Die Taufe auf den Tod Christi
Eine ritualwissenschaftliche Untersuchung zur christlichen Taufe dargestellt anhand der paulinischen Tauftexte
0918
2017
978-3-7720-5635-2
978-3-7720-8635-9
A. Francke Verlag
Claudia Matthes
Die Taufe ist eines der ältesten und bis heute wirkungsvollsten Rituale des Christentums. Diese Studie untersucht die paulinischen Tauftexte erstmals umfassend unter dezidiert ritualwissenschaftlichen Gesichtspunkten. Ausgehend von einer klassischen exegetischen Analyse bedient sie sich dazu eines Spektrums an Methoden der sogenannten ritual studies. Die vor allem vergleichenden Analysen und Interpretationen richten sich sowohl auf die Taufe als Wasser- und Initiationsritual im Ganzen als auch auf einzelne Ritualaspekte. Folgende Fragen treten dabei in den Fokus: Welche Bedeutungsaspekte werden von Paulus betont, welche hingegen abgelehnt? Nimmt seine Taufdeutung Bezug auf den Ritualablauf oder ist sie unabhängig davon zu verstehen? Welche Rituale können als "Vorläufer" der christlichen Taufe gelten und zu welchen Ritualen steht die Taufe anderweitig in Relation? Den Abschluss bildet eine Interpretation der neutestamentlichen Taufe als Ritual und davon abgeleitet Anfragen an ihre heutige Deutung und Praxis in der Evangelischen Kirche.
<?page no="0"?> ISBN 978-3-7720-8635-9 www.francke.de Die Taufe auf den Tod Christi Die Taufe auf den Tod Christi Claudia Matthes Claudia Matthes Die Taufe ist eines der ältesten und bis heute wirkungsvollsten Rituale des Christentums. Diese Studie untersucht die paulinischen Tauftexte erstmals umfassend unter dezidiert ritualwissenschaftlichen Gesichtspunkten. Ausgehend von einer klassischen exegetischen Analyse bedient sie sich dazu eines Spektrums an Methoden der sogenannten ritual studies. Die vor allem vergleichenden Analysen und Interpretationen richten sich sowohl auf die Taufe als Wasser- und Initiationsritual im Ganzen als auch auf einzelne Ritualaspekte. Folgende Fragen treten dabei in den Fokus: Welche Bedeutungsaspekte werden von Paulus betont, welche hingegen abgelehnt? Nimmt seine Taufdeutung Bezug auf den Ritualablauf oder ist sie unabhängig davon zu verstehen? Welche Rituale können als „Vorläufer“ der christlichen Taufe gelten und zu welchen Ritualen steht die Taufe anderweitig in Relation? Den Abschluss bilden eine Interpretation der neutestamentlichen Taufe als Ritual und davon abgeleitet Fragen an ihre heutige Deutung und Praxis in der Evangelischen Kirche. 25 25 25 Herausgegeben von Eve-Marie Becker, Kathy Ehrensperger, Jens Herzer, Friedrich W. Horn, Oda Wischmeyer und Hanna Zapp Eine ritualwissenschaftliche Untersuchung zur christlichen Taufe dargestellt anhand der paulinischen Tauftexte <?page no="1"?> Die Taufe auf den Tod Christi <?page no="2"?> Neutestamentliche Entwürfe zur Theologie Band 25 • 2017 Herausgegeben von Eve-Marie Becker, Kathy Ehrensperger, Jens Herzer, Friedrich W. Horn, Oda Wischmeyer und Hanna Zapp <?page no="3"?> Claudia Matthes Die Taufe auf den Tod Christi Eine ritualwissenschaftliche Untersuchung zur christlichen Taufe dargestellt anhand der paulinischen Tauftexte <?page no="4"?> Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. © 2017 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Internet: www.francke.de E-Mail: info@francke.de Printed in Germany ISBN 978-3-7720-8635-9 <?page no="5"?> 11 16 1 16 1.0 16 1.1 19 1.2 22 1.3 28 1.4 32 1.5 34 2 36 2.0 36 2.1 37 2.2 41 3 48 3.1 48 3.2 48 3.3 49 3.4 50 52 1 52 1.1 52 1.2 53 1.3 62 2 63 2.1 64 2.2 69 3 77 Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I: Ritualwissenschaften und Exegese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rituale und Ritualwissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wahrnehmung, Präsenz und Brisanz von Ritualen in modernen Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Definition(en) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kategorisierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ritualveränderungen und -neuentwicklungen . . . . . . . Missverständnisse, Fehler und Protest . . . . . . . . . . . . . . Ritualkritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Methodik der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marginalisierung des Rituals in der Exegese? . . . . . . . . Rahmenbedingungen und Herausforderungen ritologischen Arbeitens im NT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ritologische Methodik der Untersuchung . . . . . . . . . . . Aufbau und Fragestellung(en) der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . Gegenstand und Ziel der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufbau der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begriffliche Differenzierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragestellungen der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II: Begrifflichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . βάπτω und βαπτίζω . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . βάπτω . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . βαπτίζω . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übersetzungstraditionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die sog. Taufformel(n) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . βαπτίζειν εἰς Χριστὸν . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . βαπτίζειν εἰς τὸ ὄνομα Χριστοῦ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . <?page no="6"?> 80 1 80 1.1 80 1.2 83 1.3 88 1.4 106 1.5 139 1.6 158 1.7 160 2 162 2.1 162 2.2 163 2.3 164 2.4 166 2.5 169 3 174 3.1 174 3.2 175 3.3 180 3.4 185 3.5 187 3.6 189 4 190 4.1 191 4.2 194 4.3 209 III: Die paulinischen Tauftexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Galater 3,23-29: Es gibt weder Jude noch Grieche. . . . . . . . . . Textsemantischer Einstieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ὑπό νόμον (Gal 3 f) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Χριστὸν ἐνεδύσασθε (Gal 3,27b) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . οὐκ ἔνι Ἰουδαῖος οὐδὲ Ἕλλην, οὐκ ἔνι δοῦλος οὐδὲ ἐλεύθερος, οὐκ ἔνι ἄρσεν καὶ θῆλυ (Gal 3,28a-c) . . . . . πάντες γὰρ ὑμεῖς εἷς ἐστε ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ (Gal 3,28d) εἰ δὲ ὑμεῖς Χριστοῦ, ἄρα τοῦ Ἀβραὰμ σπέρμα ἐστέ, κατ’ ἐπαγγελίαν κληρονόμοι (Gal 3,29) . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung unter ritologischer Perspektive . . . 1. Korinther 1,10-17: Auf wessen Namen seid ihr getauft? ! . . Textsemantischer Einstieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ἵνα […] μὴ ᾖ ἐν ὑμῖν σχίσματα (1Kor 1,10) . . . . . . . . . . ἐγὼ μέν εἰμι Παύλου, ἐγὼ δὲ Ἀπολλῶ, ἐγὼ δὲ Κηφᾶ, ἐγὼ δὲ Χριστοῦ (1Kor 1,12) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . μεμέρισται ὁ Χριστός; μὴ Παῦλος ἐσταυρώθη ὑπὲρ ὑμῶν, ἢ εἰς τὸ ὄνομα Παύλου ἐβαπτίσθητε; (1Kor 1,13) Zusammenfassung unter ritologischer Perspektive . . . 1. Korinther 12,12-20: Zu einem Leib getauft . . . . . . . . . . . . . . Textsematischer Einstieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ἐν ἑνὶ πνεύματι ἡμεῖς πάντες […] ἐβαπτίσθημεν (1Kor 12,13a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . […] ἡμεῖς πάντες εἰς ἓν σῶμα ἐβαπτίσθημεν (1Kor 12,13a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . εἴτε Ἰουδαῖοι εἴτε Ἕλληνες εἴτε δοῦλοι εἴτε ἐλεύθεροι (1Kor 12,13b) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . πάντες ἓν πνεῦμα ἐποτίσθημεν (1Kor 12,13c) . . . . . . . . Zusammenfassung unter ritologischer Perspektive . . . Römer 6,1-11: Mit Christus gestorben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der locus classicus der Tauflehre - Bedeutung und Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ὅσοι ἐβαπτίσθημεν εἰς Χριστὸν Ἰησοῦ, εἰς τὸν θάνατον αὐτοῦ ἐβαπτίσθημεν (Röm 6,3bc) . . . . . . . . . . . . . . . . . . συνετάφημεν οὖν αὐτῷ διὰ τοῦ βαπτίσματος εἰς τὸν θάνατον (Röm 6,4a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt 6 <?page no="7"?> 4.4 228 4.5 240 4.6 245 247 1 247 1.0 247 1.1 248 1.2 263 1.3 271 2 274 2.1 275 2.2 278 2.3 279 2.4 287 2.5 289 2.6 293 2.7 296 2.8 300 3 322 3.1 323 3.2 326 3.3 328 3.4 330 3.5 336 3.6 337 3.7 340 3.8 357 4 372 4.0 372 4.1 374 ἵνα ὥσπερ ἠγέρθη Χριστὸς ἐκ νεκρῶν διὰ τῆς δόξης τοῦ πατρός, οὕτως καὶ ἡμεῖς ἐν καινότητι ζωῆς περιπατήσωμεν (Röm 6,4b.c) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . εἰ γὰρ σύμφυτοι γεγόναμεν τῷ ὁμοιώματι τοῦ θανάτου αὐτοῦ (Röm 6,5a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung unter ritologischer Perspektive . . . IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche . . . . . . . . . . . . . . Wasser und Wasserrituale allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Im AT und frühjüdischer Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . Im NT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Johannestaufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Ritualbezeichnung: τὸ βάπτισμα Ἰωάννου . . . . . . . Der Ursprung des Rituals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Ritualleiter: die Person Ἰωάννης ὁ βατιστής . . . . . Die Ritualteilnehmer: οἱ ἐκπορευομένοι ὄχλοι βαπτισθῆναι ὑπ᾽ αὐτοῦ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Ritualort: Wüstenpredigt und Jordantaufe . . . . . . . Der Ritualablauf: Ἐγὼ μὲν ὑμᾶς βαπτίζω ἐν ὕδατι εἰς μετάνοιαν . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Ritualfunktion und -deutung: βάπτισμα μετανοίας εἰς ἄφεσιν ἁμαρτιῶν . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ertrag und Vergleich mit der christlichen Taufe . . . . . . Beschneidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Ritualbezeichnung: לומ / περιτέμνω . . . . . . . . . . . . . Der Ursprung des Rituals: תואל תירב . . . . . . . . . . . . . . . . Der Ritualleiter: der Beschneider . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Ritualteilnehmer: οἱ ἐκ περιτομῆς . . . . . . . . . . . . . . Der Ritualort und die Ritualzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Ritualablauf: das Abschneiden . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Ritualfunktion und -deutung: das Bundeszeichen . Ertrag und Vergleich mit der christlichen Taufe . . . . . . Proselytentauchbad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quellenlage und Datierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Ritualbezeichnung: הליבט . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt 7 <?page no="8"?> 4.2 375 4.3 376 4.4 377 4.5 378 4.6 379 4.7 384 4.8 395 5 404 5.0 404 5.1 405 5.2 411 5.3 417 5.4 429 5.5 433 442 1 442 1.1 442 1.2 448 1.3 471 2 474 2.1 474 2.2 477 2.3 481 3 482 3.1 483 3.2 483 3.3 484 3.4 485 4 487 5 489 5.1 489 5.2 491 Der Ursprung des Rituals: Die jüdischen Reinigungswaschungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Ritualleiter: Die Zeug(inn)en des Tauchbades . . . . Die Ritualteilnehmer: alle Proselyt(inn)en . . . . . . . . . . . Der Ritualort und die Ritualzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Ritualablauf: Beschneidung, Belehrungen und Tauchbad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Ritualfunktion und -deutung: Reinigungs- und Initiationsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ertrag und Vergleich mit der christlichen Taufe . . . . . . Gruppen mit intensivem Gebrauch von Wasserritualen . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Gemeinschaft von Qumran . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Elchasaiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Mandäer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Ebioniten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ertrag und Vergleich mit der christlichen Taufe . . . . . . V: Ritologische (Deutungs)Motive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tod-Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Verhältnis von Leben und Tod . . . . . . . . . . . . . . . . . Motivvarianten - Verwendung und Interpretation als Ritualdeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schlussfolgerungen und Gesamtinterpretation . . . . . . . Gemeinschaft, Einheit und Leibmetaphorik . . . . . . . . . . . . . . . Keine Taufe ohne Gemeinde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Taufe begründet eine einzigartige Einheit und Gemeinschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erbe, Sohn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kindschaft und Verwandtschaft allgemein . . . . . . . . . . Kinder Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abrahamskindschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Befreiung - Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Name . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Namensmotiv in rituellen Kontexten . . . . . . . . . . . Das Namensmotiv in der ὄνομα-Taufformel . . . . . . . . . Inhalt 8 <?page no="9"?> 6 493 498 0 498 1 500 1.1 500 1.2 505 2 506 2.1 506 2.2 514 3 514 3.1 514 3.2 517 4 517 4.1 517 4.2 520 5 521 5.1 521 5.2 522 6 523 6.1 523 6.2 526 7 527 532 I. 532 II. 555 III. 557 IV. 558 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI: Die christliche Taufe als Ritual. Eine Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Ritualbezeichnung: ἐβαπτίσθητε εἰς Χριστόν . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weiterführende Aspekte und Fragen . . . . . . . . . . . . . . . Der Ursprung und die Entwicklung des Rituals: εἰς τὸν θάνατον αὐτοῦ ἐβαπτίσθημεν . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weiterführende Aspekte und Fragen . . . . . . . . . . . . . . . Der Ritualleiter: ein Täufer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weiterführende Aspekte und Fragen . . . . . . . . . . . . . . . Die Ritualteilnehmer(innen): Wirklich alle können getauft werden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weiterführende Aspekte und Fragen . . . . . . . . . . . . . . . Der Ritualort und die Ritualzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Ritualort: Die Taufe ist ortsunabhängig. . . . . . . . . . Die Ritualzeit: Die Taufe ist der Moment des Wechsels. Der Ritualablauf: Wirklich alle werden in gleicher Weise einmalig getaucht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weiterführende Aspekte und Fragen . . . . . . . . . . . . . . . Die Ritualfunktion und -deutung: Die christliche Taufe ist ein Initiationsritual der besonderen Art. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hilfsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Textausgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Websites . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt 9 <?page no="10"?> Vorwort Die vorliegende Studie wurde im Sommersemester 2016 von der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig unter dem Titel „Auf seinen Tod getauft (Röm 6,3). Eine ritualwissenschaftliche Untersuchung zur christlichen Taufe dargestellt anhand der paulinischen Tauftexte“ als Dissertation angenommen und für den Druck leicht überarbeitet. Für die jahrelange Unterstützung, jedes Mitdenken und viele anregende und reflektierende Gespräche danke ich meinem Doktorvater Herr Prof. Dr. Jens Herzer. Dankbar bin ich auch Prof. Dr. Marco Frenschkowski für das Zweitgut‐ achten sowie vielfältige religionsgeschichtliche Hinweise. Die Diskussionen im Institutskolloquium haben mir immer wieder geholfen, Aufbau und Teilergeb‐ nisse des Projektes zu hinterfragen und mich zur richtigen Zeit motiviert. In besonderer Weise möchte ich an dieser Stelle Dr. Martin Hüneburg danken. Au‐ ßerdem bin ich dankbar, dass das Projekt in der Reihe „Neutestamentliche Ent‐ würfe zur Theologie“ aufgenommen wurde. Viele, viele Familienmitglieder und Freunde wissen nach diesen Jahren mehr Details und Kuriosa über die Taufe als sie vermutlich jemals wissen wollten. Einige von ihnen haben mich zusätzlich bei der Korrektur unterstützt. Vielen Dank für jedes offene Ohr, jede Minute und sonstige Unterstützung, mit denen ihr einen erheblichen Anteil an diesem Buch habt! V.a. den Theolog(inn)en unter euch wünsche ich, dass ihr das immer wieder Gehörte nutzen könnt, um im besten Sinne „gelingende Taufen“ zu spenden und zu feiern! Ich weiß, ihr seid für die Wichtigkeit und die Chance lebendiger Rituale in unserem Alltag wie in unseren Gemeinden sensibilisiert. Abschließend und besonders herzlich möchte ich meinem Mann Clemens Matthes danken, der mich bisher nur mit diesem Projekt kennt. Ich freue mich auf unser gemeinsames Leben und mit dir gemeinsam Rituale für unsere Familie zu finden und zu gestalten. Und ganz besonders freue ich mich darauf, dass unsere liebe Clara an diesem Sonntag getauft wird. Halbau, Pfingsten 2016 Claudia Matthes <?page no="11"?> 1 Siehe dazu unter I.2.0. 2 Feguson, Baptism. 3 A. a. O. 25-37. 4 A. a. O. 83-96; siehe dazu unter IV.2 ( Johannestaufe). 5 A. a. O. 60-82; siehe dazu unter IV.1 (Wasser und Wasserrituale); IV.4 (Proselyten‐ tauchbad), IV.5 (sog. „Täufersekten“). 6 Hellholm, Ablution, I-III. 7 Petersen, Rituals; siehe dazu unter I.1.2 (Exkurs Initiationsrituale) sowie unter IV.1 (Wasser und Wasserrituale). 8 Assmann / Kucharek, Wasserriten. Einleitung Zu keiner Zeit und in keiner exegetischen Veröffentlichung wird der Ritualcha‐ rakter der christlichen Taufe in Frage gestellt. Dass sich bisher nur wenige Stu‐ dien dessen wissenschaftlicher Erfassung und Interpretation widmen, scheint eine Reihe an Gründen zu haben. 1 Im Folgenden sei ein Überblick gegeben über diejenigen Beiträge, welche sich - wenn auch zum Teil nur ansatzweise - mit der Taufe als Ritual auseinandersetzen. Die beiden umfassendsten Veröffentlichungen der letzten Jahre zur Taufe sprechen Ritualsapekte insofern an, dass sie die (vermeintlichen) Vorgängerri‐ tuale und „Parallelen“ phänomenologisch darstellen und ansatzweise Vergleiche und Überlegungen zu deren Verhältnis mit der christlichen Taufe anstellen: Everett Ferguson, Baptism in the Early Church. History, Theology, and Liturgy in the First Five Centuries: 2 Ferguson geht einerseits auf die Verwendung von Wasser zur Reinigung in der Ritualwelt des griechisch-römischen Kontextes ein 3 und verhandelt andererseits über Johannes den Täufer, 4 Jüdische Wa‐ schungen, Täuferbewegungen und die sog. Proselytentaufe. 5 Diese Rituale iden‐ tifiziert er als „a more likely immediate context for Christian baptism than any other antecedents“. Hellholm, David / Vegge, Tor / Norderval, Oyvind / Hellholm, Christer (Hg.), Ab‐ lution, Initiation, and Baptism. Late Antiquity, Early Judaism, and Early Christi‐ anity, Bd. I- III : 6 Die methodische Grundlage legt Petersen, Anders Klostergaard, Rituals of Purification, Rituals of Initiation. Phenomenological, Taxonomical and Culturally Evolutionary Reflections. 7 Eine Reihe an Aufsätzen widmet sich Wasser- und teilweise auch Initiations‐ ritualen in vorangehenden und umliegenden Kulturen: Assmann, Jan / Ku‐ charek, Andrea, Wasserriten im Alten Ägypten; 8 Hultgård, Anders, The Man‐ <?page no="12"?> 9 Hultgård, Water Ritual; siehe dazu unter IV.5.3 (Die Mandäer). 10 Graf, Baptism; siehe dazu unter III.2.5 (Exkurs Der Täufer als Mystagoge) sowie unter V.1.2.2 (Mitvollzug des Schicksals einer Gottheit). 11 Pearson, Baptism. 12 Wurst, Initiationsriten. 13 Labahn, Wasser; siehe dazu unter IV.1 (Wasser und Wasserrituale). 14 Freyne, Jewish Immersion; siehe dazu unter IV.1.3.2 (Wasserrituale). 15 Sänger, Israelit; siehe dazu unter IV.4 (Proselytentauchbad). 16 Labahn, Erinnerung; siehe dazu unter VI.2.1.1.2 (Das Ursprungsereignis: Sterben, Be‐ grabenwerden und Auferwecktwerden Jesu Christi). 17 Hartman, Usages; siehe dazu unter II.2.2 (βαπτίζειν εἰς τὸ ὄνομα Χριστοῦ). 18 Hellholm, Tauftraditionen; siehe dazu unter II.2 (Die sog. Taufformel[n]) sowie unter III. (Die paulinischen Tauftexte). 19 Vegge, Baptismal Phrases. 20 Schröter, Taufe. 21 Byrskog, Baptism. 22 Moxnes, Name of Christ. 23 Schnelle, Salbung. 24 Hartvigsen, Matthew. 25 Seim, Baptismal Reflections. dean Water Ritual in Late Antiquity; 9 Graf, Fritz, Baptism and Graeco-Roman Mystery Cults; 10 Pearson, Birger A., Baptism in Sethian Gnostic Texts; 11 Wurst, Gregor, Initiationsriten im Manichäismus; 12 Labahn, Antje, Aus dem Wasser kommt das Leben. Waschungen und Reinigungsriten in frühjüdischen Texten; 13 Freyne, Sean, Jewish Immersion and Christian Baptism. Continuity on the Mar‐ gins? ; 14 Sänger, Dieter, „Ist er hinaufgestiegen gilt er in jeder Hinsicht als ein Israelit“ (bYev 47b). Das Proselytenbad im frühen Judentum. 15 Weitere Beiträge betrachten die christliche Taufe nach Einzelmotiven und in verschiedenen ntl.en Schriften(-gruppen): Labahn, Michael, Kreative Erinne‐ rung als nachösterliche Nachschöpfung. Der Ursprung der christlichen Taufe; 16 Hartman, Lars, Usages - Some Notes on the Baptismal Name-Formulae; 17 Hell‐ holm, David, Vorgeformte Tauftraditionen und deren Benutzung in den Pau‐ lusbriefen; 18 Vegge, Tor, Baptismal Phrases in the Deuteropauline Epistles; 19 Schröter; Jens, Die Taufe in der Apostelgeschichte; 20 Byrskog, Samuel, Baptism in the Letter to the Hebrews; 21 Moxnes, Halvor, Because of “The Name of Christ“. Baptism and the Location of Identity in 1 Peter; 22 Schnelle, Udo, Salbung, Geist und Taufe im 1. Johannesbrief; 23 Hartvigsen, Kirsten Marie, Matthew 28: 9-20 and Mark 16: 9-20. Different Ways of Relating Baptism to the Joint Mission of God, John the Baptist, Jesus, and their Adherents; 24 Seim, Turid Karlsen, Bap‐ tismal Reflections in the Fourth Gospel; 25 Wischmeyer, Oda, Hermeneutische Einleitung 12 <?page no="13"?> 26 Wischmeyer, Hermeneutische Aspekte; siehe dazu unter VI.7 (Die Ritualfunktion und -deutung). 27 Theißen, Religion. 28 A. a. O. 171. 29 Ebd. 30 A. a. O. 184. 31 Siehe a. a. O. 186-188. 32 Theißen, dinamica. Aspekte der Taufe im Neuen Testament. 26 Die weiteren Beiträge erstrecken sich auf die patristische Periode. Der Aufsatzband deckt eine beeindruckende Breite an Themen und Ritualen ab, welche mit der christlichen Taufe in ihren Anfängen in Verbindung stehen. Die Vielzahl der Autoren birgt zugleich (natürlicherweise) die Schwierigkeit, dass das methodische Vorgehen des Erfassens und Darstellens der Rituale un‐ terschiedlich und damit wenig vergleichbar vonstattengeht. Eine Monographie muss den Anspruch haben, nicht allein ritualwissenschaftlich zu arbeiten, son‐ dern sich auch der Herausforderung stellen, die sehr unterschiedlichen Quellen und Aspekte in einer einheitlichen und darin vergleichbaren Weise zu erfassen. Theißen, Gerd, Die Religion der ersten Christen. Eine Theorie des Urchristentums, 171-224: 27 Theißen widmet der „rituellen Zeichensprache des Urchristentums“ ein eigenes Kapitel, denn „Religionen sind Zeichensysteme, die auf eine letzt‐ gültige Wirklichkeit verweisen“. 28 Die rituelle Zeichensprache stehe dabei neben der narrativen (Mythos und Geschichte) und der präskriptiven (Imperative und wertende Sätze). 29 Aus der Vielfalt und Breite der urchristlichen Riten heben sich die beiden Sakramente Taufe und Abendmahl in besonderer Weise hervor. Theißen beschreibt ihr Entstehen als Transformation ursprünglicher, propheti‐ scher Symbolhandlungen: Beide bezögen sich nur sekundär auf den Tod Jesu, wodurch es zu einer „Spannung zwischen äußerem Vollzug und religiösem Sinn“ käme. 30 Letztlich überschreiten beide Sakramente „in rituell geschützter Form Tabuschwellen“, indem sie harmlose Handlungen („Essen und Trinken, Wa‐ schen und Begießen“) in religiöser Imagination mit Menschenopfer und Begra‐ benwerden gleichsetzen. 31 In seiner verhältnismäßig ausführlichen Darlegung zu den urchristlichen Ri‐ tualen arbeitet Theißen in Ansätzen ritualwissenschaftlich. Seinem inhaltlich ähnlich ausgerichteten Buch „La dinamica rituale di sacramenti nel christiane‐ simo primitivo. Da azioni simbolico-profetiche a riti misterici“ 32 stellt er gar dezi‐ diert „ritualtheoretische Vorüberlegungen“ voran. Jedoch liegt seiner Untersu‐ chung ein in der ritualwissenschaftlichen Forschung nicht mehr konsenesfähiger Ritualbegriff zu Grunde: „Riten sind Handlungen, die sich Einleitung 13 <?page no="14"?> 33 Theißen, Religion, 172. Zu Ritualdefinitionen siehe unter I.1.1. 34 Siehe a. a. O. 182-190. 35 Siehe dazu unter III.4.3. 36 Strecker, Liminale Theologie. 37 Siehe dazu Turner, Ritual, 94-127; sowie unter V.1.2.1 (Exkurs Liminalität). 38 Strecker, Taufrituale. 39 Strecker, Auf den Tod; siehe dazu unter V.1.1 (Das Verhältnis von Leben und Tod). 40 Strecker, Macht; siehe dazu unter V.1.1.1 (Der Tod) sowie unter V.2 (Einheit, Gemein‐ schaft und Leibmetaphorik). durch strenge Regelbefolgung selbst zum Zweck werden.“ 33 Diese Definition beeinflusst sodann nicht allein das Verständnis, sondern auch seine Überle‐ gungen zur Entstehung von Taufe und Abendmahl. Ob seine Thesen zur Sym‐ bolhaftigkeit der Taufhandlung und ihrer Bezugnahme auf das Begräbnis Jesu 34 tatsächlich zutreffen, wäre ebenfalls zu prüfen. 35 Schließlich gibt es eine Reihe an ntl.en ritualwissenschaftlichen Studien, welche hier nicht in ihrer Breite dargestellt werden können. Der Fokus soll auf denje‐ nigen liegen, welche mindestens ansatzweise die christliche Taufe als Ritual behandeln: Strecker, Christian, Liminale Theologie des Paulus. Zugänge zur paulinischen Theologie aus kulturanthropologischer Perspektive: 36 Strecker untersucht die ur‐ christlichen Ritual- und Gemeinschaftsstrukturen und deutet sie unter grund‐ legender Inanspruchnahme der Ritual- und Gesellschaftstheorie Victor Turners. Die Anwendung von etablierten Ritualtheorien zur Deutung ritueller Zusam‐ menhänge ist einerseits ein dezidiert ritualwissenschaftliches Vorgehen, ander‐ seits bleibt zu fragen, inwieweit eine unter Beobachtung von Ureinwohnervöl‐ kern wie modernen Gruppierungen entwickelte Theorie „anwendbar“ auf die urchristliche Gemeinschaft ist - selbst dann, wenn Turner diese als Beispiel seiner Theorie benennt. 37 In weiteren Veröffentlichungen v. a. zur Taufe verfolgt Strecker sodann auch andere ritualwissenschaftliche Ansätze, indem er der ntl. mit der Taufe in Ver‐ bindung gebrachten Motivik ritualwissenschaftlich nachspürt: Strecker, Chris‐ tian, Taufrituale im frühen Christentum und in der Alten Kirche. Historische und ritualwissenschaftliche Perspektiven; 38 ders., Auf den Tod getauft - ein Leben im Übergang. Erläuterungen zur lebenstransformierenden Kraft des Todes bei Paulus im Kontext antiker Thanatologien und Thanatopolitiken; 39 ders., Macht - Tod - Leben - Körper. Koordination einer Verortung der frühchristlichen Rituale Taufe und Abendmahl. 40 Einleitung 14 <?page no="15"?> 41 Jensen, Baptismal Imagery. 42 Siehe dazu unter IV.1. 43 Siehe dazu unter V.2. 44 Siehe dazu unter V.1. 45 Siehe dazu unter V.1.2.5 und V.1.2.6. 46 DeMaris, Ritual World. 47 A. a. O. 14-56. Jensen, Robin M., Baptismal Imagery in Early Christianity. Ritual, Visual and Theological Dimensions: 41 Jensen untersucht und interpretiert die vielfältige Taufmotivik vom Neuen Testament bis in die Patristik u. a. unter ritologischen Gesichtspunkten, indem sie etwa andere Reinigungsrituale oder Inkorporati‐ onsrituale vergleichend heranzieht. Die von ihr untersuchten Motive sind „Bap‐ tism as Cleansing from Sin and Sickness“, 42 „Incorporation into the Commu‐ nity“, 43 “Baptism as Sanctifying and Illuminative”, “Baptism as Dying and Rising” 44 sowie “Baptism as the Beginning of the New Creation”. 45 Mit ihrer inhaltlichen Herangehensweise verfolgt sie die Deutungsmotive durch die Ent‐ wicklungsgeschichte der Taufe hindurch. Andere ritualwissenschaftliche An‐ sätze, wie etwa der Vergleich mit funktional ähnlichen Ritualen, werden dieser Prämisse untergeordnet und treten dadurch nur am Rande auf. DeMaris, Richard E., The New Testament in its Ritual World: 46 Nach einer Ein‐ führung in „Ritual Studies and the New Testament“ unterteilt DeMaris seine Ausführungen in „Entry Rites“ und „Exit Rites“ und geht innerhalb dessen so‐ wohl Ritualelementen als auch -motiven nach. Er legt damit eine inhaltlich wie methodisch dezidiert ritualwissenschaftliche Studie vor. Die christliche Taufe stellt dabei eines der untersuchten Rituale dar. 47 Eine Reihe von Studien und Aufsätzen beschäftigt sich allgemein mit der Ritu‐ alwelt des Neuen Testaments oder auch konkret mit Ritualaspekten und -elementen der christlichen Taufe in ihren Anfängen. Wenn daraus auch ein‐ zelne inhaltliche wie methodische Anstöße hervorgehen, so fehlt es dennoch an einer umfassenden Erfassung des Rituals Taufe. Die nachfolgende Arbeit stellt sich der Herausforderung, dies erstmalig durchgehend und dezidiert unter Zu‐ hilfenahme ritualwissenschaftlicher Methodik zu vollziehen. Den Weg dahin wird das nachfolgende Methodenkapitel aufzeigen. Einleitung 15 <?page no="16"?> 1 Burke, Ablehnung, 186. 2 Ebd. 3 Gluckman, Custom. 4 Gorman, Ritual Studies, 14. 5 A. a. O. 14-16. Kapitel I: Ritualwissenschaften und Exegese 1 Rituale und Ritualwissenschaften 1.0 Wahrnehmung, Präsenz und Brisanz von Ritualen in modernen Gesellschaften Es galt lange Zeit als Gemeinplatz innerhalb der Sozialforschung, „daß Rituale in modernen Gesellschaften an Bedeutung verloren haben - als Ergebnis des Siegeszuges des Rationalismus oder der Technik, oder weil man den Individua‐ lismus, die Spontaneität, Authentizität und Aufrichtigkeit zunehmend höher bewertete“. 1 Max Weber etwa assoziierte Ritual mit Magie und konstatiert, „daß alle beide in der modernen, ‚entzauberten‘, rationalen Welt an Bedeutung ver‐ lieren“. 2 Max Gluckman spricht gar von einem allgemeinen Rückgang der Ritu‐ alisierung sozialer Beziehungen. 3 Doch die Tendenz zur Marginalisierung von Ritualen ist erheblich älter als Weber und Gluckman. Wesentlich geprägt und mitbegründet wird sie bereits seit dem 16. Jh. von der evangelischen Theologie in ihrer gesamtgesellschaftli‐ chen Wirkung: „The Protestant Reformation produced an ideological stance that was openly hostile toward ritual.“ 4 In seiner (theologie-)geschichtlich angelegten Ursachenforschung macht Gorman drei Aspekte evangelischer Theologie aus, welche zu einer Abwertung von Ritualen führten: 1) „the emphasis on inner experience as central to the authentic Christian existence“; 2) „a Christocentric and Christological interpretation of the Bible and history“ und 3) „anti-Judaistic and anti-Catholic biases and polemics“. 5 Einige dieser (Über-)Interpretationen sind als direkte Reaktion auf das teilweise magische Ritual‐ verständnis und -praxis der vortridentinischen katholischen Kirche zu verstehen und führen zu einer allgemeinen Distanzierung von ritualisierten, körperlichen Formen der Glaubensausübung. Später verstärken nach der Meinung von Douglas antiritualistische Thesen tra‐ dierende, religiöse Erweckungsbewegungen, welche das Ritual stets als „leeren <?page no="17"?> 6 Douglas, Ritual, 11 f. Sie spricht davon, dass „Ritual“ ein häßliches, ja anstößiges Wort geworden sei (a. a. O. 11). 7 Bieritz, Ritual, 13. 8 Siehe entsprechende Angebote und deren Begründung von sog. Ritualberatern, z. B. Behner http: / / www.humanistische-aktion.homepage.t-online.de/ ritual02.htm#rit, letzter Zugriff 16. 05. 2015. Einige der von ihm angebotenen Rituale sind jedoch offen‐ sichtlich areligiöse bzw. nicht-kirchliche Ersatzrituale für Trauung, Konfirmation oder Taufe. 9 Siehe etwa Imber-Black / Roberts, Vertrauen. 10 Bieritz, Ritual, 12. 11 Ebd. Konformismus“ kritisieren, die Marginalisierung des Rituals v. a. im evangeli‐ schen Bereich und davon geprägten Gesellschaften. 6 Dass nun in den vergangenen 30 Jahren gehäuft die Beobachtung gemacht wird, Rituale seien wieder „in“ bzw. „schön“, 7 hat m. E. zwei miteinander kor‐ respondierende Ursachen: 1) Es ist ein erweiterter, nicht allein auf religiöse Rituale und den Ritualablauf fokussierender Ritualbegriff wahrzunehmen. Rituale werden (wieder-)entdeckt in sämtlichen Gesellschafts- und Lebensbereichen. 2) Es entstehen tatsächlich viele neue Rituale bzw. werden bewusst gesucht und entwickelt. Diese „neuen“ Rituale unterscheiden sich jedoch teilweise er‐ heblich in Art, Intension wie gesellschaftlicher bzw. privater Verortung von bis‐ herigen Ritualen und deren Funktionen. Als Anlass vieler der v. a. privaten Ri‐ tuale muss die sich so schnell wie nie verändernde, verkomplizierende und ständige Entscheidungen, Flexibilität und Erreichbarkeit fordernde Lebenswelt eines Menschen des digitalen Zeitalters gelten. Entsprechend werden Rituale zum Arbeiten im homeoffice, zur Ehescheidung, 8 zum Umgang in Patchwork‐ familien 9 sowie zu individuellen oder auch gemeinschaftlichen Offline-Zeiten entwickelt: „Die ‚neuen Rituale‘, so darf man aus all dem schließen, sind Hand‐ lungen, die vornehmlich der Psychohygiene dienen und darin ihren Sinn wie ihre Rechtfertigung - ihre raison d’etre - finden.“ 10 Selbst wenn dazu auf ältere Ritualformen zurückgegriffen wird, „werden sie nicht als Selbstverständlich‐ keiten des gesellschaftlich-religiösen Lebens fraglos wahr- und hingenommen, sondern in einer Art ‚Kaufentscheidung‘ bewußt gewählt, häufig auch erst in einem kreativen Prozeß hergestellt, um- und ausgestaltet. Immer weniger wird ihre Plausibilität durch kulturelle Gewohnheiten bzw. durch religiöse und ge‐ sellschaftliche Institutionen garantiert.“ 11 Daneben werden aber auch im öffentlichen Raum - in Politik, Sport, Musik oder auch an Universitäten - Rituale vermehrt entwickelt bzw. werden (wieder) als solche erkannt. Diesbezüglich ist gelegentlich die These zu hören, alle Ge‐ 1 Rituale und Ritualwissenschaften 17 <?page no="18"?> 12 Burke, Ablehnung, 187. 13 A. a. O. 200. Siehe dazu unter I.1.6. 14 So finden sich umfangreiche ritologische Studien in der Anthropologie, der Ethnologie, den Literaturwissenschaften, den Theaterwissenschaften, der Psychologie, Religions‐ wissenschaften, Soziologie sowie verschiedenen Disziplinen der Theologie. 15 Einen kurzen Überblick über Werdegang, Gegenstand und Eigenart der Ritualwissen‐ schaften bietet Grimes, Ritual Studies, 422-425. Er versucht sich u. a. in einer Verhält‐ nisbestimmung und zugleich Abgrenzung gegenüber anderen Forschungsgebieten. Für einen Überblick über verschiedene ritologische Theorien siehe Belliger / Krieger, Ritu‐ altheorien; sowie Wulf / Zirfaß, Performative Welten. 16 Siehe Bell, Ritual, und dies., Ritual Theory. sellschaften seien gleichermaßen ritualisiert, sie würden lediglich unterschied‐ liche Rituale praktizieren. Burke mahnt diesbezüglich an, dass es wesentlich schwieriger sei, eigene Rituale zu erkennen als die der anderen, und empfiehlt daher, lediglich die Einstellung gegenüber Ritualen in der eigenen Gesellschaft zu beschreiben. 12 Er kommt dabei zu dem Schluss: „Selbst wenn viele Menschen Rituale weiterhin ernst nehmen und es möglich ist, daß neue Medien […] auf ihre Art zur Mystifikation von Autoritäten beitragen, so steht dennoch fest, daß eine distanzierte, ja ablehnende Einstellung zu ‚bloßen‘ Ritualen in der westli‐ chen Kultur feste und tiefe Wurzeln geschlagen hat.“ 13 Als aktuelle Grundtendenzen moderner Gesellschaften - ob evangelisch ge‐ prägt oder nicht - lässt sich dennoch festhalten: 1) Es entsteht eine Vielzahl neuer Rituale, sowohl im privaten wie im öffentlichen Raum. 2) Teilweise wird dazu auf alte Ritualformen und -abläufe zurückgegriffen. 3) Die privaten Rituale, sowohl von einzelnen, als auch Familien und kleineren Gruppen reagieren dabei häufig auf veränderte gesellschaftliche Herausforderungen und versuchen, diese mit Hilfe von Ritualen zu bewältigen. 4) Neuere Rituale in Politik, Medien oder auch Sport scheinen ebenfalls auf die sich verändernde Gesellschaft, ggf. den Rückgang allgemeingültiger und allgemein praktizierter Rituale zu rea‐ gieren. Dass die Trauerzeremonien am Ground Zero wesentliche Elemente kirchlicher Trauerfeiern oder auch das allsamstagliche Fangebaren in deutschen Fußballstadien auffällige Ähnlichkeiten mit einer Gottesdienstliturgie hat, mag als Indiz dafür gelten. Mit dieser kontroversen gesellschaftlichen Entwicklung geht seit einigen Jahrzehnten die zunehmend systematisierte wissenschaftliche Erforschung von Ritualen einerseits innerhalb unterschiedlicher Forschungsgebiete 14 und ande‐ rerseits als eigenständiges und doch stets interdisziplinäres Forschungsgebiet, den sog. „Ritual Studies“ bzw. „Ritualwissenschaften“, einher. 15 Als maßgebliche Protagonisten seien hier nur exemplarisch genannt Catherine Bell, 16 Mary Dou‐ Kapitel I: Ritualwissenschaften und Exegese 18 <?page no="19"?> 17 Siehe Douglas, Reinheit, und dies., Ritual. 18 Siehe Rappaport, Ritual. 19 Siehe Smith, Place. 20 Siehe Turner, Ritual Process. 21 Siehe van Gennep, Übergangsriten. 22 Siehe Grimes, Beginngings, und ders., Ritual Criticism. 23 Ich danke Prof. Marco Frenschkowski für diesen und viele weitere Hinweise auf die antike Literatur, auch wenn sie oft nicht den in Umfang und Tiefe wünschenswerten Niederschlag in dieser Arbeit finden konnten. 24 Stowasser, Art. ritus, 447. glas, 17 Roy Rappaport, 18 Jonathan Z. Smith, 19 Victor W. Turner 20 und Arnold van Gennep. 21 Gesondert ist auf Ronald L. Grimes 22 zu verweisen, welcher 2005-2010 den weltweit ersten Lehrstuhl für Ritual Studies an der Radboud University Nijmegen (Niederlanden) innehatte. Wie diese vielfältigen modernen Ansätze so können auch die antiken Ritu‐ altheorien hier nicht ausführlich dargestellt werden. Genannt werden sollen aber immerhin die bekanntesten Protagonisten in diesem Bereich: Philon und Plutarch, v. a. Αἰτίαι Ῥωμαϊκαί, Αἰτίαι Ἑλλήνων. Anders als in den eher schlichten neutestamentlichen Paränesen spielen bei ihnen umfangreiche ethi‐ sche und moralphilosophische Kultdeutungen eine wesentliche Rolle. 23 1.1 Definition(en) Viele Kontroversen wie auch die Vielfalt der Theorien innerhalb der Ritualwis‐ senschaften gründen im Fehlen einer konsensfähigen Definition für den Unter‐ suchungsgegenstand „Ritual“. Einen ersten Hinweis auf der Suche nach dem „Wesen“ eines Rituals bietet die Begriffsgeschichte. 1.1.1 Die sprachliche Wurzel des Rituals Die Bezeichnungen, welche sich in den europäischen Sprachen finden, gehen beinahe alle auf das lateinische Adjektiv ritualis bzw. das Nomen ritus zurück, welches „Brauch, Sitte, Gewohnheit“ meint. 24 Eine rite vollzogene Handlung wurde in der festgelegten Form ausgeführt. Die etymologische Wurzel ist nicht eindeutig: Die zwei gemeinhin angeführten Möglichkeiten betonen entweder die „auf Regelmäßigkeit beruhende Struktur“ (von sanskrit. r̥ta) oder, etwas 1 Rituale und Ritualwissenschaften 19 <?page no="20"?> 25 Hödl, Ritual, 665, welcher r̥ta mit „die auf Gesetzmäßigkeit und Regelmäßigkeit beru‐ hende, normale und deshalb richtige, natürliche und deshalb wiederum wahre Struktur des kosmischen, weltlichen, menschlichen, rituellen Geschehens“ deutet. Vom indo‐ germanischen ri leitet sich u. a. auch das griechische ῥέω ab. Stowasser, Art. ritus, 447, gibt als etymologische Herkunft das altindische r̥tam an, was „heiliger Brauch“ bedeute. Eine weitere Herkunftsmöglichkeit meint Watkins, Dictionary, 71, im ind. *rē(i) aus‐ gemacht zu haben, was er mit „to reason, to count“ übersetzt. 26 Im Deutschen ist „Ritus“ erstmals für Ende des 16. Jh. s im Sinne von „religiöse Zere‐ monie, kultischer Brauch“ belegt, (Pfeifer, Art. Ritus, 1432). „Ritus“ kann da aber bereits auch „Ordnung der Kulthandlungen“ sowie „kultische Texte religiöser Gemeinschaften“ bezeichnen. V.a. das Element des „geordneten, regelmäßigen Ablaufs“ bestimmt die ersten Belege, ebd. 27 Stausberg, Ritual, 52: „However there is ample evidence that the term ‚ritual‘ underwent a serious semantic transformation in the late 19 th / early 20 th centuries. Moreover, once it becomes a key-term in the humanities, in the scholarly vocabulary ‚ritual‘ has in‐ creasingly replaced alternative (and partly synonymous) terms, such as ‚ceremony‘, ‚observance‘, ‚celebration‘, ‚custom‘, ‚service‘, and ‚tradition‘.“ 28 A. a. O. 51. 29 Chanoitis, Greek, 69. neutraler, den Verlauf einer Handlungsabfolge (von indogerm. ri). 25 Die regel‐ mäßige wie die prozessuale Charakteristik scheinen zwei Elemente zu sein, die sich bis in den heutigen Sprachgebrauch des „Rituals“ durchziehen. Bei der Übernahme in die modernen indogermanischen Sprachen entwickelt sich der Begriff jedoch sehr schnell zum terminus technicus und Schlüsselbegriff in ver‐ schiedenen Zusammenhängen, so etwa im Deutschen 26 oder auch Englischen. 27 Die zunächst scheinbar verheißungsvolle Feststellung, dass die einschlägigen Begrifflichkeiten in so vielen der europäischen Sprachen sich auf eine gemein‐ same Wurzel, nämlich das lateinische ritus zurückführen lassen, „does not imply semantic and pragmatic continuity“. 28 Will man dem ursprünglichen Sinn des Begriffes auf die Spur kommen, ist vielmehr nach semantisch-pragmatischen Synonymen zum heutigen Ritualbegriff zu fragen - mit Blick auf den Gegen‐ stand der Arbeit - über das Lateinische ritus hinausgehend speziell im (neutes‐ tamentlichen) Griechischen: „The (ancient) Greek language does not have a word that corresponds to the modern notion of a ‚ritual‘.“ 29 Chanoitis meint vielmehr, verschiedene Arten von Entsprechungen für „Ritual / ritual” ausma‐ chen zu können: zum einen Wörter, welche einzelne Rituale bezeichnen (θυσία, ἐναγισμός, σπονδή), zum anderen Begriffe, die - aus dem semantischen Feld „to act“ / „action“ stammend - in einem allgemeineren Sinne Rituale bezeichnen können (ἱερὰ ποιεῖν, θεραπεύειν τοὺς θεούς), und davon wiederum abgegrenzt weitere Begriffe, welche beinahe ausschließlich im Zusammenhang mit Myste‐ rienreligionen und Initiationen belegt sind (τελεῖν, δρόμενα, ὄργια). „Instead of using a word that corresponds to our notion of a ritual, the Greeks often use the Kapitel I: Ritualwissenschaften und Exegese 20 <?page no="21"?> 30 A. a. O. 70, siehe außerdem Lamoreaux, Ritual Studies, 157-159, welcher ausführlich die griechischen wie lateinischen Begrifflichkeiten benennt und kontextualisiert. 31 Zur Art der jeweiligen Definitionen, auch in kritischem Vergleich zu ihrem Selbstan‐ spruch, siehe ausführlich Snoek, Defining ‚Ritual‘. 32 Turner, Ritual Process, 19: Ritual ist „formal behavior prescribed for occasions not given over to technical routine, having reference to beliefs in mystic beings or powers.“ Goody, Ritual, 26: Ritual ist „a category of standardized behavior in which the relationship between the means and the end is not intrinsic but irrational or non-rational.“ 33 Staal, Meaningless, 1: „Rituals are meaningless.“ 34 Meeks, Urchristentum, 291: „Das Ritual übermittelt nicht ausschließlich oder haupt‐ sächlich Information. Es bewirkt vielmehr etwas.“ 35 Grimes, Ritual Criticism, 13: „Ritual is not a ‚what‘, a ‚thing‘. It is a ‚how‘, a quality, and there are degrees of it.“ Bell, Ritual Theory, 90: „[B]asic to ritualization is the inherent significance it derives from its interplay and contrast with other practices. […] Likewise, this view suggests that the significance of ritual behavior lies not in being an entirely separate way of acting, but in how such activities constitute themselves as different and in contrast to other activities. […] Acting ritually is first and foremost a matter of nu‐ anced contrasts and the evocation of strategic, value-laded distinctions“. 36 Siehe etwa Grimes‘ Katalog der Handlungsqualitäten zur Beschreibung des Grades der Ritualisierung, siehe unten Anm. 46. 37 Skorupski, Symbol, 171: „… welchen Sinn hat ein Ausdruck, der diese zusammenstellt? Gar keinen; es gibt nichts von Interesse, was diesen [Beispiele, CM] gemeinsam ist.“ Ähnlich auch Lang, Ritual, 444, welcher von einem inflationären Gebrauch des Begriffes spricht. Entsprechend begrenzt er seine Vorstellung von Ritual folgendermaßen: „‚Ri‐ tual‘ ist Oberbegriff für religiöse Handlungen, die zu bestimmten Gelegenheiten in gleicher Weise vollzogen werden, deren Ablauf durch Tradition oder Vorschrift fest‐ gelegt ist, und die aus Gesten, Worten und dem Gebrauch von Gegenständen bestehen können.“ (a. a. O. 442 f). general term tà nomizómena (‚the actions prescribed by custom‘) in order to refer to ritual actions, not only of a religious nature.“ 30 1.1.2 (Ansätze zu) Ritualdefinionen Wie das Griechische unterschiedliche Termini verwendet und das lateinische ritus bereits zwei grundlegende Bedeutungstendenzen beinhaltet, so lassen sich auch in den heutigen Ritualwissenschaften nicht allein unterschiedliche Ritu‐ aldefinitionen, sondern kategorial verschiedene Ansätze, ein Ritual zu defi‐ nieren, ausmachen, welche hier lediglich in einer kleinen Auswahl dargeboten werden können: 31 1) Einige Ritualdefinitionen beschreiben in Form von Nomi‐ nalsätzen das Wesen von Ritualen. 32 2) Andere Ritualdefinitionen sind von Ne‐ gativbestimmungen geprägt. 33 3) Wieder andere heben auf den Handlungsas‐ pekt eines Rituals ab. 34 4) Das Ritual wird selbst als Handlungsweise verstanden. 35 5) Externe Intentionen haben Einfluss auf die Definition, wie etwa die Absicht rituelle Phänomene maximal zu erfassen 36 oder auch die Abwehr dessen. 37 1 Rituale und Ritualwissenschaften 21 <?page no="22"?> 38 Snoek, Defining ‚Rituals‘, 3. Eine komplette Ablehnung des Begriffes findet sich etwa bei Goody, Ritual. 39 Stollberg-Rilinger, Rituale, 8 f. 40 Z. B. Lamoreaux, Ritual Studies, 153, welcher diese Unterscheidung für die erste Grund‐ bestimmung bei der Analyse von Ritualen hält. 41 Siehe Meeks, Urchristentum, 292. Die Problematik führt einige Forscher schließlich dazu, „not to define ‚ritual‘ explicitely (forgetting that they do have some idea of what a ‚ritual‘ is anyway), or to argue against the use of the term altogether! “ 38 Stollberg-Rilinger hält sol‐ chen Tendenzen wiederum entgegen: „Es ist aber weder möglich noch not‐ wendig, ja nicht einmal wünschenswert, sich auf eine einzige, ‚richtige‘ und ‚endgültige‘ Definition zu einigen. Deshalb ist die Geschichte der Ritualfor‐ schung immer zugleich eine Geschichte unterschiedlicher Ritualdefinitionen.“ 39 In diesem Sinne sollen die verschiedenen Ritualdefinitionen in ihrer Weite und Vielfalt an dieser Stelle stehen bleiben, und „Ritual“ mit Grimes grundsätzlich verstanden werden als ritualisiertes Handeln, dessen Ritualisierungsgrad un‐ terschiedlich hoch sein kann. Diese recht allgemeine Definition genügt an dieser Stelle, insofern bei keinem der in dieser Arbeit untersuchten Rituale ein Zweifel daran besteht, dass sie tatsächlich als Rituale gelten können. Sowohl die besprochenen Taufen, als auch die zum Vergleich herangezogenen sonstigen Wasserrituale, die Beschneidung wie auch die gelegentlich thematisierten Mysterieneinweihungen stellen Ri‐ tuale dar. Zu diskutieren sind vielmehr ritologische Sachfragen, wie Möglichkeit und Umstände von Ritualentwicklungen oder auch Ritualkritik sowie die Ritu‐ alkategorie. Dort hat auch der methodische Fokus bezüglich zu befürchtender Engführungen zu liegen, nicht aber auf der Ritualdefinition im Allgemeinen. Daher werden im Folgenden nach einer Übersicht über mögliche Ritualklassi‐ fikationen mit Blick auf die christliche Taufe und ihre Entstehung offensichtlich relevante Sonderfragen der Ritualwissenschaften dargestellt. 1.2 Kategorisierungen Ebenso verschieden und vielfältig wie die Ritualdefinitionen gestalten sich auch die Ansätze, Rituale zu klassifizieren. Neben binären Grundunterscheidungen, etwa in religiöse und säkulare Rituale 40 oder in Hauptrituale und Teilri‐ tuale/ -riten, 41 werden auch immer wieder mehrgliedrige Modelle vorgeschlagen. Die meisten Kategorisierungen unterscheiden dabei nach inhaltlich-funktio‐ nalen Aspekten, wobei auch bei den von etablierten Ritualwissenschaftlern vor‐ geschlagenen Modellen sich Beschreibungsschwierigkeiten auftun und reflek‐ Kapitel I: Ritualwissenschaften und Exegese 22 <?page no="23"?> 42 Siehe dazu Grimes, Sources, 136 f. 43 So Bell, Ritual, 93, über ihre eigenen Kategorien. 44 A.a.O. 93-137, wo sie neben der Beschreibung der einzelnen Kategorien auch zahlreiche Beispiele bietet: Rites of Passage; Calendric Rites; Rites of Exchange and Communion; Rites of Affliction; Feasting, Fasting, and Festivals; Political Rites. 45 Grimes, Sources, 134.136-139, welcher zu den einzelnen Kategorien Standardsekun‐ därliteratur auflistet: Rites of passage; Marriage rites; Funerary rites; Festivals; Pilgri‐ mage; Purification; Civil ceremony; Rituals of exchange; Sacrifice; Worship; Magic; Healing rites; Meditation rites; Rites of inversion; Ritual drama. 46 Grimes, Ritual Criticism, 10 f. Als solche Ritualeigenschaften sieht Grimes beispiels‐ weise an: performed, embodied, enacted, gestural, formalized, elevated, repetitive, col‐ lective, paradicmatic, transcendent, functional u.v.m. 47 Zu den Spezifika von Reinigungsritualen als einer Form der Wasserrituale siehe unter IV.1. 48 Burkert, Initiation, 91. tiert werden, 42 welche entweder zu Mischkategorisierungen oder aber dazu führen, dass Rituale in mehrere der Kategorien eingeordnet werden können. 43 Als klassische Modelle können gelten die sechs Kategorien Bells, 44 die 16 Kate‐ gorien Grimes, 45 aber auch Grimes’ Katalog an typischen Ritualeigenschaften, nach welchem der Grad an Ritualisierung gemessen werden kann. 46 Die Zuordnung eines Rituals zu einer der Kategorien kann je nach Art des Rituals einen einfachen Schritt im Rahmen der Analyse darstellen oder aber eine wesentliche Entscheidung im Interpretationsprozess, welche ggf. an dessen Ende erneut zu prüfen ist. Die Taufe wird gemeinhin zur Kategorie der Reini‐ gungsrituale 47 und / oder zur Kategorie der Initiationsrituale gerechnet. Letztere bedürfen auf Grund ihrer Geschichte wie auch Vielfalt einer kurzen Darstellung. Exkurs: Initiationsrituale 1. Begriffsgeschichte Das Spannungsfeld der verschiedenen Vorstellungen und Assoziationen zur Initiation liegt bereits im Begriff begründet, denn in ihm „kreuzt sich ein antiker, an den ‚Mys‐ terien‘ orientierter Begriff mit einem modernen, der auf Entwicklungspsychologie und Gesellschaftstheorie ausgerichtet ist“. 48 Insofern ist im Folgenden zwischen dem griech.-lat. Ursprung des Begriffes und dessen heutiger Verwendung als Kategorie‐ bezeichnung innerhalb von Anthropologie, Ethnologie und den Ritualwissenschaften zu unterscheiden. Der heutige Fachbegriff leitet sich vom Lateinischen initia / initio bzw. initiare ab, was zunächst „Anfang / anfangen“ bedeutet, hierbei allerdings als Übersetzung für die griechischen Begriffe μύησις, μυστήρια, ὄργιον und τελεθή verwendet wird, auch wenn sich „keines dieser griech. Substantiva […] auch nur annähernd mit dem lat. 1 Rituale und Ritualwissenschaften 23 <?page no="24"?> 49 Turcan, Initiation, 87. 50 Siehe dazu a. a. O. 87-89, sowie Burkert, Initiation, 91 f. 51 A. a. O. 91. 52 Ebd. 53 Siehe überblicksweise Burkert, ‚Iniziazione‘. 54 Siehe van Gennep, Rites de passage. 55 Burkert, Initiation, 92. 56 Eliade, Mysterium, 11 (Hervorhebung im Original). 57 Snoek, Initiation, 173. Wort“ deckt. 49 Die Rekonstruktionsversuche zur ursprünglichen Bedeutung von dem Wortfeld um μύησις bleiben spekulativ, 50 sicher scheint allein, dass sich die griechi‐ schen Begriffe zunächst auf die Geheimkulte von Eleusis und Samothrake - später auch auf andere - beziehen, 51 und seit der hellenistischen Zeit im Lateinischen durch initia oder auch das Lehnwort mysteria „jeder etwas geheimnisumwitterte Kult“ 52 bezeichnet werden kann. 2. Definition(en) In der Moderne wird der Begriff initiation als Ritualkategorie wieder aufgegriffen bzw. neu bestimmt, 53 wobei bisher - wie bereits beim Begriff „Ritual“ - keine einheitliche Definition und mit ihr eine entsprechende Abgrenzung und Beschreibung dieser Ka‐ tegorie gefunden werden konnte. Es lässt sich jedoch feststellen, dass die begriffliche wie inhaltliche Grundorientierung zumeist auf die von van Gennep beschriebenen Passageriten, 54 welche „nahezu gleichbedeutend mit ‚Initiation‘“ 55 verwendet werden, zurückgeht. Drei solcher Definitionen seien im Folgenden zitiert und sollen in ihren Übereinstimmungen, aber auch in ihrer gegenseitigen Weite die Grundlage für das Begriffsverständnis in dieser Arbeit darstellen: Mircea Eliade: „Im allgemeinen versteht man unter Initiation eine Gesamtheit von Riten und mündlichen Unterweisungen, die die grundlegende Änderung des reli‐ giösen und gesellschaftlichen Status des Einzuweihenden zum Ziel haben. Philoso‐ phisch gesagt entspricht die Initiation einer ontologischen Veränderung der existen‐ tiellen Ordnung. Am Ende seiner Prüfungen erfreut sich der Neophyt einer ganz anderen Seinsweise als vor der Initiation: er ist ein anderer geworden.“ 56 Jan A. M. Snoek: „Initiations are all those, and only those, rites de passage, limited in time, and involving at least one subject participant, which are nonrecurrent transitions in time for their individual objects (the candidates).“ 57 Anders Klostergaard Petersen: „A ritual of initiation represents a sub-class of the cate‐ gory ritual. The class covers three different types of rituals that mutually differ from each other by the subject of doing of the ritual, as well as the state into which the ritual participant through the ritual is incorporated. Rituals of initiation effectuate an Kapitel I: Ritualwissenschaften und Exegese 24 <?page no="25"?> 58 Petersen, Rituals, 31. 59 Siehe so ebd.; Burkert, Initiation, 91; etwas differenzierter Eliade, Initiation. 60 Snoek, ‚Initiations‘ in Theory, 80. Dagegen: Schjødt, Initiation. 61 Siehe van Gennep, Übergangsriten, 21. 62 Turner sieht in der liminalen Phase das eigentliche Moment sämtlicher Rituale und entwickelt davon ausgehend eine Ritualtheorie um die beiden Begriffe „Liminality“ und „Communitas“, ders., Ritual Process, 94-130. 63 Van Gennep, Übergangsriten, 21. 64 Ebd. Für die weitere Untersuchung ist bezüglich des Initiationsaspektes der Taufe ein besonderes Augenmerk auf die zweite, die Umwandlungs- oder auch liminale Phase und die sie beschreibenden Rituale zu legen, siehe dazu unter V.1. 65 A. a. O. 78. irreversible transfer of individual persons into a higher state of being than the one they had prior to the ritual act.“ 58 3. Beschreibung Konsensfähig bestimmt die Forschung drei Grundarten von Initiationsritualen: Ini‐ tiation in ein bestimmtes Alter, in eine Gemeinschaft oder einen Kult und schließlich in das Schamanebzw. Priestersein. 59 Da es als nahezu unbestritten gilt, dass Initia‐ tionsrituale eine Unterkategorie der sog. Passagerituale darstellen, 60 wird für eine erste Beschreibung zumeist auf Beobachtungen von van Gennep zurückgegriffen, welcher für sämtliche Passagerituale drei Teilrituale und damit verbunden drei Phasen postu‐ liert: 61 1) „rites de séparation“ / „Trennungsriten“ - die Phase der Trennung bzw. Ab‐ lösung, welche oft als Prozess des Sterbens beschrieben wird; 2) „rites de marge“ / „Schwellenbzw. Umwandlungsriten“ - die Phase der Umwandlung bzw. Schwelle, welcher zumeist ein Status der Heiligkeit zuerkannt wird; 62 und 3) „rites d‘agréga‐ tion“ / „Angliederungsriten“ - die Phase der Integration, welche oft als Geburt oder auch Auferstehung gedeutet wird. 63 Van Gennep weist jedoch darauf hin, dass die Ausprägung der einzelnen Phasen abhängig sein kann einerseits von der jeweiligen Kultur und andererseits von der Art des Passagerituals: „Trennungsriten kommen vor allem bei Bestattungs-, Angliederungsriten bei Hochzeitszeremonien vor. Umwand‐ lungsriten können bei Schwangerschaft, Verlobung und Initiation eine wichtige Rolle spielen oder aber auf ein Minimum reduziert sein wie im Falle der Adoption, der Geburt des zweiten Kindes, der Wiederverheiratung, dem Übergang von der zweiten zur dritten Altersklasse usw.“ 64 Daneben finden sich bei verschiedenen Forschern Beschreibungs- und Eigenschaf‐ tenkataloge, welche angesichts der Fülle und Vielfalt an Initiationsritualen das Ver‐ bindende und darin auch das Spezifische gegenüber anderen Ritualen herauszustellen: Arnold van Gennep weist darauf hin, dass Passagerituale normalerweise ein Erken‐ nungszeichen haben, welches allerdings nicht von permanenter Qualität sein muss, sondern z. B. auch in Kleidung, Masken oder Körperbemalung bestehen kann. 65 1 Rituale und Ritualwissenschaften 25 <?page no="26"?> 66 Snoek, Initiation, 173. 67 Ebd. 68 A. a. O. 174. 69 Petersen, Rituals, 30. 70 Erneut veröffentlich unter „Birth and Rebirth. The Religious Meanings of Initiation in Human Culture“, ins Deutsche übersetzt unter „Das Mysterium der Wiedergeburt: Ver‐ such über einige Initiationstypen“ (hier abgekürzt als „Mysterium“). 71 Siehe Eliade, Mysterium, 10-19. Jan A. M. Snoek bietet eine Aufzählung von Eigenschaften, die Initationsritualen zu‐ eigen sind: „Initiations may be preceded by preparatory rites. […] The object of a rite de passage, and thus of an initiation, must fulfill certain predefined conditions in order to qualify for its role in the ritual. […] the object of an initiation is an individual person: the candidate.” 66 Ein Ritual kann nicht lebenslang andauern und „one initiator should take part in the ritual, which renders ‚self-initiation‘ a contradiction in terms.” 67 „Ini‐ tiations are first-time-rituals which cannot be repeated (are nonrecurrent) for the same candidate. […] Through an initiation, one usually becomes a member of a group. In that case it is also the only means to become a member. […] As a rule, a candidate cannot have a stand-in, but must go through the ritual him / herself. […] Usually, ta‐ boos or instructions are supposed to help a candidate to avoid dangerous influences of the sacred during the liminal phase of ritual. […] Usually, the candidate is conducted by one or two guides or instructors. […] Usually, the initiated can be recognized by (permanent or removable) badges, obtained during their initiation.” 68 Anders Klostergaard Petersen ergänzt diese Beobachtungen: „The ritual participants in the ritual of initiation consist of one or, at the very maximum, a few individuals. It never includes an entire community or society. […] The qualitative changes acquired by the ritual participants through the completion of the ritual are of an irreversible nature, i.e. they cannot be lost unless, and very seldom, a new narratively staged ritual process is initiated.“ 69 Mircea Eliade listet in ihren elaborierten Werk „Rites and Symbols of Initiation“ 70 eine Vielzahl an Elementen und Charakteristika auf, welche häufig bei Initiationsritualen anzutreffen sind: Bezugnahme auf frühere und kommende Zeiten und eine Verhält‐ nisbestimmung zum Moment der Initiation, Bezugnahme auf mythische Gründungs‐ erzählungen, ggf. mit Wiederholung derer während der Initiation, Thematisierung der Gemeinschaft und der Stellung der Neophyten in ihr, dazu sind Prüfungen zu bestehen und sehr oft ein ritueller Tod zu erleiden, um danach ganz neu zu den Lebenden zu‐ rückzukehren oder auch ganz neu geboren zu werden. 71 Aus dieser Fülle an Elementen und Deutungen stechen Eliade zufolge bei religiösen Initiationen zwei Motive heraus: Kapitel I: Ritualwissenschaften und Exegese 26 <?page no="27"?> 72 Zum Verhältnis von Mythos und Ritual konkret in der griechischen Antike siehe Bremmer, Myth and Ritual. 73 Eliade, Mysterium, 15. 74 Ebd. 75 Ebd. 76 A. a. O. 14. 77 Petersen, Rituals, 31. 78 Zum Deutungsmotiv „Tod-Leben“ bei Initiationsritualen siehe ausführlich unter V.1. 1) Religiöse (Initiations-)Rituale stellen die Wiederholung des Schicksals einer Gottheit oder aber der Schöpfung als Ganzes dar, 72 „[d]enn die symbolische Wiederholung der Schöpfung impliziert eine Reaktualisierung des ursprünglichen Ereignisses und damit die Gegenwart der Götter und ihrer schöpferischen Energien.“ 73 Dabei kommt es zu einer Vereinigung zwischen der Gottheit und demjenigen, der im Ritual ihre Rolle spielt bzw. nachahmt. 74 2) Doch „[j]eder rituellen Wiederholung der Kosmogonie geht eine symbolische Re‐ gression zum ‚Chaos‘ voraus. Damit die alte Welt von neuem erschaffen werden kann, muß sie zuerst vernichtet werden. […] Im Szenarium der Initiationsriten entspricht der ‚Tod‘ der vorübergehenden Rückkehr zum ‚Chaos‘“. 75 Dies zeige sich in folgender Weise: „Die meisten Initiationsprüfungen enthalten in mehr oder weniger erkenn‐ barer Form einen rituellen Tod, dem eine Auferstehung oder eine Wiedergeburt folgt. Das zentrale Moment jeder Initiation wird durch die Zeremonie dargestellt, die den Tod des Neophyten und seine Rückkehr zu den Lebenden symbolisiert. Aber es kommt ein neuer Mensch ins Leben zurück, der eine andere Seinsweise auf sich genommen hat. Der Initiationstod bedeutet gleichzeitig das Ende der Kindheit, der Unwissenheit und des profanen Zustands.“ 76 Petersen formuliert diesbezüglich vorsichtiger: „The relationship between the two non-liminal phases and the liminal one is expressed through the use of analogical, binary contrasts.“ 77 Der von Eliade beschriebene Ini‐ tiationstod mit folgender Neubzw. Wiedergeburt ist aus anthropologischer Sicht der deutlichste und augenfälligste Ausdruck eines solchen Kontrastes. 78 1 Rituale und Ritualwissenschaften 27 <?page no="28"?> 79 Die Fachterminologie zur Neuentwicklung bzw. Neukonzipierung sowie bewussten wie unbewussten Veränderung von Ritualen ist uneinheitlich. Dies liegt nicht zuletzt in dem nuancenreichen Befund der Thematik begründet. Wenn nicht weiter differenziert, so wird im Folgenden der Begriff „Neuentwicklung“ für eine bewusste Neukonzipierung eines Rituals verwendet - auch wenn diese auf bereits bekannte Elemente zurückgreift. Der Begriff „Veränderung“ steht sodann für gelenkte wie selbstlaufende Prozesse, in denen ein Ritual sich in einem oder mehreren Ritualaspekten verändert bzw. verändert wird, dabei jedoch in seinem Wesen wie z. B. Ablauf und Funktion eine deutliche Kon‐ tinuität auszumachen ist. Davon abgeleitet werden die verursachenden bzw. mitwirk‐ enden Personen als „Ritualentwickler“ bzw. „Ritualveränderer“ bezeichnet, soweit nicht anders festgelegt. 80 Bell, Ritual, 210. 81 A. a. O. 211. 82 Stollberg-Rilinger, Rituale, 219. Als Voraussetzung dafür nennt sie eine „hochentwi‐ ckelte kulturelle Technik der schriftlichen oder nicht-schriftlichen Textspeicherung“ (ebd.). 83 Siehe etwa Bell, Change; Dücker / Schwedler, Ursprüngliche; Harth / Michaels, Ritual‐ dynamik; Harth / Schenk, Ritualdynamik; Michaels, Ritual Dynamics u.v.m. 84 Für einen Überblick siehe Ahn, Ritual Design; Houseman, ‚Ritual Design‘. 1.3 Ritualveränderungen und -neuentwicklungen Die Veränderung oder gar Neuentwicklung 79 von Ritualen scheint deren urei‐ genem Wesen zunächst zu widersprechen, denn „rituals tend to present them‐ selves as the unchanging, time-honored customs of an enduring community.“ 80 Entsprechend scheinen Beobachtungen zu bestätigen, dass „ritual activities ge‐ nerally tend to resist change and often do so more effectively than other forms of social custom.“ 81 Gleichzeitig zeigen genauere Untersuchungen, dass dies kei‐ nesfalls selbstverständlich ist: „Es kostet Mühe und ist aufwendig zu verhindern, dass Rituale sich verändern; formale Konstanz ist keineswegs selbstverständ‐ lich.“ 82 Und so hat sich in den vergangenen Jahren innerhalb der Ritualwissen‐ schaften ein eigener Forschungsschwerpunkt herausgebildet, welcher unter den Stichworten „ritual dynamic“ 83 und „ritual design“ 84 Anlässe und Prozesse von Ritualveränderung, -weiterentwicklung und -neuentwicklung untersucht und interpretiert. Im Folgenden kann und soll es nicht um eine ausführliche Dar‐ stellung des Phänomens, sondern lediglich um einen kleinen Einblick in die Problematik gehen. 1.3.1 Anlässe und Ursachen für Ritualveränderungen und -neuentwicklungen Die Hauptursache von Ritualveränderungen liegt in ihrer starken Kontextab‐ hängigkeit begründet. Jede Art von Veränderung einer Gruppe bzw. des Um‐ Kapitel I: Ritualwissenschaften und Exegese 28 <?page no="29"?> 85 Stollberg-Rilinger, Rituale, 220. Speziell zur Ritualkritik als Motor einer Ritualentwick‐ lung siehe unter I.1.6. 86 A. a. O. 222. 87 Widengren, Religionsphänomenologie, 211. 88 Schmidt, Kultübertragungen, wo er erstmalig das Phänomen ausführlich an mehreren antiken Fallbeispielen untersucht und beschreibt. 89 So geprägt von Gladigow, Sequenzierung. 90 Gladigow, Sequenzierung, 223. 91 Bell, Ritual, 223. 92 „Psychologists have treated private ritual as sanonynous with neurosis. Theologians have regarded self-generated rites as lacking in moral character because they minimize social responsibility. And anthropologists have thought of ritual as traditional, collec‐ tive representation, implying that the notion of individual or invented ritual was a contradiction in terms.“ (Grimes, Ritual Criticism, 109, siehe auch ders., Reinventing). feldes eines Rituals tritt in eine Wechselwirkung mit diesem. Konkret kann dies geschehen „[…] aufgrund interner oder externer Faktoren, von oben gesteuert, von unten erzwungen oder zwischen den Beteiligten ausgehandelt.“ 85 Zwei Son‐ derfälle sind zu beachten: 1) der Ritualtransfer und 2) die Neuentstehung bzw. -entwicklung von Ritualen. 1.3.1.1 Der Ritualtransfer Ein Ritualtransfer stellt eine Übertragung von Ritualen in andere Kontexte und Gesellschaften dar, bei welchem das Ritual zwar im Ganzen fortbesteht, jedoch normalerweise „seine Form, Funktion und Bedeutung im Laufe des Transfer‐ prozesses veränd[ert].“ 86 Widengren betont zwar einerseits das teilweise hohe Alter von Ritualen trotz derartiger Transfers, hält aber andererseits eine völlig unveränderte Übernahme eines Rituals samt des daran gebundenen Mythos in eine andere Religion für unmöglich. 87 Für die Neukontextualisierung ganzer Kulte samt deren Ritualinventars prägte Schmidt den Begriff der „Kultübertra‐ gung“. 88 Werden hingegen lediglich einzelne Ritualelemente in einen anderen Kontext transferiert, spricht man heute eher von „Interritualität“: 89 „Der sprin‐ gende Punkt dabei ist, dass diese Elemente als ‚Zitate‘ erkennbar sind und auf ihren Herkunftskontext verweisen; dadurch werden die verschiedenen Rituale untereinander symbolisch verknüpft.“ 90 1.3.1.2 Die Neuentstehung bzw. -entwicklung von Ritualen „The tendency to think of ritual as essentially unchanging has gone hand in hand with the equally common assumption that effective rituals cannot be in‐ vented.“ 91 Entsprechend werden offensichtlich neue Rituale gelegentlich abge‐ wertet, 92 durch die Forschung ignoriert oder aber ihnen wird mit einer hohen Erwartungshaltung begegnet: „There is increasing pressure for the invented rite 1 Rituale und Ritualwissenschaften 29 <?page no="30"?> 93 Bell, Ritual, 241. 94 Myerhoff, Death, 152. 95 Siehe dazu unter I.2.3.2.2. 96 Bell, Ritual, 223, vgl. auch I.1.0. 97 Stollberg-Rilinger, Rituale, 219. 98 Bell, Ritual, 227, die diesbezüglich eine Vielzahl an Beispielen samt Erläuterungen a. a. O. 225-242 auflistet. Siehe auch Schwedler, Erfindung, 42, der von „traditionelle[n] ‚Ritualbausteine[n]‘, also Elemente, die bereits in verschiedenen Kontexten bekannt sind“, spricht. 99 Pfaff-Czarnecka, Vorwort, 16. 100 Die Auflistung folgt im Wesentlichen Stollberg-Rilinger, Rituale, 221. 101 Ebd. 102 Ebd. to show that it ‚works‘; this is what legitimates the rite since there is no tradition to do this.“ 93 Myerhoff sieht den Grund dafür im Ritual selbst: „the invisibility of ritual’s origins and its inventors is intrinsic to what ritual is all about“. 94 Bell wider‐ spricht ihr darin, dass dies für alle Rituale zutreffen würde. 95 Zudem betont sie, dass es sich bei der Ritualentwicklung keineswegs um ein ausschließlich mo‐ dernes Phänomen handelt. 96 Auch Stollberg-Rilinger verweist darauf, durch die Geschichte seien gerade in Umbruchssituationen Rituale erfunden worden, um etwa Brüche zu überbrücken. 97 Zumeist handelt es sich dennoch nicht um eine „[…] creation ex nihilo. Various familiar symbols and traditions were evocative while still espousing sentiments in keeping with official directives.“ 98 1.3.2 Umstände und Abläufe von Ritualveränderungen „Doch Rituale wandeln sich nicht zwangsläufig, wenn sich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen verändern. Einige Rituale werden mit neuen gesellschaft‐ lichen Erfordernissen obsolet. Andere funktionieren als Folie, an der sich ge‐ sellschaftliche Debatten und Kämpfe entzünden.“ 99 Die Art und Weise, in der sich Rituale verändern bzw. aktiv umgestaltet werden, kann sehr vielfältig sein. 1) Rituale reagieren in unterschiedlicher Weise auf Veränderungen ihres Be‐ zugskontextes: 100 a) Sie passen ihre Form an. b) Sie bleiben in ihrer Form gleich und werden neu gedeutet. c) Rituale werden in neue Kontexte transferiert. d) „Die Rituale bleiben äußerlich unverändert, geraten in ein Spannungsverhältnis zu ihrer Umwelt und erstarren zum ‚leeren Ritualismus‘.“ 101 Stollberg-Rilinger stellt zu Recht fest, dass sich die einzelnen Varianten nicht immer klar trennen lassen. 102 2) Selten geht die Ritualveränderung offen und für alle erkennbar vonstatten. Dies hat seine Ursache entweder darin, dass sich ein Ritual unmerklich nach und nach verändert oder aber darin, dass die Veränderung gezielt verschleiert Kapitel I: Ritualwissenschaften und Exegese 30 <?page no="31"?> 103 A. a. O. 219. 104 Schwedler, Erfindung, 42. 105 Ebd. 106 Stollberg-Rilinger, Rituale, 220. 107 Ebd. 108 A. a. O. 224. 109 Siehe dazu ausführlich Bell, Authority. 110 Stollberg-Rilinger, Rituale, 222. wird: „Neues wird als Altes, Innovation als Tradition ausgegeben.“ 103 Für reli‐ giöse Rituale begründet dies Schwedler folgendermaßen: „Ein von höherer Macht bestätigter und gewollter Kult kann nicht so einfach ‚erneuert‘ werden, ohne in den Verdacht zu geraten, etwas Ursprüngliches und damit Legitimie‐ rendes zu verfälschen.“ 104 Dahingehend stellt sich auch die Frage, inwieweit Neuerungen von allen als solche erkannt und empfunden werden. 105 3) Die jeweilige Beschaffenheit eines Rituals hat Einfluss auf dessen Verände‐ rungsprozess. „Dabei spielen etwa ihre Sakralität, ihre zeitliche Frequenz, die Handlungsmacht ihrer Regisseure und vor allem die Art und Weise der Weiter‐ gabe eine zentrale Rolle.“ 106 Während eine rein individuelle mündliche Weiter‐ gabe sowie große Zeitspannen zwischen den Ritualvollzügen eine schleichende Veränderung begünstigen, kann die Veränderung eines schriftlich fixierten und von Spezialisten archivierten Rituals nur herbeigeführt werden. 107 4) Nicht allein Ritualneuentwicklungen, sondern auch Ritualveränderungen greifen in einem gewissen Maße auf bereits bekannte Ritualelemente bzw. Ritual‐ bausteine zurück. Stollberg-Rilinger betont gar die Notwendigkeit dessen: „Nur so erfüllt sie die Funktion, in Umbruchssituationen, etwa bei der Etablierung eines neuen Regimes, eines neuen Amtes, eines neuen Kultes, eines neuen po‐ litischen Programmes usw., von der Legitimität der Tradition zu profitieren und das Neue als weniger neu, gefährlich, beunruhigend und irritierend erscheinen zu lassen.“ 108 Dies ist dahingehend anzufragen, ob Ritualinnovationen und -veränderungen tatsächlich allein durch die Bewältigungsnotwendigkeit von veränderten Kontexten motiviert sind oder nicht gerade neue Situationen durch Ritualveränderungen geschaffen und gedeutet werden können. 5) Die Bedeutung desjenigen, der ein Ritual verändert, in einen neuen Kontext transferiert, umdeutet oder gar neu entwickelt, ist kaum zu unterschätzen. Bell fasst diejenigen, welche die Autorität haben, Rituale zu leiten, aber auch zu ver‐ ändern, unter dem Begriff „agency“ zusammen. 109 Eine solche Autorität kann abgeleitet sein „[a]us einer göttlichen Quelle, aus institutioneller Autorität, aus gemeinschaftlicher Übereinkunft aufgrund von Aushandlung, aus einer Kom‐ bination von all dem“. 110 Eine Unterkategorie davon stellen die sog. „founder figures“, wie sie Betz nennt, dar, welche im Zuge von Ritualtransfers Rituale in 1 Rituale und Ritualwissenschaften 31 <?page no="32"?> 111 Betz, Transferring, 242, siehe dort und auf den folgenden Seiten ein Anzahl an Bei‐ spielen samt Erläuterung des jeweiligen Tranfer- und Transformationsprozesses an‐ tiker Kulte. 112 A. a. O. 254. 113 Vielfältige Beispiele und Überlegungen unter Hüsken, Rituals go Wrong. 114 Rehberg, Ordnungen, 254. ihren neuen Kontext einführen, begründen und ggf. die Anpassungen sowie Neuinterpretationen vornehmen. 111 Blickt man unter diesen Voraussetzungen auf die christliche Taufe, ergeben sich eine Reihe an Fragen: Handelt es sich dabei tatsächlich um ein neues Ritual, um einen Ritualtransfer oder aber um eine bloße Weiterentwicklung der Johan‐ nestaufe? Welche konkreten Kontextveränderungen führen zur Entstehung und Deutung der christlichen Taufe. In welcher Weise reagiert das Ritual auf diese Veränderungen? So fällt etwa die sehr rasche Entwicklung, Verbreitung und Etablierung der christlichen Taufe mit den Entstehungsjahren der ersten christ‐ lichen Gemeinden zusammen, deren zwei größten hermeneutischen Heraus‐ forderungen die Deutung des gewaltsamen Leidens und Sterbens Jesu Christi sowie der Umgang mit der einsetzenden Heidenmission und damit nichtjüdi‐ schen Christusgläubigen sind - zwei Aspekte, welche in grundlegender Weise die christliche Taufe wie auch die ältesten Tauftexte bestimmen. Geradezu ein Paradebeispiel für einen Ritualtransfer stellt später die Verbreitung der christ‐ lichen Taufe in der hellenistischen Welt im Rahmen der heidenchristlichen Mis‐ sion v. a. durch Paulus dar. Betz leitet daraus die These ab: „We are suggesting that the apostle Paul should be viewed as analogous to these Hellenistic founder figures […] The transferral and concomitant re-interpretation of baptism pro‐ vide us with a classical example of this process.“ 112 Dies wäre ebenso zu unter‐ suchen wie auch die Frage, auf welche ggf. bereits bekannten Ritualelemente und -deutungen Paulus für seine (Neu-)Interpretation zurückgreift und mit wel‐ cher Intention. 1.4 Missverständnisse, Fehler und Protest Der Ritualablauf kann allerdings auch durch bewusste Verletzungen oder Fehler eine Veränderung erfahren. 113 Rehberg spricht sogar davon, es seien wie bei allen Normen erst „die Verletzungen, die Nichtbefolgung, durch welche ihre norma‐ tive Struktur sichtbar wird.“ 114 Dies gilt einerseits für die Beteiligten am Ritual: „Oft veranlassen erst Regelverstöße die Akteure dazu, die zugrundeliegende Regel zu thematisieren, die sonst unausgesprochen und selbstverständlich gilt. Erst ein Fehler bringt die Akteure dazu zu reflektieren, inwiefern dadurch die Kapitel I: Ritualwissenschaften und Exegese 32 <?page no="33"?> 115 Stollberg-Rilinger, Rituale, 211. 116 Ebd., siehe auch Büttner u. a., Grenzen; Dücker, Rituale, 199-230; von Moos, Fehltritt. 117 Vgl. dazu auch Ambos, Mißverständnisse, 79-84, welcher exemplarisch antike Beispiele für Missverständnisse und unabsichtliche Fehler ganz unterschiedlicher Art sowie den Umgang mit ihnen auflistet. 118 Die folgende Darstellung wie auch die meisten Beispiele folgen Stollberg-Rilinger, Ri‐ tuale, 211-218, welche dort vielfältige weiterführende Literatur nennt. Eine alternative Gliederung für Ritualfehler bietet etwa Ambos, welcher nach dem jeweiligen Verur‐ sacher des Fehlers unterscheidet: 1. Gods; 2. human participants, siehe Ambos, Types, 28-35. 119 Z. B. das fehlerhafte Vorwie Nachsprechen des Amtseides bei der Vereidung Barack Obamas zum US-Präsidenten, Details dazu siehe bei Stollberg-Rilinger, Rituale, 7. 120 Z. B. der Sitzstreit zwischen dem Amt von Fulda und dem Bischof von Hildesheim auf einem Hoftag in Goslar im Vespergottesdienst zu Pfingsten 1063, welcher mit mehreren Toten endete, siehe Stollberg-Rilinger, Rituale, 213. 121 Dabei ist neben der Anwesenheit der Hauptakteure auch die scheinbar passiver Zu‐ schauer von Nöten, z. B. zur freudigen Akklamation bei einer Krönung. Wirkung des Rituals gefährdet oder zunichte gemacht worden sein könnte.“ 115 Dabei können über Fehler beim eigentlichen Ritualvollzug hinaus auch Miss‐ verständnisse, Unwissen und Fehlverhalten in mit dem Ritual in enger Verbin‐ dung stehenden Bereichen oder auch bei korrespondierenden Ritualen zu Be‐ einträchtigungen oder gar dem Misslingen des ursprünglichen Rituals führen. Gedacht sei etwa an den Vollzug der Beschneidung an Heidenchristen in Gala‐ tien, welche für Paulus in direktem Verhältnis bzw. Missverhältnis zu deren christlicher Taufe steht. Andererseits gibt die Analyse derartiger Fehler sowie v. a. des Umgangs mit ihnen Ritualwissenschaftlern ritologische Einsichten in Rituale und deren intendierter Wirkung, welche nicht direkt in den überlieferten Quellen thematisiert und dokumentiert sind. Stollberg-Rilinger weist dabei mit Recht darauf hin, dass die Beurteilung eines möglichen Fehlers zwischen Ritu‐ alleiter und Ritualadressaten durchaus unterschiedlich ausfallen kann, 116 z. B. abhängig von der jeweils intendierten Ritualwirkung, wie nicht zuletzt die ga‐ latische Auseinandersetzung zeigt. Stollberg-Rilinger listet insgesamt acht verschiedene Arten der Abwei‐ chungen bzw. Fehler bei Ritualen 117 und Lösungsmöglichkeiten dazu auf: 118 1) Das Missgeschick, 119 welches entweder taktvoll übersehen; mit einer rituellen Gegenmaßnahme korrigiert oder auch als übernatürlicher Eingriff ausgelegt werden kann; 2) der Konflikt (über den richtigen Ablauf) im Ritual bes. bezüglich Darstellung und damit Herstellung der sozialen Rangordnung der Teilnehmer, 120 auf welchen mit Abreise, Protest oder einer Ausnahmeregelung reagiert werden kann; 3) die Abwesenheit von Ritualteilnehmern; 121 4) die ironische Distanz von 1 Rituale und Ritualwissenschaften 33 <?page no="34"?> 122 Z. B. brachten lutherische Fürsten ihre Geringschätzung gegenüber der „papistischen“ Liturgie auf Reichstagen dadurch zum Ausdruck, dass sie währenddessen spotteten, lachten oder zu spät kamen, siehe a. a. O. 215. „Wird ein Ritual von der Mehrheit der Akteure und dauerhaft mit offensichtlichen Distanzierungsgesten vollzogen, dann kann es keine soziale Wirkmacht mehr entfalten, weil niemand mehr erwartet, dass es wirkt“ (ebd.). 123 Z. B. die Weigerung, einen verliehenen Preis entgegenzunehmen, wie etwa Marcel Reich-Ranicki den Deutschen Fernsehpreis, siehe ebd. 124 Z. B. können sportliche Wettkämpfe oder auch Hinrichtungen in Gewalt umschlagen. Dazu a. a. O. 216: „Ritualhistorisch interessant ist vor allem, inwiefern sich diese Ent‐ gleisungen aus der Dymnamik des Rituals selbst ergaben beziehungsweise inwiefern sie auf einer schon vorher bestehende Konfliktlage beruhten.“ 125 Z. B. der Judaskuss (Mk 14,44 f par). 126 A. a. O. 217. Als Beispiel nennt Stollberg-Rilinger das Verheiraten von Priestern und Nonnen in den Zeiten der Reformation. 127 Ebd. 128 Siehe dazu unter I.1.0. Ritualteilnehmern, 122 was die Frage nach dem Verhältnis von äußerlichem Vollzug und innerer Akzeptanz stellt; 5) die Verweigerung der erwarteten Re‐ aktion v. a. in dialogisch angelegten Ritualen; 123 6) Entgleisungen durch emo‐ tionale Überreaktionen; 124 7) die Usurpation oder der Missbrauch als die Störung von außen bzw. die „rituelle Lüge“ eines der Ritualteilnehmer; 125 sowie 8) der demonstrative Ritualbruch, der „darauf zielt, die Institution, die das Ritual re‐ präsentiert, grundsätzlich anzugreifen“. 126 Stollberg-Rilinger leitet daraus ab: „Wird ein traditionelles Ritual ungestraft entweder ignoriert oder demonstrativ verletzt, dann wird vor aller Augen sichtbar, dass seine performative Kraft […] allein von der Anerkennung der Beteiligten abhängt und dass diese ihm auch entzogen werden kann.“ 127 1.5 Ritualkritik Es ist bereits erwähnt worden, dass Ritualkritik einer der wesentlichsten Mo‐ toren für die (Weiter-)Entwicklung von Ritualen ist und auch einige der Fehler und Störungen innerhalb von Ritualen - von ironischer Distanz über Verwei‐ gerung bis hin zum offenen Ritualbruch - aus der Kritik am Ritual oder seiner Umsetzung entspringen können. Entgegen der landläufigen Meinung, Kritik und Ablehnung von Ritualen seien ein modernes Phänomen, 128 lassen sich ver‐ schiedene Arten von Kritik und deren Auswirkungen bereits für die Antike be‐ Kapitel I: Ritualwissenschaften und Exegese 34 <?page no="35"?> 129 Burke, Ablehnung, 188-200, bietet einen beispielreichen Überblick über die Entwick‐ lung der Skepsis gegenüber Ritualen beginnend bei Jesaja, über die griechisch-römische Antike und das Mittelalter bis in die Neuzeit. 130 Exemplarische Studien zu Ritualkritik von Mesopotamien bis zum modernen Hindu‐ ismus siehe die Beiträge von Stravrianopoulou, Ambos, Kucharek, Schwedler und Horstmann in Ambos, Welt, 225-267. 131 Hotz, Ritualkritik, 222. 132 A. a. O. 223. 133 Ebd., nennt dazu etwa die Einschränkung der Treffen des Dionysoskultes durch den römischen Senat: max. fünf Teilnehmer und keine Frauen in Leitungspositionen. 134 Ebd. 135 Im Rahmen der lutherischen Reformation werden bestimmte Rituale wie die Heiligen‐ verehrung und der Weihrauchgebrauch im Gottesdienst abgeschafft, während andere, wie etwa das Sich-Bekreuzigen, als weiterhin sinntragend beibehalten werden. 136 Burke, Ablehnung, 192 f, nennt dafür beispielhaft das symbolische Verbrennen der Bannandrohungsbulle durch Luther. 137 Hotz, Ritualkritik, 222: „In erster Linie ging es den Verteidigern der rituellen Tradition darum, Fehler in Ritualen zu vermeiden, damit fehlerhafte Riten keine Angriffsfläche für Kritik bieten konnten.“ Dafür wurden in griechischen Poleis Mindestanforderungen an Priester festgeschrieben (siehe dazu Stavrianopoulou, Priester) oder im assyrischen Kult sog. „Über-sieh-Formeln“ (siehe dazu Ambos / Maul, Fehler) vorgesehen. legen, 129 was zu der These führt, dass mit jedem Ritual mindestens das Potential zur Ritualkritik gegeben ist. 130 Hotz beschreibt in seinem einführenden Artikel drei zu unterscheidende Arten der Ritualkritik: 1) die „Skepsis und offene Kritik an der Wirksamkeit von Ritualen“ 131 allgemein, welche das Ziel hat, das bzw. die Rituale abzuschaffen; 2) die Kritik „gegen einzelne Elemente der rituellen Praxis, ohne dabei grund‐ sätzlich die Wirksamkeit von Ritualen in Zweifel zu ziehen“, 132 sondern auf die Reform des Rituals in dem kritisierten Ritualaspekt drängt; 133 und 3) die Erset‐ zung oder Ergänzung der „als unzureichend empfunden rituellen Handlungen“ um „eine verinnerlichte und ethische Frömmigkeit“. 134 Ob dies zur kompletten Abschaffung, 135 Ersetzung 136 oder möglicherweise zu einer besseren Bezug‐ nahme und Integration von Ritual und innerer Haltung führt, hängt - wie bei sämtlichen Kritikformen - wesentlich davon ab, ob die Kritik als legitim wahr‐ genommen und aufgenommen wird oder ob von Anfang an Strategien vor‐ handen sind, mögliche Kritik zu vermeiden bzw. zu unterbinden. 137 Der letzteren Art der Kritik ist die Äußerung des Paulus zuzuordnen, dass nicht der ein Jude sei, der es äußerlich ist, sondern derjenige, der es innerlich sei (Röm 2,28 f). Die argumentative Struktur der paulinischen Tauftexte lässt vermuten, dass sie teilweise als Ritualkritik des Apostels am Tauf-, aber eben auch Beschneidungsverständnis der Adressaten oder bestimmter Gegner des Paulus zu verstehen sind. Da weder Beschneidung noch Taufe als Ritual an sich 1 Rituale und Ritualwissenschaften 35 <?page no="36"?> 138 Gorman, ritual studies, 16. Im Besonderen verweist er dabei auf „the role and status of reason“, „the definition of religion in terms of ethics“ sowie „an emphasis on the nature of religion as cognitive“, a. a. O. 16 f. 139 A. a. O. 18. „Biblical texts were subjected to analysis in scholarly treatises based on re‐ ason, objectivity, and neutrality.“ (ebd.). 140 Ebd. Die Frage, wie die biblischen Texte zu lesen und zu verstehen wären, könne dazu führen, „to draw a distinction between the religious meaning of a text and the historical information that it might communicate.“ (a. a. O. 19). 141 Ebd. zur Diskussion stehen, dürfte es sich entweder um Kritik an Einzelaspekten, z. B. dem Bedeutungsumfang und der Wirkung des Rituals oder aber am Fehlen einer inneren Entsprechung im Lebensalltag handeln. Die Auseinandersetzung um Taufe und Beschneidung, aber auch die Selbstaussagen Johannes des Täufers über seine Taufe und diejenige dessen, der nach ihm kommen wird, sind Bei‐ spiele für die besondere Art der Ritualkritik über einen Ritualvergleich. Am Ende dieser allgemeinen methodischen Einführung ist festzuhalten, dass der Untersuchungsgegenstand „Ritual“ ein komplexes und in der Forschung kontrovers diskutiertes Feld eröffnet. Dennoch konnten erste Kategorien und methodische Ansätze ausgemacht werden, mit Hilfe deren die christliche Taufe in ihrem Entstehungsstadium grundsätzlich einzuordnen und zu interretieren sein wird. Offen ist dabei bisher geblieben, welche Methodik dem Gegenstand und der Quellenlage am besten gerecht wird. 2 Die Methodik der Arbeit 2.0 Marginalisierung des Rituals in der Exegese? Obwohl sich in den biblischen Texten vielerlei Rituale in ganz unterschiedlichen Kontexten ausmachen lassen, blieb die Anzahl der Studien zu Ritualen oder gar dezidierte ritologische Untersuchungen in der Exegese lange Zeit überschaubar. Gorman sieht die Ursache allgemein für die Theologie in einem von der Auf‐ klärung geprägten Bild einer „reasonable and rational religion“, 138 welches zu einer regelrechten Abwertung von Ritualen beigetragen habe. In der Exegese erschwere die historisch-kritische Methode ein ritologisches Arbeiten zusätzlich durch „its efforts to be objective and reasonable“ 139 , „its focus on texts“ 140 , „its basic understanding of the nature of historical analysis and historical thin‐ king“. 141 „Recognition of the distance between biblical texts and contemporary readers began to grow, and the ‚alien‘ nature of the texts, their ‚otherness,‘ was emphasized. It be‐ Kapitel I: Ritualwissenschaften und Exegese 36 <?page no="37"?> 142 A. a. O. 20. 143 Siehe dazu ausführlich unter I.2.3.1. 144 Einen Überblick dazu bietet Klingbeil, Bridging, 45-69. Siehe aber auch die Notizen zur Entstehung und Einordnung ritologischer Studien innerhalb der (neutestamentlichen) Exegese in DeMaris, New Testament, 1-5. 145 Klingbeil, comparative study, 87. Er führt diesen Wechsel u. a. auf eine Öffnung gegen‐ über linguistischen Studien u. ä. zurück. 146 Klingbeil, Bridging, 51, welcher auf Bell, Ritual Theory, 182-96, bes. 196, verweist. comes common to separate the historical settings and cultural trappings of texts from their ‚true‘ meaning. The ‚meaning‘ of texts came to be located either ‚behind‘ or ‚above‘ them.“ 142 Gormans Meinung nach führe diese Suche nach “ewiger Wahrheit” zu einem Abtun von Ritualtexten, da diese als lokal, kulturell spezifisch und zeitge‐ bunden keine universell gültigen Äußerungen von Religion wären und damit zur „Wahrheitssuche“ nichts beizutragen hätten. Beiden ist insofern zuzustimmen, als dass mangelndes und fehlgehendes Wissen um die Vielfalt, Wirkmacht sowie möglichen Funktionen ritualisierten Han‐ delns zur Zurückhaltung gegenüber ritualfokussierten Untersuchungen beige‐ tragen haben. Andererseits scheint die schwierige Quellenlage, wie etwa das fast vollständige Fehlen von Ritualbeschreibungen im NT , mindestens in glei‐ cher Weise Ursache zu sein. Die aus der Anthropologie und Ethnologie hervor‐ gehenden Ritualwissenschaften bieten originär kaum Anhaltspunkte, wie dem methodisch in angemessener Weise zu begegnen ist. Dass wiederum die histo‐ risch-kritische Methodik einer angemessenen Ritualanalyse und -interpretation grundsätzlich entgegensteht, scheint ebenso fraglich. 143 Seit einigen Jahrzehnten lässt sich, allerdings hauptsächlich in der alttesta‐ mentlichen Exegese, eine ganz neue Hinwendung zu rituellen Themen fest‐ stellen. 144 Klingbeil macht dafür zwei allgemeine Tendenzen innerhalb der Exe‐ gese verantwortlich: 1) „There is a shift from text-oriented analysis to meaning-oriented interpretation.“ 145 2) Es gäbe kategoriale Neubewertungen von Ritualfunktionen, welche bis in die Exegese hineinwirken. Beispielhaft dafür wäre etwa die These Bells, dass Rituale keineswegs nur für politische und soziale Machtausübung instrumentalisiert würden, „rather, ritual practices are themselves the very production of power relations.“ 146 2.1 Rahmenbedingungen und Herausforderungen ritologischen Arbeitens im NT Wenn auch die neutestamentlichen Schriften den detailreichen Kultanwei‐ sungen des Pentateuchs entsprechenden Ritualbeschreibungen ermangeln, so begegnen doch in den heilenden, segnenden und provozierenden Handlungen 2 Die Methodik der Arbeit 37 <?page no="38"?> 147 Klingbeil, Bridging, 52. 148 Er verweist dazu auf Levine, tabernacle Texts, 307-318; sowie ders., Ritual Texts, 467-475. 149 Strecker, Notizen, 40-42. 150 Es wäre lediglich nach dem Grad von Fiktionalität bzw. Konstruktion der Tauftexte in Apg zu fragen, siehe dazu ausführlich Avemarie, Tauferzählungen. und Gesten Jesu oder den Beschreibungen und Problematisierungen von got‐ tesdienstlichen und anderen Gemeindezusammenkünften in Apg und den Briefen eine erstaunliche Fülle an neu entwickelten oder auch lang tradierten, möglicherweise aktualisierten Ritualen und ritualisierten Handlungen. Neben diesen deskriptiven Texten finden sich solche, welche selbst rituelle Funktionen wahrnehmen, so zum Beispiel die Gruß- und Segenswünsche zu Beginn und Schluss der paulinischen Briefe - Texte, welche bisher kaum unter ritologischen Gesichtspunkten wahrgenommen wurden. Der einzige methodische Entwurf zum ritologischen Arbeiten in der bibli‐ schen Exegese stammt nun aber dennoch von einem Alttestamentler: Ge‐ rald A. Klingbeil, Bridging the Gap. Ritual and Ritual Texts in the Bible. Entspre‐ chend gehen die von ihm formulierten fünf Herausforderungen jeder biblisch begründeten Ritualuntersuchung zwar erkennbar von der besonderen Quellen‐ situation der Hebräischen Bibel aus, sie sollen im Folgenden aber dennoch der Ausgangspunkt für die Überlegungen bezüglich der neutestamentlichen Tauf‐ texte bilden, da sie den wohl profiliertesten Versuch zu diesem Thema darstellen: 1) „[…], biblical ritual must be studied nearly exclusively from texts.“ 147 Eine erste Kategorisierung dieser Texte könnte man mit Klingbeil in der Unterschei‐ dung zwischen deskriptiven und preskriptiven Ritualtexten vornehmen, 148 wobei sich allerdings die sechs Text-Ritual-Kategorien Streckers als wesentlich differenzierter erweisen. Die Kategorien richten sich auf die jeweilige Art und Funktion des Rituals in einem Text und lauten: 1. Texte, die zur Ausführung eines Rituals anweisen; 2. Texte, die den Vollzug einer rituellen Handlung schildern bzw. konstatieren; 3. Texte, die sich mit der Bedeutung, Funktion oder rechten Durchführung rituellen Handelns auseinan‐ dersetzen; 4. Texte, die direkt rituellen Gebrauch entstammen; 5. Texte, die eine un‐ mittelbare rituelle Funktion besitzen; 6. Texte, die synekdochisch mit einem Ritual vernetzt sind. 149 Für die neutestamentlichen Tauftexte ist dabei weniger die Befürchtung einer teilweisen Fiktionalität von Relevanz, wie sie Klingbeil für viele alttestament‐ liche Ritualtexte konstatiert. 150 Wohl aber ist zu erwarten, dass theologische Im‐ plikationen in die Darstellung eingeflossen sind. Die Vielfalt an Deutungsmo‐ tiven und Kontextualisierungen der Taufe allein in den paulinischen Texten Kapitel I: Ritualwissenschaften und Exegese 38 <?page no="39"?> 151 Klingbeil, Bridging, 52. 152 Eine Bestimmung der zeitlichen Reihenfolge unterschiedlicher Texte zu einem Ritual geht gewöhnlich mit entsprechenden (Weiter-)Entwicklungsthesen zu Ablauf oder auch Bedeutung des Rituals einher. Einem solchen Ansinnen ist bezüglich der neutes‐ tamentlichen Tauftexte deswegen mit Vorsicht zu begegnen, da die unterschiedlichen Entstehungszeiten sehr an die verschiedenen Autoren der Texte gebunden sind und Unterschiede v. a. in den Deutungsmotiven wohl zuerst dort zu verorten sind. 153 Ebd. 154 A. a. O. 55. 155 A. a. O. 55 f. 156 Siehe unter I.1.1. kontrastiert diese allgemeine Annahme jedoch bereits insofern, als sie weniger eine unterschiedliche theologische Instrumentalisierung der Taufe als vielmehr eine Breite in Deutung und Funktion des Rituals vermuten lässt. Eine regelrecht tendenzielle Darstellung eines Rituals wird neutestamentlich lediglich für die Johannestaufe diskutiert. 2) „[…] most of the texts containing rituals are not easily dated, a fact that obviously has repercussions if one attempts the historical reconstruction of the Re‐ ligion of Ancient Israel or early Christianity.“ 151 Während die Datierung der neu‐ testamentlichen Tauftexte weniger ein Problem darstellt, insofern sie sich min‐ destens in eine wahrscheinliche relative Reihenfolge bringen lassen, 152 enthält die Frage der sicheren zeitlichen Verortung des Proselytentauchbades durchaus eine Brisanz, welche sich in der Unterschiedlichkeit der daraus abgeleiteten Thesen in der Verhältnis- und ggf. Abhängigkeitsbestimmung zur christlichen Taufe widerspiegelt. 3) „[…] rituals in themselves are rather empty containers and need to be under‐ stood in their specific cultural, historical, and religious context, often requiring advanced studies and skills.“ 153 Um seine auf die Vorstellung hinauslaufende These „The actions that constitute a ritual do not have inherent meanings …“ 154 zu veranschaulichen, führt Klingbeil interessanterweise an dieser Stelle eines seiner wenigen neutestamentlichen Beispiele an: Bei dem (einen) Taufritual des NT würden erhebliche Bedeutungsunterschiede zwischen der Johannestaufe und der christlichen Taufe gemacht werden. 155 Wenn seine These auch haupt‐ sächlich auf die Warnung davor hinauszulaufen scheint, heutige Deutung in die antiken Texte einzutragen, so tritt die dahinterstehende Ritualdefinition von einer zunächst an sich „meaningless“ bzw. auch „mit Bedeutung frei zu fül‐ lenden“ Handlung deutlich hervor. Es ist bereits dargestellt worden, dass diese Auffassung keineswegs konsensfähig ist. 156 Bezüglich der Taufe würde sie gegen jede symbolische Implikation des Taufvollzuges und damit auch gegen jede Er‐ wartung einer Wirkung der Taufe sprechen, welche oft mit dem sensitiven Ge‐ 2 Die Methodik der Arbeit 39 <?page no="40"?> 157 Siehe dazu die bisherigen Ausführungen zu Phänomenen von (Weiter-)Entwicklung von Ritualen und diese begleitenden hermeneutischen Herausforderungen unter I.1.3, sowie ggf. Missverständnisse unter I.1.4. 158 A. a. O. 52. 159 A. a. O. 61. 160 A. a. O. 52. dächtnis der Ritualteilnehmer in Verbindung gebracht wird. Diese hinge sodann allein an der vorherigen (! ) Taufkatechese - eine Vorstellung, die modernen Ritualdefinitionen eher fremd ist und wofür m. E. in den neutestamentlichen Tauftexten auch nicht ausreichend Indizien vorhanden sind. Zu prüfen wäre vielmehr, ob die unterschiedlichen Deutungen des Taufaktes, sowohl der Johannestaufe als auch der christlichen Taufe, nicht eher auf eine (schrittweise) Veränderung bzw. Entwicklung im Taufverständnis zurückzuführen sind. Er‐ kennt man Ritualabläufen in diesem Sinne ein Mindestmaß an inhärenter Be‐ deutung - neben und mit den je abhängigen Bedeutungszuschreibungen - zu, ist dies für die Interpretation der Weiterentwicklung der Johannestaufe zur christlichen Taufe zu bedenken, bei welcher der Ritualablauf trotz eines Wech‐ sels von Ritualleiter, Zielgruppe und Funktion gleich bleibt. 157 4) „[…] one has to deal with the often abbreviated nature of ritual in the Bible.“ 158 Klingbeil bringt dafür zwei mögliche Gründe vor: „Writing, for the pro‐ fessional ritual specialist, did not require all the minute details but rather focused on the larger picture. If a general audience was envisioned, it could be argued that this group also understood intuitively most basic elements […] or ritual building blocks.“ 159 Diese beiden Begründungen finden sich - neben der These über die allgemeine Nichtbedeutsamkeit des Ritualablaufes - gemeinhin auch für das Fehlen von Ablaufbeschreibungen für die Taufe im NT . Die folgende Untersuchung hat jedoch genau zu ergründen, ob die neutestamentlichen Tauf‐ texte tatsächlich jeder Beschreibung eines Ritualablaufes ermangeln - v. a. an‐ gesichts der Entstehungssituation, in welche mindestens die paulinischen Texte noch zu rechnen sind und für welche im Gegensatz zu ausdifferenzierten alt‐ testamentlichen Festritualen noch kein umfangreiches Gesamtritual mit viel‐ fältigen Teilritualen zu erwarten ist. Gleichzeitig stellt sich die Frage, ob die vielseitigen Deutungsmotive und Kontextualisierungen der Tauftexte nicht auch ein aussagekräftiger Hinweis bezüglich des Fokus dieser Texte sind: Strittig, mindestens diskutabel sind demnach nicht Details eines komplizierten, möglicherweise symbolischen Ritualablaufes, sondern die Funktionen und Deu‐ tungen der christlichen Taufe in ihren rituellen Relationen. 5) „[…] comparative material is generally helpful and beneficial […]“ 160 Der methodische Ansatz Klingbeils, den Herausforderungen zu begegnen, sieht eine Kapitel I: Ritualwissenschaften und Exegese 40 <?page no="41"?> 161 Historical Comparison versucht den Einfluss einer Kultur auf eine andere zu erfassen, indem Ritual(text)e unterschiedlicher Kulturen und Gesellschaften der gleichen Region und teilweise Zeit miteinander verglichen werden (vgl. a. a. O. 63). 162 Typological Comparison stellt - unter der Grundannahme einer „common religious conscience of humanity“ - Ritual(text)e unterschiedlicher Kulturen und Gesellschaften ganz unterschiedlicher Lokalisation und Zeit nebeneinander (vgl. a. a. O. 63). 163 Siehe etwa das durchaus gewinnbringende Heranziehen archäologischer und kultur‐ anthropologischer Aspekte bei DeMaris, Ritual World. 164 So etwa Strecker, liminale Theologie, welcher seine Interpretation der Theologie des Paulus wesentlich auf der Ritual- und Gesellschaftstheorie Turners gründet. 165 Näheres zum methodischen Ansatz eines Ritualvergleiches siehe unter I.2.3.3. 166 Grimes, Ritual Studies, 423. 167 Ebd. vergleichende Arbeitsweise vor, bei welcher er schriftlichen Texten grundsätz‐ lich den Vorzug vor anderen Quellen gibt und dabei sowohl „historical compa‐ rison“ 161 als auch „typological comparison“ 162 grundsätzlich für potentiell aus‐ sagekräftig hält. Mit Blick auf die Taufe wären demnach Wasser-Ritual(text)e im Allgemeinen und solche mit einem ähnlichen geographischen und zeitlichen Hintergrund im Besonderen vergleichend heranzuziehen und diesen jederzeit den Vorzug gegenüber sämtlichen sonstigen Quellen, 163 aber auch modernen Ritualinterpretationsmodellen 164 zu geben. 165 In welcher Weise den gerade beschriebenen Herausforderungen und Rah‐ menbedingungen in dieser Arbeit methodisch begegnet werden soll, ist im Fol‐ genden zu bedenken. 2.2 Ritologische Methodik der Untersuchung 2.2.1 Ritualfokussierte (klassische) Exegese Dafür, dass theologische Studien „have been slow to attend to nonverbal, non‐ textual phenomena“ 166 sieht Grimes den Hauptgrund in deren Textzentrierung. Ritualwissenschaften hingegen versteht er als „a movement away from the do‐ minance of these verbally oriented conceptions of religion“. 167 Dennoch stellen die neutestamentlichen Texte die Primär- und zugleich Hauptquellen für die christliche Taufe und ihre Entstehung dar und keine ritologische Arbeit kann an einer eingehenden Textexegese vorbei. Eine Berücksichtigung sowohl dia‐ chroner als auch synchroner Aspekte legt dabei nicht nur die spezifische Kon‐ textualisierung und Argumentation mit und zur Taufe offen, sondern bildet in der Zusammenschau mehrerer Texte auch die unverzichtbare Grundlage für eine Erfassung in ihren rituellen Spezifika. 2 Die Methodik der Arbeit 41 <?page no="42"?> 168 Grimes, Beginnings, 20. 169 Ebd. 170 Ebd. 171 Ebd. 172 Grimes sieht darin den ersten Schritt jeder ritologischen Untersuchung: „… the first prerequisite is as full a description as possible … not mere summaries of the values and beliefs implicit in them“ (ebd.). 173 A. a. O. 20-31. 174 A. a. O. 20. 2.2.2 Beschreibung nach vergleichbaren Ritualaspekten Die Vielfalt und Vielheit von Ritualen bedarf vor jeder Interpretation einer einheitlichen Analyse- und Darstellungsmethode. Grimes verspricht sich von einer so umfangreich wie möglichen Beschreibung folgende vier Aspekte: 1) „[to] enable ritual to speak most fully for itself “, 168 2) „ [to] aid interpreters in discerning the continuities and discontinuities between their symbols and those of participants in a ritual“, 169 3) „[to] generate helpful theories of ritual “ 170 und 4) „[to] precipitate a sense of the living quality of ritual in written accounts of them“. 171 Neben der umfangreichen Erfassung jedes einzelnen Rituals bildet eine ein‐ heitliche Beschreibung zugleich die Grundlage für eine Vergleichbarkeit und damit Verhältnisbestimmung von Ritualen unterschiedlichen Vollzuges und Be‐ deutung in Ritualeinzelaspekten. 172 Will man die christliche Taufe in sämtlichen ihrer rituellen Relationen erfassen, bedarf es Beschreibungs- und Argumenta‐ tionsmuster, welche neben der Taufe etwa auch auf die Beschneidung an‐ wendbar sind. Grimes bietet dazu einen sehr breit angelegten Fragenkatalog, an Hand dessen Rituale nach fünf Aspekten, welche typisch und aussagekräftig für nahezu alle Rituale sind, analysiert und beschrieben werden können: Ritual Space, Ritual Objects, Ritual Time, Ritual Sound and Language, Ritual Identity, Ritual Ac‐ tion. 173 Im Sinne von Grimes ist der Katalog nicht als Frage-Antwort-Quiz zu verwenden, sondern themen- und quellenbezogen zu erweitern und anzu‐ passen. 174 Für eine Beschreibung der christlichen Taufe auf der Grundlage der biblischen Quellen sowie für eine Erfassung sämtlicher mit der Taufe in Relation stehenden Rituale erweisen sich m. E. die folgenden sieben Ritualaspekte als aus‐ sagekräftig: 1) die Ritualbezeichnung, 2) der Ritualursprung, 3) der Ritualleiter, 4) die Ritualteilnehmer, 5) der Ritualort und die Ritualzeit, 6) der Ritualablauf und schließlich 7) die Ritualfunktion und -deutung. Sie seien in ihrem Umfang und den für die Taufe zu erwartenden Fragen kurz expliziert. Kapitel I: Ritualwissenschaften und Exegese 42 <?page no="43"?> 175 Zur Ritualentwicklung bzw. -weiterentwicklung und damit verbundenen Phänomenen siehe ausführlich unter I.1.3. 2.2.2.1 Die Ritualbezeichnung Ritualbezeichnungen können sich auf sämtliche Ritualaspekte beziehen. Gele‐ gentlich besteht der Name - vermutlich mit der Absicht einer erhöhten Diffe‐ renzierungsmöglichkeit - auch aus einer Kombination mehrerer Merkmale des Rituals, wie etwa bei τὸ βάπτισμα Ἰωάννου. So finden sich Ritualbezeichnungen 1) nach dem Ritualvollzug bzw. einer Teilhandlung während des Rituals, was vermutlich die typischste Variante ist, ein Ritual zu benennen, z. B. die Beschneidung; 2) nach dem Gründungsereignis bzw. Ursprung des Rituals, welches ggf. zu dessen Erinnerung bzw. als dessen Vergegenwärtigung begangen wird, z. B. das Pessachfest oder auch die christ‐ liche Abendmahlsfeier; 3) nach der Funktion, Bedeutung oder auch Anlass des Rituals, z. B. das Erntedankfest; 4) nach einer göttlichen Identität, der zu ehren bzw. auf die hin das Ritual vollzogen wird, z. B. Isisweihe oder auch Jahwe-Feste; 5) nach einem Menschen, zu dessen Erinnerung das Ritual gefeiert wird, z. B. sämtliche Heiligenfeiertage; weniger häufig sind Ritualbezeichnungen nach dem Ritualleiter oder auch Ritualentwickler, wie z. B. bei Johannestaufe; 6) nach dem Ritualort, an dem das Ritual selbst oder auch sein Gründungsereignis statt‐ gefunden hat, z. B. Tempelbaufest, und schließlich; 7) nach der Ritualzeit, zu der das Ritual stattfindet oder auf die es sich bezieht, z. B. das Neujahrsfest. Da demnach sämtliche Ritualaspekte Ausgangspunkt für eine Ritualbezeich‐ nung werden können, ist demjenigen, auf den sie letztlich Bezug nimmt, in der Analyse besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Mit Blick auf die Übernahme und Weiterentwicklung von Ritualabläufen und -bedeutungen ist die Weiter‐ führung, aber auch die Abänderung der Ritualbezeichnung ein besonderes Indiz, da sie z. B. ein Hinweis auf eine entsprechende Bedeutungsverschiebung unter Beibehaltung des Ritualablaufes sein kann. 2.2.2.2 Der Ursprung des Rituals Der „Ursprung“ eines Rituals kann und soll im Folgenden unter zwei unter‐ schiedlichen Aspekten verhandelt werden, welche zunächst nichts miteinander zu tun zu haben scheinen, aber spätestens in der Interpretation des Rituals in eine Relation zu setzen sind: 1) Der ritologische Ursprung - das Vorgängerritual: Zu erheben ist, in welcher Weise das untersuchte Ritual auf andere Rituale zurückgeht, worin die Abän‐ derung oder auch die Weiterentwicklung besteht und ggf. was der Anlass dafür gewesen ist. 175 2 Die Methodik der Arbeit 43 <?page no="44"?> 176 Zur Zeitdimension der Erinnerung siehe die Fragen Grimes’ zu „Ritual Time“ (a. a. O. 24 f). 177 Die Analysefragen Grimes‘ zu diesem Aspekt siehe a. a. O. 27-29. 178 Siehe dazu unter I.1.2 Exkurs: Initiationsrituale. 2) Der inhaltliche Ursprung bzw. Bezugspunkt - das Gründungsereignis: Ein Ereignis, an welches das Ritual erinnert, kann ein historisches Geschehen oder auch ein Mythos sein. Der zeitliche Abstand zwischen diesem Ereignis und dem ersten Vollzug des Rituals kann nur wenige Wochen (so vermutlich bei der ersten christlichen Abendmahlsfeier), ein Jahr (aus Anlass des 1. Jahrestages) oder auch wesentlich länger betragen. 176 Unter Ritualursprung sind auch Ereignisse und Erzählungen zu rechnen, welche die Durchführung des Rituals in grundlegender Weise ermöglichen, wie z. B. das Schicksal der Göttin bei der Einweihung in die Isismysterien. 2.2.2.3 Der Ritualleiter Die von Grimes gewählte Beschreibungskategorie „Ritual Identity“ trägt der Beobachtung Rechnung, dass ein Ritual wesentlich von den an ihm beteiligten Personen, der Verteilung verschiedener Rollen und Funktionen unter ihnen und den Voraussetzungen, unter denen man dazu Zugang gewinnt, lebt. Diese In‐ teraktion der Beteiligten, gerade wenn sie während des Ritualverlaufes eine Veränderung durchmacht, hat nicht nur Bedeutung für den Zeitraum des Rituals, sondern kann auch über diesen hinaus wirken. 177 Dass bezüglich der christlichen Taufe grundsätzlich zwischen Ritualleiter und -teilnehmern differenziert werden soll, liegt einerseits darin begründet, dass die Taufe selbst klar zwischen diesen beiden Rollen unterscheidet und andererseits in der Wahrnehmung, dass Ritualleitern bei Initiationsritualen eine besondere, den Ritualteilnehmern gegenüber wirkmächtige Position einnehmen. 178 Beson‐ ders zu beachten ist dabei das ggf. wechselnde Verhältnis von Aktivität und Passivität der verschiedenen Personen. 2.2.2.4 Die Ritualteilnehmer Bezüglich der Ritualeilnehmer - in Abgrenzung zum Ritualleiter - ist zu fragen, ob es grundsätzliche Voraussetzungen für die Teilnahme am Ritual gibt und ob die z. B. in vorbereitenden Handlungen und Ritualen erbracht werden müssen oder möglicherweise von grundsätzlicher, nicht zu beeinflussender Natur sind. Ist das Ritual z. B. geschlechts- oder altersspefizisch? Führt dies zu einem be‐ schränkten Zugang zum Ritual oder beispielsweise zu Differenzierungen im Ri‐ Kapitel I: Ritualwissenschaften und Exegese 44 <?page no="45"?> 179 Siehe dazu den Fragenkatalog von Grimes, a. a. O. 27-29. 180 Siehe den Fragenkatalog zu „Ritual Space“ bei Grimes, a. a. O. 20-22. 181 Siehe Grimes’ Fragenkatalog a. a. O. 24 f, aber auch die umfangreichen Beispiele für die Bedeutung des Ortes wie der Zeit für die Rituale der alttestamentlichen Schriften bei Klingbeil, Bridging, 135-155. 182 Siehe dazu den Fragenkatalog von Grimes zu „Ritual Objects“ in ders., Beginnings, 23 f. 183 Siehe die Fragen von Grimes zu „Ritual Action“ in ders., Beginnings, 29-31. tualablauf ? Ist das Ritual einzeln oder nur in Gruppen bzw. unter Zeugen durch‐ führbar? 179 2.2.2.5 Der Ritualort und die Ritualzeit Die Raumdimension eines Rituals umfasst zum einen die Beschaffenheit und die Strukturierung des Ortes, an dem ein Ritual vollzogen wird: drinnen oder draußen, an einem zufälligen oder einem besonderen, möglicherweise symbo‐ lischen Ort mit Geschichte, ob dieser speziell dem Ritual vorbehalten ist oder auch profan genutzt wird. Zum anderen ist nach den Positionierungen und Be‐ wegung(srichtung)en der Beteiligten zu fragen und inwiefern diese auf Ablauf und Bedeutung des Rituals einwirken. 180 Rituale können von Jahres- oder auch Tagesrhythmen bestimmt werden und dabei in alltägliche, aber auch besondere Zeiten fallen und diese ggf. (um)prägen. So kann der Vollzug eines Rituals als wesentliches Lebensereignis wahrge‐ nommen werden, von dem aus ein neuer Lebensabschnitt gerechnet wird, bei‐ spielsweise die Hochzeit und die Feier ihrer Gedenktage. Rituale können sich außerdem auf Ereignisse in der Vergangenheit beziehen oder auch Zukünftiges erwarten und erbitten. Und gleichzeitig sind sie oft von einem „Zeit(ablauf)plan“ geprägt. 