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Person und Religion

Eine Darstellung der Religionsphilosophie Dietrich von Hildebrands

0724
2017
978-3-7720-5630-7
978-3-7720-8630-4
A. Francke Verlag 
Ciril Rütsche

"Der Verfasser erwirbt sich mit dieser Arbeit ein großes Verdienst, indem er die Tradition der realistischen Phänomenologie und deren Vertreter Dietrich von Hildebrand in Erinnerung ruft. Denn wenn dieser Ansatz in den letzten Jahrzehnten gegenüber der analytischen Philosophie stark zurückgetreten ist (dies gilt jedenfalls für Deutschland, aber nur bedingt für die USA), so verdient sie doch Interesse. Die Religionsphilosophie von Hildebrands ist praktisch noch gar nicht bearbeitet worden, sodass der Verfasser auf diesem Gebiet Pionierarbeit leistet. Der Argumentationsgang der Arbeit ist durchweg transparent und kohärent. Aus verstreuten Quellen wird die Religionsphilosophie von Hildebrands Schritt für Schritt rekonstruiert, sodass am Ende das gesamte Theoriegebäude vor Augen steht. Die Untersuchung leistet aber nicht nur eine immanente Rekonstruktion, sondern arbeitet durch zahlreiche Abgrenzungen (Husserl, Thomas, Kant, Feuerbach, Dawkins etc.) das Profil dieses Ansatzes heraus. So stellt die vorliegende Abhandlung einen echten Forschungsbeitrag dar." Prof. Dr. Johannes Brachtendorf

<?page no="0"?> Ciril Rütsche Person und Religion Eine Darstellung der Religionsphilosophie Dietrich von Hildebrands <?page no="1"?> Person und Religion <?page no="2"?> Tübinger Studien zur Theologie und Philosophie Herausgegeben von Franz-Josef Bormann und Johannes Brachtendorf Band 2 6 <?page no="3"?> Ciril Rütsche Person und Religion Eine Darstellung der Religionsphilosophie Dietrich von Hildebrands <?page no="4"?> Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Natio‐ nalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. © 2017 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Ver‐ lages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Überset‐ zungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Internet: www.francke.de E-Mail: info@francke.de Printed in Germany ISBN 978-3-7720- 9630 - 3 <?page no="5"?> 19 1 21 2 26 3 31 4 33 5 35 6 40 6.1 40 6.2 42 6.3 47 7 49 7.1 52 7.2 53 8 56 9 59 I 61 Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die immanente Weltanschauung und der Szientismus . . . . . . . . . . . . Sinn und Transzendenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die verschiedenen Bedeutungen von „Transzendenz“ . . . . . . . . . . . . Das Thema der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Forschungsziel und Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Was ist „Realistische Phänomenologie“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Vorboten des phänomenologischen Realismus . . . . . . . . . Husserls Beiträge zur Beantwortung der „Kardinalfrage der Erkenntnistheorie, die Objektivität der Erkenntnis betreffend“ Die Grenzen der husserlschen Phänomenologie als Ausgangspunkt des phänomenologischen Realismus . . . . . . . Von Hildebrands „Was ist Philosophie? “ als grundlegende Schrift zur Methode der Realistischen Phänomenologie und die Frage nach der Originalität seines Beitrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Welche Art von Erfahrungsunabhängigkeit bedingt das apriorische Erkennen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Differenzierung der Seienden in drei grundsätzlich verschiedene Arten als Wegbahnung zum apriorischen Erkennen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stand der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Wissen um das Transzendente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 2 <?page no="6"?> 1 63 1.1 63 1.2 66 1.3 67 2 73 2.1 77 2.2 79 2.2.1 81 2.2.2 85 2.3 87 2.4 88 2.5 90 3 93 4 96 II 99 1 101 2 106 Immanuel Kant und der Schritt von der Transzendenz zum transzendentalen Immanentismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Humes Kritik am Kausalprinzip und Kants kopernikanische Wende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Von den Unterschieden zwischen analytischen und synthetischen Urteilen und Erkenntnissen a priori und a posteriori . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Was also versteht Kant unter „synthetischen Urteilen a priori“, und wie steht es mit der Möglichkeit derselben? . . . . . . . . . . . Dietrich von Hildebrands Kritik an Kants transzendentalem Immanentismus und seine Begründung der Transzendenz in der Erkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Äquivokation des Begriffs der Erfahrung . . . . . . . . . . . . . . Die verschiedenen Arten des Soseins und der Unterschied zwischen empirischer und apriorischer Erkenntnis . . . . . . . . . Das epistemologische Apriori als absolut gewisse Erkenntnis höchst intelligibler und wesensnotwendiger Sachverhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sind die apriorischen Erkenntnisse blosse Tautologien? Absolute Gewissheit bei der Erkenntnis eines individuellen Sachverhalts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Frage nach dem Gewissheitskriterium, die Seinsweise der notwendigen Wesenheiten und ihr metaphysischer Ort . . . . . Das überaktuelle Wissen und die Religion . . . . . . . . . . . . . . . . Die Frage nach der Erkennbarkeit der Aussenwelt und ihr Botschaftscharakter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Erkenntnis Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der kosmologische Gottesbeweis und das apriorische Erkennen . . . Die Ursache des Person-Seins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt 6 <?page no="7"?> 3 108 3.1 108 3.2 112 3.3 116 3.4 118 4 124 4.1 124 4.2 127 4.3 129 4.4 133 4.5 137 4.6 140 5 145 5.1 145 5.1.1 146 5.1.2 147 5.1.3 149 5.1.4 150 5.1.5 152 5.2 162 5.2.1 164 5.2.2 168 5.2.3 173 5.3 176 5.3.1 176 5.3.2 180 Gott als Inbegriff aller Werte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Seiende und der Wert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Wertfamilien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Werterkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Werte als Hinweis auf den Inbegriff aller Werte . . . . . . . . Warum hielt von Hildebrand das ontologische Argument für ungültig? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Argument in der Darlegung durch Anselm von Canterbury . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gaunilo und die erste Kritik am ontologischen Argument . . . Die Einwände gegen das ontologische Argument durch Thomas von Aquin und Immanuel Kant . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die reinen Vollkommenheiten als Gültigkeitsgrund des ontologischen Arguments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dietrich von Hildebrands implizite Bejahung des ontologischen Arguments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Was spricht eigentlich dafür, dass die Werte in Gott gründen, ja brauchen die Werte überhaupt einen Seinsgrund? - Einige Gedanken zum werttheoretischen Gottesbeweis . . . . . . . . . . . Die Probe aufs Exempel: Prüfung der (Un-)Vernünftigkeit dreier moderner bzw. postmoderner Kritiken an der Religion . . . . . . . . . . . Der Mensch als Seinsgrund Gottes in Ludwig Feuerbachs anthropologischer Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Feuerbachs Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Feuerbachs erkenntnistheoretische Prinzipien . . . . . . . Die Zurückweisung des ontologischen Gottesbeweises Die Begründung seiner Behauptungen . . . . . . . . . . . . . . Kritik an Feuerbachs Religionskritik . . . . . . . . . . . . . . . Ludwig Wittgensteins Behauptung der Unsinnigkeit religiöser Aussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprache und Wahrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sind die religiösen Aussagen tatsächlich unsinnig? . . . Das Ineinander von Philosophie und Religion . . . . . . . Richard Dawkins und der „Neue Atheismus“ . . . . . . . . . . . . . . Thesen und Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . „Omne vivum ex vivo“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt 7 <?page no="8"?> 5.3.3 184 6 193 III 197 1 199 2 206 3 210 4 213 5 216 5.1 217 5.2 221 5.3 223 5.4 225 5.4.1 226 5.4.2 227 5.4.3 230 6 236 7 239 Bewusstsein als Evolutionsemergent? . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Mensch und sein Angelegtsein auf die Religion in Denken, Fühlen und Wollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Augustinus, Boethius, Locke, die Annäherung an das Wesen der Person und die Frage nach der unübersteigbaren Vollkommenheit des Personseins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Zusammenwirken und gegenseitige Befruchten von Vernunft, Wille und Herz und das geistig-intentionale affektive Leben der Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die affektiven Antworten und die mitwirkende Freiheit . . . . . . . . . . Ist die Religion dem Menschen ein Bedürfnis? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bedeutsamkeit und Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . David Hume und der ethische Naturalismus oder Die Motivation durch das subjektiv Angenehme . . . . . . . . . . . . . . John Stuart Mill und der qualitative Utilitarismus oder Die Motivation durch das modifiziert subjektiv Angenehme . . . . Aristoteles und die Motivation durch das objektive Gut für die Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dietrich von Hildebrand und die Motivation durch den Wert Der Wert und das subjektiv Befriedigende im Vergleich Das objektive Gut für die Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Warum ist der Wertethik der Vorzug zu geben vor der eudaimonistischen, der hedonistischen und der utilitaristischen Ethik? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die objektive Gebührensbeziehung, die sittlich bedeutsamen Werte und der Unterschied zwischen Wert und Gut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Wertantwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt 8 <?page no="9"?> 8 243 9 247 9.1 248 9.2 253 9.3 255 9.4 256 9.5 258 10 261 11 264 12 267 IV 273 1 275 1.1 277 1.2 279 1.2.1 281 1.2.2 284 1.3 285 1.3.1 288 1.3.2 289 1.3.3 291 1.3.4 292 1.4 295 1.5 297 Peripherie und Tiefe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die verschiedenen Bereiche der Träger sittlicher Werte . . . . . . . . . . . Die Grundstellung und die moralischen Zentren . . . . . . . . . . . Die Sphäre der Antworten auf individuelle Güter . . . . . . . . . . Die Sphäre der Handlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Sphäre der Grundhaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Grundintention, die Grundhaltung und die sittliche Identität der Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Daniel Dennett und die Bedingungen der Personalität . . . . . . . . . . . . Wert und Glück . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die lebendige Verbindung des Menschen mit Gott . . . . . . . . . . . . . . . Die Bewegungsumkehr der Liebe oder Gott als Initiator des Dialogs Die Forderungen der sittlich bedeutsamen Werte und das Gewissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die reduktionistische Erklärung des Sigmund Freud . . . . . . . . Dostojewskis Starez Sossima im Lichte der Theorie Freuds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Forderung des Gewissens, die angemessene Antwort und das Glück . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der „ordo amoris“ und das Phänomen der Wertblindheit . . . . Die Grundstellung und die totale konstitutive Wertblindheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Antworten auf individuelle Güter und die Subsumptionsblindheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Handlungen und die Abstumpfungsblindheit . . . . Die kategorialen Grundhaltungen und die partielle Wertblindheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hat Feuerbachs Nichterkennen der Existenz Gottes moralische Gründe? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sossimas Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt 9 <?page no="10"?> 1.6 301 1.6.1 302 1.6.2 305 1.6.3 308 1.7 310 1.7.1 311 1.7.2 314 2 317 2.1 317 2.1.1 317 2.1.2 320 2.2 322 2.3 325 2.3.1 326 2.3.2 330 2.3.3 335 2.4 342 2.4.1 342 2.4.2 344 2.5 348 2.6 351 2.7 354 2.7.1 357 2.7.2 360 2.7.3 365 Intersubjektiver Konsens in ethischen Fragen? Kants „kategorischer Imperativ“ im Vergleich mit einigen der einschlägigen Prinzipien der phänomenologischen Wertethik Kants kategorischer Imperativ in der Kritik durch Dietrich von Hildebrand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Änderte Kant seine philosophische Grundrichtung? . . Schelers Kritik am allgemeingültigen Sollen . . . . . . . . . Erstreckte sich Schelers und von Hildebrands Übereinstimmung in der Zurückweisung der Kant’schen Ethik auch auf die Religionsphilosophie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schelers werttheoretische Begründung der Religionsphilosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pantheismus und Selbstdeifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Antwort des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Ehrfurcht als Grundlage und Anfang der „religio“ und die Wachheit als allgemeine Resonanzfähigkeit des Geistes . . . . . Die Ehrfurcht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Wachheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die übernatürliche oder die christliche Sittlichkeit . . . . . . . . . Einige spezifisch religiöse Akte und Haltungen . . . . . . . . . . . . Die Reue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Demut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Dankbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Gottesliebe als höchste Wertantwort . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Bestimmung des menschlichen Glücks bei Thomas von Aquin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Gottesliebe im Verständnis von Dietrich von Hildebrand und seine Kritik an der Deutung der Gottesliebe bei Thomas von Aquin . . . . . . . . . . . . . . . . . Die beiden Vollkommenheiten der Wahrnehmung - das Notionsthema und das kontemplative Thema . . . . . . . . . . . . . Die religiöse Kontemplation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die weitere Entwicklung des Dialogs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Verhältnis von sittlichem Sein und ethischer Werterkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die geschenkhafte Umwandlung der Person . . . . . . . . . Die Nächstenliebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt 10 <?page no="11"?> 3 377 4 381 4.1 381 4.2 385 5 388 V 393 399 399 404 407 412 414 420 423 Die Kirche als vollkommenste Gemeinschaft und als höchstes objektives Gut für die Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Über die in die Ewigkeit verlaufenden Sinnlinien menschlicher Existenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unsterblichkeit und ewiges Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die metaphysische Gebührensbeziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verwendete Werke Dietrich von Hildebrands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eine Auswahl an Schriften über Leben und Werk Dietrich von Hildebrands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quellen- und Literaturverzeichnis zur Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . Quellen- und Literaturverzeichnis zu Abschnitt I: Das Wissen um das Transzendente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quellen- und Literaturverzeichnis zu Abschnitt II: Die Erkenntnis Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quellen- und Literaturverzeichnis zu Abschnitt III: Der Mensch und sein Angelegtsein auf die Religion in Denken, Fühlen und Wollen . . Quellen- und Literaturverzeichnis zu Abschnitt IV: Die lebendige Verbindung des Menschen mit Gott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt 11 <?page no="12"?> Vorwort Das Werk Person und Religion. Eine Darstellung der Religionsphilosophie Dietrich von Hildebrands von Dr. Dr. Ciril Rütsche ist meines Wissens das erste über dieses Thema. In der Einleitung wird der Forschungsgegenstand nicht rein his‐ torisch als Darstellung der Religionsphilosophie Hildebrands und deren Hin‐ tergründe aus anderen Gebieten der Philosophie, sondern im Sinne eines echten „symphilosopheins,“ eines Mit-Philosophierens mit Hildebrand, bestimmt. So etwa schreibt der Autor gleich zu Beginn der Einleitung: Da die absolute Wahrheit in von Hildebrands Weltanschauung einen archimedischen Punkt einnahm und er ihre Erkennbarkeit auch zu begründen wusste, wird in dieser Arbeit zugesehen, ob und wenn ja, inwiefern die Religion Gegenstand philosophi‐ schen Erkennens ist und damit als vernünftig erwiesen werden kann.“ Oder, etwas später in der Einleitung; „Bietet die Relation zwischen Mensch und Gott die episte‐ mologische Möglichkeit, gewisse Züge mit absoluter Gewissheit erkennen zu können? Das muss sich erweisen … Wobei dies freilich, wie bereits an dieser Stelle festgehalten werden kann, in erster Linie davon abhängt, ob der Mensch die objektive Wahrheit erkennen und sich und seine Welt transzendieren kann, wie auch, ob Gottes objektive Existenz sich überhaupt begründen lässt. Und wiederum, noch deutlicher: Das Forschungsziel besteht in diesem Rahmen schliesslich im Aufweis der Religion als einem Dialog zwischen Mensch und Gott. Kann von diesem Dialog erwartet werden, dass er die entscheidenden Fragen des Menschen zu beantworten, sein Be‐ dürfnis nach Transzendenz zu befriedigen und sein Leben sinnvoll zu gestalten vermag? Um diese Frage beantworten zu können, ist es angezeigt, dass in einem ersten Schritt die Möglichkeit der Erlangung transzendenter Erkenntnisse begründet wird. Eine Aufgabe, die in wesentlichen Stücken in der Überwindung des Immanentismus und Subjektivismus Kantscher Prägung besteht, wobei auch der Erfahrung Rechnung zu tragen sein wird (vgl. Abschnitt I). Im Anschluss sei geprüft, wie es um die Er‐ kenntnis Gottes und die dagegen erhobenen Einwände bestellt ist (vgl. Abschnitt II), um sodann das Wesen und die Gottfähigkeit des Menschen zu besprechen (Ab‐ schnitt III), sie daraufhin als mit Leben gefüllte Realität zu untersuchen und schliess‐ lich die religiösen Aussagen und Überzeugungen betreffend den Zustand nach dem irdischen Tod kognitiv zu deuten und auf ihre Vernünftigkeit hin zu erörtern (Ab‐ schnitt IV). Was alles, wie gesagt, auf der Grundlage der philosophischen Einsichten <?page no="13"?> Dietrich von Hildebrands unternommen wird. In die Diskussion werden dabei solch namhafte Denker einbezogen wie Thomas von Aquin, Immanuel Kant, Ludwig Feu‐ erbach, Friedrich Nietzsche oder Max Scheler, um hier nur einige zu nennen. Nach einer Darstellung der Grundzüge der „realistischen Phänomenologie“ und ihrer Loslösung von Husserls 1913 vollzogenen transzendentalen Wende und der Absichtserklärung des Autors, auf dem methodologischen Fundament der realistischen Phänomenologie im Sinne Hildebrands die systematischen, von ihm aufgeworfenen Fragen zu behandeln, bestimmt Rütsche den näheren Ge‐ genstand seiner Arbeit noch einmal in einem doppelten, historischen und sys‐ tematischen Sinn: 1. Er will die Forschungslücke schließen, die auf dem Gebiet der Erforschung der Religionsphilosophie Hildebrands besteht. Diese wurde von Hilde‐ brand selber nie in der Religionsphilosophie gewidmeten systematischen Publikationen, sondern nur in verschiedenen handgeschriebenen Vorle‐ sungsmanuskripten aus dem Nachlass relativ systematisch dargestellt. 2. Zugleich will er jedoch Hildebrands sich vom Autor selber weitgehend zu eigen gemachte Philosophie auf eine Kritik der Religionskritik an‐ wenden: „Ausstehend ist auch eine unterscheidende Inblicknahme der gegenwärtig gleichsam in der Luft liegenden Kritiken an der Religion im Lichte der philosophischen Beiträge von Hildebrands. Zur Behebung dieser und weiterer Mängel will die vorliegende Untersuchung einen Bei‐ trag leisten.“ Der erste Abschnitt, „Das Wissen um das Transzendente“, behandelt den allge‐ meinen phänomenologischen Realismus Hildebrands, der dessen Erkenntnis‐ theorie kennzeichnet, die von Dietrich von Hildebrand selber in seinen Schriften Der Sinn philosophischen Fragens und Erkennens, What is Philosophy? , aber auch in den Prolegomena zu Ethik, zu Das Wesen der Liebe, sowie in „Das Cogito und die Erkenntnis der realen Welt“ und anderen Werken ausführlich dargelegt wurde. Rütsche faßt die Hauptinhalte der Erkenntnistheorie Hildebrands nicht nur sehr treffend zusammen, sondern stellt ihren Grundriß, wiederum im Sinne eines Mit-Philosophierens, synthetisch, aber sehr präzise dar. Im Mittelpunkt von Rütsches sehr gründlicher Darstellung der Kritik Hildebrands am Erfahrungs‐ begriff Humes und Kants und seiner Begründung eines philosophischen Rea‐ lismus steht die Frage, wie - auf Grund der Hildebrand’schen Unterscheidung dreier verschiedener Arten von Wesenheiten - eine Einsicht in das tran‐ szendente Fundament synthetischer Urteile a priori möglich ist. Rütsche teilt die der Kantischen konträre Position Hildebrands, daß die sogenannte „Er‐ Vorwort 13 <?page no="14"?> 1 Dietrich von Hildebrand, „Das Cogito und die Erkenntnis der realen Welt. Teilveröf‐ fentlichung der Salzburger Vorlesungen Hildebrands (Salzburg, Herbst 1964): ‘Wesen und Wert menschlicher Erkenntnis’“ : (7. und 8. Vorlesung), Aletheia 6 / 1993-1994 (1994), 2-27. 2 Als ich in meiner frühen Jugend mit Hildebrand die Hauptlinien meiner Verteidigung des ontologischen anselmischen (und cartesischen) Gottesbeweises diskutierte, zeigte sich Hildebrand gegenüber dessen möglicher Gültigkeit durchaus offen. Vgl. Josef Sei‐ fert, Gott als Gottesbeweis. Eine phänomenologische Neubegründung des ontologischen Arguments, (Heidelberg: Universitätsverlag C. Winter, 1996), 2. Aufl. 2000. kenntnis a priori“ in dem Geist transzendenten notwendigen Wesenheiten, die dem erkennenden Subjekt zugänglich sind, den Grund ihrer Möglichkeit besitzt, nicht in subjektiven Strukturen oder Denknotwendigkeiten des Subjekts. Damit ereignet sich bei Hildebrand eine radikale und scharsinnig rational durchdachte Abkehr von dem Subjektivismus der Kantischen, Hume’schen, sowie dem Groß‐ teil nachfolgender Philosophien. Auch die an Hildebrands Darlegung des realistisch verstandenen Cogito-Ar‐ guments 1 anschließenden Darlegungen des Autors zu einer dem erkennenden Subjekt transzendent existierenden realen Welt - der eigenen Person, der „Au‐ ßenwelt“ und anderer Personen - nehmen in diesem Abschnitt der Arbeit Rüt‐ sches eine wichtige Rolle ein. Der zweite Abschnitt, „Die Erkenntnis Gottes“, faßt die von Hildebrand nir‐ gends gesamtheitlich dargelegten Beiträge zusammen, die in verschiedensten Werken verstreut vorliegen, nun aber von Rütsche in ihrer systematischen Ein‐ heit dargestellt und in einen Dialog mit verschiedenen Formen des Atheismus und der Religionskritik im 19. Und 20. Jahrhundert von Feuerbach bis Richard Dawkins gebracht werden. Dabei erörtert Rütsche im Kontext der in Hildebrands Philosophie steckenden Schlüssel zu Widerlegung des dem „neuen Atheismus“ zugrundeliegenden ra‐ dikalen Materialismus auch wesentliche Analysen Hildebrands zur philosophi‐ schen Anthropologie und entwickelt insbesondere seine Einsichten in die Geist‐ igkeit der Person und der menschlichen Seele, sowie seine Kritik des Materialismus, noch weiter als sie von Hildebrand selber formuliert wurden. Er betont die besondere Rolle der Werte und ihrer „Frohen Botschaft“, die Hilde‐ brand mehr als Hinweise auf Gottes Existenz, denn als Beweise auffaßt. Rütsche versucht nachzuweisen, wie auf dem Boden der auf Anselm und Duns Scotus entwickelten Lehre der „reinen Vollkommenheiten“ Hildebrands philosophi‐ sche Theologie echte Gottesbeweise hätte bieten können und auch dem onto‐ logischen Gottesbeweis hätte zustimmen müssen, und wie dieser sich gleichsam logisch aus Hildebrands Position ergibt, obwohl Hildebrand selber ihn in seinen Schriften abgelehnt hat. 2 Vorwort 14 <?page no="15"?> 3 Vgl. Hildebrands Ausführungen zum “Geist der Wertantwort in der Liturgie” in Dietrich von Hildebrand, Liturgie und Persönlichkeit, (Salzburg: Anton Pustet. 1933); 2. Auflage ebd. 1934. 3. Auflage (Graz: Styria, 1955). 4. Auflage in den Gesammelten Werken, Band VII, (Regensburg: Habbel, 1974); 5. Aufl., (St. Ottilien: Eos Verlag, 1989). Im dritten Abschnitt, „Der Mensch und sein Angelegtsein auf die Religion in Denken, Fühlen und Wollen“ behandelt Rütsche zunächst den metaphysischen Personalismus Hildebrands, der auf der „unübersteigbaren Vollkommenheit des Personseins“ beruht. Dabei ergänzt Rütsche Hildebrand durch die von Anselm und Scotus entwickelte Lehre der reinen Vollkommenheiten und deren Weiter‐ entwicklung in der nachhildebrand’schen realistischen und metaphysischen Phänomenologie und überwindet einige Einwände gegen den Charakter des Personseins als unübertreffliche Vollkommenheit. Diese erkennen zu können stellt die Bedingung für die Wahrheit der These Hildebrands über Gott als ab‐ solute Person und für die christliche trinitarische Gotteslehre dar. Um die Beziehung der menschlichen Person zu Gott, um die es in diesem Abschnitt geht, darzustellen, geht Rütsche ausführlich auf Hildebrands ethische Grundthese der „Wertantwort“ als Rückgrat des moralischen Lebens der Person ein. Deren Anwendung auf die Religionsphilosophie führt dazu, in erster Linie nicht von einem menschlichen Religionsbedürfnis zu sprechen, wie dies viele immanentistische Religionspsychologien und Religionsphilosophien tun, son‐ dern den tiefsten religiösen Akt der Gottesliebe, der Anbetung und des Lob‐ preises Gottes als Antwort des Menschen auf Gott um seiner selbst willen zu sehen, weil Gott Liebe und Lobpreis gebühren. 3 Nur in der Hingabe an das in sich Wertvolle und an Gott als dessen Inbegriff um seiner selbst willen kann es auch zum wahren Glück und der höchsten Selbstverwirklichung der menschli‐ chen Person kommen. In seiner Analyse des Wesens der Person stützt Rütsche sich im Sinne einer echten Aneignung der philosophischen Einsichten Hildebrands insbesondere auf dessen ethische Untersuchungen und seine sehr originellen und wesentli‐ chen, wenn nicht revolutionären, Beiträge zum „Herzen“ als Sitz menschlicher Affektivität und als drittes, dem Intellekt und Willen nicht unterlegenes, geist‐ iges Zentrum der Person. Der vierte Abschnitt, „Die lebendige Verbindung des Menschen mit Gott“, erörtert ein weites Spektrum der Beiträge Hildebrands zur Religionsphilosophie und zur Erkenntnis des Wesens verschiedener religiöser Akte und Haltungen wie der Demut, der Reue, der Gottes- und Nächstenliebe, und insbesondere der Hildebrand’schen These, daß wir in der Caritas und anderen christlichen Tu‐ genden eine zutiefst neue moralische Vollkommenheit finden, welche die Tu‐ genden, die nicht auf die von der Christlichen Offenbarung offenbarte Schau Vorwort 15 <?page no="16"?> 4 Vgl. Henri Bergson, Les deux sources de la morale et de la religion (Paris: F. Altan, 1932). Gottes und des Menschen antworten, überragen. Diese Haltungen und Tu‐ genden werden zwar vom Glauben an die Mysterien der christlichen Religion motiviert, besitzen jedoch echte, philosophischer Einsicht zugängliche Wesen‐ heiten, welche es auch einem Nichtchristen, wie Bergson, erlaubten, eine über‐ legene moralische Qualität und Sublimität der christlichen Mystiker und Hei‐ ligen anzuerkennen. 4 Diese sich an einige Analysen Schelers anlehnenden, aber nach Umfang und Qualität weit über dieselben hinausgehenden Untersu‐ chungen Hildebrands ermöglichen es dem Christen, eine innige Verbindung zwischen seiner Vernunft und seinem Glauben wahrzunehmen. Ein Schlußteil faßt die wesentlichsten Ergebnisse der Arbeit zusammen. Dem Autor gelingt eine sehr gute und umfassende Darstellung verschiedener Grundinhalte der Philosophie Hildebrands und deren Anwendung auf die Reli‐ gionsphilosophie, sowohl auf die philosophische Gotteserkenntnis als auch auf die Erforschung der Beziehung des Menschen zu Gott. Das Werk Rütsches holt so weit aus, und behandelt so viele erkenntnistheoretische, ethische, anthropo‐ logische, ästhetische und andere Aspekte der Philosophie Hildebrands, daß man es geradezu als eine Summa Philosophiae Hildebrandianae bezeichnen darf. Als besonderes Verdienst des Buches erweist sich der Nachweis der inneren notwendigen Zusammengehörigkeit der erkenntnistheoretischen, anthropolo‐ gischen und ethischen Beiträge Hildebrands, die erst die Personhaftigkeit Gottes, und damit das Fundament der göttlichen Akte gegenüber dem Menschen (aus christlicher Sicht Inkarnation, Erlösung, Auferstehung, Gericht) und der Antwort des Menschen auf Gott aufklären können. Zugleich ist eine so weit ausholende Studie Rütsches notwendig, um Hildebrands transzendente Inter‐ pretation der religiösen Akte des Menschen als Antwort auf Gott um seiner selbst willen verständlich zu machen. Das ganze Werk zeichnet sich insbesondere durch seinen echt philosophi‐ schen Gehalt aus und ist weit entfernt von einer bloßen Wiedergabe der Ge‐ danken eines anderen Autors. Damit bricht die Arbeit die in modernen akade‐ mischen Kreisen herrschende Unsitte, die Philosophie weitgehend bloß historisch abzuhandeln oder sie als wenig mehr als eine Analyse der Sprache zu betreiben, ohne die Sachen selbst, um die es geht, zu erforschen. Die außerordentlich gründliche und sachlich korrekte Darstellung der Reli‐ gionsphilosophie Hildebrands und deren erkenntnistheoretischer, ethischer und anthropologischer Fundamente besticht insbesondere dadurch, daß sie, unter Berücksichtigung des gesamten umfangreichen und einschlägigen publizierten Vorwort 16 <?page no="17"?> Werkes Hildebrands auf vier Gebieten der Philosophie, die ethischen Hinter‐ gründe von Hildebrands Religionsphilosophie einbezieht. Die gründliche Berücksichtigung und sorgfältige Zitierung verschiedener Texte aus den 503 Mappen unveröffentlichter und (nicht leicht lesbarer) über‐ wiegend handgeschriebener deutscher und englischer Schriften, die sich im Nachlaß Hildebrands befinden, erhöht den Wert des vorliegenden Werkes ebenso wie die gründliche Berücksichtigung einschlägiger Teile der Sekundär‐ literatur über Hildebrand. So schließt Rütsche eine wesentliche Forschungslücke durch synthetische und systematische Darstellung eines Teiles der Philosophie Hildebrands, der hauptsächlich nur in Nachlaßschriften (insbesondere Vorlesungen über Religi‐ onsphilosophie) vorliegt und der hier zum ersten Mal zusammenhängend dar‐ gelegt wird. Weitere Vorzüge des Werkes sind eine gelungene Verbindung historischer und systematischer Analysen im geschilderten symphilosophein mit Hildebrand selbst, sowie ihr in der angegebenen freundlich-kritischen Weise über Hilde‐ brands Beiträge Hinausweisen. Ihre gute Gliederung und ausgezeichnete, hilfreiche Zusammenfassungen jedes Abschnittes machen das Werk auch als Lehrbuch höchst geeignet. Prof. Dr. Dr. h. c. Josef Seifert Vorwort 17 <?page no="19"?> E INLEITUNG <?page no="21"?> 1 Francis B A C O N , Neues Organon, Aphorismus 117, S. 244. Ein Wort an dieser Stelle zur Anmerkungsweise und zum wissenschaftlichen Apparat der vorliegenden Arbeit. In den Anmerkungen wird nur nach Vorname, Name, Haupt- und Untertitel und Stellenangabe zitiert, und während bei der ersten Zitierung alle diese Angaben gemacht werden, werden bei allen weiteren nurmehr der Nachname, der Haupttitel und die betreffende Stelle im jeweiligen Werk angegeben. Die jeweils ver‐ wendete Ausgabe wird in der Bibliographie angegeben. Wird ein Artikel angeführt, dann wird dieser nicht - wie ansonsten üblich - in Anführungs- und Schlusszeichen gesetzt. Ob es sich im Einzelfall um einen Artikel handelt, der in einer umfangreicheren Schrift publiziert wurde, ist im Literaturverzeichnis ersichtlich, wo sich auch die üb‐ rigen bibliographischen Angaben verzeichnet finden. 2 B A C O N , Neues Organon, S. 3. 3 vgl. ebd., Aphorismus 130, S. 273 ff. 1 Die immanente Weltanschauung und der Szien‐ tismus Was im Jahre 1620 mit Francis Bacons grosser Erneuerung der Wissenschaften (instauratio magna) und seiner Reduzierung des Wissens von einem Selbstzweck zu einem Mittel zum Zweck begann und über die kontinuierliche Erschliessung zu einer immer besseren Beherrschung der Gesetzmässigkeiten der empirischen Wirklichkeit führte (victoria cursus artis super naturam 1 ), das mündete wider Erwarten weder in die erhoffte Wiederherstellung der „Verbindung zwischen dem Geist und den Dingen“ 2 noch in eine Vermenschlichung des Menschen und seiner Lebenswelt. Immer deutlicher hat sich im Verlauf der vergangenen Jahr‐ hunderte gezeigt, wie das anfänglich berechtigte Motiv, das menschliche Leben durch die Erlangung von Wissen auf dem Wege des Experiments und der In‐ duktion zu verbessern, den Übeln abzuhelfen und den Weg zu bahnen für Er‐ fahrungen in bisher unbekannten Gebieten, 3 seine positive Gestalt verliert, wenn es auf Gegenstände angewandt wird, die nach einer anderen Erkenntnis‐ methode verlangen. Werden die Methoden, die bei den Naturwissenschaften berechtigt und zielführend sind, auf die Geistes- und Sozialwissenschaften über‐ tragen, so zeitigt dies weder positive noch neutrale, sondern nicht zu überse‐ hende negative Folgen. Unter dem Begriff der „Wissenschaft“ werden gegenwärtig fast ausschliess‐ lich die Naturwissenschaften verstanden, welche in einer ebensolchen Domi‐ nanz auch das heutige Weltbild prägen. Da die Naturwissenschaften sich aller‐ dings nur mit bestimmten Aspekten der Wirklichkeit befassen, vermögen sie <?page no="22"?> 4 Willard Van Orman Q U I N E , Naturalisierte Erkenntnistheorie, S. 115. 5 Im gegenwärtigen philosophischen Gespräch wird der Szientismus auch als Empi‐ rismus und als Naturalismus diskutiert. 6 Vgl. etwa die hinführende Arbeit von Dieter T E I C H E R T , Einführung in die Philosophie des Geistes, oder auch Hans L E N K , Kleine Philosophie des Gehirns. Zu einer Kritik der Reduzierung des menschlichen Bewusstseins zu einem Epiphänomen des Gehirns vgl. unten II, 5.3.3.2 - „Argumente gegen die materialistische Reduzierung des Bewusstseins zu einem Produkt des Gehirns“. 7 Vgl. Konrad L O R E N Z , Die acht Todsünden der zivilisierten Menschheit, S. 100. 8 Vgl. A R I S T O T E L E S , Metaphysik, VII, 1041b. Diese Wendung findet sich an der angege‐ benen Stelle nicht wortwörtlich, wohl aber sinngemäss. kein befriedigendes Weltbild zu liefern. Ein solches wird erst im Szientismus geboten, welcher für ein Weltbild steht, in dem die empirische Wirklichkeit als ganze Realität angesehen und insgesamt nur das als wirklich verstanden wird, was Gegenstand der Naturwissenschaften ist oder dazu gemacht werden kann. Welche Konsequenzen die Übertragung der naturwissenschaftlichen Methoden auf die Geistes- und Sozialwissenschaften hat, zeigt sich z. B. bei Willard Van Orman Quine (1908-2000), der der Erkenntnistheorie - in einem Artikel mit dem vielsagenden Titel Naturalisierte Erkenntnistheorie - einen „Platz innerhalb der Psychologie und somit innerhalb der empirischen Wissenschaften“ 4 zuge‐ wiesen hat. Nur insofern, so wird im Rahmen einer immanenten Betrachtung der Wirklichkeit behauptet, trägt die philosophische Disziplin der Erkenntnis‐ theorie überhaupt wissenschaftliche Züge, als jegliche Bedeutungsgebung für Wörter auf Beobachtungen basiert und diese wiederum die Sinnesrezeptoren als empirische Grundlage haben. Dass der Szientismus reduktionistisch und materialistisch ist, 5 lässt sich auch an der Philosophie des Geistes ersehen, in der die mentalen Phänomene häufig auf Gehirnvorgänge reduziert werden. 6 „Auch die Wissenschaft vom menschlichen Geiste,“ so musste Konrad Lorenz in einem Artikel aus dem Jahre 1973 zeitkritisch feststellen, „beginnt zu einer biologi‐ schen Wissenschaft zu werden“. 7 Auf dem Programm des Szientismus steht die naturwissenschaftliche Beschreibung der Naturwissenschaften, stehen die Fragen über die Naturwissenschaften, über ihre Methoden, Leistungen und Gel‐ tungsansprüche. Der szientistische Zugang übergeht ganz offensichtlich den wissenschaftli‐ chen Zugang von Aristoteles, der im VII . Buch seiner Metaphysik darauf auf‐ merksam gemacht hat, dass das Ganze (οὐσία) mehr ist als die Summe seiner Teile. 8 Der Szientismus geht jedoch nicht auf das Ganze, in seiner analysierenden und zerlegenden Methode dringt er nie bis zur Qualität des Ganzen durch, son‐ dern bleibt beim bloss Quantitativen der Elemente stehen. Denn die Naturwis‐ senschaft beginnt mit der Beschreibung, ordnet die beschriebenen Erschei‐ 1 Die immanente Weltanschauung und der Szientismus 22 <?page no="23"?> 9 Konrad A D A M , Kampf gegen die Natur. Der gefährliche Irrweg der Wissenschaft, 2. Kap., S. 40. 10 Vgl. Franz von K U T S C H E R A , Vernunft und Glaube, S. 260 f. nungen ein und abstrahiert die in ihnen vorherrschenden Gesetzmässigkeiten. Das Experiment dient dabei zur Verifizierung der abstrahierten Naturgesetze. Dabei verkennt der Szientismus jedoch, dass ohne vorhergehende, apriorische Zwecksetzung keine Experimente durchgeführt werden und keine Messdaten zustande kommen können. Denn die Messgeräte der naturwissenschaftlichen Experimente sind selbst nicht Gegenstand naturwissenschaftlicher Erfahrung, vielmehr müssen die Kriterien für ein gelungenes Experiment vorweg als gültig gesetzt werden. Der Szientismus baut auf der Anerkennung der jüngsten na‐ turwissenschaftlichen Lehren auf, setzt sie als gültig und kommt von da her zu einer nachträglichen Interpretation der Forschungsmethoden und -ergebnisse. Dass der Szientismus das Wahrheitsproblem damit durch den Glauben an die jeweils aktuellsten Methoden und Theorien als gelöst betrachtet, ist offen‐ kundig. Er deduziert die Grundlagen aus den als gültig geglaubten bzw. unter‐ stellten Ergebnissen, und nicht die Grundlagen aus den Ergebnissen. Was aber, wenn ein Seiendes kein Gegenstand der Naturwissenschaften ist und auch nicht dazu gemacht werden kann? Wie werden im Rahmen eines im‐ manenten oder szientistischen Weltbildes beispielsweise die objektiven Werte oder die Menschenwürde verstanden? Konsequenterweise gibt es in einem szi‐ entistisch geprägten Weltbild keine objektiven Werte, sind die Werte doch ge‐ rade kein Gegenstand der Naturwissenschaften. „Die Naturwissenschaften ver‐ zichten auf die Frage nach dem Sinn, sie haben ihn als eine überflüssige Kategorie aus ihrem Weltbild aussortiert.“ 9 Objektive Geltung haben in den Na‐ turwissenschaften nur Fakten. Was es gibt, sind nur subjektive Bewertungen, und die lassen sich aus den Anlagen, den Erfahrungen und den Lebensbedin‐ gungen des einzelnen Menschen erklären. Das Eintreten für die Menschenwürde und die Menschenrechte ist sicherlich einer der positivsten Züge unserer Zeit. Diese verlieren aber ihren Sinn, wenn es keine objektiven Werte gibt, wenn der Wert eines Menschen immer nur der Wert für ihn selbst ist. Und wenn die Aufklärung in der Abschaffung der Pflichten eine Befreiung gesehen hat und noch immer sieht, dann wird dabei übersehen, dass es ohne Pflichten auch keine Rechte gibt, denn das Recht einer Person einer anderen gegenüber ist ja nichts anderes als eine Pflicht der letzteren Person der ersteren gegenüber. 10 Das aber wird nur allzu gerne ausgeblendet! Die immanente Weltanschauung ist offensichtlich keine Frucht echt wissen‐ schaftlicher Erkenntnisse und der Szientismus allenfalls ein Programm für wei‐ tere Forschungen. Mit seinem methodischen Zugang und seinen wissenschafts‐ 1 Die immanente Weltanschauung und der Szientismus 23 <?page no="24"?> 11 Vgl. Jean-Paul S A R T R E , Das Sein und das Nichts, Vierter Teil, Erstes Kap., III., S. 955. theoretischen Prinzipien verfehlt der Szientismus aber gerade das, wofür der Mensch eigentlich und ursprünglich in die Welt des Wissens hinausgetreten ist, nämlich die grossen Fragen des menschlichen Daseins zu beantworten. Gerade diese Aufgabe aber haben die Naturwissenschaften bislang nicht erfüllt, ja können sie von ihrem methodischen Zugang her auch prinzipiell nicht erfüllen. Denn wie soll der Mensch im Rahmen einer immanenten Weltanschauung in befriedigender Weise verstanden werden, wenn er nur ein Produkt der biologi‐ schen und kulturellen Evolution ist, dessen Wesen bestimmt ist durch seine bi‐ ologischen Erbanlagen und sein kulturelles Lebensmilieu? Wie, wenn die Zu‐ kunft des Menschen sein Tod ist, er ganz der empirischen Natur angehört und keinerlei Anteil an einer Natur hat, die der Vergänglichkeit enthoben ist? Dessen Leben wohl ein Ende, aber kein Ziel und keinen Sinn hat, der sich seine Ziele vielmehr immer selbst setzen und über den Sinn selbst entscheiden muss, wie Jean-Paul Sartre (1905-1980) in seinem Hauptwerk Das Sein und das Nichts behauptet hat 11 , für den der Mensch zur Hoffnungslosigkeit verurteilt ist, weil alle menschlichen Tätigkeiten im Grunde äquivalent sind? In einer rein immanenten Weltsicht hat auch Gott keinen Platz, denn die Welt gilt nach diesem Denkmodell in Verbindung mit den neuesten (natur-)wissen‐ schaftlichen Erkenntnissen nicht als Schöpfung eines liebenden Gottes, sondern als Ergebnis eines Urknalls, das sich durch Mutation und Selektion immer weiter und immer höher entwickelt. Die radikalen Konsequenzen der Verabschiedung oder besser: der Abschaffung Gottes hat Friedrich Nietzsche (1844-1900) deut‐ lich gesehen und in der Geschichte vom tollen Menschen auf eindrückliche Weise geschildert: Habt ihr nicht von jenem tollen Menschen gehört, der am hellen Vormittage eine Laterne anzündete, auf den Markt lief und unaufhörlich schrie: ‚Ich suche Gott! Ich suche Gott! ‘ - Da dort gerade Viele von Denen zusammen standen, welche nicht an Gott glaubten, so erregte er ein grosses Gelächter. Ist er denn verloren gegangen? sagte der Eine. Hat er sich verlaufen wie ein Kind? sagte der Andere. Oder hält er sich versteckt? Fürchtet er sich vor uns? Ist er zu Schiff gegangen? ausgewandert? - so schrieen und lachten sie durcheinander. Der tolle Mensch sprang mitten unter sie und durchbohrte sie mit seinen Blicken. ‚Wohin ist Gott? ‘ rief er, ‚ich will es euch sagen! Wir haben ihn getödtet, - ihr und ich! Wir alle sind seine Mörder! Aber wie haben wir diess gemacht? Wie vermochten wir das Meer auszutrinken? Wer gab uns den Schwamm, um den ganzen Horizont wegzuwischen? Was thaten wir, als wir diese Erde von ihrer Sonne losketteten? Wohin bewegt sie sich nun? Wohin bewegen wir uns? Fort von allen Sonnen? Stürzen wir nicht fortwährend? Und rückwärts, seitwärts, 1 Die immanente Weltanschauung und der Szientismus 24 <?page no="25"?> 12 Friedrich N I E T Z S C H E , Die fröhliche Wissenschaft, Aphorismus 125, S. 141 f. 13 Vgl. D E R S ., Also sprach Zarathustra, Zweiter Teil, Von der Selbst-Überwindung, S. 117 f.; Vierter und letzter Teil, Vom höheren Menschen, S. 288. 14 Vgl. ebd., Erster Teil, Von tausend und einem Ziele, S. 62. vorwärts, nach allen Seiten? Giebt es noch ein Oben und Unten? Irren wir nicht wie durch ein unendliches Nichts? Haucht uns nicht der leere Raum an? Ist es nicht kälter geworden? Kommt nicht immerfort die Nacht und mehr Nacht? Müssen nicht La‐ ternen am Vormittage angezündet werden? Hören wir noch nichts von dem Lärm der Totengräber, welche Gott begraben? - auch Götter verwesen! Gott ist todt! Gott bleibt todt! Und wir haben ihn getödtet! Wie trösten wir uns, die Mörder aller Mörder? Das Heiligste und Mächtigste, was die Welt bisher besass, es ist unter unseren Messern verblutet, - wer wischt diess Blut von uns ab? Mit welchem Wasser könnten wir uns reinigen? Welche Sühnfeiern, welche heiligen Spiele werden wir erfinden müssen? Ist nicht die Grösse dieser That zu gross für uns? Müssen wir nicht selber zu Göttern werden, um nur ihrer würdig zu erscheinen? Es gab nie eine grössere That, - und wer nur immer nach uns geboren wird, gehört um dieser That willen in eine höhere Ge‐ schichte, als alle Geschichte bisher war! ‘ - Hier schwieg der tolle Mensch und sah wieder seine Zuhörer an: auch sie schwiegen und blickten befremdet auf ihn. Endlich warf er seine Laterne auf den Boden, dass sie in Stücke sprang und erlosch. ‚Ich komme zu früh, sagte er dann, ich bin noch nicht an der Zeit. Diess ungeheure Ereignis ist noch unterwegs und wandert, - es ist noch nicht bis zu den Ohren der Menschen gedrungen. Blitz und Donner brauchen Zeit, das Licht der Gestirne braucht Zeit, Thaten brauchen Zeit, auch nachdem sie gethan sind, um gesehen und gehört zu werden. Diese That ist ihnen immer noch ferner, als die fernsten Gestirne, - und doch haben sie dieselbe gethan! ‘ - Man erzählt noch, dass der tolle Mensch des selbigen Tages in verschiedene Kirchen eingedrungen sei und darin sein Requiem aeternam deo angestimmt habe. Hinausgeführt und zur Rede gesetzt, habe er immer nur diess entgegnet: ‚Was sind denn diese Kirchen noch, wenn sie nicht die Grüfte und Grab‐ mäler Gottes sind? ‘ 12 Nietzsches Versuch, die mit dem Tode Gottes eintretende Sinnlosigkeit zu über‐ winden, führte ihn in Also sprach Zarathustra zum Willen zur Macht und zum Übermenschen. 13 Doch führte auch sein Aufruf, die Menschen sollten selbst Werte in die Dinge legen und ihnen Sinn schaffen, nicht über den Nihilismus hinaus. 14 1 Die immanente Weltanschauung und der Szientismus 25 <?page no="26"?> 1 Vgl. Edmund H U S S E R L , Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzenden‐ tale Phänomenologie. Eine Einleitung in die phänomenologische Philosophie, S. 5 f. Bei dieser Schrift handelt es sich um Husserls letztes, unvollendetes Werk. 2 Ebd., S. 9. 3 Dem ersten Abschnitt seiner Krisis-Schrift verlieh Husserl den Titel: „Die Krisis der Wissenschaften als Ausdruck der radikalen Lebenskrisis des europäischen Menschen‐ tums“. 4 Vgl. Abraham H. M A S L O W , The Farther Reaches of Human Nature, Part. VII, 21., S. 269. 5 Vgl. ebd., Appendix D, S. 365 ff., siehe auch ebd., Part. VIII, 23., XXIV, S. 324. 2 Sinn und Transzendenz Wie Nietzsche und viele andere aufmerksame Beobachter des Wandels der Zeiten, so hatte auch Edmund Husserl (1859-1938) die Feststellung gemacht, dass die Ausschliesslichkeit, in der „sich in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts die ganze Weltanschauung des modernen Menschen von den positiven Wissen‐ schaften bestimmen“ und von dem ihr verdankten Wohlstand blenden liess, „ein gleichgültiges Sichabkehren von den Fragen [bedeutete], die für ein echtes Menschentum die entscheidenden“ und „die brennenden sind: die Fragen nach Sinn oder Sinnlosigkeit dieses ganzen menschlichen Daseins“. 1 Sie konkreti‐ sieren sich für Husserl in den Fragen nach der Erkenntnis, nach den Werten, nach der ethischen Handlung, nach der Freiheit, nach der Unsterblichkeit und schliesslich nach Gott, „der ‚absoluten‘ Vernunft als der teleologischen Quelle aller Vernunft in der Welt, des ‚Sinnes‘ der Welt“ 2 . Die Folgen dieser „Lebenskrisis“ 3 des modernen Menschen waren mit der Sinnlosigkeit ebenso angesprochen wie das Therapeutikum (gr. θεραπεύειν - heilen) mit den in die Transzendenz weisenden Fragen bezeichnet. Denn bereits in seiner 1971 posthum erschienenen Schrift The Farther Reaches of Human Na‐ ture erklärte der US -amerikanische Psychologe Abraham Maslow (1908-1970) das Bedürfnis nach Transzendenz zum höchsten menschlichen Bedürfnis. 4 Mit seiner sogenannten Bedürfnispyramide will er die Motivationen von Menschen beschreiben, wobei die verschiedenen Bedürfnisse die Stufen der Pyramide bilden. Nach diesem Modell müssen die grundlegenden Bedürfnisse befriedigt sein, bis die nächsthöheren befriedigt werden können. Von da her ist ihm das Bedürfnis nach Transzendenz ein Metabedürfnis, d. h. ein instinktives Streben nach Wachstum (growth motivation), 5 das hierarchisch geordnet auf die Befrie‐ digung der physiologischen Grundbedürfnisse (deficiency-needs wie Hunger, Durst etc.) und der übrigen Bedürfnisse (z. B. soziale oder kognitive Bedürfnisse) <?page no="27"?> 6 Zur hierarchischen Gliederung der Bedürfnisse vgl. ebd., Part. VIII, 23., XII-XV, S. 309-312. Die Grundbedürfnisse verhalten sich zu den Metabedürfnissen prepotent, die Metabedürfnisse zu den Grundbedürfnissen postpotent. 7 Vgl. ebd., Part. VIII, 23., XVIII, S. 315. 8 Ebd., Part. I, 2., S. 38. 9 Vgl. ebd., Part. VIII, 23., XXVIII, S. 328. Vgl. von demselben Autor auch Motivation und Persönlichkeit und Jeder Mensch ist ein Mystiker. Impulse für die seelische Ganzwerdung. 10 Vgl. Viktor E. F R A N K L , Der Mensch vor der Frage nach dem Sinn, Teil I, 1., S. 16. Vgl. von demselben Autor auch Das Leiden am sinnlosen Leben. Psychotherapie für heute. 11 Vgl. H U S S E R L , Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phä‐ nomenologie, S. 5 f. 12 F R A N K L , Der Mensch vor der Frage nach dem Sinn, Teil I, 19., S. 141. 13 Vgl ebd., S. 26. 14 Ebd., S. 226. 15 Ebd., S. 100. letztlich folgt. 6 Wenngleich er die Metabedürfnisse instinktiv nennt, sind es ihm doch eher Möglichkeiten als natürliche Aktualisierungen. 7 Ohne an dieser Stelle nun auf die gängige Kritik einzugehen, dass das Ver‐ langen nach dem ganz Anderen gerade auch dann auftreten kann, wenn die Grundbedürfnisse nicht befriedigt sind, sei Maslow an dieser Stelle vor allem wegen seiner Unterscheidung der sog. B-Werte angeführt. Als B-Werte versteht er die „intrinsic or ultimate values“ 8 . Neben der Wahrheit, der Güte, der Schön‐ heit, der Einheit u. a. rechnet er ihnen auch den Sinn bei. Sie alle werden wahr‐ genommen und nicht erfunden (perceived, not invented) und sind zudem in Be‐ schreibungen religiöser Erfahrungen eingegangen, was sie zu empirisch sinnvollen und nachprüfbaren Aussagen mache. 9 Diesem Ansatz folgte der Wiener Psychiater Viktor E. Frankl (1905-1997) in seiner Auseinandersetzung mit dem weltweit um sich greifenden Sinnlosig‐ keitsgefühl. 10 Zwar waren die Grundbedürfnisse der im Wohlstand lebenden Tatsachenmenschen 11 befriedigt, zwar konnten sie sich auch darüber hinaus Gehendes beschaffen und über einen Grossteil ihrer Zeit frei verfügen, dennoch aber litten sie „an einem abgründigen Sinnlosigkeitsgefühl, das mit einem Leere‐ gefühl vergesellschaftet ist“ 12 . Was nach Frankl darin begründet liegt, dass diesen beständig um die Verwirklichung des eigenen Selbst sich bemühenden Menschen die Aufgaben fehlen, an die sie sich hingeben können. Den sinnent‐ leerten Menschen fehlt das Ausgerichtet- oder Hingeordnetsein auf etwas oder jemanden, es mangelt ihnen an der Selbsttranszendenz. 13 Denn ohne sich selbst zu transzendieren, „sackt Existenz in sich selbst zusammen“ 14 . „Menschsein weist immer schon über sich selbst hinaus, und die Transzendenz ihrer selbst ist die Essenz menschlicher Existenz.“ 15 Bringt man diesen Sachverhalt in die Problemstellung mit ein, so verdeutlicht sich, dass der postmoderne Mensch 2 Sinn und Transzendenz 27 <?page no="28"?> 16 Zur Person und Lehre Viktor Frankls vgl. Alexander B A T T H Y A N Y , Mythos Frankl? Zur Geschichte der Logotherapie und Existenzanalyse 1925-1945. Ebenso Elisabeth L U K A S , Quellen sinnvollen Lebens. Woraus wir Kraft schöpfen können, sowie Alfred L ÄN G L E , Viktor Frankl. Eine Begegnung. 17 In empirischen Studien hat sich der positive Einfluss der Religion auf die Psyche wie‐ derholt gezeigt. Dieses Urteil erstreckt sich jedoch einzig auf die intrinsische, auf die aus eigenem innerem Antrieb erfolgende Religiosität, nicht aber auf die extrinsische, d. h. auf die von aussen angeregte Religiosität. Vgl. Raphael M. B O N E L L I , Religiosität in Psychiatrie und Psychotherapie. Nach Bonelli kann das auf Sigmund Freud zurückge‐ hende Vorurteil, „dass Religiosität generell einen negativen Einfluss auf die Psyche hat […] oder dass keine wissenschaftlichen Studien zeigen würden, dass Religion der seelischen Gesundheit zuträglich wäre, […] heute getrost als unwissenschaftlich und obsolet beiseitegeschoben werden“ ( D E R S ., Religiosität in der Psychiatrie - zum aktuellen Wissensstand, S. 92). Zur einschlägigen Literatur siehe ebd., S. 92-94. weder an der Sinnlosigkeit noch an einem Überangebot an Sinn leidet, sondern das Problem vielmehr in der Stellung wurzelt, die die betreffende Person zur Wirklichkeit einnimmt, die sie erfahren kann und zu beantworten eingeladen und gerufen ist. 16 Für Maslow beinhaltet das Bedürfnis nach Transzendenz die Suche nach einer Dimension, die das individuelle Selbst überschreitet oder ausserhalb des be‐ obachtbaren Systems liegt. Zu dieser Dimension ist die Religion insofern zu rechnen, als sie für die gelebte Beziehung des Menschen mit dem Transzen‐ denten steht. Selbst wenn die Religion an dieser Stelle nur als Möglichkeit ver‐ standen wird, selbst dann ist es unabweisbar, dass ein solches Verhältnis für den Menschen förderlich wäre. 17 Sei dies hinsichtlich der Antworten auf die ent‐ scheidenden Fragen (Husserl), sei dies im Sinne der Befriedigung der Bedürf‐ nisse nach Wachstum (Maslow), oder sei dies zur Findung und zur Stabilisierung des Lebenssinnes (Frankl). Die Religion scheint den Menschen also zumindest in potentia an seinem Lebensnerv zu treffen. Grund genug also, sich mit der Religion zu befassen und den Bedingungen nachzuspüren, die erfüllt sein 2 Sinn und Transzendenz 28 <?page no="29"?> 18 Das deutsche Wort „Religion“ wurde im 16. Jahrhundert aus dem lateinischen religio entlehnt. Die Etymologie von religio lässt sich allerdings nicht mit Sicherheit bis an seinen Ursprung zurückverfolgen, seine Herkunft ist „trotz aller Deutungsversuche unklar“ (Lemma „Religion“, in: Matthias W E R M K E u. a. (Hrsg.), „Duden. Etymologie der deutschen Sprache, S. 668). Ob das Wort religio vom lateinischen religare (zurückbinden) oder von relegere (sorgsam beachten) oder von einer anderen Wurzel herkommt, muss offen bleiben (vgl. Winfried L Ö F F L E R , Einführung in die Religionsphilosophie, 2.1, S. 11). Immerhin soviel darf als gesichert gelten, dass nämlich die frühesten Belege für diesen Begriff sich in den Komödien des Plautus (ca. 250-184 v. Chr.) und in den politischen Reden des Cato (234-149 v. Chr.) finden. Ebenso, dass die Rückführung von religio auf relegere auf Cicero (106-43 v. Chr. - De natura deorum, 2.72) und die Rückführung auf religare auf Lactantius (240-320 n. Chr. - Divinae institutiones, 4,28) zurückgeht. Was die Definition von Religion betrifft, so herrscht „weitgehende Einigkeit darüber, dass es keine allgemein akzeptierte Definition dessen gibt, was eine ‚Religion‘ ist, und dass auch die weitere Suche danach nicht sehr aussichtsreich ist“ (Löffler, Einführung in die Religionsphilosophie, 2.1, S. 11). Das vor allem deswegen, weil die Definitionsver‐ suche entweder zu weit oder zu eng gefasst sind. Im vorliegenden Rahmen wird eine allgemeine Definition aber auch gar nicht gesucht, da sich im Verlauf der vorliegenden Untersuchung von selbst immer wieder zeigen wird, dass die Religionsphilosophie Dietrich von Hildebrands sich am abendländischen Verständnis von Religion orientiert. 19 Vgl. Alfred North W H I T E H E A D , Prozess und Realität. Entwurf einer Kosmologie, Teil II, Kap. 1, Abschnitt 1, S. 91. 20 Vgl. P L A T O N , Gorgias, 506d. 21 Vgl. ebd., 506d-e. 22 Vgl. D E R S ., Politeia I, 353a-c. 23 Vgl. D E R S ., Alkibiades I, 135b. müssen, damit die Möglichkeit zu einer sinnerfüllten Wirklichkeit wird. 18 Von da her gilt das primäre Interesse nicht den Konsequenzen der Religion, diese werden von selbst in den Blick kommen, sondern der Sache selbst. Mit anderen Worten, die Religion interessiert weder als kulturelles Phänomen noch als Ur‐ sache für Krieg oder Frieden und dergleichen mehr, sondern einzig in indivi‐ dual-existentieller Hinsicht. Nicht erst die Moderne bzw. die Postmoderne hat im Übrigen die Frage nach dem Verhältnis von Transzendenz und Sinn gestellt. Da die ganze abendländi‐ sche Philosophie nach dem Urteil von Alfred North Whitehead (1861-1947) nur aus Fussnoten zu Platon (427-347 v. Chr.) besteht, ist es nicht verwunderlich, die Behandlung der Problematik bereits bei Platon zu finden. 19 Obgleich Platon den Terminus „Sinn“ nicht explizit verwendet hat, lässt sich die Sache nichts‐ destotrotz in der Bestform (ἀρετή) ausmachen. Wie jedes andere Seiende auch, 20 so hat auch der Mensch eine Bestform, die in der Ordnung (κόσμος, τάξις) be‐ steht 21 und zur jeweils eigentümlichen Leistung (ἔργον) befähigt. 22 Ein Strebeziel ist die Bestform insofern, als sie die Ursache des Glücks (εὐδαιμονία) ist. 23 Wobei Glück nicht, zumindest nicht ausschliesslich, im Sinne eines Gefühls zu ver‐ 2 Sinn und Transzendenz 29 <?page no="30"?> 24 Des vernünftigen, des begehrlichen und des zornmütigen, vgl. P L A T O N , Politeia IV, 437b-441c. 25 Zu diesen Merkmalen der Ideen vgl. Giovanni R E A L E , Zu einer neuen Interpretation Pla‐ tons. Eine Auslegung der Metaphysik der grossen Dialoge im Lichte der „ungeschriebenen Lehren“. stehen ist, sondern vor allem im Sinne des guten, gelingenden Lebens. Dieses aber erfolgt wesentlich über den Erwerb und den Besitz der ἀρετή. Die aretê des Menschen besteht in der Einheit seiner drei Seelenvermögen; 24 ein Zustand, der vermittels des Wissens erreicht wird. Nicht jedes beliebigen Wissens jedoch, sondern nur des Wissens um die transzendenten Ideen, welche in ihrer Absolutheit und Subsistenz, in ihrer Intelligibilität, Unkörperlichkeit und inneren Einheit die an ihr partizipierenden Dinge zu einer vereinheitlichten Vielheit gestalten. 25 Im Zuge ihrer Erkenntnis gleichen sich die drei Seelenver‐ mögen der erkannten Einheit an, was den betreffenden Menschen innerlich ordnet, in seine Bestform bringt und die Ursache eines glücklichen Lebens ist. In diesem Verhältnis stehen die Transzendenz und das Glück bzw. der Sinn nach dem Verständnis von Platon. Der Mensch befindet sich ihm nicht in einem unveränderlichen existentiellen Stand, auch dann nicht, wenn dieser aktuell im Unglück oder in der Sinnlosigkeit besteht. Durch den Zugang zur Transzendenz eröffnen sich ihm vielmehr höchst beglückende Möglichkeiten. 2 Sinn und Transzendenz 30 <?page no="31"?> 1 Vgl. P L A T O N , Politeia VII, 514a-518b. 2 Auf diese Art von Transzendenz bezieht sich Maslow mit der „Transcendence of ego, self, selfishness, ego-centering, etc., when we respond to the demand-character of ex‐ ternal tasks, causes, duties, resposibilities to others and to the world of reality“ (M A S L O W , The Farther Reaches of Human Nature, Part. VII, 21., S. 261). 3 Zu diesen Unterscheidungen vgl. Josef S E I F E R T , Erkenntnis objektiver Wahrheit. Die Transzendenz des Menschen in der Erkenntnis, Einleitung, S. 29-37. 3 Die verschiedenen Bedeutungen von „Transzendenz“ Das angemessene Befassen mit der Religion setzt die Klärung des Begriffs der Transzendenz voraus. Die Notwendigkeit dieses Unterfangens zeigte sich al‐ leine schon an der äquivoken Verwendung dieses Terminus. Denn ob von einem Bedürfnis nach der Transzendenz oder von der Selbsttranszendenz die Rede ist, beide Male bedeutet Transzendenz offensichtlich nicht dasselbe. Und nicht als hätte es mit diesen zwei - noch zu klärenden - Bedeutungen sein Bewenden, Transzendenz kann auch noch anderes bedeuten. Das Wort „Transzendenz“ kommt aus dem Lateinischen (transcendere) und weist seinem Wortsinne nach auf ein Hinübersteigen, Übersteigen oder Übertreten hin. Damit verweist es auf eine Grenze, die überstiegen wird, um in eine jenseits liegende Wirklichkeit zu gelangen. Dann kann es aber auch den personalen Akt des Übersteigens selbst bedeuten, mit dem eine Grenze bewusst überschritten wird. In seinem Höhlen‐ gleichnis hat Platon ein solches Übersteigen anschaulich beschrieben als ein Übersteigen der Grenze, die das Sinnliche vom Intelligiblen und das Meinen vom Erkennen trennt. 1 Im Sinne eines bewussten Aktes der Person kann das Über‐ steigen einer Grenze in den verschiedensten Weisen zur Realität werden. Bei‐ spielsweise durch das Übersteigen der in der eigenen Person errichteten Grenz‐ mauern des Hedonismus durch das Erteilen einer Antwort, wie sie dem Gegenüber um seiner selbst willen gebührt. 2 Schliesslich kommt der Transzen‐ denz noch eine weitere Bedeutung zu. Nicht mehr bedeutet es das personale Übersteigen einer Grenze, sondern nun kommt ihm die Bedeutung der objek‐ tiven Tatsache zu, dass jenseits der Grenze eine andere Wirklichkeit ist. In diesem Sinne kann etwa davon gesprochen werden, dass Gott der Welt trans‐ zendent ist. Als transzendent kann aber auch all das bezeichnet werden, was dem Menschen in seiner Erfahrungswelt prinzipiell nicht gegeben ist. 3 Aufgrund dieser Klärungen des Begriffs der Transzendenz lässt sich nun auch ermessen, in welchem Sinne Husserl, Maslow und Frankl sich auf die Trans‐ <?page no="32"?> 4 In seiner Schrift The Farther Reaches of Human Nature, Part. VII, 21., S. 259-269, hat Maslow nicht nur die Transzendenz in diesem Sinne unterschieden. Er benennt insge‐ samt 35 Arten von Transzendenz, die alle anzuführen an dieser Stelle jedoch nicht nötig ist, da die wesentlichen Züge in den obigen Ausführungen enthalten sind. Nur einige der wichtigsten Arten, die oben noch nicht explizit genannt wurden, seien hier erwähnt: 1. die Transzendenz von Raum und Zeit; 2. die Transzendenz mystischer Erfahrungen, wie sie von religiösen Mystikern beschrieben werden; 3. die Transzendenz von Glie‐ derungen zu übergeordneten Ganzheiten, so z. B. in der platonischen Zusammenschau (σύνοψις) des Vielen in der je einen Idee; 4. die Transzendenz der eigenen Überzeu‐ gungen, auf dass ein fruchtbarer und konstruktiver Dialog statthaben kann. zendenz beziehen. Während Husserl die Fragen nach der Erkenntnis, den Werten, der ethischen Handlung, der Freiheit, der Unsterblichkeit und nach Gott thematisiert, zu deren Beantwortung die Grenze des Hier und Jetzt in einem personalen Akt transzendiert werden muss, so bedeutet die Transzendenz im Sinne von Maslows höchstem menschlichen Bedürfnis ein Verlangen nach einer Wirklichkeit, die jenseits dieser Welt liegt. 4 Frankl verwendet den Terminus Transzendenz wieder im Sinne eines personalen Aktes, demgemäss ihm Trans‐ zendenz das Übersteigen der Intention nach Selbstverwirklichung durch die Hingabe des eigenen Selbst bedeutet. In welcher Bedeutung wird nun von der Transzendenz in Sachen der Religion gesprochen? Im Sinne einer gelebten Beziehung des Menschen zu einem trans‐ zendenten Gott, einer Beziehung über die Grenze zwischen Diesseits und Jen‐ seits hinweg? Doch geht die Initiative vom Menschen aus, ist er es, der sich transzendiert, oder transzendiert sich das Transzendente in die Welt des Men‐ schen? Oder steht die Religion letztlich für einen wechselseitigen Prozess über die Grenze der Transzendenz hinweg? Die Antworten auf diese Fragen stehen verständlicherweise nicht am Beginn der Arbeit. Ob sie zu verneinen oder zu bejahen sind, und wenn zu bejahen, in welchem Sinne, hat der Untersuchungs‐ verlauf zu erweisen. 3 Die verschiedenen Bedeutungen von „Transzendenz“ 32 <?page no="33"?> 1 Für Informationen über Leben und Werk Dietrich von Hildebrands siehe etwa: Alice von H I L D E B R A N D , Die Seele eines Löwen: Dietrich von Hildebrand. Karla M E R T E N S , Hin‐ weise auf Dietrich v. Hildebrands ethisches Werk. Karl S C H U H M A N N , Husserl und Hilde‐ brand. D E R S ., Edmund Husserls Urteil über Hildebrands Doktorarbeit. John F. C R O S B Y , The Philosophical Achievement of Dietrich von Hildebrand. Josef S E I F E R T , Dietrich von Hildebrand (1889-1977) und seine Schule. D E R S ., Hinführung zu Dietrich von Hilde‐ brand. Jules van S C H A I J I K (Ed.), The Dietrich von Hildebrand LifeGuide. Für weitere In‐ formationen sei auf das Literaturverzeichnis verwiesen, wo sich in einer eigenen Ka‐ tegorie verschiedene Beiträge zu von Hildebrands Leben und Werk finden, die hier nicht angeführt werden. 2 Erschienen in: Dietrich von H I L D E B R A N D , Die Menschheit am Scheideweg, S. 481-495. 3 In einer „ganz liberalen und eher pantheistischen Umgebung“ aufgewachsen (vgl. D E R S ., Selbstdarstellung, S. 106), konvertierte Dietrich von Hildebrand an Ostern 1914 von der protestantischen zur katholischen Kirche. „Es war ein langsamer Prozess, der sich von 1907 bis 1914 hinzog“, bei dem vor allem auch Max Scheler „eine grosse Rolle“ spielte (vgl. ebd., S. 106 f.). 4 Das Thema der Arbeit Sich mit allen, ja nur schon mit mehreren religiösen Richtungen und Phäno‐ menen auseinanderzusetzen, würde den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen. Deswegen ist die Konzentrierung auf eine bestimmte Religion ange‐ zeigt. Wenn der Entscheid zugunsten der christlichen Religion ausfällt, dann deswegen, weil die in ihr vertretenen religiösen Überzeugungen von Anfang an auf die philosophische Waagschale gelegt wurden und sich mit dem Begriff des Theismus eine philosophisch handhabbare Position herausgebildet hat. Mit Theismus ist die Position bezeichnet, nach der ein Gott (gr. θεός, lat. deus) exis‐ tiert, der Person ist, der allmächtig, allwissend, allgütig, allgegenwärtig und dieser Welt transzendent ist und dennoch am Geschehen in dieser Welt Anteil und auf geheimnisvolle Weise Einfluss darauf nimmt. Aufgabe der Religionsphilosophie ist dabei die Herausarbeitung der (Un-)Ver‐ nünftigkeit der Religion. Der Bewältigung dieser Aufgabe werden im Rahmen der vorliegenden Untersuchung die einschlägigen Werke des Philosophen Diet‐ rich von Hildebrand 1 (1889-1977) zugrunde gelegt, von dem in punkto Religion Bedeutendes erwartet werden darf. Denn bereits sein im Jahre 1919 verfasster Aufsatz über Die neue Welt des Christentums 2 - sein erster Artikel nach seiner Habilitation - enthält im Kerne alle seine grossen religiösen Einsichten, die sich in entfalteter Form auch in seinen späteren Werken finden. Wie religiös er war, 3 zeigt sich quer durch sein Oeuvre. Fast jede Schrift hat einen expliziten, <?page no="34"?> 4 Dietrich von H I L D E B R A N D , Religion und Sittlichkeit, S. 103. 5 Ebd. 6 D E R S ., Moralia, 23. Kap., S. 239. 7 D E R S , Das Wesen der Liebe, Kap. IX, S. 284. Vgl. auch D E R S , Christliche Ethik, 17. Kap., S. 262. 8 D E R S , Wahre Sittlichkeit und Situationsethik, 11. Kap.: Christliche Moral, S. 160. zumindest aber einen impliziten Zug zur religiösen Sphäre. Religion bzw. religio versteht er „als Inbegriff der uns von dem persönlichen Gott positiv geoffen‐ barten Wahrheiten und als das auf einer solchen positiven Offenbarung beru‐ hende Verhältnis des Menschen zu Gott“ 4 . Zudem spricht er von der „lebendigen Verbindung mit eben diesem Gott“ 5 oder schlicht von der „Bindung an Gott“ 6 . Überdies sogar vom „Dialog mit Gott“ 7 oder vom „Mysterium des Zwiegesprächs zwischen Geschöpf und Schöpfer“ 8 . Was darunter verstanden sein will, muss aus seinen Schriften im Einzelnen herausgearbeitet und zu einem Ganzen zusammengefügt werden. Die Proble‐ matik zeigt sich alleine schon an der Bindung an Gott: Wie stellt sich diese Bindung dar? Wie ist die Bindung des endlichen und unvollkommenen Men‐ schen an Gott überhaupt zu denken? Ja, wie ist Gott eigentlich seinem Wesen nach, und vor allem, kommt Gott überhaupt eine objektive Seinsweise zu oder ist Ludwig Feuerbach beizupflichten, der behauptete, der Mensch selbst sei der Seinsgrund Gottes? Über alle diese Fragen kann allerdings nur unter der Vo‐ raussetzung ernsthaft diskutiert werden, dass der Mensch überhaupt in der Lage ist, den Bereich des Empirischen zu transzendieren und Erkenntnisse zu er‐ langen, deren objektive Korrelate dem Bereich des Transempirischen oder Me‐ taphysischen zugehören. Nur unter dieser Voraussetzung kann im Sinne einer streng wissenschaftlichen Philosophie von Gott wie auch von einer Bindung des Menschen an ihn gesprochen werden. 4 Das Thema der Arbeit 34 <?page no="35"?> 1 Vor Anselm sprach schon Augustinus von einem crede ut intellegas. Vgl. dazu den Ar‐ tikel Crede ut intellegas von Eugene T E S E L L E im Augustinus-Lexikon, Vol. 2, Sp. 116-119, wo neben den Quellen auch die einschlägige Literatur verzeichnet ist. 2 Zu den gegenseitigen Beziehungen von Glaube und Vernunft vgl. unten auch II, 5.2.3 - „Das Ineinander von Philosophie und Religion“. 3 Aurelius A U G U S T I N U S , De vera religione, 26 (CCSL 32, S. 193). Zit. nach D E R S ., De vera religione - Über die wahre Religion, S. 19. 5 Forschungsziel und Methode Da die absolute Wahrheit in von Hildebrands Weltanschauung einen archime‐ dischen Punkt einnahm und er ihre Erkennbarkeit auch zu begründen wusste, wird in dieser Arbeit zugesehen, ob und wenn ja, inwiefern die Religion Ge‐ genstand philosophischen Erkennens ist und damit als vernünftig erwiesen werden kann. Damit unterscheidet sich die Religionsphilosophie von der Reli‐ gionspsychologie, die in einem empirischen Verfahren nur die religiösen Akte im Menschen betrachtet und dabei von ihrem Objekt und dessen Wahrheit ab‐ sieht. Ist von Hildebrand mit einem Sachverhalt aus dem Bereich der Religion konfrontiert, der dem ersten Anschein nach philosophisch nicht erkannt werden kann, so wählt er, falls der Sachverhalt nicht widersprüchlich, sondern sinnvoll ist, die Methode Anselms von CanterburyAnselm von Canterbury: er glaubt, um zu verstehen (fides quaerens intellectum). 1 Diese Maxime ist allerdings nicht im Sinne des Fideismus zu verstehen, demgemäss ein rational nicht begründbarer Glaube als Ausgangspunkt des Philosophierens zu wählen und als letzte Instanz für philosophisches Erkennen zu befürworten ist. Denn der religiöse Glaube beruht bereits selbst auf philosophischen Voraussetzungen und Erkenntnissen, die dem religiösen Glauben vorgeordnet und - trotz vieler gegenseitiger Bezie‐ hungen 2 - von ihm unabhängig sind. Der Glaube wird in dieser Untersuchung jedenfalls nicht im Sinne eines heuristischen Prinzips zu einem Hilfsmittel re‐ duziert, um gewisse Sachverhalte besser verstehen zu können. Dies muss bei der Analyse des Denkens von Hildebrands genauso beachtet werden wie bei einem Augustinus, der sagte, „dass Philosophie, das heisst Weisheitsstreben, und Religion nicht voneinander verschieden sind“ 3 . Ähnliche Stellen finden sich auch bei einem Bonaventura, einem Thomas von Aquin und bei vielen anderen. Unter der Voraussetzung der Antwort des Glaubens an den sich offenbarenden Gott sucht von Hildebrand die den Menschen geoffenbarten Wahrheiten nach Möglichkeit zu verstehen und gewisse in ihnen gründende Sachverhalte philo‐ <?page no="36"?> 4 Vgl. Dietrich von H I L D E B R A N D , Metaphysik der Gemeinschaft. Untersuchungen über Wesen und Wert der Gemeinschaft, Einleitung, S. 13. 5 Die Frage, was „Realistische Phänomenologie“ eigentlich ist, wird im nächsten Punkt wieder aufgenommen und zu beantworten gesucht werden; vgl. Einleitung, 6 - „Was ist ‚Realistische Phänomenologie‘? “. Von Hildebrands epistemologische Hauptschrift wird im Anschluss daran analysiert; vgl. Einleitung, 7 - „Von Hildebrands Was ist Phi‐ losophie? als grundlegende Schrift zur Methode der Realistischen Phänomenologie und die Frage nach der Originalität seines Beitrags“. Zur historischen Einordnung vgl. Her‐ bert S P I E G E L B E R G , The Phenomenological Movement. A Historical Introduction. Bd. I, Part Two, IV, The Older Phenomenological Movement, S. 168-227. 6 Vgl. Alexander P F ÄN D E R , Logik, I. Abschnitt, III. Kap., 2., S. 46. 7 Vgl. Friedrich S C H L E I E R M A C H E R , Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern, S. 22-74. sophisch zu erkennen. Immer aber bleibt zu beachten, dass die Einsicht in das Verhalten einer gegebenen Sache, nach der die Philosophie letztlich strebt, eines Beweises weder fähig noch bedürftig ist. Von Hildebrand bezeichnet es im Üb‐ rigen selbst als „höchst ‚unwissenschaftlich‘“, „ein Buch für unphilosophisch zu halten, weil in ihm der Name Christi genannt wird, statt unbefangen zu fragen, was in dem Buch an echt philosophischer Einsicht enthalten sei, und darauf zu merken, in welchem Sinn auf das Übernatürliche Bezug genommen wird“. 4 Unter Zugrundelegung der realistisch phänomenologischen Methode, wie von Hildebrand sie vor allem im vierten Kapitel seiner epistemologischen Hauptschrift Was ist Philosophie? schriftlich fixiert hat, kann insofern ein absolut gewisses Erkennen eines gegebenen Sachverhalts erwartet werden, als es sich um einen Sachverhalt handelt, der in notwendigen Gegenständen oder Wesen‐ heiten fundiert ist. 5 Wie aber liegen die Dinge beim Relationssachverhalt 6 des Verhaltens des Menschen zu Gott oder Gottes zum Menschen? Bietet die Rela‐ tion zwischen Mensch und Gott die epistemologische Möglichkeit, gewisse Züge mit absoluter Gewissheit erkennen zu können? Das muss sich erweisen … Wobei dies freilich, wie bereits an dieser Stelle festgehalten werden kann, in erster Linie davon abhängt, ob der Mensch die objektive Wahrheit erkennen und sich und seine Welt transzendieren kann, wie auch, ob Gottes objektive Existenz sich überhaupt begründen lässt. Was sodann die Auffassung betrifft, dass die Religion sich von der Metaphysik und der Moral lösen müsse, so wird dieser Arbeit grundgelegt, dass Metaphysik und Moral der Religion nicht untergeordnet sind, wie Friedrich Schleiermacher behauptete, 7 sondern mit dem Gottesbegriff so wesentlich verbunden sind, dass Gott, wenn überhaupt, nur durch sie in philosophischer Weise verstanden 5 Forschungsziel und Methode 36 <?page no="37"?> 8 Der Erste, der das Verhältnis zwischen Moral und Religion ausdrücklich problemati‐ sierte, war Platon. Die zentrale Frage geht dahin, „ob wohl das Fromme, weil es fromm ist, von den Göttern geliebt wird, oder ob es, weil es geliebt wird, fromm ist? “ (P L A T O N , Eutyphron, 10a2-3). Mit anderen Worten: Ist eine Handlung gut, weil sie geboten ist, oder ist sie geboten, weil sie gut ist? 9 Vgl. Immanuel K A N T , Die Religion innerhalb der Grenzen der blossen Vernunft, S. 210. 10 Ebd., S. 206. 11 John Henry N E W M A N , Philosophie des Glaubens (Grammar of Assent), V. Kap., § 1, S. 83. 12 Ebd., S. 84. werden kann. 8 Analoges gilt von der Religion als Bindung an Gott, auch sie - wie gezeigt werden wird - kann nur auf dem Fundament von Metaphysik und Moral als vernünftig ausgewiesen werden. Dazu kommt, dass Metaphysik und Moral die Gegenstandsbereiche zweier Geistesvermögen des Menschen be‐ zeichnen, nämlich des Intellekts und des Willens. Wenn sie zugunsten des Ge‐ fühls von der Religion ausgeschlossen werden, wie Schleiermacher dies tut, dann betrifft sie den Menschen nicht als Ganzen. Desgleichen, wenn Immanuel Kant die Religion gänzlich auf der Vernunft gründen lässt 9 und die Religion als „Erkenntnis aller unserer Pflichten als göttlicher Gebote“ 10 definiert. Auch dann ist der Mensch nicht als ganzer betroffen. Doch was ist die Grundlage der Religion im Menschen? Von Hildebrand leitet der augustinische Gedanke von der Komplexität des menschlichen Geistes, der eine Einheit bildet aus Vernunft, Wille und Gedächtnis, bzw. Liebe. Augustinus vollbrachte auf dieser Grundlage einen bedeutenden religionsphilosophischen Beitrag, indem er die religiöse Überzeugung von der Trinität Gottes auf der Basis des Menschen als trinitarisch strukturiertem Abbild Gottes als vernünftig aus‐ zuweisen suchte. Wenn in diesem Sinne von der Vernünftigkeit gesprochen wird, dann sind auch die übrigen Geistesvermögen mitgemeint. Denn „ver‐ nünftig“ wird der Mensch nicht alleine durch seinen Intellekt, sondern ver‐ nünftig ist er als ganzer, unter Einbezug aller seiner geistigen Vermögen. Gegenüber Kant und Schleiermacher nimmt John Henry Newman mit seinem Sowohl-als-Auch eine Mittelstellung ein. Nach ihm ist die Religion weder eine blosse Frage der Vernunft noch der Gefühle. Am Beispiel der Zustimmung zur objektiven Existenz Gottes zeigt er den Unterschied auf zwischen der begriffli‐ chen und der realen Zustimmung. Wenn ein theistischer Theologe beispiels‐ weise von Gott spricht, dann handelt es sich bei seiner Zustimmung zu dieser Wahrheit um eine begriffliche. 11 Um eine Zustimmung also, die die Folge be‐ stimmter Folgerungen und intellektueller Überlegungen ist. Newman ist es aber vor allem um die Frage zu tun, ob es nicht noch eine lebhaftere Zustimmung zum Sein Gottes gibt, als die mit Begriffen operierende: „Kann ich glauben, als ob ich sähe? “ 12 Eine solche Zustimmung, darüber ist er sich im Klaren, bedingt 5 Forschungsziel und Methode 37 <?page no="38"?> 13 Ebd. 14 Ebd., S. 90. 15 Vgl. ebd., S. 91. 16 Vgl. ebd., S. 100 f. „eine gegenwärtige Erfahrung oder eine Erinnerung an das Faktum“ 13 . Doch da niemand in diesem Leben Gott sehen kann, bleibt die Frage: Ist eine reale Zu‐ stimmung überhaupt möglich? Newman selbst erachtet die Erfahrbarkeit Gottes als möglich, und zwar durch das Gewissen. Denn das Gefühl des Gewissens ist ein doppeltes, es ist einerseits ein sittliches Gefühl (moral sense), andererseits ein Gefühl der Pflicht (sense of duty). Und gerade dieses Gefühl der Pflicht im‐ pliziert einen höchsten Richter, „dem wir verantwortlich sind“ 14 . Da die Ursa‐ chen der Gemütsbewegungen des Phänomens des Gewissens nicht dieser sicht‐ baren Welt angehören, muss der Gegenstand, auf den die Wahrnehmung gerichtet ist, übernatürlich und göttlich sein. 15 Damit hat Newman nicht nur ein Argument für die Erfahrbarkeit Gottes bei‐ gebracht, mit der Unterscheidung zwischen der begrifflichen und der realen Zustimmung hat er überdies den Unterschied zwischen der Theologie und der Religion begründet. Während die Theologie als Wissenschaft es nämlich mit den Begriffen zu tun hat, gründet die Religion auf Erfahrungen. Weswegen die Theologie prinzipiell auch ohne die Religion bestehen kann, nicht aber die Re‐ ligion ohne die Theologie, denn wenn die entsprechenden Erfahrungen fehlen, wird auf den Intellekt und die gesunde und bewährte Lehre zurückgegriffen. 16 Die religiösen Überzeugungen, die aufgrund bestimmter Erfahrungen oder im Zuge des Rückgriffs auf die überlieferte Lehre entstehen, auf ihre Vernünftigkeit hin zu prüfen, ist Aufgabe der Religionsphilosophie. Das Forschungsziel besteht in diesem Rahmen schliesslich im Aufweis der Religion als einem Dialog zwischen Mensch und Gott. Kann von diesem Dialog erwartet werden, dass er die entscheidenden Fragen des Menschen zu beant‐ worten, sein Bedürfnis nach Transzendenz zu befriedigen und sein Leben sinn‐ voll zu gestalten vermag? Um diese Frage beantworten zu können, ist es ange‐ zeigt, dass in einem ersten Schritt die Möglichkeit der Erlangung transzendenter Erkenntnisse begründet wird. Eine Aufgabe, die in wesentlichen Stücken in der Überwindung des Immanentismus und Subjektivismus Kantscher Prägung be‐ steht, wobei auch der Erfahrung Rechnung zu tragen sein wird (vgl. Abschnitt I). Im Anschluss sei geprüft, wie es um die Erkenntnis Gottes und die dagegen erhobenen Einwände bestellt ist (vgl. Abschnitt II ), um sodann das Wesen und die Gottfähigkeit des Menschen zu besprechen (Abschnitt III ), sie daraufhin als mit Leben gefüllte Realität zu untersuchen und schliesslich die religiösen Aus‐ sagen und Überzeugungen betreffend den Zustand nach dem irdischen Tod 5 Forschungsziel und Methode 38 <?page no="39"?> kognitiv zu deuten und auf ihre Vernünftigkeit hin zu erörtern (Abschnitt IV ). Was alles, wie gesagt, auf der Grundlage der philosophischen Einsichten Diet‐ rich von Hildebrands unternommen wird. In die Diskussion werden dabei solch namhafte Denker einbezogen wie Thomas von Aquin, Immanuel Kant, Ludwig Feuerbach, Friedrich Nietzsche oder Max Scheler, um hier nur einige zu nennen. Bezüglich der Gliederung der vorliegenden Untersuchung und des prakti‐ schen Umgangs mit ihr sei an dieser Stelle noch vermerkt, dass am Ende eines jeden Abschnitts die wichtigsten Ergebnisse zusammengefasst werden, was den Zugang zu den interessierenden Argumentationsgängen erleichtern soll. Die verwendeten Werke Dietrich von Hildebrands werden zu Beginn des Literatur‐ verzeichnisses angeführt. Im Hauptteil der Bibliographie finden sich - nach den einzelnen Abschnitten gegliedert - die Quellen und die verwendete Literatur verzeichnet. 5 Forschungsziel und Methode 39 <?page no="40"?> 1 Karl-Heinz L E M B E C K , Einführung in die phänomenologische Philosophie, S. 5. 2 Vgl. Franz B R E N T A N O , Psychologie vom empirischen Standpunkt; Vom Ursprung sittlicher Erkenntnis; Von der mannigfachen Bedeutung des Seienden nach Aristoteles. 3 Zu Franz Brentanos „deskriptiver Psychologie“ vgl. S P I E G E L B E R G , The Phenomenological Movement, Bd. I, S. 36-38. 4 Vgl. etwa Edmund H U S S E R L , Logische Untersuchungen, Untersuchungen zur Phänome‐ nologie und Theorie der Erkenntnis, II / 1, LU V, § 2, S. 348. 5 Zur phänomenologischen Bewegung vgl. insgesamt das grundlegende Werk von S P I E‐ G E L B E R G , The Phenomenological Movement. 6 Was ist „Realistische Phänomenologie“? Der im letzten Punkt eingebrachte Begriff der Realistischen Phänomenologie bedarf ebenso einer Klärung wie von Hildebrands Schrift Was ist Philosophie? einer Offenlegung des intendierten Ziels und der Mittel, mit dessen Hilfe das Ziel erreicht werden soll. Der Begriff der Realistischen Phänomenologie wird in diesem, von Hildebrands Was ist Philosophie? im nächsten Punkt thematisiert werden. Bei der Besprechung der epistemologischen Hauptschrift von Hilde‐ brands bleibt abschliessend zu prüfen, ob, und wenn ja, inwiefern er das ge‐ steckte Ziel auch tatsächlich erreicht hat. Die Verwendung des Begriffs „Phänomenologie“ reicht bis ins 18. Jahrhundert zurück. „Das Adjektiv ‚phänomenologisch‘ taucht nachweislich schon 1762 bei dem schwäbischen Theosophen Friedrich Chr. Oetinger (1701-1782) auf. Als Substantiv wird das Wort zur selben Zeit von Johann Heinr. Lambert (1728-1777) verwendet.“ 1 Dem Wortsinn nach (gr. φαινόμενον - Erscheinung; λόγος - Wort, Lehre) steht „Phänomenologie“ für die Lehre von den Erschei‐ nungen bzw. von den Erfahrungen. Und da die Erfahrungen ihren Ursprung in dem erfahrenden Bewusstsein haben, lag es nahe, die Philosophie mit Franz Brentano 2 (1838-1917) als deskriptive Psychologie zu definieren. 3 Durch die Vermittlung seines Wiener Lehrers Brentano, kam das Verständnis der Philo‐ sophie als deskriptiver Psychologie schliesslich auch auf Edmund Husserl, der es ohne Vorbehalte übernahm. 4 6.1 Die Vorboten des phänomenologischen Realismus Wenngleich Edmund Husserl als Begründer der phänomenologischen Bewe‐ gung gilt, 5 so dürfen die vorhusserlianischen Wurzeln dieser Bewegung den‐ <?page no="41"?> 6 Johann Peter E C K E R M A N N , Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens, Mittwoch, den 18. Februar 1829, S. 298. 7 Vgl. Bernard B O L Z A N O , Grundlegung der Logik. 8 Zu dieser Auflistung der Vorläufer der realistischen Phänomenologie vgl. Josef S E I‐ F E R T , Cheikh Mbacké G U E Y E (Hrsg.), Anthologie der realistischen Phänomenologie, Teil I, S. 63-116. In dieser Schrift wird zudem noch Wladimir Solowjew zur Gruppe der Vor‐ läufer gerechnet. Zu Franz Brentano als Forerunner of the Phenomenological Move‐ ment vgl. S P I E G E L B E R G , The Phenomenological Movement, Bd. I, S. 27-52. 9 Max S C H E L E R , Die transzendentale und die psychologische Methode. Eine grundsätzliche Erörterung zur philosophischen Methodik. 10 Vgl. etwa Adolf R E I N A C H , Über Phänomenologie noch nicht übersehen werden. Auf dem von Platon, Aristoteles und Augustinus gelegten Fundament ist auch Johann Wolfgang von Goethe mit seinem Ausdruck „Urphänomen“ zu den Vorläufern der Realistischen Phänomenologie zu rechnen. In seinen Gesprächen mit Johann Peter Eckermann eröffnet er ihm am 18. Februar 1829 das Verständnis dieses Begriffs: Das Höchste, wozu der Mensch gelangen kann, ist das Erstaunen, und wenn das Urphänomen ihn in Erstaunen setzt, so sei er zufrieden; ein Höheres kann es ihm nicht gewähren, und ein Weiteres soll er nicht dahinter suchen; hier ist die Grenze. Aber den Menschen ist der Anblick eines Urphänomens gewöhnlich nicht genug, sie denken, es müsse noch weiter gehen, und sie sind den Kindern ähnlich, die, wenn sie in einen Spiegel geguckt, ihn sogleich umwenden, um zu sehen, was auf der anderen Seite ist. 6 Husserl hatte aber auch noch andere bedeutende Vorläufer. So den Prager Phi‐ losophen Bernard Bolzano 7 (1781-1848), dessen logischer Objektivismus einen grossen Einfluss auf Husserls Logische Untersuchungen ausgeübt hat, und vor allem den bereits erwähnten Franz Brentano. 8 Noch vor Husserl entwickelte auch Max Scheler in seiner 1899 erschienenen Habilitationsschrift Die trans‐ zendentale und die psychologische Methode. Eine grundsätzliche Erörterung zur philosophischen Methodik ganz ähnliche Gedanken. 9 Mit ihm kommt auch Ale‐ xander Pfänder (1870-1941) mit seiner 1900 erstmals erschienenen Phänome‐ nologie des Wollens. Motive und Motivation als gleichzeitiger Mitbegründer der Phänomenologie in Betracht. Nicht zu verschweigen ist auch der Einfluss von Adolf Reinach (1883-1917), der, obzwar zu der Zeit Husserls Schüler, als eigent‐ licher Begründer des phänomenologischen Objektivismus angesehen werden muss. 10 Reinach hatte einen grossen Einfluss auf die jüngeren Phänomenologen, zu denen neben Alexandre Koiré (1892-1964) und Edith Stein (1891-1942) u. a. auch Dietrich von Hildebrand gehörte. 6.1 Die Vorboten des phänomenologischen Realismus 41 <?page no="42"?> 11 Vgl. L E M B E C K , Einführung in die phänomenologische Philosophie, S. 95. 12 Vgl. Fritz W E N I S C H , Die Philosophie und ihre Methode. 13 Vgl. Josef S E I F E R T , Die Bedeutung von Husserls Logischen Untersuchungen für die reali‐ stische Phänomenologie - und die Kritik realistischer Phänomenologen an einigen Hus‐ serl’schen Thesen, S. 3. Diese Schrift vom Oktober 2001 wurde in gekürzter Form als Vortrag an der Internationalen Akademie für Philosophie im Fürstentum Liechtenstein, Campus Gaflei, gehalten. Mittlerweile ist sie im Internet abrufbar unter www.academia.edu. 14 Vgl. Balduin S C H W A R Z , Wahrheit, Irrtum und Verirrungen. Die sechs grossen Krisen und sieben Ausfahrten der abendländischen Philosophie. 15 H U S S E R L , Logische Untersuchungen, I, Prolegomena zur reinen Logik, Einleitung, § 3, S. 8. 16 Zur Methode der realistischen Phänomenologie vgl. auch Josef S E I F E R T , Discours des Méthodes. The Methods of Philosophy and Realist Phenomenology. Nach der Publikation von Husserls Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie im Jahre 1913 nahmen verschiedene Phänome‐ nologen allerdings eine kritische Haltung zu Husserls neuen Theorien und seiner Wende zum transzendentalen Idealismus ein. Eine Gruppe von Phäno‐ menologen blieb Husserls Frühwerk und seinen Logischen Untersuchungen ver‐ bunden. Nachdem diese Richtung einst als Kreis der Göttinger und Münchener Phänomenologen bezeichnet wurde, 11 hatte Josef Seifert den Terminus Realisti‐ sche Phänomenologie eingeführt, um die historischen Bezeichnungen, die irre‐ führend sein können, und die esoterischen Bezeichnungen Chreontologie und chreontische Philosophie 12 mit einem sachlich angemesseneren Ausdruck zu überholen. 13 Der phänomenologische Realismus ist nicht eine Philosophie, deren Gegenstände sich aus einer Setzung oder Konstruktion ergeben. Sie ver‐ steht die Wirklichkeit vielmehr so, dass ihre Gegenstände sich in ihrer eigenen objektiven Natur und ihrer eigenen idealen oder realen Existenz zu erkennen geben. Auch will sie keine neue Schulrichtung sein, sondern auf der „ewigen Philosophie“ (philosophia perennis) aufbauen, wie sie bei Platon, Aristoteles, Augustinus, Anselm von Canterbury, Thomas von Aquin, René Descartes und bei vielen anderen grundgelegt wurde. 14 6.2 Husserls Beiträge zur Beantwortung der „Kardinalfrage der Erkenntnistheorie, die Objektivität der Erkenntnis betreffend“ 15 Wenn im Folgenden das Wesen und die Methode der Realistischen Phänome‐ nologie herauszuarbeiten gesucht wird, dann geschieht dies durch einen kriti‐ schen Vergleich mit gewissen Husserlschen Thesen. 16 Was die nachmaligen 6 Was ist „Realistische Phänomenologie“? 42 <?page no="43"?> 17 H U S S E R L , Logische Untersuchungen, II / 1, Untersuchungen zur Phänomenologie und Theorie der Erkenntnis, Einleitung, § 2, S. 6. 18 Vgl. Balduin S C H W A R Z , Der Irrtum in der Philosophie. Untersuchungen über das Wesen, die Formen und die psychologische Genese des Irrtums im Bereich der Philosophie, mit einem Überblick über die Geschichte der Irrtumsproblematik in der abendländischen Phi‐ losophie. Zur konstruktiven Tendenz als Irrtumsquelle vgl. Erster Teil, Zweiter Ab‐ schnitt, 6. Kap., S. 119-132. 19 Vgl. H U S S E R L , Logische Untersuchungen, I, Prolegomena zur reinen Logik, 7. Kap., § 36, S. 117. Vgl. auch Husserls Definition von „Relativität“ in demselben Werk, 7. Kap., § 36, S. 120. Zum Relativismus vgl. die kritische Studie von Martin C A J T H A M L , Analyse und Kritik des Relativismus. 20 H U S S E R L , Logische Untersuchungen, I, Prolegomena zur reinen Logik, 7. Kap., § 36, S. 117. 21 Ebd., S. 119. 22 Ebd. 23 Ebd., S. 117. 24 Ebd., 1. Kap., § 6, S. 12 f. Realistischen Phänomenologen unter Husserls Studenten an seinem Frühwerk begeisterte, war sein konsequenter Objektivismus. Die Maxime, die ihn in Lo‐ gische Untersuchungen leitete, lautete: „Wir wollen auf die ‚Sachen selbst‘ zu‐ rückgehen“ 17 . Mit dieser Maxime stellte Husserl sich entschieden gegen alle subjektivistischen Reduktionismen und alle konstruktiven Tendenzen, welche häufig im Irrtum enden. 18 Gegen den Relativismus in der Form des Anthropologismus, demnach für die Spezies Mensch nur das wahr ist, „was nach ihrer Konstitution, nach ihren Denkgesetzen als wahr zu gelten habe“, stellt er die Widersinnigkeit der „Rede von einer Wahrheit für den oder jenen“. 19 „Denn es liegt in ihrem Sinne, dass derselbe Urteilsinhalt (Satz) für den Einen, nämlich für ein Subjekt der Spezies homo, wahr, für einen Anderen, nämlich für ein Subjekt einer anders konstitu‐ ierten Spezies, falsch sein kann.“ 20 Derselbe Wortinhalt kann aber nicht beides zugleich sein, nämlich wahr und falsch. „Die Wahrheit relativistisch auf die Konstitution einer Spezies gründen, […] ist aber widersinnig.“ 21 Denn wenn die Wahrheit ihre alleinige Quelle in der allgemeinen menschlichen Konstitution hätte, so bestünde keine Wahrheit, wenn keine solche Konstitution bestünde. Die Widersinnigkeit zeigt sich auch an der Behauptung, dass keine Wahrheit besteht, „denn der Satz ‚es besteht keine Wahrheit‘ ist dem Sinne nach gleich‐ wertig mit dem Satze „es besteht die Wahrheit, dass keine Wahrheit besteht‘“ 22 . „Was wahr ist, ist absolut, ist ‚an sich‘ wahr; die Wahrheit ist identisch Eine, ob sie Menschen oder Unmenschen, Engel oder Götter urteilend erfassen.“ 23 Die Wahrheit wird im Wissen besessen. Doch „nicht jedes richtige Urteil, jede mit der Wahrheit übereinstimmende Setzung oder Verwerfung eines Sachver‐ halts ist ein Wissen vom Sein oder Nichtsein dieses Sachverhalts“ 24 . Die Wahr‐ 6.2 Husserls Beiträge zur Beantwortung der „Kardinalfrage der Erkenntnistheorie“ 43 <?page no="44"?> 25 Ebd., S. 13. 26 Ebd., 8. Kap., § 51, S. 190. 27 Ebd. 28 Ebd., 1. Kap., § 6, S. 13. 29 Ebd., S. 14. 30 Ebd. 31 Ebd., S. 15. 32 D E R S ., Logische Untersuchungen, II / 1, Untersuchung zur Phänomenologie und Theorie der Erkenntnis, LU I, 3. Kap., § 29, S. 94. 33 Vgl. ebd. 34 Ebd., S. 92. 35 D E R S ., Logische Untersuchungen, I, Prolegomena zur reinen Logik, 8. Kap., § 51, S. 191. 36 Vgl. D E R S ., Logische Untersuchungen, II / 1, Untersuchung zur Phänomenologie und The‐ orie der Erkenntnis, LU I, 3. Kap., § 29, S. 94 f. heit hat ein Kennzeichen: die Evidenz. Die „lichtvolle Gewissheit, dass ist, war wir anerkannt, oder nicht ist, was wir verworfen haben“ 25 . „Evidenz ist […] nichts anderes als das ‚Erlebnis‘ der Wahrheit“ 26 , d. h. der „Idee, deren Einzelfall im evidenten Urteil aktuelles Erlebnis ist“ 27 . Ja, die Evidenz ist ein „unmittelbares Innewerden der Wahrheit selbst“ 28 , auf der „jede echte und speziell jede wis‐ senschaftliche Erkenntnis“ 29 beruht. „Wissen im engsten Sinne des Wortes ist Evidenz davon, dass ein gewisser Sachverhalt besteht oder nicht besteht“ 30 . Auch wird die echte und rechte Wissenschaft nicht erfunden, „sondern sie liegt in den Sachen, wo wir sie einfach vorfinden, entdecken“ 31 . Diese Einsichten sind grund‐ legend für den phänomenologischen Realismus. Husserl war gegen den Psychologismus angetreten und hat ihn überwunden, indem er nachgewiesen hat, dass die Wahrheit von Sätzen wie „2 + 3 = 5“ sich nicht nach dem tatsächlichen Denken einer Psyche richtet, sondern das tat‐ sächliche Denken jeder Psyche sich nach ihr zu richten hat. In diesem Sinne ist der Schluss auf eine notwendige Folge „nicht ein empirisch-psychologischer Zusammenhang von Urteilserlebnissen, sondern ein ideales Verhältnis von möglichen Aussagebedeutungen, von Sätzen“ 32 . Was im Denken verbunden wird, sind „Begriffe und Sätze mit ihren gegenständlichen Beziehungen“, wobei den „subjektiven Gedankenverknüpfungen“ eine objektive Bedeutungseinheit entspricht. 33 Was hier Bedeutung heisst, befasst „durchaus nur ideale Ein‐ heiten“ 34 . „Die Idealität der Wahrheit macht aber ihre Objektivität aus.“ 35 Diese objektiven Bedeutungseinheiten der Begriffe und Wahrheiten werden nicht ge‐ macht, „als handelte es sich um Zufälligkeiten eines oder des allgemein mensch‐ lichen Geistes“, vielmehr werden sie eingesehen und entdeckt. 36 „Wo also im Zusammenhang mit dem prägnanten Terminus denken das Wört‐ chen können auftritt, ist nicht subjektive Notwendigkeit, d. i. subjektive Unfä‐ higkeit des Sich-nicht-anders-vorstellen-könnens, sondern objektiv-ideale Not‐ 6 Was ist „Realistische Phänomenologie“? 44 <?page no="45"?> 37 Vgl. ebd., LU III, 1. Kap., § 7, S. 239. Husserls Schüler Adolf Reinach hat diese Wahrheit in einem im Januar 1914 in Marburg gehaltenen Vortrag als „ein notwendiges So-Sein-Müssen und dem Wesen nach Nicht-Anders-Sein-Können“ bezeichnet. Vgl. Adolf R E I N A C H , Über Phänomenologie, S. 543. 38 Vgl. H U S S E R L , Logische Untersuchungen, II / 1, LU III, 1. Kap., § 7, S. 239. 39 Ebd., S. 240. 40 Ebd. 41 Vgl. unten I, 2.2 - „Die verschiedenen Arten des Soseins und der Unterschied zwischen empirischer und apriorischer Erkenntnis“. 42 H U S S E R L , Logische Untersuchungen, II / 1, LU III, 1. Kap., § 2-3, § 5, S. 229, S. 230, S. 236. wendigkeit des Nicht-anders-sein-könnens gemeint.“ 37 Diese objektive Notwendigkeit kommt im Bewusstsein zur Gegebenheit als apodiktische Evi‐ denz. 38 Ausdrücklich merkt Husserl an, dass die Notwendigkeit in einem Stehen in gesetzlichem Zusammenhang liegt. „Was das Anderssein verwehrt, ist eben das Gesetz, das sagt, es ist nicht bloss hier und jetzt so, sondern überhaupt, in gesetzlicher Allgemeinheit. An dieser Stelle weist er auch auf den grundle‐ genden Unterschied hin zwischen der apriorischen Wesensnotwendigkeit und der empirischen Notwendigkeit. 39 Empirische Notwendigkeit ist jedoch keine Wesensnotwendigkeit, und „‚Naturgesetze‘, Gesetze im Sinne der empirischen Wissenschaften, sind keine Wesensgesetze (Idealgesetze, apriorische Ge‐ setze)“ 40 . Bis hierher geht die Realistische Phänomenologie noch ganz mit Hus‐ serl einig. 41 Auch da noch, wo er zwischen unselbständigen und selbständigen Teilen unterscheidet: Wir können uns einen Mann mit zwei Köpfen, den Oberleib eines Menschen ver‐ bunden mit dem Unterleib eines Pferdes vorstellen, oder auch einzelne Stücke, einen Kopf, eine Nase, ein Ohr für sich. Dagegen ist es unmöglich, eine ‚abstrakte Idee‘ zu bilden, z. B. die ‚Idee‘ einer Bewegung abzutrennen von der eines bewegten Kör‐ pers. […] Wir haben in Ansehung gewisser Inhalte die Evidenz, dass die Änderung oder Auf‐ hebung mindestens eines der zusammen mit ihnen gegebenen (aber nicht in ihnen eingeschlossenen) Inhalte sie selbst ändern oder aufheben müsse. Bei anderen In‐ halten fehlt uns diese Evidenz […]. In der ‚Natur‘ des Inhalts selbst, in seinem idealen Wesen, gründet keine Abhängigkeit von anderen Inhalten, er ist in seinem Wesen, durch das er ist, was er ist, unbekümmert um alle anderen. Es mag faktisch so sein, dass mit dem Dasein dieses Inhalts andere Inhalte, und nach empirischen Regeln, gegeben sind; aber in seinem ideal fassbaren Wesen ist der Inhalt unabhängig, dieses Wesen fordert durch sich selbst, also a priori, kein mitverflochtenes anderes Wesen. 42 6.2 Husserls Beiträge zur Beantwortung der „Kardinalfrage der Erkenntnistheorie“ 45 <?page no="46"?> 43 D E R S ., Logische Untersuchungen, II / 2, 6. Kap., § 46, S. 145. 44 Vgl. dazu seine 1931 erstmals publizierte Schrift Cartesianische Meditationen. Eine Ein‐ leitung in die Phänomenologie. 45 Vgl. H U S S E R L , Logische Untersuchungen, II / 1, LU II, 2. Kap., § 8, S. 123. Vgl. dazu auch Martin H E I D E G G E R , Sein und Zeit. 46 Siehe unten I, 1 - „Immanuel Kant und der Schritt von der Transzendenz zum trans‐ zendentalen Immanentismus“. 47 H U S S E R L , Logische Untersuchungen, II / 1, LU II, 2. Kap. § 8, S. 124. 48 Ebd., S. 123. 49 Vgl. D E R S ., Ideen zur reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie, § 30, S. 61, § 32, S. 65, § 33, S. 68. Während die Gegenstände der empirischen Wissenschaften sinnlich sind, sind diejenigen der apriorischen Wissenschaften kategorial. Jene sind ihm real, diese aber ideal. 43 Dass diese Unterscheidungen zur Begründung der Wesensnotwen‐ digkeit zu kurz greifen, wird sich weiter unten zeigen, wenn mit Dietrich von Hildebrand die drei grundsätzlich verschiedenen Wesenheiten unterschieden werden, anhand derer die objektive Wesensnotwendigkeit begründet werden kann. Jedenfalls haben sich nach all den objektivistischen Meisterstücken die ersten Anzeichen des Übergangs zum transzendentalen Idealismus 44 bei der Gleichsetzung der Realität mit der Zeitlichkeit abgezeichnet. 45 Husserl unterliegt damit dem seit Kant virulenten Einfluss, dass man sich nicht mehr über das Bewusstsein hinaus traut. 46 Ein Sein im Bewusstsein ist ihm dementsprechend nur das Sein des Idealen, währenddem das Sein des Realen ein „Sein ausserhalb des Bewusstseins“ 47 ist. „Real ist das Individuum mit all seinen Bestandstücken; es ist ein Hier und Jetzt.“ 48 Husserls Versuch schliesslich, das objektive Apriori dennoch mit der Methode der phänomenologischen Epoché zu retten, vermochte das objektive An-sich weder einzuholen noch zu begründen. Denn durch die Einklammerung der „Ge‐ neralthesis der natürlichen Einstellung“, die ihm „jedes Urteil über räum‐ lich-zeitliches Dasein völlig verschliesst“, bleibt er nach all den erhellenden Ein‐ sichten in transzendente Wirklichkeiten bei der Sphäre seines eigenen Bewusstseins stehen und studiert, „was wir in ihr immanent finden“, um von da her „die Einsicht zu vollziehen, auf die wir es abgesehen haben, nämlich die Einsicht, dass Bewusstsein in sich selbst ein Eigensein hat, das in seinem abso‐ luten Eigenwesen durch die phänomenologische Ausschaltung nicht betroffen wird“, sondern „uns das ‚reine‘ Bewusstsein und in weiterer Folge die ganze phänomenologische Region zugänglich macht“. 49 Von da her mündeten Husserls Bemühungen mit dem transzendentalen Ego in die transzendentale Subjektivität 6 Was ist „Realistische Phänomenologie“? 46 <?page no="47"?> 50 Vgl. D E R S ., Cartesianische Meditationen, § 30, S. 65, § 8, S. 20 ff., § 40 f., S. 82 ff. Vgl. dazu auch Quentin L A U E R , The Triumph of Subjectivity. An Introduction to Transcendental Phenomenology. 51 Aurelius A U G U S T I N U S , De civitate Dei, 11,26 (CCSL 48, S. 345). Zit. nach D E R S ., Vom Got‐ tesstaat (De civitate Dei), S. 43. 52 Vgl. René D E S C A R T E S , Meditationen über die Grundlagen der Philosophie, Erste und Zweite Meditation, S. 17 ff. Vgl. dazu auch Dietrich von H I L D E B R A N D , Das Cogito und die Erkenntnis der realen Welt. und den transzendentalen Idealismus. 50 Welche Konsequenz er leichtlich hätte umgehen können, wäre er nicht auf den Irrtum verfallen, dass es alleine die Einklammerung des Daseins und dadurch die Unabhängigkeit von der Natur des Objekts sei, wodurch Gegenstände apriorisch erkannt werden könnten. Wenngleich Husserl die Begründung apriorischen Erkennens im Letzten nicht gelungen ist, so bereitete er mit der Einklammerungstheorie immerhin den Boden, von dem aus von Hildebrand die Apriorierkenntnis mit den drei grund‐ sätzlich verschiedenen Wesenheiten schliesslich zu begründen vermochte. 6.3 Die Grenzen der husserlschen Phänomenologie als Ausgangspunkt des phänomenologischen Realismus Einige der wesentlichen Merkmale der Realistischen Phänomenologie haben sich aus der Überwindung Husserlscher Irrtümer und falscher Folgerungen er‐ geben. Da ist an erster Stelle die folgenschwere Identifizierung der Realität mit der Zeitlichkeit, welche unweigerlich zur Konklusion führt, dass der Mensch zu keinen objektiven Erkenntnissen in der Lage ist. Eine Voraussetzung, deren Überwindung die Denker der Realistischen Phänomenologie sich besonders ge‐ widmet haben. Eng mit der Überwindung dieser falschen Voraussetzung ist dann auch die Zurückgewinnung der Existenz als eines Gegenstands der Philosophie verbunden. Auch in dieser Hinsicht hat der phänomenologische Realismus nicht nur um die Bedeutung gewusst, sondern war auf der Basis der Tradition in der Lage, die Erkennbarkeit der realen Existenz zu begründen. Als Tradition wird hier einerseits Augustinus mit seiner Überwindung des Skeptizismus durch die absolut gewisse Erkenntnis der eigenen Existenz verstanden: „Wenn ich mich täusche, bin ich ja. Denn wer nicht ist, kann sich auch nicht täuschen; also bin ich, wenn ich mich täusche.“ 51 Andererseits auch dessen Wiederaufnahme durch René Descartes (1596-1650), der in der Erkenntnis der eigenen Existenz den archimedischen Punkt fand, an dem jeder Skeptizismus zerschellt. 52 Schliesslich bleibt von den verschiedenen Beiträgen, die hier angeführt werden könnten, vor allem Dietrich von Hildebrands Einsicht zu erwähnen, dass 6.3 Die Grenzen der husserlschen Phänomenologie 47 <?page no="48"?> sehr wohl auch in der realen Welt Erkenntnisse von Wesensnotwendigkeiten erlangt werden können. Dieser wahrhaft klärende Beitrag von Hildebrands wird des Weiteren zu beleuchten sein, wenn seine epistemologische Hauptschrift Was ist Philosophie? im nächsten Punkt in ihren Grundzügen auseinandergesetzt werden wird. Jedenfalls hat sich aus der Beschäftigung mit Husserls Logische[n] Untersuchungen verdeutlicht, an welcher Stelle sich die Realistischen Phäno‐ menologen von Husserl und seiner Philosophie distanzierten: Bei der Abkehr vom konsequenten Objektivismus und seiner Zuwendung zum transzenden‐ talen Ego, das kein archimedischer Punkt in der objektiv existierenden Welt sei, und zudem auch seiner Annahme der Abhängigkeit der notwendigen Wesen‐ heiten vom Subjekt. Von da her wird die Realistische Phänomenologie als eine Bewegung verstanden, die Husserls Maxime „Zurück zu den Sachen selbst“ im Geiste der Logische[n] Untersuchungen in einem realistischen und objektivisti‐ schen Sinne deutet. 6 Was ist „Realistische Phänomenologie“? 48 <?page no="49"?> 1 Zum Verhältnis zwischen Husserl und von Hildebrand vgl. Karl S C H U H M A N N , „Husserl und Hildebrand“, S. 7-33 sowie D E R S . (Hrsg.), „Edmund Husserls Urteil über Hilde‐ brands Doktorarbeit“, S. 4-5. 2 Vgl. H U S S E R L , Logische Untersuchungen, I, Prolegomena zur reinen Logik, Einleitung, § 1, S. 4. 3 In Giessen lehrte der promovierte Philosoph und Theologe Theodor Steinbüchel von 1926-1935 als Professor der Philosophie, von 1935-1941 war er in München als Pro‐ fessor der Moraltheologie tätig, von 1941 bis zu seinem frühen Tod im Jahre 1949 war er wiederum als Professor der Moraltheologie tätig, dieses Mal an der Eber‐ hard-Karls-Universität Tübingen, von 1946 bis 1948 auch als Rektor. 4 Vgl. Dietrich von H I L D E B R A N D , My Battle Against Hitler. Faith, Truth and Defiance in the Shadow of the Third Reich. 5 Vgl. D E R S ., Der Sinn philosophischen Fragens und Erkennens, Vorbemerkung, VII. 6 Vgl. Der Sinn philosophischen Fragens und Erkennens sowie Was ist Philosophie? 7 Von Hildebrands „Was ist Philosophie? “ als grundlegende Schrift zur Methode der Realistischen Phä‐ nomenologie und die Frage nach der Originalität seines Beitrags Im Blick auf die verschiedenen Irrtümer, die die Philosophie zu allen Zeiten umtreiben, war es von Hildebrand in Was ist Philosophie? vor allem um die Re‐ habilitierung der Philosophie zu tun, wie vor ihm bereits Husserl, 1 für den die Logik sich gleichsam im Zustand einer Schlacht aller gegen alle befand (bellum omnium contra omnes). 2 Die Entstehung von Was ist Philosophie? hat allerdings eine erwähnenswerte Geschichte, die ihren Anfang mit - dem damaligen Giess‐ ener 3 - Professor Theodor Steinbüchel (1888-1949) nahm, der von Hildebrand 1932 bat, den Einleitungsband zu einer Serie zu übernehmen, die ein philoso‐ phisches Handbuch werden sollte. Von Hildebrand nahm diese Einladung nach jahrelanger erkenntnistheoretischer Arbeit gerne an und nach gewissen Ände‐ rungsvorschlägen Professor Steinbüchels wurde der Druck sogleich in Angriff genommen. Aufgrund des Kampfes, den von Hildebrand von Wien aus gegen den Nationalsozialismus geführt hatte, 4 war es für ihn im nationalsozialistischen Deutschland unmöglich, Bücher zu veröffentlichen. Doch 1948 teilte ihm der Bonner Verlag Hanstein schliesslich mit, das Buch nun zu veröffentlichen. 5 1950 erschien es in Bonn unter dem Titel Der Sinn philosophischen Fragens und Er‐ kennens. Im Anschluss überarbeitete es von Hildebrand und fügte ihm noch einige Kapitel hinzu, was ein vergleichender Blick in die beiden Bücher 6 ein‐ <?page no="50"?> 7 Vgl. Alice von H I L D E B R A N D , Die Seele eines Löwen. Dietrich von Hildebrand, Zweiter Teil, Verlängerte Schatten 1921-1933, S. 207, Anm. 180. 8 Vgl. von H I L D E B R A N D , Was ist Philosophie? , 4. Kap., II., A., S. 85. 9 Ebd., Einleitung, S. 14. 10 Vgl. unten IV, 2.5 - „Die beiden Vollkommenheiten der Wahrnehmung - das Notions‐ thema und das kontemplative Thema“. deutig zu erkennen gibt. Ins Englische übersetzt wurde es von William Marra und erschien 1960 unter dem Titel What is Philosophy? (Milwaukee, 1960). Die deutsche Ausgabe - Was ist Philosophie? (Stuttgart, 1976) - besorgten Karla Mertens und Fritz Wenisch. 7 Doch was zeigt er mit dieser Schrift, was ist ihr origineller Beitrag? Wie für Husserl, so ist die Frage nach der apriorischen Erkenntnis auch für seinen Schüler von Hildebrand „die Kardinalfrage“, „die erkenntnistheoretische Frage schlechthin“. 8 Dabei zielt sein Werk „darauf ab, das wahre Wesen philosophi‐ scher Erkenntnis, ihre existentielle Lebendigkeit sowie den wahren Gegenstand der Philosophie herauszuarbeiten“ 9 . Unterteilt in acht Kapitel, geht er in seiner erkenntnistheoretischen Hauptschrift erst auf das Erkennen im Allgemeinen (1. Kap.), die Grundformen der Erkenntnis (2. Kap.) und die Eigenart des philoso‐ phischen Erkennens im Gegensatz zu vorwissenschaftlichem Erkennen ein (3. Kap.), um sodann den genuinen Gegenstand des philosophischen Erkennens zu untersuchen (4. Kap.). Aufgrund der entscheidenden Bedeutung dieser Unter‐ suchungen des vierten Kapitels, sei dessen Inhalt im Anschluss an die Skizzie‐ rung der letzten vier Kapitel gründlich erörtert. Und zwar deswegen, weil in diesem vierten Kapitel detailliert nachgewiesen wird, welche objektiven Kor‐ relate das absolut gewisse Erkennen bedingt. Doch vorerst zu den letzten vier Kapiteln. Als erstes untersucht er die Objektivität und Unabhängigkeit der Er‐ kenntnis vom menschlichen Geist und grenzt sie ab von der Abhängigkeit be‐ stimmter subjektiver Akte vom menschlichen Geist (5. Kap.). In einem nächsten Schritt thematisiert er die beiden Grundthemen der Erkenntnis: Erstens das No‐ tionsthema, d. h. das Thema des Wissens, und zweitens das kontemplative Thema (6. Kap.), welches im weiteren Verlauf der vorliegenden Untersuchung noch beschäftigen wird. 10 Des Weiteren interessiert er sich für die charakteris‐ tischen Merkmale des philosophischen Fragens und Erkennens, wobei er auf die Tiefendimension der Wesenserkenntnis verweist, welche ihren Grund darin hat, dass das philosophische Erkennen sich auf notwendige Wesenheiten und Sach‐ verhalte richtet und diese nicht von aussen betrachtet, sondern von innen her erkannt und verstanden werden. Daraufhin lenkt er die Aufmerksamkeit auf den existentiellen Wirklichkeitskontakt der Phänomenologie (7. Kap.). Was ihn 7 Von Hildebrands „Was ist Philosophie? “ als grundlegende Schrift 50 <?page no="51"?> 11 P L A T O N , Phaidros, 247c3. 12 Ebd. 247c6-7. Vgl. auch D E R S ., Philebos, 34a-c. 13 Vgl. I, 1 - „Immanuel Kant und der Schritt von der Transzendenz zum transzendentalen Immanentismus“ überleitet zu einer Besprechung der Bedeutung, die die Philosophie für den Menschen hat (8. Kap.). Nach diesem gerafften Durchgang durch den Inhalt von Was ist Philosophie? nun wieder zurück zum vierten Kapitel. Wichtig ist vor allem die Frage, ob, und wenn ja, wie von Hildebrand die von Husserl aufgeworfene Kardinalfrage der Erkenntnistheorie beantwortete. Auch Husserl suchte im Letzten ja nach einer Erkenntnis, die notwendig, unvergleichlich intelligibel und absolut gewiss ist, welche Merkmale das apriorische Erkennen in sich vereint. Bevor diese Merk‐ male im Einzelnen auseinandergesetzt werden, zuerst zu dem, was das Apriori nicht bedeutet, als was es im Laufe der Geschichte der Philosophie aber wie‐ derholt verstanden worden ist. Seinem Wortsinn nach bezeichnet das Apriori das Erkennen unabhängig von der Erfahrung, im Gegensatz zum Aposteriori, das für das Erkennen aufgrund von Erfahrungen steht. Obzwar die Begriffe soweit klar zu sein scheinen, kam es in der Geschichte der Philosophie zu voneinander abweichenden Deutungen. Differenzierend ist dabei die Frage, ob es Erkennt‐ nisse gibt, die unabhängig von der Erfahrung erlangt werden können. Gibt es Gehalte, die nicht ein einziges Mal wahrgenommen werden müssen, um erkannt werden zu können? Platon bejahte diese Frage mit seiner Lehre von der Anamnesis (Wiederer‐ innerung) ebenso wie René Descartes mit seiner Theorie der eingeborenen Ideen. Zwischen ihren Theorien bestehen allerdings bedeutende Unterschiede. Denn während die Seele nach Platon an jenem „überhimmlischen Ort“ 11 das „farb- und gestaltlose und untastbare Sein, das wirklich ist“ 12 , vor ihrer Geburt geschaut hat und sich bei der Erkenntnis einer Idee wieder an das einstmals Geschaute erinnert, wird der Mensch nach Descartes mit dem apriorischen Wissen bereits geboren. Auch Immanuel Kant folgte ihnen mit einer prinzipiell gleichen, aber im Einzelnen doch davon abweichenden Lehre, die an dieser Stelle jedoch nicht entfaltet wird, da sie weiter unten des Näheren zu untersuchen sein wird. 13 7 Von Hildebrands „Was ist Philosophie? “ als grundlegende Schrift 51 <?page no="52"?> 14 A U G U S T I N U S , De vera religione, 77 (CCSL 32, S. 237). Zit. nach D E R S ., De vera religione - Über die wahre Religion, S. 131. 7.1 Welche Art von Erfahrungsunabhängigkeit bedingt das apriorische Erkennen? Platon, Descartes, Kant und auch Husserl, sie alle haben mit ihren jeweiligen Theorien nicht zu erklären vermocht, wie das apriorische Erkennen zu be‐ gründen ist, welches nicht analytisch, sondern synthetisch ist. Denn analytische Erkenntnisse sind zwar notwendig und allgemeingültig, aber sie sind eine bloss erläuternde Begriffsanalyse und bedeuten keine Erweiterung des Wissens. Das Wissen erweitern dagegen die synthetischen Erkenntnisse. Synthetisch in diesem Sinne ist beispielsweise die Einsicht in das Kausalprinzip, „jede Verän‐ derung und jedes nicht-notwendige Sein bedürfen einer Wirkursache“. Denn die Erkenntnis, dass das Prädikat dieses Satzes („einer Ursache bedürfen“) dem Subjekt („jede Veränderung und jedes kontingente Seiende“) etwas Neues hin‐ zufügt, macht den synthetischen, wissenserweiternden Charakter offenbar. Wissenserweiternde Erkenntnisse werden für gewöhnlich vermittels der Er‐ fahrung erlangt, also aposteriorisch. Wie z. B. das Wissen um den Geschmack einer Schweizer Schokolade oder eines Wiener Schnitzels. Ohne diese Ge‐ schmäcke einmal erfahren zu haben, gelangt man nicht in den Stand des Wissens über diese Geschmäcke. Wohl kann es jemand schildern und beschreiben, doch ist es auch dann noch lange kein Wissen um den Geschmack der Schweizer Schokolade bzw. des Wiener Schnitzels. An dieser Stelle geht die Suche jedoch nicht nach aposteriorischen, sondern nach apriorischen Erkenntnissen, also nach Erkenntnissen, die unabhängig von der Erfahrung gewonnen werden. Solcherart ist beispielsweise die Erkenntnis des Augustinus: Was immer schön sei, sei nach unveränderlichen Gesetzen ge‐ ordnet, „denn wo Ordnung, da ist auch Schönheit“ 14 . Womit er nichts anderes sagen will, als dass Schönheit und Ordnung notwendig verbunden sind, es also gleichermassen unmöglich ist, sich das Schöne als etwas zu denken, das nicht geordnet, wie das Geordnete als etwas, das nicht schön ist. Dass es solche Er‐ kenntnisse gibt, war auch Platon und Descartes klar, die Frage ist nur, wie sie begründet werden können. Bevor diese Möglichkeit begründet wird, ist erst die Erfahrungsunabhängigkeit des apriorischen Erkennens zu prüfen. Bezieht sich diese Unabhängigkeit auf jedwede Erfahrung, oder ist dieses Verständnis zu verfeinern? Die Erfahrungsunabhängigkeit ist nicht im Sinne von Platon oder Descartes als Unabhängigkeit von jedweder Erfahrung in der Gegenwart zu verstehen. Die 7 Von Hildebrands „Was ist Philosophie? “ als grundlegende Schrift 52 <?page no="53"?> 15 von H I L D E B R A N D , Was ist Philosophie? , 4. Kap., A., S. 86. 16 Vgl. ebd., 7. Kap., II. S. 189. 17 Vgl. ebd., Einleitung, S. 11. 18 Vgl. ebd., 7. Kap., IV, S. 198 f. 19 Vgl. ebd., 4. Kap., III., A.-B., S. 94-102. Unabhängigkeit von der Erfahrung bezieht sich nur auf die „Realkonstatierung und Induktion“ 15 , d. h. die „Beobachtung von aussen“ mit nachfolgender Induk‐ tion, um verborgene Merkmale zu erreichen, 16 nicht aber auf die Erfahrung des Soseins einer notwendigen Einheit. Vielmehr ist es gerade diese letztgenannte Erfahrung, die das apriorische Erkennen eines in dieser Einheit gründenden Sachverhalts überhaupt erst ermöglicht. Das apriorische Erkennen unter‐ scheidet sich damit grundlegend von dem Wirklichkeitszugang eines Positi‐ visten, für den „nur die nackte Beobachtung oder Realkonstatierung zuverlässig“ und die allein „ernst zu nehmende, systematische Erkenntnis“ ist. 17 Das aprio‐ rische Erkennen unterscheidet sich von dem positivistischen zudem auch da‐ durch, dass das apriorische Erkennen nicht der leibhaften Gegenwart des kon‐ kreten Gegenstands bedarf, sondern sein objektives Korrelat auf dem Wege der rationalen Intuition von innen her durchdringt. 18 7.2 Die Differenzierung der Seienden in drei grundsätzlich verschiedene Arten als Wegbahnung zum apriorischen Er‐ kennen Aus welchen Gründen aber sind gewisse Erkenntnisse notwendig, unvergleich‐ lich intelligibel und absolut gewiss? Das hängt ganz davon ab, von welcher Art von Einheit ein gegebenes Seiendes ist, über dessen Verhalten ein Wissen er‐ worben werden soll. Von Hildebrand unterscheidet die Soseinseinheiten in drei verschiedene Grundtypen, von denen die ersten beiden Arten Gegenstände der empirischen Erkenntnis sind. Nur eine ganz spezifische Art von Sosein ist apri‐ orischer Erkenntnis zugänglich. Gegenstände der empirischen Erkenntnis sind die chaotischen und zufälligen Einheiten und die morphischen Einheiten, Ge‐ genstände apriorischen Erkennens dagegen sind die wesensnotwendigen Ein‐ heiten. 19 Beispiele für die chaotischen und zufälligen Einheiten sind solche Ein‐ heiten wie ein Steinhaufen, eine Tonfolge, die keine Melodie ist, ein Haufen Gerümpel und dergleichen mehr. Von diesen zufälligen Einheiten unterscheiden sich die Gegenstände wie Gold, Stein, Wasser, Pferd etc. Diese Gegenstände sind nicht zufällig so wie sie sind, sie haben eine Washeit. 7.2 Die Differenzierung der Seienden in drei grundsätzlich verschiedene Arten 53 <?page no="54"?> 20 Die Gegenstände der morphischen Einheiten werden weiter unten nochmals zur Sprache gebracht werden, wie auch die anderen beiden Einheitsarten, vgl. I, 2.2 - „Die verschiedenen Arten des Soseins und der Unterschied zwischen empirischer und apri‐ orischer Erkenntnis“. 21 von H I L D E B R A N D , Was ist Philosophie? , 4. Kap., III., C., S. 103. 22 R E I N A C H , Über Phänomenologie, S. 543. 23 Vgl. H U S S E R L , Logische Untersuchungen, II / 1, Untersuchung zur Phänomenologie und Theorie der Erkenntnis, LU III, 1. Kap., § 7, S. 239. Innerhalb solcher Seiender müssen zwei Schichten unterschieden werden: die Erscheinungseinheit und die konstitutive Einheit. Erstere ist das „Gesicht“, die äussere Erscheinung, letztere das Sosein des Materietyps, der dieses Gesicht trägt. Jede Schicht verlangt eine andere Erkenntnisart. Um das Wissen bezüglich der Erscheinungseinheit zu bereichern, muss beschreibend vorgegangen werden: um den Gegenstand herumgehen und alle ihn betreffenden Beobach‐ tungen sammeln. Die innere konstitutive Einheit dagegen kann nur durch kom‐ plizierte Experimente, wie die der Chemie, und durch die Verwendung von In‐ strumenten, etwa des Mikroskops, erreicht werden. 20 Befassen wir uns jedoch mit Gegenständen wie einem Dreieck, einer Person, dem Willen, der Liebe usw., so stehen wir vor einem völlig neuen und anderen Typ von Einheit. Diese Gegenstände führen uns zu der Stufe der notwendigen Einheit. […] Mit ihr ist der Höhepunkt innerer Konsistenz, das polare Gegenstück zu einer bloss von aussen zusammengehaltenen Einheit erreicht. […] Sie ist nicht das Sosein der Er‐ scheinung, die blosse äussere Erscheinungseinheit, sondern das konstitutive Wesen dieses Gegenstandes selbst. […] Sehen wir ein, dass die geistige Person kein räumlich ausgedehntes Sein besitzt oder dass sie allein Träger sittlicher Werte sein kann, dann haben wir das konstitutive Sosein der Person selbst vor uns, das uns als notwendige Einheit unmittelbar anschaulich zugänglich ist. 21 Nur Gegenstände dieser Art von Einheit sind apriorischer Erkenntnis zugäng‐ lich. Nur bei den wesensnotwendigen Einheiten, bei denen man, wie Adolf Reinach es nannte, ein „So-Sein-Müssen und dem Wesen nach Nicht-An‐ ders-Sein-Können“ 22 vorfindet, ist es möglich, zu absolut gewissen Erkennt‐ nissen zu gelangen. Dabei bezieht sich die Notwendigkeit, auf die sich auch Husserl mit seinem Wort des „Nicht-anders-sein-könnens“ 23 bezog, auf den Ge‐ genstand selbst und sein Verhalten zu sich selbst oder zu anderem. Dieses Ver‐ halten der Sache (des Sachverhalts) selbst ist es, das in gewissen Fällen so sein muss und nicht anders sein kann. Das Merkmal der Intelligibilität (Verstehbar‐ keit), das eng mit der inneren Notwendigkeit des Sachverhalts verbunden ist, bezieht sich sodann auf das Verhältnis zwischen dem Sachverhalt und der Er‐ kenntnis von ihm. Doch ist dieses Merkmal nicht mehr alleine auf den Sach‐ 7 Von Hildebrands „Was ist Philosophie? “ als grundlegende Schrift 54 <?page no="55"?> 24 von H I L D E B R A N D , Was ist Philosophie? , 4. Kap., III., B., S. 69. 25 Die Merkmale apriorischen Erkennens und weiterer damit verbundener Eigenheiten werden u. a. bei der Konfrontation mit Immanuel Kants Versuch auseinandergelegt, das Erkennen transzendental zu erklären, vgl. I,1 - „Immanuel Kant und der Schritt von der Transzendenz zum transzendentalen Immanentismus“. Die Methode des phänomeno‐ logischen Realismus wird im Übrigen quer durch die vorliegende Untersuchung immer wieder zur Anwendung gebracht werden, insbesondere I, 2 - „Dietrich von Hildebrands Kritik an Kants transzendentalem Immanentismus und seine Begründung der Trans‐ zendenz in der Erkenntnis“, aber auch bei den ethischen, metaphysischen oder religi‐ onsphilosophischen Fragestellungen. verhalt beschränkt, wie die Notwendigkeit, sondern dieses Merkmal besteht im Verstehen: Man versteht nicht nur, dass etwas so ist, wie es ist, sondern man versteht auch, warum es so ist. Nur bei den notwendigen Sachverhalten kann von einer Einsicht im Vollsinn des Wortes gesprochen werden. Mit einem Bei‐ spiel: Moralische Werte - z. B. der Verzicht oder das Verzeihen - setzen eine Person voraus. Dieser Sachverhalt wird nicht von aussen her verstanden, wie im Falle eines Naturgesetzes, sondern der Sachverhalt wird „von innen her“ 24 verstanden. Auch das dritte und letzte Merkmal des apriorischen Erkennens, nämlich die absolute Gewissheit, ist verständlicherweise kein Merkmal des Sach‐ verhalts selbst, sondern eines der Beziehung zwischen dem Sachverhalt und seiner Erkenntnis. Jedenfalls kann auf der Basis der Epistemologie von Hilde‐ brands verstanden werden, warum Husserls Einklammerungsthese nicht ziel‐ führend war: Weil er den Blick auf das Sosein mit Einklammerung der Existenz bei allen Seienden versuchte, absolut gewisse Erkenntnisse aber nur bei jenen Sachverhalten erlangt werden können, die in notwendigen Einheiten gründen. 25 Von Hildebrand, so viel kann im Anschluss an die Unterscheidungen attestiert werden, die hier ihren evidentesten Wesenszügen nach kurz umrissen wurden, hat einen originellen Beitrag zur philosophischen Erkenntnislehre geleistet. Sein Ziel, wie weiter oben bereits erwähnt, war die Herausarbeitung des wahren Wesens philosophischer Erkenntnis, ihrer existentiellen Lebendigkeit und des wahren Gegenstands der Philosophie. Dies gelang ihm in erster Linie mit der Herausarbeitung der Merkmale synthetisch-apriorischen Erkennens, welche sind: Notwendigkeit, Intelligibilität und absolute Gewissheit. Dann aber auch mit der expliziten Bezeichnung des Möglichkeitsgrundes der Erlangung solcher Erkenntnisse durch die Unterscheidung zwischen drei grundsätzlich verschie‐ denen Arten der Einheit, welche entweder zufällig oder morphisch oder we‐ sensnotwendig sind. Das objektive Korrelat des philosophischen Erkennens ist dabei immer ein Sachverhalt, der in einer wesensnotwendigen Einheit gründet. 7.2 Die Differenzierung der Seienden in drei grundsätzlich verschiedene Arten 55 <?page no="56"?> 1 Diese Tatsache brachte Josef Seifert anlässlich eines Vortrags mit dem Titel „Some Thoughts on the Further Development of the Philosophy of Dietrich von Hildebrand“, den er am 13. Oktober 2007 an der University of Steubenville (Ohio, USA) gehalten hat, explizit zur Sprache. Der Nachlass von Hildebrands wird aufbewahrt an der Bayrischen Staatsbibliothek in München (ungeordnet), am Instituto de Filosophia Edith Stein (iFES), Granada (ge‐ ordnet), eine geordnete und in 503 Mappen gegliederte autorisierte Kopie wird auch an der Internationalen Akademie für Philosophie im Fürstentum Liechtenstein (IAP) auf‐ bewahrt. Der handschriftliche Nachlass der Religionsphilosophie von Hildebrands findet sich an der IAP in der Mappe 83 (S. 1-218). Einzig an der iFES und im Privatbesitz von Josef Seifert befinden sich nebstdem einige Originalseiten und Tonbandaufzeich‐ nungen. 8 Stand der Forschung Was den Forschungsstand betrifft, so sind über das Werk von Hildebrands in punkto Phänomenologie, Erkenntnistheorie, Ethik im Allgemeinen und Wert‐ ethik im Speziellen, Sozialphilosophie oder Philosophie der Liebe zahlreiche Forschungsarbeiten vorhanden - um hier nur einige der behandelten Themen zu nennen -, währenddem die Religionsphilosophie zu den Themen zählt, über die noch keine umfassende Studien vorhanden sind. Auch wenn in Rechnung gestellt wird, dass von Hildebrands Religionsphilosophie noch grösstenteils un‐ veröffentlicht im Nachlass ruht, 1 kann dennoch nicht in Abrede gestellt werden, dass trotz den Teilen, die nicht publiziert wurden, wesentliche Beiträge in den publizierten Werken enthalten sind, so dass genug einschlägige Quellen zur Verfügung stehen würden, um von Hildebrands Denken auch in dieser Hinsicht zu bedenken und zu entfalten. Da dies jedoch nur sporadisch geschehen ist, besteht bezüglich der Religionsphilosophie bei Dietrich von Hildebrand offen‐ sichtlich eine Forschungslücke. Wohl finden sich gewisse Arbeiten und Beiträge, wie z. B. Jacques-Albert Cuttat’s „Technique“ of spiritualization and transformation in Christ (1960), worin ihm der Vergleich zwischen einer kausalen Technik wie dem indischen Yoga und einer interpersonalen, christlichen Methode der Annäherung an das bzw. den Absolute(n) als Folie dient, um die notwendigen Elemente der Umgestaltung herauszuarbeiten. Da er sich aufgrund des beschränkten Rahmens seines Arti‐ kels auf die formalen und materialen Voraussetzungen der similitudo Dei kon‐ zentrierte, konnten viele Themen zwangsläufig nicht hinreichend untersucht werden. <?page no="57"?> Dem half Alice von Hildebrand (1923-) in ihrer Introduction to a Philosophy of Religion (1971) - zu der Dietrich von Hildebrand im Übrigen ein kurzes Vor‐ wort beisteuerte - insofern ab, als sie mit einer Analyse des Wesens der Religion aufzuzeigen vermochte, dass dieses Wesen eine Intelligibilität besitzt, die es philosophischer Einsicht zugänglich macht. Wenngleich dieser Schrift nicht ex‐ plizit zu entnehmen ist, inwieweit ihr Ehemann Dietrich von Hildebrand bei der Erstellung beteiligt war, so wird sein Einfluss doch sozusagen zwischen den Zeilen ersichtlich. Wobei allemal sicher ist, dass Dietrich von Hildebrand nicht das Forschungsobjekt dieser Studie war und das primäre Interesse nicht der Religionsphilosophie bei Dietrich von Hildebrand, sondern der Analyse des We‐ sens der Religion an sich galt. Wie Alice von Hildebrand dem Verfasser dieser Zeilen in einem persönlichen Briefwechsel zur Kenntnis brachte, hatte sie nie das Glück, den religionsphilosophischen Vorlesungen ihres Ehemannes beizu‐ wohnen. Auch habe er selbst nie ein einschlägiges Buch über das Thema der Religionsphilosophie geschrieben. Immerhin habe sie einige kurze Notizen von Personen erhalten, die seine Vorlesungen über die Philosophie der Religion ge‐ hört hätten. Was schliesslich den Einfluss betrifft, den Dietrich von Hildebrand bei der Entstehung ihrer Introduction to a Philosophy of Religion ausübte, so sei das Herz dieser Schrift mit Sicherheit durch die achtzehn Vorlesungen geformt worden, die sie bei ihm gehört habe. Doch bestünden nichtsdestotrotz Unter‐ schiede in der Darstellung. Zudem habe sie einige historische Quellen ver‐ wendet, die sie in den Mitschriften der Vorlesungen ihres Ehemannes über die Philosophie der Religion nicht gefunden habe. Bedeutende Beiträge zur Religionsphilosophie bei Dietrich von Hildebrand lieferte Josef Seifert mit seiner Besprechung der Bedeutung der Wertantwort für die Religion und die Religionsphilosophie im 5. Kapitel seines Artikels Dietrich von Hildebrands philosophische Entdeckung der ‚Wertantwort‘ und die Grundle‐ gung der Ethik (1992). Phänomenologisch wusste er die philosophische Erkenn‐ barkeit Gottes sodann in seiner Schrift Gott als Gottesbeweis (2000) neu zu be‐ gründen. Zu erwähnen bleibt schliesslich noch die Studie von Alessandro Biagetti, Religio del cuore e trasformazione in Cristo (2011), in der ebenso wie bei Cuttat die Umgestaltung in Christus im Zentrum steht. Spezielle Beachtung fand das Herz als des innersten Kerns der Person und als des eigentlichen Gegenübers Gottes im Dialog der Religion. Dabei war es ihm vor allem um den Nachweis zu tun, dass von Hildebrand mit der Umgestaltung nicht einen asketischen oder mystischen, sondern einen moralischen Weg skizzierte. Doch im Grossen und Ganzen ist es um den Forschungsstand in Bezug auf die Religionsphilosophie bei Dietrich von Hildebrand schlecht bestellt. Was sich etwa an der fehlenden Auseinandersetzung mit der Erkennbarkeit des Wesens 8 Stand der Forschung 57 <?page no="58"?> Gottes vor dem Hintergrund der Erkenntnistheorie von Hildebrands und dem fehlenden Vergleich mit dem Zugang anderer Philosophen zeigt. Ausstehend ist auch eine unterscheidende Inblicknahme der gegenwärtig gleichsam in der Luft liegenden Kritiken an der Religion im Lichte der philosophischen Beiträge von Hildebrands. Zur Behebung dieser und weiterer Mängel will die vorliegende Untersuchung einen Beitrag leisten. Aufgrund des Fehlens umfassender oder auch nur einer gewissen Anzahl an Studien zur Religionsphilosophie bei Diet‐ rich von Hildebrand, ist das Forschen in dieser Untersuchung grösstenteils auf die Beschäftigung mit den Quellen verwiesen. 8 Stand der Forschung 58 <?page no="59"?> 1 F R A N K L , Der Mensch vor der Frage nach dem Sinn, Teil I, 14., S. 100. 9 Zusammenfassung Durch den mit Francis Bacon anhebenden Paradigmenwechsel von einem Selbstzweck des Wissens zu einem Mittel zum Zweck, und zwar einem Zweck, der in der Beherrschung der quantifizierbaren Natur liegt, geriet die mensch‐ liche Existenz in eine Schieflage. Im Rahmen einer immanenten Weltan‐ schauung und einer wissenschaftlichen Methode, in der der Mensch auf ein Konglomerat von berechenbaren Teilen reduziert wurde, gerieten viele Men‐ schen in eine Lebenskrise. Nachfolgend hat sich in empirischen Studien wie‐ derholt gezeigt, dass das eigene Dasein häufig als sinnlos empfunden wird. Beim Versuch, dieses existentielle Problem zu lösen, sind sowohl Husserl als auch Maslow und vor allem Frankl darauf aufmerksam geworden, dass die imma‐ nentistische Grenze durch die Transzendenz des eigenen Selbst überstiegen werden muss. Nur auf diesem Wege kann der Mensch zu sich selber finden, denn „die Transzendenz ihrer selbst ist die Essenz menschlicher Existenz“ 1 . Was Platon schon wusste, das hat der moderne Mensch zumindest theoretisch ver‐ standen. Praktisch ist er aufgerufen, die Grenze des eigenen Selbst immer wieder oder sogar bleibend zu übersteigen, was sich durch die Hingabe an eine andere Person ebenso realisiert wie durch die Hingabe an eine Aufgabe. Dies alles ist und bleibt jedoch relativ auf bestimmte Menschen oder Auf‐ gaben. Absolut dagegen ist das transzendente Gegenüber der Religion. Maslow hatte bereits behauptet, dass die Religion den Menschen zum grösstmöglichen Wachstum motiviere und seine gleichgearteten Bedürfnisse zu befriedigen ver‐ möge. Wie es darum bestellt ist, d. h. ob der Mensch den Bereich der Immanenz zu transzendieren und mit Gott in einen beglückenden und sinnstiftenden Dialog zu treten vermag, wird im Rahmen dieser Arbeit unter Zugrundelegung der Beiträge Dietrich von Hildebrands untersucht. Neben bzw. von Hildebrand in einem gewissen Sinne vorgeordnet wird die Untersuchung auf Augustinus’ Lehre von der Dreieinheit des menschlichen Geistes als Grundlage der Religion im Menschen sowie auf Newmans Definition der Religionsphilosophie als er‐ fahrungsgestütztem Aufweis der (Un-)Vernünftigkeit religiöser Überzeugungen basieren. <?page no="60"?> 2 Zu den grundlegenden Zügen der Methode der Realistischen Phänomenologie vgl. Ein‐ leitung, 6-7.2. 3 Vgl. unten v. a. III, 5.4 - „Dietrich von Hildebrand und die Motivation durch den Wert“, dann aber auch III, 5.4.3 - „Warum ist der Wertethik der Vorzug zu geben vor der eudaimonistischen, der hedonistischen und der utilitaristischen Ethik? “, schliesslich ist auch III, 7 - „Die Wertantwort“ von entscheidender Bedeutung. Methodisch leitet diese Arbeit die Realistische Phänomenologie, wie sie oben in ihren grundlegenden Zügen dargestellt wurde. 2 Weitere notwendige Ele‐ mente dieser Methode, die die Erkenntnistheorie zwar voraussetzen, sie in ge‐ wissem Sinne aber übersteigen, werden mit der Wertethik im III . Abschnitt er‐ örtert. 3 9 Zusammenfassung 60 <?page no="61"?