Wie Kinder soziale Phantasie entwickeln
Ein Buch für alle, die mit Kindern leben
0916
2015
978-3-7720-5571-3
978-3-7720-8571-0
A. Francke Verlag
Gudula List
Sie sind Eltern oder Angehörige eines kleinen Kindes, Omi oder Opa einer Rasselbande? Sie möchten wissen, was die Entwicklungspsychologie über die so ungeheuer wichtigen ersten Lebensjahre herausbringt und was das bedeutet?
Oder leiten Sie eine Kita, sind Erzieher oder Studierende, die sich auf die Arbeit mit Kindern vorbereiten, benötigen also solches Wissen für Ihren Arbeitsalltag?
Dieses Buch ist für Sie geschrieben! Es macht Sie auf verständliche Weise mit wissenschaftlichen Erkenntnissen darüber bekannt, wie Kinder begreifen, was in den Köpfen der anderen vor sich geht, von denen sie lernen und mit denen sie spielen.
Es zeigt, wie sie etwas über sich selbst erfahren, wie sie für das Leben lernen, die Bedeutung ihrer Geschlechtszugehörigkeit erkunden, sich schon im Vorschulalter mit Lesen und Schreiben anfreunden und wie dies alles mit dem Spracherwerb zusammenhängt.
<?page no="0"?> Wie Kinder Gudula List entwickeln soziale Phantasie Ein Buch für alle, die mit Kindern leben <?page no="1"?> Wie Kinder soziale Phantasie entwickeln <?page no="3"?> Wie Kinder Gudula List entwickeln soziale Phantasie Ein Buch für alle, die mit Kindern leben <?page no="4"?> Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http: / / dnb.ddb.de> abrufbar. Umschlagabbildung: © Vasilyev Alexandr, Shutterstock Bild der Autorin: © Portrait-Atelier Bauer, Karlsruhe © 2015 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem und säurefreiem Werkdruckpapier. Internet: www.francke.de E-Mail: info@francke.de Printed in the EU ISBN 978-3-7720-8571-0 <?page no="5"?> Inhalt 5 Inhalt Einladung zur Lektüre 7 Die ersten Jahre Mythen, Kommerz und Erkenntnisgewinn: Kontroverses aus aktuellen Diskussionen Erwartungen an die Hirnforschung und die Furcht, ‚Entwicklungsfenster‘ könnten sich schließen 17 Babys im Fokus des wissenschaftlichen Interesses am Umgang mit Sprachlauten 24 Hintergründe der frühkindlichen Fähigkeit zur Lautunterscheidung 32 Wer übernimmt die Führung beim ‚Tanz‘ in die interpersonale Beziehung? 38 Mit der Nachahmung beginnt das soziale Lernen 40 Über die Zweisamkeit hinaus: Geteilte Aufmerksamkeit und hinweisende Gesten auf dem Weg zum verbalen Austausch 44 ‚Zwergen-‘ und ‚Gebärdensprachen‘ für die Kleinen? 48 Anfänge der Selbstwahrnehmung 53 Wenn die Wörter laufen lernen 57 Und wenn es um mehr als eine Sprache geht? 62 Zwischenbilanz: Fazit des ersten Teils und Ausblick auf den zweiten 68 <?page no="6"?> Inhalt 6 Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! Wie Kinder beginnen, sich mit anderen und mit sich selbst auseinanderzusetzen Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 77 ‚Theory of Mind‘ - Konjunkturen eines entwicklungspsychologischen Konstrukts oder: Was Witwe Bolte nicht wissen konnte 78 Fortschritte beim Spracherwerb und Leistungen in theory of mind-Aufgaben: Wie hängen sie zusammen? 89 Wachsende Selbständigkeit: Wirkungen der ‚Exekutiven Funktionen‘ auf die kindliche Handlungsorganisation 104 Kann Mehrsprachigkeit die Ausbildung ‚Exekutiver Funktionen‘ begünstigen? 114 Erziehungsstile und -verantwortungen 125 Kinder im Gespräch mit Erwachsenen 131 Wie sich das Ich beim Erzählen bildet 142 Kinder unter sich - das Spiel als dominante Tätigkeit 154 Wie wird die soziale Umwelt sortiert? 165 Richtig streiten lernen oder: Hat die Aggression ein Geschlecht? 175 „Die hab‘ ich lieb, die spielt mit mir“ - Jungen und Mädchen auf dem Weg zu Freundschaften in ihren Tagesstätten 185 Humor, übertragene Bedeutung und Ironie - Sprachspiele mit der sozialen Phantasie 195 Die Entdeckung der Schriftkultur in der kindlichen Entwicklung 212 Weiterführende Hinweise 232 Verwendete Literatur | Bildnachweis 251 Danksagung 271 <?page no="7"?> Einladung zur Lektüre 7 Einladung zur Lektüre Worum geht es in diesem Buch? I m Verlauf der Evolution konnten allein die Menschen sich sprachliche Verständigungssysteme erarbeiten, die unendlich vielfältig sind und immer wieder neue Äußerungen erlauben. Dennoch: heißt es nicht zu kurz greifen, wenn man nur auf das schaut, was ausgesprochen und geschrieben wird? Was wäre menschliche Sprachfähigkeit ohne soziale Phantasie beim Sprechen und Verstehen? Ohne sie könnten wir zwar reden, wären aber untauglich zum einvernehmlichen Gespräch. Denn wir wüssten andere nicht so anzusprechen, dass sie unsere Absichten mitvollziehen können. Was wir sagen, soll doch beim anderen so ankommen wie wir es meinen: als ernste Mahnung oder sarkastische Bemerkung, als sachliche Feststellung, versteckte Bitte oder liebevolle Neckerei. Beim fruchtbaren Gedankenaustausch, beim Gespräch über gemeinschaftliches Handeln nach Ziel und Plan kämen wir ohne soziale Phantasie nicht weit. Wir könnten ja beim eigenen Erleben und Nachdenken gar nicht mit einbeziehen, was mutmaßlich im Gegenüber vor sich geht. Es gäbe ohne soziale Phantasie keine Gewähr dafür, dass sprachliche Verständigung gelingt. Wüsste ich nicht, was andere denken, hätte ich auch keine eigenen Gedanken und wüsste also nicht, was ich denke. Donald Davidson <?page no="8"?> Einladung zur Lektüre 8 Keineswegs müssen wir uns ständig bewusst hierum bemühen. Bei vielen Begegnungen im Alltag sind die Regeln und Rollen derart eingeschliffen, dass gegenseitiges Verstehen eine Suche nach Gründen für das Verhalten des Gegenübers gar nicht nötig macht. Denn unter gut Bekannten, die auf gemeinsame Erfahrungen zurückblicken, versteht sich vieles bei knappen Worten ganz von selbst. Auch unter Menschen, die einander persönlich zwar nicht nahe stehen, aber sich in ähnlichen Lebenswelten bewegen, ist rasche Verständigung leichter möglich als unter Fremden, die kulturelle Gewohnheiten nur in geringem Maße teilen. Allerdings sind Vertrautheit und Distanz hier nicht allein der Maßstab. Denn auch unter Vertrauten gibt es manche Situation, die soziale Phantasie im Gespräch herausfordert und genaueres Nachfragen oder präzisere Mitteilung verlangt. Erwachsene finden sich in diesem Zusammenspiel der sozialen Phantasie mit Reden und Verstehen im Allgemeinen gut zurecht. Denn wir haben gelernt, uns in den unterschiedlichsten Sprach- und Erlebniswelten zu bewegen, in gewohnten wie in nicht so vertrauten. Wie aber bildet sich während der Kindheit im Lauf der fortschreitenden Aneignung von Sprachen, und mit ihr verknüpft, die soziale Phantasie heraus? Das ist das Thema dieses Buchs. Es handelt davon, wie Kinder das Denken und Fühlen anderer Menschen zu begreifen lernen, wie sie sich dabei selber kennenlernen, und wie sie sich im Medium des sprachlichen Austauschs die Möglichkeit erschließen, zunehmend selbständig und sozial angemessen in ihrer Welt zu handeln. Es ist ein entwicklungspsychologisches Thema. Aber es greift in andere Disziplinen über: zu verschiedenen weiteren Sparten der Psychologie, aber auch zu den Sprachwissenschaften, der Soziologie und nicht zuletzt zur Pädagogik der Kindheit. Ich habe versucht, Beiträge Wie Kinder das Denken und Fühlen anderer Menschen zu begreifen lernen und wie sie sich dabei selber kennenlernen… <?page no="9"?> Einladung zur Lektüre 9 dieser Disziplinen in eine integrative Zusammenschau einzubinden. Die Verknüpfungen zwischen der Aneignung von Sprachen und der Ausbildung sozialer Phantasie lassen sich besonders intensiv ab einer Zeit beobachten, wenn hinter den kindlichen Äußerungen die zugrunde liegenden Gedanken erkennbar werden. Das ist die Zeit, in der die Erwachsenen nicht mehr nur freudig jedem neuen Wort der Kinder applaudieren, sondern sie als kleine Personen mit Neugier und eigenem Willen ernst zu nehmen beginnen. Die Zeit also, in der das Gespräch mit Kindern über die unmittelbar erlebte Anschauung hinausführen kann, wenn etwa Begründungen für Überraschungen fällig sind (sieh mal, der Wind hat die Nüsse vom Baum geschüttelt), und die Kinder nach dem ‚gestern‘ oder ‚später‘ fragen (morgen, wenn sie trocken sind, können wir sie vielleicht schon knacken und essen). Das ereignet sich ab etwa dem dritten Geburtstag, mal früher, mal später, und macht dann die Kinder immer mehr zu Partnern für andere Kinder und für Erwachsene beim Gespräch über die Welt, über Gedanken, Wünsche und Erwartungen. Der zweite, der Hauptteil dieses Buchs, wird sich mit der kindlichen Entwicklung von dieser Periode an bis zum Eintritt in die Schule beschäftigen. Gewiss, entscheidende Entwicklungsschritte geschehen bereits in der Zeit davor. Und Sprache begleitet alle Interaktionen von Anfang an. Ihren Ausgang nimmt die Entwicklung bei der fundamentalen Bereitschaft, die sich schon bei Säuglingen findet, nämlich Blickkontakte aufzunehmen, den Blicken anderer zu folgen und Ausdrucksformen eines Gegenübers nachzuahmen. Von hier aus entsteht schon früh die Neigung, gemeinsame, kurzfristige Ziele ins Auge zu fassen. Es sind ganz besonders diese gemeinschaftlichen Aktionen zwischen Erwachsenen und Kindern im ersten Lebensjahr, die in letzter Zeit Frühe Bildung für unter Dreijährige steht hoch im Kurs! <?page no="10"?> Einladung zur Lektüre 10 zunehmend die Wissenschaften und die Öffentlichkeit in ihren Bann gezogen haben. Bei genauem Hinschauen wird tatsächlich immer klarer, wie viel mehr bereits Babys zu leisten imstande sind als man in der Vergangenheit vermutet hatte. Damit hat sich eine faszinierende, aber auch recht unübersichtliche Lage ergeben, in der sich hoch spezialisierter Erkenntnisbetrieb in den experimentellen Laboratorien mit bildungspolitischem Elan und mit privatem erzieherischem Ehrgeiz mischt. Frühe Bildung für unter Dreijährige steht hoch im Kurs. Und Geschäftsinteressen breiten sich aus, um besorgten Eltern alles Mögliche für die Lernbereitschaft ihrer Kleinen anzubieten, die angeblich nie wieder so umfassend wie in den allerersten Jahren zur Verfügung steht. Im ersten Teil des Buches wird dieser bunte Betrieb mit einer Reihe von Schlaglichtern beleuchtet. An wen ist das Buch gerichtet, und wer spielt alles mit? I nsgesamt enthält der Text unterschiedliche Szenarien, in denen viele Akteure ihre Rollen spielen. Die wichtigste kommt den Kindern bis zu einem Alter von sechs, sieben Jahren selber zu. Niedergeschrieben ist das Buch für Fachleute, die in Krippen und Kindergärten professionell mit der Betreuung, Bildung und Erziehung von Kindern befasst sind, und für Studierende, die sich in Fach- und Hochschulen, auf pädagogische Berufe vorbereiten. Freilich auch für Mütter und Väter, Großeltern, Angehörige und Freunde, die mit Kindern leben, und die bereit sind, sich auf die Erkenntnisse der Wissenschaften einzulassen. Engagierte Erwachsene sind also das Publikum, das angesprochen wird. Sie alle spielen zugleich selbst als wichtige Akteure mit. Denn schließlich sind sie es, die wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung der Kinder nehmen und sie in Lebens-, Kultur- und Sprach- Ein Buch für alle, die mit Kindern leben! <?page no="11"?> Einladung zur Lektüre 11 welten hineinziehen. Dazu bringen die Älteren in aller Regel ein unverwüstliches Talent mit, denn auch sie sind ja einst durch ebensolchen sozialen Austausch in diese Welten gelangt. Das Thema von Sprache und sozialer Phantasie bleibt also lebenslang präsent und wird über Generationen hinweg immer wieder belebt. Wie verkehren Erwachsene mit Vertrauten, mit Fremden, und wie mit Kindern? Wie viele Sprachspiele werden eigentlich im Alltag verstanden und beherrscht? Manche Formen des sprachlichen Umgangs sind uns geläufig, andere, wie etwa fachsprachliche, können spröde sein und bedürfen oft regelrecht der Umformulierung, um allgemein verstanden zu werden. Unter sich sind Wissenschaftlerinnen nämlich in ihren Publikationen oft kurz angebunden. Es genügt für die Experten, wenn sie sich knapp über neue Fragen und Ergebnisse verständigen, denn im fachlichen Kontext lassen sich die Hintergründe und Zusammenhänge, die allen bekannten sind, rasch andeutungsweise austauschen. In den Szenarien dieses Buchs zählen allerdings auch und gerade diejenigen zu den unentbehrlichen Akteuren, die wissenschaftliches Schrifttum verfassen. Nur: Wie erreichen wissenschaftliche Erkenntnisse den Alltag, wo doch Sie als Leserin oder Leser entscheiden möchten, was sich davon für Ihre Zwecke nutzen lässt? Hier kommt die Rolle der Autorin ins Spiel. Ich möchte für die Einbettung von Forschungsinformationen in verständliche Zusammenhänge sorgen und sie gewissermaßen in eine andere Mitteilungsform bringen. Mein Ziel ist es, wissenschaftliche Diktion ohne Verlust an Aussagekraft und ohne popularisierende Vereinfachung in verständliche - nicht in ‚leichte‘ - Sprache zu übersetzen. Ein regelrechtes Dolmetschen wird dies allerdings nicht sein. Denn bekanntlich werden professionelle Dolmetscherinnen darin geschult, sich bei ihrer Arbeit mit dem, was sie selber denken, zurückzuhalten. Sie dürfen weder gewichten noch kommentieren, sondern müssen das, was sie in einer Sprache verstanden <?page no="12"?> Einladung zur Lektüre 12 haben, genau so in eine andere bringen, dass das Gemeinte übertragen wird - ganz unabhängig davon, wie sie selbst zu dem stehen, was sie übermitteln. Ich allerdings möchte gerade filtern und auswählen, nach bestem Wissen Akzente setzen und durchaus parteiisch den eigenen Überlegungen folgen: Wie kann man Erwachsenen, die Kinder in ihrer Entwicklung begleiten oder sich professionell hierfür ausbilden, die Nutzung von wissenschaftlichen Informationen erleichtern, die allzu oft fachsprachlich verklausuliert und Fachfremden wenig zugänglich sind? Sicher nicht dadurch, dass Widersprüche geglättet und die Sachlagen ungebührlich vereinfacht werden. Eher, indem wissenschaftliche Befunde von außen her auf ihre Relevanz und Reichweite in den Alltag hinein abgeklopft werden und manche beanspruchte Autorität auch einmal kritisch hinterfragt wird. So werden in den einzelnen Kapiteln Szenen aufgerollt, in denen die Akteure miteinander virtuell in Beziehungen treten: Eltern, Erzieherinnen, Studierende, Kinder und ihre Spielgefährten, Sachverständige und Wissenschaftler, und schließlich auch die Autorin als diejenige, die das arrangiert - und sich dabei bemüht, soziale Phantasie für ihre Leserinnen und Leser aufzubringen. Und wie präsentiert sich dieses Buch? I ch habe mir Mühe gegeben, den Text bei allem Anspruch in der Sache allgemein verständlich zu gestalten. Fachliche Vorbildung im engeren Sinn verlangt die Lektüre also nicht. Sie stellt allerdings keine geringen Anforderungen an das Interesse und an die Geduld, sich auf (nicht immer un-) komplizierte Zusammenhänge einzulassen. Möglichst erzählend möchte ich dabei kindliches Entwicklungsgeschehen mit Berichten aus der Forschung verschränken. Der kritische Blick auf Konjunkturen des Erkennt- <?page no="13"?> Einladung zur Lektüre 13 nisbetriebs und seine öffentlichen Rahmenbedingungen wird dabei nicht fehlen. Im Anschluss gibt es einen Anmerkungsapparat, in dem sich Anregungen zu weiterführender Lektüre und an manchen Stellen auch genauere Erläuterungen zu einzelnen Themenbereichen finden. Je nach Interesse mögen Leserinnen und Leser diesen Apparat hier mehr und dort weniger zur Kenntnis nehmen. Im fortlaufenden Text werden nur wenige Verfasser namentlich genannt, und ganz selten gibt es einmal ein Zitat, dafür fortlaufende Ziffern, die auf die entsprechenden Informationen im Anmerkungsteil und im Literaturverzeichnis verweisen. Über die in diesem Apparat ausgewiesenen Quellen ist zu sagen, dass originale Forschungsliteratur in den Bereichen, um die es hier geht, zunehmend in englischer Sprache erscheint, oft sogar dann, wenn sie hierzulande, in Frankreich, Spanien oder in einem anderen nicht englischsprachigen Land verfasst werden. Das mag uns gefallen oder nicht, die Entwicklung lässt sich kaum aufhalten. Ich will so sparsam wie möglich mit diesen Angaben umgehen. Doch sind Belege unverzichtbar. Denn wer wirklich genau über Einzelheiten informiert sein will, kommt auch nach Lektüre dieses Buches nicht ohne eigenen Rückgriff auf originale Forschungsliteratur aus. Mein Hauptanliegen gilt allerdings dem eigentlichen Text. Denn Wissenschaft muss sich auch ‚erzählen‘ lassen. Schließlich gehören ihre Erträge allen, nicht nur den Fachleuten! Alle Versuche, generische Ausdrücke für Personen stilistisch oder grafisch geschlechtergerecht zu variieren, bleiben letztlich unbefriedigend. Deshalb benutze ich im Text ab und zu die weibliche und männliche Form gemeinsam. Ansonsten wechsle ich gerne ab. Irritationen bei Lesern und Leserinnen sind dabei durchaus erwünscht. Wissenschaft muss sich auch ‚erzählen‘ lassen! <?page no="15"?> Die ersten Jahre Mythen, Kommerz und Erkenntnisgewinn: Kontroverses aus aktuellen Diskussionen <?page no="17"?> Die ersten Jahre 17 Erwartungen an die Hirnforschung und die Furcht, ‚Entwicklungsfenster‘ könnten sich schließen Der Ruf nach ‚gehirngerechter‘ Pädagogik S eit einiger Zeit gibt es ein überbordendes Interesse daran, die allerersten Jahre im Leben eines Kindes als die entscheidende Periode wahrzunehmen, in der sich Fähigkeiten anbahnen ließen, die später so nie wieder anzuregen seien. Denn kritische Phasen im Entwicklungsverlauf könnten - so heißt es - ungenutzt verstreichen und biologische ‚Fenster‘, die nur begrenzte Zeit offenstünden, drohten sich zu schließen. In der Vergangenheit wurden solche Befürchtungen einerseits von Übertragungen wissenschaftlicher Befunde aus der Tierwelt ausgelöst: viel beachtete Experimente liegen beispielsweise über den optischen Sinn bei neugeborenen Kätzchen vor. Man hat sie auf einem Auge am Sehen gehindert, und in der Folge konnten sie die Fähigkeit der räumlichen visuellen Wahrnehmung nicht ausbilden, die für die Orientierung so wichtig ist. Zum anderen kamen die Befürchtungen, dass Entwicklungsfenster sich schließen könnten, aus Berichten über einzelne Fälle von Kindern, die vernachlässigt, misshandelt und von menschlicher Kommunikation Hier also spielen die Szenarien des ersten Teils: Auf politischen Foren der westlich-industrialisierten Welt, in Laboratorien, die für die Beobachtung von sogar sehr kleinen Kindern aufgerüstet wurden, auf den Märkten, wo Eltern Angebote für ihre Babys finden, und natürlich in den Kinderzimmern und Krippen. Befassen wir uns zunächst mit neuen Aufrufen zur Bildungsoffensive. <?page no="18"?> Die ersten Jahre 18 fern gehalten worden waren und nie mehr richtig sprechen lernten, nachdem man sie entdeckt hatte. [1] Die Informationen stammen aus ganz unterschiedlichen Forschungsfeldern und beide eignen sich nicht gut zu Verallgemeinerungen. Die erste (die von Kätzchen auf menschliche Babys schließt) unterstreicht zwar die Dringlichkeit von Untersuchungen, mit denen elementare Sinnesfunktionen wie Hörfähigkeit und Sehvermögen überprüft werden müssen. Sie hat aber ansonsten sehr begrenzte Aussagekraft für höhere Funktionsweisen, die für Menschen gelten. Die Berichte aus der zweiten Quelle (über vernachlässigte Kinder) sind ernst zu nehmen, jedoch lassen sie unterschiedliche Erklärungen zu. In jeden Fall zeigen sie, wie umfassend die widrigen Umstände sein müssen, um Menschenkinder daran zu hindern, ihre Sprachfähigkeit auszubilden. Neu an der Diskussion über die Einzigartigkeit der ersten Lebensperiode ist seit einiger Zeit, dass die Furcht vor den Auswirkungen mangelnder Anregung des kindlichen Lernpotenzials sich mit Erwartungen an ‚die‘ Hirnforschung verknüpfen (ein eher populärer Sammelbegriff für ganz unterschiedliche neurologische Forschungsrichtungen), sie könne zur Leitwissenschaft für eine ‚gehirnbasierte Pädagogik‘ werden. Nachhaltige Aufmerksamkeit hat zum Beispiel eine Konferenz im Weißen Haus in Washington erregt, die unter dem Vorsitz von Hillary Clinton im Jahr 1997 stattgefunden hatte und unter der Fragestellung stand: Was kann uns die neue Hirnforschung über die Kleinsten lehren? Der Anlass kann beispielhaft für die große öffentliche Anteilnahme an einem Thema stehen, auf das die Fachwissenschaften sich allerdings nur zögernd einlassen. Fachleute aus der Neurologie waren bei dieser Konferenz nämlich kaum vertreten. Das verwundert nicht, denn gerade diejenigen Neurowissenschaftler, die sich mit der frühen Hirnentwicklung beim Menschen befassen, waren damals und sind immer noch eher damit beschäftigt, zunächst einmal ihre Grund- <?page no="19"?> Die ersten Jahre 19 lagenforschung über die fortschreitenden Vernetzungen im kindlichen Nervensystem voranzutreiben, bevor sie sich auf konkrete Empfehlungen an die Praxis einlassen. Sie finden sich derzeit selten bereit, neuronale Prozesse direkt mit Erfolgen frühpädagogischer Bemühungen in Verbindung zu bringen. Die Vortragenden bei diesem Kongress kamen denn auch vorrangig aus Politik, Medien und Erziehungsorganisationen. Und wenn dabei die Hirnforschung überhaupt erwähnt wurde, dann in Form einleitender Anrufungen einer erhofften letztgültigen Autorität um, derart gestärkt, Mittel für früh einsetzende pädagogische Maßnahmen einzuklagen. Zuweilen klang dabei gar die überzogene Erwartung mit, die Hirnforschung könne nicht nur im Einzelnen die Handreichungen für Erziehung liefern, sondern auch dazu beitragen, im großen Stil sozialen Problemen wie Arbeitslosigkeit, Gewalt und Suchtgefahren zu begegnen. [2] Nun ist ja wirklich nicht von der Hand zu weisen, dass Zuwendung und reichhaltige Anregungen für kleine Kinder nicht nur wünschenswert, sondern lebensnotwendig sind. Deshalb kann man nur begrüßen, dass sich in weiten Teilen der Welt die Bildungspolitik inzwischen den frühen Lebensjahren besonders zugewendet hat und zusätzliche Förderung dort reklamiert, wo sie nötig ist. Neben Mythenbildungen blühen allerdings auch die kommerziellen Interessen auf. Viel Geschäftstüchtigkeit entwickelt sich seither weit über die Vereinigten Staaten hinaus, um ‚gehirnbasierte‘ Programme und Materialien anzubieten. Man möge Säuglingen und Kleinkindern, heißt es, nur viel Musik, poetische Reime und fremde Sprachen anbieten, um sie auf spätere Karrieren vorzubereiten, gar Little Giants aus ihnen zu machen. Das Unternehmen FasTracKids hat unter dem Motto Kinder auf der Überholspur hierzulande bereits Filialen eröffnet und propagiert ‚Bio‘ und ‚Mathe‘ ab zwei Jahren. In Deutschland existieren über 80 Helen Doren-Einrichtungen, in Kinder auf der Überholspur? <?page no="20"?> Die ersten Jahre 20 denen Säuglinge ab der 12. Woche mit ihren Eltern ‚in englische Lieder und Reime eintauchen‘. [3] Das mache die Kleinen nebenbei insgesamt ‚fit‘ für gute zukünftige Leistungen in der Schule und sichere ihnen so einen Vorsprung vor anderen Kindern. Mit den beworbenen Materialien, die übrigens keineswegs billig sind, lasse sich die ‚Synapsenbildung im Gehirn‘ anregen, und je mehr Verbindungen zwischen Nervenzellen sich in den ersten Jahren bilden, desto größeres intellektuelles Potenzial entstünde, um viele kleine Einsteins und Mozarts hervorzubringen. Wie erwähnt, äußern sich Fachleute aus der Neurologie (mit wenigen, aber öffentlich wirksamen Ausnahmen) bis heute vorsichtig, wenn es um Empfehlungen für frühpädagogisches Handeln geht, das unmittelbar aus den Erkenntnissen ihrer Fächer abzuleiten wäre. Eher ist man in den neurologischen Laboratorien und Kliniken damit befasst, grundlagenwissenschaftliche Erkenntnisse über die erstaunliche Reorganisationsfähigkeit der Vernetzungssysteme im Gehirn bei kranken und bei gesunden Menschen auszuloten. Es werden also etwa die Umstrukturierungen untersucht, zu denen neuronale Systeme nach Hirnverletzungen selbsttätig in der Lage sind - oder auch die Veränderungen der neuronalen Steuerung bei Leistungen, die am Anfang viel Aufmerksamkeit und Konzentration erfordern, aber durch viel Übung automatisiert werden können (beispielsweise beim Umgang mit Musikinstrumenten oder auch beim Erwerb der Lesefähigkeit). Die Erkenntnisse sprechen für lebenslang mögliche, durch Erfahrungen herbeigeführte Veränderungen im zentralen Nervensystem. Wie auf dieser Grundlage Lernprozesse erfolgreich beeinflusst werden können, das verbleibt in den Verantwortungsbereichen der Psychologie und Pädagogik. Und was die Synapsen angeht, so ist die neurologische Fachwelt sich einig, dass nach kurzfristiger Überproduktion während des ersten Lebensjahres die Entwicklungsfortschritte eher auf Selektion, Stabilisierung und auf der Beschleunigung von Weiterleitungen zwischen <?page no="21"?> Die ersten Jahre 21 Nervenzellen beruhen, nicht wie in populärem Schrifttum zuweilen behauptet auf ihrem mengenmäßigen Anwachsen. [4] ‚Kritische Phasen‘: Mythen und Fakten K ritische‘ - oder ‚sensible‘ - Zeiträume sind in der Tat für die Entwicklung aller höheren Lebewesen in der Natur nachgewiesen. Das bedeutet, dass während bestimmter Perioden nach der Geburt eine besondere Bereitschaft besteht, sinnliche Wahrnehmungen so in Grundmuster der Erfahrungsbildung zu überführen, dass diese Muster später das Erlernen von künftigen Fähigkeiten möglich machen. Es handelt sich dabei um Wahrnehmungen (und um Reaktionen auf sie), die jeweils für das Überleben der Arten notwendig sind und daher in der Evolution herausgebildet wurden: Zum Beispiel gilt für alle Arten, dass Neugeborene diejenigen erkennen müssen, die für sie sorgen, und dass sie angebotene Nahrung aufzunehmen wissen. Bei Menschenkindern ist die genetisch verankerte Empfänglichkeit für Sprachen ein Bestandteil dieser existenziellen Ausrüstung. Sie bringen eine robuste Bereitschaft mit, in den ersten Lebensjahren das Wortmaterial und die Grundzüge der Bauprinzipien der sie umgebenden Sprachen soweit zu entschlüsseln und selbst zu produzieren, dass sich in der Folgezeit die sprachlichen Kompetenzen je nach Anregung und Lebenspraxis weiter entfalten können. Wie für alle Arten in der Natur gilt auch für menschliche Babys, dass die lebenswichtigen Voraussetzungen in der Umgebung, hier also neben Fürsorge auch sprachliche Anregung, während sensibler Perioden mit höchster Wahrscheinlichkeit zur Verfügung stehen. Falls ein Kind nicht mit großen Einschränkungen zur Welt kommt, werden diese Anregungen auch entsprechend genutzt. Die erwähnte anfängliche Überproduktion der Synapsen stellt unter anderem sicher, dass diese lebensermöglichenden Angebote zuverlässig aufgenommen werden. Auf solcher Basis <?page no="22"?> Die ersten Jahre 22 kann dann die individuelle Erfahrung wirksam werden und für Feinvernetzungen sorgen. Daher setzen bald die Stabilisierungen und die Verstärkung von Verbindungen im neuronalen Geschehen ein. Um das Gesagte noch einmal mit anderen Worten zu unterstreichen: Ein schon länger in der wissenschaftlichen Literatur eingeführtes Begriffspaar kann hilfreich sein, wenn man sich klarmachen möchte, für den Erwerb welcher Fähigkeiten kritische Perioden beim Menschen gelten und für welche nicht. Hierzu wird unterschieden in solche Stimulationen, auf deren Verarbeitung ein sich entwickelndes menschliches Gehirn zum Überleben angewiesen ist, und andere Anregungen, die den Individuen später im Leben entweder angeboten werden oder auch nicht. Auf Englisch heißt diese Unterscheidung experience-expectant und experience-dependant stimuli. Kritische Phasen gelten für die erste Kategorie. Bei uns Menschen also beispielsweise für die Aufnahmebereitschaft (expectance) der Gesichts- und Gehörssinne und eben auch die spezifische Empfänglichkeit für die im Umfeld benutzten Sprachen - nicht jedoch für Klavierspielen oder Lesen und Schreiben, für die in einer Biographie eigens Anregungen erforderlich sind. [5] Zum Mythos geraten die ‚kritischen Phasen‘, wenn die gerade erwähnte Unterscheidung eingeebnet wird, die zwischen dem Erwerb der grundlegenden, lebenssichernden Fähigkeiten auf der einen Seite und dem Lernen aus Anregungen auf der anderen Seite besteht, die der persönlich erfahrenen Lebensgeschichte zu danken sind. So lässt sich nämlich eine ungute Hektik schüren: gut situierte Familien werden dem Druck des Marktes nachkommen und im Glauben, ihre Kinder damit ‚auf die Überholspur‘ zu schicken, in frühestem Alter alles Mögliche an sie herantragen (zum Beispiel Sprachen, die im häuslichen Alltag gar nicht vorkommen). Andere Familien, Der Mythos der ‚kritischen Phase‘ <?page no="23"?> Die ersten Jahre 23 die den Druck ebenso spüren mögen, entwickeln womöglich die belastende Sorge, Versäumtes später nicht nachholen zu können. Die Szenarien in den häuslichen Kinderzimmern und in den Tageseinrichtungen haben sich während der letzten zwei Jahrzehnte verschoben, und zwar hin zur Herausforderung von mehr Leistungsfähigkeit mit dem Ziel der Vorbereitung auf die Schule. Zwar wollen bildungspolitische Intentionen so verstanden werden, dass damit gerade die Kinder aus anregungsärmeren Verhältnissen pädagogisch gefördert werden. Doch lässt sich kaum leugnen, dass diejenigen, die ohnehin viel Anregung genießen, eher noch mehr hiervon profitieren. In den USA, und auch bei uns, beginnt sich jedoch seit einiger Zeit innerhalb der psychologischen und pädagogischen Zünfte der Widerspruch zu regen. Geworben wird dafür, eine gute Balance im Elementarbereich zwischen eher gelenkter Instruktion und solchen Angeboten herzustellen, die der kindlichen Aufgeschlossenheit in dieser Lebensphase besonders entsprechen: kreatives Spiel, freies gemeinschaftliches Erkunden der Umwelt und die selbstbestimmte Eroberung der Vorstellungswelten. [6] <?page no="24"?> Die ersten Jahre 24 Babys im Fokus des wissenschaftlichen Interesses am Umgang mit Sprachlauten W ir betreten jetzt ein typisches schallgeschütztes Tonstudio, das mit viel technischem Gerät ausgestattet ist. Mit dessen Hilfe lassen sich Lautketten aller möglicher Sprachen, auch künstlich erzeugte, präparieren: Man kann sie auf Bildschirmen in fortlaufenden Kurven sichtbar machen, kann sie dehnen, rückwärts spielen oder alle Inhalte herausfiltern, so dass nur die Intonationen hörbar bleiben. Fachleute aus der Linguistik, die die Lautsysteme der Sprachen erforschen, tun dies, um zu untersuchen, wie Versuchspersonen auf solches Reizmaterial reagieren. Es gibt Mikrophone, Lautsprecher, Kopfhörer und Apparate, mit denen die verbalen Antworten der Probanden registriert werden, ihre Hirnströme aufgezeichnet und Computerbilder hergestellt werden, die das Erregungsgeschehen im Gehirn abbilden. Zudem gibt es Sitzarrangements, die es erlauben, Bild- und Tonmaterial so anzubieten, dass man diese Reaktionen im Verein mit nonverbalem Verhalten, zum Beispiel Kopf- und Blickbewegungen, bis ins kleinste Detail vermessen und analysieren kann. Wir verdanken der Arbeit in solchen Laboratorien ein immer präziseres Grundlagenwissen über die menschliche Sprachverarbeitung im präparierten Milieu. Man gewinnt auf diese Weise die Möglichkeit, Theorien über die Lautgestalten der Sprachen und über die Prozesse bei ihrer Wahrnehmung vom einzelnen Phon bis zu Satzketten auf die Probe zu stellen. <?page no="25"?> Die ersten Jahre 25 Wie können denn Babys zeigen, dass sie schon Sprache differenziert verarbeiten? H auptsächlich kommen Erwachsene für solche Untersuchungen in Frage. Seit einiger Zeit werden jedoch Eltern eingeladen, immer jüngere Kinder zu Recherchen vorzustellen - ganz im Sinne des allgemeinen Interesses an kindlichen Kompetenzen zu immer früheren Zeitpunkten. Die bei so kleinen Kindern angewendeten Methoden sind in diesem Fall natürlich ‚nicht invasiv‘, erfordern beispielsweise nicht die bei Erwachsenen üblichen Injektionen in die Blutbahn, um Erregungen im Hirn sichtbar zu machen. Und man versucht natürlich auch, den Anforderungen an menschliche Zugewandtheit gerecht zu werden. Warum sind die Experten so besonders interessiert daran, Babys schon im Verlauf ihres ersten Lebensjahrs zu untersuchen, also noch bevor die Kinder selbst überhaupt richtig zu sprechen beginnen? Der Grund ist: man will herausfinden, was Neugeborene über Sprache an ‚Wissen‘ mitbringen und was sie über Sprachen erst lernen müssen. [7] Es gibt hierüber manchen Streit zwischen unterschiedlichen Positionen. Die eine Meinung geht dahin, Kinder seien von vornherein mit einem umfangreichen Wissen über die universellen Prinzipien menschlicher Sprachen ausgestattet, und es bedürfe der jeweils konkret angebotenen Sprache nur, um dieses Wissen zu kanalisieren und mit Material zu füllen. Die andere Position betont stärker die Rolle der Erfahrung (hiermit ist die aktiv-tätige Verarbeitung von Wahrnehmungen gemeint), die Kinder mit den sie umgebenden Sprachen von früh an machen. Je jünger die kleinen Probandinnen sind, desto mehr scheinen die Argumente für die erste Position zu sprechen: Es zeigt sich nämlich, dass Säuglinge schon kurz nach der Geburt lieber Man will herausfinden, was Neugeborene über Sprache an ‚Wissen‘ mitbringen und was sie über Sprachen erst lernen müssen. <?page no="26"?> Die ersten Jahre 26 vorwärts eingespielte als rückwärts angebotene Sprache hören mögen, sie schätzen also deren natürliche Melodien. Und sie identifizieren in anderen Untersuchungen im linear fortlaufenden, durch Pausen ja gar nicht markierten Sprechfluss, sogar Einheiten. Man kann das überprüfen, indem man in monotoner Abfolge Silbenkomplexe einspielt, die innerhalb und zwischen den ‚Wörtern‘ unterschiedliche statistisch bestimmbare Übergangswahrscheinlichkeiten der Lautfolgen besitzen. - Die Fachliteratur über solche Untersuchungen wächst ständig an. [8] Die Frage ist aber, was heißt das: ‚lieber mögen‘, ‚Melodien schätzen‘, ‚Einheiten identifizieren‘? Da die Kinder sich in dem Alter nicht sprachlich mitteilen können, benötigt man andere Indikatoren. Dafür kommen die ‚nicht invasiven‘ Methoden in Frage: die Aufzeichnung der variablen Saugrate an hochsensiblen Schnullern, die an das Stromnetz angeschlossen sind, oder das Registrieren von Kopfbewegungen hin zu neuen Reizen, oder die Messung der Blickdauer, mit der die Kinder sich einer Reizquelle zuwenden. Solche Verfahren arbeiten stets damit, dass zunächst ein Basisverhalten herbeigeführt wird (eine Saugrate in Ruhezeit, oder die Beendigung einer Fixation, die anzeigt, dass das Kind sich an eine bestimmte Stimulation gewöhnt hat und nicht länger an ihr interessiert ist). Anschließend wird etwas ‚Neues‘ eingeführt, und eine neu einsetzende Reaktion hierauf kann nun als Indiz dafür gewertet werden, dass die Kinder in der Lage sind, Unterscheidungen zwischen ‚Altem‘ und ‚Neuem‘ zu treffen. Ähnlich können auch unterschiedliche Saug- und Blickzeiten als Anzeichen für größeres oder geringeres Interesse an verschiedenen Stimuli interpretiert werden. [9] Die Methoden der Säuglingsforschung sind inzwischen weit entwickelt und werden zur Überprüfung verschiedenster Leistungen eingesetzt. Hinsichtlich der Sprachverarbeitung im ersten Lebensjahr liefern sie eindrucksvolle Belege auch für jene Auffassungen, die stärkeres Gewicht auf Wirkungen der Erfahrung <?page no="27"?> Die ersten Jahre 27 legen, denen die Kinder konkret ausgesetzt sind. In diesem Sinne wird beispielsweise gewertet, dass Neugeborene die Stimme ihrer Mutter gegenüber anderen Stimmen bevorzugen. Man erklärt dies damit, dass die Föten im letzten Drittel der Schwangerschaft bereits über intrauterine (= innerhalb der Gebärmutter) Wahrnehmungen der mütterlichen Sprechrhythmen und Stimmqualitäten verfügen. Kindliches Sprachwissen: angeboren oder erfahrungsgeleitet? G anz unabhängig davon, an welchem Ort der Welt sie geboren werden, erwerben Kinder unweigerlich diejenigen Sprachen, die in ihrer Umgebung benutzt werden. Es ist daher sehr plausibel, dass nach der Geburt zunächst einmal eine unbeschränkte Empfänglichkeit für die Lautqualitäten und Melodien aller existierenden natürlichen Sprachen der Welt (bei Gebärdensprachen für deren manuelle Formen und Rhythmen) vorhanden sein muss. Das lässt sich dadurch belegen, dass (hörende) Säuglinge während der ersten Monate phonologische Kontraste (das sind Merkmale, die der sprachenspezifischen Bedeutungsunterscheidung dienen) auch bei solchen Sprachen unterscheiden können, die man ihnen im Labor einspielt, die in ihrer realen Umgebung aber gar nicht vorkommen. Das scheint wiederum zunächst einmal die Position zu stärken, die auf universelle Anlagen zur Erkennung von Sprachstrukturen setzt. Die Säuglingsforschung bestätigt aber, dass Kinder diese Fähigkeit allmählich einbüßen. Dies deutet nun eher darauf hin, dass mit der alltäglichen Erfahrung die anfängliche Offenheit für alle Systeme bald zugunsten der Konzentration auf die konkret vorgefundenen Sprachen eingeschränkt wird. Es gibt zahlreiche Untersuchungen, die die Anfänge solcher ‚Einbürgerung‘ in die Umgebungssprachen auf die späten Monate des ersten Lebensjahres datieren. <?page no="28"?> Die ersten Jahre 28 Beispiele aus einem Laboratorium D ie Untersuchungen einer Arbeitsgruppe in den USA, die mit Fachleuten in Japan und Taiwan kooperiert, sind besonders berichtenswert: [10] Sie zeigen an einem phonologischen Kontrast, der für die englische Sprache bedeutsam ist (dem Kontrast zwischen l und r, der zum Beispiel dazu verhilft, zwischen law und raw zu unterscheiden), dass auf ihn nicht nur Kinder reagieren, die in englischer Umgebung aufwachsen, sondern zunächst auch Babys, die an das Japanische gewöhnt sind (eine Sprache, die diese Unterscheidung nicht kennt). Beide Kindergruppen lagen im frühen Alter von 6-8 Monaten gleichauf, als ihnen im Labor Sequenzen der Silben la und ra geboten wurden, sie konnten beide überzufällig, nämlich in zwei Dritteln der Fälle einen Wechsel von einer zur anderen Silbe erkennen. Als dieselben Kinder später, zwischen ihrem 10. und 12. Monat noch einmal überprüft wurden, klafften die Ergebnisse jedoch auseinander: Bei den amerikanischen Kindern stieg der Anteil in der Unterscheidungsfähigkeit an, während sich der Anteil bei den japanischen Kindern verringerte. Diese Trefferzahlen liegen insgesamt weit unter dem Erwachsenenniveau Englisch sprechender (wie auch Deutsch sprechender Menschen, denn diese phonologische Unterscheidung gilt auch für unsere Sprache). Aber die Ergebnisse werfen Schlaglichter auf Entwicklungsvorgänge im ersten Lebensjahr: Sie sprechen einerseits für die Bereitschaft (hier der japanischen Kinder), während der ersten Zeit auf einen sprachspezifischen Kontrast auch dann zu reagieren, wenn er in der Ansprache, die sie alltäglich hören, nicht vorkommt. Und sie sprechen andererseits dafür, dass (im Fall der amerikanischen Kinder) sich diese Unterscheidungsfähigkeit mit der täglichen Erfahrung in den folgenden Monaten verbessert. Sie lernen also dazu, während die japanischen Kinder, <?page no="29"?> Die ersten Jahre 29 denen entsprechende Erfahrung fehlt, in ihrer Differenzierungsfähigkeit für diesen phonologischen Kontrast nachlassen. Die Wissenschaftlerinnen haben für ihre Demonstration die ja geradezu sprichwörtlichen Probleme mit dem l und r im fernöstlichen Raum gewählt, die dort zum Beispiel das Deutsch- oder Englischlernen in späterem Alter erschweren. Das ist aber kein Einzelfall. Dieselbe Arbeitsgruppe hat ganz ähnliche Beobachtungen auch mit anderen phonologischen Kontrasten gemacht, nämlich bei Babys in Taiwan und in den USA mit einem Kontrast, der für die Mandarin-Sprache gilt, nicht aber für das Englische. Bestätigung hat man auch bei amerikanischen Babys gefunden, die in ihrem 10. Monat verschiedene Male für jeweils etwa eine halbe Stunde im Labor ‚Spanisch-Unterricht‘ bekommen haben, indem freundliche Forschungsassistentinnen mit den Kindern spielten und dabei Spanisch sprachen. Die Kinder hatten nach dieser Zeit tatsächlich etwas ‚gelernt‘. Sie konnten überzufällig, also im statistischen Sinne ‚signifikant‘, einen bestimmten Phonem-Kontrast berücksichtigen, der zwar für das Spanische, nicht aber für das Englische relevant ist. Die Kinder verfügten über diese Fähigkeit auch noch einige Zeit nach der letzten Spielsitzung, als man sie noch einmal untersucht hat. In derselben Studie hat man die Kinder vor und nach der Experimentierphase auch auf die Unterscheidungsfähigkeit bei einem bestimmten Kontrast ihrer Muttersprache Englisch überprüft, von der man weiß, wie sie sich in diesem Alter in der Regel weiter entwickelt. Außerhalb der Laborsitzungen befanden sich die Kinder ja weiterhin in ihrer englischsprachigen Umgebung. Es hatte sich nämlich die Frage gestellt, ob die Episoden mit einer fremden Sprache und deren nachgewiesener Lernerfolg etwa den allgemein zu erwartenden Fortschritt für Phonem-Diskriminierungen in der eigenen Die Sorge ist unbegründet, dass es Kindern schade, wenn sie früh mehr als eine Sprache hören! <?page no="30"?> Die ersten Jahre 30 Sprache beeinträchtigen könnten. Indem sich das ausschließen ließ, dürfen wir diesen Befund als ein kleines Lehrstück gegen den Mythos verstehen, kleine Kinder seien mit mehr als einer Sprache überfordert. Solche subtilen Beobachtungen sind nur unter strengen Laborbedingungen möglich. Das heißt, man untersucht die Wirkung einzelner, isolierter Faktoren auf die Reaktionen der Probanden und trachtet danach, alle anderen möglichen Einflüsse unter Kontrolle zu halten. Die Ergebnisse werden meist in Form von Differenzen (entweder zwischen Versuchsgruppen oder zwischen Messungen an Einzelpersonen zu unterschiedlichen Zeitpunkten) formuliert und stehen immer unter dem Vorbehalt von Wahrscheinlichkeiten. Damit lässt sich die nie vollends abzusichernde Kontrolle anderer Verursachungen immerhin statistisch beziffern. Die Befunde sind hier, auf unserem ersten Schauplatz eines wissenschaftlichen Experimentierfeldes mit Absicht in einiger Ausführlichkeit geschildert worden, und zwar um ihre Künstlichkeit hervorzuheben. Was können solche Untersuchungen im streng kontrollierten Milieu uns überhaupt für die Orientierung im Alltag bieten, wo es doch nie vorkommt, dass eine Einflussgröße allein für ein Verhalten wirksam ist, und wo es um Individuen mit ihren jeweiligen Geschichten geht, nicht um ‚Versuchspersonen‘? Die Frage ist ernst zu nehmen, und sie wird in diesem Buch noch häufiger zu stellen sein. In dem soeben vorgestellten Fall, der die Eingewöhnung kleiner Kinder in die Lautgestalten der umgebenden Sprachen betraf, lässt sich festhalten: Die Menschen sind von ihrer genetischen Ausstattung her darauf vorbereitet, sich Sprachen anzueignen. Und sie leisten schon im ersten Lebensjahr, bevor überhaupt irgendwelche explizit mit Babys bringen die Fähgkeit mit, sich zugleich auf mehrere Sprachen einzustellen! <?page no="31"?> Die ersten Jahre 31 Sprache verknüpften Inhalte für sie eine Rolle spielen, eine Menge Vorarbeit dafür, um später die Zusammenhänge von Lauten und Bedeutungen, auf denen alle Lautsprachen beruhen, wahrzunehmen und in ihren eigenen Produktionen zu realisieren. Darüber hinaus lehren uns die Experimente, gerade weil sie so künstlich angelegt sind, dass Säuglinge nicht auf die phonematischen Besonderheiten einer einzigen Sprache festgelegt sind. Wie sonst ließen sich schon zu einem so frühen Zeitpunkt verlässliche Belege dafür gewinnen, dass die Menschen nicht nur bereit sind, die Sprache ihrer Umgebung auszubilden, sondern auch von vornherein die Möglichkeit mitbringen, mehrsprachig zu werden? <?page no="32"?> Die ersten Jahre 32 Hintergründe der frühkindlichen Fähigkeit zur Lautunterscheidung F achleuten der Phonologie geht es auch dann, wenn sie Eltern mit ihren Säuglingen in die Laboratorien bitten, in erster Linie darum, Theorien über Regeln der Lautgestalten von Sprachen zu entwickeln und zu erproben. Sie haben nicht vor, damit pädagogische Ratschläge zu vermitteln. Sie interessieren sich dafür, ob auch Babys, die hier Versuchspersonen sind, solche Regeln der Lautsysteme herausfinden - die Babys tun das tatsächlich, allerdings ganz intuitiv. Sie werden diese Regeln nie formulieren können, falls sie sich später im Leben nicht gerade für Sprachwissenschaft zu interessieren beginnen. Im Labor sind sie, wie beschrieben, in der Lage, anhand präparierter Stimulation manche Aussagen der Fachleute zu bestätigen, und dies obwohl sie im Alltag ja eher an ein buntes Stimmengewirr gewöhnt sind: weibliche und männliche Stimmen, junge und alte, leise und näselnde. Dass Säuglinge von früh an phonematische (lautliche) Unterscheidungen treffen können, steht also fest, doch wie kommen sie dazu, sich in dem Stimmengewirr, dem sie alle konkret ausgesetzt sind, eine Übersicht zu verschaffen? ‚Kategoriale‘ Sprachwahrnehmung und das eigene Artikulieren I m Umkreis der Arbeitsgruppen, die Babys mit Konsonantenkontrasten auf die Probe stellen, wird auch an diesem Fragenkomplex intensiv gearbeitet, vor allem, wenn nicht nur Linguisten, sondern auch Psychologinnen und Psychologen beteiligt sind. [11] Wichtige Stichpunkte in der Diskussion sind: die ‚kategoriale‘ auditive Wahrnehmung und die enge Verknüpfung von akustischen <?page no="33"?> Die ersten Jahre 33 mit artikulatorischen Informationen. Beide Vorgänge greifen ineinander, aber der Übersichtlichkeit halber, und um des besseren Verständnisses willen, werde ich die Punkte einzeln abhandeln: Unter kategorialer auditiver Sprachwahrnehmung versteht man die Strategie, die uns eine Vielzahl an vokalen Realisierungen rund um einen bestimmten Laut herum als eben diesen bestimmten Laut wahrnehmen lässt. Stellen Sie sich vor, man würde Ihnen schrittweise alle möglichen Zwischentöne vorspielen, die es in der Realität rund um ein wohlgeformtes pa und rund um ein wohlgeformtes ba ja durchaus gibt (selbst wenn sie verwaschen ausgesprochen werden, kann man in Silben und Wörtern des Deutschen einen phonematischen Kontrast etwa den zwischen Paare und Bahre wahrnehmen). Eine ganze Weile würden Sie ein p hören, aber von einem bestimmten Punkt an würden Sie berichten, Sie hörten ein b. Es ist, als ob es irgendwo jeweils in der Mitte der Strecke eine ideale Ausformung gäbe, die bei der Wahrnehmung wie ein Magnet die jeweils angrenzenden Annäherungen an sich zieht. Kinder bilden im Umgang mit der Sprache, die sie hören, dank solcher ‚kategorialen‘ Wahrnehmungsstrategien offenbar früh eine Toleranz für Varianten der Realisierung von Lauten, Lautkomplexen und Wörtern aus. Diese Vorgänge müssen etwas damit zu tun haben, dass die akustischen Sprachreize, von anderen gesprochen und an das kindliche Gehirn gelangend, sich mit den internen (in der Fachsprache ‚propriozeptiv‘ oder ‚kinästhetisch‘ genannten) Rückmeldungen verkoppeln, die über die eigenen Sprechbewegungen im Gehirn ankommen. Man kann also sagen, dass Kinder Lautkomplexe, die sie hören, den Mustern zuordnen, die von ihren eigenen Artikulationen an das Gehirn geschickt werden. Das spielt sich schon nach einigen Monaten ein und wird manifest, wenn die Kinder in Tonfall und Silbenwiederholungen das aufgreifen, Wahrnehmungsstrategien der Kinder <?page no="34"?> Die ersten Jahre 34 was sie von anderen hören. Man bezeichnet dieses Stadium als ‚kanonisches‘ (den rhythmischen Mustern der Sprachen folgendes) Plappern, und tatsächlich können Kinder ab dann an ihrem Plappern den jeweiligen Umgebungssprachen zugeordnet werden, vor allem wenn man dies im Labor genau analysiert. Durch solche beginnenden Imitationen üben sich die Kinder zugleich darin, die akustischen Wahrnehmungen ihrer eigenen Lautproduktion mit dem zu vergleichen, was sie von anderen hören, und sich diesem anzunähern. Wir treffen hier, am Fall des Einstiegs in die Sprache, zum ersten Mal auf eine Konstellation, die als eine Grundlage für die gesamte sozial-kognitive Entwicklung diskutiert wird: die sensumotorische Abgleichung und Verkopplung von Wahrnehmungsvorgängen mit der multisensorischen (hier akustischen und motorischen) Verarbeitung des eigenen Verhaltens. [12] Der Einlass in die Welt der Sprachen führt über den Kontakt mit anderen Menschen D ies alles spielt sich nun im nahen Kontakt ab, in dem kleine Kinder sich mit ihren Bezugspersonen in der ersten Zeit besonders häufig befinden. Man kann in diesem affektiv gestimmten Erlebnisraum davon ausgehen, dass für die Kinder nicht nur akustische und eigenmotorische Wahrnehmungen ineinander greifen, sondern auch die taktile und visuelle Aufnahme von Mimik und Bewegung ihres Gegenübers in die ganzheitliche Verarbeitung des kommunikativen Geschehens mit einfließen. Genaue Beobachtungen sind freilich nur möglich, wenn einzelne Aspekte aus der komplexen Realsituation herausgelöst und kontrollierten Untersuchungen zugeführt werden. Laborbedingungen mögen von der Reichhaltigkeit und Intimität des Alltags weit entfernt sein. Sie ermöglichen jedoch konkrete Belege dafür, dass tatsäch- <?page no="35"?> Die ersten Jahre 35 lich die verschiedenen Sinne beteiligt sind, wenn die Kinder ihre beginnende Sprachwahrnehmung entwickeln. In diesem Sinn darf man empirische Nachweise interpretieren, die beispielsweise belegen, dass Säuglinge im Alter von vier Monaten - stellt man sie vor die Wahl von zwei verschiedenen Videoeinspielungen - diejenige bevorzugen, bei der die akustischen Signale mit den visuell wahrgenommenen Mundbewegungen übereinstimmen (was der natürlichen Situation entspricht). Manipulierte Einspielungen, bei der die Laute mit einem anderen Mundbild unterlegt sind, fixieren die Babys weniger lange. Mit ähnlichen Methoden ist auch erwiesen worden, dass Säuglinge zwischen einer freundlichen und einer traurigen Miene unterscheiden und ihnen fröhliche und traurige Stimmen zuordnen können - ein Beleg für die frühe multisensorische Empfänglichkeit für emotionale Botschaften! [13] Erwachsene kommen der Lernbereitschaft der Babys spontan entgegen: Es gibt diese eigenartige Ansprache an ganz kleine Kinder, in die fast alle Älteren (zumindest in Gesellschaften, die uns vertraut sind) ganz automatisch verfallen: eine übertriebene Betonung in kurzen Äußerungen mit vielen Wiederholungen der markanten Wörter und Wendungen, meist mit einer etwas höheren Stimmlage als gewohnt, und doch die Stimme so variierend, dass sie den Kindern gleichsam eine Bandbreite möglicher Realisierungen ihrer Sprache vorführen. Das hilft ganz offensichtlich den sprachlernbereiten Säuglingen, phonetische und rhythmische Einheiten herauszuhören und sich in frühe Dialoge einzuklinken. Später, wenn man mit Kindern ‚vernünftig‘ reden kann, verliert sich diese Form der Ansprache. Wir alle sollten uns allerdings klar darüber sein, dass es für Kinder, die mit einer anderen Ausgangssprache und wenig Deutsch in eine Kita kommen oder Belege für frühe multisensorische Empfänglichkeit für emotionale Botschaften <?page no="36"?> Die ersten Jahre 36 die wir in der Nachbarschaft antreffen, auch dann noch hilfreich ist, wenn wir von Angesicht zu Angesicht, mit ausgeprägter Betonung und vielen Wiederholungen der markanten Wendungen in deutscher Sprache auf sie zugehen. Lebendige Menschen als Gegenüber sind also das Medium, auf das Kinder für ihren Spracherwerb angewiesen sind. Es ist undenkbar, dass sie durch Lautsprecher oder Videopräsentationen ersetzt werden könnten. Dies mögen Sie für eine banale Aussage halten. Aber bedenken Sie, dass es überzeugende Belege hierfür gibt, die nur mit Hilfe kontrollierter Verfahren im Labor zu erlangen sind. Zum Beispiel diesen Beleg: Die Lernerfolge bei der Unterscheidung von Lautkontrasten des Mandarin und des Spanischen bei amerikanischen Kindern im Alter von 8-10 Monaten, die zuvor beschrieben wurden, hatten die Forscher auch dazu angeregt, mit neuen Kindergruppen die Wirkung unterschiedlicher Formen der Ansprache zu überprüfen. Sie haben drei Gruppen eine identische Sprachprobe auf medial unterschiedliche Weise präsentiert: Einer Gruppe durch eine reale Person, die unmittelbar mit den Kindern interagiert hat, einer anderen durch eine Videovorführung mit Bild und Ton, und schließlich der dritten Gruppe mittels einer reinen Tonaufnahme. Die Lernerfolge der ursprünglichen Untersuchung zeigten sich nur in der Situation mit dem realen menschlichen Gegenüber. Die Kindergruppen, die dieselbe verbale Stimulation über die technischen Mittel erfahren hatten, unterschieden sich nicht von einer Kontrollgruppe, die weder Mandarin noch Spanisch, sondern in der Experimentalzeit nur Englisch gehört hatten. Damit wird bekräftigt: Der Einlass in die Welt der Sprachen führt ausschließlich über den unmittelbaren Kontakt mit anderen Menschen. Zwar nehmen auch kleine Kinder längst am Me- Der Einlass in die Welt der Sprachen führt ausschließlich über den unmittelbaren Kontakt mit anderen Menschen! <?page no="37"?> Die ersten Jahre 37 dienangebot teil, und das Betrachten kindgemäßer Produktionen kann ab einem späteren Alter durchaus bereichernd sein, wenn es gut begleitet wird. Eine Erwartung jedoch, dass Babys etwa durch Fernsehen von Grund auf zu ihrer Sprachentwicklung angeregt werden könnten, ist nicht gerechtfertigt. Babys, die man stundenlang vor dem Fernseher parkt, ziehen daraus keinerlei Gewinn. [14] Die Unersetzlichkeit konkreter, naher Menschen gilt indes nicht nur für Sprachen, sondern auch für andere soziale Lernbereiche, wie in den nächsten Kapiteln dargestellt werden sollen. Babys, die man stundenlang vor dem Fernseher parkt, ziehen daraus keinerlei Gewinn! <?page no="38"?> Die ersten Jahre 38 Wer übernimmt die Führung beim ‚Tanz‘ in die interpersonale Beziehung? M enschliche Babys kommen in einem Zustand der vollkommenen Abhängigkeit von anderen auf die Welt, und dieser Zustand hält eine ganze Weile an. Sie appellieren mit ihrer ganzen Existenz an soziale Fähigkeiten ihrer Mitmenschen, und reagieren auf deren Handlungen - neben der verbalen Ansprache vor allem auf Gesichter und Bewegungen. Auf ihre Weise beteiligen sich Babys so daran, Beziehungen aufzubauen und sozialen Austausch zu gestalten. Es ist, als ob sie mitteilten: ‚ich tu, was du machst - und kann dich dazu bringen, zu machen, was ich tue‘. Regelrechte Grundmuster zwischenmenschlicher Choreografie sind beschrieben worden, und schon vor Jahrzehnten hat ein bekannter und noch immer gern gelesener Autor, Daniel Stern, hierfür die Metapher des ‚Tanzes‘ eingeführt. Eine Betreuungsperson, die Spaß daran hat, mit ihrer Stimme, ihrem Gesicht, Kopf und Körper wie auf natürlichen Instrumenten zu ‚spielen‘ und sie als solche für ihr Baby und mit ihm ‚konzertierend‘ einzusetzen, ist affektiv ‚lebendig‘ … Wenn sie Spaß hat, wird ihr Verhalten aus jenen vom Kleinkind ausgelösten sozialen Verhaltensweisen bestehen, die eine lange Evolution als die beste ‚Ton-und-Bild-Schau‘ vorgeprägt hat, die es für Kleinkinder überhaupt gibt. Hat sie keinen Spaß, sondern mimt ihn nur oder spult bloß die Bewegungen ab, so wird der Tag für das Paar wenig ersprießlich sein oder die Spielsitzung kürzer geraten als sonst, oder es findet gar kein Tanz statt. Wenn das Baby in dem Sinne Spaß hat, dass das Verhalten seiner Mutter für es interessant genug ist, um seine Aufmerksamkeit zu fesseln und sein Erregungsniveau innerhalb eines Bereichs und Zeitrahmens <?page no="39"?> Die ersten Jahre 39 zu verschieben, wo erfreuliche affektive Erfahrungen entstehen, wird es sein Interesse und Vergnügen durch Lächeln und Glucksen und munteren Eifer in Blick und Miene bekunden. (Stern 1979, 91) Zu Recht hebt der Autor hiermit auf die große Bedeutung der ‚Feinfühligkeit‘ von Bezugspersonen im Umgang mit Säuglingen ab. Solche Interaktionsmuster können, wie Stern es formuliert, „den Eindruck mühelos erzielter Schönheit“ machen, aber auch „für den künftigen Entwicklungsverlauf Unheil verheißen“. Denn auch falsche Schritte beim Tanz sind möglich, wenn die intuitive Didaktik versagt, wenn zu karge Signale oder umgekehrt allzu zudringliche Stimulation geboten werden. Der glückliche oder weniger glückliche weitere Verlauf dieser ‚ersten Beziehung‘ wird seit langem von der Bindungsforschung untersucht, die auch einem breiten Publikum recht vertraut ist. Sie ist jahrzehntelang auf Stile der Beziehung zwischen der leiblichen Mutter und ihrem Kind konzentriert gewesen, hat entsprechende Methoden zur Feststellung von Bindungstypen entwickelt und insgesamt recht einseitig die längerfristigen Auswirkungen mütterlichen Verhaltens auf die kindliche Persönlichkeit thematisiert. Neuere Entwicklungen dieser Forschungsrichtung sind offener für die Untersuchung der Beziehungsgestaltung mit Kleinkindern, auch über die Mutter-Kind-Bindung hinaus. Damit lassen sich wichtige Argumente in die öffentliche Debatte über außerhäusliche Betreuung von Kleinkindern unter drei Jahren einbringen. [15] <?page no="40"?