181 2.2.2.6 Der Ritualablauf Ein Ritual definiert und konstituiert sich über die vollzogene Handlung. Dieser kann - muss aber nicht - im Ganzen oder auch in Einzelaspekten eine symbo‐ lische Qualität eignen. Sie kann in der Handlung selbst oder aber darin be‐ gründet liegen, welcher Ritualteilnehmer in welcher Rolle die Handlung durch‐ führt. In vielen, wenn auch nicht allen Ritualen, werden zur Durchführung Gegenstände benötigt, welche - ähnlich dem Ritualort - auf ihre Beschaffenheit, Funktion und ggf. sonstige Symbolik und Verwendung außerhalb des Rituals hin zu befragen sind. 182 Je ausdifferenzierter sich ein Ritual gestaltet, desto größere Bedeutung kommt der Abfolge und gegenseitigen Bezogenheit der Teilrituale zu. 183 Eine Ver‐ änderung in der Reihenfolge oder auch das Weglassen einer Teilhandlung kann 2 Die Methodik der Arbeit 45 <?page no="46"?> 184 Siehe unter I.1.4. 185 Siehe dazu den Fragenkatalog von Grimes zu „Ritual Sound and Language“ a. a. O. 26 f. 186 Siehe unter I.1.2. 187 Klingbeil, Bridging, 59: interaktive, kollektive, traditionalisierend-innovative, kommu‐ nikative, symbolische, Multimedia-, performative, ästhetische, strategische und schließ‐ lich integrative Dimension. Er bietet dazu Beispiele von alttestamentlichen Ritualen, welchen in der jeweiligen Dimension ein besonderer Schwerpunkt eignet. 188 Babcock, Sacred Ritual, 15-18, unterteilt in „Form, Order, Structure“, „Sacred Time“, „Sacred Space and Movement“, „Sacred Objects“, „Ritual Participants“ and „Ritual Sound“. 189 Al-Suadi, Essen, 113-240, differenziert zwischen „Identitätsausbildung der Teil‐ nehmer“, „Identitätsausbildung im Gemeinschaftsmahl“, „Rollenverhalten der Teil‐ nehmer“, „Verlauf des Gemeinschaftsmahls“ sowie „Sprache des Gemeinschaftsmahls“. zu Verwirrung oder gar zum Misslingen des Rituals führen. 184 Insofern kommt der Frage besonderes Gewicht zu, ob es nötig ist, die Ritualteilnehmer vorher über den Ablauf zu unterweisen oder ob sie diesen samt seiner Bedeutung vo‐ rausahnen bzw. verstehen und nachvollziehen können. 2.2.2.7 Die Ritualfunktion und -deutung Mit Blick auf die christliche Taufe eignet sich eine Differenzierung in eine grundsätzliche Funktion, welches das Ritual für den Teilnehmer und die Ge‐ meinschaft übernimmt sowie ausgeführte Deutungen und Bedeutungen dieser Grundfunktion. Erster Anhaltspunkt jeder Funktionsbestimmung sind die (Symbolik der) Handlung sowie ggf. im zeitlichen Umfeld des Rituals gegebene Erklärungen oder Deuteworte. 185 Da viele der Ritualklassifikationen nach Ritu‐ alfunktionen unterteilen, können nach einer grundsätzlichen Bestimmung deren Beschreibungen und Interpretationen etwa von Initiationsritualen ver‐ gleichend herangezogen werden. 186 Jedoch erschöpft sich die Ritualbedeutung längst nicht allein in der Zuschreibung einer Grundfunktion oder der Interpre‐ tation einer Deutungsmetapher, sondern kommt in jedem einzelnen der Ritu‐ alaspekte und deren besonderer Ausprägung im jeweiligen Ritual zum Tragen. Klingbeil spricht diesbezüglich von bis zu zehn Dimensionen, welche einem Ritual zu eigen sein und welche sämtliche Teilaspekte der Ritualbedeutung dar‐ stellen können. 187 2.2.2.8 Alternative Beschreibungskategorien Ähnlich den hier auf die neutestamentliche Taufe und ihrer Quellen abge‐ stimmten Ritualaspekten wählt etwa auch Babcock in seiner Studie zu den Fest‐ kalendern 188 und Al-Suadi in ihrer Untersuchung zu Mahlgemeinschaften 189 Be‐ schreibungskategorien, welche sich von dem jeweiligen Ritual her ableiten. Ganz andere, themenungebundene Vorschläge für Beschreibungsmerkmale Kapitel I: Ritualwissenschaften und Exegese 46 <?page no="47"?> 190 Klingbeil, Bridging, 57, verfolgt eine schrittweise Ritualanalyse an Hand von Morpho‐ logie, Semantik, Syntax und Pragmatik. 191 Theißen, dinamica, 60-75, beschreibt und analysiert Rituale nach der jeweiligen Rolle 1) der Ritualakteure, 2) der rituellen Elemente und 3) der Empfänger des Rituals. 192 Zur Hermeneutik des Vergleichens allgemein und speziell zum Vergleich antiker Kul‐ turen siehe Smith, Drudgery Divine. 193 Siehe unter I.2.2. 194 Klingbeil, Bridging, 63. finden sich etwa bei Klingbeil, welcher eine Orientierung an linguistischen Ka‐ tegorien als sinnvoll erachtet, 190 oder auch bei Theißen. 191 2.2.3 Ritualvergleich 192 Oben wurde bereits die These Klingbeils dargestellt, die Interpretation eines Ritualtextes gelinge am sichersten über einen Vergleich mit anderen, vorzugs‐ weise schriftlichen Quellen zu Ritualen, welche ersterem entweder in ihrem historischen Kontext oder aber in ihrer Typologie ähneln. 193 Wenn auch ein vergleichender Ansatz im Grundsatz vielversprechend er‐ scheint, so sind die von Klingbeil beschriebenen Prämissen dennoch in drei Punkten anzufragen: 1) Wenn ein historical comparison angestrengt werden soll, stellt sich die Frage, wie viele den christlichen Tauftexten vergleichbare Ritualtexte sich überhaupt finden ließen. 2) Mit Blick auf ein typological com‐ parison ist fraglich, wie weit „the common religious conscience of humanity“ 194 reicht und wie aussagekräftig demnach ein entsprechender Vergleich sein kann, wenn Rituale - wie grundsätzlich bei Klingbeil - als „empty containers“ be‐ schrieben werden. 3) Das Ritualverständnis Klingbeils lässt sich vielleicht ver‐ einfacht auf die Formel bringen „Ritual = Handlungsablauf + dessen Deutung“, und demnach würden lediglich Rituale, welche der Taufe in ihrem Ablauf äh‐ neln, als mögliches Vergleichsmaterial in Frage kommen. Gegen diese fehlgehenden Prämissen Klingbeils erscheint es mit Blick auf die christliche Taufe in den neutestamentlichen Texten jedoch zunächst sinnvoll, nicht einen einzelnen Tauftext mit einem anderen Ritualtext zu vergleichen, sondern auf der Grundlage mehrerer Texte das Ritual selbst zu einem anderen Ritual ins Verhältnis zu setzen. Sodann ist zu bedenken, dass die neutestament‐ lichen Tauftexte weder das Wasserritual im Allgemeinen, noch seinen Ablauf im Besonderen, in den Fokus stellen, sondern vielmehr eine bestimmte Funktion oder einen konkreten, anderen Ritualaspekt. Insofern liegen Rituale, welche der Taufe in diesen Punkten gleichen, als mögliche Vergleichsrituale mindestens ebenso nah wie andere Wasserrituale. Hebt beispielsweise ein Text nachdrück‐ lich auf den initiativen Aspekt der Taufe ab, ist nicht zuerst die Johannestaufe 2 Die Methodik der Arbeit 47 <?page no="48"?> 195 Exkurs 1Kor 10,1-5 unter II.2.1; Exkurs 1Kor 6,9-11 unter IV.1.2.2. als ähnliches Wasserritual, sondern sind andere Initiationsrituale vergleichend heranzuziehen. 3 Aufbau und Fragestellung(en) der Arbeit 3.1 Gegenstand und Ziel der Arbeit Die Untersuchung versteht sich als eine erste dezidiert ritologische Beschrei‐ bung der christlichen Taufe in ihrem Wesen als Ritual. Sie unterscheidet sich daher von den vielfältigen bisherigen neutestamentlichen Arbeiten zur christ‐ lichen Taufe sowohl in ihrem methodischen Vorgehen, welches ritualwissen‐ schaftliche Methoden für die biblische Exegese adaptiert, als auch in ihrer Ziel‐ setzung, die christliche Taufe erstmals in der Fülle ihrer neutestamentlich belegten Ritualaspekte zu beschreiben, zu analysieren und zu interpretieren. Die biblische Textgrundlage bilden dazu die paulinischen Tauftexte, welche als die ältesten Belege zwar bereits den Vollzug der Taufe voraussetzen, aller‐ dings noch in die Entstehungsphase des Rituals zu rechnen sind. Dementspre‐ chend richtet sich das Augenmerk der Untersuchung nicht allein auf Erhebung und Beschreibung der Taufe in der Zeit und in der Theologie des Paulus, sondern ebenso auf die dem vorangehenden und noch anhaltenden Entwicklungsten‐ denzen bezüglich sämtlicher Ritualaspekte. 3.2 Aufbau der Arbeit Der methodischen Einleitung folgen fünf inhaltliche Kapitel, wobei im Verlauf der Arbeit entsprechend der Entwicklung der Fragestellung die Quellenbasis ausgeweitet wird. Kapitel II „Begrifflichkeiten“ beinhaltet semantische sowie traditionsge‐ schichtliche Untersuchungen zu den wesentlichen griechischen Begriffen und Formulierungen, welche im Kontext der Taufe Verwendung finden: βάπτω und βαπτίζω sowie die sog. Taufbzw. Namensformel in den Varianten βαπτίζειν εἰς Χριστὸν und βαπτίζειν εἰς τὸ ὄνομα Χριστοῦ. Kapitel III „Die paulinischen Tauftexte“ untersucht eingehend die ältesten schriftlichen Zeugnisse zur christlichen Taufe und konzentriert sich dazu auf vier Haupttexte, welche in besonderer Weise die Taufe thematisieren bzw. prob‐ lematisieren: Gal 3,23-29; 1Kor 1,10-17; 1Kor 12,12-20; Röm 6,1-11. Weitere paulinische Tauftexte werden in Exkursen kurz dargestellt. 195 Kapitel I: Ritualwissenschaften und Exegese 48 <?page no="49"?> 196 Siehe unter I.2.3.2. Kapitel IV „Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche“ stellt zunächst die vorgängigen und neutestamentlich gegenwärtigen Vorstellungen zum Element Wasser und den damit verbunden Ritualen im jüdisch-christlichen Kontext dar. Sodann werden drei jüdische Rituale ausführlich dargestellt, welche entweder in ihrem Ritualablauf oder aber in ihrer Ritualfunktion und -deutung in einem direkten Verhältnis zur christlichen Taufe stehen: die Johannestaufe, die Beschneidung und das Proselytentauchbad. Die Ergebnispräsentation folgt dabei den oben bereits eingehend vorgestellten 196 sieben Ritualaspekten. Schließlich werden vier der bedeutendsten Vertreter der sog. Täufersekten - die Gemeinschaft von Qumran, die Elchasaiten, die Mandäer sowie die Ebioniten - mit einem besonderen Fokus auf die von ihnen verwendeten Rituale untersucht. Auch wenn es sich dabei mehrheitlich um Phänomene handelt, welche nach der Etablierung der christlichen Taufe entstehen, bilden diese in ihrer Fokussierung auf Wasserrituale eine interessante Vergleichsfolie für die christliche Gemeinde, welche die Taufe als Initiationsritual vollzieht. Auf Grund der teilweise sehr beschränkten Quellenlage können die Wasserrituale dieser Gruppierungen le‐ diglich bezüglich ihrer Bezeichnung und Art, Ritualablaufes, Ritualfunktion und -deutung dargestellt und verglichen werden. Sämtliche Unterkapitel laufen so‐ dann auf eine Verhältnisbestimmung zur christlichen Taufe hinaus, einem Ri‐ tualvergleich. Kapitel V „Ritologische (Deutungs)Motive“ thematisiert fünf Metaphern und Deutungen, welche zur Interpretation der Taufe in den paulinischen Texten Verwendung finden und sich zugleich als klassische Motive erweisen, wie sie auch bei anderen, jüdischen wie nichtjüdischen Ritualdeutungen begegnen: „Leben-Tod(-Leben)“; „Freiheit / Befreiung“; „Leib / Einheit“; „Erbe / Sohn“; „Name“. Kapitel VI „Die christliche Taufe als Ritual. Eine Zusammenfassung“ bündelt die Ergebnisse aus den unterschiedlichen Untersuchungsschritten in einer um‐ fassenden Beschreibung und Interpretation der christlichen Taufe an Hand der sieben Ritualaspekte. 3.3 Begriffliche Differenzierungen Die Forschungsliteratur zum Thema Ritual konnte sich bisher nicht auf einen einheitlichen Sprachgebrauch bezüglich bestimmter Fachtermini einigen. Dieses Problem potenziert sich zusätzlich durch die Übertragung englischer Be‐ grifflichkeiten ins Deutsche. Unabhängig von den teilweise vehement geführten 3 Aufbau und Fragestellung(en) der Arbeit 49 <?page no="50"?> 197 So etwa Lang, Ritual, 444. 198 Z. B. Reinigungswaschung, welche sowohl als vollwertiges, abgeschlossenes Ritual vollzogen werden als auch in vorbereitender Funktion etwa auf ein Opferritual, siehes dazu Näheres unter IV.1.1.2. 199 Dem entspricht auch die bedeutungsgleiche Verwendung von „Ritual“ und „Ritus“ im Allgemeinen Deutsch, wie sie seit dem 18. Jh. belegt ist, siehe Schulz, Fremdwörterbuch, 454-458. 200 Ferguson, Baptism. Auseinandersetzungen darüber gelten für die Untersuchung folgende begriff‐ liche Differenzierungen: 1) rituell - ritologisch: „Rituell“ bezeichnet Eigenschaften, welche eine Hand‐ lung als Ritual kennzeichnen bzw. prägen. „Ritologisch“ hebt auf die ritualthe‐ oretische und demnach methodische Ebene einer Fragestellung ab. 2) Ritual - Ritus: Die gelegentlich anzutreffende Differenzierung zwischen „Ritus“ als kleinster Sinneinheit bzw. Handlungsbestandteil und „Ritual“ als dem Gesamtgeschehen 197 bleibt letztlich schwierig, da bspw. dieselbe rituelle Hand‐ lung sowohl als eigenständiges „Ritual“ existieren und gleichzeitig als Teil eines größeren rituellen Zusammenhanges und somit „Ritus“ vorkommen kann. 198 Zudem trägt eine derartige Unterscheidung nichts zur Beschreibung und Inter‐ pretation der in der Arbeit untersuchten Rituale bei. Daher wird im Folgenden durchgehend von Ritual gesprochen und damit jede Art ritueller Handlung be‐ zeichnet. 199 3) Taufe - Tauchbad: Auch wenn Ferguson, welcher eine der ausführlichsten unter den aktuellen Untersuchungen zur Taufe vorgelegt hat, 200 es nicht für er‐ forderlich zu erachten scheint und sowohl die christliche Taufe als auch das Proselytentauchbad unter den Oberbegriff „baptism“ fasst, so unterscheidet die folgende Studie durchaus zwischen einer von einem Täufer vollzogenen „Taufe“ und einem selbstständigen „Tauchbad“ ohne Hilfe oder Zutun einer anderen Person. 3.4 Fragestellungen der Arbeit Folgende Fragen seien der Studie vorangestellt: 1) Die christliche Taufe als Ritual in der Zeit und Wahrnehmung des Paulus: Wie lässt sich die Taufe als Ritual charakterisieren? Welche Aspekte zeichnen sie in besonderer Weise aus und machen sie als Ritual unverwechselbar? In welcher Funktion wird die Taufe von der christlichen Gemeinde vollzogen? Welche Bedeutungsaspekte werden von Paulus durch seine vielfältige, bild‐ reiche Sprache betont, welche hingegen abgelehnt? Nimmt die Bedeutung der Taufe dabei Bezug auf den Ritualablauf oder sind beide unabhängig voneinander Kapitel I: Ritualwissenschaften und Exegese 50 <?page no="51"?> zu verstehen? In welchen Bereichen seines dogmatischen wie ethischen Den‐ kens verortet Paulus die christliche Taufe? 2) Die Entstehung der christlichen Taufe in ihrem rituellen Kontext: Welche Rituale können als „Vorläufer“ der christlichen Taufe gelten? In welcher Weise übernimmt die christliche Taufe Ritualaspekte von diesen? Wie grenzt sie sich auch von ihnen ab? Zu welchen anderen Ritualen steht die Taufe in welcher Art von Relationen? 3 Aufbau und Fragestellung(en) der Arbeit 51 <?page no="52"?> 1 Das mehrfach begegnende Eintauchen von verunreinigten Gefäßen in Wasser (zur Wiederherstellung ritueller Reinheit), das ebenfalls mit לבט formuliert ist, wird in der LXX meist durch πλύνω oder λούομαι wiedergegeben. 2 In Apk 19,13 ist der Text relativ unklar. Nestle / Aland entscheiden sich für βεβαμμένον αἵματι (mit Blut getränkt). Auch gut belegt sind ρεραντισμ- (mit Blut besprengt) und περιρεραμμ- (mit Blut von allen Seiten benetzt / besprengt). 3 „Perhaps because of the frequent use of baptō for ‚to dye,‘ embaptō became common for dipping, but the usage is older“ (Ferguson, Baptism, 42). 4 A. a. O. 45. 5 Frisk, Art. βάπτω, 218 (Hervorhebungen im Original). Kapitel II: Begrifflichkeiten 1 βάπτω und βαπτίζω 1.1 βάπτω Βάπτω wird in den biblischen Schriften ausschließlich im wörtlichen Sinn ge‐ braucht und meint da: Eintauchen, Untertauchen oder Färben. In der LXX steht es meist als Übersetzung für לבט und bezeichnet das Eintauchen verschiedener Kleidungsstücke, eines Ysopbündels, eines Fingers, eines Fußes oder auch Brotes und zwar in Wasser (Num 19,18; 2Kön 8,15), Blut (Gen 37,31; Ex 12,22; Lev 4,6.17), Öl (Lev 14,16; Dtn 33,24), Honig (1Sam 14,27) bzw. eine Grube (Hiob 9,31). 1 Neutestamentlich begegnet das Verb βάπτω gesichert lediglich an zwei Stellen: Der reiche Mann bittet, der arme Lazarus möge doch zu ihm ge‐ sandt werden, ἵνα βάψῃ τὸ ἄκρον τοῦ δακτύλου αὐτοῦ ὕδατος (Lk 16,24); beim Abschiedsmahl in Joh taucht Jesus einen Bissen ein und gibt ihn Judas, der ihn verraten wird ( Joh 13,26). 2 Im klassischen und hellenistischen Griechisch finden sich ganz ähnliche Kon‐ texte, wenn dort auch die andere Bedeutung „Färben“ häufiger anzutreffen ist. 3 Zudem begegnen hier verschiedene metaphorische Gebrauchsweisen: Härten von Metall, Färben im weiteren Sinne oder auch Besprengen bzw. Färben durch Besprengen. Ferguson schließt auf der Grundlage vieler von ihm analysierter antiker Texte daher, dass βάπτω „no idea of submerge or immersion“ 4 erkennen ließe. Dem ist insofern zu widersprechen, als etymologisch βαπτώ mit „awno. kvefja ‚niederdrücken, untertauchen, ersticken‘ (wozu aschwed. kvaf n. ‚Tiefe‘ u. a.) gleichgesetzt“ 5 wird. Entsprechend erklärt sich die etwas ungewöhnliche <?page no="53"?> 6 A. a. O. 219. 7 A. a. O. 218. 8 Ebd. 9 Ferguson, Baptism, 47 (Hervorhebungen im Original). 10 Entsprechende Beispiele finden sich in Aesops Fabeln: Ein Delfin, der einen Affen er‐ tränkt, indem er mit ihm unter die Wasseroberfläche taucht (Fabel 75: Der Delfin und der Affe, Version 1, Z. 14 f), ein Hund der ins Wasser fällt und zu ertrinken droht (Fabel 122: Der Gärtner und sein Hund, Version 1, Z. 3) oder auch ein Schiff, das in Seenot gerät (Fabel 223: Der Hirte und das Meer, Version 3, Z. 5). 11 Hippokrates, Epistolae 17, Z. 243. 12 Plutarch, Moralia 990E. 13 Ferguson, Baptism, 52. Nebenform βύπτειν „unschwer als eine Neubildung nach δύπτειν (s. δύω) oder […] nach dem gewöhnlichen und bedeutungsverwandten κύπτειν.“ 6 Insofern βάπτω letztlich „fast ausschließlich übertragen = ‚färben‘ benutzt“ 7 wird, tritt „[d]ie erweiterte Verbform βαπτίζω = ‚(ein)tauchen, taufen‘ (Hp. Pl., hell. u. spät) […] an die Stelle von βάπτω“. 8 So verwendet etwa auch Josephus βάπτω ausschließlich im Sinne von „Färben“ und βαπτίζω für das „Ein-/ Unter‐ tauchen“ von Personen und Gegenständen. Doch worin unterscheiden sich βάπτω und βαπτίζω? 1.2 βαπτίζω 1.2.1 Verwendungsweisen allgemein Laut Oepke ist βαπτίζω das Intensivum, welches „Versenken“ (Akt.) bzw. „Ver‐ sinken, Umkommen“ (Pass.) bedeuten kann und im übertragenen Sinne als „an den Rand des Verderbens bringen“ gebraucht wird. Ferguson dagegen zieht teil‐ weise noch andere Beispiele aus dem antiken wie hellenistischen Griechisch heran und kommt zu dem Schluss: „Where there was a difference, baptizō in‐ volved a more thorough and lasting submersion than baptō. In some cases βαπτίζω refers to a condition of being under or surrounded (covered) by some‐ thing (usually a liquid) regardless of the action than brought about the state or condition […].“ 9 Im Normalfall ist es Wasser, in dem jemand ertrinkt bzw. ertränkt wird, 10 in welchem ein Schiff versinkt, weil es überladen wurde, 11 oder das z. B. Aga‐ memnon für seinen Freitod wählt. 12 Für diesen wörtlichen Gebrauch von βαπτίζω fasst Ferguson zusammen: „Since being under water was associated with drowning or sinking, many of the uses of βαπτίζω are in a context of (potential) destruction, but destruction does not inhere in the word itself, as is shown by the metaphorical uses.“ 13 Von der Assoziation „überflutet, über‐ 1 βάπτω und βαπτίζω 53 <?page no="54"?> 14 A. a. O. 53. 15 A. a. O. 48. 16 Siehe Menand fr 363,4 [CAF III 105]. 17 Oepke, Art. βάπτω, 530. Das vielleicht einzige abweichende Beispiel ist Corp Herm IV 4: „[God] filled a great mixing bowl with mind [distinguished from the context from reason] and sent it below, appointing a herald whom he commanded to make the following proclamation to human hearts: ‚Immerse yourself [βάπτισον σεαυτήν] in the mixing bowl if your heart has the strength, if it believes you will rise up again to the one who sent the mixing bowl below, if it recognizes the purpose of your coming to be.‘“ „All those who heeded the proclamation and immersed themselves in mind participated in knowledge and became perfect people because they received mind …“ „I too wish to be immersed, my father. “ „Unless you first hate your body, my child, you cannot love yourself, but when you have loved yourself, you will possess mind, and if you have mind, you will also have a share in the way to learn. “ (Übersetzung nach Copenhaver, Hermetica, 15 f.) Der metaphorische Gebrauch ist offensichtlich. Ob die Stelle eine sprechende Parallele zur christlichen Vorstellung etwa von der Geist‐ verleihung bei der Taufe darstellt, ist an späterer Stelle zu klären. 18 Siehe etwa Jos Ant 9,212; Bell 1,437; 3,423. schwemmt werden“ herkommend, wird βαπτίζω auf metaphorischer Ebene verwendet im Sinne von: Überwältigt werden von Trunkenheit, Begierden, aber auch Krankheiten oder Schulden. „In these figurative uses the point of compa‐ rison is not the manner of application of the element that overwhelms but the completeness of the effect or result. The use of baptizō does emphasize a total submersion […].“ 14 Ob nun in einem wörtlichen oder auch metaphorischen Sinne verwendet, bliebe die Grundbedeutung jedoch die gleiche: „being covered or overwhelmed“. 15 Fragt man nach der Verwendung von βαπτίζω im Kontext von Waschungen, so lassen sich nur sehr vereinzelt Beispiele finden 16 - diese zumeist in sakralen Zusammenhängen. Als Mittel für eine gesunde Lebensweise, gegen Furcht oder in anderen magischen Zusammenhängen wird βαπτίζω gelegentlich synonym zu (ἀπο)λούω oder als „Eintauchen“ verwendet. Indem man auf der wörtlichen Ebene bleibt, wohnen solchen Ritualen zwar die Motive des Waschens, Reini‐ gens bzw. auch der Lebenssteigerung bis hin zur Unsterblichkeit inne, sie haben „jedoch nicht sakraltechnischen Sinn“ 17 angenommen. Die LXX verwendet an lediglich vier Stellen βαπτίζω: für das selbstständige Untertauchen eines Aussätzigen im Jordan (2Kön 5,14), für das Überschwemmt‐ werden mit Gesetzlosigkeit ( Jes 21,4 LXX ) sowie an zwei Stellen für ein Reini‐ gungsritual (Sir 34,30; Jdt 12,7). Der allgemeine jüdische Sprachgebrauch unterscheidet sich davon noch einmal. So kennt etwa Josephus verschiedene Verwendungsarten: das Sinken von Schiffen oder das zu Tode Bringen durch Untertauchen, 18 aber auch die Kapitel II: Begrifflichkeiten 54 <?page no="55"?> 19 Jos Ant 4,81; er beschreibt an dieser Stelle, dass Ysopzweige in Asche getaucht (βαπτίσαντές) werden, deren Berührung reinigende Wirkung hat. 20 Jos Ant 18,116 f: Ἰωάννου τοῦ ἐπικαλουμένου βαπτιστοῦ … χρωμένοις βαπτισμῷ συνιέναι οὕτω γὰρ δὴ καὶ τὴν βάπτισιν ἀποδεκτὴν αὐτῷ φανεῖσθαι μὴ ἐπί τινων ἁμαρτάδων παραιτήσει χρωμένων ἀλλ’ ἑφ’ ἁγνείᾳ τοῦ σώματος ἅτε δὴ καὶ τῆς ψυχῆς δικαιοσύνῃ προεκκεκαθαρμένης. 21 In seiner sehr breit angelegten Untersuchung zu βαπτίζω stellt Ferguson, Baptism, 59, dazu fest: „… also meant to overwhelm and so could be used whether the object was placed in an element (which was more common) or was overwhelmed by it (often in the metaphorical usages)“. 22 Ebd. 23 Siehe dazu im Folgenden unter II.1.2.2.1. 24 Siehe dazu im Folgenden unter II.1.2.2.2. rituelle Reinigung 19 und in seinem Abschnitt zu Johannes dem Täufer sogar als Bezeichnung für dessen Taufen, 20 wobei der Begriff hier bereits den Status eines terminus technicus eingenommen haben dürfte. Die nicht-christlichen Quellen verwenden βαπτίζω also im Sinne eines „Einbzw. Untertauchens“ (Akt. und Pass.), aber auch für ein „Versinken in etwas“ bzw. „Überwältigtwerden von etwas“. 21 Doch unabhängig davon, ob das Verb wörtlich oder auf einer metaphorischen Ebene verwendet wird, lassen sich zwei Aspekte in sämtlichen Kontexten ausmachen: 1) Sowohl ein vollständiges Ein‐ tauchen als auch ein absolutes Überwältigtwerden transportieren ein holisti‐ sches Moment - der Mensch ist ganz und gar davon betroffen. Und 2) be‐ schreiben die Texte oft lebensgefährdende oder gar lebensbeendende Szenarien (Versinken im Wasser, Ertränktwerden im Wasser, aber auch das Hineinstoßen eines Schwertes in einen Leib). Ferguson betont in diesem Zusammenhang, dass die Lebensgefährdung nicht durch βαπτίζω selbst benannt wird, sondern als die Wirkung des jeweiligen „Eintauchens“ bzw. „Überwältigwerdens“ dargestellt wird: „… such was the effect of the submerging and one could substitute the effect for the action, but that was a secondary application.“ 22 Es ist nun zu fragen, ob die neutestamentlichen Texte auf die gleichen Be‐ deutungsebenen und -aspekte von βαπτίζω rekurrieren. 1.2.2 Der neutestamentliche Gebrauch Die neutestamentlichen βαπτίζω-Stellen - und der Einfachheit halber sollen hier auch schon τό βάπτισμα, ὁ βαπτισμός und ὁ βαπτιστής mitverhandelt werden - lassen sich vier Kontexten zuordnen: 1) die Taufe des Johannes 23 und 2) die christliche Taufe. 24 3) Mk 7,2-4 und Lk 11,38 sprechen - wie aus dem Kontext deutlich hervorgeht - vom Reinigen, also Säubern von Geschirr bzw. den Händen und beziehen sich dabei auf jüdische Reinheitsvorschriften. Lediglich an diesen beiden Stellen wird βαπτίζω zweifelsfrei unabhängig von der Taufe 1 βάπτω und βαπτίζω 55 <?page no="56"?> 25 Ähnlich einzuordnen wäre dann auch Hebr 9,10, wo im Kontext von vorübergehend auferlegten Ordnungen, welche gegenüber dem einmaligen Opfer Christi nicht voll‐ kommen machen können, neben Speise- und Trankvorschriften auch βαπτισμοῖς, ver‐ mutlich rituelle Waschungen, erwähnt werden. 26 Siehe dazu den Exkurs 1Kor 10,1-5 unter II.2.1. 27 Vgl. Mt 20,22; Lk 12,50. 28 An dieser Stelle soll lediglich auf den Sprachgebrauch bezüglich der Johannestaufe ein‐ gegangen werden, alles Weitere siehe ausführlich unter IV.2. 29 Der Begriff ist außer bei den Synoptikern nur für Jos Ant 18,116 belegt, wo er ebenfalls Johannes bezeichnet. Siehe dazu ausführlicher unter IV.2.3.0. 30 Siehe dazu unter IV.2.7. verwendet. 25 4) Es verbleiben einige wenige andere Textstellen, welche in ir‐ gendeiner (meist übertragenen) Weise auf die christliche Taufe Bezug zu nehmen scheinen oder mit dieser assoziiert werden: In diesem Sinne diskutiert wird etwa 1Kor 10,2, wo der Durchzug durch das Rote Meer mit einem Getauft‐ werden εἰς τὸν Μωϋσῆν […] ἐν τῇ νεφέλῃ καὶ ἐν τῇ θαλάσσῃ verbunden wird. 26 Schließlich spricht Jesus in Mk 10,38 f von einem ihm noch bevorste‐ henden τὸ βάπτισμα und scheint diesen über die Parallele mit dem Kelch mit seinem Tod zu assoziieren: δύνασθε […] τὸ βάπτισμα ὃ ἐγὼ βαπτίζομαι βαπτισθῆναι; (Mk 10,38). 27 Sodann ist die von Johannes angekündigte Taufe (ἐν) πνεύματι ἁγίῳ (καὶ πυρί) (Mk 1,8parr) zu nennen. Da sie aber einen ein‐ deutigen Christusbezug hat, soll sie im Rahmen der christlichen Taufe verhan‐ delt werden. 1.2.2.1 Die Taufe des Johannes 28 Das Handeln des Johannes ist für seine Zeitgenossen so charakteristisch, dass er den Beinamen ὁ βαπτιστής, der Täufer, erhält. 29 Der Vorgang des Taufens wird ausschließlich mit dem Verb βαπτίζω beschrieben und von Johannes zudem als eine Taufe ὕδατι qualifiziert, was zusammen mit der Angabe, dass sie im Jordan vollzogen wird, zunächst für eine wörtliche Deutung von βαπτίζω spricht: Der Täufling wird durch Johannes im Wasser des Jordans untergetaucht. Da ein bloßes Eintauchen auch über βάπτω wiedergegeben werden könnte, scheint der einheitliche Gebrauch von βαπτίζω auf einer Betonung des dem Intensivum eignenden Moment eines vollständigen Untertauchens zu liegen. Ob hierbei ebenfalls das Gefahrenbzw. lebensbedrohende Element mitschwingt, welches den profanen Gebrauch von βαπτίζω prägt, ist allein auf der gramma‐ tikalisch-kontextuellen Ebene nicht zweifelsfrei zu entscheiden und daher an späterer Stelle zu klären. 30 Der auffällige synoptische wie textkritische Befund bezüglich des Johannes zugeschriebenen Vergleiches seiner Taufe mit der Taufe dessen, der nach ihm Kapitel II: Begrifflichkeiten 56 <?page no="57"?> 31 Zu den inhaltlich-ritologischen Aspekten dieses Vergleiches siehe unter IV.2.8.7.4. 32 Siehe auch die beiden gut bezeugten Versionen von Mk 1,8: Den Wortlaut ἐν ὕδατι bieten A; (D); L; W; (Θ); f 1 13 ; MT it. Lediglich ὕδατι wird bezeugt von א ; B; Δ; 33; 892*; 2427; l 2211; pc vg; Or. Über Anzahl und Qualität der Zeugen ist keine eindeutige Entschei‐ dung zu treffen. Auch sind beide Varianten grammatikalisch wie semantisch vorstellbar und sinnreich. 33 Diese Variante wird immerhin bezeugt durch A; f 13 und MT bzw. P 66 ; א ; f 1 pc; sa mss ; Or pt . 34 Und zwar durch: B; L; 2427; b; t; vg. Dagegen ist ἐν πνεύματι ἁγίῳ durch א ; A; D; W; Θ; f 1 13 ; MT; it; vg mss ; Or belegt. 35 So z. B. BDR, § 195. kommen wird, stellt diese erste Bedeutungszuweisung allerdings noch einmal zur Diskussion: Wenn βαπτίζω als Terminus technicus gewählt wird, um eine Taufe zu bezeichnen, was genau soll man sich dann darunter vorstellen bzw. mithören? Denn Johannes beschreibt nach den Synoptikern von sich aus - in Joh auf die Frage nach dem Grund seines Taufens hin - die Eigenart seiner Taufe mit Hilfe des Vergleiches mit einer anderen Taufe: ἐγὼ ἐβάπτισα ὑμᾶς ὕδατι, αὐτὸς δὲ βαπτίσει ὑμᾶς ἐν πνεύματι ἁγίῳ (Mk 1,8) bzw. ἐν πνεύματι ἁγίῳ καὶ πυρί (Mt 3,11; Lk 3,16). 31 Anzahl wie Art der textkritischen Varianten sprechen für den Diskussions- und Interpretationsbedarf der Formulierung: Johannes tauft ὑμᾶς ὕδατι (Mk 1,8; Lk 3,16) bzw. (ὑμᾶς …) ἐν ὕδατι (Mt 3,11; Joh 1, 26. 31.33). 32 Außerdem findet sich noch die textkritische Variante ἐν τῷ ὕδατι ( Joh 1,31.33). 33 Von dem, der nach ihm kommen wird, bezeugt Johannes, dass er taufen wird: ἐν πνεύματι ἁγίῳ (Mk 1,8; Joh 1,33) bzw. ἐν πνεύματι ἁγίῳ καὶ πυρί (Mt 3,11; Lk 3,16). Als gewichtige textkritische Variante ist πνεύματι ἁγίῳ (Mk 1,8) zu erwähnen, die so qualitativ und quantitativ gut bezeugt ist, 34 dass sie bis zur 25. Auflage die von Nestle / Aland bevorzugte Variante darstellt. Zunächst ist festzuhalten, dass sämtliche hier aufgeführten Belege und Vari‐ anten grammatikalisch möglich und zumeist bedeutend und gleichwertig be‐ zeugt sind. Zu fragen bleibt also, ob die Konstruktionen mit und ohne Präposi‐ tion ἐν bzw. mit und ohne Artikel τῷ unterschiedliche Bedeutungsnuancen anzeigen und damit auch auf unterschiedliche Bedeutungsebenen von βαπτίζω abheben. An dieser Stelle ist noch zu erwähnen, dass neben diese Formulie‐ rungen zu Mittel bzw. Ort der Taufe die beiden Formulierungsmöglichkeiten zum Zweck treten, welche entweder auf die gleiche Präposition zurückgreifen oder ganz auf eine Präposition verzichten: μετανοίας εἰς ἄφεσιν ἁμαρτιῶν (Mk 1,4; Lk 3,3) bzw. ἐν ὕδατι εἰς μετάνοιαν (Mt 3,11). Der Dativ ὕδατι wird klassischerweise als Dativus instrumentalis bestimmt, welcher das Mittel zur Durchführung angibt: Getauft wird mit Hilfe bzw. unter Verwendung von Wasser. 35 Dies würde eine Verwendung von βαπτίζω als klar 1 βάπτω und βαπτίζω 57 <?page no="58"?> 36 Vergleichbare Szenarien werden im klassischen und hellenistischen Griechisch ohne Präposition oder mit εἰς konstruiert. 37 Siehe von Siebenthal, Grammatik, § 177a. 38 Besonders häufig zu beobachten bei Mk, Lk, Apg, selten bei Joh, gar nicht bei Mt. Siehe dazu Siebenthal, Grammatik, § 184i. 39 Für ein übertragendes Verständnis scheint es zunächst keine Veranlassung zu geben. bestimmten Terminus technicus voraussetzen, welcher dann identisch auf die andere Taufe angewendet wird, die nur mit einem anderen „Mittel“ vollzogen würde. Denn eine vergleichbare Konstruktion ist für das profane Griechisch nicht belegt. Vorstellbar wäre m. E. auch ein Dativus loci (Frage: „Wo bzw. worin wird der Täufling getaucht? “ Antwort: „In Wasser.“), der zudem auf beide wört‐ lichen Bedeutungsebenen von βαπτίζω referieren könnte (getaucht werden in bzw. überschwemmt werden von). 36 Bezieht sich die Variante ἐν ὕδατι auf βαπτίζω, kann ἐν instrumental ver‐ standen werden, da Dative mit und ohne ἐν oft als sinngleiche Alternativen auftreten. 37 Doch auch die klassische Bedeutung „in“ (auf die Frage „Wo? “) ist für die Koine belegt, gerade bei Autoren, welche ἐν und εἰς vermischen. 38 Legt man das in den Evangelien beschriebene Szenario, also die Taufe „im Jordan“, zu Grunde und zieht sodann die beiden wörtlichen 39 Bedeutungsvarianten heran („untergetaucht Werden in“ bzw. „überschwemmt Werden von“, wobei sich auf Grund der Handlung des Täufers hier klar für erstere zu entscheiden ist), scheint eine lokale Deutung näherliegend: Johannes taucht im Jordan, also in Wasser, seine Täuflinge komplett unter. Eine instrumentale Deutung gerät erst dort in den Blick, wo die andere Taufe als ἐν πνεύματι ἁγίῳ καὶ πυρί qualifiziert wird, üblicherweise übersetzt als: mit dem Heiligen Geist und mit Feuer. Diese instrumentale Deutung der anderen Taufe erweist sich jedoch keineswegs als notwendig, geschweige denn zwin‐ gend. Vielmehr ist sowohl eine lokale Deutung der Geist- und Feuertaufe als auch eine übertragene Bedeutungsebene von βαπτίζω zu erwägen. Die Taufe ἐν πνεύματι ἁγίῳ ist wie bereits erwähnt für alle vier Evangelien belegt - καὶ πυρί lediglich für Mt und Lk. Wie auch einiges weitere Material, etwa die Vor‐ stellung vom Verbrennen von unfruchtbaren Bäumen bzw. von Spreu im un‐ mittelbaren Kontext, scheinen diese Traditionen der Quelle Q zugeordnet werden zu können. Die Kontextualisierung legt nun die Deutung nahe, dass es sich eigentlich um zwei alternative Taufen handelt: eine ἐν πνεύματι ἁγίῳ und eine [ἐν] πυρί, vorgestellt als ein Ins-Feuer-Geworfen-Werden. Dies würde auch vom klassischen Bedeutungsspektrum von βαπτίζω gedeckt werden: Jemand wird in etwas hineingeworfen, davon komplett umgeben, wobei das oft mitas‐ soziierte lebensbedrohende Element hier überdeutlich wird. Übertrüge man Kapitel II: Begrifflichkeiten 58 <?page no="59"?> 40 Siehe das ausführliche Zitat unter II. Anm. 17. 41 Andersherum ließe sich die ebenfalls zu Mk 1,8 bezeugte Variante πνεύματι ἁγίῳ als bewusste Anpassung bzw. Parallelisierung zu ὕδατι erklären. 42 Natürlich ist auch eine Kombination beider Prozesse vorstellbar. 43 In Joh findet sich keine entsprechende Zweckangabe, außer man interpretiert die Qua‐ lifikation seiner Taufe „mit / in Wasser“ durch Johannes in diese Richtung. Immerhin ist es seine Antwort auf die Frage: τί οὖν βαπτίζεις …; ( Joh 1,25). Bei den Synoptikern fällt auf, dass parallel zu den ὕδατι-Formulierungen wiederum Mk und Lk in gleicher Weise ohne Präposition entgegen Mt (εἰς) konstruieren. diese Deutung parallel auf ἐν πνεύματι ἁγίῳ, hieße es nicht mehr: „mit Hilfe des Heiligen Geistes wird dem Täufling … getan“, sondern vielmehr: „durch den Täufer wird der Täufling in den Heiligen Geist ‚hineingeworfen‘, sodass er schließlich komplett von diesem umgeben ist.“ Alternativ dazu ist auch eine übertragene Deutung vorstellbar, vergleichbar etwa dem Besessenwerden des Getauchten von Geist durch das Untertauchen in einer „great mixing bowl“ (Corp Herm IV 4). 40 Wird weiterhin ein rein instrumentales Verständnis be‐ hauptet, steht dies nicht nur gegen die Kontextualisierung des Traditionsgutes aus Q, sondern auch singulär gegen den sonstigen profanen Gebrauch. Doch unabhängig davon, ob man es lokal oder instrumental verstehen will, sind beide Verwendungsweisen sowohl für ὕδατι als auch für ἐν ὕδατι möglich. Man könnte nun die Version, welche Mk und Lk bezeugen, bezüglich des Prä‐ positionsgebrauchs für ursprünglicher halten: ὕδατι, aber ἐν πνεύματι ἁγίῳ (καὶ πυρί). Mt und Joh wären dann z. B. als Versuch einer Parallelisierung zu lesen: ἐν ὕδατι und ἐν πνεύματι ἁγίῳ (καὶ πυρί). Die zu Mk 1,8 gut bezeugte Variante ἐν ὕδατι könnte dann als bewusste Abänderung im Rahmen dieses Prozesses eingeordnet werden. 41 Da eine wesentliche Verbesserung des Griechischen weder in die eine noch in die andere Richtung festzustellen ist, bleiben m. E. für die zunehmende Vereinheitlichung (für beide Taufen) mit der Tendenz zu ἐν lediglich zwei mögliche Erklärungen: Es entwickelt sich nach und nach eine Vorstellung von Taufe im Allgemeinen bzw. den benannten Taufen im Spe‐ ziellen, die zu einem Verständnis βαπτίζω ἐν tendiert, oder aber ein weiterer Faktor, etwa eine geprägte Sprachtradition, überformt die ursprünglichen (di‐ vergierenden) Formulierungen. 42 Verbleibt die Frage nach dem Zweck der Johannestaufe: μετανοίας εἰς ἄφεσιν ἁμαρτιῶν (Mk 1,4; Lk 3,3) bzw. εἰς μετάνοιαν (Mt 3,11). 43 Auch an dieser Stelle ist der Sprachgebrauch unterschiedlich. Gerade εἰς mit Akkusativ kann in über‐ tragenem Sinne Bestimmung und Ziel einer Handlung ausdrücken. Für das Ri‐ tual kann auf diese Weise etwa nicht allein der Zweck, sondern auch die Wir‐ kung beschrieben werden. 1 βάπτω und βαπτίζω 59 <?page no="60"?> 44 τὸ πνεὺμα (Mk 1,10; Joh 1,32); [τὸ] πνεῦμα [τοῦ] θεοῦ (Mt 3,16); τὸ πνεὺμα τὸ ἅγιον (Lk 3,22). 45 Siehe genauer unter II.2.1. 46 Die neutestamentlichen Stellen scheinen das Verhältnis von christlicher Taufe und (Gabe des) Heiligen Geist(es) unterschiedlich zu bestimmen, vgl. etwa Apg 8,16, wo die Taufe „μόνον … εἰς τὸ ὄνομα τοῦ κυρίου Ἰησοῦ“ nicht ‚automatisch‘ zum Empfang des Heiligen Geistes führt. Zum Verhältnis von Taufe und Heiligem Geist siehe unter III.3.2.1. Darüber hinaus tragen die Texte zur Taufe Jesu durch Johannes nur wenig zur Klärung des βαπτίζω-Begriffes bei, abgesehen von folgenden beiden Punkten: Der Vermerk βαπτισθεὶς δὲ ὁ Ἰησοῦς εὐθὺς ἀνέβη ἀπὸ τοῦ ὕδατος (Mt 3,16) bestätigt, dass die Johannestaufe zunächst als ein komplettes Unter‐ tauchen im Wasser vorgestellt wird, aus dem der Täufling dann wieder auftau‐ chen muss. Der zweite Aspekt betrifft den Geist, der hier bereits mit der Taufe Jesu durch Johannes in Verbindung gebracht wird. 44 Es stellt sich nun die Frage, ob sich die Texte zur christlichen Taufe durch eine größere Klarheit in ihrem βαπτίζω-Gebrauch auszeichnen. 1.2.2.2 Die christliche Taufe Zur Erwähnung wie Beschreibung der christlichen Taufe bedienen sich die neu‐ testamentlichen Autoren - wie schon bei der Johannestaufe - ausschließlich βαπτίζω bzw. βάπτισμα. Da die Mehrheit der Stellen im Passiv formuliert ist, findet man den zu Taufenden bzw. bereits Getauften gewöhnlich als Subjekt von βαπτίζω und den Täufer bestimmt durch die Präposition ὑπό. Die übrigen Aus‐ sagen zur christlichen Taufe lassen sich in drei wesentliche Kategorien einteilen: 1) der Zweck der Taufe, 2) die Wirkung der Taufe, 3) sonstige Erläuterungen. 1) Als Zweck der Taufe findet sich die - formal wie inhaltlich der Johannes‐ taufe gleiche - Angabe εἰς ἄφεσιν τῶν ἁμαρτιῶν ὑμῶν (Apg 2,38) bzw. die Be‐ stimmung ὑπὸ τῶν νεκρῶν (1Kor 15,29). 2) Es fällt auf, dass die Vielfalt der Äußerungen zur intendierten Wirkung der Taufe mit einer großen Diversität der Formulierungen v. a. der Präpositionen einhergeht: 45 eine Einheit der Getauften (πάντες εἰς ἓν σῶμα [1Kor 12,13], πάντες γὰρ ὑμεῖς εἷς ἐστε ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ [Gal 3,28]), eine Relativierung oder Negierung der Unterschiede zwischen den Getauften (εἴτε Ἰουδαῖοι εἴτε Ἕλληνες εἴτε δοῦλοι εἴτε ἐλεύθεροι [1Kor 12,13], οὐκ ἔνι Ἰουδαῖος οὐδὲ Ἕλλην, οὐκ ἔνι δοῦλος οὐδὲ ἐλεύθερος, οὐκ ἔνι ἄρσεν καὶ θῆλυ [Gal 3,28]), die Gabe des Heiligen Geistes (λήμψεσθε τὴν δωρεὰν τοῦ ἁγίου πνεύματος [Apg 2,38]) 46 , ein Abwaschen der Sünden (ἀπόλουσαι τὰς ἁμαρτίας σου [Apg 22,16]), allerdings nicht von Schmutz (οὐ σαρκὸς ἀπόθεσις ῥύπου [1Petr Kapitel II: Begrifflichkeiten 60 <?page no="61"?> 47 Diese „Rettung“ wird näher beschrieben durch οὐ σαρκὸς ἀπόθεσις ῥύπου ἀλλὰ συνειδήσεως ἀγαθῆς ἐπερώτημα εἰς θεόν, δι᾽ ἀναστάσεως Ἰησοῦ Χριστοῦ (1Petr 3,21). 48 Wasser wird benötigt (ἰδοὺ ὕδωρ, τί κωλύει με βαπτισθῆναι; [Apg 8,36]), man steigt in dieses hinab (κατέβησαν ἀμφότεροι εἰς τὸ ὕδωρ [Apg 8,38]) und zumindest von Simon wird berichtet, dass er sich seinem Täufer anschließt (ἦν προσκαρτερῶν τῷ Φιλίππῳ [Apg 8,13]). Dieser ist jedoch zugleich derjenige, welcher ihm das Evangelium verkün‐ digt hat. Dass diese „Personalunion“ keinesfalls zwangsläufig ist, betont Paulus, welcher eine klare Trennung aufmacht (οὐ γὰρ ἀπέστειλέν με Χριστὸς βαπτίζειν ἀλλὰ εὐαγγελίζεσθαι [1Kor 1,17]). 49 Protagonisten lassen sich mit allen Zugehörigen taufen (ὡς δὲ ἐβαπτίσθη καὶ ὁ οἶκος αὐτῆς [Apg 16,15] bzw. ἐβαπτίσθη αὐτὸς καὶ οἱ αὐτοῦ πάντες παραχρῆμα [Apg 16,33], impliziert auch in εἴτε δοῦλοι εἴτε ἐλεύθεροι [1Kor 12,13] und οὐκ ἔνι δοῦλος οὐδὲ ἐλεύθερος [Gal 3,28b]). Es kann aber auch speziell erwähnt werden, dass Männer wie Frauen die Taufe empfangen (ἐβαπτίζοντο ἄνδρες τε καὶ γυναῖκες [Apg 8,12], impliziert auch in οὐκ ἔνι ἄρσεν καὶ θῆλυ [Gal 3,28c]). 50 Außer den bereits besprochenen Stellen Apg 2,38 und 8,15 f, siehe v. a. μήτι τὸ ὕδωρ δύναται κωλῦσαί τις τοῦ μὴ βαπτισθῆναι τούτους, οἵτινες τὸ πνεῦμα τὸ ἅγιον ἔλαβον ὡς καὶ ἡμεῖς; (Apg 10,47); ἐμνήσθην δὲ τοῦ ῥήματος τοῦ κυρίου ὡς ἔλεγεν· Ἰωάννης μὲν ἐβάπτισεν ὕδατι, ὑμεῖς δὲ βαπτισθήσεσθε ἐν πνεύματι ἁγίῳ (Apg 11,16). Identifi‐ ziert man die christliche Taufe mit der von Johannes angekündigten Taufe dessen, der nach ihm kommt, dann ist außerdem zu verweisen auf Mt 3,11; Mk 1,8; Lk 3,16; Joh 1,33; Apg 1,5. 51 εἰς τὸν θάνατον αὐτοῦ ἐβαπτίσθημεν (Röm 6,3) spricht von einer Bezugnahme auf Christi Tod und zugleich Parallelisierung seines und des Täuflings Erleben: θάνατος, συνετάφημεν, ὥσπερ ἠγέρθη … ἐν καινότητι ζωῆς περιπατήσωμεν (Röm 6,3 f). Durch die parallele Erwähnung des ποτήριον könnte Mk 10,38 f (vgl. Lk 12,50) in eine ähnliche Richtung weisen: δύνασθε … τὸ βάπτισμα ὃ ἐγὼ βαπτίζομαι βαπτισθῆναι; οἱ δὲ εἶπαν αὐτῷ· δυνάμεθα. ὁ δὲ Ἰησοῦς εἶπεν αὐτοῖς· τὸ ποτήριον ὃ ἐγὼ πίνω πίεσθε καὶ τὸ βάπτισμα ὃ ἐγὼ βαπτίζομαι βαπτισθήσεσθε. Nach Gal 3,27 f haben die Getauften Χριστὸν ἐνεδύσασθε und alle Getauften gemeinsam sind εἷς … ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ. 52 Siehe dazu unter II.2.2. 3,21]), oder ganz allgemein die Rettung (βαπτισθεὶς σωθήσεται [Mk 16,16], σῴζει βάπτισμα [1Petr 3,21] 47 ). 3) Die sonstigen Erläuterungen und Interpretationsansätze, welche neutesta‐ mentliche Stellen zur Taufe bieten, lassen sich inhaltlich gruppieren: Zu beson‐ deren Umständen oder Rahmenbedingungen ist relativ wenig bekannt. 48 Deut‐ lich wird, dass wirklich alle getauft werden können. 49 Jeder Täufling kommt - im Zusammenhang mit der Taufe - in eine Relation zum Heiligen Geist. 50 Durch die Taufe wird ein besonderes Verhältnis zwischen Täufling und Christus her‐ gestellt. 51 Dieses wird an einigen Stellen mit der Formel εἰς τὸ ὄνομα Χριστοῦ (im Folgenden: ὄνομα-Taufformel) zum Ausdruck gebracht. 52 Des Weiteren fällt ins Auge, dass βαπτίζω wie τὸ βάπτισμα sich in unter‐ schiedlichen Mikrokontexten sowie grammatikalischen Konstruktionen wie‐ derfinden. Es ist zu fragen, ob dies auf unterschiedliche wörtliche und meta‐ 1 βάπτω und βαπτίζω 61 <?page no="62"?> 53 Eine Verwendung als Terminus technicus würde eine klare (und detaillierte) Vorstellung von der Taufe voraussetzen, welche zudem Autor/ -en und Lesenden gleichermaßen bekannt gewesen sein müsste. 54 Pfeifer, Art. taufen, 1789. phorische Bedeutungsebenen sowie mehrere Bedeutungsspektren speziell von βαπτίζω verweist. Dies stünde allerdings gegen die beinahe unwidersprochende These, dass beide als Termini technici 53 verwendet werden. Aber auch angesichts des divergierenden Präpositionsgebrauchs und der vielfältigen Wirkungsbe‐ stimmung ist diese These am Ergebnis einer eingehenden Exegese der v. a. se‐ mantischen Eingebundenheit der βαπτίζω- / τὸ βάπτισμα-Stellen in den jewei‐ ligen Kontext zu prüfen. Vorstellbar wäre für die Entstehungszeit mindestens der frühen neutestamentlichen Schriften etwa auch eine Etablierung der christ‐ lichen Taufe insoweit, dass βαπτίζω und τὸ βάπτισμα zwar als Termini technici für das Ritual Verwendung finden, sie aber als Begriffe noch nicht so geprägt und entwickelt sind, dass sie als eindeutig und v. a. losgelöst von den (verschie‐ denen) sprachlichen Verwendungsweisen und Bedeutungsspektren der Wort‐ wurzel und ihres umgangssprachlich-zeitgenössischen Gebrauchs gelten können. Diskutiert man dies etwa für Paulus, so wäre weiterhin zu differen‐ zieren zwischen der Korrespondenz mit von ihm gegründeten Gemeinden, für welche ein gemeinsames Verständnis zu vermuten ist, da sie ihre Vorstellungen von christlicher Taufe im Wesentlichen wohl aus seiner eigenen Verkündigung bezogen haben, und der Korrespondenz mit Gemeinden, welche er nicht selbst ggründet hat, wie z. B. derjenigen in Rom. 1.3 Übersetzungstraditionen Wohl Bezug nehmend auf die Vulgata, welche βαπτίζω entlehnt und als bapti‐ zare für die johanneische wie die christliche Taufe wiedergibt, verwenden die romanischen Sprachen für den Akt des Taufens sowie das Ritual selbst jeweils auf βαπτίζω zurückgehende Lehnwörter: franz. - baptiser / baptême; span. - bautizar / el bautismo; port. - batizar / batismo; ital. - battezzare / il battesimo. Aber auch andere Sprachen, wie nicht zuletzt das Englische (baptize / baptism), verzichten auf eine eigene Bezeichnung und entlehnen den griechischen Begriff. Nicht so das Deutsche: Dass man heute „taufen / Taufe“ als Terminus tech‐ nicus für das christliche Ritual verwendet, geht letztlich auf Wulfila zurück, welcher βαπτίζω mit dem gotischen daupjan wiedergibt. „Durch got. Arianer oder griech. Kaufleute dringt das got. Verb donauaufwärts (5. Jh.) ins Bair[ische, CM ], von wo aus es sich im Kontinentalgerm[anischen, CM ] weiter ver‐ breitet.“ 54 Doch das germanische Verb toufen (mhd. toufen, töufen; asächs. dopian; Kapitel II: Begrifflichkeiten 62 <?page no="63"?> 55 Ebd. 56 Ebd. 57 Did 6,2 f lässt vermuten, dass diese Entwicklung relativ früh eingesetzt hat. Dies ist hier nicht näher zu untersuchen oder gar zu bewerten. Erwähnenswert bleibt lediglich, dass einzelne christliche Gruppen, z. B. die Baptisten, Adventisten und Mormonen, die Ganz‐ körpertaufe bis heute für geboten halten. 58 Zu einem möglichen Verhältnis der beiden Taufformeln siehe unter II.3. mnd. döpen; nl. dopen; 55 heutiges Sächsisch ditschen) behält lange neben dem christlichen „Taufen“ noch eine zweite Bedeutung bei, nämlich das profane „(Unter-)tauchen“, welches in der ursprünglichen Bedeutung „tief machen“ 56 wurzelt. Im Deutschen hat sich damit ein eigenständiger Begriff entwickelt und erhalten, welcher die ursprüngliche semantische Bedeutung von βάπτω / βαπτίζω wiedergibt und bis heute wachhält. Dies ist kaum zu unterschätzen angesichts der Tatsache, dass der Akt, den βαπτίζω neutestamentlich be‐ zeichnet, nämlich das vollständige Untertauchen bei der Taufe, sich im Verlauf der Ritualgeschichte derartig verändert hat, dass er in seiner ursprünglichen Ausführung, Symbolik und damit zusammenhängend Bezeichnung eigentlich nicht mehr auszumachen ist. Das Beträufeln des Kopfes mit etwas Wasser hat kaum einen Wiedererkennungswert im Blick auf das komplette Untertauchen eines Menschen. 57 Doch das deutsche „Taufen“, welches ein „Tauchen“ anklingen lässt, erinnert bis heute daran. 2 Die sog. Taufformel(n) Die neutestamentliche Forschung hat in den unterschiedlichen Schriften des NT s und deren Kontexten eine sog. „Taufformel“ ausgemacht, deren Herkunft sowie Deutung allerdings bisher nicht eindeutig aufgewiesen werden konnte. Einer der Hauptgründe dafür dürfte neben den sehr unterschiedlichen Kon‐ texten ihres Vorkommens v. a. der Variantenreichtum der vermeintlichen Formel sein. Erkärungsversuche dazu nehmen zumeist eine Entwicklung an: von einer einfachen, kürzeren Version hin zu einer abstrakteren, längeren. Die folgende Untersuchung wird jedoch aufweisen, dass es sich bei βαπτίζω εἰς Χριστόν (im Folgenden: εἰς-Taufformel) und βαπτίζω εἰς τὸ ὄνομα Χριστοῦ (im Folgenden: ὄνομα-Taufformel) um zwei grundlegend verschiedene Taufformeln handelt. 58 2 Die sog. Taufformel(n) 63 <?page no="64"?> 59 Siehe dazu ausführlich den Exkurs 1Kor 10,1-5 unter II.2.1. 60 Haacker, Römer, 145, wobei sich das „noch“ darauf bezieht, dass er von einer Weiter‐ entwicklung der εἰς-Taufformel hin zur ὄνομα-Taufformel ausgeht. 61 Vgl. Zeller, Korinther, 397. 2.1 βαπτίζειν εἰς Χριστὸν 2.1.1 Textstellen Die Formulierung βαπτίζω εἰς XY findet sich an vier Stellen in den Paulus‐ briefen, wovon drei eindeutig auf die christliche Taufe referieren: ὅσοι ἐβαπτίσθημεν εἰς Χριστὸν Ἰησοῦν (Röm 6,3b), ὅσοι γὰρ εἰς Χριστὸν ἐβαπτίσθητε (Gal 3,27a), γὰρ ἐν ἑνὶ πνεύματι ἡμεῖς πάντες εἰς ἓν σῶμα ἐβαπτίσθημεν (1Kor 12,13). Fraglich ist, inwieweit die Formulierung πάντες εἰς τὸν Μωϋσῆν ἐβαπτίσθησαν ἐν τῇ νεφέλῃ καὶ ἐν τῇ θαλάσσῃ (1Kor 10,2), welche der Kontext selbst als τύπος ausweist (1Kor 10,6), lediglich phänomenologisch oder auch sprachlich mit der εἰς-Taufformel in Zusammenhang zu sehen ist. 59 Die einzige Stelle außerhalb des Corpus Paulinum stellt sogleich einen Sonder‐ fall dar, insofern die Frage εἰς τί οὖν ἐβαπτίσθητε; (Apg 19,3) wie auch die Ant‐ wort nicht auf eine Person, sondern eine nähere Qualifizierung bzw. Benennung der Taufe zielen: εἰς τὸ Ἰωάννου βάπτισμα. (Apg 19,3). Zudem wird das sich anschließende Taufgeschehen mit der - für Apg typischen - ὄνομα-Taufformel beschrieben (Apg 19,5). Demnach finden sich alle klar auf die christliche Taufe zielenden εἰς-Tauf‐ formeltexte in den paulinischen Briefen und haben Christus bzw. eine äquiva‐ lente Bezeichnung als personales Objekt. Die εἰς-Taufformel ist damit die von Paulus offensichtlich präferierte Formel zur christlichen Taufe, denn obwohl 1Kor 1,13.15 (εἰς τὸ ὄνομα Παύλου bzw. εἰς τὸ ἐμὸν ὄνομα) dafür spricht, dass Paulus die ὄνομα-Taufformel kennt, verwendet er sie in keiner einzigen Text‐ stelle in ihrer eigentlichen Form, also mit Christus als Objekt. 2.1.2 Deutungen Die Forschungsliteratur bietet eine große Vielfalt an Deutungsversuchen zur εἰς-Taufformel - zumeist als Interpretation des Geschehens oder auch der Wir‐ kung der christlichen Taufe. Hier kann lediglich ein Überblick über die Posi‐ tionen und die jeweils zugrundeliegenden Argumentationen gegeben werden: 1) Die εἰς-Taufformel bietet noch keine „bestimmte Deutung der christlichen Taufe“, 60 da sie etwa in 1Kor 10,2 auch auf Mose angewendet werden kann. 2) Über die εἰς-Taufformel wird das Verhältnis des Täuflings zu Christus aus‐ gesagt. Je nach Kommentator und Text ist etwa die Rede allgemein von der Her‐ stellung einer Beziehung (1Kor 12,13), 61 von „der außerordentlichen Enge“ Kapitel II: Begrifflichkeiten 64 <?page no="65"?> 62 Rohde, Galater, 145. 63 Hellholm, Tauftraditionen, 440. 64 Vgl. Kuss, Römerbrief I, 296 f. 65 Vgl. Delling, εἰς, 210; Schnackenburg, Heilsgeschehen, 19. 66 Vgl. Hellholm, Tauftraditionen, 428. 67 Vgl. Halter, Taufe, 590 Anm. 9; Conzelmann, Korinther, 258; Schrage, Korinther III, 216. 68 Vgl. Betz, Transferring, 262; Schweitzer, Mystik, 255.271-278. 69 Für eine Beeinflussung durch die Mysterien siehe z. B. Schweitzer, Mystik, 271-278; dagegen: Wagner, Problem; Delling, εἰς, 221; sowie Rohde, Galater, 164. 70 Delling, εἰς, 220 f. Die Argumentation zu den einzelnen Texten siehe ausführlicher unter III.1.3 und III.4.2. 71 Schnackenburg, Heilsgeschehen, 23. 72 Hellholm, Tauftraditionen, 416-453. dieser Beziehung und „wesenhaften Gemeinschaft zwischen dem Getauften und Christus“ (Gal 3,27) 62 oder auch von einer „Schicksalsgemeinschaft mit Christus“ (Röm 6,3) 63 . 3) Die εἰς-Taufformel ist lokal-bildhaft zu deuten. Entweder wird für sämtliche Textstellen ein lokales Verständnis angenommen 64 oder aber mit Blick auf 1Kor 10,2, welches kaum lokal verstanden werden kann, 65 nur für einzelne. 66 Z. B. wird 1Kor 12,13 als Hineintaufen bzw. -tauchen in den Leib gedeutet 67 oder Gal 3,27 als mystisches Eintauchen in Christus. 68 Ob dies von Mysterienreli‐ gionen beeinflusst ist, bleibt umstritten. 69 4) Die εἰς-Taufformel verweist auf Christus bzw. sein Leiden, Sterben und Auf‐ erstehen als dem Urgrund der Taufe. Delling versucht diese Deutung nicht allein für Röm 6,3 (Taufe auf seinen Tod hin) und Gal 3,27 (Gewand als das die Existenz Bestimmende), sondern auch für 1Kor 10,2 (Mose als die Sigle des rettenden Handeln Gottes) zu plausibilisieren. 70 Insgesamt lässt sich feststellen, dass die wenigsten Exegeten eine Interpre‐ tation für sämtliche Textstellen bieten, sondern entweder verschiedene Aspekte innerhalb der einen Formel ausmachen, welche jeweils aus dem Kontext zu er‐ heben sind, 71 oder gar von verschiedenen Formeln bzw. Traditionen ausgehen. 72 Alternativ wäre zu fragen, ob nicht Paulus weniger auf unterschiedliche Tradi‐ tionen bzw. Aspekte zurückgreift als diese vielmehr aus einer noch relativ be‐ deutungsoffenen formelhaften Wendung heraus kontextuell entwickelt und auf diese Weise erst prägt. 2.1.3 Funktionen Je nach Deutung der εἰς-Taufformel wird ihr in der Literatur eine entsprechende Funktion bzw. ein Sitz im Leben zugeordnet: 2 Die sog. Taufformel(n) 65 <?page no="66"?> 73 Vgl. Haacker, Römer, 145. 74 Vgl. ebd. 75 Vgl. Barth, Taufe, 48 f. 76 Vgl. Schnelle, Gerechtigkeit, 58 f. 77 Vgl. Becker, Galaterbrief, 60. 78 Vgl. Schmithals, Römerbrief, 191. 79 Hellholm verortet die „Namensformel“ direkt während des Taufaktes, die „Beklei‐ dungsformel“ (Gal 3) als „baptismaler Heilszuspruch“ des Täufers oder von Assistenten; die „Eingliederungsformel“ (1Kor 12) sowie die „Identifikationsformel“ (Röm 6) als Taufaffirmation der Neophyten direkt nach der Taufe (Hellholm, Tauftraditionen, 416-452). 80 Vgl. a. a. O. 452. 81 Will man 1Kor 10,2 in den Traditionskanon der Formel rechnen, so belegt die Stelle zusätzlich die 3. Person Plural. 1) Die εἰς-Taufformel dient (lediglich) der Unterscheidung von anderen Taufen. 73 Nach Haacker spricht etwa Apg 19,3 für eine entsprechende Abgren‐ zung von der Johannestaufe. 74 2) Die εἰς-Taufformel wird im Kontext der Taufe gesprochen. 75 Vorstellbar wäre die Funktion eines Taufrufes, 76 eines Heilszuspruches 77 oder auch einer Aussage durch die Frischgetauften. 78 Hellholm meint, den unterschiedlichen von ihm identifizierten Traditionen sogar unterschiedliche Stellen und Funktionen in der Taufliturgie zuschreiben zu können. 79 2.1.4 Einzelaspekte Die Vielfalt der Deutungen und Funktionszuweisungen scheint einerseits durch die Kürze der Formel und die unterschiedlichen Verwendungskontexte begüns‐ tigt zu sein. Andererseits spricht die Art und Weise, wie Paulus die Formel in den Tauftexten anführt, dafür, dass sie von Paulus selbst als erläuterungsbe‐ dürftig angesehen wird. Folgende fünf Aspekte lassen sich aber dennoch für sämtliche paulinischen εἰς-Taufformeltexte feststellen: 1) Die εἰς-Taufformel wird mit unterschiedlichen Personen formuliert. Hellholm leitet daraus ab, dass diejenigen in der 1. Person formulierten innerhalb der Taufliturgie von den Neugetauften, die in der 2. Person konstruierten vom Täufer bzw. seinen Assistenten gesprochen werden. 80 Dies stellt m. E. eine Über‐ interpretation dar und hat zudem die von Hellholm rekonstruierten insgesamt fünf unterschiedlichen Tauftraditionen zur Voraussetzung. Ausgehend davon, dass es sich um eine formelhafte Wendung βαπτίζω εἰς handelt, ist eher fest‐ zustellen, dass sie in der Zeit des Paulus noch für situative Umformulierungen offen ist, wie es nicht allein der Wechsel zwischen 1. und 2. Person verdeut‐ licht, 81 sondern auch die Sonderform ἡμεῖς πάντες εἰς ἓν σῶμα ἐβαπτίσθημεν (1Kor 12,13) erkennen lässt, welches von den meisten Exegeten aus der Diskus‐ Kapitel II: Begrifflichkeiten 66 <?page no="67"?> 82 Siehe dazu ausführlich im Kontext der Einheitsvorstellungen in den paulinischen Tauf‐ texten unter III.1.5.4.4. 83 Ausführlich zu den einzelnen Textstellen siehe unter III. 84 Siehe dazu ausführlich unter IV.1.1.2 sowie IV.1.2.2. 85 Delling, εἰς, 212 f, siehe auch Frankemölle, Taufverständnis, 42-49. 86 Es findet sich nur an zwei paulinischen Stellen außerhalb der Tauftexte: Phlm 6; 2Kor 1,21; siehe dazu Delling, εἰς, 218. 87 A. a. O. 222. sion herausgehalten wird, weil es nicht der vermeintlich festen Formel βαπτίζω εἰς Χριστόν folgt. 2) Die εἰς-Taufformel wird stets im Plural formuliert. 82 Bisher kaum Beachtung in der Literatur findet die Tatsache, dass keine einzige der paulinischen Tauf‐ formelstellen den Singular verwendet, was zu erwarten wäre, will man der Formel einen festen Sitz im Leben innerhalb der Taufliturgie zuweisen - ob nun vom Täufer oder vom Täufling gesprochen. Demnach hat die plurale Formel eine andere Funktion oder wird entsprechend von Paulus umformuliert. Beides ist vorstellbar, blickt man auf die den Formelstellen folgenden paulinischen Aussagen, welche der Taufe nicht allein persönliche, vertikale Wirkungen zu‐ schreiben, wie sie die allermeisten Exegeten in der Formel ausgedrückt sehen, sondern auch verschiedene soziale, horizontale Folgen der Taufe: Taufe zu einem Leib (1Kor 12,13), Relativierung der Unterscheidungen durch die Taufe (Gal 3,28a-c), Taufe zu einer Einheit bzw. Person (Gal 3,28d). 83 3) Die εἰς-Taufformel ist stets im Passiv formuliert. Obwohl lediglich in 1Kor 1,10-17 das Täufersein (des Paulus) dezidiert benannt wird, verdeutlicht doch jede einzelne Taufstelle, dass es sich bei der christlichen Taufe - im klaren Gegensatz zu der Fülle an Waschungen in dieser Zeit 84 - stets um ein passives Getauftwerden handelt. 4) Die vielfältige Verwendung von εἰς in der Koine eröffnet ein breites Bedeu‐ tungspotential für die εἰς-Taufformel. Im NT finden sich εἰς mit lokaler, übertra‐ gener oder auch finaler Bedeutung, zur Angabe der Richtung eines Geschehens, als Rückbezug und allgemein als „im Blick auf “. 85 Delling meint dennoch für εἰς Χριστόν 86 im Corpus Paulinum eine einheitliche Bedeutung ausmachen zu können: „Es ist das zentrale Heilsgeschehen von Kreuz und Auferstehung, auf das hin Gott am Menschen handelt […]“. 87 Wenn auch seine Untersuchung in weiten Teilen überzeugt, bleibt dennoch anzufragen, ob nicht die Weite von εἰς im Rahmen einer Formel, welche noch deutlich erkennbare Variabilität aufweist, mindestens durchschimmert. 5) Die εἰς-Taufformel hat in ihrer Kürze und Verwendung eindeutig Formelcha‐ rakter, wenn auch die (Eindeutigkeit ihrer) Aussage umstritten bleibt. Zwei grund‐ legende Untersuchungen zur εἰς-Taufformel könnten kaum unterschiedlicher 2 Die sog. Taufformel(n) 67 <?page no="68"?> 88 Vgl. Hellholm, Tauftraditionen, 417-453. 89 Vgl. Delling, εἰς, 222. 90 Auch der Argumentationsverlauf in 1Kor 12 und Gal 3 lässt vermuten, dass Paulus die Formel als bekannt voraussetzt, ausführlich siehe unter III. 91 Ostmeyer, Taufe, 140. sein: Während Hellholm mehrere Tauftraditionen unterscheidet und ihnen dif‐ ferierende Bedeutungen und Funktionen zuweist, 88 erkennt Delling ein einheit‐ liches Verständnis von εἰς Χριστόν und der Taufformel sogar über diese hi‐ naus. 89 Trotz dieser sehr unterschiedlichen Auffassungen gehen beide von der gleichen, m. E. zu überdenkenden Voraussetzung aus, dass es sich bei βαπτίζω εἰς Χριστόν bereits zur Zeit der Paulusbriefe um eine feste Formel handelt. Dafür spricht durchaus, dass sie etwa in Röm 6,3a als bereits bekannt angeführt wird 90 und die sprachlichen Strukturen von Röm 6,3 f; Gal 3,27 f sowie 1Kor 12,13 auch Traditionscharakter tragen. Die gerade dargelegte Variabilität wie auch die sich auf die εἰς-Taufformel richtenden erläuternden Aussagen in Röm 6,3c-4; Gal 3,27b-28 und 1Kor 12,13, v. a. die Parallelkonstruktionen von Röm 6,3b.c und Gal 3,27a.b sprechen jedoch gegen eine allzu starke Formelhaftigkeit und Eindeutigkeit der Formulierung. Vor abschließenden Thesen folgt zunächst ein kurzer Exkurs zur Sonderstelle 1Kor 10,1-4 und sodann ist noch vergleichend zu fragen, ob sich für die ὄνομα-Taufformel, auch wenn sie sich dezidiert in keinem der hier schwer‐ punktmäßig untersuchten paulinischen Texte findet, ein ähnlicher oder mögli‐ cherweise ganz anderer Befund wie für die εἰς-Taufformel erheben lässt. Exkurs: 1Kor 10,1-5 1 Ich will nicht, dass ihr unwissend darüber seid, Brüder, dass unsere Väter alle unter der Wolke waren und alle durch das Meer hindurchgegangen sind, 2 und alle auf Mose getauft worden sind in der Wolke und in dem Meer 3 und alle dieselbe geistige Speise gegessen haben 4 und alle denselben geistigen Trank getrunken haben. Denn sie tranken aus dem geistigen Felsen, welcher nachfolgte. Der Fels aber war (der) Christus. 5 Aber Gott hatte an vielen von ihnen keinen Wohlgefallen, denn sie wurden in der Wüste getötet. Mit Blick auf die Deutung der christlichen Taufe interessieren einerseits die Funktion von Wasser (und der Wolke) in diesem Kontext und in Anschluss daran andererseits die Deutung der Formulierung εἰς τὸν Μωϋσῆν ἐβαπτίσθησαν. Während das Meer, durch welches das Volk hindurchziehen muss, dieses eindeutig gefährdet, würde die Wolke bei Paulus „uneingeschränkt auf die Seite des Heils“ gehören. 91 Die Kombina‐ tion von Wasser und Wolke deutet Ostmeyer folgendermaßen: „beide Elemente bilden eine Einheit und stehen für die Bewahrung […] in einem existenzbedrohenden Ge‐ Kapitel II: Begrifflichkeiten 68 <?page no="69"?> 92 A. a. O. 141. 93 Siehe Haacker, Römer, 145. 94 Siehe Hahn, Taufe, 20. 95 Schnackenburg, Heilsgeschehen, 20. 96 Delling, εἰς, 219. 97 Zur Bedeutung des Sterbens und Auferstehens Christi als Ursprungsereignis der christ‐ lichen Taufe siehe unter VI.2.1.1.2. schehen“. 92 Es handelt sich demnach um eine Rettung durch die Bedrohung des Was‐ sers hindurch, wie sie auch mit Hilfe des Bildes von der Sintflut zum Ausdruck ge‐ bracht werden kann (1Petr 3,20 f). Als schwieriger stellt sich die Deutung des βαπτίζω εἰς dar, welche mit der Frage verbunden ist, ob über die Ähnlichkeit mit der εἰς-Taufformel eine Analogie zwischen Christus und Mose ausgesagt werden soll und wenn ja, von welcher Art diese ist. Die Erklärungen reichen von der Verneinung einer taufspezifischen Bedeutung der For‐ mulierung überhaupt, 93 über die Vermutung einer „ad hoc-Konstruktion“ 94 bis hin zu klaren Parallelisierungen von Mose und Christus als diejenigen Personen, denen man als von Gott auserwählte Führer zugehört 95 oder deren Namen als Sigle für das ret‐ tende Handeln Gottes zu verstehen sind. 96 Eine direkte Analogie zwischen beiden Personen ist nicht zuletzt deswegen auszu‐ schließen, weil nicht allein die Person Jesus Christus, sondern v. a. dessen Sterben und Auferstehen für das Ritual der Taufe eine andere Bedeutung gewinnt 97 als die Person des Mose im einmaligen Durchzug durch das Schilfmeer. Außerdem findet βαπτίζω im Neuen Testament nicht als reiner terminus technicus für die christliche Taufe Ver‐ wendung, sondern lässt auch immer wieder die Grundbedeutungen des Verbes durch‐ scheinen. Insofern ist βαπτίζω an dieser Stelle als Ein- und Hindurchgehen durch lebensgefährliche Wasser zu verstehen, wie sie auch im Taufvollzug imaginiert werden, wobei über εἰς diejenige Person benannt wird, auf deren Geheiß und in deren Gefolge man hindurchgeht. εἰς nimmt in 1Kor 10,2 demnach eine andere Bedeutung als in der εἰς-Taufformel an. 2.2 βαπτίζειν εἰς τὸ ὄνομα Χριστοῦ 2.2.1 Textstellen und Varianten Die zumeist von der Literatur als eigentliche Taufformel benannte Version βαπτίζω εἰς τὸ ὄνομα liegt nur an wenigen Stellen vor: … τοῦ κυρίου Ἰησοῦ (Apg 8,16; 19,5) sowie … τοῦ πατρὸς καὶ τοῦ υἱοῦ καὶ τοῦ ἁγίου πνεύματος (Mt 28,19). Daneben sind zwei Varianten belegt: … ἐπὶ τῷ ὀνόματι Ἰησοῦ Χριστοῦ (Apg 2,38) und ἐν τῷ ὀνόματι Ἰησοῦ Χριστοῦ (Apg 10,48). Bei Paulus begegnet die ὄνομα-Formel selbst nicht. Die Formulierung εἰς τὸ ὄνομα 2 Die sog. Taufformel(n) 69 <?page no="70"?> 98 Wenn auch die Formelhaftigkeit eine gewisse eigenständige, von dem Ursprung aus weiterentwickelte Bedeutung vermuten lassen könnte, ist Otto Kuss, Tauflehre, 98 Anm. 4, dennoch nicht zuzustimmen, wenn er feststellt: „Es ist nicht von entschei‐ dender Bedeutung, ob man die Formel εἰς τὸ ὄνομα aus dem griechischen […] oder aus dem semitischen […] Sprachgebrauch ableitet“. 99 Siehe Heitmüller, Namen Jesu, 102-104. Dieser Herleitung samt der entsprechenden Deutung schlossen sich u. a. an: Bornkamm, Lehre, 47; Bultmann, Theologie, 42; Dunn, Baptism, 117 f; Haenchen, Apostelgeschichte, 186; Oepke, βάπτω, 537, und Thyen, Sün‐ denvergebung, 147. 100 Heitmüller, Namen Jesu, 108. Παύλου (1Kor 1,13), worauf sich wiederum εἰς τὸ ἐμὸν ὄνομα (1Kor 1,15) be‐ zieht, macht allerdings wahrscheinlich, dass er sie gekannt hat. Die Vielfalt der Forschungspositionen liegt nun weniger im Variantenreichtum des Vorkom‐ mens der Formel begründet als in der sich grundsätzlich unterscheidenden Ab‐ leitung entweder aus dem Semitischen oder dem hellenistischen Griechisch be‐ gründet. 98 2.2.2 Herleitung aus dem Griechischen Erstmals und ausführlich hat Wilhelm Heitmüller griechische Papyri, In‐ schriften und Ostraka dahingehend untersucht und fand die Formulierung „εἰς τὸ ὄνομα XY “ als Fachausdruck im Bankenwesen für „etwas auf das Konto von XY zu transferieren“ vor. 99 Sämtliche neutestamentlichen Varianten gehen seiner Meinung nach auf diesen finanztechnischen Ausdruck zurück: Metapho‐ risch würde der Christ in der Taufe „auf das Konto Christi eingezahlt“. Die Ana‐ lyse der neutestamentlichen Verse führt ihn sodann zu der Überzeugung: „Somit dürfte sicher sein, dass εἰς τὸ ὄνομα τινος nicht nur die Zueignung an eine Person, die Herstellung des Zugehörigkeitsverhältnisses bezeichnet, sondern die Zueignung unter - irgendwelchem - Gebrauch des Namens der betreffenden Person.“ 100 Dass die Formel hier bedeutungsgleich für den völlig anders gearteten Kontext der frühen Kirche angenommen wird, ist zu mindestens anzufragen, zumal eine zweite Herleitungsmöglichkeit, nämlich aus dem Hebräischen, exis‐ tiert. 2.2.3 Herleitung aus dem Hebräischen Spricht die LXX von ὄνομα dann allermeist als Übersetzung von םש . Die ent‐ sprechenden alttestamentlichen Erzählungen wissen dabei um die besondere Macht eines Namens, speziell wenn er (über einen anderen) ausgesprochen wird. Besonders deutlich wird dies bei der Benennung der Tiere durch Adam (Gen 2,20), die einen Herrschaftsakt darstellt. In ähnlicher Weise benennt der Schöpfer die Sterne (Ps 147,4). Das Ausrufen des eigenen Namens bringt eine eroberte Stadt in den Besitz Kapitel II: Begrifflichkeiten 70 <?page no="71"?> 101 Siehe dazu ausführlich Bietenhard, ὄνομα, 252 (inkl. weiterer Beispiele). 102 Im Namen des Herrn wird gekämpft (1Sam 17,45) und geschworen (1Sam 20,42), in Seinem Namen wird gesegnet (Dtn 21,5), aber auch verflucht (2Kön 2,24). des Eroberers (2Sam 12,28) und das Volk Israel wird zum Eigentum Jahwes ( Jes 63,19). Das Kennen des Namens kann einen Aspekt einer Berufung darstellen (Ex 33,12). Jeremia wiederum schöpft daraus Trost und Freude, dass ἐπικέκληται τὸ ὄνομά σου ἐπ‘ ἐμοί ( Jer 15,16). Auch das Weiterleben des eigenen Namens in den Nachkommen (ggf. sichergestellt durch eine Leviratsehe) wie die damit verbundene Angst des Aus‐ tilgens eines Namens (gar des Namens eines ganzen Volkes) spiegelt die hebräische Vorstellung von der Vielschichtigkeit der Bedeutung des Namens einer Person wider, die weit über ein „Rufmittel“ hinausgeht. 101 Als hebräische Entsprechungen für das im klassischen Griechisch ungewöhn‐ liche und daher wahrscheinlich als Übersetzungsgriechisch zu identifizierende εἰς τὸ ὄνομα kommen nun zwei Möglichkeiten in Frage: םשב und םשל . Die einlinige Herleitung aus einer der beiden Konstruktionen anhand des alttesta‐ mentlichen und rabbinischen Befundes kann nicht zwingend belegt werden. Die folgende Darstellung der Verwendung von םשב und םשל und des damit be‐ schriebenen Bedeutungsspektrums wird jedoch die Herkunft der christlichen ὄνομα-Taufformel aus dem Hebräischen als wahrscheinlicher erweisen, denn eine Ableitung aus dem Griechischen. 2.2.3.1 םשב Obwohl oft anders behauptet, bezieht sich die Form םשב keineswegs aus‐ schließlich auf den Namen des Herrn, wenn auch mehrheitlich. So kann ein Mensch bei seinem Namen ge-/ berufen werden (Ex 31,2), nach dem Namen seines Vaters benannt werden (Ri 18,29), unter seinem Namen gekannt werden (Ex 33,12) bzw. in seinem Namen Botschaften ausgerichtet (1Sam 25,9) oder Briefe geschrieben werden (1Kön 21,8). Der Name steht dabei, ähnlich der Ver‐ wendungsweise im Deutschen („im Namen von XY “), als eine besondere Art des pars pro toto für die ganze Person. Der „Name des Herrn“ (meist םשב הוהי , aber auch nur םשב ושדק [1Chr 16,10]) findet in vielfältigen Zusammenhängen Verwendung: Bekanntlicherweise darf der Name des Herrn nicht genannt werden (Amos 6,10), doch Mose tut ihn auch einmal kund (Ex 33,19), zudem werden im Namen des Herrn Altäre gebaut (1Kön 18,32). Alle weiteren Belege lassen sich in eine der beiden folgenden Kategorien einordnen: Entweder wird der Name des Herrn im zwischenmenschlichen Miteinander „eingesetzt“ 102 oder 2 Die sog. Taufformel(n) 71 <?page no="72"?> 103 Man kann dem Namen des Herrn dienen (Dtn 18,5) und man kann im Namen Gottes wandeln (Mi 4,5). Einer wird genau unter dieser Qualifikation erwartet: „Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn! “ (Ps 118,26). Ähnlich bekannt ist das vertrauende Be‐ kenntnis des Psalmbeters: „Unsere Hilfe steht im Namen des Herrn […]“ (Ps 124,8). Dieses Vertrauen, das alles von Gott erwartet, findet sich vielfach in der Formulierung „an seinen Namen denken bzw. ihm vertrauen“ (Ps 20,8). Und natürlich wird der Name des Herrn gerühmt und angerufen (siehe dazu im Text). 104 Heitmüller, Namen Jesu, 108, führt die Formel, wie bereits dargestellt, auf die griechi‐ sche Finanzsprache zurück und umschreibt ihre Bedeutung dann als Zueignung zu einer Person „unter - irgendwelchem - Gebrauch des Namens der betreffenden Person.“ Trotzdem gibt selbst er ein hebräisches Äquivalent an, und zwar םשב . 105 Bietenhard stellt dabei fest, dass speziell das instrumental zu verstehende ἐν als Über‐ setzung für םשב im klassischen Griechisch recht ungebräuchlich ist und eher semiti‐ schen Sprachgefühlen entsprechen würde. Und obwohl er sich an späterer Stelle für םשל als Wurzel der christlichen Taufformel ausspricht, meint er für ἐν … sowie ἐπὶ τῷ ὀνόματι (als LXX-Übersetzung für םשב ) den gleichen Bedeutungsgehalt feststellen zu können, wie für die ähnlichen neutestamentlichen Formulierungen, die sich dann auf die christliche Taufe beziehen, nämlich: nicht nur „unter, mit Nennung, bzw. Aus- und Anrufung des Namens“, sondern auch „im Namen, im Auftrag“, vgl. Bietenhard, ὄνομα, 262. ihm kommt eine Funktion innerhalb der Gottesbeziehung eines Menschen zu. 103 Die meisten und häufigsten Verwendungsweisen von םשב beziehen sich auf diese Mensch-Gott-Beziehung oder werden gar zu deren Umschreibung heran‐ gezogen: ארקל םשב הוהי meint das Anrufen oder Rühmen des Namens (z. B. Gen 4,26; 1Chr 16,10) und ונחנאו הוהי־םשב das lebensgründende Vertrauen auf den Namen (z. B. Ps 20,8; Jes 50,10). Es verbleibt schließlich ein hochge‐ prägter Verwendungszusammenhang von םשב , der sowohl die Gottesals auch die zwischenmenschlichen Beziehungen betrifft, nicht zuletzt weil es sich dabei um denjenigen handelt, der zwischen Gott und Menschen steht, vermittelt und redet: רבדי םשב הוהי - „der im Namen Gottes / des Herrn redet“ wird nicht nur als Funktionsbeschreibung, sondern stellenweise gar als Definition des Pro‐ pheten verwendet (z. B. Dtn 18,22). 104 Wie bereits erwähnt, gehen die εἰς τὸ ὄνομα / ἐν τῷ ὀνόματι-Stellen der LXX auf םשב zurück. Jedoch ist dies im Umkehrschluss keineswegs die einzige Übersetzungsmöglichkeit. Vielmehr finden sich in der LXX auch ἐκ τοῦ ὀνόματος (Num 32,42) bzw. ἐπὶ τῷ ὀνόματι (Gen 12,8 u. a.). 105 Neben םשב wird gemeinhin םשל als zweite potentielle hebräisch-aramäi‐ sche Wurzel der ὄνομα-Taufformel angeführt. 2.2.3.2 םשל Die BHS verwendet םשל in unterschiedlichen Kontexten und in ebenso diver‐ gierenden Bedeutungen: Die absolute Mehrheit der Fälle meint dabei Kapitel II: Begrifflichkeiten 72 <?page no="73"?> 106 1Kön 3,2; 5,17.19; 8,17.20; 10,1 (im Akkusativ); 1Chr 22,7.19; 29,16; 2Chr 1,18; 2,3; 6,7.10. 107 1Chr 16,35 (im Akkusativ); 22,5 (εἰς ὄνομα); 29,13 (im Akkusativ); Ps 106,47 BHS (im Dativ); Ps 122,4 BHS (im Dativ). 108 Betritt ein heidnischer Sklave ein jüdisches Haus hat er ein Tauchbad םשל תוחפש zu vollziehen ( Jeb 47b). Die Beschneidung eines Proselyten geschieht םשל תירב , um ihn in den Bund aufzunehmen (TAZ 3,12 f [464]). Weitere Beispiele bei Bietenhard, ὄνομα, 267. 109 Billerbeck, I. Matthäus, 1055. Laut ihm dient םשל dabei auf verschiedene Arten der Zweckangabe: םשל םשה bedeute etwa eine Zueignung zu Gott. Für die christliche Taufformel zieht er auf dieser Grundlage die Schlussfolgerung: „So liegt auch in dem βαπτίζειν εἰς τὸ ὄνομα τοῦ πατρός etc. der Gedanke, daß der Täufling dem dreieinigen Gott zugeeignet werden soll.“ (ebd.) - Die eben noch aufgezählte Vielfalt der Verwen‐ dungsarten von םשל scheint dabei nicht zu irritieren. Zwei Fragen tun sich auf: 1) ob der Begriff „Zweck“ tatsächlich so dehnbar ist, dass er die dargestellte Breite an Ver‐ wendungen von םשל sinnvoll abdeckt. 2) Ob die Deutung der Taufformel als „Zueig‐ nung“ zwingend begründet ist, wo etwa mit םשל ebenso der Opfernde benannt werden kann. םש הוהי - oft ausgeschrieben (z. B. 1Kö 5,17), teilweise aber auch elliptisch notiert (z. B. Ps 106,47). In einzelnen Fällen kann sich םשל auf den Namen eines Menschen beziehen, z. B. Jos 19,47: „[…] und nannte es Dan nach seines Vaters Namen.“ Innerhalb der auf םש הוהי abhebenden Stellen, lassen sich nun noch unterschiedliche Verwendungsweisen von םשל ausmachen: 1) etwas tun „um des Namen JHWH s willen“ ( Jer 3,17); 2) „den Namen JHWH s“ preisen o. ä. (1Chr 16,35); 3) „zum Ruhm JHWH s“ ( Jer 33,9); 4) „dem Namen JHWH s“ ein Haus bauen (1Kön 3,2). Da sich dieses Bedeutungsspektrum nur segmentartig mit dem semantischen Feld von τὸ ὄνομα deckt, findet sich das Wort auch nur an einigen dieser Stellen in der LXX und zwar hauptsächlich dort, wo der Name JHWH s als eigenständige Größe erscheint und nicht allgemein auf JHWH ver‐ weist. Dies trifft v. a. die Texte, welche sich mit dem Haus „für den Namen JHWH s“ beschäftigen, 106 und diejenigen, welche das Preisen „des Namens JHWH s“ thematisieren. 107 Abhängig vom Prädikat (z. B. οἰκοδομέω) bietet die Mehrzahl dieser Verse τὸ ὄνομα im Dativ, selten im Akkusativ. Lediglich in 1Chr 22,5 findet die Präposition εἰς Verwendung: הלעמל םשל תראפתלו / εἰς ὄνομα καὶ εἰς δόξαν. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der alttestament‐ liche Befund kaum die These stützt, die Formulierung βαπτίζω ἐν τὸ ὄνομα bzw. die dahinter stehende Vorstellung würde sich direkt von םשל ableiten. Dass die ὄνομα-Taufformel als Übersetzung auf das hebräische םשל zurück‐ geht, wird jedoch v. a. mit dessen Verwendung in der rabbinischen Schulsprache begründet. Bietenhard 108 und auch Billerbeck 109 führen Opfer, Proselytentauch‐ 2 Die sog. Taufformel(n) 73 <?page no="74"?> 110 Zur Verwendung des Namensmotives in rituellen Kontexten siehe ausführlich unter V.5. 111 Vgl. Bietenhard, ὄνομα, 274. 112 In hebräischen Buchstaben: םשל / םושל . Siehe eine ausführliche Darstellung von Bei‐ spielen bei Hartman, Into the Name, 436-439. 113 A. a. O. 437. 114 Ebd. 115 A. a. O. 438, welcher illustrierende Beispiele anfügt. Als Beispiele für diese dritte Kate‐ gorie, die dem Szenario der Taufe - einem Ritual in Abwesenheit dessen, „auf den ge‐ tauft wird“ - am nächsten kommen dürfte, führt er beispielsweise an: M. Nid. v. 6, eine Diskussion über das Alter, ab dem der Schwur einer Person gültig ist: „Youngsters may say: ‚we know in whose name we have vowed ( םשל ימ ונרדנ ) and in whose name we have dedicated ( םשל ימ ונשדקה ).‘“ Auch Opfer können über diese Formulierung ge‐ nauer bestimmt werden. 116 Hartman, Into the Name, 438. 117 A. a. O. 439. bäder und Beschneidungen als Beispiele an, welche םשל vollzogen wurden. 110 Nach Bietenhard würde dies den Zweck der Rituale angeben, ganz wie im final zu verstehenden Mt 28,19. 111 Doch die von ihm genannten Beispiele, wie auch die sechs von Billerbeck benannten Kategorien der םשל -Verwendung in Op‐ ferzusammenhängen, drücken m. E. zunächst nur eine Bezugnahme des Be‐ zeichneten zum Opfer(-vorgang) aus, deren Art ganz unterschiedlich ausfallen kann (Wohlgefallen vor Gott als Ziel, Feueropfer als Beschreibung der Art oder aber der Opfernde selbst oder Gott als „Adresse“ des Opfers) und durch den jeweiligen Kontext erst bestimmt wird. Eine grundsätzlich „finale Funktion“ ist nicht festzustellen. Noch eine verwandte Phrase ist zu erwähnen, welche ebenfalls die Herkunft der ὄνομα-Taufformel erhellen könnte: „l e schem-l e schum“. 112 Hartman hat ihre Verwendung in rabbinischen Texten in drei grundsätzliche Kategorien einge‐ teilt: 1) „the action takes place ‚with respect to‘ (etc.) things, places, etc.“; 113 2) „the action takes place ‚with respect to‘ things expressed in abstract nouns […] this includes the examples such as the one citing circumcision ‚with respect to Gerizim‘“; 114 3) „the action takes place ‚regarding‘ (etc.) persons, namely men, as well as beings belonging to the divine sphere who are not engaged as agents in the action described by the verb.“ 115 Die von Bietenhard festgestellte finale Interpretation weist er auf Grund dieses Befundes zurück und sieht darin eher einen Hinweis auf „how widely the expression could be used.“ 116 Zwar stimmt er Bietenhard darin zu, dass sich viele Belege auf Rituale beziehen würden, je‐ doch „[i]n these ritual cases the phrase l e schem-l e schum is used to introduce the type, reason or purpose of the rite as well as its intention.“ 117 Hartman würde den gemeinsamen und bezeichnenden Aspekt in diesen verschiedenen Verwen‐ Kapitel II: Begrifflichkeiten 74 <?page no="75"?> 118 Ebd. 119 Ebd. 120 Nach Hartman hätte die Annahme einer Bedeutung von „fundamental reference“ für die christliche Taufe weitere Auswirkungen auf die Interpretation der Formel: Nicht nur die finale Deutung wird dadurch unwahrscheinlich, auch die Annahme einer exor‐ zistischen Funktion des Namens Jesu bei der Taufe ist (auf der Grundlage dieser zeit‐ genössischen Vergleichstexte) kaum zu begründen. Besonders interessant sind seine Schlussfolgerungen bezüglich der oben dargestellten hebräischen Namenstheologie: „[…] and so also is the basis for the contention that the ‚name‘ was thought of in terms of ‚the Name‘ as a designation for Christ in the same way as ‚the Name‘ could stand for ‚God‘“, ebd. 121 A. a. O. 440. Siehe dazu den Vergleich von Johannestaufe und christlicher Taufe unter V.2.8.1. 122 So etwa wahrnehmbar bei Bietenhard, ὄνομα, 274, welcher die Formel final versteht, und daher ein finales םשל aus der rabbinischen Schulsprache als Wurzel identifiziert; ähnlich Billerbeck, I. Matthäus, 590, welcher םשל finalen wie kausalen Sinn zuspricht. Er schlägt sowohl für Mt 28,19 als auch für Mt 10,41 [εἰς ὄνομα προφήτου] als Über‐ setzung „mit Rücksicht auf (bzw. … darauf, dass etwas ist …)“ vor. dungsweisen am ehesten mit „a fundamental reference“ 118 wiedergeben und schlussfolgert dann: „In a similar way ‚Jesus‘ could be the fundamental reference for baptism. The phrase then characterized the rite in a fundamental way; it was a ‚Jesus‘ baptism.“ 119 Die Vermutung Hartmans, dass eine solche Qualifikation des Rituals nicht zuletzt eine abgrenzende Funktion etwa gegenüber der Johan‐ nestaufe gehabt hat, ist sehr naheliegend. 120 Er schränkt jedoch gleich zutreffend ein: „Nevertheless this qualification could hardly only be negative … the quali‐ fication ‚into the name of Jesus‘ was reasonably understood to have a positive content as well as a negatively demarcating meaning.“ 121 Die relativ ausführliche Darstellung des Bedeutungshorizontes hat nicht zu‐ letzt darin ihren Grund gehabt, dass einige Arbeiten zum Thema - anstatt die Bedeutung der Formel aus der Traditionslinie zu erheben - klar die Tendenz erkennen lassen, vom vermeintlichen Sinngehalt der ὄνομα-Formel ausgehend nach einer entsprechenden sprachlichen Wurzel zu suchen. 122 Ein solches Vor‐ gehen hat allerdings zwei grundlegende Voraussetzungen: 1) Die erhobene Be‐ deutung von εἰς τὸ ὄνομα wird (bereits) neutestamentlich stets gleich und ein‐ 2 Die sog. Taufformel(n) 75 <?page no="76"?> 123 Neben der Frage nach dem Entstehungsprozess berührt dies zudem die Frage nach Wegen und Personen der Verbreitung der ὄνομα-Taufformel, welche sehr geradlinig gedacht werden müsste, um die oben genannte Voraussetzung zu erfüllen. Bezüglich des einheitlichen inhaltlichen Gebrauches vgl. etwa Hartman, der diesen beispielhaft für die Heilsbedeutung anzweifelt: „[…] although in some instances ‚the name of Jesus Christ‘ may stand for the salvation accomplished by Jesus Christ and / or the message of that salvation (e.g. Acts viii. 12, ix. 15), this does not provide a semantic basis strong enough for the contention that ‚baptize into the name of Jesus Christ‘ meant ‚by baptism to endow someone with the blessed consequences of the salvation brought about by Jesus Christ‘“ (Hartman, Into the Name, 434). 124 Wenn auch Hartman meint, in םשל die (alleinige) Wurzel ausgemacht zu haben und dafür die möglichst allgemein gehaltene Übersetzung „in behalf of XY“ angibt, ist ihm auf jeden Fall in seinen Überlegungen bezüglich des Transformationsprozesses ins Griechische Recht zu geben: „However, this does not preclude that new nuances of meaning could emerge when the phrase was used in a more Hellenistic environment, and it is hardly permissible to assume that Paul and Luke understood it in the same way as the Palestinians did, although Paul seems to have been bilingual“ (Hartman, Into the Name, 435). 125 Vgl. Zimmerli, Grundriß, 12-15; Preuß, Theologie, 158-173; Rendtorff, Theologie, 159-170. deutig gebraucht. 123 2) Die im Zusammenhang mit dem Ritual der christlichen Taufe verwendete Formulierung mit ihrer grundlegenden Bezugnahme auf Christus hat überhaupt eine grammatikalisch-semantische Entsprechung, von der her sie direkt abgeleitet werden kann. Beide Punkte können begründet an‐ gezweifelt werden. Daher soll hier eher zusammenfassend der Wortfeldkontext skizziert werden, aus dem heraus sich die ὄνομα-Taufformel am wahrscheinlichsten entwickelt haben dürfte - wenn man angesichts der verschiedenen Varianten überhaupt von einer Formel sprechen kann. 124 2.2.3.3 םש Innerhalb einer ausgeprägten Vorstellung vom Namen einer Person in der heb‐ räischen Sprache, nimmt die „ םש הוהי “-Theologie noch einmal eine gesonderte Rolle ein. 125 Über םשב und םשל wird der Name Gottes, aber eben auch der von Menschen in funktionale oder beschreibende Beziehungen gebracht. Einerseits scheint der Name die Person selbst zu bezeichnen: Gott wird in seinem Namen verehrt, angerufen oder gedient. Aber auch ein Mensch ist auf unvergleichbare Weise gekannt, vielleicht sogar erkannt, wenn Gott seinen Namen ruft. Ande‐ rerseits kann der Name eine Art Brückenfunktion zwischen den Beteiligten ein‐ nehmen: Wenn etwa „im Namen eines anderen“ ein Brief verfasst oder eine Botschaft ausgerichtet wird - sei sie von Menschen oder Gott selbst. Was auch immer der Name im Einzelnen „bezeichnet“, tritt doch immer der besondere Kapitel II: Begrifflichkeiten 76 <?page no="77"?> 126 In seinem Namen wird Gott gedient, vertraut, gedacht, gerühmt. 127 Im Namen eines anderen wird geredet und gehandelt. Im Namen Gottes besiegt David Goliath, verkündet der Prophet Gutes und Schlechtes, wird gesegnet und verflucht. Und auf diesen Namen hin wird die Wahrheit geschworen. 128 Thyen, Sündenvergebung, 148, meint sogar: „Um die Taufe der Christen von der Jo‐ hannestaufe klar zu unterscheiden, wurde von Anfang an der Name Jesu über dem Täufling genannt … Daß der Name Jesu, der über den Christen genannt ist, in der Auseinandersetzung mit der Täufersekte verankert ist, wird auch durch Apg 19,1 ff. bestätigt“. Gerade die Abgrenzung zur Johannestaufe ist ein spannendes und offen‐ sichtlich frühchristliches Thema gewesen, siehe dazu unter IV.2.8. Jedoch ist angesichts der dargelegten Semantik von םשל dies als einziger Aspekt bzw. Grund für die ὄνομα-Taufformel kaum haltbar. Beziehungsaspekt in den Fokus - ob zwischen Menschen oder auch zwischen Mensch und Gott: voller Erwartung und Vertrauen auf den anderen, 126 aber auch voller Kraft und Wirkung durch dessen Namen. 127 Die Form םשל findet dann auch in rabbinischer Zeit Verwendung in rituellen Kontexten, um die Beziehung und Bedeutung eines Abwesenden innerhalb des Rituals auszudrücken. Diese Zuordnung kann sehr vielfältig ausfallen, lediglich die grundlegende Bezug‐ nahme des Rituals auf die mit Namen benannte Person ist offensichtlich und gemeinsam. Welche funktionale oder auch inhaltliche Beschreibung der Bezie‐ hung Christus-Taufe / Täufling über die ὄνομα-Taufformel ausgedrückt wird, ist daher kaum direkt oder gar eindeutig aus ihren sprachlichen Wurzeln abzu‐ leiten. Klar scheint lediglich zu sein: Eine auf םשב oder םשל zurückgehende Formulierung ist bestens geeignet, die Beziehung zwischen Zweien auszudrü‐ cken bzw. zu betonen, während einer ggf. (körperlich) abwesend ist. Dass die Qualifizierung als „sich auf Christus beziehend“ auch eine abgrenzende Funk‐ tion haben kann, ist ein naheliegender Gedanke, der an späterer Stelle noch einmal aufzugreifen ist. 128 3 Zusammenfassung Βάπτω bezeichnet im ursprünglichen Sinn ein „Einbzw. Untertauchen“, jedoch auch zunehmend übertragen ein „Färben“ (durch Untertauchen). Ersatzweise können, um ein „Ein-/ Untertauchen“ auszudrücken, die Nebenform δύπτειν oder auch βαπτίζω verwendet werden. Βαπτίζω kann ebenfalls „Einbzw. Untertauchen“ meinen, wird jedoch mit den weiteren Bedeutungen „Überwältigtwerden, Versinken und Versenken“ tendenziell in extremeren, oft lebensgefährdenden oder sogar -beendenden Kontexten verwendet. Neutestamentlich steht es zusammen mit τό βάπτισμα 3 Zusammenfassung 77 <?page no="78"?> 129 Vgl. Betz, Transferring, 261 f. 130 Vgl. Rohde, Galater, 164. 131 Vgl. Barth, Taufe, 47; Frankemölle, Taufverständnis, 41. bzw. ὁ βαπτισμός fast ausschließlich für die Johannes- oder die christliche Taufe. Auch wenn eine Verwendungsweise als terminus technicus kaum zu bestreiten ist, bleibt angesichts von wechselnden Präpositionen und der sich in den neu‐ testamentlichen Schriften unterscheidenden Art der Verwendung mindestens für das Verb βαπτίζω dennoch anzufragen, wie weitgehend und einheitlich der terminus technicus verwendet wird. Eine erste Untersuchung der paulinischen Taufstellen lässt vermuten, dass es sich bei der εἰς-Taufformel um eine den Adressaten bekannte, formelhafte Wen‐ dung handelt, welche allerdings noch variablen Gebrauch gegenüber offen und in ihrer Bedeutung (aus Sicht des Paulus) erläuterungsbedürftig ist. Die Herleitung der ὄνομα-Taufformel vom Hebräischen םשב oder םשל spricht für eine Deutung der Herstellung einer besonderen Beziehung zwischen Christus und dem Täufling in der Taufe. V.a. für Menschen, die des Hebräischen nicht mächtig sind, verfügt die ὄνομα-Taufformel über einen wesentlich hö‐ heren Abstraktionsgrad als etwa die εἰς-Taufformel. Darin besteht möglicher‐ weise ein Grund für die Bevorzugung der εἰς-Taufformel durch den Heiden‐ apostel Paulus, welchem die ὄνομα-Taufformel durchaus bekannt ist. Bezüglich des Verhältnisses beider Formeln bedürfte es weiterführender Un‐ tersuchungen, um endgültig klären zu können, ob es sich um zwei völlig unab‐ hängige Formeln handelt, 129 oder aber die εἰς-Taufformel eine, wenn auch weit entfernte Vorform 130 oder auch Kurzform 131 der ὄνομα-Taufformel darstellt. In den im Folgenden schwerpunktmäßig untersuchten paulinischen Tauftexten findet sich mit Ausnahme der Sonderstelle 1Kor 1,13.15 lediglich die εἰς-Tauf‐ formel. Allgemein bleibt noch festzuhalten, dass es sprachlich als wesentlicher Un‐ terschied zu werten ist, ob man von βαπτίζω εἰς … spricht - selbst wenn dies bereits einen gewissen Formelcharakter erreicht hat - oder ob man subjekti‐ vierend τὸ βάπτισμα verwendet. Der Verbalgebrauch legt (noch) einen erkenn‐ baren Schwerpunkt auf den Vollzug bzw. die Handlung und hat daher m. E. noch eine originär größere Nähe zum ursprünglichen Wortsinn und darin zu einer möglichen Symbolik der Handlung. τὸ βάπτισμα dagegen hat wesentlich deut‐ licher den Status als terminus technicus erreicht. Für diese differenzierte Wahr‐ nehmung des Sprachgebrauchs spricht auch der Befund der unterschiedlichen neutestamentlichen Schriften: Während sich τὸ βάπτισμα erst in den späteren Schriften des NT (Evangelien; Apg; kath. Briefe) findet, verwendet Paulus in Kapitel II: Begrifflichkeiten 78 <?page no="79"?> seinen Briefen stets die Verbform - vermutlich auch, weil die Tauf(theologi)e in dieser Zeit noch mehr der Erläuterung und Entfaltung bedarf. Die folgenden exegetischen und vergleichend ritologischen Untersuchungen haben zu erbringen, ob sich die hier offen gebliebenen Fragen beantworten und die geäußerten Thesen verifizieren lassen. 3 Zusammenfassung 79 <?page no="80"?> Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 1 Galater 3,23 - 29: Es gibt weder Jude noch Grieche. 23 Vor dem Kommen des Glaubens aber waren wir unter dem Gesetz verwahrt, eingeschlossen bis zum Glauben, der offenbar werden sollte. 24 Also ist das Ge‐ setz unser Aufseher gewesen bis Christus, damit wir aus Glauben gerechtfertigt werden. 25 Nachdem aber der Glaube gekommen ist, sind wir nicht mehr unter dem Aufseher. 26 Denn ihr seid alle Söhne Gottes durch den Glauben an Christus Jesus. 27 a) Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft worden seid, b) wurdet in Christus eingetaucht. 28 a) Es gibt weder Jude noch Grieche, b) es gibt weder Sklave noch Freier, c) es gibt nicht männlich und weiblich. d) Denn ihr seid alle einer in Christus Jesus. 29 a) Wenn ihr aber des Christus seid, b) dann seid ihr Nachkommen Abrahams, c) Erben gemäß der Verheißung. 1.1 Textsemantischer Einstieg Πρὸ τοῦ δὲ ἐλθεῖν τὴν πίστιν … ἐλθούσης δὲ τῆς πίστεως (Gal 3,23 f) - die grundlegende Unterscheidung der Zeit vor und nach dem Kommen des Glau‐ bens ist nicht nur das Thema in Gal 3,23-28, sondern auch das Ziel der den ganzen Galaterbrief durchziehenden Argumentation: Zeit und Verhältnisse vor Christus stehen konträr zu denen nach ihm. V.a. in Bezug auf das Gesetz lässt Paulus Relativierungen dieses alles entscheidenden und zugleich vollständig ausreichenden Ereignisses nicht gelten (siehe 2,19-21; 3,19 f; 5,1-6). Insofern sind die Verse 3,23-28 für eine angemessene Interpretation stets im Gesamtar‐ gumentationskontext des Briefes zu sehen. Unvermittelt und heftig eröffnet Paulus sein Schreiben an die galatischen Gemeinden, indem er den Vorwurf voranstellt: οὕτως ταχέως μετατίθεσθε ἀπὸ τοῦ καλέσαντος ὑμᾶς ἐν χάριτι [Χριστοῦ] εἰς ἕτερον εὐαγγέλιον (1,6). Es ist weniger die Empörung des Gemeindegründers über abweichende Tendenzen, als vielmehr die Feststellung ὃ οὐκ ἔστιν ἄλλο (1,7), welche er im Folgenden immer wieder durchexerzieren wird: Es gibt keine Variante von und schon gar <?page no="81"?> 1 Siehe dazu ausführlich Schröter, Einheit, 49-67, der einleuchtend herausarbeitet, dass nach Paulus’ Auffassung „die andere Gestalt des Evangeliums, wenn sie rechtmäßig verkündigt wird, sachlich von der seinigen nicht verschieden ist […]“ (a. a. O. 66). Vgl. schon 1Kor 15,11. 2 Wobei die Argumentation des Paulus im Verlauf des Gal darauf zielt, dass sich die Frage nach dem Gesetz ebenso für Heidenchristen stellt, sollten sie tatsächlich der Beschnei‐ dungsforderung nachgeben. 3 Zu Funktion und Charakteristika eines typischen παιδαγωγός siehe unter III.1.2.2. keine Alternative zum Evangelium, das wir euch gepredigt haben! 1 So hat er es von Jesus Christus selbst offenbart bekommen (1,12) und so ist es später beim Treffen in Jerusalem auch bestätigt worden (2,1-10): Heiden, zu denen Paulus gesondert gesandt ist, werden keinerlei Auflagen gemacht, abgesehen von einer Armenkollekte (μόνον τῶν πτωχῶν ἵνα μνημονεύωμεν [2,10a]). Den gesamten Brief hindurch entfaltet und erklärt Paulus nun, wie grund‐ sätzlich das Christusereignis die Verhältnisse derer, die daran glauben, verän‐ dert, sie geradezu verkehrt: Sowohl das Verhältnis des Gläubigen zu Gott (ver‐ tikal), als auch das Verhältnis zwischen den Menschen (horizontal) ist davon betroffen. Dass beide miteinander eng zusammenhängen, zeigt sich bereits in dem vorangestellten Fallbeispiel der aufgekündigten Tischgemeinschaft in An‐ tiochia, welche den Ausgangspunkt für die folgenden Überlegungen des Paulus bildet: Der Glaube an Christus als den Gekreuzigten macht den Menschen ge‐ recht - und zwar den Juden, der erkennt, dass er aus dem Gesetz heraus nicht gerecht werden kann, wie den Heiden, welcher, ohne Gesetz, ohnehin der Sünde verfallen ist. Paulus sieht dies bereits bei Abraham angelegt: ἐπίστευσεν τῷ θεῷ, καὶ ἐλογίσθη αὐτῷ εἰς δικαιοσύνην (3,6; vgl. Gen 15,6) und zwar bei Juden wie Heiden: ἐνευλογηθήσονται ἐν σοὶ πάντα τὰ ἔθνη (3,8; vgl. Gen 12,3). Diese Verheißung sei nun in dem (einen) Nachkommen Abrahams erfüllt: ὅς ἐστιν Χριστός (3,16). Τί οὖν ὁ νόμος; (3,19) Die Frage drängt sich aus jüdischer Sicht geradezu auf, 2 wenn man das Gesetz bisher als besondere Gabe Gottes an sein Volk ver‐ standen hat und nun erkennt, dass das Tun des Gesetzes nicht nur nicht die darin geforderte und beschriebene Gerechtigkeit herbeiführen kann, sondern dem davon Abweichenden sogar zum Fluch wird. Paulus entfaltet Wesen und Be‐ deutung des Gesetzes innerhalb eines größeren Metaphernfeldes: τῶν παραβάσεων χάριν προσετέθη (3,19). Wenn auch von Gott und keinesfalls gegen seine Verheißungen verwahrt es Menschen εἰς τὴν μέλλουσαν πίστιν (3,23). Es beaufsichtigt und kontrolliert wie der Knabensklave (ὁ παιδαγωγός [3,24 f]) den Zögling, der sich - obwohl Erbe - in solcher Art von Unmündigkeit (siehe ὁ ἐπίτροπος, ὁ οἰκονόμος [4,2]) kaum vom Knecht unterscheidet. In diesem Sinne lebt man unter dem Gesetz in Knechtschaft. 3 1 Galater 3,23 - 29: Es gibt weder Jude noch Grieche. 81 <?page no="82"?> 4 Hans Dieter Betz, welcher in seinem Kommentar auf besondere Weise die unterschied‐ lichen Argumentationsgänge innerhalb des Gesamtaufrisses des Briefes herausarbeitet, weist den Versen eine besondere Funktion zu: „Wie schon erwähnt, ist dies Paulus‘ einzige explizite Bezugnahme auf die Taufe im Galaterbrief. Sie dient dazu, die Verbin‐ dung zwischen 3,26-28 und gleichzeitig zwischen dem Brief als Ganzem und dem Tauf‐ ritual herzustellen […]“ (ders., Galaterbrief, 328 f). Neben der Problematik des Gesamt‐ briefes steht die Taufe m. E. ebenso in einem direkten Verhältnis zu weiteren Einzelthemen des Briefes, siehe etwa zur Beschneidung unter IV.3.8. 5 Vgl. dazu v. a. Gal 5,1, wo Paulus die Befreiung zur Freiheit an die Mahnung knüpft: στήκετε οὖν καὶ μὴ πάλιν ζυγῷ δουλείας ἐνέχεσθε. („Steht also fest und lasst euch nicht wieder mit dem Joch der Knechtschaft belegen! “). Χριστὸς ἡμᾶς ἐξηγόρασεν ἐκ τῆς κατάρας τοῦ νόμου (3,13). Als Christus‐ gläubiger sieht Paulus sich nun διὰ νόμου νόμῳ ἀπέθανον (2,19) - also von jeder Aufsicht und jedem Vormund befreit als Kind und Erbe, und zwar Erbe der Ver‐ heißung an Abraham. Angesichts dieser Erlösung scheint es ihm einerseits un‐ vorstellbar, wie man sich freiwillig unter das Gesetz begeben kann (wie die nicht-jüdischen Galater mit ihrem Wunsch nach Beschneidung), und anderer‐ seits sieht er das Christusereignis in seiner grundlegenden Dimension verkannt, wenn man mit der Beschneidung das Gesetz fordert (wie die „Lehrer“ in den galatischen Gemeinden) oder sich aus dem Gesetz ergebende Vorschriften wei‐ terhin befolgt (wie Kephas in der unterbrochenen Tischgemeinschaft). Gal 3,23-29 steht nun nicht allein unter briefkompositorischen Aspekten in der Mitte des paulinischen Schreibens, sondern trifft auch auf verschiedene Weise die Mitte der Argumentation. 4 Vers für Vers wägt Paulus das sich am Christusereignis und dem Glauben entscheidende Davor und Danach gegen‐ einander ab und zwar sowohl in Bezug auf die vertikale (Mensch - Gott) wie auch die horizontale (Menschen untereinander) Dimension, als wolle er auf be‐ sonders gedrängte Weise sämtliche Aspekte seiner Argumentation noch einmal ins Verhältnis setzen: Die Zeit vor dem Christusglaube ist bestimmt durch das Gesetz, hier verbildlicht durch einen παιδαγωγός. Der Mensch unter dem Gesetz lebt demnach unfrei und ungerechtfertigt. ἐλθούσης δὲ τῆς πίστεως (3,25) wird der Unfreie zum Sohn Gottes, zum Nachkomme Abrahams und damit Erbe. Er ist nun frei und gerechtfertigt. 5 Was als Kommen der πίστις ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ (3,26) bezeichnet wird, fällt zusammen mit dem Getauftwerden εἰς Χριστὸν (3,27a), verbildlicht als Χριστὸν ἐνδύειν (3,27b). Dieser individuelle Vorgang, welcher das Verhältnis zu Gott grundlegend neu bestimmt, bringt auch eine veränderte Realität zwischen den Getauften hervor, indem grundlegende Ge‐ gensätze verneint werden: οὐκ ἔνι Ἰουδαῖος οὐδὲ Ἕλλην, οὐκ ἔνι δοῦλος οὐδὲ ἐλεύθερος, οὐκ ἔνι ἄρσεν καὶ θῆλυ (3,28a-c) und zugleich entsteht eine beson‐ dere Art von Einheit: πάντες γὰρ ὑμεῖς εἷς ἐστε ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ (3,28d). Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 82 <?page no="83"?> 6 Zum Vergleich: Im wesentlich ausführlicheren Röm verwendet sie Paulus lediglich 6x: ὑφ᾽ ἁμαρτίαν (Röm 3,9); οὐ γάρ ἐστε ὑπὸ νόμον ἀλλὰ ὑπὸ χάριν […] ὅτι οὐκ ἐσμὲν ὑπὸ νόμον ἀλλὰ ὑπὸ χάριν (Röm 6,14 f); ὑπὸ τὴν ἁμαρτίαν (Röm 7,14). 7 Übersetzung Otto Karrer. 8 Übertragung Jörg Zink. 9 Martyn, Galatians, 371. Neben einer näheren Untersuchung der verschiedenen Bilder wird eine aus‐ führlichere Exegese sich v. a. mit einer Klärung des Ereignisses zu beschäftigen haben, welches nicht nur zeitlich zwischen „Davor“ und „Danach“ steht, sondern dem auch die alles verändernde Wirkung zugesprochen wird. Es wird von Paulus allein in diesen wenigen Versen ganz unterschiedlich in Worte gekleidet: das Kommen des Glaubens (an Christus Jesus) (3,23.25), das Getauftwerden (3,27a), das „Christusanziehen“ (3,27b), das des-Christus-Werden (3,29a). Die Untersuchung folgt dazu dem Aufbau und Argumentationsgang der Pe‐ rikope: Nach einer Betrachtung der Eingangsproblematik der angefragten Funk‐ tion des ὁ νόμος werden nach und nach die mit Bezug auf die Taufe verwendeten Bilder und Aussagen eingehend analysiert und zueinander in Beziehung gesetzt. 1.2 ὑπό νόμον (Gal 3 f) 1.2.1 Die Existenz ὑπὸ νόμον Im unmittelbaren Kontext der Aussagen über die Taufe finden sich gleich drei Funktionsbeschreibungen zu ὁ νόμος, welche - obwohl inhaltlich und syntak‐ tisch ganz verschieden - doch mit der gleichen Präposition ὑπό verbunden werden: 1) ὑπὸ νόμον ἐφρουρούμεθα συγκλειόμενοι (εἰς τὴν μέλλουσαν πίστιν) (3,23); 2) ὑπὸ παιδαγωγόν ἐσμεν (3,25); 3) ὑπὸ ἐπιτρόπους ἐστὶν καὶ οἰκονόμους (4,2). Generell begegnet die Wendung ὑπὸ τινα (εἶναι) erstaunlich oft, nämlich ins‐ gesaMt 10x im kurzen Gal: 6 Konkret ὑπὸ νόμον findet sich vier weitere Male (4,4.5.21a; 5,18), außerdem ὑπὸ κατάραν (unter einem Fluch [3,10]); ὑπὸ ἁμαρτίαν (unter der Sünde [3,22]); ὑπὸ τὰ στοιχεῖα τοῦ κόσμου (unter den Ele‐ menten des Kosmos [4,3]). Dies alles sind Begriffe, die entweder selbst negativ konnotiert sind oder in einem negativen Kontext verwendet werden. Auf diese Weise gewinnt der Machtaspekt der Konstruktion ὑπὸ τινα (εἶναι) eine ein‐ deutig wertende Komponente, was sich entsprechend in den Übersetzungen niederschlägt: „unter jemandes Gewalt stehen“, „unter der Herrschaft“, 7 „wie die Gefangenen im Kerker“ 8 oder „in the state of slavement to a power“. 9 Den ge‐ genteiligen Zustand umschreibt Paulus als „vom Geist regiert“-Sein (εἰ δὲ 1 Galater 3,23 - 29: Es gibt weder Jude noch Grieche. 83 <?page no="84"?> 10 Mit dem Motiv des „Macht-Haben und -Ausüben über jemanden“ korrespondieren im Gal weitere Bilder, wie z. B. ζυγῷ δουλείας ( Joch der Sklaverei [Gal 5,1]). 11 Bertram, Art. παιδεύω, 619. 12 Rengstorf, Art. διδάσκω, 152. Der Begriff kann sich sowohl auf den Vermittler von Grundfertigkeiten wie Lesen und Schreiben, aber auch von Handwerk oder Künsten beziehen. Bekannterweise ist ὁ διδάσκαλος die im NT am zweithäufigsten gebrauchte Anrede an Jesus (nach ὁ κύριε). 13 Zu entsprechenden Beispielen siehe Krauss, Art. גוגדפ , II 421. 14 Billerbeck, III. Briefe, 557 zu Gal 3,24. 15 Ebd. Siehe entsprechend P e siq 17 a und P e siq 101 b . πνεύματι ἄγεσθε, οὐκ ἐστὲ ὑπὸ νόμον. [5,18]). Dazu muss man aus einer Existenz ὑπο νόμον „losgekauft“ werden (ἐξαγοράζω [3,13; 4,5]). 10 1.2.2 ὑπὸ παιδαγωγός (Gal 3,24 f) Die Untersuchung beginnt mit derjenigen der drei Gesetzesmetaphern, welche in der Literatur am kontroversten diskutiert wird. Sie steht der Erwähnung der Taufe zudem direkt voran: ὁ νόμος als ὁ παιδαγωγός, unter (ὑπό) dem bisher gelebt werden musste (3,24 f). Obwohl die vorausgehende Beschreibung des Gesetzes eindeutig negativ konnotiert ist, wurde doch immer wieder versucht, dem Bild eine positive Deutung abzugewinnen. Dass im modernen Ohr der „Pä‐ dagoge“ und mit ihm eine erzieherische, bildende Funktion nachhallt, kann dafür nicht der einzige Grund sein. So schreibt bspw. Bertram: „Die geschichtliche Bedeutung des Gesetzes liegt darin, daß es Pädagoge gewesen ist. Es ist sachlich von geringer Bedeutung, welche besondere Prägung der Gedanke von der παιδεία durch das Gesetz an dieser Stelle erfahren hat. In dem Wort Pädagoge liegt jedenfalls nichts Abwertendes. Es hätte ebensogut dastehen können νόμος παιδευτής oder διδάσκαλος oder ὐφηγητής …“ 11 Als Belege für die vermeintliche Sachgemäßheit der angeführten Synonyme listet er Stellen bei Philo und Chrysostomos auf, die dem Gesetz eine erzieheri‐ sche Funktion zuschreiben - eine dem mosaischen Gesetz ja durchaus inne‐ wohnende Implikation. Ob man seine Schlussfolgerung, dass zwischen ὁ παιδαγωγός und ὁ διδάσκαλος keinerlei Bedeutungsunterschied bestehe, je‐ doch so gelten lassen kann, hat die folgende Untersuchung zu erbringen. Als ὁ διδάσκαλος wird gemeinhin derjenige bezeichnet, welcher unter „sys‐ tematischer Anleitung“ 12 Kenntnisse vermittelt und Fertigkeiten einübt. Nun finden sich zwar die Lehnwörter גוגדפ und גוגדיפ für ὁ παιδαγωγός im Talmud und den Midraschim auch im Sinne eines Pädagogen und Erziehers, 13 jedoch wird damit niemals das Gesetz bezeichnet. 14 Oft jedoch wird nicht auf die er‐ zieherische Funktion abgezielt „dann steht es [ גוגדפ , CM ] im weiteren Sinne für סופורטיפא (ἐπίτροπος) = Aufseher, Versorger, Vormund.“ 15 Dass ὁ Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 84 <?page no="85"?> 16 Die Parallelität in der Struktur der Gesetzesmetaphern jeweils als Existenz ὑπὸ xy ist bereits oben dargestellt worden, siehe unter III.1.2.1. 17 Er spricht von Barbaren, Invaliden, Lüsternen und Trunkenbolden, Lib., Educ. 7, Mor 4. Dazu Oepke, Galater, 122: „Perikles soll einmal einem Sklaven, der von einem Ölbaum herunterfiel und das Bein brach, zugerufen haben: ‚Ei, da haben wir einen neuen Pä‐ dagogen.‘“ 18 Ebd. 19 Im Normalfall betrifft es die Zeit vom 6. bis zum 16. Lebensjahr. Trotzdem sind Aus‐ nahmen überliefert, wie etwa Alexander, der sein Verhältnis zu seinem παιδαγωγός zeitlebens in positiver Weise pflegte, siehe Plut. Alex. 25,6-8. παιδαγωγός hier in diesem Sinne zu verstehen ist, macht nicht zuletzt die Tat‐ sache deutlich, dass Paulus im Folgenden ὁ ἐπίτροπος im Rahmen einer Geset‐ zesmetapher selbst gebraucht (Gal 4,2). 16 Vor allem aber verwendet das klassische Griechisch ὁ παιδαγωγός in einem anderen Sinne als ὁ διδάσκαλος: Eine zwar von Plutarch kritisierte, aber doch vorherrschende Praxis war es gewesen, Sklaven, welche in den Augen ihrer Herren zu nichts anderem taugten, 17 als ὁ παιδαγογοί zu verwenden. Es handelte sich dabei zumeist um grobe, ungehobelte Kerle, mit geringem Ansehen in der Gesellschaft. „Denkmäler zeigen häufig Männer von barbarischem Typus, lang gestiefelt, mit struppigem Bart und Glatze.“ 18 Die Auswahl mag v. a. dem nied‐ rigen Anforderungsprofil der Tätigkeit geschuldet gewesen sein. Neben dem Schutz des minderjährigen Kindes auf dem Weg zu und von der Schule war dem παιδαγωγός hauptsächlich dessen Beaufsichtigung übertragen. Für Letzteres wie auch für die Erziehung zu guten Manieren stützte man sich auf Tadel und Schläge und dies reichlich. Entsprechend gespannt kann man sich das Verhältnis zwischen Aufseher und Knabe vorstellen, welcher jenem erst mit der Mündig‐ keit „entkam“. 19 Will man also dem παιδαγωγός neben der Beaufsichtigung des Unmündigen unbedingt eine erzieherische Funktion zuerkennen, so richtet sie sich lediglich auf das äußere Betragen und wird durch Anwendung von Gewalt ausgeübt. Die Differenz zum Wissen und Fertigkeiten vermittelnden ὁ διδάσκαλος dürfte damit deutlich sein. 1.2.3 ὑπὸ ἐπιτρόπους ἐστὶν καὶ οἰκονόμους (Gal 4,1 - 7) Auch die sich an den Tauftext anschließende Gesetzesmetapher spielt mit dem Moment des „Mündigwerdens“: ὑπὸ ἐπιτρόπους ἐστὶν καὶ οἰκονόμους ἄχρι τῆς προθεσμίας τοῦ πατρός - „sondern er untersteht Vormündern und Pflegern bis 1 Galater 3,23 - 29: Es gibt weder Jude noch Grieche. 85 <?page no="86"?> 20 Zwar ist die von Paulus beschriebene Variante, dass der Vater die Dauer der Vormund‐ schaft festlegt, möglich, im Normalfall allerdings endete die Vormundschaft mit der Volljährigkeit, einem vom Staat bestimmten Zeitpunkt. Siehe dazu Betz, Galaterbrief, 357, der allerdings auch Beispiele für testamentarisch geregelte Ausnahmen (z. B. Pap. Oxyr. 487; 491; 495) benennt, welche jedoch eher für die Provinzen belegt sind. 21 ὁ ἐπιτρόπος bezeichnet als Fachterminus den mit der tutela impuberis Beauftragten, der ggf. extra testamentarisch bestimmt (tutela testamentaria) werden konnte. Siehe dazu ausführlicher Kaser, Privatrecht, 1.83 ff.352 ff. Der Erbe hat bis zur Mündigwerdung keinen Zugriff auf das vom Vormund verwaltete Erbe. 22 Zwar ist belegt, dass mehrere Vormünder bestellt werden konnten, jedoch stellt ὁ οἰκονόμος keinen in diesem Zusammenhang verwandten Fachterminus dar, sondern bezeichnet vielmehr einen Hofbeamten oder Haushalter, der im Verhältnis zu den hauseigenen Sklaven als Aufseher fungiert. Näheres siehe etwa Preisigke, Papyrusur‐ kunden, 3.137 f, sowie Michel, Art. οἰκονόμος, 151-153. Paulus fügt die οἰκονόμους den ἐπιτρόπους wohl mit Blick auf die parallel laufende Sklavenmotivik hinzu. 23 Vgl. zum Beispiel 2Kor 11,32 (der Statthalter von Damaskus will Paulus gefangen nehmen); Phil 4,7 (der Friede Gottes möge Herzen und Sinne in Christus Jesus be‐ wahren); 1Petr 1,5 (der Glaube möge zur Seligkeit bewahren). 24 Vgl. etwa Ep. Arist. 139 „[…] der Gesetzgeber […] umgab er uns mit einem undurch‐ dringlichen Gehege und mit ehernen Mauern, damit wir mit keinem der anderen Völker irgendeine Gemeinschaft pflegten, rein an Leib und Seele, frei von thörichten Glauben“. Diese und ähnliche Stellen zielen stets auf die Schutzfunktion der Tora. zu der Zeit, die der Vater bestimmt hat“ (4,2). 20 Paulus überspitzt den Vergleich zwischen unmündigem Erbe und Sklave - welche angeblich οὐδὲν διαφέρει (4,1) seien - bewusst, um dann die Situation vor dem Kommen Christi umso dramatischer vor Augen malen zu können: wie das Leben unter der Vormund‐ schaft (ἐπιτρόπους 21 … καὶ οἰκονόμους 22 [4,2]), gar wie ein Leben in Knecht‐ schaft, nämlich ὐπὸ τὰ στοιχεῖα τοῦ κόσμου (4,3). Das Gemeinsame dieser beiden letztlich unterschiedlichen Bilder ist das Beaufsichtigt- und Bevormun‐ detsein des unmündigen Erben wie des Sklaven. Diese Funktion wird vom Ge‐ setz ausgeübt. Mit der Befreiung vom Gesetz durch Christus wird der Sklave nun in den Rang eines Sohnes erhoben und zwar eines mündigen (ὥστε οὐκέτι εἶ δοῦλος ἀλλὰ υἱός· εἰ δὲ υἱός, καὶ κληρονόμος διὰ θεοῦ. [4,7]). 1.2.4 Zusammenfassung ὑπό νόμον Vor dem Hintergrund eines solchen Argumentationsganges wird schnell klar, in welcher der weitgefächerten Bedeutungen (Bewachen, Einschließen, Be‐ hüten / Bewahren) 23 Paulus das sich ebenfalls auf das Gesetz beziehende φρουρέω (3,23) verwendet, nämlich synonym zu συγκλείω (3,23): gefangen ge‐ halten, eingeschlossen, verwahrt. Dass die Tora wie ein Zaun begrenzt, ist eine geprägte Vorstellung, 24 die hier jedoch eine negative Interpretation im Sinne von Gefängnismauern erfährt. Sie dient nicht dem Schutz, sondern steht vielmehr Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 86 <?page no="87"?> 25 Vgl. etwa Röm 6,3: ὅσοι ἐβαπτίσθημεν εἰς Χριστὸν Ἰησοῦν … 26 Siehe unter II.2. der Freiheit entgegen. Hier liegt auch die entscheidende Gemeinsamkeit der verschiedenen Gesetzesmetaphern. Die Betroffenen sind auf unterschiedliche Weise bewacht, begrenzt, gefangen bzw. erwarten und erhoffen daher ihre Mündigwerdung und damit „Befreiung“ vom παιδαγωγός, ἐπιτρόπος bzw. οἰκονόμος oder eben direkt aus der Knechtschaft. Paulus geht nicht darauf ein, in welchem Zustand und welchen Machtver‐ hältnissen die Menschen lebten, bevor ihnen das Gesetz gegeben wurde, sondern fokussiert seine bildreiche Argumentation auf zwei Aussagen: Erstens ist das Gesetz eine Größe, die Freiheit einschränkt und Selbstbestimmung nahezu unmög‐ lich macht und zweitens ist diese Macht seit Christus bzw. dem Kommen des Glaubens gebrochen. Gerade die über den Text hinausreichenden Argumentati‐ onslinien verdeutlichen, dass εἰς (3,23.24) in diesem Zusammenhang nicht an‐ ders als zeitlich zu verstehen ist und nicht etwa im Sinne einer auf den Glauben vorbereitenden Funktion des Gesetzes. Dabei kann das Ereignis, das die Be‐ freiung bewirkt und damit das Ende des Gesetzes bestimmt, wechselweise als „Glaube“ (ἡ πίστις [3,23.26]), „Kommen des Glaubens“ (ἐλθεῖν τὴν πίστιν [3,23.25]) oder einfach als „Christus“ (Χριστόν [3,24]) bzw. „auf Christus ge‐ tauft-Werden“ (εἰς Χριστὸν ἐβατίσθητε [3,27a]) beschrieben werden, ohne dass nähere Differenzierungen in der paulinischen Darstellung erkennbar wären. Dies wiederum leitet zu der Schlussfolgerung, dass das Christusereignis dem Ge‐ setz nicht grundsätzlich ein Ende bereitet. Bildlich gesprochen: Es werden nicht alle Gefängnisse geöffnet, Pädagogen und Vormünder grundsätzlich obsolet oder das System der Sklaverei abgeschafft. Bereits die zeitliche Parallelisierung von Christus und Glauben vor den Kontrastbildern der Gesetzesmetaphern spricht dafür, dass dies jeweils nur für den Einzelnen gilt. Der Anschluss an Vers 26 mit γὰρ verdeutlicht, dass ὅσοι (3,27a) nicht etwa die πάντες (3,26) einschränken soll, sondern sie und damit die υἱοὶ θεοῦ (3,26) näher bestimmt, nämlich als solche, die εἰς Χριστὸν (3,27a) getauft wurden. 