> I D AS W ISSEN UM DAS T RANSZENDENTE Bezugspunkt der Religion ist das Transzendente. Doch kann der Mensch über‐ haupt wissen, wie es um das Transzendente bestellt ist, sind seine Wissens‐ möglichkeiten nicht auf den immanenten Bereich des sinnlich Erfahrbaren be‐ schränkt? Die religiösen Aussagen und Überzeugungen können jedenfalls nur unter der Bedingung als vernünftig erwiesen und gerechtfertigt werden, dass metaphysische Erkenntnisse erlangt werden können und das Transzendente ein Objekt des Wissens sein kann. Immanuel Kant verneinte das Bestehen der Mög‐ lichkeit, Erkenntnisse über Objekte zu erlangen, die den Bereich des sinnlich Erfahrbaren übersteigen. Seine Behauptung sei in der Folge mitsamt den von ihm angeführten Begründungen auseinandergelegt. Was in diesem Rahmen vor allem deswegen unternommen wird, weil von Hildebrands Erkenntnistheorie in ihren wesentlichen Stücken als Antwort auf Kants Position zu verstehen ist. Kant bereitete den sachlichen und terminologischen Boden, auf dem von Hil‐ debrand seine eigene Erkenntnistheorie entwickelte. <?page no="63"?> 1 Vgl. David H U M E , Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand, VII. Abschnitt, Von der Vorstellung der notwendigen Verknüpfung, Zweiter Teil, S. 89-95. 2 Vgl. dazu III, 5.1 - „David Hume und der ethische Naturalismus oder Die Motivation durch das subjektiv Angenehme“. 1 Immanuel Kant und der Schritt von der Transzen‐ denz zum transzendentalen Immanentismus In seiner vorkritischen Periode - bis etwa 1769 / 1770 - ging Immanuel Kant (1724-1804) von der Möglichkeit eines vernunftgemässen Überstiegs der Grenze aus, die die Bereiche der Immanenz und der Transzendenz voneinander trennt. In seiner kritischen Periode, d. h. ab der Kritik der reinen Vernunft (1. Aufl. 1781) und dann auch den Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können (1783), welche er als Nachschrift zu seiner kritischen Hauptschrift konzipierte, verfolgt er das vielsagende Ziel der Siche‐ rung der Grundlagen und Grenzen der menschlichen Vernunft. Wie er dieses Projekt versteht, wird sich im Verlauf der folgenden Seiten erweisen. 1.1 Humes Kritik am Kausalprinzip und Kants kopernikanische Wende Den Anlass zu einer neuen und spezifisch kritischen Grundlegung der Erkennt‐ nismöglichkeiten des menschlichen Geistes gab die Kritik David Humes (1711-1776) an der Verknüpfung der Ursache-Wirkung-Relation. Entgegen der Annahme der bisherigen Metaphysik (μετά τά φύσικα - philosophische Dis‐ ziplin, die das Hinter-der-Grenze-Liegende behandelt), die mit ihrem Kausal‐ prinzip immer angenommen hatte, dass eine Notwendigkeit der Verknüpfung einzusehen sei, vertrat Hume die Auffassung, a priori, d. h. rein aus dem Begriff einer bestimmten Ursache, könne die zugehörige Wirkung nicht abgeleitet werden, weil die Dinge grundsätzlich zusammenhanglos nebeneinander lägen. 1 Die Beziehungen, die man zwischen einzelnen Seienden auszumachen ver‐ meine, seien blosse Assoziationen. 2 Wenn sich uns ein Gegenstand oder Ereignis in der Natur darbietet, so ist es uns ohne Erfahrung unmöglich, mit noch so eindringlichem Scharfsinn zu entdecken, ja auch nur zu erdenken, was für ein Ereignis aus ihm folgen wird, oder mit unserer Voraus‐ <?page no="64"?> 3 H U M E , Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand, S. 90. 4 Vgl. Immanuel K A N T , Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissen‐ schaft wird auftreten können, S. 118. 5 Vgl. Wolfgang K R O H N , Einleitung zu: Francis B A C O N , Neues Organon, S. X. 6 Immanuel K A N T , Kritik der reinen Vernunft, B XVI, S. 21. 7 Ebd., B XVII, S. 21 f. sicht über den Gegenstand hinauszugelangen, der unmittelbar dem Gedächtnis oder den Sinnen vorliegt. Selbst wenn ein Beispiel oder eine Erfahrungstatsache uns be‐ obachten liess, dass ein bestimmtes Ereignis einem anderen folgte, so sind wir nicht berechtigt, eine allgemeine Regel zu bilden oder vorauszusagen, was in gleichen Fällen eintreten wird; denn mit Recht gilt es als unverzeihlicher Vorwitz, aus einer einzelnen, auch noch so genauen und gewissen Erfahrungstatsache, ein Urteil über den gesamten Naturverlauf abzugeben. 3 Diese Infragestellung des Kausalprinzips hatte die Potenz, Kants „dogmatischen Schlummer“ zu unterbrechen. 4 Ist das Band an den Dingen selbst zu sehen, in der unmittelbaren Wahrnehmung, oder kann die Verknüpfung deduziert werden? Wenn nicht, woher stammt die Verknüpfung? Kant ging mit Hume insoweit einig, als die Erfahrung keine Notwendigkeit habe, doch an der Not‐ wendigkeit des Kausalsatzes hielt er unabrückbar fest. Wenn der Kausalsatz aber notwendig ist und dabei nicht aus der Erfahrung stammen kann, dann muss für ihn wie auch für die anderen Erfahrungssätze nach einem Notwendigkeitsgrund gesucht werden. Bei dieser Suche - bei der er sich auch an Francis Bacon ori‐ entierte 5 - nimmt er Mass an Nikolaus Kopernikus (1473-1543), „der, nachdem es mit der Erklärung der Himmelsbewegungen nicht gut fort wollte, wenn er annahm, das ganze Sternenheer drehe sich um den Zuschauer, versuchte, ob es nicht besser gelingen möchte, wenn er den Zuschauer sich drehen, und dagegen die Sterne in Ruhe liess“ 6 . Auch in der Metaphysik könne es auf dieselbe Weise versucht werden: Wenn die Anschauung sich nach der Beschaffenheit der Gegenstände richten müsste, so sehe ich nicht ein, wie man a priori von ihr etwas wissen könne; richtet sich aber der Gegenstand (als Objekt der Sinne) nach der Beschaffenheit unseres Anschau‐ ungsvermögens, so kann ich mir diese Möglichkeit ganz wohl vorstellen. 7 Auf diese Weise sucht Kant nachzuweisen, dass die Gegenstände der Erkenntnis sich nach den Menschen richten, und nicht umgekehrt. Folglich ist bei der „Ent‐ deckung“ einer Notwendigkeit in der Erfahrung davon auszugehen, dass der Verstand diese in das Objekt hinein gelegt hat. Doch da das philosophische Erkennen ein Erkennen a priori sein muss - „denn sie soll nicht physische, son‐ 1. Von der Transzendenz zum transzendentalen Immanentismus 64 <?page no="65"?> 8 D E R S ., Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, § 1, S. 124. 9 Ebd., § 8, S. 144. 10 Ebd., § 9, S. 144. 11 Balduin S C H W A R Z , Dietrich von Hildebrands Lehre von der „Soseinserfahrung“ in ihren philosophiegeschichtlichen Zusammenhängen, S. 40. 12 Ebd. 13 Vgl. ebd. dern metaphysische, d. i. jenseits der Erfahrung liegende Erkenntnis sein“ 8 - bleibt die Frage: „wie kann Anschauung des Gegenstandes vor dem Gegenstande selbst vorhergehen? “ 9 Das ist nur auf eine einzige Art möglich, „wenn sie näm‐ lich nichts anderes enthält, als die Form der Sinnlichkeit, die in meinem Subjekt vor allen wirklichen Eindrücken vorhergeht, dadurch ich von den Gegenständen affiziert werde“ 10 . Für Kant ist es allein die Form der sinnlichen Anschauung, wodurch Dinge a priori angeschaut werden können. Woraus aber notwendi‐ gerweise folgt, dass die Materie der Erkenntnis nur so erkannt wird, wie sie den Sinnen erscheint, jedoch nicht, wie sie an sich ist. Es wäre jedoch ein Missverständnis, anzunehmen, Kant sei einzig darum be‐ müht gewesen, den Empirismus zu überwinden. Um sein Motiv zu verstehen, muss man sich klar machen, in welcher Situation sich die Philosophie zu seiner Zeit befand. „In der Gigantomachie der Frühphase der Neueren Philosophie scheiden sich die Geister über der Frage, wie das Besondere der philosophischen Erkenntnis […] zu begründen sei.“ 11 Nicht nur die Position des Empirismus stand damals zur Debatte, es gab auch einen Kontrahenten, den Rationalismus. Dessen Anfang sieht man gemeinhin mit Descartes gegeben, dem es einzig um das lo‐ benswerte Ziel der Klarheit und Deutlichkeit als Selbstausweis der Philosophie ging. Nichtsdestotrotz fanden sich bei ihm drei Unzulänglichkeiten, die als Grundlegung einer rationalistischen Position verstanden wurden: „Seine Rede von den ‚eingeborenen Ideen‘, sein damit zusammenhängendes Verkennen der Rolle der Erfahrung […] und sein Axiom von der Unmöglichkeit der Wechsel‐ wirkung zwischen Ausgedehntem und Geistigem, bzw. Personalem.“ 12 So entwickelte sich im 16. und 17. Jahrhundert ein Streit zwischen Empiristen und Rationalisten, in dessen Endstadium „die Rationalisten nichts anderes zu tun [wissen], als ihre zu Begriffen gewordenen Ideen aufeinander zu beziehen, auseinander zu entwickeln, durcheinander zu begründen“, währenddem die Empiristen „mit ihrer These, dass wir nichts eigentlich wirklich ‚haben‘ als un‐ sere Sinneseindrücke“, in einen ähnlichen Immanentismus fielen. 13 Für beide Parteien wird die Transzendenz im Sinne der Beziehung zur wirklichen Welt zu einem blossen, unbeweisbaren Postulat. 1.1 Humes Kritik am Kausalprinzip und Kants kopernikanische Wende 65 <?page no="66"?> 14 K A N T , Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, § 2, S. 125. Diesem Gegensatz von Rationalismus und Empirismus stand Kant gegenüber. Es war seine Absicht, sowohl das inhaltliche Apriori zu retten als auch Humes Prinzip zu akzeptieren, demzufolge nur die Erfahrung Erkenntnissen Gültigkeit verschaffen kann. So steht Kant am Ausgangspunkt, an dem er überlegt, wie es angegangen werden soll, gegenüber dem Rationalismus den Erfahrungser‐ kenntnissen ins Recht zu verhelfen und gleichzeitig den Empirismus mit apo‐ diktischen, jenseits der sinnlichen Erfahrung liegenden Erkenntnissen zu har‐ monisieren. Kant vermeint das „Bindeglied“ entdeckt zu haben, anhand dessen die polaren Auffassungen vereinbart werden können. Worin diese kantische Lösung genauerhin besteht, wird sich zeigen, wenn im Folgenden seine er‐ kenntnistheoretischen und logischen Prinzipien in der hier relevanten Hinsicht analysiert werden. 1.2 Von den Unterschieden zwischen analytischen und synthetischen Urteilen und Erkenntnissen a priori und a posteriori Allein Urteile mögen nun einen Ursprung haben, welchen sie wollen, oder auch, ihrer logischen Form nach, beschaffen sein, wie sie wollen, so gibt es doch einen Unterschied derselben, dem Inhalte nach, vermöge dessen sie entweder bloss erläuternd sind, und zum Inhalte der Erkenntnis nichts hinzutun, oder erweiternd, und die gegebene Er‐ kenntnis vergrössern; die ersten werden analytische, die zweiten synthetische Urteile genannt werden können. 14 Diesen Unterschied zwischen tautologischen und nichttautologischen Urteilen erkannt zu haben, darf zweifelsohne als echte Einsicht Kants gelobt werden. Tautologische Urteile, also blosse Erläuterungsurteile, die lediglich das im Sub‐ jektbegriff bereits implizit enthaltene Prädikat aussagen, werden von Kant als analytische Urteile bezeichnet. Solche Urteile sind zwar notwendig und allge‐ meingültig, aber sie sind nur eine erläuternde Begriffsanalyse und bedeuten keine Erweiterung des Wissens. Sie sagen nur aus, was im Subjektbegriff schon gesetzt war. Wenn jemand sagt: „Jeder Sohn stammt von Eltern ab“, so ist im Prädikat „von Eltern abstammen“ nur etwas wiederholt, das bereits im Subjekt‐ begriff „jeder Sohn“ enthalten war. Synthetische Urteile dagegen sind solcherart, dass im Subjektbegriff noch nichts vom Prädikatbegriff enthalten ist, bei denen durch Hinzufügung des Prä‐ dikatbegriffs der Subjektbegriff erweitert wird. Das Kausalprinzip, „jede Verän‐ 1. Von der Transzendenz zum transzendentalen Immanentismus 66 <?page no="67"?> 15 Die Ausdrücke „Urteil“ und „Satz“ werden, Kant folgend, gleichbedeutend verwendet. 16 K A N T , Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, § 2, S. 128. 17 Ebd., § 6, S. 142. 18 D E R S ., Kritik der reinen Vernunft, B 4, S. 47. derung und jedes nicht-notwendige Sein bedürfen einer Wirkursache“, ist in Kants Terminologie synthetisch. Denn das Prädikat dieses Satzes, „einer Ursache bedürfen“, fügt dem Subjekt, „jede Veränderung und jedes kontingente Seiende“, etwas Neues hinzu. Ebenso ist der Satz „7 + 5 = 12“ nicht bloss analytisch, son‐ dern synthetisch. 15 Der Begriff von Zwölf ist keineswegs dadurch schon gedacht, dass ich mir bloss jene Vereinigung von Sieben und Fünf denke, und, ich mag meinen Begriff von einer sol‐ chen möglichen Summe noch so lange zergliedern, so werde ich doch darin die Zwölf nicht antreffen. […] Man erweitert also wirklich seinen Begriff durch diesen Satz 7 + 5 = 12 und tut zu dem ersteren Begriff einen neuen hinzu, der in jenem gar nicht gedacht war, d. i. der arithmetische Satz ist jederzeit synthetisch. 16 A priori-Erkenntnisse sind für Kant durch „apodiktische Gewissheit“ 17 , „Not‐ wendigkeit und strenge Allgemeinheit“ 18 charakterisiert. Es sind solche Er‐ kenntnisse, die der Erfahrung vorangehen, von ihr unabhängig sind, die nicht auf ihr beruhen, ebenso nicht von ihr abstrahiert sind, die generell nicht aus ihr stammen, sondern von ihr unabhängig gewonnen werden. Solcherart sind sämt‐ liche analytischen Sätze. Denn die Ausfaltung des im Subjektbegriff bereits im‐ plizit Enthaltenen wird sowohl unabhängig von der Erfahrung gewonnen als es sich auch durch strenge Notwendigkeit und apodiktische Gewissheit aus‐ zeichnet. Davon unterscheiden sich die empirischen Erkenntnisse, die ihre Quellen a posteriori, nämlich in der Erfahrung haben. Sämtliche Urteile, die als objektives Korrelat einen durch a posteriori-Erkenntnis gewonnenen Sachver‐ halt haben, sind synthetischer Natur. Die Frage jedoch, die Kant vor allem be‐ schäftigte, galt nicht den synthetisch aposteriorischen, sondern den synthetisch apriorischen Urteilen. 1.3 Was also versteht Kant unter „synthetischen Urteilen a priori“, und wie steht es mit der Möglichkeit derselben? Unter einem synthetischen Urteil a priori versteht Kant ein Urteil, das über einen gegebenen Begriff hinausgeht und einen anderen damit verknüpfen kann, der in jenem nicht enthalten ist, und zwar so, als wenn dieser notwendig zu jenem 1.3 Was also versteht Kant unter „synthetischen Urteilen a priori“ 67 <?page no="68"?> 19 Vgl. K A N T , Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, § 5. 20 Ebd., § 6, S. 142. 21 Ebd., § 8, S. 143. 22 Ebd., § 8, S. 144. 23 Ebd., § 9, S. 144. 24 Ebd., § 27, S. 178. gehöre. 19 Doch „wie ist es nun der menschlichen Vernunft möglich, eine solche Erkenntnis gänzlich a priori zu Stande zu bringen? “, fragt Kant und fährt mit einer weiteren Frage fort: Setzt dieses Vermögen [apodiktisch gewisser Erkenntnisse], da es nicht auf Erfah‐ rungen fusst, noch fussen kann, nicht irgend einen Erkenntnisgrund a priori voraus, der tief verborgen liegt, der sich aber durch diese seine Wirkungen offenbaren dürfte, wenn man den ersten Anfängen derselben nur fleissig nachspürte? 20 Diese ersten Anfänge vermeint Kant in den reinen Anschauungen gefunden zu haben. Doch: „Wie ist es möglich, etwas a priori anzuschauen? “ 21 Oder anders formuliert: „Allein wie kann Anschauung des Gegenstandes vor dem Gegen‐ stande selbst vorhergehen? “ 22 Es ist […] nur auf eine einzige Art möglich, dass meine Anschauung vor der Wirk‐ lichkeit des Gegenstandes vorhergehe, und als Erkenntnis a priori stattfinde, wenn sie nämlich nichts anderes enthält, als die Form der Sinnlichkeit, die in meinem Subjekt vor allen wirklichen Eindrücken vorhergeht, dadurch ich von den Gegenständen af‐ fiziert werde. 23 Damit ist die eigentliche kopernikanische Wende vollzogen. D. h. der Versuch, nachzuweisen, dass die Gegenstände der Erkenntnis sich nach den Menschen richten müssen, und nicht umgekehrt. Folglich, wie bereits erwähnt, muss bei „Entdeckung“ einer Notwendigkeit in der sinnlichen Anschauung geschlossen werden, dass der Verstand diese in das Objekt hinein gelegt hat. Woraus aber notwendigerweise folgt, dass die Materie der Erkenntnis nur so erkannt wird, wie sie den Sinnen erscheint, jedoch nicht, wie sie an sich ist. Reine Formen der sinnlichen Anschauung sind ihm letzten Endes nur diejenigen von Raum und Zeit. Gelangen die aus der Sinneserfahrung gewonnenen Daten anschliessend in den Verstand, werden sie - spontan - kategorisiert. Kant unterscheidet zwölf logische Kategorien, denen er zuerkennt, „dass sie und die Grundsätze aus den‐ selben a priori vor aller Erfahrung fest stehen“ 24 . Was den Sinnen die Anschau‐ ungsformen von Raum und Zeit, was dem Verstand die logischen Kategorien, das sind der Vernunft schliesslich die Ideen. Mit dem Unterschied, dass die Ideen nicht a priori erkannt werden können, ja überhaupt nur eine Folge des falschen 1. Von der Transzendenz zum transzendentalen Immanentismus 68 <?page no="69"?> 25 Vgl. ebd., § 56, S. 224. 26 Vgl. ebd. 27 Vgl. ebd., § 5, S. 136 ff. Siehe auch D E R S ., Kritik der reinen Vernunft, B 19, S. 71 ff. 28 D E R S ., Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, § 6, S. 142. 29 D E R S ., Kritik der reinen Vernunft, B 4, S. 47. 30 Vgl. D E R S ., Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, § 2, S. 125. Zum Unterschied zwischen analytisch und synthetisch siehe auch D E R S ., Kritik der reinen Vernunft, B 10 ff., S. 57 ff. 31 Vgl. D E R S ., Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, § 1, S. 124. 32 Vgl. D E R S ., Kritik der reinen Vernunft, B 349 ff., S. 405 ff. 33 Vgl. ebd., B 74, S. 129. 34 Vgl. ebd., B 31 ff., S. 91 ff. 35 Vgl. ebd., B 51, S. 110. Gebrauchs der Vernunft seien, da man für konstitutiv halte, was in Wirklichkeit bloss regulativ sei. 25 „Konstitutiv“ versteht Kant dabei im realistischen, von ihm allerdings zurückgewiesenen Sinne, demgemäss die Erkenntnis der Ideen das Wissen auf transzendente Weise erweitert, während er „regulativ“ als dazu die‐ nend versteht, die Erfahrung „durch nichts einzuschränken, was zur Erfahrung nicht gehören kann“. 26 Vor diesem Hintergrund macht Kant die Wissenschaftlichkeit der Metaphysik bzw. der Philosophie abhängig von der Begründung der Möglichkeit syntheti‐ scher Erkenntnisse a priori, 27 d. h. von Erkenntnissen, die sich durch „apodikti‐ sche Gewissheit“ 28 , „Notwendigkeit und strenge Allgemeinheit“ 29 auszeichnen. Die dabei aber nicht analytisch sind, das in einem gegebenen Begriff implizit Enthaltene also nicht bloss erläutern, sondern einen anderen Begriff, der in jenem nicht enthalten ist, als notwendig zu jenem gehörig erfassen, 30 deren Quellen dabei aber nicht empirisch, sondern apriorisch sind, also jenseits der Erfahrung liegen, der inneren ebenso wie der äusseren. 31 Darin enthalten ist die Unterscheidung zwischen einem immanenten und einem transzendenten Wirk‐ lichkeitsbereich: zwischen einem Bereich möglicher Erfahrung und einem sol‐ chen, der den Bereich möglicher Erfahrung überschreitet. 32 In Verbindung mit seiner Erkenntnisdefinition, dergemäss die Anschauung und die Begriffe die Elemente einer jeden Erkenntnis ausmachen, 33 vermag er die Möglichkeit syn‐ thetischer Erkenntnisse a priori für den immanenten Bereich - mit den ge‐ nannten Anschauungsformen und Kategorien 34 - zu begründen, verneint ihre Begründbarkeit aber hinsichtlich des transzendenten Bereichs. Denn wenn die Anschauung und die Begriffe die Elemente einer jeden Erkenntnis ausmachen, es im transzendenten Bereich jedoch keine sinnlichen Anschauungen mehr gibt - die Anschauungen des Menschen sind jederzeit sinnlich 35 -, sind die je‐ 1.3 Was also versteht Kant unter „synthetischen Urteilen a priori“ 69 <?page no="70"?> 36 Vgl. ebd., B 571, S. 629. 37 Vgl. S C H W A R Z , Dietrich von Hildebrands Lehre von der „Soseinserfahrung“ in ihren phi‐ losophiegeschichtlichen Zusammenhängen, S. 43 f. 38 Dietrich von H I L D E B R A N D , Die Entthronung der Wahrheit, S. 320. 39 Vgl. S E I F E R T , Erkenntnis objektiver Wahrheit, S. 202. 40 Vgl. K A N T , Kritik der praktischen Vernunft, Zweites Buch, Zweites Hauptstück, VI., Über die Postulate der reinen praktischen Vernunft überhaupt, S. 177 f. 41 Ebd., Zweites Buch, Zweites Hauptstück, V., Das Dasein Gottes, als ein Postulat der reinen praktischen Vernunft, S. 169. 42 D E R S ., Kritik der reinen Vernunft, B XXX, S. 30. 43 Vgl. D E R S ., Kritik der Urteilskraft, § 91, S. 436. weiligen Vernunftbegriffe oder Ideen blosse Gedankendinge oder Hirnge‐ spinste. 36 Zweifelsohne darf es angesichts des damaligen Zustands der Philosophie als ein „Zeichen der Grösse Kants“ bezeichnet werden, „dass er die innere Ordnung der Probleme mit Klarheit erkannte“ und „die Frage der Tatsächlichkeit der We‐ senserkenntnis von der ihrer Begründung, nämlich der Frage nach den ‚Bedin‐ gungen der Möglichkeit‘ solchen Erkennens, mit Eindeutigkeit absetzte“. 37 Nur war der Preis, zu dem er die empiristische und die rationalistische Position har‐ monisierte, viel zu hoch. Er tat dies zum Preis der „Deformierung des Erkennt‐ nisbegriffs“ 38 . „Wenn Kant Recht hat, so ist uns das unserem Geist transzendente Wesen der Wirklichkeit radikal unbekannt; wir müssen nur die Dinge immer unter bestimmten allgemeinen Formen begreifen“, wobei wir höchstens noch wissen können, „unter welchen unserem Geist immanenten Anschauungs- und Denkformen wir die Welt betrachten müssen“. 39 Wie gesagt, kommt den Ideen keine konstitutive, sondern eine regulative Bedeutung zu. Mit anderen Worten, die Ideen sind keine Prinzipien, die die An‐ schauungen zu Begriffen aufbauen, vielmehr richten sie den Verstandesge‐ brauch auf ein problematisches Ziel hin aus. Kant versteht sie als Postulate der praktischen Vernunft, d. h. als theoretische Annahmen, um sittliche Tatsachen verstehen zu können. Solche sind ihm namentlich die Ideen von Gott, von der Freiheit und von der Unsterblichkeit. 40 Und da er die Ideen nicht für unmittelbar erkennbar hält, trägt er dem Bedürfnis nach Transzendenz insoweit Rechnung, als er die reine Vernunft erweitert, allerdings nicht in spekulativer Hinsicht, sondern nur in praktischer Absicht. Wenn er in diesem Sinne etwa sagen kann, dass „es […] moralisch notwendig [sei], das Dasein Gottes anzunehmen“ 41 , so basiert diese Annahme nicht auf Wissen, sondern auf Glauben, auf reinem Ver‐ nunftglauben. Wie er andernorts sagt, musste er „das Wissen aufheben, um zum Glauben Platz zu bekommen“ 42 . Zu Glaubenssachen erklärt Kant allerdings nur das Dasein Gottes und die Unsterblichkeit, 43 die Freiheit bildet eine Ausnahme, 1. Von der Transzendenz zum transzendentalen Immanentismus 70 <?page no="71"?> 44 Ebd., S. 435. Zu Kants Einsicht, „dass die Idee der Freiheit mich zu einem Gliede einer intelligibelen Welt macht“, vgl. D E R S ., Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Dritter Abschnitt, S. 99. Über die Freiheit handelt er in dieser Schrift insbesondere im dritten Abschnitt, S. 88-112. Ob er damit von seinem Transzendentalismus abgekommen ist, wird weiter unten zu erörtern sein, vgl. IV, 1.6.2 - „Änderte Kant seine philosophische Grundrichtung? “ Die erste Auflage der Kritik der reinen Vernunft erschien im Übrigen 1781 und die zweite 1787; die Grundlegung zur Metaphysik der Sitten wurde erstmalig 1785 und in der zweiten Auflage 1786 publiziert. An dieser Stelle sei immerhin soviel vorweggenommen, dass es gleichermassen unan‐ gemessen ist, Kant übermässig zu loben wie ihn einseitig zu kritisieren. Denn einerseits hat Kant u. a. die Würde und den „unbedingten, unvergleichlichen Wert“ der Person erkannt, wie kaum ein Denker vor ihm (vgl. D E R S ., Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Zweiter Abschnitt, S. 74; siehe auch D E R S ., Kritik der praktischen Vernunft, Zweites Hauptstück, II., S. 157, sowie ebd., Zweiter Teil, S. 209), doch andererseits wusste er diese Erkenntnis nicht zu begründen. Unbekümmert um Widersprüche zu seiner allgemeinen Erkenntnistheorie, gründet er das unsichtbare Selbst seiner Person - wie bereits in dem eingangs erwähnten Urteil über die Freiheit - in einer Welt, „die wahre Unendlichkeit hat, aber nur dem Verstande spürbar ist, und mit welcher […] ich mich nicht […] in bloss zufälliger, sondern allgemeiner und notwendiger Verknüpfung erkenne“ ( D E R S ., Kritik der praktischen Vernunft, Beschluss, S. 215). Trotz seiner prinzipiellen Leugnung der Erkennbarkeit des noumenalen Dings an sich, versetzte er die Person und ihre Freiheit dennoch in gerade diese Sphäre (vgl. ebd., Zweites Hauptstück, II., S. 154 f.). Vgl. auch seinen moralischen Beweis des Daseins Gottes in der Kritik der Urteilskraft, § 87, S. 409-422. Es ist offensichtlich, dass in dieser Hinsicht in Kants Thesen absolut unversöhnliche Widersprüche wurzeln. Zur Herausarbeitung der Grundlinien der phänomenologischen Philosophie werden Kants Auffassungen weiter unten verschiedentlich als Negativfolie herangezogen werden. Vgl. II, 4.3 - „Die Einwände gegen das ontologische Argument durch Thomas von Aquin und Immanuel Kant“, sowie IV, 1.6 - „Intersubjektiver Konsens in ethischen Fragen? Kants ‚kategorischer Imperativ‘ im Vergleich mit einigen der einschlägigen Prinzipien der phänomenologischen Wertethik“. 45 K A N T , Die Religion innerhalb der Grenzen der blossen Vernunft, S. 206. 46 Ebd., S. 210. 47 Ebd., S. 211. denn sie sei „[d]ie einzige unter allen Ideen der reinen Vernunft, deren Gegen‐ stand Tatsache ist“ 44 . Von da her versteht sich nun auch, wie Kants - oben an‐ gesprochene - Definition der Religion als „Erkenntnis aller unserer Pflichten als göttlicher Gebote“ 45 zu begreifen ist. Da er die Idee Gottes nicht für erkennbar hält, ist ihm auch die Religion als Ableitung „eines moralischen Gesetzgebers“ 46 nicht mehr denn „ein reiner praktischer Vernunftbegriff “ 47 , ein Postulat. Doch ist uns die Wirklichkeit tatsächlich radikal unbekannt? Können wir nur wissen, mit welchen dem Geist immanenten Anschauungs- und Denkformen wir sie betrachten müssen? Doch warum nimmt Kant das Erkennen eigentlich nicht davon aus? Warum sagt er eindeutig nicht, die von ihm gebotene Erklä‐ rung des Erkennens sei eine spontane Setzung, eine Konstruktion? Warum geht 1.3 Was also versteht Kant unter „synthetischen Urteilen a priori“ 71 <?page no="72"?> er vom klassischen, vom rezeptiven Verständnis des Erkennens aus? Aus keinem anderen Grund, als weil er ebenso inkonsequent ist wie jeder andere Skeptiker auch: Was er leugnet, setzt er im selben Atemzug wieder voraus. Denn wird seine Theorie, dass wir alles konstruieren, konsequent weitergedacht, so gelangt man letztlich an den Punkt des Nichtwissens, ob die Menschen tatsächlich so denken, wie er es behauptet. Die These, dass die Erkenntnis eine Konstruktion aus einem amorphen Etwas ist, das sinnlich wahrgenommen wird, scheitert auch an der Frage nach dem Was der Sinne. Wie kann man wissen, was Sinne sind, wenn es sich verhält, wie Kant behauptet, wenn die menschliche Kon‐ struktion der Welt ihrer Wahrnehmung tatsächlich vorhergeht? Ja wie kann man überhaupt wissen, dass der amorphe Stoff, der verarbeitet und aus dem die ganze Welt konstruiert wird, durch die Sinne geliefert wird? Wenn Kant Recht hätte, könnte kein Mensch ein Wissen über andere Menschen erlangen, er käme über die Inhalte seines eigenen Bewusstseins nicht hinaus und müsste diese als das einzig Wirkliche gelten lassen. Auch Kants Definition der Religion als eines Postulats ist von da her zu ver‐ stehen. Denn wie soll etwa von einem schlechtweg unbekannten Gott als einer moralischen Notwendigkeit gesprochen werden? Das sagt doch offensichtlich nur jemand, der Gott erkannt hat, in welchem Mass auch immer. Zumal setzt er in den Sachen der Religion voraus, was er in seinen Kritiken verneint. Der Nachweis der Vernünftigkeit der Religion kann auf der Basis der Kantschen Theorien jedenfalls nicht erbracht werden, ist ihm das Transzendente doch ge‐ rade kein Gegenstand des Wissens. Das nachvollziehbare Begründen der Reli‐ gion als einer lebendigen Verbindung des Menschen mit dem Transzendenten setzt vielmehr eine Erkenntnistheorie voraus, die die reale Möglichkeit des Überstiegs über die Grenzen der Immanenz evident zu machen vermag. 1. Von der Transzendenz zum transzendentalen Immanentismus 72 <?page no="73"?> 2 Dietrich von Hildebrands Kritik an Kants transzendentalem Immanentismus und seine Be‐ gründung der Transzendenz in der Erkenntnis Wie zentral das Wissen um das Transzendente den Menschen betrifft, hat nicht erst Maslow zur Sprache gebracht, der das Transzendieren zum höchsten Be‐ dürfnis des Menschen erklärte. Vor ihm hatte bereits Heinrich von Kleist sich in einem Brief - den Friedrich Nietzsche zitiert - zu den existentiellen Folgen der Kantschen Skepsis geäussert. Verzweiflung an der Wahrheit. Diese Gefahr begleitet jeden Denker, welcher von der Kantischen Philosophie aus seinen Weg nimmt, vorausgesetzt, daß er ein kräftiger und ganzer Mensch in Leiden und Begehren sei und nicht nur eine klappernde Denk- und Rechenmaschine. Nun wissen wir aber alle recht wohl, was es gerade mit dieser Voraussetzung für eine beschämende Bewandtnis hat, ja es scheint mir, als ob über‐ haupt nur bei den wenigsten Menschen Kant lebendig eingegriffen und Blut und Säfte umgestaltet habe. Zwar soll, wie man überall lesen kann, seit der Tat dieses stillen Gelehrten auf allen geistigen Gebieten eine Revolution ausgebrochen sein; aber ich kann es nicht glauben. Denn ich sehe es den Menschen nicht deutlich an, als welche vor allem selbst revolutioniert sein müssten, bevor irgendwelche ganze Gebiete es sein könnten. Sobald aber Kant anfangen sollte, eine populäre Wirkung auszuüben, so werden wir diese in der Form eines zernagenden und zerbröckelnden Skeptizismus und Relativismus gewahr werden; und nur bei den tätigsten und edelsten Geistern, die es niemals im Zweifel ausgehalten haben, würde an seiner Stelle jene Erschütte‐ rung und Verzweiflung an aller Wahrheit eintreten, wie sie z. B. Heinrich von Kleist als Wirkung der Kantischen Philosophie erlebte. ‚Vor kurzem‘, schreibt er einmal in seiner ergreifenden Art, ‚wurde ich mit der Kantischen Philosophie bekannt - und dir muß ich jetzt daraus einen Gedanken mitteilen, indem ich nicht fürchten darf, dass er dich so tief, so schmerzhaft erschüttern wird als mich. - Wir können nicht ent‐ scheiden, ob das, was wir Wahrheit nennen, wahrhaft Wahrheit ist oder ob es uns nur so scheint. Ist’s das Letztere, so ist die Wahrheit, die wir hier sammeln, nach dem Tode nichts mehr, und alles Bestreben ein Eigentum zu erwerben, das uns auch noch in das Grab folgt, ist vergeblich. - Wenn die Spitze dieses Gedankens dein Herz nicht trifft, so lächle nicht über einen andern, der sich tief in seinem heiligsten Innern davon verwundet fühlt. Mein einziges, mein höchstes Ziel ist gesunken, und ich habe keines mehr.‘ Ja, wann werden die Menschen wieder dergestalt Kleistisch-natürlich emp‐ <?page no="74"?> 1 Friedrich N I E T Z S C H E , Unzeitgemäße Betrachtungen, III, 3, S. 302 f. Die zitierte Kleist-Stelle stammt aus einem Brief vom 22. 03. 1801. Vgl. Heinrich von K L E I S T , Briefe 1793-1804, S. 163. Wenn Nietzsche hier von der Verzweiflung an der Wahrheit spricht, dann spricht er von einem „Leiden ohne Sinn“, denn gerade das ist die Verzweiflung (vgl. Viktor E. F R A N K L , Sinn als anthropologische Kategorie, S. 69). 2 Schon Augustinus sprach zu Beginn des ersten Buches seiner Confessiones von diesem Gefühl der Sinnlosigkeit, denn was sonst könnte es wohl gewesen sein, das er zu seiner Zeit als Ruhelosigkeit des Herzens bezeichnete? ! 3 Vgl. von H I L D E B R A N D , Die Stellung der Wahrheitserkenntnis im Leben der Menschen, S. 29. 4 Vgl. D E R S ., Die geistigen Formen der Affektivität, S. 198 f. Thomas von Aquin bezeichnet diese erkenntnistheoretische Position mit einem kleinen Unterschied als adaequatio intellectus et rei. Vgl. De veritate, q. 1, a. 1: primo ergo com‐ paratio entis ad intellectum est ut ens intellectui concordet, quae quidem concordia adae‐ quatio intellectus et rei dicitur, et in hoc formaliter ratio veri perficitur. Zit. nach: T H O M A S von Aquin, Von der Wahrheit, S. 8 f. 5 Vgl. von H I L D E B R A N D , Die Stellung der Wahrheitserkenntnis im Leben der Menschen, 30. 6 Ebd., S. 29. finden, wann lernen sie den Sinn einer Philosophie erst wieder an ihrem ‚heiligsten Innern‘ messen? 1 Nietzsche bezieht sich hier auf die populären Auswirkungen der Kantschen Philosophie: den zernagenden und zerbröckelnden Skeptizismus und Relati‐ vismus. Ihre Fortführung fanden sie in dem eingangs erwähnten Bedürfnis nach Transzendenz sowie dem daraus resultierenden Gefühl der Sinnlosigkeit. 2 Auch von Hildebrand spricht in einem Artikel aus den Jahren 1934 / 35 - Die Stellung der Wahrheitserkenntnis im Leben der Menschen - von den „tiefgehendsten Zer‐ setzungserscheinungen“, die „die völlige Ignorierung der erhabenen grundle‐ genden Bedeutung der Erkenntnis der Wahrheit in sich und für den Menschen“ gezeigt habe. 3 Um die folgenden Ausführungen, ja von Hildebrands Philosophie insgesamt im rechten Lichte sehen und verstehen zu können, sei gleich an dieser Stelle darauf aufmerksam gemacht, dass von Hildebrand ein Vertreter der so‐ genannten Korrespondenztheorie der Wahrheit ist, wie sie im Wort von der adaequatio intellectus ad rem, der „Angleichung der Vernunft an den Gegen‐ stand“, klar zum Ausdruck kommt. 4 Von da her lässt sich auch „der erhabene Eigenwert der Wahrheit“ verstehen, der darin liegt, „dass ein Seiendes so erfasst wird, wie es tatsächlich ist“. 5 Zudem „stellt das Erkennen des Seienden die un‐ ersetzliche Voraussetzung für die wahre Vollkommenheit des Menschen dar“ 6 . Das Aufstellen einer Behauptung ist das Eine, sie zu begründen, das Andere. So ist man unweigerlich zur Frage gedrängt, wie von Hildebrand - über die genannten Behauptungen hinaus - die folgende These zu begründen sucht: „Die 2 Dietrich von Hildebrands Begründung der Transzendenz in der Erkenntnis 74 <?page no="75"?> 7 Ebd., S. 31. 8 D E R S ., Was ist Philosophie? , 1. Kap., II., S. 29. 9 Ebd., 1. Kap., II., S. 28. 10 Ebd., 1. Kap., I., S. 20. 11 Ebd., 1. Kap., II., S. 21. 12 Ebd., 1. Kap., II., S. 27. 13 Ebd. 14 Ebd., 2. Kap., S. 31. Fähigkeit, das Seiende zu erkennen und verstehend zu durchdringen, die Welt und sich selbst gleichsam im Erkennen ‚zu besitzen‘, ist einer der tiefsten We‐ senszüge der geistigen Person und unlösbar mit ihrem Wesen als Person ver‐ knüpft.“ 7 In wissenschaftlicher Weise hat von Hildebrand die Korrespondenz‐ theorie der Wahrheit ebenso wie die Transzendenz des Menschen in der Erkenntnis und das verstehende Durchdringen des Seienden in seiner episte‐ mologischen Hauptschrift Was ist Philosophie? begründet. Dabei charakterisiert er das Erkennen als „intentionale Teilnahme am Seienden“ 8 , als „transzendie‐ rende geistige Berührung“ 9 , „die nur eine Veränderung im Subjekt und nicht im erkannten Objekt bedeutet“ 10 . Eng damit verbunden, das Merkmal des empfan‐ genden Aufnehmens. „Zum Sinn des Erkennens gehört, dass ein Gegenstand, so wie er ist, von der Person erfasst, verstanden, aufgenommen wird, dass er sich erschliesst, sich in seinem Sein vor unserem geistigen Auge enthüllt.“ 11 Dieses Empfangen steht jedoch keineswegs für ein rein passives Verhalten. „Jedes Erkennen hat auch eine aktive Komponente, die wir als ‚geistiges Mit‐ gehen‘ mit dem Gegenstand und seiner Eigenart bezeichnen können.“ 12 Dabei denkt von Hildebrand nicht primär an die die Erkenntnis vorbereitenden Akte, wie die Aufmerksamkeit oder die Zuwendung zum Gegenstand. Er denkt viel‐ mehr an ein Element im Prozess des Erkennens selbst, an ein Konspirieren mit dem Gegenstand, das umso mehr in den Vordergrund tritt, je komplizierter und sinnhaltiger der Gegenstand ist: „Es ist gleichsam ein intentionales Nachvoll‐ ziehen des Seinsgestus des Gegenstandes, der Vollzug des Verstehens, das volle, ausdrückliche geistige Aufnehmen des jetzt real gegebenen Gegenstandes.“ 13 Diese Merkmale finden sich nun nicht alleine beim philosophischen Er‐ kennen; sie finden sich vielmehr überall da, wo immer „sich uns ein Gegenstand unmittelbar oder mittelbar in seinem Sosein oder Dasein erschliesst“ 14 . Dennoch hat das spezifisch philosophische Erkennen einige Merkmale, die es von allen anderen Erkenntnistypen unterscheiden. Zu ihnen gehören die ausdrückliche Thematizität des Erkennens, die pragmatische Einstellung, der systematische und der kritische Charakter. Mit anderen Worten: Das philosophische Erkennen strebt „eine möglichst vollständige, möglichst gewisse und möglichst genaue 2 Dietrich von Hildebrands Begründung der Transzendenz in der Erkenntnis 75 <?page no="76"?> 15 Ebd., 3. Kap., I., S. 45. 16 Ebd., 3. Kap., II., S. 58. 17 Ebd. 18 Ebd., 2. Kap., S. 38. 19 Vgl. ebd., 2. Kap., S. 38 f. 20 Vgl. D E R S ., Die Idee der sittlichen Handlung, II. Teil, 2. Kap., S. 211. 21 D E R S ., Was ist Philosophie? , 2. Kap., S. 40. Der Unterschied zwischen Kennen und Wissen wird weiter unter noch vertieft werden, vgl. IV, 2.5 - „Die beiden Vollkommenheiten der Wahrnehmung - das Notionsthema und das kontemplative Thema“. Erkenntnis“ 15 an. Dabei ist es frei von jeder Einengung auf das, was für einen praktischen Zweck wichtig ist. Überdies ist das philosophische Erkennen „aus‐ drücklich von dem methodischen Prinzip durchsetzt, nur von wohlfundierten, womöglich evidenten Prämissen auszugehen und nur stringente Schlüsse zu‐ zulassen“ 16 . Schliesslich wird dem „Wissen von dem jeweiligen Sachverhalt […] nur die Gewissheit zugebilligt, die der Gegebenheitsstufe oder der Stringenz seiner indirekten Erschliessung durch Schlussfolgerungen entspricht“ 17 . Zum Aufweis des Spektrums des Erkenntnisphänomens ist an dieser Stelle auch der Hinweis auf den wichtigen Unterschied zwischen Kennen und Wissen am Platz. Erstens bezieht sich das Wissen - ebenso wie das Erkennen - aus‐ schliesslich auf Sachverhalte. Es wird beispielsweise in Sätzen ausgedrückt wie: Ich weiss, dass 2 + 2 = 4. Oder: Im Jahre 49 v. Chr. hat Cäsar den Rubikon über‐ schritten. Nur Tatsachen oder Sachverhalte sind Gegenstände des Wissens. Das Kennen dagegen bezieht sich „auf alles mit Ausnahme der Sachverhalte“ 18 , wobei das Kennen eines Menschen, eines Buches etc. mehr oder weniger vollständig sein kann. Was sich etwa an dem Satz zeigt: Ich kenne Peter, und ich weiss, dass er aus Italien stammt. Beim Kennen des Peter gibt es „Grade der Intimität wie des Verstehens“, so kann ihn der Eine besser kennen als der Andere; das Wissen dagegen hat „einen linearen Charakter, d. h., es ist direkter und schärfer um‐ rissen“. 19 Entweder stammt Peter aus Italien oder er stammt nicht aus Italien, tertium non datur. In seiner Dissertation hat von Hildebrand den kognitiven Unterschied so gefasst, dass es beim Kennen ein „Näher oder Ferner“ gibt, wäh‐ renddem das Wissen „eine konstante, nie variierende Ferne als solche“ hat. 20 Beim Wissen, dessen Gegenstände ausschliesslich Sachverhalte sind, gibt es keine Grade des Verstehens, sondern Grade der Gewissheit. Was hier unter‐ schieden wird, geht realiter jedoch ständig ineinander, denn „[m]it jeder Stufe des Kennens geht das Wissen bestimmter, dem Gegenstand geltender Sachver‐ halte Hand in Hand.“ 21 2 Dietrich von Hildebrands Begründung der Transzendenz in der Erkenntnis 76 <?page no="77"?> 22 Vgl. D E R S ., Was ist Philosophie? , 4. Kap., II., A., S. 83. 23 K A N T , Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, § 6, S. 142. 24 D E R S ., Kritik der reinen Vernunft, B 4, S. 47. 2.1 Die Äquivokation des Begriffs der Erfahrung Seiner Kritik an Kants Transzendentalismus und Immanentismus legt von Hil‐ debrand den Aufweis der Vieldeutigkeit des Begriffs der Erfahrung zugrunde. In der Erfahrung liege keine Notwendigkeit, kann als Leitprinzip der neuzeitli‐ chen Erkenntnistheorie bezeichnet werden. Man findet es bei René Descartes (1596-1650) ebenso wie bei John Locke (1632-1704), bei David Hume (1711-1776) ebenso wie bei Immanuel Kant (1724-1804), um hier nur einige der namhaftesten Vertreter zu nennen. Was als Leitprinzip fungierte, trug allerdings deutliche Züge eines schlichten Vorurteils. Denn einfachhin ging man von der Univozität des Erfahrungsbegriffs aus, und zwar von einer Erfahrung, in der tatsächlich keine Notwendigkeit zu finden ist, nämlich der Sinneserfahrung. Insofern nicht ohne Logik, verlegte Hume die Wissenschaftlichkeit alleine in die abstrakten Wissenschaften der Geometrie, der Algebra und der Arithmetik. Auch Kant erwartete von der Sinneserfahrung keine Notwendigkeit, sondern ausschliesslich von den Voraussetzungen der Erfahrung, d. h. von den die Sin‐ nesempfindungen spontan überformenden Anschauungs- und Denkformen. Dagegen kommt von Hildebrand das Verdienst zu, die Äquivokation des Erfah‐ rungsbegriffs aufgedeckt zu haben. Er hat gezeigt, dass Notwendigkeit auch in der Erfahrung gegeben sein kann. Und zwar dann, wenn die Erfahrung diffe‐ renziert wird in das Erfahren des Daseins einerseits, des Soseins andererseits. Wobei Notwendigkeit nicht darin zu finden ist, dass ein bestimmtes Seiendes existiert, sondern alleine im Was, im Sosein des Existierenden. Nach von Hilde‐ brands Terminologie also nicht in der Realkonstatierung, sondern alleine in der Soseinserfahrung. 22 Hätte Kant dafür gehalten, dass jedes Sosein in dem Sinne ein synthe‐ tisch-apriorisches Erkennen ermöglicht, dass die rezeptive Sinnesempfindung und die spontane Überformung dieses Soseins mit den Anschauungsformen von Raum und Zeit bzw. den Denkformen die Grundlage geschaffen hätte, um apriorische und wissenserweiternde Erkenntnisse über diese Vorgänge zu er‐ langen, dann jedoch nicht über das Sosein, über die Materie der Erkenntnis selbst. Für Kant eröffnet jedes Sosein dieselben - formellen - Erkenntnismög‐ lichkeiten wie jedes andere auch. Wenn Kant die „apodiktische Gewissheit“ 23 , die „Notwendigkeit und strenge Allgemeinheit“ 24 als die Merkmale des synthe‐ tisch-apriorischen Erkennens benennt, dann widerspricht ihm von Hildebrand hinsichtlich der strengen Allgemeinheit, d. h. der Allgemeingültigkeit. Denn da 2.1 Die Äquivokation des Begriffs der Erfahrung 77 <?page no="78"?> 25 von H I L D E B R A N D , Was ist Philosophie? , 4. Kap., II., C., S. 90. Weder sind die philosophischen Erkenntnisse im Kantschen Sinne allgemeingültig, so dass jeder Mensch sie erlangen kann, noch reicht die Erfahrung des Soseins eines ge‐ gebenen Gegenstandes hin, um einen in ihm gründenden Sachverhalt erkennen zu können. Das bemisst und entscheidet sich an der Sinnfülle und der Bedeutsamkeit des Objektes. Ist der Gegenstand neutral, indifferent, reicht eine entsprechende intellektu‐ elle Bildung in der Regel hin. Sobald es sich jedoch um etwas Bedeutsames handelt, bedarf es einer bestimmten Willensrichtung, um das Verhalten eines gegebenen Sei‐ enden erkennen zu können. Vgl. dazu IV, 1.3 - „Der ordo amoris und das Phänomen der Wertblindheit“. 26 Vgl. K A N T , Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, § 1, S. 124. die apriorischen Erkenntnisse nicht von jeder Erfahrung unabhängig sein müssen, so vor allem nicht von der Soseinserfahrung, „verträgt sich der aprio‐ rische Charakter einer Erkenntnis sehr wohl damit, dass jemand, solange ihm die entsprechende Soseinserfahrung fehlt, den apriorischen Bestand nicht ein‐ zusehen vermag“ 25 . Obwohl das synthetisch-apriorische Erkennen - in Kants Terminologie: das philosophische Erkennen 26 - das Erfahren des Soseins voraussetzt, in dem der zu erkennende Sachverhalt gründet, ist es dennoch möglich, einen realen Kon‐ takt mit einem Seienden zu haben, dabei aber einer Erfahrung des Soseins zu ermangeln. Dies soll anhand eines Beispiels aus der Literatur veranschaulicht werden. In seinem Roman Die Brüder Karamasow zeigt Fjodor Dostojewski auf eindrückliche Weise den Unterschied auf zwischen der Realkonstatierung und der Soseinserfahrung. In seinen Jünglingsjahren führte der nachmalige Starez Sossima ein aus‐ schweifendes Leben. Einmal, er diente zu der Zeit als Offizier, wurde er aufgrund einer von ihm ausgesprochenen Beleidigung zum Duell aufgefordert. Als er am Abend vor dem entscheidenden Tag nach Hause zurückkehrte, ärgerte er sich über seinen Diener Afanasi „und schlug ihn aus aller Kraft zweimal ins Gesicht, so dass es mit Blut überströmt war“. Hernach legte er sich schlafen. Als er am nächsten Morgen, am Tag des Duells, aufwacht, hat er ganz neuartige Gedanken. Sind die Gedanken zuerst nebulös, verhüllt, unscharf, werden sie alsbald immer klarer. Er denkt nicht etwa an das bevorstehende Duell, sondern an die Schläge, die er seinem Diener erteilte. „Alles trat mir da plötzlich aufs neue vor die Augen, gleich als ob von neuem alles vor sich gehe: er steht vor mir, und ich schlage ihn, weit ausholend, gerade ins Gesicht; er aber hält die Hände an die Hosennaht, den Kopf gerade, die Augen hat er aufgerissen wie an der Front, er zittert bei jedem Schlag und wagt nicht einmal die Hände zu erheben, um sich zu schützen - und da ist ein Mensch bis dahin gebracht worden, und da schlägt ein 2 Dietrich von Hildebrands Begründung der Transzendenz in der Erkenntnis 78 <?page no="79"?> 27 Vgl. Fjodor Michailowitsch D O S T O J E W S K I , Die Brüder Karamasow, Zweiter Teil, sechstes Buch, II a, S. 510 f. 28 Vgl. zum Unterschied der zwei Erfahrungsarten auch den klärenden Beitrag von S C H W A R Z , Dietrich von Hildebrands Lehre von der „Soseinserfahrung“ in ihren philoso‐ phiegeschichtlichen Zusammenhängen. 29 Vgl. von H I L D E B R A N D , Was ist Philosophie? , 4. Kap., III., A., S. 94. 30 Vgl. ebd., 4. Kap., III., A., S. 94-96. Mensch einen Menschen! Was ist das für ein Verbrechen! Es war, als ob eine scharfe Nadel mir die ganze Brust durchstossen habe.“ 27 Was hatte sich wohl in dieser Nacht zugetragen? Was war geschehen? Hatte er es am Vorabend noch als angemessen erachtet, seinen Diener zu schlagen, wenn er sich ob diesem ärgert, so steht ihm am nächsten Morgen die Würde und die Kostbarkeit dieses Menschen klar vor Augen. Und in dem Moment, in dem sich ihm die Würde und der Wert des Menschen in aller Schärfe offenbart, kann er es nicht mehr verstehen, wie er das jemals hat übersehen können. Der Unterschied zwischen den beiden Erfahrungsarten, der Realkonstatie‐ rung und der Soseinserfahrung, tritt hier deutlich zutage. Am Vorabend des Duells nimmt er wohl, wie bis anhin, seinen Diener wahr (Realkonstatierung). Die jeder Person eignende Menschenwürde dagegen vermag er nicht zu er‐ fassen. Erst am nächsten Tag, nachdem er eine zutiefst personale Stellungsum‐ kehr vollzogen hatte, „sah“ er die notwendig mit jeder menschlichen Person gegebene Menschenwürde (Soseinserfahrung). 28 2.2 Die verschiedenen Arten des Soseins und der Unterschied zwischen empirischer und apriorischer Erkenntnis Mit der Unterscheidung verschiedener Arten des Soseins begründete von Hil‐ debrand auch den erkenntnismässigen Unterschied zwischen dem empirischen und dem apriorischen Erkennen. An den Beginn seiner Grundlegung stellt er das Wort, dass jedes seiende Etwas eine Einheit sei, „und sein Sosein irgendwie als Einheit charakterisiert sein“ müsse, um im nächsten Schritt nach „den Graden der Sinnhaftigkeit in den Soseinseinheiten“ zu fragen. 29 Dabei steigt er vom Niederen zum Höheren auf und bringt drei grundsätzlich verschiedene Einheitsstufen zu Bewusstsein. Da die Einheiten der niedersten Stufe, die cha‐ otischen und zufälligen Einheiten, kein genuines Erkennen ermöglichen, braucht an dieser Stelle auch nicht auf sie eingegangen zu werden. Mit dem Verweis auf die entsprechende Quelle sei dieser Einheitsart Genüge getan. 30 Die 2.2 Die verschiedenen Arten des Soseins 79 <?page no="80"?> 31 Ebd., 4. Kap., III., B., S. 96. 32 Ebd. 33 Vgl. ebd., 4. Kap., III., B., S. 97. 34 Ebd., 4. Kap., III., B., S. 102. 35 Ebd., 4. Kap., I., C., S. 71. 36 Vgl. John R. W H I T E , Kant and von Hildebrand on the Synthetic A Priori. A Contrast, S. 313, Anm. 62. auf der nächsthöheren Stufe gelegenen Einheiten dagegen „haben ein sinnvolles Sosein, eine Washeit, die uns berechtigt, von wirklichen Typen zu sprechen“ 31 . Im Unterschied zu einer zufälligen Einheit, wie z. B. einem Gerümpelhaufen oder einer Notenfolge, die keine Melodie ist, wird der echte Typus „nicht von aussen zusammengehalten, sondern besitzt eine vom ‚Zentrum‘ ausgehende Einheit; seine Elemente sind nicht zufällig, sondern von innen her sinnvoll ver‐ bunden“ 32 . Solcherart sind z. B. das Gold, der Stein, das Wasser, der Löwe oder das Pferd. Von Hildebrand unterscheidet im Sosein der Gegenstände dieser Art zwei Schichten: die Erscheinungseinheit und die konstitutive Einheit. Die erste Schicht bezeichnet er als das „‚Gesicht‘, als die Einheit der äusseren Erschei‐ nung“, und unterscheidet sie von der zweiten Schicht, „bei der es sich um das Sosein dieses Materietyps handelt, der dieses Gesicht trägt“. 33 Um Erkenntnisse über das Gesicht eines solcherart geeinten Seienden - von Hildebrand spricht von den morphischen Einheiten - erlangen zu können, muss es von aussen be‐ obachtet werden. Die konstitutive Einheit dagegen kann durch Experimente und durch die Verwendung von Instrumenten - wie etwa des Mikroskops - sozu‐ sagen zusammengesetzt werden. Trotz aller Sinnhaftigkeit, tragen sie aber den‐ noch „das Merkmal des Kontingenten und ‚Erfundenen‘“ 34 . Bei der Erkenntnis des Verhaltens eines Seienden mit einer morphischen Einheit wird im besten Falle der Gewissheitsgrad der Höchstwahrscheinlichkeit erreicht, denn es „lässt für eine prinzipielle Ergänzungs- und Täuschungsmöglichkeit Raum“ 35 . Wird dagegen der Einwand erhoben, dass es doch nicht kontingent, sondern vielmehr notwendig sei, dass dieser Löwe nicht gleichzeitig existieren und nicht existieren kann, oder dass das Gold immer räumlich ausgedehnt ist, so handelt es sich dabei zweifelsohne um Urteile, die keinen Raum lassen für eine Ergänzungs- oder Täuschungsmöglichkeit. Das hat seinen Grund letztlich aber nur insofern im Sosein des Löwen oder des Goldes, als es zugleich materielle Dinge sind, als sie, um mit John R. White zu sprechen, durch gewisse formal necessary features determiniert sind. 36 Damit ist die Grenze erreicht, die den immanenten und den transzendenten Wirklichkeitsbereich voneinander trennt. 2 Dietrich von Hildebrands Begründung der Transzendenz in der Erkenntnis 80 <?page no="81"?> 37 Siehe etwa P L A T O N , Phaidon, 75e, oder D E R S ., Phaidros, 247c-250c. Platon forderte „nicht nur die Unabhängigkeit von Daseinserfahrung, von Beobachtung und Induktion […], sondern auch die von jeder Soseinserfahrung in dieser unserer irdischen Existenz“ (von H I L D E B R A N D , Selbstdarstellung, S. 82). 38 Descartes unterscheidet Ideen, von denen „die einen mir eingeboren, andere von aussen hinzugekommen, wieder andere von mir selbst gemacht [sind]“ (D E S C A R T E S , Meditati‐ onen über die Grundlagen der Philosophie, Dritte Meditation, 13., S. 30). 39 Vgl. von H I L D E B R A N D , Was ist Philosophie? , 4. Kap., II., A., S. 85. 2.2.1 Das epistemologische Apriori als absolut gewisse Erkenntnis höchst intelligibler und wesensnotwendiger Sachverhalte Ganz anders liegen die Dinge beim apriorischen Erkennen, mit dem die Grenze der Immanenz überschritten und Wissen über Transzendentes erworben wird. Dabei ist die Unabhängigkeit von jeder Erfahrung nicht im umfassenden Sinne Bedingung, sondern nur im Sinne der Erfahrung des Daseins, der Realkonsta‐ tierung. Beim Apriori geht es von Hildebrand nicht um die Frage, ob es Gehalte gibt, die unabhängig von irgendeiner Soseinserfahrung bekannt sind, so wie bei Kants transzendentalen Anschauungsformen und Kategorien, bei Platons Wie‐ dererinnerung 37 oder bei Descartes’ eingeborenen Ideen 38 . Beim Apriori geht es von Hildebrand um nichts weniger als um „die erkenntnistheoretische Frage schlechthin“: „die Frage nach der Existenz und der Möglichkeit absolut gewisser Erkenntnis höchst intelligibler und wesensnotwendiger Sachverhalte“. 39 Das objektive Korrelat des Erkennens bildet dabei das Verhalten eines Ge‐ genstandes mit einem Sosein, das in sich notwendig ist, bei dem die Wegnahme auch nur eines Elementes die ganze Einheit zerstören würde. Mit einem Beispiel: Während bei einem Löwen ein Bein fehlen kann und er noch immer ein Löwe ist, lässt sich anhand des Soseins des Verzeihens etwa verdeutlichen, inwiefern sich dies bei den notwendigen Einheiten anders verhält. Denn angenommen, einer Person wird von einer anderen Person ein Übel zugefügt, das diese Person aber nicht aus freiem Willen getan hat, so wird sie sie auch nicht um Verzeihung bitten, ja nicht einmal bitten können, so fest sie sich auch darum bemüht. Was sie allenfalls kann, ist Mitleid für sie empfinden. Das Verzeihen setzt das Wissen um die eigene Schuldigkeit voraus, welches hier gerade fehlt. Vor allem aber kann das notwendige Sosein der Verzeihung nur dann erfahren werden, wenn keines der Elemente fehlt, also weder das willkürliche Zufügen eines Übels noch die Einsicht in die eigene Schlechtigkeit oder die Selbstanklage vor der anderen Person, welche diese nach dem Mass der Aufrichtigkeit des Selbstanklägers ge‐ gebenenfalls dazu bewegt, diesem das zugefügte Übel zu verzeihen. Mit dem freien Akt des Verzeihens wird die Tat, die zwischen den Personen eine objektive Unordnung begründete, nicht dem Vergessen übergeben, sondern vielmehr als 2.2 Die verschiedenen Arten des Soseins 81 <?page no="82"?> 40 Die Urphänomene stehen zu den Objekten, die eine notwendige, höchst intelligible Wesenheit besitzen, in dem Verhältnis, dass alle Urphänomene eine notwendige We‐ senheit haben, aber nicht alle notwendigen Wesenheiten Urphänomene sind. 41 von H I L D E B R A N D , Christliche Ethik, Prolegomena, S. 15. 42 D E R S ., Was ist Philosophie? , 4. Kap., IV, S. 124. Begriff und Wesen der „Kenntnisnahme“ werden dem Verständnis weiter unten näher gebracht, vgl. IV, 2.5 - „Die beiden Voll‐ kommenheiten der Wahrnehmung - das Notionsthema und das kontemplative Thema“. 43 Dieser Ausdruck, den von Hildebrand öfters verwendet, stammt ursprünglich von Jacques Maritain (1882-1973). 44 von H I L D E B R A N D , Was ist Philosophie? , 4. Kap., IV., S. 125. 45 Vgl. D E R S ., Christliche Ethik, Prolegomena, S. 27. 46 Ebd. 47 Ebd., S. 28. 48 D E R S ., Was ist Philosophie? , 7. Kap., V., S. 205. ein Sieg des Wohlwollens im Gedächtnis verankert. An diesem Beispiel zeigt sich, wie das Fehlen auch nur eines Elementes die ganze Einheit des notwen‐ digen Soseins des Verzeihens zerstört. Mit der Einführung eines Terminus, in diesem Fall des Terminus „Verzeihen“, ist ein Urphänomen bezeichnet - und Urphänomene sind die meisten Wesen‐ heiten 40 -, das sich nicht in dem Sinne in einer Definition niederschlägt, als liesse sich „eine philosophische Untersuchung mit dem Nachschlagen in einem Le‐ xikon auf die gleiche Stufe stellen“ 41 . Das philosophische Erkenntnisbemühen „dient nicht dazu, die notwendige Soseinseinheit so in ihre Bestandteile aufzu‐ lösen, dass eine Definition derselben das anschauliche Erfassen auch vom Stand‐ punkt der Kenntnisnahme ersetzen könnte“ 42 . Dieses Bemühen beinhaltet vor allem eine volle prise de conscience 43 des Gegebenen, ein voll bewusstes „Inne‐ werden von Tatsachen, die wir in unserem lebendigen Seinskontakt voraus‐ setzen und daher schon irgendwie kennen“ 44 . Ein Ziel, das aber unmöglich er‐ reicht werden kann, wenn in einer falschen reduktionistischen Einstellung all das verworfen wird, was sich nicht durch eine formale Definition erschöpfend erklären lässt. 45 Was die Definition allein vermag, ist, sie zu umschreiben, „indem sie einige essentielle Merkmale anführt, die zur Unterscheidung dieser Wesen‐ heit von einer anderen genügen“ 46 . Zu glauben, „wir hätten ein Seiendes geistig ‚erobert‘, weil wir eine korrekte Definition von ihm besitzen“ 47 , nennt von Hildebrand einen Selbstbetrug. Womit er nicht zuletzt sein eigenes Verständnis der Philosophie zum Ausdruck bringt, die ihm nicht ein rein begriffliches Unternehmen ist, sondern - ganz im Sinne Newmans - einen persönlichen, realen Kontakt mit den notwendigen So‐ seineinheiten voraussetzt, unter „Betonung des existentiellen, unmittelbaren, intuitiven Kontaktes mit dem Gegenstand“ 48 . Was aber ist ein realer Kontakt mit notwendigen Soseinseinheiten, denen aufgrund ihrer Notwendigkeit doch nicht 2 Dietrich von Hildebrands Begründung der Transzendenz in der Erkenntnis 82 <?page no="83"?> 49 Vgl. unten I, 2.4 - „Die Frage nach dem Gewissheitskriterium, die Seinsweise der not‐ wendigen Wesenheiten und ihr metaphysischer Ort“. 50 Vgl. von H I L D E B R A N D , Was ist Philosophie? , 4. Kap., II., A., S. 85. Ab den Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie (1. Aufl. 1913) vertritt Ed‐ mund Husserl die Auffassung, dass jede Soseinserfahrung, wenn man dabei nur die reale Existenz einklammert (Epoché), Apriorierkenntnisse zulässt. Husserl übersah dabei aber, „dass ausser den notwendigen Wesenheiten alle Erkenntnisgegenstände ohne Interesse für uns sind, sobald wir von ihrer konkreten, realen Existenz absehen. Sie ermöglichen uns keinerlei Apriorierkenntnis, wie ausdrücklich wir auch ihre Exis‐ tenz einklammern mögen“ (von H I L D E B R A N D , Was ist Philosophie? , 4. Kap., III., S. 93, Anm. 10). 51 Adolf R E I N A C H , Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechts, S. 144, Anm. 1. Eine grundlegende Charakterisierung des Sachverhalts findet sich in D E R S ., Zur Theorie des negativen Urteils. 52 Vgl. D E R S ., Notwendigkeit und Allgemeinheit im Sachverhalt, S. 352 f. 53 D E R S ., Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechts, S. 144, Anm. 1. 54 D E R S ., Über Phänomenologie, S. 544 f. eine reale, sondern eine ideale Seinsweise zukommt? Diese kritische Frage sei nicht an dieser Stelle beantwortet, sie bleibt dem weiteren Verlauf dieser Un‐ tersuchung vorbehalten. 49 Was nun „die Frage nach der Existenz und der Möglichkeit absolut gewisser Erkenntnis höchst intelligibler und wesensnotwendiger Sachverhalte“ 50 betrifft, so hat erstmalig Adolf Reinach in aller Deutlichkeit darauf hingewiesen, „dass die Apriorität primär weder den Sätzen noch dem Urteil noch dem Erkennen zukommt, sondern dem ‚gesetzten‘, geurteilten oder erkannten Sachverhalt“ 51 . Und wie im Sachverhalt alle Apriorität wurzelt, so kommt auch nur dem Sach‐ verhalt Notwendigkeit zu. 52 Für die Begründung der Möglichkeit philosophi‐ schen Erkennens ist der Sachverhalt von grundlegender Bedeutung: Erstens bildet er das objektive Korrelat des Erkennens und zweitens ist er Träger von Modalitäten. Letzteres ist denn auch der Grund, weswegen „die Apriorität primär weder den Sätzen noch dem Urteil noch dem Erkennen zukommt, son‐ dern dem ‚gesetzten‘, geurteilten oder erkannten Sachverhalt“ 53 . Insofern sind die Sachverhalte nämlich apriorisch, als „die Prädikation in ihnen, das b-Sein etwa, gefordert ist durch das Wesen des A, insofern es in diesem Wesen not‐ wendig gründet“ 54 . Notwendig gründet ein Sachverhalt dann in einem Wesen, wenn dieses selbst innerlich notwendig ist. Wie z. B. im Falle des Menschen, der 2.2 Die verschiedenen Arten des Soseins 83 <?page no="84"?> 55 Josef Seifert hat aufgewiesen, dass es drei verschiedene Arten von wesensnotwendigen Sachverhalten gibt. 1. Sachverhalte, die notwendig in einem gegebenen Wesen gründen, das betreffende Wesen aber durchaus nicht mitkonstituieren. 2. Sachverhalte, die das betreffende Wesen mitkonstituieren und mit ihm untrennbar verknüpft sind. 3. Sach‐ verhalte, die „das charakteristische Proprium eines gegebenen Wesens mitkonstitu‐ ieren“. Vgl. Josef S E I F E R T , Sein und Wesen, S. 124 f. 56 Zu den Merkmalen apriorischer Erkenntnis vgl. von H I L D E B R A N D , Was ist Philoso‐ phie? , 4. Kap., I, S. 63-82. 57 Vgl. T H O M A S von Aquin, Summa contra gentiles, Erstes Buch, Kap. 5, S. 16 f.: Nullus enim desiderio et studio aliquid tendit nisi sit ei praecognitum. 58 Zur Unterscheidung der verschiedenen Sachverhaltsarten vgl. P F ÄN D E R , Logik, S. 45 f. 59 T H O M A S von Aquin, De veritate, q. 1, a. 12: Dicendum quod nomen intellectus sumitur ex hoc quod intima rei cognoscit: est enim intellegere quasi intus legere. Zit. nach: T H O M A S von Aquin, Von der Wahrheit, S. 80. 60 von H I L D E B R A N D , Was ist Philosophie? , 4. Kap., V., S. 130. 61 Vgl. ebd., S. 131. Liebe, der Gerechtigkeit, der Ungerechtigkeit, der Wahrheit, der Erkenntnis, des Willens, der Zeit, der Zahl oder des Verzeihens, usw. 55 Das Erkennen von Sachverhalten, die in einem Sosein gründen, das durch eine „strikte innere, in den Wesenheiten gründende Notwendigkeit“ charakter‐ isiert ist, zeichnet sich aus durch eine „unvergleichliche Intelligibilität“ und eine „absolute Gewissheit“. 56 Nil volitum nisi cogitatum - kein Wollen ohne vorher‐ gehendes Erkennen 57 - ist ein Beispiel eines wesensnotwendigen Sachverhalts. Es handelt sich dabei um einen Relationssachverhalt, 58 d. h. um das Verhalten eines Gegenstands zu einem anderen Gegenstand. Das Verhalten des Wollens zum Erkennen ist nun ebenso notwendig wie die Wesen selbst, deren Verhalten erkannt wird. Während das Bestehen des Sachverhalts „Erwärmung dehnt die Körper aus“ nur von aussen erfasst werden kann, wird der Sachverhalt „Kein Wollen ohne vorhergehendes Erkennen“ von innen her verstanden. Das latei‐ nische Wort intelligere - Thomas von Aquin sprach von einem Lesen im Innern (intus legere 59 ) - bringt das Gemeinte treffend zum Ausdruck. Intelligibilität ist dabei nicht gleich Definierbarkeit. Die notwendigen We‐ senheiten sind weder von anderem deduzierbar noch auf anderes reduzierbar. Es lassen sich aber verschiedene Arten der Intelligibilität unterscheiden. Von Hildebrand grenzt die Intelligibilität der Zahlen von derjenigen der Farben ab, und während er die Intelligibilität der Zahlen als dünn und linear bezeichnet, ja als zu dünn, um sich in sie versenken zu können, 60 spricht er den Farben eine qualitative Fülle zu. Davon scheidet er Entitäten wie die Person, den Willen, das Versprechen, die Wirkursache usw., die sich von den erstgenannten Arten nicht alleine „durch ihre gleichsam dreidimensionale Fülle und ihre Tiefe abheben“, denen zudem „ein Sinnreichtum gemeinsam“ ist. 61 Damit ist auch ein erkennt‐ 2 Dietrich von Hildebrands Begründung der Transzendenz in der Erkenntnis 84 <?page no="85"?> 62 Ebd. 63 Der von Hildebrand-Schüler Balduin Schwarz unterteilt die notwendigen Sachverhalte hinsichtlich ihrer Erkennbarkeit in drei Arten. Erstens die direkt erfassbaren. Sie sind sozusagen in einem Akt von unmittelbarer Einsicht, ohne jegliche Art der Vermittlung gegeben. In einem solchen Akt besteht eine direkte Beziehung zwischen dem Intellekt und dem erkannten Sachverhalt. Wie Balduin Schwarz es formuliert, handelt es sich um ein „Erkennen im ‚Innern‘ des Seins“ (S C H W A R Z , Der Irrtum in der Philosophie. Un‐ tersuchungen über das Wesen, die Formen und die psychologische Genese des Irrtums im Bereiche der Philosophie mit einem Überblick über die Geschichte der Irrtumsproblematik in der abendländischen Philosophie, S. 31). Zweitens jene Sachverhalte, die nur durch die Vermittlung anderer Sachverhalte erfassbar sind. Sie sind nicht direkt zugänglich und können „deswegen nicht auf dem Wege der unmittelbaren Einsicht als bestehend erfasst werden. Ihr Bestehen kann nur indirekt erfasst werden“, d. h. durch Sachverhalte, die das Bestehen dieser fraglichen Sachverhalte „verbürgen“ (vgl. ebd., S. 49). Das geschieht vor allem im Bereich der Logik. Es gibt ferner noch eine dritte Art von wesensnotwen‐ digen Sachverhalten, nämlich jene, „die überhaupt jenseits der Grenze des dem Men‐ schen Zugänglichen liegen und die deswegen weder in einer direkten noch in einer indirekten Erkenntnis erfasst werden können“ (ebd., S. 31). Das ist etwa der Fall bei jenen Sachverhalten, die den Dogmen zugrunde liegen (vgl. ebd., S. 284 f.). 64 von H I L D E B R A N D , Was ist Philosophie? , 4. Kap., I., C., S. 75. nistheoretischer Vorrang gegeben, denn die Tiefendimension und der Sinnge‐ halt ermöglichen es, „uns wieder und wieder in seine Fülle vorzutasten und jedes Mal mit neuen, volleren Einsichten belohnt zu werden“ 62 . 63 Während das Merkmal der Notwendigkeit, wie gesehen, auf den Sachverhalt beschränkt und die Intelligibilität mit der Erkennbarkeit verbunden ist, ist das dritte Merkmal apriorischen Erkennens, die absolute Gewissheit, eines der Beziehung zwischen dem Sachverhalt und der Erkenntnis. 2.2.2 Sind die apriorischen Erkenntnisse blosse Tautologien? Nichtsdestotrotz - oder gerade deswegen? - können die apriorischen Erkennt‐ nisse bzw. Urteile leicht verwechselt werden mit tautologischen Erkenntnissen bzw. Urteilen. Von Hildebrand spricht Kant das grosse Verdienst zu, „im Bereich der Urteile zum ersten Mal einen wesentlichen und höchst bedeutsamen Un‐ terschied herausgearbeitet zu haben, nämlich den zwischen tautologischen und nichttautologischen Urteilen“ 64 . Die tautologischen nannte Kant analytische, die nichttautologischen bezeichnete er als synthetische Urteile. Bei den analyti‐ schen Urteilen wird im Prädikat nur wiederholt, was im Subjektsbegriff schon enthalten ist. Wird z. B. gesagt: „Jeder Sohn stammt von Eltern ab“, so ist im Begriff des Sohnes die Beziehung zu den Eltern schon enthalten. Das Wissen wird damit nicht erweitert. Das Wissen wird nur mit den Erkenntnissen erwei‐ tert, die seit Kant synthetische genannt werden. Synthetisch ist z. B. der von 2.2 Die verschiedenen Arten des Soseins 85 <?page no="86"?> 65 K A N T , Kritik der reinen Vernunft, B 15, S. 65. 66 Vgl. dazu auch oben I, 1.2 - „Von den Unterschieden zwischen analytischen und syn‐ thetischen Urteilen und Erkenntnissen a priori und a posteriori“. 67 Zum sogenannten Widerspruchsprinzip vgl. A R I S T O T E L E S , Metaphysik, IV, 3, 1005b, S. 136 f. 68 Vgl. von H I L D E B R A N D , Was ist Philosophie? , 4. Kap., I., C., S. 81. 69 Ebd. 70 Ebd., 4. Kap., II., B., S. 88. Kant bezeichnete Satz „7 + 5 = 12“ 65 , denn weder im Begriff von 12 noch von 7 oder 5 findet sich ein expliziter Bezug auf den im Satz ausgedrückten Sachver‐ halt. Im Unterschied zu den analytischen oder tautologischen Urteilen, die bloss erläutern, was im Subjektsbegriff bereits gesetzt war, erweitern die syntheti‐ schen Erkenntnisse das Wissen. 66 Im Buch Gamma seiner Metaphysik hat Aristoteles auf einen notwendigen Sachverhalt aufmerksam gemacht: Unmöglich könne dasselbe demselben und in derselben Hinsicht zugleich zukommen und nicht zukommen. 67 Das Bestehen dieses Sachverhalts ist so evident, dass er eines Beweises weder fähig noch be‐ dürftig ist. Worin aber gründet der Sachverhalt, dass ein Sachverhalt nicht zu‐ gleich bestehen und nicht bestehen kann? Das Materiale, das Sosein der be‐ treffenden Seienden scheint keine Rolle zu spielen, das Widerspruchsprinzip ist in Bezug auf morphische Einheiten ebenso gültig wie in Bezug auf innerlich notwendige Einheiten. Beispielweise kann der Sachverhalt mit absoluter Ge‐ wissheit erkannt werden, dass der vor dem Fenster stehende Baum nicht zu‐ gleich belaubt und nicht belaubt sein kann. Diese Erkenntnis ist absolut gewiss, obwohl weder der Baum noch das Laub in notwendigen Einheiten gründen. Beide gründen in sinnvollen, aber nicht notwendigen, in morphischen Ein‐ heiten. Gründet die Gewissheit demnach in den oben angesprochenen formal necessary features? Oder ist das Widerspruchsprinzip letztlich bloss analytisch? Im Gegenteil, dass etwas nicht zugleich existieren und nicht existieren kann, ist „alles andere als analytisch“, es ist „ein prototyp synthetischer Urteile“. 68 Diese These begründet von Hildebrand mit dem folgenden Argument: „Wäre es [sc. das Widerspruchsprinzip] selbst analytisch, eine blosse Wiederholung, die nichts über die Wirklichkeit sagt, auf die sie sich bezieht, so wäre es unmöglich, festzustellen, ob irgendein Urteil tautologisch ist.“ 69 In sich ist das Widerspruchs‐ prinzip eine materiale Wahrheit. Auch in der Logik oder der Ontologie ist der Widerspruch von Wahrheit und Nichtwahrheit, von Sein und Nichtsein ein ma‐ teriales Prinzip. In allen anderen Erkenntnisgebieten hat es jedoch einen „for‐ malen Charakter, weil es nicht in der jeweils das Thema bildenden spezifischen Natur der Gegenstände gründet, sondern in dem Gehalt des Seienden, der für alle diese Seinsbereiche schon die stillschweigende Voraussetzung ist“ 70 . 2 Dietrich von Hildebrands Begründung der Transzendenz in der Erkenntnis 86 <?page no="87"?> 71 Vgl. von H I L D E B R A N D , Christliche Ethik, Prolegomena, S. 17 f. 72 Aurelius A U G U S T I N U S , De civitate Dei, 11,26 (CCSL 48, S. 345 f.). 73 Vgl. D E S C A R T E S , Meditationen über die Grundlagen der Philosophie, Zweite Meditation, 3., S. 18. 74 A U G U S T I N U S , De civitate Dei, 11,26 (CCSL 48, S. 345). Zit. nach der Übersetzung von Wilhelm T H I M M E , Vom Gottesstaat, S. 43. Wie wiederholt gesehen, ist es dem philosophischen Erkennen - zumal so, wie es der vorliegenden Untersuchung zugrunde gelegt wird - nicht um die formalen Voraussetzungen der Erfahrung zu tun, sondern um das Verhalten der innerlich notwendigen Gegenstände, die ein absolut gewisses Erkennen und ein Verstehen von innen her ermöglichen. Dass die Immanenz des eigenen Be‐ wusstseins bei der Erlangung einer philosophischen Erkenntnis transzendiert wird, zeigt sich an der Unerfindbarkeit. Was einen Charakter innerer Notwen‐ digkeit und höchster Intelligibilität besitzt, kann unmöglich eine subjektive Erfindung oder eine blosse Erscheinung sein. 71 Bei der Erkenntnis eines not‐ wendigen Sachverhalts wird die Immanenz des eigenen Bewusstseins ebenso transzendiert wie der Bereich des sinnlich Wahrnehmbaren. 2.3 Absolute Gewissheit bei der Erkenntnis eines individuellen Sachverhalts? Apriorische Sachverhalte besitzen einen allgemeinen Charakter. Im Bereich in‐ dividueller Sachverhalte kann nur in einem einzigen Fall eine ähnliche absolute Gewissheit erlangt werden, nämlich in dem augustinischen Si fallor, sum 72 oder in Descartes’ Cogito, ergo sum 73 . Ob das Argument nun mit der Täuschung (fallor) oder mit dem Denken (cogito) oder mit irgend einem anderen bewussten Vollzug - wie dem Wissen, der Liebe usw. - geführt wird, immer gestattet es die notwendige Folgerung auf die wirkliche Existenz der sich täuschenden oder denkenden Person. „Denn wer nicht ist, kann sich auch nicht täuschen“ 74 . Selbst dann, wenn angenommen wird, jede Wahrnehmung und jeder Gedanke sei eine blosse Täuschung, selbst dann noch ist gewiss, dass sich nur täuschen kann, wer ist. Wer immer sich also täuscht, weiss mit Gewissheit: ich bin. Auch Descartes hat mit seinem Cogito, ergo sum den archimedischen Punkt erreicht, an dem jeder Zweifel und jede Irrtumsmöglichkeit zerschellt. Das Sum ist unent‐ thronbar. Selbst dann, wenn dieses nur ein Schein wäre, selbst dann setzt das Scheinsein die metaphysische Realität einer Person voraus. Denn sobald es einen Schein gibt, erscheint es jemandem, einem Bewusstsein, „und dieses Bewusst‐ 2.3 Absolute Gewissheit bei der Erkenntnis eines individuellen Sachverhalts? 87 <?page no="88"?> 75 von H I L D E B R A N D , Das Cogito und die Erkenntnis der realen Welt, S. 10. 76 Ebd., S. 9. 77 Ebd., S. 11. 78 Ebd., S. 8. 79 Ebd., S. 20. 80 Blaise P A S C A L , Gedanken, Fr. 200 / 347 (Lafumas / Brunschvicgs), S. 140. 81 Ebd., S. 140 f. sein selbst kann nicht wieder ein blosser Schein sein, sonst müsste es ja wieder einem anderen Bewusstsein erscheinen, und so ad infinitum“ 75 . Die Erkenntnis der eigenen Existenz kommt auch nicht einem Verbleiben in der Immanenz des eigenen Bewusstseins gleich, vielmehr ist diese Erkenntnis „ein voller Schritt zur Transzendenz“ 76 . „Denn die absolut sichere Erkenntnis eines konkreten, individuellen, realen Seienden enthält die Sprengung aller Be‐ wusstseinsimmanenz und garantiert das volle Transzendieren zu einer objek‐ tiven Realität! “ 77 Von Hildebrand hält die absolut gewisse Erkenntnis der ei‐ genen Existenz jedoch nicht für das Wichtigste. „Das Wichtige ist nicht, dass ich es bin, das Wichtige ist, dass eine reale Person existiert.“ 78 „Weil es meine Person ist, so denkt man, sperrt man sich vielleicht in sich ein. Dies ist jedoch nicht der Fall, denn meine Person existiert ja in diesem Fall objektiv als Person, in der objektiven metaphysischen Welt.“ 79 Die metaphysische Existenzweise der Person wusste Blaise Pascal auf prägnante Weise zu charakterisieren, indem er den Menschen als ein Schilfrohr beschrieben hat, als „das schwächste der Natur, aber er ist ein denkendes Schilfrohr“ 80 . Das ganze Weltall brauche sich nicht zu wappnen, um ihn zu zermalmen, ein Wassertropfen schon genüge, um ihn zu töten. „Doch wenn das Weltall ihn zermalmte, so wäre der Mensch nur noch viel edler als das, was ihn tötet, denn er weiss ja, dass er stirbt und welche Überlegenheit ihm gegenüber das Weltall hat. Das Weltall weiss davon nichts.“ 81 2.4 Die Frage nach dem Gewissheitskriterium, die Seinsweise der notwendigen Wesenheiten und ihr metaphysischer Ort Der Mensch ist weder auf die Immanenz der sinnlich erfahrbaren Welt noch auf die seines eigenen Bewusstseins beschränkt. Er vermag die Grenze intentional zu übersteigen, die das Sinnliche und das Übersinnliche, die das Physische und das Metaphysische voneinander trennt. Wie sich gezeigt hat, vermag er dies auf zwei grundsätzlich verschiedene Arten: Einerseits mittels der absolut gewissen 2 Dietrich von Hildebrands Begründung der Transzendenz in der Erkenntnis 88 <?page no="89"?> 82 von H I L D E B R A N D , Was ist Philosophie? , 4. Kap., III., C., S. 120. 83 Vgl. W H I T E , Kant and von Hildebrand on the Synthetic A Priori. A Contrast, S. 317. Vgl. auch Fritz W E N I S C H , Gewissheitskriterium und Einsicht - Ein Gespräch. 84 von H I L D E B R A N D , Was ist Philosophie? , 4. Kap., III., C. S. 106. (Kursiv im Orig.) 85 Ebd. 86 Ebd., 4. Kap., III., C., S. 109. Erkenntnis eines allgemeinen Sachverhalts, der in einem intelligiblen und in sich notwendigen Sosein gründet, andererseits durch die Erkenntnis des indi‐ viduellen Sachverhalts der Existenz der eigenen Person. Doch wie kann man eigentlich wissen, ob es sich im gegebenen Fall um eine notwendige Soseinseinheit handelt, deren Verhalten von innen her verstanden und mit absoluter Gewissheit erkannt werden kann? Das Kriterium ergibt sich bei der Vertiefung in das Sosein selbst. Es bedarf keines äusseren Kriteriums. „Der Charakter einer notwendigen, intelligiblen Einheit ist sein eigenes Krite‐ rium.“ 82 Nach einem anderen Kriterium als der intelligiblen Notwendigkeit eines Soseins zu fragen, ist absurd. Es kann kein höheres Kriterium geben. 83 Wenn in diesem Sinne also mit Gewissheit erkannt werden kann, dass die Verantwortung Freiheit und die Farbe den Raum voraussetzen, wo haben diese vier Soseinseinheiten dann eigentlich ihren Ort, ja, welches ist ihre Seinsweise? Als notwendige Entitäten gehören sie sicherlich nicht den morphischen Ein‐ heiten zu, die wohl sinnvoll, aber nicht innerlich notwendig sind. Solcherart geeinte Gegenstände wie z. B. ein Löwe oder der menschliche Körper sind in dem Sinne real, dass sie sinnlich wahrgenommen werden können. Die Gerech‐ tigkeit, die Freiheit, die Farbe, der Raum und alle notwendigen Soseinseinheiten dagegen „sind in der Tat so potent, dass es sie in bestimmter Weise gibt, selbst wenn gerade kein wirkliches Exemplar ihrer Art existiert“ 84 . „Sie sind für ihre volle Gültigkeit weder darauf angewiesen, in einem wirklichen Gegenstand an‐ wesend zu sein, noch von uns gedacht zu werden. Sie allein besitzen ideale Seinsweise im vollen Sinn“ 85 . Unabhängig von ihrem Realwerden im Menschen eignet beispielsweise dem Sosein der Verantwortung eine ideale Seinsweise, sie ist etwas Objektives, das Seinsautonomie besitzt. Selbst wenn kein Mensch existiert, der Verantwortung übernimmt, selbst dann schliesst das Sosein der Verantwortung aus, eine blosse Illusion oder Fiktion zu sein. Was sodann den metaphysischen Ort der notwendigen Soseinseinheiten oder Wesenheiten betrifft, so zeigt sich von Hildebrands Ideologiefreiheit in aller Deutlichkeit. Denn während er einerseits die Leugnung der idealen Seinsweise der notwendigen Wesenheiten für unmöglich erklärt, begnügt er sich anderer‐ seits mit der Feststellung, „noch keinen metaphysischen Ort für diese notwen‐ digen Wesenheiten [zu] haben“ 86 . Damit zeigt er die Grösse, die alle jene nicht 2.4 Die Frage nach dem Gewissheitskriterium 89 <?page no="90"?> 87 S C H W A R Z , Der Irrtum in der Philosophie, S. 119. 88 von H I L D E B R A N D , Was ist Philosophie? , 4. Kap., III., C., S. 112. 89 Ebd. 90 Vgl. ebd. 91 Ebd., 4. Kap., III., C., S. 114. 92 Ebd., 4. Kap., III., C., S. 113. 93 Vgl. ebd., 4. Kap., V., S. 128. besitzen, die „im Sinne der Ausfüllung des nicht Erfassten“ 87 ein konstruktives Verhalten an den Tag legen. Wenngleich ein metaphysischer Ort der in idealer Weise seienden notwendigen Wesenheiten nicht auszumachen ist, eröffnen so‐ wohl die Sphären der Zahlen oder der Farben ebenso einen Blick auf das Ver‐ hältnis zwischen dem idealen und dem realen Sein wie die Sphären des Ethi‐ schen oder des Personalen. Auch hier beabsichtigt er allerdings nicht, eine Lösung dieses Problems zu bieten. Bei den Zahlen lässt sich immerhin so viel sagen, dass sie „keineswegs von der realen Welt ausgeschlossen sind“ 88 . Wenn drei Personen im Zimmer stehen, wird von einem realen, konkreten Sachverhalt gesprochen. Dabei kann nicht verleugnet werden, „dass sie in spezifischer Weise in die reale Welt eintreten, obwohl sie nicht den Seinsmodus besitzen, der Sub‐ stanzen und viele Akzidentien auszeichnet“ 89 . Von einer analogen Weise, doch einem anderen Typus, muss bei den Farben gesprochen werden. 90 Im Falle eines sittlichen Wertes wiederum schliesst das ideale Sein bereits volle Realität ein. So zeigt alleine schon die Tatsache, dass menschliche Hand‐ lungen gut sein sollen, „dass die Realität sittlicher Werte durch ihre ideale Seinsweise gewährleistet wird“ 91 . Da sich im weiteren Verlauf dieser Untersu‐ chung wiederholt zeigen wird, inwiefern sich bei der Setzung eines sittlich guten Aktes „eine völlig neue Art des ‚Herabreichens‘ des idealen Seienden in die Realität“ 92 ereignet, möge es an dieser Stelle mit diesen Hinweisen sein Be‐ wenden haben. 2.5 Das überaktuelle Wissen und die Religion Am Beginn dieses Abschnitts stand die Frage, ob der Mensch überhaupt wissen könne, wie es um das Transzendente bestellt ist, oder ob seine Wissensmög‐ lichkeiten auf den immanenten Bereich des sinnlich Erfahrbaren beschränkt seien. Wie sich erwiesen hat, kann der Mensch metaphysische Erkenntnisse erlangen und um das Transzendente wissen. Mit dem apriorischen Erkennen ist der archimedische Punkt absoluter Gewissheit erreicht, an dem jeder Imma‐ nentismus, jeder Skeptizismus und Relativismus scheitern muss. 93 2 Dietrich von Hildebrands Begründung der Transzendenz in der Erkenntnis 90 <?page no="91"?> 94 Ebd., 2. Kap., S. 34. 95 Ebd. 96 Ebd., 2. Kap., S. 37. 97 Vgl. ebd., 2. Kap., S. 35. 98 Ebd., 2. Kap., S. 34. 99 Vgl. D E R S ., Selbstdarstellung, S. 114. 100 D E R S ., Das Wesen der Liebe, Kap. II, S. 70 f. Aus dem Erkennen resultiert das Wissen über das Verhalten einer gegebenen Sache. Formalisiert gefasst: Erkannt wird das a-Sein oder das nicht a-Sein eines B, wodurch das Wissen um das Verhalten des B erworben wird. Quer durch von Hildebrands Schriften begegnet die Unterscheidung zwischen verschiedenen Arten des Wissens. Er zeigt auf, wie das Wissen in drei grundlegenden Formen auftreten kann: Es kann aktuell sein, so dass es das Bewusstsein im gegenwär‐ tigen Augenblick erfüllt, es kann potentiell sein, so dass es aus dem Gedächtnis in das aktuelle Bewusstsein gleichsam „zurückgeholt“ werden kann, und es kann überaktuell sein. Das überaktuelle Wissen ist jedoch „nur hinsichtlich bestimmter Arten von Sachverhalten und Gegenständen möglich“ 94 . Das Wissensobjekt muss von me‐ taphysischer Bedeutung sein und „die existentiellsten und fundamentalsten Fragen betreffen, die sich auf alle Elemente einer Weltanschauung beziehen“ 95 . Selbstredend bildet es dadurch eine ständige Grundlage des Lebens, „einen kon‐ tinuierlichen Hintergrund für andere Erlebnisse“ 96 . Mit anderen Worten, ist jedes Gut Gegenstand überaktuellen Wissens, das eine solch existentielle Rolle im eigenen Leben spielt, dass ohne Kenntnis von ihm das Leben ein anderes wäre. 97 „Es lebt in solcher Weise auf dem Grund unseres Geistes, dass sich jeder konkrete, aktuelle Augenblick unseres Lebens radikal ändern würde, falls wir es nicht wüssten.“ 98 Die Überaktualität des menschlichen Bewusstseins ist eine Tatsache, die von entscheidender Bedeutung für das Verständnis des Menschen ist. 99 Zu denken ist dabei etwa an die Liebe, die sich nicht in der Gegenwart er‐ schöpft, sondern sich über die Aktualität hinaus erstreckt. Hätte die Person nur eine Bewusstseinsart, so könnte ein Verliebter unmöglich ernsthaft seiner täg‐ lichen Arbeit nachgehen. Verfügte die Person nämlich nur über ein aktuelles Bewusstsein, so hätte sie entweder ein aktuelles Bewusstsein vom Verliebtsein oder von der Arbeit, auf die sie gerichtet ist. Dass die Koexistenz von Verliebtsein und Arbeiten aber sehr wohl möglich ist, rührt daher, „dass nicht nur das in der Liebe gesprochene ‚Wort‘ in seiner Gültigkeit fortdauert, dass nicht nur eine Position festgelegt wurde dem anderen Menschen gegenüber, die fortdauert, sondern dass diese Stellungnahme als solche fortlebt in unserer Seele“ 100 . Und 2.5 Das überaktuelle Wissen und die Religion 91 <?page no="92"?> 101 Vgl. ebd., S. 71. 102 Vgl. D E R S ., Liturgie und Persönlichkeit, 3. Kap., S. 276. Die Überaktualität thematisiert von Hildebrand nicht nur in den genannten Schriften (Was ist Philosophie? , Das Wesen der Liebe, Selbstdarstellung, Liturgie und Persönlichkeit), sondern auch in Sittlichkeit und ethische Werterkenntnis sowie in Christliche Ethik. Auf die Angabe der betreffenden Stellen wird verzichtet, da diese sich über die gründlich erstellten Sachregister prob‐ lemlos lokalisieren lassen. 103 Vgl. D E R S ., Was ist Philosophie? , 2. Kap., S. 34. 104 Ebd. 105 Vgl. H U S S E R L , Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phä‐ nomenologie, S. 5 f. 106 Ebd., S. 9. 107 von H I L D E B R A N D , Religion und Sittlichkeit, S. 103. 108 Vgl. D E R S ., Was ist Philosophie? , 8. Kap., S. 216. gerade weil die Stellungnahme fortlebt, weil sie „als diese identische psy‐ chisch-geistige Realität völlig lebendig in der Seele“ verbleibt, „verändert [sie] den Gesamtstatus unseres Erlebens“. 101 Darum fällt das Arbeiten auch umso leichter, wenn man verliebt ist. Wie sich weiter unten noch verdeutlichen wird, kann der Mensch überaktuell in einer tieferen Schicht am Wissen um bestimmte Sachverhalte und Gegenstände bzw. Werte und an der wertantwortenden Stel‐ lung festhalten. Auch wird sich zeigen, dass und warum die kontinuierliche Entwicklung der Person die Überaktualität voraussetzt. 102 Das überaktuelle Wissen begegnet auch und vor allem in der Religion. 103 Während die Sachverhalte und Gegenstände des überaktuellen Wissens nach von Hildebrand „die existentiellsten und fundamentalsten Fragen betreffen, die sich auf alle Elemente einer Weltanschauung beziehen“ 104 , spricht Husserl von den „Fragen nach Sinn oder Sinnlosigkeit dieses ganzen menschlichen Daseins“ 105 , welche sich in den Fragen konkretisieren nach der Erkenntnis, nach den Werten, nach der ethischen Handlung, nach der Freiheit, nach der Unsterb‐ lichkeit und schliesslich nach Gott, „der ‚absoluten‘ Vernunft als der teleologi‐ schen Quelle aller Vernunft in der Welt, des ‚Sinnes‘ der Welt“ 106 . Was dem einen die existentiellsten und fundamentalsten Fragen, das sind dem anderen die Fragen nach dem Sinn und der Sinnlosigkeit des ganzen menschlichen Daseins. Nicht nur spricht von Hildebrand von der Religion als einer lebendigen Verbin‐ dung des Menschen mit Gott, 107 dem absoluten personalen Wesen, 108 auch für Husserl gründet der Sinn des Ganzen letztlich in der absoluten Vernunft, in Gott. 2 Dietrich von Hildebrands Begründung der Transzendenz in der Erkenntnis 92 <?page no="93"?> 1 Beim Wiener Kreis handelt es sich um einen 1929 gegründeten Verbund von Forschern, deren gemeinsames Ziel in einer metaphysikfreien Wissenschaft bestand. Ihm gehörten u. a. die folgenden Personen an bzw. standen ihm zumindest nahe: Ernst Mach, Moritz Schlick, Gustav Bergmann, Rudolf Carnap, Otto Neurath, Ludwig Wittgenstein, Albert Einstein, Bertrand Russell. Vgl. Friedrich S T A D L E R und Thomas U E B E L (Hrsg.), Wissen‐ schaftliche Weltauffassung. Der Wiener Kreis. 2 K A N T , Kritik der reinen Vernunft, B XL, Anm. 1, S. 36. 3 Das empiristische Sinnkriterium des Wiener Kreises wird weiter unten wieder be‐ gegnen, wenn Wittgensteins Metaphysikkritik diskutiert werden wird. Vgl. II, 5.2 - „Ludwig Wittgensteins Behauptung der Unsinnigkeit religiöser Aussagen“. 4 von H I L D E B R A N D , Was ist Philosophie? , 5. Kap., S. 148. 3 Die Frage nach der Erkennbarkeit der Aussenwelt und ihr Botschaftscharakter Im Anschluss an die Begründung der Möglichkeit synthetisch-apriorischen Er‐ kennens seien zwei weitere Problemkreise diskutiert und ihre Zugehörigkeit zum philosophischen Erkennen geprüft. An erster Stelle das Problem der Er‐ kennbarkeit der Aussenwelt. Dass es sich dabei um ein metaphysisches Problem handelt, darauf verweisen sowohl Kant als auch der sogenannte Wiener Kreis 1 . Kant sprach von einem „Skandal der Philosophie und allgemeinen Menschen‐ vernunft, das Dasein der Dinge ausser uns […] bloss auf Glauben annehmen zu müssen, und, wenn es jemand einfällt es zu bezweifeln, ihm keinen genugtu‐ enden Beweis entgegenstellen zu können“ 2 . Der Wiener Kreis wiederum vertrat in seiner antimetaphysischen Einstellung die Auffassung, dass die Aussagen über Realität oder Nichtrealität der Aussenwelt sinnlos, weil nicht verifizierbar seien. Als sinnvoll galten in ihrem Kreis nur die Aussagen, welche sich in em‐ pirischer Überprüfung als wahr oder falsch erweisen lassen. 3 Eines ist klar: Wären alle Gegenstände der Welt nur Erscheinungen (Phäno‐ mena) im Sinne Kants, so müsste ihnen die volle Objektivität abgesprochen werden. Von Hildebrand vertritt demgegenüber die „These, dass die existentielle Rolle, die alle bedeutungsvollen Aspekte im menschlichen Universum spielen - ob sie notwendige Wesenheiten sind oder nicht -, uns davor bewahrt, sie als eine Art von Täuschung zu betrachten“ 4 . Ihre bedeutungsvolle Botschaft ist einer Täuschung offensichtlich entgegengesetzt. Sei dies nun die Wahrnehmung eines Sonnenuntergangs, sei es das Verkosten der alpinen Schönheit oder sei es die Farbenpracht der Laubbäume im Prozess des Verfärbens: Was im Frühling und im Sommer grüner Farbe war, das erscheint im Herbst in einem Gemisch <?page no="94"?> 5 Ebd., 5. Kap., S. 150. 6 Ebd., 5. Kap., S. 151. 7 Vgl. II, 3.4 - „Die Werte als Hinweis auf den Inbegriff aller Werte“. 8 von H I L D E B R A N D , Was ist Philosophie? , 5. Kap., S. 151. (Kursiv im Orig.) von grünen, bräunlich-gelben bis rötlichen Farben, welche ihre Pracht im Son‐ nenglanz voll entfalten können. Was die Wirklichkeit vom Irrtum, was Täu‐ schung von objektiver, gültiger Erscheinung trennt, ist die Frage, ob eine solche Botschaft vorliegt oder nicht. Die elektromagnetischen Wellen sind jedenfalls nicht wirklicher als die Farben, sie haben vielmehr die Funktion der Basis, auf dass Farben erscheinen können. Von Hildebrand weiss die Botschaftsobjektivität auf überzeugende Weise an‐ hand des Kunstwerks zu veranschaulichen. Wenn der Künstler verschiedene Mittel verwendet, um bestimmte Wirkungen hervorzubringen, dann sind diese Wirkungen der Grund, weswegen die Mittel zu ihrer Erlangung verwendet wurden. Und gesetzt den Fall, ein Betrachter erfasste den künstlerischen Gehalt nicht, so hätte er weder das Thema noch die Botschaft des Kunstwerks ver‐ standen. Dieselben Unterscheidungen weiss von Hildebrand auch im Falle einer Symphonie zu machen. Hielte man nur die Instrumente und die Bewegungen, die die Musiker ausführen, für wirklich, die Musik selber aber für ein Neben‐ produkt, so wäre die ganze Ordnung der Symphonie auf den Kopf gestellt. „Die Bewegungen der Musiker sind sinnlos und lächerlich, wenn man von der Musik absieht, die hervorzubringen sie bestimmt sind. Die Musik ist raison d’être dieser Bewegungen.“ 5 Die Frage nach der objektiven Gültigkeit einer Erscheinung erhält ihr beson‐ deres Gewicht, wenn die Welt als Schöpfung Gottes und der Mensch als Herr der Schöpfung verstanden werden. Dann enthalten viele Dinge dieser Welt eine Botschaft Gottes an die Menschen. „Botschaft bedeutet hier den gottgegebenen oder gottgewollten Aspekt eines Gegenstandes der Natur.“ 6 An dieser Stelle ist jedoch nicht der Botschaftscharakter gewisser Erscheinungen in der Welt the‐ matisch, davon wird weiter unten die Rede sein, 7 sondern die Frage nach der Begründbarkeit der objektiven Existenz der Aussenwelt. Um diese zu be‐ gründen, greift von Hildebrand auf das Sollen zurück. Nicht auf das moralische Sollen, sondern auf das Sollen im Sinne des So-erscheinen-Sollens. So kann er sagen: „Die Berge sollen aus der Ferne blau aussehen, ebenso wie in einem Ge‐ mälde die Perspektive den Eindruck des Raumes geben oder der Kontrast ge‐ wisse Farben mehr hervortreten lassen soll.“ 8 Desgleichen, wenn ein Naturwis‐ senschaftler lehren würde, dass der Himmel in Wirklichkeit nicht blau, sondern schwarz sei. Dann wäre es falsch, die schwarze Farbe für objektiver und au‐ thentischer zu halten und die blaue Farbe zu einem blossen Schein zu erklären. 3 Die Frage nach der Erkennbarkeit der Aussenwelt und ihr Botschaftscharakter 94 <?page no="95"?> 9 Ebd. (Kursiv im Orig.) 10 Ebd. 11 Ebd., 5. Kap., S. 149, Anm. 8. „Die blaue Farbe des Himmels hat einen voll objektiven Charakter. Er soll so aussehen. Dies ist ein tiefes, bedeutsames Element in einer Weltsicht, die klas‐ sisch menschlich, aber gerade deshalb gültiger ist.“ 9 Ebenso verhält es sich mit der Form des Himmels als eines Gewölbes mit horizontaler und vertikaler Dimension. Auch sind die Kategorien von oben und unten kein blosser Schein, denen in der Wirklichkeit kein Platz zukommt. Wo der Empirist John Locke auf die sekundären Sinnesqualitäten gestossen ist - d. h. auf Vorstellungen, bei denen in den Körpern nichts existiert, was ihnen gleich wäre -, sie aufgrund seines immanenten Weltbildes aber nicht ange‐ messen zu verstehen vermochte, da bezeichnet von Hildebrand oben und unten als „Analogien zu zwei fundamentalen metaphysischen Kategorien“ 10 . Selbst wenn der Naturwissenschaftler mit seiner Behauptung Recht hat, die Kategorien von oben und unten hätten in der Aussenwelt keine Bedeutung, so tut das der Tatsache dennoch keinen Abbruch, dass oben und unten objektive Elemente der Wirklichkeit sind. Denn die Aussenwelt soll sich dem Menschen so darbieten, wie sie ihm erscheint. Was von Hildebrand einerseits in der Intention des Schöp‐ fers gründen und ihn andererseits vom humanen Aspekt der Aussenwelt sprechen lässt. Doch deduziert von Hildebrand den humanen Aspekt, das Für-den-Men‐ schen-so-aussehen-Sollen nicht von dem Glauben an die Schöpfung, vielmehr wird er unmittelbar erfasst. „Jedoch leuchtet er in besonderer Klarheit auf, wenn wir ihn im Lichte der Schöpfung betrachten.“ 11 Wenn die Existenz der Aussenwelt für Kant nur aufgrund eines gläubigen Fürwahrhaltens angenommen, welches selbst von keinem stützenden Beweis getragen werden kann, und wenn die Mitglieder des Wiener Kreises die Aus‐ sagen über Realität oder Nichtrealität der Aussenwelt als sinnlos erachten, weil sie empirisch nicht überprüft werden können, dann stellen von Hildebrands Argumente für die objektive Existenz der Aussenwelt einen existentiell begrün‐ deten Kontrapunkt dar. Der Botschaftscharakter bestimmter humaner Aspekte der Aussenwelt liess ihn vor dem Hintergrund einer objektiven, in ihrer Existenz vom menschlichen Geist unabhängigen und für ihn auch erkennbaren Wirk‐ lichkeit zu der Einsicht in die Gültigkeit und Realität der Aussenwelt gelangen. 3 Die Frage nach der Erkennbarkeit der Aussenwelt und ihr Botschaftscharakter 95 <?page no="96"?> 1 F R A N K L , Der Mensch vor der Frage nach dem Sinn, Teil I, 14., S. 100. 2 Vgl. oben I, 1.1-1.3. 3 Vgl. oben I, 2.1. 4 Zusammenfassung Kann der Mensch wissen, wie es um das Transzendente bestellt ist, oder sind seine Wissensmöglichkeiten auf den immanenten Bereich des sinnlich Erfahr‐ baren beschränkt? , war die leitende Frage dieses Abschnitts. Die Beantwortung dieser Frage ist für den Menschen in vielen Hinsichten entscheidend, was sich vordringlich an dem in der Einleitung besprochenen Problem der Sinnlosigkeit erweist, welche ihren Grund gerade in einem Mangel an Transzendenz zu er‐ kennen gibt, die als Selbsttranszendenz zur „Essenz menschlicher Existenz“ 1 gehört. Auch können die religiösen Aussagen und Überzeugungen nur unter der Voraussetzung kognitiv gerechtfertigt werden, dass das, was den empirischen Bereich transzendiert, ein Gegenstand des Erkennens und des Wissens sein kann. Auf der Basis der in diesem Abschnitt erörterten kopernikanischen Wende Immanuel Kants, kann diese Möglichkeit jedenfalls nicht begründet werden. Denn diese Wende beinhaltet, dass nicht der Mensch in seinem Erkennen sich nach den Gegenständen richtet, sondern die Gegenstände nach dem Menschen. Was bei der „Entdeckung“ einer Notwendigkeit in der Erfahrung nichts anderes besagt, als dass der Verstand diese in den Gegenstand hinein gelegt hat. Auf dieser epistemologischen Grundlage ist ihm das Transzendente kein Gegen‐ stand des Wissens, ja kann es konsequenterweise auch nicht sein, vielmehr hält er die Vernunftbegriffe, sofern sie konstitutiv verwendet werden, für Hirnge‐ spinste. 2 Gegen den daraus resultierenden Skeptizismus und Relativismus, den Nietzsche und Kleist schmerzlich empfunden und zur Sprache gebracht haben, begründet von Hildebrand den erkenntnismässigen Überstieg über die Grenze der Immanenz in erster Linie durch seine Aufdeckung der Vieldeutigkeit des Begriffs der Erfahrung. 3 Wenn gemeinhin angenommen wurde, in der Erfahrung liege keine Notwendigkeit, so beschränkte man sich auf die Sinneserfahrung, in der tatsächlich keine Notwendigkeit und damit auch keine absolute Gewissheit zu finden ist. Von Hildebrand vermochte jedoch nachzuweisen, dass die Not‐ wendigkeit auch und gerade in der Erfahrung gegeben sein kann. Wenn auch nicht in der Erfahrung des Daseins, so aber in der Erfahrung des Soseins. Auf der Grundlage der Unterscheidung dreier grundsätzlich verschiedener Soseins‐ <?page no="97"?> 4 Vgl. oben I, 2.2.1. 5 Vgl. oben I, 2.3. arten, vermochte er diejenige Soseinsart zu isolieren, die in ihrem Verhalten apriorische Erkenntnisse ermöglicht. Es sind dies die Einheiten mit einem in sich notwendigen Sosein, deren Verhalten von innen her verstanden und mit einer absoluten Gewissheit erkannt werden kann. 4 Bei der Erkenntnis eines notwendigen Sachverhalts wird die Immanenz des eigenen Bewusstseins ebenso überschritten wie der Bereich des sinnlich Wahr‐ nehmbaren. Als Kriterium für die Tatsächlichkeit der Transzendenz in der Er‐ kenntnis fungiert die Unerfindbarkeit des Erkannten, denn was innerlich not‐ wendig und höchst intelligibel ist, kann unmöglich eine subjektive Erfindung oder eine Erscheinung sein. Einen anderen Weg zur Transzendenz als denje‐ nigen über die absolut gewisse Erkenntnis von höchst intelligiblen und wesens‐ notwendigen Sachverhalten hat von Hildebrand mittels der Erkenntnis der ei‐ genen Existenz gewiesen. Auf diesem Weg wird durch die absolut gewisse Erkenntnis der eigenen Person ebenfalls die Bewusstseinsimmanenz gesprengt und das Transzendieren zu einer objektiven Realität garantiert. 5 Womit be‐ gründet wurde, dass der Mensch die Grenze zwischen dem Sinnlichen und dem Übersinnlichen, zwischen dem Physischen und dem Metaphysischen zu über‐ steigen vermag. 4 Zusammenfassung 97 <?page no="99"?> 6 X E N O P H A N E S , Fragment 11, zit. nach: D I E L S - K R A N Z (Hrsg.), Die Fragmente der Vorso‐ kratiker, Band I, S. 132. 7 D E R S ., Fragment 16, zit. nach: ebd., S. 133. 8 D E R S ., Fragment 15, zit. nach: ebd., S. 132 f. 9 D E R S ., Fragment 23, zit. nach: ebd., S. 135. 10 D E R S ., Fragment 24, zit. nach: ebd. 11 D E R S ., Fragment 26, zit. nach: ebd. II D IE E RKENNTNIS G OTTES Durch die Begründung der Möglichkeit, den empirischen Wirklichkeitsbereich zu transzendieren und metaphysische Erkenntnisse erlangen zu können, ist die Voraussetzung geschaffen, um zumindest einige der zentralen religiösen Aus‐ sagen und Überzeugungen auf ihre Vernünftigkeit hin untersuchen zu können. „Vernünftig“ wird hier im Sinne einer Abgrenzung von religiösen Überzeu‐ gungen verwendet, die berechtigterweise zu kritisieren sind, wie Xenophanes (570-475 v. Chr.) dies zu seiner Zeit bereits getan hatte. Xenophanes kritisierte die anthropomorphen (gr. ἄνθροπος - Mensch, μορφή - Form) Göttervorstellungen der alten Mythen. „Alles haben den Göttern Homer und Hesiod angehängt, was nur bei Menschen Schimpf und Tadel ist: Stehlen und Ehebrechen und einander Betrügen.“ 6 „Die Äthiopen behaupten, ihre Götter seien stumpfnasig und schwarz, die Thraker, blauäugig und rot‐ haarig.“ 7 „Doch wenn die Ochsen und Rosse und Löwen Hände hätten oder malen könnten mit ihren Händen und Werke bilden wie die Menschen, so würden die Rosse rossähnliche, die Ochsen ochsenähnliche Göttergestalten malen und solche Körper bilden, wie jede Art gerade selbst ihre Form hätte“ 8 . Die erhalten gebliebenen Fragmente sprechen allerdings nicht nur von einem Xenophanes, der die auf ihn gekommenen religiösen Aussagen und Überzeu‐ gungen kritisierte. Von ihm wird auch ein Satz überliefert, mit dem er zum Monotheismus zu tendieren und das Problem der Erkennbarkeit des transzen‐ denten Gottes anzudeuten scheint: „Ein einziger Gott, unter Göttern und Men‐ schen am grössten, weder an Gestalt den Sterblichen ähnlich noch an Ge‐ danken.“ 9 „Gott ist ganz Auge, ganz Geist, ganz Ohr.“ 10 „Stets aber am selbigen Ort verharrt er, sich gar nicht bewegend, und es geziemt ihm nicht hin- und herzugehen bald hierhin bald dorthin.“ 11 <?page no="101"?> 1 von H I L D E B R A N D , Was ist Philosophie? , 8. Kap., S. 216. 2 Vgl. ebd. 3 D E R S ., Über den Tod, S. 19 f. 4 D E R S ., Die Unsterblichkeit der Seele, S. 307. 5 D E R S ., Was ist Philosophie? , 4. Kap., III., C., S. 116. (Kursiv nicht im Orig.) Derselbe Satz findet sich bereits in D E R S ., Der Sinn philosophischen Fragens und Erkennens, IV., 3., S. 59. 6 Vgl. D E R S ., Was ist Philosophie? , 4. Kap., V., S. 135. 7 D E R S ., Das Wesen der Liebe, Prolegomena, S. 25, Anm. 9. 1 Der kosmologische Gottesbeweis und das apriorische Erkennen Während Kants skeptisch-agnostische Erkenntnismethode den Zugang zur Gotteserkenntnis versperrt, begründet das apriorische Erkennen den Zutritt zur Welt der Objektivität, bis hin zur „Erkenntnis der Existenz Gottes“ 1 . Die „höchste Stufe“ des philosophischen Erkennens „ist die Einsicht in die Existenz des ab‐ soluten personalen Wesens, von dem alles Seiende geschaffen ist, das von allem Seienden abgebildet wird, auf das alles Seiende hingeordnet ist“. 2 Wie von Hil‐ debrand wiederholt zum Ausdruck bringt, könne man Gott „schon auf natürli‐ cher Ebene mit absoluter Gewissheit erkennen“ 3 , und zwar „auf Grund der Got‐ tesbeweise“ 4 . Doch aufgrund welcher Gottesbeweise soll das zentralmetaphysische Problem der Existenz Gottes gelöst werden? In Anbe‐ tracht der Erkenntnismethode, die von Hildebrand herausgearbeitet hat, ist man zu der Annahme gedrängt, er beziehe sich auf den sogenannten ontologischen Gottesbeweis. Denn nach diesem Gedankengang soll Gottes Existenz aus seinem Sosein erkannt werden. Diese Annahme ist allerdings irrig, wie den folgenden Sätzen zu entnehmen ist: „Eine notwendige reale Existenz gibt es nur bei dem absolut Seienden, bei Gott. Und selbst da können wir sie nicht aus der Wesenheit Gottes allein erkennen.“ 5 Im weiteren Verlauf dieser Untersuchung wird sich jedoch erweisen, dass von Hildebrand allen Grund gehabt hätte, das ontologi‐ sche Argument ausdrücklich als gültig zu betrachten. Nichtsdestotrotz vertritt er die Auffassung, dass „die höchste Frage jeglichen realen Existierens“ durch philosophische Erkenntnis beantwortet werden könne. 6 Wie aber Gott erkennen, da er „in unserer natürlichen Erfahrung nicht ge‐ geben“ 7 ist? Die Möglichkeit, Gott auf philosophische Weise zu erkennen, sieht von Hildebrand mit den traditionellen und klassischen Gottesbeweisen gegeben, <?page no="102"?> 8 Vgl. D E R S ., Was ist Philosophie? , 4. Kap., V., S. 136. 9 Vgl. T H O M A S von Aquin, Summa theologica, I, q. 2, a. 3, S. 43-49. 10 A R I S T O T E L E S , Zweite Analytiken, 73a24, S. 52. 11 Ebd., S. 53. 12 Ebd. 13 Zum induktiven Schluss vom Besonderen auf das Allgemeine, vgl. P F ÄN D E R , Logik, IV. Abschnitt, B., VII. Kapitel, S. 341-349. vor allem den kosmologischen. 8 „Kosmologisch“ bezieht sich in diesem Zusam‐ menhang auf eine Gruppe von Argumenten, die nicht wie im Falle des ontolo‐ gischen Arguments apriorisch vorgehen, sondern aposteriorisch, d. h. ihren Ausgang von Erfahrungen der Kontingenz nehmen. Traditionell und klassisch wiederum sind die bekannten fünf Wege (quinque viae) des Thomas von Aquin zu nennen, mit denen er in punkto Gottesbeweise die Antike und das Mittelalter zusammenfasste und einen Höhepunkt markierte. 9 Um von Hildebrands Prin‐ zipien zu verdeutlichen, sei in der Folge der dritte Weg (tertia via) erörtert, der sich alleine schon wegen den im letzten Abschnitt thematisierten Soseinsein‐ heiten nahe legt. Vorweg allerdings eine Bemerkung zur Begrifflichkeit. Unter welchen Vor‐ aussetzungen ist es angemessen, die Gedankenreihe bis zur Erkenntnis des Das‐ eins Gottes einen Beweis zu nennen, und wann wird diese Gedankenreihe besser als ein Argument bezeichnet? Nach der klassischen Definition des Aristoteles, ist ein Beweis eine Schlussfolgerung aus notwendigen Prämissen (ἐξ ἀναγκαίων ἄρα συλλογισμός ἐστιν ἡ ἀπόδειξις 10 ). Notwendig nennt er die Prämissen, weil man „erfassen [muss], aus welchen und wie beschaffenen Prämissen die Beweise hervorgehen“ 11 . Denn da die Wissenschaft sich darauf richtet, was „sich nicht anders verhalten kann, dürfte das aufgrund der beweisenden Wissenschaft Er‐ kennbare notwendig sein“ 12 . Eine Schlussfolgerung besteht dabei aus mehreren Urteilen und mindestens einem Folgerungsbegriff. Die Urteile, aus denen ge‐ folgert wird, nennt man Prämissen, das Urteil, das aus den anderen gefolgert wird, Konklusion. Und da die Urteile selbst wiederum aus Begriffen bestehen, enthält notwendig auch die Folgerung Begriffe. Nicht mehr und nicht weniger als drei Begriffe kommen darin vor: ein Ober-, ein Unter- und ein Mittelbegriff. Das Eigentliche der Folgerung ist der Mittelbegriff, der den Ober- und den Un‐ terbegriff verbindet, so dass die Schlussfolgerung aus den Prämissen hervorgeht. Mit einem Beispiel: Alle Menschen sind sterblich (Oberbegriff), Sokrates ist ein Mensch (Mittelbegriff), also ist Sokrates sterblich (Unterbegriff bzw. Konklu‐ sion). In einer gültigen deduktiven Schlussfolgerung (Ableitung des Besonderen aus dem Allgemeinen) bewahrt die Konklusion die Wahrheit der Prämissen mit Notwendigkeit auf. 13 Von da her setzt der genuin philosophische Beweis voraus, 1 Der kosmologische Gottesbeweis und das apriorische Erkennen 102 <?page no="103"?> 14 „Gültig“ ist hier in dem Sinne zu verstehen, „dass mit der Wahrheit der Prämissen die Wahrheit der Konklusio[n] notwendig gegeben ist“ (ebd., IV. Abschnitt, Allgemeines über Schlüsse überhaupt, S. 249). „Um in jeder Beziehung gültige Schlüsse zu bilden, muss man also von gewissen wahren Urteilen als Prämissen ausgehen, zu den durch sie gesetzten Formalsachverhalten übergehen und zusehen, welchen anderen Urteilen sie den zureichenden Grund ihrer Wahrheit zu bieten vermögen“ (ebd., S. 250). Um Beweisfehler handelt es sich etwa bei der Vernachlässigung der Überprüfung der Präpositionen, beim Beginn mit falschen Prämissen, der petitio principii, bei der das zu beweisende Urteil schon in der Prämisse vorkommt, oder bei der Verwechslung von Lesarten bei homonymen oder nicht genügend geklärten Ausdrücken. Dass dem weiter unten zu behandelnden ontologischen Argument schliesslich der Fehler einer metabasis eios allo genos attestiert wird, eines Übergriffs in eine andere Gattung, bzw. im Falle des ontologischen Arguments, eines unberechtigten Sprungs aus der Denkin die Seins‐ ordnung, sei hier als ein weiterer (möglicher) Beweisfehler nur angemerkt. 15 Vgl. P F ÄN D E R , Logik, S. 248. Zur Lehre von den Schlüssen insgesamt vgl. ebd., IV. Ab‐ schnitt, S. 246-354. Im Zusammenhang mit Pfänders Logik sei auch auf die bereits in der vierten Auflage erschienene Arbeit Das literarischeKunstwerk seines Schülers Roman Ingarden (1893-1970) hingewiesen, mit dem er die logische Grundlegung seines Lehrers Pfänder auf ein zusätzliches Gedankengebilde übertragen und fortgeführt hat. 16 Vgl. unten IV, 1.3 - „Der ordo amoris und das Phänomen der Wertblindheit“. 17 Vgl. Otto M U C K , Philosophische Gotteslehre, S. 99 f. dass die Prämissen in ihrer Wahrheit und die Gültigkeit der Schlussform erkannt werden. 14 Auch ein Argument kann im Übrigen ein Beweis sein, es kann aber auch eine Begründung sein, die nicht auf evidenten Prämissen beruht und die Konklusion nicht mit Gewissheit erkennen lässt, sondern nur plausibel macht. 15 Und weil dem Beweis nur wenige zustimmen, verliert er seinen Charakter echt objektiver Erkenntnis trotzdem nicht. Denn sobald die Schlussfolgerung einen Bezug zum eigenen Leben hat, was in der Religion genauso der Fall ist wie in verschiedenen anderen Gegenstandsbereichen auch, die die eigene Weltan‐ schauung betreffen, setzt die Erlangung der Einsicht eine sachlich angemessene Haltung voraus. 16 Da diese Haltung aber frei eingenommen wird, kommt es verständlicherweise weder zu einer von jeder Person erlangten Erkenntnis noch zu einer allgemeinen Zustimmung; Otto Muck bezeichnete die so erlangte Ge‐ wissheit treffend als freie Gewissheit 17 . Bei seinem Versuch, für das Dasein Gottes zu argumentieren, geht Thomas von Aquin von dem Unterschied zwischen dem möglichen und dem notwen‐ digen Sein aus. Seinen Ausgang nimmt er bei dem, „was dem Entstehen und Vergehen unterworfen ist“, was ebenso gut sein wie nicht sein kann. Dazu ge‐ hören die oben genannten zufälligen und die morphischen Einheiten. Nun kann aber nicht alles in den Bereich der Dinge fallen, die auch nicht sein können, „denn das, was möglicherweise nicht ist, ist irgendwann einmal auch tatsächlich 1 Der kosmologische Gottesbeweis und das apriorische Erkennen 103 <?page no="104"?> 18 Vgl. T H O M A S von Aquin, Summa theologica, I, q. 2, a. 3, S. 46 f. Zu den Einwänden gegen die kosmologischen Argumente vgl. L Ö F F L E R , Einführung in die Religionsphilosophie, 3.3, S. 60-68. 19 von H I L D E B R A N D , Was ist Philosophie? , 4. Kap., V., S. 136, Anm. 23. 20 Ebd., 4. Kap., V., S. 136. 21 Ebd. Vgl. auch Joseph G E Y S E R , Das Gesetz der Ursache. Untersuchungen zur Begründung des allgemeinen Kausalgesetzes. 22 von H I L D E B R A N D , Was ist Philosophie? , 4. Kap., V., S. 136, Anm. 23. nicht da oder nicht da gewesen“. Da das mögliche Sein aber eine offensichtliche und allgegenwärtige Realität ist, muss es einen Anfang genommen haben „durch etwas, was bereits ist“. Denn gab es überhaupt kein Sein, „dann war es auch unmöglich, dass etwas anfing zu sein, und so wäre auch heute noch nichts da“, was offenbar falsch ist. Also kann nicht alles dem Bereich der Dinge zugehören, die ebenso gut sein wie nicht sein können. Es muss etwas geben, das keine Möglichkeit hat, nicht zu sein, mit anderen Worten: das notwendig ist. „Alles notwendige Sein aber hat den Grund seiner Notwendigkeit entweder in einem anderen oder nicht in einem anderen, sondern in sich selbst.“ Bei den oben be‐ handelten notwendigen Soseinseinheiten oder Wesenheiten handelt es sich in diesem Sinne um Notwendigkeiten, die den Grund ihrer Notwendigkeit in einem anderen haben. Aufgrund der Unmöglichkeit eines Regresses ins Unendliche, „müssen [wir] also ein Sein annehmen, das durch sich notwendig ist und das den Grund seiner Notwendigkeit nicht in einem anderen Sein hat, das vielmehr selbst der Grund für die Notwendigkeit aller anderen notwendigen Wesen ist“. Dieses Sein aber, das den Grund seiner Notwendigkeit in sich selbst hat, „wird von allen ‚Gott‘ genannt“. 18 Handelt es sich bei dieser Erkenntnis von Gottes realem Dasein nun um eine apriorische Erkenntnis? Dietrich von Hildebrand differenziert: Zwar sei die Existenz Gottes in sich absolut notwendig, doch sei ihre Erkenntnis nicht apriorisch, sie könne vielmehr „nur durch die Erkenntnis eines endlichen Sei‐ enden erkannt werden“ 19 . Doch obwohl die Erkenntnis der Existenz Gottes quoad nos kontingent sei, sei die Erkenntnis trotzdem „nicht empirisch im ge‐ wöhnlichen Sinn des Wortes“ 20 . Und zwar ist die Erkenntnis der Existenz Gottes darum nicht empirisch, weil sie nicht auf induktivem Weg erlangt wird. Den Ausgangspunkt bildet die Realkonstatierung irgendeines kontingenten Sei‐ enden. Der Rückschluss auf Gott basiert sodann „auf dem Wesenszusammen‐ hang, dass jedes endliche kontingent Seiende einer Ursache für seine Existenz bedarf “ 21 . Wie auch Thomas verstanden hat, „ist die Annahme einer unendlichen extramundanen Ursache unbedingt notwendig“ 22 , denn jede Angabe einer end‐ lichen Ursache würde das Problem nur verschieben und letztlich an der Un‐ möglichkeit eines regressus in infinitum scheitern. 1 Der kosmologische Gottesbeweis und das apriorische Erkennen 104 <?page no="105"?> 23 Ebd. 24 Vgl. ebd. Auch in seinem posthum erschienenen Werk Moralia (1. Kap., S. 59) spricht von Hildebrand sich dafür aus, dass wir von der „Kontingenz aus im Gottesbeweis zu Gott aufsteigen“ können. 25 Die anderen Argumentationsgänge beginnen bei der Konstatierung der Bewegung (prima via), der Wirkursache (secunda via), der Wertstufen (quarta via) oder der Welt‐ ordnung (quinta via). In diesem Sinn ist der Schluss von einem kontingenten Seienden auf die Existenz eines unendlichen Gottes eben gerade nicht induktiver Natur, denn er geht nicht von möglichst vielen Beobachtungen aus und erreicht auch nicht nur den Gewissheitsgrad höchster Wahrscheinlichkeit. „Er ist vielmehr lückenlos und stringent und steigt auf Grund eines apriorischen Wesenszusammenhanges zu der conclusio auf. So zeigt sich auch, inwiefern die Erkenntnis „nicht empi‐ risch im gewöhnlichen Sinn des Wortes“ 23 ist. Empirisch ist nur die erste Prä‐ misse der Realexistenz eines kontingenten Seienden. „Legt man in dieser Prä‐ misse die Realexistenz des eigenen Selbst, das im cogito gegeben ist, zugrunde, so hat man sogar eine absolut gewisse Realkonstatierung, und die Erkenntnis des absolut Seienden erreicht dieselbe Erkenntnisdignität wie apriorische Sach‐ verhalte“; diesen Satz fasst er noch exakter, indem er beifügt: „wenigstens in Bezug auf die Gewissheitsstufe“. 24 Bei den übrigen thomasischen Argumentationsgängen 25 verhält es sich ebenso: nicht von aussen, sondern von innen her wird der Sachverhalt der not‐ wendigen Existenz Gottes erkannt. Obzwar nicht apriorisch - im Sinne der ab‐ solut gewissen Erkenntnis des im Wesen Gottes gründenden Sachverhalts der notwendigen Existenz -, so dennoch aufgrund des apriorischen Wesenszusam‐ menhangs, dass jedes endliche kontingent Seiende einer Ursache für seine Exis‐ tenz bedarf. Und damit von der Konstatierung eines endlich Seienden letztlich zu dessen unendlicher Ursache. Dabei, so von Hildebrand, werde dieselbe Ge‐ wissheitsstufe erreicht wie bei der Erkenntnis apriorischer Sachverhalte. Dass er sich des freien Beitrags der Person bewusst war, den die Erlangung dieser Erkenntnis bedingt, hat er in seinen Schriften wiederholt gezeigt. Was schliesslich das Argument von der Unmöglichkeit eines unendlichen Regresses betrifft, so reicht auch dieses nur in dem Masse hin, in dem die Person ihren freien Beitrag geleistet hat, denn im Sinne einer potentiellen Unendlichkeit ist der unendliche Regress ja keine Denkunmöglickeit. 1 Der kosmologische Gottesbeweis und das apriorische Erkennen 105 <?page no="106"?> 1 Karla M E R T E N S , In memoriam Dietrich von Hildebrand, S. 76. 2 Ebd. 3 Ebd. Vgl. dazu im unveröffentlichten Nachlass, „Religionsphilosophie“, auch Mappe 83 (83 / 114), wo sich eine Stelle findet, an der von Hildebrand dafür hält, „dass das absolute Wesen notwendigerweise personal sein muss“. „Gewiss eine unfassbar-überlegene Per‐ sonalität, aber eben unvergleichlich mehr Person, absolute Person“. 4 M E R T E N S , In memoriam Dietrich von Hildebrand, S. 76. 5 von H I L D E B R A N D , Selbstdarstellung, S. 89. 6 Ebd., S. 93. 7 D E R S ., Metaphysik der Gemeinschaft, I. Teil, 1. Kap., S. 20. 8 D E R S ., Das katholische Berufsethos, S. 9. 2 Die Ursache des Person-Seins Einen ähnlich gelagerten Gedankengang teilte von Hildebrand einst Karla Mer‐ tens (1913-2005) mit, die ihn während der Zeit seiner Privatdozentur in Mün‐ chen (1918-1933) kennen gelernt, zahlreiche seiner Schriften ins Deutsche übersetzt und herausgegeben hat und über Jahre Präsidentin der von ihr und Balduin Schwarz (1902-1993) gegründeten Dietrich-von-Hildebrand-Gesell‐ schaft war. Für ihn, so von Hildebrand anlässlich dieses Gesprächs, „sei die Tat‐ sache, dass Person-Sein die vollkommenste Stufe des Wirklichen überhaupt ist, der überzeugendste Erweis dafür, dass Urgrund und Ursprung der Schöpfung nur ein personaler Geist sein könne“ 1 . Etwas Apersonales „könne nach allen Regeln der Kausalität nicht die Ursache von etwas Höherem, Vollkommenerem sein“ 2 . Unabweislich folge aus dem Wesen der Person, wie es im Menschen wahrgenommen werden könne, „dass das höchste Sein - Gott - Person sein müsse“ 3 . „Ein anschaulicherer und einleuchtenderer Gottesbeweis lässt sich meines Erachtens kaum denken“ 4 , wie Karla Mertens diese von Hildebrandsche Gedankenfolge kommentiert und beurteilt. Von Hildebrand bezeichnete den Unterschied zwischen dem Apersonalen und dem Personalen als den „grösste[n] innerhalb des Seienden“ 5 . Wie weiter oben bereits erwähnt und anhand von Pascals denkendem Schilfrohr veranschaulicht wurde, kommt der menschlichen Person eine metaphysische Existenzweise zu. Bei der philosophischen Erörterung der menschlichen Person „gelangen wir in das Herzstück der Metaphysik“ 6 . Die menschliche Person „ist ein bewusstes, ein Ich besitzendes, in sich zusammengehaltenes, sich selbst besitzendes, freies Wesen“ 7 . Sie ist „die eigentlichste Substanz“ 8 , „die höchste Form des Substan‐ tiellen überhaupt“, denn bei ihr findet „der Charakter des Individuums und der <?page no="107"?> 9 Vgl. ebd. 10 Ebd., S. 13. 11 D E S C A R T E S , Meditationen über die Grundlagen der Philosophie, Dritte Meditation, 19., S. 32. 12 Vgl. Joseph G E Y S E R , Das Prinzip vom zureichenden Grunde. Eine logisch-ontologische Untersuchung. 13 von H I L D E B R A N D , Das Wesen der Liebe, Prolegomena, S. 24. 14 Ebd. 15 D E R S ., Das trojanische Pferd in der Stadt Gottes, II. Teil, 13. Kap., S. 167. 16 Zu sachlichen Argumenten gegen diese Auffassung vgl. unten II, 5.3.3.2 - „Argumente gegen die materialistische Reduzierung des Bewusstseins zu einem Produkt des Ge‐ hirns“. ‚Welt für sich‘ seine höchste, prototyphafte Ausprägung“. 9 Das Sein der Person ist „wesentlich von allen anderen Seinsarten unterschieden als bewusstes, von innen durchleuchtetes Sein“ 10 . Auch für René Descartes „ist es vermöge der na‐ türlichen Einsicht offenbar, dass zum mindesten ebensoviel Realität in der ge‐ samten wirkenden Ursache (causa efficiens) vorhanden sein muss, wie in der Wirkung eben dieser Ursache“ 11 . Die Behauptung, das Apersonale könne Ur‐ sache des Personalen sein, widerspricht dieser natürlichen Einsicht, wie über‐ dies auch dem logischen Grundsatz vom zureichenden Grund. 12 Denn zurei‐ chend ist der Grund nur dann, wenn er den vollen Behauptungsgehalt des Urteils stützt, wenn sonst nichts weiter erforderlich ist, um das Urteil wahr zu machen. Dass aber das Apersonale den zureichenden Grund gerade nicht enthält, um die genannte Behauptung zu stützen, das Apersonale könne Ursache des Personalen sein, ist evident. Von Hildebrand machte in dem Zusammenhang auch auf das Vorurteil auf‐ merksam, „dass man von dem ontologisch Niedrigeren aufsteigen müsse zu dem Höheren, um das Höhere zu verstehen“ 13 . Ebenso hat er auf die Tendenz hinge‐ wiesen, „etwas als umso unbezweifelbarer anzusehen, je niedriger es ontolo‐ gisch steht“ 14 , ja dass „unsere Erkenntnis eines Seienden umso gewisser sei, je niedriger dieses metaphysisch steht“ 15 . Das metaphysisch höher Stehende wird dabei à la baisse (von unten) zu verstehen gesucht, währenddem ihm einzig die Erklärung à la hausse (von oben) Genüge tut. Von da her ist die menschliche Person nicht nach dem Muster apersonalen Seins zu verstehen, 16 sondern einzig nach ihrer Gottebenbildlichkeit, nur von Gott her lässt die menschliche Person sich angemessen verstehen. 2 Die Ursache des Person-Seins 107 <?page no="108"?> 1 von H I L D E B R A N D , Die Unsterblichkeit der Seele, S. 307. 2 D E R S ., Gibt es eine Eigengesetzlichkeit in der Pädagogik? , S. 382. 3 Vgl. D E R S ., Die neue Sachlichkeit und das katholische Ethos, S. 94. Von Hildebrand be‐ zeichnet Gott in bevorzugter Weise und an verschiedenen Stellen als Inbegriff aller Werte. Vgl. etwa: Der Kampf um die Person, S. 186; Die neue Sachlichkeit und das katho‐ lische Ethos, S. 94; Religion und Sittlichkeit, S. 105; Metaphysik der Gemeinschaft, I. Teil, 8. Kap., S. 115; Über die christliche Idee des himmlischen Lohnes, S. 277; Ästhetik 1, 1. Kap., S. 44, 21. Kap., S. 423; Moralia, 1. Kap., S. 33, 1. Kap., S. 49, 1, Kap., S. 71, 9. Kap., S. 145. 4 Vgl. D E R S ., Unveröffentlichter Nachlass, „Religionsphilosophie“, Mappe 83 (83 / 77). 5 D E R S ., Christliche Ethik, 14. Kap., S. 197. 6 D E R S ., Unveröffentlichter Nachlass, „Religionsphilosophie“, Mappe 83 (83 / 89). 7 Vgl. D E R S ., Moralia, 1. Kap., S. 48. 3 Gott als Inbegriff aller Werte Die Existenz Gottes kann „auf Grund der Gottesbeweise mit absoluter Gewiss‐ heit eingesehen werden“ 1 . Wenn von Hildebrand beim Dasein Gottes von Be‐ weisen spricht, wovon spricht er dann beim Sosein? Kann das Sosein Gottes mit einer ebensolchen Gewissheit eingesehen werden wie sein Dasein? Beim Sosein Gottes spricht von Hildebrand nicht von Beweisen, sondern von Hinweisen. Er spricht von einem „Über-sich-Hinausweisen der Werte“ 2 , von einem Hinweisen auf den höchsten Wert, auf den Inbegriff aller Werte, 3 auf Gott. Im Nachlass findet sich zudem eine Stelle, an der von Hildebrand Gott auch als absoluten Wert bezeichnet. 4 Zwar ermöglichen die Werte keinen ebenso stringenten Got‐ tesbeweis wie den auf der Kontingenz der geschaffenen Dinge fussenden, doch sie sind zumindest ein Ausgangspunkt „für eine Bewegung auf Gott zu, ein Fin‐ gerzeig, ein Hinweis auf Gott“ 5 . Gott, wie einer anderen Stelle aus dem er‐ wähnten Nachlass zu entnehmen ist, ist das „absolut vollkommene, die letzte Realität, in der sich alles erfüllt, was an Wert hier erfasst wird“ 6 . 3.1 Das Seiende und der Wert Doch was sind Werte? Eine allgemeine Wertlehre entwickelt von Hildebrand im ersten Teil seines Werkes Christliche Ethik, 7 wo er die Werte als Urgegebenheiten charakterisiert, die nicht auf etwas anderes zurückführt oder von etwas anderem <?page no="109"?> 8 D E R S ., Christliche Ethik, 8. Kap., S. 118. 9 Für Max Scheler, dessen erste philosophische Tat die Entdeckung des Wertreiches war (vgl. Johannes H I R S C H B E R G E R , Geschichte der Philosophie, Bd. II, S. 600), sind die Werte nicht identisch mit dem naturhaften Sein der Güter, sie sind ihm vielmehr „klare fühl‐ bare Phänomene“ (Max S C H E L E R , Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wert‐ ethik. Neuer Versuch der Grundlegung eines ethischen Personalismus, Erster Teil, I., 2., S. 39), deren Qualitäten sich nicht mit den Sachen verändern, denn „Werte sind schon als Wertphänomene (gleichgültig ob ‚Erscheinung‘ oder ‚wirklich‘) echte Gegenstände, die von allen Gefühlszuständen verschieden sind“ (ebd., S. 41). Scheler gliederte die Werte in eine aufsteigende Werthierarchie des Angenehmen, Gesunden, Nützlichen, Schönen, Gerechten und Heiligen (vgl. ebd., II., 5., S. 122-126). Das Vorziehen bzw. Nachsetzen der hierarchisch gegliederten Werte entscheidet nach Scheler zwischen gut und böse (vgl. ebd., I., 2., S. 45-51). Eine wissenschaftstheoretische Bemerkung am Schluss: „Definierbar ist natürlich hier nichts, wie bei allen letzten Wertphänomenen. Wir können hier nur auffordern, genau hinzusehen, was wir im Fühlen eines Bösen und Guten unmittelbar erleben“ (ebd., S. 47). Auf das Schelersche Wertverständnis wird weiter unten noch ausführlicher einzugehen sein, vgl. IV, 1.7 - „Erstreckte sich Schelers und von Hildebrands Übereinstimmung in der Zurückweisung der Kant’schen Ethik auch auf die Religionsphilosophie? “. Gegenwärtig ist bezüglich der Werte allerdings nicht ein objektives Verständnis vor‐ herrschend, sondern vielmehr ein subjektives à la Nietzsche, der die Werte zu einer subjektiven Setzung erklärte: „Werte legte erst der Mensch in die Dinge, sich zu er‐ halten - er schuf erst den Dingen Sinn, einen Menschen-Sinn! “ (N I E T Z S C H E , Also sprach Zarathustra, Von tausend und einem Ziele, S. 62). Vgl. auch John Leslie M A C K I E , Ethik. Die Erfindung des moralisch Richtigen und Falschen. Auch er hält dafür, dass es keine objektiven, sondern nur subjektive Werte gebe. Dieselbe These vertrat auch David H U M E in der Untersuchung über die Prinzipien der Moral. Zu Begriff, Geschichte und Forschungsstand der „Werte“ vgl. den Beitrag von Armin R E G E N B O G E N , „Werte“, in: Enzyklopädie Philosophie, Sp. 1742b-1748b, wo sich auch eine Auswahl an einschlägiger Literatur verzeichnet findet. 10 Vgl. von H I L D E B R A N D , Moralia, Einleitung, S. 22. 11 Vgl. D E R S ., Christliche Ethik, 8. Kap., S. 118. abgeleitet und nur „in einer originären Intuition erfasst werden“ 8 können. 9 Bei den Werten stösst man auf ein Letztes, bei dem die Frage nach dem Warum völlig unsinnig ist, 10 die zudem nicht geleugnet werden können, ohne stillschweigend wieder eingeführt zu werden. 11 Denn wenn immer es in einer Diskussion um „besser“ oder „schlechter“ geht, wäre diese Diskussion sinnlos, wenn es keine objektiven Werte gäbe. Dann wäre das Erkennen der Wahrheit weder besser als der Irrtum noch die Liebe besser als der Hass. Wenn die Existenz der Werte in relativistischer Manier geleugnet wird, wird damit nur die behauptete Nicht‐ existenz der Werte in den Rang eines Wertes erhoben bzw. der Wert stillschwei‐ gend wieder eingeführt. Beim Wert handelt es sich um eine jener grundlegenden Tatsachen, die man in dem Moment, in dem man sie leugnet, wieder voraussetzt. Was sich weiter oben bei Denkern wie Nietzsche oder Sartre zeigte, die den 3.1 Das Seiende und der Wert 109 <?page no="110"?> 12 Ebd., 5. Kap., S. 93. 13 Diese grundlegende Unterscheidung findet sich bereits in von Hildebrands Dissertation Die Idee der sittlichen Handlung, S. 174. 14 von H I L D E B R A N D , Christliche Ethik, Prolegomena, S. 11. 15 M E R T E N S , In memoriam Dietrich von Hildebrand, S. 80. 16 von H I L D E B R A N D , Christliche Ethik, 12. Kap., S. 177. 17 Ebd., 1. Kap., S. 37. Werten ihren objektiven Rang absprechen, und indem sie sie auf den setzenden Willen der Menschen zurückführten, sie stillschweigend wieder eingeführt haben. Die Werte „transzendieren den Bereich unseres eigenen Seins, denn sie be‐ ziehen sich auf etwas, was seine von uns unabhängige innere Notwendigkeit hat und die letzte metaphysische Schicht berührt“ 12 . Diese letzte metaphysische Schicht berühren die Werte insofern, als sie den Bereich des Subjektiven, des bloss für mich Wichtigen auf eine Wirklichkeit hin transzendieren, die in sich wichtig und bedeutsam ist. 13 Hier gabeln sich gerade auch die Wege in den Sinn bzw. in die Sinnlosigkeit. In seinem ethischen Hauptwerk - Christliche Ethik - geht es von Hildebrand nicht nur um „den tiefsten und zentralsten Punkt im Drama des menschlichen Lebens“ 14 , es geht ihm nicht nur um die Klärung der sittlichen Sphäre, es geht ihm auch um die „metaphysische Ortsbestimmung der Werte“ 15 . Mit dem Begriff des Wertes ist eine Realität angesprochen, mit der von Hildebrand sich von seinen ersten bis zu seinen letzten Schriften beschäftigt hat. Die Beziehung, in der die Werte und das Seiende zueinander stehen, „gehört zu den fundamen‐ talsten Problemen der Metaphysik“ 16 . Sie wurzelt in den Begriffen von gut (bonum) und schlecht (malum), welche die Eigenschaft eines Seienden be‐ zeichnen, „die es befähigt, unseren Willen zu motivieren oder eine affektive Antwort in uns hervorzurufen“ 17 . Das Besondere dieser motivierenden Kraft nennt er - als Antithese zur Neutralität oder Indifferenz - Bedeutsamkeit. In 3 Gott als Inbegriff aller Werte 110 <?page no="111"?> 18 Dietrich von Hildebrand und Max Scheler standen von 1908 bis 1921 in einem engen freundschaftlichen Verhältnis (vgl. Selbstdarstellung, S. 80). Über ihre Freundschaft sowie über die Person Max Schelers äussert von Hildebrand sich in mehreren Schriften. Vgl. dazu etwa Max Scheler als Ethiker oder Max Schelers Stellung zur katholischen Ge‐ dankenwelt. Auch die Schrift über Max Scheler als Persönlichkeit ist aufschlussreich. Zum Verhältnis von Hildebrands zu Scheler, „with whom Hildebrand was closely connected, particularily during Scheler’s Catholic phase“, vgl. auch S P I E G E L B E R G , The Phenomeno‐ logical Movement, Bd. I, S. 222. Zu dieser Freundschaft siehe auch Alice von H I L D E‐ B R A N D , Die Seele eines Löwen: Dietrich von Hildebrand, S. 48 ff. Nach dem Urteil von Dietrich von Hildebrand hat Scheler den Wesensunterschied zwi‐ schen dem Wert und dem bloss subjektiv Befriedigenden deswegen übersehen, weil er die Frage nach den verschiedenen Gesichtspunkten der Motivation nicht klar von der Bedeutsamkeit des Objektes trennte, unabhängig von der Motivation. Darum sei jeder Versuch zum Scheitern verurteilt, der ein moralisch falsches Verhalten als ein Vorziehen eines niedrigeren Gutes vor einem höheren zu erklären suche. Die Güter befinden sich nicht auf einer Skala, vielmehr sind sie in drei grundsätzlich verschiedene Kategorien der Bedeutsamkeit unterteilt. Denn beruhte das Vorziehen eines niedrigeren Gutes vor einem höheren auf einem gemeinsamen Nenner, „nämlich auf dem Gesichtspunkt ihres Wertes, so könnte man unmöglich erklären, warum man sich für den niederen statt für den höheren entscheiden kann“ (von H I L D E B R A N D , Christliche Ethik, 3. Kap., S. 61). Vgl. dazu auch die Dissertation von Bernhard W E N I S C H , Der Wert - eine an D. v. Hilde‐ brand orientierte Auseinandersetzung mit M. Scheler. 19 Auf die motivationale Dimension der verschiedenen Kategorien der Bedeutsamkeit wird weiter unten einzugehen sein, vgl. III, 5 - „Bedeutsamkeit und Motivation“. An dieser Stelle wurden sie nur im Sinne einer ersten Wesensbestimmung der Werte ein‐ geführt. 20 Vgl. T H O M A S von Aquin, Summa Theologica, I, q. 5, a. 1, S. 92-95. 21 Vgl. von H I L D E B R A N D , Christliche Ethik, 12. Kap., S. 177. 22 Ebd. Abhebung von Max Schelers Wertvorstellung, 18 differenziert er die Bedeutsam‐ keit in drei grundsätzlich verschiedene Kategorien. Einerseits grenzt er den Wert ab, dem die Bedeutsamkeit objektiv, in sich und unabhängig von seinem Bezug zu anderen Seienden und damit auch zum Menschen zukommt. Sodann die Be‐ deutsamkeit des objektiven Gutes für die Person. Diese Bedeutsamkeit kommt demjenigen zu, was dem Menschen in legitimer Weise nützt oder ihn fördert. Als dritte Bedeutsamkeitskategorie unterscheidet von Hildebrand das bloss sub‐ jektiv Befriedigende oder Angenehme bzw. das Unbefriedigende oder Unange‐ nehme, wozu er all das rechnet, was unter dem Aspekt des ichbezogenen Ver‐ gnügens, der Lust, der Befriedigung der Begierden usw. erstrebt wird. 19 In dem Zusammenhang der Bedeutsamkeit bzw. des Guten weist er die tra‐ ditionelle Auffassung zurück, das Gute und das Seiende seien identische Begriffe (bonum et ens convertuntur 20 ). 21 „Wenn wir wissen, dass es wirklich existiert, wissen wir damit noch nicht notwendig, ob es ein Gut oder ein Übel ist.“ 22 Wohl gibt es einen allgemeinen Wert des Etwas-Seins, der dem Seienden als solchem 3.1 Das Seiende und der Wert 111 <?page no="112"?> 23 Ebd., 12. Kap., S. 182. 24 Ebd., 7. Kap., S. 111. 25 Vgl. D E R S ., Moralia, 1. Kap., S. 52. 26 In Christliche Ethik nennt von Hildebrand die Werte dieser Gattung auch „ontologi‐ sche“. Aufs Ganze gesehen, verwendet er „ontisch“ und „ontologisch“ als austauschbare Begriffe. 27 von H I L D E B R A N D , Die drei Grundformen menschlicher Teilhabe an den Werten, S. 168. 28 Vgl. D E R S ., Christliche Ethik, 10. Kap., S. 166. eigen ist. Doch handelt es sich dabei nur um den Gegensatz zum Nichtseienden, noch vor jedem Bezug auf die spezifische Artung seines Wesens und So-Seins. Auch wenn jedes Seiende einen wenngleich nur formalen Wert besitzt, geht es nach von Hildebrand trotzdem an, bestimmte Seiende als neutral oder indiffe‐ rent zu bezeichnen. „Solange ein Seiendes keinen qualitativen und keinen on‐ tischen Wert hat (oder doch nur einen so geringen, dass er gleichsam eine quantité négligeable bleibt), ist es wirklich in einem gewissen Sinn neutral.“ 23 Obzwar es also einen formalen Wert gibt, der dem Seienden als solchem eignet, muss dieser nichtsdestotrotz von den qualitativen und den ontischen Werten abgegrenzt werden. Denn bei ihnen geht es nicht mehr nur um ein inhaltsloses Etwas-Sein, sondern um ein inhaltlich gefülltes So-Sein. Es geht nicht um den formalen Gegensatz zum Nichtsein, sondern um die in einem bestimmten Sei‐ enden ruhende Bedeutsamkeit. Es geht um Seiende, bei denen das In-sich-selbst-bedeutsam-Sein „geradezu das Mark des Sinngehaltes“ 24 bildet. Wenn damit auch „ein ganz zentrales Wesensmerkmal des Wertes“ getroffen ist, so ist es dennoch „nicht alles, was das Wesen des Wertes ausmacht“. 25 Das lässt sich an der folgenden Gliederung in verschiedene Wertfamilien ermessen. 3.2 Die Wertfamilien Während der ontische Wert 26 - wie ihn etwa eine Pflanze oder ein Tier besitzen - dem Seienden immanent ist, „ist zur Verwirklichung qualitativer Werte unsere Mitarbeit erforderlich“ 27 . Der Unterschied zwischen den ontischen und den qua‐ litativen Werten lässt sich auch am komplexen Wesen der menschlichen Person verdeutlichen. Während der ontische Wert der menschlichen Person „diesem Seienden als solchem eigen“ ist und er ihn besitzt, sobald er existiert, können die sittlichen Werte beispielsweise „in einer Person oder in einem Willensakt verkörpert oder nicht verkörpert sein“. 28 Die ontischen Werte unterscheiden sich von den qualitativen Werten vor allem dadurch, dass ihnen kein antithetischer Unwert gegenübersteht, sie also keinen konträren, sondern nur einen kontra‐ diktorischen Gegensatz haben. Die qualitativen Werte besitzen dagegen einen 3 Gott als Inbegriff aller Werte 112 <?page no="113"?> 29 D E R S ., Ästhetik 1, 2. Kap., S. 83. 30 D E R S ., Heiligkeit und Tüchtigkeit, S. 81. 31 D E R S ., Christliche Ethik, 15. Kap., S. 205. 32 Vgl. D E R S ., Selbstdarstellung, S. 99. 33 D E R S ., Christliche Ethik, 15. Kap., S. 207. 34 D E R S ., Heiligkeit und Tüchtigkeit, S. 82. (Kursiv im Orig.) 35 D E R S ., Christliche Ethik, 15. Kap., S. 211. 36 Ebd. Vgl. auch D E R S ., Über die christliche Idee des himmlischen Lohnes, S. 277. 37 D E R S ., Christliche Ethik, 15. Kap., S. 212. konträren Gegensatz, so steht z. B. dem Wert der Liebe der konträre Unwert des Hasses gegenüber. Überdies gibt es innerhalb eines spezifisch ontologischen Wertes - wiederum im Unterschied zu den qualitativen Werten - keinerlei Ab‐ stufungen, kein Mehr-oder-Weniger. Bei den qualitativen Werten handelt es sich nicht um einen einzelnen Werttyp, sondern um einen ganzen aus verschiedenen Wertfamilien beste‐ henden Wertbereich. Die qualitativen Werte unterteilen sich in sittliche, intel‐ lektuelle und ästhetische Wertfamilien. „Diese einzelnen Wertfamilien sind in erster Linie durch die Natur ihres Themas voneinander abgegrenzt. Sie alle sind echte, qualitative Werte, aber sie unterscheiden sich durch ihr Thema, durch ihre qualitative Grundnote.