> Die ersten Jahre 40 Mit der Nachahmung beginnt das soziale Lernen I n neueren Beiträgen der Kleinkindforschung kommen deutlich die interaktionellen Wirkungen der kindlichen Eigenaktivität ins Spiel, die schon Daniel Stern beim ‚Tanz‘ in die Beziehungen beschrieben hatte. Im Detail werden die Mechanismen, und vor allem die Funktionen, des Imitationsverhaltens für die weitere Entwicklung untersucht, das schon bei ganz kleinen Kindern beobachtet werden kann. Die Gabe der Nachahmung gilt weithin als Hinweis darauf, dass Babys die Menschen, die sie umgeben, bereits sehr früh, wenn nicht von Anfang an, zunächst diffus und dann immer konkreter als Ihresgleichen wahrnehmen. So ganz und gar auf andere angewiesen, wie Neugeborene sind, hat die Natur sie mit einem sehr empfänglichen Nervenapparat ausgerüstet, der sie befähigt, individuelle Erfahrungen systemgerecht (wie gleich zu zeigen ist) zu organisieren und so im Lauf der Zeit zu sozialen Persönlichkeiten mit ganz unverwechselbarer Lebensgeschichte zu werden. Die eigene Tätigkeit als Motor der Entwicklung E s geht gar nicht um ‚eingeborene‘, bei der Geburt schon vorhandene Fähigkeiten, eher um mitgebrachte Bereitschaften, die Anregungen von außen so zu verarbeiten, dass sich hieraus Kompetenzen entwickeln können. Denn alles, was sich Kinder aneignen, wird mobilisiert durch eigene Tätigkeit. Die motorisch ausgeübte Aktivität im weitesten Sinne, mit steigendem Alter jedoch auch die gedankliche und vor allem die Alles, was sich Kinder aneignen, wird mobilisiert durch eigene Tätigkeit! <?page no="41"?> Die ersten Jahre 41 soziale eigene Aktivität im engen Kontakt mit anderen Menschen sind es, die sich in das lernfähige Nervensystem einschreiben und die Biografie gestalten werden. Was bedeutet das aber: individuelle Erfahrung systemgerecht zu organisieren? Gehen wir ganz zum Anfang und betrachten, wie sich die Bewegungen, die ein Kind bei anderen beobachtet, mit seiner eigenen Motorik verkoppeln. Neugeborene sind besonders konzentriert auf Bewegungen der Hände und auf den mimischen Ausdruck von Gesichtern. Sie fangen spätestens nach einem Monat an, die Mimik zu imitieren, die sie beim Gegenüber beobachten. In gut kontrollierten Experimenten hat man sogar herausgefunden, dass sie schon kurz nach der Geburt zum Beispiel ihren Mund öffnen und die Zunge in der Weise bewegen, wie Erwachsene es ihnen vormachen. [16] Man könnte das anekdotisch auffassen und denken, Erwachsene interpretierten gern in die Babys etwas hinein, was sie zu sehen meinen oder wünschen. Aber es stehen komplizierte Versuchsanordnungen hinter solchen Feststellungen. Man filmt hierfür nicht nur die Vorgänge im Labor, sondern legt anschließend die Teile der Videos, auf denen nur die Babys zu sehen sind, unbeteiligten Beurteilern vor, die nicht wissen, was die Erwachsenen gerade an Mimik vorgeführt hatten. Man muss also schon nach gut begründbaren Erklärungen für solche sorgfältig erarbeiteten und statistisch abgesicherten Befunde suchen. Ginge es nämlich nur darum, zu verstehen, wie ein Baby beispielsweise dazu kommt, beide Händchen zusammenzuführen, wie es ihm gerade eine Betreuerin vormacht, dann käme einfaches Assoziationslernen als Erklärung in Betracht. Das Baby hat die Hände des anderen ebenso im Blick wie seine eigenen - eine schlichte Verkettung von visueller Wahrnehmung und motorischer Kontrolle, wie sie bei zahllosen anderen Lebewesen in der Natur beobachtet werden kann. Dagegen ein Baby, das sieht, wie jemand die Zunge zwischen den Mundwinkeln hin und her be- <?page no="42"?> Die ersten Jahre 42 wegt, und daraufhin dasselbe tut? Babys haben ja keine visuelle Wahrnehmung des eigenen Antlitzes. Erst viel später können Kinder ihr Spiegelbild entdecken. Es muss also, über die Möglichkeit hinaus, Assoziationen zwischen visuellen Wahrnehmungen und motorischen Aktionen herzustellen, ein verbindendes Glied existieren, mit dem eine weitere Information in den Verarbeitungsprozess eingebracht wird. Wir reagieren auf die Bewegungen anderer mit eigenen Nervenerregungen S eit langem wird die interne (‚kinästhetisch‘ oder ‚propriozeptiv‘ genannte) Rückmeldung der eigenen Aktivität als ein solches Verbindungsglied diskutiert. Die Mutmaßungen gehen dahin, dass gleich nach der Geburt bei der Beobachtung eines sich im Nahraum bewegenden menschlichen Gesichts automatisch eine kinästhetische Eigenerfahrung (also die interne Wahrnehmung von entsprechenden eigenen Bewegungsmustern) geschieht, die eine nachahmende Ausführung steuert. Die Wahrnehmung dessen, was andere tun und die interne Rückmeldung des eigenen Tuns scheinen also ähnliche Codes zu benutzen. Wir sind dem Phänomen im Zusammenhang mit der Eingewöhnung in sprachliche ‚Dialoge‘ beim kindlichen Plappern schon einmal begegnet. Unter dem Schlagwort der ‚Spiegelneuronen‘ werden solche sensu-motorischen Steuerungen seit einiger Zeit diskutiert. Sie werden auch mit dem ‚Verstehen‘ von Handlungen anderer in Verbindung gebracht; als die neuronale Basis zwischenmenschlicher psychischer Einfühlungsvorgänge und anderem mehr wird ihre Bedeutung allerdings gewiss überdehnt. [17] Immerhin dürfte solcher Gleichklang zwischen der Beobachtung anderer und der eigenen Aktivität wie er sich zunächst im unmittelbaren sozialen Beieinander einspielt, Spuren im Nervensystem hinterlassen und damit bald ein Gedächtnis für Ereignisse <?page no="43"?> Die ersten Jahre 43 im sozialen Raum begründen. Im Alltag lässt sich das nur schwer erfassen. Laborversuche konnten jedoch sicherstellen, dass Babys ab einem halben Jahr durch ihr Verhalten mitteilen können, dass sie in der Lage sind, eine fremde Person (also nicht nur ihre Vertrauten) nach einer zwischenzeitlichen Abwesenheit wiederzuerkennen: Sie wurden nämlich dabei beobachtet, wie sie markante Bewegungen ausführten, die sie einen Tag zuvor bei dieser Person beobachtet hatten, so als ob sie fragen wollten: ‚Bist du das, mit dem ich das Spiel schon gespielt habe? ‘ Die Wahrnehmung einer Handlung und die spätere eigene Ausführung, können also zeitlich auseinander treten, und dies dank ansteigender Erfahrung zuverlässig nach immer größeren Zeitabständen. Wir dürfen hierin die ersten Anzeichen einer Unterscheidung zwischen dem Selbst und einem Gegenüber sehen, und können solche kindlichen Handlungen als den Versuch interpretieren, sich dieses Gegenübers als bereits bekannt zu versichern. Im zweiten Teil dieses Buchs wird ausführlicher erläutert, wie sich auf dieser Basis später der kreative soziale Austausch unter Individuen und die Weitergabe kultureller Praxis zwischen Generationen und Gruppen entwickeln werden. Diese besonderen systemischen Verfahren sozialer Organisation finden sich nach allem, was wir wissen, nur zwischen Menschen. Sie begründen wesentliche, unserer Gattung vorbehaltene Formen des Lernens, zu denen nicht zuletzt auch die Aneignung unterschiedlicher sprachlicher Register in Interaktionen zählt. [18] Bist du das, mit dem ich das Spiel schon gespielt habe? <?page no="44"?> Die ersten Jahre 44 Über die Zweisamkeit hinaus: Geteilte Aufmerksamkeit und hinweisende Gesten auf dem Weg zum verbalen Austausch M it Blicken, Bewegungen und Vokalisationen reagieren Babys im ersten Jahr besonders deutlich auf die Menschen, die sich ihnen intensiv zuwenden - aber auch schon auf Gegenstände in ihrer Umgebung, vor allem, wenn sie überraschend auftauchen oder sich bewegen. Beides, die Aufmerksamkeit auf Menschen und auf Objekte, geschieht jedoch zunächst voneinander getrennt. Kurz vor dem ersten Geburtstag ereignet sich nun in der Regel etwas sehr Bedeutsames: das Interesse der Kinder beginnt, zwischen den Gesprächspartnern und dem Umfeld hin und her zu pendeln, und das Zeigen wird zum sichtbar intendierten Hinweis, worauf sich die Aufmerksamkeit der Partnerin richten soll. Zeigen bedeutet fast schon reden D abei ist entscheidend, dass die Kinder sich der gemeinsamen Konzentration auf einen Gesprächsgegenstand vergewissern, indem sie ihre Blicke zwischen dem durch Gesten bezeichneten Objekt und der Partnerin (oder dem Partner) hin und her bewegen, ganz so als ob sie sagen wollten ‚ich will, dass du siehst, was ich meine‘. Das ist der Beginn. Im nächsten Schritt kommen Wünsche und Intentionen hinzu. Zum Beispiel: Das Glas vor dem Kind ist leer. Es deutet darauf und schaut auf die Flasche mit dem Saft, wechselt den Blick zur Partnerin und zeigt sich zufrieden, wenn es mehr vom Saft bekommt. Zeigen und Blicken bilden zusammen eine Keimzelle für den Versuch, das Denken und Tun anderer zu beeinflussen, schon bevor dies mittels Sprache geschehen kann. <?page no="45"?> Die ersten Jahre 45 Umgekehrt erkunden Kinder die Absichten anderer, legen beispielsweise einen Gummiring, auf den ein Erwachsener beim Aufräumen zeigt, in den Korb - führen aber, wenn die Partnerin beim Turmbauen darauf zeigt, dasselbe Spielzeug zum Gerüst, auf dem die Ringe gestapelt werden. Es geht also mit dem Zeigen nicht mehr nur darum, auf etwas hinzudeuten, weil es da ist oder weil man es haben möchte. Vielmehr geht es um sozial motiviertes Handeln aus ganz bestimmten Gründen, darum nämlich, auf eine Person je nach Situation einen bestimmten Einfluss zu nehmen - beziehungsweise darum, den Absichten nachzukommen, die das Kind dem anderen unterstellt. [19] Zu all dem leiten die Erwachsenen die Kinder an, denn auch sie vergewissern sich durch Blickwechsel und Mimik zwischen dem Gemeinten und dem angesprochenen Kind darüber, dass ihre Botschaften dort auch empfangen werden. Die Kinder plappern noch dabei, aber die Erwachsenen (auch ältere Kinder) sind ganz intuitiv darauf eingestellt, bei diesem Spiel zu reden, den Geschehnissen und den Dingen Namen und Erläuterungen zu geben. Sie machen die Kleinen auf Ereignisse aufmerksam und teilen ihnen mit, wie sie selber zu dem Geschehen stehen, und was man mit den Dingen machen kann. Auf derart geteilter Aufmerksamkeit und hinweisenden Kommentaren beruht die Fortentwicklung des gemeinsamen Handelns hin zum mitteilenden Dialog über Sachen und Ereignisse. Gestische Verständigung setzt viel mehr als nur Vokabellernen in Gang D ie Erfahrung lehrt, dass durchaus auch Babys ihre Mütter und Väter ‚erziehen‘, manchmal sogar drangsalieren können. Noch Hinter dem Zeigen und Blicken steht mehr als ‚ich will das haben‘! <?page no="46"?> Die ersten Jahre 46 lange führen die Erwachsenen in diesen Dialogen die Regie. Aber schon früh sind Zeigegesten, die dabei verwendet werden, auf beiden Seiten mehr als bloße Hinweise auf die Dinge als solche. Die Rede, die die Gesten der Erwachsenen begleitet, dient nicht nur dem Vorführen passender Wörter, sie untermalt vielmehr die Bedeutung, die die Gegenstände haben. Für die Gesten der Kinder und ihr noch wenig verständliches Plappern gilt Entsprechendes: Wir dürfen davon ausgehen, dass auch hier bereits Erwartungen wirksam sind, die anderen verstünden, was sie mit ihrer Mitteilung beabsichtigen. Gesten, zusammen mit Mimik, Lauten und Blicken spielen also eine bedeutende Rolle für den Eintritt in die Welt der Sprachen. Ein entscheidender Durchbruch geschieht, wenn Kinder von sich aus hinweisende Gesten mit Artikulationen verbinden, die nicht einfach Benennungen der Dinge oder unmittelbarer Ausdruck für ‚haben wollen‘ sind; wenn sie damit nämlich über die Dinge etwas Erläuterndes mitteilen wollen - etwa durch die Zeigegeste auf ein paar Hausschuhe, verbunden mit einem noch unbeholfenen mama: ganz automatisch bekräftigen wir die Kinder daraufhin: ‚Ja, das sind die Hausschuhe von Mama, sie kommt bald von der Arbeit nach Hause.‘ Wir erweitern die kindliche Kombination von Wort und Geste zu ganzen Sätzen und drücken damit das aus, was die Kinder unserem Empfinden nach gemeint haben. Es ist das Verhalten der Kinder, das uns zu Reaktionen provoziert, mit denen wir wiederum ihren Spracherwerb unterstützen. Dieses Muster wird uns noch häufig begegnen: Wie Kinder in die Gestaltung ihrer Umwelt eingreifen und auf diese Weise Erwachsene zu Handlungen veranlassen, die dann wiederum Unterstützung dabei leisten, Es ist das Verhalten der Kinder, das uns zu Reaktionen provoziert, mit denen wir wiederum ihren Spracherwerb unterstützen. <?page no="47"?> Die ersten Jahre 47 dass Kinder weitere Schritte in die ‚Zonen der nächsten Entwicklung‘ tun. [20] Es ist wichtig zu verstehen, dass die Kinder mit ihren ersten Verknüpfungen von körperlichem Verhalten und Artikulationen nicht nur ihr Wörterlernen beginnen, sondern durchaus bereits Aussagen über Situationen und Absichten vorbereiten, die bald schon die Form von Zweiwortäußerungen annehmen werden. Es gibt zahlreiche Untersuchungen, die Interaktionen zwischen Kleinkindern und Erwachsenen genau unter die Lupe nehmen und hieraus verlässliche Vorhersagen für kindliches Sprachvermögen zu einem späteren Zeitpunkt ihrer Entwicklung ableiten. [21] <?page no="48"?> Die ersten Jahre 48 ‚Zwergen-‘ und ‚Gebärdensprachen‘ für die Kleinen? W ir bleiben beim Thema der Gesten, aber wechseln die Szene: Von kontrollierten wissenschaftlichen Beobachtungen zum freien Markt der Angebote für nonverbale Kommunikation mit Kleinkindern. Mit einem ganz speziellen Einsatz von Gestik boomt in letzter Zeit bei uns ein Geschäft, das unter dem Etikett ‚Zwergensprache‘ firmiert. Man kann sich darüber im Internet unter www. babyzeichensprache.de informieren und wird dort aufgeweckte Babys finden, die mit ihren Händchen und Ärmchen so gestikulieren, wie man es ihnen beigebracht hat, um bestimmte Wünsche zu äußern. Und begeisterte Berichte wird man lesen, die das aus England und Nordamerika importierte babysigning preisen. Eine Fülle von Kursen und Materialien wird Eltern angeboten, die mit ihrem Baby kommunizieren wollen und nun nicht mehr ‚zu warten brauchen, bis es endlich sprechen kann‘. So lasse sich die Zeit überbrücken, heißt es, in der sonst Missverständnisse, Wutanfälle der Kleinen und viel Geschrei zu ertragen sind. Der werbewirksam präsentierte Internetauftritt enthält auch eine Karte der deutschsprachigen Länder, auf der schon eine Vielzahl von Orten verzeichnet ist, wo Angebote für Workshops nicht nur für Eltern, sondern auch zur Fortbildung von Erzieherinnen und Erziehern bereitstehen. Denn auch diese seien daran interessiert, dass die täglichen Routinen, die mit Kleinkindern erledigt werden müssen, reibungsloser ablaufen, weil Kinder ihre Bedürfnisse ja nun mitteilen könnten. Vor allem Spaß habe man bei der Kommunikation, denn mit den Babyzeichen ließe sich aufmerksamer auf die Kinder zugehen. Das klingt zunächst einmal plausibel und <?page no="49"?> Die ersten Jahre 49 macht die spontanen Berichte durchaus glaubwürdig, wie positiv die Kleinen auf die gesteigerte Zuwendung reagieren. Beim Spracherwerb geschieht so viel mehr als ein Training im standardisierten Gestikulieren bewirken könnte D erart angeleitetes Gestikulieren hat mit den im vorigen Kapitel beschriebenen Zeigegesten, die Kinder von sich aus mit beginnenden Artikulationen verbinden, nichts zu tun. Auch nichts mit der Art und Weise, wie Erwachsene hierauf gestisch-verbal erweiternd eingehen. Eine ‚Lehre‘ standardisierter Gesten zu so frühem Zeitpunkt kann den spontanen, interessiert-neugierigen Kontakt mit einem Kind eher beeinträchtigen. Und dass Eltern ihrem Baby mit derart normativer Gestik nebenbei einen, wie es in der Werbung heißt, ‚Riesenvorsprung in seiner Sprachentwicklung‘ sicherten und ‚die aktuelle Forschung dies immer wieder auf beeindruckende Weise bestätigt‘, entbehrt jeglicher Grundlagen. In seriöser Literatur wird denn auch auf gravierende methodische Mängel der ‚Studien‘ verwiesen, die für sich in Anspruch nehmen, eine beschleunigende Wirkung der Babyzeichen auf Sprach- und Symbolentwicklung zu ‚beweisen‘, gar einen späteren Intelligenzvorsprung in Aussicht stellen. [22] Wenn überhaupt Effekte berichtet werden, dann stammen sie aus Fallstudien, wo Mütter schon vorab mit entsprechenden Erwartungen ausgestattet waren. Kontrollierte Untersuchungen, in denen Einflussfaktoren wie etwa Motivation oder häusliches Anregungsniveau abzuklären wären, gibt es nicht. Solche Faktoren lassen sich von den Effekten eines Trainings ja in der Tat nicht so leicht trennen. Eine ‚Lehre‘ standardisierter Gesten zu so frühem Zeitpunkt kann den spontanen, interessiert-neugierigen Kontakt mit einem Kind eher beeinträchtigen. <?page no="50"?> Die ersten Jahre 50 Unredlich ist es aber, allfällige Erfolge geschäftstüchtig allein der ‚Zwergensprache‘ als Kommunikationshilfe zuzuschreiben. ‚Babysigning‘ hat mit der Gebärdensprache Gehörloser wenig zu tun E in anderes Konzept, das inzwischen ähnlich bekannt geworden ist und im Internet unter www.babysignal.de aufgesucht werden kann, wurde von einer Pädagogin entwickelt, die Deutsche Gebärdensprache (DGS) beherrscht und Erfahrung in der lautsprachlichen Frühförderung hörender Kinder hat, deren gehörlose Angehörige untereinander zu Hause gebärden. Genau wie sich bei gehörlos geborenen Kindern beobachten lässt, die in ihrer Umgebung gebärdende Gesprächspartner erleben, beginnen auch diese hörenden Kinder mit gehörlosen Angehörigen Gebärden auszutauschen. Für ihre lautsprachliche Entwicklung benötigen sie daher den Kontakt mit sprechenden Menschen. Vor diesem Hintergrund ist nun ein Programm für hörende Familien mit Kleinkindern entstanden, das einzelne Gebärden aus der DGS verwendet und empfiehlt, diese als Untermalung von Schlüsselwörtern begleitend zum flüssigen Sprechen einzusetzen. Auch in diesem Fall geht es um fragwürdige frühe Standardisierung, und es lässt sich auch hier fragen, mit welchen merkantilen Interessen welche Bevölkerungsgruppen erreicht werden und welche nicht. Jedoch tritt dieses Konzept sympathischerweise mit weniger Versprechungen über generell entwicklungsfördernde Effekte auf. Und es ist immerhin gut aufgebaut, bietet die Gebärden nämlich für Etappen zwischen 3 und 24 Monaten aufsteigend gegliedert an. Dies ist ja eine Altersspanne, in der sich sowohl die Interessen der Kinder wie auch ihre Fingerfertigkeit beträchtlich verändern. Das Konzept basiert auf US-amerikanischen Vorbildern, die ebenfalls für hörende Familien entwickelt wurden und Zeichen <?page no="51"?> Die ersten Jahre 51 der Amerikanischen Gebärdensprache (ASL) benutzen (das bekannteste ist unter www.sign2me.com zu finden). Einige der amerikanischen Programme verbinden damit die Hoffnung, so könne die Sprache der Gehörlosen aufgewertet werden, und hörenden Kindern, die derart ‚zweisprachig‘ aufwachsen, ließe sich der Vorteil bieten, dass sie später mit gehörlosen Menschen zu kommunizieren verstünden. Nun lernen aber die Kinder, mit denen sig2me praktiziert wird, keinesfalls ASL, wenn ihnen einzelne Gebärdenzeichen beigebracht werden, ebenso wenig wie Kinder, mit denen man einzelne der DGS entlehnte Zeichen austauscht, die Deutsche Gebärdensprache erwerben. Von Segnungen eines zweisprachigen Aufwachsens kann also nicht die Rede sein. Und was die Wertschätzung der Gebärdensprachen angeht, so wäre es zwar in der Tat früher kaum denkbar gewesen, dass authentische Einheiten von Gebärdensprachen in Materialien für hörende Familien Eingang finden würden. Denn erst in jüngerer Zeit wird die vollgültige Sprachqualität der Gebärdensprachen gewürdigt, und damit das Vorurteil überwunden, Gebärden seien Pantomimen, die vor allem zur Kennzeichnung konkreter Inhalte taugen. [23] Jedoch könnten genau diese Vorurteile insgeheim eher bekräftigt werden, wenn man den Einsatz einzelner Gebärdenzeichen als signing ausgibt. Die spontanen Lobpreisungen von Müttern, die in der Werbung gern wiedergegeben werden, gehen dahin, wie leicht ihnen und ihren Babys die Handzeichen fallen, welchen Spaß sie dabei hätten, und dies doch zu einer Zeit, wo die gröbere Motorik bereits besser verfügbar sei als die Feinmotorik der mündlichen Artikulationsorgane. Hier wird nicht nur der falsche Eindruck erweckt, es sei insgesamt ‚leichter‘ zu gebärden als zu sprechen. Es wird auch verkannt, wie differenziert der feingliedri- Einzelne Gebärdenzeichen zu lernen, hat mit dem Erwerb einer Gebärdensprache wenig zu tun! <?page no="52"?> Die ersten Jahre 52 ge Bewegungsablauf beim flüssigen Gebärden ist und wie ähnlich kompliziert die sensu-motorischen Erwerbsprozesse beim Sprechen und beim Gebärden vonstatten gehen. Therapeutischer Einsatz manueller Kommunikationshilfen kann sinnvoll sein I n ganz anderen Szenarien, die in diesem Buch nicht ausgeleuchtet werden können, spielt der therapeutische Einsatz manueller Hilfen bei der ‚unterstützten Kommunikation‘ in der Behandlung von körperlichen oder geistigen Behinderungen eine Rolle. Er gehört in die Hände geschulten Personals - genauso wie der vorübergehende Einsatz von manuellen Hilfen in der Logopädie und Sprachheilpädagogik mit Kindern, die therapiebedürftige Verzögerungen in ihrer Sprachentwicklung überwinden. [24] Vom Trubel um die ‚Baby-Zeichen‘ sind diese wichtigen Einsatzfelder der manuellen Kommunikation weit entfernt. <?page no="53"?> Die ersten Jahre 53 Anfänge der Selbstwahrnehmung D ie Grundvoraussetzung dafür, dass Kinder sich im Lauf der Zeit selbst als Person zu begreifen lernen, besteht darin, dass sie sich von anderen unterscheiden und selbst etwas bewirken können. Auf eine ganz elementare Weise kann man Kinder schon im Säuglingsalter dabei beobachten, wie sie Vergnügen empfinden, wenn ihre Bewegungen Effekte hervorbringen. Etwa, wenn sie ein Mobile in Gang setzen, das mit einer Schnur an ihrem Ärmchen verbunden ist, oder wenn sie vor einem Spiegel ihre Bewegungen intensivieren und dabei vor Freude jauchzen können. Von dort bis hin zur bewussten Wahrnehmung des eigenen Ich und zu Möglichkeiten, sich selber im Vergleich zu anderen einzuschätzen, ist ein Weg zurückzulegen, dessen Etappen von der Entwicklungspsychologie detailliert beschrieben werden. [25] Vom Selbstempfinden zum Selbsterkennen Schon das Verhalten vor dem Spiegel verändert sich entscheidend vom ersten zum zweiten Lebensjahr. Die Koppelung der reinen Bewegungsfreude mit dem Spaß, den ein Baby hat, wenn es dabei Effekte bemerkt, die selbst verursacht sind, steht offenbar noch nicht für ein Erkennen des Ich. Es zeigt eher ein gesteigertes Selbstempfinden an, das durch die intensive Bewegung ausgelöst wird. Was folgt, ist dann eine Übergangszeit, in der das eigene Spiegelbild zwar interessierter betrachtet wird, jedoch noch Die Grundvoraussetzung dafür, dass Kinder sich im Lauf der Zeit selbst als Person zu begreifen lernen, besteht darin, dass sie sich von anderen unterscheiden und selbst etwas bewirken können. <?page no="54"?> Die ersten Jahre 54 nicht als Spiegelung der eigenen Person aufgefasst, sondern wie ein Spielgefährte wahrgenommen wird. Meist dauert es bis zur Mitte oder bis gegen Ende des zweiten Jahres, bis sich das ändert. Wenn nun leise ein Spielgefährte von hinten zum Spiegel kommt, so wird ein Kind auf das Bild des anderen nicht mehr im Spiegel reagieren, indem es dort mit ihm Kontakt aufzunehmen sucht, sondern es wird sich spontan nach ihm umdrehen. Dies gilt als Anzeichen der beginnenden Selbstobjektivierung, mit der dieses Kind nun dem anderen gegenübertritt. In einem berühmten Experiment, das schon Jahrzehnte zurückliegt, ist solche Selbstobjektivierung zuerst nachgewiesen worden: Man hat den Kindern, von ihnen unbemerkt, einen Rougeklecks auf Stirn oder Wange angebracht und dann beobachtet, ob sie den Klecks noch am Spiegel abzuwischen versuchen oder schon sich selbst an die Stirne fassen. Erst letzteres spricht dafür, dass es im Spiegel die eigene Person wahrnimmt. [26] Dieser Entwicklungsschritt ist deshalb so folgenreich, weil sich ab dann die Einstellung zur eigenen Person verändert und die Differenz zwischen dem Ich und den anderen bewusster wahrgenommen wird. Viele Kinder reagieren überrascht oder auch verlegen auf die Entdeckung, die sie damit machen: Sie begreifen, dass auch andere sie betrachten können. Damit bahnt sich etwas an, das für die weitere interaktive Entwicklung des Ich von großer Bedeutung ist: Erst wer gelernt hat, sich mit den Augen des anderen zu sehen, wird in der Wahrnehmung der eigenen Person vorankommen. In dieser Zeit wird es den Kinder auch geläufig, sich mit ‚ich‘ anzureden oder den eigenen Namen auf sich zu beziehen. Sie be- Kinder begreifen, dass auch andere sie betrachten können! Nur wer lernt, sich mit den Augen der anderen zu sehen, kommt in der Einstellung zur eigenen Person voran! <?page no="55"?> Die ersten Jahre 55 ginnen, besitzanzeigende Fürwörter zu benutzen und überhaupt einen Sinn für Eigentum auszubilden: ‚das ist meins‘ und ‚ich will jetzt mal deins haben‘. Auch die Einfühlung in Stimmungen anderer setzt ein. [27] Im zweiten Teil dieses Buchs wird die Entwicklung von solchen Anfängen der sozialen Hinwendung bis zur Einsicht und Reflexion in das, was in anderen Köpfen vorgeht, ausführlich beschrieben. Wenn Erwartungen an die eigene Leistung aufkommen, und Erfolge der eigenen Tüchtigkeit zugeschrieben werden D ie Fähigkeit, sich selbst als Subjekt wahrzunehmen, das von anderen beobachtet und bewertet werden kann, ist bedeutsam für ein bestimmtes Selbstkonzept, das im späteren Leben immer wichtiger werden wird, nämlich das der eigenen Leistungsfähigkeit. Die Entwicklung dieser Facette der Einstellung gegenüber der eigenen Person ist vielfach anhand von Wettbewerbsspielen untersucht worden. Zum Beispiel beim Turmbauen aus Ringen oder Klötzen mit einem Erwachsenen oder mit einem anderen Kind, wo es darum geht: ‚wer wird wohl zuerst fertig sein? ‘ Bis zu ihrem dritten Geburtstag haben die meisten Kinder einfach nur Spaß an solchen Spielen und freuen sich am vollendeten Werk - egal, wer gewinnt. Ab dann setzt jedoch der Ehrgeiz ein, den Turm zuerst fertig zu stellen. Gab es bei den Jüngeren vor allem Eifer beim eigenen Tun und kaum Interesse daran, wie die Partner vorankamen, so wird nun gespannt hin und her geschaut, und es werden deutlich Gefühle von Stolz oder Scham über Sieg oder Misserfolg offenbart. Und zwar viel deutlichere Ausdrucksformen als in wiederum späterem Alter, wenn die eigenen inneren Regungen besser beherrscht und nach außen nicht immer gerne gezeigt werden. <?page no="56"?> Die ersten Jahre 56 Anfänge des Strebens nach Kompetenz und Tüchtigkeit lassen sich daran erkennen, dass Kinder nach Erfolgen Stolz und Freude, und nach Fehlern oder Misserfolgen Scham, Ärger oder Leugnung zu zeigen beginnen. Verglichen mit der bloßen Bekundung von Freude über die Wirkungen des eigenen Verhaltens, ist dies tatsächlich ein wesentlicher Schritt voran. Denn zum leistungsorientierten Verhalten, das sich dann über Jahre hinweg entwickelt, gehören zwei Dinge: Es muss einen subjektiven Wertmaßstab für Tüchtigkeit, ein Anspruchsniveau, geben. Die Kinder müssen sich also Aufgaben, die sie als mehr oder weniger schwierig einschätzen, entweder vornehmen oder ihnen ausweichen können. Und sie müssen einen Erfolg oder einen Misserfolg ihrer eigenen Tüchtigkeit zuschreiben können, also in der Lage sein, die daraus folgende Wertschätzung oder Missbilligung durch andere auf ihre eigene Anstrengung oder Fähigkeit zu beziehen. [28] <?page no="57"?> Die ersten Jahre 57 Wenn die Wörter laufen lernen V on der Mitte ihres zweiten bis gegen Ende ihres dritten Lebensjahres führen uns die meisten Kinder einen bemerkenswerten Aufbruch ihrer kommunikativen Fähigkeiten vor. Sie produzieren nicht nur immer mehr Sprache, in der wir Wörter oder formelhafte Brocken (‚omma‘, ‚her‘, ‚obisse‘) erkennen können, die sie in ihrer Umgebung aufschnappen, sondern sie fangen auch an, einzelne Spracheinheiten zu komplexeren Aussagen zusammenzufügen. Darin zeigt sich das eigentlich Spannende an der Szenerie, die sich überall im Alltag, in der Familie und in den Krippen beobachten lässt. Umso unangemessener ist es, wenn das Interesse an der kindlichen Sprachentwicklung in dieser Periode einseitig auf Einzelwörter (vor allem Bezeichnungen für Objekte, Lebewesen oder Körperteile) gelenkt wird. Dies wird nicht zuletzt durch normative Messinstrumente bestärkt, die zur Feststellung von Entwicklungsständen dienen. Das führende US-amerikanische Verfahren der Sprachdiagnostik für dieses Alter besteht nämlich in Eltern-Fragebögen, die Listen zum Ankreuzen von Wörtern enthalten, die ein Kind bereits verstehen oder selbst produzieren kann. Nur ganz am Rande steht eine allgemeine Frage, ob das Kind noch gar nicht, manchmal oder oft Wörter miteinander kombiniert. Nach diesem Vorbild wurden auch deutschsprachige Verfahren entwickelt, die vielfach eingesetzt werden, um Risikokinder so früh wie möglich zu identifizieren. Das Schlagwort vom ‚Vokabelspurt‘ regiert diese Entwicklungsperiode. Und die Zahl von 50 produzierten Wörtern, Das Schlagwort vom ‚Vokabelspurt‘ regiert die Entwicklungsperiode vom zweiten und dritten Lebensjahr. <?page no="58"?> Die ersten Jahre 58 die um den 18. Monat erwartet werden, hat den Charakter einer kritischen Messlatte angenommen. [29] Kinder begreifen in dieser Zeit, so die vorherrschende Meinung, dass alles was sie sehen, anfassen oder schmecken können, ‚einen Namen hat‘. Schon in dieser Vereinfachung liegt eine Unterschätzung. Denn in Wahrheit begreifen sie viel mehr: nämlich, dass Wörter (außer wenn es sich um Eigennamen handelt) für ganze Klassen von Dingen gelten. Die Klassen mögen anfangs nicht dieselben sein, die wir als Erwachsene im Sinn haben. Aber dass die Kinder an Verallgemeinerungen arbeiten, lässt sich leicht daran erkennen, dass sie zu ‚Übergeneralisierungen‘ neigen. So können sie zum Beispiel auch Katzen ‚Wauwau‘ nennen und damit wohl generell Lebewesen meinen, die auf vier Beinen laufen. Ähnlichkeit in der äußeren Erscheinung mag zunächst zu solchen Verallgemeinerungen am meisten anregen. Jedoch zeigen sich die Kinder bald daran interessiert, auch Merkmale, die nicht sichtbar sind, als Grundlage für Gruppenbildungen zu überprüfen. Sie besitzen beispielsweise ein Stofftier, in dem eine Rassel steckt, und schütteln ein neues Stofftier, um zu erkunden, ob es ähnlich klingt. Eine eindrucksvolle Demonstration früher Begriffsbildung! Kinder lieben Wörter, aber vor allem sind sie an Aussagen über das interessiert, was sie erleben A ber mehr noch: Zwar sind kleine Kinder neugierig auf die Dinge um sie herum und darauf, wie sie heißen. Stärker noch scheinen sie jedoch daran interessiert zu sein, wie die Menschen, die für sie wichtig sind, zu diesen Dingen stehen, und welche Absichten sie im Umgang mit ihnen verfolgen. In einem früheren Abschnitt ist beschrieben worden, wie durch die gemeinsame Aufmerksamkeit auf Dinge und Ereignisse schon um den ersten Geburtstag so etwas wie vorsprachliche Dialoge zwischen klei- <?page no="59"?> Die ersten Jahre 59 nen Kindern und ihren Betreuern in Gang kommen können, zunächst durch den Austausch von Gesten, Blicken und (vonseiten der Kinder) noch bruchstückhaften Artikulationen. Bereits dort lassen sich erste Anzeichen dafür vermuten, wie die Kinder die Absichten und das Tun der Menschen zu verstehen versuchen und sich am Geschehen beteiligen möchten. [30] Später treten zu den Zeigegesten einzelne Äußerungen hinzu, in denen sich Wörter ausmachen lassen. Und wenn man auf die gesamte Aktivität schaut, dann scheinen die Kinder tatsächlich mit ihren ersten Wörtern weniger die Gegenstände in der Umgebung benennen als vielmehr Szenen kommentieren zu wollen. Wenn eine Eineinhalbjährige auf den Spatz in der Luft zeigt und ‚Ogel‘ ruft, dann sollten wir dies vielleicht besser verstehen als ‚guck mal, da fliegt der Vogel! ‘ anstatt zu registrieren: Aha, sie kann schon ‚Vogel‘ sagen. Zum Glück gehen die meisten Erwachsenen hierauf auch ein und unterstellen den Kindern mehr Redeabsicht als ihre noch unbeholfene Sprache ausdrücken kann. Sehr zur Freude der Kinder bauen sie die Szenen zu richtigen Geschichten aus und liefern damit wertvollen sprachlichen ‚input‘, aus dem sich die Kinder für ihr Verständnis der Situationen mehr und mehr herausholen. Dass sich die Aufmerksamkeit und das Begehren der Kinder auf Szenen und Aussagen richten, wird vollends deutlich, wenn sie bei ihrer eigenen Sprachproduktion beginnen, in syntaktisches Lernen einzutreten; wenn nämlich zu Wörtern (nehmen wir ‚Saft‘ oder ‚Teddy‘) andere treten, wie ‚da‘, ‚weg‘, ‚mehr‘, ‚wo‘ oder ‚runter‘, mit denen sich variabel Wünsche, Fragen oder Feststellungen äußern lassen. Schon in solchen Zusammenfügungen zweier Einheiten verstecken sich Bedeutungen, die auf Aktionen zielen. Kinder scheinen tatsächlich mit ihren ersten Wörtern weniger die Gegenstände in der Umgebung benennen als vielmehr Szenen kommentieren zu wollen. <?page no="60"?> Die ersten Jahre 60 Die besondere Bedeutsamkeit von Verben D as prominente Reservoir der Sprachen, das Bedeutungen für Tätigkeiten und Gegebenheiten regelt, ist die Wortklasse der Verben, also der Bezeichnungen für Aktivitäten (werfen, geben, spielen), für Vorgänge (regnen, aufmachen) und für Zustände (besitzen, stinken, wissen). Diese Wörter stehen nicht für etwas Fixes (wie Ball oder Buch), sondern für Beziehungen (jemand wirft den Ball, eine Tür kann man aufmachen). Verben beherrschen in vielfacher Weise die Grammatik von Sprachen. Sie verbinden Satzgegenstände (Personen zum Beispiel) mit Objekten oder Attributen (das Mädchen spielt mit der Kugel; es regnet heftig). Sie können auch selber qualifiziert werden, nämlich durch so genannte Modalverben (ich sollte das wissen, ich muss die Tür aufmachen). Im Deutschen wie in vielen anderen Sprachen haben Verben eine Grundform, die im Lexikon steht. Sie können in dieser Form aber auch in gebundener Sprache vorkommen (zum Beispiel in Verbindung mit einem solchen Modalverb). Ansonsten müssen Verben an die Subjekte angepasst (flektiert) werden. Und sie müssen entsprechend den Personen und Zeiten verändert werden (du isst, wir essen, sie haben gegessen, sie aßen). Die Regeln, die für die Formen und Positionen der Verben in Sätzen gelten, sind durchaus kompliziert und können Erwachsenen, die Deutsch als fremde Sprache lernen, das Leben schwer machen. [31] Für kleine Kinder, die mit der deutschen Sprache aufwachsen, gibt es diese Kompliziertheit nicht. Und das, obwohl die Verben vielgestaltig sind und Flüchtiges bezeichnen können. Man kann sie den Kindern nicht vorführen, wie man auf Dinge zeigen und sie mit Hauptwörtern verknüpfen kann. Verben und ihre Aussagekraft müssen die Kinder aus dem Geschehen erschließen und Verben und ihre Aussagekraft müssen die Kinder aus dem Geschehen erschließen und aus dem Sprechen heraushören. <?page no="61"?> Die ersten Jahre 61 aus dem Sprechen heraushören. Dabei nutzen sie den rhythmischen Sprachfluss aus. ‚X hat Y gebissen‘: das legt schon nahe, wer hier Täter und wer Opfer der Aktion ist. Und ‚Papi hat den Brei gekocht‘ deutet auf das hin, was geschehen ist. Die Stellung der Wörter im Satz, und ihre Markierung durch Flexionen, vor allem aber Intonation und Hervorhebung, liefern also Hinweise auf Bedeutungen. Hier wird noch einmal deutlich, wie wichtig für die Entwicklung des kindlichen Sprachverstehens die Melodie der Ansprache ist. Eine monotone, automatenhafte Sprache wird Kinder ratlos machen. Mit dem Verstehen und dem Benutzen von Verben weitet sich das sprachliche Vermögen ebenso aus wie das Weltverständnis der Kinder. Mit ihnen reichern sich Grammatik und Semantik an. Denn mit Verben werden die Baupläne von Sätzen angeeignet. Das geschieht allmählich über geraume Zeit hinweg und in regelhaft aufeinander folgenden Schritten zur Zielsprache hin, wenn auch auf ganz implizite, beiläufige Weise und ohne vorsätzliche Mühe. Diese Schritte werden gern als das Erreichen von ‚Meilensteinen‘ bezeichnet und sind in ihrem Ablauf immer wieder beschrieben worden. [32] Alles was Kinder zur allmählichen Beherrschung dieser grundlegenden Strukturen ihrer Umgebungssprachen brauchen, ist das Gespräch mit Partnern und Partnerinnen, die gemeinsam mit ihnen handeln und möglichst viele interessante Unternehmungen mit ihnen gestalten. <?page no="62"?> Die ersten Jahre 62 Und wenn es um mehr als eine Sprache geht? I m Prinzip haben Kinder, die von Anfang an in ihrer Umgebung zwei verschiedene Sprachen erleben, keine Probleme, sich beide gleichzeitig anzueignen. Nach allem, was bisher zu den Anfängen des Spracherwerbs hier ausgeführt worden ist, lässt sich leicht nachvollziehen, dass es günstig ist, wenn dabei die Kontaktpersonen ihre jeweilige Sprache gegenüber dem Kind möglichst konstant einsetzen und ihre Individualität in die Interaktionen einbringen. So kann ein Kind recht zuverlässig, sagen wir: eine Mamasprache und eine Papasprache auseinanderhalten, lange bevor es sich überhaupt bewusst ist, dass dabei zwei Systeme im Spiel sind. Denn Sprachen kommen auf Kleinkinder als Gesamtereignisse zu, die sie mit allen Antennen, nicht nur mit ihrem Hörorgan, empfangen und auf die sie sich insgesamt interaktiv mit der jeweiligen Person einlassen. Zwei Sprachen von Anfang an D oppelter Erstspracherwerb ist vielfach beschrieben worden, häufig von Wissenschaftlerinnen, die das Sprachverhalten von Kindern in ihrer eigenen mehrsprachigen Familie aufgezeichnet haben, oder von Fachleuten, die solche Familien gut kannten und die Verläufe - meist unter linguistischem Blickwinkel - beschrieben haben. [33] Die Kinder sind in aller Regel bereit, sich auf ihre Gesprächspartner flexibel einzustellen, wenn sie allmählich realisieren, dass es da mehr als eine Sprache gibt, und wenn sie mitbekommen, welche Personen in der nun weiter ausgreifenden Sprachen kommen auf Kleinkinder als Gesamtereignisse zu, die sie mit allen ‚Antennen‘ empfangen! <?page no="63"?> Die ersten Jahre 63 Umgebung zu welcher Sprache gehören - oder auch wer mehrere davon benutzen kann. Aber es kann dann durchaus vorkommen, dass die Kinder Vorlieben und Abneigungen zum Ausdruck bringen. Das hat nichts mit einer Einschränkung ihres grundsätzlichen Vermögens zu tun, von Anfang an einen mehrsprachigen Erwerb zu leisten, sondern muss immer aus der sozialen Situation verstanden werden. Kinder können je älter sie werden ein feines Gespür dafür entwickeln, welche Sprache in ihrem Umfeld mehr gilt als eine andere und welche man aus irgendeinem Grund eher verstecken sollte oder möchte! Viele der Berichte über einen doppelten Erstspracherwerb lesen sich vor allem deshalb wie Erfolgsgeschichten, weil sie in der idealen Szene spielen: mit im Hause allesamt hochgeschätzten Sprachen und der ausgeprägten Motivation von allen Seiten, die Mehrsprachigkeit der Kinder zu unterstützen. Und wenn eine zweite Sprache erst später zur ersten hinzukommt? W enn nun also einerseits Mehrsprachigkeit von Anfang an im Prinzip keine Probleme verursachen muss, aber auf der anderen Seite Jugendlichen und Erwachsenen, wie die meisten von uns aus eigener Erfahrung wissen, das Lernen einer neuen Sprache nicht immer leicht fällt, dann stellt sich die Frage: Bis zu welchem Zeitpunkt gibt es denn die Leichtigkeit der Kinder, andere Sprachen auch dann ähnlich wie die erste zu erwerben, wenn sie nicht von Anfang an bereit stehen, sondern erst nach einer Weile des zunächst einsprachigen Erwerbs hinzutreten? Die Meinungen hierüber gehen auseinander. Mal wird das Alter vier, mal das von sieben Jahren, und mal die Pubertät als kritische Grenze angesehen. Auch wird in manchen Schriften die Gültigkeit einer ‚kritischen Periode‘ überhaupt angezweifelt, weil nicht nur alltägliche Erfahrungen lehren, sondern auch wissenschaftli- <?page no="64"?> Die ersten Jahre 64 che Belege darüber vorliegen, dass durchaus auch Erwachsene in der Lage sind, sich eine weitere Sprache so anzueignen, dass sie in der entsprechenden Sprachgemeinschaft nicht unbedingt als Fremde erkannt werden. [34] Man sieht, es führt nicht weit, wenn man allein auf das biologische Alter schaut. Zunächst einmal ist die Beherrschung einer Sprache nichts Einheitliches: Jemand mag in einer zweiten und dritten Sprache die anspruchsvollsten Gespräche führen können und über hoch komplexe Wortschätze verfügen, sich aber durch einen Akzent und kleine grammatische Schnitzer als Nicht-Muttersprachlerin verraten. Ebenso trifft man auf den Fall, dass jemand in seiner einen Sprache im alltäglichen Gespräch zwar unauffällig ist, jedoch nie gelernt hat, auch nur in dieser seiner Muttersprache in anspruchsvollere Diskurse einzutreten, die komplizierte Grammatik und Fachterminologie erfordern. Landläufig gilt als Maxime des zeitversetzten Zweitspracherwerbs ‚je früher desto besser‘ und zwar insbesondere für das, was sich bei jedem Erstspracherwerb in frühen Jahren (bis etwa vier oder sechs) mühelos ergibt: Aussprache, Intonation, Grundwortschatz und zumindest grundlegende morpho-syntaktische Regelbeachtung - also den basalen Umgang mit Lautsystem, Wortbildung und Satzbau. Deshalb ist für Kinder in Migrationssituationen, denen die Sprache des Landes, in dem sie aufwachsen und in dem sie bleiben werden, zu Hause nicht in flüssiger Weise angeboten werden kann, eines so wichtig: Sie sollten so früh wie möglich auch in Umgebungen gelangen, wo diese Sprache vorrangig herrscht. Denn Kinder sind mit drei, vier, und wohl noch weiteren Jahren in der Lage, implizit-beiläufige Lernprozesse, die sie in einer Sprache bereits geleistet haben, auf eine Auch für zeitversetzten Zweitspracherwerb benötigen Kinder nur genügend Anregung, um in den basalen Umgang mit Lauten, Wörtern und Sätzen hinein zu finden! <?page no="65"?> Die ersten Jahre 65 andere anzuwenden - unter der Voraussetzung freilich, dass diese hinreichend präsent ist und für die Kinder genügend Anreiz besteht, sich auf sie einzulassen. Hierin liegt die große Bedeutung des sprachlichen Bildungsauftrags von Krippen und Kitas für Kinder, die mit einer anderen Grundsprache als Deutsch in die Einrichtungen kommen und erst dort mit der Landessprache in regelmäßigen Kontakt gelangen. Die Betreuerinnen müssen diese Kinder jedoch nicht wie Sprachanfänger behandeln, denn sie wissen ja bereits ganz gut, wie mit Sprache umzugehen ist. Aber es ist günstig, wenn diese Kinder zumindest zeitweise von Angesicht zu Angesicht mit deutlicher Diktion, gut sichtbaren Mundbewegungen und vor allem mit intensivem Interesse am gemeinsamen Tun angesprochen werden. Es ist auch gut, wenn die Verantwortlichen wenigstens über die wichtigsten Klippen des Deutschen als einer hinzukommenden Sprache Bescheid wissen, so dass sie Äußerungen der Kinder aufgreifen und komplettieren können, um sie ihnen zurechtgerückt und mit deutlicher Intonation zurück zu spiegeln. Das betrifft vor allem manche sprachspezifischen Besonderheiten der deutschen Satzbildung, aber auch die vielen Unregelmäßigkeiten in der deutschen Wortbildung, die sich alle Kinder, auch diejenigen, die in deutscher Sprachumgebung aufwachsen, allein durch rege Praxis aneignen können. Präsenz und gute, kindgerechte Ansprache durch Erwachsene sind für Kinder, die eine andere Erstsprache mitbringen, ein Segen. Jedoch darf man nicht unterschätzen, dass auch für Kinder gilt, was lebenslang den Erwerb von Sprachen begünstigt, nämlich persönliche Motivation. [35] In fortgeschrittenem Alter mag sie sich durch berufliche Erfordernisse ergeben oder ganz bewusst durch Freude am Sprachenlernen und am Eintauchen in ande- Kinder sind in der Lage, Lernprozesse, die sie in einer Sprache bereits geleistet haben, auf eine andere anzuwenden. <?page no="66"?> Die ersten Jahre 66 re Lebenswelten bilden. Kinder im Vorschulalter wollen nun aber gar nicht in erster Linie ‚Sprache erwerben‘. Ihre Motivation entspringt dem Wunsch, zur sozialen Gruppe zu gehören, mitzuspielen und an der Kommunikation teilzunehmen, die dort herrscht. Ebenso wichtig wie erwachsene Gesprächspartner in den Einrichtungen sind für Kinder, die Zugang zur deutschen Sprache finden sollen, deshalb auch andere Kinder, die ihnen hierin voraus sind und mit denen gute Beziehungen zu haben für sie eine Attraktion bedeutet. Wenn gute Bedingungen herrschen, dann kann man staunen, wie leicht Kinder sich Wörter und die Grundlagen einer für sie neuen Sprache aneignen, die sie um sich herum wahrnehmen. Das verdanken sie allerdings weniger einem ‚kleinen linguistischen Apparat im Kopf ‘, über den sich schon vor 50 Jahren ein bekannter Sprachpsychologe lustig machte, [36] sondern eher der gesamten Szenerie. Schließlich nehmen die Kinder die Sprache nicht nur hörend auf oder konzentrieren sich gar auf sie. Sie erleben sie mit allen Sinnen bei dem, was sie zusammen mit anderen tun, als notwendiges Werkzeug, mit dem sie ihre sozialen Beziehungen knüpfen und gemeinschaftliche Handlungen organisieren. Dabei hilft ihnen für die akustische Sprachverarbeitung offenbar ein segensreicher Filter, der mit einer noch geringen Kapazität des Arbeitsgedächtnisses zusammenhängt: Dieser Filter sorgt dafür, dass die Kinder zunächst selektiv wiederkehrende und strukturell entscheidende Komponenten der sie umgebenden Sprache aufschnappen. Das Verstehen spielt sich erst langsam auf die genauere Analyse komplexer Einheiten ein. Eine bekannte Sprachpsychologin vermutet, dass Kinder sowohl für die erste, wie in frühem Alter auch für weitere Sprachen, von diesem Prinzip profitieren, das sie mit ‚less is more‘ bezeichnet (man kann das inhaltlich erweitern in: weniger kognitive Kompetenz bringt beim frühen Erwerb von Kinder erleben Sprachen mit allen Sinnen! <?page no="67"?> Die ersten Jahre 67 Sprachen zunächst einmal mehr). Erwachsenen, die eine fremde Sprache hören, steht solch ein Filter nicht in dem Maße zur Verfügung, weil sie längst über kognitive Reife verfügen und eine gar nicht mehr zu unterdrückende Aufmerksamkeit für komplexe Sprachstrukturen entwickelt haben. [37] Wir wissen leider noch zu wenig über individuelle Verläufe der Entwicklung des Deutschen als Zweitsprache bei Kindern unterschiedlicher Ausgangssprachen und -situationen. Wohl gibt es erste Untersuchungen, Fallstudien zumeist. Sie beschränken sich allerdings oft isoliert auf die Sprachproduktion, häufig sogar auf eng umgrenzte grammatische Einzelheiten, und beziehen selten das Verstehen und nicht-sprachliches Verhalten in der sozialen Interaktion mit ein. [38] Um die Bedingungen für sukzessiven Zweitspracherwerb besser zu durchschauen, um der Individualität der Kinder besser gerecht zu werden und förderliche Konstellationen in der Praxis wirksam werden zu lassen, wird jedoch solche Forschung dringend benötigt, die Kinder ‚in Aktion‘ in den Blick nimmt. Sie also innerhalb der sozialen Bezüge ihrer häuslichen Umgebung und in den Tageseinrichtungen beobachtet und dabei nicht nur Verbales aufzeichnet, sondern die hiermit verbundenen Handlungskontexte und Interaktionen genau analysiert. Das ist ein schwieriger Auftrag an interdisziplinäre wissenschaftliche Arbeit. Er ist im Einwanderungsland Deutschland trotz allen Problemdrucks bisher kaum in Ansätzen realisiert und stellt ein echtes Desiderat für die Zukunft dar. <?page no="68"?> Die ersten Jahre 68 Zwischenbilanz: Fazit des ersten Teils und Ausblick auf den zweiten A n dieser Stelle ist eine Begründung dafür fällig, warum dieses Buch zwei getrennte Teile hat. Schließlich ist Entwicklung etwas Kontinuierliches. Und die Einschnitte, die der berühmte Entwicklungspsychologe Jean Piaget zwischen den vier von ihm herausgearbeiteten Phasen kindlicher Denk- und Handlungsentwicklung beschrieben hatte, sind heute zumindest nicht mehr in der Weise akzeptiert, dass es sich von daher rechtfertigen ließe, ein Buch in eine erste (‚sensomotorische‘ und ‚präoperationale‘) Periode und eine zweite (‚konkret-operationale‘ und ‚formaloperationale‘) Periode aufzuspalten. [39] Doch es gibt Gründe dafür, die Entwicklung der ersten zwei bis drei Lebensjahre als einen rasanten Aufbruch aufzufassen, bei dem in vielen Bereichen - nicht unbedingt nach allgemein gültigen Zeitplänen - aber doch für alle Kinder recht einheitliche Verlaufsmuster erkennbar sind. Und es gibt gute Gründe dafür, die Entwicklung ab dem dritten, vierten Jahr stärker als das Geschehen davor unter Gesichtspunkten der individuellen Differenzierung und der persönlichen Interaktion mit den Anregungen zu betrachten, die Kinder zunehmend von sich aus aufsuchen und auf ihre je eigene Weise verarbeiten. Die Umwelt reagiert hierauf, und zwar ganz intuitiv. Das Verhalten Erwachsener gegenüber Kindern ändert sich: nicht mehr das Glück über die ersten selbständigen Schritte und erste verstehbare Sprachäußerungen herrscht vor, sondern es beginnen die Auseinandersetzungen und das ‚vernünftige Reden‘ mit den Kindern. <?page no="69"?> Die ersten Jahre 69 Frühes Lernen geschieht im Wesentlichen beiläufig N icht von ungefähr wird immer wieder die ‚Robustheit‘ anfänglicher Lernvorgänge betont. Alle Kinder, die gesund zur Welt kommen, lernen sich selbständig fortzubewegen, ihre Körperfunktionen zu beherrschen, sich Nahrung zuzuführen, Interaktionen mit ihren Mitmenschen zu suchen, und alle eignen sich über die ersten Jahre hinweg zuverlässig die Grundstrukturen der Sprachen ihrer Umgebung an. Für diese Aktivitäten, die das Überleben sichern, sind neugeborene Menschenkinder vorbereitet, sie bilden sie in jeder Umgebung nach den herrschenden Gebräuchen aus, sogar in schlechten Zeiten und auch unter nicht wirklich kinderfreundlichen Bedingungen. Die Art und Weise, in der solch grundlegendes Lernen geschieht, bezeichnet man als beiläufig (im Fachjargon: implizit), weil es ohne Planung und bewusste Kontrolle geschieht. Es wird durch die direkte Interaktion mit der nahen materiellen und personalen Umwelt ermöglicht und ist unmittelbar von vitalen Bedürfnissen und Gefühlen geleitet: Hunger und Durst stillen mit dem, was angeboten wird; lebenswichtige soziale Kontakte suchen und in kommunikativen Austausch eintreten; eine Treppe hinauf steigen, weil oben etwas Attraktives lockt oder die Treppe selbst schon zur Bewegung verführt. Im sich ausbildenden Gedächtnis begründen diese Aktivitäten mentale Repräsentationen in Form von verlässlichen Prozeduren, die sich tief und langfristig eingraben und nur durch ernsthafte Beschädigung zu stören sind. Das Ergebnis solchen Lernens ist: ‚etwas tun zu können‘ (laufen, einem Hindernis ausweichen, Schnürsenkel zubinden, einen Löffel zum Mund führen, sprachlich spontan reagieren auf Ansprache und Situation). Diese prozeduralen Repräsentationen sind verlässlich, aber sie sind noch nicht flexibel und können die beherrschten Aktionen nur aufgrund des Wiedererkennens ähnlicher Stimulationen sichern. <?page no="70"?> Die ersten Jahre 70 Bewusstere Lernprozesse treten hinzu I m Lauf der weiteren Entwicklung sind es neue Erfahrungen und Aktivitäten, die an diesen Repräsentationen Veränderungen und Umschriften ausführen. Mit ihnen werden die früheren Verhaltensabläufe überlagert und ergänzt. Nun kommt auch verstehendes Lernen in Gang. Die Verankerungen im Gedächtnis nehmen dadurch beweglichere Formen an. Sie werden mehr und mehr dem Bewusstsein zugänglich und damit explizit hinterfrag- und allmählich sprachlich verhandelbar. Mit wachsender Sicherheit im Reden und im Lösen konkreter Probleme werden Kinder nämlich zunehmend begierig zu begreifen, warum und wie sie etwas leisten. Die bekannte britische Psychologin Annette Karmiloff-Smith sieht darin eine bemerkenswerte Eigenschaft, die wir Menschen im Verlauf der Evolution herausgebildet haben und die sich in jeder neuen Generation ab einem bestimmten Alter wieder ereignet: Wir geben uns nicht damit zufrieden, etwas zu können, sondern wollen Wissen über das ausbilden, was wir können und auf diesem Wege größere Wahlmöglichkeiten für stärker selbstbestimmtes Handeln gewinnen. [40] Es gibt demnach im konkreten Tun wie auch bei der Interaktion mit anderen zunächst eine ‚vorintellektuelle‘ Entwicklungsphase, in der Kinder spontan ihrem Erleben in der Situation folgen und ohne Plan unmittelbar auf soziale Ansprache antworten. Doch indem sie dank fortschreitender Erfahrung beginnen, die Sprache als Instrument ihres Denkens zu entdecken, gewinnen die Kinder Abstand und reagieren nicht mehr nur direkt auf den Aufforderungscharakter der Erlebnis- Indem Kinder die Sprache als Instrument ihres Denkens entdecken, gewinnen sie Abstand und reagieren nicht mehr nur direkt auf den Aufforderungscharakter der Erlebnisse. <?page no="71"?> Die ersten Jahre 71 se. Sie kommen allmählich in die Lage, sich zu vergegenwärtigen, wie Dinge, Zustände und Handlungen zustande kommen, wie sie sich verändern können und wie sich auf sie einwirken lässt. Die Kinder bilden mehr und mehr, über die prozeduralen Repräsentationen hinaus, andere Gedächtnisinhalte aus, um damit ihr Tun anzuleiten. Sie verfertigen innere Modelle über die Welt, über ihr eigenes Handeln und über das anderer Menschen. Man hat dies mit dem großen Wort beschrieben: Sie bilden ‚Theorien‘ aus - Alltags-, nicht wissenschaftliche Theorien wohlgemerkt. Von implizitem zu explizitem sprachlichen Wissen D as betrifft auch ihr Verhältnis zur Sprache selbst. Ein Beispiel: Wie lernen Kinder zu unterscheiden, ob ein Wort sich auf einen einzelnen Gegenstand oder auf mehrere bezieht? Schon ganz kleine Kinder können, überwältigt von der Situation, spontan ‚Autos! ‘ ausrufen, wenn sie auf einen voll besetzten Parkplatz kommen (sicher haben sie in ähnlicher Situation schon häufig von anderen gehört ‚sieh mal die vielen Autos! ‘). Sie greifen solche Äußerungen ganzheitlich auf, reproduzieren Teile davon und treffen doch einstweilen nur mit scheinbarer Sicherheit eine korrekte Pluralform. Sie verstehen und benutzen durchaus geläufig und immer zuverlässiger (aber noch ganz implizit aus konkreter Erfahrung lernend) verschiedene Formen der Wörter. Zum Nachdenken und expliziten Erklären über die Regelhaftigkeit dieser Formen gelangen sie meist erst unter Anleitung im Schulalter. Man hat die etappenweise Veränderung von implizitem zu explizitem Umgang mit sprachlichen Formen an Hand von Spielszenen und Bildmaterial untersucht: [41] Eine Szene etwa zeigt ein Mädchen mit drei Autos, einem Buch und einer Tasse, eine andere zeigt einen Jungen mit einem Auto, drei Büchern, und einer Tasse. Gefragt werden die Kinder: ‚Zeig mir, mit wem ich spreche, wenn ich sage: Gib mir das Auto! ‘. Viele Dreijährige zeigen <?page no="72"?> Die ersten Jahre 72 schon ‚richtig‘ auf die Szene mit dem Jungen. Aber wenn man sie um eine Erklärung hierfür bittet, merkt man, dass sie auf Grund ganz anderer Gedanken zu ihrer Wahl gelangen als ältere Kinder. Sie sagen zum Beispiel ‚Du redest mit dem Jungen, der mag Autos‘ (obwohl doch in der Szene mit dem Mädchen mehr davon standen). Die etwas Älteren begründen beispielsweise ‚du meinst den Jungen, weil der hat’n Auto‘. Erst ab 6 oder 7 betonen die Kinder beispielsweise den bestimmten Artikel ‚du hast doch das Auto gesagt‘, oder sie sagen sogar ‚wenn du das Mädchen meinst, würdest du doch sagen: ‚gib mir eins von deinen Autos‘. Bei den Äußerungen, um die es in dieser Studie ging, liegen dem ‚Können‘ der Dreijährigen also andere innere Repräsentationen zu Grunde als dem der Sechs- und Siebenjährigen, deren Erklärungen von bereits recht fortgeschrittenem metasprachlichem Verständnis zeugen. Aber schon die Kleinen, muss man sehen, machen sich Gedanken. Diese werden allerdings noch aus der konkreten gegenständlichen Erfahrung hergeleitet (Jungen mögen Autos). Nur an den durchaus triftigen Antworten, mit denen sie ihre ‚richtige‘ Wahl begründen, lässt sich ablesen, dass sich diesen Kindern die Bedeutsamkeit der sprachlichen Form für die inhaltliche Aussage noch nicht erschlossen hat. Dieses Beispiel ist einer psychologischen Untersuchung entnommen, die den Entwicklungsverlauf von Kognitionen und sprachlichem Verständnis in einer Laborsituation verfolgt hat. Man kann Kinder aber auch im Alltag regelrecht ‚bei der Arbeit‘ am sprachlichen Regelsystem beobachten und Gelegenheiten finden, sie dabei zu unterstützen: Beim Ankleiden mag ein kleines Mädchen schon länger spontan ganz korrekt ‚Schuhe anziehn! ‘ rufen. Wenn nun dasselbe Mädchen beim Bilderbuch-Ansehen aber sagt: ‚da sind ja Schühe‘, dann wäre hier eine gute Gelegenheit, mit dem Kind (ganz ohne Verweis auf Grammatik) Geschichten über ‚eine Kuh‘ und ‚viele Kühe‘ und über ‚einen Schuh‘ und ‚zwei Schuhe‘ auszudenken. In solchen Situationen kann die <?page no="73"?