25 Da die Vielfältigkeit und Deutungsmöglichkeiten der Taufformeln bereits darge‐ stellt wurden, 26 soll hier lediglich am Ende des Abschnittes gefragt werden, ob die Verse 27 f zu einer weiteren Klärung, etwa im Hinblick auf eine mögliche räumliche Deutung, beitragen können. 1 Galater 3,23 - 29: Es gibt weder Jude noch Grieche. 87 <?page no="88"?> 27 Witherington III, Galatia, 276 f, fragt diesbezüglich zu Recht an, ob die Stelle automa‐ tisch als Beschreibung des Konversionsvorganges zu werten ist, oder ob andere pauli‐ nische Texte (z. B. 1Kor 12,13 und Röm 6,3) nahelegen, zwischen „conversion and ini‐ tiation“ noch einmal zu unterscheiden. Vor allem die Funktion des in Gal 3 nicht erwähnten Geistes lässt entsprechende Differenzierungstheorien aufkommen. 28 Es wäre weiterhin zu fragen, inwieweit Formulierungen wie εἰς τὸν θάνατον αὐτοῦ ἐβαπτίσθημεν (Röm 6,3), ἡμεῖς πάντες εἰς ἓν σῶμα ἐβαπτίσθημεν (1Kor 12,13) u. ä. ver‐ suchen, auch das Ereignis der Taufe selbst in Worte und Bilder zu fassen oder doch eher die dadurch bewirkten bzw. in Gang gesetzten Folgen, siehe dazu Kp. V. 29 Die Mehrheit der Wörterbücher unterscheidet zwischen einem „eigentlichen“ und einem „übertragenen“ Sinn bzw. Gebrauch von ἐνδύω / ἐνδύομαι, so etwa Paulsen, Art. ἔνδύω, 1103. Wobei innerhalb der übertragenen Bedeutung noch einmal differenziert werden kann, z. B. in „absolut“, „mit Acc. der Sache“ und „bei persönlichem Objekt“, so etwa Oepke, Art. δύω, 320 f. Burton, Galatians, 204, dagegen teilt seine Verweisstellen gleich grundsätzlich in „impersonal“ und „personal objects“. Eine Differenzierung der Verwendungsarten nach unterschiedlichen Objektkategorien scheint durchaus sinnvoll. Zugleich verweisen die sich unterscheidenden Versuche in diese Richtung auf ein Grundproblem: Die Objekte scheinen sich so grundlegend zu unterscheiden, dass schließlich eine einheitliche Übersetzung des Verbes fraglich wird. 1.3 Χριστὸν ἐνεδύσασθε (Gal 3,27b) Während die in Vers 28 begegnende bildhafte Sprache eher den (neuen) Zustand des einzelnen wie der Gruppe nach dem eigentlichen Ereignis beschreibt, stellt das Χριστὸν ἐνεδύσασθε (3,27b) den Versuch einer Beschreibung des Verände‐ rungsvorgangs selbst dar, 27 was nicht zuletzt der Gebrauch des Aoristes ἐνεδύσασθε unterstreicht: Paulus nimmt den einmaligen, punktuellen Akt der Taufe in den Blick. 28 Doch was genau passiert nun bei der Taufe? Wie deutet man, was man in der Taufe gesehen und erlebt hat? Das hierfür verwendete ἐνδύω ist dazu in seinen unterschiedlichen Verwendungsmöglichkeiten zu un‐ tersuchen. 1.3.1 ἐνδύω im NT Im Allgemeinen wird ἐνδύω mit „Anziehen (von)“ übersetzt und zwar unab‐ hängig vom jeweiligen Objekt, welches „angezogen“ wird. Drei unterschiedliche Arten von Objekten lassen sich ausmachen: 29 1) Kleidung, 2) abstrakte Größen wie z. B. Eigenschaften und 3) Personen. Diese Reihung der Objekte geht mit einer Steigerung der Bildhaftigkeit des jeweiligen Vorgangs des Anziehens einher. Für sämtliche Verwendungsarten lassen sich neutestamentliche Beispiele finden. Dabei fällt auf, dass nur eine Minderheit der Stellen vom Ankleiden an‐ Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 88 <?page no="89"?> 30 Von anderen angekleidet werden eigentlich nur auf Geheiß des Vaters der heimkeh‐ rende verlorene Sohn (στολὴν τὴν πρώτην [Lk 15,22]), sowie Jesus (πορφύραν [Mk 15,17]) durch die ihn verspottenden Soldaten. 31 Dem heimkehrenden verlorenen Sohn soll das beste Gewand und ein Ring angezogen werden - vor Freude -, aber auch um ihn unzweifelhaft als Sohn zu kennzeichnen (Lk 15,22). Jesus dagegen wird der Purpurmantel - ihn verspottend - als Königsmantel umgehängt, adäquat zur „Dornenkrone“ (Mk 15,17). Herodes Agrippa legt noch kurz vor seinem Tod das königliche Gewand an, um eine letzte Rede zu halten (Apg 12,21). Zum Unwillen des Königs hat ein Gast zu seinem Hochzeitsmahl kein passendes Ge‐ wand an und wird dafür bestraft (Mt 22,11). Speziell in Apk haben Farbe und Beschaf‐ fenheit eines Gewandes einen erhöhten symbolischen Wert, vgl. Apk 1,3; 15,6; 19,14. 32 Johannes der Täufer ist gekleidet mit einem Gewand aus Kamelhaar, zusammenge‐ halten durch einen ledernen Gürtel (Mk 1,6 par). 33 In Folge seines Besessenseins durch einen bösen Geist lebt der Gerasener nackt (Lk 8,27). Vom himmlischen Bau erwartet Paulus eine „Bekleidung“, während er sich zur Zeit als „nackt“ erlebt (2Kor 5,2-4). 34 Die zur Mission ausgesandten Zwölf sollen zwar Schuhe, aber kein zweites Hemd mit‐ nehmen (Mt 6,25; Lk 12,22; Mk 6,9). 35 Als Auserwählte Gottes sollen die Kolosser Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut und Geduld „anziehen“ (Kol 3,12, vgl. auch Eph 6,11.14; 1Thess 5,8). 36 Über das Verwesliche und die Sterblichkeit wird das Unverwesliche und die Unsterb‐ lichkeit übergezogen werden (1Kor 15,53 f). Der Auferstandene verheißt den Jüngern die „Ausstattung“ mit der Kraft aus der Höhe (Lk 24,49). derer spricht 30 und bei der Mehrheit das Sich-selbst-Ankleiden beschrieben, oft‐ mals auch dazu aufgefordert wird. 1) Wird Kleidung angezogen, das Verb also im Literalsinn verwendet, so kann ihre Beschaffenheit auf die Position eines Menschen 31 bzw. die Art seiner Le‐ bensweise verweisen, 32 bis hin zum gänzlichen Fehlen von Kleidung. 33 Sie ge‐ hört - vergleichbar der Nahrung - zum Lebensnotwendigen und soll dennoch nicht Gegenstand der Sorge sein. 34 2) Ähnlich der Kleidung können Eigenschaften aus- und angezogen werden, welche sich entweder auf das irdische Leben beziehen 35 oder auch darüber hi‐ nausreichen. 36 Vorwiegend in paränetischen Abschnitten der Briefe begegnen die Forderungen, bestimmte Gewohnheiten und Attribute des vorherigen Le‐ bens abzulegen und stattdessen solche anzunehmen, die dem neuen Status als Christusgläubige entsprechen. Die Aufforderung, die Lebensführung anzu‐ passen, ist dabei dem Ereignis des „Kommen-des-Glaubens“ oder auch der Taufe zeitlich nachgeordnet und fällt nicht etwa mit diesen zusammen oder würde 1 Galater 3,23 - 29: Es gibt weder Jude noch Grieche. 89 <?page no="90"?> 37 Kol 3 setzt voraus συνηγέρθητε τῷ Χριστῷ (3,1) und fordert in diesem Nachgang das Abtöten schlechter Angewohnheiten (3,5), in denen man bisher gelebt hat (3,7), und stattdessen das Anlegen guter Eigenschaften (3,12). Zeitlich und argumentativ adäquat Eph 4. 38 Κατὰ τὴν προτέραν ἀναστροφὴν τὸν παλαιὸν ἄνθρωπον (Eph 4,22), τὸν παλαιὸν ἄνθρωπον σὺν ταῖς πράξεσιν αὐτοῦ (Kol 3,9). 39 τὸν καινὸν ἄνθρωπον (Eph 4,24), τὸν νέον [ἄνθρωπον] (Kol 3,10), τὸν κύριον Ἰησοῦν Χριστὸν (Röm 13,14). 40 … τὸν φθειρόμενον κατὰ τὰς ἐπιθυμίας τῆς ἀπάτης (Eph 4,22), πορνείαν ἀκαθαρσίαν πάθος … ὀργήν θυμόν κακίαν βλασφημίαν … (Kol 3,5-10), … τὰ ἔργα τοῦ σκότοῦς … μὴ κώμοις καὶ μέθαις, μὴ κοὶταις καὶ ἀσελγείαις … (Röm 13,12 f). 41 Gal 3,27b formuliert in Aorist Med. Ind.; Röm 13,14 (ἐνδύσασθε) = Aor. Imp.! Med.; Eph 4,22.24 (ἀποθέσθαι […] ἐνδύσασθαι) zweimal = Aor. Inf. Med. bzw. ist sehr gut die Variante ἐνδύσασθε = Aor. Imp. Med. und zwar durch P 46 , א , B, D 1 , K u.v.m. belegt; für Kol 3,5-10 ist zu differenzieren zwischen den Angewohnheiten (νεκρώσατε […] ἀπόθεσθε) = Aor. Imp. Akt./ Med. und dem alten / neuem Menschen (ἀπεκδυσάμενοι […] ἐνδυσάμενοι) = Aor. Part. Med. Dass zwischen den beiden Verwendungsweisen grundsätzlich zu unterscheiden ist, siehe auch die Warnung bei Oepke: „Der Versuch, auch den indikativischen Gebrauch von hier aus zu erklären (Zn Gl zu 3, 27), führt zu den ganz unpaulinischen Gedanken, daß die Gotteskindschaft durch die faktische Christusähnlichkeit bedingt wäre.“ (Oepke, Art. ἐνδύω, 321 Anm. 10). diese gar erklären. 37 Ἐνδύω wird vielmehr verwendet im Sinne von „sich Ei‐ genschaften aneignen“. 3) An insgesamt vier Stellen des NT - sämtliche im Corpus Paulinum - wird ἐνδύω mit einem personalen Objekt in Verbindung gebracht: Neben Gal 3,27b in Röm 13,14 sowie in Kol 3,9 f und Eph 4,22-24. Der paränetische Kontext der drei letztgenannten Passagen ist deutlich zu erkennen, nicht zuletzt darin, dass zu‐ nächst „Altes / Vorheriges“ 38 abgelegt werden muss, um dann das „Neue“ 39 an‐ ziehen zu können. Die ausführlichen Parallelisierungen des „Alten“ mit nicht erwünschten Tätigkeiten und Angewohnheiten 40 lassen die Abschnitte in große Nähe zur Kategorie 2) rücken und schließlich die Frage aufkommen, inwieweit es sich v. a. bei τὸν καινὸν / νέον ἄνθρωπον (Eph 4,24; Kol 3,10) tatsächlich um ein im eigentlichen Sinn personales Objekt handelt oder es nicht vielmehr als Kollektivbegriff für sämtliche Eigenschaften und Handlungsweisen eines Men‐ schen steht. Diese Frage ist dann ins Verhältnis zu setzen zu dem divergierenden Befund, ob der neue Mensch nun erst noch anzuziehen ist oder ob dies bereits geschehen sei: Die Tatsache, dass die vier erwähnten Stellen zwar alle im Aorist jedoch in unterschiedlichen Modi formulieren, 41 führt sodann zu der These, dass die vier Textstellen mit personalen Objekten keineswegs eine einheitliche tra‐ dierte Vorstellung wiedergeben, sondern vielmehr wesentlich von ihrem jewei‐ ligen Argumentationskontext abhängig sind. Mindestens für die drei paräneti‐ Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 90 <?page no="91"?> 42 So auch Beasley-Murray, Taufe, 196: „Sicher wird die Metapher von Paulus häufiger gebraucht, um das Annehmen eines neuen Charakters zu illustrieren […] aber in diesem Abschnitt geht es nicht um ethische Voraussetzungen.“ 43 Die Fragen nach Zeitpunkt und Kausalfolge siehe auch zu Röm 6,1-11 unter III.4. 44 Schlier, Galater, 173, bspw. scheint in Bezug auf eine solche Vergleichbarkeit keine grö‐ ßeren Bedenken zu haben. schen Texte (Röm 13,14; Kol 3,9 f; Eph 4,22-24) lässt sich jedoch festhalten, dass ἐνδύω als „sich in umfassendem Sinne ein neues Verhalten Zulegen“ verwendet wird, das sich sowohl auf Eigenschaften als auch Handlungsweisen erstreckt und damit der Kategorie 2) nahesteht. Betrachtet man nun davon ausgehend jedoch Χριστὸν ἐνεδύσασθε in Gal 3,27b, so geraten gleich mehrere abweichende Aspekte ins Blickfeld: Der Kontext hat keinerlei paränetische Pragmatik - weder die von Paulus geführte Argumentation, noch die galatische Frage nach der Beschneidung, auf welche jene reagiert. 42 Zwar impliziert die durch die Beschneidung entstehende Bin‐ dung an das Gesetz auch ethische Forderungen, jedoch kreist die paulinische Argumentation doch gerade um die Pointe, dass Christus vom Gesetz befreit hat - alle die glauben und getauft sind (Gal 5,1)! Dass Paulus im Fortgang trotzdem zu einem tugendhaften Leben mahnt (Gal 5,16-25), widerspricht dem nicht. Er fordert lediglich dazu heraus, sich dem Erlebten gemäß zu verhalten: Mit dem Eingehen der Bindung an Christus, dem Moment also, in dem sie οἱ τοῦ Χριστοῦ (5,24) geworden sind, hat sich ihre Lebenssituation grundlegend gewandelt - … τὴν σάρκαν ἐσταύρωσαν σὺν τοῖς παθήμασιν καὶ ταῖς ἐπιθυμίαις (5,24). Dass dies aber keineswegs als Automatismus zu verstehen ist, sondern als lebenslange Aufforderung macht der adhortative Charakter des Folgesatzes mehr als deutlich: Εἰ ζῶμεν πνεῦματι, πνεῦματι καὶ στοιχῶμεν (5,25). Eine tugendhafte Lebensführung soll demnach Folge der erlebten Wende sein, fällt aber mit diesem Moment nicht zeitlich zusammen. 43 Inwieweit sind aber dann Formulierungen wie in Röm 13 und Eph 4, welche erst zum „Anziehen“ auffordern und dies eindeutig mit „gutem Verhalten“ in Verbindung sehen, als vergleichbare Parallelen zu 3,27b anzuführen? 44 Kol 3 wiederum scheint die Aufforderung zu einem besseren Lebenswandel gerade auf das bereits vollzogene „Angezogenhaben des neuen Menschen“ zu stützen. Für eine ähnliche Situierung spricht zudem auch der Folgevers: ὅπου οὐκ ἔνι Ἕλλην καὶ Ἰουδαῖος … ἀλλὰ [τὰ] πάντα καὶ ἐν πᾶσιν Χριστός (Kol 3,11). Ist also Christus tatsächlich gleichzusetzen mit ὀ νέος ἄνθρωπος (Kol 3,10)? Dazu müsste man wiederum die These bemühen, dass die vier diskutierten Texte mit personalem Objekt auf die gleiche geprägte Vorstellung zurückgreifen. Dies ist bereits oben nachhaltig in Zweifel gezogen worden. 1 Galater 3,23 - 29: Es gibt weder Jude noch Grieche. 91 <?page no="92"?> 45 Zahn, Galater, 188. 46 Burton, Galatians, 203. Ähnlich auch Dunn, Galatians, 204: „Paul rings the changes in his attemps to express the reality which he and the first Christians experienced - a reality which we can describe most simply as a profound sense of identification with Jesus.“ 47 Natürlich wissen einzelne Exegeten beide Aspekte auf einleuchtende Weise zusam‐ menzuführen oder doch zumindest die auf einer Seite gewonnenen Deutungen zur an‐ deren in ein Verhältnis zu setzen. Dennoch lässt sich eine Tendenz ausmachen. Doch selbst die Gleichsetzung von Χριστὸν (Gal 3,27b) und τὸν νέον ἄνθρωπον (Kol 3,10) würde eine Spannung nicht auflösen können: Auch wenn man von einem Anziehen bzw. Anlegen von Eigenschaften oder gar einem ganz neuen Lebenswandel sprechen kann, was soll man sich aber unter dem „An‐ ziehen des Christus“ vorstellen, auf den man getauft wird? Der Verdacht, dass ἐνεδύσασθε (Gal 3,27b) - trotz oder gerade wegen der drei besprochenen vermeintlichen Vergleichsstellen - erklärungsbedürftig bleibt, führt in der Forschungsgeschichte immer wieder zu einer Suche nach weiteren Quellen, die für einen Vergleich herangezogen werden können und, sich darauf stützend, alternativen Übersetzungsvorschlägen und Deutungen. Genannt seien hier die vielfach diskutierten von T. Zahn („sich in die Rolle eines anderen hineindenken […] sich wie ein anderer geberden und darstellen“) 45 und E.d.W. Burton („to become as Christ, to have his standing“). 46 Die sich daraus ablei‐ tenden Interpretationsansätze sind derartig vielfältig, dass ein kurzer Überblick gegeben werden soll. 1.3.2 Forschungsüberblick: „Χριστὸν ἐνεδύσασθε“ Die neutestamentliche Vergleichsbasis zu Χριστὸν ἐνεδύσασθε ist zugegebe‐ nermaßen schmal und hinterlässt die bereits angedeuteten Spannungen. Dies allein wäre für eine weitere - etwa motiv- oder auch religionsgeschichtliche - Untersuchung jedoch noch nicht problematisch, wenn nicht bereits die Suche nach vergleichbaren Texten und Phänomenen auf einer (anderen) sprachlichen Vorentscheidung fußen würde. Denn die meisten Studien entscheiden bereits vorab, ob Χριστὸν ἐνεδύσασθε (3,27b) schwerpunktmäßig als Erläuterung zu ὅσοι γὰρ εἰς Χριστὸν ἐβαπτίσθητε (3,27a) oder - verhältnismäßig unabhängig von der Taufe - als Kleidermetapher zu verstehen ist. 47 Die Auswahl des jewei‐ ligen Vergleichsmaterials richtet sich sodann nach sprachlichen Vorentschei‐ dung. 1.3.2.1 „Χριστὸν ἐνεδύσασθε“ als Kleidermetapher 1) Will man Kleidung ganz wörtlich verstehen, scheinen sich im Anziehen des Gewandes oder der Maske der Gottheit in den Mysterienkulten Parallelen zu Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 92 <?page no="93"?> 48 Siehe v. a. Apul. Met. XI 24; Plut. Isis 3; 78; Philo Fug. 110; sowie diverse Vereinsin‐ schriften. 49 Diese über das eigentlich Beschriebene (Apul. Met. XI 24) hinausgehende Deutung stammt von Leipoldt, Taufe, 60 f: „Der Isisgläubige legt, am Ende der Weihe, das Gewand des Osiris an: er wird dadurch zu Osiris, und die Gemeinde betet ihn an. Dasselbe Ge‐ wand wird ihm auf dem Totenbette angezogen: es sichert ihm Unsterblichkeit. Gleichen Sinn dürfte es haben, wenn die Isispriesterin sich kleidet, wie ihre Göttin. […] In der griechischen Sprache seiner [Pauli, CM] Zeit drückt er den Gedanken aus: in der Taufe nimmt der Christ Christus in sich auf.“ Ob damit tatsächlich ein Erlöser angezogen wird (so Betz, Galaterbrief, 332) oder wie die oben genannten Stellen sonst verstanden werden können, ist an späterer Stelle zu klären. Die in diesem Zusammenhang herangezogenen Stellen aus der gnostischen Li‐ teratur sprechen meist allgemein vom Anziehen himmlischer Kleidung oder ander‐ weitig metaphorisch von Kleidung, nicht aber von Christus selbst (siehe etwa EvThom 36 f; EvPhil 24; LibThom 143). Deutungsbedürftig bleibt EvThom 114: „[…] Jesus sprach: ‚Siehe, ich werde sie [Maria, CM] ziehen, auf daß ich sie männlich mache, damit auch sie ein lebendiger, euch gleichender, männlicher Geist werde.‘ (Ich sage euch aber: ) ‚Jede Frau, wenn sie sich männlich macht, wird eingehen in das Königreich der Himmel.‘“ (Übersetzung Christoph Markschies). 50 So besonders nachdrücklich Oepke, Art. ἐνδύω, 321, und Mußner, Galaterbrief, 263 Anm. 89. 51 Beasley-Murray etwa hält eine Herkunft der Formulierung von den Mysterienkulten zwar für möglich, gibt allerdings zu bedenken, dass „das Wechseln der Kleider als Bild für eine innere und geistliche Wandlung in der hebräisch-christlichen Tradition so ge‐ läufig war, daß eine direkte Anleihe bei solchen Quellen unwahrscheinlich ist“ (Beasley-Murray, Taufe, 19, ähnlich Knox, St. Paul, 138). Leipoldt, Taufe, 60 Anm. 4, da‐ gegen leitet die Metapher direkt aus den Mysterien ab und sieht in zeitgenössischen jüdischen Bräuchen (und Formulierungen) keine das paulinische Bild erklärende Pa‐ rallelen. 52 Delling, εἰς, 221, der darauf verweist, dass damit auch „das die Existenz des Menschen vor Gott Bestimmende“ (ebd.) bezeichnet werden kann und weiter ausführt: „Der Ge‐ kreuzigte und Auferstandene ist es, der die Existenz des Menschen (vor Gott) bestimmt, sagt dann Gal 3,27b“ (ebd.). finden. 48 Sie sollen eine Angleichung an die Mysteriengottheit bewirken oder den Initiierten an dessen Position stellen - bis hin zur Anbetung. 49 Dass Letzteres für Gal 3,27b als Deutung nicht in Frage kommt, ist offensichtlich, 50 was aller‐ dings nicht grundsätzlich gegen Mysterienriten als Hintergrundfolie zur pauli‐ nischen Formulierung sprechen muss. 51 Alternativ kann es auch als Ableitung alttestamentlicher Bildrede verstanden werden, „die unter dem Bild des Ge‐ wandes das die Existenz des Menschen bestimmende bezeichnen kann“. 52 2) Das Bild von Christus, der wie ein Kleidungsstück angezogen wird, kann aber auch als Ausdruck „außerordentliche[r] Enge dieser durch die Taufe zu Christus her‐ 1 Galater 3,23 - 29: Es gibt weder Jude noch Grieche. 93 <?page no="94"?> 53 Rohde, Galater, 164, welcher Χριστὸν ἐνεδύσασθε somit zwar als Kleidermetapher, doch darin als direkte Erläuterung zu 3,27a verstanden wissen will: „Vielmehr bedeutet das εἰς Χριστόν, daß durch die Taufe eine Beziehung zu Christus hergestellt wird“ (ebd.). 54 Ebd. 55 So Schlier, Galater, 173: „Χριστὸν ἐνεδύεσθαι setzt die Vorstellung von Christus als einem für alle bereiteten himmlischen Gewande voraus, dessen ‚Anziehen‘ das ‚Ein‐ gehen‘ in einen neuen ‚Äon‘ und das Umfaßtwerden von einem neuen ‚Äon‘ bedeutet.“. Siehe auch Betz, Galaterbrief, 330, der ebenfalls das Konzept des himmlischen Kleides vorausgesetzt sieht: „Gewiß handelt es sich hier um eine übertragene Redeweise, aber sie geht über die Dimension bloßer sozialer und ethischer Zugehörigkeit zu einer reli‐ giösen Gemeinschaft hinaus; sie meint ein Ereignis göttlicher Verwandlung.“ 56 So Mußner, Galaterbrief, 263. 57 Siehe Schlier, Galater, 173: „Es ist also nicht ein Ausdruck für das Eingehen eines ethi‐ schen Verhältnisses, sondern eines Seinsverhältnisses zu Christus. Es bezeichnet den Beginn der (gemeinsamen) Anteilhabe am Sein Christi selbst, die sich, wie 2 20 zeigt, in der Geburt des neuen Ich, des „Christus in mir“, des „inwendigen Menschen“ realisiert“. 58 So etwa Mußner, Galaterbrief, 263: „… Der pneumatische Christus, „in“ dem der Ge‐ taufte lebt, ist gleichsam sein neues Einheitskleid, und zwar ein Einheitskleid, das die unterschiedlichen Zeichen der früheren Existenz wesenlos macht, wie der folgende Vers darlegt“. 59 Hellholm, Tauftraditionen, 437, der weiter ausführt: „Dieser kosmische Mensch ist ge‐ wissermaßen auch als die Kirche […] interpretiert“ (ebd.). Siehe dazu Dahl, Kleiderme‐ taphern, 389-411. 60 Zahn bspw. kann Χριστὸν ἐνεδύσασθε sowohl individuell (vgl. vorherigen Aspekt) als auch kollektiv deuten: „Als ein Gewand, welches alle Getauften wie einen einzigen Körper (cf 1 Kor 12, 13) umhüllt, oder, sofern sie als Individuen betrachtet werden, alle gleichgekleidet erscheinen läßt, sieht er Christus an“ (Zahn, Galater, 188). Gal 3,28a-c versteht er als Entfaltung dessen. gestellten Beziehung“ 53 verstanden werden. Dahinter steht die Vorstellung, dass Kleidung dem Menschen wortwörtlich hautnah kommt und so zum Bildspender für die „wesenhafte Gemeinschaft zwischen dem Getauften und Christus“ 54 wird. 3) Bereits eine erhebliche Übertragung ist zu leisten, interpretiert man Christus als himmlisches Kleid oder setzt dieses Motiv zumindest als bekannt voraus. 55 Eine neue eschatologisch-pneumatische Wirklichkeit „in Christus“ um‐ gibt den Getauften wie ein Kleid. 56 Einerseits stellt sie einen ganz „neuen Seins‐ grund“ 57 dar und andererseits lässt sie alle „gleich gekleidet“ erscheinen, 58 mit den entsprechenden Auswirkungen (vgl. Gal 3,28a-c). Christus kann auch „als kosmischer Mantel, oder der kosmische Mensch verstanden“ 59 werden. 4) Eine ähnlich kontextuelle, bildliche Deutung begegnet in der Vorstellung, dass alle Getauften das eine Kleid, nämlich Christus, angezogen haben, was eine be‐ sondere Art von Gemeinschaft, bis hin zur Einheit bewirkt (vgl. Gal 3,28d). 60 Für diese Interpretation wird eine große Nähe zur Leib-Christi-Metapher ange‐ Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 94 <?page no="95"?> 61 Hartman, Namen, 57: „… wird sichtbar, daß der Gedanke dem in 1 Kor 12,13 ähnelt, wo Paulus davon spricht, daß die Christen ‚in einen einzigen Leib‘, d. h. in den Leib Christi, getauft sind“. So auch Zahn, Galater, 188. 62 So Schnelle, Gerechtigkeit, 59, wie auch Martyn, Galatians, 376. 63 Hartman, Namen, 57: „Christus als Kleid zu haben heißt unter die von ihm geschaffenen Lebensbedingungen eingetreten zu sein. Er steht mit anderen Worten für eine beson‐ dere Identität des Getauften“, in diesem Sinne auch Mußner und Betz. Hartman versteht das „in“ Christus vom „auf Christus“ der Taufe her, mit der Bedeutungsnuance „durch“ (ebd.). 64 So z. B. Burton, Galatians, 204: „… referred to an act in which one entered into actual relations.“ 65 So Zahn, Galater, 188 Anm. 60, welcher auf diese Weise breit zitiert wird, wobei zumeist unterschlagen wird, dass Zahn dies keineswegs als Übersetzung vorschlägt, sondern zur Illustration als mögliche Gebrauchsweise anführt und diese durchaus für Paulus einzuschränken weiß. 66 Diese Deutungen leitet Burton, Galatians, 204, von verschiedenen v. a. ethisch konno‐ tierten ἐνδύεσθαι-Passagen des AT und NT her. Oepke, Galater, 66, bietet eine Art Übersetzung mit Interpretation, welche zu Gal 3,27 lautet: „Ihr alle, die ihr auf Christus getauft wurdet, wurdet dadurch ganz in ihn eingehüllt; ihr seid in Christus, der von Hause aus Gottes Sohn ist, seid gewissermaßen Christus! “ 67 Siehe etwa Martyn, Galatians, 376: „The new robe, put on as one comes out of the water, signifies Christ himself. […] The sons are made sons by being conformed to the image of the Son (Rom 8: 29; cf. Gal 4: 19)”. nommen oder Gal 3,27b direkt mit dieser identifiziert. 61 5) Das „(ge‐ meinsam-)von-Christus-umgeben-Sein“ kann sodann - in noch allgemeinerem Sinne mit teilweise räumlichen Dimensionen 62 - als die neuen Lebensbedin‐ gungen 63 verstanden werden, innerhalb deren man nun existiert. Begründet werden diese ganz anderen Verhältnisse (vgl. Gal 3,28a-c) durch das enge Ver‐ hältnis zu Christus, welches in der Taufe eingegangen wird. 64 6) Eine besondere Steigerung erlebt die Vorstellung, in Beziehung mit Christus zu stehen, schließ‐ lich in der Übertragung als „sich in die Rolle eines anderen hineindenken […] sich wie ein anderer geberden und darstellen“ 65 bzw. „signifies ‚to take on the cha‐ racter or standing‘ of a person referred to, ‚to become,‘ or ‚to become as‘.“ 66 Dafür werden einerseits die oben besprochenen Stellen aus Röm, Kol und Eph als Pa‐ rallelen herangezogen, andererseits ein Zusammenhang mit der (Neu-)Schöp‐ fungsmetaphorik des folgenden Abschnitts angenommen. 67 1.3.2.2 „Χριστὸν ἐνεδύσασθε“ als Erläuterung zur Taufe 7) Einzelne Ausleger verstehen Χριστὸν ἐνεδύσασθε als metaphorische Deutung einer in der Taufe verankerten Symbolik, wobei das Wasser der Taufe Christus selbst darstellt, der den Täufling sodann komplett umgibt. Dazu wird verglei‐ chend auf eine Stelle im Philippusevangelium (2. Jh.) verwiesen, in dem das 1 Galater 3,23 - 29: Es gibt weder Jude noch Grieche. 95 <?page no="96"?> 68 EvPhil 101: „Das lebendige Wasser ist ein Leib. Es ist nötig, daß wir den lebendigen Menschen anziehen. Zu dem Zweck entkleidet sich, wer zum Wasser herabsteigt, daß er jenen anziehe.“ (Übersetzung Hans-Martin Schenke). Beim EvPhil handelt es sich um ein in einer koptischen Kopie erhaltenes, ursprünglich vermutlich in Griechisch ver‐ fasstes Spruchevangelium. Wegen des valentinianischen Gedankengutes datiert es Schenke in das zweite Jahrhundert, Schenke, Philippusevangelium, 531 f. 69 Bousset, Hauptprobleme, 296 f Anm. 1, der einen Einfluss dieser Vorstellung nicht nur auf Gal 3,27b, sondern auch auf ActThom 132 annimmt: ὁ τὸ λουτρὸν τοῦ βαπτίσματος ἐνδυόμενος. Leider versäumt es Bousset, eine Quelle für diese Vorstellung zu benennen oder weitere Angaben zur Herkunft, Zeit oder Verortung anzugeben. 70 Aus einer Zusammenschau verschiedener paulinischer (Tauf-)Texte erkennt etwa Meeks „Phasen, wie sie in jedem Initiations- oder Durchgangsritus durchlaufen werden: Absonderung, Übergang und Neuwerdung. Nacktheit, symbolischer Tod, Wiedergeburt als Kind, Aufhebung von Rollen- und Statusunterschieden sind dabei typische Kenn‐ zeichen der liminalen Stufe oder Übergangsphase.“ (ders., Urchristentum, 320, mit Ver‐ weis auf van Gennep, Rites, und Turner, Ritual Process). 71 Meeks, Image, 198. Ders., Urchristentum, 317, interpretiert Gal 3,27b wesentlich in Zu‐ sammenschau mit Röm 6, wo das „Ins-Wasser-Steigen“ bei der Taufe symbolisch als „Mit-Ihm-Begraben-Sein“ gedeutet wird: „Für den Tod selbst mußte ein anderer Aus‐ druck gefunden werden - die paulinischen Christen sahen ihn im Ablegen der Kleidung vor dem Hinabsteigen ins Wasser. Dieser Vorgang wurde zum „Ablegen des vergängli‐ chen Körpers“ oder des „alten Menschen“ stilisiert, während das Wieder-Ankleiden danach das neue Leben der Auferstehung symbolisierte.“ Beasley-Murray, Taufe, 198, braucht für eine ganz ähnliche Deutung lediglich die Kleidermetapher „Χριστὸν ἐνεδύσασθε“ als Symbolik für die Taufe: „… als das Ende einer alten Existenz und der Anfang einer neuen in Christus in diesem Akt verkörpert wurden und Christus Inhalt und Kraft dieser neuen Existenz war.“ Wasser der Taufe als Leib beschrieben wird. 68 Bousset wiederum identifiziert den Ursprung in einem Wassermythos, bei dem „der Fromme im Wasserbad die Wassergottheit wie ein Kleid anzieht.“ 69 8) Augenfälliger ist zunächst der Verweis darauf, dass bei der Taufe vermutlich ein Ablegen der Kleidung nötig wurde. Dies wiederum kann auf unterschiedlich bildhafte Weise gedeutet werden: Einerseits ist Nacktheit an sich ein Zeichen für Initiationsriten, deren typische Wirkungen dann auch für eine Interpretation von Gal 3,27 f herangezogen werden. 70 Ande‐ rerseits wird das Ablegen der Kleidung wieder symbolisch für den alten Men‐ schen verstanden, wobei mit Christus demnach „der neue Mensch“ angezogen wird, gar in ein neues Leben eingetreten wird (vgl. Röm 6,3 f). 71 Für beide Aus‐ legungsrichtungen ist ganz treffend mit Beasley-Murray anzufragen, ab wann eigentlich erstens das Nacktsein bei der christlichen Taufe belegt ist und zwei‐ tens der Brauch, danach ein weißes Gewand anzuziehen. 9) Ob nun als Illust‐ ration für die Taufhandlung verstanden oder auch als Bild für die enge Bezie‐ hung zu Christus im Glauben, kann die Formulierung auch zum Ausgangspunkt Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 96 <?page no="97"?> 72 Wie bereits oben dargelegt, erfolgt eine - zumindest zeitliche - Parallelisierung zwi‐ schen dem Glauben und der Taufe, wie diese allerdings inhaltlich zueinander zu ordnen sind, erfährt keine Klärung. Betz, Galaterbrief, 330, sieht die am weitesten rezipierte Erklärung bei Schlier: „Nach seiner Sicht erinnert der Apostel die Galater als Leute, deren subjektiver Glaube ins Wanken geraten ist, an die objektive Basis ihrer christli‐ chen Existenz. Diese objektive Basis besteht nach Schlier im Taufsakrament.“ Mit Ver‐ weis darauf, dass ein Sakramentsverständnis im Sinne eines ritus ex opere operato Paulus nicht eigen sei, entgegnet Betz, Galaterbrief, 331: „Paulus würde es ablehnen, das Taufritual als „sakramental objektiv“ und den Glauben an Christus als „subjektiv“ zu bezeichnen. […] würde Paulus den „Glauben an Christus“ die objektive Basis nennen […]“. In seiner Vorsicht gegenüber einem Hineinlesen wesentlich späterer dogmatischer Ka‐ tegorien eines Sakramentsverständnisses in paulinische Texte ist Betz natürlich Recht zu geben, gleichzeitig verfällt er einer - ebenso anachronistischen - klassisch aufklä‐ rerisch-protestantischen Tendenz zur Ritualabwertung. Betz: „Paulus selbst scheint sich der Gefahr des in der vorpaulinischen Tauftheologie inhärenten „kultischen Forma‐ lismus“ bewußt gewesen zu sein und auf diesem Hintergrund im Römerbrief zu argu‐ mentieren.“ (ebd.). 73 Z. B. Betz, Galaterbrief, 333: „Die Identifizierung des ‚Anziehens‘ Christi mit dem Tauf‐ ritual scheint Paulus ebenso viele Schwierigkeiten zu bereiten wie das Konzept der Taufe ‚im Namen‘ Christi, mit dem er sich in 1 Kor 1,13-17 ziemlich kritisch auseinan‐ dersetzt.“ 74 So Barth, Taufe, 353 ff, der das „mit Christus bekleidet worden Sein“ als Umschreibung für die Geisttaufe versteht, welche wiederum in enger Verbindung zur Wassertaufe (Gal 3,27a) steht. Sich ihm anschließend: Barth, KD IV.4, 127 f, sowie Thyen, männlich, 128. für Klärungen des Verhältnisses Taufe - Glaube werden. 72 Derartige Überle‐ gungen ringen teilweise erheblich mit dem Sakramentscharakter der Taufe, aber auch mit der Frage, ob es sich hierbei um eine vorpaulinische Tradition han‐ delt. 73 10) Diese Richtung weiterverfolgend kann εἰς Χριστὸν ἐβαπτίσθητε (3,27a) als Wassertaufe und Χριστὸν ἐνεδύσασθε (3,27b) demnach als Geisttaufe interpretiert werden. 74 Viele der in dieser Darstellung genannten Exegeten wissen mehrere der As‐ pekte zu verbinden oder sie als gegenseitige Ergänzungen zu verstehen. Es han‐ delt sich demnach nicht um zehn grundsätzlich verschiedene Interpretationen zu Χριστὸν ἐνεδύσασθε, wohl aber ist deutlich geworden, dass sprachliche oder auch kontextabhängige Vorentscheidungen wesentlichen Einfluss auf die Wahl des Vergleichsmaterials haben, was für eine angemessene Auslegung dringend benötigt wird, da, wie dargelegt, sich eine Interpretation allein auf der Grund‐ lage der anderen neutestamentlichen ἐνδύω-Stellen als unzureichend erweist. Als zum Vergleich geeignete Texte - und zwar auf sprachlich-semantischer wie auch dezidiert theologischer Ebene - sollten die ἐνδύω-Stellen der LXX sowie einige außerbiblische Texte gelten. In der Forschung beschränken sich die 1 Galater 3,23 - 29: Es gibt weder Jude noch Grieche. 97 <?page no="98"?> 75 Tamar legt danach den Schleier ab und die Witwenkleider wieder an (Gen 38,19). Die Söhne Aarons sollen seine heiligen Kleider anziehen (Ex 29,30). Saul versucht durch das Anlegen anderer Kleidung beim Besuch der Totenbeschwörerin inkognito zu bleiben (1Sam 28,8). 76 Angezogen (sollen) werden beispielsweise Stärke ( Jes 52,1), Schande (Ps 108,29 LXX), Gerechtigkeit (Hiob 29,14), Fluch (Ps 108,18 LXX) etc. Davon abweichend bekennt Hiob, dass Gott ihm Haut und Fleisch „angezogen“ habe (Hiob 10,11). 77 Der Geist Gottes „bekleidete“ Gideon und er lässt die Posaunen blasen und ruft die Kampfesgenossen zum Krieg (Ri 6,34). חורו השבל ישמע־תא / καὶ πνεῦμα ἐνέδυσε τὸν Αμασαι - Amasai wird vom Geist „bekleidet“ und bekennt sich fortan zu David (1Chr 12,19). חורו םיהלא השבל הירכז־תא / καὶ πνεῦμα θεοῦ ἐνέδυσεν τὸν Αζαριαν - Der Geist Gottes „bekleidet“ Secharja und er verkündet daraufhin den Willen Gottes (2Chr 24,20). 78 Vgl. die bereits oben genannten Beispiele, siehe Anm. 76. 79 Gesenius, שבל , 378. Die von Gesenius angeführte neutestamentliche Vergleichsstelle, Lk 24,49, wird gemein hin übersetzt mit: … bis ihr ausgerüstet werdet mit Kraft aus der Höhe (ἐνδύσησθε ἐξ ὕψους δύναμιν - Aor. Konj. 2. Plur. Med.; Übersetzung Luther 1984). 80 Gamberoni, Art. שבל , 479. Bezugnahmen meist auf die Feststellung, dass bereits das AT eine übertragene Bedeutung im Sinne von „Eigenschaften etc. Anlegen“ kennt. Dieser These wie auch der Etymologie soll im Folgenden noch genauer nachgegangen werden, um darüber einer adäquaten Deutung von Χριστὸν ἐνεδύσασθε näherzu‐ kommen. 1.3.3 ἐνδύω in der LXX Wie bereits erwähnt kennt schon die LXX die beiden ersten Verwendungs‐ weisen von ἐνδύω als „(sich) Ankleiden“ entweder mit Kleidung 75 oder mit (ne‐ gativen oder positiven) Eigenschaften. 76 Die LXX bietet dabei ἐνδύω meistens als Übersetzung von שבל . Jedoch begegnen drei Stellen, für die eine Überset‐ zung von שבל / ἐνδύω mit „Ankleiden“ - in literaler und selbst übertragener Bedeutung - keine Option ist: חורו הוהי השבל ןועדג־תא / καὶ πνεῦμα θεοῦ ἐνέδυσεν τὸν Γεδεων (Ri 6,34, s.a. 1Chr 12,19; 2Chr 24,20). 77 Eine wörtliche Übersetzung als „der Geist (Gottes) zieht einen Menschen an“ ist mindestens fraglich. Gesenius führt diese Stellen nicht etwa als weitere Beispiele für eine besonders bildhafte Verwendungsweise von שבל an, 78 sondern in einer eigenen Kategorie: „3. Der Geist Gottes zieht jemanden an, d. i. erfüllt ihn … (vgl. Luk 24,49 …)“. 79 Gamberoni dagegen sieht in „der ungewohnten Konstruktion Ähnliches in positiver Richtung“ 80 ausge‐ drückt, wie auch andere bildlich zu verstehende שבל -Stellen: „die Kraft Gottes hüllt Gideon ein, ‚bekleidet‘ ihn mit dieser Kraft selbst. […] Auf die besondere Nähe oder Verbindung des Geistes zum Begabten ist abgehoben (vgl. Reider Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 98 <?page no="99"?> 81 Ebd. 82 Siehe dazu ausführlich Kurz, Metapher. 83 Siehe etwa „von Begeisterung ergriffen“ (Menge [1Chr]); „came upon“ (King James Version); „der Geist Gottes erfüllte“ (Luther 1951 [Ri; 2Chr]; Stuttg.Erkl.Bibel [Ri]; Ein‐ heitsübersetzung [1Chr; 2Chr]); „der Geist ergriff “ (u. a. Stuttg.Erkl.Bibel [1Chr; 2Chr]; Einheitsübersetzung [Ri]). Aber auch „wörtliche“ Übersetzungen lassen sich finden: „der Geist des HERRN umkleidete“ (Elberfelder [Ri]); „the Spirit of the Lord clothed“ (English Standard Version); „lo Spirito del Signore investì“ (Traduzione di Diodati). 84 Siehe z. B. „kommen über“ (Menge [Ri; 2Chr]; Zürcher, Elberfelder [1Chr; 2Chr]). 85 „Und Gottes Geist fuhr in Gedeon ein …“ (Ri 6,34, Übersetzung Siegfried Kreuzer); „Und der Geist fuhr in Amasai …“ (1Chr 12,19), Anm. „wörtlich: zog Amasai (wie ein Kleid) an“ (Übersetzung Antje Labahn); „Da überkam der Geist Gottes den Azarias …“ (2Chr 24,20, Übersetzung Dieter Sänger). 79), nicht auf die Innerlichkeit“. 81 So oder so verdienen diese drei Stellen m. E. auch deswegen eine genauere Untersuchung, da es sich hier - wie auch in Gal 3,27b - um eine Verhältnisbestimmung zwischen einem Menschen und einer „göttlichen Person / Macht“ handelt. Dazu sei zuvor an die Problematik jeder Metapherninterpretation erinnert: 1) Je nach Kontext kann dieselbe Metapher unterschiedliche Nuancen zum Ausdruck bringen. 2) Eine Metapher geht selten komplett in einem Text auf. Mit beiden Aspekten ist für den Interpreten die latente Gefahr der Überforderung bzw. Überfrachtung einer Metapher ver‐ bunden. 82 Alle drei Stellen verwenden ἐνέδυσεν, also den Aorist Indikativ Aktiv. Anders als in den neutestamentlichen Stellen geht die Initiative demnach vom Geist (Gottes) und nicht von einem Menschen aus. Literal übersetzt, würde dies „der Geist bekleidet xy“ ergeben, in einem übertragenen Sinne: „der Geist Gottes umgibt xy wie ein Kleid“. Übersetzer des hebräischen wie griechischen Textes „lösen“ das Problem meist damit, dass sie eine dem Kontext entsprechende Übersetzung relativ frei wählen. Klassisch dafür sind ähnliche bildhafte Aus‐ drücke (z. B. „Bedecken“) 83 oder eine Anlehnung an das bekannte Motiv „der Geist Gottes ergreift / überfällt den Erwählten“ 84 . Rein kontextuell ließen sich die drei Situationen als ein „Ermächtigen“, „Stärken“ oder „Begeistern“ durch den Geist Gottes deuten. Dass eine allgemein begründbare und konsensfähige Übersetzung noch aussteht, schlägt sich auch in der Septuaginta Deutsch nieder, welche die drei Stellen ganz unterschiedlich übersetzt. 85 Nun kann durchaus angefragt werden, inwieweit die aktive Verwendungs‐ weise von ἐνδύω ohne Weiteres mit Mediumformen verglichen werden kann. Festzuhalten bleibt dennoch, dass lediglich mit Verweis auf eine übertragene Bedeutung von ἐνδύω das Verwendungsspektrum, wie es uns in der LXX be‐ gegnet, nicht adäquat wiedergegeben werden kann und sollte, wie etwa auch lateinische Übersetzungen zeigen: Die Vulgata bietet an allen drei Stellen induit 1 Galater 3,23 - 29: Es gibt weder Jude noch Grieche. 99 <?page no="100"?> 86 Georges, Art. induo, 211. 87 Siehe dazu Georges, Art. induo, 211 f. Origines wiederum belegt für diese Stellen in seiner Hexapla replevit, was so viel wie „aus-, an-, erfüllen“ bedeutet. 88 Siehe z. B. „und das ganze Haus Jakob wurde mit Schande bedeckt.“ (1Makk 1,28). Oder auch „kleiden sollen sich in Schande und Scham, die gegen mich prahlen.“ (Ps 34,26 LXX). Diesen und weiteren Stellen liegt ein Verständnis von „komplett Ver‐ sinken in“ oder „komplett umgeben Sein von“ wesentlich näher als ein „bekleidet“ oder auch nur „ausgestattet Sein mit“. 89 Siehe Benseler, ἐνδύω, 253; sowie Gemoll, ἐνδύω, 275. 90 Gemoll, ἐνδύω, 275 schreibt: „2. med. ἐνδύομαι u. ep. ion. ἐνδύνω (ἐνδυνέω), sp. ἐνδύνομαι a. sich (sibi) etw. anziehen, anlegen, χιτῶνα, übertr. τόλμημα; τὸν καινὸν ἄνθρωπον NT. b. eindringen, hineingehen, aβs. od. τί, εἴς τι, τινί in etw.; übertr. sich einlassen, sich unterziehen (τινί, εἴς τι).“ Siehe auch Benseler, ἐνδύω, 253. (für Gal 3,27b industis). Herkommend von induo kann es einerseits wörtlich „Anziehen“ bedeuten, andererseits im übertragenen Sinne 1) „mit etwas um‐ geben, versehen, sich aneignen“ oder 2) „sich in etwas verwickeln, in etwas geraten, in etwas treten, fallen, stürzen“. 86 Konstruiert wird es sowohl mit als auch ohne Präposition „in“ und Akkusativ. 87 Dabei handelt es sich bei induo lediglich um das ins Lateinische entlehnte ἐνδύω, dessen Bedeutungen auf Letzteres zurückgehen. Hinzu kommt, dass die Grundwurzel von ἐνδύω, näm‐ lich δύω, ähnliche lokale Implikationen hat, wie sie die übertragene Bedeutung von induo widerspiegelt. Vor einem Blick auf die Verwendung im klassischen Griechisch bleibt fest‐ zuhalten, dass die drei LXX -Stellen eine Deutung als (noch so abstrahierte) Kleidermetapher nicht zulassen. Auch weitere - im Medium formulierte - Stellen der LXX fokussieren den lokalen Aspekt und lassen sich eher mit „völlig umgeben sein“ bzw. „inmitten stehen von“ wiedergeben. 88 1.3.4 ἐνδύω im klassischen Griechisch Auch das klassische Griechisch verwendet ἐνδύω - im Aktiv wie im Passiv - im bereits bekannten Sinne von „Anziehen“, aber auch „Einhüllen“ (ἐνδύω τινά τι - „jemand in etwas einhüllen“). 89 Die Mediumform kann allerdings neben der reflexiven Bedeutung „sich Anziehen, Anlegen“ auch gebraucht werden, um ein „Hineingehen, Hineinschlüpfen, Eindringen in“ auszudrücken. 90 In dieser Weise wird es sowohl absolut mit Dativ-, aber auch mit Akkusativobjekt und mit εἴς τι konstruiert. Objekte, in die hineingegangen oder hineingeschlüpft wird, sind v. a. Flüs‐ sigkeiten wie Wasser - im Normalfall also keine Personen. Burton kann aller‐ dings zwei Stellen für ein personales Objekt anbringen: Einerseits Dion. Hal., Antiq. 11.5,2: τὸν Ταρκύνιον ἐκεῖνον ἐνδυόμενοι, was er mit „playing the part Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 100 <?page no="101"?> 91 Burton, Galatians, 204. 92 Ebd. 93 Die folgenden semantischen-syntaktischen Ausführungen stützen sich v. a. auf Frisk, Art. δύω, 427 f, sowie die Artikel δύω; ἀποδύω; ἐκδύω; ἐνδύω; καταδύω in Benseler und Gemoll. of that Tarquinius“ 91 übersetzt und andererseits Lib.ep. 968: ῥίψας τὸν στρατιώτην ἐνέδυ τὸν σοφιστήν, welches Burton wiedergibt mit: „He laid aside the character of the soldier, and put on that of the sophist.“ 92 Die Vorstellung, welche hinter beiden Bedeutungen aufscheint, ist diejenige, dass ein Mensch sich voll und ganz mit etwas umgibt, sich in etwas hineingibt, sodass er schließlich vollkommen davon umgeben ist. Sehr deutlich wird dabei die Abhängigkeit bzw. Herleitung von der Grundwurzel δύω, welcher ausführ‐ licher nachzugehen ist. 1.3.5 Wortfeld δύω δύω findet transitiv im Sinne von „Eintauchen“ Verwendung. Diese Grundbe‐ deutung variierend, kann es auch mit „Untertauchen, Senken, Versenken“ und im epischen Kontext mit „Einhüllen, Anziehen“ wiedergegeben werden. 93 Die sehr häufig auftretenden Komposita zu δύω verstärken sodann diese Grundbedeu‐ tung: 1) ἀποδύω - „Ablegen, Ausziehen, Entkleiden“; 2) καταδύω - „Untertau‐ chen, untergehen Lassen, Versenken“; und 3) ἐκδύω - „Ausziehen, Entkleiden“. Daneben wird δύω intransitiv verwendet - meist im Medium: „sich Eintauchen, Eindringen, Einschlüpfen, Anziehen“. Noch deutlicher als in der transitiven Verwendungsweise verweisen die Komposita hierbei auf das ursprüngliche „Eintauchen“: 1) ἀναδύομαι - „Auftauchen (aus dem Meer), Emportauchen, Hervorkommen“, aber auch „Zurücktreten, sich Zurückziehen, Fliehen“; 2) ἀποδύομαι - „sich Ausziehen, Ablegen, Abwerfen“; 3) εἰσδύομαι - „(Hin-)Ein‐ gehen, Eindringen, Hineinschlüpfen“, (von Affekten) „über jmd. Kommen“; 4) ἐκδύομαι - „sich Ausziehen, Ablegen“, aber auch „aus etwas Emportauchen, Heraus-, Entschlüpfen“ und übertragen „Herausschlüpfen, Entkommen, Ent‐ gehen“; 5) καταδύομαι - „Untertauchen, Untergehen, Versinken, leck Werden“, und übertragen „sich in etwas Hineinbegeben, Eindringen, Hineingehen, Hi‐ neinkriechen, sich Verkriechen“; 6) ὑποδύομαι - „Untertauchen, Eindringen, Anziehen“, übertragen „Eindringen, sich unter jemanden Stellen, Unterwerfen, sich unter jmd.s Schutz Stellen“, aber auch „Emporkommen, (darunter) Hervor‐ tauchen, Auftauchen, (darunter) Hervorkommen“. Dieser allgemeine Überblick sei mit einigen Beispielen zur konkreten Ver‐ wendungsweise von δύω und Komposita in der LXX illustriert: In einer großen Mehrheit der Fälle bezeichnet (ὁ ἥλιος) δύῃ das Untergehen der Sonne 1 Galater 3,23 - 29: Es gibt weder Jude noch Grieche. 101 <?page no="102"?> 94 Die hebräische Wurzel ללצ kann als Hapaxlegomenon leider keinen weiteren Auf‐ schluss über den semantischen Gebrauch geben, wobei der Kontext als eindeutig ver‐ standen werden kann. 95 Bei den beiden letzten Stellen lassen sich erhebliche Unterschiede zwischen MT und LXX wahrnehmen, siehe dazu Baltzer, Esaias, 2579; bzw. Heckel, Jonas, 2401, sowie Fernández Marcos, Judges, 67*f. 96 Wie weit die Übersetzungsvorschläge und damit verbundenen Interpretationen zu ἐκδύω gehen können, zeigt nicht zuletzt die Diskussion zu 2Kor 5,4: […] ἐφ’ ᾧ οὐ θέλομεν ἐκδύσασθαι ἀλλ’ ἐπενδύσασθαι, ἵνα καταποθῇ τὸ θνητὸν ὑπὸ τῆς ζωῆς. Siehe Oepke, Art. δύω, 318 f. Dabei wird deutlich, dass das Antonym zu ἐνδύω selbst in einer Bedeutung, die sich eindeutig auf den Akt des Entkleidens richtet, die Konnotation der Sterblichkeit beibehalten kann - also einen Aspekt, welcher offensichtlich aus dem bildgebenden Bereich des „Unter-, Eintauchens“ entstammt. 97 Siehe dazu unter II.1.1. (Gen 28,11; Lev 22,7; Dtn 23,12 u. a.); es wird dadurch die hebräische Wendung אוב שמש wiedergegeben. Miriam beschreibt, wie die Ägypter ἔδυσαν ὡσεὶ μόλιβος ἐν ὕδατι σφοδρῷ („gingen im mächtigen Wasser wie Blei unter“ [Ex 15,10 LXX ]). 94 Die beiden anderen Stellen heben eher auf den Aspekt des „da‐ runter bzw. dazwischen Geraten“ ab: Seinen Überlebenskampf umschreibt Jona u. a. mit den Worten […] ἔδυ ἡ κεφαλή μου εἰς σχισμὰς ὀρέων („mein Kopf versank in den [Grund]spalten der Berge“ [ Jon 2,6 LXX ]). Jerusalem wird prophe‐ zeit, dass εἰς τὴν γὴν οἱ λόγοι σου δύσονται („in die Erde werden deine Worte sinken [ Jes 29,4 LXX ]). 95 Die Bedeutung „Anziehen, Einhüllen“ kennt die LXX nicht. Von den oben besprochenen Komposita zu δύω finden sich in der LXX v. a. καταδύω und ἐκδύω. Ersteres sowohl im literalen Sinne des „(Ver-)Sinkens im Meer“ (Ex 15,5; Jer 28,64), aber auch übertragen zu verstehen als „(sich) Ver‐ bergen“ (Amos 9,3 [auf dem Grund des Meeres]; Micha 7,19 [unserer Schuld unter den Füßen]). Der gleiche Befund lässt sich für ἐκδύω feststellen: Einerseits wird es für das „Ausziehen“ von Kleidung gebraucht (Gen 37,23), andererseits begegnen eine Reihe von Stellen, welche eine bildliche Verstehensweise vo‐ raussetzen: z. B. als „sich Losmachen“ von Fesseln ( Jes 52,2) oder als Ausplün‐ dern eines Leichnams (1Chr 10,9). Solche und ähnliche Verse folgen auf sym‐ bolischer Ebene der Grundbedeutung des „aus etwas Herauskommen, sich etwas Entledigen“. 96 Die ausführliche Darstellung der Wortfamilie hat folgende Punkte auf den Plan gebracht: Literal geht das Wortfeld auf ein „Eintauchen (im Wasser / Meer)“ zurück. Dazu gehört, dass die βάπτω in der Bedeutung des „Einbzw. Unter‐ tauchens“ gelegentlich ersetzende Form δύπτω auf δύω zurückgeführt werden kann. 97 Die Komposita von δύω variieren noch ganz wörtlich einerseits zu „un‐ tergehen Lassen, Versenken“, im Sinne von „zu Tode Bringen“, andererseits zu Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 102 <?page no="103"?> 98 Ein wesentlicher Unterschied zwischen einer transitiven und intransitiven Verwen‐ dungsweise ist in Bezug auf die Grundbedeutungen nicht zu erkennen. „Auftauchen, Emporkommen“. Daneben steht stets eine bildhafte, übertragene Bedeutung, welche zwei Grundrichtungen zu haben scheint: 1) eine speziellere in Bezug auf Kleidung: ein „Anziehen“ bzw. „Ausziehen“ und 2) eine allgemeine, welche mit dem „in etwas Hineingehen, Untertauchen“ spielt. Die dahinterlie‐ gende Vorstellung könnte man beschreiben mit einem „sich komplett in etwas Hineinbegeben und damit komplett von etwas umgeben und auch bestimmt zu sein“. Das Gegenteil dazu ist ein „Entkommen und Entfliehen“. Diese zweite, übertragene Bedeutung ist die einzige, welche personale Objekte kennt, z. B. „jmd. Entkommen, Entfliehen“, aber auch positiv „sich jmd. Unterwerfen, sich unter jmd.s Schutz Stellen“. Die Vorstellung, dass eine Person wie ein Klei‐ dungsstück angezogen wird, ist für das Wortfeld δύω/ δύομαι samt Komposita nicht belegt. 98 Für eine solche Deutung, wie bereits oben angeklungen, spricht auch die Vulgata, welche sowohl die drei alttestamentlichen Stellen als eben auch Gal 3,27b mit induo übersetzt. Dabei handelt es sich um nichts anderes als das latinisierte ἐνδύω, wobei neben der Bedeutung „Anziehen“ ähnlich häufig über‐ tragene Bedeutungen wie „sich mit etwas Umgeben, sich in etwas Verwickeln, in etwas Fallen, Stürzen“ belegt sind. Personale Objekte finden sich dabei wie im kompletten Wortfeld δύω/ δύομαι lediglich dort, wo das Verb in übertra‐ genem, bildlichen Sinn verwendet wird. An diesen Stellen wird mit Hilfe von induo das (enge) Verhältnis zwischen personalem Subjekt und Objekt näher be‐ stimmt. In der Bedeutung „Anziehen“ wird induo genau wie ἐνδύω lediglich mit sächlichen Objekten gebraucht. 1.3.6 Zusammenfassung: Χριστὸν ἐνεδύσασθε Da ein literal verstandenes „Eintauchen in“ als Übersetzung für Χριστὸν ἐνεδύσασθε nicht in Frage kommt, bleiben nur noch die beiden bildlichen Deu‐ tungen: 1) im spezielleren Sinne das „Christus als Kleidung Anziehen“ oder 2) im weiteren Sinne das „in Christus Eingehen, Untertauchen“, schließlich „ganz von ihm umgeben Sein“. Gegen eine Kleidermetapher spricht der negative Befund für das Anziehen einer Person, der sich auf das gesamte Wortfeld erstreckt. Außer Kleidung, Waf‐ fenrüstung u. ä. werden lediglich einzelne Eigenschaften bzw. Tugenden „ange‐ zogen“. Entsprechende Interpretationsansätze, Christus als Gewand zu ver‐ stehen, welches sich der Täufling bei der Taufe überzieht, wurden bereits oben in ihrer Problematik dargestellt. Die zur Erläuterung einer solchen Übersetzung 1 Galater 3,23 - 29: Es gibt weder Jude noch Grieche. 103 <?page no="104"?> 99 Siehe Apul. Met. XXIII, 7. 100 Vgl. das Ersetzen des zunehmend übertragen verwendeten βάπτω durch δύπτειν oder auch βαπτίζω im Sinne von „Einbzw. Untertauchen“, siehe dazu unter II.1.1. herangezogenen rituellen Vergleiche, wie z. B. das Anziehen von Kleidung oder Masken von anderen Personen oder Gottheiten in Theatervorführungen oder bei rituellen Veranstaltungen, etwa Mysterieneinweihungen, sind einerseits als unzutreffend einzustufen, da nicht die Person selbst, sondern ihre Kleidung etc. angezogen wird. Andererseits müssen die davon ausgehenden Deutungen als geradezu nichtchristlich beurteilt werden. Denn das Aufsetzen der Maske einer Person im Theater lässt den Schauspieler denjenigen spielen, ihn imitieren, ge‐ radezu seine Stellung einnehmen. Der Osirismysterieninitiand stellt sich mit dem Gewand der Gottheit bekleidet auf ein Podest und nimmt für eine be‐ stimmte Zeit deren Position ein - bis hin zur Anbetung. 99 Ein „zu Christus Werden“ bzw. ein „an seine Stelle Treten“ kann aber kaum gemeint sein. Bleibt also die zweite bildliche Deutung des Wortfeldes, nämlich das über‐ tragen zu verstehende „Eintauchen, Eindringen“. Dazu ist zunächst festzustellen, dass (ἐν)δύω und βάπτω/ βαπτίζω bei Paulus semantisch parallelisiert werden. 100 Beide Wortfamilien beschreiben ein „Eingehen, Untergehen, Untertauchen“ in Wasser, was sowohl von Personen, als auch ganzen Schiffen ausgesagt werden kann. Es beinhaltet einerseits den neutralen Aspekt, dass der ins Wasser Ge‐ tauchte komplett vom Wasser umschlossen ist, kann andererseits aber auch den lebensbedrohlichen Impetus („Untergehen, Versinken“) haben. Beide Verben finden transitiv wie intransitiv und in allen drei Modi Verwendung. Es kann also das eigenständige „Hineingehen“ wie auch „Ein-/ Untertauchen“ ausgesagt werden, aber auch das „Untergetauchtwerden“, bis hin zum „zu-Tode-Kommen“. ἐνεδύσασθε muss demnach nicht „ihr habt angezogen“ bedeuten, was wie dargestellt in Zusammenhang mit Christus oder gar der Taufe keine sinnvolle, erklärende Deutung liefert. Sondern vielmehr steht ἐν-δύομαι vor dem Deu‐ tungshorizont des „Eintauchens, Eindringens“, was nicht zuletzt das Antonym ἐκδύομαι bestärkt, welches neben „sich Ausziehen“ eben auch „Entgehen, Ent‐ kommen“ und übertragen „aus etwas Emportauchen“ bedeuten kann. Zudem scheint diese, an die ursprüngliche Wurzel angelehnte Übersetzung auch eine passende Deutung für die drei oben diskutierten alttestamentlichen Stellen zu sein, in denen mit Hilfe von ἐνδύω das Verhältnis des Geistes (Gottes) zu einer Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 104 <?page no="105"?> 101 Ri 6,34, vgl. auch „Aber der Geist ging in Amasai ein“ (1Chr 12,19), sowie „Und der Geist Gottes ging in Secharja ein …“ (2Chr 24,20). Bildlich wie theologisch passt eine solche Übersetzung zu dem Bedeutungsspektrum anderer hebräischer Wurzeln, welche ganz ähnliche Situationen beschreiben: das Verhältnis zwischen Gottes Geist und einem Er‐ wählten, der daraufhin „in Aktion tritt“, siehe dazu bereits oben. 102 Siehe unter VI.3. 103 Siehe unter V.1. 104 Siehe unter III.4.2. erwählten Person ausgedrückt wird: „Da drang / taucht der Geist JHWH s in Gi‐ deon ein …“. 101 So ergibt sich für Gal 3,27 schließlich die Übersetzung: „Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft worden seid, wurdet in Christus eingetaucht.“ Dieser syno‐ nyme Parallelismus membrorum in einem der ältesten Texte zur christlichen Taufe transportiert dabei unterschiedliche noch näher zu erläuternde Implika‐ tionen: 1) Auch wenn sowohl Medium als auch Passiv bezeichnet sein können, muss das Medium „ihr habt angezogen“ deswegen als unwahrscheinlich gelten, weil das passive Element der Konstellation der Passivität des Täuflings gegenüber dem Täufer in der Taufe entspricht. 102 2) Hier begegnet eine an den Taufablauf angelehnte bzw. eigentlich davon ausgehende Metapher, nämlich das Eintauchen: Das Eingetauchtwerden des Täuflings ins Wasser wird symbolisch gedeutet mit dem Eingetauchtwerden in Christus. Dabei stellt sich die Frage, inwieweit das sowohl in βάπτω/ βαπτίζω als auch (ἐν)δύω angelegte Versinken / Versenken, sprich das lebensbedrohliche Moment, hierbei mitschwingt. Da Röm 6,3 f explizit im Zusammenhang mit der Taufe vom Sterben des Täuflings spricht und es sich dabei um eine bekanntes Deutungsmotiv von Ritualen handelt, 103 ist die Frage an späterer Stelle zu klären. 104 3) Die beiden Verben parallelisieren „εἰς Χριστόν“-Getauftsein mit dem „in-Christus-Eingetauchtwerden“ und stellen so den Christusbezug der Taufe in den unmittelbaren Fokus. Indem Christus in lokaler Funktion mit dem Wasser in Verbindung gebracht wird, liegt eine Deutung nahe, welche das „auf Christus getauft Sein“ als „ab sofort komplett von Christus umgeben Sein“ interpretiert. Dabei kennt das Wortfeld (ἐν)δύω Relationsbeschreibungen folgender Art: „sich komplett Hineingeben, sich jmd.em Unterstellen, sich unter den Schutz von jmd.em Stellen“. Dabei handelt es sich um gerade diejenigen Bedeutungen, in welchen sich die Vokabel auf ein personales Objekt richtet, und daher zu Gal 3,27b die größte Nähe aufweisen. 4) Eine derartige räumliche Vorstellung erinnert an „ἐν Χριστῷ“-Formulie‐ rungen, wie sie sich verschiedentlich in paulinischen Briefen finden und meist 1 Galater 3,23 - 29: Es gibt weder Jude noch Grieche. 105 <?page no="106"?> 105 Siehe unter III.1.7. 106 Wie intensiv können etwa bestimmte Deutungskategorien zu Χριστὸν ἐνεδύσασθε auch für die Interpretation von Gal 3,28a-c herangezogen werden? Handelt es sich bei Gal 3,27 f um eine Tradition, die Paulus geschlossen wiedergibt und die demnach auch als Ganze interpretiert sein will? Oder ist Gal 3,28a-c vielmehr in Anlehnung an 3,28d zu sehen und der dortigen Betonung der Einheit in Christus zu verstehen? 107 Betz, Galaterbrief, 335, unter Verweis auf BDR § 98, und mit ihm Mußner, Galaterbrief, 264 Anm. 91; Martyn, Galatians, 376 Anm. 252 u. a. 108 Burton, Galatians, 207: „ἔνι, not a contracted form of ἔνεστι, but a lengthened form of ἐν, ἐνί with recessive accent, but having the force of ἔνεστι or ἔνεισι …“. 109 Betz, Galaterbrief, 333, der sich teilweise auf Meeks, Image, stützt, siehe aber auch Martyn, mit der Konsequenz: „To pronounce the nonexistence of these opposites is to announce nothing less than the end of the cosmos.“ (a. a. O. 376), dagegen z. B. Burton, Galatians, 207. als eigenständiges „ἐν Χριστῷ“-Konzept verstanden werden. Dass diesem Ge‐ danken noch weiter nachzugehen ist, legt bereits der unmittelbare Kontext nahe, welcher von der „πίστις ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ“ (Gal 3,26) und dem „εἱς […] ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ“-Sein (Gal 3,28d) aller Getauften spricht. ὅσοι γὰρ εἰς Χριστὸν ἐβαπτίσθητε, Χριστὸν ἐνεδύσασθε - so knapp und prägnant, geradezu poetisch Gal 3,27 formuliert ist, spricht vieles für einen traditionellen Hintergrund der Wendung, worüber an späterer Stelle noch für die gesamte Perikope zu verhandeln ist. 105 Dies würde eine sich durchziehende Grundwahrnehmung noch unterstreichen: Es scheint schwierig, eine treffende Übersetzung von Gal 3,27 zu finden, welche sämtliche Facetten des ἐνδύομαι sowie des Χριστὸν ἐνεδύσασθε und der darin ausgedrückten Interpretation der Taufe wiedergeben kann, vielmehr bedarf der Satz einer Erläuterung. 1.4 οὐκ ἔνι Ἰουδαῖος οὐδὲ Ἕλλην, οὐκ ἔνι δοῦλος οὐδὲ ἐλεύθερος, οὐκ ἔνι ἄρσεν καὶ θῆλυ (Gal 3,28a-c) Der Umschreibung des Taufgeschehens als Χριστὸν ἐνεδύσασθε folgt in Gal 3,28a-c eine Illustration der neuen Verhältnisse, in denen sich die Getauften nun befinden, wobei die Verhältnisbestimmung wörtlich zu verstehen ist. Neben der Frage nach der Einbindung dieser beinahe parallel konstruierten, dreiglied‐ rigen Illustration der Verhältnisse von Getauften in den Kontext 106 und der damit verbundenen Frage, ob es sich bei der hier vorliegenden Form um eine vorpau‐ linische Tradition handelt, stellt sich v. a. das Problem einer angemessenen In‐ terpretation von οὐκ ἔνι (3,28a.b.c): Auch wenn man ἔνι sowohl als Kontraktion auf ἔνεστιν zurückführen, 107 als auch als Langform von ἐν / ἐνί verstehen kann, 108 liegt die Interpretationsvielfalt von „gibt es nicht mehr“ 109 oder „gilt Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 106 <?page no="107"?> 110 In Bezug auf die Gottesbeziehung siehe Mußner, Galaterbrief, 264: „Die In-Existenz der Gläubigen „in Christus“, den alle Getauften „angezogen“ haben, transzendiert völlig diese alten Unterschiede und Gegensätze. Der Apostel will damit selbstverständlich nicht sagen, daß derartige Unterschiede äußerlich nicht mehr bestehen […] - aber sie haben jegliche Heilsbedeutung vor Gott verloren.“, ähnlich Schlier („sakramental auf‐ gehoben“). 111 Siehe Betz, Galaterbrief, 352, der davon spricht, dass in 3,28a-c „die Abschaffung aller Arten von Diskriminierung festgestellt“ wird. Im Unterschied dazu vgl. Oepke, Galater, 90 f. 112 Meeks, Image, 180, weist zurecht darauf hin, dass Eph 6,8 als ein weiteres Echo der Formel aufgefasst werden kann: […] τοῦτο κομίσεται παρὰ κύριου εἴτε δοῦλος εἴτε ἐλεύθερος. Zwar sind die sog. Haustafeln, innerhalb einer von diesen sich der Vers findet, stets auf gegensätzliche Gruppierungen und deren Verhalten zueinander aus‐ gerichtet, jedoch wird im Abschluss dieser Sklavenparänese gerade betont, dass beide gleichen Lohn empfangen werden, nämlich das, was er Gutes tut. 113 Siehe ausführlich unter III.3. nicht mehr“ 110 bis zur „Taufe als Antidiskriminierungsgarant“ 111 nicht etwa in differierenden grammatikalischen Entscheidungen begründet. Vielmehr hat sie ihre Ursache in den unterschiedlichen Interpretationen der drei Paarungen, denen daher auch - nach einigen motivgeschichtlichen Vergleichen - einzeln Aufmerksamkeit gewidmet werden muss, bevor οὐκ ἔνι (3,28a.b.c) treffend übersetzt und interpretiert werden kann. Zumindest die ersten beiden Paarungen finden sich auch in zwei anderen paulinischen Briefen - in jeweils leicht abgewandelter Konstruktion: 112 1) In 1Kor 12,13 geht der Formulierung wie auch in Gal 3 eine Taufaussage voraus und eine Geist bezogene Einheitsaussage folgt: καὶ γὰρ ἐν ἑνὶ πνεύματι ἡμεῖς πάντες εἰς ἓν σῶμα ἐβαπτίσθημεν, εἴτε Ἰουδαῖοι εἴτε Ἕλληνες εἴτε δοῦλοι εἴτε ἐλεύθεροι, καὶ πάντες ἓν πνεῦμα ἐποτίσθημεν. Erstaunlicherweise findet sich die Formel in einer Passage zur Metapher vom Leib Christi, mit der zwar die Einheit der Gemeinde begründet wird (1 Kor 12,1-13), die aber doch gerade auf der sinnreichen Unterschiedlichkeit der einzelnen Glieder beruht, welche wiederum in ihren unterschiedlichen Funktionen aufeinander angewiesen sind (1 Kor 12,14-31). 113 Insofern sind mit Ἰουδαῖοι/ Ἕλληνες und δοῦλοι/ ἐλεύθεροι die gleichen grundlegenden Gegensätze der antiken Gesellschaft wie in Gal 3 benannt, nicht aber deren Negation ausgesagt. Vielmehr bezeichnet die Formu‐ lierung die Gleichheit der so verschiedenen Getauften in Bezug auf ihr „Glied-am-Leib-Christi-Sein“ bzw. genauer auf ihr „Dazu-gekommen-Sein“, nämlich ἐν ἑνὶ πνεύματι ἡμεῖς πάντες εἰς ἓν σῶμα ἐβαπτίσθημεν (1Kor 12,13). 2) Kol 3,11 bietet die beiden Paarungen sprachlich noch weiter verändert und zudem erweitert: ὅπου οὐκ ἔνι Ἕλλην καὶ Ἰουδαῖος, περιτομὴ καὶ ἀκροβυστία, βάρβαρος, Σκύθης, δοῦλος, ἐλεύθερος, ἀλλὰ [τὰ] πάντα καὶ ἐν πᾶσιν 1 Galater 3,23 - 29: Es gibt weder Jude noch Grieche. 107 <?page no="108"?> 114 Dass der Gegensatz Griechen / Juden wie auch Barbaren und Skythen sonst keinerlei Erwähnung im Kol finden, wiegt so schwer, dass Lohse, Kolosser, 207 Anm. 2, etwa schlussfolgert: „Die Reihe ist also zweifellos aus der Tradition übernommen worden.“ 115 Ἕλληνες καὶ βάρβαροι lautete der zeitgenössische Slogan aus griechischer Perspektive. Dass Paulus diesen kannte, lässt Röm 1,14 (Ἕλλησίν τε καὶ βαρβάροις, σοφοῖς τε καὶ ἀνοήτοις ὀφειλέτης εἰμι) vermuten. Kol 3,11 könnte dann als eine Kombination beider Formeln erklärt werden, so Betz, Galaterbrief, 337 Anm. 76. Die Pragmatik, wirklich alle Menschen zu „erfassen“, würde zum Kontext passen. Für später ist dann die Weiter‐ entwicklung der Formel belegt und zwar bei Aristides apol 2.1: „Es ist uns offenbar, o Kaiser, dass es auf der Welt vier Gattungen von Menschen gibt: Barbaren und Griechen, Juden und Christen.“ (Übersetzung Julius). Wobei es zu dieser Stelle eine interessante textkritische Variante gibt: „[…] dass es drei Gattungen von Menschen auf der Welt gibt, als da sind: Die Anbeter eurer sogenannten Götter, Juden und Christen.“ 116 Jüthner, Hellenen, 55.143, welcher Σκύθης als „edles Nordvolk“ den Barbaren entge‐ gengesetzt versteht. Einen guten Überblick zu solchen und ähnlichen Versuchen, das Paar antithetisch zu verstehen, bietet Windisch, Art. βάρβαρος, 550. 117 Pokorný, Kolosser, 144. Als Bsp. für eine Steigerung Barbar → Skythe verweist er auf Ascl. NHC VI / 8; 71,5 f und natürlich auf Bengel, welcher den Skythen als barbaris barbariores bezeichnet. Dagegen Bormann: „Allerdings bleibt unverständlich, warum der Leser hier im Gegensatz zu den übrigen antithetischen Paaren eine Steigerung er‐ kennen soll.“ (a. a. O. 167). Nach einer Darstellung und Abwägung der unterschied‐ lichsten Erklärungsversuche, kommt er zu dem Schluss: „Barbar und Skythe stehen für die kulturell marginalisierten und ethnisch ausgeschlossenen Nichtgriechen des Nor‐ dens und des Südens (= alle kulturell und ethnisch Marginalisierten), mit denen mög‐ licherweise noch dazu die weiße und die schwarze Hautfarbe verbunden wird.“ (a. a. O. 168). Die Pragmatik von Kol 3,11 ziele darauf, dass all diese Unterscheidungen „in der neuen Christuswirklichkeit ohne Bedeutung“ seien (ebd.). Χριστός. Dem Vers geht das Motiv des Anziehens des neuen Menschen voraus und es folgt eine Christus bezogene Einheitsaussage. Ob der vertauschten Rei‐ henfolge von Heiden und Juden eine Bedeutung zukommt, ist an späterer Stelle zu erörtern. 114 Deutlich wird jedenfalls, dass die ersten beiden jeweils mit καί (vgl. Gal 3,28c! ) verbundenen Paarungen einen Chiasmus darstellen, der klar auf die heilsgeschichtliche Erwählung (mit dem sichtbaren Zeichen der Beschneidung) abhebt, während die restlichen lediglich aufgezählt werden. Zwar können δοῦλος und ἐλεύθερος ebenfalls als Gegenteile wahrgenommen werden, βάρβαρος und Σκύθης allerdings kaum. 115 Einzelne Exegeten meinen zwar die beiden Bezeichnungen gegensätzlich lesen zu können, 116 doch stehen derartige Versuche der allgemeinen Verwendung der beiden Begriffe entgegen. Nahelie‐ gender ist eine Interpretation als Steigerung βάρβαρος → Σκύθης: „Beide Nichtjuden, aber in der griechischen Sicht waren Barbaren der Gegensatz der Griechen. Die Skythen galten als die wildesten Barbaren (z. B. 2. Makk. 4,47).“ 117 Von der Ermahnung zur Heiligung des Lebens, die den Abschnitt bestimmt, ist Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 108 <?page no="109"?> 118 Meeks, Image, 181, versteht den Taufbezug nicht nur als erwiesen, sondern zudem als derart grundlegend, dass er von einer „‚baptismal reunification formula‘ familiar in congregations associated with Paul and his school“ spricht. 119 Diese argumentative Kontextualisierung dürfte auch das stärkste Argument dafür sein, dass hier eine christliche (vorpaulinische) Tradition vorliegt - v. a. gegen Behaup‐ tungen, dass es sich um bloße hellenistische Alltagssprache handelt, welche diese Ge‐ gensatzpaarungen lediglich zum Ausdruck des Ganzen nutzt. 120 Siehe z. B. EvPhil 49: „Wenn du sagst: ‚Ich bin ein Jude‘, wird niemand wanken. Wenn du sagst: ‚Ich bin ein Römer‘, wird niemand verwirrt werden. Wenn du sagst: ‚Ich bin ein Grieche‘, ‚ein Barbar‘, ‚ein Sklave‘, ‚[ein] Freier‘, wird niemand in Unruhe geraten. [Wenn] du [sagst]: ‚Ich bin ein Christ‘, wird [jener] zittern. O, daß ich [einen] solchen (Herrn) hätte, dessen Namen zu [hören jener] nicht ertragen kann! “ (Übersetzung Schenke). 121 Der sehr ähnliche Sprachgebrauch lässt die Frage aufkommen, ob hier eine traditions‐ geschichtliche, gar schriftliche Abhängigkeit in die eine oder andere Richtung vorliegt. Doch ob das dreigliedrige Dankgebet vom jüdischen Kulturkreis in den hellenistischen oder umgekehrt eingegangen ist oder ob es sich unabhängig voneinander in beiden entwickelt hat, wird wohl nicht endgültig zu beantworten sein. Letztlich erweist sich diese Frage allerdings auch als irrelevant, da aussagekräftig genug ist, dass in beiden - so unterschiedlichen - Gesellschaften derartiges „zum Danken Anlass gibt“. 122 Meeks, Image, 167. demnach keiner ausgeschlossen - ob Jude oder Nichtjude, egal welcher Natio‐ nalität oder sozialen Stellung er angehört, da alle Christus zugehören und er in allen ist. Auch hier folgt mit Verweis auf den einen Leib die Mahnung zur Einheit. Dass es sich hierbei um eine - möglicherweise aus der Taufliturgie 118 be‐ kannte - Tradition handelt, ist wohl nicht grundsätzlich zu bestreiten; wenn auch die jeweilige Formulierung durchaus Unterschiede erkennen lässt, hat doch nicht allein das Motiv der Paare Ἰουδαῖος/ Ἕλλην und δοῦλος/ ἐλεύθερος eindeutigen Wiedererkennungswert, sondern auch der Christusbezug und die Einheitsparänese im unmittelbaren Verwendungskontext lassen auf eine ge‐ prägte Vorstellung schließen. 119 Dass die Formulierung sich nicht in der Aussage der Gegensätze oder auch des „einfach alle“ erschöpft, lässt sich bis in die apo‐ kryphe Literatur hinein nachvollziehen. 120 In diesem Zusammenhang ist noch zu erwähnen, dass ähnliche Auflistungen von Ge‐ gensätzen sowohl für die hellenistische als auch die rabbinische Literatur belegt sind. Die Struktur weist zwar ebenfalls eine formelhafte Parallelisierung der einzelnen Glieder auf, dient aber dem genau umgekehrten Zweck, nämlich der Betonung der (bleibenden) grundlegenden Gegensätzlichkeit. Identitätsbegründung oder -schär‐ fung durch Abgrenzung bzw. Negierung von anderen ist eine klassische Version der Selbstbeschreibung und, wie die folgenden Beispiele zeigen werden, auch damals schon in unterschiedlichen Kulturkreisen verbreitet gewesen. 121 Meeks bezeichnet die „three reason for gratitude“ als „a rhetorical commonplace“: 122 Diogenes Laertius legt 1 Galater 3,23 - 29: Es gibt weder Jude noch Grieche. 109 <?page no="110"?> 123 Diogenes Laertius, Vit. Phil. 1: 33 (Übersetzung R. D. Hicks), vgl. auch Plut. Marius 46,1. 124 Zitiert nach Goldschmidt, Babylonischer Talmud X, 528. 125 Ähnlich auch tBer 7.18. 126 Witherington III, Galatia, 271. Wie viele andere sieht er in den Aufzählungen „the basic social divisions in society as seen from Greek or Jewish point of view“ benannt. So auch Dunn, Galatians, 207: „[…] the most profound distinctions within human society - ra‐ cial / cultural, social / economic, sexual / gender.“ 127 Ebd. sie Thales bzw. Sokrates in den Mund: „first, that I was born a human being and not one of the brutes; next, that I was born a man and not a woman; thirdly, a Greek and not a barbarian.“ 123 Die jüdische Version findet sich im Babylonischen Talmud, Mena‐ hoth 43: 124 „Es wird gelehrt: R. Meír sagte: Der Mensch ist verpflichtet, täglich folgende Segens‐ sprüche zu sprechen: ‚Daß er mich nicht zu einem Nichtjuden gemacht hat.‘ ‚Daß er mich nicht zu einem Weibe gemacht hat.‘ ‚Daß er mich nicht zu einem Unwissenden gemacht hat.‘ Einst hörte R. Aha b. Jaqob, wie sein Sohn den Segen sprach: ‚Das er mich nicht zu einem Unwissenden gemacht hat.‘ Da sprach er zu ihm: Auch dies noch! Jener fragte: Wie denn sollte der Segen lauten? - ‚Daß er mich nicht zu einem Sklaven gemacht hat.‘ - Das ist ja dasselbe, was ‚ein Weib‘! ? - ein Sklave [sein] ist verächtli‐ cher.“ 125 Dem Dank liegt jeweils die Vorstellung zu Grunde, „that birth to a large extent de‐ termines one’s destiny or roles and status in society.“ 126 Gal 3,28 will ein anderes Bild zeichnen, wie die folgende Analyse der einzelnen (Gegensatz-)Paare aufzeigen wird. 1.4.1 οὐκ ἔνι Ἰουδαῖος οὐδὲ Ἕλλην (Gal 3,28a) „This was how the Jew saw the world, as divided into two categories - the Jews and everyone else.“ 127 Dass Ἕλλην weniger speziell die Griechen als vielmehr sämtliche nicht-jüdischen Völker meint, scheint offensichtlich, ob jedoch die Pointe des Gegenübers in der Nationalität oder aber in der anderen Religions‐ zugehörigkeit liegt oder ob auf beide gleichermaßen abgehoben wird, ist inter‐ pretationsbedürftig mit Blick auf die Negation der Andersartigkeit. Aus jüdi‐ scher Perspektive, nämlich der einer exklusiven Volksreligion, sind beide Interpretationsmöglichkeiten vorstellbar bzw. wirkt eine Unterscheidung der beiden Kategorien eher künstlich. Mit Blick auf die beiden anderen Paarungen ist es jedoch durchaus von Bedeutung, ob auf eine rein gesellschaftlich-politi‐ sche oder aber eine religiöse Ebene angespielt wird, v. a. aber auf welche Weise die Negierung zu verstehen ist (οὐκ ἔνι). Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 110 <?page no="111"?> 128 Siehe ausführlich unter IV.3. 129 Gleich zu Eingang des Briefes stellt Paulus klar, dass er bezüglich der Beschneidung und der damit verbundenen Verpflichtungen sogar mit den Säulen in Jerusalem, von denen er sonst ganz unabhängig sei, völlig übereinstimmt (Gal 1 f). Die nun folgende Argu‐ mentation könnte man zusammenfassen mit: Christus hat von dem Gesetz befreit, an das die Beschneidung bindet. Lässt man sich nun dennoch beschneiden und versucht das Gesetz zu halten, dann läuft dies nicht nur ins Leere, sondern wirkt sich sogar negativ aus: ὅτι ἐὰν περιτέμνησθε, Χριστὸς ὑμᾶς οὐδὲν ὠφελήσει (Gal 5,2). 130 Viele alte Zeugen belegen für Gal 6,15 die Variante εν γαρ Χριστω Ιησου ουτε. Eine große Zahl von ihnen bieten zudem ισχυει alternativ zu εστιν - beides in Übereinstim‐ mung mit (und vermutlich als Angleichung entstanden an) Gal 5,6. 131 οὐ γάρ ἐστιν διαστολὴ Ἰουδαίου τε καὶ Ἕλληνος, ὁ γὰρ αὐτὸς κύριος πάντων (Röm 10,12). 1Kor 7,18 dagegen betont das Bleiben in dem einen oder dem anderen: περιτετμημένος τις ἐκλήθη, μὴ ἐπισπάσθω· ἐν άκροβυστίᾳ κέκληταί τις, μὴ περιτεμνέσθω. 132 So etwa noch Zahn, Galater, 188. Beide Dimensionen jüdischer Identität werden in der Beschneidung mani‐ fest, 128 die bekannterweise wenigstens Anlass, wenn nicht eines der Haupt‐ themen des Gal darstellt. 129 Konkret die Gegenüberstellung von Beschnittensein und Unbeschnittensein findet sich an zwei Stellen, und zwar in der Weise, dass der Unterscheidung nun jegliche Relevanz abgesprochen wird: ἐν γὰρ Χριστῷ Ἰησοῦ οὔτε περιτομή τι ἰσχύει οὔτε ἀκροβυστία (ἀλλὰ πίστις δι‘ ἀγάπης ἐνεργουμένη [Gal 5,6]); und noch als Steigerung kann verstanden werden: οὔτε γὰρ περιτομή τί ἐστιν οὔτε ἀκροβυστία (ἀλλὰ καινὴ κτίσις [Gal 6,15]). 130 Ver‐ gleichbare Aussagen finden sich zudem in anderen Paulusbriefen. 131 Stets wird deutlich, dass nicht die jüdische Nationalität - etwa im Kontext eines Vielnati‐ onenstaates - angesprochen ist, sondern die Religion: sowohl die Erwählung, als auch die damit verbundenen Pflichten. Die Verneinung kann also kaum die Abschaffung von Nationalitäten o. ä. im Blick haben. 132 Auch der nähere Kontext unseres Textes kreist um die Verheißung und in welchem Verhältnis diese zum für die Juden verpflichtenden Gesetz steht. Die voranstehenden Verse laufen dabei auf folgende Aussage hinaus: Diejenigen, welche an Christus glauben, sind sofern sie zuvor vom Gesetz betroffen waren nun von diesem befreit. Sich freiwillig dem Gesetz zu unterwerfen, also durch Beschneidung vom Heiden zum Juden zu werden, steht demnach der Bindung an Christus entgegen. Paulus erläutert dies im Anschluss näher mit Hilfe des Metaphernfeldes Vater / Erbe - Sohn / Knecht - Freie / Sklavin und greift damit das zweite Gegensatzpaar der Tradition auf: οὐκ ἔνι δοῦλος οὐδὲ ἐλεύθερος (3,28b). Doch bereits hier lässt sich festhalten: Die (religiöse) Einteilung der Menschen in Juden einerseits und Griechen als „Nicht-Juden“ andererseits ist grundlegend für das Selbstverständnis des jüdischen Glaubens - ihr Zeichen ist 1 Galater 3,23 - 29: Es gibt weder Jude noch Grieche. 111 <?page no="112"?> 133 Siehe etwa Martyn, Galatians, 376: „[…] the text presents […] a table on which certain pairs of opposites were named and identified as the elements that give to the cosmos its dependable structure. To pronounce the nonexistence of these opposites is to an‐ nounce nothing less than the end of the cosmos.“ 134 Siehe entsprechend Schlier, Galater, 173 f. 135 Eine durchaus bedenkenswerte Auslegung mit Verweis auf Gal 6,15, der ja bekanntli‐ cher Weise beginnt mit: οὔτε γὰρ περιτομή τί ἐστιν οὔτε ἀκροβυστία ἀλλὰ […]. 136 Auch wenn diese Vorstellung speziell auf Priesterlicher Theologie fußt, kann mit Blick auf die Verweigerung bzw. Beendigung der Tischgemeinschaft in Gal 2 nicht bestritten werden, dass sie ihre Wirkung entfaltet. die Beschneidung. Das Kommen Christi erschüttert diese Entscheidung kom‐ plett, indem Christus von dem Gesetz befreit, dem der Jude seit der Beschnei‐ dung unterworfen ist. Die Taufe ist dabei nicht nur Zeichen, sondern auch „Auslöser“ der neuen Realität für den Einzelnen, in welcher der Täufling in Christus eingetaucht wird - die alles erschütternde Christusbindung eingeht. Die Parallelisierung von Gal 3,28a-c über οὐκ ἔνι […] οὐδὲ […] legt nahe, dass eine endgültige Interpretation die Untersuchung aller drei Glieder zur Voraus‐ setzung hat. Erst danach kann entschieden werden, ob die Formulierung als Ende der bisherigen Welt, 133 neuer Äon 134 oder bereits als neue Schöpfung 135 zu verstehen bzw. erst für die Zukunft zu erwarten ist. Bezüglich οὐκ ἔνι Ἰουδαῖος οὐδὲ Ἕλλην lässt sich aber bereits hier festhalten, dass die Negation zwei Ver‐ hältnisbestimmungen betrifft: 1. Negierung des unterschiedlichen Status im Gottesverhältnis: Paulus stellt im Kontext von Gal 3 die erwählten, beschnittenen (und damit dem Gesetz ver‐ pflichteten) Juden zwar mehrmals den nichtbeschnittenen (damit aber auch nicht dem Gesetz unterworfenen) Griechen deutlich gegenüber, kommt aber zu dem (ernüchternden) Schluss, dass keiner von beiden vor Gott gerecht ist. Dies kann nur durch eine Bindung an Christus erreicht werden, welche beiden - in gleicher Weise - offensteht und beide unabhängig von ihrem vorherigen Status zu mündigen Erben der Verheißung macht. Als Negierung bzw. absolute Rela‐ tivierung der zuvor grundlegenden Unterscheidung zwischen erwähltem Juden und nichterwähltem Griechen ist auch 1Kor 7,17-20 zu interpretieren: ἡ περιτομὴ οὐδέν ἐστιν καὶ ἡ ἀκροβυστία οὐδέν ἐστιν […] (7,19) - ob beschnitten oder nicht, als Christusgläubige haben sie nun den gleichen Zugang und die gleiche Stellung als Erwählte vor Gott. 2. Negierung des bisherigen Verhältnisses zueinander: Diese neue soteriologi‐ sche Situation impliziert Auswirkungen auf das Verhältnis von denjenigen Juden und Heiden, welche Christen geworden sind. Aus jüdischer Sicht stand man bisher eigentlich in gar keinem Verhältnis zu Nichtjuden, da ein direkter Umgang zwangsläufig mit kultischer Verunreinigung einherging. 136 Jetzt aber Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 112 <?page no="113"?> 137 Der sog. Antiochenische Zwischenfall wird von Paulus nicht zufällig im Anschluss an das Aposteltreffen in Jerusalem geschildert, sondern vielmehr wird das spätere Ver‐ halten des Petrus als klarer Verstoß gegen den gemeinsamen Beschluss gebrandmarkt, nämlich den Heidenchristen (abgesehen von der Armenkollekte) keinerlei Auflagen zu machen. 138 Dunn, Galatians, 205, interpretiert die Negierung im Wesentlichen mit Bezugnahme auf das Gesetz: „‚Neither Jew nor Greek‘ means a oneness of Jew and Gentile in faith, without the law’s interposing between them to mark them off as distinct from each other.“ 139 Halter, Taufe, 114. Und er liefert damit ein sprechendes Beispiel dafür, dass die Negation lediglich auf die Dimension des jeweiligen Gottesverhältnisses der Paarung bezogen wird: „Die Taufe erweist kausativ und kognitiv, dass alle ungeachtet der innerweltlichen Unterschiede gleicherweise zum Heil berufen sind ‚durch Glauben‘.“ (a. a. O. 117). 140 Dunn, Galatians, 206, bestimmt das Verhältnis folgendermaßen: „The other two parallel phrases (the first precisely parallel) are probably intended as elaborations of the first“. 141 Rengstorf, Art. δοῦλος, 264. 142 So a. a. O. 265, der auch ausführlicher auf die sich durch Jahrhunderte ziehende Ge‐ ringschätzung gegenüber jeglichem Dienen (δουλεύειν) eingeht (a. a. O. 265-267). ist der Umgang miteinander bis hin zur uneingeschränkten Tischgemeinschaft nicht nur möglich, sondern sogar geboten und Petrus muss sich als Heuchler bezeichnen lassen, als er diesen Umgang beendet bzw. meidet. 137 Somit hat der Verzicht auf eine Verpflichtung der Heidenchristen auf das jüdische Gesetz Auswirkungen auch auf das Verhalten der Juden. 138 Obwohl auch weiterhin dem Gesetz folgend, gilt die Befreiung vom Gesetz durch Christus auch ihnen und indem sie dem Gesetz nicht mehr wehrlos unterworfen sind, ändern sich auch die Maxime im Umgang mit bestimmten Verordnungen des Gesetzes, mindes‐ tens denen, die sich auf Heiden beziehen - ihre neuen Glaubensgeschwister. Nach Hans Halter „hätte es im Blick auf die Situation der galatischen Ge‐ meinde(n) genügt, wenn Pls nur die erste Unterscheidung genannt hätte.“ 139 Ob die beiden anderen (Gegensatz-)Paarungen doch noch Weiteres beitragen, 140 haben die folgenden Abschnitte aufzuzeigen. 1.4.2 οὐκ ἔνι δοῦλος οὐδὲ ἐλεύθερος (Gal 3,28b) Die Einteilung der Menschen in Sklaven und Freie ist ähnlich grundlegend ge‐ gensätzlich für die antike Gesellschaft wie die in Juden und Nicht-Juden aus Sicht ersterer und beinhaltet verschiedene soziale, rechtliche und auch kultische Komponenten, die sich in der griechischen und jüdischen Gesellschaft im Detail unterscheiden mögen, allerdings gleiche Grundzüge zeigen: „Der Grieche findet seine persönliche Würde darin, daß er frei ist.“ 141 ὁ δοῦλος ist dagegen der Un‐ freie, Abhängige, Eingeschränkte - derjenige, dem ein fremder Wille aufge‐ zwungen wird und der anderen zu dienen hat. Er stellt den „Antitypus“ dar, abgelehnt und verachtet. 142 „In the end, slavery is best understood as a combi‐ 1 Galater 3,23 - 29: Es gibt weder Jude noch Grieche. 113 <?page no="114"?> 143 Harrill, Slavery, 585. 144 Im Vergleich zu anderen antiken Völkern bezeugt die Hebräische Bibel für das Judentum jedoch „die am weitesten entwickelte Schutzgesetzgebung für ihre Sklaven“, Herr‐ mann-Otto, Sklaven, 98. 145 Zur Lebensrealität eines Sklaven zu neutestamentlicher Zeit siehe Phlm, Lk 12,35-38; 17,7-10. Einen guten Überblick, nicht zuletzt über die unterschiedlichen Varianten von Sklaverei und den davon abhängigen Möglichkeiten, aus diesem Besitzverhältnis frei‐ gelassen zu werden, bietet Herrmann-Otto, Sklaven, 95-99. 146 Billerbeck, II. Markus, 562. Billerbeck führt dazu sehr eindrücklich als Beispiel von Sklaven geleistete Gelübde an, welche schlichtweg ungültig waren, „verminderten diese die Leistungen des Sklaven zuungunsten des Herrn“. Ähnliches gilt für zeitliche Ver‐ pflichtungen, wie etwa die Teilnahme an bestimmten Festen, auch gilt: „Herrendienst geht vor Gottesdienst“ (ebd.). Entsprechend interpretiert Rab Huna Ex 23,17 dahinge‐ hend, dass der dreimalige Tempelbesuch im Jahr nur für diejenigen verpflichtend ist, welche „nur einen Herrn“ haben (Chag 4a). Wie sich noch zeigen wird, sind Sklaven in ihrer Religionsausübung damit ähnlich „freigestellt“ bzw. eingeschränkt wie Frauen. 147 Siehe z. B. das Gleichnis vom sog. Schalksknecht (Mt 18,21-35), die Belehrung über den Lohn des Knechts ([…] λὲγετε ὅτι δοῦλοι ἀχρεῖοί ἐσμεν, ὁ ὠφείλομεν ποιῆσαι πεποιήκαμεν [Lk 17,7-10]) sowie die bildliche Rede von den Kindern Abrahams und den Knechten der Sünde (ὅτι πᾶς ὁ ποιῶν τὴν ἁμαρτίαν δοῦλός ἐστιν τῆς ἁμαρτίας […]). nation of violence, social death, and dishonor in a dynamic process that begins with enslavement (from multiple sources) and ends either with biological death or manumission“. 143 Auch im Judentum hebt δοῦλος, als Übersetzung von דבע , im Wesentlichen auf das Abhängigkeits- und Dienstverhältnis des so Bezeichneten ab, 144 wobei sowohl das zwischenmenschliche Verhältnis als auch die Gottesbeziehung davon beeinflusst wird. Konkret heißt dies, dass ein Sklave als Besitz angesehen wird. 145 Im Kultus setzt sich die Fremdbestimmung fort: Geht ein Sklave in den Besitz eines Juden über, wird er zwangsweise beschnitten, „jedoch hört die Ver‐ bindlichkeit der Gebote für den Sklaven im Allgemeinen da auf, wo ihre Erfül‐ lung das Recht des Herrn auf seine Arbeitskraft empfindlich geschmälert hätte.“ 146 Diese absolute Abhängigkeit vom Herrn ist auch die allgemeine Pointe der Äußerungen und Bilder, in denen Jesus Sklaven erwähnt, z. B. Οὐκ ἔστιν […] δοῦλος ὑπὲρ τὸν κύριον αὐτοῦ (Mt 10,24). 147 In den (paulinischen) Gemeinde‐ briefen jedoch erscheint das Thema Sklave bzw. Sklaverei an den wenigen Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 114 <?page no="115"?> 148 Rengstorf, Art. δοῦλος, 275, spricht von einer „relative[n] Uninteressiertheit des Neuen Testaments an der sozialen Tatsache der Sklaverei“, und hebt dabei einerseits auf die wenigen die Sklaverei thematisierenden Texte ab, und andererseits auf die Tatsache, dass weder Paulus (inkl. Pastoralbriefe) noch 1Petr auf eine Änderung oder gar Ab‐ schaffung der Sklaverei dringen. Selbst der die Sklaverei am ausführlichsten themati‐ sierende Brief, der Philemonbrief, lässt gerade keine andere Absicht erkennen. Grund dafür sei nicht etwa die Weltfremdheit der jungen Kirche, sondern „die erlösende Tat Jesu, die allen Menschen ohne Unterschied des Standes und der Herkunft in der gleichen Weise gilt, weil sie alle sie gleich nötig haben.“ (ebd.). Zudem kann gefragt werden, ob die geringe Zahl der sklavenbetreffenden Stellen in den paulinischen Briefen überhaupt interpretationsbedürftig ist, da sie damit ganz auf der Linie der griechisch-römischen Literatur liegen: „There is little about slaves.“ (Har‐ rill, Slavery, 585). 149 Offensichtlich hatten einzelne christliche Sklaven die Hoffnung, dass die Gemeinde finanziell für ihren Freikauf aufkommt, was Ignatius negativ bescheidet: […] μὴ ἐράτωσαν ἀπὸ τοῦ κοινοῦ ἐλευθεροῦσθαι, ἵνα μὴ δοῦλοι εὑρεθῶσιν ἐπιθυμίας - „[…] Sie sollen nicht darauf brennen, auf Gemeindekosten frei zu werden, damit sie nicht als Sklaven der Begierde erfunden werden.“ (IgnPol 4,3, Übersetzung Henning Paulsen). Inwieweit sich die Sklaven auf Gal 3,28b bezogen, mag Spekulation bleiben, der Brief‐ kontext macht jedoch deutlich, dass die Frage eng verbunden ist mit dem von der ge‐ sellschaftlichen Norm abweichenden innergemeindlichen Umgang, für den Ignatius durchaus einfordert: „Sklaven und Sklavinnen behandle nicht von oben herab. Aber auch sie sollen nicht hochmütig sein, sondern zur Ehre Gottes noch mehr Sklavendienst leisten, damit sie eine bessere Freiheit von Gott erlangen […]“ (Ign Pol 4,3, vgl. dazu die christlichen Haustafeln, aber auch 1Kor 7,17-24). 150 Siehe ausführlich in Anm. 153. 151 Siehe etwa Röm 1,1 (Παῦλος δοῦλος Χριστοῦ Ἰησοῦ); Gal 1,10; Phil 1,1; Tit 1,1. 152 Siehe v. a. Röm 6,16-23; aber auch Gal 5,1. Stellen, 148 wo es erwähnt wird, unter einem anderen Vorzeichen: ἕκαστος ἐν ᾧ ἐκλήθη, ἀδελφοί, ἐν τούτῳ μενέτω παρὰ θεῷ (1Kor 7,21). Diese und andere Pas‐ sagen, nicht zuletzt Phlm, machen deutlich: Die Sklaverei als gesellschaftliche Institution wird grundsätzlich nicht in Zweifel gezogen, auch wenn eine spätere Notiz des Ignatius - zumindest was die Hoffnung christlicher Sklaven betrifft - dahingehend gedeutet werden kann. 149 Umso dringender bedarf es aber einer Regelung des Verhältnisses und des Umgangs zwischen Herren und Sklaven innerhalb der christlichen Gemeinschaft, wo beide gleich als ἀδελφοί angespro‐ chen werden und gelten. Entsprechende Bestimmungen finden sich dezidiert in den sogenannten Haustafeln. 150 Daneben verwendet Paulus ὁ δοῦλος in metaphorischer Weise, um sein ei‐ genes Verhältnis gegenüber Christus zu beschreiben, 151 aber auch für Menschen, die unter einer bestimmten Macht stehen, etwa unter der Macht der Sünde. 152 Auch hier liegt der Fokus deutlich auf dem „tun-müssen,-was-ein-an‐ derer-sagt,-auch-wenn-man-anders-möchte“ - dem völligen Ausgeliefertsein dem Herrn gegenüber. 1 Galater 3,23 - 29: Es gibt weder Jude noch Grieche. 115 <?page no="116"?> 153 Kol 3,22-4,1: „Οἱ δοῦλοι, ὑποκούετε κατὰ πάντα τοῖς κατὰ σάρκα κυρίοις, μή ἐν ὀφθαλμοδουλίᾳ ὡς ἀνθρωπάρεσκοι […] Οἱ κύριοι, τὸ δίκαιον καὶ τὴν ἰσότητα τοῖς δούλοις παρέχεσθε […]“; Eph 6,5-9: „Οἱ δοῦλοι,ὑπακούετε τοῖς κατὰ σάρκα κυρίοις […] Καὶ οἱ κύριοι, τὰ αὐτὰ ποιεῖτε πρὸς αὐτούς […]“; über die weitestgehend synonym verwendeten οἰκέται heißt es in 1Petr 2,18-21(22-25): „Οἱ οἰκέται ὑποτασσόμεναι ἐν παντὶ φόβῳ τοῖς δεσπόταις …“ (Hier fehlt die Ermahnung an die δεσπόται - möglicherweise auf Grund des kontextuellen Fokus auf erlittenem Un‐ recht.). 154 Man denke an die eingeschränkte Kultverpflichtung, aber auch -fähigkeit eines Sklaven, welcher durch den Anspruch des Herrn auf seine Arbeitskraft begrenzt ist. 155 Die Stelle wird zugegebenermaßen kontrovers diskutiert, da die uneindeutig bleibende Bezugnahme von μᾶλλον χρῆσαι unterschiedliche, geradezu gegensätzliche Überset‐ zungen und Interpretationen zulässt und in der Forschungsgeschichte auch immer wieder hervorgebracht hat: Soll das Sklavendasein oder aber die Chance zur Freilassung genutzt werden? Siehe dazu Schrage, Korinther II, 139 f, der neben sprachlichen auch kontextuelle Aspekte diskutiert; aber auch Harrill, Slavery, 586-588, welcher vertieft auf den Sprachgebrauch der Formulierung im antiken Griechisch eingeht. M. E. wird eine gedankliche Ergänzung von τῇ ἐλευθερίᾳ der Satzstellung, der sozialgeschichtli‐ chen Situation wie auch der Argumentation des Abschnittes am ehesten gerecht: Εἰ μὴ ἑκάστῳ ὡς ἐμέρισεν ὁ κύριος, ἕκαστον ὡς κέκληκεν ὁ θεός, οὕτως περιπατείτω (1Kor 7,17) - Ob du nun Sklave bist oder die Chance bekommst, freigelassen zu werden, lebe gemäß deiner Situation und Position (vgl. Schrage, Korinther II, 140). Sieht man sich derartige Texte an, in denen die Situation und das entspre‐ chende Verhalten des Sklaven (unter christlichen Vorzeichen) genauer be‐ leuchtet werden, so wird deutlich, dass es stets um die Verhältnisbestimmung zum jeweiligen Herrn, κύριος, geht. 153 Im Blick ist demnach der Sklave als Be‐ sitztum seines Herrn, nicht aber im allgemeinen Vergleich zu einem Freien - anders allerdings in Gal 3,28b: οὐκ ἔνι δοῦλος οὐδὲ ἐλεύθερος. Eine Sonderstel‐ lung nimMt 1Kor 7,21-24 ein. Auf die Frage, ob ein Sklave versuchen soll frei‐ zukommen, möglicherweise mit dem Unterton formuliert, ob es nötig ist, ein Freier zu sein, 154 antwortet Paulus: δοῦλος ἐκλήθης, μή σοι μελέτω. ἀλλ‘ εἰ καὶ δύνασαι ἐλεύθερος γενέσθαι, μᾶλλον χρῆσαι (1Kor 7,21). 155 Er setzt die Ebene des profanen Sprachgebrauchs in ein Verhältnis zu ihrer religiösen Bedeutung und transzendiert darin die irdischen Lebensverhältnisse auf die Christusbezie‐ hung hin: ὁ γὰρ ἐν κυρίῳ κληθεὶς δοῦλος ἀπελεύθερος κυρίου ἐστίν, ὁμοίως ὁ ἐλεύθερος κληθεὶς δοῦλος ἐστὶν Χριστοῦ (1Kor 7,22). Erstaunlicherweise schließt Paulus den Abschnitt aber nicht nur mit der (für die Sklaven wohl be‐ ruhigenden) Bemerkung: ἔκαστος ἐν ᾧ ἐκλήθη, ἀδελφοί, ἐν τούτῳ μενέτω παρὰ θεῷ (1Kor 7,24), sondern ermahnt auch nachdrücklich (vermutlich an beide ge‐ wandt): τιμῆς ἠγοράσθητε· μὴ γίνεσθε δοῦλοι ἀνθρώπων (1Kor 7,23). Das Phänomen, dass Paulus das zunächst profane Gegenüber Sklave - Freier als bildgebenden Bereich für eine metaphorisch-religiöse Argumentation ver‐ Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 116 <?page no="117"?> 156 Vgl. dazu auch die bereits angestellten Untersuchungen zu einer Existenz „ὑπὸ xy“ - begrenzt und eingesperrt (siehe unter III.1.2 ὑπὸ νόμον [Gal 3 f]). 157 Wenn die Ausführungen auch rein allegorischer Natur sind, so fußt die Bildebene den‐ noch auf klaren, allgemeinen rechtlichen Regelungen, nämlich dem Völkergemeinrecht der Sklavengeburt: „Jedes Kind, das von einer unfreien Mutter geboren wird, ist ein Sklavenkind, da es dem Status der Mutter folgt“, Herrmann-Otto, Sklaven, 95. 158 Offensichtlich sind zunächst τὰ ἀσθενῆ καὶ πτωχὰ στοιχεῖα gemeint, welche es ohnehin nicht wert sind, dass man ihnen dient. Doch dahinter stehen die konkreten Personen, welche darauf hinwirken, dass man Feiertage einhält etc. (vgl. 1Kor 7,23). wendet, findet sich nun auch in Gal 3 f wieder: Zunächst handelt er ausführlich über die Befreiung vom Gesetz durch Christus. 156 Noch konkreter baut er das Motiv direkt im Anschluss an unseren Text in Kapitel 4 aus, wo er den unmün‐ digen Sohn, also den Freien, mit dem Sklaven vergleicht (Gal 4,1-7): […] οὐδὲν διαφέρει δούλου (Gal 4,1). Zielpunkt des Vergleiches ist der Zugang zu dem zuvor genannten Erbe: εἰ δὲ ὑμεῖς Χριστοῦ, ἄρα τοῦ Ἀβραὰμ σπέρμα ἐστέ, κατ᾽ ἐπαγγελίαν κληρονόμοι (Gal 3,29). Dass ein Sklave keinen Anspruch auf das Erbe erheben kann, ist unbestritten, dass sich der unmündige Sohn jedoch in der gleichen Situation befindet, ist überspitzt formuliert, wohl aber um die Ra‐ dikalität der Situation herauszustreichen: Zwar sind die Erwählten unbestritten Kinder Abrahams, dennoch gleicht ihre Lage der des fremdbestimmten Sklaven, solange sie unmündig sind - kontrolliert und „bevormundet“ durch das Gesetz. Befreit Christus nun aus dieser Abhängigkeit, bedeutet dies für diejenigen, welche „des Christus sind“ (εἰ δὲ ὑμεῖς Χριστοῦ [3,29]), das tatsächliche Mün‐ digwerden. Diese Aussage findet sich so bereits im Bild des παιδαγωγός (3,24 f). Was der Vergleich Sohn - Sklave darüber hinaus leistet, ist die Vorstel‐ lung, dass ein bloßes Warten auf das Mündigwerden nicht ausreicht, sondern es der Befreiungstat Christi zwangsläufig bedurfte, um die volle Kindschaft und damit das Erbe zu erlangen. Auch in der folgenden ausführlichen Allegorie zu den Müttern der beiden Söhne Abrahams (Gal 4,21-31): ἡ παιδίσκη (= Ἁγάρ) und ἡ ἐλευθέρα wird der grundlegende Gegensatz frei / unfrei erneut unterstrichen. 157 Ihre Erben gehören zwei unterschiedlichen Bundesschlüssen (Gal 4,24: δύο διαθῆκαι) an: Einerseits gibt es die „Geknechteten“ vom Berg Sinai, also diejenigen, welche dem Gesetz unterworfen sind, und andererseits die nach dem Geist Gezeugten, die eigent‐ lichen Erbberechtigten. Und wie der Abschnitt ein weiteres Mal mit der rheto‐ rischen Frage eingeleitet wurde, wie man sich als Befreite freiwillig wieder einer Macht zum Dienst unterwerfen könne (Gal 4,8 f), 158 so endet auch diese Argu‐ mentation erneut mit der Feststellung: διό, ἀδελφοί, οὐκ ἐσμὲν παιδίσκης τέκνα ἀλλὰ τῆς ἐλευθέρας (Gal 4,31). Das sich anschließende leidenschaftliche Plä‐ doyer verfolgt weiter auf metaphorischer Ebene die Freiheit-Unfreiheit-The‐ 1 Galater 3,23 - 29: Es gibt weder Jude noch Grieche. 117 <?page no="118"?> 159 Betz, Galaterbrief, 436, schreibt ausgehend von Gal 5,1: „Daraus ergibt sich, daß ‚Frei‐ heit‘ (ἐλευθερία) der zentrale theologische Begriff ist, der die Situation des Christen sowohl vor Gott als auch in dieser Welt zusammenfassend ausdrückt.“ matik mit zwei Spitzenaussagen: 1) Mit der Beschneidung unterwirft man sich dem Gesetz und hat diesem dann auch zu dienen. 2) Die im Gesetz erhoffte Gerechtigkeit hat keinerlei Relevanz für jemanden „in Christus Jesus“, denn ἐν γὰρ Χριστῷ Ἰησοῦ οὔτε περιτομή τι ἰσχύει οὔτε ἀκροβυστία ἀλλὰ πίστις δι’ ἀγάπης ἐνεργουμένη (5,6). Sämtliche Stellen in Gal, an denen ein δοῦλος erwähnt wird, zeichnen ihn als Fremdbestimmten, Eingeschränkten, Nicht-Erbberechtigten - das Gegenüber zum mündigen, freien, erbberechtigten Sohn. Dies stützt die anfängliche These, dass auch οὐκ ἔνι δοῦλος οὐδὲ ἐλεύθερος (Gal 3,28b) das Gegenüber Nicht-Freier - Freier fokussiert und verneint, nicht also das Verhältnis Sklave - Herr. Wie ist οὐκ ἔνι aber nun zu deuten? Die paulinische Argumentation ver‐ wendet das (Un-)Freiheitsmotiv in Gal in ganz unterschiedlichen Zusammen‐ hängen und auf verschiedenen metaphorischen Ebenen 159 - auf welcher dieser Ebenen existiert der Gegensatz Unfreier - Freier nun seit der Taufe nicht mehr? Wie bereits bei οὐκ ἔνι Ἰουδαῖος οὐδὲ Ἕλλην (Gal 3,28a) sind zwei mögliche Verhältnisbestimmungen in den Blick zu nehmen: das Verhältnis zu Gott oder das untereinander. 1. Negierung des unterschiedlichen Status im Gottesverhältnis: Christi Befrei‐ ungstat erweist sich als notwendig und ausreichend für jeden, gleich welcher rechtlichen und sozialen Stellung - Freie wie Sklaven befreit er vom Gesetz und schenkt er die gleiche Kindschaft (Gal 4,4 f). Dennoch wirkt sie sich unter‐ schiedlich aus: Ein freier Jude ist dem Gesetz komplett unterworfen gewesen. Nun ist er vom Zwang, den das Gesetz ihm auferlegt, befreit. Der jüdische, ggf. zwangsproselytische Sklave war zwar nicht dem gesamten Gesetz verpflichtet, in seiner Glaubensausübung aber ggf. durch gegenteilige Entscheidungen seines Herrn beschränkt. Wird das Gottesverhältnis nun grundlegend und ganz neu allein über (das Verhältnis zu) Christus definiert, erleben beide, je nach vorhe‐ riger Beschränkung, Befreiung und werden beide - in gleicher Weise - als Söhne und Erben eingesetzt: εἰ δὲ ὑμεῖς Χριστοῦ, ἄρα τοῦ Ἀβραὰμ σπέρμα ἐστέ, κατ᾽ ἐπαγγελίαν κληρονόμοι (Gal 3,29, vgl. auch Gal 4,5-7). 1Kor 7 bringt die neue Unerheblichkeit des Frei- oder Sklaveseins für das Gottesverhältnis besonders pointiert zum Ausdruck: Ist man Sklave, so verstehe man sich als ἀπελεύθερος κυρίου (1Kor 7,22), und ist man Freier, so erinnere man sich stets daran, δοῦλος ἐστιν Χριστοῦ (1Kor 7,24). Im Verhältnis zu Gott gibt es keinen Unterschied mehr. Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 118 <?page no="119"?> 160 Die rechtliche Situation bleibt unberührt: Der Sklave bleibt seinem ob christlichen oder nichtchristlichen Herrn in gleicher Weise verpflichtet und der Herr behält unverändert die Rechte an seinem „Besitz“. Die jeweilige Motivation ist allerdings eine andere: Der Dienst eines Sklaven am irdischen Herrn soll in Wahrheit Christus gelten (siehe Kol 3,22-25). Der Herr ist angehalten, seinem Sklaven innerhalb der gesell‐ schaftlichen Gegebenheiten (immerhin) Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, einge‐ denk der Tatsache, dass sein Herr ihm wesentlich hat zugutekommen lassen (siehe Kol 4,1). 161 Bereits bei den beiden vorangehenden Paaren, besonders aber bei diesem dritten muss irgendwann die Frage gestellt werden, ob eine Aufhebung der Unterschiede - auf wel‐ cher Ebene auch immer - wünschenswert wäre. Erinnert sei an dieser Stelle noch einmal an die bereits oben zitierten Dankgebete „Dass er mich nicht zu einem Nicht‐ juden gemacht hat …“ (siehe ausführlich zitiert unter III.1.4), die den - bleibenden - Unterschied durchaus zu würdigen wissen. 2. Negierung des bisherigen Verhältnisses zueinander: Gal enthält keine Haus‐ tafel und thematisiert auch sonst nicht auf profaner Ebene das Verhältnis von Herren und Sklaven. Dass sich das unterschiedslose Gottesverhältnis von christ‐ lichen Sklaven und Herren auf das Miteinander auswirken soll, kennen wir aus späteren deutero- und nichtpaulinischen Briefen. 160 Hat Paulus den zwischen‐ menschlichen, Herrschaftsverhältnisse betreffenden Bereich und die Auswir‐ kungen Christi auf diesen hier demnach nicht im Blick? Ein Widerspruch zwi‐ schen der gesellschaftlichen Institution der Sklaverei und dem christlichen Glauben wird m. E. nicht aufgezeigt, wohl aber die Unmöglichkeit einer er‐ neuten freiwilligen Versklavung: Wenn auch der Befreiungsdiskurs auf meta‐ phorischer Ebene geführt wird (Beschneidung führt zur Versklavung unter das Gesetz), so stehen doch auch konkrete zwischenmenschliche Herrschafts- und Abhängigkeitsverhältnisse dahinter, welchen die Galater in Gefahr sind, sich neu zu unterwerfen. Τῇ ἐλευθερίᾳ ἡμᾶς Χριστὸς ἠλευθέρωσεν (Gal 5,1). Dies ist nicht vereinbar mit einer freiwilligen Unterwerfung unter das Gesetz, mit zusätzlichen Forderungen und damit letztlich mit denjenigen, welche diese er‐ heben. ὥστε οὐκέτι εἰ δοῦλος (Gal 4,7) - also solle man sich nicht selbst dazu machen. Im Verhältnis untereinander kann und darf es keinen Unterschied, kein Gefälle geben. 1.4.3 οὐκ ἔνι ἄρσεν καὶ θῆλυ (Gal 3,28c) Wie in den beiden voranstehenden Paarungen handelt es sich bei der Polarität der Geschlechter um eine der grundlegendsten Unterscheidungen nicht allein der antiken Gesellschaft. Die Überwindung scheint zunächst noch unvorstell‐ barer und fraglicher als die der beiden anderen Paare, 161 da es sich bei der Schei‐ dung der Menschheit in männlich und weiblich um eine in der Schöpfung grundgelegte und gesegnete Statute handelt. Daraus erwächst die Frage, ob der 1 Galater 3,23 - 29: Es gibt weder Jude noch Grieche. 119 <?page no="120"?> 162 Witherington III, Rite, 597 f. So auch Oepke, ἀνήρ, 364: „Die betonte sexuelle Differen‐ zierung […] bezeichnet die biblische Gräzität meist durch ἄρσεν und θῆλυ …“. 163 Gen 1,27 BHS: … רכז הבקנו הרב םתא . 164 Westermann, Genesis 1, 221. Er schlussfolgert später sogar: „Jede theoretische und jede institutionelle Sonderung von Mann und Frau, jede betonte Abhebung des Männlichen vom Weiblichen kann gefährden, was hier vom Geschaffensein des Menschen gesagt ist.“ (ebd.). 165 Dem wird oft Gen 2,21 f entgegen gehalten, wo םדא und השא scheinbar nicht aus gleichem Material und damit nicht auf gleiche Weise geschaffen werden, sondern sie aus einer seiner Rippen. Eine solche Argumentation verkennt allerdings die Pointe der Erzählung, in welcher Gott dem םדא einen Gefährten schaffen will, die Tiere als un‐ passend abgelehnt werden und erst für השא gilt: תאז םעפה םצע ימצעמ רשבו ירשבמ - „Das ist Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch.“, was be‐ deutet, dass sie in diesem Sinne wie er ist. Bruch des parallelen Aufbaus darauf hinweist, dass gar nicht die Negierung des Gegensatzes im Blick ist. Dieses dritte Paar erweist sich als das umstrittenste und vielfältigst diskutierte - vermutlich auch deshalb, weil es in den beiden Parallelüberlieferungen der Formel fehlt. Was lässt sich also zunächst an si‐ cheren Beobachtungen festhalten? Anstatt des kontrastierenden οὐδέ, wird hier das verbindende καί verwendet. Während es sich bei Ἰουδαῖος/ Ἕλλην und δοῦλος/ ἐλεύθερος um Substantive handelt, begegnen mit ἄρσεν und θῆλυ Adjektive. Außerdem ist festzuhalten: „The adjectives ἄρσεν and θῆλυ are not the ordinary terms used to speak of man and woman, but they are specifically used to emphasize the gender distinction, male and female.“ 162 Ob dieser Parallelitätsbruch inhaltliche, das Paar betreffende Gründe hat, muss diskutiert werden angesichts der Beobachtung, dass es sich hierbei um die gleiche Formulierung handelt, welche die LXX in Gen 1,27 bietet: καὶ ἐποίησεν ὁ θεὸς τὸν ἄνθρωπον, κατ‘ εἰκόνα θεοῦ ἐποίησεν αὐτόν, ἄρσεν καὶ θῆλυ ἐποίησεν αὐτούς. 163 Der priesterschriftliche Schöpfungsbericht spricht also von der Erschaffung der Menschheit in zwei Geschlechtern, wobei ge‐ meinhin darin weniger eine Betonung der Gegensätzlichkeit, als vielmehr der Zusammengehörigkeit gesehen wird: „Der Mensch ist hier als ein Gemein‐ schaftswesen, als ein zu zweit Existierender gesehen, und so etwas wie Mensch‐ lichkeit kann es dann auch nur bezogen auf den zu zweit existierenden Men‐ schen geben.“ 164 Zudem wird für beide in gleicher Weise 165 die Gottebenbildlichkeit (Gen 1,26 f) festgestellt. Darin unterscheiden sich die Men‐ schen bekanntlicherweise von sämtlichen anderen Geschöpfen, über welche sie dann auch einen Herrschaftsauftrag (Gen 1,28) erhalten. Verbunden ist dieser wiederum mit dem Fortpflanzungsauftrag (Gen 1,28), welcher wiederum auf der Zweigeschlechtlichkeit fußt. Dies alles wird von Gott nicht nur als καλά (vgl. u. a. Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 120 <?page no="121"?> 166 Vgl. dazu die Ebenbildlichkeitsaussage in Kol 3,10: καὶ ἐνδυσάμενοι τὸν νέον τὸν ἀνακαινούμενον εἰς ἐπίγνωσιν κατ’ εἰκόνα τοῦ κτίσαντος αὐτόν. Direkt darauf folgt in Kol 3,11 bekannterweise die negierte Gegensatz-, samt Einheitsaussage: ὅπου οὐκ ἔνι Ἕλλην καὶ Ἰουδαῖος, περιτομὴ καὶ ἀκροβυστία, βάρβαρος, Σκύθης, δοῦλος, ἐλεύθερος, ἀλλὰ [τὰ] πάντα καὶ ἐν πᾶσιν Χριστός. 167 Neben Gen 1,26 f (und teilweise davon abhängig) Gen 5,1-3; Gen 9,6; Weish 2,23 und Sir 17,3. In eine ähnliche Richtung geht Ps 8,6. 168 Frevel, Ebenbild, 135. 169 A. a. O. 133 f. Die drei grundsätzlichen Implikationen rabbinischer Auslegung stehen zu einer solchen Deutung allerdings in einer gewissen Spannung: Denn einerseits wird über die Macht des Menschen gestaunt und daraus ein moralischer Anspruch abgeleitet, andererseits aber auch „die wesentliche Heiligkeit und die sich daraus ergebende Würde aller Menschen, ohne Unterschied“ betont (so Plaut, Tora, 75), welche aus einer rein funktionalen Bestimmung kaum abgeleitet werden kann. 170 Baeck, Judentum, 180, schreibt dazu: „Über jeglicher Abgrenzung von Rassen und Völ‐ kern, von Kasten und Klassen, von Bezwingenden und Dienenden, von Gebenden und Empfangenden, über aller Abgrenzung auch von Gaben und Kräften steht die Gewißheit ‚Mensch‘. Wer immer Menschenantlitz trägt, ist geschaffen und berufen, eine Offenba‐ rung der Menschenwürde zu sein.“ Gen 1,4. 10. 12), sondern sogar als καλὰ λίαν (Gen 1,31) beurteilt. Will Gal 3,28c bewusst auf Gen 1,27 verweisen, so rückt neben der ge‐ schlechtlichen Zweiteilung also v. a. die Gottebenbildlichkeit 166 in den Fokus. Diese im AT explizit nur selten 167 vorkommende Aussage kann dennoch als „Spitzenaussage der bibl. Anthropologie“ 168 bezeichnet werden. Aus der Königs‐ ideologie entstammend wird die Aussage in exilischer Zeit ‚demokratisiert‘, d. h. auf alle Menschen übertragen, wobei Exegeten heute meist betonen, dass es sich dabei um eine funktionale und nicht etwa qualitative Bestimmung handelt. 169 Jedoch steht hinter den beiden in Gen 1,26 f verwendeten hebräischen Vokabeln für „(Eben-)Bild“, nämlich םלצ und תומד , eine lange und v. a. vielfältige Tra‐ ditionsgeschichte, welche immer wieder auch Anlass zu qualitativen Deutungen gibt. Gerät aber die wesentliche Ähnlichkeit mit Gott in den Blick, so bietet sich Gen 1,27 an, diese für Männer und Frauen, und im Weiteren für alle Menschen, wie unterschiedlich sie auch sein mögen, in gleicher Weise zu betonen. 170 Zwei Aspekte kommen also in Frage, auf welche Gal 3,28c mit der bewussten Aufnahme von Gen 1,27 verweisen könnte: 1) Die Erschaffung des Menschen in seiner Zweigeschlechtlichkeit, die neben der Unterscheidung aber v. a. auf die ge‐ 1 Galater 3,23 - 29: Es gibt weder Jude noch Grieche. 121 <?page no="122"?> 171 Nicht zuletzt der Fortpflanzungsauftrag macht die Notwendigkeit beider in ihrer Un‐ terschiedlichkeit, aber auch in ihrem Aufeinanderangewiesensein und damit grundle‐ genden Verbindung deutlich. Eine ähnliche Aussage bietet ja auch der nicht-priester‐ schriftliche Schöpfungsbericht: Indem sie תאז םעפה םצע ימצעמ רשבו ירשבמ (Gen 2,23) ist, sind beide nicht nur von „selben Material“, sondern gehören auch zu‐ sammen und zwar nicht nur wie Tier und Mensch, sondern eben: תאזל ארקי השא יכ שאמ תאז־החקל (Gen 2,23). 172 Εἴτε … εἴτε … anstatt οὐκ ἔνι … οὐδέ … und das zweite Paar im Plural. 173 Zitiert nach Witherington III, Rite, 593. Siehe auch Exodus Rabbah Beshallah 21.4: Rabbi Judah ben Shalom „If a poor man says anything, one pays little regard; but if a rich man speaks, immediately he is heard and listened to. Before God, however, all are equal: women, slaves, poor, and rich.” 174 Dieses Zitat findet sich str. III 92,2 bei GCS Clemens Alexandrinus, 2,238,10-30 (Über‐ setzung Stählin / Früchtel / Treu, in: Markschies / Schröter, Apokryphen I.1, 671). Siehe auch EvThom 22 über den Eingang ins Königreich: Jesus spricht: „… damit ihr das Männliche und das Weibliche zu einem einzigen macht, auf daß das Männliche nicht mehr männlich und das Weibliche nicht mehr weiblich sein wird.“ (Übersetzung Hans-Gebhard Bethge, in: Markschies / Schröter, Apokryphen I.1, 511). genseitige Zuordnung und damit Verbindung abhebt, 171 2) die für alle Menschen ausgesagte Gottebenbildlichkeit. Die Scheidung und grundlegende Zueinander‐ ordnung des Menschen als männlich und weiblich ist als Gottes Schöpfungs‐ werk ( ארב [Gen 1,27]) notwendig und zudem von ihm gesegnet und für sehr gut befunden. Wie kann dies verneint oder gar aufgehoben werden? Hinzu tritt der Befund, dass sich dieses Paar nicht an den beiden anderen Stellen findet, wo die Formel verwendet wird - weder in 1Kor 12,13 noch in Kol 3,11. Konnte man sich die Negierung der Zweigeschlechtlichkeit nicht vor‐ stellen? Oder dass das Gen 1,27-Zitat aus der grammatikalischen Parallelfüh‐ rung ausbrach? Gegen Letzteres spricht, dass bereits 1Kor 12,13 die beiden ersten Paare sprachlich abwandelt 172 und Kol 3,11 sogar die (Gegensatz-)Paar‐ struktur aufgibt. Auch gemeinhin als Parallelen aus der nichtkanonischen und rabbinischen Literatur herangezogenen Texte sind oft von motivischer, als tat‐ sächlich sprachlicher Ähnlichkeit und lassen v. a. die beabsichtigte Deutungs‐ richtung des Exegeten erkennen: 1) Betonung der Gleichheit vor Gott, z. B. Yalkut Lek leka sec. 76: „God said to Moses: Is there respect of persons with me? Whe‐ ther it is Israelite or Gentile, man or woman, slave or handmaid, whoever does a good deed shall find the reward at its side […]“. 173 2) Vorstellung einer (Wieder-)Vereinigung, z. B. in EvÄg: Der Herr sprach: „Wenn ihr das Gewand der Scham mit Füßen treten werdet und wenn die zwei eins werden und das Männ‐ liche mit dem Weiblichen und weder männlich noch weiblich [sein wird].“ 174 EvPhil 78 spricht davon, dass die Trennung von Mann und Frau zum Tode ge‐ führt habe. „Deswegen ist Christus gekommen, um die Trennung, die von An‐ Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 122 <?page no="123"?> 175 EvPhil 78 (Übersetzung Hans-Martin Schenke, in: Markschies / Schröter, Apokryphen I. 1, 548). 176 2Clem 12,5: „Mit ‚und das Männliche wie das Weibliche, weder Männliches noch Weib‐ liches‘ meint er folgendes: Ein Bruder soll beim Anblick einer Schwester in keiner Weise an sie als Frau denken, noch soll sie an ihn als Mann denken.“ (Übersetzung Wengst, Didache, 255). 177 So Knopf, Anagnose, 171 u. a. 178 So Wengst, Didache, 231 f u. a. 179 Die klassische religions- und zeitgeschichtliche Fragestellung nach der unterschiedli‐ chen Stellung von Männern und Frauen in Politik, Gesellschaft und Religion - ganz parallel zu den bisherigen Untersuchungen zu Juden / Griechen und Sklaven / Freien - ist zwar folgerichtig und notwendig und soll hier auch keineswegs unterschlagen werden, setzt allerdings voraus, dass Gal 3,28c tatsächlich auf den Gegensatz abhebt, was durch den Bruch der Parallelität wie auch die vertiefenden Überlegungen zu Gen 1,27 f durchaus fraglich geworden ist. 180 Dass es beim Mannbzw. Frausein mit der Zuordnung zu einem der beiden (klassischen) Geschlechter nicht getan ist, soll hier - in kleinerem Rahmen - dennoch Rechnung getragen werden, da es sich dabei keineswegs erst um ein neuzeitliches Phänomen handelt. 181 Fechter / Rehmann, Frau, 149. Die dort im Anschluss geforderte „erhöhte Selbstreflexion über die eigenen hermeneutischen Leitbilder“ (a. a. O. 150) ist kaum zu unterschätzen und wird besonders dort evident, wo zeit-, kultur- und nicht zuletzt geschlechtsspezi‐ fische „Färbungen“ die Exegese eines Textes (mit-)prägen. Anhand der Auslegungsge‐ schichte von Gal 3,28 lässt sich dies besonders anschaulich wahrnehmen. fang an bestand, zu beseitigen und sie beide wieder zu vereinigen […]“. 175 3) Sexualethische Paränese, z. B. 2Clem 12,2.5, wo καὶ τὸ ἄρσεν μετὰ τῆς θηλείας οὔτε ἄρσεν οὔτε θῆλυ erklärt wird mit „in keiner Weise an sie als Frau denken …“ 176 Auch wenn sich die Kommentatoren uneins sind, ob dies eine For‐ derung nach absoluter sexueller Enthaltsamkeit 177 oder lediglich nach ehelicher Treue 178 darstellt, wird die sexualethische Dimension durchaus deutlich. Eine klare Bezugnahme auf Gal 3,28 oder die Taufe ist in keiner der genannten, meist spruchhaften Aussagen zu erkennen. Bleibt also lediglich noch nach der Unterschiedlichkeit männlicher und weib‐ licher Existenzen damals zu fragen, um mögliche Konsequenzen einer Negie‐ rung dieser Unterscheidung oder aber ihrer Bindung aneinander auszuloten. 