“ 29 Um sittliche Werte handelt es sich bei der Ge‐ rechtigkeit, der Wahrhaftigkeit, der Reinheit, der Demut und dergleichen mehr. Sie stellen nach von Hildebrand die „Achse der Welt“ 30 dar. Ihr Wesen weist verschiedene Merkmale auf, die sie eindeutig von den anderen qualitativen Werten abheben. „Das erste Hauptmerkmal der sittlichen Werte ist, dass sie notwendig eine Person voraussetzen. Ein apersonales Seiendes könnte niemals Träger sittlicher Werte sein.“ 31 Träger sittlicher Werte ist die Person durch ihre Antworten auf gewisse Güter und ihren Wert. 32 Da aber nicht nur sittliche Werte notwendig eine Person voraussetzen, ist ihr Wesen damit noch nicht genügend bestimmt. Es gibt verschiedene Werttypen, die ausschliesslich an Personen ge‐ bunden sind, z. B. die intellektuellen Werte. Was sie hingegen eindeutig von allen anderen personalen Werten abhebt, ist die Verantwortlichkeit. „Wir tadeln einen Menschen, der geizig, unrein oder ungerecht ist, aber wir legen ihm nicht zur Last, dass er etwa unbegabt und unvital ist.“ 33 Aus der Verantwortlichkeit erhellt, dass sittliche Werte die Freiheit voraussetzen. Des Weiteren eignet den sittlichen Werten eine Beziehung zum Gewissen. Hierin leuchtet der Ernst der sittlichen Werte besonders auf. Denn: „Nichts kann der Disharmonie verglichen werden, die durch das beunruhigte Gewissen aus‐ gelöst wird.“ 34 Eng damit verbunden sind die Merkmale der Unerlässlichkeit 35 und der „Beziehung zu Lohn und Strafe“ 36 . Sie zu besitzen ist schliesslich „ein grösseres Gut für die Person als irgendwelche andere Werte“ 37 . Aus diesen 3.2 Die Wertfamilien 113 <?page no="114"?> 38 D E R S ., Moralia, 1. Kap., S. 67. 39 Vgl. D E R S ., Ästhetik 1, 2. Kap., S. 84. 40 Ebd., 2. Kap., S. 87. 41 Ebd. 42 Ebd. 43 Vgl. ebd., 6. Kap., S. 150. Merkmalen der sittlichen Werte lässt sich entnehmen, weswegen von Hilde‐ brand sagen kann: „Sie sind die wichtigsten, die zentralsten, in ihnen gipfelt die Herrlichkeit aller Werte.“ 38 Nebstdem gibt es gewisse Werte, die von Hildebrand in seiner frühen Phase als intellektuelle bezeichnete. Wenn er später davon abging, dann nicht, weil die frühere Verwendung falsch war, sondern weil sich nach jahrelanger harter Un‐ terscheidungsarbeit abgezeichnet hat, dass der Begriff „intellektuelle Werte“ einfach zu weit gefasst war, zerfallen sie doch eigentlich in mehrere personale Wertfamilien. 39 Auf diese Feingliederung braucht hier aber nicht eingegangen zu werden. Die intellektuellen Werte seien allgemein wie folgt umgrenzt: Die intellektuellen Werte sind Werte des Verstandes (des Intellekts) sowie der Er‐ kenntnis und des Denkens (Schliessens, Urteilens, begrifflicher Klarheit im Denken usw.). Als Exemplare dieser Wertfamilie mögen Tüchtigkeit, Witz, scharfer Verstand, geistige Tiefe und Brillanz genügen, um offenbar werden zu lassen, dass eben nicht nur die sittlichen, sondern auch die intellektuellen Werte notwendig eine Person voraussetzen. Die in der ästhetischen Familie vereinten Werte sodann lassen sich entgegen dem gemeinen Verständnis des Wortes ästhetisch nicht samt und sonders als Unterarten der Schönheit fassen. „Solange es sich um lieblich, erhaben, anmutig, sublim, poetisch handelt, ist es klar, dass sie besondere Arten der Schönheit sind.“ 40 Doch schon das Elegante ist keine typische Unterart des Schönen mehr, während ganz offenbar „Qualitäten wie gut gemacht, gelungen, brillant keine Unterarten der Schönheit“ 41 sind. Doch auch wenn es ästhetische Werte gibt, die nicht Unterarten der Schönheit sind, so ist es nichtsdestotrotz angemessen, „von der Schönheit als der ‚Königin‘ im Reich des Ästhetischen, als dem höchsten, dem ästhetischen Wert par excellence“ 42 zu sprechen. Die ästhetischen Werte, im Sinne der Schönheit, scheidet von Hildebrand in die Bereiche der metaphysi‐ schen Schönheit und der Schönheit des Sicht- und Hörbaren. Letzteren Bereich unterteilt er wiederum in die Sinnenschönheit - die „Schönheit erster Potenz“ - und die geistige Schönheit - die „Schönheit zweiter Potenz“. 43 Als metaphysische Schönheit gilt ihm schliesslich jene „Schönheit ausserhalb des Sichtbaren und Hörbaren […], die an geistigen Gebilden haftet, aber nicht direkt, sondern die 3 Gott als Inbegriff aller Werte 114 <?page no="115"?> 44 Ebd., 2. Kap., S. 94. 45 Ebd., 2. Kap., S. 82. 46 Vgl. D E R S ., Moralia, 1. Kap., S. 53 f. 47 Ebd., 42. Kap., S. 464. 48 D E R S ., Das Wesen der Liebe, Kap. I, S. 40. 49 D E R S ., Gibt es eine Eigengesetzlichkeit in der Pädagogik? , S. 382. eine Ausstrahlung anderer, diesen Gebilden primär zukommender Werte ist“ 44 . Die ausgestrahlte Schönheit haftet also nicht an der Person als solcher, sondern die Person wird gleichsam transparent für die metaphysische Schönheit der sittlichen Werte. Als technische oder Vollkommenheitswerte bezeichnet Hildebrand des Wei‐ teren einen starken Willen, einen scharfen Verstand oder ein gutes Ge‐ dächtnis. „Der Wille hat einen hohen ontologischen Wert, der gute Wille trägt einen qualitativen Wert - aber der energische, starke Wille ist Träger eines Vollkommenheitswertes.“ 45 Die Werte dieser Familie beziehen sich auf das Aus‐ mass der Perfektion eines ontologischen Wertes. Von den Werten der drei genannten Familien, den ontologischen, den quali‐ tativen und den Vollkommenheits- oder Perfektionswerten, sind die Gesamt‐ werte und die metaphysischen oder Sachverhaltswerte zu unterscheiden. Um Gesamtwerte handelt es sich da, wo verschiedene qualitative Werte sich zu einem individuellen Gesamtwert zusammenschliessen. 46 In der Familie der me‐ taphysischen oder Sachverhaltswerte sind endlich jene beheimatet, die sich auf die reale Existenz werttragender Güter beziehen. Wie ein Akt der Gottesliebe „Träger des höchsten sittlichen Wertes“ ist, so ist der Sachverhalt, „dass von einem bestimmten Menschen ein Akt der Gottesliebe vollzogen wird, seinerseits Träger eines Wertes, der sich qualitativ von dem unterscheidet, der an der Got‐ tesliebe selbst haftet. Dieser Sachverhaltswert ist kein sittlicher, sondern ein metaphysischer Wert.“ 47 Unbesehen der Anführung und der begrenzten Auseinanderlegung der ver‐ schiedenen Wertfamilien bleibt zu beachten, dass es mehr Wertqualitäten gibt, „als wir Wertbegriffe haben und erst recht mehr Arten von Werten, als wir Namen dafür haben“ 48 . Nur eine Familie oder Sphäre sei letztlich noch benannt, die für den weiteren Verlauf der Untersuchung von Bedeutung ist: die Sphäre der religiösen Werte. „Sie ist nicht nur die höchste Sphäre, sie ist auch die alles umfassende Sphäre.“ 49 Inwiefern es in der Religion um in sich Bedeutsames geht, erklärt sich alleine schon von da her, dass die Religion für das lebendige „Ver‐ 3.2 Die Wertfamilien 115 <?page no="116"?> 50 D E R S ., Religion und Sittlichkeit, S. 103. 51 D E R S ., Die neue Sachlichkeit und das katholische Ethos, S. 94. 52 Vgl. auch D E R S ., Moralia, 5. Kap., S. 113, Anm. 11. 53 D E R S ., Christliche Ethik, 14. Kap., S. 197. 54 Ebd., 7. Kap., S. 109. 55 Ebd. 56 Ebd., 8. Kap., S. 118. 57 Ebd., 7. Kap., S. 110. 58 Ebd. 59 Ebd., 7. Kap., S. 111. 60 Ebd. hältnis des Menschen zu Gott“ 50 steht, und Gott „der höchste Wert, der Inbegriff aller Werte“ 51 ist. 52 3.3 Die Werterkenntnis An dieser Stelle sind zwei Fragen von vordringlichem Interesse. Erstens: Können die Werte auf der Basis der oben beschriebenen Methode erkannt werden? Zweitens: Inwiefern sind die Werte, die zwar keinen stringenten Gottesbeweis ermöglichen, dennoch „ein Fingerzeig, ein Hinweis auf Gott“ 53 ? Was die erste Frage betrifft, so steht es für von Hildebrand zweifelsfrei fest, dass die Werte mit einer ebensolchen absoluten Gewissheit erkannt werden können wie die notwendigen Sachverhalte, denn es besteht „eine wesenhafte Verbindung zwischen dem Wert und dem Gegenstand“ 54 . „Wir verstehen: die Reue ist sittlich gut, und so muss es sein.“ 55 Die Bedeutsamkeit - in diesem Falle der Reue - kann nie von etwas Neutralem abgeleitet, sondern „einzig in einer originären Intuition erfasst werden“ 56 . Und ist er einmal erfasst, „so verstehen wir, dass er wesenhaft im Sosein der Reue gründet“ 57 . Die Relation zwischen einem Seienden und seinem Wert ist „in sich nicht empirisch und kontingent, sondern vielmehr notwendig und intelligibel“ 58 . „Der Wert ist in jedem Sinn des Wortes objektiv.“ 59 Ja, die Werte gehören so sehr zum Seienden, „dass sie gera‐ dezu das Mark seines Sinngehaltes bilden“ 60 . In seiner Habilitationsschrift Sittlichkeit und ethische Werterkenntnis hat von Hildebrand das intuitive Erfassen eines Wertes spezifiziert. Er grenzt die evi‐ dente Werterkenntnis - im Sinne eines auf Sachverhalte gerichteten Erken‐ nens - ab von einem zugrunde liegenden intuitiven Werterfassen und hält fest, 3 Gott als Inbegriff aller Werte 116 <?page no="117"?> 61 D E R S ., Sittlichkeit und ethische Werterkenntnis, I. Teil, 2. Kap., b), S. 28. 62 Auf diesen Unterschied hat im Ansatz bereits John Henry Newman hingewiesen, indem er zwischen der realen und der begrifflichen Zustimmung unterscheidet (vgl. N E W M A N , Philosophie des Glaubens. I. Teil, I. - III. Kap.). Vgl. dazu auch die entsprechenden Aus‐ führungen in der Einleitung. 63 In seiner frühen Schrift Die Idee der sittlichen Handlung, II. Kap., S. 199, bezeichnet von Hildebrand es auch als Wertnehmen. In dieser Schrift gibt er auch Aufschluss über die Herkunft der Begriffe des Wertnehmens und des Wertfühlens: Ersteres Wort sei von Edmund Husserl, letzteres von Max Scheler verwendet worden, vgl. ebd., II. Kap., S. 202. 64 von H I L D E B R A N D , Die Idee der sittlichen Handlung, I. Teil, 2. Kap., c), S. 29. 65 Das Affiziertwerden besitzt drei Grundmerkmale: erstens ist es ein rezeptives Verhalten, zweitens ist es die Wirkung eines Erkannten, und zwar eine affektive Wirkung, drittens ist es ein ausgesprochen intentionales Erlebnis. Vgl. von H I L D E B R A N D , Moralia, 31. Kap., S. 353 f. 66 Vgl. D E R S ., Ästhetik 1, 1. Kap., S. 57. 67 Ebd. 68 Vgl. ebd. Auf die „Tiefe“ wird weiter unten einzugehen sein, vgl. III, 8 - „Peripherie und Tiefe“. dass Ersteres ohne Letzteres „nur in sehr beschränktem Masse möglich“ 61 sei. 62 Das intuitive Werterfassen, das eine Werterkenntnis im Sinne eines Sachver‐ haltserkennens fundiert, scheidet er nochmals in zwei Elemente: in ein Wert‐ sehen und ein Wertfühlen. 63 Den Unterschied verdeutlicht er mit folgendem Bei‐ spiel: Wir hören manchmal eine Melodie und erfassen deutlich ihre Schönheit, aber sie greift uns nicht ans Herz, sie „ergreift“ uns nicht. Wir haben ihre Schönheit gegenwärtig, ohne gleichsam persönlich mit ihr in Kontakt zu treten. […] Die Schönheit derselben steht deutlich vor uns, so dass sich die Erkenntnis, sie ist schön, klar darauf aufbauen kann. Aber sie berührt uns nicht im eigentlichen Sinn, wir fühlen sie nicht. Man denke dagegen an den Fall, in dem mich die Schönheit „bis zu den Tränen“ rührt. Sie spricht jetzt deutlich zu mir, sie tritt mir nahe, oder ich dringe wirklich in sie ein. 64 Dieses Wertfühlen ist ein unmittelbares Affiziertwerden 65 vom Wert. Dasselbe Beispiel des Affiziertwerdens von der Schönheit bringt von Hildebrand in Äs‐ thetik 1, 66 nicht wortwörtlich, dafür aber mit einer Explikation des Phänomens. „Wir hören eine schöne Melodie und erfassen nicht nur ihre Schönheit, sondern sie greift uns beglückend ans Herz, sie giesst etwas in unsere Seele ein; sie be‐ rührt unser Herz und erfüllt unsere Seele mit einem bestimmten Glück.“ 67 Die Schönheit kann ergreifen und zu Tränen rühren, sie kann entzücken und in die Tiefe führen. 68 Das Affiziertwerden von der Schönheit „ist nicht mehr nur das verstehende Erfassen eines Wertes“, so wie es bei der reinen Sachverhaltserkenntnis oder 3.3 Die Werterkenntnis 117 <?page no="118"?> 69 Vgl. von H I L D E B R A N D , Moralia, 1. Kap., S. 69. 70 Vgl. D E R S ., Christliche Ethik, 17. Kap., S. 281. 71 Ebd., 14. Kap., S. 197. 72 Vgl. ebd., 14. Kap., S. 195. 73 Vgl. ebd., 12. Kap., S. 185. dem Wertsehen der Fall ist, „sondern eine besondere ‚Wirkung‘ des Wertes auf unsere Seele, eine von aller blossen Kausalität weit entfernte, tief sinnvolle in‐ telligible Wirkung“. 69 Im Affiziertwerden wird „ein neues Stadium der Einheit verwirklicht“, das jenes, welches dem Erkennen eigen ist, „einschliesst und überschreitet“. 70 Damit positioniert von Hildebrand jedoch keine neue Methode neben das oben beschriebene apriorische Erkennen. Denn auch das apriorische Erkennen eines in einer notwendigen Soseinseinheit gründenden Sachverhalts setzt die Erfahrung des Soseins ja voraus. Und in vielen Fällen handelt es sich bei den notwendigen Soseinseinheiten gerade um Werte. Zu denken ist etwa an das notwendige Sosein der Gerechtigkeit, deren intrinsische Bedeutsamkeit un‐ zweifelhaft ist. Ebenso unzweifelhaft ist, dass das philosophische Erkennen in dem Masse an Deutlichkeit gewinnt, als das Fühlen des Wertes vorhergeht. Denn auch das Fühlen des Wertes steht in einem gewissen Sinne ja für das Erfahren des Soseins. Oder anders formuliert: Das Sosein bestimmter Seiender kann so erfahren werden, dass der diesem Seienden inhärente Wert gefühlt wird. Auf die Eingangsfrage zurückkommend, können die Werte und mit ihnen auch be‐ stimmte notwendige Soseinseinheiten auf der Basis des oben beschriebenen Af‐ fiziertwerdens also nicht nur erkannt, sondern von innen her umso besser ver‐ standen werden. 3.4 Die Werte als Hinweis auf den Inbegriff aller Werte Was sodann die zweite Frage betrifft, die eingangs des letzten Kapitels gestellt wurde, nämlich, inwiefern die Werte „ein Fingerzeig, ein Hinweis auf Gott“ 71 seien, so ist der Begriff des Wertes an sich bereits „in unserer Gottesvorstellung enthalten“, denn eine „Gottesidee, die das unendlich vollkommene Wesen als absolut neutral auffassen würde, wäre so sinnlos und fürchterlich wie die Idee eines bösen Gottes“. 72 Ein Hinweis auf Gott, in dem alle Werte eins sind, 73 sind die Werte auf verschiedene Weise, je nach der Eigenart der jeweiligen Werte. Der Hauptunterschied besteht zwischen den ontischen und den qualitativen Werten. Bei den ontischen Werten spricht von Hildebrand von einem Ab‐ bilden, während er das Verhältnis zwischen Gott und den Werten im Falle der qualitativen Werte als eine Botschaft bezeichnet, „die direkter ist und Tieferes 3 Gott als Inbegriff aller Werte 118 <?page no="119"?> 74 Ebd., 14. Kap., S. 198. 75 Ebd. 76 Vgl. D E R S ., Ästhetik 1, 6. Kap., S. 149. 77 D E R S ., Die Schönheit im Lichte der Erlösung, S. 430 f. 78 Ebd., S. 431. 79 Vgl. ebd., S. 432. 80 D E R S ., Christliche Ethik, 14. Kap., S. 200. „The moral values reflect God in a more direct way which can neither be subsumed under the concepts of vestigium or imago“ (von H I L D E B R A N D , Unveröffentlichter Nachlass, „Causality“, Mappe 2 [2 / 9]). Und je höher der Wert in der Rangordnung der Werte rangiert, desto mehr reflektiert er Gott (vgl. ebd. (2 / 10). 81 Vgl. D E R S ., Ästhetik 1, 2. Kap., S. 94, 105. 82 Ebd., 2. Kap., S. 94. verkündet als die von den ontischen Werten vermittelte“ 74 . Das zeigt sich bei‐ spielsweise an der berühmten Neunten Symphonie von Beethoven. Ihre Schön‐ heit kündet von einer Welt über uns, „sie trägt unseren Geist empor und erfüllt unser Herz mit der Sehnsucht nach einer höheren Welt“ 75 . Seine Aufnahmefähigkeit für das wahrhaft Schöne beweist von Hildebrand auch mit seiner Abgrenzung der sublimen Formenschönheit, die sich eindeutig über die Welt des Sinnenfälligen erhebt. Damit spricht er „ein Zentralproblem der ganzen Ästhetik“ an, „das Mysterium, das dem Sichtbaren und Hörbaren anvertraut ist, nämlich, nicht nur Träger der Sinnenschönheit, sondern einer sublimen geistigen Schönheit sein zu können“. 76 „So z. B. im Angesicht einer erhabenen Gebirgskette, gebadet in strahlendes Sonnenlicht: es ist nicht das, was wir unmittelbar sehen, an dem die Schönheit haftet, sondern der Gedanke an Gottes Schöpferkraft.“ 77 Der eigentliche Träger der Schönheit ist nicht das Sicht- und / oder Hörbare, die eigentliche Schönheit ist ein Geistiges. Zwar haftet die Schönheit unmittelbar am Sicht- und Hörbaren, doch ist sie nicht Ausdruck des Soseins der sicht- und hörbaren Gegenstände. Obwohl die körperlichen Dinge eine ontologische Schönheit besitzen, kann diese Schönheit die Formen‐ schönheit nicht erklären. „Diese höhere Formenschönheit transzendiert in ihrer Qualität bei weitem die Sphäre dieser Gegenstände“ 78 . Sie ist „der Abglanz von etwas unvergleichlich Höherem“, die „kündet von Gott“. 79 Desgleichen versteht von Hildebrand auch das Verhältnis zwischen Gott und den sittlichen Werten nicht als ein blosses Abbilden. Die sittlichen Werte „strahlen Gott in unvergleichlicher Weise wider, sie sind wahrhaft sein direk‐ tester Abglanz, seine unmittelbarste Botschaft im natürlichen Bereich“ 80 . Als Abglanz bezeichnet von Hildebrand die Ausstrahlung, den Duft oder die Glorie der Werte. 81 Allerdings nicht aller Werte, sondern nur der Werte qua geistiger Gebilde. 82 Von den ontologischen Werten geht in diesem Sinne keine Ausstrah‐ 3.4 Die Werte als Hinweis auf den Inbegriff aller Werte 119 <?page no="120"?> 83 Die metaphysische Schönheit wurde weiter oben thematisiert, vgl. II, 3.2 - „Die Wert‐ familien“. 84 von H I L D E B R A N D , Das Chaos der Zeit und die Rangordnung der Werte, S. 184. 85 D E R S ., Selbstdarstellung, S. 94. 86 D E R S ., Das Chaos der Zeit und die Rangordnung der Werte, S. 184. 87 Ebd., S. 160. 88 D E R S ., Moralia, 2. Kap., S. 81. 89 Vgl. auch D E R S ., Das Chaos der Zeit und die Rangordnung der Werte, S. 186. 90 Vgl. D E R S ., Die geistige Krise der Gegenwart im Lichte der katholischen Weltanschauung, S. 338. 91 D E R S ., Christliche Ethik, S. 161. lung aus. Das Phänomen selbst bezeichnet von Hildebrand als metaphysische Schönheit, 83 welche umso grösser ist, je höher der Wert, dessen Abglanz sie ist. Mit dem Höher ist unweigerlich die Frage nach der Rangordnung der Werte angesprochen, auf die von Hildebrand wiederholt aufmerksam gemacht hat. Er spricht von der „in Gottes Wesen fundierten Rangordnung der Werte“ 84 , wonach es zum Wesen der echten Werte gehört, „dass es ein objektives Höher und Nied‐ riger gibt“ 85 . Er spricht auch davon, dass ein volles Verständnis eines gegebenen Wertes unmöglich ist, „ohne ein Erfassen seiner objektiven Werthöhe“ 86 . Die Hierarchie ist allerdings zu differenzieren. Zu unterscheiden ist einmal die Hie‐ rarchie, die innerhalb einer einzelnen Wertfamilie - z. B. der sittlichen oder der intellektuellen - besteht, eine Hierarchie, die die Urteile ermöglicht: „Demut steht höher als Zuverlässigkeit, und geistige Tiefe höher als Schärfe des Ver‐ standes.“ 87 „Eine analoge Hierarchie der Werte besteht innerhalb der ontologi‐ schen Werte“ 88 , so steht das personale Sein des Menschen höher als das aperso‐ nale Sein der Tiere, dieses wiederum höher als das Sein der Pflanzen, welches selbst wiederum der unbelebten Materie übergeordnet ist. 89 Nach einer anderen Gliederung thront über allem „Gott und das Reich des Übernatürlichen“, wäh‐ rend innerhalb des Natürlichen die Sphäre des Geistes und der geistigen Person an erster Stelle steht; untergeordnet erscheint das Reich des Vitalen und schliess‐ lich das der reinen Materie. 90 Von der Hierarchie innerhalb einer einzelnen Wertfamilie ist die Hierarchie der Wertfamilien zu unterscheiden. „Diese letzte haben wir im Auge, wenn wir sagen, die sittlichen Werte stehen höher als die intellektuellen. Dann vergleichen wir die einzelnen Bereiche und die Rangstufe ihrer jeweiligen Themen.“ 91 Was aber ist unter der „Rangstufe ihrer jeweiligen Themen“ zu verstehen? Um sich in der Beantwortung dieser Frage der Beispiele der Familien der sittlichen und der ästhetischen Werte zu bedienen, so ist das Thema der sittlichen Werte die sittliche Gutheit, währenddem dasjenige der ästhetischen Werte die Schönheit ist, wobei die sittlichen den ästhetischen Werten deswegen übergeordnet sind, 3 Gott als Inbegriff aller Werte 120 <?page no="121"?> 92 D E R S ., Moralia, 1. Kap., S. 67. 93 Vgl. D E R S ., Umgestaltung in Christus, 5. Kap., S. 58. 94 Vgl. Maurice B L O N D E L , Der philosophische Weg, S. 161. 95 von H I L D E B R A N D , Die Umgestaltung in Christus, 5. Kap., S. 60. 96 Ebd. 97 Ebd. 98 Vgl. ebd. weil das Thema der sittlichen Gutheit demjenigen der Schönheit übergeordnet ist. Doch übergeordnet ist das Thema der sittlichen Werte nicht alleine dem der ästhetischen, sondern den Themen sämtlicher Wertfamilien und -gattungen, denn die sittlichen sind „die höchsten Werte […], in ihnen gipfelt die Herrlichkeit aller Werte“ 92 . Die Rangordnung der Werte steht in dem Sinn in einem Wesenszusammen‐ hang mit der Einfachheit, als ein Seiendes umso einfacher ist, je höher es steht. 93 Dabei besagt „einfach“ jedoch alles andere als Sinnarmut oder Primiti‐ vität. Mit der Einfachheit - freilich in einem metaphysischen Sinne verstanden - verhält es sich vielmehr so, wie Maurice Blondel es einmal charakterisierte, dass nämlich das Sein umso mehr inneren Reichtum hat, je mehr es eins ist. 94 Auch für von Hildebrand bedeutet die Zunahme an Einfachheit insofern eine Zu‐ nahme, als „mit einem Einzigen ‚viel gesagt‘“ 95 ist. Beispielsweise ist die Seele so einfach, „dass bei ihr Form und Materie nicht mehr unterschieden werden können“ 96 . Auch bei den weiter oben besprochenen Erkenntnisarten - dem em‐ pirischen und dem apriorischen bzw. philosophischen Erkennen - hat sich etwas von dieser Einfachheit gezeigt. „So ist das philosophische Erkennen, das auf das Erfassen des Wesens des Seienden abzielt, - das ‚intima rei intus legere‘ - prin‐ zipiell einfacher als das naturwissenschaftliche Erkennen, das ‚von aussen her‘ um das Seiende herumgeht, beobachtend und schliessend.“ 97 Während die Na‐ turwissenschaften der Quantität bedürfen, indem sie von vielen Beobachtungen auf das betreffende Arturteil schliessen, wobei sie im besten Fall den Gewiss‐ heitsgrad der Höchstwahrscheinlichkeit erreichen, bedarf die Philosophie nicht des Vielerleis an Einzelbeobachtungen. Sie kann das Sosein prinzipiell an einem einzigen Beispiel erfassen. Auch geht sie nicht wie die Naturwissenschaften in die Breite, ihre Dimension ist vielmehr die Tiefe. Sie zielt „auf das Erfassen der Einheit des ganzen Kosmos“ und erreicht ihre Krönung im Vordringen „bis zu dem Urgrund des Seins, dem absolut einfachen, unendlichen Sein, in dem alle Fülle des Seins ‚per eminentiam‘ enthalten ist“. 98 „Bei der absoluten Einfachheit Gottes gibt es nicht nur keinen Unterschied von Form und Materie mehr, son‐ 3.4 Die Werte als Hinweis auf den Inbegriff aller Werte 121 <?page no="122"?> 99 Die Einheit von Existenz und Essenz wird weiter unten thematisch sein, wenn das sogenannte ontologische Argument auf seine Vernünftigkeit hin geprüft werden wird (vgl. II, 4.1-4.5). Dieses Argument zielt darauf hin, Gottes Existenz aus seinem Wesen gleichsam herauslesen zu können. Muss also die obige Behauptung, dass es in Gott keinen Unterschied gebe zwischen Existenz und Essenz, in dem Sinne verstanden werden, dass von Hildebrand das ontologische Argument als gültig erachtet? Diese Frage kann weder einfachhin bejaht noch verneint werden. Denn einerseits - wie weiter oben bereits erwähnt (vgl. II, 1) - finden sich in seinen Schriften eindeutige Stellen, die das ontologische Argument zurückweisen. Andererseits jedoch, wenn seine Erkennt‐ nistheorie in Verbindung mit der Welt der Werte bis hin zum Inbegriff aller Werte gesehen wird, dann ist die Infragestellung selbst eine offene Frage. Dass er ihm zumin‐ dest implizit zustimmt, ja aufgrund seiner Philosophie zustimmen muss, wird sich im weiteren Verlauf dieser Untersuchung noch herausstellen. Der einzige Philosoph aus den Reihen der realistischen Phänomenologen, der das on‐ tologische Argument verteidigte, war übrigens Alexandre K O I R É in L’Idée de Dieu dans la philosophie de St. Anselme. 100 von H I L D E B R A N D , Die Umgestaltung in Christus, 5. Kap., S. 60. 101 D E R S ., Christliche Ethik, 14. Kap., S. 197. 102 D E R S ., Metaphysik der Gemeinschaft, I. Teil, 8. Kap., S. 111. 103 Vgl. ebd., I. Teil, 8. Kap., S. 115. 104 Ebd. dern auch nicht mehr den von Existenz und Essenz, 99 Akt und Potenz - und doch ist Gott die unendliche Fülle des Seins.“ 100 Schliesslich sind die Werte auch noch in einer anderen Hinsicht „ein Finger‐ zeig, ein Hinweis auf Gott“ 101 . Nämlich insofern, als sie „eine in ihrer Wertnatur wesenhaft fundierte ‚virtus unitiva‘“ 102 besitzen. Zwar macht nicht die verein‐ igende Kraft den Wert zum Wert, doch gründet jede wirkliche Verbundenheit zwischen Personen letztlich auf einem Wert bzw. auf einem Wertbereich. Die vereinigende Kraft der Werte lässt sich allerdings weder beweisen noch formal ableiten. Auch die virtus unitiva der Werte lässt sich nicht von aussen her kon‐ statieren oder an einem äusseren Aspekt ablesen. Der „Wesenszusammenhang von Wert und Einheit“ wird erst sichtbar bei der „Vertiefung in das Wesen des Wertes, in seine einzigartige in sich ruhende Bedeutsamkeit, in seine unredu‐ zierbare materiale Wertnatur“. 103 Die vereinigende Kraft der Werte wird auch an den Unwerten ersichtlich, die den Werten konträr gegenüberstehen. Wie bei‐ spielsweise dem Wert der Liebe eine vereinigende Kraft innewohnt, geht mit dem dem Wert der Liebe konträren Unwert des Hasses „eine trennende, ent‐ zweiende, isolierende Wirksamkeit“ 104 einher. Zweifelsohne liegen diesem Urteil Erfahrungen zugrunde, die zu machen möglich und von vielen Menschen wohl auch tatsächlich schon gemacht worden sind. Nicht zuletzt zeigt sich auch hieran, inwiefern die Werte ein Hinweis auf Gott, auf den Inbegriff aller Werte sind. Die einzelnen Werte ebenso wie der 3 Gott als Inbegriff aller Werte 122 <?page no="123"?> 105 M E R T E N S , In memoriam Dietrich von Hildebrand, S. 82. Inbegriff aller Werte stehen offensichtlich in einem Verhältnis zum oben ange‐ sprochenen Lebenssinn, welcher durch die Abwendung von den transzendenten Werten, die in vielen Fällen nach einer Realisierung verlangen, in eine Sinnkrise umzuschlagen scheint. Bevor allerdings die Grundlage zu einer angemessenen Auseinandersetzung mit dem Lebenssinn des Menschen gelegt und die „für die Wesensbestimmung der Werte entscheidenden drei Bedeutsamkeitskatego‐ rien“ 105 dargelegt werden, wird erst die Frage erörtert, warum von Hildebrand das ontologische Argument eigentlich verworfen hat. 3.4 Die Werte als Hinweis auf den Inbegriff aller Werte 123 <?page no="124"?> 1 von H I L D E B R A N D , Christliche Ethik, S. 165. (Kursiv im Orig.) 2 D E R S ., Was ist Philosophie? , 4. Kap., III., C., S. 109. (Kursiv im Orig.) 3 Vgl. D E R S ., Die Umgestaltung in Christus, 5. Kap., S. 60. 4 D E R S ., Was ist Philosophie? , 4. Kap., III., C., S. 116. 5 Ebd. 6 Vgl. P L A T O N , Paidon, 106a-d; Phaidros, 245c-e; Politeia II, 381b-c. 7 Vgl. A U G U S T I N U S , De doctrina christiana, 1,7 (CCSL 32, S. 10); De libero arbitrio, 2,54 (CCSL 29, S. 246). 8 Vgl. Anicius Manlius Severinus B O E T H I U S , Trost der Philosophie, Drittes Buch, S. 73. 4 Warum hielt von Hildebrand das ontologische Argu‐ ment für ungültig? Wie weiter oben dargelegt, wusste von Hildebrand die Möglichkeit philosophi‐ schen, synthetisch-apriorischen Erkennens zu begründen. Er vermochte nach‐ zuweisen, dass der empirische Bereich transzendiert und Sachverhalte von innen her mit absoluter Gewissheit erkannt werden können, die in Gegen‐ ständen mit einem innerlich notwendigen Sosein gründen. Dazu kommt, dass er Gott als den Inbegriff aller Werte versteht - als „die Güte, die Wahrhaftig‐ keit, die Gerechtigkeit, die Liebe“ 1 , ja dass Gott „das absolute Sein, die absolute Wahrheit, die absolute Gerechtigkeit und die unendliche Liebe ist“ 2 . Wenn es in Gott überdies keinen Unterschied von Existenz und Essenz mehr gibt 3 und es nur bei dem absolut Seienden, nur bei Gott eine notwendige reale Existenz gibt, 4 dann ist es zumindest der Frage wert, warum „wir sie [sc. die notwendige reale Existenz Gottes] nicht aus der Wesenheit Gottes allein erkennen“ 5 können. 4.1 Das Argument in der Darlegung durch Anselm von Canterbury Das ist die grosse Frage, die die Philosophen seit jeher beschäftigt: Kann die Existenz Gottes aus seinem Wesen erkannt werden? Wurzeln einer bejahenden Stellungnahme finden sich bei Platon (427-347 v. Chr.) 6 ebenso wie bei Augus‐ tinus (354-430) 7 oder bei Boethius (etwa 480-524). Bei Letzterem findet sich unter anderem der zukunftsträchtige Gedanke, dass Gott etwas ist, „über das hinaus es kein Besseres gibt“, ja sich „nichts Besseres als Gott ausdenken lässt“. 8 Anselm von Canterbury (1033-1109) hat diesen Gedanken in seiner <?page no="125"?> 9 Vgl. K A N T , Kritik der reinen Vernunft, B 618-630, S. 667-676. 10 A N S E L M von Canterbury, Proslogion / Anrede, Kap. 2, S. 21-23. (Die Klammern mit deutschem Wortinhalt entstammen - sowohl hier als auch in der Folge - der Überset‐ zung von Robert T H E I S ) Schrift Proslogion zu einem eigentlichen Argument entwickelt, das seit Imma‐ nuel Kant als ontologischer Gottesbeweis bezeichnet wird. 9 Die einschlägige Stelle aus dem genannten Werk von Anselm von Canterbury sei in der Folge zitiert, um das Argument gründlich bedenken zu können: So denn, Herr, der Du die Glaubenseinsicht schenkst, gib mir, soweit Du es für nützlich erachtest, dass ich verstehe, dass Du bist, wie wir es glauben, und dass Du das bist, was wir glauben. Und zwar glauben wir, dass Du etwas bist, über das hinaus nichts Grösseres gedacht werden kann [aliquid quo nihil maius cogitari possit]. Oder ist etwa ein solches Wesen nicht, weil der Tor in seinem Herzen gesprochen hat: Es ist kein Gott? Wenn aber eben derselbe Tor eben das hört, was ich sage, nämlich etwas, über das hinaus nichts Grösseres gedacht werden kann, so versteht er ganz gewiss, was er hört, und was er versteht, ist in seinem Verstande, auch wenn er nicht versteht, dass dies ist. Eines nämlich ist es, wenn eine Sache im Verstande ist, etwas anderes, wenn man versteht, dass eine Sache ist. Wenn nämlich ein Maler zuvor denkt, was er aus‐ führen wird, hat er [es] zwar im Verstande, aber er versteht noch nicht, dass das, was er noch nicht geschaffen hat, sei. Hat er es aber bereits gemalt, so hat er es sowohl im Verstande als auch versteht er, dass das, was er bereits geschaffen hat, ist. So wird also auch der Tor überzeugt, dass etwas, über das hinaus nichts Grösseres gedacht werden kann, zumindest im Verstande ist, weil er das versteht, wenn er es hört; und was auch immer verstanden wird, ist im Verstande. Und gewiss kann das, über das hinaus Grös‐ seres nicht gedacht werden kann, nicht allein im Verstande sein. Denn wenn es nur im Verstande allein ist, so kann man denken, es sei auch in der Wirklichkeit, was grösser ist. Wenn also das, über das hinaus Grösseres nicht gedacht werden kann, im Verstande allein ist, so ist eben das, über das hinaus Grösseres nicht gedacht werden kann, dasjenige, über das hinaus Grösseres gedacht werden kann. Das aber kann mit Sicherheit nicht der Fall sein. Es existiert also ohne Zweifel etwas, über das hinaus Grösseres nicht gedacht werden kann, [und zwar] sowohl im Verstande als auch in der Wirklichkeit. 10 Ja, das ist schlechterdings so wahrhaft, dass auch nicht einmal gedacht werden kann, es sei nicht. Denn man kann denken, dass etwas sei, von dem man nicht denken kann, es sei nicht; das [jedoch] ist grösser als dasjenige, von dem man denken kann, es sei nicht. Wenn man deshalb von dem, über das hinaus Grös‐ seres nicht gedacht werden kann, denken kann, es sei nicht, dann ist das, über das hinaus Grösseres nicht gedacht werden kann, nicht das, über das hinaus 4.1 Das Argument in der Darlegung durch Anselm von Canterbury 125 <?page no="126"?> 11 Ebd., Kap. 3, S. 25. 12 Ebd., Kap. 2, S. 22. 13 Ebd., Kap. 14, S. 46. 14 Ergo, Domine, non solum es quo maius cogitari nequit, sed es quiddam maius cogitari possit (ebd., Kap. 15, S. 48). 15 Ebd., Kap. 5, S. 29. 16 Ebd., Kap. 14, S. 47. 17 Vgl. D E R S ., Was der Verfasser dieses Büchleins darauf entgegnet, S. 117. 18 H I R S C H B E R G E R , Geschichte der Philosophie, Bd. 1, S. 406. Vgl. auch die klärende Arbeit von Engelbert R E C K T E N W A L D , Die ethische Struktur des Denkens von Anselm von Can‐ terbury. Grösseres nicht gedacht werden kann; das [aber] kann nicht zusammen‐ stimmen. So also ist wahrhaft etwas, über das hinaus Grösseres nicht gedacht werden kann, derart, dass man nicht einmal denken kann, es sei nicht. Und das bist Du, Herr, unser Gott. So wahrhaft bist Du also, Herr mein Gott, dass Du auch nicht einmal als nicht seiend gedacht werden kannst. 11 Die Vernunft findet in sich selbst, so der Ausgangspunkt des Arguments, die Idee des höchsten Wesens vor. Anselm spricht von dem, im Vergleich zu dem nichts Grösseres (nihil maius 12 ) und nichts Besseres (nihil melius 13 ) gedacht werden kann. Und nicht nur das: Gott ist nicht nur derjenige, im Vergleich zu dem nichts Grösseres und nichts Besseres gedacht werden kann, er ist auch grösser als was überhaupt gedacht werden kann. 14 Was er unter dem Grösser näherhin ver‐ standen wissen will, erläutert Anselm etwas später in derselben Schrift: Allein, was also bist Du, Herr und Gott, über den hinaus nichts Grösseres gedacht zu werden vermag? Was bist Du, wenn nicht das, was, alles überragend, allein durch sich existiert [und] alles andere aus dem Nichts geschaffen hat? Was nämlich dies nicht ist, ist weniger, als man denken kann. Das aber kann man von Dir nicht denken. Welches Gut also fehlt dem überragenden Gut, durch das jedes Gut ist? Darum bist Du gerecht, wahrhaftig, selig und alles, was besser ist zu sein, als nicht zu sein [quid‐ quid melius est esse quam non esse]. Denn es ist besser, gerecht zu sein, als nicht gerecht, selig, als nicht selig. 15 Das Grösser ist also eine axiologische Qualität, demnach Gott „etwas ist, das alles überragt, über das hinaus nichts Besseres [nihil melius] gedacht werden kann“ 16 . Er vereinigt all das in seinem Wesen, was zu sein „absolut besser [absolute melius]“ ist, „als nicht zu sein“. 17 Entscheidend ist der „Begriff ‚Wesen, das alle Vollkommenheiten in sich enthält‘“ 18 . In diesem und nur in diesem ein‐ zigartigen Falle des Wesens, das alle Vollkommenheiten in sich enthält, ist die wirkliche Existenz eine Vollkommenheit. Existierte dieses Wesen nämlich bloss in Gedanken, so wäre es nicht das vollkommenste Wesen, denn es könnte ja ein 4 Warum hielt von Hildebrand das ontologische Argument für ungültig? 126 <?page no="127"?> 19 A N S E L M , Was der Verfasser dieses Büchleins darauf entgegnet, S. 97. 20 Vgl. Kurt F L A S C H , Kampfplätze der Philosophie. Grosse Kontroversen von Augustin bis Voltaire, VII., Gott bewiesen oder nicht? Gaunilo gegen Anselm von Canterbury, S. 95-106. 21 Vgl. von K U T S C H E R A , Vernunft und Glaube, S. 18-23. Wesen gedacht werden, das nicht nur in Gedanken, sondern auch in Wirklich‐ keit existiert. Das aber wäre dann ein vollkommeneres Wesen, als ein nur in Gedanken existierendes. Folglich existiert das vollkommene Wesen nicht nur in Gedanken, sondern auch in Wirklichkeit. Bei diesem Gedankengang setzt Anselm freilich nicht voraus, dass das ab‐ schliessende Verstehen des Wesens dessen, über den hinaus nichts Grösseres und nichts Besseres gedacht werden kann, überhaupt möglich ist. Er setzt nur soviel voraus, wie er in seiner Erwiderung auf die Einwände Gaunilos - einem Zeitgenossen Anselms, deren Kritik im nächsten Punkt behandelt werden wird - klarstellt, dass vom Wesen Gottes soviel verstanden wird, wie für das Ver‐ ständnis dieses Gedankenganges vonnöten ist. „Wenn du [Gaunilo] nun be‐ hauptest, das, was nicht ganz und gar verstanden sei, sei so gut wie nicht ver‐ standen und nicht im Verstande, dann behaupte auch, dass derjenige, der das reinste Licht der Sonne nicht anschauen kann, das Tageslicht nicht sieht, das nichts anderes ist als das Sonnenlicht.“ 19 Doch grundsätzlich gefragt: Wie will man überhaupt denkerischen Zugang zum Wesen Gottes erhalten? Ist nicht jede Rede von Gott anthropomorph, wie Xenophanes es den alten Mythen und Ludwig Feuerbach der christlichen Reli‐ gion vorgeworfen haben? 4.2 Gaunilo und die erste Kritik am ontologischen Argument Die erste literarisch greifbare Person, die Anselms Gedankengang explizit kri‐ tisiert hat, war - der bereits erwähnte - Gaunilo (ca. 1000-1083), ein Benedik‐ tinermönch aus dem in der Nähe von Tours gelegenen Kloster Marmoutiers. 20 Noch heute findet er Befürworter „seiner Kritik des Beweises von Anselm“, die sich dafür aussprechen, dass Gaunilo zurecht auf den entscheidenden Fehler des Arguments hingewiesen habe. 21 Worum es sich bei diesem Fehler handelt, lässt sich Gaunilos Worten selbst entnehmen: Wie also wird mir bewiesen, dass jenes „grösser“ gemäss der wahren Wirklichkeit nach besteht, weil feststeht, dass es grösser als alles sei, während ich dies doch noch verneine und bezweifle, derart, dass ich behaupte, nicht einmal in meinem Verstande 4.2 Gaunilo und die erste Kritik am ontologischen Argument 127 <?page no="128"?> 22 G A U N I L O , Was jemand anstelle des Toren hierauf erwidern könnte, S. 85. 23 Ebd., S. 87. 24 Vgl. ebd. 25 A N S E L M , Proslogion, Kap. 2, S. 23. 26 G A U N I L O , Was jemand anstelle des Toren hierauf erwidern könnte, S. 85. 27 von K U T S C H E R A , Vernunft und Glaube, S. 22. 28 Vgl. ebd. oder in meinem Denken sei dies „grösser“ selbst wenigstens auf dieselbe Weise wie auch vieles Zweifelhafte und Ungewisse? Zuerst nämlich ist es notwendig, dass ich die Gewissheit erlange, dass irgendwo dieses „grösser“ selbst in Wirklichkeit sei, und dann erst wird es auch nicht mehr zweifelhaft sein, dass es, aufgrund der Tatsache, dass es grösser ist als alles, auch in sich selbst Bestand habe. 22 Zur Illustration bedient er sich des bekannten Beispiels von der gedachten „Insel, die vortrefflicher [praestantiorem] ist als alle Länder“ 23 . Und „weil es vortreffli‐ cher ist, nicht im Verstande allein, sondern auch in Wirklichkeit zu sein [quia praestantius est, non in intellectu solo sed etiam esse in re]“, so existiert sie not‐ wendigerweise auch in Wirklichkeit; denn „wäre sie nämlich nicht, dann wäre jedes andere Land, das wirklich ist, vortrefflicher als sie, und so wäre sie, die […] als die vortrefflichere begriffen worden ist, nicht die vortrefflichere“. 24 Was Gaunilo an Anselms Gedankengang bemängelt, das ist, dass die not‐ wendige Existenz dessen, „über das hinaus nichts Grösseres gedacht werden kann“ 25 , apriorisch erkannt werden soll, währenddem er selbst - Gaunilo - die Erkenntnis der notwendigen Existenz nur aposteriorisch für möglich hält. Was seinen Worten zu entnehmen ist: „Zuerst nämlich ist es notwendig, dass ich die Gewissheit erlange, dass irgendwo dieses ‚grösser‘ selbst in Wirklichkeit sei, und dann erst wird es auch nicht mehr zweifelhaft sein, dass es, aufgrund der Tatsache, dass es grösser ist als alles, auch in sich selbst Bestand habe.“ 26 Wenn Franz von Kutschera das Argument von Gaunilo für „ebenso korrekt [hält] wie das von Anselm“ 27 , dann ist das aus der Sicht der formalen Logik stimmig. Nicht aber, wenn es aus materialer Sicht betrachtet wird. Denn wenn von Kutschera meint, Gaunilo hätte „den Beweis Anselms dadurch ad absurdum geführt, dass er nach demselben Schema die Existenz einer vollkommenen Insel nachwies“, indem er sagte: „Eine in jeder Hinsicht vollkommene (schöne, frucht‐ bare, klimatisch bevorzugte etc.) Insel ist denkbar, existiert also in intellectu. Würde sie nicht tatsächlich existieren, so wäre sie nicht vollkommen. Also exis‐ tiert sie.“ 28 Bei diesem Gedankengang werden die Sachen selbst - im Kantschen Sinne - auf ihre blosse Form reduziert, ganz ausser Acht wird jedoch gelassen, dass das Sosein einer Insel und das Sosein Gottes in materialer Hinsicht nicht 4 Warum hielt von Hildebrand das ontologische Argument für ungültig? 128 <?page no="129"?> 29 Zur anstehenden Problematik vgl. Kurt F L A S C H , Zum Begriff der Wahrheit bei Anselm von Canterbury. 30 Vgl. unten II, 5.1.5.3 - „Die einzigen Momente eines adäquaten Gottesbegriffs“. 31 T H O M A S von Aquin, Summa theologica, I, q. 2, a. 1, ad 2, S. 39 32 D E R S ., Summa contra gentiles, Erster Band, Buch I, Kap. 11, S. 35. (Kursiv im Orig.) 33 Ebd., S. 37. 34 Vgl. oben I - „Das Wissen um das Transzendente“. 35 Vgl. unten II, 4.4 - „Die reinen Vollkommenheiten als Gültigkeitsgrund des ontologi‐ schen Arguments“. nach demselben Schema behandelt werden können. 29 Das wird sich zeigen, wenn weiter unten die reinen Vollkommenheiten als die einzigen Momente eines adäquaten Gottesbegriffs herausgearbeitet werden. 30 4.3 Die Einwände gegen das ontologische Argument durch Thomas von Aquin und Immanuel Kant Zu den namhaftesten Kritikern sind aus erkenntnistheoretischer Sicht Thomas von Aquin und Immanuel Kant zu rechnen. Während Thomas von Aquin - im Anschluss an Gaunilo - die Möglichkeit der unmittelbaren Erkennbarkeit Gottes verneinte und nur die Möglichkeit der mittelbaren Erkenntnis zu begründen wusste, war Gott auch nach Kant nicht unmittelbar zu erkennen. Doch hielt er ihn auch auf indirektem Wege nicht für erkennbar, vielmehr reduzierte er ihn - wie gesehen - auf ein blosses Postulat, d. h. auf eine theoretische Annahme, um sittliche Tatsachen verstehen zu können. Thomas wendet sich in seiner theologischen Summe ausdrücklich, wenn auch nicht unter Nennung des Namens, gegen Anselms Argument. Wie Gaunilo, so hält auch er das ontologische Argument für einen unerlaubten Schritt aus der Denkin die Seinsordnung. Denn auch zugegeben, dass jedermann unter dem Ausdruck ‚Gott‘ ein Wesen verstehe, über das hinaus nichts Grösseres gedacht werden kann, so folgt daraus noch nicht, dass man dieses durch den Namen ‚Gott‘ bezeichnete Wesen auch als wirklich seiend er‐ kenne, sondern nur, dass es sich in unserem Denken findet. 31 „Da wir aber gerade das, was Gott ist, mit dem Geist nicht begreifen können, bleibt es in Bezug auf uns unerkannt.“ 32 Denn man müsse die bezeichnete Sache und den begrifflichen Gehalt des Wortes auf derselben Ebene ansetzen. 33 Ange‐ sichts dessen, dass der Mensch nachweislich die Möglichkeit hat, Erkenntnisse über transzendente Wirklichkeiten zu erlangen, 34 erscheint das zuletzt genannte Postulat des Thomas von Aquin zumindest als problematisch. 35 An dieser Stelle 4.3 Die Einwände gegen das ontologische Argument durch Thomas von Aquin und Kant 129 <?page no="130"?> 36 T H O M A S von Aquin, Summa contra gentiles, Erster Band, Buch I, Kap. 11, S. 37. 37 Ebd., S. 37. 38 D E R S ., Summa theologica, I, q. 2, a. 3, S. 45. 39 Vgl. II, 1 - „Der kosmologische Gottesbeweis und das apriorische Erkennen“. 40 T H O M A S von Aquin, Summa theologica, I, q. 2, a. 3, S. 47. 41 Ebd., S. 48. 42 Ebd. 43 D E R S ., Summa contra gentiles, Erster Band, Buch I, Kap. 11, S. 37. 44 D E R S ., Summa theologica, I, q. 2, a. 3, S. 47. sei sein Gedankengang immerhin bis zu der Stelle weiter entwickelt, an der seine Absicht offen zutage tritt. Der Mensch, so Thomas, könne Gott „nicht in ihm selbst schauen […], sondern nur in seinen Wirkungen [ex effectibus], und der somit nur durch Schlussfolgern [ratiocinando] zur Erkenntnis, dass Gott ist, ge‐ führt wird“ 36 . „Daher muss der Mensch durch die in den Wirkungen entdeckten Ähnlichkeiten zur Gotteserkenntnis auf dem Wege der Schlussfolgerung ge‐ langen.“ 37 Mit diesen Schlussfolgerungen bezieht er sich auf die bereits erwähnten fünf Wege (quinque viae). Bei allen steht am Anfang die Konstatierung eines kon‐ tingenten Seienden, von wo aus deren Ursache erschlossen wird. Beim ersten Weg wird von der Feststellung, dass sich etwas bewegt, auf einen ersten Beweger geschlossen. Beim zweiten geht er von der Feststellung aus, „dass es in der sichtbaren Welt eine Über- und Unterordnung von Wirkursachen gibt“ 38 , was ihn zur Annahme einer ersten Wirkursache führt. Beim dritten - weiter oben behandelten 39 - Weg führt ihn die Feststellung des Unterschieds von möglichem und notwendigem Sein zu dem Sein, das den Grund seiner Notwendigkeit in sich selber hat. Der vierte Weg führt über die Feststellung, „dass das eine mehr oder weniger gut, wahr, edel ist als das andere“ 40 zur Erschliessung der Ursache aller Vollkommenheiten, die unter den Menschen nur begrenzt vorhanden sind. Der fünfte Weg geht aus von der Weltordnung, und zwar von den Dingen, die keine Erkenntnis haben und dennoch auf ein festes Ziel hin tätig sind. Was er dadurch erwiesen sieht, „dass sie immer oder doch in der Regel in der gleichen Weise tätig sind und stets das Beste erreichen“ 41 . „Die vernunftlosen Wesen sind aber nur insofern absichtlich, d. h. auf ein Ziel hin tätig, als sie von einem er‐ kennenden geistigen Wesen auf ein Ziel hingeordnet sind, wie der Pfeil vom Schützen.“ 42 Auf diesen fünf Wegen wird der Mensch „durch Schlussfolgern zur Er‐ kenntnis, dass Gott ist, geführt“ 43 . Sei es nun das Erstbewegende oder die erste Wirkursache, sei es das in sich notwendige oder das vollkommene Sein, sei es das geistig-erkennende Wesen, das alle Naturdinge auf ihr Ziel hinordnet, immer werde es „von allen ‚Gott‘ genannt“ 44 . Mit diesem aposteriorischen Vorgehen 4 Warum hielt von Hildebrand das ontologische Argument für ungültig? 130 <?page no="131"?> 45 Wenn auch Augustinus behauptet, wir könnten nichts denken, was vorher nicht in den Sinnen war, dann bezieht er sich damit jedoch nur auf Körperliches (vgl. A U G U S T I N U S , De trinitate, 11,14 [CCSL 50, S. 350 f.]). Die Körper qua morphische Einheiten ermögli‐ chen von ihrem Wesen her keine Einsichten im philosophischen Sinn des Wortes. Sie sind nicht intelligibel, sondern müssen in ihrem Verhalten „von aussen her“ beobachtet werden, um ein Wissen über sie erwerben zu können. 46 Vgl. A R I S T O T E L E S , Zweite Analytiken, v. a. 71b-72b, S. 45-53; siehe auch Friedo R I C K E N , Religionsphilosophie, S. 295 f. 47 Die Verbundenheit der Wahrheit mit dem Irrtum kommentierte von Hildebrand wie folgt: „Man kann die Wahrheit nicht finden und klar als solche erfassen, ohne den Irrtum zu durchschauen. Die Erkenntnis der Wahrheit ist mit der Erkenntnis des Irrtums, der Demaskierung des Irrtums untrennbar verbunden“ (von H I L D E B R A N D , Der verwüstete Weinberg, II. Teil, 2. Kap., S. 172). 48 K A N T , Kritik der reinen Vernunft, B 620-621, S. 669. bezieht er sich offensichtlich nicht auf Anselm, der das Dasein Gottes aus seinem Wesen zu erkennen suchte. 45 Vielmehr basiert er mit seinen fünf Wegen auf dem Wissenschaftsbegriff der Zweiten Analytiken des Aristoteles. Für Aristoteles ist die Wissenschaft ein auf unmittelbar einsichtigen, unbeweisbaren Prämissen aufgebautes deduktives System von Aussagen. Unbeweisbar meint, dass die Prämissen nicht die Konklusion eines Schlusses sein können, sondern unmit‐ telbar eingesehen werden müssen. Neben den einsichtigen Prämissen muss die Wissenschaft noch zwei weitere Voraussetzungen machen, die sie ebenfalls nicht beweisen kann: Sie muss die Bedeutung der Wörter kennen, die sie ver‐ wendet, und sie muss die Existenz der Gegenstände annehmen, auf die sie sich bezieht. Diese zweite Voraussetzung will Thomas mit den fünf Wegen als ge‐ geben erweisen. 46 Was Immanuel Kants Umgang mit dem ontologischen Argument betrifft, so hat sich weiter oben einerseits bereits gezeigt, dass und warum seine Erkennt‐ nistheorie die Erlangung metaphysischer Erkenntnisse verhindert, andererseits auch, dass er aus menschlich-existentieller Sicht nicht umhin konnte, die Exis‐ tenz Gottes zumindest auf ein Postulat, auf eine Forderung der praktischen Vernunft zu reduzieren. Nichtsdestotrotz sei der Grund, weswegen er das on‐ tologische Argument verwirft, in der Folge angeführt, da er - gleich wie in er‐ kenntnistheoretischer Hinsicht - mit seinen Irrtümern die negativen Voraus‐ setzungen geschaffen hat. 47 Denn hätte er das absolut gewisse Erkennen nicht auf die Form reduziert, so wäre auch der Anstoss unterblieben, nach dem Apriori auch im Materialen zu forschen. Desgleichen in Bezug auf das ontologische Ar‐ gument. Auch bei der Begründung der Existenz Gottes lag offensichtlich einiges im Argen. Wohl sei „eine Namenserklärung von diesem Begriff ganz leicht, dass es nämlich so etwas sei, dessen Nichtsein unmöglich ist, aber man wird hier‐ durch um nichts klüger“ 48 . 4.3 Die Einwände gegen das ontologische Argument durch Thomas von Aquin und Kant 131 <?page no="132"?> 49 Ebd., B 622, S. 669 f. 50 Ebd., B 622, S. 670. 51 Ebd., B 622-623, S. 670. 52 Ebd., B 623, S. 670. 53 Vgl. D E R S ., Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, § 2, S. 125. 54 Vgl. ebd., § 1, S. 124. 55 Vgl. D E R S ., Kritik der reinen Vernunft, B 74, S. 129. 56 Vgl. ebd., B 51, S. 110. 57 Ebd., B 626, S. 673. Wie für die genannten Vorgänger der Kritik am ontologischen Argument, so folgt das Dasein Gottes auch für Kant nicht aus dessen Sosein. So ist es auch nur insofern notwendig, dass ein Triangel drei Winkel hat, als ein Triangel da ist, denn nur dann „sind auch drei Winkel (in ihm) notwendiger Weise da“ 49 . „Einen Triangel setzen und doch die drei Winkel desselben aufheben, ist widerspre‐ chend; aber den Triangel samt seinen drei Winkeln aufheben, ist kein Wider‐ spruch.“ 50 Ebenso sei es auch mit „dem Begriffe eines absolutnotwendigen We‐ sens bewandt“ 51 . „Wenn ihr das Dasein desselben aufhebt, so hebt ihr das Ding selbst mit allen seinen Prädikaten auf; wo soll alsdenn der Widerspruch her‐ kommen? “ 52 Der Gedankengang Anselms ebenso wie die fünf Wege des Thomas von Aquin sind für Kant analytische Sätze. Es sind ihm Tautologien, bei denen das, was im Begriff Gottes enthalten ist, bloss erläutert wird. Bekanntlich ist es Kant jedoch nicht um analytische, sondern um synthetische Erkenntnisse zu tun. Um Erkenntnisse also, die einen gegebenen Begriff nicht bloss erläutern - d. h. ana‐ lysieren und ihn in seine Bestandteile zerlegen -, sondern einen anderen Begriff, der im ersteren nicht enthalten ist, als notwendig zu ihm gehörig erfassen. 53 Es ist evident, dass die Existentialerkenntnisse von dieser wissenserweiternden Art sind. Nach Kant sind die philosophischen Erkenntnisse jedoch nicht nur syn‐ thetisch, sie sind überdies auch apriorisch, ihre Quellen liegen also jenseits der Erfahrung - der inneren wie der äusseren. 54 Da die Anschauung und die Begriffe für Kant die Elemente einer jeden Erkenntnis ausmachen, 55 die Anschauungen des Menschen jederzeit sinnlich sind 56 und Gottes Dasein nun einmal nicht sinnlich angeschaut werden kann, so ist es aufgrund dieser Prämissen nichts als folgerichtig, wenn er dem ontologischen Argument eine „Verwechslung eines logischen Prädikats mit einem realen“ 57 anlastet. Worin Kant mit dem erwähnten Standpunkt von Franz von Kutschera übereinstimmt. Auch er ging mit den zi‐ tierten Kritikern einig, dass es sich beim ontologischen Argument um einen unberechtigten Sprung aus der Denkin die Seinsordnung handelt, da das Da‐ sein Gottes in seinem Sosein nicht erkannt werden könne. 4 Warum hielt von Hildebrand das ontologische Argument für ungültig? 132 <?page no="133"?> 58 Ebd., B 629, S. 675. 59 Ebd. 60 Josef S E I F E R T , Gott als Gottesbeweis. Eine phänomenologische Neubegründung des onto‐ logischen Arguments, Vorrede zur zweiten Auflage, Der Kern des ontologischen Got‐ tesbeweises (S. 47-151), hier S. 59. 61 A N S E L M , Was der Verfasser dieses Büchleins darauf entgegnet, S. 117. „Unser Begriff von einem Gegenstande mag also enthalten, was und wie viel er wolle, so müssen wir doch aus ihm herausgehen, um diesem die Existenz zu erteilen.“ 58 Bei den Objekten der Sinne geschehen die entsprechenden Wahr‐ nehmungen nach empirischen Gesetzen, „aber für Objekte des reinen Denkens ist ganz und gar kein Mittel, ihr Dasein zu erkennen, weil es gänzlich a priori erkannt werden müsste“ 59 . 4.4 Die reinen Vollkommenheiten als Gültigkeitsgrund des ontologischen Arguments Wie den Kritiken von Gaunilo, Thomas von Aquin und Immanuel Kant zu ent‐ nehmen ist, halten sie das ontologische Argument darum für ungültig, weil das Wissen um das Dasein Gottes durch reines Denken erworben werden soll, statt auf dem Wege der Synthesis bzw. der Erfahrung. Damit rückt das weiter oben besprochene Thema des synthetisch-apriorischen Erkennens wieder ins Blick‐ feld. Wie an jener Stelle gesehen, versteht von Hildebrand das synthe‐ tisch-apriorische Erkennen als höchst intelligibles und absolut gewisses Er‐ kennen eines in einer notwendigen Soseinseinheit oder Weseneinheit gründenden Sachverhalts. Das objektive Korrelat ist ihm das Verhalten einer in sich notwendigen Wesenheit. Sind die Voraussetzungen damit geschaffen, um die „existential erweiterte Wesensnotwendigkeit“ 60 zu begründen? Das hängt ganz davon ab, ob das Argument von einem anthropomorphen Begriff oder vom objektiven und notwendigen Wesen Gottes ausgeht, wie auch davon, ob die Existenz im notwendigen Wesen Gottes gründen und ob dies auch erkannt werden kann. Gleich an dieser Stelle sei gesagt, dass es sich insofern nicht um einen an‐ thropomorphen Begriff handelt, als von Gott keine Eigenschaften ausgesagt werden, die endlich, begrenzt und unvollkommen sind. Wenn Anselm in diesem Sinne sagt, dass Gott all das in seinem Wesen vereinigt, „von dem wir denken können, es sei absolut besser zu sein, als nicht zu sein“ 61 , dann bezieht er sich mit der Negation freilich nicht auf den kontradiktorischen Gegensatz, so als wäre es absolut besser ein Vogel zu sein, als überhaupt nicht zu sein. Die au‐ 4.4 Die reinen Vollkommenheiten als Gültigkeitsgrund des ontologischen Arguments 133 <?page no="134"?> 62 D E R S ., Proslogion, Kap. 14, S. 47. 63 Johannes D U N S S C O T U S , Abhandlung über das erste Prinzip. Tractatus de primo prin‐ cipio, Kap. IV, 3. Satz, S. 65. 64 Vgl. Walter H O E R E S , Der Wille als reine Vollkommenheit nach Duns Scotus, S. 27. 65 A N S E L M , Was der Verfasser dieses Büchleins darauf entgegnet, S. 117. 66 Vgl. H O E R E S , Der Wille als reine Vollkommenheit nach Duns Scotus, S. 27. 67 Vgl. Johannes D U N S S C O T U S , Ordinatio, I, d. 8, p. 1, q. 2, n. 3, S. 167 f. 68 A N S E L M , Proslogion, Kap. 2, S. 23. 69 Ebd., Kap. 15, S. 49. 70 Vgl. H O E R E S , Der Wille als reine Vollkommenheit nach Duns Scotus, S. 46 ff. genscheinlichen Schwierigkeiten, die mit Anselms formaler Bestimmung ver‐ bunden sind, bewogen Johannes Duns Scotus (1265-1308) zu einer weitergeh‐ enden Unterscheidung, dergemäss das Wesen, „über das hinaus nichts Besseres gedacht werden kann“ 62 , all das in sich vereinigt, was „schlechthin und an und für sich genommen besser ist als jegliches mit ihr Unvereinbare [absolute melius quocumque incompossibili]“ 63 . Nicht vereinbar mit dem, „was schlechthin und an und für sich genommen besser ist“, wie Walter Hoeres dartut, „ist alles, was in seinem Wesen mit Einschränkung, Teilnegation der Position und daher Zu‐ sammensetzung behaftet ist und von Scotus mit der Tradition ‚gemischte Voll‐ kommenheit‘ (perfectio mixta) genannt wird“. 64 Wozu eben gerade all das gehört, was endlich, begrenzt und unvollkommen ist, oder anders gesagt, was der Ord‐ nung von Genus und Spezies angehört. Auch setzt dasjenige, „von dem wir denken können, es sei absolut besser zu sein, als nicht zu sein“ 65 , ein Wesen voraus, das überhaupt darauf angelegt ist, es zu sein. 66 Duns Scotus, der sich in Bezug auf die göttlichen Wesensmerkmale - die reinen Vollkommenheiten (perfectioni simpliciter) - grosse Verdienste erworben hat, blieb hierbei aber noch nicht stehen. So lassen die reinen Vollkommenheiten überdies Unendlichkeit in einer Weise zu, dass sie nur in der unendlichen Form wahrhaft sie selber sind. 67 Die Unendlichkeit der reinen Vollkommenheiten ist denn auch der Grund, weswegen Anselm sagt, dass Gott nicht nur dasjenige ist, „über das hinaus nichts Grösseres gedacht werden kann“ 68 , sondern auch „etwas Grösseres, als gedacht werden kann“ 69 . Nichtsdestotrotz lassen sich die reinen Vollkommenheiten in ihrem formalen Wesensgehalt (ratio formalis), in ihrem reinen Sosein oder Wesen von allen Begrenztheiten, denen sie in den endlich Seienden unterworfen sind, abstrahieren. 70 Diesbezüglich lehrte schon Au‐ gustinus: Wenn du daher von diesem Gut und jenem Gut hörst, das auch einmal nicht gut heissen kann, und wenn du dann ohne die Güter, welche durch Teilnahme am Guten selbst gut sind, das Gute selbst, durch dessen Teilnahme sie gut sind, durchschauen 4 Warum hielt von Hildebrand das ontologische Argument für ungültig? 134 <?page no="135"?> 71 A U G U S T I N U S , De trinitate, 8,5 (CCSL 50, S. 273), S. 13. 72 Johannes D U N S S C O T U S , Quaestiones quodlibetales, q. 5, n. 8, S. 125. 73 Ebd., q. 1, n. 4, S. 5. 74 Zu erwähnen bleibt als fünftes Merkmal der reinen Vollkommenheiten, dass sie kom‐ munikabel, d. h. mehr als einem Subjekt mitteilbar sind. Ein Merkmal, das sich in erster Linie auf die Trinitätstheologie bezieht, weswegen es hier nicht näher erörtert zu werden braucht. Zu den reinen Vollkommenheiten vgl. insgesamt das grundlegende Werk von Josef S E I F E R T , Essere e Persona. Verso una fondazione fenomenologica di una metafisica classica e personalistica, Kap. 5, S. 203-241. 75 Dass von Hildebrand um die Transzendentalien wusste, jedoch nur unum, verum, bonum heraushob, findet sich im Nachlass verzeichnet. Vgl. von H I L D E B R A N D , Unver‐ öffentlichter Nachlass, „Philosophy of Being“, Mappe 3 (3 / 5). kannst - wenn du nämlich von diesem und jenem Gut hörst, dann siehst du zugleich das Gut selbst -, wenn du also jene Güter beiseite lässt und das Gute selbst durch‐ schauen kannst, dann schaust du Gott. 71 Die reinen Vollkommenheiten, deren Sein oder Besitz absolut besser ist als ihr Nichtsein oder ihr Nichtbesitz, weisen zudem eine gegenseitige Verträglichkeit auf, die solcherart ist, dass sie alle gleichzeitig besessen bzw. realisiert werden können, ja keine im vollen Masse sie selbst ist ohne all die anderen (nulla per‐ fectio simpliciter est incompossibilis alteri perfectioni simpliciter 72 ). Jeder Beweis einer Unverträglichkeit einer Eigenschaft E mit einer reinen Vollkommenheit R würde beweisen, dass E oder R oder beide keine reinen Vollkommenheiten sind. Und schliesslich sind die reinen Vollkommenheiten irreduzibel einfach (omnis perfectio simpliciter est simpliciter simplex 73 ), d. h. dass sie weder auf etwas an‐ deres reduziert noch von etwas anderem deduziert werden können. 74 Welches aber sind die materialen Eigenschaften, die diese formalen Merkmale aufweisen? Welches sind die Eigenschaften, die absolut besser sind als alles, was damit nicht zu vereinbaren ist, die nur in der unendlichen Form wahrhaft sie selber, die gegenseitig verträglich und irreduzibel einfach sind? Die reinen Voll‐ kommenheiten können in drei Gruppen unterschieden werden. Zur ersten Gruppe gehören - nach der mittelalterlichen Terminologie - die Transzenden‐ talien: das Sein (ens und esse), das Wesen (res), die innere Einheit (unum), das Etwassein und damit das in sich selber, vom Nichts und von Anderem Unter‐ schiedensein (aliquid), die Seinswahrheit (verum), das Gute (bonum) und schliesslich das Schöne (pulchrum). 75 Da sie alle keiner Seinsart und keinem Sei‐ enden überhaupt ganz fehlen können, stellen sie schlechthinnige Vollkommen‐ heiten dar. Zur zweiten Gruppe der reinen Vollkommenheiten gehören jene, die nur einigen Seienden in der Welt zugehören, wie Leben, Weisheit, Freiheit, Erkenntnis, Liebe. Auch sie sind ihrer Vollkommenheit nach nicht begrenzt. Drittens gibt es die Gruppe der exklusiv göttlichen Eigenschaften, „wie ein aus 4.4 Die reinen Vollkommenheiten als Gültigkeitsgrund des ontologischen Arguments 135 <?page no="136"?> 76 Josef S E I F E R T , Die natürliche Gotteserkenntnis als menschlicher Zugang zu Gott, S. 17. 77 Über die Realdistinktion von Sein und Wesen hat Thomas von Aquin sich in seiner Jugendschrift De Ente et Essentia Gedanken gemacht. Was nämlich nicht zum Begriff der Wesenheit oder Washeit gehört, das kommt (zu ihr) von aussen hinzu und bildet mit der Wesenheit eine Zusammensetzung. Man kann nämlich keine Wesenheit ohne das, was ihre Teile sind, einsehen. Jede Wesenheit oder Washeit kann aber eingesehen werden, ohne dass man etwas von ihrem Sein einsieht; denn ich kann (z. B.) einsehen, was der Mensch oder der Phönix ist, und doch nicht wissen, ob er ein Sein in der Natur der Dinge hat. Also leuchtet ein, dass das Sein verschieden ist von der Wesenheit oder Washeit. (T H O M A S von Aquin, Über Seiendes und Wesenheit, Kap. IV, S. 43) sich seiendes Wesen (ein ens a se) zu sein, absolute Unendlichkeit, Allwissenheit, Allmacht, Allgegenwärtigkeit, anfanglose Ewigkeit, höchste Verkörperung des Sittlichen und höchster Richter zu sein“ 76 . Die reinen Vollkommenheiten sind die einzige Möglichkeit, objektive Eigen‐ schaften des vollkommenen Wesens zu benennen und sich nicht in blossen Anthropomorphismen zu ergehen. Sie geben deutlich zu erkennen, dass das vollkommene Wesen weder innerlich unmöglich noch widersprüchlich, sondern vielmehr unerfindbar-notwendig ist. Inwiefern trägt dies nun aber bei zur Er‐ kenntnis des Sachverhalts der notwendigen Existenz des vollkommenen We‐ sens? Ausgangspunkt war ja der Gedankengang: Weil das Wesen Gottes alle Vollkommenheiten in sich vereinigt, ist seine Realexistenz eine Vollkommen‐ heit, und weil die reale Existenz im Falle des vollkommenen Wesens eine Voll‐ kommenheit ist, darum existiert es auch mit Notwendigkeit. Betrachtet man dahingegen die Dinge dieser Welt, so lässt sich mit Thomas von Aquin fest‐ stellen, wie die wirkliche Existenz zum jeweiligen Wesen von aussen hinzu‐ kommt. 77 Wie aber steht es mit dem Wesen, über das hinaus nichts Grösseres und nichts Besseres gedacht werden kann? Kommt auch dem vollkommenen Wesen die Existenz von aussen zu? Ist das nicht widersprüchlich? Schliesst das vollkommene Wesen nicht gerade aufgrund seines Wesens die notwendige Exis‐ tenz ein? Es ist evident, dass der ständig drohende Verlust der Existenz nur dem zukommen kann, was unvollkommen ist. Beim vollkommenen Wesen dagegen sind Sein und Wesen identisch, ja müssen identisch sein, denn vollkommen ist eben nur das Wesen, das den Grund seiner Existenz in sich selber hat. Hätte das vollkommene Wesen seine Existenz nicht aus sich selber, sondern wäre stetig in Gefahr, seine Existenz wieder einzubüssen, so wäre es mit Sicherheit nicht das, worüber hinaus nichts Grösseres gedacht werden kann. Eine tatsächliche oder auch nur eine als möglich gedachte Nichtexistenz widerspricht dem Wesen Gottes. Wer vermeint, dieses Wesen könne auch nicht sein, legt Zeugnis ab von seinem Nichtverstehen dieser einzigartigen Wesensnotwendigkeit. Dies war bei 4 Warum hielt von Hildebrand das ontologische Argument für ungültig? 136 <?page no="137"?> 78 S E I F E R T , Gott als Gottesbeweis, S. 565. 79 von H I L D E B R A N D , Was ist Philosophie? , 4. Kap., III., C., S. 116. 80 D E R S ., Christliche Ethik, 10. Kap., S. 165. (Kursiv im Orig.) 81 D E R S ., Was ist Philosophie? , 4. Kap., III., C., S. 109. (Kursiv im Orig.) 82 D E R S ., Religion und Sittlichkeit, S. 106. Gaunilo der Fall, der gegen Anselm den absurden Einwand vorbrachte, dass die vollkommenste Insel notwendigerweise existiere, da eine wirklich seiende Insel vollkommener sei als eine bloss gedachte. Indessen übersah er mit vielen an‐ deren Philosophen jedoch, dass die vollkommenste Insel - trotz aller begriffli‐ chen Notwendigkeit - die notwendige reale Existenz aufgrund ihres Wesens nicht nur nicht einschliesst, sondern gerade strikt ausschliesst. „So bleibt kein Zweifel daran“, wie Josef Seifert feststellt, der sich seit seinen frühen Jugend‐ jahren mit dem ontologischen Argument beschäftigt und ihm mit Gott als Got‐ tesbeweis schliesslich eine überzeugende Schrift gewidmet hat, „dass in der Tat zur göttlichen, und nur zur göttlichen Wesenheit, die reale und absolut not‐ wendige Existenz, das absolute Nicht-nicht-sein-Können gehört.“ 78 4.5 Dietrich von Hildebrands implizite Bejahung des ontologischen Arguments Wenn diese Ausführungen bedacht werden, stellt sich unweigerlich und be‐ rechtigterweise die Frage, warum von Hildebrand trotz seiner Erkenntnisme‐ thode und trotz seines Gottesbegriffs - Inbegriff aller Werte - sowie im Wissen, dass es in Gott keinen Unterschied von Existenz und Essenz und es nur bei ihm eine notwendige reale Existenz gibt, die Auffassung vertreten kann, dass man die notwendige reale Existenz Gottes „nicht aus der Wesenheit Gottes allein erkennen“ 79 kann. Von Hildebrand hätte die Bedingungen eigentlich erfüllt, um die notwendige reale Existenz aus dem Sosein Gottes erkennen zu können. Denn zumindest implizit hatte er die reinen Vollkommenheiten erkannt, was sich nicht nur daran zeigt, dass er Gott als „die Güte, die Wahrhaftigkeit, die Gerech‐ tigkeit, die Liebe“ 80 bezeichnet, sondern auch daran, dass Gott „das absolute Sein, die absolute Wahrheit, die absolute Gerechtigkeit und die unendliche Liebe ist“ 81 . Ausnahmslos reine Vollkommenheiten (perfectioni simpliciter). In dieselbe Richtung weist auch sein Wort vom „Wesenszusammenhang von Allgüte und Allmacht“, die, „obgleich völlig selbständige Qualitäten, sich gegenseitig we‐ sensmässig bedingen“ 82 . Wenngleich von Hildebrand dafür eintrat, dass man die notwendige reale Existenz Gottes „nicht aus der Wesenheit Gottes allein er‐ 4.5 Dietrich von Hildebrands implizite Bejahung des ontologischen Arguments 137 <?page no="138"?> 83 D E R S ., Was ist Philosophie? , 4. Kap., III., C., S. 116. 84 Vgl. S E I F E R T , Gott als Gottesbeweis, S. 40, Anm. 46. kennen“ 83 kann, so hat er Gott nichtsdestotrotz gerade solche Eigenschaften zugeschrieben, die die Möglichkeit des Erkennens der realen Existenz aus dem Wesen Gottes begründen. Denn alle Eigenschaften, die er Gott zuschreibt, sind absolut besser als alles, was damit nicht zu vereinbaren ist, sind nur in der un‐ endlichen Form wahrhaft sie selber, sind überdies gegenseitig verträglich und sind nicht zuletzt auch irreduzibel einfach. Auch wenn die Eigenschaften Gottes, die von Hildebrand zur Sprache gebracht hat, hier nicht abschliessend erwähnt werden, so geben alleine schon die angeführten zu erkennen, dass sie die ge‐ nannten Merkmale der reinen Vollkommenheiten aufweisen. Warum das onto‐ logische Argument für von Hildebrand trotzdem ungültig war, bleibt eine offene Frage. Fehlte es ihm schlicht und einfach an überzeugenden Begründungen? Dafür scheint jedenfalls eine Anmerkung aus dem bereits genannten Werk von Josef Seifert zu sprechen, der ausdrücklich davon spricht, dass von Hildebrand sehr aufgeschlossen gewesen sei gegenüber der Möglichkeit, dass das ontolo‐ gische Argument, angemessen begründet, gültig sein könne. 84 Da von Hildebrand quer durch sein Schrifttum Gott immer wieder als Inbe‐ griff aller Werte bezeichnet, sei im Anschluss an die Auseinanderlegung der reinen Vollkommenheiten als den einzigen Momenten eines adäquaten Gottes‐ begriffs schliesslich auch das Verhältnis abschliessend zu bestimmen gesucht, in dem die Werte und die reinen Vollkommenheiten zueinander stehen. Die lei‐ tende Frage geht dahin, ob Gott seinem Wesen nach oder qua Schöpfer als In‐ begriff aller Werte zu verstehen ist. Wenn mit dem Inbegriff aller Werte auf sein Wesen abgezielt wird, dann müssten alle Werte reine Vollkommenheiten sein, geben sie alleine die göttlichen Wesenseigenschaften doch angemessen wieder. Wenn Gott qua Schöpfer als Inbegriff aller Werte verstanden sein soll, dann wiederum müssten nicht alle Werte notwendigerweise reine Vollkommenheiten sein. Aus dem weiter oben dargelegten Merkmal der Werte sowie den Merkmalen der reinen Vollkommenheiten geht hervor, dass die reinen Vollkommenheiten aufgrund ihrer intrinsischen Bedeutsamkeit Werte sind. Reine Vollkommen‐ heiten finden sich unter den ontologischen, den sittlichen, den intellektuellen wie auch unter den ästhetischen Werten, doch nicht in dem Sinne, als wären alle diesbezüglichen Werte reine Vollkommenheiten. Denn was die ontologi‐ schen Werte betrifft, so sind nur einige davon reine Vollkommenheiten. Eine reine Vollkommenheit ist beispielsweise der Wille, keine reine Vollkommen‐ heiten sind dagegen die Farbe oder die Menschenwürde. Von den intellektuellen 4 Warum hielt von Hildebrand das ontologische Argument für ungültig? 138 <?page no="139"?> 85 Vgl. von H I L D E B R A N D , Christliche Ethik, 10. Kap., S. 165. Werten sind ebenfalls nur einige reine Vollkommenheiten, und zwar jene, die nicht wesenhaft die Begrenztheit des Intellekts voraussetzen, sondern das Wesen des Intellekts als solchen betreffen. Auch von den ästhetischen Werten zählen nur einige zu den reinen Vollkommenheiten. Während dazu etwa voll‐ kommene Einheit oder absolute Schönheit gehören, sind Charme, Eleganz und dergleichen keine reinen Vollkommenheiten. Bei der Familie der sittlichen Werte verhält es sich schliesslich so, dass bei vielen dieser Werte - z. B. bei der Güte, der Wahrhaftigkeit, der Gerechtigkeit oder der Liebe, die von Hildebrand Gott zugeschrieben hat 85 - es sich um reine Vollkommenheiten handelt. Bei anderen sittlichen Werten fällt es wiederum schwer, sie Gott zuschreiben zu wollen, z. B. bei der Bescheidenheit oder der Demut, so als könnten sie in unendlicher göttlicher Form existieren, auch wenn es gemäss dem christlichen Glauben eine spezifisch gottmenschliche Demut gibt. Keine reinen Vollkommenheiten, die Gott zugeschrieben werden können, sind - kurz gesagt - jene, die die kreatürliche Begrenztheit und Geschaffenheit des Subjekts voraussetzen. Da sie keine Unendlichkeit zulassen, sind diese sitt‐ lichen Werte den gemischten Vollkommenheiten zuzurechnen. Zu ihnen gehört u. a. auch die Reue, die an die Sünde gebunden ist und daher für Gott sinnlos wäre, des Weiteren die Verzichtsbereitschaft oder der Opferwille, die eindeutig menschliche Dimensionen haben, und Gott von da her nicht zugeschrieben werden können. Anders stellen sich die Verzichtsbereitschaft und der Opferwille oder auch Mitleid und Geduld und v. a. Barmherzigkeit freilich für die Person dar, die an die Menschwerdung Gottes glaubt. Dann gibt es beispielsweise eine göttliche Verzichtsbereitschaft (auf das Festhalten an seiner Gottheit) oder einen göttlichen Opferwillen aus Liebe, der sich in der Menschwerdung, der Passion und der Kreuzigung des Gottmenschen offenbart. Ein grosses Problem stellen schliesslich die rein göttlichen moralischen Voll‐ kommenheiten dar, die scheinbar die Schöpfung voraussetzen und nicht vor dieser im rein göttlichen Leben gedacht werden können, wie z. B. die Barmher‐ zigkeit; denn Gott kann doch nicht sich selber gegenüber barmherzig sein, oder die Gerechtigkeit, da Gott nicht sich selber gegenüber Gerechtigkeit wider‐ fahren lassen kann. Dieses Problem wird noch schwerer, wenn an die scheinbar höchste moralische Vollkommenheit Gottes gedacht wird, die das Böse voraus‐ zusetzen scheint, nämlich die göttliche Sündenvergebung. Braucht Gott etwa das Böse, um diese Vollkommenheit zu besitzen? Ja ist es auch nur denkbar, dass Gottes ewiges Leben vor der Schöpfung weniger vollkommen gewesen ist als nach ihr, auch wenn in der ewigen göttlichen Güte und Liebe das Geschöpf und 4.5 Dietrich von Hildebrands implizite Bejahung des ontologischen Arguments 139 <?page no="140"?> 86 Unter einer „Aporie“ ist ein undurchdringlicher Zusammenhang zu verstehen. Im vor‐ liegenden Falle besteht dieser im nicht abschliessenden Verstehenkönnen, wie reine Vollkommenheiten in der Form vollkommener göttlicher Eigenschaften unter der Vor‐ aussetzung des Menschen und des Bösen bestehen können. Wie kann das Vollkommene sich mit dem Unvollkommenen vereinen? Das letzte Wie des Zusammenhangs dieser beiden Wirklichkeiten entbehrt der letzten Intelligibilität. 87 von H I L D E B R A N D , Christliche Ethik, 10. Kap., S. 165. (Kursiv im Orig.) 88 D E R S ., Moralia, 1. Kap., S. 49. 89 D E R S ., Ästhetik 1, 7. Kap., S. 155. die Sünde vorausgesetzt sind? Die reinen Vollkommenheiten, die potentiell Barmherzigkeit, Vergebung etc. einschliessen, scheinen Gott seit Ewigkeiten zu eignen, auch wenn deren Ausübung das Geschöpf oder sogar die Sünde voraus‐ setzt. Dieser grob skizzierte Komplex an ungelösten Fragen gibt jedenfalls klar zu erkennen, dass grosse Aporien angesichts der reinen Vollkommenheiten bestehen, die den Menschen und das Böse voraussetzen. 86 Abschliessend lässt sich immerhin so viel mit Gewissheit festhalten, dass alle reinen Vollkommenheiten Werte, nicht alle Werte aber reine Vollkommenheiten sind. 4.6 Was spricht eigentlich dafür, dass die Werte in Gott gründen, ja brauchen die Werte überhaupt einen Seins‐ grund? - Einige Gedanken zum werttheoretischen Gottes‐ beweis Wenngleich von Hildebrand Gott als „die Güte, die Wahrhaftigkeit, die Gerech‐ tigkeit, die Liebe“ 87 bezeichnet und er Gott sogar als „Inbegriff aller Werte, vor allem der Gerechtigkeit, Liebe und Heiligkeit“ 88 versteht, wo liegen die Wurzeln dieser Begriffe? „Begriffe sind an sich ‚Medien‘, durch die unser Geist auf das Seiende sinnvoll abzielt.“ 89 Was im vorliegenden Zusammenhang besagen will, dass die oben genannten Begriffe - der Güte Gottes, seiner Gerechtigkeit, seiner unendlichen Liebe usw. - meinend auf das Sein Gottes abzielen. Doch welche Argumente sprechen eigentlich dafür, dass sich das Vermeinte auch in Wirk‐ lichkeit so verhält, dass v. a. die moralischen Werte in Gott ihr letztes Fundament und ihre letzte Wurzel haben? Und damit verbunden, warum benötigen diese in sich bedeutsamen Entitäten überhaupt einen Seinsgrund? Oder anderes gefragt: Sind die Werte nicht in sich selbst stehende, autonome Wirklichkeiten? Diese Fragen seien in der Folge zu beantworten gesucht. Ein erstes Argument stammt von von Hildebrand und hebt an beim Sehen der Schönheit einer Land‐ schaft, z. B. der italienischen. Dabei „erfassen wir, dass die Schönheit in ihrer 4 Warum hielt von Hildebrand das ontologische Argument für ungültig? 140 <?page no="141"?> 90 D E R S ., Unveröffentlichter Nachlass, Mappe 121 (121 / 4). 91 S C H E L E R , Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik, Erster Teil, I., 2., S. 47. 92 von H I L D E B R A N D , Unveröffentlichter Nachlass, Mappe 121 (121 / 4). 93 Vgl. dazu weiter unten auch IV, 2.3.1 - „Die Reue“, wo die Existenz Gottes auf der Basis des religiösen Aktes der Reue erkannt wird. Ein ähnlicher Gedankengang führt über den Sinn der Strafe, mit dem notwendig verbunden ist, dass sie von einer Person ver‐ hängt wird und nur einer Person gelten kann. Diese Antwort des Strafens kann jedoch nur eine Person wirksam und „derart vollziehen, dass die ideale Gebührensbeziehung ihre reale Erfüllung findet: die Person, deren Wollen und Sein jedes subjektiven, rela‐ tiven Charakters entbehrt und mit der sittlichen Ordnung selbst zusammenfällt: Gott“ (von H I L D E B R A N D , Zum Wesen der Strafe, S. 273 [Kursiv im Orig.]). Vgl. dazu weiter unten IV, 4.2 - „Die metaphysische Gebührensbeziehung“. letzten Substanz eins ist mit der Substanz der Liebe, dass sie gleichsam eine objektivierte Liebe in etwas ‚Apersonalem‘ ist“ 90 . Mit Max Scheler gesprochen, kann hier natürlich nichts definiert werden, „wie bei allen letzten Wertphäno‐ menen. Wir können hier nur auffordern, genau hinzusehen“ 91 . In diesem Sinne spricht auch von Hildebrand weder von einem Erkennen noch von einem De‐ finieren, sondern von einem dem Objekt angemessenen Ahnen: „Dieser Zu‐ sammenhang von Wert und Liebe lässt uns ahnen, dass Gott der Inbegriff der Liebe ist, da er der wesenhaft Vollkommene ist, der personale Inbegriff, die In‐ karnierung aller Werte, und darum auch die Liebe.“ 92 Dass die moralischen Werte ihren Seinsgrund in der vollkommenen Person Gottes haben, dafür sprechen zuallererst die moralischen Akte selbst. Bekannt‐ lich setzen diese Akte die Freiheit voraus, die selbst wiederum wesenhaft die Verantwortung impliziert. Die Verantwortung besteht im Letzten aber nicht ge‐ genüber einem Menschen, denn dieser weiss - aufgrund seiner Unvollkom‐ menheit und Kontingenz - nicht um das Mass und die Grenzen unserer Freiheit. Auch kennt er die letzten Gründe unseres Handelns und die innersten freien Entscheidungen nicht. Kein anderer Mensch kommt als letzter Adressat in Frage, vor dem wir Verantwortung tragen. Notwendigerweise wird von da her ein Adressat des Phänomens der sittlichen Verantwortung gefordert, der um die innersten Beweggründe eines jeden Menschen weiss. Gott wird hier als abso‐ luter Bezugspunkt und personales Korrelat der sittlichen Verantwortung ge‐ genüber der tiefsten göttlichen Verkörperung des sittlich Guten erkannt. Aus‐ gehend von der eindeutig gegebenen phänomenalen Basis der freien sittlichen Akte und der notwendigerweise geforderten personalen Instanz, vor der wir Verantwortung tragen, wird Gottes Wirklichkeit erkannt. 93 Wie alleine schon aufgrund der sittlichen Verantwortung erhellt, haben die moralischen Werte in Gott mit Gewissheit ihr letztes Fundament. An dieser Stelle noch weiter nach einem Fundament des „Wertes, dieses tiefsten Urphä‐ 4.6 Einige Gedanken zum werttheoretischen Gottesbeweis 141 <?page no="142"?> 94 von H I L D E B R A N D , Moralia, 1. Kap., S. 47. 95 Vgl. E C K E R M A N N , Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens, Mittwoch, den 18. Februar 1829, S. 298. 96 Vgl. von H I L D E B R A N D , Christliche Ethik, 15. Kap. S. 211. Vgl. auch D E R S ., Über die christ‐ liche Idee des himmlischen Lohnes, S. 277. 97 Vgl. unten IV, 1.5 - „Sossimas Wandel“. 98 von H I L D E B R A N D , Christliche Ethik, 15. Kap., S. 210. nomens“ 94 zu fragen, erinnert an Goethe, der die Menschen, denen „der Anblick eines Urphänomens gewöhnlich nicht genug“ ist und denken, „es müsse noch weiter gehen,“ mit den Kindern vergleicht, „die, wenn sie in einen Spiegel ge‐ guckt, ihn sogleich umwenden, um zu sehen, was auf der anderen Seite ist“. 95 Nichtsdestotrotz seien in der Folge einige weitere Argumente beigebracht, die dafür sprechen, dass die moralischen Werte keinen absoluten Selbststand, son‐ dern den Grund ihres Seins in Gott haben. Als erstes das Wesensgesetz, das auch von Hildebrand erkannt hat und von da her auf diesen Seiten wiederholt zur Sprache kommt, nämlich der notwendige Sachverhalt, dass moralische Werte bzw. Unwerte mit Lohn und Strafe verknüpft sind. 96 Diese Gesetzmässigkeit verbürgt Gottes Wirklichkeit aus der ewigen Gerechtigkeit, denn unmöglich kann etwas nicht sein, das vom Wesen der Gerechtigkeit gefordert und voraus‐ gesetzt wird. Ein weiteres Argument hebt an bei der Stimme des Gewissens und mündet in die Einsicht der inneren Präsenz Gottes in der Seele. Da dieses Ar‐ gument weiter unten entfaltet werden wird, sei an dieser Stelle darauf ver‐ wiesen. 97 Ein anderes Argument wird hier zum ersten Mal explizit entfaltet, nämlich das Argument der inneren wesenhaften Einheit des Moralischen, die nur in Gott ihre letzte Erfüllung findet. Dieses Argument ist eng mit der inneren Einheit aller moralischen Werte verbunden, die zu verwirklichen vom Menschen als Menschen verlangt ist. Dazu die einschlägige Stelle aus von Hildebrands ethi‐ schem Hauptwerk: Es erscheint ganz natürlich, dass ein Mensch nicht jede einzelne intellektuelle Bega‐ bung besitzen kann; aber jeder sollte alle sittlichen Werte besitzen. Es ist ganz ver‐ nünftig, wenn jemand erklärt: „Ich bin ein Musiker, aber ich habe nicht das geringste philosophische Talent“; oder „Mein Hauptgebiet ist Naturwissenschaft, und die Kunst überlasse ich anderen, die dafür eine Begabung haben“. Aber es wäre ebenso absurd wie lächerlich, wollte jemand sagen: „Ich beschäftige mich vor allem mit Gerechtig‐ keit; die Reinheit ist Sache meiner Kollegen.“ Die Verteilung der Werte auf verschie‐ dene Menschen, die für alle anderen Personwerte ganz natürlich ist, gilt nicht für die sittliche Sphäre. Hier werden alle sittlichen Werte von jedem gefordert, weil er ein Mensch ist. 98 4 Warum hielt von Hildebrand das ontologische Argument für ungültig? 142 <?page no="143"?> 99 Ebd., 10. Kap., S. 165. (Kursiv im Orig.) 100 Vgl. oben II, 4.4 - „Die reinen Vollkommenheiten als Gültigkeitsgrund des ontologi‐ schen Arguments“. 101 Vgl. S E I F E R T , Gott als Gottesbeweis, S. 596. Doch welcher Weg führt die Vernunft von der vom Menschen geforderten Ein‐ heit der sittlichen Werte nun zur Einheit dieser Werte in Gott? Warum kann von Hildebrand Gott mit Bestimmtheit als „die Güte, die Wahrhaftigkeit, die Ge‐ rechtigkeit, die Liebe“ 99 bezeichnen? In Bezug auf das soeben angeführte Hilde‐ brand-Zitat, weil es sich bei den sittlichen Werten, die zu verwirklichen von jedem Menschen gefordert sind, weil er ein Mensch ist, um gemischte Vollkom‐ menheiten handelt, währenddem es sich in ihrer göttlichen Form um reine Vollkommenheiten handelt. Wie bereits erwähnt, 100 lassen die göttlichen Voll‐ kommenheiten nicht nur die unendliche Form zu, sondern weisen überdies die Eigenschaft auf, dass sie gegenseitig verträglich sind, alle gleichzeitig besessen bzw. realisiert werden können und keine dieser Eigenschaften wahrhaft sie selber ist ohne all die anderen. In analoger Weise kam dies auch in dem soeben angeführten Hildebrand-Zitat betreffend der von jedem Menschen geforderten Einheit aller sittlichen Werte zum Ausdruck. Die moralischen Werte der Güte, Wahrhaftigkeit, Gerechtigkeit, Liebe usw. setzen ihrem Wesen nach - sei es als gemischte oder als reine Vollkommenheit - notwendigerweise einen personalen Träger voraus. Und dieser Träger kann im Falle einer unendlichen qualitativen Eigenschaft keine menschliche, sondern einzig die absolut vollkommene Person Gottes sein. Und gerade so, wie die sittlichen oder moralischen Werte vom Menschen als solchem gefordert sind, so sind die personalen, allen voran die moralischen Werte die raison d’être des Seins überhaupt und enthüllen damit letztlich den Grund der göttlichen Existenz. Und wenn Gottes Wertvollkommenheit auch in der unendlichen sittlichen Vollkommenheit kulminiert, so kann sie auf diese dennoch nicht eingeschränkt werden. 101 Die angeführten Argumente vermögen zu zeigen, dass die Werte in Gott gründen, was v. a. an den moralischen Werten aufgewiesen werden konnte. Brauchen die Werte aber überhaupt einen Seins‐ grund, war eine weitere Frage, die eingangs dieses Kapitels gestellt wurde. Ja, sie brauchen ihn notwendigerweise. Und zwar nicht alleine deswegen, damit die Wirklichkeit eine intelligible Struktur hat, sondern auch deswegen, weil der Mensch den existentiellen Sinn und das Glück in seinem Leben nur über die Verwirklichung der von ihm geforderten moralischen Werte finden kann. Vor allem aber beantworten die Werte qua in sich ruhende Bedeutsamkeiten die von 4.6 Einige Gedanken zum werttheoretischen Gottesbeweis 143 <?page no="144"?> 102 Vgl. Gottfried Wilhelm L E I B N I Z , Auf Vernunft gegründete Prinzipien der Natur und der Gnade, Nr. 7., S. 163. Max S C H E L E R , Vom Wesen der Philosophie und der moralischen Be‐ dingung des philosophischen Erkennens, S. 92-95. 103 Josef S E I F E R T , Erkenntnis des Vollkommenen. Wege der Vernunft zu Gott, S. 102. 104 Ebd. Leibniz oder Scheler gestellte metaphysische Grundfrage, warum überhaupt etwas ist und nicht vielmehr nichts. 102 Nebstdem führt auch vom Phänomen des absoluten moralischen Sollens ein denkerischer Weg zu Gott. Diese Forderungen gehen über das hinaus, was der Mensch prinzipiell verwirklichen kann. Es sind im Letzten rein objektive For‐ derungen nach der höchsten Wirklichkeit des Guten, deren Verwirklichung aber nur in Gott selber liegen kann. Denn da dem Menschen die vollkommene Er‐ füllung der geforderten moralischen Heiligkeit unmöglich ist, verlangt die mo‐ ralische Sollensforderung im Tiefsten nicht nur, dass die Menschen gut handeln und das Böse meiden sollen, sondern auch, dass das absolute Gute verwirklicht ist. Das aber kann nur in Gott vollste Wirklichkeit sein. Auch mit diesem Ar‐ gument, das vom Gesolltsein der moralischen Werte ausgeht und eine Verwirk‐ lichung des Guten verlangt, wie sie kein Mensch erfüllen kann, stösst man auf den Grund und die Wurzeln der moralischen Welt in ihrer objektiven Gültig‐ keit. Nicht zuletzt kann der werttheoretische Gottesbeweis auch über die postu‐ lierte Nichtexistenz Gottes geführt werden. Denn wenn Gott nicht existierte, wäre das Moralische seines höchsten Gegenstands beraubt und alle diesbe‐ züglichen Akte, insbesondere die Gottesliebe, würden, „da Gott nur entweder notwendig existiert oder in sich unmöglich ist, auf einer widersprüchlichen Idee beruhen“ 103 . Das intelligible Wesen des Moralischen enthielte dann „einen in‐ neren Widerspruch, was nicht sein kann“ 104 . 4 Warum hielt von Hildebrand das ontologische Argument für ungültig? 144 <?page no="145"?> 1 Volker M U E L L E R , Ludwig Feuerbach - ein freigeistiger Humanist und Philosoph, S. 6. 2 Ludwig F E U E R B A C H , Das Wesen des Christentums, 14. Kap., S. 205. 3 Ebd., 2. Kap., S. 75. 5 Die Probe aufs Exempel: Prüfung der (Un-)Vernünftigkeit dreier moderner bzw. postmoderner Kritiken an der Religion 5.1 Der Mensch als Seinsgrund Gottes in Ludwig Feuerbachs anthropologischer Theologie Nach dem Aufweis der Vernünftigkeit der religiösen Grundüberzeugung, dass Gott existiert, sei in der Folge zugesehen, wie es um das Gegenstück, nämlich um die Kritik religiöser Überzeugungen bestellt ist. Wohl wurde in groben Zügen schon auf die Kritik des Xenophanes an den anthropomorphen Götter‐ vorstellungen der alten Mythen hingewiesen. Zu den Aufgaben der Religions‐ philosophie gehört jedoch nicht nur die Kritik religiöser Überzeugungen, zu ihren Aufgaben gehört auch die Kritik an der Kritik religiöser Überzeugungen. Dieser Aufgabe seien die folgenden Seiten gewidmet, auf denen die Religions‐ kritik Ludwig Feuerbachs (1804-1872) kritisch untersucht wird. Vor dem Hin‐ tergrund des bereits Erarbeiteten wird dabei die kritische Frage zu beantworten gesucht, ob sein Vorwurf der Unvernünftigkeit der Religion haltbar ist, und wenn nicht, warum nicht. Mit Ludwig Feuerbach begegnet ein Philosoph, dem nachgesagt wird, dass er die „gnoseologischen Wurzeln der Religion“ 1 entschlüsselt habe. Mit dem Wort von den gnoseologischen, also den erkenntnismässigen Wurzeln ist Feuerbachs philosophisches Rüstzeug schon deutlich benannt: Was sich bei Kant auf die Erkenntnistheorie erstreckte, nämlich das skeptisch-agnostische Nicht-er‐ kennen-Können der objektiven Wahrheit, das übertrug Ludwig Feuerbach in analoger Weise auf die Religionsphilosophie. Bereits in seiner - 1830 anonym erschienenen - Erstlingsschrift Gedanken über Tod und Unsterblichkeit lehnte er den Glauben an einen persönlichen Gott entschieden ab. Dieser Glaube, so in seinem religionskritischen Hauptwerk die Leitlinie seines Denkens markierend, „ist nichts andres als der Glaube an die Gottheit des Menschen“ 2 , denn „was der Mensch von Gott aussagt, das sagt er in Wahrheit von sich selbst aus“ 3 . Aus diesen Worten lässt sich in etwa ermessen, inwiefern Feuerbachs Vorstoss „in <?page no="146"?> 4 M U E L L E R , Ludwig Feuerbach - ein freigeistiger Humanist und Philosoph, S. 6. 5 F E U E R B A C H , Das Wesen des Christentums, 3. Kap., S. 80. 6 Ebd., 2. Kap., S. 76. 7 Ebd., 21. Kap., S. 301. 8 Ebd., 1. Kap., S. 43. 9 D E R S ., Das Wesen des Glaubens im Sinne Luthers. Ein Beitrag zum ‚Wesen des Christen‐ tums‘, S. 59. 10 Ebd., S. 4. 11 D E R S ., Das Wesen des Christentums, 2. Kap., S. 53. 12 Ebd., 24. Kap., S. 346. 13 Vgl. ebd., 2. Kap., S. 59. 14 D E R S . Das Wesen des Glaubens im Sinne Luthers, S. 69. 15 D E R S ., Das Wesen des Christentums, 14. Kap., S. 206. der neueren Geschichte der Philosophie und Wissenschaft die radikalste Absage an das Christentum und die sie rechtfertigende Theologie und Philosophie“ 4 darstellt. 5.1.1 Feuerbachs Thesen Wer aufgrund des Titels der Feuerbachschen Hauptschrift Das Wesen des Chris‐ tentums auf eine Analysierung und Verifizierung des Christentums selbst oder auf eine gegen aussen gerichtete Verteidigung schliessen zu können meint, wird überrascht sein, die Behauptung zu vernehmen: „Die Religion ist die Entzweiung des Menschen mit sich selbst“ 5 . Denn: „Der Mensch - dies ist das Geheimnis der Religion - vergegenständlicht sein Wesen und macht dann wieder sich zum Gegenstand dieses vergegenständlichten, in ein Subjekt, eine Person verwan‐ delten Wesens“ 6 . Mit anderen Worten: „Die Religion ist das Verhalten des Men‐ schen zu seinem eignen Wesen […], aber zu seinem Wesen nicht als dem sei‐ nigen, sondern als einem andern, von ihm unterschiednen, ja entgegengesetzten Wesen“ 7 . Was Feuerbach in die prägnante Formel fasst: „der Gott des Menschen ist sein eignes Wesen“ 8 . Das aber heisst: „Gott ist nichts an sich selber.“ 9 „Ob er ist oder nicht ist - es ist einerlei; wir gewinnen nichts durch sein Sein und verlieren nichts durch sein Nichtsein; denn wir haben an Gott nur eine Wie‐ derholung von uns selbst.“ 10 Darum ist auch „die Erkenntnis Gottes die Selbst‐ erkenntnis des Menschen“ 11 . Ja, „das Wissen des Menschen von Gott ist das Wissen des Menschen von sich, von seinem eignen Wesen.“ 12 Und wie „der Glaube, dass überhaupt ein Gott ist, ein Anthropomorphismus“ ist, so sind auch die Prädikate, die Gott zugeschrieben werden, blosse „Anthropomorphismen, d. h. menschliche Vorstellungen“. 13 „Wie ich bin, so ist mein Glaube, und wie mein Glaube, so mein Gott.“ 14 Kurzum: „Dass Gott ein andres Wesen ist, das ist nur Schein, nur Einbildung.“ 15 Da also „zwischen dem göttlichen und mensch‐ Prüfung der (Un-)Vernünftigkeit dreier Kritiken an der Religion 146 <?page no="147"?> 16 Vgl. ebd., Vorrede zur zweiten Auflage, S. 23. 17 Ebd., 21. Kap., S. 303. 18 Ebd., 21. Kap., S. 306. 19 D E R S ., Grundsätze der Philosophie der Zukunft, § 32, S. 87. 20 Ebd. 21 Ebd., § 41, S. 95. 22 Ebd., § 37, S. 92. lichen Subjekt oder Wesen kein Unterschied ist“, ist „der wahre Sinn der Theo‐ logie die Anthropologie“. 16 Bei der Verneinung der Existenz Gottes macht sich der skeptische Einfluss Kants bemerkbar, für den, wie weiter oben gesehen, das Erkennen der Existenz Gottes unmöglich ist, zumindest das unmittelbare. Und obgleich Feuerbach eine gewisse Sympathie für den ontologischen Gottesbeweis bekundet - er nennt ihn den interessantesten Beweis, „weil er von innen ausgeht“ 17 -, hält er ihn trotzdem nicht für gültig. Nichtsdestotrotz übernimmt er Kants Kritik nicht vorbehaltlos, sondern unterzieht auch ihn selbst einer Kritik: Kant hat bekanntlich in seiner Kritik der Beweise vom Dasein Gottes behauptet, dass sich das Dasein Gottes nicht aus der Vernunft beweisen lasse. Kant verdiente des‐ wegen nicht den Tadel, welchen er von Hegel erfuhr. Kant hat vielmehr vollkommen recht: aus einem Begriffe kann ich nicht die Existenz ableiten. Nur insofern verdient er Tadel, als er damit etwas Besonderes aussagen und der Vernunft gleichsam einen Vorwurf machen wollte. Es versteht sich dies von selbst. Die Vernunft kann nicht ein Objekt von sich zum Objekt der Sinne machen. Ich kann nicht im Denken das, was ich denke, zugleich ausser mir als ein sinnliches Ding darstellen. 18 Über die anthropologische Theologie bzw. die Identität von Mensch und Gott hinaus tritt hier die Feuerbachsche Erkenntnistheorie ans Licht. 5.1.2 Feuerbachs erkenntnistheoretische Prinzipien „Nur durch die Sinne wird ein Gegenstand im wahren Sinn gegeben - nicht durch das Denken für sich selbst.“ 19 „Ein Objekt, ein wirkliches Objekt, wird mir nämlich nur da gegeben, wo mir ein auf mich wirkendes Wesen gegeben wird, wo meine Selbsttätigkeit […] an der Tätigkeit eines andern Wesens ihre Grenze - Widerstand findet.“ 20 Wobei nicht nur Äusserliches Gegenstand der Sinne ist, „nicht nur Fleisch, auch Geist, nicht nur das Ding, auch das Ich ist Gegenstand der Sinne. - Alles ist darum sinnlich wahrnehmbar“ 21 . Die Gewissheit betreffend behauptet Feuerbach: „Unbezweifelbar, unmittelbar gewiss ist nur, was Objekt des Sinns, der Anschauung, der Empfindung ist.“ 22 Ja, „sonnenklar ist nur das 5.1 Der Mensch als Seinsgrund Gottes in Ludwig Feuerbachs anthropologischer Theologie 147 <?page no="148"?> 23 Ebd., § 38, S. 92. 24 Ebd., § 32, S. 87. 25 Ebd., § 48, S. 102. 26 Vgl. K A N T , Kritik der reinen Vernunft, B 74, S. 129. 27 Vgl. Michael J E S K E , Sensualistischer Pantheismus. Seine heuristische Bedeutung im Werk Ludwig Feuerbachs, S. 108. Wenn auch ein Thomas von Aquin die erkenntnistheore‐ tische Position vertrat, dass alle unsere Erkenntnisse bei den Sinnen beginnen (omnis nostra cognitio a sensu initium habet), so unterscheidet er sich von einem Empiristen wie Locke doch dahingehend, dass die Wahrnehmung der Sinnendinge zu den geistigen hinführt (per sensibilia ad intelligibilia). Vgl. T H O M A S , Summa Theologica, I, q. 1, a. 9, c., S. 28. 28 Vgl. John L O C K E , Versuch über den menschlichen Verstand, Zweites Buch, 1. Kap., 2.-4., S. 108 f. 29 Étienne Bonnot de C O N D I L L A C , Abhandlung über die Empfindungen (Traité des sensa‐ tions), 3., III., S. 88. 30 Ebd. Sinnliche; nur wo die Sinnlichkeit anfängt, hört aller Zweifel und Streit auf. Das Geheimnis des unmittelbaren Wissens ist die Sinnlichkeit.“ 23 „Wahrheit, Wirk‐ lichkeit, Sinnlichkeit sind identisch.“ 24 Und die objektive Wahrheit? „Nur das durch die sinnliche Anschauung sich bestimmende und rektifizierende Denken ist reales, objektives Denken - Denken objektiver Wahrheit.“ 25 Diese Definition verweist wieder auf Kant, der auch schon dafür hielt, wie bereits erwähnt, dass die sinnlichen Anschauungen und die Begriffe die Elemente einer jeden Er‐ kenntnis ausmachen. 26 Nicht auf Kant jedoch kann Feuerbachs erkenntnistheoretischer Sensua‐ lismus zurückgeführt werden. Dieser hat seine Wurzeln vielmehr in John Lockes Versuch über den menschlichen Verstand (1690). 27 Was immer im menschlichen Verstande ist, so die zentrale Aussage dieser Schrift, war zuvor in den Sinnen. Locke unterscheidet zwischen der Sinnesempfindung (sensation) und der Wahr‐ nehmung der Sinnesempfindung (reflection), wobei die reflection die sensation voraussetzt. Von da her lässt sich ermessen, wie er seine Aussage verstanden wissen will, dass alles, was im menschlichen Verstande ist, zuvor in den Sinnen war. 28 Lockes Lehre entwickelt Étienne Bonnot de Condillac in seiner Abhandlung über die Empfindungen (1754) zu einem reinen Sensualismus weiter. Wie schon für Locke, so steht auch für Condillac fest, „dass alle unsere Erkenntnisse aus den Sinnen stammen“ 29 . Er hebt sich von Locke jedoch insofern ab, als er den eben zitierten Satz für mangelhaft erklärt. Denn „wenn ich nicht weiss, wie sie daraus stammen, so werde ich glauben, dass wir sogleich alle Vorstellungen, die unsere Empfindungen in sich schliessen können, haben, wenn die Dinge Ein‐ drücke auf uns machen, und werde irre gehen“ 30 . Zwar verficht er mit Locke die Prüfung der (Un-)Vernünftigkeit dreier Kritiken an der Religion 148 <?page no="149"?> 31 Vgl. ebd., 2., VIII., S. 70. 32 Ebd., 4., VI., S. 129. 33 Vgl. ebd., 4., VI., S. 130 34 Ebd., 4. XI., S. 139. 35 Vgl. ebd., 1., XI., S. 40 oder 2., VIII., S. 66. 36 Vgl. hierzu etwa ebd., 2., IV., S. 51. 37 F E U E R B A C H , Das Wesen des Christentums, 21. Kap., S. 306. 38 D E R S ., Grundsätze der Philosophie der Zukunft, § 32, S. 87. Auffassung, dass der kognitive Prozess ausschliesslich bei den Empfindungen anhebt und die „Empfindungen die Quelle [aller] Kenntnisse“ sind, doch geht er über Locke insofern hinaus, als er die reflection verwirft und auf der alleinigen Basis der sensation „die Erinnerung an ihre vergangenen Empfindungen [als] ihren gesamten Inhalt“, ja als den „Inhalt aller unserer Erkenntnisse“ versteht. 31 Und wie aus der Empfindung eines einzelnen Dinges eine Einzelvorstellung wird, so ist „ein Schema, das zu mehreren Einzeldingen passt, eine allgemeine Vorstellung“ 32 . Ein Wesen oder eine Substanz aber gibt es für Condillac nicht, empfunden werde immer nur je Dieses. 33 Wenn nun „alle unsere Erkenntnisse aus den Sinnen“ 34 stammen, Gott aber mittels der Sinne nicht empfunden werden kann, kann das Da- und Sosein Gottes folglich auch nicht erkannt werden. Um in seinem System allerdings nicht ein Loch zu gewärtigen, spricht er - mit den Deisten seiner Zeit - vom „Weltschöpfer“ 35 , welcher unverkennbare Züge einer schöpferischen Natur (natura naturans) aufweist. 36 5.1.3 Die Zurückweisung des ontologischen Gottesbeweises Wer sich solch eine Sichtweise zu Eigen macht, der wird gemeinsam mit Feu‐ erbach Kants Kritik am ontologischen Gottesbeweis mit dem Vorwurf zurück‐ weisen: „Die Vernunft kann nicht ein Objekt von sich zum Objekt der Sinne machen. Ich kann nicht im Denken das, was ich denke, zugleich ausser mir als ein sinnliches Ding darstellen.“ 37 Ein Sensualist wie Condillac oder Feuerbach geht davon aus, dass ein Gegenstand nur durch die Sinne gegeben wird, „nicht durch das Denken für sich selbst“ 38 . Insofern verständlich, kann Feuerbach auf dieser erkenntnistheoretischen Grundlage das ontologische Argument nicht nachvollziehen. Unter veränderten erkenntnistheoretischen Vorzeichen wäre ihm das Verständnis allerdings nicht fern gestanden. Denn ganz deutlich bringt er im 21. Kapitel des Wesen[s] des Christentums zum Ausdruck, dass er den Ge‐ dankengang an und für sich nachzuvollziehen vermochte. Doch scheinen die sensualistischen Prämissen ein unüberwindliches Hindernis aufgebaut zu haben, ein Hindernis, dessen Nichtübersteigen offensichtlich nicht einem Mangel an intellektuellen Fähigkeiten anzulasten ist, sondern schon eher den 5.1 Der Mensch als Seinsgrund Gottes in Ludwig Feuerbachs anthropologischer Theologie 149 <?page no="150"?> 39 T H O M A S , Summa contra gentiles, Erster Band, Buch I, Kap. 11, S. 37. 40 Vgl. F E U E R B A C H , Das Wesen des Christentums, Vorrede zur zweiten Auflage, S. 19. 41 Ebd. 42 Ebd., 24. Kap., S. 342. 43 Ebd., 1. Kap., S. 43. zeitbedingten Vorurteilen, wozu insbesondere Kants kopernikanische Wende zu rechnen ist. Mit der Zurückweisung des ontologischen Gottesbeweises steht Feuerbach allerdings nicht alleine, wie sich weiter oben gezeigt hat, geht er mit dieser Ansicht mit verschiedenen anderen Denkern aus der christlichen Epoche einig. Doch war nichtsdestotrotz für viele dieser Denker die Existenz Gottes unumstösslich gewiss. Erinnert sei nur an Thomas von Aquin, der gegen das ontologische Argument einwandte - worauf weiter oben bereits hingewiesen wurde -, dass der Mensch Gott „nicht in ihm selbst schauen kann, sondern nur in seinen Wirkungen, und der somit nur durch Schlussfolgern zur Erkenntnis, dass Gott ist, geführt wird“ 39 . Wäre diese Methode - Schlussfolgerung von den Wirkungen auf die Ur‐ sache - nicht ganz nach Feuerbachs Muster? Ist es nicht im Sinne ebendieser Methode, wenn Feuerbach seine Gedanken auf Materialien gründet, „die wir uns stets nur vermittelst der Sinnentätigkeit aneignen können“ und „nicht den Ge‐ genstand aus dem Gedanken, sondern umgekehrt den Gedanken aus dem Ge‐ genstande“ erzeugen? 40 Den Ausgang bei der Wirkung, d. h. bei der sinnlichen Wahrnehmung der Welt, könnte er mit Thomas ja noch nehmen, doch scheitert er beim Schluss auf die Ursache. Denn erstens ist ihm nur das Gegenstand, „was ausser dem Kopf existiert“ 41 und zweitens ist das Erschlossene ja immer ein schon irgendwie Bekanntes. Wenn ihm aber nur Sinnliches bekannt ist, dann umgrenzt er seinen Gegenstandsbereich so eng, dass er den wesentlich unsinn‐ lichen Gott nicht mitumfassen kann. 5.1.4 Die Begründung seiner Behauptungen Feuerbach hat nicht nur den ontologischen Gottesbeweis als ungültig zurück‐ gewiesen, er hat die göttlichen Dinge insgesamt zu blossen Produkten der menschlichen Vorstellung erklärt. Doch womit begründet er diese Behaup‐ tungen eigentlich? Beruft er sich einzig und allein auf die sensualistischen Prin‐ zipien? Selbstverständlich argumentiert Feuerbach auf der Basis des Sensua‐ lismus, doch haben seine Argumente allemal einen originellen Gehalt. Wie begründet er nun etwa seine Behauptung: „Der Mensch ist der offenbare Gott“ 42 , bzw.: „der Gott des Menschen ist sein eignes Wesen“ 43 ? Und warum sagt der Mensch, was immer er „von Gott aussagt, […] in Wahrheit von sich selbst Prüfung der (Un-)Vernünftigkeit dreier Kritiken an der Religion 150 <?page no="151"?> 44 Ebd., 2. Kap., S. 75. 45 Ebd., 2. Kap., S. 53. 46 Ebd., 1. Kap., S. 39. 47 Ebd., 1. Kap., S. 38 f. 48 Ebd., 1. Kap. S. 39. 49 Ebd. 50 Vgl. ebd., 1. Kap., S. 43. 51 D E R S . Grundsätze der Philosophie der Zukunft, § 6, S. 37. 52 D E R S ., Das Wesen des Christentums, 3. Kap., S. 81. 53 D E R S ., Grundsätze der Philosophie der Zukunft, § 6, S. 37. aus“ 44 ? Ja warum kann Feuerbach behaupten: „Das Bewusstsein Gottes ist das Selbstbewusstsein des Menschen, die Erkenntnis Gottes die Selbsterkenntnis des Menschen“ 45 ? Wie aber versteht Feuerbach das Bewusstsein überhaupt und was macht ihm zufolge „die eigentliche Menschheit im Menschen aus“ 46 ? „Bewusst‐ sein im strengen oder eigentlichen Sinne und Bewusstsein des Unendlichen ist untrennbar; beschränktes Bewusstsein ist kein Bewusstsein; das Bewusstsein ist wesentlich allumfassender, unendlicher Natur.“ 47 „Aber was ist denn das Wesen des Menschen, dessen er sich bewusst ist“ 48 ? „Die Vernunft, der Wille, das Herz.“ 49 Augustinus hat mit diesen drei Kräften bekanntlich das Ziel erreicht, das er sich in seinem religionsphilosophischen Hauptwerk De trinitate gesteckt hatte, nämlich den Glauben an die Trinität Gottes durch die Herausarbeitung gewisser trinitarischer Strukturen im Menschen - dem Bilde Gottes - als ver‐ nünftig auszuweisen. Feuerbach hingegen veranlassen sie zu dem Urteil, dass „Wollen, Fühlen, Denken Vollkommenheiten sind“, was es unmöglich macht, „dass wir mit Vernunft die Vernunft, mit Gefühl das Gefühl, mit Willen den Willen als eine beschränkte, endliche d. i. nichtige Kraft empfinden und wahr‐ nehmen“. 50 Der Mensch ist sich seiner unendlichen Kräfte bewusst. Woraus Feuerbach folgert: „Die Vernunft, welche Gott als ein unbeschränktes Wesen denkt, die denkt in Gott nur ihre eigene Unbeschränktheit.“ 51 „Das reine, vollkommene, mangellose göttliche Wesen ist das Selbstbewusstsein des Verstandes, das Be‐ wusstsein des Verstandes von seiner eigenen Vollkommenheit.“ 52 „Der Beweis, dass das göttliche Wesen das Wesen der Vernunft oder Intelligenz ist, liegt darin, dass die Bestimmungen oder Eigenschaften Gottes […] Eigenschaften der Ver‐ nunft sind.“ 53 Insofern ist das Mass an Vernunft, über das ein gegebener Mensch verfügt, zugleich das Mass seines Gottes. „Denkst du Gott beschränkt, so ist dein Verstand beschränkt; denkst du Gott unbeschränkt, so ist auch dein Verstand 5.1 Der Mensch als Seinsgrund Gottes in Ludwig Feuerbachs anthropologischer Theologie 151 <?page no="152"?> 54 D E R S ., Das Wesen des Christentums, 3. Kap., S. 88. 55 Ebd., 2. Kap., S. 53. 56 Vgl. ebd., 2. Kap., S. 60. 57 Vgl. ebd., 2. Kap., S. 70. 58 Ebd., 2. Kap., S. 60. 59 Ebd., 2. Kap., S. 65. nicht beschränkt.“ 54 „Aus seinem Gotte erkennst du den Menschen, und wie‐ derum aus dem Menschen seinen Gott; beides ist eins.“ 55 5.1.5 Kritik an Feuerbachs Religionskritik Warum ist Gott nichts anderes als eine menschliche Vorstellung? Weil, so Feu‐ erbach, die Gott zugeschriebenen Eigenschaften (Liebe, Weisheit, Güte, Ver‐ stand, Existenz, Wesen 56 , Heiligkeit, Gerechtigkeit, Barmherzigkeit 57 ) Eigen‐ schaften des Menschen sind. Du glaubst an die Liebe als eine göttliche Eigenschaft, weil du selbst liebst, du glaubst, dass Gott ein weises, ein gütiges Wesen ist, weil du nichts Besseres von dir kennst als Güte und Verstand, und du glaubst, dass Gott existiert, dass er also Subjekt oder Wesen ist […], weil du selbst existierst, selbst Wesen bist. 58 Doch warum eigentlich ist Feuerbach sich dessen gewiss, dass diese Eigen‐ schaften exklusiv menschliche sind? Was gibt ihm die Gewissheit, dass es sich hierbei nicht um primär göttliche Eigenschaften handelt, an welchen der Mensch als Geschöpf Gottes teilhat bzw. teilhaben kann und soll? Die Begrün‐ dungen, mit denen Feuerbach seine Behauptungen zu stützen sucht, sind weder hinreichend noch überzeugend. Denn warum soll etwa der folgenden Behaup‐ tung zugestimmt werden: „Eine Eigenschaft ist nicht dadurch göttlich, dass sie Gott hat, sondern Gott hat sie, weil sie an und für sich selbst göttlich ist, weil Gott ohne sie ein mangelhaftes Wesen ist“ 59 ? Feuerbach hat deutlich erfasst, dass es sich bei den göttlichen Eigenschaften um Vollkommenheiten handelt, welche in beschränktem Masse auch im Menschen realisiert sind. Zugleich aber hat er erfasst, dass diese Eigenschaften Gott in ihrer reinsten Form zukommen. Alleine der Glaube überwindet nach ihm diesen Graben, alleine der Glaube personifi‐ ziert und vergegenständlicht diese Eigenschaften in ihrer reinsten und perso‐ nifizierten Form. Womit wieder eine seiner schlecht begründeten Behauptungen im Raume steht: Denn warum kann die Reinform einer Vollkommenheit nicht anders als eine menschliche Setzung sein? Müsste nicht zumindest auch die Möglichkeit in Betracht gezogen werden, dass das Mehr an objektiver Realität (realitas objectiva), d. h. die Reinform der im Menschen nur beschränkt reali‐ Prüfung der (Un-)Vernünftigkeit dreier Kritiken an der Religion 152 <?page no="153"?> 60 Vgl. D E R S ., Grundsätze der Philosophie der Zukunft, § 15, S. 56. 61 Ebd., § 15, S. 55 f. 62 Ebd., § 15, S. 56. 63 Ebd. 64 F. W. J. S C H E L L I N G , Urfassung der Philosophie der Offenbarung, S. 21. 65 Vgl. E M P E D O K L E S , Fragment 109, D I E L S - K R A N Z (Hrsg.), Die Fragmente der Vorsokra‐ tiker, Band I, S. 351. Zum empedokleischen Axiom und seiner philosophischen Begrün‐ dung vgl. weiter unten IV, 1.3 - „Der ordo amoris und das Phänomen der Wertblind‐ heit“. 66 S C H E L L I N G , Urfassung der Philosophie der Offenbarung, Vierte Vorlesung, S. 23. sierten Vollkommenheiten, in der Ursache vorhanden ist? Kann diese Ursache jedoch überhaupt weltimmanent sein, muss sie nicht vielmehr transzendent, ja göttlich sein? Feuerbach gibt im Übrigen selbst darüber Auskunft, weswegen ihn nichts von seiner Überzeugung hat abbringen können, dass Gott ein Anthropomor‐ phismus, eine menschliche Vorstellung ist. Zwar bezeichnet er es als „eine Aus‐ rede“, „man könne vom Übersinnlichen nichts wissen“. 60 „Man weiss nur dann nichts von Gott und göttlichen Dingen, wenn man von ihnen Nichts mehr wissen mag.“ 61 Denn: „Wofür das Herz offen, das ist auch dem Verstand kein Geheimnis.“ 62 Und als wären diese Worte noch nicht klar genug, fährt er im unmittelbaren Anschluss daran weiter, indem er die Folgen der voluntativen Abwendung wie folgt umreisst: So verlor denn auch die Menschheit in neuerer Zeit nur deswegen die Organe für die übersinnliche Welt und ihre Geheimnisse, weil sie mit dem Glauben an sie auch den Sinn für sie verlor, weil ihre wesentliche Tendenz eine antichristliche, antitheologi‐ sche, d. h. eine anthropologische, kosmische, realistische, materialistische Tendenz war. 63 Hat Feuerbach vielleicht Kenntnis erhalten von Schellings in den Jahren 1831 / 32 erstmals gehaltenen Vorlesungen über die Philosophie der Offenbarung? Ist er auf seine Worte aufmerksam geworden: „Wie der Mensch, so seine Philosophie - oder wie die Philosophie des Menschen, so er selbst“ 64 ? Ja, hat sich Feuerbach das von Schelling tradierte uralte Axiom 65 zu Herzen genommen, „dass das Er‐ kennende wie das Erkannte, und das Erkannte wie das Erkennende“ 66 ist? Wie immer es sich hiermit verhalten mag, mit seinen zuletzt genannten Worten lässt Feuerbach jedenfalls tief in sein Innenleben blicken. Da er sich im Klaren darüber zu sein scheint, dass das intellektuelle Vermögen des volunta‐ tiven Beitrags bedarf, sind seine Behauptungen und Begründungen als Be‐ kenntnis zu werten, diesen voluntativen Beitrag nicht aufzubringen. Letztlich interessiert hier aber nicht Feuerbachs Willensrichtung - davon wird weiter 5.1 Der Mensch als Seinsgrund Gottes in Ludwig Feuerbachs anthropologischer Theologie 153 <?page no="154"?> 67 Vgl. unten IV, 1.4 - „Hat Feuerbachs Nichterkennen der Existenz Gottes moralische Gründe? “ 68 Vgl. F E U E R B A C H , Grundsätze der Philosophie der Zukunft, § 51, S. 106. 69 Ebd., § 32, S. 87. 70 Vgl. ebd. 71 Vgl. ebd., § 38, S. 92. 72 Vgl. ebd., § 48, S. 102. 73 Ebd., § 51, S. 106. 74 Ebd. unten zu handeln sein 67 -, sondern die göttliche Sache an sich selbst. Sie soll in der Folge in den Blick genommen und methodisch freigelegt werden. Dazu ist in erster Linie der Nachweis erforderlich, dass die Sinne nicht alleine die Wahr‐ nehmung von kontingenten Gegenständen ermöglichen, sondern die Sinnes‐ wahrnehmungen vielfach Hand in Hand gehen mit der Wahrnehmung von Notwendigem. Es wird sich zeigen, wie der Mensch bei der - nicht bloss ana‐ lytischen, sondern synthetischen - Erkenntnis eines notwendigen Objektes eine Gewissheit erlangen kann, die den von Feuerbach eingeforderten Konsens als Wahrheitskriterium 68 als unangemessen und erzwungen erscheinen lässt. Was allerdings nicht so verstanden sein will, dass tatsächlich alle Menschen die die Sinnlichkeit übersteigenden Erkenntnisse mit Evidenz erlangen. Denn dazu be‐ darf es immer auch des bereits erwähnten voluntativen Beitrags. Wenngleich gewisse Erkenntnisse auch ohne ihn erlangt werden können, so handelt es sich dabei immer um neutrale Objekte. Sobald es sich jedoch um bedeutsame Objekte handelt, ist der voluntative, der intellektöffnende Beitrag unabdingbar. Wenn diese Nachweise sich erbringen lassen, werden Feuerbachs sensualistische Fun‐ damente von selbst einstürzen und den Weg zu einer Begründung der objektiven Existenz Gottes freigeben. 5.1.5.1 Erkenntnistheoretische Grundlegung der Antikritik „Nur durch die Sinne wird ein Gegenstand im wahren Sinn gegeben“ 69 , nur durch die Sinne erschliesst sich Feuerbach zufolge die Wirklichkeit. 70 Wie aber kann man sich ihrer gewiss sein, wie mit Sicherheit wissen, dass das Wahrgenommene sich auch in Wirklichkeit so verhält? Feuerbachs sensualistische Grundfeste ge‐ raten hier bedenklich ins Wanken. Denn einerseits erklärt er die Sinnlichkeit zum unmittelbaren Zugang zu unbezweifelbarem Wissen 71 und „das durch die sinnliche Anschauung sich bestimmende und rektifizierende Denken“ zum „Denken objektiver Wahrheit“, 72 andererseits scheint dieses unbezweifelbare Wissen so unbezweifelbar gerade nicht zu sein, muss doch immer auch „die Probe der Objektivität“ 73 bestanden werden. Welche dann bestanden ist, „wenn sie der andere ausser Dir, dem sie Objekt sind, auch anerkennt“ 74 . Wenn die Prüfung der (Un-)Vernünftigkeit dreier Kritiken an der Religion 154 <?page no="155"?> 75 Vgl. ebd. § 33, S. 88-90. 76 Vgl. D E R S ., Das Wesen des Glaubens im Sinne Luthers, S. 64. 77 Vgl. ebd. 78 Die Intentionen, die das Wesen der Liebe ausmachen, hat von Hildebrand gründlich herausgearbeitet und deutlich von allen Phänomenen abgegrenzt, die häufig als Liebe bezeichnet werden. Bei allen Arten der Liebe im natürlichen Bereich finden sich die intentio unionis (vgl. von H I L D E B R A N D , Das Wesen der Liebe, Kap. VI) und die intentio benevolentiae (vgl. ebd., Kap. VII), je nach Art der Liebe aber in unterschiedlicher Ge‐ wichtsverlagerung. So überwiegt bei der ehelichen Liebe beispielsweise die intentio unionis, währendem der intentio benevolentiae bei der Liebe zu den Kindern der Vorrang zukommt. Objektivität einer Wahrheit jedoch nur zukommt, sofern ein intersubjektiver Konsens besteht, steht die Unbezweifelbarkeit solchen Wissens doch auf ziem‐ lich wackligen und v. a. auf manipulier- und beeinflussbaren Füssen. Wo und wie die objektive Wahrheit auf evidente, den intersubjektiven Kon‐ sens erübrigende Weise erkannt werden kann, sei in der Folge dargetan. Dabei wird die weiter oben dargelegte Erkenntnistheorie Dietrich von Hildebrands einer praktischen Anwendung zugeführt. Ausgangspunkt bildet die Wahrneh‐ mung eines hier und jetzt Gegebenen. Wofür sich die Liebe anerbietet, von der Feuerbach selbst an verschiedenen Stellen handelt. Ob er der Liebe eine einende Kraft beimisst und sie mit der Empfindung gleichsam in eins setzt 75 oder sie intentional auf das Wohl des anderen gerichtet sein lässt, 76 Feuerbach hat die Liebe offensichtlich erfahren. Das Wissen, das er durch diese Erfahrungen er‐ worben hat, würde er selbst wohl als unbezweifelbar bezeichnen, ansonsten hätte er die Selbstliebe kaum mit Bestimmtheit von den genannten beiden Lie‐ besarten abzugrenzen vermocht. 77 Er wusste, wie komplex die Liebe ist, er wusste, wie verschieden die Intentionen sind, die alle mit demselben Namen bezeichnet werden. 78 Doch wie und woher kommt ihm diese Gewissheit eigent‐ lich zu, seiner Erkenntnistheorie entsprechend sind seine Erfahrungen doch auf die Anzahl der gemachten Sinneswahrnehmungen beschränkt? Feuerbach fehlt zweifelsohne der archimedische Punkt, ihm fehlt der Grund, weswegen er sich seines Wissens um die Liebe so sicher ist. Kurzum: Ihm fehlt das Bewusstsein, dass es den kognitiven Zustand der unbezweifelbaren Gewissheit nur darum gibt, weil bestimmte Seiende über ein innerlich notwendiges Sosein verfügen und weil es einzig die in einem solchen Sosein gründenden Sachverhalte sind, die mit absoluter Gewissheit erkannt werden können. Um diese These dem Verständnis näher zu bringen, sei sie im Einzelnen aus‐ einandergesetzt. Ausgangspunkt bildet das schwerlich zu bestreitende Wort, dass das Wissen die Frucht des Erkennens ist, wie es sich mit einer gegebenen Sache in dieser oder jener Hinsicht verhält. So kann - mit Feuerbach - bei‐ 5.1 Der Mensch als Seinsgrund Gottes in Ludwig Feuerbachs anthropologischer Theologie 155 <?page no="156"?> 79 Vgl. A U G U S T I N U S , De trinitate, 9,5, S. 57 (CCSL 50, 298). spielsweise erkannt werden, dass die menschliche Person über die Kräfte des Denkens, Fühlens und Wollens verfügt, über Kräfte, die sich auf das Verhalten des Menschen sowohl zu sich selber wie zu anderem - seien es Personen, seien es apersonale Dinge - erstrecken. 79 Gleichermassen lässt sich mit Feuerbach die Erkenntnis erlangen, dass die Liebe das Merkmal aufweist, auf das Wohl des anderen gerichtet zu sein. Es lässt sich aber auch erkennen, dass der Nachbar heute heiter gestimmt ist, oder dass sein Sohn ein neues Auto fährt. Es ist un‐ bestreitbar, dass die letzteren Erkenntnisse sich von den beiden erstgenannten unterscheiden: Während die ersteren zu allgemeingültigem und unbezweifel‐ barem Wissen führen, kommen die letzteren nicht darüber hinaus, in ein Wissen nur einiger weniger Menschen und erst noch in ein subjektiv gefärbtes zu münden. Warum aber dieser Unterschied? Die Antwort ist in den jeweiligen Sachen selbst zu suchen, sie sind der Grund der kognitiven Unterschiede. Und zwar sind sie es insofern, als die einen Sachen kontingent, die anderen aber innerlich notwendig sind. Oder ist die Heiterkeit vielleicht ein notwendiger‐ weise zur genannten Person gehörendes Charakteristikum, oder allenfalls das Fahren eines neuen Autos zu seinem Sohn? Offensichtlich nicht! Wie aber steht es mit Denken, Fühlen, Wollen als selbstbzw. fremdbezogenen Akten und wie mit dem Wohlwollen als Element der Liebe? Gegenstand sind nicht mehr zwei individuelle Menschen - der genannte Nachbar und sein Sohn -, sondern Gegenstand sind nun zwei notwendige We‐ senheiten: die Person und die Liebe. Können auch sie in individuellen Menschen wahrgenommen werden, so deswegen, weil das betreffende Individuum trotz seiner Limitiertheit den Blick auf die notwendige Wesenheit freigibt. Wobei die Wesenheit dank ihrer inneren Notwendigkeit und Intelligibilität ein Verstehen von innen her und ein absolut gewisses Erkennen der in ihr gründenden Sach‐ verhalte ermöglicht. Was allerdings in jedem Falle die Erfahrung der betreff‐ enden Seienden bedingt, denn ohne beispielsweise das Sosein der Liebe erfahren zu haben, kann auch der Sachverhalt nicht erkannt werden, dass der Liebende um das Wohl des Geliebten bemüht ist. Wenngleich die Soseinserfahrung häufig auf der Basis einer Sinneswahrnehmung vonstatten geht, so heisst das allerdings nicht, sie könne nur so vonstatten gehen. Das Sosein kann z. B. auch bei der Lektüre eines literarischen Werks oder in einem Traum erfahren werden. Zur abschliessenden Erhellung sei mit von Hildebrand nochmals darauf auf‐ merksam gemacht, dass das Sosein eines jeden seienden Etwas eine Einheit ist. Ist das Sosein bei den einen chaotisch bzw. zufällig (z. B. bei einer Tonfolge, die keine Melodie ist), ist es bei den anderen trotz aller Sinnhaftigkeit kontingent Prüfung der (Un-)Vernünftigkeit dreier Kritiken an der Religion 156 <?page no="157"?> 80 F E U E R B A C H , Das Wesen des Christentums, 2. Kap., S. 64 f. (z. B. bei einem Krokodil), so ist es bei wieder anderen innerlich notwendig (z. B. bei der Liebe). Ein notwendiges Sosein zeichnet sich dadurch aus, dass es über eine innere Konsistenz verfügt, welche es unmöglich macht, dass es auch anders sein könnte, bei dem die Wegnahme auch nur eines Merkmals die Einheit zer‐ stören würde. Was im erkenntnistheoretischen Abschnitt dieser Untersuchung bereits aufgezeigt wurde und sich an der Liebe oder an der Wahrheit ebenso ermessen lässt wie an der Gerechtigkeit, der Zahl, dem Willen oder dem Ver‐ zeihen, um hier nur einige zu nennen. Nur diese in sich notwendigen Einheiten ermöglichen ein zweifelsfreies Erkennen ihres Verhaltens. Wobei es sich nicht um blosse Tautologien handelt, sondern um wissenserweiternde, um syntheti‐ sche Erkenntnisse, die a apriori erlangt werden und nicht durch empirische Be‐ obachtung fundiert sind. Doch warum und inwiefern weiss man eigentlich, ob ein gegebener Sachverhalt notwendig ist und mit absoluter Gewissheit erkannt werden kann? Weil der Sachverhalt ebenso notwendig ist, wie die notwendige Einheit, in der der Sachverhalt gründet. Worauf im erwähnten Abschnitt eben‐ falls hingewiesen wurde. Besitzt ein Seiendes also ein notwendiges Sosein, dann ist ein jedes seiner Verhalten, sei es zu sich selber, sei es zu anderem, ebenso notwendig wie das Sosein selbst. Das lässt sich an einem einfachen Beispiel aufzeigen: Die Zahl Zwei hat ein notwendiges Sosein, und da sie dies hat, ist auch das additive Verhalten zur Zahl Drei ein notwendiges, ein mit absoluter Gewissheit erkennbares: 2 + 3 = 5. 5.1.5.2 Die göttlichen Prädikate als menschliche Vergegenständlichung? Vor diesem Hintergrund zeichnen sich die Eigenheiten des Feuerbachschen Denkens deutlich ab, was die Entfaltung einer Stelle aus dem Wesen des Chris‐ tentums nur bestätigt: Ein wahrer Atheist, d. h. ein Atheist im gewöhnlichen Sinne, ist daher auch nur der, welchem die Prädikate des göttlichen Wesens, wie z. B. die Liebe, die Weisheit, die Gerechtigkeit Nichts sind, aber nicht der, welchem nur das Subjekt dieser Prädikate Nichts ist. Und keineswegs ist die Verneinung des Subjekts auch notwendig zugleich die Verneinung der Prädikate an sich selbst. Die Prädikate haben eine eigene, selb‐ ständige Bedeutung; sie dringen durch ihren Inhalt dem Menschen ihre Anerkennung auf; sie erweisen sich ihm unmittelbar durch sich selbst als wahr; sie bestätigen, be‐ zeugen sich selbst. Güte, Gerechtigkeit, Weisheit sind dadurch keine Chimären, dass die Existenz Gottes eine Chimäre, noch dadurch Wahrheiten, dass diese eine Wahrheit ist. 80 5.1 Der Mensch als Seinsgrund Gottes in Ludwig Feuerbachs anthropologischer Theologie 157 <?page no="158"?> 81 Schon Kant hat den Anstoss gegeben, das moralische Gesetz als eine von Gott unab‐ hängige Grösse zu denken. Vgl. K A N T , Kritik der Urteilskraft, § 87, S. 409-416. 82 F E U E R B A C H , Grundsätze der Philosophie der Zukunft, § 32, S. 87. 83 Vgl. ebd., § 41, S. 95. 84 Vgl. ebd., § 41, S. 96. 85 Vgl. oben I, 2.4 - „Die Frage nach dem Gewissheitskriterium, die Seinsweise der not‐ wendigen Wesenheiten und ihr metaphysischer Ort“. 86 F E U E R B A C H , Das Wesen des Christentums, 2. Kap., S. 64. 87 Erstveröffentlichung als Artikelserie in Frazer’s Magazine von 1861, in Buchform 1863. Feuerbach trennt die göttlichen Prädikate hier vom göttlichen Wesen, und wäh‐ rend er dieses zu einer Chimäre erklärt, spricht er jenen „eine eigene, selbstän‐ dige Bedeutung“ zu. 81 Inwiefern aber kommt Güte, Gerechtigkeit, Weisheit, Liebe eine selbständige Bedeutung zu und aus welchem Grund erweisen sie sich unmittelbar durch sich selbst als wahr? Die Antwort auf diese Frage ist seinem sensualistischen Prinzip zu entnehmen: „Wahrheit, Wirklichkeit, Sinnlichkeit sind identisch.“ 82 Daraus folgt nichts anderes, als dass den geistigen Haltungen (Gerechtigkeit usw.) darum eine selbständige Bedeutung zukommt und sie sich darum unmittelbar durch sich selbst als wahr erweisen, weil sie sinnlich wahr‐ genommen werden. Bekanntlich ist dem Sensualisten Feuerbach ja ausnahmslos alles ein Gegenstand der Sinne. 83 Und ob eine gegebene Sinneswahrnehmung mit der Wirklichkeit übereinstimmt, entscheidet sich für ihn im Zweifelsfalle am intersubjektiven Konsens 84 ; eine Lehre, die sich von der oben dargelegten grundsätzlich unterscheidet. Während das Gewissheitskriterium bei dieser die evidente Erkenntnis selbst ist und es keiner ausserhalb ihrer selbst gelegenen Begründung bedarf, 85 bleibt die Wahrheit bei jener - wie bereits gesagt - be‐ einfluss- und manipulierbar. Von da her ist die Gerechtigkeit, um nur eines der oben genannten „Prädikate des göttlichen Wesens“ 86 zu verwenden, so zu verstehen, dass die Mehrheit der Menschen sich explizit oder implizit darauf geeinigt hat, „jedem das Seine zu geben“ zu einem Sollensgebot zu erklären. Warum aber wird die Gerechtigkeit mehrheitlich so begriffen, dass es besser ist, gerecht zu sein, als es nicht zu sein? In sachlicher Hinsicht wird man nicht fehl gehen, Feuerbach ein Wort John Stuart Mills (1806-1873) in den Mund zu legen, der in seiner Schrift Utilitaria‐ nism - 1. Aufl. 1861 87 , also noch zu Lebzeiten Feuerbachs - das grösstmögliche Glück zum Ziel und Zweck menschlichen Handelns erklärt hat. Dabei sind die erstrebenswerten Dinge wegen der inhärenten Lust oder als Mittel zur Förde‐ rung von Lust bzw. zur Vermeidung von Unlust erstrebenswert. Und wie für Feuerbach, so bedarf die Verifizierung auch für Mill des Konsenses; freilich nicht mit unbestimmten Personen, sondern mit den Erfahrenen. Jedenfalls hat auch Prüfung der (Un-)Vernünftigkeit dreier Kritiken an der Religion 158 <?page no="159"?> 88 Vgl. F E U E R B A C H , Das Wesen des Glaubens im Sinne Luthers, S. 73. 89 Ebd., S. 77 90 D E R S ., Das Wesen des Christentums, 3. Kap., S. 81. 91 Ebd., 3. Kap., S. 80. Mill keinen erkenntnismässigen Zugang zu den Sachen selbst, auch seine Ge‐ wissheit ist abhängig vom Urteil anderer. Doch zurück zu Feuerbach. Nach ihm ist das Subjekt der göttlichen Prädikate eine menschliche Vergegenständlichung. Das heisst, der Mensch stellt in sich gewisse Eigenschaften fest, die er als positivwertig beurteilt und in vervoll‐ kommneter Form dem göttlichen Wesen zuschreibt. Was er deswegen tut, weil alleine das göttliche Wesen den menschlichen Wunsch nach Seligkeit zu befrie‐ digen vermag. 88 Insofern ist der Glaube an Gott aber „nichts anderes als das Wesen der Selbstliebe“ 89 . Wie immer diese Begründung beurteilt werden mag, entscheidend ist die Übereinstimmung mit der Wirklichkeit. Und gerade das ist die Frage: Ist das göttliche Wesen tatsächlich „das Selbstbewusstsein des Ver‐ standes, das Bewusstsein des Verstandes von seiner eigenen Vollkommenheit“ 90 ? Ja, zieht Feuerbach die angemessene Schlussfolgerung aus der folgenden Tat‐ sache: „Gott ist nicht, was der Mensch ist - der Mensch nicht, was Gott ist. Gott ist das unendliche, der Mensch das endliche Wesen; Gott vollkommen, der Mensch unvollkommen; Gott ewig, der Mensch zeitlich; Gott allmächtig, der Mensch ohnmächtig; Gott heilig, der Mensch sündhaft“ 91 ? Feuerbachs Intention jedenfalls ist unter Berücksichtigung seiner weiter oben genannten Thesen klar zu erkennen. Er behauptet, die göttlichen Eigenschaften seien die zu unendlicher Perfektion gesteigerten menschlichen Eigenschaften. Doch, ermöglichen die menschlichen Eigenschaften denn überhaupt eine Steigerung ins Unendliche? Und vor allem, können die göttlichen Eigenschaften überhaupt Steigerungsformen sein? Wenngleich die ethische Qualität der Sünd‐ haftigkeit zweifelsohne Raum bietet für eine axiologische Verbesserung, ebenso wie der menschliche Verstand für eine Steigerung der Intelligenz, so sind Un‐ endlichkeit, Vollkommenheit, Ewigkeit oder Allmacht weder steigerungsfähig noch können sie das Ergebnis einer Steigerung sein. Und zwar deswegen nicht, weil sie sich in der Welt nicht finden, sondern etwas schlechthin Neues sind. So etwa ist unter der göttlichen Eigenschaft der Ewigkeit nicht eine bloss potenti‐ elle Ewigkeit zu verstehen, d. h. ein beständiges Übergehen vom Noch-nicht-Sein zum Sein, welches im Übrigen ein metaphysisches Prinzip ausser seiner selbst bedingt, sondern ein absolutes Freisein von jedem Seinszu‐ wachs und Seinsverlust. Was immer jedoch in der Welt begegnet, unterliegt diesem Übergang. Folglich kann die Ewigkeit aus ihr nicht abgeleitet sein. Viel‐ mehr kann das Zeitliche nur aufgrund der Kenntnis des intelligiblen und not‐ 5.1 Der Mensch als Seinsgrund Gottes in Ludwig Feuerbachs anthropologischer Theologie 159 <?page no="160"?> 92 Das Unvollkommene kann nur durch die Kenntnis des Vollkommenen als unvoll‐ kommen erkannt werden. Vgl. B O N A V E N T U R A , Quaestiones disputatae de mysterio Tri‐ nitatis, q. 1, a. 1, 15, S. 46 f.: Item, si est ens diminutum sive secundum quid, est ens simpliciter: quia ens secundum quid nec esse nec intelligi potest, nisi intelligatur per ens simpliciter, nec ens diminutum nisi per ens perfectum, sicut privatio non intelligitur nisi per habitum. Josef Seifert hat dieses Argument dem Verständnis näher gebracht, indem er explizierte, dass „wir das Krumme unmöglich erkennen können ohne Verstehen des Geraden“ (S E I F E R T , Die natürliche Gotteserkenntnis als menschlicher Zugang zu Gott, S. 23). Oder mit den Worten Bonaventuras: „Wie könnte denn auch die Vernunft wissen, dies sei ein mangelhaftes und unvollkommenes Sein, wenn sie keine Kenntnis von einem Sein ohne jeden Mangel besässe? “ (B O N A V E N T U R A , Itinerarium mentis in Deum, III. Kap., S. 99) 93 Vgl. F E U E R B A C H , Das Wesen des Christentums, 3. Kap., S. 92. 94 Ebd. wendigen Wesens der Ewigkeit als Zeitliches überhaupt erst erkannt werden, wie schon Bonaventura gezeigt hat. 92 Ebenso wie mit der Ewigkeit verhält es sich mit der Unendlichkeit, der Allmacht und der Vollkommenheit. 5.1.5.3 Die einzigen Momente eines adäquaten Gottesbegriffs Bei den göttlichen Eigenschaften kann es sich nicht um anthropomorphe Vor‐ stellungen handeln. Und das nicht alleine deswegen, weil die göttlichen Eigen‐ schaften unerfindbar-notwendig sind, sondern auch deswegen, weil sie aus der defizitären Welt nicht abgeleitet werden können. Womit der Grund gelegt ist, um dem von Feuerbach abgelehnten ontologischen Gottesbeweis - id quo maius nihil cogitari possit - wieder in sein Recht zu verhelfen. Feuerbach hat ja be‐ hauptet, dass die Ineinssetzung von Gottes Existenz und Wesen nur ein vom Wesen des menschlichen Verstandes abgezogener Begriff sei. 93 Was er deswegen behauptet hat, „weil nur die Existenz der Vernunft Vernunft ist; weil, wenn keine Vernunft, kein Bewusstsein wäre, alles nichts, das Sein gleich Nichtsein wäre“ 94 . Die Gebrechlichkeit dieses Arguments liegt offen zutage, denn einerseits kann die notwendige reale Existenz ebensowenig wie die Ewigkeit aus dem Bereich des Endlichen abgeleitet werden, andererseits hat er den Kern des ontologischen Arguments damit gerade nicht erfasst. Das ontologische Argument zielt auf die Einsicht, dass Gott aufgrund seiner unendlichen personalen und sittlichen Voll‐ kommenheit notwendigerweise existiert, ja nur als Existierender vollkommen ist. Dagegen ist es evident, dass die menschliche Vernunft nicht notwendiger‐ weise existieren muss; verwiesen sei nur auf einen Tyrannen, der mithilfe seiner Vernunft vieles getan hat, was er besser nicht getan hätte, sodass es für die Betroffenen eine Erleichterung sein wird, wenn sie Kenntnis von seinem Tod erhalten. Prüfung der (Un-)Vernünftigkeit dreier Kritiken an der Religion 160 <?page no="161"?> 95 Vgl. D U N S S C O T U S , Quaestiones quodlibetales, q 5, n. 8, S. 125. 96 Vgl. A N S E L M , Proslogion, 5. Kap., S. 29. 97 Zur ausführlicheren Besprechung der reinen Vollkommenheiten vgl. oben II, 4.4. Feuerbach, der der Erkenntnis des Sachverhalts der notwendigen Existenz des vollkommenen Wesens nahe stand, sie aber aus Gründen, die weiter unten noch zu beleuchten sind, nicht erlangt hatte, hätte nicht bestreiten können, dass Ewigkeit, Unendlichkeit und Allmacht - um seine oben genannten Eigen‐ schaften wieder aufzunehmen -, werden sie als Prädikate des göttlichen Wesens gedacht, sich gegenseitig nicht ausschliessen, sondern gegenseitig verträglich sind. 95 Das wird durch die Eigenschaft der Vollkommenheit nur bestätigt. Ewig‐ keit, Unendlichkeit, Allmacht und Vollkommenheit grenzen sich gegenseitig nicht aus, vielmehr weisen sie eine gegenseitige Harmonie und Verträglichkeit auf, die solcherart ist, dass sie erst in der Einheit mit allen anderen im vollen Masse sie selber sind. Mit einem Beispiel: Ewigkeit ohne Unendlichkeit ist keine Ewigkeit. Hierein fügen sich auch die von Feuerbach angeführten Eigenschaften der Gerechtigkeit, der Liebe, der Weisheit oder der Güte. Auch sie sind mit der Unendlichkeit, der Ewigkeit usw. verträglich, ja sind erst in der Einheit mit allen anderen wahrhaft sie selber. Und ist irgendeine Eigenschaft mit einer anderen nicht verträglich, so handelt es sich bei der einen oder der anderen oder vielleicht auch bei beiden mit Sicherheit nicht um Attribute des vollkommenen Wesens. Die von Feuerbach angeführten Eigenschaften sind jedoch nicht nur gegen‐ seitig verträglich, Feuerbach, der über nicht gering zu schätzende philoso‐ phisch-theologische Kenntnisse verfügte, wollte sie bestimmt auch in dem Sinne verstanden wissen, in dem Anselm von Canterbury die göttlichen Eigenschaften verstanden hat, nämlich, dass sie zu haben oder zu sein absolut besser ist als sie nicht zu haben oder nicht zu sein. 96 Diese formalen Merkmale genügen, um zu verdeutlichen, dass Feuerbach sich in seinen anthropologisch-theologischen Ausführungen ausnahmslos auf solche Eigenschaften bezogen hat, die die Tradition als reine Vollkommenheiten be‐ zeichnet. 97 Seien dies nun exklusiv göttliche Eigenschaften wie die Ewigkeit oder die Allmacht, oder seien dies Eigenschaften wie die Gerechtigkeit, die Barm‐ herzigkeit, die Liebe, die Weisheit oder die Güte, welche auch den Menschen zukommen, von ihnen allen handelt Feuerbach, ohne zu bemerken, dass der ständig drohende und allüberall in der Welt zu beobachtende Verlust der Exis‐ tenz nur dem zukommen kann, was unvollkommen ist. Beim vollkommenen Wesen dagegen sind Sein und Wesen identisch, ja müssen identisch sein, denn 5.1 Der Mensch als Seinsgrund Gottes in Ludwig Feuerbachs anthropologischer Theologie 161 <?page no="162"?> 98 Nach Leibniz „kommt allein Gott oder dem notwendigen Sein das Privileg zu, dass es existieren muss, wenn es möglich ist. Wie nichts die Möglichkeit dessen verhindern kann, worin keine Schranken eingeschlossen sind, keine Negation und folglich kein Widerspruch, genügt dies, um die Existenz Gottes a priori zu erkennen“ (Gottfried Wil‐ helm L E I B N I Z , Monadologie, Nr. 45, S. 129). 