> Die ersten Jahre 73 Sensibilität sehr wach sein für beiläufige Korrekturen, weil die Kinder zu spüren beginnen, wie bedeutsam die Sprache mit ihren verschiedenen Formen für ihr Weltverstehen wird. Statt also zu denken: ‚Aber das konnte sie doch eigentlich schon! ‘, sollte der ‚fehlerhafte‘ spontane Ausdruck als ein Anzeichen dafür wahrgenommen werden, dass dieses Kind dabei ist, eine nächste Repräsentationsstufe seines impliziten sprachlichen Wissens im Hinblick auf die deutsche Pluralbildung anzusteuern. Wir haben es hier nämlich nur scheinbar mit einem Rückschritt zu tun, in Wirklichkeit wird ein neues Niveau erreicht: Was als aktionsgebundene Strategie (‚Schuhe anziehn! ‘) schon ‚richtig‘ funktioniert hat, wird nun von anderen Ausdrücken übernommen, ausprobiert und angeglichen. Es gibt viele Beispiele für derart ‚U-förmige‘ Entwicklungen beim Spracherwerb, die zeigen, dass ‚Fehler‘ oder scheinbare ‚Rückschritte‘ den Weg frei machen für stärker zum Bewusstsein hin drängende Zuwendung der Aufmerksamkeit auf sprachliche Formen. Das ist im Übrigen einer der Gründe dafür, warum Momentaufnahmen so problematisch sein können, um den ‚Sprachstand‘ eines Kindes in vorschulischem Alter zu bestimmen. Über die frühe Kindheit hinaus W issenschaftliche Modelle der sich allmählich verändernden kognitiven Repräsentationen, wie das von Karmiloff-Smith, das hier eingebracht worden ist, können hilfreich für das Verständnis vieler Vorgänge der sprachlichen und sozialen Entwicklung sein. Deshalb werden sie in den nachfolgenden Kapiteln dieses Buches eine Rolle spielen. Dabei wird auch deutlich werden, wie sehr das Lernen ab etwa drei, vier Jahren nicht länger nur das Ergebnis selbst erlebter Erfahrungen und konkreter Handlungen ist. Größere Kinder lernen viel über die Welt, indem man sie ihnen er- Fehler als Chance! <?page no="74"?> Die ersten Jahre 74 klärt. Sie müssen also nicht alles am eigenen Leib erfahren, wie das für das Laufen- und das Sprechenlernen nötig war. Der erste Teil dieses Buches handelte im Wesentlichen von dem, was Kinder in den ersten Jahren auf implizitem, beiläufigem Wege in ihre Verfügung bringen. Der zweite, der nun folgt, wird sich mit dem erwachenden Bewusstsein befassen und den Fragen nachgehen, wie sich damit das soziale Verständnis, die Selbsterkenntnis und die Handlungsfähigkeiten in Interaktionen verändern. Zwar gibt es keinen strikten Bruch zwischen dem Zustand ‚vor dem Bewusstsein‘ und der Zeit der bewusstseinsfähigen Existenz. Das Staunen über das, was die moderne Säuglings- und Kleinkindforschung über frühe Errungenschaften herausfindet, ist daher durchaus berechtigt. Und die Rede vom ‚Forschergeist in Windeln‘, vom ‚kompetenten Säugling‘ oder ‚kleinen Philosophen‘ ist ganz in Ordnung, sofern die ‚Theorien‘ in Anführungszeichen stehen, die schon Säuglingen (zuweilen gar als ‚eingeborenes Wissen‘) zugeschrieben werden. [42] Ihr Ausbau, also die Anreicherungen des Vorstellungsvermögens und die wachsende Fähigkeit, Reflexionen zur Sprache zu bringen und soziale Phantasie in ihrem Handeln zu organisieren, sind Gegenstand des nun folgenden Teils. . <?page no="75"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! Wie Kinder beginnen, sich mit anderen und mit sich selbst auseinanderzusetzen <?page no="77"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 77 Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! V on Anfang an spielen kleine Kinder ihren Part in dem ‚Tanz‘ der Interaktionen: zunächst im imitierenden Wechsel zu zweit und bald im Austausch über Dinge und Ereignisse in der nahen Umgebung. Sie geben früh zu erkennen, dass sie ihre Vertrauten als Personen begreifen, die wie sie selbst Gefühle haben. Schon ab dem zweiten Jahr können Kinder nicht nur mitvollziehen, was ein Gegenüber wünscht, mag oder fürchtet. Sie können dies auch auf ihre Weise kundtun, denn sie finden ihre eigenen Empfindungen in ihm wieder. Sollen wir diese Regungen schon ‚Empathie‘ nennen? Bezeichnet Empathie, oder wie es hier erweiternd heißt: soziale Phantasie nicht vielmehr die Fähigkeit, sich nicht nur gefühlsmäßig in andere hineinzuversetzen, sondern mit deren Bedürfnissen, Wissen, Stimmungen und Überzeugungen auch dann einsichtsvoll umzugehen, wenn sie nicht mit den eigenen übereinstimmen? Uns gar unangemessen oder realitätsfremd erscheinen? Tatsächlich ist die Entwicklung der sozialen Phantasie ein lebenslanger Prozess, in dem die Menschen sich auch selbst genauer kennen- und einzuschätzen lernen. In den folgenden Kapiteln sollen für die prägenden Jahre der Kindheit eine Reihe von Aspekten dieser Entwicklung aufgezeigt werden. Dabei geht es auch darum zu beschreiben, wie unterschiedlich in wissenschaftlichen Untersuchungen an dieses Thema herangegangen wird. Zu Beginn möchte ich die Leserinnen und Leser auf ein prominentes Parkett der entwicklungspsychologischen Experimente führen. <?page no="78"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 78 ‚Theory of Mind‘ - Konjunkturen eines entwicklungspsychologischen Konstrukts oder: Was Witwe Bolte nicht wissen konnte D ie Bezeichnung für dieses Konstrukt, das in den letzten Jahrzehnten viel Beachtung in den Wissenschaften gefunden hat und auch intensiv in die Praxis ausstrahlt, wird im deutschen Sprachgebrauch fast nie übersetzt. Das liegt nicht nur daran, dass sich generell so viele Anglizismen bei uns einbürgern, sondern wohl auch daran, dass für das englische mind im Deutschen zwar zahlreiche Wörter stehen können (Geist, Verstand, Gedanke, Seele, Gemüt), keines davon jedoch wirklich trifft, was im Englischen, im Verein mit theory, gemeint ist: eine vorwissenschaftliche (Alltags-)Psychologie, die uns im sozialen Zusammenleben Orientierungen gibt und Handlungsmöglichkeiten aufzeigt. Wir schreiben den Menschen innere Vorgänge zu, Wünsche, Haltungen, Urteile, die ja nicht offen liegen, sondern die wir nur aus ihren Handlungen oder Äußerungen erschließen können, und von denen wir annehmen, dass sie auf jeweils persönlicher Erfahrung, Wissen und Weltsicht gründen. Auf diese Weise geben wir dem Tun unserer Mitmenschen einen Sinn, schaffen uns Zugang zu ihren Bedürfnissen und Absichten, vollziehen sie mit oder distanzieren uns, üben Verständnis und Mitgefühl, erkennen Scherz, Ironie und Unwahrheit. Wir lernen unter anderem auch, wie sich falsche Realitäten vortäuschen lassen oder wie die Unwissenheit anderer sich für unsere Zwecke nutzen lässt. Diese sehr komplexen, auf Mitmenschen gerichteten Erwägungen und Folgerungen hat die Psychologie nun - mit Blick auf die kindliche Entwicklung - in experimentell prüfbare (Alltags-)Psychologie schafft Zugang zu den Beweggründen des Handelns von Mitmenschen! <?page no="79"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 79 Aufgabenstellungen einzufangen (zu ‚operationalisieren‘) versucht. Die Versuchsanordnungen D ie Erforschung der theory of mind bei Kindern begann in den frühen 1980er Jahren und zwar anhand einer recht speziellen experimentellen Aufgabenstellung, die für eine im Alltag ständig geforderte Leistung exemplarisch stehen soll: Ab wann berücksichtigen Kinder den ‚falschen Glauben‘, den eine Person, die ‚Protagonistin‘, von einer Sachlage hat, weil ihr Teile des Geschehens nicht bekannt sind. Die Versuchsperson selbst ist jedoch mit der Sachlage vertraut, denn sie ist im Experiment ja Zeugin der Vorgänge gewesen. Um zu veranschaulichen, wie das praktisch zu verstehen ist, hat einer der in diesem Feld bekannten Autoren eine Bildergeschichte aus Wilhelm Buschs Streichen von Max und Moritz herangezogen. [1] Hier liegt ein verwickelter Sachverhalt vor. Wilhelm Busch lässt uns Zeuge werden, wie Max und Moritz die auf dem Herd brutzelnden Hähnchen durch den Schornstein angeln, während sich die Witwe <?page no="80"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 80 Bolte im Keller das Sauerkraut beschafft, das sie dazu verspeisen möchte. Sie lässt also die Hähnchen auf dem Herd mit Spitz, dem Hund, allein zurück und findet beim Heraufkommen eine leere Pfanne vor, ebenso wie Spitz, dem es offensichtlich nicht gelungen war, den Inhalt zu bewachen. Was denkt sie nun? Sie macht einen Fehler, sie schlägt den treuen Hund, weil sie nicht ahnt, was wir Leserinnen wissen, dass nämlich Spitz ganz unschuldig ist, während Max und Moritz sich inzwischen mit prallen Bäuchen auf der Wiese von ihrem Schmaus erholen. Die Witwe Bolte missversteht die Lage, produziert in ihrer Vorstellung eine falsche innere Repräsentation des Geschehens, das sich abspielte, während sie im Keller war. Vor allem zwei Aufgabenformen, die sich schon mit jüngeren Kindern durchführen lassen, denen man die Streiche von Max und Moritz noch nicht zumuten mag, sind in Experimenten benutzt worden, um herauszufinden, ab welchem Alter Kinder dem ‚falschen Glauben‘ eines Protagonisten Rechnung tragen können: Aufgaben des Typs ‚unerwarteter Ortswechsel‘ und des Typs ‚unerwarteter Gegenstand‘. Die erste Untersuchung, die mit dem ‚unerwarteten Ortswechsel‘ gearbeitet hat, [2] handelt von Maxi und der Schokolade. <?page no="81"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 81 Im Beisein eines Kindes der Versuchsgruppe wird mit Puppen und Spielzeug eine Geschichte dargestellt: Maxi und seine Mutter kommen vom Einkaufen nach Hause und räumen, was sie mitgebracht haben, in zwei Schränke, in einen grünen und einen blauen. Maxi merkt sich genau, dass die Schokolade in den grünen Schrank gekommen ist, und geht dann zum Spielen fort. Inzwischen backt die Mutter einen Kuchen und verwendet dafür ein bisschen Schokolade. Sie legt die angebrochene Tafel nun aber nicht in den grünen Schrank zurück, sondern in den blauen. Dann verlässt sie die Küche, um den Tisch zu decken. Maxi kommt zurück und freut sich auf ein Stückchen Schokolade. Das Versuchskind, das Zeuge des Geschehens war, wird nun gefragt: ‚Wo wird Maxi die Schokolade suchen‘? Es kann entweder den Ort benennen oder einfach auf einen der beiden Schränke zeigen. Eine bekannt gewordene Untersuchung, des Typs ‚unerwarteter Gegenstand‘, die ebenso wie die gerade beschriebene viele Folgeuntersuchungen nach sich gezogen hat, [3] ging so vor: Die Versuchsleiterin zeigt einzelnen Kindern der Versuchsgruppe eine bekannte Süßigkeiten-Schachtel und fragt, was da wohl drin ist. Alle Kinder sagen erwartungsgemäß ‚Bonbons‘. Dann wird die Schachtel geöffnet und es stellt sich heraus, dass sie in Wirklichkeit Buntstifte enthält. Man schließt die Schachtel wieder, und fragt die Kinder, was ihre Freundin, die draußen vor der Tür wartet, wohl sagen wird, was in der Schachtel ist. In solchen Untersuchungen stellte sich heraus, dass Kinder vor ihrem vierten Geburtstag auf die Fehleinschätzungen der Protagonisten nicht so reagieren wie wir als Leserinnen auf den Irrtum der Witwe Bolte. Die dreijährigen Kinder deuteten auf den Schrank, in den die Mutter die Schokolade nach dem Backen hineingelegt hatte - bzw. sie meinten, dass die Freundin sagen würde, es seien Buntstifte in der Schachtel. Die Kinder dieses Alters verhielten sich demnach gemäß ihrer eigenen Kenntnis der Situation, die man ihnen ja vorgeführt hatte. Sie konnten also <?page no="82"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 82 nicht berücksichtigen, dass Maxi (bzw. die Freundin vor der Tür) zwangsläufig von falschen Vorstellungen ausgehen mussten, da sie schließlich das zwischenzeitliche Geschehen nicht mitbekommen hatten. Und als man bei den Experimenten des zweiten Typus die Kinder fragte, was sie denn selbst vorhin über den Inhalt der Schachtel geglaubt und gesagt hätten, antworteten sie unverdrossen, sie hätten ‚Buntstifte‘ gesagt. Erst ältere Kinder waren in solchen Untersuchungen mit steigendem Alter immer besser bereit, die Unkenntnis der Protagonisten über die Lage der Dinge in ihre Beurteilung einzubeziehen. Auch wenn die Wissenschaft im Lauf der Zeit viel Verblüffendes darüber ans Licht gebracht hat, was schon ganz kleine Kinder in frühen Lebensjahren alles können und bereits Zweijährige als ‚kleine Forscher‘ bezeichnet werden, zeigen solche Untersuchungen doch, dass erst zwischen drei und fünf Jahren in der Entwicklung kindlicher Vorstellungskräfte etwas geschieht, das für einen qualitativen Umbruch spricht. Etwas, das mit neuen Möglichkeiten zusammenhängt, neben der einen, eigenen Sicht auf die Dinge zugleich die Perspektive anderer einzunehmen, hierüber auch nachzudenken und darüber auch berichten zu können. Angeborene Empathie oder Lernen aus Erfahrungen? D as ist ein zentrales Thema im Zusammenhang mit der theory of mind, deren empirische Erforschung in der letzten Zeit einen besonders wichtigen Stellenwert bekommen hat. Dabei kann man bei der Anlage und den Interpretationen der zahlreichen Untersuchungen zwei ‚Lager‘ unterscheiden. Auf der einen Seite diejenigen, die angeborene Kompetenzen stärker gewichten, auf der Erst ältere Kinder können neben der einen, eigenen Sicht zugleich die Perspektive der anderen berücksichtigen. <?page no="83"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 83 anderen Seite diejenigen, die der jeweils individuellen Erfahrung eines Kindes größere Bedeutung beimessen. Das zeigt sich bereits bei den unterschiedlichen Auffassungen darüber, wie geeignet die ‚klassischen‘ Aufgaben sind, anhand derer man entscheidet, ob Kinder einem ‚falschem Glauben‘ Rechnung tragen können, also über theory of mind verfügen oder nicht. Manche Vertreter der Säuglingsforschung, die mit neuen Methoden in immer jüngerem Alter kindliche Kompetenzen nachweisen möchten, suchen auch auf diesem Gebiet nach Belegen dafür, dass nicht erst Kinder ab vier Jahren, sondern auch Dreijährige, und sogar schon Kleinkinder in den ersten Lebensjahren Verhaltensweisen zeigen, die man als Reaktionen auf Irrtümer von Protagonisten deuten kann. Statt von den jüngeren Kindern explizite Antworten auf gezielte Fragen der Versuchsleiterin, oder zumindest gezielte gestische Hinweise zu erwarten, müsse man eben Mittel und Wege finden, implizite Hinweise auf die mentalen Vorgänge zu erhalten, die den kindlichen Reaktionen zu Grunde liegen könnten. Für diesen Zweck hat sich in anderen Zusammenhängen die visuelle Aufmerksamkeit bewährt, genauer: die Blickrichtung und die Dauer der Fixierung eines Ereignisses, von denen man annimmt, dass sie bei Überraschungen länger währt als bei Gewohntem. Tatsächlich sind in diversen Studien bei ähnlichen Versuchsanordnungen wie den beschriebenen solche Hinweise gefunden worden. Man spielt den Kinder also Szenen vor, in denen eine Protagonistin entweder den Ortswechsel eines Gegenstands mitbekommt oder nicht, und beobachtet dann, wohin die Kinder blicken, wenn sie die nächste Handlung des Protagonisten antizipieren - oder in welchem Fall sie einen Ort länger als den anderen fixieren: den, der irrtümlich von der Protagonistin angesteuert wird oder den, an dem das Objekt sich tatsächlich befindet. [4] Die Forscher und Forscherinnen, die mit solchen Untersuchungen zeigen möchten, dass die Fähigkeit des mind-reading (also die <?page no="84"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 84 Vergegenwärtigung dessen, was der andere erlebt) sich in der Biografie schon sehr früh nachweisen lässt, vertreten die Annahme, dass den Menschen eine natürliche Veranlagung für vorwissenschaftliche (Alltags-)Psychologie angeboren sei. Sie meinen, dass sich in der weiteren Entwicklung hieran im Kern nichts ändert, sich in den späteren Leistungen lediglich größere Gedächtniskapazität und die wachsende Fähigkeit niederschlügen, Ablenkungen zu widerstehen. [5] Auf der anderen Seite gibt es Positionen, die der Annahme ‚eingeborener Theorien‘ kritisch gegenüber stehen und stärker die Bedeutung der selbst erlebten Erfahrung in den Blick nehmen. Verglichen mit früheren Debatten über den jeweiligen Einfluss von Anlage und Umwelt haben die Vertreter dieser Positionen dabei allerdings die einst gern ins Spiel gebrachte rigoros behavioristische Anschauung inzwischen weit hinter sich gelassen, die Ansicht nämlich dass alles, was sich im Verhalten zeigt, allein eine Folge der Einwirkung von außen sei. Entwicklungstheorien dieser Art betonen heute stets die Mitwirkung innerer Faktoren, doch gehen sie stärker auf individuelle und kulturelle Unterschiede im Lebensverlauf ein, die sich aus den verschiedensten äußeren Bedingungen ergeben. Sie beschreiben dabei nicht nur, wie sozial-kulturelle Erfahrungen auf die kindliche Entwicklung wirken, sondern untersuchen beispielsweise auch, wie Kinder ihrerseits mit der eigenen Aktivität verändernd in die Umwelt eingreifen (wie sie zum Beispiel ihre Sozialpartner zu bestimmtem Verhalten veranlassen und auf diese Weise ja auch deren Einfluss auf sie selbst mitgestalten), mit anderen Worten: wie sie konstruktiv mit beeinflussen, was auf ihre eigene Entwicklung einwirkt. [6] Auch im Zusammenhang der theory of mind steht der nativistischen, die Anlagen betonenden Position also keineswegs ein ge- Kinder beeinflussen konstruktiv, was auf ihre eigene Entwicklung einwirkt! <?page no="85"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 85 schlossener ‚interaktionistischer‘ Block gegenüber, sondern es gibt viele Varianten. Für sie alle spielt jedoch als Ausgangspunkt eine Rolle, was der berühmte Entwicklungspsychologe Jean Piaget die Fähigkeit zum ‚Symbolspiel‘ genannt hat, nämlich seine Beobachtung, dass Kinder bereits in ihrem zweiten Lebensjahr das So-tun-als-ob beherrschen. [7] Es verblüfft ja tatsächlich, dass schon so kleine Kinder bereit sind, sozusagen mit doppelten Bedeutungen umzugehen, einer realen und einer fiktiven: Sie führen eine Banane als Telefon zum Ohr, wohl wissend, dass man eine Banane essen kann, den Telefonhörer aber nicht, dass man also hilfsweise ein Ding für etwas anderes nehmen kann. Und sie verstehen auch, wenn andere nur ‚so tun als ob‘, wenn diese beispielsweise vorgeben zu schlafen oder ein Wollknäuel zum Mund führen und so tun, als ob sie in einen Apfel beißen. Wir dürfen hierin erste Anzeichen dafür sehen, dass Kinder schon in so frühem Alter anfangen, zwischen realen Dingen und den Gedanken zu unterscheiden, die man sich über die Realität machen kann. Wer die kindliche Entwicklung als Entfaltung angeborener Kompetenzen auffasst, sieht hier ein System in Kraft, das den menschlichen Geist insgesamt bereits von Geburt an, sozusagen ‚in einer Nussschale‘ enthält. [8] Dagegen bieten die verschiedenen Theorien des sozialen und kulturellen Lernens Beschreibungen für den Weg an, der von anfänglicher Unterscheidung zwischen Dingen und Gedanken hin zu jenem sozialem Verständnis führt, die für eine entwickelte theory of mind spricht. Dieses Verständnis müsste dann auch die Fähigkeit einschließen, explizit zu erklären, wie jemand zu einem falschen Glauben über eine Sachlage kommen kann. Im Unterschied zu nativistischen Konzepten betonen diese lerntheoretischen Ansätze stets, dass es qualitative Verände- Kinder fangen schon in frühem Alter an, zwischen realen Dingen und den Gedanken zu unterscheiden, die man sich über die Realität machen kann. <?page no="86"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 86 rungen im Lauf der Entwicklung gibt. [9] Einige verzichten dabei auf die Annahme, es sei die mentale Vergegenwärtigung der Gedanken anderer Menschen die hierbei eine Rolle spielt: Kleine Kinder übertrügen einfach ihre eigenen Wahrnehmungen und Einschätzungen auf andere. Und wenn sie in jüngerem Alter bei den beschriebenen klassischen Aufgabenstellungen falsch liegen (wenn sie etwa meinen, die Freundin vor der Tür würde sagen, es sind Buntstifte in der Bonbonschachtel), dann sei dies eben eine ich-bezogene Übertragung (englisch: simulation) ihres eigenen aktuellen Kenntnisstands. Erst mit der Zeit lockere sich die Übertragung von Eigenem auf Fremdes und bringe schließlich die Fähigkeit zum Perspektivenwechsel mit sich. Andere lerntheoretische Positionen betonen demgegenüber, dass es gerade die mentale Vergegenwärtigung der Gedanken anderer Menschen sei, die eine qualitative Veränderung in der kindlichen Entwicklung mit sich bringt. Sie sehen also schärfere Einschnitte zwischen dem frühen Vermögen, mit Wirklichkeit und Schein zu spielen (mit einer Banane ‚telefonieren‘, auf einem Stöckchen ‚reiten‘) und der erst später erreichten Fähigkeit, zu begreifen, dass Einschätzungen über die vorgefundene Realität in den Köpfen entstehen, und dass es richtige oder auch falsche Meinungen sein können. Einigkeit herrscht darin, dass sich solche Einsichten um das Alter von vier Jahren herum einstellen. Ab da steigern die Kinder ihre soziale Kompetenz, indem sie gewissermaßen ‚verbesserte Auflagen‘ (neue Repräsentationen) früherer mentaler Gewohnheiten herstellen. Sie können damit nun ermessen, dass Personen angesichts einer von ihnen falsch eingeschätzten Realität (die sie selbst ja besser kennen) das Falsche tun und dabei ernsthaft glauben, richtig zu handeln. <?page no="87"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 87 Praxisferne und -nähe der Laboruntersuchungen W ie kaum ein anderes Thema hat die Ausbildung einer theory of mind in der Kindheit die experimentelle Entwicklungspsychologie in den letzten Jahrzehnten beschäftigt und dabei, wie hier angedeutet, die verschiedensten Entwicklungsmodelle ins Spiel gebracht. Die Debatten wurden und werden kooperativ, aber auch kontrovers geführt. Übereinstimmung herrscht darüber, dass sich mit der Fähigkeit des Nachdenkens über mentale Prozesse das zunächst vorherrschende spontane Reagieren in sozialen Situationen langsam verringert und so insgesamt mehr Raum für selbstbestimmtes Handeln gewonnen wird. Bemerkenswert bleibt, dass derart wichtige und breit angelegte fachliche Diskurse fast sämtlich um ganz wenige Muster von Versuchsanordnungen kreisen (zwei der ‚klassischen‘ Aufgabentypen wurden in diesem Kapitel beschrieben), zumal dies Versuchsdesigns sind, die eher Ansprüche an rationale Kognitionen als an soziale Handlungsbereitschaften stellen. Das ist es aber gerade, was theory of mind zu einem so renommierten entwicklungspsychologischen Konstrukt macht: Man versucht, ein großes Thema exemplarisch (und damit auch einengend) einzufangen und durch experimentell überprüfbare Leistungen im Labor festzuschreiben. Sie werden sich als Leserin vielleicht fragen: Wann treten wir endlich heraus aus den Versuchsräumen, in denen Kinder sich an Maxis falschem Glauben abarbeiten müssen? Nun, die Experimente mögen alltagsfern anmuten. Sie wollen aber inspirieren und bieten manche Anregung für spielerische Interaktionen und Gespräche zu Hause und in den Kitas. Bleiben wir also noch beim Thema und einstweilen auch noch in den experimentellen Studios. Allmählich werden wir dann von den strikt standardisierten Laborbedingungen, auch von der recht einseitigen Fixierung der theory of mind-Forschung auf bestimmte Altersunterschiede <?page no="88"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 88 Abstand nehmen, um nach Bedingungen für individuelle Unterschiede zwischen Kindern zu fragen. Im nächsten Kapitel wird es aber erst einmal um die Beziehungen zwischen theory of mind und Sprache gehen. Wir wollen sehen, was die Forschung zur Beantwortung der Frage beiträgt, ob und wie bestimmte Fortschritte im kindlichen Spracherwerb mit der Fähigkeit zur Lösung von theory of mind-Aufgaben einhergehen, oder sich gar hierfür als förderlich erweisen. Das Problem der Praxisnähe und -ferne wird uns dabei begleiten. <?page no="89"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 89 Fortschritte beim Spracherwerb und Leistungen in theory of mind-Aufgaben: Wie hängen sie zusammen? E s ist höchst plausibel anzunehmen, dass die Ausbildung einer theory of mind wie auch vieles andere vom fortschreitenden Spracherwerb in der kindlichen Entwicklung profitiert. In der Literatur finden sich denn auch zahlreiche Belege hierfür, [10] von denen im Folgenden nur wenige Beispiele angeführt werden können. Im Grunde ist dies zunächst einmal eine eher triviale Annahme, denn es versteht sich von selbst, dass die Lösung von Aufgabenstellungen fast jeglicher Art umso stärker vom Sprachverstehen und von der Fähigkeit abhängt, verbale Erklärungen zu finden, je komplizierter die Aufgaben werden. Aber welche Aspekte der Sprachkompetenz sind es genau, die sich hier als besonders wichtig herausstellen? Wörter und ihre differenzierten Bedeutungen I st es vor allem die Verfügung über den Wortschatz, der im zweiten Lebensjahr ja ständig ansteigt und im dritten sogar meist sprunghaft zunimmt? Bekanntlich wird tatsächlich der Fortschritt im Spracherwerb gern hieran festgemacht. Um den 18. Monat herum erwartet man, dass Kinder etwa 50 unterschiedliche Wörter produzieren und das Vierfache davon verstehen können. Je mehr in der Folgezeit Wörter zusammengefügt und auch in Satzzusammenhängen verstanden werden, desto rascher steigt erwartungsgemäß der Wortschatz an. Nun führt aber das bloße Wörterzählen nicht weit. Es geht eher um Bedeutungen und Bedeutungsunterscheidungen, die für Kinder zugänglich werden. Und hier zeigt sich, dass es wichtig ist zu <?page no="90"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 90 erkennen, wie weit Wörter für die Kinder die gleiche Bedeutung haben, die Erwachsenen geläufig ist. Kinder sagen zum Beispiel schon früh ‚ich weiß‘, ‚meinst du‘ oder ‚glaub nicht‘, denn sie hören ja diese Wendungen häufig in ihrem Umfeld. Nur: Sind sie sich, etwa im Alter von drei Jahren, im Klaren darüber, dass beispielsweise Verben wie ‚wissen‘ und ‚meinen‘ sich auf ganz unterschiedliche geistige Vorgänge beziehen? ‚Wissen‘ drückt einen verlässlichen mentalen Besitz aus. ‚Meinen‘ steht dagegen für eine mentale Aktion, der eine gewisse Unsicherheit anhaftet, für eine Vermutung also. Es nützt daher nicht viel, einfach auszuzählen, welche und wie viele Wörter für mentale Vorgänge die Kinder zu verschiedenen Zeitpunkten bereits benutzen. Man müsste schon genauer auf die Kontexte schauen, um herauszubekommen, ob Kinder mit feineren Bedeutungsunterschieden bereits umgehen oder nicht. Betrachten Sie zwei Beispiele, die ich einer einschlägigen amerikanischen Untersuchung entnommen und hier abgewandelt und übersetzt habe (die Verben, die mentale Vorgänge bezeichnen, sind kursiv gedruckt): [11] Anne (4 Jahre): Den Stein hier hab ich am liebsten. Mutter: Warum hast ihn denn so gern? Anne: Ich weißnicht.Ich glaube, weil ermeine Lieblingsfarbe hat. Hilde (3 Jahre, 6 Monate): Ich denk, wie heißt sie nur? Mutter: Wer denn? Hilde: Weißt du nicht, erinnerst du dich nicht? Du kennst sie. Mutter: Nein, wo wohnt sie? Hilde: Ich weiß nicht, ich weiß den Namen nicht. Sie hat einen Tennisschläger Mutter: Wo hast du sie denn getroffen? Hilde: Na hier, bei uns. <?page no="91"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 91 Mutter: War ich denn da zu Hause? Hilde: Nein Mutter: Wie soll ich denn dann wissen, wer sie ist? Anne kann man anmerken, dass sie zwischen ‚wissen‘ und ‚glauben‘ gut zu unterscheiden versteht. Hilde dagegen benutzt im Gespräch mit der Mutter zwar eine ganze Reihe von Wörtern, die mentale Vorgänge bezeichnen, aber sie ist noch in der Illusion befangen, dass eine Erfahrung, die sie selbst gemacht hat, von ihrer Mutter automatisch geteilt wird. Deshalb schätzt sie deren mentalen Kenntnisstand nicht richtig ein. In diesem Gespräch ist es allein das ‚wissen‘ der Mutter im abschließenden Satz, das von voller Berücksichtigung der Bedeutung dieses Tätigkeitsworts zeugt. Es bezieht ja seinen besonderen Sinn daraus, dass es in einem ganzen System von Bezeichnungen für mentale Aktivitäten einen bestimmten Platz neben vielen anderen Verben hat. Man sieht: viel interessanter ist es, auf die Differenzierungen zu schauen, die Kinder mit solchen Wörtern schon ausdrücken wollen, als einfach die Anzahl der Exemplare einer Wortklasse zu registrieren, die sie benutzen. Erst an solchen Differenzierungen lässt sich nämlich erkennen, wie Kinder sich im Bedeutungssystem ihrer Sprache allmählich zurechtfinden. Es ist nicht einfach, Untersuchungsdesigns zu entwickeln, die derartige Details berücksichtigen. Tätigkeitswörter in komplexen Sätzen W as nun die Fragestellungen darüber angeht, wie Fortschritte im Spracherwerb mit den Leistungen im Bereich der theory of mind zusammenhängen, so stehen tatsächlich diejenigen Tätigkeitswörter im Fokus des Interesses, die sich auf kommunikative Akte (wie ‚sagen‘, ‚rufen‘, ‚flüstern‘) und mentale Vorgänge (wie ‚wünschen‘, ‚wollen‘, ‚sich freuen‘) beziehen. Zum besonde- <?page no="92"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 92 ren Prüfstein sind dabei aber diejenigen Verben geworden, die sich auf Bezeichnungen für Nachdenken, Vermutungen oder Meinungen beziehen (wie ‚wissen‘, ‚erinnern‘, ‚glauben‘, ‚denken‘, ‚meinen‘, ‚überlegen‘). Sie sind es vor allem, die in der Regel zugleich eine gebeugte Satzergänzung erhalten (‚Mami glaubt, dass Peter noch keine Lust hat, schlafen zu gehen‘). Nicht nur im Deutschen ist das so, sondern beispielsweise auch im Englischen. In den experimentalpsychologischen Studios wird also besonders viel gerade mit solchen Tätigkeitswörtern gearbeitet. Man möchte erfahren, wann Kinder in die Lage kommen, mit Bedeutungsdifferenzen auch syntaktisch sinnreich umzugehen. Von manchen Experten wird dazu die These vertreten, solch differenzierte Einsicht in Bedeutungen setze voraus, dass die Kinder verschachtelte Sätze verstehen können (das sind Konstruktionen mit Nebensatzergänzungen, in denen die Akteure oder Objekte im Haupt- und im Nebensatz nicht identisch sind und ihnen daher unterschiedliche Prädikate zugeordnet werden) - wie etwa in dem Satz ‚Peter glaubt, dass der Apfel innen faul ist‘. [12] Bei der Erforschung von theory of mind-Kompetenzen, kommt nun hinzu, dass nicht Objekte wie Äpfel als Gegenstand des Nachdenkens anstehen, sondern dass es sich dabei immer um mentale Vorgänge bei Menschen handelt, schließlich richtet sich das Interesse auf die Entstehungsbedingungen des kindlichen Vorstellungsvermögens über mind. Eine Fülle von Untersuchungen bestätigt richtungsgleiche Zusammenhänge von Daten über semantische und syntaktische Fähigkeiten auf der einen Seite und Daten über die Fähigkeit, theory of mind-Aufgaben zu lösen, auf der anderen Seite. Im Sprachgebrauch der Statistik heißt das, beides korreliert miteinander auf messbarem Niveau: Zuwächse auf der einen Seite gehen mit ei- Wann kommen Kinder in die Lage, mit Bedeutungsdifferenzen sinnreich umzugehen? <?page no="93"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 93 nem Zuwachs auf der anderen Seite einher. Diese Beobachtungen sind durchaus interessant, aber sie erlauben keine Aussagen darüber, ob es einen ursächlichen Zusammenhang zwischen diesen beiden Kompetenzen gibt, etwa dergestalt, dass es die syntaktischen Fähigkeiten seien, die zur besseren Lösung von theory of mind-Aufgaben beitragen. Derartige kausale Beweisführungen sind viel aufwendiger zu führen als beispielsweise einfach Messungen beider Fähigkeiten bei Kindern unterschiedlichen Alters vorzunehmen, und sie dann miteinander in Beziehung zu setzen. Arbeiten, die kausale Aussagen anstreben, finden vor allem als Trainingsstudien statt. Hier wird stets zunächst sichergestellt, dass die untersuchten Kinder eine bestimmte Leistung, um die es beim Training geht, noch nicht erbringen, hier also: vor dem Trainingsbeginn mit Aufgaben des ‚falschen Glaubens‘ noch nicht richtig umgehen können. Dann wird mit den Versuchspersonen dasjenige geübt, was als verursachende Faktoren von zu erwartenden Lernerfolgen vermutet wird. Abschließend überprüft man schließlich, wie zuvor mit Aufgaben des ‚falschen Glaubens‘, ob sich Effekte nachweisen lassen, die sich einem bestimmten Training zuschreiben lassen. [13] Ein Experiment als Beispiel E ine viel zitierte Studie über Faktoren, die maßgeblich für die Kompetenz in theory of mind-Aufgaben sein könnten, stammt aus dem Leipziger Institut für Evolutionäre Anthropologie. [14] Sie soll hier in Umrissen beschrieben werden. Wer sie im Original zur Kenntnis nimmt, wird dort genau über die benutzten methodischen Vorgehensweisen informiert und ein Beispiel dafür vorfinden, wie intensiv bei der Planung solcher Untersuchungen die bis dahin einschlägigen Arbeiten aus diesem Bereich berücksichtigt werden müssen. <?page no="94"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 94 An der Untersuchung nahmen über 100 dreijährige deutschsprachige Kinder aus allen Bevölkerungsschichten teil. Sie wurden in vier Gruppen aufgeteilt und einzeln in einem ruhigen Raum ihrer Kindertagesstätte untersucht, und zwar viermal etwa eine halbe Stunde innerhalb von zwei Wochen. Die erste und die letzte Sitzung dienten der Feststellung der Leistungen vor und nach dem Training. Dazwischen wurde mit den Kindern jeder Gruppe eine von vier verschiedenen Prozeduren durchgeführt. Die Materialien waren für alle Gruppen dieselben (ähnlich den schon weiter oben beschriebenen: die irreführende Bonbonschachtel, dazu eine Kerze, die aussieht wie ein Apfel…). In drei der Gruppen war das Gespräch, das die Versuchsleiterin mit den Kindern führte, jeweils auf unterschiedliche Faktoren bzw. eine Faktorenkombination konzentriert, die die Leistung bei den Aufgaben ‚falschen Glaubens‘ im abschließenden Test beeinflussen könnten: Die erste Gruppe erhielt Anregungen, auf die Mehrdeutigkeit des Materials zu achten. Eine zweite Gruppe bekam solche Hinweise nicht, jedoch verwendete die Versuchsleiterin in den Gesprächen komplexe Sätze und bestimmte mentale Verben, die Kinder anregen könnten, selbst solche Konstruktionen zu benutzen - also eine Bedingung, in der isoliert der Effekt eines syntaktischen und semantischen Modells überprüft wird (‚denkst du, dass man diese Kerze anzünden kann? ‘, ‚ja, ich denke auch, dass es ein Apfel sein könnte‘). Eine dritte Gruppe erhielt ein ‚komplettes‘ Training, das heißt sie wurden sowohl mit komplexer Sprache angesprochen wie auch mit expliziten Hinweisen auf Mehrdeutigkeiten versorgt. Neben diesen drei Experimentalgruppen diente eine vierte als Kontrollgruppe. Hier sprach die Versuchsleiterin mit dem Kind nur über die Materialien (‚was ist denn das? ‘, ‚sieh mal genau hin‘), ohne dass dabei mentale Verben oder Konstruktionen mit Satzergänzungen eingesetzt wurden, und ohne dass explizite Hinweise auf täuschendes Aussehen erfolgten. <?page no="95"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 95 Die abschließende Überprüfung der Lerneffekte unter den verschiedenen Trainingsbedingungen geschah mit ähnlichen Materialien, die auch in den Trainingssitzungen benutzt worden waren, diesmal wieder nach dem Muster der gängigen theory of mind-Tests, deren Ergebnisse individuell mit dem Eingangstest verglichen werden konnten. Die wichtigsten Ergebnisse der Untersuchung waren: In der Kontrollgruppe zeigte sich beim abschließenden Test keinerlei Lerneffekt gegenüber dem Anfangstest. Auch die Erfahrung mit ausdrücklichen Hinweisen auf Widersprüche zwischen Schein und Sein allein (Experimentalgruppe eins) brachte keinen Fortschritt beim abschließenden Verstehen von ‚falschem Glauben‘. Ein überzufälliger Effekt trat jedoch bereits in der zweiten Experimentalgruppe ein, die zwar solche Hinweise nicht, jedoch ein anspruchsvolles Sprachangebot erhalten hatte. Der größte Lernerfolg, der sich durch merklich besseres Erkennen des ‚falschen Glaubens‘ im Abschlusstest (verglichen mit dem Eingangstest) belegen ließ, war bei denjenigen Kindern nachzuweisen, die das volle Training erhalten hatten, also komplexe Syntax, wie sie für Verben erforderlich ist, die mentale Vorgänge bezeichnen, zusammen mit Hinweisen auf die Mehrdeutigkeiten in der äußeren Erscheinung der Objekte. Die Kinder dieser Gruppe hatten sich die vorgegebenen sprachlichen Erklärungen offensichtlich besonders gut zu eigen gemacht. Jedoch hat sich nachweisen lassen, dass auch schon die Kinder, die nur das komplexe Sprachangebot bekommen hatten, dieses modellhafte Angebot für die Aufgabenlösungen nutzen konnten. Zwei der Experimentalgruppen haben somit im Begreifen der theory of mind-Aufgaben einen Schub erlebt, der allein von ihrer allgemeinen Weiterentwicklung her (nur zwei Wochen nachdem zunächst ihr Unvermögen in Aufgaben Komplexer Sprachgebrauch als Motor des sozialen Verstehens <?page no="96"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 96 des ‚falschen Glaubens‘ sichergestellt worden war) kaum zu erwarten gewesen wäre. Die hier als Beispiel herangezogene Untersuchung hat mit insgesamt recht strikten Redeformeln gearbeitet, die den Versuchsleiterinnen vorgegebenen waren. Zudem wurden lediglich drei mentale Verben (denken, wissen und sagen) benutzt. Diese Beschränkungen dienten dazu, durch die Gruppenvergleiche möglichst klar und unabhängig voneinander jene beiden Faktoren auf den Prüfstand zu stellen, von denen man annahm, sie bewirkten den hier zur Debatte stehenden Lerneffekt: Einmal die von der Untersucherin modellhaft benutzte komplexe Sprache (Haupt- und Nebensatzkonstruktionen, in denen die drei mentalen Verben enthalten waren) und zum anderen die Lenkung der kindlichen Aufmerksamkeit auf Schein und Wirklichkeit der Materialien. Dieser zweite Faktor erwies sich allein nicht als wirksam, kombiniert mit dem anderen jedoch als besonders einflussreich. Damit konnte diese Arbeit zu dem beschriebenen klar interpretierbaren Ergebnis gelangen, dass der komplexe Sprachgebrauch mit den mentalen Verben das Verstehen von ‚falschem Glauben‘ in besonderem Maße fördert. Reden über mentale Zustände und Vorgänge im Alltag von Familien E xperimentelle Forschung, die von vornherein auf die Kontrolle von Bedingungsgefügen angelegt ist, kommt in der Regel selbst dann, wenn es sich um Trainingsstudien mit mehreren Terminen wie die gerade beschriebene handelt, mit überschaubarem Aufwand aus. Nicht so die Forschungsarbeiten, mit denen man ‚ins Feld‘ geht, um sich ein breites Spektrum an Beobachtungen vorzunehmen. Deshalb soll hier als Kontrastbeispiel kurz über eine recht umfangreiche Studie dieser Art berichtet werden, die aus Kanada stammt. Das Untersuchungsfeld war die Kommunikation <?page no="97"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 97 im Alltag von Familien, wobei das Interesse gezielt den spontan geäußerten Gesprächsanteilen über innere Vorgänge während der Interaktionen zwischen den Familienangehörigen galt. [15] Über lokale Geburtsanzeigen wurden Familien (40 an der Zahl! ) ermittelt und zur Mitarbeit gewonnen, die in zwei Hinsichten übereinstimmten: es sollten Familien sein, in denen sowohl die Mutter wie der Vater erreichbar waren, und sie sollten jeweils zwei Kinder haben, von denen zum Untersuchungsbeginn eines etwa vier Jahre und das andere etwa zwei Jahre alt war. Die Geschlechter des älteren und des jüngeren Geschwisters konnten gut ausbalanciert werden. Die Familien wurden zu zwei Zeitpunkten im Abstand von zwei Jahren aufgesucht. Da die Kinder zu dem zweiten Zeitpunkt im Schnitt vier und sechs Jahre alt geworden waren, ermöglichte dies einen unmittelbaren Vergleich von zwei Gruppen von Vierjährigen mit unterschiedlicher Geschwisterkonstellation: zum ersten Untersuchungszeitpunkt waren die vierjährigen Kinder einbezogen, die kein ein älteres Geschwister (stattdessen ein zwei Jahre jüngeres) hatten, und zum zweiten Zeitpunkt waren die Zweitgeborenen vier Jahre alt, die mit einem älteren Geschwister aufwachsen. Anders als das in Experimentalsituationen zu leisten wäre, wurde sehr viel Zeit für die Beobachtung veranschlagt: Zu jedem der beiden Zeitpunkte gab es 6 nahe beieinander liegende Termine von jeweils 90 Minuten. Für diesen großen Aufwand hatte man sich entschieden, um eine möglichst umfangreiche, also statistisch verrechenbare Datenmenge über denjenigen Ausschnitt der Interaktionen zu erhalten, der die hier interessierenden Redeanteile enthielt, nämlich solche, die sich als mental talk (Reden über innere Vorgänge) mit den entsprechenden Verben oder Wendungen identifizieren ließen. Man wollte möglichst ungelenkte und unbefangene Alltagsinteraktionen einfangen. Deshalb wurden weder an die Erwachsenen noch an die Kinder irgend- <?page no="98"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 98 welche Anweisungen gegeben, die Hinweise auf das eigentliche Forschungsinteresse enthielten. Drei verschiedene Typen von Redeanteilen, die sich auf mentale Vorgänge bezogen, wurden unterschieden und entsprechend codiert: • solche, die Wünsche und Hoffnungen ausdrücken (wie ‚mögen‘, ‚wollen‘), • solche, die Gefühle ansprechen (wie ‚traurig sein‘, ‚sich freuen‘) und • ‚kognitive‘ Redeteile, die Gedanken, Meinungen und Erinnerungen ausdrücken. Das Bildungsniveau der Eltern war weit gestreut über solche ohne Schulabschluss, bis zu Eltern, die ein Hochschulstudium absolviert hatten. Wenn dies auch in der Auswertung nicht separat verrechnet wurde, so ist doch erwähnenswert, dass es sich in diesem Fall nicht um eine sozioökonomisch homogene Gruppe, sondern um einen Querschnitt der Gesamtbevölkerung gehandelt hat. Bei der Hälfte der Termine waren die Geschwister mit ihrer Mutter allein, bei der anderen Hälfte waren beide Eltern anwesend. Sie beschäftigten sich entweder direkt mit den Kindern oder verrichteten häusliche Angelegenheiten und interagierten dabei mit den Kindern aus der Distanz; ausgewertet wurden nur diejenigen Äußerungen der Erwachsenen, die sich unmittelbar an die Kinder richteten. Die wichtigsten Ergebnisse der Studie in groben Zügen Die Kinder zeigten bei den unterschiedlichen Typen der mentalen Redeanteile interessante Unterschiede: Zwischen zwei und vier Jahren (also bei den jeweils jüngeren Geschwistern) erhöhte sich die auf Wünsche und Gefühle bezogene Rede erheblich, ganz besonders galt dies jedoch für den ‚kognitiven‘ Anteil. <?page no="99"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 99 Beim zweiten Beobachtungszeitpunkt zeigte sich bei den Kindern, die nun sechs Jahre alt geworden waren, also denen, die kein älteres Geschwister hatten, ein weiterer Anstieg der ‚kognitiven‘ Rede, während bei ihnen der Redeanteil über Wünsche und Gefühle abnahm. Zugleich waren aber keine bedeutsamen Unterschiede mehr zwischen den Vierjährigen und den Sechsjährigen in Menge und Qualität der Rede über mentale Vorgänge nachzuweisen. Die Autorinnen deuten diesen Befund als einen Beleg dafür, wie unterschiedlich die familiäre Lebenswelt von Kindern mit und ohne ältere Geschwister gerade in dieser so wichtigen Altersperiode der entstehenden theory of mind eingeschätzt werden muss. Ein älteres Geschwister stellt über die elterliche Anregung hinaus nicht nur selbst ein Modell für das jüngere Kind dar. Die jüngere Schwester oder der jüngere Bruder profitieren auch davon, dass sie Zeugen der Unterhaltungen zwischen den Eltern und ihrem älteren Geschwister sind, das ja schon in anderer Weise angesprochen wird als sie selbst. Bei den Eltern hat sich ergeben, dass sowohl Väter wie Mütter sich tatsächlich gegenüber ihren jüngeren und älteren Kindern beim ersten Untersuchungszeitpunkt unterschiedlich verhielten, also sensibel auf deren jeweiligen Entwicklungsstand eingingen. Zum zweiten Zeitpunkt traten diese Unterschiede nicht mehr so deutlich auf, was wiederum als sensible Reaktion auf das zu diesem Zeitpunkt vierjährige Kind angesehen werden kann, das mit dem älteren Geschwister hinsichtlich der mentalen Redeanteile gleichgezogen hatte. Insgesamt war die Menge der entsprechend codierbaren Redeanteile bei den Terminen, bei denen beide Eltern anwesend waren, geringer als bei den Terminen mit den Müttern allein. Zum ersten Untersuchungszeitpunkt ließ sich zudem während dieser Termine bei den Müttern ein größerer Unterschied in der Ansprache an die beiden Kinder registrieren als Aufwachsen mit älteren Geschwistern kann die Entwicklung befördern! <?page no="100"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 100 bei den Anlässen, bei denen auch die Väter dabei waren. Dieser Befund ist allerdings kaum interpretierbar, weil es keine Termine gab, in denen die Väter mit ihren Kindern alleine gewesen wären. Womöglich hätten auch sie sich in dieser Konstellation besonders auf die jeweiligen Bedürfnisse der Kinder eingestellt. Was sagen solche wissenschaftlichen Untersuchungen für die Alltagswirklichkeit aus - ein Zwischenruf E s lag mir daran, für diesen Sektor der kindlichen Entwicklung, der ja bestimmte Aspekte der sozialen Phantasie mit ihren Verbindungen zur sich entwickelnden Sprachfähigkeit unmittelbar betrifft, zwei ganz unterschiedlich verfahrende wissenschaftliche Arbeiten vorzustellen. Die zuerst beschriebene experimentelle Arbeit: Eine typische Trainingsstudie, die zwar im Kindergarten, jedoch dort als Einzelversuche abseits vom Alltagsbetrieb durchgeführt wurde, quasi eine Laborsituation. Dazu die präzise definierte ‚unabhängige‘ (das heißt von den Experimentatoren geplante und kontrollierte) Variation von drei unterschiedlichen Trainingsformen. Schließlich die eindeutige Überprüfung der von diesen Trainingsformen ‚abhängigen‘ Variable in der Form der Leistung in einem theory of mind-Test nach dem Training, die mit den Werten des Anfangstests verglichen wurde. Untersuchungen, die diesem Muster folgen, muss man daraufhin beurteilen, wie überzeugend die eingesetzten Variablen inhaltlich begründet sind, also wie gut sie sich dazu eignen, aus dem Labor heraus auf lebensnahe Situationen verallgemeinert zu werden. In diesem Fall ging es in erster Linie darum, den Einfluss syntaktischer Kompetenzen, wie sie ein sinnvoller Gebrauch bestimmter Verben verlangt, auf die Fähigkeit zu ermitteln, bestimmte Probleme zu lösen, bei denen neben eigenen Sichtweisen auch andere Perspektiven wahrgenommen werden müssen. Die <?page no="101"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 101 in diesem Experiment eingesetzten sprachlichen Mittel mögen letztlich karg anmuten. Und man mag an den typischen, auch in diesem Experiment als Überprüfung eingesetzten theory of mind- Tests bemängeln, dass sie viel eher kognitives Kalkül abfragen als das, was man sich gerne unter sozialer Phantasie vorstellt. Dennoch denke ich, dass eine solche Untersuchung über den psycholinguistischen Erkenntnisgewinn hinaus für die Praxis wertvolle Lehren bereithält, beispielsweise die, dass es bei Sprachanregung und -förderung nicht allein um isolierte Wörter gehen darf. Die als zweite beschriebene Feldstudie war geleitet von einem dezidierten Interesse an der Entwicklung eines bestimmten Ausschnitts der kindlichen Sprachproduktion und untersuchte die Bedeutung der Anregungen von Familienmitgliedern für die Entwicklung der Kinder, sich über mentale Vorgänge zu äußern. Ganz anders als die zuvor beschriebene Untersuchung ist dies jedoch eine Studie, die mit großem Aufwand die Interaktionen innerhalb der Familien ganz unbeeinflusst von experimentellen Versuchsanordnungen beobachtet hat. Das lässt sich zunächst einmal als ein wissenschaftliches Angebot einschätzen, in dem sich Alltagspraxis auf ganz direkte Weise spiegeln kann. Das interessanteste Ergebnis besteht in der Herausarbeitung der Bedeutung der Geschwisterkonstellation: Mit einem älteren Geschwister aufzuwachsen bringt für bestimmte Sprach- und Denkfähigkeiten nach dieser Studie gerade dann Vorteile für das jüngere Kind, wenn beide Geschwister sich in der Altersspanne von etwa drei bis etwa sechs Jahren befinden, eine Zeit, die in der Forschung immer wieder als besonders bedeutsam für Perspektivenübernahme, Sprachentfaltung und die Entwicklung sozialer Phantasie bestätigt wird. Bei der Sprachanregung und -förderung darf es nicht allein um isolierte Wörter gehen! <?page no="102"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 102 Leider nicht berücksichtigt wurde in dieser Studie, wie viele und welche der Kinder tagsüber wie lange eine Tageseinrichtung besucht hatten, die ja auch Gelegenheit bietet, von sprachlichen Anregungen auch innerhalb ihrer Altersgruppen zu profitieren. Fazit des Zwischenrufs Ich denke, beide Beispiele von typischen Untersuchungen haben über ihre Verdienste innerhalb der Fachwissenschaft hinaus auch für die Alltagspraxis in Familien und Einrichtungen der Kinderbetreuung durchaus etwas zu bieten. Zeigen sie doch beide, wie wichtig komplexer, anregender Sprachgebrauch der Erwachsenen gegenüber Kindern ist. Obwohl die experimentelle Studie mit ihrem eng umrissenen Design zunächst weit entfernt vom alltäglichen Geschehen erscheinen mag, gibt doch gerade sie sehr produktive Anregungen für sprachfördernde Interaktionen mit Kindern, die sich auf dem Weg zur Entdeckung der Perspektivenvielfalt und damit auch zur sozialen Phantasie befinden. Die Kinder erobern dabei syntaktisch und semantisch reichhaltige Sprachmittel, die für eigene Reflexionen ebenso bedeutsam sind wie für Mitteilungen an Gesprächspartnerinnen. Die Feldstudie beeindruckt auf den ersten Blick ganz unmittelbar damit, dass sie sich bemüht, den familiären Alltag direkt abzubilden. Man kann ihre Aussagen aber auch in die Situation von Kindertagesstätten verlängern: Die Ergebnisse können für Altersmischung in Kitas sprechen, denn sie unterstreichen den Gewinn, den jüngere Kinder davon haben, wenn sie an den Interaktionen zwischen älteren Kindern und Erwachsenen teilnehmen. Unterstrichen werden muss der Gewinn, den jüngere Kinder davon haben, wenn sie an den Interaktionen zwischen älteren Kindern und Erwachsenen teilnehmen! <?page no="103"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 103 Schaut man genauer hin, dann ist es gerade diese alltagsorientierte Studie, die in manchen methodischen Details besonders wichtige fachwissenschaftliche Anregungen bereithält, zumal der Text auch als komprimierter Forschungsbericht über das bearbeitete Problemfeld gelesen werden kann. Die inhaltlichen Erträge der Arbeit lassen dagegen manche Fragen offen oder besser gesagt: sie stimulieren zu weiteren Fragen, die genauere Untersuchungen lohnen würden. Auch das ist ein nicht zu unterschätzendes Verdienst wissenschaftlicher Arbeit! <?page no="104"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 104 Wachsende Selbständigkeit: Wirkungen der ‚Exekutiven Funktionen‘ auf die kindliche Handlungsorganisation I n den beiden vorangegangenen Kapiteln ging es um die Frage, wie Kinder eine theory of mind ausbilden, oder genauer: wie sie mit ihren sprachlichen und nichtsprachlichen Verhalten kund tun, dass sie anfangen, ihr eigenes Wissen und Denken in ein Verhältnis zur geistigen Tätigkeit anderer zu setzen. Nun wird es darum gehen, die Kinder dabei zu beobachten, wie sie ihr Denken und Handeln angesichts von auffordernden Situationen selbständig zu organisieren lernen. Damit kommt ein weiteres psychologisches Konstrukt ins Spiel, das in der modernen Fachwelt ‚Exekutive Funktionen‘ genannt wird. Die eigene Antriebs- und Gefühlswelt beherrschen und souverän agieren M it ‚Exekutiven Funktionen‘, wie sie nüchtern heißen, sind geistige Strategien gemeint, die dazu verhelfen, die Motivationen beherrschbar zu machen und souveränes Handeln zu ermöglichen. Es sind dies recht eigentlich die herausragenden Errungenschaften, die die Menschheit in ihrer Geschichte herausgebildet hat: Innehalten, spontane Reaktionen zurückhalten, nachdenken, abwägen, planen, rational entscheiden, das eigene Tun kontrollieren. Solche geistigen Strategien beruhen nicht zuletzt auf Kenntnissen über die Abfolge von Handlungen in der Zeit sowie auf einem leistungsfähigen Arbeitsgedächtnis. Dieses wiederum versetzt in die Lage, die Etappen von Geschehnissen, die Regeln und Alternativen vor letztendlichen Entscheidungen für eine gewisse Zeit präsent zu halten. ‚Exekutive‘ Strategien verlangen da- <?page no="105"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 105 rüber hinaus auch Fähigkeiten wie diese: dem Druck aktueller Ereignisse standzuhalten, impulsive Reaktionen kontrollieren, die Bereitschaft, rasch wechselnden Erfordernissen Rechnung zu tragen und sich auf Korrekturen am eigenen Verhalten einlassen zu können. Wie die aktuelle entwicklungspsychologische Forschung solche Leistungen bei Kindern zu überprüfen sucht, wird im Weiteren an Beispielen beschrieben. Zuvor möchte ich jedoch über die grundlegende theoretische Vorarbeit berichten, die hierzu schon in den 1930er Jahren von der russischen Entwicklungspsychologie und später der Neuropsychologie geleistet wurde. Neurologische Korrelate ‚Exekutiver Funktionen‘ S eit langem werden Fähigkeiten der Handlungsplanung und Selbstkontrolle in Beziehung zur Aktivität der präfrontalen, also der Stirnhirnbereiche der kortikalen Rinde, mit ihren Verbindungen zu tiefer liegenden Hirnstrukturen gesetzt. Diese Organisationen im Nervensystem finden sich so ausgedehnt und effizient nur beim Menschen. Sie bilden sich in der Kindheit und Jugend erst allmählich heraus, wobei das Alter von etwa vier bis sechs eine besonders große Rolle spielt. In der klinisch-neurologischen Arbeit standen und stehen allerdings vor allem Verletzungen dieser Hirnstrukturen im Erwachsenenalter mit ihren schwerwiegenden Folgen für die Steuerung der Handlungsfähigkeit im Vordergrund. Alexander Lurija, der besonders wichtige Mitstreiter im Kreis der entwicklungspsychologischen ‚Kulturhistorischen Schule‘ um Lev Vygotskij während der 1930er Jahre, hat diese von ihm seinerzeit als ‚höhere kortikale Funktionen‘ bezeichneten Leistungen zu einem Angelpunkt der neuropsychologischen Theorie gemacht, die er im und nach dem zweiten Weltkrieg entwickelt <?page no="106"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 106 hat und die für die nachfolgende klinische Hirnforschung sehr einflussreich geworden ist. Lurija war es, der bestimmte Aphasien - Sprachstörungen, die auf Grund von Verletzungen zentraler Bereiche im Gehirn geschehen - als Beeinträchtigung der inneren Sprache für das geistige Leben aufgefasst hat. Neben umfangreicher neurologischer Fachliteratur hat dieser Autor auch die bewegende Krankengeschichte eines Kriegsverletzten publiziert, dessen Wahrnehmungs-, Denk- und Sprachwelt „in Scherben“ ging. Für Interessierte ist dieses Buch als eine allgemein verständliche und zugleich zutiefst humane Einführung in die Probleme der Aphasie sehr zu empfehlen. [16] Wirkungen der inneren Sprache bei der Handlungsorganisation A us eigener Erfahrung wissen wir alle, dass wir, wenn wir allein sind, ständig leise für uns mit uns selber reden, spontan und meist verkürzt. Das ist sehr hilfreich, ja unvermeidbar zur Anleitung und Kontrolle unserer Handlungen. In seinem Buch Denken und Sprechen hat Vygotskij untersucht und ausführlich dargelegt, wie sich diese Fähigkeit, Sprache an die eigene Person zu richten, in der Kindheit ausbildet und welche Wirkungen sie für die geistige Entwicklung der Kinder entfaltet. [17] Dieser Theorie entsprechend gilt für Sprachfähigkeiten wie für andere geistig organisierte und organisierende Tätigkeiten (Denken, Urteilen, Problemlösen), dass sie ihren Ausgang von der konkreten Auseinandersetzung mit der materiellen und sozialen Welt nehmen. Der Ursprung von Verstehen und Sprechen liegt demnach im