Aber Hutten kehrte nicht um
Betrachtungen zu Leben und Werk Ulrich von Huttens
1125
2015
978-3-7720-5586-7
978-3-7720-8586-4
A. Francke Verlag
Helmut Spelsberg
Oh Jahrhundert! Oh Wissenschaften: Es ist eine Lust, zu leben.
Ulrich von Hutten
Neben Erasmus von Rotterdam und Martin Luther repräsentiert Ulrich von Hutten (1488-1523) in besonderer Weise den Zeitgeist des 16. Jahrhunderts. In seiner brilliant geschriebenen Biographie en miniature lässt Helmut Spelsberg diesen "heißen und ungeduldigen Kriegsmann des Geistes" (Stefan Zweig), der in seinem gefahrvollen und abenteuerlichen Leben sowohl dem Humanismus als auch der Reformation zu dienen versuchte, in seinen Stärken und Schwächen plastisch hervortreten. Ergänzt wird die Biographie durch eine kommentierte Bibliographie der Werke Huttens, die deutlich macht, auf welch unterschiedlichen Feldern der Wissenschaft, der Literatur, der Kunst und der Politik der erste Reichsritter zu Hause war.
<?page no="0"?> Helmut Spelsberg Aber Hutten kehrte nicht um Betrachtungen zu Leben und Werk Ulrich von Huttens <?page no="1"?> Aber Hutten kehrte nicht um <?page no="3"?> Helmut Spelsberg Aber Hutten kehrte nicht um Betrachtungen zu Leben und Werk Ulrich von Huttens <?page no="4"?> Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http: / / dnb.ddb.de> abrufbar. Umschlagabbildung: Bildnis Ulrich von Huttens als Edelmann unter einem Baldachin. Holzschnitt. Aus: Ulrich von Hutten, Phalarismus, Mainz 1517 bei Johann Schöffer. © akg images © 2015 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem und säurefreiem Werkdruckpapier. Internet: www.francke.de E-Mail: info@francke.de Printed in Germany ISBN 978-3-7720-8586-4 <?page no="5"?> Gewidmet sei dieses Buch in Dankbarkeit Magdalena und der Hessischen Hochschul- und Landesbibliothek Fulda, dessen bedeutende „Sammlung Hutten“ mir eine große Hilfe gewesen ist. <?page no="7"?> Inhalt Hinführung ......................................................................................................................... 9 Teil 1 | Ulrich von Hutten - der politische Deutsche Ulrich von Hutten ergreift seine Waffen ................................................................... 15 Von Italien über Deutschland nach Italien .............................................................. 24 „… in dessen Blick die Hölle brennt“ Hutten gegen Herzog Ulrich von Württemberg ................................................... 32 Hutten hält Hof und der Hof hält Hutten ................................................................. 48 Huttens vereitelter Weg zu den Habsburgern Karl V. und Ferdinand I. ................................................................................................... 53 Huttens Fehden gegen die Geistlichkeit und seine Konfrontation mit Pfalzgraf Ludwig .......................................................................... 65 Vor einem Haus in Basel. Warten und Warten-Gelassen-Werden ................... 72 Teil 2 | Ulrich von Hutten und seine Werke Vorbemerkung [81] Werkverzeichnis Nr. 1-Nr. 67 [82] ................................... 81 Literatur .................................................................................................................................... 159 <?page no="9"?> 9 Hinführung Ein 1488, also noch im Mittelalter, auf der Steckelburg bei Schlüchtern und in der Nähe Fuldas geborener Scholar zieht 1511 von Wittenberg nach Wien, wo er sein in Deutschland begonnenes Studium fortsetzen will. Sein Name ist Ulrich von Hutten, er stammt aus einem alten adligen Reichsrittergeschlecht. In der Schule des Benediktinerstifts Fulda hat er die Grundlagen seiner beachtlichen, kämpferisch umgesetzten Bildung erworben, er ist schon als Autor kleinerer lateinischer Gedichte ausgewiesen. Unterwegs, auf den Straßen nach Wien, schreibt er ein längeres lateinisches Gedicht, eine Ermahnung an Kaiser Maximilian I., den Krieg um Italien fortzusetzen, besonders gegen die Republik Venedig, die ihm den Weg nach Rom zur Kaiserkrönung durch den Papst militärisch blockiert hatte. Der freundschaftsdurstige und freundschaftsfähige Hutten wird in Wien vom national gesonnenen, kaisertreuen Humanistenkreis um Joachim Vadianus mit neugieriger Sympathie aufgenommen. Nach einem Streit mit dem Rektor der Universität Wien setzt er sein Vaganten- und Landstraßenleben fort. Er immatrikuliert sich im März 1512 im Herzogtum Mailand an der Universität von Pavia, studiert Römisches Recht, lernt Griechisch. Inzwischen hat Vadianus Huttens Ermahnung an Maximilian drucken lassen. In dieser Zeit kämpfen Papst Julius II., Frankreich (Ludwig XII.), die Republik Venedig und Kaiser Maximilian I. um die Vorherrschaft in Italien. Vom Krieg mit seinen rasch wechselnden Bündniskonstellationen wird auch Pavia in Mitleidenschaft gezogen. Hutten gerät, bedrängt durch die französische Besatzung, in eine Art Hausarrest, schreibt seine eigene Grabinschrift und wird durch die siegenden Schweizer Söldner im Dienst des Papstes erneut bedroht. Er kauft sich frei und schlägt sich nach Bologna durch, wo er bald abermals das Studium abbricht und sich aus Geldnot im Heer Maximilians als Landsknecht verdingt. Er ist bei der vergeblichen Belagerung der venezianischen Terra-Ferma-Festung Padua 1513 dabei und schreibt seine kriegsreporterartigen Epigramme an Maximilian I. Im November 1513 zieht Hutten zusammen mit anderen Söldnern zurück nach Deutschland. Dort wird er in den diplomatischen Hofdienst des Kurfürsten Albrecht von Mainz übernommen. Auf Drängen seines Dienstherren begibt er sich im Oktober 1515 erneut über den Brenner nach Italien, um dort endlich sein Studium des Römischen Rechts mit dem Doktortitel abzuschließen, was ihm aber nicht gelingt. Über Rom, Bologna und Ferrara gelangt er im April 1517 nach Venedig, in zwei Fällen, infolge hitzköpfiger Temperamentsausbrüche, fluchtartig. Während seines zweiten knapp zweijährigen Aufenthaltes in Italien setzt er seine publizistischen Angriffe namentlich auf die Republik Venedig fort, und zwar mit drei Kurzepen. Nachdem Hutten in Venedig, wo er gastfreundlich von italienischen Humanisten empfangen wird und die berühmte Offizin der Nachfolger des Aldus Manutius be- <?page no="10"?> Hinführung 10 sucht, der Versuchung getrotzt hat, wallfahrend nach Palästina überzusetzen, macht er sich im Juni 1517 auf den Rückweg nach Deutschland. Hutten hat Italien, wo er insgesamt etwa dreieinhalb Jahre verbracht hat, nicht wieder gesehen. Er verdankt seinem Aufenthalt dort die Initialzündung für die publizistischen Angriffe gegen die Papstkirche im Dienst der nationalen und geistigen Freiheit Deutschlands. Negative Eindrücke in Rom von der Kurie lösten seinen - Martin Luthers Reformation teilweise parallelen - Kampf gegen die Vorherrschaft der römischen Kirche in Deutschland aus. Hutten, im Jahr 1517 aus Italien nach Deutschland zurückgekehrt, wohnt im Juli 1517 zunächst als Gast des Patriziers Konrad Peutinger in Augsburg. Am 12. Juli 1517 wird er dort von Kaiser Maximilian-I. zum Dichter gekrönt. Sein Weg führt ihn von Augsburg nach Bamberg, wo er, noch im Juli 1517, bei seinem Freund Jakob Fuchs wohnt, dem Domherren zu Würzburg und Bamberg, wie er denn, selbst durch die geistliche Atmosphäre des Klosters Fulda geprägt, immer wieder den Umgang mit Geistlichen gepflegt hat, diejenigen, denen seine engagierte Feindschaft gilt, sind die Frömmigkeit nur heuchelnden „ungeistlichen Geistlichen“, namentlich die päpstlichen Höflinge, die „Kurtisanen“. Seine Unabhängigkeit von einem Dienstherrn endet im September 1517 mit dem Beginn seiner zweiten Zeit als Hofrat bei Albrecht von Mainz, ein Amt, das er bis etwa Oktober 1519 auszufüllen versucht. Als Mainzer Hofstaatsangehöriger erlebt er den Augsburger Reichstag im Sommer 1518. Durch den Tod Kaiser Maximilians I. am 12. Januar 1519 bricht für ihn eine Zeit politischer Unsicherheit an, was die Frage der Wiederherstellung des mittelalterlichen deutschen Kaisertums betrifft. Bei der Wahl Karls I. von Spanien zum deutschen König Karl V. in Frankfurt/ Main im Juni 1519 ist Hutten, der Gefolgsmann Albrechts von Mainz, eines der Kurfürsten, anwesend. Im August 1519 wird Hutten von Albrecht von Mainz vom Hofdienst freigestellt, wohl aufgrund von Beschwerden der Kurie über Huttens antipäpstlichen Schriften. Nach seiner Hofdienstzeit bei Albrecht von Mainz (September 1517 bis Oktober 1519) und seinem vergeblichen Versuch im Juni 1520, am Hof des Erzherzogs Ferdinand in Brüssel eine Anstellung und damit unmittelbaren politischen Einfluss zu gewinnen, verwildert sein Leben allmählich, im Hinblick auf von der Gesellschaft anerkannte Berufe. Seit September 1520 lebt der von der Inquisition bedrohte Hutten als Gast - wohl auf unbestimmte Zeit - im Schutzbereich Franz von Sickingens, namentlich auf der Ebernburg, von wo aus er mit einer Flut von Agitationsschriften eine Reichs- und Kirchenreform zu fördern versucht, unter wohlwollender Anteilnahme Sickingens. In der Bannandrohungsbulle vom 15. Juni 1520 wird Hutten, neben Luther, dessen persönliche Bekanntschaft er vergeblich anstrebt, mit der Möglichkeit des Kirchenbanns konfrontiert. Hutten beginnt um der größeren Breitenwirkung willen seine antirömischen patriotischen Schriften auch in deutscher Sprache einzusetzen. Am 3. Januar 1521 wird die endgültige Bannbulle - da die Bedingungen der Rücknahme der Bannandrohung nicht erfüllt wurden - gegen Luther und seine Anhänger, darunter Hutten, erlassen. Auf dem Wormser Reichstag 1521 steht Martin Luther mit der Verteidigung <?page no="11"?> Hinführung 11 seines Glaubensbekenntnisses im Mittelpunkt, während Hutten eher vorsichtig zu seinen Gunsten aktiv bleibt. Im Mai 1521 kündigt Hutten ein Sold-Dienst-Verhältnis bei Karl V., womit man sein Stillhalten während des Wormser Reichstages zu erkaufen versucht hat, wegen des „Wormser Edikts“ vom 25. Mai 1521 mit seiner Verhängung der Reichsacht über Luther, ihn selbst u. a. Im Herbst 1522 verlässt Hutten den Schutzbereich Sickingens, weil gegen diesen wegen seiner militanten Fürstenfeindschaft von den Landesherren der Kurpfalz, Hessens und Triers mobil gemacht wird. Er flüchtet in die Schweiz und stirbt, von dem vor seiner Freundschaftsaufgabe der Hutten- Beherbergung verzagenden Erasmus von Rotterdam im Stich gelassen, im August 1523 auf der Insel Ufenau im Zürichsee an den Spätfolgen der Syphilis. Im Laufe der Jahrhunderte entwickelte sich eine von der Person Hutten eigendynamisch abweichende Hutten-Legende. So wurde und wird z. B. der kluge und mutige Reichsritter manchmal mit Don Quichotte verglichen, obwohl er keineswegs gegen Windmühlenflügel gestritten hat, sondern gegen eine Übermacht tatsächlicher, zumal reichsfeindlicher Gefahren, in deren Bekämpfung seine Jugend und Vitalität aufgerieben werden. Während der Burschenschaftsbewegung, den Freiheitskriegen gegen Napoleon und im politischen Kampf der Vormärzzeit wurde er zum Märtyrer der deutschen Freiheit mystifiziert, nach 1871 als Leitfigur des Deutschen Reiches aufgefasst und vom Nationalsozialismus bewusst falsch interpretiert und ideologisch missbraucht. Nach einer längeren Periode der Vernachlässigung in der Nachkriegszeit hat seit der Feiern, Publikationen und sogar einem Motivwagenumzug in Schlüchtern zu Ehren der fünfhundertsten Wiederkehr seines Geburtstages 1988 eine neue, um Objektivität und Gerechtigkeit bemühte Rezeptionsphase eingesetzt. Die vorliegende Einführung in Leben und Werk Ulrich von Huttens ist als Beitrag zu dieser Entwicklung gedacht. <?page no="13"?> Teil 1 Ulrich von Hutten - der politische Deutsche <?page no="15"?> 15 Ulrich von Hutten ergreift seine Waffen Ulrich von Hutten, am 21. April 1488 vormittags um halb zehn als erstes Kind des Reichsritters Ulrich von Hutten und seiner Frau Ottilie, geb. von Eberstein, auf der Burg Steckelberg (oder Steckelburg) bei Schlüchtern, in der Nähe von Fulda geboren, dem Stammsitz der Familie, war während der ersten elf Jahre seines Lebens der Unruhe auf der Ritterburg und ihrer Umgebung ausgesetzt, die er in seinem „Pirckheimer- Brief “ (s. Nr. 36) als typisch für die Ritterburg der damaligen Zeit überhaupt ansah: Bei uns verhält es sich so: Mag ich auch ein noch so prächtiges Erbteil besitzen, so daß ich von meinem Vermögen leben kann - dennoch sind die Beunruhigungen derart groß, daß sie mich nicht zur Ruhe kommen lassen. Man lebt auf dem freien Lande, in den Wäldern und auf diesen Burgbergen. Diejenigen, die uns ernähren, sind ganz arme Bauern, denen wir unsere Felder, Weinberge, Wiesen und Wälder zu Lehen geben. Was an Ertrag davon eingeht, ist im Verhältnis zu der Mühe, die darauf verwendet wird, gering und spärlich, doch ist man mit großer Sorgfalt und großem Fleiß darauf bedacht, daß er möglichst reich und lohnend ist; denn wir müssen als Haushälter sehr sorgfältig sein. Sodann müssen wir uns dem Dienst irgendeines Fürsten verdingen, von dem wir uns Schirmherrschaft erhoffen; wenn ich das nicht tue, glaubt jeder, daß er sich mir gegenüber alles erlauben dürfe, und auch wenn ich es tue, ist diese Zuversicht mit Gefahr und täglicher Furcht verbunden. Denn wenn ich aus dem Haus gehe, muß ich fürchten, denen in die Hände zu fallen, mit denen mein Fürst, mag er sein, wer er will, Händel oder Fehde hat. An seiner Stelle überfallen sie mich und schleppen mich fort, wenn einen das Mißgeschick trifft, zahlt man leicht die Hälfte seines Vermögens als Lösegeld; und so erwächst mir Feindschaft, wovon ich mir Schutz erhofft hatte. Daher halten wir uns zu diesem Zweck Pferde, schaffen Waffen an und umgeben uns mit zahlreichem Gefolge, alles unter großen und drückenden Kosten. Bisweilen reiten wir wohl sogar nicht zwei Morgen weit ohne Waffen aus; kein Dorf kann man unbewaffnet besuchen; auf die Jagd, zum Fischen darf man nur in Eisen gepanzert gehen. Außerdem kommen häufig gegenseitige Streitigkeiten zwischen Fremden und unseren Hörigen vor, und es vergeht kein Tag, an dem man uns nicht irgendeinen Streitfall berichtet, den wir sehr vorsichtig schlichten müssen; denn wenn ich zu ungestüm das Meinige in Schutz nehme oder etwa das Unrecht ahnde, entsteht eine Fehde; wenn ich aber zu geduldig Nachsicht übe oder gar von meinem Recht abgehe, dann bin ich sogleich dem Unrecht aller ausgesetzt, denn was man dem einen zugestanden hat, das wollen dann alle als Zugeständnis für eigenes Unrecht eingeräumt haben. Und unter welchen Leuten geschehen derartige Sachen? Nicht etwa unter Fremden, […], sondern unter einander Nahestehenden, unter Verwandten und Angehörigen einer Familie, ja sogar unter Brüdern kommen sie vor. <?page no="16"?> Ulrich von Hutten - der politische Deutsche 16 Nun, das sind unsere Annehmlichkeiten auf dem Lande, das ist unsere Muße und Ruhe! Die Burg selbst, ob sie nun auf einem Berg oder in der Ebene liegt, ist nicht zur Behaglichkeit, sondern zur Sicherheit erbaut, mit Graben und Wall umgeben, im Innern eng, durch Stallungen für Klein- und Großvieh im Platz begrenzt; daneben finstere Kammern, die mit Kanonen, Pech und Schwefel und dem übrigen Gerät an Waffen und Kriegsmaschinen angefüllt sind; überall der Geruch nach dem Pulver der Kanonen; dann die Hunde und der Hundedreck - auch das ist ein unangenehmer Duft, denke ich! Reiter kommen und gehen, unter ihnen Räuber, Diebe und Mörder; denn meistens stehen unsere Häuser allen offen, da wir entweder nicht wissen, wer der Betreffende ist; oder auch nicht viel danach fragen. Es ist das Blöken der Schafe, das Brüllen der Rinder und Bellen der Hunde zu hören, das laute Schreien der Arbeiter auf dem Felde, das Quietschen und Rattern der Karren und Wagen, ja bei uns zu Hause sogar das Heulen der Wölfe, weil die Wälder ganz nahe sind. Den ganzen Tag gibt es Mühe und Sorge für den folgenden Tag, unablässige Geschäftigkeit und beständige Unruhe: Die Äcker müssen gepflügt und wieder bestellt werden, in den Weinbergen muß gearbeitet, Bäume müssen gepflanzt und Wiesen trockengelegt werden, man muß eggen, säen, düngen, ernten und dreschen; da rücken schon wieder die Ernte und die Weinlese heran. Wenn nun ein Jahr einmal schlechten Ertrag bringt, wie es bei dem unfruchtbaren Klima häufig der Fall ist, dann tritt entsetzliche Not und Armut ein, so daß immer etwas da ist, was einen aufregt, stört, beunruhigt, zermürbt und aufreibt, was einen herbeiruft, wegruft oder hinaustreibt. [Übersetzung von Winfried Trillitzsch in „Der Brief Ulrichs von Huttens an Willibald Pirckheimer“, in: Katalog Ausstellung Schlüchtern, 1988, S. 211-230. Hier: S. 218-219] Hutten besuchte 1499 bis 1503/ 1505 auf Anordnung seiner Eltern die Stiftsschule der Benediktinerabtei Fulda. Er sollte ein „Monachus Fuldensis“ werden. Im Bereich des Klosters Fulda wohnte er bei seinem Onkel, dem Kellermeister der Abtei Johann von Hutten. Er scheint einen guten Unterricht erhalten zu haben. Ohne frühe Prägung wären seine überdurchschnittliche Beherrschung und dichterische Ausgestaltungsfähigkeit des Lateinischen, die selbst einem Erasmus von Rotterdam Bewunderung abnötigten, schwer vorstellbar. Zu einem klösterlichen Unterricht gehörten zusätzlich auch theologische Unterweisungen. Aus dem Bereich der antiken „Septem artes liberales“, der „Sieben freien Künste“, besonders dem „Trivium“ (Grammatik, Rhetorik und Dialektik) stammte hauptsächlich Huttens Unterrichts-Lernstoff, während die Unterweisung in den übrigen freien Künsten, dem „Quadrivium“ (Musik, Arithmetik, Geschichte und Astronomie) den höheren Lehranstalten vorbehalten war. Hutten hat später, 1507, zu einer von seinem Lehrer Rhagius Aesticampianus herausgegebenen enzyklopädischen und um dichterischen Form bemühten Darstellung der Sieben freien Künste „De nuptiis philologiae et Mercurii“ von Martianus Capella (5. Jh. n. Chr.) ein Begleitgedicht geschrieben (s. Nr. 3). <?page no="17"?> Ulrich von Hutten ergreift seine Waffen 17 Über seine Zeit im Kloster Fulda sagt Hutten in seiner deutschsprachigen „Entschuldigung“ (s. Nr. 52) von 1521, neben dem Pirckheimer-Brief und der „Expostulatio“ eine seiner drei großen autobiografischen Bekenntnisschriften, dass er von seinen Eltern, da er elf Jahre alt geworden war, aus andächtiger guter Meinung in das Stift Fulda „getan“ worden sei, mit dem Vorsatz, er solle dort als ein Mönch verharren. Das habe er damals, noch unwissend, was für ihn nützlich und gut und wozu er wohl geschickt wäre, nicht gemocht. Als er mehr über das Leben erfahren hatte, dünkte es ihn, dass er gottgefälliger und der Welt mehr zunutze in einem anderen Stande tätig werden könne. Er hatte damals noch nicht Profess, die Mönchsgelübde, abgelegt und sich, wie er verstohlen formuliert, aus dem Kloster „getan“, um seinen eigenen Vorstellungen gemäß sein Leben zu gestalten. Eine Hypothese besagt, dass Ulrich von Hutten schon im Alter von fünfzehn Jahren von der Leitung des Klosters Fulda zum zweijährigen Normstudium, dem sogenannten „Biennium studii“, an die 1392 gegründete Universität Erfurt geschickt worden sei. Insgesamt gesehen hat er von 1503-1517 mit Unterbrechungen an deutschen und italienischen Hochschulen studiert. Er brach sein Studium der Jurisprudenz, neben Medizin und Theologie eine der drei oberen Fakultäten, wohl 1517 in Ferrara ab. Es kann sein, dass er zunächst um 1503-1505 in Erfurt studiert hat. In dieser Zeit könnte seine Absichtsumkehrung von der klösterlich-geistlichen Laufbahn hin zu einem weltoffenen, an den Standorten verschiedener Hochschulen orientierten Wanderleben angesiedelt sein. Crotus Rubeanus (Johannes Jäger aus dem thüringischen Dornheim bei Arnstadt, ca. 1485-ca. 1545) und Eobanus Hessus (Eoban Koch aus dem hessischen Halgehausen zwischen Frankenberg und Wildungen, 1488-1540), waren seine Freunde in Erfurt und wurden lebenslange treue Kameraden von ihm, Genossen als Autoren der humanistischen Bewegung und gelegentlich literarische Mitarbeiter. Unter seinen zahlreichen Freunden gehörten sie zum kameradschaftlichen, kumpelhaft zuverlässigen Typ, während Huttens Freundschaft mit dem weniger berechenbaren Erasmus von Rotterdam, dem geschmeidig mit den Großen der Welt kommunizierenden Pazifisten und vorlutherischen Kirchenkritiker, der, anders als Hutten, europäisch, nicht national gesonnen war, sich zunehmend als problematisch erwies und schließlich in gegenseitige Feindschaft umschlug. Der Grund für Hutten, mit ihm zu brechen, war, dass der in weltanschaulicher Hinsicht gelegentlich geistig etwas zu bewegliche Humanist sich nicht, trotz partiell gleicher Tendenz, zu einem Übertritt auf die Seite Luthers und der Reformation verstehen konnte. Ähnliche Gründe bewogen Hutten, in einem Brief vom 22. Februar 1521, Johannes Reuchlin seine leidenschaftliche Missbilligung auszusprechen, die beinah einer Aufkündigung der Freundschaft gleichkam. Was für einen Erfurter Aufenthalt Huttens in seinen noch jungen und entsprechend empfänglichen Jahren spricht, ist seine seit jener Zeit bestehende dauerhafte Verbundenheit mit dem in Erfurt und seinem geistigen Umfeld beheimateten sog. „Mutianischen Orden“, dem auch Eobanus Hessus und Crotus Rubeanus angehörten. <?page no="18"?> Ulrich von Hutten - der politische Deutsche 18 Die zentrale Figur aber war der aus Homberg an der Efze stammende Mutianus Rufus (eigentlich Konrad Muth, 1471-1526), welcher, der „vita contemplativa“ hingegeben, von einer geistlichen Pfründe lebte und in einem ordensseltsam ausgestatteten Haus hinter der Gothaer Domkirche wohnte. Außer bedeutenden, moralphilosophisch orientierten Briefen ist von ihm wenig überliefert, so z. B. ein Epigramm über Huttens „Nemo“ (s. Nr. 13). In seinem Haus, einer Art Adresse für eine außeruniverisitäre humanistische Ein-Mann-Fakultät, empfing er lernempfängliche Besucher, besonders Studenten, darunter Ulrich von Hutten. Der aber scheint mit einem eher skeptischen Wohlwollen bedacht worden zu sein, sein offenherzig scharfzüngiges, reizbares Temperament irritierte. Mutianus verachtete das Streben nach öffentlicher Aufmerksamkeit durch Publikationen, vermittelte aber den Inhalt wichtigen Schrifttums. Im Erfurter/ Gothaer Humanistenkreis ist Hutten wohl erstmals ernsthaft mit nationalen Tendenzen des Humanismus in Berührung gekommen. Diese wurzelten namentlich in der Lektüre der „Germania“ des Tacitus, deren Rezeption durch die Ausgabe von 1500 des Conrad Celtis verstärkt in Umlauf kam. Hutten geriet in die Tradition eines national-humanistischen Lehrer-Schüler-Stammbaums, indem sein späterer und wohl einflussreichster Lehrer Rhagius Aesticampianus, seinerseits Schüler des Conrad Celtis, sein Verständnis des Werks des großen römischen Historikers vertiefen half. Rhagius besorgte 1509 ebenfalls eine Ausgabe der „Germania“ des Tacitus. Insofern der Aufenthalt Huttens in Erfurt umstritten ist, erscheint auch unklar, ob er von dort oder doch von Fulda aus - dunkel ist ebenfalls, ob er aus dem Kloster Fulda, vielleicht sogar schon Professmönch geworden, geflohen ist oder es „legal“ verlassen durfte - an die 1477 gegründete Universität Mainz gelangt ist. Johannes Rhagius Aesticampianus (lateinisch aus Rack und seinem Geburtsort Sommerfeld, Oberlausitz), ein streitbarer Theologe und humanistischer Philologe, lehrte hier. Er wurde wegweisend für Hutten, der zeitweilig mit ihm in einer Haushaltsgemeinschaft lebte (s. Nr. 4) und sich mit kleinen Begleitgedichten in Publikationen seines Lehrers symbiotisch einnistete (s. Nr. 3, 4, 5, 9). Er war ein Freund der humanistisch ausgerichteten Studenten und Lehrer (Magister) und der „poetae“ sowie ein Gegner der scholastischen und altkirchlichen Magister. Noch 1505 finden wir Rhagius an der 1388 gegründeten Universität Köln. Dorthin folgte ihm Hutten, der mit Datum vom 20. Oktober 1505 an der Kölner Hochschule immatrikuliert wurde. Er setzte sein Studium vor allem des Lateinischen und Griechischen fort. Huttens Hass auf die altkirchlichen Scholastiker und Magister, später über den theologischen „Überbau“ hinaus auf die römische Papstkirche selbst ausgedehnt, mag auch darin begründet sein, dass er die Vertreibung des standhaft humanistischen Rhagius von verschiedenen Hochschulen - so auch von der Universität Köln - miterleben musste oder doch davon Kenntnis erhielt. Rhagius Aesticampianus (1460-1520) hatte 1489 in Krakau studiert und wurde 1489 mit Conrad Celtis bekannt, der auf ihn großen Einfluss ausübte. Das Griechische erlernte er dann 1499 in Italien, das er 1501 nach Basel verließ, wo er u. a. Vorlesungen über die „Tabula Cebetis“ hielt (s. Nr. 5), von der er eine Ausgabe aus Bologna mitge- <?page no="19"?> Ulrich von Hutten ergreift seine Waffen 19 bracht hatte. Nach beruflichen Zwischenstationen in Straßburg, Mainz und, wie gesagt, Köln, gelangte er 1507 nach Frankfurt/ Oder, wo er als Dozent an der Universität „Viadrina“ - von „Viadrus“ = Oder - wirkte. Hutten, seiner getreuen Art gemäß, folgte ihm. Auch hier zählte er zu seinen Studenten. Rhagius verstand es, einen Kreis von Schülern um sich zu versammeln. Hutten selbst ist stets lieber in der Anhängerschaft bedeutender Männer aufgehoben gewesen. Ihn selbst kann man sich nicht so recht als Identifikationsfigur oder Mittelpunkt eines „Kreises“ oder gar als Anführer einer Volksbewegung, wie Luther es vermochte, vorstellen. Rhagius Aesticampianus zog dann, wegen Misshelligkeiten mit dem dogmatisch altkirchlichen Rektor der „Viadrina“, Konrad Wimpina, als notgedrungener Wanderdozent 1508 weiter nach der 1401 gegründeten Universität Leipzig, in Begleitung seines Schülers Ulrich von Hutten, der im März 1508 immatrikuliert wurde. Rhagius vermittelte Hutten auch hier wertvolle Kenntnisse der Werke antiker Autoren, so neben den Schriften des Tacitus auch diejenigen des Lukian, in beiden Fällen mit nachhaltigem Einfluss auf Huttens Publizistik. Dieser erscheint inhaltlich oft an dem Römer, formal, etwa in den in der Unterwelt spielenden Dialogen „Phalarismus“ und „Arminius“ an dem Griechen orientiert, dessen satirische Art ihm entgegenkam. Hutten verweilte in Leipzig von der Jahreswende 1507/ 1508 bis Anfang 1509. Hier war es, wo er sich, wie etwa 360 Jahre später Nietzsche, mit der Syphilis infizierte. In einem Gedicht von 1507 an seinen Freund Hermann Trebelius (s. Nr. 6) spricht er von den Gefahren der unsicheren Liebe, denen er ausgesetzt sei. In Leipzig, 1508, endete vermutlich die Lehrer-Schüler-Arbeitsgemeinschaft von Rhagius und Hutten. Rhagius starb 1520 in Wittenberg, wo er, befreundet mit Melanchthon und Luther, als Professor gewirkt hatte. Nach der Entdeckung seiner Infizierung mit der Syphilis - damals meist die „Franzosenkrankheit“ genannt - unterbrach Hutten bestürzt die Kontinuität seines Studiums an der Artistenfakultät verschiedener deutscher Städte - Erfurt, Mainz, Köln, Frankfurt/ Oder und Leipzig. Wohl im Gefolge eines verworrenen Fluchtimpulses unternahm er, zumindest nach dem auf einem mündlichen Bericht Huttens beruhenden Zeugnis des Wiener Humanisten Joachim von Watt (Vadianus) in seinem Brief vom 12. Januar 1512 an den Mathematikprofessor Georg Tannstetter (Collimitius), eine wilde, gefährliche Schiffsreise auf der Ostsee, dem „Gotischen Meer“ und konnte nach einem Unfall von Glück sagen, dass er im Sommer 1509 wieder die rettende Ostseeküste erreichte. Um Einlass bittend vor Hütten aus Lehm, flehend um Schlafplatz und Nahrung, schlug er sich bis Greifswald durch, an deren Universität er für das Sommersemester 1509 als Poet ohne Gebührenbezahlung eingetragen wurde. Mit seinen Wirtsleuten, dem Bürgermeister und Handelshausinhaber Wedeg Loetz und seinem Sohn Henning, Kanonikus und Professor der Rechte, verstand er sich zunächst gut, wie aus seiner Rechenschaftsdichtung, den „Loetze-Klagen“ (s. Nr. 11) her- <?page no="20"?> Ulrich von Hutten - der politische Deutsche 20 vorgeht. Dann traten Zwistigkeiten auf, die vielleicht dadurch entstanden, dass die beiden Patrizier den Junker- und Poeten-Allüren Huttens, der als Musensohn die Wohltaten der Begüterten als eine Art ihm gebührende Huldigung ansehen mochte, mit Hohn und Spott begegneten. Es kam zum offenen Zerwürfnis, als sich Huttens Zahlungsunfähigkeit in Hinsicht auf ihm zur Verfügung gestellte Bekleidung, Kost und Logis herausstellte. In Huttens Darstellung der Greifswalder Ereignisse, den Loetze-Klagen - der einzigen Quelle für sie, sieht man von den vagen, an der Odyssee orientierten Andeutungsvergleichen des Vadianus in jenem Brief an Tannstetter ab - ließen sich jedoch die beiden Honoratioren dann auf einen gütlichen Abschied ein, da ihr Gast seine Schulden später zu bezahlen versprochen hatte. Auf seinem Marsch im Dezember 1509 nach dem gelehrten Rostock, wo er weiterstudieren wollte, wurde er indessen, wohl noch innerhalb des Weichbildes der Stadt Greifswald und damit des Stadtrechts, von Loetzes Häschern überfallen und all seiner Habe, darunter der Oberbekleidung, beraubt, ebenfalls, unter höhnisch-niederträchtigen Kommentaren, eines Bündels mit eigenen handschriftlichen Dichtungen. Er reagierte darauf schreiend verletzt, so wie gegen Ende seines Lebens 1522 auf den Raub auch seiner Bücher und Manuskripte durch Schergen von Pfalzgraf Ludwig- V. beim Transport seiner Habe durch die Pfalz - Teil einer der vielen Fluchtbewegungen seines Lebens. Es erscheint jedoch nicht sehr wahrscheinlich, dass die nüchternen „Lossier“, wie Hutten die Loetzes nennt, als handele es sich um ein räuberisches Bergvolk, innerhalb der relativ kurzen Zeit von ihres Gastes Weggang bis zu seiner Ankunft in der Gemarkung der Stadt sich zu dem Entschluss einer Verfolgungsjagd auf ihn innerlich umorientiert hätten. Eine andere Möglichkeit wird von Hermann Trebelius, immerhin Huttens Freund und Vertrauter in der damaligen Zeit, in den drei Gedichten angedeutet, mit denen er in den „Loetze-Klagen“ gastiert: mit dem auf Huttens Auszug aus Greifswald gemünzten Ausdruck „[ex]pellere“ vertreiben). Insofern wurde Hutten wohl eher vom Bürgermeister Loetz behördlich aus der Stadt verwiesen, pfandrechtlich um seine Habe gebracht und von Stadtbütteln aus Greifswald hinausgezwungen. Wie auch immer, Hutten erreichte schließlich bei eiserner Kälte halb erfroren das von Greifswald etwa 90 km westwärts entfernte Rostock. Er fand zunächst in einer Herberge eine elende Unterkunft. Schon zu diesem Zeitpunkt begann er mit der Niederschrift der „Loetze-Klagen“, dabei von Syphilis-Beschwerden, aber auch von ihm durch die Loetze-Schergen zugefügten Wunden gequält. Wir erfahren bereits in der zweiten Elegie, dass er vor zwei Jahren - in Leipzig - von der Syphilis erfasst wurde, die sich namentlich in eiternden Beulen und einem alle vier Tage wiederkehrenden Fieber äußerte. Er hätte sie - d. h., seine spezifische eigene - am liebsten den Loetzes angehext, wie später dem Kardinal Cajetan, wovon sein Dialog „Febris“ (s. Nr. 38) zeugt. Dabei agierte sein unbändiger Wille und sein aggressiver Geist wie unabhängig von den höchstpeinlichen Beschwerden, und dies auch noch 1523 auf der Insel Ufenau im Zürichsee, als er der an ihm schmarotzenden Krankheit endgültig unterlag. <?page no="21"?> Ulrich von Hutten ergreift seine Waffen 21 Allmählich kamen Rostocker Gelehrte, Universitätsprofessoren z. B., ihn besuchen. Einer von ihnen, der Niederländer Ekbert Harlem, Professor der Philosophie, nahm sich seiner besonders an und sorgte dafür, dass der wie ein Findling bestaunte, hochgebildete und zugleich abenteuerliche adlige Fremde in sein Haus umzog. Hutten wurde dort auf das Beste betreut und erholte sich allmählich etwas. Er begann, 1506 in Frankfurt/ Oder durch den Erwerb des philosophischen Bakkalaureats dazu befugt, Vorlesungen zu halten - darunter auch über die lateinische Metrik. Die Ergebnisse seiner Bemühungen um sie flossen in sein 1511 in Wittenberg geschriebenes Sachbuch - in lateinischen Versen über lateinische Verskunst - ein, das ein europäischer Erfolg wurde. Die während seines Aufenthalts in Rostock im ersten Halbjahr 1510 entstandenen „Loetze-Klagen“, aufgeteilt in 2 Bücher zu je 10 Elegien, vibrieren in zielsicher gesetztem - in seiner Metrik gelehrten - Vers-Latein von einer aggressiven Hocherregung gegen die Loetze, einem achillesartigen Rachezorn, der sich immer wieder erneuert und erst in der letzten der zehn Elegien des zweiten Buches (der zwanzigsten insgesamt) abebbt. Hier schickt er seine Muse mit Berichtsauftrag über sein Unglück auf die Reise zu ca. fünfzig deutsche Dichtern (darunter auch einer ansonsten unbekannten Dichterin namens Nisa) und Humanisten. Hutten, an dem ein Geograph und Entdeckungsreisender verloren gegangen ist, bietet ohnehin in seinem publizistischen Werk keine zweckfreien, rein wissenschaftliche geographische Beschreibungen, sondern solche, die einem übergeordneten Ziel dienen, etwa der Mobilisierung gegen Feinde des „Sacrum Imperium Romanum“, wie Venedig oder das Osmanische Reich oder der friedlichen Absicht untergeordnet sind, in Gestalt eines poetischen Reiseführers eine Dichtergalerie Deutschlands zu schaffen, wie in den „EOV“ oder eben wie hier, in den Loetze-Klagen, deren Dichterporträts in II, 10 die Muse über ihre vorgesehenen Reise-Gastgeber informieren sollen. Hutten charakterisiert im Richtungssinn der alten Handelsstraßen lakonisch eine relativ große Anzahl von Humanisten, denen er sich selbst als eine die gefährdete humanistische Geistigkeit repräsentierende Integrationsfigur vor Augen führt. Bei ihrem Aufenthalt in Buchonien, im Fuldaer Land möge die Muse, so Hutten, seiner Mutter von seinem Unglück nichts erzählen, ein Wunsch, in dem die Liebe seiner Mutter zu ihm und die seine zu ihr anklingt. Trotz seines von Krankheit, Verfolgung und „neidischer Armut“ genährten Heimwehs lehnt er für seine Person ein beschauliches Dasein zu Hause ab. Das Kloster Fulda betreffend, warnt er die Muse vor ihrem Feind, einem gewissen Tundalus, hinter welchem latinisierten Namen sich vielleicht, wie man vermutet hat, der des Stiftskustos Johann Knöttel verbirgt, der noch lebte, als Hutten Schüler des Klosters war (tundare = schlagen, stoßen). Aber einmal vom Tundalus abgesehen, umschließt Hutten Fuldas durch Hrabanus Maurus und Winfried Bonifatius verkörperte große Vergangenheit mit enthusiastischer Verehrung. In den fast ausnahmslos an bestimmte Einzelpersonen gerichteten und je nach Empfängern differenziert gestalteten vorherigen Elegien bittet Hutten wegen der Gewalttat der Loetze, die er genießerisch und bissig als amusisch und habgierig cha- <?page no="22"?> Ulrich von Hutten - der politische Deutsche 22 rakterisiert, um Mitgefühl, Hilfe, Rache, deutet an, dass sie ihm noch immer nachstellen. Vergeblich sucht man ein Gedicht mit einem Hilfegesuch an seinen Vater. Das mag damit zusammenhängen, dass dieser ihm die persönliche und finanzielle Zuwendung wegen seiner beruflichen Orientierungslosigkeit aufgekündigt hatte. Ein Vermittlungsversuch des Jugend- und Heimatfreundes Crotus Rubeanus zwischen Hutten und seinem Vater (vgl. den Brief des Crotus an Hutten vom 3. Februar 1511) schlug fehl. Ludwig von Hutten, Ulrichs begüterter Onkel und Gönner, Amtmann zu Trimberg (gest. 1517), den er sich in seiner Elegie an ihn beim Turnier in der Nähe der Trimburg an der fränkischen Saale vorstellt, scheint für ihn, der wie Parzival vom Rittertum geblendet war, eine stellvertretende bewunderte Vaterfigur geworden zu sein. Ihn bittet er um (raub) ritterliche Hilfe: er soll Wedeg Loetz bei dessen nächster Handelsreise nach Frankfurt/ M. überfallen und die Bestrafung des Großkaufmanns getrost ihm überlassen. Ulrich von Hutten, der in seinen Klagen den Überfall auf ihn durch die Handlanger der Loetzes in vielen Variationen anprangert - er beklagt sich darüber, indem er anklagt und umgekehrt - misst hier offensichtlich mit zweierlei Maß. Es ist unwahrscheinlich, dass Ludwig von Hutten das selbst für damalige Zeiten ungewöhnliche poetische Ansinnen seines Neffen ernst genommen hat. Aber fünf Jahre nach Niederschrift der Loetze-Klagen trafen Ludwig und Ulrich von Hutten tatsächlich Anstalten, gemeinsam gegen einen Tyrannen vorzugehen, allerdings einen solchen, der weitaus bösartiger und mächtiger als Wedeg Loetz war, nämlich den Territorialfürsten Ulrich von Württemberg, der 1515 seinen Stallmeister Hans von Hutten, einen der vier Söhne Ludwig von Huttens, aus Eifersucht, weil er dessen Frau begehrte, heimtückisch ermordet hatte. Indem sich Hutten in den „Loetze-Klagen“ das wehrhafte, rachefähige, von Rittern glänzende Frankenland vorstellt, ohne dabei auf den räuberischen Niedergang durch die fortschreitende gesellschaftlich deklassierende Machtzersetzung des ehemals hochangesehenen, z. B. in Versepen des Mittelalters gefeierten Ritterstandes einzugehen, erholt sich sein Stolz durch die Flucht in seine kollektiv-biografische Zugehörigkeit zur Familie derer von Hutten und zur fränkischen Ritterschaft. Die „Loetze-Klagen“ dürften vor ihrer Sammelausgabe 1510 in Frankfurt/ O. auch als - vermutlich mehr oder weniger anders formulierte - Einzelbriefe an die Adressaten verschickt worden sein, da Hutten es eilig hatte, Hilfe zu bekommen. Er porträtierte sich darin nicht so sehr als durch Vertreter des aufstrebenden Bürgertums beleidigten Adligen, sondern mehr als gekränkter Dichter. Trotz einer gelegentlich zutage tretenden grotesken Diskrepanz zwischen dem Pathos des Elegischen Distichons und dem Thema eines Mietparteienstreits sind die „Loetze-Klagen“ ein eindrucksvolles Dokument einer „gotischen“ düsteren Lebensphase, in der sich Hutten als Poet wiederfand, in einer Ausnahme-Situation, die ihn sich mit Jesus Christus vergleichen ließ. Überdies sah er sich als einen im christlichen Sinn Ausgezeichneten, insofern Christus und etwa auch die Heilige Elisabeth, die er als Beispiel christlicher Nächstenliebe anführt, sich ja besonders den Armen zuwandten. <?page no="23"?> Ulrich von Hutten ergreift seine Waffen 23 Er wusste, dass er infolge der Syphilis-Infektion nur noch eine relativ kurze Lebenserwartung hatte, dass der Tod, wie es einmal sinngemäß heißt, sich in ihm einzunisten begann. Im Sinn von Reputierlichkeit und Sesshaftigkeit, von Ehe und Familie war seine Zukunft in Frage gestellt. Unmissverständlich hatte ihn die von ihm so oft zitierte Glücksgöttin Fortuna durch einen Brückenabbruch in das Reservat eines im antiken Sinn vom Göttlichen inspirierten Dichters im Dienst der Musen eingegrenzt. Es ist nicht bekannt, ob die Loetze die gegen sie gerichteten, im Kern invektivischen Elegien zur Kenntnis genommen haben, in denen Hutten sie der Rache von Göttern und sie negativ unsterblich machenden Dichtern überantwortet. Die beiden robust materialistischen Raub-Patrizier, denen Hermann Trebelius in seinen den „Loetze- Klagen“ eingefügten Gedichten Frevel durch Handanlegen an den „heiligen“ Dichter Hutten vorwirft und an die Hutten Briefe geschrieben zu haben behauptet - keine seiner Elegien ist direkt an sie gerichtet - lebten von Gewissensbissen, denen Hutten sie ausgeliefert glaubt, vermutlich unangefochten, unbekümmert weiter und schämten sich auch nicht, ihre Karriere fortzusetzen. Henning Loetz avancierte vom Kanonikus zum Propst, Wedeg Loetz sogar vom zweiten zum ersten Bürgermeister. <?page no="24"?> 24 Von Italien über Deutschland nach Italien Ulrich von Hutten zog im Frühjahr 1511 landstraßenentlang und durch Wildnis ca. 800 Kilometer zu Fuß, zu Pferd, auf Rollwagen von Wittenberg nach Wien, wo er sein an verschiedenen Universitäten geführtes Studium fortsetzen wollte. Er lernte leidenschaftlich gern, auch in Gesellschaft, denn er gehörte nicht zum einsam eigensinnigen gelehrten Typ. Mit seiner Gier nach humanistischer Bildung war er nicht typisch für die Ritterschaft seiner Zeit „Ein Ritter so gelehret was, daz er an den buochen las“ - dieser Satz aus dem „Armen Heinrich“ (um 1200) des Hartmann von Aue traf auch auf ihn zu. Hutten war damals schon als Autor kleiner lateinischer Gedichte ausgewiesen. Unterwegs nach Wien schrieb er ein längeres lateinisches Sach-Gedicht, eine Ermahnung an Kaiser Maximilian I., den „letzten Ritter“, am Krieg europäischer Mächte um Italien weiterhin teilzunehmen, zumal die Republik Venedig ihm den Weg nach Rom zur Kaiserkrönung durch Papst Julius II. militärisch blockiert hatte. Erstmals in Huttens Werk tritt militanter Patriotismus zutage (s. Nr. 14). Hutten dürstete nach Freundschaft und war selbst loyal freundschaftsfähig. Er wurde in Wien im Herbst 1511 vom kaisernahen Humanistenkreis um Joachim Vadianus willkommen geheißen. Huttens Germanophilie, gekoppelt an den Glauben an eine höhere Sendung eines deutschen ritterschaftsgestützten Kaisertums, glanzvoll repräsentiert etwa beim Mainzer Hoffest von 1184 unter Kaiser Friedrich Barbarossa, fand in den Anschauungen des Wiener Humanistenzirkels Bestätigung. Nach einem Streit mit dem Rektor der Universität Wien nahm Hutten sein Vagabunden- und Landstraßenleben wieder auf. Es beruhigte sich vorläufig, nachdem er sich im März 1512 im Herzogtum Mailand an der Universität Pavia immatrikuliert hatte. Er studierte Römisches Recht, das damals auch in Deutschland Einzug hielt und setzte sein Griechisch-Studium fort. Inzwischen hatte Vadianus Huttens Ermahnung an Maximilian I. (s. Nr. 14) drucken lassen. In jener Zeit kämpften Papst Julius II, Frankreich (Ludwig XII.), die Republik Venedig und Kaiser Maximilian I. um die Vorherrschaft in Italien. Vom Krieg mit seinen rasch wechselnden Bündniskonstellationen wurde auch Pavia in Mitleidenschaft gezogen. Hutten geriet, bedrängt durch die französische Besatzung, in eine Art Hausarrest - ähnlich, wie damals in derselben Stadt Agrippa von Nettesheim (1486-1535), der Arzt und Philosoph - schrieb seine eigene Grabinschrift und wurde durch die im Dienst des Papstes siegenden Schweizer Söldner - die „Reisläufer“, vom mittelhochdeutschen „reis“; dem Kriegszug - abermals bedroht. Er kaufte sich frei und schlug sich, erstmals in die Realität eines Krieges verstrickt, nach Bologna durch, wo er vorerst sein Jura- Studium fortsetzte. Er wurde, indem ihm das Geld ausgegangen war, 1513 Landsknecht im Heer Maximilians-I., unter dessen Fahnen bereits sein Vater gekämpft hatte. Aber die Zeit der Ritterheere war zugunsten bezahlter Söldner vorbei. Hutten nahm an der vergeblichen Belagerung der venezianischen Terra-Ferma-Festung Padua teil und <?page no="25"?> Von Italien über Deutschland nach Italien 25 schrieb kriegsreportageartige Epigramme, zugespitzt bissige Xenien. Gedruckt erschienen sie 1519 zusammen mit anderen italienrelevanten Schriften Huttens in der sog. „Augsburger Sammlung“ (s.-Nr. 15). Frankreich, ursprünglich Bundesgenosse Maximilians I. in den oberitalienischen Kriegen, aber seit dem Vertrag von Blois (23. März 1513) im Bunde mit Venedig gegen den Kaiser, wird insofern in Huttens politische Xenien mit einbezogen. Die frankreichfeindlichen Kriegsepigramme Huttens bewogen David Friedrich Strauß in seiner Biographie des Humanisten, in der Ausgabe von 1871, zu einem Analogieschluss wohl auf die Situation nach dem für Deutschland bekanntlich siegreichen Deutsch-Französischen Krieg 1870/ 71: Schon bald von Anfang war ein Epigramm eingestreut, das in merkwürdigem Beispiele zeigt, wie Nationen über Jahrhunderte hinüber gewisse Eigenschaften beibehalten. [Übersetzung von Strauß] An die Franzosen, als sie dem Kaiser die Flucht andichteten. Armer Franzos, du tröstest dich selbst und erdichtest dir Freuden, daß nur keiner im Volk glaube, dir geh es so schlimm. Lüge nur zu und tröste mit Hehlen dich über dein Unglück, wenn nur der Kaiser indes Taten um Taten vollbringt. Rühme dich immer er sein kriegsmatt und beginne den Rückzug, während er mit Siegergewalt dich im Nacken bedrängt. Der Hochmut des Hahns, der sich über den Adler dünke, aber einst noch berupft (! ) heimkehren werde, wird in verschiedenen Wendungen verspottet. Auch hier folgen die Epigramme den Schwankungen des Kriegsglücks. 1873 sah Friedrich Nietzsche in den „Unzeitgemäßen Betrachtungen“, 1. Stück „David Friedrich Strauß, der Bekenner und Schriftsteller“ das Resultat des Deutsch- Französischen Krieges im Gegensatz zu Strauß in einem gerechten Licht: Von den schlimmen Folgen aber, die der letzte mit Frankreich geführte Krieg hinter sich drein zieht, ist vielleicht die schlimmste ein weitverbreiteter, ja allgemeiner Irrthum: der Irrthum der öffentlichen Meinung und aller öffentlich Meinenden, dass auch die deutsche Kultur in jenem Kampfe gesiegt habe und deshalb jetzt mit den Kränzen geschmückt werden müsse, die so außerordentlichen Begebnissen und Erfolgen gemäß seien. Dieser Wahn ist höchst verderblich […] weil er im Stande ist, unseren Sieg in eine völlige Niederlage zu verwandeln: in die Niederlage, ja Exstirpation des deutschen Geistes zu Gunsten des deutschen Reiches. <?page no="26"?> Ulrich von Hutten - der politische Deutsche 26 Im November 1513 streifte Hutten zusammen mit anderen Söldnern zurück nach Deutschland, nachdem der Kaiser das Kriegsglück nicht auf seine Seite zu zwingen vermocht hatte. Dort wurde er in den diplomatischen Hofdienst des Kurfürsten Albrecht von Mainz aufgenommen. Im engeren heimatlichen, familiären Kreis hingegen bereitete man ihm, der sich nach jahrelanger Abwesenheit endlich einmal wieder zu Hause sehen ließ, einen frostigen Empfang, auch, insofern er keinen akademischen Grad erworben hatte. Diese Situation suchte er sich in seinem wortakrobatisch hintersinnigen Porträt des Niemand, des „Nemo“ (s. Nr. 10, 21) geistig zu unterwerfen. Hutten hielt sich, zwischen seinen beiden Italien-Aufenthalten, knapp zwei Jahre in Deutschland auf. Während dieser Zeit, 1514-1515, entstanden u. a. zwei relativ umfangreiche Preisgedichte, in der Nachfolge der Panegyriken des Claudian (Dichter der Spätantike, um 370 (? ) - nach 404), das eine auf Johannes Reuchlin (s.-Nr. 16), das andere auf Albrecht von Mainz (s. Nr. 18). Was seine Aufnahme (1514) in den diplomatischen Hofdienst Albrechts von Mainz betrifft, der zunächst wohl von eher vorläufigem Charakter war, gewissermaßen „auf Probe“, so hatte sich dabei der Ritter Eitelwolf von Stein (ca. 1464-1515) ins Mittel gelegt. Der aus oberschwäbischem Geschlecht stammende Staatsmann, Freund und Förderer der Humanisten war nach Dienstjahren bei dem brandenburgischen Kurfürsten Johann Cicero (1455-1499) und seinem Sohn und Nachfolger Joachim I. Nestor (1484-1555) schließlich im Gefolge von dessen Bruder Albrecht als Hofmarschall und Vitzthum (Verwaltungsbeamter) nach Mainz gekommen. Albrecht war 1514 Erzbischof und Kurfürst von Mainz und insofern auch Erzkanzler des Reiches geworden. Während einer seiner Anti-Syphilis-Kuren, diesmal in Bad Ems, wurde Hutten, vor dem 13.- Juni 1515, von zwei Todesnachrichten heimgesucht. Sein Vetter Hans von Hutten war von seinem Dienstherren, Herzog Ulrich von Württemberg, aus Gier nach seiner schönen jungen Frau, im Mai 1515 ermordet worden (s. Nr. 20) - Ulrich von Huttens Gönner, Eitelwolf von Stein, war am 10. Juni 1515 gestorben. Über beide Trauerfälle berichtet Hutten in einem Brief vom 13. Juni 1515 (Böcking 1, S. 40-45) an seinen Freund in Bologna, Jakob Fuchs, Domherr zu Bamberg. Darin beschreibt er in einem Abschiedsporträt Eitelwolf von Stein als seinen väterlichen Freund, mit dem er viele förderliche, der Bildung dienende Unterredungen geführt und welcher die Sache des Humanismus verfochten habe. In dem Brief ist eines jener Mosaikstücke von Huttens ethnographischer Literärgeschichte des zeitgenössischen Deutschlands enthalten, die auch sonst in sein Werk eingefügt sind, etwa im Pirckheimer-Brief von 1518, worin er diesem die Verbreitung humanistischer Kenntnisse in Nürnberg und Erasmus vergleichbare Bestrebungen am Niederrhein zuschreibt - als Beiträge zu einer Art humanistischer Kolonisation Deutschlands. In den „Lötze-Klagen“ (s. Nr. 11) und dem zweiten Teil der „Dunkelmännerbriefe“ (s. Nr. 25) bietet er ebenfalls literaturgeographisch orientierte Einsprengsel. Anhand der Werteinschätzungen und Rangeinteilungen Steins, wie sie Hutten weitergibt, gewinnen einige der damaligen deutschen Literaten und <?page no="27"?> Von Italien über Deutschland nach Italien 27 Humanisten Kontur. Stein schätzte z. B. die Beredsamkeit des Humanisten Vigilantius Axungia (1485-1512, s. Nr. 2), der vor drei Jahren von Straßenräubern durch Pfeilschuss ermordet worden war und hielt große Stücke auf Crotus Rubeanus, Eobanus Hessus, Rhagius Aesticampianus, Reuchlin, Erasmus von Rotterdam, Mutianus Rufus. Steins besonderer Schützling war Ulrich von Hutten, beide mit ihrem an den antiken Klassikern orientierten Wissens- und Bildungsideal Außenseiter innerhalb ihres Standes, der bildungstumben Ritterschaft. Hutten, der Zeit seines Lebens die Anerkennung durch seinen Vater schmerzlich entbehrt hat, ohne dessen Missbilligung seiner Lebensführung ganz überwinden zu können, war rastlos auf Vatersuche, trachtete nach väterlichen Mentoren, die ihn, gerade auch, was seine wissenschaftlichen, humanistischen und schöngeistigen Bestrebungen anging, akzeptieren und würdigen mochten. Stein kam Huttens seelischen Bedürfnissen entgegen, während andere in Betracht kommende Förderer, wie Erasmus und Pirckheimer, von zögerlichen Vorbehalten gehemmt wurden und Hutten lieber jenseits des Feldes der Politik allein auf das humanistische Gelehrtentum konzentriert gesehen hätten. Eitelwolf von Stein war Huttens Vorbild mit seinem gelungenen Versuch einer Synthese von „vita activa“ und „vita contemplativa“, von Hofleben, Staatsdienst und Gelehrtentum in einer Person. Im „Pirckheimer-Brief “ (s. Nr. 36) skizziert Hutten sein so geartetes Lebensmodell. Hätte sich Hutten für die „vita contemplativa“ allein entschieden, wozu ihn, im Wissen um sein außergewöhnliches Talent, Pirckheimer und Erasmus drängten, so wäre er zum unpolitischen Deutschen, zum angepassten Untertanen geworden. Aber Hutten fürchtete den scharfen Wind der Politik nicht und verschmähte die umfriedete „innere Emigration“ - eine Form der humanistischen „vita contemplativa“ - mit ihrer Kultur der Innerlichkeit, die bekanntlich zur Abgestumpftheit gegenüber kranken Diktatoren führen kann. Auf Drängen seines Dienstherren Albrecht von Mainz, der im Römischen Recht bewanderte Hofbeamte benötigte, begab sich Hutten 1515 erneut über den Brenner nach Italien, um dort endlich sein Jurastudium mit dem Doktortitel abzuschließen, was ihm jedoch, ablenkbar wie er war, nicht gelang, er brach es vermutlich 1517 in Ferrara ab. Während seines Aufenthaltes in Rom im ersten Halbjahr 1516 verlangte es Hutten, abgesehen von seinem Rechtsstudium an der Universität, jedoch auch nach anderweitiger Belehrung. Er suchte sich mit Hilfe von Informanten und eigener Anschauung ein Bild vom päpstlichen römischen Hof zu machen. Davon zeugen z. B. seine Epigramme an Crotus Rubeanus (s. Nr. 15). Seine Eindrücke waren dermaßen desillusionierend, dass sie zur Keimzelle seines späteren, fast monomanischen Feldzuges gegen die - vordem keineswegs von ihm dezidiert angegriffene - Papstkirche wurden. Davon wurde sein nach vielen Fachgebieten ausgreifender Wissensdrang - Astronomie, Altphilologie, Mathematik, Geographie, Medizin, Geschichte (s. etwa Nr. 34, 35, 36) - allmählich überwuchert. Seine Polemiken sind von solcher Wucht, dass auf dem Wormser Reichstag 1521 der päpstliche Nuntius Aleander, der schon die Vorfahren <?page no="28"?> Ulrich von Hutten - der politische Deutsche 28 der Deutschen als „dumme Bestien“ bezeichnet hatte, in ihm eine „Bestie“ sah und sich von ihm - zu Recht - an Leib und Leben bedroht fühlte. Was Huttens Aufenthalt in Rom 1516 betrifft, so wurde er dort auch angenehm überrascht. Aufgrund von Empfehlungen seines Freundes Erasmus, der ihn in mancherlei Hinsicht gefördert hat und in ihm einen „Liebling der Götter“ sah, fand Hutten gastfreundliche Aufnahme im Kreis italienischer Humanisten (s. Nr. 15, 22). Im März 1516, als Hutten noch in Rom verweilte, zog Maximilian I. von seinem Heerlager in Trient mit einer Streitmacht von ca. 30.000 Mann gen Mailand, um das Herzogtum den Franzosen - unter Franz- I. - zu entreißen, die es im September 1515 infolge ihres Sieges über die gefürchteten Schweizer Söldner in der Schlacht um Marignano zurück erobert hatten. (In einem Wandgemälde von 1896-1900 hat Ferdinand Hodler den „Rückzug der Schweizer nach der Schlacht von Marignano“ dargestellt.) Maximilian glückte jedoch auf seinem 27. Feldzug die Eroberung der Stadt Mailand nicht, denn die Kampfmoral der Belagerer zerfiel, als die Hilfsgelder ausblieben, die Englands König Heinrich VIII. versprochen hatte. Maximilian resignierte und zog sich nach Tirol, eins seiner habsburgischen Erblande, zurück (s. Nr. 23). Im August 1516 verwundete Hutten in Viterbo bei Rom in einer Schenke einen von mehreren Franzosen tödlich, die sich feindselig über Maximilian geäußert hatten. Der nationalhybride Hutten war ein bedingungsloser Gefolgsmann des Kaisers, von ihm, wie von einem Abgott, geblendet, wie in Tolstois Roman „Krieg und Frieden“ der Husar Nikolai Rostow von Kaiser Alexander-I. Er identifizierte sich leidenschaftlich, bei aller Kritik auch an den Deutschen (vgl. Nr. 31, 35, 41 („Inspicientes“)), mit seinem Vaterland, empfand es als persönliche Beleidigung, wenn er z. B. mit einem hämischen Deutschlandbild eines Italieners, etwa im Sinn, dass Italien das Kulturvolk, die Deutschen aber die Barbaren seien, konfrontiert wurde. Mit Genugtuung erfüllte ihn dagegen z. B. die Wertschätzung, die Albrecht Dürer im Land der großen Maler, Italien, gezollt wurde, den er, wie schon Celtis, Erasmus, Wimpheling mit dem griechischen Maler am Hof Alexanders des Großen, Apelles, vergleicht, obwohl von diesem nur sein Ruhm überliefert ist, nicht aber seine Gemälde selbst (s. Nr. 36). Nach Bologna (Dezember 1515) und Rom (Januar - April 1516) sind weitere nennenswerte Aufenthaltsorte Huttens in Italien, noch einmal Bologna (Juni 1516 - April 1517), Ferrara (April 1517) und Venedig (April 1517). Mit der Republik Venedig, dem stärksten der italienischen Stadtstaaten, unterhielt Hutten ein besonders Haßverhältnis, da sie den Eroberungszügen Maximilians Einhalt gebot. Zwei Kurzepen Huttens gegen die Republik sind noch vor seiner persönlichen Bekanntschaft mit der Lagunenstadt entstanden, nämlich 1516 in Bologna. Ihre Titel lauten „Marcus heroicum“ und „De piscatura venetorum“, nach Thema, Form (lateinisches Verepos) und Umfang nahezu übereinstimmende Schriften. Sie sind im Rahmen der „Augsburger Sammlung“ (s. Nr. 15) publiziert worden. Eins der beiden Versepen - „Marcus heroicum“ - ist vom „Froschmäusekrieg“ (Batrachomyomachia) beeinflusst, einem anonymen griechischen Gedicht aus dem 6. bis 3. Jahrhundert v. Chr. Als Parteigänger Kaisers Maximilian-I. im Krieg gegen die <?page no="29"?