99 Wenn im Anschluss an die Religionskritik von Feuerbach nun auch diejenige von Ludwig Wittgenstein (1889-1951) untersucht wird, dann ist die Frage berechtigt, warum in einer Untersuchung zur Religionsphilosophie bei Dietrich von Hildebrand auf Wittgenstein eingegangen wird, mit dem von Hildebrand sich doch in keiner seiner Schriften beschäftigt, ja ihn nicht einmal erwähnt hat. Philosophiehistorisch gesehen, ist Wittgenstein aus der Perspektive von Hildebrands tatsächlich nicht von Belang. Wenn an dieser Stelle aber dennoch auf ihn eingegangen wird, dann hat dies sachliche Gründe, welche sich im weiteren Verlauf immer deutlicher abzeichnen werden. Soviel jedenfalls sei gleich vorweg genommen: Trotzdem von Hildebrand sich nicht direkt mit Wittgenstein auseinandergesetzt hat, enthalten seine philosophischen Schriften ver‐ schiedene Stellen, die mit Wittgenstein zumindest indirekt nicht konform gehen. Und diesen Differenzen gilt das Interesse auf den folgenden Zeilen. Dabei werden Witt‐ gensteins religionskritische Thesen und ihre Begründung analysiert und einer philo‐ sophischen Prüfung unterzogen. 100 Ludwig W I T T G E N S T E I N , Logisch-philosophische Abhandlung. Tractatus logico-philoso‐ phicus, 4.0031, S. 30. 101 D E R S ., Philosophische Untersuchungen, Nr. 119, S. 83. 102 D E R S ., Vortrag über Ethik, S. 358 f. 103 Vgl. ebd. S. 358. vollkommen ist nur das Wesen, das den Grund seiner Existenz in sich selber hat, und das ist eben gerade seine Vollkommenheit. 98 5.2 Ludwig Wittgensteins Behauptung der Unsinnigkeit religiöser Aussagen 99 Nach Kants kopernikanischer Wende und Feuerbachs Reduzierung der Existenz Gottes auf eine anthropomorphe Vorstellung, trat Ludwig Wittgenstein (1889-1951) mit seiner sprachkritischen Wende (linguistic turn) auf den Plan: „Alle Philosophie ist ‚Sprachkritik‘.“ 100 Wie schon Kant und ebenso auch Feuer‐ bach die Möglichkeit metaphysischer Erkenntnisse als unbegründbar betrach‐ teten, so verstand auch Wittgenstein die Ergebnisse der Philosophie als „Ent‐ deckung irgendeines schlichten Unsinns und Beulen, die sich der Verstand beim Anrennen an die Grenze der Sprache geholt hat“ 101 . „Dieses Anrennen gegen die Wände unseres Käfigs ist völlig und absolut aussichtslos.“ 102 Weil in der Ethik und in der Religion aber trotzdem über diese Grenze der Sprache hinauszuge‐ langen gesucht werde, mache „ihre Unsinnigkeit ihr eigentliches Wesen“ aus. 103 „Die Grenze wird also nur in der Sprache gezogen werden können und was Prüfung der (Un-)Vernünftigkeit dreier Kritiken an der Religion 162 <?page no="163"?> 104 D E R S ., Logisch-philosophische Abhandlung, Vorwort, S. 7. 105 D E R S ., Philosophische Untersuchungen, Nr. 116, S. 82. 106 Ebd., Nr. 118, S. 83. 107 D E R S ., Über Gewissheit, Nr. 455, S. 210. 108 D E R S ., Philosophische Untersuchungen, Nr. 23, S. 26. 109 D E R S ., Über Gewissheit, Nr. 560, S. 232. 110 Joachim S C H U L T E , „Ich bin meine Welt“, 5., S. 211. 111 W I T T G E N S T E I N , Logisch-philosophische Abhandlung, 4.0311, S. 34. 112 Ebd., 2.01, S. 9. 113 Ebd., 4.01, S. 30. 114 Ebd., 5.6-5.61, S. 86. 115 Peter M. S. H A C K E R , Einsicht und Täuschung. Wittgenstein über Philosophie und die Me‐ taphysik der Erfahrung, S. 57. jenseits der Grenze liegt, wird einfach Unsinn sein.“ 104 Deswegen führe er selbst „die Wörter von ihrer metaphysischen, wieder auf ihre alltägliche Verwendung zurück“ 105 , denn „es sind nur Luftgebäude, die wir zerstören, und wir legen den Grund der Sprache frei, auf dem sie standen“ 106 . Zu dieser alltäglichen Verwen‐ dung der Sprache ist auch die Reduktion der Religion auf ein kulturell bedingtes Sprachspiel zu rechnen, mit der er den Unterschied verfehlt, der zwischen einem Wahrheitsanspruch und einem Sprachspiel liegt. „Alles Sprachspiel beruht da‐ rauf, dass Wörter und Gegenstände wiedererkannt werden“ 107 , „das Sprechen der Sprache ein Teil ist einer Tätigkeit, oder einer Lebensform“ 108 , und auch „der Begriff des Wissens ist mit dem des Sprachspiels verkuppelt“ 109 . Für Wittgenstein, zumal nach seinem Tractatus - für Joachim Schulte „ein Buch voller Lücken und Sprünge; ein Buch, in dem vieles nur angedeutet wird“ 110 -, zerfällt die Wirklichkeit in Dinge: „Ein Name steht für ein Ding, ein anderer für ein anderes Ding und untereinander sind sie verbunden, so stellt das Ganze - wie ein lebendes Bild - den Sachverhalt vor.“ 111 „Der Sachverhalt ist eine Verbindung von Gegenständen. (Sachen, Dingen.)“ 112 Ein Bild der Wirk‐ lichkeit schliesslich ist der Satz. „Der Satz ist ein Modell der Wirklichkeit, so wie wir sie uns denken.“ 113 Dabei bilden die Grenzen der Sprache zugleich die Grenzen jeder möglichen Erkenntnis, mit anderen Worten: „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt. Die Logik erfüllt die Welt; die Grenzen der Welt sind auch ihre Grenzen.“ 114 An der Erkenntnistheorie, so viel gleich zu Beginn, hatte Wittgenstein kein echtes Interesse, sein „zentrales Anliegen war vom Anfang bis zum Ende seiner philosophischen Laufbahn das Wesen der Sprache“ 115 . 5.2 Ludwig Wittgensteins Behauptung der Unsinnigkeit religiöser Aussagen 163 <?page no="164"?> 116 W I T T G E N S T E I N , Vorlesungen über den religiösen Glauben, II., S. 370. 117 Zu den Neopositivisten bzw. Logischen Positivisten oder Logischen Empiristen des Wiener Kreises gehören u. a. Moritz S C H L I C K , Rudolf C A R N A P , Otto N E U R A T H , Hans R E I C H E N B A C H , Bertrand R U S S E L , Ludwig W I T T G E N S T E I N , Ernst M A C H , Willard Van Orman Q U I N E . 118 Vgl. Einleitung, 1 - „Die immanente Weltanschauung und der Szientismus“. 119 Q U I N E , Naturalisierte Erkenntnistheorie, S. 105. 120 Vgl. ebd., S. 117. 121 W I T T G E N S T E I N , Vortrag über Ethik, S. 356. 122 Ebd. 5.2.1 Sprache und Wahrheit Auf welcher wissenschaftstheoretischen Basis Wittgenstein steht, zeigt sich etwa da, wo er vom Glauben an Gott handelt: „Was immer der Glaube an Gott sein mag, es kann kein Glaube an etwas sein, das wir nachprüfen oder durch Nachschauen herausfinden können.“ 116 Damit gibt er seine Zugehörigkeit zum sogenannten Wiener Kreis unmissverständlich zu erkennen, deren Mitglieder eine dezidiert empiristische und antimetaphysische Tatsachenforschung be‐ trieben. 117 Ein Mitglied war auch der weiter oben 118 eingeführte Willard Van Orman Quine, dessen naturalisierte Erkenntnistheorie Wittgensteins den‐ kerischen Hintergrund offen legt. Quine ging davon aus, „dass jegliche Bedeu‐ tungsgebung für Wörter letztlich auf Beobachtungen basieren muss“ 119 , welche selbst wiederum eine empirische Grundlage in der „Reizung der Sinnesrezep‐ toren“ haben. 120 Von da her ist auch Wittgensteins an die Religion gerichteter Unsinnigkeits‐ vorwurf zu verstehen. Fällt sie ihm doch gerade deswegen aus dem Rahmen der Wissenschaftlichkeit, weil sie die Gewissheit ihrer Sätze weder nachprüfen noch durch Nachschauen herausfinden könne. Seine Religionskritik begründet Witt‐ genstein mitunter auch dadurch, dass die religiöse Sprache ohnehin beständig Gleichnisse verwende. „Doch ein Gleichnis muss ein Gleichnis für etwas sein. Und wenn ich eine Tatsache mit Hilfe eines Gleichnisses beschreiben kann, muss ich ebenfalls imstande sein, das Gleichnis wegzulassen und die Fakten ohne es zu beschreiben.“ 121 Doch sobald das Gleichnis weggelassen und die zugrunde liegende Tatsache zu beschreiben versucht wird, „merken wir, dass es gar keine derartigen Tatsachen gibt. Und so scheint, was zunächst wie ein Gleichnis wirkte, nichts weiter zu sein als Unsinn“ 122 . Unsinnig sind die Sätze für Witt‐ genstein im Übrigen dann, wenn sie keine Verbindung mit einem Ding der - empirisch verstandenen - Wirklichkeit herstellen, währendem sie sinnlos in all jenen Fällen sind, in denen sie unabhängig von Sachverhalten in der Wirklich‐ keit wahr oder falsch sind, wie beispielsweise bei Kontradiktionen oder Tauto‐ Prüfung der (Un-)Vernünftigkeit dreier Kritiken an der Religion 164 <?page no="165"?> 123 Vgl. D E R S ., Logisch-philosophische Abhandlung, 5.143, S. 61. 124 Georg R ÖM P P , Ludwig Wittgenstein. Eine philosophische Einführung, S. 35. (Kursiv nicht im Orig.) 125 Vgl. W I T T G E N S T E I N , Logisch-philosophische Abhandlung, 6.53, S. 111. 126 Vgl. ebd., 6.54, S. 111. 127 Vgl. R ÖM P P , S. 156. 128 Siehe oben II, 4.2 - „Gaunilo und die erste Kritik am ontologischen Argument“. 129 Vgl. W I T T G E N S T E I N , Vermische Bemerkungen, S . 566. 130 Vgl. oben II, 4.4 - „Die reinen Vollkommenheiten als Gültigkeitsgrund des ontologi‐ schen Arguments“. 131 Vgl. W I T T G E N S T E I N , Vermische Bemerkungen, S. 571. 132 Vgl. ebd. 133 Ebd. logien. 123 „Danach können Sätze nur dadurch Sinn haben, weil und indem sie empirische Erkenntnisse herstellen.“ 124 So deckt sich das Gebiet der sinnvollen Sprache mit den Sätzen der Naturwissenschaft, mit dem einzig Sagbaren. 125 Doch wenn die Rede über die Naturwissenschaft die einzig sinnvolle Rede ist, so sei kritisch gefragt, sind dann auch alle seine einschlägigen Schriften Unsinn? Wenn er in diese Richtung auch zu tendieren scheint, 126 so kann innerhalb der Grenzen der Naturwissenschaft jedenfalls nicht bestimmt werden, dass nur die naturwissenschaftlichen Sätze sinnvoll sind. 127 Nicht anders als konsequent, weist er in seiner positivistischen Sichtweise das ontologische Argument ebenso zurück wie Gaunilo. 128 „Das Wesen Gottes verbürge seine Existenz“, wie er mit dieser Aussage konfrontiert ist, stellt er eine Frage, die der antimetaphysischen Linie gemäss ist, wie sie im Wiener Kreis vertreten wird: „Könnte man denn nicht auch sagen, das Wesen der Farbe ver‐ bürge ihre Existenz? “ 129 Wie sich weiter oben erwiesen hat, lässt sich die not‐ wendige Existenz des vollkommenen Wesens aus seinem Wesen erkennen. 130 Dass Wittgenstein das ontologische Argument auf die Farbe überträgt, demnach auch bei der Farbe das Wesen die Existenz verbürge, lässt auch bei ihm ein immanentistisches Weltbild durchscheinen. Wenn ihm auch klar ist: „Ein Got‐ tesbeweis sollte eigentlich etwas sein, wodurch man sich von der Existenz Gottes überzeugen kann“, und „dass die Gläubigen, die solche Beweise lieferten, ihren ‚Glauben‘ mit ihrem Verstand analysieren und begründen wollten“, so steht da nichtsdestotrotz ein Wort, mit dem er die Empirie zu übersteigen scheint und das als Soseinserfahrung gelesen werden kann, nämlich, dass „sie selbst durch solche Beweise nie zum Glauben gekommen wären“. 131 Vielmehr könne nur das Leben „zum Glauben an Gott erziehen“, wobei es „auch Erfahrungen [seien], die dies tun; aber nicht Visionen, oder sonstige Sinneserfahrungen, die uns die ‚Existenz dieses Wesens‘ zeigen, sondern z. B. Leiden verschiedener Art“. 132 Nur „das Leben kann uns diesen Begriff aufzwingen“ 133 . 5.2 Ludwig Wittgensteins Behauptung der Unsinnigkeit religiöser Aussagen 165 <?page no="166"?> 134 Vgl. D E R S ., Philosophische Untersuchungen, Nr. 1, S. 11 f. 135 Ebd., Nr. 1, S. 12. 136 D E R S ., Logisch-philosophische Abhandlung, 2.14, S. 14. 137 Vgl. ebd., 2.221, S. 16. 138 Vgl. ebd., 2.21, S. 16. 139 Vgl. ebd., 4.01, S. 30. 140 Ebd., 4.1, S. 38. 141 Ebd., 2.01, S. 9. 142 Ebd., 4.0311, S. 34. Was aber ist und wo findet sich eigentlich der Sinn? Die grundlegende Ant‐ wort findet sich in der bereits erwähnten Stelle aus der Einleitung seines Trac‐ tatus, wo es heisst, dass der Unsinn jenseits der Grenze der Sprache liege, was zugleich heisst: Der Sinn liegt innerhalb des Rahmens der Sprache. Wittgenstein bezeichnet das „Bild von dem Wesen der menschlichen Sprache“, indem er da‐ rauf verweist, dass die Wörter Gegenstände und die Sätze Verbindungen von solchen Benennungen sind. 134 „In diesem Bild von der Sprache finden wir die Wurzeln der Idee: Jedes Wort hat eine Bedeutung. Diese Bedeutung ist dem Wort zugeordnet. Sie ist der Gegenstand, für welchen das Wort steht.“ 135 Das Bild der Sprache ebenso wie jedes andere Bild bestehe darin, „dass sich seine Elemente in bestimmter Weise zueinander verhalten“ 136 . Und was das Bild darstelle, sei sein Sinn. 137 Wobei es Sinn nur insoweit habe, als es denk- und sagbar sei. Zudem stimme das Bild mit der Wirklichkeit überein oder nicht, sei es richtig oder unrichtig, wahr oder falsch. 138 Wobei die Wahrheitsdifferenz der Sprache, das heisst ihre Fähigkeit, zwischen wahren und falschen Aussagen zu unter‐ scheiden, sich nicht auf die Welt bezieht, sondern auf ihre logische Form. Das Bild der Wirklichkeit, so wie sie gedacht werde, sei der Satz. 139 „Der Satz stellt das Bestehen und Nichtbestehen der Sachverhalte dar.“ 140 Der Sachverhalt wiederum ist ihm „eine Verbindung von Gegenständen“ 141 : „Ein Name steht für ein Ding, ein anderer für ein anderes Ding und untereinander sind sie ver‐ bunden, so stellt das Ganze - wie ein lebendes Bild - den Sachverhalt vor.“ 142 Dem Sachverhalt kommt bei Wittgenstein jedoch nicht dieselbe Bedeutung zu, die ihm bei von Hildebrand und den anderen Realistischen Phänomenologen zukommt, denn während dem Sachverhalt hier die Form des a-Seins oder des nicht a-Seins eines B zukommt, identifiziert Wittgenstein ihn mit dem Satz. Dass er damit allerdings keinen angemessenen Zugang zur Wahrheit hat, zeigen ei‐ nige seiner Formulierungen, dann aber auch die Analyse der Wahrheit - im Sinne der Urteilswahrheit - selbst. Prüfung der (Un-)Vernünftigkeit dreier Kritiken an der Religion 166 <?page no="167"?> 143 Vgl. D E R S ., Philosophische Untersuchungen, Nr. 225, S. 141. 144 Vgl. D E R S ., Logisch-philosophische Abhandlung, 4.06, S. 36. 145 D E R S . Über Gewissheit, Nr. 199, S. 159. 146 D E R S ., Logisch-philosophische Abhandlung, 4.023, S. 33. 147 Ebd. 148 H A C K E R , Einsicht und Täuschung, S. 70. 149 W I T T G E N S T E I N , Logisch-philosophische Abhandlung, 6.37, S. 106. 150 A R I S T O T E L E S , Metaphysik IV, 7, 1011b26-28, S. 171. 151 W I T T G E N S T E I N , Vortrag über Ethik, S. 358 f. Mit der Wahrheit ist nach Wittgenstein der Satz verwoben, 143 wobei der Satz insofern wahr oder falsch sein kann, als er ein Bild der Wirklichkeit ist. 144 Wird wahr und falsch dabei jedoch als Übereinstimmung mit der Wirklichkeit zu verstehen gesucht, hat es für Wittgenstein „etwas Irreführendes, weil es ist, als sagte man ‚es stimmt mit den Tatsachen überein oder nicht‘, und es sich doch gerade frägt, was ‚Übereinstimmung‘ hier ist“ 145 . Aussagekräftig ist dann vor allem auch die folgende Stelle: „Wie die Beschreibung einen Gegenstand nach seinen externen Eigenschaften, so beschreibt der Satz die Wirklichkeit nach ihren internen Eigenschaften.“ 146 Das heisst: „Der Satz konstruiert eine Welt mit Hilfe eines logischen Gerüstes und darum kann man am Satz auch sehen, wie sich alles Logische verhält, wenn er wahr ist.“ 147 Damit gibt er die Grundzüge seines Denkens deutlich zu erkennen, nämlich einerseits den Empirismus mit seiner Behauptung, dass die Sinneswahrnehmung die einzige Quelle der Er‐ kenntnis sei, andererseits die Analyse dieser Sinnesdaten bis hin zu einer Ver‐ selbständigung des Logischen. „Notwendige Wahrheit“, wie Hacker klarstellte, „ist immer eine Sache logischer Notwendigkeit, und die logische Notwendigkeit ist unabhängig davon, wie es sich in der Welt gerade verhält.“ 148 „Einen Zwang, nach dem Eines geschehen müsste, weil etwas anderes geschehen ist, gibt es nicht.“ 149 Aristoteles hatte die Wahrheit noch im Sinne der der Sache angemessenen Aussage definiert: „Zu sagen nämlich, das Seiende sei nicht oder das Nicht-Sei‐ ende sei, ist falsch, dagegen zu sagen, das Seiende sei und das Nicht-Seiende sei nicht, ist wahr.“ 150 Wittgenstein, der den Metaphysikern noch vorgeworfen hatte, ihr „Anrennen gegen die Wände unseres Käfigs [sei] völlig und absolut aussichtslos“ 151 , scheint selbst im logischen Gehäuse der Sprache gefangen ge‐ wesen zu sein. Von da her suchte er die Gewissheit auch nicht ausserhalb des logischen Raumes, sondern in den abstrakten Wissenschaften. Schon Hume schied die Erkenntnisse ja bekanntlich in apriorische und aposteriorische, wobei die aus der Erfahrung gewonnenen Erkenntnisse Tatsachen betreffen und 5.2 Ludwig Wittgensteins Behauptung der Unsinnigkeit religiöser Aussagen 167 <?page no="168"?> 152 Vgl. H U M E , Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand, Zwölfter Abschnitt, Über die akademische oder skeptische Philosophie, S. 175-193. 153 W I T T G E N S T E I N , Über Gewissheit, Nr. 651, S. 251. 154 R ÖM P P , Ludwig Wittgenstein, S. 160. 155 W I T T G E N S T E I N , Philosophische Untersuchungen, Nr. 116, S. 82. 156 Vgl. oben I, 2.1 - „Die Äquivokation des Begriffs der Erfahrung“. 157 Vgl. W I T T G E N S T E I N , Vortrag über Ethik, S. 358. apriorisch nur diejenigen der Logik und der Mathematik gewonnen werden. 152 Dem tat es Wittgenstein gleich, indem er die Gewissheit nicht im Reich „der relativen Unsicherheit von Erfahrungssätzen“ 153 suchte, sondern in dem der Logik und der Mathematik. In den Philosophische[n] Untersuchungen gab Wittgenstein die Reduktion der Sprache auf die naturwissenschaftliche Sprache auf und ersetzte sie durch die Sprachspiele. Nun war es ihm der Gebrauch der Sprache, durch den die Wörter sinnvoll werden, wobei ihm die Regelmässigkeiten der Sprache den Gewohn‐ heiten, Traditionen und Bräuchen entstammen. Wenn die Regelmässigkeiten der Sprache aber in den geschichtlich entstandenen und damit relativen Ver‐ haltens-, Sprech- und Argumentationsweisen gründen, dann handelt es sich um „geregelte Formen des Sprechens, die sich an keiner Sache und an keiner Ver‐ nunft ausweisen können und deshalb ganz einfach als ‚zufällig‘ gelten müssen“ 154 . Wenn Wittgenstein auch sagt, er führe „die Wörter von ihrer me‐ taphysischen, wieder auf ihre alltägliche Verwendung zurück“ 155 , so bleibt es nichtsdestotrotz eine offene Frage, warum die Alltagssprache die eigentliche Norm, die Metasprache sein soll. 5.2.2 Sind die religiösen Aussagen tatsächlich unsinnig? Dass auch die Erfahrung in einem bestimmten Sinn der Notwendigkeit nicht entbehrt, konnte weiter oben nachgewiesen werden. 156 An dieser Stelle sei nun Wittgensteins Behauptung einer näheren Prüfung unterzogen, dass die Unsin‐ nigkeit das eigentliche Wesen der religiösen (und ethischen) Aussagen aus‐ mache. 157 Deren Unsinnigkeit liegt ihm darin begründet, dass die Religion es nicht mit relativen, sondern mit absoluten Werturteilen zu tun habe, doch gebe es „keine Sätze, die in einem absoluten Sinne erhaben, wichtig oder belanglos Prüfung der (Un-)Vernünftigkeit dreier Kritiken an der Religion 168 <?page no="169"?> 158 Ebd., S. 352. 159 Damit steht Wittgenstein in einem gewissen Widerspruch zu Kant, der trotz seiner antimetaphysischen Einstellung sehr wohl zwischen Relativem und Absolutem zu un‐ terscheiden wusste. „In der ganzen Schöpfung kann alles, was man will, und worüber man etwas vermag, auch bloss als Mittel gebraucht werden; nur der Mensch, und mit ihm jedes vernünftige Geschöpf, ist Zweck an sich selbst“ (K A N T , Kritik der praktischen Vernunft, Erster Teil, Erstes Buch, Drittes Hauptstück, S. 118). Damit ist klar gesagt, dass der Mensch Zweck an sich selbst und damit ein absoluter Wert ist, währenddem allem Unvernünftigen eine nur relative Bedeutung zukommt. 160 W I T T G E N S T E I N , Vortrag über Ethik, S. 351. 161 Ebd., S. 359. 162 Vgl. P F ÄN D E R , Logik, I. Abschnitt, I. Kap., S. 31-35. Die anderen Satzarten, die Pfänder an dieser Stelle unterscheidet, sind neben den oben genannten Aussage- und Behaup‐ tungssätzen, die Fragesätze, die Wunschsätze und die Befehlssätze. 163 Vgl. ebd., I. Abschnitt, II. Kap., 2., S. 42-44 in Verbindung mit I. Abschnitt, V. Kap., S. 80 f. sind“ 158 . 159 Die relativen Werturteile hingegen sind „blosse Aussagen über Fak‐ tisches, doch keine Faktenaussage kann je ein absolutes Werturteil abgeben oder implizieren“ 160 . Auch gebe es keine diesbezügliche Aussagen, die das Wissen vermehrten, 161 also synthetisch sind. Kurzum: Weil die Religion ihre Aussagen empirisch nicht begründen und verifizieren könne, sei sie Unsinn. Wird dieser Vorwurf der Unsinnigkeit religiöser Aussagen und Urteile zum Problem gemacht, ist gleich zu Beginn zwischen vier Arten von Sätzen zu un‐ terscheiden, deren erste die Aussage- und Behauptungssätze sind, bei denen der Satz das Äussere und das Urteil das Innere ist, wie Alexander Pfänder differen‐ zierte, 162 der davon ausging, dass die Logik eine ontologische Grundlage hat. Was nämlich im Urteil behauptet wird, ist das Bestehen eines gegebenen Sach‐ verhalts. Das Urteil besteht dabei aus einem Subjekt, einem Prädikat und einer Kopula, welcher eine Doppelfunktion zukommt: nämlich das Hinbeziehen der Prädikatsbestimmtheit auf den Subjektsgegenstand und zugleich das Behaupten der Übereinstimmung des Urteils mit einem als bestehend gesetzten Sachver‐ halt. 163 Damit erhebt es den Anspruch, mit der Wirklichkeit übereinzustimmen und damit wahr zu sein. Sofern es mit dem Sachverhalt jedoch nicht überein‐ stimmt, ist das Urteil falsch. Hieran scheiterte Wittgenstein, der den Sachverhalt auf das Urteil bzw. den Satz reduzierte. Ein Satz kann aber ebenso wenig etwas meinen oder behaupten wie der Sachverhalt. In beiden Fällen bedarf es der Be‐ hauptung, dass das Verhalten der betreffenden Sache mit der Wirklichkeit über‐ einstimmt. Wird in diesem Sinne eine religiöse Aussage getätigt bzw. ein religiöses Urteil gefällt, beispielsweise, der endliche Mensch kann zu der unendlichen und voll‐ kommenen Person Gottes beten, dann liegen das Subjekt (die endliche Person) 5.2 Ludwig Wittgensteins Behauptung der Unsinnigkeit religiöser Aussagen 169 <?page no="170"?> 164 Zur erkenntnistheoretischen Grundlegung vgl. oben I, 2 - „Dietrich von Hildebrands Kritik an Kants transzendentalem Immanentismus und seine Begründung der Tran‐ szendenz in der Erkenntnis“. 165 David H U M E , Ein Traktat über die menschliche Natur, Buch III: Über Moral, Erster Teil, Erster Abschnitt, S. 547. 166 Vgl. ebd. und das Prädikat (zu der unendlichen und vollkommenen Person Gottes beten) nicht jenseits der Erfahrbarkeit und damit auch nicht der Erkennbarkeit. Sowohl das notwendige Sosein der menschlichen Person als auch dasjenige Gottes können von innen her erfahren und die darin gründenden Sachverhalte mit absoluter Gewissheit erkannt werden. 164 Und wenn die Prädikatsbestimmtheit des „Zu-der-unendlichen-und-vollkommenen-Person-Gottes-Betens“ auf den Subjektsgegenstand „Endliche Person“ bezogen und mit der Kopula „Können“ behauptet wird, mit dem wirklichen Bestehen dieses Sachverhalts übereinzu‐ stimmen, dann handelt es sich dabei mit Sicherheit nicht um ein unsinniges, sondern vielmehr um ein äusserst tiefsinniges Urteil. Ein anderes Beispiel wäre die Ableitung eines Sollens aus einem Sein, deren Begründbarkeit schon Hume bestritt. Sollte und sollte nicht könne nicht von einem ist oder ist nicht abgeleitet werden. Die Beziehung zwischen den Gegen‐ ständen des Seins und Sollens sei nicht in der Beziehung dieser Gegenstände selbst begründet, in der sie zueinander stünden. Es müsste, so Hume, „ein Grund angegeben werden für etwas, das sonst ganz unbegreiflich scheint, nämlich dafür, wie diese neue Beziehung zurückgeführt werden kann auf andere, die von ihr ganz verschieden sind“ 165 . Und überdies könne diese Beziehung nicht durch die Vernunft erkannt werden. 166 Jedoch, wie gegen Hume einzuwenden ist, wird niemand bestreiten, einmal abgesehen von einem ganz entarteten Menschen, dass das Sehen selbst eines unbekannten Kindes, mit der die eigene Person in keinerlei verwandtschaftlicher oder rechtlicher Beziehung steht, es aufgrund seiner Würde auf den ersten Anblick verbietet, es in irgendeiner Weise zu miss‐ handeln oder auszunützen. Im Sinne Humes wäre das ein Fehlschluss vom Sein auf das Sollen. Doch ist das tatsächlich ein Fehlschluss? Ist das nicht vielmehr eine unmittelbare Erfahrung des diesem Kind zukommenden Wertes der Men‐ schenwürde, die die eigene Person affiziert? Beim metaphysischen Urteil, dass unschuldige Kinder nicht misshandelt werden sollen, kann das „Nicht-miss‐ handeln-Sollen“ evidenterweise vom menschlichen Sein abgeleitet und apodik‐ tisch behauptet werden. Wobei es um die Sinnhaftigkeit in punkto Verstehbarkeit in diesen beiden Beispielen freilich ganz anders bestellt ist als bei einem Beispiel einer empiri‐ schen Tatsache, z. B., dass der Löwe ein Fleischfresser ist. Mit dem „sinnvollen Prüfung der (Un-)Vernünftigkeit dreier Kritiken an der Religion 170 <?page no="171"?> 167 Vgl. von H I L D E B R A N D , Ästhetik 2, 25. Kap., Das Medium der Sprache, S. 239. 168 Vgl. ebd., S. 238, Anm. 1. Vgl. auch D E R S ., Ästhetik 1, 7. Kap., S. 155. 169 D E R S ., Ästhetik 2, 25. Kap., S. 240. 170 Vgl. ebd. 171 Vgl. ebd., 25. Kap., S. 241. 172 Ebd. 173 Ebd. 174 Ebd. intellektuellen Prozess“ des Verstehens, das das „Wissen um die Bedeutung der Wörter und das Kennen der Sprache“ voraussetzt und dadurch „einen ganz ei‐ genen Typus der Erfahrung“ ermöglicht, 167 hat auch von Hildebrand sich aus‐ einandergesetzt. Grundlegend ist seine Differenzierung zwischen der Bedeu‐ tung eines Wortes, dem Begriff, dem Satz und dem Sachverhalt. Während die Bedeutung eines Wortes ein Begriff ist und das Wort auf einen Gegenstand zielt, zielt der Satz auf einen Sachverhalt. 168 Das Verstehen - „ein ausgesprochen re‐ zeptiver Akt, ein Aufnehmen“ 169 - unterscheidet er sodann in drei Stufen. Von diesen drei Stufen sind die ersten beiden Stufen, nämlich „die Belehrung über den Sinn eines Wortes“ und „die Festigung dieser Kenntnis, bis sie mir geläufig ist“, an dieser Stelle nicht von Relevanz, sondern einzig die dritte Stufe, nämlich „der Gebrauch des Wortes im Meinen des Objektes und im Behaupten eines Sachverhaltes durch einen Satz“. 170 Die Unterscheidung, die von Hildebrand auf dieser Stufe einführt, versteht sich von seiner Erkenntnistheorie her. So bezieht er sich in erster Linie auf die Fälle, bei denen „der Inhalt des Mitgeteilten oder Behaupteten ein wesensnot‐ wendiger Sachverhalt“ ist, dessen Verstehen in die Lage versetzt, „diesen selbst in seiner Evidenz zu erkennen“ und das Verstehen eine rationale Intuition der objektiven Existenz dieses Sachverhalts ermöglicht. 171 Darum ist die Mitteilung „nur ein Anlass, aber nicht die Quelle der Erkenntnis und unseres Wissens um seine Gültigkeit“ 172 . Auch ist die Existenz des Sachverhalts ebenso wie das Wissen um ihn durch das Wesen garantiert, in dem er gründet, und nicht durch die Aussage des Mitteilenden. Anders verhält es sich, wenn der Inhalt des Mitgeteilten oder Behaupteten „kein wesensnotwendiger Sachverhalt, sondern ein kontingentes Gesetz oder ein konkretes reales Faktum“ 173 ist. Im Falle einer solchen Mitteilung oder Be‐ hauptung beruht die Überzeugung von der Existenz des Sachverhalts darauf, dass sie der eigenen Person gesagt oder von jemandem niedergeschrieben wurde. „Jedenfalls ist das Verstehen nicht nur als Unterlage erforderlich, um eine rationale Intuition zu ermöglichen, sondern auf ihm baut sich ein Erfahren durch die betreffende Aussage auf, ein Annehmen des in ihr enthaltenen An‐ spruchs auf die Wirklichkeit des Mitgeteilten.“ 174 5.2 Ludwig Wittgensteins Behauptung der Unsinnigkeit religiöser Aussagen 171 <?page no="172"?> 175 W I T T G E N S T E I N , Logisch-philosophische Abhandlung, 4.024, S. 33. 176 Ebd. 177 D E R S ., Vermischte Bemerkungen, S. 495 f. 178 D E R S ., Zettel, Nr. 717, S. 443. 179 Etwa D E R S ., Vermischte Bemerkungen, S. 492, S. 495 oder S. 529, welche Schrift insgesamt zahlreiche Stellen enthält über Religion, Christentum, Evangelien, Glaube etc. 180 D E R S ., Vermischte Bemerkungen, S. 495. 181 Ebd. Sinngemäss in derselben Schrift auch S. 492. 182 Auf den Einfluss der Person auf ihre kognitiven Fähigkeiten wird weiter unten einzu‐ gehen sein. Vgl. IV, 1,3 - „Der ordo amoris und das Phänomen der Wertblindheit“. Werden diese Ausführungen über das Verstehen mit einer analogen Stelle bei Wittgenstein verglichen, zeigt sich der zwischen Wittgenstein und von Hilde‐ brand in Sachen der Philosophie bestehende Unterschied in aller Deutlichkeit. Es ist der Unterschied zwischen einem Logischen Positivisten und einem Rea‐ listischen Phänomenologen. Während das Verstehen für diesen eine rationale Intuition in das Wesen und die objektive Existenz eines gegebenen Sachverhalts ermöglicht, besagt das Verstehen für jenen, womit er sich jedoch nicht auf einen Sachverhalt, sondern auf den Satz bezieht: „wissen was der Fall ist, wenn er wahr ist“ 175 . Woraus er folgert: „Man kann ihn also verstehen, ohne zu wissen, ob er wahr ist.“ 176 Das gibt sein Bewegen in dem engen Gehäuse der Logik, ohne Bezug zur Objektivität, deutlich zu erkennen. Es gibt bei Wittgenstein allerdings auch Stellen, die ein philosophisches Ver‐ stehen der Religion und der personalen Bedingungen eines solchen Verstehens vermuten lassen. 177 Stellen, mit denen er seine These implizit in Frage zu stellen scheint. Dass er gewisse Merkmale der Religion verstanden hat, gibt er bei‐ spielsweise da zu erkennen, wo er vom Dialog des Menschen mit Gott handelt: „Gott kannst du nicht mit einem Andern reden hören, sondern nur, wenn du der Angeredete bist.“ 178 Vielsagend sind dann aber auch die Stellen, an denen er sich zu den Bedingungen des religiösen Verhältnisses äussert. 179 Doch schränkt er eine übertriebene Erwartung mit einer Aussage wieder ein, die einerseits zwar für eine gewisse Religiosität zu sprechen scheint, die andererseits aber seine Unsinnigkeitsthese untermauert: „Ich könnte ihn ‚das Vorbild‘, ja ‚Gott‘ nennen - oder eigentlich: ich kann verstehen, wenn er so genannt wird; aber das Wort ‚Herr‘ kann ich nicht mit Sinn aussprechen.“ 180 Nur unter der Voraus‐ setzung könnte ihm das etwas sagen, wie er bekennt, „wenn ich ganz anders lebte“ 181 . 182 Prüfung der (Un-)Vernünftigkeit dreier Kritiken an der Religion 172 <?page no="173"?> 183 Vgl. Alice von H I L D E B R A N D , Die Seele eines Löwen: Dietrich von Hildebrand, S. 99 f. 184 Vgl. Johannes B R A C H T E N D O R F , Augustins Begriff des menschlichen Geistes. 185 Vgl. A U G U S T I N U S , De trinitate, 9,4 (CCSL 50, S. 297). Geist, Liebe und Kenntnis (mens, amor, notitia) ist jedoch nicht die einzige Dreieinheit, die Augustinus unterscheidet. Ebenso kennt er Erinnerung, Einsicht und Wille (memoria, intelligentia, voluntas), um hier nur eine weitere und zwar jene Dreieinheit anzuführen, der der oben erwähnte Wille zugehört, der die Person zum Erkennen motiviert. 186 Vgl. A U G U S T I N U S , De trinitate, 9,5 (CCSL 50, S. 298). 5.2.3 Das Ineinander von Philosophie und Religion Dass die religiösen Aussagen nicht unsinnig sind, erweist sich nicht alleine daran, dass die Logik und die Erkenntnistheorie mit den Sachverhalten eine ontologische Grundlage haben, die - wie sich gezeigt hat - auf eine andere Art verstanden werden können als die Sätze (nämlich auf dem Wege einer rationalen Intuition), sondern auch daran, dass der Antwort des Glaubens eine intellek‐ töffnende Wirkung zukommen kann. Freilich ist dieses Erkennen aufgrund des Glaubens immer abhängig vom Gegenstand und der jeweiligen Glaubensinten‐ sität. Wären die religiösen Aussagen aber Unsinn, gäbe es in der Wirklichkeit kein ihnen entsprechendes Korrelat. Wenn dem Glauben jedoch eine vernunft‐ gemässe Wirkung eignet, muss auch das Korrelat real sein, dem Glauben ge‐ schenkt wird. Diese Erfahrung hat nicht nur von Hildebrand gemacht, 183 diese Erfahrung haben auch Denker wie Anselm von Canterbury oder Duns Scotus gemacht, die die Eigenschaften des vollkommenen Wesens zu unterscheiden wussten. Denn eindeutig gibt Anselm alleine schon im Titel seiner Schrift Pros‐ logion (Anrede) und sodann auch quer durch die ganze Schrift hindurch seinen Glauben an Gott zu erkennen, den er durch die von ihm beschriebenen Denk‐ schritte immer besser zu verstehen sucht und schliesslich auch besser versteht, entsprechend seinem Programm: fides quaerens intellectum. Bereits Augustinus verhalf der Glaube an die Trinität Gottes und an das Imago-Dei-Sein des Menschen zu überzeugenden philosophischen Einsichten in die Struktur des menschlichen Geistes. 184 Durch den Glauben an die Dreifaltig‐ keit Gottes vermochte er nicht nur dieselbe Struktur auch im Menschen auszu‐ machen, der mit Geist, Liebe und Kenntnis eine in sich geeinte Dreiheit dar‐ stellt. 185 Vielmehr erschloss er darüber hinaus auch das Wesen der Person, indem er darauf aufmerksam machte, dass der Geist nicht nur sich selbst kennt und liebt, sondern auch vieles andere. 186 Nicht zuletzt vermochte Augustinus auf dieser Basis auch das erkenntnistheoretische Problem zu klären, was die Einsicht in einen gegebenen Sachverhalt eigentlich bedingt. Zumindest zweierlei scheint es zu bedingen, nämlich die Person und das Objekt. Doch für Augustinus im‐ pliziert das Erkennen keine zweigliedrige, sondern eine dreigliedrige Struktur, 5.2 Ludwig Wittgensteins Behauptung der Unsinnigkeit religiöser Aussagen 173 <?page no="174"?> 187 Welche Bedeutung dem Willen im Erkenntnisprozess zukommt, hat von Hildebrand auf grundlegende Weise erklärt und begründet. Vgl. unten IV, 1.3 - „Der ordo amoris und das Phänomen der Wertblindheit“. 188 Vgl. von H I L D E B R A N D , Was ist Philosophie? , 8. Kap., S. 217. 189 Vgl. ebd., S. 216-218. 190 Augustinus definierte den Glauben in einem seiner letzten Werke als „zustimmendes Denken“: Nihil aliud est credere quam cum assensione cogitare. Vgl. A U G U S T I N U S , De praedestinatione sanctorum, 5 (PL 44, Sp. 963; in der verwendeten, im Literaturver‐ zeichnis angeführten Übersetzung findet sich die Stelle auf S. 247). 191 von H I L D E B R A N D , Das trojanische Pferd in der Stadt Gottes, III. Teil, 20. Kap., S. 235 f. (Kursiv im Orig.) denn zwischen dem Objekt und der Person ist es der Wille, der zur Erkenntnis motiviert. 187 Das Verhältnis zwischen der Vernunft und dem Glauben oder der Philosophie und der Religion hat darüber hinaus noch andere wesentliche Merkmale. Damit ist in erster Linie auf die Gegenstände Bezug genommen, die zugleich Korrelate des Glaubens wie der rationalen Erkenntnis sind, bei denen die philosophische Erkenntnis die Wahrheitsansprüche des Glaubens stützen kann. Dann aber zeichnet sich das Verhältnis zwischen Vernunft und Glaube auch dadurch aus, dass die Religion die philosophischen Grundwahrheiten voraussetzt. Etwa die Verschiedenheit von Körper und Geist, die menschliche Freiheit, die Verschie‐ denheit von gut und böse oder die Realität des personalen im Unterschied zum apersonalen Sein usw. Die religiösen Wahrheiten liegen dabei aber nicht abseits der philosophischen Grundwahrheiten, sondern über ihnen. 188 Ein erhellendes Beispiel dafür ist etwa die Würde des Menschen, die zweifelsohne ein Gegen‐ stand philosophischen Forschens ist, die durch den Glauben an die Menschwer‐ dung Gottes aber in einer ganz anderen Tiefe durchdacht werden kann. Auch die darin gründenden Sachverhalte erscheinen dann in einer wesentlich gestei‐ gerten Intelligibilität, als wenn der Mensch als ein höher entwickeltes Tier pos‐ tuliert wird. Das erklärt zumindest ansatzweise, warum und inwiefern von Hil‐ debrand die Philosophie eine Wegbereiterin der Religion (praeambulum fidei) nennt. 189 Weil der Glaube auf den philosophischen Grundwahrheiten aufbaut und sie durch die Zustimmung zu einer religiösen Wahrheit übersteigt. 190 Doch muss beim Vergleich einer vernünftigen Erkenntnis mit einem Akt des Glaubens eine klärende Unterscheidung gemacht werden: „Es schliesst keine ‚doppelte Wahrheit‘ ein, sondern ist von entscheidender Bedeutung innerhalb des Glaubens. Es ist der Unterschied zwischen Glaube an, und Glaube dass, der u. a. von Martin Buber und Gabriel Marcel gemacht wurde.“ 191 Aber nicht als ob Buber und Marcel die ersten gewesen wären, die diesen Unterschied machten, Prüfung der (Un-)Vernünftigkeit dreier Kritiken an der Religion 174 <?page no="175"?> 192 Vgl. ebd., S. 236, Anm. 4. 193 Nach Eugene T E S E L L E (Augustinus-Lexikon. Vol. 2, Sp. 119-131) verwendet Augustinus sogar drei verschiedene Arten des credere: credere deum, credere deo, credere in deum. Die Quellen werden a. a. O. genannt und die einschlägige Literatur angeführt. Das cre‐ dere Deum, das von Hildebrand nicht anführt, bezieht sich nach TeSelle auf den Ge‐ brauch des Verbs in seinem ältesten lateinischen Sinn des Etwas (Akk.) Jemandem (Dat.) anvertrauen (vgl. ebd., Sp. 121). 194 von H I L D E B R A N D , Das trojanische Pferd in der Stadt Gottes, III. Teil, 20. Kap., S. 236. 195 Ebd. 196 Ebd., S. 236 f. 197 Ebd., S. 238. 198 Vgl. ebd. vielmehr - worauf von Hildebrand aufmerksam macht 192 - ist schon bei Au‐ gustinus vom Unterschied zwischen credere in Deum und credere Deo zu lesen. 193 Jedenfalls ist der Glaube an, der Glaube an den persönlichen Gott. „Dieser Akt ist nicht eine Überzeugung, sondern eine spezifische Hingabe an eine Person. Ja, noch mehr, es muss die Hingabe an die absolute Person sein“ 194 . Der Glaube an ist jedenfalls keine theoretische Antwort, wie z. B. der Glaube an die Existenz des expandierenden Universums. Im Unterschied zu einem Glauben, der sich auf einen Sachverhalt bezieht, ist der Glaube an „ein allumfassender Akt“ 195 . Was aber meint: ein allumfassender Akt? Damit ist der religiöse Akt als solcher be‐ zeichnet, d. h. der „Akt, in dem die Person Gott nachfolgt, ihm anhängt, sich selbst mit Verstand, Wille und Herz an die absolute Person Gottes hingibt“ 196 . Der Glaube dass ist dagegen eine ausgesprochen theoretische Antwort. Seine Gegenstände sind Sachverhalte und nur Sachverhalte, nicht aber Personen. Mit der theoretischen Antwort des Glaubens dass verhält es sich im Grunde wie mit der theoretischen Antwort der Erkenntnis, dass … z. B. dass die menschliche Person eine Einheit aus Materiellem und Geistigem, aus Kontingentem und Notwendigem ist. Doch während bei der Erkenntnis, gerade im Falle eines in einer wesensnotwendigen Einheit gründenden Sachverhalts, das objektive Kor‐ relat selbst mit absoluter Gewissheit erkannt werden kann, ohne Bedürfnis nach weiteren Gewissheitskriterien, ist im Falle des Glaubens die eine Antwort gleichsam die Stütze der anderen. Oder mit den Worten von Hildebrands: „Der Glaube an ist gerade die Grundlage für den Glauben dass.“ 197 Sie sind so mitei‐ nander verwoben, dass jeder Mensch, der einen Glauben an hat, immer auch einen Glauben dass haben wird. 198 Die Untersuchung der religionskritischen These Wittgensteins, dass die religiösen Aussagen Unsinn, weil ohne wirklichen Gegenstand seien, auf den die Aussagen sich bezögen, sei mit einem Ausschnitt aus einem Werk beschlossen, das von Hildebrands letztem Lebensjahrzehnt entstammt: 5.2 Ludwig Wittgensteins Behauptung der Unsinnigkeit religiöser Aussagen 175 <?page no="176"?> 199 Ebd., S. 239. Wesentliche Anregungen zu dieser Kritik verdankt der Verfasser dem Ar‐ tikel von Josef S E I F E R T , Person, Religiöser Glaube und Wahrheit. Philosophische Analysen und Kritische Reflexionen über Ludwig Wittgensteins Religionsphilosophie. 200 Vgl. Richard D A W K I N S , Der Gotteswahn, 5. Kap., S. 242. 201 Ebd., 3. Kap., S. 109. Jedem Glauben an entspricht also nicht nur ein Glaube dass, der sich auf die von Gott geoffenbarten Wahrheiten bezieht, sondern auch ein anderer, der sich auf die Person selbst bezieht, an die wir glauben. Wenn wir z. B. schöne Musik hören und tief davon bewegt sind, so ist unser Erlebnis sicher nicht ein Urteil, dass diese Musik schön ist. Es ist vielmehr der direkte Kontakt mit der Schönheit der Musik, ein Ergriffensein von ihr und eine Antwort der Begeisterung. Aber ohne jeden Zweifel halten wir dabei das Urteil ‚diese Musik ist schön‘ implizit für wahr. Das ist nur ein schwacher Vergleich, aber er mag genügen um zu zeigen, in welcher Weise jeder Glaube an implizit einen Glauben einschliesst, dass der Gegenstand unseres Glaubens, die Person, an die wir glauben, existiert und dass sie in allem so ist, dass ihr der Glaube an gebührt. 199 5.3 Richard Dawkins und der „Neue Atheismus“ 5.3.1 Thesen und Begründung Vor dem Hintergrund des Aufweises der Erkennbarkeit Gottes und der Wider‐ legung der Thesen Ludwig Wittgensteins sei der Stimme von Richard Dawkins (1941-) Gehör geschenkt, der sich mit seiner im Jahre 2006 erstmals im engli‐ schen Original erschienen Monografie The God Delusion (Der Gotteswahn) gegen die theistischen Religionen und insbesondere gegen die drei abrahamiti‐ schen Religionen gewandt hat. Sein Buch gilt seither als einer der Haupttexte des „Neuen Atheismus“. Dawkins’ zentrale These, die im Rahmen dieser Unter‐ suchung relevant ist, lautet, dass die Religion „ein unglückliches Nebenprodukt einer grundlegenden psychologischen Neigung“ sei, „die unter anderen Um‐ ständen nützlich sein kann oder früher einmal nützlich war“. 200 Wie aber be‐ gründet er diese Behauptung, die der auf den vergangenen Seiten dargelegten und philosophisch wohlbegründeten Lehre diametral entgegengesetzt ist? Dawkins Schrift ist in zehn Kapitel gegliedert, von denen in diesem Abschnitt die Kapitel drei bis sieben thematisiert werden. Im dritten Kapitel beschäftigt er sich unter anderem mit den klassischen Argumenten für die Existenz Gottes, und kritisiert an den bekannten fünf Wegen des Thomas von Aquin, „dass Gott selbst gegen die Regression immun ist“ 201 . Dabei geht es ihm um die in die un‐ endliche Regression verlaufende Frage nach dem Ursprung Gottes, nach dem Prüfung der (Un-)Vernünftigkeit dreier Kritiken an der Religion 176 <?page no="177"?> 202 Ebd., 4. Kap., S. 166. 203 Ebd., 3. Kap., S. 113 f. 204 Ebd., 3. Kap., S. 116. 205 Ebd. 206 Ebd., 3. Kap., S. 118. 207 Ebd., 4. Kap., S. 210. 208 Vgl. B L O N D E L , Der philosophische Weg, S. 161. 209 D A W K I N S , Der Gotteswahn, 4. Kap., S. 161. Gestalter des Gestalters. „Die Lösung ‚Gott‘ beendet also nicht die unendliche Regression, sondern verstärkt sie ganz gewaltig.“ 202 Das ontologische Argument bezeichnet er sodann als das „kindische Argument“, aus dem „aus trickreichen Wortverdrehungen grossartige Schlussfolgerungen hervorgehen sollen“. 203 Er bekundet „ein automatisches, tiefes Misstrauen gegenüber jedem Gedanken‐ gang, der zu einer derart bedeutsamen Schlussfolgerung gelangt, ohne dass auch nur eine einzige Erkenntnis aus der Wirklichkeit dazu beigetragen hätte“ 204 . Vielleicht, wie er eingestehen muss, „zeigt das einfach nur, dass ich kein Philo‐ soph bin, sondern Naturwissenschaftler“ 205 , womit er gerade da positioniert ist, wo auch Gaunilo stand. Hatte Dawkins die Argumente des Thomas von Aquin immerhin noch dahingehend kritisieren können, dass doch auch Gott einer Antwort auf das Woher bedarf, so bringt er keinerlei Verständnis mehr auf dafür, dass „Existenz […] ein Zeichen für Vollkommenheit“ 206 ist. Auch weiss er mit der Einfachheit Gottes nichts anzufangen. „Ein Gott, der ständig den Zustand jedes einzelnen Teilchens im Universum überwacht und kontrolliert, kann nicht einfach sein. Seine Existenz erfordert schon als solche eine ungeheuer umfangreiche Erklärung.“ 207 Hieran zeigt sich Dawkins Unver‐ ständnis für die philosophische Methode ebenso wie sein szientistischer Zugang, denn wesentlich einfacher als die empirische ist die philosophische Erkennt‐ nismethode. Während diese nämlich auf das Erfassen des Wesens des Seienden abzielt, geht jene beobachtend um das Seiende herum. Während die Naturwis‐ senschaften von vielen Beobachtungen auf das betreffende Arturteil schliessen, bedarf die Philosophie nicht des Vielerleis an Einzelbeobachtungen. Sie kann das Sosein prinzipiell an einem einzigen Beispiel erfassen. Auch Maurice Blondel wusste darum, dass das Sein umso mehr inneren Reichtum hat, je mehr es eins ist. 208 Die Suche nach einem Argument für die Existenz Gottes ist für Dawkins insgesamt ein Beweis dafür, dass das Bewusstsein der betreffenden Personen noch nicht erweitert wurde. „[D]er grösste wissenschaftliche Bewusstseinser‐ weiterer, den es je gab“, ist ihm „Darwins Theorie der Evolution durch natürliche Selektion“. 209 Die Theorie der natürlichen Selektion geht auf Charles Darwin (1809-1882) zurück, der mit seiner 1859 in London erstmals erschienen Schrift 5.3 Richard Dawkins und der „Neue Atheismus“ 177 <?page no="178"?> 210 Ebd., 4. Kap., S. 196. 211 Ebd., 4. Kap., S. 198. 212 Die Urknallhypothese sucht zu suggerieren, dass von Nichts nicht Nichts, sondern der ganze Kosmos in seiner unermesslichen Fülle komme. Verschiedene Philosophen haben die kritische Frage schon aufgeworfen, warum überhaupt etwas sei und warum nicht vielmehr Nichts (vgl. etwa die bereits zitierten L E I B N I Z , Auf Vernunft gegründete Prin‐ zipien der Natur und der Gnade, Nr. 7, S. 163, oder S C H E L E R , Vom Wesen der Philosophie und der moralischen Bedingung des philosophischen Erkennens, S. 93). Denn dass aus Nichts nun einmal nichts kommt, ja notwendigerweise nichts kommen kann, ist evi‐ dent. Da die Welt aber existiert, muss bereits etwas präexistiert haben, das als ihr zu‐ reichender Grund die Welt in ihrer ganzen unermesslichen Fülle verursachte. Das ist eine notwendige Folge. Wenn also davon ausgegangen werden soll, dass die Welt mit einem Urknall begonnen hat, dann muss in streng wissenschaftlicher Weise auch die Frage nach der eigentlichen Ursache gestellt werden. Was aber hatte die Kraft, um das Werden in Gang zu setzen, und aus welchem Grund? 213 D A W K I N S , Der Gotteswahn, 5. Kap., S. 265. 214 Ebd., 5. Kap., S. 225. 215 Ebd., 5. Kap., S. 267. 216 Ebd., 5. Kap., S. 264. On the origin of species by means of natural selection, or the preservation of favo‐ ured races in the struggle for life nachzuweisen suchte, dass die Entstehung der Arten auf dem Wege der Evolution vonstatten geht. Dawkins wiederum nennt die natürliche Selektion einen „allgemeinen Prozess zur Optimierung biologi‐ scher Arten“ 210 bzw. „eine additive Einbahnstrasse in Richtung der Verbesse‐ rung“ 211 . Über den Urknall 212 , die Vererbung und den Kampf ums Dasein, wel‐ chen das am besten angepasste Individuum überlebt und sich fortpflanzt, verläuft der Prozess der Entstehung und der Entwicklung der Lebewesen von niederen zu höheren Arten. Von da her ist es auch zu verstehen, dass Dawkins sich am unendlichen Regress stösst, da ihm jedes Lebewesen eine naturwissen‐ schaftlich greifbare Ursache haben muss. Wenn er von da her auch von einer „Evolution der Religion“ 213 spricht und diese von der darwinistischen Theorie her zu erklären versucht, dann fragt er nach dem Druck, den die natürliche Selektion ausgeübt hat, „sodass die Hin‐ wendung zur Religion begünstigt wurde“ 214 . Da in der darwinistischen Selektion eine erbarmungslose Nützlichkeit vorherrscht und jegliche Verschwendung strikte vermieden wird, „muss jedes allgemein verbreitete Merkmal einer Spe‐ zies - auch die Religion - dieser Spezies einen gewissen Vorteil verschafft haben, sonst hätte es nicht überlebt“ 215 . Auch bei der „Evolution der Religion“ geht Dawkins von den Vorzügen der natürlichen Selektion aus, die er in der „Fähig‐ keit zum Überleben und zur Verbreitung“ 216 sieht. Nach seiner eigenen Ansicht über den darwinistischen Überlebenswert ist die Religion „ein Nebenprodukt Prüfung der (Un-)Vernünftigkeit dreier Kritiken an der Religion 178 <?page no="179"?> 217 Ebd., 5. Kap., S. 239. 218 Vgl. ebd., 5. Kap., S. 242. 219 Ebd., 5. Kap., S. 263. 220 Ebd., 5. Kap., S. 279. 221 Vgl. ebd., 5. Kap., S. 268. 222 Vgl. ebd., 5. Kap., S. 278. 223 Ebd., 5. Kap., S. 279. 224 Ebd. 225 Vgl. ebd., 6. Kap., S. 306. von etwas anderem“ 217 . Wenn die Religion aber, wie eingangs erwähnt, „ein un‐ glückliches Nebenprodukt einer grundlegenden psychologischen Neigung“ sein soll, „die unter anderen Umständen nützlich sein kann oder früher einmal nütz‐ lich war“, 218 was ist dann dieses andere? Nach Dawkins, ein eigentlich nützlicher Mechanismus, von dem die Religion „eine Fehlfunktion“ 219 sei. In groben Zügen ist an dieser Stelle auch auf seinen Erklärungs- und Be‐ gründungsversuch „der memetischen Theorie der Religion“ 220 einzugehen, nach der die Replikatoren, d. h. die codierten Informationen, die - nach dem Muster‐ beispiel eines Gens - exakte Kopien ihrer selbst erzeugen, 221 welche sich kultu‐ rell replizieren und vererben. Nach Dawkins sind die Meme, „die allein nicht unbedingt gute Überlebensfähigkeit besitzen“, in Memplexe gruppiert, in denen sie erhalten blieben. 222 Auf dieser Grundlage versucht Dawkins auch die Sprach‐ evolution verständlich zu machen, nach der infolge der Veränderung des ersten Vokals sich auch andere hätten wandeln müssen, auf dass Zweideutigkeiten vermieden wurden. „In diesem zweiten Entwicklungsstadium wurden Meme vor dem Hintergrund bereits vorhandener Mempools selektiert und bildeten einen neuen Memplex aus untereinander verträglichen Memen.“ 223 Von da her ver‐ sucht er auch die Existenz der Religion so zu begründen, dass sie nur „wegen ihrer absoluten ‚Leistung‘ oder wegen ihrer Verträglichkeit mit dem vorhan‐ denen Memplex“ 224 erhalten geblieben sei. Auch wenn von einem Teil nicht auf das Ganze geschlossen werden kann, so wird der erste Eindruck, den diese Theorie erweckt, durch ein anderes Wort nur bestärkt, nach dem auch die Nächstenliebe eine Fehlfunktion sei. Ein Wort, wel‐ ches Dawkins „in einem streng darwinistischen Sinn“ gebrauche und „keinerlei Abwertung“ beinhalte. 225 Unweigerlich entsteht bei diesem Verdrehen der Wahrheit der Eindruck, als sei der antike Sophismus wiedererstanden. Was Grund genug ist, die Evolutionstheorie insgesamt einer philosophischen Kritik zu unterziehen. Diese rechtfertigt sich auch von da her, dass diese Theorie ein‐ deutig naturalistisch und materialistisch ist und zahlreiche philosophische Prä‐ missen enthält, die sie selbst nicht zu begründen weiss, wie z. B. den wesentli‐ chen Unterschied zwischen Apersonalem und Personalem. 5.3 Richard Dawkins und der „Neue Atheismus“ 179 <?page no="180"?> 226 Ebd., 4. Kap., S. 178. 227 von H I L D E B R A N D , Das trojanische Pferd in der Stadt Gottes, II. Teil, 12. Kap., S. 147, Anm. 1. 228 Ebd. (Kursiv im Orig.) 229 Ebd. 230 Ebd. 231 Ebd., II. Teil, 12. Kap., S. 148. 5.3.2 „Omne vivum ex vivo“ Wie Darwin selbst schon bemerkt hatte, bestehen in der geologischen Kette der Fossilien Lücken. Dawkins versucht sie mit der Behauptung zu stopfen, dass trotz der Lücken „die Belege für die Evolution, beispielsweise aus Molekular‐ genetik oder geografischer Verteilung, immer noch überwältigend stark“ 226 seien. Demgegenüber verweist von Hildebrand auf die Doppeldeutigkeit der Evolutionstheorie. Was er selbst dieser Theorie und den naturwissenschaftli‐ chen Methoden im besten Falle zugesteht, ist, „dass es im Reich des Organischen einen kontinuierlichen Wachstumsvorgang von niedrigeren zu höheren Formen gibt“ 227 . Doch wird von Darwin ebenso wie von Dawkins und allen übrigen Evolutionisten die Tatsache übersehen, „dass ein solcher kontinuierlicher Ent‐ wicklungsprozess im Reich des Organischen auch nicht das Geringste für die von ihnen damit verbundene These besagen würde, dass niedrigere Formen in einer immanenten Entwicklung höhere ‚hervorbringen‘ könnten“ 228 . Insofern diese These vertreten wird, handelt es sich um einen philosophischen Irrtum. Die Veränderung des materiellen Seins ist kontingent und determiniert und setzt als Ursache das absolute Sein Gottes voraus. Von Hildebrand unterscheidet die Evolutionstheorie in zwei völlig verschie‐ dene Thesen. „Die erste ist eine naturwissenschaftliche Hypothese, die an‐ nehmbar ist“, sofern es sich nicht um Wirklichkeiten handelt, die wesensver‐ schieden sind, „zwischen denen es niemals kontinuierliche ‚Übergänge‘ geben kann“. 229 In diesem ersten Sinn meint man mit Evolution die Seinswerdung der Lebewesen (Ontogenese), die beobachtet werden kann. „Die zweite These ist ein rein philosophischer Irrtum eines Immanentismus und Materialismus“ 230 , der eben gerade darin besteht, dass die Realität der kontinuierlichen Übergänge be‐ hauptet wird, wie im Falle der immer wieder postulierten Höherentwicklung vom Affen zum Menschen. Wenn heute von Evolution gesprochen wird, dann bezieht man sich auf diesen zweiten Sinn, auf die Artbildung (Phylogenese). Dann aber hört die Evolutionstheorie auf, „eine wissenschaftliche Hypothese zu sein, und wird zu einer höchst unwissenschaftlichen Ideologie - dem ‚Evolutio‐ nismus‘“ 231 . Prüfung der (Un-)Vernünftigkeit dreier Kritiken an der Religion 180 <?page no="181"?> 232 Vgl. Erich B L E C H S C H M I D T , Die Erhaltung der Individualität. Fakten zur Humanembryo‐ logie. 233 D E S C A R T E S , Meditationen über die Grundlagen der Philosophie, IV, 15., S. 49. Zwar entdeckte Darwin die Veränderbarkeit der Arten durch die Umstruk‐ turierung einer gemeinsamen DNA , d. h. des Biomoleküls, das Träger der Erb‐ information oder der Gene ist. Doch fälschlicherweise wurde die geniale An‐ passungsstruktur, die in den einzelnen Arten vorhanden ist, um sie vor dem Aussterben zu bewahren, von der Mikroauf die Makroevolution übertragen. Die Makroevolution steht im Unterschied zur Anpassung an sich verändernde Umstände für die Neukonstruktion von etwas vorher nicht Vorhandenem, von qualitativ neuen Genen, wie z. B. die Entstehung des Lebendigen oder die Ent‐ wicklung des Einfachen zum Komplexen. Doch während die Mikroevolution, bei der keine qualitativ neue Gene entstehen, bewiesen werden kann, wurden ihre Ergebnisse ohne Beweise einfachhin auf die Makroevolution übertragen. Und das, obwohl Gregor Mendel (1822-1884) die Ergebnisse seiner Forschungen 1866 unter dem Titel Versuche über Pflanzen-Hybride veröffentlichte. Er er‐ kannte, dass die Vererbung durch zahlreiche Gene gesteuert wird (den Ausdruck „Gen“ kannte er zu seiner Zeit allerdings noch nicht, er wurde erst 1909 vom dänischen Biologen Wilhelm Johannsen eingeführt), wobei es von jedem Gen zwei Ausführungen gibt: eine herrschende (dominante) und eine untergeord‐ nete (rezessive). Im Falle der Vererbung setzen die dominanten sich jeweils gegen die rezessiven Gene durch, wodurch die Arten letztlich konstant bleiben. Darum, so der bekannte Anatom und Humanembryologe Erich Blechschmidt (1904-1992), entwickelt auch der Mensch sich nicht zum Menschen, sondern als Mensch. 232 Ohnehin kann am Beginn alles Seienden nicht die tote Materie ge‐ standen haben, denn vor der Materie mussten die Naturgesetze existieren, nach denen die Materie sich auferbaut und erhält. Das aber heisst, dass am Beginn die Information war, der Geist, denn die Naturgesetze sind ja nichts Materielles, sondern etwas Geistiges. Wie Descartes in seinen Meditationen betonte, sind die Irrtümer einzig darin fundiert, dass „der Wille weiter reicht als der Verstand, ich jenen nicht in dessen Grenzen einschliesse, sondern ihn auch auf das erstrecke, was ich nicht einsehe“ 233 . Obwohl Darwin selbst kein Atheist war, gaben Thomas Henry Huxley (1825-1895) und Ernst Haeckel (1834-1919) der Theorie von Beginn weg atheistische Implikationen. Denn dass es nichts anderes als das Nichtsein Gottes ist, was mit dieser Theorie nachzuweisen versucht wird, liegt offen zutage. Soll doch gerade die Einsicht untergraben werden, dass nur ein persönlicher Gott der Schöpfer des Lebens und der Personen sein und nur ein allmächtiges und 5.3 Richard Dawkins und der „Neue Atheismus“ 181 <?page no="182"?> 234 Thomas N A G E L , Der Blick von nirgendwo, V, 4., S. 137. 235 Vgl. ebd. 236 Ebd., S. 138. 237 Ebd. 238 Ebd., S. 141. 239 Ebd. 240 Vgl. ebd. 241 Ebd., S. 142. 242 D A W K I N S , Der Gotteswahn, 5. Kap., S. 265. unendlich intelligentes Sein alle Seienden, vom Bakterium bis zu den Elefanten, hervorgebracht haben kann. Für den US -amerikanischen Philosophen Thomas Nagel (1937-), der einen Atheismus vertritt, in dem er die Evolutionstheorie ebenso ablehnt wie den Gottesgedanken, sind die evolutionären Thesen jedenfalls ein „Beispiel für die Tendenz, eine Theorie, die anderswo erfolgreich war, heranzuziehen, um sie auf etwas anzuwenden, was man gerade nicht versteht“ 234 . Das zeige sich an der Verwendung des einschlägigen Wortes „überlebenswert“, das „in unseren Tagen eine magische Formel für alles und jedes“ sei, „von der Ethik bis zum Verständnis der Sprache“. 235 Zwar räumt er Darwins Theorie der natürlichen Selektion ein, vielleicht erklären zu können, „warum Wesen mit visueller Wahrnehmung oder mit der Fähigkeit zum logischen Schliessen überleben werden, doch sie erklärt nicht, warum das Sehen selbst oder das logische Schliessen möglich werden“ 236 . Die Theorie der natürlichen Selektion erklärt eben nicht Möglichkeiten als solche, „sondern immer nur die Selektion aus einem vorgegebenen Bereich von Möglichkeiten“ 237 . Nagel sieht deutlich, wie in der Evolutionstheorie alles von der Unterstellung abhängt, „dass schlechterdings jedes bemerkenswerte Merkmal menschlicher oder anderer Organismen auch eine darwinistische Er‐ klärung haben müsse“ 238 . „Doch welchen Grund gibt es eigentlich dafür, an so etwas zu glauben? “ 239 Warum eigentlich zwingt man die Entwicklung „mit wenig wahrscheinlichen Spekulationen, die in keiner Weise durch Daten abgesichert sind“, unter das Gesetz, dass die natürliche Selektion alles und jedes erklärt? 240 Weil man es hier mit einem jener einflussreichen Glaubenssätze zu tun hat, „die offensichtlich in der intellektuellen Luft liegen, die wir gegenwärtig atmen“ 241 . Dass es sich bei der von Dawkins behaupteten „Evolution der Religion“ 242 um einen ebensolchen Glauben handelt, welcher in der Religion nicht eine die Im‐ manenz transzendierende interpersonale Beziehung zwischen Mensch und Gott sieht, sondern ein Nebenprodukt bzw. eine Fehlfunktion eines im Kampf ums Dasein eigentlich nützlichen Mechanismus, bedarf im Grunde keiner weiteren Erklärung. Der Bestand des notwendigen und intelligiblen Sachverhalts, den sowohl Johann Wolfgang von Goethe mit seinem Wort „Leben erst muss Leben Prüfung der (Un-)Vernünftigkeit dreier Kritiken an der Religion 182 <?page no="183"?> 243 Johann Wolfgang von G O E T H E , Zahme Xenien, V. Kap., S. 95. 244 Dieses Ignorieren der Evolutionstheoretiker wurde auch schon als modernes Idol des Stammes bezeichnet (vgl. Alvin P L A N T I N G A , Augustinian Christian Philosophy). Womit Plantinga sich auf Bacon bezieht, der vier Arten von Idolen - d. h. von falschen Be‐ griffen, die tief im menschlichen Verstand wurzeln und den Zugang zur Wahrheit ver‐ sperren - abgegrenzt hat, von denen er die Idole des Stammes (Idola Tribus) „in der menschlichen Natur selbst, im Stamme oder in der Gattung der Menschen begründet“ sah (vgl. B A C O N , Neues Organon, Aphorismus 41, S. 101). 245 Vgl. unten II, 5.3.3.2 - „Argumente gegen die materialistische Reduzierung des Be‐ wusstseins zu einem Produkt des Gehirns“. 246 Vgl. P L A T O N , Phaidon, 97b-99d. 247 Vgl. L E I B N I Z , Metaphysische Abhandlung, Nr. 19, S. 55. Vgl. auch Jacques M O N O D , Zufall und Notwendigkeit. Philosophische Fragen der modernen Biologie. geben“ 243 wie auch Louis Pasteur mit seinem bekannten Ausdruck Omne vivum ex vivo (alles Leben kommt aus dem Leben) zur Sprache gebracht haben, den die Evolutionstheoretiker jedoch ignorieren, 244 wird im nächsten Punkt mit einigen philosophischen Argumenten untermauert werden. 245 Mit ihnen wird einsichtig gemacht, warum die geistige Person nicht die Wirkung materieller Ursachen sein kann, wie die Evolutionisten suggerieren. Im Übrigen hatte schon Platon zu seiner Zeit sich mit den ähnlich gelagerten „Erklärungen“ des Anaxagoras (500-428 v. Chr.) auseinandergesetzt, der be‐ hauptete, dass die Vernunft die Ursache von allem sei, was entsteht, besteht und vergeht. Nachdem ihm dessen Erklärung des Werdens, Bestehens und Verge‐ hens zuerst als richtig erschienen sei, habe er sie später wieder verwerfen müssen. Denn es sei offenkundig mangelhaft, wenn jemand zu ihm sagen würde, dass er alles, was er tue, aufgrund der Vernunft tue, und dann als Ursache für dieses Tun eine Fähigkeit des Körpers angäbe. So sei der Grund, weswegen er an der Stelle sitze, weil sein Leib aus Knochen und Sehnen bestehe, die Knochen dicht und voneinander geschieden und die Sehnen so gerichtet seien, dass sie angezogen und nachgelassen werden könnten. Und da die Knochen von den Gelenken getragen würden, bewirkte das Anziehen und Nachlassen der Sehnen, dass er seine Glieder bewegen könne, und das sei der Grund, weswegen er hier sitze. Das hiesse nichts anderes, als nicht zwischen der eigentlichen Ursache und der blossen Mitursache zu unterscheiden. 246 Auch Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) wandte sich, die Evolutions‐ theorie gleichsam antizipierend, gegen die allzu materialistischen Philosophen, „die alles der materiellen Notwendigkeit [necessité] oder einem gewissen Zufall [hazard] zuschreiben“, und „zur Erklärung der Phänomene nur der materiellen Eigenschaften [sich] bedienen“. 247 Die Evolutionstheorie steht wieder da, wo Bacon die grosse Erneuerung der Wissenschaften ins Leben rief: beim Teil. Damals wie heute konnte und kann 5.3 Richard Dawkins und der „Neue Atheismus“ 183 <?page no="184"?> 248 Es sei nur auf den Artikel Critical reflections on evolutionism as a scientific or pseudo-scientific theory and as an atheist ideology von Josef S E I F E R T verwiesen, in dem er dafür hält, dass trotzdem es keinen rein philosophischen Einwand gegen die be‐ grenzte Evolution gäbe, sie nichtsdestotrotz extrem unwahrscheinlich und absolut nicht bewiesen sei. der Mensch nicht leugnen, dass der Teil integral zu seiner Lebenswelt gehört und auch er selbst aus Teilen besteht. Dass der Mensch jedoch nicht nur der Teile bedarf, hat sich seit dem 19. Jahrhundert immer deutlicher gezeigt. Seit jener Zeit tritt der existentiell-anthropologische Beweis immer deutlicher ins allgemeine Bewusstsein, dass der Mensch sein Dasein als sinnvoll erfahren muss, wenn er leben will. Sinn kann er aber nur dann erfahren, wenn er sich einem grösseren sinnvollen Ganzen sich selbst überschreitend angleicht. Denn auch der Mensch ist seinem Wesen nach eben nicht nur eine Komposition von Teilen, sondern selbst eine Ganzheit, die das ihr angemessene Leben nur aus der Sinnfülle selbst, der vollkommenen Person empfangen kann - omne sensum ex sensu. Mit anderen Worten: Das eigene Dasein wird nur dann als sinnvoll, be‐ deutsam und lebenswert erfahren, wenn der betreffende Mensch sich nicht mit dem zufrieden gibt, was nur für ihn wichtig ist, sondern sich vielmehr an dem orientiert und auf die je angemessene Weise zu beantworten sucht, was ihm mit einer Bedeutsamkeit gegenübertritt, die die Welt seines eigenen Lebens und seiner eigenen Wichtigkeiten übersteigt. 5.3.3 Bewusstsein als Evolutionsemergent? Da in der vorliegenden Untersuchung vor allem die Religion als Bindung des Menschen an Gott thematisch ist, braucht auf die erste der beiden Thesen hier nicht eingegangen zu werden. Denn welche Auffassung zur Frage nach den Möglichkeiten der begrenzten oder Mikro-Evolution (im Unterschied zur Makro-Evolution im Sinne evolutiver Übergänge von einer niederen Art zu einer höheren) auch eingenommen wird, der Bereich des apersonalen Seins spielt in die Religion jedenfalls nicht unmittelbar hinein. Darum wird der These der or‐ ganischen Höherentwicklung keine Beachtung geschenkt. 248 Religionsphilosophisch relevant ist dagegen die Reduzierung des menschli‐ chen Bewusstseins zu einem Epiphänomen des Gehirns. Der Epiphänomena‐ lismus, der im 19. Jahrhundert eine wichtige Rolle spielte und v. a. durch die bereits erwähnten Huxley und Haeckel vertreten wurde, unterscheidet zwi‐ schen dem Physischen und dem Mentalen, streitet aber strikte ab, dass physische Prozesse durch den Geist verursacht werden. Geistige Prozesse sind Epiphäno‐ Prüfung der (Un-)Vernünftigkeit dreier Kritiken an der Religion 184 <?page no="185"?> 249 Die Bezeichnung „biotisch“ wurde von Jürgen S C H N A K E N B E R G übernommen, der in Evolution und Reduktionismus. Ein Klärungsversuch aus naturwissenschaftlicher Sicht gleich eingangs erwähnt: „Wenn von der Evolution die Rede ist, also ohne jede weitere Eingrenzung, wird darunter gemeinhin […] die biotische Evolution verstanden, also die Entstehung und Weiterentwicklung des Lebens auf unserem Planeten Erde“ (ebd., S. 171). 250 Wie schon angemerkt wurde, gehört die Verbindung mit evolutionstheoretischen Über‐ legungen zum klassischen Bestand der Emergenztheorie (vgl. die Einleitung von Jens G R E V E und Annette S C H N A B E L zum Sammelwerk Emergenz. Zur Analyse und Erklärung komplexer Strukturen, Einleitung, S. 26, Anm. 48). 251 Vgl. ebd., S. 9. 252 Philip C L A Y T O N , Emergenz und Bewusstsein. Evolutionärer Prozess und die Grenzen des Naturalismus, I., S. 12. 253 Renate M A Y N T Z , Emergenz in Philosophie und Sozialtheorie, S. 161. mene (Begleiterscheinungen) von Veränderungen im Bereich des Physischen. Veränderungen im Physischen verursachen geistige Prozesse. Infolgedessen, dass die Bewusstseinsbildung als evolutionäres Phänomen bi‐ otisch 249 nicht hinreichend erklärt werden kann, kam es in den 1970er Jahren zu einer Renaissance der Emergenz-Theorie. Ihren Vorläufer hatte diese Theorie in dem bereits in der Einleitung zitierten Wort des Aristoteles, nach dem das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile. Als Emergenz wird in dieser Theorie die spontane Herausbildung neuer Eigenschaften oder Strukturen eines Systems verstanden, welche sich infolge von Wechselwirkungen seiner Elemente er‐ geben. Auf der Grundlage der evolutionären Selbstorganisation wird ein Trans‐ formieren angenommen, das sich bis zum Übergang von der Sphäre des Anor‐ ganischen zur Sphäre des Organischen erstreckt. 250 Obgleich der Begriff der Emergenz trotz „wiederholter wissenschaftsinterner Auseinandersetzungen“ „keineswegs eindeutig definiert“ ist und „in unterschiedlichen Disziplinen un‐ terschiedlich verhandelt“ wird, 251 wird von gewissen Philosophen die Auffas‐ sung vertreten, das Bewusstsein sei eine emergente Eigenschaft des Gehirns. Wie Philip Clayton klärend bemerkte, ist Emergenz die philosophische Position, „die am besten die philosophische Tragweite der Evolutionstheorie zum Aus‐ druck bringt“ 252 . Auf der Makroebene wird das Bewusstsein dabei als Eigenschaft eines Systems verstanden, welche auf der Mikroebene nicht vorhanden ist, durch Wechselwirkungen zwischen den Elementen auf der Mikroebene sich aber spontan herausbildet. „Ein System ist eine Entität, die ‚mehr ist als die Summe ihrer Teile‘, das heisst, es besitzt Eigenschaften, die seine Teile nicht aufweisen.“ 253 Die Herausbildung von Eigenschaften auf einer höheren Organi‐ sationsebene kann aufgrund bekannter Elemente der niedrigeren Ebene aber weder vorhergesagt noch auf sie reduziert werden. 5.3 Richard Dawkins und der „Neue Atheismus“ 185 <?page no="186"?> 254 Zum „Epiphänomenalismus“ vgl. die einschlägigen Stellen im grundlegenden Werk von Achim S T E P H A N , Emergenz. Von der Unvorhersagbarkeit zur Selbstorganisation, auf die im Sachregister (ebd., S. 284-292) detailliert verwiesen wird. 255 Vgl. C L A Y T O N , Emergenz und Bewusstsein, IV., S. 165 f. 256 Dabei wird Bezug genommen auf das grundlegende Werk von Josef S E I F E R T , Das Leib-Seele-Problem und die gegenwärtige philosophische Diskussion. Eine systema‐ tisch-kritische Analyse, V., B., S. 158-162. Dass die Theorie der Emergenz nicht nur dem Evolutionismus kompatibel, sondern eine ähnlich gelagerte Spielart des Materialismus ist wie der Epiphä‐ nomenalismus, sei an dieser Stelle nur angemerkt. Wenn in der Folge wiederholt vom Epiphänomenalismus die Rede ist, dann wird die Emergenzthese nicht als eine davon unabhängige Theorie verstanden, denn nach beiden wird das Be‐ wusstsein ja sozusagen als ein Produkt der Materie - als Begleiterscheinung bzw. als spontane Herausbildung - verstanden. 254 Von da her werden beide als materialistische Theorien begriffen, gegen die die folgenden Ausführungen ge‐ richtet sind. Dabei wird sich zeigen, ob es zu einer Deckung mit Clayton kommt, der klarstellt, dass nicht alle Ursachen letztendlich physikalische Ursachen sind. Vielmehr wird die Person von Clayton als eine psychosomatische Einheit, als eine komplex geformte Entität aus physikalischen, biologischen, psychologi‐ schen und geistlichen Wirklichkeiten begriffen, welche, „obgleich voneinander abhängig, nicht aufeinander reduzierbar sind“, und je verschiedene Untersu‐ chungsmethoden bedingen. 255 5.3.3.1 Die Äquivokation des Terminus „Dualismus“ und die Wesensverschiedenheit von Physischem und Psychischem Wer in der Postmoderne der Behauptung seine Zustimmung verweigert, dass geistige Prozesse Begleiterscheinungen von Veränderungen im Bereich des Physischen sind, wer verneint, dass Veränderungen im Physischen geistige Pro‐ zesse verursachen, der wird aufgrund der seit Anfang des 20. Jahrhunderts vor‐ herrschenden Tendenz zu materialistischen Auffassungen häufig als Dualist ge‐ brandmarkt. Dabei wird die gründliche Analyse der zugrunde liegenden Zwei-Substanzen-Lehre, die häufig durch einen Mangel an Unterscheidung zwischen den verschiedenen Bedeutungen des äquivoken Begriffs „Dualismus“ schon zum Vornherein verunmöglicht. Um bis zum sachlich angemessenen Ver‐ ständnis von „Dualismus“ durchzudringen, auf dass die monistischen Theorien ad absurdum geführt werden können, seien an dieser Stelle die wichtigsten Arten unterschieden. 256 Zuerst die Bedeutung von „Dualismus“ in einem Sinn, der mit dem Substanzproblem nichts zu tun hat. Mit Dualismus in diesem Sinn wäre einfach der grundlegende Unterschied zwischen physischen und psychi‐ Prüfung der (Un-)Vernünftigkeit dreier Kritiken an der Religion 186 <?page no="187"?> 257 Vgl. P L A T O N , Alkibiades 1, 129b-130a. 258 Vgl. D E R S ., Gorgias, 493a. 259 Vgl. D E R S ., Phaidon, 82e. 260 Vgl. D E R S ., Timaios, 69c. schen Gegebenheiten gemeint. Ein Unterschied, der auch von Vertretern des Epiphänomenalismus anerkannt wird und aufgrund dessen auch die Epiphäno‐ menalisten als Dualisten zu bezeichnen wären. Sodann ist eine Bedeutung des Terminus „Dualismus“ in einem axiologischen Sinn zu unterscheiden. In diesem Sinn wird „Dualismus“ als Werturteil verstanden, und zwar so, dass nur dann von „Dualismus“ gesprochen wird, wenn das positive Werturteil über den Geist und das negative über den Leib gefällt wird. In einem dritten Sinn hat „Dua‐ lismus“ eine negative Bedeutung. Dabei geht die Betonung der Wesensverschie‐ denheit von Physischem und Psychischem nicht mit einer Leugnung ihrer sub‐ stantiellen Einheit, sondern mit einer Minderbewertung des menschlichen Leibes einher, wie beispielsweise bei Platon, für den der von der unsterblichen Seele nur gebrauchte Körper 257 einem Grab, 258 einem Kerker 259 oder einer Art Gefährt 260 gleichkommt. Schliesslich sei - viertens - auch der klassische Sinn von „Dualismus“ erwähnt, der sich bei Plotin ebenso findet wie bei Augus‐ tinus, bei Thomas von Aquin ebenso wie bei Descartes und bei vielen anderen. Demnach handelt es sich bei Körper und Seele um zwei verschiedene Sub‐ stanzen, welche Position als die klassisch dualistische Einheitslehre der mensch‐ lichen Person bezeichnet werden kann. Diesem vierten Sinn von „Dualismus“ ist keine radikale Trennung, sondern die Einheit in der Verschiedenheit von Geist und Materie wesentlich. Um das Staunenswerte dieser Einheit zu Bewusstsein zu bringen, sei in einem ersten Schritt die wesentliche Differenz von Physischen und Psychischem auseinan‐ dergelegt. Die physischen oder materiellen Gebilde sind in erster Linie durch eine räumliche Ausdehnung charakterisiert. Zweitens ist ihnen eine Zusam‐ mensetzung aus verschiedenen Teilen eigen, die nicht miteinander identisch sind, was ihre Teilbarkeit ermöglicht. Drittens ist in einem materiellen Seienden nicht nur eine Vielzahl von Merkmalen vorhanden, die jeder materielle Gegen‐ stand wesensmässig voraussetzt, z. B. Bewegung im Raum, Gewicht, Gestalt, Farbe usw. Die materiellen Gegenstände können überdies auch Merkmale auf‐ weisen, die die materiellen Seienden gleichsam transzendieren, so etwa die Schönheit. In diesem Sinn unterschied von Hildebrand zwischen der Sinnen‐ schönheit und der geistigen Schönheit des Sicht- und Hörbaren. Diese Schön‐ heit - von Hildebrand spricht von der „Schönheit zweiter Potenz“ - „haftet an ihrem Träger, ähnlich wie die Sinnenschönheit, ebenso unmittelbar, ebenso an‐ 5.3 Richard Dawkins und der „Neue Atheismus“ 187 <?page no="188"?> 261 Vgl. von H I L D E B R A N D , Ästhetik 1, 9. Kap., S. 197. 262 Zu diesen Merkmalen des Physischen und des Psychischen vgl. S E I F E R T , Das Leib-Seele-Problem und die gegenwärtige philosophische Diskussion, II., S. 5-13. Den „in‐ tentionalen Charakter unseres Kenntnisnehmens, Erkennens, Denkens, Urteilens und Stellungnehmens in prinzipieller Weise klar herausgestellt zu haben“, bezeichnet von Hildebrand als „eines der grossen Verdienste E. Husserls“ (von H I L D E B R A N D , Legitime und illegitime Formen der Beeinflussung, S. 226). schaulich, aber in noch viel unintelligiblerer Weise“. 261 Auch der genetische Code und ähnliche Bereiche der Wirklichkeit sind diesen Merkmalen materieller Ge‐ bilde zuzurechnen. Demgegenüber zeichnen sich die psychischen Wirklichkeiten - wie bei‐ spielsweise der Schmerz oder der Willensakt - vor allem dadurch aus, dass sie bewusst vollzogen und erlebt werden. Wogegen ein materielles Seiendes un‐ möglich von innen vollzogen werden kann. Womit auf das nächste Merkmal psychischer Wirklichkeiten verwiesen wurde, auf das Selbstbewusstsein. Die psychische Erfahrung setzt eine Person voraus, die sich ihrer selbst bewusst ist, ein Zug, der auf die Materie in keiner Weise zutrifft. Sodann lassen sich ver‐ schiedene Merkmale des Psychischen unterscheiden, die einerseits nicht in aus‐ nahmslos jedem psychischen Erleben gegenwärtig sein müssen, denen aber keine psychische Wirklichkeit ausnahmslos entbehren kann. Dazu gehören die Wachheit, die Intensität oder die Intentionalität, d. h. die bewusste und sinnvolle Beziehung der Person und ihrer Akte auf ein Objekt, von dem sie Bewusstsein besitzt. 262 5.3.3.2 Argumente gegen die materialistische Reduzierung des Bewusstseins zu einem Produkt des Gehirns Wie gesehen, unterscheidet auch der Epiphänomenalismus zwischen dem Phy‐ sischen und dem Mentalen. Doch während er annimmt, dass Veränderungen im Physischen geistige Prozesse verursachen, streitet er strikte ab, dass physische Prozesse durch den Geist verursacht werden. Damit spricht er sich nur für die Beziehung aus, die vom Körper zum Geist verläuft, die entgegengesetzte Bezie‐ hung vom Geist zum Körper dagegen verbleibt sozusagen inaktuell, ja muss es bleiben, wenn das naturalistische Weltbild berücksichtigt wird, das die Grund‐ lage des epiphänomenalistischen Denkens bildet. Demgegenüber sei aufgezeigt, welche Argumente gegen die These der evolutionär-emergenten Höherent‐ wicklung allen Seins in dem Sinne sprechen, dass das Bewusstsein das Produkt des Gehirns sei. Die Unhaltbarkeit jeder Reduzierung des menschlichen Be‐ wusstseins zu einem Epiphänomen des Gehirns oder auf Vorgänge im Gehirn selber ist auf vielfache Weise demonstrierbar. Dabei ist es nicht entscheidend, Prüfung der (Un-)Vernünftigkeit dreier Kritiken an der Religion 188 <?page no="189"?> 263 Zu diesen beiden Arten des Bewusstseins vgl. von H I L D E B R A N D , Ästhetik 1, 1. Kap., S. 32. 264 Ebd. 265 Ebd. 266 Zur Soseinserfahrung vgl. oben I, 2.1 - „Die Äquivokation des Begriffs der Erfahrung“ und I, 2.2 - „Die verschiedenen Arten des Soseins und der Unterschied zwischen em‐ pirischer und apriorischer Erkenntnis“. ob Bewusstsein nun im Sinne des „frontalen Bewusstseins von“ oder im Sinne des „lateralen“ Vollzugsbewusstseins verstanden wird. 263 Alles, was nicht zur eigenen Person gehört, ist in einem „Bewusstsein von“ gegeben, als Objekt, das auf der Objektseite erfasst wird. „Wenn ich mich hingegen freue oder begeistere, wenn ich weine oder trauere, liebe oder hasse, liegt kein ‚Bewusstsein von‘ vor, sondern ein bewusst vollzogenes Sein, das mir nicht frontal gegenübersteht.“ 264 Auch die Gefühle der Freude oder der Trauer usw. setzen ein „Bewusstsein von“ dem Objekt voraus, das die Freude oder die Trauer motiviert, doch die Ant‐ worten der Freude oder der Trauer selbst „sind kein ‚Bewusstsein von‘, sondern bewusst Seiende“ 265 . Ebenso ist auch das Sehen nicht so gegeben wie das Gese‐ hene. Denn während man sich bewusst ist, den Akt des Sehens zu vollziehen, wird das Gesehene in einem frontalen „Bewusstsein von“ erfasst. Desgleichen beim Akt des Erkennens, von dem nur dann gesprochen werden kann, wenn ein „Bewusstsein von“ vorliegt. Hat man etwa erkannt, dass nil volitum nisi cogi‐ tatum, dann nur deswegen, weil man ein Bewusstsein hat vom Wollen und vom Erkennen; erkenntnistheoretisch gesprochen, weil man ihr Sosein erfahren hat. 266 Dass es absolut unmöglich ist, das menschliche Bewusstsein auf eine Begleit‐ erscheinung (Epiphänomen) des Gehirns oder auf Vorgänge in ihm zu redu‐ zieren, erweist sich am Vergleich des Bewusstseins mit einer beliebigen mate‐ riellen Substanz, und das Hirn wird von den Materialisten ja gerade als ein materielles Objekt verstanden. Die materielle Substanz selber muss räumlich ausgedehnt, zusammengesetzt, teilbar usw. sein. Werden damit die wesentlichen Merkmale des geistigen Seins verglichen, so die bewusst von innen her vollzo‐ gene Intentionalität, d. h. die bewusste und sinnvolle Subjekt-Objekt-Beziehung der meisten Erfahrungen, und die Notwendigkeit, mit der das bewusste Leben die Existenz eines bewussten und unteilbaren Subjekts voraussetzt, dessen be‐ wusstes Leben es ist, dann wird die Unmöglichkeit evident, dass eine materielle Substanz in ihrer Einheit-in-der-Verschiedenheit und ihrer Zusammensetzung die Substanz sein könnte, die die Voraussetzung der bewussten Akte des Sub‐ jekts ist. Dass Leibniz dies deutlich verstanden hat, beweist er mit seiner Vorgabe einer Maschine, „deren Struktur Denken, Empfinden und Perzeptionen haben lässt“, 5.3 Richard Dawkins und der „Neue Atheismus“ 189 <?page no="190"?> 267 Vgl. L E I B N I Z , Monadologie, Nr. 17, S. 117. 268 Ebd. 269 Zu den verschiedenen Kunstformen vgl. von H I L D E B R A N D , Ästhetik 2. die vergrössert begriffen dergestalt sei, dass man in sie hineintreten könne. 267 „Dies gesetzt, würde man beim Besuch im Innern nur einander stossende Teile finden, niemals aber etwas, was eine Perzeption erklärt. So muss man sie in der einfachen Substanz und nicht in dem Zusammengesetzten oder in der Maschine suchen.“ 268 Die Einfachheit und die unzusammengesetzte Individualität des Subjekts, das für alle Erfahrungen vorausgesetzt ist, kann nicht eine zusammengesetzte Sub‐ stanz mit Teilen im Raume sein. Es ist unmittelbar einsichtig, dass materielle, zusammengesetzte Substanzen nie Subjekt der geistigen Erfahrungen sein können. Wie unbezweifelbar dieses Wissen ist, zeigt sich z. B. beim Hören eines musikalischen Werks. Das Hören von Beethovens 9. Symphonie setzt ein un‐ teilbares Subjekt voraus, das in den unzähligen Teilen und zeitlichen Phasen dieser Erfahrung gegenwärtig ist, um überhaupt möglich zu sein. Ein Gehirn mit noch so vielen verschiedenen Teilen und Funktionen könnte nie bewusste Erfahrungen haben. Die 9. Symphonie würde ihr Sein und ihre Einheit verlieren und total zerstört werden, wenn nicht das eine, identische und unteilbare Selbst das Subjekt wäre, das als das nicht-zusammengesetzte und einfache Ich die er‐ habenen Klänge dieser Symphonie hören würde. Gleichermassen verhält es sich mit jedem anderen Kunstwerk, sei es aus der Architektur, der Skulptur, der Ma‐ lerei oder der Literatur. 269 Mit der Literatur ist auf die Sprache Bezug genommen, für die dasselbe gilt wie für das Hören von Beethovens 9. Symphonie, auch das Verstehen einer Sprache setzt ein immaterielles, ein bewusstes Subjekt voraus. Da bewusste menschliche Erfahrungen also eine unteilbare, einfache, nicht-zu‐ sammengesetzte Substanz als Subjekt bedingen, keine materielle Substanz aber unteilbar einfach und nicht-zusammengesetzt ist, ist keine materielle Substanz die Substanz, die vorausgesetzt ist als Subjekt für bewusste Erfahrungen des bewussten menschlichen Lebens. Ein anderes Argument für die immaterielle Seinsweise des menschlichen Geistes und den Irrtum des Epiphänomenalismus hebt an bei der Freiheit. Ein Versprechen oder jeder andere freie Akt wäre absurd, wenn solch ein Akt iden‐ tisch wäre mit oder determiniert durch materielle oder organische Prozesse. Jeder Mensch setzt gewisse freie Akte voraus, auch dann, wenn er den Materi‐ alismus untersucht oder verteidigt. In jedem Moment aber, in dem er die Freiheit voraussetzt, widerspricht er - unbewusst - seiner eigenen Theorie. Wenn eine Handlung vollzogen wird, die die freie Initiative bedingt und nicht die Wirkung einer anderen Ursache ist, sondern dem eigenen Selbst entstammt, dann würde Prüfung der (Un-)Vernünftigkeit dreier Kritiken an der Religion 190 <?page no="191"?> 270 Vgl. oben I, 2 - „Dietrich von Hildebrands Kritik an Kants transzendentalem Imma‐ nentismus und seine Begründung der Transzendenz in der Erkenntnis“. 271 Den darin implizierten Relativismus hat bereits Platon als falsch ausgewiesen. Vgl. P L A T O N , Kratylos, 386c-e. 272 Zu diesen Argumentationsgängen vgl. S E I F E R T , Critical reflections on evolutionism as a scientific or pseudo-scientific theory and as an atheist ideology. 273 Max T HÜ R K A U F , Unruhig ist unser Herz, S. 122. 274 Ebd. diese Handlung überhaupt nicht existieren, wenn sie nicht gewollt worden wäre. So beinhaltet eine solche Handlung die Tatsache, dass das Selbst über ihr Sein und Nichtsein entscheidet. Diese Tatsache widerlegt den Materialismus, nach dem freie Akte nicht existieren können. Das Dasein freier Akte und deren Sub‐ jekt sind irreduzibel auf das Gehirn und jedes andere materielle System. Auch das Erkennen widerspricht der These, ein Epiphänomen des Gehirns oder dessen Funktionen zu sein. Das zeigt sich an der Transzendenz in der Erkenntnis, in der das Sein oder Wesen von etwas sich selbst vor unserem Geist als das enthüllt, was es in sich selbst ist. 270 Kognitive Akte nach Art der psycho-physischen Identität zu erklären, wie Evolutionisten und Emergenz‐ theoretiker es versuchen, beinhaltet einen notwendigen Widerspruch zur Natur der kognitiven Akte. Denn aus ihrer Sicht hängt der Inhalt des Wissens nicht ab von der Natur des Objekts, sondern ist verschieden bei verschiedenen Ge‐ hirnaktivitäten, ganz unabhängig von der Natur des Objekts. 271 Wissen könnte also nicht existieren, doch als Wissen, zum Beispiel von dieser Arbeit, existiert es offensichtlich, also muss auch der Geist existieren, denn ohne Geist wäre es unmöglich. Die Existenz des Geistes als Subjekt des Bewusstseins enthält somit eine absolute Zurückweisung eines jeden Evolutionismus, der behauptet, dass Materie das Leben des menschlichen Geistes hervorbringen könne. 272 Hierzu gehört auch die philosophische Unmöglichkeit einer werdenden Reflexion. Wie allgemein bekannt, ist Reflexion entweder da, oder sie ist nicht da. Undenkbar ist jedoch ein vormaliges Nicht-Ich, das immer mehr zu einem Ich, sozusagen immer „icher“ wird. „Alle Gedanken, die so etwas für möglich halten, beruhen auf den Zirkelschlüssen des Materialismus, der sich den Geist als ein Produkt der Materie denkt.“ 273 Denn um das denken zu können, muss der Geist voraus‐ gesetzt werden, der eigentlich bewiesen werden soll. Kurzum, „das zu Beweis‐ ende wird mit Hilfe des zu Beweisenden ‚bewiesen‘“ 274 . Überzeugend wird die Evolutionstheorie zudem auch durch die oben darge‐ legte Begründung des philosophischen, d. h. synthetisch-apriorischen Erken‐ nens widerlegt. Denn da die Tatsache absolut gewissen Erkennens einen in sich notwendigen Gegenstand voraussetzt, die Gegenstände dieser Art aber weder der Veränderung noch einem Werden unterliegen, sondern immer mit sich selbst 5.3 Richard Dawkins und der „Neue Atheismus“ 191 <?page no="192"?> 275 Vgl. von H I L D E B R A N D , Die Entthronung der Wahrheit. 276 Vgl. D E R S ., Das trojanische Pferd in der Stadt Gottes, II. Teil, 13. Kap., S. 170. identisch sind, können die in solchen Gegenständen gründenden Sachverhalte auf absolut gewisse und allgemeingültige Weise erkannt werden. Angesichts dessen, dass mit dem Begriff der Religion die Aufmerksamkeit auf die Beziehung des Menschen zu Gott gelenkt wird und diese Beziehung ebenso notwendig ist wie die beiden Glieder des Sachverhalts, die Evolutionstheorie die Religion aber nicht qua In-sich-Notwendiges, sondern qua Kontingentes und Werdendes zum Gegenstand hat, ist es logisch, dass in ihr in punkto Religion Forschungsme‐ thoden zur Anwendung gebracht werden, die dem Gegenstand der Religion sachlich nicht angemessen sind und von da her auch keine Wesenserkenntnisse ermöglichen. Sofern die Evolutionstheoretiker ihre Weltanschauung absolut setzen, depersonalisieren sie durch ihre reduktionistische Neutralisierung das Leben des Menschen. Und indem sie die metaphysischen und moralischen Wahrheiten ihrer Objektivität berauben, 275 verfehlen sie das wahrhaft Mensch‐ liche ebenso wie die szientischen Naturwissenschaften. Die Folge ist das Nicht‐ wissen um den wahren Sinn des Lebens, 276 mit all den weiter oben beschriebenen Konsequenzen. Prüfung der (Un-)Vernünftigkeit dreier Kritiken an der Religion 192 <?page no="193"?> 1 Vgl. unten IV, 1.3 - „Der ordo amoris und das Phänomen der Wertblindheit“. 2 Vgl. oben II, 1. 3 Vgl. T H O M A S von Aquin, Summa theologica, I, q. 2, a. 3, S. 43-49. 6 Zusammenfassung Nachdem sich in den vergangenen Abschnitten erwiesen hat, dass die Wissens‐ möglichkeiten des Menschen nicht auf den immanenten Bereich des sinnlich Wahrnehmbaren beschränkt sind, dieser Wirklichkeitsbereich durch die Erlan‐ gung metaphysischer Erkenntnisse vielmehr transzendiert werden kann, sind die Grundlagen bereitet, auf denen die Erkennbarkeit Gottes, des schlechthin transzendenten Bezugspunkts der Religion, untersucht werden kann. Für von Hildebrand stand das apriorische Erkennen der Existenz Gottes ausser Frage. Schon auf natürlicher Ebene könne sie aufgrund der Gottesbeweise mit absoluter Gewissheit erkannt werden. Wobei es sich insofern um einen Beweis philosophischer Art handelt, als sowohl die Prämissen in ihrer Wahrheit als auch die Gültigkeit der Schlussform erkannt werden. Und selbst dann, wenn ihm nur wenige zustimmen, selbst dann verliert der Beweis den Charakter ob‐ jektiver und gewisser Erkenntnis nicht. Denn sobald die Schlussfolgerung einen Bezug zum eigenen Leben hat, was in der Religion genauso der Fall ist wie in verschiedenen anderen Gegenstandsbereichen auch, die die eigene Weltan‐ schauung betreffen, setzt die Erlangung der Einsicht eine sachlich angemessene Haltung voraus. 1 Wie erwähnt, kann auch ein Argument ein Beweis sein, es kann aber auch eine Begründung sein, die nicht auf evidenten Prämissen beruht und die Konklusion nicht mit Gewissheit erkennen lässt, sondern nur plausibel macht. 2 Was sodann von Hildebrands Beweisgänge für die Existenz Gottes betrifft, so konzentrieren sie sich in den kosmologischen Argumenten (auf diesen Seiten v. a. in den bekannten fünf Wegen des Thomas von Aquin 3 ), welche zwar nicht apriorisch, aber auch nicht empirisch im gewöhnlichen Sinn des Wortes sind, denn die Erkenntnis der Existenz Gottes wird nicht auf induktivem Weg erlangt. Empirisch ist nur die Realkonstatierung eines kontingenten Seienden. Unter Zugrundelegung der zweiten Prämisse, dass jedes kontingente Seiende einer extramundanen Ursache für seine Existenz bedarf, erreicht die Erkenntnis der Existenz des absolut Seienden - in Bezug auf die Gewissheitsstufe - dieselbe Erkenntnisdignität wie die apriorischen Sachverhalte. Diesen Gedankengang entfaltet er in einem Gespräch dahingehend, dass die Ursache der menschlichen <?page no="194"?> 4 Vgl. oben II, 2. 5 Vgl. dazu etwa von H I L D E B R A N D , Christliche Ethik, 14. Kap., S. 197 (Kursiv nicht im Orig.): „Wir behaupten nicht, dieser Aufstieg [über die Werte] wäre ein ebenso strin‐ genter Beweis der Existenz Gottes wie der auf der Kontingenz aller geschaffenen Dinge fussende Gottesbeweis. Aber man kann nicht bestreiten, dass er zumindest ein Aus‐ gangspunkt für eine Bewegung auf Gott zu, ein Fingerzeig, ein Hinweis auf Gott ist.“ 6 Vgl. oben II, 3.1. 7 Vgl. von H I L D E B R A N D , Moralia, 1. Kap., S. 69. 8 Vgl. oben II, 3.3. 9 Vgl. oben II, 4. Person ein personaler Geist sein müsse, da etwas Apersonales nach allen Regeln der Kausalität unmöglich Ursache von etwas Höherem sein könne, wie dies von den Vertretern der Evolutionstheorie behauptet wird. 4 Während von Hildebrand beim Dasein Gottes von Beweisen spricht, versteht er die Argumente, die das Sosein Gottes erhellen sollen, als Hinweise. 5 Hinweise auf Gott sind ihm die Werte. Das sind jene Wirklichkeiten, die nicht nur wichtig sind für die eigene Person, die vielmehr in sich wichtig und bedeutsam sind und infolge ihres metaphysischen Wesens nicht geleugnet werden können, ohne stillschweigend wieder eingeführt zu werden. Hinweise auf Gott, den von Hil‐ debrand als den Inbegriff aller Werte bezeichnet, sind die Werte auf verschiedene Weise. Grundsätzlich unterscheidet er zwischen den ontischen Werten, die Gott abbilden, und den qualitativen Werten, die eine Botschaft enthalten. 6 Was in objektiver und intrinsischer Weise bedeutsam ist, das wird auf dem Wege eines intuitiven, eines unmittelbaren Affiziertwerdens erfasst. In seinen späteren Schriften versteht er es als einen radikal anderen Typ von Berührung mit dem Wert als bei der Werterkenntnis. 7 Das Affiziertwerden von den Werten charak‐ terisiert er als ein Wertfühlen. Ein Fühlen, wie es beispielsweise beim Hören einer erhebenden Melodie oder beim Miterleben einer bösen Tat erfahren werden kann. Wird der Wert gefühlt, erlaubt das notwendige Sosein des Wertes ein Verstehen von innen her, wie es ohne diese Erfahrung nur sehr beschränkt möglich ist. 8 Eine entscheidende Frage war vor dem Hintergrund der Erkenntnistheorie von Hildebrands in Verbindung mit seinem Verständnis Gottes als des Inbegriffs aller Werte, ja als der Personifikation der Werte - Gott ist die Güte, die Liebe etc. -, dann vor allem, warum von Hildebrand das ontologische Argument als ungültig zurückgewiesen hat. 9 Ist es doch gerade dieses Argument, mit dem die Existenz Gottes aus seinem Sosein erkannt werden soll. Denn ungültig wäre das Argument ja nur dann, wenn die Bejahung der Prämissen und die Verneinung der Konklusion keinen formal- oder materiallogischen Widerspruch zwischen 6 Zusammenfassung 194 <?page no="195"?> 10 Vgl. Rafael F E R B E R , Philosophische Grundbegriffe 1. Eine Einführung, III., 2. Deduktive und induktive Argumente, S. 56. Zu den Argumenten als solchen vgl. auch die kurze, aber detaillierte Einführung von Anthony W E S T O N , A Rulebook for Arguments. 11 Josef S E I F E R T hat in der Vorrede zur zweiten Auflage seines einschlägigen Werkes Gott als Gottesbeweis insgesamt vier Grundlagen bzw. Prämissen des ontologischen Argu‐ ments herausgearbeitet und begründet: Neben den ontologischen (S. 63-69) und den erkenntnistheoretischen (S. 70-117), die existentiellen (S. 117-127) und schliesslich die axiologischen (S. 128-151). Zur Gültigkeit des Arguments vgl. auch P F ÄN D E R , Logik, S. 249 f. 12 Vgl. von H I L D E B R A N D , Christliche Ethik, 10. Kap., S. 165. 13 Vgl. oben II, 4.5. Prämissen und Konklusion ergeben würde. 10 Wenn aber der absolute Wert bzw. der Inbegriff aller Werte nur die vollkommene Person sein kann und wenn die Vollkommenheit die reale Existenz notwendigerweise bedingt, dann wäre die Folgerung auf die notwendige reale Existenz der vollkommenen Person nur unter der Voraussetzung ungültig, dass die Bejahung der Prämissen, dass der Inbegriff aller Werte nur die vollkommene Person sein kann und ihre Vollkom‐ menheit die reale Existenz notwendigerweise bedingt, bei gleichzeitiger Ver‐ neinung der Konklusion der realen Existenz des vollkommenen Wesens keinen Widerspruch zwischen den Prämissen und der Konklusion ergeben würde. Da sich aber ein Widerspruch zwischen der Bejahung der Prämissen und der Ver‐ neinung der Konklusion ergibt - dergemäss das vollkommene Wesen nicht real existiert -, muss das Argument zumindest aus dieser Perspektive als gültig ver‐ standen werden. Selbstverständlich setzen die volle Gültigkeit und die gewisse Erkenntnis der Konklusion v. a. voraus, dass die Wahrheit der Prämissen mit unbezweifelbarer Evidenz erkannt wird. 11 Was immer aber der nähere Grund seiner Zurückweisung auch gewesen sein mag, eine sachliche Analyse kommt jedenfalls unweigerlich zum Ergebnis, dass von Hildebrand das Argument implizit bejaht hat und es auch explizit hätte anerkennen müssen, hätte er um die Theorie der reinen Vollkommenheiten und die mit ihr gegebene angemessene Begründung des ontologischen Arguments gewusst. Implizit hat er es aufgrund dessen bejaht, dass er die sittlichen Werte als die höchsten, die wichtigsten und die zentralsten bezeichnete, die sittlichen Werte aber gerade diejenigen sind, bei denen es sich in vielen Fällen um reine Vollkommenheiten handelt, z. B. bei der Güte, der Wahrhaftigkeit, der Gerech‐ tigkeit oder der Liebe, die von Hildebrand selbst Gott zugeschrieben hat. 12 Wie erwähnt, gibt es nebstdem gewisse sittliche Werte, wie beispielsweise die Be‐ scheidenheit oder die Demut, die die kreatürliche Begrenztheit und Geschaf‐ fenheit des Subjekts voraussetzen, und da sie keine Unendlichkeit zulassen, den gemischten Vollkommenheiten zuzurechnen sind. 13 6 Zusammenfassung 195 <?page no="196"?> 14 Vgl. oben II, 4.4. 15 Vgl. oben II, 4.6. 16 Vgl. oben II, 5.1.5.2. 17 Vgl. oben II, 5.2. 18 Vgl. oben II, 5.3.3.2. Wenngleich der Begriff des Wertes auch weiter ist und neben den sittlichen noch andere Werte umfasst, so weisen bestimmte sittliche Werte dennoch die formalen Merkmale göttlicher Eigenschaften auf: Sie sind absolut besser zu sein als nicht zu sein, sie lassen Unendlichkeit in einer Weise zu, dass sie nur in der unendlichen Form wahrhaft sie selber sind, sie sind gegenseitig verträglich, ja können in einem solchen Sinne alle gleichzeitig besessen werden, dass keine wahrhaft sie selber ist ohne all die anderen und schliesslich können auch die Werte weder von etwas anderem deduziert noch auf anderes reduziert werden. Diese nicht-anthropomorphen Merkmale der reinen Vollkommenheiten in Ver‐ bindung mit dem kosmologischen Argument und dem zureichenden Grund der menschlichen Person geben Gott als absolute und vollkommene Person zu er‐ kennen. 14 Auch konnte die kritische Anfrage, ob die Werte überhaupt einen Seinsgrund ausserhalb ihrer selbst benötigen, auf der Basis der intelligiblen Struktur der Wirklichkeit mit verschiedenen Argumenten zurückgewiesen werden, welche letztlich alle darauf hinausliefen, dass die Werte in Gott not‐ wendigerweise ihr letztes Fundament und ihre letzte Wurzel haben. 15 Die auf dieser Grundlage erörterten religionskritischen Thesen von Feuer‐ bach, Wittgenstein und Dawkins zeigten ihre Unvernünftigkeit in vielerlei Hin‐ sicht. Während Feuerbach insbesondere an der vermeintlichen Steigerbarkeit der menschlichen Eigenschaften zu unendlicher Perfektion scheiterte, 16 litt Wittgensteins gegen die Religion erhobener Unsinnigkeitsvorwurf allzu stark an der Wende zur Sprache und im Verbund mit einem empiristischen Erfah‐ rungsverständnis mangelte es ihm an einem angemessenen Erkenntniskorrelat, was eine vertiefte Beschäftigung mit den in sprachlichen Sätzen ausformulierten und behaupteten Sachverhalten unterband bzw. von vornherein verunmög‐ lichte. 17 Die von Dawkins vertretene Evolutionstheorie schliesslich, nach der die Religion wie die menschliche Person und das gegenwärtig Seiende insgesamt einen bestimmten Stand der additiven Einbahnstrasse evolutiver Höherent‐ wicklung darstelle, konnte als falsch ausgewiesen werden. Und zwar durch das Aufzeigen der Unmöglichkeit, dass das Bewusstsein eine Begleiterscheinung des (materiellen) Gehirns ist. Was in erster Linie durch den Aufweis der unzusam‐ mengesetzten Individualität als Bedingung der bewussten geistigen Erfah‐ rungen gelang und in den Wesensanalysen der Freiheit ebenso wie des Erken‐ nens seine Bestätigung fand. 18 6 Zusammenfassung 196 <?page no="197"?> 19 von H I L D E B R A N D , Wahre Sittlichkeit und Situationsethik, 11. Kap.: Christliche Moral, S. 160. III D ER M ENSCH UND SEIN A NGELEGTSEIN AUF DIE R ELIGION IN D ENKEN , F ÜHLEN UND W OLLEN Bei der Begründung der Vernünftigkeit der Religion geht es nicht alleine um die Begründung der realen Existenz ihres Bezugspunktes, nämlich um die Begrün‐ dung der notwendigen Existenz Gottes. Die Begründung der Vernünftigkeit der Religion steht und fällt darüber hinaus vor allem mit der Begründung des le‐ bendigen Verhältnisses des Menschen mit Gott, des „Zwiegesprächs zwischen Geschöpf und Schöpfer“ 19 . Wie aber soll das Bestehen dieses Verhältnisses in vernünftiger Weise nachgewiesen werden? Auch wenn die Existenz Gottes - wie sich gezeigt hat - absolut gewiss ist, wie will man wissen, ob der begrenzte und kontingente Mensch überhaupt die Fähigkeit besitzt, um mit der absoluten Person in ein Verhältnis zu treten? Um diese Frage beantworten zu können, bedarf es im Anschluss an die Beschäftigung mit dem Wesen Gottes in erster Linie der Herausarbeitung der zentralen Wesensmerkmale der geistigen Person des Menschen. <?page no="199"?> 1 Zur Begriffsgeschichte von „Person“ vgl. Dieter S T U R M A , Art. „Person“, in: Enzyklopädie Philosophie, Sp. 994b-998, wo sich auch eine Auswahl an einschlägiger Literatur ver‐ zeichnet findet. 2 Vgl. A U G U S T I N U S , De trinitate, 5,10 (CCSL 50, S. 216 f.). 3 Vgl. D E R S ., De trinitate, 5,10 (CCSL 50, S. 217): Dictum est tamen tres personae non ut illud diceretur sed ne taceretur. 4 Vgl. D E R S ., De trinitate, 15,11 (CCSL 50A, S. 474), S. 275. 1 Augustinus, Boethius, Locke, die Annäherung an das Wesen der Person 1 und die Frage nach der unübersteigbaren Vollkommenheit des Personseins Ausgehend vom Glauben an die trinitarische Struktur des göttlichen Wesens, den die griechischen Kirchenväter in die Formel μίαν οὐσίαν τρεῖς ὑποστάσεις fassten und im lateinischen Westen durch Tertullians Übersetzung von ὐποστάσεις mit persona in die Formel una substantia, tres personae mündete, sah Augustinus sich mit terminologischen Ungereimtheiten konfrontiert. So wisse er nicht, wo der Unterschied liege zwischen οὐσίαν und ὑπόστασιν, da die grie‐ chische Formel μίαν οὐσίαν τρεῖς ὑποστάσεις doch eigentlich mit una essentia, tres substantiae zu übersetzen wäre. 2 Wenn von drei Personen gesprochen werde, so Augustinus die terminologischen Differenzen resümierend, dann nicht um den Sachverhalt angemessen auszudrücken, sondern um nicht zu schweigen. 3 Trotz dieser Schwierigkeiten, hob Augustinus den Begriff der Person so ins all‐ gemeine Bewusstsein, dass der Mensch nur in Bezug auf seinen Geist eine Person sei 4 und er den Geist als eine Dreieinheit mit einer intentionalen Struktur der Selbst- und Fremdbeziehung definierte. Und nur wenn das Dasein über diese intentionale Struktur verfügt, handelt es sich um eine Person. Die mit Augustinus’ Person-Definition verbundenen begrifflichen Schwie‐ rigkeiten - in Verbindung mit einer christologischen Fragestellung - veran‐ lassten Boethius zu einem weiteren Durchdenken des Personbegriffs unter Rückgriff auf die aristotelische Philosophie. Die Ergebnisse seines Bemühens hat er in der kleinen Schrift Contra Euthychen et Nestorium schriftlich fixiert, welcher als V. Traktat der Opuscula sacra eine entscheidende Bedeutung für die mittelalterliche Definition des Personbegriffs zukommt. Aufgrund der Offensichtlichkeit, dass der Person die Natur zugrunde liegt und sie nicht ausserhalb von ihr ausgesagt werden kann, geht Boethius von den <?page no="200"?> 5 B O E T H I U S , Die theologischen Traktate, V. Gegen Eutyches und Nestorius, 1, 8-10, S. 68 f. (zitiert mit Kapitel-, Zeilen- und Seitenangabe nach der kritischen Ausgabe von Michael Elsässer): natura est earum rerum quae, cum sint, quoquo modo intellectu capi possunt. In Ergänzung werden in Klammern zudem die Kapitel-, Zeilen- und Seitenangaben nach der aktuellsten lateinisch-französischen Ausgabe angeführt, hier: B O È C E , Opuscula sacra. Volume 2, 1, 66-67, p. 294. 6 B O E T H I U S , Die theologischen Traktate, V, 1, 25-26, S. 70f: natura est vel quod facere vel quod pati possit (B O È C E , Opuscula sacra. Volume 2, 1, 81-82, p. 296). 7 B O E T H I U S , Die theologischen Traktate, V, 1, 41-42, S. 70 f.: natura est motus principium per se non per accidens (B O È C E , Opuscula sacra. Volume 2, 1, 96-98, p. 298). 8 B O E T H I U S , Die theologischen Traktate, V, 1, 57-58, S. 70 f.: natura est unam quamque rem informans specifica differentia (B O È C E , Opuscula sacra. Volume 2, 1, 111-112, p. 300). 9 B O E T H I U S , Die theologischen Traktate, V, 2, 28-35, S. 74 f.: Ex quibus omnibus neque in non viventibus corporibus personam posse dici manifestum est […], neque rursus eorum viventium quae sensu carent […], nec vero eius quae intellectu ac ratione deseritur […] (B O È C E , Opuscula sacra. Volume 2, 2, 145-149, p. 302). verschiedenen Bedeutungen von Natur (natura) aus, welche auf dreierlei Weisen ausgesagt und definiert werden könne. Erstens hätten die Dinge Natur, „die auf gewisse Weise von der Vernunft erfasst werden können, weil sie sind“ 5 ; wonach die Definition von Natur sowohl Akzidentien als auch Substanzen beinhaltet. Zweitens sei Natur, „was tätig sein kann oder was erleiden kann“ 6 . Da nach Aristoteles nur Substanzen das Prinzip der Bewegung sind, definiert Boethius die Natur konsequenterweise als „Prinzip der Bewegung aus sich heraus, nicht beiläufig“ 7 . Drittens bezeichnet natura „die ein jedes Ding bestimmende spezi‐ fische Differenz“ 8 . Da die Person nun nicht ausserhalb der Natur, sie aber nicht den Akzidentien zuzurechnen ist, wird Person als in den Substanzen seiend ausgesagt. Die Sub‐ stanzen scheidet er in unkörperliche und körperliche, die körperlichen in nicht lebende und lebende, die lebenden in nicht mit Sinnen begabte und mit Sinnen begabte, die mit Sinnen begabten in unvernünftige und vernünftige, die ver‐ nünftigen in unveränderliche und des Leidens nicht fähige und in veränderliche und des Leidens fähige. „Aus all dem wird offensichtlich, dass sich Person weder als in leblosen Körpern seiend aussagen lässt […] noch als in den Lebenden seiend, die der Sinne entbehren […] noch von dem, welchem Vernunft und Verstand fehlen“ 9 . Von den Substanzen, wie Boethius seine Gedankenfolge weiterführt, sind die einen universal, die anderen partikulär. Universal sind z. B. Mensch, Stein oder Holz, schlicht alles, was entweder Genus oder Spezies ist und von einzelnen Menschen, Steinen oder Hölzern ausgesagt wird. Partikulär bezieht sich da‐ gegen auf das, was von anderem nicht ausgesagt werden kann, wie z. B. Sok‐ rates, dieser Stein oder dieses Holz, aus dem dieser Tisch gefertigt wurde. In 1 Die Frage nach der unübersteigbaren Vollkommenheit des Personseins 200 <?page no="201"?> 10 B O E T H I U S , Die theologischen Traktate, V, 3, 1-5, S. 74 f.: Quocirca si persona in solis sub‐ stantiis est atque in his rationabilibus substantiaque omnis natura est nec in universalibus sed in individuis constat, reperta personae est definitio: „naturae rationabilis individua substantia“ (B O È C E , Opuscula sacra. Volume 2, 3, 171-172, p. 304). 11 Vgl. Berthold W A L D , Substantialität und Personalität. Philosophie der Person in Antike und Mittelalter, Zweiter Teil, IV. Abschnitt, 2. Kap., S. 108-116. 12 Vgl. L O C K E , Versuch über den menschlichen Verstand, Zweites Buch, Kap. 27, § 23, S. 432. 13 Ebd., Zweites Buch, Kap. 27, § 10, S. 421. 14 Vgl. ebd., Zweites Buch, Kap. 27, § 11, S. 422. diesem Sinne kann Person nicht als im Universalen seiend ausgesagt werden, sondern nur in den Individuen und im Einzelnen. „Wenn folglich Person nur in Substanzen und zwar in vernünftigen ist, wenn jede Substanz Natur ist und nicht im Universalen, sondern im Individuellen ihren Bestand hat, ist die Definition der Person gefunden: ‚Einer verständigen Natur unteilbare Substanz‘ [naturae rationabilis individua substantia].“ 10 Damit sei bestimmt, was die Griechen ὑπόστασις nennen würden. Boethius hat den Begriff der Person jedenfalls einer wesentlichen Klärung zugeführt, indem er einige notwendige Eigenschaften der Person eindeutig bezeichnete. Wenn im neuzeitlichen Sinne von der Person die Rede ist, dann muss unwei‐ gerlich die Grundlegung des modernen Personbegriffs durch John Locke be‐ rücksichtigt werden. Locke distanziert sich vom substanzorientierten Person‐ begriff des Boethius, 11 indem er dafür argumentiert, dass nicht die Substanz die Identität der Person begründe, sondern das Bewusstsein. Nur das Bewusstsein vermöge die vergangenen und die zukünftigen Ereignisse zu einer Person zu verbinden. 12 „Denn soweit ein vernunftbegabtes Wesen die Idee einer vergan‐ genen Handlung mit demselben Bewusstsein, das es zuerst von ihr hatte, und mit demselben Bewusstsein, das es von einer gegenwärtigen Handlung hat, wiederholen kann, ebenso weit ist es dasselbe persönliche Ich.“ 13 Die Substanz dagegen, an der das persönliche Selbst zu einer bestimmten Zeit haftete, könne sich ändern, ohne dass die Person ihre Identität verliert, wie z. B. beim Verlust der Glieder. 14 Im Zentrum von Lockes Theorie steht die personale Identität über die Zeit hinweg. Diese liegt ihm darin begründet, dass ein Wesen, das sich sowohl der gegenwärtigen wie der vergangenen Handlungen bewusst ist, dieselbe Person ist, die beide Handlungen initiierte. So könne die Identität nicht in etwas an‐ derem als in dem Bewusstsein gesucht werden. Das identische Bewusstsein ist 1 Die Frage nach der unübersteigbaren Vollkommenheit des Personseins 201 <?page no="202"?> 15 War die These, dass die Identität der Person das Selbstbewusstsein voraussetzt, viel‐ leicht keine originelle Tat John Lockes? Unterschied nicht schon Augustinus zwischen zwei Weisen des Selbstbezugs: zwischen se cogitare und se nosse, wobei das se cogitare reflexiv, se nosse aber ein immerwährender Vollzug ist? Im Sinne des se nosse ist der Mensch nach Augustinus immer schon bei sich. Erinnerung, Einsicht und Wille sind immerwährende Vollzüge (vgl. De trinitate, 10,19 [CCSL 50, S. 332]), mit deren Auf‐ hören der Geist zu existieren aufhören würde (vgl. ebd. 9,6 [ebd., S. 298]). Es sind Voll‐ züge, die bei allem diskursiven Denken die Identität des Ich begründen (vgl. ebd. 15,42 [CCSL 50A, S. 519 f.]) und es ermöglichen, dass das Wissen mein Wissen ist. Wenngleich Augustinus das Selbstbewusstsein der menschlichen Person in tiefer Weise zu durch‐ forschen wusste, machte er das Personsein trotzdem nie von ihrem Bewusstsein ab‐ hängig. 16 Vgl. L O C K E , Versuch über den menschlichen Verstand, Zweites Buch, Kap. 27, § 25, S. 434 f. 17 Vgl. ebd., § 26, S. 435 f. Einer, der sich gegen diese Theorie wandte, war David Hume, für den es keine persönliche Identität gibt und geben kann, da das Ich nur „ein Bündel oder ein Zusammen verschiedener Perzeptionen“ sei (vgl. H U M E , Ein Traktat über die menschliche Natur, Teilband 1, Buch I, Vierter Teil, S. 309). 18 Vgl. von H I L D E B R A N D , Liturgie und Persönlichkeit, 3. Kap., S. 276. dann aber auch der Grund des Selbst. 15 Nicht die identische numerische Sub‐ stanz, sondern das fortgesetzte Bewusstsein ist das, was das Selbst ausmacht. 16 Dieses Selbst wiederum ist das, was Locke als Person bezeichnet. 17 Seine Bestimmung des Bewusstseins als eines Wesensmerkmals der Person ist allerdings problematisch. Denn wohl ist die Person angelegt auf Bewusst‐ sein, auf Entfaltung im bewussten Leben, doch wenn Locke die Potenz zum Bewusstsein auf rein metaphysischer Ebene, die nicht immer im Leben ver‐ wirklicht ist, zur Bedingung des Personseins erklärt, dann wären der Embryo oder der im Koma liegende Patient, dessen Bewusstlosigkeit durch keine äus‐ seren Reize unterbrochen wird noch werden kann, keine Personen mehr. Das Bewusstsein zur Bedingung des Personseins zu erklären, erweist sich von diesem Einwand her als reduktionistische Isolierung eines Einzelelementes, welches generalisiert, im selben Zuge aber die Verflechtung mit dem Ganzen übersehen bzw. ignoriert wird. Angemessener, weil holistischer, nimmt sich da‐ gegen die seinsbzw. substanzmässige Begründung des Personseins aus. Wird die transpersonale Identität der Person in einem substanzorientierten Sinne verstanden, liegt sie auf einer Linie mit von Hildebrands phänomenologischer Theorie der Kontinuität - mit dem „Sich-als-ein-und-derselbe-Wissen im Ab‐ laufe der Zeit und der mit den verschiedensten Inhalten erfüllten Augen‐ blicke“ -, welche er zu einem „der tiefsten Wesensmerkmale des Menschen als geistiger Person“ erklärt. 18 Und wenn Blaise Pascal die metaphysische Existenzweise der Person mit dem denkenden Schilfrohr in Worte zu fassen suchte, das weiss, dass es stirbt, wäh‐ 1 Die Frage nach der unübersteigbaren Vollkommenheit des Personseins 202 <?page no="203"?> 19 Vgl. P A S C A L , Gedanken, Fr. 200 / 347 (Lafumas / Brunschvicgs), S. 140 f. 20 Vgl. II, 4.4 - „Die reinen Vollkommenheiten als Gültigkeitsgrund des ontologischen Arguments“. 21 Der auf Johannes Duns Scotus zurückgehende Begriff der haecceitas bezieht sich in Abhebung von allgemeinen Eigenschaften auf das Spezifische eines einzelnen Objektes, also auf sein Dieses-Sein oder seine Diesheit. renddem das ganze Weltall davon nichts weiss, 19 so stellt sich aufgrund der be‐ reits entfalteten Theorie der reinen Vollkommenheiten 20 die Frage, ob auch das Personsein eine reine Vollkommenheit ist. Dem scheint zweierlei zu widerspre‐ chen. Erstens sind die reinen Vollkommenheiten irreduzibel einfach (simpliciter simplex), und wenn das Personsein eine reine Vollkommenheit ist, dann muss auch das Personsein irreduzibel einfach sein. Das widerspricht jedoch dem in‐ dividuellen personalen Sein. Ein allgemeines Wesen der Person wäre ebenso wenig Person wie eine Idee oder ein eidos. Folglich ist das Personsein keine reine Vollkommenheit. Zweitens mag das Personsein eine reine Vollkommenheit hin‐ sichtlich des Individuumseins und des Besitzes einer haecceitas sein. 21 Aber es kann keine reine Vollkommenheit sein, diese individuelle Person anstelle einer anderen zu sein. Denn wäre meine individuelle Person eine reine Vollkommen‐ heit, dann wäre sie zu sein absolut besser als das Peter-Müller-, das Sonja Hasler- oder jedes andere Person-X-Sein. Doch das ist widersprüchlich. Handelt es sich beim Personsein also tatsächlich nicht um eine reine Voll‐ kommenheit? Für eine philosophische Gotteslehre hätte dies auf den ersten Blick zur Folge, dass Gott keine Person sein kann. Wenn es als gesichert be‐ trachtet wird, dass die reinen Vollkommenheiten nicht nur in Gott wirklich sind, sondern dieser die reinen Vollkommenheit selbst ist, dann scheint es unaus‐ weichlich, Gott das Personsein abzusprechen. Denn wenn Gott die reinen Voll‐ kommenheiten selbst ist, das Personsein aufgrund des nicht irreduzibel einfa‐ chen Seins aber keine reine Vollkommenheit sein kann, ergibt sich in logischer Folge, dass Gott keine Person sein kann. Diese Schwierigkeiten gehen in der Tat sehr tief und erwecken den Anschein, als ob sich entweder in der Theorie der reinen Vollkommenheiten ein Fehler verbergen müsse oder aber die Person nicht auf einer solch unüberbietbaren Höhe über allen nichtpersonalen Enti‐ täten steht. Wenngleich es mysteriös anmutet, so aber scheint es doch, als gehöre zur reinen Vollkommenheit des Personseins immer eine einmalige Identität, als impliziere der Besitz der reinen Vollkommenheit des Personseins immer den Besitz von etwas, das keine reine, sondern eine gemischte Vollkommenheit ist. Der Klärung rückt man ein wesentliches Stück näher, wenn sowohl die Di‐ mension der Transzendenz der Einzelperson als auch die Gemeinschaft unter den Personen ins Auge gefasst wird. Es liegt im Wesen der Person, zur vollen 1 Die Frage nach der unübersteigbaren Vollkommenheit des Personseins 203 <?page no="204"?> 22 Vgl. Josef S E I F E R T , Essere persona come perfezione pura. Il Beato Duns Scoto e una nuova metafisica personalistica, S. 66-75. Vgl. auch Raphael E. B E X T E N , Erkenntnis von Person‐ sein. Überlegungen zum Mysterium der „Person“. Teilnahme am Wohlergehen der Anderen aufgerufen zu sein. Die Person lebt in der Welt nicht als isolierte Substanz, sondern über sich selbst hinausschreitend, nimmt sie am Leben der anderen Personen teil. Dieses gemeinsame Leben von Personen kulminiert in der Idee der perfekten Gemeinschaft, in der die Begren‐ zungen des individuellen Personseins in gewisser Weise überschritten und in ihren Wert gesetzt werden. Um keinen Aspekt der Wirklichkeit ausser Acht zu lassen, von dem ein Hinweis zur Lösung des vorliegenden Problems zu erhoffen ist, sei schliesslich noch ein theologisches Argument beigebracht. Existierte nur eine göttliche Person, so der Ausgangspunkt, wie dies etwa die jüdische Religion lehrt, dann könnte diese spezifische Identität eine reine Vollkommenheit sein. Wenn aber Gott, wie die Christen glauben, drei verschiedene Personen ist, dann kann die individuelle Identität einer jeden göttlichen Person keine reine Voll‐ kommenheit sein. Weil in diesem Fall auch die Personen der Dreifaltigkeit einer reinen Vollkommenheit ermangeln würden, denn wenn das Vatersein eine reine Vollkommenheit wäre, dann wäre das Vatersein absolut besser als das Nicht-Vater-Sein; dem Sohn und dem Heiligen Geist würde diese reine Voll‐ kommenheit aber nicht zukommen, ihnen würde also zumindest eine reine Vollkommenheit fehlen. Was der Trinitätstheologie als gesichert gilt, ist auch seitens der Philosophie zu erkennen, dass es nämlich keine reine Vollkommen‐ heit sein kann, diese bestimmte Person anstelle einer anderen Person zu sein. So lässt sich abschliessend festhalten, dass das Urteil „Das Personsein ist eine reine Vollkommenheit! “ weder gegen die angeführten Wesenscharakteristika der reinen Vollkommenheiten verstösst noch die Person der unüberbietbaren Höhe beraubt, die sie gegenüber allen nichtpersonalen Entitäten einnimmt. Und zwar gelingt dies - wie gesehen - unter der Voraussetzung, dass die reine Voll‐ kommenheit des Personseins auf die unverletzliche und unveräusserliche Indi‐ vidualität beschränkt wird, währenddem es keine reine Vollkommenheit ist, diese bestimmte Person anstelle einer anderen zu sein. 22 Wenn in der Folge die These zu begründen gesucht wird, dass der Mensch auf die Religion angelegt ist, indem er mit Denken, Fühlen und Wollen die not‐ wendigen Voraussetzungen erfüllt, um einen Dialog mit der absoluten Person führen zu können, so sei zuerst eine Stelle aus dem Oeuvre von Hildebrands zitiert, in der er die wesentlichsten Merkmale der geistigen Person in kurzer und prägnanter Weise zur Sprache bringt. Daraufhin werden die genannten Kräfte des Denkens, Fühlens und Wollens analysiert. Wobei das Denken nicht mehr eigens untersucht werden wird, da es weiter oben bereits unter dem Titel des 1 Die Frage nach der unübersteigbaren Vollkommenheit des Personseins 204 <?page no="205"?> 23 von Hildebrand, Die Weltkrise und die menschliche Person, S. 239. Erkennens auseinandergesetzt wurde (vgl. Abschnitt I). Der folgende Text möge weiter in die Thematik einführen: Die geistige Person stellt eine noch vollkommenere Form des Seienden dar [als das Reich der Lebewesen]: ein vernünftiges Wesen mit der Fähigkeit, sich und die Welt zu erkennen, eine sinnvolle Antwort auf das wahrgenommene Objekt zu geben und frei nach eigenem Willen zu entscheiden; ein Wesen, das Verantwortung besitzt, fähig ist, Träger sittlicher Werte zu sein und mit anderen Personen in Gemeinschaft zu treten. 23 1 Die Frage nach der unübersteigbaren Vollkommenheit des Personseins 205 <?page no="206"?> 1 Vgl. D E R S ., Die Stellung der Wahrheitserkenntnis im Leben der Menschen, S. 31. 2 D E R S ., Über das Herz, I. Teil, 1. Kap., S. 48. Vgl. auch Die geistigen Formen der Affekti‐ vität, S. 203. 3 Vgl. D E R S ., Über das Herz, I. Teil, 2. Kap., S. 50 f., Anm. 12. 4 Vgl. P L A T O N , Politeia IV; zum logistikon und epithimitikon vgl. ebd. 437b-439e, zum timoeides vgl. ebd. 439e-441c. 5 Vgl. von H I L D E B R A N D , Über das Herz, I. Teil, 5. Kap., S. 109. 6 P A S C A L , Gedanken, Fr. 424 / 278 (Lafumas / Brunschvicgs), S. 233. 7 Sören K I E R K E G A A R D , Entweder - Oder, II. Teil, Das Gleichgewicht zwischen dem Äs‐ thetischen und dem Ethischen in der Herausarbeitung der Persönlichkeit, S. 834. 2 Das Zusammenwirken und gegenseitige Befruchten von Vernunft, Wille und Herz und das geistig-intentionale affektive Leben der Person Wohl ist das Erkennen einer der tiefsten Wesenszüge der geistigen Person, 1 doch ist es recht besehen eine Trias von geistigen Zentren, die im Menschen besteht: „Vernunft, Wille und Herz (Gefühl), die bestimmt sind zusammenzuwirken und einander zu befruchten“ 2 . Vernunft, Wille und Herz sind ihm die „drei grundle‐ genden Zentren“, die „drei fundamentalen Fähigkeiten oder Wurzeln im Men‐ schen“. 3 Von Hildebrand war jedoch nicht der erste Denker, der im Menschen verschiedene Vermögen oder Kräfte unterschied. Das tat - noch vor Augus‐ tinus - bereits Platon, indem er zwischen einem vernünftigen (logistikon), einem begehrlichen (epithimitikon) und einem zornmütigen (timoeides) Seelenteil un‐ terschied. 4 Von Hildebrand sieht „das Geheimnis der menschlichen Person“ jedenfalls im Herzen bzw. im Gefühl gelegen, „hier wird ihr innerstes Wort gesprochen“. 5 Der Ausdruck „Gefühl“ ist jedoch - ähnlich wie im Falle des oben besprochenen Begriffs der Erfahrung - alles andere als univok. Das liegt einmal daran, dass das Herz in der Geschichte der Philosophie weitgehend vernachlässigt und der Vernunft und dem Willen untergeordnet wurde. Auszunehmen ist davon aber zumindest Blaise Pascal, der unter anderem sagen konnte: „Das Herz und nicht die Vernunft nimmt Gott wahr.“ 6 Auch Sören Kierkegaard (1813-1855) hat in seinem programmatischen Hauptwerk Entweder-Oder vom Fühlen gesprochen. Er macht die ethische Reifung davon abhängig, ob „die Persönlichkeit mit ihrer ganzen Energie die Intensität der Pflicht gefühlt hat“ 7 . „Die Hauptsache ist darum nicht, ob ein Mensch an den Fingern herzählen kann, wie viele Pflichten <?page no="207"?> 8 Ebd. Nebst diesen beiden rechnet von Hildebrand nur noch Augustinus, Bonaventura und Theodor Haecker zu den Philosophen, die dem Gefühl einen Platz im geistigen Teil der Person zugewiesen haben. Vgl. von H I L D E B R A N D , Selbstdarstellung, S. 110. 9 D E R S ., Über das Herz, I. Teil, 1. Kap., S. 27. 10 Vgl. ebd., S. 29. Siehe dazu auch Josef S E I F E R T , Transcendent Holiness as Divine Perfection. Its Importance for Understanding Theistic Religions and Interreligious Dialogue. 11 Schon Edmund Husserl ging im zweiten Band seiner Logische[n] Untersuchungen auf die intentionalen Gefühle ein. Dabei grenzte er die Freude bzw. Unfreude ebenso wie die übrigen Gefühle von einem Kausalverhältnis ab. „Ja es ist, genauer erwogen, ein prinzipieller Widersinn, das intentionale Verhältnis, hier und überhaupt, als Kausal‐ verhältnis anzusehen, ihm also den Sinn eines empirischen, substanzialkausalen Not‐ wendigkeitszusammenhangs unterzulegen. Denn das intentionale Objekt, das als ‚be‐ wirkendes‘ aufgefasst ist, kommt dabei nur als das intentionale in Frage, nicht aber als ausser mir wirklich seiendes und mein Seelenleben real, psychophysisch bestim‐ mendes“ (H U S S E R L , Logische Untersuchungen, II / 1, V., 2. Kap., S. 391). er hat, sondern dass er ein für allemal die Intensität der Pflicht so empfunden hat, dass das Bewusstsein davon ihm die Gewissheit der ewigen Gültigkeit seines Wesens ist.“ 8 Den Hauptgrund der Diskreditierung des Herzens verortet von Hildebrand „in der Loslösung der affektiven Antwort von dem motivierenden Objekt“ 9 . Was sich gerade auch im Bereich der Religion zeigt. Sobald die religiösen Haltungen nämlich von ihrem Gegenstand abgelöst werden und die Frage nach der Existenz Gottes beiseite geschoben und er als „blosses Postulat für den Genuss religiöser Gefühle“ betrachtet wird, „werden die religiösen Antworten ihres wahren Sinnes und Gehaltes beraubt“. 10 Das gibt zu erkennen, wodurch die Religion zur Unvernünftigkeit degradieren kann, es zeigt aber auch, dass die Vernünftigkeit der Religion ein intentionales, ein gegenstandgerichtetes Gefühlsleben be‐ dingt. 11 Zu den bedeutenden philosophischen Taten von Hildebrands ist auch seine Unterscheidung zwischen nichtgeistigen und geistigen Formen der Affektivität zu zählen. In grundlegender Weise differenziert er zwischen leiblichen und psy‐ chischen Gefühlen, was er mit dem Unterschied zwischen dem Kopfweh, dem Zahnschmerz, dem Wohlbehagen an einem warmen Bad, dem angenehmen Gefühl des Ausruhens oder der körperlichen Erschöpfung einerseits und dem Kummer über ein tragisches Ereignis, der Lustigkeit oder der Depression ande‐ rerseits veranschaulicht. Was die leiblichen Gefühle des Menschen betrifft, so haben sie einen anderen Charakter als die der Tiere. Obzwar es keine geistigen sind, sind es dennoch eindeutig personale. Auch wenn gewisse physiologische Vorgänge homolog verlaufen, so verlaufen sie im bewussten Leben des Men‐ schen nichtsdestoweniger von der Wurzel her anders, sind sie doch „in die ge‐ heimnisvolle, tiefe Welt einer Person eingesenkt“ und werden „von diesem 2 Das Zusammenwirken und gegenseitige Befruchten von Vernunft, Wille und Herz 207 <?page no="208"?> 12 Vgl. von H I L D E B R A N D , Über das Herz, I. Teil, 2. Kap., S. 54. 13 Ebd., S. 56. 14 Ebd., S. 58. 15 D E R S ., Selbstdarstellung, S. 112. 16 Ebd. 17 D E R S ., Über das Herz, I. Teil, 2. Kap., S. 75. 18 Zur Wertantwort vgl. unten III, 7 - „Die Wertantwort“. 19 von H I L D E B R A N D , Christliche Ethik, 17. Kap., S. 261. identischen Selbst erlebt“. 12 Die psychischen Gefühle sind darüber hinaus noch subjektiver, sie „gehen mehr im Subjekt vor sich als die Körpergefühle“ 13 . Sehr wohl können diese beiden Gefühlsarten koexistieren, so etwa ist der Einfluss der körperlichen Vitalität auf die psychische Stimmung ja geradezu feststellbar. Von Hildebrand unterscheidet die Gefühle sodann nach ihrer Geistigkeit. Geistig sind ihm die Gefühle dann, wenn sie intentional sind, wie beispielsweise im Falle des Kummers über ein tragisches Ereignis. Sie sind es dann, wenn ihnen der Charakter einer Antwort zukommt, wenn sie in einer sinnvollen und be‐ wussten Beziehung zu einem Gegenstand stehen. Dagegen sind nicht-intentio‐ nale Gefühle wie das Kopfweh oder das angenehme Gefühl des Ausruhens spe‐ zifisch ungeistig. Zudem „werden psychische Zustände entweder durch körperliche oder psychische Vorgänge ‚verursacht‘, affektive Antworten sind dagegen ‚motiviert‘“ 14 . Doch besitzen nicht alle intentionalen affektiven Ant‐ worten diese Geistigkeit. Ein Beispiel dafür ist etwa die Wut. Zwar ist die Wut für gewöhnlich motiviert und stellt eine Antwort auf etwas ganz Bestimmtes dar, womit sie eigentlich intentionale Züge trägt, doch ist sie trotzdem nicht in jedem Falle geistig. „Wenn sie durch ihre Intensität in ein ‚Den-Kopf-Verlieren‘ ausartet, stellt sie ein radikal Ungeistiges dar. Sie schaltet die Vernunft und auch den klaren Willen aus; sie paralysiert beide.“ 15 Dann hat sie sogar einen „geist-feindlichen Charakter“ 16 . Wichtig ist hier vor allem der Wesensunterschied zwischen den geistigen und den nichtgeistigen Formen der Affektivität. Wie gesehen, ist die Geistigkeit einer affektiven Antwort nicht alleine durch ihre Intentionalität gesichert, „sie erfordert darüber hinaus die für Wertantworten charakteristische Transzen‐ denz“ 17 . In der Wertantwort 18 kommt es zu einem Konformieren mit dem Wert, dem in sich Bedeutsamen, zu einer adaequatio cordis ad valorem. Es ist dies „einer der tiefsten Grundzüge der Person“ 19 . Im selben Mass wie in der Erkenntnis kommt es in der affektiven Wertantwort zu einem Überschreiten der bloss sub‐ jektiven Bedürfnisse und Begierden. Doch reicht die der Wertantwort eigene Transzendenz noch weiter. „Indem unser Herz sich dem Wert angleicht, das in sich Bedeutsame uns ergreift, bildet sich eine Einheit, die über die im Erkennen 2 Das Zusammenwirken und gegenseitige Befruchten von Vernunft, Wille und Herz 208 <?page no="209"?> 20 D E R S ., Über das Herz, I. Teil, 2. Kap., S. 76. 21 Vgl. D E R S ., Das Wesen der Liebe, Kap. II, S. 68. 22 D E R S ., Über das Herz, I. Teil, 2. Kap., S. 76. 23 Vgl. oben II, 3.3 - „Die Werterkenntnis“. 24 Vgl. von H I L D E B R A N D , Moralia, 31. Kap., S. 353 f. 25 D E R S ., Sittlichkeit und ethische Werterkenntnis, I. Teil, 2. Kap., b), S. 28. 26 Vgl. unten IV, 2.7.1 - „Das Verhältnis von sittlichem Sein und ethischer Werter‐ kenntnis“. liegende noch hinausgeht.“ 20 Das zeigt sich in aller Deutlichkeit an der affek‐ tivsten aller affektiven Antworten, an der Liebe. 21 In der Liebe ist die Person noch tiefer in die Vereinigung mit dem Objekt hineingezogen als in der Er‐ kenntnis. Und doch erweist sich an der Liebe die „Mitwirkung des Intellektes mit dem Herzen“ 22 . Denn es ist ein Erkenntnisakt, in dem der Gegenstand der Liebe erfasst und es ist ein Erkenntnisakt, in dem sein Wert begriffen wird. Etwas von dieser Mitwirkung des Intellektes mit dem Herzen hat sich weiter oben bereits gezeigt, als das Wertfühlen eingeführt wurde, das unmittelbare Affiziertwerden vom Wert. 23 Das erstens ein rezeptives Verhalten und zweitens die Wirkung eines Erkannten ist, und zwar eine affektive Wirkung, das drittens ein ausgesprochen intentionales Erlebnis ist. 24 Ohne dieses Affiziertwerden vom Wert - wie von Hildebrand bereits in seiner Habilitationsschrift dargelegt hat - ist auch das Erkennen von Sachverhalten, die in dem betreffenden Gegenstand und seiner intrinsischen Bedeutsamkeit gründen, „nur in sehr beschränktem Masse möglich“ 25 . Um ein Erkennen handelt es sich beim Wertfühlen jedoch allemal, denn wie sonst könnte man an dem axiomatischen Satz, wie an dem notwendigen Sachverhalt festhalten, dass nichts gewollt oder gefühlt werden kann, das nicht vorweg erkannt worden ist? Es handelt sich hierbei um eine Problemstellung, deren abschliessende Behandlung einer späteren Stelle vor‐ behalten bleibt. Nur andeutungsweise sei hier auf das anstehende Problem auf‐ merksam gemacht, das sich in die Frage fassen lässt, ob das Erkennen dem Wollen in jedem Falle vorhergeht oder ob es sich in gewissen Fällen auch so verhält, dass das Wollen dem Erkennen vorhergeht. 26 2 Das Zusammenwirken und gegenseitige Befruchten von Vernunft, Wille und Herz 209 <?page no="210"?> 1 Vgl. von H I L D E B R A N D , Christliche Ethik, 21. Kap., S. 348. 2 M E R T E N S , Hinweise auf Dietrich v. Hildebrands ethisches Werk, S. 273. 3 von H I L D E B R A N D , Die Umgestaltung in Christus, 9. Kap., S. 156. 3 Die affektiven Antworten und die mitwirkende Frei‐ heit Das Reich der Affektivität hat eine wesentliche Beziehung zur Freiheit des Men‐ schen. Wenn im letzten Punkt die nichtgeistigen von den geistigen Gefühlen unterschieden wurden, so steigen beide im Menschen ohne direkte Mitwirkung seiner Freiheit auf. Nur während die nichtgeistigen niedriger stehen als die Freiheit reicht, liegen die geistigen Gefühle über den Willensakten, jedoch nicht über dem Willen selbst. Um dieses Übersteigen des Willens in einem angemessenen Sinne verstehen zu können, ist vorab das Wesen der personalen Freiheit zu analysieren. In erster Linie ist die Freiheit gegen aussen hin von jeglicher Form animalischer Spon‐ taneität abzugrenzen. In sich weist das Wesen personaler Freiheit sodann zwei verschiedene Dimensionen auf, die von Hildebrand als die „beiden Vollkom‐ menheiten des Willens“ oder als „die beiden Dimensionen der Freiheit“ be‐ zeichnet. 1 Diese beiden Dimensionen kommen darin zum Ausdruck, dass die Person einerseits Herr ihrer Handlungen ist, dass sie verschiedene Tätigkeiten kommandieren kann, dass es ihr andererseits in der entscheidenderen Dimen‐ sion frei steht, der auf sie „‚eindringenden‘ motivierenden Kraft der Objekte Eingang zu gewähren, zwischen ihnen zu wählen, sich ihnen teilweise oder in letzter Geöffnetheit zuzuwenden“ 2 . Die erste Dimension der menschlichen Frei‐ heit hat jedoch ihre prinzipiellen und akzidentellen Grenzen, so können wir „den Mond nicht herabholen, auch wenn wir es wollten, wir können fremde Men‐ schen nicht ohne weiteres zu alledem veranlassen, was wir wollen, wir können auch in uns selbst vieles nicht einfach durch ein Kommando hervorrufen“ 3 . Auch die zweite Freiheitsdimension hat ihre Grenzen: „Unsere Liebe, Hoffnung, Be‐ <?page no="211"?> 4 Ebd. Interessante und in gewissem Sinne weiterführende Gedanken finden sich im Nachlass, wo von Hildebrand die Kausalität von der Motivation unterscheidet, die so verschieden sind, „dass man Motivation nicht mehr als Typus von Kausation fassen kann“ ( D E R S ., Unveröffentlichter Nachlass, „Philosophy of Being“, Mappe 3 (3 / 75). Die verschiedenen Dimensionen der Willensfreiheit behandelt von Hildebrand zudem auch in einer eigenen, in der Mappe 249 aufbewahrten maschinenschriftlichen Arbeit mit dem Titel „Freedom of Will“ (249 / 54-68). In diesem Text weist er u. a. nach, dass die Willensfreiheit weder dem Prinzip der Kausalität noch dem Prinzip vom zureichenden Grund widerspricht (vgl. ebd. 249 / 59 ff.). 5 D E R S ., Christliche Ethik, 25. Kap., S. 378. 6 Ebd., S. 387. 7 Ebd., S. 385. 8 Ebd., S. 395. geisterung und andere Arten der Stellungnahme unterstehen unserer Macht nicht ohne weiteres wie unsere Handlungen.“ 4 Diese letztgenannte Freiheitsdimension wirkt sich auch im Bereich dessen aus, was von Hildebrand die mitwirkende Freiheit nennt. Hier werden die geistigen Gefühle thematisch, die über den Willensakten, jedoch nicht über dem Willen selbst stehen. Mit der mitwirkenden Freiheit berühren wir „den tiefsten Punkt der menschlichen Freiheit, d. h. das letzte ‚Ja‘ oder ‚Nein‘, das unser freies Personzentrum aussprechen kann“ 5 . Dieses letzte Ja oder Nein des freien Per‐ sonzentrums gilt den geschenkhaft oder verhängnisvoll aufsteigenden affek‐ tiven Antworten. Um affektive Antworten handelt es sich beispielsweise bei der Liebe oder dem Hass, bei der Freude, der Trauer usw. Ein Ja oder ein Nein, eine Sanktionierung oder eine Verwerfung, die ihre Daseinsberechtigung nur vom objektiven Massstab der Werte herleiten, die sich nur „getragen von dem Logos der Wertewelt“ 6 vollziehen können. Das ausdrückliche Stellungnehmen, das vom tiefsten Punkt der Person her‐ kommende Wort kann ausschliesslich gegenüber affektiven Wertbzw. Un‐ wertantworten gesprochen werden. Diese Stellungnahmen sind allerdings klar „von anderen Typen ausgesprochener Solidarität bzw. Nichtsolidarität mit den affektiven Antworten der eigenen Person [zu] unterscheiden“ 7 . Wie gesehen, gehört zur ausdrücklichen Sanktion oder Verwerfung affektiver Wertantworten notwendigerweise das Getragensein vom Logos der Wertewelt. Eine zweite Ei‐ genheit bezieht sich nicht mehr auf die Beziehung zwischen der Stellungnahme und einem sie tragenden Wert, sondern auf das Verhältnis zwischen Stellung‐ nahme und affektiver Antwort selbst. Denn das Ja oder Nein zu den geschenk‐ haft oder verhängnisvoll aufsteigenden affektiven Antworten ist „ein einzigar‐ tiges organisches Mitwirken mit unseren affektiven Antworten oder eine Zurücknahme, die sie von innen her verändert“ 8 . In dieser Dimension der menschlichen Freiheit begegnen Dinge, „die wir zwar nicht mit unserem Willen 3 Die affektiven Antworten und die mitwirkende Freiheit 211 <?page no="212"?> 9 D E R S ., Die Umgestaltung in Christus, 9. Kap., S. 157. 10 Ebd. kommandieren können, für deren Zustandekommen wir aber doch indirekt viel vermögen“ 9 . Wenn die Liebe oder die Begeisterung auch nicht kraft des eigenen Willens ausgelöst werden können, so bedeutet das nicht, dass man für das Vor‐ handenbzw. Nichtvorhandensein ebensowenig verantwortlich ist wie für einen physiologischen Prozess im Gehirn. Denn: „Wir können den Boden in uns be‐ reiten, dass die richtigen emotionalen Antworten auf die Werte in uns er‐ blühen“ 10 . 3 Die affektiven Antworten und die mitwirkende Freiheit 212 <?page no="213"?