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Silbenzwang

Text und Transgreß bei Friedrich G. Klopstock, unter besonderer Berücksichtigung des 'Messias'

0515
2017
978-3-7720-5624-6
978-3-7720-8624-3
A. Francke Verlag 
Martin A. Hainz

Friedrich Gottlieb Klopstock, ein Autor, dem die ,interpretive communities' Unrecht taten. Empfindsamer Illustrator der biblischen Heilsgeschichte, wie die Zeitgenossen vermeinten? - Sein Hauptwerk, ,Der Messias', ist aber mehr als dies, geprägt durch eine moderne Sprache, eine Rhythmik, die den Text vorantrieb und noch -treibt, eine Kinetik noch der Visionen, etwa: eines Alls der Aufklärung. Auf dem Umweg über die Sprache und insbesondere die Metrik legt diese Studie jene Qualitäten nochmals frei, jene von Experiment und Eskalation: "Jeder Gedanke, mit dem du dich selbst, o Erster, durchschauest, Ist erhabner, ist heiliger, als die stille Betrachtung, Auf erschaffene Dinge von dir hernieder gelassen" ...

<?page no="0"?> Martin A. Hainz Silbenzwang Text und Transgreß bei Friedrich G. Klopstock, unter besonderer Berücksichtigung des ‚Messias‘ <?page no="1"?> Silbenzwang <?page no="2"?> Band 7 Herausgegeben von Matthias Luserke-Jaqui (Darmstadt) in Verbindung mit Albrecht Beutel (Münster), Peter Seibert (Kassel) und W. Daniel Wilson (London) <?page no="3"?> Martin A. Hainz Silbenzwang Text und Transgreß bei Friedrich G. Klopstock, unter besonderer Berücksichtigung des ‚Messias‘ <?page no="4"?> Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb. dnb.de abrufbar. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. © 2017 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Internet: www.francke.de E-Mail: info@francke.de Printed in Germany ISSN 1614-5917 ISBN 978-3-7720-8624-3 Publiziert mit freundlicher Unterstützung der Alexander von Humboldt-Stiftung, Bonn. Umschlagabbildung: Friedrich Gottlieb Klopstock: Der Messias. Bd. 1-3, Kop[p]enhagen: Ludolph Henrich Lillie 1755-1768 (Handexemplar Klopstocks, Vorsatzblatt mit Notizen des Dichters). Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, Cod. in Scrin 295. <?page no="5"?> Inhalt Zum Geleit ............................................................................................................................. 7 Methodisches Präludium ............................................................................................. 9 Fleißiger gelesen - ein Abriß ....................................................................................... 15 Rezeption in der Literatur ......................................................................................... 15 Rezeption durch die Literaturwissenschaft: Leistungen, Versäumnisse .... 22 Intention und Glaube Klopstocks ............................................................................. 29 Silbenzwang … und Metaphysik ................................................................................ 33 Die Heilige Schrift Klopstocks - ein Grundriß .................................................. 37 Achtung .............................................................................................................................. 37 complicatur - Komplikationen ................................................................................. 38 Anrufung ........................................................................................................................... 45 Transfigurationen der Ontologie Klopstocks ................................................... 51 Seid wie Gott! .................................................................................................................... 51 Wunder, Gottmensch, Immanenz............................................................................... 52 Kosmetik ............................................................................................................................ 58 Heiliger Geist .................................................................................................................... 59 Streit und Strauß ........................................................................................................... 61 Etwa: Die Französische Revolution ....................................................................... 68 Etwa: Messias Arminius .............................................................................................. 73 Religion, Pneuma und Demokratie ........................................................................ 79 Daß ich keinen zugrunde gehen lasse ..................................................................... 83 Geschöpf: Satan - Adramelech - [Schlange]… .................................................... 84 Satan .................................................................................................................................... 84 Adramelech ...................................................................................................................... 86 Geschöpf und Gegenwort ............................................................................................ 89 Reueteufel, Teil 1 ............................................................................................................ 95 Judas ..................................................................................................................................... 96 Blasphemierisiko - und Klopstocks problematische Vorkehrungen ..... 102 Exemplarisch: Benoni ............................................................................................... 104 Nicht exemplarisch? - Jesus ................................................................................... 106 Szene: Ceder und Donner ........................................................................................ 108 Kreuzestod .................................................................................................................... 110 Reueteufel, Teil 2 .......................................................................................................... 115 Abbadona und Mephistopheles ............................................................................ 118 Abaddon/ Abbadona .................................................................................................. 121 Textualisierung, Teil 1 ................................................................................................. 123 Text und Skansion ...................................................................................................... 123 Hexameter - Versfüße, kombinatorisch ........................................................... 126 Geschehen ...................................................................................................................... 134 <?page no="6"?> Fechtkunst, Eislauf, Gleiten, Lapsus ................................................................... 140 Spannung und - lange Weile .................................................................................. 142 Bild und Erhabenes ........................................................................................................ 151 Textualisierung, Teil 2 ................................................................................................. 155 Schriftgott ...................................................................................................................... 155 Exkurs: Sänger, Textarbeiter, Prophet .............................................................. 160 Das sich nicht schreiben läßt …............................................................................... 164 Re-Exkurs: Sänger, Textarbeiter, Prophet ........................................................ 167 Schön ist, Mutter Natur ............................................................................................. 169 Bildlichkeit: Sinnenrausch ........................................................................................ 173 Schweigen ........................................................................................................................... 179 Schweigen als Manöver und Fatum .................................................................... 179 Schweigen und Messianisches .............................................................................. 181 Dunkles/ Erhabenes ................................................................................................... 183 Die metaphysische Metrik des Messias ............................................................. 187 Fraktale ........................................................................................................................... 187 Die falschen Spondeen .............................................................................................. 188 Vom Hexameter zur Versäquilibristik ................................................................ 192 Der erste Gesang ......................................................................................................... 193 Der vierte Gesang ........................................................................................................ 197 Skansion ......................................................................................................................... 197 Zahlenspiele - im Konjunktiv .................................................................................. 199 Makrostrukturen ........................................................................................................ 202 Characteristica universalis ...................................................................................... 202 Makrostrukturen - skandiert ................................................................................ 203 Generisch: Überarbeitungen ................................................................................... 209 Ein später Gesang ....................................................................................................... 213 Freie Verse - die Oden .............................................................................................. 216 Andere Strukturierungen bei Klopstock .......................................................... 221 Das Lebenswerk - ? ......................................................................................................... 225 &c. ............................................................................................................................................ 229 Textgrundlage und Bibliographie ........................................................................ 231 Grundlegendes ............................................................................................................. 231 I. Werke Friedrich Gottlieb Klopstocks ...................................................... 234 II. Nachgelassene Zeugnisse Klopstocks ...................................................... 235 III. Bibel, Apokryphe sowie Illustrationen und Ikonen ........................... 236 IV. Weitere Literatur .............................................................................................. 237 Anhang: Skansion des IV. Gesangs, Verse 1-600 .......................................... 290 <?page no="7"?> Zum Geleit „Gott erspare dir, Leser, die langen Vorworte! “ 1 - Und doch ist schon, ehe überhaupt zum Vorwort zu kommen ist, viel zu sagen, nämlich vielen zu danken. Diese Arbeit verdankt sich vielen - sie alle hier anzuführen, ist fast nicht möglich. Neben all den Referenzen, die sich oft auch als Reverenzen verstehen, seien einige indes hervorgehoben. Zuallererst gebührt all meinen Lieben Dank, ohne deren Unterstützung diese Studie kaum zustandegekommen wäre, insbesondere meinen Eltern. Für anregende Gespräche und kollegiale oder sogar amikale Hilfe sei weiters - unter anderem - Mark Emanuel Amtstätter, Artur Boelderl, Jacques Derrida, Luca Di Blasi, Hans-Jost Frey, René Girard, Thomas Gloning, Rüdiger Görner, Kevin Hilliard, Klaus Hurlebusch, Felix Philipp Ingold, Vivian Liska, Gert Mattenklott, Wolfgang Müller-Funk, Jean-Luc Nancy, Leonard M. Olschner, Jacques Rancière, Klaus Reichert, Clemens Ruthner, Wendelin Schmidt-Dengler und Klaus Werner sehr gedankt. Schließlich ist es mir ein Anliegen, die Institutionen zu erwähnen, die am Zustandekommen dieser Studie beteiligt gewesen sind: die FU Berlin, wo ich Gast von Winfried Menninghaus war, die Arbeitsstelle der Hamburger Klopstock-Ausgabe (SUB Hamburg) sowie - last but not least - die Alexander von Humboldt-Stiftung, ohne deren Unterstützung meine Studien und in der Folge dieses Buch kaum gedeihen hätte können. 1 Genette: Paratexte, S. - 222. <?page no="8"?> „((»Ein ganz bestimmter Ausdruck.«))“ - Wittgenstein: Werkausgabe, Bd. 1, S. - 462, § 606 Ὁ ἀκούω ν ὑμῶ ν ἐμοῦ ἀκούει „ “ (Lukas 10,16)… <?page no="9"?> Methodisches Präludium Zur Struktur des Werkes als einer - auch - methodischen Konsequenz sei eine knappe Annotation gestattet, und zwar, daß es zunächst unter anderem darum ging, die Konstellationen und Transfigurationen, die für das Thema, also den Zusammenhang von Text, Innovation und schließlich Theologie, relevant sind, zu umreißen; der Titel deutet schon an, daß es dabei um die Frage der Textualität und ihrer genuinen Rhythmik geht, doch ergeben sich diese Probleme nicht nur hier, vielmehr entfalten sich auch andernorts Spannungen aus den Glaubens- und Formprobleme, die Klopstocks Werk prägen und in diesem - naturgemäß - nicht zum Stillstand kommen konnten. Folglich seien Konstellationen umrissen, ehe ins Epizentrum vorstoßend das analysiert wird, was jene Begriffsrotationen, Diskontinuitäten und Textöffnungen (vielleicht durch eben diese) initiiert und schon auf zukünftige dekonstruktive Operationen gleichsam zielt: also den messianischen Vektor zuläßt, den auch eine säkulare Annäherung sehen und würdigen muß. Es sind dies theologische, aber dann auch ins Politische zielende Konstellationen, die als scheinbarer Umweg zu gehen sind. Nur eine falsch sterile Würdigung Klopstocks hätte dabei verlangt, immer historisierend letztlich eine ahistorische Stabilität des Werkes zu behaupten, die Dynamik außer Acht zu lassen, der sich Klopstocks Messias und sein Werk insgesamt verdanken, und „prinzipiell(e) Überinterpretationen“ 1 , derer es gleichwohl bedarf, zu scheuen. Dieses Werk selbst ahnt doch schon gleichsam seine stringente Veruntreuung, und zwar aus seiner Sprachmacht und dann dem sprachlich wenigstens ermöglichten Drängen der oder wenigstens seiner Theologie, worin die Konsequenz angelegt zu sein scheint, „die einer universellen und progressiven Religion […] wesentliche Philologie veranlaßt zu haben“ 2 , welche nun ihrerseits schwerlich unpoetisch zu denken sein wird. Das Gedicht drängt über sich, doch nur als Gedicht, das als Epizentrum seines supponierten Gehalts diesem gegenüber einen Vorrang hat. 3 Er tilgt, was das Gedicht momentan ist; vom genuin poetischen „Desinteresse am Gedicht selbst“ 4 schreibt Nancy darum; dieses initiiert vor allem auch, was es noch nicht ist, wiewohl wie umrissen nur das poetische Gebilde das zu tun vermag, wovor es dann scheinbar irrelevant ist - kein Prinzip ersetzte 4 Nancy: Kalkül des Dichters, S. - 8. 3 Cf. u.a. Abaelard: Theologia Summi boni, S. - 244, Flasch: Warum ich kein Christ bin, S. - 35 u. passim, aber auch Benjamin: Gesammelte Schriften, Bd. I·1, S. - 349. 2 Schlegel: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, 1. Abt., Bd. II, S. - 203; cf. auch Mattenklott: Der übersinnliche Leib, S. - 133. 1 Adorno: Gesammelte Schriften, Bd. 11, S. - 10. <?page no="10"?> dies; die Vermählung von „Gründlichkeit […] mit Grundsatzlosigkeit“ 5 wäre das gemäße philologische Ethos. Die Sache ergäbe sich aus der Quelle, die Quelle erreicht zwar noch nicht die Sache, aber ist der Vektor auf etwas, wovon die angebliche Sache weniger als jene Quelle Ahnung ist, jedenfalls sind, wie Blumenberg im Nachlaß als bedenkenswert vermerkte, die Imperative ad res und ad fontes „niemals gleichzeitig ertönt“ 6 , womit aber Philologie vielleicht erst begänne… Das hat auch Folgen in bezug auf die konsultierten Theoriekonzepte, worauf übrigens die Einleitung zur Bibliographie eingeht; und zwar nicht allein die Auswahl betreffend, sondern auch in dem Sinne, daß eine scheinbare Generosität hier zu bestehen scheint, wo Ansätze je inkompatibel wirken mögen, etwa sich beziehend auf die schiere Geste der großen Erzählung und das Minutiöse der Texte, gespiegelt in Referenzen, worin je (noch: Klopstocks? ) Textualität sich anders und doch nicht minder selbst fortführt, als die Vektoren dessen nämlich, die der Text - gelesen - zu entwickeln vermag, womit eine Grundspannung schon des Werks Klopstocks doch angedeutet sein muß. Insofern rührt das scheinbare Desinteresse in Wahrheit an das Werk, als die Ahnung, daß gerade in der Treue eine Diskontinuität bestehen muß; der Akt des zumal schreibenden Denkens ist vielmehr immer schon von einer zuweilen überaus liebevollen Abtrünnigkeit, Treue kann nicht eine Rekonstruktion meinen, die hemmt, was Impetus noch ist oder wäre… 7 Gerade hieraus resultiert - quasi dennoch - auch die vielleicht zuweilen als exzessiv empfundene Arbeit mit Zitaten, die aber weder fremde Diskurse bleiben, noch als bloße Masken, als personae ge- und dann auch schon mißbraucht werden wollen. Es geht hier vielmehr um die Zitate als Formulierungen, die doch in ihrer Möglichkeit gesehen werden: gebraucht und zugleich gewürdigt; sozusagen also „jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel“ 8 dem Text eingeschrieben. Die Zitate sind Konkretisierungen und Zuspitzungen, die ihrerseits produktive Veruntreuung gestatten, also etwa Auslegungskonzepte in actu und als solche zu würdigen und zu verhandeln. Pointiert hat George Steiner mit Benjamin auf diese letztlich jedem Text konstitutive Spannung hingewiesen, Gesagtes in sich zu tragen, aber auch zu transformieren; Phrase ist im Text also nicht das gewandeltanverwandelte Wort, aber auch nicht zwingend jenes, das prima vista originell die fremden Fragmente je verbindet, sie gewissermaßen montiert und moderiert. 10 Methodisches Präludium 8 Kant: Werkausgabe in 12 Bänden, Bd. VII, S. - 61, BA 66f. (im Original gesperrt, M.H.). 7 Cf. Deleuze, Guattari: Was ist Philosophie, S. - 36 oder Badiou: Logiken der Welten, S. - 92. 6 Blumenberg: Quellen, Ströme, Eisberge, S. - 9; cf. auch Adorno: Gesammelte Schriften, Bd. 11, S. - 29. 5 Benjamin: Gesammelte Schriften, Bd. III, S. - 353; cf. ibid., Bd. IV·1, S. - 389. <?page no="11"?> Benjamin schreibt, man müsse „die Kunst, ohne Anführungszeichen zu zitieren, zur höchsten Höhe entwickeln“ 9 - „nur aus Zitaten“ 10 bestünde, was so sich schriebe. Ambivalent greift diese Kunst schon früher Goethe auf, dessen Xenie hier nachhallen mag, daß er vielleicht ja „gar zu wunderlich/ Selbst Überliefrung wäre.“ 11 Auf Adornos äußerst spekulative, aber bemerkenswerte Deutung, es sei also die Absicht seines Weggefährten gewesen, im Passagenwerk „auf alle offenbare Auslegung zu verzichten und die Bedeutungen einzig durch schockhafte Montage des Materials hervortreten zu lassen“ 12 , sei immerhin hingewiesen. Von einem solchen Text, der also in sich scheinbar Bekanntes je in eine originäre Anordnung brächte und - wieder - zu Inspiration machte, hat Steiner zwar aus Understatement und in Anerkennung dessen, was ein Text ist, geschrieben, daß dazu, also zu jener „Apokatastasis“ 13 , die ins Gegenwärtige und Zukünftige weist, womöglich niemals „die nötige Originalität“ 14 gegeben ist, doch ist jedenfalls zu ahnen: „Das Zitat, verstanden als Möglichkeitsform, hat mehr Zukunft denn Vergangenheit.“ 15 Als Möglichkeit sei dies hier nicht unterschlagen, wiewohl auch nicht forciert. Das, wessen sich die Philologie annimmt, ist nicht nur vergangen; es ist wider jene „Überzeugung“ 16 , die nur schlechte Lektüren auszeichnete. Das Sich-Versichern in Fußnotenapparaten ist, so schwerfällig es wirkt, doch zugleich ein Leben des Textes, gerade in jenen Verweisen, jedenfalls mehr als in jener Stillehre, wonach der eigentliche Denker vermeinte, „dadurch sich decken zu müssen, daß er vor Erschaffung der Welt anfing oder womöglich diese in eigene Regie nahm.“ 17 Die Zitate sind Konkretisierungen und weisen auf das, was als ihr Gehalt nicht ohne sie ist; darum aber auch über diesen irisierend hinaus - und ist jedes Wort, das in vielleicht neue Funktion gesetztes Zitat ist, dies, also teils tradiert, teils idiomatisch und fast Neologismus, wie ließe sich dann Klopstock fixieren? Denkstil und Material werden hier jedenfalls momentan ununterscheidbar. Aus diesem Grunde sind auch die Verschlaufungen des Textes nicht redundante Momente, vielmehr wollen sie eine Konstellation zeitigen, die man als Nachhall des hermeneutischen Zirkels + x verstehen könnte. Es sind Schleifen, die eben dies, weil auch Repetition neue Konstellationen schafft, nur virtuell sind; oder Schleifen nur insofern, als diese ein Denken textuell Methodisches Präludium 11 17 Adorno: Gesammelte Schriften, Bd. 10·1, S. - 244. 16 Benjamin: Gesammelte Schriften, Bd. IV·1, S. - 138. 15 Ingold: Freie Hand, S. - 134; cf. Benyoëtz: Die Eselin Bileams und Kohelets Hund, S. - 162ff. 14 Steiner: Grammatik der Schöpfung, S. - 22. 13 Benjamin: Gesammelte Schriften, Bd. V·1, S. - 573, [N 1a, 3]. 12 Adorno: Gesammelte Schriften, Bd. 10·1, S. - 250. 11 Goethe: Berliner Ausgabe, Bd. I, S. - 712. 10 Ibid., S. - 13 (Anm.); cf. auch Steiner: Grammatik der Schöpfung, S. - 22. 9 Benjamin: Gesammelte Schriften, Bd. V·1, S. - 572, [N 1, 10]. <?page no="12"?> realisieren, das im - gleichen? - Text von diesem (und sich) wegen just jener Gestalt divergieren kann. Alles kann eine „Ekstase der Kommunikation“ 18 ergeben, die Klopstocks Werk noch unter der Hand des trockensten Positivisten auszeichnete. Diese prekäre Struktur ist, was in vorliegender Studie als utopische Rekursivität auch thematisiert wird; sie entspricht in vielem dem „paradigmatische[n] Zirkel“ 19 , den Agamben skizziert: so darin, daß die in der Schriftreligion schier metaphysische Philologie dem offenbarenden Wort selbst innerhalb des Wortes zuarbeitet, dies freilich auch in einer säkularen Philologie, die Poetisches und Epistemologisches verhandelnd an beidem Anteil hat; sie „ist nicht Literatur“ 20 , gewiß, und doch ist sie „keine Philologie, wenn sie nicht gemeinsame Sache mit der Literatur macht“ 21 - und ähnlich ist ihr Verhältnis zu dem, was sich als ihre Epistemologie ausmachen zu lassen scheint. 22 Die je genuinen Verschlaufungen sagen, fürchten und hoffen also - immer wieder -, daß das Poetische (theologisch überhöht wäre es vielleicht das Numinose) in seiner Einzigartigkeit sich bewahrt, insofern es „singularem modum loquendi habeat“ 23 : „das wird beispiellos geblieben sein“ 24 … und das Fortleben dessen, als Rekalibrierung dessen, was diese Singularität gewesen zu sein scheint und ausmachte, sie als Öffnung, als sich überschreitender Anstoß zu Schrift als Philologie am eigenen Wort, in actu. Vieles klang nun schon an, das in dieser Arbeit eine Rolle spielt. Man kann das Anliegen dabei - ebenso wie den Schlußbefund - schwerlich auf einen einfachen Nenner bringen, auch das ist zu erahnen. Doch einerseits ist sicherlich ein Anliegen dieser Arbeit, mögliche Arten der Transzendenzverwaltung zu bedenken; die Frage zu behandeln, wie Klopstocks Formen und die Logik der Form, der sie sich verdanken, gebraucht werden (können/ könnten), um sie abseits dessen, wofür sie stehen (oder doch stünden), zu gebrauchen, auch: um sie über ihre unterstellte Bedeutung oder Funktion hinauszutreiben, sie sich bewegen zu lassen, was man durchaus als zentrales Problem nicht nur der Ästhetik der Moderne bezeichnen kann - etwas davon mag als Anliegen auch dem methodischen Präludium zu entnehmen gewesen sein. Andererseits bemüht sich vorliegende Studie naturgemäß um Klopstock, und zwar nicht nur darum, eine Position zu rekonstruieren, sondern sie, 12 Methodisches Präludium 24 Derrida: Die Wahrheit in der Malerei, S. - 221 (im Original in Kapitälchen, M.H.); cf. Serres: Aufklärungen, S. - 39. 23 Abaelard: Theologia Summi boni, S. - 108. 22 Cf. etwa ibid, S. - 14, Agamben: Signatura rerum, S. - 7, 13 u. passim, Frey: Verszerfall, S. - 17 sowie Serres: Aufklärungen, S. - 27. 21 Ibid. 20 Hamacher: Für - Die Philologie, S. - 55. 19 Agamben: Signatura rerum, S. - 33; cf. ibid., S. - 26, 32ff. u. 73. 18 Baudrillard: Die Intelligenz des Bösen, S,70; cf. Deleuze, Guattari: Tausend Plateaus, S. - 426. <?page no="13"?> auch wenn sie schärfer in den Blick gerückt sei, in ihrer Relevanz zu zeigen, jenseits einer Mutmaßung, was die intentio auctoris ausgemacht habe - „(d)ie Quellen sind immer verloren“ 25 -, dafür mit Blick auf die sich gleichsam immer wieder neu konstituierende Intention des Textes; oder der Schrift, eine sich diversifizierende intentio scripturae, die an diesen anzuschließen vermag, damit vielleicht implizit in ihm gelegen. 26 Dem entspricht das Mäandern der Studie, die manchen Aspekt an Klopstock in seinem oder jedenfalls einem möglichen Fortleben beleuchtet, wobei der Umweg doch das erhellen kann, was der Text Klopstocks bewirkte oder zuzulassen vermochte. Es ergibt sich aus jener zweifachen - poetischen wie eschatologischen - Kompromittierung aller Philologie, die reiner betrieben nachlässig geriete; Adorno schreibt vom „glücklich interpretierte(n) Werk“ 27 , das Glücken mag allein darin liegen, daß die beiden Momente als einander bedingend gezeigt einander momentan aufheben und erfüllen. Dies hätte an Klopstock - wie im Folgenden oft: metonymisch für sein Werk und dessen Überschreitungen - sich zu bewähren. Methodisches Präludium 13 27 Ibid., Bd. 7, S. - 185. 26 Cf. Adorno: Gesammelte Schriften, Bd. 11, S. - 11. 25 Blumenberg: Quellen, Ströme, Eisberge, S. - 10; cf. ibid., S. - 9f. <?page no="15"?> Fleißiger gelesen - ein Abriß Rezeption in der Literatur Schon kurz nach Beginn des literarischen Schaffens und Wirkens Klopstocks war man nicht nur bibel-, sondern auch „klopstockfest“ 1 ; mit dem Ausruf bloß seines Namens ist zu jener Zeit ein imaginierter Kosmos - vielleicht undifferenziert, wie einzuräumen ist - verläßlich beschworen, so in Goethes Werther: „»Klopstock! «“ 2 Selbst „(a)us der Ferne machte […] der Name Klopstock […] eine große Wirkung“ 3 , so heißt es bei Goethe, der tatsächlich zeitweise in denkbar großer Distanz zu Klopstock steht, und ferner, daß Klopstocks „Wirkung sich nach allen Seiten hin erstreckte.“ 4 Es gebe „nach der Bibel […] kein göttlicheres Buch“ 5 als den Messias, schreibt Klopstocks Zeitgenosse Schubart. Klopstock war berühmt bis zur Sprichwörtlichkeit, Teil des „akzeptierte(n) Koordinatensystem(s) von Intellekt und Gefühl“ 6 . Man prophezeite seinem Werk und insbesondere seinem Versepos um Tod und Auferstehung Christi, einst „»unmittelbar« nach der Ilias u(nd) Äneis genannt (zu) werden“ 7 . Heute hingegen ist dieser Dichter ein prominenter Vergessener, ein „Stern erster Ordnung, der nicht mehr strahlt“ 8 , „abgesunkenes Kulturgut“ 9 , „respektvoll behandelt, […] respektvoll gemieden“ 10 - und diese Neubewertung zeichnete sich früh ab. Schon nach wenigen Jahren schien jene hohe Valorisierung der ersten Rezipienten geradezu abwegig, las man denn auch fälschlich mitunter Texte, die so (noch) keineswegs gemeint waren, als frühe Befunde eines Verblassens des Messias-Dichters, beispielsweise Lessings fünf Jahre nach Erscheinen der ersten, vielbeachteten Messias-Gesänge verfaßte Verse zum Dichterlob: „Wer wird nicht einen Klopstock loben? “ 11 Als negativer Befund waren sie freilich durchaus nicht gemeint, vielmehr sind Lessings berühmte Worte als Reaktion auf ein allgemeines Rezeptionsmuster, nämlich ein prinzipielles „Mißverhältnis zwischen Dichterruhm und 11 Lessing: Werke, Bd. I, S. - 9. 10 Schlaffer: Vergessenes Werk, bleibende Wirkung, S. - 33. 9 Rühmkorf: Werke III, S. - 302. 8 Hurlebusch: Friedrich Gottlieb Klopstock, S. - 11. 7 Sauder: Klopstock, S. - 10960. 6 Veit: Auctoritas - Autorität in der Literatur, S. - 103. 5 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Briefe, Bd. VII·1, S. - 30, Nr. 33, 22.5.1776. 4 Ibid., S. - 574. 3 Ibid., Bd. XIII, S. - 87. 2 Goethe: Berliner Ausgabe, Bd. IX, S. - 27 u. 143. 1 Lee: Displacing Authority, S. - 180; cf. Beutler: Friedrich Gottlieb Klopstock, S. - 173. <?page no="16"?> tatsächlicher Wirkung“ 12 aufzufassen: Selbst der allgemein durchaus gelesene Klopstock werde nicht soviel gelesen, wie er gelobt werde. „Wer wird nicht einen Klopstock loben? Doch wird ihn jeder lesen? - Nein. Wir wollen weniger erhoben, Und fleißiger gelesen sein.“ 13 Das ist sowenig Klopstock-Kritik, wie Homer-Kritik der Satz Lessings, jener „ward […] vor Alters ohnstreitig fleißiger gelesen, als itzt.“ 14 Lessing war ein zwar kritischer, aber doch auch „bewundernder Klopstock-Leser“ 15 , wie man seinen Schriften unschwer entnehmen kann, wo er auch die Nachahmer Klopstocks („seine[n] Affen“ 16 , „imitatores“ 17 ) und deren Unarten sehr präzise von jenem Großen scheidet - sieht man von seinem Einwand ab, daß Klopstock „Pindarisch schreiben würde, wann er auch ein Gedicht vom Ackerbau schriebe.“ 18 In derlei polemischen Passagen überführt sich Lessing übrigens zuweilen vor allem selbst. 19 Solche Geplänkel lassen eine hohe Wertschätzung letztlich doch kaum bezweifeln, wenn es von Klopstock in den grundsätzlicheren Auslassungen Lessings schließlich heißt: „Hätte ich schließen sollen: weil Herr Klopstock dieses und dieses schöne Stück gemacht hat; so müssen alle seine Stücke schön sein? Ich danke für diese Logik. […] Nein, ich versichere […] auf meine Ehre, daß ich dem Herrn Klopstock in allem Ernste gewogen bin; so wie ich allen Genies gewogen bin. Aber deswegen, weil ich ihn für ein großes Genie erkenne, muß er überall bei mir Recht haben? Mit nichten. Gerade vielmehr das Gegenteil: weil ich ihn für ein großes Genie erkenne, bin ich gegen ihn auf meiner Hut.“ 20 Klopstock, auf den sich Lessing in den häufig zitierten Versen also durchaus nicht in Geringschätzung bezieht und der von diesem auch nicht als 16 20 Ibid., Bd. V, S. - 305; cf. ibid., Bd. III, S. - 159f.; cf. auch Wuthenow: Literaturkritik, Essayistik und Aphoristik, S. - 123f. 19 Cf. ibid. 18 Ibid., S. - 43. 17 Ibid., S. - 44. 16 Lessing: Werke, Bd. III, S. - 33. 15 Hurlebusch: Friedrich Gottlieb Klopstock, S. - 14; cf. Drews: Gotthold Ephraim Lessing, S. - 62, Ritzel: Lessing, S. - 37 u. 77f., Dilthey: Das Erlebnis und die Dichtung, S. - 22f., Wuthenow: Literaturkritik, Essayistik und Aphoristik, S. - 123f., Kreutzer: »The Sublime, the Grand and the Tender«, S. - 8, Rieck: Literaturgeschichtliche Aspekte der Lessing-Phase in der deutschen Aufklärung, S. - 393, Jahnn: Klopstocks 150. Todestag am 14. März 1953, S. - 17 sowie Spiero: Die Heilandsgestalt in der neueren deutschen Dichtung, S. - 27. 14 Ibid., Bd. VI, S. - 143. 13 Lessing: Werke, Bd. I, S. - 9. 12 Alt: Aufklärung, S. - 129; cf. auch Hilliard: Schweigen und Benennen bei Klopstock und anderen Dichtern, S. - 26. Fleißiger gelesen - ein Abriß <?page no="17"?> insbesondere ungelesener Titan vorgeführt wird, war ein zu Lebzeiten populärer Poet, dessen Schicksal, in Vergessenheit zu geraten, für den ihn hochanerkennenden Lessing schwerlich vorherzusehen war: Las man viele Erhobene zu Lessings Zeiten nicht, so war dies bei Klopstock gerade nicht der Fall, „Klopstock versetzte 1748 durch die drei ersten Gesänge seiner Messiade die Mitwelt in eine seitdem nie wieder vorgekommene Bewegung und Bewunderung“ 21 , es besteht eine große Leserschaft, und zwar trotz Restriktionen. 22 Intensiv gelesen polarisiert er immerhin, wofür Cramers Bemerkung spricht, daß es nur „Freunde und Feinde von Klopstock“ 23 gegeben habe, einen leidenschaftlichen Diskurs; einer der wenigen, der aber hier einen Götzendienst statt kritischer Lektüre sieht, ist Lichtenberg, der in einer spöttischen Bemerkung dies berichtet oder imaginiert: „Einer überhüpft bei Vorlesung der Messiade immer eine Zeile und die Stelle wird doch bewundert.“ 24 Derlei Darstellungen sind aber die Ausnahme; allenfalls eine Voreingenommenheit wider Klopstock wird teils deutlich, so seitens eines Lesers, der dem Freund Klopstocks Julius Gustav Alberti mit einem anonym erschienen Text des Dichters konfrontiert unfreiwillig seine Dünkel verrät, indem er den Text lobt und sagt: „(W)enn Klopstock so gut schriebe, so wollte ich ihn auch lesen.“ 25 Hier hat Lessings rhetorische Frage, ob jeder Klopstock lese, der ihn lobe, gleichsam ihr negatives Pendant; er wurde gelesen, doch nicht unbedingt von seinen Gegnern, was zu doch facettenreicheren (auch Negativ-)Urteilen führen hätte können. Diese hätte Klopstock übrigens anerkannt, wie es in zeitgenössischen Berichten heißt. 26 Man muß kurzum jedenfalls von einem „undoubtedly great“ „impact“ 27 Klopstocks ausgehen: Bei Klopstock also „empfand (die große Masse) anders“ 28 , als es Lessings Verse und das darin allgemein angesprochene Desinteresse der Kulturmenschen an der Kultur vermuten ließen, seine Leserschaft war groß, „das Echo, das Klopstock fand, international“ 29 , Klopstock kann kurzum als Starautor seiner Zeit imaginiert 17 29 Ibid. 28 Beutler: Friedrich Gottlieb Klopstock, S. - 173. 27 Hilliard: Philosophy, Letters, and the Fine Arts in Klopstock’s Thought, S. - 186; cf. auch etwa Funk: Erläuterungen zu Klopstocks »Messias«, S. - 6f. 26 „(I)ch traue es doch seinem Wahrheitssinn zu, daß er dem scharfsinnigsten und billigsten seiner Beurtheiler nicht zürnen werde.“ - Carl August Böttiger, in Schlegel et al.: Digitale Edition der Korrespondenz August Wilhelm Schlegels. 25 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Briefe, Bd. IV·1, S. - 25, Nr. 26, 30.5.1759; cf. auch Hainz: P ARALYSIS L OST - P ARALYSIS R EGAINED , S. - 298. 24 Lichtenberg: Schriften und Briefe, Bd. I, S. - 765, [J 810]. 23 Cramer: Klopstock, Bd. I, S. - 11; cf. auch etwa Hurlebusch: So viel Anfang war selten, S. - 62. 22 Cf. etwa zu Österreich Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Briefe, Bd. IV·1, S. - 204, Nr. 166, 6.1.1764. 21 Eichendorff: Werke, Bd. 3, S. - 610. Fleißiger gelesen - ein Abriß <?page no="18"?> werden, wenngleich die Leser wie auch die ersten Rezensenten Muncker zufolge den Messias als „ungemeine Erscheinung“ 30 wohl nur bedingt erkannten. 31 Wer wird nicht einen Klopstock loben? - Bei späteren Bezugnahmen auf Klopstock setzt indes wie gesagt tatsächlich eine Lessings Verse als ihre Antizipation mißdeutende Ernüchterung, bei Friedrich Schlegel die Rede von „Klopstockscher Einseitigkeit“ 32 , dann ein Vergessen des alsbald „selig verschollenen Klopstock“ 33 und zuletzt sogar ein Aburteilen der allenfalls einst wichtigen Texte ein - und die Gruppe der darob ernsthaft Erschütterten ist nur anfangs noch gut hörbar. 34 Nur „unwillkürlich“ 35 denkt man zuweilen noch an den Messias-Dichter, eine fast uneingestandene und „fragmentisierende[n] Wertschätzung“ 36 bleibt: Fühlten die ersten seiner Leser noch geradezu das Unglück, „daß die intensive Primärlektüre nur einmal möglich“ 37 sei, so hielt sich der Eindruck, daß Klopstocks „überbewegtes“ 38 Dichten den Leser enthusiasmieren müsse, nur vereinzelt: Als eine Manier ist das von Goethe geprägte, hernach sogar ins Grimm’sche Wörterbuch aufgenommene „K LOPSTÖCKELN “ 39 zu verstehen, wiewohl etwa Friedrich Schlegel sehr wohl jene Dichtung, die „ein in Gärung geratener Vorrat von Kunstwörtern der Empfindelei“ 40 ist, von Klopstock - trotz „einige(r) Erinnerungen an Klopstock“ 41 - scheidet. Die Identifikation des Werks mit der unterstellten Religiosität des Dichters und jener seiner Zeit, obzwar er sie in seinem Stil transzendiert, macht, daß aus dem Kanonischen schließlich das Abgeschmackte wird, retrospektiver Mainstream, wo Klopstock freilich nie situiert war. Da - wenn auch durch Mißverständnisse - Klopstock diesem zuzugehören, ihm zu integrieren zu sein scheint, ist sein Werk gerichtet, und zwar zuweilen als mediokre, meist aber als jedenfalls langweilige Literatur: In Grabbes Lustspiel Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung liest der Teufel Klopstocks Messias bereits als „unfehlbares Schlafmittelchen“ 42 … Heine imaginiert „(d)ie leibhaftige Göttin der 18 42 Grabbe: Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung, S. - 25, 1. Aufzug, 4. Auftritt; cf. die 41 Ibid. 40 Schlegel: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, 1. Abt., Bd. II, S. - 23. 39 Grimm, Grimm: Deutsches Wörterbuch, Bd. XI, Sp. 1235; cf. Goethe: Berliner Ausgabe, Bd. II, S. - 811; ibid., Bd. XVII, S. - 852. 38 Walzel: Klopstock, S. - 48. 37 Reinlein: Der Brief als Medium der Empfindsamkeit, S. - 203. 36 Ibid. 35 Hurlebusch: Klopstock und Goethe oder Die »Erweckung des Genies«, S. - 9. 34 Cf. Pape: Klopstock, S. - 96f. 33 Marx, Engels: Werke, Bd. 3, S. - 266. 32 Schlegel et al.: Digitale Edition der Korrespondenz August Wilhelm Schlegels. 31 Cf. zur Schwierigkeit, die tatsächliche Wirkung Klopstocks auf seine Zeitgenossen zu erforschen, Hurlebusch: Zur Methodik der Vorbereitung historisch-kritischer Ausgaben, S. - 408 (Anm.). 30 Muncker: Friedrich Gottlieb Klopstock, S. - 144. Fleißiger gelesen - ein Abriß <?page no="19"?> Langeweile, das Haupt gehüllt in eine bleierne Kapuze und Klopstocks »Messiade« in der Hand“ 43 - Klopstock wird zum „Denkmale eines veralteten Geschmacks“ 44 : förmlich „in den Literaturgeschichten eingesargt, ehrfurchtsvoll bestaunt wie die Mumie des Ramses“ 45 , sein Messias findet sich unter die „Gedichte, welche niemand liest“ 46 , gerechnet. Jean Paul moniert, daß Klopstock dem Leser „Rosen-Honig statt des Rosenbusches selber, und statt des Veilchenufers einen Medizinlöffel voll Veilchen-Sirup“ 47 kredenze, etwas Extrahiertes ohne Leben; das Werk sei unverständlich, nicht einmal der, der es geschrieben habe, könne es gelesen haben, sondern habe es ausgesungen: „die drei letzten Gesänge ausgenommen“ 48 … Auch das von Goethe beschriebene Bedürfnis einer bestimmten Leserschaft, „das Große, das Erhabene in ein Spiel […] zu verwandeln“ 49 , wäre sie doch schwerlich „sonst imstande […], es auszuhalten und zu ertragen“ 50 , zielt hierauf, als Stilkritik, die man immerhin als Verweis auf das Potential, das Versprechen, das hier angelegt sei, zu lesen versuchen kann, wie bei Tucholskys Assoziation mancher Texte mit „Fleischextrakt“ 51 : „Man kann es nicht essen. Aber es werden noch viele Suppen damit zubereitet werden.“ 52 Noch in der nicht unproblematischen „literarischen Heilsgeschichte“ 53 Goethes, die Klopstock als des Dichterfürsten Vorläufer immerhin ambivalent würdigte und opferte, ist die Erledigung trotz jener abstrakten Wertschätzung ebenfalls deutlich: Klopstock sei einer von jenen, die einst notwendig und wichtig waren, denen aber ihren „notorischen Vorläuferqualitäten […] zum Trotz“ 54 mittlerweile die Zeit vorangeeilt ist - ein rein historisches Phänomen ohne größere bleibende Virulenz kurzum. Dieser Platz wird ihm auch dort gerne zugewiesen, wo keine „goethezentrische[r] Voreingenommenheit“ 55 besteht, bei Goethe selbst und dessen Verehrern erst recht. „Nun sollte aber die Zeit kommen, wo das Dichtergenie sich selbst gewahr würde, sich seine eignen Verhältnisse selbst schüfe und den 19 55 Hurlebusch: Klopstock und Goethe oder Die »Erweckung des Genies«, S. - 19 54 Haverkamp: Laub voll Trauer, S. - 29. 53 Kohl: Friedrich Gottlieb Klopstock, S. - 6. 52 Ibid. 51 Tucholsky: Schnipsel, S. - 41. 50 Ibid. 49 Goethe: Berliner Ausgabe, Bd. XIII, S. - 90. 48 Ibid., Bd. I, S. - 440; cf. ibid., S. - 440f. 47 Jean Paul: Sämtliche Werke, Abt. I, Bd. V, S. - 178. 46 Schlegel: Kritische Schriften und Briefe, Bd. I, S. - 181. 45 Zimmermann: Neues Leben aus Klopstock, S. - 8. 44 Hilliard, Kohl: Einleitung, S. - 1. 43 Heine: Sämtliche Schriften, Bd. V, S. - 527. Variante bei Hurlebusch: Klopstock und Goethe oder Die »Erweckung des Genies«, S. - 125. Fleißiger gelesen - ein Abriß <?page no="20"?> Grund zu einer unabhängigen Würde zu legen verstünde. Alles traf in Klopstock zusammen, um eine solche Epoche zu begründen“ 56 , schreibt Goethe: „Klopstock ging voran.“ 57 Der von Klopstock bei der Schaffung des Messias empfundene „himmlische Friede […] teilt sich noch jetzt einem jeden mit“ 58 , der das Werk liest - genauer aber: nur „die ersten zehn Gesänge“ 59 … Goethe zweifelt nicht an, daß „uns Klopstock vom Reim erlöste“ 60 , doch eine zeitlose Gültigkeit wird diesem Werk damit nur bedingt zugebilligt. 61 Klopstock, so schreibt Goethe, „klopstockt […] die Sprache.“ 62 Man darf hier auf gegenteilige Wertungen wie noch jene Friedrich Schlegels hinweisen, der vor allem notiert, daß es Goethe zuweilen nur zu „peinlich gelernte(r) Wissenschaft“ 63 bringe, ihm „die Einsicht in den Geist der Welt, woran […] Klopstock ihn übertrifft“ 64 , fehle - keine Ungerechtigkeit ohne ihr nicht minder ungerechtes Widerpart. Nachwirkung: Weniger billigte Klopstock wohl nur Lichtenberg zu, der in diesem Werk gerade auch nicht eines sehen wollte, das dies vermöge. 65 Ist auch Klopstock fortan oft als vollends redundanter Ausdruck der immergleichen, zugleich vergreisten und überbewegten Gefühlslage gezeichnet worden, er erscheint so bei Hildesheimer, der sein Werk als durch die fiktive Gestalt des Gottlieb Theodor Pilz immerhin doch noch zur Erträglichkeit gefiltertes zeichnet 66 - er ist gerade in diesen Texten doch auch manifest, „so manifest, daß man sogar Mehreres gegen ihn einwenden kann: er wird dadurch nur noch manifester“ 67 , wie Serner über Kritik im Allgemeinen formulierte. Verteidiger sind die Ausnahme. 68 Die Urteile bleiben verheerend, doch sie erhalten im Widerstand nun den im Gespräch, von dem man eigentlich nicht fast wütend sagen müßte, sein Messias sei unter 20 68 Cf. Kraus: Die Fackel, Nr. 876-884, S. - 158 u. passim. 67 Serner: Gesammelte Werke in zehn Bänden, Bd. IX, S. - 71. 66 Cf. Hildesheimer: Gesammelte Werke in sieben Bänden, Bd. I, S. - 97f.; ferner auch Muncker: Friedrich Gottlieb Klopstock, S. - 186. 65 Cf. Lichtenberg: Schriften und Briefe, Bd. II, S. - 157f., [G 131]. 64 Ibid. 63 Schlegel et al.: Digitale Edition der Korrespondenz August Wilhelm Schlegels. 62 Goethe: Berliner Ausgabe, Bd. II, S. - 131. 61 Ähnlich urteilt Herder, wiewohl er sich weigert, in Goethe das Ziel der Teleologie zu sehen, welche Klopstock zum bloßen Vorläufer degradiert - cf. Lohmeier: Herder und Klopstock, S. - 196. 60 Ibid., Bd. XVIII, S. - 636. 59 Ibid. 58 Goethe: Berliner Ausgabe, Bd. XIII, S. - 430. 57 Ibid., S. - 768; cf. hierzu auch Ungern-Sternberg: Schriftsteller und literarischer Markt, S. - 167, ferner Beutler: Friedrich Gottlieb Klopstock, S. - 177 sowie Sauder: Klopstock, S. - 10965. 56 Goethe: Berliner Ausgabe, Bd. XIII, S. - 430. Fleißiger gelesen - ein Abriß <?page no="21"?> die „Bücher […], die man einfach nicht lesen kann“ 69 , zu rechnen. Was so fast schon anstößig ist, das ist hier doch noch Anstoß. Was fortwirkt, was in Hölderlins Texten und noch vielen - etwa rhythmisch - umgeht, das sozusagen Messianische der Texte, die das noch nicht zu sein scheinen, was ohne sie schwer vorstellbar ist, ist als solcher Impetus denn auch nicht zu leugnen; so werden von den negativen Verdikten die Oden Klopstocks zumindest zum Teil auch ausgenommen, wiewohl eigentümlich auf ihnen lastet, daß sie nun eben von einem stammen, der vor allem mit seinem „holztrockenen Hexameter-Epos“ 70 Messias paradox seinen Sündenfall zu verantworten habe - und damit trotz „seiner herrlichen Oden“ 71 , deren Qualität auch die dem Messias wenig geneigte Kritik einräumt, gewissermaßen am Befund Valérys scheitere, ein Dichter werde „schließlich soviel taugen, wie er als Kritiker (seiner selbst) getaugt hat“ 72 , der das Versepos, auf welchem Klopstocks Ruhm zunächst gründete und gründen sollte, wie auch den mit der Religiosität des Epos konvergierenden Ballast manchen Gedichts also nicht zulassen hätte dürfen… Trotzdem ist diese Dichtung, die antiquiert zu sein scheint, dann doch eine, die zugleich Gegenwärtiges wenigstens berührt - „und mit der Goethezeit wenig zu tun hat.“ 73 Adorno hält fest: „Wieland oder Klopstock sind […] keine geringeren Dichter, weil man sie nicht mehr liest“ 74 , zollt ihnen doch „jedes Wort der befreiten Sprache […] den Dank“ 75 ; so sind diese Dichter zugleich gegenwärtig und „anachronistisch“ 76 . Man könnte es mit Mauthner halten: „Nachwirkung ist besser als Nachruhm“ 77 , wie er formuliert. Nicht viele legten den Akzent ganz entschieden auf das Heutige der Texte Klopstocks; zuallererst ist hier Walter Benjamin zu nennen, der schrieb, daß „manche Gedichte (Klopstocks) lauten, als seien es die heute gesuchten“ 78 - hier ist der heilige Dichter als ein in seiner Form und darum insgesamt aktueller Poet dargestellt, als Stimme von erstaunlicher Vitalität. 79 Dies scheint eine Qualität zu sein, die schlicht zu ignorieren die Philologie jenseits eines wohl ratsamen Pragmatismus zur Verwalterin des So-Seins der Vorurteile verkommen ließe. 80 21 80 Cf. auch Hainz: Kanon - wem der Rohrstock schlägt, passim. 79 Cf. auch Czechowski: Klopstocks Modernität, S. - 85. 78 Benjamin: Gesammelte Schriften, Bd. II·1, S. - 243. 77 Mauthner: Nach der Kant-Feier, S. - 266. 76 Ibid.; cf. auch Krummacher: Friedrich Gottlieb Klopstock, S. - 190. 75 Ibid. 74 Adorno: Gesammelte Schriften, Bd. 14, S. - 95. 73 Albertsen: Poetische Form bei Klopstock, S. - 68. 72 Valéry: Windstriche, S. - 107. 71 Ibid., S. - 356. 70 Hollander: Land der Mitte, S. - 356; ibid., S. - 356ff. 69 Schmidt: Bargfelder Ausgabe, Werkgruppe II, Bd. 1·2, S. - 365. Fleißiger gelesen - ein Abriß <?page no="22"?> Rezeption durch die Literaturwissenschaft: Leistungen, Versäumnisse Einige wesentliche, die Qualität des Werks Klopstocks darum doch ins Felde führende Studien seien hier in einem kurzen Abriß erwähnt, um ein Bild derselben - und auch ein Bild ihrer dann bei aller Anerkennung des schon Geleisteten bestehenden Defizite, wenngleich diese erst in dem Rahmen der neuerlichen Be- und Verhandlung Klopstocks vollends ersichtlich werden können - zu liefern. Zunächst ist hier auf die Fortschritte der Edition hinzuweisen; nach verdienstvollen Arbeiten, wobei vor allem jene Franz Munckers und Jaro Pawels der Erwähnung wert sind, ist heute der Standard der Textedition Klopstocks durch die mustergültige, 1974 begonnene Ausgabe Werke und Briefe, die oft auch als HKA zitiert wird, definiert - mehr hierüber in der Bibliographie. Unter den zahlreichen Untersuchungen ragen einige heraus; sicherlich zunächst wegen des unmittelbar Erschlossenen und Kolportierten Carl Friedrich Cramers allerdings unausgewogen und pathetisch formulierte Bände zu Klopstock (1780ff.), dann auch als erste kompetente Biographie und Darstellung Franz Munckers Monographie. Weitere Meilensteine sind die allerdings verklärende Würdigung des Dichters durch Karl Kindt, der sich bei einem durchaus interessanten Ansatz zu Behauptungen wie jener versteigt, man habe bei Klopstock den „ganze(n) Leibniz in der Nußschale von 24 Versen“ 81 , der ferner unter anderem doch einer zweifelhaften Vulgärbiographistik anhängt; dann die tatsächlich sehr brauchbaren Überlegungen Karl Ludwig Schneiders, die Klopstock kontextualisieren, zugleich aber auch in seiner Besonderheit würdigen, Helmut Papes die gesellschaftlich-wirtschaftliche Stellung Klopstocks untersuchende Arbeit, und schließlich Gerhard Kaisers Darstellung Klopstocks mit dem Untertitel Dichtung und Religion, die freilich die unter- und vorgestellte Metaphysik Klopstocks in ihrem dialektischen Verhältnis zu dessen immanenter Poetik darzustellen doch verabsäumte. Es folgte die imposante, jedoch den Hexameter vernachlässigende Studie über Metrische Erfindung und metrische Theorie bei Klopstock von Hans-Heinrich Hellmuth; hinzuweisen wäre schließlich auch auf unter anderem Mark E. Amtstätters, Kevin Hilliards, Klaus Hurlebuschs und Katrin Kohls hervorragende Arbeiten. 82 Bei allen Verdiensten der Annäherungen an Klopstock ist in einem Punkt vielen doch ein Problem gemein: Sie rekurrieren, wenngleich nicht so deutlich wie Kaiser, doch auf eine überkommene Position, die sie als jene 22 82 Cf. zum Forschungsstand auch die knappe, kompetente Darstellung bei Kohl: Friedrich Gottlieb Klopstock, S. - 4ff. sowie - als Korrektiv - Sauder: Katrin Kohl, Friedrich Gottlieb Klopstock, S. - 70ff. 81 Kindt: Klopstock, S. - 195. Fleißiger gelesen - ein Abriß <?page no="23"?> Klopstocks ausgeben, von seiner bis heute wirkenden dichterischen „Potenz“ 83 ist dagegen selten die Rede - auf Augenhöhe mit dem Diskutierten bewegen manche Arbeiten sich letztlich darum kaum, weil sie sich zu Unrecht oberhalb derselben dünken. Das wird bei Kaiser besonders deutlich, er geht von einer religiösen Position aus, deren Primat gegenüber der teils überaus modernen Formensprache Klopstocks nie bezweifelt zu werden scheint; damit aber ist der Dichter alsbald nur noch Gegenstand sich historisch wähnender Arbeit, die seiner allenfalls im Rahmen der angedeuteten Teleologie Goethes zu gedenken gewillt ist. Mit einer nicht unberechtigten Spitze gegen diese Haltung repliziert Hurlebusch: „Was dem Olympier erlaubt ist, steht selbst einem Kaiser nicht zu“ 84 … Eine minutiöse Lektüre ist dagegen schon „Apologie“ 85 … Die Literaturgeschichtsschreibung hat sich für viele Jahre den „Denunziationen“ 86 wider Klopstock, wie Rülke schreibt, zu großen Teilen angeschlossen, und zwar nicht zuletzt in der Klopstock-Forschung, die oftmals geradezu auf die Empfehlung hinausläuft, diesen Dichter endlich zu vergessen. 87 „Das Werk Klopstocks wird […] dem literarischen Schrotthaufen zugewiesen“ 88 , faßt auch Kohl einen nicht geringen Teil der heutigen Rezeption des Dichters zusammen. 89 Gerade von assoziativen Überblicksdarstellungen gilt dies, aber eben nicht nur von diesen. 90 Nur wenige Arbeiten gestalten sich hier anders; nun aber meist unter Auslassung des Historischen, als wäre dies Klopstocks Makel. Es wird also entweder eine für die Gegenwart irrelevante, nur historische Geisteshaltung skizziert, wobei der Versuch, den Dichter auf dieses virtuelle Nur-Historische zu verpflichten, ahistorisch ist, das nämlich, was sich nicht in jenes Bild fügt: das antizipierende Moment vielleicht sogar im Antiquierten, das seine Texte mitunter auszeichnet, unterschlagen wird; oder aber es wird eine ahistorische Semifiktion gegeben, die die Texte gleichfalls nicht liest, sondern ihnen ohne ihre genuine Spannung das zu extrahieren vorgibt, was dann aber nicht Klopstock ist, sondern nur das, was bei ihm als Vektor des Œuvres doch dieses nicht ist: es nicht völlig faßt und zugleich von diesem nicht völlig gegeben zu sein scheint. Unter diesen Bedingungen konnte es 23 90 Cf. etwa Mehring: Gesammelte Schriften, Bd. X, S. - 3, Deschner: Kitsch, Konvention und Kunst, S. - 146, Rülke: Gottesbild und Poetik bei Klopstock, S. - 10f. u. 76 oder Hohler: Das Heilige in der Dichtung, S. - 53. 89 Cf. auch Hurlebusch: Friedrich Gottlieb Klopstock, S. - 11ff., v.a. S.14ff. sowie Krummacher: Friedrich Gottlieb Klopstock, S. - 191. 88 Kohl: Klopstock und das Erhabene in der Lyrik des zwanzigsten Jahrhunderts, S. - 58. 87 Cf. ibid. 86 Rülke: Gottesbild und Poetik bei Klopstock, S. - 1. 85 Schleiden: Friedrich Gottlieb Klopstock, S. - 25; cf. ibid., S. - 23 sowie Hurlebusch: So viel Anfang war selten, S. - 62. 84 Hurlebusch: Klopstock und Goethe oder Die »Erweckung des Genies«, S. - 19. 83 Kohlschmidt: Geschichte der deutschen Literatur vom Barock bis zur Klassik, S. - 369. Fleißiger gelesen - ein Abriß <?page no="24"?> gerade auch in der Klopstock-Philologie oft nur eine „sozusagen unterirdische Fortwirkung Klopstocks“ 91 noch geben, „traditional and original“ 92 zu sein wurde dem Werk allenfalls beschieden, nicht aber diese realisierte Verklammerung auch wieder in einer sie gleichsam aktualisierenden Lektüre in ihre Rechte gesetzt, eine zu seinem Echo in der Literatur analoge Entwicklung. Doch jener Poet, darin offenbar fast ein Ärgernis, „vollendet sich als Dichter, weil er Christ ist, und als Christ, weil er Dichter ist“ 93 , so schreibt Kaiser in bezug auf einen der sich also erfüllenden oder transzendierenden Referenzrahmen, in der Folge formuliert Hurlebusch das dialektische Paar: „Poetisierung der Heiligen Schrift - Heiligung der Poesie“ 94 . Seine traditionelle und sich fortschreibende Rolle ist die des „Dichtertheologe[n]“ 95 , der - allgemein - „philosophische »und« schriftstellerische Pflichten hat.“ 96 Klopstock wird darum zum „Priester seines eigenen Wortes“ 97 , weil er die Poesie als einzig „kompetenten Erfahrungsträger“ 98 der Religion versteht: Der literarische Text ist Teil von Glaubens- und „Wissensordnungen, sofern er die Grenzen von Sichtbarem und Unsichtbarem, Aussagbarem und Nicht-Aussagbarem fortsetzt, […] korrigiert oder verrückt.“ 99 Insofern Klopstock - bei allen Freiheiten - zunächst einen Text übersetzt, „sich vor(nimmt), das Gleiche anders zu sagen“ 100 , gelingt ihm genau diese genuine Aufgabe des Rekalibrierens, durch die unvermeidliche „Entfernung vom Original ist es möglich […], zwischen dem Gesagten und der Art des Gesagtwerdens eine Beziehung herzustellen“ 101 , die das Original nur behauptet, das seinerseits durch Klopstock „als sprachliche Gesamterscheinung metaphorisch aufersteht.“ 102 In diesem weder irrationalen noch antiquierten Sinne ist Klopstock Christ, er hat gerade als „Christ […] das Privileg, bis zuletzt und in allem, was er tut, ein »Dichter« zu bleiben“ 103 - dieser Gedanke findet sich bei Blake: „The Jewish & Christian Testaments are An [sic! ] original derivation from the Poetic Genius“ 104 , ihrer und aller wahren Religion sei „(t)he true Man […] the 24 104 Blake: Zwischen Feuer und Feuer, S. - 34. 103 Balthasar: Das Ganze im Fragment, S. - 292. 102 Ibid., S. - 42. 101 Ibid., S. - 40. 100 Frey: Übersetzung als Metapher, S. - 39. 99 Vogl: Kalkül und Leidenschaft, S. - 15. 98 Große: Studien zu Klopstocks Poetik, S. - 46 (im Original gesperrt). 97 Große: Studien zu Klopstocks Poetik, S. - 129; cf. Manger: Klopstocks poetische Kathedrale, S. - 51. 96 Marquard: Der Philosoph als Schriftsteller, S. - 10f. 95 Steiger: Aufklärungskritische Versöhnungslehre, S. - 165; cf. ibid., S. - 172 u. passim. 94 Hurlebusch: Klopstock, Friedrich Gottlieb (1724-1803), S. - 272; cf. Malinowski: »Das Heilige sei mein Wort«, S. - 51. 93 Kaiser: Klopstock, S. - 27. 92 Hilliard: Philosophy, Letters, and the Fine Arts in Klopstock’s Thought, S. - 188. 91 Spiero: Die Heilandsgestalt in der neueren deutschen Dichtung, S. - 289. Fleißiger gelesen - ein Abriß <?page no="25"?> source, he being the Poetic Genius.“ 105 Diese Idee ist bald nach Klopstock in bezug auf die ersten Schriften des Christentums von Schleiermacher geradezu kanonisch formuliert worden. 106 Ballast ist die Religiosität Klopstock demnach nur als labelling, durchaus modern das, worauf diese als Transzendenz je der Sprache und Sprache als Aktualisierung und Transzendenz je der (religiösen) Wahrheit abzielen, Klopstocks Herangehensweise basiert darauf, daß „er die Dichtung Wahrheit finden läßt“ 107 , aber zugleich „diese Wahrheit nicht spezifisch dichterisch“ 108 ist - und doch schon in ihr als vorläufiger „(d)as Wort als Triebkraft des Gedankens“ 109 bestehen bleibt. In dieser Akzentuierung widerlegt Klopstock gerade jene Zeitgenossen, die es etwelcher Orthodoxie wegen für bedenklich hielten, „wenn ein Prediger vom furor poeticus befallen wird“ 110 und „rhetoriko-theologisch[en]“ 111 spricht; bezieht vielmehr irreversibel modern die Wahrheit, die für ihn meist die christliche Heilslehre ist, diese aber doch neu formatiert, und die Dichtung aufeinander, der Benennung des furor poeticus als furor divinus eingedenk..: „Religionen sind Gedichte, […] Gedichte sind auch Religionen“ 112 . Nimmt man dies ernst, so ist noch immer eine Theologie zu verstehen aufgegeben, die das „Anti-Triviale schlechthin“ 113 denkt, wobei man freilich trefflich darüber streiten kann, ob Theologie nicht eine Einengung darstellt, jedenfalls im Kontext dessen, was darunter verstanden wird; aufgegeben aber auch eine Dichtung, die sich als womöglich einzige und keineswegs verstaubte Sprache dessen erweist, „sie werden in neuen Sprachen reden“, „ “ 114 , vorsichtigst formuliert: eine Sprache der avancierten Krisenwahrnehmung, die politisch und epistemologisch „ein prinzipiell n e u e s Wort“ 115 vernehmen oder vorbringen kann. Dieses ist neu im Text, nicht zwingend oder sogar kaum als isolierter Neologismus. Fast jedes Wort eines dichterischen Textes ließe sich als Hapax legomenon sozusagen allenfalls unter Homonymen auffassen: „Lesen heißt […], in 25 115 Barth: Einführung in die evangelische Theologie, S. - 76; cf. auch Peng-Keller: Gebet als sinnliches Sinnereignis, S. - 27 u. passim. 114 Markus 16,17; abgeschwächt: „ “ - Apostelgeschichte 2,4 113 Holl: Mystik für Anfänger, S. - 51. 112 Braun: Im Genesis-Gelände, S. - 112; cf. Blake: Zwischen Feuer und Feuer, S. - 34, 412ff. u. passim. 111 Mülder-Bach: Im Zeichen Pygmalions, S. - 166. 110 Weimar: Theologische Metrik, S. - 145. 109 Rosenberg: Klopstock und die deutsche Sprache, S. - 25. 108 Ibid.; cf. auch Große: Studien zu Klopstocks Poetik, S. - 105. 107 Kaiser: Denken und Empfinden, S. - 17. 106 Cf. Schleiermacher: Hermeneutik und Kritik, S. - 125; cf. auch etwa Scheugl: Das Absolute, S. - 55, Krummacher: Friedrich Gottlieb Klopstock, S. - 195, Schneider: Nachwort, S. - 182 sowie Müller: Ästhetische Religiosität und Kunstreligion, S. - 37. 105 Ibid. γλώσσαις λαλήσουσι ν και ν αῖς λαλεῖ ν ἑτέραις γλώσσαις Fleißiger gelesen - ein Abriß <?page no="26"?> dieser Textur […] Formen wiederzuerkennen, Figuren, Zeichen“ 116 , in Unsicherheit dessen, wovon sie dies - Formen, Figuren, Zeichen - seien. 117 Diese Dekonstruktion ist fast ident mit der „akribischen Pflege der angemessenen Formeln“ 118 religiöser Tradition. Klopstocks Glaubenstreue bliebe die auch säkulare Implikation ihrer selbst, daß „das Alte […] immer aufs neue geschrieben werden“ 119 müsse, damit man es nicht verliere, daß Bewahrung also um ihrer selbst willen sich verzehren müsse, sich: als Götzen dessen, was der getreulichen Innovation aufgegeben bleibe. 120 Insofern betreibt der Messias als Projekt solche Krisenwahrnehmung: „Sprache ist […] selbst der Auftritt Gottes“ 121 , „die schlechthinnige Weise der […] Gegebenheit Gottes“ 122 . Religion und Theologie können ungeachtet der Voraussetzung, es gebe Ihn, gerade „auch durch G o t t bedroht werden“ 123 , durch die seiner Begrifflichkeit am ehesten gemäßen Formen „finalen Mehr-als-Verstehens“ 124 ; sie können und müssen bedroht oder wenigstens herausgefordert sein. Hier sei auf den Befund Cramers verwiesen, der eine Ambivalenz konstatiert, wenn er von Klopstock schreibt, er habe „Religion; nicht zu wenig und nicht zu viel“ 125 - eine profunde Zweideutigkeit schwelt da wenigstens, wie übrigens später in der Forschung, wenn Betteridge formuliert, Klopstock „suchte“ 126 sein Heil in der Religion, eine gleichwohl doch viel zu schwache Formulierung für das Projekt Klopstocks, das das Formenspiel nutzt, nicht für ein soziales Licet, sondern als Weg zu Denkformationen, um gerade schließlich „den Raum des liturgischen Spiels durchbrochen und Wahrheit gemacht“ 127 zu haben. 128 Diese Dekonstruktion, die Klopstock bloß sehe und schreibend zuließe, wird verschiedentlich der Bibel als in ihr angelegt unterstellt, Prophetie impliziere Messianismus impliziere Dekonstruktion; die genuine Religion der Bibel ist die „Auto-Dekonstruktion der Religion“ 129 : „Glaube nicht, auf keine 26 129 Nancy: Noli me tangere, S. - 9. 128 Cf. allerdings auch Burger: Über den Begriff des Kulturellen und die Freiheit der Kunst, S. - 96 u. passim. 127 Ratzinger: Einführung in das Christentum, S. - 269. 126 Betteridge: Klopstocks Wendung zum Patriotismus, S. - 179; cf. auch Grosch: Klopstock, Pape: Klopstock, S. - 59 u. passim sowie - zu Klopstock und der Neologie in diesem Kontext - Sparn: Neologie, S. - 663f. 125 Cramer: Klopstock, Bd. I, S. - 22. 124 Peng-Keller: Gebet als sinnliches Sinnereignis, S. - 45. 123 Barth: Einführung in die evangelische Theologie, S. - 146. 122 Vorgrimler: Neues Theologisches Wörterbuch mit CD-ROM, S. - 683. 121 Sander: Einführung in die Gotteslehre, S. - 41; cf. Nietzsche: Sämtliche Werke, Bd. VI, S. - 206. 120 cf. ibid. sowie Hainz: P ARALYSIS L OST - P ARALYSIS R EGAINED , S. - 301. 119 Marquard: Philosophie des Stattdessen, S. - 134. 118 Agamben: Das Sakrament der Sprache, S. - 88. 117 Cf. ibid. sowie Wittgenstein: Werkausgabe, Bd. 1, S. - 322, Nr. 160. 116 Marin: Über das Kunstgespräch, S. - 68. Fleißiger gelesen - ein Abriß <?page no="27"?> Weise.“ 130 George Steiner verweist hier auf das Fragliche der Jesusworte, auf die „einzige Anspielung auf einen Akt des Schreibens, die es in den Evangelien gibt, […] der zufolge Jesus […] Wörter in den Sand zeichnet. In welcher Sprache? Mit welcher Bedeutung? Wir werden es nie erfahren, weil er sie sogleich verwischt.“ 131 Klopstock gibt also die Bibel, wo er sich auf sie bezieht, was aber fast durchgängig jedenfalls qua Implikation der Fall ist, nicht bloß wieder, aber auch nicht im Sinne von Luthers Bemühen des Zeitgemäßen, beispielsweise: den Englischen Gruß so wiederzugeben, wie der Engel zu Maria gesprochen hätte, „wenn er sie auf deutsch hätte grüßen wollen“ 132 , eine solche Darstellung zu geben, die „Jesus und die Apostel so denken und reden läßt (,) als ob sie im 18. Jahrhundert gelebt hätten“ 133 , was gerade historisierend wirkt. Biblisch nimmt sich aus, wie seiner oder Hölderlins Sprache diese immer „neue, gleichsam unkontrollierbare Kraft“ 134 eignet, die schon jene nur im Über-sich-Hinausweisen und folglich vorläufig gültige Form zu sprengen sich anschickt. Das ist womöglich die „Übersetzungsunbedürftigkeit“ 135 , wie Benjamin es nennt, diese Ahnung, daß es „keine Inkompatibität, keine Unübersetzbarkeit“ 136 gebe, was aber an Unübersetzbarkeit gerade grenzt: daß man von jenem Prozeß nicht entbunden ist, doch wissen muß, es „enthalten alle großen Schriften, im höchsten (Grade) aber die heiligen, zwischen den Zeilen ihre virtuelle Übersetzung“ 137 - und daß immer, auch als je übersetzte, etwas darin bleibt oder geblieben sein wird. 138 In einem ähnlichen Sinne sind oder bergen wie angedeutet Klopstocks Worte selbst „die heute gesuchten“ 139 … 27 139 Benjamin: Gesammelte Schriften, Bd. II·1, S. - 243. 138 Balthasar: Theologik, Bd. I, S. - XXII; cf. ibid., S. - 155; ferner Derrida: Die Wahrheit in der Malerei, S. - 233, Derrida: Wie nicht sprechen, S. - 46 oder Nancy: Dekonstruktion des Christentums, S. - 14 u. passim. 137 Ibid., Bd. IV·1, S. - 21; cf. hierzu aber auch Weidner: Übersetzerische Gottesbeweise, S. - 29ff. 136 Derrida: Interview mit Florian Rötzer (22.2.1986), S. - 80. 135 Benjamin: Gesammelte Schriften, Bd. VI, S. - 159. 134 Guardini: Hölderlin, S. - 273. 133 Hornig: Die Anfänge der historisch-kritischen Theologie, S. - 236. 132 Luther: Luther deutsch, Bd. V, S. - 86. 131 Steiner: Die Logokraten, S. - 90. 130 Ibid., S. - 61; Biser: Die Entdeckung des Christentums, S. - 161 (Biser zitiert dort u.a. Psalmen 74,9); cf. Nancy: La Comparution, S. - 393 sowie Nancy: Der Sinn der Welt, S. - 25 u. passim. Fleißiger gelesen - ein Abriß <?page no="29"?> Intention und Glaube Klopstocks Die Rekonstruktion der intentio auctoris abseits ihrer Objektivierung in Text und Form wäre somit von einem genau genommen wohl allzu abstrakten Interesse, aber, und darum kann man nicht von ihr lassen, auch oftmals eine prekäre Unterstellung: Gerade die Hinwendung zu den Materialien jenseits des eigentlichen Werks zeigt dies, so ist die naheliegende Verbindung Klopstocks zu Speners Gedankengut materialiter so wenig dokumentiert, daß Langen ( 2 1968) sie als keineswegs „mit dem üblichen vagen Hinweis auf ein angeblich »pietistisches« Gefühlselement in Persönlichkeit und Werk bewiesen“ 1 bezeichnet - wie er sich etwa in der sonst durchaus brauchbaren Zusammenfassung der lebhaften Diskussion durch Dagmar Hebeisen findet, die dann vage schließt, es seien „im Gottesverständnis Klopstocks auch die mystischen Elemente des Pietismus“ 2 unbezweifelbar relevant. 3 Dementgegen ist hier ein Feld reiner Spekulation, da sich die gerne unterstellten Beziehungen „quellenmäßig nicht erweisen lassen“ 4 - ein Befund, an dem sich wenig geändert hat: Im Arbeitstagebuch Klopstocks findet sich beispielsweise zu Spener lediglich der Hinweis, Klopstock habe „in Beckmanns Geschichte Jesu […] gel<esen>“ 5 ; bei diesem Lektürevermerk handelt es sich um die beiläufige, zudem nicht wertende Erwähnung eines übrigens theologisch wie poetologisch wenig signifikanten, heute fast vergessenen und kaum greifbaren Buches des mit Spener befreundeten Det(h)lev Bec(k)mann. 6 Spener selbst wird im Arbeitstagebuch von Klopstock nirgends erwähnt. 7 Schon dessen strikte Auslegung des sola scriptura-Prinzips wäre mit Klopstocks Arbeit nicht leicht zu vereinen, Exegese bedeutet - und ist - in jenem Kontext, nicht „den Lauf der Worte GOttes zu hindern“ 8 , womit jede Lektüre indes dem Verdacht anheimfällt, in ihrer Verantwortung schon eine Aberration zu betreiben, die der nicht fragende Lauf der Worte Gottes weder impliziere noch fordere, man denke auch an Zinzendorfs Ordnungsruf in seiner Einleitung des Teutschen Socrates, wonach „man die Christen theils vor Narren und theils vor Betrüger hält“ 9 , weil „die meisten, die sich vor Christen ausgeben, in der That eines von beiden sind“ 10 … Trotz exegetischer 10 Ibid.; cf. auch Müller: Ästhetische Religiosität und Kunstreligion, S. - 58. 9 Zinzendorf: Der Teutsche Socrates […], S. - [0]. 8 Francke: Predigten I, S. - 45. 7 Cf. Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Addenda, Bd. II, S. - 366 (Anm.). 6 Cf. ibid., S. - 366 (Anm.) sowie Beckmann: Das gantze Leben Christi, passim. 5 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Addenda, Bd. II, S. - 101. 4 Langen: Der Wortschatz des deutschen Pietismus, S. - 439; cf. auch Muthmann: Der religiöse Wortschatz in der Dichtersprache des 18. Jahrhunderts, S. - 341ff. 3 Cf. Schrader: Die Sprache Canaan, S. - 412 u. Schrader: Die Literatur des Pietismus, S. - 390. 2 Hebeisen: Die Cidli-Oden, S. - 17 (Anm.); cf. ibid., S. - 16f. 1 Langen: Der Wortschatz des deutschen Pietismus, S. - 438. <?page no="30"?> Nachlässigkeit hadert so der Pietismus damit, poetisch „die Bibel zur Sprache zu bringen“ 11 ; und es fänden sich problemlos weitere Gründe, die behauptete Nähe des Dichters zum prominentesten Theologen des Pietismus anzuzweifeln, als nicht nur in der Sache nicht begründet, sondern auch kaum plausibel. 12 Der Pietismus Zinzendorfs wird im erwähnten Arbeitstagebuch des Dichters sogar einer harschen Kritik unterzogen. 13 Unklar wäre auch, was mit der Zuordnung gewonnen wäre, ließe sie sich unter Aufwendung aller dialektischen Raffinesse leisten, vernachlässigte der Pietismus doch gerade jene Dogmen, die er gleichwohl propagierte - von einem großen Interesse für die Pietisten waren vielmehr „Offenbarungen unstudierter Erweckter“ 14 , was auf eine Verklärung des naiv-reinen Glaubens wider den theologischen Diskurs weist, Spener schreibt denn auch, es sei, wiewohl „die controversien zwar freylich auch mit zu der Theologi gehören“ 15 , doch zu beklagen: „daß […] nicht wenige fast alles allein auff die controversien setzen: und meynen/ es seye der sachen stattlich gerathen/ wo wir nur wissen/ wie Papisten/ Reformirten/ Wiedertäuffern/ etc. auff ihre irrthume zu antworten seye.“ 16 Somit wäre dort, wo Klopstock trotz Widersprüchlichkeiten Pietist wäre, damit zuletzt nichts ausgesagt; ihn prägt „eine verwirrende Vielfalt“ 17 , wie auch die Statistik ahnen läßt, die - eine wenig homogene Gruppe konstituierend - besagt, daß rund „40 Prozent aller Protestanten, knapp ein Fünftel aller Deutschsprechenden überhaupt“ „Mitte des 18. Jahrhunderts […] als vom Pietismus beeinflusst angesehen werden“ 18 können. Wäre es noch vonnöten, ließe sich anführen, daß Klopstock seine Bildung in Schulpforta zuteil wurde, das kaum als pietistisch gelten kann. Während etwa Kants Schule die Pietas schon im Motto trug 19 , ist die Klopstock in seiner Jugend prägende Bildungseinrichtung eine aus der Säkularisation eines Zisterzienser-Klosters entstandene Fürstenschule mit einer um 1570 gegründeten Bibliothek. Diese scheint - davon zeugen bis heute die umfangreichen Altbestände - für eine weltoffene Breite eingestanden zu haben: 30 Intention und Glaube Klopstocks 19 Cf. Geier: Kants Welt, S. - 31f. 18 Schrader: Die Literatur des Pietismus, S. - 387. 17 Schmidt: Pietismus, S. - 160. 16 Ibid. 15 Spener: Pia Desideria, S. - 36. 14 Kaiser: Pietismus und Patriotismus im literarischen Deutschland, S. - 101. 13 Cf. Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Addenda, Bd. II, S. - 27 u. 235 (Anm.). 12 Cf. auch etwa Friedrich: Philipp Jakob Spener, S. - 121, Schmidt: Pietismus, S. - 79, Trillhaas: Philipp Jacob Spener, S. - 138, Auerochs: Die Entstehung der Kunstreligion, S. - 191 sowie Bayreuther: Pietismus, Orthodoxie, pietistisches Lied und Kunstmusik, S. - 129ff. 11 Schmidt: Philipp Jakob Spener und die Bibel, S. - 9. <?page no="31"?> eine „Pforte,/ Die ins weite Leben führt.“ 20 Die aus den Zeugnissen sprechende Religiosität, zwar streng, aber nicht pietistisch, verbunden mit klassischer Bildung, liefert kaum Argumente, dem Urteil Müllers, wonach Klopstock jedenfalls „kein strenger Pietist“ 21 gewesen sei, zu widersprechen. 22 Und ist man hier angelangt, wird man nicht umhin können, zu sehen, daß selbst „Luther […] für Klopstock nicht als Theologe, sondern vielmehr als inspirierter Bildner der deutschen Sprache vorbildlich (war)“ 23 ; er wird im Rahmen der Ode Die deutsche Bibel als „Heiliger Luther“ 24 adressiert, was zu einer kanonischen Zusammenstellung von Luther und Klopstock führt, etwa bei Hebbel: „Schuf Luther denn das Instrument, gab Klopfstock [sic! ] ihm die Saiten“ 25 , heißt es bei jenem. Hierbei ist hinzuzusetzen, daß, wäre Luthers Theologie für Klopstock wichtig, dies wiederum gegen seinen angeblichen Pietismus spräche, da dessen Übersetzung hier - theologisch - kritisiert wird. 26 Sprachlich aber ist Klopstock Luther nahe - und sonst ihm insgesamt „Theologie […] weitgehend fremd“ 27 , wie man Hurlebuschs Befund ausweiten könnte. Gebraucht Klopstock manchmal auch Wendungen wie „Geist Schöpfer“ 28 , die der Vulgata näher als jener Luthers stehen, so gibt es zahlreiche Passagen im Messias, die sich ganz „nach Luthers Übersetzung“ 29 orientieren. 30 Luther wird also nicht nur vor allem als Sprachbildner von Klopstock geschätzt, sondern fast ausschließlich; er ist Inspiration, die Bibel und seine Übersetzungsleistung für sich stehend Impetus, ansonsten entspricht Klopstocks „Christusbild […] weder dem der Schrift noch dem der luth(erischen) Christologie“ 31 , wie auch sonst sich statt Verbindungslinien „Häresien“ 32 finden. Intention und Glaube Klopstocks 31 32 Ibid., S. - 10959. 31 Sauder: Klopstock, S. - 10957. 30 Cf. auch Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·6, S. - 312ff. sowie Haufe: Zu Klopstocks Begriff »Geist Schöpfer« (Messias I 10), S. - 43 u. passim. 29 Krummacher: Bibelwort und hymnisches Sprechen bei Klopstock, S. - 157. 28 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 1, Gesang I, V.10. 27 Hurlebusch: Klopstock, Friedrich Gottlieb (1724-1803), S. - 273. 26 Aland: Bibel und Bibeltext bei August Hermann Francke und Johann Albrecht Bengel, S. - 106. 25 Hebbel: Sämtliche Werke, 1. Abt., Bd. 6, S. - 301. 24 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. I·1, S. - 451/ Klopstock: Oden, Bd. 2, S. - 61. 23 Hurlebusch: Klopstock, Friedrich Gottlieb (1724-1803), S. - 273; cf. Klopstock: Gedanken über die Natur der Poesie, S. - 24. 22 Cf. auch Blackall: Die Entwicklung des Deutschen zur Literatursprache 1700-1775, S. - 261; auch ist bezeichnend, daß in Untersuchungen zum Pietismus Klopstock kaum mehr erwähnt wird - cf. etwa den Index bei Wallmann: Der Pietismus, S. - 239. 21 Müller: Die Religiosität in Klopstocks »Messias«, S. - 45. 20 Goethe: Berliner Ausgabe, Bd. II, S. - 157. <?page no="32"?> Seine Formensprache und das Emanzipationsprinzip darin macht Zuordnungen schwierig, „Klopstocks Christentum“ 33 besteht „als literarische Erscheinung“ 34 - und also auch nicht. Allein vom Sprachbildner Luther schreibt Klopstock mit dem höchsten Respekt, in Nachbarschaft Leibniz’: „Jedes Zeitalter bestehe aus einer Gruppe Bildsäulen. Luther, und die es werth sind, um ihn her. Leibniz, und die es werth sind, um ihn her.“ 35 All das ist mit dem Bilde des Pietisten (und teils noch des Protestanten) Klopstock nur schwer völlig in Einklang zu bringen. Alternativ ließe sich vielleicht auch sagen: nicht schwer, doch dann so ungefähr, wie es die erwähnte Statistik ahnen läßt. Zur Biographie, die unter anderem von Muncker sehr detailliert recherchiert ist, wird hier nicht nur wenig angeführt, als „Verzicht auf […] - hier fast verunklarende - Vollständigkeit“ 36 , wie Langen lobend zu Beißners Interpretation von Klopstocks Ode Der Zürchersee schrieb, und wenn: dann ex negativo, um wieder unverstellt zu sehen, was an Möglichkeit und Zukunft Klopstock innewohnt, in deutlichem Gegensatz zu einer Historisierung, die gewissermaßen verabsäumt, „für den Dichter in seiner Eigentlichkeit gegen den einzutreten, der er zufällig ist.“ 37 Das Augenmerk gilt den virulenten Problemen (dann mitunter auch: der Theologie) und den damit wie gesagt engstens verbundenen Fragen der Formfindung, dem Feld der „hochvirulenten Zug-und-Spann-Probleme[n]“ 38 Klopstocks, die Rühmkorf andeutete; es geht um das, was Klopstocks Texte zu heutigen und sogar zu Utopien heutigen Schreibens macht. Es wird sein Werk zu bedenken und zu denken sein, die Form, welche eine Intention objektiviert: oder eigentliche Intention in Transzendenz dessen, was Intention zu sein scheint, erst ist - oder wird. Der Autor „ist […] immer nur ein Papier-Ich“ 39 - wie analog ein Vektor „(v)om Werk zum Text“ 40 besteht -, eine Konstruktion, die transzendiert wird: „Frage nicht […], wer das gesagt habe, sondern sieh nur immer auf das, was da gesagt wird.“ 41 Wesentlich ist die Form dabei, im Falle Klopstocks seine Arbeit mit der Metrik wie der Rhythmik, also seine Rhythmus-Motorik und -Notorik. 32 Intention und Glaube Klopstocks 41 Thomas von Kempen: Das Buch von der Nachfolge Christi, S. - 67. 40 Ibid., S. - 64. 39 Barthes: Das Rauschen der Sprache, S. - 70. 38 Rühmkorf: Die Jahre die Ihr kennt, S. - 231; cf. auch Sauder: Der zärtliche Klopstock, S. - 66. 37 Guardini: Gegenwart und Geheimnis, S. - 112. 36 Langen: Friedrich Beißner, Klopstocks Ode »Der Zürchersee«, S. - 329. 35 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. VII·2, S. - 8, Textteil I,1 (im Original teilweise gesperrt, M.H.). 34 Ibid. 33 Eichendorff: Werke, Bd. 3, S. - 702f. <?page no="33"?> Silbenzwang … und Metaphysik Mit Silbenzwang wird das Phänomen der falschen Betonung um des metrischen Schemas willen benannt: Eine Länge wird als Kürze, eine Kürze als Länge ausgesprochen. Also benennt das Wort sozusagen vor allem den Umstand, daß das Unbehagen, ein metrisches Schema zu beschädigen, größer als jenes, ein Wort falsch zu betonen, sein mag - oder Monotonie; und das richtige Wort zu opfern. Klopstock etwa schreibt, daß der Silbenzwang in alternierenden Versmaßen, soll der Wortschatz nicht um jene Wörter, deren eigene Betonung sich in Jambus und Trochäus nicht fügen will, vermindert werden, „notwendig“ 1 ist; die Alternative, hier den vorgegebenen Rhythmus zu stören, stellt für ihn keine adäquate Lösung des Problems dar - oder nur indirekt, insofern die Krise eine notwendige wie mögliche Diversifikation der Metrik und ihrer Elemente beleuchtet: die (Wieder-)Einführung von anderen metrischen Schemata. 2 Woraus aber ergibt sich der Silbenzwang, wenn nicht aus der Rhythmik der anderen Silben und also schon hier Stimmigkeit? - Er scheint sich also nicht allein auf den Vers zu beziehen, er ist vielmehr aus ihm erwachsen, das Umfeld übt seine metrische Macht auf die gezwungene Silbe aus, ist doch selbst das strikt alternierende Maß nicht zwingend „vorgezählt“ 3 . Wenn sich die Metrik nicht nur auf die Verse bezieht, sondern aus ihnen zugleich - und zuvörderst - geboren wird, ergibt sich ihr Zwang wesentlich dort, wo er immanent entsteht, wird vor allem dort ein sublimer „Fluß in Versen“ 4 . Die Bedeutung dieses Flusses und seiner Wünschbarkeit resultiert aus einer Reihe von subtilen Aporien, die in der Folge darzustellen sind. Indirekt berührt dabei die Frage (rhythmischer) Kohärenz jene des Sinns, weshalb man auch von einer Arbeit am Logos - die Formel ist, wie erkennbar sein sollte, an Hans Blumenberg angelehnt - sprechen könnte, oder von einer „Arbeit am Sinn“ 5 . Stil wird Metaphysik, Metaphysik Stil. Eines der zentralen metaphysischen Probleme war stets die Stabilisierung des Begriffs der Metaphysik schlechthin: Gottes. Mit jenem sollte stets eine höchste Verbindlichkeit und zugleich maximale Non-Trivialität bezeichnet werden. Eine der wohl avanciertesten Verklammerungen dieser beiden kaum zusammenzudenkenden Attribute Gottes leistete Nikolaus von Kues; bei ihm ist der Verstehens- und Erkenntnisprozeß, der mit dem Denkbaren das Seinsmögliche umfaßt, noch an eine ideale Figur gebunden: den Kreis, 5 Schmid: Glück, S. - 74. 