179 Zunächst ist dabei festzuhalten, dass die in der Neuzeit verstärkt thematisierte dezidierte Unterscheidung zwischen Geschlecht und Gender als unterschied‐ liche Kategorien für die Antike so nicht belegt ist und daher im Folgenden auch vernachlässigt wird. 180 Jedoch gilt: „‚Mann‘ und ‚Frau‘ sind kulturell bedingte vielschichtige Konstrukte, bestimmt von Auffassungen über Körper und Diffe‐ renzierungen, von sexueller Orientierung, Geschlechterordnung und -bezie‐ hung und von Ursprungstheorien.“ 181 1 Galater 3,23 - 29: Es gibt weder Jude noch Grieche. 123 <?page no="124"?> 182 Meeks, Image, 170. Meeks fährt fort: „Plato had advocated similar education for boys and girls and, in the ideal state, equal participation in all occupations, including the political and the military.“ (ebd.). Ähnliche Aussagen lassen sich bei Kynikern und Stoi‐ kern finden, jedoch werden in den Texten fast ausschließlich Lehrer und Schüler männ‐ lichen Geschlechts erwähnt. 183 Ebd. 184 Gesammelt von Baer Jr., Male, 42. 185 Leipoldt, Frau, 10. 186 Ebd., wobei er auf Strabon III 4,17 f sowie IV 4,3 anspielt. Ist οὐκ ἔνι ἄρσεν καὶ θῆλυ der Beweis dafür, dass bereits in der Antike Gleichberechtigung und -stellung vorstellbar waren - jedenfalls gefordert wurden? Die grundsätzliche Gleichstellung von Männern und Frauen ist ein der griechisch-römischen Philosophie bekanntes Ideal oder besser eine Utopie: „Within the philosophical schools the equality of women with men was gene‐ rally affirmed in principle but, apart from the Epicureans, hardly ever actualized in practice.“ 182 Der faktischen Realität treten prominente Stimmen an die Seite, wie etwa Plato, welcher „women as inferior by nature to men“ 183 einstuft. Jüdi‐ scherseits äußert sich Josephus ganz ähnlich: γυνὴ δὲ χείρων ἀνδρὸς εἰς ἅπαντα (Flav.Jos.Apion. 2,24). Und besonders eindrücklich findet sich diese Auffassung dann in den Charakterisierungen von Frauen bei Philo wieder: schwach, einfach zu täuschen, krank, gering, unterjocht, schwerfällig usw. 184 Trotz dieses Konsenses über die vermeintliche Minderwertigkeit der Frau sind die tatsächlich vorherrschenden Ungleichheiten und Ungleichbehandlungen von Männern und Frauen in der hellenistischen Gesellschaft, der jüdischen Re‐ ligion und den aufkommenden christlichen Gemeinden noch einmal zu diffe‐ renzieren. Exkurs: Position und Funktion(en) von Frauen in der hellenistischen Gesellschaft In der Antike waren einzelne Gesellschaften wie die der Iberer und Kreter bekannt, in denen „mutterrechtliche Verhältnisse“ herrschten: „Da ist es z. B. Brauch, daß nur die Töchter erben; sie haben deshalb die Pflicht, ihre Brüder zu verheiraten und aus‐ zustatten.“ 185 Diese Ausnahmen wurden jedoch zumeist kritisch betrachtet: „Strabon nennt das ‚eine Art Frauenherrschaft‘ (τινὰ γυναικοκρατίαν): er findet solche Ord‐ nung ‚wenig staatsmännisch‘ (οὐ πάνυ πολιτικόν).“ 186 Denn die Mehrheit der be‐ kannten Gesellschaften war patriarchalischer Natur. Dennoch führte das allgemeine intensive Nachdenken über die (ideale) Gesellschaft auch zu einer (Neu-)Bewertung der Stellung der Frau: Man hat „nicht nur ihre Geltung und Aufgaben in der Familie geprüft, sondern auch über ihr Auftreten in der Öffentlichkeit und ihre juristische Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 124 <?page no="125"?> 187 Burck, Frau, 12. 188 Vieles kann nur indirekt aus Erzählungen oder mit einer gewissen Vorsicht aus teilweise polemischen Äußerungen und Reden geschlossen werden. Ausnahmen bilden dabei dezidierte Abhandlungen, welche die je eigene Gesellschaft mit anderen, etwa der ägyptischen, vergleichen und dabei auch die Stellung der Frau behandeln. Entspre‐ chende Untersuchungen liegen von Hekataios von Milet und Herodot vor. Der folgende Abschnitt orientiert sich weitestgehend an der Darstellung a. a. O. 12-31. 189 A. a. O. 21. 190 A. a. O. 24. 191 Dunn, Galatians, 206. 192 Siehe dazu ausführlicher Mayer, Frau, 50. Einordnung reflektiert.“ 187 Im Folgenden kann nur ein kleiner Überblick darüber ge‐ boten werden. 188 Während in Athen ein überzähliges oder schwächliches Mädchen noch verkauft oder ausgesetzt wird, kennt Rom diesen Brauch nicht mehr (Burck, Die Frau in der grie‐ chisch-römischen Antike, 20). Sie wächst im Hause des Vaters auf, welcher als pater familias die patria potestas über alles Lebende und Unbelebte des Haushaltes innehat (25). In Rom werden Töchter vermehrt in Lesen, Schreiben und Rechnen unterrichtet, einzelne sogar auf Privatschulen geschickt (21). Ihre sonstige Tätigkeit besteht v. a. in der Verarbeitung von Wolle (22) und in ihrer Freizeit im Singen und Tanzen, „wie man es von ihnen für die religiösen Prozessionen und Feste forderte.“ 189 Heiratsfähig wird sie - je nach Autor - mit 15, 18 bzw. 20 Jahren. Mit der Eheschließung wechselt sie in „die hausherrliche Gewalt ihres Gatten“ 190 über. Die griechische wie römische Gesell‐ schaft pflegt die Einehe, normalerweise unter Verbot der Geschwister- und teilweise sogar Verwandtenehe (14 f). Als Frau des Hauses obliegt ihr nun die Erziehung der Kinder, die Aufsicht über die Sklavinnen und die Hausarbeit (27). Dass dazu auch eine gewisse finanzielle Verantwortung gehört, belegt das Bsp. Ciceros, der vom „Finanz‐ genie seiner Frau Terentia“ (27) erheblich profitiert. „There is some indication that in Asia Minor women were able to hold more positions in public life.“ 191 Es ist allgemein eine Entwicklung von der griechischen hin zur römischen Gesellschaft wahrzu‐ nehmen, welche die Position der Frau, nicht zuletzt gegenüber ihrem Ehemann, stärkt. Eine solche Tendenz lässt sich allerdings nicht für die jüdische Frau erkennen: Zwar behauptet Josephus, dass es einen allgemeinen Unterricht in Lesen und Schreiben gäbe (Flav.Jos.Ant. 2, 204), dennoch sind Frauen vor Gericht auf die Unterschrift eines Tu‐ tors angewiesen (CPJ 453). Eine Klassengrenze scheint dabei keine Rolle zu spielen. 192 Neben dem Erwerb der Grundfertigkeiten tritt die religiöse Erziehung, welche v. a. die Unterweisung in die für Frauen spezifischen Gebote und Verbote umfasste. Die recht‐ liche Stellung gestaltet sich ganz ähnlich der einer römischen Frau: Ihr pater familias ist ebenfalls entweder der Vater (in Vertretung: der Bruder) oder der Gatte. Immerhin 1 Galater 3,23 - 29: Es gibt weder Jude noch Grieche. 125 <?page no="126"?> 193 Etwa durch Schenkung im Todesfall, z. B. z Pea 172, 68 ff. 194 Siehe dazu Num 27,6-11. Eine gesonderte Regel gibt es für, nach dem Tod des Vaters unversorgt hinterbleibende Töchter: Sie erhalten entweder den gleichen Anteil wie ihre Brüder (Philo spec. II 124 f) oder aber lediglich 1 / 10 des Vermögens (bKet 68 b/ 69a). 195 Zu Spezifika der Stellung der Frau innerhalb der jüdischen Religion s. u. 196 „In der Stellung, die die alte Synagoge der Frau zum Gesetz zugewiesen hat, drückt sich zum Teil das ungünstige Urteil aus, das in rabbinischen Kreisen vielfach über die Frau‐ enwelt bestanden hat […] Daß man der minderwertigen Frau neben dem vollwertigen Mann keine ebenbürtige Stellung zum Gesetz wird eingeräumt haben, kann man hier‐ nach ohne weiteres annehmen; dem entsprach auch die Wirklichkeit.“ (Billerbeck, III. Briefe, 558). Zum Verhältnis von Mann und Frau siehe unter III.1.4.3.2. 197 Diese Ausnahmen betreffen das Schneiden von Haupthaar und Bart (Lev 19,27), sowie das Sich-Fernhalten von Toten für Priester (Lev 21,1 f). 198 Siehe Billerbeck, III. Briefe, 558 f, der darauf hinweist, dass auch das Strafmaß das gleiche ist - bis hin zur Todesstrafe. 199 SDt 19,17 § 190 stellt nachdrücklich fest, dass die in Dtn 19,17 erwähnten zwei not‐ wendigen Zeugen (δύο ματύρων … οἱ δύο ἄνθρωποι [Dt 19,15.17]) Frauen natürlich ausschließen. Bezugnehmend auf das Lachen der Sarah (Gen 18,15) wird meist von einer allgemeinen Untauglichkeit der Frau zum Zeugnis gesprochen ( Jalq Schim 1 § 82). 200 Billerbeck, III. Briefe, 559. Jedoch schränkt er ein: „Von einer konsequenten Durchfüh‐ rung dieses Grundsatzes kann aber keineswegs die Rede sein.“ (ebd.). Zudem sind drei Gebote bekannt, die speziell Frauen obliegen: Beachtung ihrer Menstruation, Abson‐ derung der Teighebe für die Priesterschaft sowie das Anzünden der Sabbatlampe (Belege siehe ebd.). kann sie Eigentum besitzen, das sie entweder geschenkt 193 oder sogar ererbt bekommt, falls keine Söhne vorhanden sind. 194 Dieses Vermögen kann die Frau zwar nicht ihrem Mann, wohl aber ihrem Sohn weitervererben. 195 1.4.3.1 Position und Funktion(en) von Frauen in der jüdischen Religion Das Hauptanliegen des Paulus im Galaterbrief ist bekannterweise, zu verdeut‐ lichen, dass eine (freiwillige) Beschneidung die Galater dem jüdischen Gesetz komplett verpflichten würde. Aber Frauen werden im Judentum nicht be‐ schnitten und auch sonst stellt sich das Verhältnis zum jüdischen Gesetz für Frauen und Männer unterschiedlich dar: 196 Zwar gelten für Frauen mit wenigen Ausnahmen 197 die gleichen Verbote, wie sie auch bei Zuwiderhandlungen dem gleichen Zivil- und Kriminalrecht unterworfen sind, 198 doch besitzen sie nicht das Recht, als Zeugin aufzutreten 199 und sind v. a. auf andere Weise den Geboten des Gesetzes unterworfen: „Man erklärte, daß sie nur zu denjenigen Geboten verpflichtet sei, deren Erfüllung nicht an eine bestimmte Zeit gebunden sei.“ 200 Auch mit Blick auf Ämter und Funktionen im jüdischen Kultus bietet sich ein ambivalentes Bild: Einerseits dürfen sie keine dezidierten Kultämter über‐ Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 126 <?page no="127"?> 201 Bekannt ist, dass Frauen lediglich bis zum sog. Frauenvorhof das Tempelgelände be‐ treten dürfen, was eine aktive Teilnahme an priesterlichen Handlungen automatisch ausschließt. „Wenn es heißt, dass eine Frau opferte, dann ist das genau wie beim Mann zu verstehen, daß sie das Opfer bezahlte.“ (Mayer, Frau, 88). Neben Spenden für den Tempel war es ihr allerdings gestattet, das Nasirgeblübde (Num 6,1-21) abzulegen, was die Rabbinen jedoch nicht besonders schätzten (M Naz 4,5). 202 So weiß man etwa von Lobgebeten aus Anlass einer Geburt (Ruth 4,14 f), welche von Frauen gesungen werden und natürlich von den sog. Klageweibern, welche den Tod eines Menschen beweinen und beklagen (2Sam 1,24; Jer 9,16 f). 203 Num 30,4-9: „Wenn eine Frau dem HERRN ein Gelübde tut und sich zu etwas ver‐ pflichtet, solange sie im Haus ihres Vaters und ledig ist, und ihr Vater hört von ihrem Gelübde und ihrer Verpflichtung, die sie sich auferlegt hat, und er schweigt dazu, so gelten alle ihre Gelübde, und jede Verpflichtung, die sie sich auferlegt hat, soll auch gelten. Wenn aber ihr Vater ihr’s verwehrt an dem Tage, da er’s hört, so gilt das Gelübde und ihre Verpflichtung nicht, die sie sich auferlegt hat, und der HERR wird ihr gnädig sein, weil ihr Vater es ihr verwehrt hat.“ 204 Leipoldt, Frau, 74. 205 Eine Auflistung der unterschiedlichsten Begegnungen Jesu mit und Äußerungen über Frauen bietet etwa Oepke, Art. γυνή, 784 f. nehmen, 201 andererseits können bestimmte religiöse Funktionen, z. B. im Zu‐ sammenhang mit Lebensbeginn und -ende 202 allein von Frauen ausgeführt werden. Zudem interessant zu erwähnen ist das bereits von Sklaven bekannte Phä‐ nomen, persönliche Gelübde nur eingeschränkt ablegen zu können: Der Vater einer ledigen Frau - entsprechend dem Herr eines Sklaven - hat stets ein Ein‐ spruchrecht bei einem freiwilligen Gelübde, das dieses für nichtig erklären kann. 203 „Heiratet ein Mädchen, so geht das Einspruchrecht vom Vater auf den Gatten über: er darf selbst solche Gelübde auflösen, die vor der Hochzeit geleistet wurden.“ 204 Lediglich Witwen und geschiedene Frauen können vollständig selbstbestimmt Gelübde ablegen (Num 30,10). Während die alttestamentlichen Gesetzestexte all diese unterschiedlichen Anforderungen und Verpflichtungen von Männern und Frauen ohne weitere Begründungen lediglich aufführen, re‐ flektieren rabbinische Schriften später durchaus über deren Ursache. Hierbei wird stets darauf verwiesen, dass es sich beim Verhältnis Mann-Frau um keines auf Augenhöhe handelt. Dies wird an späterer Stelle noch genauer darzustellen sein. Fragt man nun, wie Jesus und die frühen christlichen Gemeinden Frauen wahrnehmen und einbinden, so sei zunächst festzuhalten, dass keinerlei pro‐ grammatische Emanzipation zu erkennen ist. Wohl aber wertet Jesus Frauen, indem er sich ihnen zuwendet, dennoch anders, als es in der damaligen jüdischen Gesellschaft üblich ist: 205 Einerseits begegnet er notleidenden Frauen als Wohl- und Wundertäter - nicht anders wie anderen Hilfesuchenden und Randgruppen 1 Galater 3,23 - 29: Es gibt weder Jude noch Grieche. 127 <?page no="128"?> 206 Flav.Jos.Apion. 2,24. 207 Billerbeck, III. Briefe, 559. der Gesellschaft, wie etwa Zöllnern und Samaritanern. Indem Jesus sich etwa einer Witwe zuwendet, die dabei ist, ihren einzigen Sohn zu Grabe zu tragen (Lk 7,11-16), erweist er sich als Mildtäter, jedoch noch ganz im Rahmen der jüdischen Gemeinschaft. Wenn er andererseits Frauen dadurch würdigt, dass er sie lehrt und ihrem Alltag Gleichnisse widmet, überschreitet er darin die jüdi‐ schen Gepflogenheiten weit. Dennoch wählt er lediglich Männer zu seinen Jün‐ gern und engsten Vertrauten, wenn auch Frauen als Unterstützerinnen und An‐ hängerinnen erwähnt werden. Unser Bild der ersten christlichen Gemeinden ist einerseits von dem zwie‐ spältigen Frauenbild der Paulusbriefe (1Kor 11,2-16; 14,33-40) und andererseits von den Berichten der Apg geprägt (Apg 1,14; 5,1-11; 16,14 f u.w.). Ohne auf Details und Hintergründe an dieser Stelle näher eingehen zu können, ist fest‐ zustellen, dass das Gemeindeleben von Frauen aktiv mitgestaltet wird, diese teilweise auch Leitungsfunktionen übernehmen, was in unterschiedlicher Weise bewertet wird. 1.4.3.2 Verhältnis von Männern und Frauen zueinander Die unterschiedliche Stellung und Funktion von Frauen und Männern in der jüdischen Religion ist nur der eine Punkt, der hier zu bedenken ist, der andere ist das Verhältnis von Frauen und Männern zueinander. Es wird v. a. von zwei Grundkomponenten bestimmt: 1) Das Machtgefälle vom Mann zur Frau und 2) die enge Bindung von (Ehe-)Mann und (Ehe-)Frau aneinander. 1) Das Machtgefälle: Wie die Beschreibung von Stellung und Funktion einer Frau innerhalb der jüdischen Gesellschaft gerade gezeigt hat, wird das Leben einer Frau im Wesentlichen von ihrem Verhältnis zu einem Mann (Vater oder Ehemann) bestimmt und es fußt stets auf der Grundüberzeugung: γυνὴ δὲ χείρων ἀνδρὸς εἰς ἅπαντα - „Die Frau ist in jeder Hinsicht geringer als der Mann.“ 206 Beispiele wie die eingeschränkte Möglichkeit, selbstständig Gelübde abzulegen, zeigen: „In einigen Stellen wird die Frau hinsichtlich der Erfüllung gewisser Gebote auf eine Linie mit den Sklaven u. Kindern gestellt.“ 207 Dies ge‐ schieht mit folgender Begründung: „Weil sie nur ein Herz (für ihren Mann) haben; ebenso ist das Herz des Sklaven nur auf seinen Herrn gerichtet. - Frauen u. Sklaven haben noch einen menschlichen Herrn über sich, u. dessen Dienst nimmt ihr Herz so in Anspruch, daß für den Dienst Gottes Zeit u. Kraft fehlt. Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 128 <?page no="129"?> 208 Jalq Schim zu Sm § 78 (aus J e lamm e denu), zitiert nach Billerbeck, III. Briefe, 562 (Her‐ vorhebung im Original). 209 Siehe auch Kol 3,18 und v. a. 1Petr 3,7: […] ὡς ἀσθενεστέρῳ σκεύει τῷ γυναικείῳ ἀπονέμοντες τιμὴν […]. Darum werden hinsichtlich der Gebotserfüllungen an die Frauen u. Sklaven ge‐ ringere Ansprüche gestellt als an die Männer u. Freien.“ 208 Diese Vorstellung findet sich dann bekannterweise auch in den sog. christli‐ chen Haustafeln wieder: αἱ γυναῖκες τοῖς ἰδίοις ἀνδράσιν ὡς τῷ κυρίῳ, ὅτι ἀνήρ ἐστιν κεφαλὴ τῆς γυναικὸς […] (Eph 5,22 f). 209 Paulus begründet die unterge‐ ordnete Stellung der Frau zudem wie folgt: Ἀνὴρ μὲν γὰρ οὐκ ὀφείλει κατακαλύπτεσθαι τὴν κεφαλὴν εἰκὼν καὶ δόξα θεοῦ ὑπάρχων· ἡ γυνὴ δὲ δόξα ἀνδρός ἐστιν. οὐ γάρ ἐστιν ἀνὴρ ἐκ γυναικὸς ἀλλὰ γυνὴ ἐξ ἀνδρός· καὶ γὰρ οὐκ ἐκτίσθη ἀνὴρ διὰ τὴν γυναῖκα ἀλλὰ γυνὴ διὰ τὸν ἄνδρα (1Kor 11,7-9). 2) Die enge Bindung aneinander, wie sie direkt aus der jüdischen Anthropo‐ logie übernommen wird: לע ןכ בזעי שיא תא ויבא תאו ומא קבדו ותשאב ויהו רשבל דחא / ἕνεκεν τούτου καταλείψει ἄνθρωπος τὸν πατέρα αὐτοῦ καὶ τὴν μητέρα αὐτοῦ καὶ προσκολληθὴσεται πρὸς τὴν γυναῖκα αὐτοῦ, καὶ ἔσονται οἱ εἰς σάρκα μίαν (Gen 2,24 / LXX ). Dass für diese neue Bindung das Vaterhaus verlassen wird, die Grundzelle jeder antiken Gesellschaft, zeigt bereits, was dabei entsteht: die engstmöglich vorstellbare Bindung zweier Menschen anei‐ nander - sie sind nur noch ein Fleisch. Jesus zitiert Gen 2,24, um von der Dau‐ erhaftigkeit und wohl auch Tiefe dieser Bindung her gegen eine Ehescheidung zu argumentieren (Mt 19,5 f). Paulus versucht durch eine Bezugnahme auf die ein-Fleisch-Aussage den Korinthern zu verdeutlichen, dass der Umgang mit Prostituierten kein nebensächliches Vergnügen ist, sondern Auswirkungen auf ihren Körper hat, der doch dem Herrn geweiht ist. Indem er τὸ σῶμα in diesem Zusammenhang als μέλος Χριστοῦ bezeichnet, verweist er bereits auf die zweite, nämlich die bildgebende Dimension der σὰρξ-μία-Vorstellung. Die Ehe zwischen Mann und Frau wird zur Metapher für eine größtmögliche Nähe und Einheit. Im Eph findet sich diese Metapher dann für Christus und seine Gemeinde. Auf ein Gen 2,24-Zitat steht da: τὸ μυστήριον τοῦτο μέγα ἐστίν· ἐγὼ δὲ λέγω εἰς Χριστὸν καὶ εἰς τὴν ἐκκλησίαν (Eph 5,32). Christi Einheit mit seiner Gemeinde, die sich in seiner Liebe und seinem Sterben für die Ge‐ meinde ausdrückt (Eph 5,25), ist nach Vorstellung des Eph demnach vergleichbar mit dem ehelichen σὰρξ-μία-Sein. Es wird gar reziprok als Vorbild dafür hin‐ gestellt, wie sich Mann und Frau zueinander verhalten sollen (Eph 5,33). Dass die Einheit von Christus und der Gemeinde und damit dem einzelnen Gemeindeglied, verstanden als Glied seines Leibes, verstanden wird als maxi‐ male Einheit und Nähe, wie sie bisher nur in der Gemeinschaft von Frau und 1 Galater 3,23 - 29: Es gibt weder Jude noch Grieche. 129 <?page no="130"?> 210 Siehe dazu ausführlich Stauffer, Art. γαμέω, 646-651. 211 Siehe εἷς ἐστε ἐν Χρστῷ Ἰησοῦ (Gal 3,28d) unter III.1.5. und μεμέρισται ὁ Χριστός; (1Kor 1,13a) unter III.2.4. Mann zu finden war, ist ein Vorstellung, die sich in verschiedenen neutesta‐ mentlichen Schriften wiederfindet. Jedoch deutet bereits 1Kor 6,15-20 an, dass dies nicht zwangsläufig eine positive, wenn auch paränetische Einstellung zur Ehe nach sich ziehen muss. Denn es handelt sich nicht um zwei einander zwar vergleichbare, aber unabhängige einende Bindungen. Paulus argumentiert gegen den Umgang mit Prostituierten, weil dieser einen Einfluss auf die Chris‐ tusbindung habe: καὶ τὴν περικεφαλαίαν τοῦ σωτηρίου δέξασθε καὶ τὴν μάχαιραν τοῦ πνεύματος ὅ ἐστιν ῥῆμα θεοῦ (1Kor 6,17). Die jeweilige Bindung kann gar so eng aufgefasst werden, dass eine Art Kon‐ kurrenzverhältnis wahrgenommen wird, als könne man eine derartige Einheit nur einmal eingehen. Wenn auch die Taufe εἰς Χριστόν nicht ohne Weiteres mit der Entscheidung der Jünger für die Nachfolge gleichgesetzt werden soll, so kommt einem dennoch die Forderung des Verlassens sämtlicher Anverwandter als Voraussetzung für die Nachfolge (Lk 14,26 f) in den Sinn. Die Entscheidung zur Nachfolge fordert demnach eine Unterordnung, wenn nicht einen Bruch mit allen wichtigen, tragenden bisherigen Bindungen. Paulus wiederum leitet daraus das Ideal ab, unter einer gewissen Naherwar‐ tung, dass es besser ist, solche Bindungen, speziell die so grundlegende und enge der Ehe, gar nicht erst einzugehen: καλὸν ἀνθρώπῳ γυναικὸς μὴ ἅπτεσθαι (1Kor 7,1). Wer ledig ist oder Witwe, ebenso die Jungfrauen sollen möglichst allein bleiben. Zwar ist dies kein Gebot, θλῖψιν δὲ τῇ σαρκὶ ἕξουσιν οἱ τοιοῦτοι, ἐγὼ δὲ ὑμῶν φείδομαι (1Kor 7,28). Paulus bezeichnet diejenigen, welche versuchen, dem Gatten und dem Herrn gerecht zu werden, als μεμέρισται (1Kor 7,34) - „geteilt“ oder wie Luther kontextuell übersetzt: „ge‐ teilten Herzens“. 210 Die Bindung an Christus wie auch die Ehe sind für Paulus derartig grundlegende Einheiten, dass es seiner Meinung nach eher das Indivi‐ duum zerreißen muss, als diese Verbindungen. 211 Mit Blick auf Gal 3,28c ist für das Verhältnis von Männern und Frauen also festzuhalten, dass einerseits ein deutliches, abhängiges Gefälle auszumachen ist und andererseits die wechselseitige Bindung aneinander derartig grundlegend verstanden wird, dass sie geradezu zum Paradigma für Einheit wird. Dieses wird verschiedentlich herangezogen, um das Verhältnis Christi zu seiner Gemeinde, aber auch Nachfolge für den Einzelnen zu illustrieren, teilweise in Konkurrenz zu menschlichen Bindungen. Über γὰρ angebunden wird dieser Aspekt in Gal 3,28d ja auch thematisiert. Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 130 <?page no="131"?> 212 Die These, dass die zu Grunde liegende vorpaulinische Tradition alle drei Paare enthält, das dritte in 1Kor 12 und Kol 3 allerdings wegen seiner Schwierigkeiten bzw. Unver‐ ständlichkeit weggelassen wird, wurde bereits oben angeführt, soll aber erst bei der abschließenden Betrachtung der Tradition näher geprüft werden. Warum aber Gal 3 dieses Paar bietet, erklärt die These nicht. 213 Gegen Betz, Galaterbrief, 344: „Es darf nicht übersehen werden, daß diese Aussage ebenso wie die vorhergehende über Sklaven und Freie ebenfalls nicht im Beweisgang des Paulus verwendet wird - ein Hinweis darauf, daß es sich hier um vorpaulinisches Material handelt.“ Würde Paulus sich der Tradition wortwörtlich so verpflichtet fühlen, dass er sie komplett bietet, obwohl sie in Zweidritteln völlig unerheblich für seine Ar‐ gumentation ist, dann könnte er sie auch in 1Kor 12 in Gänze zitieren. Die Wahrnehmung, dass 1Kor 12 und Kol 3 ohne das Paar ἄρσεν/ θῆλυ aus‐ kommen, bringt zwei weitere Fragen auf den Plan: 1) Macht der Argumentati‐ onskontext von Gal die Anführung dieses dritten Paares sinnvoll oder gar not‐ wendig? 212 2) Wie stellt sich das Verhältnis zu den beiden anderen Paaren dar? Es ist bereits dargelegt worden, dass die Gegensatzpaare Ἰουδαῖος/ Ἕλλην und δοῦλος/ ἐλεύθερος inhaltlich und motivisch in Gal auch sonst aufgegriffen und problematisiert werden, 213 wobei rechtsgeschichtliche Betrachtungen gezeigt haben, dass die Erbthematik Sohn / Sklave zumindest indirekt auch das Ver‐ hältnis männlich-weiblich betrifft, insofern als Frauen nur eingeschränkt erb‐ berechtigt sind. Betrachtet man den direkten Kontext, in dem alle drei Paare geboten werden, wird die Verbindung zu einem anderen Schwerpunkt des Gal jedoch noch deut‐ licher: Bewirkt wird die dreimalige Negierung bisheriger Kategorien durch die allen, auf gleiche Weise, gewährte Taufe - im Gegensatz zum bisherigen Initi‐ ationsritus Beschneidung, welcher lediglich an Männern vollzogen wird. Eine Ergänzung der Taufe um die Beschneidung würde demnach nicht nur alle zu Juden machen und damit an das Gesetz binden, sondern auch die neue „Gleich‐ behandlung“ negieren. Die gewählte Umschreibung des Taufvorgangs, nämlich sich ganz in Christus hinein zu begeben, funktioniert als Metapher ebenfalls für beide Geschlechter. Sie ist oben bereits als völlig neue, engste und zugleich grundlegende Bindung dargestellt worden. In dieser Weise entsteht in der Taufe eine Bindung, welche zur bisher engsten, grundlegenden Bindung eines Men‐ schen - der Bindung an den jeweiligen Ehepartner - mindestens in Konkurrenz steht, wenn nicht diese ersetzt, denkt man etwa an die Empfehlung der Ehelo‐ sigkeit (1Kor 7,1). Darüber hinaus bietet auch die Zusammenschau der drei Paare weiteren Auf‐ schluss über die Art ihrer Beschaffenheit und damit ihrer möglichen Negierung: Unhaltbar scheint die These geworden zu sein, dass sie einzeln für die religiöse, soziale und biologische Grundunterscheidung der antiken Gesellschaft 1 Galater 3,23 - 29: Es gibt weder Jude noch Grieche. 131 <?page no="132"?> 214 So u. a. Schnackenburg, Heilsgeschehen, 21, der diese als von dem „gemeinsamen Kleid“ (Gal 3,27) bedeckt versteht (ebd.). 215 Meeks, Image, 181. Konkretere Qualifizierungen etwa als die Grundunterscheidungen der antiken Gesellschaft scheinen der Besonderheit des dritten Paares nicht gerecht zu werden. Während Differenzierungen, etwa in Gal 3,28a.b als soziale Rollen und 3,28c als ontologische Kategorie (so z. B. Strecker, Liminale Theologie, 384) zwar 3,28c besser gerecht zu werden scheinen, allerdings die Deutung der Negierung - denn negiert werden ja alle drei Paare durch die Taufe - dann Schwierigkeiten aufwirft, siehe dazu unten. 216 Mußner, Galaterbrief, 264. 217 Siehe Schlier, Galater, 175 Anm. 4. stehen. 214 Viel mehr beinhalten alle drei Paare rechtliche, soziale, religiöse und weitere Aspekte, sodass Meeks zu Recht feststellt, dass: „[…] in verse 28 all the pairs refer quite concretely to social statuses.“ 215 Inwieweit Gal 3,28c kategorial auf einer Linie mit Gal 3,28a.b gesehen wird, hat erhebliche Auswirkungen auf die Interpretation von οὐκ ἔνι ἄρσεν καὶ θῆλυ. Entsprechend könnte die Vielfalt der diesbezüglichen Forschungspositi‐ onen kaum größer sein. Es lässt sich dennoch eine grundlegende Entscheidung ausmachen, dass die Negierung entweder mit dem Gottesverhältnis oder dem zwischenmenschlichen Verhältnis der beiden, nicht aber mit beiden zugleich, in Verbindung gebracht wird. Forschungsüberblick zu ὀυκ in Gal 3,28c 1. Negierung des unterschiedlichen Status im Gottesverhältnis: „Mann bleibt Mann und Frau bleibt Frau, auch nach der Taufe -, aber sie [die Unterschiede, CM ] haben jegliche Heilsbedeutung vor Gott verloren.“ 216 Die Taufe kommt, anders als die Beschneidung, Männern und Frauen in gleicher Weise zugute und be‐ wirkt durch die „Bekleidung mit Christus“ für beide eine ganz neue, gleiche Stellung vor Gott, was allerdings nicht zwangsläufig auch eine Gleichheit in der Kultpartizipation nach sich ziehen muss. 217 2. Negierung des bisherigen Verhältnisses zueinander: In dem neugestalteten Gottesverhältnis sehen manche Exegeten auch Auswirkungen für das Verhältnis von Männern und Frauen nach der Taufe. Jedoch kann die Negierung auf drei unterschiedliche Aspekte des bisherigen Verhältnisses bezogen werden: 2.1 Aufhebung der Unterscheidung von ἄρσεν καὶ θῆλυ: Die neutrische Form sowie die Parallelen aus christlicher Gnosis und Apokryphen sprechen dafür, dass nicht nur die soziale Emanzipation der Frauen im Blick ist, sondern „die metaphysische Beseitigung der biologischen Geschlechtsunterschiede als Folge Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 132 <?page no="133"?> 218 So ausführlich dargestellt und vehement vertreten von Betz, Galaterbrief, 344-353, 345. Eine neutestamentliche Verweisstelle kann Betz allerdings nicht angeben. Die meisten Kommentatoren sprechen sich allerdings ausdrücklich gegen diese Deutung aus, z. B. Witherington III, Galatia, 271. 219 Zur Androgynie u. ä. als ritologisches Motiv siehe unter V.2. 220 Betz, Galaterbrief, 349. 221 Meeks, Urchristentum, 318. Meeks führt zahlreiche Beispiele aus den Midraschim an, welche zu Gen 1,27, aber auch Gen 5,2 den Mythos eines androgynen Urmenschen entfalten, so etwa: „R. Samuel bar Nahman said, When the Holy One, blesses be he, created the first man, he created him diprosōpon. Then he split him and made two bodies, one on each side, and turned them about […]“ (Genesis Rabba 8.1, cf. 17,7, zitiert nach Meeks, Image, 186). Dass das Griechische an diesen Stellen androgynos, diprosōpon oder auch du‘ prosōpa verwendet, spricht nach Meeks, für eine Abhängig‐ keit von Platons Symposionerzählung über die Kugelmenschen (ebd.). 222 Strecker, Liminale Theologie, 384. 223 Während manche Exegeten die Androgynität des Christen direkt aus der Androgynität Christi ableiten (z. B. Betz, Galaterbrief, 350 f), halten andere eine solche androgyne Christusmotivik zwar für vorstellbar - jedoch unter einem eschatologischen Vorbehalt (z. B. Meeks, Image, 185). 224 Siehe zu Gal 3,28d unter III.1.5. 225 Strecker, Liminale Theologie, 388, der zudem darauf verweist, dass die in Gen 1,27 ebenfalls grundgelegte Gottebenbildlichkeit sehr wohl bei Paulus thematisiert wird, allerdings keineswegs androgyn: Ἀνὴρ μὲν γὰρ οὐκ ὀφείλει κατακαλύπτεσθαι τὴν κεφαλὴν εἰκὼν καὶ δόξα θεοῦ ὑπάρχων· ἡ γυνὴ δὲ δόξα ἀνδρός ἐστιν. (1Kor 11,7) Ebenfalls kritisch gesehen wird die Androgynitätsthese Meeks‘ von Dunn, Galatians, 206 f; sowie Stegemann / Stegemann, Sozialgeschichte, 336; u. a. 226 Zur Asexualität als ritologischem Motiv siehe unter V.2. der Erlösung in Christus“ 218 - also Androgynie. 219 Mit Bezugnahme auf den Kontext (Gal 6,15) kann dies entweder als καινὴ κτίσις verstanden werden oder als Restauration des paradiesischen Urzustandes: Gottebenbildlichkeit, Herr‐ lichkeit und v. a. die ursprüngliche Einheit des Menschen - der „androgyne Ur‐ mensch“. 220 Diese Interpretation stützt sich auf „eine Lesart von Gen 1,27, nach der der Mensch ursprünglich als androgynes Wesen nach dem Bild Gottes ge‐ schaffen war und dann in eine männliche und eine weibliche Hälfte geteilt wurde (Gen 2,21 f).“ 221 Dass hier tatsächlich eine „Transformation ontologischer Kategorien“ 222 vorliegt - entgegen den sich lediglich auf soziale Rollenverhält‐ nisse beziehenden voranstehenden beiden Paaren -, kann auf den Christus-Anthropos-Mythos zurückgeführt werden, 223 einer androgynen Chris‐ tusvorstellung. 224 Da sich für die androgyne Argumentation aber weder altnoch neutestamentliche Vergleichstexte finden lassen, kann ἔνι ἄρσεν καὶ θῆλυ auch als „Annullierung der sexuellen Polarität“ 225 im Sinne von Asexualität 226 inter‐ pretiert werden, vergleichbar dem apokalyptischen Motiv, dass die Auferstan‐ 1 Galater 3,23 - 29: Es gibt weder Jude noch Grieche. 133 <?page no="134"?> 227 Stegemann / Stegemann, Sozialgeschichte, 336. Siehe die entsprechende Anfrage an Jesus in Mk 12,25 par. Stegemann / Stegemann verweisen zusätzlich auf äthHen 15,6 f; 51,4. 228 Witherington III, Rite, 600. 229 Ebd. Dass Witherington die Stellung, geradezu die Daseinsberechtigung, speziell al‐ leinstehender Christinnen betont, liegt in seiner Argumentation begründet, welche überzeugend darstellt, dass jüdische Frauen lediglich über bzw. in Abhängigkeit von ihrem Mann gerechtfertigt werden konnten, nämlich durch Mutterschaft - ein Ge‐ danke, der sich zwar auch in 1Tim 2,15 wiederfindet, aber laut Witherington gemäß Gal 3,28c seit der Taufe obsolet ist. Letztlich betrifft die Frage der Ledigkeit und somit Kinderlosigkeit von Frauen nicht primär die zwischenmenschlichen Beziehungen, son‐ dern soteriologische Aspekte. 230 Dautzenberg. Frau, 216. 231 Schlier, Galater, 175. 232 Ebd. denen nicht mehr heiraten werden, „sondern (asexuell) wie die Engel sind“. 227 Ähnliche (allerdings paränetische) Tendenzen lassen sich etwa auch in 1Kor 7 finden. 2.2 Aufhebung der Unterschiede zwischen ἄρσεν καὶ θῆλυ: Als Folge der neuen Androgynität (oder auch ohne diese Vorstellung) hat ἔνι ἄρσεν καὶ θῆλυ poli‐ tische und soziale Implikationen und kann als „Emancipation Proclamation for Women“ 228 verstanden werden, „which legitimized the ministry and place es‐ pecially of single women in Christ, such as is illustrated in the well known story of Paul and Tecla.“ 229 Dass die vielfältigen Unterschiede in den gesellschaftlichen wie privaten Rechten und Pflichten zwischen Männern und Frauen nicht mehr bestehen sollen, ist eine revolutionäre Forderung - das oben beschriebene antike Ideal sollte demnach tatsächlich umgesetzt werden. An dieser Stelle allerdings von einer Abschaffung der Diskriminierungen und dem allen gleichen Initiati‐ onsritual als dem ersten, über sich hinausweisenden Schritt von der Gleichbe‐ handlung hin zur Gleichstellung von Männern und Frauen 230 zu sprechen, scheint doch anachronistisch. Derartige konkrete Folgen, auch nur für die Ge‐ meinschaft der Getauften, können aber auch grundsätzlich angezweifelt werden und die Aufhebung der Unterschiede als lediglich spirituell, erst im Himmel oder sakramental verborgen verstanden werden. Schlier etwa betont die „Wirklich‐ keit der Gleichheit aller in Christus Jesus“ 231 und sieht die „natürliche Individu‐ alität im Blick auf die Gesamtheit und im Blick auf den Einzelnen in der sakra‐ mentalen Wesenheit des Leibes Christi und seiner Glieder erloschen.“ 232 Jedoch fügt er an: „[…] so hüte man sich, aus ihm [V. 28, CM ] direkte Folgerungen für Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 134 <?page no="135"?> 233 Ebd. Anm. 4. Begründend fährt er fort: „Das kirchliche Amt beruht ja nicht direkt auf der Taufe, sondern auf der Sendung, und die politische Gesellschaft ist niemals identisch mit dem Leibe Christi. Dagegen sind aus dem Satz des Apostels wohl direkte Folge‐ rungen für die Frage nach den Grenzen der Kirche zu ziehen. Zu ihr gehören alle Ge‐ tauften in gleicher Weise, so daß z. B. eine Nationalkirche, wenn sie grundsätzlich ver‐ standen wird, nicht mehr die apostolische ist.“ (ebd.) Spätestens der zweite Teil des Zitates zeigt, dass sich Schlier in seinem Abwehrverhalten in Zeit und Theologie ab‐ hängig zeigt. Seiner Argumentation zur grundlegenden Sendungsbegründung des Amtes ist etwa entgegen zu halten, dass es sich dabei um eine außerneutestamentliche Festlegung handelt, welche mit einem römisch-katholischen Sakramentsverständnis die Weihe dann in den Rang eines Sakramentes erhebt. Nach evangelischem Ver‐ ständnis, das sich nicht zuletzt auch auf Gal 3,27 f stützt, ist die Taufe die einzige „Weihe“, also Erwählung und Befähigung, und die Ordination zum Amt lediglich eine besondere Beauftragung. Die Taufe aber, siehe Gal 3,28a-c, kommt allen und in gleicher Weise zu Gute. 234 Zum Lösen und Neuschaffen von Bindungen als ritologischem Motiv siehe unter V.1 und V.2. 235 Gen 2,24: … ויהו רשבל דחא Die Zueinanderordnung von Männern und Frauen ist dabei eine der wenigen Gemeinsamkeiten zwischen priesterschriftlichem und nicht-priesterschriftlichem Schöpfungsbericht. die Ordnung des kirchlichen Amtes oder auch der politischen Gesellschaft zu ziehen.“ 233 2.3 Aufhebung der Bindung von ἄρσεν καὶ θῆλυ aneinander: Das verbindende καί statt dem kontrastierenden οὐδέ, der adjektivische Sprachgebrauch sowie der kreatürliche Faktor sprechen dafür, dass dieses dritte Paar - anders als die beiden voranstehenden - nicht auf die Gegensätzlichkeit, sondern ihre Bindung aneinander abhebt. Die in der Taufe grundgelegte neue Bindung an Christus (laut Gal 3,27b) löst einerseits bisherige Bindungen und Abhängigkeiten auf und führt andererseits zu neuen zwischenmenschlichen Bindungen, bis hin zur Ein‐ heit (Gal 3,28d). 234 Im priesterschriftlichen Schöpfungsbericht werden Mann und Frau einander zugeordnet und mit dem Fortpflanzungsauftrag aneinander ge‐ bunden (Gen 1,27 f). Im nicht-priesterschriftlichen Schöpfungsbericht über‐ bietet die Bindung aneinander sogar diejenige an die Eltern und ἔσονται οἱ δύο εἰς σάρκα μίαν (Gen 2,24). 235 Die Taufe auf Christus führt aber zur καινὴ 1 Galater 3,23 - 29: Es gibt weder Jude noch Grieche. 135 <?page no="136"?> 236 Gerade die Bezugnahme von Gal 3,28c auf Gen 1,27 spricht für die enge Zusammen‐ ordnung oder gar Identifikation der καινὴ κτίσις mit der Taufe, so mit Martyn, Gala‐ tians, 376: „The variation in the wording of the last clause suggests that the author of the formula drew on Gen 1: 27, thereby saying in baptism the structure of the original creation had been set aside.“ Siehe ausführlich zu Gal 3,28d unter III.1.5. Wenn nach der alten Schöpfungsordnung galt: “If one did not marry and propagate he diminished the image of God.” (Witherington III, Rite, 599), so sind Ehe und Fortpflan‐ zung nun “a blessed option, but not a requirement for believers.” (ebd.). In 1Kor 7,1-9.25-38 bewirbt Paulus das Ledigbleiben gar als bessere Option: καλὸν ἀνθρώπῳ γύναικὸς μὴ ἅπτεσθαι (1Kor 7,1). Witherington III weist in diesem Zusam‐ menhang noch zurecht darauf hin, dass derartige „eunuch for the kingdom“ - auch entgegen der jüdischen Tradition - selbstverständlich uneingeschränkt am Kult parti‐ zipieren dürfen (ebd.). 237 Siehe z. B. das Gespräch Jesu mit dem sog. „reichen Jüngling“ (Mk 10,17-27). 238 Bisher grundlegende (familiäre) Bindungen werden angefragt, gelöst und neue ge‐ schaffen: „Wer ist meine Mutter und meine Brüder? “ (Mk 3,31-34), „Folge du mir und lass die Toten ihre Toten begraben.“ (Mt 8,21 f), „Wenn jemand zu mir kommt und hasst nicht seinen Vater, Mutter, Frau, Kind, Brüder, Schwestern und dazu sich selbst, der kann nicht mein Jünger sein.“ (Lk 14,26 f). Schließlich steigert sich die Lösung ins Ma‐ ximale, nämlich auf den Menschen selbst: „Denn ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien mit seinem Vater und die Tochter mit ihrer Mutter […] wer sein Leben findet, der wird’s verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s finden.“ (Mt 10,34-39). 239 Loewe, Women, 52. Ganz ähnlich auch Witherington III, Rite, 599: “The sociologically basis of the Christian community is not kinship ties.” Dass die Zugehörigkeit zum christlichen Glauben aber gerade dennoch über kinship-Methaphorik entfaltet wird (siehe Gal 3,26.29; 4,1 ff), ist ein interessanter, später noch näher zu erörternder Aspekt, siehe dazu unter III.1.6. κτίσις (Gal 6,15; vgl. auch 2Kor 5,17) 236 und darin gilt: πάντες γὰρ ὑμεῖς εἷς ἐστε ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ (Gal 3,28d). Christi Tod löst und befreit vom Gesetz, aber löst er auch Bindungen zu Menschen? Der Ruf in die Nachfolge zwingt immer zur Entscheidung, wo eine Bindung - ob an Werte 237 oder Personen 238 - in ein Kon‐ kurrenzverhältnis zu Christus tritt. Diese völlige Neugestaltung menschlicher Bindungen, nach Gal 3 in der Taufe verortet, wirkt dann auch auf die Bezie‐ hungen zwischen den Getauften (siehe Gal 3,28d): „Die soziologische Basis, auf der das Christentum beruht, sind nicht - wie im Judentum - die Verwandt‐ schaftsbindungen, sondern die Bindungen der Gemeinschaft - Gemeinschaft in Christus.“ 239 Auch wenn 3,28c aus der vermeintlichen Parallelität herausfällt, soll eine endgültige Interpretation gerade im Kontext der beiden anderen geboten werden, v. a. da die Vielfalt der Deutungsansätze nahelegt, dass eine isolierte Interpretation dieser nur fünf Wörter zwangsläufig einen spekulativen Cha‐ rakter beibehält. Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 136 <?page no="137"?> 240 Belege dafür siehe in den Forschungsüberblicken zu den jeweiligen Teilversen. 1.4.4 Zusammenfassung Gal 3,28a - c Neben der Kürze und Formelhaftigkeit dreht sich die Problematik der Ausle‐ gungsgeschichte von Gal 3,28a-c im Wesentlichen um zwei Fragen: 1) Wie ist οὐκ ἔνι angemessen zu verstehen und zu übersetzen? Als Möglich‐ keiten bieten sich an: „ist nicht mehr“ / „gilt nicht mehr“ / „wird nicht mehr gelten“ / „hat keine Relevanz mehr“. 240 2) Wird diese grundlegende Neuerung für das unterschiedliche Gottesverhältnis der Paare ausgesagt oder aber für ihr Verhältnis zueinander? Die meisten Exegeten sehen sich genötigt, sich für eins der beiden Verhältnisse zu entscheiden. Die Beantwortung der beiden Fragen steht in einem engen wechselseitigen Zusammenhang. Viele Exegeten deuten das οὐκ ἔνι abhängig von der vorherigen Entscheidung darüber, ob die horizontale oder aber die vertikale Dimension an‐ gesprochen ist. Schwierigkeiten ergeben sich oft erst dann, wenn eine einge‐ hendere Analyse aufdeckt, dass horizontale und vertikale Aspekte in diesem Zusammenhang nicht ohne Weiteres zu trennen sind. Es stellt sich dann aber schnell die Frage, ob οὐκ ἔνι coram deo und coram hominibus in gleicher Weise zu verstehen ist. Die obige ausführliche Untersuchung hat nun mit Blick auf Situation und sonstige Diskussionslage in den frühchristlichen Gemeinden gezeigt, dass zudem Unterschiede zwischen den einzelnen Paaren wahrzunehmen sind. Für Ἰουδαῖος οὐδὲ Ἕλλην etwa stellt sich die frühchristliche Situation ganz anders dar als für ἄρσεν καὶ θῆλυ. Spätestens hier zeigt sich, dass eine eschatologische Interpretation keineswegs die Problematik auflöst. Denn im gleichen Brief for‐ dert Paulus aufs Heftigste, dass das οὐκ ἔνι bereits jetzt Auswirkungen haben muss bzw. hat. Die These, dass nur das erste Paar von eigentlicher Relevanz für Paulus in Gal wäre, funktioniert zwar insoweit, dass sich ähnliche Äußerungen auch an anderen Stellen des Briefes finden lassen (z. B. Gal 5,6; 6,15 u. ä.), wirft aber dennoch zwei Fragen auf: 1) Warum reduziert er dann die Tradition in Gal 3 nicht auch auf das erste Paar? Dass sie variiert werden kann, zeigen ja schließlich 1Kor 12,13 und Kol 3,11. 2) Was aber bedeutet es, dass die vorpauli‐ nische - aus dem Taufzusammenhang stammende - Tradition alle drei Paare bietet? Die ausführlichen Untersuchungen der drei Paare sowie die Gesamtschau der Tradition legen für die gerade dargestellte komplizierte Gesamtlage folgende Interpretation nahe: Das präsentisch zu verstehende οὐκ ἔνι bezieht sich sowohl auf die bisherige Unterschiedlichkeit im Gottesverhältnis, wie auch das bishe‐ rige Verhältnis der Genannten zueinander, wobei sich Zweiteres aus Ersterem 1 Galater 3,23 - 29: Es gibt weder Jude noch Grieche. 137 <?page no="138"?> ableitet. Wie es sich um kategorial sehr unterschiedliche Paarungen handelt, so gestalten sich auch die neuen Verhältnisse der drei Paare, v. a. auf der horizon‐ talen Ebene, durchaus unterschiedlich. Gemeinsam ist ihnen aber, dass die neue Gleichheit coram deo sich auf die Verhältnisse coram hominibus auswirkt - und zwar bei allen drei Paaren. οὐκ ἔνι Ἰουδαῖος οὐδὲ Ἕλλην (3,28a): In der Taufe gehen Juden wie Griechen einerseits eine Bindung zu Christus und andererseits eine Bindung zueinander ein, welche beispielsweise in der gebotenen Tischgemeinschaft zum Ausdruck kommt. In dem Gegensatzpaar werden somit sowohl Religionsals auch Volks‐ zugehörigkeit ausgedrückt, da beides aus jüdisch-theologischer Sicht nicht zu trennen ist. Kontextuelle Untersuchungen machen dennoch deutlich, dass nicht nationale Unterschiede im Blick sind, sondern die um sich aus der Berufung Abrahams und des jüd. Volkes ergebende Unterscheidung zwischen Juden und anderen Völkern im Allgemeinen. οὐκ ἔνι meint in diesem Zusammenhang, dass es auch nach der Taufe unterschiedliche Völker und letztlich auch Religionen bleiben, wie die Ablehnung der Beschneidung für Heidenchristen deutlich macht, auch wenn sämtliche soteriologische Relevanz der Unterscheidung weg‐ fällt. Doch auch wenn dies durchaus aktuell und real zu verstehen ist, handelt es sich keineswegs um das einzig wesentliche oder auch nur zentrale Paar der Aufzählung. οὐκ ἔνι δοῦλος οὐδὲ ἐλεύθερος (3,28b): Während das Gottesverhältnis von Sklaven bisher durch die Ansprüche ihrer Herren eingeschränkt werden konnte, bedeutet die Taufe εἰς Χριστόν, welche keinerlei Gesetzesforderungen nach sich zieht, die Unerheblichkeit des Sklave- oder Freiseins im Gottesverhältnis. Auf der realen gesellschaftlichen Ebene meint dies keine Sozialrevolution - weder gesamtgesellschaftlich noch innerhalb der christlichen Gemeinde. Doch wenn ein Christ auch weiterhin einen Christen zum Sklaven haben kann, führt ihre Gleichwertigkeit vor Gott zu einer neuen Ebenbürtigkeit auf geistlicher Ebene: Sind sie beide υἱοὶ θεοῦ (3,26), so haben sie sich auch untereinander wie ἀδελφοί zu verhalten. Zugleich ist das Gegensatzpaar im Kontext der allgemeinen Be‐ freiungs-Erbschafts-Thematik einzuordnen, welche vor jeder Art von freiwil‐ liger Versklavung, v. a. unter das Gesetz warnt. οὐκ ἔνι ἄρσεν καὶ θῆλυ (3,28c): In der für beide gleichen Taufe gehen Männer wie Frauen die alles entscheidende Gottesbindung ein. Ausgehend von sons‐ tigen paulinischen Äußerungen und Berichten aus paulinischen Gemeinden zieht dies weder eine Aufhebung der Unterschiedlichkeit zwischen Mann und Frau, noch der Zweigeschlechtlichkeit oder Gottebenbildlichkeit nach sich. Wie Paulus die Sklaverei nicht abschafft, so hat er auch keine Gleichberechtigung nach modernem bzw. postmodernem Vorbild im Sinn. Dennoch lassen sich zwei Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 138 <?page no="139"?> geradezu revolutionäre Aspekte festhalten: Dass die Taufe in gleicher Weise an beiden durchgeführt wird und damit auch beide auf gleichem Wege gerechtfer‐ tigt werden, stellt einen kategorialen Unterschied gegenüber jüdischer Kult‐ praxis dar, welche das (soteriologisch notwendige) Bundeszeichen lediglich an Männern durchführt. Angesichts der (teilweise phantasiereichen) Fülle an Deu‐ tungsversuchen zu οὐκ ἔνι scheint am plausibelsten, dass das direkte Zitat aus Gen 1,27 nach der oben dargelegten Argumentation darauf verweist, dass die Taufe nicht die Unterscheidung zwischen männlich und weiblich negiert, son‐ dern die Bezogenheit von Mann und Frau als engst mögliche Bindung ablöst und zugleich steigert: einerseits durch die Christusbindung des einzelnen und andererseits durch die Gemeinschaft der Christusgläubigen untereinander (siehe 3,28d). Für alle drei Paarungen lässt sich demnach festhalten, dass die Gleichheit coram deo einerseits in der Taufe εἰς Χριστόν begründet wird und andererseits durch diese auch zum Ausdruck gebracht wird, indem sie bei wirklich allen Menschen in gleicher Weise durchgeführt wird. Diese Gleichheit wirkt sich so‐ dann auf das Verhältnis der Christusgläubigen untereinander aus, indem die Taufe eine ganz neue Art von Gemeinschaft und Einheit zwischen den so un‐ terschiedlichen Gruppierungen und - wie 3,28d zeigen wird - sämtlichen Ge‐ tauften bewirkt. Sie hat ihre Ursache allein in der in der Taufe eingegangenen Christusbindung. Die Taufe εἰς Χριστόν ist damit nicht allein das rettende Ini‐ tiationsritual des einzelnen, sondern wird auch zum Identitätsmarker der Ge‐ meinschaft, wie Paulus im Folgenden pointiert festhält. 1.5 πάντες γὰρ ὑμεῖς εἷς ἐστε ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ (Gal 3,28d) 1.5.1 Kontextuelle Einbindung von Gal 3,28d Während die bisher besprochenen Einzelaussagen der Perikope beinahe unab‐ hängig voneinander gereiht erscheinen können, lassen sich für Gal 3,28d Rela‐ tionen zu sämtlichen Einzelaussagen des Abschnittes wahrnehmen, seien sie syntaktischer, inhaltlicher oder auch argumentativer Natur. In dem πάντες γὰρ ὑμεῖς εἷς ἐστε ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ bündeln sich nicht nur verschiedene Einzel‐ aspekte des voranstehenden paulinischen Gedankenganges, sondern diese we‐ nigen Worte bilden auch das Gelenk zur folgenden Thematik der Erbberechti‐ gung wirklich aller, die dann ab 3,29 entfaltet wird. Welcher Art die Bezugnahmen zum Kontext sind, kann allerdings durchaus diskutiert werden und hängt nicht zuletzt an der notwendigen textkritischen Entscheidung zur Stelle. Folgende näher zu erläuternde Fragestellungen ergeben sich aus den Kontextrelationen: 1 Galater 3,23 - 29: Es gibt weder Jude noch Grieche. 139 <?page no="140"?> 241 Die behauptete Parallelität setzt natürlich die textkritische Entscheidung für εἷς ἐστε ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ voraus, siehe dazu unter III.1.5.3. 242 Auch diese Bezugnahme hat als Voraussetzung die textkritische Entscheidung für eine der Textvarianten, über die Einheit der πάντες - welches Genus auch immer dazu Ver‐ wendung findet. 243 Siehe dazu ausführlich die Diskussion der textkritischen Variante mit Genitivverbin‐ dung unter III.1.5.3. Welche Bedeutung hat der geradezu parallele Aufbau zu 3,26: πὰντες γὰρ … ἐστε … ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ? 241 Ist 3,28d als Wirkung der Taufe aufzufassen (3,27a), evtl. als Explikation des mit εἰς Χριστὸν benannten Christusbezuges, wie auch 3,27b? Ist der räumliche Aspekt in 3,27b auch in 3,28d wahrzunehmen? Die oben dargestellte Interpretation von 3,28a-c als eine grundsätzliche Verneinung von Unterscheidungen und deren Relevanz (anstatt etwa von Unterschieden) hängt wesentlich an der in 3,28d gebotenen Begründung der Einheit aller. 242 Zunächst ist also zu untersuchen, ob 3,28d tatsächlich als Einheitsaussage zu verstehen ist, um dann ggf. zu fragen: Von welcher Art ist diese Einheit - beschrieben durch εἷς - und enthält diese positive Bestimmung noch mehr als die voranste‐ henden negierten Paarungen? Das bereits thematisierte Christusverhältnis findet sich auch in 3,29a (εἰ δὲ ὑμεῖς Χριστοῦ) und wird dort begründend für die beiden folgenden zutiefst soteriologischen Aussagen herangezogen. Inwieweit wird dies bereits in 3,28d vorbereitet? 243 Oder ist die Verbindung vielmehr im Einheitsaspekt zu sehen, welcher sich in der Betonung des einen τοῦ Ἀβραὰμ σπέρμα wiederfindet? Die vielfältigen Bezugnahmen lassen sodann erneut die Frage nach Umfang und Hauptaussage der vorliegenden Tradition und der ge‐ samten Perikope aufkommen. Dass sich viele der hier angefragten Kontextverbindungen als zutreffend und zudem konstitutiv für die gesamte Argumentationsstruktur des Abschnittes er‐ weisen werden, verdeutlicht die Zentralstellung dieser wenigen Worte nicht allein in der Perikope, sondern auch die Bedeutung der Argumentation 3,26-29 für den gesamten Brief. 1.5.2 Forschungsüberblick zu Gal 3,28d Die dargestellten vielfältigen Beziehungen zum Kontext haben im Verlauf der Forschungsgeschichte sehr divergierende Interpretationen nach sich gezogen. Zusätzliche Erweiterung erfährt die Deutungslandschaft durch den Umstand, dass ja bereits für die Phrasen 3,27b und 28a-c, wie oben dargestellt, erheblich divergierende Auslegungen im Raum stehen. Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass εἷς ἐστε ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ entweder als Gleichheit aller oder aber als Einheit Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 140 <?page no="141"?> 244 Duncan zitiert nach Halter, Taufe, 567 Anm. 21. Vergleiche in diesem Sinne bereits Leo I von Rom zur Stelle, welcher der Unterschiedlichkeit der Aufgaben doch die un‐ terschiedslose Gleichheit und gemeinsame Würde, welche in der Einheit des Glaubens und der Taufe begründet liegen, entgegenhält, ders., Tract. 4,1. 245 Kähler zitiert nach Halter, Taufe, 567 Anm. 21. 246 Burton, Galatians, 207. Dass er dazu auf 1Kor 3,8 verweist, liegt auf der Linie seiner Interpretation von Gal 3,28a-c, deren Negationen er als coram deo auffasst. 247 Mußner, Galaterbrief, 264. 248 Ebd., siehe dazu bereits unter III.1.3.2. aller interpretiert wird. Einzelne Kommentatoren meinen auch beide Aspekte erkennen zu können. 1) Die Gleichheit aller in Christus Jesus: Versteht man γάρ als kausale Kon‐ junktion, welche 3,28d begründend an 3,28a-c anschließt, und interpretiert die Negation der drei Gegensatzpaare zugleich dahingehend, dass es keine Unter‐ schiede mehr gibt, so ergibt sich für 3,28d sinngemäß: „denn ihr seid alle einer in Christus Jesus […] denn ihr seid alle gleich.“ Worin die Gleichheit besteht und inwieweit sie bereits realisiert ist, darin jedoch unterscheiden sich die Vertreter dieser Position: „not that all Christians form a corporate unity, but that in Christ each man stands on the same level as his neighbour“. 244 Während diese Auffas‐ sung Duncans die Gleichheit auf die Position bezieht, also hierarchische Struk‐ turen verneint, geht die Interpretation Kählers tiefer: „denn insgesamt haben sie ja ein einheitliches Wesen kraft ihres Verhältnisses zu Christo Jesu.“ 245 Burton wiederum versteht Gal 3,28d überhaupt nur für einen positiven Ausdruck des bereits in 3,28a-c Gesagten: „[A]ll these distinctions vanish (there is no respect of persons with God); it is as if it were always the same person reappearing before him.“ 246 Als Ursache dieser Gleichheit wird zumeist allgemein das Taufgeschehen an‐ gegeben, wenn die Frage überhaupt gestellt wird. In dieser Weise argumentiert auch Mußner, wobei er in gewissem Maße auf der bildlichen Ebene bleibt: „Das εἷς ἐστε resultiert für Paulus aus dem vorausgehenden Χριστὸν ἐνεδύσασθε: weil alle bei der Taufe denselben ‚Christum angezogen‘ haben, sind sie alle durch die Taufe εἷς geworden.“ 247 Darauf stützt er sodann seine bekannte Deutung des „eschatologischen Einheitsmenschen“. 248 Zur Interpretation von Gal 3,28d als bloße Gleichheitsaussage ist kritisch an‐ zumerken, dass wie bereits angeklungen 3,28d auf vielfältige Weise in den Kon‐ text eingebunden ist. Seine Bedeutung allein von 3,28a-c herzuleiten, gestaltet sich daher als schwierig. Bezüglich des dazu angeführten γάρ ist anzumerken, dass es einerseits auf Grund des beinahe inflationären Vorkommens nicht über‐ zubewerten ist und andererseits sich ebenso auf einen größeren vorangehenden Abschnitt kausal beziehen könnte, z. B. 3,26-28. Außerdem ist zu prüfen, ob sich 1 Galater 3,23 - 29: Es gibt weder Jude noch Grieche. 141 <?page no="142"?> 249 So z. B. Zahn, Galater, 189 f; sowie Oepke / Rohde, Galater, 126. 250 Witherington III, Rite, 598. 251 Hansen, All, 86. „The social unity“ ist dabei eines der Schlagworte, seiner umfangreichen Untersuchung zu Gal 3,28; 1Kor 12,13 und Kol 3,11, welche er als soziale Vision des Urchristentums versteht. 252 Ebd. 253 A. a. O. 89. 254 A. a. O. 87 f. 255 De Boer, Galatians, 244 (Hervorhebung im Original). die hier zitierte Form erstens textkritisch sicher als ursprüngliche Variante er‐ weisen lässt und ob zweitens besagtes εἷς eine Gleichheitsaussage überhaupt ermöglicht. Wird das ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ-Sein als Ursache der Gleichheit (ggf. herbeigeführt durch die Taufe) identifiziert, so wird dabei selten untersucht, ob die sonstige, formelhafte Verwendung von ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ-Aussagen ebenfalls mit Gleichheitsaussagen in Verbindung gebracht wird oder ob an den ent‐ sprechenden Stellen nicht andere Wirkungen und Aspekte im Vordergrund stehen. 2) Die Einheit aller in Christus Jesus: Die absolute Mehrheit der Exegeten sieht in εἷς ἐστε ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ eine Aussage über die Einheit aller, die etwa in 3,28a-c in ihren verschiedenen Gruppierungen benannt werden. Dabei lassen sich ganz unterschiedliche Auffassungen wahrnehmen, von welcher Art diese Einheit und wie ihr Verhältnis zu Christus Jesus zu verstehen ist. Viele Ausleger nehmen eine Art kollektive Einheit an, ohne diese weiter zu beschreiben. 249 Witherington III qualifiziert sie immerhin als „theologically prior to and more primary than the obvious distinctions which do and should exist in the covenant community.“ 250 Damit bietet er zugleich eine der möglichen Verhältnisbestim‐ mungen zu 3,28a-c an, welche ebenfalls sehr unterschiedlich ausfallen können. Für Hansen etwa laufen 3,28a-c und 3,28d auf die gleiche Aussage zu: „[t]he social unity“, 251 welche sich aus zwei Wurzeln speist: „from the singularity of Christ and the believers‘ new corporate identity in him.“ 252 Die an Christus bin‐ dende Taufe hat für ihn „negated all other criteria for participation, including, most prominently, the law.“ 253 Der Einheitsaspekt gewinnt dabei eine derartige Zentralität, dass Hansen diese vorpaulinische Tradition als „the baptismal unity formula“ bezeichnen kann. 254 Daneben treten Interpretationen, welche die Einheit mit Verweis auf die be‐ wusst gewählte maskuline Form εἷς personal verstehen, wie etwa de Boer: „pre‐ sumably the Greek word for human being, anthropōs, which is also grammati‐ cally masculine, is to be supplied (cf. Col 3: 9): They are all ‚one [human being] in Christ Jesus‘ […] to what amounts to a new humanity, defined by Christ.“ 255 In eine ähnliche Richtung lässt sich auch Martyn lesen, wenn bei ihm auch be‐ Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 142 <?page no="143"?> 256 Martyn, Galatians, 377(Hervorhebung im Original). 257 Ebd. Die offensichtlichen Vorstellungs- und Deutungsschwierigkeiten mit einem per‐ sonal verstandenen εἷς leiten viele Exegeten zur naheliegenden καινὴ-κτίσις-Aussage 6,15, welche die maskuline Form allerdings auch nicht erklärt. 258 Ebd. Der wechselseitigen Beziehung und Interpretation von 3,28a-c und 3,28d widmet er dabei einen eigenen Exkurs und gelangt dort u. a. zu der Auffassung: „Now the answer to loneliness is not marriage, but rather the new-creational community that God is calling into being in Christ […]“, a. a. O. 381. 259 Hartman, Namen, 58. 260 Martyn, Galatians, 377: „[…] in what Paul will later call ‚the body of Christ,‘ 1 Cor 12: 13. 27“, und Hartman, Auf den Namen, 58 Anm. 10: „[…] kann man den Vergleich zu dem Bild vom Leib Christi ziehen“. 261 Dunn, Galatians, 207 f. 262 A. a. O. 208. 263 Cullmann, Tauflehre, 26. reits die klassische Interpretation durchscheint, welche ein personal verstan‐ denes εἷς mit Christus identifiziert: „Members of the church are not a thing; but are one person, having been taken into the corpus of the One New Man.“ 256 Er sieht darin „the beachhead of God’s new creation“, 257 schreibt aber gleichzeitig: „In Christ […] persons who were Jews and persons who were Gentiles have been made into a new unity that is fundamentally and irreducibly identified with Christ himself as to cause Paul to use the masculine form of the word ‚one.‘“ 258 Überhaupt ist wahrzunehmen, dass unterschiedlich intensiv darüber reflektiert wird, dass es nicht Χριστός, sondern ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ heißt. Hartman, welcher den Schwerpunkt in der Christusbindung ausmacht, schreibt etwa: „Die von den Christusbedingungen Betroffenen teilen ein überindividuelles Leben, das Jesus Christus genannt wird.“ 259 Wenn diese letzten beiden auch feststellen, dass 3,28d selbst keine dezidierte Leib-Christi-Metaphorik enthält, schlagen sie doch beide 260 bereits den Bogen zu der wohl am breitesten rezipierten Interpretation des εἷς, nämlich als Be‐ zeichnung für den Leib Christi (σῶμα Χριστοῦ). Stellvertretend sei dafür Dunn zitiert: „[…] he [Paul, CM ] regularly spoke of many believers as ‚one‘, using the imagery of a single body consisting of many members […], and this is probably what he had in mind here, as the parallel between the trains of thought in 1 Cor. xii. 13-14 and verses 27-8 suggests“. 261 Dabei betont er: „[…] not as a levelling and abolishing of all racial, social or gender differences, but as an in‐ tegration of just such differences into a common participation ‚in Christ‘“. 262 Ähnlich Cullmann, welcher die in 3,27a erwähnte Taufe dann als „Einordnung in Christi Leib“ durch Gott versteht. 263 Einen Spezialfall innerhalb der Leib-Christi-Interpretation stellt Betz dar, womit er zum Abschluss dieses Überblicks noch einmal illustriert, wie erheblich 1 Galater 3,23 - 29: Es gibt weder Jude noch Grieche. 143 <?page no="144"?> 264 Betz, Galaterbrief, 351. Zum androgynen Christus-Anthropos-Mythos und seiner Re‐ levanz für 3,28, siehe bereits ausführlich unter III.1.4.3. 265 Auch wenn dies als grammatisch problematische Interpretation angesehen werden kann, so handelt es sich dennoch um eine mögliche Auslegung der Formulierung. 266 Burton, Galatians, 208. 267 Halter, Taufe, 576 Anm. 20: „Bei einseitiger Betonung des Gedankens der kollektiven oder korporativen Einheit kommt jener andere Gedanke der Gleichheit aller vor Gott zu kurz.“ sowie a.a.O. Anm. 21: „Eine einseitige Betonung der Gleichheit jedes einzelnen vor Gott (und darum auch zwischenmenschlich) aufgrund des gleichen Wesens jedes einzelnen ‚in Christus‘ schafft nicht den Übergang zum folgenden Schluss, der für Pls sehr wichtig ist.“ 268 Longenecker, Galatians, 158. Er stützt seine Auslegung dazu auf die sich in den wenigen Versen wiederholenden Vokabeln πάντες (3,26.28d) und γὰρ (3.26.27a.28d), welche eine strukturelle wie argumentative Verbindung der Einzelaspekte und deren Aufeinander‐ bezogenheit begründen. 269 Rohde, Galater, 165. Dass der Abschnitt neben der Christusbindung v. a. auf die Gleich‐ heit vor Gott zielt, leitet er aus 3,28a und der sonstigen Thematisierung der Verpflich‐ tung auf das Gesetz ab. sich die Deutungen der wenigen Vers(abschnitt)e Gal 3,27 f wechselseitig be‐ einflussen können: „Da Christus androgyn ist, würde dies auch für seinen ‚Leib‘ gelten und ebenso für die Christen, die Glieder an diesem ‚Leib‘ sind.“ 264 Die durchaus divergierenden Interpretationen von Gal 3,28d als „Einheit aller in Christus Jesus“ provozieren zwei kritische Rückfragen: 1) Wenn εἷς tatsäch‐ lich das σῶμα Χριστοῦ meint, 265 ist diese Vorstellung dann bereits der Tradition immanent gewesen oder paulinische Ausdeutung der knappen Formel? 2) Kann ἐστε ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ tatsächlich als Identifikation mit Χριστός verstanden werden? Hierbei handelt es sich um eine Frage, die auch nichtpersonale Ein‐ heitsdeutungen kaum reflektieren. 3) Gleichheit und Einheit aller in Christus Jesus: Mit unterschiedlichen Be‐ gründungen sowie unterschiedlichen Ansätzen gelingt es einigen Exegeten, den Einheits- und den Gleichheitsaspekt zu verbinden: „There is little ground for a choice between the two ideas. Both are equally Pauline and equally suitable to the immediate context.“ 266 Nach Halter würde eine schwerpunktmäßige Beto‐ nung des einen oder anderen Aspektes sogar zu einem schiefen Verständnis des Gesamtzusammenhanges führen. 267 Wie aber kann εἷς ἐστε ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ gleichzeitig als Einheit und Gleichheit aller verstanden werden? Laut Longenecker stehen die beiden Dimensionen des εἷς in einem kausalen Verhältnis zueinander: „[…] that ‚in Christ Jesus‘ there is a new ‚oneness‘ that breaks down all former divisions and heals injustices.“ 268 Eine ähnliche Argu‐ mentation findet sich auch bei Rohde, obwohl er die Gleichheit (bezogen auf 3,28a-c) ganz anders verstehen kann: „[…] daß alle in Christus eine Einheit bilden und auf diese Weise alle in derselben Beziehung zu Gott stehen.“ 269 Schlier Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 144 <?page no="145"?> 270 Schlier, Galater, 175. 271 Die im Folgenden erwähnten Datierungen der Zeugen sowie die Beurteilung ihrer Textwertkategorie folgt den Ausführungen von Aland / Aland, Text, 94 ff. gelingt es sodann - als Vertreter der Leib-Christi-Interpretation - beide Aspekte innerhalb des Bildes zu verorten: „[S]ie sind in Christus alle zusammen Einer, der Leib Christi; sie sind es freilich so, daß jeweils jeder Einzelne im Verhältnis zum Anderen Christus ist, also deutlicher: daß sie nur noch Glieder Christi sind.“ 270 Diese Beispiele verdeutlichen erneut, dass der unmittelbare Kontext unter bestimmten Voraussetzungen beide Interpretationsrichtungen hergibt. Sowohl γάρ als auch das folgende εἰ δέ fordern geradezu eine kontextimmanente Deu‐ tung. Der Bezugspunkt der beiden Proformen kann aber ganz unterschiedlich ausgemacht werden und selbst dann hängt die Auslegung von der Vorinterpre‐ tation entweder von 3,27a oder 3,27b oder 3,28a-c oder auch 3,29 ab. Auch „Kombinationsversuche“ lösen die Fragestellung m.E. nicht, sondern verquicken lediglich die Gemengelage. Die folgende Untersuchung hat als Minimalziel, einen Teil der Deutungsvarianten auszuschließen. Leitend dazu sollen die oben aufgeführten kritischen Anfragen sein. 1.5.3 Textkritische Problematik von Gal 3,28d Wie bereits festgestellt liegt ein Teil der diskutierten Problematik in der diffizilen textkritischen Lage begründet. Jedoch wird die sich anschließende Erörterung der belegten Varianten erweisen, dass nicht erst Textverderbnis o. ä. zu einer unsicheren Textbasis und damit schwierigen Ausgangslage für die Interpreta‐ tion geführt hat, sondern dass die unterschiedlichen Varianten der ältesten Zeugen - teilweise mit mehrfachen Korrekturen - auf eine frühe Diskussion und unterschiedliche Verstehensmöglichkeiten hinweisen. Die wesentlichen, von Nestle / Aland 28 aufgenommenen Textversionen zu 3,28d sind folgende: 1) ἕν εστε εν Χριστω, 2) εστε Χριστου, 3) εστε εν Χριστου (evtl. zu lesen als ἕν Χριστου), und 4) die als txt gelesene Version εἷς ἐστε ἐν Χριστῷ. Sie sollen im Folgenden einzeln auf die Qualität ihrer Bezeugung sowie auf die Plausibilität in Vers und Kontext hin untersucht werden. 1) […] πάντες γὰρ ὑμεῖς ἕν ἐστε ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ - „[…] denn ihr seid alle eins in Christus Jesus“: Erst ab der 26. Auflage listen Nestle / Aland diese lediglich von drei Zeugen belegte Variante auf. Alle drei werden erst auf das 9. Jh. datiert, wobei die beiden Majuskeln Codex Augiensis (F p / 010) und Codex Boernerianus (G p / 012) der Textwertkategorie II bzw. III zugeordnet werden, 271 die Minuskel 33 hingegen der höchstens Kategorie. Jedoch bezeugen diese die wohl einfachste Aussage unter den belegten Varianten. Die neutrische Form zielt dabei lediglich 1 Galater 3,23 - 29: Es gibt weder Jude noch Grieche. 145 <?page no="146"?> 272 Zu neutestamentlichen und speziell paulinischen Einheitskonzepten siehe unten. 273 Bis zur 25. Auflage. 274 Interessanterweise wird in der 25. Auflage diese Variante noch als ursprüngliche Lesart des Codex Sinaiticus angegeben. 275 Siehe dazu mehr unter III.1.6. auf eine Einheitsvorstellung, wie sie aus unterschiedlichen ekklesiologischen paulinischen Texten bekannt ist 272 - hier herbeigeführt durch das „sich-mit-Christus-Umgeben“ in der Taufe und leicht als Konsequenz aus der neuen Unterscheidungslosigkeit und damit auch Zusammengehörigkeit zu ver‐ stehen, welche in 3,28a-c beschrieben wird. Nimmt man 3,27 f als eine stringente Argumentation, mglw. sogar Tradition an, so wirft diese Einheitsvorstellung „in Christus Jesus“ nicht nur ein Licht zurück auf das Aufeinanderverwiesensein, wie es in 3,28a-c thematisiert wird, sondern spricht zugleich für eine räumliche Vorstellung von 3,27b: Wo doch die Einheit nicht zuletzt darin begründet wird, dass alle Getauften sich - erstmals ohne Unterschied - „in diesem Christus“ wiederfinden. Jedoch ist die Bezeugung so schwach, dass diese Variante 1 kaum als ursprünglich angenommen werden kann, sondern eher als späterer Versuch der Vereinfachung verstanden werden muss. 2) […] πάντες γὰρ ὑμεῖς ἐστε Χριστοῦ Ἰησοῦ - „[…] denn ihr seid alle des Christus Jesus“: Zunächst 273 bieten Nestle / Aland überhaupt nur diese Variante als Alternative zu txt und können dazu mit dem P. Chester Beatty III (P 46 ; um 200), einer Korrektur des Codex Sinaiticus ( א / 01; 4. Jh.) 274 und dem Codex Ale‐ xandrinus (A / 02; 5. Jh.) drei sehr alte Majuskeln mit der Textwertkategorie I anführen. Damit ist die Variante ähnlich gut belegt wie txt und bietet zudem eine verständliche Aussage, die auch der darauffolgende Vers kennt: Über den Genitiv wird die Zugehörigkeit zu Christus ausgedrückt (vgl. 3,29a). Auch der Anschluss über εἰ δὲ ὑμεῖς kann als bewusste Wiederholung verstanden und damit einer Harmonisierungsargumentation für Gal 3,28d entgegengehalten werden. Zudem handelt es sich bei der Genitiv-Konstruktion um einen von Paulus des Öfteren auf Christus angewendeten Ausdruck. 275 Die vorangehende Argumentation ließe sich dann dahin deuten, dass in der Taufe diese Zugehö‐ rigkeit zu Christus grundgelegt wird, indem εἰς Χριστόν getauft wird - ein Ge‐ danke, welcher ja auch ἐνδύομαι Χριστόν eignet. Die Einleitung über πάντες γάρ zielt dann weniger auf das Aufeinanderverwiesensein der drei Gegensatz‐ paare in 3,28a-c ab (wie bei Variante 1), sondern allgemeiner auf das wirk‐ lich-alle-einschließende-Element der Taufe. Dabei ist zu überlegen, ob das „des-Christus-Sein“ bereits als eigene Kategorie verstanden wird, und zwar als die einzig entscheidende, welche jede andere (bisherige) Kategorisierung obsolet Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 146 <?page no="147"?> 276 Die Vulgata liest normalerweise: … omnes enim vos unum estis in Christo Iesu. 277 Vier Zeugen der Textwertkategorie I: Eine Korrektur des Codex Sinaiticus ( א / 01), der Codex Vaticanus (B / 03; 4. Jh.), sowie die Minuskeln 1175 (11. Jh.) und 1739 (10. Jh.). Außerdem bezeugen die Variante des Textes: Codex Ephraemi Syri rescriptus (C / 04, 5. Jh., Kat. II), Codex Claromontanus (D p / 06, 6. Jh., Kat. III), Codex Mosquensis (K ap / 018 , 9. Jh., Kat. V), Codex Angelicus (L ap / 020, 9. Jh., Kat. V), Codex Porfirianus (P apr / 025, 9. Jh., Kat. III), Codex Athous Laurensis (Ψ / 044, 8./ 9. Jh., Kat. III), 0278 (aus dem Neufund auf dem Sinai - Katharinenkloster), außerdem die Minuskeln 81 (mind. Kat. II), 104 (Kat. III), 365 (13. Jh., Kat. III), 630 (14. Jh., Kat. III), 1241 (12. Jh., Kat. III), 1505 (Kat. III), 1881 (14. Jh., Kat. II), 2464 (9. Jh., Kat. II), der Mehrheitstext sowie Cle‐ mens von Alexandria (Mitte 2. Jh.). und gegenstandslos werden lässt. Dazu aber mehr im Zusammenhang mit 3,29a. 3) […] πάντες γὰρ ὑμεῖς ἐστε ἐν/ ἕν Χριστοῦ Ἰησοῦ - „[…] denn ihr seid alle in Christus Jesus“ oder „[…] denn ihr seid alle eins des Christus Jesus“: Die dritte Variante, welche mit der ursprünglichen Lesart des Codex Sinaiticus einen Zeugen der ersten Kategorie anführen kann, ergänzt durch eine Einzelhand‐ schrift der Vulgata, 276 bietet eigentlich auf Grund der fehlenden Akzente zwei Lesemöglichkeiten. Beide stellen zwar inhaltlich mögliche und durchaus an‐ schlussfähige Aussagen dar, wären aber genauso beide grammatikalisch inkor‐ rekt. […] ἐστε ἐν Χριστοῦ Ἰησοῦ liegt inhaltlich auf der Linie der ersten Variante (ohne den Einheitsaspekt), nur dass ἐν den Dativ statt den Genitiv fordert. […] ἐστε ἕν Χριστοῦ Ἰησοῦ hebt auf den Einheitsgedanken ab, wobei neben dem Genitiv bei diesem Verständnis auch die Wortstellung unpassend erscheint. In‐ sofern stellt ἐν m. E. die ursprüngliche Lesart des Sinaiticus dar, deren Wort‐ stellung und Konstruktion mit Genitiv zugleich den Anlass für die Korrekturen gegeben hat. Grund dafür dürfte ein Abschreibfehler sein, wobei bereits die sehr unterschiedlichen Korrekturen (Variante 2 und txt), welche beide anderweitig gut belegt sind, andeuten, dass man sich über den hinter dem Fehler vermuteten ursprünglichen Text keineswegs einig ist. 4) […] πάντες γὰρ εἷς ἐστε ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ - „[…] denn ihr seid alle einer in Christus Jesus“: Die von Nestle / Aland bevorzugte Variante ist qualitativ noch etwas besser belegt als Variante 2 277 und hat (auf Grund des Mehrheitstextes) die absolute Mehrheit der Zeugen für sich. Die vielfältigen, bereits zu Variante 1 dargelegten, Relationen zum Kontext lassen sich auch für diese Variante wahr‐ nehmen: der Einheitsgedanke (vgl. 3,28a-c), der räumliche Aspekt (vgl. 3,27b), sowie die in der Taufe begründete Christusbindung (vgl. 3,27a.b. a). Der einzige, doch vermutlich entscheidende Unterschied liegt darin, dass nicht von einer neutralen Gemeinschaft gesprochen wird, sondern davon, dass alle Getauften „einer“ sind, demnach als eine (männliche) Person aufgefasst werden. Ohne 1 Galater 3,23 - 29: Es gibt weder Jude noch Grieche. 147 <?page no="148"?> 278 Der Codex Sinaiticus bietet zur Stelle einen ursprünglichen Text und sodann mindestens zwei Korrekturen, wobei das reine Erscheinungsbild keinen näheren Aufschluss über deren Reihenfolge gibt. (Dank des Digitalisierungs- und Zusammenführungsprojektes kann man dies mittlerweile unter www.sinaiticus.de/ en / manuscript.aspx selbst nach‐ vollziehen und beurteilen.) Folgender Ablauf scheint plausibel: Der Text bietet εστε εν Χριστου Ιησου, wobei εν zweideutig bleibt, was nicht zuletzt auf einen Abschreibfehler zurückgehen dürfte. Zwei Korrekturen versuchen dies nun zu beheben, indem einer εν komplett streicht und damit auf die Zugehörigkeit zu Christus abhebt und ein anderer εν als ἐν interpretiert und Χριστου passend in Χριστω abändert und zudem εἷς einfügt. Dadurch wird neben der Einheitsvorstellung auch die ἐν-Χριστῷ-Formulierung er‐ halten. Diese Abänderungen lassen sich auf zwei unterschiedliche Personen zurück‐ führen, die wohl versuchten, den Abschreibfehler zu korrigieren und dabei unter‐ schiedliche Aussagen im Ohr hatten. Ob ihnen unterschiedliche Versionen der Tradition (mündlich etwa aus einer Taufliturgie) bekannt gewesen sind oder ihnen divergierende Abschriften des Textes (neben dem Sinaiticus) vorlagen, kann wohl nicht mehr geklärt werden. Im Übrigen liest der Sinaiticus (mit dem Alexandrinus und einer Korrektur des Vati‐ canus) zu Beginn des Verses ἅπαντες anstatt πάντες, was wohl im Attischen noch un‐ terschiedlich gebraucht wird, wofür sich im NT allerdings kein Bedeutungsunterschied nachweisen lässt, siehe dazu Bauer / Aland, ἅπας, 162 f. 279 Zu den Auswirkungen der einzelnen Varianten auf die Gesamtinterpretation des Kon‐ textes 3,27 f siehe bereits in der textkritischen Darstellung oben. 280 Zur feministischen Exegese zur Stelle und der ihr entgegenschlagenden Kritik siehe ausführlich Schüssler Fiorenza, Gleichheit. Sie kommt zu dem Schluss, dass der Egali‐ tätsgedanke bereits in den Anfängen des Christentums ansatzweise vorhanden gewesen wäre, jedoch nicht voll verwirktlicht worden wäre: „Gal 3,28 ist daher nicht ein Spit‐ zensatz des Paulus, sondern ein ‚einsamer urchristlicher Lichtfunken.‘ Sie ist auch keine Utopie, da sie geschichtlich nicht ortlos ist.“ (a. a. O. 230). vergleichbare Vorstellungen, welche die Gemeinde als eine Person verstehen, muss diese Variante als schwierigste erscheinen. Doch wie bereits im Rahmen des Forschungsüberblicks dargestellt, wird zu ihrer Interpretation oft die Leib-Christi-Vorstellung herangezogen. So bieten also mehrere Varianten inhaltlich sinnvolle Versionen zu 3,28d, die sich jeweils ganz ähnlich in anderen paulinischen Texten finden lassen. Die Be‐ zeugung spricht schließlich dafür, dass es sich entweder bei ἐστε Χριστοῦ Ἰησοῦ oder εἷς ἐστε ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ um die ursprüngliche Variante handelt. Allein die Korrekturgeschichte des Sinaiticus 278 macht deutlich, dass hier nicht nur eine sehr alte, sondern auch äußerst kontrovers diskutierte textkritische Stelle vorliegt, nicht zuletzt daran ersichtlich, dass die beiden Korrekturen (siehe die beiden oben zitierten Varianten) auf ganz unterschiedliche Aussagen ab‐ zielen, welche jeweils erheblichen Einfluss auf die Interpretation von 3,27 f im Ganzen haben. 279 Jedoch verbleibt eine weitere Möglichkeit, die Plausibilität der beiden Vari‐ anten zu beurteilen, indem man nämlich 3,27 f als Tradition wahrnimmt. 280 Die Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 148 <?page no="149"?> 281 Siehe dazu bereits unter III.1.4. 282 Näheres zur Interpretation dieser Stelle siehe unter III.3. Weiterhin zur Argumentation des Paulus gegen die Absurdität einer Aufsplitterung bzw. überhaupt Unterscheidung in einzelne Gruppen siehe auch III.2. zwei Hauptaspekte, welche für 3,27 f eine traditionelle Formulierung vermuten lassen, sind dabei beide von textkritischer Relevanz: 1) der geprägte Sprachge‐ brauch: Die bildhafte Vorstellung des εἷς ἐστε ἐν Χριστῷ fügt sich dabei nahtlos an den äußerst knappen, den Ablauf des Taufrituals bildlich erläuternden Stil von V. 27 an. Jedoch handelt es sich auch bei ἐστε Χριστοῦ um eine verknappte theologische Aussage, welche sich zudem in V. 29a wiederholt. Aussagekräftiger für die textkritische Diskussion sind daher schon eher 2) die beiden anderen Stellen, an denen die Tradition Verwendung findet: 281 In Zusammenhang mit der Taufe bieten auch 1Kor 12,13 und Kol 3,11 negierte Gegensatzpaare, verwandt denen in Gal 3,28a-c, und lassen diesen argumentativ begründend eine Ein‐ heitsaussage folgen: In 1Kor 12 - eigentlich im gesamten 1Kor - malt Paulus den Korinthern ihre gegebene Einheit bei aller Vielfalt vor Augen, wobei 1Kor 12,12 f zweifellos einen der Höhepunkte in dieser leidenschaftlichen Ar‐ gumentation bildet. 282 Die besprochene Tradition wird dazu herangezogen, um diese in der Taufe grundgelegte Einheit und Einzigkeit zu betonen: καὶ γὰρ ἐν ἑνὶ πνεύματι ἡμεῖς πάντες εἰς ἓν σῶμα ἐβαπτίσθημεν, εἴτε Ἰουδαῖοι εἴτε Ἕλληνες εἴτε δοῦλοι εἴτε ἐλεύθεροι, καὶ πάντες ἓν πνεῦμα ἐποτίσθημεν (1Kor 12,13). Und während diese Einheit in 1Kor 12 kontextbezogen anhand des einen Geistes er‐ läutert wird, findet sich der Aspekt in Kol 3,11 wie auch in Gal 3,28d ausgedrückt über die alles entscheidende Christusbindung des Getauften: ὅπου οὐκ ἔνι Ἕλλην καὶ Ἰουδαῖος […] ἀλλὰ [τὰ] πάντα καὶ ἐν πᾶσιν Χριστός. Dass damit nicht allein die ethische Vorbildwirkung Christi gemeint ist, erweist sich darin, dass Paulus im Folgenden zu Gunsten der Liebe und des Friedens Christi un‐ tereinander daran erinnert, dass καὶ ἐκληθήτε ἐν ἑνὶ σώματι (Kol 3,15). Ebenfalls beachtenswert ist, dass diese Einheit nicht absolut ausgesagt wird, sondern je‐ weils als eine Einheit ἐν … näher qualifiziert wird: καὶ γὰρ ἐν ἑνὶ πνεύματι ἡμεῖς πάντες εἰς ἓν σῶμα ἐβαπτίσθημεν … (1Kor 12,13); … πάντες γὰρ ὑμεῖς εἷς ἐστε ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ (Gal 3,28); … ἀλλὰ τὰ πάντα καὶ ἐν πᾶσιν Χριστός (Kol 3,11). Die Tradition wird in ihrem Wortlaut nicht mehr genauer zu rekonstruieren sein, jedoch lassen sich drei Elemente festhalten: 1) der Taufbezug, der konsti‐ tutiv für 2) die Negierung der Gegensatzpaare ist, auf welche (argumentativ be‐ gründend) 3) eine Einheitsaussage folgt. Wenn man sich nun die beiden textkri‐ tischen Varianten anschaut, welche als gut belegt und zugleich plausibel beurteilt werden können, so stellt man fest, dass ἐστε Χριστοῦ Ἰησοῦ der Ein‐ 1 Galater 3,23 - 29: Es gibt weder Jude noch Grieche. 149 <?page no="150"?> 283 ἐστε Χριστοῦ Ἰησοῦ ist demnach als Vereinfachung und vermutlich auch als Anglei‐ chung an 3,29a aufzufassen, so auch Betz, Galaterbrief, 352 Anm. 151; Gundry-Volf, Gender, 470 Anm. 104, sowie Burton, Galatians, 208. 284 Oft wird für diese textkritische Entscheidung immer noch die Faustregel „Lectio diffi‐ cilior est Lectio potior“ herangezogen. Wie dargelegt ist es nicht nötig, auf diese allge‐ meine und teilweise problematische Hilfsregel zurückzugreifen. 285 Gundry-Volf, Gender, 470. 286 Neben der bereits zitierten Gundry-Volf so auch Bauer / Aland, εἷς, 464-467; Gemoll, εἷς, 247, sowie Benseler, εἷς, 223. Versucht man in der gelegentlich auftretenden em‐ phatischen Bedeutung „einer und derselbe“ eine der Gleichheit nahekommende Be‐ deutung zu entdecken, so ist dem entgegenzuhalten, dass es sich auch dabei um eine Aussage über die Identität und nicht etwa die Vergleichbarkeit handelt. Vgl. dazu bspw. Gen 11,1 (Καὶ ἦν πᾶσα ἡ γῆ χεῖλος ἕν, καὶ φωνὴ μία πᾶσιν.) und 1Kor 10,17 (ὅτι εἷς ἄρτος, ἓν σῶμα οἱ πολλοί ἐσμεν …), wo für eine Vielzahl von Menschen jeweils Einheit (bezüglich der Sprache bzw. ihres gemeinsamen Leibseins) ausgesagt wird. Zur viele-Glieder-ein-Leib-Thematik siehe Näheres unter III.3. heitsaspekt vollkommen fehlt. 283 Dass eine Einheitsaussage aber definitiv Be‐ standteil der Tradition gewesen ist, konnte anhand des jeweiligen Kontextes von 1Kor 12,13 und Kol 3,11 aufgezeigt werden. Demnach ist εἷς ἐστε ἐν Χριστῷ als die ursprüngliche Lesart anzusehen, 284 da nur sie den Einheitsaspekt bietet. Mit dieser Feststellung ist nun zu überlegen, wie εἷς zu verstehen ist und welche Auswirkung 3,28d als Abschluss und zugleich argumentativer Bestand‐ teil von 3,27 f auf die Interpretation des Abschnittes hat. 1.5.4 Einheitskonzepte im NT Ist eine Einheitsaussage originär mit der Tradition verbunden, so stellt sich die Frage, wie sie sich inhaltlich zu den anderen Teilen der Tradition verhält. Vor dem Hintergrund der bereits geleisteten Interpretationen zu 3,26-28c soll noch intensiver nach Einheitsvorstellungen in den neutestamentlichen Schriften (speziell εἷς-Aussagen) gefragt werden, um die so gewonnenen Ergebnisse auf ihre Aussagekraft für eine Existenz ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ hin auszuwerten. „εἷς here has the meaning ‚one‘ in contrast to the parts of which a whole is made up’, as suggested by the contrast with ‚all‘ (πάντες). It stresses wholeness or unity.“ 285 Die semantische Grundbedeutung von εἷς „einer im Gegensatz zu einer Mehrzahl“ ist so eindeutig und unbestreitbar, 286 dass die Frage aufkommt, wie man überhaupt zu einer Gleichheitsaussage für Gal 3,28d kommen kann - wohl nur mit einer eindeutigen Harmonisierungsabsicht: Wer 3,28a-c als Ne‐ gierung sämtlicher Unterschiede versteht, will im Folgenden in εἷς keine in Christus begründete Einheit, sondern vielmehr eine in der Taufe durch Christus bewirkte Gleichheit sehen. Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 150 <?page no="151"?> 287 Betz, Art. εἷς, 969 f. 288 Siehe außerdem 1Kor 8,4.6a; 1Thess 1,9 f; 1Tim 2,5. 289 Betz, Art. εἷς, 970. So stellt sich nun die Frage, welche Konzepte und Vorstellungen von Einheit und Einzigkeit lassen sich im NT , speziell in den paulinischen Schriften finden und können sie für 3,28d in Anschlag gebracht werden? Die in den unterschied‐ lichsten frühchristlichen Schriften hoch gewertete, oftmals angemahnte Bedeu‐ tung der Einheit scheint zwei grundsätzliche Wurzeln zu haben: einerseits die allgemeine Wertschätzung der Einheit und andererseits die Einzigkeit Gottes. 1.5.4.1 Neutestamentliche Einheitskonzepte allgemein Laut Betz stehen die neutestamentlichen Konzepte unter dem „Einfluß der für die antike Religion, Philosophie und Politik grundlegenden Denkkategorie Ein‐ heit-Vielheit. Das Urchristentum teilt in vollem Maße die gemeinantike Bevor‐ zugung von Einheit und die negative Einschätzung von Vielheit in ihren ver‐ schiedenen Manifestationen.“ 287 Wesentlich expliziter ausgeführt und nicht zuletzt für die paulinische Theo‐ logie grundlegend ist die Vorstellung von der Einzigkeit Gottes und deren Be‐ deutung für die Konstitution der christlichen Gemeinde. Der Monotheismus wird dabei nicht nur in seinen Inhalten, sondern oft auch in seinen prägenden Formeln aus dem Judentum übernommen: Die sogenannte Monotheismus‐ formel, wie sie ins jüdische Glaubensbekenntnis eingegangen ist ( הוהי וניהלא הוהי דרא […] / […] κύριος ὁ θεὸς ἡμῶν κύριος εἷς ἐστιν [Dtn 6,4]) und von Jesus als das höchste Gebot zitiert wird (Mk 12,29 par), findet sich an promi‐ nenten argumentativen paulinischen Stellen wie etwa in Gal 3,20 ([…] ὁ δὲ θεὸς εἷς ἐστιν) oder Röm 3,30 (εἴπερ εἷς ὁ θεὸς ὃς δικαιώσει […]), 288 später aber auch in den Evangelien (z. B. Mt 23,8-10). Dass der monotheistische Glaube der in der Antike verbreiteten Vielgöttervorstellung manifest gegenübersteht, verleiht seiner argumentativen Verwendung etwa bei der Beschreibung der Gemeinde ein spezielles, teilweise wohl erläuterungsbedürftiges Gewicht. Was aber meint „Einzigkeit“? Im Kontrast zu vielen Göttern hat die Vorstel‐ lung von nur einem Gott automatisch den Aspekt der Einzigartigkeit. Dies lenkt bereits den Blick von der rein nummerischen Aussage (einer anstatt fünf) auf die Qualitätsebene. Dass diese zweite Dimension der Einzigkeit christlicherseits als mindestens ebenso wesentlich wahrgenommen wird, macht spätestens die „Erweiterung“ der Formel auf Christus deutlich: „Die Monotheismusformel wird variiert, um analog zur Einzigkeit Gottes die einzigartige Stellung Christi fest‐ zustellen ( Jak 4,12; Mt 23,8-10).“ 289 Neben der gesonderten Stellung und Einma‐ 1 Galater 3,23 - 29: Es gibt weder Jude noch Grieche. 151 <?page no="152"?> 290 „Als Begründung für diese Würdestellung Christi kann auf das einzigartige Opfer Christi verwiesen werden (2Kor 5,14; Joh 11,50; 1Tim 2,5 f; Hebr 2,11; 10,12.14; vgl. Mk 12,6).“ (ebd.). Explizit formuliert und ausgedeutet wird die Einzigkeit Christi natür‐ lich auch in der Adam-Christus-Typologie Röm 5,12-21. 291 Dass die ekklesiologische Einheit abgeleitet ist von der Einzigkeit Christi, trägt auch das Bild von der einen Herde des einen Hirten (… καὶ γενήσονται μία ποίμην, εἷς ποιμήν [ Joh 10,16]), welches dieses Ereignis aber erst für die Zukunft erwartet. Inwie‐ weit die Einheit der Gemeinde generell eschatologisch verstanden werden will, ist an späterer Stelle noch zu fragen. 292 Inwieweit die Einzigartigkeit Christi allgemeine Bedeutung für soteriologische Aspekte hat, ist für Paulus noch einmal ausführlicher zu erörtern, siehe dazu unten. 293 Ähnliche Argumentationsstrukturen siehe auch Mt 23,9 f; Jak 4,12. 294 Schnelle, Theologie, 185. ligkeit Christi 290 wird in der johanneischen Theologie dazu speziell die Einheit mit Gott betont: ἐγὼ καὶ ὁ πατὴρ ἕν ἐσμεν ( Joh 10,30). Mit Blick auf die Inter‐ pretation von Gal 3 ist dazu festzuhalten, dass das Einssein des Vaters mit Christus nie als Identität verstanden, sondern stets als besonders qualitative Form von Gemeinschaft, nämlich Einheit, dargestellt wird. Davon wird auch eine Einheitsvorstellung für andere abgeleitet: ἵνα πάντες ἓν ὦσιν, καθὼς σύ, πάτερ, ἐν ἐμοὶ κἀγὼ ἐν σοί, ἵνα καὶ αὐτοὶ ἐν ἡμῖν ὦσιν […] ( Joh 17,21). 291 Be‐ achtenswert ist hierbei, dass die Einzigkeitsvorstellung, welche auf Einheit ab‐ hebt, mit einer (reziproken) ἐν-Aussage kombiniert ist, wie wir sie auch in 3,28d vorfinden. 292 Paränetisch-argumentativ wird die Einzigkeit Gottes gelegentlich aber auch unabhängig vom Einheitsaspekt hervorgehoben: Ὑμεῖς δὲ μὴ κληθῆτε ῥαββί· εἷς γάρ ἐστιν ὑμῶν ὁ διδάσκαλος, πάντες δὲ ὑμεῖς ἀδελφοί ἐστε. (Mt 23,8). 293 1.5.4.2 Einheitskonzepte bei Paulus Auch für Paulus gibt „Gottes Einzigkeit gedankliches und praktisches Funda‐ ment seines Denkens“ ab: 294 εἴπερ εἷς ὁ θεὸς ὃς δικαιώσει περιτομὴν ἐκ πίστεως καὶ ἀκροβυστίαν διὰ τῆς πίστεως. (Röm 3,30) Dass Gott - in Christus - an allen gleich handelt, begründet eine Einheit von ganz neuer Qualität: οὔτε γὰρ περιτομή τί ἐστιν οὔτε ἀκροβυστία ἀλλὰ καινὴ κτίσις (Gal 6,15). Um diese Ein‐ heit zu illustrieren spielt Paulus geradezu mit unterschiedlichen ekklesiologi‐ schen Metaphern, die doch alle einen Grundaspekt seiner Ekklesiologie heraus‐ stellen, welcher sich folgendermaßen zusammenfassen lässt: „Nur gemeinsam ergebt ihr ein sinnvolles, funktionierendes Ganzes - und dazu braucht es nicht nur jeden Einzelnen, sondern ein jeder wirkt auch (konstitutiv) auf die anderen ein.“ Dies verdeutlicht am sinnfälligsten sein Bild von der Gemeinde als Leib Christi: ἡμεῖς πάντες εἰς ἓν σῶμα ἐβαπτίσθημεν […]καὶ γὰρ τὸ σῶμα οὐκ ἔστιν Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 152 <?page no="153"?> 295 Siehe dazu ausführlich unter III.3. 296 Für einen kurzen Überblick siehe Gerber, Konzeptionen, 408-415. 297 Entsprechende Verheißungen an Abraham, auf die Paulus damit anspielen könnte, sind: Gen 13,15; 17,8; 22,18; und 24,7. Die LXX bietet mit der BHS an diesen Stellen tatsächlich den Singular. 298 An drei weiteren Stellen in Gal verwendet Paulus εἷς/ ἕν: an zwei Stellen in der Bedeu‐ tung des einfachen Zahlenwertes „eins“ (Gal 4,22.24) und an einer anderen mit einer stärkeren Betonung auf der „Einzigkeit“: ὁ γὰρ πᾶς νόμος ἐν ἑνὶ λόγῳ πεπλήρωμαι, ἐν τῷ· ἀγαπήσεις τὸν πλησίον σου ὡς σεαυτόν (Gal 5,14). ἓν μέλος ἀλλὰ πολλά. (siehe 1Kor 12,13 f; 1Kor 10,17; Röm 12,4-6) 295 Aber auch Metaphern wie die Gemeinde als Bau Gottes (1Kor 3,9b-15), als Tempel (1Kor 3,16 f) oder auch ungesäuerter Teig (1Kor 5,6-8) 296 - wenn auch teilweise unter einem anderen Fokus herangezogen, wie etwa dem Gemeindeaufbau oder dem Gericht - zeigen, dass nicht nur die Einzigkeit und Bedeutung der christ‐ lichen Versammlung, sondern auch ihre konstituierenden Bindungen in den Blick geraten: Einerseits die jeweilige und zugleich gemeinsame Bindung an Christus (Christus als σῶμα [1Kor 12,12 f], θεμέλιος [1Kor 3,11] oder πάσχα [1Kor 5,7]), andererseits die Bindung untereinander (die ergänzenden Funkti‐ onen der Gliedmaßen [1Kor 12,14-31], das Aufeinander der Steine [1Kor 3,10 f], das Verderben des Teiges durch auch nur den geringsten Anteil gesäuerten Teiges [1Kor 5,6.8]). Einheit ist für Paulus demnach eine konstitutive Komponente für die christ‐ liche Gemeinde. Sämtliche von ihm gewählten ekklesiologischen Metaphern spiegeln dies wider. Besonders in seinen Ermahnungen macht er deutlich, dass dies gerade eine erhöhte, nicht etwa eine geringere Verantwortung des Ein‐ zelnen nach sich zieht. Denn die Einheit fußt gerade nicht auf Gleichheit der einzelnen Beteiligten, sodass der Einzelne nötigenfalls austauschbar wäre, son‐ dern auf dem reibungslosen Mit- und Füreinander der unterschiedlichen Men‐ schen mit ihren Begabungen und Funktionen. Dies gilt für die Gemeindeleiter (1Kor 3) ebenso wie für die Glieder der Gemeinde (1Kor 12). Betrachtet man nun konkret Gal, so begegnen Einzigkeits- und Einheitsaus‐ sagen v. a. in Kp. 3: Um die Erlösung vom Fluch des Gesetzes zu erklären, erweist Paulus Christus als den einen Nachkommen (ἀλλ ὡς ἐφ ἑνός· καὶ τῷ σπέρματί σου [3,16]) und damit Erben der Verheißung an Abraham. Seine entscheidende Interpretation der Nachkommensverheißung 297 als Singular (τῷ σπέρματι αὐτοῦ [3,16]) verbindet Paulus über die Vokabel εἷς/ ἕν 298 mit zwei anderen Schlüsselstellen des Kapitels, welche beide die Einzigkeit betonen: ὁ δὲ μεσίτης ἑνὸς οὐκ ἕστιν, ὁ δὲ θεὸς εἷς ἐστιν (3,20). Diese argumentative Eröffnung läuft schließlich auf πάντες γὰρ ὑμεῖς εἷς ἐστε ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ (3,28d) hinaus - auf Grund der Einzigkeit der Stellung Christi (3,16) und der Einzigkeit Gottes (3,20) 1 Galater 3,23 - 29: Es gibt weder Jude noch Grieche. 153 <?page no="154"?> 299 Siehe dazu ausführlich unter III.3. wird diese nun auch für alle Getauften postuliert. Wenn Christus der eine Nach‐ komme ist und nun auch für alle Χριστοῦ gilt, dass sie τοῦ Ἀβραὰμ σπέρμα […] κατ ἐπαγγελίαν κληρονόμοι sind, dann können sie dies nur (als) εἷς sein (3,28 f). Paulus leitet aus der Einzigkeit Gottes und dessen einzigartiger Einheit mit Christus auch Einheitsqualitäten für die Christen, hier Getauften, ab. Dass sich Paulus unter dieser Einheit qualitativ etwas anderes vorstellt als die bloße Summe oder Gemeinschaft der einzelnen (Bestand-)Teile erweist sich dann in 6,15 - ein Vers, der wie 3,28a von der (bleibenden) Verschiedenheit Beschnittener und Unbeschnittener ausgeht: οὔτε γὰρ περιτομή τί ἐστιν οὔτε ἀκροβυστία ἀλλὰ καινὴ κτίσις. 1.5.4.3 Personale Einheitsvorstellungen Wenn εἷς der Einheitsvorstellung einen personalen Akzent verleiht, so bleibt abschließend zu fragen, welche der dargelegten neutestamentlichen Einheits‐ konzepte personal verstanden werden und als Deutungsmuster für 3,28d dienen können: 1) Die Einheit von Gott / Vater und Christus: Von dieser besonderen Art der Einheit - oftmals ausgedrückt durch reziprokes „ἐν-Sein“ - soll auch die Einheit der Anhänger ausgehen. Jedoch findet sich dieses Konzept lediglich in den Evangelien, speziell Joh, und zudem sagt es zwar eine Einheit von Personen aus, jedoch hat diese Einheit selbst keinen personalen Charakter. 2) Die Leib-Christi-Metapher: Die Grundmetapher dieser ekklesiologischen Vorstel‐ lung des Paulus ist ein menschlicher Körper, der buchstäblich davon lebt, dass seine Glieder sich ergänzen und darin auf grundlegende Weise untereinander verbunden sind. 299 3) Ein Leib mit der Prostituierten: […] ὅτι ὁ κολλώμενος τῇ πόρνῃ ἓν σῶμά ἐστιν (1Kor 6,15-17). Die auf Gen 2,24 Bezug nehmende Vor‐ stellung, dass die Vereinigung mit einer Prostitutierten so eng verstanden wird, dass sie als ein Leib bezeichnet werden kann, hat bei Paulus ihre eigentliche Pointe darin, dass sie zur Vereinigung mit dem κύριος in Konkurrenz steht, welche als ἓν πνεῦμα bezeichnet wird. Ebenfalls beachtenswert ist, dass Paulus die Vorstellung an die Glied-am-Leib-Christi-Metapher anbindet. Die Einzigkeits- und Einheitskonzepte des NT bewegen sich demnach - von den benannten drei Ausnahmen abgesehen - in einer apersonalen Bildwelt. Schaut man sich sodann die Einheitsmetaphern der frühen christlichen Schriften Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 154 <?page no="155"?> 300 Meiser listet in seinem Kommentar einige wenige auf, welche sich allerdings an die bereits benannten personalen Konzepte, hauptsächlich das vom Leib Christi, anlehnen, z. B. Tyconius, Reg. 1,12,2, welcher bezugnehmend auf Joh 10,30 dezidiert zwischen unus und unum unterschieden wissen will (Meiser, Galater, 172). an, so findet sich auch dort eine Fülle an bildlichen Umschreibungen - die al‐ lerwenigsten jedoch sind spezifisch personal zu verstehen. 300 Will man εἷς in 3,28d demnach als (männliche) Person verstehen, was die textkritischen Überlegungen als wahrscheinlich gemacht haben, so verbleiben zwei Aussagevarianten zur Wahl: 1) εἷς meint den Leib Christi. Und das in 1Kor 12 und Röm 12 ausführlich entfaltete paulinische Konzept steht hier bereits hinter der knappen Formel. Dagegen spricht m. E., dass das σῶμα Χριστοῦ dann als ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ zu verstehen wäre und zudem das Konzept den Adressaten be‐ kannt gewesen sein müsste, um für das Verständnis einer derartigen Verkürzung vorausgesetzt werden zu können. Wahrscheinlicher ist: 2) εἷς ist zu verstehen im Sinne von „wie ein einziger Mensch bzw. Organismus“, welcher - anders als eine sächliche, unbelebte Gruppe - mehr ist, als die bloße Summe seiner Teile, son‐ dern (lebens-)notwendigerweise auf das Zusammenwirken aller „Beteiligten“ angewiesen ist. Hierbei handelt es sich um ein bekanntes Motiv, das sich in sämtlichen ekklesiologischen Bildern bei Paulus wiederfindet. Dies aber liegt begründet in der Taufe εἰς Χριστόν und ist zugleich aufgehoben ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ. Dass eine Unterteilung der Gemeinde in Gruppierungen, wie sie etwa in Gal 3,28a-c aufgezählt werden, grundlegend lebenszerstörend wirken kann, wenn nicht komplett unmöglich ist, findet sich wieder in 1Kor 1,12 f. Wenn dieser Mensch dort wie auch in 1Kor 12 mit Christus identifiziert wird, kann als Weiterentwicklung der hinter Gal 3,28d stehenden Tradition verstanden werden. Entsprechend entfaltet Paulus an dieser Stelle dann auch die ursprüng‐ liche Metapher einer personalen Einheit ausführlich über dessen einzelne Glieder und deren Funktionen. 1.5.4.4 Einheitsvorstellungen in paulinischen Taufstellen Nicht zufällig finden sich an allen drei Stellen Bezugnahmen auf die Taufe. Dazu sei noch eine letzte Wahrnehmung festgehalten: Obwohl die Taufe als Initiati‐ onsritual zuerst ein Ritual für und am Individuum ist, ist 3,27 f (eigentlich ge‐ saMt 3,23-29) plural formuliert und zwar in der 2. Person Plural (3,27a.b.28d). Die einzigen singularen Bestimmungen (3,28a-c) sind, als vergangene Realität, negiert. Dass dies nicht allein der rhetorischen Situation der Ansprache einer Gemeinde im Brief geschuldet ist, sondern einen beachtenswerten Interpreta‐ tionsfaktor darstellt, untermauern v. a. zwei Aspekte: 1) Paulus wechselt den Nu‐ merus, wenn es ihm rhetorisch-argumentativ sinnvoll erscheint, indem er bspw. 1 Galater 3,23 - 29: Es gibt weder Jude noch Grieche. 155 <?page no="156"?> 301 1Kor 1,14.16 f spricht Paulus über sich selbst als Täufer und daher zwangsläufig im Singular. Es ist zu fragen, inwieweit 1Kor 15,29 zu verallgemeinernden Aussagen zur Taufe herangezogen werden kann, doch formuliert Paulus selbst da im Plural, siehe dazu unter V.2. in die Ich-Perspektive übergeht. 2) Sämtliche paulinische βαπτίζω-Aussagen sind im Plural formuliert. Grund dafür ist nicht, wie oft behauptet, der formelhafte Charakter der Aussagen. Denn es lassen sich Belege für alle drei Personen im Plural finden: ἐβαπτίσθημεν (Röm 6,3; 1Kor 12,13), ἐβαπτίσθητε (Gal 3,28d; 1Kor 1,13.15), ἐβαπτίσθησαν (1Kor 10,2). 301 Teilweise lässt sich sogar der dezi‐ dierte Wechsel vom voranstehenden Singularduktus in den Plural beobachten. Gibt es also eine inhaltliche Implikation, vom Getauftwerden stets im Plural zu sprechen? Dass die Erfahrung von Massen- oder zumindest Gruppentaufen einzige Ursache des pluralen Sprachgebrauchs sein soll, widersprechen Berichte, welche die Praxis von Einzeltaufen belegen (Apg 8), nicht zuletzt die eigene Taufe des Paulus (Apg 9). 3,28d steht, wie bereits dargelegt, in vielfältigen Beziehungen zu seinem Kon‐ text und damit im besonderen Fokus der Perikope. Das dort postulierte Eins-Sein in Christus ist aber nun nicht irgendeine Wirkung der Taufe neben anderen, sondern muss als ihre Grundbestimmung verstanden werden: Getauft zu sein, bedeutet „eins zu sein“ - eine Erfahrung und Realität, die der Einzelne (allein) nicht machen kann. Dies unterstreichen auch die vorangehenden wie folgenden Qualifizierungen der Getauften: υἱοὶ θεοῦ ἐστε (3,26), τοῦ Ἀβραὰμ σπέρμα ἐστε […] κληρονόμοι (3,29). Gemeinsam sind sie Söhne Gottes, Nachkommen Abrahams und Erben der Verheißung und zwar durch und damit auch im Ge‐ genüber zu dem einen Sohn Gottes, dem einen Nachkommen Abrahams (3,16.19) und dem einen wahren Erben der Verheißung (3,22). Menschen, die zuvor nach unterschiedlichen Kategorien unterschieden und eingeteilt wurden (3,28a-c), bilden jetzt eine Einheit. Nur gemeinsam sind die‐ jenigen, welche zuvor entweder der περιτομή oder der ἀκροβυστία zugeordnet werden konnten (6,15a), die καινὴ κτίσις (6,15b). Dabei handelt es sich weder bei der Einheitsvorstellung noch ihrer Bindung an die Taufe um spezifische Gal-Themen. Die verschiedenen, vielfältigen im 1Kor behandelten Themen und Probleme sind geradezu am roten Faden der Vielfalt-Einheits-Problematik auf‐ gefädelt. Entsprechend lassen sich die Bezugnahmen auf die christliche Taufe in dem Paulusbrief mit den meisten Tauftexten an genau den Stellen finden, wo Paulus auf die grundlegende Einheit der Gemeinde abzielt. Aus der Wahrnehmung, dass sämtliche paulinischen Taufstellen im Plural formuliert sind, ergibt sich noch ein weiterer Aspekt: Greift Paulus an diesen unterschiedlichen Stellen eine geprägte Taufformel auf. So liegt es nahe, ihren Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 156 <?page no="157"?> 302 Siehe dazu etwas spekulativ Hellholm, Tauftraditionen, 417-453, welcher unterschied‐ liche Taufformeltraditionen rekonstruiert und diesen Funktionen innerhalb der Tauf‐ liturgie zuordnet. 303 Siehe dazu ausführlich unter V.2. Sitz im Leben in der frühchristlichen Taufliturgie zu vermuten. 302 Wird sie dort auch in pluraler Form verwendet wie bei Paulus? Gibt es also gar kein indivi‐ duelles „Ich taufe dich auf …“, sondern stets nur das „Ich taufe euch …“? Es schließt sich die Frage an, ob der Plural im Vollzug der Taufe eine Pragmatik hat und wenn ja welche. Zwei Erklärungen kommen dafür in Betracht: 1) Die Taufe wird stets an mehreren Täuflingen zugleich vollzogen, welche dann gemeinsam im Plural angeredet werden. 2) Der Plural bezieht sich vielmehr auf die gesamte Gemeinde der bereits Getauften, deren Anwesenheit dann für den symbolhaft sinnvollen Vollzug der Taufe konstitutiv wäre. Die gerade angestellten Überlegungen zur Pragmatik der Taufformel im Rahmen der frühchristlichen Taufliturgie sind keine reine Gedankenspielerei und stellen auch keinen Versuch der Rekonstruktion der christlichen Taufe in den ersten Jahrzehnten dar. Die neutestamentlichen Texte bieten keine Be‐ schreibung des Taufablaufs. Dadurch gerät jedoch schnell aus dem Blick, dass die dem Taufritual eigene Symbolik (und ggf. deren Deutung), wie z. B. die Taufe als „Gruppenerlebnis“, von den Briefadressaten selbst erlebt wird. Dass Paulus aber durchaus die Symbolik, welche das Taufritual bietet, auf‐ greift und davon ausgehend seine Interpretationen und Argumentationen ent‐ faltet, konnte bereits für 3,27 aufgezeigt werden. Läge es dann nicht nahe, dass auch die Einheitsaussagen, welche sich stets bei den paulinischen Taufstellen finden lassen, und welchen mindestens ebensolches Gewicht zugestanden wird wie den Auswirkungen der Taufe auf den Einzelnen, ebenfalls an einen Aspekt des Taufrituals anknüpfen, nämlich den Vollzug der Taufe mit Blick auf eine Gruppe, erkennbar anhand der plural formulierten Taufformel? 303 1.5.5 Abschließende Interpretation Mit Blick auf die eingangs angefragten vielfältigen Beziehungen zum Kontext lässt sich Folgendes zusammenfassen: Mit πάντες γάρ […] ἐστε […] (3,26 und 3,28d) setzt Paulus einen strukturellen, aber v. a. inhaltlichen Rahmen, innerhalb dessen er den Galatern vor Augen führt, dass die freiwillige Unterwerfung auch nur eines einzelnen unter das Gesetz nicht nur seine eigene Erlösung durch Christus in Frage stellt, sondern der Konstitution der gesamten Gemeinde konträr gegenüberstehen würde. Denn sie alle, die sie ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ glauben und εἰς Χριστὸν getauft wurden, sind auf besondere Weise an ihn und aneinander gebunden. 1 Galater 3,23 - 29: Es gibt weder Jude noch Grieche. 157 <?page no="158"?> Es ist eine besondere Gemeinschaft, in die hinein sie mit der Taufe initiiert wurden. Es ist eine Gemeinschaft, wie sie bis heute nur schwer vorstellbar ist, denn sie lebt gerade nicht von der Gleichgestaltigkeit ihrer Mitglieder oder doch mindestens von einem gemeinsamen Streben danach, wie es alle anderen Gruppen, Stände und Vereine tun: Die Mitglieder sind gerade verschieden in (bis‐ heriger) Religion, Volkszugehörigkeit, sozialem Stand und Geschlecht. Das einzige, was ihnen gemein ist, ist das ἐν-Χριστῷ-Ἰησοῦ-Sein, welches dann nicht nur die Bedeutung der bisherigen, das Sozialleben strukturierenden Unterscheidungen relativiert, sondern auch die dahinterstehenden Verhältnisse und Bindungen geradezu aufsprengt. Als gäbe es keinen Unterschied zwischen Juden und Heiden, müssen beide ἐν Χριστῷ glauben und εἰς Χριστὸν getauft werden. Juden und Grie‐ chen, Sklaven und Freien, Männern und Frauen wird, indem sie sich erstmals dem gleichen Ritual unterziehen, die gleiche „Behandlung“ durch Gott zuteil. Wie könnte man dann nachträglich, indem man sich als Heide beschneiden lässt, derartigen Kategorisierungen wieder Relevanz einräumen? ! Die einzige - heils‐ notwendige - Verhältnisbestimmung ist die Zugehörigkeit zu Christus und die Einheit untereinander. Keine Volkszugehörigkeit, kein sozialer Status, kein Ge‐ schlecht, nicht einmal die Ehe binden den einzelnen mehr als das gemeinsame υἰοὶ-θεοῦ-Sein. Die vorherige Individualität des einzelnen, welche sich auf Ver‐ hältnisbestimmungen stützt, hat in der Taufe ihre Relevanz verloren, denn es gibt niemals den einen, einzelnen Getauften, πάντες γὰρ ὑμεῖς εἷς ἐστε ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ. Ihre Einheit ist keinesfalls zu vergleichen oder gar zu identifizieren mit Christus, dennoch derartig grundlegend durch ihn begründet, dass Paulus sie später zu seiner σῶμα-Χριστοῦ-Metapher ausbaut. Sie wird sehr deutlich he‐ rausstellen, dass die Gleichheit coram deo nicht zu einer Einebnung jeder Art von Unterschieden geführt hat (und wohl auch nicht eschatologisch zu erwarten ist), sondern dass die funktionierende Einheit vielmehr von den unterschiedlichen χαρίσματα des einen πνεῦμα lebt. 1.6 εἰ δὲ ὑμεῖς Χριστοῦ, ἄρα τοῦ Ἀβραὰμ σπέρμα ἐστέ, κατ’ ἐπαγγελίαν κληρονόμοι (Gal 3,29) Vers 29 führt über δέ nicht nur die Thematik vom Verhältnis der Christusgläu‐ bigen zu Christus weiter, sondern bringt zugleich die bereits in 3,6 beginnende Argumentation über den Glauben Abrahams und seine Erben zum Abschluss. Wenn sich auch die Literatur einig darüber ist, dass δέ nicht kontrastierend, sondern fortführend zu verstehen ist, so scheint doch nicht ganz eindeutig, woran ὑμεῖς Χριστοῦ (ἐστέ) anknüpft: Entweder umschreibt der Genitiv das Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 158 <?page no="159"?> 304 Siehe Burton, Galatians, 208; Betz, Galaterbrief, 353. 305 Siehe Rohde, Galater, 166. 306 Betz, Galaterbrief, 353 Anm. 156. 307 Rohde, Galater, 166. 308 Zu Bedeutung des und Befreiung vom Gesetz siehe ausführlich unter III.1.2. in-Christus-Sein (ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ, 3,28d) 304 oder aber er greift die Art der Zu‐ gehörigkeit (πάντες γὰρ υἱοὶ θεοῦ ἐστε, 3,26) 305 wieder auf. Unzweifelhaft handelt es sich um einen Genitiv der Zugehörigkeit, welcher sich auch in anderen paulinischen Texten an prominenter Stelle findet (Gal 5,24; 1Kor 1,12; 3,23; 2Kor 10,7 u. a.). Betz spricht sogar von einem paulinischen „Be‐ griff Χριστοῦ εἶναι“. 306 Grundthema sämtlicher Stellen ist die Betonung der ganz neuen, völlig veränderten Lebenswirklichkeit der Christusgläubigen (1Kor 1,12 f; 3,23; 2Kor 10,7), welche einen Christus entsprechender Lebens‐ wandel fordert (Gal 5,24), v. a. aber durch das in Christus bewirkte Rettungs‐ handeln bestimmt wird (Gal 3,29). Der Verweis auf die Taufe macht dabei deut‐ lich, was auch die maximal verkürzte grammatikalische Struktur zum Ausdruck bringt: Nicht die Christusgläubigen selbst tragen dazu bei, Kinder Gottes (Gal 3,26) oder Samen Abrahams zu sein, sondern allein ihre in der Taufe ver‐ mittelte Zugehörigkeit zu Christus (Gal 3,29). Besondere Beachtung kommt dabei dem Plural in all diesen Aussagen zu, denn: „Wenn die Gläubigen durch die Taufe in der Weise Christus angehören (Gen.poss.), daß sie in ihm eine Ein‐ heit bilden, so haben sie auch alle daran Anteil, was ihm gehört.“ 307 Die in Christus realisierte Verheißung gilt einerseits jedem einzelnen und andererseits allen gemeinsam als Gemeinde. Durch den Bund der Beschneidung bekamen die leiblichen Nachkommen Abrahams Teil an der Verheißung für all seine Nachkommen. Paulus nun be‐ gründet die Erwählung Abrahams und damit seinen Bund mit dessen Glauben (Gal 3,6 [Gen 15,6]), und sieht all die als Kinder Gottes an, welche, ob auch außerhalb des Bundesvolkes, glauben, wie Abraham geglaubt hat, bevor Gott den Bund mit ihm schloss (Gal 3,7). Der Apostel versteht dies als Erfüllung einer weiteren Bundesverheißung: ἐνευλογηθήσονται ἐν σοὶ πάντα τὰ ἔθνη· (Gal 3,8 [Gen 12,3]). Die folgende Argumentation, welche in 3,29 zugleich Abschluss und Höhepunkt findet, parallelisiert den Glauben Abrahams als einen Glauben vor und v. a. unabhängig vom Gesetz, dem der Glaube der Christusgläubigen inso‐ fern entspricht, als Christus von diesem Gesetz befreit 308 und sich damit als der (eine) Nachkomme erweist (3,16). Der Glaube an dieses Heilshandeln Gottes lässt zu Nachkommen Abrahams werden - durch die Zugehörigkeit zu Christus als dem einen Nachkommen. Und es macht sie zu Erben im Sinne der Verhei‐ ßung - durch die Zugehörigkeit zu Christus, dem die Verheißung gilt (3,19). 1 Galater 3,23 - 29: Es gibt weder Jude noch Grieche. 159 <?page no="160"?> 309 Burton, Galatians, 210. 310 Rohde, Galater, 166. 311 Siehe dazu ausführlich unter IV.3.8. 312 Loewe, Women, 52, vgl. auch Witherington III, Rite, 599. 313 Siehe dazu unter IV.3.8.7. Dass τοῦ Ἀβραὰμ σπέρμα ἐστέ die Nachkommen ohne Artikel konstruiert deutet Burton dahingehend, dass allein der Anteil an Christus die Christusgläu‐ bigen zu Nachkommen und Erben macht. 309 Auch wenn Paulus in dieser Argumentation (vgl. Gal 5) die Beschneidung nicht dezidiert erwähnt, so steht sie den Lesern mit den Motiven von Verheißung und Glaube Abrahams, seiner Nachkommenschaft sowie der Bedeutung des Gesetzes sehr deutlich vor Augen: „Es kann keine Rede mehr davon sein, daß sie sich erst durch die Beschneidung in das Geschlecht Abrahams aufnehmen lassen müßten und daß nur die Beachtung des Mosaischen Gesetzes ihnen zu dem Erbe verhelfen könnte, wie die Gegner in Galatien behauptet haben werden.“ 310 Die Taufe εἰς Χριστόν begründet die alles entscheidende Zugehö‐ rigkeit zu Christus und steht damit in einem Konkurrenzverhältnis zur Be‐ schneidung an Heidenchristen. 311 Fragt man nach der Verwendung und Bedeu‐ tung beider Rituale in einem größeren Kontext, so liest man gelegentlich: „Die soziologische Basis, auf der das Christentum beruht, sind nicht - wie im Ju‐ dentum - die Verwandtschaftsbindungen sondern die Bindungen der Gemein‐ schaft - Gemeinschaft in Christus.“ 312 Wenn dies auch auf biologischer Ebene stimmt, insofern die Beschneidung hauptsächlich innerjüdisch Verwendung findet, so ist doch festzuhalten, dass Paulus zur Illustration und Erklärung der Auswirkungen der Zugehörigkeit zu Christus gerade Verwandtschaftsmeta‐ phorik aufgreift: υἱοὶ θεοῦ (3,26) und τοῦ Ἀβραὰμ σπέρμα (3,29). 313 1.7 Zusammenfassung unter ritologischer Perspektive Paulus verdeutlicht den Galatern, dass eine Beschneidung der Heidenchristen nicht nur unnötig, sondern sogar der Evangeliumsbotschaft diametral entge‐ genläuft. Eine freiwillige Beschneidung bedeutet eine Versklavung des Men‐ schen unter das Gesetz, das nicht retten kann. Christus aber hat als der eine verheißene Nachkomme Abrahams alle Menschen vom Gesetz befreit, welche nun durch Glaube und Taufe über Christus Anteil haben können an der Ver‐ heißung, welche damals an Abraham ergangen ist. Doch Taufe ist noch mehr als die Befreiung vom Gesetz: In ihr geht der Täufling eine grundlegende Chris‐ tusbindung ein, welche sein Leben als einzelnen wie das der Gemeinde der Ge‐ tauften grundlegend verändert, indem sich die neue Gleichheit vor Gott in un‐ Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 160 <?page no="161"?> 314 Siehe dazu allgemein unter V.1 Exkurs Liminalität. 315 Siehe dazu abschließend unter VI.5.2. 316 Vgl. etwa 1Kor 12 unter III.3. 317 Siehe dazu unter V.1 und V.2. 