> Von Italien über Deutschland nach Italien 29 Republik Venedig um Besitz in Oberitalien vergleicht Hutten, gewissermaßen kriegspfadtätowiert, Venedig mit dem Froschkönig Pausback. Dieser verkleidet sich als Löwe - der Löwe ist bekanntlich das Attribut des Schutzpatrons von Venedig, des Evangelist Markus - und hält eine Rede an die Bevölkerung Venedigs. Im Traum habe ihm der Genius Roms versprochen, ihn zum Herrn der Welt zu machen. Hutten mag hier unter der Maske des Spotts seine Sorge um die Konkurrenz der Republik mit dem - vermutlich ebenfalls vom Genius Roms inspirierten - Welteroberungsanspruch des römisch-deutschen Kaisers herunterzuspielen versucht haben. Die Venezianer, so Pausbacks Appell, sollen mit ihm als Anführer andere Völker bekriegen. Er wird als Herrscher anerkannt und überzieht Städte und Staaten mit Krieg. Dabei häuft er eine große Menge von Schätzen an. Er fesselt Verbrecher an sein Gefolge und genießt ihre Treue. Er übt Gewalt und Unrecht des Krieges aus, voll vertragsbrüchiger List. In seiner Vermessenheit trachtet er den Himmel zu berühren und hält sich für einen Giganten. Im Verlauf seines unglücklichen und zu lang ausgesponnenen Adler-Frösche-Vergleichs - gemeint sind natürlich Maximilian und die Venezianer - lässt Hutten zuletzt den Adler auf dem Gipfel der Alpen in einer Art zögernder Lauerposition verharren - wohlweislich, insofern Maximilians Kriegsglück damals zur Neige ging. Einst lebten die Venezianer, so Hutten in „De piscatura venetorum“, als einfache Fischer. Aber eines Tages begannen sie, große Schiffe zu bauen. Sie entwickelten Handelsbeziehungen bis in den Orient hinein, betrieben Wuchergeschäfte. Sie erhielten Waren aus Asien, vom Indus und vom Ganges und wurden reich. Hutten sieht in seiner Skizzierung der politischen Eroberungsexpansion Venedigs die Göttin Fortuna auf der Seite der Städte- und Staatenfischer. Er vermerkt keine historischen Daten in seinem an Orts-, Völker- und Ländernamen reichen Exkurs über den venezianischen Machtbereich von der Ägäis bis zu den Alpen. Es fehlt z. B. die Angabe 1209 für die Eroberung Kretas, der Jahrhundertspanne 1257-1378 für die Kriege mit der Seemacht Genua und des 15. Jahrhunderts für die Etablierung von Venedigs festländischem Besitz, der „Terra Ferma“ in Norditalien, mit Padua, Verona, Udine, Friaul, Brescia, Bergamo, Ravenna, Cremona. Mit einer fast naiven Offenheit lässt Hutten erkennen, dass er den Wohlhabenden unter den Venezianer ihren Reichtum und ihr üppiges, weichliches, wollüstiges Leben nicht gönnt - Attribute, die er auch, wohl in Anlehnung an Tacitus’ Beschreibung des dekadenten Roms seiner Zeit in der „Germania“, auf faule deutsche Fürsten, schmarotzende Pfaffen und törichtstolze, bildungsferne Standesgenossen angewandt hat. Hier ist auch des Reichsritters Ressentiment gegenüber dem Stadtbürgertum, den „Pfeffersäcken“ im Spiel. Unwillkürlich ergibt sich jedoch aus seiner gierigen Auflistung der Kennzeichen der Reichtumsdekadenz der Venezianer ein in sich abgerundetes Genrebild, das mit seinem orientalischen Goldschimmer an Schilderungen Gustav Flauberts in seinem Roman „Salammbô“ (1842) gemahnt, allerdings, ohne dass eine venezianische Salammbo in Erscheinung tritt. <?page no="30"?> Ulrich von Hutten - der politische Deutsche 30 Hutten berücksichtigt in seinem Werk insgesamt ohnehin vergleichsweise wenig Frauen, gegenüber einer großen Anzahl von Männern. Dichterisch wird die Welt der Frauen und die Welt aus der Sicht der Frauen in der damaligen Zeit z. B. von Margarete von Navarra (1492-1549), der Zeitgenossin Huttens und Schwester des französischen Königs Franz-I. im „Heptaméron“ dargestellt. Huttens Briefe, soweit überliefert, sind an Männer gerichtet. Leider ist ein Brief an seine Mutter wohl verschollen, der noch im 19. Jahrhundert erhalten gewesen sein soll. Der um Huttens Nachleben so verdienstvolle Herausgeber seiner Werke Eduard Böcking (1802-1870), ein Jurist und Philologe, schreibt dazu (Werke 2, S. 476) am 8. Juli 1859: […] mir sind wiederholt Zusicherungen gemacht, bisher aber nicht erfüllt worden, aus den in Würzburg zu vereinigenden Huttenschen Archiven noch ungedruckte Briefe, unter denen sich namentlich einer Huttens an seine Mutter befinden soll, mir mitzuteilen. Heute darf ich mich auf das Wort eines braven deutschen Mannes, eines biederen Hutten selbst, den Freiherrn Ulrich von Hutten zum Steckelberg, berufen, welcher mir soeben die Hand darauf gegeben hat, nach besten Kräften dafür zu sorgen, daß jene Mitteilung erfolgen werde. Zu gebührender Ehre der Schriften seines großen Vorfahren. Es wäre wahrscheinlich auch undeutsch und auch unhuttenisch, den Deutschen einen Brief Huttens an seine Mutter, an seine fromme Mutter, die um ihn weinte „do er die sach hatt gfangen an“, absichtlich vorzuenthalten. Gott schütze das deutsche Vaterland. Dass in Huttens Haltung zu Venedig, unter der Schicht des Ressentiments auch eine andere Seite sich verbirgt, enthüllt z. B. eines seiner Kriegsepigramme an Maximilian-I., worin er berichtet, wie er, kaiserlicher Landsknecht 1513, in seiner Todesangst vor den Geschossen herunter von den Mauern der belagerten venezianischen Garnison Padua inne wird, dass er wahrhaft lieber als humanistisch gebildeter Besucher die Schönheit Venedigs bewundern würde. Indessen, ganz getreuer Paladin Maximilians I., sieht er in seiner Verssatire den Kaiser als von einer höheren Gewalt zum Sieger über Venedig vorherbestimmt, der durch eine gerechte Friedensordnung die alten Verhältnisse wiederherstellen werde. Von Bologna aus, wo seine beiden Versepen 1516 entstanden, gelangte Hutten nach kurzem Aufenthalt in Ferrara im April 1517 nach Venedig. Seine ursprüngliche Absicht, von dort ins Heilige Land überzusetzen, gab er auf. Stattdessen traf er sich mit jungen Humanisten aus Patrizierfamilien, so mit Aloisius Bragandini, Hermolaus Barbaro, Angelo Contarini, die ihm aufmerksame Freundschaft zuwandten. Er weilte als Gast im Haus des venezianischen Humanisten Baptista Egnatius, der ein „Caesarenleben“ verfasst hat und mit dem er sich in einem späteren Briefwechsel über den deutschen Kaiser Heinrich- IV. streitet. Er besuchte die Offizin der Nachfolger des berühmten Buchdruckers Aldus Manutius (1448-1515), kurzum, er profitierte von der Kriege und nationale Rivalität ad absurdum führenden Internationalität des Humanismus. <?page no="31"?> Von Italien über Deutschland nach Italien 31 Im Juni 1517 begann Hutten seine Rückreise von Italien, das er nicht wiedergesehen hat, nach Deutschland, wo er schon bald nach seiner Ankunft, in Augsburg am 12. Juli 1517, von Kaiser Maximilian- I. persönlich zum Dichter, zum „poeta laureatus“ gekrönt wurde. In der Tat ist Hutten in Italien zu einem einflussreichen Dichter und tagespolitischen Schriftsteller geworden. So verfasste er hier den 2. Teil der zur Weltliteratur gehörenden „Dunkelmännerbriefe“ (s. Nr. 25), in denen er für den Humanismus und das Judentum gegen die Scholastik Partei ergreift. Es entstehen in Italien ferner zwei seiner insgesamt fünf furiosen Reden gegen Ulrich von Württemberg wegen dessen Mord an Huttens Vetter Hans von Hutten, seinem Stallmeister, dessen Ehefrau er für sich begehrte (s. Nr. 20, Kap. 4). Ein anderer Verwandter des Ritterhumanisten, Philipp von Hutten (1511-1546), Konquistador in Venezuela, auf der Suche nach dem sagenhaften Goldland Eldorado, wurde dort ebenfalls ermordet - Ulrich von Hutten seinerseits wagte auch, aber um seiner Ideale willen, den Einsatz in lebensgefährlichen Situationen. Was wiederum seinen Aufenthalt in Italien angeht, so verfasste er hier unter dem Einfluss der Lesedramen Lukians seine Dialoge „Arminius“ (s.- Nr. 26), welches Gespräch er später, 1519, auf der Steckelburg endgültig überarbeitete, und „Phalarismus“ (s. Nr. 28). Er vertiefte in Italien seine Kenntnis der Werke „Germania“ und der „Annales“ des Tacitus (mit ihren Informationen über Arminius), beide, durch Handschriften aus dem Kloster Fulda überliefert, gewannen großen Einfluss auf Huttens politische und publizistische Entwicklung mit ihrer Germanen-Ideologie. <?page no="32"?> 32 „… in dessen Blick die Hölle brennt“ Hutten gegen den Herzog Ulrich von Württemberg Die fünf literarischen, nie von ihm gehaltenen lateinischen Schmähreden (Invektiven) Ulrich von Huttens (1488-1523) gegen Herzog Ulrich von Württemberg (1487-1550) sind nicht nach dem Ende der thematisierten Begebenheiten als Ganzes verfasst worden, sondern folgen diesen anklägerisch und reportageartig jeweils mit Kumulation des vorangegangenen einschlägigen Geschehens entsprechend ihrer zeitlichen Reihenfolge. Thematisch bestimmt wird die erste Rede von der heimtückischen Ermordung Hans von Huttens, eines Vetters des Humanisten, durch seinen Dienstherren, den Herzog Ulrich von Württemberg im Mai 1515 - die zweite sowohl von dieser Untat als auch von der ehelichen Drangsalierung und Flucht von des Herzogs Gattin Sabina von Bayern (1492-1564), einer Nichte Kaiser Maximilians I. In der dritten Rede geht es um reichsfeindliche usurpatorische Vorbereitungen des Herzogs, die im Sinn Huttens mit Notwendigkeit seinem unveränderlichen kriminellen Charakter entspringen. Die vierte Rede ist eine demaskierende Widerlegung eines die Tötung Hans von Huttens betreffenden gedruckten Verteidigungsausschreibens Ulrichs von Württemberg. In der fünften Rede wird der Sieg des Schwäbischen Bundes 1519 über den despotischen, frevlerischen Herzog nach dessen Annexion der freien Reichsstadt Reutlingen in einem Feldzugsbericht gefeiert. Das weitere Geschick des Herzogs wurde von Hutten in der ihm verbleibenden Lebensspanne - bis 1523 - nicht mehr durch Invektiven begleitet. Nach seiner Entmachtung und Vertreibung durch die Strafexpedition des Schwäbischen Bundes verbrachte Ulrich viele Jahre des Exils in der Schweiz (1519), in Mömpelgard, dem heutigen Montbéliard, damals einer linksrheinischen württembergischen Grafschaft (1520-1526) sowie in Hessen im Schutz des Landgrafen Philipp (1526-1534). Zwischendurch, in der Zeit des Bauernkrieges, Februar bis März 1525, versuchte der Herzog sein Exil zu beenden. Der Mann, der einst die württembergischen Bauern durch Extremsteuern tyrannisiert und den Aufstand des „Armen Konrad“ 1514 blutig niedergeschlagen hatte, kämpfte nunmehr mit einem gewissen militärischen Gefolge im symbiotischen Schlepptau eines Bauernheeres gegen die Truppen von Österreichs württembergischen Statthalter-Regiment - denn das Herzogtum war nach dem Sturz Ulrichs an das Haus Habsburg gekommen - um im Fall eines Sieges der Aufständischen, sofern dann noch möglich, wieder die Herrschaft über sein früheres Territorium zu übernehmen. Aber nach der Niederlage der Bauernstreitmacht bei Böblingen gegen die Truppen des Schwäbischen Bundes unter Georg Truchseß von Waldburg musste er einmal mehr die Flucht ins Exil ergreifen. Erst mit Hilfe des hessischen Landgrafen gelang es ihm schließlich, durch den Sieg über die Österreicher in <?page no="33"?> „… in dessen Blick die Hölle brennt“ 33 der Schlacht bei Lauffen (am Neckar) am 12. Mai 1534 - knapp 20 Jahre nach seinem Mord an Hans von Hutten - sich wieder Württemberg zu unterwerfen. Im Frieden von Kaaden (29. Juni 1534) erhielt er Württemberg als österreichisches Afterlehen. Während seiner bis an sein Lebensende währenden zweiten Regierungsperiode führte er die Reformation in Württemberg ein. Er starb 1550 in Tübingen. Sein Nachfolger wurde sein einziger Sohn Christoph (1515-1568), dem eine segensreiche Regentschaft gelang. Gustav Schwab hat ihm in seinem romantisierenden Versepos „Romanzen aus dem Jugendleben Herzog Christophs von Württemberg“ (1819) ein Denkmal gesetzt. Aber zurück in die Jahre 1515-1519, in denen Huttens Invektiven gegen Ulrich von Württemberg entstanden. Den Tyrannenhass teilte er mit anderen Humanisten, etwa Thomas More, der ungefähr in derselben Zeit seine Charakterstudie über die Tyrannei Richards III. schrieb: „History of King Richard-III.“ (Erstdruck 1534). Thomas More und Ulrich von Hutten waren auch durch hohe gegenseitige Wertschätzung miteinander verbunden. In Huttens ersten vier Reden ist seine Absicht deutlich erkennbar, auf die jeweils anvisierte, noch unentschärfte Situation Einfluss zu nehmen, dadurch, dass er in eine kranke politische Entwicklung rhetorisch eingreift, um ihr einen heilsamen Umschwung zu verschaffen - zumindest dazu beizutragen. Nach Huttens Überzeugung muss der Herzog von Württemberg für seine Untaten bestraft werden. Er ist, da mit dem Krankheitserreger des Tyrannentums behaftet, eine Gefahr für Friede und Recht im Reich. Mit seinen Invektiven hat Hutten, worauf er in seiner vierten Rede hinweist, etwas gewagt, was vor ihm noch kein anderer Reichsritter unternahm, nämlich, einen regierenden Landesfürsten vor Gericht zu fordern. Er legt es ausdrücklich darauf an, von dem Schwabenherzog gehasst zu werden und besteht hasserfüllt auf der Übereinstimmung der fiktiven mit der realen Person des Herzogs von Württemberg. Alle fünf Reden zirkulierten zunächst nur in Abschriften. Es ist unklar, warum ihr Autor nicht unmittelbar die propagandistischen Möglichkeiten des Buchdruckes nutzte. Die handschriftlichen Fassungen, die nicht überliefert sind, wurden von ihm vermutlich an einflussreiche Persönlichkeiten geschickt, wobei er sich wohl zusätzlich einen Multiplikationseffekt durch Mundpropaganda versprach. 1519 bearbeitete er die ersten vier Reden in Esslingen für den Druck, nebenher entstand die fünfte Invektive. Alle erschienen sie in diesem Jahr, ungefähr zeitgleich mit dem vergeblichen Versuch des aus Württemberg vertriebenen Herzogs, das Land zurückzuerobern, in der sogenannten „Steckelberger Sammlung“, zusammen mit anderen Schriften Huttens zum Thema, wie dem zwischen der zweiten und dritten Rede 1516/ 17 in Bologna entstandenen dantesken Dialog „Phalarismus“ (lat. 1517, dt. 1521 publiziert) sowie Briefen, z. B. an König Franz I. von Frankreich wegen dessen befürchteter Bundesgenossenschaft mit dem Herzog, und einer „Deploratio“ (Trauerrede) auf den ermordeten Hans von Hutten. Abgesehen von der mehr referierenden und resümierenden, etwas gelasseneren fünften Rede fingiert Hutten in seinen Invektiven die Situation einer Verhandlung <?page no="34"?> Ulrich von Hutten - der politische Deutsche 34 gegen den Herzog vor dem kaiserlichen Hofgericht. In Wirklichkeit wusste sich der Herzog jedoch einem Prozess mit seiner persönlichen Anwesenheit zu entziehen, wobei er den vorsichtig taktierend darum bemühten Kaiser Maximilian I. regelrecht vorführte. Huttens fiktives „Ich“ ist der Ankläger. Je nach dem Stand der „Verhandlung“ erscheint dieser an verschiedene Einzelne und Parteiungen innerhalb des imaginär vorausgesetzten Gerichtssaales des kaiserlichen Hofgerichts gewandt - und darüber hinaus an Kollektive, wie die Schwaben, die zum Sturz ihres sie tyrannisierenden Landesherren aufgefordert werden oder die Deutschen, die „Germani“, bezogen nicht auf die Einwohner der habsburgischen Multi-Territorien-Monarchie insgesamt, die ja weder einen offiziellen Staatsnamen, noch eine einheitliche Sprache, Rechts- oder Verwaltungsordnung besaß, sondern einen Teil von ihr, nämlich das Heilige Römische Reich deutscher Nation. Seine Reden haben insofern etwas fluktuierend Adressiertes, Flammenzüngelndes, Unruhiges. Mal sind Kaiser Maximilian I., mal der Angeklagte Ulrich von Württemberg, der nicht mit seinem persönlichen Namen bezeichnet wird, oder deutsche Fürsten gemeint. Natürlich ist auch der reale Ulrich von Hutten samt seinen mit angedachten Lesern spürbar. Die Vorstellung eines kaiserlichen Hofgerichts als Auditorium mag den wirkungsvollen Schwung seiner Rhetorik beflügelt haben. Der gelehrte Ritter konnte sich bei der Abfassung seiner fünf Reden auf starke Vorbilder stützen: vor allem die forensischen Reden Ciceros, besonders die gegen Verres - „Verrinische Reden“ oder „Verrinnen“ - gegen Catilina - „Catilinarische Reden“ oder „Catilinaria“ - und gegen Antonius - „Philippische Reden“ oder „Philippika“, eine Bezeichnung, die mit derjenigen für die Schmähreden des Demosthenes gegen Philipp von Mazedonien identisch ist und auf sie zurückgeht. Hutten kannte vermutlich die Werkausgabe Ciceros aus dem Jahr 1498. Insofern in seinen Reden die Gestalten Alexanders des Großen und des Arminius als Vergleichspersonen eine Rolle spielen, darf, neben der Lektüre von Werken weiterer antiker Autoren - Sueton, Seneca, Homer, Vergil, Lukian - auch Huttens Kenntnis der Biografie Alexanders des Großen von Quintus Curtius Rufus - Auszüge dieses Werkes fanden sich in seinem Nachlass - sowie der „Annales“ des Tacitus mit ihrer Beschreibung der Person und der Taten des Arminius vorausgesetzt werden. Die erste seiner Einhalt- und Eingriffsreden gegen Ulrich von Württemberg, der je länger desto mehr fallstudienartig als untatensüchtiger, störrischer und narzisstischer Psychopath charakterisiert wird, schrieb Hutten auf der Steckelburg. Das Datum ihrer Fertigstellung ist der 1. August 1515. Der Herzog wird darin wegen seines von ihm eingestandenen Mordes an Huttens Vetter Hans von Hutten (geb. 1486) am 7. Mai 1515, also knapp drei Monate nach dieser Untat, angeklagt. Hutten fordert von der „Jury“ - dem Kaiser und edlen deutschen Herren - in der fiktiven Gerichtsverhandlung ein gerechtes Urteil. Seine Begründungsdarlegung ist eine frappierende Mischung aus literarischer Ausbeutung des Stoffes, echter Trauer über den Tod Hans von Huttens sowie geschickt kalkulierender Rhetorik. In ihr artikuliert sich auch der angestaute Groll der Reichsritterschaft und des niederen Adels überhaupt gegen das verhasste <?page no="35"?> „… in dessen Blick die Hölle brennt“ 35 Landesfürstentum. Durch dieses wurde er allgemach aus angestammten Privilegien, Einflussbereichen und Landbesitz verdrängt. Viele seiner Mitglieder sahen sich genötigt, bei einem Landesherrn im Dienst zu treten wie Hans von Hutten bei Ulrich von Württemberg. Zu Beginn seiner ersten Anklagerede weist Hutten auf die Divergenz von Tat und Wort hin, er zeigt sich unsicher, der Untat des Herzogs sprachlich gewachsen zu sein. Dieser habe ein unvergleichbares Verbrechen begangen. Sein Gesichtsausdruck sei von der Nachwirkung des Mordes noch immer gezeichnet. Mehrfach in seinen Verurteilungsreden sucht Hutten sich die durch den Mord bedingten mental-physiologischen Veränderungen des Täters zu vergegenwärtigen. Er stellt ihn nicht nur in eine Reihe, sondern an die Spitze monströser Verbrecher und Tyrannen aus Mythologie und Geschichte, auch in seinem Dialog „Phalarismus“ (s. Nr. 28), in welchem die schlimmsten Gräueltäter aufgeführt werden. Ohne sich in seiner ersten Rede - im Gegensatz zur vierten und fünften Invektive - auf die Motivation des Verbrechens einzulassen, konfrontiert Hutten dieses zunächst mit den guten Taten, etwa finanzielle Unterstützung, die dem Fürsten vom Vater des späteren Opfers zuteil wurden. Zwischen ihnen bestand anfangs gutes Einvernehmen. Hansens Vater, Ludwig von Hutten (gest. 1517), Erbmarschall von Trimberg, Rat bei Bischof Lorenz von Würzburg (gest. 1519) und eine der patriarchalischen Autoritätspersonen des Huttenschen Familienverbandes, besaß eine Tochter und vier Söhne. Er schickte seinen Sohn Hans, einer durch etwa dreißig Familienangehörige verkörperten Tradition gemäß, in den Dienst Kaiser Maximilians I. Hans nahm, wie auch sein zwei Jahre jüngerer Vetter Ulrich von Hutten, an den oberitalienischen Kriegen teil, kämpfte auf Schlachtfeldern des Herzogtums Mailand gegen die Franzosen. Dann verhalf ihm sein Vater aufgrund seiner guten Beziehungen zu einem Amt als Oberstallmeister am Stuttgarter Hof Herzog Ulrichs von Württemberg. 1514, im Jahr, da sich Hans mit Ursula Thumb von Neuburg (1491-1551), Tochter des württembergischen Erbhofmarschalls Konrad Tumb von Neuburg (1465-1525) vermählte, kam es zum Bauernaufstand des „Armen Konrad“, einem Vorläufer des Bauernkrieges, gegen den Herzog. Dieser hatte versucht, seinen durch Misswirtschaft entstandenen Staatsschuldenberg durch blutsaugerische Verbrauchssteuern zu tilgen. Die Teilnehmer an der Revolte, so Ulrich von Hutten in seiner ersten Rede, hätten für ihren Aufruhr allen Grund gehabt. Allein ihre Pläne für den Fall eines Sieges seien verwerflich gewesen: Plünderung der Büchereien, Diebstahl von Kirchengut, Ausrottung des Adels. Im Rahmen der Hilfeleistung für den Herzog sprang auch Ludwig von Hutten ein, der ihm 10.000 Goldgulden ohne Zinsforderung lieh und ihm ein fränkisches Reiteraufgebot gegen den „Armen Konrad“ zur Verfügung stellte. Militärischen Beistand und finanzielle Hilfe erfuhr Ulrich aber auch durch die württembergischen Landstände, eine Unterstützung, auf die man sich im Tübinger Vertrag von 1514, einer Art württembergischer „Magna charta“, gegen das Zugeständnis eines begrenzten bürgerlichen Mitspracherechts an der Regierung einigte. <?page no="36"?> Ulrich von Hutten - der politische Deutsche 36 Nachdem noch im Jahr 1514 der Aufruhr hatte niedergeschlagen werden können, fuhr der Herzog mit der willkürlichen Unterdrückung seiner Untertanen fort. Er plünderte ihre Güter, zerstörte ihre Wohnstätten und ließ ihm verdächtige Bürger einkerkern und foltern, wobei er gelegentlich dafür sorgte, dass ihre Haut durch ein Brandmal, Abbild eines Teils - Hirschgeweihstangen - des württembergischen Wappens, verunstaltet wurde. 1514 war nicht nur Verlobungs - sondern auch Heiratsjahr für Hans von Hutten und die verführerische Ursula von Tumb. Es gab eine Liebesheirat, drei Jahre nach der Vermählung Ulrich von Württembergs mit Sabina von Bayern (1492-1564) der Kaiser- Nichte, mit der er eine unglückliche Vernunftehe führte. Ihre Brüder waren die gemeinsam ihr Land regierenden Bayernherzöge Ludwig X. (1495-1545) und Wilhelm IV. (1493-1550), der spätere Befehlshaber der Strafexpedition des Schwäbischen Bundes gegen Ulrich von Württemberg, nachdem dieser 1519 die Freie Reichsstadt Reutlingen landfriedensbrecherisch annektiert und zu einer „Landstadt“ gemacht hatte. Zu diesem Zeitpunkt gehörte Reutlingen noch dem 1488 gegründeten Schwäbischen Bund an, einer ständischen Selbsthilfeorganisation zur Wahrung des Landfriedens. Ulrich war 1512 aus ihr ausgetreten. Ludwig von Hutten hatte den Herzog gebeten, Hans die Ursula heiraten zu lassen, gewiss auch, um ihn damit enger an den Hofstaat Ulrichs und damit seine wirtschaftliche Existenzsicherung zu binden, zumal der Fürst ihn, zumindest dem äußeren Anschein nach, sehr schätzte. Der körperlich und charakterlich wohlgeratene, turniergewandte und sportliche, hilfsbereite und überall wohlgelittene Hans von Hutten war jedoch auch siegfriedartig arglos und insofern in einem überlebenspraktischen Sinn seinem verschlagenen, verstellungsreichen Dienstherren unterlegen. Er leistete diesem viele treue Dienste, rettete ihm sogar einmal das Leben, ohne zu ahnen, dass der herzogliche Wüstling in Begierde nach seines Nächsten Weib entbrannt war und darauf sann, ihm das Leben zu nehmen. Hans wurde sich gewiß nach und nach seiner Rolle als „Rivale“ bewusst. Er vertraute sich brieflich seinem Vater an, der ihn daraufhin aufforderte - beide Briefe sind erhalten - seinen Dienst aufzugeben und nach Hause zu reiten. Um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen und Hans einen Helfer an die Seite zu stellen, sandte er seinen Sohn Ludwig (gest. 1548) an den Stuttgarter Hof. Dahinter verbarg sich wohl auch die Einschätzung, dass Hans für eine „liaison-dangereuse“ am württembergischen Hof - sogar eine Partnertauschsituation ist in der Fama ausgedacht worden - zu unverdorben war. Tatsache ist jedoch, dass der Herzog eines Tages Hans kniefällig darum bat, ihn seine Frau liebhaben zu lassen. In seinem Versepos „Huttens letzte Tage“ (1871) sieht Conrad Ferdinand Meyer, dem Hans von Hutten nicht gerade wohlgesonnen, die Sachlage so: <?page no="37"?> „… in dessen Blick die Hölle brennt“ 37 Der Herzog sank vor Vetter Hans aufs Knie: „Dein Weib! Nicht leben kann ich ohne sie! “ Das fand der Vetter Hans ein komisch Wort Und er bespottet‘s weidlich hier und dort: „Der Herzog wendet an den Rechten sich! Den Mann ums Weib zu bitten! Lächerlich.“ Das Lachen ward dem Herzog hinterbracht Und Vetter Hans hat sich zu Tod gelacht. Im Schönbuch, einem geschlossenen Waldgebiet im Bereich des mittleren Neckars zwischen Tübingen und Böblingen, streifte am 7. Mai 1515 Herzog Ulrich mit seinem Gefolge. Nachdem der entschlossen bewaffnete Despot sich und seinen nur leicht gerüsteten Stallmeister Hans von Hutten von der übrigen Jagdgesellschaft isoliert hatte, ermordete er seinen arglosen Begleiter mit sieben Stichen in den Rücken. Er stieß seinen Degen in die Erde, schlang einen Gürtel um den Hals des Ermordeten und verband damit den Leichnam mit dem Degen. Das mit dem Blut seines ermordeten Herrn befleckte Pferd galoppierte zurück quer durch den Wald hin zu den Mitgliedern der Jagdgesellschaft und kündete ihnen durch sein Erscheinungsbild von einer Freveltat. In einem Selbstverteidigungsausschreiben aus dem Jahr 1516 begründete der Herzog seine Handlungsweise damit, dass er an Hans, diesem „Flaischbößwicht“ (etwa: abgefeimter Bösewicht) die Gerichtsbarkeit des heimlichen westfälischen Femegerichts - welches übrigens noch in Karl Leberecht Immermanns gegenwartsbezogener Dorfgeschichte „Der Oberhof “ aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Rolle spielt - ausgeübt habe. Herzog Ulrich gehörte jedoch zu dem fraglichen Zeitpunkt dem Freischöffenbund nicht mehr an. Im Übrigen vermochte er, außer dem unbewiesenen Vorwurf der Illoyalität und der Verleumdung, keine speziellen triftigen Gründe zu nennen, die ihn im Sinn seiner barbarischen Mentalität dazu „berechtigt“ hätten, eine eigenständige Hinrichtung auszuführen. Unter Vergleichsverweis auf antike Verbrechen, wie dem Mord Alexanders des Großen an seinem Freund Kleitos und Bartolomeo d’Alviano, dem venetianischen Feldherren der oberitalienischen Kriege, der entgegen seinem Schwur eine Massenhinrichtung vollstrecken ließ, besteht Ulrich von Hutten in seiner ersten Anklagerede auf der Notwendigkeit, dasjenige Recht, durch welches Deutschland als nationale Gesellschaft identifizierbar sei, auf den Schwabenherzog anzuwenden. Unter der Lektüreeinwirkung der „Totengespräche“ des Lukian, von dem auch seine in der Unterwelt spielenden Dialoge „Phalarismus“ und „Arminius“ beeinflusst sind - in der Vorrede zur deutschsprachigen Ausgabe des „Phalarismus“ wird Lukian ausdrücklich als Vorbild genannt - lässt Hutten in der ersten Anklagerede seinen ermordeten Vetter aus dem Totenreich zu der fiktiven Gerichtsversammlung sprechen und um ein gerechtes Urteil bitten. Während die Forschung in der Regel im Sinne der Anklage - Ausschreiben Ulrichs und Ludwigs von Hutten in dem Schwabenherzog einen Meuchelmörder und in Hans <?page no="38"?> Ulrich von Hutten - der politische Deutsche 38 von Hutten sein unschuldiges Opfer sieht, gibt es auch andere Stimmen. So lässt der landeskindfromme Monarchist Wilhelm Hauff in seiner Dichtung „Lichtenstein“ (1826), auf dem Gebiet des historischen Romans anerkanntermaßen ein großer Wurf, den Herzog beinah als eine Art Lichtgestalt erscheinen und Hans von Hutten nicht als reinen Toren sondern als einen von Ulrich zu Recht hingerichteten Ehebrecher, der sich mit der Gattin des Fürsten eingelassen habe. In dem Roman begegnen Auszüge aus einem längeren Gedicht Hauffs - „Hans Huttens Ende“ - das an bänkelsängerartige Lieder erinnert. Die neun Strophen des Gedichts sind im Roman in etwas veränderter Form auf vier reduziert. Da heißt es vom Herzog und seinem Stallmeister im Schönbuch: Und im Wald er sich zum Hutten wandt: „Was flimmert dort an deiner Hand? “ „Herr Herzog ’s ist ein Ringelein Das hab ich von meiner Liebsten fein.“ „Ei Hanns, du bist ein stattlich Mann Hast auch ein gülden Kettlein an! “ „Das hat mir auch mein Schatz geschenkt, Zum Zeichen, dass sie mein gedenkt.“ (Hier fehlt die zum Verständnis notwendige Strophe aus dem längeren Gedicht: ) Und der Herzog blicket ihn schrecklich an: „So? das hat alles dein Schatz getan? Der Trauring ist es von meinem Weib, Das Kettlein hing ich ihr selbst um den Leib.“ O Hutten, gib deinem Gaul den Sporn, Schon rollet des Herzogs Auge im Zorn; Oh Hutten, fleuch, noch ist es Zeit, Er reißt das Schwert schon aus der Scheid! Es steht eine Eich’ im Schönbuchwald, Gar breit in den Ästen und hoch gestalt’t; Die wird zum Zeichen Jahrhunderte stahn, Hier hing der Herzog den Hutten dran. In der Verserzählung „Romanzen aus dem Jugendleben Herzogs Christoph von Württemberg“ (1819) von Gustav Schwab über Ulrichs einzigen Sohn und Nachfolger wird noch vor Hauff auf dem Gebiet der Dichtung für den Schwabenherzog Partei ergriffen. Die erste Romanze „Wie Herzog Ulrich den Hans von Hutten erschlug“ dürfte sprachlich und inhaltlich Hauff beeinflusst haben. Der jugendliche Vordergrundheld in „Lichtenstein“, der fränkische Ritter Georg von Sturmfeder, der sich vom Schwäbischen Bund abwendet und sich zum Herzog <?page no="39"?> „… in dessen Blick die Hölle brennt“ 39 von Württemberg, der monumentalen Hauptgestalt des Romans, bekennt, mag von Hauff seinem Wunschdenken gemäß als Hans von Hutten redivivus konzipiert worden sein. Die Eiche, an die im zitierten Gedicht der Herzog seinen Stallmeister eigenhändig aufhängt, wird in einem Gespräch Sturmfeders mit dem entmachteten Fürsten evoziert, der sich einst der Liebsten Georgs zu nähern versuchte: „Du bist ein sonderbarer Kauz! “ flüsterte der Herzog lachend. „Was hättest Du denn gemacht, wenn Wir damals ein Küßchen erobert hätten? “ „Ich kannte Euch noch nicht“, flüsterte Georg ebenso leise, „drum hätte ich Euch auf der Stelle niedergestochen und an die nächste Eiche aufgehängt.“ Der Herzog biß sich in die Lippen und sah ihn verwundert an; dann aber drückte er ihm freundlich die Hand und sagte: „Da hättest Du alles Recht dazu gehabt, und Wir wären in Unseren Sünden abgefahren - Doch siehe, da bringen sie wieder Spenden für die Braut.“ Ulrich von Huttens wachsamer Groll gegen den tyrannischen Schwabenherzog, der nach wie vor die Forderung vor die Gerichtsschranken missachtete, brach sich, mit neuer Nahrung aufgereizt, im April 1516 in Gestalt seiner zweiten Anklagerede Bahn. Das geschah in Rom, etwa neun Monate nach der Abfassung der ersten Rede Juli/ August 1515 auf der Steckelburg. Inzwischen war er im Oktober 1515 zum zweiten Mal nach Italien gezogen. Einzelne Episoden dieser Reise hat er im zweiten Teil der „Dunkelmännerbriefe“ festgehalten. Auf Anmahnen seines Dienstherren Albrecht von Mainz begann er in Rom sein Jurastudium fortzusetzen. Er konnte sich jedoch nicht mit dem Römischen Recht, da er in seiner Germanophilie am alten germanischen Recht hing, anfreunden. Dessen Beherrschung erwartete jedoch Albrecht von ihm bei seiner Rückkehr, zumal es seit dem Wormser Reichstag von 1495 für Deutschland verbindlich war. Hutten schrieb sich in Rom, wo er im Januar 1516 eingetroffen war, als Studierender ein. Dort und darauf in Bologna und Ferrara konzentrierte er sich mit Feuereifer und genialischer intellektueller und emotionaler Wendigkeit auf die Ausführung publizistischer Pläne. In der Zeit seines zweiten italienischen Aufenthaltes - Dezember 1515 bis Juni 1517 - schrieb er, angeregt durch die Lektüre der „Annales“ des Tacitus, einen ersten Entwurf seines Dialogs „Arminius“, Epigramme an seinen Dichterfreund aus Fuldaer und Erfurter Tagen Johann Jäger, bekannter unter dem Namen Crotus Rubeanus (ca. 1480 - ca. 1545) über seine negativen Erfahrungen vor Ort mit dem römischen Hof, den Dialog „Phalarismus“ mit der Anprangerung Ulrich von Württembergs, den Brief „Italias“ an Kaiser Maximilian I., zwei herabsetzende gleichsam kriegspfadtätowierte Kurzepen über dessen militärische Gegnerin, die Republik Venedig, sowie den zweiten Teil der „Dunkelmännerbriefe“. Und es kam nun auch noch seine zweite, 1516 in Rom verfasste invektivische Rede gegen Herzog Ulrich von Württemberg hinzu. Er trat damit endgültig an die Stelle des seinem Widerpart fehlenden Gewissens, wollte offenbar nicht ablassen, ihn aus scheinheiliger, wie selbstverständlicher Regentschaft über Württemberg aufzuschre- <?page no="40"?> Ulrich von Hutten - der politische Deutsche 40 cken. Dabei war er wegen seiner Polemik bei dem rachsüchtigen Tyrannen ebenfalls nicht in Vergessenheit geraten. Der schickte ihm einen Verbrecher hinterdrein, der ihn ermorden sollte. Wie aus Huttens fünfter Rede hervorgeht, fand man in des Herzogs Stuttgarter Residenz, nach dem Sieg des Schwäbischen Bundes über ihn, von ihm erstellte Todeskandidatenlisten, in denen auch Namen von Mitgliedern der Familie Huttens standen. Hutten zeigt sich in seiner zweiten Invektive davon überzeugt, dass der Schwabenherzog, gelingt es nicht, ihn unschädlich zu machen, in seinem Wüten nicht innehalten wird, mit dem er geltende Rechtsgrundsätze, etwa den Landfrieden, missachtet und sittliche Grenzen einreißt. Nach dem Mord an Hans von Hutten hatte er sich an einem weiteren Mitglied seines näheren Umkreises vergangen. Seine Gemahlin Sabina, deren Tugenden Hutten in den leuchtendsten Farben schildert, musste um ihr Leben fürchten. Er suchte sie mit Beschimpfungen, Unterstellungen, Drohungen und Gewalttätigkeiten heim. Sie begehrte zwar gegen den aufgrund seines Fürstenamtes übermächtig patriarchalischen Gemahl auf, ergriff dann aber doch, im Oktober 1515, in der Zeit, in der Hutten über die Alpen nach Italien unterwegs war, die Flucht, zunächst nach Urach und dann von dieser Zwischenresidenz aus nach Bayern zu ihren herzoglichen Brüdern, nicht zuletzt auch, weil sie die Untaten ihres Mannes nicht länger mittragen wollte. Sie überlebte ihren Gemahl, den sie nicht wiedergesehen hat, um vierzehn Jahre und starb nach einer Odyssee durch verschiedene Wohnorte 1564 in Nürtingen. Der Huttensche Familienverband, der zwar in der Lage war, eine Reiterstreitmacht zu mobilisieren, aber mit ihr einem württembergischen Heer unterlegen gewesen wäre, erhielt durch die Bayernherzöge und Teile der deutschen Ritterschaft potente Bundesgenossen. Diese im Kern vendettaartige Rachefront konnte allmählich auf Einbindung in eine militärische Aktion des Reiches gegen Ulrich von Württemberg hoffen. Dieser hatte den Kaiser selbst dadurch herausgefordert, dass er ein Bündnis mit Frankreich anstrebte und um Verstärkung seiner Militärmacht, etwa durch Anwerbung Schweizer Söldner, bemüht war. Landläufig kursierten Gerüchte über angebliche Pläne des Herzogs, die Herrschaft im Reich an sich zu reißen. So kam ein fingiertes verballhorntes „Vaterunser“ des Herzogs in der Bevölkerung in Umlauf, in dem von seinem Streben nach der Kaiserkrone ausgegangen wird. Hutten beschwört, um den Kaiser zu Maßnahmen gegen den Schwabenherzog anzustacheln - gewissermaßen in der Rolle des dem deutschen Caesar treuer als irgendein Landesfürst ergebenen Reichsritters - in seiner zweiten Rede die wiederherstellungswürdige Kaiserherrlichkeit des Reiches und verfehlt nicht, auf Karl des Großen als den Stifter des Römisch-Deutschen Reiches und seine Nachfolger, wie die „Henrici“, zu deuten. In einer Duldung des kriminellen Treibens des vertrags- und rechtsbrüchigen Herzogs sieht Hutten ein symbiotisches Co-Verbrechen des Reiches. Als sei er sich einer Strafaktion des Kaisers gegen Ulrich nicht sicher, zumal es noch nicht einmal zu einem Prozess gegen diesen, wegen des Mordes an Hans von Hutten gekommen war, ruft er die Schwaben zum Sturz ihrer Herrscherkreatur auf, waren doch schon <?page no="41"?> „… in dessen Blick die Hölle brennt“ 41 viele seiner Untertanen Opfer willkürlicher fürstlicher Gewaltanwendung geworden. Vielleicht dachte er, dass die Revolution gegen einen regierenden Rechtsbrecher ihrerseits kein Rechtsbruch sei und dass es sich dabei im Wesen um die höhere Notwehr des Tyrannenmordes handele. Für ihn ist der Herzog ein wildes Tier, weder er selbst, noch Fürst, noch Edelmann, noch Deutscher, noch Christ - er habe das Reich der Menschheit verlassen. Auch wenn diese Charakterisierung an diejenige Adolf Hitlers durch Thomas Mann erinnert, verbietet sich wegen der Unvergleichbarkeit von des Diktators Verbrechen der pauschale Vergleich. Unvergleichbar nannte allerdings auch Hutten schon die Freveltaten Ulrichs von Württemberg. Eine formale Parallele von Huttens Anklagereden zu Thomas Manns „Reden an Deutschland“ liegt darin, dass beide Autoren den Untaten ihres jeweiligen Hassobjektes auf dem Fuße folgen. Während seines Aufenthaltes in Bologna (Juli 1516 - Anfang Mai 1517) nahm Hutten die Lektüre der Werke Lukians (etwa 120-180 n. Chr.) wieder auf, die er bereits 1507 in Frankfurt/ Oder begonnen hatte. Unter dem Einfluss dieses etwa auch bei Erasmus von Rotterdam und Thomas More beliebten Autors - die beiden miteinander befreundeten Humanisten gaben sogar gemeinsam eine Lukian-Ausgabe heraus (Paris 1506) - schuf er um die Jahreswende 1516/ 17 in Bologna die lateinische Fassung des „Phalarismus“ (s. Nr. 28), die 1517 in Mainz erschien und welcher eine deutsche Übersetzung (Speyer 1521) folgte. Nach dem Vorbild der „Totengespräche“ des Lukian lässt Hutten die Handlung im Hades spielen, für den paganochristlichen Humanisten dasselbe wie die Hölle. An anderer Stelle, in einem apologetischen Sendschreiben an den Würzburger Kanoniker Peter von Aufseß (Juli 1519), der aus Solidarität mit Ulrich von Württemberg ein Exemplar der lateinischen Ausgabe des „Phalarismus“ auf offenem Markt in Würzburg demonstrativ vor einer illustren Zeugenschaft zerrissen hatte, bezeichnet er den Hades als unterirdische Republik, als eine „subterrane republica“. In seinem fetzig aggressiven anzüglichen Dialog zeigt Hutten einen lebenden Menschen, den er Tyrann nennt, im Reich der Toten im Gespräch mit Phalaris, den berüchtigten Tyrannen von Agrigent (6. Jh. v. Chr.), der seinem deutschen Pendant im Traum erschienen ist, um ihn in die Unterwelt zu sich einzuladen. Von Phalaris möchte der Besucher lernen, wie er sich auf dem Gebiet der tyrannischen Menschenschändung vervollkommnen könne, und erhält viele detaillierte Hinweise. Was er indes umgekehrt Phalaris von seinen tyrannischen Regierungsmethoden zu erzählen weiß, lässt diesen in ihm seinen Meister erkennen. Mit der Gestalt des Tyrannen, dessen Namen nicht genannt wird, meint Hutten den Herzog von Württemberg. Im „Phalarismus“ werden Grausamkeiten Ulrichs gegenüber seinen Untertanen, sein Mord an Hans von Hutten und seine grobschlächtige barbarische Behandlung seiner Ehefrau Sabina von Bayern und deren Flucht zu ihren Brüdern zur Sprache gebracht. Es war ein knappes Jahr nach der Entstehungszeit der zweiten Ulrich-Rede - April 1516 in Rom - dass Hutten, der sich noch immer in Italien aufhielt, zur Abfassung einer dritten Invektive gegen den Tyrannen von Württemberg sich gedrängt fühlte - im März 1517 in Bologna. Er hatte Roms Universität verlassen und sich an der <?page no="42"?> Ulrich von Hutten - der politische Deutsche 42 Universität von Bologna eingeschrieben. Diese genoss auch außerhalb Italiens durch ihre Rechtsschule hohes Ansehen, die auf das Römische Recht eingeschworen war. Die Lehren, die Hutten aus seinem Jura-Studium zog, dürften wohl auf seine Anklagereden gegen den Schwabenherzog eingewirkt haben. Inzwischen hatte man in Deutschland - diese Situation ist der zeitgeschichtliche Hintergrund seiner dritten Invektive - einige halbherzige Maßnahmen gegen den Herzog von Württemberg ergriffen. Die Herzöge von Bayern mobilisierten, um ihre von Ulrich kompromittierte drangsalierte Schwester zu rächen, ihre Truppen und vereinigten sich militärisch mit den Reiterkriegern des Huttenschen Familienverbandes Anfang Februar 1516 im Wemdinger Ries als in ihrem Aufmarschgebiet. Die geplante Selbsthilfe-Aktion gegen den Despoten verlief jedoch im Sande. Kaiser Maximilian, der in den oberitalienischen Kriegen mit seinem Versuch der Wiederherstellung und Expandierung Reichsitaliens so gut wie gescheitert war, wurde in Deutschland durch die Ständeversammlung des Reichstags in seinem politischen Aktionismus stark eingegrenzt. Ulrich von Württemberg war anderseits unter den Fürsten Deutschlands keineswegs isoliert, so gehörte er dem als Antwort auf den Schwäbischen Bund gegründeten Kontrabund an, einer fürstlichen Einung, in der z. B. auch der Pfalzgraf Mitglied war. Daher nimmt es nicht wunder, dass Ulrich, der frühere Günstling des Kaisers, sich stark genug fühlte, der Vorladung vor das kaiserliche Hofgericht in Augsburg auf den 21.-September 1516 keine Folge zu leisten. Am 11. Oktober 1516 verhängte Maximilian die Reichsacht über ihn. Er suchte diese Maßnahme jedoch schon am 21. Oktober 1516 im „Blaubeurer Vertrag“ rückgängig zu machen, in dem er um einen Ausgleich zwischen den streitenden Parteien bemüht war, den Bayernherzögen und der Familie von Hutten einerseits und dem Herzog von Württemberg anderseits. Dieser notorisch vertragsbrüchige Landesherr dachte jedoch nicht daran, wie gefordert auf sechs Jahre seine Regierungsgewalt an ein kollektives Regiment abzugeben. Er ging vielmehr mit brutaler Gewalt gegen designierte Mitglieder und Befürworter desselben vor. Einige ließ er foltern und hinrichten, wie die Brüder Sebastian und Konrad Breuning von der württembergischen Ehrbarkeit. Zu den Opfern seiner Rachsucht gehörte auch sein früherer Vertrauter, der Ritter Dietrich Späth, der Ulrichs Ehefrau bei ihrer zunächst getarnten Flucht geholfen und sich dann seinem Zugriff entzogen hatte, so dass der Herzog seine Wut und Eifersucht auf den galanten Frauenretter an dessen Haus und Hof zu kühlen suchte. Erst 1518 erneuerte Maximilian I. die Reichsacht über den Herzog. Ulrich von Hutten drückt in seiner dritten Invektive, welche die zweite zum Teil variiert, seine Besorgnis darüber aus, dass durch das unentschlossene, duldende Zurückweichen des Kaisers vor einer Vergeltungs- und Strafaktion gegen den württembergischen Herzog das Ansehen der deutschen Nation im Ausland Schaden leide und lüsterne äußere Feinde, wie Frankreich, angelockt werden. In seinem verschwörerischen Unabhängigkeitsbeharren gegenüber dem Hause Habsburg enthüllte Ulrich wie ein Indikator die Schwäche der Zentralgewalt. Hutten <?page no="43"?> „… in dessen Blick die Hölle brennt“ 43 sieht in dem mit Kriegsvorbereitungen defensiver, vielleicht sogar offensiver Natur geschäftig und angelegentlich bekümmerten Reichsfürsten einen Verräter und vergleicht ihn mit dem römischen Staatsverbrecher und Verschwörer Catilina, wie ihn Cicero aufgefasst hat. Selbst der von ihm fast als mythisch verehrte Freiheitsheld Arminius sei ja trotz seiner Verdienste um Germanien in seinem Streben nach der Alleinherrschaft über die germanischen Stämme gescheitert. Umso mehr müsse der reichsusurpatorische Ehrgeiz des verbrecherischen Herzogs entschärft werden. Wie auch in anderen seiner Werke hält Hutten hier, wie ein Feldzeichen in einer Phase drohender Niederlage, das Bild des Arminius empor, das Mut einflößen soll, Tradition, Recht und Identität des Reiches gegen Aggression militärisch und ideologisch zu verteidigen. Am 6. September 1516 erging an die Kurfürsten und Stände des Heiligen Römischen Reiches ein „gedrucktes Ausschreiben“ Herzog Ulrichs wegen seiner an Hansen von Hutten begangenen „Handlung“. Laut Ulrich von Hutten in seiner dies Manifest kritisierenden vierten Invektive war es von Gregorius Lamparter, dem Kanzler des Schwabenherzogs, verfasst worden. Es ist eine Antwort auf ein Ausschreiben Ludwig von Huttens über die Ermordung seines Sohnes durch Ulrich von Württemberg. Ulrich behauptet nun, dass sich der treulose, falsche, verräterische „Flaischböswicht“ Hans von Hutten gegen ihn undankbar, untreu, falsch, verräterisch, schändlich und lästerlich erzeigt habe. Deshalb habe er an ihm die Strafe, gemäß des heimliches Gerichts nach freier Stuhlordnung und Rechtssatzung vollzogen und als ein frommer Fürst Hans von Hutten wegen falscher Handlung, Übeltat und Böswichtstück entleibt. Mit seinem Ausschreiben begegne er der Lügenerzählung derer von Hutten. Der von ihm vertrauensvoll und freigebig behandelte Hans sei trotz in die Hand gelobter Treue zum Judas geworden. Folgendes habe er ihm weinend abgebeten: dass er ihn bei Anderen verunglimpft habe mit der Unterstellung der Vergewaltigung verschiedener Frauen. Bei Gelegenheit einer Jagd im Böblinger Wald hätten sie ihren Zwist unter sich austragen wollen. Er, der Herzog, habe ihn zum offenen Zweikampf aufgefordert und ihn getötet. Deshalb sei der Vorwurf des Meuchelmordes seitens der Hutten- Familie eine Lüge. Ein knappes Jahr nach Erscheinen dieses herzoglichen Ausschreibens widerlegte im August 1517 in Bamberg Ulrich von Hutten, aus Italien seit Juni 1517 zurück, in seiner vierten Anklagerede gegen den Herzog dessen Charakterisierung Hans von Huttens sowie die Darstellung seiner Tötung im Schönbuch. Nunmehr, siebzehn Monate nach seinem Mord an Hans von Hutten, getraue sich der Herzog endlich mit einem Verteidigungsschreiben an die Öffentlichkeit. Darin gebe er sich selbst lügnerisch als unschuldig und Hans als meineidig, treulos und undankbar aus. Er sei keineswegs ein durch die Anklage der Familie von Hutten beleidigter guter Mensch. Immerhin habe er einstmals den ganz Deutschland bedrohenden Aufstand des „Armen Konrad“ verschuldet. Ulrich von Hutten verteidigt das Andenken seines ermordeten Cousins gegenüber dem Herzog. Dieser hätte es ja, wenn es ihm um die Aufdeckung der Wahrheit zu tun gewesen wäre, zu einem Prozess über die angebliche Illoyalität Hans von Huttens kommen lassen können. Bis zum Tag der <?page no="44"?> Ulrich von Hutten - der politische Deutsche 44 Mordtat habe sich der Herzog Hans von Hutten gegenüber verstellt, mit ihm an einer Tafel gespeist, Freundschaft geheuchelt. Ulrich von Hutten sieht jetzt in Ursula nicht die Ehefrau - Verbündete ihres Mannes sondern eine Komplizin des Herzogs - Hans von Hutten war ihrer gemeinsamen Lust im Wege. Auf Knien bat der Herzog seinen treuen Gefährten um Zustimmung zu einem Verhältnis mit seiner Frau. Unwissend, dass Ursula schon die Geliebte des Herzogs geworden war, wollte die Familie von Hutten ihr und ihrem Ehemann dabei behilflich sein, ins Frankenland zu entkommen. Indem Ulrich von Hutten die „femme fatale“ Ursula mit der schönen Helena des Trojanischen Krieges vergleicht, erscheint er, wie auch sonst noch gelegentlich in seinem Werk, etwas zu stark auf die Antike als einer ausschlaggebenden, Wertemaßstäbe vermittelnden Vergleichsfolie fixiert. Aus seiner Behauptung, dass Ursula nunmehr in einem Palast lebe, einem Verhältnis mit dem Mörder ihres Mannes hingegeben, geht hervor, dass man sie ebenso wenig mit der ihren Mann bis zum Sterben liebenden und nur noch auf Rache sinnenden Kriemhild aus den Nibelungenlied vergleichen kann. Sie hat aber nicht auf Dauer an der Seite Ulrichs von Württemberg gelebt. 1525 finden wir sie in Stetten, wo sie ihrem Bruder Hans Konrad den Haushalt führt und ihren Onkel in Ellwangen betreut. Durch eine Erbschaft wird sie in die Lage versetzt, 1540 die schweizerische Herrschaft Mammern mit der Neuburg zu erwerben, wo sie 1551 stirbt. Wie schon in der dritten Invektive sucht Hutten sich auch in der vierten die seelische und physiologische Verfassung des fürstlichen Mörders vorzustellen, dessen Gesichtsfarbe, Sprache und Atem sich verändert hätten. Während er, Ulrich von Hutten, von den deutschen Gelehrten wegen seines Eifers für die Wissenschaften geliebt werde, gelte für den Herzog, dass er als Inkarnation des Bösen in den Geschichtsbüchern dingfest bleiben werde. Das mache dem Bösewicht aber nichts aus, weil er, auch um den Preis des Rufs als Verbrecher, darum ringe, unsterblich zu werden, wie ein neuer Herostrat. Auf dem Augsburger Reichstag von 1518 war Ulrich von Württemberg, trotz Vorladung zu einem Prozess wegen seiner Unrechtstaten nicht erschienen. Maximilian erneuerte im selben Jahr die bereits 1516 über ihn verhängte, im Blaubeurer Vertrag aber wieder aufgehobene Reichsacht. Ulrich hatte inzwischen nicht davon abgelassen, Missetaten zu begehen. Er fuhr fort, den Blaubeurer Vertrag zu brechen und die Mitglieder der Ehrbarkeit und der Landstände Württembergs, die in Gestalt einer stellvertretenden Korporation im Namen des Kaisers das Regiment über das Herzogtum führen sollten - das damit allerdings vom Hause Habsburg unmittelbar abhängig geworden wäre - blutig zu verfolgen. Sein 1516 von ihm zu Maximilian geflohener Kanzler Gregorian Lamparter war durch Ambrosius Volland (1468-1549) ersetzt worden. Des Kaisers zurückhaltende Geduld mit seinem ehemaligen Schützling ging zur Neige. Dennoch ergriff der Zauderer bis zu seinem Tod 1519 keine situationsklärenden Maßnahmen mehr gegen ihn. <?page no="45"?> „… in dessen Blick die Hölle brennt“ 45 Was den Italien-Heimkehrer Ulrich von Hutten betrifft, so hatte er im September 1517 die gastfreundliche Wohnung seines Freundes Jakob Fuchs in Bamberg verlassen und sich nach einem kurzen Aufenthalt auf der Steckelburg nach Mainz gewandt, wo er Hofrat bei Albrecht von Brandenburg geworden war. In einer die Frage der Nachfolge Maximilians I. betreffenden, diplomatischen Mission im Auftrag seines Dienstherrn weilte er im Oktober bis Dezember 1517 in Frankreich am Hof von Franz I. Sein in die Steckelburger Sammlung aufgenommener Brief an den französischen König beruht daher auf persönlicher Bekanntschaft mit dem Adressaten. Im Gefolge Albrechts von Brandenburg erlebte er 1518 lebhaft engagiert den Augsburger Reichstag von Juli bis August und blieb noch eine Weile darüber hinaus in der Handels- und Finanzmetropole. Hier entstanden z. B. sein Dialog „Aula“ (s. Nr. 32), der Bekenntnisbrief an Willibald Pirckheimer (s. Nr. 36) und die Schlussversion seines Langgedichts „Nemo“ (s. Nr. 21). In der ersten Hälfte des Jahres 1519 nahm Hutten am Feldzug des Schwäbischen Bundes gegen Herzog Ulrich von Württemberg teil, der kurz nach dem Tod Kaiser Maximilians die reichsfreie Stadt Reutlingen mit seinen Truppen landfriedensbrecherisch annektiert hatte. Es mochte sein, dass Ulrichs das Interregnum nutzende Expansionsgelüste damit noch nicht gestillt waren. Insofern Reutlingen Mitglied des Schwäbischen Bundes gewesen war, hatte der Herzog, der ihm seit 1512 nicht mehr angehörte, nicht nur die unmittelbare Zuständigkeit der obersten Reichsgewalt außer Kraft gesetzt, sondern auch jenen ständischen Schutzbund zur Bewahrung des Landfriedens angegriffen. Feldherr der Truppen des Schwäbischen Bundes während der Strafexpedition gegen Ulrich war Herzog Wilhelm von Bayern (1493-1550). Er befehligte ca. 30.000 Fußsoldaten und ca. 4.000 Reiter. Teilnehmer waren so berühmte militärische Führer wie Georg von Frundsberg (1473-1528) als Feldhauptmann der Fußtruppen sowie die Reichsritter Florian Geyer (1490-1525) und der etwa 2.800 Reiter einbringende Franz von Sickingen (1481-1523), mit dem Hutten während des Feldzuges Freundschaft schloss. Die württembergische Streitmacht ihrerseits konnte immerhin mit einem Götz von Berlichingen (1480-1562) aufwarten, der dann aber als Verteidiger von Möckmühl gefangen genommen wurde. Als stärkste Stütze galten jedoch vor Beginn der Invasion des Bundesheeres die vom Herzog angeworbenen etwa 6.000 Schweizer Söldner. Der Schwäbische Bund verstand es dann allerdings, bei den Eidgenossen zu erwirken, dass sie ihre „Reisläufer“ - vom mittelhochdeutschen „Reis“, dem Kriegszug - wieder aus Württemberg abrücken ließen. Dadurch wurde Ulrichs militärischer Widerstandskraft im Nerv getroffen. Er verschanzte sich mit anderen Adligen in dem festen Schloss Tübingen und vermied die offene Feldschlacht. Das Heer des Schwäbischen Bundes eroberte, ohne auf ernsthaften Widerstand zu stoßen, Städte und Festungen Württembergs. Nach seinem Sieg überließ der Bund gegen Rückerstattung der Kriegskosten das Herzogtum dem Hause <?page no="46"?