftgelehrten (Mk 12,40) III Handeln Gottes bzw. Jesu Gott/ Jesus & Arme zu Lebzeiten - Arme Witwe erfährt Gottes besondere Zuwendung (4,25f.) - Jünger werden bei der Verkündigung der basileißa von Gott versorgt (explizit 22,35f.) - Gott sucht sozioökonomische Prozesse zu Gunsten von Armen zu beeinflussen: er stellt Vergeltung für entgangene Gegenleistung bei Gastmahleinladung in Aussicht (14,13f.) - Jesus ruft Menschen mit ungesicherter Existenz in seine Nachfolge (Mk 1,16-20) - Gottes Fürsorge begleitet die ohne Ausrüstung ausgesandten Jünger auf ihrem Weg (implizit; Mk 6,7-13) - Jesus gibt den ohne Ausrüstung ausgesandten Jüngern geistliche Macht (Mk 6,7-13) - Jesus verteidigt seine mittellosen Jünger gegen die verbale Attacke der Pharisäer (Mk 2,23-27) - Jesus ergreift Partei für die arme Witwe (Mk 12,41-44) - Gottes Fürsorge begleitet die ohne Ausrüstung ausgesandten Jünger auf ihrem Weg (implizit Q 10,1f.) - Gott ist Geber (gibt lebensnotwendige Nahrung Q 11,2; Lebensnotwendiges 12,22ff.) - Gott sucht sozioökonomische Prozesse zu Gunsten von Armen zu beeinflussen: er macht sein vergebendes Handeln von menschlichem Schuldenerlass abhängig (Q 11,4) - Gott gibt Armen an der basileißa Anteil - schon jetzt (Q 6,20) - Mission Jesu ist durch Befreiung von Menschen aus realer körperlicher und sozialer Not charakterisiert (Q 7,18ff.) - Arme erfahren Gottes besondere Zuwendung (1,48: Maria 4,18) - Gott kehrt ökonomische und soziale Verhältnisse um (6,24f.) - Ausrufung des Gnadenjahrs (4,19) - Mission Jesu: Menschen aus konkreter sozialer und körperlicher Not befreien (4,18f. S Lk ) <?page no="315"?> 315 325 S Lk Mk Q Red Lk Gott/ Jesus & Arme eschatologisch - Gott kehrt ökonomische und soziale Verhältnisse um (1,52f.) - Gott ist Geber (gibt Armen eömpiplaßnai aögajvqn , 1,53) - Armer wird nach dem Tod in Abrahams Schoß getröstet und für irdische Armut entschädigt (16,22f.) - Verheißungs- und Hoffnungswort aus Ps 117,22f. LXX: armes Volk soll zum Eckstein werden (Mk 12,10) - Gott gibt Armen an der basileißa Anteil - er wird im Eschaton die bestehenden sozialen und ökonomischen Verhältnisse durch seine Herrschaft ablösen (Q 6,20) Gott/ Jesus & Reiche zu Lebzeiten - Jesus spricht den reichen Zachäus an und lädt sich bei ihm ein (19,5) - Gott sagt einem Reichen dessen Tod an (12,20) - Jesus lässt sich von wohlhabenden Frauen finanziell unterstützen (8,3) - Jesus ruft einen wohlhabenden Zöllner in seine Nachfolge (2,13f.) - Jesus gewinnt einen Reichen lieb (Mk 10,21) [Lukas streicht das Motiv] - Gott ist Geber (Nahrung, Q 11,2; Lebensnotwendiges, 12,22ff.) Gott/ Jesus & Reiche eschatologisch - Gott kehrt ökonomische und soziale Verhältnisse um (1,52f.) - Gott lässt Reiche leer ausgehen ( kenoußw eöcaposteßllein , 1,53) - Jesus sagt einem Reichen nach der Umkehr die Abrahamskindschaft zu (19,8) - Reicher gelangt - aufgrund seiner Egozentrik - nach dem Tod in den Hades (16,22ff.) - Gott will Menschen, auch Reiche, retten und in die basileißa führen (Mk 10,27) <?page no="316"?> 316 1 Armut und Reichtum 1.1 Darstellung Lukas findet in Mk und Q Aussagen zur Armut um der Nachfolge Jesu bzw. der basileißa -Verkündigung willen vor (vgl. Mk 1,16-10; 6,7-13; Q 9,57f.; 10,1-12) und fügt ihnen keine weiteren Texte aus Sonderüberlieferungen hinzu. Anders als in Mk (vgl. Mk 1,16-20; 2,23-28) und Q (vgl. Q 9,57ff) finden sich in den Texten des S Lk keine Berufungserzählungen. Die Armut des erwachsenen Jesus beschreibt nur Q (Q 4,1-4; 9,57f.). Sie ist als Zeichen für sein Vertrauen auf die Fürsorge Gottes zu betrachten. Seinem Sondergut entnimmt Lukas die Schilderung der Geburt Jesu unter Armutsbedingungen (Lk 2,1-20). 440 Dass Gott seinen Sohn Mensch werden lässt und dies in extremer Armut, verweist auf die Solidarität Gottes mit den Armen (s. „Theologische Deutung“). Weder in Q noch in Mk findet Lukas anschauliche Schilderungen eines Lebens in extremer Armut bzw. Reichtum vor. Diese fügt er aus seinem Sondergut in Lk ein (Armut: Lk 15,14-16; 16,20f.; Reichtum: 12,16-19; 15,17ff.). Witwen, exemplarisch arme Menschen, sind nur in Mk und im S Lk von Bedeutung, nicht in Q und in S Mt . In Lk begenen sie dreimal in S Lk -Abschnitten (4,25f.; 7,12; 18,2-5) und zweimal im Markusstoff (20,47; 21,1-4). Exkurs: Witwen In der Apostelgeschichte finden sich zwei Beispiele urchristlicher Witwenfürsorge (6,1; 9,36-41). In der heidnischen Umwelt der Bibel gilt die Witwenschaft als beklagenswertestes Schicksal einer Frau. 441 Witwen und Waisen werden häufig nebeneinander erwähnt. 442 Dementsprechend findet sich in den orientalischen Fürstenspiegeln oft der Appell an die Herrscher, den Witwen zu helfen. Im Alten Testament ist eine große Witwenfreundlichkeit zu erkennen. Dies dokumentieren zahlreiche Einzelbestimmungen im Dtn und die Schilderung bewunderungswürdiger Witwen (z.B. die Witwe von Zarpat in 1 Kön 17). Nicht nur an die Herrscher, wie in den orientalischen Fürstenspiegeln belegt, sondern an alle Frommen ergeht im Alten Testament der Appell zur Rücksicht auf die Witwen. Dies wird theologisch begründet: Gott schafft den Witwen Recht (vgl. Dtn 10,18; Ps 68,6), erhört ihr Klagegeschrei (Ex 22,22), ist Hort und Schutz der Witwen (vgl. Ps 146,8). Die Missachtung von Witwen (und Waisen) zieht Gottes Zorn nach sich, die Fürsorge für Witwen steht dagegen unter Gottes Segensverheißung (Jer 7,6f.). Oft findet sich in diesem Zusammenhang juristische Terminologie, die im Bundesschluss Jahwes mit Israel und dem dadurch entstehenden Rechtsverhältnis zwischen Gott und seinem Volk wurzelt. 443 Eine kontrastrierende Gegenüberstellung von Armen und Reichen findet sich ansatzweise in Mk 12,41-44 444 und in Q 7,18ff. (Johannes der Täufer - Menschen in feinen Kleidern); das S Lk stellt den Gegensatz zwischen Armen und Reichen deutlich in 1,53; 14,12f.; 440 In der vorliegenden Untersuchung wurde aus Lk 1.2 nur das Magnificat Lk 1,46-55 berücksichtigt. 441 Dazu und zum Folgenden vgl. Stählin, Art. xhßra , 428ff. 442 Vgl. z.B. Ex 22,21; Dtn 16,18; Ps 146,9; Jer 7,6; Jak 1,27. 443 Vgl. Heininger, Sondergutgleichnisse, 204; Herntrich, Art. krißnv , 924. 444 Diese verstärkt Lukas durch seine redaktionelle Bearbeitung, s.u. <?page no="317"?> 317 15,11ff. und besonders in 16,19-21 vor Augen. Lukas erreicht dadurch, dass der Kontrast zwischen beiden Situationen seinen Hörern präsent wird, und problematisiert ihn. Faktoren, die zu Armut und Reichtum führen bzw. diese verstärken, sind in Lk nicht ausführlich diskutiert; jedoch bringt Lukas mit dem S Lk Texte ein, die im Vergleich zu den anderen beiden Quellenschichten die Ursachen von Armut und Reichtum ausführlicher darstellen (vgl. S Lk 4,25; 12,16; 15,13.14.30; 19,2.8 gegenüber Q 19,23; Mk 12,37-40/ Lk 20,45-47). 1.2 Theologische Deutung Die drastische theologische Aussage, dass Reiche im irdischen Leben das bekommen haben, was ihnen insgesamt auf ihre Existenz zugemessen ist, und im Eschaton leer ausgehen, findet sich nur im S Lk (1,53; 16,25). Lukas spitzt damit die These zu, dass irdischer Reichtum vergänglich ist und keine Zukunft über den eigenen Tod hinaus hat (diese kennt er aus Q 12,33f. und dem S Lk 12,15.20). - Obgleich er die Heilsgefährdung durch Reichtum vor Augen hat und seinen Hörern diese deutlich vor Augen führt 445 , integriert Lukas mit Lk 15,11ff. aus seinem Sondergut einen Text, der irdischen Wohlstand unhinterfragt positiv ausmalt und das weisheitliche Ethos der Besitzstandswahrung nicht kritisiert. Dieser Zug findet sich weder in Mk noch in Q. Dies legt die Annahme nahe, dass das vordringliche Anliegen des Lukas nicht ist, Reiche zu kritisieren oder gar zu verurteilen, sondern dass er für seine Gemeinde nach Wegen sucht, wie diese Glieder der christlichen Gemeinschaft sein können. Dass Arme im Eschaton Trost und Gutes erwarten können, wird durch die S Lk -Passagen 1,53 und 16,22.25 verstärkt. Lukas führt damit die basileißa - Verheißung aus Q 6,20 fort, die zugleich präsentische und eschatologische Relevanz besitzt. Das mit 22,35 eingefügte und - unter allen Quellenschichten - nur hier tatsächlich explizite Motiv 446 , dass die freiwillige Armut um der basileißa -Verkündigung willen der Fürsorge Gottes Raum gibt, macht die lukanische Ansicht evident, dass Armut ein Einfallstor für die Zuwendung Gottes ist (vgl. auch Q 7,22; S Lk-Red 4,18). Dies zeigt, dass Lukas die Parteinahme Gottes für die Armen als maßgebende theologische Aussage betrachtet. 2 Umgang mit materiellen Gütern 2.1 Darstellung 2.1.1 Soziale Dimension Als Felder des sozialen Umgangs mit materiellen Gütern kristallisieren sich in allen drei Quellenschichten die Gläubiger-Schuldner-Beziehung, Tischgemeinschaft bzw. Gastfreundschaft und das (Ab)Geben materieller Güter an bestimmte Personen(gruppen) heraus. 445 Vgl. auch 6,24f. und 19,10 Red Lk . 446 Implizit findet sich das Motiv vorlukanisch in Mk 6,7-13 und Q 10,1ff. <?page no="318"?> 318 Nur das S Lk thematisiert und problematisiert die Realität der an einer Ethik der Reziprozität orientierten Einladungspraxis zu Gastmählern (S Lk 14,12) und fordert Reiche explizit auf, Tischgemeinschaft mit Menschen einzugehen, die einer niedrigeren sozialen Schicht angehören, und so aus dem gängigen Reziprozitätssystem auszusteigen (S Lk 14,13). Einen Ansatz zur Kritik an der vorherrschenden Gastmahlpraxis wird Lukas schon in Q 14,16ff. gefunden haben. Das geplante Gastmahl unter Wohlhabenden kann dort wegen der Absage der Gäste nicht stattfinden. Der Gastgeber lädt deshalb aus Zorn(! ) Ersatzgäste ein, die durch ihren Aufenthaltsort außerhalb der Stadt als gesellschaftliche Außenseiter charakterisiert sind. Zum Bild des eschatologischen Festmahls (vgl. S Lk 14,15), zu dem Gott einlädt, und das bereits im jüdisch geprägten Kontext von Q den Hintergrund des Gastmahlmotivs bildet, steht die von „Zorn“ motivierte Ersatzeinladung in der Erzählung in Spannung. Einen Impuls zur generellen Infragestellung und Überwindung der Reziprozitätsethik findet Lukas in Q 6,32 als Konkretion des Gebotes der Feindesliebe vor. Markus thematisiert das Weitergeben materieller Güter als Almosengeben bzw. den Armen geben (Mk 10,21; 14,5), Q enthält die allgemeine Aufforderung dazu, dem der einen bittet, zu geben (Q 6,30). Im S Lk findet sich zweimal - in 3,11 und 10,34 - der Hinweis auf die Notwendigkeit, seinen Mitmenschen in an ihren aktuellen Bedürfnissen orientierter Weise materielle Güter zur Verfügung zu stellen. Ein Spezifikum des S Lk ist der neutrale, aber wohlwollende Bericht über den gemeinschaftlichen Genuss materieller Güter in einem von Wohlstand geprägten Milieu (15,22f.). 2.1.2 Autoreferentielle Dimension Die Orientierung an materiellen Gütern wird in Q nur am Rande in Q 12,22ff. als Sorge um lebensnotwendige Güter und die bäuerliche Praxis des Sammelns in Scheunen thematisiert. - In Mk begegnet das Motiv Habgier zweimal auf konkrete Personengruppen bezogen: auf die Wechsler im Tempel, die als Räuber agieren und sich auf Kosten anderer bereichern (Mk 11,17), und die Schriftgelehrten, die „die Häuser der Witwen fressen“ (Mk 12,38-40). Im Vergleich zu den Aussagen zur autoreferentiellen Dimension des Umgangs mit materiellen Gütern bei Mk und Q weist das S Lk einen besonderen Akzent in der Kritik an Habgier und dem Streben nach Besitzvermehrung (3,13f.; 12,15.20) auf. Positiv wird in 3,13f. die Aufforderung (an Zöllner und Soldaten) formuliert, sich mit dem zu begnügen, was ihnen juristisch zusteht. <?page no="319"?