318 Siehe dazu unter IV.3.4; IV.4.4 sowie abschließend unter VI.4. 319 Siehe dazu unter V.4. 320 Siehe dazu unter V.3. 321 Siehe dazu unter IV.3. 322 Siehe dazu abschließend unter VI.1. 323 Siehe dazu abschließend unter VI.1. terschiedlicher Weise auch auf die zwischenmenschlichen Verhältnisse auswirkt - zwischen einzelnen und Gruppen. Alle Christusgläubigen bilden eine Einheit von einer Qualität, wie es sie bisher nicht gegeben hat. Dies wird in der Taufe bewirkt und ist seit dieser real. Paulus verwendet zur Beschreibung der Wirkung und Bedeutung der christ‐ lichen Taufe drei ritologische Motive, für die sich weitergehende Fragen er‐ geben: 1) Das Konzept der Liminalität: 314 Werden die liminalen Wirkungen der Taufe stets präsentisch verstanden oder gibt es (darüber hinaus) auch eschato‐ logische Erwartungen? 315 Wird der Gleichheitsaspekt in anderen Texten ähnlich divers dargestellt? 316 Finden sich überhaupt andere Äußerungen zum Verhältnis von Taufe und innergemeindlicher Ordnung? 317 Wieviel Bedeutung kommt dem gleichen Vollzug des Rituals an sämtlichen Initianden zu, wenn man es mit an‐ deren jüdischen und nichtjüdischen Ritualen vergleicht? 318 2) Motiv „Befreiung“: Kann das Motiv von „Befreiung / Freiheit“ vom Gesetz als spezifisch christlich verstanden werden oder findet es sich so oder ähnlich auch bei anderen Ritu‐ alen? 319 3) Motiv „Nachkomme / Erbe“: Warum greift Paulus zur Deutung der christlichen Taufe auf Verwandtschaftsmetaphorik zurück, obwohl sich die christliche Gemeinde v. a. mit Beginn der Heidenmission gerade von der jüdi‐ schen Volksreligion wegentwickelt? Ist dies lediglich als traditionsgeschichtli‐ ches Aufgreifen des jüdischen Motives der „Nachkommen Abrahams“ zu werten, gegenüber einer mehrheitlich heidenchristlichen Gemeinde? 320 Über diese konkreten Deutungsmotive hinaus ergeben sich weitere ritologi‐ sche Fragen: Wie genau stellt sich für Paulus das Verhältnis von der christlichen Taufe und der Beschneidung dar, welche im Text nicht dezidiert genannt wird, aber dennoch stets präsent zu sein scheint? 321 Ist die Parallelführung von ἐβαπτίσθητε und ἐνεδύσθε als Verweis auf die Symbolik des Ritualablaufes zu deuten? 322 Gal 3,27 f konnte als Tauftradition identifiziert werden; es bleibt je‐ doch die Frage nach ihrer Herkunft, ihrem Sitz im Leben und dem Grad ihrer Formelhaftigkeit. 323 In Gal 3 fallen Glaube und Taufe zeitlich zusammen, ohne dass Paulus sich näher um deren, möglicherweise kausales Verhältnis kümmert. 1 Galater 3,23 - 29: Es gibt weder Jude noch Grieche. 161 <?page no="162"?> 324 Siehe dazu abschließend unter VI.5.2 sowie IV.6. Wie stellt sich dies in anderen paulinischen Tauftexten, aber auch vergleichend bei anderen Ritualen dar? 324 2 1. Korinther 1,10 - 17: Auf wessen Namen seid ihr getauft? ! 10 Ich aber ermahne euch, Geschwister, durch den Namen unseres Herrn, Jesus Christus, dass ihr alle ‚dasselbe‘ sagt und keine Spaltung unter euch sei, dass ihr aber Vollendete seid in derselben Gesinnung und derselben Erkenntnis! 11 Denn es ist mir kundgetan worden über euch, meine Brüder, von denen der Chloe, dass es unter euch Streitigkeiten gibt. 12 Ich aber sage dieses, dass jeder von euch sagt: Ich gehöre zu Paulus, ich aber zu Apollos, ich aber zu Kephas, ich aber zu Christus. 13 a) Ist Christus etwa zerteilt worden? b) Ist etwa Paulus für euch gekreuzigt worden? c) Seid ihr etwa auf den Namen des Paulus getauft worden? 14 Ich bin [Gott] dankbar, dass ich keinen von euch getauft habe, außer Krispos und Gaios, 15 damit nicht jemand sage, dass ihr auf meinen Namen getauft worden wäret. 16 Ich habe aber auch das Haus des Stephanos getauft, ansonsten weiß ich nicht, dass ich jemand anderen getauft hätte. 17 Denn Christus hat mich nicht gesandt zu taufen, sondern zu verkündigen - nicht in der Weisheit des Wortes, damit nicht das Kreuz Christi zunichte gemacht wird. 2.1 Textsemantischer Einstieg Paulus reagiert auf Berichte von Leuten der Chloe mit einer beinahe schon emotionalen Argumentation, der man viele Überschriften geben könnte und auch schon gegeben hat - je nachdem, worin man die Problematisierung bzw. das Argumentationsziel des Paulus sieht: „Spaltungen unter den Gläubigen“ ( Jerusalemer), „Spaltungen in der Gemeinde“ (Luther 1984), „Feststellung des Tatbestandes und die Widersinnigkeit des Parteientreibens“ (Menge), „Die Grundlosigkeit der Streitigkeiten“ (Zürcher) oder auch „Es gibt nur eine Kirche“ (Zink). Die unterschiedlichen Gruppierungen in der Korinthischen Gemeinde beschäftigen Paulus zweifellos, jedoch scheinen sie bei ihm verschiedene Ge‐ danken und Befürchtungen auszulösen, welche auf verschiedene Weise mit der Taufe verbunden sind und sich v. a. immer wieder um einen drehen: ὁ Χριστός - ἐγὼ δὲ Χριστοῦ (1,12), μεμέρισται ὁ Χριστός; (1,13), γὰρ ἀπέστειλέν με Χριστὸς (1,17), παρακαλῶ […] διὰ τοῦ ὀνόματος τοῦ κυρίου ἡμῶν Ἰησοῦ Χριστοῦ (1,10) und schließlich ὁ σταυρὸς τοῦ Χριστοῦ (1,17). In der paulinischen Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 162 <?page no="163"?> 325 Oder war sogar noch Schlimmeres zu befürchten gewesen? Eine gut belegte Variante liest ἵνα μή τις εἴπῃ ὅτι εἰς τὸ ἐμὸν ὄνομα ἐβαπτίσa. Siehe dazu unter III.2.4. Argumentation ist Christus aber auch noch in einigen anderen Motivfeldern und Themen mitzudenken, welche zunächst im Gegenüber zu Christus ange‐ führt werden, nur um von Paulus als uneigentliche, unzutreffende oder gar ab‐ surde Alternativen entlarvt zu werden. Die parallel formulierte Auflistung der Parteilosungen bildet dabei nur den Anfang. Als könnten Παῦλος, Ἀπολλῶς oder Κηφᾶς gleichwertig neben Christus treten. An seiner eigenen Person führt Paulus dies beispielhaft genauer aus: μὴ Παῦλος ἐσταυρώθη ὑπὲρ ὑμῶν, ἢ εἰς τὸ ὄνομα Παύλου ἐβαπτίσθητε; (1,13b.c). Dabei ist er noch nicht einmal ein häufiger Täufer, sondern vielmehr dankbar, ὅτι οὐδένα ὑμῶν ἐβάπτισα εἰ μὴ Κρίσπον καὶ Γάϊον […] (1,14). Wer in Korinth normalerweise tauft, bleibt offen. Doch worin begründet sich diese Dankbarkeit oder vielleicht eher Erleichterung? ἵνα μή τις εἴπῃ ὅτι εἰς τὸ ἐμὸν ὄνομα ἐβαπτίσθητε (1,15). Und ist dies tatsächlich der einzige Grund? 325 Wenn Paulus befürchten muss, man hätte auf seinen Namen getauft, wird zwar verständlicher, wie er auf den zuvor angeführten Vergleich Christus - Paulus kommen konnte. Aber ist dies wirklich geschehen oder ist es zu be‐ fürchten? Und wenn ja, wie kam es dazu, dass man auf einen anderen Namen als auf den Christi tauft? Und führt dieser Fehler bei der Taufe zu den kritisierten Gruppenbildungen oder haben diese noch einmal einen anderen Ursprung? 2.2 ἵνα […] μὴ ᾖ ἐν ὑμῖν σχίσματα (1Kor 1,10) Die paulinische Argumentation in 1Kor 1 setzt voraus, dass die Mitglieder der Korinthischen Gemeinde getauft sind und problematisiert darüber deren ge‐ genwärtige Aufsplitterung in mehrere Gruppen. Die meist „Parteien“ genannten Gruppierungen zeichnen sich durch eine jeweilige Zuordnung zu Paulus, Apollos oder Kephas aus. Dass es eine vierte, eine „Christus-Gruppe“ gibt, wirkt bereits irritierend, mehr noch die folgenden, rhetorisch zu verstehenden Fragen: μεμέρισται ὁ Χριστός; μὴ Παῦλος ἐσταυρώθη ὑπὲρ ὑμῶν, ἢ εἰς τὸ ὄνομα Παύλου ἐβαπτίσθητε; (1,13). Damit will Paulus aufzeigen, dass die korinthische Situation längst nicht nur menschliche Sym- und Antipathien zum Ausdruck bringt oder in Spannung zu einem harmonischen Bild von Gemeinde steht. Vielmehr han‐ delt es sich um einen tatsächlichen Widerspruch zu dem, was Christi Kreuz und die Taufe auf seinen Namen eigentlich bewirkt haben müssten. An seiner ei‐ genen Person erklärt er: Eine Paulusgruppe wäre nämlich nur dann legitim oder 2 1. Korinther 1,10 - 17: Auf wessen Namen seid ihr getauft? ! 163 <?page no="164"?> 326 Im wissenschaftlichen Diskurs hat es sich eingebürgert, diese „Parteien“ zu nennen und die von Paulus zitierten Zuordnungen zu einzelnen Personen als „Parteilosungen“ zu bezeichnen. Dass sie jedoch tatsächlich „Losungscharakter“ gehabt haben, wird mitt‐ lerweile angezweifelt, nicht zuletzt im Zusammenhang mit der Fragestellung, ob die Zuordnung zu einer solchen Gruppe tatsächlich die (soteriologische) Bedeutung Christi geleugnet habe (siehe z. B. unten Schnackenburg). 327 Vgl. entsprechend Xenophon, Hell. 2,4,36; Iamb.vit.Pyth. 33,230 (τῶν Πυθαγορείων). 328 Zeller, Korinther, 91. 329 Schnackenburg, Heilsgeschehen, 15: „Sicher wollten die Angehörigen der ersten drei Parteien die Heilsmittlerschaft Christi nicht leugnen; sonst hätte Paulus nicht nur von σχίσματα (1Kor 1, 10), sondern von Irrlehren ähnlich wie Eph 4, 14 oder Kol 2, 8 ge‐ sprochen. Aber er sieht in ihrem Verhalten eine praktische Herabsetzung der einzigar‐ tigen Bedeutung Christi“. Dazu Bachmann, Korinther, 71: „Die scharfe Gegenüberstel‐ lung verrät alsbald, worin für Pl das eigentliche Anstößige der ganzen Erscheinung lag - darin, daß man Menschen mit Christus rivalisieren ließ, oder wenigstens in die Gefahr kam, das zu tun.“ vorstellbar, wenn er für die Korinther gekreuzigt worden wäre und sie auf seinen Namen getauft worden wären. Die anfängliche Ermahnung ἵνα τὸ αὐτὸ λέγητε πάντες (1,10) und die Be‐ fürchtung von σχίσματα scheint in der Erwähnung der Gruppierungen 326 eine Erläuterung zu finden: ὅτι ἕκαστος ὑμῶν λέγει· ἐγὼ μέν εἰμι Παύλου, ἐγὼ δὲ Ἀπολλῶ, ἐγὼ δὲ Κηφᾶ, ἐγὼ δὲ Χριστοῦ (1,12). Die nachfolgenden drei Fragen sind demnach als kritische Hinterfragung der Situation zu verstehen: μεμέρισται ὁ Χριστός; μὴ Παῦλος ἐσταυρώθη ὑπὲρ ὑμῶν, ἢ εἰς τὸ ὄνομα Παύλου ἐβαπτίσθητε; (1,13). Es ist daher zunächst im Folgenden zu klären, um welche Art von Gruppierungen es sich dabei handelt und wie deren Zustandekommen zu erklären ist. 2.3 ἐγὼ μέν εἰμι Παύλου, ἐγὼ δὲ Ἀπολλῶ, ἐγὼ δὲ Κηφᾶ, ἐγὼ δὲ Χριστοῦ (1Kor 1,12) Bei den vier von Paulus referierten Selbstaussagen handelt es sich um Genitive der Zugehörigkeit, 327 mit deren Hilfe „sich die einzelnen exklusiv einer Autorität zu[ordnen]“. 328 Doch wurden diese drei Protagonisten der frühchristlichen Kirche tatsächlich gleichwertig mit Christus wahrgenommen, wie es die paral‐ lele Konstruktion vermuten lässt und demnach in einem Konkurrenzverhältnis gesehen? Schnackenburg sieht dies zwar nicht gegeben, wohl aber eine gewisse Gefahr dahingehend. 329 Diese Vermutung scheint zwar vorstellbar, wird von ihm aber in keiner Weise begründet. Eine nähere Bestimmung der Art des Zugehö‐ rigkeitsgefühles und dessen Zustandekommen wären hilfreich. Es wird diesbe‐ züglich verschiedentlich versucht, eine Gemeinsamkeit der Bedeutung bzw. Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 164 <?page no="165"?> 330 Nicht zuletzt auf Grund der folgenden Argumentation des Paulus wird vermutet, dass sowohl Paulus, als auch Apollos und Kephas als Täufer in der Gemeinde tätig sind (siehe dazu unter III.2.5 im Exkurs Der Täufer als Mystagoge - Heinrici). Oder aber man geht davon aus, dass alle drei der Gemeinde als Verkündiger des Evangeliums bekannt sind, vielleicht sogar alle drei bereits von der Gemeinde (oder Teilen) gehört worden (ebd.). (Siehe Weder, Kreuz, 122 Anm. 4, der begründend anführt: „Zu vergleichen ist 1Kor 3,22 (ohne Christus)“.) 331 Dass sich einzelne dem Gemeindegründer Paulus besonders zugehörig fühlen, ist leicht vorstellbar, ob diese Gruppe allerdings aus einer Art „ältesten Gemeindekern“ (so Schreiber, Gemeinde, 157) hervorgegangen ist oder sich als Reaktion auf eine sich gegen Paulus richtende Opposition in Korinth zusammengefunden hat (so Wendland, Korin‐ ther, 18), lässt sich kaum mehr entscheiden. Unwahrscheinlich ist, dass es sich dabei allein um die von Paulus Getauften (1,14-16) handelt. Der unmittelbare Kontext spricht jedenfalls nicht dafür, dass Paulus eine sich auf ihn berufende Gruppe selbst gegründet habe oder auch nur gutheißen würde. Ähnliches kann man für die anderen Gruppen - wenn auch nicht zwingend - annehmen. 332 Apollos hat nach Paulus erfolgreich in Korinth gewirkt (Apg 18,24-28; 1Kor 3,5-9). Er scheint nun wie Paulus in Ephesus zu weilen und weigert sich trotz mehrmaliger Bitte nach Korinth zu reisen. Die Gründe dafür sind ebenso wenig bekannt, wie die für die Entstehung einer sich auf ihn berufenden Gruppe. Vermutet wird, dass der beredte und in den Schriften gelehrte Mann die nach Weisheit strebenden Korinther auf besondere Weise beeindrucken konnte. Gegen eine etwaige Rivalität oder sonstige Unstimmig‐ keiten mit Paulus spricht 1Kor 3,5-9. Auch dass die eigentliche Auseinandersetzung zwischen der Paulus- und der Apollosgruppe zu suchen ist (siehe Sellin, Geheimnis, 75-79), bleibt Spekulation. 333 Um die Existenz einer Kephasgruppe in Korinth zu erklären, ist vermutet worden, dass entweder Petrus selbst dort gewesen ist oder sich ihm besonders verbunden Fühlende nach Korinth gekommen sind. Für beides gibt es keine Belege. Die Erwähnung in 3,10-17 sowie 15,5.11 deuten nicht im Ansatz ein Konkurrenzverhältnis zu Paulus an. Die Spekulation, dass die Bezeichnung als אפכ / Κηφᾶς [Fels, Grund] und die von Christus ausgesagte „Grundlegung“ (3,11) eine bewusste Anspielung auf unangemes‐ sene Führungsansprüche des Petrus sei, ist kaum haltbar. Funktion der drei / vier Personen festzustellen, welche näheren Aufschluss über die Entstehung der Gruppierungen geben könnte. 330 Es handelt sich bei Paulus 331 und Apollos 332 , wie an späterer Stelle (1Kor 3 f) noch ausführlicher thematisiert, um Mitarbeiter der Gemeinde: Paulus be‐ zeichnet sich in diesem Zusammenhang als denjenigen, der den Grund gelegt (θεμέλιον ἔθηκα [3,10]) bzw. gepflanzt hat (ἐγὼ ἐφύτευσα [3,6]), Apollos habe weitergebaut (ἄλλος δὲ ἐποικοδομεῖ [3,10]) bzw. gegossen (ἐπότισεν [3,6]). Auch Kephas 333 findet noch verschiedentlich Erwähnung - stets in neutralen oder positiven Zusammenhängen (3,22; 9,5; 15,5.11). Nach Paulus handelt es sich dabei um unterschiedliche, aber gleichwertige Dienste (ἕν εἰσιν [3,8]). Dagegen 2 1. Korinther 1,10 - 17: Auf wessen Namen seid ihr getauft? ! 165 <?page no="166"?> 334 θεμέλιον γὰρ ἄλλον οὐδεὶς δύναται θεῖναι παρὰ τὸν κείμενον, ὅς ἐστιν Ἰησοῦς Χριστός (1Kor 3,11). Die Diskussion über die Christusgruppe zeigt am deutlichsten, in welchem Maße die Erklärungsversuche zu den korinthischen Gruppen auf Vermu‐ tungen gründen. Diejenigen, welche davon ausgehen, dass eine Christusgruppe tat‐ sächlich existiert, führen sie auf Verwandte oder Jünger Jesu zurück, deren Anhänger jegliche andere Autorität ablehnen. Ebenso sind Gnostiker vermutet worden, welche sich auf eine Sonderoffenbarung beziehen. Man kann anfragen, ob Paulus nicht solchen Christus elitär vereinnahmenden Ansichten stärker entgegen treten würde. V. a. aber spricht gegen die Existenz einer Christusgruppe, dass - obwohl in 1,12 völlig gleich‐ geordnet konstruiert - an späterer Stelle, wo die Zugehörigkeit zu einer Person erneut aufgegriffen wird (Kp. 3), lediglich die ersten drei Gruppen wieder erwähnt werden und zwar um sie dann Christus bewusst gegenüberzustellen und damit unterzuordnen. (Sämtliche textkritische Überlegungen [Verschreibung: ΚΡΙΣΠΟΥ [vgl. 1,14] → ΧΡΙ‐ ΣΤΟΥ bzw. [versehentliche] Integration der Randglosse eines empörten Lesers [„ἐγὼ δὲ Χριστοῦ“]] ermangeln jedes Beleges durch eine der Handschriften.) Verbliebe also noch die Interpretation als einer bewussten argumentativen Überspitzung durch Paulus, welche in 1,13 und in 3,5-9 überdeutlich ihre Klärung findet und welche den Korinthern angesichts der real vorhandenen Gruppen bereits vorher offensichtlich sein dürfte. betont Paulus, dass diese Beiträge sich fundamental von demjenigen Christi 334 und Gottes (ὁ αὐξάνων θεός [3,7]) unterscheiden. Der Versuch, eine Gemein‐ samkeit zwischen den benannten Parteihäuptern festzustellen und darüber Ver‐ mutungen über die Entstehung der Gruppierungen anstellen zu können, bleibt also ohne Ergebnis. Allein aus dem Wissen, welches man über die Personen und ihr Verhältnis zur korinthischen Gemeinde hat, lässt sich auch kaum belegen, dass sich das enge Zugehörigkeitsgefühl über die Verbindung Täufer-Täufling entwickelt haben könnte. Inwieweit das Taufverständnis aber durchaus Einfluss auf die korinthische Situation gehabt haben dürfte, wie es ja die nachfolgende Argumentation des Paulus vermuten lässt, wird an späterer Stelle noch eingeh‐ ender diskutiert. 2.4 μεμέρισται ὁ Χριστός; μὴ Παῦλος ἐσταυρώθη ὑπὲρ ὑμῶν, ἢ εἰς τὸ ὄνομα Παύλου ἐβαπτίσθητε; (1Kor 1,13) Dass derartige Gruppenbildungen dazu führen, dass Streitigkeiten entstehen bzw. man nicht mehr mit einer Stimme spricht, lässt sich leicht vorstellen, falls sie nicht als Reaktion auf bereits vorhandene unterschiedliche Positionen ent‐ standen sind. In welcher Weise aber passt die nachfolgende Argumentation des Paulus zu der kritisierten Gruppenbildung? Zwei Richtungen der Kritik lassen sich ausmachen: Zunächst eine grundsätzliche an den Spaltungen: μεμέρισται Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 166 <?page no="167"?> 335 μερίζω ([zer-]teilen, in Stücke teilen; 3. Sg. Perf. Pass.) ist am ehesten bildlich zu ver‐ stehen: Der Akzent scheint dabei weniger auf dem „Wer hat das wie verursacht? “ als viel eher auf dem „Ist es denn überhaupt möglich, dass Christus ‚in verschiedenen, unabhängigen ‚Stücken‘ existiert? “ Verständlich wird die Bezugnahme auf einen „ge‐ teilten Christus“ angesichts von Gemeindegruppierungen durch die Annahme, dass die Vorstellung von der Vergleichbarkeit der Gemeinde als τὸ σῶμα mit Christus (siehe οὕτως καὶ ὁ Χριστός [1Kor 12,12]) den Korinthern bekannt ist und bereits hier Ver‐ wendung findet. Siehe dazu Schrage, Korinther I, 152; Schlier, Zeit, 293 f u. a.). 336 Vgl. etwa die Empfehlungen des Paulus bezüglich der Ehelosigkeit, welche immer auch Alternativen für möglich halten oder gar anraten (1Kor 7,1-9.25-40). 337 Siehe ausführlich unter III.3. 338 Ist die Taufe etwa ein sich selbst erklärendes Argument, welches nur angeführt werden muss - vergleichbar der rhetorischen Frage μὴ Παῦλος ἐσταυρώθη ὑπὲρ ὑμῶν; Oder ist ihre Funktion und Bedeutung ernsthaft diskutabel? Wie ist der scheinbar aufge‐ machte Gegensatz von βαπτίζειν - εὐαγγελίζεσθαι zu verstehen? Läuft die gesamte Argumentation schließlich auf eine Abwertung oder mindestens Relativierung der Taufe hinaus? ὁ Χριστός; (1,13a), 335 sodann eine spezielle Kritik an der Vorstellung, sich als Christ einer bestimmten Person zugehörig, gar verpflichtet zu fühlen: ἢ εἰς τὸ ὄνομα Παύλου ἐβαπτίσθητε; (1,13c). Erstere Kritik scheint in den dann fol‐ genden Versen nicht weiter aufgegriffen zu werden, wohl aber an späterer Stelle in 1Kor 12-14, wo stets die grundlegende in Christus gegebene Einheit bei aller Verschiedenheit der Einzelnen betont wird. Gerade das Bild des Leibes verdeutlicht, dass es hierbei für Paulus nicht um einen verhandelbaren Aspekt 336 geht, sondern dass das Verhalten der zu einem Leib zusammen Getauften Auswirkungen hat bis dahin, dass spalterisches Ver‐ halten Christus „zerteilt“, die Gemeinde also bis zur Nichtfunktionstüchtigkeit bzw. Lebensfähigkeit hin schädigen kann. 337 Angesichts der tatsächlich existie‐ renden Gruppierungen in der Gemeinde scheint μεμέρισται ὁ Χριστός; keine rhetorische Frage zu sein, sondern vielmehr das „Vor-Augen-Malen“ der Kon‐ sequenzen der derzeitigen Situation. Ausführlicher widmet sich Paulus am Beispiel seiner eigenen Person der zweiten Kritik: der selbsterklärten Zugehörigkeit zu einer Person. In diesem Zusammenhang sind zwei Fragen zu bedenken: Wie sind die unterschiedlichen Bezugnahmen auf die Taufe zu verstehen? 338 Und ist der Abschnitt grundsätzlich rhetorisch und damit teilweise als irreal zu verstehen? Diese Fragen werden meist im „Fahrwasser“ der Überlegungen zu den korinthischen Gruppen(-ent‐ stehungsgründen) gesehen, wobei die Mehrheit der Exegeten folgende Argu‐ mentationslinie verfolgt: Wenn es sich bei den drei ersten Gruppenhäuptern nicht um die Täufer der ihnen Anhängenden handelt, dann ist die These hin‐ fällig, dass sich das besonders enge Verhältnis durch den Taufakt entwickelt 2 1. Korinther 1,10 - 17: Auf wessen Namen seid ihr getauft? ! 167 <?page no="168"?> 339 So dezidiert Lietzmann / Kümmel, Korinther, 9 zu 1Kor 1,17: „Das kurze Wort zeigt doch klar, wie gering Pls im tiefsten Grunde die liturgische Handlung wertet, auch v. 14 lehrt das deutlich. So wenig es ihm einfällt, die Wirksamkeit der Sakramente zu leugnen […] so sehr legt er stets den Nachdruck auf die persönliche Aneignung des ‚Evangeliums‘ d. h. den ‚Glauben‘. Das Taufen ist demgegenüber Nebensache […]: Die Predigt vom Kreuz ist allein das Wesentliche.“ Selbst wenn man Begriffe wie „liturgische Handlung“ und „(Wirksamkeit der) Sakramente“ stehen lässt, ist nach den Voraussetzungen der Argumentation Lietzmanns zu fragen. Vgl. aber auch Betz, Transferring, 258. 340 Ὁ λόγος γὰρ ὁ τοῦ σταυροῦ τοῖς μὲν ἀπολλυμένοις μωρία ἐστίν […] (1Kor 1,18). habe. Also hat die Gruppenbildung nichts mit der Taufe zu tun und unter‐ schiedliche Taufverständnisse und daraus möglicherweise resultierende Strei‐ tigkeiten scheiden als Erklärung aus. Die von Paulus gestellte Frage ἢ εἰς τὸ ὄνομα Παύλου ἐβαπτίσθητε; (1,13c) bzw. seine Befürchtung ἵνα μή τις εἴπῃ ὅτι εἰς τὸ ἐμὸν ὄνομα ἐβαπτίσθητε (1,15) sind damit rein rhetorisch zu verstehen. Paulus führt demnach die Taufe in einer - für die Korinther offensichtlichen - verdrehten Art und Weise an, ähnlich seiner vorangehenden Frage: μὴ Παῦλος ἐσταυρῶθη ὐπὲρ ὺμῶν; (1,13b). Wie erklärt sich aber dann die (doppelte [1,14.16]) erleichterte Feststellung des Paulus, nur wenige getauft zu haben? Welche Funktion hat die abschlie‐ ßende, fast schon heftige Aussage οὐ γὰρ ἀπέστειλέν με Χριστὸς βαπτίζειν ἀλλὰ εὐαγγελίζεσθαι (1,17a) in einer solchen Argumentation? Darin etwa eine Abwertung der Taufe zu sehen, 339 macht nur dann Sinn, wenn die Taufe (oder die Rolle des Täufers) zuvor einseitig oder über Gebühr wertgeschätzt wurde. Die Ursache für die korinthischen Gruppenbildungen wird gemeinhin in einer (übermäßigen) Betonung der Weisheit gesehen, was die sich anschließenden Ausführungen zur „Torheit der Kreuzesbotschaft“ (1,18) 340 durchaus nahelegen. Ob dies jedoch Unklarheiten bezüglich des Taufverständnisses ausschließt oder nicht vielmehr integriert, nämlich da, wo das paulinische Verständnis der Taufe grundgelegt ist, im Kreuz Jesu Christi, sollte dagegen angefragt werden. In einem Atemzug fragt Paulus: μὴ Παῦλος ἐσταυρώθη ὑπὲρ ὑμῶν, ἢ εἰς τὸ ὄνομα Παύλου ἐβαπτίσθητε; (1,13b.c) an der Stelle, wo er anhand seiner eigenen Person die möglichen Voraussetzungen und Konsequenzen einer Alternativstellung von einzelnen Gemeindemitarbeitern und Christus anfragt. Eine solche Herangehensweise allein erklärt noch nicht die Fragen, warum Paulus sich so erleichtert darüber zeigt, nur wenige getauft zu haben, und warum er Taufen und Verkündigen so konträr gegenüberzustellen scheint. Dass die Taufe - auf eine noch zu klärende Weise - Einfluss auf die Gruppenbildungen in Korinth gehabt hat, ist jedoch die einzig sinnvolle Erklärung für das Zustan‐ dekommen einer textkritischen Variante zu 1,15: […] εἰς τὸ ἐμὸν ὄνομα Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 168 <?page no="169"?> 341 Die Majuskeln Codex Ephraemi Syri rescriptus (Kat. II); Codex Bezae Cantabrigiensis (Kategoriewert strittig); Codex Boreelianus (Kat. V); Codex Seidelianus II (Kat. V) und der Codex Athous Laurensis (Kat. III); die Minuskel 1881 (Kat. II) sowie der Mehrheits‐ text; außerdem die gesamte syrische Überlieferung und Tertullian. Gerade weil Alter und Textwertkategorien nicht mit der von Nestle / Aland bevorzugten Version mithalten können, die Variante sich aber als durchaus sinnträchtig erweist, ist an eine bewusste Abänderung des Textes zu denken, die ihren inhaltlichen Anlass sucht. 342 Siehe dazu abschließend unter VI.2.1.2.1 sowie VI.3. ἐβάπτισα - nach durchaus alten und gewichtigen Textzeugen 341 befürchtet Paulus nämlich die Unterstellung, er hätte auf seinen eigenen Namen getauft. Diese Überlegungen lassen in Kombination mit den oben ausgeführten gram‐ matisch-syntaktischen Wahrnehmungen v. a. zu den Versen 13 und 15 Zweifel an einer rein rhetorischen Interpretation der Bezugnahmen des Paulus auf die Taufe aufkommen. Im Weiteren hat die Frage nach der tatsächlichen Bedeutung der Taufe in dieser Eingangsargumentation Auswirkungen auf die Frage nach der möglicherweise grundlegenden Bedeutung dieser Perikope für den ge‐ samten Brief. Diese wie auch die bereits verschiedentlich angeführten noch of‐ fenen Punkte und Fragestellungen sollen an späterer Stelle, v. a. unter Heran‐ ziehung rituellen Vergleichsmaterials erneut gestellt und weiterentwickelt werden. 2.5 Zusammenfassung unter ritologischer Perspektive Die Aufteilung der korinthischen Gemeinde in verschiedene Gruppen ist kein Lapsus, sondern widerspricht dem Leben der Getauften in Gemeinschaft. Auf diese Weise wird die Bedeutung des Kreuzes Christi missverstanden und in welcher Weise sich die Taufe darauf bezieht bzw. daran Anteil gibt. Sowohl das Anhängen an eine Person als auch die daraus entstandene Gruppenbildung ge‐ fährden die Einheit und darin das eigentliche Wesen und „Funktionieren“ der christlichen Gemeinde erheblich: als würde man Christus selbst zerreißen. Es ist deutlich geworden, dass Paulus bereits zu Beginn des ersten Korin‐ therbriefes - des Paulusbriefes mit den meisten Taufstellen - um die Bedeutung der Taufe ringt. Die Feststellung, dass er froh sei, nur wenige getauft zu haben, spricht gegen eine bloß argumentative Anführung der Taufe. Aber die nähere Untersuchung zu den Parteihäuptern lässt daran zweifeln, dass diese wesentlich als Täufer in Korinth in Erscheinung getreten sind, und kann auch sonst keine grundlegende Gemeinsamkeit in Person oder Funktion innerhalb der Gemeinde feststellen. Es bedarf demnach einer noch genaueren Analyse der Taufe und der zu ihrer Deutung verwendeten Motive, um die tatsächliche Bedeutung der Taufe im Argumentationsgang in 1Kor 1 eindeutig eruieren zu können. 342 2 1. Korinther 1,10 - 17: Auf wessen Namen seid ihr getauft? ! 169 <?page no="170"?> 343 Siehe dazu unter V.2. und VI.4. 344 Siehe dazu unter V.2. 345 Vgl. zu 1Kor 12 unter III.3, und siehe allgemein zur Thematik unter V.2. 346 Vgl. dazu Röm 6,3 f unter III.4.2, sowie abschließend unter VI.2. 347 Siehe dazu unter VI.1. 348 Heinrici, Korinthier, 90. 349 Bereits unter „IV. Die Entwicklung der sich selbst überlassenen Gemeinde“ stellt Hein‐ rici seine Überlegungen ausführlich dar (a. a. O. 34-44) und bringt sie zu 1Kor 1,10-16 nur noch einmal textbezogen auf den Punkt (a. a. O. 85-90). Auf diese beiden Abschnitte stützt sich die folgende Darstellung. Die wesentliche Deutung der Taufe kreist um das Verhältnis von Einzelper‐ sonen und Gruppen im Gegenüber zu Christus: Steht die Christusbindung in der Taufe in einem Konkurrenzverhältnis zu anderen Bindungen der Ge‐ tauften? 343 Oder ist ein relationäres Verhältnis zwischen Christusbindung und dem Verhältnis der Getauften untereinander zu denken? 344 Muss Einheit in diesem Falle auch Gleichheit bedeuten? 345 Welche Bedeutung kommt in der Konstellation der Kreuzigung Jesus zu? 346 Weiterhin ist zu fragen, ob die rheto‐ risch zu verstehenden Fragen in 1Kor 1,13 Anhaltspunkte in der Realität haben? Wenn nicht, wie die Abänderung der ὄνομα-Taufformel, zumal als einziger Beleg dieser Formel bei Paulus, als bewusste Verfälschung einer Taufformel im Kon‐ text von Ritualkritiken zu werten ist. 347 Und schließlich: Welche Rolle nimmt der Täufer nach paulinischer und nach korinthischer Auffassung ein und welche Rolle spielt dabei die Verkündigung? Die umfassende These Heinricis zu diesem Thema soll hier abschließend, nicht zuletzt auf Grund ihrer erheblichen Wir‐ kungsgeschichte dargestellt werden. Exkurs: Der Täufer als Mystagoge - Heinrici „… es knüpf[t] sich zwischen Täufer und Täufling noch ein besonderes Band, ähnlich wie zwischen Mystagogen und dem von ihm Eingeweihten“ 348 - in Gefolgschaft von C. F. Georg Heinrici findet sich in der Forschungsgeschichte immer wieder die Erklä‐ rungsthese für die Gruppenbildungen in Korinth, dass die Korinther die christliche Taufe mit Mysterieneinweihungen verwechseln würden. Die ihnen daher bekannte besondere Bindung des Initianden an den Mystagogen vermuten sie auch für die Taufe und separieren sich daher in verschiedene Gruppen, welche sich jeweils auf ihren Täufer berufen. Heinrici entfaltet seine Argumentation wie folgt: 349 Paulus kritisiert in der Aufzählung der vier Parteiparolen eine „falsche Nebeneinan‐ derstellung von Lehrern und dem Herrn“ (83). Sie entspräche einer Zerstückelung Christi, welche ein ähnliches Unding sei, wie die Taufe auf den Namen eines anderen, was offensichtlich rhetorisch zu verstehen sei. Dass Paulus in den 1,14-16 allerdings den Taufzusammenhang, speziell seine Nicht-Tauftätigkeit so betont, lässt Heinrici Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 170 <?page no="171"?> 350 Apollos habe „durch die Taufe des Johannes vom Messias Kunde erhalten“ (a. a. O. 35) und konnte (von Judenchristen? ) über sein Wissen um die Johannestaufe mit „dem populären Vorläufer Jesu“ (a. a. O. 36) in Zusammenhang gebracht werden. Ob derartige Schlussfolgerungen Heinricis nicht in den Bereich der Spekulation fallen, bleibt zu fragen: Den einzigen Hinweis dazu liefert Apg 18,25 ἐπιστάμενος μόνον τὸ βάπτισμα Ἰωάννου und da mag das μόνον wohl eher als defizitär verstanden werden. 351 Heinrici legt den Gemeindegliedern - bezüglich der Bevorzugung des Apollos gegen‐ über Paulus - folgende Worte in den Mund: „Durch ihn erst sind wir zu wahrer Sätti‐ gung, wahrer Bereicherung und wahrer Herrschaft über die Wahrheiten unseres Glau‐ bens gekommen, ihm danken wir erst die volle Einsicht in die göttliche Weisheit.“ (a. a. O. 37). 352 Heinrici verweist dazu etwa auf Cic. de leg. II, 14,36, sowie Welcker, Götterlehre, 511-554, welcher Demeter und Kore regelrecht als „die Göttinnen besserer Hoffnung im Tode“ (a. a. O. 511) bezeichnet. Eine Einweihung in ihre Mysterien verspricht, dass man nach dem Tod dem „schaurigen Dunkel“ entkommt, siehe dazu unter V.1.2.2. 353 Heinrici, Korinthier, 41: „… eine dem Alexandrinismus angenäherte Verkündigung des Christentums, welche zahlreiche Analogien zu den populären Abfindungen mit den Räthseln des Dasein bot, forderte ferner für den Act der Aufnahme in die geweihte Genossenschaft besondere Feierlichkeit und Bedeutung.“ weitere Gründe vermuten: von Paulus abweichende Taufvorstellungen, verursacht - wenn auch ungewollt - durch das Wirken des Apollos in Korinth. Apollos habe durch sein Wissen um die Johannestaufe, 350 seine Schriftgelehrsamkeit und Beredsamkeit sowohl bei Judenals auch bei Heidenchristen großen Erfolg gehabt. Es sei unwei‐ gerlich zu Vergleichen mit Paulus gekommen und zwar mit folgendem Ergebnis: „[…] so war Apollos der hellenistischen Christengemeinde vermöge seiner Bildung wahl‐ verwandter, als der herbe, schmucklose Paulus“ (37). Zwei Aspekte des Auftretens des Apollos hätten nun eine besondere Wirkung auf die ihm ohnehin zuneigende korin‐ thische Gemeinde gehabt: Rhetorisch-ästhetische Vorträge erschienen ihnen als wahre göttliche Weisheit. 351 Die Gemeinde habe sich an die „ungemein populären Mysterien“ (40) erinnert, in welche Apollos sie wie ein Mystagoge eingeweiht habe. Der in die höheren Einsichten Eingeweihte erhielt dabei „nicht nur eine neue Weise zu leben, sondern auch eine bessere Hoffnung zu sterben.“ 352 (40) Dazu komme, dass Apollos „sowohl auf die Taufe an sich als auch auf ihre persönliche Vollziehung ein neues Gewicht gelegt hat.“ 353 (41). Apollos, der „ehemalige Johannesjünger“, wäre da anders verfahren als der nur im Ausnahmefall taufende Paulus: „Die Taufe war ihm nicht nur der feierliche Weiheakt, nicht nur das Symbol der gliedlichen Vereinigung mit Christus (Röm. 6, 1-10), sondern auch der Act der persönlichen Verbindung des Taufenden mit 2 1. Korinther 1,10 - 17: Auf wessen Namen seid ihr getauft? ! 171 <?page no="172"?> 354 A. a. O. 42: „Der Taufende übertrug ja die Güter des höheren Lebens und öffnete den Schatz der Geheimnisse Gottes als Verwalter der göttlichen Geheimnisse.“ Heinrici er‐ wähnt in diesem Zusammenhang: „Nahe lag es daher einem Christen, der vorher allein die Taufe des Johannes kannte, auf den Act der Vollziehung einen Werth zu legen, welcher das normale Verhältniss der Gläubigen zu Christus alteriren konnte.“ (a. a. O. 42 Anm. 1) Dabei denkt er nicht nur an die allgemeine Bedeutung der Taufe für Johannes den Täufer, sondern auch speziell an die Übertragung des Namens des Täufers auf den Täufling (ebd.). 355 Schnelle, Gerechtigkeit, 137. 356 Conzelmann, Korinther, 51 Anm. 23; Lietzmann / Kümmel, Korinther, 7: „… und da so‐ wohl Paulus wie Apollos ihre „Partei“ durch persönliche Wirksamkeit in Korinth ge‐ wonnen haben, wird man geneigt sein, einen Aufenthalt des Petrus in Korinth anzu‐ nehmen“. 357 A. a. O. 7 f. Wobei er mystische Elemente nicht allein bei Apollos lokalisiert: „Aber Pls hat diesen Gedanken der Zueignung an Christus durch Nennung seines Namens bei der Taufe zu der Vorstellung einer mystischen Verbindung vertieft : vgl. 12 13 Rm 6 3-6 .“ (a. a. O. 8). In Korinth habe allerdings die falsche Vorstellung einer „besonders engen Verbindung“ zwischen Täufer und Täufling geherrscht: „Einer parallelen Anschauung ist ja das spätere kirchliche Verbot der Ehe zwischen Täufling und Paten entsprungen: die Taufe begründet eine mystische Verwandtschaft zwischen beiden.“ (ebd.). dem Täufling.“ 354 (42) Da nun auch die „Mittheilung der Wahrheit“ in den Mysterien‐ kulten an „Prüfungen, Entsagungen, Weihungen geknüpft“ gewesen ist, habe es nahe gelegen, Entsprechendes in der christlichen Taufe zu sehen. Man könnte Heinricis These folgendermaßen zusammenfassen: Sowohl die rheto‐ risch-weisheitliche Predigt des Apollos als auch seine Betonung der Taufe verstanden die Korinther in Analogie zu Mysterienkulten, und sie ließen die ihnen daraus be‐ kannte Hochschätzung des Einweihungsrituals sowie die enge Ritualleiter-Ini‐ tiand-Verbindung in der Folge der „Ähnlichkeiten“ in ihr Taufverständnis einfließen - mit dem Ergebnis, dass so die erste, nämlich die Apollosgruppe entstand. Die sich auf Heinrici stützenden Exegeten greifen meist nur einen Aspekt aus seiner geschlossenen Argumentation auf und kommen davon ausgehend oft zu weitrei‐ chenden Schlussfolgerungen: Manche beziehen sich allgemein darauf, dass die Grup‐ penzugehörigkeit über die Taufe bestimmt wird. Für Schnelle etwa ist dies die einzige Erklärung dafür, „daß Paulus in diesem Zusammenhang überhaupt auf die Taufe zu sprechen kommt.“ 355 Conzelmann und Lietzmann hingegen benutzen diese Thesen als Hinweis darauf, dass Petrus in Korinth gewirkt habe. 356 Andere wiederum greifen die missverstandene Taufpraxis (Überbewertung des Täufers) auf, welche dann direkt auf das Wirken Apollos zurückgeführt wird 357 oder auch - ohne Apollos - auf Myste‐ rienreligionen zurückgehe: Zwar sei den Korinthern die Absurdität der Fragen (1,13) bewusst, dennoch würden sie den Täufern „bleibende Heilsautorität“ zugestehen, da Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 172 <?page no="173"?> 358 Wilckens, Weisheit, 12.16. 359 Schrage, Korinther I, 149: 1. Paulus habe nur wenige getauft, „so daß […] die Existenz einer Paulusgruppe nur schwer erklärbar ist.“ 2. Weder eine Tauftätigkeit Petrus‘ noch Apollos‘ in Korinth ist bekannt. 3. Die Taufe wird in 1Kor 1-4 zu selten erwähnt, um als Hauptursache sein zu können. 4. „[…] lassen die Initiationsriten der Mysterien keine Nennung nach den Mystagogen erkennen und grenzen sich schon gar nicht exklusiv voneinander ab.“ 5. Der Gesamtkontext lässt es wahrscheinlicher erscheinen, „daß die Überbewertung und Vermittlung von weisheitsvoller Verkündigung bei der Personen‐ bindung der Korinther die entscheidende Rolle gespielt hat“. 360 Ähnlich selektiv wie die Befürworter geraten manche „Widerlegungen der Taufstreit‐ these“, was zu einer beinahe variablen Verwendung der gleichen Argumente für Pro- und Contraseite führen kann, vgl. exemplarisch Halter, Taufe, 139-141: Die Zuordnung zu einem Täufer kann nicht „das Kriterium“ für die Gruppenbildung gewesen sein, da Paulus ja nur wenige getauft habe. Demnach sind die Verse 14-17 für ihn „ein wenig gewichtiges Anhängsel“ (a. a. O. 141). Zum Vergleich: Für Schnelle ist die Täufer = Par‐ teihaupt-Zuordnung die einzige Erklärung dafür gewesen, dass Paulus im Folgenden auf die Taufe eingeht (ders., Gerechtigkeit, 137). Vgl. auch Schreiber, Gemeinde, 157-159: Er wiegelt die These, die „‚Parteiungen‘ seien nichts anderes als Taufstreitigkeiten“ damit ab, dass „sich die Gesamtzahl der Taufen in der korinthischen Gemeinde nicht auf die sog. ‚Autoritäten‘ vollständig aufteilen“ ließe (a. a. O. 158). 361 Heinrici, Korinthier, 35 (Hervorhebung im Original). sie an eine „durch das Verständnis der Taufe als Mysterienhandlung gegebene, we‐ senhafte und bleibende Gebundenheit des Getauften an seinen Täufer“ glauben. 358 Angesichts solcher spekulativen Folgethesen in der stückweisen Aufnahme Heinricis, ist die Kritik Schrages 359 an einer Rückführung der Gruppenbildung auf einen Tauf‐ streit durchaus verständlich. 360 Jedoch gerät auch ihm in seiner Schlussfolgerung, eine „Überschätzung weisheitlicher Verkündigung“ sei Ursache für die Gruppenbildungen gewesen, aus dem Blick, dass dieser von Heinrici bei Apollos bereits verortete Aspekt geradezu Hand-in-Hand geht mit dessen weiterer Argumentation. Befürworter wie Gegner der These Heinricis verkennen allerdings zumeist ihre Stärke, welche v. a. darin liegt, dass sie die Gruppenzuordnungen zwar mit der Taufe in Zu‐ sammenhang bringt, in „Taufstreitigkeiten“ aber keineswegs die einzige Ursache sieht, die direkt zu den Gruppenbildungen geführt habe. Heinricis Überlegungen zu meh‐ reren ineinandergreifenden Einflussfaktoren sind Teil seiner grundsätzlichen voran‐ gestellten Einschätzung der Situation in Korinth: „In Bezug auf Glauben und Sitte musste daher auch die sich selbst überlassene Korinthische Gemeinde einen Process der Klärung durchmachen, in welchem nicht ohne Irrungen die sicheren Grenzen gegen Judentum und Heidentum gefunden wurden.“ 361 2 1. Korinther 1,10 - 17: Auf wessen Namen seid ihr getauft? ! 173 <?page no="174"?> 3 1. Korinther 12,12 - 20: Zu einem Leib getauft 12 Denn so wie der Leib einer ist und viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes aber, obwohl sie viele sind, ein Leib sind, so auch der Christus. 13 a) Denn wir sind auch alle durch einen Geist zu einem Leib getauft, b) seien es Juden oder Griechen oder Sklaven oder Freie, c) wir haben auch alle einen Geist zu trinken bekommen. 14 Denn der Leib ist auch nicht ein Glied, sondern viele. 15 Wenn der Fuß sagt: „Weil ich keine Hand bin, gehöre ich nicht zum Leib.“ Gehört er dann deswegen auch nicht zum Leib? 16 Wenn aber das Ohr sagt: „Weil ich kein Auge bin, gehöre ich nicht zum Leib.“ Gehört er dann deswegen nicht zum Leib? 17 Wenn der ganze Leib Auge ist, wo ist (dann) das Hören? Wenn der ganze (Leib) Hören ist, wo ist (dann) das Riechen? 18 Nun aber setzte Gott das Glied ein, er wollte einen jeden von ihnen gut in dem Leib. 19 Wenn aber alles ein Glied war, wo ist (dann) der Leib? 20 Nun sind es aber viele Glieder, es ist aber ein Leib. 3.1 Textsematischer Einstieg Nach 1Kor 1,10-17 ist auch dieser zweite wesentliche Tauftext des 1Kor grund‐ legend mit der Hauptproblematik der korinthischen Gemeinde aus der Sicht des Paulus verbunden: Die Wahrnehmung und Bewertung von Unterschieden ge‐ fährdet die Einheit der Gemeinde. Zu Beginn des Briefes betont Paulus entgegen den Gruppenbildungen Christus als einzig mögliche und zugleich einheitsstif‐ tende Autorität, der die Korinther anhängen sollen. In 1Kor 12-14 nun stellt Paulus einer konkurrierenden Bewertung der Geistesgaben das einheitsstif‐ tende Wirken des einen Heiligen Geistes entgegen. Die Unterschiedlichkeit der Gaben wird dabei prinzipiell als positiv und sinnreich beurteilt und ihre grund‐ sätzliche Gleichwertigkeit lediglich in zwei Aspekten relativiert: 1) Der Einsatz von Geistesgaben in der öffentlichen Versammlung hat gemeindebauenden Mo‐ tiven zu dienen (1Kor 14). 2) μείζων δὲ τούτων ἡ ἀγάπη (1Kor 13,13). Doch wie sich die Forschung zu 1Kor 1 uneins darüber zeigt, wie wesentlich die Taufe für die Gemeindesituation und Argumentation des Paulus ist, ebenso unterschiedlich bewerten die Exegeten die Bedeutung der Taufe für 1Kor 12, wobei v. a. die Art des Bildes bzw. Vergleiches des Leibes Christi sowie das Ver‐ hältnis von Taufe und Heiligem Geist kontrovers diskutiert werden. Letzterer Aspekt hat insofern Relevanz über die Perikope hinaus, als es sich hierbei - im erheblichen Kontrast zu Apg - um den einzigen paulinischen Tauftext handelt, in welchem der Heilige Geist Erwähnung findet. Nicht zuletzt auf Grund der traditionsgeschichtlichen Nähe von 1Kor 12,13 zu Gal 3,27 f wird die hierzu er‐ hobene Interpretation sodann oft als paulinisches Verständnis zur Wirkung bzw. Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 174 <?page no="175"?> 362 Wolff, Korinther, 197. 363 Siehe dazu u. a. Dunn, Baptism; Schweizer, Art. πνεῦμα, 410-413; für einen kurz ge‐ fassten Überblick über die Stellen siehe Haufe, Heiliger Geist. Bedeutung des Heiligen Geistes bei der Taufe auch auf die anderen Tauftexte übertragen. Die folgende Untersuchung fokussiert entsprechend auf die Verse 1Kor 12,12 f, welche Wolff als „Mitte des Gedankengangs V.4-31a“ 362 erkennt, und fragt ausführlich nach der Taufdeutung in diesem Text, um sich dann der Frage zu stellen, ob eine Übertragung bzw. Eintragung der Interpretation in die anderen paulinischen Tauftexte sachgemäß erscheint. 3.2 ἐν ἑνὶ πνεύματι ἡμεῖς πάντες […] ἐβαπτίσθημεν (1Kor 12,13a) 3.2.1 Die christliche Taufe und der Heilige Geist An dieser Stelle kann keine umfassende Studie zum Verhältnis von Heiligem Geist und christlicher Taufe geleistet werden, 363 sondern lediglich eine Syste‐ matisierung und Auswertung der Textstellen hinsichtlich des direkt oder indi‐ rekt zum Ausdruck gebrachten Verhältnisses von Heiligem Geist und christli‐ cher Taufe. 3.2.1.1 βαπτίζειν ἐν πνεύματι Die Formulierung βαπτίζειν ἐν πνεύματι ist die einzige Phrase, welche Taufe und Heiligen Geist in ein direktes Verhältnis bringt und eine gewisse Prägung erkennen lässt. In den Evangelien wie auch in Apg kommt sie stets in einem (kontrastierenden) Zusammenhang mit der Johannestaufe vor, wobei ἐν πνεύματι - mindestens auf sprachlicher Ebene - die Entsprechung bzw. das Gegenüber zu (ἐν) ὕδατι der Johannestaufe darstellt. Problematisch bleibt je‐ doch, dass lediglich eine Stelle βαπτίζειν ἐν πνεύματι unzweifelhaft mit der christlichen Taufe in Verbindung bringt, während die anderen Stellen diese Identifizierung höchstens wahrscheinlich machen. Die Textstellen lassen sich zwei Kontexten bzw. Sprechern zuordnen: 1) Ankündigung Johannes des Täufers: Der nach ihm Kommende wird sie taufen ἐν πνεύματι ἁγίῳ (Mk 1,8; Joh 1,33) bzw. ἐν πνεύματι ἁγίῳ καὶ πυρί (Mt 3,11; Lk 3,16). Da für beide Versionen jeweils als Gegenüber sowohl ὕδατι als auch ἐν ὕδατι sowie entsprechende textkritische Varianten belegt sind, lässt sich kaum mehr feststellen, ob der Parallelisierung bzw. ihrer bewussten Durch‐ brechung Bedeutung für das jeweilige Verständnis der beiden „Taufen“ beige‐ messen wird oder ob etwa eine bereits verfestigte Sprachform Einfluss hatte. 3 1. Korinther 12,12 - 20: Zu einem Leib getauft 175 <?page no="176"?> 364 Zur weiteren Deutung der Formulierung im Gegenüber zur Johannestaufe siehe unter IV.2.8.7.4. V.a. die zahlreichen textkritischen Varianten weisen jedoch mindestens auf ein erhöhtes Interesse an der Formulierung hin. 364 2) Ankündigung des Auferstandenen: In der Apostelgeschichte findet sich die klar auf Pfingsten (Apg 2,3 f) ausgerichtete Ankündigung des Auferstandenen, ὅτι Ἰωάννης μὲν ἐβάπτισεν ὕδατι, ὑμεῖς δὲ ἐν πνεύματι βαπτισθήσεσθε ἁγίῳ (Apg 1,5). Petrus zitiert dies in seinem Bericht in Jerusalem über die Vorgänge im Hause des Cornelius (Apg 11,16). Da die Gabe des Heiligen Geistes an die Heiden ihn überzeugte, diese taufen zu lassen, bringt Apg 11,16 als einzige Textstelle die Formulierung βαπτίζειν ἐν πνεύματι in einen klaren, wenn auch nicht direkten Zusammenhang mit der christlichen Taufe. 3.2.1.2 Sonstige Tauftexte, die auf den Heiligen Geist Bezug nehmen Insgesamt sieben weitere Textpassagen stellen einen direkten Zusammenhang zwischen Heiligem Geist und christlicher Taufe her: 1) Petrus fordert seine Zuhörer auf: μετανοήσατε, [φησίν,] καὶ βαπτισθήτω ἕκαστος ὑμῶν ἐπὶ τῷ ὀνόματι Ἰησοῦ Χριστοῦ εἰς ἄφεσιν τῶν ἁμαρτιῶν ὑμῶν καὶ λήμψεσθε τὴν δωρεὰν τοῦ ἁγίου πνεύματος. - „Tut Buße, (glaubt) und jeder von euch lasse sich taufen auf den Namen Jesu Christi zur Vergebung eurer Sünden und empfangt das Geschenk des Heiligen Geistes.“ (Apg 2,38). Auch wenn eine finale Übersetzung weitverbreitet ist, rechtfertigt das mehrfache rei‐ hende καί dies m. E. nicht. Der finale Sinn dürfte aus anderen Tauftexten ein‐ getragen sein. 2) Bezüglich der ersten getauften Samarier betont Lukas, dass sie μόνον δὲ βεβαπτισμένοι ὑπῆρχον εἰς τὸ ὄνομα τοῦ κυρίου Ἰησοῦ und ihnen der Heilige Geist noch fehlt (Apg 8,16). Auf das Gebet und die Handauflegung von Petrus und Johannes hin, werden sie dann vom Heiligen Geist erfüllt (Apg 8,15-17). Es handelt sich dabei um die ersten Nichtjuden, welche den Heiligen Geist emp‐ fangen. 3) Lediglich der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass auf die Taufe des Kämmerers hin Philippus vom Geist des Herrn entrückt wird - sich der Geist also an dieser Stelle auf den Täufer anstatt auf den Täufling auswirkt (Apg 8,39). 4) Mit dem Auflegen seiner Hände spricht Hananias zu Saulus, dass der Herr ihm erschienen sei, πλησθῇς πνεύματος ἁγίου (Apg 9,17). Daraufhin kann Paulus wieder sehen und lässt sich taufen (Apg 9,18). 5) Das Ausgießen des Heiligen Geistes über Cornelius und seine Hausge‐ nossen (Apg 10,44-48) bringt Petrus schließlich zu der Erkenntnis: μήτι τὸ ὕδωρ Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 176 <?page no="177"?> 365 Dafür spricht der rhetorische Aufbau der Erzählung, welche den schrittweisen, weil epochalen Erkenntnisprozess des Petrus durch mehrmalige, nachdrückliche göttliche Zeichen, z. B. die Visionen und Erscheinungen, begleitet und zugleich antreibt. 366 Mt 28,19; Apg 16,29-34; Röm 6,1-11; 1Kor 1,10-17; Gal 3,23-29; Kol 2,12; 1Petr 3,20 f. δύναται κωλῦσαί τις τοῦ μὴ βαπτισθῆναι τούτους, οἵτινες τὸ πνεῦμα τὸ ἅγιον ἔλαβον ὡς καὶ ἡμεῖς; - „Kann jemand diesen das Wasser zum Taufen verwehren, welche den Heiligen Geist empfangen haben wie wir? “ (Apg 10,47). Indem Apg das Ereignis als eine Art Pfingsten der Heiden stilisiert, ist der Erzählung zwei‐ fellos ein Präzedenzcharakter anzuerkennen. 365 6) Das Fehlen des Heiligen Geistes deckt auf, dass die Jünger in Ephesus „bloß“ getauft sind εἰς τὸ Ἰωάννου βάπτισμα (Apg 19,3). Nachdem sie sich sodann εἰς τὸ ὄνομα τοῦ κυρίου Ἰησοῦ haben taufen lassen, legt Paulus ihnen die Hände auf und ἦλθεν τὸ πνεῦμα τὸ ἅγιον ἐπ’ αὐτούς (Apg 19,6). 7) Die Barmherzigkeit wird gewirkt durch das Bad der Wiedergeburt, eine kaum misszuverstehende Metapher für die christliche Taufe, und ἀνακαινώσεως πνεύματος ἁγίου (Tit 3,5). 3.2.1.3 Auswertung und Schlussfolgerung für 1Kor 12,12 f Voraussetzung jedes Fazits über das Verhältnis von Heiligem Geist und christ‐ licher Taufe ist die Reihenfolge, in der beide in den Texten erwähnt werden. Alle drei möglichen zeitlichen Szenarien lassen sich beobachten: 1) Heiliger Geist vor christlicher Taufe (Apg 10,44-48); 2) christliche Taufe vor Heiligem Geist (Apg 8,15-17; 19,1-6); 3) Heiliger Geist und christliche Taufe scheinen zeitlich ineinander zu fallen bzw. lässt sich keine eindeutige Reihenfolge feststellen (Apg 2,38; 9,17 f). Diesem unklaren Befund ist hinzuzufügen, dass es sich min‐ destens bei Apg 10 und Apg 19 um Sonderfälle handelt, aus welchen nur bedingt Schlussfolgerungen für ein allgemeines Taufverständnis abgeleitet werden sollten. Zudem stehen diesen Textstellen eine große Mehrheit an dezidierten Taufstellen gegenüber, welche den Heiligen Geist in keiner Weise themati‐ sieren. 366 Auf der Grundlage dieser knappen Übersicht lässt sich demnach die Tendenz wahrnehmen, dass die christliche Taufe mit dem Heiligen Geist in Zusammen‐ hang gebracht wird, jedoch kein einheitliches Konzept erkennen, ob der Geist als Voraussetzung, Aspekt des Ritualvollzuges oder etwa Wirkung der christli‐ chen Taufe verstanden wird. Mit Blick auf 1Kor 12,13 lässt sich lediglich fest‐ halten, dass dieser Vers die einzige neutestamentliche Stelle ist, welche die For‐ mulierung βαπτίζειν ἐν πνεύματι in einen direkten Zusammenhang mit dem Vollzug der christlichen Taufe bringt und das, obwohl sich die Phrase sonst aus‐ schließlich in den Evangelien und Apg findet. Zu fragen bleibt jedoch, ob 3 1. Korinther 12,12 - 20: Zu einem Leib getauft 177 <?page no="178"?> 367 Siehe dazu unter IV.2.8.7.4. 368 Siehe dazu ausführlich bei Schweizer, Art. πνεῦμα, 422-435. 369 A. a. O. 431. 370 A. a. O. 432. 371 A. a. O. 431 f. βαπτίζειν ἐν πνεύματι in den erzählenden Schriften des NT bereits ein so hoher Traditionscharakter inne wohnt, dass es als selbstverständliche Chiffre für die christliche Taufe verwendet wird. Auch wenn sich diese These nachdrücklich erhärten ließe, 367 hat dies jedoch noch keinen Aussagegehalt für den wesentlich älteren 1Kor des Paulus, der die Phrase außerdem in veränderter Form als christliche Taufe klar erkennbar macht. 3.2.2 in bzw. durch einen Geist getauft 3.2.2.1 τὸ πνεῦμα bei Paulus Paulus verwendet τὸ πνεῦμα im Zusammenhang mit πίστις, im Gegenüber zu σάρξ, als „Offenheit für Gott und den Nächsten“ und als anthropologisches Mo‐ ment. 368 Die ebenso vielschichtigen Aussagen über das Verhältnis von τὸ πνεῦμα zu ὃ Χριστός lassen sich in folgender Weise zusammenfassen: „Diese Kraft ist keine namenlose, unbekannte. Sie ist identisch mit dem erhöhten Herrn, sobald man diesen nicht an sich, sondern in seinem Handeln an der Gemeinde betrachtet.“ 369 Einige Textstellen sprechen für eine Gleichsetzung mit ὁ κύριος, andere für eine Unterordnung unter diesen. 370 „Darum kann Paulus auch gele‐ gentlich θεός, κύριος und πνεῦμα parallelisieren […], eben weil ihre Begegnung mit dem Glaubenden immer ein und dasselbe Ereignis darstellt.“ 371 Der 12,12-20 vorausgehende Abschnitt zeigt nun in besonderer Weise eine solche Parallelisierung mit einer eindeutig, erkennbaren Pragmatik: 4 Διαιρέσεις δὲ χαρισμάτων εἰσίν, τὸ δὲ αὐτὸ πνεῦμα· 5 καὶ διαιρέσεις διακονιῶν εἰσιν, καὶ ὁ αὐτὸς κύριος· 6 καὶ διαιρέσεις ἐνεργημάτων εἰσίν, ὁ δὲ αὐτὸς θεὸς ὁ ἐνεργῶν τὰ πάντα ἐν πᾶσιν. - „ 4 Es sind verschiedene Gaben, aber es ist derselbe Geist. 5 Und es sind verschiedene Dienste, aber es ist derselbe Herr. 6 Und es sind ver‐ schiedene Kräfte, aber es ist derselbe Gott, welcher alles in allen bewirkt.“ (12,4-6) Über die Parallelisierung von τὸ πνεῦμα, ὁ κύριος und ὁ θεός betont Paulus, dass sämtliche Glaubensäußerungen der Korinther sich aus einer ein‐ zigen Quelle speisen. In der Fortführung dieser Argumentation verwendet Paulus durchgehend τό πνεῦμα und scheint mit dem wechselnden Präpositi‐ onsgebrauch (δία, κάτα, ἐν [12,7-10]) darauf zu verweisen, dass sich nicht allein die Gaben und Werke unterscheiden können, sondern auch die Art und Weise, Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 178 <?page no="179"?> 372 Siehe dazu unter III.3.3. 373 Robertson / Plummer, Corinthians, 272; siehe auch de Wette, Corinther, 117. 374 Auch Röm 6,3 f ist als Erläuterung der εἰς-Taufformel zu verstehen, fokussiert allerdings auf εἰς, siehe dazu III.4.2. 375 Orr / Walther, I Corinthians, 285. 376 Schrage, Korinther III, 216, welcher dazu vergleichend auf 6,11 verweist. in der sie durch den Geist inspiriert, also bewirkt werden, unzweifelhaft bleibt jedoch: πάντα δὲ ταῦτα ἐνεργεῖ τὸ ἓν καὶ τὸ αὐτὸ πνεῦμα (12,11). 3.2.2.2 βαπτίσθημεν ἐν ἑνὶ πνεύματι So fokussiert auch das Bild von dem einen Leib und seinen Gliedern auf den Aspekt von Einheit bzw. Einzigkeit. 372 Erneut findet sich in diesem Zusammen‐ hang die Betonung ἑνὶ πνεύματι. Doch auch wenn die Grundaussage des Verses unstrittig ist, so konnte in der Literatur doch bisher keine Einigung darüber erzielt werden, in welcher Weise ἐν zu verstehen ist, welche „Rolle“ also der Geist bei der Taufe εἰς ἓν σῶμα spielt. Sowohl für eine lokale als auch für eine instrumentale Deutung lassen sich Argumente anbringen: 1) ἐν mit lokalem Sinne: Für eine lokale Deutung spricht hauptsächlich, dass ἐν πνεύματι in den oben dargestellten βαπτίζω ἐν-Stellen stets mit ἐν ὕδατι der Johannestaufe parallelisiert wird. „The Spirit is the element in (ἐν) which the baptism takes place […]“. 373 Die Diskussion zu dieser Interpretation kreist um die Frage, ob die Formulierung den Taufablauf als eines Unterbzw. Hineinge‐ tauchtwerdens in symbolischer Weise aufgreift, wofür v. a. der direkte Vergleich mit einer anderen Taufe gleichen Ablaufes, nämlich der Johannestaufe, spricht. Angesichts der Singularität der Aussage wäre daher zu fragen, ob andere pau‐ linische Taufaussagen in gleicher bzw. ähnlicher Weise den Taufablauf symbo‐ lisch deuten. Mindestens Gal 3,27b ist als metaphorische Erläuterung des βαπτίζω in der εἰς-Taufformel zu verstehen. 374 Als weiterer Hinweis auf ein mögliches lokales Verständnis ist zu beachten, dass - auch wenn sowohl ἐν als auch εἰς gerade in der Koine vielfältig und teilweise in identischer Bedeutung verwendet werden - die Anwesenheit beider Präpositionen in dieser kurzen Phrase für eine zu differenzierende Bedeutung spricht. Zudem ist zunächst über die konkrete Bedeutung von καὶ πάντες ἓν πνεῦμα ἐποτίσθημεν zu befinden, bevor ἐν eindeutig geklärt werden kann. 2) ἐν mit instrumentalem Sinne: Für eine instrumentale Interpretation von ἐν lassen sich in der Literatur unterschiedliche Varianten ausmachen. 1) Der Geist wird verstanden als „the effective force which, in the act of baptism, brings this body to experiential reality.“ 375 2) „Der Geist wird dabei […] zugleich als im Taufgeschehen wirkend und in der Taufe verliehen gedacht […]“. 376 3) 3 1. Korinther 12,12 - 20: Zu einem Leib getauft 179 <?page no="180"?> 377 Witherington III, Galatia, 276. 378 A. a. O. 277. 379 Röm 12,3-8; 1Kor 10,14-17; 12,12-20; Eph 1,23; 4,12-16; 5,21-32; Kol 3,15. 380 Siehe dazu ausführlich bei Wolff, Korinther, 304, sowie Schrage, Korinther III, 213-216. 381 Käsemann, Leib Christi. 382 Schweizer, Art. σῶμα, 1069. 383 Fischer, Epheserbrief, 77. 384 Sandvik, Kommen, 68. 385 Wolff, Korinther, 303, siehe dazu die weitreichenden Belege bei Schweizer, Art. σῶμα, 1033. Βαπτίσθημεν ἐν πνεύματι wird als ein von der Taufe zu unterscheidender Akt verstanden: „In the text in 1 Cor. 12.13 Paul seems clearly to be referring to what the Spirit accomplishes in the believer. It is the Spirit, not water baptism that joins a person into the body of Christ.“ 377 Witherington III sieht in der Geisttaufe „the conversion“ und in der Wassertaufe „the initiation“. 378 Für eine instrumen‐ tale Deutung spricht der Kontext, nach welchem sämtliche Glaubensäuße‐ rungen durch τὸ πνεύμα bewirkt werden. Es bliebe dann jedoch zu fragen, in welchem Verhältnis Paulus Geist und Taufe sieht: Sind es zwei zu trennende Vorgänge oder ist der Geist die tatsächlich wirkende Macht in bzw. durch die Taufe? Sowohl für ein instrumentales als auch ein lokales Verständnis konnten unterstützende Indizien festgestellt werden, welche allerdings auf Grund der Singularität der Aussage weiterer Bestätigung durch kontextuelle (1Kor 12) oder vergleichende (paulinische Tauftexte) Untersuchungen bedürfen. 3.3 […] ἡμεῖς πάντες εἰς ἓν σῶμα ἐβαπτίσθημεν (1Kor 12,13a) 3.3.1 Leib-Metaphorik Innerhalb der paulinischen Literatur wird die Gemeinde in unterschiedlichen Kontexten als ein Leib bzw. der Leib Christi bezeichnet. 379 V.a. auf Grund der Unterschiede zwischen Proto- und Deuteropaulinen kann und soll hier keine umfassende Darstellung geleistet werden, sondern der Fokus auf allgemeinen und den für 1Kor 12 relevanten Spezifika liegen. Über die Herkunft des Bildes 380 reichen die konkreten Thesen von Ursprüngen in der Gnosis, 381 über die Vorstellung einer corporate personality, 382 über die Idee eines „Allgott als Makroanthropos“, 383 bis hin zum paulinischen Abendmahls‐ verständnis. 384 Wenn auch die unterschiedlichen Theorien der Interpretation des Bildes verschiedene Nuancen beilegen, so lässt sich doch zumindest sicher fest‐ stellen, dass Paulus an „einen in der Antike verbreiteten metaphorischen Ge‐ brauch von ‚Leib‘ für eine Einheit in der Vielfalt“ 385 anknüpft. Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 180 <?page no="181"?> 386 Wolff, Korinther, 302. 387 Taylor, unity, 751. 388 Wolff, Korinther, 302. Diese Grundpragmatik lässt sich in sämtlichen Textstellen, wenn auch in un‐ terschiedlicher Ausprägung, feststellen: Paulus verwendet das Bild zur Beto‐ nung bzw. Erklärung der Einheit der Gemeinde. Wolff betont den stets paräne‐ tischen Kontext, „in soteriologischen Passagen ist bezeichnenderweise nicht von dem einen Leib die Rede.“ 386 Dabei kann das Bild in unterschiedlichen Problem‐ kontexten Anwendung finden: die Unvereinbarkeit von Götzenmahl und Her‐ renmahl (1Kor 10); die Diversität der Geistesgaben (1Kor 12; Röm 12); Hierar‐ chiestrukturen innerhalb der Gemeinde u.s.w. Die drei ausführlichen Textstellen in den Protopaulinen seien daher kurz etwas ausführlicher betrachtet: 1Kor 10,16 f: 16 […] τὸν ἄρτον ὃν κλῶμεν, οὐχὶ κοινωνία τοῦ σώματος τοῦ Χριστοῦ ἐστιν; 17 ὅτι εἷς ἄρτος, ἓν σῶμα οἱ πολλοί ἐσμεν, οἱ γὰρ πάντες ἐκ τοῦ ἑνὸς ἄρτου μετέχομεν. - „ 16 […] Das Brot, das wir brechen, ist das nicht die Ge‐ meinschaft des Leibes Christi? 17 Denn es ist ein Brot: So sind wir viele ein Leib, weil wir alle an einem Brot teilhaben.“ Paulus nimmt direkten Bezug auf den Leib Christi und die Anteilhabe daran im Herrenmahl, welche die Gemeinde zu einer Einheit verbindet vergleichbar einem einzigen Leib. Diese Einheit ist so grundlegend und einzigartig, dass sie einerseits mit anderen rituellen Mahlen, welche eine vergleichbare Einheit erschaffen, in einer sich ausschließenden Konkurrenz steht, und andererseits soziale Differenzierungen innerhalb entge‐ gensteht. 387 Röm 12,4-6: 4 καθάπερ γὰρ ἐν ἑνὶ σώματι πολλὰ μέλη ἔχομεν, τὰ δὲ μέλη πάντα οὐ τὴν αὐτὴν ἔχει πρᾶξιν, 5 οὕτως οἱ πολλοὶ ἓν σῶμά ἐσμεν ἐν Χριστῷ, τὸ δὲ καθ’ εἷς ἀλλήλων μέλη. 6 ἔχοντες δὲ χαρίσματα κατὰ τὴν χάριν τὴν δοθεῖσαν ἡμῖν διάφορα […] - „ 4 Denn wie wir an einem Leib viele Glieder haben, aber nicht alle Glieder dieselbe Aufgabe haben, 5 so sind wir viele ein Leib in Christus, aber untereinander ist einer des andern Glied, 6 und haben verschie‐ dene Gaben nach der Gnade, die uns gegeben ist […]“ Auch hier wird die Ge‐ meinde als Leib bezeichnet, allerdings als ἓν σῶμά ἐσμεν ἐν Χριστῷ (Röm 12,5) und demnach nicht mit dem Leib Christi direkt identifiziert. „Der Umstand, daß der Apostel so variierend formulieren kann, zeigt, daß der Leibgedanke für ihn nicht in der Weise konkret ist, daß die Gemeinde realiter der Leib des erhöhten Christus ist; vielmehr gilt: Wir sind bei aller Vielzahl eine orfanische Einheit durch unser Bestimmtsein vom eschatologischen Heil (‚in Christus‘).“ 388 Für 1Kor 12 besteht nun die Problematik, dass der Text einen uneindeutigen Befund über das Verhältnis von Gemeinde als Leib und dem Leib Christi bietet: Καθάπερ γὰρ τὸ σῶμα ἕν ἐστιν καὶ μέλη πολλὰ ἔχει […] οὕτως καὶ ὁ 3 1. Korinther 12,12 - 20: Zu einem Leib getauft 181 <?page no="182"?> 389 Als durchgehendes Bild interpretiert etwa a. a. O. 301; dagegen z. B. Schrage, Korin‐ ther III, 210. 390 Wolff erkennt einen Vergleich der Gemeinde mit einem Leib, nicht aber mit dem Leib Christi (Wolff, Korinther, 301). 391 Im Sinne einer Gleichsetzung der Gemeinde mit dem Leib Christi interpretiert z. B. Schrage, Korinther III, 212: „Die Gemeinde wird also weder nur mit einem Leib vergli‐ chen noch dazu aufgerufen, Christi Leib zu werden oder zu sein. Sie ist es. Sie reprä‐ sentiert als Leib Christi den Christus in der Welt.“ 392 Halter, Taufe, 164, interpretiert es als Vergleich, „der sich freilich allsogleich über einen reinen Vergleich erhebt und sich bei näherem Hinsehen als Ausdruck einer tieferen, ontologischen Realität der Gemeinde offenbart.“ 393 Schrage, Korinther III, 211. 394 Wolff, Korinther, 297 f. 395 Vgl. 1Kor 10,17, wo das Fehlen des Artikels ebenfalls darauf deutet, dass zunächst von einem Leib als lebendigem Organismus, nicht aber direkt von dem Leib Christi die Rede ist. 396 Roloff, diakonische Dimension, 197. 397 Zu weiteren Einheitsvorstellungen und -bildern im NT und speziell bei Paulus siehe ausführlich unter III.1.5.4.4. Χριστός· (12,12), […] ἐν ἑνὶ πνεύματι ἡμεῖς πάντες εἰς ἓν σῶμα ἐβαπτίσθημεν […] (12,13), Ὑμεῖς δέ ἐστε σῶμα Χριστοῦ καὶ μέλη ἐκ μέρους. (12,27). Das wirft die Frage auf, ob überhaupt eine durchgehende und einheit‐ liche Bildebene 389 anzunehmen ist und ob es sich dabei um einen Vergleich, 390 Gleichsetzung 391 oder etwas Weiteres handelt. 392 Diese Unterschiede liegen in einer differierenden Interpretation des οὕτως καὶ ὁ Χριστός (12,12) begründet, was entweder als „Breviloquenz für seinen Leib“ 393 gedeutet oder aber die Geist‐ aussage durch Christusverweis kontextualisiert wird: Paulus lenkt den Blick auf den „der in der Gemeinde durch den Geist, das Unterpfand (2.Kor. 1,22; 5,5) für das eschatologische Heil (‚Christus‘! ), am Werk ist.“ 394 Verschiedene Aspekte sprechen demnach gegen eine durchgehende Identifi‐ zierung der Gemeinde als Leib mit dem Leib Christi - mindestens als Haupt‐ aussage von 12,12-31. Vielmehr sprechen der Kontext und die eingehende Ent‐ faltung des Bildes eines Leibes dafür, dass Paulus die Gemeinde mit einem Organismus vergleicht, welcher nicht etwa trotz der Verschiedenartigkeit seiner Glieder lebt und funktioniert, sondern gerade auf Grund dieser. 395 Roloff etwa sieht den Leitgedanken in der Lebendigkeit des Organismus, aus dem sich das Prinzip des Dienens der Glieder untereinander ableitet. 396 Mindestens ebenso relevant ist der Aspekt zu werten, dass das Bild des Leibes ein in der Antike in unterschiedlichen Kulturen verbreitetes Bild für das Ideal einer Einheit dar‐ stellt. 397 Dass die Gemeinde schließlich mit dem Leib Christi identifiziert wird, ist als eine Art Klimax und zugleich tiefere Begründung des Bildes zu verstehen, wel‐ Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 182 <?page no="183"?> ches davon handelt, dass eine Vielzahl an Menschen in so grundlegender Weise zusammengefügt wird, dass sie diese einzigartige Einheit bilden, dass die ein‐ zelnen Glieder nicht mehr unabhängig davon lebensfähig wären. Begründet wird dies in der Taufe auf den einen Christus, bewirkt durch den einen Geist. 3.3.2 Getauftwerden zu einem Leib 3.3.2.1 Vorbemerkung zu βαπτίζω εἰς / ἐν Angesichts der Bedeutung, welche die εἰς-Taufformel für Röm 6 und Gal 3 ein‐ nimmt, lässt 1Kor 12 diese Formel geradezu vermissen. Drei sehr unterschied‐ liche Erklärungen sind denkbar: 1) Es handelt sich bei 1Kor 12 - nicht in ver‐ gleichbarem Maße - um einen Tauftext. 2) Paulus fokussiert einen Aspekt der Taufe, den die εἰς-Taufformel nicht hergibt. 3) Vergleichbar Röm 6,3c und Gal 3,27,b ist 1Kor 12,13a als Erläuterung der εἰς-Taufformel zu verstehen. Eine Klärung dieser Fragestellung kann zur endgültigen Interpretation des Verses beitragen. Sowohl die εἰς-Taufformel als auch 1Kor 12,13 stellen sehr verkürzte und darin formelhafte Formulierungen dar, welche durch die Verwendung von εἰς bzw. ἐν eher ein vielschichtiges Deutungsspektrum eröffnen, als dass sie eine eindimensionale, unmissverständliche Aussage bieten: lokale, instrumentale und weitere Deutungen sind vorstellbar. Dass die Erläuterungen in Röm 6,3c und Gal 3,27b auf unterschiedliche Aspekte eingehen, macht nun wahrschein‐ lich, dass die Mehrdimensionalität in ihrer Bedeutung kein neuzeitliches Aus‐ legungsproblem darstellt, sondern der Formel bereits selbst eignet. Dies spricht unbedingt für eine jeweils kontextuelle, anfänglich bedeutungsoffene Analyse der jeweiligen Textstellen. 3.3.2.2 Denn wir sind alle durch den einen Geist zu einem Leib getauft worden … 1Kor 12,13 weist erhebliche Parallelen zu Gal 3,27 f, aber auch einige zu Röm 6,3 f auf, was den Vers in seinem Aufbau wie in seiner Aussage als Tauf‐ aussage mit einem gewissen Traditionsgrad eindeutig erkennbar macht: Auf einen argumentativen Anschluss an das vorherige (καὶ γάρ [1Kor 12,13a]; vgl. Röm 6,3a; Gal 3,27a), folgt eine βαπτίζω-Aussage im Plural Passiv (vgl. Röm 6,3b; Gal 3,27a), die Negierung der (Gegensatz-)Paarungen (1Kor 12,13b, vgl. Gal 3,28a-c) sowie eine Betonung der Einheit (1Kor 12,12.13a.c; vgl. Gal 3,28d). Der Abschnitt gibt Auskunft über Grundlage und Wirkung der Taufe für den einzelnen wie für die Gemeinschaft der Getauften. In der vergleichenden Logik dieser Gliederung ist καὶ γὰρ ἐν ἑνὶ πνεύματι ἡμεῖς πάντες εἰς ἓν σῶμα 3 1. Korinther 12,12 - 20: Zu einem Leib getauft 183 <?page no="184"?> 398 Diese Verwendung von βαπτίζω ἐν ist als höchst kontextabhängig zu bewerten und lässt m. E. keine Schlüsse für nichtpaulinische Textstellen zu, anders etwa Schrage, welcher ein entsprechend instrumentales Verständnis auch für ἐν ὕδατι in den Ver‐ gleichsaussagen zu Johannestaufe und der Taufe dessen, der nach ihm kommen wird, postuliert (Schrage, Korinther III, 210). 399 Vgl. dazu das Konzept des ἐν Χριστῷ, welches ebenfalls ein reziprokes Element enthält, siehe unter III.1.5.4. 400 Vgl. Wolff, Korinther, 298. ἐβαπτίσθημεν entweder als Variation der εἰς-Taufformel oder als Erläuterung dieser (vgl. Röm 6,3c; Gal 3,27b) bei Auslassung der eigentlichen Formel zu ver‐ stehen. Die kontextuellen wie traditionsgeschichtlichen Voruntersuchungen spre‐ chen für folgende Deutung, welche als Erläuterung der εἰς-Taufformel bezüglich Wirkmacht und Auswirkung verstanden werden kann. Auf Christus getauft worden zu sein, bedeutet für die korinthische Gemeinde: 1) τὸ πνεῦμα, welcher zuvor in eindeutiger Weise mit ὁ κύριος und ὁ θεός parallelisiert wurde, wirkt in und durch die Taufe. ἐν verweist an dieser Stelle auf die göttliche Macht, welche in der Taufe auf den einzelnen wie die Gemeinschaft einwirkt. Ein Zeichen dafür sind die zahlreichen Geistesgaben in der korinthi‐ schen Gemeinde. Diese eher instrumentale Deutung 398 schließt ein gewisses lokales Moment nicht grundsätzlich aus, nach dem der Täufling vom Geist nicht nur gänzlich durchdrungen, sondern auch von diesem vollständig umgeben wird. 399 Neben ἐν lässt auch die Betonung des ἑνὶ eine Nähe zu πάντες γὰρ ὑμεῖς εἱς ἐστε ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ (Gal 3,28d) erkennen. 2) τὸ σῶμα bezeichnet, wie die nachfolgende Argumentation deutlich he‐ rausstellt, die in der Taufe begründete Einheit der Gemeinde vergleichbar einem einzigen Organismus, welcher von dem funktionalen Zusammenspiel der ein‐ zelnen, unterschiedlichen Glieder am Leben erhalten wird. Keine der sonstigen Einheitsaussagen der paulinischen Tauftexte lässt den Aspekt erkennen, dass die Taufe einen einzelnen Täufling in die Einheit einfügt, sondern vielmehr die Taufe an sich bzw. jedes Einzelnen (siehe Plural) die Einheit insgesamt be‐ gründet. 400 Dies widerspricht einerseits einer lokalen Deutung von εἰς ἓν σῶμα und lässt für eine Differenzierung in eine Geisttaufe und eine Wassertaufe kei‐ nerlei zwingende Anhaltspunkte erkennen. Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 184 <?page no="185"?> 401 Siehe dazu III.1.4.4, gegen Wolff, welcher darin weder eine Tradition noch eine feste Verbindung zu einer Taufaussage erkennt: „Motivparallelen […] erklären sich zwanglos auf Grund derselben Verfasserschaft für diese Briefe.“ (a. a. O. 299). 402 Siehe unter III.1.4. 403 Vgl. dagegen Kol 3,11. 404 Wolff, Korinther, 298 f. Alternativ wird darüber spekuliert, dass das dritte Paar „ange‐ sichts der Glosse in 14,33b-35 […] sekundär getilgt worden sein könnte“, so vorsichtig Lindemann, Korintherbrief, 272. 3.4 εἴτε Ἰουδαῖοι εἴτε Ἕλληνες εἴτε δοῦλοι εἴτε ἐλεύθεροι (1Kor 12,13b) Da der Hintergrund, die Traditionssowie Auslegungsgeschichte der tradierten Wendung 401 bereits ausführlich dargestellt wurden, 402 soll im Folgenden das Au‐ genmerk auf den Spezifika der Tradition in 1Kor 12,13 liegen, um davon eine angemessene Interpretation herzuleiten: 1) die Konstruktion über εἴτε … εἴτε …, 2) das „Fehlen“ des dritten (Gegensatz-)Paares gegenüber Gal 3,28, sowie 3) die kontextuelle Einbindung in 1Kor 12. 1) εἴτε … εἴτε …: Im Vergleich zu den beiden anderen Stellen, an welchen sich die Tradition finden lässt (Gal 3,28a-c; Kol 3,11), bietet 1Kor 12,13 die einheit‐ lichste Struktur. Paulus verwendet in Röm 12,6-8 εἴτε … εἴτε …, um die ver‐ schiedenen Geistesgaben und den sachgemäßen Umgang aufzuzählen. In 1Kor 3,22 betont er, dass kein Mensch gerühmt werden dürfte, ob es sich nun um Paulus, Kephas oder Apollos handelt. Die Formulierung zielt demnach weder auf ein bloßes Erfassen aller Beteiligten noch auf eine Relativierung oder gar Negierung der Unterschiede zwischen ihnen. Die klassischen Gegensätze sind zwar noch deutlich zu erkennen, 403 doch egalisiert die Aufzählung jegliche nä‐ here Verhältnisbestimmung oder gar Machtstruktur. Sinngemäß wäre zu über‐ setzen: Etwas geschieht, völlig unabhängig davon, ob die Beteiligten Juden, Griechen, Sklaven oder Freie sind. 2) das „Fehlen“ des dritten (Gegensatz-)Paares: Eher aus der Perspektive der schwierigen Auslegungsgeschichte von Gal 3,28c heraus wird gelegentlich be‐ merkt, dass in 1Kor 12,13b das dritte Paar fehlt. Da auch Kol 3,11 das Paar ver‐ missen lässt, müsste eigentlich eher Gal 3,28c als Abweichung gelten. Will man jedoch davon ausgehen, dass Gal 3,28a-c eine vollständige, in ihrem Umfang gefestigte Tradition bietet, so könnte man über die Gründe des Weglassens spe‐ kulieren. „Das Fehlen dieses Gegensatzpaares im Ersten Korintherbrief erklärt sich wohl daraus, daß Paulus den Enthusiasmus korinthischer Frauen (vgl. 11,2 ff.) nicht begünstigen will.“ 404 Gegen diese These Wolffs spricht, dass keine, die korinthischen Frauen möglicherweise animierende Relativierung der Un‐ terschiede ausgesagt wird. Vielmehr spricht der Kontext für die Sinnhaftigkeit 3 1. Korinther 12,12 - 20: Zu einem Leib getauft 185 <?page no="186"?> 405 Wolff, Korinther, 299. 406 Schrage, Korinther III, 217. aller menschlischen Spezifika und die in der Taufe begründete Einheit aller - ein Aspekt, der bei noch so viel Enthusiasmus kaum missverstanden werden kann. 3) die kontextuelle Einbindung: 1Kor 12 setzt der Tradition eine von Gal 3 und Kol 3 stark abweichende Pragmatik. Die Unterschiedlichkeit aller Getauften ist zutiefst sinnhaftig und erhält ihre eigentliche Bedeutung gerade erst im Mit- und v. a. Füreinander als Glieder eines Leibes: Was wäre ein Auge für sich allein? Oder was könnten fünf Finger als Gruppe ausrichten? Betrachtet man diese Einzelaspekte erschließt sich folgende Deutung, über welche in der Forschung weitestgehend Einigkeit herrscht: Alle, gerade in ihrer anhaltenden Unterschiedlichkeit werden durch den einen Geist zu einem Leib getauft. Es irritiert jedoch, in welcher Weise die Aussage von manchem mit Gal 3,28 kontrastiert wird: „Während Paulus in Gal. 3,27 f. die Beseitigung der Unterschiede hervorhebt, geht es ihm in unserem Vers um die in der Gemeinde vorhandene herkunftsmäßige Mannigfaltigkeit.“ 405 Oder auch: „Anders als in Gal 3,28 (οὐκ ἔνι) wird allerdings nicht ausdrücklich gesagt, daß durch das grundlegende Geschehen der Taufe die heilsgeschichtlichen und sozialen Dif‐ ferenzierungen mit ihren Privilegien und Benachteiligungen ekklesiologisch relativiert und überholt werden. Wie das Folgende zeigt, ist gerade keine Ein- und Gleichförmigkeit intendiert.“ 406 Dies hieße, Paulus würde dieselbe Tradition mit völlig unterschiedlicher Intension verwenden. Dagegen ist festzuhalten, dass sowohl Gal 3,27 f als auch 1Kor 12,13 als eine Relativierung, wenn nicht Beendigung sämtlicher bisheriger Unterscheidungskategorien der Menschen durch die Taufe auf Christus und die darin grundgelegte ganz neuartige Bezie‐ hung, gar Einheit der Getauften interpretiert werden können. Neben der Un‐ terscheidung zwischen Juden und Griechen sowie Sklaven und Freien ist mit Blick auf die korinthische Gemeinde besonders an die Parteiungen zu denken. Schon zu Beginn des Briefes hatte Paulus leidenschaftlich u. a. mit der Taufe dagegen argumentiert, dass die - typische menschliche Gruppenbildung - in‐ nerhalb der Gemeinde christlichem Gemeinschaftsverständnis konträr gegen‐ übersteht: Sie zerreißen Christus (1Kor 1,13a) - sie spalten den Leib (1Kor 12,25) und machen ihn damit lebensuntüchtig. Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 186 <?page no="187"?> 407 Im Medium meint es „sich Tränken, Trinken“. 408 Siehe dazu die Auflistungen unter Hellholm, Tauftraditionen, 425 Anm. 59 sowie Anm. 60. 409 Siehe so z. B. Lietzmann / Kümmel, Korinther, 188; Halter, Taufe 172 f; Schrage, Korin‐ ther III, 217 f; Ferguson, Baptism, 153 u. a. 410 Zeller, Korinther, 398 Anm. 109. 411 Hellholm, Tauftraditionen, 426. 412 Weiß, Korinther, 304. 3.5 πάντες ἓν πνεῦμα ἐποτίσθημεν (1Kor 12,13c) Ποτίζω kann im Aktiv für Menschen „Trinken lassen / geben“ (Röm 12,20; 1Kor 3,2); für Tiere „Tränken“ und für Pflanzen „(Über-)Gießen“ (1Kor 3,6-8) bezeichnen. 407 Die passive Ausdrucksweise von 1Kor 12,13c lässt allein von der Semantik ausgehend zwei verschiedene Übersetzungsmöglichkeiten zu: 1) „Wir haben alle den einen Geist zu Trinken bekommen“ oder 2) „Wir sind alle mit dem einen Geist übergossen worden“. Es finden sich zudem drei sprechende textkritische Varianten zu dieser Phrase: 1) καὶ πάντες εις ἓν πνεῦμα ἐποτίσθημεν. - „und wir sind alle durch einen Geist getränkt / übergossen worden.“ Die durch eine Korrektur von D und einige Mi‐ nuskeln belegte Variante ist klar als Vereinfachung unter Angleichung an den Kontext (12,13a) zu deuten. 2) καὶ πάντες ἓν πόμα ἐποτίσθημεν. - „und wir haben alle von einem Trank zu trinken bekommen.“ Einige Minuskeln, eine syrische Übersetzung sowie Clemens belegen die Variante, welche den Teilvers verein‐ facht, indem sie eindeutig auf das Abendmahl hin deutet. 3) καὶ πάντες ἓν σῶμα ἐσμέν. - „und wir sind alle ein Leib.“ Diese lediglich im Alexandrinus bezeugte Variante verändert den Teilvers massiv zu Gunsten einer Angleichung an den Kontext (1Kor 12,12-31). Damit bestätigt sich die Lesart des Haupttextes von Nestle / Aland als die nach quantitativen wie qualitativen Aspekten ursprüng‐ liche, wobei die Art der Varianten als bewusste, vereinfachende Korrekturen nachdrücklich vermuten lässt, dass die Schwierigkeit der Deutung stets wahr‐ genommen wurde. Dies spiegelt sich auch in der aktuellen Deutungsvielfalt der Sekundärlite‐ ratur wider. Die Aussage wird entweder als Bezugnahme auf die Taufe oder auf das Herrenmahl - für beides lassen sich bereits in der altkirchlichen Exegese Vertreter finden 408 - oder aber als von beiden Ritualen unabhängig verstanden: 1) Als Aspekte für eine Bezugnahme auf die Taufe 409 werden gemeinhin an‐ geführt: der Aorist (einmalig, Vergangenheit), 410 welcher gegen die Wiederho‐ lungspraxis des Herrenmahls spricht, die formale Verschränkung der Versteile (καί) 411 sowie die Möglichkeit, ἐποτίσθημεν als Explikation von 412 bzw. inhalt‐ 3 1. Korinther 12,12 - 20: Zu einem Leib getauft 187 <?page no="188"?> 413 Schrage, Korinther III, 217. 414 Wolff, Korinther, 299, erläutert in folgender Weise: „…liegt dann die Vorstellung zu‐ grunde, daß der Glaubende bei der Taufe Gottes Geist in sich aufnahm, von ihm durch‐ drungen wurde (vgl. Joh 7,37-39; Röm. 8,9.11; 1.Kor. 6,19; 1.Thess. 4,8).“ 415 Siehe Barrett / Rogers, ΕΠΟΤΙΣΘΗΜΕΝ. 416 Siehe Arzt-Grabner, 1. Korinther, 138, nach welchem ποτίζω in sämtlichen Papyrusbe‐ legen ein „Bewässern“ bezeichnet. 417 Hellholm, Tauftraditionen, 426. 418 Siehe Wolff, Korinther, 299; Halter, Taufe, 172. Dagegen Schrage, Korinther III, 217 f, welcher darauf hinweist, dass die LXX-Stellen nicht ποτίζω verwenden, sondern von einem Besprengen reden. 419 Hellholm, Tauftraditionen, 426 f, sieht diesen Taufvollzug durch die Beschreibung in Did 7,3, altkirchliche Kunst sowie die Form späterer Taufbecken bestätigt. Dagegen: Wolff, Korinther, 299 f. 420 Siehe so z. B. Käsemann, Anliegen, 16 f; Delling, Taufe, 119 Anm. 423; Klauck, Herren‐ mahl, 335. 421 Dunn, Baptism, 131. 422 Ebd. liche Parallele 413 zu ἐβαπτίσθημεν zu verstehen, was den Konstruktionen in Gal 3,27 und Röm 6,3 entsprechen würde. Dem ist hinzuzufügen, dass das Passiv des Ausdrucks eher der Position des Täuflings während der Taufe als einem Kommunizierenden während des Herrenmahles entspricht. Bei den Vertretern des Taufbezuges finden sich beide Übersetzungsmöglichkeiten: 1) ein Zutrin‐ kenbekommen im Sinne eines in-sich-Aufnehmen 414 bzw. Durchdrungen‐ werden 415 durch den einen Geist bei der Taufe und 2) ein Bewässert- 416 bzw. Übergossenwerden 417 von dem einen Geist während der Taufe. Letzteres kann auf die alttestamentliche Vorstellung einer Geistausgießung zurückgeführt werden 418 oder aber in der Taufvorstellung des Übergießens mit Wasser veran‐ kert werden. 419 2) Für eine Bezugnahme auf das Herrenmahl 420 spricht maßgeblich das Motiv des Trinkens und m. E. könnte auch die für die Herrenmahlsdiskussion in 1Kor grundlegende Einheitsthematik dahingehend interpretiert werden. 3) Dunn liefert insofern eine weitere Deutung, als er das bei Paulus bereits zuvor belegte „to water or irrigate“ 421 favorisiert, jedoch einer Verbindung zum eigentlichen Taufvollzug widerspricht: „Conversion, for Paul and the Corin‐ thians, was an experience of the Spirit which was like the outpouring of a sudden slood or rainstorm on a parched ground, and which their made lives like a well-watered garden ( Jer 31,12). […] There is no thought of water-baptism here whatsoever.“ 422 Dunns Deutung setzt eine bewusste Trennung zwischen einer Geisttaufe und einer Wassertaufe voraus, welcher bereits widersprochen wurde. Die Herren‐ mahlsdeutung lässt sich grammatikalisch sowie kontextuell anzweifeln. Es ist Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 188 <?page no="189"?> 423 Will man Paulus für 1Kor einen einheitlichen Sprachgebrauch unterstellen, so wäre zu überlegen, ob die Differenzierung zwischen Pflanzen und Begießen, wie sie sich in 1Kor 3 findet, auch auf die Taufe übertragen werden kann: Dabei könnte Christi Sterben und Auferstehen als Urgrund der Taufe dem Pflanzen verglichen werden, während dem Getränktwerden mit dem Geist die lebenserhaltende, andauernde Funktion zukommt. 424 Zur Indifferenz bezüglich lokaler Vorstellungen im Kontext der Taufe und der Tauf‐ formel siehe unter VI.1. also nach dem Ausschlussverfahren die Taufe als Kontext der Aussage anzu‐ nehmen. Drei weitere Aspekte von 12,13c scheinen mir über die vielfältigen Er‐ läuterungen der Literatur hinaus wesentlich: 1) Versucht man nun zunächst von einer näheren Differenzierung zwischen einem „Zutrinkenbekommen bzw. Er‐ fülltwerden“ und einem „Übergossenwerden“ abzusehen, sondern richtet sein Augenmerk zurück auf die literale Bedeutung des Verbes, so wird deutlich, dass allein die Differenzierung der Objekte den Grund für die unterschiedlichen Ausführungsformen darstellt, die Funktion jedoch die gleiche bleibt: Während Menschen und Tiere zu trinken bekommen, müssen Pflanzen begossen werden - beide jedoch nehmen schließlich das lebensnotwendige Wasser „in sich auf “, auch wenn diese Assoziation bei Menschen und Tieren sich schneller auf‐ drängt. Kehrt man zurück zu 12,13, so steht der eine Geist als dasjenige fest, womit getränkt bzw. bewässert wird. 2) Ein weiterer sicherer Aspekt wird selten thematisiert: Es handelt sich um eine Passivform, was den Fokus weglenkt von ἡμεῖς hin zu dem, was geschieht. 3) 1Kor 12,13c findet sich innerhalb der Aus‐ führungen über die Gemeinde als Leib. Wenn also vom Tränken eines Lebewesens gesprochen wird, läge es nahe, dies auf der Bildebene der Leibmetaphorik zu verstehen: Wie jeder Leib, jedes Lebewesen davon lebt, Wasser zu trinken oder von einer fürsorgenden Macht getränkt zu werden, so haben wir als Leib den einen Geist in der Taufe zu trinken, geradezu eingeflößt bekommen als dasjenige, was nicht nur jeden einzelnen, sondern auch die Gemeinde insgesamt am Leben erhält. 423 Eine solche eher funktionale Auslegung bleibt indifferent gegenüber den verschiedenen lokalen Deutungen, was mit Blick auf 12,13a, wo keine klaren lokalen Deutungen im Sinne eines Anklanges an den Taufvollzug zu erkennen sind, angemessen erscheint. 424 3.6 Zusammenfassung unter ritologischer Perspektive Der Geist als Kraft und Wirkmacht Jesu bzw. Gottes ist einer und der einzige, welcher in der Taufe wirkt. Durch diesen einen Geist wird die Gemeinde in der Taufe wie ein einziger, lebender Organismus. Als auf Christus Getaufte kann dieser Leib auch als der Leib Christi verstanden werden. Die Unterschiedlichkeit 3 1. Korinther 12,12 - 20: Zu einem Leib getauft 189 <?page no="190"?> 425 Siehe unter V.2. 426 Siehe unter V.2. 427 Siehe unter VI.1. 428 Siehe unter IV.2. 429 Siehe unter VI.1. 430 Siehe unter VI.1. 431 Siehe unter VI.1; VI.6 sowie VI.7. 432 Siehe unter VI.1; VI.6 sowie VI.7. 433 Siehe unter VI.2 sowie VI.7. und Vielfalt der Glieder ist sinnvoll, wichtig und bleibt. Als zu einem Leib Getaufte sind die Gemeindeglieder notwendigerweise aufeinander angewiesen und auf‐ gefordert, einander zu dienen. Sie wurden alle in der Taufe mit dem einen Geist getränkt, wie aus einer Quelle. Wie jedes Lebewesen Wasser zum Leben braucht und von Gott erhält, so wurden wir - einzeln und v. a. zusammen - mit dem einen, einzigen Geist als Lebenselixier getränkt, ein für alle Mal. Paulus verwendet innerhalb seiner Argumentation zwei ritologische Motive bezüglich Ablauf und Wirkung der christlichen Taufe, für die sich weiterge‐ hende Fragen ergeben: 1) Die Leibmetaphorik: 425 Wird die Leibmetaphorik im Kontext andere Rituale verwendet? Kommt es dabei, vergleichbar mit der Vor‐ stellung vom „Leib Christi“, zu einer Identifikation mit einer göttlichen oder Rettungsperson? Wird der Aspekt des Trinkens bzw. Tränkens des Leibes the‐ matisiert? 2) Die Einheitsthematik: 426 Wer bewirkt wie die Einheit? Gibt es ein Äquivalent dieser Einheit, vergleichbar dem einen Geist? Folgende weiterführende Fragen wirft die Untersuchung zur christlichen Taufe im Allgemeinen auf: Stehen hinter βαπτίζω lokale Vorstellungen bezüg‐ lich des Taufvollzuges? 427 Wie zwingend sind diese mit dem Taufablauf ver‐ bunden, sind sie etwa ebenfalls bei der im Ablauf gleichen Johannestaufe aus‐ zumachen? 428 Stehen lokale und instrumentale Deutungen in einem erkennbaren, möglicherweise sogar konkurrierenden Verhältnis? 429 Bezüglich der Ähnlichkeit mit tradierten Wendungen und Motiven in Röm 6 und Gal 3 ist zu fragen, wie hoch sich der Traditionsgrad darstellt, 430 wie zwingend ihr Tauf‐ bezug ist, 431 wo ihr Sitz im Leben 432 und wo ihr Ursprung zu verorten ist? 433 4 Römer 6,1 - 11: Mit Christus gestorben 1 Was soll ich also sagen? Sollen wir also in der Sünde bleiben, damit die Gnade zunehme? 2 Das soll nicht geschehen! Die wir der Sünde gestorben sind, wie sollten wir noch in ihr leben? 3 a) Wisst ihr denn nicht: b) Wir alle, die wir auf Christus Jesus getauft sind, Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 190 <?page no="191"?> 434 Barth, Taufe, 93. 435 Hahn, Taufe, 18. Stommel nennt die Verse die „älteste, umfangreichste und ergiebigste Stelle für die Tauflehre des Neuen Testaments“ (Stommel, Begraben, 1). Siehe auch Halter, Taufe, 35 ff. Dagegen mit Nachdruck Schmithals, Römerbrief, 190. c) sind auf seinen Tod getauft. 4 a) Wir sind also mit ihm begraben worden durch die Taufe auf den Tod, b) damit, wie Christus auferweckt wurde aus den Toten zur Herrlichkeit des Vaters, c) auch wir in der Neuheit des Lebens wandeln sollen. 5 a) Denn wenn wir vereint worden sind mit der Gleichgestalt seines Todes, b) dann werden wir [es] auch mit der Auferstehung sein. 6 a) Wir wissen dieses, dass unser alter Mensch mitgekreuzigt wurde, b) damit der Leib der Sünde ver‐ nichtet würde, c) damit wir nicht mehr dienen der Sünde. 7 Denn der Gestorbene ist (gegenüber) der Sünde gerechtfertigt. 8 Wenn wir aber mit Christus gestorben sind, glauben wir, dass wir auch mit ihm leben werden 9 und wissen, dass Christus, auferstanden aus den Toten, nicht mehr stirbt, der Tod nicht mehr über ihn herrscht. 10 Denn was er gestorben ist, ist er ein für alle Mal der Sünde gestorben. Was er aber lebt, [das] lebt er Gott. 11 So auch ihr, gedenkt, dass ihr zwar (selbst) tot seid der Sünde, Lebende aber für Gott in Christus Jesus. 4.1 Der locus classicus der Tauflehre - Bedeutung und Kontext „Daß die Briefe des Apostels keine explizite Lehre von der Taufe bieten, gilt auch im Blick auf den Text, der weiterhin als locus classicus für die Tauflehre gilt, Röm 6,1-11.“ 434 Diese Feststellung von Barth gibt einen symptomatischen Ein‐ blick in die paradoxe Wahrnehmung von Röm 6,1-11 durch die Forschung: Ob‐ wohl fast einhellig als „wichtigster paulinischer Text über die Taufe“ 435 identi‐ fiziert, wird immer noch breit die Auffassung vertreten, dass es sich nicht einmal an dieser Stelle um einen expliziten Tauftext handelt. Zwar spricht Paulus von der Taufe, genauer gesagt vom Getauftwerden, dezidiert lediglich in 6,3, doch gründet die sich anschließende Argumentation wesentlich auf dieser Bezug‐ nahme auf die Taufe. Dass in 6,1-11 dennoch kein „paulinischer Tauftext“ vor‐ liegt, kann also nicht am Umfang der sich auf die Taufe beziehenden Verse fest‐ gemacht werden, sondern wird zumeist mit der - bereits aus den besprochenen Texten bekannten - landläufigen Meinung begründet, dass die Taufe verbreitet und ausreichend eingeführt ist, und demnach von Paulus nicht besprochen, sondern lediglich argumentativ angeführt wird. Dafür scheint auch der Eingang der Perikope zu sprechen: Paulus eröffnet mit einer These bzw. Frage (6,1), be‐ 4 Römer 6,1 - 11: Mit Christus gestorben 191 <?page no="192"?> 436 Von einer solchen Bedeutung des ἤ ἀγνοεῖτε geht etwa Wedderburn aus: „at least in the majority of cases where Paul uses the similar phrase (ἢ) οὐκ οἴδατε, he appeals to some‐ thing which his readers should know, either because it ought to be self-evident (Rom. 6. 16) or it is a matter of everyday experience (1 Cor. 5. 6; 9. 13, 24).“ (Wedderburn, Traditions, 338). Ähnlich auch Hartman, Namen, 71; Hellholm, Tauftraditionen, 468; sowie Standhartinger, Kolosserbrief, 139. zieht dazu Stellung (6,2) und verweist begründend auf eine den Adressaten be‐ kannte Interpretation der Taufe - ἢ ἀγνοεῖτε ὄτι … (6,3a). Was aber sagt Paulus über die Taufe bzw. die Getauften? Und ist ἢ ἀγνοεῖτε tatsächlich als Referenz auf etwas allseits Bekanntes zu verstehen, wo doch die römische Gemeinde keine paulinische Gründung ist? Haben wir hier also eine „Urbedeutung“ der Taufe, eine Art „Einmaleins der frühchristlichen Taufkate‐ chese“, dass in allen Gemeinden vorausgesetzt werden kann? 436 Unabhängig von diesen Fragestellungen führen allein die ganz unterschiedlichen Aspekte, welche Paulus in den wenigen Sätzen anspricht und dabei immer wieder ins Verhältnis zueinander setzt, zu den verschiedensten Interpretationsansätzen. Das Getauftwerden εἰς Χριστὸν Ἰησοῦν wird zunächst verstanden als ein Getauftwerden εἰς τὸν θάνατον αὐτοῦ (6,3bc), wobei die hier als grundlegend dargestellte Verhältnisbestimmung zum Tod Christi Jesu im Folgenden erweitert wird um das „Mitbegrabensein“ (6,4a συνετάφημεν) und das seiner Auferste‐ hung (6,4b ἠγέρθη) ähnliche „Wandeln in der Neuheit des Lebens“ (6,4c ἐν καινότητι ζωῆς περιπατήσωμεν). In den weiteren Versen wird einerseits die Art und Weise der Bezugnahme auf das Sterben und Auferstehen Jesu näher the‐ matisiert und andererseits die daraus erwachsenden Konsequenzen, nämlich ein Totsein für die Sünde (6,6-8.10) im Gegenüber zu einem Leben für Gott (6,10). Die paulinische Argumentation lässt keinen Zweifel daran, dass die in der Ein‐ gangsfrage noch mitschwingende Option, man könne in seinem Verhältnis zur Sünde wählen, obsolet ist, da man auf Grund der Bezugnahme der Taufe auf das Christusgeschehen endgültig der Sünde abgestorben ist (6,10). Dass diese grundlegend auf der Taufe basierenden Ausführungen in der For‐ schungslandschaft dennoch nicht als explizite Tauflehre aufgefasst werden, be‐ ruht v. a. auf ihrer engen Einbindung in die Argumentationsstruktur sowohl des unmittelbaren Kontextes als auch Röm im Ganzen: Nach der Feststellung, dass alle Menschen, Juden wie Heiden, der Sünde verfallen sind (1-3,20), und der Verkündigung, dass sie nur auf Grund des Glaubens an die Heilstat Gottes in Christus gerettet werden (3,21-5,21), beginnt Paulus mit Kp. 6 seine Überle‐ gungen dazu, wie diese ganz neue Existenz aussehen soll, in der man vom Gesetz und dessen Forderungen befreit ist. Dass es sich bei der These ἐπιμένωμεν τῇ ἁμαρτίᾳ, ἵνα ἡ χάρις πλεονάσῃ; (6,1) um einen ihm gemachten Vorwurf des Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 192 <?page no="193"?> 437 Hartman, Namen, 78. 438 A. a. O. 69. Ähnlich urteilen eine Reihe älterer wie neuerer Exegeten (Althaus, Cullmann, Lietzmann, Kuss, Fitzmyer), dagegen Käsemann und Schnackenburg. seiner Theologie entspringenden Libertinismus handelt, ist plausibel und erklärt zudem, warum der grundlegenden dogmatischen Darlegung nun eine ausführ‐ liche Paränese folgt (6,1-8,39). Hartmann schreibt dazu: „[E]r will zeigen, daß die Macht der Sünde nicht mehr über den Christen herrschen soll, auch wenn das Gesetz ihn nicht am Zügel hält. Dann soll es für Paulus natürlich gewesen sein, zu den Taufvorstellungen zu greifen, indem gemäß allgemeiner frühchrist‐ licher Meinung die Taufe zur Vergebung der Sünden geschah.“ 437 Ist das aber die einzige und ausreichende Erklärung dafür, warum Paulus diesen Abschnitt mit einer ausführlichen Bezugnahme auf die Taufe eröffnet? Ist sich die Forschung auch relativ einig darüber, dass der Text im Wesentli‐ chen von der Trias „Tod Christi - Taufe - Vergebung der Sünden“ handelt, lassen sich doch schnell unterschiedliche Interpretationen wahrnehmen, fragt man konkreter nach der Art des Verhältnisses dieser drei Theologumena: In welcher Weise bezieht sich die Taufe auf den Tod Christi? Wird lediglich daran erinnert, wird begründend auf ihn verwiesen oder wird er etwa in der Taufe nachvoll‐ zogen? Warum kann das Mitsterben bzw. Mitgekreuzigtwerden und das Mitbe‐ grabenwerden ganz parallel zu Christi Geschick ausgesagt werden, während zwischen seiner Auferstehung und dem „Wandeln in der Neuheit des Lebens“ der Getauften eine sachliche, aber auch zeitliche Differenz aufscheint? Liegt der Grund dafür in der Auferstehungsvorstellung und den eschatologischen Vor‐ stellungen des Paulus und wenn ja, wie sind diese in der Entstehungszeit des Röm zu beschreiben? Oder ist der Grund für den Bruch der Parallelität im Wort‐ laut der ursprünglichen Tradition und Paulus‘ Umgang damit zu suchen? In welchem Verhältnis steht dieses „Wandeln in der Neuheit des Lebens“ zum be‐ reits in der Taufe erlebten Tod gegenüber der Sünde? Warum ist in dieser Exis‐ tenz nach der Sünde überhaupt noch eine Paränese erforderlich? Und findet all dies einen oder gar mehrere Anhaltspunkte im Vollzug der Taufe? Beziehen sich einzelne theologische Aussagen etwa auf eine dem Ritualablauf zu Grunde lie‐ gende Symbolik? Immerhin ist Röm 6 nach der Meinung Hartmans der „pauli‐ nische[r] Tauftext […] der mehr als andere zum Ausgangspunkt geworden ist für die Rekonstruktion der Tauflehre des Apostels.“ 438 Doch stehen die dort zu findenden theologisch-metaphorischen Deutungen zur Taufe dem damaligen Taufablauf tatsächlich so nah wie oft angenommen? Diesen Fragen widmet sich die folgende Untersuchung. 4 Römer 6,1 - 11: Mit Christus gestorben 193 <?page no="194"?> 439 Zur Symbolik von rituellen Handlungen siehe unter I.1.5. Dies ist insofern von ge‐ hobener Bedeutung, als dass davon auszugehen ist, dass die ersten Adressaten wie überhaupt die erste Generation in der Mehrheit als Erwachsene getauft werden - den Vollzug demnach bewusst erleben und sich daran erinnern können. 440 Frankemölle, Taufverständnis, 52. 4.2 ὅσοι ἐβαπτίσθημεν εἰς Χριστὸν Ἰησοῦ, εἰς τὸν θάνατον αὐτοῦ ἐβαπτίσθημεν (Röm 6,3bc) Kurz und sprachlich pointiert stellt Paulus sein Verständnis von der Taufe an den Anfang seiner Argumentation: Das Taufen εἰς Χριστὸν Ἰησοῦ bedeutet ein Taufen εἰς τὸν θάνατον αὐτοῦ. Während der Fokus hier noch auf der grundle‐ genden Bezugnahme der christlichen Taufe auf den Tod Christi liegt, machen die folgenden Ausführungen insbesondere der gehäufte Gebrauch von σύν bzw. συνdeutlich, dass Paulus in der Taufe einen gewissen Mitvollzug des Sterbens und Auferstehens Christi durch den Täufling sieht. So spricht er davon, dass der Täufling σύμφυτοι γεγόναμεν τῷ ὁμοιώματι τοῦ θανάτου αὐτοῦ (6,5a), dass ὁ παλαιὸς ἡμῶν ἄνθρωπος συνεσταυρώθη (6,6a). Er bezeichnet ihn regelrecht als ὁ γὰρ ἀποθανὼν (6,7), nämlich ἀπεθάνομεν σὺν Χριστῷ (6,8a). 4.2.1 Erlebt der Täufling in der Taufe seinen „Tod“? Ein Blick in die Forschungsgeschichte Dass der Tod Christi das Ereignis ist, welches dem christlichen Bekenntnis und damit auch der Taufe als dem dieses Bekenntnis zum Ausdruck bringenden Ri‐ tual zu Grunde liegt, ist unumstritten. Auch besteht ein Konsens darüber, dass die Taufe von Paulus in Röm 6 als ein „Mitsterben“ mit Christus interpretiert wird. Jedoch entzweit sich die Forschungslandschaft seit Generationen darüber, wie dieses „Mitsterben“ zu verstehen ist und zudem über der Frage, ob es für diesen „Mitvollzug des Todes Jesu“ einen Anhaltspunkt im Ablauf der Taufe, beispielsweise in der Symbolik der Ritualhandlungen oder auch den dabei ge‐ sprochenen Worten, gibt bzw. zur Zeit des Paulus gegeben hat. Oder ist diese Taufmetaphorik in so früher Zeit bereits derart abstrakt, dass sie ohne Verbin‐ dung zum Ritualvollzug auskommt? 439 Die immer wieder aufkommende These, „Paulus ist nicht am Ritus interes‐ siert“, 440 impliziert für 6,3 f, dass die verwendete Taufmetaphorik keinen Bezug zum Ritualablauf habe. Zu keinem anderen Tauftext wird diese Grundthese so vehement vertreten wie auch bestritten, denn, wie die folgende Darstellung aufzeigen wird, bietet der Text gleich mehrere Anhaltspunkte, welche als Be‐ zugnahme der Metaphorik auf den Ritualablauf gedeutet werden können - oder eben auch nicht. Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 194 <?page no="195"?> 441 Stommel, Begraben, 5. Schmithals, Römerbrief, 189, dagegen deutet das „Begraben“, symbolisiert im Untertauchen, tatsächlich als das „Ertränken des alten Adam“. 442 Siehe dazu ausführlich unter II.1.2. 443 Klaiber, Römerbrief, 104. 444 Siehe dazu ausführlich unter III.4.3.3. 445 Meeks, Urchristentum, 317. 446 Darauf verweist etwa Klaiber, Römerbrief, 104, siehe dazu unter IV.2.8.6. 4.2.1.1 Der Täufling erlebt in der Taufe (nicht) Tod und Auferstehung „Soll es das ‚Mitsterben mit Christus‘ zur Darstellung bringen, dann erinnert es doch weniger an ein Gekreuzigtwerden als an ein Ertränktwerden.“ 441 Offen‐ sichtlich polemisierend wehrt sich Stommel gegen die Interpretation, dass der Vollzug der Taufe symbolisch als (Mit-)Sterben des Täuflings gedeutet wird. Für diese Position lassen sich zwei Varianten ausmachen: 1) Das Untertauchen selbst kann das Erleiden des Todes symbolisieren. Für eine solche Deutung spricht die ursprüngliche Wortbedeutung von βαπτίζω - ein „Im-Wasser-Umkommen“ oder gar „Im-Wasser-Ertränkt-Werden“. 442 Walter Klaiber interpretiert im Aus‐ blick auf den Folgevers: „Im Untertauchen bei der Taufe vollzieht sich das Ein‐ tauchen und Begraben werden in der Gerichtsflut und somit die Rettung durch das Gericht hindurch.“ 443 2) Das συν-Moment (6,4.5.6.8) 444 kann auf eine ausführliche Parallelisierung des Erlebens des Täuflings mit dem erlittenen Sterben und Auferstehen Jesu hin inter‐ pretiert werden, welche sich in der Symbolik des Taufrituals einzeln nachvoll‐ ziehen lässt. Der profilierteste Vertreter dieser Auslegung dürfte Meeks sein: „Das Ins-Wasser-Steigen stellte offenbar nicht Jesu Tod dar, sondern es wurde als ‚Mit-Ihm-Begraben-Sein‘ (Röm 6,4; Kol 2,12) gedeutet, während das Sich-Erheben aus dem Wasser als ein Sinnbild des ‚Mit-Ihm-Auferweckt-Seins‘ (Kol 2,12; 3,1; Eph 2,6) aufgefaßt wurde. Für den Tod selbst mußte ein anderer Ausdruck gefunden werden - die paulinischen Christen sahen ihn im Ablegen der Kleidung vor dem Hinabsteigen ins Wasser. Dieser Vorgang wurde zum ‚Ablegen des vergänglichen Körpers‘ oder des ‚alten Menschen‘ stilisiert, während das Wieder-Ankleiden danach das neue Leben der Auferstehung symbolisierte.“ 445 Neben der Praxis, so ganz unterschiedlich kontextualisierte paulinische Texte konzeptionell in Verbindung miteinander zu interpretieren, ist diese Deutung v. a. dahingehend anzufragen, dass sie die Parallelität allein im Ritualablauf ver‐ ankert sieht. In der Logik dieser Argumentation würde demnach auch jede an‐ dere Taufe gleichen Ablaufs mit dieser Deutung verbunden sein, z. B. die Jo‐ hannestaufe. 446 Dem ist nachdrücklich zu widersprechen. 4 Römer 6,1 - 11: Mit Christus gestorben 195 <?page no="196"?> 447 Zeller, Römer, 124. 448 Wagner, Problem, 300 Anm. 117. 449 Frankemölle, Taufverständnis, 51. 450 Schmidt, Römer, 108 f. Ganz ähnlich auch Wilckens: „εἰς τὸν θάνατον αὐτοῦ kann darum nur verstanden werden, wenn in ἐβαπτίσθημεν die konkrete Bedeutung ‚ein‐ tauchen‘ mitgehört wird.“ (Wilckens, Römer, 11). Kuss, Briefe, 58, schreibt: „Der Ge‐ taufte ist aus der Welt herausgenommen und in Jesus Christus hineingetauft, ‚hinein‐ getaucht‘ (nach der ursprgl. Wortbedeutung, die dem Griechischsprechenden damals geläufig war).“ Siehe auch Lietzmann, Römer, 65. 451 Schmidt, Römer, 108 Anm. 3. 4.2.1.2 Der Täufling erlebt im Taufritus (kein) Eingesenktwerden / Hineintauchen / Hineingehen Neben dem Moment des Sterbens bzw. Begrabenwerdens in der Taufe könnte Paulus auch auf den Aspekt des Eintauchens bzw. Hineingehens anspielen. Dass εἰς τὸν θάνατον αὐτοῦ ἐβαπτίσθημεν dahingehend zu deuten ist, bestreiten mehrere Exegeten, wobei ihre Negation unterschiedliche Folgeinterpretationen erkennen lässt, weswegen sie hier auch kurz zitiert werden sollen: Zeller etwa wehrt sich gegen eine wörtliche Übersetzung als „Hineingetauchtwerden in seinen Tod“. 447 Wagner folgert noch weitergehend: „Da ein Hineintauchen in den Tod Christi bildhaft nicht vollziehbar ist (vgl. M. Barth, Taufe 226 f.), wird man auch β. εἰς Χ.Ἰ. nicht als ein Eintauchen in den pneumatischen Christus verstehen können.“ 448 Frankemölle dagegen sieht in einer solchen Interpretation die Annahme einer Liturgiekatechese, statt der eigentlichen Taufparänese, und damit die Gefahr, „in Röm 6,3 aus βαπτίζειν (‚taufen‘) einen Taufritus, etwa den des Untergetauchwerdens, abzuleiten oder gar ein Mitsterben in der Taufe aus ‚auf seinen Tod getauft‘ zu entnehmen.“ 449 Wie die Gegner ganz unterschiedliche Assoziationen mit einer theologischen Deutung der Symbolik des Untertau‐ chens verbinden können, so auch die Befürworter dieser Deutung. Schmidt bei‐ spielsweise argumentiert semantisch: „In dem Wort βαπτίζειν erscheint die ursprüngliche Bedeutung: ‚eintauchen‘; ‚alle, die wir in den Christus eingetaucht wurden‘. […] Es geschieht zunächst ein ‚Eintau‐ chen‘ in Christi Tod, der darin einzigartig ist, daß er im Unterschied zu allem andern Sterben Befreiung von der Sündenherrschaft wirkt.“ 450 Interessant ist, dass Schmidt mit Blick auf das Eintauchen auf das „sachlich ana‐ loge Bild Gal. 3,27: ‚Christus anziehen‘“ 451 verweist und darin die beiden Tauf‐ stellen ganz anders zueinanderordnet als etwa Meeks, obwohl beide eine ritu‐ alsymbolische Interpretation zu 6,3 f bieten. Die Bezugnahme auf Gal 3,27 verdeutlicht, dass bei dieser Interpretation der Fokus weniger auf dem Akt des Untertauchens als vielmehr auf dem des „In-etwas-Hineintauchen / -geraten“ liegt. Auch im Kontext der folgenden Verse (6,4-8) versteht Gerhard Barth εἰς Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 196 <?page no="197"?> 452 Barth, Taufe, 99. 453 Ebd., wobei er nicht soweit geht, dieselbe Bedeutung von εἰς auch allgemein für die Taufformel (6,3b) zu behaupten. Ähnlich auch Schmithals, Römerbrief, 189, der das Mitsterben und Mitauferstehen zwar in Analogie zu den Mysterienvorstellungen ge‐ bildet sieht, zur Wendung in 6,3c4a allerdings schreibt: „Sie dürfte vielmehr dem Bereich der ‚Christusmystik‘ entstammen […], religionsgeschichtlich betrachtet also gnosti‐ schem Mutterboden […], und hat ursprünglich ekklesiologischen Sinn: Die Taufe ver‐ setzt in den ‚Leib Christi‘, in die christliche Gemeinde […]“. Ob dies jedoch einen An‐ haltspunkt am Taufritus selbst hat, ist er unentschieden (a. a. O. 189 f). 454 Wilckens, Römer, 12; und Käsemann, Römer, 155 f. 455 Wilckens, Römer, 11 f. Interessanterweise beschreibt er die Bedeutung des Aktes mit exakt den gleichen Worten wie Wagner, welcher einen bildhaften Vollzug für unmöglich erklärt, siehe Wagner, Römer, 300 Anm. 117. 456 Keck, Romans, 159 (Hervorhebung im Original). 457 So fasst Schlarb, Röm 6, 107 Anm. 19, die unterschiedlichen Ausführungen bei Tertullian zusammen - leider ohne konkrete Stellen bei diesem zu nennen. τὸν θάνατον αὐτοῦ ἐβαπτίσθημεν als „ein volles Mithineingenommensein in seinen Tod“ 452 und εἰς somit nicht abstrakt als „auf (den Tod Christi hin)“, son‐ dern: „wesentlich konkreter, nämlich lokal als Einfügung in Christus als den neuen Adam […]. Beachtet man, daß Christus für Paulus der eschatologische Adam (Röm 5,12 ff; 1Kor 15,21 f) ist, in den die Glaubenden eingefügt sind, so daß sie seinen Leib bilden (1Kor 10,17; 12,13.27), und daß nach Gal 3,27 die Taufe bedeutet, mit Christus wie ein Gewand umkleidet zu werden, so kann man diese Möglichkeit nicht ausschließen.“ 453 Ob 6,3 f tatsächlich das Konzept des Leibes Christi voraussetzt, mag die folgende Untersuchung klären. Daneben vertreten auch verschiedene Exegeten ein lokales Verständnis, wel‐ ches ohne Bezugnahme auf die Leib-Christi-Vorstellung auskommt. 454 Manche Ausleger wollen das lokale Moment dazu weitgehend metaphorisch verstanden wissen, wie etwa bei Wilckens: „Die Übereignung des Täuflings an Christus bedeutet, daß er im Akt des Untertauchens hineingegeben wird in das Ge‐ schehen des Todes Christi.“ 455 Andere wiederum interpretieren Röm 6 auf der Grundlage ihrer ritologischen Argumentation als wirksames Ereignis. Keck bei‐ spielsweise betont: „For Paul, baptism ‚into Christ‘ makes one a participant in an event, not an ideal or a myth. […] a religious ritual does what it symbol‐ izes.“ 456 Ganz unabhängig von einer Bezugnahme auf eine konkrete Handlung inner‐ halb des Ritualablaufes kann auch „die ganze Tauffeier als das, was den Men‐ schen in Gemeinschaft mit Christus bringt“, 457 verstanden werden. Diese Vor‐ stellung gründet ebenfalls auf einem lokalen Verständnis nicht allein von εἰς τὸν 4 Römer 6,1 - 11: Mit Christus gestorben 197 <?page no="198"?> 458 Siehe dazu a. a. O. 107. 459 Klaiber, Römerbrief, 103, und das obwohl er es für eine „Kurzform der Formel auf den Namen Jesu getauft werden“ hält, „vergleichbar der Formulierung in 1Kor 10,2, dass die Israeliten im Meer auf Mose getauft wurden.“ (ebd., Hervorhebungen im Original). 460 Barth beurteilt das Verhältnis der Halbverse folgendermaßen: „[…] denn Paulus bringt ja mit εἰς τὸν θάνατον αὐτοῦ ἐβαπτίσθημεν bewußt seine eigene Interpretation der vorangehenden Formel.“ (ders., Taufe, 99). 461 Siehe unter II.2.1. 462 Dieser kurze Überblick über eine mögliche Bezugnahme auf den Moment des Eintau‐ chens kann an dieser Stelle ausreichen. Ausführlichere Betrachtungen unter dezidiert ritologischen Gesichtspunkten siehe unter IV.2.8.6 sowie V.6. θάνατον αὐτοῦ (6,3c), sondern auch der voranstehenden εἰς-Taufformel (ἐβαπτίσθημεν εἰς Χριστὸν Ἰησοῦν [6,3b]). Ein solches Grundverständnis lässt sich dann auch in der Übersetzung der Altlateiner erkennen: In Christo Iesu. 458 Insgesamt lässt sich feststellen, dass ein Teil der Exegeten die Bezugnahme auf das Ritual durch Paulus für grundlegend hält, ein weiterer Teil es für not‐ wendig hält, dem vehement zu widersprechen, und wiederum einige eine der‐ artige Deutungsmöglichkeit überhaupt nicht erwähnen. Meist wird dazu die Interpretation von εἰς τὸν θάνατον αὐτοῦ entweder lokativ oder akkusativ auf‐ gefasst und als entscheidendes Moment hervorgehoben. Die jeweilige Auffas‐ sung lässt sich bereits meist an der Übersetzung ablesen: Wurde getauft „auf seinen Tod (hin)“ 459 oder „in seinen Tod (hinein)“. Entgegen der Überzeugung mancher Interpreten lassen aber beide Auffassungen eine Bezugnahme auf den Ritualablauf möglich erscheinen. Dazu ist im Folgenden das Verhältnis zur vo‐ ranstehender und parallel formulierter εἰς-Taufformel (6,3b) eingehend zu un‐ tersuchen. 460 Ließe sich etwa eine ähnliche oder auch wechselseitige Interpre‐ tation feststellen, würde dies eine der grundlegenden Fragen zur Taufformel, nämlich das Verständnis des εἰς, klären. 461 Noch eine zweite, dezidiert ritologi‐ sche Grundfrage zur Taufe lässt der Text aufkommen: Wenn tatsächlich eine Bezugnahme des Paulus auf den Ritualablauf festgestellt werden kann, so ist zu entscheiden, ob diese symbolisch zu verstehen ist oder ob die Vorstellung da‐ hintersteht, dass das im Ritual Vollzogene bereits eine entsprechende Wirkung auf den Täufling hat. 462 4.2.1.3 Ohne Bezug zum Ritualablauf Interpretationen, welche sich bewusst unabhängig vom Ritualablauf verstehen, fokussieren zumeist den Tod Christi, dessen Wirkung für den Täufling und teil‐ weise auch den metaphorischen Mitvollzug des Todes. Darin unterscheiden sich die Deutungen letztlich wenig von denjenigen, welche eine Bezugnahme auf den Ritualablauf als einem (Mit-)Sterben erkennen. Doch obwohl sich die In‐ Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 198 <?page no="199"?> 463 Schnackenburg, Heilsgeschehen, 53. 464 Haacker, Römer, 145, mit Delling, εἰς, 220; ebenso auch Frankemölle, Taufverständnis, 51. 465 Haacker, Römer, 145. 466 Frankemölle, Taufverständnis, 51. 467 Zeller, Römer, 124. 468 Fitzmyer, Romans, 433. 469 Wagner, Problem, 300. terpretationen teilweise aufs Wort gleichen, wird eine Nähe zur Symbolik des Ritualvollzuges oft vehement bestritten. Ein typisches Beispiel dafür bietet Schnackenburg: „Der Kontrast ‚Leben und Tod‘ in Röm 6 ist also nicht vom Bilde der Taufe, sondern von der Wirklichkeit des Sterbens und Auferstehens Christi hergenommen.“ 463 Manche Exegeten sehen die Hauptaussage des Textes darin, dass „die christ‐ liche Taufe den Tod Jesu voraussetzt und auf ihn und seine (inklusiv-stellver‐ tretende) Bedeutung verpflichtet“. 464 Jedoch kann die Funktion, welche der Taufe dabei zukommt, sehr unterschiedlich, geradezu gegensätzlich beurteilt werden. Haacker etwa schreibt: „Was Paulus in der Fortsetzung über die christliche Existenz sagt, ist also nicht als Wirkung der Taufe (durch ihren Vollzug als Ritus) zu verstehen, sondern als Wirkung des Christusgeschehens, nämlich seines Todes und seiner Auferweckung.“ 465 Frankemölle dagegen schlussfolgert, dass das Ritual der Taufe als „Handeln Gottes am Täufling“ zu verstehen sei, und sieht in den folgenden Versen die Wirkungen beschrieben, „die dem Täufling bei der Taufe zuteil wurden und die jetzt immer noch bestehen.“ 466 Andere wiederum sehen im Text maßgeblich thematisiert, welche Wirkungen der Tod Christi und in welcher Weise der Täufling daran Anteil hat. Zeller etwa spricht davon, dass die Taufe auf den Namen Jesu Christi „eine Beziehung zu ihm“ herstelle und dem Glaubenden zueigne, „daß Christus für seine Sünden gestorben ist.“ 467 Fitzmyer sieht die Aussage des Textes sogar darin, dass die Taufe den Täufling „into a union with the Christ suffering and dying“ versetze, wenn er auch betont, dass „the Christian is not merely indentified with the ‚dying Christ‘ who has won victory over sin, but is introduced into the very act by which that victory is won.“ 468 Wagner klassifiziert die Herstellung dieser Beziehung noch näher als „Akt der Übereignung an Christus“. 469 Dass es sich hierbei eher um eine kanonische, denn um eine dezidiert aus Röm 6 abgeleitete Interpretation handelt, unter‐ mauert die folgende Argumentation: 4 Römer 6,1 - 11: Mit Christus gestorben 199 <?page no="200"?> 470 Ebd. Mit Blick auf die Kürze der Darstellung in Röm 6 schreibt er zuvor: „Für Röm. 6,3 ist also das Nächstliegende anzunehmen, dass in der Missionspraxis bereits gelehrt wurde, die Taufe auf Christus sei eine Taufe auf seinen Tod. Sachlich ist diese Verbin‐ dung einleuchtend: Im Zentrum der christlichen Botschaft steht der κύριος Χριστός als der ἐσταυρωμένος.