> Ulrich von Hutten - der politische Deutsche 46 Habsburg. Der Herzog war inzwischen in die Pfalz entflohen. Er unternahm relativ rasch danach, noch im Jahr 1519, einen erfolglosen Rückeroberungsversuch. Nach dem Feldzug schrieb Hutten von April bis Mai 1519 in Esslingen im Lager des Bundesheeres - der Schwäbischen Bund war dort 1488 gegründet worden - seine fünfte und letzte Invektive gegen Herzog Ulrich von Württemberg. Hutten sieht zu Beginn seiner fünften Invektive in Gott und Christus die Siegeshelfer des Schwäbischen Bundes. In seiner Auseinandersetzung in einer späteren Phase seines Lebens mit dem Pfalzgrafen Ludwig, aus seiner Sicht ebenfalls ein Tyrann wie Ulrich von Württemberg, beruft er sich in einer Schmähschrift wiederum auf Christus, der ihm geholfen habe. Im Hinblick auf die Strafexpedition des Schwäbischen Bundes betont er, dass nur die kriegerisch und mutig Handelnden auf Gottes Hilfe rechnen können, wie der unbekannte Heliand-Dichter (um 830) im altsächsischen Epos die Jünger Christi, so sieht Hutten die Truppen des Schwäbischen Bundes indirekt als Gefolgsleute von Jesus Christus im Sinne der Gefolgschaftstreue germanischer Krieger. Während er auf den Gewinnern des Feldzuges den Segen Gottes ruhen glaubt, charakterisiert er in einem untatenretrospektiven kriminologischen Psychogramm, anknüpfend an Ansätze dazu in seiner vierten Invektive, den Herzog von Württemberg als Inkarnation des Bösen, der auch aufgrund seines schlechten Gewissens, keiner guten Sache zu dienen, in seiner Widerstandskraft gelähmt gewesen sei. Noch einmal werden von Hutten Objekte und Opfer der sexuellen Zügellosigkeit des Herzogs in Erinnerung gerufen. So habe er seine tugendhafte Ehefrau umso schimpflicher behandelt, je mehr er nach Ursula von Hutten dürstete. Aus gieriger Angst, sie zu verlieren, habe er deren Ehemann ermordet. Es gebe noch weitere vergleichbare Fälle. Hutten zeigt sich überzeugt, dass der Herzog für den normalen, aufrichtigen, sittlichen Regeln entsprechenden Umgang mit rechtschaffenden Menschen unfähig geworden sei. Stattdessen habe er sich mit Verbrechern umgeben. Dem Vater der Ursula von Hutten, Konrad von Tumb, habe er die Stellung als Hofmarschall entzogen, um dieses Amt auf Hans Leonard Reischach zu übertragen, einem fünffachen Mörder, über den im Volk ein bänkelsängerartiges Lied kursierte. Ulrich habe sein Volk durch Denunzianten bespitzeln lassen Er quälte seine Untertanen dreimal jährlich durch unverhältnismäßig hohe Abgaben. Viele von ihnen ließ er foltern. Besonders nach dem Tod Maximilians habe er nach der Usurpation der Kaiserwürde gestrebt. Er führte Listen mit den Namen ihm unliebsam gewordener Personen, die er ermorden lassen wollte. In seinem Stuttgarter Residenzschloss habe man solche gefunden. Trotz alledem besteht Hutten in seiner fünften Invektive, die mehr ein nicht ohne Wiederholungen auskommender resümierender Bericht als eine fiktive Anklagerede ist, auf der Notwendigkeit, den Rechtsbewahrungsstaat Deutschland zu erhalten und somit auch einen Ulrich von Württemberg einem regulären Gerichtsverfahren zu unterwerfen. Schon 1518, ein Jahr vor seiner Teilnahme an der Strafexpedition des Schwäbischen Bundes gegen Ulrich von Württemberg und im Schatten des Augsburger Reichstages, an den er im Gefolge Albrechts von Brandenburg teilnahm, verschärfte Hutten seinen <?page no="47"?> „… in dessen Blick die Hölle brennt“ 47 publizistischen Kampf gegen die römische Kirche, wie er sich z. B. in seinem Dialog „Febris“ ausdrückt, der 1518 in Augsburg entstand und 1519 in Mainz gedruckt wurde. 1520 begann er, um mit seiner Polemik gegen die Ausbeutung Deutschlands durch die römische Kirche mehr Breitenwirkung zu erzielen, in seinen Schriften überwiegend die deutsche Sprache zu verwenden, wie etwa in der scharfzüngig lamentierenden „Klage und Vermahnung“ („Clag und Vormanung“ - s. Nr. 48), einem von vornherein in Deutsch geschriebenen Langgedicht. Er löste sich allmählich aus dem Hofdienst bei Albrecht von Mainz, der ihn nicht mehr so recht halten konnte, wegen seiner zuweilen maßlosen Kirchenkritik, derentwegen er von der Kurie zur Verfolgung seines Hofmannes aufgefordert wurde. Huttens neue Beschützerfigur wurde Franz von Sickingen, mit dem er 1519 gelegentlich des Feldzuges gegen Ulrich von Württemberg Freundschaft geschlossen hatte. Als Zufluchtsmassiv diente ihm das Burgenimperium des mächtigen „Condottiere“ und Reichsritters im Pfälzer Wald, wie besonders die Ebernburg. 1521-1522 führte er einen Pfaffenkrieg, fehdeartige, zumeist im verbalen Bereich bleibende Scharmützel mit Kurienvertretern in Deutschland. Als der Stern seines Reichsritterfreundes, Standesverbündeten und Schutzherren Franz von Sickingen im Kampf gegen das Landesfürstentum zu sinken begann, verließ Hutten im September 1522 Deutschland und fand, zeitlebens auf Gastfreundschaft angewiesen, schließlich, nach einigen Fehlversuchen - selbst Erasmus von Rotterdam ließ ihn in Basel im Stich - mit Unterstützung Ulrich Zwinglis auf der Insel Ufenau im Zürichsee seine letzte Bleibe, bevor er, gut drei Monate nach Sickingens Tod, im August 1523 starb. Im „Dämonen“ überschriebenen Teil von Conrad Ferdinand Meyers Versepos „Huttens letzte Tage“ (1871) erscheint dem Sterbenden im August 1523 auf der Insel Ufenau ein unheimlicher Eindringling in seine Abgeschiedenheit, „in dessen Blick die Hölle brennt“, Ulrich von Württemberg, dem Hutten, zumindest in Meyers Dichtung, auch früher schon einmal persönlich begegnet sein muss, denn er kennt seiner „hohen Stimme Schrein“. Der Tyrann kreuzt den Weg des von ihm nur erahnten Ulrich von Hutten, der ihn seinerseits jedoch sofort erkennt. Nachdem der „Dämon“ sich konsterniert wieder entfernt hat, erstarrt Hutten innerlich vor dem Paradoxon, dass er selbst wegen einer leichten Jugendsünde auf den nahen Tod an den Spätfolgen der Syphilis leidet, während dem protestantische Gesinnung heuchelnden Verbrecher Ulrich die Zukunft offen steht. <?page no="48"?> 48 Hutten hält Hof und der Hof hält Hutten Der im Juni 1517 in Gesellschaft des Rechtsgelehrten Ritter Georg von Streitberg von Bologna aus heimgekehrte Ulrich von Hutten ließ sich im Juli 1517 vorerst einmal in Augsburg häuslich nieder, gastlich aufgenommen von dem gelehrten Altertumsforscher und Stadtschreiber seiner Heimatstadt, dem Patrizier Georg Peutinger (1465-1547). Kaiser Maximilian- I. hielt sich zu diesem Zeitpunkt dort auf. Huttens Freunde, Peutinger sowie der kaiserliche Sekretär Jakob Spiegel und der kaiserliche Historiograph und Mathematiker Johann Staab ergriffen die Gelegenheit, sich für Hutten beim Kaiser einzusetzen. Peutinger rühmte bei einem festlichen Anlass dem Kaiser gegenüber die Verdienste Huttens, seinen Einsatz als Dichter und Krieger für das Reich. Daraufhin beschloss Maximilian- I. die feierliche Dichterkrönung Huttens zum „poeta laureatius“. Peutingers Tochter Konstanze flocht zu Hause für den Gast den Lorbeerkranz. Am 12. Juli 1517 setzte Kaiser Maximilian I. seinem getreuen ritterlichen Gefolgsmann Hutten, der von Peutinger zu ihm geleitet worden war, im Kreis seines Hofstaates den Dichter-Lorbeerkranz auf. Er übergab ihm einen Ring, ernannte ihn zum Dichter und Rhetor, mit dem Recht, an den Hochschulen Deutschlands Dicht- und Redekunst zu lehren und verlieh ihm das Privileg, von niemand anderem als dem Kaiser selbst im Fall irgendeiner Anklage gerichtet zu werden. Darauf hat sich Hutten später, im Rahmen seiner Auseinandersetzung mit der römischen Kirche, als ihm das Inquisitionsgericht drohte, berufen. Hutten hatte nunmehr die Wahl, entweder in den Dienst des Kaisers oder des Erzbischofs Albrecht von Mainz zu treten. Unentschlossen, seinem gefahrvollen Wanderleben zwar oft abhold, gelegentlich aber auch süchtig unterworfen, wie er war, reiste Hutten jedoch, in einer Art von „Übersprunghandlung“ zunächst einmal von Augsburg nach Bamberg, wobei er unterwegs vielleicht, als notorischer Besucher der Kulturelite, bei Willibald Pirckheimer in Nürnberg vorsprach. In Bamberg traf er sich mit seinem Freund, dem Domherren Jakob Fuchs und schrieb dort seine 4. Rede gegen Herzog Ulrich von Württemberg. Es bot sich ihm die Möglichkeit, in die Dienste des Bischofs von Bamberg zu treten, die er aber nicht wahrnahm. Hutten, nach so vielen Fährnissen in Deutschland und Italien nunmehr in Ehren aufgenommen, als Dichter gekrönt, öffneten sich verschiedene Türen und Laufbahnmöglichkeiten: Eine Epoche der Stabilisierung seiner Lebensumstände winkte. Am 21. Juli 1517 berichtete Hutten in einem Brief an Erasmus von Rotterdam (Böcking 1, S. 146-148) von seiner Dichterkrönung. Er bedankte sich für seine ehrenvolle Erwähnung in den „Annotationes“ zu seiner kritischen Ausgabe des griechischen Neuen Testamentes samt einer von Erasmus stammenden Übersetzung ins Lateinische (Basel: Johann Froben (1460-1527), 1516; 2. Aufl. 1519, die Luther bei seiner Übersetzung des Neuen Testaments ins Deutsche benutzt hat; dann 1522, 1527, <?page no="49"?> Hutten hält Hof und der Hof hält Hutten 49 1535). Hier in den Annotationes zu den Thessalonicher-Briefen (Böcking 1, S. 103- 104), wie auch andernorts in seinem Werk, drückt Erasmus seine „nicht alltägliche“ Wertschätzung aus, sowohl für Hutten als Person als auch für seine literarischen und sprachlichen Qualitäten. Er sah in ihm das „einzigartige Entzücken der Musen“. Im Herbst 1517 weilte Hutten, noch immer ein durch Fürstendienst ungebundener Reichsritter, auf der heimischen Steckelburg. Hier beschäftigte er sich mit Lorenzo Vallas Polemik gegen die sogenannte „Konstantinische Schenkung“ in dem Werk „De falso credita et ementita Constantini donatione declamatio“ (1440). 1519/ 20 wurde Vallas Kritik in der Ausgabe Huttens (s. Nr. 43) publiziert. 1520 lernte sie Martin Luther in der Edition Huttens kennen. Im Anschluss an seinen Aufenthalt auf der Steckelburg trat Hutten noch im Jahr 1517 in den Dienst des Erzbischofs Albrecht von Mainz, als „consiliarius“, Rat(geber). Von September 1517 bis Oktober 1519 hielt den ständig Aufbruchbereiten der Mainzer Hof geborgen. Von Ende Oktober 1517 bis nach dem 20. Dezember 1517 war er in Frankreich unterwegs, als Abgesandter Albrechts von Mainz. König Franz- I. empfing ihn persönlich. Auf der Hinreise ins königliche Hoflager und auf der Rückreise kam Hutten auch nach Paris. Während seine diplomatische Mission sich auf Erkundigungen über Ambitionen des Königs hinsichtlich der Kaisernachfolge bezog, galt sein persönliches Bestreben eher der Begegnung mit humanistisch engagierten Persönlichkeiten, die dann auch in einzelnen Fällen zustande kam, so mit Ludwig Riceur, dem humanistenfreundlichen Unterpräfekten von Paris, Wilhelm Budaeus (Guillaume Budé, 1468- 1540), dem bedeutenden Gräzisten, der sich gegenüber Erasmus positiv über Hutten geäußert hat, dem Theologen Faber von Étaples (Faber Stapulensis, Jacques Lefèvre d’Étaples) sowie den humanistisch gebildeten Ärzten Copus - Leibarzt von Franz-I. - und Ruellius. Erasmus von Rotterdam, der Pazifist und Europäer, der Huttens politisches Ungestüm vermutlich lieber entnationalisiert gesehen hätte, hat in seiner „Spongia“ (s.-Nr. 65) Huttens französische Kontakte als ein Positivum seines Lebens gewertet. Huttens temperamentvoller Esprit mag zu seinem guten Empfang in Frankreich beigetragen haben. Franz I. hat Hutten später, als dieser auf der Ebernburg Sickingens eingeengt durch den Kirchenbann lebte, eine Position am französischen Hof angeboten, worauf sich Hutten indessen in seinem patriotischen Durchhaltewillen nicht eingelassen hat. Anfang Februar 1518 kehrte Hutten nach Mainz zurück. Ende März oder Anfang April 1518 erhielt er einen Brief des Grafen Hermann von Neuenar (1492-1530) aus Köln, in dessen Haus Humanisten Zusammenkünfte abzuhalten pflegten. Dieser unterrichtete Hutten über eine - beigefügte - Schmähschrift des Ketzermeisters Jakob von Hoogstraten (1460-1527) gegen Reuchlin und seine Humanistenfreunde, darunter Neuenar. Huttens beistandströstlicher Antwortbrief, einzeln gedruckt im April 1518 (s. Nr.-30), der auch deshalb wichtig ist, weil darin indirekt beiläufig, ohne Namensnennung, Martin Luther als eine Gestalt des „Wittenberger Mönchsgezänks“ ins <?page no="50"?> Ulrich von Hutten - der politische Deutsche 50 Spiel gebracht wird, ist zusammen mit anderen Zuschriften an Neuenar als Sammlung publiziert worden (ähnlich Reuchlins „Augenspiegel“): Epistolae […] illustrium virorum ad Hermannum com. Neuenarium […] Köln 1518. Im Mai 1518 beschäftigte sich Hutten in Mainz auch mit der Abfassung seiner „Türkenrede“ (s. Nr.-31,35). Er schickte sie in handschriftlicher Form von Mainz aus am 25. Mai 1518 an Konrad Peutinger in Augsburg. Dort gedachte er sie auf dem Reichstag zu halten, was dann aber nicht geschah, und sie hernach drucken zu lassen. Der im Mai 1518 entstandene Urtext wurde ungekürzt Anfang 1519 in Mainz bei Johann Schöffer gedruckt. Im Oktober/ November 1518 wurde lediglich eine gekürzte Variante seiner „Türkenrede“ in Augsburg publiziert. Einsprüche aus dem näheren Personenkreis um den Kaiser ließen Hutten seinen Urtext schweren Herzens um allzu schroff antipäpstliche Passagen kürzen. Dem Urteil dieser einflussreichen Männer über die „Türkenrede“ stellte sich Hutten, nachdem er von Mainz aus als Gefolgsmann des Erzbischofs Albrecht zum Reichstag nach Augsburg (Juli bis September 1518) gekommen war. Auf dem Programm des Reichstages stand die Frage der Nachfolge Maximilians- I., die ungeklärt blieb, die Bewilligung einer Steuer zur Finanzierung eines Kreuzzuges gegen das Osmanische Reich, die „Gravamina“ der deutschen Nation gegen die römische Kirche, wie sie auch Hutten in entsprechenden Streitschriften vertreten hat, die Wahl Albrechts von Mainz zum Kardinal und die „causa Lutheri“. Im Oktober 1518 wurde Luther in Augsburg durch Kardinal Cajetan (1469-1534) hinsichtlich seiner Haltung zum Ablasshandel, zu seinen Thesen und zu seiner Lehre befragt, um nicht zu sagen, verhört. Es war Luthers Ablehnung des Primates des Papstes, welche die beiden Gesprächspartner ohne vollständiges Einvernehmen auseinandergehen ließ. Erst ab 1519 unter dem Eindruck der Leipziger Disputation (Juni - Juli 1519) zwischen Eck und Luther, wobei dieser die Unfehlbarkeit der Konzilien bestritt, wurde Luther von Hutten wahr- und ernstgenommen. Aber während des Augsburger Reichstages, obwohl sie nur straßenweit voneinander entfernt wohnten, beachtete er Luther kaum. Auf einem weißen Zelter mit purpurrotem Zaumzeug war der Abgesandte des Papstes, Cajetan, in Augsburg zum Reichstag eingeritten. Wie auch Maximilian-I. wohnte er im Palazzo Fugger. Der zum Verhör geladene Luther war im Karmeliterkloster untergekommen und Hutten im Haus von Georg Gros, einem abwesenden Domherren. Thomas von Wirsberg hatte seinen Verwandten Hutten vorgestellt und übernahm die Sorge für den Syphilis-Kranken. Hutten hielt hier auch während seiner Guajakkur (s. Nr. 35) regelrecht Hof. Er war, auch wenn er vor großen offiziellen Auftritten zurückschreckte, kein auf Unauffälligkeit bedachter Stiller-Winkel-Humanist, sondern nahm es auch mit öffentlichen Auseinandersetzungen auf, ja suchte sie, die, gemäß seines zunehmenden <?page no="51"?> Hutten hält Hof und der Hof hält Hutten 51 Bekanntheitsgrades, heftiger wurden. So stand damals sein „Nemo“ (s.-Nr. 10, 21) in der Kritik, auf die er im Pirckheimer-Brief gleichsam verächtlich schulterzuckend einging, mit geschulter Rhetorik, die er ja auch studiert hatte und die er zu lehren befugt war. Er wurde in Augsburg, selbst während seiner Guajakkur von zahlreichen humanistischen Geistesverwandten besucht, die entweder in Augsburg wohnten oder dank des Reichstages hierher gelockt worden waren. Zu seinen Besuchern gehörten, wie aus seinem Pirckheimer-Brief hervorgeht, Konrad Peutinger, Staab, Spiegel, Heinrich Stromer von Auerbach (Leibarzt von Erzbischof Albrecht), Jakob von Banisis (Dekan von Trient und Ratgeber des Kaisers, den er auf seinen Gamsjagden in Tirol zu begleiten pflegte), Graf Ulrich von Helfenstein, dem Ulrich von Württemberg sein Schloss niedergebrannt hatte, Gelehrter und Gefolgsmann des Kaisers, Egidius Rem, Huttens Studiengenosse in Pavia, Trebatius von Vicenza, ein Altphilologe, Johannes Mader, gen. Foeniseca, ein Liebhaber geheimer Weisheit, oder Ökolampadius, der Hutten über Erasmus Bericht erstattete. Schwungvoll schreibt der wissbegierige Hutten in seinem sprachwuchtigen Pirckheimer-Brief (Nr. 36) über den ihm persönlich bekannten Ritter Siegmund von Herberstein (1486-1566). Der gerade von einer österreichischen Gesandtschaftsreise zu dem Moskowiter-Fürsten heimgekehrte Diplomat und Forschungsreisende hat ihn über den geographischen Lauf der Wolga informiert und seine Frage nach den ryphäischen und hyperboräischen Bergen - Bezeichnungen in der „Geographia“ des Claudius Ptolemäus (um 100 n.-Chr.) - dahin beantwortet, dass es sie nicht gibt. Neben seinem berühmten Pirckheimer-Brief, der sogar Goethe beeindruckt und beeinflusst hat, mit seiner Entscheidung für den Humanismus, die Wissenschaft, als er an einem Wegekreuz mit verschiedenen möglichen Richtungen der Lebensgestaltung angelangt war, entstand ebenfalls noch in Augsburg, im Herbst 1518, September bis Mitte November, die dann im folgenden Jahr Mitte April in Mainz bei Schöffer gedruckte Abhandlung (s. Nr. 35) über die Franzosenkrankheit und die Guajakkur - über dies vermeintliche Heilmittel hat auch Paracelsus um 1529 gehandelt - der sich der Autor in Augsburg 40 Tage lang, als Dreißigjähriger, unterzogen hatte, woraufhin er sich euphorisch - aber fälschlich - als geheilt empfand. Im Winter 1518 reiste Hutten von Augsburg aus zunächst einmal zu seiner heimatlichen Steckelburg. Inwieweit er sie noch als Zuhause, als Heimat empfand oder inzwischen als einen Aufenthaltsort, wie viele andere auch, ist schwer zusagen. Das Kinder- Ich in ihm suchte aber doch wohl immer wieder nach seinen Eltern. Huttens nicht von ihm auf dem Reichstag gehaltene sog. „Türkenrede“ (s. Nr. 31, 35), deren ungekürzte Fassung er Ende 1518 auf der Steckelburg für den Druck vorbereitete, nimmt innerhalb seines Werkes eine Sonderstellung ein, insofern er in ihr ein weltpolitisches Problem aufgreift. In ihr wird die auch auf dem Augsburger Reichstag diskutierte Frage eines päpstlich-kaiserlichen Kreuzzuges gegen das Osmanische Reich erörtert. Mit seinem „furor teutonicus“ setzt er sich für Maximilian-I. ein, besonders dafür, dass diesem in einer solchen Auseinandersetzung die Führung gehöre. <?page no="52"?> Ulrich von Hutten - der politische Deutsche 52 Nach dem Tod des von ihm fast abgöttisch verehrten Kaisers am 12. Januar 1519 in Wels sah sich Hutten mit der Aufgabe konfrontiert, seine Agitationen in Hinsicht auf die im Wandel begriffene nationale Machtkonstellation umzurüsten. So nötigte ihm die beinah feindselige Deutschlandkälte des neuen Kaisers, Karls V., des Herrschers über das Habsburger Reich, welcher der deutschen Sprache nicht mächtig war, den Gedanken an die Möglichkeit der Selbsthilfe der Ritterschaft auf, gerichtet gegen die Kirchen- und Fürstenwillkür in und über Deutschland. <?page no="53"?> 53 Huttens vereitelter Weg zu den Habsburgern Karl V. und Ferdinand I. Am 10. Dezember 1518 traf der schwerkranke Kaiser Maximilian I. in Wels (Österreich) ein, wo er in der dortigen Burg seinen Wohnsitz nahm. Eine feste Residenz hatte er immer verschmäht, so, wie auf anderer Ebene der „fahrende Ritter“ Ulrich von Hutten. Er starb am 12. Januar 1519. Am 3. Februar 1519 wurde er in Wien beigesetzt. Nach Maximilians I. Tod - Reichsverweser Südwestdeutschlands wurde Pfalzgraf Ludwig V. - entbrannte der Streit um die Nachfolge als Kaiser der Wahlmonarchie Deutschland. Unter den Bewerbern entschied sich der englische König Heinrich VIII. zum Verzicht. Nachdem Friedrich III., der Weise, von Sachsen, die ihm vom Papst und den Kurfürsten nahegelegte Kaiser-Kandidatur abgelehnt hatte, blieben noch der „Burgunder“ Karl I., König von Spanien, ein Enkel von Maximilian I. und König Franz I. von Frankreich, der den mit der Kaiserwürde verbundenen Machtzuwachs des Hauses Habsburg verhindern wollte, im Konkurrenzkampf. Jakob Fugger, der Reiche (1459-1524), damaliger Inhaber des Bank- und Handelshauses Fugger, eines weltweiten Unternehmens, dessen Schiffe die Meere, dessen Wagenzüge die Länder durchquerten, sah sich durch eine nicht auszuschließende Wahl von Franz I. gefährdet, sowohl in Hinsicht auf sein Privileg des Handelsmonopols als auch wegen der Rückzahlung der immensen Schulden des Hauses Habsburg bei ihm. Er repräsentierte die Macht des Bürgertums, die auf genossenschaftlichem Zusammenhalt beruhte, nachdem der Adelsstaat zusammengebrochen war. Jakob Fuggers Bestechungsgelder - hinzu kamen finanzielle Zuwendungen des Handelshauses der Welser - über das Haus Habsburg an die zur Wahl berechtigten fünf Kurfürsten, trugen entscheidend zur Wahl Karls I. von Spanien als Karl V. zum Kaiser und König des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation bei, am 28. Juni 1519 in Frankfurt am Main, bei Abwesenheit des Kandidaten. Dort waren zum Schutz der Wahl selbst und der Anhänger Karls I. von Spanien vor Söldnern des französischen Königs Landsknechte Sickingens und Frundsbergs (1473- 1528) auf der Hut. Alter Tradition entsprechend, gehörte zum Kolleg der fünf reichsfürstlichen Alleinwähler des neuen Königs und Kaisers der Erzbischof von Mainz. Der damalige Würdenträger, Albrecht von Brandenburg, war aus diesem Grund mit seinem Gefolge von seiner Residenzstadt Mainz aus nach Frankfurt am Main gekommen. In seinem Gefolge befand sich auch Ulrich von Hutten. Als Mitglied des Mainzer Hofstaates mehr oder weniger ins Vertrauen eines mächtigen politischen Entscheidungsträgers des Reiches gezogen, wurde es ihm ermöglicht, nach dem Augsburger Reichstag von 1518 nunmehr, bei Gelegenheit der mit der Königswürde verknüpften Kaiserwahl wiederum einen Blick in das Getriebe der großen Politik hinter den Kulissen zu werfen. Dabei wurde er, der gerne bereit war, aufzublicken und zu bewundern, weniger von persönlichem Ehrgeiz als von seiner als höhere Aufgabe <?page no="54"?> Ulrich von Hutten - der politische Deutsche 54 wahrgenommenen Wächterfunktion, was Gefahren für Deutschland betraf, geleitet. Beide Ereignisse hat er „kritisch hinterfragt“, so den Augsburger Reichstag in den „Inspicientes“ und die Kaiserwahl in der „Ermahnung an die freien Städte“ (Nr. 63), mit ihrer Anprangerung von Kauf und Käuflichkeit. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Hutten während seines Aufenthaltes in Frankfurt ein Treffen mit einer jungen Dame zu erreichen versucht hat, die er gern geheiratet hätte: Kunigunde Glauburg, die Tochter eines Frankfurter Patriziers. Briefe von ihm aus der Zeit von Mai bis Juli 1519, besonders an seinen Studienfreund aus dem Jahr 1506 in Pavia, Arnold Glauburg, einem entfernten Verwandten von Kunigunde, an die er wohl nicht direkt, um sie werbend, geschrieben hat, offenbaren die Heiratspläne des Humanisten, dem Erasmus von Rotterdam in seinem berühmten Brief vom 13. Juli 1519 (Böcking 1, S. 278-286) vielleicht auch die Vorteile des Ehe- und Familienlebens am Beispiel Thomas Mores geschickt, indirekt schmackhaft zu machen versucht hatte. In diesen Brautwerbungsbriefen bestreitet Hutten, in einer Art von Beschwichtigungsmogelei, ein Aufrührer und Bewohner eines Raubritternestes zu sein und beteuert seine sehnsüchtige Affinität mit einer bürgerlichen familiengebundenen Lebensform in der Stadt. Huttens Ehepläne scheiterten, und zwar wohl hauptsächlich am Widerstand der Mutter Kunigundes. Ob dabei der Umstand seiner Syphilis-Erkrankung eine Rolle gespielt hat, steht dahin. Und er war zweifelsohne nicht so friedliebend, wie er sich fuchsartig scheinheilig darstellte. Damals arbeitete er an papstfeindlichen, romkritischen, durchaus aufrührerischen Schriften, wie dem „Vadiscus“ und den „Inspicientes“ (Nr. 41). Er mochte spüren, dass er, je stärker und öffentlich auffallender er seine Agitation betrieb, desto mehr seinen Dienstherren, den humanistischen Erzbischof oder erzbischöflichen Humanisten Albrecht von Mainz in die Gefahr der Beweisnot bringen könnte, sollte man sich bei diesem von Seiten der Inquisition nach seinem eigenwilligen Hofmann erkundigen. Noch bevor Hutten den Schutzherrenwechsel von Albrecht von Mainz zu Franz von Sickingen vollzog, dachte er mithin an die Ehe mit einer Patriziertochter in einer bürgertumsgepanzerten Stadt. Im Dialog „Fortuna“, den er im Herbst 1519 überarbeitet hat, ist das Scheitern seiner Ehepläne dichterisch überhöht, aber mit überzeugender Traurigkeit darüber dargestellt. Hutten wurde von seinem Dienstherren, dem zwei Jahre jüngeren Albrecht von Mainz, den er vermutlich schon 1506 während seines Studiums an der „Viadrina“, der Universität von Frankfurt/ Oder kennengelernt hatte - im Gefolge seiner umtriebigen Suche nach „guten Gesellen“, die er dann später gezielter, überlegter im Kreis der Humanisten und der Lutheraner suchte - als ein in humanistischer Hinsicht zumindest ebenbürtiger Gleichgesinnter geschätzt. Damit hängt wohl auch zusammen, dass er in Hinsicht auf Huttens „Dienstzeiten“ recht tolerant war, auch wenn heutiges Beamtenrecht natürlich nicht auf die damalige Zeit übertragbar ist. Es scheint jedenfalls ohne besonderen Einspruch möglich gewesen zu sein, dass Hutten von Ende März bis Ende April 1519 an der Strafexpedition des Schwäbischen Bundes gegen Ulrich von Württemberg teilnahm, welcher um die Zeit des 29. Januar 1519, eine Woche nach dem Tod Kaiser Maximilians I., die freie Reichstadt Reutlingen <?page no="55"?> Huttens vereitelter Weg zu den Habsburgern 55 belagert und eingenommen hatte. Vom Februar bis März 1519 rüstete sich Hutten für den Feldzug. Nach dessen für das Bundesheer siegreichen Ende hielt er sich - etwa Mai 1519 - hauptsächlich in der militärischen Lagerlandschaft des Schwäbischen Bundes zwischen Stuttgart und Tübingen auf. In Stuttgart, Wildbad und Esslingen schrieb er seine letzte, seine fünfte Rede gegen Herzog Ulrich von Württemberg („Oratio quinta“). Schon zuvor, am 7. April 1519, hatte er mit seinem während jenes Feldzuges für seine Ideen gewonnenen Freund Franz von Sickingen den von ihnen verehrten Johannes Reuchlin in dessen Stuttgarter Heim aufgesucht. Dieser hatte, aus Furcht vor marodierenden Söldnern, Teile seiner Bibliothek, die er die „Hälfte meiner Seele“ nannte, in Haus und Garten versteckt. Die beiden Ritter sorgten für den Schutz vor Übergriffen, hatten Sinn für die Situation des berühmten Gelehrten. Hutten hatte ihn und Erasmus die „beiden Augen Deutschlands“ genannt. Reuchlin hat besonders auf dem Gebiet der Hebraistik bahnbrechend gewirkt. Er wurde wegen seines Einsatzes für den Erhalt jüdischer religiöser Bücher von der Inquisition beobachtet. Sickingen setzte sich für eine Beendigung des zähflüssigen Kirchenprozesses gegen Reuchlin ein. Dieser wurde, wegen seines Engagements für das Judentum, 1520 durch päpstlichen Beschluss verurteilt, ohne aber dadurch seine Freiheit einzubüßen. Briefe Huttens aus Esslingen lassen erkennen, dass er sich in dem geräuschvollen, derben Lagerleben des Schwäbischen Bundes zurück nach Mainz sehnte, nach den Studiermöglichkeiten dort und nicht zuletzt nach den Esstöpfen des Hofes. Im August 1519 trachtete Ulrich von Württemberg, die Macht über sein Stammland zurückzuerobern, wurde aber im Oktober 1520 vom Heer des Schwäbischen Bundes abermals zum Rückzug gezwungen, ein Feldzug, an dem Hutten nicht teilnahm. Seit etwa Juni 1519 zurück am Mainzer Hof, trat Hutten hier als Vermittler zwischen Erasmus von Rotterdam und Albrecht von Mainz in Erscheinung. Dessen Versuch, den europaweit berühmten Humanisten an seinen Hof zu ziehen, scheiterte, trotz des höflichen Interesses des Erasmus an näherer Bekanntschaft mit Albrecht. Es blieb bei einem Briefwechsel und dem Austausch von Aufmerksamkeiten, etwa einem Geschenk des Kardinals, eine vergoldete Silberschale. Im August 1519 wurde der 1518 von Johannes Eck durch einen Brief nach Rom denunzierte Hutten von seinem Dienstherren Albrecht von Mainz vom Hofdienst entbunden, damit er sich, wie es vordergründig hieß, umso mehr seinen Studien widmen könne. Der Sold wurde ihm vorerst weiter bezahlt. Im August 1520 wurde die Zahlung eingestellt. Der von der Hofdienst-Loyalität befreite Hutten setzte seine unermüdliche Agitation auf dem Gebiet der Reichs- und Kirchenreform verstärkt fort. Ermutigt wurde er darin durch die tatkräftige Hilfe Sickingens und durch das Auftreten Luthers und seiner Anhängerschaft. Hutten, obwohl keineswegs „religiös kühl“, wie man ihn gesehen hat, sondern ritterlich und bibelfest für die Sache Jesu Christi, an dem er nie gezweifelt hat, engagiert, war allerdings, verglichen mit Luther, von eher schmächtiger religiös seelischer Statur. Er war nicht ohne Sinn für die Singulartät des Reformators, den er als einer höheren <?page no="56"?> Ulrich von Hutten - der politische Deutsche 56 religiösen Sphäre zugehörig empfand (s. Nr. 45, 58). Er glaubte, dass sich diese einflussgewaltige Persönlichkeit zu ihm gesellen könnte, welche angedachte Allianz nicht auf Gegenliebe stieß. Vielleicht hatte er das Gefühl, dass mit Luther der von ihm ersehnte, im „Vadiscus“ vorgeahnte berufene Kämpfer gegen die römische Amtskirche, auf den Plan getreten sei. Aus moderner Sicht hat etwa Thomas Mann 1949, in seinem Essay „Die drei Gewaltigen“, die zerklüftete Seelen- und Charakterlandschaft Martin Luthers zu deuten versucht, durch dessen Auftreten sich Hutten nicht nur erleichtert, im Sinne der Lastenverteilung, sondern auch relativiert fühlen musste: Die drei Gewaltigen, von denen ich hier spreche - um mit wahrer Herzensneigung nur von einem von ihnen zu sprechen, sind Luther, Goethe und Bismarck. Im sechzehnten Jahrhundert erschien der erste, Martin Luther, der Reformator, der die konfessionelle Einheit des Erdteils sprengte, ein Fels und ein Schicksal von einem Menschen, ein heftiger und roher, dabei tief beseelter und inniger Ausbruch deutscher Natur, ein Individuum, klotzig und zart zugleich, voller Wucht und Getriebenheit, von bäurisch volkstümlicher Urkraft, Theolog und Mönch, aber ein unmöglicher Mönch, „denn der Mann kann durch natürliche Begier des Weibes nicht entbehren“ - , sinnlich und sinnig, revolutionär und rückschlägig aus der Renaissance, mit deren Humanismus er keine Fühlung hatte, ins Mittelalter durch stete Balgerei mit dem Teufel und massivsten Aberglauben an Dämonen und Kielkröpfe geistlich verdüstert und doch lebenshell kraft seiner Liebe zu Wein, Weib und Gesang, seiner Verkündigung „evangelischer Freiheit“, schimpffroh, zanksüchtig, ein mächtiger Hasser, zum Blutvergießen von ganzem Herzen bereit, mit den Waffen, schreibt er, müsse man die Pest des Erdkreises angreifen, die Kardinäle, die Päpste und das ganze Geschwür des römischen Sodom und sich die Hände im Blute waschen, ein militanter Anwalt des Individuums, seiner Gottesunmittelbarkeit und geistlichen Subjektivität gegen das Objektive, die kirchliche Ordnungsmacht, und dabei ein Erzieher des Volkes zur Untertänigkeit vor gottgewollter Obrigkeit, der aufständige Bauern zu stechen, zu schlagen und zu würgen auffordert; dem Humanismus seiner Tage, auch dem deutschen vollkommen fremd, aber desto gemütstiefer versenkt in deutsche Mystik; ein widerborstiger Orthodoxer, der aus der Kirche nur austritt, um eine Gegenkirche mit einem Gegendogma, mit neuer priesterlicher Scholastik und neuen Verketzerungen zu errichten; antirömisch nicht nur, sondern antieuropäisch, furios nationalistisch und antisemitisch, tief musikalisch dabei, auch als Gestalter der deutschen Sprache --seine Bibelübersetzung, eine literarische Tat ersten Ranges, von der jungen Druckpresse in Tausenden von Exemplaren ins Volk geschleudert, dankt seine Musikalität seinem liebevollen Ohr für den innigen Tonfall der Mystik, sie schuf die deutsche Schriftsprache und gab dem politisch und religiös zerrissenen Lande die literarische Einheit. - Was nach und nach von ihm kam und was Erasmus vorhergesagt hatte, entsetzliches Blutvergießen im Glaubenszwist, Bartholomäus- <?page no="57"?> Huttens vereitelter Weg zu den Habsburgern 57 mächte, Krieg, dreißig Jahre lang, Deutschland entvölkert und in der Kultur zurückgeworfen um Jahre, dreimal soviel, das hätte der stiernackige Gottesbarbar bereitwillig auf seinen gedrungenen Hals genommen: ‚Hier stehe ich, ich kann nicht anders.‘“ Von August bis September 1519 hielt sich Hutten mit dem Humanisten Joachim Camerarius (1500-1574) in Fulda auf, der darüber in seiner Biographie Melanchthons (1566) berichtet hat. Aufgrund seines zunehmenden Schutzbedürfnisses, dem er etwa in den „Conquaestiones“ (s. Nr. 47) vom Oktober 1520 Ausdruck verliehen hat, zog sich Hutten gegen Ende des Jahres 1519 erst einmal hinter die Wälle der Heimat zurück. Im Oktober 1519 entdeckte er in der Fuldaer Stiftsbibliothek u. a. auch eine alte Handschrift, welcher er den Titel „De unitate ecclesiae“ (s. Nr. 42) gab und die er im November - Dezember 1519 mit einer Zueignung an Ferdinand I. versah. Das papstfeindliche und Kaiser Heinrich-IV. gewogene Dokument ging als Geschenk Huttens an Ferdinand ab, dem war es unwillkommen, er nahm es ungnädig auf. In der wälderumrauschten, väterlichen, „germanischen“ Grimmigkeit der Steckelburg arbeitete Hutten überdies seinen noch in Italien skizzierten Entwurf (1506/ 07) zu einem „Arminius“ - Lesedrama 1519 aus, das dann aber erst nach seinem Tod gedruckt erschien (1529) (s. Nr. 26). Ende 1519/ Anfang 1520 gab Hutten Lorenzo Vallas Schrift über die sog. „Konstantinische Schenkung“ heraus mit einer auf der Steckelburg verfassten Widmungsvorrede an Papst Leo X., voll zweifelhafter Komplimente an diesen (s. Nr. 43). Mit dieser Tat übte er auf die Entwicklung von Luthers Papstkritik Einfluss aus, der Vallas beweiskräftige Entlarvungsschrift in der Huttenschen Ausgabe von 1519/ 20 las und daraufhin im Papst den Antichrist sah. Ulrich von Hutten war, wie gesagt, mit Franz von Sickingen (1481-1522) dem „Condottiere“, also einem Söldnerführer, seit dem Feldzug des Schwäbischen Bundes 1519 gegen Ulrich von Württemberg, an dem beide teilgenommen hatten, freundschaftlich verbunden. Der mit militanter geistiger Potenz ausgestattete Ritterhumanist verbündete sich mit dem vergleichsweise oberflächlich gebildeten Machtpotentaten, der im Mit- und Gegeneinander der Großen im Reich ein Faktor war und infiltrierte ihn zielstrebig mit seinen Reformplänen in kirchen- und reichspolitischer Hinsicht, dabei eingedenk des Wohlwollens des Kaisers für Sickingen. Hutten sah inzwischen seine eigene Lebensplanung mit dem Schicksal des Reiches verknüpft. Seit September 1520 von Sickingen als Gast und Schutzbefohlener wohl auf unbestimmte Zeit in seinem Burgenimperium aufgenommen, gelang es ihm, Sickingen auf die Seite Luthers zu ziehen, aus eigenem Antrieb, ohne Einflussnahme Luthers. Auch seine Reichsideologie mit ihrer Vision eines auf die Ritterschaft primär gestützten und von der römischen Kirche unabhängigen Kaisertums sowie dem Programm der Machtreduzierung der Territorialfürsten fand bei seinem Gastgeber Gehör, der sich allerdings zugleich dem eher altkirchlich gesonnenen Kaiser Karl-V. verpflichtet fühlte. Hutten aber dachte an <?page no="58"?> Ulrich von Hutten - der politische Deutsche 58 einen militärischen Einsatz gegen die römische Kirche, insofern sie eine begrenzte, auch weltliche Fremdherrschaft in Deutschland ausübte, verbunden mit einem System wirtschaftlicher Ausbeutung, die mit tätiger christlicher Nächstenliebe nichts zu tun hatte. Hutten erhoffte sich bei der Realisierung seiner Pläne Unterstützung durch Sickingen, der sie jedoch mit seinem Amt als kirchlicher Rat und Kämmerer vereinbaren musste, das er seiner Mithilfe bei der Vertreibung des reichsfeindlichen Ulrichs von Württemberg und seiner militärischen Präsenz zugunsten Karls I. von Spanien bei der Kaiserwahl 1519 in Frankfurt am Main zu danken hatte. Des Kriegsunternehmers frühere, moralisch unbedenkliche Militäraktionen des Macht- und Geldgewinnes halber - wegen seiner Fehde mit der freien Reichsstadt Worms war er in die, inzwischen wieder aufgehobene Reichsacht geraten - waren durch reichskonforme Aktivitäten und eine gewisse relative Ethisierung seiner moralischen Haltung unter dem Einfluss Huttens abgelöst worden. Er wurde Schutzherr für gefährdete Humanisten, wie Johannes Reuchlin, und Luther-Anhänger, wie Martin Butzer, Ökolampadius, Schwebel, Aquila u. a., die zeitweise in seinem Burgenimperium sich geborgen fühlen durften und dort eine Art evangelischer Urgemeinde ins Leben riefen. Hutten hatte sich bereits im Januar 1520 gelegentlich eines Besuches bei Sickingen auf der Veste Landstuhl für den Schutz Luthers stark gemacht. Dieser widmete Sickingen eine seiner Schriften, ohne aber sein Schutzangebot für den Notfall anzunehmen, das ihm Hutten über Melanchthon brieflich übermittelt hatte. Er schlug insofern auch Huttens Strategieplan aus, er solle bei seiner - angedachten - Reise zu Sickingen in Fulda eine Ruhepause einlegen und sich dort im Wirtshaus „Zum Bären“ nach Hutten erkundigen, der ihn dann weitergeleiten werde. Hutten und Luther haben sich persönlich nicht kennengelernt. In den Jahren 1520- 1521 gab es allerdings einen Briefwechsel zwischen ihnen. Von Huttens Briefen an Luther sind fünf überliefert (vergl. Nr. 45, 58). Dagegen sind die betreffenden Briefe Luthers nicht erhalten. Ebenso wie Erasmus lehnte Luther die von Hutten geforderte Gewaltanwendung gegen die Statthalter der Macht der römischen Kirche in Deutschland ab, jedenfalls in der damaligen Situation. Noch vor dem Schulterschluss mit Sickingen im September 1520 vollendete Hutten im Februar 1520 auf der Steckelburg den Dialog „Vadiscus“. Er rühmte deren Ruhe in seiner Zueignung an Sebastian von Rotenhan (1478-1534), seinen Schwager am Mainzer Hof, als gute Schaffensvoraussetzung. Die im April 1520 gedruckte Sammlung Huttenscher „Gespräche“ (Dialogi) (Nr. 41) enthält auch „Vadiscus“ und „Inspicientes“, welche Werke, als eine unverblümte Manifestation gegen die römische Kirche, ihm die gefährliche Aufmerksamkeit der Inquisition zuzogen. Die in dem „Vadiscus“ eingearbeitete sog. „Triaden-Sammlung“ („Trias Romana“), an deren Abfassung Hutten mitbeteiligt gewesen sein mag, lag bereits 1519 in verschiedenen Ausgaben vor (Benzing 253-257). Syntaktisch dreigliedrige Anklage-Sprüche gegen die damalige römische Kirche machen die Triaden-Sammlung aus, welche in der Titulatur den Leser ermahnt: „Wiltu etwas neues haben, Laß diß büchlein nit vorüber traben.“ <?page no="59"?> Huttens vereitelter Weg zu den Habsburgern 59 Aber abgesehen vom politisch neutralen „Fortuna“Gespräch traben die „Dialogi“ samt den im „Vadiscus“ enthaltenen Triaden keineswegs gemächlich gen Rom, sondern fordern die Kurie schnellkräftig unumwunden heraus (s. Nr. 41). Der Mainzer Buchdrucker Johann Schöffer, Sohn Peter Schöffers, der 1455 den größten Teil der Werkstatt von Johannes Gutenberg übernommen und ihn 1503 seinem Sohn überlassen hatte, zeichnete sich besonders durch Ausgaben des Historien-Werkes von Livius aus. Zu seinen Freunden gehörte Hutten, von dem er einige Schriften gedruckt hat, darunter auch im April 1520 die „Dialogi“. Deshalb erhielt er eine Gefängnisstrafe, die auf Albrecht von Mainz zurückging, den die römische Kirche Huttens wegen zunehmend in Zugzwang brachte. Hutten trachtete nach der persönlichen Bekanntschaft mit Luther vergeblich. Er hatte sogar nach Wittenberg zu ihm reisen wollen, was dann aber unterblieb. Im Gegensatz zu Hutten setzte Luther, wie schon gesagt, zum damaligen Zeitpunkt der römischen Kirche gegenüber auf die Macht des bibelinspirierten Wortes, nicht auf Waffengewalt. Mit einem Fiasko endete auch, im Juni 1520, also noch vor seiner Übersiedlung in Sickingens Burgenimperium (September 1520), aber bereits auf dessen vermittelnder Hilfestellung beruhend, Huttens Fahrt an den Hof Ferdinands I. (1503-1564), des jüngeren Bruders Karls V., nach Brüssel. Sickingen hatte ihn, nach einer Fürsprache bei dem Kaiser, vom Angebot einer Anstellung am Hof des Erzherzogs in Kenntnis gesetzt. Die von Sickingen geschaffene, für Hutten günstige Gesprächsatmosphäre am Brüsseler Hof, dürfte vermutlich von Hutten durch die besagte Geschenksendung vom „De unitate“ (s. Nr. 43) samt der Zueignung an Ferdinand I. - einer verkappten Kampfansage an Rom mit Ferdinand zugedachtem Aufforderungscharakter - ausgelöscht worden sein. Vor seiner Reise hatte er dem Prinzen die von ihm besorgte Druckausgabe der für Heinrich IV. gegen den Papst Partei ergreifenden Schrift zugesandt. An die Möglichkeit des Scheiterns dachte Hutten vermutlich noch nicht ernsthaft, als er sich zu seiner Reise nach Brüssel per Schiff von Mainz aus den Rhein hinab anschickte, im Juni 1520, gewissermaßen seiner Büchergeschenksendung an Ferdinand hinterdrein. Am Tag seiner Abreise, am 4. Juni, schrieb er seinen ersten Brief an Luther, worin er seine Bewunderung für ihn ausdrückt. (s. Nr. 45). Er legte Zwischenstationen in Köln und Löwen ein. In Köln traf er sich mit dem - oft zusammen mit seiner Familie - abenteuernden Philosophen Agrippa von Nettesheim (1486-1535), den er vielleicht schon 1506 in Pavia kennengelernt hat. In Löwen kam es dann zu einem für beide Seiten enttäuschenden Gespräch mit Erasmus von Rotterdam, der Huttens geplante „action directe“ gegen die römische Kirchenpräsenz in Deutschland missbilligte. Er gab aber Hutten ein Empfehlungsschreiben an den Hof Ferdinands I. mit, den er gut kannte, insofern er einer seiner Erzieher war. Am Ziel seiner Reise in Brüssel angekommen, wurde Hutten kaltgestellt, ausgesetzt den Blicken der Hofschranzen, die mit einem von der Inquisition Bedrohten nichts zu tun haben wollten, mit jemandem, der <?page no="60"?> Ulrich von Hutten - der politische Deutsche 60 neben Luther in der inzwischen publik gewordenen Bannandrohungsbulle „Exsurge Domine“ (s. Nr. 46) Leos-X. verketzert worden war. Im Juli 1520 erlebte Hutten in Brügge noch den Einzug Karls V. auf dem Weg in seinen neuen Machtbereich Deutschland, bei dem er sich um eine Audienz bemühte, vergeblich, wie schon bei Ferdinand I., als Augenzeuge, eine Gelegenheit, die vielleicht zu seinem letzten Gespräch mit Erasmus von Rotterdam und zu einem ersten mit Thomas More führte. Da er einen Anschlag auf sein Leben fürchtete, machte er sich im August 1520 auf den Heimweg. Unterwegs verstärkten sich Warnungen an ihn, insoweit der Papst, in einem Schreiben vom 17. Juli 1520, von deutschen Fürsten, namentlich Albrecht von Mainz, seine Festnahme und Auslieferung an Rom verlangt hatte. Die Frechheit der kirchenfeindlichen Lästerer, von denen Hutten der schlimmste sei, müsse bestraft werden. Hutten vertrat die Auffassung, dass die römische Kirche keine Verfügungsgewalt über ihn habe, da ihm als deutschem Ritter und „poeta laureatus“ ein Verhör nur vor dem Kaiser gebühre. Auf der Rückreise von Brüssel nach Hause kam es in der Nähe von Löwen zu einer Horrorkonfrontation zwischen Hutten und dem berüchtigten Ketzermeister Jakob von Hochstraten, über die Crotus Rubeanus in einem Brief an Martin Luther berichtet hat. Es lief auf ein Handgemenge hinaus, bei dem Hutten Sieger blieb, aber er ließ den Schreckensmann das Weite suchen, ohne dessen Opfer zu rächen. Ob die Konfrontation durch eine gezielte Fahndung Hochstraatens (1460-1527) nach Hutten bedingt war, ist unklar. Wie dem auch gewesen sein mag, Hutten hatte es eilig, sich in die Heimat abzusetzen, in die „Buchonia“, das Buchenland, auf die Steckelburg und nach Fulda, nach einem Zwischenaufenthalt in Mainz, dessen Hast darauf hindeuten könnte, dass Hutten die Häscher der Inquisition sich auf den Fersen glaubte. Ende August 1520 kam für Hutten die Zeit der letzten Tage, die er mit seinen Eltern zusammen auf der Steckelburg verbrachte. Dort starben sein Vater Anfang 1522, in der Zeit von seines Sohnes „Pfaffenkrieg“ und seine Mutter im August 1523, nur wenige Tage vor Huttens Tod auf der Insel Ufenau im Zürichsee. Im September 1520, als Hutten den - freilich auch beengenden - Schutzbereich Sickingens aufsuchte, umgab ihn bereits eine Aura der „Vogelfreiheit“, des gefährlichen Lebens im Dienst der Befreiung Deutschlands von der Knechtung der Geistesfreiheit und des Wirtschaftswachstums durch die römische Kirche. Es mutet wie eine offizielle Festschreibung dieser Situation an, wenn Hutten in der Bannandrohungsbulle „Exsurge Domine“ vom Juni 152o ebenso mit gemeint war, wie in der im Januar 1521 nachfolgenden endgültigen Bannbulle „Decet Romanum Pontificem“ und im Wormser Edikt vom Mai 1521 mit der Verhängung der Reichsacht über Luther und seine Anhänger durch Kaiser Karl V., einer reichsrechtlichen Folgemaßnahme auf den Kirchenbann. Hutten, dessen Gefährdungslage sich durch die Bannandrohungsbulle verschärft hatte, wurde auf Sickingens Ebernburg mit offenen Armen empfangen. <?page no="61"?> Huttens vereitelter Weg zu den Habsburgern 61 „Bleiben wir“, so David Friedrich Strauß in seiner Hutten-Biographie, „vor diesem Bilde stehen. Es ist eines der schönsten in der Geschichte unseres Volkes. Am gastlichen Tische der Ebernburg sitzen in den Winterabenden zwei deutsche Ritter, im Gespräch über die deutschen Angelegenheiten. Der eine Flüchtling, der andere sein mächtiger Beschützer: aber der Flüchtling, der jüngere, ist der Lehrer, der ältere schämt sich des Lernens nicht, wie der ritterliche Lehrer selbst neidlos dem größeren Meister, dem Mönch zu Wittenberg, sich unterordnet.“ Hutten und Sickingen sprachen viel über Schriften Martin Luthers. Hutten erläuterte ihm überdies eigene Werke. Ihm wurde, auch aufgrund von entsprechenden Einwänden Sickingens, bewusst, wie wichtig die Verwendung der deutschen Sprache für die Verbreitung seiner Publikationen und Propaganda war. Er begann, eigene in Latein vorliegende Schriften retrospektiv ins Deutsche zu übersetzen, so z. B. im September 1520 eine seiner im selben Jahr publizierten „Conquaestiones“ (s. Nr. 47) - diejenige an die deutsche Nation -, dies alles in der altdeutschen Atmosphäre der Ebernburg. Von vornherein in Deutsch und ohne die Absicht einer deutsch-lateinischer Doppelung schrieb Hutten in der ersten Oktoberhälfte 1520 seine versifizierte „Klage und Vermahnung“ (s. Nr. 48), worin er mit unmissverständlicher Drastik, der derben Möglichkeiten der deutschen Sprache gewärtig, die römische Kirche mit wehklagendem Zeter und Mordio anklagt. Bis Ende Dezember 1520 hatte er selbst, abgesehen von dem durch den Reformator und Mitflüchtling auf der Ebernburg Martin Bucer (auch: Butzer, 1491-1551) übersetzten „Febris“ (I) - Dialog (s. Nr. 38) seine „Dialogi“ (s. Nr. 41, 53) ins Deutsche übertragen - die nicht politisch-agitatorisch konzipierte „Fortuna“ ließ er außer Acht - und in einem „Gesprächsbüchlein“ vereinigt. Unter den ersten deutschsprachigen Publikationen Huttens befindet sich auch ein im Dezember 1520 abgefasstes und 1521 gedrucktes Protestgedicht gegen die Verbrennung lutherischer Schriften in Mainz (s. Nr. 51), nachdem es bereits zu parallelen Aktionen gegen Luther gekommen war, in Lüttich, Löwen und Köln. Bevor diese beinah schamanisch anmutenden Rituale erfolgten, hatten Johannes Eck (1486-1534), ein katholischer Kontroverstheologe und der päpstliche Nuntius Hieronymus Aleander (1480-1542) die Bannandrohungsbulle in Deutschland bekannt gemacht. Von ihr erschien im November 1520 eine von Hutten glossierte Buchausgabe (s. Nr. 46). Im „Bulla vel Bullicida“, einem Gespräch aus seinem „Dialogi novi“ (s. Nr. 50) nahm er die Urkunde erneut aufs Korn. Am 23. Oktober 1520 fand die Königskrönung Karls V. in Aachen statt, bei welcher Gelegenheit dieser erstmals deutschen Boden betrat. Sickingen reiste, ihn zu begrüßen, dorthin - ohne Hutten. Mit der Bitte der Übermittlung an den Kaiser gab ihm dieser eine von ihm verfasste antipäpstliche Anklageschrift mit - die auch bereits zusammen mit anderen, „Conquestiones“ im September 1520 gedruckt worden war (s. Nr. 47) - worin er sich, in direkter Anrede an den Kaiser, als exemplarisches <?page no="62"?> Ulrich von Hutten - der politische Deutsche 62 Opfer der Willkürherrschaft der römischen Kirche darstellt, mit autobiographischer wilder Vitalität. Hutten legt dem Kaiser nahe, zu vereiteln, dass er, was einen willkürlichen, konkurrierenden Eingriff in den kaiserlichen Kompetenzbereich bedeuten würde, als sein Untertan durch inquisitorische Helfershelfer als Gefangener an Rom ausgeliefert werde. Ihm, als Ritter, gebühre ausschließlich durch den Kaiser verhört zu werden (Martin Luther wurde dann auf dem Wormser Reichstag 1521 ein solches von Hutten vergeblich ersehntes Verhör zuteil). Hutten war ja auch, vermöge seiner Dichterkrönung am 12. März 1517 in Augsburg, wie schon gesagt, nicht nur das Recht der Lehre der Dicht- und Redekunst an deutschen Hochschulen, sondern auch das Privileg des persönlichen Schutzes durch den Kaiser zugestanden worden. Karl V. aber zog dann sein Sickingen gegebenes Versprechen, Hutten höchstpersönlich anzuhören, im Dezember 1520 wieder zurück. Am 10. Dezember 1520 verbrannte Martin Luther vor dem Elstertor in Wittenberg ein Exemplar der Bannandrohungsbulle „Exsurge Domine“ sowie Ausgaben des kanonischen Rechts und verwandte Schriften. Im Winter 1520-1521 brachte, wie gesagt, Hutten die Schriften Martin Luthers Franz von Sickingen auf der Ebernburg nahe. Am 3. Januar 1521 wurde Luther, während Karl V. unterwegs zum Wormser Reichstag war, von der römischen Kirche durch die endgültige Bannbulle „Decet Romanum Pontificem“ gebannt. Damit war der bislang nur angedrohte Kirchenbann in Kraft getreten, Luther und seine Gesinnungsfreunde, darunter Hutten, waren nunmehr exkommuniziert, galten als vogelfrei, als Ketzer. Am 27. Januar 1521 wurde der Wormser Reichstag durch Karl V. im Dom und im Bürgerhof eröffnet, jene folgenreiche Versammlung der Stände des deutschen Reiches. Am 6. März 1521 hatte Karl V. Martin Luther unter Zusicherung freien Geleits für Anreise und Rückreise nach Worms zum Reichstag geladen, damit er dort seine Lehre öffentlich vertreten solle. Luther verweigerte am 2. Verhandlungstag, am 18. April 1521 den Widerruf der inkriminierten Aussagen in seinen Schriften, den er nur geleistet hätte, wäre er durch Zeugnis aus der Heiligen Schrift widerlegt worden. Durch das „Sequestrationsmandat“ Karls V. vom März 1521 waren bereits Druck, Verbreitung und Lektüre der Schriften Luthers verboten worden, ein Mandat, das sich angesichts der hohen Verkaufszahl der inkriminierten Werke nicht mehr realisieren ließ. Es erscheint zweifelhaft, welche der in Worms vertretenen antagonistischen Parteiungen, zieht man die überwiegend prolutherische Stimmung der deutschen Bevölkerung in Betracht, sich in der Höhle des Löwen befanden; die Lutherischen oder die Päpstlichen. Vom Sequestrationsmandat hatte Luther erst auf seiner vierzehntägigen Reise von Wittenberg nach Worms erfahren, am 5. April 1521. Noch während er unterwegs war, suchten der Beichtvater Karls V., Jean Glapion (ca. 1460-1522) und der kaiserliche Kämmerer Paul von Amsdorff die Ebernburg auf, wo sie in der Zeit vom 6. April - 8. April 1512 Sickingen und Hutten zur Zurückhaltung in der „causa lutheri“ zu besänftigten suchten, unter Andeutung einer möglichen Annäherung der altkirchlichen an die reformatorischen Lehrmeinungen. Hutten ging auf das Angebot einer kaiserlichen Sold-Pension ein. Sickingen entsprach der Bitte der Kaiserlichen und ließ über Martin <?page no="63"?