> 319 2.1.3 Religiöse Dimension Die religiöse Dimension des Umgangs mit materiellen Gütern thematisiert das S Lk kaum. Dies geht damit einher, dass das S Lk keine Nachfolgeerzählungen kennt. In 8,3 findet sich allerdings die beachtenswerte Notiz, dass wohlhabende Frauen Jesus und seine Jünger und somit die Verkündigung der basileißa unterstützen. Im Zusammenhang mit Nachfolge und Verkündigung sprechen Mk und Q nur den Topos des Besitzbzw. Ausrüstungsverzichts an (vgl. Mk 1,16-20; 2,14; 6,8; 10,21.28; Q 9,57f.; 10,4). Der religiöse Umgang mit Besitz in Lk wird so neu akzentuiert: Nicht nur Besitzverzicht, sondern auch der Einsatz materieller Güter im Dienst der basileißa ist für ein Leben in der Nachfolge Jesu angemessen. 2.2 Reflektion traditioneller ethischer Leitlinien Allein das S Lk nennt „Mose und die Propheten“ explizit als ethische Leitlinie (16,29). Die Frage nach der Verhältnisbestimmung zwischen der Liebe zu den Menschen und der Liebe zu Gott bzw. der Einhaltung der Gebote hat Lukas in Mk 2,23-28 vorgefunden und diskutiert sie auch in Lk 10,27ff. (S Lk ). In Mk 2,23-28 geht es hinsichtlich der Befriedigung von Hunger (autoreferentielle Dimension) um die Verhältnisbestimmung von Menschenliebe und Gottesliebe und die Gesetzesobservanz, in Lk 10,27ff. (S Lk ) um die Vereinbarung von Nächsten- und Gottesliebe (soziale Dimension). Die Diskussion der Thoraauslegung im Hinblick auf den Umgang mit materiellen Gütern ist kein Spezifikum des S Lk , sie findet sich in allen Quellenschichten (vgl. Mk 2,23-28; Mk 10,19; Q 11,37ff.). 2.3 Theologische Deutung Die eschatologischen Konsequenzen - Heil oder Strafe bzw. postmortale Zukunftslosigkeit - des Umgangs mit materiellen Gütern werden im Vergleich zu Mk (vgl. Mk 10,21; 12,40) und Q (vgl. Q 6,35; 12,33f.) im S Lk ausführlich bedacht und dargestellt (vgl. 12,15; 12,16-20; 14,13f.; 16,9.10-12.19-26. 27-31; 19,8f.). Mit Ausnahme von 19,8f. zielen die Aussagen des S Lk auf eine Motivation zu „rechtem“ Umgang mit materiellen Gütern und verleihen so dem Lukasevangelium eine entsprechende Prägung. Auffällig ist, dass sich - anders als in Mk 10,21.30 - im S Lk nirgends die Forderung zum völligen Besitzverzicht als Weg zum Heil findet. Im S Lk geht es immer um die Frage, wie mit materiellen Gütern angemessen umzugehen ist. Ein Spezifikum des S Lk ist die Deutung des Umgangs mit materiellen Gütern im Rahmen der weisheitlichen Hausordnung: mit einem Ansatz von Kritik in 12,19 oder auch kritiklos übernommen in 15,11ff. Die Aufnahme von 15,11ff. lässt darauf schließen, dass Lukas keinem Armutsideal anhängt, sondern der Frage nachgeht, wie es möglich sein kann, als Besitzender Christ zu sein. <?page no="320"?> 320 3 Handeln Gottes/ Jesu Spezifikum des S Lk ist die Vorstellung, dass Gott im Eschaton die sozialen und ökonomischen Verhältnisse umkehrt (1,52f.; 16,19ff.). Im Q-Stoff ist diese Idee ansatzweise vorhanden (den Armen gehört die basileißa , Q 6,20), doch wird sie dort nicht weiter ausgeführt. In seinem Q-Stoff findet Lukas keine Aussagen über den Umgang Jesu mit Reichen oder das Handeln Gottes an ihnen vor. Markus kennt den Bericht über die Berufung des Levi (Mk 2,13ff.), der als wohlhabend anzunehmen ist, und den Vermerk, dass Jesus seinen reichen Gesprächspartner lieb gewinnt (Mk 10,21). Das S Lk überliefert ebenfalls Episoden, die die Beziehung Jesu zu Reichen positiv schildern (8,1-3: Jesus und die wohlhabenden Frauen; 19,1-9: Jesus und der reiche Zöllner Zachäus). Reiche erfahren also keine Verurteilung durch Jesus oder Gott; heilsgefährdend ist und von Gott verurteilt wird (nach S Lk und Mk, Lukas führt diese Linie fort) unangemessener Umgang mit materiellen Gütern. Die grundsätzliche Parteinahme Gottes/ Jesu für Arme ist demgegenüber in allen Quellenschichten des Lk evident (vgl. Mk 1,16-20; 12,10; 12,41-44; für die freiwillig armen Jünger: Mk 6,7-13; 2,23-27; Q 6,20; 7,18ff.; S Lk 1,52f.; 4,25-27; 16,19ff. u.ö.). Ein interessantes Motiv des S Lk , das sich in anderer Form auch in Q findet, ist, dass Gott sozioökonomische Prozesse zu Gunsten von Armen zu beeinflussen sucht: Im S Lk fördert Gott dadurch, dass er eine eschatologische Vergeltung dafür in Aussicht stellt, dass Reiche Arme einladen ohne eine materielle Entschädigung dafür zu erhalten (14,12-14); in Q findet sich der Gedanke, dass Gott sein vergebendes Handeln an menschliches - moralisches und materielles - Vergebungshandeln knüpft (Q 11,4). <?page no="321"?> 321 D Lukas als Ordner des Diskurses um Armut und Reichtum/ Umgang mit materiellen Gütern I Semantische Bearbeitung der Diskursstränge Das nachstehende semantische Inventar erfasst das Vokabular, das den Diskursstrang „Armut und Reichtum/ Umgang mit materiellen Gütern“ im S Lk , Mk, Q und Red Lk prägt. Es hat qua natura statistischen Charakter, ist eine „Vokabelliste“, die übertragene Wortbedeutungen oder Metaphern nur begrenzt erfassen und der Auswertung zuführen kann. Die Analyse des erfassten Vokabulars zeigt dennoch Tendenzen bezüglich des Profils der drei Quellenstränge und der lukanischen Intention der Bearbeitung des Diskurses auf. Die Ergebnisse sind freilich kritisch mit der theologisch-inhaltlichen Analyse abzugleichen. In der Übersicht sind in der Kategorie „materielle Güter“ „Gegenstände des täglichen Bedarfs“ von „Luxusgütern“ abgegrenzt, um zu berücksichtigen, dass dasselbe Gut verschieden verwendet werden kann. Der Besitz von Luxusgütern deutet zudem auf Reichtum hin, so dass indirekte Umschreibungen von Reichtum erfasst werden können. S Lk S LkRed Mk Mk Red Q Q Red Armut und Reichtum Armut (Zustand/ Menschen) aiöxmaßlvtow 1 1 aöpoßllusjai 1 1 gunhß 1 1 douqlow 1 1 2 2 12 11 sußndoulow 1 douleußein 1 1 eöpaiteiqn 2 1 1 eöpijumeiqn (xortasjhqnai) 1 1 (ouök / mh? ) eäxein 2 2 2 2 1 Hapaxlegomenon. 2 In der Bedeutung „betteln“. <?page no="322"?> 322 S Lk S LkRed Mk Mk Red Q Q Red kakaß 1 1 lißmow 3 3 mißsjiow 2 2 oiökeßthw 1 oiökonoßmow 3 3 1 oöfeileßthw 1 oöfeißlein 3 3 1 paidißskh 1 paiqw 1 1 1 peinaqn 2 2 1 1 2 2 penixroßw 3 1 ptvxoßw 4 4 5 2 1 1 tapeißnvsiw 1 tejraußsmenow 4 1 uÖstereiqn / -eiqsjai 2 2 uÖsteßrhma / uÖsteßrhsiw 1 1 xhßra 2 2 3 3 xreißa 1 xreofeileßthw 2 2 Reichtum (Zustand/ Menschen) danisthßw 5 1 1 eömpeplhsmeßnow 1 euögenhßw 1 eäxvn (kthßmata, xrhßmata) 2 1 klhronoßmow 1 1 kußriow 3 3 1 2 10 12 perisseußein 1 1 1 1 3 Hapaxlegomenon. 4 Hapaxlegomenon. 5 Hapaxlegomenon. <?page no="323"?> 323 S Lk S LkRed Mk Mk Red Q Q Red ploußsiow 7 8 2 3 plouteiqn 1 1 plouqtow 1 1 trufhß 1 Umgang mit materiellen Gütern materielle Güter I Abstrakta aögajaß 4 4 aöntapoßdoma 1 1 bißow 2 2 1 1 dapaßnh 6 1 1 dvqron 1 eölehmosußnh 2 iädion 1 khqnsow 1 klhronomißa 1 1 1 1 kthqma 1 paßnta 3 3 2 1 ouösißa 2 2 oöfeißlhma 1 oöyvßnion 1 1 toßkow 1 1 uÖpaßrxonta 5 1 2 foßrow 1 xrhqma 1 1 6 Hapaxlegomenon. <?page no="324"?> 324 S Lk S LkRed Mk Mk Red Q Q Red II Konkreta a) Landwirtschaftliche Güter aägrow 1 1 1 1 Aömpelvßn 4 5 aänhjon 7 1 aöpojhßkh 1 1 1 1 bouqw ? 1? eärifow 1 1 hÖdußosmon 1 1 karpoßw 1 1 1 1 kußminon 8 1 laßxanon 1 phßganon 9 1 siqton 2 2 staßxuw 1 1 tameiqon 1 xvßra 1 1 b) Geld aörgußrion 1 2 2 dhnaßrion 1 1 2 1 draxmhß 2 2 kodraßnthw 1 1 leptoßn 1 1 mamvnaqw 2 2 1 1 mnaq 10 10 xalkoßw 1 7 Hapaxlegomenon. 8 Hapaxlegomenon. 9 Hapaxlegomenon. <?page no="325"?> 325 S Lk S LkRed Mk Mk Red Q Q Red c) Güter des täglichen Bedarfs aärtow 1 1 2 2 3 3 ballaßntion 2 2 1 1 brvßmata 1 1 eänduma 2 1 iÖmaßtion 1 1 maßxaira 1 1 oiökißa 2 2 phßra 2 2 1 1 1 1 rÖaßbdow 1 1 sandaßlion 1 sitomeßtrion 1 trofhß 2 1 uÖpoßdhma 2 2 1 1 xitvßn 1 1 1 1 1 1 d) Luxusgüter bußssow 10 1 1 daktußliow 11 1 1 eändocow (iÖmatismoßw) 1 jhsauroßw 1 1 iÖmatismoßw ( eöndoßcow ) 1 malakaß 1 1 moßsxow 3 3 mußron 3 3 3 polutelhßw 1 porfußra 1 1 stolhß 1 1 10 Hapaxlegomenon. 11 Hapaxlegomenon. <?page no="326"?> 326 S Lk S LkRed Mk Mk Red Q Q Red Dimensionen des Handelns a) sozial aöpaiteiqn 1 aöpolambaßnein 1 aöpostreßfein 1 aäriston (poieiqn) 1 1 aöfießnai 1 1 danißzesjai 1 3 deiqpnon (poieiqn) 1 1 3 3 diaireiqn 1 1 didoßnai 3 3 3 3 4 7 - aöntapodidoßnai 1 - aöpodidoßnai 3 12 3 1 13 - diadidoßnai 1 - metadidoßnai 1 1 euöfraißnesjai 14 4 4 kajistaßnai 1 1 merißzesjai 1 1 doxhß (poieiqn) 1 1 1 sugxaißrein 1 1 xarißzesjai 2 2 b) autoreferentiell - alltäglich eöndidußskein 1 1 eöndußein, -esjai 1 1 1 1 eösjißein 1 peribaßllein 2 1 12 Zweimal hat das Verb die Bedeutung „bezahlen“, einmal „zurückgeben“. 13 In der Bedeutung „geben, zurückgeben“. 14 Für die Beschreibung gemeinschaftlichen Genusses. <?page no="327"?> 327 S Lk S LkRed Mk Mk Red Q Q Red pißnein 1 1 1 1 xortasjhqnai 2 2 fageiqn 1 1 1 1 3 3 - öffentlich-rechtlich aögoraßzein 1 1 2 eökdißdosjai 1 1 oiökodomeiqn 2 2 1 oiökonomeiqn 15 1 1 Oiökonomißa 3 3 pragmateußesjai 16 1 1 - diapragmateußesjai 17 1 praßssein 1 1 prosergaßzesjai 18 1 1 pvleiqn 1 1 2 2 1 telvßnhw 1 1 2 - aörxitelvßnhw 19 1 1 - telvßnion 1 traßpeza, trapezißthw 20 1 1 - negativ konnotiert aöpostereiqn 1 aöpvßleia 1 aÖrpaghß 1 1 diaskorpißzein 2 2 eösjißein 1 1 katesjißein 1 1 15 Hapaxlegomenon. 16 Hapaxlegomenon. 17 Hapaxlegomenon. 18 Hapaxlegomenon. 19 Hapaxlegomenon. 20 Hapaxlegomenon. <?page no="328"?> 328 S Lk S LkRed Mk Mk Red Q Q Red katafageiqn 1 1 kleßptein 1 1 lh#sthßw 2 2 1 1 mejußskesjai 1 1 pißnein 1 1 pleonecißa 1 1 sukofaßntein 2 2 - Sonstiges aiärein 2 5 aiöteiqn 1 1 aöpollußnai 2 2 aörkeiqsjai 1 1 dapanaqn 1 1 eiQnai ( tini ) 1 1 eöpaiteiqn 1 1 eÖtoimaßzein 1 1 euÖrißskein 3 3 euöfraißnesjai 2 2 eäxein 4 4 3 2 zhteiqn 1 1 jerißzein 3 3 jhsaurißzein 1 1 lambaßnein 1 2 perisseußein 2 2 pipraßskesjai 1 pisto? w ( gißgnesjai) 1 1 sunaßgein 3 3 3 tißllein 1 1 yhfißzein 1 1 <?page no="329"?> 329 S Lk S LkRed Mk Mk Red Q Q Red c) religiös aöpotaßssesjai 1 aöpodekatouqn 1 1 aöfießnai 2 3 (poieiqn) ballaßntion 1 baßllein (eiöw to? gazofußlakon) 7 5 diakoneiqn 1? 1 jhsaurißzein 1 - (poieiqn) jhsauro? n 1 kataleißpein 1 plouteiqn (eiöw jeo? n) 1 - eschatologischer Lohn aölhjinoßn 1 1 aöntapodidoßnai 1 1 zvhß 1 1 1 1 jhsauroßw (eön ouöranvq # / -oiqw) 1 1 1 1 (gißgnesjai eiöw) kefalh? n gvnißaw 1 1 misjoßw 1 skhnai? aiövnißoi 1 1 uiÖo? w jeouq (eiQnai, gißgnesjai) 1 1 Handeln Gottes/ Jesu a) gegenwärtiges Handeln aögapaqn 1 aöposteßllein 1 aäfesiw 2 basileißa touq jeouq 1 1 dektoßw [eöniauto? w kurißou] 1 didoßnai 1 1 eöpibleßpein 1 <?page no="330"?> 330 S Lk S LkRed Mk Mk Red Q Q Red eiöpeiqn 2 2 2 2 euöaggelißzesjai 1 1 1 kaleiqn 1 khrußssein 1 leßgein 1 1 b) eschatologisches Handeln - Verheißungshandeln basileißa [ touq jeouq ] 3 2 (1) (1) gelaqn 1 eömpiplaßnai 1 1 (eön) koßlpv# / -oiw ’Abraaßm (eiQnai) 2 2 parakaleiqn 1 1 1 poieiqn (megaßla ) 1 1 uÖyouqn 1 1 xortaßzesjai 1 1 - Gerichtshandeln aöpeßxein (th? n paraßklhsin) 1 basaßnoi (uÖpaßrxein eön) 1 1 kenoßw (eöcaposteßllein) 1 1 kajaireiqn 1 1 klaißein 1 likmaqn 1 oödunaqsjai 1 1 peinaqn 1 penjeiqn 1 sunjlaqsjai 1 Übersicht: Semantisches Inventar des Diskurses um Armut und Reichtum und den Umgang mit materiellen Gütern in S Lk , Mk, Q und Red Lk <?page no="331"?