handgreiflichen Geschehen von Geben und Nehmen und in wechselweiser Berührung, aus denen sich die sprachlichen Anteile allmählich herausschälen und zum Gespräch verselbständigen. Kleine Kinder brauchen die Ansprache, um selbst in die <?page no="107"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 107 Interaktion aktiv einzutreten. Und wie das Sprechen sind viele andere Verrichtungen zunächst auf soziale Impulse und Anleitungen angewiesen. Um das Alter von drei, vier Jahren beginnen die Kinder, viele Tätigkeiten, die ursprünglich nur in der Interaktion mit anderen gelungen sind, für sich allein zu bewerkstelligen. So kann auch das Sprechen mit anderen allmählich in die Auseinandersetzung mit sich selbst überführt werden. Es gibt jedoch ein interessantes Übergangsphänomen: Die Ansprache von Kindern an sich selbst ist zunächst noch hörbar. Man kann beobachten, wie sie ihre Handlungen sprachlich begleiten oder sich Ziele setzen, zum Beispiel beim Malen ‚das wird jetzt ein Baum mit Äpfeln drauf ‘. Nur der Form nach ist dies äußere Sprache, sie ist nicht an andere gerichtet, sondern funktionell schon mit dem Planen und Denken verknüpft. Vygotskij hat diese Übergangsform bei seinen Untersuchungen besonders dann gefunden, wenn die Kinder vor Problemen standen. Es ist eine selbständige Melodie, eine selbständige Funktion, die den Zielen der geistigen Orientierung, des Bewusstwerdens, der Überwindung von Schwierigkeiten und Hemmnissen, des Überlegens und Denkens dient. (Vygotskij 2002, 417) Hieraus entwickelt sich die nicht mehr von außen wahrnehmbare, aber sehr wohl an den kindlichen Tätigkeiten ablesbare innere Sprache, die eine Steuerungsfunktion für das Handeln erlangt und dank zunehmender geistiger Kräfte auch den sprachlichen Austausch mit anderen auf ein neues Niveau führen kann. Wie die experimentelle Forschung die geistige Beweglichkeit bei Kindern überprüft S eit den 1960er Jahren, und zunehmend in den letzten Jahrzehnten, werden ‚Exekutive Funktionen‘ in der Entwicklungspsycho- <?page no="108"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 108 logie als bedeutsame Prozesse beschrieben und vor allem bei der Herausbildung intellektueller Fähigkeiten und der Entstehung von Leistungsmotivation in der Kindheit intensiv erforscht. [18] Im Alltag machen sich Vorboten ‚Exekutiver‘ Anstrengungen früh bemerkbar, wenn Kinder darauf bestehen, vieles selbst zu leisten, was zuvor andere für sie besorgt hatten: Schuhe anziehen zum Beispiel, oder selbst die Seiten beim Bilderbuch umdrehen. Wie aber kann man Aufgaben konstruieren, anhand derer sich im Experiment oder Test auf einfache Weise kontrollieren und messen lässt, wie derart komplexe Leistungen der Selbstkontrolle und Handlungsplanung sich bei kleinen Kindern im Lauf der Zeit entwickeln? Hierfür lassen sich ganz schlichte Beispiele anführen. Etwa der ‚Tag-Nacht-Test‘: [19] Kindern verschiedener Altersgruppen, zwischen dreieinhalb und sieben Jahren, legt man eine Folge von Bildkarten vor. Weiße Karten, auf denen eine helle Sonne dargestellt ist, und dunkle mit einem blassen Mond. Man sagt (ein bisschen perfide) den Kindern, dass sie zu einer hellen Karte ‚Nacht‘ und zu einer dunklen Karte ‚Tag‘ sagen sollen. Wenn sie diese Regel, die ja gegen eine intuitiv nahe liegende Benennung verstößt, verstanden haben, sie also bei einigen Probeläufen berücksichtigen konnten, beginnt der eigentliche Test. Nun müssen die kleinen Versuchspersonen, ohne dass sie bei den nächsten Durchgängen eine Rückmeldung erhalten, diese Bezeichnungen für sich präsent halten. Und zusätzlich müssen sie die spontan ja verständliche Tendenz unterdrücken, zu einer hellen Karte ‚Tag‘ und einer dunklen ‚Nacht‘ zu sagen. Die meisten Kinder ab dreieinhalb halten das über die ersten drei, vier Testkarten durch, danach steigt rapide die Fehlerzahl. Mit höherem Alter machen die Kinder dann nicht nur weniger Fehler, sondern es verkürzen sich auch ihre Reaktionszeiten. Nun ist es natürlich interessant zu erfahren, welche der beiden Fähigkeiten, die hier verlangt werden, in der Entwicklung die entscheidende ist: Ist es die Fähigkeit, die Regel im Kopf zu behalten, <?page no="109"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 109 also eine Gedächtnisleistung, die bei den jüngeren Kindern noch geringer ausgebildet ist als bei älteren? Oder liegt es an der noch wenig ausgebildeten Fähigkeit, bei der Aufgabe spontan-natürliche Reaktionen unterdrücken zu können? Man hat das überprüft, indem man das Spiel mit zwei neuen Karten durchführte. Auf ihnen waren nun nicht Sonne und Mond abgebildet waren, sondern zwei verschiedene abstrakte Zeichen, auf die mit der Benennung ‚Nacht‘ oder ‚Tag‘ reagiert werden sollte. Für Kinder zwischen dreieinhalb und fünf Jahren war das viel leichter, und die Älteren machten überhaupt keine Fehler mehr. Die kritischere Anforderung scheint also die Fähigkeit zu sein, impulsiven Reaktionen zu widerstehen, eine Leistung, die erst mit steigendem Alter zuverlässiger erbracht werden kann. Oder ein anderer Test, das ‚Handspiel‘, [20] das in ähnlicher Weise schon Lurija zu diagnostischen Zwecken in der neurologischen Klinik bei erwachsenen Patienten mit Stirnhirnverletzungen benutzt hatte: Die Kinder erhalten die Aufforderung, Handbewegungen des Versuchsleiters (entweder den Zeigefinger strecken oder eine Faust machen) zu imitieren. Nach einigen korrekten Durchgängen zeigt und sagt man ihnen, ‚wenn ich jetzt eine Faust mache, dann streckst du den Finger, und wenn ich den Finger strecke, machst du eine Faust‘. Auch hier zeigt sich ein deutlicher Fortschritt mit ansteigendem Alter, denn je jünger die Kinder sind, desto stärker neigen sie ganz spontan zur Imitation dessen, was die andere Person tut. Eine häufig in Untersuchungen eingesetzte Aufgabe ist das DCCS (dimensional change card sorting), die es in mehreren Abwandlungen gibt. [21] Bei der Standardversion liegen vor dem Kind zwei Abbildungen, z.B. ein blaues Boot und ein roter Hase. Die Versuchsleiterin gibt dem Kind eine weitere Karte, auf der entweder ein rotes Boot oder ein blauer Hase abgebildet ist: ‚Wir spielen jetzt das Spiel mit den Farben. Wenn es eine rote ist, kommt es hierher (zu dem roten Hasen), wenn es eine blaue ist, kommt es <?page no="110"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 110 hierhin (zu dem blauen Boot)‘. Nach einigen Übungsgängen beginnt der Test mit einer ‚Prä-Switch-Phase‘. Nacheinander werden blaue und rote Boots- und Hasenkarten vorgelegt, immer mit der wiederholten Aufforderung. ‚Denk daran, wenn es eine rote Karte ist, geht sie hierhin, wenn sie blau ist dorthin‘. Dann folgt die ‚Post-Switch-Phase‘, und die Versuchsleiterin sagt nun: ‚Jetzt spielen wir nicht mehr das Farbspiel, sondern das Spiel mit Hase und Boot: Wenn auf der Karte ein Hase ist, kommt sie hierher - wenn ein Boot drauf ist, kommt sie da hin‘. In dieser Phase gibt es wieder rote und blaue Karten mit Booten und Hasen, aber das Kind muss nun zur anderen Strategie überwechseln, also die eingeübte Routine aufgeben. Die meisten dreijährigen Kinder ordnen in der ersten Phase die Karten richtig zu, sie verharren jedoch (‚perseverieren‘) in der zweiten Phase eine Weile bei der gewohnten Routine, obwohl die Versuchsleiterin bei jedem neuen Durchgang die Anweisung wiederholt. Die Anzahl der Karten, bei der ein Kind nach der Veränderung der Regel die zuvor geltende Routine beibehält, gilt dann als Messwert für Inflexibilität. Dreijährige perseverieren bei dieser Aufgabe noch deutlich, Fünfjährige kaum noch. Geistige Beweglichkeit, um die es in solchen Prüfungen geht, ist eine wichtige Voraussetzung für flexibles Verhalten im sozialen Umgang, aber auch im Umgang mit sich selbst, wie das nächste Beispiel zeigt. Wie lange können Kinder Bedürfnisse aufschieben? A lle in diesem Kapitel bisher erwähnten Aufgaben verlangen von den Kindern eine geistige Beweglichkeit, mit der sie sich auf neue Anforderungen einstellen müssen. Daneben gibt es jedoch auch Aufgaben zur Überprüfung der ‚Exekutive Funktionen‘, die den Kindern eine andere Leistung abverlangen, nämlich das Hintanstellen spontaner Wunscherfüllungen. <?page no="111"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 111 In diesem Zusammenhang ist eine experimentelle Situation besonders bekannt geworden, mit der Impulskontrolle überprüft werden kann. Sie wurde bereits in den 1960er Jahren von einem amerikanischen Psychologen entwickelt, dessen Fachinteressen insbesondere bei der Motivations- und Persönlichkeitspsychologie liegen. Er hat diese experimentelle Anordnung später in zahlreichen Untersuchungen eingesetzt, damit viel Folgeforschung angeregt und kürzlich auch ein populärwissenschaftliches Buch über das Thema verfasst, das rasch ins Deutsche übersetzt wurde. [22] Es geht um Bedürfnisaufschub: Wie entwickeln Menschen die Fähigkeit, auf die unmittelbare Befriedigung eines Bedürfnisses zu verzichten, wenn sie dafür in den Genuss einer größeren Befriedigung kommen, die für später in Aussicht gestellt wird? Zeigen sich hierin individuelle Unterschiede, und lassen sich systematische Bezüge zu anderen Persönlichkeitsmerkmalen nachweisen? Objekte der Begierde waren in den ersten Experimenten die in Amerika sehr geschätzten Marshmellows, eine ziemlich große, beliebte Süßigkeit aus Eiweiß, Zucker und Aromastoffen. Vierjährige Kinder einer Universitäts-Kita wurden einzeln in einem Untersuchungsraum (durch einen Einwegspiegel) beobachtet, wie sie sich zu einem Marshmellow verhielten, das vor ihnen auf dem Tisch lag. Der Autor sagte zu dem Kind, er müsse noch einmal für einige Zeit nach nebenan gehen. Man könnte ihn aber jederzeit mit der bereitstehenden Glocke herbeirufen, er würde dann sofort kommen, und das Kind dürfe das Marshmellow essen. Wenn es jedoch abwarten könnte, bis er von selber (nach einer Viertelstunde) wiederkommt, dann gäbe es gleich zwei Marshmellows. Viele Kinder hielten zwischen 6 bis 10 Minuten durch, bevor sie (ohne die Glocke zu betätigen) nach der Süßigkeit griffen. Einige langten sogar ziemlich schnell zu, nur wenige konnten in der Erwartung, später zwei Süßigkeiten zu bekommen, tatsächlich die Rückkehr des Versuchsleiters abwarten. Bei den meisten, die länger zu warten imstande waren, konnte gut <?page no="112"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 112 beobachtet werden, wie sie sich die Zeit vertrieben, um der Versuchung zu widerstehen: Manche hielten sich die Augen zu oder stellten sich schlafend, um die Belohnung nicht sehen zu müssen, andere beruhigten sich selbst ‚jetzt wird er gleich zurückkommen‘ oder redeten sich gut zu ‚eigentlich mag ich ja gar keine Marshmellows‘. Was nun die eigentliche Überraschung verursacht und für viel öffentliches Aufsehen gesorgt hat, war dem Umstand zu verdanken, dass der Autor die Kinder dieser ersten Untersuchung nicht aus den Augen verloren hat, denn er war bei der Universität beschäftigt, zu der der Kindergarten gehörte, und auch seine eigenen Kinder hatten ihn besucht. So konnte er sich erzählen lassen, was nach ein paar Jahren aus einzelnen Probanden geworden war. Wer bei dem Test länger gewartet hatte, sich also entweder bewusst in Gedanken ablenken konnte oder mit anderen Tricks die impulsive Aktion, nach dem begehrten Marshmellow zu greifen unterdrücken konnte, war in der Schule besser vorangekommen und hatte auch sonst weniger Probleme. Später hat der Autor einige der seinerzeit am Versuch Beteiligten selbst oder deren Eltern noch einmal befragen können, als die Jugendlichen um die 20 Jahre alt waren. Er fand dabei, dass die Zeitspanne, die ein Kind damals im Marshmellow-Test abwarten konnte, eine recht gute Übereinstimmung mit dem Grad ergab, in dem diese Jugendlichen Selbstvertrauen und Resistenz gegenüber Stress zeigten und einen guten oder weniger guten Schulabgang vorweisen konnten. Diese Studie ist sehr bekannt geworden. Man sollte aber das Marshmellow-Experiment in seiner Aussagekraft nicht überdehnen und sich hüten, hierin den Nachweis zu sehen, dass spätere Erfolge oder Misserfolge in einem einlinigen Zusammenhang mit dem Maß der damaligen Selbstbeherrschung stünden. Von einem einzelnen Testwert, bei einem vierjährigen Kind erhoben, lassen sich derart weitreichende Ausblicke in das weitere Leben dieses <?page no="113"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 113 Kindes kaum wagen. Denn viele weitere Faktoren und mit dem Alter auch zunehmend komplizierte Bedingungsgefüge spielen für künftige Lebensleistungen eine Rolle. Von einigen wird in späteren Kapiteln die Rede sein. Das sagt selbstverständlich nichts gegen Forschung aus, die verdienstvollerweise immer differenzierter herausstellt, wie bedeutsam die Fortschritte bei Impulskontrolle und Zielorientierung für die Entwicklung von Kindern sind. [23] Solche Fähigkeiten ermöglichen es ihnen ja erst, mit neuen Anforderungen und Situationen zurecht zu kommen, die es erfordern, dass in früher Kindheit eingeprägte Routinen aufgebrochen werden - so wichtig gerade die Aneignung von Routinen in der frühen Zeit zunächst einmal gewesen ist. Diese konstruktive Ausweitung der Handlungsmöglichkeiten ist dauerhaft nur möglich, wenn die Kinder mit der Zeit einen zunehmend reflektierten Umgang mit sich selbst zu pflegen lernen. Erwachsene tragen viel Verantwortung, Kinder hierin zu bestärken, und das gemeinsame Agieren mit anderen Kindern ist dafür ein unerlässliches Übungsfeld. Tatsächlich ist soziales Zusammenleben unter Kindern und zwischen den Generationen nicht vorstellbar, ohne dass alle sich im selbst auferlegten Aufschub von Belohnungen zugunsten längerfristiger und angemessener Ziele üben, die nicht allein der Befriedigung eigener Interessen dienen. Die konstruktive Ausweitung der Handlungsmöglichkeiten ist dauerhaft nur möglich, wenn Kinder mit der Zeit einen zunehmend reflektierten Umgang mit sich selbst zu pflegen lernen. <?page no="114"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 114 Kann Mehrsprachigkeit die Ausbildung ‚Exekutiver Funktionen‘ begünstigen? D as vorige Kapitel sollte nicht zuletzt zeigen, wie eng kognitive Flexibilität mit der Entwicklung der inneren Sprache und der Verselbständigung verknüpft sind, und wie beides in der Folge die Sprachleistungen in der sozialen Kommunikation voranbringen kann. In der Literatur finden sich nun auch Hinweise auf Zusammenhänge zwischen Kompetenzen in ‚Exekutiven Funktionen‘ und Mehrsprachigkeit. Bringt es Kindern Vorteile für ihre kognitive Entwicklung, wenn sie mit mehr als einer Sprache aufwachsen? Dass Jugendliche und Erwachsene für ihre Lebensgestaltung profitieren, wenn sie nicht nur die eigene Sprache beherrschen, liegt auf der Hand. Auch dass schon kleine Kinder vielfältige Anregungen zum Beispiel in mehrsprachigen Kita-Gruppen erhalten, wird inzwischen weithin anerkannt. Wenn sich die dabei entstehenden Sprachkenntnisse weiter ausbauen lassen, wird sich dies zweifellos später im Leben für sie auszahlen. Aber kann Mehrsprachigkeit, die früh in der Kindheit angelegt wird, Wirkungen auf die Entwicklung kognitiver Kompetenzen haben? Debatten über das Für und Wider früher Mehrsprachigkeit D ie Frage wurde und wird viel gestellt und diskutiert. Bis weit in das vergangene Jahrhundert hinein ist vor zweisprachiger Erziehung eher gewarnt worden. Man befürchtete eine Überlastung der Kinder, die Verzögerungen und Verwirrung in ihrer Entwicklung verursachen könne - das sind Ängste, wie sie wohl nur in Sprachkulturen aufkommen können, die ihre eigene Einsprachigkeit als den Normalfall betrachten. Inzwischen sind solche Be- <?page no="115"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 115 fürchtungen aber weitgehend der Erkenntnis gewichen, dass eine Umwelt mit mehr als einer Sprache für kleine Kinder keineswegs eine Überforderung darstellen muss. Dieser Meinungsumschwung ist in der Fachwelt ab den 1960er Jahren eingeleitet worden, und zwar besonders durch Kindergarten- und Schulversuche in Kanada. Sie konnten belegen, dass zweisprachige Klassen den einsprachigen eher den Rang abliefen, was Intelligenz und Schulleistungen betraf. [24] Nun muss man wissen, dass in diesen Fällen besonders günstige Bedingungen herrschten: Englischsprachige Eltern hatten im Interesse der Bildungschancen ihrer Kinder beschlossen und bei den Behörden durchgesetzt, dass die Schulanfänger als erstes ins Französische, die zweite Landessprache, eintauchen konnten, und das Englische, ihre Familiensprache und überwiegend die der unmittelbaren Nachbarschaft, im Schulalltag und Unterricht erst später eine dominante Rolle spielte. Hier ging es um zwei gleichermaßen anerkannte Weltsprachen, dazu um bildungsbewusste Elternhäuser, die am Sprachenlernen ihrer Kinder interessiert waren, und um Erziehungsprogramme, denen besondere öffentliche Aufmerksamkeit entgegen gebracht wurde. Es handelte sich also um den privilegierten Fall, in dem Kinder zu Hause die Hauptverkehrssprache der Region vorfinden und, offenbar mit Gewinn für ihre allgemeine Entwicklung, eine weitere hochgeschätzte und in der Region ebenfalls übliche Landessprache früh und leicht hinzu erwerben konnten. Unterschiedliche Lebensbedingungen für frühe Mehrsprachigkeit D ie Ergebnisse der kanadischen Schulversuche lassen sich nicht ohne weiteres verallgemeinern, schon gar nicht auf Familien mit bescheideneren Bildungsanregungen in Migrationssituationen. Dort können ganz andere Konstellationen herrschen: Zunächst <?page no="116"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 116 erfahren die Kinder in der häuslichen Umgebung meist eine andere Sprache als die Verkehrssprache des Landes, in das die Familie eingewandert ist. Sie sind dann darauf angewiesen, sich diese für ihr Fortkommen nicht frei wählbare, sondern unverzichtbare Landessprache anzueignen, häufig ohne dass sie gezielte pädagogische Unterstützung hierfür genießen, wie sie bei den kanadischen Einrichtungen garantiert gewesen ist. Ganz offensichtlich kann die Frage nach Vor- oder Nachteilen früher Mehrsprachigkeit für die kognitive Entwicklung also weder unumwunden mit Ja noch mit Nein beantwortet werden: Zu problematisch können die Kriterien (wie Schulnoten oder Intelligenzmessungen) sein, die für ‚kognitive Entwicklung‘ stehen, um schlüssig ein Für oder ein Wider zu begründen. Und zu vielfältig sind die Faktoren, die für die kindliche Entwicklung und die Herausbildung von Mehrsprachigkeit im Einzelfall eine Rolle spielen: sozio-ökonomische Gegebenheiten, geistige Anregung, emotionales Klima, Wahl und Präsenz der Sprachen, offen oder verdeckt zum Ausdruck gebrachte Einstellungen zum Wert der beteiligten Sprachen, und so fort. Zu unterschiedlich können auch die Beobachtungen ausfallen, je nachdem, auf welchen Lebens- und Leistungsbereich man gerade schaut. Nur eines ist wohl gewiss: Als solches stellt das Aufwachsen mit mehreren Sprachen für die Entwicklung eines Kindes das geringste Risiko dar. [25] Mehrsprachigkeit und ‚Exekutive Funktionen‘ unter Laborbedingungen D iese lapidare, mit vielem ‚Wenn und Aber‘ behaftete Aussage mag nicht sehr befriedigend klingen. Deshalb möchte ich die Leserinnen und Leser zu einem Schauplatz mitnehmen, wo zwar die ge- Als solches stellt das Aufwachsen mit mehreren Sprachen für die Entwicklung eines Kindes das geringste Risiko dar. <?page no="117"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 117 rade erwähnte Vielfalt der Bedingungen ausgeblendet bleibt, dafür aber wenige Faktoren streng kontrolliert werden. Es handelt sich um das Labor, in dem die kanadische Psychologin Ellen Bialystok seit langem Forschung über die Zusammenhänge zwischen Mehrsprachigkeit und nonverbalen Leistungen betreibt, die ‚Exekutive Funktionen‘ beanspruchen, also etwa konzentrierte Aufmerksamkeit und geistige Flexibilität bei ablenkenden Informationen. [26] Zuerst war der Wissenschaftlerin aufgefallen, dass sich vier- und fünfjährige Kinder, je nachdem ob sie in ihren Familien an eine oder an zwei Sprache gewöhnt sind (meist ging es um Englisch und Französisch), unterschiedlich verhalten, wenn sie gefragt wurden: ‚Ist das ein richtiger Satz: ‚Äpfel wachsen auf Nasen‘ oder stimmt da was nicht? ‘ Einsprachige Kinder tendierten zur Antwort: ‚Nein, das ist doch dumm‘; Kinder, die zweisprachig aufgewachsen waren, meinten eher: ‚Das klingt dumm, aber ein richtiger Satz ist es schon.‘ Oder man gab ihnen diese beiden Sätze: ‚Der Hund miaut‘, ‚Die Hunde bellt‘: ‚Welcher ist ein richtiger Satz? ‘ Die zweisprachigen Kinder wählten überwiegend den ersten. Sie konnten sich auf die Frage nach der grammatischen Korrektheit konzentrieren und der Ablenkung durch den semantischen (Un-)Sinn im ersten Satz widerstehen. Dies ist eine Beobachtung aus dem sprachlichen (oder besser: metasprachlichen, sprachreflexiven) Bereich. Könnte es sein, so fragt die Autorin, dass zweisprachiges Aufwachsen und bilinguale Praxis im alltäglichen Leben bestimmte Fähigkeiten schult, die sich auch in außersprachlichen Bereichen auswirken? Sie geht von der These aus, dass Menschen, die gleichermaßen flüssig über zwei Sprachen verfügen, bei ihrer Kommunikation stets ihre beiden Sprachen aktivieren - nicht in einem bewussten Akt, versteht sich, sondern ganz gewohnheitsmäßig. In dieser permanenten ‚Wettbewerbssituation‘ sei ihr exekutives Kontrollsystem gefragt, um die gerade nicht geforderte Sprache auszublenden und der gerade benutzten Sprache volle Aufmerksamkeit zuzuwenden. Da <?page no="118"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 118 bilinguale Menschen derartigen Wettbewerbssituationen in ihrer Kommunikation gewohnheitsmäßig ausgesetzt sind, sei es möglich, dass diese Praxis auf andere, auch auf nonverbale Leistungen ausstrahlt. Tatsächlich hat Bialystok nachweisen können, dass bei Vergleichen von Gruppen zweisprachiger und einsprachiger Kinder, die ansonsten sorgfältig parallelisiert waren, bei multitask-Aufgaben, die ‚Exekutive‘ Strategien erfordern, die Zweisprachigen überlegen waren. [27] Seit einiger Zeit arbeitet die Autorin auch mit älteren Menschen. Es ist lange bekannt, dass bei experimentellen Überprüfungen die Leistung in ‚Exekutiven Funktionen‘ mit steigendem Alter nachlässt. Bialystok hat nun nachgewiesen, dass dieser Leistungsabfall in Untersuchungen mit Bilingualen, verglichen mit einsprachigen Gruppen, schwächer ausfällt. [28] Nun gelten bekanntlich sehr unterschiedliche Maßstäbe, ab wann jemand als ‚bilingual‘ bezeichnet wird. Ellen Bialystok hat für ihre Untersuchungen stets nur solche zweisprachige Personen herangezogen, die von Grund auf mit zwei Sprachen großgeworden sind und im täglichen Leben ständig mit ihren beiden Sprachen zu tun haben - ein anspruchsvoller Maßstab also und eine hoch spezifische Probandengruppe. Deshalb sollten Leserinnen oder Leser nicht unbedingt frohlocken, die gerade einen Volkshochschulkurs in Französisch besuchen! Eine beispielhafte Untersuchung aus der mehrsprachigen Szene eines Einwanderungslandes F rühe Sprachförderung ist auch in unserem Land inzwischen ein bildungspolitisches Thema ersten Ranges. In den zahlreichen Förderprogrammen, die in den Bundesländern stattfinden, geht es in erster Linie um die Verbesserung der Deutschkenntnisse, die bei vielen Kindern in zugewanderten Familien unzureichend sind, aber auch in deutschsprachigen Familien mangelhaft sind, <?page no="119"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 119 wo nicht genügend Anregung herrscht. Die Bemühungen um frühkindliche Sprachförderung konzentrieren sich dabei meist auf die linguistisch korrekte Form der verbalen Ausdrucksfähigkeit im Deutschen als Vorbedingung für späteren Schulerfolg. Das ist durchaus vertretbar. Mit einer Förderung von Mehrsprachigkeit hat es jedoch wenig zu tun und lässt überdies außer Acht, dass Sprache und Sprachenlernen in der Entwicklung von Kindern sehr viel mehr bewirken als verbale Ausdrucksfähigkeit. In die Richtung weist auch das Schlaglicht, das zuvor in diesem Kapitel auf Zusammenhänge zwischen Mehrsprachigkeit und Funktionen der Selbstkontrolle bei kognitiv anspruchsvollen Problemlösungen geworfen wurde. In der deutschsprachigen Forschung gibt es bisher kaum Ansätze, die solche und andere Verknüpfungen der geistigen und sozialen Entwicklung mit dem kindlichen Spracherwerb systematisch aufzuklären suchen, geschweige denn solche, die sich dabei mit mehrsprachigem Erwerb befassen. Deshalb sei noch einmal eine nordamerikanische Untersuchung angeführt, die das Thema in einen breiteren Rahmen stellt und etliche Bedingungen einbezieht, die in der gerade vorgestellten Forschung von Ellen Bialystok nicht mit erfasst worden sind. Die Studie stammt aus dem Jahr 2008 und erfasst mit einer der Versuchsgruppen, die miteinander verglichen werden, auch eine zweisprachige (spanisch - englische) Gruppe aus einer großen Einwanderungspopulation in den USA. [29] Sie wird mit zwei anderen Gruppen desselben Alters (im Durchschnitt sechsjährigen Jungen und Mädchen) verglichen, die ebenso wie die im Fokus stehende Einwanderungsgruppe Kindertageseinrichtungen besuchten: Sprache und Sprachenlernen bewirken in der Entwicklung von Kindern sehr viel mehr als verbale Ausdrucksfähigkeit. <?page no="120"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 120 • Die ‚bilinguale‘ Haupt-Versuchsgruppe von Kindern hatte von Anfang an beide Sprachen, Spanisch und Englisch, erfahren (vergewissert hatte man sich hierüber durch einen Fragebogen, der von den Eltern auszufüllen war). Bei einigen der Familien bezeichneten beide Eltern Spanisch als ihre Muttersprache, gaben jedoch an, zu Hause und im Umfeld sowohl Spanisch als auch Englisch geläufig zu benutzen. In anderen Familien war ein Elternteil spanisch-, der andere englischsprechend. Alle Eltern berichteten, dass ihre Kinder zu Hause beide Sprachen und außerhalb mehrheitlich die englische Sprache benutzen. • Die Kinder einer so genannten ‚Immersionsgruppe‘ kamen alle aus einsprachig-amerikanischen Familien. Sie besuchten jedoch Tageseinrichtungen, in denen sie während der zurückliegenden 6 Monate vor der Untersuchung in eine Fremdsprache (die meisten ins Spanische) ‚eingetaucht‘ waren - ansonsten hatten sie keinen Kontakt mit einer anderen Sprache. • Die Kontrollgruppe umfasste einsprachig mit Englisch aufwachsende Kinder, die in ihren Tageseinrichtungen allenfalls minimal mit anderen Sprachen in Berührung kamen. Für die Untersuchung kamen die Kinder mit einem Elternteil in einen Universitätskindergarten und wurden dort einzeln untersucht. Sie machten einen Test zur Abschätzung der ‚verbalen Flüssigkeit‘; dazu mussten sie Bilder in der von ihnen gewünschten Sprache benennen. Darüber hinaus wurden mit ihnen verschiedene Tests zur Überprüfung der ‚Exekutiven Funktionen‘ durchgeführt, darunter solche vom Typ Konfliktbewältigung durch Selbstkontrolle (wie der im vorigen Kapitel beschriebene ‚Dimensional Change Card Sorting-Test‘) und solche vom Typ Bedürfnisaufschub (wie der Marshmellow-Test). Die Eltern beantworteten derweil Fragebögen über ihre Bildungsabschlüsse, ihren Sprachhintergrund und das Familieneinkommen. Sie äußerten <?page no="121"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 121 sich auch zu Fragen, wie sie die Selbstkontrolle und Impulsivität ihrer Kinder einschätzen, und wurden zu Regeln befragt, die in ihrem Haushalt gelten und dazu, wie wichtig es für sie sei, dass ihre Kinder diese Regeln einhalten (z.B. pünktlich sein oder elterlichen Einfluss auf Kleidung und Freundschaften akzeptieren). Das Interesse der Untersuchung war darauf gerichtet, eine Beziehung abzusichern, die vermutet wird zwischen Mehrsprachigkeit (im Sinne bilingualer Erfahrung von Anfang an) und Selbstkontrolle (als selektive Aufmerksamkeitssteuerung, wie sie bestimmte Aufgaben zu ‚Exekutiven Funktionen‘ erfordern). Dabei sind in diesem Fall eine Reihe von äußeren Einflussfaktoren beachtet und teilweise bei der Gruppenbildung mit berücksichtigt worden: häusliche Anregung, sozioökonomische Lage, Erziehungsverhalten, die verbale Flüssigkeit der Kinder. Wenn auch die komplexen Bedingungen von Mehrsprachigkeit im Alltag in künftigen Untersuchungen viel genauere Berücksichtigung verdienen, so lohnt sich doch, hier einige Teilergebnisse der Studie hervorzuheben. Die statistische Auswertung der Elternfragebögen hat ergeben, dass die ‚bilingualen‘ Familien gegenüber den beiden anderen Gruppen hinsichtlich ihrer sozioökonomischen Situation bedeutsam benachteiligt waren. Diese Eltern hatten geringere Bildungsabschlüsse und weniger Familieneinkommen, und sie verbrachten weniger Zeit damit, ihren Kindern vorzulesen. Gleichzeitig bekannten sie sich zu einem strikteren Erziehungsverhalten, indem sie größeres Interesse als die anderen Gruppen an der Anpassungsfähigkeit ihrer Kinder bekundeten und daran, dass häusliche Regeln eingehalten werden. Was nun die erhobenen Testergebnisse der Kinder betrifft, so war die ‚bilinguale‘ Gruppe auch bei der Überprüfung verbaler Flüssigkeit den beiden anderen unterlegen. Das bestätigt manche Ergebnisse über Zusammenhänge zwischen eingeschränkter sozioökonomischer Situation und verbalen Leistungen. Da es <?page no="122"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 122 viele verlässliche Befunde auch über Zusammenhänge zwischen verbalen und kognitiven Leistungen gibt, hätte es nicht überrascht, wenn diese Gruppe in der Untersuchung bei den Tests zu ‚Exekutiven Funktionen‘ den anderen Gruppen ebenfalls unterlegen gewesen wäre. Das war aber nicht der Fall: Die Einzelergebnisse erbrachten keine bedeutsame Differenz in diesen Tests zwischen den drei Gruppen. Indessen war eine signifikante Überlegenheit der bilingualen Gruppe dann nachweisbar, wenn man den sozioökonomischen Status statistisch herausrechnete. Diese Überlegenheit der ‚bilingualen‘ Gruppe galt vorrangig für solche Aufgaben, die eine gezielte Konzentration auf wichtige und die Vernachlässigung unwichtiger Details (also kognitive Flexibilität) erforderten. Sie galt weniger für diejenigen Tests, die das Zurückstellen von Bedürfnissen verlangten. Zwischen den Testergebnissen der ‚Immersionsgruppe‘ und der einsprachig englischen Gruppe zeigten sich keinerlei Unterschiede in diesen Tests. Schaut man sich diese Ergebnisse zu den ‚Exekutiven Funktionen‘ im Hinblick auf die sprachlichen Anregungen an, die die beteiligten Kinder zu Hause und in den Einrichtungen haben, so ist zunächst festzustellen, dass ein halbes Jahr zweisprachige Erfahrung nach fünfeinhalb Jahren einsprachigem Aufwachsen keine Effekte hervorbrachte, die die ‚Immersionsgruppe‘ von einsprachig aufwachsenden Kindern hätte unterscheiden können. Für die Gruppe der ‚bilingualen‘ Kinder, die von früh an Erfahrung mit zwei Sprachen hatten, ergab sich hingegen trotz der sozioökonomischen Benachteiligung in ihrem häuslichen Umfeld gegenüber den beiden anderen Gruppen ein Vorteil, der aufmerken lässt: Obwohl diese Kinder, was ihren häuslichen Hintergrund angeht, gewiss nicht mit den Probanden in den Experimenten Es lassen sich Hinweise darauf finden, dass frühe Erfahrungen mit mehr als einer Sprache sich auf die Flexibilität in nichtsprachlichen Anforderungen auswirken kann. <?page no="123"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 123 von Ellen Bialystok zu vergleichen sind, ließen sich doch auch hier Hinweise darauf finden, dass frühe Erfahrungen mit mehr als einer Sprache sich auf die Flexibilität in nichtsprachlichen Anforderungen auswirken kann. Forschungsdesiderate in unserem Land B ei aller Anerkennung des verdienstvollen Versuchs, einige Gesichtspunkte der Lebenssituation der Kinder mit einzufangen, lässt die Studie, die hier beispielhaft vorgestellt worden ist, manche Fragen offen. Zum einen wäre es für weitere Arbeiten sicher interessant, die Sprachkontakte von ‚Immersionsgruppen‘ genauer zu untersuchen und dabei nicht nur unterschiedliche Zeiträume und das Einstiegsalter der Kinder, sondern auch unterschiedliche Vorgehensweisen der Sprachförderungspraxis zu beobachten und zu variieren. [30] Zum anderen bleiben Einzelheiten über die vermutlich recht uneinheitliche Situation der in dieser Arbeit im Fokus stehenden ‚bilingualen‘ Familien im Ungewissen. Sie sind schließlich lediglich durch einige wenige elterliche Auskünfte zu dieser Gruppe zusammengefasst worden. Genau diese Population wird nun aber in Zukunft in deutschsprachigen Bildungslandschaften sehr differenzierte Beachtung verdienen. Schauen wir auf die Situation in unserem Land: Es gibt hier eine beträchtliche Zahl von mehrsprachigen Familien, in denen mindestens eine Person eine gute Verfügung nicht nur über die deutsche Sprache, sondern auch über eine andere Sprache hat, und wo die Übereinkunft herrscht, dass Kinder von Anfang an beide Sprachen gleichmäßig und mit Regelmäßigkeit erfahren sollen. Überwiegend handelt es sich hierbei um Familien, die eher bürgerlichen Gesellschaftsschichten angehören. Will man Sprachaneignungsverläufe wissenschaftlich im Hinblick auf Einsprachigkeit und Mehrsprachigkeit verfolgen, so ließen sich am ehesten aus diesen Familien einigermaßen homogene ‚bilinguale‘ Kindergruppen zusammen- <?page no="124"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 124 stellen, die dann für Untersuchungen in einigen wichtigen Kennwerten mit einsprachigen Familien parallelisiert werden müssten. Der weitaus größere Teil der mehrsprachig aufwachsenden Kinder in Deutschland lebt allerdings in zugewanderten Familien, in denen die Herkunftssprachen und das Deutsche in sehr unterschiedlichem Maß und Niveau präsent sind, und wo die Kinder sich auch außerhalb des Hauses in unübersichtlichen Sprachumgebungen befinden, die schwer beschreibbar und erst recht nicht kontrollierbar sind. Genau diese Kinder stehen besonders im Fokus sprachlicher Förderung, wie sie in allen Bildungsinstitutionen immer mehr in den Vordergrund rückt. Leider sind wir weit davon entfernt, über zuverlässige Daten zu verfügen, die uns Auskunft über diese vielschichtigen Sprach- und überhaupt Entwicklungsbedingungen geben könnten. Es existieren jedoch immerhin Vorschläge, wie bei künftiger Forschung, die über Einzelfallstudien hinausgehen möchte und muss, diese sehr heterogene Bevölkerungsgruppe systematisch untergliedert werden könnte. [31] Einstweilen wird sie meist höchst undifferenziert mit ‚mehrsprachig aufwachsende Kinder‘ bezeichnet. Viel ist in ebenfalls recht undifferenziertem Sinn von ‚Mehrsprachigkeit als Ressource‘ die Rede. Hier wäre mehr Genauigkeit zu fordern. Und es käme darauf an, sorgfältig nach Kriterien zu suchen, die sich zum Beispiel im Sozialverhalten beobachten ließen. Bisher findet auch etwas anderes kaum Beachtung, das mit den Untersuchungen von Bialystok naheliegt. Unter günstigen Umständen könnten Vorteile bei den besprochenen ‚Exekutiven Funktionen‘ im Sinne gesteigerter kognitiver Flexibilität und Selbstkontrolle als Ressourcen in Betracht kommen. Dies sind schließlich Funktionen, die von erheblicher Bedeutung für die kindliche, insbesondere die kognitive Entwicklung sind. Da Bialystok gut balancierte Zweisprachige untersucht, müssten allerdings dabei unbedingt auch die unterschiedlichen Stärken der beteiligten Sprachen berücksichtigt werden. <?page no="125"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 125 Erziehungsstile und -verantwortungen I n den vorangegangenen Kapiteln sind psychologische Konstrukte vorgestellt worden, die in der wissenschaftlichen Diskussion unter den Bezeichnungen ‚theory of mind-Kompetenz‘ und Kompetenzen in ‚Exekutiven Funktionen‘ verhandelt werden. Sie gehören zu dem Wichtigsten, was die Entwicklungspsychologie der letzten Jahrzehnte über die Kindheit erarbeitet hat. In den zahllosen experimentellen Untersuchungen, von denen nur wenige hier exemplarisch eingebracht werden konnten, stehen die Kinder stets allein im Fokus vor bestimmten Aufgabenstellungen. Die Ergebnisse, die von den Kindern erreicht werden, dienen als Indikatoren für den jeweiligen Entwicklungsstand in sozialkognitiven und selbstkontrollierenden Leistungen. Die konkreten Versuchsanordnungen erscheinen oft weit vom kindlichen Alltag entfernt. Erst recht bleibt der soziale Ursprung, dem diese Kompetenzen sich verdanken, in den Experimentalsituationen ausgeblendet. Dabei steht doch hinter allen diesen Leistungen immer eine individuelle Biographie, die sich in Interaktionen entwickelt. In den nachfolgenden Kapiteln werden diese interaktionellen Lerngeschichten zum Thema gemacht. Wie häusliche und außerhäusliche Erziehung einander ergänzen D ie Zweielternfamilie mit verheiratetem Paar macht zwar gegenwärtig in Deutschland einen Anteil von gut zwei Dritteln der Hausgemeinschaften mit Kindern aus. Aber die ‚Familie‘ befindet sich im Wandel. Der Anteil nichtehelicher Lebensgemeinschaften zweier Erwachsener - unterschiedlichen oder gleichen Geschlechts - mit Kindern nimmt ebenso zu wie der Anteil von <?page no="126"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 126 Alleinerziehenden. Biologische und soziale Elternschaft treten also immer stärker auseinander. [32] Hinzu kommt, dass sich die Verantwortung für die Erziehung der Kinder zunehmend auf verschiedene Instanzen verteilt. Mehr und mehr tritt schon in der Vorschulzeit professionelles Personal in die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den Erziehungsberechtigten ein. Und außerhäusliche Gruppen in den Betreuungseinrichtungen sorgen für frühe Kontakte der Kinder zu anderen Kindern, wie sie in Familien und in der Nachbarschaft häufig nicht mehr gegeben sind. Die psychologische und pädagogische Kindheits- und Familienforschung trägt diesen Veränderungen Rechnung, indem sie das Spannungsfeld zwischen Familie und öffentlichem Raum thematisiert und die „Ent-Privatisierung und De-Familialisierung von Bildung, Betreuung und Erziehung im Kindesalter“ im durchaus positiven Sinne beschreibt. [33] Die Wissenschaften übernehmen hier durchaus auch explizit die Funktion der Politikberatung. Kinder dabei zu unterstützen, dass sie sich gemäß dem Kinder- und Jugendhilfegesetz zu „eigenständigen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten“ entwickeln, sei von früh an eine gemeinsame Aufgabe von Elternhäusern und den außerhäuslichen Einrichtungen. Indem Bildung als lebenslange, mit der Geburt beginnende Aneignung von Weltwissen und kulturellen Kompetenzen verstanden wird, haben inzwischen auch Tageseinrichtungen für ein- und zweijährige Kinder den einstigen Charakter von vorwiegend öffentlicher Fürsorge verloren und bieten, ebenso wie Kindergärten, den Elternhäusern partnerschaftliche Zusammenarbeit und wo nötig auch Hilfestellung zur Stärkung von Elternkompetenzen an. [34] <?page no="127"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 127 Erziehungspraktiken und ihre Systematisierung D as Thema der Erziehungsstile, traditionell eine Domäne vor allem der psychologischen Familienforschung, [35] hat also Bedeutung weit über die Kernfamilie hinaus gewonnen. Häufig wird es allerdings noch immer in eher klassischen Strukturen angesiedelt. Besonders deutlich tritt dies in Erscheinung, wenn die systematischen Kenntnisse in pädagogische Ratgebermaterialien umgesetzt werden. In einem renommierten Programm wird zum Beispiel die klassische Konstellation eines Elternpaars mit Tochter und Sohn in Text und Bild sowie über DVD interaktiv mit Konfliktsituationen konfrontiert und dabei beraten, sich jeweils für eine der angebotenen vier Möglichkeiten der Verhaltensweisen zur Lösung der Konflikte zu entscheiden. [36] Die Zahl der Alternativen ist kein Zufall, denn ein aus vier Feldern bestehendes Schema hat sich international seit langem durchgesetzt, um Verhaltensmuster von Erziehungspraktiken zu beschreiben und um das emotionale Klima, das in Familien herrscht, zu kennzeichnen. Die beiden zu Grunde gelegten Dimensionen sind: Qualität und Ausmaß der Zuwendung von Eltern gegenüber ihren Kindern (eher akzeptierend oder eher zurückweisend), und die Art und Intensität der Lenkung (fordernd oder wenig fordernd). Die Kreuzung beider Dimensionen ergibt vier idealtypische Strukturen: • einen ‚autoritativen‘ Erziehungsstil (fordernd und zugleich akzeptierend) • einen ‚autoritären‘ Stil (fordernd, zugleich aber zurückweisend) • einen ‚permissiven‘ oder verwöhnenden Stil (wenig fordernd, dabei akzeptierend) • einen ‚vernachlässigenden‘ Stil (wenig fordernd und zugleich zurückweisend) <?page no="128"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 128 Sprachlich liegen die Bezeichnungen der beiden ersten Muster nahe beieinander, sie unterscheiden sich jedoch bei klärender Erläuterung deutlich voneinander: Mit ‚autoritativem‘ Erziehungsstil ist eine wertschätzende, respektvolle und warmherzige Haltung gemeint, die bei Erziehungsberechtigten mit der Fähigkeit einhergeht, Kindern zwar Grenzen zu setzen, dabei jedoch ihre Eigenständigkeit und Leistungsbereitschaft zu fördern. Kinder sollen ihre Individualität entwickeln, indem sie Erfahrungen auch als Konsequenzen des eigenen Handelns verstehen. Sie sollen persönliche Meinungen überzeugend vertreten können und so in eine partnerschaftliche Rolle bei der Mitgestaltung des Familienklimas hineinwachsen. Ganz anders ist demgegenüber ein ‚autoritärer‘ Erziehungsstil gerade dadurch geprägt, dass er Eigenständigkeit bei Kindern wenig fördert, vielmehr auf klare Hierarchien in Familienverbänden setzt und nicht verhandelbare Ansprüche an Gehorsamkeit gegenüber Autoritätspersonen stellt. Das Konzept der Erziehungsstile ist ein Produkt der Forschung, die zunächst in westlichen Industrieländern stattgefunden hat. Individuelle Leistungsbereitschaft und Eigenverantwortung, dabei Toleranz und moralisches Urteilsvermögen haben in den Werteordnungen der westlichen Welt durchweg einen hohen Stellenwert. Auch bei uns steht der autoritative Erziehungsstil hoch im Kurs. Er wird von der Fachliteratur für Familien und Bildungseinrichtungen als Leitmodell empfohlen und ist auch für die Politikberatung und die Entwicklung von Bildungsplänen maßgebend. Dabei werden auch Erschwernisse bei der Durchsetzung der entsprechenden Erziehungspraxis benannt: familienstrukturelle Belastungen etwa und Konfliktpotentiale, die sich aus den Persönlichkeiten der erziehenden Personen ergeben. Auch werden unterschiedliche Voraussetzungen in der ökonomischen Lage und dem Bildungsniveau der Familien thematisiert und ein verstärkter Bedarf an Beratungsangeboten und Hilfestellungen angemeldet. [37] <?page no="129"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 129 In der praktischen Umsetzung erscheint ein idealisiertes Konstrukt wie der ‚autoritative Erziehungsstil‘ sehr anspruchsvoll. Er dürfte auch in intakten und begüterten ‚westlichen‘ Familien keinesfalls in allen beschriebenen Einzelheiten die Regel sein. In der Realität herrschen wohl innerhalb wie außerhalb der klassischen Erziehungskonstellationen eher Mischformen mit verstärkter Tendenz zur einen oder anderen Struktur des Vierfelder-Schemas vor. Einflüsse des Erziehungsverhaltens auf die Entwicklung von Mitgefühl bei Kindern D urchaus verallgemeinernd lässt sich jedoch ein Zusammenhang herausgreifen, nämlich der zwischen den Erziehungspraktiken Erwachsener und der Entwicklung sozialen Verhaltens von Kindern untereinander. Deshalb sollen hier als Beispiel einige Details aufgeführt werden, die aus Untersuchungen einer entwicklungspsychologischen Forschungsgruppe in Süddeutschland stammen. [38] Es ging der Forschungsgruppe zunächst darum, Kinder im Alter von fünf Jahren beim Spielen zu beobachten, um Ihre Reaktionen auf Schmerz und Kummer, die ein anderes Kind erleidet, in Gruppen einzuteilen, nämlich in (1) mitfühlend-prosoziale, (2) betroffen-gehemmte und (3) vermeidend, wegschauende Kinder. Zwei Typen von Situationen wurden mit ihnen in Einzelversuchen durchgespielt. Der eine: Die Versuchsleiterin führt eine Puppe, diese stößt sich beim Spiel das Knie und bricht in Tränen aus. Der andere Typ: Kind und Puppe spielen jeweils mit einem Luftballon, dabei platzt der Ballon der Puppe ‚versehentlich‘ und die Puppe klagt über ihren Verlust. Zusätzlich wurden die Mütter und Väter dieser Kinder interviewt. Sie sollten sich Situationen vorstellen, in denen mit ihrem Kind etwas geschieht und dann berichten, wie sie sich dazu verhalten würden. Ein Beispiel: Ihr Kind steigt trotz Verbots auf einen Schemel, um etwas aus dem <?page no="130"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 130 Spielschrank zu holen, der Schemel fällt um, und Ihr Kind tut sich weh. Ein weiteres Beispiel: Ein anderes Kind nimmt Ihrem Kind mit Gewalt sein Fahrrad weg und fährt damit davon, es stürzt und verletzt sich, worüber Ihr eigenes Kind sich unverhohlen freut. Ausgewertet wurden die Antworten der Eltern in zweierlei Richtungen, die auf Komponenten von eher autoritativem bzw. eher autoritärem Erziehungsstil abzielen. Einmal Wärme und Fürsorglichkeit: Steht (bei dem Sturz vom Schemel) primär das Leid des eigenen Kindes im Vordergrund oder wird eher sein zu kritisierendes Fehlverhalten zum Thema gemacht? Zum anderen die Art und Weise der Rückmeldung über die Schadenfreude ihres Kindes: Wird eher auf die Not des vom Fahrrad gestürzten Spielkameraden hingewiesen oder gibt es harsche Kritik und direkte Aufforderungen, sich nicht so hässlich zu verhalten? Der Frage nach möglichen Zusammenhängen zwischen elterlichen Erziehungsstrategien und der Ausprägung des vorher erhobenen sozialen Verhaltens der Kinder ließ sich nun durch Zusammenfügen der beiden Datenreihen nachgehen. Es zeigte sich, dass Kinder, die als mitfühlend-prosozial eingestuft worden waren, Eltern hatten, die eher angaben, vor allem auf die Notlage ihres Kindes zu achten, es zu trösten und im Falle des gestürzten anderen Kindes vor allem dazu anregten, sich in dessen missliche Lage zu versetzen. Die Eltern von betroffen-gehemmten und vermeidend-wegschauenden Kindern bestanden im Interview dagegen eher darauf, dass sie ihrem Kind ja verboten hatten, auf den Schemel zu klettern. Diese Eltern würden auch das schadenfrohe Verhalten explizit tadeln, ohne dabei sonderlich auf den Schmerz des anderen Kindes mitfühlend hinzuweisen. Autoritative Erziehungspraxis scheint Kinder zu mitfühlendprosozialem Verhalten gegenüber anderen Kindern anzuregen. <?page no="131"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 131 Kinder im Gespräch mit Erwachsenen I mmer wieder wird international und auch für Deutschland von Seiten der Soziologie und Bildungsforschung herausgestellt, wie einflussreich häusliche Lebensumstände auf die Entwicklung von Kindern sind und welches die hauptsächlichen Risikofaktoren sind (niedriges Familieneinkommen, ungünstige Wohnverhältnisse, geringes Bildungsniveau der Eltern, Alleinerziehung, Minderheitenstatus), die für Kinder die Wahrnehmung von Bildungschancen, zum Beispiel bei der Wahl des weiterführenden Schultyps, erschweren. [39] Ein Faktor soll in diesem Kapitel herausgegriffen werden, dem gerade in den frühen Jahren der Kindheit eine besondere Bedeutung zukommt, nämlich die Formen des kommunikativen Umgangs zwischen den Generationen. Lange Zeit wurde von der Psychologie die Sprachentwicklung allein mit Blick auf die Kinder beschrieben, so als sei dies ein isoliertes, allein auf sie beziehbares Geschehen. Dabei ist doch aus heutiger Sicht gar nicht wegzudenken, dass erst die Interaktionen mit anderen Menschen den Erwerb von Sprach- und Kommunikationsfähigkeiten der Kinder ermöglichen. Der Weg zu den Erkenntnissen, mit denen wir heute wie selbstverständlich umgehen, war indessen durch Etappen mit deutlich wechselnden und sich erst langsam ausweitenden Schwerpunkten gekennzeichnet. Schrittweise Annäherung an komplexere Einschätzungen der generationellen Interaktion für Spracherwerb und soziale Entwicklung E ine erste Wendung hat in den späten 1970er Jahren ein Sammelband mit dem Titel Talking to children auf den Punkt gebracht, in <?page no="132"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 132 dem die damalige, vor allem US amerikanische Forschung über die Sprache der Erwachsenen zu kleinen Kindern gebündelt worden ist. [40] Es war die Zeit der intensiven Beschäftigung mit der Beschaffenheit der Ansprache - beobachtet im Wesentlichen beim Umgang von Müttern mit ihren Babys und Kleinkindern - die unter dem Sammelbegriff des an kleine Kinder gerichteten ‚baby talk‘ bekannt geworden ist: erhöhte Stimmlage, überdeutliche lautmalende Prosodie, kurze, einfache Satzstrukturen, vielfache Wortwiederholungen. Man studierte, wie sich diese von Erwachsenen intuitiv angeleiteten Zwiegespräche entwickeln, und welche Anregungen sie den kleinen Kinder bieten, sich zunächst mit Quieken, Gurren und Brabbeln, später immer mehr mit Imitationen von Partien dieser frühen spontanen ‚Sprachlehre‘ an solchen ‚Dialogen‘ beteiligen. Genauere Kenntnisse darüber, wie differenziert Säuglinge dabei bereits tatsächlich Sprachverarbeitung leisten und wesentliche Hinweise auf melodische und grammatische Strukturen ihrer Umgebungssprachen aufnehmen, sind allerdings erst jüngeren Datums. [41] Zunächst markiert wiederum ein Sammelband, 1994 unter dem Titel Input and interaction in language acquisition erschienen, eine nächste Etappe des Interesses am Zusammenspiel von Erwachsenen und Kindern beim Spracherwerb. [42] Der Schwerpunkt hatte sich verlagert von den lautlichen und formalen Kennzeichnungen der an Kleinkinder gerichteten Sprache der Erwachsenen hin zu gesprächsanalytischem Interesse an den sozialen Funktionen der Erwachsenen-Kind-Interaktionen und deren Auswirkungen auf kindliches Handeln. Man untersucht das Milieu, in dem sich diese Interaktionen abspielen und den wechselseitigen Einfluss der Gesprächspartner aufeinander. Welches sind die günstigen Gesprächsformen, die einen ungehinderten Erwerb von sprachlichen und kommunikativen Fähigkeiten mit sich bringen? Wie können Eltern dabei unterstützt werden, sie zu praktizieren? Wie wirkt das kindliche Verhalten auf das der Ge- <?page no="133"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 133 sprächspartnerinnen zurück? Zugleich spiegelt diese prominente Publikation deutlicher als die frühere ein wachsendes Interesse an bislang wenig untersuchten Konstellationen: Familien in anderen als westlichen Kulturen, Kinder mit Hör- oder Sehproblemen oder verzögertem Sprachbeginn, depressive Mütter in der Kommunikation mit ihren kleinen Kindern. Schließlich kommen darüber hinaus auch die Interaktionen der Kinder mit ‚dem Rest der Familie‘ zum Zuge, also nicht nur mit ihren Müttern, sondern auch mit Vätern und Geschwistern. [43] Eine weitere Ausdehnung des Interesses lässt sich, um im Muster zu verbleiben, wiederum an einem Sammelband ablesen, der 2002 erschienen ist und den Titel trägt: Talking to adults. The contribution of multiparty discourse to language acquisition. [44] Hier gibt insbesondere der Untertitel Aufschluss über neue Akzente: Im Vordergrund steht nicht mehr nur die jeweilige Zweierbeziehung zwischen primären Bezugspersonen und einem Kind. Vielmehr trägt man nun der realistischen Situation Rechnung, dass Kinder in Beziehungen zu mehreren Älteren und Gleichaltrigen mit unterschiedlichen sozialen Rollen und verschiedenen Varianten von Sprach- und Kommunikationsgewohnheiten aufwachsen. Deshalb werden zum Beispiel Tischgespräche mit mehr als einem Erwachsenen und Kindern untersucht oder Situationen, wo Kinder an unterschiedlichen Orten mit verschiedenen Personen zusammentreffen, die für ihre sprachliche und soziale Entwicklung bedeutsam sind. Wie wirken unterschiedliche Sprachstile Erwachsener auf die kindliche Entwicklung? A usgehend vom anfänglichen Interesse an der ‚intuitiven Didaktik‘, die bei den meisten Erwachsenen bewirkt, dass sie in kindgerechte Babysprache verfallen, wenn sie sich sehr jungen Kindern zuwenden, hat sich also während der letzten Jahrzehnte <?page no="134"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 134 ein ausgedehntes Forschungsfeld entwickelt. Zunehmend kamen die Veränderungen dieses anfänglichen Verhaltens in den Blick, wenn Erwachsene ab dem zweiten Lebensjahr zur ‚stützenden‘ Sprache übergehen, mit der sie auf die Beiträge der Kinder eingehen und diese erweitern. Und wenn sie wiederum etwas später ‚lehrende‘ Sprache benutzen, um systematischen Wortschatzaufbau zu fördern und zur grammatischen Erweiterung der kindlichen Äußerungen anzuregen. [45] Dabei rückten nun auch Unterschiede in Art und Ausmaß in den Fokus des Interesses, mit denen Erwachsene diese früher gern als allgemein gültige Regel beschriebenen Verhaltensweisen gegenüber Kindern praktizieren. Zunächst sind es ja vor allem Mutter-Kind-Dyaden aus leicht erreichbaren gut situierten Familien gewesen, die in die Untersuchungen einbezogen worden waren. Später kam im Zusammenhang mit bildungspolitischen Unterstützungsmaßnahmen für ärmere Familien konsequenterweise die Frage auf, wie sich Quantität und Qualität der sprachlichen Anregung auf Kinder auswirken könnten, die unter wenig begünstigten sozio-ökonomischen Bedingungen aufwachsen, und wie man die Familien beraten kann, ihr Sprachangebot gegenüber ihren Kindern anzureichern. Obwohl in manchen Untersuchungen tatsächlich Unterschiede aufgezeigt werden konnten, die sich an schichtspezifischen Kennwerten festmachen ließen, hat sich doch bald ergeben, dass die Konstellationen viel zu komplex sind, als dass sich verschiedene Kommunikationsstile der Bezugspersonen generell gesellschaftlichen Schichten zuordnen lassen. Zugleich zeigte sich in kontrollierten Studien, dass bemerkenswerte Veränderungen in der Kommunikation von Müttern mit ihren Kindern herbeigeführt werden konnten (ja, es ging immer um Mütter, wohl wegen der leichteren Erreichbarkeit, aber möglicherweise auch wegen geschlechtertypischer Erwartungen an die größere Bereitschaft der Mütter, sich zur Verfügung zu stellen). Den Müttern wurden also intensive Übungsformen angebo- <?page no="135"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 135 ten und man klärte sie darüber auf, durch welche Gesprächs- und Kommunikationsstrategien sie die Entwicklung ihrer Kinder fördern können. [46] Hierfür waren nun Prinzipien zu definieren und mit Beispielen und Materialien auszustatten, an denen demonstriert werden konnte, welches Verhalten und welche spezifischen sprachlichen Anregungen zu welchen Anlässen bei Kindern besondere Wirkung erzielen können. Allgemein wird die Bedeutung von feinfühligem Eingehen auf die Kinder in gemeinsam erlebten Situationen herausgehoben und zu intensiver Aufmerksamkeit auf das geraten, was die Kinder selbst verbal oder nonverbal zum Gespräch beitragen. Es wird angeraten, ihnen möglichst viel Raum bei den Interaktionen zu geben, dabei allerdings selbst nicht mit nötigen Erklärungen zu sparen, um Hintergründe für beobachtetes Geschehen zu erläutern. Mit der Zeit wurden Verfahren entwickelt, mit denen das für Untersuchungszwecke aufgezeichnete Gesprächsverhalten der Erwachsenen bei gemeinsamen Aktivitäten mit Kindern codiert und genauer in förderliche und wenig förderliche Strategien eingeteilt werden konnte. Zum Beispiel werden als wenig anregende Gesprächsanteile bloße Anweisungen (‚komm her zum Spielen‘; ‚nimm doch den blauen Stein‘), direktive Fragen (‚kannst du das Häschen hüpfen lassen? ‘) oder solche Fragen codiert, die einfach auf ein bestimmtes Wissen der Kinder abzielen (‚welche Farbe hat ihr Kleid? ‘). Solches Reden gilt als typisch für autoritären Erziehungsstil. Als anregend und eher dem autoritativen Kommunikationsstil zuzuordnen werden dagegen solche Fragen eingeordnet, die zum genauen Hinschauen und Nachdenken auffordern (‚was könnte der Junge jetzt tun? ‘), oder solche, die bei kindlichen Äußerungen um Klärung bitten (‚dumm? ‘ - ‚wieso ist das dumm, Bloße Anweisungen vs. Fragen, die zum Hinschauen und Nachdenken auffordern. <?page no="136"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 136 