> 1 Vgl. Rudolf O T T O , Das Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen, S. 140 f. 2 Vgl. Franz von S A L E S , Abhandlung über die Gottesliebe, I. Buch, 16. und 18. Kap., S. 90-92 und S. 94-96. 3 Vgl. S C H L E I E R M A C H E R , Über die Religion, S. 80. 4 Vgl. von H I L D E B R A N D , Religion und Sittlichkeit, S. 129 f., 131. 5 Vgl. D E R S ., Das Wesen der Liebe, Kap. I, S. 49. 6 Vgl. D E R S ., Christliche Ethik, 17. Kap., S. 260, Anm. 2. 7 Vgl. D E R S ., Das Wesen der Liebe, Kap. I, S. 50. 8 Vgl. D E R S ., Christliche Ethik, 8. Kap., S. 118. 4 Ist die Religion dem Menschen ein Bedürfnis? In der Einleitung wurde darauf hingewiesen, dass Maslow zugleich mit dem Bedürfnis nach Transzendenz die Religion als höchstes menschliches Bedürfnis bezeichnete. Andere, wie z. B. Rudolf Otto oder Franz von Sales, sprachen von einem religiösen Trieb 1 bzw. einem Naturtrieb, einer natürlichen Neigung, Gott zu lieben (inclination naturelle à aimer Dieu). 2 In dem Zusammenhang wurde auch schon von einem Geborenwerden mit einer religiösen Anlage gespro‐ chen. 3 Auch von Hildebrand spricht davon, dass in der Person konstitutiv eine Richtung auf das Absolute liege. 4 Doch ist die Religion tatsächlich ein Bedürfnis, das mit der Natur des Menschen gegeben ist? Und bezieht auch von Hildebrand sich in der Frage der Religion tatsächlich auf eine naturalistische bzw. imma‐ nentistische Vorstellung? Wenn von einem Bedürfnis die Rede ist, dann ist damit ein Drang oder ein Trieb gemeint, der in der menschlichen Natur begründet ist. Das Bedürfnis, das der Sache nach mit dem Drang oder dem Trieb identisch ist - von Hildebrand spricht vorzugsweise von einem appetitus -, ist in der Natur des Menschen be‐ gründet 5 und entsteht spontan. 6 Der appetitus strebt das Objekt alleine deswegen an, weil er es braucht, weil es sein Bedürfnis befriedigt. 7 Das zeigt sich bei‐ spielsweise beim Bedürfnis des Durstes. Solange die betreffende Person nicht durstig ist, wird sie das Wasser gleichgültig betrachten. Es bekommt aber plötz‐ lich eine Bedeutung, sobald sie durstig ist. 8 Wenn die eingangs genannten Per‐ sonen also von einem Bedürfnis nach der Religion, von einem religiösen Trieb oder einer religiösen Neigung sprechen, dann ist ihnen aus der Sicht von Hil‐ debrands immerhin dahingehend beizupflichten, dass ein Bedürfnis angeboren ist. Doch beschränkt sich die Religion tatsächlich darauf, ein angeborenes Be‐ dürfnis zu befriedigen? <?page no="214"?> 9 Ebd., S. 119. 10 Vgl. ebd. Siehe auch D E R S ., Moralia, 7. Kap., S. 129. 11 D E R S ., Das Wesen der Liebe, Kap. I, S. 52 f. 12 D E R S ., Christliche Ethik, 17. Kap., S. 260, Anm. 2. 13 Vgl. D E R S ., Ästhetik 1, 1. Kap., S. 42 f. 14 D E R S ., Das Wesen der Liebe, Kap. I, S. 54. 15 D E R S ., Über die christliche Idee des himmlischen Lohnes, S. 275. Zum Wesen des Gebets vgl. D E R S ., Unveröffentlichter Nachlass, „Religionsphilosophie“, Mappe 83 (83 / 176-179). 16 Vgl. ebd. Dazu auch D E R S ., Liturgie und Persönlichkeit, 3. Kap., S. 234. „Triebe und ‚appetitus‘ entstammen unserer Natur. Ihr Auftreten setzt nicht voraus, dass man den Gegenstand oder die Tätigkeit, wodurch sie befriedigt werden, kennt.“ 9 Die innere Bewegung des Bedürfnisses wird nicht vom Ge‐ genstand erzeugt. Daher haben Trieb, Drang, Bedürfnis oder appetitus die Rolle des principiums, des Bestimmenden; während die Bedeutsamkeit, die in der Eig‐ nung des Gegenstandes gründet, den appetitus zu befriedigen, das principi‐ atum, das Bestimmte ist. 10 Ganz entscheidend, nicht zuletzt auch für die Frage nach dem Weg aus der Sinnlosigkeit, ist die dienende Funktion des appetitus. 11 Wird die dienende Funktion, die dem appetitus an und für sich zukommt, zu einem Zweck umfunktioniert, kann das oben angesprochene existentielle Va‐ kuum der Sinnlosigkeit schnell erreicht sein. Denn zur Sinnlosigkeit führen ge‐ rade die nicht erfüllten Bedürfnisse. Diesen wiederum kommt ihre zersetzende Bedeutung nur insofern zu, als ihre dienende Funktion nicht von einem tran‐ szendenten Standort aus erkannt wird, als die Befriedigung der Bedürfnisse zum höchsten Lebensziel erklärt wird. Doch wie in Sachen der Religion? Kommt auch der Religion die Rolle eines principiatums zu, und dem menschlichen Bedürfnis nach der Religion die Rolle des principiums? Für von Hildebrand ist in erster Linie klar, dass dem Bedürfnis keine Intentionalität zukommt, 12 wie mit dem Beispiel des Durstes veranschau‐ licht werden konnte. Zudem übersieht die appetitus-These die Transzendenz des Menschen. 13 Ebenso falsch, wie die Liebe für einen appetitus zu halten, weil im Menschen die Sehnsucht nach Liebe vorhanden sein kann, ist es, auch den Glauben an Gott für einen appetitus zu halten, wodurch „Gott nur die Funktion hat, dieses Verlangen zu stillen“ 14 . Ebenso ist auch das Gebet nicht dazu da, um die religiösen Bedürfnisse zu befriedigen. 15 Von Hildebrand nennt es eine be‐ denkliche „pragmatische Umdeutung der letzten in sich ruhenden objektiven Forderungen“, statt „Gott Anbetung und Preis darzubringen in erster Linie aus dem Grunde, weil er der Inbegriff aller Werte ist, weil er der allmächtige, all‐ wissende, allgütige, der absolut heilige Herr ist“, das Gebet „vom Standpunkt unserer Vervollkommnung aus“ zu betrachten. 16 4 Ist die Religion dem Menschen ein Bedürfnis? 214 <?page no="215"?> Wenn Abraham Maslow, Rudolf Otto, Friedrich Schleiermacher, Franz von Sales oder andere von einem religiösen Bedürfnis, einem religiösen Trieb, einer religiösen Anlage oder einer natürlichen Neigung, Gott zu lieben, sprechen, dann setzt das sachlich angemessene Verständnis voraus, dass ihre Wendungen nicht in einem immanenten, sondern in einem intentionalen und transzen‐ denten Sinn verstanden werden. Ansonsten kommt es zu verhängnisvollen Ver‐ wechslungen, die die Religion ihres wahren Sinnes berauben. Mit der Unterscheidung zwischen principium und principiatum ist die Brücke geschlagen zu den Kategorien der Bedeutsamkeit und damit zum motivationalen Aspekt des Seienden. 4 Ist die Religion dem Menschen ein Bedürfnis? 215 <?page no="216"?> 1 Vgl. etwa P L A T O N , Nomoi, 734b. 2 Vgl. die unten (III, 5,3) zitierte Stelle A R I S T O T E L E S , Nikomachische Ethik, I, 1, 1094a. 3 Vgl. S C H E L E R , Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik, Erster Teil, II., B., 3., Höhere und niedrigere Werte, S. 104-117. 4 Der fundamentale Unterschied zwischen den verschiedenen Bedeutsamkeitskategorien wurde ihm bewusst, „als er eines Tages [im Jahre 1911] vor einem Lebensmittelladen [in Wien] stand […] und über den Reiz nachdachte, der von den im Schaufenster aus‐ liegenden Waren ausging. Auf einmal wurde ihm bewusst, dass sich deren Anzie‐ hungskraft radikal von der Anziehungskraft der Werte unterschied. Schlagartig er‐ kannte er, dass die ausliegenden Waren deshalb so bedeutsam waren, weil jemand auf ihre Reize antwortete, während die Werte in sich bedeutsam sind“ (Alice von H I L D E‐ B R A N D , Die Seele eines Löwen, S. 85). 5 von H I L D E B R A N D , Christliche Ethik, 3. Kap., S. 80. 6 Vgl. oben II, 3.1 - „Das Seiende und der Wert“. 7 von H I L D E B R A N D , Christliche Ethik, 1. Kap., S. 37. 5 Bedeutsamkeit und Motivation Im Nachdenken über das Sokratische Problem, dass niemand wissentlich schlecht handle, da jeder sein Bestes wolle, 1 die aristotelische These, dass alle Menschen das Gute wollen 2 sowie über Max Schelers Theorie, nach welcher jede schlechte Handlung in einem Bevorzugen des untergeordneten Gutes gegen‐ über dem übergeordneten bestehe, 3 gelangt von Hildebrand zu einer seiner überwältigendsten Einsichten, nämlich derjenigen der drei Bedeutsamkeitska‐ tegorien. 4 Denn „vom ethischen Standpunkt aus wissen wir nur wenig, solange wir nur sagen, jeder Wille ist auf ein Gut gerichtet. Es kommt gerade darauf an, ob die motivierende Bedeutsamkeitskategorie der Wert, das objektive Gut für die Person oder das bloss subjektiv Befriedigende ist.“ 5 In groben Zügen wurde auf die drei grundsätzlich verschiedenen Kategorien der Bedeutsamkeit bereits aufmerksam gemacht, 6 an jener Stelle allerdings primär unter dem Aspekt der Gutheit des Seienden. Hier sind die drei Kategorien der Bedeutsamkeit nun vor allem als motivierende Kräfte von Interesse. Auch wurde bereits darauf aufmerksam gemacht, dass die Begriffe von gut und schlecht die Eigenschaft eines Seienden bezeichnen, „die es befähigt, un‐ seren Willen zu motivieren oder eine affektive Antwort in uns hervorzurufen“ 7 . Die motivierende Kraft wurde als Bedeutsamkeit charakterisiert, die in drei grundsätzlich verschiedenen Formen auftreten kann. Bislang wurde vornehm‐ lich von den Werten gehandelt, denen die Bedeutsamkeit in sich und unabhängig von ihrer Beziehung auf den Menschen zukommt. Aufgrund der entscheidenden <?page no="217"?> 8 Vgl. H U M E , Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand, II. Abschnitt, Über den Ursprung der Vorstellungen, S. 17-23. 9 Vgl. ebd., III. Abschnitt, Über die Assoziation der Vorstellungen, S. 24-34, hier S. 25. Rolle, die die Motivation durch die Werte und die ihnen geltenden Antworten nicht nur hinsichtlich der lebendigen Verbindung des Menschen mit Gott im Allgemeinen, sondern auch der Hinbewegung auf ihn hin im Speziellen spielt, ist es angezeigt, die motivationale Kraft des in sich Bedeutsamen von den an‐ deren beiden Motivationskategorien zu unterscheiden. Dabei werden nicht zu‐ letzt auch die im letzten Punkte angesprochenen principium und principiatum zu einer differenzierenden Klarheit beitragen. Die Charakterisierung der verschiedenen Kategorien der Bedeutsamkeit wird mit dem subjektiv Befriedigenden in den Interpretationen durch David Hume und John Stuart Mill begonnen. Im Anschluss wird die Bedeutsamkeitskategorie des objektiven Gutes für die Person erörtert, wie sie in der Ethik des Aristoteles (384-323 v. Chr.) zutage tritt. Schliesslich wird auf die motivierende Kraft des in sich Bedeutsamen anhand der Einsichten von Hildebrands eingegangen. 5.1 David Hume und der ethische Naturalismus oder Die Mo‐ tivation durch das subjektiv Angenehme Mit David Hume begegnet ein entschiedener Vertreter einer immanenten bzw. naturalistischen, d. h. einer metaphysikfreien Weltanschauung. Dass er eine Weltanschauung vertritt, nach der alles aus der Natur und diese allein aus sich selbst erklärbar ist, zeigt sich an seiner Erkenntnistheorie ebenso wie an seiner Ethik. Einige wesentliche Punkte seiner Lehren seien in der Folge auseinander‐ gesetzt. Historisch steht Hume in der Tradition des bereits erwähnten John Locke, mit dem er darin übereinstimmt, dass alle unsere Ideen entweder von der Sinneswahrnehmung oder von der inneren Erfahrung unserer eigenen Be‐ wusstseinszustände herstammen. Den unmittelbaren Sinneseindruck, sei es der äusseren, sei es der inneren Wahrnehmung, nennt Hume Sinnesempfindung, die mittelbaren und reproduzierten Inhalte sind ihm Vorstellungen. 8 Wie aber entstehen auf dieser Linie die allgemeinen Begriffe? Die traditio‐ nelle Erklärung war, dass Wahrnehmungen mit abstrakten allgemeinen Ideen verbunden würden. Hume dagegen ist der Auffassung, wir könnten mit dem aus der Erfahrung gewonnenen Material Kombinationen vornehmen, die zu einer weiteren Bereicherung führten. Dies geschehe durch die Vorstellungsassozia‐ tion, und zwar nach drei Prinzipien, „nämlich Ähnlichkeit, Berührung in Zeit oder Raum, und Ursache und Wirkung“. 9 Die logische Folge hiervon ist ein voll‐ 5.1 David Hume und die Motivation durch das subjektiv Angenehme 217 <?page no="218"?> 10 Vgl. ebd., VII. Abschnitt, Von der Vorstellung der notwendigen Verknüpfung, S. 74-95. Siehe dazu auch die Stelle, an der Hume expliziert, dass „unsere Vorstellung von Not‐ wendigkeit und Verursachung […] ganz und gar aus der Einförmigkeit [entsteht], die sich in den Vorgängen der Natur beobachten lässt; wo gleichartige Gegenstände be‐ ständig zusammenhängen, und der Geist durch Gewohnheit veranlasst wird, den einen aus dem Erscheinen des anderen abzuleiten“ (ebd., VIII. Abschnitt, Über Freiheit und Notwendigkeit, Erster Teil, S. 98). 11 D E R S ., Ein Traktat über die menschliche Natur, Buch II, Erster Teil, Erster Abschnitt, Einteilung des Gegenstandes, S. 339. 12 Vgl. ebd., S. 337-339. kommener Psychologismus, demgemäss es nicht das Wesen oder die Gestalt der Dinge ist, die über die Zusammengehörigkeit der Merkmale und Elemente ent‐ scheidet, wenn ein Gegenstand definiert wird, sondern für Hume sind es nur‐ mehr die psychischen Gehalte des vorstellenden Subjekts. Die abstrakten Ideen sind ihm nurmehr die Produkte der Gewohnheit. In der reduktionistischen Sichtweise Humes ist Erfahrung nichts anderes als Gewöhnung oder Übung. In einer so verstandenen Welt gibt es konsequenterweise aber auch keine objektiv bestehenden, notwendigen Sachverhalte. So z. B. ist der Satz „Jede Wirkung hat eine Ursache“ für Hume kontingent. Wohlgemerkt, er verneint nicht das Prinzip, dass jede Wirkung eine Ursache hat, sondern er verneint dessen Notwendig‐ keit. Denn Verursachung sei nicht mehr als Regularität, die Notwendigkeit liege nicht in einer Seinsnotwendigkeit, sondern in einer Denkgewohnheit. 10 Hume besitzt keine andere Wirklichkeit mehr als die psychologistisch verstandene. Erkenntnistheoretisch bilden nur die Sinnesinformationen Brücken zur Wirk‐ lichkeit, moralphilosophisch ermöglichen dies auch die Gefühle. Der zentrale Punkt in Humes Theorie der Motivation ist, dass die Güter lust‐ voll und die Übel schmerzlich sind, 11 wobei er die Tendenz, nach den lustvollen Dingen zu streben und die schmerzlichen zu meiden, als angeboren versteht. Grundlegend auch seine Unterscheidung der Affekte in primäre und sekundäre, wobei letztere sich wiederum in direkte und indirekte differenzieren. 12 Als pri‐ märe Affekte gelten ihm etwa Hunger und Elternliebe. Es sind solche Impulse, die nicht auf Vergnügen oder Lust abzielen, obwohl deren Objekte in der Tat erfreulich sind oder zumindest sein können. Primär sind sie insofern, als sie nicht eine vorhergehende Wahrnehmung von etwas Erfreulichem voraussetzen. Die sekundären Affekte dagegen sind Bewegungen, die auf etwas hinzielen, das im Voraus als lustvoll und erfreulich erkannt wurde. Sie scheiden sich in direkte und indirekte. Die direkten Affekte bestehen aus heftigen - wie Wünschen, Abneigung, Hoffnung, Angst, Verzweiflung usw. - und ruhigen, welche nicht direkt zur Handlung antreiben. Es sind dies die Gefühle der Billigung oder der Missbilligung, zu welchen Hume auch die moralischen Gefühle zählt. Die indi‐ 5 Bedeutsamkeit und Motivation 218 <?page no="219"?> 13 Vgl. ebd., Buch I, Vierter Teil, Sechster Abschnitt, Von der persönlichen Identität, S. 309. rekten sekundären Affekte schliesslich bestehen aus solchen, die auf die eigene Person gerichtet sind, wie Stolz und Demut, sowie aus solchen, die auf Andere gerichtet sind, wie Liebe und Hass. Den indirekten Affekten liegen auf Beziehungen beruhende Assoziationen zugrunde. Hinsichtlich des Selbst sind es Qualitäten wie Schönheit, Intelligenz usw., die stolz machen. Dies vermögen aber auch äussere Dinge wie Häuser, Gärten usw., die erstens eine hohe Qualität aufweisen und zweitens in einer Beziehung zur eigenen Person stehen. Die sekundären indirekten Affekte - wie der Stolz, die Demut, die Liebe oder der Hass - können durch die Sympathie, die man für sie verspürt, zu einer Gewohnheit, zu einer Art des Selbst werden. Doch was heisst hier Sympathie? Dem Begriff der Sympathie liegt Humes Theorie zugrunde, wie die Gefühle und die Affekte anderer Menschen ver‐ standen werden. Zuerst werden die äusseren Zeichen der Affekte und der Ge‐ fühle am Anderen wahrgenommen. Kraft einer erlernten Assoziation zwischen solchen Zeichen und der entsprechenden Leidenschaft, des entsprechenden Ge‐ fühls, wird eine Idee der affektiven Regung gebildet. Diese Idee wird dann in etwas transformiert, das der eigenen Sinneswahrnehmung entspricht, etwas mit der Kraft und Lebendigkeit der eigenen Affekte. Wenn die andere Person mit der eigenen Person durch irgendeine Beziehung verbunden ist, z. B. durch Ähn‐ lichkeit, Nationalität, oder Familie, dann belebt die Vorstellung die Idee der Af‐ fekte bis zu dem Punkt, an dem sie so zu motivieren vermag, wie die eigentlichen Affekte selbst. Dies ist auch für die Bestimmung des Selbst massgebend. Als einer, der jeg‐ liche Metaphysik verwirft, kann Hume das Selbst ja nicht als eine Substanz verstehen, die durch die Veränderungen hindurch besteht, sondern interpretiert es als „ein Bündel oder ein Zusammen verschiedener Perzeptionen [Sinnes‐ empfindungen]“, das aber heisst zugleich, „es gibt keine Kraft der Seele, die sich, sei es auch nur für einen Augenblick, unverändert gleich bliebe“. 13 Die Quali‐ täten, die das eigene Sein definieren und die Individualität bestimmen, werden durch die Mechanismen des Stolzes und der Sympathie Teil des Selbstverständ‐ nisses. Da Hume sämtliche metaphysischen Strukturen verneint, kann die Moralität auch nicht Teil derselben sein, sondern ist relativ auf die menschlichen Ziele. Und da es keine Formen, Substanzen oder Wesenheiten gibt, die zu den Tu‐ genden hinführen könnten, noch sonstige metaphysische Gründe, die die Ver‐ nunft erkennen könnte, kann die Vernunft folglich auch nicht zur Handlung anleiten. Die Aufgabe der Vernunft ist darauf beschränkt, Tatsachen auf Wahr‐ 5.1 David Hume und die Motivation durch das subjektiv Angenehme 219 <?page no="220"?> 14 Vgl. ebd., Buch III, Zweiter Teil, Erster Abschnitt, Ist der Rechtssinn eine natürliche oder eine künstliche Tugend? , S. 309. 15 Vgl. Fred W I L S O N , David Hume, Treatise of Human Nature (1740). A Genial Skepticism, an Ethical Naturalism, S. 307 f. heit oder Falschheit zu untersuchen. Konsequenterweise müssen die morali‐ schen Urteile von den Affekten ausgehen und zwar von den ruhigen Affekten der moralischen Billigung oder Missbilligung, die sich einzig nach dem Lust‐ vollen richten. In den menschlichen Handlungen ist es Aufgabe der Vernunft, den Affekten, den Gefühlen zu dienen. Das heisst, die Mittel für die Zwecke zu finden, die die Gefühle bestimmen. Als tugendhaft wird von da her jenes Ver‐ halten beurteilt, das Freude und Vergnügen hervorruft. Die Tugenden, jene Verhaltensweisen also, die lustvoll sind, die Freude und Vergnügen hervorrufen, sind nach Hume in künstliche und natürliche zu un‐ terteilen. Die künstlichen Tugenden (z. B. Gerechtigkeit oder Achtung vor fremdem Eigentum) sind nach einem ersten Charakteristikum von sozialen Ver‐ einbarungen abhängig, zudem wären sie in einem goldenen Zeitalter über‐ flüssig. Darüber hinaus erhalten sie ihre Rechtfertigung durch ihre Nützlichkeit und sind schliesslich im Interesse aller und somit ein Zweck in sich selbst. Im Gegensatz dazu sind die natürlichen Tugenden (wie etwa die Grossherzigkeit) auch dann effektiv, wenn keine regulativen sozialen Vereinbarungen bestehen. Auch diese Tugenden erhalten ihre moralische Billigung - ebenso wie die künstlichen - auf der Basis des Sympathiemechanismus. Da eine Tugend Freude verursacht und ein Laster Schmerz, wird die Handlung eines Diebes, der ja gegen eine soziale Vereinbarung, gegen eine künstliche Tu‐ gend verstösst, als verletzend wahrgenommen, woraus das moralische Gefühl der Missbilligung entspringt. Sinngemäss verursacht die Regelkonformität Freude und wird deswegen als angemessen, zumindest nicht als Unlust schaf‐ fend verstanden. So entsteht das moralische Gefühl der Billigung. Durch den allgemeinmenschlichen Mechanismus der Sympathie bildet sich letztlich eine moralische Norm. Und wohl sei eine Tugend wie die Gerechtigkeit künstlich, doch sei der Sinn für ihre Moralität allemal natürlich. 14 Weswegen aber soll der Mensch nach Hume eigentlich tugendhaft sein? In erster Linie wegen der sozialen Nützlichkeit und in zweiter Linie, weil der Mensch einen inneren Sinn für den Frieden und die Befriedigung hat, der aus dem rechten und guten Tun entspringt. In diesem Sinne ist es letztlich das Langzeit-Eigeninteresse (long-run self-interest), das das treue Festhalten an der Tugend bestimmt. 15 5 Bedeutsamkeit und Motivation 220 <?page no="221"?> 16 Vgl. John Stuart M I L L , Der Utilitarismus, Kap. 1, S. 15. 17 Ebd., Kap. 2, S. 33. 18 Vgl. ebd., Kap. 2, S. 25. 19 Vgl. ebd., Kap. 2, S. 27-29. 20 Vgl. ebd., Kap. 2, S. 27. 5.2 John Stuart Mill und der qualitative Utilitarismus oder Die Motivation durch das modifiziert subjektiv Angenehme Nach dem Vorbild von Jeremy Bentham (1748-1832) sieht auch John Stuart Mill das höchste Ziel sittlichen Handelns in der Beförderung des grösstmöglichen Glücks (greatest happiness principle). 16 In seinem Werk Utilitarianism (1861) mo‐ difizierte er den Utilitarismus von Bentham, indem er über das Programm der Quantifizierung von Lust- und Unlustgefühlen hinaus die freie Entfaltung der Persönlichkeit zum wahren, nicht exakt aufrechenbaren Glück des Menschen erklärte. Danach kommt es nicht allein auf den höchsten Genuss, sondern auch auf den humanen Rang der Freuden an. In diesem Sinne ist seine bekannte Aus‐ sage zu verstehen: „Es ist besser, ein unzufriedener Mensch zu sein als ein zu‐ friedenes Schwein; besser ein unzufriedener Sokrates als ein zufriedener Narr.“ 17 Damit geht er von einem quantitativen Utilitarismus zu einem mehr qualitativ orientierten über. Der qualitative Utilitarismus Mills nimmt eine Zwi‐ schenstellung ein zwischen dem idealen und dem hedonistischem Utilitarismus, da auch für ihn die Lust das zentrale Kriterium war, er diese Lust jedoch nicht auf Sinnliches beschränkt wissen wollte. Handlungen sind richtig in dem Verhältnis, in dem sie das Glück, in dem sie die Lust bzw. das Freisein von Unlust fördern, wobei die Lust bzw. das Freisein von Unlust gar als das einzig Erstrebenswerte verstanden wird. 18 Die Lust hängt für Mill jedoch nicht nur von der Quantität ab, wie noch für Bentham, sondern - wie bereits erwähnt - auch von der Qualität. 19 Was nach Bentham zählt, ist die empfundene Lust bzw. die Lust als summierbare Sinneserfahrung. Von diesem Sensualismus distanziert sich Mill bis zu einem gewissen Grad und versucht die Lust um idealistische Momente zu erweitern. Damit gibt er den Hedonismus jedoch nicht gänzlich auf. Er bleibt diesem insofern treu, als er alle Wertungen letztlich auf erlebte oder erlebbare Formen des Bewusstseins wenn nicht zu‐ rückführt, so doch zurückbezieht. Mill kennt Lüste ohne Beteiligung höherer Fähigkeiten und solche mit. Er unterscheidet „Freuden des Verstandes, der Emp‐ findung und Vorstellungskraft sowie des sittlichen Gefühls“, welchen er „einen weit höheren Wert zuschreibt als denen der blossen Sinnlichkeit“. 20 Welche Instanz aber unterscheidet die Qualität der Freuden? Da der Utilita‐ rismus eine ethische Theorie ist, die die Handlung danach bewertet, ob sie im 5.2 John Stuart Mill und die Motivation durch das modifiziert subjektiv Angenehme 221 <?page no="222"?> 21 Ebd., Kap. 2, S. 39. Vergleich zu anderen Handlungsalternativen die grösste Nutzensumme hervor‐ gebracht hat, ergibt sich für jeden Akteur die Forderung, so zu handeln, dass der Zustand nach seiner Handlung besser ist als derjenige nach jeder anderen Handlungsoption. Dies setzt voraus, dass er bei Vorhandensein von konkur‐ rierenden Zielen im Vorab eine Güterabwägung durchführen muss. Wie aber sind die Qualitäten der Freuden zu gewichten? Nach dem Erfahrenen, sein Urteil ist der Standard der Moralität, dessen Beobachtung zur grösstmöglichen Glücks‐ menge führt, nicht nur für den Betreffenden selbst, sondern für alle Menschen, ja „für die ganze empfindende Schöpfung [the whole sentient creation]“ 21 . Instanz für die Ermittlung eines qualitativen Unterschiedes zweier Erfahrungen ist die entschiedene Präferenz der Erfahreneren, welche mit beiden Erfahrungen auf kompetente Weise vertraut sind. Die Präferenzen dürfen selbst aber nicht mo‐ ralisch durchtränkt sein, es muss sich um vor- oder aussermoralische Bewer‐ tungen handeln, andernfalls wäre die Begründung der Ethik zirkulär. Mills qualitativer Hedonismus scheitert aber letztlich an der Nichteindeutig‐ keit seines Glücksbegriffs. Wenn er festhält, dass das Glück und die Lust nicht einzig in der summierbaren Sinneserfahrung, sondern auch in der Qualität der Lust bestehen, und dazu den Satz anführt: Besser ein unzufriedener Mensch als ein zufriedenes Schwein, besser ein unzufriedener Sokrates als ein zufriedener Dummkopf zu sein, so vermag er insgesamt nicht klar werden zu lassen, worin dieses „besser“ eigentlich besteht. Die Lösung des Problems besteht im Aufweis der inneren Inkonsistenz der Millschen Theorie. Ausgangspunkt bildet sein Satz: Besser ein unzufriedener Mensch als ein zufriedenes Schwein zu sein. Dieser Satz besagt, dass jemand, der weiss, was es bedeutet, ein Mensch zu sein, zu‐ gleich auch weiss, dass es besser ist, ein unzufriedener Mensch als ein zufrie‐ denes Schwein zu sein. Ein unzufriedener Mensch besitzt noch immer Freiheit, Bewusstsein, Vernunft usw., wogegen selbst ein zufriedenes Schwein dieser Fä‐ higkeiten ermangelt. Kein vernünftiger Mensch würde sich aber ernstlich wün‐ schen, seine Unzufriedenheit durch eine Verwandlung in ein Schwein loszu‐ werden. Die einzige Alternative zu einem unzufriedenen Leben als Mensch ist nicht das Leben als Tier, sondern das Nicht-mehr-Sein. Damit tritt die notwen‐ dige Wahrheit ans Licht, dass es besser ist, eine menschliche Person zu sein, die unzufrieden ist, als ein Schwein, das zwar als zufrieden behauptet wird, das aber ohne Selbstbewusstsein lebt. Damit ist der Sache nach auf ein Besser Bezug genommen, das unverwechselbare Züge der reinen Vollkommenheiten trägt, 5 Bedeutsamkeit und Motivation 222 <?page no="223"?> 22 Vgl. oben II, 4.4 - „Die reinen Vollkommenheiten als Gültigkeitsgrund des ontologi‐ schen Arguments“. 23 Vgl. A R I S T O T E L E S , Nikomachische Ethik, I, 1, 1094a. 24 Vgl. ebd., I, 1, 1094a. 25 Vgl. ebd., I, 5, 1097b. 26 Vgl. Martin R H O N H E I M E R , Die Perspektive der Moral. Philosophische Grundlagen der Tu‐ gendethik, S. 65. 27 Vgl. A R I S T O T E L E S , Nikomachische Ethik, I, 6, 1098a. 28 Vgl. P L A T O N , Politeia I, 353a-c. wie sie weiter oben dargelegt wurden. 22 Auf die nicht-natürliche Qualität näm‐ lich, ein geistbegabtes Wesen zu sein. 5.3 Aristoteles und die Motivation durch das objektive Gut für die Person Aristoteles bestimmt das Gute als das Ziel, nach dem alles strebt. 23 Woraus in erster Linie aber nur folgt, dass jede einzelne Folgereihe von Strebungen not‐ wendigerweise in einem Letzten endet. Die Frage ist aber, ob etwas als ein Letztes schlechthin erstrebt werden kann oder ob ein jedes Ziel wiederum nur ein Mittel zu einem anderen Zweck ist. Um nicht in einem regressus in infinitum zu enden - ein Gedanke, den Thomas von Aquin, wie gesehen, im Zusammen‐ hang der Argumente für die Existenz Gottes übernommen hat -, muss ein End‐ ziel angenommen werden, das nicht um eines anderen, sondern um seiner selbst willen erstrebt wird. 24 Dieses ist für Aristoteles das Glück, welches stets um seiner selbst und niemals um eines darüber hinaus liegenden Zweckes willen erstrebt wird. 25 Was aber ist dieses Glück? Versteht Aristoteles darunter ein Wohlbehagen oder einen sonstwie gearteten psychologischen Zustand des Befriedigtseins? Wie Martin Rhonheimer betont, ist ein solcher Glücksbegriff „als Zustand von Erlebnissen des Befriedigtseins“ für die antike Ethik undenkbar. 26 Der antike Begriff des Glücks ist an denjenigen der Tugend zurückgebunden und ihm un‐ tergeordnet. Von da her sucht auch Aristoteles nach der eigentümlichen Leis‐ tung des Menschen. 27 „Eigentümliche Leistung“ ist für ihn ein anderes Wort für Tugend, wobei der Tugendbegriff in der Antike nicht nur auf den Menschen angewendet wurde. Wie bereits für Platon - der diesbezüglich von der aretê sprach - bedeutet Tugend auch für seinen Schüler Aristoteles die vollkommene Betätigung der jeweiligen Art. 28 Jedes Ding, besonders jedes Werkzeug, hat sein Wesen, seinen Sinn und seine Aufgabe. Und erfüllt es diese Aufgabe, dann ist es gut. Doch welches ist die eigentümliche Leistung des Menschen? Welche Hand‐ 5.3 Aristoteles und die Motivation durch das objektive Gut für die Person 223 <?page no="224"?> 29 Vgl. A R I S T O T E L E S , Nikomachische Ethik, I, 6, 1098a. 30 Vgl. ebd., I, 1, 1101a. 31 Vgl. ebd., I, 13, 1102a. 32 Vgl. ebd., X, 7, 1177a und X, 8, 1178a. 33 Vgl. ebd., X, 5, 1176a. 34 Vgl. ebd. lung entspricht dem Wesen und dem Sinn des Menschen? Da es weder eine vegetative noch eine sensitive Leistung ist, bleibt nur das Leben als Wirken des rationalen Seelenteiles. 29 An einer anderen Stelle erweitert Aristoteles den Glücksbegriff um den Besitz von äusseren Gütern, 30 wonach auch ein hohes Alter und äussere Güter wie Freunde, Geld, politischer Einfluss, edle Geburt, prächtige Kinder und Schönheit zum Glück gehören. Doch hängt das Glück schliesslich nicht vom Besitz äusserer Güter ab, vielmehr vermögen sie das Glück des Tugendhaften nur zu vervollkommnen. Welches ist nach Aristoteles nun aber das Tätigsein der Seele im Sinne der ihr eigentümlichen Leistung? Wie bereits erwähnt, beschreibt Aristoteles es nicht als eine Tätigkeit des Leibes, sondern als eine Tätigkeit der Seele. 31 Die Seele wiederum differenziert sich ihm in verschiedene Elemente, nämlich in ein irrationales und ein rationales. Das irrationale Element besitzt das Vermögen der vegetativen Wirksamkeit (z. B. Wachstum) sowie das Begehrungs- und Stre‐ bevermögen. Das rationale Element dagegen setzt sich aus den Verstandesver‐ mögen, den dianoetischen Tugenden und den Vermögen des Charakters, des Verhaltens sowie den ethischen Tugenden zusammen. Entsprechend diesen beiden rationalen Elementen der Seele werden die beiden eigentlichsten Tätig‐ keiten des Menschen bestimmt. Glücklich kann der Mensch damit nur insofern sein, als sein Leben durch die Tätigkeit von Intellekt und Vernunft geprägt ist. Alles, was glücklich macht, kann dies nur, sofern es irgendwie mit Vernünftigkeit zu tun hat. In erster Linie das Schauen, das Betrachten, die Kontemplation der Wahrheit, in zweiter Linie das Leben gemäss den sittlichen Tugenden. 32 Welche Stelle räumt Aristoteles dabei eigentlich der Lust ein? Wie jedes Lebewesen eine eigene Leistung, so hat es auch eine eigene Lust, jene nämlich, die seiner Leistung entspricht. 33 Was aber ist die Lust, denn bekanntlich kann ein und dasselbe dem einen Freude, dem anderen aber Leid bereiten? Das entscheidet sich an der Auffassung des hoch‐ wertigen, des ethisch hervorragenden Menschen, er ist der Massstab dafür, was Lust ist, und woran er Freude hat, das ist angenehm. 34 Die Lust wird als etwas verstanden, das die Tätigkeiten des Menschen voll‐ endet. Gerade deswegen aber, weil die Lust auf die Handlung folgt, vermag das Streben nach Lust nicht glücklich zu machen, sondern nur zu desorientieren. 5 Bedeutsamkeit und Motivation 224 <?page no="225"?> 35 R H O N H E I M E R , Die Perspektive der Moral, S. 70. 36 Vgl. von H I L D E B R A N D , Selbstdarstellung, S. 96. 37 D E R S ., Christliche Ethik, 5. Kap., S. 93. 38 Ebd., 2. Kap., S. 48. 39 Vgl. ebd., 1. Kap., S. 39. Wie der Psychiater Viktor Frankl ebenso wusste wie der Moralphilosoph Martin Rhonheimer, ist „unser Streben nicht gesättigt, weil wir geniessen, sondern wir geniessen, weil das Streben gesättigt ist“ 35 . Ebenso entgleitet die Lust immer gerade dann, wenn sie direkt erstrebt wird. 5.4 Dietrich von Hildebrand und die Motivation durch den Wert „Die klare eindeutige Herausarbeitung des Wesens des Wertes“ bezeichnete von Hildebrand in einem Rückblick auf sein Lebenswerk als „mein Hauptanliegen“, und die Ethik insgesamt als „das Gebiet, auf dem ich am meisten philosophisch gearbeitet habe“. 36 In seiner Ethik, in der er das Wesen der Werte grundsätzlich und richtungsweisend analysierte, nimmt er Bezug auf eine traditionelle Defi‐ nition des Guten: Bonum est quod omnes desiderant, unterscheidet sein Begriffs‐ verständnis von desiderare aber vom traditionellen. Im Unterschied zur Tradi‐ tion erweitert Hildebrand den Begriff des desiderare nicht über die personale Sphäre hinaus. Also nicht im Sinne einer Finalrelation, wie etwa bei den unbe‐ lebten Seienden. Die Konzentrierung auf die personale Sphäre versteht er jedoch nicht als einen Ausschluss der metaphysischen Sphäre; ganz im Gegenteil, die Person, wie bereits erwähnt, ist ihm ein zentraler Gegenstand, ja „das Herzstück der Metaphysik“ 37 . Das personale Verständnis des desiderare ist von grundleg‐ ender Bedeutung, denn: „Nicht nur das Wesen des Objektes unseres Willens ist in der Ethik von überragender Wichtigkeit, sondern auch der Gesichtspunkt, unter dem sich eine Person diesem Objekt zuwendet.“ 38 Bekanntlich ist der Ge‐ sichtspunkt, unter dem etwas gewählt wird, nicht mit der objektiven Bedeut‐ samkeit des Gegenstandes identisch, wie sich am Beispiel einer schlechten Handlung erweist. Nichts kann gewollt werden, das nicht in irgendeiner Weise als bedeutsam erscheint. 39 Bis hierhin geht er mit der aristotelischen These noch einher. Aber er bleibt hier nicht stehen, sondern unternimmt jenen epochalen Schritt der Unterteilung der Bedeutsamkeit in drei grundsätzlich verschiedene Kategorien. In diese Dreiteilung gliedern sich auch die ethischen Theorien, die oben analy‐ siert wurden. So motivieren die Güter der utilitaristischen Theorien Humes und 5.4 Dietrich von Hildebrand und die Motivation durch den Wert 225 <?page no="226"?> 40 Vgl. ebd., 3. Kap., S. 50. 41 Vgl. D E R S ., Die Idee der sittlichen Handlung, I. Teil, 2. Kap., S. 174. 42 Vgl. D E R S ., Christliche Ethik, 3. Kap., S. 50. 43 D E R S ., Moralia, 1. Kap., S. 51. 44 Ebd. Mills mit einer nur subjektiven Bedeutsamkeit. Das Strebeziel des Aristoteles dagegen ist der Motivationskategorie des objektiven Gutes für die Person zu‐ zuordnen. Während die Kategorie des Wertes erstmalig durch von Hildebrand zur vollen Klarheit gebracht worden ist. 5.4.1 Der Wert und das subjektiv Befriedigende im Vergleich Um das Wesen der Werte und ihre motivationale Kraft deutlich von den anderen Bedeutsamkeiten abzuscheiden, wird die Bedeutsamkeitskategorie des Wertes in einem ersten Schritt mit derjenigen des bloss subjektiv Angenehmen oder Befriedigenden verglichen. Als Beispiele werden der Akt eines grossmütigen Verzeihens für einen Wert und dasjenige eines Komplimentes für etwas bloss subjektiv Angenehmes angeführt. Der Akt des Verzeihens, und das ist funda‐ mental, ist in sich bedeutsam, gegenüber der nur subjektiven Bedeutsamkeit des Komplimentes. 40 Bereits in seiner ersten grösseren Schrift unterschied von Hil‐ debrand zwischen der Wichtigkeit in und an sich und der Wichtigkeit für mich. 41 Der Unterschied wird offenbar, wenn bedacht wird, dass der Wert seine Be‐ deutsamkeit unabhängig von seiner Wirkung besitzt, die er auf den Menschen hat, währenddem die Bedeutsamkeit des Angenehmen oder Befriedigenden immer durch die Präposition „für“ ausgedrückt wird: Etwas ist angenehm für oder befriedigend für jemanden. 42 „Sagen wir von einer Handlung, sie sei sittlich gut, oder von einer Melodie, sie sei schön, oder von einem Menschen, er sei intelligent, geistig bedeutend, so stammt die Bedeutsamkeit all dieser Wertprä‐ dikate nicht aus einer Beziehung zu der Person.“ 43 Denn weder ist die Handlung gut für jemanden, noch ist die Melodie schön für jemanden, noch hat das Prä‐ dikat „für“ bei der Intelligenz oder der geistigen Bedeutsamkeit irgendeinen Sinn. Dem Wert erwächst seine Bedeutsamkeit gerade nicht aus seinem Ver‐ hältnis zum Menschen, sondern aus seiner eigenen Ranghöhe. „Das Wertvolle bezieht seine Bedeutsamkeit nicht von irgendeiner subjek‐ tiven Befriedigung, die es auslöst, sondern ganz aus sich selbst.“ 44 Der Wert steht gleichsam als eine Botschaft von oben vor dem Menschen; er trägt ihn über sich selbst hinaus, er befreit ihn vom Kreisen um sich selbst und trägt ihn in eine von ihm selbst, seinen Stimmungen, seiner jeweiligen Verfassung unabhängige 5 Bedeutsamkeit und Motivation 226 <?page no="227"?> 45 Vgl. D E R S ., Christliche Ethik, 3. Kap., S. 52. 46 Vgl. ebd., 3. Kap., S. 53. 47 Vgl. ebd., 3. Kap., S. 54 f. 48 Vgl. ebd., 3. Kap., S. 55. 49 D E R S ., Selbstdarstellung, S. 99. 50 Ebd. 51 D E R S ., Die Rolle des „objektiven Gutes für die Person“ innerhalb des Sittlichen, S. 63. transzendente Ordnung. 45 Dagegen besitzt alles subjektiv Befriedigende die Kraft, den Menschen in sein eigenes Selbst einzukerkern. Denn hier ist das Ver‐ gnügen das principium und die am Gegenstand haftende Bedeutsamkeit des Angenehmen oder Befriedigenden das principiatum. Beim Wert hingegen ist das Glück lediglich sekundäres Thema, der Wert ist das principium und das Glück das principiatum. 46 Wenn dem Wert überdies eine Forderung nach einer adäquaten Antwort eignet und er an das freie Personzentrum appelliert, dann versetzt das subjektiv Angenehme in einen Zustand, in dem dem Instinkt nachgegeben wird. Die An‐ ziehungskraft eines bloss subjektiv angenehmen Objektes hat die Tendenz, das freie Personzentrum zu entthronen. Das Interesse an dem subjektiv Befriedi‐ genden offenbart eine Ichbefangenheit, ein Beziehen des Objektes auf die eigene Person, auf die egozentrische Befriedigung, für die es benützt wird. 47 Ein We‐ sensunterschied trennt die beiden Bedeutsamkeitskategorien also auch in diesem Punkt, denn in der Wertantwort steht nicht der Mensch, sondern der Wert im Zentrum, es ist ein Hinausgehen über die Grenzen der Ichbezogen‐ heit, eine gewisse Unterwerfung. 48 Von Hildebrand nannte die Einsicht „in das Wesen der adäquaten Antwort auf den objektiven Wert eines Objektes oder einer Person, in der wir uns selbst transzendieren und ganz mit dem Wert ko‐ operieren“ 49 , eine Haupteinsicht seiner Ethik. Die Antwort auf gewisse Güter und ihren Wert aber ist „Träger der sittlichen Werte“ 50 . 5.4.2 Das objektive Gut für die Person Als dritte Bedeutsamkeitskategorie grenzt von Hildebrand das objektive Gut für die Person ab. Darunter fallen jene Güter, die einen wohltuenden Charakter für die eigene Person haben und in der Richtung auf mein Gut (bonum mihi) liegen. Güter wie das Leben, die Gesundheit, der Friede, die Freiheit, die Freundschaft, die Ehe oder das Lächeln eines Kindes sind an diese eine Person adressiert, sie besitzen ein Pro, ein sie Bejahendes, ein mit ihr Solidarisches. Hierzu gehört alles, „was eine Steigerung der Werte an der Person herbeiführt, wie alles, was die Person beglückt“ 51 . Vergegenwärtigt man sich den Akt der Dankbarkeit, so zeigt 5.4 Dietrich von Hildebrand und die Motivation durch den Wert 227 <?page no="228"?> 52 D E R S ., Christliche Ethik, 3. Kap., S. 68. 53 Vgl. D E R S ., Die Rolle des „objektiven Gutes für die Person“ innerhalb des Sittlichen, S. 64. 54 Wie bei den Werten, so kann auch bei den objektiven Gütern für die Person von einer Rangordnung gesprochen werden. Dazu nur einige Beispiele: Eine tiefe Freundschaft etwa ist ein höheres objektives Gut für die Person als der Besitz eines Autos, oder die Freiheit (im Gegensatz zur Gefangenschaft) ein höheres Gut für die Person als der Besitz eines schönen Hauses, usw. 55 D E R S ., Die Rolle des „objektiven Gutes für die Person“ innerhalb des Sittlichen, S. 68. 56 Ebd. 57 Ebd., S. 70. sich, wie dieser Akt notwendig zwei Elemente enthält: Eine Person, die uns aufgrund einer freien Entscheidung etwas Gutes tut sowie das Objekt der Dank‐ barkeit, also z. B. das gerettete Leben. Richtet man den Blick nun auf das Objekt der Dankbarkeit, so wird ersichtlich, wie in der Bedeutung, die mein Leben, meine Freiheit, meine Gesundheit für mich haben, eine wesenhafte Relation auf meine eigene Person liegt: „sie sind objektiv bedeutsam für mich“ 52 . Gegenüber dem subjektiv Befriedigenden besitzt das objektive Gut für die Person ein Ele‐ ment von Objektivität, das jenem vollständig fehlt. Beim objektiven Gut für die Person handelt es sich jedoch nicht um die „souveräne, in sich ruhende, absolute Bedeutsamkeit des ‚Wertvollen‘, etwa des ‚Guten‘ und ‚Schönen‘, sondern um eine relative Bedeutung“, die „einen Inhalt zum ‚Geschenk‘ für die Person macht“. 53 Die Relativität betrifft allerdings nur die Trägerschaft, nicht aber die Bedeutsamkeit als solche. 54 Die objektiven Güter für die Person weisen überdies einen sublimen Unter‐ schied auf, der sich in der Erlebbarkeit zentriert. So kann das Pro einmal ganz objektiver Natur und nicht an das Erlebniszentrum adressiert sein. Die Bezie‐ hung des Gutes zur Person ist dabei „so geartet, dass sie gleichsam im Akkusativ steht und nicht im Dativ“ 55 . Anders verhält es sich bei den objektiven Gütern für die Person im engeren Sinn. „Wenn wir Wohlstand, eine schöne Reise, Erfolg in der Arbeit, Freiheit, Freundschaft usw. als objektive Güter für die Person bezeichnen, so meinen wir Inhalte, die sich an das Erlebniszentrum wenden“ 56 . Offensichtlich sind alle diese Inhalte auch befriedigend, doch sind es damit so‐ gleich bloss subjektiv angenehme Güter. Bei den erlebniszugewandten Gütern für die Person gilt es die „merkwürdige Mittelstellung des objektiven Gutes für die Person zu verstehen, das einerseits von der in sich ruhenden Bedeutsamkeit der Werte, andrerseits von der rein subjektiven Bedeutsamkeit des bloss Befrie‐ digenden scharf zu trennen ist“ 57 . Dieser Aufgabe wandte von Hildebrand sich zu, indem er die objektiven Güter für die Person in vier Hauptarten unterteilte: Erstens, das Tragen von Werten; zweitens, der Besitz jener Güter, die aufgrund ihres Wertes echtes Glück spenden können und sekundär die nützlichen Güter; 5 Bedeutsamkeit und Motivation 228 <?page no="229"?> 58 Vgl. D E R S ., Christliche Ethik, 29. Kap., S. 464-466; siehe auch D E R S ., Moralia, 5. Kap., S. 111. In Die Rolle des „objektiven Gutes für die Person“ innerhalb des Sittlichen, S. 75, unterschied von Hildebrand zwischen (1.) den lustspendenden Gütern, (2.) den glücks‐ spendenden Gütern, (3.) den elementaren Gütern und (4.) den Nützlichkeitsgütern. Sofern die Güter an ein illegitimes Zentrum appellieren, bezeichnet er sie als weltliche Güter, im Unterschied zu den natürlichen Gütern, die in sich selber einen Wert besitzen. Die weltlichen Güter wie Ruhm, Erfolg, Reichtum usw. sprechen die Begehrlichkeit und den Hochmut an. Über diesen Unterschied hat von Hildebrand sich an mehreren Stellen geäussert. Vgl. etwa Über das Herz, III. Teil, 2. Kap., 197 f.; Das trojanische Pferd in der Stadt Gottes, I. Teil, 4. Kap., S. 59, Anm. 15; Der verwüstete Weinberg, II. Teil, 2. Kap., S. 177-182. 59 D E R S ., Die drei Grundformen menschlicher Teilhabe an den Werten, S. 168. 60 Ebd., S. 170. Zu diesem Ausspruch, dass der Wert sich ‚auf dem Rücken des Aktes‘ be‐ findet und ‚nie in diesem Akte intendiert‘ werden kann, vgl. S C H E L E R , Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik, Erster Teil, I., 2., Das Verhältnis der Werte ‚gut‘ und ‚böse‘ zu den übrigen Werten und zu den Gütern, S. 48 f. 61 Zum religiösen Wert der Demut vgl. unten IV, 2.3.2 - „Die Demut“. 62 von H I L D E B R A N D , Die Umgestaltung in Christus, 7. Kap., S. 130. drittens, die für unser Leben unerlässlichen Dinge; viertens, die bloss ange‐ nehmen Dinge, sofern sie an ein legitimes Zentrum, d. h. nicht an Hochmut und Begehrlichkeit appellieren. 58 Was das objektive Gut des Tragens von Werten betrifft, das an dieser Stelle mit einigen Worten expliziert werden soll, so wurde auf den Unterschied zwi‐ schen ontischen bzw. ontologischen und qualitativen Werten weiter oben bereits aufmerksam gemacht. Es zeigte sich, dass die erstgenannten Werte dem Sei‐ enden immanent sind, während „zur Verwirklichung qualitativer Werte unsere Mitarbeit erforderlich“ 59 ist. Was bei den sittlichen Werten beispielsweise so vonstatten geht, dass die betreffende Person bewusste Akte setzt, indem sie ers‐ tens einen sittlich bedeutsamen Wert erfasst und zweitens einem mit diesem Wert ausgestatteten Gut eine freie Antwort erteilt. Denn nur dann wird der Mensch Träger sittlicher Werte, wenn er die sittliche Bedeutung der betreff‐ enden Situation begreift und den Ruf, einzugreifen, vernimmt. Die Beziehung zwischen der Person und dem sittlichen Wert wird allerdings nicht bewusst erlebt, sie kann nie von innen her erfahren werden. „Diesen Sachverhalt hatte Max Scheler mit seinem Ausspruch im Auge, der sittliche Wert erscheine in einer guten Tat auf dem Rücken des Aktes und nicht vor dem Geist des Handeln‐ den.“ 60 Ebenso verhält es sich mit den sich in Wertantworten konstituierenden religiösen Werten der Person, wie z. B. der Demut. 61 Auch sie sind als solche dem Blick entzogen, auch sie kommen im Erlebnis der Wertantwort nur insofern zu Bewusstsein, „als die Seele dabei von innerem Frieden und lichter Harmonie erfüllt wird“ 62 . 5.4 Dietrich von Hildebrand und die Motivation durch den Wert 229 <?page no="230"?> 63 D E R S ., Christliche Ethik, 3. Kap., S. 72. 64 P L A T O N , Gorgias, 469c1-3. 65 Vgl. von H I L D E B R A N D , Christliche Ethik, 3. Kap., S. 72. 66 Vgl. ebd. 3. Kap., S. 76. 67 Ebd., 3. Kap., S. 74. 68 Vgl. D E R S ., Selbstdarstellung, S. 97. Die traditionelle Auffassung des bonum kreiste meistens um die Bedeutsam‐ keitskategorie des objektiven Gutes für die Person, zumindest soweit es die Motivation betrifft. „Wenn Sokrates lehrte, dass es besser ist, Unrecht zu leiden als Unrecht zu tun, so meinte er offenbar, dass Unrecht leiden besser für den Menschen sei.“ 63 Damit bezieht sich von Hildebrand auf eine Stelle im platoni‐ schen Dialog Gorgias, an der der platonische Sokrates die Frage seines Dialog‐ partners Polos, ob er lieber Unrecht leiden als Unrecht tun wolle, antwortet, dass er keines von beiden wolle, „müsste ich aber eines von beiden, Unrecht tun oder Unrecht leiden, so würde ich vorziehen, lieber Unrecht zu leiden als Unrecht zu tun“ 64 . Der platonische Sokrates legt diesen Worten die absolut gewisse Er‐ kenntnis des notwendigen Sachverhalts zugrunde, dass es für den Menschen ein grösseres Übel ist, Unrecht zu tun und damit sittlich schuldig zu werden, als zu leiden. 65 Sittliche Integrität ist aufgrund ihres Wertes ein höheres Gut für die Person als jedes sonstige Lust oder Glück spendende Gut und sittlich schuldig zu werden ein grösseres Übel für die Person als Leiden. 66 Auch für Aristoteles besteht das bonum hauptsächlich in einem objektiven Gut für die Person. Wie weiter oben gesehen, eignet auch der aristotelisch bestimmten Glückseligkeit ein Element von Objektivität, das der hedonistischen Auffassung vollständig fehlt. „Obwohl die von uns ‚objektives Gut für die Person‘ genannte Bedeutsamkeit historisch im Begriff des bonum überwiegt, ist sie in Wirklichkeit hinsichtlich des datum des Wertes sekundär.“ 67 Sekundär insofern, als die Bedeutsamkeits‐ kategorie des objektiven Gutes für die Person den Wert schon voraussetzt, 68 denn dieser hat den absoluten Primat. Woher sonst sollte einem objektiven Gut für die Person die Bedeutsamkeit auch zukommen, wenn nicht von etwas, das in sich bedeutsam ist? 5.4.3 Warum ist der Wertethik der Vorzug zu geben vor der eudaimonistischen, der hedonistischen und der utilitaristischen Ethik? Im Unterschied zu Humes und Mills Theorien besitzt von Hildebrands Ethik eine metaphysische Fundierung, denn die Werte „transzendieren den Bereich un‐ 5 Bedeutsamkeit und Motivation 230 <?page no="231"?> 69 Vgl. D E R S ., Christliche Ethik, 5. Kap., S. 93. 70 Eine eudaimonistische Ethik ist übrigens auch die Tugendethik, vgl. R H O N H E I M E R , Die Perspektive der Moral. Philosophische Grundlagen der Tugendethik, der sie in der Einlei‐ tung zu dieser Schrift innerhalb der verschiedenen ethischen Theorien positioniert. 71 Ebd., III., 1., a), S. 91. seres eigenen Seins“, sie „beziehen sich auf etwas, was seine von uns unabhän‐ gige innere Notwendigkeit hat und die letzte metaphysische Schicht berührt“. 69 Das zeigt sich auch daran, dass sowohl bei der Bedeutsamkeit des bloss subjektiv Befriedigenden wie auch beim objektiven Gut für die Person eine äussere Instanz erforderlich ist, um abschätzen zu können, ob richtig gewählt und gehandelt wird. Für Aristoteles ist dies der hochwertige, der ethisch hervorragende Mensch, für Mill der Erfahrene. Jedenfalls bedürfen sie des Konsenses mit be‐ stimmten Menschen. Bei der Motivation durch einen Wert erübrigt sich die Rechtfertigung durch eine äussere Instanz, da der Wert selbst unmittelbar affi‐ ziert. Die Werte künden ebenso von einer transzendenten Wirklichkeit wie die notwendigen Wesenheiten. In beiden Fällen ist man mit einer Wirklichkeit kon‐ frontiert, die nicht relativ und kontingent, sondern absolut und notwendig ist. Wenn die metaphysische Fundierung der Werte die Ethik zumindest der The‐ orie nach auf einem stabilen Grund fussen lässt, der die objektiven ethischen Korrelate der Konsensbedürftigkeit enthebt, stellt sich dann aber doch die Frage, ob es alleine diese metaphysische Fundierung ist, die ihr einen unverrückbaren Platz innerhalb des ethischen Diskurses sichert, zumal ihre Spezifika kontrovers diskutiert werden. Ob ihr ein Vorzug einzuräumen ist, sei in der Folge anhand der kritischen Frage geprüft: Wodurch motiviert die Bedeutsamkeit des Sach‐ verhalts, der in der Handlung verwirklicht wird und dadurch den sittlichen Wert der Handlung bestimmt? Diese Frage wird mit den Auffassungen kontrastiert, die im Verlauf des fünften Punktes des III . Abschnittes diskutiert wurden. Indem Aristoteles, Hume und Mill thematisiert wurden, wurden im gleichen Zuge die eudaimonistische (Aristoteles), die hedonistische (Hume) und die utilitaristische Ethik (Mill) zu Gegenständen der Prüfung gemacht. Diese drei Ethiken werden hinsichtlich der Antworten analysiert, die ihre Vertreter auf die genannte Frage gegeben haben bzw. auf der Basis ihrer Schriften geben würden. Im Eudaimonismus (gr. εὐδαιμονία - Glück) ist das Grundmotiv nicht die subjektive Lust, sondern das objektive Glücksstreben. 70 Wie Rhonheimer un‐ terschied, ist eine Ethik dann eudaimonistisch, „wenn sie das Glücksstreben als konstitutiv für die Bestimmung des für den Menschen Guten und Richtigen be‐ trachtet“ 71 . Aristoteles und mit ihm alle Eudaimonisten des Mittelalters, zu denen u. a. auch Augustinus zu zählen ist, erklärte das Glück zum letzten Ziel, welches stets um seiner selbst und niemals um eines darüber hinaus liegenden 5.4 Dietrich von Hildebrand und die Motivation durch den Wert 231 <?page no="232"?> 72 Vgl. A R I S T O T E L E S , Nikomachische Ethik, I, 5, 1097b. 73 Vgl. Scheler, Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik, Zweiter Teil, V., 10., S. 359 f. Vgl. unten auch III, 11 - „Wert und Glück“. 74 R H O N H E I M E R , Die Perspektive der Moral, III., 1., a), S. 91. 75 Vgl. P L A T O N , Gorgias, 494cff. Zweckes willen erstrebt wird. 72 Was in Bezug auf die zu beantwortende Frage heisst, dass der Sachverhalt durch das Glück bedeutsam ist, das er spendet oder verspricht. Sofern der verwirklichte Sachverhalt eine Quelle des Glücks ist, wird der betreffende Mensch durch ihn motiviert. Indem das Gute und das Böse auf eine Ebene gestellt werden, wird der Ernst des Sittlichen jedoch untergraben. Denn was primär zählt, ist das Glück, der spezifische Unterschied wird verneint, zumindest aber ignoriert. Der Eudaimonismus macht die sittliche Forderung von der Bedingung des Glücksstrebens abhängig und deutet sie um in ein: „Da du glücklich werden willst, sollst du dies tun und jenes meiden.“ Damit wird zu‐ gleich suggeriert, dass die sittlichen Forderungen dahinfallen würden, strebte man nicht nach Glück. Eine stossende Konsequenz der eudaimonistischen The‐ orie wäre auch die Verwendung anderer Personen als Mittel zum eigenen Glück, wobei gerade das eudaimonistische Erstreben des Glücks einen inneren Wider‐ spruch enthält. Denn der Eudaimonismus besteht ja gerade darin, nicht von bloss subjektiver Lust, sondern vom wahren Glück auszugehen. Will man aber angeben, was das wahre Glück begründet, wird sich zeigen, dass dieses von den objektiven und den sittlichen Werten abhängt, welche das Glück also schon voraussetzt und unmöglich begründen kann. 73 In weiterer Konsequenz wird das sittlich Gute nicht um seiner selbst, sondern um eines anderen willen gewollt, nämlich um des Glückes willen, welches aber, wie soeben gezeigt worden ist, aufgrund der eudaimonistischen Prämissen gerade nicht erreicht wird. Auch Hume ist Eudaimonist, richtiger aber Hedonist, ist der Hedonismus (gr. ἡδονή - Lust) ja nur eine verfälschte Form des Eudaimonismus. Wobei die Ver‐ fälschung nicht in der Reduktion des Glücks auf Sinneslust besteht, denn die Lust kann ja gerade auch ein geistiger Genuss sein. Wie Rhonheimer differen‐ zierte, liegt die hedonistische Fehldeutung „in der Interpretation von Glück als Zustand des Befriedigtseins und der Meinung, was unser Handeln motiviere, sei jeweils die Aussicht, einen solchen Zustand zu erreichen“ 74 . Thetisch formuliert, kann diese ethische Überzeugung auf zwei Weisen widerlegt werden. Erstens müssten sittlich neutrale Dinge gut genannt werden, denn wenn sich jemand am Kopf kratzt und dabei Lust empfindet, wie der platonische Sokrates ausführt, dann müsste diese Handlung im Sinne des Hedonismus als sittlich gut be‐ zeichnet werden. Dass dies den evidentesten Tatsachen widerspricht, war auch dem platonischen Sokrates offenbar. 75 Er breitet seine Argumentationslinie noch 5 Bedeutsamkeit und Motivation 232 <?page no="233"?> 76 Ebd., 494e-500a. 77 Vgl. oben III, 5.2 - „John Stuart Mill und der qualitative Utilitarismus oder Die Moti‐ vation durch das modifiziert subjektiv Angenehme“. 78 M I L L , Der Utilitarismus, 2. Kap., S. 23-25. 79 Vgl. ebd., 2. Kap., S. 36 f. weiter aus, indem er auf das Beispiel eines Knabenschänders zurückgreift. Auch seine Handlung wäre sittlich gut, wenn sie dem Handelnden nur Lust bereiten würde. Und wie mit dem Knabenschänder, so verhielte es sich dieser Theorie zufolge mit allen möglichen Verbrechen: Unter der Voraussetzung, dass solche Handlungen dem perversen, sadistischen Menschen Lust bereiten, wären sie als gut zu qualifizieren. Die Absurdität dieser Folgerung widerlegt die ethische Theorie des Hedonismus. 76 Eine einflussreiche Version des Eudaimonismus bzw. des Hedonismus ist der Utilitarismus (lat. utilitas - Nützlichkeit). 77 Die Auffassung, für die die Nützlichkeit oder das Prinzip des grössten Glücks die Grundlage der Moral ist, besagt, dass Handlungen insoweit und in dem Masse mora‐ lisch richtig sind, als sie die Tendenz haben, Glück zu befördern, und insoweit mora‐ lisch falsch, als sie die Tendenz haben, das Gegenteil von Glück zu bewirken. Unter „Glück“ ist dabei Lust und das Freisein von Unlust, unter „Unglück“ Unlust und das Fehlen von Lust verstanden. 78 Auch diese dritte der oben eingeführten ethischen Theorien ist mangelhaft, die Erfolgsethik oder der Konsequentialismus, demgemäss nicht nur das Glück des Handelnden selbst die Norm ist, sondern das grösste Glück insgesamt (greatest happiness principle). 79 Was aber spricht eigentlich gegen eine Theorie, die die Handlungen danach bewertet, ob sie im Vergleich zu anderen Handlungsalter‐ nativen die grösste Nutzensumme hervorgebracht haben? Nach der sich für jeden Akteur die Forderung ergibt, so zu handeln, dass der Zustand nach seiner Handlung besser ist als derjenige nach jeder anderen Handlungsoption? Da‐ gegen spricht erstens, dass die sittliche Handlung sich nicht in ein Mittel-Zweck-Verhältnis fassen lässt, da andernfalls nicht einzusehen wäre, warum der sittliche Wert einer Handlung nicht auch durch Einflüsse der nicht-personalen Natur verursacht werden könnte. Dagegen spricht zweitens auch das letzt-evidente Merkmal der sittlichen Werte, nämlich, dass sie ein freies, personales Wesen voraussetzen. Freilich kann der Utilitarist sich damit noch einverstanden erklären, doch sofern er einen „reinen“ Utilitarismus ver‐ tritt, wird er den Unterschied zwischen sittlichen und unsittlichen Mitteln zur Erreichung eines guten Zwecks nicht mehr zu erklären vermögen. Was zum Prinzip führt, dass der Zweck die Mittel heiligt. Insbesondere wird in dieser 5.4 Dietrich von Hildebrand und die Motivation durch den Wert 233 <?page no="234"?> 80 Neben den genannten Theorien hat sich im ethischen Diskurs auch die deontologische Ethik (το δέον - das Verpflichtende) eine bedeutende Stellung erworben. Diese Position glaubt aufgrund einer Verallgemeinerungsregel sagen zu können, was richtig und was falsch ist. Für Immanuel Kant ist das moralisch Gute nicht das Glück, sondern was moralisch gut ist, sagen erst Regeln. Unter diesen Regeln gibt es nun allerdings eine Hauptregel, die er als kategorischen Imperativ bezeichnet. Diese Hauptregel bzw. dieses Grundgesetz fasst er in der Kritik der praktischen Vernunft (Erstes Buch, Erstes Haupt‐ stück, § 7, S. 41) in die folgenden Worte: Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne. Kategorisch nennt Kant diesen Imperativ, weil er kein hypothetischer, relativer oder bedingter ist, sondern ein absoluter und unbedingter, der an keine Bedingungen ge‐ knüpft ist. Bedingungen in diesem Sinne wären beispielsweise das Glück, die Lust oder der Nutzen. Der kategorische Imperativ besteht auch unabhängig von den Folgen, und er qualifiziert nur diejenigen Handlungen als gut, die verallgemeinerungsfähigen Ma‐ ximen folgen. Verallgemeinerungsfähig heisst, dass jedermann sich die subjektive Ma‐ xime oder Regel zu Eigen machen und sie intersubjektiv gültig sein kann. Die kantische Verallgemeinerungsregel ist allerdings bedeutenden Einwänden ausge‐ setzt, von denen an dieser Stelle nur ein ganz bestimmter Einwand angeführt wird, für die anderen wird auf eine einschlägige Quelle verwiesen (vgl. F E R B E R , Philosophische Grundbegriffe 1, VI., S. 196-202). Die Verallgemeinerungsregel, nach der bestimmt werden soll, was moralisch gut und was moralisch schlecht ist, hat inhaltliche Vorgaben, d. h. sie setzt ein Vorverständnis voraus, was moralisch gut und was moralisch schlecht ist. „Denn nicht jeder Grundsatz, der sich verallgemeinern lässt, ist deswegen schon moralisch gut“ (ebd., S. 196). Vielmehr gilt die Verallgemeinerungsregel „nicht vor aller Erfahrung, sondern nur unter bestimmten Bedingungen, nämlich unter der Bedingung einer gewissen Gleichheit aller Menschen und ihrer Lebensumstände“ (ebd., S. 198). Da dies in Wirklichkeit aber nur bedingt der Fall ist, ist folglich auch Kants kategorischer Imperativ nur bedingt gültig. Auf Kants kategorischen Imperativ wird weiter unten im Zusammenhang der Wert‐ blindheit und des Wertfühlens noch einmal einzugehen sein. Vgl. IV, 1.6 - „Intersub‐ jektiver Konsens in ethischen Fragen? Kants ‚kategorischer Imperativ‘ im Vergleich mit einigen der einschlägigen Prinzipien der phänomenologischen Wertethik“. Theorie, nach der der sittliche Wert einer Handlung nur einen indirekten Wert als Mittel hat, übersehen, dass der sittliche Wert des zu verwirklichenden Sach‐ verhalts ganz von diesem selbst stammt. Von da her wird in dieser ethischen Auffassung auch verkannt, dass der sittliche Wert einer Handlung durch den guten Willen garantiert ist, den Sachverhalt zu realisieren. Von Erfolg oder Misserfolg ist der Wert der Absicht bzw. der Gesinnung jedenfalls gänzlich un‐ abhängig. 80 Doch warum ist der Wertethik nun der Vorzug zu geben vor diesen drei The‐ orien? Weil in der Wertethik nicht wie im Eudaimonismus oder im Hedonismus primär auf das menschliche Subjekt und seine Bedürfnisse geblickt und der Wert der Handlung auch nicht wie im Utilitarismus am Erfolg bemessen wird. Zumal nach der eudaimonistischen wie auch der hedonistischen Auffassung motiviert 5 Bedeutsamkeit und Motivation 234 <?page no="235"?> 81 An dieser Stelle ist auf eine Differenzierung hinzuweisen, die von Hildebrand in seiner erst posthum erschienen Schrift Moralia vorgenommen hat. Er nimmt sein Wort zurück, dass der Wille sich nur auf einen zu verwirklichenden Sachverhalt richten kann, und arbeitet vier weitere mögliche Aktualisierungen heraus. Vgl. unten III, 7 - „Die Wert‐ antwort“. 82 „[D]ie metaphysische Beziehung des Gebührens, nach der jedem Gut die adäquate Ant‐ wort gegeben werden soll“ (von H I L D E B R A N D , Christliche Ethik, 27. Kap., S. 427), wird in den nächsten beiden Punkten thematisch sein. Zur Wertethik vgl. u. a. die einschlä‐ gige Schrift von Josef S E I F E R T , Was ist und was motiviert eine sittliche Handlung? Dazu vom selben Autor auch Dietrich von Hildebrands philosophische Entdeckung der „Wert‐ antwort“ und die Grundlegung der Ethik. der Sachverhalt, der in der Handlung verwirklicht wird, durch das Glück, das er verheisst. In der utilitaristischen Ethik wiederum scheint das Mittel-Zweck-Ver‐ hältnis für die Motivation entscheidend zu sein. So dass der Handelnde den zu verwirklichenden Sachverhalt als Zweck versteht und seine Handlung als Mittel zu seiner Erreichung. Das Motiv bildet ihm dabei die Wirkung seiner Handlung. Und auch dann, wenn der sittliche Wert nach der erfolgsethischen Verständ‐ nisweise nicht vom tatsächlichen Erfolg abhängt, sondern in der Motivation oder der Absicht als solcher wurzelt, ist es unmöglich gleichzeitig anzunehmen, der Erfolg, von dem der sittliche Wert unabhängig ist, motiviere die sittliche Handlung. Die Wertethik weiss diese Probleme mit der dem Objekt gebührenden Ant‐ wort zu lösen. Motiviert wird die sittliche Handlung weder durch die wahre Beglückung noch durch die subjektive Lust, die das verwirklichte Objekt spendet. Auch wird nach der wertethischen Auffassung die sittliche Handlung zwar vom Objekt der Handlung, d. h. dem zu verwirklichenden Sachverhalt motiviert, doch ist der Wert dabei unabhängig von Erfolg und Nutzen der Hand‐ lung. Woran der Wert einer sittlichen Handlung sich nach dieser ethischen The‐ orie bemisst, ist alleine die angemessene Antwort auf die motivierende Bedeut‐ samkeit des zu verwirklichenden Sachverhalts. 81 Ihren sittlichen Wert erhält die Handlung jedenfalls nicht durch den Erfolg, dem sie wie ein Mittel zu dienen hätte, sondern durch die Erfüllung der metaphysischen Beziehung des Gebüh‐ rens. 82 5.4 Dietrich von Hildebrand und die Motivation durch den Wert 235 <?page no="236"?> 1 von H I L D E B R A N D , Christliche Ethik, 5. Kap., S. 93. 2 D E R S ., Die neue Sachlichkeit und das katholische Ethos, S. 85. 3 Vgl. D E R S ., Das katholische Berufsethos, S. 15. 4 D E R S ., Über die christliche Idee des himmlischen Lohnes, S. 276. 5 Ebd. 6 D E R S ., Christliche Ethik, 19. Kap., S. 334. 6 Die objektive Gebührensbeziehung, die sittlich bedeutsamen Werte und der Unterschied zwischen Wert und Gut Wenn die Werte „die letzte metaphysische Schicht“ 1 berühren, dabei aber For‐ derungen nach adäquaten Antworten stellen, stellt sich dann doch die Frage, wie dies beispielsweise bei den ontologischen Werten zu denken ist. Inwiefern berührt etwa der ontische Wert der Katze die letzte metaphysische Schicht und inwiefern fordert er eine adäquate Antwort? Grundsätzlich versteht von Hildebrand den Kosmos nicht als „ein graues Ge‐ webe neutraler Zwecke“ 2 . Vielmehr spricht er immer wieder von der objektiven Gebührensbeziehung, jedem echten Gut und jedem echten Übel die Antwort zu geben, die ihm gebührt. 3 „Von der Welt der Werte ergehen Forderungen an uns nach einer angemessenen Antwort von unserer Seite.“ 4 Es besteht eine „objek‐ tive Gebührensbeziehung: dass dem Guten eine positive, dem Bösen eine nega‐ tive Antwort zu Teil werden soll“ 5 . Was sodann die aufgeworfene Frage betrifft, inwiefern ein ontischer Wert die letzte metaphysische Schicht berührt, so berührt der ontische Wert diese Schicht nicht qua ontischer, sondern qua sittlich bedeutsamer Wert. Bei den sittlich be‐ deutsamen Werten handelt es sich allerdings nicht um einen eigenen Wertbe‐ reich. „Unter den sittlich belangvollen Werten finden sich Werte vieler ver‐ schiedener Typen. Das ihre sittliche Relevanz begründende Element zieht sich quer durch die verschiedenen Wertbereiche hindurch.“ 6 In allen Wertgattungen oder -familien gibt es Werte, die, treten sie dem Menschen auf der Objektseite gegenüber, sittlich bedeutsam sein können. In diesem Sinne ist der ontische Wert der Katze ebenso sittlich bedeutsam wie der ontische Wert des Menschenlebens. Von beiden geht beispielsweise die Forderung aus, sie nicht verhungern zu lassen und sie nicht ohne Not zu quälen. Unnötig zu sagen, dass die Katze und der Mensch nicht vom gleichen axiologischen Rang sind; aufgrund des Per‐ <?page no="237"?> 7 In seinem posthum erschienenen Werk Moralia erweitert von Hildebrand diese Ein‐ sicht. Es seien nicht nur die Werte, die sittlich bedeutsam sein können. Er arbeitet acht weitere Urphänomene heraus, die mit einer ebensolchen Forderung auftreten können. 8 Vgl. von H I L D E B R A N D , Moralia, 38. Kap., S. 415. 9 Ebd., 38. Kap., S. 414. 10 Ebd., 38. Kap., S. 407. 11 Ebd., 38. Kap., S. 409 f. sonseins und der damit gegebenen Fähigkeit zur Transzendenz steht der onti‐ sche Wert des Menschen unvergleichlich höher als der ontologische Wert der Katze, die im Unterschied zum Menschen auf die immanente Sphäre verwiesen bleibt. Sittlich bedeutsame Werte sind solche, von denen sittliche Forderungen aus‐ gehen, die sittlich zu respektieren sind, die selbst aber keineswegs sittlich gut zu sein brauchen. 7 Diese sittlichen Forderungen, diese, wie von Hildebrand sie gelegentlich nennt, sittlichen Obligationen, scheiden sich in formale und mate‐ riale. Ein gegebenes Versprechen zu halten, ist eine formale Obligation. Die Ehe nicht zu brechen, ist dagegen eine tiefe materiale Obligation. Erfassbar ist die formale Obligation leichter als die tiefe materiale Obligation. Was aber nicht bedeutet, dass sie einleuchtender oder intelligibler ist. Denn in Wirklichkeit ist die tiefe materiale Obligation viel intelligibler. 8 Sie zu erfassen, erfordert jedoch „ein anderes In-die-Tiefe-Gehen als die rein formale Obligation“ 9 . Von Hildebrands feines Unterscheidungsvermögen erkennt aber nicht nur die Obligation, nicht nur den von den sittlich bedeutsamen Werten und Gütern ausgehenden Imperativ der moralischen Verpflichtung. Allem Wertvollen, etwa der Schönheit einer Landschaft, soll, auch wenn nicht sittlich verpflichtend, die ihm gebührende Antwort erteilt werden. Wird sie gegeben bzw. nicht gegeben, ist damit ein Wert bzw. ein Unwert realisiert, denn es besteht „ein objektives dignum et justum est (es ist würdig und recht)“ 10 . Wieder eine andere Beziehung als dieses Seinsollen einer gebührenden Antwort allem aussersittlich Wertvollen gegenüber ist die Einladung jener sittlich bedeutsamen Güter, die keine sittliche Forderung stellen. So im Falle eines begabten jungen Menschen, dem die Mög‐ lichkeit zur Entfaltung seiner Talente gegeben wird. „Wir sind nicht dazu ver‐ pflichtet, doch ergeht eine Einladung des sittlich bedeutsamen Gutes an uns. Wir verstehen, dass es wünschenswert ist und ein Wert darin liegt, diese Talente auszubilden. Damit erkennen wir auch, dass es an sich so sein sollte“ 11 . Eine weitere Unterscheidung fand soeben beiläufige Erwähnung: der Unter‐ schied zwischen Wert und Gut. Dabei geht es um die Frage nach dem Verhältnis zwischen Wert und konkreter Realität. Um dieses Verhältnis zu bestimmen, grenzt von Hildebrand die Verwendung von Gut in einem weiten Sinn von der‐ 6. Die sittlich bedeutsamen Werte und der Unterschied zwischen Wert und Gut 237 <?page no="238"?> 12 Vgl. D E R S ., Das Wesen der Liebe, Kap. III, S. 104, Anm. 35. jenigen in einem engeren Sinn ab. Im weiten Sinn kann von Gut bei jedem Sei‐ enden gesprochen werden, das eine Bedeutsamkeit besitzt und zu motivieren vermag. In einem engeren Sinn dagegen ist mit dem Begriff Gut auf ein Seiendes abgezielt, das Träger eines Wertes ist. Während also der Wert dasjenige ist, „was diese Güter zu Gütern macht“, ist das Gut „das ganze reale Seiende in seinem Wert“. 12 Diese Unterscheidung ist in mehrfacher Hinsicht unerlässlich. So lässt sich z. B. das Phänomen der Motivation durch Werte mit darauf aufbauender Wertantwort nur verstehen, wenn gezeigt werden kann, dass die Motivation zwar vom Wert eines Gutes ausgeht, die Wertantwort selbst aber dem konkreten Gut gilt. 6. Die sittlich bedeutsamen Werte und der Unterschied zwischen Wert und Gut 238 <?page no="239"?> 1 D E R S ., Christliche Ethik, 17. Kap., S. 289. Von Hildebrand darf als „der Entdecker der Wertantwort“ bezeichnet werden (vgl. M E R T E N S , „Hinweise auf Dietrich v. Hildebrands ethisches Werk“, S. 270 f.). Er selbst sagt, dass das „Urdatum des Wertes […] zwar von allen grossen Denkern in seiner zentralen Bedeutung vorausgesetzt [wurde]. […] Aber eine volle, eindeutige philosophische prise de conscience des Wertes in seiner prinzi‐ piellen Verschiedenheit vom objektiven Gut für die Person ist nirgends durchgeführt“ (von H I L D E B R A N D , Moralia, 1. Kap., S. 47 f.). 2 Vgl. D E R S ., Liturgie und Persönlichkeit, 3. Kap., S. 233. 3 Vgl. D E R S ., Die Idee der sittlichen Handlung, I. Teil, 2. Kap., S. 162-174. 4 D E R S ., Christliche Ethik, 17. Kap., S. 239. 7 Die Wertantwort „Jedem werttragenden Gut und ebenso jedem von einem Unwert befleckten Gegenstand gebührt eine adäquate Antwort.“ 1 Diese „Urtatsache“, dass jedem Wertvollen eine angemessene Antwort von Seiten der Person gebührt, „kann nicht bewiesen oder aus etwas anderem abgeleitet werden; sie ist ein Letztes, das wir nur unmittelbar einsehen können“. 2 Schon früh beschäftigte von Hilde‐ brand sich in seinem wissenschaftlichen Arbeiten mit den Antworten bzw. Stel‐ lungnahmen. 3 Seinen ersten Höhepunkt fand dieses Bemühen in seinem Werk Christliche Ethik, in dem er sich in einem eigenen Kapitel eingehend mit dem Wesen der Wertantwort beschäftigte. Die wichtigsten Merkmale seien in der Folge benannt. Grundlegend ist die Unterscheidung zwischen den zwei Grundrichtungen intentionaler Beziehungen: Bei den kognitiven Akten geht die Intention sozu‐ sagen vom Objekt zu uns, so etwa in der Erkenntnis oder im Affiziertwerden, bei den Antworten geht die Intention dagegen von uns zum Objekt. Entspre‐ chend den drei geistigen Zentren von Vernunft, Wille und Herz (Gefühl), un‐ terscheidet er auch die Antworten in drei verschiedene Grundtypen: in theore‐ tische Antworten (Vernunft), Willensantworten (Wille) und affektive Antworten (Herz bzw. Gefühl). „In der theoretischen Antwort, etwa der Überzeugung oder dem Glauben, sagen wir gleichsam ‚ja‘, zu dem ‚So-sein‘ und der Existenz eines Objektes, das sich unserem Geist offenbar macht.“ 4 Dabei setzt die theoretische Antwort die Erkenntnis voraus und wiederholt sozusagen, was in ihr enthalten war. Bezüg‐ lich den Willensantworten machte von Hildebrand eine gewisse Entwicklung mit. Während er die Willensantworten in seiner Ethik auf einen bedeutsamen <?page no="240"?> 5 Ebd., 17. Kap., S. 243. 6 D E R S ., Moralia, 1. Kap., S. 74. 7 Zur Grundintention vgl. unten III, 9.5 - „Die Grundintention, die Grundhaltung und die sittliche Identität der Person“. 8 Vgl. von H I L D E B R A N D , Moralia, 1. Kap., S. 75-78. 9 D E R S ., Christliche Ethik, 17. Kap., S. 245. 10 Vgl. oben III, 3 - „Die affektiven Antworten und die mitwirkende Freiheit“. 11 von H I L D E B R A N D , Christliche Ethik, 17. Kap., S. 258. 12 Vgl. D E R S ., Moralia, 1. Kap., S. 50. 13 Vgl. D E R S ., Christliche Ethik, 17. Kap., S. 259. Sachverhalt gerichtet sein liess, der „durch unsere eigene Tätigkeit“ 5 verwirk‐ licht wird, korrigiert er diese Auffassung in seinem posthum erschienen Werk Moralia. Er hält fest, „dass sich der Wille als Stellungnahme - durch das in ihm enthaltene Ja oder Nein zu einem Objekt - nicht notwendig auf einen Sachver‐ halt richtet, weder auf einen noch nicht realisierten noch durch mich realisier‐ baren Sachverhalt“ 6 . Als Explikation des in der Ethik über die Freiheit Gesagten sind die vier möglichen Aktualisierungen der ersten Freiheitsdimension zu ver‐ stehen. Erstens, „die Willenshaltung, die der Grundintention entspricht“ 7 ; zwei‐ tens, „das Willens-Ja oder -Nein auch zu bestehenden, nicht durch uns reali‐ sierbaren Sachverhalten […] und nicht nur zu Sachverhalten“; drittens, „der innere freie Gestus, der gleichsam das ‚Skelett‘ gewisser Stellungnahmen ist“; und viertens, „der Wille als Ersatz für affektive Stellungnahmen“. 8 Im Unterschied zu den Willensantworten, sind die affektiven Antworten nicht frei. „Wir können keine affektive Antwort durch ein fiat hervorbringen, noch sie durch unseren Willen kommandieren, wie irgendeine Tätigkeit.“ 9 Nichtsdestotrotz besteht die entscheidende Möglichkeit der mitwirkenden Frei‐ heit, auf die bereits hingewiesen wurde. 10 Was sodann die Frage betrifft, welche Bedeutsamkeitskategorien die affektiven Antworten motivieren, so gibt es ers‐ tens affektive Antworten, die ausschliesslich von Werten motiviert werden, zweitens solche, die nur vom subjektiv Befriedigenden motiviert werden, drit‐ tens auch solche, die vom objektiven Gut für die Person hervorgerufen werden, und schliesslich gibt es „affektive Antworten wie Freude und Trauer, die von allen drei Bedeutsamkeitsarten motiviert werden können“ 11 . In der Wertantwort vollzieht sich eine Angleichung von Wille und Herz an den Wert (adaequatio voluntatis et cordis ad valorem).  12 Das entscheidende Merkmal dieser inneren Bewegung ist ihr „Charakter des Sich-selbst-Hinge‐ bens“ und des Konformierens mit dem „Logos des Wertes“. 13 Dabei wird die Ichbezogenheit durchbrochen. Bei dem Verlangen nach dem nur subjektiv Be‐ friedigenden dagegen wird der Rahmen der Ichbezogenheit nicht überschritten, es kommt nicht zu einer Konformierung mit einem objektiv Bedeutsamen. Viel‐ 7 Die Wertantwort 240 <?page no="241"?> 14 Ebd., 17. Kap., S. 260. 15 Ebd. 16 Ebd., 17. Kap., S. 261. 17 Ebd. 18 Ebd. 19 Ebd., 17. Kap., S. 263. 20 Ebd. 21 Ebd. 22 Vgl. D E R S ., Moralia, 1. Kap., S. 49. 23 Vgl. D E R S ., Christliche Ethik, 17. Kap., S. 262. 24 Vgl. oben II, 3 - „Gott als Inbegriff aller Werte“. mehr liegt im Verlangen nach dem nur subjektiv Befriedigenden „keine Hingabe, keine ehrfürchtige Unterwerfung unter etwas, das grösser ist als wir selbst“ 14 . Vielmehr liegt in jeder durch etwas nur subjektiv Befriedigendes motivierten Antwort „ein Gestus der Aneignung“ 15 . In der Wertantwort liegt dagegen ein Moment der Ehrfurcht vor dem jeweiligen Gut und ein Interesse an seiner Exis‐ tenz: „anstatt es zu absorbieren, geben wir uns selbst“ 16 . In der Wertantwort kommt es zu einer Angleichung, die vergleichbar ist mit dem Konformieren des Intellektes mit dem Wesen oder Sosein eines Seienden, wie es sich in der Er‐ kenntnis ereignet. Bei der Angleichung von Wille und Herz an den Wert liegt ein Transzendieren vor, „das nicht nur immanenter, blinder Teleologie, sondern auch dem Verhaftetsein im eigenen Ich entgegengesetzt ist“ 17 . Dieses transzen‐ dierende Konformieren ist einer der „tiefsten Grundzüge der Person“ 18 , ja von Hildebrand bezeichnet es sogar als „das entscheidendste Merkmal des Persons‐ eins“ 19 . „Das Bewusstsein, dass wir mit unserer Antwort etwas objektiv Gefor‐ dertes vollziehen, verleiht der Antwort ein Element der Objektivität und eine Würde, die sich keineswegs in der Antwort auf etwas nur Angenehmes finden.“ 20 Niemals, so von Hildebrand den Gedanken weiterführend, niemals gelangt die Antwort auf das Angenehme an den Punkt, „an dem sie von einer Welt über uns getragen wird“ 21 . Nur in der Wertantwort wird die Ichbezogenheit durchbrochen, nur in der Wertantwort wächst der Mensch über die Grenzen seines eigenen Selbst hinaus. Auf diesem intelligiblen Grund kann von Hildebrand nicht nur das Urteil fällen, dass jede wahre religio von Wertantworten durchsetzt ist, 22 er spricht sich auch dafür aus, dass „der Charakter der Person als Ebenbild Gottes“ hier auf‐ leuchte, das berufen ist, „als Partner in dem Dialog mit Gott teilzunehmen“. 23 Mit der Entdeckung und der detaillierten Analyse des Wesens der Wertantwort hat von Hildebrand zweifelsohne einen zentralen Beitrag zur Religionsphiloso‐ phie geleistet. Das gerade auch deswegen, weil er Gott, den Bezugspunkt der Religion, als den Inbegriff aller Werte charakterisierte. 24 Wie es um die ihm ge‐ 7 Die Wertantwort 241 <?page no="242"?> 25 Vgl. unten IV - „Die lebendige Verbindung des Menschen mit Gott“. 26 Vgl. von H I L D E B R A N D , Christliche Ethik, 17. Kap., S. 288. 27 Vgl. ebd., 17. Kap., S. 286. bührenden Antworten bestellt ist, wird im weiteren Verlauf dieser Untersu‐ chung zu erörtern sein. 25 Wie höchst sinnvoll und notwendig die Wesenszusammenhänge im Bereich der Antworten auf das in sich Bedeutsame sind, zeigt sich nicht zuletzt auch daran, dass die Eindringlichkeit und das Gewicht der Forderungen sich im Ver‐ hältnis zur Ranghöhe des Wertes steigern und die Wertantwort in dem Grad erteilt wird, der dem objektiven Rang des Wertes gemäss ist. 26 Zudem liegt die Schicht in der Seele, an die der Wert appelliert, umso tiefer, je höher der Wert rangiert. 27 7 Die Wertantwort 242 <?page no="243"?> 1 Bereits in seiner Dissertation Die Idee der sittlichen Handlung, II. Teil, 3. Kap., S. 215 f., finden sich die ersten Züge. Sie lassen sich verfolgen bis hin zu seinen späten Schriften, vgl. etwa Zölibat und Glaubenskrise, Einleitung, S. 22-25. 2 D E R S ., Ästhetik 1, S. 392. 3 D E R S ., Christliche Ethik, 17. Kap., S. 275. 4 Vgl. D E R S ., Heiligkeit und Tüchtigkeit, S. 35 f. 5 Vgl. D E R S ., Moralia, 1. Kap., S. 67. 6 D E R S ., Christliche Ethik, Prolegomena, S. 11. 7 D E R S ., Sittlichkeit und ethische Werterkenntnis, III. Teil, 1. Kap., a), S. 91. 8 Peripherie und Tiefe Im letzten Absatz wurde auf das Verhältnis verwiesen, das zwischen der Rang‐ stufe eines Wertes und der Tiefenschicht in der Seele besteht, an die er appelliert. Mit der Tiefe ist eine Dimension der Wirklichkeit angesprochen, mit der von Hildebrand sich zeitlebens beschäftigte. 1 Die Tiefe versteht er in erster Linie als Gegensatz zur Peripherie. „Der Unterschied zwischen Peripherie und Tiefe richtet sich nach dem Gehalt und Wert der Dinge, die uns anziehen, und nach den Schichten in uns, in denen sie uns affizieren können.“ 2 „Wenn uns ein Wert affiziert, wird eine andere Tiefenschicht unserer Seele aktualisiert als die, wo es sich um etwas nur subjektiv Befriedigendes handelt.“ 3 Der Unterschied zwischen Peripherie und Tiefe bezieht sich demnach auf die verschiedenen Werthöhen von Akten oder Inhalten und auf die ihnen ent‐ sprechenden Ansatzpunkte in der Person. Je gewichtiger die objektive Bedeut‐ samkeit des Aktes oder Inhalts, desto tiefer die Schicht in der Person, an die appelliert wird, je gehaltloser, je inhaltsleerer, desto peripherer die Schicht. In diesem spezifischen Sinn ist Liebe tiefer als sinnliches Begehren, Gottesliebe tiefer als eheliche Liebe. In diesem Sinn kann von Hildebrand auch sagen, in der Kontemplation von hohen Werten werde „die tiefste Schicht unserer Seele ak‐ tualisiert“, und das „‚Zusammenklingen‘ mit den grossen und bedeutungsvollen Dingen“ sei die wesentliche Aufgabe der Organe, die „in der Tiefe unserer Seele ruhen“. 4 Da die sittlichen Werte, wie weiter oben gesehen, „die wichtigsten, die zentralsten“ sind und in ihnen „die Herrlichkeit aller Werte“ gipfelt, 5 berühren sie auch „den tiefsten und zentralsten Punkt“ 6 in der Person. Neben der spezifischen unterscheidet Hildebrand eine qualitative Tiefe, die auf einen bestimmten Akttypus relativ ist, „d. h., innerhalb eines Akttypus nur anzuwenden ist auf seine qualitative materiale Gefülltheit und Reinheit“ 7 . In diesem Sinn wird von tieferer und weniger tiefer Liebe gesprochen. <?page no="244"?> 8 Vgl. ebd., III. Teil, 1. Kap., b), S. 92. 9 Ebd. 10 Ebd. 11 Von Hildebrand benennt noch vier weitere Typen von Tiefe, auf die einzugehen hier aber nicht nötig ist, da der Sinn von Tiefe sich zur Genüge verdeutlichte. Die restlichen vier Typen von Tiefe sind: die Lebensrolle, die etwas in der Person spielt; die konstitutive Tiefe, die dem jeweils Allgemeineren in der Person eignet, bis zum Allgemeinsten der Grundhaltung; die Tiefe als Erlebnistranszendenz und Langlebigkeit; die Tiefe als dau‐ ernde Verwurzelung einer Haltung in der Person, d. h. als Realitätsstufe. Vgl. Sittlichkeit und ethische Werterkenntnis, III. Teil, 1. Kap., S. 92-111. 12 D E R S ., Ästhetik 1, 19. Kap., S. 390. Wiederum in einem ganz anderen Sinn kann von Tiefe gesprochen werden, wenn auf das Tiefgehen abgezielt wird. Damit ist der wesensmässige Sollenszu‐ sammenhang zwischen der qualitativen Tiefe eines Aktes oder Inhalts und der Schicht bezeichnet, bis zu der er dringen soll. 8 Mit anderen Worten: Die quali‐ tative Tiefe hat eine Grenze, bis zu der sie dringen soll. Diese Grenze ist die spezifische Tiefe des jeweiligen Aktes oder Inhalts. Wenn die Qualität diese Grenze überschreitet, haftet dem Tiefgehen ein Moment der Disproportion an, „ja es wird merkwürdigerweise durch diese Übersteigerung des ‚Tiefgehens‘ eine Abnahme der qualitativen Tiefe bedingt“ 9 . Mit einem Beispiel: Zwei von‐ einander unabhängige Menschen trauern während je einem Monat um den Ver‐ lust von etwas, das sie sehr geliebt haben. Der eine verlor durch einen Ver‐ kehrsunfall seine Ehefrau, der andere seinen zehn Jahre alten Hund. Unmittelbar leuchtet ein, dass es nicht angeht, dass die Trauerzeit des einen ebenso lange dauert wie diejenige des andern. Derjenige, dessen Ehefrau verstarb, soll offen‐ sichtlich länger trauern als derjenige, dessen Hund verstarb. Und zwar aus dem genannten Grund, weil die Qualität der Trauer eine Grenze hat, bis zu der sie dringen soll. Der Wert eines Menschenlebens, noch dazu der Ehefrau, hat ge‐ gebenerweise eine höhere Rangstufe als ein Hundeleben, weswegen die spezi‐ fische Grenze für die Trauer beim Witwer tiefer liegt. Um festzustellen, dass eine „Übersteigerung des ‚Tiefgehens‘ eine Abnahme der qualitativen Tiefe be‐ dingt“ 10 , braucht man nur an den erwähnten Menschen zu denken, der einen Monat lang um seinen verstorbenen Hund trauert: Soll man betroffen sein? Die Abnahme der qualitativen Tiefe, die Disproportion zeigt sich jedenfalls gerade daran, dass man nicht recht weiss, welche Antwort angemessen ist. 11 Abschliessend noch ein Wort zur Peripherie, von der es zwei grundsätzlich verschiedene Arten gibt: eine legitime und eine illegitime. Legitim ist die Peri‐ pherie dann, wenn sie die Person „in keiner Weise von der Tiefe abschneidet“ 12 . Nicht immer in der Tiefe weilen zu können, liegt in der Natur des Menschen. Vielen Dingen muss man sich zuwenden, die wegen ihrer „relativen Gehaltlo‐ 8 Peripherie und Tiefe 244 <?page no="245"?> 13 Ebd., 19. Kap., S. 391. 14 Ebd. 15 Ebd., 19. Kap., S. 390. 16 Die moralischen Zentren, die an dieser Stelle angesprochen wurden, werden im nächsten Punkt (III, 9.1) eingehender erläutert. 17 von H I L D E B R A N D , Christliche Ethik, 33. Kap., S. 505. 18 Ebd. 19 Ebd. sigkeit“ 13 an die periphere Schicht appellieren. „Wenn wir eine Abrechnung ma‐ chen, kochen, uns anziehen, irgend etwas Praktisches erledigen, müssen wir unsere Aufmerksamkeit auf diese Tätigkeiten lenken, die uns wegen der Armut ihres inneren Gehaltes weder in die Tiefe führen noch in der Tiefe treffen.“ 14 Diese in der peripheren Schicht verrichteten Tätigkeiten schneiden jedoch nicht notwendig von der Tiefe ab, und erst recht haben sie keinen negativwertigen Charakter. Illegitim ist die Peripherie dagegen immer dann, wenn sie einen Kontrast zur Tiefe bildet, wenn sie „ein der Tiefe Feindliches“ 15 ist. Lässt man sich bewusst in die Peripherie absinken, dann flieht man die Tiefe und gibt sich oberflächlichen, dem Logos der Werte feindlichen Dingen hin. Was sodann die Frage betrifft, ob es auch ein legitimes Interesse am bloss subjektiv Befriedigenden gibt, so beantwortet von Hildebrand diese Frage dif‐ ferenziert. Vor allem muss die sittliche Bedeutung jener Schicht untersucht werden, an die das subjektiv Befriedigende appelliert, und dessen Beziehung zu Hochmut und Begehrlichkeit. Das Wenden an die legitime Schicht setzt die überaktuelle Herrschaft des wertantwortenden Zentrums voraus. 16 Dabei geht das Interesse an etwas bloss Angenehmem von einer Schicht aus, „die ihrem Wesen nach eine begrenzte und weit weniger zentrale Rolle zu spielen hat, als der Appell der Güter mit echten Werten“ 17 . Dieser Schicht kommt eine beschei‐ denere Funktion zu, „sie ist vor allem a priori auf eine Sphäre beschränkt, in der keine Konflikte mit den Werten bestehen, denn ihr Rahmen wird von den Werten begrenzt“ 18 . Wie bereits angedeutet, kann diese Schicht ihren legitimen Charakter nur so lange bewahren, als die wertantwortende Haltung vorherrscht. Sobald jedoch das Interesse am bloss subjektiv Befriedigenden überwiegt, „halten Hochmut und Begehrlichkeit ihren Einzug und treten sogar in mancher Hinsicht an die Stelle dieses legitimen Feldes der Sensitivität“ 19 . Diesen Übergang von der Legitimität in die Illegitimität des Interesses an den subjektiv befriedigenden Gütern weiss von Hildebrand so zu beschreiben, dass zugleich mit der Lösung des Interesses an dem subjektiv Befriedigenden von „der immanenten religio an das Reich der Werte“ und der gleichzeitigen Lösung von der wertantwortenden Haltung das Interesse am subjektiv Befriedigenden von Hochmut und Begehrlichkeit durchsetzt werde, welche „sich selbst an die 8 Peripherie und Tiefe 245 <?page no="246"?> 20 Vgl. ebd., S. 505 f. 21 Ebd., S. 506. 22 Ebd. Stelle dieser legitimen Schicht der Empfänglichkeit für das Angenehme ge‐ schoben“ haben. 20 Dadurch nimmt aber auch das Angenehme selbst einen an‐ deren Charakter an: „es ist irgendwie verdorben und vergiftet“ 21 . Von Hildebrand ist es in diesem Zusammenhang vor allem darum zu tun, „dass die Schicht, an die das sittlich neutrale, subjektiv Befriedigende appelliert, nur so lange legitim bleibt, als die Person überaktuell auf das Reich der Werte gerichtet ist“ 22 . Sofern dies aber nicht bzw. nicht mehr der Fall ist, ist die Ent‐ thronung der wertantwortenden Haltung mit der Aktualisierung von Hochmut und Begehrlichkeit verknüpft. 8 Peripherie und Tiefe 246 <?page no="247"?> 1 Vgl. oben „III, 5.4 - Dietrich von Hildebrand und die Motivation durch den Wert“. 2 von H I L D E B R A N D , Über die christliche Idee des himmlischen Lohnes, S. 276 f. 3 Vgl. D E R S ., Moralia, 1. Kap., S. 59-62. 4 D E R S ., Die Menschheit am Scheideweg, S. 266. 5 Ebd. 9 Die verschiedenen Bereiche der Träger sittlicher Werte Es hat sich bereits gezeigt, dass die Person sittliche Werte tragen kann, indem sie einen sittlich bedeutsamen Wert erfasst und einem mit diesem Wert ausge‐ statteten Gut eine freie Antwort erteilt. 1 Dasselbe gilt selbstverständlich auch in Bezug auf die Übel, beispielsweise, wenn eine Person vom Übel des Verlusts des Augenlichts betroffen ist, auch dann trägt die Erteilung einer mitfühlenden und hilfsbereiten Antwort einen sittlichen Wert. Über die Trägerschaft sittlicher Werte kommt es zu einer Verbindung mit Gott, „der, obgleich ganz Person, ganz Subjekt, doch nicht etwa nur der Träger der höchsten sittlichen Werte, sondern der Inbegriff aller Werte ist“ 2 . Verglichen mit allen anderen Wertfamilien, kommt es bei den sittlichen Werten in einer ganz neuen Weise zu einer Verherrlichung Gottes. 3 Objektiv gesehen, kommt es damit zu einer Teilhabe an den Werten, letztlich einer Teilhabe an Gott, dem Inbegriff aller Werte. Als Bindeglied zwischen Mensch und Gott fungiert die Ethik: Auf der einen Seite die reinen Vollkom‐ menheiten, insofern es sich um moralische Werte handelt, auf der anderen Seite der freie Mensch. Über die angemessene Haltung zu den transzendenten Werten kann es zu einer „Teilhabe an Gottes unendlicher Fülle“ 4 kommen. Wobei die der menschlichen Person seins- und wesensmässig eröffneten Möglichkeiten, das In-sich-Bedeutsame zu erkennen und zu fühlen, allerdings noch nicht hinrei‐ chen, um die „Teilhabe an Gottes unendlicher Fülle“ 5 Wirklichkeit werden zu lassen. Von Seiten des Subjekts setzt es das den Werten und letztlich Gott in Freiheit gegebene Ja-Wort voraus, das gegebenenfalls auch in die Tat umgesetzt zu werden verlangt. Wie das zu denken ist, sei in der Folge untersucht. Die Frage, die dieses Bemühen leitet, geht dahin, ob die Trägerschaft durch die Handlungen die einzige ist, oder ob es auch noch andere Bereiche gibt, in denen sittliche Werte realisiert werden können. Von Hildebrand unterscheidet drei Bereiche, in denen sittliche Werte realisiert werden können: das Reich der <?page no="248"?> 6 Vgl. D E R S ., Selbstdarstellung, S. 104. 7 Vgl. D E R S ., Christliche Ethik, 27. Kap., S. 425 f. 8 Vgl. ebd., 27. Kap., S. 404-447. 9 Vgl. D E R S ., Sittlichkeit und ethische Werterkenntnis, III. Teil, 2. Kap., b), § 1, S. 124. 10 Vgl. D E R S ., Christliche Ethik, 31. Kap., S. 488. 11 Ebd., 31. Kap., S. 483. Handlung, das Reich einzelner Stellungnahmen und das Reich der Tugenden. 6 Während diese drei Bereiche in Christliche Ethik in einem untersten und allge‐ meinsten Fundament gründen, nämlich in der Antwort auf Gott, 7 hat von Hil‐ debrand diesen Bereich in Sittlichkeit und ethische Werterkenntnis differenziert und dreigeteilt. Seine zuletzt genannte Habilitationsschrift unterscheidet sich von den anderen Schriften auch durch die Anordnung bzw. die Gliederung. Denn währenddem er in der Habilitationsschrift bei den allgemeinsten sittlichen Haltungen einsetzt und auf der individuellen Handlungsebene schliesst, verläuft die Abfolge in allen anderen Schriften gerade umgekehrt: er beginnt bei den Handlungen und schliesst mit den allgemeinsten sittlichen Haltungen. 8 In der Folge wird die letztgenannte Reihenfolge bis auf den Punkt übernommen, dass nicht mit den Handlungen, sondern mit der Grundstellung begonnen, den Handlungen sodann die Sphäre der Antworten auf individuelle Güter vorge‐ ordnet, anschliessend die Grundhaltungen (Plural) oder Tugenden und letztlich die Grundintention und die Grundhaltung (Singular) auseinandergelegt werden. 9.1 Die Grundstellung und die moralischen Zentren Jede Person hat notwendigerweise irgendeine allgemeinste Stellungnahme zur Welt des Sittlichen und sittlich Bedeutsamen eingenommen. Ob dies explizit oder implizit geschehen ist, ist für ihr reales Vorhandensein unerheblich. Sie ist auch „ohne jegliche moralische Intention vorhanden“, die Person befindet sich in ihr „kraft ihrer natürlichen ‚Gravitation‘“. 9 Unter der natürlichen Gravitation versteht von Hildebrand das Angezogenwerden von den drei moralischen Zentren. Im Unterschied zu den weiter oben behandelten drei geistigen Zentren - Vernunft, Wille und Herz - sind unter den moralischen Zentren in keiner Weise ontische Elemente zu verstehen. Der Terminus „Zentrum“ weist vielmehr auf die „qualitative Einheitlichkeit einer Grundhaltung“ hin, „aus der viele andere Haltungen hervorgehen“. 10 So kann man beispielsweise „nicht jemanden hassen und zugleich einen Akt echter Güte oder christlicher Nächstenliebe vollbringen“ 11 . Auch kann man nicht „einen Akt tiefer, wahrer Reue vollziehen und zugleich von Neid und Hass gegen 9 Die verschiedenen Bereiche der Träger sittlicher Werte 248 <?page no="249"?> 12 Ebd. 13 Ebd. 14 Vgl. ebd., 31. Kap., S. 486. 15 Ebd. 16 D E R S ., Sittlichkeit und ethische Werterkenntnis, IV. Teil, 2. Kap., a), S. 151. 17 D E R S ., Christliche Ethik, 31. Kap., S. 486. 18 Ebd., 36. Kap., S. 546. 19 Vgl. unten IV, 2.2 - „Die übernatürliche oder die christliche Sittlichkeit“. 20 Der Begehrlichkeit entstammt das Schlechte, dem Hochmut hingegen das Böse. Vgl. D E R S ., Moralia, 28. Kap., S. 294. 21 D E R S ., Christliche Ethik, 34. Kap., S. 510. einen anderen erfüllt sein“ 12 . Ebensowenig vermag man „einem Feind im vollen Sinn des Wortes zu vergeben und doch einer anderen Person gegenüber rach‐ süchtig zu bleiben“ 13 . Aufgrund „der inneren Affinität oder ‚Kongenialität‘ verschiedener Akte“ und Haltungen müssen sie in einheitlichen Zentren wurzeln. 14 Zwischen Liebe, Demut, Ehrfurcht, Gerechtigkeit und vielen anderen sittlich guten Akten und Haltungen besteht eine so tiefe qualitative Verwandtschaft, dass sie „die Existenz eines homogenen Zentrums in der Person offenbar“ 15 machen. Dieses Zentrum alles sittlich Guten in der Person nennt er „das wertsuchende Ich“ 16 oder das „wertantwortende Zentrum“ 17 , unter bestimmten Voraussetzungen spricht er auch von dem „ehrfürchtigen, demütigen, liebenden Zentrum“ 18 . 19 Die innere Verwandtschaft der sittlich negativen Akte lässt hingegen einen vollkommenen Einheitsgrund vermissen. Zu verschieden sind Habsucht und Neid, zu verschieden Unreinheit und Hass, als dass sie die gleiche Affinität auf‐ weisen würden wie die sittlich guten Akte und Haltungen. Das Unterscheidende ist, ob die jeweilige Haltung, der jeweilige Akt auf ein Haben oder auf ein Sein abzielt. Habsucht und Unreinheit z. B. gehen eindeutig in Richtung eines Ha‐ bens, Neid und Hass dagegen in Richtung eines Seins. Die sich so herauskris‐ tallisierenden Wurzeln aller sittlich negativen Akte und Haltungen nennt von Hildebrand Begehrlichkeit und Hochmut. 20 Das begehrliche Zentrum zeichnet sich erstens in negativer Hinsicht dadurch aus, dass es keine bewusst feindliche Haltung zu Gott und den Werten ein‐ schliesst, zumindest keine unmittelbare. Wohl aber eine mittelbare, insofern jene nämlich „das Hindernis für eine unbegrenzte Aneignung des subjektiv Befrie‐ digenden“ 21 sein können. Das zeigt sich etwa am Beispiel der Unreinheit. Dem Unreinen ist einzig wichtig, seine sexuelle Begierde befriedigen zu können, und solange er zu seinem Ziel gelangt, ist er gegenüber niemandem feindlich ein‐ gestellt. In positiver Hinsicht unterteilt von Hildebrand die begehrlichen Per‐ sonen in drei Haupttypen. Erstens in den leidenschaftlichen Menschen „mit hit‐ 9.1 Die Grundstellung und die moralischen Zentren 249 <?page no="250"?> 22 Vgl. ebd., 34. Kap., S. 515 f. 23 Vgl. ebd., 35. Kap., S. 520. 24 Ebd., 35. Kap., S. 521. 25 D E R S ., Die Umgestaltung in Christus, 7. Kap., S. 112 f. 26 N I E T Z S C H E , Also sprach Zarathustra, Zweiter Teil, Auf den glückseligen Inseln, S. 88. 27 Vgl. unten IV, 2.3.2 - „Die Demut“. 28 von H I L D E B R A N D , Die Umgestaltung in Christus, 7. Kap., S. 125. 29 Vgl. D E R S ., Christliche Ethik, 35. Kap., S. 525. 30 D E R S ., Die Umgestaltung in Christus, 7. Kap., S. 128. zigem Temperament, in dem sich die Gier nach dem Angenehmen in heftigen Formen auslebt“, zweitens in den vegetativen, phlegmatischen Typ, „in dem die Begehrlichkeit zu einem faulen und schwerfälligen Verfallensein an das Ange‐ nehme führt“, und drittens „in den weichen Typ, der weder leidenschaftlich nach dem subjektiv Befriedigenden giert, noch der Gefangene seiner eigenen Faulheit und seines stummen Dranges zum Angenehmen wird, sondern überempfindlich ist, allerdings bloss für seine Person“. 22 Während die Begehrlichkeit „eine Verkehrtheit im Besitzen eines Gutes“, ist der Hochmut „eine Vergiftung der Einstellung zur eigenen Vollkommenheit“. 23 Vom sittlichen Standpunkt aus ist er damit die noch negativere Form als die Begehrlichkeit. Von den vier Haupttypen ist die schlimmste und ausgeprägteste Form diejenige des metaphysischen Hochmuts. Der metaphysisch Hochmütige ist vor allem durch sein erstrebtes Ziel gekennzeichnet, nämlich „metaphysische Grösse und Herrlichkeit“ 24 . Da einem solchen Ziel Gott und die ganze objektive Wertewelt ein Hindernis sind, „möchte [er] sie entthronen und vollzieht immer wieder den ohnmächtigen Gestus, den Werten ihre metaphysische Macht zu rauben“ 25 . In Luzifers Sein-wollen-wie-Gott tritt dieser Hochmut in der reinsten Form entgegen. Bekannt ist auch das Wort Nietzsches, mit dem dieser Hoch‐ mutstyp bezeichnet ist: „Aber dass ich euch ganz mein Herz offenbare, ihr Freunde: wenn es Götter gäbe, wie hielte ich’s aus, kein Gott zu sein! Also gibt es keine Götter.“ 26 Eine weitere, viel sublimere Form des metaphysischen Hoch‐ muts wird weiter unten zur Kenntnis gebracht werden. 27 Ein zweiter Hochmutstyp ist die Selbstgefälligkeit. Der Selbstgefällige hat, im Gegensatz zum metaphysisch Hochmütigen, keine Schwierigkeiten, objektiv Bedeutsames anzuerkennen. Aber er „interessiert sich für die Werte nur als Selbstschmuck“ 28 . Ein Interesse, das sich erstens „im Sich-Rühmen mit Werten, die man zu haben glaubt“, bekunden kann, und „zweitens im Verlangen, neue Werte zu erwerben“. 29 Ein dritter Hochmutstyp begegnet sodann in der Eitelkeit. Im Gegensatz zu den beiden vorgenannten Typen, überwiegt bei ihr „die Rolle des sozialen Bildes“ 30 . Der Eitle ist nicht mit der Bewunderung durch andere zufrieden, er 9 Die verschiedenen Bereiche der Träger sittlicher Werte 250 <?page no="251"?> 31 Vgl. D E R S ., Christliche Ethik, 35. Kap., S. 528. 32 D E R S ., Die Umgestaltung in Christus, 7. Kap., S. 132. 33 Ebd. 34 D E R S ., Sittlichkeit und ethische Werterkenntnis, III. Teil, 2. Kap., b), § 4, S. 136. 35 Ebd. 36 D E R S ., Christliche Ethik, 32. Kap., S. 489. 37 Ebd., 32. Kap., S. 502. 38 Ebd., 32. Kap., S. 490. sucht die Grösse äusseren Glanzes. Seine Ruhe findet er erst in einer hervorra‐ genden Stellung, in der Macht, in der Herrschaft und der Gewalt über andere. 31 Als vierten Hochmutstyp unterscheidet von Hildebrand schliesslich den Stolz. „Der Stolze will nichts von anderen geschenkt bekommen, er will keine Barmherzigkeit, kein Mitleid, er will nie in der Schuld eines anderen stehen, er will nie danken müssen.“ 32 Jede irgendwie geartete Abhängigkeit von einem Menschen ist ihm unerträglich. Desgleichen fällt es ihm schwer, freiwillig die fremden Vorzüge anzuerkennen. „Der Stolze ist spezifisch hart und ver‐ schlossen.“ 33 Nach dieser konzentrierten Besprechung der moralischen Zentren lässt sich in etwa ermessen, was von Hildebrand meint, wenn er die moralischen Zentren als natürliche Anziehungskräfte der moralischen Grundstellung bezeichnet. Immer ist „für die Person ihre Grundstellung gegeben als ‚ihre‘ Natur“ 34 . Die Richtung führt einerseits „nach unten zu Hochmut und Begehrlichkeit“ 35 , an‐ dererseits nach oben zum wertantwortenden Zentrum. Die Grundstellung ist jeweils der Ort, an dem sich das gute Zentrum und die schlechten Zentren be‐ gegnen, an dem sie koexistieren. Die Koexistenz des sittlich Guten und Bösen „ist in allen Menschen vorhanden, die weder Heilige, noch satanische noch viehische Typen sind“ 36 . Eine Koexistenz, die aber niemals eine Kooperation bedeutet, denn „jedes Vordringen der wertantwortenden Haltung ist mit einem Zurückweichen von Hochmut und Begehrlichkeit verbunden und umgekehrt“ 37 . Die Art und Weise der Koexistenz kann sich in fünf Hauptformen ereignen. In der ersten besteht ein grundsätzlicher Wille, sich den sittlichen Werten und ihren Forderungen zu konformieren. „Aber die wertantwortende Haltung hat die ganze Person noch nicht in dem Ausmass durchdrungen, dass Begehrlichkeit und Hochmut - wie beim Heiligen - vollständig vertrieben, oder wenigstens zum Schweigen gebracht wurden.“ 38 Eine zweite Form ist die moralische Unbewusstheit. Ein moralisch Unbe‐ wusster gibt sich ohne eigentliche sittliche Willensrichtung einmal an die Welt des Angenehmen sowie den Hochmut Befriedigenden, ein andermal an die Welt der Werte hin. Der verbreitetste Typ moralischer Unbewusstheit findet sich bei Personen, „die nur dann auf Werte antworten, wenn ihre Natur ein Verständnis 9.1 Die Grundstellung und die moralischen Zentren 251 <?page no="252"?> 39 Ebd., S. 317. Abgesehen sei hier von derjenigen Form moralischer Unbewusstheit, die sich bei Personen findet, die den letzten Ernst der sittlichen Frage überhaupt nicht erfasst haben. Für die ihre individuelle Veranlagung die unbestrittene Norm ist, die tun werden, was ihre „Natur“ ihnen zu tun eingibt. 40 Vgl. D E R S ., Christliche Ethik, 19. Kap., S. 318 f.. 41 Vgl. ebd., 32. Kap., S. 493. 42 Ebd., 32. Kap., S. 494. 43 Ebd., 32. Kap., S. 489 f. 44 Vgl. ebd., 32. Kap., S. 496. Zur Thematik der Idole vgl. auch Substitute für wahre Sitt‐ lichkeit, 10. Kap., S. 155-165. Zudem auch den 1934 entstandenen Artikel über Idol und Ideal. 45 D E R S ., Christliche Ethik, 32. Kap., S. 499. 46 Ebd., 32. Kap., S. 500. für sie und eine Neigung ihnen zu antworten zulässt“ 39 . Bei solchen Personen ist immer „eine bestimmte, naive Grundtendenz, gut zu sein, vorhanden“, manchmal auch „ein durchgehendes Bestreben, mit dem unausgesprochenen Ideal der Gemeinschaft oder Gesellschaft, in der sie leben, im Einklang zu bleiben“. 40 Mit dem „Charakter eines Kompromisses“ ist man bei der dritten Form kon‐ frontiert. 41 Es handelt sich dabei um Personen, die „versuchen, einen Mittelweg zwischen der Forderung der sittlich bedeutsamen Werte und den beiden nega‐ tiven Zentren zu finden“ 42 . Von Hildebrand bezeichnet diesen Typ als den Durchschnittsmenschen. In ihm findet sich für gewöhnlich „ein Innesein des sittlich Guten und Bösen, eine gewisse Bereitschaft, den sittlich bedeutsamen Werten zu entsprechen; gleichzeitig aber ein Verlangen, Hochmut und Begehr‐ lichkeit zu befriedigen“ 43 . Die vierte Form der Koexistenz ist der Idolanhänger. Im Gegensatz zur dritten Form besteht hier kein Zugeständnis, das einerseits der Forderung sittlich be‐ deutsamer Werte, andererseits Hochmut und Begehrlichkeit gemacht wird. Der Idoldiener macht entweder ein werttragendes Gut zum Idol, „indem er es zu einem absoluten Wert stempeln will oder zumindest seine Bedeutung weit über‐ schätzt“, oder er „erhebt einen ausgesprochenen Unwert auf den Thron eines Wertes, z. B., indem er für eine Gottlosenbewegung eintritt“. 44 Der fünften Form sind schliesslich jene Personen zuzurechnen, „in denen wertantwortende Haltung oder Hochmut bzw. Begehrlichkeit abwechselnd herrschen, jede in ausgesprochener und ausschliesslicher Weise“ 45 . In dieser, durch den unvorhersehbaren und irrationalen Wechsel von einem Zentrum zum andern charakterisierten Form liegt „etwas Dämonisches“ 46 . 9 Die verschiedenen Bereiche der Träger sittlicher Werte 252 <?page no="253"?> 47 Vgl. ebd., 27. Kap., S. 413. 48 Vgl. ebd., 27. Kap., S. 405. 49 Dass auch in einigen theoretischen Antworten Elemente der Freiheit enthalten sind, hat vor allem John Henry Newman in seinem Werk Philosophie des Glaubens aufge‐ wiesen. An dieser Stelle ist jedoch eine Beschränkung auf die Willens- und die affek‐ tiven Antworten angezeigt. 50 Zum Unterschied von direkter und indirekter Freiheit siehe III, 3 - „Die affektiven Antworten und die mitwirkende Freiheit“. 51 Vgl. von H I L D E B R A N D , Christliche Ethik, 27. Kap., S. 413. 9.2 Die Sphäre der Antworten auf individuelle Güter Die Sphäre der Antworten auf individuelle Güter „umfasst Akte sublimen Ver‐ zichtes und Akte des Verzeihens, die heilige Freude über die Bekehrung eines Sünders und die sanfte Annahme einer grossen Demütigung“; in ihr begegnet das unerschütterliche Vertrauen ebenso wie das Mitleid oder die tief ergreifende „Demut und Freiheit, die tiefer Reue eigen sind“; vor allem begegnen in ihr „die erhabensten aller menschlichen Akte: die anbetende Liebe zu Gott und die Nächstenliebe“; und nicht zuletzt manifestieren sich hier auch „alle die ver‐ schiedenen Typen und Nuancen sittlicher Schlechtigkeit und Bosheit: die Nied‐ rigkeit des Neides und der Schadenfreude, des schrecklich-giftigen Hasses, die Bosheit hochmütiger Verachtung für andere, die Hässlichkeit des Zorns“. 47 Zur Sphäre der Antworten auf individuelle sittlich bedeutsame Güter gehören die „Willensantworten, die nicht zu Handlungen führen, sondern immanente Tätigkeiten bleiben“ und die „affektiven Antworten“. 48 Selbstverständlich sind auch die Willensantworten, die zu Handlungen führen, Antworten auf indivi‐ duelle Güter. Sie werden aber zur Sphäre der Handlungen gerechnet. Für die sittliche Beurteilung einer Antwort auf ein individuelles Gut ist ihr jeweiliger Bezug zur Freiheit relevant. Obwohl die Freiheit bei allen Antworttypen invol‐ viert ist, 49 unterliegen sie ihr nicht in derselben Weise. Das Unterscheidende ist, dass die Willensantworten direkt erteilt werden können, wogegen die affektiven Antworten nur indirekt. 50 Während die Willensantwort als solche sittlich gut oder schlecht sein kann, muss die affektive Antwort sanktioniert bzw. verworfen werden, soll sie sittliche Werte verkörpern. 51 Das Spezifische dieser Sphäre ist das Bezogensein auf ein individuelles Gut. Die Antwort gilt immer einem konkreten sittlich bedeutsamen Gut, nicht einem Wert, nicht einem Wertbereich, auch nicht der Welt der sittlichen Werte als Ganzer. Dabei ist jedoch zu beachten, dass die motivierende Kraft vom Wert und nicht vom Gut ausgeht. Das heisst: Obgleich die Motivation vom Wert eines individuellen Gutes ausgeht, gilt die Antwort dem konkreten Gut, und nicht dem Wert. Nichtsdestotrotz bezeichnet von Hildebrand eine solche Antwort, die 9.2 Die Sphäre der Antworten auf individuelle Güter 253 <?page no="254"?> 52 Vgl. D E R S ., Moralia, 1. Kap., S. 32. 53 D E R S ., Christliche Ethik, 19. Kap., S. 317. 54 Ebd. 55 Vgl. ebd. 56 D E R S ., Moralia, 33. Kap., S. 375. (Kursiv im Orig.) 57 D E R S ., Christliche Ethik, 19. Kap., S. 323. nicht dem Wert, sondern dem Gut erteilt wird, als Wertantwort. Damit bezieht er die Antwort nicht auf den Empfänger, sondern auf den Motivator. Dieselbe Struktur weist auch das Motiviertwerden durch die anderen Bedeutsamkeits‐ kategorien auf. Bei den Wertantworten ist noch etwas anderes entscheidend: Es hatte sich schon gezeigt, wie von sittlichen und sittlich bedeutsamen Werten bzw. von den diese Werte tragenden Gütern sittliche Forderungen nach adäquaten Antworten ausgehen. Sittliche Forderungen nach adäquaten Antworten, die den den je‐ weiligen Gütern inhärierenden sittlichen Bedeutsamkeiten entstammen. Wird einem dieser Güter eine angemessene Wertantwort erteilt, gilt sie auch dem zweiten Datum, der sittlichen Bedeutsamkeit. 52 An diesem „doppelten“ Objekt der Wertantwort scheiden sich die sittlich bewussten von den sittlich unbe‐ wussten Personen. Wenn eine Person eine Wertantwort erteilt, ohne zugleich zur sittlichen Bedeutsamkeit Stellung zu beziehen, ist sie sittlich unbewusst. „Der sittlich Unbewusste hat den letzten Ernst der sittlichen Frage überhaupt nicht erfasst; dieses Drama ist ihm unbekannt.“ 53 Der verbreitetste Typ der mo‐ ralischen Unbewusstheit findet sich bei Personen, „die nur dann auf Werte ant‐ worten, wenn ihre Natur ein Verständnis für sie und eine Neigung ihnen zu antworten zulässt“ 54 . Der moralisch Bewusste zeichnet sich dagegen dadurch aus, dass er den überaktuellen Willen hat, sittlich gut zu sein. 55 Hat die Person den überaktuellen Willen, sittlich gut zu sein, so hat sie eine moralische Grundintention - „die implicite immer Gott gilt, selbst bei einem theoretischen Atheisten, aber explicite bei allen gläubigen Monotheisten und in ganz einzigartiger Weise bei den gläubigen Christen besteht“ 56 - und ist auch in der Lage, die jeweilige sittliche Bedeutsamkeit zu erfassen. Die sittlich be‐ wussten Menschen weisen aber keine starre Uniformität in der Art des Erfassens der sittlichen Bedeutsamkeit und des überaktuellen Willens, sittlich gut zu sein, auf. Die sittlich bewussten Menschen scheiden sich in mindestens drei ver‐ schiedene Typen. Beim ersten Typ handelt es sich um Sokrates. Hier findet man „einen durchgehenden grundsätzlichen Willen, mit der Welt sittlicher Werte in Harmonie zu sein“ 57 . Einen zweiten Typ stellt der Mensch dar, „der über allem Gott gehorchen und ihn niemals beleidigen, der auf den Wegen des Herrn wan‐ 9 Die verschiedenen Bereiche der Träger sittlicher Werte 254 <?page no="255"?> 58 Ebd., 19. Kap., S. 324. 59 Ebd. 60 Vgl. ebd., 19. Kap., S. 328. 61 Vgl. D E R S ., Die Umgestaltung in Christus, 6. Kap., S. 90. 62 Vgl. D E R S ., Christliche Ethik, 27. Kap., S. 409. 63 Vgl. D E R S ., Moralia, 35. Kap., S. 385 f. 64 Vgl. ebd, S. 386. 65 Vgl. P L A T O N , Nomoi, 862b. Für den Fall des Nichterreichens des guten Zieles vgl. D E R S ., Phaidros, 274a-b, für den Fall des Nichterreichens des schlechten Zieles vgl. D E R S ., Nomoi, 876e-877b. deln will“ 58 . Hier nimmt der Wille, gut zu sein, „einen noch entschiedeneren Charakter an, denn hier geht es um die ausdrückliche Antwort auf Gott, die unendliche Güte selbst“ 59 . Seinen höchsten Ausdruck erreicht der Wille, sittlich gut zu sein, schliesslich im Heiligen. 60 9.3 Die Sphäre der Handlungen Von den eben behandelten immanenten Antworten sind die transeunten Hand‐ lungen zu unterscheiden, in denen nach aussen gewirkt wird. 61 Trotz des sach‐ lichen Unterschieds, sind die Antworten wesentlich auf die Handlungen hinge‐ ordnet in dem Sinn, dass den Handlungen immer innere Antworten vorhergehen, die zur Realisierung drängen. Während als Auslöser also immer irgendwie geartete Antworten auf motivierende konkrete Güter fungieren, sind die organisch darauf aufbauenden, „von unserem Willen befohlenen Tätigkeiten unseres Körpers, die eine mehr oder weniger komplizierte Kausalkette ein‐ leiten“, „die differentia specifica zwischen Handlungen und Antworten“. 62 Da das Interesse an dieser Stelle den spezifisch sittlichen Handlungen gilt, seien die Elemente ins Auge gefasst, die eine sittlich gute Handlung notwendi‐ gerweise enthalten muss. Zuerst setzt jede sittlich gute Handlung einen sittlich bedeutsamen Sachverhalt voraus, der noch nicht realisiert, aber prinzipiell durch die eigene Person realisierbar ist. Sodann muss der Wert und die sittliche Bedeutsamkeit mitsamt der moralischen Forderung, ihn zu verwirklichen, er‐ fasst und bejaht werden. Woraufhin ihm die Willensantwort erteilt wird, ihn real werden zu lassen. Schliesslich folgt die vom Willen kommandierte, in die Aussenwelt transzendierende Aktion. 63 Dabei ist es für den sittlichen Wert der Handlung unerheblich, ob sie erfolgreich war oder nicht. 64 Schon Platon wusste, dass es bedeutungslos ist, ob das Handlungsziel erreicht wird oder nicht; schon er hatte verstanden, dass das Ausschlaggebende die Handlungsintention ist. 65 9.3 Die Sphäre der Handlungen 255 <?page no="256"?> 66 von H I L D E B R A N D , Christliche Ethik, 27. Kap., S. 426. 67 D E R S ., Selbstdarstellung, S. 105. 68 D E R S ., Christliche Ethik, 27. Kap., S. 426 f. (Kursiv im Orig.) 69 Ebd., 27. Kap., S. 428. 70 D E R S ., Reinheit und Jungfräulichkeit, Zweiter Teil, 2. Kap., S. 56. 71 D E R S ., Moralia, 29. Kap., S. 303. 72 Ebd., 33. Kap., S. 369. 73 D E R S ., Die Umgestaltung in Christus, 9. Kap., S. 166. 9.4 Die Sphäre der Grundhaltungen Nun interessieren „die allgemeinen überaktuellen Antworten auf einen Grundtyp von Werten oder auf einen fundamentalen Aspekt der Welt der sitt‐ lichen und sittlich bedeutsamen Werte“ 66 . Damit umreisst von Hildebrand, was er als Tugend versteht. „Die Seele der Tugend selbst ist die überaktuelle Antwort auf einen ganzen Bereich sittlich bedeutsamer Werte.“ 67 „In der Ehrfurcht finden wir die überaktuelle Antwort auf die Würde des Seienden als solches; in der Gerechtigkeit die überaktuelle Antwort auf die metaphysische Beziehung des Gebührens, nach der jedem Gut die adäquate Antwort gegeben werden soll.“ 68 Die Tugenden formen das Sein der Person um. „Diesen Aspekt der Tugenden will der Ausdruck ‚habituell‘ oder ‚habitus‘ bezeichnen“ 69 . Dieser Aspekt der Tugenden muss allerdings scharf von einer Naturanlage abgegrenzt werden, die in gewisser Hinsicht auch als habituell bezeichnet werden kann. Denn eine Tugend besteht immer nur solange, „als die Person sie irgendwie frei ‚mit‐ macht‘“ 70 , weswegen man eine Tugend im Gegensatz zu einer Naturanlage, die einfach „da“ ist, auch verlieren kann. Das Sein einer tugendhaften Person lässt sie mühelos gut handeln, wenn immer ihr ein Gut aus jenem Wertbereich gegenübertritt, der das objektive Kor‐ relat der Tugend ist. So wird der Ehrfürchtige stets ohne Willensanstrengung jedes Seiende achten, das ihm auf der Objektseite begegnet. Mit Selbstverständ‐ lichkeit wird der Reine die sinnliche Sphäre niemals ohne ausdrückliche Sank‐ tionierung Gottes betreten. Doch liegt der Besitz der Tugenden „nicht im Bereich unserer direkten Freiheit, wohl aber in dem der indirekten Freiheit“ 71 . Auch die Tugenden gehören zu jenen Dingen, „die nur zu erwerben sind, wenn sie nicht direkt angestrebt werden“ 72 . Von denen aber gerade deswegen unvergleichlich grössere Wirkungen auf das überaktuelle Sein der Person ausgehen. Denn: „Die tiefste Wirkung auf unser habituelles Sein geht nicht von Dingen aus, die wir um unserer Umgestaltung willen vornehmen, sondern von solchen, denen wir uns um ihrer selbst willen hingeben, von denen eine umformende Wirkung ge‐ schenkhaft ausgeht.“ 73 9 Die verschiedenen Bereiche der Träger sittlicher Werte 256 <?page no="257"?> 74 D E R S ., Moralia, 33. Kap., S. 370. 75 Ebd. 76 Ebd. 77 Ebd. 78 Ebd. 79 Das „tiefer“ ist im Sinne der spezifischen Tiefe zu verstehen; siehe oben III, 8 - „Peri‐ pherie und Tiefe“. 80 Spezifisch am tiefsten von allen Tugenden gründet die Demut. Vgl. von H I L D E B R A N D , Die Umgestaltung in Christus, 7. Kap., S. 111-137. Wie aber muss man sich diesen indirekten Tugenderwerb eigentlich vor‐ stellen? Der einzuschlagende indirekte Weg zum Tugenderwerb ist „die immer wieder erneute freie Zuwendung zur Welt des Sittlichen, letzten Endes zu Gott“ 74 . „Dieser generelle tiefe Wille, der unserer direkten Freiheit untersteht, schliesst einerseits die Sehnsucht nach dem Besitz der Tugenden, andrerseits die Treue in der Befolgung der sittlichen Gebote ein.“ 75 Dieser generelle tiefe Wille „aktualisiert sich in den freien guten Handlungen, und diese führen uns objektiv zum Besitz der Tugenden“ 76 . Und zwar führen die freien guten Handlungen deswegen auf indirektem Weg zum Besitz der Tugenden, weil „jede gute Tat ein Sieg über Hochmut und Be‐ gehrlichkeit ist und ein tieferes Sich-Verankern in der Welt des Sittlichen“ 77 . Aber nicht nur jede gute Tat, sondern auch „jede bewusste, ausdrückliche Un‐ terlassung des sittlich Unerlaubten, Schlechten und Bösen“ 78 bedeutet einen Sieg über Hochmut und Begehrlichkeit und ein Fortschreiten auf dem Weg zur Tu‐ gend. Mit jedem Sieg über Hochmut und Begehrlichkeit, mit jedem Zurückwei‐ chen der negativen Zentren der Sittlichkeit geht ein Vordringen des wertant‐ wortenden Zentrums einher. Je dominierender aber das wertantwortende Zentrum, desto tiefer 79 reicht der erwachte Zustand. Damit hängt es zusammen, dass einige Tugenden bereits vorhanden sein können, während andere es noch nicht sind. Z. B. kann eine Person gerecht, aber nicht demütig sein. Eine Tat‐ sache, die durch die verschiedenen Werthöhen und die ihnen entsprechenden spezifischen Tiefen bedingt ist. 80 Je tiefer der spezifische Ursprungsort der je‐ weiligen Tugend, desto grösser muss die Herrschaft des wertantwortenden Zentrums sein, damit die Tugend in der Person bestehen kann. Erst wenn das wertantwortende Zentrum die absolute Herrschaft erlangt hat und sich sein Herrschaftsbereich bis in die letzten Tiefen der Sittlichkeit, bis zu der von der Grundintention beseelten überaktuellen sanktionsgeborenen Grundhaltung er‐ streckt, erst dann ist die Voraussetzung dafür geschaffen, dass die Person alle Tugenden besitzen kann. Schliesslich noch ein Wort zu den Lastern. Im Gegensatz zu den Tugenden, die überaktuelle Antworten auf die sittlichen und die sittlich bedeutsamen Werte 9.4 Die Sphäre der Grundhaltungen 257 <?page no="258"?> 81 D E R S ., Christliche Ethik, 27. Kap., S. 446. 82 Vgl. A R I S T O T E L E S , Nikomachische Ethik, 1103a-1109b, v. a. 1106a-1107a. 83 von H I L D E B R A N D , Christliche Ethik, 27. Kap., S. 445. 84 D E R S ., Selbstdarstellung, S. 106. 85 D E R S ., Christliche Ethik, 27. Kap., S. 445. und Unwerte sind, entstammen die Laster der Hinneigung zum bloss subjektiv Befriedigenden. „Alle Laster sind Auswüchse des Hochmuts oder der Begehr‐ lichkeit oder beider zusammen. Sie sind Verzweigungen einer letzten Grund‐ haltung, die implicite oder explicite, Gott und der Welt sittlich bedeutsamer Werte gleichgültig oder sogar feindlich gegenübersteht.“ 81 Aus dieser Perspektive erweist sich auch die sog. Mesotes-Theorie des Aris‐ toteles als verfehlt, dergemäss die Tugend in der Mitte liegt (gr. μέσος - Mitte). 82 Sehr wohl ist die Mitte in vielen Bereichen des Lebens die Grundlage der Vernünftigkeit. Grosse Kälte ist für den Körper ebenso ein Übel wie grosse Hitze. Beim Essen ebenso wie beim Schlafen und beim Arbeiten ebenso wie in Fragen der Gesundheit ist das Einnehmen der Mitte zwischen einem Zuviel und einem Zuwenig sicherlich das Vernünftige. Anders verhält es sich jedoch vom sittlichen Standpunkt aus. Will man als Tugend beispielsweise die Mitte zwi‐ schen Geiz und Verschwendung bezeichnen, als Mitte zwischen zwei Wirklich‐ keiten, denen beiden ein subjektiv befriedigendes Motiv zugrunde liegt, so ist das vernünftige Verhalten zum Geld nicht die Balance zwischen Einnahmen und Ausgaben. Nicht in der Mitte zwischen Geiz und Verschwendung liegt die Tu‐ gend, sondern in der Grossmut, deren Motiv der Wert und nicht das subjektiv Befriedigende ist. „Der Weg, der vom Geiz zur Verschwendung führt, kreuzt niemals die Grossmut“ 83 . Die Grossmut „fliesst aus einer Wertantwort; sie stammt aus dem Freigewordensein von den Banden der Begehrlichkeit; sie ant‐ wortet auf den Unwert der Not des Nächsten“ 84 . „Sie setzt eine allgemeine über‐ aktuelle Wertantwort voraus und ist als solche unvergleichlich weiter von Geiz und Verschwendung entfernt, als der eine von der anderen.“ 85 9.5 Die Grundintention, die Grundhaltung und die sittliche Identität der Person Während die Grundstellung, wie gesehen, einfach vorhanden ist, ohne dass die Person sie einmal aktuell hätte einsetzen müssen, muss die Grundintention stets in einer zum vollen Akt gewordenen freien Sanktionierung des Grundwertes „gut“ eingesetzt werden. Mit einem freien und bewussten Akt, der durch die „Welt der sittlichen Werte“ „in ihrer überwältigenden, anschaulichen, qualita‐ 9 Die verschiedenen Bereiche der Träger sittlicher Werte 258 <?page no="259"?> 86 Vgl. D E R S ., Moralia, 3. Kap., S. 95. Die sittlich bedeutsamen Werte vermögen einen sol‐ chen Akt nicht zu motivieren. Vgl. auch ebd., Einleitung, S. 21. 87 D E R S ., Sittlichkeit und ethische Werterkenntnis., III. Teil, 2. Kap., b), § 2, S. 126. 88 Ebd. 89 Vgl. ebd. 90 Vgl. ebd. 91 Vgl. oben III, 9.1 - „Die Grundstellung und die moralischen Zentren“ 92 von H I L D E B R A N D , Sittlichkeit und ethische Werterkenntnis, III. Teil, 2. Kap., b), § 2, S. 126. 93 D E R S ., Moralia, Einleitung, S. 21. tiven Schönheit“ motiviert wird. 86 Für die Grundstellung bleibt solch eine be‐ wusste Intention auf die Welt der sittlichen Werte natürlich nicht ohne Konse‐ quenzen. Die Person „erhebt ihren Kopf nunmehr über ihre Stellung, statt in derselben ‚aufzugehen‘ wie bisher“ 87 . Was aber nicht heisst, die Person würde, hat sie einmal eine allgemeinste Intention auf das sittlich Gute eingesetzt, von jeder Anhänglichkeit an Hochmut und Begehrlichkeit frei sein. Die Loslösung von der Grundstellung reicht immer „nur so weit, als die Grundintention selbst qualitativ vorgedrungen ist; im übrigen bleibt die Person in ihrer Grundstellung weiter ‚unbewusst‘ stecken“ 88 . Mit anderen Worten, das Mass des Überhandge‐ winnens über Hochmut und Begehrlichkeit hängt wesentlich ab von der quali‐ tativen Reinheit der Grundintention. Die moralische Grundintention kennt verschiedene Herrschaftsgrade. In dem bedeutendsten hat die moralische Intention sowohl „die Herrschaft über die Sphäre des Handelns“ als auch über „das Sein der Person selbst“ gewonnen. 89 Von diesem Herrschaftsgrad der moralischen Intention sind zwei weitere zu unterscheiden. In dem einen, gleichsam der niedrigsten Stufe, hat die moralische Intention weder „die Herrschaft über die Sphäre des Handelns“ noch über „das Sein der Person selbst“ gewonnen. 90 Dieser Herrschaftsgrad findet sich in der ersten und der dritten Form der Koexistenz von Hochmut und Begehrlichkeit und wertantwortendem Zentrum. 91 Auch bei dem auf der nächsthöheren Stufe stehenden Herrschaftsgrad for‐ dern Hochmut und Begehrlichkeit noch immer ihr Recht ein, ist die Qualität der Grundintention noch immer ungenügend. In einer solchen Person dominiert die Grundintention zwar über die Sphäre des Handelns, „ihr eigentliches Sein ruht aber noch ganz in der Grundstellung“ 92 . Welcher Herrschaftsgrad der Grundin‐ tention aber auch zukommt, immer ist es die Grundintention, die „den sittlichen Status der Person bestimmt“ 93 . Das durch die moralische Grundintention beseelte Sein bezeichnet von Hil‐ debrand als moralische Grundhaltung. In ihr besteht das eigentliche sittliche Ziel: Die Grundintention soll sich in eine sanktionsgeborene überaktuelle Grundhaltung umformen. Oder, wie von Hildebrand sich ausdrückt: Das ei‐ 9.5 Die Grundintention, die Grundhaltung und die sittliche Identität der Person 259 <?page no="260"?> 94 D E R S ., Sittlichkeit und ethische Werterkenntnis, III. Teil, 2. Kap., b), § 7, S. 141. 95 Ebd., III. Teil, 1. Kap., c), S. 99. 96 „It is evident, therefore, that the personality of man is not each of his acts taken sepa‐ rately nor the sum total of them taken together. It cannot be known by knowing his acts, whether separately or together. It is rather the value, or values, which unify the acts and makes them all a testimony to the personality. When we succeed in grasping this stimulating and unifying centre, then we understand a person and have caught the person’s personality. […] It is only in a synthetic intuition that we obtain knowledge of it in concrete unity brought about by the value which is embodied and expressed in separate acts. The single acts which the person performs are not added to one another as numbers are in addition. But each time anew, each of them makes the whole person present and constitutes another and a fuller testimony of its value. Separate acts are not added mechanically to one another, but are inserted into the synthesis, deepening rather than widening it“ (S C I A C C A , Individuality and Personality, S. 112). gentliche sittliche Ziel besteht „in der qualitativen Umformung des Seins und in der formalen Umwandlung der Grundstellung zur intentionsgeborenen Grund‐ haltung“ 94 . Damit hat das wertantwortende Zentrum die absolute Herrschaft erlangt und die Person ihre wesentliche Bestimmung erreicht. Als die Tugenden behandelt wurden, konnte etwas von der Wechselwirkung der verschiedenen Sphären der Sittlichkeit erkannt werden. Einer Wechselwir‐ kung, die aber nicht nur zwischen Handlungen und Tugenden, sondern zwi‐ schen allen Sphären besteht. Wie es von der jeweils allgemeineren Haltung ab‐ hängt, „welche konkreten Haltungen möglich sind“ 95 , und wie die Handlung eine Inkarnation der inneren individuellen und allgemeinen Stellungnahme ist, so verändern sich in und durch konkrete sittliche Handlungen sowohl die Tu‐ genden als auch die sittliche Grundhaltung. Aus der Untersuchung der Sittlich‐ keit resultiert somit die Einsicht in die überaktuelle sittliche Identität der Person, welche nicht auf empirische Weise durch die Addition der einzelnen Stellungnahmen und Handlungen erlangt werden kann, sondern nur auf dem Wege einer synthetischen Intuition. 96 9 Die verschiedenen Bereiche der Träger sittlicher Werte 260 <?page no="261"?> 1 Zu Lockes Theorie bzw. Definition vgl. oben III, 1 - „Augustinus, Boethius, Locke und die Annäherung an das Wesen der Person“. Zum Forschungsstand vgl. das bereits zi‐ tierte Werk von T E I C H E R T , Einführung in die Philosophie des Geistes, Kap. 9, Personalität und Identität der Person, S. 143-166, sowie das Verzeichnis der zugehörigen Literatur auf S. 174. Siehe auch Christian H A U S E R , Selbstbewusstsein und personale Identität. Po‐ sitionen und Aporien ihrer vorkantischen Geschichte. Locke, Leibniz, Hume, Tetens. Theo K O B U S C H , Die Entdeckung der Person. Metaphysik der Freiheit und modernes Menschen‐ bild. Michael Q U A N T E , Die Identität der Person. Facetten eines Problems. 2 Vgl. Daniel C. D E N N E T T , Bedingungen der Personalität, S. 304. 3 Ebd., S. 320. 4 Ebd., S. 321. 10 Daniel Dennett und die Bedingungen der Personalität Was die Wechselwirkung der verschiedenen Sphären der Sittlichkeit voraus‐ setzt, nämlich die überaktuelle bzw. transtemporale oder diachrone Identität der Person, das wird seit dem Bekanntwerden von Lockes Theorie kontrovers dis‐ kutiert. 1 Einer der wichtigen Beiträge zu dieser Diskussion stammt von Daniel Dennett (1942-). In seiner Schrift über die Bedingungen der Personalität unter‐ scheidet er zwischen einem metaphysischen und einem moralischen Begriff der Person. Während jener „der Begriff eines intelligenten, bewussten und füh‐ lenden Handlungssubjektes“, ist ihm der moralische „der Begriff eines verant‐ wortlichen Handlungssubjektes mit Rechten und Pflichten“. 2 Auf der Suche nach notwendigen und hinreichenden Bedingungen unterscheidet er zwischen sechs wesentlichen Momenten des Personseins: Rationalität, Intentionalität, Einstel‐ lungsunabhängigkeit, Reziprozität, verbale Kommunikation sowie Selbstbe‐ wusstsein. Würden diese Bedingungen jedoch „als hinreichend angesehen, so gäbe es keine Gewähr, dass irgendein wirkliches Wesen eine Person ist, denn nichts würde sie jemals erfüllen“ 3 . Wie immer er diese kryptische Aussage verstanden wissen will, mit dem Bei‐ spiel, mit dem er seinen Artikel beschliesst, scheint er von einem gewissen Skeptizismus zumindest nicht ganz frei zu sein. Denn die Annahme, ein Wesen sei eine Person, werde immer gerade dann erschüttert, „wenn Unrecht ge‐ schehen ist und die Frage nach der Verantwortung erhoben wird“ 4 . Angesichts eines Unrechts seien die Gründe dafür, sie schuldig zu sprechen, „zugleich auch Gründe, die einen zweifeln lassen, ob man es überhaupt mit einer Person zu tun <?page no="262"?> 5 Ebd. 6 Ebd. 7 Vgl. D E R S ., Darwins gefährliches Erbe. Die Evolution und der Sinn des Lebens. 8 Vgl. etwa Martine N I D A -R ÜM E L I N , Der Blick von innen. Zur transtemporalen Identität bewusstseinsfähiger Wesen. 9 Vgl. III, 1 - „Augustinus, Boethius, Locke, die Annäherung an das Wesen der Person und die Frage nach der unübersteigbaren Vollkommenheit des Personseins“. 10 Vgl. von H I L D E B R A N D , Liturgie und Persönlichkeit, 3. Kap., S. 276. 11 Vgl. D E R S ., Die Weltkrise und die menschliche Person, S. 239. hat“ 5 . Was aber könnte diesen Zweifel ausräumen? Seine lapidare Antwort: nichts. „Angesichts solcher Probleme können wir nicht einmal von uns selbst sagen, ob wir Personen sind.“ 6 Die näheren Gründe von Dennetts Gedanken‐ gängen werden verständlich, wenn sein naturalistisches Weltbild in die Erwä‐ gung mit einbezogen wird. Dennett versteht sich als ein natürliches Wesen, das aus der Tierwelt hervorgegangen ist. 7 Im Gegensatz dazu weiss von Hildebrand um das notwendige Sosein der Person und vertritt von da her nach der gegenwärtigen Begrifflichkeit eine transtemporale Identität der Person. 8 Das zeigt sich alleine schon an ihrer im vorigen Punkt herausgearbeiteten sittlichen Identität. Das zeigte sich aber auch zu Beginn dieses Abschnitts, 9 als das kontinuierliche „Sich-als-ein-und-der‐ selbe-Wissen im Ablaufe der Zeit und der mit den verschiedensten Inhalten erfüllten Augenblicke“ mit von Hildebrand als eines „der tiefsten Wesensmerk‐ male des Menschen als geistiger Person“ erkannt wurde. 10 Werden überdies Dennets Bedingungen der Personalität mit den Merkmalen verglichen, die von Hildebrand als wesentlich zur Person gehörig unterschied, wird sich zeigen, inwieweit sie sich decken, und wenn sie sich nicht decken, wodurch es nicht zur Deckung kommt. Welche Wesensmomente der menschlichen Person arbeitete von Hildebrand heraus? Nach dem Wort, das weiter oben zitiert wurde, sind es die Fähigkeit, sich selbst und die Welt zu erkennen, eine sinnvolle Antwort auf das wahrge‐ nommene Objekt zu geben und nach eigenem Willen frei zu entscheiden, zudem kann die geistige Person Verantwortung übernehmen, kann Träger sittlicher Werte sein und mit anderen Personen in Gemeinschaft treten. 11 Ein Vergleich mit den sechs von Dennett herausgearbeiteten Bedingungen der Personalität gibt klar zu erkennen, dass von Hildebrand mit den eben genannten Wesens‐ momenten mit Dennett im Grossen und Ganzen übereinstimmt - was trotz Dennetts naturalistischem Weltbild in Anbetracht des in sich notwendigen We‐ sens der Person auch nicht anderes zu erwarten ist -, wenngleich er das Per‐ sonsein noch ungleich tiefer zu verankern weiss. Jedenfalls sind im Erkennen sowohl die 1) Rationalität als auch die 2) Intentionalität enthalten, währenddem 10 Daniel Dennett und die Bedingungen der Personalität 262 <?page no="263"?> die 3) Einstellungsunabhängigkeit von der freien Trägerschaft sittlicher Werte ebenso vorausgesetzt ist wie das Übernehmen von Verantwortung; die 4) Rezip‐ rozität ebenso wie die 5) Sprach- und Kommunikationsfähigkeit sind schliesslich erforderlich, um mit anderen Personen in Gemeinschaft treten zu können. Was letztlich das 6) Selbstbewusstsein betrifft, so ist sich eine Person, die Träger sitt‐ licher Werte ist, selbstverständlich auch ihrer selbst bewusst. Bewegte von Hildebrand sich bereits zu seiner Zeit auf dem gegenwärtig ak‐ tuellen Forschungsstand? Er bewegte sich gerade nicht nur auf diesem Stand, sondern aufgrund seines philosophischen Hintergrunds sowie seiner religiösen Weltanschauung vermochte er sich in ungemein tiefere Schichten der Wirk‐ lichkeit hineinzuversetzen und apriorische Erkenntnisse daraus zu erlangen. Während einige dieser Einsichten im Verlauf dieses Abschnitts thematisiert wurden, werden andere im weiteren Verlauf dieser Untersuchung noch zur Sprache kommen. Vom „Forschungsstand“ kann übrigens nur bedingt die Rede sein, da es sich bei der Person ja um ein Seiendes mit einem innerlich notwen‐ digen Sosein handelt, das als solches unveränderlich und zu allen Zeiten als dasselbe erkannt werden kann. Das Nichterkennen hat seine Gründe jedenfalls nicht in der Sache selbst. 10 Daniel Dennett und die Bedingungen der Personalität 263 <?page no="264"?> 1 D E R S ., Über das Herz, I. Teil, 8. Kap., S. 123. 2 D E R S ., Das Wesen der Liebe, Kap. V, S. 159 f. (Kursiv nicht im Orig.) Vgl. auch Robert S P A E M A N N , Glück und Wohlwollen. Versuch über Ethik. 3 Vgl. von H I L D E B R A N D , Das Wesen der Liebe, Kap. V, S. 141. 4 Ebd. 5 D E R S ., Die Menschheit am Scheideweg, S. 259. Zum Geschenkcharakter des Glücks vgl. auch D E R S ., Über das Herz, I. Teil, 8. Kap., S. 125. 6 D E R S ., Die Menschheit am Scheideweg, S. 259. 11 Wert und Glück Das Glück ist ein Gefühl, und „nur das Herz kann Glück erfahren“ 1 . Es wurde bereits erwähnt, dass der Wert nicht wie das subjektiv Befriedigende um des Glückes willen erstrebt werden kann, sondern nur um seiner selbst willen. Der Wert und das Glück stehen in einem unlösbaren Zusammenhang, wobei das Glück nie ein selbständiges Thema in sich darstellen kann, sondern den Wert voraussetzt und nur aus ihm erwachsen kann. Der Wert ist das Bestimmende (principium) und das Glück das Bestimmte (principiatum). Das Glück hängt so „unlöslich von der sieghaften Thematizität des Wertes in sich ab, es fliesst so aus ihm, dass es eine superabundante Beziehung ist, eine Dimension der Aus‐ strahlung der Herrlichkeit des Wertes, die nie um ihrer selbst willen gesucht werden kann, ohne verfälscht zu werden“ 2 . Das angemessene Verständnis dieses Zusammenhangs setzt die Klärung des Terminus „Glück“ voraus, da auch dieser Begriff äquivok verwendet und auf zwei radikal verschiedene Typen bezogen wird. Verkannt wird der prinzipielle Unterschied zwischen den lustspendenden Gütern und den Gütern, die Quelle eines tiefen Glücks sind. Von Hildebrand spricht vom Unterschied zwischen dem egozentrischen und dem wahren Glück. 