> 331 Die Auswertung des semantischen Inventars zeigt Tendenzen auf und hat aufgrund des Umfangs exemplarischen Charakter. Armut und Reichtum Den theoretischen Begriff „Armut“ ptvxeißa 21 benutzt das Lukasevangelium nicht. Die allgemeine Bezeichnung für einen armen Menschen, ptvxoßw , findet sich in allen Quellenschichten des Lukasevangeliums (am seltensten, nur einmal, in Q). Einige Bezeichnungen für Menschen in wirtschaftlich prekärer Situation finden sich ausschließlich im S Lk . Die Begriffe mißsjiow, paiqw, oiökonoßmow stehen für Menschen, deren Existenz von ihren Arbeitgebern bzw. Herren abhängt. In den analysierten Texten der anderen Quellenschichten ist douqlow als Bezeichnung für Sklaven dominierend, vor allem in Q. Die Begriffe oiökonoßmow, oiökeßthw, paiqw und paidißskh bringt Lukas je einmal redaktionell ein. Er zeigt damit ein spezifisches Interesse ander präzisen Beschreibung von Sklaven. In 4,18 führt Lukas zwei weitere Bezeichnungen für Menschen ein, die wirtschaftlich in Not sind: aiöxmaßlvtow und tejraußsmenow (beides Hapaxlegomena). Das Adjektiv penixroßw , das Lukas zur Beschreibung einer Witwe, die trotz Arbeit kaum von ihrem Einkommen leben kann, redaktionell in den Markusstoff einfügt, ist ein Hapaxlegomenon. Im S Lk besteht also ein spezifisches Interesse an Menschen, die dieser Personengruppe angehören. Bei Lukas ist dies aufgrund seiner redaktionellen Tätigkeit ebenfalls anzunehmen. Interesse an Witwen ( xhßra ) ist nur im S Lk und in Mk fassbar, in Q findet sich der Begriff nicht. Nur im S Lk findet sich lißmow , ein Begriff, der einen Faktor bezeichnet, der Armut verstärkt. Vokabular, das das Phänomen der Verschuldung beschreibt, findet sich nur im S Lk ( xreofeileßthw, danißsthw, oöfeißlein ) und in Q ( oöfeileßthw, oöfeißlein, oöfeißlhma ). Das Abstraktum plouqtow , „Reichtum“, findet sich einmal im Markusstoff (Mk 4,19/ Lk 8,14). Q kommt bei der Darstellung von Reichtum als einzige Quellenschicht ohne das Adjektiv ploußsiow aus, auch das Verb plouteiqn fehlt; im S Lk ist das Adjektiv signifikant häufig. Als einzige Bezeichnung für wohlhabende Menschen findet sich in Q kußriow . Reichtum wird in Q als Besitz von Luxusgütern umschrieben ( jhsauroßw, malakaß ). Zudem ist zu beobachten, dass Lukas einige Ausdrücke zur Beschreibung von Wohlstand redaktionell in Q einfügt ( euögenhßw, trufhß, eändocow). In der Tendenz scheinen reiche Menschen in Q nur am Rande im Blick zu sein. Stellt man Q und das S Lk , wo ploußsiow und ptvxoßw relativ häufig vorkommen, einander gegenüber, 22 so lässt sich im S Lk ein verstärktes Interesse ablesen, beide Personengruppen bzw. ökonomischen Zustände einander gegenüberzustellen bzw. sie in Beziehung zueinander zu setzen, das in Q offenbar fehlt. 21 Im NT nur in 2 Kor 8,2.9 und Apg 2,9. 22 Mk behandelt die Thematik weniger intensiv als das S Lk , aber doch eingehender als Q. <?page no="332"?> 332 Umgang mit materiellen Gütern Abstrakte Bezeichnungen für materielle Güter sind im S Lk und in Mk etwa gleich häufig (acht bzw. sechs verschiedene); in Q finden sich nur drei, oöfeißlhma, uÖpaßrxona und toßkow . Lukas fügt in seine Q-Bearbeitung zweimal den Ausdruck eölehmosußnh ein. Konkrete materielle Güter aus den Bereichen Landwirtschaft, Geld und täglicher Bedarf werden in allen drei Quellenschichten genannt. Signifikante Häufigkeiten sind hier kaum auszumachen. Beachtenswert ist, dass die elementaren Dinge Brot ( aärtow ) und Gewand ( xißtvn ) sich in allen drei Quellenschichten finden, die entsprechenden Überbegriffe trofhß und eänduma nur in Q. Das S Lk verwendet eine relativ große Bandbreite an Bezeichnungen für Luxusgüter (sechs Begriffe), während Mk und Q nur jeweils zwei nennen. Den Ausdruck iÖmatismoßw eändocow fügt Lukas in seinen Q-Stoff ein. Ablesen lässt sich daran wiederum, dass Lukas mit dem S Lk einige Texte aufgenommen hat, die deutliches Interesse an der Schilderung von Situationen zeigen, in denen Menschen über großen Besitz verfügen, und dass Lukas selbst dies durch seine Redaktion verstärkt. Ausdrücke, die die soziale Dimension des Umgangs mit materiellen Gütern beschreiben, finden sich in den Texten des S Lk im Vergleich zu Mk und Q in großer Bandbreite (zehn) und Häufigkeit. Drei Begriffe fügt Lukas redaktionell in seine Überlieferung ein, aöpaiteiqn und aöpolambaßnein in Q, und doxhß (poieiqn) in den Markusstoff. Die Beschreibung des Gebrauchs materieller Güter für die Gestaltung menschlicher Beziehungen ist also in den von Lukas gesammelten S Lk -Texten von Gewicht und Lukas selbst legt in seiner Redaktion ebenfalls Wert darauf. 23 Bezüglich des Vokabulars, das die autoreferentielle Dimension des Umgangs mit materiellen Gütern beschreibt, zeigt das semantische Inventar einige Auffälligkeiten. In Q fehlen die gängigen Ausdrücke, die den Besitz von Gütern anzeigen ( eiQnai / gißnesjai + Dativ; eäxein ). Zudem begegnen dort nur an zwei Stellen (Q 11,39: aÖrpaghß ; Q 12,45: eösjißein, pißnein, mejußskesjai ) negativ konnotierte Ausdrücke zum Umgang mit Besitz. Dies könnte darauf hindeuten, dass in dem Kontext, in dem die Texte aus Q wirksam waren, zum einen das Interesse an Eigentum gering war und zum anderen die Problematik unrechter oder übermäßiger Bereicherung an materiellen Gütern keine große Rolle spielte. Nicht überraschend ist, dass Verben, die alltägliche Vorgänge des Umgangs mit materiellen Gütern beschreiben, in allen drei Quellenschichten etwa gleich verteilt sind (allerdings nur ein Vorkommen im Markusstoff, fageiqn in Mk 2,26). Vokabular, das der Beschreibung öffentlich-rechtlicher Vorgänge dient, findet sich ebenfalls in allen drei Quellenschichten in ausgewogener Häufigkeit. 23 Zu beachten ist hier auch die zweimalige redaktionelle Einfügung von eölehmosußnh in den Q-Stoff (s.o.). <?page no="333"?> 333 Der religiöse Umgang mit materiellen Gütern weist insgesamt die schmalste Bandbreite des Vokabulars zum Umgang mit materiellen Gütern auf. Zu nennen ist hier das Thema „Verlassen von Besitz“, das traditionell nur in Mk (dreimal) und einmal in der lukanischen Redaktion des S Lk begegnet und durch drei verschiedene Verben (Red Lk : aöpotaßssesjai, Mk: aöfießnai, kataleißpein ) beschrieben wird. Die Thematik religiöser Abgaben wird nur in Mk und Q behandelt, Lukas übernimmt sie jeweils, führt sie aber nicht weiter aus. Metaphorische Ausdrücke, die das Sammeln von Schätzen im Himmel und Reichsein bei Gott beschreiben, sind ein Sonderfall. Sie beziehen sich indirekt auf den irdischen Umgang mit materiellen Gütern und beschreiben das irdische Handeln durch „ökonomische“ Ausdrücke, die sich auf Güter im Himmel beziehen. Sie finden sich traditionell in Q 12,33 (wahrscheinlich jhsaurißzein ), zweimal in der lukanischen Redaktion von Q 12,33 ( poieiqn ballaßntia / jhsauroßn ) und einmal fügt Lukas eine Formulierung redaktionell in das S Lk ein. Die Kategorien eschatologischer Lohn und eschatologisches Handeln Gottes sind nicht klar voneinander abzugrenzen, da Lohn im Eschaton per se auf das Handeln Gottes zurückzuführen ist. Die Zuordnung erfolgt dann zur Kategorie eschatologischer Lohn, wenn der im Eschaton zu empfangende „Lohn“ in Beziehung zum Handeln der betreffenden Person steht und dort nicht in erster Linie von Gottes Handeln an Armen bzw. Reichen die Rede ist. Das Motiv eines Gutes, das man in der zukünftigen Welt als Lohn für sein Handeln erhält, prägt alle Quellenschichten des Lk. Lukas übernimmt die ihm vorgegebenen traditionellen Ausdrücke ( aölhjinoßn, jhsauroßw, misjoßw, aöntapodidoßnai ). In Q 6,35 fügt er das Stichwort misjoßw redaktionell ein, das ihm aus Q 6,23 bekannt ist. Die Vorstellung, dass man durch die Aufnahme an einen besonderen Aufenthaltsort belohnt wird, findet sich nur im S Lk (16,9). 24 Das Motiv der Gotteskindschaft als Lohn kennt Lukas nur aus Q. 25 Das S Lk und Mk kennen die Vorstellung vom ewigen Leben. Eine markinische Besonderheit ist die Verheißung, dass Gottes geschundenes Volk einst zum Eckstein wird (Mk 12,12). Handeln Gottes/ Jesu Das gegenwärtige Handeln Gottes schildern Mk und das S Lk anhand der Verben leßgein, eiöpeiqn, kaleiqn und beschreiben so, dass Gott (einmal im S Lk 12,20) bzw. Jesus verbal mit armen bzw. reichen Menschen in Kontakt treten (z.B. bei Jüngerberufungen). Lukas übernimmt aus dem Markusstoff nicht, dass Jesus einen Reichen lieb gewinnt ( aögapaqn, Mk 10,21). Mit 4,18f. fügt Lukas redaktionell eine Heilsankündigung ein ( euöaggelißzesjai, khrußssein, aäfesiw, aöposteßllein, 24 Vgl. auch Lk 16,22f. - Anders die Vorstellung bei Mk, in die basileißa touq jeouq zu gelangen. 25 Das S Lk kommt mit der Vorstellung der Abrahamskindschaft aus. <?page no="334"?> 334 dektoßw [eöniauto? w kurißou] ), die mit dem Wirken Jesu jetzt schon anbricht. Das Motiv der Evangeliumsverkündigung an die Armen übernimmt er dabei aus Q 7,22, die übrigen Motive sind von der Septuaginta geprägt. Das semantische Inventar weist auf zwei Stellen hin, an denen Q das gegenwärtige Handeln Gottes anspricht: Q 6,20 betont, dass die Armen der basileißa touq jeouq schon jetzt teilhaftig sind (Präsens eöstißn) . In Q 11,2 wird deutlich, dass alle Menschen (reiche und arme) davon abhängig sind, dass Gott lebensnotwendige Nahrung gibt. Das eschatologische Handeln Gottes lässt sich anhand des semantischen Inventars recht klar in Verheißungs- und Gerichtshandeln unterteilen. Dies zeigt an, dass das eschatologische Handeln entscheidende, letztgültige Konsequenz hat. Bei der Schilderung des Verheißungshandelns ist das Motiv der basileißa touq jeouq zentral. Es bezeichnet hier keinen Gegenstand der Verkündigung, sondern den zukünftigen Herrschaftsraum, den Gott eröffnet und in den es hineinzugelangen gilt. Lukas übernimmt es aus Mk. Das S Lk kennt das Motiv nicht; in Q begegnet es einmal in 6,20 (s.o.). Markus thematisiert das eschatologische Handeln Gottes nur noch in Mk 12,12 („Ecksteinwort“). Im S Lk findet sich das Motiv des eschatologischen Daseins im Schoß Abrahams (16,22f.). Außerdem werden dort zukünftiger Trost, Sättigung ( eömpiplaßnai ) und Erhöhung für Arme/ Niedrige angesprochen. Das Magnificat beschreibt Handeln Gottes als Ansage einer Zukunft, für die Gott jetzt schon durch die Geburt Jesu bürgt. Insofern beginnt Gottes Handeln schon in der Gegenwart, die Vollendung erfolgt eschatologisch. Das entsprechende Vokabular aus 1,52f. ( eömpiplaßnai, eöcaposteßllein, kajaireiqn, uÖyißzein ) wird deshalb dem eschatologischen Handeln Gottes zugeordnet. Die Motive zukünftiger Trost und Sättigung (in Q: xortasjhqnai ) für Arme finden sich in Lk sowohl im S Lk als auch in Q. Lukas übernimmt das ihm traditionell vorgegebene Vokabular; einmal ersetzt er parakaleiqn durch gelaqn (Q 6,21). Auffällig ist, dass das Gerichtshandeln Gottes sich in den analysierten Texten weder in Q noch in Mk in Bezug auf Armut und Reichtum und den Umgang mit materiellen Gütern im semantischen Inventar widerspiegelt. Lukas übernimmt die Vorstellung aus dem S Lk und trägt sie in 6,24f. und Mk 12,12 selbst ein. <?page no="335"?> 335 II Theologisch-inhaltliche Lenkung der Diskursstränge 1 Lenkung des S Lk Lukas setzt in der Bearbeitung des ihm im S Lk überlieferten Diskursstrangs folgende theologische Akzente: Armut und Reichtum Lukas setzt durch seine Redaktion des S Lk (19,10) und die Komposition der Weherufe (insb. 6,24f.) einen deutlichen Akzent auf die theologische Deutung von Reichtum. Er betont dabei die Gefahr für das Heil, die von Reichtum und Macht ausgeht. 