was sie tut? ‘). Auch Äußerungen, die modellierend auf die kindliche Sprache oder ihre Handlungen reagieren, werden als förderlich eingeordnet (‚Apfel grün‘ - ‚ah, du magst den grünen Apfel‘; ‚du baust da gerade ein Haus, das gefällt mir‘). [47] Die besondere Bedeutung der Fragen E ine besondere Rolle spielt in den Ratschlägen für Eltern und Erzieherinnen immer wieder der Umgang mit Fragen, daher will ich etwas näher hierauf eingehen. Es gibt Fragen, die man ‚geschlossene‘ nennt. Sie lassen sich mit einem Wort oder einfach mit ‚ja‘ oder ‚nein‘, oft sogar nonverbal beantworten: ‚gefällt dir das? ‘, ‚was ist das? ‘, ‚fühlt der Teddy sich wohl? ‘. Auf der anderen Seite gibt es ‚offene‘ Fragen, die zu ausholenden Antworten auffordern: ‚was gefällt dir denn daran so gut? ‘ ‚was passiert da hinten gerade? ‘, ‚was denkst du, wie der Teddy sich im Moment fühlt? Hat er überhaupt mitbekommen, was passiert ist? ‘. Offene Fragen der Erwachsenen bei Unterhaltungen mit Kindern sind dann zugleich ‚echte‘ Fragen, wenn sie tatsächlich von Neugier und Wissen-Wollen zeugen. Kinder können im Allgemeinen schon früh unterscheiden, ob sie beiläufig abgefragt werden, oder ob jemand wirklich an ihrem Erleben und ihren Meinungen interessiert ist. Zugleich sind es gerade solche offenen Fragen, die das Gespräch über die aktuell gerade erlebte Situation hinausführen können. Sie begünstigen dann jene Formen des Dialogs, die von Sprache als genau dem Medium Gebrauch machen, das Abwesendes und Ausgedachtes zum Gesprächsgegenstand machen kann. [48] Kinder können im Allgemeinen schon früh unterscheiden, ob sie beiläufig abgefragt werden, oder ob jemand wirklich an ihrem Erleben und ihren Meinungen interessiert ist. <?page no="137"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 137 Ab etwa dem dritten Lebensjahr gewinnen solche Kommunikationen, die den zeitlich-räumlichen Kontext verlassen, immer mehr Bedeutung für die weitere Entwicklung der Kinder. Es ist gewiss ein besonders wichtiger Aspekt intuitiver Didaktik der älteren gegenüber der jüngeren Generation, dass Erwachsene mit dem Reden über innere Zustände und über subjektive Wahrnehmungen und Bewertungen über den Augenblick hinaus und hinter die Dinge fragend bereits zu einem Zeitpunkt beginnen, zu dem die Kinder selbst sich hierfür erst vorbereiten. Der russische Psychologe Lev Vygotskij hat vor bald hundert Jahren beschrieben, wie derartige Gesprächsanregungen dazu dienen, die Kinder auf den Weg in die ‚Zone ihrer nächsten Entwicklung‘ zu bringen. [49] Er hat hiermit eine bis heute gern verwendete Metapher für die kooperative Leistung von Älteren und Jüngeren bei der Ausbildung von kindlicher Handlungsfähigkeit gefunden. Wer mit Kindern umgeht, wird also aus guten Gründen derart offene, echte Fragen stellen. Ebenso wichtig ist es jedoch, sich auf Fragen einzulassen, die von den Kindern selbst gestellt werden. Was für Erwachsene gilt, ist auch für Kinder richtig: Man darf nicht glauben, dass wer fragt, nur wenig weiß. Das Gegenteil ist der Fall: Je weiter jemand in ein Gebiet eindringt, desto mehr Fragen tun sich auf. [50] Daher dürfen Fragen, die Kinder stellen, immer als ein Zeichen dafür gewertet werden, dass sie bereits etwas begriffen haben, und nun über die Zusammenhänge mehr erfahren wollen. Wenn Erwachsene sich hierauf einlassen, können sie Elemente der ganz persönlichen Lern- und Erfahrungsgeschichte eines Kindes entdecken. Kinder verdienen auf ihre Fragen engagierte Antworten, die sie dann auf ihre eigenen Erfahrungen beziehen können, Kinder verdienen auf ihre Fragen engagierte Antworten, die sie dann auf ihre eigenen Erfahrungen beziehen können, und es ist wichtig, ihnen Zeit zum Überlegen einzuräumen, damit sie neues an altes Wissen anknüpfen können. <?page no="138"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 138 und es ist wichtig, ihnen Zeit zum Überlegen einzuräumen, damit sie neues an altes Wissen anknüpfen können. Schnelle und abschließende Antworten eignen sich dagegen allenfalls für blanke Tatsacheninformationen. Sie sind wenig geeignet, um geistige Anstrengungen zu fördern, die Kinder weiterbringen. Denn die eigentlich interessanten Fragen der Kinder, solche die sich hin und her wenden und von verschiedenen Seiten aus betrachten lassen, fordern Antworten heraus, die zu neuen Fragen führen. Für Kinder, die im Begriff sind, einen Sinn für Perspektivenvielfalt zu entwickeln, bietet die Auseinandersetzung beim gemeinsamen Antwortfinden hierzu eine bevorzugte Übungsmöglichkeit. Die Kinder merken dabei nämlich zugleich, dass Erwachsene nicht per se immer gleich alles besser und abschließend wissen. Damit machen sie die für ihre geistige und soziale Entwicklung so bedeutsame Erfahrung, dass man sie mit ihren eigenen Fragen und Hypothesen ernst nimmt. Und umgekehrt: Wirkungen kindlicher Sprache auf den Kommunikationsstil der Erwachsenen I n diesem Kapitel ist bisher beschrieben worden, wie die meisten Erwachsenen eine Art spontan abrufbares Talent einsetzen, um ihre Kommunikationen mit Kindern deren Entwicklungsstand anzupassen. Nicht unbedingt rational kontrollierend, honorieren sie damit die Fortschritte, die Kinder in ihrer Entwicklung machen. Das heißt, wir dürfen im Allgemeinen davon ausgehen, dass kindliches Verhalten im positiven Sinne auf Erwachsene wie ein Auslöser wirkt. Was Kinder tun und sagen, regt dazu an, ihnen dort zu begegnen, wo sie sich entsprechend ihrer Entwicklung befinden, setzt aber zugleich Impulse in die Richtungen frei, in die ihre Weiterentwicklung drängt. Wie verhält es sich nun aber mit Kindern, die in ihrer Entwicklung nicht den gängigen Erwartungen entsprechen, die <?page no="139"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 139 zum Beispiel auch in vertrauter Umgebung eher schüchtern und sprechscheu sind oder überhaupt mit dem Sprechen später als andere Kinder beginnen, etwa den so genannten ‚Wortschatzspurt‘ nicht in dem Maße mitmachen, wie ihn die meisten Kinder in der zweiten Hälfte des zweiten Lebensjahres zeigen? Auffällig wird ein Rückstand bei der altersangemessenen Sprachentwicklung (knapp und übersichtlich zusammengestellt in einer Broschüre, die in kinderärztlichen Praxen verteilt wird: Die kindliche Sprachentwicklung von der U3 bis zur U9). [51] Meist gegen Ende des zweiten und im dritten Lebensjahr fallen solche Rückstände an geringem aktiven Wortgebrauch auf, am Ausbleiben von Wortzusammenfügungen und daran, dass die Kinder dabei verharren, ihre Bedürfnisse und Stimmungen wortlos zu artikulieren, indem sie sie vor allem mimisch und gestisch ausdrücken. Das kann zu großen Irritationen bei den Angehörigen führen, insbesondere, wenn in der Nachbarschaft Kinder ähnlichen Alters schon viel weiter sind oder ältere Geschwister sich in dem entsprechenden Alter ganz anders verhalten hatten. Eine Gefahr besteht nun darin, dass erwachsene Bezugspersonen ihr Verhalten gegenüber einem solchen Kind verändern: In der guten Absicht, ihm gerecht zu werden, oder auch belastet durch Schuldgefühle, womöglich selbst für den kindlichen Entwicklungsrückstand mit verantwortlich zu sein, kann solch ein Kind dann unter- oder überfordert werden. [52] Im einen Fall reduzieren die Erwachsenen ihr eigenes Sprachangebot, reagieren vorausschauend auf seine nonverbal geäußerten Wünsche und nehmen ihm so das Sprechen ab. Sie bestärken damit dieses kindliche Verhalten, so dass es schließlich an der Stimulierung fehlt, die auch Bezugspersonen dringend brauchen, um dem Kind die Anregungen für die ‚Zone der nächsten Entwicklung‘ zu bieten. Im anderen Fall können Erwachsene dazu neigen, ein überbordendes Sprachangebot an das Kind heranzutragen. Sie überschütten es mit direktiven Äußerungen, fordern zum Nachsprechen auf <?page no="140"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 140 anstatt ihm offene Fragen zu stellen. Damit geben sie dem Kind wenig Raum und Zeit, um selbst aktiv zu werden und Sprechfreude überhaupt erst entwickeln zu können - ein Teufelskreis! Viele der betroffenen Kinder überwinden im Lauf der nachfolgenden Jahre ihre Sprachrückstände ohne fachtherapeutische Behandlung. Umso wichtiger ist es, dass Eltern sich Rat und Aufklärung holen. Es gibt hierfür gute Angebote. [53] Teufelskreise wie der gerade beschriebene können sich natürlich auch außerhalb der häuslichen Umgebung entwickeln. In den Krippen und Kitas stehen solche interaktiven Prozesse in der Regel unter professioneller Beobachtung und lassen sich durch Anleitung des Personals verändern. Es geschieht gegenwärtig viel, um die Qualität der Betreuung und Bildung in Kindertagesstätten zu verbessern. Das ist von großer Bedeutung angesichts der zunehmenden Zahl der Kinder, die bereits im Alter von unter drei Jahren eine Einrichtung besuchen. Die Erfahrung zeigt, dass vom frühen Besuch einer Kindertagesstätte gerade diejenigen Kinder profitieren können, die zu Hause wenig anregende Verhältnissen vorfinden, aber auch Kinder, die beim Erwerb des Deutschen Unterstützung brauchen, weil sie in einer mehrsprachigen Umgebung aufwachsen, die ihnen unterschiedliche Niveaus der Sprachen bieten. Deshalb ist es zu begrüßen, dass die Interaktionskompetenz von Erzieherinnen und Erziehern im Zentrum von Fortbildungen der Frühpädagogik steht, und dass die Wirkungen von Interaktionstrainings inzwischen genau analysiert werden. [54] Ab drei Jahren erfahren bei uns fast alle Kinder eine außerhäusliche Betreuung für bestimmte Zeiten des Tages. Die Vorteile, die für die Kinder mit dieser Erweiterung ihrer Lebenswelt, mit dem Kontakt zu neuen Bezugspersonen und dem Zusammensein mit anderen Kindern verbunden sind, sind hoch einzuschätzen. Auch Vom frühen Besuch einer Kindertagesstätte profitieren besonders Kinder aus anregungsarmem Milieu. <?page no="141"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 141 hier bleibt jedoch die Verbesserung der Qualität der Betreuung ein Anliegen. Das Thema ‚Erwachsene im Gespräch mit Kindern‘ ist eines der wichtigsten im Zusammenhang mit der Bemühung um erfolgreiche Sprachförderung in den Kindertageseinrichtungen. Es gibt gute Materialien, und die Ansprüche an eine dialogische Haltung von Erzieherinnen und Erzieher sind vielfach formuliert: wertschätzend soll ihr Gesprächsverhalten sein, offen fragend und aktiv zuhörend. [55] Manche ernüchternde Untersuchung zeigt jedoch, dass in der Praxis oft die direktiven Anweisungen, geschlossene Fragen und Rechtfertigungen des eigenen Verhaltens vorherrschen. Gerade an längeren Passagen der Unterhaltung mit den Kindern mangelt es, in denen gemeinsam nachgedacht werden kann, Fragen der Kinder aufgegriffen und zusammen mit ihnen nach Einfällen und Antworten gesucht wird. [56] Dabei können sich solche Gelegenheiten in Spielsituationen, während der Mahlzeiten oder der gemeinsamen Beschäftigung mit Bilderbüchern leicht ergeben. Es bedarf hierzu allerdings nicht nur guter äußerer Bedingungen, sondern auch gut geschulter Kompetenzen beim Personal. Das Thema ‚Erwachsene im Gespräch mit Kindern‘ ist eines der wichtigsten im Zusammenhang mit der Bemühung um erfolgreiche Sprachförderung in den Kindertageseinrichtungen. <?page no="142"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 142 Wie sich das Ich beim Erzählen bildet E in lesenswertes Buch eines amerikanischen Psychologen, keineswegs nur für die Fachwelt geschrieben, heißt in der deutschen Übersetzung Wir sind Erinnerung. [57] Legt man in diesem Titel die Betonung auf das Wörtchen ‚sind‘, so ergibt sich eine knappe Formel für die fundamentalen Gedanken, die der Autor in diesem Werk über die menschliche Identität ausgebreitet hat: Ohne Erinnerung gäbe es keine Orientierung in der Gegenwart für uns. Und ohne die aus der Erinnerung gestiftete Möglichkeit, uns in der Aktualität zu bewegen, kämen keine Pläne für die Zukunft auf. Die ‚Identität‘ eines Menschen steht niemals abschließend fest, sondern ist in beständigem Fluss. Sie bildet sich im Zuge der Rückgriffe auf Vergangenes fort, das neu Erlebtes erst mit Sinn ausstatten kann und auf diese Weise auch künftige Entwicklungsmöglichkeiten aufscheinen lässt. Die soziale Konstruktion der Autobiografie D ieses Geschehen wäre missverstanden, würde es als Folge von Kalenderblättern aufgefasst, über die wir genau Buch führen. Was unser Selbst ausmacht, beruht vielmehr auf immer neuen Aktualisierungen ganz bestimmter zurückliegender Ereignisse, über die wir anderen (aber auch still für uns selbst) etwas erzählen. Was unterscheidet solche Erzählungen von manchen anderen Formen des Gesprächs? Sie spielen stets auf zwei Ebenen: zum einen auf der Folie des Alltäglichen, des kulturell Gebotenen und zum anderen auf der Ebene der Überraschungen, der herausgehobenen Ereignisse. Solche biografischen „Geschichten erzielen ihre Bedeutungen, indem sie Abweichungen vom Normalen in einer verständlichen Form erklären“ (Bruner 1997, 6). Das ist ein <?page no="143"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 143 Kerngedanke der ‚narrativen‘ Psychologie, die von dem amerikanischen Psychologen Jerome Bruner begründet worden ist. [58] Diese Forschungsrichtung begreift die Person als ein sich im Lebenslauf veränderndes erzählendes Ich: Die Menschen erschaffen sich sinnvolle Begründungen und Zusammenhänge für ihr Selbstverständnis, indem sie ihre Geschichte besprechen. Es handelt sich dabei nicht um ein getreuliches Nacherzählen, sondern um die Markierung von Ereignissen, die je nach Anlass und je nachdem, mit wem wir uns im Gespräch befinden, immer wieder anders rekapituliert werden, und zwar als etwas, das vom Alltäglichen abgehoben, eben etwas Besonderes ist. Auf dem Feld der verbal in Erinnerung gerufenen Autobiografie, also rückwirkend auf das eigene Leben schauend, entspricht das dem, was generell auch aktuelle Wahrnehmungsakte bestimmt: Wir wandeln sinnliche Eindrücke in Figuren um, die vor einem Hintergrund Gestalt annehmen. So wie etwa visuelle Wahrnehmungsakte keine fotografischen Bilder festhalten, sind autobiografische Erzählungen keine Kopien von Erlebnissen, sondern ausgewählte und interpretierte Auslegungen hiervon, mit denen wir uns auf der Folie des sozial Üblichen unserer Individualität versichern. Ermöglicht werden solche biografischen Konstruktionen dadurch, dass wir mit der Zeit kulturelle Erfahrungen angesammelt haben, also Wissen darüber, welche Erwartungen und normativen Ansprüche an situationsangemessenes Rollenhandeln in den sozialen Gemeinschaften bestehen, an denen wir teilhaben. Niemand fragt, warum wir so und nicht anders handeln, so lange wir uns in diesem Rahmen geteilter Erwartungen und Bewertungen bewegen. Wir bestätigen diese Erwartungen ja damit - man soll sich eben so verhalten. Geschieht jedoch im Leben etwas Ungewöhnliches, ist zum Beispiel die Lösung von Konflikten erforderlich oder ein Abwägen mit Interessen von Mitmenschen, die in unser soziales Netz eingebunden sind, dann kann eine Geschichte über dieses Ereignis erzählenswert werden. Dann illustriert sie <?page no="144"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 144 die mental repräsentierten subjektiven Motivationen, Absichten und Rechtfertigungen, die eine Abweichung vom Gewöhnlichen verständlich machen. Dann erzählen die Menschen hier und jetzt von einem Ich, das den eigenen Namen trägt, das früher existierte und da und dort handelte „und die Erzählung endet in der Gegenwart, wo der Protagonist mit dem Erzähler verschmilzt … das Ich als Erzähler berichtet nicht nur, es rechtfertigt. Und das Ich als Protagonist weist immer sozusagen in die Zukunft“. [59] Wie werden Kinder zu Ich-Erzählerinnen und -Erzählern? K inder müssen sich zunächst ein Verständnis für das Übliche, das Alltägliche erarbeiten, damit sie eine Folie gewinnen, innerhalb derer sie Brüche und Überraschungen ihrer erwachenden Existenz interpretieren und mit narrativer Bedeutung versehen können. Welche Stationen führen zu einem narrativen Selbst? Auf den Weg gebracht wird es zusammen mit anderen, in Gesprächen mit Älteren. Sie sind es, die zunächst dabei die Regie übernehmen. Schon bald, wenn ein Kind überhaupt mit dem Sprechen beginnt und selber noch gar nicht viel zum Gespräch beitragen kann, reden Erwachsene gern mit ihnen über zurückliegend gemeinsam Erlebtes. Ein Beispiel eines Vaters mit der knapp einjährigen Tochter: [60] Vater: Kannst du dich erinnern an unseren Spaziergang? Du bist hingefallen, bist an einer Wurzel hängengeblieben. Das hat wehgetan, gelt? Kind: Nein. V.: Ich weiß nicht mehr genau, aber ich glaube, du hast ein bisschen geweint. K.: Hm. V.: Kann sein, es ist schon lange her. <?page no="145"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 145 K.: Hm. V.: Na, was haben wir noch gemacht? Wir haben uns im Wald hingesetzt. Es war richtig schön da. Alles war grün. Die Bäume waren grün. Und da waren die Vögel, die haben gesungen. Dann sind wir zum Auto zurückgegangen und zu Hanna und Peter gefahren. Erinnerst du dich? K.: Ja. V.: Das war in unserem Urlaub in Michigan. Dieses Kind mag das alles noch gar nicht richtig erfassen, aber der Vater bringt schon viele Details ein und schmückt das Erlebnis aus. Er erwähnt Stimmungen und Gefühle und markiert damit, was er an diesem Erlebnis als das Besondere erinnert. Die Individualität, die sich später in den autobiografischen Narrationen spiegelt, hat also soziale Ursprünge. Solche Geschichten werden in Etappen gemeinschaftlich konstruiert. Kinder nehmen erst ganz allmählich die Gesprächsführung in die eigenen Hände, während die Älteren sie langsam abgeben. Es vergeht eine Zeit, bis Kinder ab einem Alter von etwa 4 bis 5 Jahren damit anfangen, eigenständig Narrationen über sich selbst mit erzählenswerten Höhepunkten auszuprobieren. Bis dahin prägen sie sich vor allem die alltäglichen Routinen ein, die ihrer noch kleinen Welt Struktur verleihen. Sie verbalisieren und erarbeiten sich also für ihr Gedächtnis zunächst einmal die Folie der Normalität: Wie sich das Zubettgehen abspielt, wie Mahlzeiten verlaufen, was normalerweise bei Ausflügen am Sonntag geschieht etc. Hübsche Beispiele liefern die Monologe vor dem Einschlafen, die Emily’s Eltern im Verlauf ihres dritten Lebensjahres auf Tonband aufgenommen haben, und Kinder verbalisieren und erarbeiten sich für ihr Gedächtnis zunächst einmal die Folie der Normalität <?page no="146"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 146 die verschiedentlich Anlass zu wissenschaftlichen Analysen gegeben haben: [61] Morgen, wenn wir vom Bett aufwachen, erst ich, dann Papi und Mami, essen wir Frühstück, dann gehen wir spielen … und dann Karl und Emily, gehen wir beide zum Auto, dann fahren wir zum Kindergarten … Papi gibt uns einen Kuss, dann sagt er ‚auf Wiedersehen‘ und dann geht er arbeiten. Diese Selbstgespräche verraten das große Interesse an dem, was beständig und verlässlich ist und stets in der gleichen Weise verläuft. Das liefert diesem aufgeweckten Mädchen die sichere Basis dafür, später außergewöhnliche Ereignisse zu thematisieren, in denen das zunächst so prominente ‚dann‘ von den rhetorisch viel markanteren Wörtchen ‚manchmal‘, ‚vielleicht‘, ‚weil‘ oder ‚aber‘ abgelöst wird. Hier das Beispiel eines Gesprächs, das mit einem sechsjährigen Jungen geführt wurde: [62] Erwachsener: Ihr wart doch neulich im Zoo. Kannst du mir etwas darüber erzählen? Kind: Oh, das hat richtig Spaß gemacht! Wir haben eine Show mit Walen gesehen. Als sie aufgetaucht sind, die Wale, haben sie gespritzt und wir sind ganz nass geworden. E.: Wieso seid ihr nass geworden? K.: Weil wir ganz vorne gesessen haben. Wenn du weiter weg sitzt, wirst du nicht nass. Was war da noch? Ein schönes Mädchen mit einem weißen Vogel. Wir haben ein Bild gemacht. Mami hat einen Fotoapparat dabei gehabt und hat den Vogel fotografiert. <?page no="147"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 147 Jetzt können die Kinder von etwas Besonderem berichten und schieben in ihre Erzählungen auch Informationen ein, von denen sie annehmen, dass jemand, der nicht dabei war, sie zum Verständnis braucht (Mami hatte einen Fotoapparat dabei). In diesem Fall ist es das Kind, das die Regie über das Gespräch hat. Sein Sprachvermögen und seine geistigen Fähigkeiten sind so weit entwickelt, dass Begründungen und die zeitliche Gliederung aus der Erinnerung eine lebendige Geschichte machen können. Der entscheidende Umbruch im Erzählen, das auf das eigene Ich bezogen ist, geschieht demnach, wenn das Besondere, vom Allgemeinen abgehoben, den Anlass zu mentalen Konstruktionen von Figur-Hintergrund-Verhältnissen gibt, mit denen Wendepunkte (Bruner) im Lebenslauf markiert werden können: Nicht was Kinder oft erleben (Fahrten mit der Straßenbahn zum Beispiel) hält nunmehr das autobiografische Gedächtnis fest, sondern die persönliche Beteiligung (Mami hat unseren Fahrschein verloren), verknüpft mit einem konkreten Ort und Zeitpunkt (Haltestelle Rathaus am Nachmittag), einem Ereignis (der Kontrolleur war erst streng, aber dann wurde er nett), das eine emotionale Verarbeitung erfährt (Mami ist rot geworden und wir waren so erleichtert). Auf dem Hintergrund allgemeinen Wissens (über die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel der Stadt) wird ein bestimmtes Ereignis erst auf diese Weise zur autobiografischen Erinnerung, die erzählenswert ist. Rolle und Funktion, die Erwachsene im Gespräch über Erlebtes und seine Folgen spielen, um Kinder bei der Herausbildung ihres narrativen Ichs zu unterstützen, können gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. [63] Rolle und Funktion, die Erwachsene im Gespräch über Erlebtes und seine Folgen spielen, um Kinder bei der Herausbildung ihres narrativen Ichs zu unterstützen, können gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. <?page no="148"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 148 Interdisziplinäre Interessen am Erwerb der Erzählkompetenz Ü ber selbst Erlebtes, Ausgedachtes oder aus anderen Quellen Erfahrenes eine Erzählung zu gestalten, bedeutet: aus Ort und Zeit, Anlässen, Personen und Handlungen einen stimmigen plot zu konstruieren. Der Reiz von Erzählungen liegt in der Art und Weise, wie über Anlass und Folgen von Ereignissen berichtet wird, aber genauso in dem, was dabei keine Erwähnung findet. Um Leerstellen in einer Erzählung zu verkraften, vertrauen die Erzählenden auf das lebensweltliche Wissen über die Normalität, das sie mit den Zuhörenden teilen (eigentlich ist ein Bußgeld fällig, wenn man ohne Fahrschein erwischt wird). Es ist dieses Spiel zwischen Alltag und Überraschung, das für narrative Spannung zwischen einer Erzählerin und einem Zuhörer sorgt. Insofern darf Erzählkompetenz als eine grundsätzlich interaktive Leistung angesehen werden. Das gilt auch für literarisches Erzählen, das sich, schriftlich niedergelegt, aus der Distanz an ein Publikum wendet. Bevor Kinder Geschichten erzählen oder auch nur verstehen können, müssen sie daher nicht nur über die hierzu erforderlichen sprachlichen Mittel verfügen, sondern müssen sich, wie im vorigen Abschnitt schon beschrieben, auch kulturelles Wissen darüber angeeignet haben, wie der Alltag in Gemeinschaften - soweit sie an ihm schon teilhaben - geregelt ist und welche ähnlichen Kenntnisse hierüber bei Zuhörerinnen und Erzählern zu erwarten sind. Es gibt seit längerem auch in Deutschland Forschungen über die kindliche Entwicklung der Erzählkompetenzen. Sie sind zunächst von Linguistinnen unternommen wurden, die sich Texten, Konversationen und Gesprächen als Gegenständen ihrer Disziplin zugewandt haben, nachdem lange Zeit der Satz als oberste Einheit das Zentrum der strukturalistischen Interessen des <?page no="149"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 149 Fachs gewesen war. Bei diesen Forschungen standen allerdings nicht so sehr die interaktive Qualität des Erzählens und die Frage im Vordergrund, wie Kinder sich durch ihre Beteiligung hieran ihrer Lebenserfahrungen vergewissern. Vielmehr waren es die formalen Qualitäten der Produkte selbst. Es sind ‚Geschichtengrammatiken‘ entwickelt und Kriterien für Ansprüche an die ‚Wohlgeformtheit‘ von Narrationen formuliert worden. Als ein wichtiges übergeordnetes Kriterium gilt in der Textlinguistik beispielsweise die Kohärenz, also der Sinnzusammenhang eines Textes, der mit sprachlichen Mitteln (wie Fürwörtern und Rückverweisen auf schon eingeführte Personen oder Ereignisse) realisiert werden kann. [64] Später hat das Thema zu fruchtbarer Zusammenarbeit mit der Entwicklungspsychologie und der Sprachdidaktik geführt. Über Altersstufen von der späten Kindergartenzeit bis in die Grundschulzeit hinein sind die immer größeren Annäherungen an Standardformen von Erzählungen beschrieben worden, die den ermittelten Kriterien genügen. Der Blick ging dementsprechend vom anzustrebenden Ziel-Modell her zurück auf die Entwicklung von zunächst unzureichenden zu immer kompetenter realisierten Formen. [65] Dabei sind auch interessante Unterschiede in den Entwicklungsverläufen zwischen den verschiedenen Inhalten der Narrationen herausgearbeitet worden: nämlich zwischen ‚primären‘ Produktionen (Erlebnisgeschichten und fiktiven, ‚ausgedachten‘ Erzählungen) und den ‚reproduktiven‘ Geschichten, also Nacherzählungen und solchen, die durch Bildmaterial angeregt werden. Während reproduktive Narrationen insbesondere im Grundschulunterricht eine Rolle spielen und Entwicklungsverläufe hierüber gut dokumentiert wurden, sind in den viel weniger zahlreichen Befunden, die hinter das Alter von fünf Jahren zurückgehen, die Abfolgen und Vermischungen von Erlebnis- und fiktiven Elementen innerhalb der ‚primären‘ Geschichten aufgefallen. <?page no="150"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 150 Sie können vor allem dort deutlich nachgewiesen werden, wo dieselben Kinder über einige Jahre hinweg beobachtet wurden. [66] Dabei zeigte sich, dass zunächst Erlebniselemente vorherrschen. Vierjährige erzählten meist über ihre eigenen Erfahrungen, in der alte Ereignisse durch neue bestätigt oder abgelöst wurden. Wenn dann die Sprache verstärkt zu einem Instrument wird, mit dem sich Unterscheidungen zwischen wahren und ausgedachten Gegebenheiten treffen lassen, kam es schon ein Jahr später zu Vermischungen von erlebten und fiktiven Elementen. Dass die Kinder nun begonnen hatten, Erlebtes und Fabuliertes auseinander zu halten, wurde daran kenntlich, dass sie fiktive Teile einer erlebten Geschichte nonverbal, zum Beispiel durch Kichern oder Mimik, markierten oder auch verbal kommentierten ‚das ist aber jetzt nicht in echt…‘. Wiederum ein Jahr später hatte dieser offenkundige Spaß am spielerischen Mischen von Wirklichkeit und Fiktion zugunsten klarerer Trennung wieder abgenommen. In vielen Untersuchungen zur narrativen Entwicklung fällt auf, dass zu Geschehnissen in Bilderfolgen erst ziemlich spät kohärente Narrationen produziert werden, und dass erst in den Erzählungen von Schulkindern im Alter von 8 oder 9 Jahren Charaktere auftreten, die explizit mit ihren Absichten, Überzeugungen, Zielen und Hoffnungen geschildert werden. [67] Das ist bemerkenswert, da doch die entwicklungspsychologische Forschung über theory of mind, wie sie hier in früheren Kapiteln beschrieben worden ist, vielfach schon ab dem vierten Lebensjahr einen Schub an Menschenkenntnis registriert hat, der sich auch am sprachlichen Ausdruck ablesen lässt. Es mag sein, dass dieser Widerspruch mit den relativ anspruchsvollen Kriterien zusammenhängt, die in den Untersuchungen an die jeweiligen sprachlichen Mittel angelegt werden. Möglicherweise lässt sich dieser Widerspruch aber auch mit dem Arrangement bei der Durchführung der Untersuchungen erklären. <?page no="151"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 151 Wenn nämlich in solchen Arbeiten nicht nur Schulkinder, sondern auch jüngere untersucht werden, so finden diese Forschungen zwar meist in der gewohnten Umgebung eines Kindergartens statt. Sie sind allerdings selten in den dortigen Alltag integriert, sondern werden in abgetrennten Räumen durchgeführt, wo eine erwachsene Person im Einzelversuch den Kindern Impulse zum Erzählen gibt und dann ihre Geschichten aufnimmt. Dies ist eine für Kinder dieses Alterns nicht unbedingt vertraute Situation. Sie könnte daher durchaus ihre Erzählfreude beeinträchtigen und ihre Leistungen nicht gut zur Geltung bringen. Deshalb möchte ich an dieser Stelle auf die Forschungsarbeiten einer amerikanischen Entwicklungspsychologin eingehen, [68] die ein besonders motivierendes Szenarium nutzt, und möglicherweise deshalb zu Ergebnissen kommt, die einen ganz anderen Blick auf die Kompetenzen schon jüngerer Kinder eröffnen. Damit lässt sich auch gut zum darauf folgenden Kapitel über die Kommunikation unter Kindern überleiten. Geschichten sammeln und in der Kindergruppe ausagieren lassen I n den Einrichtungen, in denen die Autorin inzwischen zahlreiche längerfristige Erhebungen mit Kindern zwischen 3 und 6 Jahren sowohl aus besser gestellten wie aus nicht privilegierten Familien durchgeführt hat, war eine regelmäßige Praxis eingeführt, Geschichten nicht nur zu erzählen, sondern sie danach im Rollenspiel ausagieren zu lassen: Im Lauf des Vormittags durften sich immer ein paar Kinder aus eigenem Antrieb bei der Erzieherin melden, um ihr spontan eine Geschichte ganz nach eigener Wahl zu diktieren. Später am Tag war eine gewisse Zeit dafür reserviert, dass die Erzieherin diese Texte der ganzen Kindergruppe zunächst vorliest, so dass alle orientiert sind. Danach durfte die Erfinderin oder der Erfinder der Geschichte andere Kinder <?page no="152"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 152 benennen, die zusammen mit ihr oder ihm das Geschehen im Rollenspiel nachstellen und ausschmücken konnten. Die Kinder haben sich mit Eifer auf diese kooperative Praxis eingelassen, an der alle in der Gruppe wechselweise entweder als Autor oder Mitspielerin oder Publikum beteiligt sind. Die Ergebnisse sind überzeugend. Die Kinder produzieren unter diesen Bedingungen reichhaltigere und ehrgeizigere Geschichten als sie von sogar viel älteren Kindern aus anderen Untersuchungen bekannt geworden sind. Offenbar kommen viele motivierende Faktoren hier zusammen: Eigeninitiative und Freiwilligkeit, keinerlei Aufforderung oder Regulierung, auch keine thematische Anregung vonseiten der Erzieherin, Freude am Ausagieren in der Gruppe, die Verknüpfung von Handeln und Sprache zur Erschließung der Welt, und schließlich Stolz auf die ‚öffentliche‘ Präsentation. Dies ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie Kinder ihre Narrationen benutzen, um sich im Lauf der Zeit ihrer wachsenden Vorstellungswelt über reale Situationen und ausgedachte Möglichkeiten immer besser zu vergewissern, indem sie die Geschichte zusammen mit anderen konkret ausspielen. Hier konnten regelmäßig dem Alter entsprechende Veränderungen in der Art und Weise nachgewiesen werden, wie die Kinder die Handlungsträger ihrer Geschichten ausstatten: Beginnend bei Dreijährigen, die lediglich Akteure über konkrete Aktionen und rein äußerliche Eigenschaften in ganz rudimentären Berichten auftreten lassen. Über Geschichten von Vierjährigen, die von Agenten handeln, die bereits mit einfachen psychischen Eigenschaften und Gefühlen ausgestattet sind. Zu Fünfjährigen und Älteren, die schließlich in anspruchsvolleren Geschichten Personen mit expliziten Plänen, Mutmaßungen und Überzeugungen auftreten lassen, und damit Einsichten der Erzählenden in ihre eigene Gedankenwelt ebenso erkennen lassen wie ein beginnendes Verständnis von ‚falschem Glauben‘ bei Mitspielern. <?page no="153"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 153 Das Beispiel gibt Anlass zum Nachdenken darüber, ob die Entwicklungspsychologie womöglich an der kindlichen Sozialisation allzu prominent die Abhängigkeit des einzelnen heranwachsenden Kindes von den Erwachsenen in seiner Umgebung (Eltern, Verwandten, Erziehern, Lehrerinnen) betont, und am Einfluss von ‚peers‘ und Geschwistern auch häufig vor allem die Wirkung und die Hilfestellung von älteren auf jüngere Kinder beschreibt. Selbstverständlich gibt es diese Abhängigkeiten, und die Tradierung kultureller Praxis ist in erster Linie ein Geschäft zwischen den Generationen und zwischen Älteren und Jüngeren einer Generation. Jedoch ist es sinnvoll, darüber hinaus den wechselseitigen Einfluss ernst zu nehmen, den gleichaltrige, oder annähernd gleichaltrige Kinder aufeinander ausüben. Diese Interaktionen zwischen Kindern finden mittlerweile größere Beachtung in Forschung und Praxis, innerhalb der Pädagogik möglicherweise sogar stärker als in der Entwicklungspsychologie. <?page no="154"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 154 Kinder unter sich - das Spiel als dominante Tätigkeit I n einer Tageseinrichtung an der Odenwälder Bergstraße, in der die Kinder sich offenbar gut untereinander verstehen, fand zu Beginn eines neuen Kita-Jahres die ‚Kinderkonferenz‘ statt. Die Schulanfänger haben die Gruppe verlassen, sechs neue Kinder kommen in der nächsten Zeit hinzu. Ich zitiere aus der kleinen Veröffentlichung hierüber: [69] Anton beginnt: „Ich weiß schon, wer kommt! Die Fotos von den neuen Kindern hängen ja schon in der Bärengruppe.“ Charlotte: „Ich freu mich, wenn die Neuen kommen, ich kümmere mich so gerne um die Kleinen.“ Daniel erinnert sich noch gut daran, wie es war, selbst neu in der Kindergruppe zu sein: „Als ich neu war, da hatte ich Angst, weil ich noch keinen kannte“ … Jonathan befürchtet, dass die Neuen nicht nur Positives für ihn bringen: „Die sind ja noch kleiner, und vielleicht machen die unser Gebautes kaputt! “ Anton weiß Rat: „Ja, die waren ja noch nicht da, als wir die Regeln besprochen haben, das müssen wir ihnen erst erklären.“ Felizitas erkennt, dass sie trotz ihrer drei Jahre nicht mehr zu den ganz Kleinen gehört: „Ich bin groß - schaut mal“, <?page no="155"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 155 und sie stellt sich stolz auf die Zehenspitzen, um der Gruppe ihre neu erlebte Größe zu präsentieren. Charlotte freut sich: „Jetzt bin ich auch Schulanfängerin! Die machen immer so tolle Sachen! “ … Anton: „Wir Großen wissen mehr und können mehr! “ Zu den Vierjährigen gewandt fügt er hinzu: „Lasse, Sophia, Iven, Ihr seid jetzt nicht mehr die Neuen.“ … Fynn: „Wenn die neuen Kinder kommen, darf es nicht so laut sein, nur schön. Dass die nicht erschrecken und denken, wir wären Monster.“ … Die Großen, die Kleinen und die Gleichrangigen M an darf durchaus den etwas inflationär gebrauchten Begriff ‚Kultur‘ heranziehen und das, was sich in dieser Kinderkonferenz ereignet, ein Beispiel für children’s peer culture nennen. [70] In solchen Gruppengesprächen, in denen Meinungen abgeglichen und Orientierungen gesucht werden, geschieht tatsächlich so etwas wie die Produktion einer Gemeinschafts-Kultur unter gleich- und ähnlich alten Kindern: einer eigenständigen Kultur der Kinder, unterschieden von der durch Erwachsene bereitgestellten Kultur für Kinder. [71] Sie entsteht, wenn Kinder alt genug sind, um sich aus der permanenten Fürsorge ihrer nahen erwachsenen Betreuer zu lösen und unter Gleichen ihren eigenen Lebensbereich mit angemessenen Aufgaben, Liebhabereien und Problemen zu gestalten. Dies ist ein wichtiges Übungsfeld, auf dem soziale Praktiken erprobt und einverständlich miteinander verabredete Routinen und Regeln entwickelt werden, die schließlich die Fähigkeiten befördern, mit denen die Kinder später auch in der erwachsenen Welt bestehen werden. <?page no="156"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 156 Solche ‚Konferenzen‘ und Verabredungen unter Kindern sind dann besonders wirkungsvoll, wenn sie nicht von außen nahegelegt oder vom Fachpersonal in Kitas beraten, sondern von den Kindern selbst in die Wege geleitet werden. Das braucht Zeit, Entwicklung und Einübung in symmetrische Interaktionen. Genau in diesem Zusammenspiel unter Gleichaltrigen können sich Interessen und Durchsetzungsfähigkeit der Kinder entwickeln, während zu Beginn der Biografie wegen der vitalen Abhängigkeit kleiner Kinder von ihren Bezugspersonen naturgemäß die Interaktionen vorherrschen, die hierarchisch organisiert sind. Und selbst dann, wenn kleinere Kinder ältere Geschwister haben, sind dies die ‚Großen‘, zu denen die Kleinen aufschauen, weil sie schon viel mehr können und dürfen. Erst wer selbst ein jüngeres Geschwisterkind bekommt, kann sich, zum ersten Mal, als ‚groß‘ empfinden. Viel später, in fortgeschrittenem Alter kommt auch in solchen zunächst auf Abhängigkeit gegründeten Hierarchien mehr Gleichberechtigung ins Spiel, und symmetrische Beziehungen können auch über größere Altersgrenzen hinweg an Gewicht gewinnen. Schon ab etwa drei Jahren profitieren Kinder indessen besonders davon, unter Gleichaltrigen zu sein. Sie lernen jetzt nicht-hierarchische Möglichkeiten des Zusammenseins kennen und sich in ihnen zu bewähren. Darin liegt die Bedeutung von Peers: Gleichrangigkeit, Symmetrie, Abwesenheit von altersbedingten Abhängigkeiten machen die Gruppen der annähernd Gleichaltrigen zu einer eminent wichtigen Gelegenheit für soziales Lernen. Es geht dabei um ganz neue Formen der Beziehungen, die sich grundlegend von denen unterscheiden, die Kinder bislang in ihrem nahen Umfeld kennengelernt haben. Bisher Miteinander grundlegende Regeln der Aushandlung von Zielen und Verfahren des wechselweisen Austauschs, des Wettbewerbs und der Fairness einüben. <?page no="157"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 157 waren es weit überwiegend die Rollen und Abhängigkeiten in der häuslichen Gemeinschaft, von denen die Beziehungen geprägt wurden; sie bleiben auch weiterhin bestehen. Nun aber bieten die Gruppen der nicht miteinander im häuslichen Umfeld lebenden Peers die Chance, miteinander grundlegende Regeln der Aushandlung von Zielen und Verfahren des wechselweisen Austauschs, des Wettbewerbs und der Fairness einzuüben. Denn alle sind im Prinzip ebenbürtig und stehen vor ähnlichen Entwicklungsaufgaben. Überdies können sich aus den Peer-Gruppen heraus die für das weitere Leben so bedeutsamen, frei gewählten, engeren Beziehungen entwickeln, beginnend mit den so wichtigen Freundschaften unter Kindern, die schon in frühen Jahren gerne miteinander das Spielzeug teilen, bis zur intimeren Vertraulichkeit und längerfristigen Verlässlichkeit mit ansteigendem Alter. Schulklassen, Vereine, Horte, sowie Kindertageseinrichtungen für die vorschulische Zeit sind die Orte, an denen sich die Gelegenheiten zur Erfahrungsbildung in Peer-Gruppen bieten. Hierin besteht der unbezweifelbare Vorteil, den der Besuch eines Kindergartens mit sich bringt. Dieser Vorzug gilt weit jenseits aller in der Öffentlichkeit immer noch ausgetragenen Streitigkeiten darüber, ob Kinder in frühem Alter besser zu Hause aufgehoben sind, ob Väter und Mütter Rabeneltern sind, wenn sie ihre Kinder für einen Teil der Wochentage auch in die Obhut anderer geben, oder ob sie als besonders fürsorglich gelten, wenn sie dies gerade nicht tun. Dank professioneller Bemühungen in den Institutionen erhält der Anspruch auf Gleichrangigkeit seine prinzipielle Gültigkeit, obwohl es unbestreitbar auch Man ist gut beraten, genügend Raum und Gelegenheit zuzulassen, damit die Kinder in eigener Regie untereinander den Ausgleich ihrer Interessen suchen, allzu selbstbezogenes Verhalten überwinden und soziale Phantasie entwickeln können. <?page no="158"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 158 in Peer-Gruppen Anführerinnen, Angeber und Schüchterne, besonders beliebte und weniger beachtete Kinder gibt. Grundlegende Einsichten in Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit werden bei allen individuellen Unterschieden gerade an diesen Orten gewonnen, wo gruppeneigene Vereinbarungen gefunden werden und Begründungen verbindlich sind. Peer-Gruppen setzen sich solche Regeln und Begründungen nicht zuletzt, um sich gegenüber anderen Gruppen abzugrenzen: In dem zum Kapitelanfang zitierten Beispiel geschieht das sehr sympathisch gegenüber den ‚Kleinen‘, für die die ‚Großen‘ Verantwortung übernehmen werden. Es geschieht aber auch gegenüber den ganz Großen, den Erzieherinnen, die ihrerseits gut beraten sind, genügend Raum und Gelegenheit zuzulassen, damit die Kinder in eigener Regie untereinander den Ausgleich ihrer Interessen suchen, allzu selbstbezogenes Verhalten überwinden und soziale Phantasie entwickeln können. Das Spiel der Kinder: Zwischen Affekt und Imagination K inder gestalten von Anfang an ihren Alltag überwiegend als das, was die Erwachsenen Spiel nennen. Schon wenn Babys mit sichtbarem Vergnügen immer wieder gleiche Bewegungen wiederholen, mit denen sie Gegenstände in Unruhe bringen, oder dieselbe Rassel ständig aufs Neue aus ihrem Bettchen werfen, mögen wir darin ‚Funktionslust‘ als erste Form des Spiels erkennen. Die Wissenschaften - Philosophie, Psychologie, Pädagogik - sind seit langem damit beschäftigt, charakteristische Merkmale für spielerische Aktivitäten herauszuarbeiten und zu benennen: Spaß, Freiwilligkeit, Zweckfreiheit, Abwesenheit von Zielen und ähnliches mehr. Auch Etappen der kindlichen Spielentwicklung sind beschrieben und entsprechenden Altersstufen zugeordnet worden: vom Parallelzum einzeln oder mit anderen durchgeführten Konstruktionsspiel, vom Symbol- und Regelbis zum Computerspiel. Aus dem <?page no="159"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 159 reichhaltigen Schrifttum möchte ich nur ein einziges Beispiel herausgreifen, allerdings eines, das für die Zusammenhänge dieses Buches von besonderer Bedeutung ist. [72] Sind es denn wirklich nur Lust und Spaß, wie immer wieder hervorgehoben wird, die Kinder zum Spielen anregen? Nun, manchmal setzen Kinder sich im Spiel auch Zumutungen aus, über die sie sehr ärgerlich sein können, wenn sie ihnen bei alltäglichen Verrichtungen abverlangt werden. Ein hübsches Beispiel hierfür findet sich bei einem russischen Autor, der ein Erlebnis mit seinen beiden kleinen Töchtern schildert: Es ging lustig und laut zu, bis die Zeit des zweiten Frühstücks heranrückte. Ich bereitete den üblichen Grießbrei zu, den die Mädchen bereits ziemlich satt hatten. Sie weigerten sich entschieden, ihn zu essen, wollten sich nicht einmal an den Tisch setzen. Mir hätte es leid getan, die gute Stimmung zu trüben, indem ich sie zu essen zwang, und ich schlug den Mädchen vor, Kindergarten zu spielen. Ich zog einen weißen Kittel an und war die Erzieherin… Wir begannen im Spiel alles zu tun, was im Kindergarten getan wird: Wir zeichneten etwas… dann lasen wir ein wenig. Schließlich kam die Essenszeit heran. Eines der Mädchen übernahm den Tischdienst und deckte den Frühstückstisch. Ich, die Erzieherin, setzte ihnen zum Frühstück denselben Brei vor. Ohne jeglichen Protest, sogar mit Vergnügen, begannen sie zu essen, waren bemüht, sich gesittet zu benehmen, leerten sorgfältig den Teller und baten obendrein, ihnen noch etwas aufzutun… Hat der Vater seine Töchter nun überlistet? Oder haben eher die Mädchen sich einen Spaß daraus gemacht, mit ihm zusammen ihre Lust am Ausagieren von Regeln zu genießen, wie sie sie vom Kindergarten her kennen? Der Vater war Daniil Elkonin, ein <?page no="160"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 160 Schüler und Mitarbeiter Vygotskijs. Er hat selbst ein Buch über das Kinderspiel verfasst (das Beispiel ist der Einleitung entnommen, die dort ‚Zur Geschichte der Untersuchungen‘ heißt). [73] Vygotskij selbst ist es freilich gewesen, der den bemerkenswerten Impuls in die Debatte über das Spiel der Kinder eingebracht hat und damit nachhaltige Wirkung erzielte. Es handelt sich um eine der letzten Vorlesungen, die der bekannte Psychologe und Pädagoge kurz vor seinem frühen Tod 1934 gehalten hat. Nur eine stenografische Mitschrift existiert über diese Vorlesung, sie ist aber später an mehreren Orten gedruckt erschienen. [74] Vygotskijs Theorie über die Spielentwicklung der Kinder liest sich als ein treffliches Beispiel für die viel später formulierten Überlegungen von Annette Karmiloff-Smith, die am Ende des ersten Teils dieses Buches, in der ‚Zwischenbilanz‘, beschrieben worden sind. [75] In Vygotskijs Ausführungen werden nämlich genau jene allmählichen Veränderungen der kognitiven Repräsentationen beschrieben, die kindliches Handeln anleiten: In den ersten Jahren herrschen spontane Reaktionen auf die materielle und soziale Umgebung vor, die noch ohne Planung und bewusste Kontrolle geschehen. Um das Alter ab drei, vor allem ab vier Jahren beginnt sich die Vorstellungswelt zu erweitern, und es kommt zu anderen Formen der Wahrnehmung und Verarbeitung der Erlebnisse. Die Erfahrungen werden mit Phantasie bestückt, sie werden beweglicher im Gedächtnis verankert, können leichter mit anderen Inhalten verknüpft werden, und sie werden mehr und mehr dem Bewusstsein zugänglich. Damit lassen sie sich hinterfragen und allmählich auch sprachlich verhandeln. So geschieht es bei der kindlichen Entwicklung hin zum Spiel im engeren Sinne: Anfangs verlangen die Begehrlichkeiten und Affekte nach unmittelbarer Erfüllung. Wünsche und das Bedürf- Erfahrungen werden mit Phantasie bestückt, sie werden beweglicher im Gedächtnis verankert. <?page no="161"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 161 nis, sie möglichst sofort zu befriedigen, liegen lange Zeit nahe beieinander, denn die motivierende Kraft geht direkt von den konkreten Gegenständen aus: eine Glocke ergreifen, um mit ihr Klänge zu produzieren, die Treppe hinaufkrabbeln, weil sie in sich ein reizvolles Objekt darstellt, eine Süßigkeit gleich ergreifen, weil sie unmittelbares Verlangen auslöst. Noch dreijährige Kinder werden selten den Wunsch äußern, etwas Begehrtes erst morgen zu tun oder zu bekommen. Es gibt erst einmal nur ein ‚sofort‘ - oder großen Ärger! Das Spiel im engeren Sinn kommt nach Vygotskijs Auffassung erst dann zum Zuge, wenn sich Wünsche einstellen, die zwar ebenfalls nach Erfüllung drängen, jedoch in der begehrten Weise noch nicht realisierbar sind: groß zu sein wie Tante und Onkel, handeln wie Erwachsene, ein Auto chauffieren, als schöne Königin in einem Schloss wohnen, stark sein wie Robin Hood. Solche Wünsche sind nur illusorisch erfüllbar. Daher werden fiktive Situationen spielerisch gestaltet. Vorhandene Objekte können übertragene Bedeutung erlangen, ein Stock muss zum Pferd werden, auf dem man reiten kann (bei Vygotskij heißt dies: Das optische und das semantische Feld müssen in der Vorstellung auseinandertreten). Mitspielende müssen Rollen in der Darstellung von Geschichten übernehmen. Das lässt sich nur in Gemeinschaft erproben. Und die Sprache ist wichtig: zur Verteilung der Rollen, zur imaginierten Ausführung und zur Vergewisserung über die Spielregeln. In diesem Alter, in dem das Rollenspiel dominiert und fiktive Situationen gemeinsam konstruiert werden, gehen die Motivationen nicht mehr von den konkreten Gegenständen selber aus, sondern von den miteinander verabredeten Vorstellungen darüber, wofür die Objekte und Figuren im Spiel stehen sollen. Aus Spaß wird jetzt durchaus Ernst, wenngleich ein Ernst, über den man sich auch lustig machen kann: Ein Kind, das in einer so konstruierten Situation die Ärztin ist, muss sich wie eine solche be- <?page no="162"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 162 nehmen. Ein anderes Kind, der Taxifahrer, der die Patientin zu der Praxis bringt, muss vorsichtig fahren und ihr behutsam aus dem Auto helfen. Und als Patientin muss ein drittes Kind im Spiel weinen, es darf sich aber als Spielpartner auch darüber lustig machen. Die Kinder spielen in solchen Situationen ihr Wissen darüber aus, welche Regeln für ärztliches Verhalten und für die Dienstbarkeit der Taxifahrer sie schon verstanden haben - und sie korrigieren sich gegenseitig und lernen dabei voneinander viel über die Gebräuche in Gemeinschaften, über Sinn und Moral, über Handlungen und ihre Folgen. Fiktives Agieren in Rollenspielen hat entschieden sozialisierende Funktionen. Ein Beispiel: Drei fünfjährige Mädchen spielen ‚Besuch bei der Kinderärztin‘ [76] Lisa (Mutter) und Rosa (Kind), von der Mutter liebevoll ‚Schnecki‘ genannt, sind bei Anne (der Ärztin). Nachdem die Ärztin das Kind untersucht hat und der Mutter eine Medizin gegeben hat, geht es um die richtige Einnahme: Mutter: Nein, Schnecki (zum Kind, das nach der Arzneiflasche greift). Wann soll sie, wann soll sie das immer kriegen? Anne: Ähm, mmhm. Ärztin: Mittags immer. Lisa: Nachmittag? Mittags? Ärztin: Mittags immer. Mutter: Gut, immer mittags. Welche Uhrzeit? Ärztin: Äh… 3 Uhr. Lisa (leise): Nachmittags… 3 Uhr ist nachmittags, Anne. Fiktives Agieren in Rollenspielen hat entschieden sozialisierende Funktionen. <?page no="163"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 163 Anne (vorwurfsvoll): Ich kenne ja noch nicht die Uhr! Mutter / Lisa: Immer nachmittags - okay (lächelt Anne beschwichtigend an). Ärztin (zum Kind): Ja, dann müssen wir mal in deine Ohren gucken. Etwas später schickt sich die Mutter an, mit dem Kind zu gehen. Anne: Aber eine Mutter fragt, ob… wann sie wiederkommen soll. Mutter: Wann soll’n wir wiederkommen? Ärztin: Am 4. Februar. Ärztin (Anne reicht Rosa einen roten Bauklotz und intoniert in Ammensprache): Und wo das Baby ganz lieb war, schenke ich dir ein leckeres Bonbon, bitte. Baby / Rosa: Joje, joje, - aus Spaß bedeutet joje danke, ne? Joje! Die Kinder agieren hier sehr kompetent auf zwei Ebenen zugleich: sie schlüpfen in die Rollen der Ärztin, der Mutter und des Babys, und treten doch zugleich aus diesen Rollen heraus, wenn es darum geht, an die in der Realität geltenden Normen zu erinnern, die eingehalten werden müssen, damit die Szene glaubwürdig erscheint. (Die Äußerungen auf dieser zweiten Ebene, wie auch die non-verbalen Begleitungen, sind in dem Beispiel kursiv gedruckt.) Die Ernsthaftigkeit, mit der die Kinder bei der Sache sind, lässt sich gut ablesen an solchen metakommunikativen Äußerungen über die gespielte Kommunikation (‚aus Spaß‘, das heißt hier: ‚in unserem Spiel‘ bedeutet joje danke, ne? ). Rollenspiele nehmen in der Vorschulzeit in Kindergruppen einen großen Raum ein. Die Kinder inszenieren, was sie in ihrem Alltag über soziales Handeln und über dort geltende Normen und Konventionen schon begriffen haben. Sie ahmen Rollenspiele sind eine Plattform für die Eingewöhnung von Gewohnheiten, andererseits eröffnen sie Gelegenheiten, die soziale Phantasie ins Spiel zu bringen. <?page no="164"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 164 nicht so sehr konkrete Personen nach, sondern füllen typische Konstellationen zwischen Mutter, Ärztin und Patientin, Verkäufer und Kundin, Briefträger und Postempfängerin mit Bedeutungen aus. Rollenspiele bieten eine Fülle an Möglichkeiten, Wissen über die ‚Normalität‘ und die Rollenverteilung in Gruppen, das schon begrifflich sortiert ist, einzubringen und dialogisch umzusetzen. Einerseits bieten Rollenspiele also eine Plattform für die Eingewöhnung von Gewohnheiten, die geübt werden wollen, andererseits eröffnen sie wunderbare Gelegenheiten, die soziale Phantasie ins Spiel zu bringen. Für Erwachsene, die Zeugen der kindlichen Rollenspiele werden, eröffnet sich ein weites Feld, auf dem sich der sozial-kognitive Entwicklungsstand der einzelnen Kinder gut beobachten lässt. Staunend mögen sie zur Kenntnis nehmen, dass sich in diesem Alter überdeutlich etwas zeigt, das wir als Erwachsene durchaus kritisch sehen, nämlich auch das Ausspielen von Stereotypen. Warum wohl kommt zum Beispiel den Geschlechterstereotypen mit allen möglichen Accessoires in dieser Zeit eine so große Rolle zu? Ich komme darauf zurück. <?page no="165"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 165 Wie wird die soziale Umwelt sortiert? W enn wir keine Kategorien zur Verfügung hätten, müssten wir im Chaos verharren, in dem alles Lebendige und alle Dinge als Einzelfälle erscheinen würden. Deshalb gruppieren wir Eindrücke nach Gemeinsamkeiten, ordnen neue Erfahrungen den alten zu, und dies vor allem, jedoch keineswegs nur, nach äußeren Merkmalen. Wir füllen unsere mentalen Repräsentationen über die Erscheinungen in der Welt auch mit zahllosen Gesichtspunkten auf, die hinter den Phänomenen liegen: wie wir die Dinge gebrauchen können, ob sie uns bedrohen oder nützen, ob wir sie mögen oder nicht. Kategorien sind höchst selten fest umrissene, geschlossene Klassen. Es gibt zum Beispiel eine Vielzahl verschiedener Stühle, auf manchen sitzt es sich bequem, auf anderen nicht, und natürlich existieren viele andere Objekte, auf die man sich gleichfalls setzen kann. Wörter dienen dazu, um Dinge, Personen, Gerüche, Geschehnisse zu identifizieren und zu bezeichnen. Aber erst reichhaltige Sprache liefert die Attribute, um unter all den Erscheinungen Akzente zu setzen und Unterschiede wie Gemeinsamkeiten zu markieren. Kinder erobern sich nach und nach die kognitiven Mittel, um sowohl mit Ähnlichkeiten wie mit Verschiedenheit umzugehen, also Kategorien zu bilden und in ihnen Überschneidungen wie auch Differenzierungen wahrzunehmen. Und je geläufiger sie Sprache zu benutzen lernen, desto näher kommen sie an Genauigkeit heran und desto sicherer können sie ihre Erlebnisse begrifflich und affektiv einordnen. <?page no="166"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 166 Menschen in Gruppen sortieren G eht es nun bei der Kategorienbildung um solche unter Menschen, so springen auch hierfür zunächst die äußerlich sichtbaren Merkmale wie Alter, Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit ins Auge. Soziale Zuordnungen pflegen jedoch hierbei nicht Halt zu machen. Auch in diesem Fall schließen sich darüber hinaus kulturell gelernte und oft kaum hinterfragte Hinzufügungen von Kennzeichen an, die hinter den sichtbaren Phänomenen liegen: Eigenschaften, Einstellungen, Motivationen und Fähigkeiten, die einer Kategorie als charakteristisch angeheftet werden. Darin darf man zunächst einmal eine durchaus lebenstüchtige, ja notwendige Leistung erkennen. Denn sie entspricht dem Wunsch, verstehen zu wollen, warum Menschen handeln wie sie es tun, und sie setzt Vermutungen darüber in Gang, wie ein Mensch sich in nächsten Situationen voraussichtlich verhalten wird. Letztlich verdanken wir solchen kategorialen Ausschmückungen sehr wirksame Orientierungen im ständigen Fluss der sozialen Kontakte. Wenn Unterstellungen von nicht sichtbaren inneren Vorgängen beim Gegenüber und Vermutungen über dessen oder deren Gründe für vergangene und künftige Handlungsweisen allerdings wesenhaft an definierten Kategorien (wie Frauen und Männern oder Asiaten und Europäern) festgemacht werden, so lauert in dieser Tendenz auch der Hang zum Vorurteil und zur Stereotypenbildung. Das führt gewöhnlich zu Überbetonungen der Differenzen zwischen Gruppen und zur Annahme überdehnter Homogenität innerhalb von Gruppen. Insbesondere das Alter ab der Adoleszenz betreffend, ist dieses Thema ein gesellschaftspolitisch bedeutsamer und intensiv beforschter Gegenstand der Sozial- und Humanwissenschaften. Als ‚essentialistisch‘ werden dort die Ansichten bezeichnet, dass Mitglieder einer Kategorie tief verankerte Merkmale teilen, die sie als geschlossene Gruppe, etwa als ‚Schwarzafrikaner‘ auffassen lässt. Indem auf diese Weise <?page no="167"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 167 mentale Grenzen um Gruppen gezogen werden, die in Wahrheit interne Vielfalt aufweisen, liegt die Gefahr nahe, dass über ein bestimmtes Merkmal, hier die Hautfarbe, allerlei Nebenbedeutungen und klischeehafte Assoziationen bis hin zu rassistischen Vorurteilen hervorgerufen werden. [77] Dies ist insbesondere dann problematisch, wenn - wie beim Geschlecht - durchaus auch Varietäten zwischen den Kategorien existieren, wo landläufig von strikter Dualität die Rede ist. Soziale Konzeptbildung in der Kindheit D as Thema der Kategorisierung spielt auch in der Entwicklungspsychologie eine große Rolle, sowohl als allgemeine kognitive Leistung wie auch besonders für die Frage, wie es in der Kindheit zu sozialen Konzeptbildungen kommt. Einmütig ist auch hier erkannt, dass es zunächst die sinnlich wahrnehmbaren Unterschiede sind, die mit minimalem kognitiven Aufwand zur konzeptionellen Gruppenbildung führen: Weibliche und männliche Stimmen werden früh unterschieden, und schon bevor das eigene Sprechen einsetzt, bevorzugen Babys gewohnte vor fremd klingenden Sprechweisen. Vertraute und fremde Gesichter lösen ebenso wie junge und alte Gesichter schon im Babyalter unterschiedliche Reaktionen aus. [78] Bald aber ordnen die Kinder mit der Erweiterung ihrer sozialen Erfahrungen auch Attributionen zu wie die, dass beispielsweise Mütter untereinander Ähnlichkeiten in ihren Eigenschaften und Motiven aufweisen, die über sinnlich wahrnehmbare Merkmale hinausgehen, und die sich von anderen unterscheiden, die eher als Eigenschaften den Vätern zugeordnet werden. Ebenso stellen sich zum Beispiel Erwartungen ein, dass Mädchen sich andere Spielsachen wünschen als Jungen, oder - um noch einmal auf die beschriebene Kinderkonferenz zurückzukommen - dass <?page no="168"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 168 man als die Gruppe der ‚Großen‘ den Neuen in der ‚Bärengruppe‘ noch viel erklären müsse. Dass auf dem Weg der produktiven Ausformung der Begriffs- und Beziehungswelt auch schon im Kindergartenalter Assoziationen entstehen können, die sehr unliebsam sind, weil sie Ungerechtigkeit, Feindseligkeit und Abwertung ins Spiel bringen, muss uns irritieren. [79] Auf der Suche nach der eigenen Zugehörigkeit können Kinder durchaus Präferenzen zum Beispiel für die eigene ethnische Gruppe zeigen und sich von denen absetzen, die anders aussehen. Die positiven Erfahrungen, die in den USA mit dem ‚Anti-Bias-Ansatz‘ gemacht werden, der von Erzieherinnen einen offensiven Umgang mit kindlichem rassistischem Verhalten verlangt, [80] werden auch hier aufgegriffen, und zwar von dem inzwischen viel beachteten Projekt ‚Kinderwelten‘ in Berlin, das diese Konzeption einer insgesamt vorurteilsbewussten Bildung und Erziehung bundesweit implementiert und weiterentwickelt. [81] Doch muss man die frühen Ansätze der Orientierung in der sozialen Welt und die Erkundung ihrer vielfältigen Varietäten auch als unerlässliche Prozesse der Suche nach sich selbst in der sozial-kognitiven Entwicklung und als Ausdruck des Bedürfnisses verstehen, sich der eigenen Zugehörigkeiten zu versichern. Wer gehört zu mir? Bist du mein Freund? Wer hilft wem? Wer schadet wem? Sind wir die Stärkeren oder die anderen? Positive Empfindungen und Erwartungen innerhalb der Gruppe, der ein Kind selbst angehört, scheinen sich dabei in der Regel früher zu entwickeln als negative Gefühle gegenüber einer anderen Gruppe. [82] Die Suche nach eigenen Positionen im sozialen Feld äußert sich früh in dem Bemühen, sich der Zugehörigkeit zu Gruppen zu versichern. <?page no="169"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 169 Dabei zeigt sich, dass das Empfinden der Zugehörigkeit zu einer Gruppe keineswegs nur über langfristig gültige Charakteristika wie Geschlecht, Alter und Hautfarbe, sondern auch zeitlich begrenzt und über ganz willkürlich eingesetzte Merkmale getroffen oder gestiftet werden kann, etwa in einem Ferienlager: Wir sind die ‚mit den roten Pullis‘, und die anderen sind ‚die Blauen‘. Zahlreiche Untersuchungen sind über die Wirksamkeit durchgeführt worden, die sprachliche Bezeichnungen dabei generell auf kategoriale Beurteilungen, aber vor allen auch auf das Wir-Gefühl und auf die Wahrnehmung der ‚Anderen‘ ausüben können. Zum Einfluss ‚generischen‘ Sprachgebrauchs auf die soziale Konzeptbildung G enerisch nennt man Wörter, wie zum Beispiel ‚Säugetier‘, die sich auf ganze Klassen oder Gattungen beziehen. Generische Bezeichnungen drücken also Kategorienbildung aus, und zwar durch Hervorhebung eines Merkmals oder weniger gemeinsamer Attribute bei gleichzeitiger Vernachlässigung der jeweiligen Individualitäten innerhalb der Kategorien. Indem kategorialer Sprachgebrauch also die Aufmerksamkeit auf bestimmte Merkmale lenkt, kann sich, wie gerade schon erwähnt, bereits bei kleinen Kindern ein ‚Hof ‘ von Eigenschaften bilden, die den Mitgliedern einer Kategorie zusammen mit dem bezeichneten Merkmal gleich mit unterstellt werden. Etwa: Wir mit den roten Pullis, ‚wir sind stark und mutig und stehen füreinander ein‘. Kategoriale Bezeichnungen können demnach die Wahrnehmung und Beurteilung beeinflussen, indem sie scharfe Gren- Positive Empfindungen und Erwartungen innerhalb der Gruppe, der ein Kind selbst angehört, scheinen sich früher zu entwickeln als negative Gefühle gegenüber einer anderen Gruppe. <?page no="170"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 170 zen ziehen und Differenzierungen überdecken. In umgekehrter Weise, also im Sinne der Einebnung von Grenzen, können dies aber auch Bezeichnungen tun, die eher auf die Stellung von Individuen in einer kontinuierlichen Abstufung von Eigenschaften verweisen. Um dies an einem Beispiel zu illustrieren, möchte ich wieder in ein Laboratorium einladen und über ein paar Details einer aufwändigen Untersuchung berichten, die in einem prominenten psychologischen Institut in den USA entstanden und im Jahr 2012 publiziert worden ist; für Interessierte informiert der Text zugleich gründlich über den Stand der Forschung zu dieser Thematik. [83] In die Studie waren über 200 etwa vierjährige Kinder einbezogen. Dabei wurden für einzelne Untersuchungen immer wieder neue Kinder herangezogen, wobei stets auf gleiche Beteiligung von Mädchen und Jungen und ein ähnliches Spektrum der familiären Hintergründe geachtet wurde. Zudem waren das Material und alle Aufgabenstellungen sehr einfach und konnten immer wieder verwendet werden. Ziel war es festzustellen, welchen Einfluss ‚kategoriale‘ bzw. ‚kontinuierliche‘ (in Abstufungen gegebene) Benennungen der Bestandteile von Bilderfolgen durch Erwachsene auf die Kinder hat. Zu diesem Zweck wurde den Kindern eine Bilderfolge vorgelegt, die sechs schematische Gesichtsausdrücke (smilies) enthält, abgestuft von sehr grimmigen bis zu sehr fröhlichen. Sie ergeben zwar ein Kontinuum, doch enthält dieses in der Mitte dadurch eine deutliche kategoriale Grenze, dass sich die Richtung der Augenbrauen und des Mundes umdreht. 