4 Lichtenberg: Schriften und Briefe, Bd. I, S. - 524, [F 469]; cf. Mülder-Bach: Im Zeichen Pygmalions, S. - 173. 3 Klopstock: Gedanken über die Natur der Poesie, S. - 21; cf. auch Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Briefe, Bd. VIII·1, S. - 137, Nr. 119, 3.7.1789. 2 Cf. Socha: »[…] verirrter/ Tritt er einher, wenn er gar anwandert gegen den Inhalt«, S. - 62. 1 Klopstock: Gedanken über die Natur der Poesie, S. - 64. <?page no="34"?> dem ein immer komplexeres Vieleck eingeschrieben wird, das ihn in einer Limesfunktion progressiv ausfüllt. 6 Hier wird der „»Ungenauigkeit«“ 7 als „fundamentale(r) Eigenschaft der Welt“ 8 ihr frappant präzises Emblem gefunden, das zuletzt die Rede vom Ungenauen fragwürdig macht; Gott wird zur Figur der Kombination unendlich zahlreicher Minima, eine Art summa integralis des Seins, das idealiter sich in der Erfüllung seines Geschöpfseins - am Maße Gottes, das dann das Maß ihrer selbst wäre - gäbe. 9 Das Wort Allmählichkeit ahnt etwas hiervon, insofern es Kleinstes und das Ganze verklammert. 10 Es trüge dem „Wissen des Nichtwissens“ 11 Rechnung, das freilich sich selbst affiziert, erst „(m)it dem Wissen nimmt das Nichtwissen in gleichem Grade zu“ 12 , gewissermaßen, nämlich als in jenem „miroir […] de l’univers“ 13 ahnbar. Subtiler als in seiner Schrift zur docta ignorantia formuliert Nikolaus von Kues in Vom Nichtanderen, das Andere sei nur in der „Wesenheit des Anderen“ 14 (eben in dem Nichtanderen dieses Anderen) zu erfassen, das als Seinsgrund der Erkenntnis kaum zu erfahren sei, oder eben als Verfehlen des Anderen, ein Anderes eines Doch-wieder-nicht-Anderen: was sich immerhin als Irritation lesen läßt, also nicht metaphysisches Konzept, aber gerade so keine blanke Kapitulation wie auch kein Positives, das - „ φϑε ί ρε ι “ 15 - das, was ungefaßt bleiben muß, es fassend zerstört. Irritation wird Metaphysik nach dieser: nicht als die Affirmation eines Modells, vielmehr als Artikulation eines „S ELBANDERE (n)“ 16 , ein Vektor auf das vorgeblich Andere und zugleich „zum Selben selbst, zum »Selbst«, das unablässig sich übersteigt“ 17 - Modus des Transzendierens, das zu vorläufigen Klammern und Anführungszeichen zwänge, wäre Sprache nicht als sowohl Versagen vor der ironischen Geste wie Utopie das, was „jeder Einklammerung widersteht“ 18 … Die Konfiguration gilt ähnlich für Gott, der sich 34 18 Derrida: Die Schrift und die Differenz, S. - 62. 17 Nancy: Das andere Porträt, S. - 39. 16 Nancy: Dekonstruktion des Christentums, S. - 205; cf. Nancy: Love and Community. 15 Empedokles: [Fragmente], S. - 86, Frgm.32; cf. auch Meister Eck[e]hart: Deutsche Predigten und Traktate, S. - 207, Predigt 11. 14 Nikolaus von Kues: Schriften in deutscher Übersetzung, Bd. XII, S. - 24. 13 Leibniz: Philosophische Schriften, Bd. I, S. - 464. 12 Ibid. (Hervorhebung von mir, M.H.). 11 Schlegel: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, 1. Abt., Bd. II, S. - 210. 10 Cf. auch Adelung: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Bd. I, S. - 218. 9 Cf. zu den Begrifflichkeiten Serres et al.: Thesaurus der exakten Wissenschaften, S. - 414ff. 8 Ibid. 7 Blumenberg: Theorie der Lebenswelt, S. - 13. 6 Cf. Nikolaus von Kues: Philosophisch-theologische Werke, Bd. I, S. - 14 sowie Nikolaus von Kues: Schriften in deutscher Übersetzung, Bd. XVII, S. - 58, 60, 86, 106 u. passim; cf. zur Annäherung an Gottes Unendlichkeit im historischen Kontext Klopstocks etwa Mendelssohn: Schriften über Religion und Aufklärung, S. - 275, zur theo-mathematischen Allegorie etwa Sloterdijk: Sphären, Bd. II, S. - 553 u. passim. τ ὰ ἄ λ λ α Silbenzwang … und Metaphysik <?page no="35"?> erkennt: „Seipsum […] Deus perfectissime cognoscit.“ 19 Ebenso nimmt er hiervon Verschiedenes wahr: „Deus cognoscit alia a se“ 20 ; und zwar „in seipso“ 21 - in sich. Doch schon zuvor war diese stete Transfiguration, denn hier ruht nichts, besteht als Metaphysik jene Irritation, die Metaphysik affiziert. 22 Ist Gott nach alledem etwas, wie es ein Silbenzwang metrisch ist, doch in bezug auf die diskursive Einbettung, und: doch überall? - Gott ist das Andere, das sich aber auch nicht durch den Begriff des Anderen einholen oder korrumpieren läßt, denn, so schreibt Guardini, „Gott ist nicht »der Andere«, sondern Gott.“ 23 Dies machte, daß Gernhardt den „wortentrückt“ 24 Anderen eben jene Nennung noch transformieren lassen muß, die diesem zu Unrecht widerführe; Gott sagt hier schließlich in einer so tiefen wie gewitzten Volte, die mit dem Reim als Konvention spielt, um diese vollziehend sie zu durchdringen: „Noch anders bin ich onders [sic! ].“ 25 Als diese sprachliche Irritation ist das Numinose vielleicht insbesondere das Epizentrum von Klopstocks Werk. Es öffnet sich dem, was Sprache treibt: Was diese antreibt, was aber auch das - aktive - Treiben der Sprache ist, ist die Liebe, die an das Sein gerichtet ist. 26 Damit greifen zwei Figurationen ineinander: Gott als logos und dessen Liebe, Gott als Liebe und deren logos. Man muß nicht eigentlich gläubig sein, um die Sprengkraft dieser theopoetischen Exerzitien zu erahnen. Man gelangt von Nikolaus von Kues in die Zeit Klopstocks; es „dürfte nicht schwer sein, von seiner Religionenlehre eine Linie zu Kants Kritik der reinen Vernunft zu ziehen“ 27 , in nuce ist bei Nikolaus von Kues das angelegt, worauf als auf eine Destabilisierung der Seinslehre mit und nach ihm zu reagieren war. Man gelangt von Cusanus aber ebenso zu Klopstock, wiewohl das Verhältnis von Klopstock und Kant nicht friktionsfrei gewesen ist. 28 Und über Klopstocks Arbeit gewiß weiter. 35 28 Cf. bereits hier Kant: Werkausgabe in 12 Bänden, Bd. III, S. - 98, B 75, A 51. 27 Koch: Nikolaus von Kues, S. - 287. 26 Cf. Badiou: Lob der Liebe, S. - 27f.; ferner ibid., S. - 33f., ferner S.56f. u. passim. 25 Ibid. 24 Gernhardt: Körper in Cafés, S. - 141. 23 Guardini: Welt und Person, S. - 26. 22 Cf. auch Nikolaus von Kues: Schriften in deutscher Übersetzung, Bd. XII, S. - 23f., 33, 55, 63, 91 u. 127; ferner Badiou: Ethik, S. - 35ff. u. 39f. u. Barth: Dogmatik im Grundriß, S. - 40. 21 Ibid. 20 Ibid., S. - 188. 19 Thomas von Aquin: Summa contra gentiles, Bd. I, S. - 182. Silbenzwang … und Metaphysik <?page no="37"?> Die Heilige Schrift Klopstocks - ein Grundriß Achtung Vor diesem Hintergrund also schreibt Klopstock seine Texte, die mit ontologischen Instanzen und metrischen Vorgaben gleichermaßen ungewöhnlich und interpretationsbedürftig umgehen. An den theologischen Spekulationen, die Klopstocks Werk impliziert, die ihm aber auch als Implikationen unterstellt werden, wurde zwar eine Unreife empfunden. Namentlich Lichtenberg, der „junge Prediger“ „haßt“ 1 , zählt Klopstock zu jenen, „die an Kenntnissen nicht älter werden“ 2 , was indes nur die Rezeption und zu gewissen Teilen Klopstocks Werkpolitik, dieser zu entsprechen und dem, was seine Kanonisierung damals verhieß und sie heute verhindert, zu entsprechen, trifft - hierin ereilte ihn, was Hamann allgemein notierte: „Ein Schriftsteller, der eilt, heute und morgen verstanden zu werden, läuft Gefahr, übermorgen vergessen zu seyn.“ 3 Vom Werk selbst gilt dennoch weit eher wenigstens das, was Huber, der ein Zeitgenosse des Dichters ist, schreibt, nämlich, daß Klopstocks „Geist mit seinem Zeitalter gleichen Schritt hielt und durch die Jahre an Festigkeit und Reichtum gewann.“ 4 Hat man das Werk Klopstocks als Sensorium der skizzierten Krise verstanden, kann Lichtenberg nur mehr ein Stereotyp treffen, nicht diese Dichtung. Keine Metaphysik stellt Klopstock noch gänzlich unbeschadet jene Relation her, wie sie bei Nikolaus von Kues virtuell besteht, der das Problem, daß das Andere als solches nicht erfaßbar sei, gleichwohl ausgesprochen hat; und sein Stil ist auf eben diesen Bezug ausgerichtet, auf eine Theologie, die die Brüche der Vernunft nicht durch ihre Stilistik aufhöbe, doch das Denken je hinaustriebe, dynamisiere. Klopstock weiß - nicht dennoch, sondern darum wohl ein so heftiger Kritiker des Philosophen aus Königsberg, sozusagen des Überbringers der schlechten Botschaft… -: Es läßt sich nicht mehr das Wesen sagen; und ist auch, was nicht wesentlich ist, längst nicht unwesentlich, vielmehr bloß ein „unendliche(s) Urteil[e]“ 5 getroffen, so doch die Welt-Form hiermit zerbrochen, worauf freilich noch zu kommen ist. Das ist unabweisbar und verstörend, scheint die Idee der Offenbarung zu gefährden, also die Weltschau, 5 Kant: Werkausgabe in 12 Bänden, Bd. III, S. - 112, B 97, A 72. 4 Huber: Klopstock: »Hermanns Tod«, S. - 180. 3 Jacobi: Werke, Abt. III, Bd. IV, S. - 402, 4. März 1788; cf. Hainz: Autor-dys-funktion, passim sowie Martus: Werkpolitik, passim. 2 Ibid., S. - 527, [F 493]; cf. auch Dilthey: Das Erlebnis und die Dichtung, S. - 22. 1 Lichtenberg: Schriften und Briefe, Bd. I, S. - 68, [B 81]. <?page no="38"?> aber auch jedwede Theoskopie, doch wird die Idee einer Theophanie so erst sinnvoll. Der Bruch ist die Herausforderung, die Klopstock in der vertrackten Orthodoxie der Teufelsgestalten verhandelt, aber die Sprache Klopstocks könnte und müßte ohne diese nicht das leisten, was zugleich ihre Modernität ausmachen könnte. Die Verschiebung der bloß funktionalen Sprache und noch der Mimesis selbst in das Feld der Poiesis ist deren Pointe. Gegeben ist also eine Spiegelung, bei der das unterstellte Prinzip oder Urbild sukzessive verschwindet; Achtung des Erkenntnisgegenstandes ist in diesem Sinne nicht mehr, ihn adäquat zu spiegeln, sondern die Unmöglichkeit eben dieses Projekts nicht prinzipiell zu leugnen und darin doch das Unmögliche (das unvermindert Anstoß bleibt, „demütigend“ 6 und zugleich „unendlich erhebend“ 7 ) nicht preiszugeben..: „Das Gefühl der Unangemessenheit unseres Vermögens […] i s t A c h t u n g .“ 8 complicatur - Komplikationen Welt wird hier Text, wird also Ausdruck des Unangemessenen und Unausgeglichenen, das die Welt zugleich bleibt, wobei deren Lesbarkeit die Falte wird, ihr Ganzes sei sie in der Diversifikation, doch im Allerersten eingefaltet: „multitudo […] in primissimo uno complicatur.“ 9 Die Faltung ist sozusagen Gott, der wie Seine Schrift und deren Rhythmik als „progrès perpetuel“ 10 im Werk Klopstocks entwickelt wäre. Er fordert das Werk, er zerstört es - und nicht nur rezeptionsgeschichtlich, insofern dieses Thema und seine epische Form dem Dichter wirkungsgeschichtlich geschadet haben mögen; vielmehr läßt sich Schlegels Stoßseufzer, „der Himmel behüte uns vor ewigen Werken“ 11 , so auch theologisch lesen. Letzter Hand ist Theologie nie, ist auch das Schreiben Klopstocks nicht: „Anlegung der letzten Hand. Deine Schrift ist vollendet. Auch mich freut’s. Zu viel ausstreichen, ist Scylla; zu wenig, Charybdis. Sieh mir ins Gesicht, Jüngling! Kanst [sic! ] du steuren? Hast du Mut? “ 12 Ob nicht das stete Fortführen, das nie zur Sentenz kommt, diese vielmehr stets schon auflöst und neu als gestaute Energie in weitere Sequenzen 38 Die Heilige Schrift Klopstocks 12 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. VII·1, S. - 68. 11 Schlegel: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, 1. Abt., Bd. II, S. - 79f. 10 Leibniz: Die philosophischen Schriften von Gottfried Wilhelm Leibniz, Bd. VI, S. - 606. 9 Nikolaus von Kues: Schriften in deutscher Übersetzung, Bd. XXIII, S. - 44. 8 Kant: Werkausgabe in 12 Bänden, Bd. X, S. - 180, B 96, A 95; cf. auch etwa Lévinas: Zwischen uns, S. - 139. 7 Ibid; cf. auch ibid., S. - 483. 6 Schiller: Sämtliche Werke, Bd. V, S. - 465. <?page no="39"?> transformiert, etwas hiervon stets hat? 13 Stets ahnt dieses Werk, daß es nur jenseits dessen, was es ist, sein könne, sich immer neu vollziehend - „der geglaubten Unsterblichkeit“ 14 traut nicht erst Schlegel nicht recht. Was sich fügt, ist verloren, „(n)eue Lehrgebäude werden gleich, wenn sie fertig sind, verbrant [sic! ]“ 15 , so ist es in der Gelehrtenrepublik formuliert. So werden Systeme zur Basis ihrer Verbesserung, einer teils rigorosen, wie sich zeigen soll, und zwar textuell: wobei die Theologie oder Philosophie nicht etwa die Forderung souverän stellte, wonach dies geschieht, sondern diesen Anspruch in dem aktualisiert, was dann auf sich kritisch verweist - wie sich im ältesten Systemprogramm des deutschen Idealismus andeutet, es müsse ihm zufolge der „Philosoph […] eben so viel ästhetische Kraft besitzen, […] als der Dichter.“ 16 Nur Schrift ist in der Lage, „intensive Regellosigkeit“ 17 zu sein, je unabsehbare Verbindlichkeit: darin, läßt man sich auf die Terminologie ein, die Klopstock nahelegt, göttlich, daß man ihr Sagen und Tun „von nirgendsher deduzieren“ 18 könne, jedoch von ihr „der Mensch eines schuldigen Vergessens überführt“ 19 werde: Des Dichters „Werk hält das Offene der Welt offen.“ 20 Unter diesem Blickwinkel verkompliziert sich, was bei Reemtsma als fast schon provokante Antithese formuliert ist: „Das Werk ist ein Ganzes, die Welt nicht.“ 21 Das offenbar wesentliche Nicht-Ganze der Welt/ Welt verdankt sich indes dem Werk, ist sonst gefährdet; und das Werk Klopstocks weist - selbst - über sich auf das, was es sei, eigentlich, wobei die Frage, ob das Eigentliche auch nur als Vektor zu bestimmen ist, an jene Integrität rührt, aus der sich die Entschlossenheit der Verwerfung paradox ergibt… Thematisch ist dies in den Himmelsvisionen schon der Bibel angedeutet, woraus Geschlossenheit und Geborgenheit gelesen wurde, denen auch das Aufbrechen des Geschlossenen indes zu entnehmen wäre. 22 Noch in der Popkultur der jüngsten Vergangenheit wird diese Verflechtung wie immer säkularisiert wahrgenommen, so in Tom Pettys Learning to Fly (1991); die durch den Flug sinnfällig gemachte Erweiterung der Existenz wird darin mit einer vagen Imagination von Erfüllbarkeit rat- und rastlos verkoppelt. Die Entdeckung der Ressourcen und Optionen von Systemen, die ihre Dekonstruktion initiierend sich wahren, ereignet sich - aufs Raffinierteste - Die Heilige Schrift Klopstocks 39 22 Cf. u.a. Mk 1,10, Joh 20,17 oder Apg 7,55. 21 Reemtsma: Was heißt: einen literarischen Text interpretieren, S. - 15. 20 Heidegger: Holzwege, S. - 31; cf. u.a. ibid., S. - 269 sowie Derrida: Meine Chancen, fol.13 r. 19 Ibid. 18 Balthasar: Die Wahrheit ist symphonisch, S. - 17. 17 Foucault: Schriften in vier Bänden, Bd. II, S. - 110. 16 [Hegel]: Das »älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus«, S. - 12. 15 Ibid., S. - 30. 14 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. VII·1, S. - 54. 13 Cf. Hainz: Sentenzen und Sequenzen, S. - 149ff. <?page no="40"?> wie bei Hölderlin oder Hegel, so auch im Werk Klopstocks, und hier besonders im Messias, der so nicht allein thematisch das Produktivwerden von Stringenz und Innovation in „der sündigen Menschheit Erlösung“ 23 behandelt. Dabei ist die Metrik einer der zentralen Ordnungs- und Innovationsgeneratoren, doch auch aus anderen Gründen als „außervernünftige[n]“ 24 Sprachhandlung zu diskutieren: als „subsemantische Resonanznatur“ 25 , also Ahnung - „»subsemiotic«“ 26 , „ahndende [sic! ] Phantasie“ 27 , „wo Begriffe fehlen“ 28 … Sie antizipiert, generiert oder ist das Verstehen und das Verständliche in der Sprache, ist neben anderem auch das Textuell-Zeitliche derselben, also, daß sich Begriffliches ankündige - Voranfängliches gleichsam 29 -, und mitunter erst erfülle. Durch „Ton, Stärke, Modulation, Tempo“ 30 werde gedacht, nicht durch „das Wort“ 31 - also den Begriff -, so schreibt Nietzsche; Klopstock selbst schreibt: „Ich fühlt’ es wohl, und wußt’ es nicht“ 32 … Dies ist eine Freisetzung, eine Evolution ungeahnter Schritte: daß die Poiesis, wird sie radikal gedacht, eine „Gegensouveränität“ 33 darstellt, Derrida spricht auch von „der »(Ganz)Anderen-All-Macht«, die die Welt-Literatur darstellt.“ 34 Sie scheint mit der Schöpfung zu brechen, weil sie mit dem Schöpfer bricht - ist also der Lüge verwandt, für die folglich ein milderes Wort zu finden Jean Paul forderte. 35 Die Poiesis bedeutet, daß der, der leicht als Inbegriff des Souveräns erscheint, nämlich Gott - oder doch bloß der Inbegriff des Einbegreifens -, etwas unterläßt: mit „l’harmonie préétablie“ 36 sozusagen ernstzumachen. Das Problem ist nur mit dem Begriff der Gnade - oder Liebe - aufzulösen, säkular: mit Transformationen des Vernunftbegriffs, denen Liebe dann nur unbeholfen Ausdruck verliehe, als Freiheit gegenüber dem wie auch vor allem durch das, was (Gegen-)Souveränität eigentlich meinen mag. 40 Die Heilige Schrift Klopstocks 36 Leibniz: Philosophische Schriften, Bd. I, S. - 474. 35 Cf. Jean Paul: Sämtliche Werke, Abt. II, Bd. III, S. - 836ff. 34 Derrida: Genesen, Genealogien, Genres und das Genie, S. - 21. 33 Derrida: Schurken, S. - 100. 32 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. I·1, S. - 141/ Klopstock: Oden, Bd. 1, S. - 120; cf. zu Empfindlichkeit - Empfindungsvermögen - Vernunft Sauder: Der zärtliche Klopstock, S. - 59ff., Mickel: Der gefühlsmäßig-religiöse Wortschatz Klopstocks, S. - 30ff. u. passim sowie - kritisch - Murat: Klopstock, S. - 232; ferner etwa Sloterdijk: Sphären. Bd. II, S. - 532. 31 Ibid.; cf. auch etwa ibid., Bd. V, S. - 153. 30 Nietzsche: Sämtliche Werke, Bd. X, S. - 89. 29 cf. Hainz: Anfangen, passim. 28 Goethe: Berliner Ausgabe, Bd. VIII, S. - 85 u. 210. 27 Humboldt: Kosmos, S. - 241. 26 Elkins: Marks, Traces, Traits, Contours, Orli, and Splendores, S. - 823; cf. ibid., passim. 25 Hogrebe: Ahnung und Erkenntnis, S. - 112; cf. ibid., passim. 24 Kaiser: Denken und Empfinden, S. - 11; cf. ibid., S. - 10ff. u. 17. 23 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 1, I. Gesang, V.1. <?page no="41"?> „Das andere Denken allen Denkens - das nicht das Andere des Denkens ist, auch nicht das Denken des Anderen, sondern das, wodurch das Denken denkt - ist der Ausbruch der Freiheit.“ 37 Religiös formuliert meint Gnade damit, daß der Sündenfall etwas ermöglicht, das die Schöpfung erst zu einer wahrhaftigen werden und „die Welt wirklich Welt“ 38 sein - also: immer werden - läßt; die Unschuld davor ist dann „bloße Potentialität“ 39 . „Schöpfung ist, wo Abgrund und Gestalt in einem Wesen eins sind“ 40 , schreibt Tillich. Nancy schreibt apostrophiert: „»Abgrund«“ 41 - den man so wenig zu einem Grund umdeuten kann, daß er sich zur Apostrophierung entschließt; worum es geht, „entspringt aus nichts“ 42 , wenn man es denkt. Sündenfall wird zur poetischen conditio: eine Schuld in der Perspektive dessen, der diese Schuld performativ sich zuschreibt, darin sie und sich aber befragbar macht und das gleichsam noch schuldige Sein einer möglichen Transzendenz zuführt. Wie angedeutet und zu konkretisieren ist Klopstocks Poetik ein Fragen. „Wenn Jahwe nach dem Sündenfall Adam fragt: »Wo bist du? «, dann bedeutet diese Frage, dass der Mensch nunmehr einzig am Ort der Frage gefunden und situiert werden kann. Der Mensch ist von nun an Frage für Gott selbst, der keine Fragen stellt.“ 43 Text ist damit eine „Bewegung ohne Ende“ 44 ; „und dennoch immer schon vollendet“ 45 . Unhintergehbar als das, wonach Vollendung nicht mehr sein wird, dies beschließend, dies erklärt die „Doktrin, der zufolge die einzige Einschränkung göttlicher Allmacht darin besteht, daß Gott die Vergangenheit nicht ändern kann“ 46 - Gott ist, und zwar schon für Klopstock, das, was die Sprache bis eben geregelt zu haben scheint, und eben jene Verstörung: eine immer Unhintergehbarkeiten generierende Irritation, darin fast gegenwärtig. 47 Dies prägt in einer „infinité de mondes possibles“ 48 auch die beste, die sich durch diese geradezu definiert. 49 Lessing stellt teils analog zu Leibniz in seinem Christentum der Vernunft nach einem Bekenntnis, daß Die Heilige Schrift Klopstocks 41 49 Cf. ibid., S. - 144 u. 266. 48 Leibniz: Philosophische Schriften, Bd. II·2, S. - 266. 47 Cf. u.a. Kierkegaard: Philosophisch-theologische Schriften, S. - 119 oder Flasch: Eva und Adam, S. - 16. 46 Steiner: Warum Denken traurig macht, S. - 17. 45 Ibid.; cf. ibid., S. - 127ff. u. passim sowie Weinrich: Knappe Zeit, S. - 54, 107f., 190 u. passim. 44 Ibid., S. - 129. 43 Blanchot: Das Neutrale, S. - 127; cf. ibid., S. - 132. 42 Ibid. 41 Nancy: Die Erfahrung der Freiheit, S. - 74. 40 Tillich: Gesammelte Werke, Bd. VIII, S. - 286. 39 Tillich: Symbol und Wirklichkeit, S. - 20. 38 Balthasar: Der Mensch und das Ewige Leben, S. - 366. 37 Nancy: Die Erfahrung der Freiheit, S. - 80. <?page no="42"?> „unendlich viel Welten möglich“ 50 seien und die von Gott geschaffene die „vollkommenste“ 51 darunter sein müsse, die Überlegung an, Gott schaffe etwas, dessen Zusammenspiel - „das Zusammengesetzte“ 52 - folge aber daraus; der Einfluß der Fragestellung Leibniz’ sowie seiner Lösung des Problems auf Klopstock ist von diesem selbst mehrfach beglaubigt (bekannt ist sein bewunderndes Epigramm, daß Leibniz „zu früh für seine Zeiten“ 53 war, in der Ode Fragen heißt es zu Leibniz, des „Denkers Leben lebet noch unter uns“ 54 , in der Gelehrtenrepublik, er gehöre unter „die grossen Namen“ 55 ) und auch in der Forschung nachgewiesen oder plausibel gemacht worden. 56 Beziehung ist dabei die Antwort: Ist Gott die Frage, so die Beziehung der Wörter zueinander die Antwort, aber auch - theatralisch - die Beziehung der noch teuflischen Geschöpfe zueinander und zu Gott, es ist „Beziehung […] im Zentrum des Seins“ 57 , so sei auf die Textwelt Klopstocks vorgegriffen. Gott ist und/ oder schafft diese Beziehung, als (textuelle) „Macht, die mächtiger ist als die Macht, […] Macht, die […] mit der Analogie und Hierarchie, die sie herstellt, bricht.“ 58 Diese Macht definiert Schelling bald nach Klopstock als noch im (er-)tragenden Passiv gültige Souveränität, als „Werden […] von Ewig|keit|“ 59 … Eine Schöpfung, die ihrem Schöpfer gegenübertreten kann, macht eine statische Metaphysik undenkbar - und ebenso einen ersten unbewegten Schöpfer; Platon sah in der Poiesis eine Dysfunktion, worin das Reale nur vermindert ist, ein Abbild zweiten Grades, ist doch schon das Reale nur Schatten der Idee, was zu Platons bekannter Polemik wider „die süßliche Muse“ 60 führt. 61 Schrift wird hingegen bei Klopstock zu einer Erweckung von 42 Die Heilige Schrift Klopstocks 61 Cf. auch Renger: Zwischen Märchen und Mythos, S. - 24ff. 60 Platon: Sämtliche Werke, Bd. V, S. - 751, Politeia 607a. 59 Schelling: Philosophische Entwürfe und Tagebücher, 1809-1813, S. - 95. 58 Derrida: Schurken, S. - 186; cf. ibid., S. - 100ff. u. 142; cf. zur Macht für Klopstocks Referenzrahmen u.a. Diderot, bei dem Gott ihr Inbegriff und Limes ist - Diderot: Die rechtmäßige Macht, S. - 136. 57 Nancy: singulär plural sein, S. - 124; cf. Blanchot: Das Unzerstörbare, S. - 175. 56 Cf. ibid., Abt. Addenda, Bd. II, S. - 246 (Anm.), ferner - u.a. - Kohl: Friedrich Gottlieb Klopstock, S. - 29, Zimmermann: Freiheit und Geschichte, S. - 174, Freivogel: Klopstock der heilige Dichter, S. - 52ff., Kirschstein: Klopstocks Deutsche Gelehrtenrepublik, S. - 96, Bogaert: Klopstock, S. - 187ff. u. passim, Hebeisen: Die Cidli-Oden, S. - 120, Elit: Die beste aller möglichen Sprachen der Poesie, passim, sowie Muncker: Friedrich Gottlieb Klopstock, S. - 53, 65, 276, 448 u. 451. 55 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. VII·1, S. - 178; cf. auch ibid., Bd. VII·2, S. - 8, Textteil I,1 sowie S.109, Textteil II. 54 Ibid., Bd. I·1, S. - 125/ Klopstock: Oden, Bd. 1, S. - 106. 53 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. II, S. - 42, Nr. 127. 52 Ibid. 51 Ibid. 50 Lessing: Werke, Bd. VII, S. - 280. <?page no="43"?> Schlafendem oder auch Nicht-Seiendem; so heißt es just bei seinem erbitterten Gegner Lichtenberg: „Zur Aufweckung des in jedem Menschen schlafenden Systems ist das Schreiben vortrefflich, und jeder, der je geschrieben hat, wird gefunden haben, daß Schreiben immer etwas erweckt, was man vorher nicht deutlich erkannte, ob es gleich in uns lag.“ 62 Drastischer schreibt bald Kleist von der Poiesis des Zeichens, dessen die Idee überholender „Energeia des Ereignisses“ 63 , also dem Wort, das sein „eigenes »Ereignis« bedeutet“ 64 und „ereignishaftem Verstehen“ 65 sich prozedural erschlösse; die Aufklärung wie auch ihre scheinbare Antithese, Klopstocks Inbrunst, zielen auf den Text als das, was sich kohärent destabilisiert - worin Vernunft Wagnis ist: „Sapere aude! “ 66 Die Freiheit wird Teil dessen, was Schöpfung ist; oder in einer anderen Nomenklatur Natur, die sich in ihrer Deutung nicht erschöpft: „Was wider die Gewohnheit geschieht, nennen wir wider die Natur. Doch es gibt nichts, überhaupt nichts, was nicht gemäß der Natur geschähe.“ 67 Mit Leibniz wird dies doch - durch das monomanische Projekt einer Sprache, worin „die Zeichen und die Worte selbst […] die Vernunft leiten [,] und die Irrtümer […] nur Rechenfehler“ 68 darstellen würden, hindurch - zur Ahnung der Welt als einer, die nicht nach einer Formel geschaffen, aber auch nicht beliebig zu sein hat; dies eine Antizipation Kants. 69 Diese Welt wie ihr Gedachtsein verweisen auf die bekannte Optimierung aus Leibniz’ Feder: „la plus grande varieté, avec le plus grand ordre“ 70 . Hieraus ergebe sich eigentliche - nämlich: avancierteste - Sprache, wie schon die Bibel andeutet, Klopstocks wesentlichstes Referenzsystem: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott.“ 71 - Unübersehbar ist hier, was Rentsch als „Transzendenz-Aspekte der Die Heilige Schrift Klopstocks 43 71 Johannes 1,1. 70 Leibniz: Die philosophischen Schriften von Gottfried Wilhelm Leibniz, Bd. VI, S. - 603. 69 Cf. Kant: Werkausgabe, Bd. X, S. - 242f., B 182f., A 180 u. passim. 68 Leibniz: Philosophische Schriften, Bd. V·2, S. - 319; cf. Leibniz: Die philosophischen Schriften von Gottfried Wilhelm Leibniz, Bd. I, S. - 57f., ferner Wittgenstein: Werkausgabe, Bd. 1, S. - 92, 8.9.14. u. passim. 67 Montaigne: Essais, S. - 353, II·30; cf. auch Brittnacher: Ästhetik des Horrors, S. - 192. 66 Kant: Werkausgabe in 12 Bänden, Bd. XI, S. - 53, A 481; cf. auch Horatius: Satiren · Briefe, S. - 156, Epistulae · Liber I 2,40. 65 Peng-Keller: Gebet als sinnliches Sinnereignis, S. - 25. 64 Ibid., S. - 108; cf. auch Borst: Das historische »Ereignis«, passim sowie Hünermann: Sprache des Glaubens - Sprache des Lehramts - Sprache der Theologie, S. - 39. 63 Bohrer: Das absolute Präsens, S. - 25. 62 Lichtenberg: Schriften und Briefe, Bd. I, S. - 653, [J 19]. <?page no="44"?> Sprache“ 72 skizziert. In wohl allen Hieroglyphen, den heiligen Zeichen, die sie sind, offenbart sich immer wieder das Offenbaren, das Offene: wenn schon sonst nichts… In der Ballade Belsazar ist die Schrift ohne Schreiber - geschrieben von Niemand -, etwas, dessen Sinn sich vollstreckt, auch darum, weil er nicht zu deuten ist… 73 Die Narration entgleist hier in suggestive Iterationen; etwas geschieht, dem man nur mit einem vorsichtigen Wie sich nähern kann, die Ökonomie des Berichts wird von Jehova verunmöglicht, die Zeit der Ballade bleibt stehen - Prosa wird Poesie, für vier Verse, die dem Moment der etwas (nämlich den Tod des lästerlichen Despoten) nicht befehlenden, vielmehr verursachenden Zeichen, der „Schrift auf der Wand des Nichts“ 74 entsprechen. Der Messianismus lädt diesen Effekt gleichsam gastlich ein; ohne Erwartung, man könnte in der Folge sagen, er weise, und zwar gerade im Werk Klopstocks, der fast wie ein Pilger mehrfach „geistig und körperlich permanent unterwegs“ 75 ist, hermetisch 76 , auf „das Messianische ohne Messianismus“ 77 : ein durchaus christliches Modell zumal in der im Glauben angelegten und dann auch entwickelten Individualisierung. 78 Es bezeichnet also die im Glauben bleibend beharrende Form des Stets-Konvertierens, wie es auch in Klopstocks poetischer Anverwandlung geschieht. Die Buchstaben, Wörter, Worte und Verse sind bei Klopstock schier jener „Himmel voller Engel, die Gott ein wenig verdecken: ruhelos, […] rauschend“ 79 … und als Irritation zugleich eine Ahnung Gottes. Im Polylog und der durch die Mittelbarkeit aktualisierten Wandlung vollzieht sich der die Transformation oder sogar gerade Transsubstantiation zugleich tragende Logos; Gott, so schreibt Anselm von Canterbury im Monologion, sei das „Sprechen der höchsten Wesenheit nichts anderes […] als die höchste Wesenheit selbst“ 80 ; Gott sagt also die höchste Wahrheit - sich - im Lichte der Rede, die ihn aktualisiert. 81 „ “, „(q)ui vos audit me audit“, „(w)er euch hört, der hört mich“ 82 … 44 Die Heilige Schrift Klopstocks 82 Lukas 10,16. 81 Cf. etwa Anselm von Canterbury: Über die Wahrheit, S. - 48. 80 Anselm von Canterbury: Anselm von Canterbury, S. - 100; cf. ibid., S. - 126ff. 79 Serres: Aufklärungen, S. - 176; cf. Serres: Die Legende der Engel, S. - 30 u. passim. 78 Cf. Waldenfels: Zur gebrochenen Identität des abendländischen Christentums, S. - 105ff. 77 Derrida: Marx & Sons, S. - 88; cf. Derrida: Glaube und Wissen, S. - 17 u. 31f. 76 Cf. zu Hermes/ Messias u.a. Derrida: Dissemination, S. - 104 u. Serres: Hermes, Bd. III, S. - 215. 75 Kehl: Hervieu-Léger, Danièle: Pilger und Konvertiten, S. - 715 74 Blumenberg: Die Lesbarkeit der Welt, S. - 16. 73 Cf. Heine: Sämtliche Gedichte in zeitlicher Folge, S. - 86. 72 Rentsch: Gott, S. - 106. Ὁ ἀκούω ν ὑμῶ ν ἐμοῦ ἀκούει <?page no="45"?> Besteht die Modernität Klopstocks darin, daß „(n)icht die Prophetie, sondern die Textkritik […] das Sagen (hat)“ 83 , so ist noch diese Textkritik das Hörbarmachen des Offenen: Prophetie qua Textarbeit und -kritik. Hierauf wird wie auch das Folgende noch in - hier besonders naheliegend… - close readings eingegangen. Textarbeit aber ersetzt nicht, was noch in der Inspiration nicht recht säkular erscheint; es walte, so Hölderlin mehrfach, im genialen Akt „ein Gott in uns“ 84 , der adressiert wird, in einer schöpferischen Mimesis. 85 Anrufung In diesem Sinne wandelt Klopstock auch den Topos der Musenanrufung zur Frage, ob die Dichtkunst das, was allein Gott möglich sei, eben dieses (und darin Gott) besingend noch einmal sublim aktualisieren und darin einer Mimesis des Schöpfens und Versöhnens Raum geben dürfe - und Gott reformulierend, als Impetus statt Begriff: „Aber, o That, die allein der Allbarmherzige kennet, Darf aus dunkler Ferne sich auch dir nahen die Dichtkunst? “ 86 Auch der Dank, worin die einleitende Musenanrufung gleichsam widergespiegelt ist, entspricht dem: „Wenn ich nicht zu sinkend den Flug der Religion flog, Wenn ich Empfindung ins Herz der Erlösten strömte; so hat mich Gottes Leitung getragen auf Adlersflügeln! es hat mich, Offenbarung, von deinen Höhn die Empfindung beseligt! “ 87 Der Genius-Konzeption scheint noch Leibniz’ Versuch, mit der Musik das Poetische schlechthin als Abbild eines mathematisch geprägten ordo (oder als Rekurs auf diesen) aufzufassen, verwandt, die auf eine paradox schöpferische, dem Genie zugängliche „Arithmetique occulte“ 88 hinausläuft. So ist der Genius Befreiung qua Besessenheit, eine überraschende Legitimation von Innovation als „Geburt der Zeichen“ 89 , derer es, wie nur sie es zu sagen vermögen, bedürfe, auch künftig. Es bleibt - nichts… Cusanus sagt, „das Nichts (sei) die Materie der allmächtigen Form“ 90 , heißt „omnipotentis Die Heilige Schrift Klopstocks 45 90 Nikolaus von Kues: Schriften in deutscher Übersetzung, Bd. XXIII, S. - 35. 89 Hogrebe: Ahnung und Erkenntnis, S. - 73; cf. Schmidt-Dengler: Genius, S. - 155. 88 Leibniz: Die philosophischen Schriften von Gottfried Wilhelm Leibniz, Bd. IV, S. - 551. 87 Ibid., Bd. IV·2, S. - 1, Gesang XI, V.1ff. 86 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 1, Gesang I, V.8f.; cf. ibid., passim. 85 Cf. Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 1, Gesang I, V.11 sowie Schleiermacher: Schriften, S. - 810, ferner Balthasar: Herrlichkeit, Bd. III·1, S. - 642. 84 Hölderlin: Sämtliche Werke, Bd. I, S. - 250, Bd. II, S. - 24 u. 26 sowie Bd. III, S. - 18; cf. auch Schmidt-Dengler: Genius, S. - 217ff., v.a. 236. 83 Hilliard: Klopstocks Tempel des Ruhms, S. - 238. <?page no="46"?> formae ipsum nihil […] materiam“ 91 ..: Die weiße Null als Inbegriff des Möglichen wird so zu einem relativ spät bedeutsam werdenden, gleichwohl dann gewichtigen Zahlensymbol. Anfangs skandalös, dämonisiert und sogar verboten wird sie hier zum Analogon der auch göttlichen Seele - zumindest textuell „der Übergang vom Zufall zum Schicksal“ 92 , Erreger der „Urbegeistrung“ 93 Klopstocks auch wider die frommende „Kälte der Vernunft“ 94 - oder durch sie: Die Null ist für Pascal „der Punkt, der alles erfüllt“ 95 , bald - in der Geometrie Hegels - der Punkt, der die Negation des endlichen Raums ist und als solche die Definition des unendlichen Raums gewährt, in der „Negation der Negation“ 96 , welche er vorstellt. Ähnlich findet sich bei Schlegel das Bild des Kreises ohne Peripherie, dessen Mittelpunkt von unendlicher Ausdehnung ist. 97 Es ist bis Leibniz und wohl noch weiter zurückzuverfolgen: „On a fort bien dit, qu’il est comme centre partout; mais sa circomference n’est nulle part, tout luy étant present immediatement, sans aucun eloignement de ce Centre.“ 98 Dieses Nichts gleicht doch nicht von ungefähr Gott in Jean Pauls Definition, wonach jener als Licht zu denken sei, „das selbst nie gesehen [,] alles sichtbar macht“ 99 , viel später wird das, was das theo-ontologische Moment ihm wie Klopstock noch verbietet, Nancy sagen, der skizziert, daß in der „Schöpfung ex nihilo […] der »Schöpfer« das nihil ist“ 100 . Dies bleibt die Irritation, die Gott also ist: als „atopische(s) Spatium“ 101 kaum merklich, eher Störer denn Stabilisator, im Text kein Fremdwort, doch etwas, worin der Text „dem Wort Gottes anheimzugeben“ 102 ist: Text als Utopie von Text, der - im Fall 46 Die Heilige Schrift Klopstocks 102 Nancy: Dekonstruktion des Christentums, S. - 258. 101 Hamacher: Für - Die Philologie, S. - 66. 100 Nancy: singulär plural sein, S. - 40. 99 Jean Paul: Sämtliche Werke, Abt. II, Bd. III, S. - 823. 98 Leibniz: Die philosophischen Schriften von Gottfried Wilhelm Leibniz, Bd. VI, S. - 604; cf. auch Frey: Metaphorisches in Dantes Paradies und anderswo, S. - 244, N.N.: Was ist Gott, S. - 29 sowie Fuchs: Die Modernität der Mystik und die Modernität der Theorie, S. - 56. 97 Cf. Schlegel: Transcendentalphilosophie, S. - 11 u. passim. 96 Hegel: Werke in 20 Bänden, Bd. 9, S. - 44f.; cf. auch Hegel: Wissenschaft der Logik, 1. Teil, Bd. 1, S. - 169. 95 Pascal: Gedanken, S. - 380. 94 Ibid., Abt. Briefe, Bd. III, S. - 97, Nr. 80, 12.9.1758 (dort gesperrt); cf. auch etwa den Brief Herders, ibid., Bd. VIII·1, S. - 19, Nr. 20, Jan. 3.7.1783; ferner Zilsel: Die Entstehung des Geniebegriffs, S. - 275, Schulz: Die Göttin Freude, S. - 26, Baumgarten: Ästhetik, Bd. 1, S. - 266, Sectio XXI, § 293 sowie S.280, Sectio XXI, § 308. 93 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 7, I. Gesang, V.252. 92 Badiou: Lob der Liebe, S. - 42; cf. auch etwa Badiou: Das Sein und das Ereignis, S. - 439, Badiou: Ethik, S. - 44, Badiou: Gott ist tot, passim, Deleuze, Guattari: Tausend Plateaus, S. - 202 u. passim oder Nancy: Dekonstruktion des Christentums, S. - 20. 91 Ibid., S. - 34. <?page no="47"?> der Oden Klopstocks weist Kaußmann darauf hin 103 - immer auch ein Anreden ist. „Der ich Gott bin, wie du: Ich will die Menschen erlösen“ 104 , so sagt Klopstocks Jesus, Gott antwortet: „Ich bin/ Ewig! und schwöre dir, Sohn: Ich will die Sünde vergeben.“ 105 Der parallele Satzbau dieser signifikanten Verse, die noch zu untersuchen sein werden, der wiederholte Doppelpunkt, hernach die exponierte Bekundung und Gewähr - man wird nicht ignorieren können, daß hier Klopstock fast schon statt des Worts dem Doppelpunkt ein Gewicht zumißt, das aus jener profunden Nichtigkeit herrührt. Das Absolute allein dieser Logos-Transzendenz als etwas, das eigentlich den logos ausmachen mag, ferner einer davon kaum zu trennenden Logos-Diversifikation wirkt in den Messias Klopstocks hinein, und in die akribische Sensibilität Klopstocks. So schreibt Kaiser, Klopstock habe Gott ein spontanes Handeln ohne logisches „Gesetz als Zwischeninstanz“ 106 zugebilligt - man kann sicherlich zu dieser Bemerkung Kaisers feststellen, daß die Anlage eines epischen Textes nicht die eines philosophischen ist und sich folglich fast zwingend Gott im Epos als einer des personalen Handelns gezeichnet findet, wobei die Frage der Gattungstheorie, ob in diesem Epos ein Held nicht letzten Endes fehle, ausgeblendet hier sei. Gott handelt, wie es scheint, jedenfalls souverän - un-(theo-)logisch - im Messias; doch eigentlich wiederholt und vollendet sich hier das Poiesis-Problem, denn die scheinbar fehlende Zwischeninstanz wäre eine Unterbietung: eine moderierte Sprache eines moderierten Gottes entspräche nicht der Bereitschaft, hier Sprache und ihr Konzept aufeinander bezogen lassen zu sein. Christus „blutete Gnade“ 107 , das bedeutet nicht nur, daß sein Tod Ausdruck der höchsten Teilnahme Gottes an seinem Werk ist, sondern auch, daß das Blut - ganz Teil der körperlichen Welt der Schöpfung - an jener Gnade Anteil hat, die die Schöpfung gebar, und sei’s, indem die Sprache die Welt ihren Begriff überfordern ließ. 108 Ganz sind nach dem poetisch-demiurgischen Akt weder Schöpfer noch Schöpfung für sich, worauf noch zu kommen ist. In der Schrift(-Religion) Die Heilige Schrift Klopstocks 47 108 Cf. zum Blut und zu den von Klopstock mit Blutgebildeten Komposita auch Würfl: Ueber Klopstock’s poetische Sprache, S. - 40f. 107 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·2, S. - 220, XVIII. Gesang, V.284. 106 Kaiser: Klopstock, S. - 107. 105 Ibid., S. - 4, I. Gesang, V.143f. 104 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 4, I. Gesang, V.137. 103 Cf. Kaußmann: Der Stil der Oden Klopstocks, S. - 102. <?page no="48"?> werden Gott und Kreatur sie selbst aneinander; auch in diesem Sinne kann Hegel schreiben: „Das Wahre ist das Ganze.“ 109 Und doch ist nicht weniger gerade darum auch wahr, was in einer Aufwertung des Halben seit Pittakos Goethe wie Schlegel und schließlich auch Adorno, dessen Satz, daß das „Ganze […] das Unwahre“ 110 ist, deutlichst gegen Hegel gerichtet ist, formulierten - Pittakos wird die Ansicht, „die Hälfte sei mehr als das Ganze“ 111 , zugeschrieben, Goethe billigt mit der Literatur dem „Fragment der Fragmente“ 112 sein Recht zu, Schlegel schreibt dialektisch, es möge „(a)uch in der Poesie […] wohl alles Ganze halb, und alles Halbe doch eigentlich ganz sein“ 113 , verweist doch die Poiesis wie alles - selbst ein göttliches - Schöpfen auf ein Anderes. Friedrich Schlegel schreibt vom Verhältnis des Schöpfens zum System, es sei „gleich tödlich für den Geist, ein System zu haben, und keins zu haben. Er wird sich also entschließen müssen, beides zu verbinden.“ 114 Folglich ist die Literatur die „treue und blasphemische Erbin aller Bibeln“ 115 , die ihrerseits Generator dessen ist, wovon sie zeugt. Noch das so beharrlich nachwirkende Werk Klopstocks, dem mancher Kritiker den Totenschein ausgestellt hat, lebt hieraus, immer ist die Schrift oder pars pro toto „(d)ie Metapher […] weit klüger als ihr Verfasser“ 116 , so schreibt Lichtenberg; und bemerkt ferner - gegen wen, wenn nicht den Messias-Barden? -, daß „K… […] auf diese Art gute Oden gemacht“ 117 haben mag… Man sieht trotz der Ironie dieser Bemerkung, daß vor allem eine Chance in dem liegt, was allzu leicht eine „kapriziöse[n] Gebrauchsgestörtheit“ 118 zu sein scheint. Die durch die Stimmigkeit der intentio operis (oder intentio scripturae) nobilitierte und in der Interaktion geradezu Schicksal - „(w)here the mis takes place“ 119 - werdende Irritation macht, daß das Denken in der Schrift die „eignen Gedanken wie von Aussen her“ 120 den sie Denkenden treffen. Die Schrift verbindet Beunruhigung und Lesbarkeit, wie Klopstock den Eislauf als partiell kontrollierte Lapsus-Sequenz und darin Modell des Dichtens skizziert… 121 48 Die Heilige Schrift Klopstocks 121 cf. Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. I·1, S. - 249ff./ Klopstock: Oden, Bd. 1, S. - 172ff.; cf. auch die Kolportage bei Goethe: Berliner Ausgabe, Bd. XIII, S. - 701. 120 Nietzsche: Sämtliche Werke, Bd. V, S. - 235. 119 Derrida: Limited Inc, S. - 40. 118 Petersen: Genealogisch denken, S. - 309; cf. Hainz: Die Schöpfung - ein Polylog, S. - 82. 117 Lichtenberg: Schriften und Briefe, Bd. I, S. - 487, [F 180]. 116 Lichtenberg: Schriften und Briefe, Bd. I, S. - 512, [F 369]; cf. auch Balthasar: Epilog, S. - 45. 115 Derrida: Genesen, Genealogien, Genres und das Genie, S. - 54; cf. auch Hainz: P ARALYSIS L OST - P ARALYSIS R EGAINED , S. - 301. 114 Schlegel: Kritische und theoretische Schriften, S. - 82; cf. auch u.a. Mattenklott: Ähnlichkeit, S. - 170 sowie Derrida: Die Tode von Roland Barthes, S. - 22 u. passim. 113 Schlegel: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, 1. Abt., Bd. II, S. - 148. 112 „Literatur ist das Fragment der Fragmente“ - Goethe: Berliner Ausgabe, Bd. XVIII, S. - 557. 111 Diogenes Laertius: Leben und Meinungen berühmter Philosophen, S. - 41, I·75. 110 Adorno: Gesammelte Schriften, Bd. 4, S. - 55; cf. Derrida: Psyché, S. - 91. 109 Hegel: Werke in 20 Bänden, Bd. 3, S. - 24. <?page no="49"?> Die Mittel werden hier zum fast souveränen Träger dessen, was begrifflich Souveränität beanspruchte, weshalb Nietzsche annotiert: „In der Kunst heiligt der Zweck die Mittel nicht: aber heilige Mittel können hier den Zweck heiligen.“ 122 Das, was bleibt, ist das Rätsel; ist, was ins Konzept dringt, es zu dem fordert, was Transzendenz wäre, wenigstens zu neuen (Trans-) Formationen. „Ein Rätsel ist Reinentsprungenes. Auch Der Gesang kaum darf es enthüllen. Denn Wie du anfingst, wirst du bleiben“ 123 … Die Resistenz des wider das Prinzip Pluralen und wider das Souveräne Irritierenden ist, was Unmögliches glaubhaft verspricht - performativ als Verheißung einen unmöglichen Sinn setzend. Etwas darin - in jener „Erfindung des Unmöglichen“ 124 - affirmiert das Unmögliche; „(e)s bleibt unmöglich - auch wenn es vielleicht stattgefunden hat, bleibt es doch unmöglich.“ 125 Es ist „nur möglich […] - wenn es das gibt - als das Unmögliche“ 126 … Noch Faust ist eines der vielen Bilder dieses Geistes, der sich um des Schaffens willen mit dem „Geist, der stets verneint“ 127 , verbündet, jedoch - von diesem verkannt? - in der Tat nicht zerstören, sondern die Schöpfung gleichsam fortsetzen will: ein Erbe dessen, was Gott gewesen sein soll. Kommerell schreibt von ihm, er „besitzt an sich selbst nicht viel weniger als ein Frommer an Gott.“ 128 Die Heilige Schrift Klopstocks 49 128 Kommerell: Dame Dichterin und andere Essays, S. - 148. 127 Goethe: Berliner Ausgabe, Bd. VIII, S. - 191. 126 Derrida: Aporien, S. - 126; cf. ibid., S. - 115f. u. passim. 125 Ibid., S. - 37. 124 Derrida: Eine gewisse unmögliche Möglichkeit, vom Ereignis zu sprechen, S. - 32. 123 Hölderlin: Sämtliche Werke, Bd. II, S. - 150; cf. Adorno: Gesammelte Schriften, Bd. 7, S. - 182ff. u. passim; cf. zu Metrik und Herrschaft auch Derrida: Schurken, S. - 66 u. passim. 122 Nietzsche: Sämtliche Werke, Bd. II, S. - 435. <?page no="51"?> Transfigurationen der Ontologie Klopstocks Seid wie Gott! Dies alles prägt nun Klopstocks poetische Ontologie - und diese ist darum im Detail eklatante Abweichung von eben jener Skizze; besonders augenfällig ist dieses poeto-theologische Laborieren in seinem Messias: Am Beginn und am Ende der Schöpfung steht die Gnade; ist auch die Schöpfung unvollkommen und gering neben Gott, ist dies doch die Urgnade: „Dennoch entschlossest du dich, auch außer dir Wesen zu sehen.“ 1 Dieses Sehen ist schon Schöpfung - verwirrt unterhalten sich in Klopstocks Darstellung ob ihres plötzlichen Gewordenseins und dessen Aporien die Seraphe und ersten Wesen. 2 Das, was Gott indes der Schöpfung ist, ist die Möglichkeit dieser Plurizentrik und damit auch ein ewiges Sich-Diversifizieren und Sich-Transzendieren jeder Perspektivik und damit jeder Begrifflichkeit. Gott - keine Zentralperspektive, doch Epizentrum jener unhintergehbaren Prozesse, er als Sprache(n) womöglich - gießt seine Geschöpfe nicht in eine feste Form, ist als ein Sein kaum kenntlich in dem, was er gibt. Ist er so virtuell auch nichts, er ermöglicht doch alles; Klopstock zitiert den biblischen Satz, daß „Gott […] die Liebe“ 3 ist… Schon in Thomas von Aquins kanonischem Traktat De ente et essentia heißt es, daß Gott nicht alle Qualitäten und Seinsmodi eignen können, er vielmehr - nur - die Qualität ist, die „posset efficere operationes omnium qualitatum“ 4 , also die Wirkungen aller anderen Qualitäten hervorbringen könne, ohne eigentlich etwas zu sein, vielmehr „propter suam simplicitatem“ 5 gleichsam wesenlos. Diese unendliche Schwäche des Seins Gottes, die „innere Schwäche der Macht“ 6 , entweder gegen Gott nichts zu sein, oder aber als jene Gottes desgleichen nicht, wird sichtbar auch in Jesu „Autorität“: „Bereitschaft zur vollendeten Ohnmacht“ 7 . Diese Schwäche begründet die Notwendigkeit der im Epos omnipräsenten Engel; sie sind gewissermaßen die narrativen Bürgen, daß die Möglichkeit als solche bestehen bleibe, Agenten der Schöpfung - darum mit einem nur vagen Auftrag und auch kaum eigentlich wirkmächtig gezeigt. Engel sind 7 Jaspers: Wahrheit und Bewährung. S.31; cf. ibid., S. - 159 u. Badiou: Gott ist tot, passim. 6 Rahner: Schriften zur Theologie, Bd. IV, S. - 506; cf. Balthasar: Crucifixus etiam pro nobis, S. - 122. 5 Ibid., S. - 68. 4 Thomas von Aquin: Über das Sein und das Wesen, S. - 54. 3 „Gott ist die Liebe“ - ibid., S. - 11, I. Gesang, V.397 sowie 1 Johannes 4,16. 2 Cf. ibid., S. - 38, II. Gesang, V.649ff. 1 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 8, I. Gesang, V.259. <?page no="52"?> „Widerhall des ganzen Raumes“ 8 , aber auch dieser selbst, in ihm jedoch an keine Topologie gebunden. So ist auch Jesus wie angedeutet Ermöglicher, doch seine Bestimmung grundsätzlich die aller Wesen Gottes: „Seid […] wie Gott! “ 9 Erinnert sei an Kants Gedanke vom „Sohn Gottes, der die Idee des vollkommenen Menschen repräsentiert“ 10 , also die Idee des möglichen Menschen ist, und an Klopstocks Formulierung vom „Einen göttlichen Menschen“ 11 ; auch mit der Bezeichnung von Jesus als „Prophet“ 12 ist diese Option nicht nur gegeben, vielmehr akzentuiert. Friedrich Schlegel schreibt später in einem Satz, der das Skizzierte universalisiert, es werde „(j)eder gute Mensch […] mehr und mehr Gott“ 13 : denn dies, „Gott werden, Mensch sein, sich bilden, sind Ausdrücke, die einerlei bedeuten.“ 14 Tatsächlich ist dieses Verständnis Jesu in der Bibel angelegt, und zwar unter anderem in den Paulinischen Briefen, worin Paulus Christus den „Letzte(n) Adam“ 15 nennt, anthropologisch Telos und Ultimum, Lavater nennt ihn „den Menschen, der menschlicher ist als die Menschlichsten alle“ 16 . In ihm ist die Versöhnung antizipiert, die durch seinen Kreuzestod erst denkbar zu werden scheint, wird deutlich, daß „für Ihn [,] der Vater die Schöpfung/ Schuf“ 17 . Gott hat „die Welt nicht geschaffen, ohne daß Christus ihr Daseinsgrund gewesen“ 18 wäre, er schuf sie damit aber auch für Mensch und Schöpfung, womit „das Dürfen das Grundwort […] des Seins überhaupt ist“ 19 , sowohl in der Theologie als auch vor allem für die Sprache Klopstocks. Wunder, Gottmensch, Immanenz Augustinus, Thomas von Aquin und in deren Nachfolge wohl die meisten christlichen Theologen formulieren also, „daß die Gnade die Natur nicht aufhebt, sondern vollendet“ 20 , was gerade im Wunder deutlich wird, das freilich vielleicht falsch verortet zu werden pflegt, wie Kittler beschreibt: 52 Transfigurationen der Ontologie Klopstocks 20 Thomas von Aquin: Summe der Theologie, Bd. 1, S. - 16; cf. Biser et al.: Lexikon des christlichen Glaubens, S. - 339. 19 Pöltner: Die Erfahrung des Schönen, S. - 19. 18 Martelet: Der Erstgeborene aller Schöpfung, S. - 57. 17 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·2, S. - 173, XVI. Gesang, V.2f. 16 Lavater: Ecce Homo! , S. - 520. 15 1 Korinther 15,45. 14 ibid. 13 Schlegel: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, 1. Abt., Bd. II, S. - 210. 12 Ibid., S. - 24, II. Gesang, V.132. 11 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 21, II. Gesang, V.20. 10 Kühn: Kant, S. - 428. 9 Klopstock: Gedanken über die Natur der Poesie, S. - 200. 8 Serres: Die Legende der Engel, S. - 29. <?page no="53"?> „Die Griechen lauschen und staunen über alles, was sie wahrnehmen, und sie staunen nicht über das, was absonderlich ist, über Mischwesen, Monstren und so weiter. Sie staunen über das Natürliche an der Natur (,) und dem lauschen sie. So entstehen die Nymphen, indem man auf die Quellen lauscht.“ 21 Das kann man (trotzig in christliche Theologie gewendet) ähnlich formulieren. 22 Säkular wiederholt sich diese Logik dergestalt, daß die Macht dann sichtbar wird, wenn ihre Dysfunktion droht; dann „werden […] jene Kräfte […] sichtbar, die das bestehende Ordnungsgefüge fundieren“ 23 , mögen sie auch sonst bis zur Unsichtbarkeit „dezent“ 24 walten… Diese Macht aber wird lesbar und ist damit dem anheimgegeben, was noch ihre Irritation zu sein scheint: agierend ist sie obsolet. Wunder sind dagegen wie die Natur „anti-naturalistisch“ 25 . Die Aufklärung zu Zeiten Klopstocks formuliert dies nicht unähnlich, Strauß lobt Klopstock dahingehend, daß bei ihm „das Wunderbare natürlicher“ 26 als bei etwa Milton sei, eine Qualität des eigentlichen Wunders, die auch Alexander von Humboldt, der mit Klopstock - wenn auch distanziert - verkehrt, formuliert. 27 In seinem Kosmos formuliert er, was das Wunder sei oder sein solle; er formuliert es (quasi-theologisch) gegen bestimmte Irrwege der Theologie, „christlichen Fanatismus“ 28 , wie er es beim Namen zu nennen sich nicht scheut: „Statt den mittleren Zustand zu erforschen, um welchen, bei der scheinbaren Ungebundenheit der Natur, alle Phänomene innerhalb enger Grenzen oscilliren [sic! ], erkennt sie nur die Ausnahmen von den Gesetzen; sie sucht andere Wunder in den Erscheinungen und Formen, als die der geregelten und fortschreitenden Entwickelung [sic! ].“ 29 Dagegen steht das Wunder der Entfaltung jenes „Reich(s) der Freiheit“ 30 : „Jedes Naturgesetz, das sich dem Beobachter offenbart, läßt auf ein höheres, noch unerkanntes schließen; denn die Natur ist […] »das ewig Wachsende, ewig im Bilden und Entfalten Begriffene«.“ 31 Noch bei Adorno ist ihr dieses Wunder im Wundern immanent: „In jedem Blick der Neugier eines Tieres dämmert eine neue Gestalt des Lebendigen, die aus der geprägten Art, der Transfigurationen der Ontologie Klopstocks 53 31 Ibid., S. - 18. 30 Ibid., S. - 9. 29 Ibid., S. - 17. 28 Humboldt: Kosmos, S. - 242. 27 Cf. u.a. Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Briefe, Bd. VIII·2, S. - 818, Nr. 155, 26.12.1790. 26 Strauß: Gesammelte Schriften von David Friedrich Strauß, Bd. X, S. - 51. 25 Feyerabend: Wissenschaft als Kunst, S. - 97. 24 Ibid. 23 Vogl: Der Souveränitätseffekt, S. - 21. 22 cf. de Groot: Das Wunder im Zeichen der Bibel, S. - 10, Vico: Von den Elementen, S. - 54, ferner Guardini: Wunder und Zeichen, S. - 28 sowie Berger: Widerworte, S. - 157f. 21 Kittler: Rock me, Aphrodite! <?page no="54"?> das individuelle Wesen angehört, hervorgehen könnte.“ 32 Dabei entzieht sich Natur Teleologien, bei Humboldt und schon zuvor Forster wie auch bei Klopstock, jedenfalls in seinen kosmologischen Bildern; sie stimmen mit „verstörenden Naturbildern […] den Leser auf das Eruptive politischer Umwälzungen ein. Die Revolution ist das unterirdische Geschehen der Natur.“ 33 Die Natur selbst ist - „bald als Totalität des Seienden und Werdenden, bald als innere, bewegende Kraft“ 34 - das Wunder, das als Wunder dieses allenfalls in seiner höchsten Augenfälligkeit benennt, doch sich stets ereignet, wo durch das „physische[s] Naturgemälde […] der ferne Blick sich […] in eine andere Welt (senkt).“ 35 Dem entspricht der angedeutete Befund der Theologie. Dem entspricht aber vor allem auch der Stil Klopstocks. Er irritiert, er ist aber in sich „destabilisierend und störend“ 36 wie das Wunder, dem er jedenfalls in der Sprache offenbar nachhaltig Raum gibt. Diese Entdeckung des Wunders als Modus genaueren Verstehens konvergiert mit Hilliards erwähntem Befund, genauer wird Prophetie zu Textkritik, anstatt von ihr dominiert zu werden. 37 Die Reorganisation der Rhythmik ist eine der Entwunderung wie des Enthusiasmus in bezug auf die Möglichkeiten, die sich dann natürlich - nicht im Sinne eines naiven Naturalismus - ergeben, insgesamt scheint diese Poesie Wittgensteins „»Sprachkritik«“ 38 nicht unähnlich, die just „die Verhexung“ 39 der Sprache auflöst: Wendung nach dem, „was man n i c h t suchen kann“ 40 , jedenfalls in einer sprachlich erstarrten Heuristik. Von solcher Kritik schreibt noch jener paradigmatische Moderne als einer Gnade, die bis in das Wort wirkt: „Philosophie dürfte man eigentlich nur dichten.“ 41 Das Wunder ist - wie in Goethes Zauberlehrling - nicht, daß das das Widernatürliche anhebt; vielmehr, daß es als solches endet. 42 So trivial die Möglichkeit der magischen Manipulation, des nur chaotisch Performativen hier ist, so unbegreiflich und wundersam sind deren Ende und die Wendung zum ordo, der hernach aber Gegensatz zur ihm je vorangegangenen Rationalität sein kann, das Enden ist nicht allein konservativ. 54 Transfigurationen der Ontologie Klopstocks 42 Cf. Goethe: Berliner Ausgabe, Bd. I, S. - 150ff. sowie S.812f. 41 Wittgenstein: Vermischte Bemerkungen, S. - 58. 40 Wittgenstein: Wiener Ausgabe, Bd. II, S. - 137. 39 Ibid., S. - 299, Nr. 109; cf. auch ibid., S. - 32, § 4.112. 38 Wittgenstein: Werkausgabe, Bd. 1, S. - 26, § 4.0031. 37 Cf. Hilliard: Klopstocks Tempel des Ruhms, S. - 238. 36 Pfaller: Zweite Welten, S. - 126; cf. zum Wunder, das gerade nicht Beweis ist, auch ibid., S. - 128, ferner Flasch: Warum ich kein Christ bin, S. - 118. 35 Ibid., S. - 188. 34 Humboldt: Kosmos, S. - 39. 33 Goldstein: Georg Forster, S. - 167. 32 Adorno: Gesammelte Schriften, Bd. 3, S. - 295. <?page no="55"?> So prekär der Begriff der Natur ist, ihre Rolle in dieser Dichtung ist bis ins Religiöse Ausdruck eben des Vektors, der Verstörung: Ist die Welt „von Anbeginn für sich und für Gott erdacht“ 43 - wobei die Bestimmung für Gott die wahre, vollendete Eigenständigkeit der Welt als einer antwortenden jenseits einer gleichsam „auferlegte(n) Vollkommenheit“ 44 bezeichnet und also das für sich letztlich vollendet -, so trifft dies die Natur des Sprechens, wie sie Klopstock meint. Ihre Utopie ist Jesus, gerade als vollkommene Erfüllung des Menschlichen ist Jesus auch, und zwar bis in die Substanz, Gottessohn; er ist „eine göttliche Person in zwei Naturen“ 45 - wie umgekehrt Gott in drei Personen eine Substanz, „unus […] in singularitate substantiae […] trinus […] in trium personarum discretione“ 46 -, schon Milton gilt Jesus als „heir of both worlds“ 47 . „(N)icht halbe Menschlichkeit“ 48 zeichnet, wie es im Messias als Reflex heißt, Jesus aus, sondern gerade in jener Situiertheit „volle,/ Handelnde Menschlichkeit“ 49 : „Alles, was der Messias tut, ist Geheimnis, weil er der Gottmensch ist, aber dennoch ist es zugleich historisch“ 50 , so schreibt Klopstock zu dem analogen narrativen Problem, Schleiermacher kommt drei Jahrzehnte nach dem Tod des Messias-Dichters zu eben dieser Lösung, daß Jesus als Gottmensch zwar „nicht demselben Calculus unterworfen“ 51 , aber doch von einer „wahre(n) menschliche(n) Entwicklung“ 52 geprägt und in beiden Hinsichten zu verstehen und schildern sei. Offenbar ist es dabei der Sprache immanent, je sich zu überschreiten, das Geheimnis im Sagbaren auszumachen, in der Immanenz sowie durch die Immanenz ist die höhere Ordnung initiiert, „das höchste Siegel der Vollendung“ 53 indizierte schließlich Wahrheit: „»Kosmos« steht für Ordnung, Harmonie, Gesetzmäßigkeit und Anstand, für die Welt, für Himmel und Erde, aber auch für Schmuck, Verschönerung, Veredelung. Nichts geht so tief wie der Schmuck […]; der Schmuck hat die Dimensionen der Welt.“ 54 Transfigurationen der Ontologie Klopstocks 55 54 Serres: Die fünf Sinne, S. - 34. 53 Moritz: Die Signatur des Schönen und andere Schriften zur Begründung der Autonomieästhetik, S. - 73. 52 Ibid., S. - 394. 51 Schleiermacher: Hermeneutik und Kritik, S. - 389. 50 Klopstock: Gedanken über die Natur der Poesie, S. - 198. 49 Ibid., S. - 226, XVIII. Gesang, V. 527f. 48 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·2, S. - 226, XVIII. Gesang, V. 527. 47 Milton: The Major Works, S. - 669, Book IV, V.633. 46 Abaelard: Theologia Summi boni, S. - 96; cf. ibid., S. - 96ff., 172 u. passim. 45 Thomas von Aquin: Summe der Theologie, Bd. 3, S. - 611 (im Original teils gesperrt, M.H.). 44 Ibid., S. - 441. 43 Balthasar: Theodramatik, Bd. II·2, S. - 36. <?page no="56"?> Dabei wird Freiheit ihre Ordnung; ist Ordnung nur dann nicht Gemeinheit, wenn sie das, was sei, selbst aktualisiert, in eben jener Freiheit: „Die Gemeinheit überhaupt ist die Erniedrigung der Freiheit unter eine Notwendigkeit, die nicht ihre eigene ist.“ 55 Ordnung erhöht nicht, wovon sie ausdrückt, was dieses sei … Erhöhung meint, die Welt sei „nicht so niedrig, daß man sie erhöhen müßte“ 56 - eher sei dies die Welt als Unterbietung des Aufzuschließenden, was sich mit Klopstock und erst recht Goethe teuflisch kommentieren doch immerhin ließe. 57 Noch darin bliebe erhalten, daß ein kosmos ist, was „Vergrößerung des […] Kosmos“ 58 ist: „das Verlassen eines […] Raumes.“ 59 Es ist ein Ineinander scheinbarer Gegensätze, welches bei Klopstock in einer Intensität verwirklicht ist, daß Beutler es plakativ „eine echte »coincidentia oppositorum«“ 60 heißt. Man kann und muß hier, um das Antizipatorische Klopstocks zu sehen, noch auf Derridas Reflexion der Textualität hinweisen, „daß es kein absolutes Text-Außerhalb gibt“ 61 , es ist vielmehr als textuell konstituiertes immer durch den Text zu denken aufgegeben. 62 Derlei klingt früh in dem nicht unironischen Vierzeiler Goethes an, wonach Wissenschaft und Kunst in etwas, das jenseits der Immanenz verortet ist, münden mögen und sollen, der Konjunktiv indes dem bleibt, der Transzendenz geradezu in Verachtung des Diesseits erstrebt: „Wer Wissenschaft und Kunst besitzt, Hat auch Religion; Wer jene beiden nicht besitzt, Der habe Religion.“ 63 Der Sündenfall ist sozusagen conditio sine qua non einer solchen Vollendung, einer Schöpfung, die aus sich ein „fairer paradise“ 64 aktualisiert. Erst aus ihm kann Jesus geboren werden, wobei sein Tod als Entschluß nochmals und eigentlich Geburt ist, der Mensch beginnt eigentlich in dieser Vollendung erst, wie Augustinus in De trinitate schreibt, „cum enim consummauerit homo, tunc incipit.“ 65 Und zwar als Freiwerden von einem 56 Transfigurationen der Ontologie Klopstocks 65 Augustinus: De trinitate, S. - 48, Liber IX. 64 Milton: The Major Works, S. - 669, Book IV, V.613. 63 Goethe: Berliner Ausgabe, Bd. II, S. - 383; cf. ibid., Bd. XVIII, S. - 1024. 62 Cf. ibid. 61 Derrida: Dissemination, S. - 43. 60 Beutler: Friedrich Gottlieb Klopstock, S. - 168. 59 Blumenberg: Theorie der Lebenswelt, S. - 49; cf. Taylor: Ein säkulares Zeitalter, S. - 544ff. 58 Taylor: Ein säkulares Zeitalter, S. - 549. 57 Cf. Goethe: Berliner Ausgabe, Bd. VIII, S. - 191 u. Flusser: Die Geschichte des Teufels, S. - 21. 56 Latour: Jubilieren, S. - 51. 55 Rosenkranz: Die Ästhetik des Häßlichen, S. - 185. <?page no="57"?> Lebensentwurf oder vorsichtiger für Klopstocks Dichtung einem Denk- und Sprachmodell; Schleiermacher schreibt vom „Geburtstag seines geistigen Lebens“ 66 , worin Wissen und Irritation ineinander verschränkt sind, jene Konstellation, daß „das Wissen des Für-Leidens und Für-Sterbens und die Sichtlosigkeit“ 67 , also der göttliche Sinn und das bloße Ausgesetztsein des Endlichen im Kreuzestod nebeneinander zugleich bestehen müssen. 68 Vorauszugehen scheint dem Maria, gerade bei Klopstock. 69 Sie ist es, die das Menschliche unterstreicht und aufhebt, ehe diese Spanne Klopstocks Jesus ausmißt - als „ ’ “ 70 . Das ist zugleich Aufklärung als Praxis und als ihr experimentelles Zulassen, Sprachspiele, die messianisch sein mögen, machen Klopstock als „offenbarungsgläubigen Aufklärer“ 71 aus. Darin ist Klopstock auch das Individuum der Aufklärung, deren Universalismus dem einzelnen Anstoß verbunden ist - theologisch: Es ist dieser „Einzelne […] das Heil des Ganzen, […] das Ganze empfängt sein Heil allein vom Einzelnen, der es wahrhaftig ist und der eben darin aufhört, für sich allein zu sein“ 72 , in jenem Akt, worin „die verstreuten Mensch-Monaden in die Umarmung Jesu Christi […] einbezogen werden“ 73 . Der Umschlag in der christlichen Soteriologie wäre dieser: „Und ich, wenn ich über die Erde erhöht bin, werde alle zu mir ziehen“, in Luthers Übersetzung: „wil […] alle zu mir zihen“ 74 ; wobei dichterisch neben der Epiphanie die akribische Wortarbeit bleibt, wie das „Kreuzesopfer […] eine dauernde Zuständlichkeit Christi ist“ 75 … Zunächst und dann in Permanenz ist das störende Moment gegeben; das Urteil Hilliards, Klopstocks dichterische Individualität sei mit seiner Christlichkeit unvereinbar, die Kritik, die dies „(k)onsequent zu Ende gedacht“ 76 habe, sage rechtens, der Messias-Dichter müsse, da ja sein Werk allein „Gottes Namen zu Ehren“ 77 besteht, „in die allein seligmachende christliche Anonymität eingehen“ 78 , verfehlt so Dichtung und Theologie… Der „Trotz“, Transfigurationen der Ontologie Klopstocks 57 78 Ibid. 77 Ibid. 76 Hilliard: Klopstocks Tempel des Ruhms, S. - 237. 75 Rahner: Sämtliche Werke, Bd. 18, S. - 113. 74 Johannes 12,32; cf. Ratzinger: Einführung in das Christentum, S. - 225. 73 Ibid., S. - 225. 72 Ratzinger: Einführung in das Christentum, S. - 235. 71 Kindt: Klopstock, S. - 27; cf. ibid., S. - 45 u. passim. 70 1 Korinther 15,45; cf. auch Balthasar: Theodramatik, Bd. II·2, S. - 34. 69 Schimmelpfennig: Die Geschichte der Marienverehrung im deutschen Protestantismus, S. - 77; cf. auch Bogaert: Klopstock, S. - 85ff. 68 „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? “/ „ “ - Matthäus 27,46; „ “ - Markus 15,34; Jesus ruft ebenso: „Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist.“ - Lukas 23,46; und: „Es ist vollbracht! “ - Johannes 19,30. 67 Balthasar: Crucifixus etiam pro nobis, S. - 124. 66 Schleiermacher: Schriften, S. - 149. ἔσχατος Αδάμ ϑεέ μου ϑεέ μου ἱ ν ατ ί με ἐγκατέλιπες , ὁ ϑεός μου ὁ ϑεός μου , εἰς τί ἐγκατέλιπές με ; ; <?page no="58"?> „verzweifelt man selbst sein zu wollen“ 79 , ist nicht so ganz und gar unchristlich, der Blick auf den Widerstreit, der in der Textur noch kein Neues sein mag, es aber vielleicht generiert, nicht zu marginalisieren. Kosmetik Der Umschlag ist ästhetisch zunächst das Ende einer metaphysischen Kosmetik. „Die „rohe[n] Materie“ 80 wird in der Verklärung nicht negiert, sondern zur Herausforderung, um als solche verklärt zu werden - Diderot fragt darum nicht allein rhetorisch, „warum alle Auferweckten so häßlich“ 81 seien, formuliert, im Auferstandenen sei „das Ebenbild des Todes, das von Zügen der Freude und der Dankbarkeit eben erst wieder belebt wird“ 82 , gegeben. „(M)essianisch ist die Natur aus ihrer ewigen und totalen Vergängnis“ 83 , so ordnet Benjamin die Begriffe, wobei Natur womöglich kursiv zu denken ist - etwas (oder: man) werde verbindlich einzigartig, das oder „der Unsterbliche dieser Situation“ 84 , um die Unsterblichkeit des Singulär-Situativen zu denken, statt jener falschen des Konzepts. Gerade die oft marginale Störung ist darum „(d)im miniature of greatness absolute“ 85 , wie Young schreibt, den Klopstock, falls es der literaturhistorischen Notiz im literarisch gleichsam Evidenten bedarf, ungemein schätzte und in seiner Ode auf Youngs Tod als „Lehrer“ 86 und „Genius“ 87 adressierte. 88 Asche ist der feinstoffliche „Äther der Metaphysik“ 89 ; in ihr klingen Sinn, aber auch Mangel an, unter anderem, ineinander - „sans, sens, sang […] DRE “ 90 … Im Rauch, im Sich-Auflösenden, das durch „curious art distill’d“ 91 wider 58 Transfigurationen der Ontologie Klopstocks 91 Young: The Complete Works, Bd. 1, S. - 79; Verbrennung und Destillation sind in der phlogiston-Theorie, wie sie etwa auch in Lichtenbergs Annotationen sich findet, verwandte Prozesse - cf. Lichtenberg: Schriften und Briefe, Bd. II, S. - 293, [J 1592] u. S.376, [J 2062]. 90 Derrida: Feu la cendre, S. - 59. 89 Derrida: Randgänge der Philosophie, S. - 45. 88 Cf. Kaußmann: Der Stil der Oden Klopstocks, S. - 3; eine Trias konstituiert sich bei Jung-Stilling: „Miltons verlohrnes Paradies, hernach Youngs Nachtgedanken, und darauf die Messiade von Kloppstock [sic! ]“ - Jung-Stilling: Lebensgeschichte, S. - 231; cf. auch Langbroek: Liebe und Freundschaft, S. - 47 u. passim. 87 Ibid.; cf. Klopstock: Oden, Bd. 1, S. - 107f. 86 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. I·1, S. - 126/ Klopstock: Oden, Bd. 1, S. - 108. 85 Young: The Complete Works, Bd. 1, S. - 5; cf. auch Soentgen: Von den Sternen bis zum Tau, S. - 309. 84 Badiou: Ethik, S. - 27. 83 Ibid., Bd. II·1, S. - 204. 82 Ibid., S. - 72. 81 Diderot: Schriften zur Kunst, S. - 73. 80 Kant: Werkausgabe, Bd. X, S. - 374, B 369, A 364. 79 Kierkegaard: Die Krankheit zum Tode, S. - 68; cf. zur Selbsterfahrung auch ibid., S. - 130 u. passim; ferner Kierkegaard: Entweder - Oder, S. - 41. <?page no="59"?> Erwarten erst zum Zeugnis werden mag, ist der Seinsbegriff prekär, was das Sein zugleich zeigt. Der Rauch ist als Nicht-Zeichen ewig, wie er als Zeichen auch trügen kann, wo keine Sorgfalt obwaltet, wie Klopstocks Verse über den „Opferdampf“ 92 einmahnen - wobei hier just die Klarheit verschlingen mag. Jener Rauch und/ oder Dampf ist allein Insignie der Sorgfalt selbst, dem Göttlichen bei Klopstock zugeordnet: „Und ein wolkiger Hauch geathmeter Weihrauchsdüfte Floß von dem Haupt des Unsterblichen nieder“ 93 … Verklärung negiert auch hier, doch: allenfalls die Negation… Berühmt ist Hegels Beschreibung einer Frau, die eines Gerichteten Haupt von der Sonne beschienen sieht und daraus schließt, dessen sei er auch würdig. Und gerade ohne allen Kitsch kann sie so theologisch seine „Abstraktion […] töten und ihn zur Ehre lebendig machen.“ 94 Dichtung vermerkt die Gewalt, die, was zerstäubt, zerstörte, es „entgöttert[e]“ 95 , ist dagegen die in sich hier quasireligiöse Anstrengung, „(m)itten in der Endlichkeit“ 96 dieses „mit dem Unendlichen und ewig sein“ 97 zu lassen. Dieser Moment ist das, was als Impetus das überdauert, was ihn zähmen will; doch nur dieses - die Schrift - bringt womöglich dieses Ephemere hervor, gerade auch Klopstocks Versfluß ist, wie zu zeigen ist, „kontinuierliche Unterbrechung einer Unterbrechung“ 98 , sie ist Gott und neben Gott; vielleicht wird man vor diesem Hintergrund auch den Satz neu lesen müssen, daß Gott das Wort sei, dieses aber zugleich offenbar „bey“/ „apud“/ „ “ 99 ihm situiert; indiziert dies nicht, was Text sein kann - und muß..? Hier wiederholt sich, daß Schöpfung dies ist: „die wahre Ermöglichung einer Selbstüberschreitung“ 100 , einer Ungeduld, die nicht Reflex eines Prinzips ist, sondern ein appliziertes System als unangemessen lesbar macht, und sei’s im Dulden, das aber als Bild überdauert, was an ihm schuldig werdend zuschanden geht. Heiliger Geist Das Zerstäubte ist resistent; es zu lesen ist gleichbedeutend mit neuem Schreiben. Das Lodernde darin, das die Asche zeitigte, ist der Blick auf jene, Transfigurationen der Ontologie Klopstocks 59 100 Vorgrimler: Neues Theologisches Wörterbuch mit CD-ROM, S. - 571; cf. ibid., S. - 571f. 99 Johannes 1,1. 98 Derrida: Berühren, Jean-Luc Nancy, S. - 8; cf. ibid., S. - 249 u. passim. 97 Ibid. 96 Schleiermacher: Schriften, S. - 148. 95 Schiller: Sämtliche Werke, Bd. I, S. - 168 u. 172; cf. Benjamin: Gesammelte Schriften, Bd. II·1, S. - 19. 94 Hegel: Werke, Bd. 2, S. - 579. 93 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. I·1, S. - 68/ Klopstock: Oden, Bd. 1, S. - 60. 92 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. I·1, S. - 449/ Klopstock: Oden, Bd. 2, S. - 60. πρὸς <?page no="60"?> ist der Terror des „Glutbecken(s) des Sinnes“ 101 wie darin der poetische oder soteriologische Hiatus, denn zugleich ist „das Stocken und Stammeln [,] die lyrische Glut“ 102 , sie ist die Utopie der Sprache, die sich in der modernen Textualität Klopstocks aufschiebt, neu formierend weitere Transgresse zu antizipieren scheint, wiewohl der Heilige Geist theologisch die „objektivierte Frucht und […] innerste Flamme“ 103 bezeichnen müßte, eine Realität. Der Text ist und bleibt jenseits dessen, was er so ist, Transzendenz: Der Messias wird zum Ort des Messias, die bezeugende, jedoch potentiell beliebige intentio auctoris (im Falle der Bibel sozusagen intentio/ intentiones auctorum redactorumque) wird nicht nur durch die intentio operis, eher durch so etwas wie eine intentio scripturae bekräftigt und im Falle des Dichters übertroffen, eine Bewegung, die den Gestaltungswillen transzendiert, die „Intention auf die Sprache“ 104 ein- und erlösend weiterführt: „(v)om Werk zum Text“ 105 … Dieser ist nach Klopstocks Willen nicht einer nach seinem Willen, sondern hinhörender „Modus des Möglichen“ 106 - und in ihm geschieht etwas, von ihm wie seinem Epizentrum ließe sich sagen: „(I)hn schuf kein Schöpfer! “ 107 Dieses Moment ist stärker als sein Bemühen, „sein Hauptwerk von theologisch bedenklichen Formulierungen zu reinigen“ 108 , dem sein Schreiben fast konsequent entgegengewirkt. Ungeschaffen und fast namenlos ist Jesus: das Unterbrechen, „Stocken und Stammeln“. Was Anfang ist, leitet sich nicht her, ist als Moment der Anfänglichkeit, die immer (auch) ex nihilo ist, sich nicht aus diesem ableitbar immer schon herschrieb, sondern ergibt, als Effekt, der das Prinzip des Schreibens affiziert und variiert, „das nihil“ 109 - darin „absolutes Prinzip“ 110 , das „keinen Namen hat“ 111 . Das absolute Prinzip ist keines mehr, in ihm „geschieht das Totale und das Endgültige nicht“ 112 … Aus diesem Anstoß formiert sich, wovon er dann Anfang gewesen sein soll; der Text aber entzieht sich dem, die Heilige Schrift bewahrt sich vor dem, was sie eröffnet, wie sie sich vor dem bewahrt, wogegen sie es öffnend stand. Ihr Zentrum lautet in einer theologischen wie dichterischen 60 Transfigurationen der Ontologie Klopstocks 112 Blumenberg: Arbeit am Mythos, S. - 296; cf. ibid., passim sowie Blumenberg: Theorie der Lebenswelt, S. - 138 u. passim. 111 Ibid.; cf. auch etwa Foerster: Der Anfang von Himmel und Erde hat keinen Namen, passim. 110 Blumenberg: Wirklichkeitsbegriff und Wirkungspotential des Mythos, S. - 19. 109 Nancy: singulär plural sein, S. - 40. 108 Haufe: Zu Klopstocks Begriff »Geist Schöpfer« (Messias I 10), S. - 44. 107 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 21, II. Gesang, V.22. 106 Martin: Klopstocks poetologisches Prooimion, S. - 25. 105 Barthes: Das Rauschen der Sprache, S. - 64. 104 Benjamin: Gesammelte Schriften, Bd. IV·1, S. - 16. 103 Balthasar: Theologik, Bd. II, S. - 130. 102 Redeker: Klopstock und der deutsche Staat, S. - 18. 101 Barthes: Fragmente einer Sprache der Liebe, S. - 59. <?page no="61"?> Wendung Böhmes: „Gott nimmt Gott“ 113 . Er ist das, was - auch säkular - der Logik Hegels sie zuspitzend unfaßlich bleibt: daß ein Anfang immer entweder schon relational oder eben noch gar nicht ist… 114 Literatur ist, was selbst das Rhizom nicht mehr beschreibt; was sich entfaltet - die Strategien des Fortsetzens splissen die Verzweigungen des Labyrinths, das einst Bild der Topik war, und noch das Rhizom und seine Fädchen aus, bis es nur mehr gleichsam elektrische Entladungen sind, die Punkte methodisch je momentan verbinden - „Blitz plus ein Gedächtnis“ 115 -, ein duratives Initiieren: bis also fast kein Fädchen bliebe, ne hilum, ein Nihilismus der Fülle, „Pragmatik“ 116 + „Intermezzo“ 117 - „das »Offene« […], verflochten“ 118 … Das Bleiben dieses Mangels ist eine (Text-)Schöpfung, die bei Klopstock sich erst finden und erfinden muß. 119 Darin, daß er sich seinen Text entwickeln läßt, in zunächst skizzenhaften Ausführungen und dann der Arbeit an den Fahnen - bis in typographische Fragen -, wobei er unermüdlich war und seinen Drucker strapazierte, wie Zeugnisse belegen, ist Klopstock ein Dichter, der der Gewalt ermangelt, die etwa narrativen Ökonomien eignet - die „Gewalt einer Sprache ist nicht, daß sie das Fremde abweist, sondern daß sie es verschlingt“ 120 , schreibt Goethe -, zugleich aber ist hierin der Messias-Dichter ein Prototyp des Modernen, der etwas zuarbeitet; dessen Werk gewissermaßen bis heute etwas zuzuarbeiten vermag. Unter dieser Dynamik leidet wie angedeutet Klopstocks Drucker, der Dichter achtet eher auf den fehlerfreien Druck seiner Werke, wie auch in der Korrespondenz 121 gut belegt ist, als auf die Richtigkeit der Manuskripte, er überarbeitet vor allem aber aufs Eifrigste, was für ihn je noch falsch ist: Göschen muß ihm brieflich einmal mitteilen, daß sich mit Ausnahme von vier tatsächlichen Druckfehlern „alle Fehler im M(anu)s(kri)pt“ 122 finden… Streit und Strauß In seinem theoretischen Werk entdeckt so Klopstock jene Ungeduld, jenes Umschreiben von Prinzipien und darin „Streit und Strauß“ 123 als Wert: als Bedingung für Wahrheit, also auch jene Gottes; das „Wort als kämpferische Transfigurationen der Ontologie Klopstocks 61 123 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. VII·1, S. - 26 (im Original gesperrt). 122 Ibid., Bd. X·1, S. - 15, Nr. 17, 10.3.1799; cf. auch ibid., S. - 21f., Nr. 20, 22.3.1799. 121 Cf. u.a. Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Briefe, Bd. V·1, S. - 123, Nr. 88, 11.2.1769. 120 Goethe: Berliner Ausgabe, Bd. XVIII, S. - 622; cf. auch Humboldt: Schriften zur Sprache, S. - 420, 484 u. passim. 119 Cf. Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 38, II. Gesang, V.649ff. 118 Nancy: Der Sinn der Welt, S. - 10; cf. auch Hainz: Anfangen, S. - 453 u. passim. 117 Ibid., S. - 41; cf. zum Rhizom ibid., passim. 116 Deleuze, Guattari: Tausend Plateaus, S. - 203. 115 Serres: Hermes, Bd. IV, S. - 85; cf. Lichtenberg: Schriften und Briefe, Bd. II, S. - 412, [K 76]. 114 Cf. Hegel: Werke in 20 Bänden, Bd. 5, S. - 71; cf. ibid., passim. 113 Böhme: Theosophische Sendbriefe, S. - 201, 15. Sendbrief. <?page no="62"?> Aktion“ 124 . Es scheint, als ließe sich das „ “ 125 Heraklits auf Klopstocks Metaphysik nur bedingter metaphysischer Aspekte entkleidet anwenden - doch bezeichnet dessen Bemerkung vom „Krieg […] Aller gegen Alle“ 126 andererseits mehr und anderes als einen zu überwindenden Zustand, wie ihn Hobbes in Leviathan darstellt, dessen primäres Anliegen ein Mangel an Befriedung ist, wenn es heißt: „the condition of Man […] is a condition of Warre [sic! ] of every one against every one“ 127 … Dieser Krieg, der hier einem Naturereignis zu gleichen scheint, was schon Rousseau kritisierte, da Krieg stets politisch sei - „mais une rélation d’Etat à Etat“ 128 -, ist trotz Ähnlichkeiten in der Wortwahl von Klopstock schwerlich gemeint; Klopstocks positiv valorisierter Krieg ist vielmehr nur einer gründlicheren Heraklit-Lektüre wohl vereinbar, worin schließlich ja die Identität und das handelnde Subjekt einer Spannung und Diversifikation ausgesetzt sind, „ “ 129 … Dieser Krieg ist potentiell das, woraus ein wahrhaft christliches, durchaus nicht naiv pazifistisches Evangelium und eine rechte Politik, die von Klopstock bei all seiner Skepsis gegen etwelchen „Ausschließlichkeitsanspruch“ 130 erhoffte „endgültige Begünstigung des Geistes durch die Macht“ 131 denkbar und real werden; Klopstocks womöglich sozusagen „logokratische“ 132 Formel, die geradezu ein Kampfruf - wiewohl kein bellizistischer - ist, lautet: „Der Vernunft Recht vor dem Schwertrecht! “ 133 Das Ärgernis der Aufklärung ist zugleich in diesem Wort schon vernehmbar, nämlich, daß auch der Logos herrscht, als Prinzip von dieser Bürde ebenso angegriffen, wie davon, daß die Vernunft unvernünftig distribuiert sein mag, es also neben der verschuldeten gewiß auch eine unverschuldete Unmündigkeit gibt. 134 Wie kann die Vernunft ihre „despotische Arroganz““ 135 62 Transfigurationen der Ontologie Klopstocks 135 Schlegel: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, 1. Abt., Bd. VII, S. - 16. 