1.1 Gefährdung des eschatologischen Heils durch Reichtum und Macht Die Komposition der Weherufe über Reiche, Satte und überlegen Lachende (6,24ff.) kontrastiert das Ergehen von Armen und Reichen im Diesseits (Hungern - Sattsein, Weinen - Lachen), zielt aber vor allem auf die Gegenüberstellung der eschatologischen Zukunft, der Umkehrung der irdischen Verhältnisse. Damit greift Lukas ein Motiv auf, das ihm zweimal in Sondergutperikopen überliefert ist (vgl. 16,19ff.; 1,52f.). Mit 6,24f. bringt Lukas die Vorstellung ein, dass Reiche die ihnen zustehenden Güter und den Trost bereits im Diesseits empfangen und im Eschaton nichts mehr zu erwarten haben. Diejenigen, die jetzt überlegen lachen, werden im Eschaton in einer beklagenswerten Situation sein. Durch die Komposition der Weherufe lässt Lukas eine Stimme laut werden, die vor der Gefahr des Reichtums warnt (6,24f.). Er verstärkt dadurch die reichtumskritischen Diskursfragmente des S Lk mit dem Ziel, vor der Gefahr des Reichtums zu warnen. Das Menschensohnwort 19,10 deutet auf lukanischer Ebene das Leben des Zachäus vor seiner Begegnung mit Jesus als Zustand der Verlorenheit ( aöpolvloßw ) . Dieser ist nicht durch den Reichtum (v. 2) selbst hervorgerufen, sondern durch das Handeln des Zachäus vor seiner Konversion. Impliziert ist dabei, dass Reichtum und Machtbesitz die Gefahr zu Missbrauch und damit die Gefahr, schuldig zu werden, in sich bergen. Deutlich wird, dass auch ein Reicher und mit (Amts-)Macht ausgestatteter Mensch den Weg zur metaßnoia finden kann, und vor allem, dass Gott Jesus gesandt hat, um verlorene Menschen zu retten. Umgang mit materiellen Gütern 1.2 Warnung vor Streben nach Besitzvermehrung Lukas hebt in 12,15 hervor, dass die gefährliche Habgier sich nicht nur auf das Begehren fremden Besitzes richtet, sondern auch das Streben nach der Vermehrung der eigenen Güter beinhaltet (Hinzufügung von uÖpaßrxonta ). <?page no="336"?> 336 In 12,21 stellt er egozentrische Besitzvermehrung dem Reichsein bei Gott gegenüber. Das Motiv des Schatzes im Himmel greift er aus Q 12,33f. auf, wo er es mit der Aufforderung zum Almosengeben verknüpft. Unterschiedlich ist an beiden Stellen die Intention: In 12,33f. Q geht es Lukas darum, das Almosengeben als Weg darzustellen, um einen unvergänglichen Schatz im Himmel zu erlangen (vgl. ähnlich Mk 10,21, dort ohne den terminus technicus eölehmosußnh ) und seinen irdischen Weg mit Gott zu gehen ( eökeiq kai? hÖ kardißa uÖmvqn eästai , 12,34). Einige Verse davor, in seiner Redaktion des S Lk (12,21) legt Lukas den Akzent stärker auf die Vergänglichkeit irdischer Güter. Er rät damit von einer Handlungsweise - nämlich dem Anhäufen von Gütern, ohne nach Gott zu fragen - ab. 1.3 Nachfolge und Besitz 14,33 (Red Lk ) stellt Besitzverzicht, die Trennung von den eigenen Gütern, als Voraussetzung für die Bindung an Jesus als majhthßw dar. Dieses Motiv kennt Lukas aus den in Mk und Q überlieferten Nachfolgeerzählungen (vgl. Mk 1,16-20; 10,21; Q 9,57f.). Lukas verdeutlicht in 14,33 durch die Einfügung von aöpotaßssetai […] uÖpaßrxousin , dass die Existenz als Christ auch eine Entscheidung hinsichtlich des Umgangs mit materiellen Gütern verlangt. Es ist notwendig, sich von seinem Besitz zu „verabschieden“; dies mag für Christen der lukanischen Gemeinde nicht zwangsläufig mit der völligen Aufgabe von Besitz verbunden sein, aber doch mit der Entscheidung, ihn Jesus und der christlichen Gemeinschaft nachzuordnen. 1.4 Irdische Vergeltung und himmlischer Lohn Durch die Erweiterung der Seligpreisung in 14,14 um den Halbsatz oÄti ouök eäxousin aöntapodouqnaiß soi bringt Lukas den Aspekt ein, dass irdischer Lohn himmlischen Lohns beraube. Dadurch verstärkt er die Kritik am Reziprozitätssystem. Handeln Gottes/ Jesu 1.5 Besondere Zuwendung Gottes zu Armen Vorlukanisch begegnet das Motiv, dass Gott/ Jesus sich Armen zu Lebzeiten besonders zuwenden, im S Lk nur ansatzweise in 4,25f. 26 Lukas setzt hier einen deutlichen Akzent, indem er das Motiv programmatisch in zwei Texten am Anfang des Evangeliums positioniert: im Magnificat (1,48) und in der „Antrittspredigt“ Jesu (4,18). Gott wählt Maria aufgrund ihrer tapeißnvsiw aus, Mutter Jesu zu werden ( eöpeßbleyen eöpi? th? n tapeißnvsin, 1,48). Der Begriff tapeißnvsiw ist sozioöko- 26 Evtl. auch in Lk 2 durch die Verkündigung an die Hirten; anders Wolter, der die Szene der Verkündigung an die Hirten als bukolische Idylle fasst (ders., Hirten). <?page no="337"?> 337 nomisch konnotiert, doch schwingt auch die Bedeutung „Demut“ mit. Lukas weitet zudem die Perspektive des Heilshandelns Gottes von Israel auf alle Völker ( makariouqsißn me paqsai aiÖ geneaiß , 1,48b) aus. Durch die Positionierung des Magnificat vor der Geburt Jesu und den Gebrauch des prophetischen Aorists macht Lukas deutlich, dass der Messias auf Davids Thron für die Umkehrung der Verhältnisse durch Gott bürgt. 27 Gottes Stellung zu Armut verdeutlicht 4,18f. (Red Lk ): Arme werden als Adressaten der Evangeliumsverkündigung genannt (vgl. Q 7,22). Nach Gottes Willen sollen Menschen von sozialer und körperlicher Not frei werden, ein Gnadenjahr soll anbrechen. Er hat Jesus gesandt, um dies anzukündigen und dafür einzustehen. 4,18f. komponiert Lukas aus Worten Trito-Jesajas (Jes 58,6 LXX und Jes 61,1 LXX). Jes 58,6ff. LXX ist ursprünglich ein ethischer Text, der Anweisungen zu einem Fasten gibt, an dem Gott Gefallen hat. Jes 61,1f. LXX ist eine prophetische Heilsankündigung. Lukas verbindet beide Texte zu einer Ankündigung des Heils, das durch Jesus realisiert wird. Gleichzeitig werden sie für diejenigen, die die Botschaft hören, zur ethischen Norm. Bei der Einfügung der Zitate lässt Lukas die in der Septuaginta charakteristischen israeltypischen Elemente weg und interpretiert so die Sendung Jesu auf Nichtjuden hin (vgl. 1,48b). 2 Lenkung von Mk Lukas akzentuiert ihm vorgegebene Aspekte des Markusstoffs (Besitzverzicht um der Nachfolge willen, Relevanz des Umgangs mit Besitz für den Heilsweg) und öffnet die Diskussion, indem er neue Perspektiven entwickelt (Konzept eines angemessenen Umgangs mit Besitz). Armut und Reichtum 2.1 Armut als soziales Phänomen Lukas stellt Armut als gesellschaftlich bedingtes soziales Phänomen heraus, ein Aspekt, der bereits in Mk prominent ist. Die Erzählung vom wunderbaren Fischfang (Lk 5,4-9/ Mk 1,16-20) hat zum einen die Funktion, die unsichere Existenzgrundlage zu illustrieren, auf der die Fischer standen, schon bevor sie die Nachfolge Jesu antraten; zudem zeigt Lukas hier Jesu Sorge für die materiellen Bedürfnisse der Jünger. In Lk 21,1-4 verstärkt Lukas sprachlich den von Markus vorgezeichneten Kontrast zwischen den Reichen und der Witwe. Er betont, dass sie durch Arbeit für ihren Lebensunterhalt sorgt ( penixroßw, 21,2). Damit unterstreicht er, dass das in der Perikope kritisierte System der Tempelsteuer zu Lasten der Armen geht. 27 Vgl. Petracca, Gott oder Geld, 25-30. <?page no="338"?> 338 2.2 Armut der Jünger Lukas verstärkt den Aspekt, dass die Jünger in der Nachfolge Jesu in Armut lebten: Er fügt die anschauliche Beschreibung, wie die Jünger die Ähren zerreiben und essen (6,1), der markinischen Fassung hinzu, um zu betonen, dass das Ährenraufen tatsächlich dazu dient, ihren Hunger zu stillen. Der Ausgleich für materiellen Verzicht im gegenwärtigen Leben hat in Lk weniger Gewicht als in Mk (vgl. Lk 18,29). Dass der Verzicht, den Jesu Jünger um der Nachfolge willen auf sich genommen haben, im gegenwärtigen Leben ausgeglichen wird, ist für Lukas (und auch Matthäus) weit weniger wichtig als für Markus, dessen Hörer wohl von Verfolgungen ( meta? divgmvqn, Mk 10,30) betroffen waren. Lukas hat wohl eine wörtliche Interpretation seiner Hörer befürchtet und deshalb aus der bestimmten hundertfachen Vergeltung des Markus ( eÖkatoplasißona , Mk 10,3), eine unbestimmte Ansage gemacht ( pollaplasißona , Lk 18,30). 28 2.3 Reichtum als Gefahr für das eschatologische Heil Lukas sieht in 8,14 die Notwendigkeit, die von Mk angedeutete Gefahr von Reichtum verschärft darzustellen: Er sagt deutlich, dass Reichtum per se, auf komplexe Weise, die mit einem Wort (wie z.B. aöpaßth ) nicht einzufangen ist, gefährlich ist. 29 Deshalb spricht er nicht von der Täuschung oder Illusion des Reichtums. Diese gelte es dann schlicht zu durchschauen - ein Hinweis, wie Mk ihn gibt (Mk 4,19), wäre Warnung genug. Umgang mit materiellen Gütern 2.4 Verzicht auf Besitz und Familie Lukas betont, dass die ersten Jünger und Levi um der Nachfolge Jesu willen wirklich alles verlassen (Lk 5,1-11: Berufung der ersten Jünger; 5,27-32: Berufung des Levi). In 5,11 und 5,28 spitzt Lukas Aussagen zum Besitzverzicht im Markusstoff durch die Einfügung von „ paßnta “ zu. 30 Lukas beschreibt das Handeln der Jünger in 5,10b.11 weniger detailliert als Markus: ihm kommt es schlicht darauf an, dass sie alles verlassen und Jesus nachfolgen. Simon tut dies auf die Verheißung hin, Menschenfischer zu werden; Jakobus und Johannes folgen Jesus sogar nach, ohne dass er sie vorher angesprochen hätte. In 18,22 unterstreicht Lukas durch die Ergänzung von paßnta [oÄsa eäxeiw] die Forderung an den reichen aärxvn , seine Güter zu verkaufen. 28 Vgl. Bovon, EKK III/ 3, 238. - Der Gedanke, dass Gott diejenigen, die im irdischen Leben nach seinem Reich streben, im „Hier und Jetzt“ versorgt, ist Element auch der Q-Überlieferung (vgl. Lk 12,31 par Mt 6,33). 29 Vgl. Petracca, Gott oder Geld, 105f.; Bovon, EKK III/ 1, 410. 30 In 21,4 übernimmt Lukas von Mk, dass die Witwe ihre gesamte Habe in den Opferkasten legt; streicht allerdings die markinische Ergänzung „ paßnta oÄsa eiQxen “. <?page no="339"?> 339 Lukas hat nur für eine der analysierten Perikopen die markinische Reihenfolge geändert: für die Berufung der ersten Jünger (Lk 5,1-11*). In der Abfolge der markinischen „Petruserzählung“ gehört Simon und Andreas noch nach der Berufung (Mk 1,16-18) ein Haus; Jesus kehrt dort ein und heilt Simons Schwiegermutter (Mk 1,29f.). Lukas erzählt diese Episode (Lk 4,38-41) vor der Berufung Simons - damit ist sie nach lukanischer Version die erste Begegnung zwischen Simon und Jesus. Er umgeht es auf diese Weise, nach der Entscheidung Simons, Jesus nachzufolgen, noch von dessen Haus und Schwiegermutter zu sprechen. 31 Lukas betont durch die Perikopenumstellung, dass für die ersten Jünger Nachfolge die radikale Entscheidung bedeutete, alles - Besitz, Beruf und Familie - zurückzulassen. 32 Einige Details, die Lukas bezüglich der Besitzlosigkeit der Jünger schildert, fallen dadurch auf, dass sie die Jünger von kynischen Wanderphilosophen abheben: 33 Die in 9,2ff. genannten Gegenstände, Mantel, Tasche und Stab, zeichnen Kyniker aus. 34 Lukas´ Änderungen dürften darauf abzielen, Hörern, die bei der Schilderung der Aussendung der Zwölf einen Vergleich mit dem Dasein kynischer Wanderphilosophen anstellen, deutlich zu machen, dass die Jünger auf noch mehr verzichten können, und dies eben nur deshalb möglich ist, weil sie mit der Fürsorge Gottes rechnen. So betont Lukas, Jesus lasse die Zwölf auf den Stab verzichten und erwähnt die bei Markus erlaubten Sandalen nicht, da kynische Wanderphilosophen häufig barfuss liefen. Im Zuge der Verschärfung der Askese gegenüber Markus verbietet Lukas schon den Besitz nicht erst das Anziehen zweier iÖmaßtia . 