“ (a. a. O. 299). 471 Wobei sie sich und dem Leser in unterschiedlichem Maße darüber Rechenschaft geben. Die Vorstellung etwa, dass eine Taufe auf den Tod Christi eine Übereignung an den verstorbenen Christus bedeute, dürfte auf der entsprechenden Interpretation der ὄνομα-Taufformel gründen, siehe unter II.2.2. 472 Inwieweit derartige Bezugnahmen zutreffend sind, siehe unter II.2.1. 473 Wilckens, Römer, 11. „Die Deutung der Taufe auf Christus als einer Taufe auf seinen Tod ergibt sich als konsequent aus der Heilsverkündigung und dem Charakter der Taufe als einer Über‐ eignung an den für uns verstorbenen Herrn.“ 470 Dieser kurze Überblick darüber, wo Exegeten in ganz unterschiedlicher Weise das Thema des Textes und dessen Pragmatik verorten, macht deutlich, dass selbst wenn eine Bezugnahme der paulinischen Metaphorik auf den Ritualablauf negiert wird, die Verhältnisbestimmung Tod Christi-Taufe keineswegs ein‐ deutig zu sein scheint. Dieser hauptsächlich in der Kürze des Textes liegenden Problematik versuchen sich die Exegeten zumeist dadurch zu erwehren, dass sie Beziehungen zu anderen (paulinischen) Tauftexten annehmen. 471 4.2.2 Der Tod Christi und das Erleben des Christusgläubigen Die Verbindung zu anderen paulinischen Tauftexten kann für Röm 6,3 entweder über die gemeinsame εἰς-Taufformel 472 hergestellt werden oder über das Motiv des Todes. Jedoch wird letzterem Vorgehen oft entgegengehalten, dass es „für die parallele Formulierung εἰς τὸν θάνατον αὐτοῦ keinen weiteren Beleg im Urchristentum“ gäbe. 473 Konsequenterweise müsste diese Wahrnehmung dann auch für die sich daraus ableitende Vorstellung gelten, dass der Täufling in der Taufe diesen Tod Christi nachbzw. mitvollzieht. Soll 6,3 adäquat interpretiert werden, ist zunächst die These über die ver‐ meintliche Singularität der hier vertretenen Vorstellung auf ihre Stichhaltigkeit hin zu prüfen. Zwei Fragen soll daher im Folgenden näher nachgegangen werden: 1) Wird die Taufe auch anderswo mit dem Motiv des Todes in Verbin‐ dung gebracht? Und 2) in welcher Weise und in welchen Relationen wird sonst vom „Tod“ des Christusgläubigen gesprochen? Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 200 <?page no="201"?> 474 Siehe unter III.2.4. 475 Ähnlich auch Lk 12,50. Für Mt 20,22 ist zwar die Aussage über den Kelch sicher belegt, diejenige zur Taufe jedoch textkritisch umstritten: η το βαπτισμα ο εγω βαπτιζομαι βαπτισθηναι bieten zwar eine Vielzahl an Zeugen, die jedoch auf Grund ihres Alters als Harmonisierung mit den anderen Synoptikern oder aber auch als Ergänzung einer mittlerweile verbreiteten Kombination von Kelch-und-Taufe als Interpretationsmo‐ ment für die Passion Christi zu deuten ist. Einen ganz ähnlichen textkritischen Befund bietet zudem der Folgevers. 4.2.2.1 Die Taufe und der Tod a) Die Taufe und der Tod Christi An lediglich einer weiteren Stelle im Corpus Paulinum wird die Taufe direkt mit dem Tod Christi in Verbindung gebracht, nämlich in der Auseinandersetzung um die Gruppenbildungen in Korinth: Den Gruppen hält Paulus entgegen: μεμέρισται ὁ Χριστός; μὴ Παῦλος ἐσταυρώθη ὑπὲρ ὑμῶν, ἢ εἰς τὸ ὄνομα Παύλου ἐβαπτίσθητε; (1Kor 1,13). 474 Jedoch lassen sich außerhalb der paulinischen Briefe weitere Belege finden, welche die Taufe direkt mit dem Tod Christi in Verbindung bringen. Den nach einer guten Position heischenden Zebedaiden antwortet Jesus: „Ihr wisst nicht, was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, oder euch taufen lassen mit der Taufe, mit der ich getauft werde? “ (δύνασθε […] τὸ βάπτισμα ὃ ἐγὼ βαπτίζομαι βαπτισθῆναι; ) Sie sprachen zu ihm: „Ja, das können wir.“ Jesus aber sprach zu ihnen: „Ihr werdet zwar den Kelch trinken, den ich trinke, und getauft werde mit der Taufe, mit der ich getauft werde […]“ (Mk 10,38 f). 475 Natürlich stellt sich die Frage, ob die Jesus zugeschriebenen Worte bereits die christliche Taufe im Blick haben. Zwei Alternativen sind denkbar: 1) Die Johan‐ nestaufe, jedoch spricht Jesus davon, dass auch ihm diese Taufe zu dieser Zeit noch bevorsteht. 2) Mit τὸ βάπτισμα wird, ggf. metaphorisch, ein Vorgang be‐ zeichnet, der kein Ritual, sondern das Leiden und Sterben Jesu und dann auch der Jünger meint. Diese zweite Deutung erweist sich für den Kontext als sinnfälliger und führt dann zu der Frage, woher die Vorstellung stammt, dass τὸ βάπτισμα βαπτισθῆναι als Synonym für Leiden und Sterben gebraucht werden kann. Im Umkehrschluss wäre es zwar anachronistisch, zur Interpretation einer paulini‐ schen Textstelle auf Verse aus den Synoptikern zu verweisen, jedoch belegen diese, dass die Bezugnahme der Taufe auf den Tod Christi in Röm und 1Kor weder eine dezidiert paulinische noch singuläre Taufinterpretation bleibt. Viel‐ mehr kann τὸ βάπτισμα später geradezu synonym für den Tod Christi (wie auch anderer) verwendet werden. 4 Römer 6,1 - 11: Mit Christus gestorben 201 <?page no="202"?> 476 Mit Verweis auf die bereits oben zitierten Jesusworte der Synoptiker geht Bartsch davon aus, dass die Taufe „von Anfang an […] vom Wiedergeburtsgedanken her verstanden“ wurde (ders., Taufe, 86). Zu den beiden zitierten Versen siehe unter V.1. b) Die Taufe und der Tod allgemein Die sogenannte Vikariatstaufe in 1Kor 15,29 stellt für die besprochene Topik in mehrfacher Hinsicht eine Ausnahme dar: Zwar wird auch hier die Taufe im Kontext des Todes besprochen, jedoch handelt es sich hierbei um Verstorbene, zu deren Heil ihre Nachfahren sich stellvertretend taufen lassen. Beachtenswert ist an dieser Stelle dennoch einerseits die Vorstellung, dass die Taufe noch über den Tod hinaus ihre Wirkung entfalten kann. Bekanntlich widerspricht Paulus der Sinnhaftigkeit dieser Praxis nicht. Und andererseits stellt Paulus diesem Ka‐ pitel über die Auferstehung diejenige Tradition voran, welche der Formulierung in Röm 6,3 f sehr nahe kommt: […] ὅτι Χριστὸς ἀπέθανεν ὑπὲρ τῶν ἁμαρτιῶν ἡμῶν κατὰ τὰς γραφὰς καὶ ὅτι ἐτάφη καὶ ὅτι ἐγήγερται τῇ ἡμέρᾳ τῇ τρίτῃ (1Kor 15,3 f). Weiterhin sei auch auf die Taufmetaphorik der Wiedergeburt verwiesen, welche ein Sterben der vorherigen Existenz - im metaphorischen Sinne - vo‐ raussetzt. Sie begegnet sowohl in Tit 3,5 (ἀλλὰ κατὰ τὸ αὐτοῦ ἔλεος ἔσωσεν ἡμᾶς διὰ λουτροῦ παλιγγενεσίας καὶ ἀνακαινώσεως πνεύματος ἁγίου) als auch in 1Petr 1,3 (ἀναγεννήσας ἡμᾶς εἰς ἐλπίδα ζῶσαν δι‘ ἀναστάσεως Ἰησοῦ Χριστοῦ ἐκ νεκρῶν). 476 Diese nicht für die Protopaulinen belegte Taufinterpretation macht auf‐ merksam auf eine weitere Fragestellung, auf welche die paulinischen Schriften, unterschiedliche Antworten zu geben scheinen. Es handelt sich um die Frage, worauf genau die Taufe Bezug nimmt: auf den Tod Jesu oder auf dessen Aufer‐ stehung. 4.2.2.2 Der „Tod“ des Christusgläubigen Paulus führt im Nachgang zu Röm 6,3 seine Vorstellung des „Todes“ des Chris‐ tusgläubigen und dessen Auswirkungen weiter aus. Auch ohne erneute Erwäh‐ nung der Taufe bleibt der Taufbezug evident. Daher sollen im Folgenden weitere paulinische und nichtpaulinische Texte kurz dargestellt werden, welche in un‐ terschiedlicher Weise vom „Tod“ des Christusgläubigen sprechen, um diese dann auf ihr Aussagepotential für eine Taufinterpretation hin zu prüfen. a) Der „Tod“ des Christusgläubigen und der Tod Christi Dass der „Tod“ des Christusgläubigen in Beziehung zum Tod Christi steht, kann sogar ohne Erwähnung Christi allein durch die Wahl des Verbes zum Ausdruck gebracht werden, indem von σταυρόω gesprochen wird. An zwei Stellen nennt Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 202 <?page no="203"?> 477 Im Wortsinn verwendet wird es natürlich für die zu Jesu Rechten und Linken „Mitge‐ kreuzigten“: Mt 27,44; Mk 15,32; Joh 19,32. Die Apg verwendet σταυρόω ebenfalls le‐ diglich wörtlich für Jesu Kreuzigung, z. B. Apg 2,36; 4,10. 478 Siehe unter III.3. 479 Eine ähnliche Formulierung findet sich in 2Tim 2,11 f, allerdings teilweise futurisch‐ eschatologisch ausgerichtet: εἰ γὰρ συναπεθάνομεν, καὶ συζήσομεν· 480 Ähnlich auch Röm 6,6b: […] ἵνα καταργηθῇ τὸ σῶμα τῇς ἁμαρτίας. 481 Siehe auch Röm 7,4: Also seid auch ihr, meine Brüder, dem Gesetz getötet durch den Leib Christi, sodass ihr einem andern angehört, nämlich dem, der von den Toten auf‐ erweckt ist, damit wir Gott Frucht bringen. es Paulus direkt ein „Mitgekreuzigtwerden“: ὁ παλαιὸς ἡμῶν ἄνθρωπος συνεσταυρώθη (Röm 6,6a) bzw. Χριστῷ συνεσταύρωμαι (Gal 2,19). Es handelt sich zugleich um die einzigen beiden neutestamentlichen Belege für συσταυρόω im übertragenen Sinne. 477 Doch sowohl für das (Mit-)Sterben als auch für die Bezugnahme auf Christi Tod lassen sich verschiedene weitere Formulierungen finden. Paulus spricht etwa vom Getötetsein durch den Leib Christi, einer Metapher, welche auch sonst im Taufkontext Verwendung findet (ὥστε […] καὶ ὑμεῖς ἐθανατώθητε τῷ νόμῳ διὰ τοῦ σώματος τοῦ Χριστοῦ [Röm 7,4]). 478 In Gal rühmt er sich des Kreuzes Jesus Christi, durch den ihm die Welt und er der Welt gekreuzigt sei (δι οὗ ἐμοὶ κόσμος ἐσταύρωται κἀγὼ κόσμῳ [Gal 6,14]). In 2Kor wiederum spricht er relativ allgemein davon, dass wenn einer für alle gestorben sei, dann alle gestorben seien (ὅτι εἷς ὑπὲρ πάντων ἀπέθανεν, ἄρα οἱ πάντες ἀπέθανον· [2Kor 5,14 f]). In 2Kor 7,3 spricht Paulus vom Mitsterben und Mitleben ohne dezidiert Christi Tod und Auferstehung zu erwähnen: „Nicht sage ich das, um euch zu verurteilen; denn ich habe schon zuvor gesagt, dass ihr in unserm Herzen seid, mitzusterben und mitzuleben.“ ([…] τὸ συναποθανεῖν καὶ συζῆν.) Wenn also nicht die Schick‐ salsgemeinschaft mit dem Apostel gemeint ist, so muss die Vorstellung des „Mitsterbens“ mindestens innerhalb der paulinischen Gemeinden entsprechend selbstverständlich gewesen sein. 479 b) Der „Tod“ des Christusgläubigen in weiteren Relationen Wie teilweise schon angeklungen, kann der „Tod“ des Christusgläubigen noch näher beschrieben werden, meist indem ausgeführt wird, welcher Macht ge‐ genüber man als „tot“ gilt: […] λογίζεσθε ἑαυτοὺς εἶναι νεκροὺς μὲν τῇ ἁμαρτίᾳ (Röm 6,11). 480 Ist die Instanz im Blick, welche diese Macht über den nun Christusgläubigen einst inne hatte, so wird sie zumeist der neuen Macht ge‐ genübergestellt: ἐγὼ γᾶρ διὰ νόμου νόμῳ ἀπέθανον, ἵνα θεῷ ζήσω (Gal 2,19). 481 Im Umkehrschluss kann die Zugehörigkeit zu Christus erläutert werden mit dem Gekreuzigthaben des eigenen Fleisches (οἱ […] τὴν σάρκαν ἐσταύρωσαν σὺν 4 Römer 6,1 - 11: Mit Christus gestorben 203 <?page no="204"?> 482 An dieser Stelle wird dem Vergangenen ein Leben im Geist gegenübergestellt (Gal 5,25). 483 Dunn, Romans, 312. τοῖς παθήμασιν καὶ ταῖς ἐπιθυμίαις. [Gal 5,24]). 482 Der „Tod“ des Christusgläu‐ bigen hat aber keineswegs nur ethische Bedeutung. Denn neben der Sünde, dem sie bestimmenden Gesetz und dem sündigen Fleisch im Ganzen kommen hier auch die das bisherige Leben bestimmenden Kategorien an ihr Ende: „Es sei aber fern von mir, mich zu rühmen als allein des Kreuzes unseres Herrn Jesus Christus, durch den mir die Welt gekreuzigt ist und ich der Welt. Denn in Christus Jesus gilt weder Beschneidung noch Unbeschnittensein etwas, sondern eine neue Kreatur.“ (Gal 6,14 f). 4.2.2.3 Zusammenfassung Es konnte festgestellt werden, dass die Taufe über Paulus hinaus mit dem Todes‐ motiv verbunden ist, wenn es auch nur wenige Texte sind, welche diese Verbin‐ dung dezidiert belegen. Die Jesus zugeschriebenen Worte, in denen er die Taufe geradezu synonym für Leiden und Sterben verwendet, stellen in diesem Zu‐ sammenhang einen Sonderfall dar: Es ist nicht mehr zu verifizieren, was genau er mit τὸ βάπτισμα bezeichnet, welches einerseits ihm noch bevorsteht und andererseits auch den Jüngern droht. Anders stellt sich die Lage bei dem zweiten untersuchten Motivkomplex dar: Dass der Christusgläubige einen „Tod“ erleidet, der als ein „Mitsterben“ mit Christus beschrieben wird, ist eine im paulinischen Denken etablierte Vorstellung, die sich in sprachlich vielfältiger Weise in verschiedenen Paulusbriefen finden lässt. Sie bedarf teilweise nicht einmal der konkreten Erwähnung des Todes Christi. Der metaphorisch zu verstehende „Tod“ ist dabei ein faktisch geschehenes Ereignis, welches also nicht erst paränetisch eingefordert werden muss, aus dem aller‐ dings ethische Forderungen erwachsen. An einigen Stellen wird auch vom „Mit‐ leben“ bzw. „Mitauferstehen“ gesprochen. Die weiteren Untersuchungen werden zeigen, dass diese Stellen teilweise futurisch, teilweise präsentisch auf‐ gefasst werden können. Diese Varianz gibt es in Bezug auf den „Tod“ des Chris‐ tusgläubigen nicht: Er ist bereits geschehen und endgültig. Es bleibt die Frage, ob dieses Motiv im paulinischen Denken stets die Taufe vor Augen hatte, als dem Moment, wo der Bruch mit dem alten Leben rituell vollzogen wird. Dunn beschließt seine Untersuchung zu Röm 6,3 mit der Feststellung, „the association of baptism and death is probably distinctively Christian“. 483 Recht‐ zugeben ist ihm darin insofern, dass die Taufe im paulinischen Denken auf dem Chistusereignis, also seinem Tod, gründet und darüber mit der Vorstellung ver‐ knüpft ist, dass auch der Christusgläubige einen Tod erleidet. Dass eine Taufe Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 204 <?page no="205"?> 484 Harvey, Listening, 194. 485 Vgl. zur Struktur Jewett, Romans, 392. jedoch auch unabhängig vom Tod Christi mit dem Todesmotiv gedanklich ver‐ bunden gewesen sein kann, wie es das Jesuswort etwa nahelegt, sollte nicht vorschnell negiert werden. Wäre eine entsprechende Vorstellung nicht etwa auch für die ebenfalls als τὸ βάπτισμα bezeichnete Johannestaufe denkbar? Auch die spätere Taufmotivik der Wiedergeburt, setzt einen metaphorisch zu verstehenden Tod voraus. Im Rahmen der breiten Bezeugung des Motives kommt aber auch die Frage auf, ob die Taufe tatsächlich mit dem Tod oder nicht viel eher mit dem neuen Leben danach zusammengedacht wird. Welche Antwort Röm 6 darauf gibt, soll die nun folgende konkrete Untersuchung von 6,3bc auf‐ decken. 4.2.3 Die Struktur von Röm 6,3bc Das einleitende ἢ ἀγνοεῖτε ist längst nicht der einzige Marker, welcher den Leser auf das nun Folgende aufmerksam werden lässt: Dazu gehören die auffällig knappe Ausdrucksweise, die enge Bindung an Vers 4a durch die Wiederholung von εἰς τὸν θάνατον in veränderter Zuordnung und natürlich v. a. der chiastische Parallelismus Membrorum (6,3bc). Wenn sich auch in den folgenden Versen drei weitere Chiasmen ausmachen lassen, welche für die bewusste Durchkomposi‐ tion der Perikope sprechen, so kann man für den in 6,3 behaupten, dass er sogar von einem ausschließlich hörenden Publikum erkannt worden sein dürfte. 484 4.2.3.1 Parallelismus Membrorum allgemein A ὅσοι ἐβαπτίσθημεν Prädikat B εἰς Χριστὸν Ἰησοῦν Objekt 1 B‘ εἰς τὸν θάνατον αὐτοῦ Objekt 2 A‘ ἐβαπτίσθημεν; 485 Prädikat Es handelt sich um einen synonymen Parallelismus Membrorum mit chiasti‐ schem Aufbau. Dieser auffälligen Konstruktion wird in der Literatur jedoch wenig Beachtung geschenkt. Zu fragen wäre beispielsweise, welche Aussage‐ kraft das Vorhandensein eines solchen Stilmittels hat, welches als Spezifikum 4 Römer 6,1 - 11: Mit Christus gestorben 205 <?page no="206"?> 486 Zu dem für semitische Sprachen typischen Stilmittel des Parallelismus Membrorum im Allgemeinen und zum synonymen in Abgrenzung zu einem antithetischen oder syn‐ thetischen im Besonderen siehe Weigel, Weisheitliche Gattungen, sowie ausführlich Luchsinger, Poetik, 121-201. 487 Frankemölle, Taufverständnis, 52. 488 Barth, Taufe, 99. 489 Frankemölle, Taufverständnis, 52. 490 Siehe unter II.2.1. der semitischen Sprachen gilt. 486 Handelt es sich hierbei um eine Schöpfungs‐ leistung des Paulus, welcher diesen Semitismus in die griechische Sprache ein‐ trägt? Oder spricht die spezifische Form eher für das besondere Alter der For‐ mulierung? Diejenigen Exegeten, welche sich der Struktur des Verses widmen, bewerten das Verhältnis der beiden synonymen Verszeilen in unterschiedlicher Weise: Während Frankemölle die zweite Verszeile als Präzisierung der ersten versteht, 487 meint Barth „Paulus bringt ja mit εἰς τὸν θάνατον αὐτοῦ ἐβαπτίσθημεν bewußt seine eigene Interpretation der vorangehenden Formel.“ 488 Auch wenn zwischen den beiden Thesen zunächst keine große Spannung diagnostiziert werden muss, so lassen sich doch durchaus Bedeutungsnuancen feststellen, blickt man darauf, dass die Struktur des Parallelismus zusätzliche Hinweise für die Interpretation liefert. Die große Mehrheit solcher Parallelismen formuliert die beiden Verszeilen parallel, nicht so 6,3bc, wo sich eine chiastische Struktur feststellen lässt ( ABB ‘A‘). Frankemölle wertet dies als bewusste Kom‐ position, sodass „die am stärksten betonten unmittelbar zusammentreffen“. 489 Für die weitere Interpretation gilt zu beachten, dass es sich bei der ersten Vers‐ zeile um eine feste Formel handelt. 490 Außerdem hat die Untersuchung zu Gal 3,27ab erbracht, dass auch dort in Form eines synonymen Parallelismus Membrorum formuliert wird, wobei beide ersten Verszeilen die εἰς-Taufformel bieten. Die gewählte Struktur, Prädikat - Objekt 1 - Objekt 2 - Prädikat, spricht zunächst dafür, dass die Taufe das Grundthema der Aussage darstellt, genauer gesagt, das Getauftwordensein (Aorist Passiv). Die davon gerahmten Ausfüh‐ rungen zur Art und Weise des Getauftwordenseins sind zu differenzieren. Zwar qualifizieren beide das sich wiederholende Prädikat, jedoch stehen sie keines‐ wegs gleichwertig bzw. ohne Verhältnis nebeneinander: αὐτοῦ ordnet das Ob‐ jekt 2 eindeutig dem Objekt 1 erläuternd unter. Dass darauf auch der besondere Fokus der Konstruktion liegt, zeigt auch die wörtliche Wiederholung des Prä‐ dikates. Dies ist für den klassischen Parallelismus Membrorum relativ unty‐ Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 206 <?page no="207"?> 491 Siehe dazu genauer Luchsinger, Poetik, 121-123, welcher neben der „Standardtheorie“ von Lowth (a. a. O. 123-130) auch neue Forschungsansätze präsentiert. So tragen etwa die Studien von O’Connor wesentlich zur weiteren Differenzierung bezüglich der „in‐ terrelation of […] lines“ bei, indem sie zwischen „word level“, „line level“ und „supra‐ linear level“ unterscheiden. Siehe dazu O’Connor, Structure, 87-128, bes. 87. Ein Bei‐ spiel dafür, dass ganze Verszeilen ins Verhältnis gesetzt werden, bietet z. B. Gal 3,27ab. 492 Zur ausführlichen Interpretation siehe unter III.1.3. pisch, da zumeist ganze Verszeilen in ein synonymes, antithetisches oder auch synthetisches Verhältnis gesetzt werden. 491 Bedenkt man die Formelhaftigkeit der εἰς-Taufformel und die Tatsache, dass das Stilmittel des Parallelismus Membrorum in erläuternder Absicht verwendet wird, so zielt er nicht darauf, den Christusbezug der Taufe im Allgemeinen zu bekräftigen, sondern das εἰς Χριστὸν Ἰησοῦν im Speziellen zu klären. Das zu‐ rückliegende Getauftwordensein soll nicht nur als „christliches“ qualifiziert werden, sondern Syntax wie Struktur von 6,3bc zielen darauf, εἰς Χριστὸν Ἰησοῦν als εἰς τὸν θάνατον αὐτοῦ zu präzisieren. Für diese Interpretation spricht auch der Befund von Gal 3,27ab: Auch hier handelt es sich um einen semantisch synonymen Parallelismus Membrorum, welcher als erste Verszeile die sogenannte Taufformel führt: A ὅσοι γὰρ εἰς Χριστὸν Objekt 1 B ἐβαπτίσθητε, Prädikat 1 A‘ Χριστὸν Objekt 1‘ B‘ ἐνεδύσασθε. Prädikat 2 Im Unterschied zu Röm 6,3bc wird er aber nicht chiastisch, sondern parallel geführt und - kontextimmanent - in der 2. Person anstatt der 1. Person Plural formuliert. Auch hier scheint der Christusbezug (Objekt) als evident vorausge‐ setzt. Ebenso wie in Röm 6,3bc rückt also auch hier das „Wie“ des Christusbe‐ zuges in den Fokus, wobei dieses „Wie“ hier βαπτίζω miteinbezieht: Der in der zweiten Verszeile erläuterte Bezugspunkt ist nicht allein das Objekt der ersten Verszeile (vgl. Röm 6,3bc), sondern diese in Gänze. 492 Beiden Parallelismen ist also gemeinsam, dass sie ausgehend von der εἰς-Taufformel die Art und Weise des in der Taufe geschehenen Christusbezuges beleuchten bzw. als erläuterungsbedürftig ansehen. Gal 3,27b beschreibt die Be‐ zugnahme mit Χριστὸν ἐνδύεσθαι, ein „Eingetauchtsein in Christus“. Röm 6,3c kommt zu dem Schluss, dass eine Bezugnahme auf Christus eine Bezugnahme εἰς τὸν θάνατον αὐτοῦ meint. Übersetzt werden kann dies entweder als „auf 4 Römer 6,1 - 11: Mit Christus gestorben 207 <?page no="208"?> 493 Siehe unter II.2.1. 494 Michel, Römer, 130 Anm. 1. 495 Haacker, Römer, 145. Zur Untermauerung seiner These führt er 1Kor 10,2 an (siehe dazu unter III.2.3). Speziell βαπτίζειν εἰς sieht er in Röm 6,3b ähnlich verwendet wie die Qualifizierung der Johannestaufe als εἰς μετάνοιαν (Mt 3,11): „Wer zur Johannestaufe kommt, hat sich ja schon zum Beginn eines neuen Lebens entschlossen; die Taufe be‐ wirkt diese Umkehr nicht, sondern setzt sie voraus und besiegelt sie.“ (ebd.). seinen Tod“ oder als „in seinen Tod (hinein)“. Sollte nun die beiden gemeinsame Form eines die εἰς-Taufformel erläuternden synonymen Parallelismus Mem‐ brorum als Indiz dafür gewertet werden, dass auch Röm 6,3c eine (metapho‐ risch-)lokale Bedeutung transportiert? Entspricht das εἰς in εἰς τὸν θάνατον αὐτοῦ (Röm 6,3c) dem ἐνin Χριστὸν ἐνδύεσθαι (Gal 3,27b), wo doch beide die Pragmatik verfolgen, εἰς Χριστὸν βαπτισθήναι (Röm 6,3b; Gal 3,27a) semantisch zu entfalten? 4.2.3.2 Paralleles εἰς Ein solcher vergleichender Interpretationsansatz setzt voraus, dass die εἰς-Tauf‐ formel mindestens innerhalb der paulinischen Schriften in der Frage nach Lo‐ kalität oder Kausalität in eindeutiger Weise verstanden und gebraucht wird. Da diese Problematik bereits ausführlich erörtert wurde, 493 seien an dieser Stelle lediglich die Röm 6 betreffenden Spezifika und Auswirkungen der Entscheidung dieser Frage kurz dargestellt. Exegeten, welche von einer direkten Parallelität von Röm 6,3b und 6,3c auch im εἰς ausgehen, übertragen zumeist ihre Deutungen der Taufformel direkt auf 6,3c. Als Beispiel sei die minimalistische Formulierungsweise von Michel ge‐ nannt: „εἰς = Übereignung des Täuflings (Th.Wb. I 537).“ 494 6,3c präzisiert in diesem Sinne lediglich die Pragmatik der Aussage, dass es sich dabei um den verstorbenen Christus handelt, an den der Täufling übergeben wird. Haacker geht sogar davon aus, dass εἰς gar keine spezifische Aussagekraft besitze, son‐ dern das gesamte Objekt lediglich dazu diene, die Taufe von anderen Taufpraxen zu unterscheiden, etwa der johanneischen. 495 Selten kommt bei derartigen allgemeinen Überlegungen und Schlussfolge‐ rungen, welche sich auf die Taufformel beziehen, in den Blick, dass das Objekt, welches diese in ihrem Christusbezug näher erläutert, in 6,4 noch einmal wie‐ derholt wird, wenn auch in einer anderen Zuordnung. Im Folgenden wird noch zu klären sein, ob εἰς τὸν θάνατον auf das Objekt διὰ τοῦ βαπτίσματος Bezug nimmt oder ob - parallel zur Konstruktion in 6,3c - das Prädikat συνετάφημεν den direkten Bezugspunkt darstellt. Egal wie diese Entscheidung ausfällt, sollte sie in einer Interpretation des εἰς in 6,3 wesentlich mitgehört und einbezogen Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 208 <?page no="209"?> 496 Schlarb, Röm 6, 109. 497 Barth, Taufe, 100. Zu den klassischen Vertretern dieser These zählen Barth, Althaus, Lietzmann, Schmidt, Kuss und Kümmel. Denen gegenüber stehen Käsemann, Schna‐ ckenburg, Michel, Schlier und Frankemölle. 498 Siehe unter III.4.2.1. werden. Besondere Bedeutung erlangt dieser Aspekt im Rahmen der These, dass 6,3c.4ab auf die aus 1Kor 15,3 f bekannte sog. πίστις-Formel zurückgeht. In diesem Falle wären zwei der drei Glieder über das gleiche Objekt parallelisiert. Wie diese letzten Bemerkungen deutlich machen, kann über die Interpreta‐ tion der so kurzen und prägnanten Aussagen in 6,3bc nur im Kontext des fol‐ genden Verses entschieden werden. 4.3 συνετάφημεν οὖν αὐτῷ διὰ τοῦ βαπτίσματος εἰς τὸν θάνατον (Röm 6,4a) Da auch das Mitbegrabenwerden mit Christus unterschiedlich verstanden werden kann, ist zunächst ein Blick auf die Forschungsgeschichte zu werfen. Die sich anschließende Frage nach der damaligen Vorstellung vom Begraben‐ werden soll den Weg ebnen zu einem besseren Verständnis des συνετάφημεν im Kontext der anderen Taufbilder. 4.3.1 Forschungsgeschichte zu Röm 6,4a Dass die frühen Kirchenväter im Zusammenhang mit Röm 6 nur selten auf ein Begräbnis mit Christus eingehen, deutet Schlarb in folgender Weise: „[…] der Großteil der diesen Vers zitierenden Väter setzt ein Verständnis von dieser Re‐ dewendung als von der Taufhandlung voraus, und bekennt sich damit implizit zur Vorstellung vom Taufritus als bildlicher Nachahmung der Grablegung Christi.“ 496 Wie bereits beim Aspekt des Todes deutlich geworden ist, arbeitet sich die Forschung wiederum wesentlich an der Frage ab, ob die Motivik des (Mit-)Begrabenwerdens einen Anhaltspunkt im Ablauf des Taufritus hat. Barth erkennt dabei in der Auslegungsgeschichte folgende Tendenz: „Nachdem frühere Ausleger diesen Ausdruck durch den Ritus des Untertauchens hervor‐ gerufen sahen, wird dies von neuerer Forschung in Frage gestellt.“ 497 Jedoch werden in den letzten Jahrzehnten wieder zunehmend Parallelisierungen mit dem Taufritual thematisiert. So gibt es einige Ansätze, welche Tod, Begräbnis und Auferstehung ge‐ meinsam und allgemein in der Symbolik des Taufens wiedererkennen. 498 Ob‐ wohl oben bereits ausführlich dargestellt, verdienen derartige Ansätze an dieser Stelle dennoch insofern eine Erwähnung, als manche Interpretation, welche von 4 Römer 6,1 - 11: Mit Christus gestorben 209 <?page no="210"?> 499 Nicht so Fitzmyer, Romans, 434: „The baptismal rite symbolically represents the death, burial and resurrection of Christ; the person descends into the baptismal bath, is covered with its waters, and emerges to a new life. In that act one goes through the experience of dying to sin, being buried, and rising to new life, as did Christ.“ 500 Keck, Romans, 160. Ähnlich auch Schnackenburg, Heilsgeschehen, 22: „[…] das Unter‐ tauchen wird als ein Begrabenwerden (V. 4) vorgestellt. Dafür ist nicht die Hülle des Wassers, die den pneumatischen Christus sinnbildet, sondern das Verschwinden unter der Wasseroberfläche entscheidend.“ (Hervorhebung im Original). 501 Siehe etwa Dunn, Romans, 312: „Despite frequent assertions to the contrary (Langrange, Dodd, Barrett), baptism was not an obvious symbol for death. […] Despite Ridderbos, Paul, 402, it is not ‚entirely absurd‘ to see in baptism by immersion a symbol of burial.“ 502 Siehe Meeks, bereits ausführlich zitiert unter III.4.2.1. 503 Braumann, Taufverkündigung, 51, etwa hält es für möglich, „daß Paulus Rm 6,3 f auf Grund von 1 Kor 15,3 f selbst formuliert.“ 504 So Barth, Taufe, 100: „Nach antikem Denken wird das Sterben erst durch das Begräbnis definitiv“. Zudem verweist er auf 1Kor 15,4, „wo das Begrabensein gleichfalls die End‐ gültigkeit des Gestorbenseins unterstreicht.“ (ebd.). 505 Schweitzer, Dying; Tannehill, Dying. einer allgemeinen Bezugnahme der Motivik in 6,3 f auf den Taufablauf ausgeht, lediglich Tod und Auferstehung in den Blick nimmt und das Mitbegrabensein ignoriert. 499 Hinzu kommen aber auch vermehrt Entwürfe, welche konkret und auch hauptsächlich das Begräbnis symbolisiert sehen wollen. So überlegt etwa Keck: „Paul probably assumes baptism by immersion (bapto means ‘dip’), a ri‐ tualized ‘burial.’“ 500 In diesem Fall kann eine Interpretation als Tod gerade ab‐ gelehnt werden, wohingegen eine Begräbnissymbolik für möglich gehalten wird. 501 Alternativ werden in den verschiedenen Handlungen des Taufablaufes Tod, Begräbnis und Auferstehung unterschiedlich symbolisiert gesehen. 502 Diesen durchaus differierenden Ansätzen, welche eine Begräbnissymbolik im Taufablauf meinen erkennen zu können, steht eine Vielzahl von Exegeten ge‐ genüber, welche dies ablehnen. Als Erklärung dafür, warum Paulus nach dem Verweis auf den Tod Christi noch zusätzlich von einem Mitbegrabensein spricht, verweisen sie gern auf die vermutlich zu Grunde liegende πίστις-Formel vom Sterben, Begrabenwerden und Auferstehen Jesus Christi 503 oder aber auf die (damalige) Bedeutung von Begräbnis. 504 Daneben stehen zahlreiche Entwürfe, welche das Mitbegrabensein gar nicht thematisieren, was besonders bei Spezi‐ aluntersuchungen wie denen von Schweitzer oder Tannehill zum „Dying and Rising“-Motiv irritiert, 505 da doch das (Mit-)Begrabenwerden das bekannte Schema gerade atypisch ergänzt bzw. unterbricht. Zur Prüfung der unterschiedlichen Thesen sind also im Folgenden Bedeutung und Verwendung von θάπτειν und speziell συνθάπτειν zu ergründen, zudem die Bildhaftigkeit des damit beschriebenen Vorganges, aber auch die These zu einer Adaption der πίστις-Formel. Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 210 <?page no="211"?> 506 Benseler, θάπτω, 355; siehe auch Gemoll, θάπτω, 368. 507 Siehe Frisk, Art. θάπτω, 653. 4.3.2 Begrabenwerden Zunächst soll das Bedeutungsspektrum der συνθάπτειν zu Grunde liegenden Wurzel θάπτειν sowie die damalige Praxis des dadurch bezeichneten Begräb‐ nisses kurz dargestellt werden. 4.3.2.1 θάπτειν Außer in der noch zu thematisierenden Tradition in 1Kor 15,3b-5 findet sich θάπτειν in sechs Texten (insgesamt 10x) im NT : In den Berichten von dem Be‐ gräbnis Johannes des Täufers (Mt 14,12) und den Beisetzungen von Hannanias und Saphira (Apg 5,6-10) stellt das Begrabenwerden einen nicht weiter thema‐ tisierten Akt dar, welcher logisch und relativ bald auf den Tod folgt. Vom πατριὰρχ Δαυίδ wird betont, dass sein Grab bis zu diesem Tag existiert (Apg 2,29). Im Gleichnis vom Armen und Reichen stellt das Sterben und Begra‐ benwerden des Reichen dessen Lohn für seinen Lebenswandel dar. Der Arme hingegen stirbt und wird daraufhin von Engeln in den Schoß Abrahams ge‐ tragen (Lk 16,22). Am Deutlichsten gerät θάπτειν in den Fokus bei der Bitte eines Jüngers an Jesus, er wolle erst seinen Vater begraben, bevor er ihm nachfolge (Mt 8,21par). Zur provozierenden Antwort Jesu wird gern - erläuternd, aber auch entschuldigend - angemerkt, dass die damalige Begräbniskultur eine an‐ dere als heute gewesen sei: ἀκολούθει μοι καὶ ἄφες τοὺς νεκροὺς θάψαι τοὺς ἑαυτῶν νεκρούς (Mt 8,21). Blickt man über das NT hinaus, so bestätigt sich der Eindruck, das θάπτειν zwar stets die Beisetzung eines Verstorbenen bezeichnet, allerdings für ganz unterschiedliche Begräbnisvarianten verwendet werden kann: „d.h. entweder ihn verbrennen u. die gesammelten Gebeine in die Erde vergraben, d.h. ἐτέθαπτω ὑπὸ χθόνος (unter die Erde gebettet), oder beerdigen, auch beisetzen in einem Grabgewölbe.“ 506 Zudem lässt sich die Verwendung unterschiedlicher Präfixe beobachten, so z. B. ἐν-, συν- und κατα-. 507 Der Kontext der neutestamentlichen θάπτειν-Stellen legt nun nahe, dass die Bedeutung von Begräbnissen unterschiedlich aufgefasst werden kann. Auch wäre zu fragen, inwieweit die unterschiedlichen Bräuche von Juden und Heiden in dieser Zeit auch mit unterschiedlichen Deutungen des Begräbnisses einher‐ gehen. Eine ausführliche Darstellung der unterschiedlichen Begräbniskulturen 4 Römer 6,1 - 11: Mit Christus gestorben 211 <?page no="212"?> 508 Zur Einführung in die damaligen jüdischen Begräbnisrituale siehe Hachlili, Burials, 789-794, und ihre dortige Bibliographie. Näheres zum jüdisch wie römisch belegten Brauch der Sekundärbestattung siehe unter V.1.2.3.2. 509 A. a. O. 793. 510 Siehe zu dieser These unter V.1.2.3.2. des ersten Jahrhunderts kann hier allerdings nicht geleistet werden. 508 Zusam‐ menfassend für den jüdischen Kulturkreis könnte man sagen: „[…] what is most extraordinary in the Jewish burial customs of the Second Temple period is the astonishing fact that within a comparatively short span of time burial practices, which are typically among the most conservative customs in a society, un‐ derwent rapid changes.” 509 Bedenkt man dazu, dass Paulus θάπτειν, obwohl es sämtliche Bestattungsvari‐ anten bezeichnen kann, ohne nähere Spezifizierung verwendet und dies auch noch in dem Brief an die ihm relativ unbekannten und in einem nicht-jüdischen Umfeld wohnenden Römer, so lässt dies vermuten, dass es ihm nicht um ein spezielles Begräbnisritual und ggf. dessen Symbolik geht, sondern vielmehr um die Bedeutung einer Bestattung im Allgemeinen. Diese Schlußfolgerung macht dann die Frage irrelevant, ob Paulus um die römischen Katakomben weiß. 510 Vielmehr ist Stommel zu folgen: „Die Antike dachte über Grab und Begräbnis anders als die Moderne. Die Bestattung ist nach heutiger Auffassung dem Toten gegenüber nur ein Akt der Pietät; für die Lebenden aber bedeutet sie die Sicherung gegen Auswirkungen der Verwesung. Nach antiker Anschauung dagegen hatte die Bestattung viel weittragendere Folgen, in erster Linie für den Toten selbst. Der Vorgang des Sterbens, des Abscheidens von dieser Welt, wurde erst durch die Bestattung ganz abgeschlossen. Die Psyche eines unbe‐ statteten Leichnams hielt sich nach antiker Vorstellung noch immer in dessen Nähe auf; erst die Beisetzung des Körpers öffnete auch der Seele den Zugang zum Toten‐ reiche und verwies sie von der Erdoberfläche, aus dem Bereich der Lebenden, hinab in die Unterwelt. Die unklaren Jenseitsvorstellungen der Antike verwischten dabei häufig den Unterschied zwischen dem Grab als dem Aufbewahrungsort des toten Leibes und der Unterwelt als dem Aufbewahrungsort der abgeschiedenen Seele: Grab und Hades sind eins. […] Für unsere Untersuchung ist von Wichtigkeit, daß nach Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 212 <?page no="213"?> 511 Stommel, Begraben, 7 f, der zu den einzelnen Vorstellungen Sekundärliteratur benennt. Zu Barth, welcher die „zentrale Bedeutung des meist als nebensächlich verkannten ‚Begrabenwerden mit Christus‘ für die Taufe stark hervorgehoben“ habe, kommentiert er, dass er „sich aber den Weg zum Verständnis dadurch [verbaut, CM], daß er das ‚Begräbnis‘ nach modernen Gesichtspunkten beurteilt, nicht nach antiken Anschau‐ ungen.“ (a. a. O. 8 Anm. 28). Barth, Taufe, 100, bringt es auf den Punkt: „Nach antikem Denken wird das Sterben erst durch das Begräbnis definitiv.“ Dieses Verständnis ver‐ ändert sich dann mit fortschreitender Verchristlichung im Verlauf der ersten Jahrhun‐ derte und führt schließlich zur Einfügung des „descendit ad inferos“ in das Symbolum Apostolicum, siehe dazu ausführlich Stommel, Begraben, 9. 512 Natürlich ist umstritten, inwieweit Paulus die Erzählung vom leeren Grab und damit nähere Umstände auch von der Beisetzung Jesu bekannt sind. Dass es aber schon relativ früh Gerüchte um die Tatsächlichkeit von Tod und Auferstehung gegeben hat, belegt die Notiz über die Grabbewachung (Mt 27,62-66). Solchen entgegen zu wirken könnte die Rede nicht nur von seinem Tod, sondern auch seinem Begräbnis gedient haben. 513 Z. B. Schrage, Korinther IV, 37. 514 Siehe Benseler, θάπτω, 355. 515 Siehe dazu unten. antiker Anschauung erst durch die Bestattung die Gesamtpersönlichkeit des Men‐ schen dem Totenreiche überantwortet wird.“ 511 Dafür dass diese Funktion von θάπτειν auch συνθάπτειν zu Grunde liegt und nicht etwa ein bildlicher Anklang des Untertauchens bei der Taufe an das Ver‐ senken eines Leichnams in der Erde ist, spricht auch die Beobachtung, dass das Begräbnis Jesu nach den Berichten anders abgelaufen ist: Denn gründet die Formulierung in Röm 6,3 f tatsächlich auf der in 1Kor 15,3b-5 überlieferten Tra‐ dition, so ist die vermeintliche Symbolik darin gestört, dass Jesus laut den Evan‐ gelien in ein ebenerdiges Felsengrab gelegt und nicht etwa in der Erde versenkt wird (Mk 15,46: […] ἔθηκεν αὐτὸν ἐν μνημειῳ ὃ ἦν λελατομημένον ἐκ πέτρας […]). 512 Genau wie beim Tod Jesu soll aber betont werden, 513 dass der Täufling tatsächlich (für die Sünde) tot ist. Leider lassen neutestamentliche wie außerneutestamentliche Vergleiche offen, wie ein θάπτειν δία zu verstehen ist. Belegt sind selbstverständlich per‐ sonale Subjekte und Objekte oder auch nähere Bestimmungen wie ὑπὸ χθονός, 514 nicht aber die Vorstellung, dass ein Begräbnis διὰ durchgeführt wird. Dies legt ein speziell auf die Taufe ausgerichtetes Verständnis nahe, dessen Schlüssel am ehesten im Verständnis des συνθάπτειν zu suchen ist. 515 Doch zuvor soll noch der Beobachtung ausführlicher Rechnung getragen werden, dass es ja nicht irgendein beliebiges Begräbnis ist, welches mitvollzogen wird. Dies zeigt nicht zuletzt die bereits erwähnte Tradition in 1Kor 15,3b-5. 4.3.2.2 1Kor 15,3b - 5 (15,3a παρέδωκα γὰρ ὑμῖν ἐν πρώτοις, ὃ καὶ παρέλαβον,) 4 Römer 6,1 - 11: Mit Christus gestorben 213 <?page no="214"?> 516 Siehe ausführlich Wolff, Korinther, 355. 517 A. a. O. 359. 518 Siehe dazu die ausführliche Darstellung der einzelnen Positionen a. a. O. 356-359. 519 A. a. O. 361. 520 Des Öfteren wird betont, dass durch die gleichwertige Parallelisierung von Tod und Auferstehung dem Auferstehungskapitel die Aussage vorangestellt wird, dass „der Auf‐ erweckung Jesu nur in ihrer Zuordnung zu seinem Tod soteriologische Bedeutung zu‐ kommt […] der Tod also weder bei Christus noch bei den Christen spiritualistisch über‐ spielt oder marginalisiert werden darf.“ (Schrage, Korinther IV, 33 f). 15,3b ὅτι Χριστὸς ἀπέθανεν ὑπὲρ τῶν ἁμαρτιῶν ἡμῶν κατὰ τὰς γραφὰς 15,4a καὶ ὅτι ἐτάφη 15,4b καὶ ὅτι ἐγήγερται τῇ ἡμέρᾳ τῇ τρίτῃ κατὰ τὰς γραφὰς 15,5 καὶ ὅτι ὤφθη Κηφᾷ εἶτα τοῖς δώδεκα· (15,3a Denn ich habe als Erstes an euch weitergegeben, was auch ich empfangen habe,) 15,3b dass Christus gestorben ist unserer Sünde wegen nach der Schrift 15,4a und dass er begraben worden ist 15,4b und dass er am dritten Tag auferweckt wurde nach der Schrift, 15,5 und dass er gesehen worden ist von Kephas danach von den Zwölfen. Dass es sich bei dem zumeist als πίστις-Formel bezeichneten Versen um ein vorpaulinisches Traditionsstück handelt, ist nahezu unbestritten. Neben der Selbstauskunft des Apostels (ὃ καὶ παρέλαβον [1Kor 15,3a]) deutet v. a. die Ver‐ wendung jüdischer Traditionssprache 516 sowie die Parallelisierung der ὅτι-Sätze darauf hin. „Das hohe Alter des Traditionsstückes ist allgemein anerkannt. Die Entstehung wird zumeist in Jerusalem oder Antiochien lokalisiert.“ 517 Entspre‐ chend wird als ursprüngliche Sprache Aramäisch oder bereits Griechisch ange‐ nommen. Dass der Umfang der hier aufgenommenen Tradition umstritten ist, braucht im Blick auf Röm 6,3 f nicht zu interessieren. 518 Vielmehr tritt der Inhalt sowie die damit verbundene Form und Funktion in den Mittelpunkt: „Subjekt in dem Traditionsstück ist Χριστός. Das Wort ist hier nicht als Eigenname ge‐ braucht; vielmehr macht es von vornherein deutlich, daß vom Schicksal des Messias, des Heilsbringers, die Rede ist“. 519 Der Tod Jesu erfolgte ὑπὲρ τῶν ἁμαρτιῶν. 520 Warum aber ist das Begräbnis Jesu in diese frühe Glaubenstradition aufgenommen worden und in welchem Verhältnis steht es zu Tod und Aufer‐ stehung Jesu? Wolff schreibt zur Erläuterung von ἐτάφη: Es werde „[…] von den meisten Exegeten als Unterstreichung der Realität des Todes verstanden. Das ist ein wesentlicher Aspekt, aber kaum der einzige; denn einmal wird diese Aussage mit ‚und‘ als ein selbständiger Verbalsatz dem vorhergehenden ange‐ schlossen, zum anderen wird sie durch ein neuerliches ‚daß‘ vom vorhergehenden Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 214 <?page no="215"?> 521 Wolff, Korinther, 362 f. 522 Lambrecht, Thought, 664. 523 Während ἀπέθανεν (Akt.), ἐτάφη (Pass.) und ὤφθη (Pass.) im Aorist formuliert sind, steht ἐγήγερται (Pass.) im Perfekt. Schrage, Korinther, 38, deutet dies folgendermaßen: „Die Bekenntnisformel hebt also besonders hervor, daß die Auferweckung Jesu nicht der Vergangenheit angehört, sondern als abgeschlossenes Ereignis seine fortdauernde Bedeutung für die Gegenwart behält.“ 524 Wolff, Korinther, 361. 525 Stommel, Begraben, 7, präsentiert die These, die sich etwa bei Feine, Glaubensbe‐ kenntnis, 106, findet und führt dazu weiter aus: „Nach dieser Auffassung steht das Be‐ gräbnis Christi also nur aus dem Grunde im Symbolum, weil es den Typus der Taufe darstelle; als Typus der Taufe fungiere es aber, weil […] der eigentlich und echtere Typus der Taufe, nämlich der Kreuzestod Christi, sich im Taufritus nicht habe darstellen lassen.“ (Stommel, Begraben, 7). Satz abgehoben und erhält damit ebenfalls, spätestens durch Paulus, eigenes Gewicht. Hinter dieser Formulierung dürfte demnach ein Wissen um die Vorgänge bei der Grablegung Jesu stehen. Im Zusammenhang des Bekenntnisses bedeutet ἐτάφη: Der Gestorbene wurde begraben, und ebendieser Begrabene wurde dann auferweckt, es handelt sich also um eine Auferstehung ‚von den Toten‘ (V.12).“ 521 So betont etwa auch Lamprecht: „Burial is not just the end of the passion; it functions as the bridge between cross and resurrection.“ 522 Was würde dies für eine Interpretation der Taufe als ein Mitvollziehen dieses Begräbnisses be‐ deuten? Und welche Bedeutung ist der Beobachtung beizumessen, dass es sich bei ἐγήγερται im Unterschied zu ἀπέθανεν und ἐτάφη nicht um einen Aorist, sondern um ein Perfekt handelt? 523 Auch in Röm 6,3 f fällt die Aussage über die Auferstehung aus der Parallelisierung der einzelnen Glieder heraus. Wie ist die Tatsache zu bewerten, dass durchgehend Christus, wenn auch teilweise im Passiv, Subjekt der Tradition ist? Nicht zuletzt stellt sich die Frage der Form und des Sitzes im Leben der Tradition, welche Wolff zu der Aussage bringt: „Versteht man das Traditionsstück also als Zusammenfassung der Anfangsunterweisung, dann steht es mit der Taufe in enger Verbindung; es führte auf sie hin und wurde vielleicht auch als Taufbekenntnis verwendet.“ 524 Ohne dies hier ausführlicher darstellen zu können, sei kurz auf die gelegentlich vertretene These verwiesen, der Taufritus - verstanden als ein Mitbegrabenwerden mit Christus - habe es nahe gelegt, „das Begräbnis Christi selbst auch eigens in das Taufbekenntnis aufzunehmen.“ 525 Die Erwähnung des Begrabenwerdens Christi in 1Kor 15,3b-5 und im Symbolum Apostolicum habe also seine Ursache im entsprechenden Verständnis der Taufe. 4 Römer 6,1 - 11: Mit Christus gestorben 215 <?page no="216"?> 526 Das Sterben bzw. der Tod Christi wird erwähnt in Röm 6,5a.8.10; seine Auferweckung bzw. sein Leben in Röm 6,5b.8. 9. 10. Das Mitvollzogenhaben bzw. -werden durch den Christusgläubigen erwähnen Röm 6,5a.6a.b.8.11. Zur sonstigen Verbreitung des Motives des Mitvollzuges des Sterbens und Auferstehens Christi siehe unter III.4.2.2. 527 συνετάφημεν (6,4a); σύμφυτοι (6,5a); συνεσταυρώθη (6,6a); συζήσομεν (6,8). 4.3.2.3 Die Variante der πίστις-Formel in Röm 6,3 f Wie die folgende Tabelle zeigt, finden sich drei der vier in 1Kor 15,3-5 paralle‐ lisierten Glieder inhaltlich in Röm 6 wieder, wenn auch in veränderter Form. Beiden Stellen geht zudem eine Bemerkung voraus, welche das Folgende als den Lesern bereits bekannt erklärt: 1Kor 15,3 - 5 Röm 6,3 f Einleitung 15,3a παρέδωκα γὰρ ὑμῖν ἐν πρώτοις, ὃ καὶ παρέλαβον, 6,3a ἢ ἀγνοεῖτε ὅτι, Sterben 15,3b ὅτι Χριστὸς ἀπέθανεν ὑπὲρ τῶν ἁμαρτιῶν ἡμῶν κατὰ τὰς γραφὰς 6,3b ὅσοι ἐβαπτίσθημεν εἰς Χριστὸν Ἰησοῦν, 6,3c εἰς τὸν θάνατον αὐτοῦ ἐβαπτίσθημεν; Begrabenwerden 15,4a καὶ ὅτι ἐτάφη 6,4a συνετάφημεν οὖν αὐτῷ διὰ τοῦ βαπτίσματος εἰς τὸν θάνατον, Auferwecktwerden 15,4b καὶ ὅτι ἐγήγερται τῇ ἡμέρᾳ τῇ τρίτῃ κατὰ τὰς γραφὰς 6,4b ἵνα ὥσπερ ἠγέρθη Χριστὸς ἐκ νεκρῶν διὰ τῆς δόξης τοῦ πατρός, 6,4c οὕτως καὶ ἡμεῖς ἐν καινότητι ζωῆς περιπατήσωμεν. Gesehenwerden 15,5 καὶ ὅτι ὤφθη Κηφᾷ εἶτα τοῖς δώδεκα· Sterben und Auferwecktwerden Christi wie auch der Mitvollzug dessen durch den Christusgläubigen werden bekanntlich in Röm 6,5-11 noch weiterhin the‐ matisiert, 526 wozu u. a. auch die συνετάφημεν formal entsprechende Vokabel συνεσταυρώθη gewählt wird. Die Erscheinungen Christi (1Kor 15,5) erwähnt Röm 6,3 f nicht, einerseits wohl weil die Tatsächlichkeit der Auferstehung Christi anders als in 1Kor un‐ strittig ist und andererseits weil das Gesehenwerden in der Taufe nicht mitvoll‐ zogen wird. Denn wie die συν-Komposita des Textes, 527 aber auch Formulie‐ Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 216 <?page no="217"?> 528 εἰς τὸν θάνατον αὐτοῦ ἐβαπτίσθημεν (6,3c); οὕτως καὶ ἡμεῖς ἐν καινότητι ζωῆς περιπατήσωμεν (6,4c); σύμφυτοι γεγόναμεν τῷ ὁμοιώματι τοῦ θανάτου αὐτοῦ, ἀλλὰ καὶ τῆς ἀναστάσεως ἐσόμεθα (6,5); εἰ δὲ ἀπεθάνομεν [Aor.] σὺν Χριστῷ (6,8); οὕτως καὶ ὑμεῖς … (6,11). 529 Schrage, Korinther IV, 38. 530 Siehe dazu ausführlicher unter III.4. rungen wie οὕτως καὶ ἡμεῖς (Röm 6,4c) 528 deutlich machen, liegt der Fokus auf der Betonung des Mit- und Nachvollzuges des Sterbens und Auferstehens Christi. Der hohe Parallelisierungsgrad von 1Kor 15,3b-5 würde auch für Röm 6,3b-4 eine sich wiederholende, ähnliche Struktur erwarten lassen, etwa ein συναπετάνομεν … συνετάφημεν … συνηγέρθημεν … Zwar wird auch über das erste und dritte Glied der Mitvollzug in der Taufe ausgesagt, doch in sprach‐ lich abweichender Form: Bezüglich des Todesmotives liegt die Erklärung darin, dass die Tradition zur Erklärung der εἰς-Taufformel herangezogen wird. Der Tod wird jedoch sowohl für Christus als auch den Täufling ausgesagt. Anders verhält es sich beim Motiv der Auferstehung. Auch wenn dies im Folgenden noch näher darzustellen ist, sei mit Blick auf 1Kor 15,3-5 hier bereits festgehalten, dass in beiden Überlieferungen der Tradition das dritte Glied von der parallelen Struktur abweicht: Oben wurde bereits erwähnt, dass das Auferwecktworden‐ sein Christi im Perfekt statt im Aorist formuliert ist und dies auf die „fortdau‐ ernde Bedeutung für die Gegenwart“ hinweisen soll. 529 Nun steht in Röm 6 zwar der Aorist, jedoch wird der Mitvollzug des Täuflings nicht durch ein συν-Kom‐ positum umschrieben, welches auf eine andere Wurzel zurückgeht, sondern wird mit Hilfe eines anderen Verbs ausgedrückt: ἐν καινότητι ζωῆς περιπατήσωμεν (Röm 6,4c). 530 Der vergleichende Blick auf 1Kor 15,3-5 macht noch auf weitere Fragestel‐ lungen aufmerksam: Grundlegend für jegliche Interpretation ist die Frage, ob die drei Verben bzw. Aussagen in Röm 6,3b-4c gleichwertig nebeneinander‐ stehen oder ob das mittige θάπτειν dem einen oder anderen näher zugeordnet ist und ob sich aus dieser zweiten Deutung ggf. eine Schwerpunktsetzung für das Taufverständnis ableiten ließe. Für eine gleichwertige Reihung der drei Aussagen spricht in 1Kor 15,3b-5 die vierfache Einleitung durch (καὶ) ὅτι, welche sie als vier einzelne und dennoch zusammengehörige Aspekte der Evan‐ geliumsverkündigung erscheinen lassen. Röm 6,3b-4c hält diese Parallelität zwar nicht durch, indem allerdings von allen dreien - auf die ein oder andere Weise - der Mitvollzug durch den Täufling ausgesagt wird, scheinen sie den‐ noch als drei unterschiedliche Aspekte wahrgenommen zu werden. Dies würde bedeuten, dass der Taufe eine Bezugnahme auf und der Mitvollzug aller drei Aspekte inhärent wäre, ohne dass eine Gewichtung erkennbar wird. 4 Römer 6,1 - 11: Mit Christus gestorben 217 <?page no="218"?> 531 Zu einer entsprechenden Interpretation des Begräbnisses als Ausdruck der Endgültig‐ keit und des Abschlusses des Sterbens siehe bereits oben. 532 Barth, Sakrament, 306. 533 Siehe Stommel, Begraben,10 f; siehe dazu ausführlich unter V.1.2.3.2. 534 Bornkamm, Taufe, 38; Frid, Römer 6, 191; Kuss, Römerbrief I, 298. 535 Hartman, Namen, 72 Anm. 46; Wilckens, Römer, 12. 536 Barth, Taufe, 100 Anm. 230: „Der Satz will eine Folgerung aus dem Vorangehenden sein. Wäre dagegen bei συνετάφημεν an das Untertauchen bei der Taufe gedacht, so ginge es in 4a um eine Erläuterung von 3b, und man müßte ein γάρ erwarten.“ Dem widersprechen Exegeten, welche eine grundsätzliche Zuordnung des Begrabenwerdens zum Gestorbensein behaupten. 531 In 1Kor 15,3b-5 spräche dafür die nur zweimalige Erwähnung des κατὰ τὰς γραφάς, nämlich in Bezug auf das Gestorbensein (1Kor 15,3b) und das Auferwecktwordensein Christi (1Kor 15,4b), nicht aber bezüglich des Begrabenwordenseins. Röm 6,3 f stellt die besondere Verbindung von Sterben- und Begräbnisaspekt durch die Wiederho‐ lung des εἰς τὸν θάνατον her (Röm 6,3b4a). Für Barth hat diese Beobachtung dann die Konsequenz: „Die Taufe scheint demnach mehr mit dem Tod als mit der Auferstehung zu tun zu haben und dem Tode viel näher als der Auferstehung zu stehen.“ 532 Dass der Täufling auch mitbegraben worden ist, bedeute dann wie auch für Christus lediglich die Bestätigung und der Abschluss des Gestorben‐ seins. 533 Für eine derartige Deutung wäre allerdings zuvor die strittige Frage nach der jeweiligen Zuordnung des εἰς τὸν θάνατον zu klären. Dass es sich in Röm 6,3b um eine adverbiale Konstruktion handelt, ist unstrittig. Dazu formal parallel könnte auch Röm 6,4a adverbial aufgefasst werden als ein „Mitbegrabensein in den Tod“. 534 Dies würde für eine Bezugnahme sowohl des Mitsterbens als auch des Mitbegrabenwerdens in der Taufe jeweils auf den Tod Christi sprechen und damit für eine direkte Abhängigkeit des Begräbnisaspektes in der Taufe vom Sterbensaspekt. Alternativ dazu kann εἰς τὸν θάνατον aber auch als Genitivob‐ jekt von τὸ βάπτισμα verstanden werden und somit als Wiederholung und Ent‐ faltung des in V. 3 vorgestellten Gedankens einer Taufe auf den Tod Christi. 535 Schließlich könnte man noch die schlussfolgernde Konjunktion οὖν auf die Frage nach dem Verhältnis des Sterbens- und Begräbnisaspektes hin auswerten, wie dies etwa Barth tut. 536 Angesichts des Konjunktionsreichtums des neutes‐ tamentlichen Griechisch halte ich dies allerdings für die schwächste der hier vorgestellten Varianten. Unter allem Vorbehalt des zeitlichen Abstandes dennoch aussagekräftiger wäre ein Blick in die Wirkungsgeschichte des εἰς τὸν θάνατον: In den Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 218 <?page no="219"?> 537 Schneemelcher, Apokryphen, 263, übersetzt mit „in das Zeichen des Herrn einzutau‐ chen“. 538 Stommel, Begraben, 19. 539 Wenn Michel formuliert, dass „an das alte Bekenntnis 1Kor 15,3 f “ lediglich „erinnert wird“ (ders., Römer, 130), wird dies den dargelegten motivischen wie formalen Paral‐ lelen nicht gerecht. Die Schlussfolgerung Kramers geht wiederum zu weit, dass „[d]ie Erörterung der Bedeutung der Taufe in R 6,2-9 […] ja nichts anderes als die Aufarbei‐ tung der Pistisformel“ sei, Kramer, Christos, 60; ähnlich auch Hellholm, Tauftraditionen, 441 f. 540 Braumann etwa schreibt relativ vorsichtig: „Immerhin ist es möglich, daß Paulus Rm 6,3 f auf Grund von 1 Kor 15,3 f selbst formuliert.“ (ders., Taufverkündigung, 51). 541 Fitzmyer, Romans, 343. 542 Gemoll, συνod. ξυν-θάπτω, 715. Petrusakten wird das Taufen als „intinga in signo domini“ (ActAp 1,50) be‐ zeichnet 537 und auch die kreuzförmigen Taufpiscinen, „[d]ie sichtbare Darstel‐ lung einer solchen ‚Eintauchung in das Kreuz‘“, 538 sprechen für den (Kreuzes-)Tod Christi als dem grundlegenden und mitzuvollziehenden Ereignis der Taufe. Nachdem die Aspekte des Sterbens wie des Begräbnisses nun von unter‐ schiedlichen Blickrichtungen her betrachtet wurden, lässt sich zusammenfas‐ send sagen: 1) Der Bezugpunkt der Taufe ist zuerst der Tod Christi. 2) Dennoch wird neben dem Tod auch sein Begräbnis insofern mitvollzogen, als sich darin die Endgültigkeit wie der Abschluss des Bisherigen noch einmal ausdrückt - ein Aspekt, welcher im Fokus der Gesamtargumentation für die endgültig beendete Vormachtstellung der Sünde über das Leben des nun Getauften steht. 3) Dass die Taufe in besonderer Weise das (Mit-)Begräbnis anschaulich werden lässt, ist angesichts dieses Fokusses zwar möglich, allerdings mit Blick auf das Grund‐ ereignis der Taufe, nämlich den Tod Christi, eher unwahrscheinlich. Eine wei‐ terführende ritologische Untersuchung mag dahingehend Klärung bringen. Allgemein zum Verhältnis von 1Kor 15,3-5 und Röm 6,3 f und der zugrunde‐ liegenden Tradition sei gesagt, dass Paulus an beiden Stellen auf die gleiche ihm vorausgehende Tradition zurückgreift. 539 Zu fragen bliebe, inwieweit die Bin‐ dung der πίστις-Formel an die Taufe sowie die Erweiterung um das συν-Motiv paulinische Eigenleistungen 540 oder ihm auch bereits überkommen sind. 4.3.3 Mitbegrabenwerden 4.3.3.1 συνθάπτειν Obwohl „one of his [Paul, CM ] favorite compound vbs.“, 541 ist συνθάπτω kei‐ neswegs eine paulinische Wortschöpfung. Gemoll kennt συνο. συξ-θάπτω τινά, τινί als „Mitbegraben mit jemandem“ 542 und Grundmann listet sowohl für 4 Römer 6,1 - 11: Mit Christus gestorben 219 <?page no="220"?> 543 Grundmann, Art. σύν, 786: „Soph Ai 1378; Aesch Sept c Theb 1027; Eur Phoen 1658; Alc 149; Hdt V 5; Thuc I 8,1; auch in Inschr zB IG 14, 943 (Ostia). In übertr Sinne bei Lyc 50: συνετάφη τοῖς τούτων σώμασιν ἡ Ἑλλήνων ἐλευθερία.“ 544 A. a. O. 793. 545 Schnackenburg, Heilsgeschehen, 66. 546 Pokorný, Kolosser, 106. 547 Dabei scheint es unerheblich, ob Kol 2,12 als Taufdeutung aus Röm 6 übernommen wurde oder ob beide auf eine etablierte Wendung zurückgehen, welche ggf. sogar vor‐ paulinisch gewesen sein könnte. 548 Siehe dazu genauer Bormann, Kolosser, 135. eine wörtliche als auch eine übertragene Bedeutung eine Reihe an außerbibli‐ schen Belegen auf. 543 Neutestamentlich allerdings findet sich συνθάπτω ledig‐ lich im Corpus Paulinum und neben Röm 6,4a auch nur an einer einzigen wei‐ teren Stelle: Kol 2,12: συνταφέντες αὐτῷ ἐν τῷ βατισμῷ, ἐν ᾧ καὶ συνηγέρθητε διὰ τῆς πίστεως τῆς ἐνεργείας τοῦ θεοῦ τοῦ ἐγείραντος αὐτὸν ἐκ νεκρῶν. - „Ihr seid mit ihm mitbe‐ graben worden in der Taufe, in ihm seid ihr auch mitauferweckt worden durch den Glauben aus der Kraft Gottes, der ihn aus den Toten auferweckt hat.“ So stellt sich die Frage nach dem Verhältnis dieser beiden Textstellen, v. a. an‐ gesichts von Thesen bezüglich einer möglichen Pseudepigraphie des Kol: Da gegen den ersten Anschein die formalen Parallelen gar nicht so ausgeprägt sind, fasst man Kol 2,12 als eine „an R 6,4 anknüpfende Formulierung“ 544 oder auch als „eine gute Zusammenfassung der Gedanken von Röm 6“ auf. 545 Als interes‐ santer erweist sich die Bedeutung von Kol 2,12 f für den gesamten Brief: Pokorný etwa bezeichnet die Aussage als „die These der ganzen Epistel“. 546 Vergleicht man die beiden Stellen nun genauer, so ist für eine Interpretation von Röm 6 bemerkenswert, dass auch in Kol 2,12 συνθάπτω als Deutung der Taufe angeführt wird, wenn auch ἐν τῷ βαπτισμῷ (Kol 2,12) statt διὰ τοῦ βαπτίσματος (Röm 6,4a). 547 Jedoch fehlt in Kol der Aspekt des (Mit)Sterbens, was ein weiteres Argument für eine Interpretation des Begräbnisses als end‐ gültigem Schluss und Bestätigung des Todes ist. Dem entspricht auch die deut‐ liche Kontrastierung mit dem Auferweckungsmotiv in der folgenden Argumen‐ tation (Kol 2,12b.13). Anders als die Umschreibung οὕτως καὶ ἡμεῖς ἐν καινότητι ζωῆς περιπατήσωμεν (Röm 6,4c) kann Kol durchaus direkt formulieren: ἐν ᾧ καὶ συνηγέρθητε (Kol 2,12a). Insgesamt scheint der Auferweckungsaspekt in Kol 2 strukturell wie semantisch näher mit der Taufe verbunden zu sein als in Röm 6. 548 Mit Blick auf die im folgenden Kapitel untersuchten ritologischen Be‐ ziehungen der Taufe sei hier bereits erwähnt, dass die Taufdeutung gerahmt wird von Aussagen über eine περιτομῇ ἀχειροποιήτῳ, nämlich der περιτομῇ τοῦ Χριστοῦ (Kol 2,11). Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 220 <?page no="221"?> 549 Elliger, Art. σύν, 697. 550 Maria bleibt drei Monate σύν Elisabeth (Lk 1,56); der Auferstandene wird gebeten, am Abend σύν den beiden Jüngern in Emmaus zu bleiben (Lk 24,29); Paulus und Barnabas verweilen eine Zeit σύν den Jüngern in Lystra (Apg 14,28). 551 Der Gelähmte wird herabgelassen σύν seiner Trage (Lk 5,19); die Hohepriester und Schriftgelehrten σύν den Ältesten kommen zu Jesus in den Tempel (Lk 20,1); Paulus und Silas predigen dem Gefängnisaufseher σύν allen seinen Hausgenossen (Apg 16,32). Trotz dieser durchaus interessanten Parallele bleibt vor einer endgültigen Interpretation von Röm 6,4a noch zu fragen, wie man sich das συν-[…] ἐν τῷ βαπτισμῷ bzw. διὰ τοῦ βαπτίσματος genau vorstellt: Wird das Begräbnis Christi in der Taufe mitvollzogen, nachvollzogen oder handelt es sich dabei lediglich um eine Art Grundereignis der Taufe, an das erinnert wird? 4.3.3.2 Motiv des συνa) σύν und συνim NT Den Ausführungen zur paulinischen Verwendung von σύν / συνsei ein kurzer Überblick über das Vorkommen und die Funktion von σύν / συνim gesamten NT vorangestellt. Da für Paulus sowohl die den Dativ fordernde Präposition wie auch die Komposita eine Rolle spielen, sollen sie auch beide bedacht werden. „Im Unterschied zu μετά mit gen., das urspr. lokale Bedeutung hatte (‚inmitten, unter‘, deshalb bei Hom auch meist mit dem lokativischen Dat.), bezeichnet σ. die Gemein‐ schaft oder Begleitung, in der Regel von Personen, und steht mit dem soziativen Dat. […] Im NT stehen 364 Belegen für μετά mit Gen. nur 127 Belege für σ. gegenüber. Diese verteilen sich fast ausschließlich auf Lukas (23 Lk, 52 Apg) und Pls (37)“. 549 Neben dem gemeinsamen und darin gemeinschaftlichen Sein von Personen 550 und einer subsumierenden Verwendungsweise 551 sprechen die neutestamentli‐ chen σύν / συν-Stellen auch vom gemeinsamen Tun. Menschen gehen ( Joh 21,3), reisen (Apg 11,12) und beten (Apg 20,36) miteinander. Sie (er-)leiden aber auch miteinander (Mt 26,35) bzw. ebenso wie andere (Mk 15,27). Speziell diese wie andere Stellen zu Jesus von Nazareth bzw. Christus machen deutlich, dass σύν einem καί ähnlich gleichwertig aufzählend verwendet werden, aber auch den Aspekt der Begleitung bzw. Nachfolge haben kann - eine Unterscheidung, welche für Röm 6 und die christliche Taufe allgemein von erheblicher Relevanz ist. b) σύν und συνbei Paulus Schaut man nun speziell auf das Corpus Paulinum, so lassen sich 12mal σὺν Χριστῷ und daneben 14 verschiedene Komposita mit συνfinden. Insge‐ 4 Römer 6,1 - 11: Mit Christus gestorben 221 <?page no="222"?> 552 Gelegentlich wird σὺν Χριστῷ auch im Vergleich zu σὺν θεῷ betrachtet (siehe Loh‐ meyer, Σὺν Χριστῷ, 226-229; Grundmann, Art. σύν, 772 f). Zwar findet sich diese For‐ mulierung in „griechischer Sprache und Literatur in erstaunlicher Fülle“ (Lohmeyer, Σὺν Χριστῷ, 226), fehlt allerdings in LXX wie NT komplett und braucht daher in diesem kurzem Überblick keine Rolle zu spielen. Zudem kommt Lohmeyer mit seiner Unter‐ suchung zu dem Schluss, dass das paulinische ‚mit Christus sein‘ „[w]eder aus einer ursprünglichen Tradition der israelitischen noch der griechischen oder hellenistischen Religion“ abgeleitet werden kann (a. a. O. 229). 553 A. a. O. 218 f. Das grundlegende Moment des Aufsatzes liegt v. a. darin, dass Lohmeyer σὺν Χριστῷ sowie sprachlich und inhaltlich verwandte Ausdrücke weit über die pau‐ linische Verwendung hinaus ausführlich dargestellt und analysiert. Manche religions‐ geschichtliche Deutungen müssen dennoch als zeitabhängig und überholt eingestuft werden. samt 10mal werden dabei σὺν Χριστῷ bzw. συν-Aussagen in einen Zusammen‐ hang mit der Taufe gebracht. Oft wird σὺν Χριστῷ dem wesentlich häufiger von Paulus gebrauchten ἐν Χριστῷ gegenübergestellt, 552 dem es formal wie inhaltlich darin gleicht, dass es in formelhafter Kürze eine Verhältnisbestimmung des Christusgläubigen zu Christus aussagt. Lohmeyer schreibt zu Eingang seines bis heute grundlegenden Aufsatzes: „Von dem ‚in Christus‘ spricht Paulus auf jeder Seite seiner Briefe wiederholt; von ‚mit Christus‘ hören wir nur an wenigen Stellen. […] Diese Seltenheit der Formel erscheint auf den ersten Blick merkwürdig genug. Welches andere Fürwort könnte so wie σύν geeignet erscheinen, unmittelbar von inniger Christusverbundenheit zu sprechen? Statt seiner herrscht ἐν Χριστῷ unbedingt. Diese Wendung gewinnt aber ihre Klarheit und Innigkeit erst in der volleren Form: ‚Christus in mir und ich in Christus.‘ Für σύν fehlt auch die entsprechende Responsion völlig, trotzdem sie hier näher zu liegen scheint; niemals findet sich: ‚Christus mit mir oder uns‘.“ 553 Inwieweit zwischen beiden nun zu differenzieren ist und ob es sich bei σὺν Χριστῷ überhaupt um eine greifbare Formel handelt, hat die folgende Unter‐ suchung zu erbringen. Gehäuft tritt die Formulierung einerseits im 1Thess auf, wo Paulus die Frage nach den bereits Verstorbenen beantwortet mit: εἰ γὰρ πιστεύομεν ὅτι Ἰησοῦς ἀπέθανεν καὶ ἀνέστη, οὕτως καὶ ὁ θεὸς τοὺς κοιμηθέντας διὰ τοῦ Ἰησοῦ ἄξει σὺν αὐτῷ. (1Thess 4,14). Dies wird zugleich für die noch Lebenden erhofft (1Thess 4,17). Andererseits findet sich σὺν Χριστῷ mehrfach im Kol, wo über den Christusgläubigen ausgesagt wird, dass er: mit Christus gestorben (2,20), mit ihm lebendig gemacht (2,13), mit Christus in Gott verborgen ist (3,3) und schließlich mit ihm offenbar gemacht werden wird (3,4). Allein angesichts dieser beiden Schwerpunkttexte für die Vorstellung des Mit-Christus-Seins erweist sich die oft geäußerte These, es sei „primär nicht das Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 222 <?page no="223"?> 554 Elliger, Art. σύν, 698. So etwa auch Grundmann, Art. σύν, 780 f. 555 Phil 1,23 (futur.: Sein mit Christus nach dem Tod); 2Kor 13,4 (präs.: Lebendigsein mit ihm in der Kraft Gottes); Röm 6,8 (präs.: Gestorbensein mit Christus); 8,32 (präs./ futur.: alles Geschenktbekommen mit ihm); 2Kor 4,14 (futur.: erwartete Auferweckung mit Christus), wobei Korrekturen von Sinaiticus und D-Text, der Masoretische Text sowie einige andere an dieser Stelle διά anstatt von σύν lesen. 556 Ursprünglich paulinisch: z. B. Grundmann, Art. σύν, 781; übernommene Formel: z. B. Lohmeyer, Σὺν Χριστῷ, 237.247; zumindest als „formelhaft und anscheinend typisch paulinisch“ beurteilt Braumann, Taufverkündigung, 54, die Formulierung. 557 In 2Kor 7,3 sagt Paulus von den Korinthern: ὅτι ἐν ταῖς καρδίαις ἡμῶν ἐστε εἰς τὸ συναποθανεῖν καὶ συζῆν. tätige Leben ‚in‘ oder ‚durch‘ Christus, sondern die zukünftige Christusgemein‐ schaft“ gemeint, als nicht haltbar. 554 Im Gegenteil, es lassen sich sowohl futuri‐ sche als auch präsentische Aspekte wahrnehmen, was auch durch die übrigen paulinischen σύν Χριστῷ-Stellen gedeckt wird. 555 Eine ausführliche Untersu‐ chung darüber, ob diesem Befund Entwicklungen in der paulinischen Theologie oder im Fall von Kol bspw. pseudepigraphe Ursachen zu Grunde liegen, ist hier nicht zu leisten. Auch die sich anschließende Fragestellung, ob es sich um eine von Paulus geprägte Formulierung oder bereits übernommene Formel handelt, kann hier nicht endgültig geklärt werden. 556 Es ist jedoch deutlich geworden, dass die paulinischen σὺν Χριστῷ-Stellen nicht nur allgemein von einer Verbindung zu Christus sprechen, sondern dass sämtliche Verse den Christusgläubigen bzw. dessen Erleben konkret in ein Ver‐ hältnis zu Tod und / oder Auferstehung Christi setzen. Neben die unbestritten begründende Funktion des Sterben und Auferstehens Christi tritt teilweise der Parallelisierungsaspekt, auf dem auch die Komposita basieren. Bis auf eine einzige Stelle haben diese bei Paulus alle Christus als Bezugs‐ punkt. 557 Die allgemeine biographische Fokussierung des Paulus auf lediglich Christi Leiden, Sterben, Auferstehen und Verherrlichtwerden kann kaum der einzige Grund dafür sein, dass sämtliche christusbezogenen συν-Komposita um diesen Themenkomplex kreisen. Auch dass sich acht Verben in den beiden die Taufe und ihre Wirkung thematisierenden Texten, Röm 6 und Kol 2 f, wieder‐ finden, spricht dafür, dass nicht allgemein die Gemeinschaft oder die Nachfolge Christi im Blick ist. Vielmehr versucht Paulus Worte und Bilder für die Partizi‐ pation des Christusgläubigen am Sterben und Auferstehen Christi zu finden, welche er in der Taufe vollzogen sieht. Im Zusammenhang mit der Taufe spricht er von: συσταυρόω (Röm 6,6, au‐ ßerdem in Gal 2,19); συνθάπτω (Röm 6,4; Kol 2,12); σύμφυτος (Röm 6,5); συνεγείρω (Kol 2,12; 3,1, außerdem in Eph 2,6); συζάω (Röm 6,8, außerdem in 4 Römer 6,1 - 11: Mit Christus gestorben 223 <?page no="224"?> 558 Die Formulierung in Kol 2,13 weist sogar einen doppelten συν-Gebrauch auf - einerseits als Präposition, andererseits als Verbvorsilbe: …συνεζωοποίησεν ὑμᾶς σὺν αὐτῷ … 2Tim 2,11); συζωοποιέω (Kol 2,13 558 , außerdem in Eph 2,5). In diesen Kontext gehören auch die bereits oben besprochenen σὺν Χριστῷ-Stellen in den Tauf‐ texten: ἀποθνῄσκω σὺν Χριστῷ (Röm 6,8; Kol 2,20); κὲκρυπται σὺν τῷ Χριστῷ (Kol 3,3); σὺν αὐτῷ φανερόω (Kol 3,4). An συν-Komposita außerhalb der Tauftexte finden sich: συναποθνῄσκω (2Kor 7,3; 2Tim 2,11); συμπάσχω (1Kor 12,26; Röm 8,17); συνδοξάζω (Röm 8,17); συγκληρονόμος (Röm 8,17); σύμμορφος (Röm 8,29; Phil 3,21); συμμορφίζω (Phil 3,10); συμβασιλεύω (1Kor 4,8; 2Tim 2,12). Mit Blick auf die paulinischen Tauftexte lässt sich der Befund folgendermaßen auswerten: 1) σύν / συν-Aussagen können in ganz unterschiedlichen Zeitformen getroffen werden. Einerseits werden in der Taufe mit dem Sterben und Aufer‐ stehen Christi parallel gehende Erfahrungen gemacht, andererseits ist das σὺν-Χριστῷ-Sein seitdem anhaltende Qualität und hat zugleich noch nach dem Tod ausstehende Aspekte. 2) Innerhalb der paulinischen Taufstellen findet sich das σύν / συν-Motiv ledig‐ lich in Röm 6, dort wie auch in Röm 8 jedoch auffällig gehäuft. Nachdem eingangs nach dem Verhältnis zum ἐν-Χριστῷ-Motiv gefragt wurde, ist dahingehend festzustellen, dass sich in sämtlichen anderen paulinischen Tauftexten εἰς/ ἐν-Formulierungen finden - wie ja auch in den bereits als formelhaft klassifi‐ zierten Röm 6,3b-4a. Es wäre also die These zu prüfen, ob es sich bei den συν-Aussagen in Röm 6 um eine das bereits formelhaft gewordene εἰς / ἐν Χριστῷ erläuternde Interpretation handelt. Dass es sich bei σύν / συν- Χριστῷ nicht auch um eine fixe Formel handelt, sondern vielmehr um einen auf dem Sterben und Auferstehen Christi gründenden und dieses mitvollziehenden Lebens‐ deutungsansatz, dürfte aus dem dargestellten Befund deutlich hervorgegangen sein. Was aber bedeutet dies konkret für die Interpretation von Röm 6,4a? 4.3.4 Zusammenfassung und weiterführende Fragen Die Forschungsgeschichte hat gezeigt, dass man sich auch beim „Mitbegraben‐ werden“ die alte Frage stellt, ob das Motiv einen Anhaltspunkt im Ablauf des Taufrituals hat oder nicht. Unterschiedliche Aspekte sprechen dagegen: 1) Das συνθάπτειν zu Grund liegende θάπτειν kann für ganz unterschiedliche Begräb‐ nisvarianten Verwendung finden, bei denen sich keine einheitliche Symbolik, auf welche sich z. B. das Untertauchen in der Taufe beziehen könnte, erkennen lässt. 2) Die jüdische Begräbniskultur ändert sich während des 2. Tempels in kurzer Zeit und massiv. Wenn also Paulus θάπτειν ohne nähere Erläuterung zur Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 224 <?page no="225"?> 559 Siehe unter II.2.1. 560 Dass die Taufe auf den Tod Christi nicht nur Grundlage der Taufe ist, sondern auch in dieser durch den Täufling mitvollzogen verstanden - als Mitsterben, aber eben auch Mitbegrabenwerden - wird, ist zudem durch den Anschluss mit οὖν ausgedrückt. Nestle / Aland 27 verweist im textkritischen Apparat noch auf lateinische Übersetzungen und Origines, welche οὖν vermutlich in klärender Absicht durch γάρ ersetzen. In Nestle / Aland 28 hat man auf diese Anmerkung verzichtet. Bezeichnung eines zeitgenössischen Begräbnisses wählt, dann spricht dies in doppelter Weise dafür, dass er keine spezielle Handlungssymbolik im Blick hat, sondern vielmehr auf die Bedeutung eines Begräbnisses im Allgemeinen abhebt: Erst das Begräbnis stellt in der Antike den definitiven Abschluss des Sterbens dar. Bedenkt man, dass συνθάπτειν ja auf das Begräbnis Jesu von Nazareth re‐ kurriert, welches laut den überkommenen Berichten eher eine ebenerdige Bei‐ setzung war, spricht auch dies gegen eine anschauliche Symbolkraft des Verbes. Aussagekräftiger ist schon der Vergleich mit der sog. πίστις-Formel in 1Kor 15,3-5: Beide Texte werden als bereits bekannt eingeleitet, wobei 1Kor 15 wesentlich formelhafter erscheint. Der nähere Vergleich zeigt zudem, dass θάπτειν nicht gleichwertig zwischen den beiden anderen Verben steht, sondern eine nähere Zuordnung zum Sterben erkennbar wird, dessen Endgültigkeit durch das verstärkende Anführen von συνθάπτειν besonders betont wird. Die Untersuchung zu σύν / συνbei Paulus hat für Röm 6 zudem erbracht, dass es wie die ἐν/ εἰς-Χριστῷ-Aussagen auffallend häufig im Taufkontext zu finden ist, aber nicht wie diese als gefestigte Formel zu werten ist, 559 sondern als Motiv(komplex), was nicht zuletzt die vielfältige, wenn auch sich stets auf das Sterben und Auferstehen Christi richtende Verwendung in den Komposita zeigt. Die These, σύν / συν-Aussagen würden sich nicht auf das gegenwärtige, sondern stets auf das noch ausstehende Leben beziehen, ist nicht zu halten und kann daher auch nicht die Frage endgültig entscheiden, inwieweit Röm 6 eschatolo‐ gisch zu deuten ist. Deutlich geworden ist jedoch, dass es bei den stets auf das Mitsein oder Mittun mit Christus gerichteten Versen nicht um ein gleichwertiges Zusammensein oder Zusammentun geht, sondern das Mehr wie das Zuvor des Sterbens und Auferstehens Christi in begründender Funktion deutlich wird. Das schlägt sich in Röm 6 formal wie inhaltlich nieder: Wie oben bereits erläutert, wird die Taufformel gedeutet als εἰς τὸν θάνατον αὐτοῦ ἐβαπτίσθημεν und dies im Folgenden über das συν-Motiv erläutert. 560 Auf Christus getauft zu werden, meint nicht nur, dass sein Tod die alles ermögli‐ chende Grundlage ist, sondern dass wir ihn selbst in der Taufe nachvollziehen und zwar tatsächlich und endgültig. In der Taufe geschieht mehr als die bloße 4 Römer 6,1 - 11: Mit Christus gestorben 225 <?page no="226"?> 561 Mit Verweis auf Röm 5,12-21 schreibt er: „Paulus hat Christus als zweiten Adam dem ersten Adam gegenübergestellt […]; jeder von beiden repräsentiert die gesamte Menschheit; ist also eine korporative Person oder was diese korporative Person tut und was ihr widerfährt, tut und leidet sie nicht nur für sich, sondern für alle anderen Men‐ schen mit, die sie vertritt und repräsentiert. Darin gründet das bei Paulus immer erneut begegnende Χριστὸς ὑπὲρ ἡμῶν (R 5,6. 8. 10), das das ἡμεῖς σὺν Χριστῷ auslöst. Die Verbindung des einzelnen mit der korporativen Person Adams ist durch den Zusam‐ menhang von Zeugung und Geburt, die Vereinigung mit dem Christus durch die Taufe vollzogen.“ (Grundmann, σύν, 789). 562 Siehe unter III.4.4. 563 Siehe unter III.4.5. 564 Tannehills ausführliche und gründliche Untersuchung deutet συνθάπτειν in einem ein‐ zigen Satz und dies auch ohne jegliche Begründung: „[…] that this was a full and final separation from the old life“ (Tannehill, Dying, 34). Schweitzer unterschlägt συνθάπτειν vollkommen. Erinnerung an Christi Sterben für die Sünden (vgl. 1Kor 15,3b-5). Der Chris‐ tusgläubige stirbt selbst und damit ist auch sein vorheriges Leben gestorben und begraben. Die weiteren συν-Komposita zeigen, dass diese Vorstellung nicht nur die Argumentation von Röm 6,1-11 prägt, sondern auch in Röm 8 noch einmal ausführlich bemüht wird. Insofern ist Grundmann zu widersprechen, welcher das συν-Motiv zwar wei‐ tergehend im Kontext verankert und dort auch die Hauptaussage der Motivik verortet sieht, nicht aber das Tun und Erleben mit Christus betont, sondern Christi Handeln ὑπὲρ ἡμῶν. 561 Die Mehrheit der Exegeten erkennt im σύν / συν-Motiv aber durchaus den mitvollziehenden Aspekt in der Taufe, welcher gerade über ein bloßes Erinnern hinausgeht. Es wäre vielmehr zu fragen, ob συν- - bei allem Gefälle - nicht sogar als „wie“ verstanden werden muss. Ist man in der Taufe „wie Christus“ begraben worden, ist also - in einem geistlichen Sinne - das vorherige Leben endgültig beendet? Vor einer Beantwortung dieser Frage bedarf es allerdings einer Klärung des ὥσπερ ἠγέρθη Χριστὸς […] οὕτως καὶ ἡμεῖς (6,4bc) 562 sowie des umstrittenen σύμφυτοι γεγόναμεν (6,5a). 563 Auffällig gemeinsam ist den so unterschiedlichen συν-Deutungen der meisten Kommentatoren, dass sie συνθάπτειν kaum oder gar nicht berücksich‐ tigen, selbst Spezialuntersuchungen wie die von Tannehill oder Schweitzer. 564 Das erstaunt v. a. deswegen, da in den beiden die Argumentation des Paulus begründenden Versen, 6,3 f, weder von Mitsterben noch von Mitauferstehen, sondern lediglich vom Mitbegrabenwerden die Rede ist. Zwar findet sich das Motiv ausführlich in den Folgeversen, aber beispielsweise in keinem anderen (protopaulinischen) Tauftext. Die Sekundärliteratur bietet zwar vielfältige Thesen zu anderen Texten mit συν-Metaphorik, allerdings keine, welche das Verhältnis zu anderen Taufvorstellungen und -motiven reflektieren oder auch Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 226 <?page no="227"?> 565 Siehe etwa Hartman, Namen, 77: „In Röm 6 richtet Paulus seinen Blick auf die Taufe, in der ein ‚mit Christus‘ schon jetzt eine (verpflichtende) Teilnahme an seinem Leben bedeutet, aber auch einem eschatologischen ‚mit ihm‘ (6,5.8) entgegensieht.“ 566 Vgl. entsprechend παρέδωκα γὰρ ὑμῖν ἐν πρώτοις, ὃ καὶ παρέλαβον (1Kor 15,3a). 567 Braumann, Taufverkündigung, 54. 568 Schnackenburg, Heilsgeschehen, 172 f, so auch Siber, Mit Christus, 247. 569 Bauer / Aland, διά, 359-363. nur zu der den Text einleitenden εἰς-Taufformel. Lediglich auf den verbindenden eschatologischen Aspekt wird verwiesen. 565 Dieses Moment erlangt auch darin Bedeutung, dass noch zu klären bleibt, ob sich das einleitende ἢ ἀγνοεῖτε ὅτι 566 auch auf das συν-Motiv erstreckt oder ob es sich dabei um eine originär paulinische Formulierungsleistung handelt. Brau‐ mann schreibt dazu: „Läßt sich die σύν-Wendung nicht allein auf Paulus beschränken, so wird das Mitbe‐ grabensein Rm 6,3 zu der Erinnerung des Paulus an das gemeinsame Wissen gehören (ἢ ἀγνοεῖτε). Daraus ergibt sich aber, dass auch das Mitgekreuzigtsein (V 6) und das Mitleben (V 8) eine Folgerung des Paulus auf Grund der ihm bekannten Überlieferung sind.“ 567 Dem ist mit Schnackenburg entgegenzuhalten: „In dem übertragenen (paulini‐ schen) Sinn lassen sich diese Komposita nirgends im alten Schrifttum nach‐ weisen […] Sie sind aufs engste mit der paulinischen Christologie und Soterio‐ logie verknüpft.“ 568 Auch dass es sich nicht wie bei ἐν Χριστῷ um eine bereits deutlich gefestigte Formel handelt, spricht m. E. dafür, dass die συν-Motivik von Paulus entwickelt und verwendet wird, um ihm bereits überkommene Theolo‐ gumena, wie z. B. die Tradition in 1Kor 15,3b-5 oder die εἰς-Taufformel vertie‐ fend zu deuten. Mit Hilfe der συν-Motivik verbindet Paulus Hauptaspekte seiner Theologie zudem derartig originär, dass sie geradezu paulinischen Ursprungs sein muss. Denn über die σύν / συν-Aussagen betont Paulus: 1) das Sterben und Auferstehen Jesu Christi, 2) die Relevanz seines Sterbens und Auferstehens für das Leben des Christusgläubigen, 3) die Art und Weise der Verbindung des Christus‐ gläubigen mit Christus und schließlich 4) den Ort bzw. Moment, indem diese Ver‐ bindung entsteht, nämlich die Taufe. Daran anschließend bliebe also noch endgültig zu klären, wie die Formulie‐ rung συνθάπτειν … διὰ … zu verstehen ist, zu der sich kein direkter Vergleich in der neutestamentlichen wie paganen Literatur finden lässt. Verwiesen werden kann höchstens auf Kol 2,12, wo geschrieben steht: συνταφέντες αὐτῷ ἐν τῷ βαπτισμῷ, ἐν ᾧ καὶ συνηγέρθητε διὰ τῆς πίστεως τῆς ἐνεργείας τοῦ θεοῦ τοῦ ἐγείραντος αὐτὸν ἐκ νεκρῶν· διά mit Genitiv kann auf einen Ort-, Zeit- oder Vermittlungsaspekt zielen. 569 Im unmittelbaren Kontext finden sich bereits zwei 4 Römer 6,1 - 11: Mit Christus gestorben 227 <?page no="228"?> 570 Siehe Röm 5,10 sowie 7,4. 571 Barth, Taufe, 95. 572 Z. B. auch in Ign Pol 5,1. 573 Siehe auch ἄγω σὺν αὐτῷ (1Thess 4,14); σὺν αὐτοῖς ἁρπαγησόμεθα (1Thess 4,17). 574 2Kor 4,14 lesen Korrekturen des Sinaiticus und des D-Textes, der Mehrheitstext sowie weitere Zeugen διά anstatt σύν. 2Kor 13,4 bieten maßgebliche Zeugen ἐν statt σύν. interessante Beispiele für eine Vermittlungsfunktion mit διά, die allerdings auch Zeugnis für die vielfältigen Nuancen einer „Vermittlungsvorstellung“ ablegen. 570 Deswegen und weil die Taufe grundsätzlich alle drei Aspekte bezeichnen könnte, bedarf es zunächst einer ritologischen Klärung, ob zur Zeit des Paulus in einem Ritual mehr erlebt, in ein Ritual hineingedeutet, in diesem verortet oder direkt vom Ritual ein bestimmtes lebensveränderndes Moment bewirkt werden kann. Zuvor kann hier nur die aus dem Kontext abgeleitete These aufgestellt werden, dass es zu einem endgültigen und wirksamen Lebensumbruch kommt, welcher zeitlich, örtlich wie instrumental in der Taufe verortet wird. Wenn also das συν-Motiv geeignet ist, die εἰς-Taufformel zu erläutern, warum wird dann nicht auch der Auferstehungsaspekt entsprechend parallel formu‐ liert, v. a. angesichts der Tatsache, dass dies in Kol 2,12 entsprechend zu finden ist: ἐν ᾧ καὶ συνηγέρθητε? 4.4 ἵνα ὥσπερ ἠγέρθη Χριστὸς ἐκ νεκρῶν διὰ τῆς δόξης τοῦ πατρός, οὕτως καὶ ἡμεῖς ἐν καινότητι ζωῆς περιπατήσωμεν (Röm 6,4b.c) 4.4.1 Die Grundfrage „Wenn man die Taufe als Teilhabe an Christi Tod und Auferstehung versteht, so müßte eigentlich daraus folgen, daß der Getaufte wie mit Christus gestorben, so auch mit Christus auferstanden ist.“ 571 Entsprechende Formulierungen finden sich durchaus im Corpus Paulinum: συνεγείρω (Kol 2,12; 3,1; Eph 2,6); 572 συζάω (Röm 6,8; 2Tim 2,11); συζωοποιέω (Eph 2,5; Kol 2,13); σὺν Ἰησοῦ ἐγείρω (2Kor 4,14); ζάω σὺν αὐτῷ (2Kor 13,4). 573 Interessant ist zudem die Beobachtung, dass es zu der schwierigen und gebrochenen Formulierung keine textkritischen Alternativen etwa in Harmonisierungsabsicht gibt, obwohl sich zu einigen der hier genannten Stellen derartige Korrekturen finden. 574 Wenn auch Kol und Eph spätere Entwicklungen darstellen mögen und der formelhafte Charakter von 2Tim 2,11 deutlich hervortritt, können doch zumin‐ dest Röm 6,8; 2Kor 4,14 und 13,4 als gesichert paulinisch gelten. Dass einige dieser Stellen das Mitauferstehen bzw. Mitleben erst noch erwarten und daher futurisch formuliert sind, könnte für die These sprechen, dass zwar Mitsterben Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 228 <?page no="229"?> 575 Barth, Taufe, 96. 576 Herzer, Passion, 285. 577 Siehe Oepke, Art. ἐγείρω, 334: „Wenn das NT abweichend vom Hellenismus […] ἐγείρειν und ἐγείρεσθαι vor ἀνιστάναι und ἀνίστασθαι (freilich nicht ἔγερσις vor ἀνάστασις! ) bevorzugt, so könnte darin die konkretere Vorstellung vom Handeln Gottes zum Aus‐ druck kommen.“ 578 Vgl. z. B. Phil 2,9-11; Röm 7,4. 579 Oepke, Art. ἀνίστημι, 371. und Mitbegrabenwerden in der Taufe bereits Mitvollzogen wurden, nicht aber das Mitauferstehen. Meidet Paulus deswegen in Röm 6,4c das συνεγείρω? Warum aber insistiert Paulus dann so vehement auf der (schon gegenwärtigen! ) Realität des neuen Lebens und dessen Bedeutung? Oder will er darauf hin‐ weisen, dass die Christusgläubigen zwar in der Art Christi mitsterben und mit‐ begraben sind, ihre Auferstehung aber von anderer Natur ist als diejenige, welche Christus zu eigen wurde? Zu klären ist also Paulus’ Auffassung von der Auferstehung Christi sowie der Christusgläubigen. Sodann ist nach zeitgenössischen Vorstellungen von einem „neuen Leben“ zu fragen, bevor die konkrete Formulierung in Röm 6,4 und der vermeintliche „Bruch innerhalb der Vorstellung“ 575 genauer beurteilt und inter‐ pretiert werden sollen. 4.4.2 Die Auferstehung bei Paulus 4.4.2.1 Die Auferstehung Christi Die Auferstehung bzw. Aufweckung Christi, oft spezifiziert als ἀνίστημι / ἐγείρω ἐκ νεκρῶν, ist für die Verkündigung des Paulus von erheblicher Bedeutung, wobei er betont, „dieses Evangelium vom gekreuzigten und auferweckten Christus nicht von Menschen empfangen, sondern durch eine Offenbarung Jesu Christi erlangt zu haben (Gal 1,10-12)“. 576 Die tendenzielle Bevorzugung von ἐγείρω gegenüber ἀνίστημι 577 betont ebenso wie entsprechende Prädikatsob‐ jekte und nähere Erläuterungen 578 die Auferweckung Jesu als „das Werk des Vaters, wodurch der am Kreuz Gestorbene zur messianischen δόξα erhöht ward“. 579 Insofern stellt die Formulierung in 6,4b eine typische, paulinische Aus‐ sage zum Auferwecktwordensein Christi und dessen Bedeutung für das Leben der Christusgläubigen dar: ἵνα ὥσπερ ἠγέρθη Χριστὸς ἐκ νεκρῶν διὰ τῆς δόξης τοῦ πατρός […] (6,4b). Der Fokus liegt für Paulus dann auch entsprechend auf der neuen „Position“ Christi und weniger auf der möglichen Leiblichkeit seiner auferstandenen Exis‐ tenz, wie sie bei den späteren Evangelientexten eine Rolle gespielt hat - unab‐ hängig davon ob Paulus die Tradition vom leeren Grab nun kannte oder nicht. 4 Römer 6,1 - 11: Mit Christus gestorben 229 <?page no="230"?> 580 Böttrich, Auferstehung, 461. 581 Oepke, Art. ἀνίστημι, 371. 582 Böttrich, Auferstehung, 469. 583 Diesbezüglich wird gelegentlich auf ein antikes Konzept verwiesen, welchen Dietrich den Namen „Stirb-und-Werde“ gab, siehe dazu unter V.1. 4.4.2.2 Die Auferstehung der Christusgläubigen ὁ δὲ θεὸς καὶ τὸν κύριον ἤγειρεν καὶ ἡμᾶς ἐξεγερεῖ διὰ τῆς δυνάμεως αὐτοῦ. - „Gott aber hat den Herrn auferweckt und wird auch uns auferwecken durch seine Kraft.“ (1Kor 6,14) „Dass die Toten auferstehen werden, resultiert für Paulus primär und grundlegend aus der Auferstehung Christi selbst“. 580 Wie Christus bereits auferstanden ist, wird dies für die Christusgläubigen erwartet (1Kor 15,20 f; Kol 1,18), wobei „die innere Logik des Glaubens zunächst auf die Auferstehung zum Leben hin“ 581 drängt: ὥσπερ γὰρ ἐν τῷ Ἀδὰμ πάντες ἀποθνῄσκουσιν, οὕτως καὶ ἐν τῷ Χριστῷ πάντες ζῳοποιηθήσονται (1Kor 15,22). Wenn Paulus auch keine ausformulierte Auferstehungslehre präsentiert, so lassen die Texte, in denen er sich mit Fragen zur Auferstehung auseinandersetzt, doch wesentliche Konturen erkennen: Den offensichtlich eine leibliche Aufer‐ stehung ablehnenden Korinthern gegenüber betont er die Vorstellung eines σῶμα, wenn er auch zugesteht, dass zwischen einem ἐν φθορᾷ und einem ἐν ἀφθαρσίᾳ zu unterscheiden ist (1Kor 15). In naher Erwartung der Parusie hat er bereits zuvor den Thessalonichern versichert, dass auch die bereits Verstor‐ benen tatsächlich auferstehen werden (1Thess 4). In Phil 1.3 und 2Kor 4 f schreibt Paulus erneut darüber, wie man sich die Auferstehungsexistenz vor‐ stellen kann, wobei auch hier viele Fragen offen bleiben: Gibt es eine Auferste‐ hungsrealität bereits im irdischen Leben (Phil 1,22-24)? Gibt es eine „Art un‐ sterblichen Identitätskern im Menschen“ 582 ? Auch die anderen Texte haben Fragen offen gelassen: Ist die Auferstehung nur für Christusgläubige zu erhoffen oder für alle Menschen? Wird es eine Art Gericht geben? Wie verhält sich die bereits begonnene Neuschöpfung (2Kor 5,17; Gal 6,15) zur noch erwarteten Ver‐ wandlung? Wie bereits oben angedeutet prägt diese Frage nach Zeit sowie Art und Weise von Parusie und Auferstehung auch die Auseinandersetzung um Röm 6. 583 4.4.3 „Nur“ Wandeln statt Auferwecktwerden? 4.4.3.1 Der sog. „Bruch der Parallelität“ „Vor allem aber fällt auf, daß er den Gedanken von der durch die Taufe vermit‐ telten Teilhabe an Christi Tod und Auferstehung nicht in seiner einfachen und Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 230 <?page no="231"?> 584 Barth, Taufe, 95. Die Verse 6,3 f könnten auf den Leser auch den Eindruck machen, Paulus würde ausgehend von der εἰς-Taufformel eine Motivik entwickeln: „Getauft werden auf Christus bedeutet auf seinen Tod getauft zu werden. Und das bedeutet, dass wenn Christus gestorben ist, auch wir sterben. Dass wenn er begraben worde, auch wir begraben werden. Und wenn er auferstanden ist“. Und dann entsteht der Eindruck, dass Paulus erst an dieser Stelle merkt, wohin sich sein Bild entwickelt hat und er schreckt auf einmal davor zurück, von einer bereits geschehenen Auferstehung der Christus‐ gläubigen in der Taufe zu sprechen. Dass Paulus derart emotional und heftig diskutieren kann, sodass nicht alle Sätze zu einem grammatikalisch korrekten Ende geführt werden, ist bekannt, doch ob die Differenz zwischen ἠγέρθη Χριστὸς und ἡμεῖς ἐν καινότητι ζωῆς περιπατήσωμεν darauf zurückzuführen ist, hat die folgende Untersuchung zu erbringen. 585 Hartman, Namen 72 Anm. 47, beschreibt 6,4c im Verhältnis zu 6,3.4ab als „im letzten Augenblick abbieg[en]“. 586 Barth, Taufe, 95. 587 A. a. O. 96. 588 A. a. O. 96 f. Barth verweist dazu auf 1Kor 4,8 ff; 15,23 ff; 2Kor 4,10 ff; 5,4 ff; Phil 3,10 ff. 589 Wedderburn, Baptism, 185, siehe auch ders., Traditions, 347-349. nächstliegenden Form, sondern nur eigenartig gebrochen und korrigiert ver‐ wendet.“ 584 Diese Beobachtung Barths, welche sich in ähnlicher Weise bei vielen anderen Exegeten finden lässt, stellt zunächst die Frage, was genau als „eigen‐ artig gebrochen und korrigiert“ wahrgenommen wird. 585 Barth hätte als „einfa‐ cher und nächstliegender“ erwartet, dass „der Getaufte wie mit Christus ge‐ storben, so auch mit Christus auferstanden“ sei. 586 Den Grund, dass Röm 6 diese Aussage aber umgeht bzw. korrigiert, sieht Barth darin, dass Paulus bereits aus Korinth Enthusiasten kennt, welche die Taufe „primär als Teilhabe an der Auf‐ erstehungsherrlichkeit Jesu Christi“ verstehen und deshalb „die Belange der ir‐ dischen Leiblichkeit für sie irrelevant“ sind. 587 „Solchem Enthusiasmus gegen‐ über betont Paulus, daß die Auferstehung der Glaubenden noch aussteht und von der Zukunft erwartet wird, die Gegenwart dagegen unter dem Zeichen des Kreuzes Christi steht.“ 588 Ebenfalls mit Blick auf 1Kor 15 könnte man zudem anmerken, dass für Paulus Gegenstand der Auferweckung stets ein Leib ist und er „the difference between our mortal body and the resurrection body“ ent‐ schieden betont, 589 was zu einem geistigen Verständnis der Auferweckung doch mindestens in Spannung steht. Ist das „Wandeln in der Neuheit des Lebens“ (6,4c) demnach als Betonung des „Noch-nicht-Auferwecktsein“ der Getauften zu ver‐ stehen? Derartige Erklärungsversuche gehen grundlegend davon aus, dass Paulus - vermutlich auf der Grundlage einer vorgegebenen Tradition über das Sterben, Begrabenwerden und Auferwecktwerden Jesu Christi - das Erlebnis in der Taufe formal einheitlich als συν-Erleben dieses Sterbens und Auferstehens Jesu be‐ schreibt. Oder aber, dass Paulus die komplette συν-Tradition als Taufverständnis 4 Römer 6,1 - 11: Mit Christus gestorben 231 <?page no="232"?> 590 Siehe Barth, Taufe, 96: „Dieser Bruch innerhalb der Vorstellung wäre unverständlich, wenn Paulus dieses Taufverständnis als Teilhabe an Christi Tod und Auferstehung erst selbst entwickelt hätte; es erklärt sich aber, wenn er ein bereits bestehendes Taufver‐ ständnis aufgreift und leicht modifiziert bzw. korrigiert.“ (so auch Bornkamm, Taufe, 43; Käsemann, Römer, 157; Conzelmann, Grundriß, 299; Lohse, Grundriß, 105). 591 Siehe ausführlich unter III.4.3.2. übernommen hat. 590 Da er für die Auferweckung allerdings keine συν-Aussage treffen kann oder will, wählt er stattdessen eine andere Beschreibung für das Erlebnis des Täuflings. Diese Grundannahme steht angesichts der bisherigen Untersuchungen jedoch auf dem Prüfstand, denn diese haben ergeben: 1) Zur „Parallele der Tradition“ in 1Kor 15,3b-5: Die Untersuchung hat gezeigt, dass die von Paulus gebotene Tradition die vier Glieder keineswegs komplett identisch präsentiert, sondern vielmehr zwei formal durch den Zusatz κατὰ τὰς γραφάς betont und die Aussage über das Auferwecktwordensein Christi zudem - genau wie in 6,4bc - in der Zeitform abweichend von den anderen formuliert wird, nämlich im Perfekt statt im Aorist. 591 Wenn die dort von Paulus rezipierte Tradition Grundlage für die Formulierung in 6,4 f ist, wäre zu fragen, in welchem Maße absolute Parallelität der Glieder überhaupt zu erwarten ist. 2) Zur „Einheitlichkeit der συν-Komposita“: Exegeten, welche in 6,4c eigentlich συνηγέρθημεν „erwarten“, stützen diese Erwartung auf zweierlei Aspekte: Ers‐ tens zeigt die entsprechende Formulierung in Kol 2,12, dass die Taufe als „Mi‐ tauferwecktwerden“ verstanden werden kann. Dass die paulinische Verfasser‐ schaft des Kol in Zweifel steht und damit Alter und (ggf. literarische) Abhängigkeit von Kol 2,12 von Röm 6,4 anzufragen sind, muss hier nicht aus‐ führlich dargestellt werden, um die „Erwartung“ des συνηγέρθημεν nachdrück‐ lich zu dämpfen. Zweitens wird die in Röm 6 gebotene Taufinterpretation als Miterlebnis und Mitvollzug des Sterbens und Auferstehens Christi, wie es die vielfältigen σύν/ συν-Formulierungen ja auch verdeutlichen, als (einziger) Fokus der Taufdeutung wahrgenommen. Entsprechend sieht man die paulinische Leis‐ tung des Tauftextes darin, die sich auch in 1Kor 15 findende Tradition durch συν-Komposita vom urchristlichen Bekenntnis zur Taufdeutung weiterzuent‐ wickeln: διὰ τοῦ βαπτίσματος συναπετάνομεν … συνετάφημεν … συνηγέρθημεν … Jedoch hat die Untersuchung aufgezeigt, dass Paulus nicht diese Tradition als Ausgangspunkt seiner Deutung der Taufe verwendet, son‐ dern er vielmehr von der Taufformel herkommt, diese dann dahingehend er‐ läutert, als dass ein εἰς Χριστὸν Ἰησοῦν-Getauftsein ein εἰς τὸν θάνατον αὐτοῦ-Getauftsein meint. Dies illustriert er - mit einer entsprechenden parä‐ netischen Absicht - als Mitvollzug des Sterbens und Auferstehens Christi. Die aus 1Kor 15 bekannte Tradition wird also in den Dienst einer Interpretation der Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 232 <?page no="233"?> 592 Nach Siebenthal, Grammatik, § 199c, kann der historische (Indikativ) Aorist verwendet werden, „um die einmaligen großen Tatsachen der Heilsgeschichte zu bezeichnen“, wie in ἐγέρθη. 593 In der bereits besprochenen Tradition in 1Kor 15 erleidet Christus sein Sterben, bis er (von Gott) auferweckt wird. 594 Siehe die Passiva in Röm 6,3 f: ὅσοι ἐβαπτίσθημεν εἰς Χριστὸν Ἰησοῦν, εἰς τὸν θάνατον αὐτοῦ ἐβαπτίσθημεν; συνετάφημεν οὖν αὐτῷ διὰ τοῦ βαπτίσματος εἰς τὸν θάνατον […]. 595 So Barth, Taufe, 96; Bornkamm, Taufe, 43; Conzelmann, Grundriß, 299; Käsemann, Römer, 157. 596 Barth, Taufe, 96 Anm. 218. εἰς-Taufformel gestellt. Und so lesen wir nicht συναπετάνομεν, sondern εἰς τὸν θάνατον αὐτοῦ ἐβαπτίσθημεν. Insofern ist rhetorisch kein συνηγέρθημεν zu erwarten, sondern es ist viel eher danach zu fragen, was ἐν καινότητι ζωῆς περιπατήσωμεν zur Interpretation von εἰς τὸν θάνατον αὐτοῦ-Getauftsein bei‐ trägt. Aus diesen Beobachtungen ergeben sich nun folgende weiter zu untersu‐ chende Fragestellungen: 1) Ist aus den hier verwendeten Zeitformen und Modi weiterer Aufschluss über die Pragmatik der Aussage zu gewinnen? 2) Ist die ὥσπερ […] οὕτως καὶ ἡμεῖς-Konstruktion den συν-Komposita vergleichbar oder will sie sich bewusst von diesen abheben? 3) Was genau ist unter ἐν καινότητι ζωῆς περιπατήσωμεν zu verstehen? 4.4.3.2 ἵνα ὥσπερ ἠγέρθη Χριστὸς […] περιπατήσωμεν - Zeiten und Modi Die Struktur des ἵνα-Satzes ist durch einen ὥσπερ[…]οὕτως καὶ[…]Vergleich erweitert, welcher die Frage nach dem zeitlichen wie modalen Aspekt des Ao‐ ristes περιπατήσωμεν verstärkt. Denn dass ἠγέρθη (Aor. Ind. Pass.) ein zurück‐ liegendes und zudem abgeschlossenes Ereignis, konkret ein Handeln Gottes be‐ zeichnet, ist evident. 592 ἵνα […] περιπατήσωμεν hingegen kann als Konjunktiv entweder futurische oder präsentische Bedeutung habe. Dabei ist besonders zu beachten, dass es sich bei dieser Form um die erste aktive Verbform dieses wie der assoziierten anderen Texte handelt! Wie Christus seinen Tod erlitten hat, bis er (von Gott) auferweckt worden ist, 593 so ist auch das Getauftwerden für den Täufling als Mitvollzug dieses Todes bis zu diesem Punkt ein Prozess, der sich an ihm ohne erkennbare aktive Mitgestaltung vollzieht. 594 Nun aber werden bzw. sollen die Getauften wandeln. Der Zeitaspekt des aoristischen Konjunktiv περιπατήσωμεν ist aus dem Kon‐ text zu erschließen. Mit futurischem Aspekt wäre entweder ein futurum resur‐ rectionis denkbar, 595 für das auch die ebenfalls „echten, eschatologischen Fu‐ tura“ 596 in 6,5b.8b sprächen. Oder aber es handelt sich um ein futurum 4 Römer 6,1 - 11: Mit Christus gestorben 233 <?page no="234"?> 597 Oepke, Art. ἀνίστημι, 372 Anm. 14; Schnackenburg, Heilsgeschehen, 33. 598 Dennoch kann gefragt werden, ob Kol 2,12 nicht eine legitime Weiterentwicklung von Röm 6 darstellt, blickt man v. a. auf die grammatische Struktur sowie die Deutung von ἐν ᾧ in Kol 2. 599 Siehe dazu Siebenthal, Grammatik, § 210h und § 278b, wo er Röm 6,4 auch als Beispiel anführt. 600 Wilckens, Römer, 12 f. 601 Siehe dazu Siebenthal, Grammatik, § 287c. 602 Hartman, Namen, 47. logicum, 597 für das Kol 2,12 f und 3,1 als Parallele gelten können. Die Wertigkeit von Kol-Vergleichen ist bereits oben als gering eingestuft worden, 598 anders ver‐ hält es sich natürlich mit den direkten Verweisen innerhalb des Textes. Von diesen ausgehend ist jedoch nicht automatisch ein futurischer Aspekt auch für 6,4c anzunehmen, sondern vielmehr zu fragen, warum dort gerade im Aorist und zudem im Konjunktiv formuliert ist. Denn alternativ zur futurischen Bedeutung kann der Konjunktiv in ἵνα-Ne‐ bensätzen auch einen voluntativen Aspekt transportieren. 599 In eine sinnver‐ wandte Richtung geht die Deutung Wilckens‘: „Insofern ist in dem Finalsatz 4b auch ein imperatives Moment enthalten: In dem uns eröffneten Raum der end‐ zeitlich-neuen Lebenswirklichkeit sollen wir nun unseren Wandel führen (vgl. VV 11-14) - nämlich in Gerechtigkeit, wie Paulus in VV 16 ff betonen wird.“ 600 Auf Grund des variablen und uneinheitlichen Konjunktivgebrauchs in der Koine ist eine rein grammatikalische Entscheidung wohl nicht möglich. Jedoch würde eine Deutung im Sinne von „so wollen auch wir …“ oder auch „so sollen auch wir …“ den Gebrauch der aktiven Formulierungsweise erklären und, wie wir noch sehen werden, das verantwortlich-gestalterische Element von περιπατέω unterstreichen. Eine derartige paränetische Pragmatik, welche maßgeblich auf den aktiven Part des Getauften abheben will, wie es nicht zuletzt auch die Fol‐ geverse illustrieren, könnte von einem indikativischen im Passivum formu‐ lierten συνηγέρθημεν nicht geleistet werden. Was aber meint dann ὥσπερ […] οὕτως καὶ ἡμεῖς? Handelt es sich um einen dem συν-Kompositum gleichbedeu‐ tenden Ersatz oder soll damit gerade eine Differenz ausgedrückt werden? 4.4.3.3 ἵνα ὥσπερ … οὕτως καὶ ἡμεῖς … Bei der Formulierung in Röm 6,4bc handelt es sich um einen Komparativsatz, welcher sein „Korrelativum in der übergeordneten Konstruktion“ 601 hat. Das Auferwecktwordensein Christi nimmt dabei die Funktion eines modalen Ad‐ verbiales zur vergleichenden Näherbestimmung des „Wandeln in der Neuheit des Lebens“ wahr. Laut Hartman umgeht Paulus auf diese Weise die „direkte Parallelität“, er „drückt sich vager aus“. 602 Doch steht ὥσπερ […] οὕτως καὶ […] Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 234 <?page no="235"?> 603 Zur sonstigen Verwendungsweise von ὥσπερ […] οὕτως καὶ […] siehe auch Mt 12,40; 13,40; 24,27.37; Lk 17,24; Joh 5,21.26; Jak 2,26. 604 Wilckens, Römer, 12. wirklich für die Differenz zwischen dem Erleben des Täuflings und dem Christi, während das voranstehende συν-Kompositum deren Identität aussagt? Dem widerspricht der paulinische Gebrauch der komparativen Wendung im direkten Kontext zu Röm 6: 603 Röm 5,19-21: 19 ὥσπερ γὰρ διὰ τῆς παρακοῆς τοῦ ἑνὸς ἀνθρώπου ἁμαρτωλοὶ κατεστάθησαν οἱ πολλοί, οὕτως καὶ διὰ τῆς ὑπακοῆς τοῦ ἑνὸς δίκαιοι κατασταθήσονται οἱ πολλοί. […] 21 ἵνα ὥσπερ ἐβασίλευσεν ἡ ἁμαρτία ἐν τῷ θανάτῳ, οὕτως καὶ ἡ χάρις βασιλεύσῃ διὰ δικαιοσύνης εἰς ζωὴν αἰώνιον διὰ Ἰησοῦ Χριστοῦ τοῦ κυρίου ἡμῶν. - „ 19 Denn wie durch den Ungehorsam des einen Menschen das Sündersein der vielen bewirkt wurde, so wird auch durch den Gehorsam des einen das Gerechtsein der vielen bewirkt werden. […] 21 Damit wie die Sünde im Tod ge‐ herrscht hat, so auch die Gnade durch die Gerechtigkeit zum ewigen Leben durch Jesus Christus unseren Herrn herrschen soll.“ Mit Hilfe von ὥσπερ […] οὕτως καὶ […] betont Paulus hier gerade die absolute Vergleichbarkeit bzw. Identität der Wirkung. Bedenkenswert bleibt im Gegen‐ über zu 6,4bc allerdings, dass bei Identität der Prädikate der Vergleich auf die jeweiligen Subjekte zielt: Christus bewirkt Vergleichbares mit Adam und die Gnade soll in gleichem Maße herrschen wie zuvor die Sünde. Für 6,4bc jedoch ist zu fragen, ob nicht die unterschiedlichen Prädikate nicht doch auf eine Dif‐ ferenz hindeuten. An der ὥσπερ […] οὕτως καὶ […]-Wendung ist diese jedoch nicht festzumachen, vielmehr weist ihr Gebrauch im Rahmen der Adam-Christus-Typologie auf eine Entsprechung von Auferwecktwordensein Christi und Wandeln in der Neuheit des Lebens der Getauften. Ob nun aber der Einschätzung Wilckens‘ zuzustimmen ist, dass Paulus gemäß 5,18-21 das „‚Wie-So‘ im Sinne wirksamer Entsprechung“ denkt, „so daß der Vergleich be‐ gründende Kraft hat“, 604 steht unter dem Vorbehalt einer genaueren semanti‐ schen Klärung des ἐν καινότητι ζωῆς περιπατήσωμεν im Vergleich zu ἠγέρθη Χριστὸς. 4.4.3.4 ἡμεῖς ἐν καινότητι ζωῆς περιπατήσωμεν Περιπατέω bezeichnet in seiner Grundbedeutung ein „Umhergehen, Wandern“ und wird erst durch das Prädikatsobjekt ἐν καινότητι ζωῆς mit der Auferwe‐ ckung Christi vergleichbar. Daher ist zunächst auf dieses seltene Beispiel eines Genitivus qualitatis einzugehen, bei welchem nicht wie gewohnt der Genitivausdruck die Art des nomen regens beschreibt, sondern: „Das nomen regens (übergeordneter Ausdruck) nennt eine Eigenschaft der Genitivgröße. Bei dieser 4 Römer 6,1 - 11: Mit Christus gestorben 235 <?page no="236"?> 605 Siebenthal, Grammatik, § 162c. Vgl. Lk 1,48; Apg 2,46; Eph 6,5; Kol 3,22; 1Tim 6,17. 606 Wilckens, Römer, 6. 607 Z. B. Röm 13,13; Eph 4,1; Kol 1,10; 1Thess 2,12; 4,12; 2Thess 3,6.11. 608 Z. B. Apg 21,21; 15,1; Röm 13,13; 1Kor 12,18; Gal 5,16. 609 Z. B. 1Kor 7,17; Eph 4,17; 5,8.15; Phil 3,17.18; 1Thess 4,1a.b; 1Joh 2,6. 610 Z. B. Mk 7,5; Röm 8,4; 14,15; 1Kor 3,3; 2Kor 10,2; 2Joh 6. Konstruktion tritt wohl die Eigenschaft stärker ins Blickfeld“. 605 Was oft als „in einem neuen Leben“ übersetzt wird, ist demnach korrekter Weise und zudem mit besonderer Betonung als „in der Neuheit des Lebens“ wiederzugeben. Wil‐ ckens versucht dem mit der Übersetzung „in (der) neuen Lebenswirklichkeit“ Rechnung zu tragen. 606 Welche Bedeutung dieser grammatikalischen Besonder‐ heit zuzurechnen ist, kann allerdings nur in Zusammenschau mit περιπατέω beurteilt werden. Eine übertragene Bedeutung von περιπατέω findet sich im NT in unter‐ schiedlichen Konstruktionen, wobei sie stets um das Leben, genauer die Gestal‐ tung des Lebenswandels kreisen. Die Näherbestimmung dieses Lebenswandels kann geschehen durch: 1) ein Adverb; 607 2) den Dativ; 608 3) einen Vergleich 609 oder wie in 6,4c durch einen präpositionalen Ausdruck. Handelt es sich dabei um eine Norm, so wird diese durch κατά mit Akkusativ ausgedrückt, 610 ist eher eine Beschreibung und Kategorisierung des Lebenswandels im Blick, so wird diese durch ἐν eingeleitet: Menschen leben etwa ἐν πανουργίᾳ (2Kor 4,2); ἐν ἀληθείᾳ (2Joh 4; 3Joh 3 f); ἐν σοφίᾳ (Kol 4,5); ἐν ἐντολῇ (2Joh 6) oder auch ἐν βρώμασιν (Hebr 13,9). Περιπατέω kann aber auch allgemeiner klassifiziert werden als ein Leben ἐν ἁμαρτίαις (Eph 2,1 f; Kol 3,7); ἐν ἔργοις ἀγαθοῖς (Eph 2,10) und natürlich ἐν ἀγάπῃ (Eph 5,2). Besonders zu erwähnen ist noch Kol 2,6 f, wo ἐν αὐτῷ [Χριστῷ] περιπατεῖτε erläutert wird mit ἐρριζωμένοι καὶ ἐποικοδομούμενοι ἐν αὐτῷ καὶ βεβαιούμενοι τῇ πίστει καθὼς ἐδιδάχθητε (seid auch verwurzelt und gegründet in ihm und gefestigt im Glauben, wie ihr gelehrt wurdet). Während περιπατέω allgemein synonym zu ζῶ verwendet werden kann (Kol 3,7), bezeichnen die konkreten wie die allgemeinen Näherbestimmungen die - selbst zu realisierende - Gestaltung dieses Lebens. Mindestens bei den allgemeiner gefassten Objekten schwingt in der Präposition ἐν wenn schon keine lokale Bedeutung, so doch die Dimension einer Lebenssphäre bzw. -wirk‐ lichkeit mit - jedoch eine, welche gestaltet und verantwortet sein will. Die ab‐ solute Mehrheit der Stellen findet sich dann auch in paränetischen Zusammen‐ hängen. Kol 3 stellt innerhalb dieser Stellen die einzige dar, welche περιπατέω in einem Taufkontext verwendet. Wie schon gelegentlich erwähnt, ist der Ab‐ Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 236 <?page no="237"?> 611 Zur Pseudepigaphiedebatte um Kol siehe Standhartinger, Kolosserbrief, 61-89. schnitt im Kol einerseits insofern interessant, da so viele Motive, wie sie aus paulinischen Tauftexten bekannt sind, auch hier auftauchen und zwar teilweise miteinander argumentativ verbunden. Andererseits ist dieser Befund hier als Anzeichen für eine literarische Abhängigkeit und damit pseudepigraphische Verfasserschaft des Kol zu werten. 611 Dennoch sei zu dieser Stelle kurz vermerkt: Kol 3,7 f: 7 ἐν οἷς καὶ ὑμεῖς περιεπατήσατέ ποτε, ὅτε ἐζῆτε ἐν τούτοις· 8 νυνὶ δὲ ἀπόθεσθε καὶ ὑμεῖς τὰ πάντα, ὀργήν, θυμόν, κακίαν, βλασφημίαν, αἰσχρολογίαν ἐκ τοῦ στόματος ὑμῶν· - „ 7 In ihnen seid auch ihr einst gewandelt, als ihr noch darin lebtet. 8 Nun aber legt auch alles ab, den Zorn, das Begehren, die Bosheit, die Lästerung, böse Worte aus eurem Mund! “ Περιπατέω bezeichnet hier die Lebensführung, jedoch wird mit dem Indikativ Aorist die bereits vergangene beschrieben. Für die Gegenwart gilt aber nun: νυνὶ δὲ ἀπόυεσθε καὶ ὑμεῖς τὰ πάντα (Kol 3,8), eindeutig im Imperativ formu‐ liert. Auch hier ist demnach ein selbst zu gestaltender und zu verantwortender Akt im Blick, welcher sich von der bisherigen Lebensführung grundlegend un‐ terscheiden soll, was auch in Kol über die alt-neu-Antithetik charakterisiert wird. Die für Röm 6,4bc oft diskutierte Deutung dieses Motiv als ein „noch nicht Auferweckt-Sein“ oder mindestens „nicht so wie Christus“ der Getauften, wäre für Kol 3 schon deswegen nicht plausibel, weil in Kol 2,12 wie auch 3,1 konkret ausgesagt wird: […] ἐν ᾧ [Χριστῷ] καὶ συνηγέρθητε διὰ τῆς πίστεως τῆς ἐνεργείας τοῦ θεοῦ τοῦ ἐγείραντος αὐτὸν ἐκ νεκρῶν· (Kol 2,12). Mit Blick auf Röm 6 lassen sich also zwei Beobachtungen zu περιπατέω machen: Es ist explizit auf die diesseitige Lebensgestaltung gerichtet und nicht etwa auf eine zukünf‐ tige. Und es werden dazu konkrete Beispiele angeführt, was nun abzulegen ist, wie etwa ἡ ὀργῆ, ὁ θυμός und ἡ κακία (Kol 3,8). Dies unterstützt die bereits oben ausgeführte These, dass auch in Röm 6,4c das diesseitige gegenwärtige Leben gemeint ist, wenn sich auch hier kein Ka‐ talog von anzustrebenden Verhaltensweisen findet, sondern vielmehr eine Be‐ zeichnung für eine Grundkategorie, nämlich: ἐν καινότητι ζωῆς. Dies meint nun nicht allgemein ein neues Leben im Sinne eines neuen Lebensabschnittes, son‐ dern speziell die Neuheit. 4.4.4 Zusammenfassung Wenn nun die Näherbestimmung περιπατέω stets die Art des Lebenswandels in den Blick nimmt und durch den genitivus qualitatis zusätzlich die Neuheit dieses Lebens betont wird, so ist οὕτως καὶ ἡμεῖς ἐν καινότητι ζωῆς περιπατήσωμεν in folgender Weise zu deuten: Nach dem endgültigen und definitiven Tod des 4 Römer 6,1 - 11: Mit Christus gestorben 237 <?page no="238"?> 612 Fitzmyer, Romans, 434. 613 Hahn, Taufe, 20 (Hervorhebung im Original). 614 Keck, Romans, 161 (Hervorhebung im Original). 615 Ebd. vorherigen Lebens in der Taufe, begann darin ein ganz neues Leben, dessen Neuheit es zu gestalten und zu erhalten gilt. Eine konkrete Übersetzung gestaltet sich dennoch schwierig, wie einerseits die Vielfalt der Vorschläge in der Ausle‐ gungsgeschichte und andererseits das Phänomen zeigt, dass einer möglichst formaläquivalenten Übersetzung sehr oft eine inhaltliche Übertragung an die Seite gestellt wird: „we too might walk in newness of life - we too might conduct ourselves in a new way of life“ 612 oder auch „‘in der Neuheit seiner Auferweckung wandeln‘, d. h. aus seinem Auferstandensein erwächst für uns die Kraft zu einer Erneuerung unseres irdischen Lebens“. 613 Der Erklärungsbedarf ergibt sich zu‐ meist dort, wo der Vergleich mit der Auferweckung Christi für die Deutung fruchtbar gemacht werden soll. So übersetzt etwa auch Keck mit „we too might walk in newness of life“, 614 meint aber dazu erläutern zu müssen: „Paul does not say that as Christ was raised, we too have been raised, or that we have been raised with him. For Paul, baptism does not end mortality; it begins a new mor‐ tality, one that must be actualized.“ 615 Doch trifft diese Erklärung tatsächlich die Funktion von ὥσπερ […] οὕτως καὶ […] in 6,4bc? Vergleichende Betrachtungen mit 1Kor 15 und 1Thess haben zwar erbracht, dass nach Meinung des Paulus die Auferstehung den Christen noch (komplett) bevorsteht und dennoch ist das „noch nicht“ keineswegs der Fokus von Röm 6. Vielmehr wird, im Übrigen ganz auf der Argumentationslinie der voranste‐ henden Verse, betont, dass sich in der Taufe bereits etwas Entscheidendes ereignet hat: Das Sterben und Auferstehen Christi ist (komplett) Bezugsereignis und Grundlage der christlichen Taufe. Der Tod und das Begräbnis Christi werden von den Täuflingen mitvollzogen und auch wenn die Auferstehung Christi, als die einzige Auferstehung von den Toten vor der Zeit, noch nicht mitvollzogen wird, so ist sie dennoch der Grund, welcher dem Täufling in der Taufe ein ganz neues Leben schenkt. Es ist eine Taufe auf den Tod Christi. Grund des Glaubens (vgl. 1Kor 15) sowie Ermöglichung der neuen Art des Lebens ist jedoch die Auferweckung Christi durch Gott. Dies meint auch der Vergleich ὥσπερ […] οὕτως καὶ […]. Er betont nicht wie bei Tod und Begräbnis zuerst den Nach‐ vollzug, sondern die Art und Weise des Neubeginns: Christus ist von den Toten auferweckt worden - ein grundlegenderer Neubeginn ist nicht vorstellbar. Und in vergleichbarer Weise ist der Paradigmenwechsel, den die Taufe im Leben geschehen lässt. Sie bedeutet nicht nur das Ende des alten Lebens und einen Neustart, son‐ dern lässt ein neues Leben entstehen, welches nicht irgendwann wieder „altert“, Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 238 <?page no="239"?> 616 Bekannterweise findet sich eine entsprechende συν-Aussage in Kol 2,12 auch für das Auferwecktwordensein des Christen, jedoch zeigt die sich anschließende kapitelüber‐ greifende Erläuterung, dass auch hier noch ein mindestens paränetischer Erklärungs‐ bedarf besteht. sprich in Sünde verfällt. Dieses Leben wird durch Christi Auferweckung er‐ möglicht, jedoch ist es die Aufgabe des Getauften, die Neuheit und damit die grundlegende Verschiedenheit von dem vorherigen Leben zu erhalten. Ist dies nun auch der Grund dafür, dass Paulus mit Blick auf die Auferweckung Christi vergleichend und in paränetischer Absicht von ἵνα ὥσπερ […] οὕτως καὶ […] spricht, anstatt sich der ansonsten im Text verwendeten συν-Motivik zu bedienen? Soll hier betont eine Differenz aufgemacht werden? Dazu ist zu‐ nächst noch einmal zu betonen, dass weder die „mit“ Christus noch die „wie“ Christus vollzogenen Ereignisse als Identifikation mit dem Sterben und Aufer‐ stehen Christi im Sinne eines tatsächlichen Nachvollzuges verstanden werden können: Das Sterben, das Begrabenwerden wie auch der Neubeginn des Lebens ereignen sich in der Taufe auf geistige Weise. Zudem hat das Sterben und Auf‐ erstehen Christi erst das Erlebnis in der Taufe ermöglicht. Und dennoch scheint die Bezugnahme auf das Sterben und Auferstehen Christi im vergleichenden „Wie-So“ weniger nah, als im schillernden „Mit“. Der Vorbehalt der noch ausstehenden Auferstehung der Getauften scheint offen‐ sichtlich die erste Ursache dafür. Doch mindestens ebenso plausibel scheint der Umstand, dass die metaphorische Rede von Tod und Begräbnis in ihrer Bedeu‐ tung keiner größeren Erklärungen bedarf: Tod meint Ende des Lebens und damit einen endgültigen Cut aller bisherigen Beziehungen und Abhängigkeitsverhält‐ nisse. Was allerdings bedeutet die Rede vom Beginn eines neuen Lebens in der Taufe? Ist diese in ihren Statuten wie Anforderungen nicht wesentlich erklä‐ rungsbedürftiger? Von dem neuen Leben Christi nach der Auferweckung ist den Gemeindegliedern vielleicht bekannt, dass er noch ein paar Mal erschienen ist (1Kor 15,5-8; Gal 1,12-17), dann jedoch erhöht wurde (Phil 2,9). Der Pragmatik des Paulus nach findet das neue Leben der Getauften jedoch nicht im Himmel statt, jedenfalls noch nicht, sondern in der Welt. Und dennoch unterscheidet es sich grundlegend von allem vorherigen Leben. Die Betonung dieser Neuheit wie der Verantwortung zu ihrer Gestaltung trägt Paulus durch sein Abweichen von der συν-Motivik Rechnung, weil in diesem Punkt nicht so sehr Bedeutung und Mitvollzug von Christi Auferweckung im Fokus stehen als vielmehr die Art und Weise des nun Folgenden. 616 Abschließend lässt sich dazu sagen, dass die in 1Kor 15 überlieferte und wohl auch Röm 6 zu Grund liegende Tradition vom Sterben, Begrabenwerden, Auf‐ erwecktwerden und Erscheinen Christi wohl selbst nicht so „einheitlich pa‐ 4 Römer 6,1 - 11: Mit Christus gestorben 239 <?page no="240"?