134 Cf. Kant: Werkausgabe in 12 Bänden, Bd. XI, S. - 53, A 481. 133 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. I·1, S. - 341f./ Klopstock: Oden, Bd. 2, S. - 4; cf. auch Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. VII·1, S. - 27 sowie zur Bandbreite des Problems Haverkamp: Laub voll Trauer, S. - 94ff. 132 Luserke-Jaqui: Über die literaturgeschichtlichen Ursprünge des »Klassikers Schiller«, S. - 57. 131 Blumenberg: Arbeit am Mythos, S. - 490. 130 Große: »Von dem Range der schönen Künste und der schönen Wissenschaften«, S. - 32. 129 Heraklit: [Fragmente], S. - 258, Frgm. 49. 128 Rousseau: Du contrat social ou Principes du droit politique, S. - 24; cf. ibid,. S.22ff. 127 Hobbes: Leviathan, S. - 189; cf. ibid., passim; cf. Kluge, Negt: Der unterschätzte Mensch, Bd. II, S. - 1022ff. 126 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. VII·1, S. - 163. 125 Heraklit: [Fragmente], S. - 258, Frgm. 50. 124 Kaiser: Pietismus und Patriotismus im literarischen Deutschland, S. - 193; cf. auch Zimmermann: Gelehrsamkeit und Emanzipation, S. - 78. πόλεμος πά ν τω ν [...] πα τ ήρ διαφερόμενον ἑωυτῷ <?page no="63"?> dekonstruieren? Sie kann theoretisch mit Kant sich suspendieren, im Namen einer „Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde“ 136 , worin sich eine Herrschaft, die nicht mehr eigentlich ausgeübt ist, andeutet. Die Maxime wäre in ihrer reflexiven Verschlaufung („durch die“) stete Innovatorin ihrer selbst. Die Krise wird so zum Statthalter dessen, was organisierendes Prinzip ist - eine verblüffend poetische Lösung; und eine Bürde, woher später womöglich Kleists fünfmaliges (! ) „Ich will nichts wissen“ 137 rührt: als Totalwerdung der Krise. So ist bei Klopstock eine Art Logokratie angedacht, die Ideal des Staates und seiner inneren wie äußeren Konfliktlösung oder -einhegung sei; aber auch den Konflikt trägt: wie auch aus- und erträgt. Diese problematische wie polemische Utopie klingt schon beim von Klopstock bewunderten Horaz an, der seine Friedfertigkeit beteuert, die aber auch durch den Schutz, den seine scharfe Rede ihm bietet, also durch den prozessierenden Geist ermöglicht ist: „nec quisquam noceat cupido mihi pacis! at ille, qui me conmorit - melius non tangere, clamo - flebit et insignis tota cantabitur urbe.“ 138 Bei Vergil ist der Krieg ein Unheil („scelerata insania belli“ 139 ), doch der Weg von etwas, das „perfecta […] discordia“ 140 ist, hin zu Freundschaft und Bündnis ähnlich gedacht. 141 Diese Modelle der Antike bestimmen mit, wie Klopstock Widerstreit sieht, subtil noch in den konkurrierenden Möglichkeiten durch Worte und Rhythmen, die gegen einander stehen. Eine irenische Politik wäre bei Klopstock die (historisch fragliche) Chiffre einer Befriedung; ihm geht es um das Recht in der Auseinandersetzung. Sein Prinzip ist keines, seine Religion „Krisis aller Religion“ 142 und Ideologien - sie nobilitiert Polemik als Bewegung, wie Klopstocks Dichtung sie generiert. 143 Klopstocks Offenheit noch der Französischen Revolution gegenüber mag hieraus rühren. Realistischer mag wohl sein, was dagegen Goethe in bezug auf das Politische schreibt, der zu Klopstock hier in Opposition gerät - sein Modell ist eines des Souveräns von durchaus „(u)numschränkte(r) Gewalt, welche in Europa durch Gewohnheiten und Transfigurationen der Ontologie Klopstocks 63 143 Cf. zum genuin polemischen Christentum u.a. Schleiermacher: Schriften, S. - 45 sowie Schlegel: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, 1. Abt., Bd. II, S. - 265. 142 Galling et al.: Die Religion in Geschichte und Gegenwart, Bd. I, S. - 1705. 141 Cf. ibid., S. - 374, Liber VII, V.545f. u. passim. 140 Ibid., S. - 374, Liber VII, V.545. 139 Vergil: Aeneis, S. - 368, Liber VII, V.461. 138 Horatius: Satiren · Briefe, S. - 76, Sermones · Liber II 1,44-46. 137 Kleist: Werke und Briefe in vier Bänden, Bd. I, S. - 255, 360, Bd. II, S. - 35 u. Bd. III, S. - 141. 136 Kant: Werkausgabe in 12 Bänden, Bd. VII, S. - 51, BA 52 (im Original gesperrt, M.H.). <?page no="64"?> Umsicht einer gebildeten Zeit zu gemäßigten Regierungen gesänftiget wird“ 144 . Die Ratio ist hier im Selbstzweifel eine für Revolutionen zu demütige, zugleich und vor allem aber auch eine, die sich nicht der Parteinahme verkauft, da Goethe „im Bürger den Barbaren“ „fürchtete“ 145 ; es ist also eine Skepsis, welche in diesem Zweifel doch nicht einfach die Verhältnisse bejaht - „Kniefall und Auflehnung setzen einander gegenseitig voraus“ 146 , wie Peter von Matt mit Blick auf Goethe schreibt. Grass stellt Klopstocks Position dem gegenüber: als naiv, eine der „produktiven Mißverständnisse[n]“ 147 , die sich bestenfalls darin erschöpfen, „reinigende Gewitter metaphernreich auf weißem Papier zu entfesseln“ 148 . Die Utopie Klopstocks zielt in der Tat naiver als Goethes Politikverständnis, aber auch einen fundamentaleren Anspruch zu denken wagend auf einen Zustand der Demokratie als Polylog. Der Feind kann und darf nicht den „bruit Beasts […] not understanding our speech“ 149 zugerechnet werden, diese wäre die Einhegung, die eher ein Akt des Öffnens ist, riskant, hoffend schon fast auf Benjamins „reine Mittel der Übereinkunft“ 150 … „Zwei Gesprächspartner, die einander verbissen widersprechen. So heftig sie sich auch befehden - solange sie willens sind, die Diskussion fortzuführen, müssen sie eine gemeinsame Sprache sprechen, damit der Dialog […] stattfinden kann.“ 151 Das Einigende gibt es so - nur - als Imagination(en) einzelner Teilhaber: als Polemik, die im besten Falle (christlich..? ) immerhin den Gesprächsrahmen nicht allein strategisch als „Schlacht […] um die Metasprache“ 152 gestaltet, sich mißtraut, auch um ihrer selbst und ihrer Entwicklungsfähigkeit willen; Streitkultur wäre latent Zweifel am eigenen Prinzip: „Holy seems the quarrel Upon your grace’s part; black and fearful On the opposer.“ 153 Streitkultur - in sich uneins -: „Kultur »sans phrase«, gewissermaßen.“ 154 Gerade eine Figur, die auch Klopstock beschäftigt, ist es, die bei Kleist als Proto-Germane figurierend eine „den »guten« Krieg bestimmende Topologie 64 Transfigurationen der Ontologie Klopstocks 154 Burger: Über den Begriff des Kulturellen und die Freiheit der Kunst, S. - 96. 153 Shakespeare: The Complete Works, S. - 767, III·I. 152 Serres: Atlas, S. - 147. 151 Serres: Der Naturvertrag, S. - 21. 150 Benjamin: Gesammelte Schriften, Bd. II·1, S. - 191. 149 Hobbes: Leviathan, S. - 197; cf. auch Derrida: The Animal that Therefore I Am, S. - 97. 148 Ibid. 147 Grass: Literatur und Revolution oder des Idyllikers schnaubendes Steckenpferd, S. - 343. 146 Matt: Die verdächtige Pracht, S. - 101. 145 Adorno: Gesammelte Schriften, Bd. 11, S. - 504. 144 Goethe: Berliner Ausgabe, Bd. III, S. - 215; cf. auch ibid., Bd. I, S. - 247 u. passim. <?page no="65"?> […] zersetzt“ 155 , indem unter anderem die authentische Geste, die sich durch ihre extremen Züge zu beglaubigen scheint, in Wahrheit eine „berechnende, hochrhetorische“ 156 ist: Dies verunmöglicht schier eine Metapolemik, die zum immanenten Widerspruch zu geraten wenigstens droht. Vielmehr ist die agonale Situation der Sprache womöglich Würdigung des Implikats allen Ausdrucks, es sei „(j)ede Sprache für sich genommen […] unvollständig“ 157 - Würdigung jedenfalls, wenn sich Klopstock auf das Griechische bezieht, dem sein Deutsches „auch wol diese und jene Frage thun darf.“ 158 Andernfalls, ohne diese Konstruktion einer nobilitierten Polemik, die übersetzend „das Ins-»Werk«-Setzen der Differenz“ 159 ist, verkäme die Auffassung des Rechts als einer gleichsam universalisierten Billigkeit leicht zum allzu bösen Wortspiel… Die Schrift bleibt ihrerseits zu adressieren, wie sie selbst in ihrer Polemik nicht aufgeht, sondern es als Imperativ in sich trägt, daß ein „Buch voller Geist […] auch an seine Gegner davon mit(theilt)“ 160 ; dieser Krieg zielt auf die Permanenz des in ihm ausgedrückten Ungleichgewichts, darauf, weder final, noch finit zu sein: Nur eine bestimmte Unausgesöhntheit durch das und ohne das Werk, insofern das Werk nicht das ist, worin sie aufginge, kann derart wirken. 161 Insofern kann das Christentum und mit ihm Klopstock stimmig sich auf die von Heraklit begründete Tradition einer dann auch im Christentum positiven Valorisierung des , auf die „Vollmacht Jesu zum Zerstören“ 162 und zugleich auf einen dem Chistentum unbedingten Frieden beziehen. Als Anspruch gerade auch im interkonfessionellen Streit, der sich dergestalt ökumenisch auflösen solle, hat dies Klopstock im Anschluß an vor allem Leibniz formuliert; gehofft, daß „Hohe und Niedre, Geistliche und Weltliche, Katholische und Lutherische […] mit Messiaden unterm Arm“ 163 sich bei Vorlesungen einfinden mögen. John Locke hat dies christlich wie pragmatisch formuliert - gerade durch den Streit der Thesen wäre zugleich vom Streit wider ihre Proponenten abzusehen. 164 Die - zumal christlich sich gerierenden - Antithesen lassen in diesem Sinne ineinander das Utopische aufschimmern, das ihnen ohne diesen diskreten Bezug paradoxerweise nicht innewohnt. Klopstock kann und muß also für die Auseinandersetzung und Polemik optieren; und zugleich weist gerade dies auf „(d)as Irenische“ 165 des Dichters, er muß stimmig doch geradezu pazifistisch dichten: Transfigurationen der Ontologie Klopstocks 65 165 Hurlebusch: Klopstock und Goethe oder Die »Erweckung des Genies«, S. - 11. 164 Cf. Locke: Brief über Toleranz, S. - 56f., S. - 125, 142f. u. passim. 163 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Briefe, Bd. VII·1, S. - 30, Nr. 33, 22.5.1776. 162 Berger: Jesus, S. - 380; cf. ibid., S. - 375ff. 161 Cf. Blanchot: Die Freundschaft, S. - 53. 160 Nietzsche: Sämtliche Werke, Bd. II, S. - 444. 159 Blanchot: Die Freundschaft, S. - 76. 158 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. VII·1, S. - 71. 157 Blanchot: Die Freundschaft, S. - 78. 156 Ibid., S. - 57. 155 Vinken: Bestien, S. - 52. πόλεμος <?page no="66"?> „Kein Krieg kann gerecht seyn, so den tiefen Grund legt ewiges [sic! ] Kriegs. Betüncht ihn, Gleißt ihn; er wird nicht gerecht! “ 166 Krieg ist also Realität und allzu leicht Verfall dessen, was Wahrheit generiert, die Krieg wiederum evoziert, wo sie sich jenseits der Auseinandersetzung - mit auch sich - situiert, also diese nur mehr als - reziproke - Eskalation zuläßt, als Unrecht, das in ihr damit gegeben ist; sie ist kein „edelmütiger Feind“ 167 , sie sieht auch keinen. Noch sie selbst ist ihr im Einsetzen dessen, was man Dekonstruktion nennen kann, Negiertes. Leichtfertig ist der „Wehrdienstverweigerer Klopstock“ 168 , wie Arno Schmidt mit spöttischem Unterton ihn nennt, keineswegs; er, der den Streit gestattet, tut dies, um ihn zugleich in eine reziprok initiierte Skepsis wider das Eigene zu transformieren; ist dies nicht ein Modus der Entwicklung, so der Streit gescheitert, dann der fatalistisch sich ausnehmende Stoßseufzer, was - im Moment - bleibt, dessen Tautologie indes hier fast Einspruch ist. Jenes Selbstgleiche verschuldet es: „Sey denn Krieg, weil Krieg seyn muß“ 169 ; allein vom Messianischen heißt es: „Denn sein Krieg war gerecht.“ 170 Diese Position ist zu einer Zeit, da die Instrumentalisierung der Religion für den Krieg gebräuchlich und seitens der Theologie wenig beeinsprucht ist, bemerkenswert, sie setzt die nicht völlig unbegründete Imagination des Kriegs als einer „bewaffnete(n) Rechtsexekution“ 171 ins Verhältnis zu seiner tatsächlichen „Semi-Regularität“ 172 , auch bei causa iusta und intentio recta. 173 Das zu tun ist noch lange nach Klopstock die Ausnahme; man denke an die Inszenierungen der Apotheose der für das Vaterland gefallenen Heroen, so im Gemälde Girodet-Troisons aus dem Jahr 1802, worin nationale Mythen und Christologie zur Verschmelzung gebracht werden sollten. 174 Klopstocks Differenzierung weist wie angedeutet hingegen auf etwas voraus, das so minutiös vor René Girard kaum formuliert wurde, der nachdrücklich darauf hinweist, daß nur ein spezifischer, nämlich „mimetische(r) Furor […] einmütig“ 175 und dann darum destruktiv ist - während „(n)ach jedem Auftritt Jesu […] die Zeugen miteinander in Streit (geraten); Jesu Botschaft eint die Menschen keineswegs, sondern ruft Uneinigkeit und 66 Transfigurationen der Ontologie Klopstocks 175 Girard: Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz, S. - 233; cf. ibid., passim sowie etwa Girard, Vattimo: Christentum und Relativismus, S. - 27 u. passim. 174 Cf. auch Berger et al.: Bilder des Himmels, S. - 110. 173 Cf. ibid., S. - 33. 172 Ibid., S. - 112. 171 Münkler: Gewalt und Ordnung, S. - 32. 170 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 52, III. Gesang, V.286. 169 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. I·1, S. - 498/ Klopstock: Oden, Bd. 2, S. - 92. 168 Schmidt: Bargfelder Ausgabe, Werkgruppe II, Bd. 1·2, S. - 363. 167 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Briefe, Bd. I, S. - 154, Nr. 98, Dezember 1750. 166 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. I·1, S. - 420/ Klopstock: Oden, Bd. 2, S. - 45; cf. auch Rühmkorf: Vorwort, S. - 21. <?page no="67"?> Spaltung hervor“ 176 , mit dem Evangelium nach Matthäus: „Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert.“ 177 Dies ist die aufklärerische Gesellschaftspolitik, die ist das Christentum, dies ist die dichterische Praxis Klopstocks - der „Kampf um Anerkennung“ 178 , und zwar nicht allein der der eigenen Position. Hierin schillert die Antithese zum pragmatischen Satz Bolz’, wonach „keine Kommunikation zwischen dem Gott der Liebe und dem Dämon der Politik“ 179 bestünde… Noch und gerade aus der noch zu bedenkenden „kämpferische(n) Niederschlagung der Höllenmacht“ 180 läßt sich dies lesen, worin das Geschöpf der Unterwelt schließlich mit dem Heiland konfrontiert dem Gegenüber verzweifelnd das Gebet als Selbstaufgabe offeriert: „Hilf mir! ich flehe dich an, ich bete, wenn du es forderst, Ungeheuer! dich an! “ 181 Das hier Gestürzte ist Mimesis an ein Prinzip, das dieses nicht in einer Weise ist, die solcherart nachzuahmen ist, sondern nur zu beantworten, als Göttliches schon in der Sprache, die in sich gefangen Sprache nicht wäre, die aber antwortend schon Anteil an dem hat, was sie verstört oder in dieser Passage gar momentan kollabieren ließ. Die „Einhegung“ 182 der Auseinandersetzung eröffnet sie hingegen eigentlich. Vom Text schreibt Derrida letztlich, wenn er eine Feindschaft, die dies nicht sein muß, sondern einen Raum - darin sie nicht einmal dies, aber auch Transformation zu einem anderen Kontrakt - bezeichnet, umreißt: „(N)ous devinons une certaine amitié envers l’ennemi auquel on parle, et plus intense parfois que l’amitié envers l’ami dont on parle.“ 183 In jeder noch so subtilen Gewalt hat diesem möglichen Moment gegenüber dem Kontrahenten, der schon dem Wort nach auch ein eines Kontrakts würdig Erachteter sein muß, prinzipiell stattgegeben zu werden, ohne das der legitime Anspruch sich selbst verzehrt. Im Evangelium wird in der zitierten Passage das Wort „ “ 184 verwendet, womit nicht nur eine Waffe, sondern auch ein Opfermesser gemeint sein kann - eindeutig wäre das Wort . Transfigurationen der Ontologie Klopstocks 67 184 Matthäus 10,34. 183 Derrida: Politiques de l’amitié suivi de L’oreille de Heidegger, S. - 197; cf. auch Foucault et al.: Pariser Gespräche, S. - 34, 53 u. passim. 182 Alt: Ästhetik des Bösen, S. - 165. 181 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 203, X. Gesang, V.136f. 180 Biser et al.: Lexikon des christlichen Glaubens, S. - 85. 179 Bolz: Das Wissen der Religion, S. - 111. 178 Ricœur: Wege der Anerkennung, S. - 236 u. passim. 177 Matthäus 10,34; cf. Lukas 22,36. 176 Girard: Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz, S. - 192; cf. auch Latour: Jubilieren, S. - 161f. μάχαιρα[ν] μαχαιρίδιο ν <?page no="68"?> Die ist zwar in Antithese zum Frieden gesetzt; aber in ihrer Ambivalenz, gegen den Feind, ebenso aber auch gegen sich gekehrt sein zu können („Römerblut, […] und meins! “ 185 ), ist dargelegt, inwiefern und warum Klopstocks Christentum die textuelle „Verinnerlichung des Krieges“ 186 ermöglicht und verlangt. Dem Geschöpf Gottes eigne in Fichtes Worten „sein göttliches Siegel, niemandem anzugehören“ 187 , auch sich selbst und seinem Konzept nicht - gleichsam als seinem Souverän… Diese Resistenz ist eine sich zurecht auch das Meta nie recht glaubende Meta-Position, die christlich Auseinandersetzung und die Utopie einer Transzendenz in ein Verhältnis setzt; sie entwickelt sich beim Messias-Dichter in Fortgang des Textes. Dabei ist er also durch den Text der „radikaldemokratische[r]“ 188 Dichter, der zugleich den demos dekonstruiert, nur durch eine demokratische Verfaßtheit ist eine Herrschaft möglich, worin so etwas wie eine beim Wort zu nehmende Aristokratie gegeben ist und nicht nur das „exklusive[s] Superioritätsbewußtsein“ 189 ihn zugleich imaginieren läßt, daß „der Gelehrtenstaat aristokratisch eingerichtet“ 190 wird, des scheinbaren Umwegs zu jener Struktur wegen: gerichtet doch auf das Ziel einer Demokratie gleichsam ohne „Demokratisierung“ 191 , die „Erniedrigung“ 192 würde. Kirschstein formuliert: „Klopstock, selbst am Hofe eines Souveräns, von ihm erhalten, singt nur für seine Idee oder eben das gesamte deutsche Volk.“ 193 Er vetritt eine, wie Sauder schreibt, „anarch(ische) Poetik“ 194 - als dessen Folge ihm und Schiller als den einzigen deutschen Dichtern ihrer Zeit „in Paris feierlich die französischen Bürgerrechte verliehen“ 195 wurden. Etwa: Die Französische Revolution Klopstocks Überschwang ist wie dargelegt nicht schlicht naiv; bekannt ist, daß sich Schiller bald im Gegensatz zu Klopstock vom „immer mehr 68 Transfigurationen der Ontologie Klopstocks 195 Zeller: Schiller, S. - 81; cf. Wetzel: Friedrich Schiller, S. - 54, Sauder: Klopstock, S. - 10955 sowie Binder: Klopstocks Gedicht »Der Unschuldige« als Modell poetischer Sprache, S. - 50. 194 Sauder: Klopstock, S. - 10964; cf. ibid., passim, ferner u.a. Voß: Ausgewählte Werke, S. - 99, Kaußmann: Der Stil der Oden Klopstocks, S. - 13 sowie Hellmuth: Metrische Erfindung und metrische Theorie bei Klopstock, S. - 50ff. 193 Kirschstein: Klopstocks Deutsche Gelehrtenrepublik, S. - 16; cf. ibid., S. - 151 u. passim. 192 Ibid.; cf. zur Gelehrtenrepuplik (und ihrer Einheit versus Diversität, was sich auch sozial formulieren läßt) überblicksweise auch u.a. Moretti: Distant Reading, S. - 20ff. 191 Hurlebusch: Klopstock und Goethe oder Die »Erweckung des Genies«, S. - 46. 190 Kirschstein: Klopstocks Deutsche Gelehrtenrepublik, S. - 100. 189 Hurlebusch: Klopstock und Goethe oder Die »Erweckung des Genies«, S. - 45. 188 Rühmkorf: Vorwort, S. - 19; cf. Zimmermann: Freiheit und Geschichte, S. - 52f. u. 70ff.; cf. ferner Rühmkorf: Walther von der Vogelweide, Klopstock und ich, S. - 99ff. 187 Fichte: Schriften zur Revolution, S. - 59; cf. ibid., passim. 186 Lyotard: Kindheitslektüren, S. - 21. 185 Klopstock: Sämmtliche Werke, Bd. 8, S. - 74. μάχαι ρα <?page no="69"?> steigernde(n) Radikalismus des Revolutionsverlaufes […] entschieden ab(wandte)“ 196 , genauer: entschiedener und wohl auch früher, während Goethe dem ihm zu radikalen Demokratiefreund Klopstock, der als Weg zu dieser auch radikal undemokratische Zustände zu billigen scheint - insbesondere „Gewalt als übereiltes Handeln“ 197 -, schließlich in freilich ungerechter Zuspitzung vorwirft, er betrachtete die Revolution „und harfeniert(e) der Verwüstung“ 198 … Derlei Spannung rührt auch aus der bekannten Verstimmung her, die dem Tadel Goethes durch Klopstock folgte - jenem Brief, worin Goethe als dekadent und angepaßt agierender Höfling gemaßregelt wird, was jener zurückweist. 199 Der Vorwurf mag überzogen und in der Formulierung unglücklich gewesen sein, völlig absurd ist er nicht - und wenn Arno Schmidt von dem Streit schreibt, dieser habe „klopstockischerseits auf völliger Verkennung der Größenverhältnisse“ „beruht[e]“ 200 , erscheint dieses Deutungsmuster leider wenigstens so autoritätshörig wie partiell schon Goethes Pragmatismus, Schmidts Apologie des Dichterfürsten wider den Barden zeigt wohl ganz wider seine Intention kurzum, wo Klopstock getroffen haben mag… In Klopstocks Werk ist mehr zu sehen, man besehe seine Hoffnung also genauer, etwa an der Ode Sie, und nicht wir. Hier werden die Vision von Freiheit und jener von Friede am Bilde Galliens - also eines analog zu Germanien adressierten Frankreichs - eines; Klopstock will „Galliens Freyheit“ 201 angemessen besingen, in deren Folge „das gräßlichste aller/ Ungeheuer […] an die Kette gelegt“ 202 ist: „der Krieg“ 203 . Er ist eingehegt, weil ein Heer aus Freien für sich kämpfe und dabei „Tyrannenknechte“ 204 nicht fürchten müsse, deren fragile Motivlage sie prinzipiell unterlegen mache; andere Freie aber können diesem Heer nicht entgegentreten wollen, so denkt Klopstock: Den Hintergrund bildet dabei die zunächst durchaus stringent scheinende Idee, daß eine Demokratie anders als eine Oligarchie oder Monarchie ja gleichsam von allen geleitet werde, nicht von Herrschern, die etwa ihren Profit auf das Leid von Untertanen gründen, also gewissermaßen Privatisierungen - privatum im Sinne von geraubt - vornehmen. Wie sollte sich das zum Souverän erhobene Volk aber Transfigurationen der Ontologie Klopstocks 69 204 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. I·1, S. - 258/ Klopstock: Oden, Bd. 1, S. - 175. 203 Ibid. 202 Ibid. 201 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. I·1, S. - 468/ Klopstock: Oden, Bd. 2, S. - 72. 200 Schmidt: Bargfelder Ausgabe, Werkgruppe II, Bd. 1·2, S. - 375. 199 Cf. v.a. Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Briefe, Bd. VII·1, S. - 31, Nr. 34, 29.5.1776, ferner Voß: An Ernestine Boie, Juni 1776, S. - 309 sowie Boyle: Goethe, Bd. I, S. - 284, 330 u. passim. 198 Goethe: Berliner Ausgabe, Bd. I, S. - 247. 197 Osten: »Alles veloziferisch« oder Goethes Entdeckung der Langsamkeit, S. - 18 196 Zeller: Schiller, S. - 81; cf. zu Klopstocks Position ferner auch Fink: Die Revolution als Herausforderung in Literatur und Publizistik, S. - 111 u. passim. <?page no="70"?> selbst in die Not des Krieges schicken, wie die „volonté générale“ 205 etwa darauf zielen, die Imponderabilien, die einer bellizistischen Politik zumindest eignen, zu billigen..? Das Volk ist frei und sei gewissermaßen darum willens, rundum ebenso freie Nationen, die folglich desgleichen dem Krieg und aller Inhumanität abhold wären, unbehelligt zu dulden, so schließt die Aufklärung - hier: Rousseau -; Klopstock sieht geschwisterliche Nationen, das französische Bürgerrecht schätzt Klopstock auch darum, weil es dem Rechnung trägt. ihn „zum Mitbürger George Washingtons macht“ 206 , jenes Amerikas, das Inbegriff der Emanzipation ist, noch in der Erlösungsgeschichte wird von Klopstock das „ferne[s] Amerika“ 207 erwähnt. Transnational und schließlich global handle das Volk und agiere schließlich die Menschheit wider eskalierende Realisierungen von Partikularinteressen einmütig („un intérêt“, „une volonté“ 208 ) und damit schlicht vernünftig, die vox populi ginge in den - univoken - voces populorum auf… 209 Die Souveränität des Königs, die Vernunft und gottgemäßes Regieren einmal zu implizieren schien, jedenfalls nach dem Willen der Herrscherlobes, das noch keinem Tyrannen vorenthalten wurde, wird jene schließlich aller Menschen. Die Frage, worin diese Souveränität begründet sei, die sich gegen andere Souveränitätsansprüche im besten Falle intellektuell durchsetzt, und wie man sie lesen könne, wie sie sich lesen könne, ist dabei die Frage, auf die Klopstocks Dichtung eine indirekte Antwort sein mag. Kants Hoffnung ist, daß die Bevölkerung „sich selbst aufkläre“ 210 , um jene Diskontinuitäten zu schreiben und zu lesen - und nicht nur beliebige Umsturzsequenzen einzuleiten, wonach „neue Vorurteile […], eben sowohl als die alten, zum Leitbande des gedankenlosen großen Haufens dienen“ 211 würden. An Nancys Umschreibung der Freiheit sei erinnert, an jenes „andere Denken allen Denkens“ 212 , das „der Ausbruch der Freiheit“ 213 ist oder sein mag: durch Politik, aber auch Juristerei und/ oder Epikie 214 , durch eine währende „vigilance“ 215 . Sie ist bei Klopstock poetischer Natur. Klopstock träumt dabei seiner Zeit in mehrerlei Weisen ungemäß, doch einen Traum, der die Realität nicht leugnet, sondern in sie interveniert. 70 Transfigurationen der Ontologie Klopstocks 215 Rousseau: Du contrat social ou Principes du droit politique, S. - 150. 214 Cf. zum kirchenrechtlichen Terminus u.a. Biser et al.: Lexikon des christlichen Glaubens, S. - 107, Derrida, Roudinesco: Woraus wird Morgen gemacht sein, S. - 88ff. u. 167, Derrida, Stiegler: Echographien, S. - 89f., sowie Blumenberg: Theorie der Lebenswelt, passim. 213 Ibid. 212 Nancy: Die Erfahrung der Freiheit, S. - 80. 211 Ibid., S. - 55, A 484. 210 Kant: Werkausgabe, Bd. XI, S. - 54, A 483. 209 Cf. auch Fichte: Schriften zur Revolution, S. - 178. 208 Rousseau: Du contrat social ou Principes du droit politique, S. - 234. 207 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 43, Gesang II, V.837. 206 Krummacher: Friedrich Gottlieb Klopstock, S. - 194. 205 Rousseau: Du contrat social ou Principes du droit politique, S. - 54. <?page no="71"?> „Übrigens ist das Gerücht hier allgemein ausgebreitet, Sie hätten dem französischen Bürgerrecht entsagt, u wären jezt [sic! ] Feind der Franzosen und Republik; Sie können sich denken, ob ich dem widersprach? ich werde es kräftigst auch öffentlich thun, u wo möglich Übersetzungen Ihrer Revolutionsoden besorgen; Sie als einen Feind n u r der Anarchie [,] zu zeigen.“ 216 So schreibt Cramer und dürfte hierbei die Position Klopstocks in der Tat getreulich wiedergeben. 217 An der Revolution sieht der Dichter also (zunächst: nur) ihr logo- und demokratisches Potential; er sieht kaum die Unstimmigkeiten in ihr, die doch das Schwertrecht schon überwunden haben soll, glaubt sie durch die Vernunft nun ebenso wie durch jenen, „(d)er Alles ausführt“ 218 , geschützt und geleitet; das Pathos in dieser Einschätzung ist wie gezeigt nicht hohl - und: auch performativ. Man muß nicht betonen, daß gleichwohl die Revolution alsbald ihren angesprochenen und ihr so essentiellen Ambitionen nicht gerecht wird: Ihre Legitimation - bald „durch eine neue Religion des »höchsten Wesens«“ 219 - ist so primitiv wie das, was von der Diskontinuität wider stereotype Dispositive der Monarchie und Aristokratie bleibt, keine poetische Immerhin-Anarchie, sondern eine Zersplitterung der Monarchie in Mikro-Tyranneien. Des Monarchen bloße „Ermordnung durch das nächste Regime“ 220 - oder: durch konkurrierende Warlords auf dem alten Herrschaftsgebiet -, ein pathetisch-blutrünstiges Revirement also ließ das, was Hoffnung rechtfertigte, zur neuen Ungerechtigkeit werden, zum Putsch, an dessen Ende Napoleon herrscht. Der Schock, als der frische Wind mit der Tugend auch „Blutgeruch“ 221 in die Nachbarländer trug, ist nicht abzutun, die „erschütternde und ungerechte“ „Haltung Klopstocks“ 222 von Bloch oder ähnlich auch Schmidt so nicht angemessen formuliert, der ferner das Gerücht, Klopstock habe sich zum „Anti-Gallican“ 223 entwickelt, aufgreift. Wie in der immer wieder zu bedenkenden Textarbeit verklammert indes Klopstock Enthusiasmus und Pragmatik, läßt die Performanz das dekonstruieren, was sonst sich nur behauptete, und zwar sich auch kritisch doch nur als Antithese so installierte wie das, womit dann so prinzipiell Schluß gemacht wäre, daß jedes Stereotyp konserviert bliebe. Fäh schreibt, es gehe Transfigurationen der Ontologie Klopstocks 71 223 Coleridge: Biographia Literaria, Bd. II, S. - 173; cf. dagegen Murat: Klopstock als französischer Bürger, S. - 174. 222 Ibid., S. - 229; cf. auch Schmidt: Bargfelder Ausgabe, Werkgruppe II, Bd. 1·2, S. - 383. 221 Bloch: Gesamtausgabe, Bd. 11, S. - 226. 220 Taylor: Ein säkulares Zeitalter, S. - 1156. 219 Taylor: Ein säkulares Zeitalter, S. - 689; cf. auch Joas: Die Sakralität der Person, S. - 26ff. 218 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. I·1, S. - 289f./ Klopstock: Oden, Bd. 1, S. - 193ff. 217 Cf. Krummacher: Friedrich Gottlieb Klopstock, S. - 193f., Volke et al.: Hölderlin, S. - 135f. u. Kohlschmidt: Geschichte der deutschen Literatur vom Barock bis zur Klassik, S. - 850. 216 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Briefe, Bd. IX·1, S. - 24, Nr. 20, 26.11.1795. <?page no="72"?> Klopstock offenbar darum, „Bewegungsenergien sprachlich sichtbar zu machen“ 224 , was sich im Sinne einer Dekonstruktion der Bewegungsenergien, die den Worten innewohnen, also einer Poesie, die zugleich ihre „Trunkenheiten […] als berechnende Kunstgriffe“ 225 kenntlich macht, verstehen läßt: auf daß Gott nicht ein heteronomes Phänomen der falsch souveränen Dichtung werde. Gott ist bei Klopstocks poetischem wie politischem Diskurs dagegen das Prinzip der Revolution, das Revolution des Prinzips ist: Anstoß, weiterzuschreiben, so auch Gallien immer neu zu denken und sich denken zu lassen. „Der kühne Reichstag Galliens 226 enttäuscht Klopstock, doch die Formel des Sich-Freischaffens - „Frankreich schuf sich frey“ 227 , wie er schreibt - bleibt bestehen; sie ist gefährdet zu denken, „die Freyheit,/ Welch’ ihr erschuft“ 228 , kann auch durch die Revolutionäre „stürzen“ 229 , weshalb Klopstock fast bittet: „Reiniget euch“ 230 … Noch im „Republikgeripp“ 231 ist als Spur und Utopie von Klopstock aber das gesehen, was er folglich adressiert. 232 Klopstock hat - weniger rezipiert - übrigens auch in bezug auf Österreichs aufgeklärten Absolutisten Joseph II. Hoffnungen, die Diskursmischung von Gottgnadentum und Aufklärung könne etwas Neues ins Werk setzen, wobei man auch hier unterstellen könnte, daß er dieser Hoffnung Entgegenstehendes fast schon mutwillig „übersieht“ 233 . Auch deren Unvereinbarkeit mit einer Gelehrtenrepublik von zugleich aufgeklärtem und individualisiertem Sinn fürs Transzendente ist augenfällig, wie es für Frankreich die von Kant bemerkte Differenz von blanker Revolution und Aufklärung, die jenes Revoltieren bloß beinhalten mag und vorsichtig schon zügeln müßte, ist. 234 Seine Position - gleichsam begründet zwischen allen Stühlen - bleibt in Deutschland aber gerade darum Anstoß, wobei sich seine skrupulösen Versuche in der Rezeption zum Teil doch in Ressentiment wandeln. Auch seiner Schriften wegen entwickelt sich in Deutschland zwar „eine zugleich egalitäre und liberale Gesinnung“ 235 , gar „eine Gärung im Bürgertum“ 236 ; und 72 Transfigurationen der Ontologie Klopstocks 236 Ibid. 235 Bergeron, Furet u. Koselleck: Fischer Weltgeschichte, Bd. 26, S. - 107. 234 Cf. Kant: Werkausgabe, Bd. XI, S. - 54f., A 483f. 233 Zeman et al.: Literaturgeschichte Österreichs von den Anfängen im Mittelalter bis zur Gegenwart, S. - 359. 232 Cf. Humboldt: Schriften zur Sprache, S. - 939 und Mattenklott: Ästhetische Opposition, S. - 81 u. passim. 231 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. I·1, S. - 501/ Klopstock: Oden, Bd. 2, S. - 95. 230 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. I·1, S. - 483/ Klopstock: Oden, Bd. 2, S. - 81. 229 Ibid. 228 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. I·1, S. - 475/ Klopstock: Oden, Bd. 2, S. - 77. 227 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. I·1, S. - 460/ Klopstock: Oden, Bd. 2, S. - 69. 226 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. I·1, S. - 455/ Klopstock: Oden, Bd. 2, S. - 63. 225 Rosenberg: Klopstock und die deutsche Sprache, S. - 12. 224 Fäh: Klopstock und Hölderlin, S. - 16. <?page no="73"?> dennoch sind es „Eliten aufgeklärter Geister“ 237 , die Demokratie fast prinzipiell schon doch bloß als Ochlokratie lesen: „Unter dem Einfluß Lessings, des rationalistischen und deistischen Protestantismus, Klopstocks und der französischen Kolonie strebte diese Schicht eine Gesellschaft an, in der eine reiche und aufgeklärte Elite herrschen und die sich als konstitutionelle und liberale Monarchie organisieren sollte.“ 238 Klopstock ist der Revolution in Frankreich durchaus leidend doch unverbrüchlich näher als jene, die ihm hier vermeintlich folgen - eine bemerkenswerte Analogie zur Literaturgeschichte, worin die ihm Folgenden verrieten, was bei anderen noch als Ärgernis Anstoß blieb. Er aber ist Kosmopolit und Demokrat, und zwar beides sogar noch im nachgerade obsessiven Verfolgen nationaler Ideen bis zur durchscheinenden These einer „poetischen Sprachüberlegenheit“ 239 des Deutschen, die zwar - wie die Szene in Schlegels Gespräch über Klopstocks grammatische Gespräche, worin die Deutschheit der „Poesie […] die Hand“ „zerdrückt“ 240 , zeigt - irritieren mag, sich aber kaum etwelchen Ressentiments oder Chauvinismen verdankt. 241 Eher ist es der Fokus auf seine Innovationen, Innovationen, die gar nicht seine oder jene des Deutschen sind, von ihm vielmehr unter anderem im Griechischen entdeckte Resonanzen eines immer anderen Schreibens, die er in der textuellen Ausbreitung zuläßt, hört, entwickelt. Etwa: Messias Arminius Antidespotisch - dies ist das Germanentum bei Klopstock, Beutler nennt „Germanentraum“ 242 und „Griechentraum“ 243 Klopstocks in einem Atemzuge, die Dekonstruktion des Prinzipiellen wurde freilich in der Rezeption mit allerlei Unfreundlichkeiten bedacht, die nur das eigenwillig Ahistorische vermerkten. Transfigurationen der Ontologie Klopstocks 73 243 Ibid. 242 Beutler: Friedrich Gottlieb Klopstock, S. - 175. 241 Cf. auch etwa Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Briefe, Bd. VI·1, S. - 174, Nr. 170, 3.8.1774, ferner Hurlebusch: Friedrich Gottlieb Klopstock, S. - 14, Ruiz: Göttingen und der Hain, S. - 97ff. sowie Sauder: Klopstock, S. - 10965; als Exempel aussichtsloser Vereinnahmung Stöckmann: Klopstocks Bestrebungen um die Begründung eines neuen deutschen Volkstums, S. - 37. 240 Schlegel: Kritische Schriften und Briefe, Bd. I, S. - 221. 239 Fischer: Das Eigene und das Eigentliche, S. - 150; cf. auch Coleridge: Biographia Literaria, Bd. II, S. - 171f. sowie - kurioserweise zudem affirmativ..! - Stöckmann: Klopstocks Bestrebungen um die Begründung eines neuen deutschen Volkstums, S. - 58. 238 Ibid.; cf. auch etwa Groys, Hösle: Die Vernunft an die Macht, S. - 27. 237 Ibid. <?page no="74"?> Stekelenburg etwa schreibt von „antiken Götter(n) […] in altnordischer Travestie“ 244 . Das Germanische ist indes Chiffre von etwas, nämlich jener messianischen Bewegung, die religiös ist, aber darin auch natürlich scheint, als revoltierende „Gegenreaktion der Natur“ 245 inszeniert ist. Mit den Realien hat das nur bedingt - oder im ambivalenten Sinne der Verklärung - zu tun, wenn Klopstock seinen Text dem Konstrukt Geschichte appliziert: der Hermannsschlacht, die so zu nennen schon ins Mythische spielt, da der germanische Name des Cheruskers unbekannt und die Eindeutschung des Namens Arminius semifiktional ist. Man könnte schon aus dem prekären Namen lesen, daß jener überlebensgroße Germane „Germania […] nicht behauptet, sondern zersetzt“ 246 … Der römische Statthalter Varus war in jener Schlacht mit Arminius, einem germanischen Fürsten, der als Verbündeter galt, konfrontiert, der als Kind oder in seiner Jugend als Geisel nach Rom gekommen war, wo man ihn zum römischen Offizier ausgebildet und ihn die Schwächen des römisches Heeres, vor allem „das römische Grundgefühl, die selbstverständliche Arroganz“ 247 gelehrt hatte. Soweit die damnatio memoriae über die Geschehnisse nicht Dunkel breitete, weiß man nur ex negativo, daß mit Arminius weder einer, der „Opfer seiner barbarischen Natur“ 248 wurde, noch „ein früher Bismarck, der den deutschen Nationalstaat in den germanischen Wäldern gründen wollte“ 249 , die Weltbühne betrat. Diese Uneindeutigkeit des Deutschen mag ihn für Klopstock reizvoller gemacht haben, der hier ohne „ängstliche Unterwürfigkeit gegen historische Wahrheit“ 250 , von der Schiller als Historiker und Dichter gerade auch unter Nennung Hermanns schrieb, zu schreiben von der Geschichte selbst das licet geradezu hat. Klopstock entwickelt die Spannung möglicher Narrative, formuliert den Deutschen ihren Anspruch, nämlich, als die Germanen Hermanns Bruder Flavius adressieren: „Wenn du wirklich ein Deutscher bist, und also wider dein Volk gestritten hast, so bist du uns zu gleichgültig, um zu bemerken, wie du stirbst! “ 251 Er ist damit einer der wie der Tyrann selbst verachteten „Tyrannensklaven“ 252 , wogegen der (sozusagen zufällig germanische) Demokrat eben 74 Transfigurationen der Ontologie Klopstocks 252 Ibid., S. - 237. 251 Klopstock: Sämmtliche Werke, Bd. 8, S. - 170. 250 Schiller: Sämtliche Werke, Bd. 5, S. - 391. 249 Ibid.; cf. auch Kilb: Es war einmal in Germanien, S. - Z2. 248 Ibid., S. - 167. 247 Märtin: Die Varusschlacht, S. - 134. 246 Vinken: Bestien, S. - 24. 245 Zimmermann: Geschichte und Despotie, S. - 102. 244 Stekelenburg: Der fliegende Merkur, S. - 67; cf. Redeker: Klopstock und der deutsche Staat, S. - 34, Grimm, Grimm: Über das Deutsche, S. - 51 u. Goethe: Berliner Ausgabe, Bd. I, S. - 367. <?page no="75"?> die genialische Formel „Tod oder Freiheit! “ 253 formulierte - „sollte (man) von mir sagen, daß ich vielleicht aus Zaghaftigkeit […] länger gelebt hätte“ 254 ..? Im Zuge dessen ist auch der Römer nicht lediglich der Römer, sondern jedenfalls möglicher Republikaner und Demokrat, der in Einklang mit Klopstocks „Tyrannen- und Erobererhaß“ 255 agieren kann; als Brutus’ Name fällt, wird dieser und sein Anspruch geehrt: „Du nanntest einen großen Namen“ 256 … Noch die Götterwelten, die freilich gleichermaßen nicht christliche sind, werden von Klopstock in immerhin möglicher Symmetrie gezeigt: „Wodan fließt viel Römerblut, aber Jupitern auch deutsches.“ 257 Hier grenzt Übersetzbarkeit an Identität. Das gilt sowieso für Hermann/ Arminius, der eine „translatio Romae“ 258 ganz und gar ist, und zwar in beiderlei Sinne; er, der allein übersetzt überliefert ist, zeigt zugleich sich und seine Germanen als die - wahren - „Erben des guten, nämlich republikanischen, Roms.“ 259 Seine Germanen sind „durch und durch romanisiert“ 260 , aber ihre Romanisierung ist auch die Transformation des Römischen, die durchaus nicht auf eine obskure Naturwüchsigkeit „als Wesenskern des deutschen Charakters“ 261 zielt, wie Dehrmann konstatiert; dessen Befund, dies sei „Klopstocks totaler Krieg“ 262 , ist irreführend. Angesichts des so ausgeprägten Abwägens des schlechthinnigen Germanen Klopstocks schreibt Eichendorff nicht ohne Grund gegenteilig, dieser Hermann sei ein zögerlicher Protagonist, „der nichts tut, als von dem, was er tun sollte, seine Thusnelda zärtlich unterhalten“ 263 , einer, der „in einer wunderlich verzwickten Senecaschen Lapidarsprache mit dem Munde Schlachten liefert.“ 264 Gerade dort, wo die Germanen „heroisch-erotische Blutmystiker“ 265 zu sein scheinen, hintertreibt ihr Anführer die (allzu) „klar geschnittenen Oppositionen“ 266 , um paradoxerweise gerade kein Verräter an dem, was deutsch als quasi-kosmopolitische Utopie ist, zu sein. Es geht wieder um Optionen, um das Eigentliche des Textes, der die Eigentlichkeit je suspendierend poeto-politische Dekonstruktion ist. Dies ist der Moment, Transfigurationen der Ontologie Klopstocks 75 266 Ibid. 265 Vinken: Bestien, S. - 39. 264 Ibid. 263 Eichendorff: Werke, Bd. 3, S. - 704. 262 Ibid.; cf. auch Vinken: Bestien, S. - 31. 261 Dehrmann: Klopstocks totaler Krieg. 260 Ibid., S. - 44. 259 Ibid. 258 Vinken: Bestien, S. - 36. 257 Klopstock: Sämmtliche Werke, Bd. 8, S. - 92. 256 Ibid., S. - 81; cf. aber auch ibid., S. - 98. 255 Kirschstein: Klopstocks Deutsche Gelehrtenrepublik, S. - 151. 254 Ibid., S. - 153. 253 Schiller: Sämtliche Werke, Bd. 1, S. - 555. <?page no="76"?> worin „Klopstocks poetologisches Konzept der Darstellung birst“ 267 , sich als dieses Bersten aber auch findet, als sozusagen „somatisches“ 268 , und eben jene Brüche zur Utopie des Schreibens wandelt, wo doch prima vista allenfalls „die Schwerter der Germanen“ 269 Römerschwerter klirren und vor allem bersten lassen sollten… Der Glanz der proto-deutschen Nation müßte in jener Dichtung also immerhin trügerisch sein: Vielleicht ist dies ihr tieferes Diaphanes. Sie leidet als Menschheit, zeigt sich als sie selbst wie „brüderlich entzweit(e)“ 270 … Die Enttäuschung, wie sie bei Klopstock die Rede permanent prägt und der Demokratie immanent zu sein scheint, die glanzvoll vielleicht nur ist, wo sie sich - ihre vertracktere Dignität - vergißt, zielt auf eine „Politik ohne theatrales Modell“ 271 … Dies hat Klopstock durchaus nicht vergessen, schon in jenen diskursiven Windungen, die den Konflikt nicht leugnen, doch seltsam wandeln, vor allem aber dort, wo er Kritiker der konkreten mehr denn Ideologe der abstrakten Demokratie ist: Ihr Versagen ist Reflex ihrer Utopie. Seine teils plakative, aber dann doch Differenzen zulassende Imagination von jenem Hermann mit „Züge(n) eines profanen Heilands“ 272 und in der Folge „germanischen Messias“ 273 ist damit (anders als andere Fälle solcher Projektion) nicht auf das Deutschtum, sondern etwas, das komme, gerichtet. Es ist dies die Nation, die sich - ihr Eigentliches - permanent dekonstruktiv erfindet: eine Nation wider Ignoranz, die allzu real besteht: Das Deutsche steht eher im Kontrast zu einem historischen Deutschen, ist Chiffre einer republikanischen Ordnung jener, deren nationales und autochthones Sein und Recht sich zum Kosmopolitismus ausweiten möge. Deutsch ist zur Zeit Klopstocks ein heterogenes Nicht-Gespräch, sozusagen ein Name für Parallelgesellschaften ohne Leitkultur, so die Befunde de Staëls wie des Freiherrn von Knigge. 274 Retrospektiv schreibt Eichendorff, Klopstock habe ein inexistentes Deutschland gemeint, statt deutschtümelnder „Vaterländchen von Schwaben, Österreichern, Preußen, Katholiken, Lutheranern und Kalvinisten, die alle einander feindnachbarlich haßten“ 275 … Jene seien, wie Hölderlin hyperbolisch schreibt, dies nicht mehr recht: Menschen. Sie seien Menschenfragmente, „Barbaren von Alters her, 76 Transfigurationen der Ontologie Klopstocks 275 Eichendorff: Werke, Bd. 3, S. - 705. 274 Cf. de Staël: Über Deutschland, S. - 253 u. Knigge: Über den Umgang mit Menschen, S. - 24f.; zum Folgenden auch Hainz: Europäistik, S. - 318ff. 273 Bloch: Zur Philosophie der Musik, S. - 77. 272 Sauder: Klopstock, S. - 10965. 271 Nancy: Der Sinn der Welt, S. - 157; cf. auch etwa Matt: Experimente wagen, S. - 19. 270 Vinken: Bestien, S. - 46. 269 Amtstätter: Der unheilige Sänger, S. - 63. 268 Amtstätter: Die Poetik des Todes in Klopstocks Hermann-Dramen, S. - 179 u. passim. 267 Amtstätter: Der unheilige Sänger, S. - 63. <?page no="77"?> durch Fleiß und Wissenschaft und selbst durch Religion barbarischer geworden, […] dumpf und harmonielos“ 276 : „(I)ch kann kein Volk mir denken, das zerrißner wäre, wie die Deutschen. Handwerker siehst du, aber keine Menschen, Denker, aber keine Menschen, Priester, aber keine Menschen, Herrn und Knechte, Jungen und gesetzte Leute, aber keine Menschen“ 277 … Das Nationale, das bei Klopstock angesprochen wird, zielt indes auf eine komplexere Symphonik, sozusagen eine innermenschliche Versöhnung, wenn man von Hölderlins Befund ausgeht, dann aber eine innerdeutsche wie -europäische Transnationalität. Deutsch ist so ein Universalismus unter anderen Modi desselben, die Bereitschaft und das Vermögen, produktiv „Widerspruch (zu) ertragen“ 278 , wie Knigge ähnlich dem Nationalgedanken Klopstocks formuliert. Die „intellectuelle Einheit“ 279 ist, was sich sehend darin wandelt und überschreitet; der Bezug auf eine gereinigte Nationalsprache dient für Klopstock vor allem hierzu, eine Sprache für den streitbarproduktiven Diskurs zu finden, wie sich aus den Schriften Klopstocks unschwer belegen läßt. 280 Dies ist der Impetus auch hin zu Europa und alsbald zur Welt, dies schließlich ähnlich der Idee Goethes von einer „Weltliteratur“ 281 . Damit wird die Zuordnung von Raum und Staat zueinander geradezu virtuell, Staat ist, was seine Überschreitbarkeit generiert; Klopstocks Germanien ist also wurzelwie ortlos, eine „beispiellose“ 282 Heterotopie, der Raum seiner Deutschen „im Zwischenraum zwischen ihren Worten“ 283 , ein Germanien, das seinen Raum auch in Deutschland hat, doch weniger, als in den Ideen von Parlament und Bibliothek. 284 Es ist eine paradigmatische, aber nicht exklusive „Republik der Weltweisheit“ 285 , der Klopstock unter anderem dadurch tatsächlich Vorschub leistete, daß er aufgrund der gesamtdeutschen Verbreitung seines Werks erstens den „Süden Deutschlands enger an die Mitte angeschlossen“ 286 und zweitens den „Sprachausgleich zwischen Nord und Süd gefördert“ 287 hat. Transfigurationen der Ontologie Klopstocks 77 287 Ibid.; cf. ferner Galling et al.: Die Religion in Geschichte und Gegenwart, Bd. II, S. - 458f. u. Bd. III, S. - 1669. 286 Schmidt et al.: Geschichte der deutschen Sprache, S. - 122. 285 Mendelssohn: Schriften über Religion und Aufklärung, S. - 135. 284 Cf. zur Wahl möglicher Proto-Deutscher und den Motiven auch etwa Märtin: Die Varusschlacht, S. - 295. 283 Foucault: Die Heterotopien, S. - 9; cf. ibid., passim. 282 Taylor: Ein säkulares Zeitalter, S. - 324. 281 Goethe: Berliner Ausgabe, Bd. XVIII, S. - 326; cf. ibid., S. - 326ff., 429, Bd. XI, S. - 510 u. passim. 280 Cf. Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. VII·1, S. - 26 u. passim; ferner Baudusch- Walker: Klopstock als Sprachwissenschaftler und Orthographiereformer, passim. 279 Humboldt: Kosmos, S. - 26. 278 Knigge: Über den Umgang mit Menschen, S. - 53. 277 Ibid. 276 Hölderlin: Sämtliche Werke, Briefe und Dokumente in zeitlicher Folge, Bd. VI, S. - 163. <?page no="78"?> Müßte man das Kosmopolitische des Werks belegen, so sprächen hierfür neben dem literarischen Vermächtnis auch Paratexte wie die Diskussion mit Göschen, ob man nicht mancherlei in lateinischen Lettern setzen solle: „Wenn man mit Engländern und Franzosen weteifern [sic! ] will man auch eben so schöne Formen zu den Lettern nehmen muß wie sie“ 288 , heißt es, was besonders bemerkenswert insofern ist, als gerade der Buchdruck für das kulturelle Selbstbewußtsein Deutschlands noch jener Zeit nicht unwichtig ist. Auch schwärmt Cramer in einem Brief an Klopstock „von der ungeheuren Nationalbibliothek“ 289 zu Paris, worin wiederum ohne Ressentiments wider den Erbfeind ein Modell erblickt wird: des Ganzen jenseits von Partikularinteressen, das im imaginierten Gespräch der Bücher. In Anlehnung hieran und Leibniz’ Organisation der Sozietät der Wissenschaften in Berlin 1700 „plante (Klopstock) eine Akademiegründung in Wien“ 290 oder wollte wenigstens zu einer bereits geplanten Akademiegründung in Wien „Vorschläge für die Durchführung eines solchen Projekts vorlegen“ 291 , womit er als kulturpolitischer Denker in die Geschichte einging, auch wenn die Verzahnung des Traums vom „außergesellschaftlichen Ort“ 292 überzeitlicher Bedeutsamkeit und von der pragmatischen Überlegung hierzu nicht glückte. 293 Auch die Erfahrungen in der Schweiz oder Dänemark wären anzuführen. 294 Klopstock ist ist vor allem ein die Rede selbst advozierender Parlamentarist, als Christ wie als Demokrat textuell denkend. Alles in jenem „streitbaren“ 295 Denken zielt dabei auf Lichtenbergs Aperçu, es „gnade Gott denen von Gottes Gnaden“ 296 . Selbst das Bewußtsein des Genies ist nicht zuletzt so zu lesen: als Emanzipation, diese aber Beeinspruchbarkeit - allenthalben macht Klopstock „geltend, daß die Würde des Dichters jeden Amts- und Adelstitel aufwiegt“ 297 , was ein Votum wider jedes Sonderrecht bedeutet. Dies entschuldigt nicht manch Unausgereiftes, wo er politische Optionen skizziert, erklärt es aber insofern, als seine Interventionen auch Unterbrechungen sind, auf eine epoché zielen, die der Text je schon ist und ermöglicht. Hierin unterbietet Klopstock, was manche Kritiker von einem 78 Transfigurationen der Ontologie Klopstocks 297 Höpker-Herberg: Klopstock, Oden. 296 Lichtenberg: Schriften und Briefe, Bd. I, S. - 772, [J 857]. 295 Pape: Klopstock, S. - 25; cf. auch ibid., S. - 32 (Anm.) sowie Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Briefe, Bd. V·1, S. - 2, Nr. 1, 6., 9.1.1767. 294 Cf. zur Schweiz etwa Pape: Klopstock, S. - 365ff. u. passim sowie Kohl: Friedrich Gottlieb Klopstock, S. - 31, zu Dänemark u.a. Rüdiger: Revolution am Nordwestrand, S. - 43 u. passim. 293 Cf. auch Ungern-Sternberg: Schriftsteller und literarischer Markt, S. - 159 u. 237f. 292 Hilliard: Klopstocks Tempel des Ruhms, S. - 232. 291 Hebeisen: Die Cidli-Oden, S. - 43; cf. auch u.a. Kohl: Friedrich Gottlieb Klopstock, S. - 42ff., Mickel: Gelehrtenrepublik, S. - 89 u. Nadler: Geschichte der deutschen Literatur, S. - 241. 290 Vocelka: Glanz und Untergang der höfischen Welt, S. - 406. 289 Ibid., S. - 19, Nr. 20, 26.11.1795. 288 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Briefe, Bd. IX·1, S. - 2, Nr. 3, 3.3.1795. <?page no="79"?> politischen Diskurs einfordern, wiewohl er ihn auch modellhaft entwickelnd übertrumpft. 298 Er stellt ihn dabei in einen immer weiteren Rahmen, der fast ins Theologische zielt. „Kürzeste Definition von Religion: Unterbrechung“ 299 , schreibt Metz. Man muß in Klopstock den „feurigen Gottesdichter und […] diplomatischen Briefschreiber“ 300 erkennen und anerkennen, eines im anderen. Er ist ferner politische Figur genug, eine Ode, mit der sein französisches Bürger-Diplom zurückgesandt zu haben man dem Dichter unterstellte, untergeschoben zu bekommen; die Urheberschaft an der Ode bestreitet er in der Folge keineswegs nur aus ästhetischen Gründen. 301 Es ist aus alledem zu ahnen, daß die gleichzeitige Rezeption Klopstocks und Voltaires, wie sie etwa in der Wiener Dichtung zeitweise bestand, keinen völligen Widerspruch darstellt. 302 Religion, Pneuma und Demokratie Czechowski schreibt in einer Würdigung der Modernität Klopstocks, jener habe „die Vereinbarkeit von Politik und Poesie“ 303 bewiesen; hinzuzusetzen wäre: Er legt die notwendige Nähe von Politik, Poesie und vielleicht Religiosität nahe. 304 Poesie schafft und unterbricht Relationen - das „fundamentum veritatis“ 305 -, sie ist etwas, das bis in die innersten Begrifflichkeiten der Politik reicht, aber auch jene der Religion, die in Klopstocks Lesart freilich ihrerseits Impetus dieses Fortdichtens ist: Verstörbarkeit. Insofern reicht das biblische Wort spätestens in der Umschreibung in die Demokratie, als deren „pneumatisches Prinzip“ 306 , was zugleich auf einen Gottbegriff rückzuführen verführerisch wie fragwürdig bleibt. Jener Gott ist das, was sich wie Demokratie nicht in sich selbst erfüllt, fetischisiert - als „emblème“ 307 - gerade jenes prekäre Sich verfehlt, das quasi-demokratischer, quasi-theologischer Verbrämung nicht bedarf und diese schwerlich duldet. Transfigurationen der Ontologie Klopstocks 79 307 Badiou: Das demokratische Wahrzeichen, S. - 13. 306 Ratzinger, Maier: Demokratie in der Kirche, S. - 26. 305 Leibniz: Die philosophischen Schriften von Gottfried Wilhelm Leibniz, Bd. VII, S. - 192. 304 Cf. dagegen Bolz: Das Wissen der Religion, S. - 111. 303 Czechowski: Über Klopstocks Modernität, S. - 91; cf. auch Mahr: »Die Regeln gehören zu meiner Materie nicht«, S. - 35. 302 Cf. auch Nadler: Geschichte der deutschen Literatur, S. - 343. 301 Cf. zur Causa Zinn: Viva Vox, S. - 294, Hebeisen: Die Cidli-Oden, S. - 43 sowie Betteridge: Eine von Klopstock verleugnete Ode, S. - 331ff. 300 Berg: Neue Mitteilungen über Klopstocks Aufenthalt in Dänemark, S. - 570. 299 Metz: Glaube in Geschichte und Gesellschaft, S. - 150. 298 Cf. Lichtenberg: Schriften und Briefe, Bd. I, S. - 320, [D 594], Berndt: Die Erfindung des Genies, S. - 25 sowie Kozielek: Klopstocks »Gelehrtenrepublik« in der zeitgenössischen Kritik, S. - 49ff. <?page no="80"?> Der Bürger ist in der Demokratie die ihr wesentliche Unterbrechung, dies ist die Transformation des - messianischen - Genies: ins Demokratische, die bei Klopstock, wie sich schon abzeichnete, anklingt. Dieser Hiatus im Bekennen ist auch dem Umstand geschuldet, daß Klopstock ein Erbe Leibniz’, „der noch einmal […] die Einheit des christlichen Glaubens in seinem Herzen getragen hat“ 308 , ist - eine vernunftgeleitete, nämlich an den Menschen glaubende Interkonfessionalität. 309 Klopstock nimmt mit Freude wahr, daß sein Werk nicht nur Stände, sondern auch und vor allem Konfessionen übergreifend wirkt. 310 Zwar wird verschiedentlich der Messias „auf katholischer Seite […] als ein protestantisches“ 311 Epos identifiziert, doch verfehlt dies Intention und dann auch Wirkung des Werks: Klopstocks durchaus ökumenische „Messiade […] vereinigt als dichterische Offenbarung der Heilswahrheiten Katholiken und Protestanten“ 312 , und zwar programmatisch, dann aber auch realiter, wenn man etwa an den katholischen Kontext um Denis denkt. 313 Der Mensch ist Christ nicht im Sinne einer Partikularisierung, er ist also etwelcher Kirche sie konstituierend nicht fatal einverleibt; ähnlich ist dem demos zugehörig der Mensch stets außerhalb dessen, was er konstituiert; rechtens die Suspension des „Aberwillen(s)“ 314 wollend wiederum dem nicht vollends unterworfen, was er so nicht nur will: stets Mensch auch als Unmensch. 315 Ihm ist das „Gesetz […] verboten“ 316 , er ahnt ein „Recht auf das Nicht-Recht“ 317 . Dies bliebt vom pneuma: der begrifflich stets hilflose Versuch, die Widerständigkeit („résistance du souffle“ 318 ) zu buchstabieren, derer die Demokratie bedarf, der sie aber auch begrifflich ausgeliefert ist. Ist dieser Atem die Zeit und Verzeitlichung der Regierungsform, für die man Demokratie fälschlich hielt, wie auch ihrer Begriffe..? Dies berührt auch die nüchternste „Verwaltungspraktik“ 319 , die Konkretisierung der epoché sein kann und muß, man denke an die Epikie. Als diese oder das, was Politik im Grunde immer ist, beschreibt Rancière ein Ahnen einer „rupture“ 320 : daß 80 Transfigurationen der Ontologie Klopstocks 320 Rancière: Zehn Thesen zur Politik, S. - 13; cf. Badiou: Metapolitics, S. - 7, 24 u. passim. 319 Agamben: Einleitende Bemerkung zum Begriff der Demokratie, S. - 9. 318 Nancy: Un Souffle/ Ein Hauch, S. - 128. 317 Derrida: Das Tier und der Souverän I, S. - 40; cf. ibid., S. - 83. 316 Derrida: Préjuges, S. - 67. 315 Cf. zu Tier/ Verbrecher/ Souverän u.a. Derrida: Das Tier und der Souverän I, S. - 41 u. passim. 314 Balthasar: Theodramatik, Bd. IV, S. - 291. 313 Cf. u.a. Galling et al.: Die Religion in Geschichte und Gegenwart, Bd. II, S. - 458f. u. Bd. III, S. - 1669 sowie Schmidt et al.: Geschichte der deutschen Sprache, S. - 122. 312 Kaiser: Aufklärung - Empfindsamkeit - Sturm und Drang, S. - 21. 311 Muth: Schöpfer und Magier, S. - 40; cf. ibid., S. - 43. 310 Cf. Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Briefe, Bd. VII·1, S. - 30, Nr. 33, 22.5.1776. 309 Cf. auch ibid., S. - 18ff., Thum: Leibniz als ökumenischer Theologe, S. - 88, Betteridge: Klopstocks Wendung zum Patriotismus, S. - 179 sowie Jahnn: Klopstocks 150. Todestag am 14. März 1953, S. - 4. 308 Hochstetter: Gottfried Wilhelm Leibniz, S. - 21. <?page no="81"?> Politik als „Intervention in das […] Sagbare“ 321 sprachkritisch sich als Ort begreift, der denen, die im Moment „nicht zu sprechen“ 322 haben, doch gehört. Das kann das Selbst einbegreifen, das hinter seinen ihm implantierten Interessen und Überzeugungen verstummte, das muß in der Epikie meinen, daß Demokratie - als „Demokratie der Intelligenzen in der tatsächlichen Praxis“ 323 - noch die Exekution als „Beschlagnahmung der Demokratie“ 324 doch wieder einbegreift, das kann schließlich die Politik meinen: Politik ist zunächst Dekonstruktion aller „Vehikel für Entpolitisierung“ 325 ; danach ist sie die Aporie aus Kohärenz und Innovation, die etwa das Wort Text bezeichnen mag. Klopstock selbst schreibt als streitbarer Demokrat zugleich paradox - und hilflos? - vom „Mann […],/ Welcher den Unterdrücker erduldet, und in sich den Vorzug,/ Und die Erhabenheit seiner Tugend und Unschuld empfindet.“ 326 Auch hierin ist jene Unterbrechung gegeben, die Frage, wie man ins Recht setzen könne, was zunächst nur als Irritation gegeben ist. Vielleicht berührt er hierin Goethes Neigung zur Zeit: „Unumschränkte Gewalt, welche in Europa durch Gewohnheiten und Umsicht einer gebildeten Zeit zu gemäßigten Regierungen gesänftiget wird“ 327 , ist dessen Problem und Lösung - womit anders als er indes Klopstock sich, wie sich auch in seinem Streit mit Goethe deutlich zeigt, keinesfalls begnügt. 328 Transfigurationen der Ontologie Klopstocks 81 328 Cf. v.a. Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Briefe, Bd. VII·1, S. - 31, Nr. 34, 29.5.1776, ferner etwa Voß: An Ernestine Boie, Juni 1776, S. - 309 sowie Boyle: Goethe, Bd. I, S. - 284, 330 u. passim. 327 Goethe: Berliner Ausgabe, Bd. III, S. - 215; genauer: er stimmte hierin John Malcolm zu, cf. ibid., S. - 759. 326 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 75, IV. Gesang, V.387ff. 325 Willemsen: Angriff auf die Demokratie, 7: 32-7: 34. 324 Ibid., S. - 31. 323 Rancière: Politik und Ästhetik, S. - 29. 322 Ibid., S. - 21; cf. Rancière: Das Unvernehmen, S. - 30. 321 Rancière: Zehn Thesen zur Politik, S. - 32. <?page no="83"?> Daß ich keinen zugrunde gehen lasse „(E)s ist der Wille dessen, der mich gesandt hat, daß ich keinen von denen, die er mir gegeben hat, zugrunde gehen lasse, sondern daß ich sie auferwecke am Letzten Tag.“ 1 Jesus sagt dies gerade jenen seiner Jünger, die es beeinspruchen. „Was er sagt, ist unerträglich“ 2 , so sagen sie; doch gerade an sie ist sein Wort gerichtet. Dies verkündet gleichsam, daß Jesus also mit ihnen wenigstens streitet, doch dies, so sie in ihrer Abwehr verharren, auch bis an das Ende aller Tage; er ist solidarisch, doch destruiert er das „Apriorische der Ablehnung“ 3 nicht - man ahnt hier, inwiefern jedenfalls für Klopstock Religion zur eschatologischen Politik wird, die ihn im Text zweifach umtreibt: thematisch und etwas dieser Art aktualisierend. Hier wird das Projekt der Politik zu einem inklusiven Heilsgeschehen, jedenfalls potentiell, wider eine Hölle der pervertierten Innerlichkeit, an der der Opponent im Grunde leide; eine Hölle wie jene Miltons, er imaginiert in Paradise Lost diese als unverschlossen, es sei „the Gate [,]/ Wide open and unguarded“ 4 , das vielleicht zu Unrecht oft und auch etwa bei Klopstock verschlossen und unendlich massiv, als „diamantene Pforte“ 5 beschrieben wird, und sei’s zu einer Art Reservat 6 ..: Denn stets ist des Verdammten „hell within him“ 7 , als pathologische Tautologie des Selbst, die Milton wunderbar andeutet: „hell within him, for within him hell“ 8 … Die Grenze zwischen Pathologie und Sünde wird dabei permeabel, zu heilen ist nicht die Zerstörung der Integrität dessen, der sich abkehrt - noch in der Frage, ob Jesu Blut nur „ “ 9 beziehungsweise „ “ 10 , „für viele“ 11 also oder doch alle hingegeben sei, schwingt dies nach: Die Liebe Jesu will wohl die Gnade aller, doch realiter ihrer teilhaftig wird nur der sie Annehmende. Dies ist die Grenze, die schwer auszumessen doch indiziert, daß, wo jenes oder noch eines Tyrannen Blut fließt, darin eine über den Streit hinausgehende Abkehr bestehe, die meint, das Gegenüber habe nun gleichsam „aufgehört […], zu existieren“ 12 ; man muß also nicht das 12 Sommer: Sammeln, S. - 262. 11 Matthäus 26,28 sowie Markus 14,24. 10 Markus 14,24. 9 Matthäus 26,28. 8 Ibid. 7 Milton: The Major Works, S. - 421, Book IV, V.20. 6 Cf. Wöhlert: Das Weltbild in Klopstocks Messias, S. - 23. 5 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 198, Gesang IX, V.751. 4 Milton: The Major Works, S. - 563, Book X, V.418f. 3 Jullien: Schattenseiten, S. - 198. 2 Johannes 6,60. 1 Johannes 6,39. περὶ πολλῶν ὑπὲρ πολλῶν <?page no="84"?> Anliegen besorgter Bürger, als die sich Marodeure gegenwärtig wieder inszenieren, beherzigen, wie auch bei Klopstock keine Eristik besteht, die das Polemische aus dem dann womöglich auch nicht mehr poetischen Text destilliert: Der Streit sei - und bleibe - Bedingung für Wahrheit. 13 Es ist eine aufgehobene Form des Konflikts, die indes den Streit nicht unterschlägt, wie noch der Messias „Ort eines intertextuellen Dialogs […] mit den Stimmen der Bibel“ 14 , also jener einer Auseinandersetzung ist. Diese Valorisierung, die auch aus Klopstocks Argumentation für ein deutsches Wörterbuch spricht, da dieses der intellektuellen Auseinandersetzung zuvörderst dienen soll, zeigt, wie Klopstock das „ […] “ 15 Heraklits aufnimmt und schon in der streitbaren Anlage der Metrik auf die Poiesis zusteuert; Auseinandersetzungen finden sich erst recht in seiner Korrespondenz. 16 Streit ist dabei potentiell ein Wahrheitsspiel, das gänzlich spielerisch freilich ist, wenn die freie Ironie Klopstocks in bezug auf seine Person und sogar Dichtung ihn eine Passage in einem mit Freunden gemeinsam verfaßten Brief billigen läßt, worin es unter anderem heißt, er habe „sich groß geträumet“ 17 … Schon vorher ist bei Klopstock die Gelehrtenrepublik nicht nur ein „Phänomen der Intertextualität“ 18 , sie ist auch und vor allem durch diese dann als das Anliegen, Ideen und Texte mögen miteinander in argumentativem wie polemischem Austausch stehen, geprägt. Diese Verflechtung von Diskursen, um sie sich zu entwinden, sie nicht methodologisch beliebig zu machen, vielmehr ihre Möglichkeiten zu klären, prägt sein Werk. Es verhandelt gläubig noch einen „göttlichen Evidenzmangel[s]“ 19 , wobei Evidenz als Trug einerseits dekonstruiert wird, mit andererseits poetischen Mitteln, die desgleichen evidenzbasiert als Öffnung eben Transgreß von Gegebenem sind, aber etwas vorbringen, dem eine Vorläufigkeit anhaftet: diese freilich objektiviert - und als solche paradox eine bleibende. Geschöpf: Satan - Adramelech - [Schlange]… Satan Die Herausforderung jener Öffnung schlechthin ist die Hölle, ist ferner ihr Epizentrum, das sich bei Klopstock bekanntlich diversifiziert. Satan ist 84 19 Blumenberg: Matthäuspassion, S. - 126. 18 Japp: Zweimal deutsche Gelehrtenrepublik, S. - 263. 17 Ibid., Bd. I, S. - 87, Nr. 53, 12.6.1750; cf. Beutler: Friedrich Gottlieb Klopstock, S. - 166. 16 Cf. etwa Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Briefe, Bd. V·1, S. - 146, Nr. 99, 5.5.1769. 15 Heraklit: [Fragmente], S. - 258, Frgm. 50. 14 Kohl: Friedrich Gottlieb Klopstock, S. - 10. 13 Cf. Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. VII·1, S. - 26. πατήρ πόλεμος πάντων Daß ich keinen zugrunde gehen lasse <?page no="85"?> dabei nur der prominenteste der Teufel. Er ist allzu vertraut und zugleich ein ferner, nämlich auch bei minimaler Distanz sich verkapselnder Operateur von Identität, wo Gott als kybernetische Figuration der kohärenten Überschreitung am ehesten in „der Befremdung […] seine unablässige Nähe (bekundet)“ 20 : „Gott ist als der, der Er ist, unbekannt […], und als dieser Unbekannte ist er gerade das Maß für den Dichter.“ 21 Identisch. - Das diabolische Denken ist darin getroffen, sich nicht erlösbar und erlösungswürdig zu sein, wie etwa Bernhard von Clairvaux schreibt. 22 Darin liegt auch ein pervertierter Stolz des (Sich-)Habens, so ist an den Diener des Gleichnisses Jesu zu denken, der das ihm anvertraute Talent nicht mehrt, sondern vergräbt - damit aber verkennt, daß der auf das Mögliche zielende Gott geradezu eine Veruntreuung durch diese Orthopraxie erfährt und zurecht sagt: „(D)u erntest, wo du nicht gesät hast“ 23 . In dieser Weise vertrackt verfehlter Treue gleicht Kain bei Klopstock denn auch Satan. Es ist bezeichnend, daß der Dichter deutlich Satans „Stirne voller Donnernarben“ 24 erwähnt, die kaum anders denn als Kainsmale gedeutet werden können, wie sie übrigens noch in Lavaters Physiognomik anklingen, wonach „(v)erworrene, stark gegrabene, gegen einander streitende Falten in der Stirn […] Zeichen eines rohen, verworrenen, […] schwer zu behandelnden Charakters“ 25 sein sollen. 26 Goethe läßt derlei nur mehr anklingen, Gretchen sagt von Mephistopheles, es stehe „ihm an der Stirn geschrieben“ 27 , daß er lieblos sei; „die Physiognomie versteht sie meisterlich“ 28 , kommentiert dies jener - doch wie weit hier die Naivität oder aber das intuitiv Richtige des Urteils schlagend sind, dies bleibt immerhin offen. Eine interessante, fast antithetische Diversifikation der Position ist, wie en passant festgehalten sei, jene Kants, der nicht nur betont, daß derlei Stereotypen immer allenfalls gemeiniglich gelten, sondern vor allem der Karikierbarkeit als prononcierter Geschöpflichkeit und Persönlichkeit potentiell 85 28 Ibid., S. - 54, 133 u. 263. 27 Goethe: Berliner Ausgabe, Bd. VIII, S. - 53, 132 u. 262. 26 Cf. auch Dohm: Entchristianisierung und Rechristianisierung des Wissens, S. - 13. 25 Lavater: Von der Physiognomik und Hundert physiognomische Regeln, S. - 72; er ist ferner Verfasser 24 biblischer Gesänge (Jesus Messias oder die Zukunft des Herrn, nach der Offenbarung Johannes’), die von Klopstock nicht unbeeinflußt sind, ist, auch korrespondiert er mit ihm, der ihm persönlich ein Exemplar von der IV. Ausgabe des Messias schenkt und Anerkennung zollt - cf. Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Briefe, Bd. IV·1, S. - 215, Nr. 177, 15.4.1764 sowie ibid., Bd. V·1, S. - 271, Nr. 185, 1.5.1771. 24 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·2, S. - 80, XIII. Gesang, V.528. 23 Matthäus 25,24; cf. Lukas 19,21. 22 Cf. Bernhard von Clairvaux: Sämtliche Werke, Bd. VI, S. - 314, Sermo 61 sowie Genesis 4,13. 21 Ibid., S. - 191. 20 Heidegger: Vorträge und Aufsätze, S. - 195. Daß ich keinen zugrunde gehen lasse <?page no="86"?> Dignität - Erlösbarkeit? - zuweist. 29 Karikierbarkeit ist das, was indes Schlegel einerseits als gerade durch Bildung und Entwicklung behebbar schildert, ihm zufolge ist der „ungebildete Mensch […] die Karikatur von sich selbst“ 30 , was aber andererseits letztlich Grobheit meint, er annotiert, es habe „(e)in großer Satan […] immer etwas Ungeschlachtes [,] und Vierschrötiges“ 31 - wobei er allerdings auch eine diabolische Ästhetik und „diabolische[n] Dichtart“ 32 umreißt, wie sie spätestens ab Mephistopheles nicht zu bagatellisieren sein wird. Der Teufel ist bei Klopstock aber jedenfalls entstellt, zunächst: solange sich der höllische Polylog nicht entfaltet. Die wüst zerfurchte Stirn ist bei Klopstock Verweis auf das Denken und die Denkungsart, das unbedachte Symptom des Denkens, das Symptom unbedachten Denkens. 33 Adramelech Wiewohl der Teufel in sich eingekerkert ist, ist er aber - auch der Doktrin gemäß, daß es kein „summum malum“ 34 , kein „omnium malorum principium“ 35 geben dürfe - nicht einziger Proponent der Hölle. Ihm zur Seite stünde sein scheinbarer Mittler, der, indem er nicht nur Ego ist, sondern stattdessen nur mehr Mimesis, als willenloser Schatten Satans umgeht, der diesen ihn äffend doch überbietet, in den Worten Klopstocks: „Adramelech kam […], ein Geist verruchter als Satan, Und verdeckter.“ 36 Nun ist schon bei Milton Satan unter anderem Beelzebub beigesellt, „than whom, Satan except, none higher sat“ 37 , doch jener Adramelech konkurriert mit Satan, der sich - zum Ärgernis seines diabolischen Mitstreiters - „zuerst zur Empörung […] aufschwang“ 38 , er ist selbstsüchtig mehr denn loyaler Gefolgsmann Satans. 39 Da Satan mit Gott nicht eigentlich verkehrt, ist er es, der die Dynamik im Bösen, so scheinhaft diese ist, darstellt, als Verkörperung des Satzes Kleists, ein Gedanke könne „selbst für einen Teufel fast zu 86 39 Ibid., S. - 29, II. Gesang, V.304. 38 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 29, II. Gesang, V.302. 37 Milton: The Major Works, S. - 383, Book II, V.299f. 36 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 28, II. Gesang, V.300f. 35 Ibid. 34 Thomas von Aquin: Summa contra gentiles, Bd. III·1, S. - 56. 33 Cf. Sloterdijk: Zur Welt kommen - Zur Sprache kommen, S. - 25 sowie Sartre: Gesammelte Werke - Philosophische Schriften I·1, S. - 328. 32 Schlegel: Kritische Schriften und Fragmente, Bd. I, S. - 240; cf. Matt: Die Intrige, S. - 206. 31 Ibid., S. - 235. 30 Schlegel: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, 1. Abt., Bd. II, S. - 174. 29 Cf. Kant: Werkausgabe, Bd. X, S. - 153f., B 59f., A 59 (Anm.). Daß ich keinen zugrunde gehen lasse <?page no="87"?> boshaft“ 40 sein, als Raffinesse, die aber sich zügelt, meisterlich und doch unpoetisch - und zweifelsohne unmessianisch. Er bewohnt „Labyrinthe verborgnerer List, verwirrt zum Verderben“ 41 , so Klopstock, ist als multiple Teufelei Ausdruck der Beliebigkeit der Nicht- Transzendenz, wo diese zunächst das Unorthodoxe und Riskante ist, das aber sich aussetzend stringent sein mag, wo den „konzeptuellen Innovatoren“ 42 des Bösen gerade die Veruntreuung mißlingt - deren scheinbar „significant names, Satan, Devill, Abaddon, set not forth to us any Individuall person, as proper names use to doe; but onely an office, or quality“ 43 … Adramelech will (und könnte) darum Satan in sich aufzehren, ist dieser gewissermaßen schon: und nicht erst, sobald er „Satan entfernet“ 44 hätte. Diese mißratene Orthodoxie weist übrigens auch auf die „spanische[n] Inquisition“ 45 , an die Klopstock bei seinen Teufeln nachweislich dachte, wobei er deutlichere Anspielungen wohl nur um der katholischen Leserschaft willen unterließ. Satan und Adramelech verfließen ineinander; anders wird es mit dem Teufelsdiskurs erst bei Goethe, wo tatsächlich eine innovative Immanenz Mephistopheles in sich multipel werden läßt, wie es die hier noch unvollständige Höllentrias Klopstocks nicht ist. Ironisch läßt Goethe ihn verkünden: „Den Bösen sind sie los, die Bösen sind geblieben.“ 46 Er verbittet sich denn auch, auf jene archaische Erscheinung reduziert zu werden, über welche er bloß verfügte, er sei nicht das „nordische Phantom“ 47 , als das man ihn (v)erkenne. Hierin ist er fast gottgleich, destabilisiert sich und den Text, während Adramelech sich schal perpetuiert, mit Canetti als das immerhin aber Ewige: „Als Teufel ist Gott wirklich unsterblich“ 48 … Gerade diese Permanenz ist freilich auch ihm sein Schrecknis und insgesamt von jenem nicht mehr erhabenen Schrecknis, das Schiller von dieser Kreatur schreiben läßt, sie wecke „in uns eine Empfindung, worin Bewunderung in Abscheu schmilzt.“ 49 Adramelech ist nicht Mephistopheles, der sich als seine theologische Raffinesse transzendierend seine Sache mehrdeutig werden läßt. Vielmehr ist Klopstocks Inquisitoren-Teufel zuweilen geradezu irrational-schwärmerisch, wodurch er nichts vernehmen kann, als doch nur scheinbar „wirklicher Hörer des Wortes“ 50 ..: Was eröffnete das Denkbare 87 50 Barth: Gesamtausgabe, Bd. X, S. - 408; cf. auch etwa ibid., S. - 407ff. 49 Schiller: Sämtliche Werke, Bd. I, S. - 487. 48 Canetti: Das Buch gegen den Tod, S. - 55. 47 Ibid., S. - 102 u. 228. 46 Goethe: Berliner Ausgabe, Bd. VIII, S. - 103 u. 228. 45 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·3, S. - 291, Textgenese IV 1-579. 44 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 43, Gesang II, V.838. 43 Hobbes: Leviathan, S. - 488. 42 Deleuze, Guattari: Tausend Plateaus, S. - 506. 41 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 40, Gesang II, V.721. 40 Kleist: Werke und Briefe in vier Bänden, Bd. I, S. - 178; cf. Alt: Ästhetik des Bösen, S. - 186. Daß ich keinen zugrunde gehen lasse <?page no="88"?> und das Hinhören so radikal wie der Witz Mephistopheles’..? Erfährt er sich nicht genau darum genuin geschöpflich „als eine Frage, auf die er keine Antwort hat“ 51 , wo Adramelech eine maliziöse Expansion Satans bleibt? Dieser gewitzte Antagonist Gottes ist ganz der „gefallenen Engel […] schönster und gescheitester […], der durch den Fall zwar die Schönheit verloren hat, nicht aber den glänzenden Intellekt.“ 52 Schon „Satan betreibt schlechte Mimetik“ 53 , so schreibt Girard, folglich bleibt nur jenes Herrschen, das vermeint, es sei „(b)etter to reign in Hell, than serve in Heaven“ 54 … Satan betreibt also schlechte Mimetik; Adramelech aber schlechtere, falls hier ein Komparativ sinnvoll gebraucht werden kann. Ihrer beider Konzeption von Identität als verhallender Egozentrik - nur mehr dem Verhallen einer zentralen Besessenheit - berührt Hegels Bestimmung des Teufels, der ihn als „Identität mit sich“ 55 beschreibt, ein infinites Ersterben, weshalb diese Formulierung mit Adornos Definition des Todes konvergiert. 56 Auch in der finalen Niederlage Satans, die Klopstock durchaus problematisch nach Motiven der Apokryphen ausmalt, wobei das Nikodemus-Evangelium der Apokryphen am ehesten Referenztext ist - nur dort ist der descensus ad inferos auch kämpferische Niederschlagung der Höllenmacht, ist auch das Wort descensus durch die lateinische Wendung descendere ad vim et arma prinzipiell der Waffengewalt verbunden 57 -, gilt das, ruft doch jener Teufel sein Gegenüber wie erwähnt um Hilfe an, doch dergestalt, daß er ihm das Gebet bloß anträgt. 58 Inwiefern noch das Abwendung ist und die Gewalt Jesu so frei von fast „sadistische[n] Implikationen“ 59 bleibt, wäre zu diskutieren. Die Gewalt - der sie tragende Heilstotalitarismus - ließe sich im Sinne einer Kolonialisierung lesen, in der Tat sind Reiseberichte, die Paradigmen des Reisens wie der Fremde ausformulieren, nicht unähnlich - man lese Georg Forsters Texte, worin Reisen eine Art descensus ist, ins Dunkel, eine bezeichnende Bildlichkeit, da die Sonne ja auch über unentdecktes Land scheint: „Noch war die halbe Oberfläche der Erdkugel von tiefer Nacht bedeckt“ 60 … 88 60 Forster: Werke in vier Bänden, Bd. 2, S. - 120. 59 Agamben: Herrschaft und Herrlichkeit, S. - 196; cf. hierzu auch Bohrer: Imaginationen des Bösen, S. - 242. 58 Cf. Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 203, X. Gesang, V.136f., ferner Kreutzer: »The Sublime, the Grand and the Tender«, S. - 18 sowie Hainz: »Descendere ad vim et arma«, »descensus ad infernos«, S. - 283. 57 Cf. Die Apokryphen, S. - 487f., auch Psalmen 23,7 sowie Loerke: Höllenfahrt Christi und Anastasis, S. - 101. 56 Cf. Adorno: Gesammelte Schriften, Bd. 6, S. - 355 u. 505f. 55 Hegel: Werke in 20 Bänden, Bd. 17, S. - 254. 54 Milton: The Major Works, S. - 362, Book I, V.263. 53 Girard: Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz, S. - 192. 52 Matt: Die Intrige, S. - 314. 51 Rahner: Experiment Mensch, S. - 132. Daß ich keinen zugrunde gehen lasse <?page no="89"?> Das Licht dringt bei Klopstock in Bildern eines enthusiasmierten Entflammens in die Welt, eine Transfiguration des Imperialismus des Lichts, Klopstock spricht von der Schöpfung als einer, die „von des Denkens/ Feuer entflammt“ 61 empfunden wird und ihr Dasein hat… In ihr und jener Urbegeistrung verliert sich, wer sich darum umso gewisser hat. Dennoch bleibt die Frage, ob der Teufel, wenn Gnade seine Assimilation oder Auslöschung bedeutet, nicht in jener „ CERTITUDINE DIVINAE PROVIDENTIAE “ 62 als Widerspruch bestehen bleibt, wo Gott sich als Text am Jüngsten Tage schlösse. Was ist der Lenker aller Dinge, der „gubernator omnium rerum“ 63 , wenn der Jüngste Tag nicht auf ewig je der jüngste ist? Ist nicht nur hierin, sozusagen als Träger einer metaphysischen Prokrastination in Permanenz, Gott/ Heiliger Text für das Geschöpf jene „Freiheit, […], die freier, ungleich freier […] wäre als jene Freiheit, die sich nach der Objektivität bemißt“ 64 ..? Geschöpf und Gegenwort „Im Anfang war das Wort,/ und das Wort war bei Gott,/ und das Wort war Gott“ 65 - „die Monarchie der Sprache war noch vor ihrem Anfang dahin.“ 66 Text hebt mit dem „Gegenwort zum ontotheologischen Grundwort“ 67 an, logos ist hier schon Spiel von logoi, von einem integralen Surplus jener „Mitschöpfung“ 68 oder vorsichtiger Epigenesis, der Mensch lerne mit seinem Gott zu wirken, bis hin zu einem metaphysischen „Netzwerk verschiedener Schöpfungsprojekte“ 69 . „Gott hat den Menschen nicht aus dem Wort geschaffen, und er hat ihn nicht benannt […], sondern im Menschen entließ Gott die Sprache, die ihm als Medium der Schöpfung gedient hatte, aus sich“ 70 , 89 70 Benjamin: Gesammelte Schriften, Bd. II·1, S. - 149. 69 Kluge, Vogl: Soll und Haben, S. - 239. 68 Baumgarten: Die Vorreden zur Metaphysik, S. - 31; „(c)oncreationis“ - ibid., S. - 30; ferner ibid., S. - 43, 108 u. passim; ferner u.a. Nikolaus von Kues: Schriften in deutscher Übersetzung, Bd. XXIII, S. - 4, 6 u. passim, Kant: Werkausgabe in 12 Bänden, Bd. X, S. - 379ff., B 376ff., A 371ff.; Mendelssohn: Gesammelte Schriften, Bd. 3·2, S. - 164, Jaspers: Wahrheit und Bewährung, S. - 213, Bataille: Theorie der Religion, S. - 31 u. passim, Derrida: Transfer, S. - 139, Derrida: Psyché, S. - 56ff. sowie Huber: Leibniz und wir, S. - 130. 67 Ibid.; cf. ibid., passim, Schleiermacher: Schriften, S. - 497 und Hainz: Die Schöpfung - ein Polylog, passim. 66 Hamacher: Für - Die Philologie, S. - 65. 