35 Lukas fügt in 18,29 der markinischen Version hinzu, dass man die Bindung auch an die Ehefrau der Nachfolge hintanstellen müsse. Das Motiv, um der Nachfolge Jesu willen die Familie zu verlassen, findet sich auch in Q (Lk 14,26ff. par Mt 10,37f.), in einem Abschnitt über die Voraussetzungen für die Nachfolge: Mt spricht dort von Vater und Mutter, Sohn und Tochter; Lk fügt hinzu, dass man sich für die Nachfolge von Geschwistern und auch der Ehefrau abwenden soll. 31 Denkbar ist, dass Markus zum einen mit dem Genitiv th? n oiökißan Sißmvnow kai? ’Andreßou (Mk 1,29) schlicht das Haus bezeichnen wollte, in dem die Brüder lebten, bevor sie Jesus nachfolgten (und nicht das Haus, was ihnen aktuell gehört); und dass er zum anderen das Verlassen der Ehefrau nicht als Auflösung der Ehe, sondern als Zurücklassen der Ehefrau verstand. Dies könnte erklären, dass die Erzählung von der Heilung der Schwiegermutter Simons noch nach dessen Berufung für ihn unproblematisch war. 32 Diesen Aspekt erwähnt Lukas an mehreren Stellen; er fügt ihn selbst ein (in Lk 9,61 handelt es sich um Komp Lk oder S Lk ; in Lk 14,33 und 5,28 liegt Red Lk vor) oder übernimmt ihn von Mk (Lk 5,11 par Mk 1,18; Lk 18,28 par Mk 10,28f.). 33 Vgl. Theißen, Jesusbewegung, 71. 34 Vgl. ders., Wanderradikalismus, 93. 35 Kynische Wanderphilosophen trugen einen doppelt gefalteten Mantel (vgl. Theißen, Jesusbewegung, 70). <?page no="340"?> 340 2.5 Verzicht auf Eigentum In 18,28 (Petrus spricht im Rückblick davon, dass die Jünger ihren Besitz verlassen haben) greift Lukas - das von ihm in der Referenzstelle 5,11 in die Markusvorlage eingefügte paßnta nicht auf; stattdessen formuliert er aöfeßntew ta? iädia hökoloujhßsameßn soi . Auf den ersten Blick geht er damit einen Schritt hinter „ paßnta “ (5,11) zurück. Lukas verwendet den Begriff to? iädion in der Apostelgeschichte und greift in 18,28 einen Gedanken auf, den er dort später als Konzeption ausführen wird: In der christlichen Gemeinde bezeichnet niemand überhaupt Besitz als sein eigen, iädion , sondern alle haben alles gemeinsam (vgl. Apg 4,32). 36 Somit dürfte ta? iädia hier nicht konkret Eigentum bzw. Besitz bezeichnen, sondern abstrakt bedeuten: Die Jünger haben das „Bestreben“ verlassen, eigenen Besitz für sich haben zu wollen. 2.6 Relevanz des Umgangs mit Besitz für den Heilsweg Die Darstellung der Auseinandersetzung Jesu mit der jüdischen Führungsschicht bzw. mit Gesetzesgelehrten auch um besitzethische Fragen ist ein Anliegen des Lukas. Diskussionspunkt ist dabei die Rolle, die das Gesetz - in seinen Aussagen zum Umgang mit Besitz - auf dem Weg zum Heil spielt (vgl. 10,25ff.; 18,18-27). Diese Diskussion wurde sowohl innerjüdisch als auch zwischen Judentum und sich konstituierendem Christentum geführt. 37 18,18ff. ist ein Pendant zu 10,25ff.: Dort tritt ein Gesetzesgelehrter, nomikoßw , mit derselben Frage, nämlich wie er das ewige Leben erreichen könne, an Jesus heran. Lukas dürfte hier die markinische Fassung bewusst redigiert und den Jüngling zu einem aärxvn und damit zu einem Repräsentanten frommer Gesetzesobservanz befördert haben, um die enge Verbindung von 18,18ff. mit 10,25ff. zu verdeutlichen. Lukas macht das Thema „Umgang mit Besitz“ als ethisches Thema für die Gemeinde relevant und verstärkt die Anfrage an Gemeindeglieder (18,23). In der markinischen Erzählung ist die Entscheidung des reichen Fragestellers mit seinem Weggang gefallen (Mk 10,22) und zwar gegen die Forderung Jesu. In Lk bleibt er weiter angesprochen und seine Entscheidung in der Schwebe (18,23). Nach Lk setzt Jesus das Gespräch mit dem Fragesteller fort und richtet seine Äußerung, „wie schwer kommen die, die Güter haben, in das Reich Gottes hinein“ (18,24), nicht an die umstehenden Jünger, sondern an seinen reichen Gesprächspartner. Damit hält Lukas die Forderung Jesu als Anspruch an alle Gemeindeglieder, die über Besitz verfügen, aufrecht. Lukas geht es um die Integration, nicht die Verurteilung Reicher: Nach Mk sieht der Reiche für sich keine Möglichkeit, der Forderung Jesu zu gehorchen; nach Lk bleibt der Reiche anwesend und seine Reaktion offen. 36 Vgl. Klauck, Armut der Jünger, 179. 37 Vgl. ausführlich Flusser, Schisma, insb. 236. <?page no="341"?> 341 Lukas stellt die Frage der Zuhörer, „wer kann gerettet werden? “ (18,26), weniger emotional als Markus dar. Damit, dass Lukas die Zuhörerreaktion - vor allem das Moment des Erschreckens über Jesu Worte - minimiert, rückt er die Sachfrage, um die der Dialog zwischen Jesus und dem reichen Fragesteller kreist, ins Zentrum der Aufmerksamkeit: Wie können Menschen, die viel besitzen, ins Reich Gottes kommen? Darüber hinaus verfolgt Lukas sein Anliegen, diese Frage in die Gemeinde hinein zu möglichst vielen Gemeindegliedern zu tragen, dadurch, dass er in 18,23f. mit verschiedenen Bezeichnungen für Menschen, die über Besitz verfügen, arbeitet: eäxvn kthßmata pollaß ( Lk 18,23; anders Mk 10,22b; Mt 19,22b; ), xrhßmata eäxvn (Lk 18,24b par Mk 10,23b; anders: Mt 19,23b); ploußsiow (Lk 18,23; Mt 19,23b). In v. 23b charakterisiert Lukas den Fragesteller deutlich mit einem Schlagwort, indem er eäxvn kthßmata pollaß ( Mk 10,22b 38 ) durch ploußsiow ( sfoßdra) ersetzt. 39 - Lukas führt den markinischen Gedanken, dass es für alle Menschen schwierig ist, in Gottes Reich zu kommen, eng auf diejenigen, die viele materielle Güter besitzen. Dass Levi ein Gastmahl ausrichtet, widerspricht nicht der Tatsache, dass Levi alles (5,28) verlässt. 40 Für Lukas ist beides vereinbar: die von ihm akzentuierte Radikalität der Nachfolgeentscheidung und die Tatsache, dass Levi danach noch zu einem Mahl einlädt. Er legt Wert darauf, zu betonen, dass 38 Auch in Mt 19,22b. 39 Mt 19,23 ändert das markinische oiÖ ta? xrhßmata eäxontew in ploußsiow : Er dürfte auf die „Demokratisierung“ der Aussage auf alle Besitzenden, die Lukas vornimmt, keinen Wert legen, sie eher an Reiche richten. - Vgl. Degenhardt, Evangelist der Armen, 150 insb. Anm. 3. 40 Vgl. Fitzmyer, Luke I, 589, der es sogar verbietet, diese Frage zu stellen: „To ask how Levi could have abandoned everything and then provide a banquet to which Jesus was invited is to miss the whole point of the passage. To ask it is to spoil the story! “. - Im Anschluss an Klauck fasst Petracca das Gastmahl Levis als Abschiedsmahl auf (vgl. Klauck, Armut der Jünger, 175; Petracca, Gott oder Geld, 100). Er stützt die These mit einem Verweis auf die Berufung Elischas durch Elia (3 Kön 19,19ff. LXX) - Wortwahl ( aönistaßnai ) und Motivik (Berufung von der Arbeit weg, Abschiedsmahl). Nach Petracca wirkte die Berufung des Elischa traditionsgeschichtlich formprägend auf die neutestamentlichen Berufungerzählungen. Vgl. 3 Kön 19,19-21 LXX: Kai? aöphqljen eökeiqjen kai? euÖrißskei to? n ’Elisaiße uiÖo? n Saßfat, kai? auöto? w hörotrißa eön bousißn dvßdeka zeußgh bovqn eönvßpion auötouq, kai? auötoßw eön toiqw dvßdeka, kai? eöphqljen eöp ö auötoßn kai? eöpeßrriye th? n mhlvth? n auötouq eöp ö auötoßn. kai? kateßlipen ’Elisaiße ta? w boßaw kai? kateßdramen oöpißsv sou kai? eiQpen öHlißou: aönaßstrefe, oÄti pepoißhkaß soi. kai? aöneßstreyen eöcöoßpisjen auötouq kai? eälaben ta? zeuß gh tvqn bovqn kai? eäjusen kai? hÄyhsen auöta? eön toiqw skeußesi tvqn bovqn kai? eädvken tvq # lavq #, kai? eäfagon: kai? aöneßsth kai? eöporeußjh oöpißsv öHlißou kai? eöleitoußrgei auötvq #. (Und Elia ging von dort weg und fand Elisa, den Sohn Schafats, als er pflügte mit zwölf Jochen vor sich her, und er war selbst bei dem Zwölften. Und Elia ging zu ihm und warf seinen Mantel über ihn. Und er verließ die Rinder und lief Elia nach und sprach: Lass mich meinen Vater und meine Mutter küssen, dann will ich dir nachfolgen. Er sprach zu ihm: Wohlan, kehre um! Bedenke, was ich dir getan habe! Und Elisa wandte sich von ihm weg und nahm ein Joch Rinder und opferte es, und mit den Jochen der Rinder kochte er das Fleisch und gab's den Leuten, dass sie aßen. Und er machte sich auf und folgte Elia nach und diente ihm.) <?page no="342"?> 342 Jesus nicht nur bei Levi zu Gast ist ( katakeiqsjai , Mk 2,15), sondern dass Levi das Mahl für Jesus ausrichtet ( poieiqn doxh? n megaßlhn, 5,29), zu dem auch „Zöllner und Sünder“ kommen. Dies ist nach Lk eine angemessene Verwendung materieller Güter. 41 In 5,32 deutet Lukas Besitzverzicht und Nachfolge des Levi als metaßnoia eines Sünders. Lukas streicht in 19,45 Details des gewalttätigen Auftritts Jesu im Tempel, die Markus beschreibt (Mk 11,15b.16). Dadurch tritt der Kontrast, auf den Jesus hinweist - Tempel als Ort des Handels vs. Tempel als Haus des Gebetes - klarer hervor. Diese Kontrastierung erinnert an die Mahnung in Lk 16,13b Q (par Mt 6,24): „Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.“ 42 Lukas verstärkt die Intention der markinischen Perikope: Der Tempelmarkt und der Geldwechselbetrieb sind mit dem Gottesdienst, wie Jesus ihn versteht, nicht vereinbar. Dadurch, dass Lukas Mk 14,3-9 nicht aufnimmt, verzichtet er auf die Gegenüberstellung Almosen vs. Verehrung Jesu, die in der Perikope zu Gunsten der Verehrung Jesu ausfällt und somit das Almosengeben relativiert. Handeln Gottes/ Jesu In 18,22 (vgl. Mk 10,21) streicht Lukas den Erzählzug, dass Jesus den Reichen lieb gewinnt. Häufig wird dies so interpretiert, dass Lukas die Sympathie Jesu für den Reichen gestört habe. 43 Dies ist unwahrscheinlich, da Lukas die Erzählung insgesamt in keiner Weise so bearbeitet, dass er eine Antipathie Jesu oder Gottes gegen Reiche betonen würde, sondern im Gegenteil darauf hinweist, dass für Gott auch die Rettung Reicher möglich ist. Vielmehr schildert Lukas in seiner Version in erster Linie eine Diskussion Jesu mit einem jüdischen Gelehrten (nicht mit einem „zufällig“ des Weges kommenden Menschen, der vor Jesus auf die Knie fällt: eiöw oÖdo? n prosdramv? n [ … ] gonupethßsaw auöto? n , Mk 10,17). Dazu passt die bei Markus geschilderte starke Gefühlsregung Jesu nicht. 3 Lenkung von Q Armut und Reichtum 3.1 Darstellung und theologische Deutung von Armut und Reichtum Lukas findet in Q nur wenige Ansatzpunkte, die Darstellung und theologische Deutung von Armut und Reichtum zu bearbeiten. Reichtum wird in Q kaum thematisiert und stellt sich für die Gemeinschaft offenbar nicht als Problem dar. Armut gilt in Q als die Daseinsform, die den Nachfolgern Jesu 41 Vgl. Lk 8,3. 42 Vgl. Fitzmyer, Luke II, 1266. 43 Vgl. z.B. Petracca, Gott oder Geld, 217.221. <?page no="343"?