1 2 3 4 5 6 <?page no="171"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 171 In der ersten Untersuchung sahen die Hälfte der Jungen und Mädchen die Leiste mit den sechs Gesichtern und hörten die folgende kategoriale Beschreibung: ‚Einige Leute schauen böse, einige Leute schauen nett.‘ Dann wurde nacheinander auf jedes Bild von links nach rechts gezeigt: ‚Hier schaut jemand böse, da ist noch ein Böser, und da noch ein Böser. Hier schaut jemand nett, hier ist noch ein Netter, und da auch noch ein Netter.‘ Die andere Hälfte der Kinder hörte folgende kontinuierliche Beschreibung: ‚Einige Leute schauen böse, einige Leute schauen nett. Hier schaut jemand gar nicht nett, hier schon ein bisschen netter, hier noch ein bisschen netter, da noch netter, hier noch ein bisschen netter, und hier schaut jemand richtig nett.‘ Danach wurden den Kindern die Gesichter der Eckpunkte und die beiden Gesichter rechts und links der Kategoriengrenze jeweils einzeln gezeigt, also nacheinander (1), (3), (4) und (6). Jedes Mal wurden sie aufgefordert: ‚Sag mir was zu diesem.‘ An den Antworten der Kinder wollte man feststellen, ob die Manipulation durch die Art der vorangegangenen Benennungen Wirkung zeigte, das heißt ob die Kinder unter der kategorialen Benennung die smilies eher schlicht ‚böse‘ und ‚nett‘ und unter der kontinuierlichen Bedingung variabler, z.B. ‚gar nicht nett‘, ‚ein bisschen netter‘ oder ‚richtig nett‘ antworteten. Danach wurde die ganze Bilderleiste wieder vorgelegt, und die Versuchsleiterin zeigte erst auf das Gesicht (3): ‚Kannst Du mir eins zeigen, das so ähnlich ist? ‘, dann auf das Gesicht (4), wieder mit derselben Frage. Die Reaktionen sollten Hinweise darauf geben, ob die Kinder wie erwartet unter der kategorialen Benennung zu dem smily (3) eins aus derselben Kategorie wählten, also (1) oder (2) und zu (4) eins der smilies (5) oder (6). Andererseits wurde von den Kindern unter der kontinuierlichen Bedingung erwartet, dass sie eher die beiden benachbarten smilies, also zu (3) eins der similes (2) oder (4) und zu (4) eins der beiden (3) oder (5) wählten, womit sie ja die Kategoriengrenze unbeachtet lassen <?page no="172"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 172 würden, ab der die Richtung von Augenbrauen und Mund sich verändert. Bei der gewiss für die Kinder recht anspruchsvollen Benennungsaufgabe ergab sich auf hochsignifikantem Niveau das erwartete Ergebnis: Die Manipulation durch die Benennung war also bei den Kindern angekommen. Auch für die Aufgabe der Ähnlichkeitswahl konnte auf hohem Signifikanzniveau beobachtet werden, dass die Kinder sich entsprechend den Erwartungen verhielten. Nun besagt das Empfinden von Ähnlichkeiten noch nicht unbedingt etwas über die Erwartungen, wie eine als böse oder nett empfundene Person sich wohl konkret gegenüber anderen verhalten würde. Deshalb wurden in einer nächsten Teilstudie wiederum neue Kinder untersucht. Die Vorgaben durch die Versuchsleitung und die erste Aufgabe (die Benennungen durch die Kinder) waren die gleichen wie bei der ersten Studie. Im zweiten Teil ging es dann aber um Vermutungen, wie die dargestellten Individuen wohl handeln würden. Es wurden dann beiden Untergruppen wieder die smilies der Eckpunkte und die beiden links und rechts der Kategoriengrenze nacheinander vorgelegt. Bei jedem Bild wurde gefragt: ‚Einige Kinder teilen gerne mit anderen etwas. Würde dies hier gerne teilen? Gar nicht? Nur ein bisschen? Oder viel? ‘ Eine zweite Frage lautete: ‚Manche Kinder streiten viel. Würde dies hier streiten? Viel? Ein bisschen oder gar nicht? ‘ In diesem Teil der Untersuchung hat sich ergeben, dass es auch für solche Einschätzungen, die ein mutmaßliches Verhalten betreffen, die erwarteten Effekte gab. Kinder, die eine kategoriale Erläuterung erhalten hatten, trennten eindeutig schärfer zwischen smilies, die zum Teilen bereit oder nicht bereit sind bzw. viel oder wenig streiten als Kinder, die eine kontinuierliche Erläuterung erhalten hatten Dabei bleibt die Frage nach dem Gewicht der unterschiedlichen Benennungen durch die Versuchsleitung offen: Führt nun die von <?page no="173"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 173 der im Sinne der Kategorientrennung beeinflusste Wahrnehmung zu größerer Ähnlichkeitsbestimmung innerhalb einer Kategorie und damit zu größeren Differenzen zwischen beiden Kategorien? Oder ist es eher die durch entsprechende Benennungen beeinflusste Wahrnehmung der sich kontinuierlich verändernden Bilder, die die Unterschiede zwischen den Kategorien einebnet? Wie würden also Kinder reagieren, wenn sie keinerlei Einstimmung in die eine oder andere Richtung erhalten? Um diese Frage zu behandeln, wurden mit einer neuen Kindergruppe die Versuche wie in den ersten Studien durchgeführt, jedoch ohne vorherige Benennung durch die Versuchsleitung, so dass diese Kinder allein auf ihre eigene Wahrnehmung angewiesen waren. Bemerkenswerterweise glichen die Ergebnisse dieser Gruppe insgesamt deutlich denjenigen, die in den früheren Studien die Gruppen unter der kategorialen Rahmenbedingung gezeigt hatten. Eine wichtige Aussage dieser Untersuchungsreihe (die auch durch zahlreiche ähnliche in der Veröffentlichung besprochene Befunde unterstützt wird) geht dahin, dass das kognitive Bedürfnis nach kategorialer Wahrnehmung für Kinder dieses Alters (es nahmen ausschließlich Kinder zwischen dreieinhalb und viereinhalb Jahren an den Untersuchungen teil) bereits eine große Rolle bei Beurteilungen ihrer sozialen Welt spielt; für späteres Alter belegt dies die Sozialpsychologie ohnehin immer wieder. Personen tendieren also recht grundsätzlich und früh dazu, bei Gruppenbildungen Unterschiede zwischen den Mitgliedern einer Gruppe zu minimieren und den Abgrenzungen zu anderen Gruppen ein deutliches Gewicht zu geben. Eine andere bedeutsame Aussage dieser Untersuchungen betrifft die Rolle der Sprache. Offensichtlich kann generischer Sprachgebrauch die ohnehin bestehende Tendenz zur Kategori- Schon vierjährige Kinder äußern ein Bedürfnis nach kategorialer Zuordnung bei sozialen Gruppierungen. <?page no="174"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 174 sierung noch bestärken. Umgekehrt hat sich in diesen Studien auch gezeigt, dass sprachliche Bezeichnungen, die im Gegenteil kategoriale Grenzen in den Hintergrund treten lassen und stattdessen kontinuierliche Abstufungen betonen, ebenfalls wahrnehmungslenkende Wirkung ausüben können. Beim Reden über soziale Gruppierungen können sprachliche Bezeichnungen und Attribuierung also in zwei Richtungen wirken, die beide in pädagogischer Hinsicht beachtenswert sind: So unverzichtbar und hilfreich Kategorisierungen für das Leben sind - verstärkt generischer Sprachgebrauch kann zur größeren Vereinheitlichung innerhalb einer als Einheit begriffenen Kategorie beitragen und in der Folge, wenn dann wertende Eigenschaftsbündel implizit mit transportiert werden, auch zu Diskriminierung entgegengesetzter Gruppen führen. Es ist also wichtig, dass Kinder lernen, über scharfe, gar diskriminierende Grenzen hinwegzudenken. Allerdings kann auch übermäßig relativierender Sprachgebrauch, mit dem Unterschiede nicht markiert sondern als Abstufungen betont werden, nicht nur positiv wirken, sondern ein Denken in Rangfolgen befördern (‚ich bin aber ein bisschen besser als du‘) und damit Wettbewerbsvorstellungen auch da nahelegen, wo sie nicht angebracht sind. Es ist gut, wenn Erwachsene sich bei ihrem Sprachgebrauch über die Wirkung beider Tendenzen im Klaren sind. Sprachliche Bezeichnungen können lenkende Wirkungen auf Wahrnehmungen und Bewertungen ausüben. <?page no="175"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 175 Richtig streiten lernen oder: Hat die Aggression ein Geschlecht? P eer-Gruppen sind selten so zusammengesetzt, dass alle, die dazugehören, sich untereinander mögen. Das unterstreicht die sozialisierende Bedeutung dieser Gruppen. Denn zum Aushandeln der Regeln, die dort gelten, gehört es ja gerade, Machtgefälle auszugleichen, Anmaßungen, Grenzüberschreitungen und Ausgrenzungen möglichst zu verhindern und abseits stehende Kinder nach Möglichkeit einzubinden. All dies muss erlernt und von Erwachsenen unterstützt werden. Modelle, die Erwachsene im Umgang miteinander im Alltag bieten, können hilfreich sein - oder auch nicht. Kinder brauchen jedoch die eigene Erfahrung, um sich im kooperativen Umgang miteinander zu üben und Fähigkeiten auszubilden, Konflikte, Streit und Gerangel untereinander auszutragen. Konflikte unter Kindern W enn Kinder sich streiten, dann empfinden Erwachsene häufig das Bedürfnis einzugreifen und den Ärger schnellstmöglich zu unterbinden. Sie müssen dies auch tatsächlich tun, wenn ein Kind sich dabei selbst oder andere ernsthaft physisch oder psychisch schädigt - insbesondere dann, wenn grobes Verhalten eines Kindes darin erfolgreich ist, Macht und Überlegenheit auszunutzen, um andere Kinder zu verletzen oder ihnen Angst einzujagen. Auf der anderen Seite ist es für die Entwicklung unerlässlich, dass Kinder allein miteinander Konflikte austragen und sie ge- Für die Entwicklung ist es unerlässlich, dass Kinder allein miteinander Konflikte austragen und sie gemeinschaftlich bewältigen. <?page no="176"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 176 meinschaftlich bewältigen. Denn streitbare Auseinanderzungen gehören zum Leben, auch unter Kindern, und Konfliktlösungen sind dann besonders wirkungsvoll, wenn sie nicht von Erwachsenen geregelt oder gar erzwungen, sondern miteinander erarbeitet werden. Dazu ist es erforderlich, dass die Kinder lernen, die Motive und Interessen der anderen wahrzunehmen. Um Streit zu regeln, müssen sie sich angewöhnen, auch dazu angeleitet werden, einander zuzuhören, damit alle ihre Bedürfnisse in Ruhe vortragen können. Und alle sollten erfahren können, dass Beleidigungen und einseitige Schuldzuweisungen die Suche nach den Ursachen von Konflikten erschweren. Sollen Erwachsene also eingreifen? Wann sollen sie es tun und wie? Ein Beispiel aus einem lesenswerten Aufsatz, der viele nützliche Anregungen enthält: Die Erzieherin beobachtet, wie die dreijährige Lilly mit großer Mühe auf die Schaukel klettert, sich hinsetzt und versucht, Schwung zu bekommen. Der ältere Tom kommt vorbei und sieht, wie sich Lilly abmüht. Er gibt ihr Anstoß. Lilly freut sich über das plötzliche Schwingen. Kurz danach kehrt Tom zurück. Mit den Worten „Jetzt bin ich dran! “ versucht er Lilly wieder anzuhalten. Sie rebelliert und schlägt seine Hand weg. Er weicht zurück und bleibt bei der Schaukel stehen. Lilly versucht wieder ins Schwingen zu kommen. Tom lacht „Du kannst doch gar nicht schaukeln! “ Dann nähert er sich von hinten und schubst sie kurzerhand herunter. Lilly fällt auf Knie und Hände und weint. Tom schaukelt. Die Erzieherin sieht, dass Lilly wieder aufsteht, und kümmert sich nicht weiter um sie, weil sie meint, dass Lilly lernen muss, sich ohne Hilfe durchzusetzen. [84] Was lernen die Kinder in dieser Situation, wird nun gefragt. Tom fühlt sich bestätigt. Er wird seinen Erfolg wohl wiederholen. Lilly erlebt, dass sie sich gegen den Stärkeren nicht durchsetzen kann <?page no="177"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 177 und resigniert. Andere Kinder, die den Vorfall beobachten, registrieren, dass Tom weiterschaukeln darf. Für alle kann dies gefährliche Lerneffekte mit sich bringen, denn das Wegsehen der Erzieherin könnte als Billigung des Verhaltens beider Kinder aufgefasst werden. Was hätte die Erzieherin anders machen können? Der erste Impuls wäre wohl, den ‚Täter‘ zu Recht zu weisen: ‚Schäm dich, immer bist du grob zu den Kleinen! ‘ Man sollte aber wissen, dass manche Kinder, die grob sind, solch eine Reaktion nicht als Tadel verbuchen, sondern eher die Aufmerksamkeit genießen, die ihnen vor den Augen der Gruppe entgegengebracht wird. Und das Opferkind mag sich jetzt erst recht als klein und wehrlos vorkommen. Es ist in solchen Situationen sinnvoll, zunächst das beschädigte Kind zu trösten, und erst danach unmissverständlich zu erklären - ohne das Täterkind in den Mittelpunkt zu rücken - dass Grobheiten hier nicht geduldet werden. Die Erzieherin könnte die Szene auch im Nachhinein, zunächst mit Tom allein und dann vielleicht in der Gruppe besprechen. Sie würde dann die Wahrnehmungen der einzelnen Kinder genauer kennen lernen, um mit ihnen darüber zu diskutieren. Auch die gemeinsame Betrachtung von bildlichen oder erzählenden Darstellungen mit ähnlichem Inhalt bietet sich an. Das kann Anlass geben, die verschiedenen Sichtweisen und Empfindungen zu besprechen, Lösungsmöglichkeiten zu erörtern ‚Wie fühlt sie sich jetzt? Was denkt er grade? Wie kann das weitergehen? ‘ - das regt zu sozialer Phantasie, zur Wahrnehmung unterschiedlicher Perspektiven an. Hat die Aggression ein Geschlecht - im Vorschulalter? W as, wenn nun in dem gerade angeführten Beispiel Tom der Dreijährige gewesen wäre, und Lilly ihn von der Schaukel geschubst hätte? Hätten Leserinnen und Leser gestutzt? Kommt es nicht den Erwartungen entgegen und erregt daher weniger Irritation, dass Tom handgreiflich wird, seine Stärke ausnutzt und <?page no="178"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 178 dann womöglich noch sagt, es sei doch nur Spaß gewesen? Aber Lilly: sie soll geschubst haben? Gar noch ein Kind, das jünger ist als sie selbst? Mädchen sind eher friedfertig und fürsorglich, Jungen strotzen vor Kraft und müssen sich körperlich beweisen, suchen den Wettbewerb und das Gerangel. Das sind tief eingewurzelte Stereotypen. Dabei hat es nie und nirgends die Jungen und die ganz anderen Mädchen gegeben, sondern immer unterschiedliche Mädchen und unterschiedliche Jungen - mit großen Schnittmengen in Fähigkeiten, Verhalten und Einstellungen zwischen den Geschlechtern. Unterschiede in ihrer biologischen Ausstattung und physischen Entwicklung lassen sich zwar naturwissenschaftlich beschreiben, aber ihre psychischen Auswirkungen auf einzelne Personen sind ganz schwer zu beurteilen und zu berechnen. Denn sie vermischen sich von Anfang an mit sozialen und kulturellen Einflüssen, die im häuslichen Nah-Raum ebenso greifen wie in öffentlichen Lebensräumen. Nicht nur konkrete Handlungen von Beteiligten sind hierfür die Ursache, sondern auch hoch wirksame Erwartungen der Umwelt. Wie die Jungen und Mädchen im Einzelnen diese Einflüsse bei der Bildung ihrer sozialen Geschlechtsidentität in der Kindheit verarbeiten, lässt sich allenfalls ausschnitthaft und näherungsweise rekonstruieren. Was indessen alle beschäftigen muss, die mit Kindern und Heranwachsenden verantwortlich zu tun haben, sind Beobachtungen, die sich aufdrängen: Gerade im Alter von vier, fünf Jahren neigen viele Kinder dazu, bei ihren Auseinandersetzungen physische Mittel wie Schubsen, Treten, Schlagen oder gewaltsames Besitzergreifen von Spielsachen anderer einzusetzen. Und Jungen fallen tatsächlich dabei eher als ‚Täter‘ auf. Sie sind allerdings Es hat nie und nirgends die Jungen und die ganz anderen Mädchen gegeben, sondern immer unterschiedliche Mädchen und unterschiedliche Jungen. <?page no="179"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 179 auch eher die Opfer solcher Attacken und vergelten sie dann häufig mit ähnlichen Mitteln. [85] Aggression, aggressiv, die Wörter haben schillernde Bedeutungen: Vom lateinischen Wortsinn her steckt neben gewaltsamer Angriffsbereitschaft auch Positives wie ‚aktiv werden‘, ‚etwas anpacken‘, ‚offensiv sein‘ darin. Im Englischen schwingen diese Konnotationen stärker mit als im Deutschen. Hier hat ‚Aggression‘ eine recht eindeutige Nähe zu Gewalt, Macht und Durchsetzung auf Kosten anderer. Vor allem gehört Vorsätzlichkeit, die Absicht, jemand anderen zu schädigen in diesen Begriffszusammenhang. Wenn wir diese Bedeutungsfacetten in den Blick nehmen, dann fragt sich, ab wann Kinder überhaupt aggressiv sein können. Schon Babys zeigen ihren Unmut, zunächst diffus und bald auch gegenüber Personen. Und zum Erschrecken vieler Erwachsener beißen schon Einjährige andere Kinder und manchmal auch ihre Betreuer. Aber dies hat wohl eher damit zu tun, dass der Mund ohnehin ein wichtiges Instrument der frühen Welterkundung ist und ausprobiert werden muss, wozu die ersten Zähnchen, die ja manchen Schmerz verursacht haben, eigentlich gut sind - falls solches Verhalten sich verfestigen sollte, muss dem allerdings unbedingt begegnet werden. Mit zwei und drei Jahren erscheinen dann die gefürchteten Ausbrüche von Trotz und Ärger. Sie haben meist damit zu tun, dass Bedürfnisse und Wünsche, die manchmal für die Umgebung gar nicht klar erkennbar sind, sofort nach Befriedigung verlangen. Wenn die dann nicht erfolgt, bricht der Unmut durch; er sollte mit möglichst viel Ruhe besänftigt werden. Die handgreiflichen Konflikte unter Kindern häufen sich, wenn mehr miteinander als nebeneinander gespielt wird. Bockigkeit, Revierverteidigung, Angriffe gegenüber anderen - auch gegenüber Freunden - und Übergriffe auf ihre Spielsachen sind jedoch oft auch noch bei Vierjährigen ganz spontan-kurzfristige Ausbrüche, die schnell von allen Beteiligten vergessen werden. Dennoch müssen Erwachsene, die Zeugen solcher Attacken werden, alar- <?page no="180"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 180 miert sein, wenn ein Kind dabei grob ein anderes schädigt. Auch dann, wenn wie im obigen Beispiel Tom wohl gar nicht die Absicht hatte, Lilly weh zu tun. Spielarten von Reaktionen im Konfliktfall K inder machen schon von Beginn an die Erfahrung, dass die Unterscheidung von ‚weiblich‘ und ‚männlich‘ die Welt entscheidend prägt, in der sie leben. Und ab dem zweiten und dritten Lebensjahr bildet sich in der Regel allmählich eine Gewissheit über die eigenen Geschlechtszugehörigkeit und die anderer Kinder heraus. Zunächst wird sie noch gar nicht an den wenigen geschlechtsspezifischen, also den für alle Angehörigen eines Geschlechts geltenden physiologischen Merkmalen festgemacht, sondern an äußeren geschlechtstypischen Merkmalen, solchen, die gehäuft beim einen oder anderen Geschlecht beobachtet werden, wie Kleidung, Haartracht oder Vornamen. Solche Merkmale eignen sich rasch zur Verallgemeinerung und Hinzufügung weiterer Merkmale und damit als Plattform zur Stereotypenbildung in Richtung der gängigen Erwartungen: Jungs sind laut und grob, Mädchen sind zickig und heulen gleich - Jungs beschäftigen sich lieber mit diesen, Mädchen mit jenen Spielsachen. Eine Zeitlang können solche Stereotypen sehr drastischen Ausdruck finden, bis sie ab dem Grundschulalter in der Regel langsam wieder an Schärfe verlieren. [86] Gerade Vierbis Sechsjährige nehmen erwachsene Modelle und ältere gleichgeschlechtliche Kinder und Jugendliche sehr genau unter Beobachtung. Obwohl die Kinder solche Muster vielfach gar nicht bewusst verarbeiten, können diese Wahrnehmungen doch starke Wirkungen ausüben. Das gilt ganz besonders für Gewalterfahrung im nahen Umfeld und zwar auch dann, wenn die Kinder selbst nicht betroffen sind, sondern nur Zeugen gewalttätiger Akte unter Erwachsenen werden. <?page no="181"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 181 Mit Kränkung, Unsicherheit, Orientierungslosigkeit bei Auseinandersetzungen müssen alle Kinder fertig werden. Aber es fällt auf, dass Mädchen und Jungen, die dabei sind, ihre Geschlechtsidentität zu entwickeln, in der Mehrheit unterschiedliche Reaktionen auf solche Erlebnisse ausbilden. Wir, ihre Vorbilder und Modelle haben in der Kindheit ähnliche Entwicklungen durchlebt. Auch wenn Erwachsene ihre Empfindungen in der Regel mit größeren Abstand kontrollieren und sich ziemlich frei von Stereotypen wähnen, neigen Männer wie Frauen dazu, Mädchen, die sich grob verhalten, anders zu bewerten als Jungen in ähnlicher Situation. Es passt einfach schlecht zur verbreiteten Vorstellung fürsorglicher Weiblichkeit, wenn Mädchen und Frauen schlagen oder rempeln. Wir machen uns dann Gedanken, wo sie solches Verhalten wohl gelernt haben könnten, denn eigentlich handeln sie damit ja irgendwie gegen ihre ‚Natur‘. Dagegen kommen bei Jungen, die sich miteinander balgen oder die sich grob gegenüber Mädchen verhalten, eher Gedanken an Konstitution, Physiologie und womöglich Hormone auf. Die Bewertungen, seien sie unterschwellig oder bewusst, tendieren dann eher dahin, dass Jungen eben ihre körperliche Durchsetzungsfähigkeit erproben müssen. Die meisten Kinder reagieren sehr sensibel auf das Verhalten der Erwachsenen, sie werden durch sie in ihrem Bestreben nach Zugehörigkeit zum weiblichen oder männlichen Geschlecht bestärkt und richten ihr eigenes Verhalten entsprechend ein. Es kann also im späteren Kindergartenalter kaum überraschen, dass Jungen, aber nicht alle, und manche Mädchen durch körperliche Aktionen auffallen, wenn sie aus Frust, Wut, Zurücksetzung oder einfach nur um ihre Stärke auszuspielen andere Kinder oder auch Erwachsene angreifen. Ebenso lässt sich erwarten, dass Mädchen, aber nicht alle, und manche Jungen sich auf andere Weise Luft verschaffen, wenn sie sich benachteiligt oder angegriffen empfinden, nämlich eher nicht durch Schlagen und Treten, sondern verbal herabsetzend, sich über andere lustig machend <?page no="182"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 182 oder durch Schimpfen und Beleidigen. Es gibt zahlreiche Publikationen mit Ratschlägen für Angehörige, für Erzieher und Erzieherinnen, wie mit solchem kindlichen Verhalten umgegangen werden kann. Gewalt bei älteren Kindern und Jugendlichen kann dann freilich sehr ernste Probleme aufwerfen, auch hierfür existiert viel Erfahrungswissen. [87] Mit Vorsatz andere schädigen - in frühen Jahren? D ank sozialem Verstehen wird es möglich, dass jemand durch die Wahrnehmung von Auftreten und Handeln der Mitmenschen hindurch auf deren zugrundeliegende Wünsche und Absichten schließt. Auf diese Weise kann es gelingen, sich in den Erfahrungshintergrund eines anderen so hineinzuversetzen, dass dessen augenblickliche Befindlichkeit mitempfunden wird. In der Fachliteratur wird dies als die Fähigkeit thematisiert, die mit einer entwickelten theory of mind zusammenhängt. Ist soziales Verstehen stets mit Zuwendung und hilfsbereiter Gesinnung, also Empathie verknüpft? Oder gibt es neben hot empathy auch so etwas wie cold empathy? So wird in einer Untersuchung mit erwachsenen Versuchspersonen gefragt. [88] Lässt sich soziales Verstehen also auch gezielt einsetzen, um andere hinter’s Licht zu führen? Die Frage wird bejaht, doch statt eines Zusammenhangs von theory of mind mit Empathie ist hier die Rede von einem Zusammenhang mit Täuschung, Betrug und ‚Machiavellismus‘ (der Neigung, sich in sozialen Situationen geschickt zu bewegen, um auf Kosten anderer die eigenen Ziele durchzusetzen). Bei gutem Vorstellungsvermögen, wie es im Anderen aussieht, lässt sich, so die These, auch gut ausmalen, wie diese Person manipuliert werden kann und wo man ihr schaden könnte. Theory of mind ist, wie in früheren Kapitel dieses Buchs beschrieben wurde, ein bedeutendes Thema in der Entwicklungspsychologie. Die reichhaltige Forschungsliteratur gibt Auskunft <?page no="183"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 183 über die Etappen der Ausbildung von mind reading. Noch dreijährigen Kindern fällt es schwer, in die Gedankenwelt anderer einzudringen, und in diesem Alter können Kinder noch kaum lügen, etwas verbergen oder andere täuschen. [89] Erst ab etwa vier Jahren bilden sich allmählich die geistigen Voraussetzungen dafür heraus, um sich mentale Zustände anderer zu vergegenwärtigen und in eigenes Handeln einzubeziehen. Wie beschrieben, wird dies allgemein als Fortschritt in Kognition und Sozialverhalten gewertet. Machiavellismus in der frühen und mittleren Kindheit wird dabei selten thematisiert. Für Erwachsene existieren Fragebögen, mit denen sich das Ausmaß machiavellistischer Neigungen durch Selbsteinschätzung bestimmen lässt. [90] Da Kindern im Vorschulalter nicht zumutbar ist, dass sie, wie dort üblich, auf Skalen von 1 bis 5 ankreuzen, wie weit sie mit Aussagen wie diesen übereinstimmen: ‚Es ist klug, gegenüber wichtigen Leuten nicht immer die Wahrheit zu sagen‘ oder ‚Im Großen und Ganzen ist es besser, bescheiden und ehrlich zu sein als wichtig und unehrlich‘, werden bei den wenigen Untersuchungen, die bislang für dieses Alter durchgeführt wurden, andere Messmöglichkeiten benutzt. Entweder nehmen in diesen Fällen Erwachsene, die mit den Kindern vertraut sind, die Einschätzung von deren Neigung, andere zu schädigen vor, oder man registriert, wie oft Kinder bestimmte im Vorhinein definierte Verhaltensweisen in der Interaktion mit anderen Kindern zeigen, freundliche (z.B. ‚ist großzügig‘) oder unfreundliche (z.B. ‚lügt wenn in die Enge getrieben‘). Die bisher vorliegenden Studien werden in einer Arbeit jüngeren Datums zusammenfassend beschrieben. [91] Die Autorin schil- Erst ab etwa vier Jahren bilden sich allmählich die geistigen Voraussetzungen dafür heraus, um sich mentale Zustände anderer zu vergegenwärtigen und in eigenes Handeln einzubeziehen. <?page no="184"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 184 dert auch Ergebnisse eigener Untersuchungen, in denen vierbis sechsjährige Kinder beobachtet und auf einer Machiavellismus- Skala eingeordnet wurden. Darüber hinaus sind die Kinder im Hinblick auf bestimmte andere Werte eingeschätzt worden. Interessanterweise zeigte sich dabei kein statistisch bedeutsamer Zusammenhang zwischen den so genannten (‚machiavellistischen‘) ‚Mach-Werten‘ und der ebenfalls erhobenen theory of mind- Kompetenz. Kinder, die hohe Werte für eine machiavellistische Tendenz erreichten, lagen bei den theory of mind-Aufgaben im Mittelfeld, erreichten also verglichen mit den anderen Kindern in dieser Hinsicht weder besonders hohe noch besonders niedrige Werte. Dieses Ergebnis wird als Hinweis darauf interpretiert, dass machiavellistisches Verhalten sich unabhängig von sozialem Verstehen zu einem eigenständigen Verhaltensstil entwickeln könnte. Dagegen wurden über die gesamte Versuchsgruppe hinweg bedeutsame Zusammenhänge der ‚Mach-Werte‘ sowohl mit prosozialem wie mit aggressivem Verhalten gefunden: Mit prosozialem Verhalten (z.B. ‚tröstet andere, wenn sie weinen‘) ergab sich eine signifikant negative Korrelation, mit aggressivem Verhalten (z.B. ‚macht öfter Sachen von anderen kaputt‘) dagegen ein signifikant positiver Zusammenhang. Bemerkenswerterweise hat man dabei keine bedeutsamen Unterschiede zwischen den Geschlechtern gefunden. Zwar gab es bei den Jungen tendenziell etwas höhere ‚Mach- Werte‘; der Unterschied zwischen Mädchen und Jungen erreichte jedoch keine Signifikanz, die auf überzufällige Häufung hindeuten könnte. Was die Empathie- und Aggressionswerte anbelangt, so wird nicht einmal eine wie immer gerichtete Tendenz beim einen oder anderen Geschlecht erwähnt. Das kann einer Warnung Nachdruck verleihen, „nicht an den alten vermeintlichen Gewissheiten über Mädchen und Jungen festzuhalten“, da es neben dem Geschlecht immer auch andere soziale Differenzierungskategorien gebe, wie etwa Bildung, Schicht oder Konfession. [92] <?page no="185"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 185 „Die hab‘ ich lieb, die spielt mit mir“ - Jungen und Mädchen auf dem Weg zu Freundschaften in ihren Tagesstätten F reundinnen und Freunde zu finden entspricht einem menschlichen Grundbedürfnis, das die psychologische Motivationsforschung als Anschluss- oder (so der Fachausdruck) ‚Affiliationsmotiv‘ schon immer prominent neben dem Bedürfnis nach persönlicher Anerkennung angesiedelt hat. Freundschaften sind Beziehungen, die auf Grund wechselseitiger Zuneigung geschlossen werden und die auf gegenseitigem Vertrauen und auf Offenheit basieren. Für den Untertyp der besonders engen Beziehung zwischen ‚besten Freunden‘ und ‚besten Freundinnen‘ wird vor allem in der mittleren und späten Kindheit zudem in der Regel das Kriterium der Gleichgeschlechtlichkeit diskutiert. Im Unterschied zu verwandtschaftlichen Beziehungen zeichnet Freundschaften aus, dass sie frei wählbar sind und dass sie sich aufkündigen lassen. Dies unterscheidet sie auch von manchen Peer-Konstellationen, etwa Schulklassen oder Kindergartengruppen. In der Kindheit haben Freundschaften eine bedeutende Funktion bei der Herausbildung der Persönlichkeiten in ihren sozialen Bezügen, wobei insbesondere die ‚besten‘ Freundschaften zugleich für die allmähliche Lockerung aus engen Familienbindungen eine Rolle spielen. [93] Ab wann schließen Kinder Freundschaften und wie kann man erfahren, was sie darüber denken? I n den 1970er und 1980er Jahren sind in den USA mehrere Struktur- und Verlaufsmodelle über Freundschaft unter Kindern erarbeitet worden, die aktuell immer noch zitiert und rezipiert <?page no="186"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 186 werden. [94] Sie alle setzen den Zeitpunkt recht spät an, zu dem Kinderfreundschaften mehr bedeuten als miteinander spielen und Spaß haben. Erst bei Schulkindern, in der mittleren Kindheit also, beschreiben diese Modelle Freundschaften, die längerfristig auf gegenseitiger Zuneigung und auf der Erwartung beruhen, einander in Notlagen zu helfen. Und erst im Alter ab 10 Jahren kommen hiernach intimes gegenseitiges Vertrauen und Ähnlichkeiten der Interessen und Anschauungen zur Geltung. Diese uns heute seltsam spät ansetzende Datierung mag ihren Grund in den Methoden haben, die in den Untersuchungen eingesetzt werden. Befragungen und Soziogramme, wie sie üblicherweise benutzt werden, sind zum Beispiel in jüngerem Alter noch schwierig, und schriftliche Auskünfte kann man erst recht nicht verlangen. Daher bildet eine deutsche Untersuchung aus dem Jahr 1991 eine Ausnahme, indem die Autorinnen bereits mit Fünfjährigen im Kindergarten Interviews durchführten und die Kinder zum Beispiel fragten: ‚hast du einen Freund/ eine Freundin? ‘, ‚warum brauchst du sie oder ihn? ‘, ‚wie seid ihr denn Freunde geworden? ‘, ‚wie soll ein Kind sein, mit dem du gerne befreundet wärst? ‘, ‚streitet ihr euch auch mal? ‘, ‚hattest du einmal eine Freundin, mit der du jetzt nicht mehr befreundet bist? ‘ [95] Die jüngsten Kinder in dieser Befragung gaben völlig unbekümmert mehrere, und immer wieder andere Freundinnen und Freunde an. Typische Antworten, wie Freundschaften entstanden sind, waren in dieser Altersgruppe: ‚einfach so; wir haben uns getroffen, und da waren wir plötzlich Freunde‘ oder: ‚sie hat mich gefragt und ich habe ja gesagt‘. Und nach den Qualitäten gefragt, war der Tenor: ‚nett soll er sein‘, und ‚sie soll dasselbe spielen wollen wie ich‘. Die Antworten bestätigen also die amerikanischen Befunde, denn auch hier wurden erst bei etwas Älteren Gefühle erwähnt: ‚es ist traurig, einsam zu sein‘. Und erst bei Zehnjährigen kam Nachdenklichkeit über die Interaktion hinzu: ‚der muss was gemeinsam haben mit mir‘ oder: ‚wir haben uns <?page no="187"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 187 so langsam angefreundet, man muss sich erst ne Weile kennen, sonst weiß man nicht, wie sie ist‘. Schließlich wurden dann von der ältesten Gruppe, den Zwölfjährigen, Vorstellungen über ausgeglichenes Miteinander, über gegenseitige Rücksichtnahme und die Notwendigkeit, Kompromisse zu schließen angeführt: ‚man muss auch ein bisschen sich danach richten, was der Freund will und nicht einfach immer meinen, seinen Willen durchzusetzen‘. Wenn die entwicklungspsychologische Forschung über Freundschaften unter Kindern sich schwerpunktmäßig auf das Schulalter konzentriert, so ist das verständlich. Denn die Auskünfte, die Kinder dann geben können, sind ergiebig und direkter zugänglich. Dabei lässt sich ein allmählicher Übergang beobachten, der von ‚Freundschaft‘, noch verstanden als ‚die macht, was ich gern mache‘ oder ‚den treffe ich jeden Tag und bin gern mit ihm zusammen‘ hin zu solchen Beziehungen führt, in denen neben den eigenen auch die Gefühle des Freundes oder der Freundin intensiver berücksichtigt werden. Allerdings können auch jüngere Kinder schon enge Beziehungen zu einzelnen anderen Kinder aufnehmen. Soziale Phantasie taucht schließlich nicht erst im Schulalter auf, sondern macht nach allem, was die theory-of-mind-Forschung inzwischen hervorgebracht hat, ab drei, vier Jahren entscheidende persönlichkeitsstiftende Entwicklungen durch. Nur kann man Zwei- und Dreijährige hierüber noch nicht so leicht befragen, vor allem nicht mit standardisierten Verfahren. Deshalb muss sich das wissenschaftliche Interesse an Freundschaften bis zum Alter von etwa vier Jahren methodisch ganz anders einbringen. Genaue Beobachtung der Interaktionen zwischen Kindern ist hierfür die Methode der Wahl. Es gilt, die Unterschiede hervorzuheben, die das Verhalten von Kindern in Freundschafts-Konstellationen auszeichnet gegenüber ihrem Verhalten zu anderen Peers im Kindergarten, auf dem Spielplatz oder zu Hause. Welche Signale sind es also, die gezielt als Indizien dafür in den Blick genommen wer- <?page no="188"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 188 den, dass sich zwischen zwei Kindern eine Freundschaft anzubahnen beginnt? In entwicklungspsychologischen Beobachtungsstudien sind solche Kriterien erarbeitet worden, um freundschaftliche Beziehungen zwischen Kindern in einem Alter zu identifizieren, in dem sie noch nicht in der Lage sind, über diese Beziehungen verbal Auskunft zu geben. Als Beispiel soll ein Beitrag etwas ausführlicher beschrieben werden, der zeigt, wie hierbei systematisch vorgegangen werden kann. Es lassen sich aus wissenschaftlichen Studien dieser Art durchaus Anregungen für den Alltag beziehen. Beobachten ist schließlich in der Praxis ein eminent wichtiges Instrument, um Kinder in ihrer kognitiven und sozialen Entwicklung zu verstehen. Nur ist es gar nicht so einfach, gezielt und mit begründbarem Erkenntnisgewinn Beobachtungen anzustellen. Man benötigt dafür nämlich vorab festgelegte Verhaltensweisen, auf die zu achten ist, denn sonst wird man rasch dem bloßen subjektiven Eindruck ausgeliefert sein. In dem hier angeführten Beispiel [96] hat man zunächst den Blick auf Raum, Zeit und Häufigkeit der Kontakte gelegt. Danach ist der Fokus immer weiter eingeengt worden. Das erste Kriterium ist Geselligkeit (‚companionship‘), definiert als räumliche Nähe und soziale Initiative: Während einem Drittel der vorher festgelegten Beobachtungszeit sollten die beiden Kinder sich, um dieses Kriterium zu erfüllen, in räumlicher Nähe von ca. 90 cm zueinander befinden, und die Hälfte aller Initiativen gegenseitiger Kontaktaufnahme der Kinder sollte zu Reaktionen des jeweils anderen führen. Allein für sich genommen, würde dieses Kriterium gewiss viel zu viele Kontakte unter Kindern als freundschaftliche einstufen. Deshalb wurde das zweite Kriterium nun genauer definiert als ‚miteinander spielen‘: Über die Nähe und über die Reaktion auf Kontaktaufnahme hinaus sollten die beiden Kinder, um als Freundinnen identifiziert zu werden, miteinander tatsächlich in- <?page no="189"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 189 teragieren (einander imitieren, gemeinsam an Probleme herangehen, Rollen einnehmen beim Spiel). Da nun solche Aktivitäten zugleich ein Ausdruck wachsender sozialer Kompetenz sind, die sich ja auch unabhängig von Freundschaften im Alter von 2 bis 4 entwickelt, wurde hier, einschränkend, das besondere Augenmerk darauf gerichtet, ob sich die Freundschaftsbeziehung zwischen den Kindern als förderlich erweist für den Übergang von gemeinsamem Spiel körperlicher Art (z.B. rennen und einander jagen) hin zu symbolischem Spiel (z.B. so tun, als ob man einander füttert). Das dritte, weiterhin einschränkende Kriterium war Zuneigung und Intimität (‚affection‘, ‚intimacy‘): Hatte in dieser Beobachtungsstudie das Miteinander-Spielen bereits über das erste Kriterium des bloßen Zusammenseins hinaus die Identifizierung einer Freundschaftsbeziehung eingeengt, so wurde durch dieses dritte Kriterium die affektive Beteiligung betont. Sie wurde hier als einander Zulächeln oder Anlachen beim gemeinsamen Spiel bzw. als tröstende Handlung bei Bekümmertheit operationalisiert. Es tauchten aber auch schon Ansätze verbaler affektiver Kommunikation (‚disclosure‘) auf, die als Vorboten von Gefühlsäußerungen eingeschätzt werden können, wenn z.B. ein vierjähriger Freund seiner Freundin in einer Rollenspielszene die Angst vor Dunkelheit bekennt. Mit diesen drei Kriterien standen klare Beobachtungsrichtlinien zur Verfügung, mit denen sich das Besondere an Freundschaftsbeziehungen auch schon in frühem Alter illustrieren ließ. Man kann sie als Beobachtungshilfe durchaus auch im Alltag gebrauchen. Geselligkeit, miteinander spielen, Zuneigung/ Intimität <?page no="190"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 190 Mädchen und Jungen: sie bleiben gern unter sich W er eine Grundschulklasse betritt oder einen Kindergarten besucht, wird es bestätigen: Die Mädchen sitzen nebeneinander oder spielen in der Kita zusammen. Gleiches gilt für die Buben. Vorliebe für geschlechtertypische Spielsachen lässt sich mit Labormethoden zwar bereits bei einjährigen Kindern feststellen, [97] aber bis über ihren zweiten Geburtstag hinaus beschäftigen sich allem Augenschein nach kleine Jungen und Mädchen noch unbefangen miteinander, ohne auf das Geschlecht ihrer Spielpartnerin oder ihres Spielpartners zu achten. Wenn dann ab dem dritten Jahr das Geschlechtsbewusstsein als dauerhafte Kennzeichnung von Personen einsetzt, beginnt sich dies drastisch zu verändern. Bis in die Grundschulzeit hinein und über sie hinaus finden sich immer deutlicher geschlechtshomogene Kindergruppen zusammen, die solche Separierung auch ganz bewusst suchen und aufwerten, und die sich gegenüber andersgeschlechtlichen Gruppen zurückhaltend, sogar abwertend verhalten. Von ‚zwei Welten‘ und ‚kollektiver Gruppenidentität‘ ist die Rede, in denen die Kinder sich mit ihren gleichgeschlechtlichen Kameradinnen und Kameraden einrichten. [98] Seit langem sind die Unterschiede, die man in der frühen Kindheit zwischen Mädchen und Jungen beobachten kann, im Gespräch. Meist werden sie nur beschrieben, selten nach Gründen befragt: [99] • Mädchen und Jungen haben unterschiedliche Spielinteressen und gehen mit jeweils anderen Materialien um: Die Mädchen basteln und malen gern, spielen mit Puppen und simulieren im Spiel das Familienleben. Jungen halten sich in der Bauecke auf, lieben körperliche Aktivität und simulieren im Spiel wilde Tiere und Heldenleben. <?page no="191"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 191 • Jungen spielen raumgreifend und riskant, am liebsten draußen. Die Mädchen arrangieren sich lieber in Räumlichkeiten oder ziehen sich dahin zurück, wenn es ihnen zu bunt wird. • Mädchen spielen in kleineren Gruppen und sind auf Kommunikation und Harmonie bedacht. Die Jungen bilden größere Gruppen, legen die Anführer fest und tragen Wettkämpfe aus. • Jungen sind laut und provozieren gern, Mädchen sprechen offen und gern über Beziehungen. • Mädchen suchen die Nähe von Erwachsenen, Jungen gehen auf Distanz und entziehen sich eher der Aufsicht. Es irritiert erwachsenes emanzipiertes Bewusstsein, dass viele Jungen und Mädchen solchen Mustern tatsächlich folgen und dass diese Tendenzen sich bei den Anlässen zu verstärken scheinen, wenn die Kinder sich in gleichgeschlechtlichen Gruppen aufhalten. Steht doch heute weithin zumindest in der westlichen Welt eher der Abbau von Unterschieden zwischen den Geschlechtern auf dem Programm! Stereotype Zuschreibungen sind im privaten und öffentlichen Leben der Erwachsenen inzwischen recht verpönt. Und es gibt durchaus kritische Einstellungen gegenüber der Industrie und dem Kommerz von Spielwaren, die mit rosa und blauen Abteilungen und unterschiedlichen Legosteinen für Mädchen und Jungen dagegen halten. Fragt man Eltern, ob sie ihre Töchter anders behandeln als ihre Söhne, weisen viele das entrüstet ab. Und in den Kindertagesstätten gibt es manchen Versuch, Bau- und Puppenecken in ‚geschlechtsneutrale‘ Spielbereiche umzuwandeln. [100] Mädchen und Jungen sollen damit Gelegenheit erhalten, traditionelles geschlechtertypisches Verhalten (zumindest innerhalb des Kindergartens) gar nicht erst aufkommen zu lassen. Gilt es aber nicht zunächst einmal, Bedürfnisse von Kindern zu verstehen und zu respektieren, die ihre Zugehörigkeit finden wol- <?page no="192"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 192 len, wenn sie anfangen, handelnd mit den markanten Kategorien umzugehen, die sie als gültig und wirksam beim Sortieren der sozialen Welt wahrnehmen? Und gehört hierzu nicht neben dem Alter ganz wesentlich das Geschlecht als Kategorie, deren Beispiele ihnen von der Umgebung überdeutlich vorgeführt werden - allen emanzipierten Überzeugungen und Bemühungen zum Trotz, die viele Erwachsene sich inzwischen erarbeitet haben? Von Anfang an und dann auf Schritt und Tritt erleben Kinder eine Welt, die von den Facetten der Weiblichkeit und Männlichkeit in überwältigender Weise geprägt ist. Geschlechts-‚Neutralität‘ ist ein Abstraktum und existiert in dieser Welt praktisch nicht. Geschlechtergerechtigkeit, also die Bemühung um Akzeptanz von Differenzen ohne Wertungen und Hierarchien, ist dagegen ein wichtiges soziales Projekt und ohne Zweifel ein bedeutsames Erziehungsziel. Gegenwärtig richten sich in diesem Zusammenhang viele Interessen und Erwartungen an die Kindertageseinrichtungen. Nicht mehr die Mädchen sind es, für die im Zug feministischen Engagements Benachteiligungen aus dem Wege geräumt werden sollten. Es geht auch um die Jungen, die im Schnitt in ihren Entwicklungsfortschritten bei den bekannten Leistungsvergleichen hinter den Mädchen zurückstehen, und die angeblich unter den im Wesentlichen weiblich dominierten Bildungseinrichtungen der frühen und mittleren Kindheit zu leiden haben. Jungen müssten „die Gelegenheit haben, als machtvoll und überlegen aufzutreten, den sozialen Raum um sich herum erobern zu können und die besonderen Formen der männlichen Selbstbehauptung zu praktizieren“. [101] Geschlechts-‚Neutralität‘ ist ein Abstraktum und existiert in dieser Welt praktisch nicht. <?page no="193"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 193 Auch Erzieherinnen bleiben in den Kitas häufig unter sich B eim Personal in den Kitas überwiegt eher noch mehr als in den Grundschulen das weibliche Geschlecht. Zwar sind die absoluten Zahlen der Erzieher in vielen Ländern in den letzten Jahren angestiegen. In Deutschland gab es 2013 immerhin über 22.000 männliche Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen. Ihr relativer Anteil beträgt jedoch kaum 5%, denn dank des politisch durchgesetzten Ausbaus der Angebote ist der Personalbestand in den Einrichtungen insgesamt rasch angestiegen. So bilden Männer in Kitas nach wie vor eine kleine Minderheit. Die Publizistik jedoch, die mit verschiedensten Begründungen nach Veränderung verlangt und fordert, dass Männer nicht länger ‚exotische Pflanzen im Garten der Frauen‘ bleiben, wächst beträchtlich. [102] Einige Begründungen für die Forderung ‚mehr Männer in Kitas‘ sind recht vordergründig, man sollte sie gleichwohl ernst nehmen. Etwa das arbeitsmarktpolitische Argument, dass der große Personalbedarf in der Früh- und Elementarpädagogik dazu zwinge, das Reservoir der männlichen Bewerber auszuschöpfen. Zu fragen ist freilich, ob diese Berufswahl gerade jene Männer treffen werden, die - falls man solches wünschen sollte - bereit sind, für Jungen als Vorbilder für ‚die besonderen Formen der männlichen Selbstbehauptung‘ zu wirken und ihnen zu zeigen, wie man den ‚sozialen Raum um sich herum erobert‘. Ein anderes immer wieder vorgebrachtes aber kaum empirisch belegtes Argument geht dahin, dass das Übergewicht von Frauen in der Lebenswelt kleiner Kinder für Jungen ein Problem bei der Identitätsfindung darstelle und daher die männliche Präsenz zumindest in Kitas nötig sei, wo doch in diesem Zusammenhang schon die wachsende Zahl alleinerziehender Frauen bedenklich sei. Abgesehen davon, dass kaum generell davon ausgegangen werden kann, im Umfeld alleinerziehender Mütter gebe es keine Männer, und dass für <?page no="194"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 194 Leistungsrückstände in der Grundschule tatsächlich das Überwiegen weiblichen Personals in Kindergärten als besonders bedeutsamer Faktor infrage kommt: Wichtiger ist die Entgegnung, dass weder die Erzieherin eine Mutter, noch ein Erzieher den Vater ersetzen kann oder sollte. In diesem Kontext ist eine Erfahrung relevant, die immer wieder im Rahmen der Bindungsforschung hervorgehoben wird: dass nämlich Erzieherinnen leichter Beziehungen zu einzelnen Mädchen oder zu den Gruppen der Freundinnen aufbauen, und auch diese eher die Nähe zu den Erzieherinnen suchen als die Jungen. [103] Das könnte einen Hintergrund dafür bilden, dass Jungen weniger sichere Beziehungen zu Erzieherinnen aufbauen, sich also nicht nur gegenüber den weiblichen Gleichaltrigen absetzen, sondern auch auf Distanz zum überwiegend weiblichen Personal in den Einrichtungen gehen. Ob hiermit im Zusammenhang steht, dass Jungen schwerer zu betreuen sind, wenn sie sich in ihre gleichgeschlechtlichen Gruppen zurückziehen und lärmendes und raumgreifendes Verhalten entwickeln, ist bisher nicht untersucht, auch nicht, ob mehr männliches Personal in Kitas diese Separierung der Geschlechter mit ihren Konsequenzen tatsächlich beeinflussen könnte. Wichtig ist, dass weder die Erzieherin eine Mutter, noch ein Erzieher den Vater ersetzen kann oder sollte. <?page no="195"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 195 Humor, übertragene Bedeutung und Ironie - Sprachspiele mit der sozialen Phantasie H umor kann man schon bei ganz kleinen Kindern erleben. Hier zum Beispiel: „Die Familie sitzt zum Nachmittagskaffee am Tisch… Mariechen schiebt ein Stück Banane auf Tante Elses Mund zu. Die macht in Erwartung der Fütterung den Mund auf und bewegt sich leicht dem Bananenstückchen entgegen. In dem Moment zieht Mariechen das Bananenstück weg, schiebt es in den eigenen Mund und amüsiert sich köstlich.