65 Johannes 1,1. 64 Derrida: Privileg, S. - 124. 63 Ibid., Bd. III·1, S. - 262; cf. auch Vogl: Das Gespenst des Kapitals, S. - 41 u. passim. 62 Thomas von Aquin: Summa contra gentiles, Bd. III·2, S. - 60. 61 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. I·1, S. - 332; cf. Klopstock: Oden, Bd. 1, S. - 228. Daß ich keinen zugrunde gehen lasse <?page no="90"?> schreibt Benjamin; inwiefern dieses Dienen der Sprache moderieren soll, was entlassen nun ist, verdiente eine eigene Studie, nur die Gnostik formuliert, daß womöglich „einzig Gott sich vom eigenen Denken lösen kann, durch einen Hiatus, der wesentlich zum Schöpfungsakt gehört.“ 71 Man könnte ebenso sagen, daß in der divinen Sprache Gott „aus dem reinen Gegebensein der Sprache hervorgeht“ 72 , als ihre „metaphysische[n] performance“ 73 , wie Agamben schreibt. Die Sprache wäre in ihrem Schöpfer „nachträglich […] immer schon am Werk im Werk“ 74 … Des Menschen „»Es heiße«“ 75 ist mit Gottes Schöpfung - dem „göttliche(n) »es werde«“: „zärtliche Weise eines Imperativs“ 76 - jedenfalls in dieser Konstellation engst verwandt, es ist der die „Schrankenlosigkeit des Denkens“ 77 ausdrückende „Einsilber »sei«“ 78 , worin sich eine „gottbefugte[n]“ 79 Art von Akt artikuliert, Gott als Logos ist das Sprechende und, wenn Sprache es sein soll, Ge- und Versprochene: Gottes „consubstantiale verbum“ 80 , das jenes auch des Menschen gewesen sein wird - und der Mensch selbst, durch den der „Hiatus, der wesentlich zum Schöpfungsakt gehört“ 81 , geradezu hindurchgeht: immer entstanden, wo „die Selbstaussage Gottes, sein Wort, in das Leere des gott-losen Nichts liebend hinausgesagt wird.“ 82 Ähnlich ist bei Klopstock Gottes Schöpfung wohl punktuell: „Der Ewige schuf sie auf Einmal“ 83 - und doch ist das Gespräch der Seraphe von „angeschaffner Enzückung“ 84 , die etwas von jenem Akt in sich trägt, ihn, mag er auch bereits gegeben sein, doch erfüllend… Dem Schöpfungswort als (Para-)Sentenz folgen Klopstocks „durative(n)“ 85 Textstrategien als Entsprechung der concreatio. Schöpfung ist allein, wenn sie zweifach der - auch eigenen - „Hervorbringung sich entgegen neigend“ 86 sich verhält, wie Karl Philipp Moritz nicht zuletzt in bezug auf Klopstock schreibt. 87 Dies ist 90 87 Cf. ibid., S. - 19 u. passim. 86 Moritz: Die Signatur des Schönen und andere Schriften zur Begründung der Autonomieästhetik, S. - 53. 85 Hainz: Sentenzen und Sequenzen, S. - 155; cf. ibid., S. - 149ff. 84 Ibid., S. - 38, Gesang II, V.650. 83 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 38, Gesang II, V.649. 82 Rahner: Sämtliche Werke, Bd. 26, S. - 216; cf. ibid., Bd. 18, S. - 443 sowie 795 (Anm.). 81 Steiner: Warum Denken traurig macht, S. - 13. 80 Nikolaus von Kues: Schriften in deutscher Übersetzung, Bd. XXIII, S. - 8. 79 Blumenberg: Ein mögliches Selbstverständnis, S. - 46. 78 Ibid. 77 Steiner: Warum Denken traurig macht, S. - 18. 76 Begrich: Immer - am Anfang - das Wort, S. - 76. 75 Blumenberg: Ein mögliches Selbstverständnis, S. - 46. 74 Derrida: Mémoires, S. - 103. 73 Ibid.; cf. ibid., S. - 88 u. passim. 72 Agamben: Das Sakrament der Sprache, S. - 71. 71 Steiner: Warum Denken traurig macht, S. - 13. Daß ich keinen zugrunde gehen lasse <?page no="91"?> das Menschenwerk, ist der Mensch doch zweifach „ein Geschöpf der Sprache“ 88 . Als Geschöpf integriert er in das, erweitert aber auch das, was sein Selbst nie ist, sondern immer sei. „Seid also klug wie die Schlangen“ 89 , lautet ein Jesus-Wort, wobei dieser Anklang von Therio- oder Polymorphie ferner unmittelbar das Bild des Sündenfalls evoziert. Dieses wirkt durch alle fiktiven Qualitäten der Schlange hindurch, wie sie sich etwa im Physiologus finden, Urbild des Teufels sei sie, gerade auch in Klugheit und Sprachvermögen, wofür die jedenfalls amüsante Etymologie „ »Schlange« […] von »der Sprecher«“ 90 aufgeboten wird. 91 Das macht den Menschen zu dem, was Leibniz schon als Monstrosität bezeichnet, diese sei „eine Mittelart zwischen Mensch und Tier“ 92 , sich aber klärend-erklärend, sich demonstrierend, nicht die an der Schlange dann doch auch gezeigte „Schläue, die ein Greuel ist“ 93 … Diese serpentine Intelligenz ist wohl ausgreifende Funktion, aber nicht das Surplus des Textes, das, was fungiere, zu sehen; sie ist reines Denken als Undenken: „Die Erkenntnis, zu der die Schlange verführt, […] ist namenlos“ 94 , so notiert Walter Benjamin, es ist eine Erkenntnis, die nicht(s) adressiert, die wider sich und das, was dieses Sich sein müßte, zuallererst stumm ist. Der Name wäre hingegen Herausforderung seines Regulativs, das ihm aber immer schon inhärent ist..: „Im Augenblick, wo ein Zeichen entsteht, beginnt es damit, sich zu wiederholen. Sonst wäre es kein Zeichen, […], das heißt dieser Mangel an Selbstidentität, der regelmäßig auf dasselbe verweist, […] das seinerseits aus seiner Aufteilung geboren wird. Dadurch, daß sich das Graphem in dieser Weise wiederholt, hat es keinen natürlichen Ort (und kein natürliches) […] Zentrum.“ 95 Der Name verheißt sein telos, aber auch dessen momentanes Verhaftetsein in seiner Konstruktion, jene rekursive wie utopische Verschlaufung, aus dem Falschen formulieren zu müssen - und je bedingt zu können -, was ein poetisches undenkbares Denken ist, in seiner Überspanntheit (oder im Falle des Messias-Dichters vielleicht eher: Verbosität). Name ist, was mit sich die Funktion suspendiert, sie aber auch dem Fungieren anders aufgibt, die göttliche „Namensnennung als Namensverweigerung“ 96 ist das Gotteswort, 91 96 Blumenberg: Arbeit am Mythos, S. - 249. 95 Derrida: Die Schrift und die Differenz, S. - 446. 94 Benjamin: Gesammelte Schriften, Bd. II·1, S. - 152. 93 Jesus Sirach 19,23. 92 Leibniz: Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand, S. - 422. 91 Deleuze, Guattari: Tausend Plateaus, S. - 326. 90 Physiologus, S. - 51, Nr. 30; cf. ibid., S. - 20ff., Nr. 11. 89 Matthäus 10,16. 88 Herder: Bedeutung der Sprache für Mensch und Vernunft, S. - 60. ὂφις ὁ φής Daß ich keinen zugrunde gehen lasse <?page no="92"?> daß „(d)ie Liebe […] in der Über-benennung (besteht)“ 97 : nichts terminologisch bannen zu dürfen vermeint. Dies gilt gerade vom Identischen, das eben dies adressiert nicht mehr ist, zwei- und mehrfacher Referenz zum Trotz es sein will, aber dann auch durch diese, als Spannung, als beispielsweise „Ultra-Eins“ 98 , als Seele, worin, so Klopstock, Kräfte seien: „Die Kräfte unserer Seele haben eine solche Harmonie unter sich, sie fließen, wenn ich es sagen darf, […] beständig ineinander“ 99 . Der Name ist das Beherrschen, das ins Entfalten sich transzendiert, die Bibelübersetzung betreffend. 100 Er ist die - heilige - Option, wider das bloße Objekt zu sein, auch im Umgang mit dem eigenen Selbst, dem der Mensch die Anwaltschaft, die aus der Betreuung des Gartens spricht, in dieser Arbeit gleichfalls angedeihen läßt. 101 Bezeichnend ist, wie Klopstocks Zeitgenosse Johann Friedrich Kind in seinem Gedicht Christus als Gärtner Maria Magdalena den auferstandenen Jesus für einen Gärtner halten läßt, ihn dabei weniger ver- und weit eher doch erkennend. 102 Ohne Zweifel ist „(t)he garden […] a place of many sacraments“ 103 , vorausweisend auf die Bindung, zu der er sich gestaltet - „not just to witness but to enact in a ritual way our abiding ties“ 104 , wie Pollan schreibt -; in diesem Sinne ist der „Garten […] ein Ort der Utopie.“ 105 Tiefergehend weiß davon das Wort creo, das die transitive Form von cresco ist, ein kultivierendes Gedeihenlassen meint, wie Nancy in einer etymo-theologischen Randnotiz darlegt. 106 Dagegen ist das Herrschen wenig gedeihlich, worin eine legitime Autonomieerfahrung sich zuletzt selbst zerstört, Klopstock porträtiert Satan als von Anarchie redenden Hierarchen, der so die Wahrheit im Anspruch schon verliert; als „oberste Gottheit unsklavischer Geister“ 107 bezeichnet sich jener Teufel. Vollends wird diese Spannung in der bis zur denkmöglichen Katharsis und Erlösung avancierten Immanenz Mephistopheles’ bei Goethe kenntlich: Er sei „(e)in Teil der Finsternis, die sich das Licht gebar“ 108 … Entgegen dieser fast dialektischen Autokatastasis ist Klopstocks Satan wie sein loyales 92 108 Goethe: Berliner Ausgabe, Bd. VIII, S. - 191. 107 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 25, Gesang II, V.173. 106 Cf. hierzu Nancy: The Creation of the World or Globalization, S. - 69. 105 Foucault: Die Heterotopien, S. - 15; cf. u.a. Sloterdijk: Du mußt dein Leben ändern, S. - 25 104 Ibid.; cf. auch Mattenklott: Ästhetische Opposition, S. - 283, 290f. u. passim. 103 Pollan: The Botany of Desire, S. - 177. 102 Cf. Johannes 20,15 sowie Kind: Christus als Gärtner, S. - 565f. 101 Cf. etwa Bacon: Of Empire, S. - 72. 100 Cf. Genesis 1,28 sowie Henschel: Gott und die Bibel, S. - 321f. 99 Klopstock: Gedanken über die Natur der Poesie, S. - 194; cf. auch Dierauer: Hölderlin und der spekulative Pietismus Württembergs, S. - 74. 98 Badiou: Das Sein und das Ereignis, S. - 209. 97 Derrida: Auslassungspunkte, S. - 394. Daß ich keinen zugrunde gehen lasse <?page no="93"?> Gefolge der Autophagie anheimgegeben: wie der Ouroboros. 109 Er verfehlt den kombinatorischen „Kreislauf (,) der sich unendlich oft bereits wiederholt hat und der sein Spiel ad infinitum spielt“ 110 - „als ein sich selbst gebärendes Kunstwerk“ 111 , nicht ein in sich kollabierendes, was auch die kurz beschriebene Allegorie des Kreises, dem ein immer komplexeres Vieleck eingeschrieben wird, berührt. Diese ließe sich hier auch als Ultimum eines Bogens variieren: gänzlich Spannung zu sein, anders als der sonst „gar zu handgreifliche[n] Zirkel“ 112 , den man vitiös heißt, ein hermeneutischer Zirkel werdend. Explizit haben diese durchaus tragfähige Spannung solcher (De-)Konstruktionen nach Kleist unter anderem Derrida und - gleichsam in die Dreidimensionalität der Blase transponiert - Sloterdijk formuliert. 113 Szondi führt das paradoxe Bild in die Philologie ein, als eines des Lesens: „Man sage nicht, das Gedicht beschreibe einen Kreis“ 114 ; genau das tut es, doch wäre es falsch, daraus zu folgern, es „kehre zu seinem Ausgangspunkt zurück“ 115 , indem es diese Kreisbewegung vollzieht: „Und es kehret umsonst nicht Unser Bogen, woher er kommt.“ 116 Die Schlange ist der sprechend doch unsprachliche Mensch, sich hybrid unterbietend. 117 Sprache ist, wiewohl der Schlange der „erste Sprechakt“ 118 unter den Geschöpfen zukommt, für sie eine, welche sich nicht auf ihre generische Performanz bezieht, sondern nur einen Mutwillen exekutiert: „Verführung, Persuasion, gelungene Rhetorik“ 119 … Die Schlange sei „spirited“ 120 , schreibt Milton, aber sie ist eben nur dieses Kalkül, sie ist, was satanisch in ihr wirkt, auch in dem Sinne, daß bei Milton Satan als „black mist“ 121 in die Schlange gekrochen ist, freilich eine Lösung, die zugleich sich vom Text der Heiligen Schrift allzu deutlich entfernen 93 121 Ibid., S. - 528, Book IX, V.180; cf. ibid., S. - 528, Book IX, V.187f. 120 Milton: The Major Works, S. - 538, Book IX, V.613. 119 Ibid. 118 Trabant: Europäisches Sprachdenken, S. - 19. 117 Cf. Balthasar: Was dürfen wir hoffen, S. - 105. 116 Hölderlin: Sämtliche Werke, Bd. II, S. - 22. 115 Ibid. 114 Szondi: Schriften, Bd. 2, S. - 387. 113 Cf. Kleist: Werke und Briefe in vier Bänden, Bd. IV, S. - 154 u. passim, Derrida: Zeugnis, Gabe, S. - 63f., Sloterdijk: Sphären, Bd. III, passim u. Hainz: Bió-graphie, passim. 112 Schlegel: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, 1. Abt., Bd. II, S. - 364. 111 Ibid., Bd. XII, S. - 119. 110 Nietzsche: Sämtliche Werke, Bd. XIII, S. - 376. 109 Roob: Alchemie & Mystik, S. - 38, 170, 330f., 342ff., 348 u. 542. Daß ich keinen zugrunde gehen lasse <?page no="94"?> mag. 122 Was immer sie aber ist, und warum auch immer sie es ist: Sie ist womöglich nicht einmal „verteufelt human“ 123 . Dagegen steht - Klopstocks Messias betreffend sozusagen symmetrisch 124 - die Erlösung, „man’s first disobedience“ 125 und die daraus folgend sündige Menschheit werden widerlegt, das Konzept erfährt durch seine Wiederholung ein Umschreiben. Das, was dabei eine Spiegelung durchmacht, die nicht nur das ist, ist bei Klopstock nur quasi-teichoskopisch und im Korrespondieren des Messias mit dem paradigmatisch entgegengestellten Trauerspiel Der Tod Adams deutlich ausgeführt. 126 Dieser kann für sich kaum stehen: Hier sei „keine einzige Veränderung, die nicht der Zuschauer mit Gewißheit vorhergesehen“: „Nichts als der trockene Stoff; Adam stirbt, und alle seine Angehörigen sind äußerst darüber betrübt“ 127 , schreibt Moses Mendelssohn; das Problem ist auch Klopstock bewußt, er schreibt sogar, es sei dies ein Stück, das, so berechtigt es sei, doch „nicht aufs Theater gehöret.“ 128 Dieser eine Adam wird im anderen vollendet, „et sicut in Adam omnes moriuntur ita et in Christo omnes vivificabuntur“: „Denn wie in Adam alle sterben, so werden in Christus alle lebendig gemacht werden.“ 129 Es ist ein Verhältnis geradezu von Frage und Antwort, wobei erst die Antwort das Fragliche hervorkehrt, vielleicht auch an allem Text, sich inbegriffen: Erst mit der Fragliches eröffnenden Antwort kommt das Nichts in die Schöpfung, „Realität der Negation“ 130 und „Realität der Antwort“ 131 sind untrennbar. Von da an ist das Sein dadurch göttlich, daß es sich Gott gegenüber situiert, Gott nicht beläßt, um vielleicht zu Gott durchzudringen, der aber womöglich diese fortwährende Öffnung selbst bleibt, jedenfalls als Gott „nicht die geringste Spur der göttlichen Schöpfung bewahrt.“ 132 Die Verbosität dessen, was dem sich entfaltenden Gott annähert, ihn nicht nennt, sondern ergänzt, ist noch Hinweis, wenn Gott „keinerlei Hinzufügung“ 133 zuteil werden kann: „Hoc enim esse, quod Deus est, huius conditionis est, ut nulla additio sibi fieri possit“ 134 . Gott ist das Instabile im 94 134 Ibid.; cf. auch Franz et al.: Lexikon philosophischer Grundbegriffe der Theologie, S. - 19. 133 Thomas von Aquin: Über das Sein und das Wesen, S. - 53. 132 Ibid., S. - 40; cf. auch Maimon: Versuch über die Transzendentalphilosophie, S. - 134 sowie Fichte: Schriften zur Revolution, S. - 59. 131 Ibid. 130 Sartre: Gesammelte Werke - Philosophische Schriften I·3, S. - 52. 129 1 Korinther 15,22. 128 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. V, S. - 6. 127 Mendelssohn: Rezension, S. - 37. 126 Cf. Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. V, S. - 14, I. Handlung, 7. Auftritt. 125 Milton: The Major Works, S. - 356, Book I, V.1. 124 Cf. Kohl: Friedrich Gottlieb Klopstock, S. - 74. 123 Goethe: Berliner Ausgabe, Bd. VII, S. - 925; cf. ferner Adorno: Gesammelte Schriften, Bd. 11, S. - 495ff. 122 Cf. Flasch: Eva und Adam, S. - 82. Daß ich keinen zugrunde gehen lasse <?page no="95"?> Denken, welches durch Gott/ Gott angetrieben wird: Gott wiederum Garant des Provisorischen in Gott; in diesem sei „(d)er einzige Haltepunkt […] die Leere.“ 135 Das Fragliche wird vernommen; Antwort und Verantwortung implizieren, „dass der Gefragte die Frage zurückgibt […], dass man mehr als einen Satz sagt, dass man die Frage einrahmt“ 136 - diese Lektüre als von Gott ermöglichte setzt alles in Gang, eine „Geburt der Zeichen“ 137 und „Geburt des Lesers“ 138 : zu bezahlen „mit dem Tod des »Autors«“ 139 , auch jenes scheinbar schlechthinnigen, der zuallererst seine eigene Apokatastasis bleibt, sich immer neu aktualisiert, eine andere/ lebendige/ non-triviale Selbstgleichheit also. 140 Dieser oszillierenden Selbstbezüglichkeit entspricht allein jene Beziehung, in der der schlechthinnige Leser Jesus „dem Vater die ganze Gottheit zurückschenken kann“ 141 . Wieder also der Hiatus. Inspiration ist vielleicht das Zaudern, auf daß die „Feder sich nicht übereile“ 142 ; textuell aber in der Folge das, worum es Jesus geht. Ein nicht uninteressantes Indiz für die Sprachlichkeit der Schöpfung Gottes bei Klopstock ist neben seiner „Metaphysik der Metrik“ 143 übrigens der Umstand, daß die Orgelmusik als „vom Worte losgelöste[n] Musik“ 144 von ihm im Gegensatz zu etwa Harfen und Posaunen - „den Gesang begleitende(n) Instrumente(n)“ 145 - wenig beachtet worden sein dürfte. Reueteufel, Teil 1 Die Abwendung vom vorgeblichen Sein und Zuwendung zum Möglichen ist eine und vielleicht sogar die zentrale Option im Messias Klopstocks. Dies gilt wie erwähnt von der Schöpfung, die darum unvollendbar vollendet und jenseits einer Perfektabilität ist - und vor allem wird. Dies gilt auch für das Fatum Abbadonas; er scheint unrettbar seinem Dasein als Teufel verbunden, aber er ist Teufel und kann doch wieder Engel werden: „Komm, Abadona [sic! ], zu deinem Erbarmer! “ 146 95 146 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·2, S. - 241, XIX. Gesang, V.193. 145 Ibid. 144 Koller: Klopstockstudien, S. - 20. 143 Menninghaus: Klopstocks Poetik der schnellen »Bewegung«, S. - 306. 142 Goethe: Berliner Ausgabe, Bd. VIII, S. - 187; cf. auch Vogl: Über das Zaudern, passim. 141 Balthasar: Der Mensch und das Ewige Leben, S. - 363. 140 Cf. etwa Barth: Einführung in die evangelische Theologie, S. - 17. 139 Ibid.; cf. auch Sartre: Gesammelte Werke - Philosophische Schriften I·3, passim. 138 Barthes: Das Rauschen der Sprache, S. - 63. 137 Hogrebe: Ahnung und Erkenntnis, S. - 73. 136 Derrida: Eine gewisse unmögliche Möglichkeit, vom Ereignis zu sprechen, S. - 15. 135 Badiou: Ethik, S. - 40. Daß ich keinen zugrunde gehen lasse <?page no="96"?> Das ist mehr als eine „göttliche Einzelkorrektur“ 147 ; vor der Möglichkeit erscheint das kontinuierliche Sein einer Relektüre unterziehbar, Abbadona verliert sich - sich lesend - als Produkt oder Objekt seiner selbst, er ruft: „Nun muß ich vergehen! “ 148 Er muß, was er darf, eine philologische Exerzitie, die zuallererst die Wortwahl transformiert: „O dürft’ ich es wagen,/ Schöpfer ihn niedersinkend zu nennen“ 149 … Sprachmächtig sieht er sozusagen den Hiatus zwischen Abbadona und abandonné. Diese Macht liegt im der Machtlosigkeit Gottes nicht nur motivisch korrespondierenden Beten, ohne das Erhörung und Erlösung nicht stattfinden können, entbehrten sie so doch dessen, dem sie stattgeben. Wo das Geschöpf betet/ bittet/ liest, würden „alle unsere wahren Wünsche […] in Erfüllung gehen“ 150 , schreibt fast provokant Girard. Doch noch eine weitere Forcierung der Gnade, nämlich jene, alles von Gott erlösen zu lassen, eine göttliche Möglichkeit und in der Folge wohl auch „Pflicht […], Menschen vor den Konsequenzen ihrer Entscheidung zu schützen“ 151 , denkt Klopstock an, denn Gott kann schwerlich eines „seiner Geschöpfe unaufhörlich elend sein“ 152 zu lassen einwilligen, wie Mendelssohn formuliert. Diese Gnade ist womöglich aber die therapeutisch sich gerierende Gewalt der erwähnten Katabasis-Imaginationen, würde sie auch gerne die Transzendenz dieser Phantasmen einer christlichen Kolonialisierung der Schöpfung leisten. Zumindest schwingt in einer so imaginierten Vergebung eine sublime Form von Verachtung mit, welche etwa Schiller konstatiert: „Deine Muse besingt, wie Gott sich der Menschen erbarmte, Aber ist das Poesie, daß er erbärmlich sie fand? “ 153 Erbarmungslos ist die Tilgung der Hölle - und nicht nur im Sinne des rhetorischen Glanzstücks von Pastor Moser, der in Schillers Räubern Franz belehrt, nicht einmal in die Hölle ließe sich noch flüchten… 154 Judas In der Behandlung Judas’ wiederholt sich all das, am Grauen, daß ein Jesus derart Naher den Sohn Gottes verrät, haftet wie am Verrat Gottes durch seine Engel ein allzu „erschreckendes Geheimnis“ 155 . Während Judas in der 96 155 Nigg: Große Unheilige, S. - 83. 154 Cf. ibid., S. - 605f. 153 Schiller: Sämtliche Werke, Bd. I, S. - 259. 152 Mendelssohn: Schriften über Religion und Aufklärung, S. - 441. 151 Berger: Von der Schönheit der Ethik, S. - 15. 150 Girard: Hiob, S. - 210. 149 Ibid., Bd. IV·1, S. - 41, II. Gesang, V.791f. (Hervorhebung von mir, M.H.). 148 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·2, S. - 240, XIX. Gesang, V.170. 147 Hurlebusch: Friedrich Gottlieb Klopstock, S. - 35. Daß ich keinen zugrunde gehen lasse <?page no="97"?> Bibel Verräter des Erlösers und Katalysator der Erlösung zugleich, vielleicht also nur „der vermeintliche Verräter“ 156 des Heiland ist, ihm jedenfalls die Rezeption eine ambivalente Rolle zuweist, angefangen bei den Kainiten, weist Klopstocks Deutung ihm letztlich doch eine eindeutige Rolle zu. Er beschreibt Ischariot, der wie ein „Erobrer“ 157 stolz „zur Schlacht“ „(e)ilt“ 158 , voll „Grausamkeit“ 159 , die „ihm das Gefühl der Menschenliebe betäubte“ 160 , schildert er auch andererseits, daß Judas seinen Messias nicht preisgeben will, sondern jedenfalls in Momenten an eine Erfüllung von dessen Rolle glaubt, sie zumindest nachdrücklich einräumt, indem er den Verrat beschließt. „So weiß er ja selbst schon, Sagt’ er in sich, da er Jesus, der eilt’, in der Ferne noch nachsah, Daß ihm ein Tag der Finsterniß droht! So wird er auch wissen, Wie er seinen Verfolgern begegnen, und unüberwindlich, Was er anfing, endigen soll.“ 161 So formt sich die Handlung; dennoch ist das Urteil Klopstocks über den von ihm gezeichneten Judas dann recht eindeutig: „Du willst ihn verrathen! “ 162 Für eine Umdeutung oder wenigstens Nuancierung Judas’ spräche dabei einiges, das in den Messias doch eingeht. Zu erwähnen wäre auch unter anderem der - in der Bibel selten semantisch irrelevante - Rekurs, hier: im Motiv der dreißig Silberlinge. Auch Sacharja wurden für eine Handlung, die nun eindeutig ein Dienst an Gott war, dreißig Siberlinge, um ihn in seiner Gottestreue zu demütigen, gegeben; auch er warf diesen Lohn in den Tempel des Herrn. 163 Ein Unbehagen an der Verurteilung Judas’ bleibt - und noch wenn man den Akzent ganz auf den Verrat legte, wäre doch einzugestehen, daß Judas’ „Motiv […] undeutlich“ 164 ist. Judas mahnte aber noch als der verkommenste Verräter womöglich ein, daß Erlösung alles betreffe; noch Satan trägt schon durch seine Erlösungsbedürftigkeit „selbst zum Sieg des Erlösers bei“ 165 . Jedenfalls ist es aber gerade an Judas eine Eigenwilligkeit wider die Sprache, ein Sich-Verschließen - figurativ wider die Träume, worauf noch zu kommen ist -, was ihn momentan dem entkoppelt, woran er wie auch immer teilhat. Dies ist seine Hölle, noch nicht einmal eine Hölle zu 97 165 Müller: Die Gestalt Lucifers in der Dichtung vom Barock bis zur Romantik, S. - 52; cf. hierzu Muncker: Friedrich Gottlieb Klopstock, S. - 90 sowie Beutler: Friedrich Gottlieb Klopstock, S. - 166. 164 Unnik: Iskarioth, S. - 781; cf. Cohn-Sherbok: Who’s Who in Christianity, S. - 160. 163 Cf. Sacharja 11,4 u. 11,13. 162 Ibid., S. - 63, Gesang III, V.719. 161 Ibid., S. - 63, Gesang III, V.714ff. 160 Ibid., S. - 81, Gesang IV, V.608. 159 Ibid., S. - 81, Gesang IV, V.607. 158 Ibid., S. - 81, Gesang IV, V.606. 157 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 80, Gesang IV, V.605. 156 Langenhorst: Theologie & Literatur, S. - 102. Daß ich keinen zugrunde gehen lasse <?page no="98"?> haben, ein von Schiller variiertes Geschick, noch nicht einmal vergehen zu dürfen: Der Messias wird als der „Furchtbare“ 166 eingeführt; flüchten, beten 167 und schließlich sterben wollen wie erwähnt die vom Sohn Gottes zermalmten Teufel: „(K)ein Tod erbarmte sich ihrer! “ 168 Ob dies Grausamkeit ist, oder ein Aufschub, dessen Entsetzlichkeit die der Sprache jener Teufel ist, ist aus dem Werk kaum beantwortbar, worauf Klopstocks Hoffen zielt, ist indes zu ahnen. So pittoresk manches gerade hier ist, so ungehemmt hier „Klopstocks Schöpfertum“ 169 und so klar das Urteil wider Judas - „Ewiger Tod dir! Du hast den Gottversöhner verrathen,/ Hast dich wider Jehovah empört, und dich selbst getödtet! “ 170 -: Zuletzt bleibt die Frage doch offen. Die „Verbrecher,/ Diese lautesten Zeugen des Falls der Sterblichen“ 171 , sie müßten schon aus dieser Formulierung Klopstocks exemplarische Menschen, für die es nicht nur die Verdammung gibt, sein. Wie alle Konstellationen führt Judas den Leser von sich fort, von seiner Gestalt, zu einem Duktus, nämlich jenem der geheiligten Poesie, von der Klopstock schreibt, sie sei „ganz unfähig, uns durch blendende Vorstellungen zum Bösen zu verführen“ 172 , denn sobald „sie das tun wollte, hört sie auf zu sein, was sie ist.“ 173 Sie ist Gnade, sie ist nicht Prinzip, es sei denn: jenseits dessen, was Prinzip ist, also dieses in einer genuinen Entfaltung. Jene Gnade, daß Jesu Blut „ “ 174 beziehungsweise „ “ 175 , also für viele hingegeben werde, läßt sich denkerisch nicht zur Hingabe radikalisieren: „Es ist Häresie, omnes immer mit »alle« zu erklären“ 176 , schreibt Pascal zu dieser Spannung zwischen universellem Heilswillen und Freiheit, die jedem Heil integral sein mag. Dennoch ist ohne Zweifel ist „das Apokatastasis-Denken […] in Werken Klopstocks (ein) virulent(es)“ 177 Problem, im Messias mehr als bloß andeutungsweise, in der Hymne Die Glückseligkeit Aller desgleichen kaum übersehbar; im Gedicht, 98 177 Dohm: Radikalpietistin und »schöne Seele«: Susanna Katharina von Klettenburg, S. - 130 (Anm.); cf. auch Mickel: Der gefühlsmäßig-religiöse Wortschatz Klopstocks, S. - 44f. u. passim; kaum vertretbar ist die eloquent vorgetragene Gegenposition bei Auerochs: Die Entstehung der Kunstreligion, S. - 148. 176 Pascal: Gedanken, S. - 346; cf. Berger et al.: Bilder des Himmels, S. - 217; cf. zum sola gratia- Prinzip Römerbrief 3,21-28 sowie u.a. Balthasar: Kleiner Diskurs über die Hölle, passim. 175 Markus 14,24. 174 Matthäus 26,28. 173 Ibid. 172 Klopstock: Gedanken über die Natur der Poesie, S. - 191. 171 Ibid., S. - 194, Gesang IX, V.579f.; cf. auch Balthasar: Kleiner Diskurs über die Hölle, S. - 35. 170 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 145, Gesang VII, V.237f. 169 Walzel: Klopstock, S. - 48; cf. auch u.a. Kayser: Das sprachliche Kunstwerk, S. - 357. 168 Ibid., Bd. IV·2, S. - 188, Gesang XVI, V.601. 167 Cf. ibid., Bd. IV·1, S. - 203, Gesang X, V.136f. 166 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·2, S. - 188, Gesang XVI, V.599. περὶ πολλῶν ὑπὲρ πολλῶν περὶ πάντω ν Daß ich keinen zugrunde gehen lasse <?page no="99"?> das schon den Titel betreffend kaum noch exegetischen Raum läßt, wird die Formulierung riskiert, es werde „für alle, die fielen“ 178 , eine Erlösung geben: „Quell des Heils! ewiger Quell ewiges Heils! Welcher Entwurf von Seligkeiten, Für alle, welche nicht fielen! Und für alle, die fielen! “ 179 „Nun, nun ist gewehrt der Übertretung! die Sünde/ Zugesiegelt! “ 180 , so heißt es im Messias in einem ähnlich prekären Sinne, im abschließenden Gesang ist gar die Rede von jenem, „Den noch Alle kennen, dem Alle noch danken werden,/ Aller Freudenthränen noch weinen“ 181 - so exemplarisch, daß noch Gustav Mahler für seinen Schlußchor Auferstehn, ja auferstehn wirst du mein Herz auf Klopstock rekurriert. 182 Das Pastose des Gemäldes eines Heilstotalitarismus ist eine Krise des Werks. Dieser seltsamen Durchdringung könnte man allein dahingehend stattgeben, daß sie just das denkt, was „als das Unmögliche“ „möglich“ 183 ist… Wenn erst nach Gott Gott ist, dann ist auch für die Schöpfung keine Möglichkeit zu verwerfen. Sie selbst wäre in ihrer Eigentlichkeit diesem Gott ja verbunden, in der bleibenden Körperlichkeit Jesu, die auch Klopstock betont, in den Versen des XX. Gesangs, wo es an so prominenter wie exponierter Stelle heißt: „Indem betrat die Höhe des Thrones/ Jesus Christus, und setzete sich zu der Rechte des Vaters.“ 184 Er ist Materialisation als eine bleibende, die Botschaft des Nicht-Aufgehens, das rettbar und gerettet sein mag - den Engeln gleich eine botschaftslose Irritation: „Stellen Sie alles zusammen, was die Engel der Bibel sagen - die doch angeblich beauftragt sind, »Botschaften zu überbringen« -, und Sie erfahren […] fast gar nichts. Der Informationsgehalt dieser zahllosen Anweisungen bleibt nahe Null, sofern sie nicht in gelehrten Schriften […] umgedeutet werden. Denn die Engel überbringen keine Botschaften“ 185 … Engel, die Engel sind, sind „geheime[n] Engel“ 186 , ihre Diskretion ist, daß ihre „»Flügel« […] in der Tat Anführungszeichen“ 187 sind. Was sagten Engel 99 187 Röttgers: Die Physiologie der Engel, S. - 45. 186 Derrida: Genesen, Genealogien, Genres und das Genie, S. - 27; cf. auch etwa Serres: Die Legende der Engel, S. - 104 sowie Michel: Von Eulen, Engeln und Sirenen, S. - 234. 185 Latour: Jubilieren, S. - 49; cf. ibid., S. - 161 u. passim. 184 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·2, S. - 299, XX. Gesang, V.1186f. 183 Derrida: Aporien, S. - 126; cf. ibid., S. - 115f. u. passim. 182 Cf. Ratz: Gustav Mahler, S. - 273. 181 Ibid., S. - 299, XX. Gesang, V.1180f. 180 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·2, S. - 73, XIII. Gesang, V.258f. 179 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. I·1, S. - 191/ Klopstock: Oden, Bd. 1, S. - 141. 178 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. I·1, S. - 190f./ Klopstock: Oden, Bd. 1, S. - 141. Daß ich keinen zugrunde gehen lasse <?page no="100"?> über Gott? - Womöglich: „Nie treff ich, wie ich wünsche,/ Das Maß“ 188 … Die Schöpfung und Gott sind als unausschöpfliche zuletzt ganz adäquater Gegenstand der Dichtung, die sich auf den (Noch-)Nicht-Gegenstand beziehen soll. 189 Das Poem, das Gottes „großen Gedanken“ 190 der „Schöpfung noch Einmal denkt“ 191 , ist zweifach auf dieses Erhabene bezogen. Zum einen ist die Schöpfung in der Heilsgeschichte, die den Schöpfungsakt prozedural fortführt und den Geschöpfen aufgreifbar macht, thematisch gegeben. Zum anderen heißt es: „Jeder Gedanke, mit dem du dich selbst, o Erster, durchschauest, Ist erhabner, ist heiliger, als die stille Betrachtung, Auf erschaffene Dinge von dir hernieder gelassen“ 192 - ein Gedanke Leibniz’ zunächst, daß die Welt in Deleuzes Worten irreduzibel, „eine unendliche Reihe der Krümmungen oder Inflexionen“ 193 , gleichwohl je „unter einem Gesichtspunkt in die Seele eingeschlossen“ 194 sei: sich so als Ganzes (auch der darin je irreduziblen Seelen) konstituiere. Die Spannung, die hierin liegt, in der Reziprozität dessen, was sich wie völlige Entfaltung und höchste Faltung ausnimmt, rührte an den heiligen Gedanken, sie realisiert der Poet, der damit so etwas wie ein heiliger Häretiker an Gottes Welt und ihrer Offenbarung ist, sie und sich jener „Nachreife auch der festgelegten Worte“ 195 anheimgebend. Erscheint noch Jesus - im Messias Klopstocks: expressis verbis - als „mächtiger Redner“ 196 , so ist der rhetorische Effekt doch immer vor allem von einer auch dekonstruktiven Schönheit, wandelt das sprachliche Feuerwerk sich also von einer Pyrozu einer Pyrrho-Technik… 197 Das Wort ist Vektor aufs noch Wortlose; zugleich vergleicht Klopstock „das Wortlose“ 198 mit den homerischen Göttern, es ist eine unmerkliche Bewegung in dem, was die Worte ordnet; und das darin Gelegene ist am ehesten die Epiphanie jedenfalls Klopstocks Gottes. Der Geist, der „den großen Gedanken/ Deiner Schöpfung noch Einmal denkt“ 199 , denkt ihn neu, wie er Gott dekonstruiert, in den scheinbar „außer- 100 199 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. I·1, S. - 95/ Klopstock: Oden, Bd. 1, S. - 83. 198 Klopstock: Gedanken über die Natur der Poesie, S. - 172. 197 Cf. auch Pascal: Gedanken, S. - 375; ferner etwa Cohen: Religion der Vernunft, S. - 78. 196 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 141, Gesang VII, V.92. 195 Benjamin: Gesammelte Schriften, Bd. IV·1, S. - 12. 194 Ibid.; cf. ibid., S. - 36 u. passim. 193 Deleuze: Die Falte, S. - 45. 192 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 7, I. Gesang, V.256ff. 191 Ibid. 190 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. I·1, S. - 95/ Klopstock: Oden, Bd. 1, S. - 83. 189 Cf. Klopstock: Gedanken über die Natur der Poesie, S. - 168. 188 Hölderlin: Sämtliche Werke, Bd. II, S. - 164. Daß ich keinen zugrunde gehen lasse <?page no="101"?> vernünftigen Gedanken“ 200 vorstößt, den das Werk Klopstocks nicht behauptet - dem es vielmehr Sensorium ist. Gott ist in dieser Konstellation also nicht Grund, er steht für die Vorläufigkeit dessen, was als Gott - wenn auch vortrefflich, so doch immer nur momentan - fungiert..: „L’adoration contraste avant tout avec la réduction.“ 201 Man könnte in der Folge sagen, Klopstocks Werk weise auf das „principium sine principio“ 202 , „das Messianische ohne Messianismus“ 203 , das, indem das Kommende in ihm nicht präfiguriert und als Kommendes darum fast dissimuliert ist, mit dem Messianismus erst Ernst macht: „Gott als Vorbereitung zu etwas viel Unheimlicherem, das wir noch gar nicht kennen“ 204 , notiert Canetti. Sich lesend - „Dichter-Leser“ 205 - schreitet er voran, in Versfüßen, in einer „Rhetorik des Gehens“ 206 . Bei Klopstock findet sich darum der allem in dieser Konstellation beigebene Imperativ der Skepsis: „Verlerne/ Mich zu bewundern! “ 207 Nur ein solcher Gott gleichsam des Adressierens kann Abbadona zu sich rufen: „Komm, Abadona [sic! ], zu deinem Erbarmer! “ 208 - Das Problem ist bei dieser prekären Szene nicht Abbadonas erneute Aufnahme, also keineswegs „ohne Versöhner“ 209 zu sein, der selbst der Schöpfung sich zuwendet, die seiner nicht mehr eingedenk schien. 210 Das Dilemma besteht vielmehr darin, daß die Schau Gottes für den Menschen und noch mehr den Engel, der auf einem anderen Niveau der Gottesschau steht - „(w)enn uns ein Engel einmal aus seiner Philosophie erzählte, […] es müßten wohl manche Sätze so klingen als wie 2 mal 2 ist 13“ 211 , schreibt Lichtenberg -, „ultima felicitas“ 212 , die letzte und höchste Glückseligkeit sein müßte, also der Abfall des Engels kaum denkbar ist, da jene, die Gottes ansichtig wurden, im Grunde „in perpetuum eum videbunt“ 213 , von diesem Innewerden, dieser Schau nicht ablassen werden. Aber vielleicht drückt sich vielmehr hierin die Textualisierung noch des 101 213 Ibid., S. - 250 (im Original in Kapitälchen, M.H.); cf. ibid., S. - 258. 212 Thomas von Aquin: Summa contra gentiles, Bd. III·1, S. - 136. 211 Lichtenberg: Schriften und Briefe, Bd. I, S. - 109, [B 242]. 210 Cf. Freivogel: Klopstock der heilige Dichter, S. - 46f. 209 Ibid., Bd. IV·1, S. - 42, II. Gesang, V.815. 208 Ibid., Bd. IV·2, S. - 241, XIX. Gesang, V.193. 207 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 149, Gesang VII, V.405f. 206 Certeau: Kunst des Handelns, S. - 192. 205 Szondi: Schriften, Bd. 2, S. - 365. 204 Canetti: Aufzeichnungen 1942-1985, S. - 188. 203 Derrida: Marx & Sons, S. - 88. 202 Nikolaus von Kues: Schriften in deutscher Übersetzung, Bd. XXIII, S. - 10. 201 Nancy: L’Adoration, S. - 102; cf. ibid., S. - 48 u. passim. 200 Kaiser: Denken und Empfinden, S. - 11; cf. auch ibid., S. - 10ff. u. 17, Kaiser: Klopstock, S. - 288f. u. passim und - die Transzendenz differenzierter als Kaiser denkend - Hogrebe: Ahnung und Erkenntnis, passim. Daß ich keinen zugrunde gehen lasse <?page no="102"?> Himmels aus: daß auch Engel in die Mühe der Dekonstruktion Gottes involviert sein mögen, in den „Schauer vor dem dämonischen Rätsel“ 214 , der nicht nur Teufeln vorbehalten ist, und in die Lektüre von Versepen… Blasphemierisiko - und Klopstocks problematische Vorkehrungen Im Bild gegeben ist eine Grausamkeit wie eine Gnade, die beide ins Totale progredieren, eine prekäre Bildlichkeit, die, ehe ihr teils noch nachgegangen sei, dahingehend thematisiert sei, daß sie Klopstock Anlaß gab, seine „aus theologisch-zeitgenössischer Sicht problematische Inanspruchnahme des Bibeltextes“ 215 zu entschärfen; immerhin schreibt etwa Schlegel vom Unmut mancher über die Praxis, „biblische Historien in ein Homerisches Epos zu travestieren“ 216 … Der Dichter nimmt diese Irritation wahr, worauf angesichts der Frage, wie sich Klopstock selbst inszenierte, etwa gegenüber Bodmer, noch eingegangen wird, die aber in bezug auf den Text teils zu reduzieren sucht. Dies zunächst, indem sich bei Klopstock zuletzt verschiedentlich „nahezu wörtlich nach Luthers Übersetzung wiedergegebene Stellen“ 217 finden. In den Kommentaren der Hamburger Klopstock-Edition ist eine mit Understatement als unvollständig deklarierte, aber beeindruckend umfassende Liste der biblischen Belege erarbeit worden, die diese Praxis, besteht auch stets „ein unbestimmbarer Ermessensspielraum“ 218 , wunderbar nachweist, die einerseits Bibelnähe garantieren soll, andererseits aber auch den - durch und durch säkularen - Grund hat, daß Klopstock Luthers Sprachleistung bewundert. 219 So hat Klopstock phasenweise neben Luther auch Milton dem Messias eingearbeitet, geradezu „unmittelbare Übernahmen aus »Paradise Lost«“ 220 gewagt, wenngleich sich diese Praxis schließlich verliert. 221 Er versucht aber doch vor allem, durch jene Wörtlichkeit und dann auch einschlägige Requisiten sowie nicht zuletzt eine Rückführung auf fast schon 102 221 Cf. ibid.; ferner auch ibid., passim. 220 Höpker-Herberg: »Paradise Lost« und »Messias«, S. - 52. 219 Cf. ibid., S. - 312ff. sowie Bd. VII·2, S. - 8, Textteil I,1, ferner Haufe: Zu Klopstocks Begriff »Geist Schöpfer« (Messias I 10), S. - 43 u. passim. 218 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·6, S. - 312. 217 Krummacher: Bibelwort und hymnisches Sprechen bei Klopstock, S. - 157; cf. auch Funk: Erläuterungen zu Klopstocks »Messias«, S. - 12ff. 216 Schlegel: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, 1. Abt., Bd. II, S. - 203; cf. auch u.a. Martens: Literatur und Frömmigkeit in der Zeit der frühen Aufklärung, S. - 170ff. u. passim, Schrader: Die Literatur des Pietismus, S. - 394 sowie Sauder: Klopstock, S. - 10957f. 215 Pape: Klopstock, S. - 62. 214 Müller: Die Gestalt Lucifers in der Dichtung vom Barock bis zur Romantik, S. - 51. Daß ich keinen zugrunde gehen lasse <?page no="103"?> katechetische Illustrationen manche Provokation zu minimieren: durch die Bilder, die er jener Transzendenz beraubt, die in seiner Sprache doch diskret als fromme Häresie wirkt. Wo die Sprache sich in die Produktivität des Idioms der Bibel einklinkt, „Dogma und Bibel […] in ein lebendiges Miteinander (stellt)“ 222 , operiert Klopstocks Bildlichkeit mit Zurücknahme, und zwar auf eine Eindeutigkeit, die der Bibel selbst in dieser Weise schwerlich eignet. Man könnte fast von Beschreibungen, die nur als Bilder daherkommen, sprechen, denen häufig etwas Vermittelndes, Didaktisches eignet. Das mag der Intention entsprechen, daß Klopstock das Archaische der Bibel „verflüssigt“ 223 , eine Verhandelbarkeit einführt, doch nur prima vista scheint diese Strategie jenem Anliegen angemessen zuzuarbeiten - da diese soteriologische Textualisierung des Seins an das niemals so univoke Bild wohl erst anschlösse. Der falschen Univozität widerstrebt im Messias nur die Spannung, die in der Folge Sprache und Bild zueinander aufweisen, und zwar geradezu in Momenten der „Synästhesie“ 224 von Klang und Szene, was dann wider jene Orthodoxie - beziehungsweise: dieses Bemühen um eine solche - auf das zumindest weist, was Theologie vom Bild des Heiligen fordern muß, nämlich das Bild zu durchdringen, „nicht nur ein Symbol, […] sondern auch ein Vektor“ 225 zu sein. Das ikonische Anwesend-Sein des Referierten darin ist messianisch, nicht die Versicherung von Angemessenheit im Quasi-Zitat, sondern, daß das, was aufscheine, eine Richtung - „forward“ 226 - sei… Des Bildes oder der Ikone „Sinn […] ist, daß Gott gegenwärtig werde“ 227 , doch „(d)iese »Gegenwärtigkeit« näher zu bestimmen, ist schwer“ 228 ; oder liegt genauer im „Exzeß dieser Vision“ 229 . Immer nur fast säkular wäre die Gegenwärtigkeit (Gottes? ) im Bild zuletzt jene der Zeit, die als Implikat der Gegenwart diese durchstreicht, auf daß sie kommen möge; womit Lessings Beobachtung, die bildenden Künste faßten „nie mehr als einen einzigen Augenblick“ 230 , schon jene ist, daß eben dieser „transitorisch“ 231 sein könne, sich paradox dadurch die stasis erfüllt, „daß das Bild selbst die Zeit ist.“ 232 103 232 Lyotard: Der Augenblick, Newman, S. - 358. 231 Lessing: Werke, Bd. VI, S. - 26. 230 Lessing: Werke, Bd. VI, S. - 25; cf. Goethe: Berliner Ausgabe, Bd. XIX, S. - 134. 229 Marin: Von den Mächten des Bildes, S. - 231; cf. Hünermann: Sprache des Glaubens - Sprache des Lehramts - Sprache der Theologie, S. - 137 u. passim. 228 Ibid.; cf. auch Lohfink: Das Vaterunser neu ausgelegt, S. - 33. 227 Guardini: Über das Wesen des Kunstwerks, S. - 54. 226 Nancy: The Technique of the Present. 225 Jullien: Sein Leben nähren, S. - 42. 224 Schmidt et al.: Geschichte der deutschen Sprache, S. - 121. 223 Ibid. 222 Steiger: Aufklärungskritische Versöhnungslehre, S. - 165. Daß ich keinen zugrunde gehen lasse <?page no="104"?> Klopstock aber depotenziert durch ordnende Inszenierung, durch Rationalisierung und teilweise auch Psychologisierung je diese Irritation des Bildhaften; so bekennt der Erzähler, er „rede/ Menschlich von himmlischen Dingen“ 233 , was paradoxerweise hier das genuin Religiöse garantieren möge; und was erst Lichtenbergs Skepsis in bezug auf jene „Messiade […], wo alles Göttliche menschlich zugeht“ 234 , in ein kritischeres Licht rückt. Exemplarisch: Benoni Benoni ist, wenn man nicht sich exegetisch verrenkend in der Figur eine „polemisch generative […] Selbst-Parodie“ 235 sehen möchte - ein Modell Hamachers, das er nicht dieser Figur applizierte, das aber allein sie rettete -, ein besonders auffälliges Beispiel für die Art und Weise, in der Klopstock dem Geschehen die Bibel orthodoxer gestaltend Personal hinzuerfindet: Er wird im Messias im zweiten Gesang vom Vater ermordet, um in der Folge die Auferstehung mitzuerleben und sie zu bezeugen. 236 Den den Tod jenes Benonis verschuldenden Vater, der eine häretische Analogie zum Vater Jesu zu sehen übrigens erstaunlich nahelegt, beschreibt Klopstock als in des Teufels Klauen, doch dem Vater, „Den jetzt Satan in grimmiger Wuth bey den Todten herumtrieb“ 237 , läuft Benoni nach und ruft: „Ach mein Vater, umarme mich doch! “ 238 Der Vater aber schmettert ihn darauf gegen einen „Felsen,/ Daß sein zartes Gehirn an blutigen Steinen herabrann“ 239 . Hernach wird am Geschick des toten Benoni das Heilsgeschehen exemplarisch durchgespielt; mit Jesu Sterben ist es zunächst, als sei, so Benonis Bruder, „Benoni […] mir noch Einmal gestorben“ 240 , wobei schon die „vollendete Seele Benoni’s“ 241 ins Blickfeld gerückt wird. Hier ist nun parallel das „Graun [sic! ] der Gräber“ 242 und die Verklärung imaginiert, „Benoni’s/ Schützender Engel“ 243 ist es, worin sich bildlich dies verdichtet, denn er „gleicht Benoni“ 244 , dessen Anderes er zugleich zu sein scheint, ehe beides endlich realiter zusammenfließt und eines ist: 104 244 Ibid., S. - 41, Gesang XI, V.1536. 243 Ibid., S. - 41, Gesang XI, V.1536f. 242 Ibid., S. - 38, Gesang XI, V.1432. 241 Ibid., S. - 36, Gesang XI, V.1361. 240 Ibid., Bd. IV·2, S. - 36, Gesang XI, V.1354. 239 Ibid., S. - 24, Gesang II, V.121f. 238 Ibid., S. - 24, Gesang II, V.117. 237 Cf. Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 24, Gesang II, V.114. 236 Cf. zum Folgenden auch Hainz: N.T. - New Testament/ Not Testified, S. - 103ff. 235 Hamacher: Für - Die Philologie, S. - 40. 234 Lichtenberg: Schriften und Briefe, Bd. I, S. - 196, [C 197]. 233 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·2, S. - 259, Gesang XIX, V.878f. Daß ich keinen zugrunde gehen lasse <?page no="105"?> „Höre sein Schweben! Er gleicht Benoni. Er ist Benoni’s Schützender Engel. Wer ist, o Seraph, wer ist er? Ich kenn’ ihn Nun nicht mehr. Er ist ein Engel nicht, keine der Seelen In dem Gewande des Lichts; doch gleicht er Benoni. Erstanden? Ach von dem Tode wärest du, himmlischer Jüngling, erstanden? “ 245 „Du hast ihn nicht sterben gesehen; […] du siehst ihn erwachen“ 246 , so heißt es von Jesus wie von Benoni, der wie eine glückliche Synekdoche der Menschheit erscheinen soll und zum Verkündiger des an ihm sich Vollbringenden wird: „Und die Hörerin hört’ entzückt nach der Stimme Benoni’s. […] Ach Benoni, wie selig bin ich! “ 247 Die Verklärung wird im XV. Gesang nochmals aufgegriffen, worin Benoni schließlich den ihn erkennenden Menschen von der angerufenen Erscheinung (wörtlich: „Erscheinung, Erscheinung! “ 248 ) zum Lieben und Vertrauten sich schier materialisiert, darin, daß er „kein Traum“, „eine Erscheinung“ 249 ist - so Klopstocks Wortgebrauch in seiner Korrespondenz. Benonis „Helfender Arm“ 250 stützt seinen ob des Wiedersehens niedersinkenden Bruder. 251 Erdichtet ist also ein exemplarisches Geschick, erdichtet um der gerade auch orthodoxen und geordneten, psychologischen Darstellung willen; die Basis für diese Fiktion ist indes ein einziger Bibelvers, der im Alten Testament vom Tod einer Mutter unmittelbar nach der Geburt ihres Sohns erzählt: „Da jr aber die Seele ausgieng/ das sie sterben muste/ hies sie jn BenOni“ 252 , so heißt es in der Fassung Luthers. Benoni bedeutet Sohn meines Schmerzes, der Vater ändert diesen Namen in Benjamin. Außerbiblisch wäre noch auf den Heiligen Benno zu verweisen, der eventuell parallel zu Benoni als „der Mühselige, Geplagte“ 253 aufzufassen ist (in Einklang hierzu berichtet die Überlieferung, daß man „ihn nie ohne Thränen und Zerknirschung zum Altare hinzutreten“ 254 gesehen habe) und wiederum als exemplarischer Überwinder von schwerem Geschick und Helfer in die Heiligen-Berichte wie die Kirchengeschichte einging. 255 Dafür, daß Klopstock diesen Heiligen wahrnahm, spricht die Herkunft des Heiligen, der im sächsischen Meißen lebte, aber bis in die Region um Hamburg wirkte; gegen diese mögliche Referenz spräche allenfalls die indes wie erwähnt nicht nachgewiesene 105 255 Cf. ibid., S. - 443. 254 Ibid. 253 Stadler, Heim: Vollständiges Heiligen-Lexikon, Bd. 1, S. - 442. 252 Genesis 35,18. 251 Cf. auch ibid., Bd. IV·1, S. - 24, Gesang II, V.115ff.; Bd. IV·2, S. - 36ff., Gesang XI, V.1349ff.; S.76f., Gesang XIII, V.369ff.; S.161, Gesang XV, V.1100ff. u. passim. 250 Ibid., Abt. Werke, Bd. IV·2, S. - 161, Gesang XV, V.1129. 249 Ibid., Abt. Briefe, Bd. II, S. - 139, Nr. 116, 27./ 29.2.1752. 248 Ibid., S. - 161, Gesang XV, V.1123. 247 Ibid., S. - 77, Gesang XIII, V.393f. 246 Ibid., S. - 76, Gesang XIII, V.370f. 245 Ibid., S. - 41, Gesang XI, V.1536ff. Daß ich keinen zugrunde gehen lasse <?page no="106"?> Vertrautheit Klopstocks mit dem Werk Luthers, der gegen die Heiligsprechung Bennos insbesondere protestierte. 256 Gegeben ist in beiden als Vorlage Klopstocks zu denkenden Fällen jedenfalls ein problematisches Schicksal und eine Form der durch den (Gott-)Vater ermöglichten Wandlung; Klopstocks Benoni dagegen ist eine getreuliche Fiktion neben manch Verstörenderem der Heiligen Schrift und der Überlieferung, an ihm „vollziehen sich die entscheidenden Stationen der Heilsgeschichte exemplarisch mit.“ 257 Genau dies irritiert, denn so exemplarisch wie der Reueteufel Abbadona, der eigentlich keiner ist, gerät hier der Knabe einer schier „monumentalisiert(en)“ 258 Erlösung fast schon zu deren Objekt. Nicht exemplarisch? - Jesus Wurde Jesus selbst diesem Exemplarischen entzogen, wobei sein Tod noch eigens zu bedenken sein wird? Wiewohl Rilke einen „Gott, der über Völker grollte“ 259 , imaginiert, fragt er, wo es um das Menschlein Jesus geht: „Hast du dir ihn größer vorgestellt? “ 260 Ähnlich bemüht sich Klopstock, Christus zwar in seiner Divinität zu zeigen, aber nicht fragwürdig zu stilisieren; diesen Schluß legen schon unter anderem Klopstocks klare Urteile wider Bibel-Modernisierungen nahe, worin man „Jesus mit Grazie reden“ 261 lasse. Klopstock hat, so schreibt schon Kaiser, anders als Leibniz und die meisten Dichter und Denker jedoch in Jesus vor allem den Menschen zu Göttlichkeit erhöht, in jener „Vergöttlichung“ 262 hingegen nicht Gott zu Menschlichkeit erniedrigt gesehen. 263 Es sind doch, und zwar tatsächlich deswegen, nicht nur mehrere Bilder sehr gedämpft - wie teils ja auch schon in der Bibel -, manche Bilder, die behutsam zu verwalten gewesen wären, hat Klopstock vor allem, und das ist prekär, schlicht ausgespart, nur angedeutet oder sogar invertiert. Während etwa in der Bibel Jesus seinen Jüngern die Füße wäscht, wird bei Klopstock Christi „Knechtgestalt […] pervertiert“ 264 , ein Apostel wäscht in seiner Darstellung nun dem Sohn Gottes die Füße, was doch die von Christus vorgelebte Praxis des Priestertums der „geübten Selbstübereignung“ 265 ist. 106 265 Biser: Die Entdeckung des Christentums, S. - 229. 264 Grimm: Strukturen, S. - 121. 263 Cf. Kaiser: Klopstock, S. - 120f., Mickel: Der gefühlsmäßig-religiöse Wortschatz Klopstocks, S. - 239 sowie Hurlebusch: Klopstock und Goethe oder Die »Erweckung des Genies«, S. - 23f. 262 Jamme: »Jedes Lieblose ist Gewalt«, S. - 133. 261 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. VII·2, S. - 24, Textteil I,3; cf. auch Hurlebusch: Klopstock und Goethe oder Die »Erweckung des Genies«, S. - 14. 260 Ibid. 259 Rilke: Die Gedichte, S. - 617. 258 Ibid. 257 Auerochs: Die Entstehung der Kunstreligion, S. - 159. 256 Cf. ibid. Daß ich keinen zugrunde gehen lasse <?page no="107"?> Das Leiden unter Pontius Pilatus diffundiert bei Klopstock geradezu in einem „Dann…“: „Doch mir sinket die Hand die Harf’ herab“ 266 , was sich als mächtiges Schweigen wie die abgebrochenen Verse verstehen läßt, aber auch anders, nämlich als eine der falsch univoken Darstellung Jesu dienende Aussparung gedeutet werden kann: „Der Kreuzigung als solcher wird keine Bedeutung beigemessen. Ihre Darstellung wird als zu realistisch empfunden. Gegen realistische Momente im Offenbarungsgeschehen hat Klopstock […] eine Abneigung. Und dennoch verweilt Klopstock über drei Gesänge hin […] beim Kreuzestod des Herrn.“ 267 Nicht der Schmerz wird bei Klopstock in dieser Weise getilgt, wiewohl es stimmen mag, daß wie in der Renaissance mit ihrer „Zwangsvorstellung […] der Schönheit“ 268 auch im Falle des Messias „Christus […] weniger Schmerzensmann als Hohepriester“ 269 ist; sondern ausgeblendet wird vor allem die Erniedrigung, das, was ins Ekelhafte oder Lächerliche spielte. 270 Kreutzer annotiert, es sei Klopstocks „deutsche(r) Messias […] gerade als der Erlöser […] in erster Linie der Leidende“ 271 - doch das Leid ist ein schon verklärtes, oft bar der Spannung, die Verklärung und Leiden zu trennen scheint und darin, daß dieser Schein ein momentan totaler ist, erst vermittelt. 272 Ist schon die Erniedrigung ausgespart, so in Klopstocks Messias erst recht undenkbar, was seit Aurelius Augustinus wie auch Thomas von Aquin doch geradezu kanonisch formuliert ist, daß nämlich eine zweifache „natura“ 273 Jesus auszeichne - „humana […] et diuina [sic! ]“ 274 -, folglich „in Christo […] duas voluntates“ 275 angelegt seien. Jesus ist bei Klopstock ausschließlich einsichtiges Instrument der Erlösung, also eine gleichsam fleischlose Inkarnation Gottes, die doch nur als wahrhaftig solche „inter divina opera maxime rationem excedit“ 276 , also unter den göttlichen Wundern am meisten die Vernunft übersteigt. Diese Deutung Klopstocks, die eben noch Symptomatisches zu treffen schien, mag indes das Menschliche zu gering 107 276 Ibid., S. - 202; cf. hierzu auch etwa Pascal: Gedanken, S. - 154. 275 Thomas von Aquin: Summa contra gentiles, Bd. IV, S. - 262. 274 Ibid. 273 Augustinus: De trinitate, S. - 352, Liber XV. 272 Cf. auch Mickel: Der gefühlsmäßig-religiöse Wortschatz Klopstocks, S. - 242 sowie Kohl: Rhetoric, the Bible, and the Origins of Free Verse, S. - 141. 271 Kreutzer: »The Sublime, the Grand and the Tender«, S. - 7. 270 Cf. auch Lessing: Werke, Bd. VI, S. - 165 u. passim. 269 Kaiser: Von der Aufklärung bis zum Sturm und Drang, S. - 43; cf. aber auch Rendi: Klopstock, S. - 102 sowie Kaiser: Pietismus und Patriotismus im literarischen Deutschland, S. - 127ff. u. passim. 268 Meer, Sibbele: Christus, S. - 75; cf. ibid., S. - 307. 267 Müller: Die Religiosität in Klopstocks »Messias«, S. - 15; cf. Grimm: Strukturen, S. - 111 sowie Blackall: Die Entwicklung des Deutschen zur Literatursprache 1700-1775, S. - 259. 266 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 160, Gesang VII, V.818. Daß ich keinen zugrunde gehen lasse <?page no="108"?> veranschlagen: „(N)icht halbe Menschlichkeit“ 277 zeichne, so der Dichter, Jesus aus, sondern gerade in jener Situiertheit „volle,/ Handelnde Menschlichkeit“ 278 … Klopstocks Formulierung vom „Einen göttlichen Menschen“ 279 ist vielleicht Ausdruck dessen, daß, was Mensch sei, alles, was die psychologischen Annäherungen oder bloß graziösen Inszenierungen an ihm festlegen, dekonstruiere, der Vektor des Messias die Anthropologie berühre, die in der Verklärung Jesu ein Präludium der Erlösung als Schöpfungsvollendung wird. Szene: Ceder und Donner Als signifikantes Beispiel für die prekäre Bildlichkeit im Messias ließe sich Klopstocks „Ceder“ 280 -Monokultur anführen, weniger polemisch: der exzessive Gebrauch von Baumsymbolik. Zwar wird der Raum bei Klopstock auch zum expandierenden und die Bildlichkeit transzendierenden Phantasma, wie sich, wenn man die Textualität umrissen hat, klarer zeigen läßt, doch die Ceder ist gleichsam die orthodoxe Replik auf das Problem des Bildes: Immer wieder sollen die Zedern und manchmal auch Palmen den Eindruck des Erhabenen forcieren, das heilige Geschehen betonen. Zwar ist nun die Zeder ein Baum, der auch „in der Hl. Schrift mehr als siebzigmal genannt“ 281 wird, wobei vor allem die Eigenschaft weitgehender „Unverweslichkeit“ 282 sie zum so überaus beliebten Symbol „des Hohen, Erhabenen und Unvergänglichen“ 283 macht, man „verglich das Zedernholz mit dem Fleisch Christi, das unverweslich blieb“, „(n)ur der göttliche Zorn ist stärker als die Zeder“ 284 ; zwar ist ferner die Palme, die ihre „Wurzeln […] in die Tiefe nach verborgenen […] Quellen (treibt)“ 285 und darum zum „Bild des Gnadenlebens in seiner Fülle“ 286 avancierte, die außerdem wegen „ihrer Fähigkeit, unter einer niederdrückenden Bürde besonders kräftig zu wachsen“ 287 , und „ihres schlanken, geraden Stammes und der üppigen Krone als Hinweis auf Aufstieg, Sieg und Neugeburt“ 288 gedeutet wird, ein auch in der Bibel beliebtes Symbol. 108 288 Biedermann: Knaurs Lexikon der Symbole, S. - 321. 287 Kohl: Metapher, S. - 98. 286 Ibid., S. - 182. 285 Forstner: Die Welt der Symbole, S. - 181. 284 Biedermann: Knaurs Lexikon der Symbole, S. - 501. 283 Ibid., S. - 191. 282 Ibid. 281 Forstner: Die Welt der Symbole, S. - 190. 280 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 2, Gesang I, V.65 u. passim. 279 Ibid., Bd. IV·1, S. - 21, II. Gesang, V.20. 278 Ibid., S. - 226, XVIII. Gesang, V. 527f. 277 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·2, S. - 226, XVIII. Gesang, V. 527. Daß ich keinen zugrunde gehen lasse <?page no="109"?> Doch scheint hier die Beschwörung des Erhabenen bei Klopstock zuweilen in einer Krise, mündet in eine Blässe und Statik; absurd erscheint der gegenläufige Deutungsversuch, es scheine in der Zeder „immer wieder Umriß und Farbe der heimatlichen Harzwelt“ 289 Klopstocks auf, viel eher ist doch eine radikale „Marginalisierung von Lokalkolorit“ 290 zu konstatieren, dies erst recht, zumal die symbolisch so wesentliche „unverwüstliche Haltbarkeit […] nur den orientalischen Zedern eigen“ 291 ist… Diese Anhäufung von Baumsymbolik findet sich auch bei Milton, dort aber mit einem fast ironisch sich ausnehmenden Bilanzieren beendet: „Cedar, and pine, and fir, and branching palm, A sylvan scene“ 292 … Diese Brechung durch die Nennung des topos rettet etwas: Es bewahrt vor dem „Bedeutungsüberschuß“ 293 , der ins Gegenteil umschlägt, weil die zum Cliché verkommende Natur - bar erlösbarer Diversität - dennoch oder sogar darum „nicht daran (dächte)“, „Klopstock freundlich zu lächeln“ 294 … Immerhin wird im Messias nicht ständig gedonnert, nur zuweilen, und dann primär in der Metrik, eine Inszenierung anderer religiöser Autoren, die Lichtenberg bekanntlich zum Aphorismus verleitete, es müsse „(d)er liebe Gott […] uns doch recht lieb haben, daß er immer in so schlechtem Wetter zu uns kommt.“ 295 Gegen dieses letztlich stumpfe Donnern sei an Hölderlins Wendung erinnert; er schreibt von Gott: „Still ist sein Zeichen/ Am donnernden Himmel.“ 296 Das Donnern aber ist die Irritation, wie es die unlesbare Stille ist, beide so enigmatisch und „so offensive to literary taste that it had to be true“ 297 , wovon sie zeugen, wie Danto schreibt, mit Klaus Berger: „Wer so redet, ist verrückt oder Gott.“ 298 Solch ungefällige Eindrücke zu geben scheut sich Klopstock in den Bildern zumeist, während er durchaus weiß, daß sein „Sylbenmaaß […] anstössig“ 299 gefunden werden könnte, und es dennoch - oder eben darum..? - beibehält und aus sich führend zum sich vorgängig aktualisierenden Paradigma des Offenbarens geradezu gestaltet. 109 299 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Briefe, Bd. I, S. - 18, Nr. 15, 21.9.1748. 298 Berger: Hermeneutik des Neuen Testaments, S. - 2; cf. zu Offenbarung und Versuchung auch Sloterdijk: Der Autor als Chefkoch, S. - 632. 297 Danto: The Philosophical Disenfranchisement of Art, S. - 137; cf. Groys: Die Kunst des Denkens, S. - 80 u. passim. 296 Hölderlin: Sämtliche Werke, Bd. II, S. - 179; cf. auch u.a. Berger: Von der Schönheit der Ethik, S. - 133. 295 Lichtenberg: Schriften und Briefe, Bd. I, S. - 138, [B 359]. 294 Ibid.; cf. auch Auerochs: Die Entstehung der Kunstreligion, S. - 207, 237, 308 u. passim. 293 Reemtsma: Was heißt: einen literarischen Text interpretieren, S. - 105. 292 Milton: The Major Works, S. - 424, Book IV, V.139f. 291 Forstner: Die Welt der Symbole, S. - 190. 290 Auerochs: Die Entstehung der Kunstreligion, S. - 237; cf. Wöhlert: Das Weltbild in Klopstocks Messias, S. - 5. 289 Nadler: Geschichte der deutschen Literatur, S. - 239. Daß ich keinen zugrunde gehen lasse <?page no="110"?> Kreuzestod Das Bild als Konzept ist seine Krise, die die Sprache entfaltet. Gerade der Tod als Unterbrechung eines jeden Konzepts ist Zuspitzung dessen - der Verlassenheitsruf: „ Die letzten Worte Christi sind sogar für biblische Verhältnisse umstritten, doch der Schrecken seines Schreis - und seine sozusagen wortgetreue Wiedergabe -, ist den Berichten gemein. Klopstock vollzieht diesen öffnenden Abbruch auch formaliter, nämlich als expressives Verhallen des Geschehens in einem Hexameterfragment; zuerst wird das Recht des Schreis durch Außenperspektive auf die „grande solitude de Jésus“ 301 dargetan - „Gott, sein Gott, du hast ihn verlassen“ 302 , so schildert Klopstock das Szenario durch die Augen Davids -, um hernach den Ausruf in direkte Rede zu kleiden: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? “ 303 Dem folgt jener zersplitterte Hexameter, der den zehnten Gesang beschließt: „Und er neigte sein Haupt, und starb.“ 304 Gewiß irrt Mendelssohn nicht, hierin auch „Zeit […], den großen Gedanken gehörig zu fassen“ 305 , realisiert sieht - dennoch überwiegt der Bruch wohl, das Schweigen, das im Schrei schon anhebt und in einer objektiven Ordnung ewig währen müßte..: „Daß man verketten muß, daß es aber nichts zu verketten gibt.“ 306 Niemand kann in diesem Moment erhoffen, was sich aus dieser Stille, dieser Absenz von Artikulation jedenfalls entwickelt, nämlich eine „stumme Beredsamkeit“ 307 … Zugleich ist diese der Moment der Lektüre: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“ 308 , das ist oder wäre ein gebeteter Psalm, „(m)ein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“ 309 , so fragt in diesem der Mensch, bekennt sich aber wie auch Jesus zu eben diesem adressierten Gott, in einer „wehrlose(n) Weigerung“ 310 , die sich durchringt und schließlich gerade „in der Gottverlassenheit […] einen Gott, der noch anders und anderes […] als das Echo unserer Wünsche (ist)“ 311 , affirmiert… 110 311 Ibid., S. - 119. 310 Metz: Die Rede von Gott angesichts der Leidensgeschichte der Welt, S. - 118. 309 Psalm 22,2. 308 Matthäus 27,46; cf. Markus 15,34. 307 Mendelssohn: Ästhetische Schriften, S. - 234; cf. ibid., S. - 233f. 306 Lyotard: Der Widerstreit, S. - 134, E XKURS ; cf. parallel Serres: Hermes, Bd. I, S. - 247. 305 Mendelssohn: Ästhetische Schriften, S. - 228. 304 Ibid., S. - 227, X. Gesang, V.1052. 303 Ibid., S. - 227, X. Gesang, V.1045. 302 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 218, X. Gesang, V.699. 301 Murat: Klopstock, S. - 111. 300 Matthäus 27,46; cf. Markus 15,34. ϑεέ μου ϑεέ μου, ἱνατί με ἐγκατέλιπες “ 300 Daß ich keinen zugrunde gehen lasse ; <?page no="111"?> Lektüre: Gezeigt wird der zerstörte Leib, die vernichtete Ikone, der Text, den nur mehr das Lesen als Weiterschreiben retten kann. 312 Das Erscheinen „schöner Wunden“ 313 , zumal jener, die Jesus trägt, wäre ein Problem, sie sind referierend erwähnt, doch zugleich merkwürdig dem Bild entzogen. Der „Einsamkeit Gottes Umschattung“ 314 hat das schlechthin letzte Wort, auf daß es die Permanenz dessen, als Wort vorletztes immer zu sein, eher denn sich zu bezeugen vermag. Insofern ist dies ein Punkt, der auf sich beharrend seine Durchdringung indiziert, ein beharrlicher wie aporetischer Referent, der die „universale Singularität“ 315 wahrt, die sich transfigurierend alles ändert: „»Ereignisse« sind selten datierbar, aber sie datieren ihrerseits“ 316 , sie sind eigentlich nichts, als je eine „generische[n] Prozedur, auf die sich eine Wahrheit stützt“ 317 - wenn man nicht die Reziprozität beachtet, wonach das Ereignis/ Datum etwas bezeugt, dessen Bedeutsamkeit aber nicht in ihm liegt, das vielmehr „Diskurse als geregelte und diskrete Serien von Ereignissen“ 318 stiften. Dies dringt hier ins Herz dessen, was sich ereignet habe, wogegen Christus nur immun ist, wenn seine Gestalt eben diese Spannung „zwischen dem Einmaligen und ihm selbst“ 319 aktualisiert, als Akzidentielles oder Supplementäres das Sich immer wieder - fast hegelianisch - aufhebt. 320 Eine solche Diversifikation von Selbigkeit ist erstmals wohl bei Heraklit zu finden, „ “ 321 … Das, was ist, ist paradox „bei sich“ 322 , erweist sich als „übereinzig“ 323 , wie es bei Schelling heißt, ist die textuell gestiftete Einheit dennoch völliger Dividualität. In der Schriftreligion wird Jesus zum Nur-Seienden, aus dem heraus er dessen Transzendierbarkeit erweist, doch dies geschieht ganz im Evangelium, im Text, der das, was unfaßlich sein müßte, datiert, also stiftet und von sich selbst diversifiziert, bis zu Klopstocks sozusagen apokryphem Messias. 111 323 Schelling: Philosophie der Offenbarung, S. - 191. 322 Serres: Atlas, S. - 40. 321 Heraklit: [Fragmente], S. - 258, Frgm. 49. 320 Cf. u.a. Hegel: Werke in 20 Bänden, Bd. 6, S. - 140 oder Bd. 9, S. - 44 u. passim; ferner schon Kant: Werkausgabe in 12 Bänden, Bd. IV, S. - 420ff., B 462ff., A 434ff. 319 Derrida: Gestade, S. - 102; cf. auch u.a. Derrida: Randgänge der Philosophie, S. - 51 u. passim, Badiou: Das Sein und das Ereignis, S. - 209, Badiou: Ethik, S. - 40, Badiou: Gott ist tot, S. - 27ff., Nancy: singulär plural sein, S. - 95, Nancy: Dekonstruktion des Christentums, S. - 67 u. 205, Nancy: La Comparution, S. - 373 sowie Nancy: A Finite Thinking, S. - 227. 318 Foucault: Die Ordnung des Diskurses, S. - 38. 317 Badiou: Das Sein und das Ereignis, S. - 439. 316 Borst: Das historische »Ereignis«, S. - 537. 315 Badiou: Paulus, S. - 27. 314 Ibid., Bd. IV·1, S. - 121, Gesang V, V.772. 313 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·2, S. - 233, XVIII. Gesang, V.767. 312 Cf. zum zerstörten Leib auch Alt: Von der Schönheit zerbrechender Ordnungen, S. - 37ff. διαφερόμενον ἑωυτῷ Daß ich keinen zugrunde gehen lasse <?page no="112"?> „Es ist […] die Vermutung nicht abweisbar, daß innerhalb der Theologie die Frage nach der Geschichte in ihrer blanken Form möglicherweise falsch gestellt ist“ 324 , schreibt Weinrich: „Die biblische Tradition legt vielmehr primär die Frage nach der Erzählung nahe.“ 325 Es gebe, sagt die adressierte Theologie - konkret Guardini -, im Leben Jesu „keine Durchbrüche und Neuwerdungen“ 326 , doch ist dies kein Satz, der sich nur (historisch-)theologisch lesen ließe, er legte philologisch verstanden den Akut in der Tat fast völlig auf den poetischen Text. In ihm ist „(d)ieser Bruch […] Teil des Geoffenbarten“ 327 ; das Verstörende Jesu, das gerne betont wird, ist gerade hierin gegeben, Jesus als „Diskontinuität trifft und zersetzt“ 328 die Heilsgeschichte, welche genau damit zugleich beginnt; Blumenbergs Satz, es füge „(j)ede Geschichte […] der blanken Macht eine Achillesferse“ 329 zu, ist wohl einer der schönsten Kommentare, die man zur Bibel machen könnte, strukturell wird hierin die narrativ-demiurgische „Sorgfalt am Weltwerk durch Umständlichkeit“ 330 konkret… Spannung: Beziehung meint bei Klopstock auch „Bespannung“ 331 . Diese mag schier dissonant erscheinen, doch noch „Dissonanz ist […] nicht Kakophonie“ 332 , sie meint, daß der Logos das, was ihn (trans-)formiert, ist, Kittler beschreibt die „schönen ungelösten Spannungen“ 333 als nicht hintergehbar. Nicht nur des narrativen Moments wegen wird in der Bibel die Schöpfung durch Dauer - sieben Tage - charakterisiert, wovon als integraler Teil einer das Ruhen gleichsam zeitigt, ein Nachreifen, das Heiligung der Dauer ist, welche der siebente Tag schöpft. 334 Dies ist die Zeit der Lektüre. Dies affirmiert auch Klopstocks Messias, schon durch jene etwa rhythmische Form, die über sich weist, den metrischen Spielraum immanent erarbeitet, dabei Bezüge spinnend, die aus einer formelhaften Konzeption nicht sich ergeben hätten, doch sogleich virtuelle Formel dessen sind, was dann aus ihnen nicht herzuleiten war. Zeit ist womöglich Klopstocks wahres Thema, als jenes Desinteresse an der gewonnen Gestalt, das zugleich diese je als Impetus dennoch treulich bewahrt: Zeiten in sich tragend, auf daß Zeit sei. 112 334 Cf. Genesis 2,2-3. 333 Kittler: Musik und Mathematik, Bd. I·1, S. - 254. 332 Balthasar: Die Wahrheit ist symphonisch, S. - 13; cf. auch ibid., S. - 8, 11, 31 u. passim. 331 Binder: Klopstocks Gedicht »Der Unschuldige« als Modell poetischer Sprache, S. - 40. 330 Blumenberg: Höhlenausgänge, S. - 225. 329 Blumenberg: Arbeit am Mythos, S. - 22. 328 Foucault: Die Ordnung des Diskurses, S. - 37. 327 Girard: Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz, S. - 160. 326 Guardini: Das Bild von Jesus dem Christus im Neuen Testament, S. - 123. 325 Ibid. 324 Weinrich: Wie zivilisiert ist der Teufel, S. - 49. Daß ich keinen zugrunde gehen lasse <?page no="113"?> Hierin ist dieses Werk, das als unzeitgemäß gelten mag, doch zugleich statt einer gleichsam der Zeit gemäß. Seine Textualität ist Dauern; sie ist ihre „Zeit, im Singular oder Plural“ 335 , „polychron, […] eine mehrfach gefaltete, gefältelte Zeit“ 336 : messianisch durch „die Möglichkeit anderer Zeiten“ 337 , die sie schon in sich verbindlich birgt. Dieser Gedanke schwelt bei Klopstock und wird explizit bei Schelling, der vom Gott, der sich textuell verspricht, schreibt: „Von nun an ist er im Prozeß, oder selbst der Prozeß“ 338 , begrifflich die scheinbar „zum Stehen gebrachte Urpotenz“ 339 , die aber das schlechthin „Unstete“ 340 bleiben muß, wo Text nicht endet. Die (Trans-)Figuration ist der logos. 341 In sich aber ist er nicht, hierin trifft ihn das „Selbst-Verbot“ 342 seiner Geschöpfe, als Text ist er - Gott - „Selbst-Öffnung und Selbst als Öffnung“ 343 . Zu denken zu wagen wäre wesentlich ein Fassen der Zeit in diesem Sinne, die imperativischen Formulierungen „sapere aude“ 344 und „carpe diem“ 345 sind einander durchaus innig verbunden..: Eine durch und durch „kritische Ontologie“ 346 ist unvermeidlich zeitlich, nämlich „im Zaudern gehalten“ 347 , was auch für das Christentum gilt, worin Zeit nicht „Warte-Räume (bezeichnet), die Glaubensfragen auf sich versammeln, deren Antwort die Gläubigen […] bereits zu wissen meinen“ 348 , sondern Reflexionsraum ist, von den Koordinaten eines Optativs wohl mitgeprägt, aber dann vor allem die Zeit, worin man „seinen eigenen Standpunkt (verläßt)“ 349 , womit die Alternative, die „(n)icht: Carpe diem, sondern: Warte nur, balde“ 350 sagt, womöglich grundlegend falsch ist. Beides spielt ineinander; und Divinität als „aus den bloßen Bedürfnissen dieses Denkgehäuses“ 351 , welches das Absolute in die Sprache einzuführen vermeint, aber an der Sprache hat, was jenen Gott und jenes Absolute ahnt, sagt und überbietet, was Blumenberg als Sprachmögliches skizziert..: 113 351 Blumenberg: Beschreibung des Menschen, S. - 380. 350 Köhler: Lange Weile, S. - 12. 349 Bengsch: Glaube und Kritik, S. - 72. 348 Köhler: Lange Weile, S. - 11. 347 Ibid., S. - 105; cf. auch Schwarte: Vom Urteilen, S. - 176 u. passim. 346 Vogl: Über das Zaudern, S. - 113. 345 Horatius: Oden, S. - 28, Ode I·11; cf. Horatius: Satiren · Briefe, S. - 78, Epistulae · Liber I 4,13f. 344 Horatius: Satiren · Briefe, S. - 156, Epistulae · Liber I 2,40; cf. Kant: Werkausgabe in 12 Bänden, Bd. XI, S. - 53, A 481. 343 Nancy: Dekonstruktion des Christentums, S. - 245. 342 Derrida: Préjuges, S. - 67. 341 Cf. Nancy: Noli me tangere, S. - 8. 340 Ibid. 339 Ibid., S. - 187. 338 Schelling: Philosophie der Offenbarung, S. - 133. 337 Bahr: Der babylonische Logos, S. - 129. 336 Ibid., S. - 92. 335 Serres: Aufklärungen, S. - 56; cf. passim. Daß ich keinen zugrunde gehen lasse <?page no="114"?> „Da hieße es also: Irgendwann stiftete (einer wie) Götter (so etwas wie) die Himmel und dieses: die Erde.“ 352 Diese Textualität verheert mitunter das, was sie ermöglichte, etwa den historischen Text Klopstocks, der über sich weisend so vergessen ist - eine Verausgabung der Liebe, „das Jasagen zum Leben bis in den Tod“ 353 , welches John Donne in seinen berühmten Versen beschreibt: „Love, any devil else but you/ Would for a given soul give something too“ 354 … Doch so geschieht die Transsubstantiation nicht, daß der Kontext in ihr nicht lesbar bliebe, daß nicht etwa beharrlich auf Klopstock rekurriert würde, auch andernorts, auch unwissentlich. Diese Textualität ist die andere Art der Lektüre, die das Situative bekennend in dessen So-Sein ein Weiterschreiben aufscheinen läßt, das ein gehorsames Nicht-Lesen taumeln läßt: „Wen sucht ihr? Sie antworteten ihm: Jesus von Nazaret. Er sagte zu ihnen: Ich bin es. […] Als er zu ihnen sagte: Ich bin es! , wichen sie zurück und stürzten zu Boden.“ 355 „Wenn Jesus dieses I CH B IN E S spricht, vor dem die Gegner Jesu zu Boden stürzen, wird die Szene zu einer Epiphanie. Jesus offenbart sich - gerade in der Hilflosigkeit und Ohnmacht seiner Gefangennahme - als die Gegenwart Gottes in der Welt.“ 356 Diese starke Szene wird auch bei Klopstock geschildert, als Schreckensvision fast, freilich vor dem Hintergrund der Erlösung: „Da sprach er gewaltig: Wen sucht ihr? Unsere Männer fürchteten nichts, und ruften mit Grimme: Jesus, den Nazaräer! Da sprach er, noch hör ich’s, noch sinken Alle Gebeine mir hin! er rief mit der Stimme des Todes Gegen uns her: Ich bins! So sprach die Stimme. Sie stürzten Auf ihr Angesicht hin! Sie liegen todt da! “ 357 Dieser teichoskopische Bericht faßt das Unsagbare; denn Jesus gibt den Häschern, ist auch „Tod in des redenden Stimme“ 358 , „(s)elbst die Hände, sich binden zu lassen“ 359 , um „mit geduldiger Stille“ 360 ihnen zu folgen. Das vernehmliche Schweigen ist dabei die im Text schon antizipierte „Besonderheit der Rede über literarische Texte“ 361 , auch und gerade ihr Schock ist 114 361 Reemtsma: Was heißt: einen literarischen Text interpretieren, S. - 15. 360 Ibid., S. - 127, Gesang VI, V.143. 359 Ibid., S. - 127, Gesang VI, V.141. 358 Ibid., S. - 127, Gesang VI, V.139. 357 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 127, Gesang VI, V.123ff. 356 Lohfink: Der letzte Tag Jesu, S. - 102. 355 Johannes 18,4-6. 354 Donne: Alchimie der Liebe, S. - 74. 353 Bataille: Die Erotik, S. - 287. 352 Blumenberg: Begriffe in Geschichten, S. - 247. Daß ich keinen zugrunde gehen lasse <?page no="115"?> gewaltlos, die Gewaltlosigkeit selbst ist das, was (mit-)erschüttert: Auch noch jene, die ihn allenfalls halb verstehen, weichen vor jenem „halben Verstehen bestürzt zurück“ 362 … In diesem Lesen des Lebens gelingt es noch, daß Gott sich und Jesus „dem Tod entwischt“ 363 , während dieser ihn doch ereilt. Man muß - kann - darf dem Text „noch sein eigenes Opfer opfern“ 364 ; und auch den jeweiligen Text. Reueteufel, Teil 2 Der Reueteufel Klopstocks wiederholt fast skandalös diese Struktur, die am Gottessohn irritiert, er schreibt sich neu: wider seine kolportierte Vergangenheit, seinen Abfall also, aber auch wider die theologische Tradition, die sich wohl am ehesten damit hülfe, dieses Reueteufels Abbadona Hölle als Purgatorium zu imaginieren: und ihn darum auch als uneigentlichen Teufel. Das beschädigte, aber existente Band des sich also nicht völlig abgesondert habenden, vielmehr von einem Analogon der (wie dargelegt ambivalenten) Erbsünde geprägten Engels-Teufels läßt ihn dies weinen: „O du Richter der Welt! dir darf ich Verlorner nicht flehen, Daß du mit Einem Blicke mich nur hier im Abgrund ansehst.“ 365 Ein Teufel ist das kaum - oder einer, der das, was ihn als solchen definierte, leugnet, nicht etwa sein teuflisches Selbst und dessen Erlösbarkeit zur Disposition stellt, wie es bei Goethes Mephistopheles der Fall ist. Jener nennt diese Lösung denn auch abgeschmackt. 366 Dieser Sprung wird auch bei Schillers Räubern angedeutet, kein „heulender Abbadona“ 367 will und darf Karl Moor sein, der formuliert, man müsse zuletzt wohl „ein höherer Mensch […] oder […] ein Teufel“ 368 sein, was ein Wesen mit den Zügen Mephistopheles doch zu ergeben scheint - oder ein Franz Moor, der etwas, „worin Bewunderung in Abscheu schmilzt“ 369 , vors Auge stellt; es ist doch interessant, wie gerade „dem Bösesten“ 370 Schillers Aufmerksamkeit gehört, wiewohl nicht so radikal gewitzt wie bei Goethe hernach. Klopstocks Teufel divergiert von diesem Möglichen. Er scheint geradezu sich selbst abzuschwören. Man könnte zwar auch sagen, er sei - stattdessen und noch immer - „eine Kreatur, die eine geschaffene Wesensgüte“ 371 hat und paradoxerweise 115 371 Rahner: Teufel, Sp.4. 370 Ibid. 369 Ibid., S. - 487. 368 Ibid., S. - 566. 367 Schiller: Sämtliche Werke, Bd. I, S. - 562. 366 Cf. Goethe: Berliner Ausgabe, Bd. VIII, S. - 140 u. 258. 365 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 41f., II. Gesang, V.795f. 364 Derrida: Die Postkarte von Sokrates bis an Freud und jenseits, 1. Lfg, S. - 270. 363 Holl: Der lachende Christus, S. - 249. 362 Wells: Vorwort, S. - 14. Daß ich keinen zugrunde gehen lasse <?page no="116"?> „haben u(nd) natural vollziehen muß, um böse sein zu können“ 372 , mit Schiller: ihm sei doch noch „der Stempel des göttlichen Ebenbilds aufgedrückt“ 373 , womit das Selbst des Teufels eine sogleich fragile Konstruktion ist, wenn er nicht bloß Metonymie geschöpflicher Abkehr ist. Aber man wird diesem Teufel eine unendlich schlechte Erlösungsprognose auszustellen haben, selbst wenn diese durch ein nicht zu bagatellisierendes Minimum von endgültiger Verworfenheit zu unterscheiden ist… 374 Denn: Läßt sich dieser Satz formulieren, der demütig das leugnet, was dann als - damit für nichtig und inexistent erklärte - Teufels-Seele womöglich schwerlich sich erlösen läßt, ohne darin die Sünde/ Sonderung just zu wiederholen? Noch die Metrik in den beiden Versen läßt das mich als Senkung (zumal neben dem betonten nur) fast verschwinden, ein Sprachakt ohne ein auch nur demütiges Ego. In der Rezeption schon der Zeitgenossen wäre - trotz der als anrührend empfundenen Klage des Teufels - aufgrund der prekären Implikationen in bezug auf die Theologie des Werks teils eine andere Lösung lieber gesehen worden, als jene, das Unmögliche an jenem Teufel schließlich zu vollziehen. Zumindest beim Zweifel in bezug auf die Erlösung des vielleicht doch Unerlösbaren, also bei der Hoffnung hätte es Klopstock belassen sollen, schreibt Johann Caspar Heß 1749 an Bodmer. 375 Die Beschreibung dieses Teufels als „Identifikationsfigur der […] philanthropischen Mitleidseinstellung“ 376 beinhaltet gleichsam schon, was Einwand werden muß: In der theologischen Rezeption wurde die Formel des „humanistischen Aberwillen(s)“ 377 für die von Klopstock gewählte Lösung gebraucht. Paradox an diesen Urteilen ist, daß sie sich auf etwas beziehen, das sich ausmerzt, sie kommen gleichsam zu spät, die Frage ist eher: Was bliebe, das erlöst würde, wenn es seine Erlösung ohne Sich anstrebt? Immerhin ist es so gerade nicht das Teuflische, das unerlösbar wäre. Goethes gleichsam augenzwinkernde Konstellation läßt bald nach Klopstocks Reueteufel den Herrn selbst mit seinem Teufel in einen durchaus nicht unfreundlichen Austausch treten, spöttisch formuliert Mephistopheles, es sei von Gott doch „hübsch […]/ So menschlich mit dem Teufel selbst zu sprechen“ 378 - wobei die Kategorien des Humanen und Humanistischen zweifach unangemessen erscheinen müssen. Durch den vom Herrn 116 378 Goethe: Berliner Ausgabe, Bd. VIII, S. - 159. 