> 343 entspricht. Doch auch Armut als soziales Phänomen, unter dem Menschen leiden, ist in Q im Blick. In 7,25 fügt Lukas zur knappen Schilderung des Reichtums an Königshöfen die Schwelgerei, trufhß , hinzu. In der Erzählung vom großen Gastmahl betont er, dass „Ersatzgäste“ Arme sind und bringt den Terminus technicus ptvxoßw ein (v. 21). Er greift dabei 14,13 (S Lk ) auf und nennt die ptvxoiß zusammen mit Kranken und Behinderten. In den Seligpreisungen 6,20-23 verstärkt Lukas die theologische Aussage aus Q, dass der Anbruch der basileißa touq jeouq eine Umkehrung der ökonomischen und sozialen Verhältnisse bewirkt. In der Seligpreisung der Hungernden (v. 21a) verstärkt er durch die Einfügung von nuqn in der Protasis den Gegensatz zwischen Gegenwart und Zukunft (6,21b). In der Apodosis der Seligpreisung der Weinenden (v. 21b) ersetzt er das passive parakaleiqsjai durch das aktive gelaqn. Umgang mit materiellen Gütern 3.2 Geben als Maxime Lukas übernimmt in 6,27-38 aus Q die Maxime zu geben. In 6,29b ersetzt er den Kontext der Gerichtssituation durch die Situation des Raubüberfalls. Für die Gemeinde scheint der Raubüberfall naheliegender zu sein als vor Gericht bestraft zu werden. - Lukas führt als ökonomische Konkretion des abstrakten Feindesliebegebots aus Q die Klimax „lieben - Wohltaten erweisen - Darlehen geben“ aus (6,32-34). Diese Adaption des Feindesliebegebots könnte darauf hindeuten, dass die lukanische Gemeinde wohlhabender war als die Q-Gemeinschaft. An zwei Stellen fügt Lukas die Aufforderung zum Almosengeben ein: In 11,41 als ethische Auslegung des Reinheitsgebots. Die Tendenz zur Ethisierung des Reinheitsgebots findet sich schon in Q 11,39 (Verunreinigung durch aÖrpaghß und aökrasißa ). In 12,33 erweitert Lukas die Q-Passage durch die Weisung, alles zu verkaufen und den Erlös als Almosen zu geben. Er stellt dies als Weg dar, sich einen unvergänglichen Schatz im Himmel zu erwerben (vgl. Mk 10,20). Lukas fügt also zweimal das Motiv des Almosengebens ein, jeweils mit anderer Begründung (in 11,41 ist Reinheit, in 12,33f. der Schatz im Himmel das Ziel). Dies deutet darauf hin, dass er starkes Interesse daran hat, seinen Hörern diese Weisung nahe zu bringen. 3.3 Schulden erlassen Lukas bearbeitet im Vaterunser das Motiv des Schuldenerlasses in zweifacher Weise: Zum einen ersetzt er das Perfekt aöfhßkamen ( Q 11,4) durch das Präsens aöfißomen und betont damit den performativen Charakter des Sprechens des Gebetes: Man vergibt im Sprechen und gibt gleichzeitig das Versprechen für die nächste Gelegenheit ab. Zudem bringt Lukas eine theologi- <?page no="344"?> 344 sche Präzisierung ein und stellt klar, dass Gott aÖmartißai vergibt (Q 11,4: oöfeilhßmata) , und Menschen ihren Schuldnern oöfeilhßmata vergeben. 3.4 Himmlischer Lohn In 6,27-38 übernimmt Lukas das in Q dargestellte „transzendierte“ Reziprozitätssystem, in dem Gott die Vergeltung menschlicher Wohltaten garantiert. Q stellt als Lohn die Gotteskindschaft in Aussicht (Q 6,35), Lukas integriert hier zusätzlich das Motiv des himmlischen Lohns. 3.5 Kritik an der Reziprozitätsethik Mit der Ausarbeitung der v. 33f. als Konkretion des Feindesliebegebots (s.o.) gibt Lukas auch der Kritik an der Reziprozitätsethik breiteren Raum. Er gibt nun drei Beispiele (v. 32-34), wo es nur für aÖmartvloiß angemessen ist, ihr Handeln daran auszurichten, ob es materiell vergolten wird. Diejenigen, die sich zu Jesus zählen, sollen sich von den Sündern durch ihr Verhalten abheben und nur von Gott Vergeltung erwarten. Handeln Gottes/ Jesu an Armen und Reichen 3.6 Kontrastierung von menschlichem Handeln und dem Handeln Gottes In den beiden aus Q überlieferten Gleichnissen 14,16-24 und 19,11-27 wird Gottes Handeln nicht explizit geschildert. Lukas gibt durch die Art der Einbettung der Gleichnisse in sein Evangelium Impulse, anhand der Gleichnisse über das Handeln Gottes nachzudenken. Der Erzählung vom großen Gastmahl stellt Lukas den Makarismus 14,15 (S Lk ) voran, der das Bild des eschatologischen Festmahls aufruft und den Hörern nahe legt, die geschilderten Vorgänge dazu in Beziehung zu setzen. Anders als bei demjenigen, der in der Erzählung die Armen zum Mahl lädt, ist Gottes Handeln nicht von Zorn, sondern von Gerechtigkeit und Güte motiviert. Der Erzählung vom anvertrauten Geld 19,11-27 stellt Lukas die Einleitung v. 11 voran, die auf die Perspektive der bevorstehenden Offenbarung der basileißa touq jeouq hindeutet. Lukas weist seine Hörer so darauf hin, dass die in der Erzählung dargestellten Vorgänge mit deren Wissen über die basileißa touq jeouq und das Handeln Gottes zu vergleichen sind (insb. 19,26). Im Vaterunser betont Lukas, dass Gott den Menschen das Lebensnotwendige täglich gibt (11,3). <?page no="345"?> 345 S Lk Mk Q Armut und Reichtum - Gefährdung des eschatologischen Heils durch Reichtum und Macht - Armut als soziales Phänomen - Armut der Jünger - Reichtum als Gefahr für das eschatologische Heil (marginale Änderungen) Umgang mit materiellen Gütern - Warnung vor Streben nach Besitzvermehrung - Nachfolge und Besitz - Kritik am Reziprozitätssystem - Verzicht auf Besitz und Familie - Verzicht auf Eigentum - Relevanz des Umgangs mit Besitz für den Heilsweg - Streichen des Aspekts: Almosengeben vs. Verehrung Jesu - Verstärkung der Kritik am Reziprozitätssystem - Geben als Maxime (auch Almosen! ) Handeln Gottes/ Jesu - Besondere Zuwendung Gottes zu Armen (marginale Änderungen) Gegenüberstellung von menschlichem Handelns und Handeln Gottes bzw. den „Gesetzen“ der basileißa touq jeouq - Verstärkung des Aspektes, dass Gott gibt (täglich! ) Übersicht: Akzente der lukanischen Bearbeitung der Diskursstränge S Lk , Mk und Q <?page no="346"?> 346 III Aspekte der Komposition der Diskursstränge im Lukasevangelium Lukas interpretiert durch die Einfügung der Texte aus dem S Lk die ihm zusammenhängend vorliegenden Diskursstränge Mk und Q - durch eigene kompositorische Tätigkeit (Red Lk ) und Veränderung des Markusrahmens bzw. der vorgegebenen Reihenfolge in Q und die Positionierung der S Lk - Texte. Lk 1,1-2,52: Geburt und Kindheit Das Magnificat (S Lk 1,46-55) steht an einer programmatisch herausragenden Stelle vor der Geburt Jesu. Lukas macht durch die Einfügung dieses poetischen Textes aus seinem Sondergut und durch dessen redaktionelle Bearbeitung bereits hier ihm wichtige theologische Anliegen deutlich: - Gott wendet sich Armen besonders zu ( eöpeßbleyen eöpi? th? n tapeißnvsin , 1,48a), - Gottes Handeln gilt allen Völkern (1,48b), - Reiche und Mächtige sind eschatologisch gefährdet (1,52f.), - zwischen Armen und Reichen besteht ein problematischer Kontrast (1,52f.). Lk 3,1-4,13: Vorbereitung der Wirksamkeit Lukas interpretiert durch die so genannte Standespredigt 3,10-14 S Lk die ihm aus Q überlieferte Täuferpredigt 3,4ff. Die hier überlieferten ethischen Weisungen an das Volk, die Zöllner und Soldaten knüpfen an das Thema Buße (Q 3,3.8) und Fruchtbringen (Q 3,8) an und fordern eine „ökonomische Orthopraxie“. Q 4,1-13 dient kompositorisch der Vorbereitung des Auftritts Jesu in Nazareth (4,16ff.). Betont wird so, dass Jesus nach der Taufe und der Prüfung in der Wüste sein Wirken beginnt. Hinsichtlich materieller Güter nimmt Lukas hier aus der Q-Tradition auf, dass Gottes Wort Menschen leben lässt und nicht allein Nahrung (Q 4,4). Damit stellt Lukas bereits in 1-4 die Grundlinien seiner Position zu Armut und Reichtum und dem Umgang mit materiellen Gütern deutlich dar: - Zuwendung Gottes zu Armen und seine Solidarität mit ihnen, - Forderung „ökonomischer Orthopraxie“ und Umkehr, - Problematik des Gegensatzes zwischen Armen und Reichen, - Verdeutlichung der eschatologischen Gefahr für Reiche, aus der Handlungsbedarf resultiert. <?page no="347"?> 347 Lk 4,14-9,50: Wirksamkeit in Galiläa Lk 4,14-9,50 weist einige kompositionskritische Besonderheiten auf. Lukas verändert die Position von Perikopen im Markusrahmen (Lk 4,16-30 vgl. Mk 6,1-6; Lk 4,38-41 par Mk 1,29-31: Heilung der Schwiegermutter des Petrus) und fügt in 6,20-8,3 Texte aus Q und dem S Lk ein („kleine Interpolation“). Die „Antrittspredigt“ 4,16-30 zieht Lukas vor die ihm in Mk nahe gelegte Position (vgl. Mk 6,1-6) vor den Beginn des öffentlichen Wirkens Jesu. Damit steht sie vergleichbar dem Magnificat an einer herausgehobenen Position, die durch das „Erfüllungswort“ (4,21) verstärkt wird. Die der Besitzthematik gewidmeten Verse 18 und 19 stammen aus von der Septuaginta inspirierter lukanischer Redaktion, v. 25-27 aus einer Sondertradition des Lukas. Lukas macht in diesem Abschnitt deutlich, dass Gott sich Armen und Marginalisierten (Heiden, 4,25-27) besonders zuwendet und Jesus als Gesandter Gottes für dessen Verheißung bürgt (4,18). Mit den drei folgenden Perikopen (alle aus dem Markusstoff) zeichnet Lukas rückblickend für seine Hörer ein (Ideal-)Bild des Lebens der Jünger mit Jesus (5,10f.: Nachfolge der ersten Jünger; 5,27-32: Nachfolge des Levi; 6,1-5: Mundraub am Sabbat). Er betont dabei folgende Aspekte: - Die Entscheidung zur Nachfolge zieht radikal das Verlassen der materiellen Existenzgrundlage nach sich (Positionierung der Heilung der Schwiegermutter des Petrus vor dessen Berufung; Jünger leiden tatsächlich Hunger 6,1). - Die Entscheidung zur Nachfolge kann neben Besitzverzicht auch zu einem angemessenen Umgang mit Besitz führen. Lukas betont die Ausrichtung eines Gastmahls durch Levi für Jesus, seine Jünger, Zöllner und Sünder als erste Handlung nach seiner Entscheidung zur Nachfolge. - Jesus sorgt materiell für seine Jünger (Einfügung der Erzählung vom wunderbaren Fischfang 5,1-9 S Lk ; menschliche Bedürfnisse bestimmen Auslegung der Thora; Jesus ist Maßstab für Thoraauslegung 6,5). Nach dem Abschluss der Berufung des Zwölferkreises (6,12-16) fügt Lukas einen lehrhaften Abschnitt aus Q und Red Lk ein („Feldrede“). Dieser ist auf der Erzählebene an die Jünger gerichtet und im ersten Teil (6,20-26) lehrhaft und im zweiten Teil (6,27-49) ethisch ausgerichtet. Die Seligpreisungen (Q 6,20-23) und die Weherufe (6,24-26 S LkRed ) bilden eine kompositorische Einheit, in der Lukas folgende Akzente setzt: - Durch die direkte Anrede an die ptvxoiß bietet er einen ausdrücklichen Identifikationspunkt für diese Gruppe seiner Hörer (6,20). - Insgesamt ruft der Abschnitt 6,20-26 die bereits im Magnificat (1,52f.) genannte Problematisierung des Gegensatzes zwischen Armen und Reichen auf und - gibt einen deutlichen Hinweis auf die eschatologische Gefahr von Reichtum. <?page no="348"?> 348 Der folgende Abschnitt (6,27ff.) bietet denjenigen unter den Hörern des Lukas, die Entscheidungsfreiheit über den Umgang mit ihren Gütern besitzen, ethische Lösungsansätze für die in 6,20-26 genannte Problematik an. Lukas intensiviert in 6,27-36 die Kritik an der Reziprozitätsethik. Er konkretisiert das Gebot der Feindesliebe ökonomisch und weist die ethischen Konkretionen als „boundary marker“ zwischen Jesusnachfolgern und Sündern aus. Die Q-Passage 7,18-35 über Jesus und Johannes den Täufer übernimmt Lukas fast unverändert. Die Erzählung von Jesus und der Sünderin beinhaltet das Schuldnergleichnis 7,41-43. Der geschilderte Schuldenerlass ist transparent auf die Beziehung zwischen Jesus und Menschen, die ihm begegnen. Erfahrene Vergebung von Schuld wirkt sich in tätiger Liebe aus. Wohl in Anknüpfung an diese Schilderung der Begegnung Jesu mit einer Frau fügt Lukas die Notiz über die drei wohlhabenden Frauen ein, die ihren Besitz in den Dienst der basileißa -Verkündigung stellen. Lukas gibt am Ende der „kleinen Interpolation“ ein weiteres Beispiel eines für Nachfolger Jesu angemessenen Umgangs mit Besitz. Mit der Deutung des Sämannsgleichnisses (8,11-15) und der Aussendung der Zwölf (9,1-6) überliefert Lukas noch zwei thematisch relevante Texte aus seinem Markusstoff, bevor er mit 9,51-18,14 einen Block von Texten aus dem S Lk und Q einfügt („große Interpolation“). In 8,14 unterstreicht Lukas die generelle Gefahr des Reichtums. Er kann Menschen davon abbringen, ihr Leben auf Gott und sein Wort auszurichten. Lukas berichtet als einziger Evangelist von zwei Jüngeraussendungen - die Aussendung der Zwölf nach Mk (9,1-6) und die Aussendung der 72 nach Q (10,1-12). Seine theologische Intention ist dabei die Unterscheidung der Missionsgebiete, Israel (Mk) und die Völker (Q). Lukas verschärft die markinischen Ausrüstungsvorschriften, um deutlich zu machen, dass die Jünger unterwegs völlig abhängig von Gottes Fürsorge sind. Dass sie in dieser Zeit keinen Mangel litten, verdeutlicht der Rückblick auf die Zeit der Aussendung in 22,35-38. Zugleich zeigt sich hier die lukanische Differenzierung zwischen der Zeit Jesu, von der er seinen Hörern berichtet, und der Gegenwart der lukanischen Gemeinde. Lk 9,51-19,27: Weg nach Jerusalem In 9,51-19,27 findet sich nur ein thematisch relevanter Text aus dem Markusstoff (18,18-30). Q 9,57f. übernimmt Lukas nahezu unverändert und ruft damit das Thema Armut des Menschensohnes und Besitzverzicht für die Nachfolge auf. Q 10,1ff. führt letzteres fort und betont, dass die ausgesandten 72 ohne materielle Sicherheit von der Vorsehung und Fürsorge Gottes abhängig sind. <?page no="349"?