3 Diese Äquivokation führt entweder zu einer Verunreinigung der Wertantworthaltung oder zu einer ungebührlichen Bedeutung des egoistischen Glücks in der Ethik. Die Äquivokation kann auch dazu führen, dass man „das Gut, das Träger hoher Werte ist, als Mittel zum Glück betrachtet“ 4 . Doch ist das wahre Glück „seinem wahren Wesen nach ein Geschenk“ 5 . „Das Glück, das in unsere Seele strömt, wenn wir Zeuge eines grossmütigen Verzei‐ hens werden, setzt voraus, dass wir dessen inneren Wert erfassen und auf ihn um seiner selbst willen antworten.“ 6 Wobei das Erfahren des Glücks das Be‐ wusstsein von der Bedeutsamkeit des Aktes voraussetzt, in diesem Falle des grossmütigen Verzeihens. Das echte Glück wird verliehen nach dem Prinzip des <?page no="265"?> 7 Ebd., S. 260. 8 Ebd., S. 261. 9 F R A N K L , Der Mensch vor der Frage nach dem Sinn, Teil I, 19., S. 141. 10 von H I L D E B R A N D , Die Menschheit am Scheideweg, S. 262. 11 Vgl. ebd. 12 F R A N K L , Der Mensch vor der Frage nach dem Sinn, Teil II, 3., B, S. 228. 13 von H I L D E B R A N D , Über das Herz, I. Teil, 3. Kap., S. 90. Überflusses, wenn der Wert eines Seienden erfasst und ihm die gebührende Antwort erteilt wird. Sollte jemand beispielsweise die Religion als Mittel zu in‐ nerem Frieden und einem sinnvollen Leben gebrauchen, wird er nie dazu ge‐ langen. Nur wenn er sich Gott unterwirft, weil ihm diese Haltung gebührt, wenn er sich ihm um seiner selbst willen hingibt, ohne auf sich selbst und seine Be‐ dürfnisse zu blicken, „nur dann wird das wahre Glück als Überraschung, als unverdientes Geschenk in Überfülle in seine Seele fliessen“ 7 . Zweierlei setzt das wahre Glück voraus: den autonomen, dem Objekt inne‐ wohnenden Wert und die Verpflichtung, ihm zu antworten. Das wahre Glück ist etwas, das der Mensch sich nicht selbst geben kann, das von Faktoren ab‐ hängig ist, die ausserhalb des menschlichen Machtbereiches liegen. Sofern der Mensch sich nicht selbst überschreitet, sofern er nach einem Leben trachtet, in dem das Überraschungsmoment ausgeschaltet und alles ein Erzeugnis der ei‐ genen Willkür ist, „dann verdammen wir uns zu einer endlosen Langeweile“ 8 . Gerade diese Realität hatte auch Frankl vor Augen, als er zum „abgründigen Sinnlosigkeitsgefühl“ 9 Stellung bezog. Und wie er die Heilung des existentiellen Vakuums in der Selbsttranszendenz, in der Hingabe an etwas oder jemanden erblickte, so wusste auch von Hildebrand, „in welche Sackgasse der moderne Mensch mit seiner Weigerung gerät, seine Geschöpflichkeit zu bejahen“ 10 . War das beständige Bemühen um die Verwirklichung des eigenen Selbst für Frankl der Weg in die Sinnlosigkeit, so schneidet sich der moderne Mensch nach von Hildebrand „von allen Quellen wahren Glückes ab“, weil er „in der Illusion eines Gott-gleichen Selbstgenügens lebt und einem entstellten Freiheitsideal folgt“. 11 Und ebenso wie von Hildebrand das Glück als principiatum bezeichnete, das ausbleibt, wenn es als principium, wenn es um seiner selbst willen erstrebt wird, so wusste auch Frankl, dass der Sinn, die Lust oder das Glück ausbleiben, wenn sie direkt intendiert werden. 12 Der Mensch, so Frankl, wolle nicht das Glück‐ lichsein an sich, er wolle einen Grund zum Glücklichsein. Jahrzehnte vor ihm hatte von Hildebrand dieselbe Wahrheit zu Papier gebracht, als er sie in den folgenden Satz fasste: „Es ist nicht entscheidend, ob wir Glück fühlen, sondern ob wir den objektiven Umständen nach Grund haben, glücklich zu sein.“ 13 11 Wert und Glück 265 <?page no="266"?> Mit der Wertantwort ist jeder Person die beständige Möglichkeit eröffnet, das existentielle Vakuum der Sinnlosigkeit durch eine transzendierende Aktion zu überwinden. Dafür braucht man auch nicht erst auf eine in der Aussenwelt sich bietende Gelegenheit zu warten, denn werden die Werte nicht in einem sub‐ jektiv-setzenden Sinn verstanden, was sie zum Leidwesen der Menschen heut‐ zutage leider häufig werden, sondern in einem objektiven Sinn, so kann selbst eine bettlägerige Person den transzendenten Werten die ihnen angemessenen Antworten erteilen und dadurch Sinn und Glück erfahren. 11 Wert und Glück 266 <?page no="267"?> 1 Vgl. oben III, 1. 2 Vgl. von H I L D E B R A N D , Liturgie und Persönlichkeit, 3. Kap., S. 276. 12 Zusammenfassung Im Anschluss an die Herausarbeitung der notwendigen realen Existenz Gottes, war die Frage von vordringlichem Interesse, ob der Mensch die Fähigkeit besitzt, mit der absoluten Person in ein Verhältnis zu treten. Hierzu war es vonnöten, das Sosein der menschlichen Person zu erhellen und einige Wesensmerkmale zu bezeichnen, die ihr notwendigerweise zugehören. Vor der Auseinanderset‐ zung mit von Hildebrands Personbegriff wurden drei diesbezügliche Theorien erörtert, die die einschlägige Diskussion nachhaltig geprägt haben und noch immer prägen. Augustinus, Boethius und John Locke haben den Begriff der Person auf je eigene Weise zu klären versucht. Ohne an dieser Stelle nochmals eigens auf die substanzorientierten Definitionen von Augustinus und Boethius einzugehen, sei Lockes Definition der Person gesondert erwähnt. Auf den zu vermeidenden Irrtum, der in der reduktionistischen Bestimmung des Person‐ seins über das Bewusstsein als eines unentbehrlichen Wesensmerkmals ihres Seins gelegen sein kann, wurde aufmerksam gemacht. Die Gefahr liegt wie ge‐ sagt darin, dass die Potenz zum Bewusstsein, die nicht immer im Leben ver‐ wirklicht ist, zur Bedingung des Personseins erklärt wird, wodurch der Embryo oder der im Koma liegende Patient keine Personen mehr wären. 1 Auf einem reduktionismusfreien Fundament beruht dagegen von Hildebrands Theorie der Kontinuität als eines „der tiefsten Wesensmerkmale des Menschen als geistiger Person“ 2 . Die weiteren wesentlichen Merkmale, die von Hildebrands Analyse des Wesens der menschlichen Person zutage förderte, seien in der Folge reka‐ pituliert. An erster Stelle die im Menschen bestehende Trias der wechselseitig zusam‐ menwirkenden geistigen Zentren von Vernunft, Wille und Herz. Während von Hildebrand als einen der tiefsten Wesenszüge der geistigen Person das Erkennen bezeichnet, ist das innerste Wort der Person ein emotionales, oder, wie er es im Unterschied zur Mehrheit der neuzeitlichen Philosophen nennt, ein gefühlsbe‐ tontes Wort des Herzens. Er wäre aber nicht der Philosoph, als der er in die Philosophiegeschichte eingegangen ist, hätte er die Gefühle nicht unter‐ schieden. Es war ihm klar, dass es einerseits Gefühle gibt, die offensichtlich keine geistigen sind, es andererseits aber auch solche gibt, die eindeutig geistige Züge <?page no="268"?> 3 von H I L D E B R A N D , Christliche Ethik, 17. Kap., S. 261. 4 Vgl. oben III, 2. 5 Vgl. von H I L D E B R A N D , Christliche Ethik, 25. Kap., S. 378. 6 Vgl. oben III, 3. tragen. Geistig sind die Gefühle, die intentional sind, die den Charakter einer Antwort tragen und in einer sinnvollen und bewussten Beziehung zu einem Gegenstand stehen. Vor allem aber setzt die Geistigkeit der Gefühle das trans‐ zendierende Konformieren mit dem Wert, die adaequatio cordis ad valorem vo‐ raus, was von Hildebrand als einen der „tiefsten Grundzüge der Person“ 3 be‐ zeichnet. 4 Wenn er die geistigen Gefühle über den Willensakten positioniert, jedoch nicht über dem Willen selbst, so bedurfte das angemessene Verständnis dieser Worte einer Begründung. Von Hildebrand vermochte sie zu geben durch die Differenzierung des Willens bzw. der Freiheit in zwei Dimensionen oder Voll‐ kommenheiten: Einerseits kann die Person verschiedene Tätigkeiten komman‐ dieren, andererseits zwischen den motivierenden Objekten wählen und sich ihnen zuwenden. Die letztgenannte Freiheitsdimension wirkt sich auch in der „mitwirkenden Freiheit“ aus, mit welcher der tiefste Punkt der menschlichen Freiheit berührt wird. 5 Damit werden letztlich auch die geistigen Gefühle the‐ matisch, die über den Willensakten, jedoch nicht über dem Willen selbst stehen. Entscheidungsträger ist in diesen Fällen immer das freie Personzentrum, dem es aufgetragen ist, zu den geschenkhaft oder verhängnisvoll aufsteigenden af‐ fektiven Antworten Stellung zu beziehen, sie zu bejahen oder zu verneinen. Auch an diesem tiefsten Punkt der menschlichen Freiheit kommt es zu einer Begegnung und einem gegenseitigen Befruchten von Vernunft, Wille und Herz. 6 Da davon aber nur unter der Voraussetzung die Rede sein kann, dass der Mensch von Objekten motiviert wird, die bedeutsam sind, wurde die Untersu‐ chung folgerichtig zur Besprechung der drei grundsätzlich verschiedenen Ka‐ tegorien der Bedeutsamkeit geführt. Wohl war der Mensch immer schon mit Gegenständen konfrontiert, die diesen drei Kategorien zugeordnet sind, doch fehlte es bislang an einem vollen philosophischen Erfassen der Trennungslinien. Ohne an dieser Stelle das weiter oben Gesagte unnötig zu wiederholen, seien die Kategorien des subjektiv Befriedigenden und des objektiven Gutes für die Person an dieser Stelle bloss genannt. Denn im Rahmen dieser religionsphilo‐ sophischen Untersuchung ist vor allem der Wert von Belang, alleine schon des‐ wegen, weil der Bezugspunkt der Religion - Gott - als Inbegriff aller Werte charakterisiert wurde. 12 Zusammenfassung 268 <?page no="269"?> 7 Vgl. oben III, 7. 8 An dieser Stelle ist erneut auf die entscheidende Differenzierung hinzuweisen, die von Hildebrand in seiner posthum erschienen Schrift Moralia vorgenommen hat. An der Stelle nimmt er sein Wort zurück, dass der Wille sich nur auf einen zu verwirklichenden Sachverhalt richten kann, und arbeitet vier weitere mögliche Aktualisierungen heraus. Vgl. oben III, 7 - „Die Wertantwort“. Der Wert ist eine Realität, die ihre Bedeutsamkeit aus sich selber bezieht, die die Person in eine transzendente Ordnung trägt und mit seiner Forderung an das freie Personzentrum appelliert. Die Einsicht in das Wesen der adäquaten Antwort auf den objektiven Wert eines Objektes oder einer Person, in der wir uns selbst transzendieren und ganz mit dem Wert kooperieren, nannte von Hildebrand eine Haupteinsicht seiner Ethik. Sein dialogales Verständnis der Le‐ benswelt der Menschen brachte er überdies auch mit den Antworten zum Aus‐ druck, die den verschiedenen Zentren entsprechen. In diesem Sinn unterschied er zwischen den theoretischen Antworten, den Willensantworten und den af‐ fektiven Antworten. In der Wertantwort kommt es auf der Basis einer erkennt‐ nismässigen adaequatio intellectus ad rem schliesslich zu einer adaequatio vo‐ luntatis et cordis ad valorem, zu einer Angleichung des Willens und des Herzens an den Wert. Dieses transzendierende Konformieren mit dem Wert ist jedem Verhaftetsein im Ich entgegengesetzt, es durchbricht die Grenzen des eigenen Selbst. Dass die wahre religio von Wertantworten durchsetzt und der Mensch von da her zu einem Dialog mit Gott befähigt ist, wurde in diesem Abschnitt nur angemerkt, um im nächsten des Näheren erörtert zu werden. 7 Explizit wurde in diesem Abschnitt hingegen die Frage diskutiert, warum der Wertethik der Vorzug zu geben ist vor der eudaimonistischen, der hedonisti‐ schen und der utilitaristischen Ethik. Weil, so das Ergebnis dieser Untersuchung, in der Wertethik nicht wie im Eudaimonismus oder im Hedonismus primär auf das menschliche Subjekt und seine Bedürfnisse geblickt und der Wert der Hand‐ lung auch nicht wie im Utilitarismus am Erfolg bemessen wird. In der Wertethik wird die sittliche Handlung weder durch die wahre Beglückung noch durch die subjektive Lust motiviert, die das verwirklichte Objekt spendet. Auch wird nach der wertethischen Auffassung die sittliche Handlung zwar vom Objekt der Handlung, d. h. dem zu verwirklichenden Sachverhalt motiviert, doch ist der Wert dabei unabhängig von Erfolg und Nutzen der Handlung. Woran der Wert einer sittlichen Handlung sich nach dieser ethischen Theorie bemisst, ist alleine die angemessene Antwort auf die motivierende Bedeutsamkeit des zu verwirk‐ lichenden Sachverhalts. 8 Ihren sittlichen Wert erhält die Handlung jedenfalls 12 Zusammenfassung 269 <?page no="270"?> 9 Vgl. oben III, 5.4.3. 10 Vgl. oben III, 8. 11 Vgl. oben III, 9.1. 12 von H I L D E B R A N D , Sittlichkeit und ethische Werterkenntnis, III. Teil, 2. Kap., b), § 7, S. 141. 13 Vgl. oben III, 9.5. nicht durch den Erfolg, dem sie wie ein Mittel zu dienen hätte, sondern durch die Erfüllung der metaphysischen Beziehung des Gebührens. 9 Eine weitere im wahrsten Sinn des Wortes ebenso tiefsinnige wie tiefschür‐ fende Analyse des geistigen Lebens der menschlichen Person bot von Hilde‐ brand mit der Unterscheidung zwischen der Peripherie und der Tiefe. Von vor‐ dringlichem Interesse sind sie in ihrem spezifischen Sinn, demnach auf die verschiedenen Werthöhen von Akten oder Inhalten und die ihnen entsprech‐ enden Ansatzpunkte in der Person Bezug genommen wird. 10 Damit legt von Hildebrand den tiefsten Punkt in der Person offen, der von den höchsten und wichtigsten Werten berührt wird. Das aber sind die sittlichen. Und wie die sitt‐ lichen Werte in ihrer Objektivität im wertantwortenden Zentrum der Person einen motivationalen Bezugspunkt haben, so sind die anderen beiden morali‐ schen Zentren subjektiv geprägt, indem sie den Bereich der sie affizierenden Güter von vornherein festlegen. Auch in diesem Bereich ist die Person frei: Sie kann das hochmütige Mehrsein, das begehrliche Mehrhaben oder, wie in den meisten Fällen, eine Mischung von beiden anstreben. Sie kann sich aber auch an den Werten und den werttragenden Gütern um ihrer selbst willen erfreuen und die von ihnen ausgehenden Forderungen angemessen zu beantworten su‐ chen. 11 Über die Trägerschaft sittlicher Werte, welche qua reine Vollkommenheiten die göttlichen Eigenschaften anthropomorphismusfrei zu erkennen geben, im Menschen aber nicht in ihrer unendlichen Form bestehen, kann es zu einer Ver‐ bindung mit Gott kommen. Inwiefern die menschliche Person ein ethisches Subjekt ist, hat sich durch den Durchgang durch die verschiedenen moralischen Sphären erwiesen. Diese Sphären stehen in einer intelligiblen Wechselwir‐ kung, in der die Möglichkeit einer konkreten Haltung von der jeweils allgemei‐ neren Haltung abhängt, und wie die Handlung eine Inkarnation der inneren individuellen und allgemeinen Stellungnahme ist, so verändern sich in und durch konkrete sittliche Handlungen sowohl die Tugenden als auch die sittliche Grundhaltung. Woraus die Einsicht in die überaktuelle sittliche Identität der Person resultierte und das eigentliche sittliche Ziel sich „in der qualitativen Umformung des Seins und in der formalen Umwandlung der Grundstellung zur intentionsgeborenen Grundhaltung“ 12 zu erkennen gab. 13 12 Zusammenfassung 270 <?page no="271"?> 14 Vgl. oben III, 11. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung mit ihrem in der Einleitung an‐ gesprochenen Interesse für die Sinnproblematik war auch der Schlusspunkt dieses Abschnitts von Bedeutung. Werden Sinn und Glück zum Problem ge‐ macht, so wusste von Hildebrand aufgrund seiner Anthropologie und seiner Wertphilosophie, dass nicht das Fühlen von Glück das Entscheidende ist, son‐ dern die Frage, ob ein objektiver Grund besteht, glücklich zu sein. 14 12 Zusammenfassung 271 <?page no="273"?> 15 Vgl. von H I L D E B R A N D , Christliche Ethik, 17. Kap., S. 262. 16 D E R S ., Wahre Sittlichkeit und Situationsethik, 11. Kap.: Christliche Moral, S. 160. 17 Vgl. D E R S ., Über den Tod, S. 32. 18 D E R S ., Über das Herz, I. Teil, 8. Kap., S. 122. IV D IE LEBENDIGE V ERBINDUNG DES M ENSCHEN MIT G OTT Im Verlaufe der vergangenen Seiten hat sich die leitende Fragestellung in sach‐ licher Hinsicht zumindest insoweit erhellt, als sich gezeigt hat, dass der trans‐ zendente Bezugspunkt der Religion - Gott - erkannt und der Mensch mit Ver‐ nunft, Wille und Herz sich selbst zu überschreiten vermag. Jedoch wurde die Frage noch nicht explizit beantwortet, inwiefern der Mensch in der Lage ist, „als Partner in dem Dialog mit Gott teilzunehmen“ 15 . Wie aber muss man sich diesen Dialog, dieses „Mysterium des Zwiegesprächs zwischen Geschöpf und Schöpfer“ 16 überhaupt vorstellen, und welche Gründe lassen sich für das Be‐ stehen des Dialogs zwischen Mensch und Gott anführen? Auch wenn der Mensch - per definitionem - capax Dei, aufnahmefähig für Gott ist, 17 wo werden die Verbindungslinien ersichtlich? Beschränkt sich die menschliche Aufnahme‐ fähigkeit für Gott darauf, nach dem Da- und Sosein Gottes fragen und entspre‐ chende Erkenntnisse erlangen zu können? Oder bezieht das Zwiegespräch zwi‐ schen Geschöpf und Schöpfer neben der Vernunft auch den Willen und vor allem auch „das wahre Selbst der Person“ 18 , nämlich das Herz mit ein? Auch wenn es keine der Forschung zugängliche frühe Menschengruppe gibt, die sich nicht auf eine transzendente Wirklichkeit bezogen gewusst hätte, und auch wenn bereits Platon ein Gebet formuliert hat, das die wesentlichen Mo‐ mente enthält - nämlich das Richten an eine Person, die seinsmässig höher steht als der Betende selbst, und die Vernehmungsbedürftigkeit, denn niemand kann <?page no="274"?> 19 Zur Vernehmungsbedürftigkeit als eines Wesensmerkmals der sozialen Akte vgl. Adolf R E I N A C H , Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechtes, § 3, Die sozialen Akte, S. 158-169. Wenn Platon das Gebet, das er am Schluss des Dialogs Phaidros Sokrates in den Mund legt, auch an mehrere Götter richtet („O lieber Pan und ihr Götter, die ihr sonst hier zugegen seid, verleiht mir, schön zu sein im Innern und dass, was ich Äusseres habe, dem Inneren befreundet sei“ [Phaidros, 279b8-c1].), so bedeutet das keineswegs, er sei ein Vertreter des Polytheismus gewesen. Im Dialog Timaios gibt er deutlich zu erkennen, dass er sehr wohl einen Unterschied machte zwischen dem einen Gott und den vielen Göttern. Während der eine Gott ungeschaffen ist, sind die vielen Götter von ihm ge‐ schaffen. Und während der eine Gott unsterblich ist, weil es seiner eigenen Natur entspricht, sind es die vielen Götter, weil es der Wille des einen Gottes ist. Ein ähnliches Verhältnis zwischen dem einen Gott und den vielen Göttern deutet Platon auch im zehnten Buch der Gesetze (Nomoi) an. Interessant sind auch die Merkmale, die er Gott in seinem Hauptwerk Politeia zuzuschreiben weiss. Darin beschreibt er Gott als gut (379b), unveränderlich (381b-d), einfach und wahr (382e). 20 Vgl. F E U E R B A C H , Das Wesen des Christentums, Erster Teil, 14. Kap., S. 204 f. 21 Vgl. die im von Hildebrand-Nachlass enthaltene maschinenschriftliche Arbeit über „Das Hören des Rufes Gottes“, vgl. von H I L D E B R A N D , Unveröffentlichter Nachlass, Mappe 121 (121 / 22-32). zu sich selber beten -, 19 wie lässt sich die Verbindung des endlichen Menschen mit dem unendlichen Gott philosophisch begründen, ohne dem Feuerbachschen Anthropomorphismusvorwurf zu verfallen? Feuerbach warf dem christlichen Glauben eine „Überschwänglichkeit des Gefühls“ vor, denn schliesslich sei der Glaube an Gott „nichts anderes als der Glaube an die Gottheit des Menschen“. 20 Dass die Existenz Gottes keine blosse menschliche Vorstellung, keine Objekti‐ vierung, sondern eine objektive Wahrheit ist, konnte im zweiten Abschnitt dieser Untersuchung mit philosophischen Argumenten nachgewiesen werden. Doch wie ist darüber hinaus die lebendige Verbindung des Menschen mit Gott zu begründen? Wird diese Verbindung als Dialog, als Zwiegespräch verstanden, wer spricht dann das erste Wort? 21 <?page no="275"?> 1 Zur religiösen Bewegung des Orphismus vgl. Jean-Michel R O E S S L I , Orpheus. Orphismus und Orphiker. 2 P L A T O N , Phaidon, 75e1-4 (Übers. Apelt). Dass die Sinneswahrnehmung als Auslöser der Wiedererinnerung dient, ist nicht nur dem Phaidon, sondern auch dem Symposion (209e-212c) zu entnehmen. Menon, 82b-86c, zeigt aber, dass sie keine notwendige Be‐ dingung darstellt, denn die Wiedererinnerung kann auch durch ein Gespräch hervor‐ gerufen werden. 3 Max S C H E L E R , Liebe und Erkenntnis, S. 18. Vgl. zu diesem Terminus auch D E R S ., Das Ressentiment im Aufbau der Moralen, S. 38. 4 Vgl. von H I L D E B R A N D , Das Chaos der Zeit und die Rangordnung der Werte, S. 186, 188. 5 Vgl. D E R S ., Was ist Philosophie? , 7. Kap., S. 174, 8. Kap., S. 210, 216 f. Vgl. auch D E R S ., Christliche Ethik, 14. Kap., S. 198. 1 Die Bewegungsumkehr der Liebe oder Gott als Initiator des Dialogs Bei Platon und der Orphik insgesamt 1 trug die Religion eindeutige Züge einer Bewegung vom Niederen zum Höheren (vom μὴ ὄν zum ὄντως ὄν), vom Men‐ schen zum selbst nicht liebenden Gott. Alle Erlösung ist Selbsterlösung des In‐ dividuums durch den Erkenntnisakt, wobei der Erkenntnisakt als Wiedererin‐ nerung (ἀνάμνησις) an die präexistente Ideenschau verstanden wird. „Wir haben sie, nachdem wir sie vor der Geburt empfangen haben, bei der Geburt verloren, gewinnen aber später durch den auf sie führenden Gebrauch unserer Sinne jene Erkenntnisse wieder, die wir früher einmal besassen.“ 2 Im Unterschied zu diesem religiösen Erkenntnis- und Heilsprozess, der seinen Ausgang bei einem spon‐ tanen Akt des Individuums nimmt, liegen Beginn und Ziel des Erkenntnis- und Heilsprozesses nach den Überzeugungen, wie sie der christlichen Religion zu‐ grunde liegen, bei Gott. In der christlichen Religion kommt es zu einer liebe‐ vollen Herablassung des Höheren zum Niederen, zu einer „Bewegungsumkehr der Liebe“ 3 . Wie von Hildebrand diese leitende religiöse Überzeugung seinen einschlä‐ gigen Schriften zugrunde gelegt und verwertet hat, sei in der Folge auseinan‐ dergesetzt. Gott gibt den Anstoss zu einem Dialog mit dem Menschen. Das ge‐ schieht in erster Linie durch sein hierarchisch geordnetes 4 Abbilden im Seienden. 5 Gott gibt den Anstoss zu einem Dialog aber auch durch Botschaften, die er an den Menschen richtet. So enthält beispielsweise der ästhetische Wert der Schönheit, der in einem gegebenen Objekt verkörpert ist, „eine Botschaft, <?page no="276"?> 6 D E R S ., Ästhetik 1, 2. Kap., S. 95 f., Anm. 23. 7 Vgl. D E R S ., Christliche Ethik, 14. Kap., S. 200. 8 Vgl. oben II, 4.4 - „Die reinen Vollkommenheiten als Gültigkeitsgrund des ontologi‐ schen Arguments“. 9 Vgl. oben II, 3.2 - „Die Wertfamilien“. 10 Vgl. von H I L D E B R A N D , Christliche Ethik, 3. Kap., S. 52. die von ihm kündet und zu ihm erhebt“ 6 . Gottes unmittelbarste Botschaft im natürlichen Bereich geht hingegen von den sittlichen Werten aus. 7 Wie gesehen, sind die sittlichen Werte mit der Tradition in vielen Fällen als reine Vollkom‐ menheiten zu verstehen. 8 Und da sie dies sind, nämlich göttliche Eigenschaften, können die in diesen Werten enthaltenen Botschaften nicht anders denn gött‐ lichen Ursprungs sein, was sich nicht zuletzt auch an den Merkmalen der sitt‐ lichen Werte erweist, die von Hildebrand unterschieden hat. 9 Der Botschafts‐ charakter der Werte zeigte sich auch in motivationaler Hinsicht, als es hiess, der Wert stehe gleichsam als eine Botschaft von oben vor dem Menschen, er trage ihn über sich selbst hinaus, befreie ihn vom Kreisen um sich selbst und trage ihn in eine von ihm selbst, seinen Stimmungen, seiner jeweiligen Verfassung unabhängige transzendente Ordnung. 10 Überdies unterscheidet von Hildebrand auch einen Ruf Gottes, den er ver‐ mittels der Werte an den Menschen richtet. Noch dynamischer als das Ab‐ bilden, die Botschaft oder der Ruf ist die Forderung, die von den sittlich bedeut‐ samen Werten an den Menschen ergeht, wenn er vor einer sittlich relevanten Entscheidung steht. Diese Wirklichkeit kann mit einem Beispiel veranschaulicht werden: Eine Person spaziert am Ufer eines abgelegenen Sees, als sie plötzlich den Hilfeschrei eines Kindes vernimmt, das unweit des Ufers zu ertrinken droht. Das Kind ist mit der Situation restlos überfordert, mit Mühe und Not vermag es nur noch einige verzweifelte Hilfeschreie von sich geben. Die spazierende Person ist plötzlich vor die Wahl gestellt: Entweder dem Kind das eine Ende des am Ufer vertäuten Seils zuzuwerfen oder selbst ins Wasser zu springen und es zu retten. Wenn die Person nun ins Wasser springt und das Kind vor dem Er‐ trinken bewahrt, was hat sie dann zu dieser Tat motiviert? Philosophisch ge‐ sprochen, die sittliche Bedeutsamkeit des ontischen Wertes des menschlichen Lebens, d. h. die Würde dieses Menschen. Es dürfte evident sein, dass die spa‐ zierende Person in dem Moment, in dem sie das ertrinkende Kind wahrge‐ nommen hat, sogleich die Forderung vernommen hat, das Leben dieses Kindes zu retten. Ähnlich ist der Fall bei einer „ungewollten“ Schwangerschaft gelagert, auch da geht es um das Leben eines Menschen, auch da haben die Eltern eine Ent‐ scheidung zu treffen, die sich auf der Basis ihres bisherigen Lebens in der Frage 1 Die Bewegungsumkehr der Liebe oder Gott als Initiator des Dialogs 276 <?page no="277"?> 11 Vgl. P L A T O N , Des Sokrates Verteidigung, 31d. 12 L. A. S E N E C A , Epistulae morales ad Lucilium, Liber V. Briefe an Lucilius über Ethik, 5. Buch, 43. Brief, S. 11. 13 D E R S ., Das glückliche Leben. De vita beata, 21. Kap., S. 53. 14 von H I L D E B R A N D , Heiligkeit und Tüchtigkeit, S. 82. (Kursiv im Orig.) konzentriert: Geben wir unseren sozialen Status, unsere Karrieren, unsere fi‐ nanziellen Möglichkeiten oder was sonst für Gründe angeführt werden könnten, den Vorzug vor dem werdenden Leben? Von der Würde des werdenden Lebens könnten sie auch so affiziert werden, dass sie im Spital von ihrem Arzt darüber informiert würden, dass er aufgrund von Komplikationen nur ein Leben retten könne: entweder sterbe das Kind oder sie. Wie viele solcher Beispiele aber auch noch angeführt würden, sie alle machen stets aufs Neue deutlich, dass das Faktum dieser Forderungen naturalistisch nicht erklärt werden kann. Jedenfalls hat schon der platonische Sokrates die erstaunliche Stimme in seinem Innern vernommen, die ihm abgeraten hat, dieses oder jenes zu tun. 11 1.1 Die Forderungen der sittlich bedeutsamen Werte und das Gewissen Was aber ist das für eine Stimme, und warum hat die Nichtbefolgung dieses Rates bzw. dieser Forderung zur Folge - wie Seneca diese sicherlich auch von ihm selbst gemachte Erfahrung beschreibt -, dass man „auch in der Einsamkeit ängstlich und beunruhigt“ 12 ist und fortan „alles um den Preis eines guten Ge‐ wissens“ 13 tun will? Und warum kann von Hildebrand sagen: „Nichts kann der Disharmonie verglichen werden, die durch das beunruhigte Gewissen ausgelöst wird“ 14 ? Worum handelt es sich bei der Stimme des Gewissens eigentlich und woher hat sie überhaupt die Kraft, das emotionale Leben so zu beeinflussen? Handelt es sich dabei um ein spezielles Organ, mit dem der Mensch unmittelbar mit Gott verbunden ist? Oder steht der Gewissensspruch für die Summe der bereits gemachten Erfahrungen, die zur Beurteilung einer bestimmten Hand‐ lung gleichsam aktualisiert werden können? Ist die Antwort vielleicht bei den Alten zu suchen, die diesbezüglich von einem Mit-wissen (συνείδησις bzw. conscientia) gesprochen haben? Doch muss dann nicht erst recht gefragt werden, woher ein solches Wissen rührt, mit wem da etwas gewusst wird? Zur Veranschaulichung der Problemlage anerbietet sich der im Zusammen‐ hang der beiden Erfahrungsarten bereits thematisierte Abschnitt aus Dosto‐ jewskis Roman Die Brüder Karamasow. Seine erneute Besprechung empfiehlt sich an dieser Stelle nicht alleine wegen seiner Klarheit, sondern vor allem 1.1 Die Forderungen der sittlich bedeutsamen Werte und das Gewissen 277 <?page no="278"?> 15 Vgl. D O S T O J E W S K I , Die Brüder Karamasow, Zweiter Teil, sechstes Buch, II a, S. 507-511. wegen des deutlichen Hinweises auf die wesentlichen Züge der Stimme des Gewissens. Aus diesem Grund wird die von Dostojewski beschriebene Szene in seiner chronologischen Abfolge nochmals entfaltet. Der nachmalige Starez Sos‐ sima, so der Name der bereits erwähnten literarischen Figur, weilte in seinen Jünglingsjahren für fast acht Jahre im Kadettenkorps in Petersburg, wo man „mit der neuen Erziehung […] vieles von den Eindrücken der Kindheit [be‐ täubte]“. „Als Ersatz dafür“, wie er sich im Rückblick auf diese Phase seines Lebens eingestehen muss, „nahm ich so viele neue Gewohnheiten und sogar Anschauungen in mich auf, dass ich mich in ein fast wildes, grausames und albernes Geschöpf verwandelte.“ Einmal, er diente zu der Zeit bereits als Offizier, wurde er aufgrund einer von ihm ausgesprochenen Beleidigung zum Duell auf‐ gefordert. Als er am Abend vor dem entscheidenden Tag „wütend und unaus‐ stehlich“ nach Hause zurückkehrte, ärgerte er sich über seinen Diener Afanasi „und schlug ihn aus aller Kraft zweimal ins Gesicht, so dass es mit Blut über‐ strömt war“. Hernach legte er sich schlafen. Als er am nächsten Morgen, am Tag des Duells, aufwacht, hat er ganz neuartige Gedanken. Sind die Gedanken zuerst nebulös, verhüllt, unscharf, werden sie alsbald immer klarer. Er denkt nicht etwa an das bevorstehende Duell, sondern an die Schläge, die er seinem Diener erteilt hat. „Alles trat mir da plötzlich aufs neue vor die Augen, gleich als ob von neuem alles vor sich gehe: er steht vor mir, und ich schlage ihn, weit ausholend, gerade ins Gesicht; er aber hält die Hände an die Hosennaht, den Kopf gerade, die Augen hat er aufgerissen wie an der Front, er zittert bei jedem Schlag und wagt nicht einmal die Hände zu erheben, um sich zu schützen - und da ist ein Mensch bis dahin gebracht worden, und da schlägt ein Mensch einen Menschen! Was ist das für ein Verbrechen! Es war, als ob eine scharfe Nadel mir die ganze Brust durchstossen habe.“ 15 Warum, so ist im Anschluss an diese Schilderung zu fragen, warum hat das Schlagen eines Menschen solche Auswirkungen auf den Akteur, als ob seine ganze Brust mit einer scharfen Nadel durchstossen worden wäre? Seneca sprach doch nur davon, ängstlich und beunruhigt (anxia atque sollicita) zu sein … Und warum widerfährt ihm dies nicht vor, warum nicht während der Misshandlung oder zumindest im unmittelbaren Anschluss, sondern erst am folgenden Tag? Auf der Suche nach Antworten wird auf die einschlägigen Lehren von Sigmund Freud zurückgegriffen, auf dass die Gewissenstheorie von Hildebrands, die im Anschluss zu erörtern sein wird, sich vor diesem Hintergrund umso deutlicher in ihren Eigenheiten zu erkennen gibt. 1 Die Bewegungsumkehr der Liebe oder Gott als Initiator des Dialogs 278 <?page no="279"?> 16 Sigmund F R E U D , Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, S. 67. 17 Ebd., S. 79. 18 Vgl. B O N E L L I , Das psychotherapeutische Unbehagen mit der Religion, 5.2, Wie das anti‐ religiöse Vorurteil in die Therapie kam, zit. nach U T S C H , B O N E L L I , P F E I F E R , Psychothe‐ rapie und Spiritualität, S. 49. Zu Freuds Religionskritik vgl. neben Totem und Tabu auch Die Zukunft einer Illusion, v. a. S. 344-346. 19 F R E U D , Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, S. 80. 20 D E R S ., Abriss der Psychoanalyse, S. 128. 21 Vgl. D E R S ., Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, S. 80. 22 Ebd. 23 D E R S ., Abriss der Psychoanalyse, S. 68. 24 Ebd., 70. 25 Vgl. ebd. S. 70 f. (Kursiv im Orig.) 26 Ebd., S. 71. 1.2 Die reduktionistische Erklärung des Sigmund Freud Das moralische Schuldgefühl, das Dostojewski „seinen“ Sossima so schmerzlich empfinden lässt, versteht Sigmund Freud (1856-1939), der Begründer der Psy‐ choanalyse, als „Ausdruck der Spannung zwischen Ich und Über-Ich“ 16 , wobei Ich und Über-Ich zusammen mit dem Es den „Seelenapparat der Person“ 17 bilden. Mit dem Wort vom „Seelenapparat“ gibt Freud sein materialistisches Weltbild ebenso zu erkennen wie seinen Reduktionismus mit der Definition der Religion als einer kollektiven Zwangsneurose, als einem „Ausdruck des regressiven Wunsches nach dem Schutz eines übermächtigen Vaters“ 18 . Die Analyse des Seelenapparats der Person sei an dieser Stelle mit dem Es begonnen. Obwohl „der dunkle, unzugängliche Teil unserer Persönlichkeit“ 19 , ist das Es „der Kern unseres Wesens“ 20 . Freud nennt es „ein Chaos, einen Kessel voll brodelnder Erregungen“, der „am Ende gegen das Somatische offen“ ist, wo es „die Triebbedürfnisse in sich auf[nimmt]“. 21 „Von den Trieben her erfüllt es sich mit Energie, aber es hat keine Organisation, bringt keinen Gesamtwillen auf, nur das Bestreben, den Triebbedürfnissen unter Einhaltung des Lustprinzips Befriedigung zu schaffen.“ 22 Der Inhalt des Es „ist alles, was ererbt, bei Geburt mitgebracht, konstitutionell festgelegt ist, vor allem also die aus der Körperor‐ ganisation stammenden Triebe“ 23 . Die Triebe wiederum sind jene „Kräfte, die wir hinter den Bedürfnisspannungen des Es annehmen“ 24 . Obgleich man „eine unbestimmte Anzahl von Trieben unterscheiden“ kann, hält Freud dafür, „nur zwei Grundtriebe anzunehmen, den Eros und den Destruktionstrieb“. 25 „Das Ziel des ersten ist, immer grössere Einheiten herzustellen und so zu erhalten, also Bindung, das Ziel des anderen im Gegenteil, Zusammenhänge aufzulösen und so die Dinge zu zerstören.“ 26 1.2 Die reduktionistische Erklärung des Sigmund Freud 279 <?page no="280"?> 27 D E R S ., Das Ich und das Es, S. 251. 28 D E R S ., Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, S. 82. 29 Vgl. D E R S ., Das Ich und das Es, S. 252. 30 D E R S ., Abriss der Psychoanalyse, S. 129 f. 31 D E R S ., Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, S. 83. 32 Vgl. D E R S ., Das Ich und das Es, S. 253. 33 Joachim P I E G S A , Der Mensch - Das moralische Lebewesen, Bd. I, S. 337. 34 F R E U D , Die Zukunft einer Illusion, S. 332. Dem Es „sitzt das Ich oberflächlich auf, aus dem W[ahrnehmungs]-System als Kern entwickelt“ 27 . Anders ausgedrückt: Das Ich ist „jener Teil des Es […], der durch die Nähe und den Einfluss der Aussenwelt modifiziert wurde“ 28 . Freud versteht das Ich als eine Art Vermittlungsstelle zwischen den sich zu Wort meldenden Trieben und der wahrgenommenen Aussenwelt. Seine Aufgabe ist folglich eine doppelte: Einerseits die Aussenwelt nach Möglichkeiten der Trieb‐ befriedigung zu sondieren, andererseits „den Einfluss der Aussenwelt auf das Es und seine Absichten zur Geltung zu bringen“ und „das Realitätsprinzip an die Stelle des Lustprinzips zu setzen, welches im Es uneingeschränkt regiert“. 29 Während „das Es ausschliesslich auf Lustgewinn ausgeht, […] ist das Ich von der Rücksicht auf Sicherheit beherrscht“ 30 . „Wenn wir uns populären Rede‐ weisen anpassen, dürfen wir sagen, dass das Ich im Seelenleben Vernunft und Besonnenheit vertritt, das Es aber die ungezähmten Leidenschaften.“ 31 Im Ver‐ hältnis zum Es gleicht das Ich dem Reiter, der die Kraft des Pferdes zügeln soll, wobei der Reiter dies mit eigenen Kräften versucht, das Ich jedoch mit ge‐ borgten. Mit diesem Gleichnis versucht Freud zu veranschaulichen, dass ebenso wie dem Reiter, will er sich nicht vom Pferde trennen, oft nichts anderes übrig bleibt, als es dahin zu führen, wohin es gehen will, so pflege auch das Ich den Willen des Es in die Tat umzusetzen, als ob es der eigene wäre. 32 Als dritten unterscheidbaren Teil des Seelenapparates grenzt Freud das Über-Ich ab. Es „vertritt ethische Wertvorstellungen und gilt als Gewissen der Persönlichkeit“ 33 . Für die Entstehung des Über-Ichs zeichnet sich zur Haupt‐ sache das Verhältnis des ursprünglich amoralischen Kindes zu seinen Eltern verantwortlich. Der elterliche Zwang wird dabei allmählich verinnerlicht, „indem eine besondere seelische Instanz, das Über-Ich des Menschen, ihn [sc. den elterlichen Zwang] unter seine Gebote aufnimmt“ 34 . Die Rolle, die späterhin das Über-Ich übernimmt, wird zuerst von einer äusseren Macht, von der elterlichen Autorität, gespielt. Der Elterneinfluss regiert das Kind durch Gewährung von Liebesbeweisen und durch Androhung von Strafen, die dem Kinde den Liebesverlust beweisen und an sich gefürchtet werden müssen. Diese Realangst ist der Vorläufer der späteren Gewissensangst; solange sie herrscht, braucht 1 Die Bewegungsumkehr der Liebe oder Gott als Initiator des Dialogs 280 <?page no="281"?> 35 D E R S ., Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, S. 68. 36 D E R S ., Abriss der Psychoanalyse, S. 69. 37 Vgl. ebd. 38 Ebd. 39 Ebd. 40 Ebd., S. 137. Vgl. auch D E R S ., Die Zukunft einer Illusion, S. 367. 41 D E R S ., Abriss der Psychoanalyse, S. 69. 42 D O S T O J E W S K I , Die Brüder Karamasow, S. 511. man von Über-Ich und Gewissen nicht zu reden. Erst in weiterer Folge bildet sich die sekundäre Situation aus, die wir allzu bereitwillig für die normale halten, dass die äussere Abhaltung verinnerlicht wird, dass an die Stelle der Elterninstanz das Über-Ich tritt, welches nun das Ich genau so beobachtet, lenkt und bedroht wie früher die Eltern das Kind. 35 Doch wirkten im Elterneinfluss nicht nur die persönlichen Wesen der Eltern, für Freud erstreckt sich dieser Einfluss auch auf die „Familien-, Rassen- und Volkstradition sowie die von ihnen vertretenen Anforderungen des jeweiligen sozialen Milieus“ 36 . Zudem nehme das Über-Ich im Laufe der individuellen Ent‐ wicklung die Beiträge auf, die „von Seiten späterer Fortsetzer und Ersatzper‐ sonen der Eltern“ an es ergingen, zu welchen er die Erzieher, die öffentlichen Vorbilder und die in der Gesellschaft verehrten Ideale rechnet. 37 Das Über-Ich erweist sich somit als dasjenige, das „die Macht, die Leistung und selbst die Methoden der Elterninstanz übernimmt“ 38 . Man würde also meinen, dass aus einer strengen Erziehung auch ein strenges Über-Ich hervorgehen müsse. Dem ist aber, wie Freud selber bemerkt hat, nicht so. Das Über-Ich kann einen Cha‐ rakter unerbittlicher Härte annehmen, „auch wenn die Erziehung milde und gütig war“ 39 . Warum das? Weil die Überstrenge, wie er in seinem posthum er‐ schienen Werk Abriss der Psychoanalyse zu begründen versucht, nicht einem realen Vorbild folge, sondern „der Stärke der Abwehr [entspreche], die gegen die Versuchung des Ödipuskomplexes aufgewendet wurde“ 40 . Das heisst: „Die Qual der Gewissensvorwürfe entspricht genau der Angst des Kindes vor dem Liebesverlust, die ihm die moralische Instanz ersetzt hatte.“ 41 1.2.1 Dostojewskis Starez Sossima im Lichte der Theorie Freuds Überträgt man die Freudsche Theorie nun auf die obige Dostojewski-Stelle, so reduziert sich die Stimme des Gewissens - „Was ist das für ein Verbrechen! Es war, als ob eine scharfe Nadel mir die ganze Brust durchstossen habe.“ 42 - auf die Erfahrungen, die das Über-Ich konstituiert haben. Nur, warum spricht das Gewissen überhaupt, da die Erfahrungen es doch determiniert haben? Mit an‐ 1.2 Die reduktionistische Erklärung des Sigmund Freud 281 <?page no="282"?> 43 F R E U D , Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, S. 67. 44 D E R S ., Abriss der Psychoanalyse, S. 69. 45 Vgl. D E R S ., Einige Bemerkungen über den Begriff des Unbewussten in der Psychoanalyse, sowie D E R S ., Das Unbewusste. deren Worten: Warum ändert sich die „Spannung zwischen Ich und Über-Ich“ 43 ? Zur Klärung dieses Problems sei das Geschehen nochmals vor Augen geführt. Der nachmalige Starez Sossima erfährt von seinen Eltern eine am Sittengesetz orientierte Erziehung, d. h. durch Gewährung von Liebesbeweisen und Andro‐ hung von Strafen wird das Kind auf die moralischen Ideale der Eltern hinge‐ ordnet. In weiterer Folge bildet sich die sekundäre Situation aus, die äussere Abhaltung wird verinnerlicht, an die Stelle der Elterninstanz tritt das Über-Ich. Später verwandelt er sich im Kadettenkorps „in ein fast wildes, grausames und albernes Geschöpf “, d. h. sein Über-Ich übernimmt die Beiträge von Seiten der Ersatzpersonen der Eltern. Im Zuge dieses Einflusses der wilden, grausamen und albernen soldatischen Ideale treten die Prägungen durch den Elterneinfluss in den Hintergrund. Deswegen tut sich an dem Abend, an dem er seinen Diener schlägt, nichts, die Handlung war für Sossima korrekt. Was dann der Fall ist, wenn eine Handlung des Ichs „gleichzeitig den Anforderungen des Es, des Überichs und der Realität genügt, also deren Ansprüche miteinander zu ver‐ söhnen weiss“ 44 . Über Nacht muss das Unbewusste 45 die Elternideale sozusagen „hervorgeholt“ haben, sodass sein Ich plötzlich die Spannung mit dem Über-Ich verspürt. Wenn die Elternideale aber „hervorgeholt“ werden können, dann müssen sie sich in der Zwischenzeit irgendwo im Seelenapparat befunden haben; und zwar an einem „Ort“, an dem sie dem Unbewussten zugänglich waren. Waren sie vielleicht verdrängt? Für die Richtigkeit dieser Antwort würde sprechen, dass das Verdrängte unbewusst ist. Es kann aber nicht die richtige Antwort sein, denn der Verdrängungsprozess, wie er von Freud verstanden wird, verläuft gerade in umgekehrter Richtung. Das Verdrängte ist für ihn etwas aus dem Unbewussten Herkommendes, das die Schwelle zum Bewusstsein nicht zu passieren vermag und von dort ins Unbewusste zurückgewiesen wird. Sicher ist, dass zwischen jener Handlung und dem durch die Eltern geprägten Über-Ich eine Verbindung besteht, denn die Handlung war ja die Ursache des Hervortretens des durch die Eltern geprägten Über-Ichs. Die Frage ist nur: Wie kann die Handlung, die doch korrekt war, solcherart auf das durch die Eltern geprägte Über-Ich einwirken, dass es gleichsam von der Potenz in den Akt übergeht? Wohl einzig deswegen, weil Sossima unbewusst spürt, dass seine Handlung den Elternidealen widerspricht. Dass aber Sossima unbewusst spürt, dass seine Handlung dem durch die Eltern geprägten Über-Ich widerspricht, während er aktuell ein anders gefülltes Über-Ich hat, setzt wiederum voraus, 1 Die Bewegungsumkehr der Liebe oder Gott als Initiator des Dialogs 282 <?page no="283"?> 46 Vgl. D E R S ., Abriss der Psychoanalyse, S. 137. dass sein durch die Eltern geprägtes Über-Ich durch die soldatischen Ideale bloss überformt war. Dass die Überformung aber zu schwach war, ist daran ersichtlich, dass die Handlung auf der bewussten (im Wachzustand) nicht gleich wie auf der unbewussten Ebene (im Schlafzustand) beurteilt wurde. Denn während die Handlung auf der bewussten Ebene als korrekt beurteilt wurde, wurde auf der unbewussten Ebene die fehlende Übereinstimmung zwischen der Handlung und den Elternidealen wahrgenommen. Daraus folgt, dass das durch die soldatischen Ideale geprägte Über-Ich seine Stellung so lange zu behaupten vermag und das Ich so lange kein moralisches Schuldgefühl empfindet, als die Spannung zwischen einer Handlung und den elterlichen Idealen nicht zu gross ist. Ist die Spannung zwischen einer Handlung und dem durch die Eltern geprägten Über-Ich aber einmal zu gross, dann lässt das Unbewusste das durch die Eltern geprägte Über-Ich dem Bewusstsein of‐ fenbar werden und das durch die soldatischen Ideale geprägte Über-Ich wird in den Zustand der Potenz verwiesen. Wenngleich diese Theorie in sich stimmig ist, so vermag sie die entscheidende Frage dennoch nicht zu beantworten, nämlich, warum Sossima einen solchen Wandel mitgemacht hat und er seinen Diener Afanasi plötzlich in einem ganz anderen Lichte sieht und ihn ganz anders behandelt. Die Antwort auf diese Frage übersteigt den materialistisch-naturalistischen Rahmen. Denn es geht nicht nur um die elterlichen Ideale und die übrigen Einflüsse, die auf Sossima eingewirkt haben, sondern um etwas, das er vermutlich selbst noch nie beobachtet hat. Doch was hat ihn dann dazu motiviert, wenn er es noch nie gesehen und schon gar nicht in dieser affektiven Intensität miterlebt hat? Würde Freud dieses Fehlen eines realen Vorbilds mit der Stärke der Abwehr gegen die Versuchung des Ödi‐ puskomplexes zu erklären versuchen? 46 Wenn Sossimas plötzliches Verspüren des moralischen Schulgefühls seinen Grund im Ödipuskomplex haben soll, woher hätte er dann um die Qualität des Um-Verzeihung-Bittens wissen sollen, um eine Qualität, die der Situation so ganz angemessen war? Zeugt das nicht eher davon, dass das Motiv in der objektiven Wirklichkeit und nicht in seinen subjektiven Erlebnissen oder einer Abwehr der Versuchung des Ödipuskom‐ plexes zu suchen ist? Und entgegen Freuds Theorie, war es auch nicht ein die elterlichen Ideale übersteigendes Mehr an Strenge, sondern ein Afanasi gebüh‐ rendes Mass an Liebe. Das im Unterschied zu einem Mehr ein Strenge, ein Über‐ schreiten seiner selbst bedingt. 1.2 Die reduktionistische Erklärung des Sigmund Freud 283 <?page no="284"?> 47 Vgl. oben II, 5.3.3.2 - „Argumente gegen die materialistische Reduzierung des Be‐ wusstseins zu einem Produkt des Gehirns“. 48 Zum sinnvollen Weg aus der moralischen Schuld vgl. unten IV, 2.3.1 - „Die Reue“. 49 Vgl. von H I L D E B R A N D , Ästhetik 1, Einleitung, S. 18. Eine deutliche Kritik an der zeitge‐ nössischen Kultur findet sich in den folgenden zwei Werken, die von Hildebrand in seinem letzten Lebensjahrzehnt verfasst hat: Der verwüstete Weinberg, I. Teil, 4. Kap., S. 32-62, und Das trojanische Pferd in der Stadt Gottes, II. Teil, S. 129-195. Während er in jenem Werk mehr auf den äquivoken Begriff des Fortschritts angesichts der tatsäch‐ lichen Lage und des geistigen Niedergangs eingeht, sind es in dieser Schrift mehr die philosophischen Gefahren, die der gegenwärtigen Zeit zugrunde liegen bzw. innerlich sind. Der am 5. Mai 1813 in Kopenhagen geborene Sören Kierkegaard fasste das, was in der Moderne bzw. Postmoderne als Sinnlosigkeit thematisiert wird, im Verbund mit der Tradition als Verzweiflung. Der Verzweifelnde verzweifelt über etwas Bestimmtes. Zu‐ mindest sieht es so aus. Denn „in demselben Augenblick zeigt sich die wahre Verzweif‐ lung oder die Verzweifelung in ihrer Wahrheit. Indem er über etwas verzweifelte, ver‐ zweifelte er eigentlich über sich selbst und will sich nun selbst loswerden“ (Sören K I E R K E G A A R D , Die Krankheit zum Tode, Erster Abschnitt, A, C., S. 221). Unbewusst übersteigt im Übrigen auch Freud selbst den engen materialisti‐ schen Rahmen, indem er von der Geistigkeit der Person Zeugnis ablegt. 47 Denn hätte sie nicht ein intelligibles und notwendiges Sosein, hätte er die verschie‐ denen psychischen Dysfunktionen, die er an seinen Patienten beobachtete, nicht von innen her bedenken und Therapiemöglichkeiten erarbeiten können. 1.2.2 Die Forderung des Gewissens, die angemessene Antwort und das Glück Kann der Mensch, so ist im Lichte des Dargelegten zu fragen, im Vollsinn des Wortes überhaupt moralische Schuld auf sich laden? Aufgrund seiner natura‐ listischen Grundposition, muss Freud die Objektivität der moralischen Quali‐ täten von gut und schlecht bzw. böse verneinen. Doch die Realität der - nicht vergebenen 48 - Schuld, ist sie heutzutage nicht an den immer häufiger frequen‐ tierten psychiatrischen Kliniken und Ambulatorien ablesbar? Und ist es nicht eines der Zeichen der Zeit, dass unzählige Menschen - bewusst oder unbe‐ wusst - ein Leben auf der Basis der Freudschen Theorien leben? Für von Hil‐ debrand, der im Verlauf seines Lebens (1889-1977) einiges an kulturellem Wandel miterlebt hat, war es jedenfalls deutlich zu sehen, wieviel unglückliche Menschen, wieviel mehr Verbrechen und Selbstmorde es gibt. 49 Auch von dieser Seite her fällt wieder Licht auf das in der Einleitung erwähnte existentielle Va‐ kuum der Sinnlosigkeit. Wiederum ist es der szientistisch-naturalistische wis‐ senschaftliche Zugang, der zumal dem Begriffe und der theoretischen Grundlage nach die dem menschlichen Leben eigenen Sinnstrukturen nicht offen zu legen 1 Die Bewegungsumkehr der Liebe oder Gott als Initiator des Dialogs 284 <?page no="285"?> 50 D O S T O J E W S K I , Die Brüder Karamasow, S. 511 f. vermag, sondern den Menschen und seine Welt vielmehr auf naturwissen‐ schaftlich erkennbare Phänomene reduziert. Was auf den Menschen jedoch wartet, wenn er der Forderung nachkommt, die er in seinem Gewissen ver‐ nommen hat, schildert Dostojewski im unmittelbaren Anschluss an die oben zitierte Stelle: Da stehe ich denn wie dumm geworden, aber die liebe Sonne leuchtet, die Blättchen freuen sich, glänzen und schimmern, und die Vöglein, die Vöglein preisen Gott. Ich bedeckte mit beiden Händen mein Gesicht, warf mich aufs Bett und brach in Schluchzen aus. […] So lag ich auf dem Bett, mit dem Gesicht in den Kissen, und bemerkte überhaupt nicht, wie die Zeit verstrich. Plötzlich tritt mein Kamerad, der Leutnant, mit den Pistolen ein, um mich abzuholen. […] Ich rannte unentschlossen hin und her, verlor mich völlig. Wir gingen indes hinaus, um uns in den Wagen zu setzen. ‚Warte hier nur einen Augenblick‘, sage ich ihm, ‚ich laufe rasch hinein, ich habe meinen Geldbeutel vergessen! ‘ Und ich lief allein in die Wohnung zurück, direkt in die Kammer von Afanasi: ‚Afanasi‘, spreche ich, ‚ich habe dich gestern zweimal ins Gesicht geschlagen, verzeih mir! ‘ spreche ich. Er fuhr nur so zusammen, als ob er erschrocken sei, er blickt auf mich - und ich sehe, dass das zu wenig ist, und da plötzlich, wie ich war, in voller Uniform, krach! falle ich ihm zu Füssen mit der Stirn zur Erde: ‚Verzeih mir! ‘ spreche ich. Da ist er auch schon völlig betroffen: ‚Euer Wohl‐ geboren, Väterchen, gnädiger Herr, ja, wie können Sie nur - ja, bin ich das denn auch wert? ‘ Und er brach plötzlich selber in Weinen aus; ganz so wie vorhin ich, bedeckte er mit beiden Händen sein Gesicht, drehte sich zum Fenster und erzitterte nur so vor Schluchzen. Ich aber lief zu meinem Kameraden hinaus, sprang in den Wagen und schrie: ‚Los! - Hast du‘, rufe ich ihm zu, ‚einmal einen Sieger gesehen, da sitzt einer vor dir! ‘ 50 Ist das nun ein Sieg des elterlichen über das soldatische Über-Ich, und ist die Freude die Frucht dieses Sieges? Oder ist die Freude die Frucht des Um-Verzei‐ hung-Bittens und Verzeihung-Erlangens? Mit anderen Worten: Ist die Freude die Frucht der Versöhnung mit der eigenen Vergangenheit oder ist sie die Frucht der Tat gewordenen Anerkennung eines objektiven Sollens? 1.3 Der „ordo amoris“ und das Phänomen der Wertblindheit Im Unterschied zu Freud, der einem Naturalismus verhaftet blieb, auf den er die Kenntnisse reduzierte, die er aus der Psychopathologie gewonnen und unkri‐ 1.3 Der „ordo amoris“ und das Phänomen der Wertblindheit 285 <?page no="286"?> 51 Vgl. Ermanno P A V E S I , Die Aufhebung der Vernunft durch den Trieb bei Sigmund Freud und Carl Gustav Jung, S. 168. 52 F R E U D , Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, S. 79. 53 D E R S ., Eine Schwierigkeit der Psychoanalyse, S. 9. 54 D E R S . Abriss der Psychoanalyse, S. 67. 55 von H I L D E B R A N D , Die Unsterblichkeit der Seele, S. 302. 56 D E R S ., Christliche Ethik, 15. Kap., S. 209. 57 Vgl. S C H W A R Z , Der Irrtum in der Philosophie, Zweiter Abschnitt, 9. Kap., Die Doppelge‐ setzlichkeit des ‚ordo amoris‘, S. 180. 58 Vgl. A U G U S T I N U S , De doctrina christiana, 1,28 f. (CCSL 32, S. 22). tisch auf die Psychologie übertragen hatte, 51 begegnet bei von Hildebrand ein grundlegend anderes Wirklichkeitsverständnis. Während der „Seelenapparat der Person“ 52 für jenen „nichts Einfaches“ 53 und „das Seelenleben die Funktion eines Apparates ist, dem wir räumliche Ausdehnung und Zusammensetzung aus mehreren Stücken zuschreiben“ 54 , stellt für diesen „die Person gleichsam das Urbild des Substantiellen“ 55 dar. In der Analyse des Wesens des Gewissens geht er von der Erkenntnis aus, etwas sittlich Böses getan zu haben. Dann „ist diese geheimnisvolle Stimme in unserer Seele, die wir ‚Gewissen‘ nennen, beunruhigt; diese Stimme, die unerbittlich in uns spricht, zerstört den Frieden unserer Seele und bürdet uns eine mit nichts vergleichbare Last auf “ 56 . Lässt von Hildebrand den Gewissensspruch hier in der Erkenntnis gründen, „dass wir etwas sittlich Böses getan haben“, so ist diese Aussage Teil der um‐ fassenden Wahrheit, dergemäss die Stimme des Gewissens ertönt, sobald wir erkennen, dass wir etwas sittlich Böses bzw. Schlechtes getan, dass wir den von den sittlichen und den sittlich bedeutsamen Werten und Gütern ausgehenden Forderungen nicht entsprochen haben. Wobei das schweigende Gewissen nicht ein Beweis ist für das Nichtvorhandensein einer schlechten Handlung, denn die Stimme des Gewissens kann nur vernommen werden, wenn der sittlich bedeut‐ same Wert mitsamt seiner Forderung erfasst wird. Wenn ein Mensch eine schlechte Handlung vollziehen kann, ohne dass sein Gewissen ihn weder vor‐ hergehend warnt noch im Nachhinein anklagt, dann ist er, wie von Hildebrand sich ausdrückt, wertblind. Als Wertblindheit wird das Phänomen bezeichnet, das eintritt - vergleichbar mit dem existentiellen Vakuum -, falls der Mensch die an ihn ergehenden For‐ derungen nicht bzw. unangemessen beantwortet. Dann - so Balduin Schwarz, der implizit auf seinen Lehrer Dietrich von Hildebrand verweist - dann „tritt eine Gegengesetzlichkeit in Wirkung“, die vor allem in der „Verdunkelung der Erkenntnis“ besteht. 57 In dem Zusammenhang sprach schon Augustinus von der Ordnung der Liebe (ordo amoris), gegen die verstösst, wer geniesst, was nur zu gebrauchen (uti), und gebraucht, was zu geniessen (frui) ist. 58 Wenn von Hilde‐ 1 Die Bewegungsumkehr der Liebe oder Gott als Initiator des Dialogs 286 <?page no="287"?> 59 von H I L D E B R A N D , Das Wesen der Liebe, Kap. XIV, S. 458. (Kursiv im Orig.) 60 Ebd., Kap. XIV, S. 460. 61 D E R S ., Wahre Sittlichkeit und Situationsethik, S. 135. (Kursiv im Orig.) 62 Vgl. ebd., S 135 f. 63 Vgl. IV, 2.7.1 - „Das Verhältnis von sittlichem Sein und ethischer Werterkenntnis“. 64 Vgl. E M P E D O K L E S , Fragment 109: „Denn durch Erde schauen wir die Erde, durch Wasser das Wasser, durch Äther den göttlichen Äther, aber durch Feuer das vernichtende Feuer; die Liebe ferner durch unsere Liebe und den Hass durch unseren traurigen Hass.“ Zit. nach: D I E L S - K R A N Z (Hrsg.), Die Fragmente der Vorsokratiker, Band I, S. 351. 65 Vgl. Arthur S C H N E I D E R , Der Gedanke der Erkenntnis des Gleichen durch Gleiches in antiker und patristischer Zeit. brand auf die Ordnung der Liebe verweist, dann bezieht er sich vor allem auf den engeren Sinn, nämlich auf die „Frage, welche Personen wir mehr lieben sollen als andere“ 59 . An dieser Stelle interessiert der ordo amoris jedoch im wei‐ teren Sinn, demnach „der erste und massgebende Faktor der Rang des Wertes des jeweiligen Gutes“ ist und „die Antwort auf das höhere Gut ein ‚Mehr‘ enthält im Vergleich zu dem weniger hohen Gut“. 60 Wenn ein Mensch, so wurde weiter oben gesagt, eine schlechte Handlung vollziehen könne, ohne dass sein Gewissen ihn weder vorhergehend warne noch im Nachhinein anklage, dann sei er wertblind. Gleichwohl ist das Gewissen „nicht das Organ […], mit dem wir sittlich relevante Werte oder sittliche Werte schlechthin erfassen“ 61 . „Den Wert einer menschlichen Person, den geheiligten Charakter des Menschenlebens, die Würde der Wahrheit erfassen wir nicht durch das Gewissen. Das Gewissen setzt die Kenntnis der Werte voraus“ und „zielt […] bei seiner Betätigung stets auf konkrete Situationen ab“. 62 Wobei der Mensch sich gerade dann in Unkenntnis der Werte befindet, wenn er wertblind ist. So verschieden die jeweilige Ausprägung im Einzelnen nun auch sein mag, eines haben alle Arten der Wertblindheit gemeinsam: sie alle haben ihren Ur‐ sprung im sittlichen Sein der jeweiligen Person, d. h. im Verstoss gegen den ordo amoris. Was hierunter des Näheren verstanden sein will, sei in der Folge ausei‐ nandergesetzt. Dass der ordo amoris aber auch einen entgegengesetzten Verlauf nehmen, also zu einer Verbesserung der Erkenntnisfähigkeit führen kann, wird weiter unten zu besprechen sein. 63 Seit Empedokles (492-432 v. Chr.) den Gedanken in die Welt gesetzt hat, dass Gleiches durch Gleiches erkannt werde, 64 haben sich verschiedene Denker darum bemüht, dieses Axiom zu verstehen. Das bezieht sich allerdings nur auf die antike und die patristische Zeit, 65 in den Darstellungen späterer Philosophen sucht man es meist vergebens. Ein klassischer Erklärungsversuch findet sich etwa bei Plotin (204-269 n. Chr.). Auch er baut mit seinem Wort, dass man „das Sehende dem Gesehenen verwandt und ähnlich [συγγενὲς καὶ ὅμοιον] machen 1.3 Der „ordo amoris“ und das Phänomen der Wertblindheit 287 <?page no="288"?> 66 P L O T I N , Enneade, I 6, 9, S. 25. 67 In dieser Traditionslinie liegt auch Goethe (1749-1832), der den Gedanken in seine Sammlung von Denk- und Weisheitssprüchen aufgenommen hat: „Wär’ nicht das Auge sonnenhaft, die Sonne könnt’ es nie erblicken; läg’ nicht in uns des Gottes eigne Kraft, wie könnt’ uns Göttliches entzücken? “ (G O E T H E , Zahme Xenien, III. Kap., S. 57) 68 von H I L D E B R A N D , Sittlichkeit und ethische Werterkenntnis, II. Teil, 4. Kap., a), S. 77. 69 Ebd. 70 Vgl. ebd. 71 Vgl. ebd., II. Teil, 4. Kap., c), S. 80. [müsse], wenn man sich auf die Schau richtet“, denn „kein Auge könnte je die Sonne sehen, wäre es nicht sonnenhaft“, 66 auf dem Diktum von Empedokles auf. 67 Doch warum sich dies so verhält, warum das Subjekt dem Objekt gleichen muss, um es erkennen zu können, und worin diese Gleichheit überhaupt besteht, vermochte auch er nicht näher zu begründen. Zur Klärung dieses alten Prob‐ lems, das seit Empedokles ungelöst ist, vermochte von Hildebrand mit seiner Habilitationsschrift Sittlichkeit und ethische Werterkenntnis einen bedeutenden Beitrag zu leisten. 1.3.1 Die Grundstellung und die totale konstitutive Wertblindheit Diese Sichtweise ist gegenwärtig zu halten, wenn es auf den folgenden Zeilen die erkenntnismässige Bedeutung der Gleichartigkeit zu untersuchen gilt. Die Charakterisierung der verschiedenen Wertblindheitstypen beginnt von Hilde‐ brand mit den Menschen, „die nicht nur einzelnen Werttypen ahnungslos ge‐ genüberstehen, sondern dem Sittlichen überhaupt“ 68 . Gut und böse, so von Hil‐ debrand, „sind für sie nur Termini, deren innere Bedeutung sie in keiner Weise sehen, geschweige denn fühlen“ 69 . Die Welt steht ihnen völlig „sittlich wertfrei“ gegenüber, sie „rechnen mit den sittlichen Werten, wie wir mit dem Aberglauben gewisser Leute rechnen, entweder überlegen darüber lächelnd oder mit hasser‐ füllter Gegeneinstellung“. 70 Solch eine totale Blindheit für sittliche Werte kann in zwei Spielarten auf‐ treten, von denen die eine dem Hochmut, die andere der Begehrlichkeit ent‐ stammt. Die dem Hochmut entstammende bezeichnet von Hildebrand als wert‐ feindliche, die der Begehrlichkeit entstammende als wertgleichgültige Blindheit. Während der Hochmütige die Grundwerte „gut“ und „böse“ zwar „nicht in ihrer immanenten ewigen Bedeutung“, zumindest aber „eine gewisse formale Ei‐ genart derselben“ versteht, sind diese Grundwerte dem stumpf Begehrlichen schlicht gleichgültig. 71 In seiner begehrlichen Einstellung sieht er nur die Welt, soweit sie als Lustobjekt für ihn in Frage kommt. „Bei den meisten realen Fällen 1 Die Bewegungsumkehr der Liebe oder Gott als Initiator des Dialogs 288 <?page no="289"?> 72 Ebd., S. 82. 73 Vgl. oben III, 9.1 - „Die Grundstellung und die moralischen Zentren“. 74 Vgl. von H I L D E B R A N D , Sittlichkeit und ethische Werterkenntnis, III. Teil, 2. Kap., b), § 1, S. 124. 75 Ebd. 76 Ebd., II. Teil, 4. Kap., c), S. 82. 77 Ebd., II. Teil, 1. Kap., a), S. 49. totaler Blindheit finden wir jedoch ein Gemisch dieser beiden Einstellungen vor, bei dem bald das eine, bald das andere Element vorherrscht.“ 72 Von Interesse ist nun die Frage, wie es überhaupt soweit kommen kann bzw. wie das sittliche Sein einer total sittlich wertblinden Person beschaffen ist. Zur Beantwortung muss das über die drei moralischen Zentren und die Grundstel‐ lung Gesagte in Erinnerung gerufen werden. 73 Jede Person, so wurde an jener Stelle gesagt, habe irgendeine allgemeinste Stellungnahme zur Welt des Sittli‐ chen und sittlich Bedeutsamen eingenommen. Ob dies explizit oder implizit ge‐ schehen sei, sei für ihr reales Vorhandensein unerheblich, denn sie sei auch „ohne jegliche moralische Intention vorhanden“. 74 Die Person, so von Hilde‐ brand, befinde sich in ihr „kraft ihrer natürlichen ‚Gravitation‘“ 75 , worunter das Angezogenwerden durch die drei moralischen Zentren, das wertantwortende, das hochmütige und das begehrliche, zu verstehen sei. Bei einer total sittlich wertblinden Person sind die wertverdunkelnden Zentren, sind Hochmut und Begehrlichkeit zu einer vollkommenen Herrschaft gelangt, währenddem das wertsuchende Ich gänzlich unaktualisiert verbleibt. „Erst mit dem Verschwinden dieser völligen Herrschaft und einer wenn auch noch sehr bedingten Hingabe an das Sittliche kann ein Verständnis für den sittlichen Grundwert und für eine bestimmte Anzahl konkreter Werttypen anfangen.“ 76 1.3.2 Die Antworten auf individuelle Güter und die Subsumptionsblind‐ heit „Es ist eine bekannte Tatsache, dass der sichere Blick für recht und unrecht leiden kann, wenn unser persönliches Interesse beteiligt ist.“ 77 Diese nur allzu bekannte Tatsache verdeutlicht sich an folgendem Beispiel in aller Schärfe: Jemand, der in glücklicher Ehe gelebt hat, lernt eine andere Frau kennen, für die ihn eine periphere, aber heftige Leidenschaft erfasst. Er, der vorher ein feines Gefühl dafür hatte, welche Grenzen der Freundschaft mit einer andern Frau durch die Ehe gesetzt sind, ist nun plötzlich blind dafür geworden. Es erscheint ihm harmlos und erlaubt, in seinem Gedanken sich in erster Linie mit ihr zu beschäftigen, seine Neigung ihr ge‐ genüber ruhig kundzugeben, einen Ton im Verkehr anzuschlagen, der langsam zu 1.3 Der „ordo amoris“ und das Phänomen der Wertblindheit 289 <?page no="290"?> 78 Ebd., S. 50. 79 D E R S ., Christliche Ethik, 17. Kap., S. 277. 80 D E R S ., Sittlichkeit und ethische Werterkenntnis, II. Teil, 1. Kap., b), S. 51. Zum Sirenen‐ gesang vgl. auch D E R S ., Reinheit und Jungfräulichkeit, Zweiter Teil, 1. Kap., S. 35 f. 81 Vgl. D E R S ., Sittlichkeit und ethische Werterkenntnis, II. Teil, 1. Kap., b), S. 52. 82 Ebd., II. Teil, 1. Kap., b), S. 54. 83 Ebd. grösseren Vertraulichkeiten fortschreitet. Früher hätte er an andern ein solches Ver‐ halten missbilligt, er hätte zum mindesten deutlich gesehen, dass es nicht recht ist. Jetzt ist er völlig stumpf dafür. Er sieht es nicht etwa und flieht nur bewusst vor seiner Einsicht, um dem Trieb nachgeben zu können, sondern er ist wirklich blind dafür geworden. Alle Vorstellungen und Versuche unsererseits, ihn auf den Unwert hinzu‐ weisen, indem wir ihn an seinen eigenen früheren Standpunkt erinnern, stossen auf taube Ohren. Er antwortet etwa: Ja, das ist jetzt ein ganz anderer Fall; oder: Jetzt merke ich, wie übertrieben meine frühere Auffassung war, ich sah es nur von aussen, und ähnliches. Nicht das Verständnis für den Wert „eheliche Treue“ überhaupt ist ver‐ schwunden, wohl aber, dass ein solches Verhalten wie das seine einen Verstoss gegen dieselbe bedeutet, oder zum mindesten, dass dieser individuelle Fall unter diese Rubrik fällt. 78 Damit aber die Subsumption eines „einzelnen konkreten Falles unter ein allge‐ meines Prinzip durch das Dazwischentreten unseres Interesses gehemmt“ 79 werden kann, müssen mehrere Elemente zusammenkommen, und zwar objek‐ tive wie subjektive. Das beteiligte objektive Element ist der verschleiernde „Si‐ renengesang der Triebe“ 80 , die Benebelung durch die sinnlichen Leidenschaften. Dieses Element ist bei allen Fällen von Subsumptionsblindheit gegeben. Da aber nicht jeder durch die Benebelung der sinnlichen Leidenschaften dieser spezifi‐ schen Blindheit verfällt, müssen auf der Seite der Person immer noch weitere Elemente hinzukommen. Zum einen jene „besondere Form von Gewissenssub‐ jektivismus“, das ist eine Haltung, „die sich auf die Unfehlbarkeit des jeweiligen eigenen Eindruckes verlässt und gewissermassen nicht glauben oder nicht zu‐ gestehen will, dass man dieser Täuschung notwendig verfällt, wenn man sich auf den Eindruck verlässt“. 81 Zudem liegt bei allen Fällen von Subsumptions‐ blindheit stets ein unbewusstes Nichtsehenwollen vor. Ein Nichtsehenwollen, das bei genauerer Betrachtung seine Tendenz offenbart, „dem Konflikt von sitt‐ lichem Gebot und Neigung aus dem Weg zu gehen“ 82 . Diese Tendenz selbst hat ihrerseits zwei Voraussetzungen in der Person. „Einmal muss eine sittliche Grundeinstellung vorliegen, die mindestens eine Scheu vor dem Unsittlichen einschliesst. Sonst würde der Konflikt mit dem sittlichen Gebot nicht gemieden werden.“ 83 Sodann ein Hängen am Angenehmen, für das eine stete Bereitschaft 1 Die Bewegungsumkehr der Liebe oder Gott als Initiator des Dialogs 290 <?page no="291"?> 84 Vgl. ebd. 85 Ebd., II. Teil, 1. Kap., e), S. 61. 86 Ebd. 87 Vgl. ebd. 88 Vgl. ebd., II. Teil, 2. Kap., S. 64 f. Vgl. auch Die Gefahr der sittlichen Abstumpfung. 89 Vgl. D E R S ., Moralia, 28. Kap., S. 294. in der Person vorhanden ist. Es fehlt ihr „die innere Entschiedenheit, auf das Angenehme überall da, wo es mit sittlichen Unwerten verbunden ist, zu ver‐ zichten“, an der Stelle der Verzichtsbereitschaft befindet sich vielmehr „eine ge‐ öffnete Erwartung für alles Angenehme, die alles Angenehme ohne weiteres willkommen heisst“. 84 Personen, bei denen diese beiden Voraussetzungen gegeben sind, versuchen immer, das Gute mit dem Angenehmen zu verbinden. Damit und nur damit ist dann auch der Boden bereitet, auf dem eine konkrete Leidenschaft, ein konkretes Interesse Blindheit für eine individuelle Situation und deren sittliche Bedeutung herbeizuführen vermag. Es muss aber nochmals betont werden: Sowohl die vernebelnde, wertver‐ dunkelnde Wirkung der Leidenschaft als auch die konfliktvermeidende Tendenz sind unbewusst, ja müssen unbewusst sein. Denn ist die Person sich ihrer so inne geworden, „dass sie sich bewusst ‚vor ihr‘ vollziehen, so findet eine Wertver‐ dunkelung nicht statt, sondern ein offener Konflikt“ 85 . Die Herrschaft des wert‐ verdunkelnden Elementes muss also „hinter der aktuellen Sphäre und in einer tieferen Schicht erfolgen als das Werterfassen bzw. das Nichterfassen des Wertes“ 86 . Aus eben dem Grund, weil die Wertverdunkelung schon die Fähigkeit unterbinden muss, den konkreten Wert zu erfassen, auf dass ein aktuelles Werterfassen unmöglich wird. 87 1.3.3 Die Handlungen und die Abstumpfungsblindheit Von Hildebrand beginnt auch die Analyse des nächsten Blindheitstyps auf phä‐ nomenalem Boden. Diesmal ist es die Tatsache, dass durch das häufige Begehen einer sittlich schlechten oder bösen Handlung das Gewissen in diesem Punkt abstumpft. 88 Wie bei der Besprechung der Grundstellung auseinandergesetzt wurde, entstammt das Schlechte dem moralischen Zentrum der Begehrlichkeit, das Böse dagegen dem Hochmut. 89 Die Abstumpfung des Gewissens durch die häufig begangenen schlechten oder bösen Handlungen „erstreckt sich aber auch auf das Wertfühlen und weiterhin auf das Wertsehen“, und mit jeder neuen 1.3 Der „ordo amoris“ und das Phänomen der Wertblindheit 291 <?page no="292"?> 90 Vgl. D E R S ., Sittlichkeit und ethische Werterkenntnis, II. Teil, 2. Kap., S. 65. 91 Vgl. ebd., S. 66. 92 Ebd., S. 67. 93 Ebd., II. Teil, 3. Kap., a), S. 69. 94 Ebd., II. Teil, 3. Kap., b), S. 74. 95 Ebd. schlechten oder bösen Handlung „wächst die Abstumpfung“. 90 Mit der Zeit führt dies zu einer grösseren oder kleineren Wertblindheit. Doch reicht die schlechte Handlung alleine noch nicht hin, um diese Blindheit zu konstituieren. Es bedarf immer auch einer bestimmten sittlichen Grundhal‐ tung, und zwar einer laxen Grundhaltung. 91 Die laxe Grundhaltung ist dadurch charakterisiert, dass sie „erstens nicht vor allem auf das Sittliche gerichtet ist, zweitens das Kampfgebiet gegen die Sünde möglichst einzuschränken sucht, drittens dem Hochmut noch so weit verschrieben ist, dass sie das Eingeständnis der sittlichen Schuld nicht leicht aufkommen lässt“ 92 . Aus dem Zusammen‐ kommen dieser beiden Faktoren, der laxen Grundhaltung und dem wiederholten Vollzug schlechter oder böser Handlungen, resultiert schliesslich diese spezifi‐ sche Blindheit. 1.3.4 Die kategorialen Grundhaltungen und die partielle Wertblindheit „Wir treffen manchmal Menschen, die wohl für viele Tugenden Verständnis haben, wie Gerechtigkeit, Treue, Wahrhaftigkeit, für andere hingegen völlig blind sind, z. B. Keuschheit.“ 93 Während bei der totalen Wertblindheit jegliches Verständnis für den Grundwert „gut“ und infolgedessen auch für die einzelnen Werttypen fehlt, hat der partiell Wertblinde ein gewisses Verständnis für den Grundwert und folglich auch für bestimmte Werttypen. Dieses Verständnis rührt daher, dass das wertantwortende Zentrum an Herrschaft gewonnen und die Grundstellung sich gehoben hat. Die partielle Wertblindheit scheidet sich in zwei Unterarten: in die konstitu‐ tive partielle Wertblindheit und die Verdunkelungsblindheit. Erstere besteht darin, „dass jemand für die niedrigeren Werte Verständnis hat, für die höheren aber nicht, also z. B. für Wahrhaftigkeit, aber nicht für Demut“ 94 . Dass die konstitutive partielle Wertblindheit „durch die primitivere Qualität und die formal relative Natur der sittlichen Grundhaltung gegeben“ 95 ist, lässt sich aufgrund des im Zusammenhang mit der totalen Wertblindheit Gesagten unschwer einsehen. Wie es aber dazu kommen kann, dass Werte nicht erkannt werden, die sich auf gleicher Höhe mit solchen befinden, die die Person zu erkennen vermag - „also 1 Die Bewegungsumkehr der Liebe oder Gott als Initiator des Dialogs 292 <?page no="293"?> 96 Ebd. 97 Ebd., II. Teil, 3. Kap., b), S. 75. 98 Ebd. 99 Ebd. 100 Ebd. z. B. wenn jemand den Unwert der Ungerechtigkeit versteht, aber für den des ‚Geizes‘ blind ist“ 96 -, ist hingegen nicht mehr so evident. Bei der Verdunkelungsblindheit „handelt es sich um die Blindheit für einen Werttypus, der nicht schon durch die relative Grundhaltung unerreichbar ist“ 97 . Der Werttyp gehört dabei einer Gruppe an, „die auch bei der Stufe der Absage an die Begehrlichkeit und an den Hochmut im Ganzen verständlich ist“ 98 . Doch bedürfte es aufgrund der individuellen Anlage einer Person bei einer konkreten Begehrlichkeitsrichtung, z. B. der Habsucht, „eines Kampfes, für den die Grund‐ haltung auf Grund ihrer formalen Relativität wieder nicht ausreicht. Es kommt daher zu einer tiefen Herrschaft dieser Begehrlichkeitsrichtung, die den kon‐ kreten Wert verdunkelt.“ 99 Allerdings kann ein Verständnis für Werte der glei‐ chen Höhe vorhanden sein, „wenn dort eine Anlage fehlt, die zu diesem kon‐ kreteren Hingegebensein verleitet“ 100 . Grundsätzlich sind den partiell Wertblinden alle jene Personen zuzurechen, in denen das wertantwortende Zentrum und Hochmut und Begehrlichkeit ko‐ existieren. Was die innere Gliederung betrifft, unterlag von Hildebrand einer gewissen Entwicklung. Während er in Sittlichkeit und ethische Werterkenntnis (1918) die partielle Wertblindheit in die konstitutive partielle Wertblindheit und die Verdunkelungsblindheit unterteilt, nimmt er in Substitute für wahre Sittlich‐ keit (1957) eine andere Kategorisierung vor. Er unterteilt die partielle sittliche Wertblindheit nun in die existentielle, die theoretische und die durch Substitute hervorgerufene. Die existentielle deckt sich vollkommen mit der konstitutiven partiellen Wertblindheit. Beide beziehen sich auf die durch die Grundstellung beeinflussten objektiven Schwierigkeiten des Verstehens sittlicher Werte. Da‐ gegen haben sowohl die theoretische wie auch die durch Substitute hervorge‐ rufene Wertblindheit ihre eigenen individuellen Merkmale. Von Hildebrand unterscheidet auch andere Typen teilweiser sittlicher Wert‐ blindheit, in denen dieser Parallelismus nicht vorkommt. Mit Parallelismus ist hier gemeint, dass je nach Höhe des Wertes die Person sich umso mehr von Hochmut und Begehrlichkeit befreien muss, um ihn verstehen zu können. Dabei bezieht er sich auf die literarische Figur des Raskolnikow in Dostojewskis Schuld und Sühne, der eine tiefe Einsicht in die Unsittlichkeit der Unreinheit hat, die Würde des menschlichen Lebens jedoch nicht erfasst. „Er glaubt, die Tötung eines bösen, erbärmlichen Geschöpfes, wie sein Opfer, sei nicht ärger als eine 1.3 Der „ordo amoris“ und das Phänomen der Wertblindheit 293 <?page no="294"?> 101 D E R S ., Substitute für wahre Sittlichkeit, 2. Kap., S. 25 f. 102 Ebd., S. 34. 103 Vgl. ebd. 104 D E R S ., Tugend heute, S. 74 105 Ebd., S. 84. Laus zerdrücken. Ohne Zweifel hat er sich vor dem Mord mit Erfolg eingeredet, es sei sittlich erlaubt, die alte Frau zu erschlagen.“ 101 Raskolnikow ist zwar fähig, höhere sittliche Werte zu erkennen, für einen viel offenkundigeren, sittlich be‐ deutsamen Wert aber ist er blind. Er erkennt die Unsittlichkeit der Unreinheit, bleibt aber blind für die jedem Menschen eignende Würde. Und das aufgrund der fixen Idee, böse, nutzlose Menschen zu töten, sei gerecht. Mit der dritten Form partieller sittlicher Wertblindheit, der durch Substitute hervorgerufenen, ist man da konfrontiert, wo aussersittliche Werte, z. B. Tradi‐ tion, Staatsgesetze, Ehre, Pflicht etc. so überbetont werden, dass sie das sittliche Organ verbilden. Obwohl die formale Struktur der Sittlichkeit bei solchen Per‐ sonen intakt ist, obwohl ihr Gewissen sie anklagt, wenn sie gegen eines dieser Substitute verstossen, ist der qualitative Gehalt der Sittlichkeit trotzdem ver‐ zerrt. „Die Moral eines Substitutes trägt einen unbewussten Kompromiss zwi‐ schen dem wertantwortenden sittlichen Zentrum und Hochmut und Begehr‐ lichkeit in sich.“ 102 Der Kompromiss wird dabei „in einer tiefen Schicht geschlossen“, wobei „Hochmut und Begehrlichkeit gleichsam ‚geschont‘“ werden, indem man „einen aussersittlichen Wert oder Massstab an die Stelle der sittlichen Norm“ stellt. 103 Mit diesen Erkenntnissen über die Substitute war von Hildebrand auch in der Lage, den ethischen Relativismus, den er zwar längstens durch die Herausar‐ beitung der Objektivität der sittlichen Werte widerlegt hatte, in seinen Schluss‐ folgerungen als falsch auszuweisen. Denn wenn der ethische Relativist aufgrund der sich nach Ort und Zeit verändernden Moralen behauptet, das sittlich Gute und Böse seien blosse Illusionen, die Dinge seien in Wirklichkeit neutral, oder wenn er sagt, das, was die Leute sittlich gut und böse nennen, sei nur Konven‐ tion, sei nur die soziale Perspektive einer bestimmten Gemeinschaft, dann hält ihm von Hildebrand entgegen: „Es ist niemals das genuin Sittliche, das sich wandelt, sondern es sind diese Substitute für Sittlichkeit, die je nach Epochen und je nach politischen und kulturellen Gemeinschaften wechseln.“ 104 Überdies sind es auch gar nicht die genuin sittlichen Werte, die einem Wandel unterliegen, sondern die sittlich bedeutsamen Werte. Und überhaupt ist nicht Verschiedenes zu verschiedenen Zeiten gut, „sondern das, was von dem Ge‐ samtbereich des objektiv Geforderten sich für den Blick des Menschen verdun‐ kelt, ist verschieden zu verschiedenen Zeiten“ 105 . Kurzum: „Nicht die Moralen 1 Die Bewegungsumkehr der Liebe oder Gott als Initiator des Dialogs 294 <?page no="295"?> 106 Ebd. 107 Zu einigen weiteren Blindheiten der gegenwärtigen Epoche vgl. D E R S ., Der verwüstete Weinberg, I. Teil, 4. Kap., S. 32-62. 108 Vgl. F E U E R B A C H , Das Wesen des Christentums, 1. Kap., S. 39 f. variieren, sondern die ‚Wertblindheiten‘ variieren in den verschiedenen Zeit‐ epochen.“ 106 War man in früheren Zeiten beispielsweise, in denen die Sklaverei oder die Leibeigenschaft eine Selbstverständlichkeit waren, blind für die Men‐ schenwürde, so ist man es heute für das Lebensrecht der Ungeborenen ebenso wie für dasjenige der Alten und Kranken. 107 1.4 Hat Feuerbachs Nichterkennen der Existenz Gottes moralische Gründe? Von Hildebrands detaillierte Klärung der Genese der Wertblindheit eröffnet an dieser Stelle auch die Möglichkeit, die Frage näherhin zu prüfen, ob Feuerbachs Nichterkennen der Existenz Gottes moralische Gründe hat. Das Studium der Schriften Feuerbachs lässt jedenfalls kein anderes Urteil zu, als dass er über umfangreiche philosophische und theologische Kenntnisse verfügte. Doch wenn dem so ist, wenn er verstandesmässig wirklich über eine beachtliche Bil‐ dung verfügte, warum hat er Gottes Existenz dann nicht erkannt? Die Frage drängt sich umso mehr auf, als der Sachverhalt der notwendigen Existenz des vollkommenen Wesens mit Gewissheit erkannt werden kann. Sicherlich zeichnen sich dafür mitunter auch methodische Gründe verantwortlich. Doch stehen diese am Anfang, oder ist die Methodenwahl die Folge einer anderen Weichenstellung? Weiter oben wurde auf die Stelle hingewiesen, an der Feuerbach auf „die ei‐ gentliche Menschheit im Menschen“ eingeht und sie in der Einheit von Ver‐ nunft, Wille und Herz begründet sieht. 108 Was er trotz der Berufung auf ihre Einheit jedoch zu wenig beachtet hat, ist die wechselseitige Beziehung, in der sie zueinander stehen. Ebensowenig erweckt er den Anschein, als hätte er ver‐ standen, dass die Kräfte, die der Freiheit unterliegen, nämlich der Wille und das Herz, auf diejenige Kraft einwirken, die der Freiheit nicht im selben Sinne un‐ terliegt: nämlich auf die Vernunft. Dieses Einwirken geschieht mittels der Stel‐ lungnahmen und Antworten, die den ins Wahrnehmungsfeld tretenden Sei‐ enden erteilt werden. Wobei sie nicht alle gleichviel „zählen“. Denn es besteht ein nicht zu leugnender Unterschied etwa zwischen der Zahl 17 und einem Diebstahl, ein Unterschied zwischen etwas Neutralem und etwas (negativ) Be‐ deutsamem. Dass nur das Bedeutsame eine Antwort des Willens und des Her‐ 1.4 Hat Feuerbachs Nichterkennen der Existenz Gottes moralische Gründe? 295 <?page no="296"?> 109 Ebd., 24. Kap., S. 342. 110 D E R S ., Das Wesen des Glaubens im Sinne Luthers, S. 45. 111 Vgl. etwa D E R S . Grundsätze der Philosophie der Zukunft, § 33, S. 89. 112 Vgl. M U E L L E R , Ludwig Feuerbach - ein freigeistiger Humanist und Philosoph, S. 6. 113 Vgl. N E S K O V I C , Feuerbachs Weg von der Theologie zur Anthropologie, S. 240. zens zu motivieren vermag, ist evident und bedarf keiner weiteren Erklärung. Es muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass es entscheidend ist, ob es sich um etwas handelt, das nur für mich von Bedeutung ist, oder ob ihm die Bedeu‐ tung aus sich selber zukommt. Tritt dem Menschen nun ein Seiendes gegenüber, das ihn motiviert und ihn zu einer Antwort auffordert, so betreffen seine affek‐ tiven und voluntativen Antworten nicht alleine das Seiende, das aktuell thema‐ tisch ist, vielmehr wirken sie auf indirekte Weise auch auf ihn selber ein. So wirkt er über diese freien Antworten nicht nur an der Ausgestaltung seiner überaktuellen ethischen Haltung mit, infolge der wechselseitig geeinten Geis‐ teskräfte wird auch die Vernunft beeinflusst. Und sofern das in sich Bedeutsame dem bloss subjektiv Bedeutsamen vorgezogen, das negativ Bedeutsame aber ablehnend beantwortet wird, entfalten diese Antworten ihre intellektöffnende Wirkung. Wird hingegen das bloss subjektiv Bedeutsame dem in sich Bedeut‐ samen vorgezogen oder gar das negativ Bedeutsame zustimmend beantwortet, führt dies je nach Gegenstand und Art der Antwort sozusagen zu einem intel‐ lektuellen Selbstverschluss. Und zwar wird der erkenntnismässige Zugang zur Transzendenz in dem Masse unterbunden, in dem das bloss subjektiv Bedeut‐ same dem in sich Bedeutsamen vorgezogen wird. Wie soll dies nun in Feuerbachs Falle gedeutet werden? Ist sein Umgang mit der Gottesfrage ebenso wie mit den erkenntnistheoretischen Prinzipien, ja sein Nichtausschöpfen seiner intellektuellen Möglichkeiten insgesamt, ist all das auf seine Willens- und Herzensantworten zurückzuführen? Wie war sein Wille denn gerichtet? Was bejahte, was liebte er? Was war sein Höchstes, wer sein Gott? „Der Mensch ist der offenbare Gott“ 109 . „Gott ist nicht Gott, d. h. nicht unmenschliches, unsinnliches Wesen; er ist Liebe, er ist Mensch.“ 110 Feuerbachs Liebe galt dem Menschen. Doch da ihm „Liebe“ nur ein anderes Wort für „Emp‐ findung“ war, 111 galt seine Liebe dem Sinnlichen schlechthin. Wenn seine Liebe aber ausschliesslich dem Sinnlichen galt, kann es auch nicht sonderlich ver‐ wundern, dass er keinen erkenntnismässigen Zugang zum Sein des vollkom‐ menen Wesens hatte. Hat Feuerbach die „gnoseologischen Wurzeln der Religion“ also tatsächlich entschlüsselt und den „Kern der Theologie freigelegt“, 112 oder hat er die „die vollständige philosophische Reife“ vielmehr überhaupt nie erreicht? 113 Wie sich gezeigt hat, blieb er aufgrund seiner sensualistischen Prinzipien auf den Bereich 1 Die Bewegungsumkehr der Liebe oder Gott als Initiator des Dialogs 296 <?page no="297"?> 114 Vgl. oben II, 5.1.5.2 - „Die göttlichen Prädikate als menschliche Vergegenständlichung? “ des Sinnlichen verwiesen und beurteilte die metaphysischen Objekte als blossen Schein und reduzierte sie auf menschliche Einbildung. Was auch und vor allem das Wesen Gottes betraf, welchem die Existenz aufgrund seiner Vollkommenheit nicht notwendigerweise zukäme, welchem die Menschen vielmehr ihre zu un‐ endlicher Perfektion gesteigerten Eigenschaften zuschreiben würden. Diese Be‐ hauptungen wurden auf den vergangenen Seiten einer Kritik unterzogen, wobei die Erkenntnismöglichkeiten des Menschen offen gelegt und Feuerbachs Stei‐ gerungshypothese als ungültig ausgewiesen wurde. Denn wie soll die Steige‐ rung einer Eigenschaft in endlicher Perfektion in die Erkenntnis ihrer unendli‐ chen Perfektion münden? Kann man denn auf etwas schliessen, das man nicht kennt? Wenn man es aber kennt, woher anders als aus der Intuition einer in sich notwendigen transzendenten Grösse, nämlich des notwendigen Wesens der Unendlichkeit? ! 114 Auch seine Zurückweisung des ontologischen Gottesbeweises, die sich aus seinen sensualistischen Prinzipien ja unweigerlich ergeben musste, hielt der Kritik nicht stand. Denn mittels der reinen Vollkommenheiten und nur mittels der reinen Vollkommenheiten kann das vollkommene Wesen widerspruchsfrei gedacht und der darin gründende Sachverhalt der notwendigen Existenz zwei‐ felsfrei erkannt werden. Was anderes könnte daraus auch folgen, dass die reinen Vollkommenheiten sich gegenseitig bedingen und viele reine Vollkommen‐ heiten einen personalen Träger voraussetzen, als dass die vollkommene Person notwendigerweise existiert, ja nur als existierende vollkommen ist? ! Diese Ar‐ gumentationslinie mündet allerdings nur bei der Person und nur in dem Masse in die Erkenntnis der notwendigen realen Existenz der vollkommenen Person, die nicht nur die notwendigen intellektuellen Bedingungen erfüllt, sondern auch die affektiven und die voluntativen, ja das wertantwortende Zentrum eine hin‐ reichend beherrschende Stellung eingenommen hat. 1.5 Sossimas Wandel Im Lichte dieser Unterscheidungen lässt sich nun auch verstehen, weswegen Sossima die ganze Schlechtigkeit seiner Tat fühlte. Notwendigerweise muss seine Willensrichtung sich verändert haben. Die Kadettenideale hatten die sitt‐ lichen und die sittlich bedeutsamen Werte wohl vernebelt, nicht aber gänzlich verdunkelt. Denn das Streben nach dem Wahren und Guten muss unter‐ schwellig in ihm vorhanden geblieben sein, ansonsten hätte er den Ruf des Ge‐ 1.5 Sossimas Wandel 297 <?page no="298"?> 115 D O S T O J E W S K I , Die Brüder Karamasow, S. 507. 116 Ebd. 117 von H I L D E B R A N D , Sittlichkeit und ethische Werterkenntnis, II. Teil, 1. Kap., d), S. 59. wissens nicht über Nacht vernommen. Dostojewski lässt seinen Sossima ja aus‐ drücklich sagen: „mit der neuen Erziehung betäubte ich vieles von den Eindrücken der Kindheit, wenn ich auch gar nichts vergass“ 115 . Betäuben, doch nicht vergessen. Diese Betäubung ist nichts anderes als die Folge des Sein-Wollens-wie-die-Anderen. Wenngleich das Nachfolgen-Wollen den Men‐ schen mitunter auch vom Schlechten zum Guten überführen kann, verhält es sich bei Sossima gerade umgekehrt. Durch das schlechte Beispiel im Kadettenkorps wurden viele der Eindrücke der Kindheit betäubt, er verwandelte sich „in ein fast wildes, grausames und albernes Geschöpf “ 116 . In diesem Stadium waren weder eine moralische Grund‐ haltung noch eine Grundintention vorhanden, seine Grundstellung war näher beim Hochmut und bei der Begehrlichkeit denn beim wertantwortenden Zentrum. Ein Wertsehen, ganz zu schweigen von einem Wertfühlen, ist in diesem Zustand nicht möglich, wie die Misshandlung seines Diener beweist. Wenn er am nächsten Morgen den Gewissensspruch vernimmt, dann muss sich seine Grundstellung im Laufe der Nacht verändert haben. Und zwar durch den Gewissensspruch, der ihn in der Tiefe seines Herzens getroffen hat. Dass er zu dem Zeitpunkt nicht bei vollem Bewusstsein war, ist in keiner Weise ein Argu‐ ment gegen die Möglichkeit und die Tatsache seiner Willensänderung. Es ist vielmehr gerade dieser Zustand, der den intentionalen Wandel hat bewirken können. Denn der Mensch verfügt neben einem aktuellen und einem überak‐ tuellen Bewusstsein auch über ein Unbewusstes, das jedoch nicht mit dem Un‐ bewussten der Tiefenpsychologie zu identifizieren ist. Denn hier ist die Rede von echt intentionalen Erlebnissen, „die die Person nicht als das rekognosziert hat, was sie sind. Wir sehen z. B., dass jemand einen anderen liebt, ohne dass er es selbst weiss“ 117 . Solch unbewusste Stellungnahmen üben einen nicht zu un‐ terschätzenden Einfluss auf den Menschen aus. Auch bei Sossima muss davon ausgegangen werden, dass er das wilde, grausame und alberne Leben im Ka‐ dettenkorps zwar übernommen, im Tiefsten aber abgelehnt hat. Sodass er im Tiefsten immer schon eine intentionale Gerichtetheit auf das sittliche Leben hatte, die aufgrund des Umfeldes, in dem er sich zu der Zeit befand, aber nicht zum Durchbruch kommen konnte. Das Umfeld zerbarst erst zu dem Zeitpunkt, als er seinen Diener misshandelte. Womit er mindestens eine der Forderungen der Menschenwürde aufs brutalste missachtete, was wiederum bei aktuellem Bewusstsein keinen Misston in ihm erklingen liess, der aber auf der unbe‐ wussten Bewusstseinsschicht - während dem Schlaf - sein Inneres zerriss. 1 Die Bewegungsumkehr der Liebe oder Gott als Initiator des Dialogs 298 <?page no="299"?> 118 F R E U D , Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, S. 68. 119 Vgl. A U G U S T I N U S , De civitate Dei, 11,26 (CCSL 48, 345 f.). 120 Ebd. (CCSL 48, 345). Zit. nach der Übersetzung von Wilhelm T H I M M E , Vom Gottes‐ staat, S. 43. Was ist das also für eine Stimme, die Dostojewskis Sossima in seinem Innern ebenso vernommen hat wie der platonische Sokrates und Seneca ebenso wie unzählige andere Menschen? Wie sich auf den vergangenen Seiten verdeutlicht hat, lässt Sigmund Freud diese Stimme im Über-Ich gründen, in jener Instanz also, deren Genese von der elterlichen Autorität - die das Kind durch die Ge‐ währung von Liebensweisen und die Androhung von Strafen regiert - ihren Ausgang nimmt, welche Autorität im Laufe der individuellen Entwicklung und der zunehmenden Beeinflussung durch das soziale Milieu immer weiter zu‐ rücktritt, bis sich an deren Stelle schliesslich das Über-Ich etabliert, „welches nun das Ich genau so beobachtet, lenkt und bedroht wie früher die Eltern das Kind“ 118 . In diesem Sinne handelt es sich bei der Stimme des Gewissens um nicht mehr denn um die Summe aller „Stimmen“, die im Laufe des Lebens gehört wurden und die Person bleibend geprägt haben. Vergegenwärtigt man sich vor diesem Hintergrund, wie von Hildebrand die Stimme des Gewissens begründet, so beeindruckt die Sinnfülle, die seine Lehren durchzieht. Erinnert sei nur an die objektive Wertewelt, insbesondere die sitt‐ lichen Werte, die dem menschlichen Dasein eine Orientierung bieten und ihm den Weg zum Glück weisen. Was sie im Verbund mit den sittlich bedeutsamen Werten insofern tun, als sie dem Menschen bei einer angemessenen überaktu‐ ellen Willensrichtung bekannt sind und sein Gewissen ihn in den konkreten sittlich relevanten Situationen seines Lebens anruft, das Unwertige, d. h. das Schlechte / Böse zu meiden und das Gute zu lieben und zu tun. Was von Hildebrand voraussetzt und worauf er aufbaut, das übersehen zu haben ist zugleich der Grund, weswegen Freud zu kurz greift. Es ist dies in erster Linie die innere Notwendigkeit der sittlichen und der sittlich bedeutsamen Werte, sodann die Möglichkeit, ihr Sosein zu erfahren und die darin gründenden Sachverhalte mit absoluter Gewissheit erkennen und von innen her verstehen zu können. Das sei an dem bekannten Argument aufgezeigt, mit dem Augustinus den Skeptizismus der Akademiker seiner Zeit überwunden hat: Auch wenn ich mich täusche, bin ich (si fallor, sum). Selbst dann, wenn mit den Akademikern angenommen wird, jede Wahrnehmung und jeder Gedanke sei eine blosse Täu‐ schung, selbst dann noch ist gewiss, dass sich nur täuschen kann, wer ist. 119 Denn „wer nicht ist, kann sich auch nicht täuschen“ 120 . Eine in Augustinus’ Termino‐ logie ewige Wahrheit (veritas aeterna), die sich auf alle denkenden Wesen und alle Täuschungen bezieht. 1.5 Sossimas Wandel 299 <?page no="300"?> 121 von H I L D E B R A N D , Christliche Ethik, 7. Kap., S. 111. 122 Ebd., 10. Kap., S. 165. (Kursiv im Orig.) An einer anderen Stelle in derselben Schrift bezeichnet er Gott als „die Güte selbst, die Liebe selbst, die Gerechtigkeit selbst, die Wahrhaftigkeit selbst, die Barmherzigkeit selbst“ (ebd., 15. Kap., S. 217). 123 S E I F E R T , Erkenntnis des Vollkommenen, S. 95. Vgl. auch D E R S ., Die natürliche Gotteser‐ kenntnis als menschlicher Zugang zu Gott, S. 42. Auch für von Hildebrand ist das Ge‐ wissen „der advocatus Dei in der Seele des Menschen“ (von H I L D E B R A N D , Die Enzyklika „Humanae Vitae“ - ein Zeichen des Widerspruchs, Lehramt und Gewissen, 1. Gewissen und Erkenntnis des Sittengesetzes, S. 37). „Es setzt aber immer eine nicht vom Gewissen stammende Überzeugung über den prinzipiellen sittlichen Wert oder Unwert eines Verhaltens voraus“ (ebd., Kursiv im Orig.). Zum Gewissen vgl. insbesondere die erhellende Schrift von Heinrich F R I E S , Die Religi‐ onsphilosophie Newmans, den eingehende Studien zum Ergebnis führten, dass Newman aufgrund seiner Begründung der ganzen Religionsphilosophie vom Gewissen her „der Philosoph des Gewissens“ sei. Siehe auch John F. C R O S B Y , The Personalism of John Henry Newman. Bei dieser absolut gewissen Erkenntnis des im Wesen der Täuschung grün‐ denden Sachverhalts der eigenen Existenz ist nun freilich „nur“ die Wahrheit bzw. die Existenz thematisch. Thema kann aber auch das Gute sein, macht es doch „geradezu das Mark“ 121 des Sinngehaltes einer gegebenen Soseinseinheit aus. Auch das Gute, auch die intrinsische Bedeutsamkeit eines sittlichen Wertes kann Gegenstand unbezweifelbar gewissen Erkennens sein. Voraussetzung ist immer ein Sosein oder Wesen, das innerlich notwendig ist, bei dem die Weg‐ nahme auch nur eines Elementes die ganze Einheit zerstören würde. Hätte Freud den damit gegebenen, die Immanenz sprengenden Aspekt der Transzendenz menschlichen Seins erfasst, hätte er die Ursprünge der Stimme des Gewissens bestimmt nicht - zumindest nicht ausschliesslich - im mensch‐ lichen Selbst verortet. Wesentlich angemessener nimmt sich dagegen die Posi‐ tion von Hildebrands aus, für den es bekanntlich die Erkenntnis des Verstosses gegen die Forderungen der sittlichen und der sittlich bedeutsamen Werte und Güter ist, die die Stimme des Gewissens begründet. Vergegenwärtigt man sich zudem, dass die sittlichen Werte - bis auf jene, die die Begrenztheit des Ge‐ schöpfs voraussetzen - reine Vollkommenheiten und aufgrund dessen die ein‐ zige Möglichkeit sind, objektive Eigenschaften des göttlichen Wesens zu be‐ nennen - „Gott ist die Güte, die Wahrhaftigkeit, die Gerechtigkeit, die Liebe“ 122 -, liegt es in der Logik der Sache, dass Gott selbst es ist, der in einer „Art innerer Präsenz […] in der Seele“ 123 den Menschen anruft, das Schlechte und das Böse zu meiden und das Gute zu lieben und zu tun. 1 Die Bewegungsumkehr der Liebe oder Gott als Initiator des Dialogs 300 <?page no="301"?> 124 A N S E L M von Canterbury, Proslogion, 3. Kap., S. 25. 125 Vgl. Hansjürgen V E R W E Y E N , Anselm von Canterbury - 1033-1109. Denker, Beter, Erzbi‐ schof, S. 89. Vgl. auch die alttestamentliche Schrift Jesus Sirach, 22,9-18. 126 Edmund H U S S E R L , Philosophie als strenge Wissenschaft, S. 5. 127 Vgl. ebd., S. 57 ff. 128 Vgl. ebd., S. 59. 129 Vgl. ebd. 1.6 Intersubjektiver Konsens in ethischen Fragen? Kants „kategorischer Imperativ“ im Vergleich mit einigen der einschlägigen Prinzipien der phänomenologischen Wert‐ ethik Wie sich im Verlauf der Beschäftigung mit dem Thema der Wertblindheit und dem ordo amoris erwiesen hat, scheinen die Moralnormen nicht intersubjektiv verankert zu sein. Viele Menschen können sich in der ethischen Lebenswelt nicht orientieren, und häufig endet die einschlägige Diskussion über moralische, metaphysische oder religiöse Fragen in einem Dissens. Woran liegt das? Ist der Grund wirklich immer ein moralischer? „Warum […] sprach der Tor in seinem Herzen: Es ist kein Gott? “ 124 Den unverständigen Toren, den Anselm von Can‐ terbury „zur blossen Negativfolie für den originellsten Gottesbeweis der Welt‐ literatur“ macht, übernimmt er aus den alttestamentlichen Weisheitsschriften, wo die Torheit als Gegenpol der Weisheit erscheint. 125 Methodisch hilft das an dieser Stelle nicht weiter, allenfalls als These, von der aus des Näheren zu un‐ tersuchen wäre, ob der Tor tatsächlich immer derjenige ist, der den Sachverhalt nicht versteht, oder ob ihm nicht gerade seine Naivität eine offene Seinszuge‐ wandtheit garantiert. Einer jedenfalls, der die Philosophie nach Massgabe „der objektiven Wahrheit bzw. objektiv begründeten Wahrscheinlichkeit der wundervollen Theorien der Mathematik und der Naturwissenschaften“ 126 als strenge Wissenschaft be‐ gründen wollte, war Edmund Husserl. Um „Form und Sprache echter Wissen‐ schaft“ anzunehmen, müsse die Philosophie „sich dem praktischen Weltan‐ schauungsstreben als theoretische Wissenschaft gegenüberstellen und sich von ihm vollbewusst trennen“. 127 Denn erst dann, „wenn die entschiedene Trennung der einen und anderen Philosophie sich im Zeitbewusstsein durchgesetzt“ habe, sei auch daran zu denken, dass die Philosophie „als Unvollkommenheit erkenne, was an ihr vielfach gerühmt oder gar imitiert wird - den Tiefsinn“. 128 Doch Tiefsinn sei nicht „begriffliche Deutlichkeit und Klarheit“, sei nicht „Sache der strengen Theorie“, sondern Tiefsinn sei „Sache der Weisheit“. 129 Der Mitarbeiter der philosophischen Wissenschaft aber, wie Husserl prägnant formuliert, „be‐ 1.6 Intersubjektiver Konsens in ethischen Fragen? 301 <?page no="302"?> 130 Ebd. 131 Vgl. oben Einleitung, 6.2 - „Husserls Beiträge zur Beantwortung der ‚Kardinalfrage der Erkenntnistheorie, die Objektivität der Erkenntnis betreffend‘“ und Einleitung, 6.3 - „Die Grenzen der husserlschen Phänomenologie als Ausgangspunkt des phänomeno‐ logischen Realismus“. 132 Vgl. oben III, 5.4.3 - „Warum ist der Wertethik der Vorzug zu geben vor der eudaimo‐ nistischen, der hedonistischen und der utilitaristischen Ethik? “ 133 Vgl. Immanuel K A N T , Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Erster Abschnitt, S. 22. Vgl. auch ebd., Zweiter Abschnitt, S. 33. 134 Ebd., Erster Abschnitt, S. 24. darf nicht der Weisheit, sondern theoretischer Begabung“ 130 . Wie sich bei der Besprechung seiner erkenntnistheoretischen Grundlage verdeutlichte, ver‐ mochte er das Postulat der strengen Wissenschaftlichkeit nicht einzulösen. 131 Vermöchte zu einer Lösung des Problems des Dissenses in ethischen Fragen nicht eher Kant mit seinem kategorischen Imperativ beizutragen, der bereits weiter oben eingeführt wurde? 132 Hat die deontologische Sollensethik gegen‐ über dem phänomenologischen Wertfühlen nicht gerade den Vorzug der allge‐ meinen Verständlichkeit? Und ist nicht gerade sie die Bedingung eines Kon‐ senses? Der Grundlegung der vorliegenden Untersuchung ist jedenfalls inhärent, dass der intersubjektive Konsens einer gegebenen Gruppe von Men‐ schen die Folge der absolut gewissen Einsicht in den betreffenden Sachverhalt ist. Wenn es nicht zum Konsens kommt, dann kann das seinen Grund gerade dann nicht im Objekt haben, wenn das objektive Korrelat ein wesensnotwen‐ diger Sachverhalt ist und als solcher das synthetisch-apriorische Erkennen prinzipiell ermöglicht. In diesen Fällen liegt der Grund des Dissenses notwen‐ digerweise im Subjekt. Der von den Phänomenologen gewählte Zugang ist zu‐ mindest vom Grundsatz her der sachlich angemessene. Nichtsdestotrotz sei dieser Zugang in der Folge mit demjenigen Kants kontrastiert und kritisch dis‐ kutiert. 1.6.1 Kants kategorischer Imperativ in der Kritik durch Dietrich von Hildebrand Während am Beginn der phänomenologischen Wertethik in gleichsam dialog‐ aler Weise die Motivation durch ein bedeutsames Objekt steht, das von der Person eine angemessene Antwort fordert, hat für Kant nur die Handlung einen moralischen Wert, welche ohne alle Neigungen rein aus Pflicht vollzogen wird. 133 Auch besteht der Wert einer sittlichen Handlung „nicht in der Absicht, welche dadurch erreicht werden soll, sondern in der Maxime, nach der sie be‐ schlossen wird“ 134 , wobei die Maxime sich auf „das subjektive Prinzip des 1 Die Bewegungsumkehr der Liebe oder Gott als Initiator des Dialogs 302 <?page no="303"?> 135 Ebd., Erster Abschnitt, S. 25, Anm. 136 Ebd., Zweiter Abschnitt, S. 80. 137 Ebd., Zweiter Abschnitt, S. 44. 138 Vgl. ebd., Zweiter Abschnitt, S. 52. 139 Ebd., Zweiter Abschnitt, S. 53. 140 Ebd., Zweiter Abschnitt, S. 54. 141 Ebd. 142 Vgl. ebd. Wollens“ 135 bezieht. In seiner deontologischen Ethik, die im Unterschied zur Wertethik - mit ihrem wesentlichen Zug zum Affektiven und von da her zum Materialen - wesentlich stärker auf dem diskursiven Denken des Verstandes aufbaut, ist das oberste Prinzip die Autonomie des Willens, welche besagt, nicht anders zu wählen, als dass die Maxime der Wahl zugleich ein allgemeines Gesetz werden kann. 136 Damit ist der bekannte kategorische Imperativ angesprochen, mit dem - im Unterschied zum hypothetischen Imperativ, der sich auf die möglichen Hand‐ lungen als Mittel zu etwas anderem bezieht, das man will -, eine Handlung bezeichnet ist, die für sich selbst, ohne Beziehung auf einen andern Zweck, mit objektiver Notwendigkeit gewollt wird. 137 Damit ist für Kant ein praktisches Gesetz benannt, welches als solches „ein synthetisch-praktischer Satz a priori“ sei. 138 Nach diesem synthetisch-apriorisch-praktischen Gesetz ist das Handeln nach der Maxime angezeigt, „durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde“ 139 . Ein paar Zeilen weiter charakterisiert er den all‐ gemeinen Imperativ der Pflicht als ein Handeln, „als ob die Maxime deiner Handlung durch deinen Willen zum allgemeinen Naturgesetze werden sollte“ 140 . Zur Prüfung, ob die subjektive Maxime als allgemeines Gesetz gelten könne, offeriert Kant vier Beispiele, die nachfolgend im Einzelnen dargelegt werden. An den Beginn stellt er eine Person, die, durch verschiedene Übel bis zur Hoff‐ nungslosigkeit getrieben, einen Überdruss am Leben empfindet und sich dieses nehmen will. „Nun versucht er, ob die Maxime seiner Handlung wohl ein all‐ gemeines Naturgesetz werden könne.“ 141 Seine Maxime lautet, es sich aus Selbst‐ liebe zum Prinzip zu machen, sein Leben abzukürzen, wenn langfristig mehr Übel drohen, als dass es Annehmlichkeit verspricht. 142 In diesem Falle könnte die Maxime allerdings gerade deswegen nicht als allgemeines Gesetz gelten, weil es nicht verallgemeinerungsfähig ist. Sodann bringt er das Beispiel eines Menschen, der in finanzielle Not geraten ist und Geld borgen muss. Dabei weiss er, dass er nichts bezahlen kann, und weiss zugleich, dass ihm nichts geliehen wird, wenn er nicht felsenfest verspre‐ chen würde, es zu einer bestimmten Zeit wieder zurück zu zahlen. Sollte er sich dazu entschliessen, „so würde seine Maxime der Handlung so lauten: wenn ich 1.6 Intersubjektiver Konsens in ethischen Fragen? 303 <?page no="304"?> 143 Ebd., Zweiter Abschnitt, S. 55. 144 Ebd. 145 Ebd, Zweiter Abschnitt, S. 56. 146 Ebd., Zweiter Abschnitt, S. 57. 147 Ebd. 148 Ebd., Zweiter Abschnitt, S. 80. 149 Ebd., Erster Abschnitt, S. 28. 150 von H I L D E B R A N D , Christliche Ethik, 27. Kap., S. 407. mich in Geldnot zu sein glaube, so will ich Geld borgen und versprechen es zu bezahlen, ob ich gleich weiss, es werde niemals geschehen“ 143 . Er verwandelt die Selbstliebe in ein allgemeines Gesetz und fragt sich, wie die Dinge wohl stehen würden, wenn seine Maxime ein allgemeines Gesetz würde. „Da sehe ich nun sogleich, dass sie niemals als allgemeines Naturgesetz gelten und mit sich selbst zusammenstimmen könne, sondern sich notwendig widersprechen müsse.“ 144 In einem dritten Beispiel bezieht er sich auf eine talentierte Person, die statt ihre Naturanlagen zu entfalten, sich lieber dem Müssiggang und dem Genuss überlässt. Eine solche Person könne nun aber unmöglich wollen, dass ein dem Genuss ergebenes Leben ein allgemeines Naturgesetz werde. Schliesslich kommt Kant noch auf eine Person zu sprechen, der es gut geht, obwohl sie mitansehen muss, wie andere Personen mit grossen Mühseligkeiten zu kämpfen haben. Doch „was geht’s mich an? mag doch ein jeder so glücklich sein, als es der Himmel will, oder er sich selbst machen kann, ich werde ihm nichts ent‐ ziehen, ja nicht einmal beneiden; nur zu seinem Wohlbefinden oder seinem Bei‐ stande in der Not habe ich keine Lust etwas beizutragen! “ 145 Zwar räumt Kant dieser Maxime gewisse Chancen ein, doch sei es unmöglich zu wollen, dass ein solches Prinzip als allgemeines Naturgesetz allezeit gelte. Denn dieser Wille würde sich angesichts dessen selber widersprechen, dass auch für diesen Men‐ schen Zeiten kommen können, in denen er auf die Hilfe anderer angewiesen sein wird. Man müsse, so das Zentrale zusammenfassend, „wollen können, dass eine Maxime unserer Handlung ein allgemeines Gesetz werde“ 146 . Dies nennt er den „Kanon der moralischen Beurteilung […] überhaupt“ 147 , von wo her jene Handlung als sittlich gut zu bezeichnen ist, deren Maxime ein all‐ gemeines Gesetz werden kann, wie auch die Achtung für das Gesetz diejenige Triebfeder ist, „die der Handlung einen moralischen Wert geben kann“ 148 . Wo aber vom Prinzip der Pflicht abgewichen wird, da „ist es ganz gewiss böse“ 149 . Hier setzt von Hildebrand mit einer Kritik an, denn indem „die sittliche Bedeut‐ samkeit nur dem Willen zugeschrieben wird“, „wurde der spezifisch sittliche Wert, der gerade mit ihrem affektiven Charakter unlöslich verbunden ist“, nicht beachtet. 150 „Jedenfalls haben die affektiven Antworten keine sittliche Bedeu‐ 1 Die Bewegungsumkehr der Liebe oder Gott als Initiator des Dialogs 304 <?page no="305"?> 151 Ebd. Zu Kants Unterscheidung zwischen pathologischer und sittlicher, d. h. praktischer Liebe aus Achtung, vgl. K A N T , Kritik der praktischen Vernunft, Zweites Buch, Erstes Hauptstück, Von einer Dialektik der reinen praktischen Vernunft überhaupt, Zweites Hauptstück, Von der Dialektik der reinen Vernunft in Bestimmung des Begriffs vom höchsten Gut, S. 145-152. 152 K A N T , Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Zweiter Abschnitt, S. 65. 153 Vgl. ebd. Zweiter Abschnitt, S. 66. 154 Ebd., Zweiter Abschnitt, S. 67. tung für ihn, wie seine Unterscheidung zwischen pathologischer und sittlicher Liebe zeigt.“ 151 1.6.2 Änderte Kant seine philosophische Grundrichtung? Die genannten vier Beispiele des kategorischen Imperativs - und im selben Zuge zugleich seine im ersten Abschnitt dieser Arbeit entfalteten erkenntnistheore‐ tischen Prinzipien - vertieft er daraufhin durch den praktischen Imperativ, nach dem so gehandelt werden soll, „dass du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern jederzeit zugleich als Zweck, nie‐ mals bloss als Mittel brauchst“ 152 . Was die Möglichkeit des Selbstmords vor die Frage stellt, ob eine solche Handlung mit der Idee der Menschheit als einem Zweck an sich selber bestehen kann, oder ob damit das eigene Leben zu einem Mittel reduziert wird, um den anstehenden Beschwerden zu entfliehen. Ähnlich gelagert ist die Frage im zweiten Beispiel, in dem ein in Geldnot geratener Mensch von einem anderen Menschen Geld borgt, indem er ihn belügt, es wieder zurückzuzahlen. In diesem Beispiel ist es offensichtlich, wie der in Geldnot ge‐ ratene Mensch sich des anderen nur als Mittel bedienen will. Auch im dritten Beispiel, nach dem eine talentierte Person, die statt ihre Naturanlagen zu ent‐ falten, sich lieber dem Müssiggang und dem Genuss überlässt. Kant unter‐ scheidet diesen Sachverhalt, indem er die „Beförderung“ der Menschheit von ihrer „Erhaltung“ abhebt. 153 Wenn die Erhaltung auch einem Zweck an sich diene, so komme der Beförderung dieses Zwecks doch der Vorzug zu. Auch das vierte Beispiel unterscheidet er, und zwar in die verdienstliche Pflicht gegen andere und die eigene Glückseligkeit. Wenn nun jemand das Glück einem an‐ deren Menschen nicht entziehe, so sei dies nur eine negative Übereinstimmung mit der Menschheit als einem Zweck an sich selbst. Doch wie wird das Dilemma zwischen dem Glück des anderen und dem eigenen Glück gelöst? Kant ergreift weder für die eine noch für die andere Seite Partei, sondern sucht die beiden Zwecke so zu vereinen, dass die Zwecke der anderen Person - „so viel mög‐ lich“ 154 - auch die eigenen Zwecke sein sollen. 1.6 Intersubjektiver Konsens in ethischen Fragen? 305 <?page no="306"?> 155 Zum Wandel seiner Prinzipien siehe den dritten Abschnitt insgesamt, vgl. ebd., S. 88-112. 156 Ebd., Dritter Abschnitt, S. 90. 157 Ebd., Dritter Abschnitt, S. 99. 158 Ebd., Dritter Abschnitt, S. 95. 159 Ebd. 160 Vgl. ebd., Dritter Abschnitt, S. 100. 161 Vgl. ebd., Dritter Abschnitt, S. 109. 162 Vgl. ebd., Dritter Abschnitt, S. 110. Im Verlauf seiner Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, die 1785 in der ersten Auflage erschienen ist, muss es Kant immer deutlicher geworden sein, dass der Wille, auf den er sich wiederholt bezogen hat, notwendigerweise die Freiheit voraussetzt. 155 So revidiert er seine einschlägigen Aussagen, indem er dafür hält: „Ein jedes Wesen, das nicht anders als unter der Idee der Freiheit handeln kann, ist eben darum in praktischer Rücksicht frei, d. i. es gelten für dasselbe alle Ge‐ setze, die mit der Freiheit unzertrennlich verbunden sind“ 156 , welche „mich zu einem Gliede einer intelligibelen [sic! ] Welt macht“ 157 . Im Wissen, dass die transzendentale Trennwand zwischen den Erscheinungen und den Dingen an sich selbst damit Risse erlitten haben muss, versucht er seine Vision von Schein und Sein dennoch zu retten, indem er seine epistemologische Theorie gleichsam apologetisch gegen Angriffe zu sichern sucht. Ja nicht einmal durch die „Kenntnis, die der Mensch durch innere Empfindung von sich hat, [dürfe] er sich […] anmassen zu erkennen, wie er an sich selbst sei“ 158 . Und das, trotzdem er seinen Transzendentalismus mit der Begründung gleich selbst untergräbt, dass der Mensch „doch sich selbst nicht gleichsam schafft und seinen Begriff nicht a priori, sondern empirisch bekommt“ 159 . Im gleichen Sinne sieht er das Bindeglied, das die Person der intelligiblen sowie der Sinnenwelt zugehörig sein lässt, im moralischen Sollen, das ein eigenes notwendiges Wollen eines Gliedes einer intelligiblen Welt und nur insofern als Sollen zu denken sei, als die Person sich zugleich wie ein Glied der Sinnenwelt betrachtet. 160 Doch letztlich sei die Suche nach einer Erklärung, „wie reine Vernunft praktisch sein könne“ vergeblich. 161 Nach wie vor bleibt ihm von „der reinen Vernunft“ nach der „Absonderung der Materie, d. i. Erkenntnis der Objekte, […] nichts als die Form übrig, nämlich das praktische Gesetz der Allgemeingültigkeit der Ma‐ ximen“. 162 Wie nun, kann in ethischen Fragen ein intersubjektiver Konsens erwartet werden? Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die wissenschaftliche Er‐ kennbarkeit ethischer Normen nicht in der Konsensfähigkeit gründet, sondern in ihren evidenten Gründen in der Wirklichkeit. Denn wie eingangs dieses Punktes bereits auseinandergesetzt wurde, setzt der intersubjektive Konsens 1 Die Bewegungsumkehr der Liebe oder Gott als Initiator des Dialogs 306 <?page no="307"?> 163 Vgl. neben den einschlägigen Stellen der Schriften Dietrich von Hildebrands auch Max Schelers Beschäftigung mit der „Person in ethischen Zusammenhängen“, in: S C H E L E R , Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik, Zweiter Teil, VI., B., S. 469-580. 164 K I E R K E G A A R D , Entweder - Oder, Zweiter Teil, III., Ultimatum, S. 933. 165 Vgl. Eugene K E L L Y , Material Ethics of Value: Max Scheler and Nicolai Hartmann. 166 Vgl. z. B. die von Rafael Ferber schriftlich fixierten Einwände, in: F E R B E R , Philosophische Grundbegriffe I, S. 196-199. 167 Vgl. oben III, 3 - „Die affektiven Antworten und die mitwirkende Freiheit“. einer bestimmten Gruppe von Menschen voraus, dass sie einen gegebenen Sachverhalt allesamt erkannt haben. Und wenn es nicht zum Konsens komme, dann habe das seinen Grund unter der Voraussetzung gerade nicht im Objekt, dass das objektive Korrelat ein wesensnotwendiger Sachverhalt sei und als sol‐ cher das synthetisch-apriorische Erkennen prinzipiell ermögliche. In solchen Fällen, wovon die Phänomenologen ausgegangen sind und nach wie vor aus‐ gehen, sei der Grund des Dissenses in den beteiligten Personen selbst zu suchen. Wenn von hier aus die Kontrastierung mit Kants Lehre vom kategorischen Imperativ - und seinen scharfsinnigen Einsichten in das Wesen der Person, die mit seiner kopernikanischen Wende allerdings nicht harmonisierbar sind - ge‐ sucht wird, dann dürfte sich zumindest soviel verdeutlicht haben, dass Kants Ethik - alleine schon von seiner Erkenntnistheorie her - verstandeslastiger ist. Demgegenüber wird die menschliche Person in der phänomenologischen Wert‐ ethik vielmehr als ganze zu einem Gegenstand der ethischen Erwägungen und wird - wiederum auf der Basis erkenntnistheoretischer Prinzipien - neben der Vernunft v. a. ihr affektives Zentrum einbezogen. 163 Das ist sicherlich ein zent‐ raler Unterschied: Während Kant die moralischen Wirklichkeiten, zumindest vordergründig, auf Vollzüge reduziert, die gleichsam berechenbar und verall‐ gemeinerungsfähig sind und von da her einem Konsens nahe zu stehen scheinen, verortet die Realistische Phänomenologie das moralisch Gute in tie‐ feren Schichten der Wirklichkeit. Um zu einem intersubjektiven Konsens durch‐ zudringen, reichen auch keine in Worte gefassten formalen Regeln und Gesetze hin, sondern als Bedingung gilt in diesem philosophischen Bemühen vielmehr der - im kierkegaardschen Sinne - existentielle Kontakt mit den ethischen Wirklichkeiten, „denn nur die Wahrheit, die erbaut, ist Wahrheit für dich“ 164 . Angesichts dessen, dass Kant sozusagen auf formale Distanz zu den Sachen selbst geht, scheint der kategorische Imperativ zumindest dem Begriffe nach konsequenter zu sein als die materiale Wertethik. 165 Wie Untersuchungen aber ergeben haben, leidet auch die Verallgemeinerungsregel des kategorischen Im‐ perativs an der letztgültigen Allgemeinheit. 166 Was die Wahrheit der in ihren Entscheidungen im Letzten freien Person nur bestätigt. 167 Denn einerseits gilt 1.6 Intersubjektiver Konsens in ethischen Fragen? 307 <?page no="308"?> 168 Vgl. K A N T , Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Zweiter Abschnitt, S. 56. die Verallgemeinerungsregel nicht vor aller Erfahrung, sondern nur unter der Bedingung einer gewissen Gleichheit aller Menschen und ihrer Lebensum‐ stände. Zudem geht die über gut und schlecht entscheidende Verallgemeine‐ rungsregel bereits selbst von einem Vorverständnis aus, was gut und was schlecht ist. Denn offensichtlich ist ja nicht jeder subjektive Grundsatz, der sich verallgemeinern lässt, deswegen schon moralisch gut. Mit diesem „Vorver‐ ständnis“ ist jedenfalls auf eine gewisse Ähnlichkeit zwischen dem kategori‐ schen Imperativ und der Wertethik hingewiesen, da auch dieses Vorver‐ ständnis - ebenso wie im Falle des Wertsehens bzw. der Wertblindheit - seine Wurzeln im gelebten Leben hat. 1.6.3 Schelers Kritik am allgemeingültigen Sollen In der Folge sei der Unterschied zwischen der deontologischen Sollens- oder Pflichtenethik und der Wertethik mit je einem Beispiel veranschaulicht. Da‐ durch wird sich deutlicher abzeichnen, welcher Unterschied zwischen einer formalen und einer materialen Ethik besteht. Als Beispiel diene auf der deon‐ tologischen Seite das von Kant beigebrachte Beispiel einer Person, der es gut geht, obwohl sie andere Personen sieht, die mit grossen Beschwernissen zu kämpfen haben. Doch, so fragt sie sich, „was geht’s mich an? mag doch ein jeder so glücklich sein, als es der Himmel will, oder er sich selbst machen kann […]; nur zu seinem Wohlbefinden oder seinem Beistande in der Not habe ich keine Lust etwas beizutragen! “ 168 Die sittlich entscheidende Frage: Kann diese Maxime ein allgemeines Gesetz werden? Worauf sich in dieser Person wohl das grosse Für und Wider breit machen wird, das letztlich in die Überzeugung mündet, dass dieser Wille doch widersprüchlich ist, da auch für diese Person Zeiten kommen können, in denen sie auf fremde Hilfe angewiesen sein wird. Als Beispiel für eine wertethische Erklärung eines moralischen Motivs und der transeunten Handlung sei erneut auf die Person verwiesen, die am Ufer eines abgelegenen Sees spaziert, als sie plötzlich den Hilfeschrei eines Kindes ver‐ nimmt, das unweit des Ufers zu ertrinken droht. Abrupt steht die spazierende Person vor der Wahl, entweder dem Kind das eine Ende des am Ufer vertäuten Seils zuzuwerfen oder selbst ins Wasser zu springen und es zu retten. Stellt sich in motivationaler Hinsicht wirklich die Frage, ob die Maxime, ins Wasser zu springen und das Kind vor dem Ertrinken zu retten, ein allgemeines Gesetz werden könne? Ist das Motiv nicht wesentlich unmittelbarer? Ist die wertethi‐ sche Erklärung nicht einleuchtender, dass es die sittliche Bedeutsamkeit der 1 Die Bewegungsumkehr der Liebe oder Gott als Initiator des Dialogs 308 <?page no="309"?> 169 S C H E L E R , Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik, Zweiter Teil, VI., B., 2. Person und Individuum, S. 483. 170 Vgl. ebd. 171 Vgl. ebd., Zweiter Teil, IV., 2., a., Wert und ideales Sollen, S. 214. 172 Vgl. D O S T O J E W S K I , Die Brüder Karamasow, 1. Teil, Fünftes Buch, IV. Die Auflehnung, S. 416 f. 173 Max S C H E L E R , Das Ressentiment im Aufbau der Moralen, V., 2., Die Subjektivierung der Werte, S. 89. Würde dieses Menschen selbst ist, die die Handlung motiviert? Jedenfalls hat bereits Scheler an Kants Verallgemeinerungsthese Kritik geübt, nach der die Person erst dadurch sittlichen Wert gewinnt, „dass sie allgemeingültige Werte realisiert resp. einem allgemeingültigen Sittengesetz gehorcht“ 169 . Denn dadurch ist ihm alles Sollen allgemeingültig, „so dass es persönliches d. h. individuelles ‚Sollen‘ nicht gibt“. 170 Wie Scheler in dem Zusammenhang aber zu begründen wusste, ist alles Sollen auf objektiven Werten fundiert, wogegen Werte nicht auf dem Sollen fundiert sind. 171 Es dürfte evident sein, dass die spazierende Person in dem Moment, in dem sie das zu ertrinken drohende Kind wahrgenommen hat, sogleich die Forderung vernommen hat, das Leben dieses Kindes zu retten. Dass in ethischen Fragen ein intersubjektiv verankerter Konsens grundsätz‐ lich erreicht werden kann, wird schliesslich jedes Kind bestätigen. Denn dass es einen Wert der Person gibt, dem die Forderung entspringt, es nicht brutal zu misshandeln, hat Dostojewski in den Brüdern Karamasow eindrücklich und auf intersubjektiv nachvollziehbare Weise beschrieben. Denn falls es aufs Äusserste moralisch schlecht bzw. böse ist, wenn ein Gutsbesitzer eine Meute von scharfen Hunden auf das Kind eines Hofleibeigenen hetzt, bis sie es zerfleischt haben, einfach aus dem Grund, weil das Kind den Lieblingshund des Gutsbesitzers zu‐ fällig am Bein verletzt hat, 172 dann gründet das Sollen offensichtlich im Sein und die Norm ist intersubjektiv verankert. Wenn der faktische Konsens aber aus‐ bleibt, was in diesem Falle ja zumindest von der Seite des Gutsbesitzers her zu erwarten wäre, dann kann der Konsens in moralischen Fragen - verstanden als ausnahmslose Einstimmigkeit - eindeutig keine unerlässliche Bedingung der Wissenschaftlichkeit der Ethik sein. Übrigens ebensowenig wie die postulierte Verallgemeinerungsfähigkeit einer subjektiven Maxime das letztgültige Krite‐ rium sein kann, zwischen richtig und falsch bzw. gut und schlecht zu unter‐ scheiden, führt sie die „Allgemeinheit“ doch nur dem Worte nach, in Wirklich‐ keit aber bleibt sie subjektiv geformt. „Von der eigenen Untersuchung, was gut sei, wendet er sich ab und sucht eine Stütze in der Frage: Was denkst du? Was denken alle? “ 173 Scheler wies Kants Lehre des kategorischen Imperativs schliess‐ lich mit einem abschliessenden, implizit gegen den Subjektivismus gerichteten Urteil zurück: „Was keiner zu sehen und zu erkennen vermag, das sollen nun 1.6 Intersubjektiver Konsens in ethischen Fragen? 309 <?page no="310"?> 174 Ebd. (Kursiv im Orig.) 175 Der Grundsatz der Korrespondenz von Akt und Objekt leitete auch das philosophische Denken von Hildebrands, so etwa, wenn ihm jedes Sein wesenhaft intelligibel und „als solches auch objektiv einem Erkenntnisakt zugeordnet“ ist (vgl. von H I L D E B R A N D , Un‐ veröffentlichter Nachlass, „Philosophy of Being“, Mappe 3 [3 / 16]). 176 S C H E L E R , Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik, Zweiter Teil, V., 5., S. 296. 177 Vgl. ebd., Zweiter Teil, VI., A., d., S. 395. 178 Ebd., Vorwort zur zweiten Auflage, S. 16. 179 D E R S ., Die christliche Liebesidee und die gegenwärtige Welt, S. 374. alle sehen: aus der Häufung von null Einsichten soll sich eine positive Einsicht ergeben! “ 174 1.7 Erstreckte sich Schelers und von Hildebrands Übereinstimmung in der Zurückweisung der Kant’schen Ethik auch auf die Religionsphilosophie? Kraft des phänomenologischen Grundsatzes der Korrespondenz von Akt und Objekt, vermochten Scheler und in seinem Zuge auch von Hildebrand die Ethik Kants zu überwinden. 175 Von da her liegt die Annahme nahe, dass sie diesen Grundsatz auch in der Religionsphilosophie zur Anwendung zu bringen wussten und auf seinem Fundament zu einschlägigen Einsichten gelangten und die Philosophie der Religion auf überzeugende Weise neu zu begründen ver‐ mochten. Schelers Interesse für die Religion beschränkt sich auf seine mittlere Periode. Zumal in seiner Schrift über den Formalismus in der Ethik und die ma‐ teriale Wertethik versteht er den Menschen als „Gottsucher“ 176 und nennt das „personale Gegenglied des Makrokosmos“ die „Idee einer unendlichen und voll‐ kommenen Geistesperson“. 177 Wobei auch ein geistiger Weltgrund, wie er im Vorwort zur zweiten Auflage seines Formalismusbuchs zum Ausdruck bringt, es nur verdiene, Gott zu heissen, „wenn und soweit er ‚persönlich‘ ist“ 178 . Sche‐ lers religionsphilosophisches Hauptwerk - Probleme der Religion. Zur religiösen Erneuerung - erschien 1921. Den grundlegenden Untersuchungen sollte eine systematische Gesamtdarstellung der Religionsphilosophie folgen, welche al‐ lerdings nie erschienen ist. Neben den verschiedenen „Erweisarten von Gottes Existenz“, bei denen jeder „Faden, den wir aus dieser Schöpfung herausnehmen - sei es aus der Seele, Natur, Geschichte, Gewissen, Vernunft -, […] auf Gott zurück[führt], wenn wir ihn nach dem Gesetze des uns bekannten endlichen Stückes bis ins Unendliche ausgezogen denken“ 179 . Die wichtigste Erweisart ist ihm jedoch die werttheo‐ 1 Die Bewegungsumkehr der Liebe oder Gott als Initiator des Dialogs 310 <?page no="311"?> 180 D E R S ., Liebe und Erkenntnis, S. 26. 181 D E R S ., Probleme der Religion. Zur religiösen Erneuerung, 2., Attribute des göttlichen Geistes, S. 218 f. 182 Ebd., S. 219. 183 Ebd. 184 Ebd. 185 Ebd., S. 223. 186 Vgl. oben IV, 1.3 - „Der ordo amoris und das Phänomen der Wertblindheit“. 187 S C H E L E R , Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik, Zweiter Teil, V., 3., S. 270. 188 Joseph G E Y S E R , Max Schelers Phänomenologie der Religion. Nach ihren wesentlichsten Lehren allgemeinverständlich dargestellt und beurteilt, S. 101. retische, in der die Realität Gottes als absolut höchster Wert erfasst wird. Dabei ist das Erfassen Gottes ein unmittelbares, bei dem das unmittelbare Bewusstsein von Gott in einem Liebesakt besteht, dessen Folge erst das Erkennen Gottes ist. Mit anderen Worten, ist „jede Steigerung der Anschauungs- und Bedeutungs‐ fülle, in der uns ein Gegenstand vor dem Bewusstsein steht, eine unabhängige Folge des sich steigernden Interesses an ihm, und letztlich der Liebe zu ihm“ 180 . Auch hier ist der Akt jedoch nicht unabhängig vom Objekt, denn zu ihm gehört wesensmässig, „dass das, was ins Dasein setzt, Wille sei, ja, dass dieser Wille ein freier Personwille“ 181 ist. Und was „die Einheit von Willen und Verstand stiftet, die ohne sie dualistisch auseinanderfielen“ 182 , ist die Liebe. „Gott ist das summum bonum, das als Person zugleich Seinsgutheit ist.“ 183 Ja, „Gott liebt nicht, was er will und weil er will, sondern er will ewig, was er liebt und liebend als Wert bejaht“ 184 . Was aus phänomenologischer Sicht für nichts anderes steht, als für den „Primat des Liebens vor dem Erkennen“ 185 . Ein Diktum, das von Hildebrand bei der Ausarbeitung seiner Theorie der Wertblindheit und ihren Gründen of‐ fensichtlich beeinflusst hat. 186 1.7.1 Schelers werttheoretische Begründung der Religionsphilosophie Werte bezeichnet Scheler als „unreduzierbare Grundphänomene der fühlenden Anschauung“ 187 . Sie sind zu unterscheiden von sinnlich wahrnehmbaren Qua‐ litäten, wie beispielsweise den Farben. „Infolgedessen sind sie kein Sein, soweit man unter diesem Ausdruck etwas in sich Subsistierendes versteht“ 188 . Werte sind Urphänomene, deren Wertgehalt - wie bei allen letzten Wertphänomenen - nicht definierbar, sondern nur erfahrbar ist. Sie können nur deskriptiv vermittelt werden für denjenigen, der sie zu fühlen fähig ist. Wie die sinnlich wahrnehm‐ baren Qualitäten, erscheinen auch die Wertqualitäten immer an etwas, an einem Wertträger. Die Einheit von Wertqualität und Wertträger bildet ein Gut. Ge‐ 1.7 Stimmen Scheler und von Hildebrand überein? 311 <?page no="312"?> 189 In einem nachgelassenen Schriftstück aus den Jahren 1943 / 44 findet sich bei von Hil‐ debrand das klärende wertspezifische Wort, dass der Wert als letzte in sich ruhende Realität in der Essenz gründe und die Existenz dafür vorausgesetzt sei. Vgl. von H I L D E‐ B R A N D , Unveröffentlichter Nachlass, „Philosophy of Being“, Mappe 3 (3 / 25). Eine grundlegende Darstellung der Wertphilosophie von Hildebrands findet sich oben unter II, 3.1 - „Das Seiende und der Wert“. 190 G E Y S E R , Max Schelers Phänomenologie der Religion, S. 101. 191 Vgl. S C H E L E R , Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik, Zweiter Teil, V., 8., S. 331-345. 192 Vgl. ebd., Erster Teil, II., 5., S. 122-126. 193 Wolfhart H E N C K M A N N , Max Scheler, S. 236. geben sind die Werte im Akt des intentionalen Fühlens, wobei das Wertfühlen ein spezifisches Erkenntnisvermögen darstellt. Wie bereits erwähnt, gründete Scheler mit dem Begriff des Wertfühlens terminologisch auf Husserl, der in diesem Zusammenhang den Begriff des Wertnehmens verwendete. Von Hilde‐ brand wiederum bezog sich neben „Wertnehmen“ und „Wertfühlen“ zudem auch auf den Begriff des Wertsehens. Während von Hildebrand die Werte im ersten Teil seiner Ethik detailliert herausgearbeitet und ihr Wesen von falschen Inter‐ pretationen abgegrenzt hat, 189 vermisst Joseph Geyser in Schelers Schriften eine Antwort auf die Frage, worin das Wesen des Wertes eigentlich besteht. „Scheler sagt das meines Wissens an keiner Stelle. Er operiert immerfort mit dem Begriff der Werte, definiert ihn aber niemals.“ 190 Jedoch unterschied Scheler im Zusammenhang mit seiner Werttheorie klar zwischen vier Schichten des emotionalen Lebens und vier ihnen korrespondier‐ enden Wertarten: Erstens die sinnlichen Gefühle der Lust und der Unlust, zwei‐ tens die vitalen Gefühle wie z. B. die Gefühle der Gesundheit oder der Müdigkeit, drittens die seelischen Gefühle wie Trauer oder Freude, und schliesslich die geistigen Gefühle wie Achtung oder Verzweifelung. 191 Diesen intentionalitäts‐ fähigen Arten des Fühlens ordnet er spezifische Wertarten zu, 192 die durch die charakteristische Gegensätzlichkeit von positiven und negativen Werten ge‐ prägt sind. Die sinnlichen Werte gliedern sich in angenehm und unangenehm bzw. nützlich und nutzlos. Die vitalen Werte in edel und gemein, die geistigen Werte scheiden sich sodann in die ethischen Grundwerte recht und unrecht, in die ästhetischen Grundwerte schön und hässlich und schliesslich in wahr und falsch. Viertens gliedern sich die religiösen Werte in die grundlegenden Werte des Heiligen und Unheiligen. Nach Wolfhart Henckmann stellt Schelers werttheoretische Begründung der Religionsphilosophie „seine grösste, seine grundlegende Leistung in den religi‐ onsphilosophischen Richtungskämpfen der ersten Hälfte des 20. Jahrhun‐ derts“ 193 dar. Das hat seinen Grund nicht primär in der Bestimmung des Heiligen 1 Die Bewegungsumkehr der Liebe oder Gott als Initiator des Dialogs 312 <?page no="313"?> 194 S C H E L E R , Probleme der Religion, S. 339. 195 Vgl. ebd., S. 159. 196 Vgl. ebd., S. 244 f. (Kursiv im Orig.) 197 Ebd., S. 247. 198 Ebd., S. 248. 199 Ebd. 200 Vgl. von H I L D E B R A N D , Max Schelers Stellung zur katholischen Gedankenwelt, S. 359. 201 Vgl. D E R S ., Max Scheler als Ethiker, S. 333. als eines „ausgezeichneten gottinnigen Menschen“ 194 , sondern in der Phänome‐ nologie des religiösen Aktes. Sein Interesse für den religiösen Akt liegt darin begründet, dass „an ihm und seinen Sinngesetzen“ an deutlichsten klar werde, „wie es zu einer in sich ruhenden religiösen Glaubensevidenz kommt und die Religion sich nach ihren autonomen Gesetzen entfaltet, fortbildet und höher‐ bildet“. 195 Scheler grenzt drei Merkmale des religiösen Aktes ab, „die auf alle Fälle diagnostischen Wert haben für seine Unterscheidung von allen anderen Akt‐ arten“; diese Merkmale sind: „1. die Welttranszendenz seiner Intention, 2. die Erfüllbarkeit nur durch das ‚Göttliche‘, 3. die Erfüllbarkeit des Aktes nur durch die Aufnahme eines sich selber erschliessenden, dem Menschen sich hingebenden Seienden göttlichen Charakters“. 196 Während das erste Merkmal sich auf die Transzendenz über das Ganze der Welt hinaus bezieht, steht das zweite Merkmal für das wesentliche Ungenügen alles dessen, was zur Welt gehört, denn in jedem religiösen Akt „überschreitet unser Geist nicht nur dieses oder jenes, sondern den Wesensbegriff endlicher Dinge“ 197 . Das dritte Merkmal bezieht sich schliess‐ lich auf die Forderung der religiösen Akte auf „eine Antwort, einen Wider- und Gegenakt seitens eben des Gegenstandes, auf den er seinem intentionalen Wesen nach abzielt“ 198 . Womit schon gesagt sei, „dass von ‚Religion‘ nur die Rede sein kann, wo ihr Gegenstand göttliche personale Gestalt trägt und wo Offenbarung (im weitesten Sinne) dieses Persönlichen dem religiösen Akt und seiner Inten‐ tion die Erfüllung gibt“ 199 . Mit seinem Grundsatz, dass es die Gegenstände sind, die die Aktarten be‐ stimmen, hat Scheler die subjektivistische Ethik Kants überwunden und den Boden für weitere Forschungen grundsätzlich bereitet. Zwar hat Scheler die Möglichkeit erschlossen, doch realisiert hat er sie nur vereinzelt und auch da nur bis zu einem gewissen Grad. 200 An Schelers Wertlehre ist überdies zu kriti‐ sieren, dass er unbeachtet liess, „dass von jedem Träger eines echten Wertes eine Forderung ausgeht“, womit er „eine der zentralsten Tatsachen nicht nur der Ethik, sondern der Wertlehre überhaupt“ übersehen hat. 201 Auch mass er der Wertantwort nicht die ihr zustehende Bedeutung zu. Was von Hildebrand darauf zurückführt, „dass er in der Herausarbeitung des Wesens der Werte nicht weit 1.7 Stimmen Scheler und von Hildebrand überein? 313 <?page no="314"?> 202 Vgl. ebd., S. 334. 203 Ebd. 204 S C H E L E R , Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik, Vorwort zur dritten Auflage, S. 17. 205 Vgl. von H I L D E B R A N D , Max Schelers Stellung zur katholischen Gedankenwelt, S. 349. 206 Ebd., S. 343. 207 Max S C H E L E R , Die Stellung des Menschen im Kosmos, S. 91. 208 Ebd. genug vordrang“ und den Bereich des bloss subjektiv Befriedigenden „von dem Reich des in sich Schönen, Guten, um seiner selbst willen Gottgewollten nicht in seiner ganzen prinzipiellen Verschiedenheit trennte“. 202 Vielmehr führte er diesen Unterschied auf einen Höhenunterschied zurück und „alles sittlich Schlechte auf einen blossen falschen Vorzug“ 203 . 1.7.2 Pantheismus und Selbstdeifikation 1922 / 23 wandelte sich Schelers religionsphilosophisches und metaphysisches Denken, wovon er im Vorwort zur dritten Auflage seines Formalismusbuchs (1926) wie folgt Zeugnis ablegt: Es ist der Öffentlichkeit nicht unbekannt geblieben, dass der Verfasser in gewissen obersten Fragen der Metaphysik und der Philosophie der Religion seinen Standort seit dem Erscheinen der zweiten Auflage dieses Buches nicht nur erheblich weiterentwi‐ ckelt, sondern auch in einer so wesentlichen Frage wie der Metaphysik des einen und absoluten Seins (das der Verfasser nach wie vor festhält) so tiefgehend geändert hat, dass er sich als einen ‚Theisten‘ (im herkömmlichen Wortsinne) nicht mehr bezeichnen kann. 204 Gemessen an seinen früheren Leistungen, stellen Schelers Werke nach 1922 „einen ungeheuren philosophischen Niedergang dar“ 205 , der „schliesslich in einer ausgesprochen pantheistischen Philosophie endete“ 206 . Seinen Grund hat dieses Wort von Hildebrands etwa in Schelers Leugnung der theistischen Vor‐ aussetzung eines „geistigen, in seiner Geistigkeit allmächtigen persönlichen Gott[es]“ 207 , wie er sie in seiner Schrift aus dem Jahre 1928 - Die Stellung des Menschen im Kosmos - in Worte fasste. Nunmehr lag ihm „das Grundverhältnis des Menschen zum Weltgrund darin, dass dieser Grund sich im Menschen […] selbst unmittelbar erfasst und verwirklicht“ 208 . „Der Ort dieser Selbstverwirkli‐ chung, sagen wir: gleichsam jener Selbstvergottung, die das Durch-sich-sei‐ ende-Sein sucht und um deren Werden willen es die Welt als eine ‚Geschichte‘ 1 Die Bewegungsumkehr der Liebe oder Gott als Initiator des Dialogs 314 <?page no="315"?> 209 Ebd., S. 91 f. (Kursiv im Orig.) 210 Vgl. von H I L D E B R A N D , Selbstdarstellung, S. 80. 211 Vgl. die verschiedenen diesbezüglichen Ausführungen in von H I L D E B R A N D , Max Schelers Stellung zur katholischen Gedankenwelt. 212 Vgl. S C H E L E R , Probleme der Religion, S. 225-240. 213 Ebd., S. 231. 214 Scheler verstand den sogenannten Fall noch in seiner mittleren Phase als „eine vom Theismus unablösbare Wahrheit der Vernunft“ (ebd., S. 225). „Da wir nur eine voll‐ kommen gute und sinnvolle Welt als Schöpfung eines mit den Attributen der Liebe und der unendlichen Vernunft ausgestatteten Schöpfers ohne jeden Zweifel zu erwarten haben, in der uns bekannten Welt aber Unvollkommenheit, Böses, Übel in breitester Realität anzutreffen ist, so ist es für uns ein sicherer (von Offenbarung ganz unabhän‐ giger) Vernunftschluss, dass die Welt durch eine freie geistige Ursache nach ihrer Schöpfung in eine grundlegend andere Verfassung geraten sei, als diejenige war, in der sie sich unmittelbar befand, als sie aus den Schöpferhänden hervorging“ (ebd.). 215 von H I L D E B R A N D , Max Scheler als Ethiker, S. 339. in Kauf nahm - das eben ist der Mensch, das menschliche Selbst und das mensch‐ liche Herz.“ 209 Doch warum kam es eigentlich zu dieser Wende? Nach dem Urteil von Diet‐ rich von Hildebrand, den, wie bereits erwähnt, von 1908 bis 1921 eine „enge Freundschaft mit Scheler“ verband, 210 während der er Schelers philosophische Einstellung und seine Person genau kennen lernte, hat diese Wende ihre Wur‐ zeln in der Person Schelers, dessen Verhältnis zu den Dingen, der er rastlos, willensschwach und ungehemmt triebhaft war, sich im Erkennen erschöpfte, wozu nicht zuletzt auch gewisse Konflikte im Privatleben kamen. 