377 Balthasar: Theodramatik, Bd. IV, S. - 291; cf. Auerochs: Die Entstehung der Kunstreligion, S. - 147ff. u. 247, Müller: Ästhetische Religiosität und Kunstreligion, S. - 38 u. passim u. Deleuze, Guattari: Tausend Plateaus, S. - 327. 376 Gersch, Schmalhaus: Die Bedeutung des Details, S. - 387. 375 Cf. Klopstock: Messias, S. - 186ff., v.a. S.188. 374 Cf. auch Balthasar: Kleiner Diskurs über die Hölle, S. - 35. 373 Schiller: Sämtliche Werke, Bd. I, S. - 487. 372 Ibid. Daß ich keinen zugrunde gehen lasse <?page no="117"?> fast schon nobilitierten „Schalk(s)“ 379 entspinnt sich ein Text, worin Gott wenn schon nicht Gott sich womöglich dem Teufel transformiert, aber auch vor allem - sich aufhebend - der Teufel sich wandelt. Problematisch ist dagegen ein allzu harmloses Geschöpf, wie es Abbadona zu sein scheint, doch findet auch er sich zuletzt ähnlich in einer Krise, wiewohl seine trotz ihrer Dauer von „Jahrhunderten“ 380 die für ihn erste sein mag. Er selbst ist Metonymie einer Transfiguration, eines Transgresses, der purgatorische Züge hat, wofür schon der Name spricht: nämlich dessen mögliche Herleitung. 381 Man müßte ihm also das, was ihm die Theologie abspricht, einmal zuerkennen, um dann das Ärgernis seiner „Heilsunfähigkeit und Heilsunbedürftigkeit“ 382 - pseudotheologische Unterstellung eher denn philologischer Befund - zu verstehen und im Text widerlegt zu sehen. Der Teufel wird vielleicht schon bei Klopstock zur Zuspitzung dessen, daß das Geschöpf „niemals unschuldig“ 383 ist, daß es immer um ein allgemein menschlich gewordenes „Abbadonna- und Luzifer-Schicksal“ 384 geht, die Kreatur dies aber verhandelt, sich darin findet; sich: die Realität des Initialen, das sie ist, ihre „Ent-Bindung“ 385 , die zur Genese eine nicht gering zu veranschlagende Epigenese begönne, die schon angedeutet wurde. Geburt wäre analog zur Kosmogonie erst in der Geschichte. 386 Schöpfung als „Beginn der Erlösung“ 387 ist dabei die Lebensspanne Abbadonas, der Naivität und anhebende Geschöpflichkeit nicht allzu teuflisch verklammert. Sein Fegefeuer ist also Ausdruck der conditio humana, mitsamt ihrem Skandalon und ihrer Hoffnung, dem „lyrischen Kern des Menschen“ 388 . Sein Luziferisches ist die Translozierung eines Homonyms, seine Hybridexistenz ist die für Luther doch existente „Pein des Fegefeuers“: „Zwischen der Hölle, dem Fegefeuer und dem Himmel besteht offenbar derselbe Unterschied wie zwischen Verzweifeln, fast Verzweifeln und seines Heiles sicher sein.“ 389 Gegeben ist ein in einem ungeklärten Sein gefangenes Geschöpf, das um die Vollendung seiner selbst zu einer Glückswürdigkeit ringt. 390 Vorgestellt ist 117 390 Cf. Kant: Werkausgabe in 12 Bänden, Bd. IV, S. - 679, B 836f., A 808f. 389 Luther deutsch, Bd. II, S. - 50. 388 Foucault: Die Geburt der Klinik, S. - 185. 387 Guardini: Gebet und Wahrheit, S. - 46. 386 Cf. Blumenberg: Lebenszeit und Weltzeit, S. - 373, ferner Lyotard: Kindheitslektüren, S. - 92. 385 Lütkehaus: Natalität, S. - 20. 384 Böschenstein: »Frucht des Gewitters«, S. - 162. 383 Derrida: Die Schrift und die Differenz, S. - 31. 382 Blumenberg: Höhlenausgänge, S. - 319. 381 Schulz: Abaddon, S. - 2; cf. ibid., S. - 2f. 380 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 41, Gesang II, V.779. 379 Ibid. Daß ich keinen zugrunde gehen lasse <?page no="118"?> ein Wesen, das in der Folge das Paradoxon eines „aufklärerischen […] Reueteufels“ 391 oder lutherisch eher jenes des Menschen selbst darstellt: „Nun ists ein wunderlich Ding, daß der vor Gott fromm ist und den heiligen Geist hat sagen soll, er sei ein Sünder. Es ist aber recht; er bekennt, was er gewesen ist und was er auch noch ist. Er hat den heiligen Geist, ist aber dennoch noch ein Sünder um des Fleisches willen.“ 392 „Der Mensch ist vielleicht halb Geist und halb Materie, so wie der Polype halb Pflanze und halb Tier. Auf der Grenze liegen immer die seltsamsten Geschöpfe“ 393 , schreibt Lichtenberg den Worten Luthers nicht unähnlich, wenngleich den Gedanken - scheinbar - nicht theologisch aufladend. Die Limesfigur rückt den Reueteufel in ein menschliches Licht, wie auch überdeutlich die conditio humana in eine luziferische Perspektive; spätestens bei Goethe ist Mephistopheles im Wissen, daß „der Teufel […] in vierlei Gestalt im Zuschauerraum sitzt“ 394 , entstanden. Ein Zwischengeschöpf ist neben Klopstocks Teufel übrigens auch Kain, es „schien als wenn er weinen wollte: aber er konnte nicht weinen“ 395 … „Hell is empty,/ And all the devils are here“ 396 , so könnte man zynisch die Kehrseite der diagnostizierten Menschlichkeit des Teufels formulieren. Abbadona und Mephistopheles So klingt in diesem Abbadona fast schon der Endpunkt der Teufelskrise an - vor Goethes Mephistopheles, der „selbstironisch gegenüber seinen eigenen dämonologischen Existenzbedingungen“ 397 agierend sich als Krise vervollkommnet, dabei einen Diskurs, der „schrittweise die monströsen Elemente (des Teufels) zugunsten eines menschlichen Erscheinungsbildes (reduzierte)“ 398 , vollendend. Der Teufel wird spätestens hier aber nicht mehr nur menschlich, sondern Allegorie einer „avancierten Menschlichkeit in einer posthumanen Konstellation.“ 399 Er begehrt auf, darin erst das buchstabierend, was dann zu Gottgefälligkeit zu wandeln und zu erlösen sein mag. Man vernimmt es, wenn Mephistopheles zum ironischen Kritiker 118 399 Hainz: Lapsus, S. - 99; cf. ibid., S. - 99ff. 398 Grübel: Die Hierarchie der Teufel, S. - 223; cf. Schmidt-Dengler: Herr Satan persönlich, S. - 53. 397 Weinrich: Wie zivilisiert ist der Teufel, S. - 133. 396 Shakespeare: The Riverside Shakespeare, S. - 1615, The Tempest, 1. Akt, 2. Szene. 395 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. V, S. - 20, II. Handlung, 8. Auftritt. 394 Reemtsma: Was heißt: einen literarischen Text interpretieren, S. - 154. 393 Lichtenberg: Schriften und Briefe, Bd. I, S. - 254, [D 161]. 392 Luther: Luther deutsch, Bd. IV, S. - 208; cf. auch Bebermeyer: Teufelliteratur, S. - 369. 391 Balthasar: Apokalypse der deutschen Seele, Bd. I, S. - 53. Daß ich keinen zugrunde gehen lasse <?page no="119"?> des small talk wird, aber vielleicht doch auch - und zurecht - Advokat des Worts darin ist: „Denn eben wo Begriffe fehlen, Da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein. Mit Worten läßt sich trefflich streiten, Mit Worten ein System bereiten, An Worte läßt sich trefflich glauben, Von einem Wort läßt sich kein Jota rauben.“ 400 Zwar geht es in der Passage darum, daß es - so Goethe im Gespräch mit Eckermann - „um Gedanken und Anschauungen […] den Leuten […] gar nicht zu tun“ 401 sei: „Sie sind zufrieden, wenn sie nur Worte haben, womit sie verkehren“ 402 … Doch berührt sie zugleich, daß Wahrheit „als Metapher anfangen“ 403 kann und vielleicht auch muß, als Dekonstruktion des immer fehlenden Begriffs; der dann folgend wieder Worte zeitigt, die ihn entwickeln. Schon bei Klopstock gilt nicht, und schon gar nicht bei Goethes sprachlich avanciert agierendem Teufel, daß „das Böse mit rhetorischen Mitteln ein(ge)hegt“ 404 werde; die Rhetorik ist vielmehr Mephistopheles zu Gebote, die Verve dieses „durchgeistigten Teufel(s)“ 405 ist Ausdruck und schon Wahrheit einer subtil revolutionären Kosmo- und Theologie. Mephistopheles’ „Unendlichkeit ist bezaubernd, seine Bedrohlichkeit transzendental“ 406 … Das Luziferische wird schier Schöpfung und das in ihr Schöpfende, zumal in jenem eigenwilligen Mythos, den Goethe an anderer Stelle fabuliert; darin die Gottheit als sich in Vollkommenheit doch nur selbst umschaffende Absolutheit imaginierend, derweil Luzifer - „unbedingt und doch […] durch sie begrenzt“ 407 - den „Produktionstrieb“ 408 auslebt, aber bald „seines höhern Ursprungs“ 409 nicht mehr gedenkt. Der Aufstand ist da vor allem Emanzipation von sich selbst, das Fortschreiben der eigenen Identitätskonstruktionen Schöpfung, die stringent „nicht unmittelbar […] durch Filiation vom göttlichen Wesen herstammt“ 410 … Dieser Teufel 119 410 Ibid., S. - 380. 409 Ibid., S. - 379f. 408 Ibid. 407 Goethe: Berliner Ausgabe, Bd. XIII, S. - 379. 406 Lem: Philosophie des Zufalls, Bd. II, S. - 382. 405 Flusser: Die Geschichte des Teufels, S. - 11. 404 Alt: Ästhetik des Bösen, S. - 165. 403 Sommer: Sammeln, S. - 419; cf. Reemtsma: Was heißt: einen literarischen Text interpretieren, S. - 72ff. 402 Ibid. 401 Ibid., S. - 711. 400 Goethe: Berliner Ausgabe, Bd. VIII, S. - 85 u. 210. Daß ich keinen zugrunde gehen lasse <?page no="120"?> sei „das vollkommenste und unvollkommenste […] Geschöpf“ 411 , sei jedenfalls fast das, was die Rede hofft, die Gott meint. 412 Dieses Vermögen transzendiert sich also, gerade dieser avancierte „Teufel […] ist seiner Sache nicht unbedingt sicher“ 413 , was seine Errettbarkeit aus seiner Immanenz indiziert; Mephistopheles ist Abbadona doch näher, als man zunächst dächte. Ist nicht auch in seinem Spott Verzweiflung dessen, der wie ein Hofschranze agierend rät, was in Gott vorgehe? - „Mein Pathos brächte dich gewiß zum Lachen,/ Hättst du dir nicht das Lachen abgewöhnt“ 414 … Allein das Verkennen des Teufels läßt indes wie eine Frage noch klingen, was sonst Gewißheit der Erlösung Mephistopheles’ schon wäre. „Es kann die Spur von meinen Erdetagen Nicht in Äonen untergehn. - Im Vorgefühl von solchem hohen Glück Genieß ich jetzt den höchsten Augenblick.“ 415 Mephistopheles’ Rede vom „letzten, schlechten, leeren Augenblick“ 416 irrt folglich und ist zugleich nochmals das Sich-Verwehren vor der Transzendenz, eine also paradox den Augenblick verwerfende und feiernde Formel. Das „Diabolische (ist) ein Konzentrat der das Leben durchziehenden Techniken […], Zeit zu gewinnen“ 417 , an der dieser Teufel verzweifelt - und vielleicht genest. Dieser so freilich nur angedeutete Segen wird auch Abbadona zuteil, im Messias wird der Teufel zuletzt allerdings eben keiner sein; wird die Dialektik nicht ausgeführt, ohne die man das Werk indes nicht leicht verstünde. Er wagt sich hierüber nicht, thematisch auszuführen, worauf sein Schreiben fast drängt - was ihm als Mangel an Souveränität und Witz in den Faust-Paralipomena Goethe expressis verbis vorhält, wobei er an der sprachlichen Geschmeidigkeit und Leichtigkeit, an der es Klopstock im zu strikten Reimverzicht mangle, jene Kritik festzumachen sucht: „[K LOPSTOCK : ] Ich wäre nicht so arm an Witz, Wär ich nur nicht so arm an Reimen.“ 418 Goethe skizziert (nicht zuletzt: sich als) ein mephistophelisches Gegenüber Gottes, komplementär sieht Klopstock hingegen gewissermaßen, was 120 418 Goethe: Berliner Ausgabe, Bd. VIII, S. - 575. 417 Blumenberg: Lebenszeit und Weltzeit, S. - 73. 416 Ibid., S. - 529. 415 Goethe: Berliner Ausgabe, Bd. VIII, S. - 528. 414 Goethe: Berliner Ausgabe, Bd. VIII, S. - 157, V. 277f. 413 Flusser: Die Geschichte des Teufels, S. - 97. 412 Cf. zu Faust und Mephistopheles auch Bolz: Das Wissen der Religion, S. - 69. 411 Ibid., S. - 381. Daß ich keinen zugrunde gehen lasse <?page no="121"?> Benyoëtz just gegen Goethe einst auch einwenden wird, nämlich: „Gott darf nicht gereimt werden“ 419 … Abaddon/ Abbadona Ein Teil des Problems, das schon Abbadona, zu dem damit also zurückgekehrt sei, darstellt, ist in den Stoff nicht hineingelegt, sondern aus ihm entwickelt, und zwar, wie hier angedeutet, kurioserweise aber in der Sekundärliteratur zu Klopstock nie eigentlich thematisiert und untersucht wurde, aus der Heiligen Schrift, worin dieser Teufel Abaddon [sic! ], der bei Klopstock „zu einem der thematischen Gravitationszentren […] avanciert“ 420 , ja gleichfalls eine schillernde Gestalt ist, namentlich in der Offenbarung, wo er als irisierender „Engel des Abgrunds“ 421 firmiert, der eigentümlich dämonisch als „König“ 422 herrscht: „Dann sah ich einen Engel vom Himmel herabsteigen; auf seiner Hand trug er den Schlüssel zum Abgrund und eine schwere Kette. Er überwältigte den Drachen, die alte Schlange - das ist der Teufel oder der Satan -, und er fesselte ihn für tausend Jahre“ 423 … Wie dämonisch dieser Engel (en passant: Jesus wird in der Bibel mehrfach als Morgenstern, also lucifer adressiert 424 ) und wie himmlisch dieser König des Abgrundes auch sei, der die petrifizierten Seelen verwalten soll, er ist fast das Satan paradox ähnelnde Negativ des satanischen „Engel(s) des Lichts, aber auch der Verblendung“ 425 ; er trägt etwas von jenem Reueteufel Klopstocks insofern in sich, als auch dieser uneindeutig scheinend schließlich Zentralthema und Bewährung der Erlösung: geradezu jener Schlüssel zu derselben wird. Dieser Teufel ist also auch hier in rätselhafter Kommunikation; zu beeinspruchen der Schluß hingegen, es seien „alle literarischen Verwertungen der Teufelsgestalt, die sie in Kommunikation schildern und dann oft zu einem Gegenstand des Mitleids machen - Milton, Klopstock usf. - theologisch verfehlt“ 426 , den Hans Urs von Balthasar bei aller Brillanz zog. 121 426 Balthasar: Theodramatik, Bd. II·2, S. - 456f.; cf. Jahnn: Klopstocks 150. Todestag am 14. März 1953, S. - 12ff. 425 Derrida: Aufzeichnungen eines Blinden, S. - 116. 424 Cf. 2 Petrus 1,19, Offenbarung 22,16 u. Lurker: Lexikon der Götter und Dämonen, S. - 246. 423 Offenbarung 20,1-2. 422 Offenbarung 9,11. 421 Offenbarung 9,11. 420 Martus: Werkpolitik, S. - 278. 419 Benyoëtz: Die Eselin Bileams und Kohelets Hund, S. - 9. Daß ich keinen zugrunde gehen lasse <?page no="123"?> Textualisierung, Teil 1 Text und Skansion Das sich entfremdet verstehende Geschöpf Klopstocks dringt durch seine Sprache vor, wobei das Wissen um eine Fremdheit - Entbindung - es ist, was das (erneute? ) Flechten eines Bandes und einer Textur initiiert, dann aber eben auch eines steten Neu- und Umspinnens und -flechtens: im Moment des nicht mehr einfachen Bezugs, der noch keiner ist, sondern das, worauf sich die Schrift bezieht, nur durch jenen Bezug - begrenzt/ nicht - definiert. Im Text, der die Struktur, nach der er vorgeht, erst post festum verrät, der also metrisch und rhythmisch den Rückschritt und die Wiederholung erzwingt, ist das gegeben, nicht gegeben zu sein: in an sich mehrfacher Lektüre, der allein er sich unterziehen läßt. Dies ist das Benennen, das anspricht: Anzusprechen ist ein Akt der Freundschaft, so wurde angedeutet; neben den großen, kanonischen Bildern wie dem Ausruf, Christus „blutete Gnade“ 1 , sei hier auf die nuancierten, unpathetischen Formulierungen hingewiesen. Gott sei in und durch Jesus „der Freund der Erschaffenen“ 2 , er sei den Menschen sogar „ihr Bruder geworden! “ 3 Textuell ist dabei das Vorausweisende - das Wort Gottes noch und gerade als ein zu lesendes sei „nicht präformiert und also unabsehbar“ 4 , wie Weimar vom Begriff des Erlebnisses in den Texten Klopstocks schreibt -, das sich je durch Rückkoppelung erst zu erschließen beginnt, also gerade in der genuinen Rhythmik des (sich) offenbarenden Textes. Gerade um Material oder topoi geht es dabei paradoxerweise kaum, trotz Goethes Vorwurf, er habe jene aufgehäuft, der in der Sache gar nicht falsch ist, aber die Praxis Klopstocks problematisch deutet: „Um die alten, abgeschmacktesten locos communes der Menschheit durchzupeitschen, hat Klopstock Himmel und Hölle, Sonne, Mond und Sterne, Zeit und Ewigkeit, Gott und Teufel aufgeboten.“ 5 Klopstock habe „in neue Phrase gestoßen,/ Was er im höllischen Pfuhl Hohes und Großes vernahm“ 6 , so fährt er dysphemistisch fort… 6 Ibid., Bd. II, S. - 445. 5 Goethe: Berliner Ausgabe, Bd. XVIII, S. - 630. 4 Weimar: Das Wandeln des Wortlosen in der Sprache des Gedichts, S. - 45. 3 Ibid.; cf. auch Langen: Der Wortschatz des deutschen Pietismus, S. - 30 sowie Malinowski: »Das Heilige sei mein Wort«, S. - 103. 2 Ibid., S. - 90, IV. Gesang, V.950. 1 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·2, S. - 220, XVIII. Gesang, V.284; „Blut der Versöhnung“ - ibid., Bd. IV·1, S. - 162, VIII. Gesang, V.9. <?page no="124"?> Hegel schreibt von der „poetische[n] Realitätslosigkeit“ 7 Klopstocks, in dessen Ästhetik aber prinzipiell „die Darstellung das Nebensächliche“ 8 geheißen wird - wesentlich moderner ist jedoch Klopstocks keineswegs nur „an Frömmigkeit […] orientierte“ 9 Dichtung, die vielmehr all dies „poetisch zu denken“ 10 sucht. Diese zeitigt die schon mehrfach angesprochene Verzeitlichung, daß also etwas schon angehoben habe, aber nur dieses Anheben geblieben sei, immer; ganz gegen Lichtenbergs Intention also, „daß Klopstock entweder noch nicht auf(-) oder schon wieder untergegangen“ 11 sei - sozusagen als die unerhörte Qualität dieses Werks. Dieses schreibt sich, rekurriert als Destabilisierung, experimentell bis in die „Ortografi“ 12 , nämlich Klopstocks mitunter verspottete und teils fast verleumdete, doch gewiß auch stringente und theoretisch begründete Schreibweise des Dichters. 13 Seltsam ist, wie dieser innige Zusammenhang übersehen wurde, so von Lessing, der in einem Atemzug zwar bewundert, wie sich „von selbst […] geordnet(e)“ 14 Symmetrien jenseits eines strikten Silbenmaßes bilden, dann aber bemerkt, er wisse nicht, was er hier „von der Allgegenwart Gottes […] gelernt“ 15 habe oder lernen hätte können. Indes sind diese Exerzitien des Schreibens gleichsam auch die „Zug-und-Spann-Probleme[n]“ 16 des Metaphysischen selbst, in einem „der letzten metaphysischen Konzepte des Abendlandes“ 17 , das begründet „fast ein Schattenbild“ 18 sei. Die Funktion der Metrik Klopstocks, zu der damit zurückzukehren ist, erweist sich, wie gesagt wurde, als eine des Hervorbringens, und zwar nicht allein eines überzeugenden, von seinem Werden losgelösten Textes, der absolut das formuliert, was sich nicht argumentieren läßt, sondern auch einer Schrift, die also kenntlich bleibend zeigt, wie sich die Wahrheit des Textes aus seiner peripatetischen Poetologie ergibt - eben messianisch ohne (oder zumindest nicht aufgehend in einem präformierten) Messianismus. 19 Das Messianische, dessen Fokus der Messias sein könnte, ist die kompatible Fortführung, die das Zwingende des Fortführens suspendiert, den Text ins Mögliche diversifiziert, den Leser und den je neu Schreibenden, was 124 Textualisierung, Teil 1 19 Cf. Derrida: Marx & Sons, S. - 88. 18 Ibid. 17 Heißenbüttel: Friedrich Gottlieb Klopstock, S. - 18. 16 Rühmkorf: Die Jahre die Ihr kennt, S. - 231. 15 Ibid., S. - 180. 14 Lessing: Werke, Bd. V, S. - 179. 13 Cf. etwa ibid., Bd. VIII·1, S. - 54, Nr. 53, Jan. 1785. 12 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Briefe, Bd. VII·1, S. - 264, Nr. 243, 10.12.1782. 11 Lichtenberg: Schriften und Briefe, Bd. IV, S. - 219. 10 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. I·1, S. - 144/ Klopstock: Oden, Bd. 1, S. - 122 (Anm.). 9 Sölle: Realisation, S. - 82. 8 Ibid., Bd. 14, S. - 149; cf. ibid., Bd. 15, S. - 453ff. 7 Hegel: Werke in 20 Bänden, Bd. 15, S. - 371. <?page no="125"?> dasselbe sein mag, zu Konkretionen dessen macht, wodurch die Zeit des Textes strahlt. Die Metrik, die Klopstock sucht und (er)findet, bietet eine Möglichkeit hierfür, sie läßt etwas geschehen, dessen Geschehen nicht in der Macht einer Ordnung des Schreibens liegt, sondern sozusagen in der Ordnung der Schrift, der einer „sich aus den Ursprüngen immer wieder erneuernde(n) Sprache“ 20 , wie Hilliard zu Herder schreibt, aber auch zu Klopstock wohl hätte schreiben können. In dieser besteht neben der vielleicht die intentio auctoris noch widerspiegelnden Ordnung sozusagen mindestens eine als Quasi-Parasit gleichfalls angelegte zweite Ordnung, die immer mit einem Schlag als ursprüngliche und fast schon orthodoxe des sie formierenden Materials gelesen werden kann. Das ist gleichbedeutend mit der lange nach Klopstock formulierten Beobachtung, es sei „der Autor tot“ 21 … Dieser Tod ist die Kehrseite der Genieästhetik, die formuliert: „G e n i e ist das Talent […], welches der Kunst die Regel gibt.“ 22 Es gibt ihr nicht seine Regel, was das Werk und nicht den Genius absolut setzt; jener ist verantwortlich, aber ebenso kann den Regeln des Werkes anders geantwortet werden - mit der Einschränkung freilich, daß der „Anspruch […] zum Anspruch in der Antwort, die er hervorruft“ 23 , erst wird. Die aufgetretene Diskontinuität aber wird nicht selbst das Prinzip der Findung sein können, diese verbleibt im Prozeß, was Klopstocks Strategie, insofern er prozedural an etwas arbeitet, das, wie sich noch zeigen wird, das Werk konterkariert und transzendiert, bestätigt, wiewohl die Erwartung, „daß irgendeine übermenschliche, unmenschliche […] Kraft die Ordnung […] oder das Gesetz […] übersteigen“ 24 werde, selbst in ihrer Einlösung prekär ist, „eine obskurantistische Abdankung“ 25 dessen bedeuten kann, dem sich alles verdankt - Genie nämlich ist „Genie, das verschwiegen wird“ 26 … Genie ist positiv, verraten, wenn man so will: das Zulassen eines in Zügen lesbaren „Unergründliche(n)“ 27 , dem in seiner Autonomie zu entsprechen ist, worauf schon Longinus hinweist. 28 Textualisierung, Teil 1 125 28 „ “ - Longinus: Vom Erhabenen, S. - 6, 2·2. 27 Mendelssohn: Schriften über Religion und Aufklärung, S. - 275. 26 Ibid., S. - 78. 25 Ibid., S. - 11. 24 Derrida: Genesen, Genealogien, Genres und das Genie, S. - 10. 23 Waldenfels: Antwort auf das Fremde, S. - 49; cf. auch etwa Peng-Keller: Gebet als sinnliches Sinnereignis, S. - 29 sowie Reemtsma: Was heißt: einen literarischen Text interpretieren, S. - 13, 43, 48 u. passim. 22 Kant: Werkausgabe in 12 Bänden, Bd. X, S. - 241, § 46, B 181, A 178. 21 Barthes: Die Lust am Text, S. - 43. 20 Hilliard: »Absteigerungen« des Affekts, S. - 83. αὐτόνομον <?page no="126"?> Hexameter - Versfüße, kombinatorisch Klopstock gebraucht hierfür die Verzeitlichung der antiken Metrik. Für deren Gebrauch gibt es unmittelbare und bedeutsame Vorläufer, allerdings sind diese - Immanuel Jakob Pyra und Samuel Gotthold Lange etwa - doch vor allem eben dies: Vorläufer, und zwar zu etwas, das erst mit dem „Vollstrecker“ 29 Klopstock als das, was sich von der Dichtung Klopstocks aus retrospektiv als sich in den „Ansätze(n)“ 30 andeutend ausnimmt, lesbar wird; und, hat es bei Klopstock begonnen, doch seinerseits ihn als Präludium von etwas ahnen läßt, das als Anfang immer sich perpetuierend neu transfiguriert, antizipierend verfehlt, … 31 Wagenknecht schreibt in diese Richtung zielend, daß die „Auflösung der metrischen Bindung“ 32 zwar „im Zeichen der Nachahmung eines Musters der Antike: der Dichtung Pindars“ 33 sich vollziehen soll, doch eben die gewonnenen Freiheiten aus jener Lyrik, zumal „deren strenge Regelmäßigkeit […] noch nicht erfaßt ist“ 34 , im Grunde nicht abzuleiten und für die Zeitgenossen folglich irritierend oder sogar provokativ sind. 35 Diese Irritation provoziert, was die Vorläufer nicht hervorzurufen scheinen. Im Falle Ewald von Kleists etwa sind es Versuche mit einem Hexameter mit Auftakt, die gerade verdeutlichen, woran es ihm geradezu gebricht; das sich ergebende Schema sähe ohne Abteilung in Versfüße - nämlich Daktylen - so aus: xxxxxxxxxxxx; dies würde unweigerlich als sechshebiger Amphibrach gelesen werden, ließe klanglich die andere, sozusagen richtige Teilung kaum zu. Es ergäbe sich also eine Rezitation in einem hier inadäquat tänzelnden Rhythmus, wie ihn Goethe beim makabren Totentanz freilich virtuos gebraucht. 36 Das Mechanische dessen aber verfehlt leicht, was Text noch werden könnte. Eine fakultative Anakrusis würde zudem die noch zu diskutierende Arbeit Klopstocks mit der Spannung von Prosaakzent und Metrum bei den Spondeen, deren Gewicht auch so schon korrumpiert wäre, fast verunmöglichen. 37 Was in diesen Ansätzen - und noch in seiner Dringlichkeit - als „Ärgernis“ 38 abgetan werden kann, das wird bei 126 Textualisierung, Teil 1 38 Balthasar: Herrlichkeit, Bd. III·1, S. - 642. 37 Cf. zum Auftakt auch Wagenknecht: Deutsche Metrik, S. - 19f. u. 128. 36 Cf. Goethe: Berliner Ausgabe, Bd. I, S. - 145. 35 Cf. auch Schlawe: Neudeutsche Metrik, S. - 68 sowie Pape: Klopstock, S. - 82f. 34 Ibid. 33 Ibid. 32 Wagenknecht: Deutsche Metrik, S. - 92. 31 Cf. u.a. Funk: Erläuterungen zu Klopstocks »Messias«, S. - 11, Linckenheld: Der Hexameter bei Klopstock und Voss, S. - 11ff. sowie Jünger: Rhythmus und Sprache im deutschen Gedicht, S. - 117. 30 Newald: Von Klopstock bis zu Goethes Tod, S. - 29. 29 Schneider: Klopstock und die Erneuerung der deutschen Dichtersprache im 18. Jahrhundert, S. - 21. <?page no="127"?> Klopstock zum Skandal des Poetischen selbst, dem es integrativer Bestandteil ist. Man hatte also wohl den „ersehnten großen Dichter“ 39 , der Klopstock dann war, „erwartet“ 40 , aber sein Werk nicht antizipiert, und zwar auch er nicht, wie sich mit Klaus Manger spekulieren ließe, der auf den unterschlagenen Plan des Messias, der auch keinen überzeugenden Grundriß gehabt haben mag, hinweist, darauf, daß die frühe Proklamation des Werks am 21. September 1745 im Rahmen der Abschiedsrede sich vielleicht doch insbesondere „im Rückblick als die erste Proklamation des Messias (liest).“ 41 Denn Poiesis kann kaum anders als konkret sein und wirken; und als immanentes Projekt sich übersteigend realisieren. So ist hier kaum von jener Darstellung schon des Zeitgenossen Klopstocks Sulzers - wiewohl just jener allgemein „bei Klopstock […] nur auf Ablehnung“ 42 gestoßen sein dürfte - in seiner Allgemeinen Theorie der schönen Künste abzurücken, daß eben erst von Klopstock all das, was sich zuvor sublim angekündigt haben mag, „glücklich versucht worden“ 43 ist. Es ist „der Sänger des Meßias [sic! ], der zuerst dem deutschen Ohr den wahren Hexameter hat hören lassen“ 44 : Insofern ist es letztlich doch nicht falsch, wenn man (und konkret Dieter Martin) sagt, Klopstock sei „ohne Vorläufer“ 45 . Hier erscheint der Rekurs gleichwohl sinnvoll. 46 Klopstock greift, wie angedeutet wurde, teils auf fragwürdige Weise etwas auf, teils wiederum werden ihm Traditionszusammenhänge appliziert, beide Male ist es die Aberration - mit Martial: „si non errasset, fecerat illa minus“ 47 -, was aufs Vermögen der Texte je weisen mag. Kohl schreibt, Klopstock habe sich in eine Tradition des Umgangs mit einem in der Antike begründeten „Originalitätstopos“ 48 einreihen können und auch eindeutig in sie eingereiht, doch womöglich gerade dadurch, daß er derlei Topologien stets dekonstruiert. Sein Sich-Einreihen ist wie jenes der Texte eher ein Glücken im Verstoß, der zulässig wird, sich herschreibt, zuletzt suspendiert, wonach er Verstoß gewesen wäre. Noch virtuose Mimesis Textualisierung, Teil 1 127 48 Kohl: Friedrich Gottlieb Klopstock, S. - 2; cf. Förster: Klopstock - Horaz in Leben und Dichtung, S. - 41. 47 Martialis: Epigramme, S. - 48, I·21,8; cf. u.a. Reemtsma: Was heißt: einen literarischen Text interpretieren, S. - 60, 89 u. passim. 46 Cf. auch Ettlinger: Zur Grundlegung einer Aesthetik des Rhythmus, S. - 162 u. 185. 45 Martin: Klopstocks poetologisches Prooimion, S. - 23; cf. auch etwa Funk: Erläuterungen zu Klopstocks »Messias«, S. - 11. 44 Ibid., Bd. 2, S. - 728. 43 Sulzer: Allgemeine Theorie der schönen Künste, Bd. 1, S. - 206. 42 Hurlebusch: Klopstock und Goethe oder Die »Erweckung des Genies«, S. - 41; cf. aber auch Amtstätter: Der unheilige Sänger, S. - 64. 41 Manger: Klopstocks poetische Kathedrale, S. - 47; cf. ibid., S. - 38ff. 40 Ibid., S. - 211; cf. ibid., S. - 235. 39 Nadler: Geschichte der deutschen Literatur, S. - 206. <?page no="128"?> brächte es hierzu nicht, sie wäre nicht nachahmungswürdig (man denke an Lessings Bild 49 ), noch setzte sie ihre weitere glückende Veruntreuung in Gang. Wann also sei ein Glücken der Nachahmung letztlich denkbar? Es sei, so schreibt Klopstock, desto eher zu erwarten, „je freier die Art und je reifer die Wahl sein werden“ 50 , womit die deutsche Sprache die Qualitäten anderer Sprachen und Literaturen gleichsam simulieren und ihre Optionen unabsehbar nutzen solle - ein Bekenntnis zu einer doch sehr vermittelten und jedenfalls eigenwilligen Imitation: „»Nachahmen soll ich nicht; und dennoch nennet Dein lautes Lob immer nur Griechenland.« Wenn Genius in deiner Seele brennet; So ahm dem Griechen nach. Der Griech’ erfand! “ 51 Dies entspricht der eigenwilligen Formulierung aus Klopstocks Feder, es sei nur „selten […] die Natur von dem Griechen/ Nachgeahmet“ 52 worden: „(E)r stellte sie dar“ 53 - das mag heißen, er entsprach ihr in ihrer Göttlichkeit, indem er sich zu ihr schöpferisch verhielt, „dieser schaffenden Kraft nacheifern(d)“ 54 sie weder mit ihrer Deutung noch ihrer jeweiligen Kristallisation verwechselte. 55 Neben der griechischen Antike wird von Hamann zur Beschreibung von Klopstocks Sprache, die verborgen wirke, auf „die rätzelhafte [sic! ] Mechanick [sic! ] der heiligen Poesie bey den Hebräern“ 56 verwiesen. Doch auch hier ist die Orientierung ein Aufschließen zu einer Poiesis, nur indirekt an die Verbindlichkeit etwelcher Muster gekoppelt. 57 Das - erreichte? - Ziel ist Augenhöhe: „Freu du dich, daß du eine Sprache hast, die der griechischen nicht nur frey unter die Augen treten, sondern die ihr auch wol diese und jene Frage thun darf.“ 58 Emanzipation ist diese Losung, nicht Voß’ Fetischisierung des Griechischen, gegen die Klopstock einwendet, daß jener, der diese betreibt, „sich bey der griechischen Sprache lauter Vorzüge (zu) denken“ 59 scheint… Damit ist das 128 Textualisierung, Teil 1 59 Ibid., Abt. Briefe, Bd. VIII·1, S. - 140, Nr. 123, 27.8.1789. 58 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. VII·1, S. - 71. 57 Cf. ferner Bosco: »Das furchtbar-schöne Gorgonenhaupt des Klassischen«, S. - 168. 56 Hamann: Sokratische Denkwürdigkeiten, S. - 141; cf. ferner u.a. Kohl: Rhetoric, the Bible, and the Origins of Free Verse, S. - 72, 233 u. passim. 55 Cf. Schleiermacher: Schriften, S. - 810 u. Petersen: Mimesis - Imitatio - Nachahmung, S. - 218. 54 Schelling: Über das Verhältnis der bildenden Künste zu der Natur, S. - 5. 53 Ibid. 52 Ibid., Bd. I·1, S. - 534/ Klopstock: Oden, Bd. 2, S. - 122. 51 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. II, S. - 12, Nr. 26. 50 Klopstock: Gedanken über die Natur der Poesie, S. - 33. 49 Cf. Lessing: Werke, Bd. I, S. - 234. <?page no="129"?> Griechische aber gerade nicht aus dem Blick; die neue, reflektierte (Nicht-)Mimesis an das hellenische Ideal ist denn auch sprachlich vor allem die (Er-)Findung der genuinen „Biegsamkeit“ 60 des Deutschen… In seinen theoretischen Reflexionen notiert Klopstock darum: „Wer nachzuahmen fähig ist, wie man soll, der kann auch ein Original werden.“ 61 Das Originale wäre der Imperativ eigentlicher Mimetik, wie auch sein textuelles Arbeiten zeigt. Diesen Gedanken vertieft er in den Fragmenten zum zweiten Teil der Gelehrtenrepublik; es sei bereits ein „Freyer“ 62 , wer „mit Urtheil nachahmt“ 63 , woraus die Verpflichtung hierauf resultiert: Wer nachzuahmen fähig ist, wie man soll, der kann auch ein Original werden, weshalb „(i)hm […] verboten (wird), […] dennoch nachzuahmen“ 64 - denn das hieße, eine „Ungerechtigkeit gegen sich zu begehn“ 65 . „Zunächst ist die Wiederholung seriös, doch anschließend ist sie es nicht mehr“ 66 , so formuliert es Serres: „Allein die Erfindung ist seriös“ 67 - Repetition ist die sie ahnende und darin triftige „Deautomatisierung“ 68 . Die geschulte Fähigkeit zur Nachahmung verbietet diese also; eben dies formuliert Novalis just als Kritik an Klopstock, wie aber nur en passant erwähnt sei. 69 Nachahmungsvermögen verbietet sich: weil aus ihr ein je Anderes schon spreche - dies gilt auch für Hölderlin, bei dem Referenz und Beurteilung der Potenz je schon kommunizieren; Schiller schreibt desgleichen diesem Paradigma der Nachahmung gemäß, es sei „der deutsche Genius […] auf der Spur des Griechen und des Briten […] dem bessern Ruhme nachgeschritten.“ 70 Eine unmittelbare Originalität indes ist nicht zu haben, „(d)er Deutsche ist nie mehr Nachahmer (,) als wenn er absolut Original sein will“ 71 , mahnt Lichtenberg; im kritischen Bezug ist ein schöpferisches Nachahmen, das die Aufgabe, die Regeln des Vorbilds zu erfüllen, transzendiert, möglich. Die Hinwendung zum Griechen ist kurzum weder ein Versuch, unmittelbar das Deutsche zu „vergriechischen“ 72 , noch, zwecks Textualisierung, Teil 1 129 72 Benjamin: Gesammelte Schriften, Bd. IV·1, S. - 20. 71 Lichtenberg: Schriften und Briefe, Bd. I, S. - 286, [D 367]. 70 Schiller: Sämtliche Werke, Bd. I, S. - 211; cf. ferner Boxberger: Vorbemerkung des Herausgebers, S. - 3. 69 Cf. Novalis: Dichtungen und Prosa, S. - 484. 68 Sloterdijk: Du mußt dein Leben ändern, S. - 641; cf. auch bereits Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. VII·1, S. - 70. 67 Ibid. 66 Serres: Aufklärungen, S. - 38. 65 Ibid. 64 Ibid., S. - 131, Textteil III,1. 63 Ibid. 62 Ibid., Abt. Werke, Bd. VII·2, S. - 106, Textteil II (im Original gesperrt, M.H.). 61 Ibid., Bd. VII·2, S. - 131, Textteil III,1 sowie ibid., Abt. Addenda, Bd. II, S. - 19. 60 Ibid., Abt. Werke, Bd. VII·2, S. - 98, Textteil I. <?page no="130"?> restaurativer Unterbietung eine enge Verbindung der Sprachen zu unterstellen, wie Schlegel skizziert. 73 Der Rückgriff - die rekursive Verschlaufung - ist dem Werk immanent, und zwar nicht allein in der Hinwendung auf Tradition, sondern auch in der durativen Textstrategie, daß der Vers sich aus sich selbst in seiner Skansion entfaltet, also gewissermaßen erst beim zweiten Mal oder in seinem Nachhallen während des Fortschreitens des Lesens konkretisiert; denn für sich sind der Text und selbst die Betonungszeichen noch „stumme Relikte“ 74 , ehe das Lesen sie erweckt oder genauer: ihre Erweckung lesend aktualisiert. Dieser sich aufspannende Text wird erst hieraus so lesbar, daß sich seine Entfaltung als notwendig zeigt, jenseits externer Versuche des Maßnehmens. Dies ist zuallererst mit Blick auf den Hexameter zu betonen, daß er tatsächlich viel Raum gewährt und hernach verlangt zu haben scheint. Sagt man (mit einer Resonanz der Formulierung von Kant), im Verszerfall erscheine eine „Rede […], die sich selber das Gesetz ihres Ablaufs gibt“ 75 , und schaffe so erst eigentlich Metrik, sind doch „Tactschläge […] Durchgangspunkte“ 76 , so ist der Hexameter auf diesem Niveau. „Die erste Zeile ist unwiederholbar als erste Zeile. Nach ihr kommt die Gewohnheit an die Längen und Kürzen der Silben und Worte und Sätze […]. Schließlich erinnert man nur noch die Stimmung des Beginnens“ 77 . Das Innewerden jener Intensität des Anhebens, das noch kein Muster ist, ist die Aporie der Metrik und auch des Hexameters. Wie jene „Arithmetique occulte“ 78 Leibniz’ vereint er Ordnung und Variation in der Zeit, die er sozusagen als seine immanente generiert, als die seiner Re-Lektüre. Die mögliche und gewissermaßen auch notwendige, nämlich „atemloser Hast“ 79 entgegenwirkende Ersetzung von Daktylen durch Trochäen oder Spondeen bis hin zum Holospondiacus bewirkt, daß trotz der Kenntlichkeit einer metrischen Basis zahlreiche Formen des Hexameters rein kombinatorisch, mag sich auch für manche Ausprägung kein Nachweis erbringen lassen, denkbar sind. Selbst wenn man den Trochäus (und den mit diesem identischen Daktylus mit Katalexe) einerseits und den Spondeus andererseits nicht unterscheidet, so ergeben sich, da Klopstock den Daktylus an der fünften Position nicht als quasi-obligatorisch sieht, wie es in der Metrik 130 Textualisierung, Teil 1 79 Storz: Der Vers in der neueren deutschen Dichtung, S. - 162. 78 Leibniz: Die philosophischen Schriften von Gottfried Wilhelm Leibniz, Bd. IV, S. - 551. 77 Kunert: Camera obscura, S. - 35. 76 Ettlinger: Zur Grundlegung einer Aesthetik des Rhythmus, S. - 175. 75 Frey: Verszerfall, S. - 37; cf. Kant: Werkausgabe in 12 Bänden, Bd. X, S. - 241, § 46, B 181, A - 178. 74 Amtstätter: Der unheilige Sänger, S. - 65; cf. auch Hurlebusch: Klopstock und Goethe oder Die »Erweckung des Genies«, S. - 40. 73 Cf. Schlegel: Kritische Schriften und Briefe, Bd. I, S. - 224f. u. 237. <?page no="131"?> Usance ist, sondern den Hexameter auch „mit zween Spondäen, statt eines Daktyls und Spondäen, schließt“ 80 , 2 5 = 32 Formen. Tatsächlich aber besteht ein Vielfaches dieser 32 Ausprägungsmöglichkeiten, der Hexameter ist mehr denn „geschmeidig“ 81 , weil Trochäus und Spondeus - in der deutschen Lyrik ja gleichermaßen meist als x dargestellt, das Problem ist allgemein „die antike Länge außerhalb der Hebung“ 82 - durchaus nicht identisch sind, wiewohl der „Spondeus […] sich dem Trochäus (nähert)“ 83 : eine noch zu diskutierende Differenz, die Klopstock, der bekanntlich den Versuch „völlig griechischer Hexameter im Deutschen […] ein Unding“ 84 heißt, schließlich sogar als eine mögliche positive Qualität des deutschen Hexameters erkennt. „Man weiß es, u giebt es gern zu, daß der Vers der Alten vollkommener ist. Ob man gleich auch sagen könnte, daß die neue Mannigfaltigkeit, die durch die verschiednen Dactylen u Spondeen entsteht, eine Vollkommenheit mehr sey, die der Vers der Alten nicht habe.“ 85 Was Reemtsma jüngst die „spätestens vom »Messias« an […] sehr bestreitbaren Ergebnisse[n]“ 86 des deutschen Hexameters nennt, speist sich aus eben jenem Streit: In seiner Gelehrtenrepublik formuliert Klopstock, daß die - nämlich seine - deutsche Sprache „der griechischen nicht nur frey unter die Augen treten, sondern […] ihr auch wol diese und jene Frage“ 87 stelle dürfe, was jene neue Vollkommenheit meinen mag. Diese Position formulieren ähnlich zahlreiche Zeitgenossen, etwa Moritz. 88 Klopstock aber geht es dann wie Hölderlin darum, der deutschen Sprache Neues, nicht Antizipiertes aufzuschließen, etwa ihre genuine „mit sich fortreißende, […] unruhige Schärfe“ 89 , wie Humboldt schreibt; strikt non-trivial solle die Form sein, nicht redundant, sich in der Wiederholung und diesem Sich-Erinnern vielmehr gerade diesem scheinbar Konstanten gegenüber immunisieren. Denn, so Serres, „(d)as Vergessen setzt einen der Gefahr des Wiederholens aus.“ 90 Die neue Qualität der genuin deutschen Hexameter Klopstocks erschließt sich rasch: Wenn in dem von Klopstock skizzierten Sinne für die ersten fünf Textualisierung, Teil 1 131 90 Serres: Aufklärungen, S. - 83. 89 Humboldt: Schriften zur Sprache, S. - 151. 88 Cf. Moritz: Versuch einer deutschen Prosodie, S. - 203. 87 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. VII·1, S. - 71. 86 Reemtsma: Was heißt: einen literarischen Text interpretieren, S. - 264. 85 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Briefe, Bd. I, S. - 18, Nr. 15, 21.9.1748; cf. auch Hellmuth: Metrische Erfindung und metrische Theorie bei Klopstock, S. - 221 sowie Linckenheld: Der Hexameter bei Klopstock und Voss, S. - 40 u. passim. 84 Klopstock: Gedanken über die Natur der Poesie, S. - 62. 83 Moritz: Versuch einer deutschen Prosodie, S. - 54. 82 Heusler: Deutscher und antiker Vers, S. - 35. 81 Binder: Klopstocks Gedicht »Der Unschuldige« als Modell poetischer Sprache, S. - 43; cf. auch Humboldt: Schriften zur Sprache, S. - 484. 80 Klopstock: Gedanken über die Natur der Poesie, S. - 13. <?page no="132"?> Positionen je drei und für die letzte zwei Optionen gegeben sind, ist zwar noch nicht von „tausend in ihm (dem Hexameter, M.H.) verhüllten metrischen Möglichkeiten“ 91 zu sprechen, bekommt man aber doch 2 x 3 5 , also statt 32 stattliche 486 Varianten des Hexameters für das Deutsche; man muß nicht (Links-)Hegelianer sein, um zu sehen, daß hier jedenfalls Quantität in Qualität umschlägt… 92 Dies ist kein gemachter Sprung - wie bei den Approximationen zuvor auch, worin sich Leibniz’ Satz bewährte, „nullam transitionem fieri per saltum“ 93 -, ein Übergang aber allemal, der, will man ihm einen Begriff applizieren, ohne jenen des Sprungs doch kaum beschreibbar ist. Durch die Metrik ergibt sich eine noch zu beschreibende andere Metrik, die gewissermaßen „nicht kata metron“ 94 ist, sich „prinzipiell unvorhersagbare(n) Kombinationen“ 95 oder einer so eleganten wie paradoxen „Kombinatorik mit vakantem Zentrum“ 96 verdankt. Man hat es, wie auch Gundolf bemerkt, nicht mehr mit „zerlegbaren und zusammensetzbaren Gefüge(n)“ 97 , die einer Regel gehorchten, zu tun, sondern mit dem Vorgriff auf so etwas wie eine „variable Metrik“ 98 , die erträumt freilich immer wurde: „A poem, like a criminal, under too severe correction, may lose all its spirit, and expire“ 99 , so schreibt Young nicht unironisch von einer genuinen Devianz des Formalen, also auch des Metrischen. 486 ist freilich dann doch eine falsche, simplifizierende Festlegung, wenn man bedenkt, daß Klopstock ferner annotiert, daß der „Akzent […] mit der Silbenzeit nichts zu tun (hat)“ 100 , allenfalls „an den kurzen Silben […] etwas (verändert)“ 101 , eine Beobachtung, die sich etwas anders bald bei Voß findet, der zwar lange und kurze Silben gleichbleibend annimmt, aber zudem auch solche Silben, die er „mittelzeitig“ 102 nennt, einführt, an denen nämlich der rhythmische Kontext wie „nachhallende[m]“ 103 Konsonanten entscheiden, ob sie konkret lang oder kurz zu lesen seien… Neben dem Modell, die Länge auf der unbetonten Silbe und den Akzent auf der kurzen als Spielraum des Rhythmischen zu denken, stellt Klopstock in einer Aufzeichnung im Nachlaß auch eine Notation vor, wonach die Werte 132 Textualisierung, Teil 1 103 Ibid., S. - 37. 102 Voß: Zeitmessung der deutschen Sprache, S. - 9. 101 Ibid. 100 Klopstock: Gedanken über die Natur der Poesie, S. - 68. 99 Young: The Complete Works, Bd. 1, S. - 419. 98 Bloch: Tübinger Einleitung in die Philosophie I, S. - 181. 97 Gundolf: Hutten - Klopstock - Arndt, S. - 32. 96 Derrida: Berühren, Jean-Luc Nancy, S. - 25; cf. auch Meyer-Sickendiek: Affektpoetik, S. - 101. 95 Ibid. 94 Donat: Deskriptive Metrik, S. - 71. 93 Leibniz: Philosophische Schriften, Bd. IV, S. - 314; cf. Leibniz: Die philosophischen Schriften von Gottfried Wilhelm Leibniz, Bd. VI, S. - 606 u. kritisch Kant: Werkausgabe, Bd. X, S. - 23. 92 Cf. Hegel: Werke in 20 Bänden, Bd. 8, S. - 228ff. u. Marx, Engels: Werke, Bd. 20, S. - 42ff. 91 Kindt: Klopstock, S. - 110. <?page no="133"?> „langsamer“, „schneller“, „leiser“, „lauter“ 104 ein rhythmisches Trapez aufspannen. Klopstock berücksichtigt schließlich in seiner instruktiven Poetik - der Messias erscheint mit Vorworten, die ganz im Sinne der Paratexte Genettes „eine gute Lektüre des Textes zu gewährleisten“ 105 suchen - gar „lange, längere und längste; kurze, kürzere und kürzeste Silben“ 106 , weshalb er analog zur Differenz von Trochäus und Spondeus, die ihrerseits einem Text wahrscheinlich Bodmers zufolge ineinander überzugehen vermögen, da die „zweyte Silbe zweydeutig“ 107 sein könne und dies schon im ersten Vers der Messiade auch sei, von „verschiednen Dactylen“ 108 oder „Dactylen […] von verschiedener Art“ 109 ausgeht. 110 Das Ergebnis ist freilich nicht einfach Wirrnis. Es ist unbestreitbar, daß Heterogenität und „Isochronie“ 111 einander bei Klopstock wenigstens widerstreiten: Seine Metrik operiert insgesamt mit „not definite values“ 112 . Allerdings sind diese values auch gar nicht ihrerseits zu fixieren, sondern Ausdruck der sich entspinnenden Textualität, die durch die Metrik hindurch wirkt, jenseits derselben, sie öffnend, Bindungen findend, in der Mannigfaltigkeit im Vers, ein Anspruch, der Extreme wie den erwähnten Holospondiacus unwahrscheinlich macht, aber vor allem Muster je nur als konkrete gestattet. Kohärenz wird immanent etwa durch Spiegelungen der Wortfüße und dergleichen rhythmische Manöver gewährleistet: die Einheiten, die hier erstehen, und - immer enger gesponnen - sich vorwärts drängend in der Entfaltung erst erschließen. 113 Textualisierung, Teil 1 133 113 Cf. auch Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Briefe, Bd. VIII·1, S. - 137, Nr. 119, 3.7.1789 sowie Breuer: Deutsche Metrik und Versgeschichte, S. - 193. 112 Kohl: Rhetoric, the Bible, and the Origins of Free Verse, S. - 32. 111 Donat: Deskriptive Metrik, S. - 169; cf. ibid., S. - 169f. 110 Cf. hierzu auch ibid., Abt. Werke, Bd. IV·6, S. - 4ff. u. passim, nämlich die Skansionen und Notationen (! ) des (den Oden strukturell nahen) XX. Messias-Gesangs; ferner ibid., Abt. Briefe, Bd. I, S. - 18, Nr. 15, 21.9.1748 sowie S.45, Nr. 28, 26.4.1749, Klopstock: Gedanken über die Natur der Poesie, S. - 66, Harnoncourt: Musik als Klangrede, S. - 50ff., Donat: Deskriptive Metrik, passim, Weimar: Theologische Metrik, S. - 150 sowie Hellmuth: Metrische Erfindung und metrische Theorie bei Klopstock, S. - 252; noch Klopstocks Reflexionen zur Orthographie sind hiermit verbunden, cf. u.a. Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Briefe, Bd. VIII·1, S. - 54, Nr. 53, Jan. 1785 sowie Garbe: Klopstocks vorschläge zur rechtschreibreform, S. - 45ff. u. passim. 109 Ibid., S. - 45, Nr. 28, 26.4.1749; cf. ibid., S. - 213 (Anm.). 108 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Briefe, Bd. I, S. - 18, Nr. 15, 21.9.1748. 107 Bodmer (? ): Aufgefangener Brief, S. - 11. 106 Klopstock: Gedanken über die Natur der Poesie, S. - 66; Heusler schreibt von „buntester Abstufung der Dauer“ - Heusler: Deutscher und antiker Vers, S. - 8; cf. auch Donat: Deskriptive Metrik, passim. 105 Genette: Paratexte, S. - 191; cf. auch Amtstätter: Der unheilige Sänger, S. - 67 u. passim. 104 Cod. in Scrin 295; ein Faksimile wurde für den Umschlag dieses Buchs verwendet. <?page no="134"?> Geschehen Nicht nur der freie Vers, auch der konkrete Hexameter „geschieht“ 114 , von „freien Wortfußfügungen im kaum noch wahrnehmbaren metrischen Rahmen des Hexameters“ 115 schreibt Breuer, ein Befund, der sich mit wenigen Ausnahmen allenthalben bestätigt. Der sich vollziehende Hexameter geschieht - er ist potentiell vereinzelt, aber auch Referenz. 116 Wie bei den freien Rhythmen, um die es sich also zugleich im Grunde handelt, führt „erst die Wiederkehr […] ähnlicher Versgruppen […] zu metrischen Gebilden“ 117 , ist auch der einzelne Hexameter als solcher definiert. Klopstock findet somit hier eine Rhythmik, die anders als jene streng alternierender Versmaße nicht von einer „beständigen Einförmigkeit“ 118 ist. Eben jene Gleichförmigkeit von Längen und Kürzen macht die Jambe zum „Tier mit einem kurzen und langen/ Fuß“ 119 , einem Geschöpf, dessen Bewegung eine „hinkende“ 120 ist. Allgemeiner gegen ein System schreibt Lessing: „Allein Ordnung! Was hat der Dichter damit zu tun? […] Ich leugne nicht, daß man ein System in ein Sylbenmaß, oder auch in Reime bringen könne; sondern ich leugne (,) daß dieses in ein Sylbenmaß oder in Reime gebrachte System ein Gedicht sein werde.“ 121 Das Metrische als allzu Systematisches wird hier insgesamt zum hinkenden Versagen; anders sind die semi-kalkulierten Lapsus-Sequenzen von Eislauf und freiem Vers geartet. 122 Diese prägt der Moment, „wenn du im Stolpern/ den Bruchteil einer Sekunde/ […] nicht mehr von dieser Welt bist“ 123 … Darin ist das Offene, hergeleitet aus dem, was, ehe es sich als gelesenes und darin jedenfalls die Skansion betreffend aktualisiertes aufspannte, nicht war, aber nun ephemer schon aus sich als irgend Extrapolierbarem weicht, das aus sich weiterführt, was es zu sein schien. Es ist das je - noch - Singuläre, „singularisiert […] gemäß einer Unendlichkeit von Rhythmen“ 124 , dessen Singularität nur ist, indem etwa der Vers etwas initiiert, wozu und worin dieses Singuläre sich schon neu zu schreiben beginnt, neu lesbar wird, im eben noch ungedachten „Rhythmus […] komplizierten 134 Textualisierung, Teil 1 124 Nancy: Der Sinn der Welt, S. - 219; cf. auch etwa Gumbrecht: Kind und Gedicht, S. - 18. 123 Reichert: Kehllaute, S. - 15. 122 Cf. Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. I·1, S. - 249ff./ Klopstock: Oden, Bd. 1, S. - 172ff. 121 Lessing: Werke, Bd. III, S. - 637. 120 Ibid. 119 Schiller: Sämtliche Werke, Bd. I, S. - 260. 118 Klopstock: Gedanken über die Natur der Poesie, S. - 17. 117 Meyer: Das Gesetz der »freien Rhythmen«, S. - 275. 116 Cf. Frey: Verszerfall, S. - 13 u. 17 sowie Frey: Der Gang des Gedichts, S. - 271. 115 Breuer: Deutsche Metrik und Versgeschichte, S. - 195. 114 Frey: Verszerfall, S. - 14. <?page no="135"?> und geduldigen Selbstbezug(s)“ 125 . Ist in dieser Rhythmik eine Regel, so ist die Kunst darin gelegen, diese nicht nur technisch zu verbergen, letztlich vielmehr zu transzendieren: „Überhaupt sehe ich die Gleichzeitigkeit des Hexameters nur als eine Mannigfaltigkeit weniger an. Ich würde sie ein zu künstliches Ebenmaß nennen, wenn sie merklicher wäre. […] Die Regel, daß der Künstler die Kunst verbergen müsse, fodert [sic! ] hier die Verbindung der Ähnlichkeit mit der Gleichheit.“ 126 Diese „Schwierigkeiten des Sylbenmasses“ 127 führen im Schreiben, das auf sich als seinen Nachhall lauschend sich schon lektoriert und suspendiert, dazu, daß das textuelle „Feuer“ „entflamt [sic! ]“ 128 wird, zu Suspension und Suspiration. Ganz handwerklich ist es dabei auch so, daß der Dichter, der in einem Versmaß schreibt, manches Wort „wegen des Sylbenmasses“ 129 einfach nicht gebrauchen kann, beim Suchen nach einem gemäßen Ausdruck unter jenen nicht erwogenen Wörtern „öfters bessre, als er ohne diese zu überwindende Schwie/ / igkeit gehabt haben würde“ 130 , sind - ein „Verlust[e] sehr vieler Wörter und Wortstellungen“ 131 . Für die aporetischen Rhythmen, die sich als solche nicht zum Weg (póros) oder gar zur Methode formen und je ein Innehalten und Resonieren/ Räsonieren zeitigen, gilt, daß sich in ihrer allenfalls vordergründigen Limitation auch darum neue Sprachmöglichkeiten und Denkoptionen erschließen. Die Sprache in ihrem Fluß zerstört - kataklysmisch - Sinn, der sich der „Gemessenheit strenger Regelmäßigkeit“ 132 verdankt, um einen neuen Sinn und die Möglichkeit neuen Sinns oder neuer Sinne zu affirmieren, die die „fraglos geschehende Versrede“ 133 in ihrer „Idiorrhythmie“ 134 noch nicht kennt, wiewohl allein sie diese ahnen mag. Bekannt ist Ovids Pentameter, der bekundet, daß ihm der Vers stets für sich stand: „Et quod temptabam scribere, versus erat.“ 135 Die tatsächliche Lebendigkeit dieses Verses erbringt den Beweis, setzt doch im Momente des in Spondeen noch ironisch referierten Schreib-Versuchs schon das Vorandrängen der Daktylen nach der Textualisierung, Teil 1 135 135 Ovid: Briefe aus der Verbannung, S. - 218, Tristium IV · 10,26; cf. auch Baumgarten: Ästhetik, Bd. 1, S. - 42, Sectio III, § 52. 134 Barthes: Wie zusammen leben, S. - 43; cf. Nietzsche: Sämtliche Werke, Bd. XII, S. - 285. 133 Ibid., S. - S.30. 132 Frey: Verszerfall, S. - 32. 131 Klopstock: Gedanken über die Natur der Poesie, S. - 64; cf. Kohl: Friedrich Gottlieb Klopstock, S. - 81. 130 Ibid. 129 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Addenda, Bd. II, S. - 43. 128 Ibid.; cf. auch Hainz: P ARALYSIS L OST - P ARALYSIS R EGAINED , S. - 305. 127 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Addenda, Bd. II, S. - 43. 126 Klopstock: Gedanken über die Natur der Poesie, S. - 53. 125 Badiou: Das Abenteuer der französischen Philosophie, S. - 20. <?page no="136"?> Zäsur ein. Mit Blick auf Klopstock sei der Vollständigkeit halber hier zwar nicht verschwiegen, daß dieser Ovid wohl nicht uneingeschränkt schätzte, ihn irritierte die „zu leichtfertige Artifizialität“ 136 ; gleichwohl spricht dieser Vers an, was Klopstock umtreibt: Man lese Klopstocks Beschreibung dieses Sensoriums, wohl habe seine Rhythmik zuletzt „keine andre Regel, als sich durch das neue Metrische jedes Verses nach dem Inhalte so zu richten, daß der Periode nichts Gesuchtes zeige“ 137 , doch ist wie angedeutet die Metrik Transformation des Inhalts, der als Maß also wieder auf sich im Stande der - seiner? - Textualisierung verweist. Klopstock selbst schreibt wider „die Verächter der Regel“ 138 , was seinerseits keine Regel - keine „Cultivirerey“ 139 - ergeben soll. Die Arbeit noch im fixierten Text macht, daß Klopstocks Werk mitunter dunkel ist, „obscurus“ 140 ist ein Schlüsselwort in der Poetik Horaz’; doch nicht nur ist dies die Klopstock wesentliche Kunst „of concentrating meaning“ 141 , die er etwa Coleridge gegenüber betont - die Konzentration schafft, was meaning überhaupt genannt werden könnte. 142 Und sie durchbricht diese; durch eine Implikation der Lektüre, August Wilhelm Schlegel bemerkt, es sei Klopstocks „Grundsatz, […] von seinen Lesern viel zu fodern [sic! ].“ 143 Dies erklärt auch Klopstocks nicht per se aufklärerische (doch dafür durch Horaz poetologisch gedeckte) Vorliebe, „durch Ableitungen neue Wörter zu bilden“ 144 , die als Begriffsbildung freilich aufklärerisch sein kann. 145 Ohne dieses Drängen müsse ein Poet Klopstock zufolge „aufhören […] zu denken, wie er wollte“ 146 - und vor allem: wie er müßte. Ohne dieses Drängen müßte aber auch der Leser aufhören, zu denken und lesend Klopstocks Messias als geglückten Verstoß gegen etwa das Alternieren zu skandieren, wie Wieland es tat, für den dann der Spondeus des Hexameters statt des Trochäus steht: „faßte den Seraph, ihm schlug sein Herz“ 147 , so zitiert Wieland und schreibt vom Kursivierten, hier seien „vier auf einander 136 Textualisierung, Teil 1 147 Wieland: Von der Freiheit der Literatur, Bd. I, S. - 432; cf. Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 5, I. Gesang, V.149. 146 Klopstock: Gedanken über die Natur der Poesie, S. - 64. 145 Cf. zur Begriffsbildung etwa Deleuze, Guattari, Was ist Philosophie, S. - 12, 27ff. u. passim. 144 Würfl: Ueber Klopstock’s poetische Sprache, Teil I, S. - 35; cf. Horatius: Satiren · Briefe, S. - 254, De arte poetica, V.51-53. 143 Schlegel et al.: Digitale Edition der Korrespondenz August Wilhelm Schlegels; cf. hierzu auch etwa Elit: Die beste aller möglichen Sprachen der Poesie, S. - 95, 99 u. passim. 142 Cf. Cod. in Scrin 120a, Bd. I, S. - 37, II. Gesang, V.120. 141 Coleridge: Biographia Literaria, Bd. II, S. - 171. 140 Horatius: Satiren · Briefe, S. - 252, De arte poetica, V.25f. 139 Ibid. 138 Ibid., Abt. Werke, Bd. II, S. - 38, Nr. 109. 137 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Briefe, Bd. VIII·1, S. - 137, Nr. 119, 3.7.1789. 136 Elit: Die beste aller möglichen Sprachen der Poesie, S. - 91; cf. ibid., S. - 94. <?page no="137"?> folgende[n] einsilbige[n] Wörter[n], deren jedes eine lange Silbe ist.“ 148 Der Vers soll sich aus der Immanenz der Worte „mechanisch“ 149 im Sinne der Lebendigkeit des Material(gebrauch)s ergeben - von nicht vorgegebenen, sondern „faßliche(n) Rhythmen“ 150 , schreibt Goethe, was für Klopstock bedeutet, daß sich der Vers auch gerade nicht ergeben soll, sondern gar geschehen; so pointiert wie apodiktisch hält er fest: „Abweichen ist Pflicht“ 151 . Klopstock erarbeitet solcherart eine subtile Metrik, die sich ihre Wirksamkeit erhält, indem sie - als Metrik „notwendig“ 152 - weder durch die a-rhythmische Rede noch dadurch, „vorgezählt“ 153 zu sein, zerstört wird; er transzendiert sie, um das metrische System als „Wirksamkeit der rhythmischen Wirkungskraft“ 154 zu erhalten, als Bewegung, etwas geschmäcklerisch in Klopstocks Worten: „Wohllaut gefällt, Bewegung noch mehr“ 155 … Das Resultat sind zum einen metrische Grundlagen, zum anderen ergibt sich für Klopstock die „Anmut“ 156 der Prose, die man „ein wenig metrisch wendet“ 157 ; Arno Schmidt nennt in der Folge Klopstock wie auch Hölderlin „Kryptoprosaisten“ 158 , es ist eine rationale Art von Narrativ, die sich in jenem immanenten Drängen (dem „ “ 159 das Maß gibt, es sei - mit Lessing zu sprechen - „von selbst […] geordnet“ 160 ) als Anheben und Sich-Öffnen iteriert und permaniert. Dieses stets Nachträgliche im Anfang, dieser textuelle Wiederholungszwang, daß erst retrospektiv das geahnt wird, wovon die Relektüre dann wiederum kohärent abwiche, faßt Benjamin mit der Beschreibung einer „Periode, die, metrisch konzipiert, nachträglich an einer einzigen Stelle im Rhythmus gestört wird“ 161 : Das Nachträgliche wäre darin zugleich Anfang par excellence, wie es an anderer Stelle die durchaus verwandte „Nachreife“ 162 ist. Textualisierung, Teil 1 137 162 Ibid., S. - 12. 161 Benjamin: Gesammelte Schriften, Bd. IV·1, S. - 105. 160 Lessing: Werke, Bd. V, S. - 179; cf. Frey: Vier Veränderungen über Rhythmus, S. - 32. 159 Aristoteles: Poetik, S. - 14. 158 Schmidt: Bargfelder Ausgabe, Werkgruppe II, Bd. 1·2, S. - 377; cf. ibid., S. - 368 sowie allgemeiner Miron: From Continuity to Contiguity, S. - 74. 157 Ibid.; cf. auch Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Addenda, Bd. II, S. - 21 sowie - klassisches Vorbild - Cicero: De oratore, S. - 560, Liber Tertius · 182. 156 Klopstock: Gedanken über die Natur der Poesie, S. - 143. 155 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. I·1, S. - 270f./ Klopstock: Oden, Bd. 1, S. - 183; cf. Benning: Ut Pictura Poesis - Ut Musica Poesis, S. - 93. 154 Böger: Bewegung als formendes Gesetz in Klopstocks Oden, S. - 19. 153 Ibid., S. - 21; cf. Reemtsma: Was heißt: einen literarischen Text interpretieren, passim. 152 Klopstock: Gedanken über die Natur der Poesie, S. - 64. 151 Klopstock: Gedanken über die Natur der Poesie, S. - 175; cf. auch Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. II, S. - 39, Nr. 112. 150 Goethe: Berliner Ausgabe, Bd. XIII, S. - 294. 149 Klopstock: Gedanken über die Natur der Poesie, S. - 80. 148 Wieland: Von der Freiheit der Literatur, Bd. I, S. - 432 (Anm.); cf. auch ibid., S. - 249. αὐτὴ ἡ φύσις <?page no="138"?> Dieses Bild Benjamins aus dem Kontext der Übersetzung bietet sich hier an: Denn Klopstock mag in bezug auf die erwähnte „Anmut“ 163 der Prose, zu der noch einmal zu kommen ist, auch an ein interessantes Problem gerade seiner Zeit gedacht haben, nämlich an die Übersetzung gebundener Sprache in Prosa - beispielsweise in der Übertragung von Miltons Paradise Lost durch Bodmer -, was Klaus Reichert zufolge bedeuten kann, „das Erfüllen bestimmter Eckdaten“ 164 , das nur „die Parodie einer Form“ 165 zeitigt, zu meiden, um „das Schöne und Erhabene der Miltonschen Poesie freizulegen“ 166 und neu zu generieren, und zwar kraft der subtilen Form. Klopstocks Milton-Lektüre hat hiermit von Beginn an zu tun: Seine Lektüre Miltons wenigstens gebrochen durch die Übertragung wahrscheinlich Bodmers ist praktisch nachgewiesen, deren Lektüre in der Übersetzung Racines ferner nicht unwahrscheinlich. 167 Ferner ist im Nachlaß nachzuweisen, daß Klopstock die Übertragung einer Passage des Messias ins Englische schriftlich fixierte, was ein Desinteresse an einer Originallektüre Miltons kaum vermuten läßt… 168 Beides führt zum Übersetzen als einer Emanzipation. In ihrem hochinteressanten Aufsatz hat Elisabeth Höpker-Herberg darüber hinaus gezeigt, daß auch dort, wo Klopstock nachweislich auf Miltons Werk geradezu aufbaut, dies doch vor allem zeigt, wie „ganz entschieden (Klopstocks Messias) außerhalb von »Paradise Lost«“ 169 gestellt ist, formal und theologisch; die zunächst auch affirmativen Bezüge sind schließlich „nur noch in verstreuten Materialien und […] textgenetischen Detail(s) […] aufbewahrt.“ 170 Schon der frappierende Hexameter, der von Klopstock gegen den eben unter anderem von Milton für die Bibelepik etablierten Blankvers gewählt wird, zeugt von jener Differenz - wobei diese Wahl nochmals unterstreicht, daß dem Hexameter spezifische Qualitäten eignen, die Klopstock bewogen, dieses deutlich antike Versmaß für ein jedenfalls nicht genuin antikes Thema zu verwenden, eben auch im Kontrast zu jenem Metrum, das doch einige Züge aufweist, die Klopstocks Werk in seiner Intention entsprechen 138 Textualisierung, Teil 1 170 Ibid., S. - 52; cf. auch etwa Martus: Werkpolitik, S. - 227. 169 Höpker-Herberg: »Paradise Lost« und »Messias«, S. - 51. 168 Cf. KN 47 d (14). 167 Cf. hierzu Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Addenda, Bd. II, S. - 43, 310 (Anm.) u. passim; ferner u.a. Coleridge: Biographia Literaria, Bd. II, S. - 170, Humboldt: Schriften zur Sprache, S. - 938, Muncker: Über einige Vorbilder für Klopstocks Dichtungen, S. - 4, 8, 37ff., Weimar: 1750, S. - 356, Bender: Johann Jakob Bodmer und Johann Miltons »Verlohrnes Paradies«, S. - 240 u. passim, Martus: Werkpolitik, S. - 140, 157f., 227 u. passim, Bogaert: Klopstock, S. - 37f. Assmann: Vom verlustigten Paradeiss zum Verlorenen Paradies, passim sowie Blackall: Die Entwicklung des Deutschen zur Literatursprache 1700-1775, S. - 240. 166 Ibid., S. - 120. 165 Ibid. 164 Reichert: Die unendliche Aufgabe, S. - 119. 163 Klopstock: Gedanken über die Natur der Poesie, S. - 143. <?page no="139"?> sollten. Der Blankvers, der zu Klopstocks Zeiten in Deutschland unter anderem durch Lessing zu einer verbreiteten Option wird, basiert auf einem relativ klaren Grundmetrum, nämlich dem eines fünfhebigen Jambus, auch er ist zugleich in bezug auf seine konkrete Gestalt flexibel, letztlich sind die Verse in der Abfolge unbetonter und betonter Silben so frei, daß in der freien Senkungsfülle das Schema fast bis zur Unkenntlichkeit variiert werden kann. Dennoch scheitert dieses Metrum offenbar an einem Verweisnetz, das sich vom Vers auf große Textpassagen ausbreitet, das System nicht variierend noch mit ihm brechend, sondern es transzendierend, in Angleichung und Abstoßung. Klopstock ist Milton wie auch dem Hexameter der Antike nahe, doch, so Herder, „ihre Muse ist nicht dieselbe.“ 171 Die Transgressionen zu - und durch - Klopstocks Versen sind, worin seine Muse sich ausdrückt, und dies noch innerhalb seiner Texte, worin das metrische Prinzip verkettet, was sich aus ihm aktualisierend ihm doch nicht gehorcht, sondern in ihm sich als Spannung generiert. Klopstocks Metrik bietet dieses Abweichen auf, und zwar auch jenseits drastischerer Unregelmäßigkeiten. Auf dies wird noch eingegangen, hier aber schon festgehalten, daß beispielsweise zwei Hexameter des Messias fragmentiert sind; der Versschluß, der immer wenigstens Relikt der Metrik ist, ist hier gleichsam rhythmische Kulmination. Ebenso bedient sich Klopstock in den freien Versen auch jenes Versfußes, der noch von August Wilhelm Schlegel als „Dämon der Disharmonie“ 172 gescholten wird, des Antispasts (xx). Doch auch sonst ist dieses Verstoßen - subtil - gegeben, als Spannung zwischen Metrum und dem, was es gebiert, weshalb nicht trotz der metrischen Schemata, sondern durch sie hindurch das expressive Moment der Betonung zum Tragen kommt, sie höchst differenziert „etwas mitausdrücken könne(n).“ 173 Allemal formuliert sich die Versenkung: das Lesen, das Bezüge herstellend die Kohärenz selbst sieht und erschafft, das Unabsehbare sozusagen unausweichlich schafft, eine Art von Epiphanie, die verzehrt, was sie ist. Die „Empfindung der Schönheit der Religion“ 174 (im Lesen als Schreiben, durch das „Genie der Empfindung“ 175 ) ist die Religion, diese ist ihre implizite Dekonstruktion mittels der Poesie, die ihr/ ihr eignen mag. Klopstock schreibt, es habe „Darstellung […] T h e o r i e “ 176 , was auf Theorie zurückwirkt. Sie wird idiomatisch, doch damit zum gleichwie zu Textualisierung, Teil 1 139 176 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. VII·1, S. - 9; cf. auch u.a. Weimar: Das Wandeln des Wortlosen in der Sprache des Gedichts, S. - 37 u. passim. 175 Ibid., S. - 220. 174 Ibid., S. - 200. 173 Klopstock: Gedanken über die Natur der Poesie, S. - 172; cf. auch ibid., S. - 62, 66 u. 68. 172 Schlegel: Kritische Schriften und Briefe, Bd. I, S. - 213. 171 Herder: Briefe zur Beförderung der Humanität, Bd. 2, S. - 120. <?page no="140"?> deutenden Interpretandum; sie macht sich lesbar, ist Form, „die gibt […]: zu denken, etwas zu denken“ 177 … Der Text muß als sein Gelingen sein Verschwinden meinen, dieses Verschwinden des Textes wird letztlich von Klopstock „vollendet und überboten“ 178 , als eine ganz in ihre Sprachlichkeit tauchende Sprache, deren noch in der - momentan möglichen - Antwortlosigkeit des Lesenden vor den „Überwältigungstechniken“ 179 gegebene Dynamik doch jene künftiger Lektüre wäre. Das Religiöse ist hier Ausdruck der Möglichkeit, das Absolute als Relationales im Lichte von etwas zu zeigen, das momentan in seiner Grammatik sich messianisch ausnimmt. Ähnlich dem ist Tradition - Formensprache, Motivisches, fast: Übersetztes - bei Klopstock das, was transformiert zugleich besteht und verlischt, als Glut sich verzehrend. Fechtkunst, Eislauf, Gleiten, Lapsus Das Voranschreiten der Rhythmen ist dabei wie erwähnt eines, das auf einen Vollzug zielt, der das Lesen mindestens verdoppelt, gleichsam den Blick auf das Wort gerichtet, die Skansion als Nachhall sich erst ergebend, im Ohr. Diese eristische Metrik fordert heraus, in ihrer Unabsehbarkeit dem paradoxen Takt der Fechtkunst folgend; man mag diesen Vergleich aufgesetzt finden: Die Analogie „von des Helden Degen“ 180 einerseits und „des Dichters Feder“ 181 andererseits findet sich indes bereits bei Klopstock. Jene poetische Fechtkunst nämlich postuliert in den verschiedensten kulturellen Kontexten, es sei „gut, nicht in Einklang zu sein“: „Wenn du und dein Gegner harmonisieren, kann er sein Schwert besser einsetzen.“ 182 Zugleich ist des Gegners Rhythmus und „Bewegungsmuster“ 183 möglichst jedenfalls beizeiten, vielleicht sogar „am Anfang (zu) verstehen“ 184 , was das Lesen ja kennzeichnet - jedenfalls Möglichkeiten zu kennen, zu wissen, was überrasche. Insofern muß es Rhythmus geben: Man bewege sich, „ohne je aus dem Takt zu geraten“ 185 , so heißt es expressis verbis; jedoch sei jener Rhythmus eben der enigmatische „unerwartete[r] Takt“ 186 , bis hin zur Mimikry eines gar nicht vorhandenen Metrums. Dieses Kennen und Verkennen verweist 140 Textualisierung, Teil 1 186 ibid., S. - 30. 185 Musashi: Das Buch der fünf Ringe, S. - 106. 184 Munenori: Der Weg des Samurai, S. - 26. 183 Sun Zi: Die Kunst des Krieges, S. - 152. 182 Munenori: Der Weg des Samurai, S. - 24f. 181 Ibid. 180 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. II, S. - 36, Nr. 102. 179 Ibid., S. - 34. 178 Weimar: Das Wandeln des Wortlosen in der Sprache des Gedichts, S. - 45. 177 Ricœur: Das Symbol gibt zu denken, S. - 48. <?page no="141"?> auch aufs Prototypische jedes Verses für sich - eine „Individualisierung der einzelnen Texte“ 187 bis ins Kleinste, die sich emanzipieren und diversifizieren. Ist dem so, so ist der Text Klopstocks das Offene, und zwar als das je Verpaßte, eine eigentümliche Unruhe in jenem Text, der im Falle vieler Werke Klopstocks ruhig sein müßte: Wer wollte beim Tod Adams oder der Auferstehung Jesu den Inhalt betreffend noch staunen..? Doch „mit dem ersten Wort hat […] (der Text) den Anfang schon hinter sich und verpaßt.“ 188 Mag auch das Gedicht eine Rhythmik aufschließen, worin „ohne Ablenkung durch die Vorwegnahme des nächsten und das Nachhallen des vorigen Moments“ 189 etwas präsent sei, so ist doch die Rhythmik vor- und rückgreifendes Ensemble der „Sequenzen der Veränderung“ 190 dieses - nur dadurch - Präsenten. Sie weist zurück und dadurch vorwärts, sensibilisiert das Sensorium, das in diesem als Regreß inszenierten Progreß aufgestört wird, ihr Prinzip ist prekär - oder: ist das Prekäre. Hier ist „das erste Mal zur »n-ten« Potenz“ 191 erhoben, um von sich als „stets fiktiver Anfang“ 192 zu differieren. Die Pointe dieser Vers- und Kampfkünste ist eine zeitlich-räumliche Dissimulation; ihre Theorie ist Praxis, die solche infrage stellt, sie ist ganz „vivacité“ 193 , „agilité“ 194 , etwas, wovon „le même coup“ 195 nur ironisch formuliert wird, nämlich „avec cette différence“ 196 , die nicht benannt wird. Dieser hierin eigentliche Rhythmus ist „Rhythmus auf verschiedenen Ebenen“ 197 , Klopstocks Text schreitet voran, in „hinterlistigen Pfiffe(n) und Finten“ 198 , die Cramer seinem Schachspiel nachsagt. Diese Durchdringung der Rhythmik ist, wodurch Klopstock wider „beständige Einförmigkeit“ 199 zu den „zierlichen Feinheiten des Wohlklangs“ 200 findet. Dafür tilgt er auch den Reim, der den gelesenen Text jedenfalls zu vertakten droht. 201 Ein anderes Sinnbild der stringenten und zugleich nicht-trivialen Bewegung (und speziell Metrik) ist der Eislauf; hier geht es um einen geradezu Textualisierung, Teil 1 141 201 Cf. u.a. Culler: Literary Theory, S. - 29 sowie Weimar: Enzyklopädie der Literaturwissenschaft, S. - 101. 200 Klopstock: Gedanken über die Natur der Poesie, S. - 21; cf. ibid., passim. 199 Klopstock: Gedanken über die Natur der Poesie, S. - 17; cf. Voß: Sämmtliche poetische Werke, S. - 278. 198 Cramer: Klopstock, Bd. I, S. - 91. 197 Gumbrecht: Kind und Gedicht, S. - 18; cf. Nancy: Der Sinn der Welt, S. - 219. 196 Ibid., S. - 5. 195 Ibid. 194 Ibid. 193 Diderot, d’Alembert: L’ ENCYCLOPÉDIE · A RT DE L ’ ESCRIME , S. - 2. 192 Derrida: Dissemination, S. - 338. 191 Deleuze: Differenz und Wiederholung, S. - 16. 190 Ibid. 189 Gumbrecht: Kind und Gedicht, S. - 17. 188 Frey: Der Gang des Gedichts, S. - 267; cf. auch Hainz: Anfangen, passim. 187 Socha: »[…] verirrter/ Tritt er einher, wenn er gar anwandert gegen den Inhalt«, S. - 62. <?page no="142"?> „kultischen Eistanz“ 202 , der nicht bloß durch „körperliche Ausgelassenheit“ 203 geprägt, sondern vielmehr konzeptuell auch von „Stubengelehrsamkeit“ 204 getragen ist. Darum verneigt sich der Dichter vor dem, dessen „Geist grübelnd […] dem Fuß Flügel erfand“ 205 , um in der Folge dem Eislauf, der so benannt ist, eine gültige Form zu erdenken - „drum gieb dem Tanz Melodie! “ 206 Hoffmann schreibt diesem Befund entsprechend jüngst (die Studie erschien während der letzten Arbeiten an diesem Text und kann darum nur knapp gewürdigt werden), die „filigranen Sprachstudien“ 207 Klopstocks und seine „körperaffine[n] Poetik“ 208 entsprechen einander, das Drängen des Textes sei dies: „Körperlichkeit ist für Klopstock nur sekundär als inhaltlicher Gegenstand und primär in Bezug auf die Form und die Wirkung von Dichtung interessant.“ 209 Form ist demnach Form und ihr Aufbrechen, sie „als ein Speicherort und Medium von Körperbewegungen“ 210 , die sich allerdings in ihr nicht erschöpfen, moderiert zuletzt (sich als) diese Spannung oder diese Optionen ihrer selbst - die Binarität, die Hoffmann indes andeutet, erscheint darum übrigens als Schwachstelle seiner sonst lesenswerten Studie. 211 Tension: Wie zentral die Spannung zwischen der Verbindlichkeit jener Melodie und ihrer Non-Trivialität ist, zeigt der Ausruf, der alsbald mahnend folgt: „Künstle nicht! “ 212 Das Gleiten aber vollzieht sich über „Tiefen“ 213 , dem unter dem Eis verborgenen „geheimen Quell entrieselt der Tod“ 214 , die vollendete Leichtigkeit also korrespondiert hier wie im unerwarteten Takt des Fechtkampfs mit dem Schweren und Schwersten. Spannung und - lange Weile Überraschend ist, daß diese Formen der Spannung oft übersehen wurden; wie angedeutet wurde das Unbehagen an Klopstock meist polemisch ventiliert. In Grabbes Lustspiel Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung liest der Teufel als Schlafmittel Klopstocks Messias, um nach zwei Versen 142 Textualisierung, Teil 1 214 Ibid. 213 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. I·1, S. - 251/ Klopstock: Oden, Bd. 1, S. - 174. 212 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. I·1, S. - 250/ Klopstock: Oden, Bd. 1, S. - 173. 211 Cf. etwa ibid., S. - 153. 210 Ibid., S. - 146; cf. ibid., S. - 142ff. u. passim. 209 Ibid., S. - 25. 208 Ibid., S. - 22. 207 Hoffmann: Körperpoetiken, S. - 24. 206 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. I·1, S. - 249/ Klopstock: Oden, Bd. 1, S. - 173. 205 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. I·1, S. - 249/ Klopstock: Oden, Bd. 1, S. - 172. 204 Ibid. 203 Ibid., S. - 173. 202 Hilliard: Klopstock in den Jahren 1764 bis 1770, S. - 156. <?page no="143"?> einzuschlafen. 215 Man kann manche dieser Urteile auf naive Erwartungshaltungen zurückführen; Roetteken berichtet über die Messias-Rezeption, man habe verschiedentlich „im Messias die Schilderung einer »Schlacht« zwischen Engeln und Teufeln vermißt“ 216 , was sich fast genau 100 Jahre später - nämlich 1872 in Buschs Die fromme Helene - endgültig nur noch parodistisch einlösen ließ..: „Zwar Lenens guter Genius Bekämpft den Geist der Finsternus. Doch dieser kehrt sich um und packt Ihn mit der Gabel zwiegezackt.“ 217 Einen Geschmack, der derlei in ernsthafter Weise fordert, hat schon Horaz gegeißelt; „media inter carmina poscunt/ aut ursum aut pugiles; his nam plebecula gaudet.“ 218 - Tatsächlich ist die Verzeitlichung Klopstocks, das Minutiöse der Sprachekstasen, die erst im abermaligen Lesen schimmern, wörtlich langweilig. Man kann auf die behauptete Langeweile sie ernstnehmend sich beziehen. Zunächst theologisch: Denn es stellt sich doch die Frage, ob der Teufel, der den Text empörend langweilig findet, nicht insofern recht hat, als diese Langeweile das ist, wogegen sein Begehren nach Kürze bis zur Kurzschlüssigkeit sich richtet: Der Text ist, wenn er glückt, für den stets Verneinenden ein Übermaß an nicht zu Negierendem, also wörtlich todlangweilig. Die Idee eines Textes, dessen dezente Organisation ihn selbsttragend macht, ist analog der einer Schöpfung, deren Teleologie so gewiß wie je in der Immanenz gelegen ist: auch sie tilgt das, was nun nicht immanente Blüte, sondern externe Reduktion war, den Teufel nämlich, der hier mißglückte Transzendenz nur mehr sein könnte. Seine Lage ist prekär; und auch in einem anderen Sinne ließe sich fragen, ob sich der Teufel bei Grabbe das bei einem Buch dieses Inhalts leisten kann: sich einer Duellfähigkeit zu begeben, schlafend den Gedanken ausgesetzt, die aufgrund der (Nicht-nur-)Lektüre des Abendgebets wider (seinen) Willen unteuflisch sein mögen: Das Abendgebet führt in den „von […] Zwangsgedanken und Dämonen ungestörten Schlaf“ 219 - „inqietum est cor nostrum, donec requiescat in te“ 220 , heißt es in den Confessiones -, es führte den Teufel also sozusagen aus sich; es ist ein poetischer Exorzismus. Genau daran gebricht es Judas bei Klopstock, das Gewicht eines behüteten Schlafs für Textualisierung, Teil 1 143 220 Augustinus: Bekenntnisse, S. - 13, Lib. I·1. 219 Roth: Cor semper ad te vigilet, S. - 181; cf. hierzu Kindt: Klopstocks »Messias« als Schule der Meditation und des Gebetes, passim. 218 Horatius: Satiren · Briefe, S232, Epistulae · Liber II 1,185-186. 217 Busch: Da grunzte das Schwein, die Englein sangen, S. - 160f.; cf. Hainz: P ARALYSIS L OST - P ARALYSIS R EGAINED , passim. 216 Roetteken: Aus der speziellen Poetik, S. - 181. 215 Cf. Grabbe: Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung, S. - 25, 1. Aufzug, 4. Auftritt. <?page no="144"?> einen geglückten Lebensvollzug zeigt sich an ihm, dem im unruhigen, von den Dämonen teil-rationaler Schemata heimgesuchten Schlaf seine Tat eingeflüstert wird, mag sie auch Erlösung wie immer schuldhaft einleiten: „Und du schläfst, Ischariot, hier unbekümmert und ruhig, Und entfernst dich so lang von Jesus, als wenn du nicht wüßtest, Daß er dich haßt, und die übrigen Jünger alle dir vorzieht! “ 221 Dieser Monolog, der durch Dämonie bloß veranschaulicht wird, ist in Klopstocks Theologie Judas’ Substitut der „offenbarende(n) Träume“ 222 - dieser Halbschlaf läßt Judas Jesus als „Freund der Erschaffenen“ 223 verkennen, noch im Tod: „Ich kenne das Rauschen/ Deiner Stimme zu wohl! du bist der todte Messias! / Du verfolgst mich, und forderst dein Blut. Hier bin ich! hier bin ich! “ 224 Das ist der „heftige Schmerz, welcher das Schreien auspresset“ 225 , wie es bei Lessing von Laokoon („clamores […] horrendos ad sidera tollit“ 226 ) heißt - und weder läßt dieser Schmerz nach, noch ließe sich sagen, er „zerstöret das leidende Subjekt“ 227 , wonach Judas nur „bloße[n] Hülle um den leeren Mund“ 228 wäre und verlöschen könnte… Keine dieser beiden Gnaden erfährt Judas, er ist schreiend die Selbstidentität, die sich in Ewigkeit zu verzehren scheint. Vor Judas’ ihn davon nicht erlösender Selbsttötung weicht selbst der Todesengel zurück, eine in der Bibel durchaus abgründige Figur, die bei Klopstock erst, nachdem sie „Jesus im Namen Jehovah’s/ Seinen nahenden Tod verkündiget“ 229 hat, sagt, es seien bislang ihrer „Unsterblichkeit Kräfte“ „(n)iemals […] noch […] erlegen“ 230 , erst nun bedürfe sie Trost - „Stärke mich wieder, du Strahl der Allmacht“ 231 … Der robuste Empfänger der „Befehle der zürnenden Allmacht“ 232 , „(d)er göttlichen Rache Vollender“ 233 , wie er geheißen wird, weicht vor dem gräßlichen Selbstmord Judas’ zurück: „Staunend/ Trat Obaddon selber zurück, da er starb“ 234 … Er - das ist jener Judas, hier ein nur noch schemenhaftes Subjekt, ganz „Entsetzen“ 235 , das allein der Ausrufe fähig ist. Diese physische Zerstörung ist Bild einer geradezu diskursiven, kein Strafgericht (trotz Erwähnung 144 Textualisierung, Teil 1 235 „Blickt das Entsetzen hinunter“ - ibid., S. - 199, Gesang IX, V.758. 234 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 144, Gesang VII, V.209f. 233 Ibid., S. - 199, Gesang IX, V.758; cf. auch Wöhlert: Das Weltbild in Klopstocks Messias, S. - 9. 232 Ibid., Bd. IV·1, S. - 199, Gesang IX, V.768. 231 Ibid., S. - 67, Gesang XIII, V.31. 230 Ibid., S. - 67, Gesang XIII, V.29f. 229 Ibid., Bd. IV·2, S. - 67, Gesang XIII, V.24f. 228 Matt: Die verdächtige Pracht, S. - 318. 227 Lessing: Werke, Bd. VI, S. - 26. 