> 349 Mit 10,25-11,36 komponiert Lukas einen Abschnitt, in dem er die Lehrtätigkeit Jesu darstellt. 10,25-37 S Lk hat die Auslegung des Nächstenliebegebots als Zentrum. Lukas verbindet sie mit der Frage nach dem ewigen Leben. Lukas verdeutlich anhand dieses Textes, dass das Nächstenliebegebot zum einen finanzielle Aufwendungen einschließt (vgl. die lukanische Redaktion von Q 6,32-34) und sich zum anderen an den Bedürfnissen des Nächsten orientiert. Q 11,1-4 ist Teil des aus Q und dem S Lk komponierten Abschnitts über das Beten und gibt Antwort auf die Frage, wie man beten soll. Lukas betont hier die Performativität des Sprechakts, d.h. beim Beten gibt man ein Versprechen für die nächste Gelegenheit (vgl. 11,4). Lukas weist also darauf hin, dass derjenige, der das Vaterunser betet, mit „Konsequenzen“ betet. Zudem liegt Lukas daran, den Aspekt der Dauerhaftigkeit hervorzuheben: Gott gibt jeden Tag, jeder ist jeden Tag wieder auf Gottes Gaben angewiesen und lebt von Gott. Den Redeabschnitt 11,37-13,9 lässt Lukas mit einer Auseinandersetzung zwischen Jesus und den Pharisäern beginnen. Er nutzt die Frage nach Reinheit, um zu konkreter Barmherzigkeit, nämlich Almosengeben, aufzufordern (11,41). Die Aufforderung zum Almosengeben wiederholt Lukas wenig später in 12,33. Er macht hier den jüdischen Reinheitsbegriff für Nichtjuden zugänglich. Das Gebot der Verzehntung akzeptiert Lukas, relativiert es aber (er folgt damit seiner Überlieferung aus Q). Er weist darauf hin, dass die Orientierung am Recht und der Liebe Gottes entscheidend ist und nicht die minutiöse Befolgung der Gesetzesvorschrift. Damit bietet er Heidenchristen eine Möglichkeit, die jüdischen Gebote einzuordnen. 12,13-34 bietet eine umfassende Paränese zur Frage des Umgangs mit materiellen Gütern. 44 Das Apophtegma vom Erbstreit 12,13-15 S Lk warnt vor Habgier und weist darauf hin, dass der Überfluss an materiellen Gütern nicht zum wahren Leben führt. Lukas knüpft daran die Beispielerzählung vom Reichen Kornbauern an (12,16-21 S Lk / S LkRed ). Die Erzählung kritisiert das Anhäufen von Gütern gemäß dem weisheitlichen Ideal, Güter zu bewahren, zu vermehren und zu genießen. Die Blickrichtung geht über den Tod hinaus und betont, dass materielle Güter keine Zukunft haben (v. 20). Lukas bringt in v. 21 die theologische Argumentation ein, dass irdisches Schätzesammeln dem Reichsein bei Gott entgegensteht, so dass 12,21 Red Lk zusammen mit 12,33f. Q/ Red Lk (s.u.) eine Klammer bildet. 12,16-21 und 12,22-32 sind zudem durch das Stichwort aöpojhßkh (Scheune) verknüpft. Lukas bearbeitet 12,24 und betont, dass die Raben nicht nur nicht in Scheunen sammeln, sondern nicht einmal Scheunen besitzen. Er zeichnet damit ein Kontrastbild zum Kornbauern in 12,16-20 S Lk . Durch die Nachstellung von Q 12,33f. hinter Q 12,22-32 bezieht Lukas das Verbot des Sorgens direkt auf das in 12,16-21 S Lk / Red Lk geschilderte 44 Vgl. zur Komposition von Lk 12 auch Seng, Tor, 141ff. <?page no="350"?> 350 Anhäufen von Gütern und deutet es auf diese Weise als Warnung vor der Fixierung auf materielle Güter. 12,33f. ist der Höhepunkt der Besitzparänese in Lk 12. Lukas stellt hier der Habgier und dem Anhäufen von Gütern die Trennung von Besitz, das Almosengeben und die Bindung an Gott gegenüber. Dies legt er seinen Hörern nahe. Aus Q übernimmt er die Aussage, dass irdische Schätze vergänglich sind und man sein Herz an Gott festmachen soll. - Das Ende des 12. und das 13. Kapitel sind von Gedanken zur Endzeit bestimmt. Die Frage nach dem Umgang mit Besitz greift Lukas erst wieder in 14,12-14 auf. Lukas komponiert in 14,1-25 aus Q- und S Lk -Texten eine Gastmahlszene. Jesus ist bei einem Pharisäer zu Gast. Nachdem er sich in 14,1-6 S Lk („Ist Heilung am Sabbat erlaubt? “) und 14,7-11 S Lk („Bescheidenheit bei der Platzwahl als Gast“) gewandt hat, lässt Lukas Jesus in 14,12-14 S Lk das Wort an den Gastgeber richten. Hier greift er das Thema „Umgang mit Besitz“ und „Beziehung zwischen Armen und Reichen“ wieder auf. Er appelliert an Menschen, die Gastmähler ausrichten, auf Gegeneinladungen zu verzichten und sozial bzw. ökonomisch Schwächere einzuladen, also mit ihnen Beziehungen auf Augenhöhe zu pflegen. Lukas argumentiert hier damit, dass es Lohn nur einmal gibt (14,14* Red Lk ), und motiviert seine Hörer mit dem Anreiz, dass Gott selbstloses Handeln im Jenseits vergelten wird (14,14 S Lk ). Er wendet sich hier an die Wohlhabenden unter seinen Hörern. Der Appell in 14,12-14 ist für Hörer des Lukas nicht nur für die Anwendung auf die Gastmahlpraxis offen, sondern für jegliches Handeln - vor allem innerhalb der lukanischen Gemeinde -, das vom Reziprozitätsdenken bestimmt ist. Lukas verknüpft 14,12-14 mit der Erzählung vom großen Gastmahl (Q 14,16-24) durch den von einem Gast ausgesprochenen Makarismus 14,15 S Lk , der auf das Festmahl im Reich Gottes verweist. Mit Q 14,16-24 führt Lukas Impulse aus 14,12-14 fort und bietet eine weitere Deutungsanregung. Q 14,16-24 hat eine doppelte Zielrichtung. Zum einen richtet sich die Erzählung an die auf der Erzählebene „Erstgeladenen“, also an die Jünger, Nachfolger Jesu und die Mitglieder der christlichen Gemeinde und ermahnt sie, die eigenen Interessen der basileißa touq jeouq unterzuordnen. 45 Zum anderen deckt sie auf der Erzählebene das Motiv des Gastgebers auf, dessen Einladung an die Armen und Kranken (14,21 Red Lk , vgl. 14,13 S Lk ) von Zorn über die Erstgeladenen motiviert ist. Mit dem hermeneutischen Schlüssel in 14,15 gelesen, legt dies den wohlhabenden Hörern des Lukas nahe, ihre Praxis im Umgang mit sozial Schwächeren am Maßstab zu messen, den das kommende Festmahl in der basileißa touq jeouq setzt. Die Erzählung vom Gastmahl wird mit den Nachfolgeworten Q 14,25-27 fortgeführt. Lukas fügt aus seinem Sondergut das Doppelgleichnis vom Turmbau und Kriegführen (S Lk 14,28-33) an. Er verbindet die Entscheidung zur Jüngerschaft mit der Bedingung, von der materiellen Existenzgrundlage 45 Vgl. Heil, Lukas, 92. <?page no="351"?> 351 Abschied zu nehmen. Die Hörer des Lukas können diese radikale Forderung als Merkmal der Jesuszeit verstehen, so dass sich davon distanzieren können. Mittransportiert wird gleichwohl die Botschaft, dass das Christsein, die Bindung an Jesus eine ernsthafte Entscheidung mit Konsequenzen ist und diese auch in Bezug auf die eigene Bindung an materielle Güter fordert. Die Frage, ob und wie weit die Bindung an andere Menschen der Bindung an Jesus entgegensteht, kennzeichnet bereits die vorangegangenen Q-Verse (Q 14,25f.). Mit der Erzählung vom Vater und den beiden Söhnen (15,11-32) schließt Lukas die Trilogie vom Verlorenen in Lk 15 ab. Das Thema, um das die drei Erzählungen in Lk 15 kreisen, ist die Frage nach der Umkehr von und dem Umgang mit Sündern (s. schon 15,1f.). Sie transportieren die Botschaft, dass Gott sich über verlorene Menschen, die umkehren, ebenso freut, wie die drei Menschen (Hirte v. 5, Frau v. 9, Vater v. 23) in den Gleichnissen sich freuen. 15,11-32 erzählt also zunächst die Geschichte einer glücklichen Umkehr - die Geschichte ermutigt dazu umzukehren und ermahnt die „Gerechten“, „Sünder“ anzunehmen. Die Sünde des jüngeren Sohnes in 15,11-32 besteht in der Verschwendung des ausbezahlten Erbteils, er verletzt damit auch die Fürsorgepflicht für seine Eltern im Alter, der er nach dem Durchbringen seines Erbteils nicht mehr nachkommen kann. Die Perikope ist im Lukasevangelium eine Besonderheit, da sie - im Gegensatz zu z.B. 12,16-20 - unkritisch das weisheitliche Ethos der Besitzstandswahrung und -vermehrung übernimmt (und in diesem Zuge eben die Verschwendung des Sohnes als Sünde geißelt). Ihr Schwerpunkt liegt sicherlich auf der Ermutigung zur Umkehr und liebenden Annahme. Die Botschaft, dass auch Wohlhabende z.B. gute Väter sein können, könnte in Lk mitschwingen und seine wohlhabenden Hörer ansprechen. In Lk 16 setzt Lukas einen inhaltlichen Schwerpunkt bei der Frage des Umgangs mit materiellen Gütern. Mit 16,1 inszeniert Lukas einen Adressatenwechsel: Jesus wendet sich seinen Jüngern zu. 16,1-8, die Erzählung vom klugen Verwalter, ist über die Stichwortverbindung diaskorpißzein mit 15,11-32 verbunden. In 15,13 hatte das Verb den Verstoß gegen die weisheitliche Hausordnung bezeichnet, in 16,1 wird es vom Reichen als Anklage gegen den oiökonoßmow vorgebracht. Sowohl der Sohn als auch der Verwalter geraten durch die Verschwendung in eine existenzbedrohliche Lage: Ersterer kämpft in einer Hungersnot ums Überleben, letzterer wird gekündigt und verliert seine Existenzgrundlage. Der Sohn entschließt sich zur Umkehr, der Verwalter zu klugem, existenzsicherndem Handeln. Die Applikationen in 16,9-12 S Lk changieren zwischen Orientierung an den Gesetzen der Welt und denen der jenseitigen Welt, zwischen Mahnung zu gewissenhaftem und Rat zu klugem, nutzbringendem Umgang mit Geld. Lukas korrigiert durch die Einfügung des Logions aus Q 16,13 (vgl. Mt 6,24) die vorangegangenen Applikationen. Er weist auf die Gefahr hin, dass allzu gewissenhafter Umgang mit und die Sorge um Geld zum Dienst am Mammon werden kann und damit <?page no="352"?> 352 dem „Gottesdienst“ entgegensteht. Diese Aussage ist eine logische Zuspitzung von 12,22-32. Mit 16,14 erfolgt erneut ein Adressatenwechsel in Richtung Pharisäer, so dass der Höhepunkt der Besitzparänese in Lk 16, die Erzählung vom reichen Mann und dem armen Lazarus 16,19-31 S Lk , an eben jene gerichtet ist. In 16,14 fügt Lukas redaktionell den Vorwurf der Geldgier an die Pharisäer ein. Mit der Einfügung des Sonderguttextes 16,19-31 setzt Lukas vor der apokalyptischen Rede an die Jünger in 17,1ff. folgende Akzente: - Er problematisiert den Gegensatz zwischen Reichen/ Wohlhabenden und Bettelarmen. - Er übt harsche Kritik am egozentrischen Umgang mit Besitz. - Er führt drastisch die eschatologische Umkehrung der Verhältnisse vor Augen und unterstreicht damit die eschatologische Gefahr, die der Besitz vieler Güter und - am Maßstab der basileißa - unangemessener Umgang damit bergen. Dann nimmt Lukas die Besitzthematik erst in 18,18-30 wieder auf. Mit der Erzählung der Kindersegnung 18,15-17 (par Mk 10,13-16) endet die „große Interpolation“, und Lukas greift wieder den Erzählfaden des Mk auf. 18,15-17 schlägt das Thema, wie man in das Reich Gottes kommt, an. In der folgenden Perikope 18,18-30 (par Mk 10,17-31) wird es mit der Frage des Umgangs mit Besitz verknüpft. Lukas inszeniert die markinische Vorlage als Gespräch Jesu mit einem jüdischen aärxvn . Während in der Markusvorlage der Reiche an der Forderung Jesu, sich von seinem Besitz zu trennen und ihm nachzufolgen, scheitert, hält Lukas die Szene offen und lässt die Aufforderung Jesu unbeantwortet stehen. Auf diese Weise erhält er sie als Anfrage an seine Hörer aufrecht. - Lukas wirkt einem wörtlichen Verständnis irdischer Entlohnung des Besitzverzichts um der basileißa willen, wie es Mk 10,30 nahe legt, entgegen (vgl. Lk 18,30). Mit der Perikope macht Lukas deutlich, dass die innere Trennung von Besitz (die praktische Konsequenzen hat) Voraussetzung für die Bindung an Jesus bzw. Gott ist, und der Weg in die basileißa einen Abschied von der Orientierung an materiellen Gütern voraussetzt. Lukas ermutigt seine Hörer zu diesem Abschied, betont aber gegenüber Markus, dass die „Entlohnung“ erst jenseitig erfolgt. Die Erzählung von Zachäus 19,1-10 S Lk hat Lukas wohl aufgrund ihrer Verortung in Jericho nach der Heilung des Blinden bei Jericho (18,35-43 par Mk 10,46-52) platziert. Die Frage, wie Reiche zur christlichen Gemeinde gehören können, ist zentral. Lukas skizziert folgende Antwort: Mit 19,10 Red Lk setzt Lukas die Sendung Jesu zu den Verlorenen voraus. Zachäus, der reich ist und sich unrechtmäßig bereichert hat, bekehrt sich, nachdem Jesus auf ihn zugegangen ist (19,5-8). Als Identifikationsfigur für die wohlhabenden Hörer des Lukas ist Zachäus ambivalent: Sein Wohlstand, sein Mut zur Bekehrung und seine Sympathie für Jesus laden zur Identifikation mit ihm ein; sein niedriges Sozialprestige als Zöllner macht die Identifikation mit <?page no="353"?