211 Trotz Sche‐ lers pantheistischer Spätphilosophie der Selbstvergottung und Selbsterlösung und trotz des pessimistischen Teils seiner Philosophie, 212 der in dem unabläs‐ sigen Fallen der Welt liegt und „ein so tiefes Charaktermerkmal ihres Daseins aus[macht], dass es alles durchdringt, was wir kennen, alle Gebiete des Wirkli‐ chen“ 213 , 214 bleibt dennoch Verschiedenes bestehen, das des Lobes würdig ist. So v. a. seine in historischer Sicht erstmalige ausdrückliche philosophische Fassung der zentralen Punkte des Ethischen, welche trotz der Irrtümer seiner Auffassung niemand ausser Acht lassen kann, „der in Zukunft tiefer in das Reich der Ethik eindringen will“ 215 . Ist die leitende Frage dieses Kapitels nun zu bejahen oder zu verneinen? Er‐ streckt sich Schelers und von Hildebrands Übereinstimmung in der Zurückwei‐ sung der Kant’schen Ethik auch auf die Religionsphilosophie, oder tut sie dies nicht? Wussten sie den phänomenologischen Grundsatz der Korrespondenz von Akt und Objekt auch in der Religionsphilosophie zur Anwendung zu bringen und vermochten sie auf seinem Fundament zu einschlägigen Einsichten zu ge‐ 1.7 Stimmen Scheler und von Hildebrand überein? 315 <?page no="316"?> langen und die Philosophie der Religion auf überzeugende Weise neu zu be‐ gründen? So, wie sie gestellt ist, kann diese Frage weder einfachhin bejaht noch verneint werden. Vielmehr stellt sich das Verhältnis gleichsam so wie jedes Empor- und Herauswachsen im Biologischen dar. Bei seinem Lehrer - Professor Max Scheler - lernte von Hildebrand die Philosophie kennen und lieben. An Schelers Seite reifte er zu einem Phänomenologen heran. Nachdem er immer mehr be‐ merkte, dass Scheler nicht alleine geistreich und ein höchst interessanter Redner war, trieb er seine Forschungen in eigener Sache weiter. Dies vor allem ab dem Zeitpunkt, da Scheler die theistische Grundlinie seines Denkens aufgab und sich einem platten Pantheismus überantwortete. Inwiefern von Hildebrand von Scheler aber auch profitierte und wie sich der Beitrag Schelers auf von Hildebrand auswirkte, wird sich im nächsten Punkt erweisen, wenn der phänomenologische Grundsatz der Korrespondenz von Akt und Objekt in bestimmten religiösen Akten aus der Sicht von Hildebrands untersucht werden wird. 1 Die Bewegungsumkehr der Liebe oder Gott als Initiator des Dialogs 316 <?page no="317"?> 1 Vgl. D E R S ., Christliche Ethik, 14. Kap., S. 197. 2 Vgl. D E R S ., Wahre Sittlichkeit und Situationsethik, 11. Kap., Christliche Moral, S. 151 f. 3 D E R S ., Christliche Ethik, 36. Kap., S. 539. 4 D E R S ., Religion und Sittlichkeit, S. 126. 5 D E R S ., Sittliche Grundhaltungen, S. 20 f. 6 D E R S ., Die Bedeutung der Ehrfurcht in der Erziehung, S. 365. 2 Die Antwort des Menschen Der Mensch bedarf nicht der Erkenntnis des Existenz Gottes, um die Stimme des Gewissens zu vernehmen und den Unterschied zwischen dem sittlich Guten und Bösen im Allgemeinen und zwischen bestimmten Werten und Unwerten im Besonderen zu begreifen. Dass der Mord etwas Böses und es sittlich schlecht ist, einem anderen Menschen ohne Not Leiden zuzufügen, der darin enthaltene on‐ tische Wert der menschlichen Person kann auch ohne Bezugnahme auf Gott erfasst und begriffen werden. 1 Die sittlichen und die sittlich bedeutsamen Werte erscheinen jedoch in einem neuen Licht, sobald man um ihre Beziehung zu Gott weiss. Auch das Wesen der Wertantwort erhellt, sobald die Beziehung der sittlich relevanten Werte zu Gott erfasst wird. 2 „Sittlich bedeutsame und vor allem sitt‐ liche Werte sind in solcher Weise mit Gott verbunden, dass wir in unserer Zu‐ stimmung und Antwort auf sie implicite Gott folgen und antworten.“ 3 Dagegen wird Gott missachtet, wenn ein sittlich bedeutsamer Wert gering geschätzt wird. Doch ist und bleibt die Person so lange Träger einer natürlichen Sittlichkeit, „als in ihrem Sein, Wollen und Handeln die immanente Richtung auf Gott nicht aus‐ drücklich zerstört und aufgehoben ist, als sie die in allem Guten liegende im‐ manente Verbindung mit Gott nicht ausdrücklich zerschneidet“ 4 . 2.1 Die Ehrfurcht als Grundlage und Anfang der „religio“ und die Wachheit als allgemeine Resonanzfähigkeit des Geistes 2.1.1 Die Ehrfurcht „Grundlage für das richtige Verhalten zu sich selbst, zum Nächsten, zu allen Gebieten des Seienden und vor allem zu Gott“ 5 , ist die Ehrfurcht. Von Hildebrand nennt sie auch die „Grundhaltung, die alle Tugenden schon voraussetzen“ 6 . Sie ist „eine notwendige Vorbedingung und zugleich ein Wesenselement aller Tu‐ <?page no="318"?> 7 Ebd., S. 366. 8 Vgl. D E R S ., Sittliche Grundhaltungen, S. 20. 9 Vgl. D E R S ., Die Bedeutung der Ehrfurcht in der Erziehung, S. 366. 10 Ebd. 11 D E R S ., Sittliche Grundhaltungen, S. 14. 12 Ebd. 13 Ebd. 14 Ebd., S. 15. 15 D E R S ., Liturgie und Persönlichkeit, 3. Kap., S. 226. 16 Ebd. 17 D E R S ., Sittliche Grundhaltungen, S. 15. genden“ 7 . Die Ehrfurcht ist die überaktuelle Antwort auf die Würde des Seienden als solches. Und wie es ohne Ehrfurcht keine Tiefe gibt, so erschliesst sich auch die Sphäre der Religion nur dem Ehrfürchtigen. 8 Warum aber erschliesst sich nur dem Ehrfürchtigen die Sphäre der Religion, was zeichnet ihn aus? Seine Eigenheiten werden sich verdeutlichen, wenn er vor dem Hintergrund des Ehrfurchtslosen betrachtet wird. Ein Ehrfurchtsloser macht sich „blind für ein adäquates Erkennen und Verstehen der Tiefe und des Geheimnisses des Seienden“, „weil er sich dem Seienden entweder in einer Hal‐ tung anmassender Überlegenheit oder mit taktlos jovialer Anbiederung nä‐ hert“. 9 Der Ehrfurchtslose „benimmt sich wie einer, der so nah an einen Baum oder ein Gebäude herangeht, dass er es nicht mehr sehen kann“ 10 . Die Ehr‐ furchtslosigkeit ist entweder im Hochmut oder in der Begehrlichkeit begründet. Der Unehrfürchtige aus Hochmut ist der Freche, „der in dünkelhafter Schein‐ überlegenheit an alles herantritt und sich gar nicht die Mühe macht, irgendeine Sache von innen her zu verstehen“ 11 . „Es ist der Mensch, für den es nichts geben kann, was grösser ist als er selbst, was über seinen Horizont hinausragt, für den die Welt des Seienden keine Geheimnisse birgt.“ 12 Der nicht Staunen (θαυμάζειν) kann und „glaubt, alles ohne weiteres zu durchschauen und von vornherein zu kennen“ 13 . Der Unehrfürchtige aus Begehrlichkeit lebt zwar ebenfalls in einem Ich‐ krampf, unterscheidet sich vom Vertreter der erstgenannten Spielart aber da‐ durch, dass ihn nur interessiert, „ob etwas angenehm ist oder nicht, ob es ihm Lust spendet, ob es ihm nützt, ob er es brauchen kann“ 14 . „Auch er kreist in der Enge um sich selbst.“ 15 Doch tritt er „nicht frech und dünkelhaft an die Welt heran, sondern tölpelhaft und ahnungslos“ 16 , sein Blick fällt „‚von aussen blöde auf alles‘, ohne Verständnis für den wahren Sinn und Wert einer Sache“ 17 . Dass der Unehrfürchtige in dieser oder jener Ausprägung die Gemeinschaften sprengt 2 Die Antwort des Menschen 318 <?page no="319"?> 18 Vgl. ebd., S. 19. 19 Vgl. D E R S ., Metaphysik der Gemeinschaft, 8. Kap., S. 111. 20 Vgl. A R I S T O T E L E S , Nikomachische Ethik, III, 7, 1113b30-33: Selbst die Unwissenheit bestraft das Gesetz, wenn sich herausstellt, dass man an ihr selber schuld ist. So trifft die, die sich in der Trunkenheit vergehen, ein doppeltes Strafmass, weil die Ursache in dem Betrunkenen selber liegt. Es stand bei ihm, sich nicht zu betrinken. Die Trunkenheit aber war die Ursache seiner Unwissenheit. 21 von H I L D E B R A N D , Sittliche Grundhaltungen, S. 16. 22 D E R S ., Liturgie und Persönlichkeit, 3. Kap., S. 225. 23 Vgl. ebd., S. 226. 24 Ebd., S. 228. und zersetzt, 18 versteht sich alleine schon von da her, dass den Unwerten eine entzweiende und tief isolierende Wirkung inne wohnt. 19 Beide Arten der Ehrfurchtslosigkeit liegen jedenfalls in der Eigenverantwor‐ tung der Person, denn für ihre Ehrfurchtslosigkeit ist die Person insofern ver‐ antwortlich, als sie ihre Grundhaltungen indirekt zu beeinflussen vermag. Aris‐ toteles vergleicht diese Art der Verantwortlichkeit mit derjenigen, die man für in der Trunkenheit begangene Handlungen hat: Für solche Handlungen ist man zwar nicht direkt verantwortlich, sehr wohl aber dafür, dass man überhaupt betrunken wurde. 20 Der Ehrfürchtige dagegen ist „frei vom Ichkrampf, von Hochmut und Be‐ gehrlichkeit. Er füllt nicht die Welt mit seinem Ich aus, sondern lässt dem Sei‐ enden ‚Platz‘, sich in seiner Eigenart zu entfalten“ 21 . Er bejaht das Seiende als solches, er drängt sich selbst nicht vor, schweigt und blickt auf. Nur dem Ehr‐ fürchtigen erschliesst sich die Welt „in ihrer Tiefe, Differenzierung und Wert‐ fülle“, und jeder neu sich erschliessende Wert begründet wiederum „eine neue Fortgestaltung, Bereicherung und Differenzierung der Ehrfurchtshaltung“. 22 Die Ehrfurcht antwortet allerdings nicht nur auf den Wert des Seienden als solchen, sondern überdies auf den bestimmten Wert des jeweiligen Seienden und auf seinen Wert in der Hierarchie der Werte. So ist der Ehrfürchtige offen und bereit, etwas Höheres anzuerkennen, sich diesem unterzuordnen und hinzugeben. In seiner Wertsichtigkeit ist der Ehrfürchtige die subjektive Grundlage und der Anfang der Religion. Denn die Ehrfurcht ist die unerlässliche Voraussetzung der Religion, ohne sie gäbe es nicht einmal die primitivste Naturreligion. 23 . „Aber nicht ein Ehrfurchtsethos als solches ist das Entscheidende, sondern die Ehr‐ furcht als richtige Antwort auf den wahren Gott.“ 24 Ehrfurcht und Wachheit 319 <?page no="320"?> 25 D E R S ., Christliche Ethik, 27. Kap., S. 437. 26 Ebd. 27 Ebd., S. 438. 28 Ebd. 29 Ebd. 30 D E R S ., Liturgie und Persönlichkeit, 3. Kap., S. 249. 31 Ebd. 2.1.2 Die Wachheit Die Ehrfurcht ist ebenso wie alle anderen überaktuellen Haltungen der bestän‐ digen Gefahr unterworfen, sie durch die abstumpfende Wirkung des Üblichen und Gewohnheitsmässigen wieder zu verlieren. Von Hildebrand nennt es „eine tragische menschliche Schwäche, dass wir in Gefahr sind, ein hohes Gut weniger zu schätzen, sobald wir uns an es gewöhnt haben“ 25 . Die sich in der Antwort auf diesen Unwert herausbildende Haltung bezeichnet er als „geistige Wachheit“ 26 . Nichtsdestotrotz ist er Realist genug, um sich über die Äquivokation des Begriffs der Gewohnheit im Klaren zu sein. Er scheidet zwischen einer negativen, einer abstumpfenden Gewohnheit einerseits und einer positiven, vertraut machenden Wirkung andererseits. So gibt es Menschen, bei denen die Gewohnheit „eine Quelle der Zuneigung“ 27 ist, die etwas nur darum schätzen, weil sie sich daran gewöhnt haben. Damit sind sie jedoch gleichermassen unobjektiv wie die Sen‐ sationshungrigen, die stets nach Neuem und Unbekanntem gieren. Positiv nennt von Hildebrand sodann die Wirkung der Gewohnheit im Sinne der Vertrautheit als einer unerlässlichen Bedingung für die echte Beziehung zum Gut. Gewissen Menschen enthüllt sich der Wert eines Gutes nur nach längerem Umgang mit ihm, „solange ihnen etwas neu und ungewohnt ist, sind sie ausserstande, es zu ergründen“ 28 . Das Gefühl, Aussenseiter zu sein, versperrt ihnen den Zugang und die Würdigung des betreffenden Gutes. „Nur wenn ihnen etwas bekannt, in ihr Leben eingefügt ist, öffnen sie sich, und ihre Liebe ist nicht mehr gehemmt.“ 29 Dass sowohl die negative als auch die positive Wirkung der Gewohnheit unob‐ jektiv und gewiss keine Tugenden sind, ist evident, denn weder setzen sie die freie Antwort auf einen bestimmten Wertbereich voraus noch sind es Aktuali‐ sierungen der moralischen Grundintention, vielmehr sind es deutliche Zeichen dafür, gerade nicht wach zu sein. Es gibt zweifelsohne Menschen, die zwar nicht wertblind sind, die es aber gleichsam dem Zufall überlassen, „ob ein Wert ihnen aufgeht, ob er sie ergreift, sie lassen sich ‚schwimmen‘ und hintragen, wohin sie der Strom der Ereignisse, ihre Triebe, ihre augenblickliche Stimmung hintreiben“ 30 . Diese Menschen schlafen geistig, denn „ihr Leben ist ein ständiges geistiges Sich-Gehenlassen und darum ein Leben in der Peripherie“ 31 . Vom jeweils Aktuellen lassen sie sich 2 Die Antwort des Menschen 320 <?page no="321"?> 32 Ebd. 33 Ebd., S. 250. 34 Vgl. ebd., S. 249. 35 Vgl. ebd., S. 250. 36 D E R S ., Die Umgestaltung in Christus, 4. Kap., S. 53. 37 Vgl. D E R S ., Was ist Philosophie? , 7. Kap., II., S. 181. 38 D E R S ., Liturgie und Persönlichkeit, 3. Kap., S. 250. 39 Vgl. ebd. 40 Siehe oben III, 9.2 - „Die Sphäre der Antworten auf individuelle Güter“. 41 von H I L D E B R A N D , Liturgie und Persönlichkeit, 3. Kap., S. 251. ganz einnehmen, so dass ein Tag nach dem anderen vergeht, „ohne dass sie je zu der tieferen Schau der Welt und ihrer selbst ‚erwachen‘, ohne dass sie nach dem Sinn des Seienden und ihrer selbst fragen“ 32 . Solche unerwachte Menschen „‚leben‘ ihr Leben nicht wirklich, es wird gleichsam an ihnen ‚gelebt‘“ 33 . Die innere Wachheit dagegen ist charakterisiert durch „die Zuwendung un‐ seres geistigen Antlitzes zur Welt der Werte“, sie steht für das „Sich-offen-Halten für das Einstrahlen derselben“, für die „innere Bereitschaft, geistig ‚mitzugehen‘“ und „mit ihrem Sinne und Gehalt zu ‚konspirieren‘“. 34 Die Wachheit hat zwei Dimensionen: Während die eine die Geöffnetheit für den Tiefengehalt der Werte, ist die andere das Festhalten an den einmal erkannten Grundwahrheiten, vor allem aber an der „metaphysischen Situation des Menschen“. 35 Denn die Wachheit „besteht ja darin, dass man diese letzte eigentliche Wirklichkeit über‐ aktuell festhält“ 36 und den kleinen und zufälligen Ausschnitt nicht verselbstän‐ digt, der aktuell beschäftigt. So auch in seiner epistemologischen Hauptschrift, auch da heisst es, der Mensch emanzipiere sich in der Wachheit vom Verstrickt‐ sein in die konkrete Situation und stelle sich in eine gewisse Distanz zu ihr. Nicht mehr bewege er sich zwischen den Dingen, sondern stelle sich gleichsam „in die Achse der Wahrheit“, wo er von jeder „fremden Präokkupation und ebenso vom Strudel des Aktuellen befreit“ sei. 37 Die erwähnten beiden Dimensionen der Wachheit sind „zwei Entfaltungs‐ richtungen der einen Grundhaltung der Wachheit“ 38 . Von Hildebrand gliedert diese Grundhaltung des Weiteren in drei verschiedene Stufen des Erwachtseins. An erster Stelle „die allgemeine Zuwendung zu der Welt der Werte und deren Sinngehalt“, die den stumpfen und den wachen Menschen voneinander trennt. 39 Die zweite Stufe des Erwachtseins bildet sodann die sittliche Bewusstheit, von der weiter oben bereits die Rede war. Um eine unnötige Verdoppelung zu ver‐ meiden, sei in der Anmerkung darauf verwiesen. 40 „Die dritte Stufe des Erwa‐ chens ist das innere Geöffnetsein für Gott, das Lauschen auf Gottes Stimme und den Ruf Gottes, die religiöse Wachheit“ 41 . Auf dieser Stufe der Wachheit wird Ehrfurcht und Wachheit 321 <?page no="322"?> 42 Vgl. D E R S ., Die Idee einer katholischen Universität, S. 347 f. 43 Vgl. D E R S ., Christliche Ethik, Prolegomena, S. 32. 44 Ebd. 45 D E R S ., Selbstdarstellung, S. 107. 46 Vgl. D E R S ., Christliche Ethik, 36. Kap., S. 540. 47 Ebd., Prolegomena, S. 33. das tiefste geistige Organ zum Vernehmen der Stimme Gottes erschlossen und dem richtigen Verhältnis zu Gott ein wesentliches Element beigefügt. Unter der Wachheit, „die dem ehrfürchtig-demütig liebenden Ich im Gegen‐ satz zu dem nur begehrlichen eigen ist“, versteht von Hildebrand also „weder eine bloss formale geistige Beweglichkeit“ oder eine „intellektuelle Agilität“, sondern „die allgemeine Resonanzfähigkeit des Geistes“, „die in der sittlichen Sphäre an Stelle der endlosen Suche nach dem bloss subjektiv Befriedigenden zu einer Beantwortung der Werte führt“; einer Resonanzfähigkeit, die „auf in‐ tellektuellem Gebiet der Einladung des Gegenstandes folgt, sich von ihm leiten lässt, fähig ist, mit seiner ratio mitzuschwingen“. 42 2.2 Die übernatürliche oder die christliche Sittlichkeit Wie den Begriff der Erfahrung oder den Begriff der Affektivität - um hier nur zwei seiner zahlreichen klärenden Unterscheidungen zu benennen -, so hat von Hildebrand auch den Begriff der Sittlichkeit zu differenzieren gewusst. „Im Geiste unbegrenzter Offenheit für alles Gegebene“ wolle er, wie er in den Pro‐ legomena zu seiner Christliche[n] Ethik ausführt, „keinen uns zugänglichen sitt‐ lichen Wert von unserer Analyse der Moral ausschliessen“. 43 So sei auch die Tatsache, dass ein Heiliger die vollkommenste Verkörperung der Sittlichkeit und diese „eine neue und unvergleichlich höhere“ sei, „kein Grund, sie von einer philosophischen Analyse auszuschliessen“. 44 „Ich halte es für falsch,“ wie er in seiner Selbstdarstellung zum Ausdruck bringt, „das Ethos der Heiligen, ihre he‐ roischen Tugenden, aus einer philosophischen Ethik verbannen zu wollen.“ 45 Vielmehr müsse das Wesen der Sittlichkeit als solches von ihren höchsten Ma‐ nifestationen aus verstanden werden. Wenn auch der Glaube lehre, dass die Sittlichkeit von der Gnade abhänge - eine geheimnisvolle Verbindung, die einer philosophischen Analyse unzugäng‐ lich ist 46 -, „kann unser Geist ihre Tatsächlichkeit doch mit dem Licht der Ver‐ nunft erkennen, und unsere Vernunft vermag die Beziehung zwischen dieser Sittlichkeit und ihrem Gegenstand zu verstehen“ 47 . Gewiss setzen Tugenden wie die Liebe, die Demut oder die Geduld voraus, „dass die Person, die sie besitzt, 2 Die Antwort des Menschen 322 <?page no="323"?> 48 Vgl. ebd., S. 34. 49 Ebd. 50 Ebd. 51 Ebd., 36. Kap., S. 536. 52 Diese und weitere Haltungen des christlichen Ethos legte von Hildebrand in Die Um‐ gestaltung in Christus detailliert auseinander. 53 von H I L D E B R A N D , Christliche Ethik, 36. Kap., S. 540. 54 D E R S ., Religion und Sittlichkeit, S. 117. 55 Vgl. ebd. Siehe auch D E R S ., Die neue Welt des Christentums, S. 482 f. Kenntnis von der christlichen Offenbarung hat“, denn sie setzen eine Sicht der Welt voraus, die sie nur durch die christliche Offenbarung erlangen kann. 48 „Aber die Ethik fragt hier nicht nach der Wahrheit dieser Offenbarung und be‐ ruft sich nicht auf geoffenbarte Wahrheiten als Beweisgründe.“ 49 Aus methodi‐ schen Gründen ist die christliche Ethik nicht mit der Moraltheologie zu ver‐ mengen, sie „zeigt nur das notwendige Verbindungsglied zwischen diesen Tugenden und der christlichen Offenbarung als ihrem intentionalen Gegen‐ stand“ 50 . Die christliche Ethik ist eine streng philosophische Analyse, die von den data ausgeht, die unserer Erfahrung zugänglich sind. „Aber sie enthält in‐ sofern eine Beziehung zur Offenbarung, als sie diejenige Sittlichkeit einschliesst, die nur durch die christliche Offenbarung möglich ist.“ 51 Will heissen, dass Tu‐ genden wie die Veränderungsbereitschaft, die Demut, die Einfachheit, die Sanftmut, die Barmherzigkeit, die Geduld oder die Friedfertigkeit 52 „allein als Antwort auf den Gott der christlichen Offenbarung und auf den im Licht der Offenbarung gesehenen Menschen möglich sind“ 53 . Die übernatürlichen Tu‐ genden und sittlichen Haltungen, welches auch ihr Gegenstand ist, entspringen aus einer Antwort auf Gott, sie sind nur möglich durch die religiöse Motiva‐ tion. Von da her versteht sich auch der Unterschied zu einer Person wie Sokrates, die sehr wohl Träger solcher Tugenden wie der Gerechtigkeit, der Wahrhaftig‐ keit, der Solidarität, der Treue, der Besonnenheit, der Mässigkeit, der Zuverläs‐ sigkeit oder der Bescheidenheit sein kann. Bei der sich Tugenden wie Demut, Nächstenliebe, Feindesliebe, Sanftmut, Keuschheit, Reinheit, Geduld oder Ge‐ horsam jedoch nicht deswegen nicht finden, weil Sokrates sie auf seiner Tu‐ gendstufe nicht besitzen kann, sondern weil er sie nicht besitzen will, „weil er ihnen völlig verständnislos gegenübersteht“ 54 . Nur dann nämlich kann die Person Träger der letztgenannten Tugenden sein, wenn ihre Sittlichkeit im Re‐ ligiösen fundiert und direkt von Gott gespeist und getragen ist. 55 Während von Hildebrand die Tugenden eines Sokrates der natürlichen Sittlichkeit zurechnet, gehören ihm die Tugenden des christlichen Ethos - die Tugenden, die „nur an‐ gesichts Gottes, des allmächtigen, allwissenden, allgütigen, allheiligen Herrn, 2.2 Die übernatürliche oder die christliche Sittlichkeit 323 <?page no="324"?> 56 D E R S ., Religion und Sittlichkeit, S. 118. 57 Vgl. ebd., S. 124. 58 D E R S ., Unveröffentlichter Nachlass, „Religionsphilosophie“, Mappe 83 (83 / 212 f.). 59 Vgl. D E R S ., Moralia, 1. Kap., S. 62. 60 D E R S ., Christliche Ethik, 36. Kap., S. 536. Vgl. auch D E R S ., Tugend heute, S. 86. 61 D E R S ., Tugend heute, S. 87. 62 D E R S ., Die neue Welt des Christentums, S. 483. 63 Vgl. Tugend heute, S. 87. Zum Thema der Bergpredigt und ihren Seligpreisungen vgl. auch Augustinus’ Schrift De sermone domini in monte libros duos. Zu einer deutschen Übersetzung vgl. Aurelius A U G U S T I N U S , Die Bergpredigt. 64 Vgl. Mt 5,1-7,29. 65 von H I L D E B R A N D , Die neue Welt des Christentums, S. 482 f. 66 Mt 10,39. Parallelstellen finden sich Mk 8,34-35; Lk 9,24, 17,33; Joh 12,25. wie ihn uns die christliche Offenbarung gezeigt hat, möglich und sinnvoll sind“ 56 - der übernatürlichen oder christlichen Sittlichkeit an. Auf dieser hö‐ heren Stufe setzt die Sittlichkeit wesenhaft die Religion voraus, 57 demnach die übernatürlichen Tugenden sich nicht verwirklichen können, „ausser als Ant‐ wort auf [die] Offenbarung“ 58 im Sinne einer bedingungslosen Annahme des durch die Kirche Tradierten. Dabei ist sie nicht eine andere Sittlichkeit neben der natürlichen, vielmehr ist sie - als bewusst und direkt auf Gott bezogene 59 - „die Erfüllung aller natürlichen Sittlichkeit“ 60 . Wer meint, die christliche Sittlichkeit sei eine unter vielen anderen Moralen und ihre Eigenart aus der Abkehr von der Welt abzuleiten sucht, statt in ihr die Ursubstanz alles Sittlichen zu entdecken, der beweist damit, „dass ihm das Phä‐ nomen der Heiligkeit nie aufgegangen ist“ 61 . Was in einer Zeit, die sich aus‐ zeichnet durch die „Verwischung des Unterschiedes von Natürlichem und Über‐ natürlichem“ 62 , auch nicht sonderlich überrascht. Diese Verwischung war sicherlich zumindest eine Mitursache, weswegen von Hildebrand selbst es als „eines der grossen Anliegen meines gesamten Lebenswerkes“ bezeichnet hat, „das ganz Neue der Sittlichkeit der Bergpredigt herauszuarbeiten“, 63 wozu eben gerade auch die von ihm hervorgehobenen christlichen Tugenden gehören, 64 welche „nur durch die Beziehung auf Gott möglich sind“ 65 . Auch leitete ihn die Schriftstelle, an der es heisst: „Wer das Leben gewinnen will, wird es verlieren; wer aber das Leben um meinetwillen verliert, wird es gewinnen.“ 66 Die sachliche Übereinstimmung mit seiner Lehre vom Motiviertwerden durch das bloss sub‐ jektiv Befriedigende im Unterschied zu den Werten ist augenscheinlich. Auf dieser höheren Stufe der Sittlichkeit bezeichnet von Hildebrand das Zentrum aller guten Akte und Haltungen auch nicht mehr bloss als wertant‐ wortendes Zentrum, wie er dies auf der Ebene der natürlichen Sittlichkeit tut, 2 Die Antwort des Menschen 324 <?page no="325"?> 67 von H I L D E B R A N D , Christliche Ethik, 36. Kap., S. 546. 68 D E R S ., Die Umgestaltung in Christus, Einleitung, S. 10. 69 Vgl. II - „Die Erkenntnis Gottes“. 70 Zum Terminus der Sinnlogik vgl. Max S C H E L E R , Probleme der Religion, S. 157 oder S. 254. sondern spricht spezifizierend von dem mit Hochmut und Begehrlichkeit nicht zu vereinbarenden „ehrfürchtigen, demütigen, liebenden Zentrum“ 67 . 2.3 Einige spezifisch religiöse Akte und Haltungen Wenn die in der Folge zu besprechenden religiösen Akte und Haltungen in einer gewissen Reihenfolge erscheinen - dies gleich vorweg -, dann ist dies nicht in dem Sinne zu verstehen, als bilde die eine die Voraussetzung für die andere. Wie von Hildebrand in der Einleitung zu seiner ebenso sublimen wie tiefschürfenden Analyse des christlichen Ethos und der daraus resultierenden umgestaltenden Wirkung auf die menschliche Person erwähnt, greifen die übernatürlichen Tu‐ genden so ineinander, „dass jede in einer bestimmten Hinsicht die Vorausset‐ zung für die andere bildet, in anderer Hinsicht wieder als die Frucht dieser Tugend erscheint“ 68 . Vor der Behandlung einiger spezifisch religiöser Akte und Haltungen sind erst einige allgemeine Bemerkungen über die religiösen Akte am Platz. Die re‐ ligiösen Akte können erstens nicht einem endlichen Wesen gegenüber vollzogen werden, vielmehr gehen sie über den Rahmen der Weltimmanenz hinaus. Dabei setzen sie ein Mindestmass an Wissen über das Objekt voraus, das den Bezugs‐ punkt der Akte bildet. Dass über Gott, den Adressaten der religiösen Akte, auch tatsächlich Wissen erlangt werden kann, konnte weiter oben dargetan werden. 69 Die religiösen Werte wären ja auch eine blosse Illusion, wenn der Sachverhalt der notwendigen Existenz des vollkommenen Wesens nicht be‐ stehen würde. Doch offenbart alleine schon die unerfindbare Schönheit der Werte die Wahrheit über ihr Fundament, über Gott. Der religiöse Akt ist sodann dergestalt reziprok, dass er nach Erfüllung verlangt. Was er deswegen kann, weil der an die absolute Person adressierte Akt sinnvoll ist. Denn wenn die endliche und höchst unvollkommene Person sich an die absolute Person wendete, ohne auf Erfüllung hoffen zu können, dann würden die religiösen Akte jeder „Sinn‐ logik“ 70 ermangeln; was dann der Fall wäre, wenn einem gegebenen Etwas ein Sinn einwohnen würde, dem nicht gewisse Dinge wesensmässig folgen würden. Scheler, der den Begriff der Sinnlogik prägte, versteht darunter „wesensmässige Aufbaugesetze und Folgerungsgesetze der religiösen Akte selbst untereinander 2.3 Einige spezifisch religiöse Akte und Haltungen 325 <?page no="326"?> 71 Ebd., S. 157. 72 von H I L D E B R A N D , Die Umgestaltung in Christus, 2. Kap., S. 30. 73 Vgl. I, 2.1 - „Die Äquivokation des Begriffs der Erfahrung“, IV, 1.1 - „Die Forderungen der sittlich bedeutsamen Werte und das Gewissen“, IV, 1.2.1 - „Dostojewskis Starez Sossima im Lichte der Theorie Freuds“ und IV, 1.5 - „Sossimas Wandel“. 74 von H I L D E B R A N D , Was ist Philosophie? , 4. Kap., III., C., S. 103. 75 D E R S ., Christliche Ethik, Prolegomena, S. 17. 76 D E R S ., Was ist Philosophie? , 4. Kap., III., C., S. 104. Dasselbe gilt auch in Bezug auf den Wert, auf die in sich ruhende Bedeutsamkeit der Reue, die essentiell in ihr gründet und als notwendige und intelligible Verbindung auch mit absoluter Gewissheit erkannt werden kann. Vgl. D E R S ., Christliche Ethik, 7. Kap., S. 109 f. und auseinander“ 71 . Das Ermangeln dieser Logik bei den auf das vollkommene Wesen Gottes gerichteten religiösen Akten anzunehmen, wäre absurd. Absurd deswegen, weil die vollkommene Person innerlich notwendig ist und die Akte intelligibel sind, wie sich gleich zeigen wird. 2.3.1 Die Reue „Am Anfang der Begegnung der Seele mit Gott steht die Reue.“ 72 Was in sach‐ licher Hinsicht unter dem Terminus „Reue“ zu verstehen ist, wurde durch die wiederholte Beschäftigung mit dem betreffenden Abschnitt aus Dostojewskis literarischem Werk Die Brüder Karamasow erfahrbar zu machen gesucht. 73 Wenn es sich dabei auch nicht um einen Tatsachenbericht, sondern um ein literarisches Werk handelt, so kann das Sosein der Reue dennoch auch auf diesem Wege erfahren werden. Zumindest einmal muss das notwendige Sosein der Reue er‐ fahren worden sein, um einen darin gründenden notwendigen Sachverhalt er‐ kennen zu können. Was daher rührt, dass bei den notwendigen Soseinseinheiten die bei den morphischen Einheiten gegebene „Doppeltheit von Erscheinung und konstitutivem Sosein aufgehoben“ 74 ist. Bei den Gegenständen mit notwendiger Einheit erscheint das konstitutive Sosein, denn ein „Etwas kann offenbar un‐ möglich eine blosse Erscheinung sein, wenn es den Charakter innerer Notwen‐ digkeit und voller Intelligibilität besitzt“ 75 . In dem Sinne ist das von Hildebrand‐ sche Wort zu verstehen: „Wir brauchen nur auf ein einziges konkretes Beispiel blicken und können dann dieses Sosein unmittelbar von dem Gegenstand ‚ab‐ lesen‘.“ 76 So lässt sich gerade auch das Sosein der Reue bei der Lektüre der er‐ wähnten Stelle aus Dostojewskis Werk erfahren. Als der damalige Offizier und nachmalige Starez Sossima an dem Morgen, nachdem er seinen Diener am Vorabend blutig geschlagen hatte, aufwacht und das Vorgefallene nochmals Revue passieren lässt, da war es ihm, als habe „eine 2 Die Antwort des Menschen 326 <?page no="327"?> 77 D O S T O J E W S K I , Die Brüder Karamasow, Zweiter Teil, sechstes Buch, II a, S. 511. 78 Zur mitwirkenden Freiheit vgl. oben III, 3 - „Die affektiven Antworten und die mit‐ wirkende Freiheit“. 79 Zur Frage, ob die Reue ebenso frei ist wie der Wille, vgl. von H I L D E B R A N D , Moralia, 32. Kap., S. 364. 80 D E R S ., Moralia, 32. Kap., S. 360. 81 Der genannte Artikel Schelers erschien erstmalig unter dem Titel Zur Apologetik der Reue in der Vierteljahresschrift Summa (Hellerauer Verlag 1917, Heft 1, S. 53 ff.). Von Hildebrands „enge Freundschaft mit Scheler dauerte von 1908 bis 1921“ (von H I L D E‐ B R A N D , Selbstdarstellung, S. 80). 82 Max S C H E L E R , Reue und Wiedergeburt, S. 35. scharfe Nadel mir die ganze Brust durchstossen“ 77 . Wenngleich damit nur das erste Merkmal der Reue angesprochen ist, nämlich die Erkenntnis, etwas Schlechtes getan und gegen ein Gut - in diesem Falle das Gut der Menschen‐ würde - verstossen zu haben, so darf aufgrund der literarischen Biographie Sossimas doch angenommen werden, dass er die Schlechtigkeit seiner Tat an‐ erkannte und bereute. Er begann ein langes Leben des Gebets, der Entsagung und der Busse, er wanderte durch das Land oder lebte still im Kloster. Die Reue bedingt nicht nur das Erkennen der schlechten Tat, sondern darüber hinaus auch das Anerkennen der Schlechtigkeit ebendieser Tat. Ersteres ge‐ schieht vermittels der Stimme des Gewissens, in Letzterem besteht erst die ei‐ gentliche Reue. Während das Erkennen ein Vehikel der Wahrhaftigkeit ist, be‐ dingt das Anerkennen die Demut, von der im nächsten Punkt zu handeln sein wird. Nebstdem setzt das Bereuen ein grösseres Wissen voraus als das Begehen des Malum, was Dostojewski gekonnt zu beschreiben wusste. Dostojewski trug zudem dem im Wesen der Reue gründenden Merkmal der Freiheit Rechnung, denn eindeutig handelt es sich bei der von Sossima bereuten Tat um eine Tat, die in Freiheit begangen wurde, und zudem hatte er auch ein Bewusstsein seiner Freiheit, hätte er die Tat ja ansonsten gerade nicht bereuen können. Die Freiheit spielt bei der Reue auch dahingehend eine Rolle, als der Schmerz der Reue zwar nicht dem direkten Machtbereich der Person unterliegt, er im Sinne der mit‐ wirkenden Freiheit 78 jedoch gutgeheissen werden kann. 79 Der Reueschmerz „gehört an sich zu den tiefsten sinnvollen Schmerzen, die der Mensch zu erleben vermag“ 80 . Scheler, der seine Arbeit über Reue und Wiedergeburt zur Zeit der Entstehung sicherlich eingehend mit von Hildebrand diskutiert hatte, 81 sah den Wert der Freiheit auch mit der Erinnerung verbunden: „Denn Erinnerung ist schon der Anfang der Freiheit von der dunklen Gewalt des erinnerten Seins und Geschehens.“ 82 Die „echte Reue“ ist jedenfalls immer „eine ausdrückliche Umkehr“, ein Des‐ avouieren des Geschehenen und ein Verlassen des Standortes“, auf dem man 2.3 Einige spezifisch religiöse Akte und Haltungen 327 <?page no="328"?> 83 Vgl. von H I L D E B R A N D , Die Umgestaltung in Christus, 2. Kap., S. 31. 84 Ebd. 85 S C H E L E R , Reue und Wiedergeburt, S. 47. 86 Vgl. ebd., S. 48. 87 von H I L D E B R A N D , Die Umgestaltung in Christus, 2. Kap., S. 31. 88 Vgl. ebd., 2. Kap., S. 32 f. 89 Vgl. H U M E , Ein Traktat über die menschliche Natur, Buch I, Vierter Teil, Sechster Ab‐ schnitt, Von der persönlichen Identität, S. 309. 90 von H I L D E B R A N D , Die Umgestaltung in Christus, 2. Kap., S. 34. sich zur Zeit der schlechten Handlung(en) befand. 83 „Man verlässt die Burg der Selbstbehauptung und der Verhärtung, man demütigt sich und ergibt sich der Stimme des Gewissens.“ 84 Dadurch wird die im Herzen getragene Qualität der Disharmonie eine andere. Die dumpfe Bedrücktheit weicht dem Schmerz über die schlechte Tat, sie wandelt sich in eine „emotionale Negation“ 85 der Schuld. Allerdings ist die Schuld nicht ein Gefühl, sondern eine Qualität. Und gerade gegen diese Qualität der Schuld richtet sich die Reue, sie richtet sich nicht gegen das Schuldgefühl selbst. Dem Schuldgefühl kommt die Aufgabe zu, den Reueakt einzuleiten. 86 „Das Herz wird von diesem Schmerz durchbohrt, aber es wird zu‐ gleich auch schon erhellt von einem Strahl der Sehnsucht nach dem Guten.“ 87 Bei Dostojewskis Sossima lassen sich diese Schritte deutlich verfolgen. Wenngleich „die Absage an die Vergangenheit das Spezifische der Reue“ ist, so gehört zur wahren Reue trotzdem nicht nur der Schmerz über die der Ver‐ gangenheit angehörende schlechte Tat, „sondern auch die Sehnsucht nach der Versöhnung mit Gott, die Sehnsucht, wieder auf seinen Wegen zu wandeln“. 88 In diesen Worten kommt das Wesenselement der Reue zum Ausdruck, dass es nicht nur eine Absage an das Vergangene impliziert, sondern auch eine Richtung auf die Zukunft beinhaltet, ja überhaupt nur von einem kontinuierlichen Men‐ schen empfunden und vollzogen werden kann. Denn wäre der Mensch, wie David Hume behauptete, nur ein Bündel unzusammenhängender Erlebnisse, 89 der in jedem Augenblick stets ganz aufgehen und nur unverbundene Augen‐ blicke erleben könnte, ja im Ablauf der Zeit sich nicht als ein und derselbe wissen und auch nicht überaktuell bestimmten Wahrheiten, Sachverhalten und Werten zuwenden könnte, ein solcher Mensch könnte auch die Reue für ein begangenes Unrecht nicht voll verstehen. Wenngleich aber die Reue eine Frucht der Liebe zu Gott und diese Liebe zu Gott die notwendige Bedingung der echten Reue ist, so ist Gott trotzdem nicht das primäre Objekt der Reue, sondern bildet gleichsam deren Hintergrund. „Objektiv vollzieht sich in der Reue als solcher eine tiefgehende Veränderung, eine Veränderung, wie sie nur durch die Reue vollzogen werden kann“ 90 . Dazu gehört der Schmerz über das der Vergangenheit angehörende freigewollte 2 Die Antwort des Menschen 328 <?page no="329"?> 91 Ebd., 2. Kap., S. 36. 92 Ebd., 2. Kap., S. 37. 93 Ebd., 2. Kap., S. 38. 94 Ebd., 2. Kap., S. 34. 95 D E R S ., Christliche Ethik, 3. Kap., S. 69. Zum Akt der Vergebung, zu dem nur Gott die Kompetenz besitzt, und ein Geschöpf nur insofern, als es von Gott die ausdrückliche Vollmacht dazu erhalten hat, vgl. auch D E R S ., Die Rolle des ‚objektiven Gutes für die Person‘ innerhalb des Sittlichen, S. 76. 96 S C H E L E R , Reue und Wiedergeburt, S. 59. Schlechte, dessen Desavouierung, das Verändern der Grundstellung und die Rückkehr zu Gott. „Nur in der Reue schmilzt unser Wesen so auf, dass eine dauernde und im Letzten verwurzelte ‚neue Willensrichtung‘ auf Gott uns auf‐ geprägt werden kann.“ 91 In diesem Sinne bedeutet die Reue ein Verlassen der Peripherie und einen Durchbruch in die Tiefe und damit ein Erwachen „zu dem vollen Ernst der metaphysischen Situation des Menschen, zu der lebendigen Konfrontation mit Gott“ 92 . Dabei bricht die ehrfürchtig-demütig liebende Grundhaltung durch und der Mensch „begibt sich dorthin, wo er in Wahrheit vor Gott steht“ 93 . Die letztgültige Tilgung der Schuld kann der Mensch jedoch nicht selbst bewerkstelligen, sie kann „nur durch die Vergebung Gottes er‐ folgen“ 94 . Denn Gegenstand menschlichen Verzeihens ist „nur“ das objektive Übel, der sittliche Unwert der Missachtung des sittlich bedeutsamen Wertes der Menschenwürde dagegen kann „nur von Gott oder seinen Stellvertretern ver‐ geben werden“ 95 . Der Reueakt ist in einem doppelten Sinne von der Liebe Gottes getragen: Einmal durch das mittels der sittlichen Bedeutsamkeit gewisser Werte und Güter an die Person gerichtete Wort, durch welches sie sich ihrer sittlichen Grund‐ stellung und ihrer Schuld gewahr wird. Sodann wird durch den Rückblick auf den Durchbruch der ehrfürchtig-demütig liebenden Grundhaltung und die Ver‐ gebung der Schuld „die Kraft zum Vollzug des Reueaktes als ein Liebes- und Gnadengeschenk Gottes erlebt“ 96 . Wäre es in diesem Rahmen noch nicht erbracht worden, so könnte die Exis‐ tenz Gottes mit einem personalistischen Argument auf der Basis der Reue be‐ gründet werden. Denn das Wesen der Reue ist in materialer und sinnlogischer Hinsicht untrennbar mit Gott verbunden. Würde Gott nämlich nicht existieren, wären das höchst sinnvolle Wesen und der Wert der Reue zerstört. Wie sich bei der Besprechung der erkenntnistheoretischen Beiträge von Hildebrands jedoch verdeutlicht hat, besitzt jedes objektiv notwendige Wesen seine notwendig in ihm gründenden Elemente auch in Wirklichkeit. Und da Gott ein Wesensele‐ ment der Reue ist, welche selbst intelligibel und absolut notwendig ist, ist die 2.3 Einige spezifisch religiöse Akte und Haltungen 329 <?page no="330"?> 97 von H I L D E B R A N D , Christliche Ethik, 36. Kap., S. 546. 98 D E R S ., Religion und Sittlichkeit, S. 125. 99 D E R S ., Substitute für wahre Sittlichkeit, 7. Kap., S. 95. 100 D E R S ., Die Umgestaltung in Christus, 7. Kap., S. 111. 101 Vgl. Josef P I E P E R , Die Figur des Sophisten in den platonischen Dialogen sowie D E R S ., Missbrauch der Sprache - Missbrauch der Macht. 102 Vgl. Lk 14,11; 18,14; Mt 23,12: Wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden. Existenz Gottes eine objektive Wirklichkeit und damit eine objektive Wahr‐ heit. 2.3.2 Die Demut Wie sich im letzten Punkt gezeigt hat, setzt die Reue nicht nur das Erkennen der Schlechtigkeit der Tat voraus, die als Schuld gefühlt wird, sondern darüber hi‐ naus auch das Anerkennen der Schlechtigkeit dieser Tat. Bedingung des Aner‐ kennens der Schlechtigkeit der Tat ist die Demut. Doch was ist die Demut? Und inwiefern bildet sie ein Element des „ehrfürchtigen, demütigen, liebenden Zent‐ rums“ 97 , der Quelle aller guten Akte und Haltungen des christlichen Ethos? Als Zugang zum Problemkreis anerbietet sich die Analyse des konträren Ge‐ gensatzes der Demut, des Hochmuts. Inwiefern das Vertiefen in das Wesen des Hochmuts aber eine Verständnishilfe sein kann, um das Wesen der Demut hin‐ sichtlich des Soseins und des Bezugs zur Religion fasslich zu machen, muss sich erweisen. Vor allem muss sich erweisen, warum die Demut eine „Kardinal- und Haupttugend“ 98 und „nach der Liebe die höchste Tugend“ 99 ist. Freilich scheint die Antwort schon darin enthalten zu sein, dass der Hochmut „der Urquell alles Bösen“ 100 ist. Mit der Demut ist jedenfalls eine Wirklichkeit angesprochen, für die im an‐ tiken Weltbild kein Raum war, die weder Sokrates noch Platon noch irgendeiner der im Raume der natürlichen Sittlichkeit Lebenden geschätzt, ja überhaupt auch nur gekannt hätte. Wohl waren ihnen die Äusserungen des Hochmuts bekannt, wie sie sich etwa bei den Sophisten zu erkennen gaben, die zu reden, aber nicht zu unterreden wussten und das Wort als Machtmittel missbrauchten. 101 Doch die die ganze Sittlichkeit verwandelnde Bedeutung der Demut war ihnen unbe‐ kannt. Mit der Demut ist nicht zuletzt eine zentrale Aussage der christlichen Religion ins Blickfeld gehoben, 102 die gerade aufgrund ihres Fehlens in der vor‐ christlichen Zeit einer Prüfung der Vernünftigkeit zu unterziehen ist. Der Auf‐ gabe einer Wesensanalyse der Demut hat sich die Religionsphilosophie vor allem dann zu widmen, wenn sie sich - ganz im Sinne von Hildebrands - als eine christliche versteht. 2 Die Antwort des Menschen 330 <?page no="331"?> 103 Vgl. oben III, 9.1 - „Die Grundstellung und die moralischen Zentren“. An dieser Stelle wurden unterschieden: 1. der metaphysische Hochmut, 2. die Selbstgefälligkeit, 3. die Eitelkeit, 4. der Stolz. 104 Vgl. D E R S ., Die Umgestaltung in Christus, 7. Kap., S. 115. 105 Ebd., S. 116. 106 Ebd. 107 Vgl. ebd. 108 Ebd. 109 Ebd., S. 117. 110 Vgl. ebd., S. 118. Die vier Arten des Hochmuts, die weiter oben erörtert wurden, 103 wusste von Hildebrand um „eine viel sublimere Form der Auflehnung gegen Gott, eine viel mildere Art des Hochmuts“ zu erweitern, die mit der erstgenannten Form des Hochmuts den metaphysischen Charakter aber gemein hat. 104 Dieser milden Art des Hochmuts gehören die Menschen an, deren primäres Ziel nicht im Viel-sein-Wollen besteht. Die von einem ehrlichen sittlichen Streben erfüllt und für alles Schöne geöffnet sind, aber die Konfrontation mit einem personalen Gott scheuen. Einem apersonalen Absoluten, „zu dem sie sich verhielten wie ein Teil zum Ganzen, wollen sie sich gerne hingeben“ 105 , doch bei der Konfrontation mit einem personalen Gott würden sie sich ihrer Geschöpflichkeit voll bewusst. Gerade dieser Unterordnung weichen sie jedoch aus, „und damit der Aufgabe einer gewissen Souveränität, die ihrem Hochmut schmeichelt“ 106 . Solange sie der absoluten Person nicht gegenüberstehen, brauchen sie ihre Souveränität nicht aufzugeben und partizipieren zudem an dem Absoluten. Eine Auffassung, wie sie bei den Pantheisten begegnet. 107 Das Spezifikum der Demut tritt ange‐ sichts dieses Hochmuts klar hervor. Sie schliesst die Erkenntnis des Geschöpf‐ seins ein, bei der der metaphysischen Situation voll Rechnung getragen wird. In diesem Sinne ist Demut Wahrheit, währenddem der Hochmut eine Lüge ist, „weil wir in ihm unsere metaphysische Situation nicht wahrhaben wollen“ 108 . Die überaktuelle Haltung der Demut schliesst ein Bejahen der Geschöpflichkeit ein und nur einem personalen Gott gegenüber ist sie möglich. Das Sosein der Demut ist durch drei Wesensmerkmale bzw. Voraussetzungen charakterisiert. An erster Stelle „die Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes und ihre Beantwortung“ 109 . Von Hildebrand beschreibt diese erste Voraussetzung so, dass Gott „in seiner unendlichen Herrlichkeit“ sich dem Geist des Menschen offen‐ bart, worauf dieser in „Freude und liebender Anbetung“ antwortet. 110 Welcherart diese Freude ist, tat von Hildebrand im Rahmen einer Vorlesung kund, die er im Herbst 1964 an der Universität Salzburg gehalten hat. Es könne, so setzte er auseinander, „doch gar nichts Überwältigenderes geben für jemand als der Mo‐ 2.3 Einige spezifisch religiöse Akte und Haltungen 331 <?page no="332"?> 111 D E R S ., Das Cogito und die Erkenntnis der realen Welt, S. 17 f. 112 Ebd., S. 18. 113 D E R S ., Die Umgestaltung in Christus, 7. Kap., S. 120. 114 Ebd., S. 121. 115 Ebd. 116 Vgl. D E R S ., Metaphysik der Gemeinschaft, I. Teil, 1. Kap., S. 20. 117 D E R S ., Die Umgestaltung in Christus, 7. Kap., S. 122. 118 Vgl. ebd. ment, wo er einsieht, dass Gott die absolute Person ist“ 111 . „Der Schritt von einer impersonalen Gottheit zum Deus videns et vivens ist doch ganz überwältigend, daran hängt doch alles Glück, das Gott gewähren kann, daran hängt doch alles.“ 112 Damit ist die zweite Voraussetzung der Demut bereits benannt, nämlich die Konfrontation mit Gott. Die Demut schliesst jedoch - das als Zusatz und Er‐ gänzung - „nicht nur die Erkenntnis unseres Angewiesenseins auf Gott ein, sondern auch seine Bejahung“ 113 . Zudem ist die Demut „in erster Linie die An‐ erkennung von Gottes Herrlichkeit und erst in zweiter die unserer Nichtig‐ keit“ 114 . Wird der persönliche Gott geleugnet, wie es bei der angesprochenen sublimen Form des metaphysischen Hochmuts der Fall ist, „der die Welt als ein von ihm Verschiedenes durch einen freien Schöpfungsakt aus dem Nichts schafft, wird im Pantheismus die Endlichkeit des Menschen verwischt“ 115 . An die Stelle des Verhältnisses von Schöpfer und Geschöpf tritt das erwähnte Ver‐ hältnis von Teil und Ganzem. Der Mensch wird so ein Teil des Ganzen, was seinem Hochmut schmeichelt. Doch wird er andererseits seines Charakters als Individuum und seiner personalen Substantialität 116 beraubt. „Der innere Wi‐ derspruch, der darin liegt, ein Apersonales, also seinsmässig offenbar Niedrig‐ eres als die Person für absolut zu erklären, ordnet den Menschen als Person dem Apersonalen unter und entpersonalisiert ihn dadurch notwendig als Teil dieses absoluten Apersonalen.“ 117 Menschen, die von dieser sublimen Form des meta‐ physischen Hochmuts erfüllt sind, haben wohl keine Mühe, sich einem aperso‐ nalen Absoluten unterzuordnen. Doch bei Licht besehen, wird die metaphysi‐ sche Situation des Menschen dadurch zutiefst verkannt. Einerseits ist der Mensch sozusagen ein Tropfen im Weltmeer, was ihn unter das Apersonale rangiert, ihn viel zu niedrig einschätzt und entwürdigt, andererseits ist er als Teil eines Absoluten wiederum durch die Apersonalität der Würde beraubt und viel zu hoch eingestuft, was seinen Hochmut befriedigt. 118 Kurz: Wie die Ent‐ personalisierung Gottes notwendig zu einer „Entpersonalisierung des Men‐ 2 Die Antwort des Menschen 332 <?page no="333"?> 119 Ebd. 120 D E R S ., Der verwüstete Weinberg, I. Teil, 4. Kap., S. 56. 121 D E R S ., Die Umgestaltung in Christus, S. 123. 122 Vgl. ebd., S. 124 f. 123 Ebd., S. 128 f. 124 Ebd., S. 129. 125 Ebd. 126 Vgl. oben III, 5.4.2 - „Das objektive Gut für die Person“. schen“ 119 , so führt die Entpersonalisierung des Menschen letztlich zu einem „Herabsinken auf das Tierische“ 120 . Als dritte Voraussetzung der Demut versteht von Hildebrand „das persönliche Angerufensein von Gott“ 121 . Dabei ist die aus der Konfrontation mit Gott flie‐ ssende Demut nicht nur „unvereinbar mit aller Mediokrität [Mittelmässigkeit] und harmlosen Behaglichkeit“, sondern „ist stets ein Sprengen der ‚Weltimma‐ nenz‘, des peripheren alltäglichen Aspektes aller Dinge, den eine Sicht der Welt mit sich bringt, in der wir nie bis zu Gott vordringen“. 122 Die Demut bildet allerdings nicht nur die Antithese zu den beiden Formen des metaphysischen Hochmuts, sondern auch zu den übrigen Formen des Hoch‐ muts. So interessiert der Demütige sich für die Werte nicht als Selbstschmuck, wie der Selbstgefällige oder der Eitle, sondern versteht ihre intrinsische Be‐ deutsamkeit und geht auf sie ein. Was die eigenen Vorzüge betrifft, unterscheidet von Hildebrand drei Stufen der Stellung zu ihnen: „Zunächst das Bewusstsein, die Kenntnis, das Wissen um die eigenen Werte, dann das Geniessen derselben und endlich das innere ‚Sich-Rühmen‘.“ 123 Mit der Demut unverträglich ist vor allem die letzte Stufe, sie „ist die schlimmste, hier tut der Mensch so, als ob er diese Werte aus sich heraus besässe, auch dann, wenn er theoretisch Gott als Spender nicht verleugnet“ 124 . Doch auch das Geniessen der eigenen Vorzüge entspringt dem Hochmut, denn sie interessieren und befriedigen nur als Selbst‐ schmuck. Daher lassen ihn die an anderen Personen auftretenden Werte unbe‐ rührt. Nur jene interessieren ihn, die an der eigenen Person auftreten. Warum aber, so die kritische Frage, warum soll er die Werte anderer Menschen er‐ kennen, sie anerkennen, ob den eigenen Werten aber keine Freude empfinden? Weil, so von Hildebrand das „Intimum der Demut“ 125 ausfaltend, weil die Demut alle drei Stufen der Stellung zu den eigenen Vorzügen ausschliesse. Warum aber dieser Auschluss? Weil zur Demut erstens das Bewusstsein gehöre, alsbald wieder in Hochmut verfallen zu können. Zweitens kämen die sittlichen und die religiösen Werte gar nicht zu Bewusstsein, da sie - wie gesehen - gleichsam auf dem Rücken der Tat oder der Wertantwort entstehen und nie von innen her erfahren werden können. 126 Würde der Blick im Vollzug auf sie gelenkt, hörte 2.3 Einige spezifisch religiöse Akte und Haltungen 333 <?page no="334"?> 127 Vgl. von H I L D E B R A N D , Die Umgestaltung in Christus, 7. Kap., S. 129-131. 128 Ebd., S. 131. 129 Ebd., S. 132. 130 Ebd. 131 Ebd., S. 134. 132 Vgl. D E R S ., Religion und Sittlichkeit, S. 118 f. 133 Vgl. D E R S ., Die Umgestaltung in Christus, 7. Kap., S. 135. 134 D E R S ., Christliche Ethik, 36. Kap., S. 543. auch der Wert des Verhaltens sogleich auf. Von da her hat man zu sich selber notwendigerweise eine andere Position als anderen Menschen gegenüber. 127 Eine andere Antithese zur Demut ist der Stolz. Der Stolz bezieht sich „auf den Widerstand gegen die Unterordnung unter andere Personen“ 128 . Da der Stolze nur ein Interesse an der Selbstbehauptung hat und jede Regung des Mitleids für Schwäche hält, ist er, „auch wenn er in seinem Gewissen etwas als Unrecht erkennt, und wenn er bedauert, sich so verhalten zu haben, doch echter Reue nicht fähig“ 129 . Er ist hart und verschlossen. „Er schämt sich jeder Regung der Liebe, des Mitleids, überhaupt jedes Gefühls - er ist der prototyp der Ver‐ krampftheit.“ 130 Dass die Demut dazu einen Gegensatz bildet, ist evident. Denn der Demütige ordnet sich anderen in Leichtigkeit unter und kann andere um Verzeihung bitten, wenn er ein Unrecht begangen hat. Auch empfindet er mit anderen, er ist frei vom Krampf der Selbstbehauptung und in spezifischer Weise aktualisiert sich die Demut im Gehorsam. Dies alles entspringt bei dem Demü‐ tigen „aus der richtigen Antwort auf Gott“ 131 . Die in der Demut fundierte völlige Gelöstheit des Ichkrampfes, worüber von Hildebrand sich bereits in seiner frühen Schrift Religion und Sittlichkeit im Klaren war, ist nur durch die völlige „Unterordnung unter eine allgütige allmächtige Person denkbar“, wobei „die reine Freude über Gottes Herrlichkeit und Vollkommenheit alle Beziehung auf sich und alle Verankerung in sich auflöst“. 132 Wenn von Hildebrand schliesslich auf den „innersten geheimnisvollen Kern der christlichen Demut“ zu sprechen kommt, dann schliesst sie „nicht den Weg‐ fall alles Hochmuts in seinen verschiedenen Formen ein, insbesondere auch des Stolzes“, die christliche Demut ist auch „nicht nur ein Anerkennen unserer wahren metaphysischen Situation“, sie ist vielmehr „ein Sich-Erniedrigen, ein freies Herabsteigen unter die wahre natürliche Würde, ein ‚Zu-nichts‘-Werden vor Gott“. 133 Der letzte Motivationsgrund dafür ist der Mensch gewordene und sich selbst hingebende Gott der christlichen Offenbarung. Auf geheimnisvolle Weise erhöht die Demut den Menschen, sie „beschenkt ihn mit einer sublimen, inneren Freiheit und legt die Mauern nieder, in denen er selbst sich eingekerkert hatte“ 134 . 2 Die Antwort des Menschen 334 <?page no="335"?> 135 D E R S ., Religion und Sittlichkeit, S. 125. 136 D E R S ., Substitute für wahre Sittlichkeit, 7. Kap., S. 95. 137 D E R S ., Wahre Sittlichkeit und Situationsethik, 11. Kap., S. 159. 138 Vgl. D E R S ., Über die Dankbarkeit, S. 7 f. 139 D E R S ., Die Rolle des ‚objektiven Gutes für die Person‘ innerhalb des Sittlichen, S. 76. Zur Bedeutsamkeitskategorie des objektiven Gutes für die Person vgl. oben III, 5.4.2 - „Das objektive Gut für die Person“. 140 Vgl. R E I N A C H , Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechtes, § 3, Die sozialen Akte, S. 159. Doch warum ist die Demut eigentlich eine „Kardinal- und Haupttugend“ 135 , wie eingangs erwähnt wurde, die „nach der Liebe die höchste Tugend“ 136 ist? Weil erst auf der Basis der Demut solche Tugenden wie die Gerechtigkeit, die Wahrhaftigkeit, die Bescheidenheit, die Treue usw. ihre „höhere Schönheit und innere Güte“ 137 empfangen. Denn wenn ihnen dieses Fundament fehlt, bleiben sie notwendig im Hochmut verwurzelt. 2.3.3 Die Dankbarkeit Mit der Dankbarkeit rückt eine „Urantwort auf Gott“ ins Blickfeld, die „ein letztes, unersetzliches Wort im Verhältnis des Menschen zu Gott“ und damit „eine der fundamentalsten Grundhaltungen des religiösen Lebens“ darstellt. 138 Was aber ist das Objekt der Dankbarkeit? Wofür wird in angemessener Weise Dank gesagt, sei dies nun im zwischenmenschlichen Bereich oder sei dies im Verhältnis des Menschen zu Gott? In erster Linie ist die Dankbarkeit die emo‐ tionale Antwort auf ein frei gegebenes Geschenk, wobei sie jedoch nicht nur voraussetzt, „dass mir der andere eine ‚Wohltat‘ erwiesen, also nicht nur etwas in sich Wertvolles getan hat, auch nicht nur etwas für mich Befriedigendes, sondern ein objektives Gut für mich vermittelt hat“ 139 . Einzig und allein als Antwort auf den Empfang eines objektiven Gutes für die eigene Person erweist sich das Gefühl der Dankbarkeit als angemessen. Von Adolf Reinach stammt die an dieser Stelle weiterführende und klärende Abgrenzung der fremdpersonalen und der sozialen Akte. Während dem fremd‐ personalen Akt „ein fremdes Bezugssubjekt wesentlich“ ist, ist der soziale Akt vernehmungsbedürftig, um vollzogen zu sein. 140 Was an solchen Beispielen so‐ zialer Akte wie der Bitte, dem Befehl, dem Mitteilen oder dem Versprechen offen zutage liegt und keiner weiteren Begründung bedarf. Seinem Wesen nach setzt der soziale Akt ein inneres Erlebnis voraus, welches sich intentional auf den Inhalt des Aktes bezieht. Auf der Basis dieser Reinachschen Unterscheidungen, 2.3 Einige spezifisch religiöse Akte und Haltungen 335 <?page no="336"?> 141 Vgl. von H I L D E B R A N D , Selbstdarstellung, S. 78, wo er explizit zum Ausdruck bringt, dass Reinach „in Göttingen 1910 mein einziger Lehrer“ wurde. 142 Zu den sozialen Akten vgl. neben D E R S ., Über die Dankbarkeit u. a. auch D E R S ., Das Wesen der Liebe, Kap. VIII, S. 260 f., Kap. XIII, S. 433-435. 143 D E R S ., Über die Dankbarkeit, S. 14. 144 D E R S ., Moralia, 5. Kap., S. 107. Vgl. auch D E R S ., Über die Dankbarkeit, S. 14 f. welche von Hildebrand von seinem Lehrer 141 übernommen hat und in sein Phi‐ losophieren einzubringen wusste, 142 ist die Dankbarkeit eindeutig den sozialen Akten zuzurechnen. Denn auch beim Dank gehört „die Äusserung wesentlich zum Vollzug des inneren Aktes, zu seinem interpersonalen Charakter“ 143 , auch der Dank kann nur an eine Person, und zwar an eine andere Person gerichtet sein. Wobei es immer zwei verschiedene Objekte sind, wofür man dankbar sein kann: einerseits der intrinsische Wert des Geschenks, andererseits die schen‐ kende Person und „das Bewusstsein der mir geltenden Liebe und Güte“ 144 . In der Dankbarkeit liegt wesentlich eine Antwort auf das Verhalten des Gebers der eigenen Person gegenüber, und als solche setzt sie eine wirkliche Ich-Du-Be‐ ziehung voraus. Nur in der interpersonalen Sphäre findet sich das Gefühl der Dankbarkeit, in der geglaubt wird, die andere Person habe der eigenen Person aus freien Stücken etwas Gutes getan. Dem Gefühl der Dankbarkeit geht die spontane Regung der Freude vorher, auf der sich über das Erkennen und das Anerkennen die Dankbarkeit einstellt. So wird in der Dankbarkeit für die Gabe der Erziehung beispielsweise nicht nur der Wert der Erziehung erfasst, sondern auch das Geschenk, das es bedeutet, das pro für die eigene Person. Wichtig dabei ist vor allem das kognitive Element des Erkennens und Anerkennens, dass etwas Gutes für die eigene Person sich ereignet hat. Zwischen der Freude und der Dankbarkeit hat sodann das verste‐ hende Erfassen der liebenden Intention dessen seinen Sitz, der mir das Gut zukommen liess. Es ist dies auch der Ort, an dem häufig Vorurteile Platz greifen, die das Gefühl der Dankbarkeit unterbinden und das Ausbleiben dieses Gefühls vor sich selbst rechtfertigen. Denn da in der Dankbarkeit die menschliche Abhängigkeit zu Bewusstsein kommt und in ihr damit immer auch ein Element der Demut ent‐ halten ist, sucht der Hochmütige nach Gründen, den „demütigenden“ Situa‐ tionen aus dem Wege zu gehen, welche er in den Vorurteilen denn auch findet. Ein solcher Mensch wird z. B. das Urteil „Es gibt nur egoistisches Verhalten unter den Menschen“ in pseudo-wissenschaftlicher Weise mit Erfahrungen zu be‐ gründen suchen, die sein Urteil bestätigen und rechtfertigen. Alle diese Ab‐ sichten führen letztlich zurück auf den Stolz. Der Stolze „will nie danken 2 Die Antwort des Menschen 336 <?page no="337"?> 145 D E R S ., Die Umgestaltung in Christus, 7. Kap., S. 132. 146 D E R S ., Über die Dankbarkeit, S. 31. 147 Ebd., S. 34. 148 Ebd. 149 Ebd. 150 Vgl. ebd., S. 34 f. 151 Ebd., S. 35. müssen“ 145 . Von wo her es auch verständlich wird, dass er ein Vorurteil gegen die Nächstenliebe besitzt, dass er prinzipiell nicht zur Anerkennung gebracht werden will, fremde Hilfe zu benötigen. Wer aber „sich scheut, anderen dankbar zu sein und dies als belastende Abhängigkeit empfindet, ist noch ein Sklave des Hochmuts“ 146 . Anstelle des Sich-gedemütigt-Fühlens, kann die Hilfsbedürftig‐ keit allerdings auch in freier und innerlich sanktionierter Demut bejaht werden. Nichtsdestotrotz ist die Undankbarkeit eine Tatsache. Von Hildebrand weiss sie in vier verschiedene Typen zu scheiden. Die schlimmste Art der Undank‐ barkeit liegt da vor, wo „bereits die Güte des Helfenden ein Ressentiment er‐ weckt“ 147 . Obgleich die Hilfe angenommen wird, stösst man sich an der Über‐ legenheit des Wohltäters, die sich aus seinem sittlichen Wert ergibt. Eine weitere Art der Undankbarkeit findet sich bei Personen, die zwar kein Ressentiment gegen die Güte des Wohltäters empfinden, denen es aber unerträglich ist, in seiner Schuld zu stehen. Er wird solange kein Ärgernis nehmen, als die Güte des Wohltäters sich anderen gegenüber manifestiert. „Aber sobald die formale Über‐ legenheit des Wohltäters der eigenen Person gegenübersteht, wehrt sich sein Hochmut gegen sie.“ 148 In dem dritten Typus der Undankbarkeit, den von Hil‐ debrand unterscheidet, begegnet ein Mensch, der weniger hochmütig ist, und der die formale Überlegenheit des Wohltäters schlucken würde, falls er damit nicht in seine Schuld geraten würde. Er „ist nicht so undankbar, dass er unfähig wäre, die aus der Annahme der Wohltat sich ergebende Dankesschuld zu er‐ fassen“ 149 , er ist sich der Realität der Bindung bewusst. Doch „in seinem perver‐ tierten Freiheitsdrang, seinem Bedürfnis nach unbedingter Unabhängigkeit“ empfindet er „die Dankesschuld als bedrückend“. 150 Der vierte Typ schliesslich scheut die Dankesschuld aus Trägheit und um in einem ähnlichen Fall sich nicht des Wohltäters annehmen zu müssen. Denn sofern dieser in Not gerät, könnte er zu recht etwas von ihm verlangen. Was nicht als demütigend, sondern zur Hauptsache als mühsam empfunden wird. Wohl versteht er, dass aus dem Emp‐ fang einer Wohltat eine Dankesschuld erwächst, doch „es bedrückt ihn, die Hilfe eines Wohltäters annehmen zu müssen, weil er der lästigen, mühsamen Bindung entgehen will“ 151 . 2.3 Einige spezifisch religiöse Akte und Haltungen 337 <?page no="338"?> 152 Vgl. oben IV, 1.3.3 - „Die Handlungen und die Abstumpfungsblindheit“. 153 Vgl. von H I L D E B R A N D , Über die Dankbarkeit, S. 44 f. 154 D E R S ., Moralia, 5. Kap., S. 105. 155 Wie bereits erwähnt, gehört Schwarz - zusammen mit Karla Mertens - zur ersten Schülergeneration von Hildebrands, die ihn und sein Denken während seiner Privat‐ dozentur in München kennen lernten. 156 So z. B. in D E R S ., Über die Dankbarkeit, S. 7, Anm. 2, oder D E R S ., Moralia, 5. Kap., S. 109, Anm. 6. 157 Balduin S C H W A R Z , Über die Dankbarkeit, S. 702. 158 Ebd., S. 698. 159 Vgl. von H I L D E B R A N D , Moralia, 5. Kap., S. 109 f. 160 Vgl. S C H W A R Z , Über die Dankbarkeit, S. 702. Neben den Arten der Undankbarkeit, die aus dem Ressentiment gegen den Wert des Wohltäters, aus dem Stehen in der Schuld des anderen, aus dem per‐ vertierten Freiheitsdrang oder aus der Trägheit erwachsen, gibt es noch eine weitere, die in der Abstumpfung begründet ist. Die in der Abstumpfung liegende Gefahr zeigte sich bereits weiter oben bei der Besprechung der Abstumpfungs‐ blindheit. 152 Die Sache ist hier ähnlich gelagert. Hier geht es um „die einzelnen Beweise der Liebe des Freundes, des Bruders, des Vaters, der Mutter oder des Ehegatten“, bei denen „ein Mangel an Wachheit“ dazu führt, „diese Beweise der Güte und Liebe“ für selbstverständlich hinzunehmen oder gar zu übersehen. 153 Wie die Wertblindheit einen wesentlichen Zug zur moralischen Sphäre hat und in moralisch negativen Stellungnahmen fundiert ist, so verhält es sich auch mit der Undankbarkeit, auch die „Undankbarkeit ist ein grosser sittlicher Un‐ wert“ 154 . An dieser Stelle ist ein kurzes Eingehen auf ein Phänomen angezeigt, auf das Balduin Schwarz 155 in seinem Aufsatz Über die Dankbarkeit aufmerksam macht, auf den auch von Hildebrand verweist, wenn er sich mit dieser Haltung be‐ schäftigt. 156 Thematisch ist die „Dankbarkeit, die ‚aufquillt‘, wo kein menschli‐ cher Geber und Wohltäter anzutreffen ist“ 157 , wie z. B. im Falle der Gabe des Sehens oder der Erkenntnis. Schwarz nennt sie die „anonyme Dankbarkeit“ 158 . Von Hildebrand, der sich um das Verstehen des Phänomens der „Dankbarkeit für den Besitz objektiver Güter, die wir nicht einem anderen Menschen ver‐ danken“, ebenfalls bemüht hat, spricht von der „unvollständigen Dankbar‐ keit“. 159 Auch hier, so Schwarz, ist das Anerkennen „das Herz der Dankbarkeit, und das kognitive Element ergibt sich damit als eigentliches Problem dieser Art der Dankbarkeit“; zu welcher Problemstellung er wie folgt Stellung nimmt: „Im Erlebnis der Abhängigkeit, im Kontingenzbewusstsein, im Annehmen der Kreatürlichkeit liegen die Wurzeln jener Dankbarkeit, die nicht den Menschen gilt.“ 160 2 Die Antwort des Menschen 338 <?page no="339"?> 161 Vgl. von H I L D E B R A N D , Über die Dankbarkeit, S. 11. 162 Ebd. 163 Vgl. D E R S ., Über den Tod, S. 105 f. 164 D E R S ., Moralia, 5. Kap., S. 109. 165 Ebd., 5. Kap., S. 110. Die anonyme oder unvollständige Dankbarkeit sei dem Verständnis hier in‐ sofern näher zu bringen versucht, als mit von Hildebrand die verschiedenen Arten objektiver Güter unterschieden werden, für deren Besitz bzw. deren freie Zuwendung die Freude und der Dank die angemessenen Antworten sind. Der Dank für den Empfang welcher Güter aber kann an Menschen adressiert sein, und für welche nicht? Währenddem die angenehmen ebenso wie die für das Leben unerlässlichen und die nützlichen Dinge von einem Menschen geschenkt werden können, an den der Dank zu adressieren ist, gibt sich der Wohltäter bei den Gütern, die aufgrund ihres Wertes echtes Glück spenden, nicht mehr so leicht zu erkennen. Wohl ist der Mensch im Falle der Freundschaft oder der Liebe zumindest eine Mitursache, zumindest partiell ist er beteiligt, doch wie im Falle des Tragens von Werten? Gebührt der Dank in einem pelagianischen Sinne einzig der eigenen Person? Im Falle des Begreifens, welches Geschenk das Tragen von Werten ist, verhält es sich wie beim Begreifen des pro der Gabe der Erkenntnis, beide Geschenke sind unlöslich mit dem personalen Gott und seiner an die eigene Person gerich‐ teten Güte und Liebe verbunden. 161 „Die Dankbarkeit ist eine spezifische Ant‐ wort auf diese Liebe Gottes, die sich uns in den beglückenden Geschenken Gottes manifestiert.“ 162 Solche Geschenke Gottes, die durch ihren Wert eine Quelle des Glücks sind und auf die die Dankbarkeit die angemessene Antwort ist, sind für von Hildebrand etwa die Erkenntnis tiefer Wahrheiten, das Ge‐ niessen der Schönheit in Natur und Kunst und vor allem die Liebe. 163 Die Wür‐ digung und das volle Erleben ihrer Fähigkeit, Glück zu spenden, gehört zur echten, Gott gebührenden Dankbarkeit. Auch in der zwischenmenschlichen Dankbarkeit begegnet der transzendierende Überschuss der Dankbarkeit, der darin gelegen ist, dass das Geschenk seinen Ursprung nicht vollumfänglich im Schenkenden hat, „bei der der Adressat nicht ins Bewusstsein tritt, obgleich er objektiv notwendig vorausgesetzt ist“ 164 . Die unvollständige Dankbarkeit, die keinen ausdrücklichen Adressaten hat, wird überstiegen durch die vollständige Dankbarkeit, die bewusst auf Gott gerichtet ist. Diese bewusst auf Gottes Güte antwortende Dankbarkeit, „und zwar für die auf mich gerichtete, mir geltende Güte Gottes, können wir sagen: sie ist eine der höchsten und für alle übrigen Tugenden unentbehrliche Grundhaltung“ 165 . 2.3 Einige spezifisch religiöse Akte und Haltungen 339 <?page no="340"?> 166 Ebd. 167 Vgl. oben IV, 2.3.1 - „Die Reue“. 168 Zur Notwendigkeit der Sachverhalte und ihrer Erkenntnis vgl. auch Adolf R E I N A C H , Notwendigkeit und Allgemeinheit im Sachverhalt. 169 S C H W A R Z , Über die Dankbarkeit, S. 703. 170 Vgl. ebd., S. 704. An dieser Stelle ist nun allerdings zu unterscheiden zwischen der Dankbarkeit als Antwort, die auf das Empfangen eines Geschenks, eines objektiven Gutes folgt, und der Disposition, die dem Empfangen vorhergeht. Diese Disposition ist die Bedingung für das innere Zueigenmachen des empfangenen Geschenks. Während auch die Ehrfurcht dem Zugang zum Sein vorhergeht und als über‐ aktuelle Antwort auf die Würde des Seienden als solches den Weg bereitet für einen fruchtbaren Kontakt, steht die Dankbarkeit da, wo es zum Kontakt kommt, und nimmt das Geschenk beglückt in Empfang. Und wie die Ehrfurcht oder die Demut, so ist auch die Dankbarkeit für den moralischen Gesamtstatus des Men‐ schen entscheidend. Denn Haltungen wie die Ehrlichkeit, die Treue oder die Gerechtigkeit „verlieren ihren wahren sittlichen Glanz in einem Menschen, der in seiner Grundhaltung Gott gegenüber nicht dankbar oder sogar ausgespro‐ chen undankbar ist“ 166 . Ein personalistisches Argument für die Existenz Gottes schliesslich, wie es auf der Basis der Reue bereits erbracht worden ist, 167 liesse sich gleichermassen auch anhand der Dankbarkeit erbringen. Wollte man nämlich annehmen, Gott existierte nicht, dann wäre die innere Sinnhaftigkeit der notwendigen und in‐ telligiblen Wesenheit der Dankbarkeit zerstört. Doch da es unzweifelhaft ist, dass die Dankbarkeit nicht ein Produkt der menschlichen Phantasie, sondern eine objektive Wirklichkeit ist, die jeder Mensch voraussetzt und deren Real‐ werdung zumindest immer dann erwartet wird, wenn einem anderen Menschen etwas aus freien Stücken geschenkt wird, folgt mit Notwendigkeit, dass Gott, die absolute und vollkommene Person, mit Notwendigkeit real existiert. 168 Oder mit den Worten von Schwarz: „Dankbarkeit, die keinem Menschen gelten kann, ist sinnvoll nur unter der Voraussetzung, dass sie Gott als dem Geber aller guten Gaben gilt und damit unter der Voraussetzung, dass es ihn gibt.“ 169 Schwarz will diesen Gedankengang allerdings nicht als formalen Beweis verstanden wissen, vielmehr sieht er im Erlebnis des Dankens einen „Zugang zur absoluten Person“ und „einen Akt des lebendigen Vollziehens der Beziehung zu Gott“. 170 Dass die Intelligibilität der Dankbarkeit ebenso wie die Intelligibilität aller anderen auf Gott gerichteten intentionalen Akte die Intelligibilität des Wesens Gottes voraussetzen, die Intelligibilität selbst aber wiederum ein objektives Sein 2 Die Antwort des Menschen 340 <?page no="341"?> 171 Vgl. oben III, 7 - „Die Wertantwort“. 172 Die Inspiration zu diesem Gedankengang verdankt der Verfasser dem Beitrag von Judith S T E W A R T S H A N K , Von Hildebrand’s Theory of the Affective Value Response and Our Knowledge of God. Den Sachverhalt, dass es Gott wie dem notwendigen Sosein insgesamt zukommt, „dass es existieren muss, wenn es möglich ist“, hat auch Leibniz - wie weiter oben bereits erwähnt - klar erkannt: „Wie nichts die Möglichkeit dessen verhindern kann, worin keine Schranken [aucuns bornes] eingeschlossen sind, keine Negation und folglich kein Widerspruch, genügt dies, um die Existenz Gottes a priori zu erkennen.“ (L E I B N I Z , Mo‐ nadologie, Nr. 45, S. 129) Die erwähnten religiösen Akte und Haltungen (Reue, Demut, Dankbarkeit) liessen sich mit Alice von Hildebrand noch erweitern um den Gehorsam, die Abhängigkeit, das Vertrauen, die Furcht und die Hoffnung (vgl. Alice von H I L D E B R A N D , Introduction to a Philosophy of Religion, pp. 77-88). Doch wird an dieser Stelle davon abgesehen, da die Lebendigkeit der religiösen Bindung mit den genannten Akten und Haltungen in einem für den vorliegenden Argumentationsgang ausreichenden Masse aufgewiesen werden konnte. bedingt, wird durch die versuchte Vergegenwärtigung einer subjektiv konsti‐ tuierten Einheit evident, z. B. einer allmächtigen und vollkommen guten Person, die ihren Geschöpfen nichtsdestotrotz übel will. Wie es auch ange‐ gangen wird, die beiden Momente können auf intelligible Weise nicht zusam‐ mengedacht werden, und wird es trotzdem versucht, so ergibt es keinen Sinn. Keine intelligible Notwendigkeit verbindet diese beiden zu einer sinnvollen Einheit. Die subjektiv konstituierte Einheit ist ein Widerspruch in sich selbst (contradictio in adjecto), und damit gewiss keine objektive Wirklichkeit. Demgegenüber geben sich beim Akt der Dankbarkeit die notwendige Ver‐ bindung seiner Elemente und damit die Intelligibilität deutlich zu erkennen. Denn wie bei den Wertantworten im Allgemeinen, 171 so ist auch die Dankbarkeit die Antwort, die zu geben dem erhaltenen Geschenk und dem Wohlwollen der schenkenden Person angemessen ist. Die Dankbarkeit setzt dabei das Wissen um den Wert der Gabe wie um die Intention des Gebers voraus. Und nur des‐ wegen kann darum gewusst werden, weil der Adressat der anonymen oder un‐ vollständigen Dankbarkeit ein intelligibles Sosein besitzt. Wie gesehen, kommt jenen Einheiten keine objektive Wirklichkeit zu, die ein Widerspruch in sich selbst sind, währenddem jene Einheiten, die dies nicht sind, zumindest möglich sind. Im Falle der vollkommenen Person steht die Möglichkeit aber für die Wirklichkeit, denn Gott ist nur dann möglich, wenn er wirklich ist. Ein bloss möglicher Gott wäre eine subjektiv konstituierte und damit in sich wider‐ sprüchliche Einheit. Nicht widersprüchlich ist die vollkommene Person nur qua real existierende. 172 2.3 Einige spezifisch religiöse Akte und Haltungen 341 <?page no="342"?> 173 Vgl. von H I L D E B R A N D , Über die christliche Idee des himmlischen Lohnes, S. 286. 174 Ebd. 175 Vgl. T H O M A S von Aquin, Summa theologica, I-II, q. 1, a. 7, c. 176 Vgl. oben II, 1 - „Der kosmologische Gottesbeweis und das apriorische Erkennen“. 177 Vgl. T H O M A S von Aquin, Summa theologica, I-II, q. 1, a. 6, c. 2.4 Die Gottesliebe als höchste Wertantwort Aus dem „demütig ehrfürchtig liebenden Ich“ fliesst nicht nur „das ganze Reich der Tugenden“, sondern ebenso die „Sehnsucht nach Gott und der Gemeinschaft mit ihm“. 173 Dabei ist die Sehnsucht allerdings das Sekundäre gegenüber der Gottesliebe, denn die Sehnsucht nach Gott setzt die Liebe bereits voraus. Wie sollte man sich auch nach Gott sehnen, wenn man ihn nicht liebt? In dem Mass, in dem die Liebe wächst, wächst auch die Sehnsucht nach der Gemeinschaft, nach der ewigen Vereinigung mit Gott. Zweierlei will von Hildebrand auch hier deutlich voneinander getrennt wissen: Die Liebe muss stets das Fundament der Sehnsucht sein, sie muss das principium - das Bestimmende - sein und bleiben. „Die Liebe muss Gott in sich, noch ganz ohne Reflexion auf unser ewiges Heil gelten - Gott, als dem Inbegriff aller Herrlichkeit und aller Güte.“ 174 Wie wichtig es ist, das principium und das principiatum auseinanderzuhalten, wird sich verdeutlichen, wenn in der Folge das Verhältnis zwischen Gottesliebe und Glück untersucht wird, über das von Hildebrand ebenso nachgedacht hat wie Thomas von Aquin. 2.4.1 Die Bestimmung des menschlichen Glücks bei Thomas von Aquin In der ersten Quaestio seiner moralphilosophischen Untersuchungen (der prima secundae seiner theologischen Summe) geht Thomas von Aquin auf das Ziel menschlichen Handelns ein und bestimmt dieses als allgemeinmenschliches Streben nach Vollkommenheit. 175 Dies sei so, weil jedes Streben notwendiger‐ weise in einem Letzten ende. Wir essen, um am Leben zu bleiben, wir gehen aus dem Haus, um zu arbeiten. Weil dies aber nicht ins Unendliche fortgesetzt werden könne - wie schon beim kosmologischen Gottesbeweis, 176 so meldet sich auch hier die Unmöglichkeit eines regressus in infinitum zu Wort -, müsse immer auch ein Letztes überhaupt erstrebt werden. Alles, was der Mensch an Vorläu‐ figem begehre, erstrebe er nur um dieses letzten vollendeten Zieles willen, das keinerlei Verlangen mehr offen lasse und wirklich beständig wunschlos glück‐ lich mache. 177 Das Ziel (finis) ist bei Thomas allerdings ein äquivoker Begriff. Zum einen kann das Ziel von etwas (finis cuius), zum anderen das Ziel für etwas (finis quo) 2 Die Antwort des Menschen 342 <?page no="343"?> 178 Vgl. ebd., I-II, q. 1, a. 8, c. 179 Vgl. ebd., I-II, q. 2, a. 7, c. 180 Vgl. ebd., I-II, q. 2, a. 8, c. 181 Vgl. ebd., I-II, q. 69, a. 1, c. gemeint sein. 178 Das Erste ist das Ziel im Sinne der Sache, die erstrebt wird, das Zweite ist die Handlung, die sich auf die Sache erstreckt, d. h. das Streben danach und das Erlangen. Aufgrund metaphysischer Erwägungen steht für Thomas fest, dass Gott das letzte Ziel (finis cuius) alles Seienden ist. Doch handelt es sich hierbei eben um eine Feststellung aus dem Bereich der Metaphysik. An dieser Stelle gilt das Interesse jedoch nicht dem Ziel unter dem Aspekt des kreatürli‐ chen Seins, das auf den Ursprung des geschaffenen Universums verwiesen ist (finis cuius), sondern dem Ziel unter dem Aspekt des letzten Zieles menschlichen Handelns (finis quo). Wenn Gott aber finis quo des Menschen sein soll, dann müsste Gott Gegenstand menschlichen Handelns sein, und es müsste eine Tä‐ tigkeit geben, die allein um ihrer selbst willen erstrebt werden kann. Über die Feststellung, dass das menschliche Glück unter dem Aspekt des finis quo in einem Gut der Seele bestehen muss, 179 gelangt Thomas zur Schlussfolge‐ rung, dass nichts den menschlichen Willen zu sättigen vermag ausser einem vollkommenen Gut und dieses wird allein in Gott gefunden. 180 Nicht darum also kann nur Gott das letzte Ziel des Menschen sein, weil er der Schöpfer ist, denn dann müssten auch die Tiere ihre Erfüllung in Gott finden, sondern weil Gott jenes Gut ist, das einzig den Willen des Menschen zu sättigen vermag. Von Belang ist hier die Tatsache, dass der Mensch ein natürliches Verlangen (desiderium naturale) nach der eigenen Glückseligkeit hat (finis quo), 181 Thomas es aber zugleich unterlässt, die einzigartige Schönheit Gottes genügend heraus‐ zuarbeiten. So kann das Bild entstehen, als ob der Mensch primär auf sein ei‐ genes Sein blickt, dabei erkennt, dass er zum Glück hin strebt und aufgrund weiterer Denkschritte zum motivierenden Ergebnis kommt, dass nur das abso‐ lute Gut sein Verlangen nach Glück befriedigen kann. Dabei kann der Eindruck entstehen, als ob Gott die Rolle eines Glücklichmachers zukomme. Für das Thema der Gottesliebe ist diese Konzeption sehr gefährlich. Der angeblich Ge‐ liebte kann als ein blosses Mittel zum persönlichen Glück verstanden werden. Dieser Vorwurf wird wieder begegnen, wenn weiter unten von Hildebrands Kritik an der thomasischen Konzeption analysiert wird. Im Anschluss wird dann aber auch dargelegt, dass Thomas diese Sicht, die ihm hier und im folgenden Punkt nahe gebracht wird, nicht teilt. 2.4 Die Gottesliebe als höchste Wertantwort 343 <?page no="344"?> 182 von H I L D E B R A N D , Das Wesen der Liebe, Kap. V, S. 164. 183 D E R S ., Moralia, 1. Kap., S. 72. 184 D E R S ., Das Wesen der Liebe, Kap. I, S. 33. 185 Vgl. P L A T O N , Symposion, 191d-193d. 186 Von Hildebrand unterscheidet die Liebe, die immer auf ein anderes Du gerichtet ist, in dreifacher Hinsicht. Erstens nach der kategorialen Eigenart: z. B. Gottesliebe, Nächstenliebe, Freundesliebe, bräutliche Liebe, Elternliebe und Kindesliebe. Zweitens nach ihrer Qualität: sie kann tiefer, geistiger oder mehr vitaler Art sein. Drittens variiert die Liebe nach ihrer Stärke und Intensität. Vgl. von H I L D E B R A N D , Selbstdarstellung, S. 115-117. Zu den Kategorien der Liebe siehe auch D E R S ., Metaphysik der Gemein‐ schaft, I. Teil, 5. Kap., S. 46. Auf den wichtigen kategorialen Unterschied der Liebe zu Christus und zu Gott einer‐ seits und der Nächstenliebe andererseits, die beide qualitativ zutiefst verwandt, als Ka‐ tegorien der Liebe aber gänzlich verschieden sind, sei an dieser Stelle nur hingewiesen. Er wird weiter unten thematisch sein, wenn auf die caritas eingegangen werden wird. Siehe unten IV, 2.7.3.2 - „Die christliche Nächstenliebe und die caritas“. 187 von H I L D E B R A N D , Das Wesen der Liebe, Kap. VI, S. 180. 2.4.2 Die Gottesliebe im Verständnis von Dietrich von Hildebrand und seine Kritik an der Deutung der Gottesliebe bei Thomas von Aquin „Die Liebe zu Gott ist die Wertantwort par excellence, der transzendenteste Akt des Menschen und der objektivste.“ 182 Die Gottesliebe ist „die Wertantwort aller Wertantworten, die formal reinste und material höchste Wertantwort“ 183 . In‐ wiefern die Liebe - an dieser Stelle ihrem natürlichen Sinne nach ver‐ standen -, überhaupt eine Wertantwort ist und nicht bloss einen gegebenen appetitus zu stillen vermag, zeigt sich an dem Motivierenden: „In der Liebe ist es wesentlich, dass der Geliebte als kostbar, schön, liebenswert vor uns steht. Solange ein Mensch nur nützlich für mich ist, solange ich ihn nur gut brauchen kann, fehlt die Unterlage für eine Liebe.“ 184 Wenn der andere Mensch nur nützlich ist, wie z. B. in Platons Vision der Liebe als Wiederherstellung der ursprüngli‐ chen Einheit, 185 dann gibt diese vermeintliche Liebe das grundlegende Bedürfnis nach Vollendung des eigenen Seins zu erkennen, womit letztlich aber nur die Selbstliebe verlängert wird. Die wahre Liebe ist jedoch eine Wertantwort. Nicht eine Willensantwort, sondern eine affektive Wertantwort, deren motivationaler Grund die Gesamt‐ schönheit des Geliebten ist, von der der Liebende in einem solchen Masse ent‐ zückt ist, dass er sich nach der Verbundenheit, nach der unio mit der geliebten Person sehnt. 186 „Die Anerkennung seiner Kostbarkeit, das Zutiefst-ge‐ troffen-und-angezogen-Werden von ihm, die spezifische, einzigartige Wertant‐ wort der Liebe wirkt sich gerade in der Sehnsucht, an ihm teilzuhaben, aus.“ 187 Wenn diese Sehnsucht, die intentio unionis, in eine reale Einheit, in ein wirkli‐ ches Einssein mündet, dann ist sie eine Quelle des Glücks. Aufgrund dessen, 2 Die Antwort des Menschen 344 <?page no="345"?> 188 Vgl. ebd., Kap. VI, Zusammenfassung, S. 198. 189 Ebd. 190 Das Phänomen der Liebe in der Philosophie bei Dietrich von Hildebrand wurde unlängst in einer grundlegenden Monographie analysiert, auf die an dieser Stelle verwiesen sei. Vgl. Valentina G A U D I A N O , Die Liebesphilosophie Dietrich von Hildebrands. Ansätze für eine Ontologie der Liebe. Siehe auch Jakub G O R C Z Y C A , Zur Metaphysik der Liebe bei Dietrich von Hildebrand. 191 von H I L D E B R A N D , Das Wesen der Liebe, Kap. V, S. 164. 192 Vgl. weiter unten auch IV, 3 - „Die Kirche als vollkommenste Gemeinschaft und als höchstes objektives Gut für die Person“. 193 von H I L D E B R A N D , Das Wesen der Liebe, Kap. V, S. 165. dass „der geliebte Mensch eine Quelle des Glückes für den Liebenden ist“ und „weil in ihr das Interesse für den Geliebten so weit geht, dass er aufgrund seines Wertes ein objektives Gut für mich wird“, 188 sieht von Hildebrand sich veranlasst, die Liebe sogar eine „Über-Wertantwort“ 189 zu nennen. 190 Über die natürliche Liebe hinaus ist die Liebe zu Gott - wie bereits erwähnt - die Wertantwort par excellence, der transzendenteste und der objektivste Akt des Menschen. Allerdings wäre es „ein grosser Irrtum zu glauben, dass die Hal‐ tung Gott gegenüber dadurch weniger hingebend, weniger Wertantwort wird, dass Gott auch mein absolutes Gut ist, die Quelle der Seligkeit“ 191 . Es gilt hier die zwei Gründe, weshalb Gott das absolute Gut für die Person ist, nicht zu verwechseln. Auf der einen Seite ist es das ontologische Verhältnis zwischen Schöpfer und Geschöpf, das absolute Angewiesensein auf Gott. Auf der anderen Seite ist Gott aufgrund seiner unendlichen Herrlichkeit und Liebenswertheit das absolute Gut für die Person, das personal erst dann und in dem Masse erlebt wird, in dem Gott geliebt wird. Nicht alleine objektiv, sondern auch und vor allem erlebnismässig wird Gott das absolute objektive Gut für die Person. 192 Durch die Liebe „geht die Wertantwort auf Gottes unendliche Schönheit so tief, dass er auch erlebnismässig das absolute Gut für uns wird, dass wir die ewige Vereinigung mit ihm über alles andere ersehnen“ 193 . Die beiden Gründe, die von Hildebrand anführt, weshalb Gott das absolute Gut für die Person ist, seien an dieser Stelle mit Thomas’ Sicht verglichen. Wie gesehen, trennt Thomas an erster Stelle die beiden Ziele des Menschen: das Ziel von etwas (finis cuius) und das Ziel für etwas (finis quo). Ersteres ist die Sache, die Ziel ist, das Zweite der Akt oder die Tätigkeit, die sich auf die Sache erstreckt. Thomas gelangt dann zur Folgerung, dass Gott nicht das letzte Ziel ist, weil er Schöpfer oder höchstes Wesen ist (finis cuius), sondern weil nur er jenes Gut ist, das den Willen des Menschen zu sättigen vermag (finis quo). Beide, sowohl Thomas wie auch von Hildebrand sehen deutlich, dass der Mensch ontologisch auf Gott hingeordnet ist. Beide vertreten aber auch noch 2.4 Die Gottesliebe als höchste Wertantwort 345 <?page no="346"?> 194 Ebd. 195 Ebd., S. 159. 196 Ebd., S. 165. 197 Ebd. (Kursiv im Orig.) 198 Ebd. 199 Ebd. einen zweiten Punkt, den Punkt des ganz persönlichen Verhältnisses mit Gott. Hierin unterscheiden sie sich. Thomas sieht den Menschen auf Gott hinge‐ ordnet, weil nur er jenes Gut ist, das den Willen des Menschen zu sättigen vermag. Von Hildebrand dagegen sieht diese Zuordnung erlebnismässig. Für ihn „ist Gott das absolute Gut für die Person auf Grund seiner unendlichen Herr‐ lichkeit und Liebenswertheit“ 194 . Wiederum, wie schon im Zusammenhang mit der Bestimmung des mensch‐ lichen Glücks, entsteht der Eindruck, als sei Thomas vor allem am persönlichen Glück des Menschen interessiert. Wenn Thomas, wie es hier den Anschein er‐ weckt, primär auf das Glück des Subjekts blickt, so von Hildebrand primär auf das Objekt, auf Gott. Das Glück spielt selbstverständlich auch bei von Hilde‐ brand eine Rolle, aber nicht die primäre. Wie in einer jeden Wertantwort, so ist das Glück auch im Falle der Gottesliebe ein superabundantes Geschenk. Denn Wert und Glück stehen in einem unlösbaren, tiefen Zusammenhang, wobei „der Primat des Wertes deutlich zum Ausdruck kommt und das wahre Glück nie etwas davon Loslösbares, nie ein selbständiges Thema in sich darstellen kann, sondern wesenhaft den Wert voraussetzt als übergeordnete Realität und nur aus ihm erwachsen kann“ 195 . Vor diesem Hintergrund ist seine Kritik an der Deutung der Gottesliebe bei Thomas von Aquin zu verstehen. Solange die Liebe als Wertantwort nicht er‐ kannt werde, könne auch nicht verstanden werden, „dass Gott das absolute Gut für uns und die Quelle unseres erlebten persönlichen Glücks ist“ 196 . Dies komme in Thomas’ Wort zum Ausdruck, „wir könnten Gott nicht lieben, wenn er nur das absolute Gut in sich wäre und nicht auch unser absolutes Gut“ 197 . Richtig wird hier gesehen, dass es wesentlich zur Gottesliebe gehört, dass Gott das absolute Gut für die Person ist, „aber unseligerweise wird das als Begründung in Anspruch genommen, was in Wahrheit die Folge ist“ 198 . Denn „Gott muss nicht als objektives Gut für uns erfasst werden, um unsere Liebe zu ihm fun‐ dieren zu können, sondern die Liebe als Wertantwort auf Gott als absolutes Gut in sich lässt ihn zum absoluten Gut für mich erlebnismässig werden.“ 199 Die Frage ist berechtigt, ob Thomas von Aquin diese Auffassung, wie sie ihm von Dietrich von Hildebrand nahe gelegt wird, allen Ernstes vertreten würde. Auf den Punkt gebracht, geht es dabei um den Vorwurf, Thomas vertrete die 2 Die Antwort des Menschen 346 <?page no="347"?> 200 Josef P I E P E R , Über die Liebe, S. 109. Position, wir könnten das absolute Gut - Gott - nicht lieben, wenn er das ab‐ solute Gut nur in sich und nicht auch für uns wäre. Von Hildebrand schreibt Thomas den Denkfehler zu, zwar richtig zu sehen, dass das absolute Gut für uns zu sein wesentlich zur vollen Gottesliebe gehöre, aber unseligerweise nähme er das als Begründung in Anspruch, was in Wahrheit die Folge sei. Er sehe die Begründung der Gottesliebe also im ‚Unser-absolutes-Gut-Sein‘ Gottes. Was aber insofern falsch sei, als das ‚Unser-absolutes-Gut-Sein‘ nur die Folge, nicht aber die Begründung der Gottesliebe sei. Von Hildebrand sieht den Unterschied zu seiner eigenen Auffassung darin gelegen, dass Thomas sagen würde: „Wenn Gott unser absolutes Gut ist, dann liebe ich ihn.“ Währenddem er selbst dafür hält: „Weil ich Gott liebe (Wertant‐ wort), ist er mein absolutes Gut.“ Dabei geht es selbstverständlich auch um die Frage nach dem Glück. Ist das Glück in der Liebe zu Gott primäres oder sekun‐ däres Thema. Liebe ich Gott, weil ich glücklich sein will, oder bin ich glücklich, weil ich Gott liebe? Von Hildebrand vertritt die Position, dass man glücklich sein wird, wenn man primär die Herrlichkeit und Liebenswertheit Gottes beant‐ wortet, indem man ihn liebt. Thomas schreibt er dagegen die Auffassung zu, primär das eigene Glück zu intendieren und deswegen das absolute Gut zu lieben. Doch dürfte dies eine schwer haltbare These sein. Eher scheint Josef Pieper in diesem Punkt richtig zu liegen. „Wie in aller Welt sollte denn wohl unsere Liebe zu Gott ‚grundlos‘ sein können und ‚unmotiviert‘ oder gar ‚sou‐ verän‘? “ 200 In sachlicher Hinsicht erscheint es unmöglich, Gott nur deswegen zu lieben, damit man glücklich ist. Denn die Liebe ist eine affektive Antwort auf die geliebte Person, zu der man sich auch mit aller Willenskraft nicht zwingen kann. Die Person muss in ihrer überwältigenden Gesamtschönheit erkannt werden, erst dann kann man sie lieben. Es ist im Vollsinn des Wortes undenkbar, eine andere Person zu lieben, dabei aber nur auf das eigene Glück zu schauen. Von Hildebrand wird es in diesem Zusammenhang aber auch mehr um den We‐ sensunterschied zwischen principium und principiatum, zwischen Grund und Folge zu tun gewesen sein. Dass Thomas dies letztlich nicht anders sieht, wird deutlich bei der Betrachtung des ersten Artikels der 28. Frage der secunda se‐ cundae. In diesem Artikel handelt er von der Freude (gaudium), die eine Frucht 2.4 Die Gottesliebe als höchste Wertantwort 347 <?page no="348"?> 201 Vgl. T H O M A S , Summa theologica, II-II, q. 28, a. 1, c. Caritas autem est amor Dei, cujus bonum immutabile est; quia ipse est sua bonitas. Et ex hoc ipso quod amatur est in amante per nobilissimum sui effectum; secundum illud 1 Joan. 4: „Qui manet in caritate, in Deo manet et Deus in eo.“ Et ideo spirituale gaudium, quo de Deo habetur, ex caritate causatur. Die heilige Liebe aber ist Liebe zu Gott, dessen Gut unwandelbar ist; denn Er Selbst ist seine Gutheit. Und so ist Er gerade dadurch, dass Er geliebt wird, im Geliebten durch die erha‐ benste Wirkung Seiner Selbst; nach Jo 4,16: „Wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.“ Also ist die geistige Freude, die wir an Gott haben, aus der Gottesminne geboren. (Mit „Minne“ greift der Übersetzer auf die mittelhochdeutsche Bezeichnung für Liebe zurück.) 202 Vgl. von H I L D E B R A N D , Das Wesen der Liebe, Kap. II, S. 68. 203 D E R S ., Moralia, 1. Kap., S. 72. der Caritas, der Gottesliebe sei. 201 Bei der Freude verhält es sich wie beim Glück, sie beide sind nicht Grund, sondern Folge der Liebe. Sowohl Thomas von Aquin als auch Dietrich von Hildebrand, beide sind sich des Paradoxons des Glücks bewusst. Beide sind sich bewusst, dass das Glück nicht erreicht werden kann, wenn es direkt intendiert, sondern nur dann, wenn das Gute um seiner selbst willen erstrebt und angemessen beantwortet wird. Beide haben - zugleich mit Viktor E. Frankl - verstanden, dass der sicherste Weg, um nicht glücklich zu sein, jener ist, das Glück um seiner selbst willen anzustreben. Ebenso wissen beide, dass der sicherste Weg, um glücklich zu sein, derjenige ist, das Glück nicht zum primären Thema zu machen, sondern die erste Stelle dem Wertvollen einzuräumen, letzten Endes Gott, und es in angemessener, dem Gegenstand gebührender Weise zu beantworten. Und die angemessene Antwort auf Gottes Herrlichkeit und Liebenswertheit ist gerade die affektivste aller affektiven Antworten, ist die Liebe. 202 Das Glück aber ist die Frucht dieser Liebe. 2.5 Die beiden Vollkommenheiten der Wahrnehmung - das Notionsthema und das kontemplative Thema Um das genannte erlebnismässige Moment der Gottesliebe deutlicher hervor‐ treten zu lassen, wird in Erweiterung und Vertiefung des Gesagten in erster Linie auf die Kontemplation im Allgemeinen und in zweiter Linie auf die religiöse Kontemplation eingegangen. Um bis zur Sache selbst durchzudringen, sind vorweg einige Klärungen vonnöten. In erster Linie setzt jede Antwort, so auch „die formal reinste und material höchste Wertantwort“ 203 - die Gottesliebe -, die Wahrnehmung dessen voraus, worauf geantwortet wird. Unter Wahrneh‐ mung wird hier mit von Hildebrand jede Kenntnisnahme verstanden, „in der ein 2 Die Antwort des Menschen 348 <?page no="349"?> 204 D E R S ., Was ist Philosophie? , 6. Kap., S. 159. 205 Ebd. 206 Vgl. ebd. 207 Ebd., S. 159 f. 208 D E R S ., Ästhetik 1, 16. Kap., S. 350 f. 209 Vgl. ebd., 16. Kap., S. 351, und D E R S ., Was ist Philosophie? , 6. Kap., S. 160. 210 D E R S ., Was ist Philosophie? , 6. Kap., S. 162. 211 Ebd. 212 Ebd., 2. Kap., S. 31. Gegenstand selbstgegenwärtig ist und sich unserem Geist unmittelbar er‐ schliesst“ 204 . Der Begriff der Wahrnehmung umfasst mehr als die Sinneswahrnehmung. Die Wahrnehmung ist durch drei Merkmale charakterisiert: „Erstens ist der Ge‐ genstand der Kenntnisnahme selbstgegenwärtig und als solcher gegeben.“ 205 Der Gegenstand wird nicht durch Induktion oder Deduktion erreicht, sondern er „steht sozusagen persönlich vor unserem Geist“; was es dem Menschen ermög‐ licht, „in direktem, unmittelbarem Kontakt mit ihm selbst“ zu sein. 206 Zweitens erschliesst sich der Gegenstand in seinem Dasein und Sosein, wodurch ein Wissen über den Gegenstand verliehen wird. Und drittens ist der Gegenstand in der Wahrnehmung „anschaulich gegeben, d. h., er entfaltet sein Sosein vor unserem Geist“ 207 . Auch in seiner Ästhetik spricht von Hildebrand sich im selben Sinne dafür aus, dass die Wahrnehmung nicht im Erfassen von Sinnesdaten be‐ steht, sondern „in der Präsenz des Objektes, dem unmittelbaren Kontakt mit ihm, in der Tatsache, dass das Objekt sich mir erschliesst, mich über sein Sosein und seine Existenz unterrichtet und dieser Kontakt ein anschaulicher ist“ 208 . In der Ästhetik ebenso wie in Was ist Philosophie? veranschaulicht er das Wesen der Wahrnehmung durch den Vergleich mit der Vorstellung und dem Schliessen. 209 Demnach ist bei der Wahrnehmung eines Feuers das Feuer selbst gegenwärtig, währenddem beim Sehen von Rauch und dem Schluss, dass es irgendwo brennen muss, nur der Rauch anschaulich gegeben ist, das Feuer da‐ gegen nicht. Die Wahrnehmung besitzt zwei Vollkommenheiten, deren erste darin besteht, dass sie „der originärste und vollkommenste Weg ist, von der Wirklichkeit Kenntnis zu nehmen“ 210 . Diese Vollkommenheit der Wahrnehmung zielt auf das „selbstpräsente Gegebensein des Gegenstandes“ 211 und damit auf das Notions‐ thema, welches eine jede Kenntnisnahme und ein jedes Wissen beherrscht. Wobei die Kenntnisnahme - die sich auf eine jede „Aneignung von etwas Neuem durch unseren Geist“ 212 erstreckt - klar von der weiter oben besprochenen Er‐ kenntnis im philosophischen Sinn zu unterscheiden ist. Denn während sich die Kenntnisnahme auf alles mit Ausnahme der Sachverhalte beziehen kann, be‐ Die beiden Vollkommenheiten der Wahrnehmung 349 <?page no="350"?> 213 R E I N A C H , Zur Theorie des negativen Urteils, S. 114. 214 Vgl. von H I L D E B R A N D , Was ist Philosophie? , 6. Kap., S. 163. 215 Ebd. 216 Vgl. ebd. 217 Ebd., 6. Kap., S. 164. 218 Ebd. zieht sich das Erkennen gerade auf Sachverhalte und nur auf Sachverhalte. Während objektive Korrelate des Erkennens also ausschliesslich „Gebilde der Form ‚b-sein des A‘“ 213 sind, kann der neue Nachbar ebenso Gegenstand des Kenntnisnehmens sein wie das Sosein der Liebe oder der Wert der Gerechtig‐ keit. Neben dieser Vollkommenheit der Wahrnehmung als privilegierter Quelle des Kenntnisnehmens und damit der Aneignung von Wissen besitzt die Wahrneh‐ mung auch noch eine andere Vollkommenheit. Dabei kommt es zum engsten Kontakt mit dem Gegenstand. 214 „Selbst wenn die Kenntnisnahme von etwas ganz vollzogen und vollkommenes Wissen erreicht ist, hat die fortgesetzte Wahrnehmung des Gegenstandes eine spezielle, intime und unmittelbare Ver‐ einigung mit dem wirklichen Gegenstand zur Folge.“ 215 Bei dieser unmittelbaren Vereinigung beschäftigt nicht mehr die Frage: „Wie ist er? “ und die darauf er‐ teilte Antwort: „So ist er“, sondern einzig „die Vereinigung von Angesicht zu Angesicht“. 216 Dabei leitet nicht mehr das Notionsthema, sondern das kontem‐ plative Thema. Anhand eines Beispiels wird der Unterschied offenbar: Das No‐ tionsthema kann etwa das Wissen zum Inhalt haben, dass Gott Liebe ist, wäh‐ renddem der Inhalt des kontemplativen Themas nicht mehr das blosse Wissen ist, dass Gott Liebe ist, sondern dieses Thema zielt darauf ab, sich in den lie‐ benden Gott geistig zu versenken. Trotz ihrer Verschiedenheit sind das Notionsthema und das kontemplative Thema eng miteinander verbunden. Denn ohne Wissen um den Gegenstand kommt es nicht zu einer kontemplativen Vereinigung mit dem Gegenstand. Je vollkommener aber die Kenntnis des Gegenstandes, „desto intimer wird die geistige Vermählung mit dem selbstpräsenten Gegenstand in der Wahrnehmung sein“ 217 . Kurzum: „Eine vollkommene geistige Vermählung erfordert einen voll‐ kommenen vorhergehenden Notionskontakt.“ 218 Dies gilt allerdings nur inso‐ fern, als der Gegenstand eine geistige Vermählung überhaupt erlaubt. Wodurch die Gegenstände ausgezeichnet sein müssen, um die geistige Vermählung zu ermöglichen, wird nachfolgend zu erörtern sein. An dieser Stelle möge es mit dem Hinweis sein Bewenden haben, dass die geistige Vermählung und „der Er‐ folg dieses Sich-Versenkens, das Herstellen eines intimen Kontaktes mit dem Gegenstand, nicht ausschliesslich von uns“ abhängt, denn dieser Kontakt enthält 2 Die Antwort des Menschen 350 <?page no="351"?> 219 Vgl. ebd., 6. Kap., S. 167. 220 Vgl. oben III, 8 - „Peripherie und Tiefe“. 221 von H I L D E B R A N D , Heiligkeit und Tüchtigkeit, S. 36. 222 D E R S ., Die Umgestaltung in Christus, 6. Kap., S. 80. 223 Ebd., 6. Kap., S. 80 f. ein unübersehbares „Element des Geschenkhaften“. 219 Wie sich noch zeigen wird, spielt das kontemplative Thema vor allem in der Religion eine grosse Rolle. 2.6 Die religiöse Kontemplation Je gewichtiger die objektive Bedeutsamkeit eines Aktes oder Inhalts, desto tiefer die Schicht in der Person, an die appelliert wird. Die Bestimmung dieses Ver‐ hältnisses zwischen der objektiven und der subjektiven Ordnung wurde weiter oben im Rahmen der Besprechung des Unterschieds zwischen der Peripherie und der Tiefe durchgeführt. 220 An jener Stelle wurde auch erwähnt, dass in dem spezifischen Sinn von Tiefe, die Liebe tiefer ist als das sinnliche Begehren und die Gottesliebe tiefer als die eheliche Liebe. Auf diesen spezifischen Sinn bezog sich von Hildebrand, als er urteilte, dass in der Kontemplation von hohen Werten „die tiefste Schicht unserer Seele aktualisiert“ 221 werde. Je objektiv bedeutsamer und wertvoller eine gegebene Sache ist, desto mehr betrifft sie den Menschen, mit allen Möglichkeiten zu einem sinnerfüllten Dasein und einer personalen Entfaltung. Desto mehr ist der Mensch aufgerufen, mit allen Kräften seines Geistes - mit Vernunft, Wille und Herz - zu ebendieser Sache Stellung zu nehmen, und - gegebenenfalls - sich in superabundanter Weise beschenken zu lassen. Dem eminent wichtigen Thema der Kontemplation hat von Hildebrand in seiner Schrift Die Umgestaltung in Christus, die in der ersten und zweiten Auflage unter dem Pseudonym Peter Ott erschienen ist, ein eigenes Kapitel gewidmet. Im Verbund mit der Sammlung spricht er von den „zwei Grundpfeilern des re‐ ligiösen Lebens“ 222 . Die Sammlung bildet in erster Linie eine Antithese zur Zer‐ streuung und zu allem „Aufgehen in der Peripherie“ 223 . Denn nicht jede Haltung, die der Zerstreuung entgegensteht, ist darum schon Sammlung. Wenn jemand beispielsweise ein Auto durch eine dicht belebte Strasse lenkt, ist er zwar alles andere als zerstreut, doch ist er deswegen noch nicht gesammelt. Die Sammlung ist nicht nur die Konzentration der Aufmerksamkeit auf eine bestimmte Ver‐ richtung, vielmehr ist sie „das Einheitlichwerden der ganzen Person durch ein Erwachen zu ihrem eigentlichen Selbst, durch einen Durchbruch in die Tiefe“, 2.6 Die religiöse Kontemplation 351 <?page no="352"?> 224 Vgl. ebd., 6. Kap., S. 81 f. 225 Ebd., 6. Kap., S. 83. 226 Ebd. 227 Zur Wachheit vgl. oben IV, 2.1.2 - „Die Wachheit“. 228 Vgl. von H I L D E B R A N D , Die Umgestaltung in Christus, 6. Kap., S. 103. 229 Vgl. ebd., 6. Kap., S. 86. 230 Mit dem Frui bezieht von Hildebrand sich auf Augustinus und seine Gegenüberstellung von uti und frui. In De doctrina christiana 1,3 f. (CCSL 32, S. 8) zeigt Augustinus, „dass das frui ein Eingehen auf eine Sache um ihretwillen bedeutet, während man sie im uti nur als Mittel um eines anderen Gutes willen benützt“ (von H I L D E B R A N D , Ästhetik 1, S. 60). „wenn alles andere für einen Augenblick versinkt und wir in unsere tiefste und eigentliche Richtung auf Gott zurückfinden“. 224 Von Hildebrand charakterisiert das Leben des Menschen als ein ständiges Sich-Verlieren an die jeweilige Situation und ihre Eigengesetzlichkeit und damit als „ein Vergessen des eigentlichen und letzten Sinnes unserer Existenz“ 225 . In dieser ungesammelten Haltung leben wir nicht wirklich, da immer nur die Pe‐ ripherie oder bloss ein Teil des tieferen Wesens aktualisiert wird. Trotz Kon‐ zentration und wacher Aufmerksamkeit, „schlafen wir doch in unserem tieferen Sein, sind nicht ganz vorhanden“ 226 . Nur der Gesammelte ist wach, und nur der Wache lebt im Vollsinn des Wortes. 227 Und wie das Sich-Sammeln ein Sich-Leer‐ machen und Leerwerden und ein Sich-Richten auf das Absolute ist, so ist die Kontemplation ein Leersein und ein Ruhen in dem Absoluten. 228 Wie aber versteht von Hildebrand diesen Grundpfeiler des religiösen Lebens? Um zur Vernünftigkeit dieses Grundpfeilers des religiösen Lebens durchzu‐ dringen, verweist von Hildebrand zuerst auf die Antike - vor allem auf Aristo‐ teles und seine Nikomachische Ethik - und ihre irrtümliche Beschränkung des Kontemplativen auf die Sphäre des Erkennens. Denn weder ist jedes Erkennen kontemplativ noch ist nur das Erkennen kontemplativ. Denn kontemplativ ist auch das „Affiziertwerden durch einen Wert, das Beglücktwerden durch das Licht der Schönheit und Güte“ 229 . Vor allem auch das Frui 230 , das Geniessen des Wertes ist rein kontemplativer Natur. Auch das Stellungnehmen - z. B. die Liebe oder die Freude - hat vielfach kontemplative Züge. Sodann hat von Hildebrand das kontemplative Verhalten mit acht Merkmalen charakterisiert. Erstens wird im Gegensatz zu jedem Uti, zu jedem Gebrauchen oder Verwenden für etwas anderes voll auf das Objekt eingegangen, es interes‐ siert um seiner selbst willen. Zweitens handelt es sich beim Objekt um ein in sich bedeutsames, was eine erste Antwort auf die oben aufgeworfene Frage ist, wodurch die Gegenstände ausgezeichnet sein müssen, um die geistige Vermäh‐ lung zu ermöglichen. Drittens ist das kontemplative Verhalten frei von der Un‐ 2 Die Antwort des Menschen 352 <?page no="353"?> 231 von H I L D E B R A N D , Die Umgestaltung in Christus, 6. Kap., S. 89. 232 Ebd., 6. Kap., S. 90. 233 Eine anschauliche Beschreibung einer religiösen Kontemplation stammt von D E S‐ C A R T E S , welcher sie in seinen Meditationen über die Grundlagen der Philosophie, Dritte Meditation, 43., S. 43, schriftlich fixiert hat: Bevor ich das aber sorgfältiger untersuche und zugleich auf die Prüfung der anderen Wahrheiten eingehe, die daraus geschlossen werden können, will ich mich hier eine Weile bei der Betrachtung Gottes aufhalten, seine Eigenschaften bei mir erwägen und die Schön‐ heit dieses unermesslichen Lichtes, soweit es der Blick meines gleichsam geblendeten Geistes aushält, anschauen, bewundern und anbeten. Denn wie der Glaube uns lehrt, dass die höchste Seligkeit des anderen Lebens einzig und allein in diesem Schauen der göttlichen Majestät besteht, so machen wir auch jetzt schon die Erfahrung, dass wir aus dem gegen‐ wärtigen, wenn auch viel unvollkommeneren Anschauen die höchste Lust schöpfen können, zu der wir in diesem Leben fähig sind. 234 von H I L D E B R A N D , Die Umgestaltung in Christus, 6. Kap., S. 95. 235 Ebd. 236 Ebd., 6. Kap., S. 96. ruhe, die aus der Richtung auf eine zukünftige Realisation entspringt, sie ist frei von aller Spannung auf ein Zukünftiges. „Die Kontemplation ist eine Hingabe an ein in sich Ruhendes, bei der das Objekt mich nicht ‚braucht‘, um zu exis‐ tieren.“ 231 Viertens kann sich das Eingehen in voller Breite entfalten, im Unter‐ schied zu der Richtung auf einen Zweck, ohne sich mit den Mitteln zu beschäf‐ tigen. Fünftens fällt bei der Kontemplation jede Frage des Realwerdens durch die eigene Person weg, thematisch ist ausschliesslich der Gegenstand. Das kon‐ templative Verhalten ist - sechstens - ein reines Eingehen auf das Objekt, bei dem es in seinem ganzen Gehalt aufgenommen wird. Siebentens ist das kon‐ templative Verhalten ein spezifisch ruhendes Verhalten, in dem das eigene Sein aktualisiert wird. Und schliesslich hat es stets „einen empfangenden Grundzug“ 232 . Diese Merkmale des kontemplativen Verhaltens finden sich überall da, wo das Formalobjekt ein Geschöpfliches ist. Sie finden sich aber auch bei der Kon‐ templation im engeren Sinn, bei der religiösen Kontemplation. 233 „Wenn wir uns in die absolute Person versenken, öffnen wir unsere Seele, um den Blick ihrer ewigen Liebe in uns eindringen zu lassen, und haben das Bewusstsein, dass unsere liebende Hingabe aufgefangen wird von Gott.“ 234 Es ist eine volle Du-Kontemplation, bei der man nichtsdestotrotz in der Lage ist, „jene spezifisch beschauliche Ruhe zu entfalten, die im Bereiche des Geschöpflichen nur bei der ‚Es-Kontemplation‘ möglich ist“ 235 . Nur in der religiösen Kontemplation, die immer „auf dem Grunde der Anbetung ruht und in sie einmündet, können wir uns in den Gegenstand unserer Kontemplation ‚fallen lassen‘“ 236 . Und da nur die absolute Person das menschliche Sein aufnehmen kann, ist eine volle religiöse 2.6 Die religiöse Kontemplation 353 <?page no="354"?> 237 D E R S ., Ästhetik 1, 15. Kap., S. 343. 238 Vgl. ebd. 239 D E R S ., Die Umgestaltung in Christus, 6. Kap., S. 97. 240 Vgl. ebd., 6. Kap., S. 101. 241 Vgl. III, 8 - „Peripherie und Tiefe“. 242 Vgl. D E R S ., Christliche Ethik, 14. Kap., S. 200. 243 Vgl. P L A T O N , Phaidros, 279b-c. Kontemplation einem apersonalen oder pantheistischen Gott gegenüber un‐ möglich. Ganz abgesehen davon, dass ein absolutes Apersonales ein Wider‐ spruch in sich selbst wäre, da das personale Sein seinem Wesen nach höher ist als das apersonale. Jedenfalls erklärt von Hildebrand die religiöse Kontemplation, „die liebende, anbetende Versenkung in Gott“ 237 zum höchsten kontemplativen Akt 238 , zum „Urbild der Kontemplation“ 239 und die nur in der Kontemplation sich ereignende Vereinigung mit Gott zum tiefsten Thema unseres ganzen Seins. 240 Was wie‐ derum auf die spezifische Tiefe verweist, 241 dergemäss die objektive Bedeut‐ samkeit des jeweiligen Aktes oder Inhalts die Tiefenschicht bestimmt, die ak‐ tualisiert wird, wenn die Person davon affiziert wird. Und da Gott der Inbegriff aller Werte ist, wird in der kontemplativen Vereinigung mit Gott auch die tiefste Schicht in der Person aktualisiert. 2.7 Die weitere Entwicklung des Dialogs Die Antwort des Menschen auf Gottes Da- und Sosein wird motiviert durch die ontischen Werte, die Gott abbilden, wie auch durch die qualitativen Werte, die eine Botschaft Gottes enthalten. Ebenso geht eine motivationale Kraft aus von der Schönheit, die ein Abglanz Gottes ist, und von den sittlichen Werten, die Gott „in unvergleichlicher Weise“ widerstrahlen und „wahrhaft sein direktester Abglanz, seine unmittelbarste Botschaft im natürlichen Bereich“ sind. 242 Vor allem aber wird der Mensch zu einer Stellungnahme aufgerufen durch die an ihn gerichteten Forderungen, die von den sittlich relevanten Werten und Gütern ausgehen. Wie immer diese Kontaktaufnahmen beantwortet werden, immer sind sie an Gott, den Inbegriff aller Werte gerichtet. Ob dies explizit oder implizit geschieht, spielt letztlich keine Rolle, denn in beiden Fällen hält Gott am Dialog fest und wird ihn weiterführen, was alle Menschen ja voraussetzen, die ihn wie Platon um das Verleihen eines Gutes bitten. 243 Es kann hier aber nicht um den Versuch gehen, eine individuelle Gebetserhörung auf ihre Vernünftigkeit hin zu untersuchen, denn in diesem Rahmen liegt der Fokus auf der philosophischen 2 Die Antwort des Menschen 354 <?page no="355"?> 244 Vgl. oben I, 2.3 - „Absolute Gewissheit bei der Erkenntnis eines individuellen Sachver‐ halts? “ 245 von H I L D E B R A N D , Christliche Ethik, 36. Kap., S. 546. 246 D E R S ., Über die christliche Idee des himmlischen Lohnes, S. 283. 247 D E R S ., Die Umgestaltung in Christus, 18. Kap., S. 326. 248 Zu diesen drei Seelenkräften vgl. oben III, 2 - „Das Zusammenwirken und gegenseitige Befruchten von Vernunft, Wille und Herz und das geistig-intentionale affektive Leben der Person“. 249 von H I L D E B R A N D , Liturgie und Persönlichkeit, 2. Kap., S. 207. 250 Vgl. ebd. Prüfung der Vernünftigkeit der Religion. Insofern kann es nicht um Individuelles gehen - abgesehen vom der absolut gewissen Erkenntnis der eigenen Exis‐ tenz 244 -, sondern um notwendige Sachverhalte, die in vernünftiger und nach‐ vollziehbarer Weise dargelegt werden können. Die menschliche Antwort, soll sie nicht einen blossen appetitus befriedigen, sondern intentional am Objekt Mass nehmen und dieses angemessen beant‐ worten, kann im Falle der absoluten und vollkommenen Person Gottes nur die liebende und anbetende Hingabe sein, die im „ehrfürchtigen, demütigen, lie‐ benden Zentrum“ 245 des Menschen wurzelt, dem nur entspringt, „was von allem Hochmut und aller Begehrlichkeit, also von allem Egoismus frei ist“ 246 . „In dem Mass, als der Mensch sich in der Anbetung Gottes verschenkt, in dem Mass wird seine Persönlichkeit weiter und reicher mit höheren Werten geschmückt.“ 247 In dem Begriff der Persönlichkeit, wie von Hildebrand ihn hier verwendet, ist etwas von der Antwort Gottes enthalten. Während nämlich jeder Mensch als bewusst Seiendes, das sich sinnvoll auf Objekte beziehen, das erkennen, lieben und wollen, das frei wählen kann, 248 eine Person ist, ist nicht jeder Mensch damit auch gleich eine Persönlichkeit. Eine Persönlichkeit ist nur „der volle und ei‐ gentliche Mensch“ 249 . Eine Persönlichkeit ist nur der Mensch, der „die klassisch menschlichen Haltungen voll verwirklicht“ hat, der „tiefer und eigentlicher er‐ kennt als der Durchschnitt, tiefer und eigentlicher liebt, klarer und richtiger will als die anderen, der von seiner Freiheit vollen Gebrauch macht“. 250 Es sind die Menschen, die von einem tiefen Glücksdurst erfüllt und mit der Welt der Werte 2.7 Die weitere Entwicklung des Dialogs 355 <?page no="356"?> 251 Vgl. ebd., 2. Kap., S. 208 f. Vgl. zur „Persönlichkeit“ auch den bereits verwendeten Beitrag von S C I A C C A , Individuality and Personality, in dem er nicht nur die Individualität von der Person unterscheidet und die Persönlichkeit in den freien Stellungnahmen zu den „events and circumstances“ gründet, so dass die Person „reacts to them and modifies them, makes them his own, makes them personal, significant for himself and a real part of himself “ (vgl. ebd., p. 109), sondern auch den Begriff der Personage prägt. In einer Personage sind nicht zwei Persönlichkeiten vereint, sondern eine Person und eine Per‐ sonage. Als Personage versteht er die Person, die in ihrem Handeln nicht sich selbst ist, sondern eine andere Person und ihre wirklichen oder vermeintlichen Vorzüge imitiert. Das effektivste Instrument dazu ist die Sprache. „To hide our personality and assume another, to use this other to change and direct as we wish the attitudes of other people towards ourselves, is obviously a denying of the person. Whoever acts in this fashion denies his own person through the personage which he plays and denies the person of another insofar as he uses it as an instrument for his own ends” (ebd., p. 111). 252 von H I L D E B R A N D , Christliche Ethik, S. 11. 253 Vgl. oben III, 9 - „Die verschiedenen Bereiche der Träger sittlicher Werte“. 254 von H I L D E B R A N D , Sittlichkeit und ethische Werterkenntnis, III. Teil, 2. Kap., b), § 7, S. 141. 255 Ebd., III. Teil, 1. Kap., c), S. 99. 256 D E R S ., Christliche Ethik., 36. Kap., S. 536. und der Wahrheit organisch verbunden sind. Es sind die wertsichtigen Men‐ schen, die eine wertgeöffnete und wertantwortende Grundhaltung besitzen. 251 Wenn das Personsein eine reine Gabe und die Konstitution einer Persönlich‐ keit der menschlichen Freiheit zugänglich ist, wie wird der Mensch zu einem vollen und eigentlichen Menschen, und welche Rolle spielt dabei der Dialog mit Gott? Diese beiden Fragen lassen sich mit dem Hinweis auf die sittliche Sphäre beantworten. Denn es ist die sittliche Sphäre, der die höchsten, die wichtigsten und die zentralsten Werte zugehören, welche als solche auch „den tiefsten und zentralsten Punkt“ 252 in der Person berühren. Und je nach dem, wie zu den von den sittlichen und den sittlich bedeutsamen Werten und Gütern ausgehenden Forderungen Stellung bezogen wird und wie sie beantwortet werden, gestaltet sich das sittliche Sein der Person aus. Im Rahmen der Besprechung der ver‐ schiedenen Bereiche der Träger sittlicher Werte 253 hat sich bereits abgezeichnet, wie von Hildebrand das sittliche Ziel „in der qualitativen Umformung des Seins und in der formalen Umwandlung der Grundstellung zur intentionsgeborenen Grundhaltung“ 254 gelegen sieht. Auch zeigte sich etwas von der Wechselwirkung der verschiedenen Sphären der Sittlichkeit. So ist es von der jeweils allgemei‐ neren Haltung abhängig, „welche konkreten Haltungen möglich sind“ 255 . Und wie die Handlung eine Inkarnation der inneren individuellen und allgemeinen Stellungnahme ist, so verändern sich in und durch konkrete sittliche Hand‐ lungen sowohl die Tugenden als auch die sittliche Grundhaltung. Es wurde auch auf die „Erfüllung aller natürlichen Sittlichkeit“ 256 in der übernatürlichen oder 2 Die Antwort des Menschen 356 <?page no="357"?> 257 Vgl. oben IV, 2.2 - „Die übernatürliche oder die christliche Sittlichkeit“. 258 von H I L D E B R A N D , Christliche Ethik., 36. Kap., S. 545. 259 Ebd. 260 Vgl. D E R S ., Das katholische Berufsethos, S. 15. 261 Vgl. D E R S ., Die Schönheit im Lichte der Erlösung, S. 432. 262 Vgl. D E R S ., Ästhetik 1, Einleitung, S. 19. 263 Ebd. 264 Vgl. oben III, 9 - „Die verschiedenen Bereiche der Träger sittlicher Werte“. christlichen Sittlichkeit aufmerksam gemacht, 257 die darin gründet, „dass alle Tugenden und sittlichen Haltungen, welches auch ihr Gegenstand sei, aus einer Antwort auf Gott entspringen“ 258 . „In dieser Sittlichkeit durchdringt und durch‐ formt die Liebe zu Gott und Gottes Liebe in uns jeden Willensakt und ist das erste und letzte Wort im Menschen.“ 259 2.7.1 Das Verhältnis von sittlichem Sein und ethischer Werterkenntnis In der angemessenen Antwort auf Gott, in der von Gott motivierten liebenden Anbetung - „einfach darum, weil er der ist, der er ist“ - wird die Person selbst Träger von Werten, wird sie „das, was sie anbetet“, wird sie geheiligt. 260 Etwas von dieser Wechselwirkung zeigt sich bei der Schönheit, welche ein „Abglanz von etwas unvergleichlich Höherem“ ist und von Gott kündet. 261 Im Anblick des wahrhaft Schönen wird der Mensch von der Erdenschwere befreit, das Schöne zieht ihn „heraus aus der stumpfen Gefangenschaft des alltäglichen Lebens“, er wird „befreit von der Spannung auf das nächste praktische Ziel“ und wird kon‐ templativ. 262 „Wir werden weiter; ja unsere Seele wird selbst schöner, wenn uns die Schönheit trifft, ergreift und begeistert.“ 263 Ein analoges Verhältnis zwischen motivierendem Gegenstand, angemessener Antwort und superabundanter Rückwirkung auf die Person findet sich im Bereich des Werterkennens, auch das Werterkennen ist ein Prozess, bei dem die genannten Momente zur Geltung kommen, ein Prozess, der vor allem den sittlichen Stand der Person zu heben und ihre Erkenntnisfähigkeit zu verbessern vermag. Im Rahmen der Besprechung der sittlichen Sphäre wurden von Hildebrands Differenzierungen bezüglich der Träger sittlicher Werte bereits zur Sprache ge‐ bracht. 264 Um etwas von der Wechselwirkung ersichtlich zu machen, die zwi‐ schen den sittlichen Werten, den angemessenen Antworten und den super‐ abundanten Rückwirkungen ebenso besteht wie im analogen Falle der ästhetischen Werte, muss eine jede Sphäre der Sittlichkeit allerdings gesondert betrachtet werden. Dabei wird sich zeigen, ob die Werterkenntnis das sittliche Sein oder das sittliche Sein die Werterkenntnis fundiert, und damit letztlich auch, ob das Erkennen der sittlichen Werte in einem natürlichen Bereich ver‐ 2.7 Die weitere Entwicklung des Dialogs 357 <?page no="358"?> 265 von H I L D E B R A N D , Sittlichkeit und ethische Werterkenntnis, V. Teil, 1. Kap., S. 165. 266 Ebd., S. 166. 267 Ebd., S. 167. 268 Ebd., S. 168. 269 Ebd. haftet bleibt oder ob die Erkenntnis sittlicher Werte und das sittliche Wachstum der Person etwas von einer dialogalen Wechselwirkung zwischen Mensch und Gott erschliesst. An erster Stelle die allgemeinste Form der Wertsichtigkeit, d. h. die Fähigkeit, die Grundwerte „gut“ und „böse“ zu kennen. Die Voraussetzung für diese all‐ gemeinste Form der Wertsichtigkeit ist eine Grundstellung, in der das wertsu‐ chende Ich zu einer gewissen Herrschaft gelangt ist. Ein qualitativer Fortschritt der Grundwerterkenntnis kann sich sodann in dem Mass ereignen, als Hochmut und Begehrlichkeit abnehmen. „Aber solange die Person noch ohne moralische Intention bleibt, solange sie in der unbewussten sanktionslosen Verwachsenheit mit ihrer faktischen Grundstellung verharrt, ist die Grundwerterkenntnis in doppelter Hinsicht beschränkt.“ 265 Erst mit der „‚Köpfung‘ der Grundstellung durch die Bildung einer moralischen Intention“ 266 vermehrt sich die Wertsich‐ tigkeit massgeblich, bleibt jedoch weiterhin vom jeweiligen Herrschaftsgrad der Grundintention abhängig. Mit dem Verständnis für den Grundwert ist schliess‐ lich stets auch ein solches für die einzelnen sittlichen Werttypen gegeben. Das heisst: „Der Qualität des Verständnisses für den sittlichen Grundwert ‚gut‘ ent‐ spricht sowohl der Umfang der konkreten Werttypen, die verstanden werden, als die Qualität jedes einzelnen.“ 267 Die Subsumptionsfähigkeit, also die Fähigkeit, zu erkennen, ob „mein“ indi‐ vidueller Fall auch zu einer bestimmten Kategorie sittlicher Werte bzw. Unwerte gehört, setzt eine grössere Herrschaft des wertsuchenden Ich voraus. Hier ist die Wertsichtigkeit getragen „von einer sich bis in die Sphäre der individuellen, wenn auch erlebnistranszendenten Einzelhaltungen erstreckenden Kampf- und Verzichtsbereitschaft gegenüber allem, was dem Sittlichen widerspricht“ 268 . Dabei muss die natürliche Einstellung völlig überwunden sein, „einem Konflikt des sittlichen Gebotes mit dem ‚Angenehmen‘ aus dem Weg zu gehen“ 269 . Auf der Handlungsebene verläuft die Fundierungsbeziehung umgekehrt. Während auf den bisher genannten Ebenen das sittliche Sein das Erkennen fundiert, setzt die Handlung ein aktuelles Werterfassen voraus. Ginge der schlechten Handlung nämlich kein Werterfassen vorher, wäre im Wiederho‐ lungsfall auch keine kontinuierliche Abstumpfung bzw. Erblindung festzu‐ stellen. Noch deutlicher zeigt sich dies bei der sittlich guten Handlung. „Die sittlich positive Handlung setzt stets ein aktuelles Werterfassen voraus, da der 2 Die Antwort des Menschen 358 <?page no="359"?> 270 Ebd., S. 169. 271 Ebd., V. Teil, 2. Kap., S. 171. 272 Vgl. oben IV, 1.3.4 - „Die kategorialen Grundhaltungen und die partielle Wertblind‐ heit“. 273 Der erwachte Zustand ist abhängig von der Herrschaft des wertsuchenden Ich, sowohl hinsichtlich der Grundstellung als auch der Einzelstellung. Vgl. oben III, 9.4 - „Die Sphäre der Grundhaltungen“. 274 von H I L D E B R A N D , Sittlichkeit und ethische Werterkenntnis, V. Teil, 1. Kap., S. 170. Wille in ihr eine Wertantwort darstellt.“ 270 Anders ausgedrückt: „Um eine gute Handlung als solche zu vollziehen, etwa die Rettung eines anderen, muss ich ein Bewusstsein von dem zugrunde liegenden sittlich bedeutsamen Wert haben, auf den mein Wille eine Antwort bildet.“ 271 Aus der Behandlung der beiden Arten der partiellen sittlichen Wertblind‐ heit, der konstitutiven partiellen Blindheit und der Verdunkelungsblindheit, 272 ging sodann hervor, welches Verhältnis zwischen sittlichem Sein und Werter‐ kennen auf der Ebene der kategorialen Grundhaltungen, auf der Ebene der Tugenden besteht. Einerseits dringt das Verständnis für einen konkreten Werttyp immer nur so tief, als der erwachte Zustand 273 der Person reicht, ande‐ rerseits darf die Stelle, an der die Tugend in der Person ihren Sitz hat, nicht durch eine der Begehrlichkeit entstammende Anlage besetzt sein. Das partielle Mass der Wertsichtigkeit hängt folglich von der qualitativen Reinheit des sittlichen Seins ab, sei dies hinsichtlich des erwachten Zustands im Allgemeinen, sei dies hinsichtlich des Vorhandenseins gewisser Begehrlichkeitsanlagen im Spezi‐ ellen. Wie auf der allgemeinsten Ebene des sittlichen Seins der Person, so ist auch auf der Ebene der Tugenden das sittliche Sein das Fundierende. Die Antwort auf die Frage, ob die Werterkenntnis das sittliche Sein oder das sittliche Sein die Werterkenntnis fundiere, hängt also ganz davon ab, auf welche Sphäre der Sittlichkeit sich die Frage bezieht. Mit Ausnahme der Handlungs‐ sphäre ist das sittliche Sein stets der fundierende Teil, wobei das sittliche Sein sich aber nicht ohne Werterfassen aufbauen kann. Mit der je höheren Herr‐ schaftsstufe des wertsuchenden Ich geht eine je höhere Stufe des sittlichen Wertverständnisses einher. Doch bildet die wertsuchende Einstellung stets das erste Fundament. Die wertsuchende Einstellung erschliesst den Grundwert, „auf dem sich die wertantwortende Grundstellung oder direkt die Grundhaltung aufbaut, und so fundiert die jeweils differenziertere Stellungnahme eine diffe‐ renziertere Wertsichtigkeit“ 274 . Damit unterscheidet sich das Verhältnis zwischen dem sittlichen Sein und der sittlichen Werterkenntnis deutlich vom Verhältnis, das zwischen der Liebe und der allgemeinen Werterkenntnis besteht. Denn während für die Liebe „eine ge‐ 2.7 Die weitere Entwicklung des Dialogs 359 <?page no="360"?> 275 Vgl. D E R S ., Das Wesen der Liebe, Kap. I, S. 43. 276 Vgl. D E R S ., Sittlichkeit und ethische Werterkenntnis, V. Teil, 1. Kap., S. 170. 277 Vgl. D E R S ., Das Wesen der Liebe, Kap. I, S. 43. 278 D E R S ., Sittlichkeit und ethische Werterkenntnis, V. Teil, 1. Kap., S. 170. 279 D E R S ., Das katholische Berufsethos, S. 15. wisse Stufe des Werterfassens“ vorausgesetzt ist, 275 ist das sittliche Sein, mit Ausnahme der Handlungssphäre, stets der fundierende Teil. 276 Aber genauso wie die Liebe „zu einem neuen und tieferen Werterfassen“ befähigt und das Wert‐ erfassen „wieder eine neue und tiefere Liebe und diese wieder ein neues und tieferes Werterfassen“ begründet, 277 genauso darf das Verhältnis zwischen sitt‐ lichem Sein und Werterfassen nicht in dem Sinne verstanden werden, „als könnte sich das ganze sittliche Sein ohne Werterfassen aufbauen“ 278 . Vielmehr bildet die wertsuchende Einstellung stets das erste Fundament. Hat die Person aber eine wertsuchende Einstellung aktualisiert, erschliesst sich ihr das Ver‐ ständnis für den Grundwert „gut“. Und erteilt sie dem Grundwert daraufhin eine angemessene Antwort, hebt sich einerseits ihr sittlicher Stand, andererseits er‐ schliessen sich ihr neue Dimensionen der sittlichen Wertewelt. Haben sich ihr aber neue Dimensionen der sittlichen Wertwelt erschlossen und erteilt sie ihnen wiederum eine angemessene Antwort, dann wird sich zum einen der sittliche Stand weiter heben, zum andern werden sich noch tiefere Dimensionen der sittlichen Wertwelt erschliessen, usw. Das Verhältnis zwischen sittlichem Sein und sittlicher Werterkenntnis ist also nicht als einseitiges, sondern als gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis, als dialektisches Verhältnis zu begreifen, in dem jede entschiedenere Gerichtetheit des Willens auf das Gute die Bedingung für ein tieferes Erkennen darstellt, das seinerseits die noch entschiedenere Gerichtetheit des Willens bzw. die nächst‐ höhere Stufe sittlichen Seins ermöglicht. Der sittliche Aufstieg entspringt immer einer intentionalen Bewegung auf Gott hin, ebenso wie jede Wertantwort im Grunde eine mehr oder weniger eindeutige Hingabe an Gott ist. Je nach dem, um was für ein Verhältnis zwischen Gott und Wert es sich im Einzelfall handelt. 2.7.2 Die geschenkhafte Umwandlung der Person Wie jedem Wert und jedem werttragenden Gut, so gebührt auch dem Inbegriff aller Werte, so gebührt auch und gerade auch Gott eine angemessene Antwort, „weil er der ist, der er ist“ 279 . Die Urtatsache, dass jedem Wertvollen von Seiten der Person eine angemessene Wertantwort gebührt, „weil das Wertvolle so ist, wie es ist, oder besser, weil es wertvoll ist, kann nicht bewiesen oder aus etwas anderem abgeleitet werden; sie ist ein Letztes, das wir nur unmittelbar einsehen 2 Die Antwort des Menschen 360 <?page no="361"?> 280 D E R S ., Liturgie und Persönlichkeit, 3. Kap., Der Geist der Wertantwort in der Liturgie, S. 233. (Kursiv im Orig.) 281 Vgl. oben III, 11 - „Wert und Glück“. 282 Vgl. von H I L D E B R A N D , Das katholische Berufsethos, S. 15. 283 D E R S ., Selbstdarstellung, S. 107. 284 Über seine Beschäftigung mit dem Leben des hl. Franziskus gibt er Rechenschaft in dem Aufsatz Der heilige Franziskus. 285 Vgl. von H I L D E B R A N D , Christliche Ethik, Prolegomena, S. 32. 286 Vgl. ebd. 287 Vgl. D E R S ., Die Notwendigkeit der geistigen Klärung für das religiöse Leben, S. 27. können“ 280 . Das aus einer jeden Wertantwort, vor allem aber aus der angemes‐ senen Antwort auf Gott fliessende superabundante Geschenk des Glücks wurde weiter oben erörtert. 281 An dieser Stelle interessieren nun die oben angeschnit‐ tenen Problembereiche, wie die menschliche Person durch die liebende Anbe‐ tung Gottes das wird, „was sie anbetet“ und was es heisst, dass sie dadurch geheiligt wird. 282 Mit dem Thema der Heiligkeit sind die zentralen Wahrheiten über Gott und Mensch sowie über das zwischen ihnen bestehende Verhältnis zur Sprache ge‐ bracht. Die Aufmerksamkeit liegt damit auf den Entfaltungsmöglichkeiten des Menschen. Inwiefern aber kann bei der Heiligkeit von einer Entfaltung des Menschen die Rede sein? Und überhaupt, was ist die Heiligkeit eigentlich? Auf das Phänomen der Heiligkeit, soviel zu seiner Biographie, wurde von Hildebrand durch Max Scheler aufmerksam gemacht, „durch ihn hörte ich von den Heiligen, besonders dem hl. Franziskus von Assisi“ 283 , in dessen Leben er sich ebenso ver‐ tiefte wie in das vieler anderer Heiliger. 284 Infolge dieser Studien im Zusam‐ menhang mit seiner persönlichen philosophischen und religiösen Entwicklung bezog er dahingehend Position, dass er im „Geiste unbegrenzter Offenheit für alles Gegebene“ - wie bereits bei der Behandlung des christlichen Ethos erwähnt ( IV , 2.2) - keinen sittlichen Wert aus der Analyse der Moral ausschliessen wolle. 285 Dass die bei einem Heiligen zum Ausdruck kommende Sittlichkeit „eine neue und unvergleichlich höhere ist“, sei „kein Grund, sie von einer philoso‐ phischen Analyse auszuschliessen“. 286 Von da her versteht von Hildebrand die Heiligkeit denn auch „nicht bloss als eine hohe Stufe sittlicher Vollkommenheit“, sondern als den „Inbegriff aller übernatürlichen Tugenden“, als einen geheimnisvollen Abglanz, als „eine we‐ senhafte Ausstrahlung Gottes“. 287 Im Lichte der weiter oben auseinander ge‐ setzten Sphären der Sittlichkeit besehen, besteht das eigentliche sittliche Ziel in dem durch die moralische Grundintention beseelten Sein, d. h. in der morali‐ 2.7 Die weitere Entwicklung des Dialogs 361 <?page no="362"?> 288 Vgl. v. a. III, 9.5 - „Die Grundintention, die Grundhaltung und die sittliche Identität der Person“. 289 „Das grosse, eine, allen gemeinsame Ziel ist die Heiligkeit, d. h. die wirkliche völlige Umgestaltung des Menschen in Christus und aus Christus, das Ausstrahlen Christi, das Widerspiegeln Jesu, - dessen Bild aus uns leuchtet, wenn ‚nicht mehr wir leben, sondern Christus in uns‘“ (von H I L D E B R A N D , Reinheit und Jungfräulichkeit, Schluss, S. 198). „Aber unsere eigentliche Berufung ist, in Christus umgestaltet, heilig zu werden“ ( D E R S ., Die Umgestaltung in Christus, 18. Kap., S. 329). 290 Vgl. D E R S ., Substitute für wahre Sittlichkeit, S. 30, Anm. 16. 291 D E R S ., Christliche Ethik, Prolegomena, Ende, S. 32. 292 Zur natürlichen Sittlichkeit vgl. III, 5 - „Bedeutsamkeit und Motivation“; zur überna‐ türlichen vgl. IV, 2.2 - „Die übernatürliche oder die christliche Sittlichkeit“. 293 Vgl. von H I L D E B R A N D , Religion und Sittlichkeit, S. 115. 294 Auch Platon sprach schon von der „Verähnlichung mit Gott [ὁμοίωσις θεῷ]“ (Theai‐ tetos, 176b1). 295 von H I L D E B R A N D , Die drei Grundformen menschlicher Teilhabe an den Werten, S. 168. 296 Johannes vom Kreuz (1542-1591) unterschied zwischen einer wesenhaften Einung des Menschen mit Gott, „die immer gegeben ist“ (imago Dei) und einer „Gleichgestaltung des Menschen mit Gott, die nicht immer gegeben ist“ (similitudo Dei), sondern nur dann, „wenn Wollen und Empfinden von beiden, nämlich des Menschen und Gottes, mitei‐ nander ganz übereinstimmen, so dass es in dem einen nichts mehr gibt, das dem anderen widerstrebt. Und so ist der Mensch Gott durch die Liebe gleichgestaltet, wenn er das, was dem Wollen und Empfinden Gottes widerstrebt und nicht mit ihm übereinstimmt, gänzlich von sich entfernt hat“ (J O H A N N E S vom Kreuz, Aufstieg auf den Berg Karmel, 2. Buch, 5. Kap., S. 139 f.). schen Grundhaltung. 288 An mehreren Stellen identifiziert von Hildebrand diese moralische Grundhaltung mit der Heiligkeit bzw. mit der Umgestaltung in Christus. 289 Damit verkörpert der Heilige den Unterschied von Natürlichem und Übernatürlichem in einer Art und Weise, 290 dass er „die vollkommenste Verkör‐ perung der Sittlichkeit“ 291 ist. Da auf den Unterschied von natürlicher und über‐ natürlicher Sittlichkeit weiter oben hingewiesen und die einzelnen Arten der Sittlichkeit expliziert wurden, 292 möge die Unterscheidung von Natur und Über‐ natur, die von Hildebrand in vielen Bereichen der Philosophie ausgemacht und begründet hat, mit einem Wort aus den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts untermauert werden. Schon damals verstand von Hildebrand die Heiligkeit als den „Gipfel aller sittlichen Vollkommenheit“, die „zugleich im Zentrum des Religiösen steht und den unmittelbaren Zusammenhang mit Gott zum Ausdruck bringt“. 293 In seinen späteren Schriften begegnet in dem Zusammenhang wiederholt die Unterschei‐ dung zwischen dem Abbild Gottes (imago Dei) und der Gottähnlichkeit (simili‐ tudo Dei). 294 Während jeder Mensch ein Abbild Gottes ist, solange er lebt, „wie immer auch seine sittliche und religiöse Verfassung sein mag“ 295 , ist zur Errei‐ chung der Gottähnlichkeit die menschliche Mitwirkung erforderlich. 296 Von 2 Die Antwort des Menschen 362 <?page no="363"?> 297 Zu diesem Unterschied vgl. oben II, 3.2 - „Die Wertfamilien“. 298 Vgl. von H I L D E B R A N D , Die drei Grundformen menschlicher Teilhabe an den Werten, S. 168. 299 Ebd., S. 169. 300 Vgl. ebd. Siehe auch D E R S ., Über den Tod, S. 60. 301 D E R S ., Über das Herz, III. Teil, 1. Kap., S. 188. 302 D E R S ., Gibt es eine Eigengesetzlichkeit in der Pädagogik? , S. 397. 303 D E R S ., Das Wesen der Liebe, Kap. IX, S. 284. Hildebrand sieht den Grund dieser Verschiedenheit in der Differenz von onto‐ logischen und qualitativen Werten. 297 Während die Würde des Menschen als imago Dei ein ontischer Wert ist, sind Weisheit, geistige Tiefe, Grossmut, Rein‐ heit oder Liebe, die aus der similitudo Dei erwachsen, qualitative Werte. Im Un‐ terschied zu den ontischen Werten, ist zur Verwirklichung qualitativer Werte die menschliche Mitarbeit erforderlich. 298 An der Stelle gibt er auch Auskunft über den von ihm häufig verwendeten und auch im Rahmen dieser Arbeit wie‐ derholt zur Sprache gebrachten Ausdruck „übernatürlich“. Den Ausdruck „über‐ natürlich“ begrenzt er „auf den qualitativen Charakter der spezifisch christli‐ chen Sittlichkeit, d. h. auf die in der similitudo Dei enthaltenen Werte“ 299 . Die Gottähnlichkeit (similitudo Dei) ist der Seinssinn der menschlichen Existenz. 300 An einer anderen Stelle bezeichnet von Hildebrand die similitudo Dei als das höchste Endziel des Menschen und bezeichnet die Ähnlichkeit mit Gott als „gleichbedeutend mit der Heiligung (sanctificatio)“ 301 . Wie im Falle des Glücks, so darf auch die Heiligkeit allerdings nicht primär angestrebt werden. 302 In diesem Prozess des Gottähnlichwerdens kommt der „Dialog mit Gott“ 303 zur Geltung, wobei die eingangs aufgeworfene Frage, wie die menschliche Person durch die liebende Anbetung Gottes das wird, was sie anbetet, noch nach einer Antwort verlangt. Etwas von der Wechselwirkung zwischen Gott und Mensch - von der coincidentia oppositorum -, wurde bei dem Affiziertwerden durch etwas wahrhaft Schönes, durch das der Mensch selbst schöner wird, ebenso ersichtlich wie bei der Besprechung des Verhältnisses zwischen dem sittlichen Sein und der ethischen Werterkenntnis. Nun aber geht es um den Prozess des Gottähnlichwerdens, die Heiligung. Insofern die christliche Religion gegenständlich ist, die in einer göttlichen Offenbarung gründet und als solche zwar nicht un-, in vielen Hinsichten aber übervernünftig ist, ist der Glaube die 2.7 Die weitere Entwicklung des Dialogs 363 <?page no="364"?> 304 Vgl. D E R S ., Über den Tod, S. 99. Mit der Vernunft allein stiess auch Blaise Pascal an seine Grenzen, so dass er die Wahrheit nicht mehr alleine mit der Vernunft zu erkennen suchte, „sondern auch mit dem Herzen“ (P A S C A L , Gedanken, Fr. 110 / 282 (La‐ fumas / Brunschvicgs), S. 79. In seinem Mémorial distanziert er sich von den Philoso‐ phen und den Gelehrten und überantwortet sich ganz dem lebendigen Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, dem Gott Jesu Christi, der allein auf den Wegen zu finden ist, die im Evangelium gelehrt werden (vgl. ebd., Fr. 913 [Lafumas / Brunschvicgs], S. 484 f.). 305 Vgl. oben III, 7 - „Die Wertantwort“. 306 von H I L D E B R A N D , Christliche Ethik, 17. Kap., S. 239. Dass die theoretische Antwort des Glaubens Elemente der Freiheit enthält, hat John Henry Newman in seinem Werk Philosophie des Glaubens aufgewiesen, indem er eine freie „reale Zustimmung“ und eine „begriffliche Zustimmung“ bzw. Überzeugung unterschieden hat. Vgl. N E W M A N , Philo‐ sophie des Glaubens, I. Teil, IV. Kap., S. 29-80. Siehe auch Paola P R E M O L I D E M A R C H I , Etica dell’assenso. Se accetare i principi morali sia un problema della voluntà. 307 von H I L D E B R A N D , Über den Tod, S. 97. 308 Ebd., S. 95. 309 D E R S ., Noch einmal: Katholizismus und Politik, S. 293. 310 D E R S ., Liturgie und Persönlichkeit, 3. Kap., Das Organische in der Liturgie, S. 285. (Kursiv im Orig.) 311 D E R S ., Die Umgestaltung in Christus, 9. Kap., S. 166. Vgl. ebd. auch S. 167. 312 Vgl. D E R S ., Liturgie und Persönlichkeit, 1. Kap., S. 202. zentrale Antwort, die Gott gebührt. 304 Weiter oben 305 wurde der Glaube einge‐ führt als theoretische Antwort, in der gleichsam „ja“ gesagt werde „zu dem ‚So-sein‘ und der Existenz eines Objektes, das sich unserem Geist offenbar macht“ 306 . Um eine coincidentia oppositorum handelt es sich beim Glauben in‐ sofern, als der Glaube einerseits eine reine Gnade ist - „wir können ihn uns nie selbst geben“ 307 -, er andererseits aber eine freie Antwort des Menschen ist. „Der Glaube ist eine von Gott verliehene Gnade; dennoch verlangt er eine grosse Kooperation unsererseits. Unsere Seele muss für die Offenbarung empfangsbe‐ reit sein und frei auf sie antworten.