226 Vergil: Aeneis, S. - 74, Liber II, V.222; cf. ibid., S. - 74ff., Liber II, V.201ff. 225 Lessing: Werke, Bd. VI, S. - 26. 224 Ibid., S. - 144, Gesang VII, V.206ff. 223 Ibid., S. - 90, Gesang IV, V.950. 222 Ibid., S. - 66, Gesang IV, V.59. 221 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 60, Gesang III, V.578ff. <?page no="145"?> „einer „göttlichen Rache“ 236 ), sondern Judas’ Besessenheit ist der grausige Hiatus im Erlösungsgeschehen; sie hebt mit jenen monologischen Träumen an, jenen sich verschließenden Nicht-mehr-Texten. „Judas schläft weiter, weil Gott es so wünscht“ 237 , schreibt Rülke - aber das Gegenteil trifft es wohl eher, es ist seine sich entstellt habende Wachheit, was ihm scheinbar träumt. Wachheit wäre, diese Monologe zu dekonstruieren, ihre Eigengesetzlichkeit zu befragen, wo Judas sein eigenes Opfer, das Opfer „seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit“ 238 ist; ein eigentlicher Schlaf wäre statt jener Träume, die Judas hat, gleichsam wach - doch jener Jünger irrt wie Franz von Moor, der im Gegenteil freilich seine Träume abtut, um einem Dispositiv zu folgen, das ihn längst verdorben hat. 239 Man mag an der schlichten Wahrheit des Dieners Daniel, der so von seinem Herrn bedrängt wird, zweifeln, wie an seiner zweifachen Entgegnung: „Träume kommen von Gott.“ 240 Doch Franz wie eben auch Judas straucheln dort, wo die von Adorno formulierte Frage besteht, in welchem Terrain zwischen „»es träumte mir« und »ich träumte«“ 241 die Wahrheit des Traums liege. Das Ineinander von Vernunft und Epiphanie wäre hypnopoetisch zu erahnen: worin das Denken wahrhaftig „seinen Gang“ 242 nähme. Vielleicht dem Sein und darin sich selbst günstig gestimmt, aber darin sich aufhebend wäre es ein fast divines Risiko: Es sei das Göttliche des Schlafs, auch Gottes Ordnung nicht zu folgen, selbst „Gott muss geschlafen haben“ 243 , auf daß die Schöpfung sich vollende: Wer in diesem Sinne - aus einer anderen Wachsamkeit - schlafe, der gebe die „Intention […] auf; er tritt ein in die Auflösung der Projekte und Absichten, der Antizipationen und Berechnungen.“ 244 Gott als auch schlafender „Gott, der sich selbst widersprochen hätte“ 245 , wäre Gott. Auf- und Erlösung sind nicht zu verwechseln, hier aber auch nicht unverbunden, in dieser Passion oder Beinahe-Aktion, welche die „Vorgängigkeit des Schlafs“ 246 ist. Darauf zielt das Abendgebet und jedes Gebet, nämlich auf jene Ziellosigkeit, die darin gelegen ist, einer „Gelassenheit“ 247 , um sich „»bewegen« und »inspirieren« zu lassen“ 248 , einer „Verfertigung von Gedanken“ 249 als Textualisierung, Teil 1 145 248 Ibid.; cf. auch etwa Balthasar: Theologik, Bd. I, S. - 309. 247 Balthasar: Herrlichkeit, Bd. II, S. - 214. 246 Nancy: Vom Schlaf, S. - 12. 245 Blumenberg: Die Vollzähligkeit der Sterne, S. - 135. 244 Ibid., S. - 11. 243 Nancy: Vom Schlaf, S. - 34. 242 Steiner: Warum Denken traurig macht, S. - 23. 241 Adorno: Gesammelte Schriften, Bd. 4, S. - 217. 240 Ibid., S. - 602. 239 Cf. Schiller: Sämtliche Werke, Bd. I, S. - 600. 238 Kant: Werkausgabe in 12 Bänden, Bd. XI, S. - 53, A 481 (im Original gesperrt, M.H.). 237 Rülke: Gottesbild und Poetik bei Klopstock, S. - 137. 236 Ibid. <?page no="146"?> „gleichzeitige(r) Inter-aktion und Inter-passion […], in der Eigenes und Fremdes sich verflechten“ 250 , stattzugeben. Die Frage, „ob nicht auch Kaiphas Träume,/ Die Gott sendet, gesehn hat“ 251 , ist jene eben danach. Ein Denken wäre es, gleichwohl: „Es denkt, sollte man sagen, so wie man sagt: es blitzt.“ 252 Es wäre ungehörig. Dieses Ineinander spiegelt noch die transformierte Musenanrufung, die zur Utopie eines Selbstgesprächs wird, wider: „Sing, unsterbliche Seele, der sündigen Menschen Erlösung“ 253 … Die Langeweile, die also nicht einfach Untätigkeit ist, sondern schlechthinniges negotium werden kann, findet sich im anthropologischen Aperçu Goethes skizziert: „Wenn die Affen es dahin bringen könnten, Langeweile zu haben, so könnten sie Menschen werden.“ 254 Langeweile ist hier schon eine Aufmerksamkeit, die ihr Nichts neu formuliert, im Nichts schließlich sich ahnt und findet - um das Äffische konstatierend es zu transzendieren. 255 Blaise Pascal rechnet denn auch jene Langeweile unter die „Haupteigenschaften des Menschen“ 256 , Goethe nennt sie pointiert „Mutter der Musen“ 257 … So ist dialektisch das Langweilige, versenkt man sich darin, das schlechthin Nicht-Monotone: die feingesponnene Textur des Erlebens selbst, während die Betriebsamkeit ein Modus des Langweiligen sein mag. Benjamin formuliert, es sei also „Langeweile […] ein warmes graues Tuch, das innen mit dem glühendsten, farbigsten Seidenfutter ausgeschlagen ist.“ 258 Langeweile sei also die mögliche Auferstehung durch jene „grey dissimulation“ 259 ; diese Langeweile formuliert Peter von Matt im Dialog mit Alexander Kluge in bezug auf Klopstocks Epos; es sei „langweilig“ 260 , genauer: Es halte seinen ununterbrochen dem Leser zugemuteten Ernst „kein Sterblicher aus“ 261 … was, wenn genau dies die Langeweile aber hier ausmachte, ihre Provokation und Evokation? - Blumenberg imaginiert „der Langeweile […] Epiphanie“ 262 … Die Langeweile wörtlich nehmend läßt sich feststellen, daß der Messias und manches aus Klopstocks Schaffen umfänglich und komplex sei, Zeit 146 Textualisierung, Teil 1 262 Blumenberg: Ein mögliches Selbstverständnis, S. - 160. 261 Ibid. 260 Kluge: Magazin des Glücks, S. - 117. 259 Milton: The Major Works, S. - 631, Book II, V.498. 258 Benjamin: Gesammelte Schriften, Bd. V·2, S. - 1054. 257 Goethe: Berliner Ausgabe, Bd. I, S. - 226. 256 Pascal: Gedanken, S. - 67. 255 Cf. Hegel: Werke in 20 Bänden, Bd. 13, S. - 112. 254 Goethe: Berliner Ausgabe, Bd. XVIII, S. - 615. 253 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 1, I. Gesang, V.1. 252 „Es denkt, sollte man sagen, so wie man sagt: es blitzt. Zu sagen cogito, ist schon zu viel, so bald man es durch Ich denke übersetzt.“ - Lichtenberg: Schriften und Briefe, Bd. II, S. - 412, [K 76]; cf. auch etwa Nancy: Ego sum, S. - 25f., 29, 31ff. u. passim. 251 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 66, Gesang IV, V.60f. 250 Ibid. 249 Waldenfels: Jenseits des Subjektprinzips, S. - 82. <?page no="147"?> beanspruche, und zwar sozusagen absolut - im Sinne einer nicht komprimierbaren Form, die von dem, was sie zu organisiseren scheint, nicht als deren Essenz zugleich preisgegeben ist: „Die Verspätung ist […] das philosophisch Absolute“ 263 , formuliert Derrida… Um diese geht es, während Klopstock zugleich dem Leser glaubhaft versichert, ihn nicht mit Belanglosigkeiten langweilen zu wollen. 264 Diese Option läßt die unironische Würdigung von Weerth in seiner Schrift Die Langeweile, der Spleen und die Seekrankheit verstehen, die dem „unerreichten Klopstock“ 265 zuteil wird - viel zu oft sah die Schar der Leser (und Nicht-Leser) Klopstocks offenbar statt der Ewigkeit die Langeweile… Dies ist etwa der Befund Mendelssohns, der von der Rezeption der Messiade schreibt, es sei „die Welt […] zu ungeduldig“ 266 ; in der Tat ist der Messias von Beginn an bekannt, das, was hier dennoch an Information besteht, muß die Form betreffen, sieht man von Details wie der dann doch eifrig diskutierten Teufelserlösung einmal ab. Diese Form ließe sich als Nobilitierung dessen lesen, was nicht komprimierbar ist, als Reichtum der kleinen Wendungen, die genauer eine Fülle des Denkens erschlössen - oder ganz unphilologisch formuliert ein Glück, gegen dessen Habbarkeit schon Adorno einwandte, wenn es denn sei, so gelte: „Man hat es nicht, sondern ist darin.“ 267 Es geraten in einem wie immer gehabten Glück hingegen allzu leicht „die Glücksgüter selbst zu Elementen des Unglücks.“ 268 Insofern ist die blanke Expansion von Glück etwas, worauf schon früh repliziert wurde: „Ein langes Glück verliert schon bloß durch seine Dauer.“ 269 In der Vieldeutigkeit des Glücksbegriffs eigne diesem, daß Glück das Glücken je des sich öffnenden Textes meinen könnte: daß also „in der Unbestimmbarkeit des Glücks die Glücksmomente liegen“ 270 mögen. Auf diese Möglichkeiten schreibt der Text Klopstocks sich zu, eine durch und durch moderne Intention, allein in des textuellen Werkes Sprache, so wird Wittgenstein schreiben, „berühren sich Erwartung und Ereignis.“ 271 Der Text Klopstocks ist Andeutung eines Unendlichen, ins Kleinste wie über sich hinaus, Verfeinerung, Wachstum, Anschließbarkeit. Die raffinierte Moderation von Energien diskreter Bezüge verlangt die Langeweile, die so zu benennen Gefahr läuft, kurzschlüssige Karikatur einer Denkfigur zu sein, während nur um den Preis des Abenteuers dieser Langeweile und ihrer poetisch-kinetischen Energien eine dann kaum zu transzendierende Abbreviatur möglich wäre. Der langweilige Umweg stellt sich, also Textualisierung, Teil 1 147 271 Wittgenstein: Wiener Ausgabe, Bd. III, S. - 34. 270 Schuh: Pas de Chance, S. - 9. 269 Lichtenberg: Schriften und Briefe, Bd. I, S. - 460, [F 6]. 268 Ibid., Bd. 3, S. - 15. 267 Adorno: Gesammelte Schriften, Bd. 4, S. - 126. 266 Mendelssohn: Ästhetische Schriften, S. - 103; cf. zur Zeit bei Klopstock auch ibid., S. - 228. 265 Weerth: Sämtliche Werke in fünf Bänden, Bd. 4, S. - 197. 264 cf. etwa Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Briefe, Bd. V·1, S. - 309, Nr. 214, 3.7.1772. 263 Derrida: Husserls Weg in die Geschichte am Leitfaden der Geometrie, S. - 202. <?page no="148"?> das, wovon er bloß Umweg sei, in Frage, indem er begangen wird; seine moderiert erhaltenen Energien, die Relektüre und Fortführung evozieren, bezeugen seine Transfiguration: „(D)er Weg des Geistes ist […] der Umweg“ 272 … „aber gibt es das denn: Umwege? “ 273 Wie wollte man sie interpretatorisch vergeistigen, wenn die Form ihr Geist ist? - Nietzsche schreibt, er wisse nicht, „was »rein geistige« Probleme sind.“ 274 Dies mag ein subtiler Reflex des Quasi-Umwegs sein. 275 Der Text wird, was Sloterdijk vom sich bildenden Menschen sagt, er ist womöglich noch immer Karikatur seiner selbst - der Langeweile scheint etwas von dieser Art anzuhaften -, zugleich aber auch: „Vorfreude auf sich selbst“ 276 ; dies ist von Vers zu Vers die Spannung eines Werks, worin oberflächlich betrachtet „keinerlei Versuch unternommen (wird), […] Spannung zu evozieren“ 277 … Noch Gott ist in der Sprache durch „die Feuertaufe des heiligen Geistes“ 278 präsent, wie Klopstock formuliert, präsent also durch das und in dem Medium, das allein das evoziert, was nicht unzeitlich oder atextuell wäre; Gott ist bei Klopstock „Gottheit“ 279 und „die ewige Liebe des göttlichen Mittlers“ 280 , was in jene Richtung weist. Damit ist in dieser Langeweile „(d)er einzige Haltepunkt […] die Leere“ 281 , vorsichtiger: „das Unnennbare einer Wahrheit“ 282 - also die Spannung zwischen Haltlosem. Sie verfehlte der Effekt, der den Leser einer Gewißheit versichernd betröge und blendete: „Wer blind wählet, dem schlägt Opferdampf/ In die Augen“ 283 , so lauten die Verse, die der Theoretiker dialektischer Inspiration Benjamin nicht zufällig als Motto in seiner Schrift zu Goethes Wahlverwandtschaften gebraucht. 284 Es denkt; das ist nicht das Gedachte, aber auch nicht der souverän Denkende, es ist als das „absolute Ich […] nicht etwas (es hat kein Prädicat, 148 Textualisierung, Teil 1 284 Cf. Benjamin: Gesammelte Schriften, Bd. I·1, S. - 125. 283 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. I·1, S. - 449/ Klopstock: Oden, Bd. 2, S. - 60. 282 Ibid., S. - 111. 281 Badiou: Ethik, S. - 40. 280 Ibid., S. - 5, I. Gesang, V.169. 279 Ibid., Bd. IV·1, S. - 5, I. Gesang, V.168. 278 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·2, S. - 264, XIX. Gesang, V.1079. 277 Rülke: Gottesbild und Poetik bei Klopstock, S. - 122. 276 Sloterdijk: Lernen ist Vorfreude auf sich selbst, S. - 112; cf. zu Karikatur/ Antizipation Schlegel: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, 1. Abt., Bd. II, S. - 174. 275 Cf. hierzu u.a. Osten: »Alles veloziferisch« oder Goethes Entdeckung der Langsamkeit, S. - 25, Vogl: Über das Zaudern, S. - 36, 51 u. passim sowie Blumenberg: Die Sorge geht über den Fluß, S. - 137. 274 Nietzsche: Sämtliche Werke, Bd. IX, S. - 170. 273 Celan: Gesammelte Werke in fünf Bänden, Bd. III, S. - 185. 272 Hegel: Werke in 20 Bänden, Bd. 18, S. - 55 sowie ibid., Bd. 20, S. - 507; cf. auch etwa Blumenberg: Wirklichkeitsbegriff und Wirkungspotential des Mythos, S. - 43. <?page no="149"?> und kann keins haben); es ist schlechthin, was es ist, und dies lässt sich nicht weiter erklären.“ 285 Damit ist es aber die Durchstreichung dessen, was es ins Totale seines Begriffs strebend nicht mehr sein kann, ganz ein Ich, weil es „in gar keinem Sinn mehr Ich wäre“ 286 : Der Kopf ist zu wahren, so findet sich bei Lichtenberg der Vorschlag, wie bei der Rasur, so auch bei der Philosophie „nicht die ersten Versuche an der Kehle“ 287 zu machen; doch so geerdet diese Annotation ist, geht es offenbar zuletzt immer dramatisch im Gegenteil um die Frage, was ein Geköpfter für eine „Empfindung“ 288 mitzuteilen hätte, um das „geköpfte absolute Ich“ 289 : „Nicken Sie mal.“ 290 Womöglich ist genuiner Text das Verbinden der beiden Momente; Stil sei, was dies leiste, nämlich die textuelle Ausbreitung gestatte, die sinnlos erschiene, würde die Form nicht, was sie sage, so sagen, variierende Wiederholungen, die besagte Spannungen initiieren und aushalten, nicht erzwingen: und zwar durch das sich ausbreitende Netz, das in sich die starren Partialordnungen aufhebt. Dieses Netz, das noch zu beschreiben ist, ist gleichsam aus Betonungsenergien geflochten, transformiert Langeweile in mikrologische Spannungen und Entladungen - „la plus grande varieté, avec le plus grand ordre“ 291 -, die unachtsam zu schreiben oder lesen von prekärer Nachlässigkeit wäre: „Die besten Gedanken sind in der Gefahr, auf diese Art verdorben zu werden.“ 292 Es sei zuallererst darauf zu achten, daß jene stilistisch „nicht verschleyert“ 293 werden, ihr Stil entbirgt sie aber in dem Schleier, welcher Textur zuallerst zu sein scheint. Radikaler folgt Hölderlins Bild Klopstock, einen (Zeit-)Punkt andeutend, nach dem topisch kein stabiler Punkt mehr sein mag: „Seit ein Gespräch wir sind und hören voneinander“ 294 … Telos ist der „Gesang“ 295 , wo die Entbindung der Momente bei Jean Paul in ein dis- und darum desparates Tönen mündet, jene Vereinzelung Textualisierung, Teil 1 149 295 Ibid., Bd. X, S. - 31; cf. auch Peng-Keller: Gebet als sinnliches Sinnereignis, S. - 45 u. passim. 294 Hölderlin: Sämtliche Werke, Bd. III, S. - 430; in bezug auf Christus verfaßt Hölderlin die losgelöst stehende, eine Theologie andeutende Zeile: „Denn nimmer herrscht er allein.“ - Hölderlin: Sämtliche Werke, Briefe und Dokumente in zeitlicher Folge, Bd. IX, S. - 11. 293 Klopstock: Sämmtliche Werke, Bd. 8, S. - 3. 292 Klopstock: Gedanken über die Natur der Poesie, S. - 29; cf. Mülder-Bach: Im Zeichen Pygmalions, S. - 154 sowie Große: »Von dem Range der schönen Künste und der schönen Wissenschaften«, S. - 35. 291 Leibniz: Die philosophischen Schriften von Gottfried Wilhelm Leibniz, Bd. VI, S. - 603. 290 Marquard: Abschied vom Prinzipiellen, S. - 23. 289 Adorno: Gesammelte Schriften, Bd. 6, S. - 491. 288 Ibid., S. - 906, [L 378]; cf. Derrida: Dissemination, S. - 29. 287 Lichtenberg: Schriften und Briefe, Bd. I, S. - 183, [C 142]. 286 Adorno: Gesammelte Schriften, Bd. 5, S. - 264; cf. auch Foucault: Die Ordnung der Dinge, S. - 391 u. passim. 285 Fichte: Johann Gottlieb Fichtes sämmtliche Werke, Bd. 1, S. - 109. <?page no="150"?> „schwankte auf und nieder von zwei unaufhörlichen Mißtönen, die in ihr miteinander kämpften und vergeblich zu einem Wohllaut zusammenfließen wollten.“ 296 Doch die Zeit, die, wenn die Komposition der Schöpfung nicht synchron und augenblicklich präsent ist - wovon das Dissonante des Seins geradezu zeugt -, Konsonanz und einstweilige Dissonanz in actu sich finden läßt, wäre das Messianische. Der Gesang antizipierende und in ihn übergehende Text „löset den Geist“ 297 ; bei Adorno heißt es, daß „Text […] beides (sei): prinzipiell unlösbares Rätsel und Prinzip zu seiner Lösung.“ 298 150 Textualisierung, Teil 1 298 Adorno: Nachgelassene Schriften, Abt. I, Bd. 2, S. - 241; cf. u.a. Derrida: Die Wahrheit in der Malerei, S. - 233 sowie Balthasar: Theologik, Bd. I, S. - XXII. 297 Hölderlin: Sämtliche Werke, Briefe und Dokumente in zeitlicher Folge, Bd. X, S. - 31. 296 Jean Paul: Sämtliche Werke, 1. Abt., Bd. 2, S. - 268. <?page no="151"?> Bild und Erhabenes Ehe dem emphatischen Durativ der langen Weile Klopstocks und dem Textuellen weiter gefolgt sei, worin sich diese ganz aktualisiert, nicht motivisch, sei zum Bild - im Kontrast zum bereits Skizzierten, also zu seiner Krise - noch etwas bemerkt: Schon angeklungen ist der Begriff des Erhabenen: womit, da das Bild prinzipiell das Erhabene nicht darstellen könne - denn wie ließe sich in einem Bild fassen, was „schlechthin groß (absolute non comparative magnum)“ 1 ist, wie ergäbe sich ein Bild von jenem ungegenständlichen, nämlich „formlosen Gegenstand“ 2 in seiner gewissen „Unbegrenztheit“ 3 ? -, all die Motive und Bilder Klopstocks sozusagen immer bedroht sind, wiewohl er just das Erhabene als Gegenstand, der darzustellen sei, angibt - der „Gegenstand ist vornehmlich alsdann darstellbar, wenn er erhaben ist“ 4 … Es sprengt die Referenzsysteme, ist darum deren eigentliche Herausforderung, verwandt dem Gottesbild bei Thomas von Aquin, der über Gott bemerkt, jener sei „aliquid quo maius cogitari non potest“ 5 , ihm dabei aber noch den Komparativ indirekt aufnötigt, der bei Kant selbst negiert wird. Klopstocks Antwort sind Schilderungen, die von Beginn an „(e)wig unbildsam“ 6 sind - und allein darin Mimesis, daß das, was sie schildern, eben dies ist: unbildsam. 7 Das Gestalt- und Wesenlose der Teufel ist dabei Karikatur der Erhabenheit, erst recht vor dieser. Pittoresk sind die Aufplusterungen der Teufel, wiewohl sie ans Erhabene momentan rühren und wie dargestellt ihre Rätsel haben; schon von den Mächten, die in den Epen Homers erscheinen, schreibt Burke: „In einem Gemälde würden solche Gestalten deutlich genug geraten können; aber ich fürchte, sie würden zugleich lächerlich werden“, „they might become ridiculous“ 8 . Erst recht problematisch wäre ein Bild Gottes, der schlechthinnigen Erhabenheit gleichsam. Es ist Konsequenz der Theologie, daß Klopstock einen „nichtmimetischen“ 9 oder sogar „antimimetische(n)“ 10 Weg einzuschlagen hat (wie auch Burke andeutet, daß „W ORDS […] without raising 10 Kohl: Friedrich Gottlieb Klopstock, S. - 58. 9 W. Preisendanz in Fuhrmann et al.: Zur Theorie der Lyrik im 18. Jahrhundert, S. - 404. 8 Burke: Philosophische Untersuchung über den Ursprung unserer Ideen vom Erhabenen und Schönen, S. - 99 bzw. Burke: A Philosophical Enquiry into the Origin of our Ideas of the Sublime and Beautiful, S. - 64. 7 Cf. auch etwa Szondi: Schriften, Bd. 2, S. - 384. 6 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 31, Gesang II, V.387. 5 Thomas von Aquin: Summa contra gentiles, Bd. I, S. - 32; cf. N.N.: Was ist Gott, S. - 39f. 4 Klopstock: Gedanken über die Natur der Poesie, S. - 168. 3 Ibid (im Original gesperrt, M.H.). 2 Ibid., S. - 165, B 75, A 74. 1 Kant: Werkausgabe in 12 Bänden, Bd. X, S. - 169, B 81, A 80 (im Original tw. gesperrt, M.H.). <?page no="152"?> I MAGES “ 11 eine Qualität eines Textes sein könnten: aufgrund der „ideas not presentable but by language“ 12 ) - oder diesen Weg einzuschlagen hätte. Das gilt für Gott; aber es gilt auch für den Raum; „Klopstocks Universum“ 13 müßte dem bereits entsprechen, wiewohl es „eng und kleinlich“ 14 erscheint, retrospektiv; es ist aber zuallererst das Tableau der Kommunikation, worin Gott dem Menschen erscheint, ihn irdisch zu Himmlischem fordert und verpflichtet. 15 Hierin ist das Enge und Kleinliche doch, worin ein Reflex des Sublimen aufscheint; das Erhabene führt dem Irdischen mit seinen eben noch nicht zu erhoffenden oder denkbaren Relationen zu sich eine „Noble kind of Pride“ 16 zu - als neue, paradoxe Form von Essenz: die Erfahrung, daß das Sich/ Selbst nicht Innigstes des Seins ist, dieses sich in etwas, das es nicht ist, erfüllt, „ero ipse tecum“ 17 . Klopstock erscheint hier als Allegoriker: „Der Grübler, dessen Blick, aufgeschreckt, auf das Bruchstück in seiner Hand fällt, wird zum Allegoriker“ 18 , schreibt Benjamin - hier aber ist das Bruchstück paradox intakte Referenz auf ein Ganzes, intakt darin, sich zu entwickeln, ins Messianische, das in Antizipation nicht aufgeht. Bilder sind, wo sie aufscheinen, bei Klopstock ein Problem und eine Akkumulation, aber darin leben sie fort, in gerade jenem Rausch, in der Rhythmik ihres Wechsels und dann der Bewegung des Wortes, in dem, was noch dem zum Augenmenschen entstellten Goethe Adorno zufolge eignet: „Die Gewalt seiner Sprache überflutet derart das Sichtbare, daß sie, trotz der gerühmten visuellen Genauigkeit, in Musik hinüberspielt.“ 19 Auch das Bild Klopstocks ist jenseits seiner selbst ein metrisches „Netzhautgeräusch“ 20 , ein „(d)istinktes Oszillieren“ 21 , eine Öffnung, was an die Himmelsvisionen der Bibel nochmals rührt. 22 Das Bild des Raums ist also zum einen Szene der Vermittlung, darin textuell; zum anderen ist es Klopstocks Ehrgeiz, doch hier Größe zu fassen. So setzt er mit schier „unvorstellbaren Bewegungsabläufen und kosmischen Raumfluchten […] das moderne kopernikanische Weltsystem ins Bild“ 23 ; hierauf 152 Bild und 23 Schings: Klopstock. 22 Cf. u.a. Mk 1,10, Joh 20,17 oder Apg 7,55. 21 Nancy: Am Grund der Bilder, S. - 109; cf. ibid., S. - 109ff. 20 Marin: Die Malerei zerstören, S. - 10. 19 Adorno: Gesammelte Schriften, Bd. 11, S. - 496. 18 Benjamin: Gesammelte Schriften, Bd. I·2, S. - 676. 17 Augustinus: Bekenntnisse, S. - 62, Lib. I·20; cf. auch etwa Augustinus: De trinitate, S. - 40, Liber VIII sowie Nancy: singulär plural sein, S. - 124. 16 Richardson: Of the Sublime, S. - 410. 15 Cf. hierzu Klopstock: Gedanken über die Natur der Poesie, S. - 168. 14 Ibid. 13 Brunner: Die Lehre von den Geistigen und vom Volk, Bd. I, S. - 537 (Anm.). 12 Ibid., S. - 175. 11 Burke: A Philosophical Enquiry into the Origin of our Ideas of the Sublime and Beautiful, S. - 167. Erhabenes <?page no="153"?> weist auch schon Constantin Brunner als hier beispielhaft moderner Leser wie auch Kritiker hin, der zwar (just! ) das Anschauliche darin teils problematisiert, aber konzediert, Klopstocks ihm fragwürdig erscheinende Lösungen seien doch stets genuin. 24 Man lese zu diesen Befunden, die den „dichterischen Zug[s] zum stimulierend Unanschaulichen“ 25 , der Klopstock eignet, nicht unbegründet als vorbehaltlos positive Qualität zu lesen scheinen, etwa Die Frühlingsfeier, worin der Kosmos zu einem sinnvollen perpetuum mobile sich gestaltet, worin „ein Strom des Lichts rauscht’ und unsre Sonne wurde“ 26 , oder Dem Allgegenwärtigen, worin Klopstock die Unendlichkeit und ihre - sie generierende - Spiegelung allein in der Seele denkt. 27 Wöhlert beschreibt dies als Qualität des Werks, „(w)ir können Eloa nicht auf seinem Fluge begleiten wie den Poseidon Homers auf seiner Reise, den Orkus Klopstocks nicht sehen“ 28 . Die Welten nämlich sind unermeßlich, unendliche Fluchten noch in dem, was seinen Ort im Raum habe, wie eine Beschreibung der Hölle zeigt: „In dem Raume, den Gott ihr in dem Unendlichen abmaß, Wälzt sie sich, keiner Ordnung gehorsam, auf und nieder, Keine Gesetz der langsamen, oder schnellen Bewegung.“ 29 Noch dieses Unbeseelte und Sinnlose wird zu Größe, gemessen doch keiner Ordnung gehorchend, unendlich im Endlichen, ein seltsames Bild der Schrift, die das Unendliche etwa in 20 Gesängen, die der Messias umfaßt, unterbringt, als Gerade-noch-Ordnung, als Sinn, der, bändigte er, woraus er lesbar wird, schon höllischer als die Imagination der Hölle sein könnte. Die mediale Krise wird das Bild selbst. Unübersichtlich ist dieses Tosen, das seinerseits doch „unter den nächsten Sternen verhallt[e]“ 30 , in grenzenlosen Räumen und Rotationen, wenngleich diese sinnfällig-gottgewollt sein sollen: „Sonnen, unzählbare Kinder der Schöpfung“ 31 … Diese Bilder sind nun beides, Szene und deren Krise, Szene nur mehr als „Sinnenrausch mit ekstatisch zerfließenden Bildern“ 32 , gewissermaßen - letzter und (angesichts der weniger offensichtlichen Implikationen theologischer Natur) ungehemmtester Ausdruck dieser imagologischen Krise. Es liegt also zuletzt an einem prinzipiellen Sachverhalt, daß der Messias in Bild und 153 32 Müller: Die Religiosität in Klopstocks »Messias«, S. - 19. 31 Ibid., S. - 41, Gesang II, V.782; cf. hierzu auch Mendelssohn: Ästhetische Schriften, S. - 158, 218ff. u. passim. 30 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 198, Gesang IX, V.737. 29 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 198, Gesang IX, V.738ff.; cf. auch Wöhlert: Das Weltbild in Klopstocks Messias, S. - 26f. 28 Wöhlert: Das Weltbild in Klopstocks Messias, S. - 5. 27 Cf. Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. I·1, S. - 152/ Klopstock: Oden, Bd. 1, S. - 126. 26 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. I·1, S. - 173/ Klopstock: Oden, Bd. 1, S. - 134. 25 Hurlebusch: Der junge Klopstock in seiner Zeit. 24 Brunner: Die Lehre von den Geistigen und vom Volk, Bd. I, S. - 537, 909 u. passim. Erhabenes <?page no="154"?> seiner Bildlichkeit schwächer als in seiner Musikalität und allgemeiner sozusagen Sprachlichkeit erscheint. 33 Man kann aber wie angedeutet sagen, daß die Bilder textuell fortleben, in Bildern, die das Sublime der Metrik sind, die darum in „Feinheit“ 34 aufgehen lassen, was anders als kombinatorisch (und dann jenseits des Kombinatorischen), im Zusammenspiel von betonten und unbetonten Silben, worauf zu kommen bleibt, Chimäre wäre. 154 Bild und 34 Martus: Werkpolitik, S. - 238; cf. ibid., passim. 33 Cf. zum Grundproblem von Unendlichkeit, Physik und Metaphorik auch Grössing: Die kontinuierliche Einbettung diskreter Ereignisse, S. - 213ff. Erhabenes <?page no="155"?> Textualisierung, Teil 2 Schriftgott All den Motiven, die sich zeigten, all den Theologien, Poetologien und Politiken, die an Klopstock anzuschließen fast unumgänglich ist, scheint es gemein zu sein, daß sie sich textualisieren, daß sie wieder auf ein Messianisches weisen, worin jede Position durch etwas formuliert ist, das sich und damit jene Position überschreitet. So ist „das »Niedere« […] dazu fähig und sogar verurteilt […], das »Hohe« zu tragen“ 1 , nämlich von ihm zeugen, auch von ihm im Sinne zukünftiger Schrift, woran der „Erdenrest“ 2 , um es mit Goethe zu formulieren, das Mögliche weniger verstellend wirken möge. Es sei das paradoxe Prinzip des Textes, daß dieser nur als momentaner ewig ist, als „labiles Werk […] Ursprungsarbeit für ein ewiges Werk“ 3 werde, darin entgrenzt: als bleibend Initiales, dabei im Initiierten „von Jahr zu Jahr unerschöpflicher, größer, fremder - und in einem letztgültigen Sinne nirgends einzureihen“ 4 , so Heidegger. Der Text vernimmt eine Frage, die sich aus seiner Form ergibt, weist in sich zurück und über sich hinaus. „Veränderndes Antworten“ 5 auf sich ist er, sich ändernd, in sich neue Fragen vernehmbar machend. Das ist Klopstock betreffend fast Gott, dem zwar ein spontanes Handeln ohne logisches „Gesetz als Zwischeninstanz“ 6 zugebilligt - was die Idee Gottes auch fordert, der sonst „allmächtig unter der Bedingung, daß er nichts tue“ 7 , wäre -, der aber zugleich durch den Text bezeugt wird, als Möglichkeit, ihm gemäß zu handeln, wo der Glaube dies als Option sieht, oder aber ihn als Inbegriff dessen zu artikulieren, was im Denken dieses vom Mutwilligen ablöst, es frei und eigengesetzlich sich vollziehen läßt. Gläubig formuliert besagte die Textur, daß sie wie „(a)lle Aktivität der Geschöpfe auf einer je tieferen Passivität“ 8 ruhe; säkular wäre der Satz ähnlich, wenngleich er etwas anderes meint. Textualisierung ist Martyrium, Zeugnis wie auch das Dulden, so ließe sich dies wenden. Das Dulden ist dabei als Zugelassenes, als Sich-Aussetzen eines Diskurses, der sich öffnet, wie im Christentum der Opfer-Status „für immer der Schande entrissen“ 9 , womit in der Schriftreligion, der Klopstock 9 Bahr: Theologische Untersuchung der Kunst · Poiesis, S. - 210. 8 Balthasar: Herrlichkeit, Bd. II, S. - 63. 7 Bierce: Des Teufels Wörterbuch, S. - 83. 6 Kaiser: Klopstock, S. - 107. 5 Pothast: Philosophisches Buch, S. - 379; cf. ibid., S. - 370 u. passim. 4 Heidegger: Gesamtausgabe, II. Abt., Bd. 39, S. - 23. 3 Serres: Atlas, S. - 112. 2 „Uns bleibt ein Erdenrest / Zu tragen peinlich“ - Goethe: Berliner Ausgabe, Bd. VIII, S. - 540. 1 Groys: Unter Verdacht, S. - 219; cf. auch etwa Blumenberg: Quellen, Ströme, Eisberge, S. - 18. <?page no="156"?> sein Werk appliziert, das hierin genuine Fortführung derselben ist, das Schreiben wie darin thematisch „die Menschwerdung final auf das Kreuz hingeordnet“ 10 und dieses keineswegs „nur eine Art Epiphänomen“ 11 der Erlösung ist: Passion und Aktion sind hier ein Ereignis, das „todbringend und geheiligt“ 12 ist. Der Text entgrenzt sich, hat seinen evident scheinenden „Raum des liturgischen Spiels durchbrochen und Wahrheit gemacht“ 13 , genauer die Möglichkeit von Wahrheit, durch einen geschärften Sinn für die Sprachlogik, die falsch in sich ruhte. 14 Doch das Wort, das um sich und seine vibrierenden Möglichkeiten und Verknüpfbarkeiten kreist, ist Gott; und „ist Wort […]; er tut sich und gibt sich“ 15 , ist das „Sich-selber-Einschmelzen[s] in eben dieses Werk“ 16 . Dies bleibt möglich - ein soteriologischer Inklusivismus -, hierfür gilt Klaus Weimars Befund von einer „Gewißheit der Erfüllung“ 17 bei Klopstock, was der kanonischen Ansicht von der „ CERTITUDINE DIVINAE PROVIDENTIAE “ 18 entspricht; abseits dieser Ruhe jenseits eines drängenden Wollens besteht die Spannung jener Offenheit, die für das Ganze der Erlösung noch eine „theodramatische Schlacht“ 19 um den einzelnen ficht, ob Sünder, ob Silbenzwang..: „Jeder errungene Sieg, mag er noch so lokal sein, ist universal.“ 20 Denn das Höchste west im „Entfaltetsten“ 21 , also nicht in einem Prinzip, sondern in dessen Selbstwerdung durch Explikation, worin das Einzelne nicht mehr rücknehmbar ist, die Topik, die es trägt, sich durch die Notwendigkeit dessen definiert, was sie zu aktualisieren schien. Text wird, so Marquard, hier „Multiversalgeschichte“ 22 … Gott als Schrift ist das Nicht-Redundante dessen, was er überblickt (selbst als „multitudo […] in primissimo uno complicatur“ 23 dessen Antizipation, die allein sich schon zu lesen vermöge), noch Goethes antikisierende 156 Textualisierung, Teil 2 23 Nikolaus von Kues: Schriften in deutscher Übersetzung, Bd. XXIII, S. - 44. 22 Marquard: Zukunft braucht Herkunft, S. - 122; cf. zum Verhältnis von Narrativen zur Konstruktion der Geschichte auch Blumenberg: Eine imaginäre Universalbibliothek, S. - 31 u. 40 (Anm.), Benjamin: Gesammelte Schriften, Bd. I·2, S. - 694 u. passim, Danto: Analytische Philosophie der Geschichte, S. - 27, 37 u. passim, Renger: Zwischen Märchen und Mythos, S. - 189 sowie Hünermann: Sprache des Glaubens - Sprache des Lehramts - Sprache der Theologie, S. - 35. 21 Schelling: Über das Verhältnis der bildenden Künste zu der Natur, S. - 17. 20 Badiou: Paulus, S. - 179. 19 Balthasar: Theodramatik, Bd. III, S. - 432; cf. Goethe: Berliner Ausgabe, Bd. VIII, S. - 62 u. 292. 18 Thomas von Aquin: Summa contra gentiles, Bd. III·2, S. - 60. 17 Weimar: Theologische Metrik, S. - 153. 16 Ibid.; cf. auch etwa Balthasar: Theodramatik, Bd. II·2, S. - 144. 15 Ratzinger: Einführung in das Christentum, S. - 191. 14 Cf. Girard, Vattimo: Christentum und Relativismus, S. - 42. 13 Ratzinger: Einführung in das Christentum, S. - 269. 12 Derrida: Dissemination, S. - 242; cf. ibid., S. - 237 u. passim. 11 Ibid. 10 Balthasar: Theologie der drei Tage, S. - 18. <?page no="157"?> Maskierung dieser Kondition beinhaltet jene Spannung, sein emanzipierter Prometheus kann nur Zeus adressierend seine Autonomie artikulieren. 24 Fast schon trägt dieser Textgott in sich einen „Polytheismus von verstreuten Praktiken“ 25 - das hebräische Elohim ist ein Pluralwort mit einem Epizentrum, das indes „übereinzig“ 26 ist; Klopstocks Sichtweise scheint dem zu entsprechen, wenn er sprachlich aus den Mächten eine löst, um sie zum Inbegriff von Schöpfung, Offenbarung und Erlösung dann zu gestalten: „Gott nennt ihn den Erwählten, der Himmel Eloa“ 27 … Ein von Ressentiment bedrohter, anspruchsvoller Vektor ist diese das Sein textualisierende und diversifizierende Erlösung, ein gefahrvolles „Geschehen aus Aporien“ 28 … In diesem Sinne schreibt Balthasar vom sich riskant entäußernden Schriftgott, er sei „schon formal der dramatischste aller Götter.“ 29 Darin: die Teufel dieses Dichters, sein Satan, den er sagen läßt, daß Gott „uns Göttern einst den Sohn der Ewigkeit aufdrang.“ 30 Doch teuflisch wäre der Text allein, wenn er seinen Gott - sich - dem nicht aussetzte. Text/ Gott ist das Leben jener Operatoren, man denke an Klopstocks Ode Sponda, worin die Versfüße göttergleich auftreten. 31 Dabei ist ihr Leben, daß sie zugleich dies ahnen, bloß das Aufspannen dessen zu sein, was ihre Erinnerung sein wird, ein universelles „self-unfolding“ 32 . Ihre Unruhe ist die Selbstbezüglichkeit ihrer „rituelle(n) Performanz“ 33 : daß sie also Gott aussagend um Gottes willen jene Form, die hierfür je gefunden ist, als vor allem die Möglichkeit lesen und umschreiben, durch diese hindurch qua Transformation gleichsam ans Transzendente zu rühren. Nur auf den ersten Blick ist erstaunlich, daß zugleich „Klopstock […] immer […] den Geist unter die Waffen ruft, ohne den Sinn mit der ruhigen Gegenwart eines Objekts zu erquicken“ 34 , wie Schiller in Über naive und sentimentalische Dichtung im Rahmen einer übrigens auch „als Selbstkritik“ 35 Schillers zu lesenden Überlegung annotiert; in der Sekundärliteratur findet sich ob dieser Dynamik der Befund, Klopstock neige dazu, seine Dichtung „semantisch arm, aber Textualisierung, Teil 2 157 35 Oellers: Schiller, S. - 326; cf. auch Czechowski: Über Klopstocks Modernität, S. - 92. 34 Schiller: Sämtliche Werke, Bd. V, S. - 736; cf. u.a. Luserke-Jaqui: Über die literaturgeschichtlichen Ursprünge des »Klassikers Schiller«, S. - 44. 33 Franz: Hölderlin - der Dichter des Dichters, S. - 60. 32 Badiou: Theoretical Writings, S. - 228; cf. auch etwa Badiou: Manifest für die Philosophie, S. - 120 sowie Steiner: Die Logokraten, S. - 89. 31 Cf. ibid., Bd. I·1, S. - 243ff./ Klopstock: Oden, Bd. 1, S. - 168ff. sowie Staiger: Die Kunst der Interpretation, S. - 48f. 30 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 35, Gesang II, V.557. 29 Balthasar: Theodramatik, Bd. II·2, S. - 486; cf. Balthasar: Apokalypse der deutschen Seele, Bd. I, S. - 55. 28 Hamacher: Heterautonomien, S. - 136; cf. ibid., S. - 135f. u. passim. 27 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 8, Gesang I, V.291. 26 Schelling: Philosophie der Offenbarung, S. - 191. 25 Certeau: Kunst des Handelns, S. - 110. 24 Cf. Goethe: Berliner Ausgabe, Bd. I, S. - 327f. <?page no="158"?> affektiv reich“ 36 zu gestalten, als „»Erlebnisdichtung« without »Erlebnisse«“ 37 , „entstofflicht“ 38 - oder auch der etwas generöse Satz: „Klopstock liebt die Katastrophen.“ 39 Hegel nennt auch darum wie erwähnt das Prinzip Klopstocks „poetische[n] Realitätslosigkeit“ 40 , womit er nicht zuletzt die ruhelos einander folgenden „abstrakten Vorstellungen“ 41 meint; dieser „excessive dynamism“ 42 , der das - unterstellte - Ziel, vor allem „to inspire, not to overwhelm the rational mind“ 43 , gefährdet, manches „feverish“ 44 oder „erhitzt[e]“ 45 wirken läßt und geradezu verschuldet, daß „darinn [sic! ] der Leser keine Ruhe findet“ 46 … Overwhelming aber ist im Brodeln unter der Oberfläche der paradoxerweise auch langweilig geheißenen Schriften Klopstocks die Vernunft seines Schreibens, sie als Dynamik, die im Rekurs Sensorium dessen erst recht wird, wie die Regulative einer ihr scheinbar vorgeordneten Vernunft an ihrem (und dem) Schreiben scheitern. Dies marginalisiert die Intervention, die einer Vernunft oder einem Entschluß folgte; letztlich sind, wie Kaiser bemerkt, bei Klopstock die „Menschen […] nicht Mitwirkende[n] der Erlösung“ 47 , es bestehe gelinde gesagt ein „Problem der passiven Nebenpersonen“ 48 , notiert so auch Martin. Schon Schiller formuliert ja in den Xenien bekanntlich diese Auffassung. 49 In einer nachgelassenen Aufzeichnung hält auch Klopstock dies fest, doch mit einer so scharfen wie klugen Wendung hin zum sich vollziehenden Text: 158 Textualisierung, Teil 2 49 Schiller: Sämtliche Werke, Bd. I, S. - 259; cf. auch Kurscheidt: Schillers und Goethes »Xenien«, S. - 227 sowie Wetzel: Friedrich Schiller, S. - 112. 48 Martin: Klopstocks Messias und die Verinnerlichung der deutschen Epik im 18. Jahrhundert, S. - 102; cf. auch ibid., S. - 102f. 47 Kaiser: Von der Aufklärung bis zum Sturm und Drang, S. - 44 u. Kaiser: Aufklärung - Empfindsamkeit - Sturm und Drang, S. - 109. 46 Gottsched: Gutachten, von der heroischen Versart unserer neuen biblischen Epopeen [1752], S. - 23. 45 Strauß: Gesammelte Schriften von David Friedrich Strauß, Bd. X, S. - 135. 44 Hilliard: Philosophy, Letters, and the Fine Arts in Klopstock’s Thought, S. - 171; cf. Auerochs: Die Entstehung der Kunstreligion, S. - 237. 43 Ibid. 42 Menhennet: Statics and Dynamics in Klopstock, S. - 125. 41 Ibid., S. - 372; cf. auch Auerochs: Die Entstehung der Kunstreligion, S. - 209. 40 Hegel: Werke in 20 Bänden, Bd. 15, S. - 371. 39 Mickel: Gelehrtenrepublik, S. - 92. 38 Promies: Lyrik in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, S. - 600; cf. Rieck: Literaturgeschichtliche Aspekte der Lessing-Phase in der deutschen Aufklärung, S. - 393. 37 Hilliard: Philosophy, Letters, and the Fine Arts in Klopstock’s Thought, S. - 5. 36 Hilliard: Schweigen und Benennen bei Klopstock und anderen Dichtern, S. - 20. <?page no="159"?> „Man kan [sic! ] so gar sagen, daß es in den bekanten [sic! ] epischen Gedichten nicht selten mithandelnde Personen erscheinen, welche der Aufmerksamkeit weniger würdig sind, als jene bloß theilnehmenden“ 50 … Die bloß Teilnehmenden sind Teil eines Dramas, das „nur Reaktionen, keine Aktion fordert“ 51 , doch verkennt, wer das als Kritik ventiliert, das Wesen der Reaktion oder Antwort. Wer die Souveränität der menschlichen Protagonisten einklagte, übersähe, daß selbst Gott sie nur hätte, aber sie nicht aktualisierend jene Nur-Teilhabe zuläßt. Sie ist also das Einsetzen der beginnenden „Zersetzung der […] Epos-Struktur“ 52 , die sich einer dekonstruierenden Lektüre ihres narrativen Duktus unterzogen haben wird… Was Text ist, das löst Gott auf, im Imperativ bleibt dieser als textuelle Transgression: „Seid […] wie Gott! “ 53 - Text diversifiziert Gott in etwas, wovon Goethe rätselnd eher denn aphoristisch schreibt: „Gleich sei keiner dem andern; doch gleich sei jeder dem Höchsten./ Wie das zu machen? Es sei jeder vollendet in sich.“ 54 Nicht nur Goethes „Polytheismus von verstreuten Praktiken“ 55 folgt daraus, in der Folge fragt auch Hölderlin durchaus nicht unpolemisch Ähnliches, ehe seine Antwort darin besteht, ein Zulassen und Wollen (s)eines Anderen durch Gott zu versuchen, „(n)ah ist/ Und schwer zu fassen der Gott“ 56 ; es ist dies der Vektor wohl auch Klopstocks, der bei ihm zur Formulierung etwa vom „Einen göttlichen Menschen“ 57 führt, „schönste(r) der Menschen“ 58 , der exemplarisch beides ist, Andeutung eines Prinzips und doch als dessen Andeutung auch die Ahnung, daß, was zu denken sei, nicht Prinzip ist, sondern wie gesagt dieses jenseits seiner selbst: Text - oder Schöpfung. Als Spannung von Text und Schöpfung imaginiert Kant, was sich hier abzeichnen mag, die Überforderung durch Gestirn und „moralische(s) Gesetz“ 59 . Dies soll nicht das durchaus gespannte Verhältnis zwischen den Genannten bagatellisieren, worüber eigens zu arbeiten wäre; doch besteht hier eine Textualisierung, Teil 2 159 59 Kant: Werkausgabe in 12 Bänden, Bd. VII, S. - 300, A 288 (im Original gesperrt, M.H.); cf. auch u.a. ibid., Bd. VIII, S. - 714, B 76, A 69f. sowie Grimminger: Die Ordnung, das Chaos und die Kunst, S. - 177. 58 Ibid., S. - 212, X. Gesang, V.486. 57 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 21, II. Gesang, V.20. 56 Hölderlin: Sämtliche Werke, Briefe und Dokumente in zeitlicher Folge, Bd. X, S. - 15. 55 Certeau: Kunst des Handelns, S. - 110. 54 Goethe: Berliner Ausgabe, Bd. I, S. - 262; cf. auch ibid., S. - 331 u. passim. 53 Klopstock: Gedanken über die Natur der Poesie, S. - 200. 52 Ibid., S. - 109. 51 Kaiser: Aufklärung - Empfindsamkeit - Sturm und Drang, S. - 114. 50 KN 84.072, S. - 2 recte. <?page no="160"?> Nähe, Kant selbst scheint diese Nähe ebenfalls gesehen zu haben, wie er auch Klopstocks Werk lobt und in einem Atemzug mit Vergil - beider „epische Gedichte (fallen) […] ins E d l e “ 60 - nennt. Eine „Affinität wäre möglich gewesen“ 61 , Klopstock indes war gegen Kant und dessen Philosophie mehr als reserviert, wobei er „Kants Sätze einzeln aus dem Zusammenhange“ 62 gerissen allein kannte, wie Muncker schreibt. Er mißverstand den Philosophen als einen eigenwilligen Scholastiker, von dem, nimmt man das Unklare und vor allem das, „was lange bekant [sic! ], zu oft, und bestimter [sic! ] gesagt ist“ 63 , weg, „auch nichts (bleibt)“ 64 … Doch der Text auch Kants ist die Praxis, die es in einem gewissen Sinne vermag, „réconcilier la religion et la raison“ 65 , also Religion und Rationalität zu versöhnen - in besagter Spannung. Exkurs: Sänger, Textarbeiter, Prophet Ist Gott als Textualisierung oder Summe von deren Effekten gedacht, so am Rande der Poet als Moderator und Ermöglicher seiner Präsenz zu denken, als jener, der Gottes gedenkend ihn verwirklicht, der diese Verwirklichung tragen mag, aber nicht durchsetzt, da exekutiert Schöpfung oder Text nicht Text noch Schöpfung ist. Dies betrifft jedenfalls im Rahmen einer Theologie, wie sie als Subtext allemal Klopstocks Werk prägt, die Rolle des Sängers, Textarbeiters und/ oder Propheten. Dieser wird zum Stellvertreter, es ist aber kein in die Literatur transponiertes Petrusamt, worum es geht, sagt auch Jesus im Messias, Petrus werde ihm einst „im Tode […] gleichen“ 66 - und der Dichter wiederum diesem. „Christ […] is in the poet’s soul“ 67 , jedenfalls als Utopie des Dichtens. Die Nähe des Dichters zu diesem Jünger, dessen Schüler ja der Evangelist Markus ist, besteht hierin, doch wichtiger ist jene zu einem anderen Apostel: zu Paulus. „Paulus verwandelt Jesus von Nazareth in Christus“ 68 , erkennt ihn in diesem poetischen Prozeß, erschafft ihn als das Maß, das 160 Textualisierung, Teil 2 68 Steiner: Der Meister und seine Schüler, S. - 51; cf. Steiner: Die Logokraten, S. - 92. 67 Kohl: Rhetoric, the Bible, and the Origins of Free Verse, S. - 127. 66 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 92, IV. Gesang, V.1049. 65 Murat: Klopstock, S. - 365; cf. ibid., S. - 39 u. passim; cf. auch Rülke: Gottesbild und Poetik bei Klopstock, S. - 199f., Balthasar: Herrlichkeit, Bd. I, S. - 77 u. 144 sowie Steiner: Poetische Theodizee, S. - 137 u. 142. 64 Ibid.; ibid., S. - 48, Nr. 149, S. - 55, Nr. 166 sowie Bd. VII·2, S. - 166, Textteil IV,5,9, ferner etwa Coleridge: Biographia Literaria, Bd. II, S. - 179. 63 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. II, S. - 40, Nr. 118. 62 Muncker: Friedrich Gottlieb Klopstock, S. - 528. 61 Blumenberg: Die Lesbarkeit der Welt, S. - 197; cf. auch Rülke: Gottesbild und Poetik bei Klopstock, S. - 199. 60 Kant: Werkausgabe in 12 Bänden, Bd. II, S. - 834, A 18. <?page no="161"?> jener der Gottesrede zugleich immer gewesen sein muß. 69 Denn, so Hegel, schon „in ganz zeitlicher, vollkommen gemeiner Erscheinung“ 70 muß jener „die höchste, die absolute Idee, als Gottessohn“ 71 gewesen sein: das Paradox eines schlechthinnigen Beispiels, eines absoluten Exempels. Das Evangelium ist, was sich schon stets verkündigt, doch „das, was sich verkündigt, […] sind keine Texte“ 72 , setzt Nancy hinzu - indes: War er dies, so ist der Text das, was ihm als nicht Nur-Historischem gerade jenseits dessen, was nebenbei bemerkt „nicht mehr eruierbar“ 73 ist - es gibt „kein »Leben Jesu«“ 74 , die Frage nach seiner Geschichtlichkeit ist dergestalt geklärt, daß dieses „Problem […] nicht als ein wissenschaftliches Problem angesehen wird“ 75 -, entsprechende Ahnung und entsprechendes Experiment ist. 76 Der Dichter kolportiert also mit gutem Grunde als Bearbeiter eines narrativen Traditionszusammenhangs eben diesen (Kon-)Text, dessen Fundament indes die Öffnung, die Inspiration und die Provokation sein mögen. Daß dies ein Risiko darstellt, zeigt sich etwa bei Bodmer, der das Heilige an jenem Dichter vermißte. 77 Meta Moller verstand Klopstocks oft an ihm bemerktes und zuweilen auch beanstandetes „kecke(s) Benehmen mit seinen poetischen Freiheiten“ 78 offenbar; sie „traf den Ton, den er, scherzhaft-heiter, angeschlagen hatte, […] sofort“ 79 , er fand sich „heiter-liebevoll […] zurückgespiegelt“: „ins Irdische“ 80 - von dieser verspielten, (selbst-)ironischen Seite der Persönlichkeit Klopstocks legen viele seiner Briefe Zeugnis ab, etwa, wenn Klopstocks Freund Sulzer mit Billigung des Dichters im gemeinsamen Schreiben vermerkt, beim Geschirrspülen zeige der heilige Poet „so viel Genie, als in seinen Gedichten.“ 81 Von Stilisierung ist da wenig, provokativer Aktionismus ebenfalls kaum plausibel, Klopstock überlegt schließlich zeitweilig, es Bodmer ob dessen Irritation zu versichern, er „meine es im Ernste mit der Religion, u habe den M e s s im Ernste geschrieben“ 82 , weil der Adressat offenbar „als ein bon mot [,] ausgebreitet“ 83 hatte, daß Textualisierung, Teil 2 161 83 Ibid. 82 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Briefe, Bd. I, S. - 154, Nr. 98, Dezember 1750. 81 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Briefe, Bd. I, S. - 116, Nr. 75, 12.-25.7.1750. 80 Beutler: Friedrich Gottlieb Klopstock, S. - 172. 79 Ritter: Klopstocks (Ver)Bindungen zu Frauen, S. - 7. 78 Boxberger: Klopstock’s Leben und Werke, S. - XXI. 77 Cf. hierzu auch Strauß: Gesammelte Schriften von David Friedrich Strauß, Bd. X, S. - 99ff., Müller: Ästhetische Religiosität und Kunstreligion, S. - 38 sowie Rühmkorf: Vorwort, S. - 13. 76 Weinrich: Wie zivilisiert ist der Teufel, S. - 49ff. 75 Ibid., S. - 14; cf. u.a. ibid., passim, Balthasar: Theologie der drei Tage, S. - 137, Breuning: Wer ist Jesus Christus, S. - 624 oder auch Wenzel: Memoria Iesu Christi, S. - 56ff. 74 Trilling: Fragen zur Geschichtlichkeit Jesu, S. - 26. 73 Antes: Jesus, S. - 166. 72 Nancy: Dekonstruktion des Christentums, S. - 254. 71 Ibid. 70 Hegel: Werke in 20 Bänden, Bd. 17, S. - 274. 69 Franz et al.: Lexikon philosophischer Grundbegriffe der Theologie, S. - 268. <?page no="162"?> Klopstock „ihn nicht geschrieben hätte.“ 84 Des Dichters Bild bleibt Verstörung: eine von Klopstock zuletzt moderierte wie hingenommene. Doch die eigentliche Replik ist der Text. Text ist das Maß, die Arbeit am (Silben-)Maß zeitigt, was Text sein könne. Dieses performative Zeugnis ist schon bei Paulus nicht unproblematisch, der posthum Zeuge und Apostel ist, also zweifach dichtend auch „doppelt suspekt“ 85 erscheint. Indes ist dieser Modus des Begreifens stringent, insofern das Performative in das Verkündete hineinspielt, denn „(d)as christliche Subjekt existiert nicht vor dem Ereignis, das es verkündet“ 86 , und ist so von der Poiesis kontaminiert. Dies so profund, daß der Christ gleichsam auch „Jünger Pauli“ 87 ist, bezeugend dessen Text - „literarische »Ereignisse« gibt es, geschichtliche nicht“ 88 -; unter anderem Reflex dessen ist die Rede vom Christentum als einer „Sekundärreligion“ 89 , woran nur mißbehagt, daß darin die Möglichkeit einer Primärreligion anklingt. Zeugnis in seiner Treue und Eigenheit meint hier das Emanzipatorische des Textes, der zugleich zurückgreifend weit über das reichen mag, was er berichtet: „Die Resonanz des Alten Testaments gab der Melodie des Evangeliums ihren Klang“ 90 , ohne die Überspitzung des Evangelisten zum „Dysangelist(en)“ 91 und dessen - zu Unrecht? - verworfene „Kunst, heilig zu lügen“ 92 ließe sich fragen: „Hat der wahrhafte Dichter nicht auch etwas vom Propheten, ist er nicht kraft seines Genies ermächtigt, neben die Evangelisten als ihr jüngerer Bruder zu treten? “ 93 Sloterdijk notiert, „Moderne […] bedeute[t]: Die Evangelien ändern sich“ 94 ; Dichtung ist nun „ein apokryphes Evangelium“ 95 - die Wortwahl zeigt die eintretende Loslösung des Dichtens von etwelchem Auftrag an, der sich anders denn dichterisch sagen ließe; es ist genuin religiös, daß Klopstock „die Bedeutung der Religion durch eine Synthese mit der Dichtung zurückzudrängen“ 96 scheint, Kerygma und Dichtung bedingen hier einander, wie auch bis in die Gegenwart wie immer säkularisiert messianische Strukturen Dichtung tragen und Dichtung Komplize eines Messianischen wäre, wenn das schlechthin Kommende denn solcherart - intentional - sich fassen 162 Textualisierung, Teil 2 96 Grosch: Klopstock. 95 Weinrich: Wie zivilisiert ist der Teufel, S. - 47. 94 Sloterdijk: Der ästhetische Imperativ, S. - 400. 93 Safranski: Friedrich Schiller oder Die Erfindung des Deutschen Idealismus, S. - 40. 92 Ibid., S. - 219; cf. ibid., passim. 91 Nietzsche: Sämtliche Werke, Bd. VI, S. - 216. 90 Ibid., S. - 311. 89 Levin: Zur christlichen Rezeption der jüdischen Bibel, S. - 300. 88 Borst: Das historische »Ereignis«, S. - 540. 87 Lubac: Geist aus der Geschichte, S. - 88. 86 Ibid., S. - 29. 85 Badiou: Paulus, S. - 11. 84 Ibid. <?page no="163"?> ließe: Kerygma als Dekonstruktion dessen, was da verkündigt wird und darum nur mehr als Dekonstruktion des Verkündigens trägt. Auf die historische Bedingtheit auch und in einem gewissen Sinne gerade der Bibel und dann die mit ihr aufgegebene, ihr immanente Dekonstruktion wies - als Problem der Theologie - spätestens Schleiermacher hin, er schreibt nicht nur von der notwendigen „Kenntnis aller Lebensbeziehungen“ 97 , und zwar „sowohl der Schriftsteller, als derjenigen, für welche sie schrieben“ 98 , kurz einer Lektüre, „refracted through the prism of a concrete and specific historical and cultural history“ 99 , wie man es heute formulierte, sondern darüber womöglich hinaus auch von einem genuin „religiösen Stil“ 100 , was unter anderem impliziert, daß die Form integraler Bestandteil des - hier heiligen - Gehalts, den sie also nicht bloß bewahrt, ist. Schlegel notiert dies zusammenfassend und mit einer signifikant doppeldeutigen Majuskel, daß es wenigstens „paradox“ 101 wäre, die „Bibel als das Werk Eines Autors zu rezensieren“ 102 … Die Hermeneutik ist an diesem Punkt nicht allein ein Instrument der Theologie, sondern tut dieser ferner gewissermaßen dar, daß das, woran sie arbeitet, notwendigerweise zu dem gehört, was sie eben nur aus dem Material zu bergen schien; mahnt folglich das Gewicht der Wörtlichkeit des Sinns ein, den sie aus dem Wort liest, die Notwendigkeit und Würde des Wortes als solchem; die Schrift selbst bezeichnet „ein einmaliges Verhältnis“ 103 , thematisch wie formal, göttliche wie menschliche Urheberschaft seien „von vorn herein […] aufeinander bezogen“ 104 . Es wäre dann - textuell - der „heilige Geist […] zum Schriftsteller geworden“ 105 , dessen Dichtung gerade der inspirierten Exegese bedarf, die er je leistet: „Das Auslegen ist Kunst“ 106 , wie Schleiermacher schreibt, da die Interpretamente aktualisieren, wovon das Gelesene momentan nostalgischer Abglanz werden könnte; eine Krise „jener Tradition […], die Dichtung und Inspiration eigentlich als zwei hintereinandergeschaltete Ereignisse versteht“ 107 , was als Krisenhaftigkeit die Dynamik des Textes einfordert und ausmacht. Abgeschwächt durch das Wie ist dennoch dieses Moment seit Nietzsche explizit gegeben, die Inspiration das durch den Text geborene und in ihm nur teils gemachte Schrecknis, „von seinen eignen Gedanken wie von Textualisierung, Teil 2 163 107 Kaiser: Klopstock, S. - 151. 106 Schleiermacher: Hermeneutik und Kritik, S. - 80. 105 Holl: Die linke Hand Gottes, S. - 151. 104 Ibid., S. - 80. 103 Rahner: Über die Schriftinspiration, S. - 67. 102 Ibid. 101 Schlegel: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, 1. Abt., Bd. II, S. - 203. 100 Schleiermacher: Kurze Darstellung des theologischen Studiums […], S. - 109. 99 Miron: From Continuity to Contiguity, S. - 18. 98 Ibid. 97 Schleiermacher: Kurze Darstellung des theologischen Studiums […], S. - 55. <?page no="164"?> Aussen her […] getroffen“ 108 zu sein. Theologisch oder säkular wird man den angedachten „ […] “ 109 als Vollendung Babels, wo „keiner mehr die Sprache des anderen versteht“ 110 , im Text begegnen, der als „langue de l’autre“ 111 gerade erscheint, wo er exegetisch beackert und lektorierend angeeignet zu werden scheint, dabei aber zunehmend scharfer Reflex dessen wird, daß - textuell - „das Denken […] immer mehr (erhält), als es tatsächlich erlangen kann“ 112 : „Je näher man ein Wort ansieht, desto ferner sieht es zurück“ 113 . Ähnlich fremd ist der Prophet/ Sänger/ Dichter Klopstocks. Er überträgt, was ihm dann gerade in der textuellen Übertragung immer mehr widerfährt, vielleicht auch erst hier, entzieht sich doch der Ursprung dem, was zugleich ursprünglicher als dieser wird, aus dieser Quelle aber zugleich immer weiter entfaltend, was dann eben nicht redundant gegenüber einem Prinzip wäre: die Quelle von etwelcher Prinzipialität emanzipierend. Dichtern ist es also eigen, daß sie nicht nur „schreiben […], weil sie glauben, dass sie etwas zu sagen haben, sondern ebensosehr, damit sie etwas zu sagen haben“ 114 , eines im anderen, was die Finalität hemmt und die Kausalität suspendiert. Das sich nicht schreiben läßt… „Keiner versteht es, zu schreiben. Jeder, selbst und vor allem der »Größte« schreibt, um durch den Text und im Text etwas einzufangen, das er nicht schreiben kann. Das sich nicht schreiben läßt, wie er weiß.“ 115 Beide Momente wandeln in diesem Übertragen die Sprechenden zu Stammlern. In diesem Sinne wird die erwähnte Qualität zu lesen sein, wenn ein Kritiker ambivalent anhebend schließlich schreibt, Klopstocks Werk sei „ein Gestammel, freilich ein sehr großartiges“ 116 - dieses Stammeln wird von Blackall ähnlich, aber in der Beschreibung ungleich konkreter wie reflektierter gewürdigt: „Dieser Stil ist voll verhaltener Energie. Er stammelt in Wiederholungen, unterbricht sich mit Interjektionen, steigert sich durch Variationen - alles um den Rhythmus zurückzuhalten, um Flüssigkeit zu 164 Textualisierung, Teil 2 116 Goetz: Du und die Literatur, S. - 246. 115 Lyotard: Kindheitslektüren, S. - 11. 114 Frey: Übersetzung als Metapher, S. - 40. 113 Pothast: Philosophisches Buch, S. - 162; cf. ibid., S. - 162ff. 112 Lévinas: Gespräch mit Christian Descamps, S. - 103. 111 Derrida: La monolinguisme de l’autre, S. - 47; cf. u.a. Montaigne: Essais, S. - 209, II·10. 110 Genesis 11,7. 109 Markus 16,17. 108 Nietzsche: Sämtliche Werke, Bd. V, S. - 235; cf. auch ibid., Bd. II, S. - 146f. u. Bd. III, S. - 378. γλώσσαις καιναῖς <?page no="165"?> vermeiden und um irgendein noch kommendes Element überraschend und scharf herauszustellen“ 117 … Das Exponierte ist dabei freilich bereits anhebende Struktur des Fortgangs. Die Offenbarung bleibt auf die „dignité“ 118 dieser Texte angewiesen, wie Du Bos, dessen Reflexionen Klopstock zur Kenntnis nahm, es geradezu mit der Zuversicht eines Projektantrages formuliert. 119 Diese Entfaltung des Rätsels, das darin seine Unhintergehbarkeit ergründet, das Denken Transfigurationen unterzieht, aber nicht entbindet, betrifft die Sprache, zuvor aber auch das Geschilderte, so formuliert Klopstock seine Auffassung von biblischer Dichtung explizit - es sei hier in extenso zitiert, was Klopstock zur heiligen Poesie formuliert: „Der Teil der Offenbarung, der uns Begebenheiten meldet, besteht meistenteils nur aus Grundrissen, da doch diese Begebenheiten, […] ein großes ausgebildetes Gemälde waren. Ein Dichter studiert diesen reichen Grundriß, und malt ihn nach den Hauptzügen aus, die er in demselben gefunden zu haben glaubt. Zugleich weiß man von ihm, daß er dies für nichts mehr, als Erdichtungen ausgibt.“ 120 Diese Passage zu „Klopstocks […] Zaubergemälde“ 121 ist eine Definition von Klopstocks Perspektive: Es geht um die „nicht historischen Wahrheiten der Religion“ 122 , aus denen der Künstler legitim „Folgen herleitet“ 123 , die für den Künstler sogar die Pflicht konstituieren, „dasjenige, was uns die Offenbarung lehrt, weiter zu entwickeln“ 124 … Die Regeln dieser Weiterentwicklung rufen den Dichter sozusagen „vor den Richterstuhl der Religion“ 125 ; doch korrespondiert diese mit jenem Prozeß, den sie also nur poetisch - kaum - evaluieren kann. Der geniale Dichter ist für Klopstock durchaus kohärent ein neuer Evangelist, dessen Wahrheit nicht allein pathetische Behauptung, sondern durch die Poesie verbürgt ist, wie schon zitiert wurde: Textualisierung, Teil 2 165 125 Ibid., S. - 189. 124 Ibid., S. - 188f. 123 Klopstock: Gedanken über die Natur der Poesie, S. - 188. 122 Klopstock: Gedanken über die Natur der Poesie, S. - 188; cf. hierzu auch Strasser: Der Weg nach draußen, S. - 192. 121 Herder: Briefe zur Beförderung der Humanität, Bd. 2, S. - 120; cf. auch Goethe: Berliner Ausgabe, Bd. XIII, S. - 153. 120 Klopstock: Gedanken über die Natur der Poesie, S. - 188; cf. Pape: Klopstock, S. - 89 u. passim, Müller: Ästhetische Religiosität und Kunstreligion, S. - 43f. u. passim sowie - auch zum Folgenden - Mickel: Der gefühlsmäßig-religiöse Wortschatz Klopstocks, S. - 252. 119 Cf. hierzu Mahr: »Die Regeln gehören zu meiner Materie nicht«, S. - 46, ferner Balthasar: Herrlichkeit, Bd. III·2/ 2, S. - 324 u. Balthasar: Theologik, Bd. II, S. - 62. 118 Du Bos: Réflexions critiques sur la poësie et sur la peinture, S. - 54. 117 Blackall: Die Entwicklung des Deutschen zur Literatursprache 1700-1775, S. - 263; cf. auch Redeker: Klopstock und der deutsche Staat, S. - 18. <?page no="166"?> „Die höhere Poesie ist ganz unfähig, uns durch blendende Vorstellungen zum Bösen zu verführen. So bald sie das tun wollte, hört sie auf zu sein, was sie ist.“ 126 Jesus Christus selbst habe dies im Grunde getan, er „rede/ Menschlich von himmlischen Dingen“ 127 , ihm ist folglich exegetisch-poetisch in Permanenz zu begegnen, wie er es getan habe. Sein maßgeblicher Bezug aufs Textuelle und damit womöglich implizit Textcorpora, die ihm vorausliegen, ist erst als quasi traditionsbewußte Dekonstruktion innovativ oder messianisch, schon Lessing bemerkt hellsichtig, „(d)aß unser Herr ja selbst ein Jude war“ 128 ; von der nova lex Christi spricht die Theologie in diesem Sinne als von einer vertiefenden Re-Lektüre. 129 Dem entspräche die Konzeption der modernen Lyrik: ironischer Rekurs, getragen von der Stilistik, so in der Aussage seitens Les Murrays, man könne „eine Lüge nicht beten, […] sie auch nicht dichten“ 130 ; in ungefähr diesem Sinne nennt Rühmkorf denn auch das Gedicht einen „L ÜGENDETEKTOR “ 131 , um in der Folge auf diese Qualität am „bessere(n) Klopstock“ 132 hinzuweisen - was als Credo der modernen Lyrik im Widerspruch zur Moderne selbst zu stehen scheint, die noch der Theologie die Warnung auszusprechen abverlangt: „Vorsicht! Sie werden poetisch.“ 133 Als Dekonstruktion aber ist Dichtung, die erkenntnistheoretische und sprachimmanente Regularien suspendierend doch anders vernünftig ist, moderner als jedenfalls jene Moderne, die solche Textarbeit marginalisiert. Sie vermag, so die einander ähnelnden Wendungen der Theologie, wie disparat diese sonst in sich sein mag, „die alte Wahrheit mit neuen Zungen (zu) sagen“ 134 und als „das Alte, das niemals altern kann“ 135 , vielmehr „je vertrauter […], desto überraschender“ 136 wird, so zu erkennen - ein paradox verdoppelter Zug ins Neue, das als dieses, als Prinzip des Nicht-Herleitbaren oder als die Würde einer bestimmten Entropie, bleibt. 137 Anders wäre und 166 Textualisierung, Teil 2 137 Cf. u.a. Derrida, Roudinesco: Woraus wird Morgen gemacht sein, S. - 16, Szondi: Schriften I, S. - 265f., Görner: Lob der Grammatik, S. - 541 u. Biser: Die Bibel als Medium, S. - 8. 136 Drewermann: Das Vaterunser, S. - 11. 135 Drewermann: Das Vaterunser, S. - 11; cf. Nancy: The Literary Absolute. 134 Rahner: Sämtliche Werke, Bd. 26, S. - 519. 133 Lohfink: Auf der Erde, wo sonst, S. - 206. 132 Ibid., S. - 207. 131 Rühmkorf: Die Jahre die Ihr kennt, S. - 206. 130 Murray: Dichtung und Religion, S. - 499. 129 Cf. Schoeps: Die großen Religionsstifter und ihre Lehren, S. - 76. 128 Lessing: Werke, Bd. II, S. - 315, IV/ 7. 127 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·2, S. - 259, Gesang XIX, V.878f. 126 Ibid., S. - 191. <?page no="167"?> bliebe „das Halleluja […] behindert, zerschnitten, fragmentiert, intermittierend […], in kleine Laute zerlegt“ 138 … Hier wäre am Rande zu vermerken, daß dementsprechend günstig gerade das Urteil des Christen Klopstock über die nicht durch falsche Konvention und Konservation den Glauben beschädigende Skepsis ist, es ist die jüdischchristliche Reflexion auf das Textuelle, die schon bei Böhme in der schier explosiven Formel „Gott nimmt Gott“ 139 gegeben ist, in Klopstocks Zeit zu Diderots bedenkenswerter Formulierung, die Christen seien „die übertriebensten Pyrrhoniker“ 140 , führt und Nancy das, was Glaube sei, auch als „die feste Treue der Vernunft zu ihrer eigenen Atheologie“ 141 definieren läßt; in der Affirmation einer Skepsis um eines Absoluten willen strebt das Christentum durchaus dem Coup der Aufklärung zu, die in der Enzyklopädie zunächst deren Baumstruktur betreffend die Religion einer - fast ihrerseits religiösen - Neudeutung unterzog, sie nicht mehr Wurzel sein ließ, sondern zum Zweig am Aste des Aberglaubens degradierte, so d’Alembert, den Klopstock ebenso wie Diderot, dessen Lektüre er erwähnt und verteidigt, schätzte. 142 Sein Werk sieht den Widerspruch - und lebt aus ihm mitunter -, der ihm nur unausgetragen fremd ist, daß, falls „die Vernunft ein Geschenk des Himmels ist und […] man vom Glauben das gleiche sagen kann, […] uns der Himmel zwei unvereinbare, einander widersprechende Geschenke gemacht“ 143 hat. Re-Exkurs: Sänger, Textarbeiter, Prophet Doch zurück zu der Rolle Klopstocks als Textarbeiter, zu der Nachfolge der Evangelisten, die so noch nicht alles aussagt, die vielmehr zu überbieten ist, was von Böschenstein schließlich so ausgedrückt wird, daß sich für Klopstock etwas von der Art heiliger Glossolalie abzeichne: Der Dichter ähnle dem (wiederum dem Gottessohn und also wohl auch Gott sich angleichenden) Jünger, und zwar ad infinitum - „Klopstock […] kennt die Gefahr der Nähe zum himmlischen Feuer nicht; der Vermittler fällt für ihn mit dem Textualisierung, Teil 2 167 143 Diderot: Philosophische Schriften, Bd. I, S. - 35; cf. zu Klopstock und Diderot/ d’Alembert u.a. Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. VII·1, S. - 97, Abt. Briefe, Bd. V·1, S. - 28, Nr. 21, 17., 18.9.1767 sowie Hilliard: Klopstocks Tempel des Ruhms, S. - 233. 142 Cf. d’Alembert: Einleitung zur »Enzyklopädie«, S. - 116f. 141 Nancy: Dekonstruktion des Christentums, S. - 43; cf. Hamacher: (Das Ende der Kunst mit der Maske), S. - 151. 140 Diderot: Philosophische Schriften, Bd. I, S. - 43; cf. ibid., S. - 16. 139 Böhme: Theosophische Sendbriefe, S. - 201, 15. Sendbrief. 138 Serres: Hermes, Bd. V, S. - 145. <?page no="168"?> Gott selber zusammen.“ 144 Die ins Christliche transponierten Musenanrufungen sind dabei der Impetus: „Erleucht’, und erhebe jeden meiner Gedanken! Leit ihn, Unerschafner [sic! ], zu dir! “ 145 Doch als „auserwählter Genius und religiös inspirierter Sänger, der […] in geradezu überirdische Dimensionen emporsteigt“ 146 , scheint der Poet dem ersten unter den Aposteln und auch Jesus doch deutlich angenähert: Er singt das, was Schöpfung ist, daß sich „Diesseits und christliches Jenseits vollständig decken“ 147 , womit nicht so sehr fromm das Sujet, sondern durchaus modern vor allem die in der Form geschehene Aktualisierung von „Christus als konkret wirksame(r) Ursache der Unsterblichkeit (des Messias) gesehen“ 148 werden kann und jedenfalls zum Teil von der Rezeption gesehen wurde: Bodmer schreibt in diesem Sinne an Johann Georg Sulzer, Klopstock sei „unter den Poeten, was der Messias unter den Menschen.“ 149 Und Gleim dichtet in einem Brief an Klopstock: „Du bist nicht Horaz (,) nicht Pindar, Bist - Eloa! “ 150 Der Autor, „der mit göttlichen Attributen versehen wird“ 151 , ist geradezu Versprechen und Schwurformel. Noch bei Hölderlin ist von Klopstock als „dem Sänger Gottes“ 152 die Rede, von schier metaphysischer „Klopstockgröße“ 153 . Dies sei womöglich die mit der Wahl des Titels des Hauptwerks Klopstocks von ihm intendierte „Selbstapotheose des Autors“ 154 , sie ist „Selbst-Berufung zum »Messias«-Sänger“ 155 , so mutmaßen unter anderem Sauder und Schlaffer, und zwar, obwohl gerade dieser Messias-Sänger „gegen die heroischen Sänger des Gottesgnadentums“ 156 auch opponiert; wieviel Spott in Goethes Wort liegen mag, daß „Klopstock das völlige Recht (erwarb), sich als eine geheiligte Person anzusehen“ 157 , ist nicht leicht auszuloten. 168 Textualisierung, Teil 2 157 Goethe: Berliner Ausgabe, Bd. XIII, S. - 431. 156 Maler: Versepos, S. - 376. 155 Sauder: Klopstock, S. - 10972; cf. ibid., S. - 10972f. 154 Schlaffer: Vergessenes Werk, bleibende Wirkung, S. - 33. 153 Ibid., S. - 28. 152 Hölderlin: Sämtliche Werke, Bd. I, S. - 44; cf. auch ibid., S. - 36. 151 Harst: Universalgeschichte des Ehebruchs, S. - 91. 150 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Briefe, Bd. IX·1, S. - 240, Nr. 195, 30.4.1798; cf. auch etwa Hurlebusch: Klopstock und Goethe oder Die »Erweckung des Genies«, S. - 28. 149 Klopstock: Der Messias, S. - 182. 148 Auerochs: Die Unsterblichkeit der Dichtung, S. - 82. 147 Beutler: Friedrich Gottlieb Klopstock, S. - 168. 146 Alt: Aufklärung, S. - 153. 145 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. I·1, S. - 155; cf. Klopstock: Oden, Bd. 1, S. - 127. 144 Böschenstein: Leuchttürme, S. - 53. <?page no="169"?> Das ist oder wäre die von Goethe hier nicht unironisch formulierte Erfüllung seiner schon erwähnten Verse, es „sei jeder vollendet in sich“ 158 , bei Klopstock ein von Bodmer als solches erkanntes Projekt von hoher Ambition, das freilich in einer Tradition der Selbstinszenierung des Künstlers als Christusfigur steht. Theologisch ist diese und Klopstocks Vorgehen durch den ersten Korintherbrief gedeckt, „imitatores mei estote sicut ego Christi“ 159 , so fordert Paulus auf, man möge ihn so zum Vorbild nehmen, wie er sich Christus diesem nachfolgend annähert. Klopstocks Werk ist wie Christi Existenz und Tun also „manifestation of God’s love“ 160 , trotzt darin dem Bruch, wiewohl dieser in Klopstocks Versen zugleich geradezu messianisch ausgetragen wird, Nachfolge als revolutionär-dekonstruktive Textarbeit in Permanenz. Schön ist, Mutter Natur… Diese ist das Erkennen, dessen Gott geradezu bedarf, wie sich aus Klopstocks Werken entnehmen läßt; auch für ihn gilt eine Ontologie des Erkanntwerdens („esse ist percipi“ 161 ), wie Berkeley sie skizziert, und das Sensorium ist der Text, der zugleich wie erwähnt hier etwas Gottgleiches hat oder hätte, das auch der Dichter sich - zuschreibt. Davon, daß Gott nicht unbedürftig ist und davon, „unwahrgenommen“ 162 zu bleiben, affiziert wäre, geht jener explizit aus, unter anderem in der Frage, „was Gott bezweckt, wenn er auf umständliche Weise […] Wirkungen erzielt, die er […] durch den bloßen Befehl seines Willens erzielen könnte.“ 163 Das Perzipieren wäre, wovon er abhinge, worin er sich schöpfend sogar vollende. In diesem Sinne wie jener Annäherung mit Leibniz 164 - Texte oszillieren mitunter zwischen dem, was ohne sie antithetisch wäre - ist denn auch Der Zürchersee, die Ode steht bekanntlich mit dem Messias überhaupt in einer besonderen Verbindung 165 , wohl zu entschlüsseln: „Schön ist, Mutter Natur, deiner Erfindung Pracht, Auf die Fluren verstreut, schöner ein froh Gesicht, Das den großen Gedanken Deiner Schöpfung noch Einmal denkt.“ 166 Textualisierung, Teil 2 169 166 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. I·1, S. - 95/ Klopstock: Oden, Bd. 1, S. - 83. 165 Cf. Alt: Aufklärung, S. - 155. 164 Cf. Deleuze: Die Falte, S. - 45. 163 Ibid., S. - 56, § 61. 162 Ibid., S. - 27, § 3 u. passim. 161 Berkeley: Eine Abhandlung über die Prinzipien der menschlichen Erkenntnis, S. - 26, § 3. 160 Kohl: Rhetoric, the Bible, and the Origins of Free Verse, S. - 113; cf. ibid., S. - 141. 159 1 Korinther 11,1. 158 Ibid., Bd. I, S. - 262. <?page no="170"?> Die schönere Konzentration dessen, was verstreut sei, im großen Gedanken erklärt diese Verse - darin raffiniert Erfahrung und Aufhebung derselben -, ebenso aber in der Folge das Erwachen der Gewordenheit jener Schönheit, das Numinose selbst, Moritz schreibt die Verse Klopstocks zitierend, es sei dies der Gottheit „Krone ihres Werks, von einem Wesen, das sie schuf und bildete, so angeredet […] zu werden“ 167 . Ähnlich ist es in den Versen der Hymne Dem Allmächtigen, worin eine perspektivische Inversion auf eben diesen Punkt zu zielen scheint. Hier verblaßt das Immanente nur zum Schein gegenüber dem transzendenten Apparat, ehe es heißt: „Hier steh ich Erde! Was ist mein Leib Gegen diese selbst den Engeln Unzählbare Welten, Was sind diese selbst den Engeln Unzählbare Welten, Gegen meine Seele! “ 168 Die Verse, worin jene „unzählbare(n) Welten“ 169 , die einst schon Häresie implizieren konnten, durch jenen, der seinerseits nur Ebenbild Gottes ist, mit seiner Seele überboten sind, sind Theologie, die ihre Begriffe beschämt, freilich um den Preis des Risikos, ans eben Häretische zu grenzen. Die von Klopstock einmal ausgeführte, einmal angedeutete Steigerung bezeichnet im Grunde keine Komparation, kein Phänomen von Quantität oder auch nur Intensität, vielmehr eine neue Qualität; Richter nennt sie eine „materielle Disproportion“ 170 , Alt schreibt pointiert in bezug auf die Verse aus Der Zürchersee, der Komparativ nähere sich hier dem Superlativ, was bei Klopstock öfters der Fall ist und, da Superlativ wie analog das Übertreffen etymologisch in sich tragen, folgerichtig ist. 171 Die Vollendung der Ode im Lobpreis der Freundschaft bestätigt dies; das Gespräch der Freunde miteinander ist durch diesen Mehrwert des Nach- und Weiterschöpfens charakterisiert. 172 170 Textualisierung, Teil 2 172 Cf. Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. I·1, S. - 97/ Klopstock: Oden, Bd. 1, S. - 85; cf. auch Beißner: Klopstocks Ode Der Zürchersee, S. - 28 sowie Derrida: Politiques de l’amitié suivi de L’oreille de Heidegger, passim. 171 Cf. Alt: Aufklärung, S. - 156, Muncker: Friedrich Gottlieb Klopstock, S. - 136, Sauder: Klopstock, S. - 10957, Rendi: Klopstock, S. - 67, Seitter: Poetik lesen 1, S. - 184 u. Hatakeyama: Der Superlativ als Formprinzip in Hölderlins späten Gedichten, S. - 222ff. 170 Richter: Literatur und Naturwissenschaft, S. - 145. 169 Bruno: Von der Ursache, dem Prinzip und dem Einen, S. - 27. 168 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. I·1, S. - 152; cf. Klopstock: Oden, Bd. 1, S. - 126. 167 Moritz: Die Signatur des Schönen und andere Schriften zur Begründung der Autonomieästhetik, S. - 19. ὑπερϑετικό ν <?page no="171"?> Der Text verflicht die unabsehbare Entwicklung dabei mit einem Höchsten, einer beständigen Provokation, die Gottes Statthalter ist; und verbindet auch sich mit ihr: als heiliger Sänger, noch säkular „im eingestandenen Schrecken, wahnsinnig zu sein“ 173 , einer textuell nobilitierten Paranoia - Parametanoia..? Metaparanoia..? Bleibt das Unangemessene, das doch unabweisbar ist, säkular? „Schön ist, Mutter Natur, deiner Erfindung Pracht, mit entspanntem Munde gepriesen; schöner ein künstlich Gebiß, das den großen Gedanken einer Schöpfung noch einmal käut.“ 174 Ist dies eine aus Klopstock folgende „Dennoch-Verzauberung“ 175 ..? Ist dies eine weitere „Auto-Dekonstruktion der Religion“ 176 ..? Integrieren beide in sich also jenes „Gemurmel vom Ununterscheidbaren“ 177 , in jenes Rauschen, das nicht voreilig festgelegt auch hellsichtig dieses bei Klopstock doch Schreckliche sagte: „Ich kenne das Rauschen/ Deiner Stimme zu wohl“ 178 ..? Textualisierung, Teil 2 171 178 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 144, Gesang VII, V.206f. 177 Badiou: Kleines Handbuch zur In-Ästhetik, S. - 50. 176 Nancy: Noli me tangere, S. - 9; cf. ibid., S. - 61 u. passim sowie Derrida: Berühren, Jean-Luc Nancy, S. - 78f. 175 Marquard: Verspätete Moralistik, S. - 13. 174 Rühmkorf: Gesammelte Gedichte, S. - 24; cf. ibid., S. - 24ff. u. Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. I·1, S. - 95ff./ Klopstock: Oden, Bd. 1, S. - 83ff. 173 Derrida: Die Schrift und die Differenz, S. - 100. <?page no="173"?> Bildlichkeit: Sinnenrausch Auf dem Umweg über Bilder, die jeweils auch die Funktion haben, durch sich und ihr Noch-Unzureichen jeweils Feier der Sprache zu sein, eine Dysfunktion mit kalkuliertem surplus gewissermaßen, der textuell imaginierten Schöpfung und dem Dichter derselben - was Gott meinen mag - zu dienen und Welt und Gott nachgerade zu sein, entfaltet sich auch hier der schon bemerkte Ikonoklasmus, der das Bild getreulich entwickelt, bis es vergangen ist, wie die Dekonstruktion das Wort in sich auflöst, aber darin wie der Anwalt von dessen Sprachlichkeit agiert. Beweglich und dynamisch ist die Sprache Klopstocks also, statisch nur prima vista sind seine Bilder. Statik eignet, wie etwa Lessing darlegt, stets dem Bild, insofern es auf den Augenblick zielt, also wie immer eingebettet auch von einer nicht-narrativen Beharrung sein muß. 1 Doch es ist auch so, daß die Bilder in einem antizipierten Eingeholtsein(-Sollen) bei Klopstock oft als ihr Vergehen aufscheinen, als Echo dessen, was schon nicht mehr adäquat ist. Dies bemerkte an Klopstock schon Schiller: „So eine herrliche Schöpfung die Messiade in musikalisch poetischer Rücksicht […] ist, so vieles läßt sie in plastisch poetischer […] zu wünschen übrig“ 2 … Ähnlich schreibt Jean Paul über die Dichtung Klopstocks, daß er „oft mit Malerei nur tönt“ 3 , Klopstocks Zeitgenosse Huber formuliert innerhalb des Sehens bleibend, daß hier gleichsam die Dichtung „die Nacht selbst uns vor Augen brächte“ 4 - und noch Heißenbüttel urteilt, am Werk Klopstocks sei „(e)igentümlich […], daß nichts eigentlich sichtbar wird“ 5 . Seitens der Philologie wird gleichfalls formuliert, es bestehe eine gewisse Unanschaulichkeit, immerhin: als auch gewürdigte „Unanschaulichkeit u(nd) Unendlichkeit“ 6 - ähnlich dem Umschlag der Beschreibung und Deutung bei Schiller, Klopstock dichte, „ohne […] eines bestimmten Gegenstandes nötig zu haben“ 7 . Dies ist die Qualität der Darstellung, die sich als ihren Impetus formulierend die Bilder sequentiell anordnend jeweils verrät: verkündet, aber um dessen willen, was sie tragen, preisgibt. 7 Schiller: Sämtliche Werke, Bd. V, S. - 735 (Anm.). 6 Sauder: Klopstock, S. - 10958; cf. u.a. Funk: Erläuterungen zu Klopstocks »Messias«, S. - 8, Berndt: Poema/ Gedicht, S. - 278, Haverkamp: Laub voll Trauer, S. - 116 sowie Kaiser: Klopstock, S. - 258. 5 Heißenbüttel: Friedrich Gottlieb Klopstock, S. - 12. 4 Huber: Klopstock: »Hermanns Tod«, S. - 180. 3 Jean Paul: Sämtliche Werke, Abt. I, Bd. V, S. - 100. 2 Schiller: Sämtliche Werke, Bd. V, S. - 735; cf. auch Hainz: So eine herrliche Schöpfung die Messiade in musikalisch poetischer Rücksicht ist…, passim. 1 Cf. Lessing: Werke, Bd. VI, S. - 70ff., 116f., 120 u. passim. <?page no="174"?> Das ist gleichsam die Ikone in ihrer eschatologischen Dynamik, noch von ihrer Präsenz gilt, sie sei „Manifestation“ 8 („wie ein Sakrament vollzogen“ 9 ) als Referenz, des Bildes oder der Ikone „Sinn […] ist, daß Gott gegenwärtig werde“ 10 , doch „(d)iese »Gegenwärtigkeit« näher zu bestimmen“ 11 mündet in einen „Exzeß dieser Vision“ 12 . Schreibt Klopstock von der Offenbarung als in „Grundrissen“ 13 gegebener, die es auszuarbeiten gilt, so ist darum in ganz anderer Weise als einem überreichen Gemälde, wie er freilich suggeriert, das Resultat diese Epiphanie in „Erdichtungen“ 14 . Gerade die an den Himmelsbildern monierte Qualität der Unanschaulichkeit steht in Opposition zur Hölle, die potenter Bildspender ist, formuliert ein Erhabenes im ganz und gar Sprachlichen, gerade die Fülle der Eindrücke läßt beispielsweise Jesu Leib im Sichtbar-Werden verschwinden, er ist schon zu Beginn verklärt: „Gott nennt ihn den Erwählten, der Himmel Eloa. Vor allen, Die Gott schuf, ist er groß, ist der Nächste dem Unerschaffnen. Schön ist Ein Gedanke des gottgewählten Eloa, Wie die ganze Seele des Menschen, geschaffen der Gottheit, Wenn sie, ihrer Unsterblichkeit werth, gedankenvoll nachsinnt. Sein umschauender Blick ist schöner, als Frühlingsmorgen, Lieblicher als die Gestirne, da sie vor dem Antlitz des Schöpfers Jugendlichschön, und voll Licht, mit ihren Tagen, vorbeyflohn. Gott erschuf ihn zuerst. Aus einer Morgenröthe Schuf er ihm einen ätherischen Leib. Ein Himmel voll Wolken Floß um ihn, da er ward“ 15 … An die Stelle des Bildes tritt der verzeitlichende Text, der Jesus hier ganz Wort werden läßt, der - obzwar sarx - schon hier wesentlich das Materielle in Wandlung wäre. Ein Bild etwelcher Größe, das den „Sterne(n) Seelen“ 16 zumißt, ist daneben obsolet, während Klopstocks Text für Herder „gleichsam unsichtbar in die Seele“ 17 gemalte Bilder, die dies nicht mehr sind, schafft. 