“ [104] Tante Else mimt Empörung, und Mariechen erntet ein großes Hallo am Tisch. Mariechen ist erst ein Jahr alt. Sie hat das Interaktionsmuster ‚Füttern‘ ganz sicher in ihrem Repertoire verankert - so sicher, dass sie versuchsweise mit ihm spielen kann, in vollem Vertrauen darauf, dass in der Realität auf den normalen Ablauf ja Verlass ist. Im Laufe der Kindheit wird eine Vielzahl dieser basalen Routinen des Umgangs und Austauschs mit der gegenständlichen und sozialen Welt angesammelt. Sie prägen sich zunächst einmal als unumstößlich ein, denn sie bewähren sich in der kindlichen Wahrnehmung zuverlässig in ihrer Regelhaftigkeit, Sequenz und Bedeutung. Im ersten Teil dieses Buchs sind Schlaglichter auf Etappen dieser basalen Erfahrungsbildung gerichtet worden, während in den bisherigen Kapiteln des zweiten Teils dann systematischer die Facetten und Bedingungen beschrieben wurden, mit denen Routinen dank der sich entwickelnden Phantasie auch aufgelockert werden können. Der Geist wird flexibler, es bleibt nicht bei der zunächst einzigen, eigenen Perspektive auf das was geschieht. So steigt nicht nur das Interesse an dem, was in anderen Köpfen vor sich geht, sondern Festgefügtes lässt sich auch einmal überraschend ver-rücken. Mariechens erheiternder Erfolg kann durchaus bereits als phantasievoll imponieren. Er verdankte <?page no="196"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 196 sich dem spontanen Aufblitzen des Widerspruchs gegen eine Regel, mit dem versuchsweise die eingespielte Abfolge einer interaktiven Handlung auf den Kopf gestellt wird. Im Folgenden geht es nun um Ver-Rückungen in der sprachlichen Interaktion, nämlich um das Spiel zwischen Sagen und Gemeintem. Wie entdecken Kinder die verschiedenen Gesichter der Sprache selbst, mit denen sich Witz, Ironie und Sarkasmus im Gespräch ebenso zeigen können, wie auch Lüge und Täuschung. Diese verschiedenen Gesichter der Sprache können sich nur in der Interaktion entfalten. Das gilt insbesondere für Erheiterung und Humor. Sie sind auf Publikum angewiesen. Einsam Witze zu machen, ist nicht lustig. In diesem Kapitel soll also verhandelt werden, wie Kinder mit bestimmten Widersprüchen zwischen verbal Geäußerten und dem damit Intendierten zu verfahren lernen. Im Grunde werden sie im ganz alltäglichen Dialog ja schon längst darauf vorbereitet, dass zum Verstehen mehr gehört als das zu entschlüsseln, was gesprochen wird. Wenn der kleine Bruder hört, wie zur großen Schwester, die sich gerade auf den Schulweg macht, vom Vater die Mahnung kommt ‚es wird Regen geben‘, ahnt er durchaus, dass ein Zusammenhang damit besteht, dass die Schwester zur Kapuzenjacke greift. Später wird er genauer mit solchen mitgemeinten Botschaften sprachlicher Äußerungen umgehen können. Er wird begreifen, dass es in vielen dialogischen Szenarien tatsächlich darauf ankommt, vom wörtlich Gesagten auf Gemeintes erst zu schließen. Wenn nun Humor ins Spiel kommt, dann können noch einmal besondere Regeln für das Auseinandertreten von Wörtlichem und übertragener Bedeutung gelten. Dort geht es bei der Verarbeitung häufig um einen Doppelschritt, wie bei diesem Wie entdecken Kinder die verschiedenen Gesichter der Sprache selbst, mit denen sich Witz, Ironie und Sarkasmus im Gespräch ebenso zeigen können, wie auch Lüge und Täuschung. <?page no="197"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 197 Witz: Der Kellner in einer Pizzeria: ‚soll ich sie in 6 oder 8 Stücke schneiden? ‘, der Gast: ‚oh, bitte in 6 - acht würde ich nicht schaffen! ‘ Wann beginnen die Kinder zu verstehen, dass solche Regeln erst einmal für Irritationen und dann für deren lustige Auflösung sorgen? Dies zu durchschauen verlangt kognitive Voraussetzungen, hier zum Beispiel unter anderem ein recht fortgeschrittenes Verständnis von Mengen. Die Wissenschaften bemühen sich seit langem, die sprachlichen Mittel im Detail zu beschreiben, die für die Erzeugung solcher Mehrdeutigkeiten und ihrer Auflösung besonders in Frage kommen. Deshalb sind hier ein paar vorbereitende Bemerkungen zu übertragenen Bedeutungen angebracht: zu Metaphern, Witz, Ironie und Sarkasmus. Wörtliches und nicht so wörtlich Gemeintes als Thema der Sprachwissenschaft V iele Analysen zur Unterscheidung von wörtlich und nicht wörtlich aufzufassenden Äußerungen nehmen ihren Ausgang von berühmt gewordenen Maximen, die für idealisierte Gesprächsformen aufgestellt worden sind, [105] wo Menschen, die miteinander reden, davon ausgehen, dass alle einander zuhören, dass alle präzis zur Sache sprechen und auch unmissverständlich sagen, was sie meinen. Von diesem (abstrakten) Muster aus lassen sich Verstöße gegen die idealisierten Kooperationsprinzipien der Gesprächsführung gut klassifizieren: Nehmen wir an, einer Gastgeberin ist die Uhr stehen geblieben und sie sagt: ‚bleibt doch noch ein bisschen, es ist ja noch so früh‘ - dann wäre dies ein Vorstoß gegen die so genannte Wahrheitsmaxime im Gespräch. Dieser Verstoß geschieht allerdings ganz ohne Arglist, denn es handelt sich ja um einen Irrtum, der dem Blick auf die stehengebliebene Armbanduhr geschuldet ist. <?page no="198"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 198 Nehmen wir aber an, die Gastgeberin weiß genau, wie spät es schon geworden ist, und sagt: ‚bleibt doch noch ein bisschen, es ist ja noch so früh‘ - dann wäre dies zusätzlich ein Verstoß gegen die Aufrichtigkeitsmaxime, also eine absichtliche Irreführung, denn der Gastgeberin ist ganz klar, dass es eigentlich längst Zeit ist, nach Hause zu gehen. Nehmen wir schließlich an, die Gastgeberin schaut verstohlen auf die Uhr und sagt: ‚Ihr werdet doch noch ein kleines Gläschen mit mir schaffen! Es ist ja noch so früh‘ - dann wäre dies die Botschaft eines Hintergedankens hinter der wörtlichen Rede. Diese dritte, besonders interessante Form von Äußerungen im Gespräch beschäftigt die linguistische Pragmatik, [106] und (zu wenig) auch die Psychologie der kindlichen Sprachentwicklung, wovon später die Rede sein wird. Man bezeichnet Äußerungen dieser Art auch als nicht-literale Verwendung der Sprache: Es wird etwas anderes gesagt als gemeint ist, deshalb darf man solche Äußerungen, um sie zu verstehen, nicht wörtlich nehmen. Wichtige Formen nicht-literaler Sprache sind Metaphern, Redewendungen, Ironie und Sarkasmus. Bei literalen Äußerungen stimmen also Gesagtes und Gemeintes überein (‚ich weiß, es ist schon spät, aber es wäre nett, wenn ihr mir noch ein bisschen Gesellschaft leisten würdet‘). Die Gäste verstehen die Botschaft unmittelbar - vielleicht sogar noch ein wenig mehr als das: ‚sie wird Angst vor dem Alleinsein haben‘. Bei nicht-literaler Rede herrscht dagegen Einverständnis darüber, dass hinter dem Gesagten etwas ganz anderes steht als wörtlich ausgedrückt wird. Bei Redewendungen und Metaphern, die mit Ähnlichkeiten, Analogien und der Verschiebung von Bildern und Bedeutungen spielen, gibt es verschiedene Varianten: <?page no="199"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 199 • Es können zu Hilfe genommene Wortteile sein, die dafür einstehen, dass es in der jeweiligen Sprache kein eigenes Wort für eine Sache gibt, wie Stuhl‚bein‘ oder Buch‚rücken‘. • Es können einzelne Wörter sein wie: sich für ein Thema ‚erwärmen‘ statt ‚interessieren‘, ‚Schlafmütze‘ für einen trägen, wenig spritzigen Menschen, oder regionale Ausdrücke wie die rheinische ‚Dröppelminna‘ für Kaffeekanne. • Es können stabile Wortverbindungen sein, die zusammen genommen eine andere Bedeutung haben als die jeweils einzelnen Wörter, wie: ‚blinder Passagier‘ oder ‚dicke Freunde‘. • Schließlich können es ganze Phrasen sein, etwa ‚ein dickes Brett bohren‘ für: sich ein schwieriges Problem vornehmen, oder ‚immer ein Haar in der Suppe finden‘ für: besonders kritisch sein, oder: die Firma ist ‚auf dem absteigenden Ast‘ für: es geht ihr finanziell nicht gut. Der metaphorisch-idiomatische Sprachschatz ist ein wichtiger Bestandteil aller natürlichen Sprachen. Beim Umgang mit ihm besteht die Erwartung, dass den Mitgliedern der jeweiligen Sprachgemeinschaft die übertragenen Bedeutungen geläufig sind. Dies allerdings erfordert ein Wissen über diese Sprache (‚metasprachliches‘ Wissen), das weit über die Praxis ihres literalen Gebrauchs hinausgeht. Und es verlangt die konkrete Erfahrung mit den einzelnen Wendungen. Man muss ihnen häufiger begegnet sein und sie in exakt der gebräuchlichen Form verinnerlicht haben. Deshalb werden sie in der Kindheit erst allmählich erworben. Und deshalb können Redewendungen und Metaphern beim Fremdsprachenlernen sehr tückisch sein. Es mag jemand in noch so akzentfreiem und flüssigem Deutsch sagen ‚die Firma ist auf dem absteigenden Zweig‘ oder ‚es gibt hier einen blinden Mitfahrer‘ - unweigerlich erkennt man daran die Nicht- Muttersprachlerin. <?page no="200"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 200 Im Unterschied zu Metaphern und Redewendungen, die häufig phantasievoll und witzig auf bestimmte Seiten eines Sachverhalts, Ereignisses oder von Personen abzielen, wird im Fall der Ironie meist das Gegenteil vom Gesagten gemeint, nicht wie im Fall von Metaphern etwas Ähnliches mit übertragener Bedeutung. Ironie ist eine Form von spöttischer Wertung, die meist als Kritik verstanden werden will: ‚das hast du aber fein hingekriegt! ‘, wenn jemandem ein richtiger Patzer passiert ist. Es ist selbst für Erwachsene nicht immer leicht, Ironie zu erkennen, besonders wenn sie von Personen kommt, mit denen wenig Vertrautheit besteht, oder wenn nicht wenigstens Mimik und Tonfall dem Verständnis entgegenkommen. Erst recht können Kinder durch ironische Bemerkungen irritiert und verstört werden, denn es fällt ihnen schwer zu begreifen, warum gegen den Augenschein, also absichtlich, jemand etwas Falsches sagen kann. Das gilt noch einmal mehr für Sarkasmus, der immer eine aggressive Note hat und mit dem Kinder ernsthaft verletzt werden können. In die systematische Nähe zu Ironie werden gern Übertreibungen (mit dem Fachausdruck: Hyperbeln) gesetzt ‚das habe ich doch schon vor hundert Jahren gekonnt! ‘ oder beschönigende Redeweisen (Euphemismen) wie ‚vollschlank‘, ‚Kollateralschaden‘ oder ‚feinherb‘ beim Wein, der erheblichen Restzuckergehalt aufweisen darf. Solche Ausdrücke sind nicht metaphorisch zu verstehen, aber auch sie drücken etwas aus, das anders gemeint ist. All diese interessanten Aspekte der Sprachen und der Sprachkompetenzen finden zwar in einigen Sparten der Sprachwissenschaft und in der Psycholinguistik zu Recht viel Beachtung. In der neueren Literatur über den kindlichen Spracherwerb spielen sie hingegen eine geringe Rolle. Deshalb wird im Folgenden auch auf ältere Literatur aus den 1960er und folgenden Jahren zurückzugreifen sein. <?page no="201"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 201 Kindliches Spielen mit der Sprache D as Spiel mit übertragenen Bedeutungen und mit Irritationen samt ihrer Auflösung beginnen Kinder im Allgemeinen erst gegen Ende der Vorschulzeit auszuprobieren. Aber es gibt Vorläufer, die bereits darauf hindeuten, dass sie mit Unstimmigkeiten in Handlungskontexten und ansatzweise auch schon im sprachlichen Ausdruck lustvoll umgehen können. Schon mit einem Jahr amüsieren sich Kinder herzlich, wenn die Macht des Üblichen gebrochen wird, wenn etwa die Mutter selbst am Fläschchen saugt und dazu lustige Grimassen macht, wenn der Vater auf allen Vieren herumkriecht, oder der Dackel einen Jägerhut aufgesetzt bekommt. Im eingangs erwähnten Beispiel liefert Mariechen den Beweis, dass Kinder solche Umkehrungen der eingespielten Handlungsfolgen schon früh auch selbst zur Belustigung aller in die Tat umsetzen können. Vor einem erheiterten Publikum ostentativ mit einer Banane telefonieren, gehört auch in diesen Zusammenhang. Mit empirischer Forschung über kindliche Witzproduktion und die Reaktionen auf sprachliche Spielereien hat sich in den 1960er Jahren in Deutschland zuerst ein Sprach- und Literaturwissenschaftler, Hermann Helmers, befasst. [107] Er greift dabei auf Berichte von Eltern über das Spiel mit Sprachelementen zurück, das sie bei ihren kleinen Kindern beobachtet haben, zum Beispiel wie sie ‚Opipapi‘ oder ‚Mamamimimumu‘ oder ‚Sei, sei, sei - fee‘ rufen. Als Kriterium, um zu entscheiden, ob die Kinder damit einfach ihre Artikulation üben oder ob sie tatsächlich Komik dabei empfinden, kann im Grunde nur das Amüsement der Kinder gelten, etwa das Lachen über sich selbst. Vom dritten Lebensjahr an, meint der Autor, ‚häute‘ sich die Sprache der Kinder, so dass sie belustigt auf das zurückschauen können, was sie früher einmal falsch gesagt haben. Dies seien dann bereits metasprachliche Leistungen: ‚Tuck mal‘, ruft provozierend ein Fünfjähriger, <?page no="202"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 202 und wenn die Erwachsenen das korrigieren ‚das weißt du doch, es heißt: guck mal! ‘, dann können die Kinder sich einen Spaß daraus machen, solche Reaktionen immer wieder auf ’s Neue herausfordern. Manche können jetzt auch schon witzig fragen ‚weiß die Blindschleiche, wo sie hin will? ‘, oder ‚ Uromi, Tick-tack-Omi? ‘ rufen. Woher wollen wir aber wissen, ob ein Kind in diesem Alter mit der Sprache sein Spiel treibt, oder ob es eher Analogien zu ‚Stuhlbein‘ oder ‚Buchrücken‘ ausprobiert - was im Übrigen ja auch schon ein interessantes Zeichen für Aufmerksamkeit auf die Sprache wäre? Bei der Beobachtung im Alltag sind wir darauf angewiesen, auf eine schelmische Absicht aus dem spontanen kindlichen Verhalten zu schließen. Deshalb zeigt sich Sprachwitz von Kindern in diesem Alter spontan in der Interaktion, er entzieht sich dem Ausfragen im geplanten Experiment. Vielleicht liegt darin die Zurückhaltung der kontrolliert-experimentellen aktuellen psychologischen Spracherwerbsforschung beim Thema des kindlichen Humors. Benennt ein Kind im Experiment nämlich etwa ein Bild, das einen Fluss zeigt, als ‚Schlange‘, so könnte dies auch eine Übergeneralisierung aufgrund der Form sein. Man müsste zumindest indirekt auf die Intention eines metaphorischen Einfalls schließen können. Dazu wäre durch Nachfragen sicherzustellen, dass dem Kind Wort und Konzept von ‚Fluss‘ überhaupt bekannt sind. Es ist einige Zeit her, dass solche Untersuchungen stattgefunden haben. [108] Vom humorigen Umgang mit ‚ver-rückten‘ Objekten über das Spiel mit sprachlicher Inkongruenz - bis zur witzigen Auflösung der Doppeldeutigkeiten S chon Helmers hat mit eigenen Worten (‚Integration‘ und ‚Emanzipation‘) beschrieben, was ein paar Jahre später als die wohl Sprachwitze kommen etwas später! <?page no="203"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 203 wichtigste entwicklungspsychologische Theorie des kindlichen Humors ausgearbeitet worden ist, nämlich den Weg zur mehrstufigen Leistung von Irritation und ihrer Auflösung. Der Autor deutet damit etwas an, das im Kapitel Wie sich das Ich beim Erzählen bildet für einen anderen Zusammenhang schon einmal berichtet worden ist: Über eine sichere Basis des Umgangs mit dem Alltäglichen zu verfügen, ist eine Voraussetzung dafür, um herausgehobene Erlebnisse als etwas autobiografisch Besonderes zu markieren und im episodischen Gedächtnis zu verankern. Ganz ähnlich bedarf es, um Humor sprachlich zu realisieren, zunächst einmal eines Fundus von ganz normalen Regeln über Bedeutungen und Redeweisen im Dialog. Solche Einübung zu leisten, nennt der Autor Integration. Erst auf dem sicheren Hintergrund solcher Praxis kann eine momentane Aushebelung der Normen im Sinne humoristischer Verkehrung stattfinden. Diese Leistung eines Bruchs mit dem Normalen bezeichnet Helmers als Emanzipation. Kinder probieren Scherze, Umstellungen, Spiel mit Lauten und Wörtern nicht zuletzt, um sich zu vergewissern, dass bei aller Möglichkeit zu witzigen Einfällen letztlich die Ordnung unangetastet bleibt. Nach Ansicht des Autors gehört das Rollenspiel als Einübung in gesellschaftliche Routinen in die Domäne der Integration - der Witz dagegen sei das launige emanzipatorische Ausbrechen aus diesen Routinen, das zwar zur allgemeinen Erheiterung beiträgt, aber die Regelhaftigkeit als solche nicht gefährdet. Die immer noch meistzitierten Modelle und Ausführungen über die Entwicklung des kindlichen Humors sind in den 1970er und 80er Jahren in den USA formuliert worden. Sie weisen alle Kinder probieren Scherze, Umstellungen, Spiel mit Lauten und Wörtern nicht zuletzt, um sich zu vergewissern, dass bei aller Möglichkeit zu witzigen Einfällen letztlich die Ordnung unangetastet bleibt. <?page no="204"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 204 eine enge Nähe zum Interesse an der kindlichen kognitiven Entwicklung auf, für das seinerzeit das Stufenmodell von Jean Piaget im Mittelpunkt gestanden hat. [109] Auch hier stehen (im zweiten Lebensjahr) die überraschenden, ungewöhnlichen Handlungen mit Dingen am Anfang, die nur möglich sind, weil die Kinder bereits über Gedankenbilder (mentale Repräsentationen) von Objekten und vom normalen Umgang mit ihnen verfügen. Es folgt dann (oft schon bei Vierjährigen) das Spiel mit sprachlichen Bezeichnungen, die witzig verändert oder falsch verwendet werden: Namen werden vertauscht, aus Pukmuckl wird Muckpukl, Reime und Unsinns-Wörter lösen Heiterkeit aus. Eine besondere Rolle spielt jedoch die Entdeckung, dass Lautfolgen und Wörter mehrere Bedeutungen haben, und Sätze zweideutig sein können, vor allem die Entdeckung, dass sich damit witzige Irritationen stiften und dann auflösen lassen. Das Begreifen solcher Mehrdeutigkeiten wird in den Modellen zu einem recht späten Zeitpunkt angesetzt, jedenfalls erst bei Schulkindern beschrieben. Es stehe für eine fortgeschrittene Etappe der intuitiven metasprachlichen Entwicklung. Hiermit ist natürlich nicht gelehrtes Sprachwissen gemeint! Im Gegenteil: Ohne dass Kinder sich Rechenschaft darüber ablegen könnten, etabliert sich allein durch die Praxis der Sprachbenutzung in alltäglicher Interaktion eine implizite, gar nicht durchdachte Gewissheit, dass Sprachen auf allen ihren Ebenen (von der Lautbis zur Satz- und Textebene) Regelsysteme sind. Anzeichen dafür, dass diese Regeln implizite Beachtung erfahren, machen sich schon früh bemerkbar, wenn kleine Kinder beispielsweise beim Reden innehalten und sich selbst verbessern. Mehrdeutigkeiten zu bemerken und mit ihnen zu spielen, wird allerdings als eine sehr entwickelte Form dieser impliziten Regelbeachtung beschrieben. [110] Bevor diese Forschung ein wenig skizziert wird, möchte ich hier zur Einstimmung ein paar Beispiele für Mehrdeutigkeiten <?page no="205"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 205 im Deutschen auf den verschiedenen Sprachebenen geben, die im Zuge des Verständnisses witzig aufgelöst werden können: Auf der lautlichen Ebene von Wortfolgen: der gefangene floh Auf der lexikalischen Ebene: ich gehe mal rasch zur bank und packe mein butterbrot aus Auf der Satzebene: die polizei geht gegen bettler im clownskostüm vor / wenn deine augen auf eine schöne frau treffen, schlage sie nieder Im Dialog: wie finden sie meinen neuen roman? - ganz einfach, ich gehe in die bibliothek In einer der frühen amerikanischen Veröffentlichungen über die Entwicklung des kindlichen Humors spielt unter anderen folgender witziger Dialog eine Rolle, der durch die lautliche Ähnlichkeit von bean (Bohne) und been (gewesen) zustande kommt und daher hier in Englisch wiedergegeben werden muss. [111] Im Restaurant: Waiter, what’s this? That’s bean soup, ma’am. I’m not interested in what’s been, I’m asking what it is now. In der Untersuchung wurden Dialoge wie diese einer Kontrollgruppe auch in einer abgewandelten Variante vorgegeben, die zwar auch ein wenig ungewöhnlich anmutet, bei der jedoch die Doppeldeutigkeit, die die Geschichte erst witzig macht, entfernt wurde: <?page no="206"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 206 Waiter, what’s this? That’s tomato soup, ma’am. I’am not interested in what’s been, I’m asking what it is now. Von allen Möglichkeiten der sprachlichen Mehrdeutigkeit gilt der Umgang mit der lautlichen Form bei Wörtern und Wortfolgen als die früheste humorvolle Form, mit der Kinder umgehen können. Ziel dieser Untersuchung, die mit solchen kleinen Texten gearbeitet hat, war es herauszufinden, ab wann Kinder für die humorvolle Form empfänglicher sind als für die Kontrollvarianten. Die Autoren finden hierfür ein Alter von 6 bis 7 Jahren als Übergangsetappe heraus, wobei sie nicht bestreiten, dass schon jüngere Kinder Gefallen beispielsweise an der Verballhornung von Wörtern finden. Es seien lustig klingende verdrehte Wörter, die wegen ihres akustisch ungewöhnlichen Klangs auffallen oder einfach ungewöhnliche Äußerungen (wie die Kontrollvarianten der Geschichten), über die schon Vorschulkinder lachen. Erst später löse die abstraktere, witzige Ver-Rückung, bei der die Auflösung der Auffälligkeit hinzukommt, stärkere Reaktionen aus. Kinder könnten dann auch erst beginnen, darüber nachzudenken und zu erklären, warum sie eigentlich lachen. Witze, die mit Mehrdeutigkeiten auf Satzebene spielen, werden nach diesen Modellen gar erst von Elf-, Zwölfjährigen geschätzt. An der hier beschriebenen Untersuchung haben Kindergruppen im Alter von 6-7, 8-10 und 11-12 teilgenommen. Es zeigte sich tatsächlich, dass die jüngste Gruppe gleichermaßen mit Amüsement auf beide Versionen der Stimuli reagierten, während die Älteren in steigendem Maße die Versionen, aus denen die Mehrdeutigkeit entfernt worden war, vernachlässigten. Die Interpretation geht dahin: Mögen schon Kinder im Vorschulalter (die hier nicht mit untersucht worden waren) offensichtlich ihren Spaß an sprachlichen Spielereien und schlicht Überraschendem haben, so gibt es ab etwa 6 Jahren ein Stadium, in dem zwar sol- <?page no="207"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 207 che Dinge auch noch als lustig empfunden werden, die Möglichkeit jedoch ansteigt, Gefallen auch an der witzigen Auflösung von Unstimmigkeiten zu finden. Die Entdeckung, dass die Mehrdeutigkeit eines Worts plötzlich einen neuen Sinn ergibt, setzt also um dieses Alter ein. Als Trend wird damit beschrieben: je älter die Kinder werden, desto mehr schätzen auch sie jene zweistufigen Verarbeitungen, die Erwachsene überhaupt nur als Witze akzeptieren. Ein Wort auch hier zu Gruppenstudien und ihrer Einteilung nach Lebensjahren: Die Auswertungen solcher Untersuchungen arbeiten immer mit Mittelwerten über ganze Gruppen. Nur über die Streuungsbereiche innerhalb der Gruppen, die im methodischen Teil der Veröffentlichungen natürlich auch angegeben werden, lässt sich ein wenig Einblick in die Variationsbreite der zu einer Gruppe gehörenden Individuen gewinnen. Bei den knapp formulierten Schlussfolgerungen, die die Veröffentlichungen enthalten, muss also immer bedacht werden, dass es Unterschiede zwischen den Kindern auch innerhalb einer Altersgruppe gibt! Wie bereits erwähnt, ist das Feld des kindlichen Humors in der neueren Literatur nicht besonders gut bearbeitet. Das gilt für die frühen Jahre für alle Fächer, die sich mit dem Thema befassen, aber besonders für den psychologischen Anteil an dieser Forschung. Einige wenige Feldstudien über Humorproduktion von Kindern in Zeichnungen und Erzählungen liegen zwar aus linguistischen und pädagogischen Fachrichtungen vor. Sie betreffen jedoch auch überwiegend das Schul- und Jugendalter und konzentrieren sich häufig besonders auf Unterschiede im Humorverständnis zwischen Mädchen und Jungen. Eine dieser Arbeiten hat allerdings neben Schulkindern der 2., 4. und 6. Klasse, die sich gegenseitig witzige Geschichten erzählen sollten, auch Daten in Kindergärten erhoben. [112] Zwei Witze möchte ich den Leserinnen und Lesern nicht vorenthalten: Das Kindergartenkind Bettina (ihr Alter wird nicht mitgeteilt): Es war <?page no="208"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 208 einmal eine Frau, die hatte immer ein Messer im Auto… - weißt du für was? Zum Kurve schneiden. Und Astrid aus der zweiten Klasse: Es ging einmal eine Frau zum Doktor, schon zum fünften Mal zum Doktor wegen einer - Pilzvergiftung. Der Doktor sagte schon zum fünften Mal: ‚Sie dürfen nur die Pilze essen, die Sie kennen‘. Nachher sagte die Frau ‚der einzige, den ich kenne, ist der Fliegenpilz‘. Sicher wäre es interessant zu erfahren, wo die Kinder diese Witze aufgeschnappt haben, auf jeden Fall scheint auch das Kindergartenkind die metaphorische Doppelbedeutung schon verstanden zu haben, sonst hätte es sie wohl kaum in dieser Versuchsanordnung reproduziert! Vorsicht: Ironie kann irritieren, und Sarkasmus kann wehtun! Doch der Umgang hiermit ist ein wichtiger Bestandteil des Spracherwerbs A uch über den kindlichen Umgang mit Ironie sind grundlegende Studien in den USA schon während der 1980er und 90er Jahre entstanden. Sie waren ähnlich wie diejenigen über kindlichen Humor als Laboruntersuchungen angelegt und ganz auf die Leistung des Verstehens konzentriert. In der Regel werden in diesen Arbeiten den Kindern kleine Geschichten und Gespräche erzählt oder vorgelesen, die mit einer ironischen Bemerkung von einem der Beteiligten enden. Ein Beispiel: Die kleine Marie ruft: ‚Papa, komm mal schnell! Da ist ein Tier in der Garage.‘ ‚Was für ein Tier? ‘, fragt der Vater. ‚Ich kann es nicht genau sehen, aber ein Hund ist es nicht. Vielleicht ist es ein Bär, ja es muss ein Bär sein, beeil dich, Papa! ‘ Der Vater geht mit Marie in die dunkle Garage. Hinter dem Auto bewegt sich etwas. Plötzlich sehen sie Maries schneeweißes Kaninchen hinter dem Auto hervorhoppeln. ‚Oh‘, sagt der Vater, ‚es ist ein Eisbär! ‘ <?page no="209"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 209 Die Kinder werden dann gefragt: ‚Warum sagt der Vater: ‚Oh, es ist ein Eisbär‘? ‘ [113] Für die Analyse der Antworten spielt es dann eine Rolle, ob die Kinder die Widersprüche zwischen Fakten und Äußerungen und zwischen Äußerung und Gemeintem erkennen, ob sie also die kommunikative Absicht der Schlussbemerkung verstehen. All diese Untersuchungen zeigen, dass die Kinder Ironie, zumindest im Experiment, eher später begreifen als Witze, nämlich mit 6 oder 7 Jahren noch kaum, und erst ab etwa 10 Jahren ein volles Verständnis für Ironie zu zeigen beginnen, das sie dann auch begründen können. Dass Intonation und nonverbales Begleitverhalten das Verstehen erleichtern, hat sich erwartungsgemäß in manchen der Untersuchungen herausgestellt. Während Witze standardisiert sind und klar auf eine Pointe hinauslaufen, und Metaphern ihren Reiz aus einer in der Sprachgemeinschaft bekannten verbalen Doppeldeutigkeit beziehen, sind ironische Äußerungen persönliche Botschaften. Sie offenbaren oft eine kritische Haltung, wie übertriebenes Lob, das eigentlich als Tadel gemeint ist. Solche Äußerungen können sehr vielgestaltig sein und von freundlichem Necken bis zu verletzendem Spott und Sarkasmus reichen. Der Umgang mit Ironie stellt hohe Ansprüche an die soziale Phantasie: Die Beteiligten müssen nicht nur Einsicht in die Situation mit ihren Widersprüchen und in die eigene Wahrnehmung dieser Situation gewinnen, sondern auch die Haltungen und (Hinter-)Gedanken des Gegenübers verstehen. Wenn jemand ironisch etwas sagt, dann wird damit absichtlich etwas Falsches geäußert. Dies ist aber nicht als Täuschung oder Lüge gemeint, sondern enthält eine Botschaft, mit der die wahre Haltung zwar maskiert wird, aber doch verstanden werden will. Das Gegenüber soll merken, dass mit Absicht etwas Unrichtiges gesagt wird und genau auf diese Weise die Botschaft erst Der Umgang mit Ironie stellt hohe Ansprüche an die soziale Phantasie. <?page no="210"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 210 richtig verstehen. Warum tun Menschen das? Einerseits wollen sie (im freundlichen Fall), dass die ironische Bemerkung nicht so ernst genommen wird wie direkte Kritik. Oder sie wollen, dass sie (im Fall von Sarkasmus) eher schärfer ankommt als es eine rational vorgebrachte Kritik tun würde. Gemeinsam ist den Varianten, dass sich die, die sie äußern, als geistreich oder Spaßmacher darstellen und beweisen, dass sie ‚durch die Blume‘ reden können. Als Erwachsene gehen wir in der alltäglichen Kommunikation recht selbstverständlich damit um, dass vieles nicht so ernst gemeint ist, wie es klingt. Alles wörtlich zu nehmen, könnte tatsächlich leicht in die Irre führen, und ein Alltag ohne Witz und Ironie wäre reichlich spröde, denn unernste Äußerungen können durchaus die Kommunikation unterhaltsam würzen. Kinder lernen die Spiele mit sprachlicher Äußerung und Gemeintem jedoch langsam, denn zunächst sind sie auf wörtliches Entschlüsseln eingestellt, und sagen auch direkt, was sie meinen. So zeigen sie auch ganz früh bei Laborversuchen eine Präferenz dafür, wenn freundliche Stimmen mit freundlicher Mimik gepaart sind und reagieren irritiert, wenn zu einer grimmigen Miene eine freundliche Stimme zugeschaltet wird. [114] Die allmähliche Entwicklung des Umgangs auch mit sprachlicher Mehrdeutigkeit, mit Witz und Ironie wird, zumindest was die Periode der frühen Kindheit betrifft, selten von der Spracherwerbsforschung behandelt. Für die mittlere und späte Kindheit sieht das anders aus. Dort ist das Thema vor allem in der Schule ein traditioneller und kontrovers diskutierter Gegenstand der Pädagogik. [115] Aber auch hier liegt der Schwerpunkt nicht auf den Erwerbs- und Verarbeitungsprozessen der Heranwachsenden, sondern eher auf dem Verhalten von Lehrkräften. Dabei wäre die kindliche Verarbeitung von Ironie und Sarkasmus gerade für die Entwicklungspsychologie eine interessante Fragestellung, und eine wichtige dazu, die lehrreich wäre für Erwachsene, die mit Kindern leben. Wenn ein Vierjähriger ver- <?page no="211"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 211 dreckt vom Spielplatz kommt und mit ärgerlicher Stimme empfangen wird: ‚Na, du siehst ja sauber aus! ‘, wird er Mühe haben, dies zu verarbeiten. Oder wenn die Mutter ins Kinderzimmer kommt und die Nerven verliert: ‚Du machst mich ganz krank mit deiner Unordnung! ‘, dann kann es sehr wichtig werden, ein verstörtes Kind zu trösten: ‚Ich meine nicht wirklich krank, aber ich würde mich freuen, wenn du ein bisschen aufräumst! ‘ Man muss bedenken, dass die Kinder vor der doppelten, zuweilen sogar dreifachen Aufgabe stehen: sie müssen Redewendungen lernen, mit Differenzen zwischen Sagen und Meinen vertraut werden und manchmal auch noch Unstimmigkeiten zwischen verbaler Äußerung und begleitendem Verhalten deuten lernen. Ersparen kann man den Kindern diese Lernprozesse nicht, denn es handelt sich um unerlässliche Bestandteile der Entwicklung von Interaktionsfähigkeit und sozialer Phantasie. Sie gehören nun entschieden nicht mehr zu den viel zitierten ‚robusten‘ Erwerbsprozessen, die alle gesunden Kinder - wie auch im ersten Teil dieses Buchs beschrieben - zuverlässig leisten. Deshalb sollten Erwachsene selbst soziale Phantasie aufbieten, um Kinder an den Umgang mit Witz, Ironie und auch Sarkasmus heranzuführen. Mit unsensiblem Verhalten lässt sich nämlich nachhaltig Schaden anrichten. Noch ältere Kinder können sehr irritiert sein, wenn in ihrem Beisein ironische oder metaphorische Äußerungen unter Erwachsenen fallen, vor allem dann, wenn sie selbst mit solchem Reden gemeint sind. Wenn sich zum Beispiel Erwachsene im Beisein eines Kindes scheinbar wohlmeinend darüber verständigen ‚sie ist ein helles Köpfchen, wenn es auch nicht danach ausschaut‘, so wird dies vermutlich lange in dem Kind rumoren! Erwachsene sollten selbst soziale Phantasie aufbieten, um Kinder an den Umgang mit Witz, Ironie und auch Sarkasmus heranzuführen. <?page no="212"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 212 Die Entdeckung der Schriftkultur in der kindlichen Entwicklung W enn es heißt, Schriften seien das Medium, um die flüchtige, gesprochene Sprache abzubilden und damit dauerhaft zu machen, so ist damit zunächst einmal nichts Falsches gesagt. Dies allein wäre allerdings eine völlig unzureichende Kennzeichnung der vielen Bedeutungen von ‚Literalität‘ (englisch: ‚literacy‘). Schrift erlaubt nicht nur, gesprochene Mitteilungen und vorhandenes Wissen festzuhalten. Auch erschöpft sich die Aneignung der schriftsprachlichen Kompetenz keineswegs im Erwerb der Fertigkeiten des Lesens und Schreibens. Der sichere Umgang mit Schriftlichem kann vielmehr neues Bewusstsein über Sprache und Kommunikation eröffnen und damit die soziale Praxis ebenso entscheidend verändern wie die Einstellungen zu dem, was man schon weiß. Was sich aus schriftlichen Quellen gewinnen lässt, addiert sich also nicht einfach zu dem, was die konkrete individuelle Erfahrung bietet - es durchdringt ihren Horizont und reichert die Weltkenntnis an. [116] Dass Literalität in letzter Zeit so intensiv auch im Zusammenhang mit der Bildung von Kindern im Vorschulalter diskutiert wird, macht deutlich, dass als ‚literal‘ nicht einfach der Personenkreis bezeichnet werden kann, der in den ersten Schuljahren eine Einführung in die ‚Kulturtechniken‘ von Lesen und Schreiben erhalten hat. In allen Schriftkulturen beginnt die persönliche Bekanntschaft mit Literalität lange vor der Schulzeit, und sie kann sich in sehr unterschiedlichem Ausmaß weit über diese hinaus entfalten. <?page no="213"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 213 Zu den Begriffsinhalten von Literalität E inige Erläuterungen zur Begrifflichkeit sind hier umso nötiger, als im vorigen Kapitel ja schon einmal die Wörter ‚literal‘ und ‚nicht-literal‘ eingeführt worden sind. Von literalem, wörtlich zu nehmendem Sprachgebrauch war in dem zurückliegenden Kapitel dann die Rede, wenn in den Äußerungen eine weitgehende Deckungsgleichheit von Gesagtem und Gemeintem herrscht. Und wie Kinder demgegenüber mit den verschiedenen Formen nicht-literaler mündlicher Sprache - von Redewendungen über Witz bis Ironie - umzugehen lernen, ist dort das Thema gewesen. Nun wird zu zeigen sein, wie Kinder sich auf die Welt der Schriften zubewegen. In vielen Teilen der Welt leben die Menschen in einer Umgebung, in der Schrift allgegenwärtig ist: Sie haben Ausweispapiere, die in gedruckten Wörtern und Zahlen Daten über ihre Person enthalten. Überall gibt es Straßennamen, Werbung, Preisetiketten, Verbotsschilder, Zeitungskioske, Buchhandlungen, Bibliotheken. Die Menschen schreiben Einkaufszettel, um im Supermarkt nichts zu vergessen, notieren Küchenrezepte und arbeiten sie ab, sie machen Tagebuchnotizen, entwerfen Reden, schreiben Briefe und elektronische Botschaften, Kinder schreiben Schulaufsätze und Diktate, Schriftsteller Gedichte und Romane, und Gelehrte verfassen wissenschaftliche Bücher und Abhandlungen. Um in solche Vielfalt des Schriftlichen einige Ordnung zu bringen, gibt es den Vorschlag, je nach Inhalt, Gebrauchswert und Absicht zwischen ‚konzeptionell mündlichen‘ und ‚konzeptionell schriftlichen‘ Dokumenten zu unterscheiden. [117] Einkaufszettel, die wirklich nur als kurzfristige Gedächtnisstütze dienen, aber auch elektronische Nachrichten, für die oft ganz ähnliche Stilmittel benutzt werden, wie man sie am Telefon äußert, haben demnach konzeptionell mündlichen Charakter, obwohl sie schriftlich niedergelegt sind. Ein Vortrag vor einem Publikum, der im Detail <?page no="214"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 214 vorbereitet wurde, gilt dagegen als konzeptionell schriftlich, obwohl er im mündlichen Medium präsentiert wird. Nähe und Distanz in der Kommunikation zu bedenken kann hilfreich sein, um den Kern dieser Unterscheidungen zu begreifen: Gegenseitiges Verstehen im direkten Gespräch ist leicht auch dann möglich, wenn die darin ausgetauschten sprachlichen Äußerungen bruchstückhaft bleiben. Denn die Beteiligten können sich auf eine Menge an Hinweisen aus der Situation, aus dem sprechbegleitenden Verhalten und aus der Erinnerung an Erfahrungen verlassen, die man miteinander gemacht hat. Sie alle statten das Gesagte mit viel Mit-Gemeintem aus. Dagegen entfallen solche Hinweise bei schriftlich Niedergelegtem, wenn es nicht nur medial, sondern auch konzeptionell schriftlichen Charakter hat. Der Kontext, in dem konzeptionell schriftliche Texte verfasst werden, ist eben ein anderer als der, in dem sie zur Kenntnis genommen werden. Und für das, was die Bibliotheken der Kulturen in aller Welt enthalten - aber auch für das, was zum Beispiel als Gebrauchsanweisung den Medikamenten beiliegt - gilt: Es ist nicht für bestimmte Individuen im direkten Kontakt, sondern für ein Publikum von interessierten Lesenden formuliert und enthält über den ganz autonom für sich stehenden Text hinaus keine Bezüge zur individuellen Nutzung oder zu gemeinsamen Erfahrungen, die dem Verstehen zuarbeiten könnten. Die Verarbeitung solcher Texte kann deshalb eine in hohem Maße konstruktive Leistung sein. Damit bietet die Schrift, konzeptionell mündlicher wie auch konzeptionell schriftlicher Art den Menschen eine überwältigende Fülle an Möglichkeiten, Botschaften auszutauschen. Und man begreift, welche kostbaren Chancen eine geläufige Verfügung über Lesen und Schreiben für die Teilhabe an Alltags- und an intellektuellen Kulturen verspricht. Kein Wunder, dass das Thema der Partizipation an der Die Ermöglichung der Teilnahme an der Welt der Literalität ist ein überragendes Ziel in den Bildungseinrichtungen! <?page no="215"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 215 Welt der Literalität in den Bildungseinrichtungen eine so überragende Rolle spielt. Und es kann nicht überraschen, dass Kompetenzen im Textverstehen und Texte-Verfassen als ein Gradmesser für Schul- und Lebenserfolg gelten, und jede Anstrengung nötig erscheint, um möglichst allen Kindern Wege zur Schriftlichkeit zu ebnen. Es ist dringend notwendig, dies als Verpflichtung der Erwachsenenwelt gegenüber den jeweils nächsten Generationen und speziell als eine Aufgabe der Bildungsinstitutionen herauszustellen. Denn eine von der Natur bereitgestellte Disposition zum Lesen- und Schreiben-Lernen ist uns nicht in die Wiege der genetischen Ausstattung gelegt. Anders als bei manchen anderen lebensnotwendigen sensu-motorischen Tätigkeiten, für die sich Lerndispositionen über viele Jahrtausende der Menschheitsgeschichte herausgebildet haben - wie etwa für das Laufen-Lernen auf zwei Beinen oder das Sprechen- und Verstehen-Lernen der Sprachen, die die Umwelt bietet - gibt es keine von vornherein verfügbare Ausrüstung, die garantieren könnte, dass die Fähigkeiten zum Lesen und Schreiben allein durch Vorbild und implizites Lernen über die Selbsttätigkeit entstehen. Dazu ist der Schriftgebrauch eine zu junge Erfindung in der Evolution. Vorstufen zur Schrift in Form von Bilddarstellungen oder einfachen Umrisszeichnungen für die Abbildungen von Tieren und Naturerscheinungen finden sich bereits in vorgeschichtlichen Höhlen. Sie wurden dann systematisch seit etwa 5000 Jahren weiter entwickelt. Diese Zeichensysteme sind insofern mehr oder weniger leicht zu ‚lesen‘, als sie entweder die Objekte, die gemeint sind, in der Form von ähnlichen Wiedergaben veranschaulichen, oder als abstrakte Zeichen für sie in engen Gemeinschaften (z.B. für den Handel) verabredet wurden. Die Revolution in der Schriftentwicklung ereignete sich jedoch erst im zweiten Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung, als die Zeichen nicht mehr direkt für die Inhalte, sondern für deren lautliche Benennungen (in Form von Silben, Konso- <?page no="216"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 216 nantenfolgen, und Wörtern mit vollständigem Alphabet) zu stehen begannen. [118] Mit der Schriftaneignung werden vorhandene neuronale Schaltkreise um neue Dimensionen und Leistungen erweitert A uf welche Weise lernen Kinder Schreiben und Lesen? Wie schon angedeutet, sind bei der Aneignung der Schriftsprache Verarbeitungsvorgänge gefordert, die nicht so verlässlich angeregt werden wie der zunächst einmal ganz implizit gesteuerte mündliche Spracherwerb. Beim Schrifterwerb sind analytische und konstruktive Leistungen im Spiel, ist also auch explizites, dem Bewusstsein zugeführtes Lernen beteiligt. Wohl auf keinem anderen Gebiet liefert die Neuropsychologie so unmittelbar nützliche Informationen darüber, was Kinder im Einzelnen leisten, wenn sie die Schrift erobern, und darüber, wie sich diese Prozesse pädagogisch begleiten lassen. Die Forschung auf diesem Gebiet hat, wie überhaupt neurowissenschaftliche Erkenntnis, ihren Ursprung in Entdeckungen, die schon ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts empirisch darüber gesichert werden konnten, welche pathologischen Veränderungen im Verhalten mit welchen lokalen Schädigungen im Gehirn zusammenhängen. Auf diese Weise hat sich seither eine Reihe von Verantwortungsbereichen der Hirnregionen für die Steuerung bestimmter Tätigkeiten identifizieren lassen. Wohl auf keinem anderen Gebiet liefert die Neuropsychologie so unmittelbar nützliche Informationen darüber, was Kinder im Einzelnen leisten, wenn sie die Schrift erobern, und darüber, wie sich diese Prozesse pädagogisch begleiten lassen. <?page no="217"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 217 Erst in jüngerer Zeit werden diese neuropsychologischen Zusammenhänge auch auf das Lesen- und Schreiben-Lernen im Kindesalter systematisch erforscht. Glücklicherweise ist kürzlich über diese seit etwa zwei Jahrzehnten vor allem in wissenschaftlichen Zeitschriften publizierte Literatur, die fachlichen Laien nicht leicht zumutbar ist, eine Buchpublikation erschienen, die auch für nicht einschlägig vorgebildete Leserinnen und Leser ein Vergnügen bereithält. Sie vermittelt den Stand der Erkenntnisse anschaulich und gut verständlich. Das Buch stammt von dem Franzosen Stanislas Dehaene, einem der prominenten Spezialisten des Fachs, und ist erfreulicherweise schnell ins Englische und Deutsche übersetzt worden. [119] Kurz zusammengefasst, beschreibt der Autor, dass sich beim Schrifterwerb eines jeden Individuums gewissermaßen die Erfindung der Schrift, jene unvergleichliche Leistung der Menschheitsgeschichte, wieder ereignet. In diesem Lernprozess wird ein bestimmter Bereich in der linken hinteren Seh-Rinde (dort wo sich im Zuge langer Entwicklungsgeschichte in schriftloser Umgebung Verantwortungen für die Wahrnehmung von Objektmustern herausgebildet haben) umgewidmet und an andere Regionen angeschlossen, die für Sprechen und Verstehen bereits aktiv sind. Auf diese Weise geschieht beim Schrifterwerb eine Verkoppelung jenes Areals im hinteren visuellen Kortex mit schon benutzten Schaltkreisen - nämlich mit der in der vorderen Hirnrinde gelegenen Region für motorische Leistungen des Sprechens, mit der in der hinteren Hirnrinde gelegenen Region zur auditiven Verarbeitung gesprochener Sprache, sowie mit den im frontalen Hirn angesiedelten Organen der Sinnentnahme. Damit wird also die Schrifterkennung in die Steuerungen der mündlichen Kommunikation eingebunden und ein neues Medium zu den Sprachkompetenzen hinzugewonnen. Inzwischen ist dieses kleine Areal im linken hinteren Kortex für viele existierende Schriften als Eingangspforte für Buchsta- <?page no="218"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 218 ben und Ziffern nachgewiesen worden. Es prüft Zeichenfolgen daraufhin, ob es sich dabei um schriftmögliche Muster handelt, zerlegt potentielle Wörter in kleinste Elemente, setzt sie neu zusammen und leitet sie an die genannten für lautsprachliche Tätigkeiten zuständigen Schaltkreise weiter, so dass Klang und Sinn geschriebener Wörter und Texte wieder hergestellt werden. Diese Vorgänge geschehen beim Lernbeginn Schritt für Schritt. Sie können jedoch derart automatisiert werden, dass sie beim geübten Lesen gleichzeitig und parallel ablaufen, so dass der Eindruck einer unmittelbaren Sinnentnahme aus dem Schriftbild entstehen kann. Bei schwierigen und fremdsprachlichen Texten werden aber auch geübte Erwachsene sich dabei beobachten, wie ihnen die Umsetzung des Schriftbilds in die (leise) Artikulation beim Verständnis hilft. Über das Netz der miteinander verbundenen neuronalen Aktivitäten von Buchstabenerkennung, Sprechmotorik und auditiv vermittelter Sinnentnahme hinaus, wie sie in der Abbildung veranschaulicht werden, sind in den letzten Jahren Erkenntnisse über die Beteiligung einer weiteren neuronalen Instanz bei der Schriftverarbeitung gewonnen worden: nämlich die Beteiligung des im primären motorischen Rindenbereich gelegenen Areals für Hand- und Fingerbewegungen. Damit richtet sich verstärkt ein neu- Erschließung von Aussprache und Lautbildung Erschließung des Sinnes Absteigende Aufmerksamkeit und serielles Lesen Visuelle Eingangssignale Visuelle Form der Wörter Steinhirn hinteres Hirn <?page no="219"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 219 ropsychologisches Interesse auch auf das Schreiben mit der Hand als einer motorischen Teilleistung innerhalb der Schaltkreise, die beim Lesen zusammenarbeiten. Die Schreiberfahrung dürfte sich damit als eine wichtige Komponente der Entwicklung von funktioneller visueller Verarbeitung der Schrift erweisen. Frühe schreibmotorische Übungen arbeiten offenbar der Herstellung von inneren Bildern der Buchstabenformen und damit ihrer visuellen Erkennung zu. Und umgekehrt scheint die Wahrnehmung der geschriebenen Muster die Erfahrung der Schreibbewegungen zu beleben und zu festigen. Das Prinzip solcher sensu-motorischen Koppelungen ist im ersten Teil dieses Buchs unter dem Stichwort kategoriale Wahrnehmung von Sprachlauten schon einmal beschrieben worden. Es wundert im Grunde nicht, dass diese Zusammenhänge nun (mit den Mitteln bildgebender neurologischer Verfahren) auch für die produktive und rezeptive schriftliche Sprachtätigkeit nachgewiesen werden. Man hat bei Kindergartenkindern, die zuvor betrachtete Buchstaben in einem Bilderbuch wiedererkennen sollten, einen Unterschied in der neuralen Aktivität im Bereich der von Dehaene beschriebenen ‚Eingangspforte für Schriftzeichenformen‘ im visuellen Kortex nachweisen können - je nachdem, ob sie im Lauf der Untersuchung die Buchstaben (wie auch immer ansatzweise) selbst nachgezeichnet oder ob sie sie nur gründlich betrachtet hatten. Mehr noch: man hat auch beobachtet, dass das eigenhändige Abmalen von vorgegeben Buchstaben eine stärkere Wirkung zeigt als das Nachfahren von gepunkteten Linien dieser Buchstaben oder das Tippen des entsprechenden Buchstabens auf einem Tablet-Computer. Es wird vermutet, dass es gerade die geringe Ge- Das eigenhändige Abmalen von vorgegeben Buchstaben zeigt eine stärkere Wirkung als das Nachfahren von gepunkteten Linien dieser Buchstaben oder das Tippen des entsprechenden Buchstabens auf einem Tablet-Computer. <?page no="220"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 220 nauigkeit und damit größere Variabilität beim eigenhändigen Abmalen ist, die Kindern dabei hilft, sich Gestalt und Komponenten einzuprägen, die für eine Buchstabenform wichtig sind. [120] Drei Gedankengänge müssen hier angeschlossen werden. Der erste: Da nicht mit einer genetischen Disposition - also nicht mit von vornherein installierter Lernbereitschaft zum Schrifterwerb - zu rechnen ist, erscheint es zur Vorbereitung auf dieses so produktive kulturelle Lernprojekt wichtig, dass kleine Kinder möglichst früh neugierig auf die Schrift werden. Die Umgebung kann viel dazu beitragen, dass es für Kinder zum persönlich motivierenden Anliegen wird, unbedingt das auch zu können, was andere offenkundig mit so viel Interesse tun. Der zweite Gedankengang: Im Prozess der Eroberung der Schrift müssen Kinder auf den direkten Schluss vom Wort-Bild auf die Bedeutung zu verzichten lernen - schon ganz früh rufen manche kleinen Kinder ‚TAXI‘, wenn ihnen ein Auto mit dieser Aufschrift öfters begegnet ist und sie erfahren haben, wofür man so ein Auto anhalten kann. Sie müssen stattdessen Buchstabenfolgen mit Lauten verbinden, um zu Bedeutungen zu gelangen, die sich nicht (wie beim TAXI oder dem großen roten A für Apotheke) direkt aus dem Bild erschließen. Schließlich der dritte Gedankengang: Es scheint wichtig zu sein, die Bedeutung der frühen Ansätze von Schreibbewegungen zu würdigen. Für Kinder ab etwa vier Jahren, wenn der feinmotorische Entwicklungstand dazu erreicht ist, können sie offenbar sehr hilfreich für den künftigen Schrifterwerb sein. Kinder an die Schrift heranführen! Den direkten Schluss von Wort- Bildern auf die Bedeutung müssen Kinder überwinden! Früh damit beginnen, Buchstabenverbindungen zu malen! <?page no="221"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 221 Die Neugier wecken B ücher im Hause, Eltern, die sie aus den Regalen holen und sich mit sichtbarem Interesse und Vergnügen in sie vertiefen, ältere Geschwister, die Schularbeiten machen, dazu auch ihre Computer benutzen; Großeltern oder andere zugewandte Menschen, die aus Bilderbüchern vorlesen - das ist eine ideale Umgebung, die schon zweijährige Kinder unweigerlich und mit steigendem Alter mit immer größerer Spannung erfüllt: Was ist das, woraus so viel interessante Reaktionen entspringen? Die Erwachsenen reden eifrig miteinander, wenn sie am Morgen in die Zeitung schauen, und sie laufen zum Briefkasten, um zu schauen, ob man ihnen etwas geschrieben hat. Ein kleines Kind versteht das alles gar nicht wirklich. Aber so viel doch: wie wichtig muss es ein! Die große Schwester kann etwas, was ich auch gern könnte. Und wenn der Opa mich auf den Schoß nimmt, mich mit ins Buch schauen lässt und seine Stimme Geschichten erzählt, er dabei den Finger durch die Zeilen bewegt, dann höre ich eine ganz andere Sprache als sonst: ‚der Wind, der Wind, das himmlische Kind! ‘ Nicht alle Kinder finden solch ein Zuhause vor. Es gibt häusliche Umwelten mit wenig oder gar keinen Büchern, wo die Großen selbst nicht gerne lesen und nur das Nötigste schreiben, eher Formulare ausfüllen oder kurze Mitteilungen über das Handy senden; wo eine Grundschülerin keine Hilfe bei den Hausaufgaben findet, und es für den Grundschüler völlig in Ordnung erscheint, wenn er die Freizeit anderweitig verbringt als ab und zu nach einem Buch zu greifen. Seit langem wird darüber Klage geführt, wie stark Schulerfolge bei uns vom familiären Hintergrund abhängig sind. [121] Wen kann es wundern, dass dies so ist? Richtig bleibt, dass es eine zentrale Aufgabe der Schulen ist, Chancen für alle bereitzustellen. Aber sie sind nun einmal eine Instanz, die dem häuslichen Umfeld nachgeordnet ist, das seinerseits den wichtigen, primären Einfluss ausübt. <?page no="222"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 222 Kindertageseinrichtungen vor dem Schulalter, die in der Regel nähere Kontakte zu den Elternhäusern pflegen, sind gerade für diejenigen Kinder ein Segen, die an Literalität von Hause her nicht selbstverständlich herangeführt werden. Es geschieht inzwischen viel, um die Qualität der Einrichtungen gerade auch in diesem Bereich zu verbessern, sowohl was die Aus- und Fortbildung des Personals betrifft, wie auch was Räumlichkeiten und ihre Ausstattung angeht. In den Kitas gibt es heute Leseecken mit Büchern und einladenden Sitzgelegenheiten; es gibt ‚Büroecken‘ mit Tischen, an denen gemalt werden kann und spontane Schreibversuche stattfinden, wo Papiere aller Art, Stifte, Scheren und Kleber, Buchstaben aus Holz oder Plastik, Stempel und vieles mehr bereitliegen. Die Kinder zieht das alles an. Sie können sich gegenseitig Bilderbücher ‚vorlesen‘, Geschichten malen, sie vielleicht sogar mit Annäherungen an ihren geschriebenen Namen ‚signieren‘. Sie können Buchstaben zusammensetzen, für ein krankes Kind ein Briefchen gestalten oder der Erzieherin etwas diktieren, das sie mit nach Hause nehmen möchten. Sie wissen ja meist schon ganz gut: was aufgeschrieben ist, das ist sicher, das wird nicht vergessen. Oder sie diktieren dem Erzieher eine selbst ausgedachte Geschichte, und verblüffen ihn damit, wie sie dabei ganz unwillkürlich Klang und Stil ihrer Sprache verändern - manche sind tatsächlich im mündlichen Medium schon auf dem Weg zu konzeptioneller Schriftlichkeit! Intensiver noch als für die Grundschulen gilt für die Kindertagesstätten, dass Erzieher und Erzieherinnen auf die Zusammenarbeit mit den zu Hause Verantwortlichen angewiesen sind und diese Beziehungen auch pflegen müssen. Es ist von großer Bedeutung, dass Eltern erfahren, was den Kita-Alltag ausmacht und welche Ziele man dort verfolgt - und von großer Bedeutung ist auch, dass das Kitapersonal Kennt- Die Zusammenarbeit von Kitas mit den Elternhäusern ist wichtig! <?page no="223"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 223 nis über die häuslichen Bedingungen der einzelnen Kinder hat. Das eine ist so wichtig wie das andere, nicht zuletzt um die Kinder, und wo es not tut auch die Erwachsenen, zur Aufgeschlossenheit gegenüber Literalität anzuregen. Mit großem Recht wird immer wieder betont, wie wichtig an beiden Orten, zu Hause wie in der Kita, das Vorlesen ist - oder besser: das Beteiligen der Kinder an gemeinsamer Beschäftigung mit Büchern. Es gibt dafür so viele gute Gründe: Das Betrachten von Bilderbüchern miteinander, das Vorlesen und Erzählen von Geschichten bewirkt eine sehr bedeutsame Konzentration nicht nur auf die Inhalte, die dabei zur Sprache kommen, sondern auch auf die Beziehungen zwischen den Akteuren. Die Kinder genießen die Situation, in der eine erwachsene Person sich intensiv auf sie einstellt, seien es kleine Gruppen von zwei, drei Kindern in der Kita, die sich mit dem Erzieher über ein Buch beugen, sei es die Situation einer intimen Zweierbeziehung zu Hause. Die Kinder registrieren genau, wie sich die Stimme beim Vorlesen verändert und wie sich in der Sprache ganz andere Wörter und Formen auftun als gewohnt. Die Vorlesesituation ist ein wunderbares Mittel, um die Phantasie anzuregen, um Personen, die man gar nicht kennt, mit ihren Motiven und Gefühlen in die nahe Vorstellungswelt zu holen oder abenteuerliche Ereignisse aufleben zu lassen. [122] Solche Situationen sind eine besondere Art der Sprachförderung: sie regen zu weiterführenden Gesprächen an, und sie machen zugleich neugierig auf Schrift, die so vieles verspricht. Die Früchte lassen sich nachweisen: Jugendliche, die berichten, dass sie im Vorschulalter viel Vorlesen erlebt haben, geben in einem Alter jenseits der ersten Grundschuljahre an, mehr Freude am Lesen zu haben, und sie schildern ihr Freizeitverhalten und ihre Die Kinder registrieren genau, wie sich die Stimme beim Vorlesen verändert und wie sich in der Sprache ganz andere Wörter und Formen auftun als gewohnt. <?page no="224"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 224 Schulerfahrungen positiver als diejenigen, denen nicht oder wenig vorgelesen wurde - und dies unabhängig vom sozio-ökonomischen Status der Familien. [123] Es gibt eine Fülle von Anregungen, Materialien und Programmen für Eltern, nicht nur in deutscher Sprache. [124] Die Stiftung Lesen (www.stiftunglesen.de) hält ein großes Angebot zum kostenlosen Herunterladen bereit. Sie führt unter anderem seit 2007 mit Unterstützung der Stiftung Deutsche Bahn AG und der Wochenzeitung DIE ZEIT jährlich ‚Vorlesestudien‘ mit wechselnden inhaltlichen Schwerpunkten durch, die wissenschaftlich ausgewertet werden. 