> 617 Eine treffende Auflistung aller zu diesem Vers zu klärenden Fragen bietet Cranfield, Romans, 306, und erörtert im Anschluss auch breit die unterschiedlichen Deutungs‐ möglichkeiten (306-308), siehe dazu auch Stommel, Abbild, 1-21. rallel“ formuliert gewesen sein dürfte, wie oft angenommen. Paulus entwickelt sie theologisch entscheidend weiter, indem er das Erlebnis in der Taufe als ein Mitvollzug dieses - auf einer geistigen, aber nicht weniger wirksamen Ebene - beschreibt. Wie sich aus unterschiedlichsten Äußerungen Paulus‘ ersehen lässt, sieht er das Erleben Christi im Ganzen, also Tod und Auferweckung, als die Grund‐ lage des christlichen Glaubens. Es verbleibt der Blick auf die folgenden Verse: Erscheint die sich anschlie‐ ßende Argumentation auf den ersten Blick als wenig linear, so macht die gerade dargelegte Interpretation deutlich, dass diese Wahrnehmung der Tatsache ge‐ schuldet ist, dass beide in 6,3 f angelegten Momente in 6,5-11 weiter entfaltet werden, teilweise nacheinander, teilweise in Darstellung ihrer Verschrän‐ kungen: 1) Die Taufe hat eine grundsätzliche Veränderung bewirkt, welche nicht mehr rückgängig zu machen ist - der Tote kann nicht mehr zurück in sein altes Leben. 2) Das neue Leben ist dennoch kein Automatismus, sondern in seiner Neuheit zu gestalten und zu erhalten: Die Abhängigkeit gegenüber der Sünde ist ein für alle Mal gebrochen, dies muss jedoch aus dem Lebenswandel nach der Taufe auch ersichtlich werden! Zur weiteren Beschreibung des sich in der Taufe Ereignenden und Wirkenden wählt Paulus weitere Metaphern, welche ebenfalls deutlich machen, dass alles Taufgeschehen im Erleben Christi gründet: εἰ γὰρ σύμφυτοι γεγόναμεν τῷ ὁμοιώματι τοῦ θανάτου αὐτοῦ […]. 4.5 εἰ γὰρ σύμφυτοι γεγόναμεν τῷ ὁμοιώματι τοῦ θανάτου αὐτοῦ (Röm 6,5a) Nach der vieldiskutierten Tradition in 6,4 f gibt die vermutlich von Paulus selbst formulierte, bildhafte Fortführung seiner Argumentation nicht weniger Anlass zu sehr unterschiedlichen und ideenreichen Deutungen. 617 Mit Blick auf die Taufe sollen hier lediglich zwei Aspekte diskutiert werden: 1) die Bedeutung von σύμφυτος als dem Zustand nach der Taufe und 2) das Verhältnis zu und die Interpretation der Formulierung τῷ ὁμοιώματι τοῦ θανάτου αὐτοῦ, deren Bezug auf die Taufe Dreh- und Angelpunkt der Diskussion darstellt. 4.5.1 σύμφυτος Zu dem Hapaxlegomenon σύμφυτος wird auffallend oft betont, dass es sich nicht von συμφυτεύω „Zusammenpflanzen“, sondern von συμφύω herleitet, welches Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 240 <?page no="241"?> 618 Grundmann, Art. σύν, 786, welcher noch weitere Belege auflistet. 619 Wilckens, Römer, 13. 620 Grundmann, Art. σύν, 786. 621 Cranfield, Romans, 307. 622 So Schnackenburg, Heilsgeschehen, 41. 623 Schneider, Art. ὁμοίωμα, 191. 624 Bornkamm, Taufe, 41. in seiner ursprünglichen Bedeutung „zusammenwachsen mit“ meint. Als Ver‐ baladjektiv, wie in 6,5, findet es sich als angeboren-Sein von Tugenden (Flav.Jos.Apion. 1,42), allgemein als verwachsen bzw. verwandt sein (Arist. Hist.An. V 32 p 557b 18), aber auch konkret zur Beschreibung „von Menschen der Urzeit in ihrem Verhältnis zur Gottheit“ (Dio.Chrys.Or. 11, 28). 618 Jedoch lässt sich bereits im klassischen Griechisch ein von der Fauna abstrahierendes allge‐ meineres Verständnis im Sinne von „verbunden mit“ nachweisen, 619 welches dann auch für Röm 6 angenommen wird: „zusammengehörig, vereint mit“, 620 „unite, become assimilated, become natural“. 621 Dennoch sehen manche Aus‐ leger die ursprüngliche Bildhaftigkeit durchaus erhalten und übersetzen mit „verwachsen mit“, was vor allem an der Frage hängt, womit bzw. mit wem der Getaufte ein Verhältnis eingeht. Die Satzkonstruktion legt zunächst den Dativ τῷ ὁμαιώματι nahe. Dennoch wurde und wird immer wieder die Option diskutiert, ob hier nicht eine der für Paulus typischen, eliptischen Formulierungen vorliegt und ein Christus be‐ zeichnendes αὐτῷ zu ergänzen wäre. 6,5a würde dann 6,4a formal-inhaltlich wiederholen, was ein erneutes αὐτῷ überflüssig machen würde, und τῷ ὁμαιώματι sei dann als Dativus instrumentalis aufzufassen und würde demnach die Taufe bezeichnen. 622 Doch bezeichnet ὁμοίωμα τοῦ θανάτου αὐτοῦ tatsäch‐ lich die Taufe und muss eine eliptische Ausdrucksweise angenommen werden, wenn doch ein entsprechender Dativ vorhanden ist? 4.5.2 τῷ ὁμοιώματι τοῦ θανάτου αὐτοῦ Die Unterschiedlichkeit der Deutungen und, davon abhängig, die Überset‐ zungen des τὸ ὁμοίωμα hängen außer an den syntaktischen Überlegungen v. a. an dem breiten semantischen Spektrum des Wortes, welches die Verhältnisbe‐ stimmung zu τοῦ θανάτου αὐτοῦ wie auch zur Taufe zusätzlich erschwert. Zu‐ nächst ist festzuhalten, dass τὸ ὁμοίωμα, ob im profanen Griechisch, der LXX oder dem NT stets ein Konkretum, also ein Abbild meint und „nicht abstrakt die Gleichheit oder Übereinstimmung“. 623 So kann es „Abbild, Kopie eines Originals, das Nachbild eines Modells“ 624 oder auch allgemein Form bzw. Figur bezeichnen. Bei Platon wird es entsprechend synonym zu εἰκών verwendet. Schneider meint 4 Römer 6,1 - 11: Mit Christus gestorben 241 <?page no="242"?> 625 Schneider, Art. ὁμοίωμα, 191. Εἰκών wie ὁμοίωμα werden von Platon für die Bezeich‐ nung der „irdischen Abbilder der urbildlichen Dinge im Himmel“ verwendet (ebd.). 626 Bornkamm, Taufe, 42. Die LXX verwendet ὁμοίωμα für von Menschen hergestellte Götzenbilder, welche Menschen, Tieren oder auch Gott gleichen, siehe Dtn 4,16 (Mann oder Frau); Ps 106,20 (Stier); Jes 40,18 f (Gott). 627 Wilckens, Römer, 13 f. Bei Paulus findet sich ὁμοίωμα in Röm 1,23; 5,14; 8,3; Phil 2,7. 628 Bornkamm, Taufe, 42. dennoch eine differierende Bedeutungsnuance wahrnehmen zu können: „εἰκών repräsentiert den Gegenstand, während ὁμοίωμα die Ähnlichkeit betont, bei der wohl die Übereinstimmung hervorgehoben wird, bei der aber der innere Zshg von Urbild u Abbild nicht notwendig zu bestehen braucht.“ 625 Anders findet ὁμοίωμα in der LXX Verwendung, die am besten mit „Gleichgestalt“ wiederzu‐ geben ist als „Bezeichnung einer Gestalt, die der Gestalt eines andern nicht nur ähnlich ist, sondern gleicht. Entscheidend ist dabei, daß ὁμοίωμα das Wesen des Abgebildeten in sich zur Darstellung bringt.“ 626 Die anderen paulinischen Belege für ὁμοίωμα lassen aber nun doch die Frage aufkommen, ob „in der Gleichheit des mit ὁμοίωμα Bezeichneten in jeweils be‐ stimmter Hinsicht auch zugleich ein Moment von Ungleichheit mitzuhören ist.“ 627 Neben 8,3 (Sohn Gottes - ἐν ὁμοιώματι σαρκὸς ἁμαρτίας) wird dies be‐ sonders im Christushymnus des Phil zum Ausdruck gebracht: ἀλλ’ ἑαυτὸν ἐκένωσεν μορφὴν δούλου λαβών, ἐν ὁμοιώματι ἀνθρώπων γενόμενος· καὶ σχήματι εὑρεθεὶς ὡς ἄνθρωπος - „sondern er entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, er wurde die Gleichgestalt eines Menschen und der Erschei‐ nung nach erkannt wie ein Mensch.“ (Phil 2,7) „ὁμοίωμα bringt eine Beziehung und Verbindung zum Ausdruck, hält aber zugleich einen Unterschied fest zwi‐ schen Christus und uns. […] Nicht die Gestalt, die er [Christus, CM ] trägt, un‐ terscheidet ihn von uns, aber die Träger, die diese gleiche Gestalt tragen, sind zu unterscheiden“. 628 Nun aber sieht Paulus die Getauften in 6,5 weder mit Christus selbst (elipt. Lesart) noch mit dem ὁμοίωμα Christi vereint, sondern formuliert τῷ ὁμοιώματι τοῦ θανάτου αὐτοῦ. Was aber ist die Gleichgestalt seines Todes, bei der einerseits die Gleichheit betont, andererseits ein Moment der Ungleichheit erhalten wird? Doch trotz der eindeutig einschränkenden Vorklärungen verbleiben dennoch ein Spektrum an Deutungsmöglichkeiten, welche jeweils ausführlich und auch gut begründet werden können. Hauptursache für diese Diversität der Ausle‐ gungen scheinen die zu Grunde liegenden unterschiedlichen Vorstellungen von der Taufe als Ritual: 1) Als einer von wenigen identifiziert Betz die Taufe selbst als die Gleichgestalt des Todes Christi: „Given the lexicological background of the term ὁμοίωμα and Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 242 <?page no="243"?> 629 Betz, Transferring, 269. Seine Argumentation unterstreichend kontrastiert er ὁμοίωμα mit den auf andere kultische Aspekte verweisenden εἰκών und μίμημα und versteht ὁμοίωμα so ähnlich einem Kultsymbol (ebd.). Weitere Deutungen zu ὁμοίωμα als Be‐ zeichnung der Taufe finden sich dargestellt bei Schneider, ὁμοίωμα, 192. 630 Zum Verhältnis eines Rituals zu seinem Grundereignis siehe unter I.2.3.2.2. 631 Betz, Transferring, 269. 632 Wilckens, Römer, 14. Er unterstreicht seine Entscheidung folgendermaßen: „Darin liegt in aller konkreten Gleichheit des Sterbens ein Moment von Ungleichheit, das sich darin auswirkt, daß die Getauften selbst nicht sterben, sondern leben, daß sie ‚tot sind für die Sünde, aber leben für Gott‘ (V11).“ (ebd.). 633 Strecker, Liminale Theologie, 187. 634 Stommel, Abbild, 18. 635 A. a. O. 20. 636 Schneider, Art. ὁμοίωμα, 192. its main synonyms (εἰκών, μίμημα), the usage in vs 5 intends, it seems, the ritual as ritual: This ritual is a ὁμοίωμα.“ 629 Seinem Verständnis nach ist das Ritual also seinem Grundereignis, dem Tod und Begräbnis Christi, gleich und symbolisiert und repräsentiert es zudem. 630 Laut Betz greift Paulus hier bewusst auf mystische Vorstellungen und Erfahrungen der Leser zurück. 631 Nun betont Paulus zwar in 6,4, dass βαπτίζω εἰς Χριστὸν Ἰησοῦν als εἰς τὸν θάνατον αὐτοῦ zu verstehen ist, der Tod Christi demnach unzweifelhaft das Grundereignis der Taufe dar‐ stellt, jedoch widmet er sich in den folgenden Versen einer weiteren Erläuterung dieser Formel und v. a. der Wirkung und Bedeutung dieses Verständnisses für den Täufling. Wenn man bedenkt, dass die ὁμοίωμα-Aussage an 6,5bc anschließt, wo Paulus nach indikativen Aussagen erstmals das imperative Moment an‐ klingen lässt, ist es wenig verständlich, warum er im Folgenden noch einmal so pauschal von der Taufe als Tod Christi sprechen sollte. Andere Ausleger ver‐ stehen ὁμοίωμα als Deutungsversuch der Taufe und συμφύω entsprechend als Beschreibung ihrer Wirkung. 2) Laut Wilckens etwa „bezeichnet τῷ ὁμοιώματι τοῦ θανάτου αὐτοῦ den Tod Christi selbst, mit dem die Getauften so ‚verbunden worden sind‘, daß in seinem Tod ihr ‚alter Mensch‘ mitgekreuzigt worden ist (V6).“ 632 Strecker sieht darin die „andauernde (Perfekt γεγόναμεν) Gleichgestaltung mit dem Tod Christi im Sinne eines fortwährenden Absterbens gegenüber der Sünde.“ 633 Ähnlich ist auch Stommel zu verstehen, wenn er nicht Christus selbst, sondern dessen „Zu‐ stand als des Gestorbenen und Begrabenen“ im Fokus sieht: „Der Taufvorgang ist nicht identisch mit diesem ὁμοίωμα, weder als Spendung noch als Empfang; vielmehr bewirkt die Taufe das ὁμοίωμα im Täufling.“ 634 Weiter schreibt er: „So ist also nach Paulus das ‚Totsein‘ des Getauften ein ὁμοίωμα des Totseins Christi“. 635 Schneider wiederum versteht ὁμοίωμα direkt als Bezeichnung „unser[es] Tod[es] in der Taufe“. 636 4 Römer 6,1 - 11: Mit Christus gestorben 243 <?page no="244"?> 4.5.3 Zusammenfassung Die außerneutestamentlichen, wie auch die anderen paulinischen Belege zu ὁμοίωμα sprechen eindeutig dafür, dass tatsächlich ein Konkretum gemeint ist, also eine Gleichgestalt bzw. ein Abbild des Todes Christi. Der unmittelbare Kon‐ text legt nun zweierlei nahe: 1) dass es sich dabei nicht um die Taufe selbst, sondern um ihre Bedeutung bzw. Relevanz und damit ihre Wirkung handelt und 2) dass der argumentative Anschluss (γάρ) an den vorherigen Vers, welcher ein imperatives Moment erhält, für eine Bezugnahme darauf spricht. Diesbezüglich noch nicht im Blick sind Aussage und Verhältnis zu dem zweiten Halbvers: ἀλλὰ καὶ τῆς ἀναστάσεως ἐσόμεθα· (6,5b), welcher als Folgerung aus 6,5a (εἰ […] ἀλλὰ καὶ […]) begründende Funktion in Bezug auf 6,4c hat. Nun ist Christi Tod weder Person oder Tier noch eine Gottheit, von der man ein „Abbild“ herstellen könnte, sondern ein (Heils-)Ereignis: Wenn dieses dem‐ nach als Konkretum wahrgenommen werden soll, so am ehesten in seiner Be‐ deutung und seinen Wirkungen. Und dies bildet ja auch den Fokus der voran‐ stehenden Tauftheologie des Paulus: Der Tod Christi ist ein Tod gegenüber der Sünde, welcher alle Menschen verfallen sind (Röm 1-3). Dies ist die Grundlage aller Rechtfertigung des Menschen (Röm 3). Es ist das Gegenstück zum Sündig‐ werden Adams (Röm 5). Und es stellt das Grundereignis der Taufe dar, welches die Taufe erst ermöglicht, an welches sie erinnert und welches der Täufling in der Taufe „miterlebt“ (Röm 6,1-11). Wenn die Christusgläubigen mit der Gleichgestalt seines Todes in der Taufe ver‐ eint werden, so erfahren sie die Bedeutung und Konsequenz des Todes Christi - sie geht ihnen regelrecht in Fleisch und Blut über: Der Tod Christi ist für sie kein abstraktes Ereignis mehr, auch nicht mehr „nur Glaubensgegenstand“, sondern sie sind mit ihm eins geworden. Das Erleben Christi ist in der Taufe zu ihrem Erleben geworden. Doch Christus ist nicht nur gestorben und begraben worden, sondern auch auferweckt worden. Und auch das Erleben des Täuflings in der Taufe endet eben nicht mit dem Sterben des vorherigen Lebens unter der Sünde, sondern ein Neubeginn hat bereits eingesetzt: Wenn auch die endgültige Auferstehung noch aussteht, so hat das Neue doch schon begonnen und ist bis zur Auferstehung selbstverantwortlich zu erhalten! Denn irgendwann wird die Auferstehung Christi ebenso den Getauften „in Fleisch und Blut übergehen“, zu ihrem Erleben werden, wie es sein Tod bereits ist. Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 244 <?page no="245"?> 637 Zur Bedeutung von Grundereignissen von Ritualen siehe unter I.2.3.2.2. Zur Art der Bezugnahme auf das Sterben und Auferstehen Christi in der Taufe siehe unter V.1. 638 Siehe unter V.1.2.2. 639 Siehe den Exkurs Liminalität unter V.1. 640 Siehe unter V.4. 4.6 Zusammenfassung unter ritologischer Perspektive Auch die Untersuchung zu 6,1-11 hat Themen und Fragestellungen aufgebracht, welche in unterschiedlicher Weise Ritualaspekte der Taufe berühren und über die an diesem Text immer wieder diskutierte Frage, ob die Sterben-Leben-Mo‐ tivik einen Anhalt am Ritualvollzug hat, weit hinausgehen. Die von Paulus zentral verwendete συν-Motivik stellt deutlich wie in keinem anderen paulinischen Tauftext heraus, dass das Ritual Taufe auf einem histori‐ schen Ereignis gründet, nämlich Tod, Begräbnis und Auferweckung Christi. Während in den vorangehenden Kapiteln die soteriologische Bedeutung des Sterbens und Auferstehens Christi in beeindruckend klarer theologischer Sprache dargestellt wird, stellt sich Paulus in Röm 6 der Frage, auf welche Weise über die Taufe der einzelne Christusgläubige daran Anteil erhält und welche Auswirkungen dies auf dessen postbaptismales Leben hat. Ritologisch stellt sich hier die Frage nach Bedeutung und Funktion eines Grundereignisses für die Entstehung und Begründung eines Rituals, aber auch nach der Art der Bezug‐ nahme auf dieses im konkreten Ritualvollzug. 637 Einen vergleichbaren Mit‐ vollzug des Schicksals der Göttin erlebt der Initiand im Isiskult. Ob jedoch das „Erleben“ der Göttin für die Einweihungen in ähnlicher Weise begründende Funktion hat, wie die Passion und Auferweckung Christi für die Taufe und ob die paulinische συν-Metaphorik den abenteuerlichen Schilderungen dieses Pro‐ zesses des Apuleius entsprechend zu deuten ist, wäre genauer zu untersu‐ chen. 638 Die Tod-Leben-Metaphorik ist zudem einer der bekanntesten und bildhaf‐ testen Sprachversuche das Phänomen der Liminalität zu beschreiben. 639 In Röm 6 finden sich jedoch noch weitere Hinweise auf diesen besonders bei Pas‐ sageriten zu beobachtenden Zustand während und zugleich Deutungshorizont der Wirkweise von Ritualen: Der besonderen Betonung der Neuheit des Lebens nach der Taufe liegt eine alt-neu-Antithetik zu Grunde. Damit korrespondiert die Rede vom Ende des Lebens unter der Sünde und der Beginn des Lebens für Gott mit einer grundlegenden Änderung der Herrschafts- und Hierarchiever‐ hältnisse. 640 Ebenfalls klassisch liminaler Aspekt ist die Wahrnehmung von Gleichheit, wobei in Bezug auf Röm 6 der Gleichheitsmoment nicht von ge‐ meinsamen Ritualteilnehmern ausgesagt wird, sondern von einer Vereinigung 4 Römer 6,1 - 11: Mit Christus gestorben 245 <?page no="246"?> 641 Siehe unter V.4. 642 Siehe unter VI.6. 643 Siehe unter IV.2.8.6. des Täuflings mit der Gleichgestalt des Todes Christi die Rede ist, wie auch eine Dimension der συν-Motivik in dem Mitvollzug mit Christus einen gewissen Gleichheitsaspekt beinhaltet. Und auch in Röm 6 wird - wie in allen zuvor un‐ tersuchten Texten - der ebenfalls unter die Liminalitätsmerkmale zu rechnende Abbruch von alten Bindungen und das Entstehen grundlegender neuer thema‐ tisiert. Über das Motiv des Mitvollzugs wird die neue allem weiteren Erleben zu Grunde liegende Bindung an Christus illustriert. Mit Christus „erstirbt“ dann auch jedes Verhältnis gegenüber der Sünde, wohingegen die Neuheit des Lebens über das nun absolute Verhältnis gegenüber Gott bestimmt wird. 641 Erst nach einer Kontextualisierung wie Interpretation all dieser hier be‐ nannten ritologischen Aspekte im Vergleich mit anderen Ritualen wird sich die Frage endgültig entscheiden lassen, ob die in Röm 6 gewählte Bildsprache An‐ haltspunkte im Vollzug des Taufrituals hat 642 und demnach bereits in der im Ablauf gleichen Johannestaufe angelegt gewesen sein müsste, 643 oder ob Paulus hier bekannte Deutungsmuster von Initiationsbzw. Passageritualen von außen an die Taufe heranträgt. Kapitel III: Die paulinischen Tauftexte 246 <?page no="247"?> 1 Siehe unter I.1.3. 2 Zur Datierung und zum möglichen Sitz im Leben der jeweiligen Quellen siehe in den entsprechenden Unterkapiteln. Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche Die christliche Taufe entsteht aus einem religionsgeschichtlichen Kontext he‐ raus, welcher reich an Ritualen ist. Die Ritualwissenschaften 1 lassen ebenso wie die einschlägige Forschungsliteratur vermuten, dass das neue Ritual der christ‐ lichen Taufe nicht autonom entsteht, sondern in teilweisen oder auch umfang‐ reichen Rückgriff auf bereits vorfindliche Rituale bzw. in bewusster Abgrenzung und Kontrast zu diesen. Die bisherigen diesbezüglichen Untersuchungen und Thesen unterscheiden sich sowohl im Textumfang der herangezogenen Quellen als auch ihren methodischen Ansätzen wie Voraussetzungen. Um eine möglichst umfassende und sachgemäße Erhebung der Quellen und Einflüsse zu gewährleisten, werden im Folgenden alle wesentlichen Rituale er‐ fasst, welche entweder zu Ritualablauf oder aber Ritualfunktion der christlichen Taufe Ähnlichkeiten aufweisen und entsprechende Relationen vermuten lassen. Der jeweiligen Darstellung folgt eine Zusammenfassung der wesentlichen Er‐ gebnisse als Grundlage für den detaillierten Vergleich mit der christlichen Taufe, wozu deren Quellengrundlage von den ausgewählten protopaulinischen Texten um sämtliche neutestamentliche Tauftexte erweitert wird, um ein möglichst umfangreiches Bild von der christlichen Taufe den sehr unterschiedlich zu da‐ tierenden und situierten Quellen 2 der Vergleichsrituale entgegenhalten zu können. 1 Wasser und Wasserrituale allgemein 1.0 Einleitung Die Wahrnehmung und Deutung von Wasserritualen in der exegetischen For‐ schung wurde lange Zeit von der Grundannahme geprägt, dass Wasser eine „Symbolik an sich“ habe. Findet Wasser in rituellen Kontexten Verwendung, so werde dies entsprechend symbolisch in der Ritualdeutung aufgegriffen. Oft wurde diese „Grundsymbolik“ des Wassers zudem als universell eingestuft, so‐ <?page no="248"?> 3 Hartte, Wasserkultus, 104. 4 So Luther in seinem Kleinen Katechismus zur Taufe auf die Frage: „Wie kann Wasser solche große Ding tun? “ (Bekenntnisschriften, 516). 5 Clements / Fabry, Art. םימ , 845: „Die LXX übersetzt majim fast durchgehend mit ὕδωρ […] Bisweilen übersetzt die LXX auch nach dem Zusammenhang: πότος ‚Ge‐ tränk‘, πηγή ‚Quelle‘, ὑετός ‚Regen‘ und οὖρον ‚Urin‘”. dass seine Verwendung in Wasserritualen sämtlicher Kulturen und Religionen die gleichen symbolischen Deutungen transportieren würde. Nach dieser An‐ nahme würden sich alle Wasserrituale in ihrer Deutung grundsätzlich ähneln, wenn nicht gleichen und sich lediglich auf einer die Intensität betreffenden Ebene unterscheiden. Entsprechende Verhältnisbestimmungen werden für alt‐ testamentliche Wasserrituale und die christliche Taufe angestellt: „Wie aus dem flüssigen Körper aus allmählichen Erstarren der Kristall entsteht, so scheint die Entwicklung einer Taufe aus dem Fluss vieler Waschungen auch in gewisser Weise eine Erstarrung und Kristallisation der Religion zu bedeuten.“ 3 Die folgende Untersuchung geht demgegenüber davon aus, dass dem Wasser verschiedene Aspekte eignen, welche daher zu kategorisieren und zu be‐ schreiben sind, um dann in der Folge beurteilen zu können, auf welchen dieser Aspekte die unterschiedlichen Wasserrituale Bezug nehmen. Denn wenn am Ende die Frage nach Nähe zu und ggf. Entwicklung der christlichen Taufe aus den vorangegangen und zeitgenössischen Wasserritualen heraus betrachtet werden soll, muss der Fokus neben dem Vergleich des Ritualablaufes v. a. auf dem Vergleich der Ritualdeutung und dabei nicht zuletzt der Deutung des Was‐ sers liegen - auch und gerade weil die spätere lutherische Sakramentstheologie zur Taufe betont: „Wasser tut‘s freilich nicht.“ 4 1.1 Im AT und frühjüdischer Literatur 1.1.1 Wasser ( םימ ) Wasser hat für das Leben der Menschen des AT die gleiche umfangreiche und vielfältige Bedeutung wie für Menschen zu allen Zeiten. Sämtliche Wasserarten (Süß- oder Salzwasser; im Meer, Fluß, Quelle oder Brunnen; als Regen, Schnee oder Tränen) können dabei mit םימ bezeichnet werden, 5 welches daher auch mehr als 500 mal im AT belegt ist. Die verschiedensten Erzählungen sind grund‐ legend mit Meeren und Flüssen verbunden, kreisen um den Mangel an Wasser bzw. dessen segensreiche Gabe. Dabei lässt sich eine durchgehende Ambivalenz in der Wahrnehmung des Wassers in seinem Verhältnis zu den Menschen fest‐ stellen: Einerseits ist der Mensch der chaotischen Macht lebensgefährdend aus‐ Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 248 <?page no="249"?> 6 A. a. O. 847. 7 Ps 33,7; 104,5-9; Hi 38,8-11. 8 Neben dem wörtlichen Verständnis finden sich auch zahlreiche Stellen, in welchen vom Ertrinken in metaphorischer Weise gesprochen wird, etwa Ps 42,7; Hi 22,11 u.w. 9 Clements / Fabry, Art. םימ , 847. 10 Nach 1Petr 3,20 f wird die Rettung Noahs und seiner Familie als διεσώθησαν δι’ ὕδατος bezeichnet und als ἀντίτυπος der Taufe verstanden. 11 Die in Jona berichtete Lebensgefährdung (zunächst des Schiffes mit der gesamten Be‐ satzung [ Jon 1,4 f], später konkret Jona [ Jon 1,15]) und Bewahrung durch Gott ( Jon 2,1.11) wird in der frühchristlichen Theologie (Mt 12,39-42 / Lk 11,29-32; Mt 16,4) und v. a. Ikonographie zum Typos für Tod und Auferstehung Christi und die damit verbundene Auferstehungshoffnung der Christen, siehe dazu unter V.1. geliefert und andererseits macht er sich das Wasser lebensnotwendigerweise nutzbar. 1.1.1.1 Wasser, welchem der Mensch ausgeliefert ist Wasser wird als kosmische Größe verstanden und die „Sammlung des Wassers im Meer […] als Wesensmerkmal der Schöpfungsordnung“ 6 angesehen. Den‐ noch wird es auch als eine Chaosmacht wahrgenommen, welche der Schöpfer zwar grundsätzlich in die Schranken gewiesen hat, 7 die aber trotzdem hin und wieder Schöpfung und Geschöpfe lebensgefährlich bedroht. Denn wenn auch die Fluterzählung mit dem Versprechen endet, dass es hinfort keine weitere Sintflut geben werde (Gen 9,11), so erzählt das AT in der Folge doch viele Ge‐ schichten, in denen Menschen durch das Wasser von Meeren und Flüssen in Gefahren geraten und auch ums Leben kommen. 8 Die große Rettungserzählung des Volkes Israel, dem Auszug aus Ägypten und Durchzug durch das Rote Meer, verdeutlicht dabei eindrücklich die funktionale Ambivalenz des Wassers, ab‐ hängig vom Eingreifen und Gebieten des Rettergottes: „Einerseits wird das Wasser zum Schutzschild für die Hebräer, andererseits zum zerstörenden und tötenden Element für die Ägypter“. 9 Während der Durchzug durch die gefähr‐ lichen Wasser im Gefolge des Mose hier die Rettung aus Ägypten markiert (Ex 14), steht der Durchzug durch den Jordan auf Vermittlung des Josua für den Beginn des Lebens im gelobten Land ( Jos 4). Die Chaosmacht Wasser kann zwar Leben nehmen, sie kann aber auch demjenigen, welcher „durch das Wasser hin‐ durch gerettet“ wird (1Petr 3,20), zum Ausgangspunkt für ein neues Leben werden - dafür stehen neben dem Ägyptenauszug und dem Einzug ins gelobte Land auch die Erzählungen von Noah (Gen 6-9), 10 Jona ( Jon 1,15-2,11) 11 und das aus dem Nil gerettete Mosekind (Ex 2). Angesichts dieser wiederkehrenden Verbindung des Rettungsmotives mit dem Moment der Lebensbedrohung durch Wasser bleibt jedoch festzuhalten, 1 Wasser und Wasserrituale allgemein 249 <?page no="250"?> 12 Ostmeyer, Taufe, 71, vgl. auch seine folgenden Ausführungen zur Schilfmeererzählung, Rettung des Mosekindes u. a. (a. a. O. 71-76). 13 Neben diesen beiden Hauptfunktionen findet Wasser auch zum Kochen ( לשב ) Ver‐ wendung, v. a. um Speisen verzehrbar und haltbar zu machen (Dtn 16,7 u. a.). 14 Clements / Fabry, םימ , 854. 15 Neben den vielen Orten, bei denen explizit erwähnt wird, dass sie in der Nähe von Wasserquellen gelegen sind, (exemplarisch sei hier allein Jerusalem mit der Gichon‐ quelle genannt,) ist dieser Aspekt teilweise sogar in den Namen eingegangen: Beerseba (Gen 21,30 f - Brunnen); En-Gedi (1Sam 24,1 - Quelle); Megiddo (Ri 5,19 - allgemein Wasser). 16 Konflikte um Wasserquellen entbrennen v. a. dort, wo neben den Menschen auch das Vieh mit dem seltenen Wasser versorgt werden muss (Gen 13). 17 Wassermangel kann sich zu ganzen Dürrejahren steigern (Am 4,7-9; Jer 14,1-6). Dabei ist durchaus konkret vor Augen, dass Wassermangel schließlich zu physischer Schwäche und gar Ohnmacht führt (1Sam 30,12; Ps 107,4 f). 18 Wasser kann von Menschen absichtlich verschmutzt werden (Ez 34,18), aber auch von Gott aus Strafzwecken ( Jer 8,14; 9,14). Auch die Plage der Rotfärbung des Nils (Ex 7,14-25) macht diesen für die Ägypter ungenießbar. Von Elisa wird berichtet, dass er die Wasserquelle Jerusalems heilt, also wieder trinkbar macht (2Kön 2,19-22). dass niemals das Wasser selbst oder mit seiner Hilfe die Rettung zustande kommt: „Noah wird nicht durch (medial) Wasser gerettet, sondern er wird von Gott vor dem Wasser gerettet. Nicht das Medium des Gerichts rettet, sondern Gott rettet aus dem Gericht und durch (lokal) das Gericht hindurch (vgl. I Petr 3,20).“ 12 1.1.1.2 Wasser, welches der Mensch beherrscht und verwendet In kleineren, beherrschbareren Mengen als den Fluten des Meeres macht sich der Mensch das Wasser zu Nutze, v. a. als lebensnotwendiges Getränk und zur Reinigung. 13 a) Wasser zum Trinken ( התש ) Da Wasser für alle Menschen lebensnotwendig ist, kann für beinahe sämtliche Schauplätze des AT betont werden, dass „[v]iele der charakteristischen Eigen‐ arten des Lebens in solchen Regionen mit der scharfen Trennung von Trocken- und Regenzeiten […] auf die Suche nach Wasser“ zurückgehen. 14 Dies erweist sich in den zahlreichen Anlagerungen von Ortschaften nahe von und Benen‐ nung nach Quellen und Brunnen, 15 und v. a. den zahllosen Konflikterzählungen um Wasserquellen, 16 Wassermangel 17 und Wasserverschmutzung. 18 Demgegen‐ über können „[a]usreichende Wasserversorgung und paradiesische Verhält‐ nisse […] gleichgesetzt werden: Die von Lot gewählte Jordanebene wird wegen ihrer Bewässerung mit dem Garten des Herrn verglichen (Gen 13,10; vgl. Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 250 <?page no="251"?> 19 Ostmeyer, Taufe, 63, welcher zudem die Erwähnung der Paradiesflüsse im Gegenüber zu dem Chaoswasser herausstellt (a. a. O. 62). 20 Ausreichend Tränkung für die Tiere ist nicht nur für diese überlebenswichtig, sondern ihre Tränken auch wichtige Begegnungsplätze des sozialen Lebens (Gen 24; 29). 21 Ps 1,3; Ez 17,5.7. 22 2Kön 6,22; Jes 21,14; Ps 23,5. 23 Siehe ausführlich Ostmeyer, Taufe, 63-66. 24 Zur grundsätzlichen Nähe von Reinheit und Heiligkeit in ganz unterschiedlichen Reli‐ gionen und Kulturen siehe Douglas, Reinheit, bes. 11-22. 25 Anders Ostmeyer, Taufe, 59, welcher aus 1Petr 3,21; bNid 66b sowie Bemerkungen in Miq IX ableitet: „Kultische Reinigung hat nichts mit Hygienemaßnahmen zu tun […] Körperliche Reinheit war Voraussetzung für das Gelingen der kultischen Reinheit.“ Die beiden nichtbiblischen Texte richten sich auf die jüdischen Tauchbäder, siehe unter IV.1.1.2.2 Exkurs תואוקמ - Miquaoth; 1Petr 3,21 lehnt hingegen eine Reinigungsfunk‐ tion für die christliche Taufe ab, siehe unter V.1.2.4 sowie VI.6. 26 Gen 18,4; 24,32. 27 Dies ist der Hintergrund der Zeichenhandlung Jeremias, seinen Gürtel nicht zu waschen ( Jer 13,1-11). 28 Als drei Männer Abraham in Mamre besuchen, bietet er ihnen zuerst an, ihnen Wasser zu holen und ihnen die Füße damit zu waschen (Gen 18,1-5). Ez 47,8-12). Wüstenbewässerung ist Zeichen göttlichen Wirkens ( Jes 41,17-20; vgl. 35,6 f.; 58,10 f.).“ 19 Doch nicht allein für Menschen, auch für Tiere 20 und Pflanzen 21 stellt Wasser die Quelle allen Lebens dar, welche kaum zu über‐ schätzen ist. In diesem Sinne ist das Reichen von Brot und Wasser oberstes Gebot der Gastfreundschaft. 22 Eine der wichtigsten Verheißungen Gottes für Israel lautet: „Ich werde dein Brot und dein Wasser segnen“ (Ex 23,25). Überhaupt kommt dem Wasser innerhalb der Vorstellungen über die Heilszeit eine we‐ sentliche Rolle zu. 23 b) Wasser zum Reinigen ( ץחר / סבכ ) Gereinigt werden Personen ( ץחר ) bzw. einzelne Körperteile wie auch Gegen‐ stände ( סבכ ). Auf Grund der Nähe von Reinheit und Heiligkeit 24 lässt sich oft nur schwer entscheiden, ob die Waschung aus hygienischer oder ritueller Ab‐ sicht heraus erfolgt oder auch beide Aspekte in ihr zusammenfallen. 25 Aus‐ schließlich profan verstanden scheinen das Waschen der Füße nach einer Reise 26 und die erste Reinigung neuer Kleidung 27 zu sein. Wird die Waschung durch einen anderen übernommen, so eignet der Handlung ein dienender Ge‐ danke. 28 Um etwa das Dienstverhältnis des Elisa gegenüber Elia auszudrücken wird jener bezeichnet als derjenige, קצי־רשא םימ ידי־לע והילא - „der Elia Wasser über die Hände goss“ (2Kön 3,11). Dabei lassen sich unterschiedliche Arten der Reinigung mit Wasser feststellen, welche im folgenden Abschnitt zu den Wasserritualen näher auszuführt werden. 1 Wasser und Wasserrituale allgemein 251 <?page no="252"?> 29 Gruenwald, Rituals, 176. 30 Ebd. 31 Für sämtliche von ihm untersuchten Rituale beobachtet er beispielsweise: 1) „Every ritual process creates a certain ‚ritual space‘ or ‚cosmos‘“ (a. a. O. 175). 2) „Everything that happens in the ‚attitudinal space‘ is conducive to creating a transformative event or transformative results.“ (ebd.). 32 Die einzigen beiden Ausnahmen werden unter IV.1.1.2.2 b) verhandelt. 33 Clements / Fabry, Art. םימ , 862. 34 Siehe Wolf, Aqua religiosa, III-IV. Als dritte Grundkategorie nennt er „Kultische Wa‐ schung zur Initiation“ (a. a. O. V), welche sich jedoch im AT nicht ausmachen lässt. 1.1.2 Wasserrituale 1.1.2.1 Zur Kategorisierung der Wasserrituale In einem der wenigen ritualwissenschaftlichen Gesamtentwürfe für das AT und Frühjudentum stellt Ithamar Gruenwald fest, „that a full-scale and paradicmatic study of halakhah as ritual is a desideratum.“ 29 Schließlich kann auch er lediglich „foundations of such an study“ 30 liefern, welche aber bereits erste Interpretati‐ onsansätze bieten. 31 Mit Blick auf Thema und Anliegen dieser Arbeit hat auch die hier folgende Untersuchung keine umfassende Interpretation zum Ziel, son‐ dern wird auf der Beschreibungs- und Analyseebene nach ordnenden ritologi‐ schen Kategorisierungen fragen: 1) Nahezu sämtliche alttestamentlichen Wasserrituale haben die kultische Reinheit als Ziel und stellen demnach Waschungen dar. 32 Für eine nähere Klas‐ sifizierung bieten sich unterschiedliche Ritualaspekte an: Die Bezeichnung „Wa‐ schung“ zielt auf die Ritualfunktion, nämlich die (Wieder-)Herstellung kulti‐ scher Reinheit. In diesem Zusammenhang ist zu bemerken: „Das Entfernen von Schmutz, von schädlichen Einflüssen und Krankheiten, wie auch von ritueller Unreinheit war so eng miteinander verbunden, daß man keinen dieser Aspekte separat deuten kann.“ 33 Demnach stellt sich die Frage, ob es sich im Einzelfall überhaupt um ein religiöses Ritual oder lediglich eine hygienische Vorschrift handelt. Dennoch lassen sich die Rituale mit religiöser Absicht hinsichtlich ihrer Ritualfunktion noch genauer kategorisieren. Wolf beispielsweise unterteilt in „Kultische Waschung vor religiösem Handeln“ und „Kultische Waschung nach religiöser Verunreinigung“. 34 2) Des Weiteren kann man nach den Personen differenzieren, welche die Was‐ serrituale ausüben: So gibt es etwa Waschungen, welche von allen zu vollziehen sind, andere wiederum nur von Priestern, Leviten oder auch nur vom Hohe‐ priester. Diese Unterschiede leiten sich allerdings weniger von den Personen‐ gruppen an sich her, als vielmehr von den durch sie zu verrichtenden weiteren Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 252 <?page no="253"?> 35 Siehe dazu ausführlich unter IV.1.1.2.3. 36 Lawrence, Washing, 25 Anm. 8, merkt jedoch an: „For instance, we cannot generalize about what kind of water is used, since only some verses refer to the kind of water“. 37 Miq I,1-8: 1) Wasser in Teichen (I,1-5); 2) Wasser in Regenbecken (I,6); 3) Wasser in einem Tauchbad (I,7); 4) Wasser einer Quelle (I,7); 5) Wasser aus einem Felsen (I,8); 6) lebendiges Wasser (I,8). Die sich jeweils anschließenden Erläuterungen thematisieren, auf welche Weise das jeweilige Wasser rein bzw. unrein wird und zu welcher Art von Waschung es Verwendung findet. 38 Siehe bereits oben vor- und nachbereitende Funktion. 39 Während viele alttestamentliche Waschungen nicht näher lokalisiert werden, liest man gelegentlich auch von ungefähren oder auch konkreten räumlichen Konditionierungen ( םוקמב שודק - an der heiligen Stätte [Lev 16,24]) bzw. expliziten Orten, welche für bestimmte Waschungen vorgesehen sind (zwischen Stiftshütte und Altar steht ein Kup‐ ferbecken für Waschungen der Priester [Ex 30,17-21]). Vgl. auch Flav.Jos.Ant VIII 3,9, welcher betont, dass jedermann den salomonischen Tempel betreten durfte, solange er das Gesetz befolgte und rein war. 40 Sehr oft wird das Waschen der Kleidung erwähnt (Ex 19,10), oft auch in Kombination mit körperlichen Waschungen, wobei es sich stets um Selbstwaschungen handelt (Lev 14,8). 41 Wird das Sündopfer in einem kupfernen Topf gekocht, ist dieser zu scheuern und mit Wasser zu spülen. Handelt es sich um einen irdenen Topf, ist dieser gar zu zerbrechen (Lev 6,21). Rituale, welche durch Waschungen persönlich vor- oder auch nachzubereiten sind. 35 3) Teilweise wird das zu verwendende Wasser differenziert bzw. konditioniert. Dabei wird unterschieden zwischen Wasser, das grundsätzlich für bestimmte Arten von Wasserritualen nicht geeignet ist und solchem, welches dafür unter‐ schiedlich nutzbar gemacht werden kann bzw. uneingeschränkt geeignet ist. 36 So wird etwa erwähnt, dass bei einer Verunreinigung durch einen Leichnam םימ םייח (Num 19,17) nötig ist. „Lebendig“ meint in diesem Falle fließendes Wasser. Die Mischna eröffnet ihren Traktat zu den Tauchbädern ( תואוקמ ; Miq‐ vaoth [Miq]) gar mit einer detaillierten rituellen Klassifizierung von Wasser‐ arten, welche jedoch sämtliche als „eine wichtiger als die andere“ bewertet werden. 37 4) Überhaupt lassen sich Waschungen nach ihrem Verhältnis zu anderen (Haupt-)Ritualen näher beschreiben: Dies kann neben dem funktionalen As‐ pekt, 38 den zeitlichen oder auch den räumlichen Aspekt 39 umfassen. Außerdem ist das Ritualobjekt genauer zu benennen: Einerseits waschen sich Menschen selbst - entweder nur bestimmte Körperteile oder auch den gesamten Körper. Andererseits werden Gegenstände unterschiedlicher Art gewaschen - sowohl Dinge des täglichen Bedarfs 40 als auch rituelle Gegenstände. 41 Zudem lassen sich 1 Wasser und Wasserrituale allgemein 253 <?page no="254"?> 42 Lawrence, Washing, vii. Er selbst begründet seine Einteilung damit, es wären die „three contexts in which ritual uses of washing or purification are presented in the Hebrew Bible“ (a. a. O. 26). 43 Siehe ausführlich unter IV.1.1.2.3. 44 Siehe ausführlich unter IV.5.1. 45 Labahn, Wasser, 160. unterschiedliche Arte des Ritualablaufes ausmachen: סבכ \ ץחר (waschen), קרז (besprengen), לבט (eintauchen) u. a. Trotz dieser vielfältigen Möglichkeiten für eine einheitliche Kategorisierung nach lediglich einem Ritualaspekt bieten die meisten neueren Übersichten eher eine Zusammenschau von Einzelaspekten oder auch ritologisch uneinheitliche Mischkategorien. So unterteilt etwa Lawrence in: 1) „General Washing“; 2) „Priestly Washing“ (→ nach Person) und 3) „Washing for Theophanies“ (→ nach Ritualfunktion). 42 Um im Anschluss die einschlägige These prüfen zu können, dass die alttes‐ tamentlichen und frühjüdischen Wasserrituale direkte oder auch indirekte Vor‐ gängerrituale der christlichen Taufe darstellen, scheinen innerhalb der ritolo‐ gischen Kategorisierungsmöglichkeiten zwei in besonderer Weise für eine einheitliche Darstellung geeignet: 1) eine Differenzierung nach dem Ritualab‐ lauf, welche sich an den unterschiedlichen hebräischen Vokabeln und einzelnen Beschreibungen orientiert, und 2) eine Kategorisierung nach der Ritualfunktion, für welche Wolf eine überzeugende Einteilung vorgeschlagen hat. 43 1.1.2.2 Kategorisierung nach dem Ritualablauf Die absolute Mehrheit der alttestamentlichen Wasserrituale stellt Waschungen zur Reinigung dar. Daneben wird Wasser rituell in einem Ordal, einem Trank‐ opfer und zur Besprengung in einer Segenshandlung genutzt. Sieht man von den Qumrantexten ab, 44 lässt die geringe Zahl an entsprechenden Erwähnungen in anderen frühjüdischen Texten erahnen, „dass den Reinigungsriten in diesem Umfeld keine große Bedeutung zukommt.“ 45 Auch andere Arten von Wasserri‐ tualen finden in diesen Texten keine Erwähnung. Dieser Befund steht im deut‐ lichen Kontrast zu den ausführlichen und detaillierten Schilderungen und Dis‐ kussionen in der Mischna. a) Waschungen zur Reinigung Die hebräische Sprache bietet eine Vielzahl an Verben, welche nicht nur diverse Arten von rituellen Reinigungen unterscheiden, sondern auch zwischen den jeweiligen Objekten der Waschungen differenzieren. Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 254 <?page no="255"?> 46 Siehe beispielsweise die Aufforderung an Aaron und seine Söhne, in einem kupfernen Becken Füße und Hände zu waschen, mit denen sie die Stiftshütte betreten bzw. das Feueropfer darbringen (Ex 30,19-21). 47 לבט bezeichnet alttestamentlich das Eintauchen in verschiedene Arten von Flüssig‐ keiten, z. B. Blut (Gen 37,31; Ex 12,22), Öl (Dtn 33,24) oder Essig (Ruth 2,14). 48 Dieser Text kombiniert Reinigungsmit Heilungsaspekten und beschreibt schließlich ein siebenmaliges Ganzkörper-Selbsttauchen im Jordan. Wenn auch der Akt selbst mit לבט wiedergegeben wird, so lautet die Aufforderung des Propheten Elisa doch zu einem siebenmaligen ץחר (2Kön 5,10). a.a (Ab-)Waschen ( ץחר / סבכ ) Die große Mehrheit der Stellen beschreibt ein (Ab-)Waschen entweder des menschlichen Körpers ( ץחר ) oder von Gegenständen ( סבכ ). des menschlichen Körpers - ץחר : ץחר bezeichnet das (Ab-)Waschen ent‐ weder 1) des gesamten menschlichen Körpers (Lev 16,4) oder auch 2) einzelner Körperteile (Ex 30,21) zu deren kultischer Reinigung. Werden nur Hände oder Füße gewaschen, dann deswegen, weil diese in besonderer Weise mit der hei‐ ligen Stätte oder dem späteren Opfer in Berührung kommen. 46 von Gegenständen - סבכ : סבכ bezeichnet das (Ab-)Waschen verschiedener Arten von Gegenständen zu deren kultischer Reinigung. Sehr häufig ist 1) Klei‐ dung zu waschen, welche man während einer Verunreinigung trug (Lev 13,6) oder zur allgemeinen Vorbereitung auf eine kultische Handlung ohne konkrete Verunreinigung (Num 19,7). Auch sonst sind Gegenstände des täglichen Bedarfs nach einer Verunreinigung wieder kultisch zu reinigen (Lev 15,17). Außerdem sind 2) Kultgeräte in Vorbereitung auf deren Verwendung bei einer kultischen Handlung zu reinigen (Lev 6,21). Weitere, jedoch selten verwendete Verben, welche ein reinigendes Abwa‐ schen beschreiben sind קצי (übergießen), ףטש (abspülen) und חוד (waschen). a.b Besprengen zur Reinigung ( הזנ ) Nach einer ausführlichen Reinigung auf Grund des vorherigen Kontaktes mit einem Toten sind Zelt, Gefäße und Personen zusätzlich mit einem in Wasser getauchten ( לבט ) Ysopzweig zu besprengen ( הזנ [Num 19,18 f]). a.c Eintauchen ( לבט ) 47 Dass man zur kultischen Reinigung nicht mit Wasser abwäscht oder besprengt, sondern in solches eintaucht, ist - mit Ausnahme des siebenmaligen Tauchbades Naamans zur Heilung des Aussatz (2Kön 5,14) 48 - erst für die nachalttestament‐ 1 Wasser und Wasserrituale allgemein 255 <?page no="256"?> 49 An zwei Stellen wird zwar ein Eintauchen in Wasser erwähnt, jedoch hat dies keinen rituell-reinigenden Zweck: Ein Ysopzweig wird in Wasser getaucht, um damit Zelt, Ge‐ fäße und Menschen zu besprengen (Num 19,18). Und eine Decke wird in Wasser ge‐ taucht, um damit Ben-Hadad zu ersticken (2Kön 8,15). 50 Siehe ausführlich unter IV.5. 51 Separat voneinander besprochen wird das Wasser in einem Teich, in einem Regenbe‐ cken, in einem Tauchbad, in einer Quelle, (aus Felsen) geschlagenes Wasser und le‐ bendiges Wasser (Miq I,1-8). 52 Die durch die Regenzeit verursachte Unreinheit ist abhängig von der Größe des Ge‐ wässers und seiner Lage (nahe von Stadt und Weg bzw. fern davon) und die Voraus‐ setzungen für die erneute Reinheit umstritten (Miq I,4 f). 53 Diskutabel ist, ob ein mehrheitliches Untertauchen eines Körpers in einem zu kleinen Tauchbad anerkannt werden kann (Miq II,2). liche Zeit belegt. 49 Die sog. Täufersekten, bei denen kultisch-reinigende Was‐ serrituale eine hervorgehobene Rolle spielen, führen diese normalerweise als Tauchungen von Gegenständen und als Selbsttauchungen von Menschen durch. 50 Die Mischna widmet dieser neuen Art des Wasserrituals einen eigenen Traktat. Exkurs: תואוקמ - Miqvaoth Die Kap. I-VII handeln v. a. von den Wasserarten und -mengen, welche in unter‐ schiedlicher Weise verwendet werden können bzw. von Nöten sind. Die Kap. VIII-X fokussieren dann den korrekten Ablauf eines Tauchbades. Kap. I: Es werden sechs Arten von Wasser benannt, 51 welche in unterschiedlicher Weise verunreinigt und gereinigt werden: Verunreinigungen treten auf, wenn ein Unreiner davon trinkt (I,1) oder hineingeht (I,4), ein Toter hineinfällt (I,4), es in ein unreines Gefäß gefüllt wird (I,2), unreines Wasser hinzugegossen wird (I,3) sowie zum Ende der Regenzeit (I,4). 52 Die verschiedenen Wasserarten eignen sich für unter‐ schiedliche Rituale: Eine Quelle wie auch ein Tauchbad von mind. 40 Sea Wasser dienen zum Untertauchen der eigenen Person und von Gegenständen und machen auf diese Weise rein (I,7). Aus Felsen „geschlagenes“ Wasser kann im Fließen reinigen (I,5) und lebendiges Wasser kann bestimmte Kranke reinigen und Sündopferwasser heiligen (I,8). Kap. II: Wird nachträglich festgestellt, dass bestimmte Voraussetzungen (z. B. Größe des Tauchbades, Verunreinigung durch Schlamm) nicht gegeben waren (II,2) oder man darüber in Zweifel war (II,1.3), gelten der oder das Getauchte weiter als unrein. 53 Kap. III: Die Reinheit von absichtlich und zufällig vermischten Wasserarten ist unter den Rabbinen umstritten, ebenso die Art und Weise auf welche das verunreinigte Wasser wieder zu reinigen ist. Kap. IV: Manche Rabbinen erklären durch Gefäße verunreinigtes Wasser für rein, wenn diese Gefäße an einem Ort vergessen wurden. Andere entscheiden einen solchen Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 256 <?page no="257"?> Fall unabhängig vom Hergang der Verunreinigung (IV,1). Arbeiten an einer in das Tauchbad führenden Wasserrinne können das Wasser darin verunreinigen (IV,3). Während eine Vermischung von Wasserarten im Tauchbad dieses verunreinigt, gilt dies nicht für eine Vermischung, bevor das Wasser das Tauchbad erreicht, solange dieses mehrheitlich rein ist (IV,4). Kap. V: Da manche Wasserarten für bestimmte Reinigungen notwendig sind (z. B. bei Aussatz), wird eine Vermischung dieser mit anderen gesondert bewertet (V,1). Alle Arten von Meeren gelten als Tauchbad und können entsprechend einem Tauchbad reinigen (V,4). Alle fließenden Gewässer werden wie Quellwasser verwendet. Inte‐ ressanterweise macht auch eine Meereswelle von mind. 40 Sea Wasser Menschen und Gefäße rein, die sie (zufällig) übergießt. Kap. VI: Einzeln diskutiert werden das Untertauchen von zu reinigenden Gefäßen in einem größerem (z. B. einem Korb [VI,2-5]) und zusammen mit einem defekten Gefäß (VI,6). Tauchbäder können durch Wasser aus anderen Tauchbädern aufgefüllt werden, wobei eine bestimmte Reihenfolge und Größe der Rinne zu beachten ist (VI, 7-11). Kap. VII: Gelangen kleinere Mengen einer Flüssigkeit in ein Tauchbad so wird dieses zwar nur in wenigen Fällen untauglich zur Reinigung, jedoch können diese Flüssig‐ keiten nicht für das Auffüllen fehlenden Wassers angerechnet werden (VII,1 f). Dazu eignen sich lediglich Schnee, Hagel, Reif, Eis, Salz und dünner Schlamm (VII,1). Ändert sich durch die hinzugekommene Flüssigkeit das Aussehen des Wasser, speziell die Farbe, so ist dies nur noch in bestimmten Fällen tauglich (VII,3-5). Ob jemand bzw. etwas durch das Untertauchen rein wird, hängt zudem von der Reihenfolge des Un‐ tertauchens ab (VII,6 f). Kap. VIII: Anlässe für Tauchbäder sind Pollution (VIII,1-3), Menstruation (VIII,5) u. ä., wobei näher zwischen Juden und Nichtjuden, unterschiedlichen Orten von Tauchbädern und Arten des vollständigen Untertauchens differenziert wird. Kap. IX: Es werden verschiedene Arten von Haaren, Stoffen, Schorf und Flecken un‐ terschieden - solche, die vom reinigenden Wasser trennen und solche, die es nicht tun (IX,1-4). Dabei gelten niedrigere Anforderungen für Mittellose und solche, welche durch ihren Beruf, etwa als Pecharbeiter oder Töpfer, Verunreinigungen ausgesetzt sind (IX,5-7). Zudem wird zwischen Männern und Frauen differenziert (z. B. in Bezug auf die Haare [IX,2 f]). Grundsätzlich gilt: „Ob Mann, ob Frau, alles, was einem peinlich ist, trennt, aber was einem nicht peinlich ist, trennt nicht.“ (IX,3). Kap X: Zu besonders schwierig zu reinigenden Gegenstände wie Griffen von Gefäßen, Kissen, Knoten u. ä. werden ausführliche Vorschriften aufgeführt (X,1-5). Hat jemand unreine Nahrung oder Getränke aufgenommen, hat er sich unterzutauchen und wenn möglich zu erbrechen (X,7 f). 1 Wasser und Wasserrituale allgemein 257 <?page no="258"?> 54 Das Wasser wird zuvor mit Staub vom Boden der Stiftshütte vermischt und vom Priester verflucht. Die Frau hat zudem die Flüche zu beschwören, welche bei einer untreuen Frau das Anschwellen des Bauches und Schwinden der Hüfte sowie Unfruchtbarkeit verursachen, bei einer treuen aber keine negative Wirkung haben. 55 Die folgende Kategorisierung orientiert sich an Wolf, Aqua religiosa, 12-22.67-91. Zur Ritualfunktion der beiden alttestamentlichen Wasserrituale, welche keine Waschungen darstellen, siehe bereits oben unter IV.1.1.2.2 b). 56 Die angeführten Themen wie auch die zugehörigen Stellenangaben können nur exemp‐ larisch einen Überblick über die alttestamentliche Bandbreite ritueller Waschungen geben. Sie legen ihren Schwerpunkt zudem auf die alttestamentlichen Texte und führen rabbinische Literatur nur dort an, wo sie jenen gegenüber wesentliche Weiterentwick‐ lungen oder Abweichungen präsentiert. b) Trinken und Trankopfer Lediglich die folgenden drei Texte beschreiben eine rituelle Verwendung von Wasser ohne reinigende Absicht. b.a Trinken als Ordal ( הקש ) An einer einzigen alttestamentlichen Stelle wird Wasser in ritueller Absicht ge‐ trunken, dem Ordal zur Prüfung des Untreueverdachts gegen eine Ehefrau (Num 5,11-31). Nach verschiedenen vorbereitenden Ritualen muss die Frau das - im Falle der Untreue - Fluch bringende Wasser trinken. Zudem wird ein Zettel voller Flüche in demselben Wasser abgewaschen. 54 b.b Trankopfer ( ךסנ ) Im Rahmen des Laubhüttenfestes sind neben Brand-, Speise- und Schlachtopfers auch Trankopfer darzubringen (Lev 23,37). Auch bei den für die Landnahme vorgesehenen Opfern werden u. a. Trankopfer erwähnt (Num 15,5. 7. 10). 1.1.2.3 Kategorisierung nach der Ritualfunktion: Kultische Waschungen zur Reinigung 55 a) Kultische Waschungen vor religiösem Handeln a.a Vor heiligen Handlungen, speziell vor dem Betreten einer heiligen Stätte 56 Da die Gegenwart des heiligen Gottes Heiligkeit erfordert, sind entsprechende Waschungen durchzuführen, bevor man Orte betritt und Handlungen vollzieht, bei welchen die Nähe Gottes zu erwarten ist und zwar unabhängig von einer möglichen vorherigen Verunreinigung. Dies betrifft sowohl heilige Stätten Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 258 <?page no="259"?> 57 Wie bereits erwähnt, beschreibt Lawrence das Waschen vor Theophanien als eigene Kategorie, siehe dazu ders., Washing, 31 f. Indem er Theophanien dann doch zusammen mit „other special occasions“ (a. a. O. 31) verhandelt, können sie m. E. als besondere Formen der Gottesnähe eingestuft werden. Lawrence stellt dabei fest, dass die Wasch‐ ungen oft mit anderen vorbereitenden Handlungen kombiniert werden, etwa mit einem zu Boden Fallen oder mit dem Ausziehen der Sandalen (a. a. O. 31 Anm. 28). 58 Joma III,3. 59 Arist 304-306, 306. 60 Siehe u. a. Ber 14b.15a. Damit in Zusammenhang stehen dürfte der Brauch, das ganze Morgengebet in Wassernähe abzuhalten, was den Römern als althergebrachter Brauch der Juden bekannt ist und entsprechend im Sinne der freien Religionsausübung vom römischen Senat geschützt wird (Flav.Jos.Ant. XIV 10,23). Bezüglich der Entstehung des rituellen Waschens vor dem Morgengebet stellt Wolf die These auf, dass es sich aus einem Reinigen von nächtlicher Pollution heraus entwickelte, ohne das kein Gebet verrichtet werden darf, Wolf (Aqua religiosa, 16 f). 61 Ber 15a. (Gen 35,2), Opfermähler (1Sam 16,5) und erwartete Theophanien (Ex 19,10) 57 als auch das Ziehen in den Krieg ( Jos 3,5). In nachalttestamentlichen Schriften werden besondere Regeln für das Be‐ treten (der unterschiedlichen Vorhöfe) des Tempels aufgestellt. Auffällig ist dabei v. a., dass unabhängig vom vorherigen „Reinheitsgrad“ der Person ein Tauchbad obligatorisch ist: „Niemand darf, ohne vorher untergetaucht zu haben, den Vorhof zu einer heiligen Handlung betreten, auch nicht ein Reiner.“ 58 a.b Vor dem Gebet Den frühesten Beleg für obligatorische Waschungen vor dem Gebet bietet der Aristeasbrief, der vom Händewaschen der Übersetzer der Septuaginta berichtet und dafür auch eine Deutung liefert: ὅτι μαρτύριόν ἐστιν τοῦ μηδὲν εἰργάσθαι κακόν. 59 Es wird üblich, sich morgens zwischen Aufstehen und Gebet die Hände zu waschen. 60 Dem wird wiederum von einzelnen widersprochen, da der Was‐ sermangel in wasserarmen Gebieten teilweise zum Unterlassen der Gebete führt. 61 a.c Vor priesterlichem Handeln Bereits die Weihe zum Priester (Ex 29,4) bzw. Leviten (Num 8,6) beinhaltet eine Waschung. Die folgenden Waschungen von Händen und Füßen (Ex 30,19) vor jedem Betreten des Heiligtums und jedem Verrichten eines Brandopfers sind 1 Wasser und Wasserrituale allgemein 259 <?page no="260"?> 62 Einzige Erwähnung eines Wasserrituals innerhalb der Zwölf Patriarchen stellt TestLev 9,11 dar: Als Priester soll sich Levi waschen (λύω; νίπτω) bevor er einen Tempel betritt und zwar bei der Durchführung des Opfers und nach dessen Abschluss. Dass keinerlei weitere Details zur Art des Rituals, Qualität des Wasser oder auch Konkreti‐ sierung der zu waschenden Körperteile erwähnt werden, deutet Labahn, Wasser, 161, dahingehend, der Text wolle keine „Auskunft über Reinigungsriten […] geben, sondern Levi als Priester in den Vordergrund […] stellen“. 63 Insofern ist Lawrence zu widersprechen, welcher das Fehlen von expliziten Reinheits‐ aussagen, wie sie sich an manchen anderen Stellen zu kultischen Waschungen finden, dahingehend deutet, „that the priests were already washed and purified of any impu‐ rities“ (Lawrence, Washing, 31). Denn die Erklärung, welchen Zweck dann das Waschen habe, wenn nicht zur Herstellung kultischer Reinheit als angemessene Vorbereitung auf den Priesterdienst, bleibt Lawrence schuldig. 64 Joma III 3b. 65 Tam VII 2; Sota 39a. 66 Zu Waschungen vor dem Brotessen zur Zeit Jesu siehe auch unter IV.1.2.2.2. 67 Chul 107b. 68 V.a. im Mischnatraktat Jadajim finden sich weitgehende Bestimmungen. 69 So Wolf, Aqua religiosa, 19 f. 70 Tos, Jad II 3; Chag II 6. obligatorisch und entsprechend häufig im Leben eines Priesters zu vollziehen. 62 Dennoch verfolgen sie mit der Herstellung der notwendigen Reinheit und Hei‐ ligkeit in der Nähe Gottes grundsätzlich den gleichen Zweck wie auch die Waschungen aller anderen Israeliten, wenn sich auch die Konsequenz bei Nicht‐ beachtung nur für Priester findet: „… auf dass sie nicht sterben“ (Ex 30,21). 63 In späterer Zeit werden die geforderten Waschungen für einen Priester noch häufiger und differenzierter. So hat etwa der Hohepriester im Verlauf von Jom Kippur insgesamt fünf Tauchbäder zu vollziehen. 64 Auch in Vorbereitung auf die Erteilung des Segens werden Waschungen erforderlich. 65 a.d Vor dem Essen 66 Dass die Hände vor dem Essen gewaschen werden, zielt nicht etwa auf die Reinheit der Hände, sondern vielmehr auf die potentielle Verunreinigung des Brotes durch die den Händen anhaftenden Flüssigkeiten. 67 Vermutlich wird diese besondere Vorsicht zunächst nur bei Opferspeisen angewendet und später auf sämtliche Speisen ausgeweitet. 68 Möglicherweise hat auch die nichtreligiöse hellenistische Sitte, sich vor dem Essen die Hände zu waschen, Einfluss auf die Entwicklung. 69 Wichtig ist es, dass die Waschung absichtlich und mit genauem Zweck vollzogen wird. 70 Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 260 <?page no="261"?> 71 Z. B. Pollution sowie krankhafte Ausflüsse von Männern und Frauen. 72 Z. B. bevor man sich Gott naht (Ex 19,15), von den Schaubroten isst (1Sam 21,6) oder an Jahwes Krieg teilnimmt (2Sam 11,11). 73 Lev 15,18. 74 Laut Miq VIII ist dazu ein Tauchbad nötig, siehe den Exkurs תואוקמ - Miquaoth unter IV.1.1.2.2. 75 So werden mit dem entsprechenden Verweis darauf aufdringliche Freier abgewehrt (Ber 22a), aber auch einvernehmliche Begegnungen verhindert (Ber 15b). 76 Ber 20a-22b. Außerdem ersetzten manche Rabbinen das Tauchbad durch ein Über‐ gießen mit Wasser, da der Wassermangel zu erheblich weniger Geschlechtsverkehr oder auch weniger Torahstudium führt. 77 Lev 12,1-8; 15,19-24. 78 Num 5,1-4. 79 Lev 14,1-57. 80 Num 19,11-16. b) Kultische Waschungen nach religiöser Verunreinigung b.a Bei geschlechtlicher Unreinheit Da Geschlechtsverkehr und damit verbundene Phänomene 71 automatisch kul‐ tisch verunreinigen, muss man sich entweder enthalten 72 oder sich reinigen und gilt danach noch bis zum Abend als unrein. 73 Zusätzlich zum reinigenden Was‐ serritual 74 gehören dazu ggf. auch längere Reinigungsfristen sowie das Waschen von berührter Kleidung. Allerhand Überlieferungen beschäftigen sich mit dem Fehlen der dazu benötigten 40 Sea Wasser und den entsprechenden Folgen. 75 In späterer Zeit werden die Anforderungen von einigen Rabbinen gelockert, sodass sie lediglich für den Mann und nur vor dem Gesetzesstudium sowie dem Ver‐ richten der Formulargebete gelten. 76 Durch alle Zeiten und literarischen Quellen zieht sich die Forderung an die Frauen, sich nach Menstruation und Entbindung kultisch zu reinigen. 77 b.b Nach Genesung von Aussatz Will ein genesener Aussätziger in die (Kult-)Gemeinschaft zurückkehren, 78 hat er sich nach einer Prüfung mit Quellwasser besprengen zu lassen, Salbungen zu empfangen, die Haare zu scheren und sämtliche Kleider und Gegenstände des Hauses zu waschen und anschließend ein Sühnopfer zu erbringen. 79 Die Wa‐ schungen muss auch derjenige durchführen, welcher im Hause eines Aussät‐ zigen geschlafen hat. b.c Bei Leichenunreinheit Notwendig wird die Reinigung für jeden, der einen Leichnam berührt bzw. ein Trauerhaus oder Grab betreten hat. 80 Personen und Gegenstände werden am 3. 1 Wasser und Wasserrituale allgemein 261 <?page no="262"?> 81 Num 19,1-19. 82 Lev 11,15-39. 83 Dtn 21,1-9. 84 Wolf, Aqua religiosa, 72. Siehe auch Ps 26,6; 73,13. 85 Mt 27,24, siehe unter IV.1.2.2.1. 86 Z. B. der Hohepriester, nachdem er seinen Dienst im Allerheiligsten verrichtet hatte (Lev 16,23 f), aber auch Priester nach der Reinigung von Leichenunreinheit (Num 19,7 f). In ganz unterschiedlichen Kulturen gilt der Kontakt mit dem Heiligen als gefährdende „Verunreinigung“, welcher man sich zu entledigen hat, bevor man in den profanen Be‐ reich zurückkehrt, siehe dazu umfassend Douglas, Reinheit und Gefährdung. 87 Lev 6,17-20. 88 Ez 36,24 f; 37,23; Jer 2,22. 89 Amos 7,17; Hos 9,3; Num 31,23. und 7. Tag der Reinigungsfrist mit Wasser besprengt. Es folgt eine Waschung der Person und der Kleidung. 81 Das gleiche gilt für den Kontakt mit Aas, also nichtgeschächtetes verstorbenes Vieh. 82 b.d Bei Unreinheit durch Totschlag Wird ein von einem Unbekannten Erschlagener gefunden, so bringen die Äl‐ testen der nächstgelegenen Stadt ein stellvertretendes Sühneopfer dar, damit die Blutschuld nicht an den Einwohnern gerächt werde. In diesem Zusammenhang waschen sie ihre Hände - als Unschuldige - über dem Opfertier. 83 „Als Symbol der Schuldlosigkeit ist es in Israel zum festen Brauch und zur stehenden Rede geworden.“ 84 Mt berichtet eine entsprechende Waschung von Pilatus, begleitet von den Worten: ἀθῷός εἰμι ἀπὸ τοῦ αἵματος τούτου. 85 b.e Nach kultischem Handeln Wenn Einzelne dem Heiligen in besonderer Weise nahegekommen und damit „geheiligt“ wurden, haben sie ihre Kleider abzulegen und sich zu waschen, 86 „damit sie das Volk nicht durch ihre Kleider mit dem Heiligen in Berührung bringen“ (Ez 44,19). Ebenso müssen bei der Opferung verwendete Geräte und Kleidung gewaschen werden. 87 Eine entsprechende Reinigung wird jedoch auch nach der Ausübung von Götzendienst erforderlich 88 und damit für alles, was als Kriegsbeute von heidnischen Völkern stammt. 89 b.f Regelmäßig zur kultischen Reinigung Eine zunehmende Schwerpunktverschiebung weg von einer Waschung zu einem konkreten Anlass hin zu allgemeinen Waschungen vor ganz unterschied‐ lichen Verrichtungen führt zu einer enormen Häufung von Waschungen, welche sich immer losgelöster von einer konkreten Verunreinigung entwickelt. In nachalttestamentlicher Zeit entstehen Gruppierungen, in denen regelmäßige Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 262 <?page no="263"?> 90 Zur näheren Charakterisierung der Gruppierungen und der Funktion(-en) ihrer Was‐ serrituale siehe unter IV.5. 91 Wolf, Aqua religiosa, 83. 92 Zum besonderen Gebrauch von Waschungen in dieser Funktion bei den sog. Täufer‐ sekten siehe unter IV.5. 93 Ebd. 94 Jer 2,22; Ez 36,25. 95 Jes 1,15-17: „[…] denn eure Hände sind voll Blut. Wascht euch, reinigt euch, tut eure bösen Taten aus den Augen, lasst ab vom Bösen! “ Siehe auch 4,3 f. 96 Ps 51,3 f: „Gott, sei mir gnädig nach deiner Güte, und tilge meine Sünden nach deiner großen Barmherzigkeit. Wasche mich rein von meiner Missetat, und reinige mich von meiner Sünde.“ Siehe auch Jer 4,14; Hi 9,29 f. 97 Flav.Jos.Ant XVIII 117. 98 Wie sich die Johannestaufe zu diesen zeitgenössischen Deutungen stellt siehe unter IV.2.3.3. 99 Goppelt, Art. ὕδωρ, 322. Waschungen dann auch eine zentrale Rolle spielen. 90 Im Allgemeinen werden dazu Ganzkörpertauchbäder vollzogen. b.g Zur Entsündigung Da man Sünde als „religiöses Miasma wertete wie jede andere kultische Un‐ reinheit, z. B. Leichenunreinheit, auch“, 91 nutzte man Waschungen, um sich davon zu befreien. 92 Geht dies jedoch ohne Buße und Reue einher, fordert es - wie jeder „herzlose Kultmechanismus“ 93 - immer wieder Prophetenkritik he‐ raus. Neben der Verunreinigung durch Götzendienst 94 kann auch Blutschuld „abgewaschen“ werden. 95 Bildhafte Formulierungen sprechen sogar dafür, dass gegen jede Art von Sünde Waschungen angewendet werden. 96 Josephus nennt diese Art von Waschung später τὴν βάπτισιν […] ἐπὶ τινῶν ἁμαρτάδων παραιτήσει, 97 also ein Waschen zur Abbitte und er weiß um eine notwendige Verbindung mit Reue und Abkehr. 98 1.2 Im NT 1.2.1 Wasser (ὕδωρ) Dass sich ὕδωρ in der synoptischen und johanneischen Literatur in unter‐ schiedlichen Zusammenhängen findet, während man es bei Paulus komplett vermisst, liegt nach Goppelt an der „unanschaulichen Redeweise“ des Apos‐ tels. 99 Wenn Paulus auch bekanntermaßen in Seenot gerät und anzunehmen ist, dass die von ihm befolgten Reinigungsvorschriften mit Wasser vollzogen werden und er auch täglich Wasser zu sich nimmt, so beschränkt sich die fol‐ gende Übersicht dennoch auf diejenigen neutestamentlichen Texte, welche 1 Wasser und Wasserrituale allgemein 263 <?page no="264"?> 100 Siehe unter IV.2. 101 Siehe unter IV.1.3.2. 102 Mk 9,22 / Mt 17,14. 103 Mk 4,35-41 / Mt 8,23-27 (θάλασσα); Lk 8,22-25 (λίμνη). Siehe auch der Verweis auf die Rettung Noah vor der Sintflut (1Petr 3,20). 104 Mk 4,39.41 / Mt 8,26 f / Lk 8,24 f. 105 Mk 6,48 f / Mt 14,25 f / Joh 6,19. 106 Apk 12,15. 107 Apk 17,1. 108 2Petr 3,4-7. 109 1Petr 3,20 f. 110 Mt 10,42: Aufnahme und Trinkwasser anbieten um Christi willen, wird entlohnt. Mt 25,35. 37. 42.44: Wer einem der „geringsten Brüder“ Essen oder Wasser, Obdach oder Kleidung reicht oder ihm bei Krankheit oder im Gefängnis besucht, der tut dies Christus und wird entsprechend im Weltgericht entlohnt. Lk 16,24: Der in der Hölle durstende Reiche wünscht, dass der im Schoß Abrahams sitzende arme Lazarus komme und nur die Spitze seines Fingers in Wasser tauche und ihm damit die Zunge kühle. 1Tim 5,23: Neben Wasser empfiehlt Paulus um des Magens willen auch etwas Wein. Apk 8,10 f; 16,4 f: Als Strafe verwandelt Gott Trinkwasser in Wermut bzw. Blut und macht es damit untrinkbar. Wasser direkt erwähnen oder indirekt voraussetzen. Da an späterer Stelle ge‐ sondert behandelt, werden dabei Texte ausgespart, welche sich auf Johannes‐ taufe 100 und christliche Taufe 101 beziehen. 1.2.1.1 Wasser, welchem der Mensch ausgeliefert ist Menschen werden vom Wasser lebensgefährlich bedroht, ob als Besessene, deren Geist sie ins Wasser wirft, 102 oder als solche, die in Seenot geraten. 103 Der einzige, welcher τοῖς ἀνέμοις ἐπιτάσσει καὶ τῷ ὕδατι, 104 gar auf dem Wasser laufen kann, 105 ist Jesus. Auch Apk hebt in verschiedenen Kampfszenarien auf den lebensgefährdenden, chaotischen Aspekt des Wasser ab: Es wird instru‐ mentalisiert, um jemanden ποταμοφόρητον ποιήσῃ - „zu ertränken“. 106 Es zu beherrschen, bedeutet demnach große Macht. 107 Auch auf die Sintflut wird an zwei Stellen Bezug genommen: Einerseits wird berichtet, dass in ihr die ursprünglich aus Wasser gestalteten Himmel und Erde untergegangen sind 108 und andererseits wird die Rettung Noahs διεσώθησαν δι’ ὕδατος (1Petr 3,20) als ἀντίτυπος (1Petr 3,21) für die Taufe hingestellt. 109 1.2.1.2 Wasser, welches der Mensch beherrscht und verwendet a) Wasser zum Trinken Dass Menschen Wasser als wichtigstes Nahrungsmittel zum Leben nötig haben, wird zum einen wörtlich verstanden, 110 und zum anderen auf bildlicher Ebene Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 264 <?page no="265"?> 111 Goppelt, Art. ὕδωρ, 325. Apk 7,17: Das Lamm wird die Auserwählten weiden und ὁδηγήσει αὐτοὺς ἐπὶ ζωῆς πηγὰς ὑδάτων. 112 Die bewusste Erwähnung Jakobs, der den Brunnen gegraben hat und dennoch es selbst nötig hat, von diesem Wasser zu trinken, betont in bereits dargestellter Weise die be‐ sondere Bedeutung des Wasserzugangs für Nomaden. 113 Wie man das Wasser beim Trinken in sich aufnimmt, so ist die Gabe des lebendigen Wasser Christi in sich aufzunehmen, siehe Joh 4,13 f; 7,37 f; 14,17. 114 Beispiele siehe im Folgenden. ausgesagt: In den johanneischen Schriften ist „das Wasser Bild für das Leben selbst; das Leben ist die Existenz in der Gemeinschaft mit Gott.“ 111 In bewusster Anknüpfung an diverse alttestamentliche Wassermotivik verkündet Jesus sich selbst als Quelle des ὕδατος ζῶντος: Am Jakobsbrunnen sagt er: „[…] wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm gebe, den wird in Ewigkeit nicht dürsten, sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, das wird in ihm eine Quelle des Wassers werden, das in das ewige Leben quillt.“ ( Joh 4,14). 112 Möglicherweise mit Bezug auf die Trankopfer beim Laubhüttenfest lädt er ein: „Wenn jemanden dürstet, der komme zu mir und trinke! Wer an mich glaubt, wie die Schrift sagt, von dessen Leib werden Ströme lebendigen Wassers fließen.“ ( Joh 7,37 f). Auch das Bild vom Weinstock und seinen Reben, welche nur Frucht bringen können, wenn sie mit diesem verbunden bleiben, beruht auf der Vorstellung, dass die Reben über den Stock das notwendige Wasser beziehen ( Joh 15,4-8). Mit dem Bild des lebendigen Wassers lässt sich zudem gut das bei Johannes vielfältig auftretende Motiv des reziproken „Ich in euch und ihr in mir“ verbinden. 113 b) Wasser zum Heilen An zwei Stellen wird vom Wasser heilende Wirkung erwartet ( Joh 5,1-9; 9,1-7). Da sich beide im Joh finden, ist zu fragen, ob sie ebenfalls auf der symbolischen Ebene zu deuten sind, die das Wasser als Chiffre für das Leben überhaupt ver‐ steht. c) Wasser zum Reinigen Die Evangelien berichten, wie die Juden - zumeist in ritueller Absicht - Wasser zum Reinigen ([ἀπο]νίπτω) von Gegenständen und Personen verwenden. Ent‐ sprechende rituelle Handlungen werden dabei Ausgangspunkt von Streitge‐ sprächen und Belehrungen, welche speziell die Wirkung des Wassers themati‐ sieren. 114 1 Wasser und Wasserrituale allgemein 265 <?page no="266"?> 115 Zur Anfrage der Pharisäer und Schriftgelehrten, warum Jesu Jünger nicht der Wei‐ sungen der Halacha folgen, siehe ausführlicher im Folgenden. 116 Dies dürfte jedenfalls die Intention im Rahmen des Mt sein. 117 Die Auslegungstradition, darin eine Bezugnahme auf die Entlastung Unschuldiger von einer Blutschuld in Dtn 21,1-9 zu sehen, kann bis auf Origines zurückgeführt werden (GCS Orig XII 224). Dabei ist anzumerken, dass dieser Ritus für ein bereits geschehenes Verbrechen vorgesehen ist (siehe unter IV.1.1.2.3 b.d). Zur Diskussion um Fiktion und Überlieferung dieser Szene, in welcher der Heide Pilatus bewusst einen jüdischen Brauch für sich in Anspruch nimmt, siehe ausführlicher Luz, Matthäus, 276 f. 1.2.2 Wasserrituale Bis auf zwei johanneische Erzählungen, in denen Wasser heilende Funktion zu‐ kommt, zielt sämtliche rituelle Verwendung von Wasser auf dessen Reinigungs‐ aspekt, wie nicht zuletzt auch die kritische Auseinandersetzung damit zeigt. 1.2.2.1 Ritualisierte Waschungen zur Reinigung Dass regelmäßige kultische Waschungen verschiedener Art vollzogen werden, lässt sich im NT lediglich aus indirekten Äußerungen und Streitgesprächen über ihre Bedeutung erschließen: 115 So wird etwa von dem Wasser auf der Hochzeit zu Kana berichtet, dass es solches κατὰ τὸν καθαρισμὸν τῶν Ἰουδαίων ( Joh 2,6) gewesen sei. Tatsächlich beschrieben werden im ganzen NT nur drei besondere Fälle von ritualisierten Waschungen: 1) die Handwaschung des Pilatus (Mt 27,24); 2) die Fußwaschung durch Jesus ( Joh 13,4-20); 3) die Fußwaschung durch eine Sünderin (Lk 7,36-50). Dabei fällt auf, dass es sich bei den ersten beiden um Sonderguterzählungen des jeweiligen Evangeliums handelt und die Begegnung Jesu mit der Sünderin bzw. Maria zwar vierfach überliefert ist, jedoch in so unterschiedlicher Weise, dass lediglich die Lk-Version eine Waschung dar‐ stellt. Geht man davon aus, dass die Mehrheit der damaligen Juden tägliche Waschungen unterschiedlicher Arten vollziehen, nehmen diese einen erstaun‐ lich geringen Anteil der neutestamentlichen Texte ein. Dem steht eine ausführ‐ liche Rede Jesu gegenüber, in welcher er die kultische Funktion der Waschungen problematisiert. a) Pilatus wäscht die Hände zur Beteuerung seiner Unschuld (Mt 27,24) Das sprichwörtlich gewordene demonstrative Waschen der Hände in Unschuld vollzieht Pilatus in symbolischer und wohl zugleich kultischer Absicht, 116 um damit auszudrücken: ἀθῷός εἰμι ἀπὸ τοῦ αἵματος τούτου. 117 Dies stellt damit die einzige Beschreibung einer kultischen Waschung dar, da es sich bei den anderen beiden um Fußwaschungen handelt. Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 266 <?page no="267"?> 118 Siehe unter IV.1.1.1.2 b. 119 Rabbinenschüler waschen ihren Lehrern die Füße (Ber 7b); Sklaven ihren Herren (MEx z 21,1) und Ehefrauen ihren Ehemännern (Ket 61a). 120 Eine Frau salbt Jesu Kopf (Mk 14,3-9; Mt 26,6-13); Maria salbt Jesu Füße ( Joh 12,1-11). 121 Mk 14,8; Mt 26,12; Joh 12,7. 122 Waschen mit Tränen statt Reichen von Wasser; Küssen der Füße statt Kuß zur Begrü‐ ßung; Salben der Füße statt Salben des Kopfes zur Begrüßung (Lk 7,44-46). 123 Vgl. Mk, Mt und Joh, wo die Salbung am Beginn der Passion steht und in der Begräb‐ nisdeutung bewusst auf diese vorausverweist. b) Jesus wäscht seinen Jüngern die Füße (Joh 13,4 - 20) Wie bereits erwähnt, ist eine Waschung der Füße wohl die einzige ritualisierte Waschung, in welcher zur profanen keine kultische Funktion hinzukommt. 118 Es steht demnach der hygienische Aspekt im Mittelpunkt. Wird sie nicht selbst vollzogen, sondern etwa von Sklaven, Schülern oder auch Ehefrauen, so ist sie als dienender Akt zu werten. 119 In Umkehrung des zu Erwartenden, aber darin umso mehr als Liebesdienst Jesu erkennbar, steht die Fußwaschung am Beginn der johanneischen Passionserzählung. Jesu exemplarisches Handeln an seinen Jüngern soll ihnen ein ὑπόδειγμα ( Joh 13,15) sein im Dienen und nicht etwa eine kultische Reinigung, die auch Hände und Kopf einbeziehen könnte, wie sie sich Petrus in seiner Euphorie wünscht. Im Gegenteil, eine solche ist nicht nötig: ἀλλ’ ἔστιν καθαρὸς ὅλος· ( Joh 13,10). Die Funktion der Fußwaschung durch Jesus ist also Ausdruck seines notwendigen Dienens, welches sich in der Passion vollzieht: ἐὰν μὴ νίψω σε, οὐκ ἔχεις μέρος μετ’ ἐμοῦ ( Joh 13,8). c) Eine Sünderin wäscht Jesu Füße mit ihren Tränen (Lk 7,36 - 50) Anders als in den drei ähnlichen Überlieferungen 120 bietet Lk eine Waschung der Füße durch die Tränen einer Sünderin. Wenn auch eine zusätzliche Salbung der Füße folgt, wird diese von Jesus hier nicht als Vorwegnahme der Begräb‐ nisriten gedeutet, 121 sondern Waschung und Salbung als besonders liebevoller Ersatz einer unterlassenen Gastgeberpflicht. 122 Dass hier - ebenso wie in der Fußwaschung durch Jesus - das dienende, liebende Element im Vordergrund steht und nicht etwa an eine kultische Wirkung gedacht ist, wie sie eine Leich‐ namssalbung vor dem Begräbnis darstellt, drückt sich auch darin aus, dass Lukas sie nicht im Rahmen der Passion erzählt. 123 1.2.2.2 Kritik Jesu an der kultischen Deutung von Waschungen Die lediglich bei Markus überlieferten kurzen Erläuterungen, dass Juden Wa‐ schungen an sich selbst und Aufbewahrungssowie Lagerungsgegenständen 1 Wasser und Wasserrituale allgemein 267 <?page no="268"?> 124 Mk 7,3 f: „Die Pharisäer und alle Juden essen nicht, wenn sie sich nicht mit einer Hand voll Wasser die Hände gewaschen haben und so nach den Satzungen der Ältesten han‐ deln. Und wenn sie vom Markt kommen, essen sie nicht, wenn sie sich nicht unterge‐ taucht haben. Und es gibt vieles Weiteres, was sie zu halten angenommen haben, wie das Untertauchen von Bechern und Krügen und Kesseln.“ 125 Vgl. Grundmann, Markus, 188. Vgl. Mt 15, wo diese Erläuterungen entfallen. 126 Dass die Rede bei Lukas nicht überliefert wird, dürfte weniger eine theologische, als vielmehr eine literarkritische Ursache haben: Die Rede von Reinheit und Unreinheit fällt in die sog. lukanische Auslassung (Mk 6,45-8,26 nach Lk 9,17). 127 Neben dem Unähnlichkeitskriterium und dem Konvergenzkriterium sprechen dafür auch nicht zuletzt die Kontext- und Wirkplausibilität der Ausführungen. vollziehen, 124 sind die umfangreichsten Erwähnungen von kultischen Wasch‐ ungen im NT . Dass sie überhaupt erwähnungsbedürftig sind, wird als Hinweis auf eine mindestens anteilige heidenchristliche Adressatengemeinde ge‐ deutet. 125 Bezeichnender Weise finden sie sich gerade im Rahmen der sog. Rede von Reinheit und Unreinheit (Mk 7,2-23 / Mt 15,1-20), 126 in welcher Jesus deren kultische Funktion grundlegend in Frage stellt. Anlass der Thematisierung ist die Anfrage von Pharisäern und Schriftge‐ lehrten aus Jerusalem: διὰ τί οὐ περιπατοῦσιν οἱ μαθηταί σου κατὰ τὴν παράδοσιν τῶν πρεσβυτέρων, ἀλλὰ κοιναῖς χερσὶν ἐσθίουσιν τὸν ἄρτον; - „Warum wandeln deine Jünger nicht nach den Satzungen der Ältesten, sondern essen das Brot mit unreinen Händen? “ (Mk 7,5). Die Antwort Jesu ist ein spre‐ chendes Beispiel für dessen Torahauslegung, welche in Abgrenzung von der Halacha eine Befolgung nicht nur mit den Lippen, sondern v. a. mit dem Herzen fordert. Sie ist als Wort des historischen Jesus zu werten: 127 Die beschriebenen kultischen Waschungen sind τὴν παράδοσιν τῶν ἀνθρώπων (Mk 7,8), jedoch keine das Gesetz Gottes ausdeutende, sondern in seiner Absicht aufhebende (Mk 7,9), wie er am Beispiel des Ersatzopfers für die Elternfürsorge verdeutlicht (Mk 7,10-13). Konkret zum Anlass des Streitgespräches stellt er klar: οὐδέν ἐστιν ἔξωθεν τοῦ ἀνθρώπου εἰσπορευόμενον εἰς αὐτὸν ὃ δύναται κοινῶσαι αὐτόν, ἀλλὰ τὰ ἐκ τοῦ ἀνθρώπου ἐκπορευόμενά ἐστιν τὰ κοινοῦντα τὸν ἄνθρωπον. - „Es gibt nichts, was von außen in den Menschen hineingelangt, welches ihn unrein machen könnte, sondern das, was aus dem Menschen herauskommt, macht den Menschen unrein.“ (Mk 7,15). Auf die Nachfrage der Jünger verdeut‐ licht er, dass Nahrungsmittel nicht εἰς τὴν καρδίαν, sondern in den Bauch und danach in die Kanalisation gelangen (Mk 7,19a). Und zur endgültigen Klarstel‐ lung für den Leser fügt Markus hinzu: καθαρίζων πάντα τὰ βρώματα (Mk 7,19b). Unrein machen demnach nicht Speisen, sondern Gedanken und Handlungen ἐκ τῆς καρδίας. Aber: τὸ δὲ ἀνίπτοις χερσὶν φαγεῖν οὐ κοινοῖ τὸν ἄνθρωπον. - Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 268 <?page no="269"?> 128 Mk 7 wie Mt 15 lassen offen, ob die problematisierte Verunreinigung durch Nahrungs‐ mittel verursacht wird, welche an sich unrein sind oder bei denen lediglich die vorherige Waschung unterlassen wurde. 129 Nach dem Marktbesuch (Mk 7,4). 130 Waschen der Hände vor dem Essen (Mk 7,2); Waschen der Gefäße (Mk 7,4). 131 Vgl. Grundmann, Matthäus, 41 f. 132 Siehe unter IV.1.1.1.2. „Aber Essen mit unreinen Händen macht den Menschen nicht unrein.“ (Mt 15,20b). Versucht man den argumentativen und situativen Text ritologisch zu syste‐ matisieren, so ist festzustellen, dass wechselweise das kultische Waschen der eigenen Hände, der Nahrungsmittel 128 und deren Aufbewahrungs- und Lager‐ ungsbehältnisse thematisiert werden. Es werden Waschungen nach einer kon‐ kreten Verunreinigung, 129 wie auch allgemeine Waschungen vor dem Essen bzw. der Gefäße angesprochen. 130 Die verwendete Vokabel νίπτω sowie die Konkre‐ tisierung πυγμῇ (Mk 7,3) legen nahe, dass als Ritualablauf an ein Abwaschen gedacht ist. Da Jesus die unterschiedlichen Arten und Anlässe der angesprochenen kul‐ tischen Waschungen bekannt gewesen sein dürften, ist deren undifferenzierte Darstellung, v. a. in ihrem jeweiligen Verhältnis zur möglichen Verunreinigung der Person, entweder auf Unwissenheit beim Evangelisten zurückzuführen oder aber dahingehend zu deuten, dass weniger die Einzelhandlungen als vielmehr das Grundkonzept von Reinheit und Unreinheit im Blick ist. V.a. für Matthäus ist eine breite Kenntnis der Gesetze und Gebote anzunehmen, 131 zudem spricht die Fokussierung der Argumentation auf die „von Herzen kommende“ Befol‐ gung des Gebotes Gottes für die zweite Erklärung: Die kultische Reinheit des Menschen ist eine wesentliche Verantwortung des Menschen, jedoch handelt es sich um eine innere Reinheit, welche daher auch nicht durch äußere Wa‐ schungen (wieder-)hergestellt werden kann. Während die profane und kultische Funktion von Waschungen in den jüdischen Gesetzen und Riten kaum zu trennen ist, 132 spricht ihnen Jesus ihre kultische Wirkung komplett ab. Dem entspricht auch die bereits ausgeführte Wahrnehmung, dass die einzigen von Jesus berichteten Waschungen Fußwaschungen sind, welchen ohnehin keine kultische Funktion zukommt und in deren Zusammenhang daher konsequent stets der dienende Aspekt und nicht etwa ein kultisch reinigender betont wird. Die Vorstellung der grundsätzlichen Irrelevanz einer äußeren kultischen Rein‐ heit liegt auch der Entscheidung des Apostelkonzils zu Grunde, dass Heiden‐ christen nicht beschnitten und damit dem Gesetz mit seinen kultischen Wa‐ schungen unterworfen werden. Dass diese grundlegende Entscheidung eines 1 Wasser und Wasserrituale allgemein 269 <?page no="270"?> 133 Von Heidenchristen wird demnach gefordert, sich von Götzenopfer, Blut, Ersticktem und Unzucht zu enthalten (Apg 15,29), bei dem es sich um typische Lebensmittel bzw. Tätigkeiten handelt, durch die man sich verunreinigt. Auf die obligatorischen Wa‐ schungen vor bestimmten Handlungen (siehe unter IV.1.1.2.3 a) wird jedoch komplett verzichtet. 134 Die aufgekündigte Tischgemeinschaft und Absonderung des Kephas, Barnabas und an‐ derer Juden, φοβούμενος τοὺς ἐκ περιτομῆς (Gal 2,12), hat die befürchtete Unreinheit der Heidenchristen zur Ursache (Gal 2,11-21). 135 Siehe unter IV.2.4.3. 136 Siehe unter IV.2.7. 137 Siehe abschließend unter VI.7.1. 138 Ein textkritisch sekundärer Einschub, welcher in P 66 75 ; א ; B und D sowie weiteren wichtigen Minuskeln und Übersetzungen fehlt, erläutert, dass jeweils nur der geheilt wird, welcher als erstes das Wasser erreicht, sobald es Wellen schlägt. größeren Gewöhnungsprozesses bedarf, zeigen die Einschränkungen im Apos‐ teldekret 133 und die aufgekündigte Tischgemeinschaft im sog. Antiochenischen Zwischenfall. 134 Wenn nun Jesus die Wirkung von Waschungen zur Herstellung kultischer Reinheit negiert, bleibt zu fragen, als was er die Johannestaufe deutet? 135 Auch nach der Taufdeutung des Johannes selbst ist zu fragen, wenn er sie als nötig für alle erachtet, auch für diejenigen, welche durch zahlreiche Waschungen täglich ihre äußere kultische Reinheit (wieder-)herstellen. 136 Und nimmt nun die christliche Taufe einerseits auf die Johannestaufe und andererseits auf Wirken und Verkündigung Jesu von Nazareth Bezug, so stellt sich die Frage, ob sie überhaupt als (kultische) Waschung verstanden werden kann. 137 1.2.2.3 Behandlung mit Wasser zur Heilung Viele Kranke erwarten von dem bloßen Baden im Wasser des Teiches von Be‐ tesda, dass sie von ihren ganz unterschiedlichen Krankheiten geheilt werden ( Joh 5,1-9). 138 Alternativ dazu heilt Jesus einen von ihnen allein durch sein Wort: ἔγειρε ἆρον τὸν κράβαττόν σου καὶ περιπάτει ( Joh 5,8). An anderer Stelle jedoch nutzt er Wasser, genaugenommen seinen Speichel, um einen heilenden Brei für die Augen eines Blindgeborenen anzurühren ( Joh 9,1-7). Zu diesen beiden so unterschiedlichen johanneischen Erzählungen ist hinzuzufügen, dass ihnen zwar ausführliche Streitgespräche folgen, diese aber in keiner Weise, wie auch sonst keine noch so kleine Anmerkung, die heilende Wirkung des Wassers in Frage stellen, sondern vielmehr auf das Sabbatgebot und den Tun-Ergehen-Zu‐ sammenhang zielen. Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 270 <?page no="271"?> 139 Siehe dazu bei Beasley-Murray, Taufe, 216; Halter, Taufe, 248; sowie Wolff, Korinther, 121. Exkurs: 1Kor 6,9-11 9 Oder wisst ihr nicht, dass Ungerechte keinen Anteil am Reich Gottes bekommen werden? Täuscht euch nicht! Weder Unzüchtige noch Götzendiener oder Ehebrecher, weder Lustknaben noch Pädophile, 10 weder Diebe noch Habgierige, keine Trinker, keine Lästerer und keine Räuber werden an dem Reich Gottes Anteil bekommen. 11 Und ihr seid alle solche gewesen. Aber ihr seid abgewaschen worden, aber ihr seid geheiligt worden, aber ihr seid gerechtfertigt worden im Namen des Herrn Jesus Christus und im Geist unseres Gottes. Trotz des Fehlens klassischer Taufterminologie wird diese Textstelle immer wieder als paulinischer Tauftext identifiziert. Auch wenn die Liste an entsprechenden Argu‐ menten lang sein mag 139 und auch einige überzeugende Momente beinhaltet, so ist doch festzuhalten, dass Paulus an dieser Stelle einmalig ἀπολούεσθαι verwendet und eben nicht auf eine der beiden Taufformeln zurückgreift. Gerade die aufzählende, verschiedene Aspekte beleuchtende Sprache von V. 11 hätte sich leicht parallel (vgl. Gal 3,27ab; Röm 6,3bc) oder als Variation der Taufformel (1Kor 1,13c; 12,13a) kon‐ struieren lassen. Es muss nicht grundsätzlich bestritten werden, dass der Text auf den Moment und v. a. die grundsätzlich von der Sünde trennende Wirkung der Taufe an‐ spielt, um festzuhalten, dass sich βαπτίζω bzw. eine der Taufformeln nicht eignet, eine Reinigungsvorstellung wiederzugeben, weil diese einen Ritualablauf der Taufe be‐ zeichnen, welcher keine selbstständige Waschung, sondern ein passives Unterge‐ tauchtwerden im Wasser darstellt. 1.3 Ertrag 1.3.1 Wasser Wasser wird im AT wie NT in zwei sich grundsätzlich unterscheidenden Ver‐ hältnissen zum Menschen wahrgenommen: 1) Wasser, dem der Mensch lebens‐ gefährdend ausgeliefert ist und 2) Wasser, das der Mensch beherrscht und sich nutzbar macht. 1) Wasser, dem der Mensch lebensgefährdend ausgeliefert ist: Die Chaosmacht Wasser gefährdet von Anfang an alle Menschen. Von ihr handelt die erste große Katastrophenerzählung der Bibel und gegen sie wird der erste Bund Gottes mit der gesamten Menschheit geschlossen, der Noahbund (Gen 9,1-17). Dennoch bedroht Wasser auch danach immer wieder das Leben der Menschen. Im AT können allein Gott oder von ihm besonders befähigte Personen dem Wasser befehlen und ihm dadurch Einhalt gebieten. Sowohl beim Auszug aus Ägypten 1 Wasser und Wasserrituale allgemein 271 <?page no="272"?> (Ex 14) als auch beim Einzug in das Gelobte Land ( Jos 3) eröffnet der Befehl über dem Wasser und der Zug hindurch den Weg in das neue Leben. Im NT wird lediglich von Jesus von Nazareth berichtet, ὅτι καὶ ὁ ἄνεμος καὶ ἡ θάλασσα ὑπακούει αὐτῶ (Mk 4,41). Auch in einer wasserarmen Gegend wie Palästina wissen und fürchten die Menschen, dass Wasser Lebensgefahr und Tod mit sich bringt und der Mensch dem Element ggf. schutzlos ausgeliefert ist - eine allge‐ meine anthropologische Erfahrung. 2) Wasser, das der Mensch beherrscht und sich nutzbar macht: Ebenso ein‐ drücklich berichten AT wie NT davon, dass der Mensch Wasser - in kleineren Mengen - beherrscht und sich so lebensnotwendig, ja lebensspendend nutzbar macht, v. a. der Nahrungs- und Reinigungsaspekt stehen dabei im Mittelpunkt. Trinkwasser wird täglich von Menschen, Tieren und Pflanzen benötigt und Konflikt- und Mangelerzählungen können es auf der existentiellen wie auf der bildlichen Ebene zum Symbol für das Leben überhaupt stilisieren. Dass im NT an zwei Stellen Wasser heilende Kräfte zugesprochen wird, kann - auch weil sich beide Erzählungen in der theologisch-bildreichen johanneischen Überlie‐ ferung finden - ebenfalls auf den Lebensaspekt zurückgeführt werden. Die zweite grundlegende Funktion des Wassers ist seine Verwendung bei dem Rei‐ nigen von Menschen wie Gegenständen. Die obigen Untersuchungen haben nun gezeigt, dass die in AT und NT er‐ wähnten Wasserrituale, wenn man zunächst Johannestaufe und christliche Taufe außen vor lässt, lediglich die beherrschbare Dimension des Wassers auf‐ nehmen und dabei fast ausschließlich auf den Reinigungsaspekt abheben. 1.3.2 Wasserrituale Die Forschung bietet bisher keinen Gesamtentwurf zu den alttestamentlichen und frühjüdischen Wasserritualen. Eine der Grundschwierigkeiten stellt dabei die Frage nach einer geeigneten und einheitlichen Klassifikation dar. Die abso‐ lute Mehrheit der Einzelstudien zum Thema verwenden in Folge dessen Misch‐ kategorisierungen. Diese Untersuchung schlägt daher eine doppelte Klassifizie‐ rung, einmal anhand des Ritualverlaufes und einmal anhand der Ritualfunktion, vor, welche auf der Grundlage einer systematisierten Darstellung dennoch die Möglichkeit der Beleuchtung unterschiedlicher Ritualaspekte bietet. Ihre Er‐ gebnisse sollen im Folgenden kurz vorgestellt und ausgewertet werden, bevor die im NT beschriebenen Wasserrituale in den Blick genommen werden. Sieht man von den drei Stellen ab, an denen ein ritualisiertes Trinken bzw. Trankopfer erwähnt werden, so lässt sich am Ritualablauf wie der Ritualfunk‐ tion ablesen, dass sämtliche Wasserrituale auf den Reinigungsaspekt Bezug nehmen. Unter der Perspektive des Ritualablaufes ist auffällig, dass alle Was‐ Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 272 <?page no="273"?> 140 Lediglich im Zusammenhang mit der Reinigung von Leichenunreinheit werden Men‐ schen und Gegenstände nach eigenständigen Waschungen noch zusätzlich mit Reini‐ gungswasser besprengt. Siehe dazu unter IV.1.1.2.2 a.b. serrituale an Menschen von diesen selbst vollzogen werden, 140 in Bezug auf die Ritualfunktion ist festzustellen, dass die profane und die kultische Bedeutung der Reinigungen ein beinahe untrennbares Verhältnis eingehen. Einzige Ausnahme einer nicht selbst vollzogenen Waschung stellt die Fußwaschung dar, welche zugleich die einzige ritualisierte Verwendung von Wasser ist, der keine kultische Funktion zukommt. Sämtliche alttestamentlich belegten Wasserrituale nehmen also auf die Aspekte des Wassers Bezug, bei welchen der Mensch das Wasser beherrscht und verwendet, demnach eine aktive Funktion gegenüber dem Wasser einnimmt: Trinken und v. a. Reinigen. Diese Tendenz verstärkt sich sogar noch in der nachtestamentarischen Zeit, in der Reinigungsriten in Anzahl, Vielfalt und auch innerer Ausdifferenzierung erheblich zunehmen. Dazu steht der Befund der Wasserrituale im NT und deren Beurteilung durch Jesus in greifbarer Spannung: Sieht man zunächst von Johannestaufe und christ‐ licher Taufe ab, welche im Folgenden noch eingehend dargestellt werden, so lassen sich Erwähnung oder gar Schilderungen ritueller Verwendung von Wasser verhältnismäßig selten im NT entdecken, obwohl davon auszugehen ist, dass die Durchführung von regelmäßigen Waschungen faktische Praxis der Juden der Zeit ist. An zwei Stellen wird auf die heilende Funktion des Wassers einge‐ gangen, welche jedoch nicht weiter thematisiert oder gar diskutiert wird. Alle weiteren Wasserrituale werden in reinigender Absicht vollzogen, wobei sich nur an drei Stellen Schilderungen finden lassen. Den beiden Fußwaschungen fehlt dabei der kultische Aspekt, sie zielen vielmehr auf den Dienstgedanken, der beim Waschen der Füße eines anderen zum Ausdruck kommt. Die einzige beschriebene kultische Waschung stellt damit das Händewaschen des Pilatus dar. Damit kor‐ respondiert, dass Jesus Waschungen die Fähigkeit zur Herstellung einer (äußerli‐ chen) kultischen Reinheit generell abspricht. Er kritisiert demnach in grundsätz‐ licher Weise die Form von Wasserritualen, welche im AT die Mehrheit der Belege ausmacht und sich in neutestamentlicher und nachneutestamentlicher Zeit noch umfangreicher weiterentwickeln und etablieren: die selbst vollzogene Waschung in kultischer Absicht. Diese grundsätzliche Kritik an jeglichem Effekt und Notwendigkeit der ver‐ breiteten kultischen Waschungen steht der Tatsache gegenüber, dass Jesus sich selbst der Johannestaufe unterzieht. Dies aber macht die Standardthese, die Jo‐ hannestaufe stelle eine direkte Weiterentwicklung der jüdischen Waschungen dar, mindestens zweifelhaft. Zudem sticht ins Auge, dass sämtliche Waschungen mit religiöser Dimension selbst durchgeführt werden und nicht etwa eines 1 Wasser und Wasserrituale allgemein 273 <?page no="274"?> 141 Bezugnahmen auf Johannes den Täufer sowie seine Taufe finden sich im Thomasevan‐ gelium, im Ebioniterevangelium, im Nazarenerevangelium sowie im Protevangelium des Jakobus. Zu den einzelnen Stellen sowie der Einschätzung ihrer historischen Wer‐ tigkeit siehe ausführlich Webb, John, 77-85. Ob die Verse in 4. Sibylle auf Johannes zu beziehen sind, kann nicht mehr zweifelsfrei festgestellt werden. Siehe dazu die aus‐ führliche Diskussion bei Lichtenberger, Täufergemeinden, 38-43. 142 Zu den inhaltlichen, zumeist wörtlichen Übereinstimmungen mit den neutestamentli‐ chen Evangelientexten siehe die ausführliche Dokumentation von Parallelen in Mark‐ schies / Schröter, Apokryphen I.1 + 2. Täufers bedürfen. Es wäre also zu fragen, ob die Johannestaufe nicht auf den Reinigungsaspekt, sondern vielmehr auf einen anderen Aspekt des Wassers Bezug nimmt. 2 Johannestaufe Eine ritologische Darstellung der Johannestaufe kann sich neben den biblischen Quellen (4 Evangelien, Apg) lediglich auf eine Notiz bei Flavius Josephus (Flav.Jos.Ant. XVIII 116-119) stützen. Erwähnungen des Täufers in außerbibli‐ schen Evangelien 141 und der mandäischen Literatur sind als ebenso spät zu werten wie die Erweiterungen im sog. slawischen Josephus. Zudem ist die - teilweise literarische - Abhängigkeit von den biblischen Texten augenschein‐ lich. 142 Doch es ist auch immer wieder angefragt worden, welcher historische Wert den biblischen Quellen zugemessen werden kann: Das nachösterliche Interesse, Johannes als den Propheten zu verstehen, welcher als der Rufer in der Wüste auf den Kommenden verweist, wobei die Vorhersage nicht im ursprünglich alt‐ testamentlichen Sinne auf Gott, sondern auf Jesus als dem Christus gedeutet wird, prägt nachweislich die neutestamentlichen Darstellungen v. a. der Evan‐ gelien. Dass das Nebeneinander der Johannesjünger und der frühen christlichen Gemeinden, welche beide ein Taufe ähnlichen Ablaufes vollziehen, in der Ent‐ stehungszeit der Evangelien ein zusätzlicher Anlass für eine klärende, also ab‐ grenzende Darstellung mit deutlichem Gefälle gegenüber Johannes und seiner Bewegung gewesen sein könnte, ist leicht vorzustellen, wenn auch auf Grund der einseitigen Quellenlage nicht endgültig nachzuweisen. Die Darstellung wird zeigen, dass speziell die Änderungen im Prozess der notwendigen Neukonsti‐ tuierung der Johannesjüngerschaft nach dessen Tod zunehmend Ähnlichkeiten etwa in Gebrauch und Deutung der Taufe im Vergleich mit der christlichen Taufe hervorbringen. Wenn nun auch entsprechende Abgrenzungstendenzen zu Un‐ gunsten der Johannesbewegung nicht mehr zweifelsfrei nachgewiesen werden Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 274 <?page no="275"?> 143 Insgesamt wird die Johannestaufe im NT 91mal erwähnt. Die einzige außerchristliche zeitgenössische Quelle liegt von Josephus vor: Flav.Jos.Ant. XVIII 116-119. 144 Näheres zu Verständnis und damit verbunder Wirkung der Johannestaufe siehe unter IV.2.7. 145 Siehe bereits unter I.2.2.2.1. können, so sollte doch das in den neutestamentlichen Schriften entworfene Bild von Größe und Art der Anhängerschaft, deren Verhältnis zu den Jüngern Jesu und v. a. die Rekonstruktion des Selbstverständnisses des Johannes unter einem besonderem Vorbehalt thematisiert werden. 2.1 Die Ritualbezeichnung: τὸ βάπτισμα Ἰωάννου Ohne Ausnahme wird das Ritual als τὸ βάπτισμα bezeichnet: sowohl vom Täufer selbst, nach dem Zeugnis der Evangelien, als auch von seinen Anhängern, aber auch von späteren Christusgläubigen, wie den Autoren der Evangelien, und selbst von Josephus als Fernstehenden (Flav.Jos.Ant. XVIII 117). 143 Auch der Ri‐ tualvollzug wird einheitlich mit dem Verb βαπτίζω beschrieben. Jedoch wird τὸ βάπτισμα stets näher bestimmt: Soweit die Quellen einen solchen Rückschluss erlauben, sprach Johannes selbst von einer βάπτισμα μετανοίας (εἰς ἄφεσιν ἁμαρτιῶν) (Mk 1,4; Lk 3,3; Apg 13,24) und verweist damit auf Funktion bzw. Wirkung seines Rituals. 144 Auch alle anderen Quellen sprechen nie allgemein von einem βάπτισμα, sondern bringen die Taufe stets in einen grundlegenden Zusammenhang mit Johannes, ob nun in der Deutung der Taufe bei Josephus (Flav.Jos.Ant. XVIII 117), in den Erzählungen über seine Taufe in den Evangelien (Mk 11,30; Mt 3,7) oder auch in den späteren Erwähnungen in der Apg (Apg 1,22). Die mit Abstand am häufigsten belegte Bezeichnung lautet dabei schlicht τὸ βάπτισμα (τοῦ/ τὸ) Ἰωάννου. Eindrückliche Zeugnisse wie der Dialog zwischen Paulus und den Johannesjüngern in Ephesus (Apg 19,2 f) sprechen dafür, dass nicht nur allgemein die Bezugnahme auf Johannes, sondern konkret die Bezeichnung τὸ βάπτισμα Ἰωάννου schnell zum terminus technicus wird. Eine Person wird demnach grundlegender Bestandteil der Ritualbezeichnung. Diese Einheitlichkeit der Quellen bezüglich des Ritualnamens ist aus ritolo‐ gischer Sicht mit Blick auf beide Elemente der Bezeichnung auffällig, denn 1) ist τὸ βάπτισμα bis dahin kein etablierter Ritualname und 2) ist eine personenge‐ bundene Ritualbezeichnung ungewöhnlich. 145 1) τὸ βάπτισμα: Die Ritualbezeichnung leitet sich vom Ritualvollzug her. Jo‐ sephus deutet den Namen als ein Abwaschen nicht nur von einigen Sünden, sondern als Reinigung des ganzen Körpers (Flav.Jos.Ant. XVIII 117). Neutesta‐ mentlich allerdings ist die Bezeichnung von dem Bebzw. Umschreiben des Ri‐ 2 Johannestaufe 275 <?page no="276"?> 146 Siehe unter II.1.2. 147 Zu anderen Täuferbewegungen sowie der Bezeichnung ihrer Rituale siehe ausführlich unter IV.5. 148 In der LXX finden sich keine Belege für τὸ βάπτισμα. Beinahe singulär in der For‐ schungslandschaft behauptet jedoch Cullmann einen Vorläufer der Johannestaufe: „Schon das Judentum kennt die Taufe der vom Heidentum kommenden Proselyten. Johannes der Täufer stellt alle Juden den Proselyten gleich und fordert die Taufe zur Sündenvergebung von allen im Hinblick auf das bevorstehende Escheinen des Mes‐ sias. […] Johannes der Täufer hat im Anschluss an die jüdische Proselytentaufe getauft“ (Cullmann, Tauflehre, 5) Zur Problematik der Herkunft und den frühesten Belegen für das Proselytentauchbad siehe unter IV.4.2. 149 Siehe unter I.2.2.2.1. 150 Neben dem Täufer werden neutestamentlich erwähnt: 1) Johannes, der Sohn des Ze‐ bedäus (Mk 1,19); 2) Johannes der Verfasser der Offb (Offb 1,1); 3) Johannes, der Vater des Simon Petrus ( Joh 1,42); 4) Johannes, ein Mitglied des Hohen Rates (Apg 4,6); 6) Johannes Markus, der Begleiter des Paulus und Barnabas (Apg 12,12). 151 Dafür spricht nicht zuletzt, dass auch Josephus ihn als „Täufer“ bezeichnet (Flav.Jos.Ant. XVIII 116). tualvollzugs als βαπτίζω her zu verstehen. Wie bereits dargelegt 146 bezeichnet βαπτίζω als intensivierte Form von βάπτω nicht den Aspekt des (Ab-)waschens, sondern vielmehr den des Untertauchens. Wenn auch kultische Waschungen zur Zeit des Johannes natürlich weit verbreitet sind, so stellt ein Ritual mit der Bezeichnung „Das Untertauchen“ 147 ein Novum dar. 148 Verbreitet sich diese Be‐ zeichnung nun aber derart einheitlich, so ist dies entweder ihrer hohen Evidenz im Ritualvollzug, sprich ihrer „Anschaulichkeit“ zuzuschreiben, oder aber ihrem Innovationspotential, dass im Umfeld der verschiedensten Waschungen unver‐ wechselbar ist. Beide Aspekte sind auch für die christliche Taufe zu bedenken, welche später ebenfalls als τὸ βάπτισμα bezeichnet wird. 2) (τοῦ/ τὸ) Ἰωάννου: Die Benennung von Ritualen nach (realen) Personen - nicht etwa Gottheiten - ist in der Antike so selten wie heute. 149 Für denjenigen, welcher den Ritualnamen damals das erste Mal hört, wie für den Ritualwissen‐ schaftler stellt sich also die Frage, nach der Beziehung und Bedeutung der Person des Johannes für diese Taufe. Hinzu kommt, dass Johannes in dieser Zeit ein weitverbreiteter Name ist - allein im NT lassen sich sechs verschiedene Per‐ sonen 150 dieses Namens sicher benennen. Verzichtet man also auf eine weitere Identifizierung des Johannes etwa durch den Vatersnamen, spricht dies zusätz‐ lich für die erhebliche Bekanntheit der Bedeutung und Identifikation Johannes des Täufers mit seinem Ritual. 151 Warum aber nun wird die Taufe als Johannestaufe bezeichnet? In welcher Beziehung steht Johannes zu diesem Ritual? Johannes der Täufer gilt einerseits als Entwickler der Taufe und andererseits nimmt er - bis zu seinem Tod - ex‐ Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 276 <?page no="277"?> 152 Zur möglichen Fortführung der Johannestaufe nach dem Tod des Täufers siehe unter IV.2.3.4. 153 Zum Ritualvollzug siehe unter IV.2.6. 154 Zur Deutung des Rituals siehe unter IV.2.7. 155 Die Bezeichnung als Johannestaufe in den Evangelien steht natürlich stets unter dem Vorbehalt späterer christlicher Beeinflussung. Zum Verdacht der christlichen Inan‐ spruchnahme von und Polemik gegen Johannes siehe die einleitenden Worte zu IV.2. Evident ist, dass existierende Rituale stets einer Bezeichnung bzw. Benennung bedürfen. Wie sonst hätte Jesus die Frage nach seiner Vollmacht mit der Frage nach der Herkunft des βάπτισμα τὸ Ἰωάννου (Mk 11,27-33) kontern können? Fraglich bleibt, wann eine eindeutige Bezeichnung etwa durch eine Kurzbeschreibung des Rituals den Charakter eines Namens annimmt. 156 Lediglich Braun, Täufer, 1, schlägt eine alternative Bezeichnung vor, welche neben der Abgrenzung zur christlichen Taufe v. a. die enge Verbindung des Johannes mit seinem Ritual zu betonen scheint: Er nennt sie die „Täufertaufe“. klusiv die Funktion des Ritualleiters wahr. 152 Auf welche der beiden Rollen sich die Bezeichnung bezieht, lässt sich wohl nicht mehr rekonstruieren. Deutlich ist jedoch, dass diese Doppelfunktion des Johannes gegenüber dem Ritual für so bedeutend eingeschätzt wurde, dass es nach ihm benannt wird. Es verbleibt noch die grundsätzliche Frage, wer Urheber der Ritualbezeich‐ nung ist: Nach dem Zeugnis der Evangelien spricht Johannes nie von „meiner Taufe“, jedoch wird sie etwa von Matthäus als τὸ βάπτισμα αὐτοῦ (Mt 3,7) bezeichnet. Die Johannes zugeschriebenen Selbstaussagen beginnen zumeist mit ἐγὼ ἐβάπτισα ὑμᾶς … (Mk 1,8) und richten ihren Fokus einerseits mit dem Verweis auf die Taufe mit Wasser auf den Ritualgegenstand 153 und an‐ dererseits auf einen Ritualvergleich, nämlich die Beschreibung seiner Taufe im Verhältnis zu der Taufe dessen, der nach ihm kommen wird. 154 Bei τὸ βάπτισμα Ἰωάννου dürfte es sich demnach um eine Fremdbezeichnung handeln, welche entweder auf seine Anhänger zurückgeht (vgl. Apg 19,3) oder auf Juden aus seiner Umwelt oder aber erst von christlichen Kreisen geprägt wurde, um sie von der sich bald verbreitenden christlichen Taufe zu unterscheiden. 155 Auch ist eine Entwicklung des Namens in dem Sinne denkbar, dass das Ritual zunächst als τὸ βάπτισμα bezeichnet und später erst zu τὸ βάπτισμα Ἰωάννου präzisiert wurde. Doch unabhängig von der Herkunft der Bezeichnung ist sie in ihrem dop‐ pelten Verweis auf Ritualvollzug und Johannes als Grundidentität für das Ritual so treffend, dass sie sich schnell und (bis heute) einheitlich durchsetzt. 156 2 Johannestaufe 277 <?page no="278"?> 157 Stegemann, Essener, 302. Thyen bezeichnet die Taufe als „originale Schöpfung“ des Johannes (Thyen, Art. Ἰωάννης, 519). 158 Ab und an haben einzelne Forscher eine Abhängigkeit der Johannestaufe vom Prose‐ lytentauchbad behauptet, was jedoch weder sachlich noch zeitlich stichhaltig dargelegt werden kann. 159 Stegemann, Essener, 302. 160 Zum Ablauf der Johannestaufe siehe unter IV.2.6; vgl. außerdem IV.1.1.2. 161 Siehe dazu ausführlich unter IV.4. 162 Siehe dazu ausführlich unter IV.1.1.2. 2.2 Der Ursprung des Rituals „Tatsächlich hatte bis zum Auftreten des Johannes weder im Judentum noch in dessen Umwelt irgendjemand andere Menschen getauft.“ 157 Dass Johannes der erste Täufer und damit „Entwickler und Schöpfer“ aller folgenden Taufen ist, herrscht allgemeine Einigkeit, 158 dennoch ist zu präzisieren, worin seine Inno‐ vation besteht. Klassischerweise werden in diesem Zusammenhang zwei As‐ pekte genannt: 1) das Getauftwerden, das einen Täufer voraussetzt, und 2) die Einmaligkeit der Taufe. Es ist jedoch noch ein drittes Moment zu bedenken, welches in engem Zusammenwirken mit den beiden anderen Neuerungen eben‐ falls zum Innovationspotential der Johannestaufe gehört: 3) der Aufruf zur Buße. 2.2.1 Das Getauftwerden „Zwar gab es eine Fülle kultischer Reinigungsriten bis hin zum Untertauchen des ganzen Körpers; doch vollzog jeder solche Reinigungsriten ganz eigen‐ ständig, ohne die Mitwirkung eines Taufenden. Johannes war der allererste, der in solcher Weise verfuhr.“ 159 Entgegen den selbst aktiv vollzogenen Waschungs‐ riten zur eigenen Vorbereitung und Reinigung wird der Täufling zum Objekt und erlebt, wie der Täufer ihn komplett untertaucht. 160 2.2.2 Die Einmaligkeit Gelegentlich wurde die These vertreten, dass die Johannestaufe auf das Prose‐ lytentauchbad zurückgeht. Dieses zwar einmalig durchgeführte Bad ist jedoch nicht für das erste Jahrhundert belegt, nimmt eine eindeutig vorbereitende Funktion wahr und wird zudem selbst vollzogen. 161 Insofern stellt die Johan‐ nestaufe das erste Wasserritual innerhalb der jüdischen Religion dar, welches lediglich einmal vollzogen wird, während die verschiedenen Waschungen mit vorbereitend reinigender Funktion wiederholt werden können und müssen. 162 Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 278 <?page no="279"?> 163 Siehe dazu unter IV.2.6. 164 Ernst, Johnnes, 331, drückt es bildhaft so aus: „Johannes tauft mit Wasser (Mk 1,7 / Lk 3,16) bzw. ‚in Wasser‘ (Mt 3,11), d. h. er steht in einem breiten Traditionsstrom mit unendlich vielen Nebenarmen“. Goppelt, Art. ὕδωρ, 329: „Das Taufen mit Wasser will die anhebende endzeitliche Reinigung sein, die Tilgung der Sünden und Umkehr ver‐ mittelt.“ Erläuternd fügt er hinzu: „Es muß von der jüd Täuferbewegung u von seinem at.lichen Hintergrund her, der auch in 1QS 4,21 im Blick steht […], verstanden werden“ (a. a. O. Anm. 105). 165 Zu Wasser in seinen zwei grundlegend verschiedenen Verhältnisbestimmungen zum Menschen und in welcher Weise alttestamentliche und neutestamentliche Wasserri‐ tuale darauf Bezug nehmen siehe unter IV.1. 2.2.3 Der Aufruf zur Buße Wenn die Geschichte des Volkes Israel auch immer wieder Propheten wie etwa Jona erlebt hat, die zur grundsätzlichen Umkehr und Buße aufrufen, so wird in diesem Zusammenhang zwar von Bußritualen berichtet, welche die Reue des Bußfertigen ausdrücken, nicht aber automatisch oder gar individuell die Sün‐ denvergebung bewirken. Diese wird direkt von Gott gewährt oder durch das jährliche, ebenfalls von Gott gewährte Sühneopfer vermittelt. Bei diesem haben Waschungen zwar vorbereitenden Charakter, nicht aber sühnewirkende Funk‐ tion. Die Johannestaufe hingegen ist grundlegend mit dem Bußakt des Täuflings und der Sündenvergebung verbunden. 163 Dass wesentliche Elemente der Johannestaufe innovativ sind, ist - wie bereits festgestellt - Forschungskonsens. Ebenso einhellig hält sich die These, dass es sich dabei um eine Weiterentwicklung der bzw. eine Entwicklung aus den jüdi‐ schen Waschungen heraus handelt. 164 Doch bereits diese kurze Darstellung der Innovationen der Taufe des Johannes macht deutlich, dass dessen „Neuerungen“ in so grundlegender Weise den Ritualablauf und die Ritualfunktion betreffen, dass sie tatsächlich als Neuentwicklung eines Rituals zu werten sind. Die nach‐ folgende Untersuchung wird aufzeigen, dass die grundlegend neue Bezeichnung mit der Tatsache korrespondiert, dass es sich dabei auch um ein grundlegend neues Ritual handelt, welches sich in Ritualablauf und -funktion nicht zuletzt deswegen von den alttestamentlich belegten Waschungen unterscheidet, weil es nicht wie diese auf den Reinigungsaspekt des Wassers Bezug nimmt, sondern auf dessen lebensgefährdenden Aspekt. 165 2.3 Der Ritualleiter: die Person Ἰωάννης ὁ βατιστής 2.3.0 Vorbemerkung Ritualleiter der Taufe ist Johannes, dessen Beiname sich sogar von dieser seiner Tätigkeit herleitet: ὁ βατιστής bzw. ὁ βαπτίζων. Bei der Eruierung der Quel‐ 2 Johannestaufe 279 <?page no="280"?> 166 καὶ αὐτὸς προελεύσεται ἐνώπιον αὐτοῦ ἐν πνεύματι (Lk 1,17); τοῦ κατευθῦναι τοὺς πόδας ἡμῶν εἰς ὁδὸν εἰρήνης (Lk 1,79). 167 ἔρχεται ὁ ἰσχυρότερός μου ὀπίσω μου, οὗ οὐκ εἰμὶ ἱκανὸς κύψας λῦσαι τὸν ἱμάντα τῶν ὑποδημάτων αὐτοῦ. (Mk 1,7); ἐγὼ χρείαν ἔχω ὑπὸ σοῦ βαπτισθῆναι, καὶ σὺ ἔρχῃ πρός με; (Mt 3,14); vgl. auch Joh 1,19-27. 168 περισσότερον προφήτου (Mt 11,9; siehe auch Mt 11,7-15). 169 Neben deutenden Aussagen wie in Mk 1,2 f sind auch größere Darstellungstrukturen zu beachten. Lk komponiert die Geburts- und Kindheitsgeschichten des Täufers und Jesu einerseits parallel, andererseits mit einem Gefälle hin zu Johannes. Bezüglich Joh vertritt von der Osten-Sacken die These, dass das Evangelium den Täufer als den ersten Christen darstellt (siehe von der Osten-Sacken, Christ, 155-173). 170 Siehe ausführlicher zur Biographie Johannes des Täufers Ernst, Johannes, 516-534. 171 Dass über Abstammung, Kindheit und Jugend kaum mehr berichtet wird, beschäftigt einzelne Forscher, welche sich um eine genauere Einordnung des Täufers in seine re‐ ligiöse und soziale Umwelt bemühen. Siehe etwa Geyser, Youth, 70-75. 172 Im NT: Mk 1,3; Mt 3,3; Lk 3,4.6; Joh 1,23; in Qumran: 1QS 8,12 / 6. 173 Siehe unten IV.2.3.2. lenlage ist bereits darauf hingewiesen worden, dass bei den neutestamentlichen Schriften in Bezug auf Rolle und Funktion des Johannes im Verhältnis zu Jesus von Nazareth als dem Christus eine gewisse Pragmatik nicht auszuschließen ist. Diese Verhältnisbestimmung wird durch himmlische wie menschliche Pro‐ phetie, 166 Selbstaussagen des Johannes, 167 das Zeugnis Jesu über Johannes, 168 aber etwa auch durch die Komposition der Evangelien zum Ausdruck gebracht. 169 Einerseits ist eine Inanspruchnahme des Täufers durch die frühen christli‐ chen Gemeinden zu erahnen, welche als Abgrenzungsversuch gegenüber den Täufergruppen verstanden werden kann. Andererseits ist ein „neutrales“ Täu‐ ferbild schwer zu erheben und sollte sich am ehesten an den unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen der Evangelien bzw. Q orientieren. 2.3.1 Die Biographie des Johannes Der hebräische Name des Täufers lautet Johanan ben Secharja (siehe Lk 1,5.59 f). 170 Er wird innerhalb der Regierungszeit des Königs Herodes geboren (Lk 1,5). Seine Eltern sind der Priester Zacharias und dessen Frau Elisabeth (Lk 1,5), welche in einer Stadt im Bergland von Judäa wohnen (Lk 1,39). 171 Auf Grund der Notiz seines Rückzugs in die Wüste (Lk 1,80), scheinbar ähn‐ licher Taufpraktiken sowie der sowohl für Johannes als auch für Qumran rele‐ vanten Bezugnahme auf Jes 40,3 172 ist immer wieder über eine zeitweilige Zu‐ gehörigkeit oder mindestens große Nähe des Johannes zur Qumrangruppe diskutiert worden. Da jedoch weder der Rückzug in die Wüste noch der Bezug auf Jes 40,3 Alleinstellungsmerkmale von Qumran sind, sondern auch als Hin‐ weise auf das Prophetentum des Johannes 173 verstanden werden können und Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 280 <?page no="281"?> 174 Siehe unter IV.5.1. 175 Siehe Kelhoffer, Diet. 176 Siehe unten IV.2.3.3. 177 Siehe unten IV.2.6. 178 Siehe unter I.1.4. 179 Näheres zum Verhältnis Jesus - Johannes siehe unter IV.2.3.2. 180 Denn neben den Evangelien berichtet auch Josephus von der Hinrichtung Johannes‘ durch Herodes und von einer zeitgenössischen Deutung dieser Entscheidung: die Zer‐ störung der Armee des Herodes Antipas im Krieg gegen den Nabatäer Aretas IV. als Strafe Gottes für dessen Handeln gegenüber Johannes‘ (Flav.Jos.Ant. XVIII 116.119). 181 Ernst, Johannes, 519. weil sich zudem die Wasserrituale in Qumran 174 in Vollzug und Funktion von der Taufe des Johannes unterscheiden, ist die Qumrannähe des Johannes zwar nicht endgültig zu widerlegen, aber auch kaum sicher nachzuweisen. Es wird von ihm berichtet, dass er lediglich ἐνδεδυμένος τρίχας καμήλου καὶ ζώνην δερματίνην περὶ τὴν ὀσφὺν αὐτοῦ καὶ ἐσθίων ἀκρίδας καὶ μέλι ἄγριον (Mk 1,6). 175 Seine Predigt- 176 und Tauftätigkeit 177 fand regen Anklang und den‐ noch wird in den Evangelien nur eine Taufe ausführlicher geschildert und zwar diejenige, welche Johannes zunächst ablehnen will: die Taufe Jesu. Gemeinhin werden Rituale abgelehnt, weil Umstände (Raum, Ort, Zeit) als unpassend oder unzureichend empfunden werden oder aber die Ritualteilnehmer persönlich be‐ stimmte Bedingungen nicht erfüllen. 178 Johannes jedoch möchte die Taufe Jesu nicht durchführen, weil er sich ihm gegenüber nicht in der Position des Ritual‐ leiters fühlt, sondern diese Funktion Jesus zuweist: ὁ δὲ Ἰωάννης διεκώλυεν αὐτὸν λέγων· ἐγὼ χρείαν ἔχω ὑπὸ σοῦ βαπτισθῆναι, καὶ σὺ ἔρχῃ πρός με; (Mt 3,14). Er lässt sich jedoch von Jesus überzeugen: ἄφες ἄρτι, οὕτως γὰρ πρέπον ἐστὶν ἡμῖν πληρῶσαι πᾶσαν δικαιοσύνην. τότε ἀφίησιν αὐτόν (Mt 3,15). 179 Wenn auch die genaueren Umstände der Hinrichtung des Johannes, wie Zeit‐ punkt, Hinrichtungsort und Motiv, im Detail unklar bleiben, so besteht doch an der Historizität der Hinrichtung selbst kein Zweifel. 180 „Die für die Evangelien ungewöhnliche Ausmalung der Geburtstagsfeier […] weist auf anekdotische Einblendungen hin. Da der Charakter der Botschaft J.‘ gegen eine längere Pre‐ digttätigkeit spricht, muß mit einer frühen Inhaftierung u., wenn die Gleichset‐ zung Jesu mit dem J. redivivus (Mc. 6,14) glaubwürdig ist, auch mit einer baldigen Hinrichtung (30 / 31 nC.? ) gerechnet werden.