18 Man sieht, „wie wenig es dem Dichter“ 19 - und noch genauer dem Werk in seiner Eigenart - womöglich „auf anschauliche Klarheit und Über- 174 19 Muncker: Friedrich Gottlieb Klopstock, S. - 101. 18 Cf. hierzu auch etwa Krummacher: Friedrich Gottlieb Klopstock, S. - 196, Martus: Werkpolitik, S. - 275, Richter: Die kopernikanische Wende in der Lyrik von Brockes bis Klopstock, S. - 135 sowie Mickel: Der gefühlsmäßig-religiöse Wortschatz Klopstocks, S. - 45f. 17 Herder: Herder’s Werke, Bd. XIX, S. - 136; cf. auch Sauder: Klopstock, S. - 10958ff. 16 Ibid., Abt. Briefe, Bd. IX·1, S. - 89, Nr. 66, 21.11.1796. 15 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 8f., Gesang I, V.291ff. 14 Ibid. 13 Klopstock: Gedanken über die Natur der Poesie, S. - 188. 12 Marin: Von den Mächten des Bildes, S. - 231. 11 Ibid.; cf. auch Lohfink: Das Vaterunser neu ausgelegt, S. - 33. 10 Guardini: Über das Wesen des Kunstwerks, S. - 54. 9 Ibid., S. - 155. 8 Gadamer: Gesammelte Werke, Bd. 1, S. - 154. Bildlichkeit: Sinnenrausch <?page no="175"?> sichtlichkeit seiner Darstellung ankommt“ 20 , so ließe sich mit Muncker sagen, Hurlebusch gibt hierfür die bereits erwähnte, jene Transzendenz andeutende Formel des „dichterischen Zugs zum stimulierend Unanschaulichen“ 21 bei Klopstock; das Bildliche ist das Stammeln, ein metaimagologisches Durchschimmern der Musikalität der Worte - die Gegenprogramm zum allzu „regelmäßige(n) Poem“ 22 ist, das der sprachlichen Form in falscher Formenstrenge verlustig gehend alles „entstofflicht“ 23 … Stabil ist, worin sich das zuträgt, was als Ikonoklasmus allein noch Bild ist: die Landschaft in Klopstocks Messias beispielsweise, hier sei „kein Strich […] tot“ 24 , ist also, wie Serres über Vittore Carpaccio schreibt, „Dekor […] kein Dekor“ 25 , die „Welt […] (n)icht Hintergrund“ 26 , sondern „Aktion der Aktion“ 27 . Dieser Eindruck wird dadurch bestätigt, daß im Werk Klopstocks zahlreiche Verben zu finden sind, die Adjektive dagegen teils fast schon marginalisiert erscheinen; in diesem Werk, das auf gedanklicher Bewegung allein paradox ruht, gebührt „dem Zeitwort […] der Vortritt unter den Wörtern.“ 28 Bis zu einem gewissen Grade ließe sich diese „Denominalisierung“ 29 und folglich Gegenstandslosigkeit - für ein anderes Sein - als programmatisch verstehen, wäre also schon hierin „der Messias ein »Epos ohne Mythologie«“ 30 ..: „Klopstock versteht es, in der Messiade seinen Drang nach Empfindungen für die erlebende Seele so sehr auszuspielen, daß er einen Sinnenrausch mit ekstatisch zerfließenden Bildern erzielt. Die Empfindungen werden dann unvorstellbar, sie können nicht bildmäßig vollzogen werden, sie sollen auch gar nicht als solche nachvollziehbar sein“ 31 … 175 31 Müller: Die Religiosität in Klopstocks »Messias«, S. - 19. 30 Manger: Klopstocks poetische Kathedrale, S. - 54. 29 Bahr: Die Sprache des Gastes, S. - 362. 28 Muth: Schöpfer und Magier, S. - 47; cf. Kohl: Rhetoric, the Bible, and the Origins of Free Verse, S. - 174 sowie Blackall: Die Entwicklung des Deutschen zur Literatursprache 1700- 1775, S. - 252. 27 Ibid. 26 Ibid. 25 Serres: Carpaccio, S. - 11. 24 Maher: Das Motiv der orientalischen Landschaft […], S. - 80. 23 Ibid.; cf. Rieck: Literaturgeschichtliche Aspekte der Lessing-Phase in der deutschen Aufklärung, S. - 393. 22 Promies: Lyrik in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, S. - 600. 21 Hurlebusch: Der junge Klopstock in seiner Zeit. 20 Ibid. Bildlichkeit: Sinnenrausch <?page no="176"?> Sein Text ist „ein geschärftes Gespür für die Wirklichkeit, die aber davon nicht in Bewegungslosigkeit verfällt“ 32 , so ließe sich Klopstocks Schreiben als Sensorium säkularer skizzieren: Das, was sich zum Bild eignet, ist schon wie immer der höllischen Gegenordnung verhaftet. Die „entsinnlichten Mittel der negativen Theologie“ 33 sind bei Klopstock allenfalls vermittelt, was das Himmlische ahnt, als vielmehr eben jenes Wort, das sich iterierend suspendiert, als Suspendiertes permaniert, als Autoreferenz in sich „schokkierend und befremdlich“ 34 wird - himmlisch: jener Rhythmus und jene Textualität, deren Thema und Rhema wären, daß „das Totale und das Endgültige nicht (geschieht)“ 35 … dies indes immer wieder endgültig. Der Dichter, so wurde an Klopstock gezeigt, bleibt als Bild; aber jedes Bild als das eines Dichters - Bild einer Irritation und Entrückung also, wie immer orthodox es sich zunächst gestaltet: Provokation, die zugleich gegen sich angeht, minutiös, mit einem „Navigationsauftrag“ 36 im auch eigenen Gewirr, rauschhafte Dekonstruktion in, so eine Formel Hölderlins, „heilignüchterne(m) Wasser“ 37 . Die Parrhesia Christi konvergiert hiermit; bei Schleiermacher ist von einer nüchternen wie „genialischen Narrheit“ 38 der Religion die Rede. Moderat ist etwas von dieser Inspiration, die aus der Handlung des Schreibens jedenfalls auch erwachsend ihm systemisch etwas „zuträgt“ 39 und ihm es je weitend und aufreißend Irritationen implantiert, perfor(m)ativ, in Beschreibungen des Schreibaktes wie der Schrift Klopstocks und seiner aufwallenden Emotion erhalten: „(K)ein Mensch selbst meine Frau nicht selbst ich bisweilen nicht kann meine Hand lesen. Denn ich mache bisweilen wenn ich recht in der Arbeit bin ganz u gar nur Züge statt der Buchstaben.“ 40 Nun kann man diesen Gestus als Inszenierung auffassen: wie Jean Paul, dessen Spott sattsam bekannt ist und gewiß nicht vollends verfehlt, was hier geschildert ist - es sei die Unleserlichkeit dieser Hexameter doch zuweilen sehr zu begrüßen… 41 Als Beglaubigung göttlicher Ergriffenheit ist die Inszenierung fragwürdig, die These, hier werde „(o)ffensichtlich […] konform der Klopstockschen Inspirationspoetik berichtet“ 42 , träfe ungut, 176 42 Martini: Sänger und Gesang, S. - 144. 41 Cf. Jean Paul: Sämtliche Werke, Abt. I, Bd. I, S. - 440f. 40 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Briefe, Bd. III, S. - 82, Nr. 55, 19.10., 29.5., 7.6.1758. 39 Frey: Übersetzung als Metapher, S. - 40. 38 Schleiermacher: Schriften, S. - 40; cf. ibid., S. - 93f. 37 Hölderlin: Sämtliche Werke, Bd. II, S. - 121; cf. Görner: Die Salzburger Vorlesungen I, S. - 231f. 36 Kluge, Vogl: Soll und Haben, S. - 309. 35 Blumenberg: Arbeit am Mythos, S. - 296. 34 Hohler: Das Heilige in der Dichtung, S. - 17; cf. ibid., S. - 17ff., 22 u. 61. 33 Manger: Klopstocks poetische Kathedrale, S. - 54. 32 Foucault: Schriften in vier Bänden, Bd. IV, S. - 134. Bildlichkeit: Sinnenrausch <?page no="177"?> Inspiration wäre Ideologie, wo „stilisiert ins »Sich ereignen«“ 43 ; doch die Zeugnisse sprechen für Klopstocks Version, der diese Beglaubigung zu behaupten auch eher unterstellt wird, die den Schreibakt bloß zum - vielleicht auch theologischen - Epizentrum macht. 44 Die Quellen deuten an, daß die Erstfassungen sehr rasch (teils ohne metrische Organisation) entstanden, und zwar womöglich in einer Art von Ergriffenheit, wenn man Meta Klopstocks Berichten Glauben schenken will, die erzählt, er arbeite „immer mit Thränen in den Augen.“ 45 Stets ist das Schreiben ergreifend und ergriffen - und ungenügend. 46 Neben dem Eigentlichen ist das Wort die „alte Grabinschrift“ 47 , doppelt falsch, wo so final wie auf dem Epitaph, etwas, das man schreiben müsse, doch so niemals lesen dürfe. 48 Ein Satz Marquards formuliert prägnant, was Schuld und Hoffnung hier bedeutet: „Jeder Text muß dafür Buße tun, daß es ihn gibt.“ 49 177 49 Marquard: Skepsis in der Moderne, S. - 82. 48 Cf. ibid. 47 Ibid., S. - 156, Nr. 126, 18.4.1752. 46 Cf. Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Briefe, Bd. II, S. - 139, Nr. 116, 27.-29.2.1752. 45 Klopstock: Geschichte der Meta Klopstock in Briefen, S. - 434. 44 Cf. hierzu den Klopstocks Schilderung durchaus stützenden Nachlaß sowie Hurlebusch: Zur Methodik der Vorbereitung historisch-kritischer Ausgaben, S. - 405, ferner cf. Hainz: Autor-dys-funktion, passim. 43 Adorno: Gesammelte Schriften, Bd. 6, S. - 419. Bildlichkeit: Sinnenrausch <?page no="179"?> Schweigen Schweigen als Manöver und Fatum Die Folge ist die Stille, in der das Gespräch aufgehoben ist, wovon auch die Briefe Meta Klopstocks wie jene des Dichters zeugen, die mitunter von ihrer Liebe ähnlich handeln, wie der Messias vom Messianischen, diese als das Werk und darin den Vektor oder auch das Offene als etwa Aposiopese entwickelnd, jenseits poetischer oder epistolarer Strategie: „Ich will Ihnen also nichts sagen.“ 1 Das ist ein Spiel, etwa um den Kuß, der nicht Sache des Disputierens sondern der Performanz ist. 2 Doch keinesfalls nur Spiel, sondern eine Kommunikation, worin „sich Klopstocks Sprache des Briefes und seine Sprache der Poesie“ 3 einander annähern, in einem der spannendsten Briefwechsel der deutschen Literaturgeschichte. 4 Ich will Ihnen also nichts sagen: Dieses Verstummen findet jene Zeichen, die die „Last der Abwesenheit“ 5 in der Schrift unterwandern, nämlich, indem sie diese Abwesenheit selbst sind. Diese Absenz ist geradezu somatisch, körperhaft gegeben, durch die Abarbeitung an ihr - oft sind Passagen „durch Tilgung nahezu unleserlich gemacht“ 6 , finden sich Striche: „Der Klecks ist daher entstanden, daß ich die Feder wegwarf, wie ich es so sehr fühlte, daß Deine Arme mir fehlten“ 7 , beendet Meta Klopstock einen ihrer Briefe an den Dichter, worauf eine markierte Leerstelle folgt: „-----“ 8 . An einer anderen Stelle schreibt sie, „wie sehr - - -“ 9 sie seine Oden erwarte; sie wisse „hier kein Wort, angenehm, lieb, das ist alles viel zu schwach“ 10 … Die Sprache konkretisiert und dekonstruiert ihre Not. Und das Schweigen Klopstocks ob des Todes Metas (schon Cramer fällt diese frappierende Stille angesichts und jenseits des poetisch Be- und Verhandelbaren auf, abseits gewisser Anspielungen im Werk 11 ) besiegelt dieses Schweigen mit jenem Ernst, der doch immer auch schon darin war. 11 Cf. Cramer: Klopstock, Bd. I, S. - 30. 10 Ibid. 9 Ibid., S. - 146, Nr. 120, 14.3.1752. 8 Ibid. 7 Ibid., S. - 187, Nr. 146, 19./ 20./ 22.7.1752. 6 Ibid., Bd. II, S. - 453 (Anm.). 5 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Briefe, Bd. III, S. - 97, Nr. 80, 12.9.1758; cf. ibid., Bd. II, S. - 156, Nr. 126, 18.4.1752. 4 Cf. hierzu u.a. Beutler: Friedrich Gottlieb Klopstock, S. - 171. 3 Hurlebusch: Friedrich Gottlieb Klopstock, S. - 66. 2 Cf. Klopstock: Geschichte der Meta Klopstock in Briefen, S. - 11 sowie Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Briefe, Bd. II, S. - 26, Nr. 31, 17.4.1751. 1 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Briefe, Bd. II, S. - 134, Nr. 112, 8.2.1752. <?page no="180"?> Eine ähnliche Semantik des Unbezeichenbaren, dem ein nicht bezeichnendes Graphem entspreche, findet sich später bekanntlich in den Texten und wiederum auch Briefen Heinrich von Kleists wieder: „- - - Ja, wer könnte das aussprechen -? “ 12 Das Unaussprechliche wird auch hier im Bindestrich aufbewahrt: „Ja, wenn man Tränen schreiben könnte - doch so -_-“ 13 … Klopstock selbst hat vom zumal lyrischen Text geschrieben, daß dieser an „Musik grenze“ 14 , an etwas in ihm, das sprachlos ist, doch wie auch diese ein Appell an „ein Ohr […], das genau bemerkt“ 15 , daß also noch dies im Text „Declamation“ 16 sei und also, so ließe es sich ergänzen: „über alles Sagbare hinausgehend […] am Ende wieder zum Wort“ 17 doch geradezu dränge, nur darin authentisch, nämlich Dekonstruktion des aller Sprache inhärenten „state of inauthenticity“ 18 . An dieses Ergriffensein, das zum Text drängt, aber diesen auch als Aporie setzt, schließt im Werk Klopstocks die Entwicklung subtiler Strukturen, die jedenfalls teils sich quasi materialiter ergeben, eben als Inspiration aus dem Wort, teils auch dem schon geschriebenen, an dem der Dichter als sein Leser verfährt, dekonstruierend, wie es auch hernach geschehen mag - und womöglich muß: „Ich habe diesen Morgen über 50 Verse im XIIIten Gesange gemacht. Sie müssen aber deßwegen nicht denken, daß ich mit dem XI u XII fertig sey. Bey weiten nicht.“ 19 Dies ist der aus sich erst sich entfaltende Stil, von dem auch das Tagebuch mit angestückelten Notizen zeugt, Klopstocks Text besteht in freier Anordnung, mit Zusätzen, die sich rundum gleichsam anlagern. 20 Dies ist seine und darum nicht allein seine Poetopolitik, die das Werk über Kritik, Lektüre und Philologie momentan herstellt, aber auch sich aussetzend gefährdet, einen Text in all seiner Polyphonie erschafft. 180 Schweigen 20 Cf. KN 85, S. - 12. 19 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Briefe, Bd. III, S. - 82, Nr. 55, 19.10., 29.5., 7.6.1758; cf. auch Martus: Werkpolitik, S. - 171, 185, 203ff., 210 sowie 262ff. u. Maler: Versepos, S. - 381. 18 De Man: Blindness and Insight, S. - 214. 17 Jaspers: Philosophie, Bd. I, S. - 340. 16 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. VII·1, S. - 172; cf. auch u.a. Koller: Klopstockstudien, S. - 17 sowie Amtstätter: Der unheilige Sänger, S. - 57f. u. 63. 15 Klopstock: Gedanken über die Natur der Poesie, S. - 80; cf. auch Mahr: »Die Regeln gehören zu meiner Materie nicht«, S. - 44. 14 Klopstock: Gedanken über die Natur der Poesie, S. - 21; cf. auch Schleiden: Klopstocks Dichtungstheorie als Beitrag zur Geschichte der deutschen Poetik, S. - 126. 13 Ibid., S. - 352; cf. auch Müller-Seidel: Versehen und Erkennen, S. - 198f. 12 Kleist: Werke und Briefe in vier Bänden, Bd. IV, S. - 258. <?page no="181"?> Schweigen und Messianisches Ein Indiz dafür, daß Klopstock das Verhältnis der Hexameter zueinander intensiv berücksichtigte, ist der Umstand, daß er eben dieses - ohne allerdings weitreichende Schlüsse daraus zu ziehen - am Hexameter Homers lobt: „Homers Vers ist vielleicht der vollkommenste, der erfunden werden kann. Ich verstehe unter Homers Verse nicht Einen, wiewohl jeder seine eigne Harmonie hat, die das Ohr unterhält, und füllt; ich meine damit das ganze Geheimnis des [sic! ] poetischen Perioden, wie er sich vor das stolze Urteil eines griechischen Ohrs wagen durfte, den Strom, den Schwung, das Feuer dieses Perioden“ 21 … In der Folge entwickelt Klopstock aus seinen Andeutungen den Hexameter betreffend keine explizite Theorie einer versübergreifenden Metrik, die zureichte; doch das Feuer ist auch vor allem, was als Irritation bleibt, als Bild auch derselben, während den „poetischen Kryptofragmentisten“ 22 Klopstock gleichwohl die Arbeit an den Details hernach zum sowohl enthusiasmierten als auch peniblen Textarbeiter an „kleinen Textstücken, häufig nur wenige Verse umfassend“ 23 , oder mit Klopstock (im Briefwechsel mit Bodmer) „Fragmentchen“ 24 macht. Das Bild des nicht vollends verwalteten, doch darum lesbaren Rumorens einerseits und andererseits des Dichters als des Trägers dieser Spannung - „the poet moving himself“ 25 , durch seine ihm nicht eigene „Poesie in actu“ 26 und die darin aufscheinende „Poesie in potentia“ 27 - ist also, was bleibt: angemessener Ausdruck dessen, daß der Text an sich und vor allem „der Text des »Messias« für Klopstock bis zu seinem Lebensende variabel geblieben“ 28 ist. Diese „Variabilität […] ist ständig gegenwärtig“ 29 - „Progression des poetischen Aktes […], die sich im Gedicht verwirklicht.“ 30 Dieses Bild berührt die „skandalöse[n] Manifestation der Wahrheit“ 31 , die dem kynischen, also hündischen, etwa domini-canischen Christentum eignet, das, und hierin ist das Zweigestirn Diderot/ d’Alembert für Klopstock kaum Schweigen 181 31 Foucault: Mut und Wahrheit, S. - 67. 30 Szondi: Schriften, Bd. 2, S. - 365. 29 Ibid., S. - 232. 28 Höpker-Herberg: Überlegungen zum synoptischen Verfahren der Variantenverzeichnung, S. - 229. 27 Ibid. 26 Hurlebusch: So viel Anfang war selten, S. - 66. 25 Kohl: Rhetoric, the Bible, and the Origins of Free Verse, S. - 110. 24 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Briefe, Bd. I, S. - 34, Nr. 20, 26.1.1749. 23 Ibid., S. - 68; cf. ibid., passim sowie Höpker-Herberg: »Paradise Lost« und »Messias«, S. - 45. 22 Hurlebusch: So viel Anfang war selten, S. - 72. 21 Klopstock: Gedanken über die Natur der Poesie, S. - 10. <?page no="182"?> häretisch, Gott um Gottes Willen befragt, (post-)moderner: „Diese Geschichte beginnt mit Gott und endet mit der différance“ 32 … Gott als das „Nichterzeugbare […] ist der leere Ort“ 33 , der der Schrift in einer „unendlichen Indirektheit“ 34 entspreche. Es sei ja „das Fragezeichen ebenso alt wie das Christentum“ 35 , dies sei also seine „Liebeserklärung“ 36 … Ohne diese Spannung freilich ist für Klopstock Skepsis zu verurteilen, als Kritiker dieses Zweifels brachte er es einst zu Sprichwörtlichkeit: „Christen, welche ihren Zweifeln in der Religion nach Herzenslust nachhängen, nennt Klopstock Gerntäuscher“ 37 , heißt es im Adelung. Er ist hingegen überzeugt und überzeugend, doch - wovon? Die dieser Poesie eigene Spannung aus Laboratorium, Experiment und Dekonstruktion formuliert in bezug auf Klopstock denn auch andeutungsweise Katrin Kohl: „Klopstocks Gedichte sind zwar durchaus wirkungsorientierte Rede, aber weder der Zweck noch das Zielpublikum hat teil an der Welt des Gedichtes.“ 38 Diese ist wie ihre Sprache „strategisch und kühn“: „Strategisch, weil keine transzendente und außerhalb des Feldes der Schrift gegenwärtige Wahrheit die Totalität des Feldes theologisch beherrschen kann. Kühn, weil diese Strategie keine einfache Strategie in jenem Sinne ist, in dem man sagt, die Strategie lenke die Taktik nach einem Endzweck, einem Telos oder dem Motiv einer Beherrschung, einer Herrschaft und einer endgültigen Wiederaneignung der Bewegung oder des Feldes. Eine Strategie schließlich ohne Finalität; man könnte dies blinde Taktik nennen“ 39 … Kühn: „Die Position der Empfänger (der Heiligen, der Leser, der Dichter) wird immer dann kritisch, wenn sich ihr schriftbasiertes eigenes Imaginäres als Nachricht von außen einstellt“ 40 , zumal, wenn, was Nachricht sei, nicht „im Text der Kultur vorgesehen ist“ 41 , was aber sozusagen die Pointe jener dekonstruktiven Relektüre der Offenbarung insbesondere ist - worin Klopstock den Ruf „Erscheinung, Erscheinung! “ 42 erschallen läßt, dies konsequent betreibend, kritisch wider und darin für den Text positioniert. 182 Schweigen 42 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·2, S. - 161, Gesang XV, V.1123. 41 Ibid.; cf. auch Giesecke: Der Buchdruck in der frühen Neuzeit, S. - 590 u. passim. 40 Schneider: Liebe und Betrug, S. - 292. 39 Derrida: Randgänge der Philosophie, S. - 35; cf. Jullien: Sein Leben nähren, S. - 149. 38 Kohl: »Sey mir gegrüßet! «, S. - 26. 37 Adelung: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Bd. II, S. - 594. 36 Holl: Der lachende Christus, S. - 167. 35 Holl: Om & Amen, S. - 116. 34 Ratzinger: Einführung in das Christentum, S. - 160; cf. Vorgrimler: Neues Theologisches Wörterbuch mit CD-ROM, passim u. Biser et al.: Lexikon des christlichen Glaubens, S. - 24. 33 Derrida: Glaube und Wissen, S. - 47. 32 Groys: Die Wiedererschaffung des Autors nach seinem Tode, S. - 155; cf. auch Hainz: N.T. - New Testament/ Not Testified, S. - 113. <?page no="183"?> Das Bildgetreue zeigt in seiner rastlosen Imagologie nichts als „eine Art und Weise, die Wahrheit zu sprechen“ 43 , nichts anderes, aber auch dieses Nichts als eben modus loquendi. Es ist eine Imagologie, die diese Bilder schillern läßt, als Transmission oder Transgression, als etwas, das nicht Bild ist, aber auch nicht dessen Wovon, das imaginierte Signifikat „verschmilzt mit der Maske“ 44 , die echt doch als „Maske aller Masken“ 45 bleibt: als nur poetisch mögliche Einsicht, „daß der Signifikant niemals - wie die Metaphysik es erträumte - bloße Hülle eines ursprünglichen Signifikats ist“ 46 , als darum auch das Ende „der Vorstellung des absoluten, verkörperungsfreien Sinns“ 47 . Priesterlich bleibt die Liturgie, das event, das Vorgängige, bis zur poetischen Transsubstantiation, die eschatologisch nicht ist, aber darum die einzige Möglichkeit, daß ein eschaton aufscheine. Dunkles/ Erhabenes Dies ist das Dunkle, um das sich Klopstock durchaus nicht „bemüht“ 48 ; dieses Dunkel steht im Zentrum jenes Lichts der Religion, ist die „überhelle Nacht“ 49 , die „»Epiphanie« eines gewissen Un-Lichtes“ 50 , „ein heiliges Dunkel“ 51 , das „lichtlose[s] Licht Gottes“ 52 - ähnlich wie Hölderlins „(h)eilige Dämmerung“ 53 , in der saturnisch wie bei Klopstock die Dichtkunst, die bei ihm uranfänglich mit „dunkler Ferne“ 54 assoziiert ist, vorbereitet, was das schlechthin Helle und Überhelle in ihr dereinst sein solle. „(D)iese Dunkelheit läßt Erhellung zu“ 55 , so schreibt Cramer über Klopstock; sie ist, indem sie sich entzieht und durch nichts als ihr Sich-Aussetzen getragen wird, „phantastische“ 56 Kritik, nicht „unbegeistert,/ Richterisch und philosophisch“ 57 , wie Klopstock in seiner Jugend schreibt, nicht wie Adramelechs Einwände „(v)oll ermüdendes [sic! ] Tiefsinns“ 58 . Dagegen Schweigen 183 58 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 44, Gesang II, V.884. 57 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. I·1, S. - 8/ Klopstock: Oden, Bd. 1, S. - 10. 56 „Kritik auch eine phantastische Tätigkeit“ - Kluge, Vogl: Soll und Haben, S. - 11. 55 Cramer: Klopstock, Bd. I, S. - 21. 54 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 1, Gesang I, V.9; cf. ibid., passim. 53 Hölderlin: Sämtliche Werke, Bd. II, S. - 39; cf. ibid., Bd. III, S. - 214. 52 Balthasar: Herrlichkeit, Bd. III·1, S. - 119. 51 Cramer: Klopstock, Bd. I, S. - 15. 50 Derrida: Die Schrift und die Differenz, S. - 130. 49 Balthasar: Theologik, Bd. I, S. - 312. 48 Staiger: Die Kunst der Interpretation, S. - 53; cf. hierzu auch Cod. in Scrin 120 a, Bd. I, S. - 183 sowie Cod. in Scrin 295, Bd. I, S. - 183. 47 Ibid., S. - 212. 46 Welsch: Ästhetisches Denken, S. - 211. 45 Ibid., S. - 195. 44 Bahr: Medusa oder der Blickwechsel, S. - 194. 43 Ibid. <?page no="184"?> steht oder stünde eine „tiefsehende[r] Kenntniß“ 59 , die „nicht […] menschenfeindlicher Trübsinn“ 60 ist. Hierin entspricht das Dunkle dem schon im Kontext der Bildlichkeit diskutierten Erhabenen, beide sind (Trans-)Figurationen dessen, was der Text enthusiastisch nicht ins Bild bannt, was gerade diese - durchaus paradox - zum Ausdruck dessen macht, was Horaz „lucidus ordo“ 61 nennt, eine lichtvolle Anordnung: „Der Gegenstand ist vornehmlich alsdann darstellbar, wenn er erhaben ist“ 62 . Dies verblüfft, ist doch das Erhabene (oder das Dunkle) wie angedeutet just das, was außerhalb jeder Relation ans Undenkbare jedenfalls rührt: Doch gerade dies ist dem Denken als aus sich drängendem gemäß, die „Darstellung hat Theorie“ 63 , übersteigt, was Theorie zu sein schien, so suggeriert Klopstocks Zugang. Es geht dementsprechend nicht so sehr um eine überraschende Definition der Dichtungsqualität durch ihren Gegenstand, zumal jener im Werk schon zur genuinen Form umgeschaffen sein mag, vielmehr ist für Klopstock das Undarstellbare, als welches das Erhabene spätestens seit Kant definiert ist, allein darstellungswürdig. 64 Das meint - primär - nicht das gewiß Prestigiöse aller unlösbaren Aufgaben. 65 Dichtung wäre vielmehr hier dem (meta-)rhetorischen Skrupel der Darstellung anheimgegeben, nicht ihr Objekt oder ihre Idee zu schreiben, sondern „darstellend“ 66 zu enthüllen, was „das Gegebene als Gegebenes nicht manifestiert“ 67 … Schlegel wird eine „materiale, enthusiastische Rhetorik“ 68 skizzieren, die in diesem Sinne „praktisch zu realisieren“ 69 habe, was Darstellung je konkret sei, worin also Subsemantik Semantik würde. 70 Dieses Moment umreißt Klopstock selbst so, daß „uns die Bewegung geradezu das durch sie Ausgedrückte zu seyn (dünkt)“ 71 : eine bis ins Messianische „vortheilhaft(e)“ „Täuschung“ 72 … 184 Schweigen 72 Ibid; cf. auch Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. I·1, S. - 141/ Klopstock: Oden, Bd. 1, S. - 120, ferner Sauder: Der zärtliche Klopstock, S. - 59ff. 71 Klopstock: Sämmtliche Werke, Bd. 15, S. - 207. 70 Cf. auch Hogrebe: Ahnung und Erkenntnis, S. - 112 u. passim. 69 Ibid. 68 Schlegel: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, 1. Abt., Bd. II, S. - 187. 67 Ibid. 66 Nancy: Die Lust an der Zeichnung, S. - 84. 65 Cf. auch Mendelssohn: Ästhetische Schriften, S. - 115. 64 Cf. u.a. Kant: Werkausgabe in 12 Bänden, Bd. X, S. - 164ff., B 74ff., A 73ff., Klopstock: Gedanken über die Natur der Poesie, passim, Mickel: Der gefühlsmäßig-religiöse Wortschatz Klopstocks, S. - 87ff. sowie Gießmann: Die Romantik und das Unendliche, passim. 63 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. VII·1, S. - 9 (im Original teils gesperrt, M.H.); cf. Menninghaus: »Darstellung«, S. - 221. 62 Klopstock: Gedanken über die Natur der Poesie, S. - 168. 61 Horatius: Ars Poetica, S. - 6, V.41. 60 Ibid., S. - 209, Gesang X, V.375. 59 Ibid., S. - 209, Gesang X, V.377. <?page no="185"?> Es geht also nicht um die inszenatorische Aufwertung des poetischen Unterfangens, vielmehr ist das Erhabene jener Limes des Dichtens, der nur post hoc und vielleicht propter hoc je aufscheint, als dann aber das, was doch nur antizipierte, worum es vielleicht gegangen sein wird. Das Risiko bei derlei Unterfangen an der poet(olog)ischen Grenze ist Klopstock von Horaz’ spöttischer Formel bekannt, „parturient montes, nascetur ridiculus mus.“ 73 Auch Baumgarten ist hier skeptisch und rät zunächst, als ließen sich der Gegenstand und seine stets vollzogene Transformation trennen, nichts, das „supra horizontem aestheticum“ 74 gelegen sei, anzurühren, wiewohl er in der Folge das „sublime cogitandi genus“ 75 keineswegs negiert, sondern es - es „(s)umma in luce“ 76 sehend - von einer Ästhetik, die an jenem Anspruch scheitert, zu scheiden versucht. Zuletzt affirmiert die Ästhetik, daß jenes Erhabene doch entgegen aller Wahrscheinlichkeit, oder nach einer höheren, die nur durch höhere Geister, „ingeniis superioribus“ 77 , wie er schreibt, verstanden werde, „divinum […] furorem incitare“ 78 vermag. Klopstock macht dieses Gelingen zu seinem Prinzip, zielt einerseits darauf ab, „das Lesen zum Hören und Sehen werden zu lassen“ 79 , aber andererseits gerade auf die Konvergenz, worin vollends „Text als Sprache“ 80 gegeben ist, als aufbrechende Dynamik, die Dia- und Epiphanien sich öffnet, wie säkular oder numinos das auch sei, wovon das Gedicht als „der Gesang, von dem es spricht“ 81 , sei, wie autogen also seine Transzendenz. Diese Konstellation ist jene Klopstocks, wiewohl er nicht immer schon „selbst […] die Konsequenzen gezogen hat, die in seinen Begriffen lagen“ 82 - falls seine Dichtung nicht schon immer dem „unendlichen Recht ihrer Konsequenzen“ 83 verbunden ist, also sie selbst, doch: „zugleich unendlich und generisch.“ 84 Klopstock jedenfalls entdeckt das Darstellen jenseits des ponere ante oculos: als das Zum-Wort-Finden dessen, was sonst nicht etwa undeutlich, sondern inexistent wäre. Vielleicht auch noch inexistent bleibt. Zukunft ist dieser Dichtung nicht abzusprechen, ihr vielmehr je immanent. Schweigen 185 84 Ibid., S. - 51. 83 Badiou: Logiken der Welten, S. - 23. 82 Kirschstein: Klopstocks Deutsche Gelehrtenrepublik, S. - 182. 81 Frey: Das Heilige und das Wort, S. - 38; cf. auch Amtstätter: Beseelte Töne, S. - 48 u. passim. 80 Ibid., S. - 35. 79 Weimar: Das Wandeln des Wortlosen in der Sprache des Gedichts, S. - 33. 78 Ibid., S. - 280, Sectio XXI, § 308; cf. ibid., S. - 266, Sextio XXI, § 293. 77 Ibid., S. - 272, Sectio XXI, § 301. 76 Ibid., S. - 274, Sectio XXI, § 303. 75 Ibid., S. - 254, Sectio XXI, § 281; cf. ibid., passim (im Original in Kapitälchen, M.H.). 74 Baumgarten: Ästhetik, Bd. 1, S. - 98, Sectio IX, § 121 (im Original in Kapitälchen, M.H.). 73 Horatius: Satiren · Briefe, S. - 258, De arte poetica, V.139. <?page no="186"?> Im Nachlaß findet sich eine Notiz, die das bestätigt, nämlich eine Thematisierung der sprachlichen Ausarbeitung, die diese nicht nur als das Beseitigen von Unklarheiten des Ausdrucks begreift, sondern als aktualisierendes Denken: aktualisierend, was bedeuten mag, daß der eigentliche Leser ins Schreiben versetzt wird, womit letztlich der, der schreibt, doch die Darstellung als Integrales auch seines Denkens erfahren mochte und noch mag: „Gute Episoden eines Gedichts sind die, ohne welche zwar das Gan= ze ein Ganzes bleibt, die aber doch in jenes dieses mit so vielen u so festen Faden we verwebt sind, daß der Zuhörer, wen¯¯ [sic! ] er sich nicht gerade die mit der kritische [sic! ] Untersuchung beschäftigt Wage [sic! ] in der Hand hat, an das nicht denktd [sic! ], was man episodisch nent [sic! ].“ 85 Die Art, in der in solchen Notizen gedacht wird - nicht bloß Gedachtes in bezug auf seinen möglichst klaren Ausdruck fixiert -, zeigt eindrücklich, daß es sich mit Klopstocks Darstellen wie beschrieben verhält. So ist Klopstock ein Neuerer der Sprachpotenz; sein Werk zeichnet sich zwar auch durch „Sprachdemut“ 86 bis an den Rand des Schweigens vor Unsagbarem, vor dem das Paradies wie „das wenigstens temporäre Entbehrlichwerden des Notbehelfs Sprache“ 87 erscheint, aus, doch auch durch das Vertrauen in einen Gott, der „dem Wesen nach logos und verbum, ein Gott des Wortes“ 88 ist, womit aus der Hinfälligkeit der Sprache nun gerade ihre Utopie resultiert - in der poetischen Praxis aber vielleicht auch aus der Evidenz der Dekonstruktion, die ihrerseits Dekonstruktion der Evidenz ist. Hierin wird „die innerste Kraft der Dichtkunst“ 89 offenbar. 186 Schweigen 89 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. I·1, S. - 385/ Klopstock: Oden, Bd. 2, S. - 28. 88 Hilliard: Schweigen und Benennen bei Klopstock und anderen Dichtern, S. - 24f. 87 Weimar: Das Wandeln des Wortlosen in der Sprache des Gedichts, S. - 38. 86 Hilliard: Schweigen und Benennen bei Klopstock und anderen Dichtern, S. - 25. 85 KN 84.072, S. - 1 recte. <?page no="187"?> Die metaphysische Metrik des Messias Fraktale Damit sei zur Form des Textes und dessen Metrik zurückgekehrt, falls dieses Feld denn je verlassen wurde. Und zwar zunächst zu den beredten Verstößen oder Auffälligkeiten. Es wurde bereits auf die nicht unwesentliche Qualität der Metrik hingewiesen, als Folie für den nur mit einer solchen eigentlich expressiven Verstoß zu dienen. Bei Klopstock gibt es (trotz der zahllosen Variationsoptionen des Metrums) den gestörten Hexameter als quasi erste Rechtfertigung desselben; zwei Höhepunkte werden durch „fragmentarische Hexameter“ 1 expressiv markiert, die auch das angedeutete Problem des Schweigens berühren: Christi Tod und Christi Auferstehung. Der zehnte Gesang wird mit einem Vers von vier Betonungen beschlossen, deren letzte dunkel auf die letzte Silbe fällt: „Und er neigte sein Haupt, und starb.“ 2 Hier „verliert der Hexameter seine Fassung“ 3 , wie Klaus Manger treffend bemerkt; es ist die vielleicht einzige theologisch adäquate Lösung, wo selbst „Gottes Wort schweigt, leidet und stirbt“ 4 . Dieses Schweigen ist der paradoxe Widerpart der Ruhe, von der Mickel in bezug auf Klopstocks Wortgebrauch schreibt, sie sei göttlich, in ihr werde „das Eigentliche, das Wesen zur Gestalt“ 5 , es werde darin das „Numinose erfahren“ 6 - auch im Sinne der Aussparung, wenn Adam ein Gesicht des Weltgerichts geschenkt ist, doch nicht nur die Vision sozusagen bloß ein Fraktal der Erlösung ist, sondern ferner „(s)elbst von diesem wenigen […] der Dichter nur etwas sagen“ 7 und nur einen Ausschnitt des Bruchstücks schildern könne. Ist indes das Schweigen einerseits Widerpart jener Ruhe, worin die Transzendenz erschlossen werde, gilt eben diese Öffnung zum Numinosen in anderer Weise doch auch von dieser expressiven Synkope, worin das Verendlichte absolut zu werden scheint, dann eben dies sich aber in gleichsam inverser Weise vollzieht: als das Absolute, die Würde dessen, was endlich ist, doch in seiner - tatsächlichen - Endlichkeit nur Bild, das fortzuschreiben ist. 7 Funk: Erläuterungen zu Klopstocks »Messias«, S. - 135. 6 Ibid., S. - 148. 5 Mickel: Der gefühlsmäßig-religiöse Wortschatz Klopstocks, S. - 146. 4 Balthasar: Theologie der drei Tage, S. - 46. 3 Manger: Klopstocks poetische Kathedrale, S. - 43. 2 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 227, X. Gesang, V.1052. 1 Kohl: Friedrich Gottlieb Klopstock, S. - 82. <?page no="188"?> Dies gilt hernach umso mehr angesichts des Gegenstücks des zitierten Verses, der das Hinscheiden Jesu faßt; jenem der Verklärung nämlich, er umfaßt sogar nur ein - doch sozusagen nicht nur ein - Wort: „Auferstand! “ 8 Mit dem „Schwindelgefühl des letzten Satzes“ 9 konfrontiert ist dieser durch die Apostasis nicht bagatellisiert, wie ihn nun dieser zweite Satz nicht marginalisiert, sondern aufhebt; Klopstocks Hexameter-Fragmente fügen sich zu einer gerade noch kenntlichen Abart des Pentameters, wobei lediglich die Zäsur verschoben, ansonsten aber der Pentameter als Hexameter mit doppelter Katalexe und Zäsur prinzipiell realisiert ist. 10 Er hat also diese Gestalt: „Und er neigte sein Haupt, und starb.“ 11 - „Auferstand! “ 12  x |  x x |  x |  ||  x |  So, wie Adorno den Doppelpunkt einen in klassisch-traditioneller Harmonik - Klanggrammatik - nur in einer Weise aufzulösenden, diese Erlösung antizipierenden „Dominantseptimakkord[e]“ 13 heißt, ist diese Zäsur, dieses indizierte Verweilen zu verstehen. Die Erlösung ist ein Poeticum. Theologisch gelesen (be-)zeugt der qua Auferstehung der Fragmente konstituierte Vers eine profunde „Nicht-Endgültigkeit“ 14 des theologisch angemessenen Dichtens und Handelns. 15 Die falschen Spondeen Neben dieser Abweichung vom Gang des Hexameters gibt es auch eine zweite Aberration - den falschen Spondeus, wofür Klopstock nachgerade berühmt wurde, hat man auch statt seiner Voß der Ehre teilhaftig werden lassen, ihn den „Schutzheilige(n) der falschen Spondeen“ 16 zu nennen. Eichendorff beschreibt ausführlich diese als „durch die Gräkomanen“ 17 verschuldete „Verrenkung und Verzerrung der Sprache, die mit Klopstocks Oden und Bardieten beginnt und bei Voß eine schreckenerregende 188 17 Eichendorff: Werke, Bd. 3, S. - 538. 16 Heusler: Deutscher und antiker Vers, S. - 74. 15 Cf. Hainz: Sentenzen und Sequenzen, S. - 149ff. 14 Balthasar: Theodramatik, Bd. III, S. - 190. 13 Adorno: Gesammelte Schriften, Bd. 11, S. - 107. 12 Ibid., Bd. IV·2, S. - 85, XIII. Gesang, V.695. 11 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 227, X. Gesang, V.1052. 10 Cf. zum Pentameter Wagenknecht: Deutsche Metrik, S. - 84f. u. 134. 9 Lyotard: Der Widerstreit, S. - 134, E XKURS . 8 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·2, S. - 85, XIII. Gesang, V.695; Jacob und später auch u.a. Weimar führen fälschlich nur den ersten der beiden Verse als Ausnahme vom Hexameter an - cf. Jacob: Heilige Poesie, S. - 236 u. Weimar: 1750, S. - 358. Die metaphysische Metrik des Messias <?page no="189"?> Virtuosität erreicht“ 18 , Moritz moniert am Spondeus, er sei ein „bloß willkürlich angenommener“ 19 , auch Goethe äußert sich mehr als skeptisch. 20 Die Spondeen also seien falsch. Geht man indes davon aus, daß der Verstoß gegen das metrische System expressiv und also funktional legitimiert sein kann, so zeigt sich eine Möglichkeit, in den zahlreichen Spondeen, deren einige auf den ersten Blick von erlesen abseitiger Betonung sein mögen, etwas anderes als die beklagte „Spondäensucht“ 21 Klopstocks zu sehen, die Spondeen nicht als die „schädlichsten Ausgeburten“ 22 einer falschen Auffassung von Metrik abzukanzeln. Wohl lassen sich einzelne der in der Umarbeitung des Messias zahlreich gewordenen Spondeen als unglückliche Lösung beurteilen, doch besieht man diese genauer, so sind sie wenigstens oft richtig gemacht worden: also doch keine Fehler; so Vers 319 im V. Gesang, den auch Heusler anführt: „Du, der ruht auf dem Thron, und des Weltgerichts Wagschal hält“ 23 - der Hexameter erzwingt eine spezifische Akzentuierung von Wagschal, ursprünglich ist dieser Spondeus nicht vorhanden. 24 Der voreilige Schluß auf einen Fehler (etwa bei Albertsen 25 ) grenzt an Ignoranz, muß man auch nicht darum schon im Gegenteil sagen, Klopstock sei „der einzige deutsche Dichter (,) der eine ganz richtige Prosodie“ 26 habe. Schuchard hat schließlich moderierend vom „polymorphen Charakter“ 27 einiger Verse, bei denen eine eindeutige Skansion unmöglich scheint, geschrieben, Neumann, man „kenne[n] nicht die Sprachmelodie, die […] (Klopstocks) Wortfügungen durchspannt und hält“ 28 , was immerhin konzediert, daß das, wovor der Leser ratlos sei, durchspannend und haltend wirke - ein Durchspannen, das vielleicht schon die Tension tangiert, die sich eben darin aktualisiert, was Adorno formulierte: „Kein musikalischer Text, auch nicht der minutiös bezeichnete moderne, ist so eindeutig lesbar, um unvermittelt seine angemessene Interpretation zu erzwingen.“ 29 189 29 Adorno: Nachgelassene Schriften, Abt. I, Bd. 2, S. - 215. 28 Neumann: Wie sprach Klopstock seine Laute aus, S. - 133. 27 Schuchard: Studien zur Verskunst des jungen Klopstock, S. - 11; cf. Heusler: Deutscher und antiker Vers, S. - 86. 26 Cramer: Klopstock, Bd. II, S. - 247; „klopstockisch, d.i. richtig“ - ibid., S. - 263. 25 Albertsen: Neuere deutsche Metrik, S. - 104ff. 24 „Der du stehst auf dem Thron, und hältst des Weltgerichts Wagschal“ - ibid., Bd. IV·4, S. - 683, V. Gesang, V.319, h18 h29 A2 A3. 23 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 109, V. Gesang, V.319. 22 Heusler: Deutscher und antiker Vers, S. - 62. 21 Schuchard: Studien zur Verskunst des jungen Klopstock, S. - 86; cf. zum falschen Spondeus auch Kayser: Geschichte des deutschen Verses, S. - 59f. 20 Goethe: Berliner Ausgabe, Bd. XV, S. - 249; cf. Linckenheld: Der Hexameter bei Klopstock und Voss, S. - 3. 19 Moritz: Versuch einer deutschen Prosodie, S. - 218. 18 Ibid. Die metaphysische Metrik des Messias <?page no="190"?> Die Skansion jenes von Heusler reklamierten Hexameters - V.319, V. Gesang - jedenfalls sieht folgendermaßen aus:  x |  x x |  x x |  x |   |  x Natürlich ist der „Zusammenfall von Iktus und Akzent“ 30 hier gefährdet, doch die Krise der rechten Betonung macht, daß die Worte „Weltgerichts Wagschal“ 31 (ein Trochäus, dann der Spondeus) in genuiner Weise betont werden; so, wie es auch bei zahlreichen anderen Spondeen zu beobachten ist, daß ihre kühne Setzung den Vers begründet prägt, insbesondere geradezu „zum Stehen bringt.“ 32 Es ist gerade die Essenz jener Worte, daß in ihnen „Wort- und Versakzent miteinander streiten“ 33 , wie Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff zu Ovids Pentameter - Klopstocks Wissen um die griechische Verskunst und vor allem reflektierten Gebrauch der Versfüße hingegen durchaus verkennend 34 - annotiert. 35 Der Hexameter kann, obzwar er keine deutliche Folie für Verstöße abgibt, hier doch die Worte durch prosodische Präzision nachdrücklich modulieren: Hier treten mit Grund Versfuß sowie Skansion einerseits und andererseits Wortfuß sowie Rhythmus merklich auseinander, von „spannkräftigem Widerspruch zur natürlichen Kommunikation“ 36 spricht zurecht Kohl, während doch sonst oftmals dem erwähnten Befund Breuers, daß in dieser Dichtung die „Grundlage die freien Wortfußfügungen im kaum noch wahrnehmbaren metrischen Rahmen des Hexameters“ 37 seien, zuzustimmen ist. Unterlaufen ist der Widerstreit der Skansionen Klopstock schwerlich, dafür spricht schließlich, daß sich Verstöße in den von ihm skandierten Oden nicht finden. 38 Spannung, Stockung, Rückwendung - hieraus flicht Klopstock das, was daraus drängt. Bezeichnend ist, wie oft gerade das Wort Gott im Spondeus auf der unbetonten Länge positioniert ist: ein deutlicheres Indiz dafür, daß hier etwas Anderes in das metrische Fortlaufen tritt und nicht nur eine sich neu orientierende Betonung verlangt. Klopstock schreibt etwa: „Als sie schwiegen, that vor der Thronen freudigem Blick Gott Offenbarend sein Heiligthum auf“ 39 , 190 39 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 10, I. Gesang, V.368f. 38 Cf. Heusler: Deutscher und antiker Vers, S. - 127 u. Böger: Bewegung als formendes Gesetz in Klopstocks Oden, S. - 101. 37 Breuer: Deutsche Metrik und Versgeschichte, S. - 195. 36 Kohl: »Sey mir gegrüßet! «, S. - 15. 35 Cf. zu dieser Schwebe auch Moritz: Versuch einer deutschen Prosodie, S. - 87. 34 Cf. ibid., S. - 140. 33 Wilamowitz-Moellendorff: [Die Kunst der Übersetzung], S. - 141. 32 Weimar: Theologische Metrik, S. - 151. 31 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 109, V. Gesang, V.319. 30 Weimar: Theologische Metrik, S. - 150. Die metaphysische Metrik des Messias <?page no="191"?> das Wort Gott steht an der „wahrscheinlich schwächste(n) Stelle des Verses“ 40 , dadurch aber besonders betont und - der Offenbarung vorangestellt - eine spannungsreiche metrische Verzögerung eben dieser bewirkend. Auch der Vers, worin Jesus nach seinem Vater, der ihn verlassen habe, ruft, besticht gerade durch die falschen Spondeen: „Mein Gott! mein Gott! warum hast du mich verlassen? “ 41 Durch die Metrik konzentriert sich hier alles darauf, das zweimal genannte „Wesenswort, darin das Sein Gottes zu erfassen gesucht wird, schwer und wuchtig auszustoßen.“ 42 Beim Ausruf des sterbenden Christus ist es - bei einer gewissen Unsicherheit ab mich: hier könnte es sich bis zum letzten Versfuß um Trochäen handeln - ein Holospondiacus, worin das Fortschreiten der Zeit zum Erliegen kommt, „es dauert fast bis zum Ende des Verses, bis die normale Sprechgeschwindigkeit wieder erreicht ist“ 43 :   |   |   |   |  x |  x Auch Klopstocks Formel „Gott Mittler“ 44 legt das heiligste Wort auf die sozusagen unbetonte Länge eines Spondeus. Es kann schwerlich bezweifelt werden, was auch der Dichter selbst festhielt, daß nämlich die Versfüße - und gerade, wo sie eine sozusagen exponierte, vereinfacht gesagt eben falsche Skansion verlangen - „etwas mitausdrücken könne(n).“ 45 Die Zeit des Epos bleibt in diesen Spondeen nahezu stehen; der letzte Rest an Prosa wird Poesie, im Suchen nach Worten, aber auch darin, daß im virtuellen Stillstand eine Kategorie wirksam wird, die Burke zufolge das Erhabene auszeichnet: Diskontinuität, „Plötzlichkeit“ 46 . Die Gefahr dabei ist allein das Erstarren im Bildhaften, das überschritten werden soll - wenn die Analogie der „Würde des Wortes“ 47 und der „Würde des Vorgangs“ 48 „die Wahl edler, seltener […], starker Wörter“ 49 nahelegte, wären diese der Textualität entzogene Verbal-Fetischismen. 191 49 Schleiden: Friedrich Gottlieb Klopstock, S. - 33; cf. Würfl: Ueber Klopstock’s poetische Sprache, passim. 48 Ibid. 47 Weimar: Theologische Metrik, S. - 151. 46 Burke: Philosophische Untersuchung über den Ursprung unserer Ideen vom Erhabenen und Schönen, S. - 121; cf. ibid., S. - 99, ferner Boxberger: Vorbemerkung des Herausgebers, S. - 37. 45 Klopstock: Gedanken über die Natur der Poesie, S. - 172; cf. auch ibid., S. - 62, 66 u. 68. 44 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 227, X. Gesang, V.1051. 43 Weimar: Theologische Metrik, S. - 152. 42 Böger: Bewegung als formendes Gesetz in Klopstocks Oden, S. - 55; cf. Blackall: Die Entwicklung des Deutschen zur Literatursprache 1700-1775, S. - 263. 41 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 227, X. Gesang, V.1045. 40 Weimar: Theologische Metrik, S. - 151. Die metaphysische Metrik des Messias <?page no="192"?> Vom Hexameter zur Versäquilibristik Wie die Bilder Klopstocks ikonoklastischen Bildekstasen und die würdevollen Wörter einer Denominalisierung weichen, so weicht auch die Regelhaftigkeit des Hexameters - der sich in Frage stellt, sich auslotet, seine Dynamik über seine momentane Form stellt; Kohl zufolge schwindet „die akustische Struktur des Hexameters“ 50 der Messiade zuweilen im hymnischen Lobpreis, wofür sie die Verse 633-638 des XVIII. Gesangs anführt; deren Entgleisen wäre in den „Empfindungen“ 51 der „betende(n) Seele“ 52 naheliegend, doch die Wiederholungen und Variationen - „der Wesen Wesen“ 53 , „mein Schöpfer! mein Gott! “ 54 - tilgen die Metrik der Hexameter zuletzt nicht. Dagegen ist der XX. Gesang insgesamt eine metrische Ausnahme. Der Messias entstand nicht kontinuierlich; dieser letzte Gesang ist nicht der jüngste Abschnitt des Textes, sondern 1764 - vor anderen Gesängen - begonnen worden, also in einer Zeit der regen Produktion metrischer Schemata durch Klopstock, der im Frühjahr dieses Jahres in einer „experimentierfreudigen Atmosphäre“ 55 wenigstens 34 seiner mehr als 60 Strophenschemata erfand. 56 Folglich sind die Messias-Strophen des XX. Gesangs nicht überraschend ganz aus Klopstocks „Versäquilibristik“ 57 geboren, sie sind ekstatischer Ausdruck von etwas, das jenseits jeder Handlung und auch dessen, was deren Bilder wären, zu liegen scheint, das vielmehr mit dem arbeitet, was Narrative trägt wie auch einhegt oder eben experimentell aufbricht. Deren Gewachsenheit (physis) korrespondiert mit einer „Metaphysik der Metrik“ 58 , die darum von einer Metrik der Metaphysik wiederum geprägt und gelenkt ist. Anders als in der konkreten Lektüre - einem gleichsam penibel rhythmischen close reading, aus dem sich in der Folge vielleicht auch ein distant reading 59 entwickeln läßt - ist diese nicht zu verstehen. 192 59 Cf. zu diesem durchaus provokanten Ansatz Moretti: Distant Reading, passim. 58 Menninghaus: Klopstocks Poetik der schnellen »Bewegung«, S. - 306. 57 Ibid., S. - 113. 56 Cf. Hellmuth: Metrische Erfindung und metrische Theorie bei Klopstock, S. - 15 u. 66. 55 Straka: Klopstock-Vertonungen, S. - 34; cf. ibid., S. - 34f. 54 Ibid., S. - 229, XVIII. Gesang, V.637. 53 Ibid., S. - 229, XVIII. Gesang, V.633. 52 Ibid. 51 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·2, S. - 229, XVIII. Gesang, V.632. 50 Kohl: Friedrich Gottlieb Klopstock, S. - 82. Die metaphysische Metrik des Messias <?page no="193"?> Der erste Gesang Die ersten Verse des Messias - „Sing, unsterbliche Seele, der sündigen Menschen Erlösung“ 60 … - gestalten sich folgendermaßen: Von den kombinatorisch zulässigen Optionen sind zunächst 13 Ausprägungen gegeben; dabei meidet Klopstock den ausschließlichen Gebrauch eines Versfußes. Der Daktylus ist stets mindestens dreimal gegeben. Die Schemata kehren anfangs nicht unmittelbar wieder - in den ersten sechs Versen findet sich überhaupt keine Wiederholung; Vers 1 wird metrisch erst von Vers 25 wiederholt, Vers 2 von Vers 12, 14 und 24, Vers 3 von Vers 26, Vers 4 von Vers 20. Mit Vers 5, der bereits in Vers 7 (und ferner in Vers 11, 13, 15, 23 und 31) seine Entsprechung hat, werden die rekursiven Schleifen enger. Und erst die Verse 28 und 29 stehen als metrisch identische nebeneinander. Interessant ist, wie sich Muster aus den aufeinander deutlich bezogenen Versen ergeben; der Einfachheit halber ist hier (und auch in der Folge mehrfach) der Daktylus - am Versende mit Katalexe - als O, als X hingegen der Trochäus wiedergegeben, eine Darstellungsweise, die wenigstens die Skansion von Passagen ohne Spondeen überschaubar abzubilden hilft; so ergibt sich von Vers 11 bis 15 dieses Bild: 11. O X O O O O 12. O O O X O O 13. O X O O O O 14. O O O X O O 15. O X O O O O Die Verse 26 und 27 zeigen, daß dieser Bezug intendiert sein dürfte; in der ersten Druckfassung lauten die entsprechenden Verse: „Ehmals die Stadt der Herrlichkeit Gottes, der heiligen Väter Pflegerinn, nun ein Altar des Bluts von Mördern vergossen“ 61 . Hernach wandelt sich die Metrik der Verse indes beträchtlich, unter Beibehaltung weiter Teile des Wortstandes lauten die Verse nun doch anders: „Sonst die Stadt der Herrlichkeit Gottes, der heiligen Väter Pflegerin, jetzt ein Altar des Bluts vergossen von Mördern“ 62 . Während sich durch das Vorziehen von vergossen - dies fällt wohl zuallererst auf - an der metrischen Struktur nichts ändert, sich lediglich die Betonung auf Mördern verstärkt, die in Opposition zur einstmaligen Pflege stehen, ergibt sich bei der Ersetzung von Ehmals durch Sonst, daß die 193 62 Ibid., Bd. IV·1, S. - 1, I. Gesang, V.26f. 61 Ibid., Bd. IV·3, S. - 3, I. Gesang, V.25f. 60 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 1, I. Gesang, V.1. Die metaphysische Metrik des Messias <?page no="194"?> beiden Verse durch die lediglich nach hinten verschobenen Spondeen auf einander metrisch bezogen sind: XXOOOO - OOXXOO statt OXOOOO - OOXXOO. Zum zweiten der beiden Verse existiert ferner eine Variante, worin der tatsächlich etwas problematische Versfuß, der die erste Silbe von vergossen dehnt, verändert ist: „Pflegerin, jetzt ein Altar des Blutes vergossen von Mördern“ 63 . Auch wenn der Versfluß hier natürlicher wirkt, wird doch aus einem Trochäus oder eigenwilligen Spondeus ein Daktylus, was die Beziehung zum Nachbarvers beeinträchtigt; Es stünde statt XXOOOO/ OOXXOO in der Folge XXOOOO/ OOXOOO. Klopstock hat diese Version schließlich nicht berücksichtigt, sondern trotz des stockenderen Flusses jene, worin die Verszeilen metrisch aneinander gekoppelt sind, gewählt. Beispiele für diese Verfahrensweise finden sich in größerer Zahl, wobei sich vor allem die Analyse der ersten, später verändert abgedruckten Gesänge anbietet, da Klopstock „selbst mit seinen Handschriften sorglos umging“ 64 , aber „einem möglichst fehlerfreien (Druck)“ 65 viel Beachtung schenkte, wenngleich Hurlebusch diese zunächst zu vermutende Sorgfalt dann doch - in bezug auf die Odensammlung von 1771 - relativiert: „Die Korrektur des Druckes wurde, wie die Druckfehleranzeige im Bande beweist, von Klopstock überwacht, ob vollständig oder nur partiell, ist nicht bezeugt.“ 66 Jedenfalls liegt hier ein relativ solides Analyse-Material geschlossen vor. „Soll ich hieraus, o Göttlicher, dir ein Lager bereiten? Wie ist dein Leib, o Erlöser, ermüdet! Wie vieles erträgst du Hier auf Erden aus brünstiger Liebe zum Menschengeschlechte! “ 67 So heißt es bei Klopstock zunächst; daraus entwickelt sich dies: „Soll ich davon, o Göttlicher, dir ein Lager bereiten? Ach wie bist du, Erlöser, ermüdet! Wie viel erträgst du Hier auf der Erd’, aus inniger Liebe zu Adams Geschlechte! “ 68 Auf den ersten Blick ist der Wortlaut nur minimal verändert, dann zeigt sich schon der nur aus Daktylen bestehende Vers „Wie ist dein Leib, o Erlöser, ermüdet! Wie vieles erträgst du“ 69 - eine metrisch extreme Lösung, wenn 194 69 Ibid., Bd. IV·3, S. - 4, I. Gesang, V.68. 68 Ibid., Bd. IV·1, S. - 2f., I. Gesang, V.68ff. 67 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·3, S. - 4f., I. Gesang, V.67ff. 66 Hurlebusch: Zur Edition von Klopstocks Oden, S. - 140. 65 Ibid. 64 Hurlebusch: Klopstock, Hamann und Herder als Wegbereiter autorzentrischen Schreibens, S. - 6. 63 Ibid., Bd. IV·4, S. - 8, I. Gesang, V.27, Ha(H.2) Hb(H.1) (Hervorhebung von mir, M.H.). Die metaphysische Metrik des Messias <?page no="195"?> Vielfalt ein Gebot ist; auch ließe sich der Beginn wider den Hexameter fast als Amphibrach lesen, wobei der Widerstreit der Akzente hier ein gedrängtes Anheben aktualisiert. Doch erst im Rahmen der Metrik des Umfeldes ist die Änderung völlig begreiflich; aus den Versen 67-70 des ersten Drucks werden schematisch die Verse 68-71 der Fassung letzter Hand … also schematisch XOOXOO  OXOXOO, OOOOOO  XOOXOO. In der neuen Fassung sind die Schemata OXOXOO und XOOXOO aufeinander deutlich bezogen, wo in der Erstfassung der Vers XOOXOO neben dem benachbarten mit dem Schema OOOOOO quasi unverbunden steht. 70 Es gelingt in diesen Momenten Klopstock, gerade durch die größere Vielfalt eine höhere Ordnung zu gewinnen, eine „Einheit […], die in ihrer Gleichheit die Ungleichheit enthält“ 71 , welche aber - vice versa - die Komplexität der Einheit erhält. Nicht nur charakterisiert die schon mehrfach erwähnte Formel Leibniz’ la plus grande varieté, avec le plus grand ordre diese Verse, sie konkretisiert sich, da durch die Vielfalt die höhere Organisationsstufe möglich wird, die nun auch die größeren kombinatorischen Möglichkeiten der Vielfalt umgekehrt sozusagen legitimiert - wobei alles der „Unterbringung von Unendlichkeit“ 72 zustrebt. Dieses stete Auf- und Unterbrechen und neue Verbinden bringt Diversifikation mit sich: als Transgression (oder Transzendenz), worin die Elemente die Ordnung selbst sind, die Ordnung durch sie unmittelbar sich „wohlgeschieden“ 73 ausdrückt, gewissermaßen. Die Metrik ist sich darum übersteigendes Bild der (von Klopstock als der wünschbarsten imaginierten) Schöpfung und dann auch ihr unmittelbarer Generator; in diesem Moment ist angelegt und begründet, was dieses Werk zu einem jedenfalls formal messianischen macht. Es ist im Moment exemplarisch, dieses je als Beispiel relative qua Verknüpfung, Fortschreibung und Öffnung jedoch in etwas entfaltend, das jedenfalls ans Absolute rührt und schon in diesen Minima gerührt haben mag. 74 Diese Seins-Rhythmik ist, worauf das Epos und insgesamt Klopstocks Textkosmos zustrebt, dabei zugleich die Fülle entwickelnd und die Notwendigkeit des Mannigfachen erweisend, das sonst ein ohne Hoffnung sinn- und sprachloses Chaos wäre. Die (rhythmische) Unendlichkeit berührt - und zwar verbindlich - jenes Moment dennoch. Klopstocks Werk führt somit Wort (Sagbares) und Punkt (Unsagbares) in „das genaue Sagen“ 75 : eine „Poetik des Realen“ 76 , das sich sukzessive 195 76 Ibid., S. - 44. 75 Nancy: Kalkül des Dichters, S. - 14; cf. ibid., S. - 13f. 74 Cf. hierzu Hegel: Werke in 20 Bänden, Bd. 17, S. - 274. 73 Hölderlin: Sämtliche Werke, Bd. II, S. - 132. 72 Blumenberg: Die Lesbarkeit der Welt, S. - 140; cf. auch Serres: Atlas, S. - 94. 71 Rosenkranz: Ästhetik des Häßlichen, S. - 74; cf. ibid., S. - 72ff. 70 Cf. ibid., S. - 4, I. Gesang, V.67, Bd. IV·1, S. - 2, I. Gesang, V.68/ Bd. IV·4, S. - 16f., I. Gesang, V.68ff. Die metaphysische Metrik des Messias <?page no="196"?> erschließt und vielleicht - postmessianisch - ganz erschlossen haben wird. Es ist also Improvisation, doch relativ, und zwar insofern, als diese in jenem Messianismus sich selbst in immer neuer, intensivierter Selbigkeit und das Andere als „im Moment der größten Zurschaustellung“ 77 immer kenntlicher bewahrtes „Geheimnis“ 78 gebiert. Demgemäß erscheint das Werk Klopstocks als Paradoxie, eine „bibliozentrisch-werkschaffende“ 79 Chimäre. Da diese der Lesend-Schreibende vollführt, kann man Hurlebuschs These einer „Verschiebung des Gewichts vom Werk auf den Autor“ 80 zustimmen - freilich: allein momentan, unter der Prämisse einer Textualisierung wiederum dessen, was Autor und intentio auctoris genannt werden zu können schien. 81 So gilt Gadamers Satz, dies sei „Literatur: Texte, die nicht verschwinden“ 82 - doch gerade ihre imminent-immanente Unersetzlichkeit formuliert sich scheinbar gegen sich selbst: „Alles Gesagte hat seine Wahrheit nicht einfach in sich selbst, sondern verweist nach rückwärts und vorwärts auf Ungesagtes.“ 83 Im Schreiben wird das bereits sich und etwas darüber hinaus offenbarende Gedicht gelesen, der „Akt des Lesens […] wird zum Akt des Produzierens“ 84 schon der nächsten Fassung des zu Offenbarenden, der hier gefundene Begriff ist schon „Rhythmuskörper“ 85 des dort dann neu zu findenden: Das Gedicht aktualisiert einen „progrès perpetuel“ 86 , der seine Vorstufen indes nicht entwertet, nicht nur „meta-prophetisch“ 87 sein kann, weil er sich aus den Worten der (auch künftigen) Vorstufen herleitet, die ihrerseits konkrete Prophetien des Heilsgeschehens und noch mehr des nächsten Progresses in der Prophetie des Heilsgeschehens sind. In bezug auf die Metrik ist es also richtig beobachtet und dennoch falsch verstanden, wenn Goldbeck-Loewe schreibt, Klopstock habe seinen Versen „nachträglich ein gesetzmässigeres Äusseres zu geben versucht[e]“ 88 - das Gesetz wird tatsächlich als Erfordernis der schon gefundenen Form mit dieser sukzessive realisiert. 196 88 Goldbeck-Loewe: Zur Geschichte der freien Verse in der Deutschen Dichtung, S. - 20; cf. die Darstellung bei Kohl: Rhetoric, the Bible, and the Origins of Free Verse, S. - 12. 87 Malinowski: »Das Heilige sei mein Wort«, S. - 116; cf. auch ibid., S. - 98 (Anm.). 86 Leibniz: Die philosophischen Schriften von Gottfried Wilhelm Leibniz, Bd. VI, S. - 606. 85 Ibid., S. - 161. 84 Amtstätter: Beseelte Töne, S. - 9. 83 Ibid., S. - 152. 82 Gadamer: Gesammelte Werke, Bd. 2, S. - 351. 81 Cf. auch die Kritik an Hurlebusch bei Kleinwort: Moderne Zentren, passim. 80 Hurlebusch: Klopstock, Hamann und Herder als Wegbereiter autorzentrischen Schreibens, S. - 14; cf. ibid., S. - 72f. u. passim. 79 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. VII·2, S. - 270; cf. auch Elit: Eine Edition und ihr großer Apparat. 78 Ibid.; cf. Derrida: Wie nicht sprechen, S. - 46. 77 Derrida: Die Wahrheit in der Malerei, S. - 233. Die metaphysische Metrik des Messias <?page no="197"?> Der vierte Gesang Skansion Dies ist an der Metrik besonders augenfällig zu erarbeiten, doch wurde die Skansion größerer Passagen des Messias bislang nicht geleistet: Wohl wurden Dynamik und Metrik der Worte gewürdigt, wurde gesehen, daß sich hier eine neue Bewegung des Wortes manifestiert, das nicht mehr dem Ding dient, sondern eine Sprachhandlung ist - darin ihrem Gegenstand, der sich einer Verdinglichung entzieht, gemäß, darum wurde schließlich aus der Energie doch eher spekulativ auf eine „Entmachtung“ „für das Sprach k u n s t w e r k “ 89 , das nie mehr final sein würde, geschlossen. 90 Energie, Genius, Bewegung und noch eine Reihe anderer Begriffe wurden zuweilen ohne eine auch nur oberflächliche Analyse der Metrik für den Messias gebraucht, diesbezüglich genau untersucht wurden lediglich manche seiner Oden. 91 Klopstocks „zweyte Seele der Sprache“ 92 blieb jedenfalls höchstens Ahnung und wurde nur vage skizziert. Schon die Analyse einiger Abschnitte des ersten Gesangs des Messias hat die Fruchtbarkeit und Notwendigkeit der Erarbeitung metrischer Schemata des Werks gezeigt; sie ist hier nicht gänzlich zu leisten, doch sollen in diesem Abschnitt längere Passagen des Werks analysiert werden: mit dem Ziel, die Muster freizulegen, die sich - wie erwähnt - in ihrer Komplexität gerade durch den großen kombinatorischen Spielraum in der metrischen Vielfalt ergeben, gilt auch, daß man es bei diesen Versen nur bedingt mit „zerlegbaren und zusammensetzbaren Gefüge(n)“ 93 , die einer Regel gehorchten, zu tun hat. Die Grenze, die dabei gleichsam messianisch scheint, ist der Umstand, daß keine der vorgefundenen Regeln ihr Zum-Tragen-Kommen umfaßt; es brauchte - infinit - „eine Regel […], die die Anwendung der Regel regelt“; „und so fort“ 94 , bis hin zur immanenten und das Mannigfache tragenden wie durch dieses allein ausgedrückten „intensive(n) Regellosigkeit“ 95 , wovon schon die Rede war… Die Wahl hierfür fiel auf den vierten Gesang, dessen metrisches Gerüst hier an 600 Versen, die geschlossen skandiert sind, dargestellt sei. Aufgrund des 197 95 Foucault: Schriften in vier Bänden, Bd. II, S. - 110. 94 Wittgenstein: Werkausgabe, Bd. 1, S. - 287, § 84. 93 Gundolf: Hutten - Klopstock - Arndt, S. - 32. 92 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. II, S. - 53, Nr. 158. 91 Cf. Hellmuth: Metrische Erfindung und metrische Theorie bei Klopstock, passim. 90 Cf. zur Bewegung auch u.a. Menninghaus: Dichtung als Tanz, S. - 150 u. Menninghaus: Klopstocks Poetik der schnellen »Bewegung«, passim. 89 Hurlebusch: Klopstock, Hamann und Herder als Wegbereiter autorzentrischen Schreibens, S. - 13. Die metaphysische Metrik des Messias <?page no="198"?> naheliegenden Interesses an der Genese der Form, „der Logik des Produziertseins“ 96 , die das Werk vielleicht stärker als ein - unterstellter - ontologischer Gehalt prägt, fiel die Wahl auf einen auch in einer Frühfassung gedruckten, also in einer möglichst verbindlichen Form schon da vorliegenden Gesang. 97 Die Skansion (in konventioneller Darstellungsform) findet sich dem Buch angeschlossen. Zuallererst relativiert sich, wenn man eine größere Zahl von Versen analysiert, wie schon angedeutet sehr rasch das Problem des „polymorphen Charakter(s)“ 98 mancher Verse - wie er freilich schon zu Klopstocks Zeiten behauptet wurde, so von Seume. 99 In der Tat sind nur recht wenige Fügungen die Skansion betreffend unklar, wobei auch sie nur wenige Skansions- Optionen anbieten - die Tensionen des Widerspruchs von Prosaakzent und Hexameter bestehen, sind aber in der Regel klar entwickelt und in sich stimmig wie darum indirekt doch eindeutig. 100 Problematisch sind manche Namen, deren Skansion teils auch variiert - Abbadona, der samt seinem Namen zudem von Klopstock mit etymologischem Bewußtsein dennoch wie erwähnt erfunden wurde, wäre hier zu nennen, in diesem Gesang wäre ferner der Rabbiner Gamaliel (auch Gamaliël) zu erwähnen. Gamaliel ist Paulus’ Lehrer, ein berühmter Rabbiner, der in der Mischna mehrfach erwähnt und im Neuen Testament als Pharisäer, der aus Religiosität nicht gegen die Christen auftreten will, dargestellt wird. 101 Was zeigt sich aber nun positiv bei der Skansion eines derart großen Textteils? Es zeigt sich beim Skandieren doch eine Reihe interessanter Phänomene, und zwar zunächst, daß Klopstock in diesen 600 Versen mit der Hälfte der kombinatorisch und sozusagen grob möglichen Hexameter auskommt: genau mit 32 Ausprägungen. Hiervon sind wiederum einige deutlich häufiger als andere, die teils nur einmal auftreten; wobei sich auch zeigt, daß Klopstock eine ausgewogene Form des Hexameters bevorzugt. Mit zwei Ausnahmen sind alle häufigen Hexameter durch zwei (eindeutige) Trochäen charakterisiert, die bei der häufigsten Form (81 von 600 Versen sind so gebaut) den Vers gleichsam in zwei gleiche Teile gliedern: x | xx | xx | x | xx | x 198 101 Cf. zu Gamaliel Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 69, IV. Gesang, V.186 u. passim sowie Apostelgeschichte 5,34-39 u. Doeve: Gamaliel, S. - 513. 100 Cf. auch Linckenheld: Der Hexameter bei Klopstock und Voss, S. - 32. 99 Cf. Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Briefe, Bd. X·1, S. - 18, Nr. 19, 10.-18.3.1799. 98 Schuchard: Studien zur Verskunst des jungen Klopstock, S. - 11; cf. Heusler: Deutscher und antiker Vers, S. - 86 sowie Amtstätter: Der unheilige Sänger, S. - 60. 97 Cf. auch Hurlebusch: Klopstock, Hamann und Herder als Wegbereiter autorzentrischen Schreibens, S. - 6. 96 Adorno: Gesammelte Schriften, Bd. 11, S. - 159. Die metaphysische Metrik des Messias <?page no="199"?> - also Trochäus, zwei Daktylen, Trochäus, zwei Daktylen, deren letzter natürlich katalektisch. Die beiden Ausnahmen sind zum einen ein Hexameter mit drei Trochäen und zum anderen ein völlig aus Daktylen bestehender Hexameter, den Klopstock doch immerhin 43mal gebraucht. Naheliegend ist, daß Klopstock trotz des Ziels der Variation manche Schemata bald, zuweilen sogar mehrfach und oft auch unmittelbar wiederholt. Weiters zeigt sich das Prinzip der Wiederholung nicht nur in bezug auf die Metrik, vielmehr gibt es stehende Wendungen, die wiederkehren, ein Extremfall ist die Repetition eines ganzen Verses, wie sie sich etwa in den Versen 429 und 437 zeigt - „Du bist mehr, als ein Mensch! du bist kein Sünder geboren! “ 102 Schon Alexander von Humboldt schreibt von der „Naturpoesie der Hebräer“ 103 , ihr sei eigen, daß ihre Motive und „Gleichnisse[n] […] fast rhythmisch […] wiederkehren“ 104 ; Weimars Befund ist ähnlich. 105 Neben und oft vor der Wiederholung anderer Texte steht die „Wiederholung des Textes“ 106 . Die teils wörtlichen Rekurse strukturieren das Werk, heben aber ebenso das gleichsam Exerzitienhafte des Werks hervor, sind darin Zuspitzungen der Variation, insofern durch die Wiederholung am freilich anderen Ort das eigentlich Scheinende von sich selbst zu divergieren vermag, ein Bild der Schöpfung der Schrift oder einer Theologie der virtuellen Repetition: „Die Ursprungslosigkeit ist es, die ursprünglich ist.“ 107 Zahlenspiele - im Konjunktiv Wollte man sich in Zahlenspielen ergehen, wäre auch auf die nicht uninteressanten Proportionsverhältnisse von Hebungen und Senkungen einzugehen, die bislang - trotz allerlei Analysen zu Verhältniszahlen in Klopstocks Werk 108 - nie untersucht wurden. Wenn man den Kretikus, der bei Klopstock als Grenzphänomen firmiert, wo ein Daktylus zu stehen hätte, ignoriert, und ferner den Spondeus in einer der Wortbetonung folgenden Weise, also meist wie einen Jambus skandiert, so ergibt sich ein Verhältnis von 3664 Hebungen zu 5416 Senkungen, also von gerundet 0,66 : 1 - ein Quintenverhältnis, das die Ästhetik als Proportion schätzt, weil es „scheint […], daß die Vollkommenheit der Harmonie 199 108 Cf. v.a. Linckenheld: Der Hexameter bei Klopstock und Voss, S. - 42ff. 107 Derrida: Die Schrift und die Differenz, S. - 312; cf. Derrida: Die Stimme und das Phänomen, S. - 122; cf. auch Deleuze: Differenz und Wiederholung, S. - 164 (Anm.). 106 Frey: Der Gang des Gedichts, S. - 271; cf. auch Berndt: Die Erfindung des Genies, S. - 42. 105 Cf. Weimar: 1750, S. - 357. 104 Ibid., S. - 211; cf. hierzu auch Serres: Musik, S. - 110. 103 Humboldt: Kosmos, S. - 210. 102 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 76, IV. Gesang, V.429 u. 437. Die metaphysische Metrik des Messias <?page no="200"?> immer in dem Maaß abnehme, wie die Zahlen dem Verhältniß der Gleichheit näher rüken [sic! ], so daß 1: 2 eine vollkommnere Consonanz ist, als 2: 3, diese vollkommener als 3: 4“ 109 ; unter den für den Hexameter möglichen Proportionen ist das Quintenverhältnis, da die Oktave sich aufgrund der Katalexe selbst dann, wenn man ausschließlich Daktylen gebrauchte, nicht realisieren läßt und für das ebenfalls reine Verhältnis 1: 1 der Hexameter ausschließlich aus Trochäen bestehen müßte, womit seine Qualität zerstört wäre, also sozusagen die reinste. Diese Hypothese wird dadurch gestützt, daß sich dort, wo Klopstock durch die Metrik mehr Freiheiten gegeben sind - namentlich in den oft nach eigenen Systemen gebauten Oden -, oft das noch reinere Verhältnis der Oktave ergibt. In der Ode Das Gehör stehen einander 18 Senkungen und 17 Hebungen gegenüber, sie konkretisiert also recht genau sogar das Verhältnis 1: 1 - und zwar (erwartungsgemäß) nicht in einem alternierenden Rhythmus. Dieses Verhältnis ergibt sich auch aus dem Schema, das durchaus von der Skansion divergiert, die man erwarten würde: „Es tagt nicht! Kein Laut schallt! “ 110 - dies sind Klopstock zufolge nicht etwa Amphibrache, sondern Anapäste. Am Rande sei darauf hingewiesen, daß immer auch eine Zahlenmystik anklingen mag; die 17 etwa symbolisiert die „Erfüllung des Gesetzes durch die Gnade“ 111 , sie ist, wie Reuß darlegt, unter anderem für die Konstruktion von Texten Hölderlins maßgeblich. 112 In der Ode Unsre Sprache ergeben sich gewissermaßen beide Verhältnisse, das der Gleichheit wie das der Oktave. „An der Höhe, wo der Quell der Barden in das Thal Sein fliegendes Getöne, mit Silber bewölkt, Stürzet, da erblickt’ ich, zeug’ es, Hain! Die Göttin! sie kam zu dem Sterblichen herab! “ 113 Als Alternative hierzu dichtet Klopstock, der die Ode unter dem Titel Teutone zu einer weiteren - mit Gronemeyer und Hurlebusch als eigenständig zu sehenden - Dichtung entfaltet: „An der Höhe, wo der Quell der Barden in das Thal Sein fliegendes Getöne, mit Silber bewölkt, Stürzet, da erblickt’ ich, Göttin, dich Noch Einmal, du kamst zu dem Sterblichen herab! “ 114 Die weniger atemlose Gestaltung der Verse in der zweiten Fassung mag man bemerken, triftiger ist die sich quasi aufdrängende Skansion im 200 114 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. I·1, S. - 348; cf. ibid., S. - 617f., Klopstock: Werke in einem Band, S. - 51 sowie Klopstock: Oden, Bd. 1, S. - 237. 113 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. I·1, S. - 297/ Klopstock: Oden, Bd. 1, S. - 199. 112 Cf. ibid., passim. 111 Reuß: »…/ Die eigene Rede des andern«, S. - 362. 110 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. I·1, S. - 444/ Klopstock: Oden, Bd. 2, S. - 55. 109 Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Bd. 1, S. - 225. Die metaphysische Metrik des Messias <?page no="201"?> Wechselspiel mit der von Klopstock vorgesehenen. Es liegt zunächst durchaus nahe, die Verse fast durchgehend als alternierende zu lesen - und noch mehr für einen Zeitgenossen Klopstocks, wie Fäh bemerkt. 115 Er schlägt als naheliegend diese Skansion vor:  x x x x x x x x x x x x x  x x x x  x x x x x x 116 Die Probleme dieser Betonung sind deutlich, gerade die Betonung von Sterblichen wirkt oktroyiert. Jedenfalls wäre dies ein Verhältnis von 23 Hebungen zu 23 Senkungen, doch will Klopstock die folgende, davon deutlich abweichende Skansion, die er als Schema - allerdings nicht mit Hebungen und Senkungen, sondern Längen und Kürzen - der Ode voranstellt: „u u - u (-) u u - u (-) - u u u -, u - u u u - u u - u u -, - u u u - u - u -, u - u u - u u - u u u -.“ 117 Dieses Schema weist annähernd das Verhältnis von 1: 2 für Längen und Kürzen auf; exakt sind es 16 Längen und 30 Kürzen. Durch die - womöglich artifizielle..? - Aberration erzeugt also Klopstock beide reinen Verhältnisse und unter ihnen jene. Diese Zahlenspiele sind auch im Messias teils gegeben, Ausdruck von Variation und Ordnung, die wie angedeutet sich als das Gerüst doch erst in seiner Abwandlung als das Leben von Schöpfung und (oder: als) Text entfaltet. So stehen hier bei 3600 Hebungen und 5480 Senkungen (davon neben 5416 eindeutigen 64 weitere, bei denen Wortakzent und Schema divergieren) letztlich 9080 Elemente gegenüber 5480 Senkungen in einem Verhältnis von aufgerundet 1 : 0,61 - das ist in der Nähe der sectio aurea, jenes Proportionsverhältnisses, das die Renaissance die göttliche Proportion hieß: 1 : (-1 + )/ 2 = 0,618. 118 Göttlich heißt diese Proportion, weil mit Hilfe des goldenen Schnittes die inkommensurablen Strecken entdeckt worden sein dürften - die geometrischen Äquivalente der irrationalen Zahlen, hier konkret der Zahl . Damit wären wir bei der schon erwähnten geometrischen Metaphorik Cusanus’. 119 201 119 Cf. Nikolaus von Kues: Philosophisch-theologische Werke, Bd. I, S. - 14. 118 Cf. hierzu Serres et al.: Thesaurus der exakten Wissenschaften, S. - 350. 117 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. I·1, S. - 297/ Klopstock: Oden, Bd. 1, S. - 199. 116 Cf. ibid. 115 Cf. Fäh: Klopstock und Hölderlin, S. - 60. φ Die metaphysische Metrik des Messias <?page no="202"?> Makrostrukturen Characteristica universalis Freilich gerät man hier rasch in das Reich der Spekulation - oder ist längst darin -, während sich anderes doch zwingend festhalten läßt. Denn in der Skansion zeichnet sich jedenfalls so etwas wie eine „Arithmetique occulte“ 120 oder jedenfalls ein vager, sich textuell aber bewährender Glaube an sie ab: Dafür spricht auch die im Mittelalter entstandene und gerade auch durch den von Klopstock verehrten Leibniz verschärfte Konkurrenz der Bibel einerseits und andererseits des Buchs der Natur - also die Annahme, daß sich Gott nicht allein im Bibeltext, sondern auch und schließlich vor allem im in der Sprache der Mathematik verfaßten Buch der Natur offenbare, was zu Diderots erwähnter Formulierung zweier „einander widersprechende(r) Geschenke gemacht“ 121 führt. Dieses Buch mathematischer Epiphanie und damit Gott zu entschlüsseln wollte Leibniz eine Characteristica universalis formulieren, also Schöpfer wie Schöpfung im Rahmen einer „Kombinatorik […] eines Zeichensystems“ 122 aufschließen, worin „die Zeichen und die Worte selbst […] die Vernunft leiten [,] und die Irrtümer […] nur Rechenfehler“ 123 wären: Dies ergäbe eine vielleicht gar messianische, wenigstens (! ) aber wahrheitsverbürgende, wahrsagende Grammatik, die als Idee für Klopstock nicht irrelevant ist. 124 Wohl kann man nicht Wahrheit zu „grammatical correctness“ 125 reduziert denken, aber etwas im Schreiben ist - wie, wenn nicht grammatisch? - etwa den Messias Klopstocks vorantreibend offenbar wirksam: wobei das Oszillieren, ob Klopstock seinen Text vorantreibe oder der Dichter von diesem (oder dem Glauben an dessen Seins-Grammatik) getrieben werde, diese Arbeit berührt. Klopstock kann in seiner Kombinatorik an ihren Grenzen eine überaus spannende und gewissermaßen stimmig-authentische, nämlich der Form des Textes selbst immanente Offenbarung formulieren, wie noch genauer zu zeigen sein wird. 202 125 Badiou: »Universal Truths and the Question of Religion«, S. - 41. 124 Cf. hierzu Leibniz: Die philosophischen Schriften von Gottfried Wilhelm Leibniz, Bd. I, S. - 57f.; cf. auch Hobbes: Leviathan, S. - 110ff. sowie aus heutiger Sicht Schiewe: Die Macht der Sprache, S. - 193 u. passim. 123 Leibniz: Philosophische Schriften, Bd. V·2, S. - 319. 122 Blumenberg: Die Lesbarkeit der Welt, S. - 129. 121 Diderot: Philosophische Schriften, Bd. I, S. - 35. 120 Leibniz: Die philosophischen Schriften von Gottfried Wilhelm Leibniz, Bd. IV, S. - 551. Die metaphysische Metrik des Messias <?page no="203"?> Makrostrukturen - skandiert Gesagt wurde, daß Klopstock in diesen 600 Versen mit 32 Ausprägungen des Hexameters auskommt; nimmt man das Verhältnis des Pools der unter Berücksichtigung des Spondeus möglichen zu den verwendeten Versen, so zeigt sich, was für ein kleiner Ausschnitt aus dem Reich des Möglichen es ist, der hier zur Anwendung gelangt. Hiervon sind wie schon dargelegt einige deutlich häufiger als andere, die häufigste Form mit 81 von 600 Versen - Trochäus, zwei Daktylen, Trochäus, zwei Daktylen - wurde bereits vorgestellt. Es läge also nahe, nun alsbald systematische Wiederholungen zu vermuten, metrische Rekurrenzen, zumal angesichts der nicht ausgeschöpften Zahl metrischer Optionen. Und tatsächlich sind Klopstocks Trochäen und Spondeen in ihrer Anordnung aus einer Makrostruktur besser zu verstehen. Zunächst sei aber die einfacher zu verstehende Organisation benachbarter Verse zueinander gezeigt, und zwar an den - willkürlich gewählten - Versen 501-520: 501. x | xx | x | x | xx | x 502.  | xx | x | x | xx | x 503. x | x | xx | x | xx | x 504. x | xx | xx | x | xx | x 505. x | xx | xx | xx | xx | x 506. x | xx | x | x | xx | x 507. x | xx | xx | x | xx | x 508. xx | xx | x | x | xx | x 509. xx | x | x | xx | xx | x 510. x | xx | xx | x | xx | x 511. x | xx | x | x | xx | x 512. x | xx | xx | x | xx | x 513. xx | x | xx | xx | xx | x 514. xx | x | xx | xx | xx | x 515. xx | xx | xx | x | xx | x 516. x | xx | xx | x | xx | x 517. x | xx | x | x | xx | x 518. x | xx | xx | x | xx | x 519. x | xx | xx | xx | xx | x 520. xx | x | x | xx | x | x Die hier sozusagen grundlegende Form von Vers 501 (V.501, 502, 506, 511 und 517) wird variiert: durch Umkehr (V.503) und Ersetzung des ersten oder zweiten Trochäus durch einen Daktylus (V.508; V.504, 510, 512, 516 und 518). Der Typ von Vers 504 wird durch Ersetzung des zweiten 203 Die metaphysische Metrik des Messias <?page no="204"?> Trochäus weiter abgewandelt (V.505, 507, 519). Die Verse 513 und 514 sind Permutationen mittels Verschiebung zu Vers 507. Durch Spiegelung - die Spiegelachse ist beim dritten Versfuß zu denken - wird ferner das metrische Muster von Vers 508 zu jenem von Vers 509, das von 513 und 514 zu jenem von Vers 515 und jenes des Verses 501 zu dem von Vers 520. Jeder Vers ist also Wiederholung oder Variation, wobei diese einer Sukzession folgend realisiert ist. Dieses Prinzip vor allem der Wiederholung ist inhaltlich bemerkt worden - namentlich Muncker schreibt von der drei- oder siebenfachen Wiederholung bis „zur vollen Tautologie“ 126 wesentlicher Geschehnisse, was dann, wie Amtstätter darlegt, unter anderem als „eine Art Klammer“ 127 um längere Passagen wirkt -, während entsprechende metrische Verweis- und Bezugsnetze weitgehend unbeachtet blieben. Die in der Sprache selbst gelegenen Potenzen der Laut- und Wortagglutination greifen über Kolon und auch Vers hinaus; prinzipiell hat dies - in bezug auf freie Rhythmen - Richard M. Meyer angedeutet und derartige Makrostrukturen vermutet: Bei den freien Rhythmen führe „erst die Wiederkehr […] ähnlicher Versgruppen […] zu metrischen Gebilden“: „Die metrische Einheit ist hier nicht der Vers, sondern die Periode. Innerhalb der […] zur Regelmäßigkeit strebenden Perioden spielen die einzelnen Verse keine andere Rolle, als innerhalb des Einzelverses die Versfüße.