> 353 ihm problematisch. - Die Botschaft, dass Jesus sich gerade marginalisierten Menschen, mit denen man sich weder identifizieren noch in Beziehung treten möchte, zuwendet, bleibt in diesem Zusammenhang nachdenkenswert. Mit der Erzählung vom anvertrauten Geld aus Q (19,11-27), die Lukas mit der Geschichte vom Thronprätendenten verwebt, führt er die Frage, wie man als Christ mit Geld umgeht, fort. Durch die Einleitung 19,11 stellt er sie in den Kontext der Offenbarung der basileißa . Die folgende Erzählung ist nach Lukas also vor dem Hintergrund zu deuten, dass die Machtgefüge und Gesetzmäßigkeiten der Welt angesichts des Anbruchs des Reiches Gottes in Frage zu stellen sind. Die eschatologische Ausrichtung war der Perikope bereits in Q zu eigen, wo sie zwischen der Parusie des Menschensohnes Q 17,23-37 und dem Spruch vom Richten der zwölf Stämme positioniert war. Der Kontrast zur basileißa touq jeouq zeigt sich an zwei Punkten besonders deutlich: Zum einen unterscheidet sich das machtpolitische Verhalten des Thronprätendenten grundlegend von der Art, wie Jesus König ist. Zum anderen widerspricht die kapitalistische Gesetzmäßigkeit der Welt (vgl. 19,26) den „Gesetzen“ der basileißa touq jeouq . Lk 19,28-21,4: Jesu Wirken in Jerusalem und Auseinandersetzung mit seinen Gegnern In 19,28-21,4 finden sich fünf Texte, die Armut und Reichtum bzw. den Umgang mit materiellen Gütern thematisieren: die Tempelreinigung 19,45f. (par Mk 11,15-17); die Erzählung von den Weinbergspächtern 20,9-19 (par Mk 12,1-12); die Diskussion um die Steuerzahlung 20,20-26 (par Mk 12,13- 17); der Vorwurf der Habgier an die Schriftgelehrten 20,45-47 (par Mk 12,37- 40) und die Tempelgabe der Witwe und der Reichen in 21,1-4 (par Mk 12,41- 44). Lukas folgt in dieser Passage, die das Wirken Jesu in Jerusalem beschreibt, strikt dem Markusrahmen und setzt nur wenige eigene Akzente. Lk 22,1-23,55: Passion, Tod, Begräbnis und Auferstehung Jesu Mit 22,35-38 S Lk spielt Lukas auf die beiden Aussendungserzählungen 9,1-6 (Mk; Bezug auf die Aussendung der Zwölf) und 10,1-12 (Q; wörtliches Zitat von 10,4) an. Lukas macht durch die Einfügung dieses Textes deutlich, dass er zwischen der Zeit Jesu und dem „Heute“ ein Bruch sieht. Nach dem Tod Jesu gelten andere Gesetzmäßigkeiten als zu der Zeit, als er als Mensch unter seinen Jüngern lebte. Die Botschaft, dass die Orientierung weg von der Sicherheit materieller Güter hin zu völligem Vertrauen auf Gott sich immer gelohnt hat und lohnt, bleibt uneingeschränkt in Kraft. <?page no="354"?> 354 IV Resümee Durch die Ordnung der Diskurse um Armut und Reichtum und den Umgang mit materiellen Gütern sucht Lukas die Gestaltung von Beziehungen zwischen Wohlhabenden und ptvxoiß in seiner Gemeinde zu fördern. Der Gegensatz zwischen „Reichen und Armen“ dürfte ihm dort vor Augen gestanden und Handlungsbedarf nahe gelegt haben. Auffällig viele Texte, die Lukas aus seinem Sondergut aufnimmt, thematisieren die Aufnahme von Beziehungen zwischen Reichen und Bettelarmen, so dass deutlich ist, dass Lukas die Frage, wie Beziehungen zwischen beiden Gruppen in der Gemeinde zu gestalten seien, für drängend hielt und selbst durch die Sammlung und narrative Ordnung verschiedener Jesustraditionen zum Thema gestaltend in diese Beziehungen eingriff, indem er das Thema zu einem eigenen Diskurs innerhalb seiner Evangeliumserzählung erhob. 46 Die ihm zugekommene Jesusüberlieferung warf die grundsätzliche Frage auf, wie Reiche zur christlichen Gemeinde gehören könnten, und drängte angesichts der offenbar beachtlichen Anzahl von wohlhabenden Gemeindegliedern darauf, theologisch bearbeitet zu werden. Es hat sich gezeigt, dass Lukas Arme und Reiche kontrastiert, also gerade durch sein Sondergut (bzw. eigene kompositorische Tätigkeit in 6,24-26) Texte einfügt, die den Kontrast zwischen Armen und Reichen problematisieren. Die Notwendigkeit einer Ordnung des Diskurses legt sich auch deshalb nahe, weil gerade die Q-Überlieferung (z.B. Q 7,22ff.; 9,57f.; 6,20) von einem Armutsideal geprägt ist, dessen theologische Aussage für Besitzende zur Zeit des Lukas stark erklärungsbedürftig ist und das Lukas nicht teilt. Zunächst ist noch einmal Klarheit darüber herzustellen, wer die „Reichen“ sind, die im Lukasevangelium genannt und angesprochen werden. Im Magnificat (1,52: „vom Thron stürzen“) und in Q 7,25 (Verweis auf Königshäuser) ist tatsächlich von einer reichen und politisch mächtigen Elite die Rede. Außerdem begegnen Großgrundbesitzer, die zumindest so viel Land haben, dass sie Sklaven, Tagelöhner oder Verwalter beschäftigen oder das Land verpachten (z.B. 15,11ff., 16,1ff.; 20,9ff.), reiche Gastgeber und Gäste in 14,12ff., „Besitzende“ in 18,18ff. In 6,24 Red Lk spricht Lukas als Autor „Reiche“ an. Dass er damit die 1-5% Oberschicht und die extrem Reichen in den Blick nimmt, ist aber trotz der gegebenen Beispiele unwahrscheinlich. Die Reichen stellten in der lukanischen Gemeinde bestimmt keine zu beachtende Gruppe dar. Nahe liegt vielmehr, dass Lukas hier einen relativen Reichtumsbegriff - aus der Per- 46 Stegemann/ Stegemann sind dagegen der Ansicht, dass zur lukanischen Gemeinde Reiche, aber keine politische Elite und nur relativ Arme, keine ptvxoiß gehörten. Sie argumentieren im Wesentlichen mit Lk 14, wo aus der Sicht der Erzählung die Bettelarmen Außenseiter seien, und führen zudem ins Feld, dass in der Apg nicht von Bettelarmen die Rede sei (vgl. dies., Sozialgeschichte, 262f.). <?page no="355"?> 355 spektive von Armen - verwendet: Aus der Perspektive von Menschen, die bettelarm sind, gerade am Existenzminimum existieren, ist jemand, der genug zu essen hat, sich gut kleiden kann und ein gesichertes Obdach hat, reich. 47 Lukas steuert den Diskurs so, dass die Perspektive „von unten“ zur entscheidenden wird und die gesamte Darstellung des Problems bestimmt. Die ethischen Weisungen im Lukasevangelium richten sich (mit Ausnahme von Q 12,22ff.) also an Wohlhabende bzw. Menschen, die die Freiheit haben, darüber zu entscheiden, wie sie mit ihrem Besitz umgehen. Allerdings weist Lukas von Anfang an darauf hin, dass Gott sich Armen besonders zuwendet (vgl. 1,48 Red Lk ; 4,18f. Red Lk ). Die Texte aus der Jesusüberlieferung, die die Armut der Jünger und die Zuwendung Gottes zu Bettelarmen thematisieren, sind als Identifikationsraum für ptvxoiß zu verstehen. In Lk 6,20ff. spricht Lukas ptvxoiß direkt an. Dabei ist entscheidend, dass Lukas selbst - wie bereits gesagt - keinem Armutsideal anhängt und auch nicht die Forderung vertritt oder prämiert, Christen müssten radikal auf materielle Güter verzichten. Aus seiner Überlieferung arbeitet er vielmehr verschiedene Grundlinien heraus, die sich zu einem differenzierten Bild zusammenfügen: Lukas stellt die negativen Seiten von Armut deutlich dar und bietet Alternativen zum völligen Verzicht auf materielle Güter. Andererseits ist das Verfügen über großen Besitz für ihn ein Hindernis für die Gemeindezugehörigkeit, das es zu überwinden gilt. Gerade durch seine Redaktion des Markusstoffs macht Lukas deutlich, dass die ersten Jünger mit der Entscheidung zur Nachfolge Jesu eine radikale Entscheidung für den Umgang mit ihren materiellen Gütern getroffen haben - sich von ihnen „verabschieden“ aöpotaßssesjai , Lk 14,33). Dabei differenziert er als Erzähler klar zwischen der Zeit Jesu und seiner eigenen Zeit und der Zeit seiner Leserschaft (vgl. 22,35-38 S Lk ). Gleichzeitig hält er daran fest, dass die Entscheidung zur Zugehörigkeit zur christlichen Gemeinde auch in seiner Gegenwart eine Entscheidung fordert, die den eigenen Besitz in den Dienst der christlichen Gemeinschaft stellt. Dabei ist eine Tendenz hin zum Verzicht auf privates Eigentum erkennbar (vgl. 18,28: hÖmeiqw aöfeßntew ta? iädia ). 48 Nicht zuletzt durch eigene kompositorische Tätigkeit (z.B. 12,33) spitzt Lukas ethische Impulse zu, konkretisiert sie (z.B. 6,32-34) und fordert seine Hörer zum Handeln auf. Er zögert dabei nicht, die eschatologische Gefahr von Reichtum und egozentrischem Umgang mit materiellen Gütern drastisch vor Augen zu führen und damit auf die Dringlichkeit einer Entscheidung zum Umgang mit Besitz hinzuweisen. Gleichzeitig ermutigt er seine Hörer durch die Schilderung der Fürsorge Gottes, die den Jüngern Jesu zuteil wurde, sich mit ihrer Entscheidung zur Bindung an Jesus „heute“ in der christlichen Ge- 47 Vgl. Stegemann/ Stegemann, Sozialgeschichte, 78f. 48 In der Apostelgeschichte wird Lukas das Ideal des Gemeinschaftseigentums darstellen (vgl. Apg 2,44f.; 4,32). <?page no="356"?> 356 meinde ebenfalls - aber auf ihre Weise - von materiellen Gütern zu lösen. Der radikale Besitzverzicht der ersten Jünger, die schon vor ihrer Berufung in prekärer ökonomischer Situation lebten, wird damit zur Anfrage an die wohlhabenden Hörer des Lukasevangeliums, auf die differenzierte Antworten gegeben werden können. Lukas fordert nicht die Nachahmung des Besitzverzichts der ersten Jünger, sondern einen angemessen Einsatz materieller Güter im Dienst der Mitmenschen und der Verkündigung des Reiches Gottes. Die Gemeinde aus Armen und Reichen soll zusammenwachsen und sich gut gerüstet, materielle Güter teilend und für die Verkündigung der basileißa einsetzend (Lk 22,35ff.), auf den Weg machen. <?page no="357"?> 357 E Literatur- und Abkürzungsverzeichnis 1 Abkürzungen Abkürzungen nach S.M. Schwertner, 2 IATG = Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete, Berlin/ New York 1992. Zusätzlich: FS Festschrift IQP International Q-Project (= Robinson, Critical Edition) Mk Red lukanische Redaktion des Markusstoffs Q Red lukanische Redaktion des Q-Stoffs Red Lk lukanische Redaktion S Lk lukanisches Sondergut S LkRed Anteile des lukanischen Sonderguts, die auf lukanische Redaktion/ Komposition zurückzuführen sind 2 Hilfsmittel B. u. K. Aland/ J. Karavidopoulos/ C.M. Martini/ B.M. 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