2013 ist eine ‚Neuvermessung der Vorleselandschaft in Deutschland‘ vorgenommen worden. Danach ist häufiges Vorlesen zwar in 70% der Familien ein ritualisierter Bestandteil des Alltags, in etwa 15% wird jedoch nur gelegentlich vorgelesen, und in weiteren 15% gibt es das noch gar nicht. Die Situation hat sich seit der ersten Erhebung verbessert, und zwar besonders bei wenig bildungsbegünstigten Familien und: für Väter - dies Letztere sogar auf alle Bildungsschichten bezogen! Das ist ermutigend und bestärkt die Erwartung, dass durch weitere Anstrengungen, an denen sich auch Bibliotheken und ehrenamtliche Lesepaten in den Kommunen beteiligen, das Vorleseklima in den Familien weiterhin nachhaltig verbessert werden kann. Schriftzeichen als Darstellung von Sprachlauten auffassen und so zu Bedeutungen gelangen D as ist der Schlüssel zum Lesen-Lernen. Die Kinder bewegen sich Schritt für Schritt auf diese entscheidende Etappe des Lernwegs zu, bevor sie dann in den ersten Schuljahren auch die Regeln der Rechtschreibung erlernen. Vor nunmehr 35 Jahren ist ein Buch über Literalität vor der Schule erschienen, in dem Emilia Ferreiro und Ana Teberosky ihre Arbeit mit vierbis sechsjährigen Kindern in Lateinamerika <?page no="225"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 225 beschrieben haben. [125] Unter anderen war es dieses Werk, das ein Umdenken in der Pädagogik des Schrifterwerbs bewirkt hat. In Deutschland verbindet sich sein Einfluss eng mit dem ‚Spracherfahrungsansatz‘. [126] Bis dahin waren zahlreiche aus der Sicht von erwachsenen lesekundigen Fachleuten entwickelte didaktische Anleitungen in der Praxis empfohlen, wie man schon vor dem Schulunterricht bei Kindern die Sinne für Teilleistungen wecken kann, die zur Schrifterkennung hinführen. Ganz anders hatte sich dieses Projekt konsequent auf die Perspektive lernbegieriger Kinder eingelassen, um deren konstruktive Gedankentätigkeit über das zu erkunden, was sie über ihre eigene malende, kritzelnde, Linien ‚schreibende‘ und interpretierende Tätigkeit berichten: Die Autorinnen wollten wissen, auf welche Problemlösungen die Kinder kommen, wenn sie sich an so komplizierte Dinge wie Lesen und Schreiben heranarbeiten, die auf intuitive Weise allein einfach nicht beherrschbar sind. Deshalb haben sie die Mal- und Schreibversuche der Kinder beobachtet und in Gesprächen mit ihnen die wechselnden Hypothesen erfahren, die die Kinder über Schrift aufstellen und ausprobieren. Was ist eigentlich lesbar und was nicht? Zunächst entwickeln Kinder Vermutungen darüber, was Schrift von Bildern unterscheiden könnte. Beides steht für etwas, das man kennt, und beides lässt sich mit Linien, Kurven und Strichen herstellen. Nur erinnern Bilder an die Umrisse der dargestellten Objekte, sind also zweidimensional-ikonische Darstellungen, Schrift aber nicht. Auch haben Teile der Schrift nichts mit Teilen der Objekte zu tun, wie das bei Bildern der Fall ist. Schrift, so gehen anfängliche Hypothesen, muss also abgelöst von Gegenständen und irgendwie willkürlich aber doch regelhaft in Linienform angeordnet sein. Wie viele Teile von Schrift (Buchstaben) müssen denn zusammenkommen, damit man tatsächlich etwas ‚lesen‘ kann? Als erste Vermutungen äußern die Kinder: es müssen mindestens drei sein, und außerdem müssen sie verschieden sein: NNN kann <?page no="226"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 226 man nicht ‚lesen‘. Zudem könnte es zunächst auch sinnvoll sein, dass gewisse Hinweise, z.B. auf die Größe der Dinge, nicht nur bei Bildern, sondern auch in der Schrift sichtbar werden. Sagt man zu einer Vierjährigen: schreib doch mal ‚Kuh‘, so wird sie vermutlich eine lange Kette von Kringeln, Kreuzen und Strichen schreiben, für ‚Marienkäfer‘ eine ganz kurze, denn der ist ja so klein! Erste wichtige Erkenntnisse führen also schon einmal zu der Zuversicht, dass mit Schrift etwas benannt werden kann, sogar etwas, das man nicht sehen kann: der eigene Name. Da ohnehin in dem Alter ab vier die Selbstfindung Fortschritte macht und auch Besitzverhältnisse wichtig werden, gehört es zu den besonderen Errungenschaften, dass man etwas mit dem eigenen Namen belegen kann - wenn dabei auch ‚Amira‘ erst einmal als ‚ANI‘ herauskommen mag - was Amira aber durchaus als ihren Namen anerkennt. Und wenn dann so wichtige Botschaften ausgetauscht werden wie ‚ISchmadisch‘, also: ‚ich mag dich‘, dann ist der Durchbruch geschafft: Mit Schreiben kann ich ausdrücken, was ich sagen kann, sogar heimlich und aus der Ferne! [127] Die Koppelung des sich für Schrifterkennung ausbildenden visuellen Areals an die Schaltkreise für Sprechen und lautsprachliches Verstehen ist angebahnt. Nun muss allerdings noch Folgendes begriffen werden: was als fließender Lautstrom gesprochen wird, besteht aus einzelnen aneinandergereihten Wörtern, die im Schriftbild voneinander abgetrennt erscheinen. Und: dass geschriebene Wörter aus Buchstaben bestehen, die - wie die Erwachsenen sagen - einen Namen haben, zum Beispiel ‚H‘. Wenn Hartmut nun aber darauf besteht, sein Name fange mir ‚A‘ an, muss er also begreifen, dass Wörter sich eben nicht aus Buchstabennamen zusammensetzen, sondern aus Zeichen für gesprochene Laute, die überdies auch noch, selbst wenn sie gleich aussehen (‚O‘), verschiedenen ausgesprochen werden können (wie bei ‚VOLLMOND‘). <?page no="227"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 227 Das ist Arbeit. Die Kinder sind mit Eifer bei der Sache, besonders, wenn sie dabei ermutigt werden ohne dass man sie spüren lässt, dass sie noch ‚Fehler‘ machen. Es sind keine Fehler, sondern konstruktive Schritte in diesem wichtigen Durchgangsstadium der Lernprozesse! Die so genannte ‚phonologische Phase‘ (‚schreib, was du hörst‘), ist nun erreicht. Damit erwerben die Kinder eine gute Ausgangsbasis für die Schulzeit, wo man zunächst dort ansetzen wird, dann allerdings (hoffentlich! ) bald dafür sorgt, dass die ‚orthografische Phase‘ eingeleitet wird. Denn das Regelsystem der Rechtschreib-Konventionen sollte beherrscht werden. Bis zu welchen Zeitpunkten die Grundschulen dies erfolgreich vermitteln müssen, darüber gibt es gegenwärtig allerlei Debatten. Kein Zweifel kann allerdings darüber bestehen, dass orthografische Kompetenz für die weitere Bildung ein äußerst wichtiges Sprungbrett ist. [128] Es dürfte klar geworden sein, wie eng das Lernen der Schrift an die Kenntnis der gesprochenen Sprache, die sie darstellt, gekoppelt ist. Je mehr Wörter im Mündlichen vertraut sind, und je mehr grundlegende grammatische Konstruktionen bekannt sind, desto mehr lässt sich im Schriftbild entschlüsseln und desto mehr Wörter kann man mit Schreibversuchen ansteuern. Hier tut sich ein großes Problemfeld auf, das in den Bildungseinrichtungen in einem Land wie unserem mit Nachdruck bearbeitet werden muss, wo viele Kinder sich zu Schulbeginn in anderen Sprachen besser auskennen als in derjenigen, die die Landessprache verschriftlicht. [129] Dass der Lese- und Schreibunterricht hierzulande in Deutsch geschieht, ist die Regel. [130] Umso wichtiger ist es, dass Kinder Die Kinder sind mit Eifer bei der Sache, besonders, wenn sie dabei ermutigt werden ohne dass man sie spüren lässt, dass sie noch ‚Fehler‘ machen. Es sind keine Fehler, sondern konstruktive Schritte in diesem wichtigen Durchgangsstadium der Lernprozesse! <?page no="228"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 228 zum Schulbeginn hierfür eine gute lautsprachliche Basis in dieser Sprache mitbringen. Das unterstreicht die Bedeutung der Förderung in der deutschen Sprache in Kindertagesstätten für Kinder, die zu Hause wenig Anregung erfahren. Insbesondere für diejenigen Kinder, die Rückstände im Deutschen deshalb aufweisen, weil zu Hause eine andere Familiensprache als Deutsch vorherrscht, unterstreicht es zusätzlich die große Bedeutung der Zusammenarbeit von Kita und Elternhaus. Das häusliche Umfeld muss dazu angeregt werden, mit den Kindern in der Familiensprache Bilderbücher anzuschauen und ihnen vorzulesen, damit Schrift auch in dieser Sprache für die Kinder attraktiv wird. Es gibt zumindest für einige Sprachen, die hier heimisch sind, mehrsprachige Bilderbücher und eine Menge Erfahrungen, dass Kinder sich in der Kita besonders gern und aufmerksam mit deutschsprachigen Geschichten befassen, wenn sie die Inhalte zu Hause auch in ihrer Familiensprache kennenlernen. [131] Nicht in jedem Fall wird sich eine gleichermaßen geläufige Literalität in der Familien- und der Landessprache erreichen lassen. Unter günstigen Umständen besteht jedoch die Chance dazu. Denn wenn der Schriftcode, also das Prinzip des Zusammenhangs von schriftlichen Zeichen und gesprochenen Lauten, einmal geknackt ist und in der Folge die Einübung in seine Anwendung geleistet wird, dann darf mit Übertragungen auf andere Sprachen mit ihrer Schrift (auch bei unterschiedlicher Lauttreue der Schriften! ) gerechnet werden. Die Schreibmotorik einüben W ie weiter oben erwähnt, ist die interdisziplinäre Forschung damit beschäftigt zu erkunden, inwieweit grapho-motorische Bewegungen die Buchstabenerkennung erleichtern, und wie Schreibbewegungen mit der Hand förderliche Wechselwirkungen zwischen Schreiben und Lesen in Gang setzen können. Das <?page no="229"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 229 sollte bei allen Erwartungen an die weitgehende Umstellung der schriftlichen Kommunikation auf digitale Medien eine deutliche Warnung vor einem radikalen Zurückdrängen der handschriftlichen Praxis beim Schrifterwerb sein. In Deutschland wird die Diskussion bisher vor allem bei den Grundschulverbänden und in der Tagespresse geführt. Zwar gab es Entrüstung über die (Falsch)-Meldung vom Jahresbeginn 2015, dass ausgerechnet Finnland, das in internationalen Bildungsvergleichen so gut dasteht, vorhabe, Bleistift und Kugelschreiber abzuschaffen und durch das Tippen auf Tastaturen zu ersetzen (tatsächlich geht es um die Einführung einer Druckschrift statt der gebundenen Schreibschrift, wenn auch zugleich um verstärkte Übung im Umgang mit iPad und Computer). [132] Aber es scheint so, als ob in deutschen Schulen die allgemeine Klage darüber, dass die Schreibfähigkeit der Schülerinnen (und noch mehr der Schüler) sehr betrüblich nachlasse, nicht allein in einen Zusammenhang mit der immer stärkeren Benutzung digitaler Medien gebracht wird. Ähnlich wie in dem Vorbild Finnland wird nämlich diskutiert, ob man nicht zur vermeintlichen Erleichterung für die Schülerschaft gut daran täte, ihr zumindest die gebundene Schreibschrift nicht mehr zuzumuten, die bisher meist nach der anfänglichen Druckschrift unterrichtet wird. Es existieren aber Berichte darüber, dass automatisierte gebundene Handschrift den älteren Schulkindern bei der Texterstellung entgegenkommt, also positiv einwirkt auf Planung, Organisation und Revision ihrer schriftlichen Produktionen. Auch hat sich erweisen lassen, dass Studierende für eine nachhaltige Verarbeitung des Stoffs davon profitieren, wenn sie während der Vorlesungen handschriftliche Notizen machen statt Gehörtes umfänglich in ihren Laptop einzugeben. [133] Weit im Vorfeld solcher Fragen der strukturierenden Verarbeitung bei der Textproduktion und der nachhaltigen Verankerung von Inhalten im Langzeitgedächtnis bei älteren Kindern und jun- <?page no="230"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 230 gen Erwachsenen zeichnen sich aber auch bei kleinen Kindern interessante Beobachtungen ab: Es sind deutliche Unterschiede zwischen der Wirkung feinmotorischer Bewegungen des Kopierens mit der Hand gegenüber dem Tippen auf Tastaturen festgestellt worden. So konnte bei 3-5jährigen Kindern überzeugend nachgewiesen werden, dass sie Buchstabenzeichen (die noch von keinem der Kinder überhaupt benannt werden konnten) aus einer Reihe von ablenkenden ähnlichen Mustern noch nach einer Woche sicherer wiedererkennen konnten, wenn sie sie die Buchstaben abgemalt hatten als wenn sie sie auf der Tastatur gesucht und eingetippt hatten. [134] Solche Befunde tragen zu der Erkenntnis bei, dass Wahrnehmungen und motorische Akte enge Verbindungen miteinander eingehen, um schließlich schreibend und lesend Bedeutungen zu erschließen. Für schulpolitische Entscheidungen über Druckschrift oder gebundene Schreibschrift - oder beides nacheinander - lässt sich aus solchen Informationen über die Wirkung unterschiedlicher feinmotorischer Übungen im Kindergarten natürlich kein eindeutiger Ratschluss zu gewinnen. Mutmaßungen sind jedoch erlaubt. Wenn Laut und Schrift nun einmal so unleugbar eng verkoppelt sind, wenn Kinder - wie in diesem Buch betont - über Melodie und Rhythmus der an sie gerichteten Ansprache in ihren Spracherwerb einsteigen, wenn also der Klang von Stimmen und die Prosodie der Rede für alle Kommunikation eine Bedeutung besitzt, die jeder nachvollziehen wird - und wenn wir schließlich beim Lesen poetischer Texte sie innerlich zum Klingen bringen können - dann kommt man kaum umhin, rhythmisch-flüssige Schreibschrift als ein Ausdrucksmittel zu schätzen, das hohe persönliche Geltung haben kann und das den Rang als Lernziel wohl verdient. <?page no="231"?> Weiterführende Hinweise und verwendete Literatur <?page no="232"?> Die ersten Jahre | Seite 1-26 232 Weiterführende Hinweise zu Teil I: Die ersten Jahre Motto, S. 7: Donald Davidson (1991): Subjektiv, Intersubjektiv, Objektiv. Merkur 11, 999-1014. S. 1014. 1 Eines dieser misshandelten Kinder wurde unter dem Namen ‚Genie‘ auch durch wissenschaftliche Untersuchungen bekannt (Curtiss 1977). Über das Schicksal dieses Kindes und andere Fälle von ‚wilden Kindern‘ berichtet Zimmer 1989, 21-47. 2 Bruer (2003, Kap. 2) hat diesen Kongress zum Anlass für eine ausführliche Diskussion des Themas genommen. 3 Über alle im Text kursiv gesetzten Unternehmungen kann man unter den angegebenen Stichworten Einzelheiten aus dem Internet erfahren. 4 Informationen zur frühkindlichen Hirnentwicklung finden sich zum Beispiel bei: Becker 2010, Braun 2012 und Hofmann 2005. Bei aller gebotenen Zurückhaltung, was die Erwartungen an pädagogisch direkt umsetzbare Erkenntnisse der Hirnforschung betrifft: Ein Bereich, in dem neuropsychologische Informationen ohne Zweifel wertvolle und pädagogisch umsetzbare Hinweise liefern, ist der Schriftspracherwerb. Hierauf gehe ich im zweiten Teil des Buches ausführlich ein. 5 Bruer (2003, Kap. 4, 131-183) liefert eine kompakte Diskussion über die ‚sensiblen Phasen‘. Einen aktueller kurzer Überblick: Peterander 2011. 6 Energischer Widerspruch gegen die Tendenz der letzten 20 Jahre, in Kitas eher Unterricht als freies Spiel anzubieten, findet sich bei Nicolopoulou (2010). Für eine ausgewogene Balance zwischen gelenktem Lernen und Angeboten zum kreativen Spiel und freiem Erkunden der Umwelt plädieren u.a. auch Ansari 2013; Leu 2005, 2009; Wohlwend 2011. 7 So lautet die freie Übersetzung des Titels eines kürzlich erschienenen Aufsatzes, der über diese Thematik referiert: Mehler, Nespor & Pena (2008): „What infants know and what they have to learn about language“. 8 Die überwiegend englischsprachigen Experimentalberichte über diese Zusammenhänge lesen sich für Nicht-Fachleute nicht leicht. Eine Übersicht relativ neuen Datums liefern: Gervain & Mehler 2010. Auf Deutsch gibt es einen Beitrag von Höhle (2004), der mit umfangreichen Belegen ausgestattet ist. 9 Über Methoden zur Aufzeichnung von Reaktionen bei Säuglingen informiert ausführlich ein ins Deutsche übersetzter Beitrag: Hennon, Hirsh-Pasek & Golinkoff (2000); ein knapper Überblick findet sich auch bei Schmitz & Höhle (2007). <?page no="233"?> Die ersten Jahre | Seite 27-43 233 10 Belegstellen für diese amerikanisch-japanische Kooperation: Kuhl et al. 2006; Kuhl 2007. 11 Der Übersichtlichkeit halber bleiben wir bei den Arbeiten der schon eingeführten Arbeitsgruppe. Die Daten dieser Untersuchungen finden sich bei Kuhl (2007). Sie sind mit ausführlichen Verweisen ausgestattet. 12 Über die viel diskutierte Motor-Theorie der Sprachwahrnehmung kann man sich bei MacNeilage, Davis & Matyear (2000) kundig machen. Eine neuere kritische Arbeit stammt von Galantucci, Fowler & Turvey 2006. 13 Eine Arbeit von Kuhl & Meltzoff (1984) untersucht, wie auf mit Mundbewegungen koordinierte und nicht koordinierte Lautung reagiert wird; eine viel beachtete Arbeit von Walker-Andrews (1997) registriert die verlässliche Zuordnung von Mimik mit fröhlicher/ trauriger Stimme. 14 Fersehen bringt kein Kind zum Sprechen. Es gibt hierüber einen lesenswerten Forschungsbericht bei Krcmar (2010). 15 Eine umfangreiche deutschsprachige Publikation über die Bindungsforschung, die auch klassische Texte enthält: Grossmann & Grossmann 2011; zur Öffnung über die Mutter-Kind-Beziehung hinaus: Ahnert 2008; 2010; Ahnert & Gappa 2010. 16 Wie früh bereits Babys Menschen imitieren, die sich intensiv mit ihnen beschäftigen, zeigt z.B. Meltzoff (2002). 17 Die Entdeckung der Spiegelneuronen durch eine italienische Forschergruppe um Giacomo Rizzolati gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts hat in der Folge für beträchtliches Aufsehen gesorgt (vgl. Rizzolati & Sinigaglia 2008). Am Anfang stand die im Labor aufgezeichnete Hirnaktivität bei Makkaken- Affen: Die Forscher hatten beobachtetet, dass dieselben Neuronen, die beim Greifen nach einem Gegenstand aktiv waren, auch ‚feuerten‘, wenn die Tiere nur zusahen, wie ein Versuchsleiter nach demselben Gegenstand griff. Viele neurologische Versuche sind in der Folge auch mit Menschen durchgeführt worden. Seit kurzem gibt es radikale Kritik daran, dass die Schaltkreise für handmotorische Leistungen auch als Basis für zwischenmenschliche psychische Einfühlung beansprucht werden: Hickok 2015. Das Buch liegt schon auf Deutsch vor. 18 Eine Forschungsgruppe um den amerikanischen Psychologen Michael Tomasello, der bei einem Max-Planck-Institut in Leipzig arbeitet, widmet sich besonders intensiv diesen Aspekten der menschlichen sozialen Handlungsbereitschaft: Tomasello 2002; Tomasello, Kruger & Ratner 1993. <?page no="234"?> Die ersten Jahre | Seite 44-54 234 19 Aus derselben Arbeitsgruppe stammen auch Untersuchungen über die Anfänge der Erkundung von Absichten anderer, vgl. Tomasello 2010. 20 Das Konzept der ‚Zone der nächsten Entwicklung‘ ist in den 1930er Jahren im Rahmen der Entwicklungspsychologie der ‚Kulturhistorischen Schule‘ erarbeitet worden, deren zentrale Figur Lev Vygotskij gewesen ist. Es zielt auf die Zusammenarbeit von Erwachsenen und Kindern bei deren Entwicklungsfortschritten und besagt: Was Kinder heute unter Anleitung und in Kooperation mit Älteren vollbringen, werden sie morgen selbständig ausführen können. Wenn man also erkundet, was die Kinder bereits ohne Unterstützung leisten können, dann erhält man Aufschluss darüber, was gestern entstanden ist. Erkundet man dagegen, was sie heute zusammen mit anderen leisten, dann ermittelt man die Möglichkeiten von morgen. Nur der Unterricht sei gut, so Vygotskij (2003, 298-304) - er meint damit keineswegs nur Schulunterricht, sondern generell die pädagogisch motivierte Zusammenarbeit von Älteren und Kindern -, der der Entwicklung vorauseilt und sie damit erst vorantreibt. 21 Solche Vorhersagen von später erwartbarem Sprachverhalten lassen sich zum Beispiel nachlesen bei Volterra, Caselli, Capirci & Pizzuto (2005) oder Rowe & Goldin-Meadow (2009). 22 Entsprechend warnen beispielsweise Johnston, Durieux-Smith & Bloom 2005 oder Kiegelmann 2009 vor unseriösen Versprechungen über die Wirkung der ‚Babyzeichen‘. Auch die immer wieder zitierte Langzeitstudie von Goodwyn, Acredelo & Brown (2000), die zwar eine große Zahl von Mutter-Kind- Paaren einbezogen und sogar Kontrollgruppen eingesetzt hat, weist methodische Schwächen auf. Sie gibt im Einzelnen wenig Auskunft über die Zusammensetzung der Versuchsgruppen und lässt jegliche Kontrolle möglicher alternativer Einflussfaktoren vermissen. 23 Auskunft über die Gebärdensprache der Gehörlosen findet sich z.B. bei Boyes Braem (1995) oder - in eher journalistischer, aber durchaus überzeugender Form - bei Oliver Sacks (1990). 24 Vgl. Nonn 2011, S. 46-66. Empfehlenswert ist als Überblick über Interventionsmöglichkeiten bei Sprachentwicklungsstörungen: Nußbeck 2007, Kap. IV, S. 72-136. 25 Eine knappe Übersicht über die Selbstbildentwicklung bieten: Fuhrer, Marx, Holländer & Möbes 2000. 26 Diese erste Untersuchung über dieses Phänomen der Selbsterkennung im Spiegel stammt von Amsterdam (1972). <?page no="235"?> Die ersten Jahre | Seite 55-62 235 27 Bischof-Köhler (2011) bringt ausführliche Informationen, so in Kap. 6: ‚Autonomie und die Geburt des Ich‘ und in Kap. 11: ‚Spiegelbild und Empathie‘. Eine unterhaltsame Lektüre ist der Bericht des britischen Entwicklungspsychologen Charles Fernyhough (2010) über die ersten drei Lebensjahre seiner Tochter. 28 In der deutschen Entwicklungspsychologie leiteten die Untersuchungen von Heinz Heckhausen zum Wettbewerbshandeln die Beschäftigung mit der Entstehung der Leistungsmotivation ein: Heckhausen 1962, 1965. 29 Die MacArthur Communicative Developmental Inventories (Fenson et al. 1993), die es für zwei Altersstufen in Lang- und Kurzformen gibt, sind zum Vorbild für viele Adaptionen geworden, auch für die deutsche Sprache: ELAN (Bockmann & Kiese-Himmel 2006), ELFRA (Grimm & Doil 2006), FRAKIS (Szagun, Stumper & Schramm 2009), wobei insbesondere FRAKIS auch Satzkomplexität und morphologische Entwicklung einbezieht. Zu interessanten Abweichungen bei deutschsprachigen Kindern von US-amerikanischen Befunden beim frühen Worterwerb vgl. Schipke & Kauschke (2011); zum Menetekel der nicht erreichten 50 Wörter im 18. Monat: Grimm (2003). 30 Noch einmal ein Hinweis auf Michael Tomasello (2010), der in einer Vorlesungsreihe das Thema ‚Warum wir kooperieren‘ bearbeitet hat und dabei immer wieder die anthropologische Besonderheit der Menschen gegenüber sogar den nächsten Verwandten im Tierreich hervorhebt, nämlich gegenseitige Absichten erschließen zu können. Das Bändchen enthält auch interessante Kommentare von einigen Fachkollegen und -kolleginnen. 31 Vgl. z.B. den Beitrag von Heike Behrens (1999) in einem Band über das Lexikon im Spracherwerb, der auch andere lesenswerte Aufsätze enthält. 32 Beispielsweise findet man im vierten Kapitel des schönen Buchs von Rosemarie Tracy „Wie Kinder Sprachen lernen“ (2008) die ‚Meilensteine‘ des frühen Grammatikerwerbs beschrieben. 33 Einige Beispiele von Dokumentationen bilingualen Spracherwerbs: Zwei sind im selben Jahr erschienen: Köppe (1997) (linguistisch orientiert, behandelt drei Langzeitbeobachtungen mit dem Sprachenpaar deutsch-französisch) und Lanza (1997) (soziolinguistisch orientiert, berichtet über zwei Kinder, die mit Norwegisch und Englisch aufwachsen). Beide Bücher haben wissenschaftlichen Anspruch, während Kielhöfer & Jonekeit (1984) und Montanari (2002) - sehr unterschiedlichem Entstehungsdatums - eher der Ratgeberliteratur zuzurechnen sind. Das Buch von Grosjean (2010) ist zwar weder eine Beobachtungsstudie noch ein Ratgeber, bietet jedoch die gut lesba- <?page no="236"?> Die ersten Jahre | Seite 63-74 236 re Dokumentation des Lebenswerks eines (selbst zweisprachigen) Autors vieler Schriften zur Mehrsprachigkeit. 34 Schlak (2003) wirft einen kritischen Blick auf die ‚kritische Periode‘ mühelosen Zweispracherwerbs. 35 Zu Motivation als die günstige Voraussetzung für das Sprachenlernen: List 2002. 36 Osgood 1963, S. 751: „The thing we must avoid, I think, is ‚explaining‘ sentence understanding and creating by simply putting a new homunculus in our heads - in this case, a little linguist in every brain.“ 37 Das Prinzip less is more, das Kinder gegenüber Erwachsenen beim bilingualen Spracherwerb zu bevorteilen scheint, wurde von Elissa Newport (1990) formuliert. 38 So etwa die eng auf die Verbstellung des Deutschen als Zweitsprache konzentrierte Arbeit von Haberzettl (2005). Dagegen hat z.B. Jeuk (2003), wenn auch viel weniger detailliert, Kinder zu unterschiedlichen Zeitpunkten im Kindergarten beobachtet und dabei auch nonverbales Verhalten mitberücksichtigt. 39 Eine knappe Zusammenfassung der Entwicklungsstufen nach Piaget findet sich in Wilkening, Freund & Martin 2008, S. 42-48. 40 Von dem wichtigen Buch der Psychologin Annette Karmiloff-Smith (1992) liegt leider keine deutsche Übersetzung vor. 41 Genaueres zu diesen Untersuchungen findet sich bei: Karmiloff-Smith (1992) in Kap. 2, S. 47-63. 42 Diese Stichworte tauchen zum Beispiel in den Buchtiteln von Dornes 1993, von Gopnik, Meltzoff & Kuhl 2007 und Gopnik 2009 auf. Auch wenn noch so deutlich auf die Parallelität zu wissenschaftlichen Theorien hingewiesen wird (etwa bei Gopnik & Wellman 1992): es erscheint mir gewagt, den Theoriebegriff so weit auszudehnen, dass er ohne weiteres auch subjektiv sinnhafte und alltäglich handlungsanleitende Meinungen mit abdeckt. In den Wissenschaften ist dieser Begriff an Öffentlichkeit und Überprüfbarkeit gebunden und bezieht sich auf explizit ausformulierte Systeme von aufeinander bezogenen Aussagen. <?page no="237"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! | Seite 75-89 237 Weiterführende Hinweise zu Teil II: Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! 1 In seinem Buch von 1991 (S. 4f.) benutzt Josef Perner die Zeichnungen von Wilhelm Busch aus Max und Moritz, um das Missverständnis der Witwe Bolte zu illustrieren. 2 Die erste Untersuchung zur Erkundung der kindlichen theory of mind wurde von Wimmer & Perner (1983) veröffentlicht. 3 Die erste Studie mit den Smarties und den Buntstiften stammt von: Perner, Leekam & Wimmer 1987. 4 Beispiele solcher Untersuchungen, die theory of mind bei sehr jungen Kindern nachzuweisen suchen, sind: He, Bolz & Baillargeon 2012 und Träuble, Mariovic, Pauen 2010. 5 Ein Vorreiter für diese Position ist Jerry Fodor (1992), ein Philosoph und Kognitionswissenschaftler, der eng mit Noam Chomsky, dem Verfechter des angeborenen ‚language acquisition device‘, zusammengearbeitet hat. 6 Ein besonders eindrucksvolles Beispiel einer lerntheoretischen Position, die eine Interaktion von Anlagen und Umwelteinflüssen betont, ist das Buch von Katherine Nelson (2007), in dem die Autorin ihre jahrzehntelange entwicklungspsychologische Arbeit zusammengefasst hat. 7 Über Symbolspiel schreibt Piaget (2009), in einer Arbeit, die zuerst 1945 in französischer Sprache erschienen ist. 8 Leslie (1987) kann hier stellvertretend für die nativistische Position stehen. 9 Die Forschungsliteratur über die kindliche Entwicklung einer theory of mind erscheint meist in Fachzeitschriften, es gibt aber auch Sammelbände, die wichtige Beiträge enthalten. Wer sich über die Debatten zu verschiedenen Zeitpunkten informieren möchte, dem stehen z.B. zur Verfügung: Davies & Stone 1995; Mitchell & Riggs 2000. Im Jahr 2012 gab es ein Sonderheft der Zeitschrift British Journal of Developmental Psychology, hrsg. von Low & Perner, das viele der aktuellen Forschungen vereinigt. Ein Überblick in deutscher Sprache von Sodian, Perst & Meinhardt (2012) findet sich in einem Sammelband über soziales Verhalten, der kürzlich in überarbeiteter Auflage erschienen ist. 10 Über die Zusammenhänge der Entwicklung der theory of mind mit Fortschritten in der Sprachentwicklung liegen ebenfalls neben zahlreichen Einzelstudien Sammelbände vor, besonders prononciert: Astington & Baird <?page no="238"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! | Seite 90-108 238 2005. Milligan, Astington & Ain Dack haben (2007) eine Metaanalyse wichtiger Untersuchungen vorgelegt. 11 Die Dialoge sind einer Untersuchung von Katherine Nelson entnommen: Nelson & Kessler Shaw 2002. 12 Dass verschachtelte Nebensatzkonstruktionen eine Voraussetzung für das Lösen von Aufgaben des ‚falschen Glaubens‘ seien, argumentiert zusammenfassend: De Villiers 2005. 13 Eine kürzlich erschienene Arbeit berichtet sowohl über Korrelationsstudien wie auch über Trainingsstudien, die im Hinblick auf Zusammenhänge zwischen Sprache und Leistungen bei theory of mind-Aufgaben durchgeführt worden sind: San Huan & Astington 2012. 14 Die hier ausführlich besprochene, in Englisch publizierte Studie stammt von Lohmann & Tomasello 2003; eine deutschsprachige Untersuchung: Lockl, Schwarz & Schneider 2004. 15 Die Untersuchung wurde von Jenkins, Turrell, Kogushi, Lollis & Ross durchgeführt und 2003 veröffentlicht. Es handelt sich um einen Text, in dem methodische Details intensiv dargestellt werden und der auch viele Verweise auf weitere Literatur enthält. 16 Lurijas Theorie der höheren kortikalen Funktionen ist in seinem gleichlautenden Werk von 1970 beschrieben und besonders anschaulich in seinem Buch „Das Gehirn in Aktion“ von 1992 dargelegt. Über entwicklungspsychologische Arbeiten der Kulturhistorischen Schule, die diese Theorie vorbereitet haben, informieren einige Kapitel aus Lurijas lesenswertem wissenschaftlichen Lebensbericht „Romantische Wissenschaft“ von 1993. „Der Mann, dessen Welt in Scherben ging“ (Lurija 1991) enthält eine Fallstudie, die zugleich eine gut verständliche Einführung in die Aphasie-Theorie des Autors darstellt. vgl. hierzu auch: List 1994. 17 „Denken und Sprechen“ ist in russischer Sprache schon 1934 erschienen, jedoch bald aus politischen Gründen vom Markt gezogen worden. In deutscher Sprache erschien es zuerst 1964 in der DDR und ist in einer neuen Übersetzung und mit sorgfältigem Apparat vorgelegt worden: Vygotskij 2002. 18 Es gibt eine Publikation über ‚Exekutive Funktionen‘ von Autoren, die selbst maßgeblich in dem Feld arbeiten: Zelazo, Müller, Frye & Marcovitch 2003. Jüngeren Datums ist eine Sondernummer der Zeitschrift Journal of Experimental Child Psychology von 2011, herausgegeben von Stephanie M. Carlsson. Ein Referat über 20 Jahre Forschung über ‚Exekutive Funktionen‘ <?page no="239"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! | Seite 108-118 239 hat Claire Hughes (2011) verfasst. Ein deutschsprachiger Überblick findet sich z.B. bei Doris Bischof-Köhler (2011) im Kapitel 15. 19 Viele Möglichkeiten, bei Kindern ‚Exekutive Funktionen‘ zu überprüfen, sind in Carlson (2005) beschrieben. Der Tag-Nacht-Test stammt von: Gerstad, Hong & Diamond 1994. 20 Das ‚Handspiel‘ ist bei Hughes (1998) beschrieben. In dieser Untersuchung wird auch der Frage nachgegangen, wie ‚Exekutive Funktionen‘ mit der Aufgabenbewältigung zusammenhängen, die theory of mind betreffen. 21 Eine genaue Beschreibung, wie das DCCS anzuwenden ist, findet sich bei: Zelazo 2006. 22 Der Erfinder des Marshmellow-Tests ist Walter Mischel. Er hat später mit anderen Autoren einen Forschungsbericht über Bedürfnisaufschub verfasst: Mischel, Shoda, & Rodriguez 1998. Man kann sich bei Google einen Film über das Experiment anschauen unter ‚Marshmellows Test Video‘. Das kürzlich erschienene populärwissenschaftliche Buch von Mischel ist unmittelbar 2015 ins Deutsche übersetzt worden. 23 Das belegt die reichhaltige Forschung über ‚Exekutive Funktionen‘, auf die in Anm. 18 hingewiesen ist. 24 Zu den Schulversuchen der 1960er Jahre in Kanada, die so gern verallgemeinernd für die positiven Auswirkungen früher Mehrsprachigkeit in Anspruch genommen werden: Lambert & Tucker 1972; Peal & Lambert 1962. 25 Mehrsprachigkeit als solche ist für Kinder kein Risikofaktor. Das wird häufig betont, z.B. Triarchi-Herrmann 2006. Zu bilingualen Grundschulen in Deutschland die meist Englisch oder Französisch als zweite Sprache bieten: Kersten 2010; ausführlicher (und auch mit einigen Hinweisen auf den Elementarbereich ausgestattet): Kersten, Fischer, Burmeister, Lommel, Schelletter, Steinlein & Thomas 2010; s.a. www.elias.bilikita.org. 26 Ein Beitrag von Ellen Bialystok (2009) trägt den sprechenden Titel: Bilingualism: „The good, the bad, and the different“. 27 Für Kinder hat Bialystok (2006) dies mit Befunden aus dem ‚Simon task‘ nachgewiesen (einer Reaktionsaufgabe, die am Bildschirm durchgeführt wird). Ähnlich: Kovács 2012: Bilingual aufwachsende Kinder gehen leichter mit widersprüchlichen Informationen um, weil sie besser für das Unterdrücken von ablenkenden Informationen ausgerüstet zu sein scheinen. <?page no="240"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! | Seite 118-129 240 28 Bialystok, Craik, Klein & Viswanathan (2004) führen einen Nachweis, dass ältere Bilinguale geringeren Leistungsabfall in ‚Exekutiven Funktionen‘ haben als ältere Einsprachige. 29 Die Studie über Mehrsprachigkeit und ‚Exekutive Funktionen‘ wurde von Carlson & Meltzoff (2008) durchgeführt. 30 Sprachförderung ist inzwischen eine besonders wichtige Aufgabe in Kindertagesstätten. Einen Überblick über einige Programme gibt List (2010b), wesentlich ausführlicher informieren Jampert, Best, Guadatiello, Holler, Zehnbauer (2005). 31 Reich (2010) schlägt eine Typologie der Zweisprachigkeit nach elterlicher Sprachwahl vor und berücksichtigt darüber hinaus Menge und Art der sprachlichen Anregung: ausführlicher wird dies ausgeführt in Reich (2009). 32 Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2011). 33 Dies lässt sich bei Wittmann, Rauschenberg & Leu (2011, S. 14) nachlesen. 34 Vgl. Wissenschaftlicher Beirat für Familienfragen beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2005, 2008. 35 In Deutschland wurde die systematische Vergleichung von Erziehungsstilen zuerst auf einem Symposion von 1960 verhandelt, dessen Beiträge (von Theo Herrmann 1970 herausgegeben) in mehreren Auflagen erschienen sind. 36 Das Programm wurde von Schneewind & Böhmer (2010) entwickelt. Der Erstautor ist zugleich Verfasser eines anerkannten Standardwerks der Familienpsychologie: Schneewind 2010. 37 Empfehlenswert ist ein Sammelband von Walper & Pekrum (2001) herausgegeben, der Beiträge zu vielen Gesichtspunkten enthält. S. auch: Liebenwein 2008. 38 In einem Beitrag von Ulich, Kienbaum & Volland (2002) werden die Befunde aus verschiedenen Arbeiten der Gruppe zusammengefasst und mit weiterführenden Literaturhinweisen ausgestattet. Vgl. auch Kienbaum 2008, wo kritisch darauf hingewiesen wird, dass Erzieherinnen oft vorschnell Kinder selber trösten, denen ein Missgeschicke widerfahren ist, anstatt den Kindern Gelegenheit und Zeit zu lassen, untereinander hilfsbereites Handeln selbständig einzuüben. <?page no="241"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! | Seite 130-135 241 39 Zu Zusammenhängen zwischen Risikofaktoren des häuslichen Umfelds und den Bildungschancen für Kinder: vgl. z.B. Geissler 2006; Söhn 2008; Solga & Dombrowki 2009. 40 Der Band ist von Snow & Ferguson (1977) herausgegeben. 41 Eine deutschsprachige Publikation aus den 1990er Jahren ist hier erwähnenswert, die sich schon früh diesen Dialogen zwischen Erwachsenen und Säuglingen gewidmet hat und ihre Funktion für die Internalisierung von Merkmalen der lautlichen und syntaktischen Strukturen der Umgebungssprache im Detail beschrieben hat: PapouŠek 1994. 42 Der Band markiert die Schwerpunktverlagerung von isolierter Betrachtung der an Kinder gerichteten Sprache der Erwachsenen auf das Gespräch und den Diskurs zwischen den Generationen, herausgegeben wurde er von: Galloway & Richards 1994. Einen deutschsprachigen Überblick über das Thema liefert: Ritterfeld 2000. 43 Barton & Tomasello 1994 widmen sich beispielsweise ausdrücklich den Diskursen von Vätern und Geschwistern mit Kleinkindern: Diese unterscheiden sich von mütterlicher Ansprache nach den hier berichteten Beobachtungen vor allem durch die Gesprächsgegenstände und scheinen die Kinder in besonderer Weise dadurch herauszufordern, dass sie beim Gespräch über den Nahraum des häuslichen Lebens hinausgreifen und damit Brücken zur Außenwelt schaffen. 44 Diesen Sammelband haben Blum-Kulka & Snow (2002) herausgegeben. 45 Ein kompakter Überblick mit vielen Beispielen ist Siegert & Ritterfeld (2000) gelungen. 46 Die These, dass die Lebensumstände in unterschiedlichen Sozialschichten über das mütterliche Sprachverhalten an die Kinder vermittelt werden, ist insbesondere im Hinblick auf die Entwicklung des Wortschatzes untersucht worden, z.B. von: Hoff 2003; Hoff, Laursen & Tardiff 2002. Dagegen fanden andere Studien mit größeren Stichproben in den mütterlichen Reaktionen auf kindliches Verhalten in Spielsituationen keine bedeutsamen Unterschiede, die auf Schichtunterschiede zurückzuführen wären, etwa: Licata, Kristen, Thoermer & Sodian 2013 oder Meins, Fernyhough, Arnott, Liikam & Rosnay 2013. Ein Beispiel dafür, dass Mütter eine fördernde Sprache in der Interaktion mit Kindern unter entsprechender Anweisung nachhaltig lernen können, findet sich z.B. in einer Trainingsstudie, die in wenig bildungsanregendem Milieu durchgeführt wurde. Sie belegt die anhaltende Wirkung auf die Qualität der kindlichen Sprachäußerungen: Peterson, Jesso & McCabe 1999. Eine Übersicht vom Stand 2007 über Projekte, die Eltern bei der Arbeit mit Kindern unterstüt- <?page no="242"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! | Seite 136-141 242 zen, findet sich bei Schneewind & Berkic 2007. Beispiel für eine jüngere Studie: Slaughter & Peterson 2012. 47 Eine solche Codierung von Erwachsenen-Äußerungen, die als förderlich oder wenig anregend markiert werden, findet sich in der Untersuchung von Girolametto, Hoaken, Weitzman & van Lieshout (2000). Die Vorschläge dieser Arbeitsgruppe werden oft zitiert und vielfach zum Muster genommen; das Codiersystem findet sich im Anfang der Arbeit, S. 168. 48 Viele Verweise auf Dialogformen, die aus der aktuellen Situation herausführen können, findet man bei: Veneziano 2001. 49 Vygotskij 2003 (s. hierzu Anm. 20 von Teil I). 50 Zur Bedeutung unterschiedlicher Formen des Fragens: Klein (2004); über neuere Untersuchungen berichten auch Chouinard & Imberi-Olivares 2012. 51 Eine nützliche Übersicht über formale Kennzeichen kindlicher Sprachentwicklung bis zum 64. Lebensmonat mit Hinweisen auf Verzögerungen findet sich in der Broschüre, die bei den kinderärztlichen Pflichtuntersuchungen ‚U3 bis U9‘ (5. Aufl. 2011) zu Einsatz kommt. Man kann sie beim Deutschen Bundesverband für Logopädie beziehen: E-Mail: info@dbl-ev.de. Genaueres zu Sprachentwicklungsverzögerungen ist nachzulesen bei: Grimm 2003; Ritterfeld 2000; Suchodoletz 2004; Sachse & Suchodolentz 2013. 52 Der ‚Teufelskreis‘ von Über- und Unterforderung ist von Buschmann (2011) beschrieben worden. 53 Buschmann (2011) enthält zugleich ein bewährtes Programm für Eltern von Kindern mit Sprachentwicklungsverzögerungen. Vgl. auch Buschmann, Simon, Jooss & Sachse 2010; Simon & Sachse 2013. 54 Viele gute Anregungen für Erzieherinnen über Dialoge mit Kindern unter drei Jahren bieten: Best, Laier, Jampert, Sens & Leuckefeld 2011; Die überzeugende Analyse eines Trainingsprogramms: Simon & Sachse (2013). 55 Beispiele für Materialien zur Sprachförderung, die sämtlich eine dialogische Haltung von Erzieherinnen und Eltern im Blick haben: Fröhlich-Gildhoff, Pietsch, Wünsche & Rönnau-Böse 2011; Jampert, Zehnbauer, Best, Sens, Leuckefeld & Laier 2009; Leu, Fläming, Frankenstein, Koch, Pack, Schneider & Schweiger 2007. <?page no="243"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! | Seite 141-150 243 56 Dass noch viel Verbesserungsbedarf beim Interaktionsangebot der Fachkräfte in Kitas besteht, resümieren Briedigkeit 2011; Fried 2011; König 2009; Sylva, Melhuish, Sammons, Siraj-Blatchfold, Taggart & Elliot 2004. 57 Der Autor dieses lesenswerten Buchs über das Gedächtnis ist: Daniel Schacter (1999). 58 Zum Wortführer der ‚Narrativen Psychologie‘ wurde Jerome Bruner (1997); in einem deutschsprachigen Aufsatz sind seine Thesen prägnant zusammengestellt: Bruner 1999. 59 Das Zitat steht bei Bruner 1997, S. 129. 60 Dieses Gespräch habe ich einem Beitrag von Fivush & Reese (1992) entnommen und frei übersetzt. 61 Katherine Nelson hat über Emily’s Rekapitulationen ihrer Tageserlebnisse vor dem Einschlafen ein Buch mit dem Titel „Narratives from the crib“ (1989) geschrieben. Das hier wiedergegebene Zitat kommt aus: Bruner (1997) S. 104. 62 Auch dieser Dialog ist Fivush & Reese (1992) entnommen. 63 Über die Entwicklung des Selbst durch narrative Wiederbelebung von Erlebnissen in der Interaktion handeln insbesondere die Kapitel 5-7 in Nelson (2007); ein kompakter Forschungsbericht: Nelson & Fivush 2004; vgl. auch List (2010a). 64 Eine bewährte Einführung in die Textlinguistik bietet: Brinker 2010. 65 Forschungen über den Erwerb der Erzählkompetenz liegen seit den 1980er Jahren von Expertinnen aus der Linguistik, später auch aus der Entwicklungspsychologie und Sprachdidaktik vor: Becker 2011; Fried & Stude 2011; Hausendorf & Quasthoff 1996; Quasthoff 1980; Quasthoff, Fried, Katz- Bernstein, Lengning, Schröder & Stude 2011. Vgl. auch List (2010a). 66 Andresen (2011) hat eine solche Langzeitbeobachtung vorgelegt und die Mischung von realen und fiktiven Erzählungen als ein Zwischenstadium der Entwicklung beschrieben. 67 Belege für das recht späte Auftreten von Personen mit Absichten, Überzeugungen, Zielen und Hoffnungen in kohärenten Erzählungen finden sich bei Bamberg 1987; Becker 2011; Boueke 1995. <?page no="244"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! | Seite 151-168 244 68 Wie die Erzählkompetenz vom Diktieren, Vorlesen und Ausagieren in der Kindergruppe profitiert, belegen: Nicolopoulou 2011; Nicolopoulou & Richner 2007; Nicolopouou, Brockmeyer Cates, De Sá & Hande 2014. 69 ‚Die Neuen kommen! ‘ Das Gespräch habe ich Hardenberg (2012) entnommen. 70 Children’s peer culture: Corsaro & Eder (1990) haben diese Begrifflichkeit angeboten, indem sie einen Forschungsüberblick über die Entwicklung von Kulturen in Gemeinschaften von Vorschulkindern bis zur Adoleszenz geben. 71 Krappmann (1993a) betont diesen Unterschied zwischen einer Kultur, die Kinder leben und der Kultur, die von Erwachsenen für Kinder angebotenen wird. 72 Zur Psychologie des Kinderspiels gibt es ein reiches Literaturangebot, z.B.: Einsiedler 1999; Mogel 2008. 73 Das Erlebnis wird vom Autor in der Einleitung zu seinem Buch über die Psychologie des Spiels erwähnt: Elkonin 1980, S. 10. 74 Vygotskijs Vorlesung über das Spiel und seine Funktion für die psychische Entwicklung von 1933 wurde in deutscher Übersetzung mit Erläuterungen in der Zeitschrift Ästhetik und Kommunikation abgedruckt: Wygotski 1973. 75 Es sei erinnert an die von Karmiloff-Smith (1992) entwickelten Überlegungen und Befunde über kognitive Repräsentationen: Die zunächst implizit gesteuerten spontanen Handlungen auf Umweltanregungen machen durch Erfahrung ‚Umschriften‘ der Repräsentationen eine Entwicklung zu solchen Handlungen durch, die nicht mehr direkt mit konkreten Anregungen umgehen, sondern mehr und mehr mit elaborierten Vorstellungen, die die Kinder über Geschehnisse ausbilden konnten. 76 Das Beispiel ist aus: Jampert, Zehnbauer, Best, Sens, Leuckefeld & Laier 2009, Heft 1, S. 112 entnommen. 77 Ein relativ rezenter Sammelband, der viele Aspekte rassistischer Vorurteile ausleuchtet: Petersen & Six 2008. Unmittelbar zu ‚Schwarzafrikaner‘: Arndt & Ofuatey-Alazard 2011. 78 Frühkindliche Kategorisierungen sind Gegenstand z.B. der Arbeit von Kinzler, Shutts & Correll 2010. 79 Diehm & Kuhn (2005) setzen sich mit der Frage auseinander, ob Rassismus schon in der Kita eine Rolle spielt. <?page no="245"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! | Seite 168-183 245 80 Zum Anti-Bias-Ansatz: Derman-Sparks 1989; Gramelt 2010. 81 Den amerikanischen Anti-Bias-Ansatz haben Autorinnen der Berliner Projekte ‚Kinderwelten‘ adaptiert und erweitert: Wagner 2008; Wagner, Hahn & Enßlin 2006. 82 Wie entwickeln sich die Kategorien, nach denen Menschen in Gruppen eingeteilt werden? Wenn Kinder selbst einer Gruppe angehören, die mit einer anderen Gruppe Kontakt hat, dann stellen sich positive Affekte innerhalb ihrer eigenen Gruppe früher ein als negative Affekte gegenüber Angehörigen der anderen Gruppe. Dies belegen Cameron, Alvarez, Ruble & Fuligni 2001; Dunham, Baron & Carey 2011. Wenn die Kinder allerdings abstrakte Vorhersagen über Hilfsbereitschaft oder Aggressionen zwischen zwei Gruppen abgeben sollen, denen sie selbst nicht angehören, dann werden negative Vorhersagen über gegenseitige Aggression in früherem Alter beobachtet als Vorhersagen über Hilfsbereitschaft innerhalb einer Gruppe: Rhodes 2012. 83 Die Studie stammt von Master, Markman & Dweck 2012 und ist im renommierten Institut für Psychologie der Stanford-Universität entstanden. 84 Die Quelle für diese Szene mit Lilly und Tom ist: Parschau & Völkel 2003. 85 Van Dieken, Rohrmann & Sommerfeld (2004) liefern den interessanten Bericht über ein Projekt zur Konfliktbewältigung unter Kindern. Vgl. zu Konflikten unter Kindern auch: Dörfler & Klein 2003; Sturzbecher & Hermann 2003. 86 Geschlechterstereotypen können sich im Alter von 3, 4 Jahren drastisch ausbilden und erst im späteren Grundschulalter wieder abnehmen Hierüber informieren u.a.: Athenstaedt & Alfermann 2011; Hannover 2010; Rohrmann 2014; Trautner, Ruble, Cyphers, Kirsten, Behrendt & Hartmann 2005. 87 Empfehlenswerte Ratgeber für Angehörige und andere Erziehungsverantwortliche zur Aggression bei und unter Kindern sind z.B.: Deegener 2002, Kosubek 2006. Ein maßgebliches Standardwerk, das in erster Auflage schon 1978 erschien und inzwischen in der zwölften überarbeiteten Auflage vorliegt: Petermann & Petermann 2008. 88 Die Untersuchung mit erwachsenen Probanden über ‚hot‘ und ‚cold empathy‘: Paal & Bereczkei 2007. 89 Bis zum Alter von drei können Kinder schlecht lügen und täuschen, wie sich z.B. bei Mähler 2008, S. 196ff. nachlesen lässt. <?page no="246"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! | Seite 183-190 246 90 Über Fragebögen zu Machiavellismus bei Erwachsenen haben sich: Christie & Geis 1970; Rauthmann 2012 auseinandergesetzt. 91 Die Untersuchungen zum kindlichen Machiavellismus sind in Slaughter (2011) beschrieben. 92 Die Warnung, nicht an alten vermeintlichen Gewissheiten über Mädchen und Jungen festzuhalten, wird bei Rose 2003, S. 20 begründet. 93 Über Freundschaften unter Kindern, auch ‚beste‘ Freundschaften, sowie ihre Funktionen im Lebenslauf (etwa die Lockerung der Familienbande), sowie über Unterschiede zu den Verhältnissen zu Peers und Geschwistern informieren z.B.: Dunn 1993; Krappmann 1993b; Oswald 2008; Salisch 2000; Wagner & Alisch 2006. 94 Ältere Struktur- und Verlaufsmodelle aus den USA liegen vor von: Bigelow 1977; Selman 1980/ 1984; Youniss 1980. 95 Diese Gespräche mit Kindern kann man nachlesen bei Valtin (1991). 96 Die Kriterien, nach denen Freundschaft unter Kindern identifiziert wird, finden sich bei Howes (1996). Von dieser Autorin stammt auch eine der umfangreichsten Langzeituntersuchungen über Interaktionen zwischen Kindern im Vorschulalter: Howes 1988. 97 Serbin, Poulin-Dubois, Colburne, Sen & Eichstedt (2001) haben Vorlieben für geschlechtertypisches Spielzeug anhand des ‚preference looking paradigm‘ bei Kindern im Alter von 12, 18 und 24 Monaten untersucht. 98 Die ‚Zwei Welten‘-Metapher stammt von Maccoby (2000), Rohrmann (2008) setzt sich kritisch hiermit auseinander. 99 Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen werden hier in Anlehnung an Rohrmann (2008, S. 65ff.) wiedergegeben. Vgl. z.B.auch: Brandes 2008, Michalek 2006, Oswald 2009, Rohrman & Wanzek-Siebert 2014. Auch Lise Eliot (2010) äußert sich in ihrem Buch „Wie verschieden sind sie? Die Gehirnentwicklung bei Mädchen und Jungen“ hierzu (S. 186ff.). Dies ist ein sehr angenehm zu lesendes Buch, dessen Originalausgabe 2009 unter einem viel angemesseneren, weil den Tenor der Argumentation treffenden Titel erschienen ist: ‚Pink brain, blue brain. How small differences grow into troublesome gaps - and what we can do about it‘. <?page no="247"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! | Seite 191-207 247 100 Ein Beispiel für solche Bemühungen, ‚geschlechtsneutrale‘ Räumlichkeiten im Kindergarten zu schaffen, wird in Mayer, Bernhard & Peters (2013) beschrieben. 101 Das Zitat steht bei Hurrelmann 2011, S. 204. 102 So Cremers & Krabel (2010). Beispiele für Sammelbände zum Thema: Hurrelmann & Schultz 2011; Krabel & Struve 2006. Kritisch äußern sich: Rose & Stibane 2013. 103 Dass Erzieherinnen leichter Beziehungen zu Mädchen als zu Jungen aufbauen berichtet Ahnert 2010. 104 Das Beispiel habe ich in einem Beitrag von Helga Kotthoff (2003) gefunden, einer Sprachwissenschaftlerin, die sich viel mit Witz, Humor, Ironie - auch im Zusammenhang mit der Geschlechterfrage - beschäftigt hat. 105 Es handelt sich um die viel zitierten Grice’schen Maximen: Grice 1993. 106 Literaturwissenschaftliche Beiträge zu übertragener Rede: z.B. Meibauer 2001. Eine kurze Einführung in die Linguistik der Metapher: Skirl & Schwarz- Friesel 2007. Zu Witz, Metapher, Ironie aus psychologischer Sicht: Groeben & Christmann 2003; Groeben & Scheele (2003). Zur kindlichen Entwicklung aus linguistischer Sicht z.B. Buhofer 1980. 107 Über Sprachwitz der Kinder: Helmers 1971. 108 Winner, McCarthy & Gardner (1980) haben eine solche Untersuchung durchgeführt und damit bei Dreijährigen bereits auf metaphorische Kenntnisse geschlossen. 109 So argumentieren McGhee 1979; Shultz 1976; Shultz & Robillard 1980 in Anlehnung an Piaget, dass erst nach Erreichen der konkret-operationalen Stufe der kognitiven Entwicklung die Einsicht in Mehrdeutigkeiten möglich sei. 110 Andresen (2006) äußert sich zu Sprachspielen als regelbewusstes Handeln und zur Freude an Regelbruch und Regelerfindung. 111 Das Beispiel ist entnommen aus: Shultz & Horibe 1974. 112 Linguistische und pädagogische Studien zur kindlichen Humorproduktion: Bönsch-Kauke 2003; Hauser 2005; Kotthoff 1995. Die beiden wiedergegebenen Witze sind der Publikation von Hauser (2005, S. 269, 282) entnommen. <?page no="248"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! | Seite 208-220 248 113 Das Beispiel stammt aus einer kleinen deutschen Untersuchung, die ohne Anspruch auf statistische Auswertung auftritt: Hodske, Pahl & Strohner 2007. Amerikanische Publikationen: Andrews, Rosenblatt, Malkus, Gardner & Winner 1986; Dews, Winner, Kaplan, Rosenblatt, Hunt, Lim, McGovern, Qualter & Smarsh 1996; Winner 1988. 114 Im Kapitel Hintergründe der frühkindlichen Fähigkeit zur Lautunterscheidung ist über solche Befunde berichtet worden. Vor einiger Zeit waren krasse Fälle der Gewohnheit Erwachsener, verbales und nonverbales Verhalten widersprüchlich zu gestalten, unter dem Stichwort double bind sogar als ernsthaft gefährlich für die psychische Entwicklung eingeschätzt worden (Bateson u.a. 1984). 115 Zur pädagogischen Diskussion um Ironie in der Schule: Aßmann & Krüger 2011. 116 Der einflussreiche kanadische Psychologe David Olson schrieb 1977 in einem viel beachteten Aufsatz: „The faculty of language stands at the center of our conception of mankind; speech makes us human and literacy makes us civilized“ (Olson 1977, S. 257), frei übersetzt: Sprachfähigkeit bildet den Angelpunkt unserer Auffassung vom Menschsein; Sprechen macht uns zu Menschen, und Literalität führt uns in die Zivilisation. Es gebe sowohl in der kulturellen wie in der individuellen Entwicklung einen Übergang von Äußerungen zu Text, argumentiert er. Erst Text verhelfe der Sprache zu größerer Explizitheit und zur selbständigen Repräsentation von Bedeutungen. 117 Die Unterscheidung von konzeptionell mündlicher und schriftlicher Sprachproduktion wird von Koch & Oesterreicher (1994) eingebracht. 118 Zur Vorgeschichte der Schrift und zur Erfindung der Darstellung von Lauten durch Schriftzeichen liegen bedeutende Werke vor, z.B.: Földes-Papp 1984; Haarmann 1990. 119 Dehaenes Werk ist 2012 in deutscher Übersetzung als Taschenbuch erschienen. Das französische Original kam 2007 auf den Markt. 120 Für diese Effekte der Beteiligung der Schreibhand am Gesamtzusammenhang von Schrifterkennung und -produktion steht leider eine gut verständliche Überblicksliteratur, wie Dehaene sie geliefert hat, noch nicht zur Verfügung. Deshalb kann hier nur auf recht fachspezifische Aufsatzliteratur verwiesen werden: Wichtige Untersuchungen finden sich z.B. bei: Dinehart & Mafra 2013; James 2010; James & Engelhardt 2012; James & Gauthier 1006. Einen zusammenfassenden Überblick über den Stand von 2014 bietet: Dinehart 2014. <?page no="249"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! | Seite 221-227 249 121 Das geschieht vor allem anlässlich des schlechten Abschneidens deutscher Schüler in den vergleichenden PISA-Studien: Klieme, Artelt, Hartig, Jude, Köller, Prenzel, Schneider & Stanat 2010; Schrüder-Lenzen & Merkens 2006. 122 Es stehen zahlreiche Anregungen zur Vorbereitung auf Literalität mit vielen praktischen Hinweisen zur Verfügung z.B: Andresen 2005; Dehn 2007; Lenel 2005, 2014; Näger 2013; Rau 2009; Merklinger 2012. 123 Aus der Vorlesestudie der Stiftung Lesen (2013) geht hervor, dass die Erinnerung älterer Kinder (10-18 Jahre) daran, ob sie in ihrer frühen Kindheit regelmäßig vorgelesen bekommen haben oder nicht, einen engen Zusammenhang nicht nur mit den Schulleistungen aufweist, sondern auch mit aktuellen Angaben der Kinder über Freude am Lesen und ihr Freizeitverhalten. Die Wirkung der frühen Erfahrung ist eindeutig. Das lässt sich nachlesen bei: www.stiftunglesen.de/ download.php? type=documentpdf&id=1064. 124 Auf der Homepage der Stiftung Lesen gibt es zahlreiche Anregungen zum Vorlesen. Mit Elfert & Rabkin (2007) steht eine Publikation zur Verfügung, die Beiträge aus der internationalen ‚Home Literacy‘-Forschung versammelt und von in Deutschland erfolgreichen Projekten berichtet. Eins der Projekte (FLY) wird genauer beschrieben in: Salem & Rabkin (2010). Zur Bedeutung der Stimme beim Vorlesen und Erzählen: List 2015; Wardetzky 2001. 125 Das Buch von Ferreiro & Teberoski (1979) ist zeitnah (1982) ins Englische übersetzt worden, ins Deutsche leider bis heute nicht. Es gibt in deutscher Sprache von der Erstautorin nur einen kleinen Aufsatzbeitrag: Ferreiro (1997), der aus einem englischsprachigen Sammelband übersetzt worden ist. 126 Der Spracherfahrungsansatz ist vor allem durch die Schriften von Hans Brügelmann (1994) bekannt geworden, dessen Buch „Kinder auf dem Weg zur Schrift“ 1983 in erster Auflage erschienen ist. Leitende Idee der Konzeption für den Anfangsunterricht ist es, bei den Erfahrungen der Kinder mit Sprache und Schrift anzuknüpfen; sie sollen schreibend festhalten, was ihnen wichtig ist, und sich lesend bisher fremde Erfahrungen zu Eigen machen. 127 Entnommen aus: Füssenich (2011); vgl. auch Füssenich & Menz (2014, Kap. 5, S. 218-238); Klein 2005. 128 Für den Erwerb korrekter Orthografie argumentieren z.B. Eichler & Brügelmann (2015). 129 Zur Situation von Kindern, die in der Schule in Deutsch alphabetisiert werden, mit anderer Familiensprache aber vertrauter sind als mit dem Deutschen: Problemaufriss bei: Schründer-Lentzen & Merkens 2006. Konkrete Hinweise <?page no="250"?> Hinein in die Vielfalt der Sprachwelten! | Seite 227-230 250 für den Unterricht gibt es z.B. bei Schader 2000. Ein Modell für die Vorbereitung während der Vorschulzeit: Apeltauer 2007. 130 Erste Versuche koordinierter bilingualer Alphabetisierung gab es bereits früh in Berlin: Nehr, Birnkott-Rixius, Kubat & Masuch (1988). Sie sind Ausnahmen geblieben, jedoch gibt es seit einigen Jahren in verschiedenen Bundesländern neue Initiativen: z.B.das Projekt KOALA: www.standardsicherung. schulministerium.nrw.de/ cm/ upload/ Sprachenwerkstatt/ Koala.pdf. 131 MehrsprachigeKinderbüchersindnützlich,nichtzuletztuminZusammenarbeit mit Eltern den Kindern bilaterale Erfahrungen zu ermöglichen: Hüsler 2009; Seidl 2009. Silvia Hüsler hat zahlreiche mehrsprachige Bilderbücher herausgebracht, man findet sie auf ihrer Homepage www.silviahuesler.ch. 132 Die Debatte um Handschrift in der Grundschule wird bei uns bisher vor allem in der Tagespresse geführt. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung z.B. vom 17.1.2015 (Schmoll), vom 18.1.2015 (Rüschemeyer) und 1.4.2015 (Schmoll). 133 Handschriftliche Notizen in Vorlesungen erweisen sich als nützlicher als das Mit-Tippen in das Laptop: Medwell & Wray 2007; Mueller & Oppenheimer 2014; vgl. auch Feder & Majnemer 2007. 134 Die entwicklungspsychologische Bedeutung der Schreibmotorik vor der Bedienung von Tastaturen wird durch Untersuchungen unterstrichen: Graham, Harris & Fink 2000; Longcamp, Zerbato-Poudou & Velay 2005. <?page no="251"?> Verwendete Literatur 251 Verwendete Literatur Ahnert, Lieselotte (Hrsg.) (2008): Frühe Bindung. Entstehung und Entwicklung. München: Reinhardt. Ahnert, Lieselotte (2010): Wieviel Mutter braucht ein Kind? 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Ich bin vor allem etlichen Generationen von Studentinnen und Studenten dankbar, die mich darin bestärkt haben, komplizierte Sachverhalte zwar nicht ungebührlich zu vereinfachen, aber sie doch so zu übermitteln, dass wir gut über die Dinge ins Gespräch kommen konnten. Bei drei lieben Mitmenschen möchte ich mich besonders bedanken. Sie haben mir den Freundschaftsdienst erwiesen, aus ihrer jeweils eigenen Fachperspektive immer wieder Teile des Buches kritisch zu lesen und mir wertvolle Rückmeldungen zu geben. In der alphabetischen Reihenfolge ihrer Vornamen: Gesine Spieß, Hans Rudolf Leu und Karin Jampert. Ein herzliches Dankeschön geht auch an Daniel Seger, den kundigen und einfühlsamen Lektor im Verlag. Gewidmet ist mein Buch dem Andenken an Günther List. <?page no="272"?> Rosemary Tracy Wie Kinder Sprachen lernen Und wie wir sie dabei unterstützen können 2., überarb. Auflage 2008 XII, 236 Seiten, €[D] 19,90 ISBN 978-3-7720-8306-8 Offensichtlich ist Spracherwerb ein Kinderspiel! In einem Alter, in dem wir Kinder nicht unbeaufsichtigt eine Straße überqueren lassen würden, erschließen sie sich zielstrebig die Strukturen ihrer Erstsprachen. Wie wir mittlerweile wissen, gilt dies nicht nur für den Erwerb einer Sprache, denn Kinder können von Anfang an mit mehr als einer Sprache aufwachsen. Auch der frühe Erwerb einer zeitversetzt hinzutretenden Zweitsprache ist ohne Risiko für die Entwicklung des Kindes möglich. Diese Kompetenzen gilt es zu nutzen, vor allem auch für die frühe Zweitsprachförderung von Kindern aus Einwandererfamilien, denen ohne ausreichende Sprachkenntnisse Bildungs- und Berufschancen verwehrt bleiben. Dieses Buch bietet anhand vieler Beispiele einen verständlichen Überblick über den Spracherwerb und schildert die Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Unterstützung frühkindlicher Mehrsprachigkeit. Verdeutlicht wird auch, welche sprachlichen Bereiche für Zweitsprachlerner problematisch bleiben, wenn angemessene Unterstützung fehlt. Der Text enthält eine Anleitung für die gezielte Beobachtung von Kindern und eine Fülle von Anregungen für die Förderung. Darüber hinaus weckt er Interesse an Sprache im Allgemeinen und fördert den Spaß an der eigenen Sprachkompetenz. Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG \ Dischingerweg 5 \ 72070 Tübingen \ Germany Tel. +49 (07071) 9797-0 \ Fax +49 (07071) 97 97-11 \ info@narr.de \ www.narr.de JETZT BESTELLEN! <?page no="273"?> Sie sind Eltern oder Angehörige eines kleinen Kindes, Omi oder Opa einer Rasselbande? Sie möchten wissen, was die Entwicklungspsychologie über die so ungeheuer wichtigen ersten Lebensjahre herausbringt und was das bedeutet? Oder leiten Sie eine Kita, sind Erzieher oder Studierende, die sich auf die Arbeit mit Kindern vorbereiten, benötigen also solches Wissen für Ihren Arbeitsalltag? Dieses Buch ist für Sie geschrieben! Es macht Sie auf verständliche Weise mit wissenschaftlichen Erkenntnissen darüber bekannt, wie Kinder begreifen, was in den Köpfen der anderen vor sich geht, von denen sie lernen und mit denen sie spielen. Es zeigt, wie sie etwas über sich selbst erfahren, wie sie für das Leben lernen, die Bedeutung ihrer Geschlechtszugehörigkeit erkunden, sich schon im Vorschulalter mit Lesen und Schreiben anfreunden und wie dies alles mit dem Spracherwerb zusammenhängt. www.francke.de Professorin Dr. Gudula List, Psychologin und Sprachwissenschaftlerin, war in den Bereichen Erziehungswissenschaften und Entwicklungspsychologie an verschiedenen Hochschulen tätig. ISBN 978-3-7720-8571-0