> Huttens vereitelter Weg zu den Habsburgern 63 Bucer dem nach Worms anreisenden Luther den Schutz der Ebernburg anbieten, aber dieser erteilte in Oppenheim eine Absage und reiste unbeirrbar weiter nach Worms. Während der Zeit des Wormser Reichstages scheinen weder Sickingen noch Hutten die Stadt aufgesucht zu haben, eine persönliche Begegnung mit Luther kam vermutlich nicht zustande, trotz der nur 50 Kilometer Entfernung zwischen Ebernburg und Worms. Im Gegensatz zu dem offen begeisterten Empfang für Martin Luther auf seiner Reise von Wittenberg nach Worms, z. B. in Erfurt von den beiden bewährten Freunden Huttens - Crotus Rubeanus und Eobanus Hessus, der darüber ein längeres lateinisches Gedicht verfasst hat, der eine Rektor, der andere Theologiedozent an der Universität - nahm Hutten nur vorsichtig brieflich mit dem in Worms eingetroffenen Reformator Kontakt auf, und zwar über Martin Bucer, der Luther und seinem Begleiter Justus Jonas jeweils einen Brief Huttens aushändigte (s. Nr. 58). Im Mai 1521 kündigte Hutten das Sold-Dienst-Verhältnis mit Karl V. auf, aus Empörung über das „Wormser Edikt“ vom 25. Mai 1521, mit dem über Luther und seine Anhänger, darunter Hutten, die Reichsacht verhängt worden war. Der westfälische Humanist und Luther-Anhänger Herman von dem Busche (1468- 1534), der zur Zeit des Wormser Reichstages in dieser Stadt weilte, erging sich in leidenschaftlichen Stellungnahmen für Martin Luther. Vergeblich wartete er darauf, dass Hutten und Sickingen gegen die „Römlinge“ gewaltsam vorgehen würden. In einem Brief an Hutten (Böcking 2, 62-64) berichtete er ihm von deren Hohn über ihn, Hutten, Exemplare der von diesem herausgegebenen Bannandrohungsbulle sowie von Luthers Reformationsschrift „Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche“ seien von ihnen in den Kot der Wormser Straßen getreten worden. Spanische Höflinge aus dem kaiserlichen Gefolge, auf Mauleseln die Straßen entlang reitend, lassen ihren Mutwillen an Wormser Bürgern aus. Aber bald, so Busche, würden ja die Nuntien aus Deutschland abreisen, zu hoffen sei, dass sie, durch Eingreifen Huttens, nicht mit heiler Haut davonkommen. Auch von Eobanus Hessus erging eine Mahnung mit ähnlicher Tendenz an Hutten (s. Nr. 60). Hutten, beinah handlungsgelähmt durch den Erlass des „Wormser Edikts“, das ihn auch aus der Illusion gerissen hatte, es könnte zu einer Annäherung, vielleicht sogar Aussöhnung der alten Kirche mit den Auffassungen der Reformation kommen, wie sie die beiden Ebernburg-Emissäre nicht ausgeschlossen hatten, war klar geworden, dass Karl V. nicht daran dachte, die Interessen der deutschen Nation gegenüber der römischen Kirche ernsthaft zu vertreten, umso mehr, als er ihn selbst, der in die Idee des deutschen Kaisertums seine höchsten Leitstern-Hoffnungen setzte, der Isolation des geächteten Daseins überantwortet hatte. Im Sommer 1521 schrieb Hutten sein „Neues Lied“ (s. Nr. 59), das auch seine enttäuschte Abkehr von Karl V. verschleiert offenbart - von diesem individuellen Kaiser, nicht aber von der Idee des deutschen Kaisertums überhaupt. In dieser Zeit war es auch, dass Franz von Sickingen von Karl V., der unmittelbar nach dem Wormser Reichstag beinah fluchtartig die Stadt und sein deutsches Herrschaftsgebiet verlassen hatte, eine Botschaft mit der Aufforderung zu einem Feldzug erhielt, und zwar sowohl gegen den <?page no="64"?> Ulrich von Hutten - der politische Deutsche 64 Herzog von Bouillon, nämlich Robert II. von der Mark (gst. 1536), einem Nachfahren des in Walter Scotts Roman „Quentin Durward“ auftretenden Wilhelm von der Mark (1446-1483), als auch gegen Frankreich, ein Unternehmen, das erfolglos blieb. Hutten nahm daran nicht teil. Stattdessen begann er seinen unrühmlichen „Pfaffenkrieg“ im Pfälzer Wald. <?page no="65"?> 65 Huttens Fehden gegen die Geistlichkeit und seine Konfrontation mit Pfalzgraf Ludwig Ulrich von Hutten war ein gebildeter Mann, der seine Werke in Deutsch und Lateinisch schrieb und ebenfalls über Kenntnisse des Griechischen verfügte, aber er huldigte als Reichsritter auch, etwa in den oberitalienischen Kriegen im Dienst Maximilians I., dem von seinem Freund Erasmus von Rotterdam als „törichtste aller Gottheiten“ bezeichneten Kriegsgott Mars. Als Mitverfasser der „Dunkelmännerbriefe“ kämpfte er, mit dessen ethisch motivierter Kühnheit die Kritiker seines angeblich „unsittlichen“ Lebenswandels sich im Allgemeinen nicht messen können, gegen die Inquisition und für den von Johannes Reuchlin geforderten Erhalt der religiösen jüdischen Bücher. Mit diesem Werk und seinen Lesedramen wurde er eine Gestalt der Weltliteratur. Dennoch war er keine siegfriedartige Lichtgestalt, sondern ein Mischcharakter, der bei seiner dem religiösen Einsatz Luthers parallelen Auseinandersetzung mit der römischen Kirche zum anachronistischen Mittel der Fehde griff. Huttens Fehdeaktivitäten im geopolitischen Raum Rhein-Main, Pfälzer Wald und Elsaß 1521-1522 sind unter dem Namen „Pfaffenkrieg“ bekannt geworden. Insofern die Fehde 1495 auf dem Wormser Reichstag verboten worden war, brach er mit ihnen den damals verkündeten „Ewigen Landfrieden“. Jenseits der vordergründigen Anlässe ging es Hutten um eine Initialagitation, die kollektive Maßnahmen größeren Stils mit dem Ziel der Verdrängung romabhängiger Geistlicher aus ihren deutschen Pfründen im Gefolge haben sollte. Von einer solchen Bekämpfung der ausbeuterischen Macht der römischen Kurie erhoffte er sich eine nationale und wirtschaftliche Stärkung Deutschlands und den Ersatz der römischen Lehrmeinungen durch die Lehren des Neuen Testaments. Wegen ihrer zuweilen berserkerhaften Wildheit haben diese Fehden, die allerdings in der Regel auf Wortüberfälle hinausliefen, Huttens Ruf und Nachruhm geschadet. Als Angehörigem der Reichsritterschaft war ihm jedoch der Gedanke der Fehde eingefleischt vertraut. An Huttens außerliterarische Fehdeerklärungen gemahnen in seinen an Polemik reichen literarischen Schriften Merkmale inhaltlicher Art, wie die herausfordernde Anprangerung des unchristlichen Lebenswandels der Geistlichen, aber auch formale Konfigurationen, wie die an verschiedene Adressaten gerichteten Beschwerden in den „Loetze-Klagen“ und den „Conquaestiones“ oder die beschuldigenden Kampfansagen in den „Invectivae“ gegen die deutschfeindlichen Nuntien auf dem Wormser Reichstag 1521. Huttens Fehdehandlungen gegen die Straßburger Kartäuser im Jahr 1521 sind durch einige Dokumente überliefert, die zu seinen Lebzeiten nicht gedruckt wurden und lange Zeit nur in Form handschriftlicher Urkunden im Stadtarchiv in Straßburg und Reichsarchiv München zugänglich gewesen sind. <?page no="66"?> Ulrich von Hutten - der politische Deutsche 66 Die Auseinandersetzung wurde unmittelbar nicht von Hutten sondern den Kartäusern provoziert. Deren Motive, über die wir von ihnen nichts ausgesagt finden, dürften in der ruchbar gewordenen Kampfansage des lutherischen Ritters gegen Roms Herrschaft in Deutschland zu suchen sein. Sie rief Feindseligkeiten der Geistlichkeit gegen ihn hervor, wie er sie in seiner „Entschuldigung“ (Nr. 52) beschrieben hat. Offenbar waren zwei Mönche aus der Straßburger Kartause heimlich verschwunden. Deren Mitglieder ließen das falsche Gerücht verbreiten, jene seien mit Hilfe des Straßburger Druckers Johann Schott von Hutten aus dem Kloster entführt worden. Vielleicht war ihnen dabei bewusst, dass dem Ritter nachgesagt wurde, ein aus dem Kloster Fulda entflohener Benediktinermönch zu sein. Sie streuten ferner gegen den weithin Berühmten und Volkstümlichen aus, er sei ein Ketzer und aus der Kirche ausgestoßen worden. Der Prior, ein gewisse Martinus, machte so, dass auch das Hassobjekt Hutten davon Kunde erhalten musste, öffentlich bekannt, dass er etliche auf Papier befindliche Hutten-Porträts zur Säuberung eines gewissen Körperteils benutzt habe. Die Verbreitung der Gerüchte und die vulgäre Beleidigung ließen Hutten den Straßburger Kartäusern die Fehde erklären. Wenn er die Behauptung zurückwies, aus der „heiligen christlichen Kirche“ ausgestoßen worden zu sein, so widerspricht dem der Umstand seiner Exkommunikation am 3. Januar 1521. In seiner Fehdeerklärung fordert er von der Ordensgemeinschaft eine Sühne von 10.000 Goldgulden. Im Fall der Verweigerung der Übergabe werde er mit Freunden, Gönnern und guten Gesellen fehdemäßig nach den Kartäusern trachten. Diese wussten, dass mit Huttens Schutzherrn Franz von Sickingen nicht zu spaßen war. Die Stadt Straßburg ging, wie aus ihrem Antwortschreiben vom 4. November 1521 auf Huttens Beschwerde bei ihnen über die Ordensgemeinschaft erhellt, auf sein Sühne- Anliegen ein. In einem vom 13. November 1521 auf dem Schloss Diemerstein datierten Schreibens teilte Hutten dem Straßburger Rat mit, dass er zu der von ihm vorgeschlagenen gütlichen Bereinigung der Angelegenheit bereit sei. Er wählte, wie er denn überhaupt während seiner Fehden nicht nur eine der Burgen Sickingens als Schutz und Drohung nutzte, die Burg Wartenberg als Malstatt. Dort kam am 1. Dezember 1521 ein Vertrag zwischen Hutten und den Straßburger Kartäusern zustande, wobei fünf Adelige sowie Abgesandte der Stadt Straßburg vermittelnd zugegen waren. Es wurde eine Urkunde besiegelt, der zufolge die Straßburger Kartäuser u. a. Hutten öffentlich von ihren Anschuldigungen entlasten und ihm 2.000 Gulden rheinischen Goldes auf Sickingens Schloss Hohenburg bringen sollen. Eine weitere Fehde Huttens richtete sich gegen einen Einzelnen - den Frankfurter Geistlichen Peter Meyer. Otto Brunfels, der aus Mainz stammende, polyhistorisch gebildete Humanist (1488-1534), den Carl von Linné den „Vater der Botanik“ genannt hat, war ursprünglich Kartäuser-Mönch in Straßburg und Mainz gewesen, ehe er dem dortigen Kloster 1521 zu Hutten auf die Sickingenburg Diemerstein entfloh, wo er sich mit ihm gelehrten Studien widmete. Im November 1521 wurde er evangelischer Pfarrer zu Steinheim (Main). Gemäß Huttens Aussage denunzierte der Frankfurter Geistliche Peter Meyer ihn und den in dieser Stadt wirkenden evangelischen Prediger Hartmann <?page no="67"?> Huttens Fehden gegen die Geistlichkeit 67 Ibach (1487-1533) als Lutheraner bei der kirchlichen Oberbehörde in Mainz. Wegen der Verfolgung, der er daraufhin ausgesetzt war, habe Brunfels die Flucht ergriffen. Im Bund mit dem militant-frommen Taunusritter Hartmut von Cronberg nahm Hutten die Fehde gegen Meyer auf (Fehdebrief vom 31. März 1522). Jetzt vollzog sich der Wechsel - er war bereits früher gegen den Reuchlin-Feind und „Dunkelmann“ polemisch vorgegangen - von der publizistischen Ebene (EOV, Brief an Neuenaar, Vadiscus) auf die handgreifliche des Fehde-Trachters nach Leben und Gut. Er suchte zugleich, allerdings vergeblich, den Rat der Stadt Frankfurt gegen Meyer, den „Skorpion“, aufzuwiegeln. Dieser hatte dem Rat gegenüber die Vorwürfe bestritten und beteuert, er wolle sich für Brunfels, den andere verleumdet hätten, in Mainz beim Domdechanten verwenden, damit er wieder in seine Pfarre zu Steinheim zurückkehren könne. Er musste 1525, als sich die Reformation in Frankfurt durchzusetzen begann, seine Pfründe und die Stadt verlassen. Auch die Kurtisanen insgesamt, nicht nur in Gestalt einer Ordensgemeinschaft oder eines Einzelnen, wurden von Hutten mit der Fehde bedroht. Am 23. Mai 1521 gab Hutten seinen Dienst bei Karl V auf, nachdem das Wormser Edikt, das Luther und seine Anhänger ächtete - d. h. auch Hutten - am 8. Mai 1521 vom kaiserlichen Kabinett zur Ausfertigung genehmigt worden war, und trennte sich vorerst auch von Sickingen. Er ging Ende Mai 1521 als eine Art Selbsthilfe-Anarch und auf sich selbst gestellten „Waldgängers“ im Sinn Ernst Jüngers in den Untergrund, wo er die Fehde gegen die Kurtisanen aufnahm, also Höflinge, die über die Kurie zu einer deutschen Pfründe gelangt waren. Er wollte, dass sich aus seinen Aktionen eine nationale Bewegung gegen die Statthalter der Kurienherrschaften entwickle. Gewaltmaßnahmen lagen zumindest in seiner Absicht. Davon kündet sein „Fehdebrief an die Kurtisanen“ (s. Nr. 61). Mit diesem nach dem 4. April 1522 in Worms erschienen Rundschreiben, dessen Einzelexemplare in deutschen Städten ausgehängt wurden, wird dem „ehrlosen, schandhaftigen, verdampten Haufen der Kurtisanen“ gleichsam der Fehdehandschuh hingeworfen. Hutten droht ihnen mit Beraubung, Brand und Totschlag und erklärt auch ihnen verbundene Nichtgeistliche zu seinen Feinden, falls sie sich nicht distanzieren. Das Flugblatt fand nicht das gewünschte Echo. Die Städte waren während des 14. und 15. Jahrhunderts allzu oft von der (Raub-) Ritterschaft überfallen und gebrandschatzt worden. Nunmehr wünschten ihre Repräsentanten nichts weniger als eine Wiederbelebung des Faustrechts. Auch ein ganzer Orden, nämlich derjenige der Dominikaner, wurde Zielscheibe einer Fehde-Ankündigung Huttens. Die vom 1. April 1522 datierte Fehdeschrift Huttens gegen die Dominikaner, als Flugblatt gedruckt und vervielfältigt, ist vermutlich, insofern sie an die Pforte der Kirche dieses Ordens in Straßburg und, am 11. April 1522 zusammen mit dem „Fehdebrief an die Kurtisanen“ an die Liebfrauenkirche in Frankfurt geheftet wurde, auch andernorts an entsprechenden Stätten zu finden gewesen. Hutten verfasste sie auf Sickingens Burg Wartenberg. Es ist eine Kampfansage an den Orden insgesamt, nicht an eine spezifische, ortsgebundene Dominikanergemeinschaft. Hutten erklärt darin rituell drohend, dass er, aus guten <?page no="68"?> Ulrich von Hutten - der politische Deutsche 68 Gründen ein Feind der Predigermönche, jedermann, besonders die Kriegsleute bittet, ihm bei ihrer Verfolgung zu helfen. Er trachtet ihnen nach Leib und Gut. Der Grund seiner Fehdeerklärung sind der Dominikaner „böses, ärgerliches, unchristliches und ketzerisches“ Tun und Treiben in der gesamten Christenheit bis in die jüngste Zeit. Dabei mag Hutten auch an die reuchlinfeindliche Rolle des Ordens, der sich ja besonders angelegentlich in der Inquisition betätigte, im Pfefferkorn-Streit gedacht haben. Alle Predigermönche sollen seinem Willen nach verfolgt werden, außer solchen, die seinen Schutzbrief mit Siegel vorweisen können. Er verspricht eventuellen Helfern seine Dankbarkeit und Gegendienste. Der Fehdebrief ist durch Huttens Siegel und Autograph beurkundet. Die Straßburger Dominikaner fühlten sich natürlich durch das Schreiben, das sie an ihrer Kirchentür befestigt fanden, bedroht und wandten sich, indem sie es beifügten, in einem Schreiben vom 5. Mai 1522 an den Rat der Stadt Straßburg um Hilfe. Sie beteuerten den „ehrsamen Herren“, noch keine unchristliche Tat begangen und noch nie der Christenheit geschadet zu haben. Mit dem „strengen und hochgelehrigen Herrn Ulrich von Hutten“ hätten sie nur Gutes im Sinn, seien dem „tugendreichen Ritter“ in christlicher Liebe geneigt. Sie bitten den Rat der Stadt Straßburg, sich für sie bei Hutten einzusetzen, damit er sie in Anbetracht ihrer Unschuld verschone. Huttens geplante Aktion verlief im Sande. Am 7. Mai 1522 erging ein Fehdebrief Huttens an die Chorherren von Stift und Kirche Jung-St.-Peter in Straßburg. Darin fordert er, dass das Kapitel einige seiner Mitglieder - Kurtisanen - aus seiner Mitte verstoßen solle, an der Spitze einen Pfarrer namens Othmar, der, ein „neidischer, eiterbissiger Hund“, in seinen Predigten ihn schon öfters gescholten und dabei seine männliche Ehre und sein adeliges Herkommen in Zweifel gezogen habe. Falls diese Austreibung unterbleiben sollte, werde er den Stiftsherren nach Leib und Gut trachten, bis sie nach seinem Willen handeln. Ihr Stift sei, wegen der - von ihm namentlich aufgeführten - Kurtisanen, „verunreinigt, voll mit Ungeziefer, teuflischen Gespenstern und tödlichem Gift, kurzum ein stinkender Pfuhl“. In einem Schreiben vom 21. Mai 1522 verteidigt Jung-St.-Peter die genannten Personen gegen die Vorwürfe Huttens - man habe nichts gegen ihn. Es ist samt dem Fehdebrief Huttens an den Rat der Stadt Straßburg mit der Bitte um Fürsprache bei dem Ritter gerichtet. In einem gedruckten Aufruf Huttens vom 23. Juni 1522 an verschiedene andere Straßburger Chorherrenstifte wird von ihnen verlangt, Geldabgaben und Frondienste für Jung-St.-Peter zu unterlassen, anderenfalls hätten sie von ihm Gewalt zu erwarten. Seit 1523 setzte sich die Reformation in dem Humanistentreffpunkt Straßburg unter dem Einfluss von Martin Bucer und Wolfgang Capito durch. In Huttens Kampfansage an die Kurtisanen von Jung-St.-Peter mag man einen Vorboten dieses Ereignisses erblicken, sie war ein Glied in der Kette seines Versuchs, durch destabilisierende Fehden einen Umsturz der unchristlichen Papstkirche einzuleiten. In der Endphase seines Lebens, 1522-1523, nahm Hutten, nach der Verdammung des bürgerlichen Tyrannen Wedeg Loetz in den „Loetze-Klagen“ von 1510, in der <?page no="69"?> Huttens Fehden gegen die Geistlichkeit 69 sich wohl auch das von Hutten geteilte Ressentiment des niederen Adels gegen den wirtschaftlich überlegenen Konkurrenz-Stand der Stadtbürger, der „Pfeffersäcke“ ausdrückt, und der berechtigten und tapferen Anprangerung des Territorialfürsten Herzog Ulrich von Württemberg, der aus Begierde nach seines Nächsten Weib einen Vetter Ulrich von Huttens heimtückisch ermordet hatte, erneut den Kampf gegen einen seiner Ansicht nach tyrannischen Landesherren auf, nämlich den Pfalzgrafen Ludwig V. Hier bestand seine Kampfhandlung hauptsächlich in der Abfassung der „Gegenrede wider Pfalzgraf Ludwig“ (s. Nr. 65) und deren nur als Fragment erhaltenen lateinischen Variante „libellus in tyrannos“ (s. Nr. 66). Ausgelöst wurde sie durch die ritterschaftliche Situation des Jahres 1522. Thematisch spielt in Huttens wuchtiger Schmähung des Pfalzgrafen neben der Ritterschaftsproblematik auch eine seiner Pfaffenkriegs-Fehden eine Rolle. Er war für den Überfall seines Reitknechts auf zwei Äbte verantwortlich. Eine denkbare Verfolgung Huttens deshalb durch den Pfalzgrafen, der bereits den Täter hatte hinrichten lassen, könnte zur Beschleunigung seiner Flucht aus der Pfalz beigetragen haben. Huttens Ausschreiben gegen Ludwig V. ist selbst keine Fehdeerklärung, aber auch keine ein kaiserliches Reichsgericht fiktiv voraussetzende Anklagegerede, wie im Fall seiner Auseinandersetzung mit Ulrich von Württemberg. Vielmehr stellt er mit ihm seinen Gegner zur Rede, der mit einer Schimpfkanonade gleichsam „verbellt“ wird. Die „Gegenrede“ ist die einzige deutschsprachige Invektive Huttens. Sie erschien aus Furcht der Drucker vor der Rache des in ihr Angegriffenen, des Pfalzgrafen Ludwig V., nicht als Buch. Der Text in Handschriftenform wurde erst 1891 von dem Straßburger Germanisten Siegfried Szamatolski im Familienarchiv des Huttenschlosses zu Steinbach (bei Lohr am Main) entdeckt und publiziert. Hutten schrieb das Pamphlet im November - Dezember 1522 in Basel, wohin er aus Deutschland und dem zerbröckelnden Schutz durch den lutherischen Reichsritter Franz von Sickingen geflohen war, als dieser nach der misslungenen Trierer Fehde von den alliierten Truppen des Pfalzgrafen, Philipps von Hessen und des Kurfürsten und Erzbischofs von Trier Richard von Greiffenklau bedroht wurde. Huttens Schmähschrift ist ein Dokument des Ritterkrieges von 1522/ 1523, einer ständischen Selbsthilfebewegung unter Sickingen, dem Hauptmann des 1522 gegründeten Landauer Bundes, gegen die erdrückende Vorherrschaft der Landesfürsten und im Dienst einer Stärkung der Macht, des Besitzes und der angestammten Rechte des niederen Adels. Huttens Invektive gilt Pfalzgraf Ludwig V. und seiner antiritterschaftlichen Agitation, z. B. gegen ihn selbst, Sickingen und Hartmut von Cronberg in einer Zeit, in der das 2. Reichsregiment zusammen mit Ferdinand I, dem Bruder und Statthalter des im Mai 1522 nach Spanien übergewechselten Kaisers Karl V. die oberste Reichsgewalt zumindest repräsentierte. Der Fürst wird in der Du-Anredeform auf eine in dem Bereich zwischen Schein und Sein kundige Art entlarvt. Dies geschieht in einem von einer gleichsam jagenden, aufspürenden Sprache getragenen, reißend zornigen, assoziativen inneren Monolog berserkerhaften Hasses. „Ich bin geboren, Tyrannen zu verfolgen“ sagt <?page no="70"?> Ulrich von Hutten - der politische Deutsche 70 Hutten in seiner „Gegenrede“, die sowohl von persönlicher Kränkung als auch von der Vertretung von Standesinteressen geprägt und von einem parteiischen Gut-Böse- Dualismus - hier niederer Adel, Ritterschaft, dort Landesfürstentum - gelenkt ist. Er bezichtigt Ludwig V. verwerflicher Eigenschaften und Taten. So lasse dieser verunsicherte Zeitgenosse sich in seinen Schutz einkaufen, etwa romhörige Geistliche, wie er denn, früher als Lutheraner eingeschätzt, immer mehr als feil für Kurtisanen und Predigermönche sich erweise. Wegen des Überfalls von Huttens Reitknecht auf zwei Äbte habe er diesen als Straßenräuber hinrichten lassen, obwohl es sich um eine Tat im Rahmen einer offenen angesagten legitimen Fehde gehandelt habe. Hutten scheint hier nicht zu berücksichtigen, dass das Fehderecht auf dem 1. Wormser Reichstag 1495 und in einem bestätigten Sinn auf dem zweiten von 1521 aufgehoben worden war. Der wahre Straßenräuber, so Hutten, sei vielmehr Ludwig, der immer wieder den Landfrieden breche, den er zu beschützen vorgebe - hier stützt sich Hutten darauf, dass auf den genannten Reichstagen das Fehderecht durch den Ewigen Landfrieden abgelöst worden war. Hutten klagt darüber, dass gelegentlich des Transports seiner Habe durch die Pfalz bei seiner Flucht aus Deutschland auch Bücher aus seinem Besitz von Pfalzgraf Ludwigs Leuten geraubt worden seien. Das ihm Liebste sei ihm damit entwendet worden. „Sind auch die Liberien vor dir nicht sicher? “ fragt er bitter, Ausdruck auch seiner hohen Wertschätzung der humanistischen Bildungs- und Lesekultur, wie er sie bereits in seinem berühmten Brief an Pirckheimer ausgedrückt hatte. Die schon und gerade damals große politische Macht des gedruckten Wortes erhellt aus seiner Aussage, dass Ludwig V. aus Angst vor möglichen Publikationen Huttens über seine Untaten seinen Reitern auf ihn zu streifen und ihn zu töten befohlen habe. Wie sehr in der Tat Huttens gefährlich scharf geschliffene Polemiken gefürchtet waren, geht auch aus einer Äußerung des im Gegensatz zu Pfalzgraf Ludwig V., genannt der „Friedfertige“ wahrhaft friedfertigen Erasmus von Rotterdam hervor, der nach der literarischen Fehdeerklärung des Ritters gegen ihn in der „Expostulatio“ vom Juni 1523 in seiner Erwiderung, der „Spongia“ das Gerücht erwähnt, dass manche Leute sich von einer Absicht Huttens, über sie zu publizieren, regelrecht losgekauft hätten. Die nach Huttens deutschsprachiger „Gegenrede“ gegen Ludwig V. von der Pfalz in Basel, Mühlhausen, Zürich und Pfäfers nach Januar 1523 als lateinische Variante desselben Themas entstandene, aber nur als Fragment überlieferte Invektive wird unter dem Titel „In tyrannos“ oder „Libellus in tyrannos“ gelegentlich zitiert, ohne dass ein vom Autor gewählter Titel bekannt ist. Mit der Wendung „In tyrannos“, wie sie dann bekanntlich Schiller seinem Drama „Die Räuber“ mitgegeben hat, charakterisiert Hutten in einem Brief an Eobanus Hessus vom 21. Juli 1523, von Zürich nach Erfurt übermittelt, seine lateinische Schmähschrift, die der Bote, der ihm den Brief bringe, ebenfalls mit sich führe, um sie in Erfurt drucken zu lassen. Hessus scheint aus existentieller Angst der Bitte seines alten Freundes dabei zu helfen, nicht entsprochen zu haben, eine gedruckte zeitgenössische Ausgabe ist zumindest nicht bekannt. Die Invektive wurde am 3. März 1523 von dem evangelischen Theologen und Humanisten Thomas Venatorius zusammen mit einem kurzen Hinweisschreiben auf sie von Nürnberg <?page no="71"?> Huttens Fehden gegen die Geistlichkeit 71 nach Eichstätt an seinen Gönner, den Weihbischof Fabian Weickmann übersandt. Der Kirchenhistoriker Joseph Schlecht fand ein Fragment von Huttens lateinischer Invektive in Handschriftenform als Abschrift in einem Codex der Staatsbibliothek, der heutigen Universitätsbibliothek zu Eichstätt und publizierte sie 1922 (Briefmappe, 2. Stück - Münster 1922, S. 46-53, S. 96-104). Wie schon in der „Gegenrede“, so greift Hutten auch in dem inhaltlich in ihr enthaltenen Teilstück ihrer lateinischen Entsprechung, die als Ganzes verschollen ist, Pfalzgraf Ludwig V. an. Die Pluralform „In Tyrannos“ legt die Vermutung nahe, dass Hutten in der vollständigen lateinischen Invektive auch noch andere deutsche Landesfürsten anklagt, wahrscheinlich die mit Ludwig V. gegen Sickingen Verbündeten: Philipp von Hessen und Richard von Greiffenklau. Huttens Freund und Gönner, Franz von Sickingen, war am 7. Mai 1523 bei der Belagerung seiner Burg Nannstein durch die Truppen jener drei alliierten Fürsten ums Leben gekommen. <?page no="72"?> 72 Vor einem Haus in Basel Warten und Warten-Gelassen-Werden Ulrich von Hutten, der gelegentlich, etwa, indem er auf Gewalt setzte, sowohl für einen Humanisten als auch für einen Lutheraner atypisch erscheint, obwohl Luther selbst nicht selten die Gewalt im Sinne lag, suchte in seiner fluchtgepeinigten letzten Lebensphase im November 1522 in Basel eine persönliche Begegnung mit dem befreundeten führenden Humanisten der Zeit, Erasmus von Rotterdam, zu erreichen, um ihn, dessen berühmtes Wort soviel Gewicht hatte, von einem publizistischen Angriff auf Luther und die Lutheraner - von einem solchen Plan sprach ein Gerücht - abzuhalten und den auf eine quietistische Weise kirchenkritischen Theologen - etwa im „Encomium moriae […]“ (1512) oder im „Enchiridion miltis christiani“ (1505) - zum Lutheraner zu bekehren. Erasmus war, was er nie bestritten hat, dem Reformationsunternehmen der Lutheraner nicht wohlgesonnen, Luther wiederum hatte keine ausschlaggebenden Berührungspunkte mit der aufklärerischen Kirchenkritik der Humanisten. Hutten, von Luther keineswegs um Vermittlung bei Erasmus gebeten, hoffte auch auf Schutz und Geborgenheit bei dem angesehenen Gelehrten, wie er denn schon früher von einer gemeinsamen geistigen Bildungs- und Kampfgemeinschaft mit ihm geträumt hatte. Hutten war im Herbst 1522 aus der Kurpfalz und dem Burgenimperium Sickingens, dessen Feldzug vom September 1522 gegen Richard von Greiffenklau, den Kurfürsten von Trier, gescheitert war und der mit einem Rachefeldzug rechnen musste, zu einer fluchtartigen Reise Richtung Schweiz aufgebrochen, das Exil in der schweizerischen Eidgenossenschaft anstrebend, hinaus aus dem Heiligen Römischen Reich deutscher Nation, wo er als Gebannter und Geächteter vogelfrei war, ohne deshalb aufzuhören, für die Idee Deutschland zu kämpfen. Über die Reichsstadt Schlettstadt, wo ihm Beatus Rhenanus (1485-1547) und andere Humanisten vorerst materiell aus der Verlegenheit halfen, erreichte er im November 1522 Basel, damals noch eine der Eidgenossenschaft zugehörige Kleinstadt. Dort hoffte er, wie gesagt, mit Zuversicht auf die Gastfreundschaft des Erasmus von Rotterdam, der mit einem Kopisten und einem Famulus unter einem Dach lebte. Hutten wurde, als ein prominenter Gast, zunächst vom Rat der Stadt Basel, mit einem Willkommenstrunk begrüßt. Er quartierte sich in der „Herberge zur Blume“ ein. Die Ankunft des berühmt-berüchtigten Hutten dürfte sich in Basel wie ein Lauffeuer verbreitet haben. Es ist naheliegend, dass der auf Neuigkeiten stets erpichte „homme de lettres“ Erasmus rechtzeitig von seiner Anwesenheit erfuhr und natürlich ahnte, das der zerlumpte und wahrscheinlich bewaffnete, bizarr auffallende Lazarus-Guerillero Hutten ihn nicht ohne Besuchswunsch ungeschoren würde davonkommen lassen. Stefan Zweig, in seiner Biographie „Triumph und Tragik des Erasmus von Rotterdam“ (1935) schreibt: <?page no="73"?> Vor einem Haus in Basel 73 Einer war da, der nicht warten will, ein heißer und ungeduldiger Kriegsmann des Geistes, unabhängig entschlossen, diesen gordischen Knoten zu zerhauen: Ulrich von Hutten. Dieser „Ritter gegen Tod und Teufel“, dieser Erzengel Michael der deutschen Reformation, hatte zu Erasmus gläubig und liebend wie zu einem Vater aufgeblickt, leidenschaftlich dem Humanismus ergeben, war des Jünglings sehnlichster Wunsch, der Alkibiades dieses Sokrates zu werden; sein ganzes Leben hatte er vertrauensvoll in des Erasmus Hand gelegt, „so die Götter mich bewahren und Du uns zum Ruhme Deutschlands erhalten bleibst, würde ich alles ablehnen, um mit Dir beisammen bleiben zu können“. Erasmus wiederum hatte „diesen einzigartigen Liebling der Musen“ auf das herzlichste gefördert, er liebte diesen glühenden jungen Mann, der den unermesslichen Jubelruf in den Himmel geworfen: O saeculum, o litterne. Es ist eine Lust zu leben […]. Deutschland treibt den Verwegenen aus, in Rom will man ihn als Ketzer verbrennen. Gebannt von Haus und Hof, verarmt, vorzeitig gealtert, bis in die Knochen zerfressen von der unheimlichen Franzosenkrankheit, bedeckt mit Schwären, ein halb zerfetztes weidwundes Wild, schleppt sich mit letzten Kräften der kaum Fünfunddreizigjährige nach Basel. Dort wartet ja sein großer Freund, das „Licht Deutschlands“, sein Lehrer, sein Meister, sein Beschützer Erasmus, dessen Ruhm er gekündet, dessen Freundschaft ihn begleitet, dessen Empfehlungen ihn gefördert haben, er, dem er ein Gutteil seiner verschollenen und schon halb zerstörten künstlerischen Kraft dankt. Zu ihm flüchtet dieser dämonisch Getriebene [..]. Vermutlich schon bald nach seiner Ankunft in Basel gesellte sich zu Hutten ein von Erasmus beauftragter Mittelsmann, Heinrich von Eppendorf, dem etwas Zwielichtiges und Hochstaplerisches eignete, etwa, was sein Adelsprädikat betraf. Dieser richtete Hutten aus, Erasmus wünsche, dass er von einem Besuch bei ihm absehen möge, denn er könne ihm keinen geheizten Aufenthaltsraum anbieten, wegen seines Steinleidens sei es eiskalt in seiner Wohnung. Dieser Begründungsversuch des allerdings hypochondrischen Gelehrten erschien Hutten jedoch als fadenscheiniger Vorwand. Der eigentliche Grund, den auch Eppendorf andeutete, war die Angst des Humanisten, dass die Nachricht, sich mit Hutten getroffen zu haben und vielleicht mit seinen kirchenfeindlichen Plänen infiltriert worden zu sein, vermöge des kleinstädtischen Baseler Klatsch- und Tratschsystems auch einflussreiche Kirchenleute erreichen könnte, mit der Folge böser Gerüchte über einen möglichen Wechsel des Erasmus in das konfessionelle Gegenlager. Hutten war mit der Reichsacht und dem Kirchenbann gezeichnet. Deutschland wies ihm die kalte Schulter. Eine erste Erfahrung damit, aus den Mauern einer Stadt verstoßen zu werden, hatte er 1509 gemacht, als er Greifswald in Richtung Rostock verließ. Er kannte mittlerweile nicht wenige Varianten des Gefühls, gemieden, geschnitten, feindselig ignoriert zu werden, schmerzhaft genug, auch wenn er glaubte, einer inneren Stimme, den Einflüsterungen einer höheren Sendung zum <?page no="74"?> Ulrich von Hutten - der politische Deutsche 74 Besten Deutschlands zu folgen und wusste, dass er als Opfer nicht notwendig moralisch schlechter als seine Verächter war. Indessen hatte es in seinem Leben auch die gegenläufige Tendenz gegeben, von vielen Persönlichkeiten geschätzt und geachtet zu werden, sei es seiner Tapferkeit oder seiner inspirierenden Redegabe halber. Er selbst suchte und setzte jedoch keineswegs um jeden Preis, etwa der Verleugnung seiner Überzeugungen, auf Freundschaft und Bündniskameradschaft. Aber nunmehr erflehte er doch innerlich Hilfe von Erasmus, in Todesnähe und umlodert von immer schneller um sich fressender Einsamkeit. Jetzt erschien ihm die Erinnerung an frühere glückliche Gespräche und Briefkontakte mit Erasmus in einer Glorie, da nicht mehr erreichbar. Alles was ihm sonst in Basel zustieß, war für ihn in der Folter des Ausgestoßenseins in der Wertigkeit geringfügig geworden. Er wollte die seelische Ächtung durch Erasmus nicht wahrhaben und ging, in den Tagen nach Eppendorfs Mission, schleppenden Schrittes im unwirtlichen November häufig auf dem Marktplatz vor dem Haus von Erasmus auf und ab, er wusste von dessen Anwesenheit, aber Erasmus ließ sich nicht einmal am Fenster blicken, aus dem er so gern die Leute zu beobachten pflegte. Hutten, der Qual des Wartens und des Warten-Gelassen-Werdens ausgesetzt, während er zusehen musste, wie subalterne Trabanten, wie sie berühmte, einflussreiche Persönlichkeiten eifersüchtig zu umkreisen pflegen, mit anscheinend größter Selbstverständlichkeit bei dem Gelehrten aus- und eingingen, dürfte gespürt haben, wie hinter dem Fenster sein verratsfähiger „Freund“ sehnlichst darauf wartete, dass der Unwillkommene endlich aus seiner Nähe verschwinde. Hutten, der nach seiner Ankunft in Basel noch eine geistige Übereinstimmung zwischen sich und Erasmus vorausgesetzt hatte, war unheilbar gekränkt. Der so oft während seines Lebens und Nachlebens verkannte Humanist schlug schließlich mit einer berserkerstarken Anklageschrift, der „Expostulatio […]“ (s.-Nr.-65) zurück. Stefan Zweig, selbst ein Pazifist aus tiefster Überzeugung, schreibt in seiner schon erwähnten Erasmus-Biographie über des weisen Mannes Unzulänglichkeit gegenüber Hutten: Erasmus läßt den Geächteten nicht in sein Haus. Schon lange ist ihm dieser ewige Zänker und Stänker unangenehm, bereits in Löwen,* als Hutten ihn aufforderte, man solle den Pfaffen den offenen Krieg erklären, hatte er schroff abgelehnt: „Meine Aufgabe ist, die Sache der Bildung zu fördern.“ Er will mit diesem Fanatiker, der die Bildung der Politik geopfert hat, mit diesem „Pylades Luthers“ nichts zu tun haben, zumindest nicht öffentlich und am Wenigsten in dieser Stadt, wo hundert Späher ihm ins Fenster sehen. Erasmus hat Furcht vor diesem erbärmlichen, gejagten, halb totgehetzten Menschen, er hat einfach Furcht, erstens, daß dieser Pestbringer - nichts hat ja Erasmus so sehr gefürchtet, wie Ansteckung - die Bitte tun könne, in seinem Haus zu wohnen. Zweitens, daß dieser „egens et omnibus rebus destitutus“, dieser Bettler und von allem Besitz Entblößte, ihm dann dauernd zur Last falle, und drittens, daß dieser Mann, der den Papst beschimpft <?page no="75"?> Vor einem Haus in Basel 75 und die deutsche Nation zum Pfaffenkrieg aufgereizt hat, seine eigene, sichtbar zur Schau getragene Unparteilichkeit korrumpieren würde. So lehnt er Huttens Besuch in Basel ab […]. *gemeint 1520, als Hutten auf dem Weg zum Brüsseler Hof Ferdinands I. war. Hutten verweilte etwa fünf Wochen in Basel. Er schrieb dort Ende November - Anfang Dezember 1522 die „Gegenrede wider Pfalzgraf Ludwig […]“, für die sich kein Drucker fand (s. Nr. 65). Noch im Januar 1523, nachdem ihm der Baseler Rat, auf Druck der Geistlichkeit hin, unmissverständlich die Abreise aus der Stadt nahegelegt hatte, begab sich Hutten nach dem damals noch schweizerischen Mülhausen und blieb dort, wohnhaft im Augustinerkloster, von Februar 1523 bis März 1523. Dort schrieb er die „Beschwerde über Erasmus“ (s. Nr. 66), die „Expostulatio […]“. Im Mai 1523 musste Hutten, einmal mehr, die Flucht ergreifen, erzürnter Mülhausener Bürger wegen. In Zürich nahm sich Ulrich Zwingli seiner an und besorgte ihm, nachdem der Syphilis-Kranke vergeblich mit einer letzten Kur, nämlich in Pfäfers bei Ragaz, einen Heilungsversuch unternommen hatte, auf der Insel Ufenau im Zürichsee seine letzte Aufenthaltsstätte. Dort starb er am 29. August 1523. Er hinterließ eine Schreibfeder. Ein paar Tage nach seinem Tod wurde die Antwort von Erasmus („Spongia …“, Basel, August 1523) auf Huttens „Expostulatio“ publiziert. Erasmus hatte sie wohl hauptsächlich in der Zeit geschrieben, da Hutten im Sterben lag. Während Hutten in seiner „Expostulatio“ Erasmus direkt angreift und in einen inneren Dialog hineinzieht, weicht Erasmus in der „Spongia“ dem Blick des verratenen Freundes aus, wendet sich von seinem Sterbelager ab und schreibt über ihn. In seiner Biographie Philipp Melanchthons um 1566 berichtet der Bamberger Humanist Joachim Camerarius (1500-1574), der z. B. Werke griechischer klassischer Autoren herausgegeben hat und 1517 in Bamberg mi Hutten bekannt geworden ist, über einen Besuch 1524 in Fulda, zusammen mit Philipp Melanchthon. Beide besuchten hier Crotus Rubeanus. Alle drei gedachten auf einer „sentimental journey“ des 1523 verstorbenen Ulrich von Hutten. Camerarius schreibt (Übersetzung von Volker Werner in: Joachim Camerarius (1500-1574) Das Leben Philipp Melanchthons, Leipzig 2011): Wir [Philipp Melanchthon und Joachim Camerarius] blieben eine Nacht in Fulda, wo damals Crotus Rubeanus und Adam Crato lebten. […] Dort erhielten wir auch zum erstenmal Kunde über den Tod des Ulrich von Hutten. Hierbei darf man wohl anmerken, daß Philipp Melanchthon diesen zu Lebzeiten einerseits hochschätzte und wegen seiner hohen Bildung und der Vortreffichkeit seiner Begabung bewunderte, daß er andererseits jedoch manchmal vor seinem heftigen Temperament, hochfahrenden Geist und dem Wunsch nach Umsturz der Verhältnisse, den sein Umgang mit gewissen ziemlich maßlosen Elementen angespornt hatte, zurück- <?page no="76"?> Ulrich von Hutten - der politische Deutsche 76 schreckte. Es hatte zwischen Hutten und Crotus Rubeanus von der ersten Kindheit an eine einzigartige Bekanntschaft bestanden, und so hatte Hutten wohl aufgrund von dessen Einfluß oder zumindest mit dessen Hilfe jene Wohngemeinschaft in Fulda, in welche er fast noch als Knabe mehr um der strengen Erziehung als um der Religion willen gegeben worden war, verlassen und war nach Köln gegangen, um dort die humanistischen Studien abzuschließen. Später ging er nach Italien. Ich sah ihn zum erstenmal in meiner Heimatstadt nach seiner Rückkehr aus Italien, und zwar, wie ich mich zu erinnern glaube, im Jahr des Herrn 1517. Die öffentliche Meinung feierte damals nicht nur seine Bildung, sondern pries und lobte auch seine Tapferkeit; er hatte nämlich in Viterbo, wohin er damals zufällig aus Rom gekommen war und als eben dort auch eine Gesandter des französischen Königs auf dem Weg zum Papst Leo sich aufhielt und wo ein Streit und ein Gefecht entstanden waren - im Kampf vier Franzosen überwältigt, wobei er freilich auch selbst verwundet und von seinem Reisegefährten im Stich gelassen worden war. Diese Geschichte hörte ich ihn erzählen im Jahr des Herrn 1519 in Fulda, als ich unseren großen Adam Crato, der in seine Heimatstadt Erfurt reiste, begleitete. Dort sah ich Hutten dann wieder und verbrachte freundschaftlich einige Tage mit ihm, als er vom Mainzer Hof wegging, an dem er ungefähr zwei Jahre verbracht hatte. Daraufhin schloß er sich Franz von Sickingen an, nachdem er allerdings auch schon vorher in den kriegerischen Aufstand verwickelt gewesen war, den im Württemberg Gebiet die Sippe derer von Hutten ausgelöst hatte, nachdem dort einer ihrer Familienangehörigen getötet worden war. Er tat dies auch, weil er sein Interesse für das Kriegswesen gern zur Schau trug und sich sehr an einem Bild erfreute, das ihn in voller Bewaffnung zeigte. Schließlich jedoch wurde er nachdem er zuletzt noch eine Schrift mit einer schweren Anklage gegen Erasmus von Rotterdam veröffentlicht hatte, welche jener mit einem sicherlich zu wenig weichen Schwamm wegwischen wollte, nicht weit von der Stadt Zürich von den Krankheiten, von denen er schmerzlich und häufig geplagt wurde, besiegt und starb im Alter von 36 Jahren. Ulrich von Hutten war berühmt gewesen, insbesondere durch seinen Edelmut und seine Verherrlichung der alten Art, hervorragend in seiner großen Gelehrsamkeit, dabei unfähig, Ungerechtigkeit zu ertragen, auf geradezu maßlose Weise freiheitsliebend und dabei durchaus kein völliger Gegner von Gewalt, was sich auch in der Härte seiner Gesichtszüge und seiner manchmal wenig sanften Rede zeigte. Dabei verfügte er weder über ein Übermaß an Reichtum noch an Kraft seines Körpers; in letzterem freilich, der nur sehr schwach und gebrechlich war, wohnte ein riesiger und wilder Geist, stark an Kräften […]. Wenn […] den Plänen und Versuchen Huttens nicht gleichsam die Kräfte der Truppen und der Macht gefehlt hätten, dann hätte es schon damals eine Veränderung aller Dinge gegeben, und es wäre gleichsam die ganze Verfassung des Staates umgestürzt worden. Damals sind durch meinen Schmerz und den Philipp Melanchthons und auch durch die Tränen des Crotus Ulrich von Hutten gleichsam die letzten Ehren erwiesen worden. Auf der weiteren Reise verfaßten wir noch einige Verse über ihn, in <?page no="77"?> Vor einem Haus in Basel 77 denen auch einige Leute, die den Toten verunglimpfen wollten, selber geschmäht wurden. So wurde, weil unter diesen Männern einer mit Namen Nachtigall war, in einem Epigramm Melanchthons gesagt, daß dieser wohl eher ein Geier sei. <?page no="79"?> Teil 2 Ulrich von Hutten und seine Werke <?page no="81"?> 81 Vorbemerkung Die folgende Beschreibung der Werke Ulrich von Huttens ist die überarbeitete und erweiterte Fassung meines Beitrages „Veröffentlichungen Ulrich von Huttens“ in dem Katalog „Ulrich von Hutten, Ritter, Humanist, Publizist“, herausgegeben vom Germanischen Nationalmuseum Nürnberg und dem Land Hessen, Kassel 1988, aus Anlass der fünfhundertsten Wiederkehr des Geburtstages Huttens. Ich danke dem Hessischen Museumsverband, Kassel für die Erteilung der Nachdruck-Genehmigung meines Beitrags, insofern ich aus ihm gelegentlich einzelne Passagen textidentisch übernommen habe. Was die Bezeichnungen „Benzing“ und „Böcking“ nach den einzelnen Titelangaben der Werke Huttens angeht, so bezieht sich „Benzing“ auf die annotierte Epochenbibliographie - 16. Jahrhundert - „Ulrich von Hutten und seine Drucker“, Wiesbaden 1956. Erstellt wurde sie von dem hessischen Bibliothekar Josef Benzing (1904- 1989), tätig u. a. an der Universitätsbibliothek Mainz und um die Erforschung der Buchdruckgeschichte des 16. und 17. Jahrhunderts verdient. „Böcking“ bezieht sich auf die bis heute einzige vollständige Gesamtausgabe der Werke Huttens in sieben Bänden (Leipzig 1859-1870) durch den Professor der Rechte in Bonn, Eduard Böcking (1802-1870), der außerdem z. B. noch klassische Werke der Jurisprudenz sowie eine Gesamtausgabe der Werke August Wilhelm von Schlegels herausgegeben hat. Seine typografisch abwechslungsreiche Hutten-Ausgabe enthält auch nicht von dem Humanisten stammende Schriften, soweit sie für diesen relevant sind, sowie einen „Index Bibliographicus Huttenianus“, der erweiterten Ausgabe seiner 1858 erschienenen Bibliographie. Die vorliegenden Beschreibungen der Werke Ulrich von Huttens sind nach deren Entstehungschronologie angeordnet, um ihren Zusammenhang mit seinem Leben anzudeuten. Dabei liegen fast durchweg die Daten zugrunde, die Heinrich Grimm in Josef Benzings „Ulrich von Hutten und seine Drucker“ angegeben hat, in der tabellarischen Beigabe „Entstehungszeiten und Entstehungsorte der Schriften Huttens“ (S. 1-17). Ist der zeitliche Verlauf der Abfassung eines Werkes bekannt, so bestimmt das früheste fassbare Datum die Einordnung. Sind mehrere Werke Huttens in einer Ausgabe vereint, richtet sich deren Eingliederung nach der Entstehungszeit des ältesten Beitrages. Im Fall unselbständig erschienener Arbeiten des Humanisten - als Begleitgaben eines jeweils umfangreicheren Werkes eines anderen Autors - geben die Entstehungsdaten von Huttens Beiträgen den Ausschlag für die Einreihung. Die Titelaufnahmen der Erstdrucke fußen auf denjenigen der angegebenen Benzing- Nummern oder Textfundstellen bei Böcking, abgesehen von den Übersetzungen der lateinischen Titel ins Deutsche. <?page no="82"?> Ulrich von Hutten und seine Werke 82 Nr. 1 In Eobanum Hessum vivacissimi ingenii adolescentem Ulrichi Hutteni elegia (Eine Elegie Ulrichs von Hutten an E. Hessus, einen Jüngling mit den lebhaftesten geistigen Anlagen). In: E.- Hessus, Helius: De laudib et praeconiis incliti atque tocius Germaniae […], Erphordiae: apud Magistros Vuolphii Sturmer diligentia, 1507. (Erfurt: Wolfgang Stürmer 1507). Benzing-Nr. 226; Böcking 1, S. 3-5. „De laudibus et praeconiis incliti atque totius Germaniae celebratis …“ heißt ein 600 Hexameter umfassendes Werk von Eobanus Hessus (eig. Eoban Koch, 1488-1540), das 1507 in Erfurt erschien. Es ist ein Lobgedicht auf die berühmte Gelehrtenschule zu Erfurt und die Stadt selbst, in der man den Poeten und Humanisten wohlgesonnen sei. Dieser Ausgabe ist u. a. eine Elegie Huttens an Hessus — „Eobanum Hessum vivacissimi ingenii adolescentem Ulrichi Hutteni Elegia“ - beigefügt, sein erstes überliefertes gedrucktes Werk. Darin ordnet er Hessus dem Einflussbereich von Pallas Athene und Apollo zu - den Gottheiten der Künste. Er preist seinen Freund, der damals schon mit Gelegenheitsgedichten hervorgetreten war, als Hoffnung und Zier des Vaterlandes, rühmt seine Redegabe, welche derjenigen reifer Männer überlegen sei, seinen leichtfüßigen Witz, spricht von seinen Versen, in denen es um heroische Taten und Schlachten gehe und davon, dass er als Schauspieler die traurigen Schicksale der Fürsten aus alter Zeit in Rezitation und Gesang hat wieder aufleben lassen. Ovid und Martial seien seine Vorbilder. Nebenbei spielt Hutten darauf an, dass Hessus viele latinisierte Namen für „seine Hessen“ geprägt habe. Im Sinn von Huttens Einschätzung seines Freundes wird heutzutage Hessus als bedeutendster neulateinischer Dichter seiner Zeit angesehen. Die beiden lernten sich ca. 1504/ 05 in Erfurt kennen, wo sie zum Humanistenkreis um Mutianus Rufus (eig. Konrad Muth, 1471-1526) gehörten. Huttens Lobgedicht auf Hessus entstand Ostern 1506, als er auf seiner Reise von Köln nach Frankfurt/ Oder einen Zwischenaufenthalt in Erfurt einlegte, wo Hessus damals noch studierte. Hessus, der trinkfeste Dichterkönig, der „Ovid der Deutschen“, blieb Hutten freundschaftlich verbunden und schrieb, als dieser gestorben war, ein „Epicedion“ (Trauergedicht) auf ihn, worin sich Hutten und der Tod unterhalten. („Ulrichi Hutteni equitis ac poetae epicedion mors et Huttenus colloquintur“ in Hessus-Operum farraginis due, 1539, Moderner Abdruck in: Humanistische Lyrik des 16. Jahrhunderts, Frankfurt/ M. 1997, Dt./ Lat., S. 284-291) <?page no="83"?> Nr. 2 83 Nr. 2 Udalricus Huttenus phagigena Iohannis Rhagij Aesticampiani discipulus ad Lectore huius Libri (Ulrich [von] Hutten aus dem Buchenland, Schüler des Rhagius Aesticampianus, an den Leser dieses Buches). In: Axungia, Publius Vigilantius: […] Discriptio […] Conradi Baumgardt Rottenburgii in urbe Franckphordiana ad Oderam 1507. (Frankfurt [Oder]: Konrad Baumgarten Feb. 1507). Benzing-Nr. 227; Böcking 3, S. 5-6. Im April 1506 zog Hutten von Köln nach Frankfurt/ Oder. Dies geschah im Gefolge seines Lehrers, des Wanderdozenten Rhagius Aesticampianus (eig. Rack: um 1460- 1520), dem die Repräsentanten der alten theologischen Richtung den Aufenthalt in Köln verleidet hatten. Hutten war einer der ersten Scholaren an der „Viadrina“, der Universität von Frankfurt/ Oder. Am 26. April 1506 wurde sie eröffnet. Hutten und Rhagius waren dabei. In Brandenburg regierte damals Kurfürst Joachim- I. (1484-1535), der ob seiner Gelehrsamkeit den Namen „Nestor“ erhalten hatte. Eine Hochschule in der Mark war schon ein Wunsch seines Vaters gewesen. An der „Viadrina“ lehrte damals u. a. Publius Vigilantius Bacillarius Axungia (1485- 1512) (eig. Schmerlin) aus Straßburg, ein Humanist, der an der Frankfurter Universität über antike Autoren Vorlesungen hielt. Am 12. Juli 1512 wurde er von Straßenräubern durch einen Pfeilschuss ermordet. Jene Eröffnungsfeierlichkeiten sind ein Thema seiner im Februar 1507 gedruckten „Descriptio …“. Eine der Begleitgaben der 20 Blatt umfassenden werbenden Beschreibung Oderfrankfurts und Brandenburgs ist Huttens „Carmen in laudem Marchiae“, das älteste gedruckte Gedicht auf die Mark und eines der wenigen Beispiele einer Idylle des ansonsten zumeist energisch dramatisch gesonnenen Humanisten. Es entstand im Sommer 1506. In der Verfasserangabe bezeichnet er sich als Schüler des Rhagius. Als Beiname begegnet Phagigena (von lat. Fagus = die Buche), ein Synonym für Buchonia oder Buchenland - Huttens Heimat. Das vierzigzeilige „Carmen“ des Achtzehnjährigen verrät den Einfluss antiker Autoren - so den des Ausonius mit seiner liebenswerten, epischen Schilderung der Mosellandschaft („Mosella“) aus dem 4. Jh. n.-Chr. Gepriesen wird die fruchtbare, fisch und viehherdenreiche Mark Brandenburg, das blühende Handelsleben im Stapel- und Umschlagsplatz Frankfurt/ Oder und die Gründung der „Viadrina“ durch Kurfürst Joachim. <?page no="84"?> Ulrich von Hutten und seine Werke 84 Nr. 3 Ulrici Hutteni ad studiosos adolescentes de liberalium studiis elegiaca exhortatio (Ulrich von Huttens elegische Ermahnung zu den Studien der freien Künste). In: Capella, Martianus Mineus Felix: Gramatica […]. Impressa Frankphordio per honestos viros Nicolaum Lamperter & Balthasar Murrer, 1507. (Frankfurt [Oder]: Nikolaus Lamparter und Balthasar Murrer 1507). Benzing-Nr. 229; nicht bei Böcking (Abdr. in: Archiv f. Literaturgeschichte 10 (1881), S. 429-430). Das Hauptwerk der vorliegenden Ausgabe stammt von Martianus Capella (5. Jh. n. Chr.). Es ist eine lateinische Grammatik „De arte grammatica“ aus seiner Enzyklopädie der Sieben Freien Künste „De nuptiis Philologiae et Mercurii“. Huttens Lehrer Rhagius Aesticampianus gab sie 1507 in Frankfurt (Oder) heraus und versah sie mit einer Einleitung. Auf die Grammatik folgen zwei Begleitgaben Huttens. Zunächst eine aus 38 Distichen bestehende „Elegiaca exhortatio ad studiosus adolescentes de liberalium studiis“, die Okt/ Dez. 1506 in Frankfurt (Oder) entstand. Wie auch in anderen Fällen Huttenscher „Elegien“ ist der Gattungsbegriff formal und nicht inhaltlich-stimmungsmäßig gemeint. Es sind Verse über den Menschen und seine Sonderstellung innerhalb der Schöpfung. Sein Geist ist dem Göttlichen verwandt. Das Gewand des Geistes ist die Sprache. Gott schuf die Welt aus dem Chaos, ließ Wälder und Meere entstehen und belebte sie mit den Tieren. Dann erschien der Mensch, Höhepunkt der Schöpfung, aber auch er gemacht aus Erde. Hutten hebt die besonderen Fähigkeiten des Menschen hervor, die mit seiner Geistnatur zusammenhängen - auf dem Gebiet des Ackerbaus und des Handwerks, besonders aber auf dem der Wissenschaft und der Künste. Sprache ist nur dem Menschen verliehen. Die „exhortatio“ an die Studierenden besagt: vertiefe dich in die Sprache (wohl indirekter Hinweis auf Martianus’ lateinische Grammatik), so wirst du eines Tages, selbst Gelehrter, mit den Gelehrten reden können. Im anschließenden Hexastichon „Ad lectorem ut Aesticampianus querat praeceptorem“ wird darauf hingedeutet, dass Rhagius, der Herausgeber der Grammatik von Martianus, sich auch Pionierverdienste um die Verbreitung der Lehre von der griechischen Sprache in Deutschland erworben habe. <?page no="85"?> Nr. 4 85 Nr. 4 Udalrici Hutteni Phagigene ad lectorem Epigramma (Ein Epigramm Ulrichs von Hutten aus dem Buchenland an den Leser). In: Rhagius Aesticampianus, Johann: Epigr-mata […]. Impressum est Lyps. […] per Melchiarem Lotter […] 1507. (Leipzig: Melchior Lotter 1507). Benzing-Nr. 228; Böcking 3, S. 563. Den Epigrammen von Rhagius Aesticampianus, die den Hauptinhalt der vorliegenden Ausgabe (Leipzig 1507) bilden und zumeist 1505 in Leipzig entstanden („Epigramata Johanis Aesticampiani“), ist eine Einleitungselegie Huttens, seines Schülers, vorangestellt, die er im September/ Oktober 1506 in Frankfurt (Oder) schrieb: Dieses Epigramm besteht aus sieben Distichen, die in ihrer Formvollendung an Tibull und Properz gemahnen. Hutten hebt darin den moralischen, frommen, tröstlichen und von unzüchtigen Anspielungen freien Gehalt der folgenden Sammlung hervor, dem tugendhaften Leser werde sie nützlich sein. Er solle die Verse des Rhagius umarmen und das Buch als Zierde in seine Bibliothek einstellen. In Rhagius’ Epigrammen (wie damals die Gedichte allgemein genannt wurden) findet sich neben religiöser Erbauungslyrik u. a. auch eine Ermahnung an einen „famulus“, dem seine Pflichten in eines „magisters“ Haushalt aufgezählt werden, angefangen vom Stubenfegen, Ofenheizen, Schuhputzen und Kleiderreinigen bis hin zur Bereitung des Nachtlagers. Nr. 5 Ulrici Hutteni adolescentis de Virtute Elegiaca exhortatio (Eine elegische Ermahnung des jungen Ulrich [von] Hutten über die Tugend). In: Tabula Cebetis […]. Impressa Frankphordio per […] Nicolau Lamperter & Balthasar Murrer 1507. (Frankfurt/ Oder: Nikolaus Lamperter & Balthasar Murrer 1507). Benzig Nr. 230; Böcking 3, S. 8-10 Hutten schrieb dieses moralphilosophische Gedicht 1507 in Frankfurt (Oder). Die 28 Distichen begleiten die „Tabula Cebetis“ (Cebestafel) in ihrer ersten Ausgabe in Deutschland. Diese wurde 1507 von Rhagius Aesticampianus besorgt; er hatte das Werk 1500 in Bologna kennengelernt. Die Cebes-Tafel, seit etwa 1500 zum Zwecke des Griechisch-Unterrichts und der Erbauung häufig herausgegeben, erfreute sich unter den Humanisten und Künstlern großer Beliebtheit. Das Gemälde, um das es in diesem Dialog geht, der manchmal Kebes von Theben (1. Jh. n.-Chr) zugeschrieben wird, einem Schüler des Sokrates, ist nur in der vorliegenden Gestalt eines philosophischen Themas überliefert. In dem antiken Werk geht es um die Deutung eines allegorischen Gemäldes im Vorhof eines Kronos-Tempels - wohl in Athen. Anhand des Bildes erläutert ein alter Mann einigen Fremden den rechten Lebensweg. <?page no="86"?