“ 308 Durch das „Zusammenwirken des freien Willens der Einzelperson mit der Gnade“ 309 wird der Boden bereitet für das Ver‐ ständnis, dass nicht wir Gott in uns nachbilden, sondern „unsere Aufgabe nur ein freies Mitwirken ist mit der Gnade, ein Sich-umgestalten- Lassen von Gott“ 310 . Denn die tiefste Wirkung auf das menschliche, und zwar auf das habituelle Sein „geht nicht von Dingen aus, die wir um unserer Umgestaltung willen vor‐ nehmen, sondern von solchen, denen wir uns um ihrer selbst willen hingeben, von denen eine umformende Wirkung geschenkhaft ausgeht“ 311 . Nicht von selbst entstehen die zentralen Personwerte im Menschen, „sie erwachsen viel‐ mehr aus der bewussten Gemeinschaft mit der Welt der Werte, aus der inten‐ tionalen Bezogenheit auf die Welt der Werte, aus der Hingabe an Gott durch die Bejahung und Beantwortung der Werte“ 312 . 2 Die Antwort des Menschen 364 <?page no="365"?> 313 Vgl. oben IV, 2.4 - „Die Gottesliebe als höchste Wertantwort“. 314 von H I L D E B R A N D , Moralia, 1. Kap., S. 72. 2.7.3 Die Nächstenliebe Von einer Kategorie der Liebe war weiter oben bereits ausdrücklich die Rede: von der Gottesliebe. 313 Bei dieser Liebe handelt es sich um „die formal reinste und material höchste Wertantwort“ 314 . Thematisch sind bei ihr die Vereinigung (intentio unionis) und das Glück. Im natürlichen Bereich finden sich diese beiden Themen vor allem in der ehelichen Liebe. In den anderen natürlichen Liebes‐ kategorien - wie z. B. in der Liebe der Eltern zu den Kindern, bei der Geschwisterliebe oder der Freundesliebe - sind diese Themen nicht mehr glei‐ chermassen von Bedeutung, wesentlicher ist bei ihnen das Wohlwollen (intentio benevolentiae). Nichtsdestotrotz sind diese beiden Intentionen allen natürlichen Lieben eigen, bei jeder Art in der ihr entsprechenden Gewichtung. 2.7 Die weitere Entwicklung des Dialogs 365 <?page no="366"?> 315 Vgl. N I E T Z S C H E , Also sprach Zarathustra, Erster Teil, Von der Nächstenliebe, S. 63 f. 316 Ebd., S. 63. 317 Ebd., Vierter und letzter Teil, Vom höheren Menschen, 11, S. 293. 318 Ebd. 319 Ebd., 1. Teil, Von tausend und einem Ziele, S. 62. 320 Ebd., 1. Teil, Von der Nächstenliebe, S. 63. 321 Vgl. D E R S ., Zur Genealogie der Moral. Eine Streitschrift. 322 Ebd., Erste Abhandlung, 10. Abschnitt, S. 26. 323 S C H E L E R , Das Ressentiment im Aufbau der Moralen, S. 4. 2.7.3.1 Die allgemeine Menschenliebe bei Friedrich Nietzsche und ihre Kritik durch Max Scheler Wie aber verhält es sich eigentlich mit der Nächstenliebe, mit diesem unter‐ scheidenden Zug der christlichen Religion? Hatte nicht Friedrich Nietzsche ausdrücklich von ihr abgeraten und sie eine schlechte Form der Selbstliebe genannt, in der der Mensch vor sich selber zum Nächsten flüchte und sich daraus eine Tugend machen möchte? 315 „Rate ich euch zur Nächstenliebe? Lieber noch rate ich euch zur Nächsten-Flucht und zur Fernsten-Liebe! “ 316 Wen aber versteht Nietzsche überhaupt als den Nächsten? „Das ‚für den Nächsten‘ ist die Tugend nur der kleinen Leute: da heisst es ‚gleich und gleich‘“ 317 . Im Grunde ist der Nächste für Nietzsche nur das eigene Werk und der eigene Wille, „lasst euch keine falschen Werte einreden! “ 318 Denn „Werte legte erst der Mensch in die Dinge, sich zu erhalten - er schuf erst den Dingen Sinn, einen Men‐ schen-Sinn! “ 319 Schaffen aber ist Werk, ist Wille. Wenn Nietzsche den Nächsten als einen falschen selbst geschaffenen Wert versteht, dann ist es auch nur fol‐ gerichtig, wenn er die Nächstenliebe als eine schlechte Form der Selbstliebe bezeichnet, von ihr abrät und zur „Fernsten-Liebe“ 320 aufruft. Max Scheler hat die näheren Gründe erkannt und offen gelegt, die zu dieser Beurteilung der Nächstenliebe geführt haben, wie Nietzsche sie vertreten hat. Wie sich an den erwähnten Stellen verdeutlicht, wusste Nietzsche mehr oder minder um die Funktion des Ressentiments, er wusste, dass es eine konstitutive Rolle im moralischen Leben des Menschen spielt. 321 Wenn Scheler das Ressen‐ timent als „eine dauernde psychische Einstellung [bezeichnet], die durch sys‐ tematisch geübte Zurückdrängung von Entladungen gewisser Gemütsbewe‐ gungen und Affekte entsteht, welche an sich normal sind und zum Grundbestande der menschlichen Natur gehören“, welche aber „gewisse dau‐ ernde Einstellungen auf bestimmte Arten von Werttäuschungen und diesen entsprechenden Werturteilen zur Folge“ haben, dann lässt sich schon in etwa ermessen, weswegen Nietzsche von der Tugend der kleinen Leute oder vom „Sklavenaufstand in der Moral“ 322 spricht. 323 Der Mensch des Ressentiments ist für Nietzsche „weder aufrichtig, noch naiv, noch mit sich selber ehrlich“, viel‐ 2 Die Antwort des Menschen 366 <?page no="367"?> 324 Vgl. N I E T Z S C H E , Zur Genealogie der Moral, Erste Abhandlung, 10. Abschnitt, S. 28. 325 Vgl. S C H E L E R , Das Ressentiment im Aufbau der Moralen, S. 7. 326 Vgl. Siegfried Johannes H A M B U R G E R , Max Schelers Ressentiment im Aufbau der Moralen. 327 Vgl. S C H E L E R , Das Ressentiment im Aufbau der Moralen, S. 69. 328 Vgl. ebd. 329 Ebd., S. 70. 330 Ebd., S. 87. 331 Ebd. mehr liebe er Schleichwege und Hintertüren, mute ihm alles Versteckte als seine Welt an und verstehe er sich „auf das Schweigen, das Nicht-Vergessen, das Warten, das vorläufige Sich-verkleinern, Sich-demüthigen“. 324 Während Scheler annimmt, die Wurzeln des Ressentiments seien Ohn‐ machts- und Unterlegenheitsgefühle, 325 hält Siegfried Johannes Hamburger in seiner Kritik dagegen, dass das Ressentiment vielmehr einer Auflehnung gegen die rein axiologische Höhe der Werte entspringe, vor allem der höchsten sittli‐ chen Werte. 326 Die Fernsten-Liebe, die Nietzsche propagiert und Scheler als allgemeine Men‐ schenliebe bezeichnet hat, nennt Letzterer - in Übereinstimmung mit Ham‐ burger - „die Ausdrucksform einer verdrängten Auflehnung, eines Gegenim‐ pulses gegen Gott“, welche „die Scheinform eines verdrängten Gotteshasses“ sei. 327 Die allgemeine Menschenliebe hat zwei Voraussetzungen: Erstens das „Nichtertragenkönnen des ‚allsichtigen Auges‘“, die „Aufstandsimpulse gegen ‚Gott‘ auch als die symbolische Einheit und Zusammenfassung aller positiven Werte und ihrer berechtigten Herrschaft“; zweitens fällt „der Blick und das In‐ teresse dieser auf Protest und Ablehnung begründeten ‚Menschenliebe‘ zuvör‐ derst auf die niedrigsten und tierischen Seiten der Menschennatur - und diese sind es ja zunächst, die ‚alle‘ Menschen gemein haben“. 328 Die Berufung auf das Gattungsmässige richtet die allgemeine Menschenliebe auf das Niedrige. „Wer sähe aber darin nicht den im geheimen glimmernden Hass gegen die positiven höheren Werte, die eben wesenhaft nicht an das ‚Gattungsmässige‘ gebunden sind“ 329 ? Wenn Nietzsche die Nächstenliebe als ressentimenterfüllte Gleichmacherei disqualifizierte, so traf er damit gerade nicht die christliche Nächstenliebe, son‐ dern einen Wesensbestandteil dieser allgemeinen Menschenliebe. Die Gleich‐ heitslehre ist eine offensichtliche Leistung des Ressentiments. Hinter der scheinbar so harmlosen Gleichheitsforderung verbirgt sich „der Wunsch nach der Erniedrigung der - je nach dem Wertmassstab - Höherstehenden, Mehr‐ wertebesitzenden auf das Niveau der Niedrigstehenden“ 330 . Wer die höheren Werte nicht zu sehen vermag, „versteckt seine Natur in der Forderung der ‚Gleichheit‘! “ 331 In dieser allgemeinen Menschenliebe gründet nicht zuletzt auch 2.7 Die weitere Entwicklung des Dialogs 367 <?page no="368"?> 332 Vgl. IV, 1 - „Die Bewegungsumkehr der Liebe oder Gott als Initiator des Dialogs“. 333 Vgl. Mt 22,36-39. 334 von H I L D E B R A N D , Christliche Ethik, 36. Kap., S. 34. 335 Vgl. oben IV, 2.2 - „Die übernatürliche oder die christliche Sittlichkeit“. 336 Vgl. Mt 22,36-39. Wenn das Gebot auch damit endet, dass man den Nächsten ebenso lieben soll wie sich selbst, so wird dem hier insofern keine Beachtung geschenkt, als die Liebe zu sich selbst nicht im vollen und eigentlichen Sinn Liebe ist wie die Liebe zu anderen Personen, denn sie „beschränkt sich auf die Solidarität mit unserem Glück und Heil […]; es fehlt ihr das Entzücken an der Schönheit und dem Wertglanz, das die Liebe zu einem anderen Menschen auszeichnet, das ‚frui‘ und die breitentfaltete Wertant‐ wort“ (von H I L D E B R A N D , Die Umgestaltung in Christus, 7. Kap., S. 131). Zur Selbst- und Nächstenliebe vgl. auch D E R S ., Das trojanische Pferd in der Stadt Gottes, I. Teil, 4. Kap., S. 49-51. die oben angesprochene Erfahrung der Sinnlosigkeit des eigenen Daseins. In einer Welt, in der der Mensch nie von einem hohen Wert oder einem werttra‐ genden Gut affiziert wird, in der er immer nur mit Dingen konfrontiert ist, die allen Menschen gemeinsam sind, ist es nur allzu verständlich, weiss er über kurz oder lang nicht mehr recht, wofür er eigentlich lebt und leben soll. Ohne das in sich Bedeutsame gibt es weder Sinn noch Glück. 2.7.3.2 Die christliche Nächstenliebe und die „caritas“ Im Anschluss an Scheler vermochte auch von Hildebrand die Erniedrigung der Nächstenliebe zu einer Ausgeburt des Ressentiments zu übersteigen und sie in ihrer Objektivität und Werthaftigkeit zu erkennen und zu begründen. Bei der Nächstenliebe zeigt sich jedenfalls etwas von der oben angesprochenen Bewe‐ gungsumkehr der Liebe. 332 Es ist eine in der christlichen Religion vertretene Überzeugung, dass der Mensch an der göttlichen Liebe zu den Menschen teil‐ haben kann und soll, indem er seinen Nächsten bejaht und sich um sein Wohl bemüht. Wie die absolute Person der menschlichen Person, so soll auch der Mensch sich seinem Nächsten zuwenden. Dieses in der Offenbarung verankerte Gebot 333 kognitiv zu rechtfertigen, ist eine der Aufgaben der Religionsphiloso‐ phie christlicher Prägung. Dabei zeigt sich etwas vom Verhältnis zwischen Glaube und Vernunft: Wie kann der Glaube daran, dass die Nächstenliebe die Gottesliebe voraussetzt und die Gottesliebe die Nächstenliebe erst möglich macht, philosophisch begründet werden? In methodischer Hinsicht sei wieder‐ holt, was bereits angedeutet wurde, nämlich, dass auch bei der Nächstenliebe das notwendige Verbindungsglied zwischen dieser Liebe „und der christlichen Offenbarung als ihrem intentionalen Gegenstand“ 334 kraft der Vernunft erkannt werden kann. 335 Dass die Gottes- und die Nächstenliebe nicht zu trennen sind, legt die Schriftstelle nahe, an der es heisst, die Nächstenliebe sei ebenso wichtig wie jene (ὁμοία αὐτῇ). 336 Obwohl die Gottes- und die Nächstenliebe qualitativ 2 Die Antwort des Menschen 368 <?page no="369"?> 337 Vgl. D E R S ., Selbstdarstellung, S. 118. 338 D E R S ., Das Wesen der Liebe, Kap. XI, S. 315. 339 Ebd., Kap. XI, S. 316. 340 Vgl. ebd., Kap. XI, S. 340. 341 Ebd., Kap. IX, S. 277. 342 Ebd., Kap. IX, S. 277 f. 343 Ebd., Kap. XI, S. 320. 344 Zur Bedeutsamkeitskategorie des objektiven Guts für die Person vgl. oben III, 5.4.2 - „Das objektive Gut für die Person“. 345 Vgl. von H I L D E B R A N D , Die Rolle des „objektiven Gutes für die Person“ innerhalb des Sitt‐ lichen, S. 82. zutiefst verwandt sind, sind sie als Kategorien der Liebe gänzlich verschieden. 337 Wo aber hat eine Begründung dieses Diktums anzusetzen? Vorerst ist der Begriff des Nächsten zu klären: Wer ist der Nächste, der geliebt werden soll? Und auf welche Weise soll er geliebt werden? In erster Linie ist zu scheiden zwischen den natürlichen und den übernatürlichen Liebeskategorien. Den Unterschied sieht von Hildebrand darin gelegen, dass bei den natürlichen Liebeskategorien sich „noch kein Einfluss der Gottesliebe auf sie ausgewirkt hat“ 338 , währendem „die christliche Nächstenliebe die Gottesliebe wesenhaft voraussetzt“ 339 . Ein weiteres Merkmal, das die natürlichen Lieben von der christ‐ lichen Nächstenliebe unterscheidet, sieht von Hildebrand in der Rücksichtslo‐ sigkeit gegen andere Menschen, die in allen natürlichen Arten der Liebe aus gerade dieser Liebe erwachsen könne, währenddem das bei der christlichen Nächstenliebe nicht möglich sei. 340 Doch wer ist nun der Nächste? Der Nächste qua Nächster ist zumal kein Mensch, der uns persönlich nahe steht. Im Unterschied zum Freund, Bruder oder Ehegatten, ragt der Nächste nicht in unser Eigenleben hinein, „ganz unbeschadet dessen, dass wir in der Liebe zum Nächsten an seinem Schicksal letzten Anteil nehmen“ 341 . Denn der Nächste ist „keine Glücksquelle für mich qua Nächster; in der Beziehung zu ihm ist unser Glück in keiner Weise Thema“ 342 . „Der Nächste als solcher ist das absolute Thema und unsere personale unio ist nicht thematisch und erst recht nicht das aus der unio fliessende Glück. Auch die gegenseitige Liebe ist hier nicht thematisch.“ 343 Die Ich-Du-Situation tritt zurück gegenüber einem „für ihn“, der Nächste allein ist in der Nächstenliebe thematisch. In der Nächstenliebe geht es einzig um das objektive Gut für die Person, 344 jedoch nicht für die eigene, sondern für die andere Person. Bei dem Streben, dass der andere objektive Güter erhält, geht „der Strahl der Intention gleichsam durch das ‚Pro‘ des objektiven Gutes hindurch von der Peripherie in die Tiefe“, „bis zu der Bejahung der Person selbst“. 345 Ein objektives Gut ist auch die Abwendung eines objektiven Übels für die Person, z. B. der Armut oder des Nichtverstan‐ 2.7 Die weitere Entwicklung des Dialogs 369 <?page no="370"?> 346 Vgl. M U T T E R T E R E S A , Komm, sei mein Licht, sowie die Fortsetzung: Wo die Liebe ist, da ist Gott. 347 Vgl. André F R O S S A R D , Maximilian Kolbe. Vergesst die Liebe nicht; Claude R. F O S T E R , Bri‐ gitte O T T E R P O H L , Maximilian Kolbe. „Hass ist nicht schöpferisch, nur die Liebe ist es.“ 348 von H I L D E B R A N D , Christliche Ethik, 29. Kap., S. 476. 349 D E R S ., Religion und Sittlichkeit, S. 121. 350 D E R S ., Das Wesen der Liebe, Kap. XI, S. 321. denwerdens. Jedenfalls ist ein Vehikel für die der Liebe immanente Bejahung des anderen immer der Wunsch, dass der andere ein objektives Gut empfange. So die Sorge um den Einsamen, der von keinem Menschen geliebt wird, das geduldige Anhören des Nächsten, die Teilnahme an seinem Leid, die Mitfreude an seinem Glück, das geistige Anregen sowie das Hinweisen auf Werte aus dem Gebiet der Schönheit, die Erschliessung von Wahrheiten, usw. Doch welches Motiv liegt einem solchen Bemühen zugrunde und welches ist die notwendigerweise anzunehmende motivationale Kraft? Der von einer all‐ gemeinen Menschenliebe erfüllte Philanthrop wird sich ja nie dazu bewegen lassen, wie Mutter Teresa von Kalkutta (1910-1997) sein Leben hinzugeben, um die grundlegendsten Bedürfnisse der Ärmsten der Armen nach Möglichkeit zu befriedigen. 346 Als schlechtweg undenkbar muss es darüber hinaus wohl be‐ zeichnet werden, dass ein Philanthrop sich dazu bereit finden würde, was Ma‐ ximilian Kolbe (1894-1941) im Konzentrationslager Auschwitz für einen Fami‐ lienvater getan hat, der hingerichtet werden sollte, nämlich freiwillig in den Hungerbunker zu gehen, wo er schliesslich verstorben ist. 347 Motivierte Mutter Teresa und Maximilian Kolbe nun die imago Dei des bzw. der Nächsten? „Die fundamentale Wertantwort der Liebe, die dem Wert der menschlichen Person als imago Dei gilt, umfasst offenbar ein Interesse an allen objektiven Gütern für andere.“ 348 Der Liebende ersehnt notwendigerweise, der geliebten Person objektive Güter zukommen zu lassen und objektive Übel abzuwenden. Wenn mit der Liebe die motivationale Kraft auch benannt ist, stellt sich aber doch die Frage nach dem Adressaten, dem die Antwort der Liebe erteilt wird. Dem Menschen als Abbild Gottes? Für von Hildebrand stand schon in seinen jüngeren Jahren fest, dass die Nächstenliebe „notwendig im Religiösen fun‐ diert“ 349 und in dem Akt der Nächstenliebe „gleichsam immer ein Aufblick zu dem absoluten Du Gottes enthalten“ 350 ist. Im Rahmen der Besprechung der Sittlichkeit bis hin zu ihrer höchsten Ver‐ körperung in der Herrschaft des demütig-ehrfürchtig-liebenden Ich über Hochmut und Begehrlichkeit und damit über allen Egoismus wurde implizit die Aktualisierung der caritas angesprochen, denn sie schliesst alle Sittlichkeit in 2 Die Antwort des Menschen 370 <?page no="371"?> 351 Vgl., ebd., Kap. XI, S. 323 f. 352 Vgl. oben IV, 2.2 - „Die übernatürliche oder die christliche Sittlichkeit“. 353 von H I L D E B R A N D , Das Wesen der Liebe, Kap. XI, S. 361. 354 D E R S ., Moralia, Einleitung, S. 25. 355 D E R S ., Selbstdarstellung, S. 118. 356 Vgl. D E R S ., Das trojanische Pferd in der Stadt Gottes, I. Teil, 4. Kap., S. 52 f. 357 Vgl. D E R S ., Das Wesen der Liebe, Kap. XI, S. 332. 358 Vgl. ebd., Kap. XI, S. 335. 359 Vgl. D E R S ., Das trojanische Pferd in der Stadt Gottes, I. Teil, 4. Kap., S. 56. 360 Vgl. D E R S ., Das Wesen der Liebe, Kap. XI, S. 324. 361 Vgl. D E R S ., Moralia, 3. Kap., S. 91. 362 D E R S ., Das Wesen der Liebe, Kap. XI, S. 319. Vgl. auch D E R S ., Moralia, 33. Kap., S. 375. 363 Vgl. D E R S ., Christliche Ethik, 29. Kap., S. 477. sich. 351 Wie die christliche Sittlichkeit in Gott fundiert ist, 352 so konstituiert sich auch die caritas „nur in der Antwort auf Gott“ 353 . Nur durch die Liebesantwort auf Gott kann die caritas verwirklicht werden, und zwar bildet sich aus der Wertantwort auf die unendliche Güte Gottes „ein in uns lebender Schatz von Güte, der selbst eine reine Frucht der Liebe zu Gott ist“ 354 . Die Liebe zu Gott, wie sich weiter oben abgezeichnet hat, ist „eine anbetende Liebe und eine volle Übergabe seiner selbst“ 355 . In diesem Sinne hat nur der „eine echte Caritas“, „der Gott aus ganzer Seele und aus ganzem Gemüte liebt und jedes menschliche Wesen im Lichte der Offenbarung Christi sieht“. 356 Während die Gottesliebe demnach „die absolute caritas“ ist, handelt es sich bei der Nächstenliebe „um einen Strahl derselben“. 357 Die Gottesliebe ist die „caritas par excellence“ 358 , ihre notwendige Folge aber ist die Nächstenliebe. 359 Während die caritas sich also in der Gottesliebe konstituiert, ist die Nächstenliebe eine Frucht der caritas. 360 Und wenn die Nächstenliebe auch die imago Dei im Nächsten beantwortet, so ist die Antwort auf den Nächsten den‐ noch kein Erzeugnis des Wertes des Nächsten, sondern eine Frucht der aus der Liebe zu Gott entstandenen Güte. Diese Güte, wie gesagt, entzündet sich nicht am Nächsten, vielmehr wird sie ihm schon entgegengebracht, so dass er von ihr aufgefangen wird. 361 Die intentio benevolentiae ist nicht durch das Entzücken an der anderen Person motiviert, die Nächstenliebe ist überhaupt keine reine Wertantwort, vielmehr ist es „eine in der Gottesliebe fundierte intentionale Grundhaltung, die in ihrem überaktuellen Charakter den Menschen zu einem schlechtweg Liebenden macht“ 362 . Auch in seinem ethischen Hauptwerk spricht von Hildebrand sich dafür aus, dass die Liebe zu Gott insofern organisch zur Nächstenliebe führe, als sie die Teilhabe an Gottes unendlicher Liebe zu den Menschen einschliesse. 363 2.7 Die weitere Entwicklung des Dialogs 371 <?page no="372"?> 364 Vgl. D E R S ., Das trojanische Pferd in der Stadt Gottes, I. Teil, 4. Kap., S. 52. 365 Vgl. D E R S ., Das Wesen der Liebe, Kap. XI, S. 358. 366 Vgl. D E R S ., Das trojanische Pferd in der Stadt Gottes, I. Teil, 4. Kap., S. 53. 367 Vgl. ebd., S. 56. 368 D E R S ., Das Wesen der Liebe, Kap. XI, S. 358. 369 Ebd. 370 Ebd., Kap. XI, S. 352. Zu den kategorialen Eigenarten der Liebe vgl. ebd., Kap. XIV, S. 470-481. 371 Vgl. ebd., Kap. XI, S. 335. Siehe auch D E R S ., Selbstdarstellung, S. 119. Es ist offensichtlich, wie zwischen der caritas und „einer bloss humanitären ‚Nächstenliebe‘“ ein Abgrund klafft. 364 Denn während das natürliche Wohl‐ wollen „im Rahmen einer irdischen interpersonalen Sphäre verbleibt“, liegt in der christlichen Nächstenliebe immer „ein Emportauchen in die letzte Wirk‐ lichkeit der Gotteswelt - ein Sprengen der rein irdischen Alltagswelt mit all ihren Fesseln“. 365 Im Unterschied zur humanitären Sympathie antwortet die caritas auf die Schönheit des menschlichen Wesens, das qua imago Dei zur si‐ militudo Dei und zur ewigen Vereinigung mit Gott gerufen ist. In diesem Sinne gibt es schlechthin keine andere mögliche Motivation für eine liebende Antwort auf einen bösen, abstossenden, gemeinen und brutalen Menschen, als ihn im Lichte der Offenbarung Christi zu sehen. 366 Ohne die Liebe zu Gott in Christus, „ohne die Ich-Du-Gemeinschaft mit Christus“, ist die caritas unmöglich. 367 Von Hildebrand ist es auch um den Aufweis zu tun, dass in der Nächstenliebe der aus der intentio unionis und der intentio benevolentiae bestehende Genius der Liebe sich voll entfalten kann. Dass in der Nächstenliebe das Wohlwollen the‐ matisch ist, liegt auf der Hand, was jedoch die Sehnsucht nach der Vereinigung betrifft, so spricht er sie dem natürlichen Wohlwollen ab, „weil das Interesse an der anderen Person als Ganzes fehlt“ 368 . In der christlichen Nächstenliebe da‐ gegen fehlt die intentio unionis nicht, sondern besitzt nur einen anderen Cha‐ rakter, sie zielt auf die „Einheit im Reiche Christi“ 369 . Ebenso betont er wieder‐ holt, dass die caritas die kategorialen Unterschiede „nicht nur nicht aufhebt, sondern sogar für den Logos der jeweiligen Liebesbeziehung hellhöriger und hellsichtiger macht“ 370 . Darin nämlich, dass alle natürlichen Liebeskategorien „von der caritas durchblutet werden können und sollen“, wobei „diese Durch‐ blutung mit der caritas nicht eine Veränderung der jeweiligen kategorialen Ei‐ genart“ bedeutet, erkennt von Hildebrand den Grund der Unabhängigkeit der caritas von allen anderen Liebeskategorien. 371 In diesem Lichte besehen, zeigt sich etwas von der Nichtwidersprüchlichkeit und der gegenseitigen Auferbauung und Stützung des Glaubens und der Ver‐ nunft. Denn durch die vernünftige Erhellung des Gebots der Gottes- und Nächstenliebe konnte es kognitiv gerechtfertigt werden, dass und warum die 2 Die Antwort des Menschen 372 <?page no="373"?> 372 D E R S ., Religion und Sittlichkeit, S. 128 f. 373 Vgl. ebd., S. 126. 374 D E R S ., Das Wesen der Liebe, Kap. XI, S. 342. 375 Ebd., Kap. XI, S. 343. 376 Ebd. Gottesliebe der Nächstenliebe zugrunde liegt und diese überhaupt erst möglich macht. Wenn die Gottesliebe aber die notwendige Bedingung der Nächstenliebe sein soll - so ist kritisch zu fragen -, können die natürlich eingestellten Men‐ schen, bei denen die Gottesliebe sich nicht oder noch nicht ausgewirkt hat, sich tatsächlich nicht um das Wohl der Anderen bemühen? Alleine schon in der Fra‐ gestellung liegen die anstehenden Unterscheidungen verborgen. Die klärende Antwort findet sich schliesslich in Religion und Sittlichkeit, wo von Hildebrand ausdrücklich die Trägerschaft einer natürlichen Sittlichkeit thematisiert, die so lange besteht, als die Person - in der „konstitutiv eine Richtung auf das Absolute liegt“ 372 - „in ihrem Sein, Wollen und Handeln die immanente Richtung auf Gott nicht ausdrücklich zerstört“ und „die in allem Guten liegende immanente Ver‐ bindung mit Gott nicht ausdrücklich zerschneidet“. 373 Wird in diesem Zusam‐ menhang der Unterschied zwischen einer natürlichen Verbindung mit Gott und einer wertantwortenden und anbetenden Gottesliebe berücksichtigt, dann ist einerseits die Befähigung zu einer natürlichen, von einer immanenten Verbin‐ dung mit Gott getragenen Nächstenliebe möglich, andererseits auch die offen‐ sichtliche Tatsache des Mehr an Nächstenliebe begründbar, wie es sich bei den Menschen findet, die Gott aus ganzem Herzen lieben. Abschliessend noch ein Wort zum konträren Gegensatz der Liebe, dem Hass. Schliessen die Gottes- und die Nächstenliebe den Hass aus? Von Hilde‐ brand hat sich in diese Fragestellung und die zugrunde liegende Sachlage vertieft und im Terminus „Hass“ drei verschiedene Bedeutungen ausgemacht, von denen nur zwei mit der Gottes- und Nächstenliebe nicht verträglich sind. Die Gottes- und Nächstenliebe schliessen in erster Linie den Hass im Sinne einer bitteren und feindlichen Ausgeburt von Hochmut und Begehrlichkeit aus, „die in sich selbst böse ist und ein Böse-Werden in sich schliesst“ 374 . In zweiter Linie schliessen die Gottes- und die Nächstenliebe den Hass in dem Sinne aus, dass die „Ablehnung des Bösen in einem Menschen zu einer Totalablehnung des ganzen Menschen wird“ 375 . Wie von Hildebrand klarstellt, soll das Böse in der Person gehasst und gegen die Vergiftung anderer Personen angekämpft werden, zugleich aber an der Liebe zu dem betreffenden Menschen, solange er noch atmet und „die Schönheit des imago Dei Charakters nicht verloren hat, festhalten“ 376 . In einem dritten Sinne ist der Hass sogar „eine eminent sittlich positive Hal‐ 2.7 Die weitere Entwicklung des Dialogs 373 <?page no="374"?> 377 Ebd. 378 Ebd. 379 Ebd. 380 Vgl. D E R S ., Selbstdarstellung, S. 119. 381 D E R S ., Das Wesen der Liebe, Kap. IX, S. 267. 382 Ebd. (Kursiv im Orig.) 383 Vgl. ebd., Kap. IX, S. 268. 384 Ebd. 385 Ebd. tung“ 377 . Und zwar ist er dies insofern, als es sich um eine ablehnende Antwort auf einen Unwert handelt. Dann ist der Hass eine notwendige Folge der Got‐ tesliebe. „Wir können die Wahrheit nicht lieben, wenn wir den prinzipiellen Irrtum, falsche Theorien wie Relativismus, Immanentismus, Materialismus nicht hassen.“ 378 Die Gottes- und die Nächstenliebe schliessen den Hass dann nicht aus, wenn er im Sinne der angemessenen Antwort auf einen Unwert ver‐ standen wird. Wie die Liebe auf den Wert, so ist der Hass die angemessene Antwort auf den konträren Unwert. In diesem Sinne ist der Hass „nicht nur verträglich mit der caritas, sondern geht notwendig mit ihr Hand in Hand - ja ist ein notwendiges Element derselben“ 379 . 2.7.3.3 Die Nächstenliebe und das Eigenleben Um in das Wesen der Liebe und die verschiedenen Kategorien der Liebe ein‐ dringen zu können, ist eine weitere Unterscheidung grundlegend, nämlich die‐ jenige zwischen den verschiedenen Arten der Hingabe in der Liebe. Von Hilde‐ brand unterscheidet drei Arten: Die erste ist ein Heraustreten aus dem Eigenleben, wie es sich in der Nächstenliebe ereignet. In der Nächstenliebe wird das Eigenleben jedoch nicht aufgegeben, sondern es schweigt gleichsam. 380 Unter Eigenleben - soviel zur Klärung der Begrifflichkeit - sind hier alle Inhalte zu verstehen, die sich auf den jeweiligen Menschen, „auf seine ‚Angelegen‐ heiten‘ und insbesondere auf sein Glück beziehen“ 381 . Zum Eigenleben gehört jedoch nicht schlechtweg alles, was dieser Mensch bewusst erlebt, sondern nur „diejenigen Dinge, die ihn als individuelle Person in besonderer Weise angehen“ 382 . Wenngleich das Eigenleben auch von Hochmut und Begehrlichkeit beherrscht sein kann, bedeutet das Eigenleben im genannten Sinne in keiner Weise ein egozentrisches Leben. 383 Vielmehr ist das Besitzen eines Eigenlebens „ein tief bedeutsames Merkmal des Menschen als geistiger Person und ist zutiefst mit der Würde der metaphysischen Situation des Men‐ schen verknüpft“ 384 . Als tiefstes gehört zu diesem Eigenleben der „Dialog von Mensch und Gott“ 385 . Sodann gehört dazu auch all das, „was aus der selbstver‐ ständlichen Solidarität mit mir selbst erwächst“ und „mein Dasein, mein Leben, 2 Die Antwort des Menschen 374 <?page no="375"?> 386 Vgl. ebd. 387 Vgl. oben III, 11 - „Wert und Glück“. 388 von H I L D E B R A N D , Das Wesen der Liebe, Kap. IX, S. 280. 389 Ebd., Schluss, S. 486. 390 Vgl. ebd., Kap. IX, S. 278. 391 Vgl. ebd. meine Gesundheit, mein Wohlergehen, meine wirtschaftliche Existenz und so fort“ ebenso umfasst wie „alle in der Natur des Menschen begründeten körper‐ lichen Triebe und geistigen Strebungen, all das, was man ‚appetitus‘ genannt hat“. 386 Die Solidarität mit sich selbst ist an sich zwar nicht egoistisch, gehört aber doch zur Sphäre der Immanenz. Nichtsdestotrotz ist das Eigenleben nicht auf die Immanenz beschränkt, denn eine höhere Art des Glücks kann der Person nur zuteil werden, wenn die Sphäre des Immanenten überschritten wird. Wer in der Sphäre der Immanenz verbleibt, wie sich weiter oben verdeutlicht hat, 387 kann nicht wahrhaft glücklich werden. Damit die Güter, in denen hohe Werte verwirklicht sind, in superabundanter Weise Glück spenden, muss die Person von den Werten affiziert werden und sie angemessenen beantworten. Was das Transzendieren der Sphäre der Immanenz voraussetzt. Die Fähigkeit, das Ei‐ genleben zu überschreiten, ist Bestandteil eines qualitativ vollkommenen Ei‐ genlebens, „und ebenso kann das Hinausgreifen nur darin einen vollgültigen, einen glutvollen Charakter haben, dass diese Haltungen und Akte von einer Person vollzogen werden, die ein ausgesprochenes und intensives Eigenleben besitzt“ 388 . In der ersten Art der Hingabe, wie sie in der Nächstenliebe gegeben ist, wird das Eigenleben - wie bereits erwähnt - nicht aufgegeben oder hingegeben, son‐ dern man „lässt es sozusagen hinter sich“ 389 , man tritt aus ihm heraus. Was daran ersichtlich wird, dass das Glück in keiner Weise thematisch ist, der andere, d. h. der Nächste, ist ausschliesslich thematisch. Wenn Maximilian Kolbe sich ent‐ schliesst, das Wohl des Nächsten zu seinem Thema zu machen und anstelle des Familienvaters in den Tod zu gehen, oder wenn Mutter Teresa sich entscheidet, ihr Leben für das Wohl der Ärmsten der Armen hinzugeben, so wird das, was sie veranlasst, aus ihren Eigenleben herauszutreten und dem Wohl und damit dem Eigenleben des je anderen sich zuzuwenden, in einer besonders tiefen Weise Teil ihres Eigenlebens. 390 In diesem Heraustreten aus dem Eigenleben und der Zuwendung zum Wohl des Nächsten wird die caritas aktualisiert, womit bereits die zweite Art der Hin‐ gabe in der Liebe angesprochen ist. Wo die caritas sich aktualisiert, da ist sie vom Eigenleben nicht zu trennen. 391 Denn die caritas ist „kein Heraustreten aus 2.7 Die weitere Entwicklung des Dialogs 375 <?page no="376"?> 392 Ebd., Schluss, S. 486. 393 Ebd. 394 Ebd. Vgl. auch D E R S ., Das trojanische Pferd in der Stadt Gottes, I. Teil, 4. Kap., S. 56. 395 D E R S ., Das Wesen der Liebe, Kap. XI, S. 348. 396 Vgl. ebd., Schluss, S. 486 f. 397 Vgl. ebd., S. 487. dem Eigenleben, sondern eine Verklärung des Eigenlebens“ 392 . Indem man aus dem Eigenleben herausgeht und sich dem Eigenleben des Nächsten und dem objektiven Gut für ihn zuwendet, welches zum persönlichen Thema gemacht wird, gehört es gleichsam von innen her zum eigenen Leben. Wie erwähnt, ist die Hingabe in der caritas kein Heraustreten aus dem Eigenleben, sondern eine Verklärung desselben. „Die fliessende Güte - der einzigartige Hauch des Sich-Verströmens in Liebe - stellt eine sublime Hingabe dar, die die absolute Antithese zu allem Egoismus, aller Hartherzigkeit, aller Gleichgültigkeit dar‐ stellt.“ 393 Diese sich ausschliesslich in der Gottesliebe konstituierende und mit der Nächstenliebe Hand in Hand gehende, jedoch nicht wesenhaft mit ihr ver‐ bundene, sondern auch in anderen Kategorien der Liebe auftretende caritas ist eine Hingabe sui generis. Denn die Hingabe, die im Geist der caritas einge‐ schlossen ist, trägt Züge eines „Aufgeschmolzen-Werdens des Herzens“ 394 von der Güte Gottes. „Sie impliziert ein in das Reich der Güte Eingehen, einen Hauch heiliger Güte, ein ganz neues Feuer.“ 395 Damit wurde ansatzweise die dritte Art der Hingabe, die der Gottesliebe eigen ist, vorweggenommen. Auch die Gottesliebe zentriert sich in der „Hingabe des Herzens, des Eigenlebens“, und zwar in dem Sinne, dass Gott „der Mittelpunkt des Eigenlebens wird, dass er der Quell des persönlichsten Glückes wird, dass gleichsam mein Glück von ihm abhängt“. 396 Diese Form der Hingabe schliesst notwendig die intentio unionis ein. Allerdings ist sie nicht nur in der Gottesliebe zu finden, sondern „in jeder tiefen und intensiven natürlichen Liebe“, sie ist „ein Merkmal der Liebe schlechtweg, sobald der Geliebte zum Mittelpunkt meines Lebens wird, unabhängig von der jeweiligen Kategorie“. 397 2 Die Antwort des Menschen 376 <?page no="377"?> 1 Zu den Sinnbereichen vgl. D E R S ., Metaphysik der Gemeinschaft, II. Teil, 7. Kap., S. 226 ff. 2 Zu den „objektiven Gütern für die Person“ vgl. oben III, 5.4.2 - „Das objektive Gut für die Person“. 3 Zur „virtus unitiva der Werte“ vgl. oben II, 3.4 - „Die Werte als Hinweis auf den Inbegriff aller Werte“. Vgl. v. a. von H I L D E B R A N D , Metaphysik der Gemeinschaft, I. Teil, 8. Kap., S. 111 ff. 4 Ebd., II. Teil, 4. Kap., S. 179. 5 Ebd. 6 Ebd. 3 Die Kirche als vollkommenste Gemeinschaft und als höchstes objektives Gut für die Person Unter dem Gesichtspunkt der Gemeinschaft behandelt von Hildebrand u. a. auch die Kirche. Methodisch ist dieser Zugang gerechtfertigt, da er sich nur mit der Idee der Gemeinschaft der Kirche beschäftigt, ohne Realsetzung. Die Realset‐ zung ist nicht Aufgabe der Philosophie, sondern eine Frage des Glaubens. Wenn von Hildebrand sich von da her mit der Gemeinschaft der Kirche im Unterschied zu allen anderen Gemeinschaften beschäftigt, verlässt er den Bereich philoso‐ phischer Erkenntnis nicht und tritt nicht ein in den Bereich der Theologie. Denn die Frage, ob die Kirche allen anderen Gemeinschaften idealiter an Wert über‐ legen ist, ist eine Frage, die auch philosophisch zu beantworten ist. Dieser Aufgabe stellt sich von Hildebrand, indem er bei der Frage anhebt, ob der Sinnbereich 1 einer gegebenen Gemeinschaft es mit „absoluten Gütern“ oder mit „objektiven Gütern für die Person“ 2 zu tun hat. Dass der Sinnbereich einer Gemeinschaft für ihren Wertrang entscheidend ist, bedarf nicht allzu vieler Er‐ klärungen, ist er dadurch doch eng mit der „virtus unitiva der Werte“ 3 ver‐ bunden, dass er die Realität ist, die eine „wahre Gemeinschaft von inner her erfüllt und formt“ 4 . „Er repräsentiert gewissermassen einen plastisch ausgebrei‐ teten, interpersonal realisierten, die Menschen in sich fassenden und ordnenden geistigen Gesamtgestus zu den spezifisch entsprechenden Werten hin, die ‚über‘ der Gemeinschaft schweben“ 5 . Wenn der Sinnbereich die Gemeinschaft von innen her gestaltet und formt, dann aber gerade nicht „als eine von den Werten isolierte Instanz, sondern als ein von ihnen konform ‚Erzeugtes‘ und Durch‐ lebtes“ 6 . Allerdings darf der Sinnbereich auch nicht als Zweck einer Gemein‐ schaft verstanden werden, handelt es sich dabei doch um dasjenige, was das Sinnvolle der spezifischen Gemeinschaft ausmacht, in der man lebt und sich <?page no="378"?> 7 Ebd., IV. Teil, 5. Kap. S. 374. 8 Ebd. 9 Ebd., IV. Teil, 4. Kap., S. 335. 10 Ebd., S. 336. Zum Phänomen der Wertblindheit vgl. oben IV, 1.3 - „Der ordo amoris und das Phänomen der Wertblindheit“. 11 Vgl. von H I L D E B R A N D , Metaphysik der Gemeinschaft, IV. Teil, 4. Kap., S. 336. 12 Ebd. 13 Ebd., IV. Teil, 5. Kap., S. 383. 14 Vgl. ebd. 15 Ebd., 4. Kap., S. 337. 16 Vgl. ebd. bewegt. Jedenfalls bemisst sich die Tiefe, in der die Person in der Gemeinschaft verankert ist, an der Höhe des Sinnbereiches der jeweiligen Gemeinschaft. 7 Und je höher der Wertbereich, der die Personen eint, desto „mehr werden sie dieser Verbundenheit nur gerecht, wenn sie einander lieben, bzw. wenn sie Liebe zur Gemeinschaft fühlen“ 8 . Im ersten Abschnitt des vierten Teils der Metaphysik der Gemeinschaft steht über allem die leitende Frage nach der Wertrangordnung der Gemeinschaften, in deren Sinnbereichen absolute Güter eine primäre oder zumindest eine integ‐ rierende Rolle spielen. Die ihrem Wertrang nach höchsten Gemeinschaften sind „jene, deren Sinnbereich ein rein ‚übernatürlicher‘ ist, bzw. zur übernatürlichen Sphäre gehört“ 9 . Und wenn auch geleugnet wird, dass übernatürliche Gemein‐ schaften existieren, so kann niemand leugnen, dass der Sinnbereich einer sol‐ chen Gemeinschaft der Idee nach der höchste ist, „der versteht, was mit einer solchen Gemeinschaft gemeint ist, und der nicht wertblind ist“ 10 . Zur Begrün‐ dung dieser Behauptung verweist er darauf, dass der Inbegriff aller Werte hier den Sinnbereich bildet. 11 Damit verbindet sich das Einzigartige, „dass der Sinn‐ bereich hier kein blosser ‚Sinnbereich‘ ist, sondern in geheimnisvoller Weise eins ist mit der Person des Gottmenschen selbst“ 12 . Seine Liebe zu jedem Glied macht das eigentliche Leben der Kirche aus. 13 Ja, diese Gemeinschaft besteht geradezu aus Liebe, alles in ihr ist Liebe und zwar primär göttliche Liebe. 14 Mit acht weiteren Merkmalen sucht von Hildebrand dem Verständnis näher zu bringen, dass die Kirche das schlechthinnige Gemeinschaftscorpus, „das Ur‐ bild und die höchste Erfüllung aller geschöpflichen Vereintheit“ 15 ist. Dies in erster Linie, weil der Wert der Einheit sich hier in unvergleichlicher Weise re‐ alisiert. Nicht nur ist die Einheit tiefer als bei allen anderen Gemeinschaften und nicht nur reicht „die Gliedschaft bis in den letzten, zentralsten Personkern“ hi‐ nein, „sondern zugleich ist hier auch der einzige Fall gegeben, in dem die Per‐ sonen vollständig, ohne dabei etwas von ihrem echten Substanzcharakter ein‐ zubüssen, zu einer wirklichen Einheit zusammengefasst sind“. 16 Sodann ist in 3 Die Kirche als vollkommenste Gemeinschaft und als höchstes objektives Gut 378 <?page no="379"?> 17 Vgl. ebd. 18 Ebd. 19 D E R S ., Liturgie und Persönlichkeit, 3. Kap., Der Geist der Gemeinschaft in der Liturgie, S. 222. 20 D E R S ., Metaphysik der Gemeinschaft, IV. Teil, 4. Kap., S. 338. 21 Ebd., S. 339. der Kirche „der objektive Sieg der Liebe in ungeahnter Weise verwirklicht“, denn es „handelt sich hier um einen objektiven Sieg der göttlichen Liebe“, wodurch die Vereintheit von Personen in unvergleichlich erhabener und tiefer Weise ge‐ geben ist. 17 Was auch darin zum Ausdruck kommt, dass es sich „nicht nur um die höchste Art der Herrschaftsentfaltung des höchsten Wertbereiches, sondern geradezu um eine ‚Verkörperung‘ dieses Wertbereiches“ 18 handelt. In der Kirche ist der Gottmensch nicht nur der Sinnbereich, sondern diese Gemeinschaft ist der fortlebende Christus, der in ihr gegenwärtig ist. Werte realisiert die Ge‐ meinschaft der Kirche zudem auch als solche, so v. a. in der Liturgie, in der das letzte Wir, „das zwischen Gläubigen, Priester und Christus und Gläubigen un‐ tereinander in der Darbringung des heiligen Messopfers enthalten ist und das in dem gemeinsamen Mahle am Tische des Herrn gipfelt“ 19 . Dass die Kirche unter den Gemeinschaften die grösste Bedeutung besitzt, leuchtet überdies auch von der Stützung und Förderung des Wertes des Ein‐ zelnen her ein. Wenn andere Gemeinschaften wie z. B. die Nation für die geistige Entwicklung und die Familie für seine sittliche Entwicklung von Bedeutung sind, so ist es die Kirche für seine Heiligung. Wenn andere Gemeinschaften dafür von indirekter Bedeutung sind, „so ist die Kirche der direkte und einzige Weg dazu“ 20 . Auch was den wertfördernden Einfluss auf die übrigen Glieder der Gemeinschaft betrifft, ragt die Kirche aus allen anderen Gemeinschaften heraus. Denn die durch die Taufe bewirkte Gliedschaft an der Gemeinschaft der Kirche „lässt alle Glieder auch rein objektiv an der Heiligkeit jedes Gliedes Anteil haben“ 21 . Doch ist bei der Gemeinschaft der Kirche jede Spannung zwischen der Einzelperson und der Gemeinschaft überhoben. Was für die Gemeinschaft das Beste, ist es auch für die Heiligung der Einzelperson, und umgekehrt. Bei dem Wert der Liturgie ist allerdings die Fehldeutung zu vermeiden, als handelte es sich dabei um eine pädagogische Wirkung. Was weiter oben bereits verschiedentlich erwähnt wurde, das ist auch hier zu beachten, nämlich, dass die tiefste pädagogische Wirkung nicht von dem ausgeht, was um dieser Wir‐ kung willen unternommen wird, sondern es „zu den besonderen Gründen für die Kraft und Tiefe der Umformung der Persönlichkeit, die von der Liturgie 3 Die Kirche als vollkommenste Gemeinschaft und als höchstes objektives Gut 379 <?page no="380"?> 22 D E R S ., Liturgie und Persönlichkeit, Einführung, S. 198. 23 Ebd. (Kursiv im Orig.) 24 Vgl. D E R S ., Metaphysik der Gemeinschaft, IV. Teil, 5. Kap., S. 394. 25 Vgl. ebd., IV. Teil, 4. Kap., S. 339. 26 Zur Philosophie der Kirche bei Dietrich von Hildebrand vgl. auch Joseph Overath, Diktat der Wahrheit. Ein Dietrich von Hildebrand-Lesebuch, in dem zahlreiche der religions‐ philosophisch einschlägigen Texte von Hildebrands angeführt und kommentiert werden. ausgeht, gehört, dass sie eine nicht ausdrücklich beabsichtigte Umformung ist - besser, dass die Liturgie aus einer anderen Intention heraus vollzogen wird“ 22 . Denn die tiefste Umgestaltung der Person findet sich ja stets da, wo nicht Mittel für die Umgestaltung verwandt werden, sondern wo ein in sich sinnvolles Verhalten diese umgestaltende Wirkung gleichsam geschenkhaft mit sich bringt. Gerade von dem Verhalten, das so ganz und gar objektgerichtet ist, von der Liebe, die ihrem Wesen nach reine Wertantwort ist, die nur als Antwort auf die Wertfülle des Geliebten erfolgt und die in dem Augenblick, in dem sie als ein pädagogisches Mittel für die eigene Person gemeint wäre, aufhören würde zu bestehen, geht eine allen Krampf lösende, uns innerlich umschmelzende, werterschliessende Wirkung von unvergleichlicher Kraft und Stärke aus. […] So findet sich gerade da, wo wir uns rein wertantwortend verhalten, in der Hingabe an Gottes Herrlichkeit, in dem als Gottesdienst vollzogenen Lobpreis Gottes, in dem Weilen vor ihm, in der Freude über die Existenz Gottes, über die gloria Domini, die Herrlichkeit des Herrn, über die magnalia Dei, die Grosstaten Gottes, vielleicht die tiefste und am meisten organische Umgestaltung des Menschen in den Geist Christi hinein. 23 In materieller Hinsicht ist es letztlich nichts als logisch, versteht von Hildebrand die Kirche unter diesen Voraussetzungen primär als vollkommenste aller Ge‐ meinschaften 24 und sekundär als höchstes objektives Gut für die Person. 25 Aber, wie gesagt, die Realsetzung dieser übernatürlichen Gemeinschaft ist eine Frage des Glaubens, obgleich es eine philosophische Einsicht ist, dass so eine Gemein‐ schaft allen anderen idealiter an Wert überlegen ist. 26 3 Die Kirche als vollkommenste Gemeinschaft und als höchstes objektives Gut 380 <?page no="381"?> 1 Gründe für die postmortale Existenz des Menschen werden nicht nur von Geisteswis‐ senschaftlern beigebracht, sondern bisweilen auch von Literaten. Einer von ihnen ist Jean Paul (1763-1825), der in seinem Meisterwerk „Siebenkäs“ die atheistische Über‐ zeugung, dass kein Gott sei, gefühlsmässig sozusagen ins Leere laufen lässt, denn „[n]iemand ist im All so sehr allein als ein Gottesleugner“ (J E A N P A U L , Siebenkäs, Zweites Bändchen, Erstes Blumenstück, Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, dass kein Gott sei, S. 274). In diesem literarischen Werk veranschaulicht der Autor die Widersinnigkeit des Postulats des Todes als des absoluten Endes des menschlichen Lebens. Nachdem er literarisch eine Szene aufgebaut hat, in der eine Person im Traume sieht, wie sich die Gräber öffneten und alle Toten riefen, „es ist kein Gott“, da lässt Jean Paul seine Leser das starre, stumme Nichts, die kalte, ewige Notwendigkeit und den wahnsinnigen Zufall empfinden. Als die Person aus ihrem Traum schliesslich erwachte, da weinte sie vor Freude, „dass sie wieder Gott anbeten konnte - und die Freude und das Weinen und der Glaube an ihn waren das Gebet. Und als ich aufstand, glimmte die Sonne tief hinter den purpurnen Kornähren […] und zwischen dem Himmel und der Erde streckte eine frohe vergängliche Welt ihre kurzen Flügel aus und lebte, wie ich, vor dem unendlichen Vater; und von der ganzen Natur um mich flossen friedliche Töne aus, wie von fernen Abendglocken“ (vgl. ebd., S. 279 f.). 4 Über die in die Ewigkeit verlaufenden Sinnlinien menschlicher Existenz 4.1 Unsterblichkeit und ewiges Leben Nach dem Durchgang durch einige der zentralen Probleme, die mit der Philo‐ sophie der christlichen Religion verbunden sind, abschliessend noch zu der ent‐ scheidenden Frage, ob der Tod des Menschen das Ende seines Lebens überhaupt oder ob der Mensch unsterblich und der Tod ein Übergang in die Ewigkeit ist. Gibt es vernünftige Gründe, die für die Unsterblichkeit und das ewige Leben des Menschen sprechen? Und wie verhält es sich mit der religiösen Überzeugung, dass die Menschen entsprechend ihren in Freiheit getroffenen Entscheidungen über den Tod hinaus weiter existieren? Wirken die in der Zeit erworbenen Ver‐ dienste und die angehäufte Schuld in die Ewigkeit hinein? Wie aber wäre eine solche religiöse Überzeugung als vernünftig zu erweisen und zu begründen? 1 An erster Stelle ist zu prüfen, welche Argumente von Hildebrand für die Unsterblichkeit anzuführen weiss, um anschliessend auf sein Urteil über die postmortale Existenz einzugehen, welches er nicht zuletzt in seinem posthum erschienenen und sachlich ebenso wie existentiell einschlägigen Werk Über den Tod gefällt hat. „Wenn wir annehmen, der Tod des Menschen sei das Ende seiner <?page no="382"?> 2 von H I L D E B R A N D , Über den Tod, S. 22. 3 Vgl. oben II - „Die Erkenntnis Gottes“. 4 von H I L D E B R A N D , Die Unsterblichkeit der Seele, S. 302. 5 Vgl. ebd. 6 Vgl. ebd. 7 D E R S ., Metaphysik der Gemeinschaft, S. 20. 8 D E R S ., Die Unsterblichkeit der Seele, S. 302. 9 D E R S ., Metaphysik der Gemeinschaft, S. 20. Existenz als Person“ - wie er an einer frühen Stelle in dieser Schrift klarlegt -, „so geraten wir in Widerspruch mit der Überzeugung von der Existenz eines personalen Gottes“ 2 . Die Existenz Gottes ist der seinsmässige Grund der Un‐ sterblichkeit der menschlichen Person. Sie muss begründet werden, damit man sich in philosophischer Manier um die Unsterblichkeit der menschlichen Person bemühen kann. Da dieser Nachweis im Rahmen dieser Untersuchung bereits erbracht worden ist, 3 kann die Frage nach der Unsterblichkeit der menschlichen Person auf diesem Fundament angegangen werden. Voraussetzung, um die Rede von der Unsterblichkeit des personalen Seins verstehen zu können, ist das zumindest ansatzmässige Begreifen der einzigar‐ tigen Natur des personalen Seins. Solange dieses nach Art des Physischen zu verstehen gesucht wird, wird das Wesen des personalen Seins nicht erfahren. „Das personale bewusste Sein stellt etwas völlig Neues gegenüber allem sonstigen Seienden dar.“ 4 Währenddem „das Sein eines nur körperlichen Wesens gleichsam von seinem Träger nur ‚erlitten‘ wird“, ist das personale bewusste Sein „gewissermassen ein erwachtes Sein, ein Sein, das sich selbst besitzt“. 5 Dieses Sein, das in jeder Person eine Welt für sich darstellt, besitzt seinen „ge‐ heimnisvollen Mittelpunkt im Ich“, es ist „ein Sein viel höherer und eigentlich‐ erer Art als alles bloss materielle oder vitale Sein“. 6 Dieser höhere Seinsrang zeigt sich auch daran, dass die Person den eindeutigen Charakter einer Substanz besitzt. „Der Substanzcharakter ist bei der Person in einer Vollkommenheit ge‐ geben, die ein Ineinanderfliessen der Grenzen, welche die Person umreissen, ganz ausschliesst.“ 7 Nie können Personen wie Elemente eines Kontinuums ver‐ schmelzen noch als Teile eines Ganzen figurieren. Während jedes materielle Ding noch relativ als ein Stück der kontinuierlichen Materie betrachtet werden kann, ist dies bei der geistigen Person völlig unmöglich. Die geistige Person ist ein Mikrokosmos, sie ist „gleichsam das Urbild des Substantiellen“ 8 . Bei ihr findet „der Charakter des Individuums und der ‚Welt für sich‘ seine höchste, prototyphafte Ausprägung“ 9 . Dass jede Person einen relativen Endpunkt darstellt, lässt sich an den sinn‐ vollen Beziehungen zwischen den einzelnen Personen ermessen. Das zu‐ einander Sprechen, das Fragen oder die Liebe zu einer anderen Person geben 4 Über die in die Ewigkeit verlaufenden Sinnlinien menschlicher Existenz 382 <?page no="383"?> 10 D E R S ., Die Unsterblichkeit der Seele, S. 303. 11 Ebd. 12 Vgl. IV, 2.3.2 - „Die Demut“. 13 von H I L D E B R A N D , Die Unsterblichkeit der Seele, S. 304. Als Gültigkeit versteht von Hil‐ debrand im Übrigen „das von jeder Person unabhängige Bestehen und Gelten“, so wie es vor allem bei den notwendigen Wesenheiten und den in sich bedeutsamen Werten gegeben ist (vgl. D E R S ., Ästhetik 1, 14. Kap., S. 316). Das Gegenstück der objektiven Gül‐ tigkeit wäre das Nur-so-Erscheinen (vgl. ebd., 1. Kap., S. 44). 14 D E R S ., Die Unsterblichkeit der Seele, S. 304. deutlich zu erkennen, wie die Person etwas Eigenes, in sich Geschlossenes, eben ein Individuum oder eine Substanz ist. Jede sinnvolle Beziehung zu anderen Personen lässt einerseits die Distanz erkennen, die zwischen den Personen be‐ steht, andererseits das Zentrum offenbar werden, „um das sich in der Person alle Erlebnisse gruppieren“ 10 . Dadurch wird jede Möglichkeit ausgeschlossen, „die Grenzen der Realität, welche die einzelne Person repräsentiert, zu verwi‐ schen und die verschiedenen Personen als Teile eines kontinuierlichen Mediums bzw. als blosse Einzelmomente einer übergreifenden umfassenden Substanz zu betrachten“ 11 . Weiter oben zeigte sich bereits, von welchen Beweggründen und welcher Weltanschauung von Hildebrand sich mit diesen Ausführungen dis‐ tanzierte: vom pantheistischen, dem Hochmut schmeichelnden Partizipieren am Absoluten. 12 Dabei ist ein solches Partizipieren und Untertauchen in einen All‐ geist ein Widerspruch in sich selbst (contradictio in adjecto), denn dieses Unter‐ tauchen käme einem Vergehen des geistigen Wesens gleich. Die immanente Kurve von Werden, Vergehen und Neuentstehen begegnet in der Natur etwa bei den Tieren und bei den Pflanzen. Eine solche Kurve zeichnet nun auch das Leben des Menschen, der überdies aber auch eine geistige Person ist. Wohl stehen die sinnvollen Akte und Erlebnisse in einer Verbindung mit der vitalen Sphäre - wie z. B. im Falle der transeunten Handlungen, denen immer innere Antworten vorhergehen, die zur Realisierung „drängen“ -, doch ragen sie in ihrem Sinn und Gehalt weit darüber hinaus. Zu denken ist etwa an die Reue, an die Begeisterung, an die Verehrung, an die Liebe, an einen freien Wil‐ lensakt, an einen Akt des Behauptens, an das Einsehen eines Sachverhalts oder an eine vernünftige Schlussfolgerung. Mit ihnen allen „öffnet sich unserem Blick eine Welt völlig neuer Art gegenüber der Lebenssphäre, eine Welt, in der nichts von der immanenten Kurve zu finden ist, sondern ein Abzielen auf ein Ver‐ harren, auf eine unerschütterliche Gültigkeit“ 13 . Dieser Gedanke weist schon deutlich auf die Unzulässigkeit hin, vom Sterben des Leibes auf das Sterben der Person zu schliessen. Wie sich im Verlauf dieser Arbeit immer wieder verdeutlicht hat, ist der Mensch „in eine Welt hineinge‐ stellt, die an vielen Stellen über sich selbst hinausweist“ 14 . Seien dies nun die 4.1 Unsterblichkeit und ewiges Leben 383 <?page no="384"?> 15 Ebd., S. 305. 16 Ebd. 17 Vgl. D E R S ., Über den Tod, S. 92. 18 D E R S ., Die Unsterblichkeit der Seele, S. 306. 19 Ebd. 20 D E R S ., Über den Tod, S. 35. 21 Ebd. 22 Ebd. notwendigen Wesenheiten oder seien dies die Werte mit ihrem Abglanz und ihren Forderungen, aber auch mit ihrer superabundanten Beglückung. „Es liegt darin ein ‚Ernstnehmen‘ der Person, die ja gerade in der Antwort auf diese For‐ derungen ihren spezifischen Charakter und Adel als geistige Person entfaltet“ 15 . Diesem Ernstnehmen würde es nur allzu deutlich widersprechen, wenn die Person mit dem Aufhören der physiologischen Prozesse aufhörte zu existieren. „Besteht nicht der äusserste Widerstreit zwischen der Natur dieser Werte und einer solchen Vergänglichkeit, zwischen der Fähigkeit, Träger solcher Werte zu werden […] und einem sang- und klanglosen Vergehen? “ 16 Die Absurdität stei‐ gert sich für von Hildebrand noch vollends bei der Vergegenwärtigung der Ursache eines solchen Versinkens ins Nichts, was ein Ziegelstein, der jemandem auf den Kopf fällt, ebenso sein kann wie eine Infektion, von der er ergriffen wird. Wenn aber das Niedere das Höhere zerstören würde, dann wäre der Tod sinnlos. 17 Jedes wirkliche Glück schliesst eine Forderung nach der Ewigkeit in sich. Die dem Menschen eingepflanzte Sehnsucht nach der Glückseligkeit wäre allerdings „eine ironische Täuschung des Menschen, wenn sein Los wesenhaft den Sinn jeder Glückseligkeit aushöhlte“ 18 . Denn, so von Hildebrand mit Blick auf das gegenwärtige Dasein in dieser Welt, wie sollte in einer Welt ein Glück möglich sein, „in der all das Hohe, das allein beglücken kann, im letzten Grund ein Schein, eine Täuschung wäre? “ 19 Nicht nur sprechen die sittlichen Werte anderer Personen, die Schönheit in der Natur und in der Kunst ebenso wie die meta‐ physischen Wahrheiten oder das Lieben und das Geliebtwerden von der „Über‐ legenheit des Geistigen und Personalen über die quantitative Unermesslichkeit der materiellen Welt, sie enthalten geradezu ein Versprechen“ 20 . Und zwar das Versprechen, „dass es eine Ewigkeit für den Menschen gibt, eine Erfüllung dessen, was im Diesseits so bedeutungsvoll und beglückend zu uns spricht“ 21 . Was auch beinhaltet, „dass das an Wert so Überlegene auch ontologisch, auch in seiner Existenz über das quantitativ Überlegene triumphieren wird“ 22 . Von Hildebrand fasst das Gesagte in eine Alternative: Entweder ist die ganze Welt eine blosse Fassade, ein Schein und die an die Person gerichteten Forde‐ 4 Über die in die Ewigkeit verlaufenden Sinnlinien menschlicher Existenz 384 <?page no="385"?> 23 Vgl. ebd., S. 19, S. 22, S. 60. 24 Ebd., S. 35. 25 Vgl. ebd., S. 22. 26 D E R S ., Die Unsterblichkeit der Seele, S. 307. 27 Ebd. Ähnlich auch Josef Pieper, der für die Unvergänglichkeit der Seele das folgende Argument liefert: „Weil die menschliche Seele capax veritatis ist, weil sie Wahrheit zu fassen vermag, weil sie etwas zu tun vermag, das über jeden denkbaren materiellen Ablauf prinzipiell hinausliegt und von ihm unabhängig ist, darum muss sie auch ein esse absolutum haben, das heisst, ein von der Materie, vom Leibe unabhängiges Sein; sie muss notwendigerweise etwas sein, das durch den Verfall des Leibes hindurch und über ihn hinaus Bestand hat.“ Wobei es freilich kein fundiertes Wissen darüber gebe, welcher Art dieses Weiterbestehen sein werde (vgl. Josef P I E P E R , Tod und Unsterblichkeit, S. 327 f.). Vgl. von demselben Autor auch: Unsterblichkeit - eine nicht-christliche Vor‐ stellung? Philosophische Bemerkungen zu einem kontroverstheologischen Thema. 28 von H I L D E B R A N D , Christliche Ethik, 15. Kap. S. 211. Vgl. auch D E R S ., Über die christliche Idee des himmlischen Lohnes, S. 277. rungen der sittlichen und der sittlich bedeutsamen Werte eine reine Lüge 23 und die Kundgabe der ewigen Bestimmung des Menschen eine Täuschung, die dieser ungültige Schein ihm vormacht. Oder der Mensch hört mit dem Tod des Leibes nicht auf zu existieren und „die Stimme der Wertewelt spricht wahr, und die Welt ist nicht ein sinnloses Truggebilde“ 24 . Die objektive Existenz der absoluten und vollkommenen Person Gottes schliesst die erste Möglichkeit aus, der Tod des Menschen widerspricht der Existenz eines personalen Gottes, 25 dessen Da- und Sosein anhand der reinen Vollkommenheiten mit Gewissheit erkannt werden kann. Und nicht nur auf ein Fortleben der Person weist die Wertewelt hin, „sondern auf einen Übergang aus der Zeitlichkeit in die Ewigkeit“ 26 . Eine Ewigkeit aber setzt Gott voraus, denn ohne Gott wäre sie „eine ebensolche Sinnlosigkeit wie ein Versinken in das Nichts“ 27 . 4.2 Die metaphysische Gebührensbeziehung Nach dem Aufweis der Vernünftigkeit der religiösen Überzeugung des Weiter‐ lebens nach dem Tod nun zum Versuch einer materialen Bestimmung des ewigen Daseins der Menschen. Ausgangspunkt sind die Werte, die den Menschen zu einer Antwort auffordern und gegebenenfalls an sein Gewissen appellieren. Es wurde schon darauf aufmerksam gemacht, dass die sittlichen und die sittlich bedeutsamen Werte in einer „Beziehung zu Lohn und Strafe“ 28 stehen. Nur die diesbezüglichen Werte und die konträren Unwerte stehen in einer solchen Be‐ ziehung. Denn obgleich Werte wie Intelligenz, Talent oder sonstige Gaben An‐ erkennung und Möglichkeiten zu weiterer Entfaltung verdienen, so haben sie 4.2 Die metaphysische Gebührensbeziehung 385 <?page no="386"?> 29 D E R S ., Christliche Ethik, 15. Kap., S. 212, Anm. 1. 30 D E R S ., Über die christliche Idee des himmlischen Lohnes, S. 276. 31 Vgl. ebd. 32 Ebd., S. 277. 33 D E R S ., Zum Wesen der Strafe, S. 273. (Kursiv im Orig.) im strengen Sinn dennoch keinen Anspruch auf Lohn. Der „Lohn“, der dafür erteilt wird, hat einen sozialen und menschlichen Charakter. Der Verzicht auf ein objektives Gut für die eigene Person dagegen, der erbracht wird, damit der Nächste eines objektiven Gutes nicht verlustig geht, hat einen eindeutig lo‐ benswerten Charakter und verdient eine Belohnung. Die Ungerechtigkeit wie‐ derum, die darin liegt, dass der Verzicht ohne Belohnung bleibt, lässt sich vollauf verstehen. „Sobald wir uns klarmachen, dass Lohn im vollen Sinne das Gegen‐ stück zur Strafe ist, zeigt sich seine metaphysische Tiefe und seine grundlegende Verschiedenheit von dem sogenannten ‚Lohn‘ für aussersittliche Verdienste ganz deutlich.“ 29 Aufgrund der objektiven Gebührensbeziehung, verlangen das Gute und das Böse sachlich angemessene Antworten von der menschlichen Person. „Eine solche objektive Gebührensbeziehung findet sich nun auch zwischen der Schuld und der Strafe einerseits und dem Verdienst und dem Lohn andererseits.“ 30 Und wenn die objektive Gebührensbeziehung von der menschlichen Person eine an‐ gemessene Antwort fordert, dann erst recht von „der höchsten sittlichen Instanz, von Gott“. 31 Liegt schon in der angemessenen Antwort der menschlichen Person auf eine sittlich bedeutsame Forderung ein Wert, so bedeutet die Antwort Gottes auf einen Verdienst oder eine Schuld unvergleichlich viel mehr: „Sie ist nicht nur Träger einer bestimmten Harmonie, sondern das Fundament und die Krö‐ nung aller kosmischen Harmonie.“ 32 Ein Blick auf die Idee der Strafe gibt die wesentlichen und notwendigen Mo‐ mente deutlich zu erkennen. Das Strafen gehört erstens zu den Unwertant‐ worten bzw. den negativen Wertantworten. Und während das Objekt des Ver‐ zeihens stets die Schuld gegen eine Person ist, ist das Objekt des Vergebens stets die sittliche Schuld, der von ihrem Wesen her Strafe gebührt. Mit dem Sinn der Strafe notwendig verbunden ist einerseits, dass sie von einer Person verhängt wird und andererseits nur einer Person gelten kann. Diese Antwort des Strafens kann jedoch nur eine Person wirksam und „derart vollziehen, dass die ideale Gebührensbeziehung ihre reale Erfüllung findet: die Person, deren Wollen und Sein jedes subjektiven, relativen Charakters entbehrt und mit der sittlichen Ordnung selbst zusammenfällt: Gott“ 33 . Was im Übrigen die Frage des Gebührens betrifft, so braucht man sich nur einen Kosmos vorzustellen, in dem Schuld und Verdienst, die beide ja deutlich 4 Über die in die Ewigkeit verlaufenden Sinnlinien menschlicher Existenz 386 <?page no="387"?> 34 D E R S ., Über die christliche Idee des himmlischen Lohnes, S. 277. 35 Vgl. ebd. Auch Platon hat die Sinnlogik der metaphysischen Gebührensbeziehung ver‐ standen, denn unmissverständlich macht er an mehreren Stellen darauf aufmerksam, dass die Seelen nach dem Tod ihrer Leiber vor den Richter (δικαστήν) kämen, der ihnen eine Weiterexistenz gemäss ihrer Lebensführung zuteile. Dass Platon ein Philosoph der Freiheit war, zeigt sich im Dialog Politeia, wo er die Verantwortung für die künftige Existenz nicht Gott zuschreibt, sondern alleine dem Menschen, er wähle sich das künf‐ tige Leben selbst (vgl. Politeia X, 617d-e). Das künftige Leben gestaltet sich je anders für den Gerechten, den Bösen und den Mittelmässigen. Die Gerechten kämen auf die „Inseln der Seligen“ (Gorgias, 526c5), die unheilbar Bösen in den „Tartaros, aus dem sie nie wieder heraussteigen“ (Phaidon, 113e6), und die Mittelmässigen, da sie heilbar seien, reinigten sich und büssten ihre Vergehen ab „und werden losgesprochen, wie sie auch ebenso für ihre guten Taten den Lohn erlangen, jeglicher nach Verdienst“ (Phaidon, 113d8-e1). erfahren werden können, unbeantwortet blieben. Von Hildebrand fordert in dem Zusammenhang dazu auf, sich eine Welt vorzustellen, über der kein lohnender und strafender Gott steht. Ist diese Vorstellung dem Geiste gegenwärtig, „dann erfassen wir den furchtbaren kosmischen Missklang und erkennen, wie gerade in der Erfüllung dieser metaphysischen Gebührensbeziehung von Lohn und Strafe die ewige Bedeutung der Welt der sittlichen Werte ihre volle reale Gül‐ tigkeit erhält“ 34 . In ihr und nur in ihr verwirklicht sich auch die metaphysische Gerechtigkeit, auf der die sinnvolle Versöhnung der furchtbaren Disharmonie basiert, von der die Welt so voll ist. 35 Ein Gott, der Schuld und Verdienst unbe‐ achtet liesse, wäre jedenfalls nicht derjenige, im Vergleich zu dem nichts Grös‐ seres und nichts Besseres gedacht werden kann. 4.2 Die metaphysische Gebührensbeziehung 387 <?page no="388"?> 1 Vgl. oben IV, 1-1.5. 5 Zusammenfassung Wie den Sachverhalt der lebendigen Verbindung des Menschen mit Gott er‐ kennen und begründen? Diese am Beginn des vierten Abschnitts stehende Frage konnte auf den vergangenen Seiten in mehrerer Hinsicht beantwortet werden. Am Beginn stand die Erkenntnis, dass der Anstoss zu einem Dialog von Gott ausgeht. Nicht nur bildet er sich im Seienden hierarchisch geordnet ab, und nicht nur lässt sein Wort sich aus den Botschaften entnehmen, die von bestimmten Werten an den Menschen ergehen. Sondern Gott ruft und fordert den Menschen auf, die an ihn gestellten Forderungen der sittlich bedeutsamen Werte ange‐ messen zu beantworten. Über die sittlich bedeutsamen Werte und die Forde‐ rungen, die von ihnen ausgehen, ist der Mensch unmittelbar mit Gott ver‐ bunden. Welche Verbindung er dann schmerzlich wahrnimmt, wenn er den Forderungen nicht nachkommt, wenn er sich diesen Forderungen vielmehr selbst überordnet und sich nur um seine eigenen Wichtigkeiten kümmert. Dann verspürt er die durch ihn entstandene objektive Unordnung in seinem Innersten, in seinem beunruhigten Gewissen. Das ist eine Wahrnehmung, in der er ver‐ spürt, dass er mit Gott, dem Inbegriff aller Werte verbunden ist. Wobei die Stimme des Gewissens zum Preis des Ausbleibens tief empfundener Freude und echten Glücks schweigt, sofern er sich nicht vom wertantwortenden Zentrum, sondern von den moralisch negativen Zentren motivieren lässt. Dann tritt er in eine Dynamik ein, die ihn immer mehr in einen Ichkrampf und eine stetig zu‐ nehmende Erblindung für das führt, was objektiv wichtig und bedeutsam ist. So dass letztlich nur noch die Dinge bleiben, die die eigene Person nur immer wieder und immer mehr auf sich selber zurückwerfen. Jedenfalls ist mit der willentlichen Abkehr von den Werten der Weg zu einem erfüllten und glückli‐ chen Leben ebenso versperrt wie zu einer lebendigen Verbindung mit Gott. 1 Zumindest vorläufig, denn die freie Person hat immer wieder die Möglichkeit, Gottes Stimme durch die Werte - wach und ehrfürchtig - zu vernehmen und ihr Gehör zu schenken, auf dass sich ihre Wertsichtigkeit Zug um Zug verbes‐ sert. Obgleich der vorliegenden Untersuchung betreffend Wertsichtigkeit zu Grunde liegt, dass der intersubjektive Konsens einer gegebenen Gruppe von Menschen die Folge der absolut gewissen Einsicht in den betreffenden Sach‐ verhalt ist, anerbot sich angesichts der Tatsache des häufigen Ausbleibens des <?page no="389"?> 2 Vgl. oben IV, 1.6-1.6.3. 3 Vgl. oben IV, 2.3.1. 4 Vgl. oben IV, 2.3.3. 5 Vgl. oben IV, 2.6. Konsenses in ethischen Fragen ein kritischer Blick auf Kants kategorischen Imperativ. Hat nicht gerade dieser Imperativ den Vorteil, dass man ihn allgemein verständlich machen kann? Wie sich jedoch erwiesen hat, vermag diese ethische Theorie die Erwartungen nicht zu erfüllen. Denn einerseits schreibt Kant die sittliche Bedeutsamkeit nur dem Willen zu und andererseits hat er übersehen, dass der sittliche Wert mit ihrem affektiven Charakter verbunden ist. Zudem kann die Verallgemeinerungsfähigkeit einer subjektiven Maxime unmöglich das Kriterium sein, zwischen richtig und falsch oder gut und schlecht zu unter‐ scheiden. Wie in der Erkenntnistheorie, so kommt Kant letztlich auch in der Ethik nicht über das eigene Bewusstsein und einen formalen Blick in die Breite hinaus. 2 Dabei kann die Person auch dann, wenn sie sich den an sie ergangenen For‐ derungen diametral entgegengesetzt verhalten hat, gerade dann kann sie in einem der tiefsten sinnvollen Schmerzen erfahren, was ein Verlassen der Peri‐ pherie und ein Durchbruch in die Tiefe bedeutet. Der Schmerz der Reue kündet noch stärker als das beunruhigte Gewissen von dem moralischen Unwert, der vor dem absoluten personalen Gegenüber begangen wurde. 3 Ein Schmerz, in dem sich häufig eine tiefgehende Veränderung mit einer neuen Willensrichtung auf Gott hin vollzieht. Wodurch es zu einem demütigen und dankbaren Erwa‐ chen aus der Weltimmanenz kommen kann. Denn gerade mit der Dankbarkeit wurde im Rahmen dieses Abschnitts eine der fundamentalsten Grundhaltungen des religiösen Lebens besprochen. Dieser Haltung kommt nicht nur eine ent‐ scheidende Bedeutung für den moralischen Gesamtstatus der Person zu, sie hat in diesem Rahmen auch die Möglichkeit eröffnet, die objektive Existenz Gottes einsichtig zu machen. 4 Über die Herausarbeitung der allgemeinen Merkmale des kontemplativen Kontakts mit einem Gegenstand wurde die religiöse Kontemplation sodann als volles Ich-Du-Geschehen charakterisiert, bei dem die menschliche Person sich liebend in die absolute Person versenkt. 5 Was über die ansatzweise Besprechung des Wesens der Persönlichkeit zur Frage führte, wie der Mensch zu einer Per‐ sönlichkeit werden kann und welche Bedeutung dabei dem Dialog mit Gott zukomme. Auf der Basis der Bestimmung der allgemeinen Strukturmomente der lebendigen Beziehung des Menschen zu Gott, welche über das göttliche Moti‐ vieren durch die Werte, die angemessene Antwort des Menschen und die su‐ perabundante Rückwirkung verläuft, wurde erörtert, wie es sich in der sittlichen 5 Zusammenfassung 389 <?page no="390"?> 6 Vgl. oben IV, 2.7.1. 7 Vgl. oben IV, 2.7.2. 8 Vgl. oben IV, 2.7.3. 9 Vgl. oben IV, 2.7.3.3. Sphäre damit verhält. Die Frage, ob die Werterkenntnis das sittliche Sein oder das sittliche Sein die Werterkenntnis fundiere und das sittliche Wachstum der Person etwas von der dialogalen Wechselwirkung zwischen Mensch und Gott erschliesse, war dahingehend zu beantworten, dass das Verhältnis zwischen dem sittlichen Sein und der sittlichen Werterkenntnis nicht als einseitiges, sondern als gegen- oder wechselseitiges Abhängigkeitsverhältnis zu begreifen sei, bei dem jede entschiedenere Gerichtetheit des Willens auf das Gute die Bedingung für ein tieferes Erkennen darstelle, das seinerseits wiederum die noch entschie‐ denere Gerichtetheit des Willens und damit die nächsthöhere Stufe sittlichen Seins ermögliche. 6 Was durch die entschiedene Bejahung und die angemessene Beantwortung der Werte in ein freies und sinnerfülltes Dasein und schliesslich in die geschenkhafte Umwandlung der Person münde, wodurch sie werde, was sie liebe - similitudo Dei. 7 Daraufhin wurde die Nächstenliebe in den Blick genommen, welche gleich vorweg von der allgemeinen Nächstenliebe unterschieden wurde, wie sie bei Friedrich Nietzsche begegnet und in Max Scheler einen Opponenten fand. Auf der Grundlage der Klärung des Begriffs des „Nächsten“ und der Bezeichnung des objektiven Gutes für die andere Person als Motivationsgrund der Nächstenliebe, erkannte von Hildebrand, wie der Nächste nicht als Nächster motiviert, sondern das der anderen Person geltende Wohlwollen wesentlich in der Gottesliebe fundiert ist. Durch das Wohlwollen, das dem Nächsten zuge‐ wandt wird, der objektiver Güter ermangelt, nimmt der Mensch teil an der Be‐ wegungsumkehr der Liebe, er nimmt teil an der liebenden Zuwendung Gottes zu den Menschen. 8 Mit seiner grundlegenden kognitiven Rechtfertigung dieses genuinen Merkmals der christlichen Religion wusste von Hildebrand die Trans‐ zendenz in der Immanenz zu verankern, wobei der Liebende gleichsam in zwei Wirklichkeiten lebt: Das Herz bei Gott und die Hand beim Nächsten. Dadurch erstreckt sich die freie Person mit Vernunft, Wille und Herz in Zeit und Ewig‐ keit. Wobei das Überschreiten seiner selbst durch die Sorge für das Wohl des Nächsten nicht einem Verlassen des eigenen Lebens gleichkommt. Vielmehr er‐ fährt der Mensch auf indirektem Wege, wie das Wohl des Nächsten durch die Hingabe seiner selbst und der damit einhergehenden Überwindung des Ego‐ ismus zu seinem Thema und einem Teil seines eigenen Lebens und Gott die Quelle seines persönlichsten Glücks wird. 9 5 Zusammenfassung 390 <?page no="391"?> 10 von H I L D E B R A N D , Metaphysik der Gemeinschaft, 4. Kap., I., S. 336. 11 Ebd., 4. Kap., II., S. 344. 12 Vgl. oben IV, 3. 13 Vgl. oben IV, 4. Und sofern die betreffende Person „nicht wertblind ist“ 10 , sie die Idee der vollkommenen Gemeinschaft der Kirche vielmehr zu erfassen vermag, kann sie in ihr die lebensvolle Erfahrung der Verbundenheit mit allen ihren Gliedern aufgrund „dem objektiven Zugeordnetsein auf Gott“ 11 machen. Und auch wenn von Hildebrand die Realsetzung der Idee der Kirche aus methodischen Gründen der Intention der Glieder überlässt, so gibt es dennoch verschiedene philoso‐ phische Gründe, die Gliedschaft an der Kirche als höchstes objektives Gut für die Person zu begreifen. 12 Das höchste objektive Gut für die Person, ebenso wie auch alle anderen objektiven Güter für die Person, liegt auf der Sinnlinie der menschlichen Existenz, auf der sich letzten Endes die Frage nach der Ewigkeit stellt. Während von Hildebrand die postmortale Existenz der menschlichen Person wesentlich mit ihrer Geistigkeit und ihrer Fähigkeit verbunden sieht, mit der transzendenten Wahrheit und der Welt der Werte in Beziehung zu treten, so findet die Person ihren letzten Zielpunkt in der Erfüllung der metaphysischen Gebührensbeziehung von Lohn und Strafe. Wodurch die Werte ihre volle reale Gültigkeit erhalten und Gott selbst sich als Inbegriff aller Werte zu erkennen gibt, der allem Gerechtigkeit widerfahren lässt und eine letzte kosmische Har‐ monie begründet. 13 5 Zusammenfassung 391 <?page no="393"?> V S CHLUSS <?page no="395"?> 1 F R A N K L , Sinn als anthropologische Kategorie, S. 33. (s. Quellen- und Literaturverzeichnis zu Abschnitt I) 2 K A N T , Kritik der reinen Vernunft, B 833, S. 838. (s. Quellen- und Literaturverzeichnis zu Abschnitt I) Aus verschiedenen Perspektiven wurde auf den vergangenen Seiten versucht, das Phänomen der Religion in den Blick zu bekommen und das in der Einleitung angesprochene Forschungsziel zu erreichen. Immer wieder hat sich dabei ge‐ zeigt, dass und warum die lebendige Verbindung des Menschen mit Gott ver‐ nünftig ist. In einem ersten Schritt konnte auf der Grundlage der einschlägigen Arbeiten Dietrich von Hildebrands der Nachweis erbracht werden, dass der Rahmen des vom Menschen Erfahr- und Erkennbaren nicht auf den immanenten Bereich des sinnlich Wahrnehmbaren beschränkt ist, er diesen Rahmen vielmehr zu transzendieren und Wissen über metaphysische Objekte zu erlangen vermag (vgl. Abschnitt I). Wozu aber solches Wissen erlangen? Vielleicht um die grossen Fragen des menschlichen Lebens beantworten und über den Sinn des Lebens ins Reine kommen zu können? Jedenfalls setzt jede Therapie die Diagnose der zu behan‐ delnden Krankheit voraus. Die „massenneurotische Malaise“ 1 des existentiellen Vakuums der Sinnlosigkeit ist in dieser oder jener Hinsicht auf die Nichtbeant‐ wortung der drei Fragen zurückzuführen, in denen sich nach Kant alles Interesse der Vernunft vereinigt: „1. Was kann ich wissen? 2. Was soll ich tun? 3. Was darf ich hoffen? “ 2 Mit diesen Fragen ist die menschliche Existenz in ihren wesentli‐ chen Bezügen bezeichnet. Es sind Fragen, die die Menschen zu allen Zeiten be‐ schäftigen und für deren erhoffte Beantwortung sie sich seit jeher der Religion zuwenden. Wie gesehen, hatte Kant die Weichen in methodischer Hinsicht so gestellt, dass er die religiösen Überzeugungen alleine kraft des Glaubens, nicht aber aus vernünftiger Einsicht kognitiv zu rechtfertigen versuchte. Auf der Basis der Differenzierung zwischen einer begrifflichen und einer realen Zustim‐ mung, wie John Henry Newman sie eingeführt hat, vermochte Dietrich von Hildebrand demgegenüber zu zeigen, einerseits, dass der Glaube und die Ver‐ nunft sich gegenseitig nicht ausschliessen, sondern sich mitunter vielmehr ge‐ genseitig bedingen, andererseits, dass die primäre religiöse Überzeugung der Existenz Gottes erfahrungsgestützt als vernünftig erwiesen werden kann. Er vermochte zu zeigen, dass Gott, der transzendente Bezugspunkt der Religion, <?page no="396"?> notwendigerweise real existiert und als solcher von der menschlichen Person mit Gewissheit erkannt werden kann (vgl. Abschnitt II ). Da der Begriff der Religion für die lebendige Verbindung des Menschen mit Gott steht, war nach dem Aufweis der Vernünftigkeit der religiösen Überzeu‐ gung von der Existenz Gottes, des ersten Partners im Dialog der Religion, das Wesen der menschlichen Person als des zweiten Partners zu untersuchen: Ist die menschliche Person zu diesem Dialog überhaupt disponiert, und wenn ja, wo‐ durch? Als freie Person mit den ihr eigenen geistigen Vermögen des Denkens, Fühlens und Wollens zeigt sich ihre Kompatibilität mit dem Wesen Gottes vor allem an ihrer Fähigkeit, sich dem Wesen Gottes anzugleichen. Was in vorzüg‐ licher Weise auf dem Wege der Moral geschieht, denn da die höchsten morali‐ schen Werte (Liebe, Gerechtigkeit usw.) mit Gott identisch sind, ist die auf der Basis einer erkenntnismässigen adaequatio intellectus ad rem sich ereignende adaequatio voluntatis et cordis ad valorem zugleich eine Antwort auf Gottes Sosein selbst. Doch wird die Person, wie von Hildebrand gleichfalls zu zeigen vermochte, nicht nur von dem wertsuchenden und wertantwortenden Zentrum zur Hinwendung zu Gott motiviert, sondern in ihr gründen nebstdem auch zwei davon grundlegend verschiedene motivationale Kräfte. Es sind die Zentren in der Person, die sie einerseits die Dinge erstreben lassen, die nur für sie selbst von Bedeutung sind und die sie sogleich auf die Dinge eingrenzen, die ihrem Hochmut oder ihrer Begehrlichkeit schmeicheln. Es sind aber auch Motivati‐ onsgründe, die die Person in sich selbst zu verkrampfen drohen und das Tran‐ szendieren ihrer selbst bebzw. verhindern. In dieser Situation ist der postmo‐ derne Mensch besonders anfällig für die unheilvollen Versprechungen der Selbstverwirklichung, der Drogen usw. Womit er aber auch den Zugang zu einem Erleben des wahren Sinns und Glücks erschwert und sie ihn letztlich in die unheilvolle Dynamik ziehen, die die menschliche Existenz in eine Sinnkrise stürzen lässt. Aus der nur herausführt, was nicht nur für die eigene Person, sondern was als in und an sich Wichtiges und Bedeutsames erstrebt und ange‐ messen beantwortet wird (vgl. Abschnitt III ). Dass die Verbindung zwischen Mensch und Gott keine subjektiv konstituierte ist, zeigte sich an ihrer Intelligibilität, die unter verschiedenen Gesichtspunkten ans Licht gehoben wurde. Erinnert sei nebst der religiösen Kontemplation bei‐ spielsweise an die religiösen Akte der Reue oder in gewisser Hinsicht auch der Dankbarkeit, die in ihrer Intelligibilität die Existenz Gottes voraussetzen. Die daraufhin unternommene Untersuchung der Religion als einer mit Leben ge‐ füllten Realität legte auf Seiten der menschlichen Person offen, dass die Religion mit der freien Stellung zu den Werten und damit letztlich zum Inbegriff aller Werte, zur absoluten und vollkommenen Person steht und fällt. In diesem Dialog 396 <?page no="397"?> kommt es im eigentlichen Sinn zur Transzendenz des eigenen Ich auf das ab‐ solute Du Gottes. Wie von Hildebrand auf nachvollziehbare Weise zu zeigen wusste, ist die menschliche Person eingebettet in ein gegen- und wechselseitiges Verhältnis mit Gott, bei dem jede entschiedenere Bejahung der Werte die Be‐ dingung für ein tieferes Erkennen darstellt, das seinerseits zu einer noch ent‐ schiedeneren Bejahung der Werte und einer stetig zunehmenden Verähnlichung (similitudo) mit Gott beiträgt. Und nur in dieser Bejahung und Hingabe an die sich in den transzendenten Werten und Gütern sich manifestierende absolute Person Gottes findet der Mensch den Sinn und das Glück, dessen er existentiell so notwendig bedarf. Wie sich im Verlauf der Untersuchung verfolgen liess, leitete von Hildebrand der Gedanke der Unmittelbarkeit des Kontaktes nicht nur mit dem sinnlich erfahrbaren, sondern auch mit dem intelligiblen Gegenstand, bei der das Korrelat erfahren, erlebt und bisweilen auch gefühlt werden kann. In ethischer Hinsicht verband er diese Einsicht mit dem Prinzip der Angemes‐ senheit (adaequatio), von ihr machte er die Annäherung an Gott bis hin zur Verähnlichung mit ihm abhängig. Die menschliche Person ist in diesem Dialog aufgerufen, das objektiv Wertvolle, das ihm in vielerlei Gestalt begegnet, ange‐ messen zu beantworten, was getan zu haben sein göttliches Gegenüber ihn da‐ durch erfahren lässt, dass es ihn in superabundanter Weise beglückt. Ein Glück, das Gott den Menschen gerade auch dann verspüren lässt, wenn er die Werte mit dem Affekt der Freude beantwortet. Wie diese Freude ihn aktuell erfüllt, so kommt es über die freie Bejahung dieser Freude und ihres Grundes zu einer geschenkhaften Umwandlung der Person. Überdies eröffnet der Dialog mit der vollkommenen Person eine in die Ewigkeit reichende Weite und lässt die menschliche Person schon hic et nunc ein Glück und einen Sinn verspüren, den das bloss subjektiv Befriedigende nicht gewährt und wesensmässig nicht ge‐ währen kann (vgl. Abschnitt IV ). Alle diese religiösen Überzeugungen münden letztlich in die umfassende Überzeugung von einem religiösen Dialog, der sich dann und in dem Masse entwickelt, in dem der Mensch sich den Werten und damit dem Worte Gottes öffnet und sein Wollen und Verhalten dem angleicht, wodurch auch Gott selbst wiederum dem Menschen sein Wohlwollen entgegenbringt, was der Mensch in seinem Innern zu verspüren vermag, indem er auf die Äusserungen Gottes nun umso bereitwilliger antwortet und seine Forderungen immer entschiedener zu verwirklichen sucht. Indem die menschliche Person sich der göttlichen Person in Freiheit und mit allen ihren geistigen Kräften öffnet, gibt Gott ihr in gewissem Sinne Anteil an seinem eigenen Leben, wodurch es zu einem Wachstum und zu einer Seinssteigerung kommt, welche in der Zeit als Sinn und Glück erfahren werden kann, nach dem Tode aber ihre sinnvolle Fortsetzung in einem ewigen 397 <?page no="398"?> 3 Zum Verhältnis zwischen den rein menschlichen Tugenden (gemischte Vollkommen‐ heiten) und den göttlichen Tugenden (reine Vollkommenheiten) vgl. oben II, 4.4 - „Die reinen Vollkommenheiten als Gültigkeitsgrund des ontologischen Arguments“ sowie II, 4.5 - „Dietrich von Hildebrands implizite Bejahung des ontologischen Arguments“. Leben findet. Sofern der Mensch in diesen Dialog mit der absoluten und voll‐ kommenen Person Gottes eintritt, wird die in der Einleitung erwähnte Mög‐ lichkeit zu einer sinnerfüllten Wirklichkeit. Wenn das Forschungsziel in dem Masse auch als erreicht betrachtet werden darf, in dem es in der Einleitung skizziert wurde, so kommt das vertiefte Durch‐ dringen des Vollkommenen dennoch an kein Ende, ja kann es wesentlich nicht kommen. Das Hauptgewicht lag auf diesen Seiten aber auch nicht auf dem al‐ leinigen Versuch einer Erhellung des Wesens Gottes. Das primäre Interesse galt vielmehr der Religion als einem Dialog zwischen Mensch und Gott, und von da her der Frage, ob von diesem Dialog erwartet werden kann, dass er die ent‐ scheidenden Fragen des Menschen zu beantworten, sein Bedürfnis nach Trans‐ zendenz zu befriedigen und sein Leben sinnvoll zu gestalten vermag. Diese Frage im Rahmen einer Dissertation auf der Basis der Beiträge von Dietrich von Hil‐ debrand abschliessend zu beantworten, kann nicht erwartet werden, doch möge diese Arbeit immerhin insofern ein Beitrag zur Wissenschaft sein, als sie die Grundlage für weitere Studien zur Philosophie der Religion bei Dietrich von Hildebrand bildet. Welches aber sind die Beiträge zur Philosophie der Religion bei Dietrich von Hildebrand, die im Rahmen dieser Arbeit erbracht werden konnten? An dieser Stelle sei ein Beitrag besonders herausgehoben, der spätestens seit Seiferts phä‐ nomenologischer Neubegründung des ontologischen Arguments überfällig war, nämlich die Überwindung der Zurückweisung dieses Arguments durch Dietrich von Hildebrand. Durch die Herausarbeitung der Merkmale der reinen Vollkom‐ menheiten als den Bedingungen eines jeden anthropomorphismusfreien Redens von Gott und ihres Vergleichs mit den Werten hat sich eindeutig gezeigt, dass insbesondere die sittlichen Werte, die von Hildebrand als die wichtigsten und die zentralsten bezeichnete - bis auf bestimmte spezifisch kreatürliche, wie bei‐ spielsweise die Bescheidenheit 3 - reine Vollkommenheiten sind. Auf ihrer und nur auf ihrer Basis kann begründet werden, dass und warum die reale Existenz im Falle des id quo maius nihil cogitari possit notwendig zu dessen Wesen gehört und aus ihm sozusagen herausgelesen werden kann. Von wo her von Hilde‐ brands Aussage, dass Gottes notwendige reale Existenz nicht aus seiner We‐ senheit allein erkannt werden könne, mit seiner Wertphilosophie zusammen‐ gedacht und auf dieser Basis in einem neuen Lichte gelesen werden muss. 398 <?page no="399"?> Literaturverzeichnis Verwendete Werke Dietrich von Hildebrands Die verwendeten Werke von Hildebrands werden in diesem Verzeichnis in deutschsprachigen Ausgaben angeführt. Sofern es sich dabei nicht um die erste Auflage handelt, wird diese in Klammern gesetzt, und sofern es sich um eine Übersetzung handelt, werden die englischsprachige Erstausgabe sowie der Übersetzer benannt. Die Werke von Hildebrands sind alphabetisch geordnet, entsprechend dem ersten Wort, das kein Artikel ist; und sollte dies zur alpha‐ betischen Einordnung noch nicht hinreichen, so entsprechend dem erstfol‐ genden Wort, das die alphabetische Einordnung ermöglicht. Ästhetik, 1. Teil, in: Dietrich von H I L D E B R A N D , Gesammelte Werke, Bd. V. Regens‐ burg / Stuttgart: Habbel / Kohlhammer, 1977. Ästhetik, 2. Teil. Nachgelassenes Werk, in: Dietrich von H I L D E B R A N D , Gesammelte Werke, Bd. VI. Regensburg / Stuttgart: Habbel / Kohlhammer, 1984. „Die Bedeutung der Ehrfurcht in der Erziehung“, in: Dietrich von H I L D E B R A N D , Gesam‐ melte Werke, Bd. VII, Idolkult und Gotteskult. Regensburg / Stuttgart: Habbel / Kohl‐ hammer, 1974, S. 365-374 (zuerst erschienen unter dem Titel: „The Role of Reverence in Education“, in: D E R S ., The New Tower of Babel. New York: Kenedy & Sons, 1953, pp. 167-179; deutsche Übersetzung von Karla M E R T E N S ). „Causality“, Unveröffentlichter handschriftlicher Nachlass, autorisierte Kopie, IAP-Ar‐ chiv, Mappe 2. Christliche Ethik. Düsseldorf: Patmos, 1959 (zuerst erschienen unter dem Titel: Christian Ethics. New York: David McKay, 1952; deutsche Übersetzung von Karla M E R T E N S ). „Das Chaos der Zeit und die Rangordnung der Werte“, in: Dietrich von H I L D E B R A N D , Memoiren und Aufsätze gegen den Nationalsozialismus 1933-1938. Mit Alice von H I L‐ D E B R A N D und Rudolf E B N E T H herausgegeben von Ernst W E N I S C H . Mainz: Mat‐ thias-Grünewald, 1994, S. 184-190 (zuerst erschienen in der österreichischen Wo‐ chenschrift „Der Christliche Ständestaat“, 7. Januar 1934, S. 3-6). „Das Cogito und die Erkenntnis der realen Welt. Teilveröffentlichung der Salzburger Vorlesungen Hildebrands: ‚Wesen und Wert menschlicher Erkenntnis‘“, in: Josef S E I‐ F E R T (Ed.), ALETHEIA. An International Yearbook of Philosophy. Volume VI, Theory of Knowledge and Ethics. Bern: Peter Lang, 1994, S. 2-27. „Die drei Grundformen menschlicher Teilhabe an den Werten“, in: Dietrich von H I L D E‐ B R A N D , Gesammelte Werke, Bd. VIII, Situationsethik und kleinere Schriften. Regens‐ <?page no="400"?> burg / Stuttgart: Habbel / Kohlhammer, 1973, S. 167-194 (zuerst erschienen unter dem Titel: „The Modes of Participation in Value“, in: International Philosophical Quarterly, Fordham University New York. Vol. I, Nr. 1, 1961, pp. 58-84; deutsche Übersetzung von Karla M E R T E N S ). „Die Entthronung der Wahrheit“, in: Dietrich von H I L D E B R A N D , Gesammelte Werke, Bd. VII, Idolkult und Gotteskult, zit., S. 309-339 (zuerst erschienen unter dem Titel: „The Dethronement of Truth“, in: D E R S ., The New Tower of Babel, zit., pp. 57-100; deutsche Übersetzung von Josef H A B B E L jun.). Die Enzyklika „Humanae Vitae“ - ein Zeichen des Widerspruchs. Regensburg: Habbel, 1968. „Freedom of Will“, Unveröffentlichter hand- und teilweise auch maschinenschriftlicher Nachlass, autorisierte Kopie, IAP-Archiv, Mappe 249. „Die Gefahr der sittlichen Abstumpfung“, in: Dietrich von H I L D E B R A N D , Memoiren und Aufsätze gegen den Nationalsozialismus 1933-1938, zit., S. 287-290 (zuerst erschienen in der österreichischen Wochenschrift „Der Christliche Ständestaat“, 10. November 1935, S. 1071-1072). „Die geistigen Formen der Affektivität“, in: Dietrich von H I L D E B R A N D , Gesammelte Werke, Bd. VIII, Situationsethik und kleinere Schriften, zit., S. 195-208 (1. Aufl. in: Philoso‐ phisches Jahrbuch der Görresgesellschaft 68 [1960], S. 180-190). „Die geistige Krise der Gegenwart im Lichte der katholischen Weltanschauung“, in: Diet‐ rich von H I L D E B R A N D , Memoiren und Aufsätze gegen den Nationalsozialismus 1933-1938, zit., S. 333-339 (zuerst erschienen in der österreichischen Wochenschrift „Der Christliche Ständestaat“, 11. Oktober 1936, S. 971-974). „Gibt es eine Eigengesetzlichkeit in der Pädagogik? “, in: Dietrich von H I L D E B R A N D , Ge‐ sammelte Werke, Bd. VII, Idolkult und Gotteskult, zit., S. 375-397 (zuerst erschienen in: D E R S ., Zeitliches im Lichte des Ewigen. Regenburg: Habbel, 1932, S. 223-259; 2. Aufl. in: D E R S ., Die Menschheit am Scheideweg. Regensburg: Habbel, 1955, S. 158-187). „Der heilige Franziskus“, in: Dietrich von H I L D E B R A N D , Die Menschheit am Scheideweg, zit., S. 496-515. „Heiligkeit und Tüchtigkeit“, in: Dietrich von H I L D E B R A N D , Heiligkeit und Tüchtigkeit - Tugend heute. 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London: Oxford University Press, 1932, pp. 197-224; deutsche Übersetzung von Karla M E R T E N S ). „Idol und Ideal“, in: Dietrich von H I L D E B R A N D , Memoiren und Aufsätze gegen den Natio‐ nalsozialismus 1933-1938, zit., S. 213-219 (zuerst erschienen in der österreichischen Wochenschrift „Der Christliche Ständestaat“, 20. Mai 1934, S. 3-6). „Der Kampf um die Person“, in: Dietrich von H I L D E B R A N D , Memoiren und Aufsätze gegen den Nationalsozialismus 1933-1938, zit., S. 191-197 (zuerst erschienen in der österrei‐ chischen Wochenschrift „Der Christliche Ständestaat“, 14. Januar 1934, S. 3-6). Das katholische Berufsethos. Augsburg: Haas und Grabherr, 1931. „Legitime und illegitime Formen der Beeinflussung“, in: Dietrich von H I L D E B R A N D , Ge‐ sammelte Werke, Bd. VIII, Situationsethik und kleinere Schriften, zit., S. 221-259 (1. Aufl. in: D E R S ., Die Menschheit am Scheideweg, zit., S. 355-405). „Liturgie und Persönlichkeit“, in: Dietrich von H I L D E B R A N D , Gesammelte Werke, Bd. VII, Idolkult und Gotteskult, zit., S. 191-297 (1. Aufl. Salzburg: Pustet, 1933). „Max Scheler als Ethiker“, in: Dietrich von H I L D E B R A N D , Die Menschheit am Scheideweg, zit., S. 587-605. „Max Scheler als Persönlichkeit“, in: Dietrich von H I L D E B R A N D , Die Menschheit am Schei‐ deweg, zit., S. 622-639. „Max Schelers Stellung zur katholischen Gedankenwelt“, in: Dietrich von H I L D E B R A N D , Die Menschheit am Scheideweg, zit., S. 605-622. „Die Menschheit am Scheideweg“, in: Dietrich von H I L D E B R A N D , Die Menschheit am Scheideweg, zit., S. 251-268. Metaphysik der Gemeinschaft. Untersuchungen über Wesen und Wert der Gemeinschaft. 2. Auflage. Regensburg: Habbel, 1955 (1. Aufl. Augsburg: Haas & Grabherr, 1930). Moralia. Nachgelassenes Werk, in: Dietrich von H I L D E B R A N D , Gesammelte Werke, Bd. IX. 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St. Ottilien: EOS, 1992 (zuerst erschienen in: Dietrich von H I L D E B R A N D , Die Menschheit am Scheideweg, zit., S. 534-555). „Philosophy of Being“, Unveröffentlichter handschriftlicher Nachlass, autorisierte Kopie, IAP-Archiv, Mappe 3. Reinheit und Jungfräulichkeit. 3. Auflage. Einsiedeln: Benziger, 1950 (1. Aufl. Köln u. a.: Oratoriums Verlag, 1927). „Religionsphilosophie“, Unveröffentlichter handschriftlicher Nachlass, autorisierte Kopie, IAP-Archiv, Mappe 83. „Religion und Sittlichkeit“, in: Dietrich von H I L D E B R A N D , Die Menschheit am Schei‐ deweg, zit., S. 35-60 (zuerst erschienen in: D E R S ., Zeitliches im Lichte des Ewigen, zit., S. 99-132). „Die Rolle des ‚objektiven Gutes für die Person‘ innerhalb des Sittlichen“, in: Dietrich von H I L D E B R A N D , Die Menschheit am Scheideweg, zit., S. 61-85 (zuerst erschienen in: Philosophia Perennis. Festgabe für Josef Geyser zum 60. Geburtstag. Hrsg. von Fritz-Jo‐ achim von Rintelen. Band II, Abhandlungen zur systematischen Philosophie. Regens‐ burg: Habbel, 1930, S. 973-995). „Die Schönheit im Lichte der Erlösung“, in: Dietrich von H I L D E B R A N D , Die Menschheit am Scheideweg, zit., S. 422-438. „Selbstdarstellung“, in: Philosophie in Selbstdarstellungen. Herausgegeben von Ludwig J. P O N G R A T Z . Band II. Hamburg: Meiner, 1975, S. 77-127. Der Sinn philosophischen Fragens und Erkennens. Bonn: Peter Hanstein, 1950. Sittliche Grundhaltungen. 4. Auflage. Regensburg: Habbel, 1969 (1. Aufl. Mainz: Mat‐ thias-Grünewald, 1933). Sittlichkeit und ethische Werterkenntnis. Eine Untersuchung über ethische Strukturpro‐ bleme. 3. Auflage. Vallendar-Schönstatt: Patris, 1982 (1. Aufl. Halle: Niemeyer, 1922). „Die Stellung der Wahrheitserkenntnis im Leben der Menschen“, in: Salzburger Hoch‐ schulalmanach (1934 / 35), S. 29-36. „Substitute für wahre Sittlichkeit“, in: Dietrich von H I L D E B R A N D , Gesammelte Werke, Bd. 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Nachgelassene Schrift. St. Ottilien: EOS, 1980. Über das Herz. Zur menschlichen und gottmenschlichen Affektivität. Regensburg: Habbel, 1967 (zuerst erschienen unter dem Titel: The Sacred Heart. An analysis of human and divine affectivity. Baltimore: Helicon Press, 1965; deutsche Übersetzung von Karla M E R T E N S [erster und dritter Teil] und Dietrich von H I L D E B R A N D [zweiter Teil]). Über den Tod. Nachgelassene Schrift. St. Ottilien: EOS, 1980. Die Umgestaltung in Christus, in: Dietrich von H I L D E B R A N D , Gesammelte Werke, Bd. X. Regensburg / Stuttgart: Habbel / Kohlhammer, 1971 (1. Aufl. Einsiedeln-Köln: Benziger & Co., 1940). „Die Unsterblichkeit der Seele“, in: Dietrich von H I L D E B R A N D , Gesammelte Werke, Bd. VII, Idolkult und Gotteskult, zit., S. 301-308 (zuerst erschienen in: D E R S ., Zeitliches im Lichte des Ewigen, zit., S. 9-22 und in: D E R S ., Die Menschheit am Scheideweg, zit., S. 25-34). Der verwüstete Weinberg. Feldkirch: Lins, 1972. „Wahre Sittlichkeit und Situationsethik“, in: Dietrich von H I L D E B R A N D , Gesammelte Werke, Bd. VIII, Situationsethik und kleinere Schriften, zit., S. 7-164. Was ist Philosophie? , in: Dietrich von H I L D E B R A N D , Gesammelte Werke, Bd. I., Regens‐ burg / Stuttgart: Habbel/ Kohlhammer, 1976 (zuerst erschienen unter dem Titel: What is Philosophy? Milwaukee: Bruce, 1960; deutsche Übersetzung von Karla M E R T E N S und Fritz W E N I S C H ). „Die Weltkrise und die menschliche Person“, in: Dietrich von H I L D E B R A N D , Die Mensch‐ heit am Scheideweg, zit., S. 233-250 (zuerst veröffentlicht in Thought, New York 1941, pp. 457-472; aus dem Englischen übersetzt von Karla M E R T E N S ). Das Wesen der Liebe, in: Dietrich von H I L D E B R A N D , Gesammelte Werke, Bd. III. Regens‐ burg / Stuttgart: Habbel / Kohlhammer, 1971. „Zum Wesen der Strafe“, in: Dietrich von H I L D E B R A N D , Gesammelte Werke, Bd. 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Auf der Grundlage der Übersetzung von Eugen R O L F E S herausgegeben von Günther B I E N . 4., durchgesehene Auflage. Hamburg: Meiner, 1985 (da die Seiten-, Kolumnen- und Zeilenangabe, nach der Aristoteles heute international zitiert wird, nach dieser Ausgabe nicht möglich ist, wird hierfür auf die Ausgabe zurückgegriffen, die besagter Angabeweise zugrunde liegt: Aristotelis Opera. Ex recensione Immanuelis Bekkeri edidit Academia Regia Borussica. 5 Bde. Berlin: Reimer, 1831-1870, Bd. 2, S. 1094-1181). A U G U S T I N U S , De trinitate libri XV. (s. Quellen- und Literaturverzeichnis zu Abschnitt II) B E X T E N , Raphael E., Erkenntnis von Personsein. Überlegungen zum Mysterium der „Person“. Heiligenkreuz: Be&Be, 2013. B O E T HI U S (B O È C E ), Anicius Manlius Severinus, Opuscula sacra. Volume 2. De sancta tri‐ nitate, De persona et duabus naturis (Traités I et V). Texte latin de l’edition de Claudio Literaturverzeichnis 420 <?page no="421"?> M O R E S C HI N I . 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Quellen- und Literatur‐ verzeichnis zu Abschnitt I) Quellen- und Literaturverzeichnis zu Abschnitt IV 423 <?page no="424"?> -, Schuld und Sühne. Übersetzt von Hermann R ÖH L , Nachwort von Birgit H A R R E S S . Stutt‐ gart: Reclam, 2005. F E R B E R , Rafael, Philosophische Grundbegriffe 1. Eine Einführung. (s. Quellen- und Litera‐ turverzeichnis zu Abschnitt II) F E U E R B A C H , Ludwig, Grundsätze der Philosophie der Zukunft. (s. Quellen- und Literatur‐ verzeichnis zu Abschnitt II) -, Das Wesen des Christentums. (s. Quellen- und Literaturverzeichnis zu Abschnitt II) -, Das Wesen des Glaubens im Sinne Luthers. (s. Quellen- und Literaturverzeichnis zu Abschnitt II) F O S T E R , Claude R., Brigitte O T T E R P O H L , Maximilian Kolbe. „Hass ist nicht schöpferisch, nur die Liebe ist es.“ Görlitz: Oettel, 2012. F R E U D , Sigmund, „Abriss der Psychoanalyse“, in: D E R S ., Gesammelte Werke, Bd. XVII. 5. Auflage. 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Quellen- und Literaturverzeichnis zu Abschnitt I) Nebst der Übersetzung von Friedrich Schleiermacher wurde auch zurückgegriffen auf die Übersetzung von Otto Apelt in: P L AT O N , Sämtliche Dialoge. Hamburg: Meiner, 2004, Bd. II, S. 1-133. -, „Phaidros“. (s. Quellen- und Literaturverzeichnis zu Abschnitt I) -, „Politeia“. (s. Quellen- und Literaturverzeichnis zur Einleitung) -, „Des Sokrates Verteidigung“, in: D E R S ., Werke in acht Bänden, zit., Band 2, S. 2-68. -, „Symposion“, in: D E R S ., Werke in acht Bänden, zit., Band 3, S. 210-392. -, „Theaitetos“, in: D E R S ., Werke in acht Bänden, zit., Band 6, S. 3-217. -, „Timaios“. (s. Quellen- und Literaturverzeichnis zu Abschnitt II) P L O T I N , Enneade I 6, 9, in: Plotins Schriften. Übersetzt von Richard H A R D E R . Neubearbei‐ tung mit griechischem Lesetext und Anmerkungen. Band I: Die Schriften 1-21 der chronologischen Reihenfolge. a) Text und Übersetzung. Hamburg: Meiner, 1956, S. 22-25. 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Abbild Gottes ( imago Dei ) 362 Abglanz 119, 354, 357, 361, 384 Abstumpfung 291, 338, 358, 400 absurd 89, 142, 190, 326 Absurdität 233, 384 affektive Antworten 208, 211, 239 f. Affektivität 74, 206 ff., 210, 322, 400, 403 Affiziertwerden 117, 194, 209, 239, 352, 363 Ahnen 141 aktuell 30, 91, 258, 282, 296, 321, 397 Allgemeingültigkeit 77, 306 Allmacht 136 f., 159, 161 analytisch 52, 67, 69, 86 Anamnesis (Wiedererinnerung) 51 Anaxagoras 183 Anbetung 214, 331, 353, 355, 357, 361, 363 Anerkennen 327, 330, 334, 336, 338 Anselm von Canterbury 35, 42, 124-129, 131, 133 f., 137, 161, 173, 301, 414, 416, 418, 423, 428 Anthropologie 147, 271, 296, 426 Anthropologismus 43 anthropomorph 127 anthropomorphen Begriff 133 Anthropomorphismen 136, 146 Anthropomorphismus 146, 153 anthropomorphismusfrei 270 antithetischer Unwert 112 Antwort theoretische 31, 35, 61, 110, 141, 156, 158, 166, 173, 175 ff., 205, 207 f., 211, 216, 227, 229, 235 ff., 239 ff., 244, 247 f., 253-256, 262, 265, 268 f., 277, 282 ff., 287, 295 f., 302, 312 f., 317-320, 323 f., 330, 334 ff., 339 ff., 347 f., 350, 352, 354 f., 357, 359 ff., 363 f., 370-374, 380, 384 ff., 389, 396 Antworten 28, 32, 113, 189, 207-211, 217, 231, 236, 239 f., 242, 248, 253-257, 266, 268 f., 278, 289, 295, 304, 307, 321, 327, 339, 348, 357, 383, 386 Antworten auf individuelle Güter 248, 253, 289, 321 Apersonale das 107, 332 Apersonales 106, 194, 332, 354 apodiktisch 68, 170 Aporien 140, 261, 421 Aposteriori 51 a posteriori 66 f., 86 appetitus 213 f., 344, 355, 375 Apriori 46, 51, 66, 81, 131 a priori 45, 63 f., 66-69, 86, 133, 162, 245, 303, 306, 341 Apriorität 83 Äquivokation 77, 168, 186, 189, 264, 320, 326 archimedische Punkt 90, 155 Archimedischer Punkt 35, 47, 87 Argument 38, 71, 86 f., 101 ff., 105, 122-125, 127 ff., 131 ff., 137 f., 140, 142, 144, 149, 160, 165, 177, 190, 193-196, 204, 298 f., 329, 340, 385 Aristoteles 22, 40 ff., 86, 102, 131, 167, 185, 200, 216 f., 223 f., 226, 230 ff., 258, 319, 352, 407 f., 412, 414, 420, 423 Assoziationen 63, 219 Augustinus 35, 37, 41 f., 47, 52, 59, 74, 87, 124, 131, 134 f., 151, 156, 173 ff., 187, 199, 202, 206 f., 231, 262, 267, 286, 299, 324, 352, 404, 407, 411 f., 414, 419 f., 423 Axiom 65, 153, 287 <?page no="430"?> 430 Register Bacon, Francis 21, 59, 64, 183, 407, 413, 415 Barmherzigkeit 139, 152, 161, 251, 300, 323 Bedeutsamkeit 78, 110 f., 116, 118, 122, 138, 184, 209, 214-217, 225 f., 228, 230 f., 235, 238, 243, 254 f., 264, 268 f., 276, 300, 304, 308, 326, 329, 333, 351, 354, 362, 389 Bedeutungsgebung 22, 164 Bedürfnis 26, 28, 31 f., 38, 70, 73 f., 175, 213 ff., 337, 344, 398 Bedürfnispyramide 26 Beethoven, Ludwig van 119 Begrenztheit 139, 195, 300 Begriff 21, 29, 33, 40, 63, 67, 69, 82, 85, 109 f., 114, 118, 126, 129, 131 ff., 136, 160, 163, 165, 171, 173, 185, 192, 196, 199, 201, 203, 219, 223, 225, 230, 238, 261, 264, 267, 282, 284, 306, 312, 322, 325, 342, 349, 355 f., 369, 396, 415 f., 424 f. Begründung 46 f., 55, 69 f., 73, 83, 93, 99, 103 f., 131, 150, 153 f., 158 f., 162, 170, 176, 191, 193, 195, 197, 202, 222, 268, 300, 306, 311 f., 335, 346 f., 369, 378, 405 f., 416 Behaupten 169, 171 Bentham, Jeremy 221 Beobachtungen 22, 54, 105, 121, 164, 177 Bescheidenheit 139, 195, 323, 335, 398 beten 169, 274 Beweis 71, 93, 95, 102 f., 128, 135, 147, 151, 177, 184, 193 f., 286, 340 Bewusstsein 40, 45 f., 79, 87, 91, 151, 155, 159 f., 177, 184-189, 196, 199, 201 f., 207, 222, 229, 241, 264, 267, 282 f., 298, 311, 327, 333, 336, 339, 353, 359, 389, 415 Bewusstsein von 189 Biagetti, Alessandro 57, 407 Blechschmidt, Erich 181, 415 Blondel, Maurice 121, 177, 415 Boethius 124, 199 ff., 262, 267, 415, 420 Bolzano, Bernard 41, 408 Bonaventura 35, 160, 207, 415 Böse, das 139 f., 144, 232, 249, 291, 294, 299 f., 373, 386 Botschaft 93 f., 118 f., 194, 226, 275 f., 354 Brentano, Franz 40 f., 408 Buber, Martin 174 caritas 344, 368, 370 ff., 374 f. Clayton, Philip 185 f., 415 Condillac, Étienne Bonnot de 148 f., 415 Cuttat, Jacques-Albert 56 f., 408 Dankbarkeit 227, 335-341, 389, 396, 403, 428 Dankesschuld 337 Darwin, Charles 177, 180 f., 419 Dawkins, Richard 176-180, 182, 196, 415 Deduktion 349 Definition 29, 43, 59, 71 f., 82, 102, 148, 199 ff., 225, 267, 279 Deisten 149 Demut 113, 120, 139, 195, 219, 229, 249 f., 253, 257, 292, 322 f., 327, 330-336, 340 f., 383 Dennett, Daniel 261 f., 421 deontologische Sollensethik 302 Desavouieren 327 Descartes, René 42, 47, 51 f., 65, 77, 81, 87, 107, 181, 187, 353, 408, 412, 415, 423 dialektisches Verhältnis 360 Dialog mit Gott 34, 273 Disharmonie 113, 277, 328, 387 Disposition 340 Dissens 301 Dostojewski, Fjodor 78 f., 278 f., 281, 285, 298, 309, 327, 412, 423 Dualismus 186 f. Duns Scotus, Johannes 134 f., 161, 173, 203, 415 f. Egoismus 355, 370, 376, 390 Ehrfurcht 241, 249, 256, 317-320, 340, 399 ehrfürchtigen, demütigen, liebenden Zen trum 249, 325 Ehrfurchtslosigkeit 318 f. <?page no="431"?> Register 431 Eigenleben 369, 374 f. Einfachheit 121, 177, 190, 323 Einheit 27, 30, 37, 53 ff., 79 ff., 89, 118, 121 f., 135, 139, 142 f., 156, 161, 175, 186 f., 189 f., 208, 295, 300, 311, 326, 341, 344, 367, 372, 378 Einheiten, chaotische, zufällige, morphische 44, 53 ff., 79 ff., 86, 89, 97, 103, 131, 157, 279, 326, 341 Einheitlichwerden 351 Einsicht 36, 46 f., 52, 55, 57, 66, 71, 81, 85, 89, 95, 101, 103, 107, 142, 160, 163, 167, 173, 181, 193, 202, 227, 237, 260, 269 f., 290, 293, 302, 310, 380, 388, 395, 397, 414, 416 Eitelkeit 250, 331 Emergenz 185 f., 415 ff., 419 Empedokles 153, 287 Empirie 165 Empirismus 22, 65 f., 167 Entpersonalisierung 332 Epiphänomen 22, 184, 188 f., 191 Epiphänomenalismus 184, 186 ff., 190 Epoché 46, 83 Erbanlagen 24 Erfindung 87, 97, 109, 417 Erfolgsethik 233 Erkennbarkeit der Aussenwelt 93 Erkennen 31, 35 f., 50-53, 55, 64, 71, 74-79, 81, 83 ff., 87, 90 f., 93, 96, 101, 109, 118, 121, 130 f., 133, 141, 147, 156 f., 173, 189, 191, 193, 206, 208 f., 262, 267, 302, 307, 311, 315, 318, 327, 330, 336, 342, 350, 352, 357 f., 360, 390, 397 Erkenntnis 26, 30 ff., 37 f., 40, 42-45, 47, 50-55, 64-77, 79 ff., 83-89, 92, 97, 101-105, 107, 114, 117, 128-132, 135 f., 144, 146, 148, 150 f., 154, 156, 158, 161, 163, 167, 170 f., 174 f., 177, 189, 191, 193, 195, 204, 208, 230, 239, 241, 275, 286 f., 297, 300, 302, 306, 311, 317, 325, 327, 331 f., 338 ff., 349, 355, 358, 377, 382, 388, 399, 408 f., 411, 413, 419 ff., 427 f. Erkenntnisakt 209, 275, 310 Erkenntnistheorie 22, 42, 51, 56, 58, 60 f., 71 f., 77, 122, 131, 145, 147, 155, 163 f., 171, 173, 194, 217, 302, 307, 389, 410, 418 Erlebniszentrum 228 Erscheinung 40, 54, 80, 87, 94, 97, 109, 326 Ethik 34, 56 f., 60, 82, 87, 92, 108-113, 116, 118 ff., 122, 124, 137, 139-142, 162, 164, 167 ff., 182, 194 f., 208, 210 f., 213 f., 216 f., 222-232, 234 ff., 239-243, 245, 247-256, 258, 264, 268 f., 273, 275 ff., 286, 290, 300, 302 ff., 307-315, 317, 319 f., 322-326, 329 f., 334, 352, 354-357, 361 f., 364, 368, 370 f., 385 f., 389, 399, 404 ff., 411, 417-420, 422 f., 426 ff. Ethische Handlung 26, 32, 92 Eudaimonismus 231-234, 269 Evidenz 44 f., 154, 171, 195 Evolution 24, 177 f., 180, 182, 184 f., 262, 418, 421 Evolutionismus 180, 186, 191 Evolutionstheorie 179 f., 182 f., 185, 191, 194, 196 Ewigkeit 136, 159 ff., 381, 384 f., 390 f., 397 Existenz 27, 36 f., 42, 47, 55, 59, 81, 83, 87 ff., 94-97, 101, 104 f., 108 f., 115, 122, 124, 126, 128, 131, 133, 136 f., 141, 143, 147, 150, 152, 154, 157, 160 ff., 165, 171 f., 175 ff., 179, 189, 191, 193 f., 197, 207, 223, 239, 241, 249, 267, 274, 295, 297, 300, 310, 312, 317, 325, 329, 340 f., 349, 352, 355, 363 f., 375, 380 f., 384 f., 387, 389, 391, 395 f., 398, 426 Experiment 23 Farben 84, 90, 94, 311 Fehlschluss 170 Feuerbach, Ludwig 34, 39, 127, 145 ff., 149-155, 157-162, 196, 274, 295 f., 416, 418, 424 f. Fideismus 35 <?page no="432"?> 432 Register fides quaerens intellectum 35, 173 Fiktion 89 Finalrelation 225 Forderung 131, 222, 227, 232 f., 236 f., 252, 255, 269, 276 f., 284 ff., 309, 313, 367, 384, 386 Form 33, 42 f., 65 f., 68, 73, 95, 99, 106, 121, 128, 131, 134 f., 138 ff., 143, 152, 159, 166, 196, 205, 210, 232, 250 ff., 259, 270, 290, 294, 301, 306, 331 f., 350, 358, 366, 376 Formenschönheit 119 Forschungslücke 56 Forschungsstand 56 f., 109, 261, 263 Forschungsziel 35, 38, 395, 398 Frankl, Viktor E. 27 f., 31 f., 59, 74, 96, 225, 265, 348, 395, 407 ff., 412, 421 Franz von Sales 213, 215, 405 freie Personzentrum, das 227, 268 f. Freiheit 26, 32, 70 f., 89, 92, 113, 135, 141, 174, 190, 196, 210 f., 218, 222, 227 f., 240, 247, 253, 256 f., 261, 268, 295, 306 f., 327, 334, 355 f., 364, 381, 387, 397, 405, 421 fremdpersonalen Akt 335 Freud, Sigmund 28, 278-286, 299 f., 424, 426 Freude 189, 207, 211, 220, 224, 240, 253, 285, 312, 331, 333 f., 336, 339, 347 f., 352, 380 f., 388, 397 Gaunilo 127 ff., 133, 137, 165, 177, 416 Gedächtnis 37, 64, 82, 91, 115 Geduld 139, 322 f. Gefühl 38, 74, 151, 206 ff., 220, 239, 264, 289, 320, 328, 335 f. Gehirnvorgänge 22 Gehorsam 323, 334, 341 Geist 21, 50, 70 f., 95, 99, 106, 119, 129, 140, 147, 173 f., 181, 184, 187 f., 191, 194, 199, 202, 204, 218, 229, 239, 313, 322, 331, 349, 361, 364, 376, 379 f., 402 Geistigkeit 208, 268, 284, 314, 391 Gemeinschaft 36, 106, 108, 122, 203, 205, 252, 262, 294, 319, 332, 342, 344 f., 364, 372, 377-380, 382, 391, 401 gemischte Vollkommenheit 134, 203 Gen 181 Gerechtigkeit 84, 89, 113, 118, 124, 137, 139 f., 142 f., 152, 157 f., 161, 195, 220, 249, 256, 292, 300, 323, 335, 340, 350, 391, 396 Gesamtschönheit 344, 347 Geschenk 228, 264, 335 f., 339 ff., 346, 361 Gewissen 38, 113, 277, 280 f., 285 ff., 291, 294, 299 f., 310, 320, 326, 334, 385, 388 f. Gewissenssubjektivismus 290 Gewissheit 36, 44, 55, 67, 69, 76 f., 84-87, 89 f., 96, 101, 103, 108, 116, 124, 128, 140 f., 147, 152, 154 f., 157, 159, 163 f., 167 f., 170, 175, 193, 207, 295, 299, 326, 355, 385, 396, 420 Gewissheitskriterium 83, 88 f., 158, 414 Gewohnheit 218 f., 320 Geyser, Joseph 104, 107, 311 f., 402, 416, 424 Glaube 23, 35, 127 f., 145 f., 152, 159, 164, 172-176, 274, 322, 353, 363, 368, 381, 395, 409, 417, 419, 426 Gleichheitslehre 367 Glück 29 f., 57, 117, 143, 158, 221 ff., 227 f., 230-235, 264 ff., 271, 284, 299, 305, 332, 339, 342 f., 346 ff., 361, 365, 368 ff., 374 ff., 384, 397, 423, 428 Goethe, Johann Wolfgang von 41, 142, 182 f., 288, 408, 415 f., 424 Gott 24, 26, 31-38, 57, 59, 70, 72, 92, 99, 101, 104-108, 116, 118 ff., 122, 124-127, 129 f., 133-147, 149-153, 158 ff., 162, 164 f., 172 f., 175 ff., 181 f., 184, 192, 194-197, 203 f., 206, 213 ff., 217, 241 f., 247-250, 253 f., 257 f., 265, 268 ff., 273 ff., 277, 285, 296, 300 f., 310, 314, 317, 319, 321, 323-326, 328 f., 331-335, 339-348, 350, 352 ff., 356 ff., 360-364, 367 f., <?page no="433"?> Register 433 370-374, 376, 381, 385-391, 395-398, 405, 416, 419, 426, 428 Gottähnlichkeit (similitudo Dei ) 362 Gottesbeweis 57, 101, 105 f., 108, 116, 125, 130, 133, 137 f., 140, 143 f., 165, 194 f., 301, 342, 419 Gottesbeweise 101 f., 108, 193 Gotteserkenntnis 101, 130, 136, 160, 300, 419, 428 Gottesliebe 115, 144, 213, 243, 342 ff., 346 ff., 351, 365, 368 f., 371, 373 f., 376, 390, 422 Grundhaltung 240, 244, 248, 257-260, 270, 292 f., 298, 317, 321, 329, 339 f., 356, 359, 362, 371, 406 Grundhaltungen 248, 256, 292, 317 ff., 335, 359, 389, 402, 406 Grundintention 240, 248, 254, 257 ff., 298, 320, 358, 361 f. Grundstellung 248, 251, 258 ff., 270, 288 f., 291 ff., 298, 329, 331, 356, 358 f. Gültigkeit der Schlussform 103, 193 Gut, das 91, 111, 113, 126, 134 f., 216, 223, 227-231, 235-241, 247, 252 ff., 256, 264, 287 f., 305, 311, 320, 327, 333, 335 f., 343, 345-348, 360, 368 ff., 376 f., 380, 386, 391 Güte 27, 124, 137, 139 f., 143, 152, 157 f., 161, 194 f., 248, 255, 300, 335-339, 342, 352, 371, 376, 404 Gute, das 111, 134 f., 144, 216, 223, 232, 234, 259, 291, 294, 299 f., 307, 348, 360, 386, 390 Güterabwägung 222 Habitus 256 Habsucht 249, 293 Haeckel, Ernst 181, 184 Hamburger, Siegfried Johannes 367, 425 Handlungen 90, 201, 210, 220 f., 233 f., 247, 253, 255, 257, 260, 270, 291 f., 303, 319, 338, 356, 383 Hass 109, 211, 219, 248 f., 287, 367, 370, 373, 424 Hedonismus 31, 221 f., 232 ff., 269 Heiligkeit 113, 140, 144, 152, 243, 277, 324, 351, 361 f., 379, 400, 402 Heiligung 363, 379 Henckmann, Wolfhart 312, 425 Heuristisches Prinzips 35 Hierarchie 120, 319 Hildebrand, Dietrich von 33-37, 41, 46 f., 49 ff., 53-61, 70, 74-90, 92-97, 101, 104-124, 131, 133, 135, 137-143, 155 f., 162, 166, 171-175, 180, 187-190, 192-195, 197, 202, 206-211, 213 f., 216, 225-230, 235 ff., 239-253, 256-259, 262-265, 267-271, 273-277, 284, 286-289, 291, 293 f., 298 ff., 302, 304, 310-317, 319-328, 330 f., 333 f., 336- 339, 341 f., 344-359, 361-365, 368-375, 377 f., 380-385, 387, 390 f., 395-408, 411, 413 f., 416 f., 420 ff., 425 f., 428 Hildebrand, Alice von 57 Hingabe an Gott 360 Hinweise 90, 108, 370 Hirn 189 Hochmut und Begehrlichkeit 229, 245 f., 251 f., 257, 259, 289, 293 f., 319, 325, 358, 370, 373 f. Höchstwahrscheinlichkeit 80, 121 Hoeres, Walter 134, 404, 416 Höhlengleichnis 31 holistisch 202 humane Aspekt der Aussenwelt 95 Hume, David 63 f., 77, 109, 167 f., 170, 202, 217-220, 231 f., 261, 328, 412, 416, 421, 423, 425 Husserl, Edmund 26 ff., 31 ff., 40-52, 54, 59, 83, 92, 117, 207, 301, 312, 400, 406, 408, 411 f., 421, 425 Huxley, Thomas Henry 181, 184 Ichbefangenheit 227 Ichbezogenheit 227, 240 Ich-Du-Beziehung 336 Ichkrampf 318 f., 388 ideale Seinsweise 83, 89 f. <?page no="434"?> 434 Register Ideen 30, 42, 46, 51, 65, 68, 70, 81, 83, 217, 408, 412 Identität 147, 191, 201-204, 219, 240, 258, 260 ff., 270, 328, 362, 421 f. Ideologie 180, 406 Illusion 89, 265, 279 ff., 325, 424 Immanentismus 38, 46, 51, 55, 63, 65, 73, 77, 90, 170, 180, 191, 374 Immanenz 59, 63, 72, 81, 87 f., 96 f., 182, 300, 375, 390 Inbegriff aller Werte 94, 108, 116, 118, 122, 138, 194 f., 247, 354, 377, 388, 391 Individualität 181, 190, 196, 204, 219, 356, 415 Induktion 21, 53, 81, 349 Instinkt 227 Intellekt 37 f., 85, 224, 273 intellektöffnende Wirkung 296 intellektuellen Selbstverschluss 296 intelligibel 51, 53, 97, 116, 131, 310, 326, 329 Intelligibilität 30, 54 f., 57, 84, 87, 140, 156, 174, 326, 340 f., 396 intentio benevolentiae 155, 365, 371 f. Intentionalität 188 f., 208, 214, 261 f. intentio unionis 155, 344, 365, 372, 376 interpersonalen Sphäre 336, 372 Intuition 53, 109, 116, 171 ff., 260, 297 irreduzibel einfach 135, 138, 203 Irrtum 42 f., 47, 85, 90, 94, 109, 131, 180, 190, 267, 286, 345, 374, 410 f., 413, 428 Johannsen 181 Kampf ums Dasein 178, 182 Kant, Immanuel 37, 39, 46, 51 f., 55, 61, 63-73, 77 f., 80, 85 f., 89, 93, 95, 109, 125, 129, 131 ff., 145, 147 f., 158, 162, 169, 234, 302-308, 310, 315, 389, 395, 409, 412, 414, 417, 421, 425 Kategorien der Bedeutsamkeit 111, 216 kategorische Imperativ 234, 303, 307 kategorischen Imperativ 234, 302, 307, 389 Kausalität 106, 118, 194, 211 Kausalprinzip 52, 63, 66 Kennen 76, 171 Kierkegaard, Sören 206, 284, 307, 421, 425 Kirche 33, 324, 345, 377-380, 391 Kleist, Heinrich von 73 f., 96, 413 Koiré, Alexandre 41, 122, 417 Kolbe, Maximilian 370, 375, 424 Konformieren 208, 241, 268 f. Konklusion 47, 102, 131, 193 f. Konsens 71, 154 f., 158, 234, 301 f., 306 f., 309, 388 Konsensfähigkeit 306 Konsequentialismus 233 konspirieren 321 Konspirieren 75 konstitutiv 69, 96, 213, 231, 373 Konstruktion 42, 71 Kontemplation 224, 243, 348, 351-354, 389, 396 kontingent 80, 104 f., 116, 156, 180, 218, 231 Kontingenz 102, 105, 108, 141, 194 Kontingenzbewusstsein 338 Kontinuität 202, 267 kontradiktorischer Gegensatz 112, 133 konträrer Gegensatz 113, 373 kopernikanische Wende 63, 68, 150 Kopernikus, Nikolaus 64 Kopula 169 f. Korrelate, objektive 34, 50, 174, 231, 350 Korrespondenztheorie der Wahrheit 74 Kunstwerk 103, 190, 417 Kutschera, Franz von 23, 127 f., 132, 409, 417 Laster 220, 258 Lebenskrise 59 Lebenskrisis 26 Lebensmilieu 24 Lebenssinn 123 Leeregefühl 27 legitimes Zentrum 229 Leibniz, Gottfried Wilhelm 144, 162, 178, 183, 189 f., 261, 341, 417, 421, 425 <?page no="435"?> Register 435 Liebe 34, 37, 54, 56, 84, 87, 91 f., 101, 107, 109, 113, 115, 122, 124, 135, 137, 139 ff., 143, 152, 155-158, 161, 173, 194 f., 209-214, 219, 238, 243, 249, 253, 264, 275, 283, 287, 296, 300, 305, 311, 315, 320, 322, 328 ff., 334 ff., 338 f., 342, 344-348, 350-353, 357, 359 f., 362 f., 365-376, 378 ff., 382 f., 390, 396, 403 f., 424-428 Ordnung der Liebe (ordo amoris) 286 Liebeskategorien 365, 369, 372 linguistic turn 162 Liturgie 92, 202, 214, 239, 262, 267, 318-321, 355, 361, 364, 379 f., 401 Locke, John 77, 95, 148 f., 199, 201 f., 217, 261 f., 267, 417, 421 Logik 36, 41-44, 49, 77, 84 ff., 102 f., 128, 163, 168 f., 172 f., 195, 300, 326, 408 ff., 412 f., 418 Logos der Wertewelt 211 Lohn und Strafe 113, 142, 385, 387, 391 Lorenz, Konrad 22, 408 f. Lüge 331, 385 Lust 111, 158, 218, 221 f., 224, 230-235, 265, 269, 304, 308, 312, 318, 353 Marcel, Gabriel 174, 404 Mark des Sinngehaltes 112 Marra, William 50 Maslow, Abraham 26 ff., 31 f., 59, 73, 213, 215, 409 Materialismus 180, 186, 190 f., 374 materialistisch 22, 179, 283 Materie 65, 68, 77, 120 f., 181, 186 ff., 191, 306, 382, 385 Mathematik 168, 301 Maxime 35, 43, 48, 234, 302 ff., 308 f., 389 Mediokrität 333 Mendel, Gregor 181 Mensch 24, 27, 29 f., 34, 36 ff., 41, 43, 47, 51, 59, 61, 72 f., 78, 88 ff., 92, 94, 96 f., 99, 102, 109, 129 f., 136, 141-147, 150-154, 159, 169, 174 f., 181 f., 184, 190, 197, 199 f., 202, 204, 206, 220 ff., 224, 227, 229, 231 f., 236, 241, 247, 254, 265, 267 ff., 273, 277 f., 280, 284, 286 f., 296, 298, 305 f., 315, 317 f., 321, 327 ff., 332 ff., 336 f., 339 f., 342-345, 351, 354-358, 361 ff., 366, 368 f., 374, 381, 383, 385, 388 ff., 396 ff., 408 f., 412, 421, 426 Menschenrechte 23 Menschenwürde 23, 79, 138, 170, 295, 298, 327, 329 Merkmale des religiösen Aktes drei 313 Mertens, Karla 33, 50, 106, 110, 123, 210, 239, 338, 399-403, 405, 417, 421 Mesotes-Theorie 258 Metaphysik 22, 30, 36, 63-69, 71, 77 f., 86, 106, 108, 110, 122, 132, 163, 167, 219, 225, 261, 302, 305 f., 308, 314, 319, 332, 343 ff., 377-380, 382, 391, 401, 407, 410, 412, 414, 416 f., 421, 425 metaphysische Erkenntnisse 61, 90, 99 metaphysische Gerechtigkeit 387 metaphysischer Ort 89 metaphysische Situation des Men schen 321, 329, 374 Methode 22, 35 f., 41 f., 46, 49, 55 f., 59 f., 116, 118, 150, 177, 410 f. Mill, John Stuart 158 f., 217, 221, 231, 233, 421 Mitleid 81, 139, 251, 253 Mitteilung 171 mitwirkende Freiheit 253, 327 Mitwirkung 209 f., 362, 418, 421 Monotheismus 99 Moral 34, 36 f., 109, 170, 197, 223, 225, 231 ff., 273, 294, 317, 322, 361, 366 f., 396, 416 f., 419, 422, 426 moralischen Akte 141 Motivation 27, 41, 60, 63, 111, 211, 216 ff., 221, 223, 225, 230 f., 233, 235, 238, 247, 253, 302, 323, 362, 372, 409 f. Muck, Otto 103, 417 Mutation und Selektion 24 Mutter Teresa von Kalkutta 370 <?page no="436"?> 436 Register Nächste, der 366, 369, 375, 386, 390 Nächstenliebe 179, 248, 253, 323, 337, 344, 365-376, 390 Nagel, Thomas 182, 418 Natur 23 f., 42, 45, 47, 59, 63, 67, 86, 88, 94, 105, 113, 136, 144, 149, 151, 170, 178, 183, 191, 199-202, 213 f., 217 f., 228, 233, 244, 251 f., 254, 274, 292, 310, 328, 339, 352, 362, 366 f., 375, 381-384, 407, 416 f., 421, 425 Naturalismus 22, 63, 185, 217, 285, 415 naturalistisch 179, 277 Naturgesetze 23, 45, 181, 303 natürliche Selektion 177 f., 182 Naturwissenschaft 22, 142, 165 Naturwissenschaften 21, 23 f., 121, 177, 192, 301 Naturwissenschaftler 94 f., 177 Neid 248 f. Newman, John Henry 37 f., 117, 253, 300, 364, 395, 409, 418, 422 f., 426 Nietzsche, Friedrich 24 ff., 39, 73 f., 96, 109, 250, 366 f., 390, 409, 413, 418, 422, 426 Nihilismus 25 Notwendigkeit, subjektive 31, 44 f., 54 f., 63 f., 67 ff., 72, 77, 82-85, 87, 89, 96, 102, 104, 110, 130, 136 f., 156, 167 f., 183, 189, 218, 231, 299, 303, 326, 340 f., 361, 381, 402, 413, 417, 427 Notwendigkeitsgrund 64 objektive Gültigkeit 94, 144 objektive Gut für die Person, das 228, 335, 345, 369, 377, 391 objektiven Gebührensbeziehung 236, 386 objektives Übel für die Person 369 objektive Wahrheit 148 objektive Wertewelt 250, 299 Objektivität 42, 44, 50, 93, 101, 154, 172, 192, 228, 230, 241, 270, 284, 294, 302, 368 Obligation 237 Offenbarung 34, 153, 313, 315, 323 f., 334, 363, 368, 371 f., 418 ontologische Argument 122, 129, 131, 138, 150, 165 ontologischer Gottesbeweis 101, 147, 149 f., 160 Orphik 275 Otto, Rudolf 93, 103, 164, 213, 215, 417, 422, 427 Pantheismus 148, 314, 316, 332, 417 Pantheisten 331 Pascal, Blaise 88, 202 f., 206, 364, 413, 422, 426 Pasteur, Louis 183 Peripherie 117, 243 f., 257, 270, 320, 329, 351 f., 354, 369, 389 Person 23, 28, 31, 33, 54 f., 57, 59, 71, 75, 79, 81, 84, 87 ff., 91, 97, 103, 105-108, 111-115, 120, 127, 139, 141, 143, 146, 156, 169-173, 175 f., 183 f., 186-189, 194-197, 199-208, 210 f., 213, 216 f., 219, 222 f., 225-231, 239 ff., 243 f., 246- 251, 254-263, 266-270, 273, 276, 279, 284, 286 f., 289-293, 297 ff., 302-309, 311, 315, 317, 319, 322 f., 325, 327, 329, 331-337, 339 ff., 344-347, 351, 353-360, 362 f., 368-375, 377 f., 380-384, 386, 388-391, 396 f., 401-405, 408, 419-423 Persönlichkeit 27, 92, 111, 202, 206, 214, 221, 239, 262, 267, 279 f., 318-321, 355 f., 361, 364, 379 f., 389, 401, 405, 409 Personsein 202 ff., 262, 356, 420 Pfänder, Alexander 36, 41, 84, 102 f., 169, 195, 410, 413, 418 Phänomenologie 26 f., 36, 40-50, 54, 56, 60, 83, 92, 302, 307, 311 ff., 405, 408-413, 418, 421, 424 Philanthrop 370 Philosophie des Geistes 22, 261, 411, 415, 421, 423 Pieper, Josef 330, 347, 385, 426 Platon 29 ff., 37, 41 f., 51 f., 59, 81, 124, 183, 187, 191, 206, 216, 223, 230, 232, <?page no="437"?> Register 437 255, 273 ff., 277, 330, 344, 354, 362, 387, 410, 413, 418, 422, 426 f. Platons Vision der Liebe 344 Plotin 187, 287 f., 427 Positivisten 53, 164, 172 Postmoderne 29, 186, 284 Postulate 70 potentiell 91, 140 Prädikat 52, 66 f., 85, 169 f., 226 principiatum 214 f., 217, 227, 264 f., 342, 347 principium 214 prise de conscience 82, 239 Psychologismus 44, 218 Quine, Willard Van Orman 22, 164, 410, 418 Rangordnung der Werte 120 Rationalismus 65 f. Realistische Phänomenologie 36, 42 Realkonstatierung 53, 77 ff., 81, 104 f., 193 Realkonstatierung und Induktion 53 Realsetzung 377, 380, 391 regressus in infinitum 104, 223, 342 regulativ 69 Reinach, Adolf 41, 45, 54, 83, 274, 335 f., 340, 350, 410, 413, 427 reine Vollkommenheiten 129, 133-140, 143, 161, 165, 195 f., 203 f., 222 f., 247, 270, 276, 297, 300, 385, 398 Relativismus 43, 73 f., 90, 96, 191, 294, 374, 408 religio 29, 34, 241, 245, 269, 317 Religion 28 f., 31-38, 52, 57 ff., 61, 71 f., 90, 92, 103, 108, 115 f., 127, 137, 145 f., 162, 164, 168, 172 ff., 176, 178 f., 182, 184, 192 f., 196 f., 204, 207, 213 ff., 241, 265, 268, 273, 275, 279, 296, 310-319, 323 ff., 330, 334 f., 341, 351, 355, 362 f., 366, 368, 370, 373, 381, 390, 395 f., 398, 402, 407-410, 412 f., 419, 422-427 Religionskritik 145, 152, 162, 164, 279, 418 Religionsphilosophie 29, 33, 35, 38, 56 f., 59, 104, 106, 108 f., 131, 145, 162, 176, 214, 241, 300, 310 ff., 315, 324, 330, 368, 402, 409, 417 ff., 424 Religionspsychologie 35 religiöser Erfahrungen 27 religiöse Werte 115, 312, 333 Ressentiment 275, 309, 337 f., 366 f., 425, 427 Reue 116, 139, 141, 248, 253, 284, 326- 330, 334, 340 f., 383, 389, 396, 427 Reueschmerz 327 Rhonheimer, Martin 223, 225, 231 f., 422 Sachverhalt 27, 35 f., 44, 54 f., 67, 76, 78, 83-86, 90, 105, 115, 142, 156 f., 163, 166, 169, 171 ff., 175, 199, 209, 229, 232, 234 f., 240, 255, 269, 295, 297, 301 f., 305, 307, 325 f., 340 f., 388, 413, 427 Sammlung 288, 351, 410 Sartre, Jean-Paul 24, 109, 410 Satz 43, 67, 76, 86, 99, 101, 105, 134, 148, 163, 166 f., 169, 171 f., 209, 218, 222, 265, 303 Schein 87, 94 f., 146, 297, 306, 384 Scheler, Max 33, 39, 41, 109, 111, 117, 141, 144, 178, 216, 229, 232, 275, 307, 309-316, 325, 327 ff., 361, 366 ff., 390, 401, 410, 418, 420, 422, 425, 427 Schelling, F. W. J. 153, 418 Schleiermacher, Friedrich 36 f., 213, 215, 410, 422, 427 Schlussfolgerung 102 f., 130, 150, 159, 177, 193, 343, 383 Schönheit 27, 52, 93, 114, 117, 119 f., 139 f., 176, 187, 219, 224, 237, 259, 275, 325, 335, 339, 343, 345, 352 ff., 357, 368, 370, 372 f., 384, 402 Schöpfung 24, 94 f., 106, 139, 169, 222, 310, 315 Schuld 251, 284, 292 f., 328 ff., 337 f., 381, 386, 424 Schulte, Joachim 163, 419 f. <?page no="438"?> 438 Register Schwarz, Balduin 42 f., 65, 85, 106, 286, 338, 404 f., 407 f., 414, 422 Seele 33, 50 f., 91, 101, 108, 111, 117 f., 121, 142, 173, 186 ff., 216, 219, 224, 229, 242 f., 256, 264, 286, 300, 310, 326, 343, 351, 353, 357, 364, 371, 382-385, 403 f., 408, 415 f., 419, 421 Seifert, Josef 31, 33, 41 f., 56 f., 70, 84, 133, 135-138, 143 f., 160, 176, 184, 186, 188, 191, 195, 204, 207, 235, 300, 399, 402-407, 410-414, 419, 422, 425, 428 Seinsautonomie 89 Seinsgrund 34, 140 f., 143, 145, 196 Selbstbewusstsein 151, 159, 188, 202, 222, 261, 263, 421 Selbsterlösung 275, 315 Selbstgefälligkeit 250, 331 Selbstliebe 155, 159, 303 f., 344, 366 Selbstschmuck 250, 333 Selbsttranszendenz 27, 31, 96, 265 Selbstvergottung 314 f. Seneca 277 f., 299, 428 Sensualismus 148, 150, 221 Sinn 23-30, 36, 49, 59, 74 f., 89, 92, 96, 101, 104 f., 109 f., 112, 116 f., 121, 131, 141, 143, 147, 153 f., 165 f., 168, 171 f., 175, 179 f., 184, 186 f., 192 f., 207, 215, 220, 223, 226, 228, 237, 243 f., 249, 255, 262, 265 f., 269 ff., 287, 318, 321, 325, 341, 349, 351, 353, 366, 368, 383 f., 386, 395, 397, 402, 408, 412, 421 Sinnbereich 377 ff. Sinnesrezeptoren 22, 164 Sinngehalt 85, 321 Sinnkrise 123, 396 Sinnlogik 325, 387 sinnlos 59, 93 ff., 109, 118, 139, 164, 384 Sinnlosigkeit 25 f., 28, 30, 74, 92, 96, 110, 214, 265 f., 284, 368, 385, 395 Sinnlosigkeitsgefühl 27, 265 sittlich bedeutsame Werte 236 f., 252, 254, 276, 286, 299, 356 sittlicher Wert 90, 115, 300 sittliche Werte 113, 195 f., 247, 287, 317 sittliche Ziel, das 260 Sittlichkeit 34, 92, 108, 116 f., 137, 197, 209, 213, 243 f., 248 f., 251 f., 257, 259 ff., 270, 273, 287-290, 292 ff., 298, 317, 322 ff., 330, 334 f., 356-363, 368, 370 f., 373, 402 f., 405 Skeptiker 72 Skeptizismus 47, 73 f., 90, 96, 261, 299 Sokrates 102, 200, 221 f., 230, 232, 254, 274, 277, 299, 323, 330, 427 Sollen 94 f., 170, 306, 308 f. Sollensforderung 144 Sophismus 179 Sosein 53 ff., 75, 77, 79 ff., 84, 86, 89, 97, 101, 108, 116, 118, 121, 124, 128, 132, 134, 137, 149, 155 f., 170, 177, 189, 194, 241, 262 f., 267, 273, 284, 299 f., 326, 331, 341, 349 f., 354, 385, 396 Soseinserfahrung 65, 70, 77 ff., 81, 83, 156, 165, 189, 413 soziale Akt 335 Sprachspiel 163 Staunen (θαυμάζειν) 318 Steigerung 159, 227, 297, 311 Stein, Edith 41, 53, 56, 80, 200, 420 Steinbüchel, Theodor 49 Stellungnahme 91, 124, 211, 240, 248, 260, 270, 289, 354, 356, 359, 406 Stimme des Gewissens 142, 277 f., 281, 286, 299 f., 317, 327 f., 388 Stolz 219, 251, 331, 334, 336 Subjekt 43, 48, 52, 65, 67 f., 75, 135, 146, 152, 157, 159, 169, 189 ff., 208, 234, 247, 269 f., 288, 302 Subjektivismus 38, 309 Substanz 106, 141, 149, 189 f., 201 f., 204, 219, 382 f. Substanzcharakter 378, 382 Substitute 252, 293 f., 330, 335, 362, 402 Subsumptionsblindheit 289 f. Sünde 139 f., 292 superabundant 264, 361, 389 <?page no="439"?> Register 439 superabundanten Beglückung 384 superabundanter Rückwirkung 357 synthetisch 52, 55, 67, 69, 77 f., 93, 124, 132 f., 169, 191, 303 synthetisch-apriorische Erkennen 302, 307 Synthetische Erkenntnisse a priori 69 Szientismus 21 ff., 164 Tatsachen 70, 76, 82, 109, 129, 164, 167, 219, 232, 313 Täuschung 87, 93, 163, 167, 290, 299 f., 384 f., 416 Tautologien 85, 132, 157, 164 Teilhabe 112, 229, 247, 362 f., 371, 399 Theismus 33, 315 Therapeutikum 26 These 65, 72, 74, 86, 93, 109, 155, 172, 175 f., 180, 184, 188, 191, 202, 204, 214, 216, 225, 301, 347 Thomas von Aquin 35, 39, 42, 71, 74, 84, 102 ff., 111, 129 f., 132 f., 136, 148, 150, 176, 187, 193, 223, 342, 344, 346, 348, 413, 419, 428 Tiefe 84, 114, 117, 120 f., 174, 237, 243 f., 257, 270, 298, 318 f., 329, 351, 354, 363, 369, 378 f., 386, 389 Tod 24, 38, 49, 101, 145, 160, 273, 339, 363 f., 375, 381 f., 384 f., 387, 403, 425 f. Trägerschaft 228, 247, 263, 270, 373 Transzendentaler Idealismus 42, 46 f. Transzendentalien 135 Transzendentalismus 71, 77, 306 Transzendenz 26-32, 38, 46, 51, 55, 59, 63, 65, 70, 73 ff., 88, 96 f., 170, 191, 203, 208, 213 f., 237, 296, 300, 313, 390, 397 f., 411 Transzendieren 73, 88, 97, 241, 375, 396 transzendierende Konformieren das 241 Tugend 220, 223, 256 ff., 294, 324 f., 330, 335, 359, 366, 400, 402, 406 Tugenden 219 f., 224, 248, 256 f., 260, 270, 292, 317, 320, 322-325, 335, 339, 342, 356, 359, 361, 398, 406 Tugenderwerb 257 Übel 81, 111, 218, 230, 236, 247, 258, 303, 315, 329, 370 überaktuell 91 f., 246, 321, 328 übernatürlich 38, 363 Übernatürliche, das 36 Über-Wertantwort 345 Überzeugungen, religiöse 33, 38, 99, 395, 397 Undankbarkeit 337 f. Unendlichkeit 71, 105, 134, 136, 139, 159, 161, 195 f., 297 Unrecht 230, 261, 328, 334 Unsinn 163 f., 166, 169, 173, 175 Unsinnig 164 Unsterblichkeit 26, 32, 70, 92, 101, 108, 145, 286, 381-385, 403, 426 Unwert 113, 122, 237, 239, 252, 258, 290, 293, 300, 320, 329, 338, 374, 389 Unwertantworten 211 Urknall 178 Urknallhypothese, (Anm.) 178 Urphänomen 41, 82 Ursache 29 f., 52, 63, 67, 104-107, 130, 150, 153, 178, 180, 183, 190, 193, 217, 282, 315, 319, 384, 416 Urteil 28 f., 33, 43, 46, 49, 64, 67, 71, 83, 86, 102 f., 107, 111, 122, 151, 159, 169 f., 176, 204, 222, 241, 295, 309, 315, 336, 381, 406, 411 Urteilswahrheit 166 Utilitarismus 221, 233 f., 269, 421 verallgemeinerungsfähig 303, 307 Verantwortlichkeit 113, 319 Verantwortung 89, 141, 205, 261 f., 387 Vererbung 178, 181 Vergänglichkeit 24, 384 vergeben 249, 329 Vergebung 140, 329 Verifizierung 23, 146, 158 <?page no="440"?> 440 Register Verkrampftheit 334 vernehmungsbedürftig 335 Vernunft 23, 26, 35, 37, 63 f., 67-71, 74, 77, 86, 92 f., 125-128, 131 f., 143 f., 147 ff., 151, 160, 168 ff., 174, 178, 183, 200, 206, 208, 219, 222, 224, 234, 239, 248, 267 f., 280, 286, 295, 305 ff., 310, 315, 322, 351, 355, 364, 368, 372, 390, 395, 409, 412, 417, 419, 421, 425 f., 428 Verstand 63 f., 68, 96, 114 f., 148, 151 ff., 159, 162, 165, 168, 175, 181, 183, 200 ff., 217, 311, 412, 416 f., 421 Verstehen 55, 87, 127, 156, 160, 171 f., 190, 194, 318, 338 Verzeihen 55, 81 f., 157 Verzeihung 81, 283, 285, 334 virtus unitiva der Werte 122 Vollkommenheit 74, 126, 134 ff., 138 f., 143, 151 f., 159-162, 177, 195, 199, 203 f., 250, 262, 297, 334, 342, 349 f., 361 f., 382, 416 Vollzugsbewusstsein 189 Vorurteile 336 Wachheit, geistige 188, 317, 320 ff., 338, 352 Wahrhaftigkeit 113, 124, 137, 139 f., 143, 195, 292, 300, 323, 327, 335 Wahrheit 27, 31, 35 ff., 42-45, 70, 73 ff., 84, 86, 102 f., 109, 124, 129, 131, 137, 145, 148, 150, 154 f., 157 f., 164, 166 f., 174, 176, 179, 183, 192 f., 195, 219, 222, 224, 265, 274, 284, 286 f., 299 ff., 307, 315, 321, 323, 325, 329 ff., 346 f., 356, 364, 374, 380, 385, 391, 400, 404-407, 411, 413 f., 416, 419, 426 Wahrheitsanspruch 163 Wahrheitsdifferenz 166 Wahrheitskriterium 154 Wahrheitsproblem 23 Wechselwirkung 65, 260 f., 270, 356 f., 363, 390 Weisheit 135, 152, 157 f., 161, 301, 363 Weltanschauung 21, 23, 26, 35, 59, 91 f., 103, 120, 164, 192 f., 217, 263, 383, 400 Weltbild 21, 23, 165, 188, 262, 279, 330 Weltimmanenz 325, 333, 389 Wenisch, Fritz 42, 50, 89, 111, 399, 403, 407, 411, 414, 420 Wertantwort 57, 60, 208, 227, 229, 235, 238-242, 254, 258, 266, 269, 313, 317, 333, 341 f., 344-348, 359 ff., 364 f., 368, 370 f., 380, 404, 406 f., 411, 422 wertantwortende Zentrum 249, 257 Wertbereich 113, 122, 236, 253, 256, 320, 378 Wertblindheit 78, 103, 153, 172, 174, 193, 234, 285-288, 292-295, 301, 308, 311, 338, 359, 378 Werte 23, 25, 27, 54 f., 90, 92, 94, 108-116, 118-122, 124, 137-144, 194 ff., 205, 211 f., 214, 216 f., 225-231, 233, 236 ff., 241, 243, 245 ff., 250-254, 256-259, 262, 264, 266, 268, 270, 275 ff., 287 f., 292 ff., 297, 299 f., 309, 311 ff., 317, 319, 321 f., 325 f., 329, 333, 354-358, 360, 363 f., 366 f., 370, 375, 377 ff., 384 f., 387 ff., 391, 396, 398 f., 418 Werterkenntnis 92, 116 f., 194, 209, 243 f., 248 f., 251, 259 f., 270, 287-290, 292 f., 298, 356-360, 363, 390, 402, 405 Wertethik 56, 60, 71, 109, 141, 216, 229 f., 232, 234 f., 269, 301 f., 307-312, 314, 418, 422, 427 Wertfamilien 112-115, 120, 247, 276, 363 Wertfühlen 117, 194, 209, 291, 298, 302, 312 Werthöhe 120 Wertlehre 108, 313 Wertnehmen 117, 312 Wertphilosophie 271, 312, 398, 405 Wertsehen 117 f., 291, 298 Wertsehens 308, 312 Wertsichtigkeit 319, 358 f., 388 wertsuchende Ich 249, 289, 358 Werttheorie 312 <?page no="441"?> Register 441 Werttyp 113, 293, 359 Wertverdunkelung 291 Wesen 24, 34, 36, 38, 42 f., 45, 50, 54, 57, 70, 75, 82-85, 91 f., 101, 104-107, 112 f., 115, 118, 120, 122, 124-127, 129 ff., 133-136, 138 f., 141-147, 149-152, 155, 157-163, 165 f., 168, 171 ff., 178, 182, 184, 191, 195, 197, 199, 201, 203, 205, 209 f., 213 f., 218, 223, 225 ff., 233, 238 f., 241, 245, 261 f., 264, 269, 274, 281, 287, 295 ff., 299 f., 306 f., 312 f., 317, 322, 325, 327, 329 f., 335 f., 344 f., 348 f., 354, 360, 363, 369-376, 380, 382, 386, 396, 398 f., 401, 403, 410, 413, 416, 418 f., 422, 424 Wesenserkenntnisse 192 Wesensnotwendigkeit 45 f., 133, 136 Whitehead, Alfred North 29, 411 Widerspruch 86, 132, 144, 162, 169, 191, 194, 232, 332, 341, 354, 382 f., 404 Widerspruch in sich selbst (contradictio in adjecto) 341, 383 Widerspruchsprinzip 86 Wiedererinnerung 51, 81, 275 Wiener Kreis 93, 164 f., 413 Willen 25, 54, 81, 84, 110, 115, 151, 157, 174, 205 f., 208, 210 f., 216, 234, 240, 254 f., 262, 268, 273, 280, 303 f., 311, 343, 345 f., 389 Wirklichkeit 21, 28 f., 31 f., 42, 68-71, 86, 94 f., 110, 125, 127 f., 140-144, 148, 154, 158 f., 163 f., 166 f., 169, 171, 173, 177, 188, 196, 204, 218, 230 f., 234, 237, 243, 247, 263, 273, 276, 283, 294, 306 f., 309, 321, 329 f., 340 f., 349, 372, 398, 405, 428 Wirkung 63, 73, 107, 117 f., 150, 173, 183, 190, 209, 217, 226, 235, 256, 286, 291, 319 f., 325, 348, 364, 379 f. Wissen 21, 43, 51-54, 69 f., 72 f., 76, 81, 85, 87, 90 ff., 129, 131, 133, 137, 146, 154 f., 169, 171, 190 f., 202, 262, 277, 306, 325, 327, 333, 341, 349 f., 385, 395 Wissenschaft 21, 23, 25, 38, 44, 63 f., 93, 102, 131, 146, 301, 398, 407, 409, 412, 417, 425 f. Wittgenstein, Ludwig 93, 162-169, 172, 196, 416, 418 ff. Wohlstand 26 f., 228 Wohlwollen 156, 264, 341, 365, 372, 390, 397, 423 Wort 21, 29, 31, 40, 54, 74, 79, 84, 91, 117, 137, 145, 155, 158, 165 f., 171 f., 179, 182, 185, 206, 211, 223, 235, 244, 247, 250, 257, 262, 267, 269, 274, 279 f., 287, 296, 312, 314, 326, 329 f., 335, 342, 346, 357, 362, 373, 388, 399 Xenophanes 99, 127, 145 Zentrum 57, 80, 201, 227, 229, 248 f., 251 f., 257, 259 f., 270, 291-294, 297 f., 307, 324, 355, 362, 383, 388, 396 Ziel 24, 40, 55, 63, 65, 70, 73, 82, 93, 130, 151, 158, 221, 223, 231, 249 f., 259, 270, 275, 279, 331, 342 f., 345, 356 f., 361 f. zureichender Grund 103, 107, 196, 211 Zustimmung 37 f., 103, 117, 174, 186, 317, 364, 395 Zweck 21, 59, 76, 158, 169, 214, 220, 223, 233, 235, 303, 305, 353, 377 Zweck an sich selbst 169, 305 Zweifel 315 , 73, 87, 125, 137, 148, 176, 262, 294 <?page no="442"?> „Der Verfasser. erwirbt sich mit dieser Arbeit ein großes Verdienst, indem er die Tradition der realistischen Phänomenologie und deren Vertreter Dietrich von Hildebrand in Erinnerung ruft. Denn wenn dieser Ansatz in den letzten Jahrzehnten gegenüber der analytischen Philosophie stark zurückgetreten ist (dies gilt jedenfalls für Deutschland, aber nur bedingt für die USA), so verdient sie doch Interesse. Die Religionsphilosophie von Hildebrands ist praktisch noch gar nicht bearbeitet worden, so dass der Verfasser auf diesem Gebiet Pionierarbeit leistet. Der Argumentationsgang der Arbeit ist durchweg transparent und kohärent. Aus verstreuten Quellen wird die Religionsphilosophie von Hildebrands Schritt für Schritt rekonstruiert, sodass am Ende das gesamte Theoriegebäude vor Augen steht. Die Arbeit leistet aber nicht nur eine immanente Rekonstruktion, sondern arbeitet durch zahlreiche Abgrenzungen (Husserl, Thomas, Kant, Feuerbach, Dawkins etc.) das Pro l dieses Ansatzes heraus. So stellt die vorliegende Arbeit einen echten Forschungsbeitrag dar.“ Prof. Dr. Johannes Brachtendorf Tübinger Studien zur Theologie und Philosophie Herausgegeben von Franz-Josef Bormann und Johannes Brachtendorf ISBN 978-3-7720-8630-4