“ 128 Von einer „rationalere(n) Architektur, als man oft wahrhaben will“ 129 , hat Langen zu Klopstocks Odendichtung geschrieben. Das gilt auch hier, Klopstock operiert nicht nur in bezug auf die Verse und nicht einmal allein auf die Perioden der Verse, er stellt weit gespannte Variationen - etwa mit einem metrisch „antwortenden Echo“ 130 oder durch Symmetrien - und darin Referenzen her, um aus dem Spielraum, den der Hexameter gewährt, höhere Ordnungen abzuleiten. Das Multiple minimaler Be- und Entschleunigungen und die Ordnung sind in einem innigen Verhältnis zu denken: einander prägend und bedingend. Die Notwendigkeit von etwas dieser Art klingt auch bei Schlegel an: „Wäre Mannigfaltigkeit ohne Einschränkung gut, so wäre jedes Silbenmaß fehlerhaft“ 131 , sie selbst bedarf also nachgerade der sich aus ihr ergebenden Möglichkeit eines weitgespannten Gefüges. Durch die Variabilität ermöglicht Klopstock die dann auch schon im Doppelsinne notwendig wirkenden weitgespannten Bezüge: 204 131 Schlegel: Kritische Schriften und Briefe, Bd. I, S. - 243. 130 Moritz: Versuch einer deutschen Prosodie, S. - 79. 129 Langen: Friedrich Beißner, Klopstocks Ode »Der Zürchersee«, S. - 329. 128 Meyer: Das Gesetz der »freien Rhythmen«, S. - 275 (im Original teils gesperrt, M.H.). 127 Amtstätter: Beseelte Töne, S. - 149. 126 Muncker: Friedrich Gottlieb Klopstock, S. - 136; cf. ibid., S. - 135f. u. 206. Die metaphysische Metrik des Messias <?page no="205"?> „Der ich Gott bin, wie du: Ich will die Menschen erlösen“ 132 , so sagt Jesus, Gottes Replik harmoniert damit metrisch: „Ich bin Ewig! und schwöre dir, Sohn: Ich will die Sünde vergeben.“ 133 Der parellele Satzbau, der wiederholte Doppelpunkt, nach ihm aber auch und insbesondere die Skansion, x|xx|x|x|xx|x und - relational dazu - xx|xx|x|x|xx|x: Sie vermählen die Sätze einander. Die Möglichkeiten der Metrik führen auch zu den sich zum Ganzen vereinenden Hexameterfragmenten, wie gezeigt wurde: „Und er neigte sein Haupt, und starb.“ 134 „Auferstand! “ 135 Dies gestaltet sich immer ausgreifender wie auch subtiler zu Skansions-Sequenzen und -Netzen, statt einer metrischen Mechanik konstituiert gerade Klopstocks Versepos prototheologisch „ein Netz von Ähnlichkeiten“ 136 , wie sich mit Wittgenstein sagen ließe, mit Certeau: ein stringentes „Geflecht von beweglichen Elementen“ 137 , das von der ins Unendliche der Schöpfung ausgreifenden „Gesamtheit der Bewegungen erfüllt (ist), die sich in ihm entfalten.“ 138 Diesem Infiniten entsprechend gelangt der Messias zum „inneren organischen Entfaltungsrhythmus“ 139 ; Kraft dessen vollzieht und widerlegt der Dichter die Rede von „schöner Unordnung“ 140 , die ihm später appliziert wird. Diese „planvoll-unsystematische“ 141 Ordnung ist also raffiniert entkoppelt von dem, was sie in etwelcher Erstarrung nicht mehr wäre, sie ist weniger Struktur, vielmehr: „strukturbildend[en]“ 142 . Man kann trotz der Verbosität des Messias gerade hier von einer Ausdrucksökonomie sprechen - dieser Dichter wäre nur in ungerechter Weise dem „tintenklecksenden Säkulum“ 143 schlicht zuzurechnen. Denn Klopstock, der für Goethe wie erwähnt „arm an Witz“ 144 ist, hat hier eine mehr denn gewitzte Lösung doch gefunden, metrisch-rhythmische Exerzitien als eine Art Übung an und 205 144 Goethe: Berliner Ausgabe, Bd. VIII, S. - 575. 143 Schiller: Sämtliche Werke, Bd. I, S. - 502. 142 Lazarowicz: Klopstock, Sp. 344. 141 Adorno: Gesammelte Schriften, Bd. 11, S. - 399. 140 Stöckmann: Klopstocks Bestrebungen um die Begründung eines neuen deutschen Volkstums, S. - 116. 139 Hildebrand: Gesammelte Werke, Bd. VII, S. - 262; cf. auch Seitter: Poetik lesen 1, passim. 138 Ibid. 137 Certeau: Kunst des Handelns, S. - 218. 136 Wittgenstein: Werkausgabe, Bd. 1, S. - 278, § 66. 135 Ibid., Bd. IV·2, S. - 85, XIII. Gesang, V.695. 134 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 227, X. Gesang, V.1052. 133 Ibid., S. - 4, I. Gesang, V.143f.; cf. Manger: Klopstocks poetische Kathedrale, S. - 42. 132 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 4, I. Gesang, V.137. Die metaphysische Metrik des Messias <?page no="206"?> in der Unendlichkeit zu betreiben, ohne diese ihrer Simulation preiszugeben oder das Werk, das Raum der vertrackten lectio divina Klopstocks ist, zu zerstören, vielmehr ist das eine, was das andere aufspannt, das wiederum dieser erlittenen Spannung Bedingung ist, in jeder Formulierung dessen, was in ihm wider es sich zutragend scheint: Der metrische Eklat ist zuletzt von einer Ökonomie, die sich durchstreichend sie selbst wird, eine Digression des Prinzips, das indes darin lesbar wird, als avancierte Verausgabung. Die rhythmische Struktur des Epos ist rationale Form des Irrationalen, Stringenz eines „dynamisch-Erhabene(n)“ 145 : Transzendenz des eben noch Mechanischen, durch dieses vorgetragen und unabweisbar: der Sprachdonner. Diese Idee als mögliche Metrik-Auffassung wird von Klopstock unter anderem in den Oden verkündet, so zum Beispiel, wenn er schreibt, er wolle „(s)atzungenloß […] donnern“ 146 , ein „Chaos-Rhythmus“ 147 , doch mit „Richtungskomponenten, die seine eigenen Ekstasen sind“ 148 , sich entfaltend, Taktungen messianisch immer weiter übersteigend, ein höchst artikuliertes, nicht allein dröhnendes Donnern wie jenes Christi im Messias, das dort die Sünde zum Schweigen bringt: „Und die Sünde hörte des Sohns Donner, und schwieg.“ 149 Das ist keine simple „Brontotheologie“ 150 und -poetik; der christliche „Gott […] flüstert“, „welch ein Gegensatz zum donnernden Zeus der Griechen“ 151 , so Berger, dessen Vereinfachung dem „Jupiter serenus“ 152 zwar Unrecht tut, aber eine wesentliche Differenz doch zeigt. Bei Klopstock ist das Donnern anders denn auch das Geschäft nicht nur Gottes, sondern ebenso der Gegenmacht, es gibt wohl „am donnernden Himmel das hohe Gewitter“ 153 , doch Adramelech sagt ebenso zu Abbadona, seine Antwort mögen diesem „Ungewitter“ „zudonnern“ 154 . Der Donner ist also nicht Garant, das Bild eines genuinen Rhythmusdonners aber erhalten, eine Provokation, die allein der Ordnung momentan zu versöhnen sei… Bei Klopstock ist das theologischer Stil, „the enthusiastic celebration of God’s power as seen in natural phenomena like storms“ 155 finde, wie 206 155 Robertson: On the Sublime and Schiller’s Theory of Tragedy, S. - 197. 154 Ibid., S. - 39, Gesang II, V.706. 153 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 24, Gesang II, V.135. 152 Cf. Weinrich: Kleine Literaturgeschichte der Heiterkeit, S. - 10. 151 Berger: Von der Schönheit der Ethik, S. - 133. 150 Geier: Kants Welt, S. - 84. 149 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·2, S. - 281, XX. Gesang, V.564. 148 Ibid., S. - 426. 147 Deleuze, Guattari: Tausend Plateaus, S. - 427. 146 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. I·1, S. - 22/ Klopstock: Oden, Bd. 1, S. - 24; cf. auch Meyer-Sickendiek: Affektpoetik, S. - 106. 145 Kant: Werkausgabe, Bd. X, S. - 168, B 79, A 78 (im Original gesperrt, M.H.). Die metaphysische Metrik des Messias <?page no="207"?> Robertson annotiert, „expression in the free-verse odes of Klopstock“ 156 , noch im säkularen Werk Jandls hallt dies, der in uns (nach-)hallende „donner der sprache“ 157 , fortzutragen durch die Sprache, die weder redundant noch verschlossen die Utopie eines „infinite, rhythmic burst“ 158 träumt. Gedichtet ist hier die im Ausbrechen genuine Metrik, wie es der Dichter auch in An meine Freunde formuliert: „Wilst du zu Strophen werden, o Lied? oder Ununterwürfig, Pindars Gesängen gleich, Gleich Zeus erhabnem truncknem Sohne, Frey aus der schaffenden Sel enttaumeln? “ 159 Dieser donnernde, „geflügelte[n] Ungestüm“ 160 , der übrigens dazu führt, daß sich wohl tatsächlich „in keiner anderen deutschen Dichtung so viele Ausrufezeichen (finden)“ 161 , ist die - hier: metrische - Verantwortung und Chance des Textes, worin allein zu wissen ist, daß eine Metrik, die sich als Meta- Rhythmik auffaßte, verfehlt, was der und/ oder den Text aktualisiert; durchaus bedrohlich ist dies „Problem […] explodieren zu hören“ 162 , wie Serres vom Problem des immer zu vernehmenden Versagens der Verantwortung schreibt. Jener sich gleichsam transzendierende Ansatz - „principium sine principio“ 163 - führt zur Vermeidung einer tatsächlich zu extrahierenden Kombinatorik bei doch suggerierter wie tatsächlicher Ordnung. 164 Hier ist die Metrik in sich geführt, „nach ihrem Rhythmus“ 165 transzendiert sie sich, sie ist ihre Synkope und alsbald die Transzendenz der Synkope, die expressive Zuspitzung und Paradoxon des günstigen Falls in einem Rhythmus ist. 166 Klopstocks poetische wie schier metaphysische Raffinesse ist, daß eine Metrik, die „sich somit rhythmisiert“ 167 , und zwar vollends, entsteht; etwas, das nicht mehr Raffinesse sein soll, sondern theo-poetisch eskaliert, Reflex dessen, daß „(n)icht die Klugheit allein, noch […] was höhres gebeut“ 168 . Nicht mehr ist da die zu meidende „enge Einschränkung“ 169 , doch nicht, weil 207 169 Baumgarten: Ästhetik, Bd. 1, S. - 25, Sectio I, § 23. 168 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 66, IV. Gesang, V.57. 167 Jullien: Sein Leben nähren, S. - 48. 166 Cf. Laplace: Philosophischer Versuch über die Wahrscheinlichkeit, S. - 7ff. u. passim. 165 Jullien: Sein Leben nähren, S. - 39. 164 Cf. auch Schlegel: Kritische Schriften und Briefe, Bd. I, S. - 243. 163 Nikolaus von Kues: Schriften in deutscher Übersetzung, Bd. XXIII, S. - 10. 162 Serres: Aufklärungen, S. - 29. 161 Schlaffer: Vergessenes Werk, bleibende Wirkung, S. - 33. 160 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·2, S. - 60, XII. Gesang, V.659. 159 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. I·1, S. - 6/ Klopstock: Oden, Bd. 1, S. - 8. 158 Nancy: A Finite Thinking, S. - 231; cf. auch Benjamin: Gesammelte Schriften, Bd. V·1, S. - 570, [N 1, 1]. 157 Jandl: poetische werke in 10 bänden, Bd. 9, S. - 10. 156 Ibid.; cf. Kaiser: Klopstocks »Frühlingsfeyer«, S. - 28f. Die metaphysische Metrik des Messias <?page no="208"?> dieses Korsett einem je stärkeren Regelsystem wiche („regula pulchritudinis debilior cedit fortiori“ 170 ), sondern als dichterische „perfectio cognitionis“ 171 in einem Konvergieren von Projekt und Immanenz, und zwar in etwas, das man „heterocosmicum“ 172 nennen könnte - mit Klopstocks Worten jene Qualität, daß der Messias oder Messias „den unendlichen Raum nachahmend“ 173 erfüllt: ihn (nach-)bildend wesentlich als sein Geflecht gleichsam schafft und rechtfertigt und Translozierung eines jeden denkbaren Punkts zum transzendenten Knoten, der unbedingt auf Textualität weist, wird. In dieser lebendigen Verwaltung der Metrik als Rhythmik - momentan durch sich selbst - wird der sich entfaltende Text zur „Ankündigung der Ewigkeit“ 174 . Diese Dichtung denkt formaliter „ein unermeßliches alles Dasein umfassendes Feld“ 175 , eine „Unendlichkeit […] ohne Melodie“ 176 , die das Infinite beschränkte, also jenseits ihrer selbst es andeutet - ein gewisser „Mangel an Melodie heiligt selbst…“ 177 Text oder Textmelodie ist hier einerseits endgültig, jedoch andererseits fluide, „ineinander“ „fließen“ 178 beide Momente, und zwar in dem Sinne, daß das Endgültige daran das ist, was das vor dem nun lesbar gemachten Anspruch Provisorische indiziert. Was nicht heißt, daß nicht wiederum textuell oder in einer höher komplexen Melodik anzuschließen ist: einen „Reichtum komplexer Beziehungen“ 179 , die immer komplexer werden, wahrnehmend und betreibend, worin gleichermaßen ein Element und seine kongruenten Kopien schließlich jener Ebene, wie sie bei Klopstock die Vektoren von Zeit und Betonung eröffnen, ihre unabsehbar akkurate, quasiperiodische Form generieren, die jene weitere Genesis stets schon - und doch: stets nur - ahnt. 180 Die Regel wird durch ein Sich-selbst-Tragen ersetzt oder zu diesem verfeinert, ihre Subtilität weist auf ihre Transzendenz und realisiert sie, messianisch „vollzieht sich […] Universalisierung […] in einer unendlichen Folge von lokalen Vorgängen“ 181 , die aber als Folge keine „schlechte Unendlichkeit“ 182 ergeben, sondern als „Kontinuum aus Kontinuum und 208 182 Hegel: Werke in 20 Bänden, Bd. 3, S. - 243; cf. u.a. ibid., Bd. 5, S. - 264ff. sowie Bd. 8, S. - 392. 181 Deleuze, Guattari: Tausend Plateaus, S. - 527. 180 Cf. auch Penrose: The Emperor’s New Mind, S. - 176f. u. passim. 179 Mattenklott: Ähnlichkeit, S. - 180. 178 Klopstock: Gedanken über die Natur der Poesie, S. - 194. 177 Ibid., S. - 25. 176 Nietzsche: Sämtliche Werke, Bd. VI, S. - 24. 175 Humboldt: Schriften zur Sprache, S. - 713. 174 Badiou: Lob der Liebe, S. - 44; cf. ibid., S. - 25, 29ff. u. passim. 173 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 7, I. Gesang, V.234. 172 Ibid., S. - 454, Sectio XXVIII, § 476. 171 Ibid., S. - 20, Sectio I, § 14. 170 Ibid., S. - 24, Sectio I, § 25. Die metaphysische Metrik des Messias <?page no="209"?> Nicht-Kontinuum“ 183 zu denken sind, sich vollendend, wobei das Sich wie angedeutet je die Entfaltung ist. Ein „self-unfolding“ 184 der eigenen Endlosigkeit, hin zum - momentan je virtuell - „Entfaltetsten“ 185 , einem Grad der Entfaltung, worin Ordnung metrisch „Chaos-Rhythmus“ 186 und Topik „Chaosmos“ 187 ist, eine Kohärenz des Texts vielleicht seiend und die des Seins träumend, worin also die Regel oder das Maß im aktualisierten Text als eine „fidelity which will have been generic“ 188 sich er-/ enteignet haben mag… Generisch: Überarbeitungen Bedürfte es des Belegs, daß dies dann keine Programmatik mehr ergibt, aber darin - vermittelt - der Intention Klopstocks entspricht, so ist er unschwer zu erbringen, in der Gelehrtenrepublik findet sich der Hinweis, es sei „(d)as Gesetz […] gelinde, weil es nichts darüber entscheidet, wie das Neue beschaffen seyn müsse“ 189 , entscheidend sei, daß das Neue „wirklich neu sey“ 190 . Der Weg dahin ist bei ihm wörtlich ein Keimen, das Spiel eines riskanten Vektors, der zu sich findet: „Desto reifer, je länger’s keimt! “ 191 Zeit ist hier eine der Entfaltung, die auch rückwirkend das Textkorpus affiziert, das unvollständig und in Zügen je falsch sein mag, was zu beobachten schon Lessing in bezug auf Klopstocks Werk rät: „Veränderungen und Verbesserungen aber, die ein Dichter, wie Klopstock, in seinen Werken macht, verdienen nicht allein angemerkt, sondern mit allem Fleiße studieret zu werden. Man studieret in ihnen die feinsten Regeln der Kunst; denn was die Meister der Kunst zu beobachten für gut befinden, das sind Regeln.“ 192 Regel ist hier, was sich aktualisiert -; sie als fixierte ist den „Vorübungen“ 193 zuzurechnen… Das Netz wird subtiler gesponnen, die Vor- und Rückverweise der Metrik und die stringenten Irritationen, die das Lesen aus sich 209 193 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. VII·1, S. - 70. 192 Lessing: Werke, Bd. V, S. - 79. 191 Ibid., S. - 234. 190 Ibid. 189 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. VII·1, S. - 55. 188 Badiou: On a Finally Objectless Subject; cf. Badiou: Theoretical Writings, S. - 154 sowie Badiou: 15 Thesen zur zeitgenössischen Kunst, #8. 187 Ibid.; cf. ibid., S. - 15 u. passim. 186 Deleuze, Guattari: Tausend Plateaus, S. - 427. 185 Schelling: Über das Verhältnis der bildenden Künste zu der Natur, S. - 17; cf. auch Benjamin: Gesammelte Schriften, Bd. IV·1, S. - 11. 184 Badiou: Theoretical Writings, S. - 228. 183 Sloterdijk: Sphären, Bd. I, S. - 421. Die metaphysische Metrik des Messias <?page no="210"?> und seinem Moment zwingen, durch die „weniger geläufige Wendung“ 194 oder manche „Inversion“ 195 , vor allem aber durch die Modulation dessen, was von etwas getragen zu sein scheint, aber dadurch, sich zu tragen, etwas zutragen mag, spielen ihr messianisches Spiel. Jene Nuancen und „Schattierungen“ 196 sind in nuce revolutionär. Das Ergebnis einer den Vergleich gestattenden Skansion mehrerer Verse des Messias in der endgültigen Fassung sowie auch ihren ferner handschriftlich und gedruckt überlieferten Varianten veranschaulicht das Festgehaltene, eine entsprechende Skansion der Verse 80-100 des sechsten Gesangs aus Klopstocks Verspos und ihrer Vorstufen findet sich auf http: / / members.liwest.at/ martin_hainz unter Silbenzwang. 197 Einige der Veränderungen sind tatsächlich Korrekturen; so wird in V.96 das „Ich“ 198 , das auf einer Senkung läge, ohne damit einen dramatischen Effekt zu zeitigen, getilgt; in V.97 ist die Skansion noch unklar und wird schlicht geordnet; an V.94 ist der Kretikus auffällig, den Klopstock bei all dem Überarbeitungsaufwand niemals anrührt; und im V.100 wird der Beginn des Verses dynamisiert, indem durch die Überarbeitung das „Unterdeß“ 199 den Wortfuß betreffend als Daktylus statt als Kretikus lesen ist. Die Skansionskonstellation jenseits solcher Korrekturen verändert sich indes nicht minder gravierend. Klopstock löst die allzu plakativen Konnexe auf, um weitergespannte Rhythmen zu generieren; während sich im Abschnitt in der ersten Fassung drei Bauformen je dreimal wiederholen, ist dies nur von zwei Ausprägungen in der Letztfassung der Fall, dafür werden die Bauformen, die im Abschnitt Solitäre sind, zahlreicher, aus acht werden zehn, wobei zugleich einem Verspaar in der Erstfassung drei in der Endform gegenüberstehen, womit bei größeren Freiheiten subtil eine stärkere Bindung möglich wird. Dieses Lösen, das die Verse zugleich stringent macht, ist noch in der Reduktion der Trochäen gespiegelt, in der letzten Fassung haben die Daktylen zugenommen, ist zudem ein Vers nun völlig aus ihnen gebildet. Die Verkettungen werden sozusagen, indem die einzelnen Glieder schwächer werden, hier doch stabiler. Theologisch konstituieren die Abweichungen den ganzen Bogen der Schöpfung, wie katholisch - auch um der Provokation willen, die der Zug des Katholischen zum Ganzen hier hat, sei die Formulierung erwähnt - die 210 199 Ibid., Bd. IV·1, S. - 125, VI. Gesang, V.100 sowie Bd. IV·5/ 1, S. - 9, VI. Gesang, V.100. 198 Ibid., Bd. IV·5/ 1, S. - 9, VI. Gesang, V.96. 197 Cf. zum skandierten Textmaterial Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 125, VI. Gesang, V.80ff.; sowie Bd. IV·5/ 1, S. - 8f., VI. Gesang, V.80ff. 196 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. VII·1, S. - 71. 195 Ibid., S. - 245. 194 Blackall: Die Entwicklung des Deutschen zur Literatursprache 1700-1775, S. - 244. Die metaphysische Metrik des Messias <?page no="211"?> „Häresien […] Bausteine einer Kathedrale“ 200 sein können. Manger imaginiert einen steinernen Bogen, worin diese messianische Poiesis dann zum „Schlußstein“ 201 führt, ihn, der zugleich „Zeichen des Erlösers“ 202 ist, aber nicht quasi unmittelbar, nämlich ohne das, was zum Bogen sich schließt, zu setzen vermag. Die immer weitere Entfaltung, das schier Asymptotische des Bogens, worin eben nichts zusammenfällt - noch -, wäre dem Bild gleichfalls einzuschreiben. Klaus Berger assoziiert mit Kreuzgängen genau dies, daß ästhetisch betrachtet das „Kreuzrippengewölbe […] ganz leicht über dem Boden schwebt“ 203 , ein Sein, worin die Singularität und die Ordnung einander treffen, beide: Spannung … scheinbar säkular formuliert: „Leier und Bogen […] werden, was sie sind, erst wenn sie singend einer Schwalbe gleichen.“ 204 Auch bei Klopstock gibt es durchaus immerhin paradoxe Bögen, ist auch der irenische Regenbogen Topos: „In stillem, sanftem Säuseln Komt [sic! ] Jehova, Und unter ihm neigt sich der Bogen des Friedens“ 205 … Dem adäquat ist eine Metrik, die Stimmigkeit und Subtilität zu verbinden weiß. Sie in der bei Klopstock aktualisierten Form zu würdigen verlangt freilich, in der Folge entgegen den Schemata und Gewohnheiten den in der Wahrscheinlichkeitsrechnung üblichen Begriff der „günstigen Fälle“ 206 mit einer erkennbaren Ordnung nicht voreilig gleichzusetzen, sondern zu sehen, daß diese sozusagen konsequente Entropie der Elementanordnung ihrerseits höchst unwahrscheinlich ist, zumal, wo wie erwähnt die die Möglichkeiten nicht voll ausschöpfende Auswahl von Versfüßen und daraus wiederum bevorzugte Ausprägungen auffallen. 207 Zu dieser (Un-)Wahrscheinlichkeit schreibt Laplace zudem, es sei im Falle unbekannter Ungleichheit jene „Ungleichheit immer dem ersten Falle günstig“ 208 , und zwar speziell, wo der „Einfluß der Gedächtnisspuren“ 209 eine Rolle spielen kann - wie es in der Dichtung gewiß der Fall ist. 211 209 Ibid., S. - 142. 208 Laplace: Philosophischer Versuch über die Wahrscheinlichkeit, S. - 43. 207 Cf. auch Hogben: Die Entdeckung der Mathematik, S. - 261ff. u. passim. 206 Laplace: Philosophischer Versuch über die Wahrscheinlichkeit, S. - 7. 205 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. I·1, S. - 181/ Klopstock: Oden, Bd. 1, S. - 137; cf. auch Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 227, X. Gesang, V.1052 sowie ibid., Bd. IV·2, S. - 85, XIII. Gesang, V.695. 204 Kittler: Musik und Mathematik, Bd. I·1, S. - 87. 203 Berger: Von der Schönheit der Ethik, S. - 9; cf. ibid., S. - 10. 202 Ibid. 201 Manger: Klopstocks poetische Kathedrale, S. - 64. 200 Ratzinger: Einführung in das Christentum, S. - 160. Die metaphysische Metrik des Messias <?page no="212"?> Dies unterstreicht die Unwahrscheinlichkeit des dennoch vorliegenden Falles und die Relevanz des Phänomens nochmals; diese also augenfällige Unwahrscheinlichkeit des dennoch Faktischen strebt schließlich auf einen Satz zu, den dann metrisch auch zu aktualisieren indes wohl unmöglich sein muß: „Auch Ereignisse mit der Wahrscheinlichkeit Null können eintreten.“ 210 Dies, „vom Unwahrscheinlichen zu singen, […] das erscheinen zu lassen, was nicht erscheint“ 211 , was kurzum die „Erfindung des Unmöglichen“ 212 wäre, wäre messianisch. Hier zeigt sich nochmals, was zuvor als self-unfolding Hypothese war - der Text Klopstocks berührt diese Idee von Schöpfung, wenn sich zeigt, daß das vollends Unwahrscheinliche aus der Regel doch förmlich abgeleitet wird, diese aufhebend, wenn also im Messias eine avancierte Theologie und „Aufklärung […] eine wahnwitzige Wette auf das Unwahrscheinliche“ 213 und Reflexion dieses Wahnwitzes sind. Klopstock verbleibt also im Hexameter, genauer sogar nur in einer Reihe von Ausprägungen, doch beharrlich schafft er etwas metrisch Non-Triviales; eine moderne, „theo-mathematische[n]“ 214 Monstrosität, die, während die Spuren aufklärerisch-psychologischer Abarbeitung am biblischen Stoff, welche orthodox sich wähnt, verschiedentlich ins Blasphemische kippt, tatsächlich die Intensität der Heiligen Schrift aufnimmt. Aller Wahrscheinlichkeit entgegen könne man „keine mathematischen Strukturen […] erkennen“ 215 , so der Befund über die Anordnungen in Klopstocks Skansionen, und zwar ungeachtet der Darstellungsformen. Der Dichter erarbeitet also eine subtile Metrik, die sich im Transzendiertwerden - dem Schein einer ungehemmt „flutenden“ „Wirksamkeit der rhythmischen Wirkungskraft“ 216 - doch ganz erhält, insofern sie sozusagen die Regeln für ihr Transzendiert-Werden doch vorgibt: ganz Rhythmus werden soll. Das Resultat ist sozusagen ein Chaos, das selbst Kosmos ahnt 217 , bis es sich zu neuer Regellosigkeit und wieder neuer Metrik erweitert, schwingend-schwindend, sich scheinbar auflösend, eher aber den Begriff seiner selbst, wider den es der immanente Einwand ist. Gäbe es „keinen Rhythmus an sich“ 218 ..? 212 218 Barthes: Die Vorbereitung des Romans, S. - 65; cf. auch u.a. Frey: Verszerfall, S. - 17 oder Derrida: Husserls Weg in die Geschichte am Leitfaden der Geometrie, S. - 202. 217 Cf. etwa Bloch: Zur Philosophie der Musik, S. - 119. 216 Böger: Bewegung als formendes Gesetz in Klopstocks Oden, S. - 19. 215 Johann Cigler, E-Mail, Di., 31.5.2005. 214 Sloterdijk: Sphären, Bd. II, S. - 553. 213 Sloterdijk: Kopernikanische Mobilmachung und ptolemäische Abrüstung, S. - 126. 212 Derrida: Eine gewisse unmögliche Möglichkeit, vom Ereignis zu sprechen, S. - 32. 211 Foucault: Das Leben der infamen Menschen, S. - 45. 210 Holl: Mystik für Anfänger, S. - 113. Die metaphysische Metrik des Messias <?page no="213"?> Es gibt nur mehr das „allgemeine[s] Gesetz des textuellen Effekts“ 219 , der, womit er scheinbar operiert, entwickelt, es genauer nur hierin je gegeben sieht, in jener Spannung zu sich, also darin, nicht einfach zu sich - zur Eins - zu werden, „ .“ 220 Diese Ordnung findet sich auch bei Milton - „yet regular/ then most, when most irregular they seem“ 221 sind bei ihm „Bewegung(en) nach einer zusammengesetzten Vielfalt der Linien“ 222 beschrieben, die einer Tanzbewegung entsprechen, es ist eine Ordnung jenseits des in sich Ruhenden, auch hier: dies, um anzudeuten, welche intertextuellen Optionen hier bestünden, sie weisen aus der Antike bis auf uns, je auf und hindurch durch „etwas, was nur diese Worte, in diesen Stellungen, ausdrücken“ 223 . Ein später Gesang Zur Präzisierung all des Gezeigten sei den Bau der Verse und die Verszusammenstellungen betreffend ein später Gesang des Messias hier noch kurz untersucht; eine ganze Reihe von Gesängen waren bekanntlich noch ungeschrieben, als sich Klopstock an die Abfassung des XX. Gesangs machte, einer der späteren ist aber der die letzten fünf 1773 publizierten Gesänge eröffnende sechzehnte. Dieser beginnt metrisch folgendermaßen: 1. x | xx | xx | x | xx | x 2. xx | x | xx | xx | xx | x 3. x | xx | x | xx | xx | x 4. xx | xx | xx | x | xx | x 5. x | x | xx | xx | x | x 6. x | xx | xx | xx | xx | x 7. x | xx | xx | xx | x | x 8. xx | xx | x | xx | xx | x 9. xx | xx | x | xx | x | x 10. x | xx | xx | xx | xx | x In der anderen, schon eingeführten Darstellung wird deutlich, daß in den Versen 1-5 der Trochäus eine schräge Achse bildend von der ersten zur vorletzten Stelle wandert - vielleicht sogar (angesichts der Katalexe) bis zur letzten Stelle im sechsten Vers. Wie ein Chi stehen die Trochäen der ersten drei Verse; und wieder ist da das Spiel der Kombinatorik und Variation, das „aus den Labyrinthen/ Aller Welten […] zu Einem“ 224 führen soll. 213 224 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·2, S. - 173, XVI. Gesang, V.5f. 223 Wittgenstein: Werkausgabe, Bd. 1, S. - 441, § 531; cf. ibid., S. - 462, § 606; cf. ibid., passim. 222 Hogarth: Analyse der Schönheit, S. - 202; cf. ibid., S. - 202f. u. passim. 221 Milton: The Major Works, S. - 461, Book V, V.623f. 220 Heraklit: [Fragmente], S. - 258, Frgm. 48. 219 Derrida: Dissemination, S. - 311; cf. ibid., S. - 310f. ἁρμονίη ἀφανὴς φανερῆς κρείττων Die metaphysische Metrik des Messias <?page no="214"?> 1. X O O X O O 2. O X O O O O 3. X O X O O O 4. O O O X O O 5. X X O O X O 6. X O O O O O 7. X O O O X O 8. O O X O O O 9. O O X O X O 10. X O O O O O Entwickelt sich hier nicht jene Ordnung, die sich ähnlich und nicht nur in Latenz bereits in den früheren Gesängen - und zwar schon vor der Überarbeitung, untersucht wurden ja vor allem die als letztgültig aufgefaßten Versionen - zeigt: und zwar mit der Funktion, die die Strukturen auch jener früheren Gesänge auszeichnet? Sie entwickelt sich, wobei Telos jener Entwicklung ein Selbstwerden (und aus der Selbigkeit immanentes Transzendieren) ist, das vielleicht erst retrospektiv schon immer gewesen zu sein scheint; dann aber auch immer Utopie einer weiteren Progression. Vom Hexameter kann zum freien Vers der Oden und des XX. Messias-Gesangs gegangen werden - das soll hier auch geschehen. Jedoch ist es nach dem Einblick in die intensive Funktionalisierung des Hexameters kaum mehr möglich, dies als eine Bewegung den poetologischen Fortschritt entlang darzustellen - wie es gleichwohl Klopstocks Urteil nahelegt. 225 Er scheint hier als erster geradezu ein Vorurteil zu ventilieren, wie es Arno Schmidt mit seinem Bonmot nur deutlicher formuliert, es aber auch in der Forschung gerne angedeutet wird: „Also der »Messias« ist raus : Klopstock kann sich Ernsthafterem zuwenden.“ 226 Diese Umkehrung, daß das religiöse Werk nur thematisch (und im Falle Arno Schmidts heißt das: gar nicht - für ihn ist Jesus ein „indiskutabler Religionsstifter“ 227 ), dagegen der Komplex der Odendichtung auch nach dem wesentlicheren Maß der Form gewichtig ist, ist auf den ersten Blick von einer bestechenden Pointiertheit, jedoch gerade nach ihrem an sich durchaus legitimen Maßstab der Moderne problematisch. Es wurde bereits dargelegt, daß so, wie es auch beim Vollzug der freien Verse Klopstocks der Fall ist, sein konkreter Hexameter „geschieht“ 228 , funktional und nicht durch eine Formgeschichte allein begründet: Gerade Immanenz und Autoreferenz, die den freien Vers prägen, sind in diesen Makrostrukturen des Epos 214 228 Frey: Verszerfall, S. - 14. 227 Schmidt: Ein indiskutabler Religionsstifter, S. - III·3. 226 Schmidt: Bargfelder Ausgabe, Werkgruppe II, Bd. 1·2, S. - 378. 225 Cf. ibid., Abt. Briefe, Bd. VIII·1, S. - 137, Nr. 119, 3.7.1789. Die metaphysische Metrik des Messias <?page no="215"?> unübersehbar gegeben. 229 Zweifelhaft ist also, ob „Klopstocks freie Rhythmen […] durch eine Auflockerung des Hexameters entstanden“ 230 sind; ob nicht vielmehr die Möglichkeiten des Hexameters in dieser seiner Qualität bei Klopstock das antizipieren, was man dem freien Vers allein zuzuschreiben geneigt sein mochte. Ganz und gar scheinen Hexameter wie freier Vers bei Klopstock „eine Möglichkeit des besonnen Fortschreitens“ 231 zu sein, das immanent-funktional legitimiert ist, darin frei und notwendig; in beiden ist die „Struktur der Bewegung objektiviert“ 232 : bis in „ein regelrechtes Netz“ 233 . Ein notwendigerweise nur angedeutetes System der freien Rhythmen findet sich in Klopstocks Korrespondenz; hier wird - wie bei seinen Oden, denen ja Darstellungen der Metrik beigesellt zu sein pflegen - zunächst festgehalten, welche „(l)yrische(n) Füsse“ 234 hier zum Tragen kommen: „Palimbaccheus […] Jonicus a maj./ […] Baccheus […] Kreticus […] Päon/ […] Jonicus a min. […] Choriamb […] Päon/ […] Pyrrhichmoloß […] grosser Choriamb“ 235 . Im Text sieht das - die Skansion der Verse 549-564, die zudem thematisch vom Donner zum Schweigen führen, „die Sünde hörte des Sohns Donner, und schwieg“ 236 - so aus: xxxxxx x xxxxxx xx xx xx xx xx xx|| xxx xxxxxx x x  x xxxx xx xx xxxx xxxx xx xx xxxx xxx xx xxxxx xx xxxx x xxxxxx x xxxx xxx xx xxx xxx xx xxxxx xxxxx x 215 236 Ibid., Abt. Werke, Bd. IV·2, S. - 281, XX. Gesang, V.564. 235 Ibid. 234 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Briefe, Bd. IV·1, S. - 219, Nr. 182, 24.-28.4.1764. 233 Ibid. 232 Berndt: Die Erfindung des Genies, S. - 40. 231 Ibid., S. - 50; cf. ibid., S. - 89f. 230 Frey: Vier Veränderungen über Rhythmus, S. - 29. 229 Cf. ibid., S. - 13 u. 17. Die metaphysische Metrik des Messias <?page no="216"?> Die freien Rhythmen rekurrieren deutlich auf sich wiederholende Versfüße, zu denen jeweils verwandte Füße treten. So besteht der Beginn aus Trochäen und Daktylen, zu denen sich der Kretikus gesellt, der aber keinen Hebungsprall zeigt, sondern die Katalexe schafft; dem folgen Amphibrache und ein Antispast, doch rhythmisch auffälliger ist, wie darauf in Vers 552 Anapäst und Kretikus eine Zäsur erzwingen, einen Umschwung „aus der Nacht her“ 237 . Hernach herrschen wieder Trochäus und Daktylus, bis ein Spondeus das beschriebene Wogen - „der Schöpfungen Meer, […] der Woge Gebirg“ 238 - sozusagen zur Amplitude bringt; man merkt hier, wie Stauung und poetische Erlösung ineinander wirken. Von hier entwickelt sich alles aus wogenden Amphibrachen sowie Epitritoi (Monogenes und Podios nämlich) zu Choriamben, deren Dominanz ein Gerüst gibt, das bei leichten Variationen doch im expressiven Schluß deutlich genug ist, damit wie gesagt das Donnern hier in jene Sprache hereinbrechen kann, die falsch wäre; genauer: aus der Sprache bricht, die damit in ihrer Krise sich bewährt und bewahrheitet. Die in den Hexametern aufgefaltete Ahnung des Unendlichen wird hier in eine Ekstase transformiert, aber auch in der Freiheit der Versmaße gleichsam gezügelt. Und doch ist das Zügeln eben eines im Zeichen des Donners, auf dessen Paradoxon schon eingegangen worden ist - die freien Verse werden dies also wiederum in einer scheinbaren Verordnung, während sie es zunächst nur virtuell sind. Freie Verse - die Oden Diese zunächst virtuell freie Rhythmik ist auch in Klopstocks Oden die Kunst, durch die Abweichung hindurch eine neue Ordnung über das Schema des einzelnen Verses hinaus zu stiften; Furcht der Geliebten ist hier ein auffälliges Beispiel: „Cidli, du weinest, und ich schlumre [sic! ] sicher, Wo im Sande der Weg verzogen fortschleicht; Auch wenn stille Nacht ihn umschattend decket, Schlumr’ ich ihn sicher.“ 239 Nach der Irritation der ersten Zeile, die xxxxxx zu skandieren ist, indes verlocken mag, einen vierfüßigen Daktylus mit Katalexe zu lesen, was dem Gang eine Deutlichkeit gibt, entwickelt sich dieses sublime Gitter der Betonungen: 216 239 Ibid., Bd. I·1, S. - 133/ Klopstock: Oden, Bd. 1, S. - 113. 238 Ibid., S. - 281, XX. Gesang, V.553. 237 Ibid., S. - 281, XX. Gesang, V.551. Die metaphysische Metrik des Messias <?page no="217"?>  x x  x  x  x  x  x  x x  x  x  x  x  x  x x  x  x  x x  x Die beiden Senkungen wandern hier von Position zu Position in sonst metrisch deckungsgleichen Versen, womit eine zweite Ordnung unter den Versen gestiftet ist, die auf ein Ganzes des Gedichts weist. Durch die Konvergenz von Anheben und Endigen im Metrum (beide Male xxx) wird das Poem noch deutlicher zum organischen Ganzen. Diese Rahmung hat ihre Entsprechung im Wortlaut; Anheben und Ausklingen sind aufeinander bezogen, das lyrische Ich schreibt: „Cidli, du weinest“ 240 - und es endigt mit der Anrede: „Weine nicht, Cidli.“ 241 Gleichfalls raffiniert ist die Metrik des schon erwähnten Gedichts Der Zürchersee; die Ode ist so strukturiert: „Schön ist, Mutter Natur, deiner Erfindung Pracht, Auf die Fluren verstreut, schöner ein froh Gesicht, Das den großen Gedanken Deiner Schöpfung noch Einmal denkt.“ 242  x  x x  |  x x  x   x  x x  |  x x  x   x  x x  x  x  x x  x  Die asklepiadeische Strophe konvergiert nicht mit Syntax und Semantik, und dies in avancierter Weise. Zum einen wird die Symmetrie der ersten beiden Verse erreicht, die um die Zäsur gespiegelt sind, wobei „die männlichen Kadenzen und die Auftaktlosigkeit der folgenden Zeilen den Anfangsversen auch beim Enjambement noch eine deutliche Kontur verbürgen“ 243 ; zum anderen ist das Enjambement es, das aus zwei semantischen Blöcken resultiert, deren einer auf dem anderen als Steigerung gründet: Schön ist, Mutter Natur, deiner Erfindung Pracht,/ Auf die Fluren verstreut, worauf nicht antithetisch, doch in deutlichem Kontrast repliziert wird: schöner ein froh Gesicht,/ Das den großen Gedanken/ Deiner Schöpfung noch Einmal denkt… Der Eindruck ist eine Schwebe; was gilt..? 217 243 Frank: Handbuch der deutschen Strophenformen, S. - 339, § 4.111. 242 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. I·1, S. - 95/ Klopstock: Oden, Bd. 1, S. - 83. 241 Ibid. 240 Ibid. Die metaphysische Metrik des Messias <?page no="218"?>  x  x x  |  x x  x   x  x x  |  x x  x   x  x x  x  x  x x  x  Oder - wie das Enjambement dem Ohr nahelegt -:  x  x x  |  x x  x |  x  x x   x x  x |  x  x x  x |  x  x x  x  Alles scheint plötzlich in Spannung zu geraten, da - von der Senkung, womit der dritte Vers endigt, einmal abgesehen - einander die nun in Kolonnen angeordneten Bausteine entsprechen, bloß mit Verschiebung von Senkung und Hebung qua Spiegelachse und der resultathaft nachgesetzten Wendung (Ein)mal denkt - keine Rede kann davon sein, daß die Worte bloß redundantes Addendum eines Schemas wären, wie Enzensbergers Polemik gegen Klopstock in seiner Note Keine Silbe zuviel nahelegt. 244 Ebenso von Spannung geprägt ist der Umstand, daß durch die Senkung im dritten Vers der Gedanke, der die Schöpfung nicht bannt - als „geschärftes Gespür für die Wirklichkeit“ 245 diese „nicht in Bewegungslosigkeit“ 246 verfallen läßt -, sondern als also dynamische mit Leben erfüllt, aktualisiert ist: während das Enjambement durch die erwähnten Eigenarten, nämlich männliche Kadenz sowie Auftaktlosigkeit zuvor jenes Stocken noch verstärkt, statt die Zeilengrenzen symbolisch sabotierend gerade wie sonst beim Enjambement üblich einen besonderen Fluß der Worte zu zeitigen, vielleicht gar eine Transkadenz… Man könnte weite Teile des Werks Klopstocks in bezug auf ihre Arbeit an Metrum und Rhythmus als Hervorbringung von deren - und fast: der - Freiheit studieren, immer wieder gelingen dem Dichter jene Momente. Der Weg von diesen freien Versen zu jenen Hölderlins ist geradezu zwingend, verbindet diese doch eine metrische Intertextualität, und zwar, wie Hölderlin selbst luzide andeutet, nicht nur miteinander. Vielmehr kommunizieren ihre Werke auch dadurch, daß sich Hölderlins Poetik aus denselben Quellen speist. 247 Dies ist neben den für die Metrik maßgeblich empfundenen Texten der Antike, von denen sich Hölderlin zugleich mehr als Klopstock abgrenzt, natürlich die Bibel, die bei beiden Dichtern „mehrfach durchschlägt“ 248 und von Klopstock „Muster der Poesie“ 249 genannt wird. Es mag aber auch die Sprache sein, ihre Macht, die alles in 218 249 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Addenda, Bd. II, S. - 92. 248 Schadewaldt: Hellas und Hesperien, S. - 715. 247 Cf. Hölderlin: Sämtliche Werke, Briefe und Dokumente in zeitlicher Folge, Bd. X, S. - 39 u. passim sowie Sattler: clavis hoelderliana · 19. 246 Ibid. 245 Foucault: Schriften in vier Bänden, Bd. IV, S. - 134. 244 Cf. Enzensberger: Scharmützel und Scholien, S. - 553; cf. ibid., S. - 553ff. Die metaphysische Metrik des Messias <?page no="219"?> Ohnmacht auflöst, was bloße Setzung ist, auch je ihr Bild, stets ist sie das Referierte und darin dieses wie sich öffnend, als riskantes Manöver: auch von womöglich religiöser Wucht. Hölderlin setzt dies und zum Teil damit Klopstock fort, poetisch wie poetologisch. 250 All das, was sich bei Klopstock entwickelt, entfaltet sich bei Hölderlin nochmals, freilich wiederum genuin: ihm verpflichtet und gerade darin zugleich „gegen das je zu Erwartende“ 251 . Wie bei Klopstock ist auch bei Hölderlin, wie Heidegger an diesem sehr scharf herausarbeitete, Gott oder das Sujet seiner Praxis kein bekanntes Maß. Das, worum es geht, ist vielmehr als das „Unbekannte […] gerade das Maß für den Dichter“ 252 : Des Dichters „Werk hält das Offene der Welt offen“ 253 , bis, so Hölderlins berühmte Formel, „Gottes Fehl hilft“ 254 , aber solange - „deutungslos“ 255 . Diese Dichtung als sich entfaltende „Antwort der Menschen“ 256 ist doch „Echo des Himmels“ 257 … oder möge es sein. Und sie ist es, ohne dies hier noch zu entwickeln, wiederum auch metrisch, indem das nachgerade Zitierte in einer kombinatorischen Transformation durch die Abweichung hindurch eine neue Ordnung über das Schema des einzelnen Verses hinaus stiftet, potentiell ad infinitum. Man sieht, daß sich dieses Verfahren nicht darin erschöpft, daß Hölderlin Formen als diese appliziert, vielmehr wird die eben noch kenntlich scheinende Ordnung zum Fragment einer je neuen Ordnung, die transzendiert, was an ihrem Material erst darum schon in nuce angedeutet gewesen zu sein scheint. 258 Diesen Trans- Mechanismus hat Hölderlin theoretisiert, er schreibt von jenem Vorandrängen der Ordnung und ihrer Modifikation bis zum kurzen Stillstehen, daß nicht das Element, sondern „die gegenrhythmische Unterbrechung“ 259 es sei, worin dann die Intention momentan „selber erscheint.“ 260 Der Text wird so zu dem, was seine Mittel in Spannung zueinander versetzt, sein Konzept durchbricht; das scheinbar Beiläufige wird zum Schöpfen, zugleich wider und dann doch durch die Bedeutungsträger, die vor allem das Spiel von Betonungen sein und treiben mögen. 261 219 261 Cf. hierzu auch Hainz: Die Schöpfung - ein Polylog, passim. 260 Ibid. 259 Hölderlin: Sämtliche Werke, Briefe und Dokumente in zeitlicher Folge, Bd. X, S. - 155. 258 Cf. u.a. Jakobson: Hölderlin · Klee · Brecht, S. - 43ff. 257 Hölderlin: Sämtliche Werke, Briefe und Dokumente in zeitlicher Folge, Bd. IX, S. - 9 u. 31; cf. auch Böschenstein: Friedrich Hölderlin, S. - 1007. 256 Böschenstein: Friedrich Hölderlin, S. - 1007. 255 Hölderlin: Sämtliche Werke, Bd. II, S. - 204. 254 Hölderlin: Sämtliche Werke, Briefe und Dokumente in zeitlicher Folge, Bd. IX, S. - 218. 253 Heidegger: Holzwege, S. - 31; cf. auch Derrida: Meine Chancen, fol.13 r. 252 Heidegger: Vorträge und Aufsätze, S. - 191. 251 Adorno: Gesammelte Schriften, Bd. 11, S. - 470. 250 Cf. etwa Schadewaldt: Friedrich Hölderlin, S. - 354, Martens: Friedrich Hölderlin, S. - 22f., Böschenstein: Friedrich Hölderlin, S. - 998, Krämer, Prottung: Friedrich Hölderlin, S. - 18ff. u. 87 sowie Beck: Hölderlin, S. - 19ff., 67, 92 u. 125ff. Die metaphysische Metrik des Messias <?page no="221"?> Andere Strukturierungen bei Klopstock Neben der Metrik bestehen natürlich auch andere Mittel, den Text zu strukturieren und (auto-)dekonstruktiv ins Werk zu setzen - der Satzbau der Dichtung Klopstocks ist, um gleich in medias res zu gehen, nicht derart, daß er einer Intention und ihrer vielleicht gegebenen Logik funktional diente, er gestaltet vielmehr seine Intention und Logik vorgängig. 1 Die häufig parallele Konstruktion paralleler Inhalte hat Goldbeck-Loewe zum Anlaß genommen, vom „Gedankenreim“ 2 Klopstocks zu schreiben; von Sauder werden unter anderem folgende Eigenheiten angeführt: „komplizierter Satzbau mit vielen Einschüben u(nd) der Nachstellung von Subjekt oder Objekt, Wortwiederholungen, […] Partizipialkonstruktionen“ 3 - all das, „um die Seele des Lesers in Bewegung zu versetzen“ 4 , wobei man an die ironische Bemerkung Pinkers denken darf, „verbing weirds language“ 5 … Schlegel schreibt vom „grammatische(n) Mystiker“ 6 ; Klopstock ist zuweilen eben dieser. Ein schon von Pawel betonter Weg der Textkonstitution ist das Homoioarkton, also der Einsatz des Stabreims, weiter gefaßt der Alliteration, die ab dem ersten Vers wirkt: „Sing, unsterbliche Seele, der sündigen Menschen Erlösung“ 7 … Pawel hat hierfür zahllose Belege geliefert und diese auch, soweit dies sinnvoll ist, ausgelegt. 8 Ein anderes Mittel, eine Offenheit und in bezug auf das Spiel der Worte und indirekt wohl auch ihre Bedeutung zudem so etwas wie Eigentlichkeit zu erzielen, also eine stringente Transzendenz anzudeuten und zu aktualisieren, ist wie erwähnt das Schweigen. Dieses ist metrisch zu markieren - erinnert sei an den Tod Jesu im Messias: „Und er neigte sein Haupt, und starb.“ 9 Ebenso sei auf die Semiotik desselben nochmals hingewiesen, das Schweigen in Gedankenstrichen und Kommentaren als Substituten von Auslassungen. Jenes Verstummen bleibt: „Das Rätsel lösen ist soviel wie den Grund seiner Unlösbarkeit angeben“ 10 , formuliert Adorno, die Befundung wird zum elaboriert Aporetischen, das Schweigen oszilliert darin zwischen Text und Deutung. 11 Gerade das Wort korrespondiert hier mit Schweigen 11 Cf. auch Reemtsma: Was heißt: einen literarischen Text interpretieren, S. - 15 u. passim. 10 Adorno: Gesammelte Schriften, Bd. 7, S. - 185; cf. Serres: Aufklärungen, S. - 42. 9 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 227, X. Gesang, V.1052. 8 Cf. Pawel: Neue Beiträge zu Klopstocks Messias, S. - 23ff. 7 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 1, I. Gesang, V.1 (Hervorhebung von mir, M.H.). 6 Schlegel: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, 1. Abt., Bd. II, S. - 186. 5 Pinker: Words and Rules, S. - 157 (im Original in Kapitälchen, M.H.); cf. ibid., S. - 157ff. 4 Ibid. 3 Sauder: Klopstock, S. - 10957. 2 Cf. Goldbeck-Loewe: Zur Geschichte der freien Verse in der Deutschen Dichtung, S. - 42. 1 Hohler: Das Heilige in der Dichtung, S. - 61. <?page no="222"?> und Aposiopese darin, „als solches etwas offen zu lassen“ 12 … Der Umschlag des Offenen in etwas, das dann ganz die Schöpfung zu tragen vermag, diese in ihrer Fülle nicht als Material einer Beliebigkeit faßte, sondern in ihrer Immanenz durchstrahlte, ist dabei freilich für Klopstock GOtt: also Gott, worin das Offene ins Unendliche umschlüge, doch das Unendliche zugleich sich nicht an seine Sinnlosigkeit verriete, also sich in seinen Wiederholungen und all dem, was Ordnung zu sein scheint, gerade unterböte. Dies wäre von Gott und der Erlösung präsent, das Providente Gottes, das Messianische, das immer schon gewiß gewesen sein wird. 13 Es ist im Text wie jener Gruß, der bei Hölderlin von Heidegger als das „Engelhafte[n], worin das Eigenste der Götter besteht“ 14 , verstanden wird; dem Engelhaften aber sei „der Wesensgrund des Grüßens“ 15 eigen. „Dem Sehnenden war Genug der Wink, und Winke sind Von Alters her die Sprache der Götter.“ 16 Doch was bewirkt dieser Gruß? „Der echte Gruß läßt zuweilen das Gegrüßte im eigenen Wesenslicht erstrahlen, so daß es die falsche Selbstigkeit verliert.“ 17 Der Text wird er selbst, indem er sich seiner Idee entschreibt, Züge, die kaum lesbar sind, entwickelnd, immerfort „das Wesen des Genannten sich ereignen“ 18 läßt. Die religiös inspirierte Poesie Klopstocks ist also eine, die „antwortend sich selbst überrascht“ 19 , in einer frappierenden „Gleichzeitigkeit von Selbst- und Fremdreferenz“ 20 … Man könnte dies verfolgend leicht auf Terrain gelangen, das nicht jenes Klopstocks ist, das seiner Texte indes allemal, das ihrer Ex- und Epizentrik, in deren Schöpfung oder textueller Gnade ein „Nicht-Ursprung […] zum Ursprung des Ursprungs gerät“ 21 , immer wieder, sich vorgreifend, sich entfaltend, sich/ sich verratend sich findend. Der Text, woran Klopstock arbeitet, ist wie angedeutet Performanz und Ritual: als deren Dekonstruktion; falsch verstanden wäre der Text eines jener Sprachspiele, die „veralten“ 22 , doch während er, was in diesem Sinne treibt, vielleicht unzureichend tut - oder: etwas konzeptuell Unzureichendes exekutierend -, ist er zugleich generisch, läßt „neue Sprachspiele […] entstehen“ 23 , und zwar aus sich, ihnen schon prozedural 222 Andere Strukturierungen bei Klopstock 23 Ibid. 22 Wittgenstein: Werkausgabe, Bd. 1, S. - 250. 21 Derrida: Grammatologie, S. - 108; cf. ibid., S. - 107f., 420 u. passim. 20 Waldenfels: Sinnesschwellen, S. - 65; cf. ibid., S. - 98f. u. 184. 19 Waldenfels: Antwortregister, S. - 636; cf. auch ibid., S. - 250 u. passim. 18 Frey: Das Heilige und das Wort, S. - 45. 17 Heidegger: Erläuterungen zu Hölderlins Dichtung, S. - 96. 16 Hölderlin: Sämtliche Werke, Briefe und Dokumente in zeitlicher Folge, Bd. IX, S. - 25. 15 Ibid. 14 Heidegger: Erläuterungen zu Hölderlins Dichtung, S. - 20. 13 Cf. auch Thomas von Aquin: Summa contra gentiles, Bd. III·2, S. - 60. 12 Wittgenstein: Wiener Ausgabe, Bd. XI, S. - 72. <?page no="223"?> zuzurechnen. Ein Gebet, das performative Ratlosigkeit ist, messianisch, durch seine krisenhafte Grammatik, Rhythmik, Semiotik konstituiert… Es ist, wird oder würde ein Text Gottes, „von seinen Lippen her“ 24 , aber als dieser nur glaubhaft, indem er dies noch nicht ist, so ließe sich dies auf die Intention Klopstocks vielleicht noch beziehen: worin und indem der Text sich vollzieht. Andere Strukturierungen bei Klopstock 223 24 Guardini: Gebet und Wahrheit, S. - 18. <?page no="225"?> Das Lebenswerk - ? Philologisch wäre nun naheliegend, aus jenen Momenten zu skizzieren, was das Klopstocks Werk ausmachen könnte, „das Konzept des Lebenswerks“ 1 Klopstocks, das aber spannungsreich ist und über sich weist: das nicht zur Ruhe kommt, wie an ihm gezeigt und in der Literaturgeschichte verfolgt wurde - wiewohl dieser Dichter oft genug als erledigt deklariert werden sollte, um dann doch bis heute als sein Nachhallen mehr er selbst zu sein, als in seinem Werk, was nun beides meint: den Begriff davon, der falsch genug sein mochte, aber auch tatsächlich das, was materialiter vorliegt, gleichsam langlebige Vorstufe seiner selbst. Das Werk selbst ist eines jener, die das sprengen, was die Kategorie Werk zu bezeichnen scheint, es bietet zwar eine gültige Form, doch eine, die zugleich schon ihre Vorläufigkeit indiziert: so, wie nur das Werk es zu tun vermag, das ja in sich das Generische trägt. Die Geste Wittgensteins, sein Denken entwickelnd auf sich als den „Verfasser der Logisch-Philosophischen Abhandlung“ 2 zu rekurrieren, der er nicht mehr sei, berührt die Klopstocks Werk zwar einerseits immer schon eigenen, doch andererseits es stets noch - durch sich - umschaffenden, dekonstruierenden und transzendierenden „Wandlungen“ 3 . Gefaßt ist es folglich nicht in der bilanzierenden Paraphrase, sondern in einer Exegese, die fragt, warum bis ins letzte Satzzeichen alles im Text so und nicht anders ist, es aber auch nicht stehenblieb, nicht stehengeblieben wäre. Sie verfügte über das Sensorium für dieses Werk, dessen Sprachgestalt zunächst mit unerhörter Dynamik voranschreitet, dies indes aus einer - durchaus christlichen - Skepsis motiviert, prekär also: doch deshalb, weil das Prekäre allumfassend ist, solange das Allumfassende nicht göttlich ist. Die Metrik selbst wird dafür zum Bedeutungsträger und -zerstörer, ihr stringentes und zugleich belebtes Vorantreiben in einer paradoxen Kombinatorik, die verbindlich Redundanzen ausräumt, entfaltet sich zu einem paradox ikonoklastischen Sinnbild und vielleicht auch zu einer Art von Aktualisierung der Poiesis Gottes … sowie Jesu … der Evangelisten … des heiligen Dichters. Ein Dichten, über das Kurt Marti schrieb: 3 Ibid. 2 Wittgenstein: Werkausgabe, Bd. 1, S. - 250. 1 Martus: Werkpolitik, S. - 224. <?page no="226"?> „glücklich ihr atheisten! ihr habt es leichter euch wirbelt kein gott aus der bahn des schlüssigen denkens […] gern wäre ich einer von euch jedoch jedoch: ich kann nicht“ 4 … Das Schreiben ist ein Weiterschreiben aus dem Glauben wenigstens an die Heiligkeit der Schrift, mag es dann auch „die Schrift auf der Wand des Nichts“ 5 sein, die ziellos ist, doch rastlos Wahrheit ermöglichte, derweil sie „um die Ecke herum […] durch weitere Schriften wiederum nur auf sich verweist“ 6 … Klopstocks „Rhetorik“ 7 - oder besser: Poesie - „zeigt geradezu überdeutlich, daß es eben die sprachliche Gestalt des Messias ist […], die den Leser zu den überschwenglichen Wahrheiten der Religion hinreißen soll“ 8 , was indes keine wie immer avancierte Propaganda meint, sondern auf das Wort zurückverweist: „Diese Sprache ist […] selbst der Auftritt Gottes“ 9 , so hieß es bereits, und zwar dies über die Bibel - so will es aber auch deren Poetisierung durch Klopstock. Das Weiterdichten ist kein Ausufern, sondern die Entfaltung von etwas, das biblisch begönne, Unendlichkeit wäre und sie trüge: von etwas und durch etwas, das als Text auf die erwähnte „Unterbringung von Unendlichkeit“ 10 durch eine Komplexitätssteigerung, die Material und Ordnung vermählt, zielt. Worin das Strukturierte selbst zu den „überabzählbar vielen Relationen“ 11 also wird; darin Abglanz und Aktualisierung Gottes, daß es ganz „jeden seiner Fäden wieder in seinen Mittelpunkt zurückspinnend“ 12 jenen Mittelpunkt zugleich nicht mehr oder nur in seiner Ausweitung auf den Text hat: Jener Punkt ist textuell die „Beziehung der Negation auf sich selbst“ 13 , die dann das Unfaßliche wäre, worauf doch der Text gründet, aber erst in jener Textualität, die den Punkt - nur mehr und erst - in sich aktualisiert. System? - Wovon könnte das Werk es sein, wenn nicht das seiner selbst, darin der Beobachtung der Romantik bereits Rechnung tragend, es sei 226 13 Hegel: Wissenschaft der Logik, 1. Teil, Bd. 1, S. - 169; cf. u.a. Hegel: Werke in 20 Bänden, Bd. 9, S. - 41ff., Schlegel: Transcendentalphilosophie, S. - 11 u. passim, Balthasar: Herrlichkeit, Bd. III·2/ 2, S. - 323 aber auch schon Leibniz: Die philosophischen Schriften von Gottfried Wilhelm Leibniz, Bd. VI, S. - 604. 12 Simmel: Gesamtausgabe, Bd. 7·1, S. - 101; cf. ibid., S. - 101ff. 11 Serres: Atlas, S. - 94. 10 Blumenberg: Die Lesbarkeit der Welt, S. - 140. 9 Sander: Einführung in die Gotteslehre, S. - 41. 8 Ibid. 7 Auerochs: Die Entstehung der Kunstreligion, S. - 243. 6 Ibid. 5 Blumenberg: Die Lesbarkeit der Welt, S. - 16. 4 Marti: zoé zebra, S. - 75. Das Lebenswerk - ? <?page no="227"?> „gleich tödlich für den Geist, ein System zu haben, und keins zu haben“ 14 , weshalb „beides zu verbinden“ 15 Geist Text wird. Das nobilitiert die irritierende Art des Anschlusses an das Wort Gottes, das für Klopstock nicht zu bezweifeln ist, Text ist von Beginn an das, was er fortführt, die Literatur immer schon „mehr als treue und unverzeihlich blasphemische Erbin aller Bibeln“ 16 , in denen sie sich vielleicht auch gefunden haben wird: „Das Gedicht ist nicht der Ort, wo der Engel geschont wird.“ 17 Statt eines Systems ist es - und zwar gerade auch Klopstocks Epos oder doch eben Großgedicht - jener religiöse „»Kreditismus«“ 18 , den man angesichts seiner scheinbaren Orientierung erwarten mag: „Poesie nach der Bibel“ 19 meint zu Klopstocks Zeit jenes Wort nach im „Sinne von post und secundum“ 20 . Aber es ist auch dessen Dekonstruktion, das unbedingt Poetische des Epischen verwirklicht dieses in jener Spannung; so bleibt dem Messias oder „Messias das Unerledigte“ 21 . Wäre es auch wohl traumtänzerisch, an eine Renaissance Klopstocks zu glauben, so sind diesen Texten doch Leser zu wünschen, die das Feuer der Entwicklung darin - die „Sprachpotenz und Ausdrucksgewalt“ 22 des sich vernehmenden und revidierenden Dichters, der Offenbarung oder Heimsuchung der Sprache, wobei der Genitiv hierin andeutet, wie sehr sie selbst sich aufstörendes Sensorium ist - erkennen und angesichts der Radikalität der Sprache als der genuinen Religion dieses Dichters verstehen, wieso dieser Dichtung einst eine solche Resonanz vergönnt war. Wichtiger: ahnen, wie sie innerdem/ außerdem weiterlebt. „ “ 23 - das Jesuswort, wonach, wer die Evangelisten vernimmt, Jesus und Gott vernehme, ist diese Revolution einer immer wieder „lebendige(n), auferstandene(n) Sprache“ 24 … 227 24 Lévinas: Eigennamen, S. - 14. 23 Lukas 10,16. 22 Amtstätter: Beseelte Töne, S. - 163. 21 Sloterdijk: Was geschah im 20. Jahrhundert, S. - 175. 20 Ibid.; cf. ibid., S. - 364. 19 Auerochs: Die Entstehung der Kunstreligion, S. - 261. 18 Sloterdijk: Was geschah im 20. Jahrhundert, S. - 17. 17 Meckel: Hundert Gedichte, S. - 67. 16 Derrida: Genesen, Genealogien, Genres und das Genie, S. - 54. 15 Ibid.; cf. auch etwa Pascal: Gedanken, S. - 157. 14 Schlegel: Kritische und theoretische Schriften, S. - 82. Ὁ ἀκούων ὑμῶν ἐμοῦ ἀκούει Das Lebenswerk - ? <?page no="229"?> &c. Dies macht den Messias zu einem Schwellenwerk, freilich nicht allein im Sinne eines historischen Übergangs, es ist nicht der Anbruch der „transzendentalen Obdachlosigkeit“ 1 in der Schilderung dessen, was seine Form befragt, sondern das bleibende „transzendentale[n] Absolute[n] der Öffnung“ 2 - ohne Textualisierung „gäbe es alles/ und weiter nichts“ 3 ..: „Sing, unsterbliche Seele, der sündigen Menschen Erlösung“ 4 … 4 Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Werke, Bd. IV·1, S. - 1, I. Gesang, V.1. 3 Benyoëtz: [Aphorismen], S. - 224. 2 Nancy: Dekonstruktion des Christentums, S. - 246. 1 Lukács: Die Theorie des Romans, S. - 32. <?page no="231"?> Textgrundlage und Bibliographie Grundlegendes Die vorliegende Bibliographie ist zuvörderst Zusammenfassung der Referenzen und Reverenzen; sie ist damit aber zugleich Verzeichnis der gefundenen Probleme und Lücken, für die es zuweilen auch Umwege zu gehen gilt. Dies soll nicht die einleitend erwähnten Verdienste schmälern, die oft überaus gründlichen Untersuchungen und zuweilen brillanten Interpretamente bagatellisieren, die Beiträge Franz Munckers, Karl Ludwig Schneiders, Helmut Papes, Gerhard Kaisers, Hans-Heinrich Hellmuths, … bis - in der jüngeren Vergangenheit - jene vor allem Mark E. Amtstätters, Kevin Hilliards, Klaus Hurlebuschs und Katrin Kohls 1 ; doch weist der Stand der Sekundärliteratur mitunter auf durchaus zentrale Verlegenheiten. Und noch vor den ungelösten Fragen der Exegese stellt das erste Problem der Umstand dar, daß es im Moment - noch - keine letztlich befriedigende Klopstock-Ausgabe, die auch vollständig vorläge, gibt. Dies indiziert auch das schier schizophrene Verhältnis der den Dichter verehrenden Leserschaft zu seinem Werk, wie Saine schreibt. 2 Ebenso liegt dies an der angestrebten und im Veröffentlichten auch erreichten Editionsqualität der maßgeblichen Ausgabe, die in den 60er Jahren angedacht und 1974 zum 250. Geburtstag des Dichters begonnen wurde; die Hamburger (Klopstock-)Ausgabe, die meist als HKA zitiert wird, ist zwar bereits weit gediehen, doch noch nicht vollendet. 3 Die die also bestehenden Lücken vorerst sozusagen füllenden Editionen früherer Jahre sind verdienstvoll, doch unbefriedigend, in vielen Hinsichten mußte die Ausgabe der Hamburger „den editorischen Grund legen“ 4 ; und muß dies auch in Zukunft. In seinen Anmerkungen zur Edition von Klopstocks Oden hat Hurlebusch dies an der einst verdienstvollen und noch heute durchaus brauchbaren Ausgabe von Franz Muncker und Jaro Pawel dargelegt, die sich zwar schon durch eine „konsequente Quellenerschließung […] und Quellenauswertung“ 5 auszeichnet, teils aber noch unkritisch auf problematischen Vorarbeiten basiert. 6 Es war, bevor die Arbeit an der Hamburger Ausgabe begann, kurzum „kein anderer Dichter von dem 6 Cf. ibid., S. - 145. 5 Hurlebusch: Zur Edition von Klopstocks Oden, S. - 144. 4 Elit: Eine Edition und ihr großer Apparat: 1001 Seite zu Klopstocks Gelehrtenrepublik. 3 Cf. zur Edition und ihrem Fortschreiten Hurlebusch: Wir Philologen, S. - 20, Kohl: Friedrich Gottlieb Klopstock, S. - 176f. sowie die Internet-Präsenz der Arbeitsstelle: www.sub.uni-hamburg.de/ wegezurliteratur/ neu/ sammlungentest/ klopstock/ hka.html. 2 Saine: Was ist Aufklärung, S. - 340 (Anm.). 1 Cf. zum Forschungsstand - nochmals - auch Kohl: Friedrich Gottlieb Klopstock, S. - 4ff. u. passim. <?page no="232"?> Ansehen Klopstocks […] editorisch ähnlich unzulänglich präsentiert worden […] wie der Dichter des Messias“ 7 ; eine textintegral dargestellte Genese zeigt keine Edition vor der Hamburger Ausgabe - die aber vor allem in ihrer Akribie den Textbestand revolutioniert. 8 Die Bände der Hamburger Ausgabe, die vorliegen, sind mustergültig ediert, wiewohl auch bei bester methodischer Fundierung des Materials, das der Ausgabe zugrundeliegt, zu konstatieren ist, daß neben „einer interdisziplinären Textgelehrsamkeit“ 9 und „philologischer Findigkeit […] »glückliche[n] Zufälle«“ 10 wie auch nicht immer objektiv zu begründende Entscheidungen eine Edition, die ja grundsätzlich nicht einfach „Abbildungen von etwas, das schlicht gegeben ist“ 11 , darreicht und darreichen kann, prinzipiell mitbestimmen. Hier sei auch - nochmals - darauf hingewiesen, daß gerade Klopstock zwar dem fehlerfreien Druck seiner Werke, wie (auch in der Korrespondenz 12 ) gut belegt ist, viel Beachtung schenkte. Doch ebenso weiß man, daß er mit seinen Handschriften nicht allzu sorgfältig umging, Göschens Mitteilung, daß sich von vier tatsächlichen Druckfehlern abgesehen alle von Klopstock beklagten Lapsus im Manuskript finden, sei etwa in Erinnerung gerufen. 13 Manches Problem betrifft auch die Konsultation des Nachlasses; dieser liegt im Wesentlichen in Hamburg (SUB Hamburg - Arbeitsstelle der Hamburger Klopstock-Ausgabe), im Klopstock-Museum in Quedlinburg, im Gleimhaus in Halberstadt und in der Herzog August-Bibliothek in Wolfenbüttel. Ferner existieren handschriftliche Quellen in Basel (Öffentliche Bibliothek der Universität), Berlin (Staatsbibliothek), Bern (Burgerbibliothek), Bonn (Universitätsbibliothek), Coburg (Sammlung Veste), Dortmund (Stadt- und Landesbibliothek), Dresden (Sächsisches Landeshauptarchiv), Düsseldorf (Sammlung Kippenberg), Eutin (Kreisbibliothek), Frankfurt/ M. (Goethe- Museum; Stadt- und Universitätsbibliothek), Göttingen (Staatliches Archivlager; Universitätsbibliothek), Graz (Steiermärkisches Landesarchiv), den Haag (Museum Meermano-Westreenianum), Halle (Universitäts- und Landesbibliothek), Hamburg (neben den erwähnten Beständen der SUB Hamburg: Staatsarchiv; Museum für hamburgische Geschichte; Kestner-Museum), Karlsruhe (Badisches Generallandesarchiv), Kiel (Universitätsbibliothek; Schleswig-Holsteinische Landesbibliothek), Kopenhagen (Kongelige 232 Textgrundlage und Bibliographie 13 Cf. ibid., Bd. X·1, S. - 15, Nr. 17, 10.3.1799; ferner ibid., S. - 21f., Nr. 20, 22.3.1799 sowie u.a. Muncker: Friedrich Gottlieb Klopstock, S. - 551f. 12 Cf. u.a. Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Briefe, Bd. V·1, S. - 123, Nr. 88, 11.2.1769. 11 Hurlebusch: Zur Aufgabe und Methode philologischer Forschung, S. - 138. 10 Hurlebusch: Zur Methodik der Vorbereitung historisch-kritischer Ausgaben, S. - 401. 9 Hurlebusch: Buchstabe und Geist, Geist und Buchstabe, S. - 8. 8 Cf. auch Gellhaus: Die historisch-kritische Klopstock-Ausgabe, S. - 198 sowie Oellers: Friedrich Gottlieb Klopstock: Werke und Briefe, S. - 206ff. 7 Oellers: Friedrich Gottlieb Klopstock: Werke und Briefe, S. - 206; cf. Kirschstein: Klopstocks Deutsche Gelehrtenrepublik, S. - 3 sowie Weimar: Klopstock, Friedrich Gottlieb: Werke und Briefe, S. - 475. <?page no="233"?> Bibliotek; Rigsarkivet), Leiden (Bibliotheek der Rijksuniversität), Leipzig (Universitätsbibliothek; Deutsches Buch- und Schriftmuseum der Deutschen Bücherei), London (British Museum), Marbach (Schiller-Nationalmuseum), Marburg (Westdeutsche Bibliothek), München (Bayerische Staatsbibliothek; Universitätsbibliothek), Münster (Universitätsbibliothek), Neubrandenburg (Museumsverein), Nürnberg (Germanisches Nationalmuseum), Paris (Bibliothèque Nationale), Sankt Petersburg (Öffentliche Staatsbibliothek Saltykow-Schtschedrin), Schulpforta (Schulbibliothek), Tartu (Universitätsbibliothek), Weimar (Thüringische Landesbibliothek; Nationale Forschungs- und Gedenkstätte) und Wien (Österreichische Nationalbibliothek; Stadtbibliothek; Österreichisches Staatsarchiv). 14 Zur Bibliographie ist ferner festzuhalten, daß sie - angesichts der überbordenden Zahl von (qualitativ nicht immer unumgänglichen) Studien zu Klopstock einerseits und andererseits der bibliographischen Arbeit Gerhard Burkhardts, Helmut Rieges und anderer Wissenschafter 15 versteht sich das fast von selbst - nicht beansprucht: nämlich beanspruchen weder kann oder noch muß, vollständig zu sein. Andererseits finden sich oft auch in eigentlich nicht der genuinen Klopstockforschung zuzurechnenden Werken wertvolle Hinweise, die in ihrer Zielsicherheit zuweilen die Spezialisten beschämen, die zugleich aber auch Lücken schließen, wo das Spezialistentum zu Klopstock (noch) nicht gediehen ist: Wo nicht dissertiert wird, wird oftmals trefflich extemporiert. Die Auswahl theologischer Studien betreffend ist zu betonen, daß es hier (abgesehen von jenen Schriften, die Klopstock gekannt haben müßte, so Philipp Jacob Speners Pia Desideria) wesentlich um Texte geht, welche die Begriffskonstellationen vor allem, aber nicht nur der dem Werk Klopstocks immanenten Form von Christlichkeit akkurat zu fassen und zu formulieren helfen; eine theologische Verbindlichkeit beansprucht diese Studie dabei naturgemäß nur eingeschränkt. Unvereinbarkeiten auf diesem Terrain, die sich aus der Interpretation von Klopstocks Werk ergeben, sind dem Verfasser ebenso wie mancher theologisch wohl problematische Wortgebrauch wohl bewußt, werden jedoch ausgehalten: als womöglich für diese Texte - auch - konstitutiv. Textgrundlage und Bibliographie 233 15 Cf. u.a. Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Addenda, Bd. I, passim sowie Riege: Klopstock- Bibliographie 1972-1992, passim. 14 Cf. hierzu Hellmuth: Metrische Erfindung und metrische Theorie bei Klopstock, S. - 283, die Auflistung bei Betteridge: Klopstocks Briefe, S. - 9f. sowie die einschlägigen Quellenrepertoria; es kämen u.U. noch historische Buchbestände hinzu, die sich in den oben genannten Institutionen, ferner aber auch u.a. in Bratislava (Universitätsbibliothek), Darmstadt (HLB), Helsinki (Universitätsbibliothek), Prag (Nationalbibliothek) und Presov (Kollegiats-Bibliothek) befinden - cf. Fabian: Handbuch der historischen Buchbestände in Deutschland, passim sowie die deskriptive Bibliographie von Boghardt, Boghardt und Schmidt in der HKA, Klopstock: Werke und Briefe, Abt. Addenda, Bd. III·1, S. - XXff. <?page no="234"?> I. Werke Friedrich Gottlieb Klopstocks Klopstocks Werke werden in der Regel nach der Hamburger Ausgabe zitiert, lediglich die Oden stets parallel auch nach der einflußreichen Edition von Muncker und Pawel und die dichtungstheoretischen Schriften meist nach Menninghaus, wo die wesentlichen dieser Texte geschlossen versammelt sind; derzeit noch bestehende Lücken der Edition werden schließlich auch mit Schleidens Edition abgedeckt. Zeitgenössischer Dokumente wegen wurde ferner auf die Studienausgabe der ersten drei Messias-Gesänge zurückgegriffen. Klopstock, Friedrich Gottlieb: Der Messias. Gesang I-III. Text des Erstdrucks von 1748. Studienausgabe, ed. Elisabeth Höpker-Herberg. Stuttgart: Philipp Reclam jun. 2000 (=Universal-Bibliothek, Nr. 721) Klopstock, Friedrich Gottlieb: Gedanken über die Natur der Poesie. Dichtungstheoretische Schriften, ed. Winfried Menninghaus. Frankfurt/ M.: Insel Verlag 1989 (=insel taschenbuch 1038) Klopstock, Friedrich Gottlieb: Oden, ed. Franz Muncker et Jaro Pawel. Stuttgart: Göschen 1889 Klopstock, Friedrich Gottlieb: Sämmtliche Werke, ed. August Leberecht Back et Albert Richard Constantin Spindler. · Bd. 8: Der Tod Adams. Hermanns Schlacht. Leipzig: Göschen 1823 · Bd. 13-18: Sämmtliche sprachwissenschaftliche und ästhetische Schriften, nebst den übrigen bis jetzt noch ungesammelten Abhandlungen, Gedichten, Briefen etc., Leipzig: Göschen 1830 Klopstock, Friedrich Gottlieb: Werke in einem Band, ed. Karl August Schleiden. München: Carl Hanser Verlag 1954 Klopstock, Friedrich Gottlieb: Werke und Briefe. Historisch-kritische Ausgabe, ed. Horst Gronemeyer et al. • Abteilung Werke. · Bd. I·1: Oden · Text, ed. Horst Gronemeyer et Klaus Hurlebusch. Berlin, New York: Walter de Gruyter 2010 · Bd. II: Epigramme. Text und Apparat, ed. Klaus Hurlebusch. Berlin, New York: Walter de Gruyter 1982 · Bd. IV·1/ IV·2: Der Messias · Text, ed. Elisabeth Höpker-Herberg. Berlin, New York: Walter de Gruyter 1974 · Bd. IV·3: Der Messias · Text/ Apparat, ed. Elisabeth Höpker-Herberg. Berlin, New York: Walter de Gruyter 1996 · Bd. IV·4: Der Messias · Apparat, ed. Elisabeth Höpker-Herberg. Berlin, New York: Walter de Gruyter 1984 · Bd. IV·5·1: Der Messias · Apparat, ed. Elisabeth Höpker-Herberg. Berlin, New York: Walter de Gruyter 1986 · Bd. IV·6: Der Messias · Apparat, ed. Elisabeth Höpker-Herberg. Berlin, New York: Walter de Gruyter 1999 · Bd. V: Biblische Dramen · Text/ Apparat, ed. Monika Lemmel. Berlin, New York: Walter de Gruyter 2005 · Bd. VII·1: Die deutsche Gelehrtenrepublik · Text, ed. Rose-Maria Hurlebusch. Berlin, New York: Walter de Gruyter 1975 234 Textgrundlage und Bibliographie <?page no="235"?> · Bd. VII·2: Die deutsche Gelehrtenrepublik · Text/ Apparat, ed. Klaus Hurlebusch. Berlin, New York: Walter de Gruyter 2003 • Abteilung Briefe. · Bd. I: Briefe 1738-1750, ed. Horst Gronemeyer. Berlin, New York: Walter de Gruyter 1979 · Bd. II: Briefe 1751-1752, ed. Rainer Schmidt. Berlin, New York: Walter de Gruyter 1985 · Bd. III: Briefe 1753-1758, ed. Helmut Riege et Rainer Schmidt. Berlin, New York: Walter de Gruyter 1988 · Bd. IV·1: Briefe 1759-1766 · Text, ed. Helmut Riege. Berlin, New York: Walter de Gruyter 2003 · Bd. V·1: Briefe 1767-1772 · Text, ed. Klaus Hurlebusch. Berlin, New York: Walter de Gruyter 1989 · Bd. VI·1: Briefe 1773-1775 · Text, ed. Annette Lüchow. Berlin, New York: Walter de Gruyter 1998 · Bd. VII·1: Briefe 1776-1782 · Text, ed. Helmut Riege. Berlin, New York: Walter de Gruyter 1982 · Bd. VII·3: Briefe 1776-1782 · Apparat, Kommentar Nr. 132-244, Anhang, ed. Helmut Riege. Berlin, New York: Walter de Gruyter 1982 · Bd. VIII·1: Briefe 1783-1794 · Text, ed. Helmut Riege. Berlin, New York: Walter de Gruyter 1994 · Bd. VIII·2: Briefe 1783-1794 · Apparat, Kommentar, Anhang, ed. Helmut Riege. Berlin, New York: Walter de Gruyter 1999 · Bd. IX·1: Briefe 1795-1798 · Text, ed. Rainer Schmidt. Berlin, New York: Walter de Gruyter 1993 · Bd. X·1: Briefe 1799-1803 · Text, ed. Rainer Schmidt. Berlin, New York: Walter de Gruyter 1999 • Abteilung Addenda. · Bd. I: Gerhard Burkhardt et al.: Klopstock-Bibliographie. Berlin, New York: Walter de Gruyter 1975 · Bd. II: Klopstocks Arbeitstagebuch, ed. Klaus Hurlebusch. Berlin, New York: Walter de Gruyter 1977 · Bd. III·1/ 2: Christiane Boghardt, Martin Boghardt et Rainer Schmidt: Die zeitgenössischen Drucke von Klopstocks Werken. Eine deskriptive Bibliographie. Berlin, New York: Walter de Gruyter 1981 II. Nachgelassene Zeugnisse Klopstocks Klopstocks Nachlaß wird zumeist aus den Beständen der SUB Hamburg (H ANS - Handschriften, Autographen, Nachlässe und Sonderbestände) zitiert; und dabei nach deren Sigeln, ihm ist hier die Signatur KN zugeordnet. Dieser Teil des Nachlasses umfaßt 25 Archivkästen, geordnet in die Gruppen Werke, Korrespondenz, Lebensdokumente und Sammlungen. 16 Von Interesse sind nicht zuletzt die Handexemplare des Messias, worin sich zahlreiche Überarbeitungen finden, die durch das Schriftbild zum Teil sprechender als jede denkmögliche Edition sind. Frühe Schriften sind dabei eher in einem Textgrundlage und Bibliographie 235 16 Cf. auch http: / / allegro.sub.uni-hamburg.de/ hans/ (Stand: 24.11.2009). <?page no="236"?> Zug, in Currentschrift, mitunter fast unleserlich geschrieben, spätere in abgesetzen, lateinischen Lettern und gut lesbar, doch sind es ebenso stets die Textstellen, die offenbar gleichsam zu verschiedener, mitunter eben recht expressiver Linienführung beitrugen. In zwei Handexemplaren liegt die Kopenhagener Edition des Messias vor: Klopstock, Friedrich G.: Der Messias. · Erster Band · Zweyter Band. Kop[p]enhagen: Ludolph Henrich Lillie 1755 · Dritter Band. Kop[p]enhagen: Ludolph Henrich Lillie 1768 Das Exemplar Cod. in Scrin 120a beinhaltet die ersten beiden Bände zusammen gebunden, Cod. in Scrin 295 alle drei Bände. Ebenso zweifach die Altonaer Ausgabe: Klopstock, Friedrich G.: Der Messias. Altona: Johann David Adam Eckhardt 1780 Diese Ausgabe enthält sämtliche Gesänge. Das Exemplar KN 8a ist dabei ein Volumen, während KN 12 in drei Teilen vorliegt: I.-VII. Gesang sowie ein Namensregister mit eigener Paginierung, das in KN 8a fehlt; VIII-XIII. Gesang; XIV.-XX. Gesang. Die Seitenzählung ist dabei durchlaufend. III. Bibel, Apokryphe sowie Illustrationen und Ikonen „Die Geschichte der B(ibelübersetzung) ist nahezu so lang wie die der Bibel selbst“ 17 ; dementsprechend wird versucht, der jeweils für das literarischtheologische Problem stimmigsten Textedition zu folgen. Die Heilige Schrift wird in der Regel nach der Einheitsübersetzung zitiert. Dort, wo die Bedeutung derselben zu präzisieren ist, ist freilich auch die Vulgata sowie der griechische Urtext des Neuen Testaments (allerdings nicht die Septuaginta), der, und zwar gerade im evangelischen Christentum, dem Klopstock zuzurechnen ist, phasenweise dennoch höher als die Vulgata geschätzt wurde, berücksichtigt. 18 In nicht wenigen Fällen wird ferner selbstredend auf die sprachschöpferische Leistung der Luther-Übersetzung - eine für die Auffassung Klopstocks poetisch, also in ihrem Wortlaut besonders maßgebliche Vorlage - rekurriert. 19 Die Apokryphen spielen nur eine untergeordnete Rolle, und zwar, insofern sie für Klopstock nur punktuell von Bedeutung sind sowie teils die Rezeption Christi und darin Problematisches, das bis 236 Textgrundlage und Bibliographie 19 Cf. u.a. Krummacher: Bibelwort und hymnisches Sprechen bei Klopstock, S. - 157, Hurlebusch: Klopstock, Friedrich Gottlieb (1724-1803), S. - 273 sowie Haufe: Zu Klopstocks Begriff »Geist Schöpfer« (Messias I 10), S. - 43. 18 Cf. Ritter: Sprachereignis, S. - 414 sowie Biser et al.: Lexikon des christlichen Glaubens, S. - 509. 17 Koch et al.: Reclams Bibellexikon, S. - 86. <?page no="237"?> heute wirkt, zeigen; dies gilt auch für jene Bibelaneignungen, welche je unter dem Verfassernamen zu finden sind. Biblia/ das ist/ die gantze Heilige Schrifft Deudsch. Die Luther-Bibel von 1534. Vollständiger Nachdruck. Bd. I: Das Alte Testament. Bd. II: Das Newe Testament. Köln: Taschen s.a. Biblia Sacra. Iuxta Vulgata Versionem, ed. Robertus Weber et al., Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft 4 1994 Die Apokryphen. Verborgene Bücher der Bibel, trans. et ed. Erich Weidinger et al., Augsburg: Weltbild 2005 Neue Jerusalemer Bibel. Einheitsübersetzung mit dem Kommentar der Jerusalemer Bibel, trans. 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IV: Leizpig: Johann Gottlob Immanuel Breitkopf und Compagnie 2 1801 Adorno, Theodor W.: Gesammelte Schriften, ed. Rolf Tiedemann et al. · Bd. 3: Max Horkheimer et Theodor W. Adorno: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente. Frankfurt/ M.: Suhrkamp Verlag 2003 (=suhrkamp taschenbuch wissenschaft 1703) · Bd. 4: Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben. Frankfurt/ M.: Suhrkamp Verlag 2003 (=suhrkamp taschenbuch wissenschaft 1704) · Bd. 5: Zur Metakritik der Erkenntnistheorie. Drei Studien zu Hegel. Frankfurt/ M.: Suhrkamp Verlag 2003 (=suhrkamp taschenbuch wissenschaft 1705) · Bd. 6: Negative Dialektik. Jargon der Eigentlichkeit. Frankfurt/ M.: Suhrkamp Verlag 2003 (=suhrkamp taschenbuch wissenschaft 1706) · Bd. 7: Ästhetische Theorie. Frankfurt/ M.: Suhrkamp Verlag 2003 (=suhrkamp taschenbuch wissenschaft 1707) · Bd. 10·1: Kulturkritik und Gesellschaft I. Prismen. Ohne Leitbild. 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Gesangs, Verse 1-600 1. x | x | x | x | xx | x 2. x | xx | xx | x | xx | x 3. x | x | xx | x | xx | x 4. x | xx | xx | x | xx | x 5. xx | x | xx | x | xx | x 6. x | xx | x | xx | xx | x 7. xx | xx | xx | xx | xx | x 8. xx | x | x | xx | xx | x 9. xx | xx | xx | xx | xx | x 10. x | xx | xx | x | xx | x 11. xx | x | x | x | xx | x 12. xx |  | xx | x | xx | x 13. xx | x | x | x | xx | x 14. x | xx | xx |  | xx | x 15. xx | xx | xx | x | xx | x 16. xx | xx | xx | xx | xx | x 17. x | xx | x | xx | xx | x 18. x | xx | xx | xx | xx | x 19. xx | xx | xx | xx | xx | x 20. x | x | xx | xx | xx | x 21. xx | xx | xx | x | xx | x 22. xx | x | x | xx | xx | x 23. x | x | xx | xx | xx | x 24. x | x | xx | xx | x | x 25. xx | xx | xx | xx | xx | x 26. xx | xx | x | x | xx | x 27. xx | xx | xx | xx | xx | x 28. x | xx |  | xx | xx | x 29. x | xx | xx | x | xx | x 30. x | xx | xx | x | xx | x <?page no="291"?> 31. xx | xx | x | x | xx | x 32. xx | x | x | xx | x | x 33. xx | xx | xx | x | xx | x 34. xx | x | xx | x | xx | x 35. xx | xx |  | x | xx | x 36. xx | xx | xx | xx | xx | x 37. x | xx | x | x | xx | x 38. xx | xx | xx | x | xx | x 39. x | xx | xx | x | xx | x 40. x | xx | x | x | xx | x 41. x | xx | xx | x | xx | x 42. xx |  | xx | xx | xx | x 43. x | xx | xx | x | xx | x 44. xx | xx | x | x | xx | x 45. xx | xx | xx | xx | xx | x 46. xx | x |  | x | xx | x 47. x | x | xx | x | xx | x 48. x | x | xx | xx | xx | x 49. x |  | xx | xx | xx | x 50. xx | x | xx | x | xx | x 51. xx | x | x | x | xx | x 52. xx | x | xx | xx | xx | x 53. xx | xx | xx | x | xx | x 54. x | xx | xx | xx | xx | x 55. x | xx | xx | x | xx | x 56. xx | x | xx | x | xx | x 57. x | xx | x | x | xx | x 58. x | xx | xx | xx | xx | x 59. x | xx | x | x | xx | x 60. xx | xx | xx | x | x | x 61.  | xx | xx | x | x | x 62. x | xx | xx | xx | xx | x 63. x | xx | xx | x | xx | x 64. x | xx | xx | x | xx | x 65. x | xx | xx | x | xx | x 66. x | x | xx | x | x | x 67. xx | x | xx | xx | xx | x 68. x | xx | x | xx | xx | x 69. x | x | x | xx | xx | x 70. x | xx | xx | x | xx | x Anhang: Skansion 291 <?page no="292"?> 71. xx | xx | xx | xx | xx | x 72. xx | xx |  | x | xx | x 73. xx | xx | x | xx | xx | x 74. xx | xx | x | xx | xx | x 75. xx | x | xx | x | xx | x 76. x | xx | xx | xx | xx | x 77. xx |  | x | xx | xx | x 78. xx | x | xx | x | xx | x 79. xx | x | xx | xx | xx | x 80. xx | xx | x | x | xx | x 81. xx | x | xx | x | xx | x 82. xx | xx | xx | x | xx | x 83. x | x | xx | x | xx | x 84. x | 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Empfindsamer Illustrator der biblischen Heilsgeschichte, wie die Zeitgenossen vermeinten? - Sein Hauptwerk, ‚Der Messias‘, ist aber mehr als dies, geprägt durch eine moderne Sprache, eine Rhythmik, die den Text vorantrieb und noch -treibt, eine Kinetik noch der Visionen, etwa: eines Alls der Aufklärung. Auf dem Umweg über die Sprache und insbesondere die Metrik legt diese Studie jene Qualitäten nochmals frei, jene von Experiment und Eskalation: „Jeder Gedanke, mit dem du dich selbst, o Erster, durchschauest, Ist erhabner, ist heiliger, als die stille Betrachtung, Auf erschaffene Dinge von dir hernieder gelassen“ … Hainz Silbenzwang Martin A. Hainz Silbenzwang Text und Transgreß bei Friedrich G. Klopstock, unter besonderer Berücksichtigung des ‚Messias‘