> Ulrich von Hutten und seine Werke 86 Hutten, durch die Lektüre der lateinischen Übersetzung des alten griechischen Dialoges angeregt, mahnt dazu, die irdischen Glücksgüter, da vergänglich, gering zu achten und weist auf die reine, unsterbliche Tugend hin, welche dem Menschen, der ihr dient, das ewige Leben aufschließe. Der Urheber des Titelholzschnittes ist unbekannt. Auf diesem sieht man einen von drei Ringmauern umgebenen Burgberg. Mittelalterlich gekleidete Menschen, unterwegs mancherlei Versuchungen ausgesetzt, suchen ihn zu erklimmen - auf dem Gipfel wartet die Tugend auf sie. Unten links ist Fortuna zu erkennen. Ihre Augen sind verbunden. In der linken Hand trägt sie das Steuerrad, Symbol der unsichtbaren Lenkung des Schicksals. Nr. 6 Ulricus Huttenvs Hermanno Trebelio Notiano Poete L (aureato) (Ulrich[von] Hutten an Hermann Trebelius, den gekrönten Dichter). In: Trebelius, Hermann: Hermanni Trebelij […] Epigramaton & carmina Liber Primus. (Frankfurt [Oder]: Johann Hanau 1509). Benzing-Nr. 232; Böcking 1, S. 8-9. Der Dichter, Humanist und Buchdrucker Hermann Trebelius (geb. 1475 in Eisenach; Todesjahr unbekannt) ließ 1509 in Frankfurt (Oder) eine Gedichtsammlung (Erstes Buch der Epigramme und Gedichte) veröffentlichen. Sie enthält namentlich Gelegenheitslyrik, gemünzt auf Gönner, wie Friedrich den Weisen, und Freunde, wie Eobanus Hessus, Hutten und Spalatin. Diese Ausgabe führt verschiedene Begleitgedichte mit sich. Eins davon stammt von Ulrich von Hutten. Er schrieb es 1507 in Frankfurt (Oder) und sandte es nach Eisenach an Trebelius, mit dem er schon ein paar Jahre vorher in Erfurt Bekanntschaft geschlossen hatte. Aus ihm geht hervor, dass er Trebelius für einen glücklichen Menschen hielt, war dieser doch mit einer schönen Frau verheiratet und von Friedrich dem Weisen zum „poeta laureatus“ gekrönt worden. Huttens Gedicht besteht aus neun Distichen. Mit Hilfe des kontrastiven Vergleichs entsteht ein Doppelporträt Hutten-Trebelius. Dieser lebe in seiner Heimat, führe ein ruhiges Leben, könne sich in gesicherter Muße den Studien hingeben, werde von den Umarmungen seiner hübschen (Ehe)-Frau gehegt, die Göttinnen Fortuna und Venus sind auf seiner Seite. Er, Hutten, hingegen, blicke in eine ungewisse Zukunft, werde durch Gefahren der unsicheren Liebe verwirrt, wandere in fremden Ländern und schreibe „servilia carmina“ - erbötige Lieder. Gemeint sind wohl Gedichte für zahlende hochgestellte Persönlichkeiten voll schmeichelnden Lobes für diese oder Preislieder auf Städte, wenn man sich vom Rat eine Belohnung erhoffte - Geld, Bewirtung, Herberge, ein Darlehen oder gar eine einkömmliche Stellung. Harmonische häusliche Verhältnisse, wie sie Hutten am Beispiel von Trebelius skizziert, gehörten lebenslang zu seinen Wunschvorstellungen vom eigenen privaten <?page no="87"?> Nr. 7 87 Glück. Bestimmte Passagen seines Werkes, etwa aus den „Fieber“-Dialogen, verraten, wie sehr sich Hutten nach einer schönen und guten Ehefrau, bescheidenem Wohlstand und umsorgter Muße für seine geliebten Studien sehnte. Nr. 7 Ulrici Hutteni ex equestri ordine Adolescentis Carmen emunctissimum mores hominum admodum iucunde complectens cui Titulus vir bonus (Ein überaus scharfsinniges Gedicht des jungen Ulrich [von] Hutten aus der Ritterschaft, das sehr ergötzlich die Sitten der Menschen beschreibt, dessen Titel „Der rechtschaffene Mann“ lautet). Impressum p Ioanne Knappu Erphordiae 1513. (Erfurt: Hans Knappe 13. Aug. 1513). Benzing-Nr. 38; Böcking 3, S. 11-17 Das Gedicht „Vir bonus“ gehört noch zum Frühwerk Huttens. Es ist unter jenen seiner Monographien, die als eigene selbständige Buchveröffentlichungen vorliegen, die am frühesten entstandene, nämlich 1507 in Frankfurt/ Oder. Insofern sie erst 1513 in Erfurt publiziert wurde, hat sie hinsichtlich der Druckzeiten seiner selbständigen Monographien noch drei Vorläufer: den Ur-Nemo (Nr. 10), die Loetze-Klagen (Nr. 11) und die Verslehre (Nr. 12). Huttens Gedicht enthält das allegorische Idealporträt eines geradezu übermenschlich guten Mannes, aus dessen Perspektive der Leser belehrt wird. Nach einer Einweihung in moralphilosophische Regeln richtiger und falscher Lebensführung, ähnlich wie in Huttens Ermahnung zur Tugend (Nr.-5), schildert der Sprecher sich selbst als Vorbild. Personifikation ausschließlich positiver Eigenschaften, weiß er doch um die düstere schlechte Seite des Menschen. Jeweils zum richtigen Zeitpunkt ist er z. B. schweigsam oder beredt, wehrhaft oder versöhnlich. Er sieht Worte auch als Ersatz für Taten und todbringende Geschosse an - was an Huttens spätere Streitschriften denken lässt. Auf der Rückseite des Titelblattes befindet sich ein allegorisch überladener Holzschnitt. Huttens Gedicht mag auch eine Auslegung dieses Porträts sein, das natürlich genauso gut als eine nachträgliche Visualisierung von Huttens Gedicht konzipiert gewesen sein kann. <?page no="88"?> Ulrich von Hutten und seine Werke 88 Nr. 8 Ulricus Huttenus equestri ordine apud Francos Germanos natus Johanni Mur. Rure. (Ulrich [von] Hutten aus dem Ritterstand, geboren bei den germanischen Franken, an Johannes Murmellius aus Ruermond.) In: Murmellius, Johannes: Joannis Murmellii Ruremundensis epistolarum moralium liber M. d. xij. Impressum Dauentrie p me Albertum paefraet. (Deventer: Albertus Paffraet 12. Okt. 1512). Benzing-Nr. 234; nicht bei Böcking (Abdr. in: Krafft und W. Crecelius, Beiträge zur Geschichte des Humanismus am Niederrhein und in Westfalen, Heft 2, Elberfeld 1875, S. 42-43). Johannes Murmellius, der Führer des rheinisch-westfälischen Humanismus, ein Schulmann, Philologe und Verfasser von Gedichten didaktischen, christlichen Inhalts, lebte von 1480-1517. Wie Erasmus, Conrad Celtis, Mutianus Rufus u. a. war er geprägt vom Einfluss der religiösen Erneuerungsbewegung der „devotio moderna“. Die vorliegende Ausgabe enthält seine „Epistolae morales“. Der Titel und die moralphilosophische Grundtendenz mögen auf das gleichnamige Werk von Seneca d. J. zurückgehen. Es sind offene Briefe, die jeweils ein moralisches oder philologisches Thema behandeln und an Humanisten wie Rudolf von Langen und Hermann Torrentinus gerichtet sind. In dem Werk sind überdies Briefe seiner Freunde (z.-B. Buschius, Spalatin, Langen und Montanus) vereinigt. Unter den vier sich anschließenden Beiträgen begegnet die Elegie Huttens an Murmellius. Sie entstand 1508 in Leipzig. Huttens Verse sind kein Kommentar zum Hauptwerk. In ihnen wird jedoch mittelbar, ohne Titelnennung, auf andere Werke von Murmellius angespielt. Hutten preist den Humanisten, den er direkt anredet, als Meister der Dichtkunst, ein Urteil, das man heutzutage nicht mehr teilt. Er weist darauf hin, dass er, Hutten, ein Freund von Eobanus Hessus, Crotus Rubeanus, Rhagius Aesticampianus und Mutianus Rufus sei. Vielleicht wollte er sich ihm dadurch empfehlen und nähere Bekanntschaft schließen. Nr. 9 Carmen commendaticium (Empfehlungsgedicht). In: Hieronymus: Septe diui Hieronymi epistole […]. Impressum Lypczk p Melchiorem Lotter 1508 (Leipzig: Melchior Lotter 1508). Benzing-Nr. 233; nicht bei Böcking (Abdr. in: Archiv f. Literaturgesch. 5 (1878), S, 482-483). Rhagius hatte eine Vorliebe für Autoren mit christlich-moralphilosophischen Vorstellungen. So begann er seine Vorlesungen an der Leipziger Universität 1508 mit Betrachtungen über ausgewählte Briefe des Hieronymus. Zu diesem Zwecke hatte er die Textausgabe „Septem divi Hieronymi epistolae“ (Leipzig 1508) besorgt. In dem von ihm aufgefundenen und herausgegebenen Briefen des Hieronymus geht es um verschiedene Themen: den Briefwechsel, das Leben der Kleriker, das Leben der Mönche, <?page no="89"?> Nr. 10 89 die Ehe, die Jugenderziehung, einen schwatzhaften Mönch und die Verleumdung. Rhagius fühlte sich, ähnlich wie Erasmus, mit Hieronymus geistesverwandt, weil auch dieser antikes und christliches Erbe zu vereinen suchte. Beigefügt ist dieser Ausgabe ein aus zehn Distichen bestehendes konjekturbedürftiges Gedicht Huttens, das 1508 in Leipzig entstand. Der Sinn muss hie und da ergänzt werden: In den Völkerstürmen, den Kriegen der ersten Jahrhunderte unserer Zeitrechnung war die Lehre Christ in Gefahr, verdunkelt zu werden. Gegen Ungetreue, welche das Evangelium verfälschten, kämpfte Hieronymus mit seiner strahlenden Beredsamkeit. Hutten sagt, dass Hieronymus dann mit Feinden konfrontiert wurde, die das unschuldige Volk Christi zerfleischten. Es mag sein, dass er mit diesen Äußerungen die gefährlichen Situationen im Sinn hat, in welche der Einsiedler von Bethlehem in der Zeit der Völkerwanderung geriet, als zwischen 402 und 412 Hunnen, isaurische Bergvölker, plündernde Sarazenen auch ihm nahe gelegene Regionen heimsuchten. Zuletzt führt Hutten die von Hieronymus geschriebenen Bücher an und charakterisiert ihn als einen christlich inspirierten Cicero. In der Tat war Hieronymus von diesem beeinflusst, wovon besonders sein Briefwerk Zeugnis ablegt. In der Verbindung von wirkungsvoller Rhetorik unter dem Einfluss Ciceros und der Verkündung des Evangeliums sieht Hutten zeittypischerweise keinen Gegensatz. Nr. 10 Ulrici Hutteni Nemo. („Der Niemand“ von Ulrich [von] Hutten). Expressum Erffordiae in edibus Stribilite (Erfurt: Sebaldus Striblita [April/ Mai 1510]). Benzing-Nr. 5; Böcking 3, S. 108-118 (synoptisch mit Nemo II s. Nr. 21). Unter „Ur-Nemo“ oder „Erst-Nemo“ versteht man Huttens ersten Versuch, das „Niemand“ - Thema zu gestalten - im Unterschied zum „Großen Nemo“, der erweiterten und veränderten Überarbeitung desselben im Jahre 1515 (s. Nr. 21). Die erste Variation entstand zwischen Ostern 1507 und März 1509, wahrscheinlich in Frankfurt/ Oder und erschien 1510 in Erfurt. In den 48 lateinischen Distichen lassen sich zwei verschieden Teile ausmachen. Der erste Teil enthält sprichwortartige Fügungen, die sich um den „Niemand“ drehen. Die Verneinungsformel wird personifiziert. Gegenüber dem „Großen Nemo“ gewinnt diese gespenstische „Gestalt“ jedoch noch nicht genügend Kraft, um als gemeinsamer personaler Nenner aller Nemo-Eigenschaften in Erscheinung zu treten. Es bleibt bei deren Reihung, das Ganze ist mehr Sammlung als dichterische Gestaltung. Im zweiten Teil tritt „Nemo“ als Urheber der Hausrat-Zerstörung auf, den auf sich selbst gestellte Dienstboten angerichtet haben. Auf diese Situation bezieht sich der Titelholzschnitt, dessen Meister unbekannt ist: Ein vornehm gekleideter, belustigt blickender „Nemo“ trampelt auf allem möglichen Hausrat herum, der in den Vorhof des Hauses geworfen ist. Auch eine Laute liegt auf dem Boden. <?page no="90"?> Ulrich von Hutten und seine Werke 90 Nemo, Symbolfigur für Unzulänglichkeit und Niedertracht des Menschen, wurde einmal Erasmus von Rotterdam zugeschrieben, dessen skeptische Weltanschauung aber Hutten beeinflusst haben dürfte. Huttens beiden Nemo-Darstellungen liegen folgende Quellen zugrunde: 1. Ein deutschsprachiges „Niemand“-Flugschriften-Blatt des Straßburger Barbiers Jörg (Georg) Schan (ca. 1460-1533/ 34). 2. Ein „Sermo pauperis Henrici de sancto Nemo“ von Radulfus aus Anjou, einem Mönch des 13. Jahrhunderts. 3. Das 9. Buch der „Odyssee“ mit der Niemand-Episode. Homers dichterische Behandlung des von Odysseus überlisteten menschenfressenden Kyklopen Polyphem geht ihrerseits auf ein altes Schiffermärchen zurück. Nr. 11 Ulrici Hutteni equestris ordinis poetae inVuedegu Loetz Consulem Gripesualdensem in Pomerania et filiu eius Hennigum Vtr: Juris doctorez Querelaru libri duo pro insigni quadam iniuria sibi ab illis facta (Zwei Anklagebücher Ulrichs [von] Hutten, des Dichters aus dem Ritterstand, gegen den Greifswalder (Pommern) Wedeg Loetz und seinen Sohn Henning, Doktor beider Rechte, wegen eines furchtbaren, ihm von jenen zugefügten Unrechts). Excussa sunt haec Francophordii cis Oderam per Joannem Hanaw […] (Frankfurt [Oder]: Johann Hanau [nach 15. Juli 1510]). Benzing-Nr. 12; Böcking 3, S. 19-83 u. 1, S. 10-15. Die sogenannten Loetze-Klagen schrieb Hutten 1510 in Rostock, wohin er Anfang Januar desselben Jahres von Greifswald aus gekommen war. Sie sind die einzige Quelle für die Vorfälle, die sie zum Inhalt haben. In Greifswald nämlich konnte er die Auslagen seiner Wirtsleute, Wedeg Loetz (Bürgermeister und Handelshaus-Inhaber) und seins Sohnes Henning (Professor der Rechte) nicht bezahlen. Sie willigten jedoch in seinen Vorschlag einer späteren Vergütung ein, ließen ihn aber auf seinem Weg nach Rostock, schon außerhalb der Stadt, von Stadthäschern überfallen und all seiner Habe berauben. In diesem zuweilen etwas larmoyanten Werk klagt Hutten die Loetze wegen ihrer „Untat“ an und fordert ihre Bestrafung, obwohl sie juristisch gesehen keineswegs unrechtmäßig gehandelt hatten. Die beiden Bücher zu je zehn „Elegien“ sind an verschiedene Adressaten gerichtet und enthalten je nach Empfänger differenziert gestaltete Variationen über jene Gewalttat. Besonders viele Einzelheiten stehen in dem Brief an seinen guten Freund Eobanus Hessus. Eine andere Zielperson, seinen Onkel Ritter Ludwig von Hutten, fordert er unverblümt auf, Wedeg Loetz bei seiner nächsten Handelsreise nach Frankfurt/ Main aufzulauern und ihn gefangen zu nehmen. Der Typus „Loetz“ wird genießerisch und bissig als amusisch, habgierig, neidisch und gewalttätig geschildert. Die zehnte Elegie des zweiten Buches, vielleicht die schönste des Werkes, enthält eine Porträt-Galerie deutscher Humanisten; genannt werden z. B. Johannes Reuchlin <?page no="91"?> Nr. 12 91 und Sebastian Brant. Zugleich mit ihnen charakterisiert Hutten im Richtungssinn der alten Handelsstraßen verschiedene deutsche Landschaften, in denen sie wohnen. Die Liebe zu seiner Mutter, Ottilie von Hutten, geborene von Eberstein, und die ihre zu ihm klingt in seinem Wunsch an, sie möge von seinem Unglück nichts erfahren. Trotz seines von Krankheit, Verfolgung und „neidischer Armut“ genährten Heimwehs lehnt Hutten für seine Person jedoch ein beschauliches Dasein zu Hause ab. Nr. 12 Ulrici Hutteni de arte Versificandi Liber vnus Heroico carmine ad Ioannem et Alexandru Osthenios Pomeranos Equites. (Ein Buch in Form eines heroischen Gedichtes über die Verskunst, gewidmet Johannes und Alexander von der Osten, den Pommerschen Rittern). Leipzig: Wolfgang Stöckel (nach 13. Feb. 1511). Benzing-Nr. 13; Böcking 3, S. 89-106. Zwischen Dezember 1510 und Februar 1511 schrieb Hutten in Wittenberg nach jahrelangen Vorstudien das Lehrgedicht „De arte versificandi“. Es wurde im gleichen Jahr in Leipzig veröffentlicht, erschien bis 1560 in nahezu sechzig Ausgaben, u. a. in Nürnberg, Paris, Straßburg, Bologna und Lyon, wurde zu einem vielgebrauchten Schulbuch und war noch im 18. Jahrhundert verbreitet. Johann Christoph Gottsched (1700-1766) ließ es in seinen „Vorübungen der lateinischen und deutschen Dichtkunst, zum Gebrauch der Schulen“ (2. Auflage Leipzig 1760) abdrucken (als „Zugabe“, S. 225-240). Huttens ausgeglichenes „Sachbuch“, nach den stürmischen Loetze-Klagen entstanden, gehört zu den besten der zahlreichen Humanistenpoetiken der damaligen Zeit, wie sie unter dem Einfluss der Dichtungstheorien eines Horaz, Aristoteles, Cicero und Quintilian sowie den Werken der antiken Grammatiker Priscian und Donatus geschaffen wurden. Es behauptet seinen Platz neben ähnlichen Versuchen, etwa Konrad Celtis‘ „Ars Versificandi et Carminum“ (um 1486), Jacob Wimphelings „Tractatus Prosodiae et artis metrica“ (1505) und Heinrich Bebels „Ars versificandi et carminum condendorum“ (1506). Huttens „heroisches“, d. h. in Hexametern geschriebenes Gedicht ist selbst ein Musterbeispiel für die Kunst des lateinischen Verses, von der es handelt. Er gibt darin die Regeln der im technischen, formalen Sinn vollendeten Gestaltung eines lateinischen Gedichtes an die Hand. Es zeigt die Rolle auf, die dabei dem richtigen Einsatz der Vokale und Konsonanten, Diphthonge und Geminationen, Silbenmaße und Redefiguren usw. zufällt. Er führt formvollendete Proben der antiken römischen Literatur an, etwa aus Vergils „Aeneis“. Es war der Wunsch seiner Oderfrankfurter Studienfreunde, der Brüder Alexander und Johannes von der Osten aus Pommern, gewesen, der Hutten zur Abfassung seiner Poetik bewogen hatte. Ihnen gilt seine beigefügte Prosa-Zueignung, Abdruck seines Briefes an sie, vom 31. Dezember 1510, worin er sie zur unbeirrten Fortsetzung ihrer Humaniora-Studien ermahnt (Böcking 1; S.-15-16). Der Humanist, Dichter und <?page no="92"?> Ulrich von Hutten und seine Werke 92 spätere Luther-Anhänger Philipp Engelbrecht (gest. 1518), den er in Wittenberg kennengelernt hatte, bezeichnet sich in einem kleinen Begleitgedicht an den Leser als Eidbruder (conjuratus) Huttens (Böcking 1, S. 16-17). Nr. 13 De arte uersificandi carmen Heroicum, per Hulderichum Huttenum. Item […]. (Heroisches Gedicht über die Verskunst von Ulrich [von] Hutten. Ferner […]). Norimbergae apud Iohan. Petreium 1547 (Nürnberg: Johann Petreius 1547). Benzing-Nr. 26; Böcking 3, S. 89-106. Das vorliegende Sammelwerk enthält zunächst „De arte versificandi…“ und „Nemo“ in der 2. erweiterten Fassung (s. Nr. 21) von Hutten mit einem achtzeiligen Epigramm vor diesem Werk: „C. M. R. ad Crotum Rubianum epigr. de Nemine Hutteniano“. Mit C. M. R. ist Conradus Mutianus Rufus, der Erfurter Humanist, gemeint. Auf diese drei Stücke folgen zwei Gedichte des trinkfreudigen Eobanus Hessus über die Trunkenheit, einmal das zwölfzeilige Epigramm „Hel. Eob. Hessus de Ebrietate“ und sodann die hundert Zeilen des Gedichtes „In Ebrietatem Exegoria“. Nr. 14 Ad divvm Maximilianvm Caesa. Aug. F. P. bello in Venetos euntem, Ulrici Hutteni Equitis, Exhortatio. (Des Ritters Ulrichs von Hutten Ermahnung an den göttlichen Kaiser Maximilian […], als er in den Krieg gegen Venedig zog.) Viennae […] apud Hieronymu Vietorem & Ioannem Singrenium […] (Wien: Hieronymus Victor & Johann Singriener) Januar 1512. Benzing-Nr. 37; Böcking 3, S. 123-160 u. 331-340 (Germanengedicht). In Huttens 1511 im Zuge seines studentischen Wanderlebens auf dem Weg von Wittenberg nach Wien geschriebenen, Januar 1512 dort gedruckten, agitatorischen Gedicht „…Exhortatio“ an Maximilian Ι mögen auch Neuigkeiten, Gerüchte, Emotionen des vom Gedanken an den Krieg in Italien erregten Volkes der Landstraße eingedrungen sein. Der Venetianer Krieg (1508-1516), ein Kapitel der „Italienischen Kriege“ (1494-1559), in denen die europäischen Großmächte und inneritalienischen Staaten in Gestalt schnell wechselnder Bündnisse um die Vorherrschaft in Italien kämpften, ist Thema dieser subjektivistischen, kaiserparteiischen Jugenddichtung, in der Hutten so früh schon als leidenschaftlicher, publizistischer Begleiter des politischen Geschehens mit dem Willen zur eigenständigen Mitgestaltung in Erscheinung tritt. Ziel seiner - gelegentlich wohl auch als Selbstzweck von ihm wahrgenommenen - Wanderung waren unmittelbar Wien mit seiner Universität und der Möglichkeit, dort Vorlesungen zu halten, und danach das Studium des Römischen Rechts an einer sei- <?page no="93"?> Nr. 14 93 ner universitären Hochburgen in Italien. Es war ja das Zeitalter seiner Rezeption in Deutschland. Hutten, obwohl er es aufgrund seiner germanophilen Grundhaltung zugunsten des alten deutschen Gewohnheitsrechts ablehnte, wusste doch auch, dass ihm eine durch akademischen Abschluss anerkannte Kenntnis desselben zu einer führenden Stellung an einem deutschen Fürstenhof verhelfen konnte. Er war zugleich ein süchtig nach Welterfahrung umherziehender Vagant und - allerdings bedenkenlos ablenkbarer - Planer einer keineswegs bescheidenen Karriere. In seiner „Aufmahnung“ an Kaiser Maximilian ist jedoch weder vom humanistenfreundlichen Wien noch vom Römischen Recht die Rede, sondern von der Verflechtung des Kaisers in die Venetianer Kriege. Wenn Hutten später, 1513, in seinem Heer einen mehrmonatigen Solddienst als Landsknecht leistete, so hatte dies auf seinem Weg nach Italien keineswegs in seiner Absicht gelegen, trotz der frenetischen Kriegsbegeisterung in seinem Poem. Er war von einer Einsicht in die inhumane Absurdität des Krieges überhaupt, im Gegensatz zu Erasmus, der gewissermaßen das Klassenziel erreicht hatte, weit entfernt. Seine Kriegsteilnahme, auch als eine Art Journalist, hatte mit der Tatsache zu tun, dass ihm während seines Rechtsstudiums in Bologna das Geld ausgegangen war. Zeitgeschichtlicher Hintergrund von Huttens appellativem Gedicht, dem noch viele ähnlich geartete folgten, ist die Situation des „göttliche Caesars“ Maximilian, der seit 1508 mit der Republik Venedig, weil sie in diesem Jahr seinen auf die Kaiserkrönung durch Papst Julis II. zielenden Romzug militärisch vereitelt hatte, in kriegerische Auseinandersetzungen verwickelt war. 1508 hatte er sich dann noch im Dom von Trient mit Zustimmung des abwesenden Papstes zum Erwählten Römischen Kaiser erklärt. Es ist erstaunlich, mit welch einer freimütigen Zutraulichkeit sich der 23-jährige Hutten in seiner „Aufmahnung“ an den europäischen Machtexponenten Maximilian wendet - anfeuernd, rügend, begütigend, tröstend. Dieser solle die Gunst der Stunde, den gegenwärtigen militärischen Schwäche - Zustand der Republik nutzen, sich nicht auf deren Friedensangebot einlassen, sondern nachsetzen und sie vollends besiegen. Sein Ruhm und Nachruhm, um den sich Hutten, als eine Art ideologischer „Flügeladjutant“ ebenso besorgt zeigt, wie der Kaiser selbst, der in ruhmvollem „Gedechtnus“ bleiben wollte, werde denjenigen der römischen Caesaren - im Sinn der Konzeption des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation Maximilians Vorgänger - überstrahlen. Um die Hegemonie über Italien stritten sich damals, in raschem Wechsel verbündet oder verfeindet, ja nachdem, wie es das politische Machtkalkül als opportun erscheinen ließ, hauptsächlich Frankreich (Ludwig XII.), der ebenso kunstverständige wie kriegerische Papst Julius II., die Republik Venedig und Maximilian I., dem es vor allem um die Eroberung der - zum Teil noch formal zu Reichsitalien gehörigen - Gebiete und Städte der Terra Ferma ging, des Festlandbesitzes der Republik Venedig. Huttens Vorstellung vom „Sacrum Imperium Romanum“ geht in seiner „Exhortatio“ weit über dessen bestehende Grenzen, innerhalb des Habsburger Reiches, als eines <?page no="94"?> Ulrich von Hutten und seine Werke 94 mitteleuropäischen Territorien-Komplexes hinaus und verschmilzt mit der Utopie einer kaiserlichen Universalmonarchie. Bei Gelegenheit von derlei Überlegungen versucht er sich an einer geographisch-ethnologischen Skizzierung der Erde, wobei mit Nennung des Namens „Amerika“ (Böcking 3, S. 136-137) eine der ersten Erwähnungen des Kontinents in der Literatur auftaucht. Die erste publizierte Bezeichnung erfolgte 1507 zu Ehren des italienischen Seefahrers und Entdeckers Amerigo Vespucci (1454- 1512) und seinem Vornamen nachgebildet durch den deutschen Kartographen Martin Waldseemüller (1470-1522) auf einem von ihm erschaffenen Globus. Vespuccio, der die beiden Amerikas als Doppelkontinent identifizierte, hatte 1497/ 1502 südamerikanische Küstenregionen erkundet, als Nachfolger von Leif Ericson (100 n. Chr.), den Norweger und Christoph Kolumbus (1451-1506). Seine Angaben über seine verschiedenen Seereisen nach Amerika sind jedoch umstritten. Hutten begründet seine dem Leser suggerierte zuversichtliche Hoffnung auf einen deutschen Sieg über Venedig mit einer in der vertrauensvollen Liebe zu Maximilian und dem Vaterland wurzelnden massenhaften Bereitschaft waffenfähiger deutscher Männer, deren Stimmung Maximilian aber nicht durch allzu langes Zaudern ermüden solle, unter des Kaisers Führung gegen die stärkste inneritalienische Macht zu kämpfen. Er begeistert sich an der Schilderung der Heimat all dieser wackeren potentiellen „germanischen“ Krieger, wobei er die Stammesregionen des Sacrum Imperium Romanum der Süd-Nord-Richtung folgend, im West-Ost-Zickzack aufzählt, mit gelegentlichen kurzen Kommentaren, und dabei der fränkischen Ritterschaft besonderes Lob zollt. Die von ihm vorausgesetzte Begeisterung Deutschlands insgesamt für Maximilians Krieg erscheint jedoch angesichts der nüchternen Reichsgedanken- Feindlichkeit der deutschen Stände fragwürdig. Huttens „Aufmahnung“ tritt in der von Vadianus besorgten Ausgabe von 1512 mit einem kürzeren Sachgedicht verschwistert auf, einer etwas gelasseneren Betrachtung über das ethnische und massenpsychologische Phänomen des Entwicklungsgefälles zwischen Germanen und Deutschen, in denen kulturell sublimiert die Stärke der den Römern trotzenden Vorfahren weiterlebt, etwa in der Erfindung des Buchdrucks. Im Unterschied zur 1. Fassung (1511/ 12) der zusammen veröffentlichten „Exhortatio“ und des bibliographisch unselbständig beigefügten „Germanengedichts“ wird in der zweiten Ausgabe innerhalb der „Augsburger Sammlung“ (1519) jeweils die Gestalt des Arminius als Urbild des Germanen beschworen, als eine Art magisches, muteinflößendes und identitätstiftendes „Feldzeichen“ für die heutigen Deutschen, vielleicht Indiz dafür, dass Hutten in der Zwischenzeit von dem großen Cherusker aus den „Annales“ des Tacitus (Buch 1, 55, 57,58, 61, 63-68) und Buch 2 (8-22, 45-46, 88) Näheres erfahren hatte, deren „editio princeps“ 1515 von Filippo Beroaldo in Rom herausgegeben worden war. Allerdings findet sich die erste Erwähnung des Arminius in Huttens Werk bereits in dem Ende 1514/ Anfang 1515 geschriebenen Lobgedicht auf Albrecht von Mainz. <?page no="95"?> Nr. 14 95 Was die Handschrift der „Germania“ des Tacitus betrifft, ein Werk, aus dem Hutten sein positives Bild der Germanen gewonnen hatte, das man schon sowohl in der „Exhortatio“ als auch im Germanengedicht verwertet findet, so war sie vom Kloster Fulda des 9. Jahrhunderts überliefert worden, Kenntnis ihres Inhalts spricht aus der Beschreibung der Sachsen in der „Translatio Alexandri“ des in Fulda wirkenden Rabanus-Maurus-Schülers, Mönchs und Lehrers Rudolf von Fulda (gest. 865), der dabei wohl als Quelle den um 850 vermutlich in Fulda verfassten „Hersfeldensis“ benutzte. Um 1425 gelang es dem nach Handschriften mit Texten klassischer Autoren gierenden italienischen Humanisten Poggio Bracciolini (1380-1459) mit Hilfe eines Hersfelder Mönches, jenen Codex mit dem Text der „Germania“ nach Italien zu entführen, wo dieser zwar verloren ging, aber in Abschriften tradiert wurde; Grundlage der Buchausgabe von 1470 (Venedig), 1473 (Nürnberg) und 1500 (Wien) mit Konrad Celtis als Herausgeber. 1508 lernte Hutten über seinen Universitätslehrer Rhagius Aesticampianus in Leipzig die „Germania“ des Tacitus näher kennen - erstmalig, vorausgesetzt, dass dies nicht schon während seiner Fuldaer Klosterschulzeit geschehen war, indem dort damals die Kunde vom „Codex Hersfeldensis“ bekannt gewesen sein dürfte. Hutten stilisiert in seinem Gedicht Maximilian ein wenig nach dem taciteischen Germanenbild. Mit seiner Mystifizierung des „göttlichen“ Caesars geht die Schmähung des Gegners, der Republik Venedig einher, die er als in ihrer Lebensweise dekadent und verweichlicht ansieht, so wie Tacitus die Römer der Kaiserzeit im Gegensatz zu den Germanen. In gleichsam kriegspfadtätowierter herausfordernder Herabsetzung charakterisiert er sie in einem historisch - geographischen Exkurs als einen krakenartig sich ausbreitenden Unrechtsstaat, der seinen Territorialbesitz durch hinterhältige Raubzüge an sich riss, die konkurrierende Handelsrepublik und Seemacht Genua lange bekriegte und in Schach hielt und mit Hilfe seiner furchterregenden Flotte z.- B. Griechenland teilweise unterjochte. Dagegen scheint er die Feldzüge Maximilians - 1516 erfolgte immerhin der 27. - für gottgewollt, heilig, hehr und nicht als durch niedrigen Raubinstinkt bedingt gehalten zu haben. Zur Rechtfertigung von Maximilians Anspruch auf Italien führt er in der 1516 in Bologna entstandenen „Epistola Italiae“ das in diesem Zusammenhang befremdlich anmutende erotische Argument ins Feld, dass die Dame Italia unter den Nebenbuhlern nicht den Venetianer oder den Franzosen, sondern den römischen Kaiser Maximilian auserkoren habe. In der „Exhortatio“ rühmt er des Kaisers männliche Tugenden, dessen Mut das Heer zusammenschweißt, der das Lagerleben mit seinen Soldaten teilt, sich keinen Ausschweifungen hingibt, abhärtende Selbstdisziplin übt, in der Schlacht in vorderster Reihe kämpft - alles Gründe, dass er, aus Huttens Sicht, Vertrauen verdient. Dieser sieht ihn im (Wappen-) Sinnbild des Adlers, dessen Schnabel und Klauen mit gerechtem Zorn bewaffnet sind, schildert Stationen seiner Laufbahn. Im Sinne der germanischen Gefolgschaftstreue, welche der „Heliand“-Dichter um 830 den Jüngern Christi zuschreibt, fasst Hutten die kriegerischen Unternehmungen Maximilians als Dienst für Christus auf. Ungeduldig antizipiert er einen Triumphzug nach dem - in Wirklichkeit <?page no="96"?> Ulrich von Hutten und seine Werke 96 ausbleibenden, von ihm aber sicher geglaubten - Sieg des Kaisers über Venedig. Dann auch sollen Maximilians Taten in Dichtungen verherrlicht werden. Er denkt hier zuvörderst an Erasmus von Rotterdam als Verfasser. Dabei ist nicht klar, ob er dessen pazifistische Einstellung angemessen berücksichtigt hat. In Frage kommen auch seine Freunde Eobanus Hessus, Hermann von dem Busche und Crotus Rubeanus. Sich selbst nennt er bescheiden zuletzt. In der Tat gehen seine Profilierungswünsche, vielleicht aufgrund einer Sublimierung des ritterlichen Gefolgschaftsdenkens, selten über einen Platz in der zweiten Reihe von „guten Gesellen“ und humanistischen Kampfgenossen hinaus, etwa im Rahmen verteidigender Angriffe gegen Feinde bewunderungswürdiger Persönlichkeiten, wie Maximilian I., Johannes Reuchlin oder Martin Luther. Ulrich von Hutten, indem er sich als Weither-Wanderer und leidgeprüften Dulder Odysseus selbst inszenierte, trug seine „Exhortatio“ an Maximilian im Herbst 1511 in Wien Humanisten, wie Joachim von Watt (Vadianus) vor und fand damit bei den reichspatriotischen Kaiserfreunden Beifall. Dieser ließ sie Anfang 1512, als sich ihr Autor bereits auf dem Weg über die Alpen nach Italien befand, in Wien drucken. Den rastlosen Hutten hatte es auch dort nicht lange gehalten. Sein Gehen hatte, wie bei den meisten seiner vielen, oft jähen Abschiede, wohl auch hier mit einer Auseinandersetzung zu tun, und zwar mit dem Wiener Universitätsrektor Johann Heckmann. In dem 1515 erschienen 1. Teil - 14. Kapitel - der EOV (Nr. 24) lässt Crotus Rubeanus einen der Dunkelmänner seinem Briefpartner Ortvin Gratius berichten, wie Heckmann einen namentlich nicht genannten Gesellen aus Mähren, mit dem wohl Hutten gemeint sein dürfte, verbot, Vorlesungen über die Poetik zu halten, woran sich der wilde Dichter aber nicht hielt, so dass den Studenten der Besuch seiner Vorlesungen untersagt wurde. Der aufsässige Geselle begab sich daraufhin, versehen mit Sturmhaube und einem langen Messer an der Seite, wie einer, der in den Krieg ziehen will, zu Heckmann, bei dem er in auftrumpfende Redetiraden ausbrach und den er sogar duzte. Er sei denn nur knapp dem Karzer entgangen. Im März 1512 nahm Hutten das Rechtsstudium an der Universität von Pavia auf. Nach etwa zweieinhalb Monaten musste er dieses unterbrechen, weil die Wirren der oberitalienischen Kriege die Stadt in Mitleidenschaft zogen, deren französische Besatzer gegen päpstliche Schweizer Söldner (sog. „Reisläufer“, von „reis“ = Aufmarsch, Kriegszug) zu kämpfen genötigt waren. Um diese Zeit in Pavia (ca. Juni/ Juli 1512) traf es sich, dass neben Hutten ein weiterer, auf seine Art nicht weniger abenteuerlicher und gelehrter Mann, der allerdings für eine eigene Familie zu sorgen hatte, ebenfalls in gefangenschaftsartige Bedrängnis geriet, nämlich Cornelius Agrippa (von Nettesheim) (1486-1533), jener okkultistisch und wissenschaftsskeptisch schillernde Philosoph, der außer dem Dr. Heinrich Faust des Volksbuchs (1537) Goethe als Vorbild für den Helden seines Faustdramas gedient hat. Es ist nicht überliefert, ob sich die beiden Wander- und Abenteuerhumanisten Hutten und Agrippa damals 1512 in Pavia persönlich kennengelernt haben oder nicht. Aber es steht fest, dass Hutten im Sommer 1520 gelegentlich seiner Reise nach Brüssel an den Hof des Erzherzogs Ferdinand, einer möglichen Anstellung halber, Agrippa in Köln besucht hat. Nachdem <?page no="97"?> Nr. 15 97 Pavia, zu Huttens Zeit dort 1512, in die Hand der päpstlichen Schweizer Söldner gefallen war, wurde Hutten, den man für einen Anhänger der Franzosen hielt, ausgeraubt - nicht der erste und nicht der letzte tätliche Angriff auf ihn - und gefangen gesetzt, bis es ihm gelang, sich freizukaufen. Er verließ Pavia und machte sich auf den Weg nach Bologna, wo er sein Jura-Studium fortsetzten wollte. Nr. 15 Hoc in volumine haec continentur. Vlr. de Hutten Eq. Ad Caesarem Maximil. vt. bellum in Venetos coeptum prosequatur. Exhortatorium […]. (In diesem Band ist folgendes erhalten: Des Ritters Ulrichs von Hutten Ermahnung an den Kaiser Maximilian, den begonnenen Krieg gegen Venedig fortzuführen.) In officina excusoria Ioannis Miller 1519 (Augsburg: Johann Miller Jan.-1519). Benzing-Nr. 89; Böcking 3, S. 205-268 (Epigramme). Die nach ihrem Erscheinungsort benannte „Augsburger Sammlung“ enthält fast ausschließlich solche Schriften Huttens, die Maximilian I., die oberitalienischen Kriege und eigene Erlebnisse in Italien zum Gegenstand haben. Sie wurden 1519 veröffentlicht. Sie ist eine Quelle für den ersten und zweiten Aufenthalt Huttens in Italien - März 1512 bis November 1513, Oktober 1515 - Juni/ Juli 1517 - sowie den Beginn seines publizistischen Feldzugs gegen die römische Kirche (Epigramme gegen Julius II.; Epigramme an Crotus Rubeanus). Das Aufmahnungsgedicht an Maximilian I. und das „Germanengedicht“ (1512), die „Epistola Italiae“ (1516) und ein „Prognosticon“ an Papst Leo X (1518, in „Aula“, s. Nr. 32), worin er Leo X auffordert, die Götter (! ) um Schonung Italiens durch den Krieg zu bitten, sind in die Sammlung in zum Teil überarbeiteter Form aufgenommen. In einem Brief an Kardinal Hadrian aus Cornetto setzt er sich zugunsten Reuchlins im „Judenbücherstreit“ ein. Eindeutiger zur Italien- Thematik gehören die „Coryciana“, 1516 entstanden und 1524 auch als Teilstück einer Gedichtsammlung (s. Nr. 22) veröffentlicht. Zur vorliegenden Publikation gehören ferner zwei spöttische Versepen, sog. „Heroiden“, mit Venedig als Thema. Sie entstanden 1516 in Bologna. Der mächtige italienische Staat trotzte dem Kaiser erfolgreich bei seinem Versuch, den venezianischen Festlandsbesitz, die „Terra Ferma“, zu erobern. In beiden Epen - „Marcus Heroicum“ (Böcking 3, S. 295-300) und „De piscatura Venetorum“ (Böcking 3, S. 289-294) - wird die kaiserliche Macht - die in Wahrheit an der Realität zerschellte - drohend heraufbeschworen. Das Juwel der Sammlung sind die 150 Epigramme an Maximilian I. Man muss 125 davon vor dem Hintergrund von Huttens erstem Italienaufenthalt sehen. Sein Rechtsstudium, März 1512 an der Universität von Pavia begonnen, musste er schon zehn Wochen später infolge der Kriegswirren unterbrechen. Was die Kämpfe um Italien zu Beginn des 16. Jh. mit ihren rasch wechselnden Bündniskonstellationen betrifft, so war Hutten ein glühender Parteigänger Kaiser Maximilians. Bei der Belagerung Pavias wurde Hutten von Soldaten der französischen Besatzung als Kaisertreuer <?page no="98"?> Ulrich von Hutten und seine Werke 98 drei Tage lang in seiner Kammer eingesperrt. Er schrieb, den Tod vor Augen, seine eigene Grabinschrift (das Epigramm „Obsessus a gallis cum salutem desperassit“). Von päpstlichen Schweizer Landsknechten der Armee, der die Franzosen weichen mussten, wie ein Gefangener behandelt, da man in ihm einen Freund des Gegners vermutete, kaufte er sich schließlich frei und verließ Pavia. Er schlug sich nach Bologna durch, wo er sein Studium fortsetzte. Er brach es ab, als ihm das Geld ausging, und verdingte sich im Heer Maximilians I. Er nahm an dem Feldzug vom Sommer bis November 1513 teil und war bei der erfolglosen Belagerung der venetianischen Terra-Ferma- Festung Padua dabei. Mit wenigen Ausnahmen entstanden die 125 diese Zeit behandelnden Epigramme 1513, während seines ersten italienischen Aufenthaltes. Ihre Themen sind Kaiser und Reich im mittelalterlichen universalistischen Sinn und die oberitalienischen Kriege einschließlich eigener Erlebnisse. Aus Huttens Vorrede zu dieser Gruppe von Epigrammen (Böcking 1, S. 234-235) erfahren wir von seinem Plan, ein größeres Werk über den Kaiser zu schreiben. Dieses ist nicht zustande gekommen. Wie eine Art dichterisch geformte Materialsammlung dazu muten seine Epigramme an Maximilian an, die allerdings im vordergründig-rhetorischen Sinn auch an andere Personen oder überhaupt keinen namentlich genannten Adressaten sich richten. Ihre Entstehung vergleicht er mit der Bahn des geschleuderten Würfels. Ihre dichterische Treffsicherheit ist schwankend, so unterschätzt er immer wieder die Kriegsgegner Maximilians. Sie verdanken ihre Entstehung nicht nur der Intuition. Es haftet Ihnen etwas von den Zufallseigenschaften des assoziativen „Würfelns“ an. Huttens Epigramme enthalten u. a. aufgesplittet aufgeteilte autobiographische Einzelheiten seines viermonatigen Solddienstes als Landsknecht im Heer Maximilians 1513 in einer Zeit, da das Rittertum seine Bedeutung als militärischer Hauptfaktor an die Landsknechtsheere verloren hatte. Die autobiographischen Mitteilungen zentrieren sich auf seine Teilnahme an der kaiserlichen Belagerung der venetianischen Festung Padua. Trotz gelegentlicher Einsichten in die Verwerflichkeit des insgesamt achtjährigen Venetianer-Krieges (1508-1516) - so verweist er auf die mutmaßlich Schadenfreude der Europa bedrohenden Osmanen darüber, dass sich die Schafe Christi gegenseitig zerfleischen - glaubt Hutten an den höheren Auftrag Maximilians, in Italien die alte Kaiserherrschaft wieder aufzurichten und auszubauen. Er nimmt ihn gegen Angriffe in der italienischen Publizistik und der Commedia dell’ arte in Schutz. Hutten, der darunter leidet, aufgrund seines syphilitischen Hinkens kein voll einsatzfähiger Krieger zu sein, rodomontiert keineswegs mit irgendwelchen eigenen Taten, sondern porträtiert sich selbst eher als etwas hilflos und voller Angst im Abwehrfeuer der Belagerten. Bekannt gewordene Personen der oberitalienischen Kriege, wie sie zum Teil auch Arthur Gobineau (1816-1882) in seinem Lesedramen-Zyklus über die „Renaissance“ (1877) zum Leben erweckt hat - in „Julius II“ -, werden vom Zeitgenossen Hutten schlaglichtartig hervorgehoben: z. B. der venezianische Feldherr Bartolomeo Alviano (1455-1515) oder Massimiliano Sforza (1493-1530), Herzog von Mailand und Günstling des Kaisers, die französischen Feldherren Gian Giacomo <?page no="99"?> Nr. 16 99 Trivultius (1441-1518) u. a., wie die deutschen Landsknechtführer Jakob von Ems und Joachim von Maltzahn. Frankreich, ursprünglich Bundesgenosse Maximilians in den Venetianer-Kriegen, aber aktuell im Bund mit Venedig gegen den Kaiser, wird von Hutten insofern in seine Polemik mit einbezogen. Nr. 16 Triuphus Doc. Reuchlini habes studiose lector, Ioannis Capnionis viri praestantissimi Encomion. […]. (Triumph Doktor Reuchlins. Hier hast du, beflissener Leser, ein Lobgedicht auf Johannes Capnio, den hervorragenden Mann.) (Hagenau: Thomas Anselm Ende 1518). Benzing-Nr. 87; Böcking 3, S. 413-447. Der große Gelehrte und Humanist Johannes Reuchlin (1455-1522), der 1506 eine hebräische Grammatik samt Lexikon veröffentlicht hatte („De rudimentis hebraicis“) wandte sich im sog. „Judenbücherstreit“ (ca. 1507-1520) gegen die Vernichtung der nicht-biblischen jüdischen Bücher. Seine Bundesgenossen im Kampf gegen die orthodoxen Theologen, besonders die Kölner Dominikaner und Professoren Arnold von Tongern und Ortvin Gratius sowie den Großinquisitor Jacob von Hoogstraten und den konvertierten Juden Johannes Pfefferkorn, der den Zwist ausgelöst hatte, waren Humanisten wie Caesarius, Buschius, Hutten, Murner, Neuenar. Seine im August 1511 gegen Anfeindungen in Pfefferkorns „Handspiegel“ (Frühjahr 1511) zur Verteidigung seiner Ehre und Rechtfertigung des Erhalts jüdischer Bücher veröffentlichte Dokumentation „Der Augenspiegel“ bewirkte die Verfolgung durch die Inquisition. Am 29. März 1514 wurde er aber in erster Instanz vom Bischof von Speyer als frei von Ketzerei erklärt. Dieser Spruch erfüllte die Reuchlinisten mit Erleichterung. Hutten nahm ihn zum Anlass, den Angriff publizistisch weiterzutragen, und schrieb vom Mai bis Juli 1514 das umfangreiche Gedicht „Triumphus Capnionis“. „Capnio“ ist die gräzisierte Form des Namens Reuchlin im Sinn von „Räuchlein“. Es handelt sich um ein in Hexametern verfasstes „Enkomium“, d. h. ein Preisgedicht. Johannes Reuchlin wird in einer fiktiven Situation verherrlicht, inmitten eines Triumphzuges durch die geschmückten Straßen seiner Heimatstadt Pforzheim. Er kehrt als Sieger über seine Feinde heim, die nach antikem Brauch als Überwundene mitgeführt werden. Reuchlin selbst, der von Musik und Gesang angekündigte Triumphator, wird von seinen Bundesgenossen, den Humanisten, begleitet. Im August 1514 lernte Hutten in Mainz Erasmus von Rotterdam kennen, der ihm von einer Veröffentlichung abriet, damit dadurch Reuchlin nicht geschadet werde, dessen endgültiger Sieg noch nicht sicher war. Hutten ging auf den Vorschlag ein. Ende 1518 jedoch erschien das Werk, und zwar unter dem Pseudonym „Eleutherius Byzenus“. Die Verfasserschaft Huttens erhellt u. a. aus inhaltlichen und stilistischen Übereinstimmungen des „Triumphus“ mit anderen seiner Schriften. <?page no="100"?> Ulrich von Hutten und seine Werke 100 Die Erstausgabe des „Triumphus Capnionis“ ist mit einem vierteiligen Holzschnitt versehen, der den Triumphzug wiedergibt. Sie enthält außerdem eine Einleitung und einen Epilog Huttens (Böcking 1, S. 236-238). Nr. 17 Baptisati cuiusdam iudaei Ioannis Pepericorni […] historia […]. Ulrichi de Hutten super eadem re Epistolae et exclamatio heroica (Die Geschichte eines getauften Juden namens Johannes Pfefferkorn […]. Ulrichs von Hutten Briefe darüber und sein in heroischer Versform abgefasstes Ausschreien der Angelegenheit) (Mainz: Johann Schöffer [? ] [nach 16. Sept.] 1514). Benzing-Nr. 39; Böcking 3, S. 345-348. Hutten wurde, nachdem er von seinem ersten Italienaufenthalt nach Deutschland zurückgekehrt war, Ende März 1514 am Hof Markgraf Albrechts von Brandenburg aufgenommen, der gerade Erzbischof von Magdeburg geworden war. Wohl im Auftrag Albrechts weilte er im Sommer 1514 als „Beobachter“ in Halle: Einem Juden namens Johannes Pfefferkorn, der in Eschwege auf dem Katharinenberg von einem schottischen Priester getauft worden sein soll, wurde der Prozess gemacht. Am 6. September 1514 wurde er auf dem Richtplatz vor der Moritzburg in Halle durch langsames Verbrennen bei lebendigem Leibe hingerichtet. Huttens „Exclamatio […]“, die aus 119 Versen besteht und in Halle oder Magdeburg entstand, wurde im gleichen Monat in Mainz veröffentlicht. Hutten hat sich darin nicht über die Richter und Henker, sondern über Pfefferkorn entrüstet, dem durch die Folter das Geständnis absurder Zauber-Greueltaten abgenötigt wurde. Er bemüht in seiner „Exclamatio …“ allerlei Unholde der antiken Mythologie, um Pfefferkorns „Untaten“ gehörig zu betonen, konträr skandalös wirkt die Einfassung des Inhaltes in Versform. Es handelt sich bei dem Gedicht um eine Quelle zur Geschichte des Rechts und des Aberglaubens, die auch zeigt, wie sehr Hutten bei all seinen humanistischen Idealen der spätmittelalterlichen Gedankenwelt verhaftet war. Der namensgleiche Johannes Pfefferkorn, ebenfalls ein getaufter Jude und eine der Schlüsselfiguren im „Reuchlinstreit“, verwahrte sich später übrigens gegen die Möglichkeit einer Verwechselung in seiner „Beschyrmung Johannes Pfefferkorn (den man nyt verbrannt hat) …“ (1517). <?page no="101"?> Nr. 18 101 Nr. 18 In lavdem reverendissimi Alberthi Archepiscopi Moguntini Ulrichi de Hutten Equitis Panegyricus. (Preisgedicht des Ritters Ulrich von Hutten zum Lob des verehrungswürdigen Erzbischofs Albrecht von Mainz.) Tubingae apud Thomam Anshelmum, 1515 (Tübingen: Thomas Anshelm Feb. 1515). Benzing-Nr. 47; Böcking 3, 353-400. Eitelwolf von Stein (gest. 1515), der humanistisch gesonnene Staatsmann im Dienst Albrechts von Brandenburg (1490-1545), war es, der 1514 für seinen Schützling Ulrich von Hutten eine Verbindung zu dem Fürsten zuwege brachte. Er regte Hutten auch dazu an, dessen Einzug in seine neue Residenz am 8. November 1514 als Erzbischof und Kurfürst von Mainz literarisch zu beschreiben. Daraufhin schuf Ulrich von Hutten Mitte November 1514 bis Januar 1515 in Mainz den „Panegyricus in laudem Alberti“, der im Februar 1515 in Tübingen veröffentlicht wurde. Das aus 1300 Hexametern bestehende formvollendete epische Gedicht ist ein Seitenstück zu dem ebenfalls mit allegorischen Bildern durchsetzten Lobpreis „Triumphus Capnionis“. Zunächst wird die Vorfreude der Mainzer auf den Einzug des neuen Erzbischofs und die Vorbereitungen dafür geschildert. Dann ist von der „Germania“ die Rede, die beim Tod des Brandenburgers Albrecht III. Achilles mit dem Hinweis auf seine Enkel, darunter Albrecht von Brandenburg, getröstet worden sei. Weiter geht es um den Vater Rhein, der, ein frühes, noch nebelhaftes Sinnbild Deutschlands, im Schmuck eines Mantels, in welchen Nymphen Bilder aus der deutschen Geschichte eingewebt haben, auf seinem Strom Albrecht entgegen fährt und mit einer fürstenspiegelartigen Rede begrüßt. In Huttens Gedicht ist die Tendenz unverkennbar, Albrecht, der mit seiner neuen Würde als Erzbischof und Kurfürst von Mainz eine bedeutende Machtstellung im Reich errungen hatte, in seiner humanistischen Gesinnung zu bestärken. Hutten beschwört die deutsche Geschichte und bekennt sich voller Nationalstolz und Zugehörigkeitsgefühl zu ihr - von den Anfängen, wie sie Tacitus überlieferte, über Arminius und Karl den Großen bis hin zu Maximilian I. In der Widmungsvorrede an Eitelwolf von Stein (Böcking 1, S. 34-37) redet Hutten seinen Standesgenossen wegen ihres törichten Stolzes ins Gewissen, der jeglichem Bildungsstreben fern sei. Albrecht von Mainz ließ Hutten als Anerkennung für sein Gedicht 200 Goldgulden überreichen. Er sicherte ihm eine Stellung am Hofe zu. Er half ihm bei der Finanzierung seines erneuten Rechtsstudiums in Italien. 1517 — Hutten war ohne akademischen Abschluss zurückgekehrt — nahm er ihn in seine Dienste auf. <?page no="102"?> Ulrich von Hutten und seine Werke 102 Nr. 19 C. Salvstii et Q. Cvrtii Flores, selecti per Hulderichum Huttenum equitem, eiusdemqz scholijs non indoctis illustrati. (Redewendungen des C. Sallust und des Q. Curtius, ausgewählt von dem Ritter Ulrich [von] Hutten und durch nicht ungelehrte Scholien desselben erklärt.) Argentorati (Straßburg: Johann Herwagen 1528). Benzing-Nr. 191; Böcking 5, S. 501-503. Hutten war, auch wenn er nicht, wie Erasmus und Reuchlin, alle drei „heiligen Sprachen“ (Hebräisch, Griechisch, Lateinisch) beherrschte, besonders in der antiken lateinischen Literatur sehr belesen. Sein Werk ist mit Zitaten aus den Werken der Alten gespickt. Bei der Lektüre legte er sich Exzerptensammlungen an. Die Redewendungen, die er notierte, gedachte er wohl bei passender Gelegenheit in seinen eigenen Werken, die ja zum größten Teil in Neulateinisch geschrieben sind, einzusetzen. Derartige Phraseologien ließen sich viele Humanisten angelegen sein. Des Erasmus Anthologie„Collectanea adagiorum“ (1500) stellt ein faszinierend kommentiertes Kompendium von Sprichwörtern und Redensarten aus den Werken antiker Autoren dar. Die vorliegende Blütenlese („Flores“) aus Werken von Sallust (86-34 v. Chr.), etwa aus dem „Bellum Jugurthinum“ oder dem „Bellum Catilinae“, und des Curtius, der im 1.- (oder 2.? ) Jahrhundert n. Chr. eine Biographie über Alexander den Großen schrieb, deren Einfluss sich in Huttens Reden gegen Ulrich von Württemberg bemerkbar macht, wurde von Hutten 1515 und im Winter 1516/ 17 angelegt. Seine nicht für die Veröffentlichung bestimmte Sammlung wurde 1528 in Straßburg publiziert. Sie stammt, wie auch der Dialog „Arminius“ (Nr. 26) aus der sog. „kurpfälzischen Beute“. Darunter versteht man jenen Besitz Huttens — Bücher, Manuskripte, Kleidungsstücke usw. — der, als er ihn von der Ebernburg in Richtung Schweiz abtransportieren ließ, im Oktober 1522 von kurpfälzischen Straßenräubern aufgebracht und in Heidelberg verkauft worden ist. Die „Flores“ wurden von Johann Herwagen (Dt. Buchdrucker, 1497-1558) herausgegeben und mit einer Vorrede versehen (Böcking 2, S. 440-441). Diese ist der Abdruck seines Briefes an Johann Maius Selesstadiensis, den Geheimschreiber des Königs von Ungarn und Böhmen. Nr. 20 Hoc in volvmine haec continentvr Ulrichi Hutteni Eqv. Super interfectione propinqui sui Ioannis Hutteni Equ. Deploratio […]. (In diesem Band ist folgendes enthalten: Die Klage des Ritters Ulrich von Hutten über die Ermordung seines Verwandten, des Ritters Johannes [= Hans] von Hutten […].) Mainz: Johann Schöffer Sept. 1519). = Steckelberger Sammlung. Benzing-Nr. 120; Böcking 5, S. 1-96 (5 Reden gegen Herzog Ulrich vonWürttemberg). <?page no="103"?> Nr. 21 103 Kurz nach dem Tod Maximilians I. (12. Januar 1519) überfiel und eroberte Ulrich von Württemberg (1487-1550), der an der Stuttgarter Leichenfeier zu Ehren des verstorbenen Kaisers teilgenommen hatte, mit seinen Truppen die Reichstadt Reutlingen. Aber sein Versuch, das Interregnum zur Stärkung seiner Macht zu nutzen, misslang. Ein Heer des „Schwäbischen Bundes“ verjagte ihn aus Württemberg. Auch Hutten hatte zusammen mit Georg von Frundsberg, Florian Geyer, Franz von Sickingen u. a. teilgenommen. In seiner 5. literarischen Rede gegen Ulrich (Böcking 5, S. 84-95) feierte er den Sieg über den Tyrannen, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass er durch die Initiative der reichsständischen Vereinigung des Schwäbischen Bundes zustande gekommen war, nicht aber aus Anlass eines Richterspruchs der obersten Reichsgewalt. Wenige Jahre vorher hatte Ulrich von Württembergs Mord an Ulrich von Huttens Vetter Hans von Hutten aus Gier nach dessen Ehefrau die Reichsritterschaft gegen ihn auf den Plan gerufen. Sie solidarisierte sich mit dem Huttenschen Familienverband. Am 24. November 1515 floh die Gattin des Herzogs, eine Verwandte des Kaisers, die sich ihres Lebens nicht mehr sicher fühlte, zu ihren Brüdern, den Bayernherzögen. Huttens erste vier literarische Anklagereden gegen Herzog Ulrich entstanden zwischen Juli 1515 und Mitte August 1517 und wurden zunächst in Abschriften verbreitet (Böcking 5, S. 3-83). Vor einem imaginären kaiserlichen Gericht - dem wirklichen wusste sich der Herzog zu entziehen - schildert Hutten darin das Verbrechen, porträtiert den Täter als Personifikation des Bösen und fordert für ihn die Todesstrafe. Er wandte sich als Sprecher der gesamten Hutten-Familie an die Öffentlichkeit. Seine Gelehrsamkeit, seine an Cicero geschulte Rhetorik und sein juristisches Studium kamen den Seinen erstmals voll zugute. Im September 1519 wurden die fünf Reden, zusammen mit dem „Phalarismus“ und anderen zur Thematik gehörenden Schriften, vor allem Briefe und Ausschreiben, in einem Band in Mainz gedruckt, nicht auf der Steckelburg, wie der gebräuchliche Schlagworttitel vermuten lässt. Nr. 21 OYTIΣ. Nemo. (Der Niemand). Impressum Augustae in officina Millerana. (Augsburg: Johann Miller 24. Aug. 1518). Benzing-Nr. 62; Böcking 3, S. 107-118 (synoptisch mit Nemo I, s. Nr. 10). „Nemo II“ oder der „Große Nemo“ von 1515 ist die erweiterte Fassung des sog. „Ur- Nemo“ von 1509 (s. Nr. 10). Hutten gab ihr 1518 in Augsburg (zur Zeit des Reichstages) den letzten Schliff. Im selben Jahr erschien sie hier auch im Druck. „Nemo“ wurde eins seiner meistgelesenen Werke. Der Titelholzschnitt des sog. „Petrarca-Meisters“ (1. Drittel des 16. Jh. ? ) zeigt, zeitübergreifend miteinander verblendet, den „Nemo“ der Odyssee und Menschen aus Huttens Zeit, Gesinde, das vor dem Hintergrund des griechischen Seefahrtschiffes und im Vordergrund von der überlebensgroßen Gestalt des Nemo-Odysseus beherrscht, <?page no="104"?> Ulrich von Hutten und seine Werke 104 Hausrat zertrümmert. Hutten verdankt der Zyklopen-Episode offenbar Anregungen, so die Idee, den Doppelsinn des Wortes „Niemand“ auszuschöpfen. Aus der Art, wie er den Verneinungsbegriff einsetzt, ersteht der Umriss eines unfassbaren „Helden“, der alles vermag, was Menschen nicht können, und zu allem bereit ist, was sie nicht tun wollen. Er verknüpft sprichwortartige Fügungen mit eigenen Einsichten dergestalt, dass sie mehr als eine bloße Reihung von Sentenzen ergeben. Fähigkeiten, Eigenschaften und Taten, von deren Nicht-Existenz bzw. Unmöglichkeit sie handeln, erscheinen als gemeinsame Kennzeichen von „Nemo“ spukhaft lebendig miteinander vereint. In Huttens „Vermahnung an die freien Reichsstädte deutscher Nation“ (1522, s. Nr. 63) heißt es im Titel - wobei wie auch in anderen Fällen Huttenscher Schriften nicht ganz sicher ist, ob und inwieweit der jeweilige Drucker an der Formulierung des Titels beteiligt gewesen ist: Der Nemo hatt das geticht gemacht. Das mancher im regiment nit lacht. Die zweite Hälfte des Gedichts gilt dem „Nemo“ als Ausrede nichtsnutziger Dienstboten. In einem literarischen Genre-Bild schildert Hutten, wie das Gesinde bei Abwesenheit der Herrschaft allerlei Hausrat mutwillig zerbricht. Er weitet hier Sprichwörter von der Art des folgenden erläuternd aus: Ist etwas zerschlagen oder zerbrochen, in der Stuben oder in der Kuchen, der Ofen etwa eingestoßen, Kannen zerworfen, Bier vergossen, Niemand die Schuld allweg muß han, wiewohl Niemand kein Sünd getan. Autobiographisch wichtig ist Huttens Zueignung des „Nemo“ an Crotus Rubeanus (eig. Johann Jäger (1480-1545), die umfangreicher als der Hauptteil ist (Böcking 1, S. 175-184). Hier erfährt der Leser, dass Hutten, nach seiner Rückkehr aus Italien 1515, von seinen Verwandten abschätzig als „Niemand“ behandelt wurde, da er keinen Doktortitel mitgebracht hatte. Hutten registriert die Enttäuschung seiner Verwandten jedoch ziemlich ungerührt. Er huldigt demjenigen, der im engeren heimatlichen Kreis als einziger seine humanistischen Bestrebungen und sein auf dem Feld der antiken Kultur erworbenes Wissen anerkannt hat: dem „Nemo“. Die „Zueignung“ enthält ferner Polemiken sowohl gegen das Römische Recht und die Glossatoren des „Corpus Iuris Civilis“ als auch gegen die Scholastiker, durch deren Theologie der christliche Glaube untergraben werde. Mit Bewunderung werden hingegen Johannes Reuchlin und, erstmals in Huttens Werk, Erasmus von Rotterdam genannt, den er im August 1514 in Mainz kennengelernt hatte. <?page no="105"?> Nr. 22 105 Nr. 22 (Huttens Epigramme an den Altar des Corycius.) In: Palladius, Blossius (Hrsg.): Coryciana; sive varior carmina in laudem Corycii collecta a Palladio, cum protreptico Marie angeli Accurri, Romae […] Romae, apud Lud. Vicentinum et Lautitium Perusinum. 1524 (Rom: Lud. Vicentinus u. Lautinius Perusinus 1524). Benzing 90 [,4]; Böcking 3, S. 271-273. Während seines Aufenthaltes in Rom vom Januar bis ca. 20. April 1516 fand Hutten Aufnahme im Kreis italienischer Humanisten und Poeten, die im Haus und Garten des aus Luxemburg stammenden Apostolischen Sekretärs Johann Goritz (1455-1527) Gastfreundschaft genossen — wohl öfters im Jahr, regelmäßig aber an St. Annentag. Bei den Zusammenkünften huldigte man dem „ara Coryciana“, dem Altar des Corycius — wie Goritz nach einer Gestalt aus Vergils „Georgica“ genannt wurde. Es handelt sich um ein von Goritz in Auftrag gegebenes und von Andrea Sansovino (1460-1528) gestaltetes Marmorstandbild, das die Heilige Anna Selbdritt darstellt und auf dem Altar der St.-Annen-Kapelle in der Kirche St. Agostino aufgestellt worden war. Die von Goritz bewirtete Poetenschar schrieb bei Gelegenheit ihrer Feiern Gedichte zum Lobe Sansovinos, des Standbildes und ihres Mäzens. Einer von Goritz’ Schützlingen, Blossius Palladius (gest. 1550) gab 1524 die von dem Mäzen aufbewahrten Gedichte seiner Gäste unter dem Titel „Coryciana“ in Rom heraus. Er hatte ihm die Sammlung gestohlen. Auf den knapp dreihundert Seiten sind in der Hauptsache Verse italienischer Poeten, darunter Pietro Bembo (1470-1547) und Baldassare Castiglione (1478-1529), vereint. Es fehlt nicht an antideutschen Passagen, z. B. gibt es Äußerungen gegen Martin Luther. Auch einige deutsche Humanisten sind mit Beiträgen vertreten. Unter der Handvoll Gedichte, die Hutten dem Altar des Corycius dargebracht hat, fällt eines mit dem Titel „Votum pro se in morbo pedis“ auf. Darin fleht er die Heilige Anna, die Muttergottes und Christus um die Heilung seines erkrankten Fußes (Syphilis-Symptom) an. Nr. 23 Epistola ad Maximilianum Caesarem Italie fictitia. Huldericho de Hutten equ. Authore. (Fiktiver Brief Italias an Kaiser Maximilian, von dem Autor Ritter Ulrich von Hutten). (Straßburg: Matthias Schürer [nach 31. Juli] 1516.) Benzing-Nr. 50; Böcking 1, S. 105-113. Hutten oblag seinem Jura-Studium in Italien offenbar nur halbherzig und brach es vor seiner Abreise nach Deutschland - Juni 1517 - endgültig ab. Im April 1516 geriet er im romnahen Viterbo in einer Weinschänke in schließlich auch tätliche Händel mit fünf Franzosen, die sich beleidigend über Maximilian geäußert hatten. Einer von ihnen wurde von Hutten tödlich verwundet. Vorsichtshalber entfernte sich der Ritter deshalb aus Rom. Ein paar Kurzgedichte, in denen er seine Auseinandersetzung ohne <?page no="106"?> Ulrich von Hutten und seine Werke 106 sonderliche Gefühlsregung behandelt, sind in die „Augsburger Sammlung“ (Nr. 15) mit aufgenommen worden. Im Juni 1516 erreichte er über Verona Bologna, wo er sein Jura-Studium bis Mai 1517 fortsetzte. Dort begann er eine Brieffreundschaft mit dem angesehenen Nürnberger Ratsherren und Humanisten Willibald Pirckheimer, die in seinem in Augsburg 1518 geschriebenen, athletisch zuversichtlichen, von den Möglichkeiten der humanistischen Bildung geradezu trunkenen Bilanzbericht über sein Leben gipfelte. Es ist unsicher, ob sich Pirckheimer und Hutten auch persönlich begegnet sind, etwa im gastfreundlichen Haus des Patriziers in Nürnberg, wo sich Humanisten die heißbegehrte Klinke in die Hand gaben. Eine unmittelbare literarische Spiegelung seines italienischen Aufenthalts sind drei in Bologna 1516 entstandenen Kurzepen, in denen Hutten, im Gewand des Dichters, den Kriegsgegnern Maximilians, Venedig und Frankreich, entgegentritt, die im Begriff waren, den Kaiser vom militärischen Erfolg im Kampf um Italien auszuschließen. Im fiktiven Briefgedicht „Epistola Italiae“ geht es um die Konstellation der oberitalienischen Kriege insgesamt, in „Marcus heroicum“ und „De piscatura Venetorum“ steht die Republik Venedig im polemischen Brennpunkt. Alle drei Werke sind in der Augsburger Sammlung (s. Nr. 15) abgedruckt. Die „Epistola Italiae“ erschien im Entstehungsjahr 1516 überdies in einer Einzelausgabe in Straßburg. Ihr folgte im selben Jahr eine zweite Ausgabe in Erfurt, vom Herausgeber Eobanus Hessus im inhaltlichen Gleichgewicht gehalten, und zwar durch eine beigefügte, ebenfalls fiktive Antwort Maximilians an Italia. Italien, 1516 noch immer Schauplatz der Venezianischen Kriege, wird von Hutten in der „Epistola Italiae“ im Sinnbild einer umkämpften Dame geschildert, deren Herz jedoch nicht den Venezianern oder den Franzosen, sondern dem „römischen Kaiser“ Maximilian gehört. Sie klagt ihm in ihrem „Brief “ ihre Verlassenheit, die Übergriffe durch die Soldateska und die unwürdigen Zustände im päpstlichen Rom: Möglichst bald möge er zu ihr kommen. Als Ansporn hält sie ihm die Großtaten germanischer und deutscher Herrscher wie Arminius, Karl der Große und die Ottonen vor Augen. Zugleich mahnt sie ihn an das Erbe des Imperium Romanum, die Mission der Vollendung der Erringung der Weltherrschaft. Italia gesteht Maximilian, dass sie neulich bei der Nachricht von seinem verheißungsvollen Aufbruch von Trient glücklich gewesen sei, jetzt aber wieder, wegen seines Abzuges aus Italien, voller Trauer. Damit spielt Hutten auf Maximilians Heerlager in Trient (März 1516) an. Mit einer Streitmacht von ca. 30.000 Mann war der Kaiser von dort gen Mailand gezogen, um das Herzogtum den Franzosen unter Franz I. zu entreißen, die es September 1515 infolge ihres Sieges bei Marignano (heute Melegnano) über die gefürchteten Schweizer Söldner im Dienst des Herzogs von Mailand zurückgewonnen hatten. Maximilian missglückte jedoch auf seinem 27. Feldzug die Eroberung der Stadt Mailand, denn die Kampfmoral der Belagerer zerfiel, als die Hilfsgelder, die Englands König Heinrich VIII. versprochen, ausblieben, und der Sold nicht mehr ausgezahlt werden konnte. Daraufhin resignierte Maximilian und zog sich nach Tirol zurück, eines seiner habsburgischen Erblande. In dieser Situation schrieb Hutten seine Ermahnung an ihn, die <?page no="107"?> Nr. 23 107 auch die Feststellung enthält, dass Maximilian, nachdem er aus dem Kampf um die Vorherrschaft in Europa, zumindest auf dem italienischen Schlachtfeld, ausgeschieden, landauf, landab in Italien verhöhnt wurde. In diesem Zusammenhang mag auch der erwähnte Kampf Huttens mit fünf (! ) Franzosen zu sehen sein, die ihn durch Beleidigungen Maximilians bis aufs Blut gereizt hatten. Was Italien betrifft, so hat es Hutten dort am längsten in Bologna (Juni 1516 - April 1517) ausgehalten, mit seiner berühmten universitären Rechtsschule, wo sich Hutten, offenbar widerspenstig, mit dem römischen Recht vertraut zu machen versuchte. Seine dort 1516 entstandenen, aber nur unselbständig in der „Augsburger Sammlung“ (s. Nr. 15) publizierten venedigfeindlichen Kurzepen „Marcus heroicum“ und „De piscatura Venetorum“ sollen auch auf einem Plan basieren, das positive Bild der Lagunenstadt im Werk des venezianischen Historikers Marcantonio Sabellico (1436-1506) zu konterkarieren, aus seiner kaisertreuen, kriegsgegnerischen Sicht heraus. Darin sucht er das ihre Geschichte prägende Wesen der Venezianer auf Raubmentalität, Lebensgenuss sowie auf Luxus zu reduzieren - etwa mit Hinweis auf deren Bekleidung, Silbergeschirr, Goldbecher, künstliche Düfte, goldene Liegen mit Purpurpolstern, Schätzen aus fernen Ländern, goldgeschmückte Dächer und Säulen usw. Jacob Burckhardt (1818-1897), der Schweizer Kultur- und Kunsthistoriker, hat in seiner „Kultur der Renaissance in Italien“ (1860), wie Hutten von Sabellicos Werk ausgehend, die Venezianer eher in ihrer Tüchtigkeit und Größe gesehen und die Stadt Venedig in ihrer magischen Schönheit. „Venedig erkannte sich selbst als eine wunderbare, geheimnisvolle Schöpfung, in der noch etwas anderes als Menschenwitz von jeher wirksam gewesen. Es gab einen Mythus von der feierlichen Gründung der Stadt: am 25. März 413 um Mittag hätten die Übersiedler aus Padua den Grundstein gelegt am Rialto, damit eine unangreifbare, heilige Freistätte sei in dem von den Barbaren zerrissenen Italien. Spätere haben in die Seele dieser Gründer alle Ahnungen der künftigen Größe hineingelegt; M. Antonio Sabellico, der das Ereignis in prächtig strömenden Hexametern gefeiert hat, (in „Genthliacum venetiarum …“, aus „Carmen di venetarum“) lässt den Priester, der die Stadtweihe vollzieht, zum Himmel rufen: „Wenn wir einst Großes wagen, dann gib Gedeihen! Jetzt knien wir nur vor einem armen Altar, aber wenn unsere Gelübde nicht umsonst sind, so steigen dir, o Gott, hier einst hundert Tempel von Marmor und Gold empor! “ Die Inselstadt selbst erschien zu Ende des XV. Jahrhunderts wie das Schmuckkästchen der damaligen Welt. Derselbe Sabellico schildert sie als solches (in „De Venetiae urbis Carmen quod oraculum inscribitur“ aus Carmen de Venetorum) mit ihren uralten Kuppelkirchen, schiefen Türmen, […] Marmorfassaden, mit ihrer ganz engen Pracht, wo die Vergoldung der Decken und die Vermietung jedes Winkels sich miteinander vertrugen. Er führt uns auf den dichtwogenden Platz vor S. Giacometto am Rialto, […], wo in den Portiken ringsum und in denen der anstoßenden Gassen die Wechsler und die Hunderte von Goldschmieden sitzen, über ihren Häuptern Läden und Magazine ohne Ende; jenseits von der Brücke beschreibt er den großen Fondaco der Deutschen, in dessen Hallen ihre Waren und ihre Leute wohnen, und vor welchem <?page no="108"?> Ulrich von Hutten und seine Werke 108 stets Schiff an Schiff im Kanal liegt; von da weiter aufwärts die Wein- und Ölflotte, und parallel damit am Strande, wo es von Facchinen wimmelt, die Gewölbe der Händler; dann vom Rialto bis auf den Markusplatz die Parfümeriebuden und Wirtshäuser. So geleitet er den Leser von Quartier zu Quartier […].“ Aus dem Rahmen seines juristischen Studiums in Bologna, an der seit dem 12. Jahrhundert bestehenden Juristischen Hochschule der ältesten Universität Europas, der europäischen Hochburg der Jurisprudenz, fällt Huttens Tätigkeit als Syndikus der akademischen Selbstverwaltung innerhalb der Deutschen Nation. In dieser Zeit gab es Studentenkrawalle zwischen den Landsmannschaften der Deutschen und der Lombarden. Hutten vertrat die deutschen Interessen vor dem Tribunal des päpstlichen Stadtgouverneurs mit einer solchen Schärfe, dass er verfolgt zu werden in Gefahr geriet und sich nach Ferrara umorientierte, wo er dann alsbald sein Studium abbrach; im April 1517. Nr. 24 Epistole obscurorum viroru ad Venerabilem virum magistrum Ortuinum Gratiu Dauentriensem Colonie agrippine bonas litteras docentem: varijs et locis et temporibus missae ac demum in volumen coacte […]. (Briefe der Dunkelmänner an den hochwürdigen Herrn Magister Ortvinus Gratius aus Deventer, der in Köln die rechten Wissenschaften lehrt, von verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten abgeschickt […]). (Speyer: Jakob Schmidt zw. 22. Aug. u. 19. Okt. 1516). Benzing-Nr. 241; Böcking Suppl. 1, S. 1-79. Die anonym erschienenen „Epistolae obscurorum virorum“ (EOV) Briefe der Dunkelmänner sind ein Werk der Weltliteratur. Man hat ermittelt, dass ihr erster Teil hauptsächlich von Crotus Rubeanus und ihr zweiter Teil fast ausschließlich von Ulrich von Hutten stammt. Über ihre künstlerischen Qualitäten hinaus besitzen sie kulturhistorischen Quellenwert. Ihre Autoren sind von Fastnachtsspielen, dem „Narrenschiff “ Sebastian Brants, dem „Encomium moriae“ („Lob der Torheit“) des Erasmus und scherzhafter Universitätsliteratur beeinflusst. Die erstmals im Oktober 1515 in Hagenau gedruckten „Epistolae“ werden aufgrund ihrer im Frühjahr 1517 in Köln erschienenen Fortsetzung „Epistolae obscurorum virorum ad magistrum Ortivinum Gratium“ (s. Nr. 25) im Nachhinein als 1. Teil bezeichnet. Ihr Verfasser, Crotus Rubeanus (Eigentl.: Johannes Jäger, aus Dornheim, Thüringen, 1480-1539) war ein Freund Huttens und Mitglied des Erfurter Humanistenkreises. Seine Satire gehört, samt ihrer Fortsetzung, zu den zahlreichen angriffslustigen Arbeiten im Zusammenhang mit dem sog. „Pfefferkorn-Reuchlinschen-Streit“ (auch „Judenbücherstreit“ genannt) ist jedoch unter den ca. 44 Büchern und Pamphleten die literarisch bedeutendste. In dem Zwist, der während des Jahrzehnts vor der Reformation die gelehrte Welt Europas erregte, ging es um die Bedeutung der nicht-biblischen jüdischen Schriften, wie den „Talmud“ oder die „Kabbala“. Johannes Pfefferkorn (1469 - <?page no="109"?> Nr. 24 109 ca. 1522/ 23), ein konvertierter Jude, verwandte sich für die Einziehung der hebräischen Literatur, Johannes Reuchlin, der große Hebräist (1455-1522) vertrat die gegenteilige Auffassung, nahm allerdings solche Werke aus, die Schmähungen des Christentums enthielten. Die beiden waren die Schlüsselfiguren eines immer weitere Kreise erfassenden Streites. Selbst Kaiser und Papst wurden gefordert. Teil 1 der reuchlinistischen „EOV“ ist als Gegenstück zu den „Clarorum virorum epistolae“ (März 1514) konzipiert, einer von Reuchlin kompilierten Sammlung von Freundes-Briefen, worin sie ihm im „Judenbücherstreit“ beistehen. In den „EOV“ erscheint dieser Zwist jedoch in einen größeren Rahmen eingebettet. Es geht hier um den Richtungsstreit zwischen den Vertretern der konservativen Spätscholastik und damit des spätmittelalterlichen Weltbildes und denen des reformfreundlichen Humanismus, also um einen weltanschaulichen Machtkampf, wie er besonders an den Universitäten ausgetragen wurde. Das Werk besteht aus 41 fingierten Briefen von „Dunkelmännern“, d. h. Unbekannten, Fragwürdigen. Sie sind aus verschiedenen Städten fast alle an Ortvinus Gratius gerichtet (1491-1542), einen Dominikaner und Professor der Schönen Künste und der Theologie in Köln, der Hochburg der scholastischen Antireuchlinisten, deren wissenschaftliche Hauptstütze er war. Die „EOV“ als Ganzes sind ein Briefroman über Reuchlins exponiertes Geschick, mit allerdings sehr lockerer Handlungsführung, die sich episodenreich häufig in die Darstellung der geistigen und der tätlichen Auseinandersetzungen der Humanisten mit den Scholastikern verzweigt. Crotus Rubeanus zeichnet im ersten Teil der „EOV“ die Spätscholastiker und Pfaffen als spitzfindig, halbgebildet, selbstgefällig, gehässig und lächerlich und zeigt sie als Feinde humanistischer Werte, wie Geistesfreiheit; Bildung, Weltoffenheit, Toleranz, Individualismus und antikes Menschenbild. Als Anhänger der Scholastik sind sie von den Lehren eines Bonaventura, Duns Scotus und Albertus Magnus geprägt. In Form der „mimischen Satire“ lässt Crotus sie das sog. „makkaronische“ oder Küchenlatein sprechen, das inkorrekt und mit Germanismen verquickt ist und übertreibt dabei karikaturistisch. Er gibt ihre Denkmethode, ihren veralteten universitären Bildungsbetrieb, ihre eitle Neigung zum Verseschmieden, ihre stumpfen Argumente in den Disputationen mit den Humanisten, sowie ihre galanten Abenteuer, Fress- und Saufgelage und ihre Versuche, ihr Genießertum anhand von Bibelstellen mit der christlichen Lehre zu vereinbaren, dem Spott preis. Die „EOV“ enthalten auch viele Informationen über das eigene Lager der Humanisten, darunter Reuchlin, Buschius, Rhagius Aesticampianus und Ulrich von Hutten. Dieser ist, vielleicht mit Ausnahme von I, 1, am Grundwerk der „EOV“ nicht als Mitverfasser beteiligt gewesen. Dagegen stammt ein Anhang von 7 Briefen in deren vorliegender dritter Ausgabe (Speyer 1516) von ihm. Obendrein ist er der Autor fast aller Briefe der Fortsetzung der „EOV“ (s. Nr. 25). <?page no="110"?> Ulrich von Hutten und seine Werke 110 Nr. 25 Epistolae obscurorum virorum Epistole Obscuroru viroru ad Magistru Ortuinu Gratiu Dauentriensem Colonie latinas litteras profitente no ille qde veteres et prius visae: sed et noue et illis priorbq Elegantia argutijs lepore ac venustate longe superiores. Ad Lectorem […]. (Briefe der Dunkelmänner an den Magister Ortvinus Gratius aus Deventer, der in Köln die lateinische Sprache lehrt, jedoch nicht die alte und schon früher bekannte, sondern die neue, die jener früheren an Eleganz, Ausdruckskraft, Witz und Schönheit bei weitem überlegen ist.) (Speyer: Jakob Schmidt [spätestens Frühjahr] 1517.) Benzing-Nr. 243; Böcking Suppl. 1, S. 181-300. Am 9. August 1516 bat Hutten von Bologna aus, während seines zweiten italienischen Aufenthaltes, seinen in Leipzig lehrenden Freund, den englischen Gräzisten Richard Croke („Crocus“), brieflich um Übersendung der „EOV“ (s. Nr. 24), von deren rascher Verbreitung in Deutschland er gehört hatte. Am 22. August 1516 informierte er Crocus über den Empfang des Werkes. In Bologna schrieb er von Ende Juli bis Ende August 1516 die sieben Appendix-Briefe der dritten Ausgabe der „EOV“ (Speyer 1516), und von Ende August bis in den November 1516 eine Fortsetzung dieser Satire. Von deren 62 Briefen werden 6 Nummern Jakob Fuchs, dem Würzburger Domherren (II, 13, 17, 29, 42) und Hermann von dem Busche, gen. Buschius (II, 61, 62) zugeschrieben. Das Werk erschien anonym 1517 in Speyer. Hutten setzt mit ihm die „EOV“ des Crotus Rubeanus (s. Nr. 24) fort. Sein unbekümmerter Versuch gleicht ihnen in der Anlage. Ortvinus Gratius (1480-1542) wird von Freunden und Schülern voll naiver Verehrung und einfältigem Vertrauen angeschrieben. Die Briefe werden aus verschiedenen Städten auf den Weg gebracht, die meisten aus Rom. Beherrschendes Thema ist der „Judenbücherstreit“, besonders der Stand des Reuchlin-Prozesses am päpstlichen Hof, wo er auf Betreiben des Kölner Großinquisitors Hoogstraten seit 1514 anhängig war In den EOV II spiegelt sich die unentschiedene kirchenrechtliche Situation. Hutten verwertet in ihnen Informationen aus erster Hand, die er in Rom von Johann von der Wich, dem Sachwalter Reuchlins, und anderen von dessen Parteigängern, z. B. dem Privatsekretär des Papstes Jacobius de Questenberg, erhalten hatte. Das Ganze ist nicht aus einem einzigen künstlerischen Guss wie das Werk des Crotus, aber es birgt eine Fülle autobiographisch und kulturgeschichtlich wertvoller Einzelheiten: Eine Heerschau des deutschen Humanismus in Gestalt eines Reisegedichts, ein authentisch wirkendes Porträt des von ihm wie ein Vater verehrten Reuchlin, eine detaillierte Schilderung seiner - einem Obskuranten untergeschobenen - Reise von Mainz nach Rom, Genrebilder italienischen Lebens, Streiflichter auf die venezianischen Kriege oder eine Charakteristik des Einzelgängers Erasmus. Erst 1556 erschienen die beiden jeweils ungemein wirkungsvollen Teile der EO“, verfasst von zwei Humanisten von sehr verschiedenem Temperament, in einer gemeinsamen Ausgabe. <?page no="111"?> Nr. 26 111 Nr. 26 Arminivs Dialogvs Huttenicus, Quo homo patriae amantissimus, Germanorum laudem celebrauit (Arminius, ein Huttenscher Dialog, in dem ein Mann, der sein Vaterland sehr liebt, das Lob der Germanen feierlich verkündet hat.) Haganoae in aedibus Iohan. Sec. 1529 (Hagenau: Johann Setzer 1529). Benzing-Nr. 206; Böcking 4, S. 407-418. Huttens lateinischer Prosa-Dialog „Arminius“ besteht aus einer einzigen Szene. Die Handlung spielt in der Unterwelt. Alexander dem Großen (356-423), Scipio Africanus dem Älteren (ca. 236/ 235-184/ 83) und Hannibal (ca. 247/ 46-182), kurz vorher vom Hades-Richter Minos in dieser Reihenfolge als Bester, Zweit- und Drittbester auf dem Gebiet der Feldherrnkunst eingestuft, entsteht in dem Cheruskerfürsten Arminius ein nachträglicher Konkurrent, der sich bei dem Urteilsspruch übergangen fühlt. In ihrer Gegenwart lässt Minos den Germanen von seinen Taten Zeugnis ablegen. Dieser hat das mächtige Rom zur Zeit seiner höchsten Blüte besiegt, nicht aus Ruhmsucht, sondern aus Tugend: Es ging ihm um die Rückeroberung der naturgesetzlichen Freiheit Germaniens. Minos gesteht ihm den ersten Platz zu. Da jedoch das einmal gefällte Urteil nicht geändert werden darf, wird Arminius zum bedeutendsten Vaterlandsbefreier erklärt. Der Dialog, Bezeichnung einer literarischen Gattung, die bekanntlich auch mehr als zwei Personen einbeziehen kann, wie hier bei Hutten, ist hinsichtlich der Komposition und des Inhalts als Fortsetzung des 12. Totengesprächs von Lukian („Alexander und Hannibal“) konzipiert, in dem sich Minos für jene Feldherren-Rangfolge entscheidet, ohne dass dabei von Arminius die Rede ist. Im Zentrum des Werkes steht Arminius‘ Selbstdarstellung. Hutten lässt, analog zu der Bekenntnis-Situation vor Minos bei Lukian, die Verdienste und Tugenden seines Helden von diesem selbst in allen Schattierungen ausbreiten. Dabei wirkt das Porträt glaubhaft, Hutten bemüht sich um historische Treue und Ausgewogenheit, freilich im Sinn seines patriotischen Standpunktes. Ohne direkte Anspielung auf Personen und Ereignisse seiner politischen Zeitsituation zu enthalten, macht das Werk Huttens Sorge um Germanien, um Deutschlands äußere Freiheit spürbar. So mag es wohl auch gegen die Macht des päpstlichen Roms im Deutschland seiner Zeit gerichtet gewesen sein. Hutten zeichnet Arminius als starken, nichts weniger als amoralischen Fürsten (man vergleiche dagegen Macciavellis „Il principe“, entstanden 1513), dessen Tugenden ihn zur Organisation des Widerstands gegen die Römer instand setzen, ihm aber auch zum Verhängnis werden, insofern sie Neid und damit das Motiv für seine Ermordung hervorrufen. Als einer der humanistischen Wortführer des erwachenden Nationalgefühls begründete Hutten mit seinem vaterländischen Dialog den Arminius- Kult in Deutschland. Arminius wurde der Held literarischer Schöpfungen, wie im Roman „Arminius“ (1689) Daniel Caspar von Lohensteins, im Drama „Hermann“ (1741) Johann Elias Schlegels, in der Tragödie „Arminius“ (1749) Justus Mösers, in den Dramen Klopstocks „Hermanns Schlacht“ (1769) und „Hermann und die Fürsten“ <?page no="112"?> Ulrich von Hutten und seine Werke 112 (1784), Kleists Drama „Hermannsschlacht“ (1808) gilt als bedeutenste Gestaltung des Stoffes. Hinzu kommt Grabbes gleichnamiges Drama (1835) u. a. Hutten war bereits in seiner Oderfrankfurter Studienzeit 1506/ 07 mit der Gestalt Arminius vertraut geworden. 1515 lernte er in Rom die „Annales“ des Tacitus kennen, die dort im gleichen Jahr gedruckt erschienen waren (Bücher 1-6), jedoch mit päpstlichem Nachdruck-Verbot versehen, das ihre Kenntnis im damaligen Deutschland vereitelte. Huttens Arminius-Werk entstand 1516-1517 (erster Entwurf in Bologna) und 1519 (Ausarbeitung auf der Steckelburg) und erschien postum 1529 in Hagenau. Nr. 27 C. Crispi Salvstii Flores, selecti per Hulderichum Huttenum equitem. […]. (Redewendungen des C.- Cripus Sallustius, ausgewählt von Ritter Ulrich [von] Hutten.) In: Sallustius: C. Crspi Salvstii historici clarissimi […]. Parisiis apud Simone Colinaeu. 1530 (Paris: Simon Colines 1530). Benzing-Nr. 199; Böcking 5, S. 505 (Musterseite). Den Abschluss dieses Bandes mit Sallust-Werken bildet ein von Hutten angelegtes Alphabet von Worten, die er im Winter 1516/ 17 in Auswahl aus den Schriften des römischen Historikers exzerpierte und die nachträglich vom Herausgeber der vorliegenden Ausgabe durch Fundstellen-Angaben mit dem Hauptteil verknüpft worden sind. Huttens Register, von ihm nicht zur Veröffentlichung bestimmt, stammt aus der „kurpfälzischen Beute“ (s. Nr. 19). Nr. 28 Phalarismvs Dialogvs Huttenicvs. (Tyrannentum in der Art des Phalaris. Ein Huttenscher Dialog.) (Mainz: Johann Schöffer März 1517). Benzing-Nr. 52; Böcking 4, S. 1-25. Während seines Aufenthaltes in Bologna (Juli 1516 — Anfang Mai 1517) nahm Hutten die Lektüre der Werke Lukians (etwa 120-180 n. Chr.) wieder auf, die er bereits 1507 in Frankfurt/ Oder begonnen hatte. Unter dem Einfluss dieses etwa auch bei Erasmus beliebten Autors schuf er den „Phalarismus“. Das Buch erschien März 1517 in Mainz. Hutten lässt die Handlung im Hades spielen — nach dem Vorbild der „Totengespräche“ des Lukian. Er zeigt einen lebenden Menschen, einen Fürsten, den er „Tyrann“ nennt, im Gespräch mit Phalaris, dem berüchtigten Tyrann von Agrigent (6. Jh. v. Chr.), der seinem deutschen Pendant im Traum erschienen ist, um ihn in die Unterwelt zu sich einzuladen. Von Phalaris möchte der Besucher lernen, wie er sich auf dem Gebiet der tyrannischen Menschenschändung vervollkommnen könne, und erhält viele detaillierte Hinweise. Was er indes umgekehrt Phalaris von seinen tyrannischen Regierungsmethoden zu erzählen weiß, lässt diesen in ihm seinen Meister erkennen. <?page no="113"?> Nr. 29 113 Mit der Gestalt des Tyrannen, dessen Name nicht genannt wird, meint Hutten den Herzog Ulrich von Württemberg. Im „Phalarismus“ werden Grausamkeiten Ulrichs gegenüber seinen Untertanen und sein Mord an Hans von Hutten, dem Vetter des Dichters, zur Sprache gebracht. Auch die Flucht von des Herzogs Frau Sabina, die bei ihrem Mann ihres Lebens nicht mehr sicher war, zu ihren Verwandten nach Bayern (1515), findet Erwähnung (s. Nr. 20). Nr. 29 Cicero, Marcus Tullius: Des hochberumpten Marcii Tullii Ciceronis buchlein võ dem Alter […]. Getruckt in der Kayerlichen stat Augspurg in kosten vñ verlegung Sigismundi Grym. […] 1522 (Augsburg: Sigmund Grimm 1522). Benzing-Nr. 238; Böcking 2, S. 152-153. Im Jahr 1517, nach seiner Rückkehr aus Italien, hielt sich Hutten auch in Bamberg auf. Hier war es, wo er, von etwa Ende Juli bis Mitte August, mit der Revision einer Übersetzung von Ciceros „Cato maior sive de senectute dialogus“ (44 v. Chr.) ins Deutsche beschäftigt war. Der Initiator des Unternehmens, philosophische Cicero- Schriften zu verdeutschen, war Johann von Schwarzenberg (1463-1528), Jurist, Verfasser volkstümlich-lehrhafter Werke und Hofmeister bei dem freigeistigen Bamberger Bischof Georg III. Ein Ergebnis des volksbildnerischen Versuchs ist dieser Dialog, in dem Cicero einen ehrwürdigen Mann, den 84-jährigen Cato Maior (234- 149), das Alter verteidigen lässt. Die Übersetzung vollzog sich in drei Schritten. Der Bamberger Hofkaplan Johann Neuber fertigte eine Übertragung an. Schwarzenberg, des Lateinischen unkundig, goss sie in das sog. fränkische Hofdeutsch um. Der frischgebackene „poeta laureatus“ Hutten korrigierte schließlich das Zwischenprodukt anhand des lateinischen Originals auf sinnentstellende Fehler hin. Wie aus der Vorrede des „Verteutschers“ (Böcking 2, S. 152-153), also eher Neubers als Huttens, erhellt, war eine Übertragung von „synnen zu synnen“ das Ziel, mithin nicht Worttreue, sondern Allgemeinverständlichkeit ohne Sinnverfälschung - für „Teutsche“, die „zu tugentlicher Unterweysung begierig sind“. Nr. 30 Epistola ad illvstrem virum Hermannvm de Nevenar comitem Hutteniana, qva contra Capnionis aemulos confirmatvr. (Huttenscher Brief an den berühmten Herrn Hermann von Neuenar, durch welchen er gegen die Ankläger Reuchlins gestärkt wird). (Mainz: Johann Schöffer nach 3. April 1518) Benzing-Nr. 58; Böcking 1, S. 164-168. Der Kölner Humanist Hermann von Neuenar (Hermann de Nova Aquila, 1492-1520) machte, nachdem er 1510 aus Italien zurückgekehrt war, sein Kölner Haus zu einer <?page no="114"?> Ulrich von Hutten und seine Werke 114 gastfreundlichen Stätte für Humanisten, ähnlich wie Pirckheimer in Nürnberg, und wurde zur zentralen Gestalt des Kölner Humanismus. Er war Theologe, Historiker, Altphilologe, Mediziner und Naturwissenschaftler, besonders Botaniker. Er betätigte sich als Übersetzter, z. B. einzelner Psalmen, der Passion Christi, des Gebets Hiskias (A. T.), des Königs von Juda (716-687), ins Lateinische und Herausgeber, z. B. der „Vita Caroli Magni“ von Einhard. Zu den Aufgaben Huttens als Hofrat bei Albrecht von Mainz gehörten auch Kurierdienste. Anfang April 1518 wurde er in einer solchen Mission von Halle, einer Diözese Albrechts, den er dorthin begleitet hatte, in die Mainzer Residenz zurückgeschickt. Bei seiner Ankunft, kaum vom Pferd gestiegen (nach eigener Aussage las und schrieb er sogar „interequentes“), wurde ihm ein Brief aus Köln ausgehändigt, den ihm ein Freund, der schon im „Pirckheimer-Brief “ genannte Hermann von Neuenar geschrieben hatte, der vielseitige Humanist und Kanonikus der Dompropstei Köln. Wie Hutten war er „Reuchlinist. Er vertraute in seinem Brief Hutten, der in der humanistischen „sodalitas“ offenbar einen Ruf als schutzmächtig hatte, um Hilfe bemüht an, dass er zusammen mit anderen Humanisten vom Ketzermeister Jakob Hochstraten in einer - seinem Brief beigefügten - Schrift angefeindet worden sei. Auslösender Faktor war wohl Neuenars Herausgabe eines proreuchlinistischen Werkes von Giorgio Benigni („Detensio praestatissimi viri Johannis Reuchlin […]“, Rom 1517). In seinem bebend empörten, unverzüglich geschriebenen Antwortbrief versichert Hutten den Grafen seiner Bundesgenossenschaft. Er berichtet, wie antireuchlinistische Prediger, z. B. Peter Meyer, den er später fehdeartig bekämpft hat, und Bartholomäus Zehender, der schon in den EOV angegriffen worden war, die Kanzel dazu missbrauchen, gegen ihre Widersacher, darunter Hutten, zu polemisieren. Als Genosse in Not und Drangsal verspricht Hutten seinem Freund, an den Fürstenhöfen weitere Mitstreiter für den gemeinsamen Kampf zu werben. Sogar Albrecht von Mainz habe neulich eine Anti-Reuchlin-Schrift Pfefferkorns verächtlich ins Kaminfeuer geworfen. Hutten tröstet mit dem Hinweis auf so berühmte Bundesgenossen wie Peutinger, Pirckheimer und den Historiker Johannes Cuspinian (1473-1529) aus Schweinfurt, die kaiserlichen Räte Banisis, Spiegel und Stabius, sowie Budé, den französischen Humanisten, den er 1517 in Paris kennengelernt hatte. Es fällt in Huttens Brief eine abschätzige Florett- Leichtigkeit oder Leichtfertigkeit auf, mit welcher er die Gefährlichkeit Hoogstratens unterschätzt, der mehrere Inquisitionsopfer vor seinem Gewissen, sofern vorhanden, zu verantworten gehabt hat. Die von Neuenar mitgesandte Schmähschrift Hoogstratens („Apologia […], Köln 1518) kommentiert er mit der Ansicht, dass, je frecher dieser werde, umso eher der deutschen Nation die Augen über ihn und seinesgleichen geöffnet würden. Neuenar hat Huttens Brief zusammen mit zwei anderen, ihn ebenfalls unterstützenden Schreiben publiziert, ähnlich wie Reuchlin in seinen „Epistolae clarorum virorum“. Seine Sammelausgabe sollte wohl der Festigung der geistigen Front der Humanisten gegen die Scholastiker und inquisitionsnahen Dominikaner als auch dem eigenen Schutz dienen. <?page no="115"?> Nr. 31 115 In einer spöttischen Glosse verweist Hutten auf allerlei Mönchsgezänk, so auch auf die Wittenberger Bewegung. Der Name Luther wird nicht genannt, aber schemenartig taucht er hier erstmals in Huttens Werk auf. Für Hutten sind diese Streitereien Ausdruck der Barbarei und Hindernisse für die Renaissance der Wissenschaft. Hutten schließt seinen Brief mit dem Spruch „synceriter citra pompam“, neben seinem Motto „alea iacta est“ oder dessen freien Übersetzung „ich hab’s gewagt“ eine seiner weiteren Losungen. Nr. 31 Ulrichi de Hutten ad principes Germanos, ut bellvm Turcis inferant exhortatoria […] (Ullrich von Huttens Ermahnung an die deutschen Fürsten, den Türkenkrieg zu beginnen). (Augsburg 1518). Benzing Nr. 85; Böcking 5, S. 97-113; integriert (s. Nr. 35). Nur ungern hatte Hutten dem Drängen seiner im kaiserlichen Dienst stehenden Freunde nachgegeben und Oktober/ November 1518 seine Türkenrede um antipäpstliche Passagen gekürzt drucken lassen. (s. Nr. 35). Ende 1518 revidierte er auf der Steckelburg seine Entscheidung. Anfang 1519 erschien in Mainz der ungekürzte Urtext (s. Nr. 35). Diese Ausgabe enthält wiederum die Zueignung an Konrad Peutinger. Neu ist eine Mitteilung an alle wahren und freien Deutschen (Ulricus Huttenus liberis omnibus ac vere Germanis […], Böcking 1, S. 240-242). Darin begründet Hutten seinen Entschluss, die Wahrheit zu sagen, mit seiner Pflicht als deutscher Patriot. Er warnt den römischen Hof vor dem Versuch, Deutschland die gesamte Freiheit zu nehmen, da es in diesem Fall zu einem Aufstand kommen werde. Nr. 32 Ulrichi de Hutten equitis Germani, Aula, Dialogus. Ad lectorem (Der Dialog „Das Hofleben“ des deutschen Ritters Ullrich von Hutten, An den Leser.) In officina excursoria Sigismundi Grimm und Marci Wyrsung, 17. September 1518 Benzing-Nr. 72; Böcking 4, S. 43-74. In den „Hundstagen“ des August 1518 schrieb Hutten den Dialog „Aula“, der im folgenden Monat erschien. Es war in Augsburg zur Zeit des Reichstages (Juli bis September). Hutten befand sich im Gefolge eines seiner Teilnehmer, des Erzbischofs und Kürfürsten Albrecht von Mainz (1490-1545), in dessen Dienst er 1517 als „Consiliarius“ getreten war. Der Leibarzt des Fürsten, der für die humanistische Idee aufgeschlossene Mediziner Heinrich Stromer von Auerbach (1482-1542) drängte ihn zur Abfassung der Hofkritik. Er hatte 1517 die Schrift „De curialium Miseriis“ von Enea Silvio Piccolomini (1405-1464), die vom Elend der Höflinge handelt, heraus- <?page no="116"?> Ulrich von Hutten und seine Werke 116 gegeben. Von ihr ist Huttens „Aula“ ebenso beeinflusst wie von Lukians „De mercede conductis“, einer satirischen Zeichnung der Hausphilosophen. Eine nicht geringe Anzahl von Bildern und Metaphern verraten die nachhaltige Wirkung seiner Lektüre von Homers „Odyssee“. Der Dialog „Aula“ wird von dem erfahrenen Höfling Misaules (Hofhasser) und dem Jüngling Castus bestritten, der an der Wirkungsstätte des Älteren sein Glück versuchen möchte. Der Ort und der Herr des Hofes werden nicht benannt - Hutten ist hier vorsichtig, immerhin steht er noch im Dienst Albrechts. Das Gespräch enthält eine Warnung vor dem Leben am Hofe in Gestalt eines bissigen, naturalistischen Sittengemäldes. In dem Dialog werden die Abhängigkeit der Höflinge vom Fürsten sowie die Demoralisierung der meisten von ihnen durch Karriereinteressen und die Sorge um die materielle Existenz geschildert. Er endet mit der Desillusionierung des Castus und der neugierigen Hinwendung des Misaules zu einem gerade aus dem Gemach des Fürsten kommenden Höflingskollegen. Ob der seinen Herrn wohl bewegen konnte, ihm seinen Lohn auszuzahlen? Der Ausgabe von 1518 ist ein an Papst Leo X. gerichtetes „Prognosticon“ auf das Jahr 1516 (Böcking 3, S. 252-254) beigefügt. Das astrologisch-politische Briefgedicht - Hutten, auf der Reise nach Bologna, befürchtet aufgrund der Beobachtung astronomischer Konstellationen in astrologischer Deutung die Zerstörung Italiens durch die Kriegsparteien der oberitalienischen Kriege - gehört auch zur Augsburger Epigramm- Sammlung (s. Nr. 15), in die es sich wegen seiner Italien-Thematik sachlich besser als in der Edition von Huttens Dialog über das Hofleben einfügt. Nr. 33 Ulrichi de Hutten equitis Germani. Avla. Dialogvs. Ad lectorem. (Der Dialog „Das Hofleben“ des deutschen Ritters Ulrich von Hutten. An den Leser). Denuo impressa in officina Sigismundi Grim medici atqz Marci Vuyrsung Augustae Vindelicorum. 1519 (Augsburg: Sigmund Grimm u. Marx Wirsung 26. März 1519). Benzing-Nr. 75; Böcking 4, S. 43-74. Diese vierte Ausgabe von Huttens „Aula“ enthält die Zueignung an Heinrich Stromer von Auerbach, welche zugleich ein Vorwort zu dem Dialog ist, dann diesen selbst ohne Absatz zwischen Rede und Gegenrede, darauf das „Prognosticon“ auf das Jahr 1516 an Leo X. und zuletzt, unter der Überschrift „Ad lectorem, librarii …“ die Ankündigung eines Hutten-Werkes zum Lob der Trunkenheit, das aber, soweit bekannt, nicht erschienen ist. <?page no="117"?> Nr. 34 117 Nr. 34 Ulrichi de Hutten eq. de Gvaiaci medicina et morbo gallico über vnvs. (Ein einziges Buch des Ritters Ulrich von Hutten über das Guajak-Heilmittel und die Französische Krankheit). Mogutiae in aedibvs Ioannis Scheffer, 1519 (Mainz: Johann Schöffer April 1519). Benzing-Nr. 103; Böcking 5, S. 397-497 (synoptisch mit Thomas Murners Übersetzung ins Deutsche). Huttens berühmte Schrift, auch eine Quelle zur Medizin-Historie, entstand März 1518 in Mainz und wurde April 1519 daselbst gedruckt. Die Ausgabe enthält eine Dedikationsepistel Huttens an Albrecht von Mainz, in dessen Diensten er damals stand. Neben ihrer medizinhistorischen Bedeutung besitzt die Abhandlung kulturgeschichtlichen und autobiographischen Wert. Ihr Thema ist die damals u. a. Franzosenkrankheit (Morbus Gallicus) genannte Syphilis, welcher Name 1520 hinzukam. Es geht um die zur Gattung des Guajakbaums gehörige Art Guaiacum officinale, die aus seinem Holz gewonnenen Heilmittel, die seit 1514 eingesetzt wurden, Behandlungsmethoden sowie Huttens Erfahrungen mit der Krankheit und der Kur, die zugleich eine Schwitz- und Hungertherapie war und die viele in Wahnsinn oder Tod trieb. Hutten, der sich vermutlich 1507 in Leipzig mit der Syphilis infiziert hatte, unterzog sich im Herbst 1518 in Augsburg einer vierzigtägigen Guajakkur. Danach wähnte er sich geheilt. Aus einem Gefühl religiös gestimmter Dankbarkeit heraus schrieb er sein Werk über das Guajakholz, eine Mischung aus Sachbuch und Erfahrungsbericht. Es besteht aus 26 Kapiteln. Er beginnt mit einem Blick auf den Einbruch der Seuche in Europa gegen Ende des 15. Jahrhunderts. Er gedenkt der Rolle, welche der französische Eroberungskrieg gegen Neapel (1494) bei ihrer Verbreitung gespielt hat. Die Unsicherheit, die zu Huttens Zeit hinsichtlich der Ursachendeutung herrschte, spiegelt sich darin, dass Hutten mehrere mögliche Entstehungsgründe in Anschlag bringt, darunter den Geschlechtsverkehr (Kap. 1). Er polemisiert gegen ungelehrte Ärzte, deren Behandlungsmethoden der Krankheit nicht gewachsen sind. Wirkliche Heilung sei nur mit Hilfe des Guajakholzes möglich, dessen Entdeckung in „Spagnola“ (d. h. auf der Insel Hispaniola (=Haiti), 1492 durch Kolumbus entdeckt) und Transport nach Europa er schildert. Er geht auf die Gewinnung und den Gebrauch der Guajak-Heilmittel ein und schildert detailliert seine Augsburger Kur. Er gibt Verhaltens-Fingerzeige für die Zeit während und nach der Genesung. Im 19. Kapitel greift Hutten die deutschen Priester, Patrizier und Fürsten wegen ihrer opulenten Lebensweise an und verweist auf die seiner Ansicht nach maßvollen, biederen und mannhaften Deutschen zur Zeit Karls des Großen und der Ottonen. Hutten dankt Gott für seine (vermeintliche) Heilung. Er deutet an, dass für ihn als Christen der Selbstmord, als Ausweg aus der Tortur der Franzosenkrankheit, nicht in Frage gekommen sei. <?page no="118"?> Ulrich von Hutten und seine Werke 118 Hutten hat, trotz seines Sinns für Prominente, den berühmten Arzt seiner Zeit, Paracelsus, wohl nicht kennengelernt. Die Begegnung der beiden, wie sie etwa der Film „Paracelsus“, unter der Regie von G. W. Pabst und mit Mathias Wiemann als Hutten, darstellt, dürfte Fiktion sein. Nr. 35 Ulrichi Hutteni equitis Germani ad Principes Germaniae, vt bellum Turcis inuehant. Exhortatoria. […]. (Eine Aufforderung des deutschen Ritters Ulrich von Hutten an die deutschen Fürsten, den Türkenkrieg zu beginnen). (Mainz, Schöffer, 1519) Benzing-Nr. 86; Böcking 5, S. 97-113 (ungekürzte Türkenrede). Hinsichtlich der Ambitionen Maximilians I. in Italien, etwa Sicherung und Rückeroberung reichsitalienischer Territorien im Sinn der Erneuerung des römisch-deutschen mittelalterlichen Kaisertums aus der venetianischen Terra-Ferma- Herrschaft hatte sich Hutten besonders in seiner die oberitalienischen Kriege versepisch kommentierenden Dichtung „Exhortatoria […]“ (s. Nr. 14) mit frenetischem Optimismus geäußert. Nachdem sich nun der Kaiser gescheitert aus Italien zurückgezogen hatte, geschah es, dass ihn Papst Leo X. mit der Frage eines Kreuzzuges gege das Osmanische Reich konfrontierte. In seiner „Türkenrede“ - so ein Zitiertitel - von 1518, ein Jahr vor Maximilians Tod verfasst, zeigt sich Hutten, was des Kaisers Siegesaussichten in einem Kreuzzug gegen das osmanische Reich betrifft, realitätsnäher und skeptischer als in jenen ersten Versuchen („Exhortatoria“; Epigramme an Maximilian) auf dem Feld der politischen Publizistik. Er gedachte, sein „Memorandum“ auf dem für Sommer 1518 ausgeschriebenen Augsburger Reichstag zu halten, nutzte dazu aber diese ihm vielleicht vom Erzkanzler Albrecht von Mainz verschaffte Gelegenheit nicht. So sind die beiden gedruckten Ausgaben seiner geplanten Rede (S. Nr. 31, Nr. 35) die einzigen Zeugnisse seines Wirkungswillens auf dem die Türkenfrage betreffenden Feld der Weltpolitik. Der Text der Rede zielt auf die deutschen Territorialfürsten, die Notwendigkeit ihrer Einigung untereinander und auf Maximilian als Anführer im Dienst eines gemeinsamen Kreuzzuges gegen den Osmanen-Staat, vom rhetorischem Ansatz her mit seiner Aufmahnung an den deutschen Caesar zur Fortsetzung des Krieges gegen Venedig verwandt. Das „Memorandum“ enthält überdies eine militante, namenskundlich reichhaltige Abhandlung über die Geschichte der Osmanen unter dem Gesichtspunkt ihrer kriegerischen Expansion im Laufe der Jahrhunderte. Ähnlich wurde in der „Exhortatoria“ und anderen seiner frühen Werke die Geschichte Venedigs skizziert, nur dass hier die Republik deutlich stärker geschmäht erscheint als in der geplanten Reichstagsansprache die heidnische Großmacht. Immer wieder fließt in den Text der Rede der Lobpreis Maximilians I.ein, den Hutten im Sinn einer Nationalisierung des Feldzuges mystifiziert, der von der römischen Kirche als christlich-europäisch und unter kirchlicher Führung konzipiert wur- <?page no="119"?> Nr. 35 119 de. Er empört sich über diesen Bevormundungsversuch. Allerdings wurde vom Kaiser ein Bündnis mit dem Papst bejaht. Hutten postuliert die Notwendigkeit eines von Deutschland geführten präventiven Verteidigungskrieges gegen das osmanische Reich, das in den Universal-Monarchie-Träumen seiner „Exhortatoria“ an Maximilian noch als einer unter vielen der zu besiegenden Staaten angesehen wurde. Inzwischen aber war die türkische Expansion durch die Siege Sultan Selims I. (1476/ 70-1520) in Persien, Kurdistan, Mesopotamien, Ägypten, Syrien, Palästina und weiterem Machtzuwachs vermöge der Beherrschung des Mittelmeers zu einer Gefahr für Mitteleuropa geworden. Hutten sieht in Maximilian die berufene Heerführer-Persönlichkeit im Kampf gegen die herandrängende heidnische Gefahr. Er betont des Kaisers Erfahrung, seine charismatischen Züge, schafft ein Porträt, das ein wenig an den Cid erinnert. Des Caesars Gegenwart allein genüge, um seinen Soldaten auf dem Schlachtfeld auf magische Weise Mut einzuflößen. Hutten setzt, ohne sich auf konkrete Beweisunterlagen zu stützen, eine Absicht des Osmanenreiches zum Angriff auf Deutschland voraus. Aber trotz seines berufenen Heerführers Maximilian ist das Reich seinerseits zu einem solchen Krieg militärisch noch nicht fähig. Schuld sind die Territorialfürsten. Diese seien sich des Ernstes der Lage nicht bewusst und nur in ruhmtrunkener Redseligkeit die Überwinder der Türken. Ihre ständigen kleinlichen Kriegshändel miteinander hätten Deutschland verwüstet, in Armut und Hungersnot gestürzt. Es könne deshalb zu einem Volksaufstand gegen sie kommen. Sie sind von der Eintracht, notwendig, um gegen die Türken zu bestehen, noch weit entfernt. Sie müssen sich auf einen gemeinsamen Anführer - Maximilian I. - gegen einen gemeinsamen Gegner besinnen. Voll Lasterhaftigkeit aber, so Hutten, geben sie sich ihrem Vergnügen hin, Trinkgelagen, der Jagd, dem Tanzen und dem Glücksspiel. Ihre auf Fechtböden und Theaterbrettern zur Schau gestellte Kampfkunst ist etwas anderes als deren Bewährungsprobe in einem Krieg gegen die Türken, die, während die Fürsten und ihr Gefolge Hasen und Gemsen jagen, dabei sind, sich die Welt zu unterwerfen. Einen positiven Nebeneffekt eines Kreuzzuges erhofft sich Hutten in seinem „Memorandum“ dadurch, dass die Landsknechtshorden, die derzeit müßig in Deutschland unter Plünderungen, Brandschatzungen und anderen Untaten umherschweifen, durch einen Türkenkrieg unter Maximilian an eine Aufgabe gebunden wären und außer Landes kämpfen müssten, was zu einer Minderung der aktuellen Hungersnot in Deutschland beitragen würde. <?page no="120"?> Ulrich von Hutten und seine Werke 120 Nr. 36 Ulrichi de Hutten equitis ad Bilibaldum Pirckheymer Patricium Norimbergensem Epistola vitae suae rationem exponens. […]. (Ein Brief des Ritters Ulrich von Hutten an den Nürnberger Patrizier Willibald Pirckheimer, in dem er über sein Leben Rechenschaft ablegt). In officina excusoria Sigismundi Grim Medici, & Marci Vuyrsung, Augustae Vindelico R. 1518 (Augsburg: Sigmund Grimm u. Marcus Wirsung 6. Nov. 1518). Benzing-Nr. 83; Böcking 1, S. 195-217. „[…] im fünfzehnten Jahrhundert“, so schreibt der niederländische Kulturhistoriker Johan Huizinga (1872-1945) in seinem „Herbst des Mittelalters“ (1919), „war es noch nicht Sitte, noch nicht guter Ton, möchte man beinahe sagen, das Leben und die Welt laut zu preisen. Wer ernsthaft den täglichen Lauf der Dinge betrachtete und dann sein Urteil über das Leben aussprach, pflegte einzig Leid und Verzweiflung zu erwähnen. Er sah die Zeit ihrem Ende und alles Irdische seinem Verderben sich zuneigen, […]. Welche Geister sind es, die zuerst voller Hoffnung und Genugtuung über die eigene Zeit sprechen? Nicht die Dichter, noch weniger die religiösen Denker, auch nicht die Staatsmänner, sondern die Gelehrten, die Humanisten. Es ist die Freude über die wiedergefundene antike Weisheit, die ihnen erstmals Freudentöne entlockt. Ein intellektueller Triumph Ulrich von Huttens […], „O Saeculum, o literae! Juvat vivere! , o Literatur, es ist eine Lust zu leben! “ wird meist in zu weitem Sinn aufgefasst. Es ist vielmehr der begeisterte Literat, der hier frohlockt, als „der ganze Mensch.“ (Übersetzung aus dem Niederländischen ins Deutsche von Kurt Köster). Der von Huizinga zitierte Jubelruf Huttens krönt dessen berühmten Brief an Willibald Pirckheimer (s. o.). Ein vergleichsweise kurzer, lateinisch-griechischer Brief Pirckheimers an Hutten (Sept./ Okt. 1518) (Böcking 1, S. 193-194) mit Kritik an dessen Lesedrama „Aula“ (s. Nr. 32) hatte Huttens von Einwänden überbordenden Antwortbrief bedingt, der im November 1518 in Augsburg gedruckt erschien, wo dieser ihn im Oktober 1518 geschrieben hatte. Unter Huttens autobiographischen Bekenntnisschriften, zu denen etwa die Loetze- Klagen, die „Entschuldigung“ und die Herausforderung an Erasmus von Rotterdam gehören, ist der Pirckheimer-Brief der hellste, er strömt über von Huttens Zuversicht in seine Zukunft, und auch seine Vergangenheit spiegelt sich in einem Blick voll Glut der Jugend. Überdies glaubt er an die Bestimmung seines Jahrhunderts als Epoche der wissenschaftlichen Entdeckungen im unbehinderten Geist der Antike, der begierigen Suche nach den erlösenden Worten für im Dunkel harrende Objekte der Erkenntnis. Huttens glückstrunkene Begeisterung über die sich öffnenden Möglichkeiten nach immer reicherer Wissenserweiterung hat etwas von den optimistischen Sprachströmen eines Walt Whitman (1819-1892) mit ihrem Glauben an den Fortschritt des Geistes und der Gesellschaft. Nach Goethes Meinung - „Dichtung und Wahrheit“, 4. Teil, 17. <?page no="121"?> Nr. 36 121 Buch - gab es in seiner Jugendzeit, etwa in der Phase der Entstehung des „Götz von Berlichingen“, also um 1773, ein ähnliches Bestreben wie in der Humanismus-Epoche Huttens, sich einen persönlichen auf Leistungen beruhenden Adel zu erwerben, was mit Huttens Auffassung zusammenfällt, dass der Geburtsadel seiner Standesgenossen wegen deren Bildungsferne abgewertet wird. „In dieser Zeit“, so schreibt Goethe unter Bezug auf seine Zeit, „war denn überhaupt die Richtung nach der Epoche zwischen dem 15. und 16. Jahrhundert eröffnet und lebendig. Die Werke Ulrich von Huttens kamen mir in die Hände, und es schien wundersam genug, dass in unseren Tagen sich das Ähnliche, was dort hervorgetreten, hier gleichfalls zu manifestieren schien. Folgender Brief Ulrich von Huttens an Willibald Pirckheimer dürfte demnach hier eine schickliche Stelle finden. „Was uns das Glück gegeben, nimmt es meist wieder weg und das nicht allein, auch alles andere, was sich an den Menschen von außen anschließt, sehen wir dem Zufall unterworfen. Nun aber streb’ ich nach Ehren, die ich ohne Missgunst zu erlangen wünschte, ja welcher Weise es auch sei; denn es besitzt mich ein heftiger Durst nach dem Ruhm, dass ich so viel als möglich geadelt zu sein wünschte. Es würde schlecht mit mir stehen, teurer Willibald, wenn ich mich schon jetzt für einen Edelmann hielte, ob ich gleich in diesem Rang, dieser Familie, von solchen Eltern geboren worden, wenn ich mich nicht durch eigenes Bestreben geadelt hätte. […]“ Aus Huttens Brief spricht, neben dem Geständnis seines Strebens nach auf eigener Leistung beruhendem Ruhm, auch Genugtuung darüber, zur humanistischen Gemeinschaft - „sodalitas“ - zu gehören. Wegen seines Einsatzes für Reuchlin werde er zunehmend von den Scholastikern angegriffen. In der Verteidigung seiner humanistischen Gefährten sieht Hutten eine seiner ritterlichen Aufgaben. Typisch für ihn ist, dass er es darauf anlegt, den Hass der scholastischen Finsterlinge auf sich zu ziehen. Dagegen gilt seine Anerkennung einem Erasmus von Rotterdam, welcher die Kenntnis griechischer und lateinischer Literatur am Niederrhein verbreitet habe, so, wie Pirckheimer in Nürnberg und Reuchlin in Schwaben. Mit allem sohnartigen Respekt weist Hutten Pirckheimers Ansinnen zurück, er möge das Hofleben verlassen, über das er bereits, kaum in den Mainzer Hofstaat eingetreten, schreiben zu können glaube, bevor er dessen Fallstricken zum Opfer gefallen sei. Hutten verweist auf seinen Charakter. Er könne die Einsamkeit der „vita contemplativa“, der schöpferischen Verborgenheit so manchen Gelehrtenlebens nicht ertragen, er vermöge vielmehr auch im Trubel der Welt zu studieren und geistig zu schaffen. Auch Unglück biete Stoff zum Lernen und Nachdenken, überdies gehe es ihm auch um Erlebnisse zum Erzählen noch im Alter. Auf dem Gebiet der Wissenschaften wolle er noch Großes leisten. Ein Leben auf der Ritterburg, das er drastisch schildert, sei den humanistischen Studien abträglich und keine Alternative zum Hofleben, das er nicht verlassen wolle. Hutten verfasste seinen Antwortbrief an Pirckheimer während des Augsburger Reichstages in dieser Stadt, in die er als einer seiner Teilnehmer, als Hofmann und Berater Albrechts von Mainz gereist gekommen war. Seine Hochachtung für den ge- <?page no="122"?> Ulrich von Hutten und seine Werke 122 lehrten Patrizier ist in seinen Preis Nürnbergs eingebettet, der Wirkungsstätte des streitbaren Ratsherren, die damals eine wirtschaftliche und kulturelle Blütezeit erlebte. Die Stadt Nürnberg habe durch ehrenvolle Aufnahme und finanzielle Zuwendung sich verdient gemacht, etwa um den aus Huttens fränkischer Heimat stammenden - Archimedes überlegenen - Mathematiker und Astronom Johannes Müller, gen. Regiomontanus (1436-1476) aus Königsberg bei Schweinfurt, wie auch um Konrad Celtis und Albrecht Dürer, den deutschen Apelles. Die Beurteilung Huttens von seinem Biographen David Friedrich Strauß, dass die Muse seines Genies der Hass gewesen sei, ist vielleicht einseitig, denkt man z. B. an den Pirckheimer-Brief mit Huttens neidloser Begeisterungs- und Anerkennungsfähigkeit. So bewundert er Pirckheimer, weil dieser in Nürnberg sich sowohl seinen geographischen und wissenschaftlichen Studien widme, als auch jenen Pflichten, die ihm sein politisches Amt als Ratsherr der Stadt Nürnberg und des Kaisers Maximilian auferlegt. Aus verwandten Gründen hatte Hutten seinen Gönner Eitelwolf von Stein als vorbildlich geschätzt. Und wäre sein Charakter und seine Handlungsweise tatsächlich von Hass zerfressen gewesen, hätte er wohl kaum soviel Zuspruch, Ermutigung und Besuch erhalten, damals 1518 in Augsburg, da er zur Zeit des Reichstages sich seiner vierzigtägigen Guajakkur gegen die Syphilis unterzog. Zu jenen, die dergestalt an ihn dachten, gehörten, wie sein Pirckheimer-Brief bezeugt, z. B. Ulrich von Helfenstein, für Hutten nicht wegen seines alten Adels sondern seiner Kenntnis der Wissenschaft halber nennenswert - Jakob von Banisis, Ratgeber des Kaisers und Gelehrter, eine Art „Nestor“ - der kaiserliche Ratgeber Jakob Spiegel - Konrad Peutinger, der humanistische Patrizier, gewissermaßen Pirckheimers Bruder im Geist - Egidius Rem aus Augsburg, sein Studienkollege in Pavia - Terbatius Vicentinus, der italienische Humanist - Johannes Foeniseca (Mader), ein Okkultist u. a. Wie Huizinga mit Recht andeutet, geht es Hutten mit seinem Jubelruf über die Lust am Leben nicht um Hedonismus und Libertinage, sondern um das Glück der humanistischen Studien vieler Fachgebiete. Er bedankt sich z. B. bei Pirckheimer, dass er ihm das nach Sachgebieten geordnete Wörterbuch des Griechen Julius Pollux (2. Jahrhundert n. Chr.) sowie ein Lexikon seltener, aus den Werken der Dichter stammender Wörter des Hesychios aus Alexandria (5./ 6. Jahrhundert n. Chr.) und andere Werke übersandt habe. Als Teilnehmer am humanistischen Diskurs beantwortet er eine an ihn gerichtete Frage Pirckheimers nach dem Verlauf des Wolga-Flusses, der in einem Büchlein über die beiden Sarmatien genannt werde. Von dem ihm persönlich bekannten Ritter, Forschungsreisenden und kaiserlichen Ratsherren Siegmund von Herberstein hat Hutten erfahren, dass die Wolga mit dem in des Ptolemäus Werk „Geographia“ genannten Fluss „Rha“ identisch sei und nicht in das Schwarze sondern in das Kaspische Meer münde. Auch gebe es die bei Ptolemäus genannten ryphäischen und hyperboräischen Berge gar nicht, wie er, Herberstein, auf seinen Reisen, z. B. auf Don und Wolga, herausgefunden habe. <?page no="123"?> Nr. 37 123 Huttens mit begeisterter Macht aufbrechender humanistischer Wissensdrang, welcher offenkundig macht, was er alles, bei entsprechender Entwicklung seiner Allgemeinbildung, ohne seine später dominierende Hass-Fixierung auf die Alte Kirche hätte leisten können, schließt auch die Wertschätzung gelehrter Zeitgenossen ein, z. B. des Johannes Ökolampad(ius) (eigentl. Heußgen, 1482-1531), des späteren Reformators Basels, welcher die drei „heiligen Sprachen“ beherrsche (Hebräisch, Griechisch, Lateinisch), oder des französischen Humanisten Guillaume Budé (Wilhelm Budäus), welcher mit Anmerkungen zu den „Pandekten“ aus dem „Corpus Juris Civilis“ hervorgetreten sei. Er versieht Pirckheimer mit Nachrichten über Erasmus von Rotterdam mit seiner erneuerten Ausgabe des griechischen Neuen Testaments (1518), die Aristoteles-Erklärungen des Faber d‘Etaples und die medizinischen Erläuterungen der Ärzte Wilhelm Copus und Joachim Ruellius zu den Darlegungen des Dioskurides und Galens über medizinische Probleme. Zuletzt wünscht Hutten sich und Pirckheimer zukünftig längere Briefe, als jener ist, auf den er nunmehr geantwortet habe. Nr. 37 Ulrichvs de Hutten eques Germanus ad lectorem. (Ulrich von Hutten, deutscher Ritter, an den Leser). In: Stöffler, Johann: Calendarium Romanum magnum […]. Impressum in Oppenheym per Jacobum Koebel. 1518 (Oppenheim: Jakob Köbel 1518). Benzing-Nr. 235; nicht bei Böcking (Abdruck in: Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees, H. 8, Lindau 1877, S. 57). Der aus Justingen (Württemberg) stammende Johannes Stöffer (1452-1531) gehört zur mathematisch-naturwissenschaftlichen Richtung des deutschen Humanismus. Er war Konstrukteur von Uhren und Himmelsgloben, Geograph, Mathematiker, Astronom und Astrologe. Überdies beschäftigte er sich mit der Heilkunde. Der Freund Reuchlins und Huttens lehrte als Professor der Astronomie und Mathematik an der Universität Tübingen. Einer seiner Schüler war Melanchthon. Stöffer schrieb Werke astrologischen, astronomischen und geographischen Inhalts. Stöffers Werk ist eine kritische, ausführliche Erörterung des Julianischen Kalenders, der auf Betreiben Julius Caesars unternommenen Reform der altrömischen Zeitrechnung. Die Verbesserungsvorschläge, die Stöffer unterbreitet, wurden auf dem Tridentinischen Konzil (1545-1563) gebilligt und gingen im Gregorianischen Kalender (1581) auf, der eine neue Osterfestregelung enthält und heute noch gültig ist. Der lateinischen Ausgabe von Stöffers Werk ist das Epigramm an den Leser beigefügt. Dieses besteht aus acht Distichen. In dem konjekturbedürftigen Begleitgedicht preist Hutten das seltene, außerordentliche und Ingenium verratende Werk Stöffers. Er weicht dem astronomisch-mathematischen Kern der Abhandlung aus und lässt sich von deren astrologischer Komponente anregen: Die Gestirns-Zeichen, die zu den <?page no="124"?> Ulrich von Hutten und seine Werke 124 Tagen gehören, lassen den richtigen Zeitpunkt erkennen, ein Werk zu beginnen. Man soll Sorge und Furcht verbannen. Nicht die Götter sind an unglücklichen Ereignissen schuld. Das blinde Glück vermag nicht viel. Die Sterblichen werden vom Schicksal geleitet. Dieses wiederum folgt den Gestirnen. Nr. 38 Febris. Dialogvs Huttenicvs. (Das Fieber. Ein Huttenscher Dialog). (Mainz: Johann Schöffer Februar 1519). Benzing-Nr. 91; Böcking 4, S. 27-41. Huttens Dialog „Febris“(im Nachhinein „Febris I“ mit Blick auf „Febris II“, s. Nr. 41) entstand 1518 in Augsburg - Ende November - und wurde Februar 1519 in Mainz gedruckt. Die den Einfluss Lukians verratende Satire ist auf das Wohlleben der Geistlichen und der reichen Bürger gemünzt, besteht aus einer Szene und wird von Hutten und dem in persona auftretende Fieber bestritten, das ihn heimsucht und zu belehren trachtet. Zu den Themen des fiebrig fließenden Gesprächs gehört der Augsburger Reichstag (Sommer 1518), an dem Hutten im Gefolge Albrechts von Mainz teilgenommen hatte. So ist vom päpstlichen Legaten und Kardinal Cajetan (Thomas de Vio von Gaeta, 1469-1534) die Rede, der auf jener Versammlung die Türkensteuer auszuschreiben gefordert hatte. Wie man argwöhnte, sollte dies nicht der Kriegsfinanzierung dienen, sondern der aufwendigen Lebensführung des römischen Hofes zugute kommen. Hutten versucht sich von dem Fieber zu befreien und ihm Cajetan schmackhaft zu machen — vergeblich. Auch andere Vorschläge (Einnistung in einen Fürsten oder einen Fugger) finden kein Gehör. Hutten stellt bei dieser Gelegenheit lesenswerte Betrachtungen über das Wesen der Krankheit an. Schließlich kann er dem Fieber einen just aus Rom vom päpstlichen Hof in Augsburg angelangten Kurtisanen aufschwätzen. Nr. 39 Ad reverendissimum […] principem Albertum […] Ulrichi Hutteni equitis in Titum Livium historicum libris auctum duobus praefatio. (Vorwort des Ritters Ulrich von Hutten zu dem um zwei Bücher vermehrten Geschichtswerk des Titus Livius; an den hochwürdigen Fürsten Albrecht gerichtet). In: Livius: Titus Livius Patavinus historicus […]. Moguntiae in aedibus Ioannis Scheffer 1518 (Mainz: Johann Schöffer Nov. 1518/ 19). Benzing-Nr. 236; Böcking 1, S. 249-251. Zu Beginn des Jahres 1519 erschien in Mainz die nördlich der Alpen erste relativ vollständige lateinische Ausgabe von Livius’ „Ab urbe condita libri“, die Geschichte des römischen Imperiums bis zum Jahr 9. v. Chr. Herausgeber waren die Humanisten <?page no="125"?> Nr. 40 125 Nikolaus Carbach (ca. 1485-1534) und Wolfgang Angst (ca. 1485-1523). Ihre mustergültige Textausgabe ist für unsere Livius-Überlieferung von Bedeutung, weil sie die Lesarten eines heute verlorenen Codex des 9. Jahrhunderts mitteilt, den Carbach in der Mainzer Dombibliothek gefunden hatte. Auf Wunsch der mit ihm befreundeten Herausgeber sowie der gelehrten Mainzer Domherren Truchseß, Zobel und Hattstein schrieb Hutten etwa Februar 1519 für die Livius-Ausgabe eine Zueignung an Albrecht von Mainz, zu dessen Hofstaat er damals gehörte. In seiner Zueignung huldigt Hutten dem Mainzer Mäzen der Künste und der Wissenschaften. Für die Drucklegung der um zwei neuentdeckte Bücher bereicherten Edition komme nur Mainz in Frage - wegen der Erfindung der Buchdruckerkunst und der Förderung des Humanismus in dieser Stadt. Der Kurfürst ziehe die Gelehrten an seinen Hof. Deshalb sei er verdientermaßen der Schutzherr des Livius. Die Ehre, die Livius gezollt wird, färbe auch auf Albrecht ab. In der Zeit der Rückkehr zu wahrer Bildung habe man schon lange sehnlich auf Livius gewartet. Nun werde seine Darstellung der römischen Geschichte in Germanien dem Kurfürsten Albrecht zugeeignet und nicht in Italien Papst Leo X., wie die „editio princeps“ der „Annales“ des Tacitus durch Filippo Beroaldo aus dem Jahr 1515. Der Huttenschen Dedikationsepistel an Albrecht folgt eine weitere von Erasmus von Rotterdam, voll Lobes für humanistisch gesonnene deutsche Fürsten und für den Drucker Johann Schöffer. Nr. 40 Huttenus. In: Aegidius, Petrus: Lamentatio Petri Aegidii in obitum Caesaris Maximiliani. […] Argentorati: Joannes Scotus. 1519 (Straßburg: Johann Schott 1519). Nicht bei Benzing; nicht bei Böcking. Aus Anlass des Todes von Kaiser Maximilian I. am 12. Januar 1519 erschien — etwa im Mai des gleichen Jahres — in Straßburg ein Sammelwerk mit Beiträgen verschiedener Autoren, hauptsächlich des niederländischen Humanisten Petrus Aegidius (1486-1533), einem Freund des Erasmus von Rotterdam und Thomas Morus, der ihn zu Beginn seiner „Utopia“ in einer Vorrede ehrenvoll anredet. Von Aegidius stammt der umfangreichste Beitrag, eine versifizierte „Lamentatio“ auf den Tod Maximilians, die anschließend von Jakob Spiegel, dem kaiserlichen Sekretär, näher erläutert wird. Hier, wie auch in den anderen Teilen des Werkes (Totenklagen, einer Rede Germanias und Auszügen aus Geschichtswerken von Johannes Nauclerus, Baptista Egnatius und Riccardo Bartolini) geht es um des Kaisers ruhmreiche Taten, ritterliche Tugenden und Verdienste um die Künste, die Wissenschaften und den Humanismus. Zu den Verfassern gehören auch der Theologe, Pädagoge und Historiker Jakob Wimpheling (1450-1528) und der scholastische Kanzelredner und Volksschriftsteller Johann Geiler von Kaisersberg (1445-1510). Den Beschluss des als Geschichtsquelle wert- <?page no="126"?> Ulrich von Hutten und seine Werke 126 vollen Konvoluts bildet ein vierzeiliges Epigramm Ulrich von Huttens mit dem Titel „Huttenus“. Darin gemahnt er die deutschen Dichter an die Aufgabe, zum Lob und Preis Maximilians Gedichte zu schreiben, ein Stoff, den zu behandeln sich lohne und Ehre verheiße. Nr. 41 Hulderichi Hutteni eq. Germ. Dialogi. (Gespräche des deutschen Ritters Ulrich [von] Hutten. Moguntiae ex officina libraria Ioannis Scheffer 1520 (Mainz: Johann Schöffer April 1520). Benzing-Nr. 122; Böcking 1, S. 75-100 (Fortuna); 4, S. 27-41 (Febris I); 4, S. 101-143 (Febris II); 4, S.-145-259 (Vadiscus); 4, S. 269-308 (Inspicientes). Im April 1520 erschien die vorliegende Gesprächs-Sammlung in Mainz, in welcher Huttens nach dem formalen Vorbild Lukians angelegte Gespräche aus den Jahren 1518-1520 vereinigt sind. Sie beginnt mit „Fortuna“, einem Gespräch, in welchem Hutten sich selbst als Dialog-Partner der Göttin porträtiert. Er philosophiert mit melancholischer Ironie über seine Glücklosigkeit im privaten Bereich. Das Einzige, was ihm Fortuna in ihren Antworten bietet, ist eine orakelhafte Deutung seiner Existenz: Glück werde sie ihm nicht spenden — auch nicht in Gestalt der Frau, die er heiraten möchte. Die von ihm Umworbene, die Tochter des Frankfurter Patriziers Glauburg, entschied sich für einen anderen Mann. Der Dialog ist mit Huttens frühem Werk über die Tugend (s. Nr. 5) motivisch verwandt. „Febris prima“ (das erste Fieber, Fieber 1, s. Nr. 38) erfährt eine Fortsetzung mit „Febris secunda“ (Das zweite Fieber). Darin geht es erneut um das liederliche, unchristliche Leben mancher Geistlicher. In das Sittenporträt sind Exempel-Erzählungen eingeflochten, die, obwohl mit stärkerer moralisierender Tendenz, an Jörg Wickrams „Rollwagenbüchlein“ (1555) erinnern. Einer der schärfsten publizistischen Angriffe gegen die römische Kirche aus der Zeit der Vorreformation ist Huttens Dialog „Vadiscus sive Trias Romana“. Hutten prangert in ihm die Kirche an, weil sie die nationale Freiheit Deutschlands beschränkt und das Land wirtschaftlich und finanziell ausbeutet. Es entsteht überdies ein erschreckendes Sittengemälde Roms. In Gestalt vieler dreigliedriger Merksprüche („Triaden“) wird dem Klerus ein Spiegel vorgehalten, z. B. mit der Aussage, dass in Rom nichts mehr als Armut, Gottesfurcht und Gerechtigkeit verachtet werde. Hutten benutzte auch das Material einer deutschsprachigen Triadensammlung, die um 1518/ 19 gedruckt vorlag und eigene Eindrücke aufgrund seines römischen Aufenthaltes im ersten Halbjahr 1516. Als Gewährsmann nennt er einen wanderpredigerhaften Geheimnisvollen namens Vadiscus. Im notdürftig künstlerischen Gewand eines Dialoges zwischen einem Patrizier Ernhold und ihm selbst fasst Hutten zusammen, was damals die deutsche Bevölkerung mit Grimm gegen das Herrschaftssystem der Kirche erfüllte. <?page no="127"?> Nr. 42 127 „Inspicientes“ zeigt den Sonnengott Sol und seinen Sohn Phaeton als Beobachter und Kommentatoren irdischen Geschehens während ihrer Fahrt im Himmelswagen. Angeregt durch ihre Eindrücke beim Blick auf das Treiben des Augsburger Reichstages empören sie sich über die römische Kirche, die Deutschland ausbeute. Alte deutsche Tugenden seien nur noch bei der Ritterschaft zu finden. Der päpstliche Legat Cajetan greift in das Gespräch ein. Sol und Phaeton äußern sich skeptisch über den Papst. Cajetan erklärt darauf die Griechengötter kurzerhand in den Bann. Nr. 42 Ulrichi Hutteni Eqv. ad illustris. principem dominum Ferdinandum Austriae archiducem in sequentem librum praefatio. (Dem allerdurchlauchtigsten Fürsten und Herren Erzherzog Ferdinand von Österreich gewidmetes Vorwort des Ritters Ulrich [von] Hutten zu dem folgenden Buch). In: De unitate ecclesiae conservanda, et schismate […]. In aedibus Ioannis Scheffer Moguntini. 1520 (Mainz: Johann Schöffer März 1520). Benzing-Nr. 219; Böcking 1, S. 325-334. Der in Abwesenheit am 28. Juni 1519 als Karl V. in Frankfurt/ Main zum römischdeutschen Kaiser und deutschen König gewählte Karl I., König von Spanien, brach am 20. Mai 1520 von dort auf, um in sein neu gewonnenes Herrschaftsgebiet, das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, einzuziehen. Dort stand für den 23. Oktober 1520 in Aachen seine Krönung zum deutschen König und seine Anerkennung als „Erwählter Römischer Kaiser“ bevor. Seine Krönung zum Kaiser durch Papst Clemens VII. erfolgte erst am 24. Februar 1530 in Bologna. Mit ihm wurde letztmalig ein deutscher König in Italien vom Papst höchstpersönlich zum Kaiser gekrönt. Unterwegs 1520 nach Deutschland, dessen Boden er noch nicht betreten hatte, wollte er seinen Bruder, Erzherzog Ferdinand I., an dessen Hof in Brüssel aufsuchen. Ferdinand I. befand sich, gerade einmal sechszehn Jahre alt, in der erzieherischen und ausbildungsvermittelnden Obhut seiner Tante Margarete von Österreich, der Statthalterin der Niederlande. Während Karl, der Enkel und designierte Nachfolger Maximilians I. noch unterwegs nach Brüssel war, begann Hutten, dem infolge des Drucks der römischen Kurie bei Albrecht von Mainz die berufliche Grundlage entzogen wurde, im Juni 1520 seinerseits eine Reise von Mainz nach Brüssel an den Hof Ferdinands I. Bei ihm wollte er wegen einer Anstellung in seinem Hofstaat vorsprechen. Zugleich war es ihm ein Anliegen, ihn und über ihn seinen Bruder für eine Auseinandersetzung mit der römischen Kirche zu gewinnen. Er hoffte, dass sein ihm vorausgeeilter „Bote“ bereits für ihn geworben habe: nämlich eine Postsendung, welche die Druckausgabe einer von Hutten in der Fuldaer Klosterbibliothek entdeckte papstfeindliche Handschrift des 11. Jahrhunderts enthielt. Dieser Schrift - „De unitate ecclesiae conservanda“ -, um 1086 im Kloster Hersfeld von einem unbekannten Mönch verfasst, gehört zu den „libelli“ aus der Zeit des Investiturstreits. Die fundamentale Streitschrift ist gegen die <?page no="128"?> Ulrich von Hutten und seine Werke 128 Gregorianer gerichtet. Ihr Autor verficht die Wiederherstellung der Kircheneinheit. Er verteidigt den Standpunkt und die Interessen Heinrichs IV. (1050-1106) in der Frage der Investitur der Bischöfe und Äbte. In Hinsicht auf die Zweiteilung der Herrschaft in geistliche und weltliche Gewalt sagt er, dass sie von Gott stamme und der Papst das geistliche Regiment führen soll, ohne sich in die Machtsphäre des Kaisers einzumischen. Hutten fand die Handschrift dieses Werkes im Herbst 1519 in der Fuldaer Klosterbibliothek. Er gab dem Dokument seinen noch heute gültigen Titel. Der letzte (dritte) Teil des „Libells“ war nur unvollständig erhalten. Die Handschrift ist heute verschollen. Hutten besorgte die Drucklegung (die Schrift erschien März 1520 in Mainz) zusammen mit einer Zueignung an Erzherzog Ferdinand I., den Bruder Karls V., worin er mit flammender Überzeugungsgewalt die Anwendbarkeit des Inhaltes - Kampf Heinrichs IV. gegen Papst Gregor VII. - auf die gegenwärtige Situation verfocht. Vor seinem Eintreffen in Brüssel genoss Hutten noch - ein wenig wie die Nibelungen einst vor ihrer Ankunft an Etzels Hof bei Markgraf Rüdiger von Bechelaren - die Gastfreundschaft des Erasmus von Rotterdam in Löwen, trotz kontroverser Diskussion, denn mit besorgter Skepsis riet ihm der weltweise Freund von seinem geplanten Anti- Rom-Unternehmen ab, im Besonderen, was die Werbung dafür bei Ferdinand I. betraf. Erasmus, einer der Lehrer des Erzherzogs, kannte den Hof aus eigener Anschauung. Er warnte Hutten vor der übermächtigen Kamarilla aus Papstanhängern, darunter auch Huttens Intimfeinde, Dominikaner in eilfertig klappernden Sandalen. Aus dem nur in großen Zügen bekannten Aufenthalt Huttens am Brüsseler Hof lässt sich schließen, dass dort nicht, wie es für ihn günstig gewesen wäre, eine reichspatriotische, nationalstaatliche oder gar germanophile Gestimmtheit herrschte, sondern, gemäß der territorialen Ausmaße des Monarchie-Weltreiches der Habsburger, nationale Vielfalt und Papstgewogenheit. Hutten musste sich unwillkommen fühlen. Er wurde sogar vor Nachstellungen gewarnt. Was seine Geschenksendung zusammen mit seinem brisant romfeindlichen Vorwort - Schreiben an Ferdinand betrifft, so dürfte sie, falls überhaupt näher beachtet, auf Ablehnung gestoßen sein. Dabei war er sich noch, wie sein Sendschreiben bezeugt, frohlockend sicher gewesen, dass die mittelalterliche antipäpstliche Kampfschrift für Heinrich IV. nur eines Königs würdig sei. Der im engeren Sinn von ihm gemeinte Karl-V. - noch vor kurzem hatte er ihn bei seiner Ankunft in Deutschland mit einem Preisgedicht begrüßen zu dürfen geglaubt - war indessen bei seinem Einzug in Brügge am 25. Juli, wie es scheint zu einem Gespräch mit Hutten nicht bereit. Und ebensowenig sein Bruder Ferdinand, an dessen Hof in Brüssel Hutten vergeblich antichambrierte. Der Boden wurde ihm allmählich zu heiß unter den Füßen, zumal inzwischen, am 15. Juni 1520, die Bannandrohungsbulle Papst Leos X. - nicht nur gegen Luther, sondern auch gegen Hutten und weitere Anhänger - samt einer päpstlichen Vollmacht zur Festnahme des einflussgefährlichen Kirchenfeindes Hutten erlassen worden war. Im August 1520 machte sich Hutten desillusioniert zurück auf den Weg nach Deutschland. <?page no="129"?> Nr. 43 129 Nr. 43 Ulrichi Hutteni in libellum Laurentii contra effictam et ementitam Constantini Donationem ad Leonem X. pontificem maximum praefatio. (Ein dem Papst Leo X. gewidmetes Vorwort Ulrichs [von] Hutten zur Streitschrift Lorenzo [Vallas] gegen die erfundene und erdichtete Konstantinische Schenkung). In: De donatione Constantini […]. (Basel: Andreas Cratander Ende 1519 od. Anfang 1520). Benzing-Nr. 212; Böcking 1, S. 155-161. Zwischen 752 und 850 entstand die sog. „Donatio Constantini“ (Konstantinische Schenkung), eine Fälschung, deren Urheber unbekannt ist und den man in der Umgebung von Papst Stephan II. (gest. um 752/ 57) vermutet hat. (Text in: Fuhrmann, Horst (Hrsg.) - Constitutum Constantini, in MGH; „Fontes iures germanici antiqui“ - Hamburg 1968) Es handelt sich um einen Kaiser Konstantin I. dem Großen (um 285-337) angedichteten Erlass, worin er Papst Silvester I. (gest. 335) und seinen Nachfolgern die westliche Hälfte des Römischen Reiches übereignet, angeblich, nachdem er von diesem getauft und von der Lepra geheilt worden sei. Das „Dokument“ diente im Lauf der Zeit den Päpsten dazu, ihre Ansprüche auf weltliche Herrschaft zu legitimieren und ihre Stellung gegenüber dem Kaisertum zu stärken. Eine 1439 entstandene Schrift gegen die Echtheit der Urkunde, verfasst von dem italienischen Humanisten, Philologen, kirchenkritisch und antischolastisch eingestellten Geistlichen Lorenzo Valla (1407-1457) - „De falso credita et ementita Constantini donatione declamatio“ - wurde u. a. 1519/ 1520 in Basel bei Andreas Cratander gedruckt. Herausgeber und Verfasser einer Widmungsvorrede an Papst Leo X., geschrieben vielleicht im Winter 1519 auf der Steckelburg, ist Ulrich von Hutten. Seine Edition beruht auf der Grundlage des Abschrift-Exemplars einer Druckausgabe von 1504, die er im Juni 1517 in Bologna bei Joachim Cochlaeus, einem deutschen Humanisten (1479-1552) kennengelernt hatte und die ihm auf seinen vorausblickenden Wunsch hin nach Deutschland nachgeschickt worden war. 1520 erhielt Martin Luther, der gerade Studien zur Geschichte des Papsttums trieb, von einem Freund die von Hutten herausgegebene Schrift Vallas. Ihre Lektüre trug dazu bei, sein Entsetzen über die Päpste zu steigern, sie führte ihn zur Auffassung des Papstes als Antichrist. In seiner Reformationsschrift „An den christlichen Adel deutscher Nation“ (1520) wertet er Vallas Pamphlet als Beleg für die Lügenhaftigkeit des Papsttums. Hutten erscheint mit seiner Herausgeberschaft als Vermittler zwischen aufklärerischem Humanismus und Reformation. In Vallas Streitschrift gelingt - erstmals mit quellenkritischer Beweiskraft - die Entlarvung des Dokuments - daran hatten sich auch schon andere Autoren versucht, wie etwa Nikolaus von Kues -, indem der Verfasser den angeblichen Schenkungsvorgang als außerhalb des gesunden Menschenverstandes, der praktischen politischen Vernunft und der juristischen Schranken begreift, als Fälschung aus päpstlicher Gier nach weltlicher Macht. In einschlägigen zeitgenössischen Biographien, so Valla, werde die „Schenkung“ nicht erwähnt, das „Dokument“ selbst enthalte juristi- <?page no="130"?> Ulrich von Hutten und seine Werke 130 sche Widersprüche, Archaismen und grobe Sachfehler, stimme nicht mit dem zur Zeit Konstantins gebräuchlichen Latein überein usw. Sowohl in Vallas Ausführungen als auch in Huttens Beitrag ist eine Art enttäuschter Liebe zur Kirche zu spüren. Hutten, der sich in seinem Werk überhaupt oft dialogisch gestimmt zeigt, sieht sogar im Papst, eben Leo X., in seiner Widmungsvorrede einen potentiellen Gesprächspartner, es wirkt, als wolle er ihn aus der Reserve locken. Huttens übertrieben wirkendes Lob auf Leo X., der ein Bekämpfer des Krieges und Wiederhersteller des Friedens sei, läuft eher auf spöttische Skepsis und Pseudotreuherzigkeit hinaus. Zu negativ sah er bereits, aufgrund seiner Erkundungen Juni bis August 1516 in Rom, die römische Kirche. Ernstgemeint scheint hingegen seine Anerkennung Leos X. als Freund der Künstler und humanistischer Gelehrter, indem er etwa auf dessen Erziehung durch Humanisten wie Angelo Poliziano (1454-1494) hindeutet. Aber die Überschwänglichkeit, mit der Hutten daraus den Schluss zu ziehen scheint, dass er, vermöge seiner humanistischen Bildung, die Schrift Vallas in Huttens Ausgabe begeistert begrüßen werde, ist wohl doch eher gespielt. Täuschungstreuherzig behauptet Hutten, sich wegen seiner Herausgeberschaft von Vallas Streitschrift besonderer Gunstbezeugung durch den Papst zu versehen. Nr. 44 Hulderichvs de Hutten liberis in Germania omnibus salutem. (Ulrich von Hutten [entbietet] allen Freien in Deutschland seinen Gruß). In: De schismate extinguendo […]. (Mainz: Johann Schöffer nach 27. Mai 1520). Benzing-Nr. 220; Böcking 1, S. 349-352. Auf einer Schiffsreise Huttens im Juni 1520 den Rhein hinunter an den Hof des Erzherzogs Ferdinand-I. in Brüssel, den er für den Kampf gegen Rom gewinnen und mit dem er überdies wegen einer Anstellung an seinem Hof sprechen wollte, legte sein Schiff auch an der Zollstätte zu Boppard an. Hier wurde der landesweit bekannte und von vielen auch bewunderte Hutten von dem vom Humanismus begeisterten Zöllner Christoph Eschenfelder in sein Haus in den Kreis seiner Familie eingeladen. Hutten, die meiste Zeit seines Lebens Gast, war nicht der erste Humanist bei Eschenfelder, dieser hatte z. B. 1518 Erasmus von Rotterdam bewirtet und war von diesem mit der Latinisierung seines Namens in „Cinicampianus“ gleichsam mit dem humanistischen Ritterschlag belohnt worden. Hutten, der außer Klosterbibliotheken auch Privatbibliotheken nach solchen Codices durchsuchte und durchsuchen ließ, deren Inhalt er als Argumentationshilfen in seinem Kampf gegen das Papsttum nutzen konnte, fand in der Bibliothek Eschenfelders einen alten Codex aus dem Jahr 1318, der Zeit des Abendländischen Schismas, der miteinander rivalisierenden Päpste Urban VI. und des Gegenpapstes Klemens VII. Der Verfasser des Dokuments mit dem Titel „De schismate extinguendo“ ist vermutlich der Prager „magister artium“ und Theologe Adalbertus Ranconis de Ericinio (geb. um 1320, gest. um 1388). Die Geschichtsquelle <?page no="131"?> Nr. 44 131 enthält hauptsächlich sechs fiktive Briefe, fünf davon sind den Universitäten Oxford, Prag und Paris als Urheber zugeordnet, sodann einer dieser drei Hochschulen gemeinsam an Papst Urban VI. (1318-1389) und an den römisch-deutschen König Wenzel IV. (1361-1419) gerichtet. Es folgt ein Erlass desselben an alle christlichen Nationen. In die Handschrift des Dokuments wurde 1431 eine „Exhortatio ad Germanos ut respiciant“ eingetragen, deren Verfasser unbekannt ist. Die von Hutten herausgegebene erste Druckausgabe der Handschrift enthält zusätzlich Huttens Vorrede an die Freien, die freiheitlich Gesonnenen in Deutschland. Sie ist vom 6. Juni 1520 datiert. Er schrieb sie während eines Ausritts - „inter equitandum“ - wie er selbst am Schluss vermerkt. Die inhaltliche Tendenz des von Hutten betreuten und als polemische Waffe im Kampf gegen das Papsttum einsetzbaren Werkes zielt, wie ja schon sein Titel aussagt, auf die Notwendigkeit, das damals herrschende Schisma aufzulösen und postuliert das deutsche König- und Kaisertum als der Macht des Papsttums überlegen, an dem heftige Kritik geübt wird, mit den Vorwürfen der Sittenlosigkeit, des Nepotismus usw. Hutten, der vom Geschenk des „Ehrenhumanisten“ Eschenfelder an ihn natürlich sehr angetan gewesen sein dürfte, identifiziert sich mit dem Inhalt des Dokuments, ist davon so begeistert, dass er es, wie aus seiner Vorrede erhellt, sobald wie möglich allen freiheitsliebenden Menschen in Deutschland, die das päpstliche Ausbeutungs- und Bevormundungsjoch abschütteln wollen, zugänglich machen möchten. Hutten hält das von ihm fälschlich vorausgesetzte Autorenkollektiv heutigen Theologen mit ihrer seiner Ansicht nach dem Papst allzu ergebenen Haltung und ihrem mangelhaft ausgebildetem Gewissensgehorsam als Vorbild vor Augen. Am Tag seiner Abreise von Mainz nach Brüssel, am 4. Juni 1520, hatte Hutten Martin Luther einen Brief geschrieben, worin er seine Beistandsbereitschaft für ihn beteuert. Es gibt in der dem fingierten Briefwechsel „De schismate extinguendo“ vorangestellten Grußadresse Huttens an die Freien in Deutschland eine Mitteilung, die in Hinsicht auf die berühmte Fuldaer Klosterbibliothek und das Schicksal ihrer Handschriftenschätze von Bedeutung ist. Hutten gibt nämlich kund, er habe dort vor kurzem mehrere Handschriften entdeckt - mit Werken von Plinius dem Älteren (23-79 n. Chr.), Solinus (3. Jh. n. Chr.), Quintilian (ca. 35-ca. 100 n. Chr.), Marcellus (um 400 n. Chr.) und anderer. Ob Hutten Codices der Fuldaer Klosterbibliothek ausgeliehen hat und dann, infolge der sich beschleunigenden Dramatik seines Lebens - abseits von Fulda etwa seit September 1520 - nicht mehr Gelegenheit hatte, sie zurückzugeben oder doch regelrecht entwendet hat, steht dahin. Joachim Camerarius (Philologe und Dichter 1500-1574) berichtet in einem Brief von 1529, dass ein Arzt namens Locher aus dem Nachlass Huttens Codices erworben habe: u. a. mit Werken von Plinius dem Älteren, Marcellus und Quintilian. <?page no="132"?> Ulrich von Hutten und seine Werke 132 Nr. 45 Epistola Ulrichi de Hutten Equitis, Ad D. Martinum Lutherum Theologum. Vuittembergae. (Ein Brief des Ritters Ulrich von Hutten an den Theologen Doktor Martin Luther zu Wittenberg). (Wittenberg: Melchior Lotter d. J. 1520). Benzing-Nr. 130; Böcking 1, S. 355-356. Etwa anderthalb Wochen vor Erlass der päpstlichen Bannandrohungsbulle (15. Juni 1520) gegen Martin Luther und seine Anhänger, darunter Hutten, brach dieser, am 4. Juni 1520 von Mainz nach Brüssel auf, zu seiner Reise an den Hof des Erzherzogs Ferdinand I., von welcher er im August 1520 unverrichteter Dinge, ohne dort eine Anstellung bei Hofe erreicht zu haben, nach Hause zur Steckelburg zurückkehrte. Am Tag seiner noch hoffnungsvollen Abreise, am 4. Juni 1520, schrieb er seinen ersten Brief an Martin Luther. Er bezeichnet sich darin als seinen Anhänger und sieht sich und ihn in dem Bemühen vereint, die von päpstlichen Satzungen verdunkelte Lehre Christi wieder ans Licht zu bringen. Huttens „Gesprächsbüchlein“ um 1521 (s. Nr. 53) ist mit einem vierteiligen Titelholzschnitt von Hans Baldung, gen. Grien (1484/ 1485-1545) geschmückt, an den Seitenleisten befinden sich Porträts von Hutten und Luther. Hutten wirbt in seinem Brief um Luthers Vertrauen und gemeinschaftliches Handeln. Er habe gehört, dass Luther in den Bann getan worden sei - was in Wirklichkeit erst später geschah. Nach der Bannandrohungsbulle vom 15. Juni 1520 erging die endgültige Bannbulle am 3. Januar 1521. Hutten fasst die von ihm unterstellte Exkommunizierung Luthers als Beweis für seine Größe und Bedeutung auf. Er bittet ihn, nur ja vorsichtig zu sein, da sein Fall der allgemeinen Sache Deutschlands im Konflikt mit der Alten Kirche schaden würde und übermittelt ihm ein Schutzangebot Sickingens, das aber von Luther nicht wahrgenommen wurde. Hutten teilt auch Neuigkeiten vom Tagesgeschehen mit. Johannes Eck (1486-1543), der Luther-Gegner, befinde sich auf dem Rückweg von Rom, vom Papst mit Pfründen und Geld ausgestattet. Während er vom Papst unterstützt werde, sind „wir“ in Gottes Geleitschutz geborgen. Der schamlose Eck habe schon früher eine Absprache zwischen Hutten und Luther unterstellt. Hutten bittet Luther, ihn fortan in seine Pläne einzuweihen. Er verurteilt die Verdammung der Lehre Luthers durch die Universitäten von Löwen und Köln. Huttens Juni-Brief 1520 an Luther folgte sein September-Brief 1520 an den Reformator, verfasst wohl auf der Ebernburg Sickingens. Er ist verschollen. Sein Inhalt ist andeutungsweise durch Luther in einem Schreiben an Georg Spalatin bezeugt. Offenbar bekundet Hutten darin, dass er nach seiner Rückkehr aus Brüssel der Verfolgung durch die römische Kirche ausgesetzt sei, aber mit Waffen und Schriften die päpstliche Tyrannei angehen wolle. In seinem Dezember-Brief um 1520 - Böcking 1, S. 435-437 - bittet Hutten Martin Luther um Nachrichten über sein Geschick und seine Einschätzung der Kampfbereitschaft seiner reformistischen Freunde. Er lässt Grüße an „omnes nostros“ ausrichten, an Melanchthon, Spalatin u. a. Er möchte wissen, was in Hinsicht auf Bündnisbereitschaft von Friedrich dem Weisen von Sachsen zu erwarten sei und ob <?page no="133"?> Nr. 46 133 sein Territorium im Fall bewaffneter Auseinandersetzung als mögliches Rückzuggebiet in Frage komme. Hutten kündigt seinen Besuch in Wittenberg bei Luther an. Dazu ist es nicht gekommen. Persönlich sind sich Luther und Hutten nicht begegnet. Zwei Briefe Huttens an Luther vom April 1521, in der spannungsreichen Zeit des Wormser Reichstages, sind gemeinsam im April 1521 in einen Band publiziert worden (s. Nr. 58). Nr. 46 Bulla Decimi Leonis, contra errores Martini Lutheri, & sequacium. (Bulle Papst Leos X. gegen die Irrtümer Martin Luthers und seiner Gefolgschaft). (Straßburg: Johann Schott vor 8. Nov. 1520). Benzing-Nr. 222; Böcking 5, S. 301-333 (Text der Bulle samt der Glossen Huttens). Am 15. Juni 1520 erließ das päpstliche Konsistorium in Rom die Bannandrohungsbulle „Exsurge Domine“ („Erhebe Dich, o Herr“) gegen Luther. An dem Verdammungsgericht waren Cajetan und Eck maßgeblich beteiligt; letzterer wurde wegen seiner „Verdienste“ zum päpstlichen Nuntius ernannt. Die beiden ließen im September 1520 die Bulle an den Kirchen verschiedener deutscher Städte, z. B. Brandenburg, Meißen und Merseburg, anschlagen. Diese Aktion wurde mit gemischten Gefühlen von der Bevölkerung aufgenommen. Auch Opposition regte sich. In Erfurt wurde die Bulle öffentlich zerrissen. Man belagerte Eck in seiner Wohnung. Hutten blieb nicht untätig. Er ließ die Bannandrohungsbulle, versehen mit dem päpstlichen Wappen auf dem Titelblatt, Glossen sowie einer Vorrede an die Leser und, als Abschluss, einem Sendschreiben an Leo X. vor dem 8. November 1520 in Straßburg drucken. Sein Anteil an der Ausgabe entstand September - Oktober auf der Ebernburg und in Straßburg. In der Bulle werden 41 Sätze von Luthers Lehre teils als ketzerisch, teils als anstößig und falsch eingestuft. Diejenigen Schriften Luthers, in denen sie begegnen, sollen verbrannt werden (s.-Nr. 49, 51). Jegliche Predigttätigkeit wird ihm untersagt. Der Bann gegen ihn und seine Anhänger, darunter Hutten, wird für den Fall angedroht, dass er seine Lehre 60 Tage nach Anschlag der Bulle nicht widerrufen haben sollte. Hutten sucht mit seinen Glossen, die sich teils am Rand des Textes befinden, teils diesen unterbrechen, den Inhalt der Bulle zu entkräften und zu demaskieren. Mit der Bulle, so Hutten in der Vorrede an die Deutschen (Böcking 1, S. 420- 431), soll das Wiedererstarken der Freiheit unterdrückt werden. Er stellt Luthers Angelegenheit und die seine, ohne zu differenzieren, als eine Sache der ganzen deutschen Nation hin. Der sarkastisch kommentierten Bannandrohungshalle schließt sich ein Schreiben Huttens an Leo X. an, worin er ihm erklärt, dass man seiner Bullen und des Ablasshandels bis zum Ekel überdrüssig sei und ihn auffordert, Luther und seine Anhänger in Ruhe zu lassen. <?page no="134"?> Ulrich von Hutten und seine Werke 134 Nr. 47 Hoc in libello haec continentur! Ulrichi De Hutten, Equitis Germani, ad Carolum Imperatore, aduersus intentatam sibi a Romanistis vim & iniuriam, Conquestio. […]. (In dieser Streitschrift ist Folgendes enthalten: Eine Klage des deutschen Ritters Ulrich von Hutten an Kaiser Karl über die Gewalt und das Unrecht, die ihm von den Romanisten angedroht worden sind […]). (Straßburg: Johann Schott nach 28. Sept. 1520). Benzing-Nr. 132; Böcking 1, S. 371-19. Huttens „Conquaestio“, September 1520 auf der Ebernburg verfasst und nach dem 8. September 1520 in Straßburg gedruckt, besteht aus offenen Briefen an fünf verschiedene Adressaten: Karl V., die Reichsstände, Albrecht von Mainz, Friedrich den Weisen von Sachsen und Sebastian von Rotenhan, Huttens Schwager am Mainzer Hof. Anlass ihrer Abfassung ist die Lebensgefahr, in der Hutten sich fühlte. Am Hof des Erzherzogs Ferdinand I. in Brüssel hatte er im Sommer 1520 erfahren, dass der Papst, erzürnt über Kampfschriften wie „Vadiscus“, von Kaiser und Fürsten seine Auslieferung an das apostolische Tribunal in Rom verlangt habe. Auch seien Mordgedungene ausgeschickt worden, ihn mit Gift oder Eisen umzubringen. Hutten stellt in seiner „Conquaestio“ klar, dass für ihn als deutschem Adligen der Papst juristisch nicht zuständig sei. Ihm gebühre ein Prozess in Deutschland, ein Verhör vor dem Kaiser. Huttens „Conquaestio“ insgesamt ist ein zersplitterter, polyadressierter Appell an Machtträger - den Kaiser, die Fürsten, die Reichsstände. Er sucht das Unrecht, das ihm aus dem päpstlichen Rom droht, dem Zwielicht zu entreißen und in das gleißende Licht der öffentlichen Aufmerksamkeit zu rücken. Von den formal ähnlich strukturierten „Loetze-Klagen“ (s. Nr. 11) - ein und dasselbe Anliegen wird verschiedenen Adressaten klagend unterbreitet - unterscheidet sich die „Conquaestio“ dadurch, dass Hutten sich hier als exemplarisches Opfer päpstlicher Willkür darstellt und nicht als Betroffener in einem mehr privaten Konflikt, in beiden Fällen in einer nahezu an Rituale des Rittertums erinnernden Herausforderungsform. Von Huttens lateinischer „Conquaestio“ erschienen noch weitere Drucke (s. Benzing Nr. 133-137). Die Übersetzung der fünf lateinischen Kundmachungen ins Deutsche erfolgte noch vor September 1520 auf der Ebernburg, vier von dem Flüchtings-Genossen Martin Bucer, jene an die Reichsstände von Hutten selbst, der damit erstmals auf die deutsche Sprache als Hilfsmittel seiner Propaganda zurückgriff. Diese Ausgabe erschien etwa November/ Dezember 1520 in Straßburg. Anfang 1521 wurden verdeutschte Einzelausgaben publiziert, einmal der Klage an Kurfürst Friedrich den Weisen von Sachsen, sowie im September 1520 diejenige an alle Stände deutscher Nation (s.-Benzing Nr. 139-143). Als stünde er bereits vor dem von ihm ersehnten kaiserlichen Gericht, verteidigt Hutten in seinem Sendschreiben an Karl V. seine romkritischen Schriften, die er im Dienst Gottes, des Vaterlandes und des Fortbestandes der Macht des Kaisers verfasst <?page no="135"?> Nr. 47 135 habe: gegen die Bibel-Exegese der römischen Kirche beschwört er die Heilige Schrift selbst, für die er in jenen Publikationen gefochten habe. Seit Beginn seines offenen Kampfes gegen die Kurie treten in Huttens Werken Zitate aus der Bibel weitgehend an die Stelle solcher aus den Werken antiker Autoren. Die Missstände der Papstkirche, die er aufgedeckt habe, möge Karl V., auf dessen persönlichen Schutz er hoffe, durch die Tat bekämpfen. Albrecht von Mainz gegenüber zeigt sich Hutten tief betrübt darüber, dass dieser von Leo X. per Mandat aufgefordert worden sei, Hutten gefangen an Rom auszuliefern und voll Schmerz, nunmehr, wegen des Kirchenbannes, von der Nähe Albrechts, den Höfen, dem goldenen Mainz, ja der menschlichen Gemeinschaft ausgeschlossen zu sein. Albrecht möge sich am Frevel der „Allerheiligsten“ in Rom, der Anwendung weltlicher Gewalt, nicht beteiligen. Er beruft sich auf den Propheten Jesaja (700-740 v. Chr.), der sich gegen solche Verirrte gewandt habe, welche sich anstatt auf Gott auf Streitwagen verlassen. Hutten wünscht Albrecht in seinem verkappten Appell zur Neutralität die Huld des Seligmachers Christus. Hutten setzt auf Bundesgenossenschaft und vereinten Beistand durch die Reichsstände, nachdem er seine blühenden Jugendjahre bei ständiger Gegenläufigkeit des Glücks im Einsatz für das Wohl Deutschlands hingegeben habe. Die auf ihn angesetzten und fixierten Feinde seien auch die Feinde Deutschlands. Mit seinen Schriften habe er die weithin lodernde Flamme römischer Ausbeutungsgier löschen und der Ehre der deutschen Nation zu Hilfe eilen wollen. Aus früher Vertrautheit mit der Landwirtschaft auf den Gütern seines Vaters und überhaupt seiner engeren Heimat leitet Hutten gern in seinen Werken Vergleiche daraus ab, so vergleicht er Friedrich III. dem Weisen von Sachsen gegenüber Deutschland mit einem durch schmarotzende Kurtisanen verwüsteten Bienenstock. Wären diese erst einmal vertrieben, könnte sich der schuldlos gebliebene, im christlichen Sinne vorbildliche Teil der Geistlichkeit besser entfalten, auch insofern, als durch fehlende Bereichungsmöglichkeiten der Anreiz zum Bösen entfalle. In Friedrich dem Weisen sieht er die Hoffnung auf Widerstand verkörpert - „weck Dich selber auf “, so kumpelt er den Fürsten an und sucht ihn durch Hinweis auf die heroischen Sachsen zum Kampf gegen das gehörnte Tier der Apokalypse, die Papstkirche zu motivieren, erinnert an Karl den Großen und die Ottonen. Die noch immer von Deutschland an die römische Kirche fließenden Gelder sollten stattdessen seinem Ratschlag nach für die Finanzierung eines stehenden Heers verwendet werden. Das fünfte Beschwerdeschreiben Huttens ist nicht an einen mächtigen Potentaten, wie Karl-V., Albrecht von Mainz oder Friedrich den Weisen gerichtet, sondern an den reisefreudigen fränkischen Ritter und kurfürstlichen Rat am Mainzer Hof, Sebastian von Rotenhan, Huttens Schwager. Aber auch dieser offene Brief ist dem Lesepublikum preisgegeben. Hutten sucht Rotenhan zu veranlassen, dass er ihn über ihm geltendes Gerede am Hof berichte. Doch ist er sich nicht sicher, ob Rotenhan noch über den altfränkischen Freimut verfüge. Er stellt es seinem Schwager intrigenlistig anheim, ihn, Hutten, getrost als schreckhaft und furchtsam auszugeben, damit er noch mehr unter- <?page no="136"?> Ulrich von Hutten und seine Werke 136 schätzt werde. Er verspricht sich davon wohl eine verstärkende Wirkung, wenn er den Papst wegen seiner Absicht, ihn dem Inquisitionsgericht zu überantworten, mit der Publikation einer Schrift entgegentreten werde. Ein entsprechender Text ist jedoch nicht bekannt, es sei denn, es handle sich um die „Klag und Vormahnung“ (s. Nr. 48) Nr. 48 Clag und vormanug gegen dem übermaessigen Unchristlichen gewalt des Bapsts zu Rom […]. (Straßburg: Johann Schott Okt./ Nov. 1520). Benzing-Nr. 144; Böcking 3, S. 473-526. Huttens „Conquaestio“ (s. Nr. 47) vom September 1520 hatte beim Publikum, besonders aus den Reihen des Klerus, Aufregung und Missdeutung hervorgerufen. Mit der vorliegenden „Volksausgabe“ wichtiger Anklagepunkte versuchte Hutten, seine Auffassung jedermann klarzumachen. Er wählte deshalb erstmals auch die deutsche Sprache ohne lateinisch-deutsche Doppelung. Das Werk entstand im Herbst 1520 auf der Ebernburg und wurde Oktober/ November 1520 in Straßburg gedruckt. Mit seinem agitatorischen Reimgedicht propagiert Hutten einen Krieg gegen die verweltlichten Vertreter Roms in Deutschland, der vom Kaiser an der Spitze der Reichsritter und Landsknechte geführt werden soll. Er sieht sich selbst als Beispiel dafür an, wie die Wahrheit durch die „Romanisten“ verfolgt wird. Der Grund, weshalb vom Papst gesandte Häscher nach ihm fahnden, um ihn gefangen dem Apostolischen Tribunal, und das heißt dem sicheren Tod zu überantworten, seien seine papstfeindlichen Schriften, worin jedoch die Wahrheit stehe. Er begreift sich selbst und Luther an exponierter, gefährdeter Stellung in der antirömischen Front und in einer von Hus und Hieronymus von Prag ausgehenden Tradition. Als würde er, im Gegensatz zum lakonischen Sprachgeist des Lateinischen, von der deutschen Sprache auf spezifische verschiedene Weise inspiriert, schnellt seine gedrungen altfränkische Diktion voll assoziativem Wildwuchs über Stock und Stein dahin. Der Papst, auf den die innere Energetik des Reimgedichtes zielt, ist für Hutten der Falkner, der das Wildbret Deutschland mit Hilfe seiner Falken, den Kurtisanen, jagt. Die wirkliche Kirche Gottes sei nicht in der Anmaßung Leos X. beheimatet, der Nachfolger des heiligen Petrus zu sein, sondern in echter Frömmigkeit. Der Himmel werde durch ein reines Gewissen gewonnen, nicht aber durch einen Ablassbrief. Indem man sich angeblich von Sündenstrafen, sogar, was geplante Sünden betrifft, freikaufen könne, werde das Volk zur Sünde geradezu genötigt. Hutten polemisiert gegen das Handelshaus Fugger wegen dessen Verbindung zum Ablasshandel. Bekanntlich ging die Hälfte der von Ablasshändlern wie Johannes Tetzel (1465-1519) eingetriebenen Geldern für Ablass - d. h. Nachlass zeitlicher Sündenstrafen - an Albrecht von Mainz und über ihn zum Teil an die Fugger zwecks Schuldentilgung, insofern sie ihm den Preis für den Erwerb der Mainzer Bischofswürde vorgestreckt hatten. Die andere <?page no="137"?> Nr. 49 137 Hälfte erhielt Papst Leo X. für die Kosten des Neubaus der Peterskirche, der 1506 begonnen worden war. Hutten vergleicht die Werke der oft unstandesgemäß und gelegentlich unsittlich lebenden Priester mit Bildstöcken, die Straßen wegweisen, die man nicht gehen sollte. Die Deutschen, die ja schließlich dem Papst gegenüber nicht tributpflichtig seien, sollten sich nicht „überschatzen“ lassen. Reminiszenzen an Huttens Aufenthalt in Rom (Januar bis April 1516) klingen an, wobei er die Schönheiten der vergangenheitswuchtigen Stadt, Werke der Kunst und andere Attraktivitäten, soweit er sie wahrgenommen und gewürdigt hat, außer Acht lässt. Er fühlt sich bedrängt und herausgefordert, etwa angesichts des Gepränges geistlicher Würdenträger, die bei Umzügen die Straßen eng machen. Man müsse der römischen Kirche in den Zaum greifen. Hutten bewegte sich damals in Rom inmitten von Schwärmen aus Kurtisanen (Höflinge des Papstes), Kopisten, Schreibern, käuflichen Frauen, Zuhältern, Advokaten und Ablasspredigern, die von der Hölle redeten, als wäre sie ihnen vertraut. Teile der Geistlichkeit hätten selbst Belehrung durch fromme und bibelkundige Männer nötig. Aber das Interesse der Kirche bestehe nun einmal darin, mit List, mit Netz und Vogelfangschlingen weltliches Gut an sich zu reißen. Hutten will Spieß und Schild für die deutschen Interessen einsetzen, er fürchtet den über ihn verhängten Kirchenbann nicht, denn es könne natürlich niemand durch den sog. „Bann“ strafen, der selbst von Sünden schwer ist. In der Zeit des Dreißigjährigen Krieges, 1632, erschien Huttens „Klage und Vormahnung“ unter verändertem Titel als protestantisches Propaganda-Material Gustavs II. Adolf von Schweden. Aufwecker der deutschen Nation […] an alle hohe und niedere Stände des heyligen Reiches […] Weyland von dem vortreffichen edlen Ritter, Orator und Poeten, Herrn Ulrich von Hutten vor 120 Jahren unserem geliebten Vaterland teutscher Nation in Truck verfestigt […]. Nr. 49 UIrichi ab Hutten, Equitis Germ. Exclamatio, in incendium Lutheranum. (Empörungsschrei des Ritters Ulrich [von] Hutten gegen die Verbrennung Lutherischer Bücher). (Wittenberg: Johann Rhau-Grunenberg 1521). Benzing-Nr. 149; Böcking 3, S. 451-455. Dieses Gedicht, eins der letzten lateinischen Gedichte Huttens, entstand zwischen dem 15. und 25. November 1520 auf der Ebernburg und wurde 1521 in Wittenberg veröffentlicht. Thema des Flugblattes ist die Verbrennung lutherischer Schriften am 12. November 1520 in Köln, veranlasst unter Einverständnis Karls V. vom päpstlichen Nuntius Aleander, der damit einer Forderung in der Bannandrohungsbulle „Exsurge Domine“ (s. Nr. 46) genügte. Die 64 Hexameter des heroischen Gedichts sind die äußere Form von Huttens „Aufschrei“ zu Gott, dem er die Untat der Bücherverbrennung <?page no="138"?> Ulrich von Hutten und seine Werke 138 klagt. Die so vernichteten Werke Luthers hätten das göttliche Wort, die Wahrheit enthalten. Das Feuer bedeute Empörung gegen Gott und sein Gesetz. Die Rache solle Aleander und Leo X. treffen. Das eindrucksvolle Gedicht schließt mit Huttens Wahlspruch „Jacta est alea“. Nr. 50 Dialogi Huttenici noui, perquam festiui. (Neue, ungemein witzige Huttensche Gespräche). (Straßburg: Johann Schott nach 13. Jan. 1521). Benzing-Nr. 161; Böcking 4, S. 309-406. Huttens „Dialogi novi“ sind eine szenische Bilderfolge zur jüngsten reformatorischen Entwicklung. Überdies spiegelt sich in ihnen die Situation der Ritter, die an politischer Macht verloren hatten und um Geldmittel und Bündnispartner verlegen waren. Sie entstanden zwischen Februar 1520 und Januar 1521 auf der Ebernburg und erschienen Anfang 1521 in Straßburg. Die Gesprächssammlung, eines der bedeutendsten Werke Huttens, enthält eine kurze Zueignung vom 13. Januar 1521 an Sickingens Nachbarn, den Pfalzgrafen Johann II. von Simmern-Sponheim (Böcking 2, S. 3; 4, S. 310). Als Verteidiger der deutschen Freiheit stellt Hutten sich im ersten Dialog „Bulla vel Bullicida“ vor, einer possenhaften Szene. Die deutsche Freiheit und die Bannbulle gegen Luther treten als Personen auf. Die „libertas“, von der „bulla“ misshandelt, findet in Hutten, dem „bullicida“ (Bullentöter), ihren Retter. Er bekundet seine Verachtung für die unchristlichen Papisten und seinen Respekt für die Ebernburg Franz von Sickingens, der „Herberge der Gerechtigkeit“. Scharen von Kurtisanen eilen der Bulle zu Hilfe. An der Spitze eines Heeres taucht Sickingen auf. Die Höflinge entfliehen. Die mit bösen Eigenschaften und Lastern prall gefüllte Bulle zerplatzt. Hutten bedient sich hier der Bedeutung von „bulla“ als „Blase“. Ein Mahner oder Warner („Monitor 1“) begründet in einer Unterredung mit Luther seine Absicht, sich von ihm loszusagen. Der Versuch seines Gesprächspartners, ihn durch Darlegung seiner Lehre und der Beweggründe der Reformation umzustimmen, scheitert, weil der Monitor, wie er zuletzt verrät, Aussicht hat, Kardinal zu werden. Das aber bedeutet, so glaubt Luther, dass seine Seele nicht mehr gerettet werden kann - er habe sie verkauft. In „Monitor 2“ wird Sickingen von einem Warner darüber unterrichtet, dass er, Sickingen, auf dem Wormser Reichstag wegen seines Eintretens für Luther und Hutten ins Gerede gekommen sei und der Ketzerei verdächtigt werde. Der Ritter vermag jedoch den „Monitor“ von der Richtigkeit seiner reformatorischen Haltung zu überzeugen. Karl V. sei von päpstlich gesonnenen Ratgebern verblendet. Sickingen will auf eigene Faust den „Pfaffenkrieg“ - den Krieg gegen die geistlichen Fürsten - beginnen. Er lässt offen, ob er notfalls sogar zur Rebellion gegen den Kaiser bereit ist. Hutten empfiehlt mit diesem Dialog Sickingen als Anführer eines Krieges gegen Rom und charakterisiert Luther als schutzbedürftigen Erneuerer des Evangeliums. <?page no="139"?> Nr. 51 139 In „Praedones“ („Die Räuber“), dem monumentalen Hauptstück der Sammlung, sind Hutten, Sickingen und ein Kaufmann die Unterredner. Im Gespräch entfaltet sich ein Gemälde des Ständestaates Deutschland unter dem Gesichtspunkt der Räuberei. Huttens Propaganda geht hier auf ein Bündnis zwischen der Ritterschaft und den finanzstarken freien Städten, gerichtet gegen Roms Herrschaft in Deutschland. Der Kaufmann bietet Hutten und Sickingen zunächst Paroli und beschuldigt die Ritterschaft der Räuberei, ohne dabei seine leicht bedrohlichen Gesprächspartner auszunehmen, erliegt dann aber ihrer demagogischen Überzeugungskunst. Hutten und Sickingen, nachdem sie das Raubrittertum verharmlost haben, richten ihren eigentlichen Angriff gegen die übrigen „Klassen“ von Räubern, einmal die Kaufleute (besonders die Fugger), dann die bei den Fürsten einflussreichen Schreiber und Juristen und schließlich gegen den Klerus, dem neben materieller Ausbeutung des Volkes auch vorgeworfen wird, die echte Frömmigkeit, ja das Seelenheil Einzelner zu gefährden. Die Gesprächspartner reichen sich zuletzt die Hand - literarischer Ausdruck eines Wunschtraumes von Versöhnung und Bündnis der Ritterschaft mit den freien Städten, der nicht in Erfüllung gehen sollte. Nr. 51 Eyn Klag über den Luterischen Brandt zu Metz durch Herr Ulrich von Hutten. (Worms: Hans [Werlich] von Erfurt Anfang 1521). Benzing-Nr. 152; Böcking 3, S. 455-459. Eine weitere Verbrennung von Schriften Luthers nach der Aktion vom 12. November 1520 (s. Nr. 49) erfolgte am 29. November 1520 in Mainz, wiederum auf Betreiben Aleanders. Abermals reagierte Hutten mit einem politisch-religiösen Protestgedicht. Es entstand zwischen dem 30. November und 9. Dezember 1520 auf der Ebernburg und wurde Anfang 1521 in Worms gedruckt. Das Werk ist, bei manchen inhaltlichen Berührungspunkten, keine Übersetzung der lateinischen Behandlung des Themas. Da Hutten jetzt das Volk und nicht nur Lateinkundige aufrütteln wollte, wählte er die deutsche Sprache. In ihr bringt er zum Ausdruck, dass er in der Verbrennung von Luther-Drucken einen Versuch der Ermordung der göttlichen Wahrheit sieht. Er klagt zu Gott über den unchristlichen Zustand auf der Erde und legt die Pervertierung der ewigen Wertmaßstäbe dem Papsttum zur Last. Dem wahren Gottesknecht Luther bietet er seine Hilfe an, er wolle an Gut und Blut nicht sparen. Das volksliedhafte Gedicht schließt mit dem Ausdruck der Zuversicht, dass Gott die Gerechten nicht verlasse und der deutschen Variante seines „Jacta-est-alea“-Wahlspruchs: „Ich habs gewagt“. <?page no="140"?> Ulrich von Hutten und seine Werke 140 Nr. 52 Enndtschüldigung Ulrichs von Hutten Wyder etlicher unwarhafftiger außgeben von ym als solt er wider alle geystlichkeit und priesterschafft sein mit erklärug etlicher seiner geschrifften. (Worms: Hans [Werlich] von Erfurt 1521) Benzing-Nr. 159; Böcking 2, S. 130-149. Kurtisanen, d. h. päpstliche Höflinge, darunter deutsche Geistliche, die entweder noch am römischen Hof verweilen oder dort gedient haben, und Geistliche, denen durch päpstlichen Erlass eine Pfründe - eine Pfarrstelle - zuerkannt worden ist, haben ihn, so klagt Hutten in seiner Ende 1520 bis Anfang 1521 im Schutz der Ebernburg geschriebenen deutschsprachigen Prosaschrift „Entschuldigung […]“, verleumdet. Indem sie sich unterstehen, sich als Teil der achtenswerten Priesterschaft auszugeben, beschuldigen sie Hutten, ein Feind der Priesterschaft insgesamt zu sein. In der vorliegenden Schrift will Hutten die Schuldvorwürfe entkräften, er entschuldigt sich also nicht im landläufigen Sinn. Es sei seiner geistlichen Gegnerschaft schon gelungen, ihm Freunde, Gönner, Anhänger abspenstig zu machen, indem sie etwa behaupten, er wiegele Adel und Kriegervolk gegen die Geistlichkeit auf, wobei sie von ihm verfasste Schriften böswillig falsch auslegen. Hutten will einen Flächenbrand aus verleumderischen Gerüchten auch durch Verwendung der deutschen Sprache verhindern. Falsch sei es, dass er dem Papst und dem gesamten geistlichen Stand die Fehde erklärt habe. Dagegen würden ihn seine Verleumder gern mit eigenen Händen umbringen. So ereifern sie sich, dass Erstechen Medizin für seine Gebrechen sei. Einem großen Kurtisanen wäre es am liebsten, wenn Hutten gevierteilt würde. Hutten fordert ihn auf, ihm unter die Augen zu treten, lässt sich durch soviel unchristlichen kranken Hass nicht einschüchtern. Andererseits verwahrt er sich dagegen, ein prinzipieller Pfaffenfeind zu sein, greife er doch nur den unfrommen Teil der Geistlichkeit an, nicht aber die würdige, gottesfürchtige, gelehrte, weltlichem Besitz abholde Priesterschaft. Ihr sei er von Herzen geneigt. Ausdrücklich, ja inständig bittet er sie, ihn nicht als Feind anzusehen. Hutten fühlt sein Leben bedroht, zumal inzwischen zunehmend auch Aufgehetzte sich an seine Fersen heften. Als Beweis für Huttens Pfaffenfeindschaft gilt vielen seine versifizierte Kampfschrift „Klage und Vermahnung“. Diese enthält Anklage-Tiraden gegen Geistliche wegen unchristlicher Gesinnung und Handlungsweise, aber bereits hier, so insistiert Hutten, habe er seine Wertschätzung für Geistliche von echter Frömmigkeit erkennen lassen. Durch Auflistung von Belegstellen aus dem „Spruch“ - der „Klage und Vermahnung“ - sucht Hutten sich vom Vorwurf grundsätzlicher Pfaffenfeindschaft zu befreien. Seine Schriften, so Hutten, dienen nicht nur der deutschen Nation, sondern auch dem Schutz der unverdorbenen Priesterschaft, unter der es nicht wenige gebe, die eine Reformation des geistlichen Standes fordern. Hutten prangert die finanzielle Ausbeutung, die „Schatzung“ der deutschen Nation durch Rom an. Darunter versteht er die Verpflichtung zu Abgaben, z. B. von Annaten (Geld für Verleihung von Pfründen), Gratien (Vergünstigungen), Indulgenzien <?page no="141"?> Nr. 52 141 (Ablass). Auch der finanzielle Missbrauch geistlicher Lehen wird gerügt. Aus Huttens Sicht erscheint Deutschland als Eiche, die allmählich durch eine Schmarotzerpflanze zum Erliegen gebracht wird. Unklar bleibt irgendeine Alternativ-Vorstellung Huttens, etwa der Ausbau einer deutschen romfreien Nationalkirche, in der Nachfolge der karolingischen Reichskirche. Hutten, der seine junge Zeit dem Dienst nicht nur am Vaterland sondern auch an der göttlichen Wahrheit gewidmet habe, bestreitet, jemals die Bibel gelehrt oder gepredigt zu haben. Er habe jedoch aus ihr zitiert, wenngleich nicht mit ungewaschenen Händen. Hutten sieht sich als Wächter, Warner, Mahner, eine Art getreuen Eckhart, der keineswegs Aufruhr stiften wolle, wohl aber um Gehör bei Kaiser Karl V. bitte mit seinen Anliegen, dass er sich um die Not Deutschlands mit der römischen Amtskirche kümmern möge, die Huttens Vaterland das Seil um die Hörner gelegt habe. Die Kurtisanen, so Hutten, heucheln christliche Sanftmut, als wären sie beschützenswerte Gesalbte, sie sind aber in Wirklichkeit in die Freistatt der Kirche geflohene Wölfe. Sie wandeln wie dienstlose Landsknechte einher. Ihre Waffe sollte jedoch das Schwert des Heiligen Geistes sein. Hutten wirft seinen Feinden, den Kurtisanen, auch, was seinen Lebenslauf betrifft, üble Nachrede vor. Sie suchen ihn als einen aus dem Kloster Fulda geflohenen Mönch zu diskreditieren, der die Profess damals schon abgelegt habe. Neuere Forschung deutet darauf hin, dass sie vielleicht nicht unrecht gehabt haben. Hutten vergleicht seine Verdächtiger mit „Winkelscheltern“, vielleicht auch ein Ausdruck für den Eichelhäher, der aus Waldwinkeln kreischend Wild vor der Annäherung eines Jägers „warnt“ … Beim Eintritt in das Benediktinerkloster Fulda im Alter von 11 Jahren, also 1499, hätten seine Eltern bedachtsam gehandelt, in andächtiger, guter Meinung, mit dem Vorsatz, dass er dort verharren und ein Mönche werden solle. Ohne Profess abgelegt zu haben, sei er dann später aus dem Kloster ausgetreten. Was die Praxis der Seelsorge angeht, so rügt Hutten an gewissen Pfarrern, dass sie ihre Pflichten an dafür schlecht bezahlte Unterpfarrer delegieren. Die Pfarrgemeinden würden oft anstatt von Schriftgelehrten von hoffärtigen Junkern verwaltet, die nicht die Schafe zu weiden im Sinn haben, sondern die Gemeindemitglieder Drei-Pfennig- Tagelöhnern überlassen. Unter den „Seelsorgern“ aber gebe es mehr Räuber als in den Wäldern. <?page no="142"?> Ulrich von Hutten und seine Werke 142 Nr. 53 Gesprächsbuechlein Herr Ulrichs von Hutten. Feber das Erst. Feber das Ander. Wadiscus, oder die Romische Dreyfaltigkeit. Die Anschawenden. (Straßburg: Johann Schott Anfang 1521). Benzing-Nr. 125; Böcking 4, S. 27-41 (Feber 1: lat.-dt. Synopse); S. 101-308 (die übrigen Gespräche: lat.-dt. Synopse). Nach dem Erscheinen der ersten lateinischen Fassung seiner Dialoge im April 1520 (s. Nr. 41) war für Hutten am Hof des Erzbischofs Albrecht von Mainz kein Bleiben mehr. Trotz der Hilfe Sickingens, mit dem er seit dem Feldzug gegen Ulrich von Württemberg (1519) befreundet war, gelang es ihm nicht, am Hof des Erzherzogs Ferdinand von Österreich eine Anstellung zu erhalten. Seit September 1520 im Schutz der Ebernburg, verdeutschte er dort bis Ende Dezember 1520 einige seiner „Dialogi“. Die Übertragung von „Febris II“ stammt vielleicht von Martin Butzer. Der Dialog „Fortuna“ aus der lateinischen Vorlage ist nicht mitberücksichtigt. Huttens Ausgabe seiner „Dialogi“ im neuen deutschen Sprachgewand erschien die Anfang 1521 in Straßburg. Die Prosa-“Vorred“ des „Gesprächsbüchleins“ (Böcking 1, S. 447-449) ist an Franz von Sickingen gerichtet. Dieser wird von Hutten gepriesen, weil er ihm auf der Ebernburg, der „Herberge der Gerechtigkeit“, Schutz und Gastfreundschaft gewährt. In einem lyrischen Vorspruch an den Leser (Böcking 1, S. 450) heißt es, die Wahrheit sei wiedergeboren, und er werde ihr weiterdienen, trotz Bann und Acht und des Weinens seiner frommen Mutter. Neu, im Vergleich zu den „Dialogi“, ist ferner die „Beschlußred“ (Böcking 1, S. 451-452), worin Hutten sich als im Dienst Gottes, des Vaterlandes und der Wahrheit begreift. Nr. 54 Gesprechsbiechlin Neuw Karsthans. (Straßburg: Matthias Schürer 1521). Nicht bei Benzing; Böcking 4, 649-681. Des „Neuen Karsthans“ Handlungs-, Entstehungs- und Erscheinungsjahr ist 1521. Aus Anspielungen im Dialog ergibt sich der zeitgeschichtliche Hintergrund: Der zweite Wormser Reichstag sowie Sickingens bevorstehender Feldzug gegen Frankreich im Auftrag Karls V. Die Verfasserschaft bezüglich dieses Gesprächsbüchleins über Karsthans, der als „neu“ im Hinblick auf eine frühere Flugschrift mit einem gleichnamigen Helden bezeichnet wird, ist nicht gänzlich geklärt: Vermutlich ist der Reformator und Sickingen- Verehrer Martin Butzer der Autor, Hutten hingegen der sprachliche Bearbeiter und Verfasser des Vorspruches an den Leser. Hutten, Butzer und andere Luther-Anhänger weilten damals als Gäste Sickingens im Schutz der Ebernburg. Protagonisten des Gesprächs sind Franz von Sickingen und Karsthans. Auch in anderen Flugschriften wurden Bauern mit diesem Namen bedacht. Er ist von „Karst“ ab- <?page no="143"?> Nr. 55 143 geleitet, der Bezeichnung für eine zweizinkige Erdhacke, mit welcher die Bauern arbeiteten. In dem Dialog bittet der arme Bauer Karsthans, aus nichtigem Grund von seinem Offizial mit Ablass und, als er diesen nicht ganz zahlen kann, mit dem Bann gedemütigt, Franz von Sickingen um Hilfe, der zu seinen Gunsten an den Bischof einen Brief schreiben will. Über die Situation Deutschlands und der Kirche Christi besorgt, sind sich Sickingen und Karsthans in ihrer Ablehnung des derzeitigen Papsttums und in der Parteinahme für Luther und seine Sache einig. Sie bringen mancherlei Gründe dafür vor und entwerfen ein Bild der Geistlichkeit, wie sie sein sollte. Wiclif, Hus, Ziska werden mit Achtung genannt. Über die Frage einer Erhebung gegen die römische Geistlichkeit wird unterschiedlich geurteilt. Karsthans meint, man solle mit „pflegeln und kärsten“ „drayn schlagen“. Sickingen mahnt jedoch zur Geduld und verweist auf die Obrigkeit. Karl V. solle den Anfang machen. Über Hutten erfahren wir aus Sickingens Mund, dass er auf der Ebernburg vielfältig beschäftigt ist, z. B. mit der Übersetzung einer Bulle und der Abfassung von Schriften gegen die Päpstlichen. Was Hutten bisher gesagt, sei die lautere Wahrheit. Sickingen beruft sich auf ihn als auf einen gelehrten Gewährsmann. Nr. 55 Ulrich vom Hutten entbeut allen christlicher Freiheit liebhaberen, alles guts. In: Concilia wie man die halten sol. […]. (Straßburg: Johann Schott nach 20. Feb. 1521). Benzing-Nr. 225; Böcking 2, S. 78-79. Im Jahr 1521 gab Hutten diese Schrift über die Notwendigkeit der Abhaltung von Konzilien heraus. Sie stammt aus dem 15. Jahrhundert, der Zeit des Basler Konzils. Ihr Verfasser ist unbekannt, war aber, seinem Werk nach zu schließen, ein Anhänger der Partei des am 5. November 1439 zum Papst gewählten Felix V. - des letzten Gegenpapstes -, nachdem am 25. Juni 1439 Eugen IV. abgesetzt worden war. Sie erklärt die Oberhoheit des Konzils über den Papst, was als Glaubenssatz von dem „Concilia“- Verfasser anhand von Zitaten aus der Bibel und den Kirchenvätern untermauert wird. Der Autor vertritt die Ansicht, dass Konzilien regelmäßig, alle zehn Jahre, stattfinden sollen, und zwar an Orten außerhalb des Zuständigkeitsbereiches von Papst und Kardinälen, unter Beteiligung des Kaisers und mit Themen nicht nur kirchlicher sondern auch weltlicher Art. Für die Ausführung der Beschlüsse solle der Kaiser sorgen. Mit der Herausgabe dieses Dokumentes bekannte sich Hutten zu der darin vertretenen Auffassung des Konziliarismus und damit zu einer im Vergleich mit Luthers Glaubensradikalismus gemäßigten, älteren Reformationsrichtung, der weder die Reichsregierung noch die Fürsten abgeneigt waren. Er bot die Schrift zu einer Zeit der Öffentlichkeit an, als der Ruf nach einem Konzil, von dem man sich die Beseitigung der Gefahr der Glaubensspaltung versprach, allgemein in Deutschland zu vernehmen war. Hutten, der überhaupt gern in alten Bibliotheken forschte und Betreuer dersel- <?page no="144"?> Ulrich von Hutten und seine Werke 144 ben dazu angehalten hat, in ihnen nach Werken zu suchen, die „dißen Dingen“, also dem Kampf gegen Rom, dienlich sein könnten, hatte das Werk in der Bibliothek seines Freundes Franz von Sickingen auf der Ebernburg gefunden. Er veröffentlichte es zusammen mit einem „Büchlein“ des Titels „Ermanung das ein jeder bey den rechten alten christlichen Glauben bleiben […] soll“, von dem Bamberger Vikar Konrad Zärtlin verfasst. Darin redet dieser einer Reformation im Sinn von Umkehr anstelle von Erneuerung und Aufruhr das Wort. Von Hutten stammt das Vorwort an die Leser als an „Liebhaber der christlichen Freiheit“. Nr. 56 Ulrichi ab Hutten Eq. Germani In Hieronymum Aleandrum & Marinum Caracciolum Oratores Leonis X. apud Vormacia Inuectivae singulae (..) (Des deutschen Ritters Ulrich von Hutten einzelne Schmähschriften gegen Hieronymus Aleander und Marinus Caracciola, Sprecher Papst Leos X. in Worms). (Paris: Pierre Vidoué für Konrad Resch nach 27. März 1521). Benzing-Nr. 173; Böcking 2, 12-34 u. 38-46. Die vorliegenden „Invektiven“ (= Schmähungen) entstanden Februar bis März 1521 auf der Ebernburg zur Zeit des 2. Wormser Reichstages und erschienen 1521 in Paris. Sie lassen den Einfluss der Lektüre der Anklagereden Ciceros erkennen. Abweichend vom Typ der Invektive fügte Hutten ein Sendschreiben hinzu, gerichtet an den Kaiser, bei dem er sich für Martin Luther einsetzt („Ad Carolum Imperatorem, pro Luthero exhortatio“) Aleander und Caraccioli nahmen als Abgesandte Leos X. am Reichstag teil. Huttens erste Schmähschrift gegen Hieronymus Aleander (1480-1542) ist die Reaktion auf eine Rede des Nuntius, die den jugendlichen Kaiser bewegen sollte, Luther ohne Verhör als Ketzer verurteilen zu lassen. Der kirchliche Bann gegen den Reformator war Januar 1521 in Kraft getreten. Bereits am Morgen nach dieser Rede war Hutten über sie unterrichtet worden. In seiner Invektive erklärt er Aleander, den er direkt anredet, dass die nationale Opposition gegen die Kurie wachse und droht ihm, dass man ihn auf seiner Rückreise nach Rom durch Deutschland erschlagen werde. In der zweiten Schmähschrift wirft Hutten Marino Caracciolo (1468-1538) den Handel mit Ablass, Indulgenzien und Distributionen vor, indes auf dem Reichstag Fragen nationalen Interesses zur Debatte stünden. Er spielt damit auf die „Gravamina“ der deutschen Nation gegen den römischen Hof an, die von den Ständen dem Kaiser vorgelegt wurden — d. h. Klagen über die päpstliche Verwaltungs- und Besteuerungspraxis sowie das kirchliche Prozessverfahren, wie sie seit dem Konstanzer Konzil immer wieder erhoben worden waren. In der dritten Schrift - „In Cardinales, Episcopos et Sacerdotes Lutherum Vormaciae oppuganteis invectiva“ - prangert Hutten das Wirken der Geistlichkeit in Deutschland an. Zu ihren Untaten rechnet er das Bannen, das Bücherverbrennen, die <?page no="145"?> Nr. 57 145 Angriffe auf die Wissenschaft. Er wirft ihr weltliches Machtstreben, Unchristlichkeit und Sittenlosigkeit vor. Nr. 57 Herr Ulrichs von Hutten anzoeg Wie allwegen sich die Römischen Bischoff od’ Baepst gegen die teutschen Kayßeren gehalten haben […]. (Straßburg: Johann Schott vor 9. April 1521). Benzing-Nr. 162; Böcking 5, 363-384. Zwischen Dezember 1520 und März 1521 entstand auf der Ebernburg Huttens „Anzöig“. Darin erweist er sich als kämpferischer Historiograph, der einen aus Chroniken und Historien gezogenen Stoff nicht um der reinen Wissenschaft willen aufbereitet, sondern sich eine seiner Waffen daraus meißelt, mit denen er sich einen Weg zur Erreichung seines Zieles bahnen will; die religiöse, politische und wirtschaftliche Emanzipation Deutschlands von Rom. Hutten skizziert in seinem Geschichtsabriss die Auseinandersetzung zwischen Kaiser- und Papsttum als Ausdruck einer Art von Urfeindschaft. Unter anderem stützt er sich dabei auf eine in seinem Besitz befindliche Briefsammlung Friedrichs II., eines Gegenspielers mehrerer Päpste. Er dachte an ihre Publizierung. Über eine Ausführung dieses Plans ist nichts Näheres bekannt. Adressat der „Anzöig“ ist Karl V., der in der dritten Person Einzahl („Ihre Majestät“) angeredet wird. Hutten will mit dem tendenziös antirömischen Abriss dem Kaiser, der ihm allzu sehr von päpstlichen Abgesandten umlagert und beeinflusst erscheint, im Sinn der nationalen und kirchlichen Reformbewegung umstimmen. Seine auf eine genaue Weise empörte Skizze mündet in eine Warnung Karls V. vor Papst Leo X., dem er nicht vertrauen dürfe. Er solle aus den bösen Erfahrungen seiner Vorgänger, von Otto I. bis Maximilian I., lernen. Huttens „Anzöig“ und das Schreiben „Dr. Luthers“ - welches gemeint ist, wird nicht gesagt - seien gedacht, „Ihrer Majestät“ und der ganzen deutschen Nation zu Nutz und Frommen zu gereichen. Er ruft den Kaiser dazu auf, diejenigen zu unterstützen und nicht zu verfolgen, die ohne Furcht vor der päpstlichen Tyrannei die Wahrheit aussprechen. Nr. 58 Duae ad Martinum Lvtherum Epistolae Ulrici ab Hutten. Vuittenbergae. (Zwei Briefe Ulrichs von Hutten an Martin Luther), (Wittenberg: Johann Rhau-Grunenberg nach 20. April 1521). Benzing-Nr. 177; Böcking 2, S. 55-56, 58 Von den fünf Briefen Huttens an Luther sind diese beiden in einem Band vereinigten Schreiben, die nach dem 20. April 1521 in Wittenberg erschienen, Ausdruck leiden- <?page no="146"?> Ulrich von Hutten und seine Werke 146 schaftlicher Anteilnahme am Schicksal des Reformators, zu der Zeit, als dieser auf dem Wormser Reichstag am 17. und 18. April 1521 verhört wurde. Allen Warnungen zum Trotz war Luther, der eine offizielle Vorladung erhalten hatte, um seine Lehre zu widerrufen, am 16. April 1521 in Worms eingetroffen. Martin Butzer, als Sendbote von der etwa 50 km entfernten Ebernburg gekommen, übergab am 7. April 1521 Martin Luther einen Brief Huttens mit gleichem Datum. Dieser beschwört darin den Reformator, standhaft zu bleiben und spricht ihm Mut zu. Er empfindet ihn als einer höheren religiösen Sphäre zugehörig. Huttens zweiter Brief an Luther stammt vom 20. April 1521. Sein Hintergrund ist dessen zweites Verhör vor dem Reichstag am 18. April 1521. Luther hatte den Widerruf seiner Lehre abgelehnt. Hutten empört sich in seinem Brief über Luthers Feinde. Aber die Zahl der Verteidiger des Reformators wachse. Er rät zur Waffengewalt und wolle selbst bald in diesem Sinn aktiv werden. Nr. 59 Ain new lied her Ulrichs von Hutten (Schlettstadt: Nikolaus Küffer Sommer 1521). Benzing-Nr. 179; Böcking 2, S. 92-94. Im Sommer 1521, in der Zeit, da Hutten auf eigene Faust seinen „Pfaffenkrieg“ führte, schrieb er auf Sickingens Schloss Diemerstein bei Kaiserslautern „Ein neu Lied“, ein „epochemachendes, in der deutschen Lyrik auf Jahrhunderte hinaus einsames Lied“ (Johannes Klein, Geschichte der deutschen Lyrik, S. 35), es gilt als eines der schönsten Gedichte in deutscher Sprache, das, nachdem es als Einblattdruck in Schlettstadt wenig später erschienen war, große Beliebtheit errang und nach einer vertrauten Melodie gesungen wurde. Hutten, nach dem Wagnis seiner Agitation gegen Rom von der Inquisition bedroht und in isolierter Lage, fängt in seinem Neuen Lied sein damaliges Lebensgefühl ein. Die Würfel sind gefallen, es gibt kein Zurück mehr. Er glaubt zu wissen, dass er jetzt, nach publizistischem Beginn, die faustrechtsartige Tat auf Leben und Tod zur Durchsetzung seines Ziels, die Unabhängigkeit Deutschlands von der römischen Kirche, wagen muss. Er zieht Resümee und bereut nichts. Was er getan hat, geschah dem Vaterland zugute — „noch muss man spüren Treu“, wie es in seinem „new lied“ heißt. <?page no="147"?> Nr. 60 147 Nr. 60 Hoc in libello haec continentur Helie Eobani Hessi, ad Hulderichum Huttenum […], exhortatorium. […] Hulderichi Hutteni ad Helium Eobanum Hessum […] responsorium […]. (In diesem Büchlein sind enthalten: Die Ermahnung des H. E. Hessus an Ulrich von Hutten. […] Antwort des Ulrich von Hutten an H. E. Hessus […]. (Straßburg: Johann Schott Sommer 1521). Benzing-Nr. 178; Böcking 2, S. 71-75. Der Luther-Anhänger und Freund Huttens, Eobanus Hessus, schrieb im Mai 1521 aus Erfurt eine gereimte Aufmahnung an den Ritter, die einen ähnlichen Tenor hat wie ein Prosa-Brief Hermanns von dem Busche an Hutten aus demselben Monat. Hessus ruft darin Hutten zu den Waffen - um der Sache Luthers, der christlichen Wahrheit und der deutschen Freiheit willen. Huttens Anklagen hätten nichts gefruchtet, Bücher und Gedichte nützen nichts, der Ritter solle das Schwert ergreifen - führe er doch doppelte Waffen, Schwert und Feder, und werde nicht nur als Dichter, sondern auch als Krieger in Deutschland bewundert und sei als solcher im Bilde dargestellt worden. Er selbst, Eobanus, sei leider nicht so waffentüchtig, doch wolle er immerhin die Kriegstrompete blasen. Hutten werde viele Tausende an seiner Seite finden, darunter den unbesiegten Sickingen. Huttens Antwort auf des Freundes Ruf zu den Waffen ist sein letztes Gedicht in lateinischer Sprache „Hulderichi Hutteni ad praecedens Helii Eobani Hessi carmen responsorium“. Es entstand im Juli 1521 auf Sickingens Burg Diemerstein (bei Kaiserslautern) und wurde im Sommer 1521 in Straßburg zusammen mit Eobanus Hessus’ Aufmahnungsgedicht gedruckt. Hutten, der von Ende Mai bis Ende Juli 1521 einen erfolglosen „Pfaffenkrieg“ nach Raubritter-Manier geführt hatte, weist in seiner Antwort an Eobanus Hessus auf die mangelnde Kampfbereitschaft möglicher Bundesgenossen hin. Er teilt mit, dass er den päpstlichen Nuntien Marino Caracciolo und Hieronymus Aleander auf ihrer Rückreise von Worms nach Rom vergeblich einen Hinterhalt gelegt habe. Er versichert, weiterhin für Luthers Sache und die deutsche Freiheit kämpfen zu wollen. Nr. 61 Vhoedts brief d. Ulrici Hutten contra die zuhandt lossen Curtisanen. (Worms: Hans [Werlich] von Erfurt nach 4. April 1522). Benzing-Nr. 180; nicht bei Böcking (Abdr. in: Zeitschr. f. Kirchengesch. 14 (1894) S: 128-129). Am 23. Mai 1521 gab Hutten seinen Dienst bei Karl V. auf, nachdem das Wormers Edikt, das Luther und seine Anhänger ächtete, am 8. Mai 1521 vom kaiserlichen Kabinett zur Ausfertigung genehmigt worden war, und trennte sich auch von Sickingen - vorläufig, im Mai 1522 schloss er sich ihm wieder an. Ende Mai 1521 ging Hutten in <?page no="148"?> Ulrich von Hutten und seine Werke 148 den „Untergrund“ und begann den sog. Pfaffenkrieg“, eine Fehde gegen Kurtisanen- Höflinge, die über die Kurie zu einer deutschen Pfründe gelangt waren. Er wurde von reisigen Knechten unterstützt. Er wollte, dass sich aus seinen Aktionen eine nationale Bewegung gegen die Statthalter der übernationalen Kurienherrschaft in Deutschland entwickele. Gewaltmaßnahmen lagen zumindest in seiner Absicht. Davon kündet sein „Fehdebrief an die Kurtisanen“. Mit diesem nach dem 4. April 1522 in Worms erschienen Rundschreiben, dessen Einzelexemplare in deutschen Städten ausgehängt wurden, wird dem „ehrlosen, schandhaften, verdammten Haufen der Kurtisanen“ gleichsam der Fehde-Handschuh hingeworfen. Hutten droht ihnen mit Beraubung, Brand und Totschlag und erklärt auch ihnen verbundene Nichtgeistliche zu seinen Feinden, falls sie sich nicht distanzieren. Das Flugblatt fand nicht das gewünschte Echo. Die Städte waren während des 14. und 15. Jahrhunderts allzu oft von der (Raub-)Ritterschaft überfallen und gebrandschatzt worden. Nunmehr wünschen ihre Repräsentanten nichts weniger als eine Wiederbelebung des Faustrechts. Nr. 62 Zv wyssen sey Jederman. Nach dem ich Ulrich vom Hutten zum Stöckelberg. … dem ganntzen Prediger Orden abgesagt … (Worms: Hans (Werlich) von Erfurt nach 7. April 1522). Nicht bei Benzing; nicht bei Böcking. In seinem unmittelbar nach dem Fehdebrief an die Kurtisanen (s. Nr. 61) verfassten Fehdebrief an die „Prediger Münich“ ruft Hutten dazu auf, den Dominikanern und ihrem Anhang in seinem Namen Schaden zuzufügen. Zugleich sollen diejenigen, welche dies unternehmen, sich ihm anschließen, wofür sein Dank ihnen gewiss sei. Nr. 63 Vormanung an die freien und reich Stette teutscher Nation (Straßburg: Johann Knobloch Sommer 1522). Benzing-Nr. 181; Böcking 3, S. 527-537. Hutten versteht sich in diesem auf der Ebernburg oder der Festung Landstuhl wohl Juni 1522 im Schutzbereich Franz von Sickingens geschriebenen längeren deutschsprachigen Reimgedicht als „Nemo“, der es als einziger wagt, die Ungerechtigkeit anzuprangern, welche den Verwerflichen unter den Territorialfürsten und den bei Residenzwechsel Karls V. nach Spanien ihn vertretenden Machthabern des 2. Reichsregimentes (in Nürnberg) nachlaufe - als einen einsamen Rufer, der sich davon bedroht weiß, Landes verjagt zu werden, den Ideen der Wahrheit und der Befreiung vom fürstlichen Tyrannentum verpflichtet und guten Christen zugewandt, wie er ist. <?page no="149"?> Nr. 63 149 Die an Hans Sachs erinnernde altdeutsche Knittelverstreuherzigkeit und sprachlich gediegene Gesinnungsbiederkeit seines Langgedichtes schließen gelegentliche raffiniert vage Andeutungen nicht aus. So werden Maximilian-I., Karl V, Franz I. und andere nicht namentlich genannt, sondern mit famaartigen Umschreibungen evoziert, was die Neugier des Lesers wohlig anregt, als wäre er in ein spannendes Mitbürgergespräch auf einem Marktplatz verwickelt. In den Städten, zumal den reichsunmittelbaren, aber wollte Hutten in der Tat mit seiner Schrift gelesen werden und möglichst viele Menschen mit ihr erreichen. Durch seinen Gebrauch der deutschen Sprache, wobei sein Frühneuhochdeutsch manchmal noch mittelhochdeutsche Wortformen erkennen lässt - z. B. „quam“ für „kam“ - wirkt sein Anliegen, ein Bündnis von Ritterschaft und reichsunmittelbaren „freien“ Städten gegen die Fürstenmacht, umso eindringlicher. Wie eine solche Koalition allerdings konkret, sei es in vertraglicher, reichsreformerischer oder gar revolutionärer Hinsicht, aussehen soll, darüber schweigt Hutten. Hutten nimmt die Kaiser-Königswahl im Juni 1519 in Frankfurt/ M. ins Visier. „Lang ward getanzt um diese Braut“, nämlich die „Braut“ Deutschland, so sieht er in seinem Aufklärungsgedicht den Kampf um die Königsherrschaft zwischen den verschiedenen Bewerbern um die „Hand“ der „Braut“. Er beklagt die mangelnde moralische Integrität, als Karl I. von Spanien Franz I. von Frankreich mit Hilfe riesiger Bestechungssummen an die Kurfürsten besiegte, aber Hutten nennt, um die Aura des famaartigen und verschwörerischen Raunens nicht auszulöschen, keine Namen. Got weis, daß ich schrey heimlich mort, do ich vermerckt die große schmach, die do dem Vatterlandt geschach, do einer gab, der andere nam, do iemer für, der nachher quam, der bot vil tausent, der ander mehr, das man ihn lies züs Keysers aehr. Ob ichs nit sagt, so ist’s doch laut. Lang ward gedantzt um diese braut, bis einer sie erworben hat. Wer weis, was in die hochzeit stadt? Fürwar, umb sonst es nit bequam, wie wol man auch von andern nam, die müssen ietzo sehen nach. Sagt nun, ist das ein fürstlich sach? Sol man also vorwesen sich? Ist das nun billich, ist das gleich? Wardt auch geholden eid und pflicht? Wardt got und recht geachtet icht. <?page no="150"?> Ulrich von Hutten und seine Werke 150 Im zunächst in Nürnberg tagenden - zweiten - Reichsregiment und Ständerat (1521- 1536) besaßen die Fürsten die mehrheitliche Macht, die Städte waren, ihrer Bedeutung nicht gemäß, nur schwach, die Ritterschaft überhaupt nicht vertreten. Hutten, der trotz Unbehaustheit, Acht und Bann berühmte und gelesene Autor, will mit seinem Gedicht daran mitwirken, eine traditionelle gegnerische Front aufzubrechen und die reichsunmittelbaren Städte, die besonders im späten Mittelalter von der Ritterschaft immer wider in Fehden verwickelt wurden, für ein Notwehrbündnis mit der Ritterschaft gegen die Landesfürsten umzustimmen, die auch ihnen gefährlich werden konnten, wie der Überfall Ulrichs von Württemberg auf die freie Reichsstadt Reutlingen und deren Eroberung während des Interregnums 1519 bewiesen hatte. Hutten führt warnend ins Feld, dass die Landesherren darauf aus sind, unter Ausnutzung des gegenwärtigen Machtvakuums sich die Städte dienstbar zu machen. Sie leben ohnehin schon ihre ausbeuterischen Gelüste dadurch aus, dass sie die Bevölkerung insgesamt durch Besteuerung, Binnenzölle und Schutzgeldforderungen missbrauchen. Hutten rückt die Situation der Armen ins Blickfeld. Diese bildeten ein revolutionäres Potential. Schon 1514 war es zum Bauernaufstand des „Armen Konrad“ (des „armen Contzen“) gegen den Territorialfürsten Ulrich von Württemberg gekommen, der seinen Untertanen unerträglich Steuerlasten aufgebürdet hatte. Die Existenz der reichsunmittelbaren, handels- und bildungstüchtigen Städte war indessen durch die Territorialfürsten weniger stark gefährdet, als diejenige der Ritterschaft, die ihre veralteten Standesprivilegien nicht aufgeben wollte. Ihre fehdereiche Feindschaft gegen die Landesherren war notorisch. Sie organisierten sich bereits im Mittelalter zur Wahrung ihrer Machtstellung in Ritterbünden, wie etwa im Hessen des 14. Jahrhunderts im sog. „Sternerbund“, benannt nach dem Stern im Wappen des Grafen von Ziegenhain, gegen den Landgrafen Hermann, der sie dann aber mit Hilfe der Stadt Wetzlar besiegte. Auf einem Rittertag im August 1522 ließ sich Franz von Sickingen zum Hauptmann eines Ritterbundes, des „Landauer Bundes“ wählen. Sein Ideologe Hutten suchte im Vorfeld dieses Zusammenschlusses mit seinem anwerbenden Langgedicht - einem politischen Gedicht im Gegesatz zum lyrikkonformeren Stimmungsgedicht - die freien Reichsstädte auf die Seite des revolutionären niederen Adels zu ziehen und damit indirekt auch auf diejenige des möglichen Koalitionsführers Sickingen. In Kaiser Karls V. Imperium ging bekanntlich die Sonne nicht unter. Es war jedoch nicht aus einem einzigen staatlichen Guss. Die Habsburger Weltreich-Monarchie, ein Territorien-Komplex aus dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, Spanien samt überseeischen Besitzungen, den habsburgischen Erblanden und weiteren Staaten, allesamt durch kaiserliche Personalunion miteinander verbunden, besaß als Ganzes weder einen „amtlichen“ Staatsnamen noch eine einheitliche Sprache, Verwaltung und Rechtsordnung. Das „germanische“ Deutschland, die deutsche Nation, Huttens Sprachheimat und „Vatterlandt“ wurde von Karl V, welcher der deutschen Sprache nicht mächtig war, vergleichsweise vernachlässigt. Huttens anfängliche patriotische Hoffnungen, die er in ihn gesetzt hatte, besonders hinsichtlich der <?page no="151"?> Nr. 64 151 Befreiung Deutschlands vom Joch der römischen Kirche, wichen allmählich einem enttäuschten Unverständnis. In seinem Appell an die freien Städte sind jedoch seine Idee und sein Ideal eines römisch-deutschen Reiches und der Wiederkehr der alten Kaiserherrlichkeit noch als nostalgischer Reflex spürbar, z. B. bei der Besinnung auf den „letzten Ritter“ Maximilian I: Do noch ein keiser was im Reich dorft ydermann klagen zu gleich, dornach er was mit gealt beschirmt, und was der reichen macht gewert. Da was der armen einzig trost, do dürch sie gewalt erlost, do mocht ein armer ritter man eim fürsten, der im leits getan, zu antwort bringen und zurecht, und wardt ein yde stadt vorfecht. Nr. 64 Ein demütige ermanung an ein gemeyne statt Wormbß von Ulrich von Hutten zugeschrieben. (Speyer: Jakob Schmidt nach 27. Juli 1522). Benzing-Nr. 183; Böcking 2, S. 124-130. Um 1522 hatte die evangelische Lehre in Worms Einlass gefunden. Sie wurde von einem Priester namens Ulrich verkündet. Auf diesen weist Hutten in seiner Ermahnung, entstanden Juli 1522 und wohl September 1522 in Speyer veröffentlicht, lobend hin. Der Lehre Christi, wie Ulrich sie verkündet, sollen die Bürger anhängen. Als Gegenspieler, Vertreter der alten Richtung, erscheint ein Pfarrer Dr. Daniel. Hutten fordert in seinem an den Wormser Bürgermeister und Rat gerichteten Flugblatt die Einwohner zum Ausharren in der neuen Lehre auf. Er selbst werde ebenfalls fest bis an sein Lebensende auf dem Weg der Wahrheit bleiben. Er spricht sich für das Recht der Gemeinden auf die Wahl der Bischöfe aus. Der damalige Bischof von Worms, Reinhard von Ripper, war ein erklärter Feind der Reformation. Huttens Angriffe auf die „Romanisten“ sind in dieser Schrift nicht so häufig und heftig wie sonst bei ihm üblich. In seiner „demütigen“ Ermahnung, die einen predigerhaften Sprachduktus hat und etwas von seiner ursprünglichen, kindhaften Frömmigkeit durchscheinen lässt, beruft er sich oft auf die Bibel. Luthers Auftreten und seine Bibel-Auslegungen mögen ihn die Heilige Schrift neuentdecken gelehrt haben. Hutten verfasste das Sendschreiben auf Sickingens Veste Landstuhl. Im Mai 1522 hatte er sich ihm nach kurzer Trennung wieder angeschlossen. <?page no="152"?> Ulrich von Hutten und seine Werke 152 Nr. 65 Eine gegenredt oder ausschreiben […] widder pfaltzgraf Ludwigen Churfürsten Nicht bei Benzing; nicht bei Böcking. In: Szamatolski, Siegfried - Ulrichs von Hutten deutsche Schriften (Straßburg 1891, S. 165-178). Aufgrund eines Manuskripts im Huttenschen Archiv des Hutten-Schlosses Steinbach (bei Lohr a. M.) wurde die „Gegenrede“ erstmals 1891 von dem Straßburger Germanisten Siegfried Szamatolski publiziert. (Szamatolski, Siegfried - Ulrichs von Hutten deutsche Schriften (Straßburg, 1891 S. 165-178) Ende November bis Anfang Dezember 1522 hat Hutten, schon in Basel, seine Rache- und Anklage-Tirade gegen den Pfalzgrafen, dessen Verfolgung er im Pfälzer Wald zu erdulden gehabt hatte, niedergeschrieben. Nr. 66 [In tyrannos] Nicht bei Benzing; nicht bei Böcking. In: Schlecht, Joseph; Briefmappe, 2. Stück, - Münster 1922, S. 46-53, S. 96-104. Ohne dass ein von Hutten gewählter Titel bekannt ist, wird Huttens 1523 in der Schweiz entstandener lateinischer Prosatext gelegentlich unter dem Zitiertitel „In tyrannos“ (oder „libellus in tyrannos“ oder „tractatus in tyrannos“) angeführt. Wie schon in der „Gegenrede“, so greift Hutten auch in dem inhaltlich in ihr enthaltenen Teilstück ihrer lateinischen Entsprechung, die als Ganzes verschollen ist, Pfalzgraf Ludwig V. an. Vermutlich hat er in der vollständigen lateinischen Invektive auch noch andere deutsche Landesfürsten angeklagt - „ich bin geboren, um Tyrannen zu verfolgen“ heißt es in seiner Gegenrede - und darüber hinaus den Territorialfürsten überhaupt als verwerflichen Typ in der damaligen politischen Situation, womit er ein Seitenstück zu der entsprechenden Anklage in der Vermahnung an die freien Städte (s. Nr. 63) geschaffen hätte, vielleicht in einer Gesamtabrechnung mit seinen fürstlichen Feindbild-Gegnern: Ich weis ir einer, wirt nit sat, Wie wol er vil verschlunden hatt, Verschlindt noch teglich wie ein thier, Acht nit das ymandt dran verlir, Er hat gefressen lange zeit, Nach ist im stet sein rach so weit, Der Rein ihm den mocht füllen nit. Entgegen hilfft kein fleh, kein bit, Den Adel hat er gefressen schon, Itzt wiler zu den stetten gon, <?page no="153"?> Nr. 67 153 Den setzt er auff ein newen czoll. Sag an du wolff, wan bistu voll? Denckst nit, das etwan quem ein tagh, Der dir bisher vorborgen lagh, Das du must speien aus den fraß? Hör auff, von deinem fressen laß! Nr. 67 Ulrichi ab Hutten cum Erasmo Roterodamo, Presbytero, Theologo, Expostulatio. (Beschwerde Ulrichs von Hutten über Erasmus von Rotterdam, den Priester und Theologen). (Straßburg: Johann Schott Anfang Juni 1523). Benzing-Nr. 186; Böcking 2, S. 180-248. Franz von Sickingen, in dessen Schutzbereich im Pfälzer Wald Hutten 1522 noch weilte, eröffnete nach seinem erfolglosen Feldzug gegen Frankreich im Auftrag Karls V. im August 1522 eine militärische Offensive gegen Richard von Greiffenklau (1487-1531), den Kurfürsten von Trier, einem Gegner der Reformation. Sickingen strebte nach Wiedergewinnung der früheren Bedeutung der Reichsritterschaft und sah in dem geplanten Eroberungskrieg einen ersten Schritt auf dem Wege der Eindämmung der territorialen Fürstenmacht und der reformatorischen Umgestaltung der kirchlichen Verhältnisse in Deutschland. Mit einer Truppenstärke von etwa 7.000 Mann rückte er in trierisches Territorium ein, hatte aber mit der Belagerung der Stadt Trier keinen Erfolg und gab sie am 14. September 1522 auf. Er wich in seine festen Burgen zurück. Seinem Ideologen Hutten riet er zur Flucht von der Ebernburg, da er ihm nunmehr keinen ausreichenden Schutz mehr gewähren könne. So verließ Hutten im September 1522 seinen ritterlichen Freund und Standesgenossen, während die Allianz der Fürsten von Trier, Hessen und Kurpfalz sich anschickte, mit vereinter Heeresmacht Sickingen zu bekriegen. Dieser starb am 8. Mai 1523 auf seiner vom Gegner eingenommenen Veste Landstuhl an einer Schusswunde. Hutten beherzigte also den Rat Sickingens als dessen letzte beschützerische Hilfe und machte sich auf die Flucht von der Ebernburg durch den Pfälzer Wald, im Herbst 1522. Als Zielort seiner Flucht mag er sogleich an Basel gedacht haben, wo er auf Schutz und Herberge bei Erasmus von Rotterdam setzte, der dort wohnte und dessen Freundschaft er für hochherzig genug hielt. Näheres über Begleiter, den Weg, den er nahm usw., ist nicht bekannt. Von Otto Brunfels (um 1488-1534), dem Prediger und Arzt, der mit einer Pflanzenkunde - „Herbarum vivae eicones“ (1530) - in die Geschichte der Botanik eingegangen ist, einem Freund Huttens, den er auf der Ebernburg besucht hat, wissen wir, dass Hutten ein Konvolut von etwa 2.000 an ihn gerichteten Briefen besaß, von Fürsten, Gelehrten und Freunden und vielen anderen Personen aus verschiedener Herren Länder. Brunfels berichtet darüber in seiner „Responsio…“ von 1524, in „Ulrichi ab Hutten cum Erasmo Roterdamo […] expostulatio Othonis <?page no="154"?> Ulrich von Hutten und seine Werke 154 Brunfelsii pro Ulrico defuncto ad Eramsi […] responsio (auch in Böcking 2, S. 325- 346). Er sucht darin die Angriffe des Erasmus in seiner „Spongia“ auf Hutten Punkt für Punkt zu widerlegen. Jenes Brief-Konvolut Huttens wurde zusammen mit anderen seiner Besitztümer, die er auf seiner Flucht mittransportieren ließ, von kurpfälzischen Soldaten aufgebracht. Die sog. „kurpfälzische Beute“ ist in Heidelberg verkauft worden, zu ihren verschollenen Teilbeständen zählt auch die erwähnte Briefsammlung. Hutten erreichte noch im November 1522 Basel. Dort erlebte er eine böse Überraschung. Erasmus verweigerte ihm eine Zusammenkunft. Hutten musste sich mit einer gewöhnlichen Herberge als Unterkunft begnügen. Auch in den folgenden Wochen kam es zu keiner persönlichen Begegnung Huttens mit Erasmus von Rotterdam, der durch eine solche wohl kompromittiert zu werden fürchtete, insofern sein Ruf als interkonfessionell objektiv, als eine Art „ehrlicher Makler“ gefährdet werden konnte. Im Frühjahr 1523 schrieb Hutten, der Basel verlassen hatte, in Mülhausen im Augustinerkloster seine Herausforderung in Briefform gegen Erasmus und ließ sie im Juni 1523 als „Expostulatio …“ in Straßburg veröffentlichen. In dieser publizistischen Form bekam sie Erasmus zu lesen. In höchster Empörung, seiner sonstigen weisen Souveränität verlustig, antwortete er mit der im September 1523, also nachdem Hutten schon gestorben war - am 29. August 1523 - in Basel publizierten Selbstverteidigungsschrift mit Gegenangriff „Spongia…“. Hutten konfrontiert in seiner „Expostulatio …“ Erasmus zunächst mit den demütigenden Umständen, unter denen er im November 1522 vergeblich eine Begegnung mit ihm zu erreichen versucht hatte, so in einer Art Warte-Duell, bei dem sich Erasmus vermutlich in seinem Wohnhaus vor ihm verborgen hielt, während der frierende, bettelarme Ritter fiebernd vor Ungeduld davor auf der Straße auf ihn wartete. Zwischendurch habe er Erasmus schreiend herausgefordert, vermutlich sowohl im übertragenen als auch im buchstäblichen Sinn. Seine „Expostulatio …“ ist eine schriftliche Nachbereitung dieser Situation mit all ihrer ungläubigen Verzweiflung. Sie macht auch deutlich, wieviel Kritik an dem berühmten Gelehrten er zuvor schon vor diesem in den Zeiten ihrer einander schonenden Freundschaft zu verbergen hatte. In einem Anfang Februar 1523 publizierten umfangreichen Literaturbrief des Erasmus an seinen Freund Marcus Laurinus, den Dekan von St. Donatien in Brügge (Böcking 2, S. 158-177) tritt des Humanisten ablehnende Abneigung gegenüber der Reformation deutlich zutage. Hutten empfand das gedruckte Schreiben als halbherzig und unaufrichtig. Seine Lektüre ist neben der Besuchsverweigerung durch Erasmus eines der weiteren Motive der Entstehung von Huttens „Expostulatio …“. In dieser Abrechnung wird die moralische Integrität des Erasmus in Frage gestellt. Dabei erscheint die polarisierende Persönlichkeit Martin Luthers als wesentliches Streitobjekt, durch das die Entzweiung vorangetrieben wird. Es mischt sich gleichsam ein Dritter in die Polemik ein und macht eine Verständigung zwischen den beiden Humanisten voll- <?page no="155"?> Nr. 67 155 ends unmöglich. Der leidenschaftlichen Verteidigung Martin Luthers durch Hutten, der sich selbst allerdings nicht als Lutheraner empfand, korrespondiert die ablehnungsnahe Skepsis des Erasmus gegenüber dem Reformator. Hutten argwöhnt, dass aufgrund von entsprechender Bedrängnis durch einflussreiche Persönlichkeiten der seiner Ansicht nach opportunistische, wankelmütige Stubengelehrte im Begriff sei, sich in das Lager der Luthergegner und „Romanisten“ zu begeben, er empört sich über des Erasmus Auffassung, dass man nicht immer die Wahrheit sagen dürfe und über seine Fortführung des Gesprächskontakts mit relativ mächtigen altkirchlichen Reformationsfeinden wie Aleander, Caracciolo, Glapion, sogar Hochstraten, den Inquisitor, in welchem Hutten eine Bestie sieht. Er befürchtet einen damals auch in der Öffentlichkeit diskutierten möglichen Plan des wortgewaltigen Humanisten, gegen Luther publizistisch zu agitieren. Er gibt ihm zu bedenken, dass, falls er sich zu einem Widerlegungsversuch der Lehre Luthers bewegen lassen sollte, er sich nicht nur mit den Argumenten der Lutheraner, sondern auch mit den eigenen Positionen seiner Kirchenreformprogrammatik auseinanderzusetzen habe, von deren Richtigkeit er im Grunde immer noch überzeugt sei. Als Ursache der drohenden Wendung des Humanisten gegen Luther nimmt Hutten nicht einen Wandel der religiösen Gesinnung sondern Charakterschwäche an. Aber in den Zelten der Lutheraner stünden als deren beste Waffen die kirchenkritischen Schriften des Erasmus bereit. Von Schmeicheleien des römischen Hofes gelähmt, wie Herkules von Omphale, würde Erasmus als Überläufer bald gewahr werden, dass man ihm dies nicht danke. Dabei brauche er doch, wie Hutten unter unfeiner Anspielung auf das Alter des Erasmus - zwischen 53 und 54 Jahren - anmerkt, keine Zukunftssicherung mehr. In der „Spongia“ antwortet Erasmus, dass er weder nach Ehre noch Gut strebe, sondern damit beschäftigt sei, sich auf das Jüngste Gericht vorzubereiten. In den Augen Huttens hat Erasmus dadurch, dass er seinen Wunsch, ihn zu besuchen, nicht erfüllt habe, die Feuerprobe der Freundschaft nicht bestanden. Erasmus hingegen beurteilt einen hochangesetzten Wert der Freundschaft skeptisch. Was die schon zitierte Streitschrift des Erasmus gegen Hutten, die „Spongia“ betrifft, so erschien sie in Basel im September 1523, gedruckt in der dortigen Offizin seines Freundes Johannes Froben aus dem fränkischen Hammelburg (1460-1527), bei dem er wohnte: „Spongia Erasmi adversus aspergines Hutteni“ - Basel 1523 (auch in: Böcking 2, S. 265-324). Es handelt sich um ein auf Lateinisch geschriebenes Pamphlet, eine Gegendarstellung, auf Hutten und seine „Expostulatio“ (1523) gemünzt. Erasmus benötigte für die Abfassung der Schrift eine Woche, ohne, wie Hutten in seiner „Herausforderung“, die Briefform zu wählen. Er will gleichsam mit einem Schwamm die „Anspritzungen“ Huttens wegwischen. Als die Gegendarstellung erschien, war Hutten bereits in hoffnungsloser Verlassenheit am 29. August 1523 auf der Insel Ufenau im Zürichsee gestorben. Erasmus hatte geglaubt, dass sein Widersacher die „Spongia“ noch lesen werde. <?page no="156"?> Ulrich von Hutten und seine Werke 156 Erasmus nennt in der „Spongia“ als Grund, weshalb er Hutten den Besuchswunsch abgeschlagen habe, dass er sich wegen eines Steinleidens nicht in geheizten Räumen aufhalten dürfe. Das ausschlaggebende Motiv war indessen die Angst vor Gerüchten über ein Zusammentreffen mit dem gebannten und geächteten kirchenrebellischen Briganten Hutten, das ihm als ein Paktieren auch mit dessen Ideologie ausgelegt werden mochte. Zu den vielen Einzelheiten über Hutten, die in der „Spongia“ versammelt werden, gehört auch, dass der „mündige Patient“ Hutten in Basel 1522-1523 eine - nicht überlieferte - Schrift gegen einen Arzt publiziert habe, von dem er sich falsch behandelt fühlte. Zwei in Huttens letzter Schweizer Lebensphase 1522/ 23 entstandene Kampfschriften, eine gegen Pfalzgraf Ludwig V., die andere gegen das Tyrannentum deutscher Territorialfürsten - nur lückenhaft überliefert - fanden keinen Drucker, der das Wagnis ihrer Publikation auf sich nehmen wollte (s. Nr. 65, Nr. 66). Rastlos austeilend, arbeitete Hutten damals auch seine „Expostulatio“ aus, welche, so Erasmus in seiner „Spongia“ sinngemäß, von übler Nachrede über ihn strotze. Bevor sich des Ritters edler Sinn in verdorbenen Wein verwandelt habe, sei er als Mensch schätzenswert gewesen. Ängstlich beflissen um den Beweis bemüht, dass er mit seiner Abwehr Huttens nicht allein steht, behauptet Erasmus, dass sich auch, um nicht in Verruf zu geraten, etwa Albrecht von Mainz und Franz von Sickingen(! ) von ihm losgesagt hätten. Für seine Versicherung, dass sich auch Huttens Familie von ihm distanziert hätte, bleibt er den Beweis schuldig. Erasmus bekennt, dass es ihm hauptsächlich darum geht, um seiner Studien willen in Ruhe gelassen zu werden, er scheint auch deshalb seine interkonfessionelle Neutralität zu wahren versucht zu haben. Er vermutet einen zahlenden Auftraggeber hinter Huttens „Expostulatio“, deren „asiatischen“ Wortschwall er rügt und dem er nunmehr besonnen lakonisch begegne. Hutten sei ein Meister darin, zu entstellen, was wirklich gesprochen oder geschrieben worden ist. Er leide unter wundem Argwohn, wenn er glaube, er, Erasmus, wolle gegen Luther schreiben, den er übrigens weder verurteile noch glorifiziere. Erasmus hat nicht immer im Schutz eines konfliktlosen Gelehrtendaseins gelebt. Der Vorwurf Huttens, dass Erasmus zu opportunistischem Wohlverhalten neige, ist nicht ganz haltbar. In die Enge getrieben, nimmt Erasmus den Kampf auf, so gegen altkirchlichen Theologen, die ihn wegen seiner Scholastik-Feindlichkeit kritisieren, so gegen Löwener Theologen, denen er der Luthersache zugeneigt erscheint. In einem Schreiben vom 21. Mai 1520 (Böcking 1, S. 346-348) war es allerdings Hutten, der ihn gegen den englischen Theologen Edward Lee verteidigt hat, der Erasmus im Zusammenhang mit dessen kritischer Neuausgabe des Neuen Testaments (Griechischer Urtext samt Übersetzung ins Lateinische und Anmerkungen) polemisch zu nahe gekommen war. Seit 1516 Hofrat bei dem Erzherzog und späteren Kaiser Karl V., sieht Erasmus offenbar seine Stellung am Hof als gesichert an. Er tritt diesbezüglichen Zweifeln Huttens <?page no="157"?> Nr. 67 157 und dem Gerücht entgegen, dass Papst Hadrian VI. (1459-1523) Schriften von ihm verdammt habe und er als Ketzer angeklagt werden solle. Hutten gegenüber besteht Erasmus auf seinem Recht, weder Feind noch Freund Luthers und anderer jener Persönlichkeiten zu sein, die von Hutten charakterlich eindimensional als gut oder böse, Freund oder Feind eingeordnet werden. Er lehnt des Ritters Verlangen ab, Gegnern Luthers die Freundschaft zu entziehen. Hingegen sei er mit Hutten eines Sinnes, was dessen Gegnerschaft gegen die Feinde der edlen Wissenschaften, der „bonae literae“ betrifft. Erasmus bekennt, dass er immer nur für das Evangelium gekämpft habe, ohne sich von den Römischen oder den Lutheranern darin beirren zu lassen. Er betrachtet sich selbst als mündigen homo religiosus, als seine Partei und seine Unabhängigkeit als Voraussetzung seines Schaffens. Die Arbeit beruhige ihn, er werde durch sie zum besseren Menschen. Es geht Erasmus in seiner „Spongia …“ weniger um die Beurteilung Luthers und der Reformation als um die Entkräftung der von ihm als Verleumdung empfundenen Aggression Huttens. Diese hängt auch mit dem hitzköpfigen Temperament, der Herkunft und dem Umgang des stürmischen, noch der ersterbenden Ritterwelt verhafteten Adligen zusammen. Hutten sei ein Krieger mit dem Hintergrund von Burgen, Schanzen, Soldaten, Musketen, Pulverdampf, Feuer, Schwert und dem Lagerleben der Landsknechte mit Wein und Würfelspiel. Er selbst, Erasmus, sei als Gelehrter insonderheit an der Abfassung seiner eigenen Schriften interessiert, die anderen Menschen nützlich sein können. Sein Prinzip sei die Friedfertigkeit, niemals wolle er der Lehre Christi zuwider handeln. Er bejahe die römische Kirche, insofern sie noch das Evangelium verfechte, billige aber nicht die Tyranneien und Laster der Römlinge. Man könne Leo X. hassen und doch das Amt des Papstes bejahen. Die Untaten der römischen Kirche habe er immer verurteilt. Aber trotz vieler schlechter Christen befinde sich immer noch die rechtgläubige Kirche in Rom. Der derzeitige Papst, Hadrian VI., bemühe sich jedoch, die römische Kirche vom Schmutz zu reinigen, dabei befinde er sich auf der Seite Huttens. Erasmus führt Lehrmeinungen sowohl der Lutheraner als auch der römischen Kirche an, die er nicht teilt. Erasmus hat Luther nicht persönlich kennengelernt und dies wohl auch nicht gewollt, im Gegensatz zu Huttens vergeblichem Bestreben. Er war auf dem Wormser Reichstag von 1521 nicht anwesend. Dort hätte er sein Ansehen und seinen Einfluss, etwa seine Freundschaft mit dem nach Worms entsandten päpstlichen Legaten Aleander, zugunsten Luthers geltend machen können. Wie es Hutten befürchtet hatte, geschah es nach seinem Tod. Erasmus schrieb gegen Luther, gegen seine Leugnung des freien Willens in seiner Abhandlung „Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche“ (1520). Erasmus, ohne Luther persönlich anzugreifen, polemisiert gegen diese Auffassung in seiner „Diatribe“ „De libero arbitrio diatribe sive collatio“ (Basel 1524). Er bejaht darin die Möglichkeit des freien Willens auch im Hinblick auf göttliche Gnade und Vorsehung. Luther parierte mit dem Werk „De <?page no="158"?> Ulrich von Hutten und seine Werke 158 servo arbitrio“ (Wittenberg 1526). Erasmus reagierte mit seiner Verteidigungsschrift „Hyperaspistes Diatribae Adversus Servum Arbitrium Martini Lutheri“ (1526/ 27). Der Bruch zwischen Erasmus und Luther war damit vollzogen, es ist nicht mehr zu einer Aufhebung ihres persönlichen und exegetischen Gegensatzes gekommen, wie sich das schon in dem Streit zwischen Erasmus und Ulrich von Hutten abgezeichnet hatte. <?page no="159"?> 159 Literatur Bibliographien Benzing, Josef: Ulrich von Hutten und seine Drucker. Eine Bibliographie der Schriften Huttens im 16. Jahrhundert. Mit Beiträgen von Heinrich Grimm. Wiesbaden, 1956. 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(Suppl. 1 und Suppl. 2 auch zitiert als: Hutten, Ulrich von: „Opera […] Bd. 6 und Bd. 7) [Historisch-kritische Gesamtausgabe] Hutten, Ulrich von: Ulrich von Huttens ausgewählte Gespräche und Briefe. Übersetzt von Otto Stöckel. Berlin, 1869. Hutten, Ulrich von: Ulrich von Huttens Gespräch über das Hofleben. Aus dem lateinischen übersetzt von L. A. Schubart, Deutsche Monatsschrift, 1792. S. 235-271. Hutten, Ulrich von: Um Deutschlands Freiheit. Eine Auswahl aus seinen Schriften. Hrsg.: Rudolf Neuwinger. Berlin, 1943. Hutten-Müntzer-Luther: 2 Bde., Berlin 1982. Texte von Ulrich von Hutten in Bd. 1. S. 1-178. Mit eingelegter Lanze. Literarische Streitschriften von Hutten bis Mehring. Leipzig, 1988 (Reclam Universalbibliothek 383) [Übersetzte Auszüge aus den Streitschriften Huttens gegen Erasmus von Rotterdam und umgekehrt]. On the eye oft the reformation. „Letters of Obscure Men“. Ulrich von Hutten et al. Translated by Francis Griftin Stokes. New introduction by Hajo Holborn. 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Der erste Teil stellt die Orte der Produktion und Rezeption deutschsprachiger Texte vor und zeichnet die Ausbreitung der deutschsprachigen Schriftlichkeit, die Entwicklung des Dichtungsbegriffs und die wichtigsten Aspekte der Geschichte von Versdichtung und Prosaliteratur nach. Der zweite Teil führt anhand konkreter Beispiele in die Verfahrensweisen des Bedeutungsaufbaus in älteren poetischen Texten ein. Tipps zur Informations- und Literaturrecherche sowie Hinweise auf weiterführende Lektüre runden den Band ab. Die zweite Auflage wurde vollständig überarbeitet, um ein Kapitel zu rhetorischen und theologischen Grundlagen der Textkonstitution ergänzt sowie bibliographisch aktualisiert. „Der auch optisch sehr ansprechende, lesefreundlich gesetzte Band ist derzeit 1. Wahl.“ ( ekz-Informationsdienst 19/ 06) Gert Hübner Ältere deutsche Literatur 2. Auflage Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG \ Dischingerweg 5 \ 72070 Tübingen \ Germany Tel. +49 (07071) 97 97-0 \ Fax +49 (07071) 97 97-11 \ info@narr.de \ www.narr.de Stand: Oktober 2015 · Änderungen und Irrtümer vorbehalten! JETZT BESTELLEN! <?page no="165"?> Oh Jahrhundert! Oh Wissenschaften! Es ist eine Lust, zu leben. Ulrich von Hutten Neben Erasmus von Rotterdam und Martin Luther repräsentiert Ulrich von Hutten (1488-1523) in besonderer Weise den Zeitgeist des 16. Jahrhunderts. In seiner brilliant geschriebenen Biographie en miniature lässt Helmut Spelsberg diesen „heißen und ungeduldigen Kriegsmann des Geistes“ (Stefan Zweig), der in seinem gefahrvollen und abenteuerlichen Leben sowohl dem Humanismus als auch der Reformation zu dienen versuchte, in seinen Stärken und Schwächen plastisch hervortreten. Ergänzt wird die Biographie durch eine kommentierte Bibliographie der Werke Huttens, die deutlich macht, auf welch unterschiedlichen Feldern der Wissenschaft, der Literatur, der Kunst und der Politik der erste Reichsritter zu Hause war. Über den Autor: Helmut Spelsberg (geb. 1937) war nach seiner Promotion in Marburg/ L. Bibliothekar an der Staatsbibliothek in Marburg/ L. und Berlin, von 1976-2002 stellvertretender Direktor der Hessischen Landesbibliothek Fulda. Zahlreiche Veröffentlichungen, u. a. zu Rabanus Maurus, Ulrich von Hutten, Thomas Mann und B. Traven. 2007 Hörspiel über die Shakespeare-Apokryphe „Sir Thomas More“ für Deutschlandradio Kultur. ISBN 978-3-7720-8586-4