“ 181 2.3.2 Die Beinamen und Funktionsbezeichnungen des Johannes Die verschiedenen Beinamen und Titel, welche für Johannes in den Evangelien und bei Josephus belegt sind, dienen weniger dazu, ihn von den zahlreichen 2 Johannestaufe 281 <?page no="282"?> 182 Zur Differenz und teilweisen Spannung zwischen Eigen- und Fremdwahrnehmung in Bezug auf die Person und Funktion des Johannes siehe ausführlich Öhler, Johannes, 327-352. 183 Siehe bereits unter IV.2.1. 184 Flav.Jos.Ant. XVIII 116. 185 Die einzige Stelle, an der die Sendung Johannes‘ (und seiner Taufe) als von Gott über‐ haupt angetastet wird, ist die Reaktion der Hohepriester, Schriftgelehrten und Ältesten auf Jesu Rückfrage zur Herkunft seiner Vollmacht: τὸ βάπτισμα τὸ Ἰωάννου ἐξ οὐρανοῦ ἦν ἢ ἐξ ἀνθρώπων; Bei ihren taktischen Überlegungen fürchten sie die Reaktion des Volkes: ἅπαντες γὰρ εἶχον τὸν Ἰωάννην ὄντως ὅτι προφήτης ἦν. (siehe Mk 11,27-33 par). Selbst Herodes, der ihn schließlich zu Tode bringt, bezweifelt niemals, dass εἰδὼς αὐτὸν ἄνδρα δίκαιον καὶ ἅγιον (Mk 6,20 par) bzw. wiederum: ἐφοβήτη τὸν ὄχλον, ὅτι ὡς προφήτην αὐτὸν εἶχον (Mt 14,5). 186 Tilly, Johannes, 251, kommt in seiner Untersuchung zum Verhältnis der Johannesdar‐ stellung in den synoptischen Evangelien zu dem damaligen Prophetenbild zu dem Schluss: „[…] daß gerade die Nachrichten über Herkunft, Geburt und Heranwachsen eines Propheten auf jüngeren Überlieferungsstufen deutlich daran angeglichen wurden, was hier als das Allgemeine, ‚Ideale‘ und zum Aufweis der Vollmacht eines Propheten Notwendige galt.“ Namensvettern zu unterscheiden, als vielmehr seine Funktion und Sendung zu charakterisieren. Dabei fällt auf, dass die Fremdzuschreibungen und -deutungen weit über das Bild hinausgehen, welches Johannes selbst von sich zeichnet. 182 1) ὁ βαπτιστής (z. B. Mt 3,1) - „der Täufer“ bzw. ὁ βαπτίζων (z. B. Mk 1,4) - „der Taufende“: Die wechselseitige Benennung der Taufe als „Johannestaufe“ und des Johannes als „Johannes der Täufer“ ist einzigartig, wenn auch die Be‐ zeichnung einer Person nach ihrer Tätigkeit - im Gegensatz zur Bezeichnung eines Rituals nach einer Person 183 - keineswegs ungewöhnlich ist. ὁ βαπτιστής ist insofern als klassischer Beiname zu verstehen, welcher ihn jedoch über die Unterscheidungsfunktion hinaus als Entwickler und Leiter seines Ri‐ tuals ausweist. Dass sich diese Bezeichnung und die damit verbundene Funkti‐ onszuweisung keineswegs auf christliche Kreise beschränkt (Evangelien, Apg), belegt Josephus: […] Ἰωάννου τοῦ ἐπικαλουμένου βαπτιστοῦ. 184 2) προφήτης ὑψίστου κληθήσῃ (Lk 1,76) - „Prophet des Höchsten“: Dass es sich bei Johannes um einen Propheten handelt, gehört zu den gemeinsamen As‐ pekten der Johannesdarstellung in den vier Evangelien, 185 welche allerdings zu den „Äußerungen“ seines „typischen Prophetendaseins“ unterschiedliches Ma‐ terial bieten: Lukas beschreibt eine für sich sprechende von wundersamen Zei‐ chen begleitete Schwangerschafts- und Geburtsgeschichte, deren Aussageab‐ sicht, dass es sich hier um ein besonderes, erwähltes Kind handelt, im Loblied des Zacharias bestätigt wird. 186 Ebenfalls ins Bild eines Propheten passen Klei‐ Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 282 <?page no="283"?> 187 Auch von den Jüngern des Johannes wird berichtet, dass sie fasten: Mk 2,18par. Siehe dazu Kelhoffer, Diet. 188 Siehe unter IV.2.3.3. 189 Siehe etwa Sint, Eschatologie, 102-163. 190 Ernst, Johannes, 517. Als abwertende Kommentare verweist Ernst v. a. auf Joh 1,21.25. 191 Grundmann, Markus, 36. 192 Öhler, Elija, 9. In Qumran allerdings fand der eschatologische Elija kaum Erwähnung: Lediglich 4Q 558 verweist eindeutig auf Elija. Die Aussagen in 1QS 9,11 und 4Q 521 können nicht zweifelsfrei zugewiesen werden. 193 Für die These, dass sich Johannes selbst als Elija verstanden hat, sprechen sich u. a. aus: Öhler, Elija, 9; Stegemann, Essener, 301, und Stuhlmacher, Theologie, 60. dung sowie Ernährung, 187 sein Rückzug in die Wüste wie auch der Inhalt seiner Verkündigung 188 und schließlich sein gewaltsames Ende. Selbst Vertreter der These, die christlichen Autoren der neutestamentlichen Schriften würden Person und Wirkung des Johannes erheblich abwerten, 189 halten zu seinem Pro‐ phentum fest, dass es „als leitendes Identitätsmodell […] durch keine Polemik u. Apologetik verdrängt werden“ 190 konnte. Jesu Zeugnis etwa lautet: καὶ περισσότερον προφήτου (Mt 11,9; Lk 7,26). Dem entspricht auch die Darstel‐ lung, dass er als Prophet des Höchsten im Lk der einzige Geistträger neben Jesus ist. 3) φωνὴ βοῶντος ἐν τῇ ἐρήμῳ (Mk 1,3) - „der Rufer“: Als Prophet wird Jo‐ hannes zudem als derjenige identifiziert, von dem Jesaja vorhersagt: φωνὴ βοῶντος ἐν τῇ ἐρήμῳ ῾Ετοιμάσατε τὴν ὁδὸν κυρίου, εὐθείας ποιεῖτε τὰς τρίβους τοῦ θεοῦ ἡμῶν· ( Jes 40,3 LXX ). Diese in allen vier Evangelien zu findende Pro‐ phezeiung war mit der Erwartung verbunden, „wie in der Mosezeit wird in der Wüste die Wiederherstellung des Volkes erfolgen und in einer neuen Land‐ nahme die messianische Zeit anbrechen“. 191 Qumran und andere Gruppierungen ziehen auf Grund dieses Wortes in die Wüste. Die Predigt des Johannes über den, der nach ihm kommen wird (Mk 1,7), kann als Indiz dafür gewertet werden, dass er sich auch selbst mit diesem Rufer in der Wüste identifiziert hat. 4) Ἠλίας ὁ μέλλων ἔρχεσθαι (Mt 11,14) - der wiedergekommene Elija: Die alttestamentliche Prophezeiung der Wiederkunft Elijas vor ἡμέραν κυρίου τὴν μεγάλην καὶ ἐπιφανῆ, welcher zur Umkehr aufrufen wird (Mal 3,22 f LXX ), war im ersten nachchristlichen Jh. präsent und „nahm im Judentum […] eine wich‐ tige Rolle ein, wohl am meisten unter der palästinischen Landbevölkerung.“ 192 Ob der historische Johannes selbst sich als der wiedergekommene Elija ver‐ standen hat, ist auf Grund der unterschiedlich nuancierten Aussagen der Evan‐ gelien schwer zu rekonstruieren. 193 Es wird jedoch deutlich, dass er von anderen, seinen Jüngern ( Joh 1; Lk 1), von den Evangelisten (Mk 1,2 f) und nicht zuletzt von Jesus selbst (Mt 11,4; 17,12 f) als dieser identifiziert wurde: λέγω δὲ ὑμῖν ὅτι 2 Johannestaufe 283 <?page no="284"?> 194 Tatsächlich in Frage gestellt wird die Identifikation des Täufers mit Elija lediglich in Joh. Zu betonen bleibt natürlich, dass sich das konkrete Verständnis darüber, in welcher Weise Johannes die Elijaerwartung erfüllt bei seinen Anhängern und den Christus‐ gläubigen unterscheidet. So Öhler, Elija, 10: „Die Täuferanhänger verstanden sie wie das sonstige Judentum so, daß Elija als Vorläufer Jahwes und seines Gerichtstages kommen werde. Christlicherseits wurde Elija aber als Vorläufer des Messias Jesus ver‐ standen“. 195 Zum Vergleich der beiden Taufen siehe unter IV.2.8.6 sowie IV.2.8.7. 196 Ernst, Johannes, 308. 197 Mit Blick auf die enge Verflechtung der Gerichtspredigt des Johannes mit seiner Taufe sei daran erinnert, dass auch im Zusammenhang mit der christlichen Taufe die Abra‐ hamskindschaft thematisiert wird, nämlich in Gal 3,29: εἰ δὲ ὑμεῖς Χριστοῦ, ἄρα τοῦ Ἀβραὰμ σπέρμα ἐστέ, κατ᾽ ἐπαγγελίαν κληρονόμοι. Näheres zum ritologischen Motiv der Erbenbzw. Sohnschaft siehe unter V.3. Ἠλίας ἤδη ἦλθεν, καὶ οὐκ ἐπέγνωσαν αὐτὸν ἀλλὰ ἐποίησαν ἐν αὐτῷ ὅσα ἠθέλησαν. (Mt 17,12). 194 5) ἔρχεται δὲ ὁ ἰσχυρότερος μου (Lk 3,16) - das Verhältnis zu Jesus: Das Bild des Johannes in den Evangelien wird schließlich wesentlich von der Verhält‐ nisbestimmung zu Jesus geprägt. Johannes wird dargestellt als derjenige, wel‐ cher vorausgeht (Lk 3,76), den Weg bereitet (Lk 3,76) und auf den nach ihm Kommenden verweist (Mk 1,7 f). Auch die Taufe beider wird in ein Verhältnis mit deutlichem Gefälle gebracht. 195 Höhepunkt und zugleich stückweise Kor‐ rektur erhält dieses Bild in der direkten Begegnung der beiden bei der Taufe Jesu: ὁ δὲ Ἰωάννης διεκώλυεν αὐτὸν λέγων· ἐγὼ χρείαν ἔχω ὑπὸ σοῦ βαπτισθῆναι, καὶ σὺ ἔρχῃ πρός με; (Mt 3,14). Doch Jesus wehrt dies ab und verweist die Funktion des Täufers an ihn zurück (Mt 3,15). 2.3.3 Die Verkündigung des Johannes Verkündigung und Bußaufruf des Johannes bis hin zu seinem Handeln in der Taufe stehen in einem engen Zusammenhang: In seiner Gerichtspredigt (Mt 3,7-10.12 / Lk 3,7-9.17) „zerschlägt [ Johannes, CM ] mit polemisch zuge‐ spitzten Worten und Bildern das falsche Vertrauen auf die äußere Zugehörigkeit zu Israel als Volk der Erwählung“. 196 Die alles begründende Abrahamskindschaft wird in ihrer Wirkung angezweifelt: λέγω γὰρ ὑμῖν ὅτι δύναται ὁ θεὸς ἐκ τῶν λίθων τούτων ἐγεῖραι τέκνα τῷ Ἀβραάμ (Mt 3,9). 197 Die Reden von Axt und Baum sowie Spreu und Weizen künden von der Nähe des Zorngerichts und der dort vollzogenen Scheidung zwischen denen, die ποιοῦν καρπὸν καλὸν (Mt 3,10) und den anderen, welchen die Vernichtung droht. Deswegen ruft Jo‐ hannes alle ohne Ausnahme auf: μετανοεῖτε· ἤγγικεν γὰρ ἡ βασιλεία τῶν οὐρανῶν (Mt 3,2). In Übereinstimmung mit den alttestamentlichen Propheten mahnt er zu Bekehrung und gottgemäßem Leben (vgl. bes. Jos), wobei die be‐ Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 284 <?page no="285"?> 198 In der gleichen Terminologie lässt Johannes aus dem Gefängnis heraus Jesus fragen: σὺ εἶ ὁ ἐρχόμενος ἢ ἕτερον προσδοκκῶμεν; (Mt 11,3). 199 Ernst, Johannes, 353. 200 Zur Diskussion des Gerüchtes, Jesu sei der von den Toten auferstandene Johannes sowie den unterschiedlichen Übersetzungsmöglichkeiten zu ἐγήγερται in diesem Zusammen‐ hang siehe a. a. O. 352 f. 201 A. a. O. 353. sondere Betonung der Nähe des Gerichtes ein eigenes Gewicht erhält. Innere Umkehr, äußeres Sündenbekenntnis und Taufe stehen dabei in einem inneren Zusammenhang (Mt 3,5 f). Daraus wiederum ergeben sich ethische Ermah‐ nungen sowohl für die Getauften (Lk 3,10-14) als auch gegenüber Herodes (Mk 6,18). Einen besonderen Aspekt der Gerichtspredigt stellt die Ankündigung dessen dar, der nach ihm kommen wird. Dieser wird stärker als er sein (Mk 1,7), er wird mit dem Heiligen Geist (Mk 1,8) und Feuer (Mt 3,11) taufen. Er ist derjenige, der Spreu und Weizen trennen und die Spreu verbrennen wird. 198 2.3.4 Johannestaufe ohne Johannes? Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass zu Lebzeiten des Johannes andere „seine Taufe“ durchgeführt haben. Solange Johannes lebt, ist er der unumstrittene ein‐ zige Ritualleiter „seines“ Rituals. Was aber geschieht nach dem Tod Johannes des Täufers? Führen seine Jünger nicht nur seine Verkündigung, sondern auch seine Taufe fort und nehmen damit erstmals andere die Funktion des Rituallei‐ ters ein? Und hat dies die (Deutung der) Taufe verändert? Wie auch später die Jünger Jesu haben auch die Anhänger des Johannes dessen gewaltsamen Tod zu verkraften und schließlich zu deuten. „Innerhalb der Kirche verfestigt sich sehr schnell die Vorstellung vom Vorläufer Jesu - man könnte geradezu von einem christlichen Täuferdogma sprechen.“ 199 Unter den Johannesanhängern wiederum finden sich unterschiedliche Deutungsansätze. Während sich die Auffassung, Johannes sei von den Toten auferstanden, scheinbar nicht durchsetzen konnte, 200 reagieren die Johannesjünger v. a. mit einem gesteigerten Erinnern und Verehren des Täufers und zugleich einem ver‐ stärkten Festhalten an der Taufe, wobei beide Momente miteinander korres‐ pondieren: „Wir dürfen annehmen, daß die ‚Schüler‘ die Verbindung mit ihrem getöteten Meister gerade in jenem Zeichen suchten, das schon zu seinen Leb‐ zeiten seine Person charakterisierte: die Taufe.“ 201 Die eigenständige, positive 2 Johannestaufe 285 <?page no="286"?> 202 Zacharias wird zu seinem Sohn angekündigt, dass er von Mutterleib an vom Heiligen Geist erfüllt werden wird (πνεύματος ἁγίου πλησθήσεται ἔτι ἐκ κοιλίας μητρὸς αὐτοῦ, Lk 1,15); dass er viele von den Söhnen Israels zu Gott zurückführen wird (πολλοὺς τῶν υἱῶν Ἰσραὴλ ἐπιστρέψει ἐπὶ κύριον τὸν θεὸν αὐτῶν, Lk 1,16); dass er im gleichen Geist und mit der gleichen Kraft wandeln wird wie der Prophet Elija (αὐτὸς προελεύσεται ἐνώπιον αὐτοῦ ἐν πνεύματι καὶ δυνάμει Ἠλίου, Lk 1,17) und dass er uns auf den Weg des Friedens führen wird (τοῦ κατευθῦναι τοὺς πόδας ἡμῶν εἰς ὁδὸν εἰρήνης, Lk 1,79). 203 Zur Theorie, dass bestimmte Teile des v. a. in Lk und Joh überlieferten Spruchgutes und Legenden über Johannes nicht aus christlichen, sondern jüdischen Kreisen und dem‐ nach aus dem Umfeld des Täufers stammen, siehe Stauffer, Jerusalem, 100, aber auch Dibelius, Formgeschichte, 121, welcher v. a. mit Blick auf Joh meint: „Denn was die Christen von dem Täufer zu sagen wissen, wird hier überhaupt nicht erwähnt, seine Stellung als Vorläufer, seine Unterordnung unter Jesus spielen keine Rolle; im Gegenteil, Johannes wird 1,15 genauso uneingeschränkt ein ‚Großer‘ genannt wie später 1,32 Jesus selbst. Die Legende stammt also von jüdischen Verehrern des Johannes, d. h. aus Kreisen der Täuferbewegung selbst.“ 204 Kraeling, John, 165. Siehe auch Stauffer, Jerusalem, 99. 205 Ernst, Johannes, 356. Zeichnung des Johannes im Lk 202 wird auf das sich verändernde Johannesbild in Täuferkreisen nach dessen Tod zurückgeführt und steht in erstaunlicher Span‐ nung zum strengen Prediger der Buße (Mk 1). Wenn auch die Quellenlage spär‐ lich und schwierig zu bewerten ist, so meint Kraeling dennoch daraus ableiten zu können, dass sich die Taufe mit zunehmender Gruppenbildung 203 - gegen die ursprüngliche Intention des Täufers - zum Aufnahmeritual entwickelt. 204 Und so meint auch Ernst: „Manche der angedeuteten neuen und überraschenden Elemente im Täuferbild lassen sich gut aus dem neuen Lebensgefühl der Ge‐ tauften verständlich machen. Die Taufe, das eschatologische Zeichen, ist zum Initiationsritus geworden, dem Empfänger wird nicht das Gericht angedroht, er hat seinen Frieden mit Gott gefunden.“ 205 Mit dem Tod des Johannes fällt der Entwickler und Leiter des Rituals aus. Er wird daraufhin nicht etwa durch einen anderen funktionsgleich ersetzt. Viel‐ mehr führt die Abwesenheit zu einer zunehmenden Verehrung und damit Kon‐ stituierung einer Gruppe, welche das Ritual des „Gründers“ zu einem Initiati‐ onsritual weiterentwickelt. Dabei werden Name und Vollzug offenbar beibehalten - den neuen Ritualleitern kommt dadurch eine wesentlich geringere Bedeutung zu, als sie zuvor Johannes innehatte. Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 286 <?page no="287"?> 206 Siehe Mk 1,5; Mt 3,5; Lk 3,7.11.15.18. 207 Wenn auch die historische Rückführung der Ständepredigt auf Johannes angezweifelt werden kann, so sei doch der Vollständigkeit halber erwähnt: τελῶναι […] στρατευόμενοι (Lk 3,12-14). 208 Siehe Mt 3,7. 2.4 Die Ritualteilnehmer: οἱ ἐκπορευομένοι ὄχλοι βαπτισθῆναι ὑπ᾽ αὐτοῦ Bezüglich der Ritualteilnehmer ist zu fragen, welche Menschen es sind, die sich zu Johannes in die Wüste aufmachen und sich zu Umkehr, Sündenbekenntnis und Taufe aufrufen lassen. In welches Verhältnis treten sie dabei zu Johannes? Welche Veränderungen lassen sich nach der Taufe feststellen? 2.4.1 Die Getauften und ihr Verhältnis zu Johannes Die Angaben über diejenigen, welche zu Johannes kommen, unterscheiden sich in den Evangelien. Deutlich wird jedoch, dass es viele, ja πάντες sind 206 und dass sie ganz unterschiedlichen Berufsständen 207 und Gruppierungen 208 angehören. Auf Grund der eindringlichen Gerichtspredigt des Johannes bekehren sie sich, bekennen ihre Sünden und lassen sich taufen. Doch auch für das Leben nach der Taufe erhoffen sie sich Orientierung vom Täufer, wobei die neutestament‐ lichen Texte eine Unterscheidung in zwei Gruppen nahelegen: zwischen 1) den‐ jenigen, welche nach der Taufe in ihren Alltag zurückkehren und 2) denjenigen, welche sich Johannes als οἱ μαθηταί (Mk 2,18) für längere Zeit anschließen. 1) „die Rückkehrer“: Die aus Q stammenden ausführlicheren Berichte über den Inhalt der Predigt des Johannes zeigen, dass diese nicht allein auf das punktuelle Sündenbekenntnis zielt, sondern als Folge der Bekehrung einen erneuerten Le‐ benswandel fordert: ποιήσατε οὖν καρπὸν ἄξιον τῆς μετανοίας (Mt 3,8). Nach Lk wird Johannes direkt angefragt: τί οὖν ποιήσωμεν; (Lk 3,10). Mit der Mah‐ nung zu gerechten und barmherzigen Verhalten kehren sie in ihren Alltag zu‐ rück. 2 Johannestaufe 287 <?page no="288"?> 209 Dass die neutestamentlichen Berichte über Jünger des Täufers nicht nur christlich be‐ einflusst, sondern auch von späteren Täuferkreisen geprägt sind, macht Ernst, plausibel und kommt zu dem Schluss: „Fast könnte man den Eindruck haben, daß Täufergruppen, die sich unter veränderten Voraussetzungen nach dem Tode des Johannes zusammen‐ gefunden hatten, legitimiert oder auch korrigiert werden sollen.“ (ders., Johannes, 350). 210 Zwar erwähnt Joh Andreas, den Bruder des Simon, als einen der Johannesjünger, welche zu Jesus überwechseln, jedoch lässt laut Ernst „der Schneeballeffekt der Berufungs- und Nachfolgeszene (1,41.43-51) […] das fehlende Interesse an einem historischen Bericht erkennen.“ (a. a. O. 349). 211 A. a. O. 352. 212 Siehe unter IV.2.3.4. 213 Lichtenberger, Täufergemeinden, 56, siehe dort auch entsprechende Hinweise. 214 Ernst, Johannes, 359. 2) οἱ μαθηταί: Von anderen wird berichtet, dass sie sich dauerhaft zu ihm halten. 209 Sie bleiben in den neutestamentlichen Quellen anonym. 210 Außer dass sie fasten (Mk 2,18) und sich von Johannes über das Gebet belehren lassen (Lk 11,1), wird beinahe nichts Konkretes von ihnen berichtet. Auch ihre Orga‐ nisationsform und damit die Frage, ob Johannes eine Schule im klassisch rab‐ binischen Sinne gegründet hat, bleiben unklar. Ernst kommt zu dem Schluss, dass Johannes weniger eine Gruppenbildung als eine „Sammlung zur Gemeinde der Endzeit“ im Blick hatte und insofern gelte: „Wer im Hinhören auf die Buß‐ forderungen des Johannes sein Leben ändert (Frucht bringt) und zu Gott betet, ist auch ohne Zugehörigkeit zu einem Gemeindeverband ein Jünger des Jo‐ hannes.“ 211 2.4.2 Die Johannesanhänger nach dessen Tod Dies ändert sich jedoch mit dem Tod des Täufers: Wie bereits erwähnt, 212 führen seine Jünger die Taufe auch nach dem Tod des bis dahin einzigen Ritualleiters fort. Dabei gewinnt sie zunehmend einen initiatorischen Aspekt, wird zum Auf‐ nahmeritual in die Gemeinschaft der Johannesjünger. Wie und wo aber fand sich diese Gemeinschaft? Lichtenberger geht dabei weniger von einer Täufer‐ gemeinde im Jordantal als vielmehr von einer „Täuferdiaspora“ in Rom und Kleinasien (vgl. Apg 19,1-7) aus. 213 Die sich nach und nach konstituierenden christlichen Gemeinden dürften zur Konsolidierung der Täufergruppen beigetragen haben: „Die Orientierung der christlichen Taufe am Heilswerk Jesu führte zur verstärkten Selbstfindung des Täuferkreises.“ 214 Die unterschiedlichen Beurteilungen der Täuferanhänger und ihres Verhältnisses zu den Anhängern Jesu in den vier Evangelien ist oft dahin‐ Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 288 <?page no="289"?> 215 So z.B. A. a. O. 356-359; Vielhauer, Johannes, 807; aber auch Lichtenberger, Täuferge‐ meinden, 55: „Die ‚christologische‘ Auseinandersetzung gewinnt an Schärfe und er‐ reicht ihren Höhepunkt im spätesten Text, dem Johannesevangelium. Wir müssen da‐ raus schließen, daß theologisches Gewicht und Ausbreitung der Täufergemeinden im Laufe der Jahrzehnte nicht ab-, sondern zunahmen.“ 216 Siehe unter IV.2.3.2. 217 Erinnert sei etwa daran, dass die Botschaft der beiden in Mt mit dem gleichen Satz zusammengefasst wird - Mt 3,2 und 4,17: μετανοεῖτε· ἤγγικεν γὰρ ἡ βασιλεία τῶν οὐρανῶν. 218 Ernst, Johannes und Jesus, 167. Konkretere Angaben zu den Wirkungsorten des Täufers liefert Joh. Sie stehen dann auch in einem gewissen Spannungsverhältnis zu den bei den Synoptikern. gehend interpretiert worden, dass es zunächst ein zeitweiliges Miteinander der Gruppierungen gegeben hat, bevor sie sich endgültig trennten. 215 2.4.3 Der Sonderfall: Der Täufling Jesus Der einzige Vollzug einer Johannestaufe, welcher ausführlich berichtet wird, ist zugleich ein Sonderfall: die Taufe Jesu von Nazareth. Die Darstellung des Ver‐ hältnisses der beiden in den Evangelien ist bereits beschrieben worden. 216 Wie lange sich Jesus im Umfeld des Täufers aufhält und wie entscheidend seine Ver‐ kündigung und auch sein Wirken durch ihn beeinflusst werden, 217 ist wohl nicht endgültig zu klären, ebenso die Frage, ob ein Teil der Jünger Jesu dem Kreis der Johannesjünger entstammt (so Joh 1). Die Taufe ist das erste in den Evangelien berichtete Ereignis im Leben des erwachsenen Jesus. Nach ihrer Darstellung beginnt die öffentliche Wirksamkeit Jesu erst mit der Gefangennahme des Täufers (Mk 1,14par). Welche Bedeutung die Taufe Jesu für Johannes gehabt hat, wird in dem bereits thematisierten Widerspruch des Täufers deutlich, welcher eine Taufe durch Jesus für angemessener hält. Die kanonischen Evangelien berichten darüber hi‐ naus nichts. 2.5 Der Ritualort: Wüstenpredigt und Jordantaufe Das öffentliche Wirken Johannes des Täufers ist mit zwei Ortsangaben ver‐ knüpft: die Predigt in der Wüste und die Taufe im Jordan. Beide werden bei den Synoptikern stets kombiniert genannt. Ernst liest Mk 1,4 gar als bewussten rhe‐ torischen Chiasmus: ἐγένετο Ἰωάννης [ὁ] βαπτίζων ἐν τῇ ἐρήμῳ καὶ κηρύσσων βάπτισμα μετανοίας εἰς ἄφεσιν ἁμαρτιῶν. 218 Für beide Ortsangaben stellen sich die Fragen ihrer Historizität, der genaueren Lokalisierung sowie der Deutung. 2 Johannestaufe 289 <?page no="290"?> 219 Schmidt, Rahmen, 18 f. 220 Eine genauere Ortsbestimmung ist lediglich in Kombination mit der Taufe im Jordan möglich, siehe daher unter IV.2.5.2. Gnilka, Markus I, 45, kommt jedoch zu der Ein‐ schätzung: „An einer präzisen geografischen Angabe ist der Erzähler nicht interessiert.“ 221 Siehe die Erzählungen in Ex 13-Jos 5. 222 Zur Frage nach dem Selbstverständnis des Johannes bezüglich Jes 40,3 siehe bereits unter IV.2.3. Avemarie, Johannestaufe, 396 f, setzt sich mit der These auseinander, ob Verkündigung und Wirken des Täufers tempelkritische Implikationen haben und un‐ tersucht in diesem Zusammenhang auch sein Wirken in der Wüste fernab des Tempels. Doch auch er kommt zu dem Schluss, dass Wüste und Jordan weniger mit Tempelkritik als vielmehr mit dem Exodus und der Jordanüberquerung ( Jos 3) assoziiert werden. 223 Siehe v. a. Murphy-O’Connor, John, 359-374. 2.5.1 Die Predigt in der Wüste Auf der Grundlage literarkritischer Überlegungen, welche das Wüstenmotiv al‐ lein auf Jes 40,3 zurückführen, spricht Karl Ludwig Schmidt diesen jeglichen topographischen Wert ab. 219 Doch dem widerspricht nicht nur die Erwähnung in Mt 11,7, sondern auch die weit über Jes 40,3 hinausgehende symbolische Be‐ deutung der Wüste, welche in Kombination mit der Taufe im Jordan wohl be‐ wusst vom Täufer gewählt wird. 220 Die Wüste ist alttestamentlich zugleich der Ort der Bestrafung wie der Be‐ wahrung durch Gott. 221 Und mit Jes 40,3 wird sie auch der Ort sein, wo sich das Volk wieder sammeln und auf das Kommende vorbereiten wird. Diese Erwar‐ tung führt die Qumrangemeinschaft in die Wüste und wird wohl auch bei der Ortswahl des Johannes eine Rolle spielen. 222 Johannes vollzieht seine Taufe je‐ doch nicht unspezifisch in der Wüste, sondern an einer besonderen verhei‐ ßungsträchtigen Stelle, dem Jordan. 2.5.2 Die Taufe im Jordan Unter der allgemeinen Annahme, dass es sich bei der Johannestaufe um eine (Ganzkörper-)Taufe im Jordan handelt, ist immer wieder ins Feld geführt worden, dass sie aus geographischen Überlegungen heraus nicht im unteren Jordantal bzw. überhaupt im Jordan stattgefunden haben könne. Die bekannten Hinweise auf den Platzmangel für Massentaufen, die unwirtliche Gegend sowie den niedrigen Wasserstand gerade in der kühleren Jahreszeit wurden auch in jüngerer Zeit wieder ausführlich diskutiert. 223 Gegen grundsätzliche Zweifel spricht jedoch nicht nur das einheitliche biblische Zeugnis, sondern auch die sich damals wie heute stets verändernden landschaftlichen Gegebenheiten und darin nicht zuletzt die Flussläufe, weswegen „eine derartige extrem naturge‐ schichtliche, geographische und landeskundliche Argumentation nur mit Er‐ Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 290 <?page no="291"?> 224 Ernst, Johannes und Jesus, 169. Vgl. etwa Dalman, Orte, 101, welcher zur Problematik der genauen Lokalisierung des Taufortes schlicht festhält: „Das Flußbett wird sich seit Jesu Zeit hier mehrfach geändert haben.“ 225 Ernst, Johannes und Jesus, 169. Ernst liefert schließlich eine Aufzählung möglicher Punkte und Ortschaften, die nach den unterschiedlichen Angaben vorstellbar sind, gibt aber auch zu bedenken, dass die Betonung des Taufwasser anstatt des Taufortes ( Joh), die Vorstellung des Wanderpredigers wie auch die sehr allgemeine nicht näher lokali‐ sierte Bemerkung von den Volksscharen „eine gewisse Beweglichkeit in der Ortswahl anzudeuten scheint.“ (a. a. O. 171). 226 Müller, Johannes, 23. 227 Ernst umgeht die Diskussion zur Bedeutung des Jordan mit der Feststellung: „Johannes begab sich zum Jordan, weil er in der Umgebung der judäischen Wüste die einzige geeignete Taufstelle war.“ (Ernst, Johannes der Täufer, 332). In ähnlicher Weise Marsh, Origin, 37: „There are few streams worthy of note in Palestine and the Jordan easily takes pride of place.“ Dass diese Position die theologische Bedeutung des Jordan für die Geschichte des Volkes Israel allgemein und die Ortswahl des Johannes im Besonderen verkennt, wird die nachfolgende Untersuchung erweisen. 228 Nach Überqueren des Jordans wird Josua aufgefordert, alle in der Wüste geborenen Männer, welche bis dahin sämtliche unbeschnitten geblieben waren, zu beschneiden ( Jos 5,4-7). 229 Thompson, Jordan, 954 III. staunen zur Kenntnis“ genommen werden kann. 224 So erschwert sich allerdings die Suche nach dem bzw. den genauen Taufort(-en), wofür gemeinhin „die Jor‐ danfurten an den großen Ost-West-Straßen“ angenommen werden. 225 Die Ge‐ fangensetzung durch Herodes Antipas, dem Tetrarchen von Peräa, spricht zudem für ein Wirken am Ostufer des Jordans. 226 Wesentlich genauer wird sich der Ort der Johannestaufe aus den genannten Gründen heute nicht mehr loka‐ lisieren lassen. Warum aber hat Johannes den Jordan und keine andere Wasserstelle zum Taufen ausgewählt? 227 Auf dem Berg Hermon entspringend fließt der Jordan (hebr. ןדרי ; griech. Ἰορδάνης) schließlich in das Tote Meer und teilt damit West- und Ostpalästina. Alttestamentlich wird er erstmals in der Erzählung der Land‐ aufteilung zwischen Abraham und Lot erwähnt (Gen 13,10). Bedeutung erlangt er hauptsächlich als Grenzfluss zum gelobten Land, dessen Durchquerung den Einzug nach Jahren der Wüstenwanderung markiert ( Jos 1-4) 228 - eine Freude, die Mose versagt bleibt (Dtn 34). „In fact 117 of the biblical references to the Jordan river mention it in connection either with this crossing or with these boundaries. Indeed, it is this context (of crossing and boundary) that the Jordan river continues to stand as a powerful theological symbol or metaphor within both Judaism and Christianity.“ 229 2 Johannestaufe 291 <?page no="292"?> 230 Dafür, dass die Symbolik für die Zeitgenossen des Johannes offensichtlich gewesen ist, sprechen auch andere zeitgenössische Bezugnahmen auf die Jordanteilung: So berichtet bspw. Josephus (Flav.Jos.Ant. XX 97) von einem Zeichenpropheten namens Teudas, welche die Menschen aufforderte, ihm in die Wüste zum Jordan zu folgen, den er wun‐ derhaft teilen werde. 231 Stegemann, Essener, 296 f (Hervorhebungen im Original). Nach Darstellung der Evangelien vollzieht Johannes demnach seine Taufe an einem für Juden hoch bedeutsamen Ort: 230 “Die Wahl des Ostufers des Jordans als Wirkungsstätte entsprach dabei der einstigen Situation Israels vor dem Durchschreiten des Flusses. Das Auftreten des Täufers ana‐ logisierte also das Dasein Israels nach dem Auszug aus Ägypten ‚in die Wüste‘ vor dem Einzug in das Gelobte Land, in dem erst künftig alles Wirklichkeit werden sollte, was Gott seinem erwählten Volk bereits durch Mose auf dem Sinai verheißen hatte.” 231 In seiner Ankündigung des Gerichtes verwirft Johannes die rettende Berufung auf die Abrahamskindschaft und predigt den einen einzigen Weg zu Rettung: Wie es für die Israeliten in der Wüste nur den einen Weg durch den Jordan ins gelobte Land gab, so ist βάπτισμα μετανοίας εἰς ἄφεσιν ἁμαρτιῶν im Jordan der eine Weg zur Rettung. Die Johannestaufe wird im wörtlichen wie übertragenen Sinne eine „Grenzerfahrung“ - die Taufe im Jordan eine Grenze, die es zu über‐ schreiten gilt, um vor dem nahenden Gericht sicher zu sein. Doch wie Josua nach Durchschreiten des Jordans den Auftrag zur Beschneidung aller in der Wüste Geborenen und damit zu einer erneuten Verpflichtung auf den Bund bekommt, so soll auch die Grenzerfahrung der Johannestaufe einen andau‐ ernden Wandel der Lebensführung nach sich ziehen. Dabei wird der Moment der Umkehr als so grundlegend gedeutet, dass die Jordantaufe - anders als die sich wiederholenden Reinigungsriten - lediglich einmal vollzogen wird, wie auch das auserwählte Volk nur einmal durch den Jordan in das gelobte Land eingezogen ist. Wie beinahe alle alttestamentlichen Bezugnahmen auf den Jordan deutlich machen, liegt seine Symbolkraft demnach in seiner Grenzfunktion und nicht etwa in seiner Reinigungsfunktion. An einer einzigen Stelle wird auf den reini‐ genden Aspekt des Jordanwassers abgehoben: Elisa befiehlt dem Feldhaupt‐ mann Naaman siebenmaliges Untertauchen im Jordan zur Heilung seines Aus‐ satzes (2Kön 5,14). Der große Kenner der israelitischen Landschaftskunde Dalman stellt jedoch fest, dass es als „Entsündungswasser“ etwa bei Leichen‐ unreinheit grundsätzlich ungeeignet ist: Dazu bedarf es „lebendigen Wassers“, sprich Quellwasser, „während das Jordanwasser eine Mischung aus Quellwasser und zur Reinigung ungeeignetem Wasser, etwa Sumpfwasser oder dem Wasser Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 292 <?page no="293"?> 232 Dalman, Orte, 102, der sich bezüglich der Kriterien für zur Reinigung geeignetem Wasser v. a. auf Num 19,17 bezieht. Dass das Mischwasser des Jordan zur Reinigung ungeeignet ist, stellt bereits mPara 8,10 fest, wobei umstritten ist, ob an dieser Stelle konkret auf den Jordan abgehoben wird oder gegen Mischwasser im allgemeinen po‐ lemisiert wird, siehe dazu ausführlich Rudolph, Baptisten, 34 f Anm. 60. 233 Sint, Eschatologie, 97; s.a. Thomas, Mouvement, 123-138. 234 Anders Joh 3,23, wo die Wahl des Taufortes des Johannes mit dem Wasserreichtum begründet wird. Siehe dazu sowie allgemein zu Wasser und Fruchtbarkeit der Gegend des Taufortes Zangenberg, Frühes Christentum, bes. 67-73. heißer Quellen ist. Was Johannes der Täufer und Jesus im Jordan vollziehen ließen, hatte mit dem System Reinigungen nichts zu tun.“ 232 Neben der Ritual‐ bezeichnung, der Passivität des Täuflings wie auch dem einmaligen Vollzug spricht demnach auch die symbolische Ortswahl gegen ein Verständnis der Jo‐ hannestaufe als klassisches Reinigungsritual. 2.5.3 Die Entwicklung nach dem Tod des Täufers Anhänger des Täufers sind für die Zeit nach dessen Tod belegt für Ephesus (Apg 19) sowie v. a. bis ins 3. Jh. Syrien. 233 Da es keine Hinweise darauf gibt, dass zur Taufe eine Reise zum Jordan nötig wurde, ist davon auszugehen, dass sich der Taufort mit der Verbreitung der Täuferbewegung vom Jordan löst. Dies geht - wie bereits dargestellt - mit anderen Veränderungen des Rituals einher: Erstmals nehmen andere die Funktion des Johannes als Ritualleiter ein und die Bedeutung der Johannestaufe verschiebt sich hin zu einem initiatorischen As‐ pekt für diejenigen, welche sich als Johannesjünger verstehen und als solche eine Gruppe bilden. 2.6 Der Ritualablauf: Ἐγὼ μὲν ὑμᾶς βαπτίζω ἐν ὕδατι εἰς μετάνοιαν Das Geschehen um die Taufe des Johannes lässt sich in folgende Abschnitte gliedern: 1) das Kommen zu Johannes; 2) das Hören der Predigt; 3) das Getauft‐ werden und das Sündenbekenntnis; 4) der Blick auf den Alltag. Trotz des Zu‐ sammenwirkens der einzelnen Aspekte lässt sich aus der Darstellung der neu‐ testamentlichen Schriften dennoch als Mitte und zugleich Ziel des Prozesses erkennen, dass die Menschen zu Johannes kommen βαπτισθῆναι ὑπ᾽ αὐτοῦ (Lk 3,7). 1) Das Kommen zu Johannes: Woher auch immer die Menschen von Johannes gehört haben, sie machen sich auf dem Weg zu ihm - in ein unwirtliches Ge‐ biet 234 von besonderer heilsgeschichtlicher Bedeutung. 2) Das Hören der Predigt: An diesem Ort hören sie von der Nähe des Gerichtes und dass die Berufung auf ihre Abstammung von Abraham sie allein nicht retten 2 Johannestaufe 293 <?page no="294"?> 235 Siehe unter IV.2.7. 236 Zum Begriff siehe unter II.1.2. 237 Mk 1,5; Mt 3,6. 238 Die Ethisierung, wie sie sich v. a. bei Lukas findet, kann auch erst als spätere Entwick‐ lung gedeutet werden. Für Josephus liegt jeoch darauf der eigentliche Fokus, siehe Jos.Flav.Ant. XVIII,117. 239 Siehe unter IV.2.4.3. wird, sondern allein eine persönliche grundlegende Umkehr in Verbindung mit einer Taufe im Jordan. 3) Das Getauftwerden und das Sündenbekenntnis: Der als βάπτισμα μετανοίας εἰς ἄφεσιν ἁμαρτιῶν bezeichnete Akt (Mk 1,4) geht einher mit einem Bekenntnis der Sünden. Da beide Elemente partizipial konstruiert werden (Mk 1,4 f; Mt 3,6), könnte man eine reihende Erzählweise annehmen und daraus schließen, dass die Texte keinen besonderen Wert auf die Benennung einer bestimmten Rei‐ henfolge oder gar eines kausalen Verhältnisses der beiden legen, sondern ledig‐ lich die innere Zusammengehörigkeit von Taufe und Sündenbekenntnis be‐ tonen. Dies ist mit Blick auf die Funktionsbezeichnung εἰς ἄφεσιν ἁμαρτιῶν an späterer Stelle noch zu prüfen. 235 Die Taufe ist auf Grund ihrer Bezeichnung als τὸ βάπτισμα 236 und der Schil‐ derung der Taufe Jesu, der ein ἀναβαίνω folgt (Mk 1,10; Mt 3,16), als ein ein‐ maliges Untergetauchtwerden durch Johannes zu verstehen. Er selbst beschreibt es als ein Taufen (ἐν) ὕδατι (Mk 1,8; Mt 3,11; Lk 3,16; Joh 1,26). Ob er dabei weitere deutende Worte gesprochen hat, wird nicht überliefert. Die direkte Bezugnahme auf die Gerichtspredigt ist jedoch bereits dargestellt worden. Zum Bekenntnis der Sünden von Seiten der Täuflinge wird lediglich berichtet, dass sie es im Zusammenhang mit der Taufe ablegen, 237 was eine gewisse Öffentlichkeit vo‐ raussetzt. 4) Der Blick auf den Alltag: Sowohl die von Johannes geforderte grundsätz‐ liche Umkehr als auch die entsprechenden Nachfragen der zu ihm Kommenden haben einen radikalen Wandel der Lebensführung hin zu einem Gott gefälligen Lebensstil im Blick. 238 Die Taufe im symbolträchtigen Jordan stellt dabei den Beginn, den ersten Schritt hinüber in dieses neue Leben dar. Die einzige Beschreibung einer Johannestaufe liegt uns in der Taufe Jesu vor, welche zwar, wie bereits erwähnt, einen Sonderfall darstellt, aber dennoch wei‐ tere Hinweise zum Vollzug auch einer gewöhnlichen Johannestaufe liefern kann: Als Teil des Sonderfalls sind unzweifelhaft der Ablehnungsversuch des Johannes (Mt 3,14 f) 239 und die Ereignisse danach (Taube / Heiliger Geist, Stimme aus den Wolken, Mk 1,10 f; Mt 3,16 f; Lk 3,21 f) zu werten. Diese beiden Aspekte sind es auch, welche mit Blick auf die Johannesdarstellung in den Evangelien Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 294 <?page no="295"?> 240 Das Johannesevangelium, welches ausführliches Sondergut zur Funktion des Johannes und seinem Zeugnis über das Lamm Gottes überliefert, erwähnt zwar das Kommen Jesu zu Johannes, nicht aber explizit die Taufe durch Johannes. Es wäre zu fragen, inwieweit diese Lücke mit den (widerstreitenden) Berichten zusammenhängt, dass Jesus selbst ( Joh 3,22.26) bzw. seine Jünger ( Joh 4,1 f) getauft haben. Andererseits bezeugt Johannes Jesus als denjenigen, welcher die Sünden der Welt trägt. 241 Siehe dazu unter IV.2.7. 242 καὶ εὐθὺς ἀναβαίνων ἐκ τοῦ ὕδατος […] - „und als er aus dem Wasser stieg […]“ (Mk 1,10); βαπτισθεὶς δὲ ὁ Ἰησοῦς εὐθὺς ἀνέβη ἀπὸ τοῦ ὕδατος· - „Als Jesus aber getauft war, stieg er vom Wasser hinauf.“ (Mt 3,16) Der unterschiedliche Pronomengebrauch verweist eher auf eine sprachliche, denn eine inhaltliche Optimierung. 243 M. E. lässt der Text keine sichere Rekonstruktion zu, ob ἀναβαίνω die Gegenbewegung zu einem Hinabgetauchtwerden oder einem vorherigen Hinabsteigen zum Wasser dar‐ stellt. Siehe vergleichend zum Ablauf von Reinigungsritualen unter IV.1.1.2, sowie zum Vergleich mit dem Ablauf der christlichen Taufe unter IV.2.8.6. immer wieder unter den Verdacht einer „christlichen Bearbeitung“ geraten. Für die Darstellung des Ablaufes der Johannestaufe mag uns das weniger interes‐ sieren, als die Überlieferungsteile, welche ansonsten von der Taufe Jesu berichtet werden: 1) Wie jeder andere Täufling kommt Jesus zu Johannes (Mk 1,9; Mt 3,13; Joh 1,29 240 ). 2) Dass er um die Person des Johannes und um seine Verkündigung weiß, ist dabei vorauszusetzen. 3) Jesus lässt sich von Johannes im Jordan taufen (Mk 1,9; Mt 3,13.16; Lk 3,21). Es wird nicht explizit erwähnt, dass er dazu seine Sünden bekennt, jedoch auch nicht explizit ausgeschlossen. Die untrennbare gegenseitige Bezogenheit von Sündenbekenntnis und Taufe 241 lässt die Frage aufkommen, was eine Johannes‐ taufe ohne Umkehr überhaupt wäre. Gegen den Widerspruch des Johannes spricht Jesus: ἄφες ἄρτι, οὕτως γὰρ πρέπον ἐστὶν ἡμῖν πληρῶσαι πᾶσαν δικαιοσύνην. - „Lass es jetzt geschehen, denn so geziehmt es uns, alle Gerech‐ tigkeit zu erfüllen.“ (Mt 3,15) Er fordert für sich die Johannestaufe, welche auch alle anderen Täuflinge erfahren haben. Und Johannes gewährt sie ihm. Dabei erwähnen die Evangelien einen Aspekt, welcher einen Rückschluss auf den Taufakt gewährt: Nach der Taufe stieg Jesus hinauf (ἀναβαίνω). 242 Demnach muss das Getauftwerden tatsächlich einer Abwärtsbewegung entsprechen. 243 4) Der Blick Jesu richtet sich nicht sofort in den Alltag, sondern der Geist treibt ihn zuvor in die Wüste (Mk 1,12 f; Mt 4,1-11; Lk 4,1-13). Und dennoch bedeutet die Taufe auch für Jesus den Beginn eines ganz anderen Lebens, näm‐ lich das seiner öffentlichen Wirksamkeit. Und das Matthäusevangelium fasst seine Predigt mit den gleichen Worten zusammen, wie die des Johannes: 2 Johannestaufe 295 <?page no="296"?> 244 Avemarie, Johannestaufe, 401. 245 Zur Funktion der alttestamentlichen Wasserrituale siehe unter IV.1.1.2.3. 246 Ernst, Johannes, 333. Die besondere Nähe von Verkündigung und Ritual betont etwa auch Sint, Eschatologie, 69. μετανοεῖτε· ἤγγικεν γὰρ ἡ βασιλεία τῶν οὐρανῶν. - „Tut Buße, denn das Him‐ melreich ist nahe gekommen! “ (Mt 3,2; 4,17) 2.7 Die Ritualfunktion und -deutung: βάπτισμα μετανοίας εἰς ἄφεσιν ἁμαρτιῶν „Ungewöhnlich ist die Verbindung der auf Sündenvergebung zielenden Umkehr mit einem Wasserritus.“ 244 Avemarie macht diese treffende Beobachtung vor dem Hintergrund der (Mehrheit der) alttestamentlichen Wasserrituale, welche er‐ warten lassen würden, dass auch die Johannestaufe auf den Reinigungsaspekt des Wassers Bezug nimmt, 245 also eine rituell vermittelte kultische Reinheit zum Ziel hat. Der einzige jedoch, welcher die Johannestaufe dahingehend deutet, ist Josephus: […] ἐφ‘ ἁγνείᾳ τοῦ σώματος (Flav.Jos.Ant. XVIII 117). Dabei hält er folgende Bedingung fest: καὶ τῆς ψυχῆς δικαιοσύνῃ προκκεκαθαρμένης - „dass auch die Seele zuvor durch Gerechtigkeit gereinigt worden ist.“ Die klassischen funktionalen Bestimmungen alttestamentlicher Wasserri‐ tuale, nämlich kultische Reinigung nach einer konkreten Verunreinigung oder aber in Vorbereitung auf eine kultische Handlung, lassen sich jedoch aus den neutestamentlichen Texten zur Johannestaufe heraus nicht feststellen, weder aus den Deutungen, die Johannes selbst zugeschrieben werden, noch aus den Erläuterungen und Kommentaren der Evangelisten. Dennoch wird der Johan‐ nestaufe in der Literatur immer wieder diese Funktion zugeschrieben, welche aus der Grundthese resultiert, dass die Taufe des Johannes eine Weiterentwick‐ lung der alttestamentlichen Wasserrituale darstellt. Werden dazu überhaupt be‐ gründende Thesen angeführt, so wirken diese bemüht und können über die Tatsache nicht hinwegtäuschen, dass sie keinerlei Anhalt in den neutestament‐ lichen Texten zur Johannestaufe haben. Beispielhaft seien hier lediglich die Bemühungen Ernsts wiedergegeben: Er weist auf die „enge Beziehung von Zeichenhandlung und Verkündigung hin. Das Taufen allein wäre stumm und bliebe unverständlich, wenn der Sinn nicht in dem begleitenden prophetischen Wort erschlossen würde.“ 246 Als Hintergrund der Verkündigung des Johannes habe man sich typische alttestamentliche Pro‐ phetensprüche vorzustellen, „die bildhaft eine moralische Reinigung oder geist‐ liche Erneuerung proklamieren (Ps 51,4-9; Jes 1,16 f.; Ez 36,25) und auf Buße und Sündenvergebung abheben. Johannes konnte solche Vorstellungen auf‐ Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 296 <?page no="297"?> 247 Ernst, Johannes, 334. Dass es Unterschiede zwischen der Taufe des Johannes und an‐ deren zeitgenössischen Wasserritualen gibt reflektiert Ernst in folgender Weise: „Die Qumrantexte zeigen deutlich, daß sich der Täufer keinesfalls im Niemandsland be‐ wegte, aber nirgendwo - weder in Qumran noch in den verwandten Taufgemeinden - hat es eine derart enge Verbindung von Botschaft und Zeichenhandlung gegeben“ (ebd.). Es fehlt jedoch auch an dieser Stelle eine Reflexion darüber, dass weder die alt‐ testamentlichen Wasserrituale noch die Waschungen von Qumran als Zeichenhand‐ lungen verstanden werden können. 248 Anders etwa Avemarie, Johannestaufe, 405, welcher zwar die Unterschiedlichkeit eines einmaliges Getauftwerdens in der Johannestaufe und eines widerholten Selbsttauchens in (den von alttestamentlichen Texten hergeleiteten Waschungen in) Qumran feststellt, allerdings zu der Überzeugung gelangt: „Unter bestimmten Gesichtspunkten scheinen sie sich zu nivellieren.“ Entsprechend schlussfolgert er: „So oder so kann kein Zweifel bestehen, daß hinsichtlich der Verbindung von Wasser und Sühne die qumranischen Reinigungsriten die weitestreichende zeitgenössische Analogie bieten, die wir kennen“ (a. a. O. 406). greifen und in seiner Taufhandlung aktualisieren.“ 247 Jedoch bieten die neutes‐ tamentlichen Zeugnisse keinen Hinweis auf eine solche Reinigungsvorstellung. Außerdem hat die Erklärung Ernsts die zusätzliche Schwierigkeit, dass er die Johannestaufe einerseits als klassische Waschung deutet und zugleich als pro‐ phetische Zeichenhandlung klassifiziert. Nun ist allerdings bei der Untersuchung des geschilderten Ritualablaufes deutlich geworden, dass auch dieser sich erheblich von denen aus den alttesta‐ mentlichen Texten bekannten Vollzügen von Wasserritualen unterscheidet 248 und dass das Wasser des Jordans zudem für eine Waschung ungeeignet wäre. Auf Grund der Summe dieser grundlegenden Unterschiede zu den alttestament‐ lichen Wasserritualen wird die folgende Untersuchung nach Funktion und Be‐ deutung der Johannestaufe nicht nach „Modifikationen“ gegenüber den alttes‐ tamentlichen Wasserritualen und deren Pragmatik fragen, sondern - wie bereits oben als These formuliert - die Johannestaufe als vollkommen neues Ritual mit auch zu erwartender anderer Ritualbedeutung betrachten. Grundlage dieser Herangehensweise werden die in den unterschiedlichen Kategorien darge‐ stellten Beobachtungen zu den Grundaspekten der Johannestaufe und die von Johannes selbst überlieferten Deutungshinweise zu seinem Ritual sein. Die Johannestaufe ist ein Wasserritual, nimmt aber anders als die vorherigen Wasserrituale nicht auf den Reinigungs- oder Trankaspekt des Wassers Bezug, sondern auf den lebensgefährdenden Aspekt des Wassers: Wasser, dem der Mensch ausgeliefert ist. Dies wird deutlich in dem Verhältnis, in welches sich der Täufling in der Johannestaufe gegenüber dem Wasser begibt. Anders als bei Reinigungsritualen verwendet er das Wasser nicht aktiv, macht es sich also nicht zu eigen und 2 Johannestaufe 297 <?page no="298"?> 249 Siehe ausführlich unter V.1.2.4. 250 Siehe ausführlicher unter IV.2.8.7. nutzbar, sondern indem er sich von einem Täufer untertauchen lässt, begibt er sich in ein dem Wasser gegenüber passives Verhältnis: Er wird untergetaucht, gibt die Kontrolle ab, lässt es mit sich geschehen und gerät damit - in gewissem Maße - in Lebensgefahr. Zugleich verbindet er gerade damit die Hoffnung, dem erwarteten Gericht zu entgehen: Durch die Gefährdung seines Lebens im Wasser wird er gerade gerettet. Dieses Erlebnis wie auch die damit verbundene Erwar‐ tung und Verpflichtung zu einem gottgefälligen Leben sind so grundlegend und einschneidend, dass die Johannestaufe nicht wiederkehrend, sondern einmalig vollzogen wird. Ritualablauf wie Ritualdeutung stellen damit Neuentwicklungen des Johannes dar, welche sich wechselseitig bedingen: Wie vor der Zeit des Johannes kein Wasserritual belegt ist, bei welchem man einmalig untergetaucht wird, so ist auch kein Wasserritual bekannt, welches auf den lebensgefährdenden Aspekt des Wassers abhebt. Es lässt sich aber in vielen der alttestamentlichen Stellen, welche auf diesen Aspekt des Wassers Bezug nehmen, bereits dieselbe Doppelmotivik feststellen, die auch Johannes mit seiner Taufe verbindet: Das Ergebnis ist die Lebensrettung trotz der Gefährdung durch das Wasser bzw. gerade „durch das Wasser hindurch“. Der Durchzug durch das Rote Meer ist das rettende Schlüsselereignis beim Auszug aus Ägypten, nicht zuletzt weil es den sie verfolgenden Ägyptern den Tod bringt. Doch bereits zuvor ist Mose erst auf dem Nil ausgesetzt worden, um sodann daraus gerettet zu werden und mit ihm das ganze Volk. Auch die ganz besondere Prophetenerzählung des Jona beginnt mit dem Beinahetod durch Er‐ trinken, der Läuterung des Propheten und dem Wiederausgespienwerden, dem Ausgangspunkt für die Rettung einer ganzen Stadt. 1Petr 3,20 greift diese Doppelmotivik mit Rückgriff auf eine der bekanntesten alttestamentlichen Rettungserzählungen dezidiert auf, indem er formuliert: διεσώθησαν δι’ ὕδατος. Die Rettung der acht Seelen auf der Arche „durch das Wasser hindurch“ wird sodann als ἄντιτυπος für die christliche Taufe hingestellt (1Petr 3,21). 249 Dass Johannestaufe und christliche Taufe in ihren Funktionen differenziert werden müssen, bleibt unbestritten. 250 Ebenso unzweifelhaft ist je‐ doch, dass sie mit ihrem ähnlichen Ablauf (unwiederholbares Getauchtwerden Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 298 <?page no="299"?> 251 Zwar hält Goppelt von 1Petr 3,20 f ausgehend fest: „Diese Funktion des Wassers erklärt besser als das Reinigen, daß die Taufe nicht, wie üblicherweise die Reinigung, zu wie‐ derholen ist, sondern das von Kreuz und Auferstehung her einen völlig neuen Anfang setzt, der nur mit einem Mitsterben zum Mitleben (R 6) oder einer Wiedergeburt (vgl 1 Pt 1,3.23; 2,2) vergleichbar ist und der nicht nur mit Gott, sondern auch mit dem Volk der Geretteten verbindet“ (Goppelt, Art. ὕδωρ, 331). Er reflektiert dabei allerdings nicht, dass die christliche Taufe die Einmaligkeit des Vollzuges bereits von der Johannestaufe übernimmt und dass demnach, wenn man eine wechselseitige Bezugnahme von Ritu‐ alablauf und Ritualbedeutung in diesem Punkt annimmt, diese bereits in der Johannes‐ taufe gegeben gewesen sein muss und entsprechend zu erklären bzw. zu deuten wäre. in Wasser) auf denselben Aspekt des Wassers Bezug nehmen. 251 Dafür, dass diese Deutung bereits der Johannestaufe zu eigen ist, spricht nicht zuletzt die Orts‐ wahl: der Jordan, den die Israeliten auf ihrem Weg in das verheißene Land zu durchqueren haben, die langersehnte Rettung aus der Wüste. Johannes selbst begibt sich in die Wüste, lässt seine Täuflinge zu sich an diesen Ort kommen als Abbild der lebensgefährdenden Trost- und Rettungslosigkeit, in der sie sich an‐ gesichts des kommenden Gerichtes befinden. Er ruft sie auf zu einer grundle‐ genden, einmaligen Umkehr und verheißt ihnen mit τὸ βάπτισμα μετανοίας εἰς ἄφεσιν ἁμαρτιῶν (Mk 1,4) die einzige mögliche Rettung. An der Stelle, wo Israel den Jordan durchquerend das Land betrat, erleben die Täuflinge des Johannes ihr ganz eigenes Grenzerlebnis. Wenn uns auch von Johannes selbst keine Deu‐ tung überliefert ist, welche von dem lebensgefährdenden Moment des Wassers spricht, so zielt seine Predigt über das bevorstehende Gericht doch genau auf diesen Punkt: den zu ihm Kommenden ihre „lebensbedrohliche“ Situation an‐ gesichts des bevorstehenden Gerichtes zu verdeutlichen und ihnen durch Buße und Taufe die einzige Rettung - durch das Wasser des Jordans hindurch - zu verkündigen. Sowohl seine Gerichtspredigt und der Aufruf zur Buße als auch sein Auftreten (Kleidung, Verhalten und Schicksal) zeichnen ihn als den Gerichtspropheten, der gesandt ist, das Volk vor dem letzten großen Gericht zu warnen. So wird er auch wahrgenommen von seinen Jüngern, der Bevölkerung, Jesus selbst und auch den Evangelisten, welche unter dem Verdacht stehen, ihn im Verhältnis zu Jesus herabzuwürdigen: als Prophet des Höchsten, als der Rufer in der Wüste und als der wiedergekommene Elija, der auf den nach ihm Kommenden verweist. Als letztmöglichen Ausweg verkündigt er Buße und Taufe im Jordan, wobei die Be‐ zeichnung als τὸ βάπτισμα μετανοίας εἰς ἄφεσιν ἁμαρτιῶν wie auch entspre‐ chende Bußrituale, welche alttestamentlich überliefert sind, dafür sprechen, dass die Texte zur Johannestaufe hinsichtlich einer (zeitlichen oder kausalen) Reihenfolge nicht überstrapaziert werden sollten, sondern vielmehr von einem 2 Johannestaufe 299 <?page no="300"?> 252 Anders etwa Ernst, Johannes, 517, welcher, von einer anderen Auffassung der Taufe herkommend, mit Blick auf die Sündenvergebung lediglich von einer „zeichenhafte[n] Bestätigung durch das Wasserbad der Taufe“ spricht. sich bedingenden Ineinander von Buße und Taufe auszugehen ist, wofür nicht zuletzt die dargelegte Symbolik des Ritualablaufes und -ortes spricht. 252 Wie grundlegend Person und Verkündigung des Johannes mit der Bedeutung seines Rituals als einmaligem Bußakt, als Vorbereitung und zugleich Vorweg‐ nahme des drohenden Gerichtes, verbunden ist, zeigt nicht zuletzt die wechsel‐ seitige Benennung als Ἰωάννης ὁ βατιστής und τὸ βάπτισμα Ἰωάννου. Johannes erschafft ein grundlegend neues Ritual, welches auf einen anderen Aspekt des Wassers Bezug nimmt als alle bisherigen Wasserrituale. Und dies spiegelt sich wie dargelegt wider in einem grundlegend anderem Ritualablauf (einmalig, Pas‐ sivität des Täuflings) sowie einer neuen Ritualbedeutung (grundlegende Um‐ kehr und vorweggenommene Rettung durch das erwartete Gericht hindurch). 2.8 Ertrag und Vergleich mit der christlichen Taufe 2.8.0 Vorbemerkung zur Ausgangslage des Vergleiches Es wurde bereits ausführlicher problematisiert, dass die Johannestaufe fast aus‐ schließlich aus christlichen Quellen heraus beschrieben und analysiert werden kann. Zwar kommt ihr besonderer Wert darin unzweifelhaft zur Geltung, den‐ noch ist immer wieder die These vertreten worden, dass einzelne Bemerkungen v. a. zum Verhältnis des Täufers gegenüber Jesus wie auch zu seinen Anhängern der eindeutigen Pragmatik der Evangelien entspringen würden, Jesus von Na‐ zareth als den Christus zu erweisen. Die Beobachtungen zur Weiterentwicklung von Ritualaspekten und -funktion der Johannestaufe nach dem Tod des Täufers, welche eine zunehmende Ähnlichkeit mit der christlichen Taufe erkennen lässt, sprechen zudem für eine Konkurrenzsituation der beiden Taufen. Entsprechend wären Abgrenzungs- und ggf. Abwertungstendenzen in den christlichen Quellen zu erwarten. Kann sich ein Vergleich mit der christlichen Taufe nun ebenfalls lediglich auf diese Quellen stützen, so verkompliziert dies insofern die Ausgangslage, als sich die christliche Taufe unzweifelhaft von der Johannestaufe herleitet. Der Ver‐ gleich zwischen Johannestaufe und christlicher Taufe hat - anders als die fol‐ genden drei Vergleiche - nicht allein vergleichende und abgrenzende Aspekte, sondern soll zugleich die (Weiter)entwicklung von einem zum anderen Ritual nachzeichnen. Dass Ritualentwicklungs- und Ablösungsprozesse in ganz un‐ terschiedlicher Art vonstatten gehen können, doch dabei selten spannungsfrei Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 300 <?page no="301"?> 253 Siehe ausführlich unter I.1.3. verlaufen, wurde bereits eingehend dargestellt. 253 Kann der Entwicklungspro‐ zess lediglich aus der Perspektive der Vertreter des „Nachfolgerituals“ nachge‐ zeichnet werden, sind also auch daraus Abgrenzungs- und Abwertungsmo‐ mente zu erwarten. Die voranstehende Darstellung der Johannestaufe wie auch der folgende Ver‐ gleich konnten sich jedoch auf eine zweite Quelle stützen, nämlich den Vergleich der Johannestaufe mit anderen zeitgenössischen Wasserritualen. Dieser Ver‐ gleich nun hat das enorme Innovationspotential der Johannestaufe herausge‐ stellt, das sich gerade in solchen Ritualaspekten zeigt, welche von der christli‐ chen Taufe sinnfällig übernommen werden. Da diese Ritualelaspekte auch für die christliche Taufe von erheblicher Bedeutung sind, ist an der Stelle auch in den christlichen Quellen keine tendenzielle Darstellung zu erwarten. Abwer‐ tende Momente sind eher in den Bereichen zu vermuten, wo die christliche Taufe gegenüber der Johannestaufe Veränderungen bzw. Weiterentwicklungen bietet. Welche Ritualaspekte von der christlichen Taufe weitergeführt und welche hin‐ gegen entscheidend abgeändert werden, soll nun die folgende vergleichende Darstellung aufzeigen. 2.8.1 Die Ritualbezeichnung: τὸ βάπτισμα τοῦ Ἰωάννου vs. τὸ βάπτισμα εἰς Χριστόν Die sich auf den neuartigen Ritualvollzug beziehende Bezeichnung τὸ βάπτισμα setzt sich einheitlich und offenbar schnell als terminus technicus für das von Johannes entwickelte Ritual durch. Indem die christliche Taufe das Un‐ tertauchen durch einen Täufer weiterführt, übernimmt sie auch den sich darauf beziehenden Ritualnamen τὸ βάπτισμα. Ebenso wie die Johannestaufe wird die Ritualbezeichnung der christlichen Taufe durch Hinzufügung einer Person präzisiert und damit wohl nicht zuletzt auch von jener unterschieden. Während die Johannestaufe jedoch nach einer im Ritual selbst präsenten Person benannt wird, welche sowohl die Position des Ritualentwicklers als auch des Ritualleiters einnimmt, wird die christliche Taufe mit einer Person näher qualifiziert, welche im Ritualvollzug abwesend ist: Die wiederkehrende Verwendung sowohl der εἰς-Taufformel in den paulinischen Briefen als auch der ὄνομα-Taufformel in Apg belegen dabei trotz ihrer Varia‐ tionen eine feste Verbindung der christlichen Taufe mit der Person Χριστὸς Ἰησοῦς. 2 Johannestaufe 301 <?page no="302"?> 254 Siehe ausführlich unter II.2.1. 255 Siehe ausführlich unter II.2.2, vgl. lediglich ἵνα ἐν τῷ ὀνόματι Ἰησοῦ (Phil 2,10), wo jedoch kein Taufbezug zu erkennen ist, sondern sie Formulierung im Rahmen eines Bekenntnisses auftaucht. 256 Zur Bedeutung dieses Grundereignisses für die christliche Taufe siehe unter IV.2.8.2 sowie IV.3.8.2. Es ist zunächst festzustellen, dass sich sowohl die Variante εἰς Χριστὸν Ἰησοῦν als auch εἰς Χριστὸν findet, nicht aber εἰς Ἰησοῦν. 254 (Auch die damit immer wieder in Verbindung gebrachte Formel βαπτίζειν εἰς ὄνομα Χριστὸν [Ἰησοῦν] kennt keine Variante εἰς ὄνομα Ἰησοῦν.) 255 Der Fokus liegt demnach weniger auf der historischen Person des Jesus von Nazareth - wie dies eindeutig in der Bezeichnung τὸ βάπτισμα τοῦ Ἰωάννου der Fall ist - als vielmehr auf der Funktion dieses Jesus als des Christus. Mit diesem Titel eng verbunden ist min‐ destens bei Paulus stets die Betonung des Sterbens und Auferstehens, durch das er den Christusgläubigen zum rettenden Messias geworden ist. Dass im Zusammen‐ hang mit der Taufe die Wendung εἰς Χριστὸν auf Christi Tod und Auferstehung verweist, führt Paulus in Röm 6 ausführlich aus. Doch bereits die grammatika‐ lische Zuordnung mit Hilfe einer Präposition ist Hinweis darauf, dass diese nä‐ here Qualifizierung der christlichen Taufe von ganz anderer Art ist, als die Be‐ zeichnung der Johannestaufe als τοῦ Ἰωάννου, auch wenn beide sich auf Personen beziehen. Während die Johannestaufe also nach Ritualvollzug und Ritualleiter benannt ist, bezieht sich die Bezeichnung der christlichen Taufe zwar ebenfalls auf den Ritualvollzug, qualifiziert diesen allerdings näher und deutet ihn davon ausgehend auch mit dem Verweis auf das Grundereignis der christlichen Taufe: Tod und Auf‐ erstehung Jesu Christi, dessen heilbringende Wirkung in der Taufe geglaubt wird. 256 2.8.2 Der Ursprung des Rituals: Vorbereitung vs. Glaube an Christus Bezüglich des Ritualursprungs sind zwei Aspekte zu bedenken: Einerseits die Frage nach möglichen Vorgängerritualen und andererseits die nach dem Ur‐ sprungsbzw. Bezugsereignis, auf welches sich das Ritual bezieht. Beide Aspekte werden unter der gemeinsamen Kategorie „Ursprung“ verhandelt, wie auch an späterer Stelle bei den Täufersekten mythische und religionsgeschichtliche Er‐ klärungen zum Ursprung des Rituals (z. B. der mandäischen Masbūtā) ge‐ meinsam verhandelt werden. Hintergrund dieser gemeinsamen Darstellung ist die Frage, in welchem Verhältnis Ritualdeutung und Ritualablauf zueinander‐ stehen, ob beispielsweise erstere in symbolischer Weise auf zweiteren Bezug nimmt. Wenn diese Frage auch erst endgültig im Zusammenhang mit der Ritu‐ Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 302 <?page no="303"?> 257 Auf welche anderen Rituale die christliche Taufe, wenn auch weniger in Bezug auf den Ritualablauf, so doch mit Blick auf Motive der Ritualdeutung, zurückgeht, ist an späterer Stelle noch zu ergänzen, siehe IV.3.8. 258 Zum Ursprungsereignis der christlichen Taufe und dessen hermeneutischer Bewälti‐ gung im Ritual siehe abschließend unter VI.2. albedeutung geklärt werden kann, so ist doch bereits an dieser Stelle festzu‐ halten, dass Johannestaufe und christliche Taufe im Hinblick auf ihr Bezugser‐ eignis einen ihrer wesentlichsten Unterschiede aufweisen. 2.8.2.1 Ursprung als „Vorgängerritual“ In der Johannestaufe treten zwei den Ritualablauf betreffende Aspekte das erste Mal auf (Einmaligkeit, Getauftwerden) und die Ausführungen zum Ritualablauf und zur Ritualdeutung haben gezeigt, dass sie mit einem dritten Aspekt grund‐ legend verbunden sind (Aufruf zur Buße), welchen es zwar bereits (auch rituell eingebunden) gegeben hat, aber nicht im Zusammenhang mit einem Wasserri‐ tual. Auf Grund dieser grundlegenden „Neuentwicklung“ wurde geschlossen, dass die Johannestaufe nicht als Weiterentwicklung eines vorherigen Wasserrituals verstanden werden kann, sondern als Neuentwicklung gelten muss. Indem die christliche Taufe diese drei Aspekte übernimmt, ist nicht daran zu zweifeln, dass sie eine direkte Weiterentwicklung der Johannestaufe darstellt. Die Abänderungen gegenüber ihrem Vorgängerritual finden sich bei der christlichen Taufe nicht im Bereich des Ritualablaufes, wohl aber im Bereich der Ritualdeu‐ tung, welche wesentlich von dem zu Grund liegenden „Bezugsereignis“ der christlichen Taufe geprägt werden. 257 2.8.2.2 Ursprung als „Bezugsereignis“ Das Ereignis, auf welches sich die Johannestaufe bezieht und das somit den Anlass ihres Vollzuges darstellt, ist das Kommen des Reiches Gottes und des damit verbundenen Gerichtes. Indem das Bezugsereignis erst noch in der Zukunft er‐ wartet wird, verhalten sich die Johannestaufe und jeder, der sich ihr unterzieht, in vorbereitender Weise dazu. Indem Johannes als Verkündiger und Täufer die Vorbereitung vermittelt, wird er zur Bezugsperson des Täuflings. Die christliche Taufe hingegen bezieht und gründet sich auf ein Ereignis der Vergangenheit: Tod und Auferweckung Jesu Christi. 258 Derjenige, welcher sich christlich taufen lässt, vertraut einerseits auf die rettende Wirkung des Sterbens und Auferstehens Christi und erfährt zugleich in der Taufe die Begründung der Bindung an Christus (und die anderen Getauften). Wenn auch die christliche Taufe als Nachfolgeritual der Johannestaufe gesehen werden muss, so unter‐ scheiden beide sich jedoch grundlegend in dem Ereignis, auf welche sie sich beziehen 2 Johannestaufe 303 <?page no="304"?> 259 Siehe unter IV.2.8.1. und den daraus hervorgehenden Bindungen, wie es sich auch in der jeweiligen Bezeichnung widerspiegelt: τὸ βάπτισμα Ἰωάννου bzw. τὸ βάπτισμα εἰς Χριστόν. 2.8.3 Der Ritualleiter: Johannes der Täufer vs. ein beliebiger Täufer Angesichts der gegenseitigen Benennung des Rituals nach seinem Leiter wie des Ritualleiters nach seinem Ritual kann die erhebliche Bedeutung des Johannes für die Konstitution, die Durchführung und für die Ritualteilnehmer kaum unter‐ schätzt werden. Liest man dagegen bei Paulus: εὐχαριστῶ [τῷ θεῷ] ὅτι οὐδένα ὑμῶν ἐβάπτισα εἰ μὴ … (1Kor 1,14) lässt dies erahnen, dass es sich bei der christ‐ lichen Taufe anders verhält. Genaugenommen lässt sich noch nicht einmal die eine Person benennen, welche eine ähnliche Stellung, sprich ähnliche Funkti‐ onen gegenüber dem Ritual wie Johannes einnimmt. Untersucht wurde bereits die unterschiedliche Art der Benennung der Rituale einerseits nach Johannes, andererseits nach dem Geschick Christi. 259 Abgesehen von dieser Bezeichnung würde es nun nahe liegen, sämtliche andere Funktionen des Johannes in der Person des Täufers bei einer christlichen Taufe zu suchen. Die Multifunktiona‐ lität des Johannes, welche die obige Darstellung beschreibt, geht allerdings weit über die Position eines christlichen Täufers hinaus. Die einzelnen Funktionen sind demnach getrennt voneinander zu vergleichen: 1) „Der Ritualentwickler“; 2) Der Verkündiger; 3) Der Ritualleiter und seine Bindung an die Ritualteilnehmer; 4) Der „Mittler“ der Sündenvergebung. 2.8.3.1 „Der Ritualentwickler“ Während Johannes als der „Entwickler“ und damit Gestalter seines Rituals ver‐ standen werden muss, geben die neutestamentlichen Texten keine Auskunft da‐ rüber, wer eine Taufe unter Bezugnahme auf das Sterben und Auferstehen Christi erdacht und erstmals durchgeführt hat bzw. wer dazu beauftragt wurde. Joh ( Joh 3,22.25 f; 4,2) legt nahe, dass zuerst Jesus selbst oder mindestens seine Jünger getauft haben. Doch dabei hätte es sich noch nicht um eine christliche Taufe im eigentlichen Sinne gehandelt, da sie noch zu Lebzeiten Jesu vollzogen worden ist. Handelt es sich dabei tatsächlich um eine historische Notiz, so kann über die Art und Deutung dieser Taufe lediglich spekuliert werden: Sie könnte z. B. als eine Art Zwischenstufe zwischen der Johannestaufe und schließlich der Taufe auf Christus verstanden werden. Die Übereinstimmung der Verkündigung Jesu und Johannes bezüglich der Nähe des Gerichtes könnte dafür der inhaltliche Bezugspunkt gewesen sein, wie er es auch für die Johannestaufe ist. An der Beauftragung aller Jünger zum Taufen durch Jesus selbst nach Mt 28 werden auf Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 304 <?page no="305"?> 260 Zur Diskussion um die Historizität des sog. Taufbefehles als Herrenwort siehe aus‐ führlich Luz, Matthäus, 429-436, welcher zu dem Schluss kommt: „Mt 28,18b-20 ist nicht ein ‚Logion des Herrn‘, sondern ein, wie ich allerdings im Unterschied zu Loh‐ meyer meine, von Matthäus komponiertes ‚Logion im Herrn‘“ (a. a. O. 436). 261 Zur Frage nach der Entstehung der christlichen Taufe aus der Johannestaufe siehe ab‐ schließend unter VI.2.1.1.2. 262 Siehe zu dieser Diskussion ausführlich unter III.2 sowie VI.3. 263 Siehe ausführlich unter III.3. 264 Wenn sich auch die Argumentation des Paulus um die endgültige Loslösung des Ge‐ tauften aus dem Machtbereich der Sünde dreht, so halten doch einzelne Aussagen an einer bleibenden Verantwortung für eine entsprechendes Leben fest (Röm 3,4b), vgl. dazu den grundsätzlichen Umkehrruf bei Johannes und den Blick auf die der Taufe folgende Lebensführung. Grund der triadischen Formel ebenfalls historische Zweifel gehegt. 260 Paulus erwähnt oder reflektiert an keiner Stelle, wer zuerst getauft habe. 261 Dies spricht für die Unerheblichkeit der konkreten Person des Täufers im Allgemeinen. 262 2.8.3.2 Der Verkündiger Entgegen der Praxis des Johannes, welcher Verkündigung und Taufe in enger Verzahnung verantwortete, lassen Stellen wie 1Kor 1,17 vermuten, dass die Durchführung der Taufe, möglicherweise kombiniert mit anderen Aufgaben, re‐ lativ frühzeitig personell vom Verkündigen des Evangeliums getrennt wurde. Auch die folgenden Ausführungen (1Kor 3,5-11) betonen die Trennung und damit Verschiedenheit bei aller Gleichwertigkeit der Aufgaben innerhalb der Ge‐ meinde und damit im Prozess der Gemeindegründungen. Diese Auffassung ver‐ tritt Paulus in 1Kor allerdings nicht allein für gemeindeleitende Aufgaben, son‐ dern bekanntlicher Weise als Grundprinzip jeglichen Miteinanders in der Gemeinde: Die Verschiedenheit der Aufgaben und Begabungen der Gemeinde‐ glieder ist sinnvoll, soll jedoch gerade zum Dienst an der Einheit der Gemeinde, welche in der einen Taufe gründet (1Kor 12,13), verwendet werden. 263 Selbsterklärend unterscheidet sich der Inhalt der Verkündigung des Paulus und anderer christlicher Prediger von der des Johannes, wenn sich auch gerade im Kontext der paulinischen Tauftexte erstaunliche Gemeinsamkeiten entdecken lassen: Beide rufen angesichts der Sündigkeit der Menschen zu Umkehr und Sündenbekenntnis auf (Mk 1,4 f; Röm 6 264 ) und stellen in diesem Zusammenhang die Rettung auf Grund der (natürlichen) Abrahamskindschaft und der damit verbundenen Verheißung in Frage (Mt 3,9; Gal 3,29). Während Johannes die Sündenvergebung ausschließlich in der Taufe verortet, verweist Paulus als Grundlage der im Glauben und der christlichen Taufe dem Täufling widerfahr‐ enden Sündenvergebung auf die bereits geschehene Sühne in Tod und Aufer‐ 2 Johannestaufe 305 <?page no="306"?> 265 Zur Sündenvergebung siehe ausführlich unter IV.2.8.3.4 sowie IV.2.8.7. 266 Siehe unter I.1.2. 267 Siehe unter III.2. 268 Siehe ausführlich unter IV.2.8.3.4. stehung Christi. 265 Wenn also auch scheinbar Verkündigung und Taufe relativ frühzeitig von unterschiedlichen Personen vollzogen werden, bleiben sie doch stets inhaltlich eng aufeinander bezogen - ein wesentliches Moment, was als Gemein‐ samkeit mit der Johannestaufe überdauert. 2.8.3.3 Der Ritualleiter und seine Beziehung zu den Ritualteilnehmern Einerseits in seiner Multifunktionalität als Prophet, Verkündiger und Täufer gewinnt Johannes eine erhebliche (bleibende) Bedeutung für die Menschen, die zu ihm kommen. Andererseits ist ein entsprechendes Gefälle wie auch eine im Ritual entstehende Bindung besonders für Initiationsrituale typisch. 266 Die pau‐ linischen Taufstellen lassen eine entsprechende Betonung des Täufers nicht er‐ kennen. Im Gegenteil, Paulus ist erleichtert, die Funktion des Taufens nur selten wahrgenommen zu haben (1Kor 1,17). Gegen die These, damit sei eine Geringschätzung des Paulus gegenüber der Taufe zu erkennen, 267 spricht nicht allein die bereits dargestellte Auffassung von der Aufgabenteilung, sondern auch das sonstige Insistieren auf dem richtigen Verständnis und der Bedeutung der Taufe im allgemeinen in anderen paulini‐ schen Tauftexten. Vor der Hintergrundfolie der Johannestaufe scheint nicht die Unerheblichkeit der Taufe, wohl aber des konkreten Täufers im Blick zu sein: An‐ ders als dem Propheten Johannes kommt dem Täufer einer christliche Taufe keinerlei mittelnde Funktion zu. Auch in der christlichen Taufe entsteht eine grundlegende Bindung, jedoch nicht wie bei Johannes an den verkündenden und taufenden Ritualleiter, sondern an den, auf dessen Sterben und Auferstehen hin getauft wird: Jesus Christus. 268 Angesichts des korinthischen Parteienstreits, in dem falsch verstandene Bin‐ dungen an Menschen zu Spaltungen innerhalb der Gemeinde geführt haben, ist die Erleichterung des Paulus wohl dahingehend zu deuten, dass er neben der Verkündigung nicht auch noch das Taufen übernommen hat, da beide Aufgaben in anderen Ritualen, wie etwa der Johannestaufe, zu bleibenden Bindungen der Ritualteilnehmer an den Ausführenden führen und die Multifunktionalität ein entsprechendes falsches Verständnis noch unterstützt hätten. Im Zusammenhang mit 1Kor 1 sind bereits mehrere Thesen dargestellt worden, welche mit Blick auf die Ursache der korinthischen Spaltungen nach den Funktionen der einzelnen Parteiführer fragen und warum Paulus in diesem Zusammenhang mit der Taufe argumentiert. Dass sich jeweils die Täuflinge von Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 306 <?page no="307"?> 269 Vgl. etwa die Einführer in die Mysterieneinweihungen, welchen sich der Initiand blei‐ bend verbunden fühlt, siehe unter V.1.2.2. 270 Vgl. dazu die Auseinandersetzung des Paulus mit der Gemeinde in Korinth über die Bedeutung seiner Person als „ihrem Apostel“. 271 Siehe unter III.2.5 Exkurs: Der Täufer als Mystagoge - Heinrici. 272 Siehe unter V.1.2.2. 273 Siehe allerdings Apg 10 f, wo auf Grund der Erlebnisse im Haus des Cornelius erst die Voraussetzungslosigkeit der christlichen Taufe durch die Gemeinde in Jerusalem fest‐ gestellt wird. 274 Siehe ausführlich unter V.1.2.1.2 Exkurs: Liminalität. Paulus, Apollos und Kephas zu einer Gruppe zusammengefunden hätten, wird gemeinhin damit zurückgewiesen, dass Paulus ja nach Selbstauskunft nur we‐ nige getauft habe. Doch nicht allein der Täufer auch derjenige, welcher erstmals das Evangelium verkündigt, 269 kann für den Initianden als bleibende Autorität wahrgenommen und eine entsprechende Bindung empfunden werden. 270 Gerade die Aufteilung auf verschiedene Personen kann dabei die virulente Frage, welche Aufgabe wichtiger sei als die andere, übertragen haben auf die Frage, welchem Funktionsträger man sich näher und damit zugehörig fühlt. Auf ähnliche Weise argumentiert auch Heinrici, wenn er die Apollospartei auf eine entsprechende Betonung seiner Person durch Apollos selbst zurück‐ führt. 271 Neben seiner Herkunft aus der Johannestaufe (Apg 18,24-28) erklärt Heinrici dies allerdings v. a. mit seiner Kenntnis der Mysterien und der dortigen Bedeutung des Ritualleiters. Apollos habe demnach die Funktion des Täufers in adäquater Weise zur Funktion des Mystagogen verstanden. 272 Dass sich Johannes selbst gegenüber den Täuflingen in einer hervorgeho‐ benen Position sieht, zeigt sich schließlich auch in der anfänglichen Verweige‐ rung der Taufe Jesu, bei welcher nach der Überlieferung der Evangelien, dieses Gefälle gerade nicht gegeben sei. Eine entsprechende Erzählung findet sich neutestamentlich von der christlichen Taufe nicht. Überhaupt werden keine Voraussetzungskriterien für eine Taufe diskutiert. 273 Dass ein entsprechendes Gefälle vom Täufer gegenüber dem Täufling empfunden würde, widerspräche nicht allein der Argumentation über die Gleichwertigkeit der Aufgaben (1Kor 3), sondern v. a. auch den Äußerungen über die Gleichwertigkeit aller Getauften. 274 2.8.3.4 Der „Mittler“ der Sündenvergebung In der geradezu klassischen Funktion des Propheten, welcher das Volk zur Um‐ kehr ruft und die Sündenvergebung mit Hilfe eines Rituals dem einzelnen zu‐ kommen lässt, nimmt Johannes in diesem Bußprozess eine Mittlerrolle ein. Wenn auch das konkrete Verhältnis von jeweiliger Taufe und Sündenvergebung 2 Johannestaufe 307 <?page no="308"?> 275 Siehe unter IV.2.8.7. an anderer Stelle zu diskutieren ist, 275 wird doch deutlich, dass die Vermittlung der Sündenvergebung in Johannestaufe und christlicher Taufe in grundlegend verschiedener Weise an eine Person gebunden ist. Grundereignis der christlichen Taufe und präsent bis in die sog. Taufformel ist die endgültig sündentilgende Wirkung des Todes und der Auferstehung Jesu Christi. Wenn auch der Prediger davon verkündet und der Täufer es in der Taufe vollzieht, so liegt die Mittlerfunktion zwischen Mensch und Gott, welche in der Johannestaufe noch Johannes als Täufer übernimmt, bei Christus selbst. Dass die Art der Mittlertätigkeit der beiden sich kategorial unterscheidet, ist somit nicht zu bestreiten. Dennoch ist wahrzunehmen, dass die von Johannes geforderte radikale Umkehr samt einmaliger Taufe und die darin vermittelte Vergebung der Sünden sich bereits von den wiederkehrenden Sühneritualen des jüdischen Kultus unterscheidet. Die Bedeutung des Ritualleiters ist entsprechend erheb‐ lich. Es erinnert an die vehemente Argumentation des Paulus in Röm 6 über das endgültige Absterben gegenüber der Sünde und dem folgenden Leben im Macht‐ bereich Gottes, nur dass die Vermittlung der Sündenvergebung hier an Christi Sterben und Auferstehen festgemacht wird. Mag auch die Parallele an dieser Stelle nicht so augenscheinlich sein wie manch andere zwischen Johannestaufe und christlicher Taufe, so ist daran zu erinnern, dass die Entsühnung des Volkes gegenüber Gott immer von einzelnen Auserwählten vermittelt worden ist. In den beiden Taufen geschieht die Vermittlung auf ganz unterschiedliche Weise, den‐ noch werden beide Rituale jeweils nach der Person benannt, welche die Sünden‐ vergebung gegenüber Gott vermittelt: τὸ βάπτισμα τοῦ Ἰωάννου und τὸ βάπτισμα εἰς Χριστόν. 2.8.3.5 Nach dem Tod des Johannes Die Neukonstitutierung der Taufe des Johannes nach dessen Tod weist ver‐ schiedene Ähnlichkeiten mit der christlichen Taufe auf. Der grundlegende Bezug auf die Person des Johannes als der „Gründerfigur“ sowie auf seine Ver‐ kündigung bleibt erhalten, wenn er auch nicht mehr anwesend und aktiv am Ritual beteiligt ist. Die Funktion des Ritualleiters kann nun von anderen wahrge‐ nommen werden, wobei denen keineswegs die gleiche Bedeutung wie zuvor Jo‐ hannes zukommt. Man könnte sagen, die Multifunktionalität des Johannes wird aufgespalten, wobei die personenbindenden und bedeutenden Aspekte bei ihm verbleiben und die Person des Ritualleiters, also des Täufers, entsprechend un‐ bedeutend wird. Es ist nun nicht etwa unerheblich, ob man selbst untertaucht oder getaucht wird, wohl aber, wer diese Funktion wahrnimmt. Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 308 <?page no="309"?> 276 Siehe unter IV.2.8.7. 277 Wenn auch die Vorstellung von möglichen Taufen ganzer Gruppen zwangsläufig spe‐ kulativ bleibt, so ist doch zu betonen, dass sämtliche paulinischen Taufverweise, ob in der zweiten oder dritten Person formuliert, stets den Plural verwenden: ἐβαπτίσθητε (Gal 3,27); ἐβαπτίσθητε (1Kor 1,13); ἐβαπτίσθημεν (1Kor 12,13); ἐβαπτίσθημεν (Röm 6,3). Wenn auch der Christusbezug der christlichen Taufe grundsätzlicher als der auf Johannes in der Weiterentwicklung seiner Taufe nach seinem Tod ist, so lassen sich doch erheblich Parallelen feststellen, was nicht zuletzt der zuneh‐ menden Ähnlichkeit in der Funktion und Bedeutung des Rituals für die Ritual‐ teilnehmer begründet liegt. 276 2.8.4 Die Ritualteilnehmer: Johannesjünger vs. Christusgläubige Finden sich in den Quellen Bezeichnungen der Täuflinge des Johannes, so werden sie als solche bezeichnet, welche die Taufe des Johannes erfahren haben oder aber direkt als οἱ μαθηταὶ Ἰωάννου (Mk 2,18). Dem gegenüber spricht Paulus von solchen, die auf Christus getauft sind (εἰς Χριστὸν ἐβαπτίσθητε, Gal 3,27a). Wenn nun auch diese unterschiedliche Art der Bezeichnung der Täuflinge eine differierende Ausrichtung und Wirkung der jeweiligen Taufe auf die Täuflinge vermuten lässt, so treten doch zunächst die Gemeinsamkeiten der Getauften in den Blick. Für Teilnehmer beider Taufen steht diese in einer engen Verbindung mit einer grundsätzlichen Sündenvergebung, welche einen ebenso grundlegend erneu‐ erten, oft geradezu gegensätzlichen Lebenswandel nach sich zieht ( Johannestaufe: Lk 3; christliche Taufe: Röm 6; Kol 3). Dieser das Leben in seinen Grundfesten verändernden, mit Paulus Worten „das Leben [wie es bisher war] beendenden“ (Röm 6) Bedeutung einer Taufe entspricht, dass sie als Umkehrritual am ein‐ zelnen vollzogen wird. Wenn die Texte zu beiden Taufen auch nahelegen, dass durchaus in Gruppen getauft werden kann ( Johannestaufe: Mt 3,6 u. a.; christ‐ liche Taufe: Gal 3,27; Röm 6,3 u. a. 277 ), so wird doch jeder Täufling selbst unter‐ getaucht, anders etwa als bei großen Bußritualen, bei welchen ein Ritual (stell‐ vertretend) für das ganze Volk abgehalten wird (Lev 16). Eine Stellvertretung, ob in einem gemeinsamen Ritual oder durch einen Fürsprecher, ist nicht vorgesehen. 2 Johannestaufe 309 <?page no="310"?> 278 Die wohl nicht vollständig zu erhellende Aussage in 1Kor 15,29 (Taufe für die Toten), welcher Paulus weder widerspricht noch sie empfiehlt, sondern lediglich erwähnt, wäre dann als Ausnahme davon zu verstehen. Eine direkte Stellvertreterfunktion, wie sie etwa Priester in Bußritualen für das gesamte Volk wahrnehmen, scheint m. E. jedoch auch da nicht gegeben zu sein, insofern die bereits Verstorbenen weder ihren Willen erklären können, noch die theoretische Möglichkeit haben, das Ritual auch eigen‐ ständig - ohne Vermittlung oder Stellvertretung - zu vollziehen. 279 Siehe unter IV.2.8.7. 280 Siehe unter IV.3.8.4. Diesen Aspekt des nichtdelegierbaren Vollzugs am einzelnen übernimmt die christliche Taufe von der Johannestaufe. 278 Und doch sind die Taufen auch nicht allgemein Bußritualen einzelner ver‐ gleichbar, welche nach entsprechenden individuellen Verfehlungen abzuleisten sind, da wirklich alle zur Taufe gerufen werden - weil alle ihrer bedürfen. Mit holistischen Formulierungen (Mt 3,5: Ἱεροσόλυμα καὶ πᾶσα ἡ Ἰουδαία καὶ πᾶσα ἡ περίχωρος τοῦ Ἰουδάνου) wie auch der Aufzählung ganz unterschiedlicher Gruppierungen (Lk 3,12.14: τελῶναι, στρατευόμενοι) verdeutlichen die Evan‐ gelientexte, dass ihm Menschen in großer Vielfalt folgen, wie es auch der War‐ nung des Johannes entspricht, dass sich keiner auf seine Abrahamskindschaft verlassen kann (Lk 3,8). Seiner Verkündigung nach bedürfen alle Juden der Buß‐ taufe und dem daraus folgenden guten Lebenswandel (Mt 3,7-10). In gleicher Weise wird die christliche Taufe an allen vollzogen, weil alle der Bußtaufe bedürfen, wobei die Anwendung auch auf Heidenchristen diese auf wirklich alle Menschen ausdehnt. Wenn hier auch eine, später noch zu disku‐ tierende Funktionsverschiebung wahrnehmbar ist, 279 so ist doch zunächst fest‐ zuhalten, dass die Taufe an allen Menschen in ihrer großen Vielfalt vollzogen wird - und zwar jeweils in gleicher Weise. Wenn auch die kontrastierende Auf‐ zählung in Gal 3,28a-c längst nicht nur auf die Notwendigkeit der Taufe für alle abzielt, sondern v. a. auf deren Wirkung, so hat die Exegese doch auch ergeben, dass die dort erwähnten Gegensatzgruppierungen Beispiele für eine alle erfas‐ sende und umfassende Beschreibung der (damaligen) Gesellschaft sind. Auch dass die differenzierende Darstellung der Erlösungsbedürftigkeit sowohl der Heiden als auch der Juden zu Beginn des Römerbriefes argumentativ über die Taufe weitergeführt wird (Röm 6), kann kaum verwundern, da sie das eine, die in Christus geschehene Rechtfertigung vermittelnde Ritual ist - für alle in gleicher Weise, beschnitten oder nicht beschnitten. 280 Die spannungsreiche Öffnung hin zur Heidenmission und die sich daraus ergebenden Fragestellungen nach den „Anforderungen“ an die heidnischen Christusgläubigen ist kein rein intellektueller Entwicklungsprozess gewesen, sondern stets auch auf der rituellen Ebene verankert und zu klären. Dies zeigen Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 310 <?page no="311"?> 281 Siehe unter IV.3.8.4. nicht nur die Texte über das sog. Apostelkonzil (Gal 2; Apg 15), sondern auch die ausführliche Schilderung des persönlichen Erkenntniszugewinns des Petrus vor und während seiner Begegnung mit Cornelius, welche sodann folgerichtig in der Feststellung gipfelt: μήτι τὸ ὕδωρ δύναται κωλῦσαί τις τοῦ μὴ βαπτισθῆναι τούτους (Apg 10,47a). Doch auch wenn die Öffnung für die Hei‐ denmission wesentlich mit der Anwendung der (gleichen) Taufe εἰς Χριστὸν auch auf die heidnischen Christusgläubigen verbunden ist und darin die christ‐ liche Taufe gegenüber der Johannestaufe entscheidend weiterentwickelt wird, so übernimmt sie das Moment, dass jeder einzelne der Taufe bedarf, dennoch ei‐ gentlich von der Johannestaufe. Mit der Forderung der Taufe für alle geht einher, dass weder für die Johan‐ nestaufe noch für die christliche Taufe „unerfüllbare“ einschränkende Bedingungen erwähnt werden: Jeder und jede kann unabhängig von Alter, Geschlecht, sozi‐ alem Status und eben sogar bisheriger Religionszugehörigkeit getauft werden. Während bezüglich der Johannestaufe nur Spekulationen darüber angestellt werden können, ob neben Männern (siehe Berufsgruppen) auch Frauen dem Aufruf zur Taufe folgen, so ist dies für die christliche Taufe belegt. Während bei der Johannestaufe der Fokus noch ausschließlich auf dem „alle-müssen-ge‐ tauft-Werden“ liegt, betonen die ältesten Texte zur christlichen Taufe vor allem das „alle-dürfen-getauft-Werden“, im Sinne eines „es ist allen möglich, sich taufen zu lassen“. Mit der allgemeinen Zulassung korrespondiert wiederum auf symbolischer Ebene, dass an jedem Täufling die Taufe auf gleiche Weise vollzogen wird. Anders etwa als bei der Beschneidung 281 bedarf es beim Taufvollzug keiner Differen‐ zierung zwischen den Geschlechtern oder unterschiedlicher Handhabung bei Teilnehmern unterschiedlichen Alters oder einer besonderen Berücksichtigung unterschiedlicher sozialer Stati. Ob jemand zuvor beschnitten gewesen ist, wird bei der Taufe gar für irrelevant erklärt (Gal 6,15). Dem wiederum folgt ein Aspekt, der sich für die Johannestaufe höchstens indirekt erschließen ließe: Zugelassen sind alle in ihrer Verschiedenheit. Mit dem gleichen Vollzug der Taufe an ihnen verlieren die Verschiedenheiten jedoch ihre Bedeutung und Relevanz, insoweit sie Menschen zuvor in Gruppen - nach Ge‐ schlecht, Volkszugehörigkeit oder Beruf - eingeteilt und dadurch voneinander differenziert haben. Denn für die Getauften gilt nun: πάντες γὰρ ὑμεῖς εἷς ἐστε ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ (Gal 3,28d). Es ist hierzu zu fragen, inwieweit das Taufen in 2 Johannestaufe 311 <?page no="312"?> 282 Siehe dazu das „liminales Empfinden“ in Gruppen von Ritualteilnehmern unter V.1.2.1.2 Exkurs: Liminalität. 283 Vgl. dazu das Verhältnis von einzelnem und Gemeinschaft sowie die Begründung der Einheit durch die Taufe in 1Kor 12, siehe unter III.3.3. 284 Siehe unter IV.2.8.7. 285 Lichtenberger, Täufergemeinden, 56. 286 Siehe ausführlich unter IV.2.8.7. 287 Siehe zu diesem Fall unter III.2. Gruppen relevant für diese Einheitsdeutung und das implizierte Einheitsemp‐ finden ist. 282 Da jedoch Einzeltaufen berichtet werden (1Kor 1,14; Apg 8,38) und auch das Sündenbekenntnis den Vollzug am Einzelnen betont, sind die Einheitsaussagen eher mit Blick auf die Gemeinschaft aller Getauften zu verstehen, in welche die christliche Taufe den einzelnen aufnimmt. 283 Dies wiederum lässt sich, wenigstens für einige, auch bei den Johannestäuflingen feststellen, wobei das Zusammenbleiben nach der Taufe eher in dem gemein‐ samen Nachfolgen des Johannes gründen mag als in einer besonderen Zusam‐ mengehörigkeit durch die Taufe. Zudem weisen die Fragen nach dem Lebens‐ alltag auf eine größere Anzahl an „Rückkehrern“ hin. Die Situation verändert sich mit dem Tod des Johannes: Indem sie auch ohne ihn zusammenbleiben, scheint die Taufe als eine Art Bindeglied ein zusätzliches Gewicht zu er‐ langen. 284 Die erstaunliche Breite an Gemeinsamkeiten zwischen Johannestaufe und christlicher Taufe bezüglich ihrer Teilnehmer lässt schließlich nach dem di‐ rekten Verhältnis dieser beiden Gruppierungen fragen: Zwar wird berichtet, dass einzelne Jünger Jesu zuvor Anhänger des Täufers gewesen sind, doch stellt sich diese Frage noch einmal ganz neu, wenn man in die Entstehungszeit der christlichen Taufe und damit in eine Zeit der Johannestaufe ohne Johannes blickt. Die Täuferjünger breiten sich aus. Lichtenberger vermutet die sog. „Täu‐ ferdiaspora“ in Rom und Kleinasien und stellt davon ausgehend fest: „Die Mis‐ sionsgebiete des frühen Christentums und die Verbreitung der Täufer fielen also teilweise zusammen.“ 285 Neben dem Wechsel des Ritualleiters betreffen die Ver‐ änderungen der Johannestaufe nach dem Tod ihres Gründers v. a. die Ritualbe‐ deutung und -funktion. Da diese denjenigen der christlichen Taufe ähneln, sich beide Taufen als scheinbar in eine ähnliche Richtung weiterentwickeln, stellt sich die Frage, ob sie dies in gegenseitiger Abhängigkeit, unabhängig vonei‐ nander oder gerade in abgrenzender Absicht vollziehen. 286 Zu dieser Fragestel‐ lung ist der Sonderfall des Apollos zu bedenken, der beginnend als Anhänger des Johannes (Apg 18,25) schließlich gemeindeleitende Tätigkeiten in einer christlichen Gemeinde übernimmt (1Kor 3,6-8) und in diesem Zusammenhang in der Gemengelage der korinthischen Gruppenbildungen agiert. 287 Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 312 <?page no="313"?> 288 Vgl. später Did 7,1-3, nach welcher das Taufwasser (möglichst) ein fließendes Gewässer sein soll, siehe unter VI.6. 289 Folge derartiger (einseitigen) Reinigungsassoziationen könnte das Unterschätzen des Initiationsaspektes der Taufe sein. Dass dieser durchaus nicht überall unumstritten ge‐ wesen ist, macht die Beschneidungsdebatte in Galatien deutlich. Siehe ausführlich unter IV.3.8.7. 2.8.5 Der Ritualort: Der Jordan vs. ein unspezifischer Ort Die Johannestaufe ist beinahe so eng mit ihrem Ritualort wie mit ihrem Ritual‐ leiter verbunden. Der Jordan und speziell die aus den Quellen rekonstruierte Gegend ist als symbolische Ortswahl in ihrer Bedeutung für die Johannestaufe kaum zu unterschätzen. Die christliche Taufe hingegen ist von an Anfang an ortsunabhängig. An keiner neutestamentlichen Stelle ist eine besondere Symbolik in der Ortswahl er‐ kennbar oder wird gar reflektiert. Überhaupt macht nur eine einzige Taufstelle eine Ortsangabe, welche auf den ersten Blick unspezifischer kaum sein könnte und dennoch gerade das Wesentliche trifft: ἦλθον ἐπί τι ὕδωρ (Apg 8,36). Die einzige örtliche Anforderung, welche an einen Taufort gestellt wird, ist das Vor‐ handensein von Wasser, was auch schon einmal am Straßenrand gefunden werden kann, jedenfalls überall dort, wo sich Menschen ansiedeln. 288 Indem die christliche Taufe den Jordan verlässt, verliert sie die daran gebundene augen‐ scheinliche Symbolik der einmaligen Rettung durch das Wasser hindurch analog zur Errettung der Nachkommen Abrahams aus der Wüste durch die Durchque‐ rung des Jordan hinein ins gelobte Land. Es wäre zu fragen, ob die Lösung vom symbolträchtigen Ort (fälschlicherweise) klassische Wasserassoziationen, sprich Reinigungsdeutungen, befördert hat. Dass diese vorhanden sind und zu Missverständnissen führen belegt 1Petr 3,21: οὐ σαρκὸς ἀπόθεσις ῥύπου ἀλλὰ. 289 Ihre Mobilität macht die christliche Taufe jedoch gut geeignet für die Mission. Die Johannestaufe richtet sich an die Bewohner umliegender Dörfer und Städte, welche sich auf den Weg zum Jordan machen. Die christliche Gemeinde jedoch nimmt den entgegengesetzten Weg: Missionare verlassen ihre Heimat und brechen zu großen Reisen auf - zu Juden wie Heiden - und sie bringen die ortsunabhängige Taufe als Initiationsritus mit sich. In Analogie zur Bewegungsrichtung der Er‐ rettung in Christus, in welcher Gott nicht länger darauf vertraut, dass Menschen ihn aufsuchen, sondern er selbst Mensch wird und sich ihnen auf diese Weise nähert, so setzen die Missionare die Bewegungsrichtung hin zu den Menschen fort. Und auf dieser (Deutungs-)Ebene findet sich dann auch die einzige relevante Ortsbestimmung der christlichen Taufe, als Taufe εἰς Χριστόν führt sie ἐν Χριστῷ. Die christliche Taufe bedarf keines symbolischen oder festgelegten Ortes, da sie den 2 Johannestaufe 313 <?page no="314"?> 290 Siehe dazu ausführlich unter III.1.3. Täufling an einen solchen dauerhaft führt: ὅσοι γὰρ εἰς Χριστὸν ἐβαπτίσθητε, Χριστὸν ἐνεδύσασθε (Gal 3,27). 290 Interessanterweise belegen die Verbreitungsgebiete der Johannesjünger nach dessen Tod, dass auch diese Taufe sich von ihrem hoch symbolischen Ort löst - ein weiterer Aspekt der Fortentwicklung der Johannestaufe, welche zu einer zunehmenden Ähnlichkeit mit der christlichen Taufe führt. 2.8.6 Der Ritualablauf: Das gleiche Untergetauchtwerden Selbst aus den kurzen Evangelientexten zur Johannestaufe wurde ersichtlich, dass der eigentliche Akt des Untergetauchtwerdens durch Johannes kein iso‐ liertes Einzelritual ist, sondern in einen Ablauf mit Vor- und Nachgeschichte eingebunden ist: 1) Kommen zu Johannes in die Wüste; 2) Hören der Predigt; 3) Taufe und Sündenbekenntnis; 4) Blick in den Alltag. Es ist bereits erwähnt worden, dass es sich bei dem einmaligen Untergetauchtwerden um eine Ent‐ wicklung des Johannes handelt, welche sich auch in der Bedeutung des Rituals niederschlägt. Der Vollzug der christlichen Taufe ist neutestamentlich an keiner Stelle be‐ schrieben und die einzige direkt vergleichende Bezugnahme auf beide Rituale (Apg 19,1-7) erwähnt keine Unterschiede bezüglich des Vollzuges. Die Ein‐ gangsthese lautet daher: Die christliche Taufe übernimmt mit der Bezeichnung τὸ βάπτισμα bzw. βαπτίζω, welches als terminus technicus den eigentlichen Akt des Untertauchens wiedergibt, von der Johannestaufe den Ritualablauf ohne wesent‐ liche Änderungen. Der nachfolgende Vergleich hat zu erbringen, ob dies auch für die mit der Johannestaufe verbundenen „Vor- und Nachbereitung“ gilt. 1) Der Täufer kommt zum (potentiellen) Täufling: Die christliche Gemeinde kehrt die Bewegungsrichtung in ihrem missionarischen Bestreben um und die christliche Taufe wird ortsunabhängig. 2) Die Taufe als Reaktion auf die Verkündigung der Person und des Sterbens und Auferstehens Jesu Christi: Auch die christliche Taufe wird an verschiedenen Stellen als Reaktion auf die Predigt erwähnt (Apg 2,41; 8,36) oder aber bei Er‐ läuterungen zur Bedeutung der Taufe an vorausgehende Verkündigung erinnert (Gal 3,20-29; 1Kor 1,11-17; Röm 6,3 f). Inhalt dieser Predigt sind stets Christi Tod und Auferstehung und dessen Bedeutung für alle Menschen. 3) Taufe und Sündenbekenntnis: Der Übernahme des terminus technicus βαπτίζω und der Anschauung vor Ort bzw. dem eigenen Erlebnis ist es wohl geschuldet, dass die neutestamentlichen Schriften keine Erläuterungsbedüftig‐ keit hinsichtlich des Ablaufes sehen. Auch dass - wie schon bei Johannes - ὕδατι Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 314 <?page no="315"?> 291 Siehe lediglich Apg 8,36-39, wo das Vorhandensein von Wasser geradezu zum Anlass der Taufe wird und ein Hinabsteigen (κατέβησαν ἀμφότεροι εἰς τὸ ὕδωρ) und wieder Heraufsteigen (ὅτε δὲ ἀνέβησαν ἐκ τοῦ ὕδατος) aus dem Wasser beschrieben wird. 292 Siehe ausführlich unter IV.2.8.7. getauft wird, wird nicht gesondert erwähnt oder gedeutet. 291 Auffälliger ist je‐ doch, dass an keiner Stelle ein Sündenbekenntnis vor oder während der Taufe beschrieben ist. Dass aber mit der christlichen Taufe eine grundlegende Umkehr einhergeht, dafür sprechen Diskussionen und Argumentationen des Paulus, welche für den Getauften einen umfassend erneuerten Lebenswandel voraus‐ setzen (Röm 6,3-12) oder aber fordern (Kol 3,1-14). Speziell die engagierte Argumentation des Paulus in Röm 6 lässt erahnen, dass die anhaltende Wirkung dieser Dimension der Taufe, nämlich die unum‐ kehrbare Trennung von der Sünde, mindestens einer Erinnerung bedarf. Dabei ist wahrzunehmen, dass Umkehr und Taufe eng verbunden scheinen und ei‐ nander bedingen, aber keine erkennbare zeitliche Reihenfolge auszumachen ist, so dass das Sündenbekenntnis überhaupt als eigenständiger Akt gewertet werden könnte. Dass Paulus diese Argumentation grundlegend über das Mit‐ erleben des Sterbens und Auferstehens Christi in der Taufe aufbaut, spricht nicht allein für die Bedeutung der vorausgehenden Predigt, sondern v. a. für die enge Verbindung von Ritualablauf und Ritualbedeutung - eine Verbindung welche die christliche Taufe ebenfalls von der Johannestaufe übernimmt. 292 Wurden bei der christlichen Taufe entsprechende deutende Worte gesprochen, wie sie in der sog. Taufformel oder auch anderen Traditionsstücke (z. B. Röm 6,3 f) vorstellbar sind, dann handelt es sich dabei um Erweiterungen gegenüber der Johannes‐ taufe, welche die spezielle Bedeutungsverschiebung betonen. 4) Auswirkung auf den Alltag: Mit beiden Taufen geht ein grundlegender Wandel der Lebensführung einher. 2.8.7 Die Ritualbedeutung: Zwei verschiedene Arten einer einmaligen Umkehr Die Johannestaufe stellt ein völlig neues Ritual dar, welches auch eine andere Bedeutung transportiert. Bestimmt man nun die Johannestaufe neu, so dass sie zum einen nicht als direkte Weiterentwicklung der alttestamentlichen Wasser‐ rituale verstanden werden kann und zum anderen Ritualvollzug und Ritualbe‐ deutung wesentlich zusammenzuordnen sind, muss sich dies zwangsläufig auch auf die Wahrnehmung und Deutung der christlichen Taufe auswirken, wenn man der Grundthese folgt, dass die christliche Taufe ihren Ritualablauf von der Johannestaufe übernimmt. 2 Johannestaufe 315 <?page no="316"?> 293 Meeks, Urchristentum, 315. 294 Siehe unter IV.1.2 Exkurs: 1Kor 6,9-11. Denn dass die christliche Taufe eine Weiterentwicklung der Johannestaufe ist, hat in der Forschung immer wieder zu Problembestimmungen und Schluss‐ folgerungen geführt, welche von einer Bedeutungskontinuität von der Johannes‐ taufe als Reinigungsritual herrühren. Die ritualwissenschaftliche Hauptproble‐ matik stellt dabei dar, dass der unbestreitbare Initiationsaspekt der christlichen Taufe untypisch für ein Reinigungsritual ist. Meeks‘ ist einer von nur wenigen, die sich dieser ritologischen Frage stellen: „Dadurch, daß bei ihnen der Reinigungsritus allein die gesamte Funktion der Initiation übernahm und daß sich dieser Initiation der Eintritt in eine exklusive Gemeinschaft entschied, schufen die christlichen Gruppen etwas wirklich Neues. Hier wird das Bad im Wasser zur bleibenden Trennschwelle zwischen der ‚reingewaschenen‘ Gruppe und der ‚schmutzigen‘ Welt, zwischen denen, die das Einweihungsritual durchlaufen haben, und allen anderen.“ 293 Wenn er dazu auf 1Kor 6 verweist, greift er die einzige Stelle auf, in der neu‐ testamentlich Reinigungsvorstellungen scheinbar mit der christlichen Taufe in Verbindung gebracht werden, wobei es sich an dieser Stelle, wie bereits darge‐ legt, 294 um einen traditionsreichen Zirkelschluss handelt: Denn dass Paulus in diesem Vers auf die Taufe Bezug nimmt, wird allein aus der Formulierung ἀλλ‘ ἀπελούσασθε geschlussfolgert. Da nun aber bereits die Johannestaufe kein Reinigungsritual darstellt, so auch nicht die aus ihr hervorgegangene christliche Taufe. Die folgende vergleichende Darstellung ihrer Bedeutung und Funktion ist vielmehr wesentlich von der ein‐ maligen Umkehr bestimmt und erlebt in der lebensgefährdenden Funktion des Wassers und der damit einhergehenden Rettungserfahrung, welche so bereits in der Johannestaufe angelegt sind. Es stellt sich demnach eine doppelte Frage: Welche Aspekte der Bedeutung der Johannestaufe werden - mit dem Ritualab‐ lauf - in gleicher Weise für die christliche Taufe übernommen und welche er‐ fahren eine entscheidende Änderung? 2.8.7.1 Aspekte, welche die christliche Taufe von der Johannestaufe übernimmt Die christliche Taufe nimmt mit dem einmaligen Untergetauchtwerden des Täuflings Bezug auf den lebensgefährdenden Aspekt des Wassers. In der Taufe erlebt der Täufling ein Sterben, Begrabenwerden und schließlich den Beginn eines neuen Lebens, denn: ὅσοι ἐβαπτίσθημεν εἰς Χριστὸν Ἰησοῦν, εἰς τὸν θάνατον αὐτοῦ ἐβαπτίσθημεν; συνετάφημεν οὖν αὐτῷ διὰ τοῦ βαπτίσματος εἰς Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 316 <?page no="317"?> 295 Zur Bedeutung des σύν/ συν-Motives bei Paulus siehe ausführlich unter III.4.3.3.2. 296 Siehe ausführlich unter III.1.3. 297 Siehe ausführlich unter IV.3.8. 298 Vgl. auch εἴτε Ἰουδαῖοι εἴτε Ἕλληνες εἴτε δοῦλοι εἴτε ἐλεύθεροι (1Kor 12,13). 299 Siehe eingehend unter III.3. τὸν θάνατον, […] (Röm 6,3 f). Es wird nicht allein an Christi Tod erinnert und sich dazu bekannt, sondern sein Tod wird in der Taufe mitvollzogen. 295 Neben der expliziten Thematisierung dieser Deutung der Taufe als Tod und Neubeginn in Röm 6 nehmen auch weitere Textstellen und die darin verwendeten Bilder darauf Bezug. In dem Parallelismus membrorum ὅσοι γὰρ εἰς Χριστὸν ἐβαπτίσθητε, Χριστὸν ἐνεδύσασθε. (Gal 3,27) erklärt Paulus das ebenfalls von der Johannestaufe übernommene βαπτίζω mit Hilfe von (ἐν)δύω, welches für ein komplettes Ein- und Untertauchen im Wasser Verwendung findet - ein Wortfeld was im Kontext von dem Untertauchen von Personen und dem Ver‐ senken von Schiffen eindeutig den lebensgefährdenden und -beendenden As‐ pekt transportiert. 296 Sterben bedeutet aus anthropologischer Sicht v. a. den Abbruch sämtlicher Beziehungen und Abhängigkeiten, welche im bisherigen Leben bestanden: τῇ ἁμαρτίᾳ ἀπέθανεν ἐφάπαξ· ὃ δὲ ζῇ, ζῇ τῷ θεῷ (Röm 6,10). Die Einmaligkeit der Taufe entspricht dem endgültigen Bruch des Täuflings der Sünde gegenüber, dessen möglicher Infragestellung (Röm 6,1 f) Paulus eine ausführliche Beleh‐ rung zur Bedeutung der Taufe entgegenhält. Dieser Bruch gegenüber solchen Abhängigkeiten und Machtverhältnissen ist in der Weise endgültig, dass Paulus eine freiwillige Beschneidung, welche „unter das Gesetz“ führt, im offenen Ge‐ gensatz zu Bedeutung und Wirkung der Taufe versteht (Gal 3-5). 297 Um das endgültige Ende und den grundlegenden Neubeginn auch in den ho‐ rizontalen Verhältnissen, also den Bindungen und Strukturen der menschlichen Gesellschaft, auszudrücken, kann Paulus auf ihm bereits überliefertes Tradi‐ tionsgut zurückgreifen: οὐκ ἔνι Ἰουδαῖος οὐδὲ Ἕλλην, οὐκ ἔνι δοῦλος οὐδὲ ἐλεύθερος, οὐκ ἔνι ἄρσεν καὶ θῆλυ· (Gal 3,28a-c). 298 Wenn diese Unterschiede und v. a. Unterscheidungen in der Gesellschaft auch weiterhin existieren, so haben sie für die Getauften mit Blick auf ihr neues Leben und dessen grundle‐ gender Bestimmung dennoch an Relevanz verloren, πάντες γὰρ ὑμεῖς εἷς ἐστε ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ (Gal 3,28d). Doch darin, dass die christliche Taufe über die Begründung der Beziehung zu Christus auch eine kategorial neue Einheit der Getauften schafft, wie es auch das Bild des Leibes Christi zum Ausdruck bringt (1Kor 12,12-20), 299 geht sie bereits deutlich über die Johannestaufe hinaus (s. u.). Für die christliche Taufe ist, wenn auch an keiner Stelle expliziert, mit der Vorstellung eines einmaligen endgültigen Endes des bisherigen Lebens ein 2 Johannestaufe 317 <?page no="318"?> 300 So auch Lichtenberger, Täufergemeinden, 57: „Mit der Übernahme der Johannestaufe als einer Bußtaufe zur Vergebung der Sünden hat das Urchristentum nicht allein die eschatologische Bedeutung der Taufe bewahrt, sondern auch jene universale Dimen‐ sion, die in den von Gott (neu) geschaffenen Abrahamskindern ausgesprochen wird.“ grundsätzliches Sündenbekenntnis zu erwarten. Die Argumentation in Röm 6, welche das Absterben gegenüber der Sünde fokussiert, wäre ansonsten gegen‐ standslos. Mit dem Motiv der Lebensgefährdung übernimmt die christliche Taufe das einhergehende Motiv der „Rettung durch das Wasser hindurch“, wie es der erste Petrusbrief explizit zum Ausdruck bringt: τοῦτ‘ ἔστιν ὀκτὼ ψυχαί, διεσώθησαν δι‘ ὕδατος ὃ καὶ ὑμᾶς ἀντίτυπον νῦν σῴζει βάπτισμα (1Petr 3,20 f). Dass die Rettung im Vollzug der Taufe erfahren wird, geht auch bereits aus den paulini‐ schen Argumentationen hervor, in denen der Apostel auf die Taufe zu sprechen kommt: In der Taufe wird der rettende Tod Christi miterlebt (Röm 5 f). Glaube und Taufe befreien aus der rettungslosen Macht des Gesetzes (Gal 3). In der Taufe gründet die Gemeinschaft zu Christus und untereinander (1Kor). Um den Rettungsaspekt der Taufe zu illustrieren, greift Paulus schließlich ein Motiv auf, welches sich ebenfalls bereits in den Überlieferungen zur Johannes‐ taufe findet, wenn auch in einer modifizierten Verwendung - die Abrahams‐ kindschaft: Während Johannes seine Mahnung zur Umkehr mit der Warnung unterstreicht, dass man sich im Gericht nicht mit der Beteuerung πατέρα ἔχομεν τὸν Ἀβραάμ (Lk 3,8) retten könne, verkündet Paulus als Wirkung der christli‐ chen Taufe: εἰ δὲ ὑμεῖς Χριστοῦ, ἄρα τοῦ Ἀβραὰμ σπέρμα ἐστέ, κατ᾽ ἐπαγγελίαν κληρονόμοι (Gal 3,29). 300 2.8.7.2 Aspekte, in welchen sich die christliche Taufe von der Johannestaufe unterscheidet Viele der Unterscheidungspunkte und der sich daraus ergebenden Bedeutungs‐ verschiebungen sind bereits in den vorangehenden Abschnitten dargestellt worden und sind an dieser Stelle nur kurz zusammenzufassen. Die grundlegende Bezugsperson der christlichen Taufe ist kein (multifunktio‐ naler) Täufer, sondern Jesus Christus. Entsprechend sind die aus der Taufe he‐ raus entstehenden Beziehungen anders geartet: Von den Täuflingen des Jo‐ hannes werden Aspekte überliefert, welche am ehesten dem Verhältnis eines Volkes gegenüber dem Propheten entsprechen, der ihnen das Gericht Gottes ankündigt und das rettende Bußritual durchführt. Die Bindung zu Christus, welche der Täufling in der christlichen Taufe eingeht, ist demgegenüber von anderer Qualität, da Christus selbst in seinem Sterben und Auferstehen die ret‐ tende Wirkung der Taufe erst ermöglicht. Sie ist so grundlegend, dass jegliche Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 318 <?page no="319"?> 301 Zur weiteren Diskussion um εἰς/ ἐν Χριστὸν/ Χριστῷ und den sich daraus ergebenden ritologischen Fragen zu einer Taufe ὕδατι siehe unter IV.2.7.4. 302 Siehe ausführlich unter VI.2. tiefergehende Bindung an einen Menschen, ob er nun Täufer oder auch Ver‐ kündiger ist, dadurch in Frage gestellt wird (1Kor 1). Der zweite, noch tiefer gehende Unterschied ist das Ereignis, auf welches sich die beiden Taufen jeweils beziehen: Indem sich die Johannestaufe auf das na‐ hende Gericht richtet, ist sie als rettende Vorwegnahme des Gerichtes durch das Wasser hindurch zu verstehen. Grundlage dieser Rettung ist allein die Sünden‐ vergebung durch Gott auf Grund der Buße des Täuflings und der Taufe durch Johannes. Entsprechend wird sie als τὸ βάπτισμα Ἰωάννου in ihrer Bezeichnung Johannes als dem Ritualentwickler und -leiter zugeordnet. Die christliche Taufe hingegen versteht sich als glaubende Annahme der in Tod und Auferstehung Christi bereits gewirkten Rettung. Auch hierbei handelt es sich also um eine Rettung durch das Wasser der Taufe hindurch, welche jedoch nicht abstrakt als Bußritual verstanden wird, sondern von der Vorstellung ge‐ tragen wird, dass dabei das rettende Sterben und Auferstehen Christi mitvoll‐ zogen wird. Dies schlägt sich in der Bezeichnung als Taufe εἰς Χριστὸν nieder 301 - Christus ist nicht Ritualleiter, sondern Urgrund der Wirkung des Rituals. Während die christliche Taufe ihre Wirkmacht auf das Sterben und Aufer‐ stehen Christi und dessen Mitvollzug zurückführt, hat die Johannestaufe - min‐ destens in den uns überkommenen Überlieferungen - diesbezüglich eine Leer‐ stelle: Was die Grundlage ihrer grundlegend sündenvergebenden Wirkung darstellt, wird nicht thematisiert. Alttestamentlichen Deutungsmustern folgend dürfte Voraussetzung der Sündenvergebung die Buße des Täuflings und der Vollzug des Bußrituals, sprich der Taufe, sein und die Vergebung dann allein Gottes Gnade zuzuschreiben sein. Wie die vorchristliche Sündenvergebung stets als ein Zusammenwirken von der Buße des Sünders und der Gnade Gottes funktioniert und Gott in Christus erstmals den Menschen eine grundlegende Chance zur Sündenvergebung anbietet, auf welche sie sich verlässlich berufen können, entsprechend könnte man über die von Paulus in jedem Tauftext wie‐ derholte Wirkursache der christlichen Taufe, nämlich das Sterben und Aufer‐ stehen Christi, auf die Wirkursache der Johannestaufe rückschließen, nämlich die Gnade Gottes. Da dies aber in den Bereich der Spekulation fällt, ist hier abschließend vielmehr festzuhalten: Die Texte zur Johannestaufe geben keine Auskunft über die Wirkursache der Taufe - ganz im Gegensatz zu den Texten zur christlichen Taufe, welche diese stets als die Taufe εἰς Χριστὸν be‐ schreiben. 302 2 Johannestaufe 319 <?page no="320"?> 303 Anders Delling, εἰς, 222, welcher εἰς τὸ Ἰωάννου βάπτισμα dahingehend deutet, „daß die Taufe der Johannesjünger auf die Taufe hin erfolgt ist, die Johannes vollzogen hat.“ εἰς τὸ ὄνομα τοῦ κυρίου Ἰησοῦ verweist entsprecht auf den Bezugspunkt der christlichen Taufe, nämlich den Namen bzw. die Person Christi (ebd.). Andere Kom‐ mentatoren erklären die unterschiedlichen Bezeichnungen damit, dass Lukas sich eine Taufe „auf den Namen des Johannes“ nicht habe vorstellen können, siehe etwa Haen‐ chen, Apostelgeschichte, 488; Conzelmann, Apostelgeschichte, 110 f. 304 Näheres zu βαπτίζω εἰς … siehe unter II.2.1; zu βαπτίω εἰς τὸ ὄνομα … siehe unter II.2.2. Es ist nun im Folgenden noch kurz auf die beiden biblischen Überlieferungen einzugehen, welche die beiden Taufen scheinbar explizit vergleichen: die Jo‐ hannesjünger in Ephesus (Apg 19) und die vergleichenden Aussagen, welche Johannes zugeschrieben werden. Beide Texte stehen klassischer Weise unter dem Verdacht einer abwertenden Beurteilung der Johannestaufe. Die Untersu‐ chung hat also neben der Frage, was konkret über die beiden Taufen ausgesagt wird, außerdem zu fragen, ob dieser Verdacht begründet ist. 2.8.7.3 εἰς τί οὖν ἐβαπτίσθητε; οἱ δὲ εἶπαν· εἰς τὸ Ἰωάννου βάπτισμα. (Apg 19,1 - 7) „Auf was seid ihr getauft worden? “ Sie antworteten aber: „Auf die Taufe des Johannes.“ (Apg 19,3) In den präzisen Bezeichnungen dieses kurzen Dialoges liegen bereits die Antworten, welche in anderen Worten dann auch von Paulus gegeben werden: Aus der Sicht der Apg, welche christliche Taufe und Geistempfang wesentlich zusammenordnet, lässt die Unkenntnis über diesen Paulus fragen: εἰς τί οὖν ἐβαπτίσθητε; (Apg 19,3). Bereits der Frage ist zu entnehmen, dass die Taufen nicht nach ihrem Vollzug o. ä. unterschieden werden, sondern nach ihrer Be‐ zugnahme „εἰς …“. Im Fortgang des Dialoges werden wiederum nicht etwa Jo‐ hannes und Christus parallelisiert, sondern vielmehr die Taufe des Johannes als Bußritual und die Bezugnahme auf den Namen Christi und damit auf das Sterben und Auferstehen Christi in der christlichen Taufe (Apg 19,4 f). Die Frage nach dem εἰς τί ist die Frage nach dem Rettungsgrund des Rituals: In der Johannestaufe wird die Rettung aus dem Vollzug des Bußrituals erhofft. 303 Die christliche Taufe erhofft die Rettung aus dem bereits geschehenen Sterben und Auferstehen Christi, auf welches die Taufe εἰς τὸ ὄνομα τοῦ κυρίου Ἰησοῦ Bezug nimmt - oder wie Paulus es ausdrücken würde: welches in der Taufe mitvollzogen wird (Röm 6,3 f). 304 So werden Johannes dann auch die Worte zu‐ geschrieben: εἰς τὸν ἐρχόμενον […] πιστεύσωσιν (Apg 19,4). Diese Kategorie des Glaubens bzw. Vertrauens auf eine Person wird entsprechend für die Johannes‐ Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 320 <?page no="321"?> 305 Allgemein zum Verhältnis von Heiligem Geist und christlicher Taufe siehe unter III.3.2.1. 306 Siehe dazu unter II.1.2.2.1. 307 Siehe dazu unter II.2.1. taufe nicht thematisiert. Weil es sie nicht gibt, sieht man von dem Vertrauen auf die Wirkung des Bußrituals an sich ab. Da die Johannes zugeschriebenen Worte, nach welchen er auf den nach ihm Kommenden weist, mit den Überlieferungen der Evangelien einhergehen und die in Apg 19 wahrnehmbare Differenzierung der beiden Taufe über eine un‐ terschiedliche Zuordnung von εἰς … dem sonstigen Zeugnis des NT zur Johan‐ nestaufe im Vergleich zur christlichen Taufe entspricht, kann für diese Stelle keine besondere Degradierung der Johannestaufe festgestellt werden. Am ehesten ist diese zu verorten in der Feststellung, dass die Johannesjünger die Gabe des Heiligen Geistes nicht empfangen haben, welche jedoch nach Dar‐ stellung von Apg auch nicht direkte oder gar automatische Wirkung der Taufe εἰς τὸ ὄμομα τοῦ κυρίου Ἰησοῦ ist, sondern der darauf folgenden Handauflegung des Paulus (Apg 19,6). Dass die Johannesjünger von Ephesus nun erneut getauft werden müssen, dieses Mal auf den Namen des Herr Jesus, macht deutlich, dass es nicht ausreichen würde, den christlichen Glauben anzunehmen und durch Handauflegung den Heiligen Geist 305 „nachzureichen“: Durch ihre unterschiedlichen Bezugnahmen, auf die Buße bzw. das Sterben und Auferstehen Christi, stellen Johannestaufe und christliche Taufe trotz scheinbar gleichem Ablauf zwei grundsätzlich verschie‐ dene Rituale dar. Und um die von der christlichen Taufe erhoffte Wirkung zu erzielen, muss diese auch vollzogen werden. 2.8.7.4 ἐγὼ ἐβάπτισα ὑμᾶς ὕδατι αὐτὸς δὲ βαπτίσει ὑμᾶς ἐν πνεύματι ἁγίῳ. (Mk 1,8) „Ich taufe euch mit Wasser, der aber wird euch in dem Heiligen Geist taufen.“ (Mk 1,8) Nachdem über die grammatikalisch textkritischen Fragen zu dieser Text‐ stelle 306 und ihrer Parallelen sowie über grundsätzliche Aspekte von βαπτίζω εἰς 307 bereits gehandelt wurde, verbleibt die Frage, welches Ritual bzw. Ereignis an dieser Stelle mit der Johannestaufe verglichen wird: die christliche Taufe, Bedeutungsaspekte der christlichen Taufe oder allgemein das Wirken Jesu bzw. des Heiligen Geistes? Ausgehend von βαπτίζω (ἐν) ὕδατι kann entweder auf die lokale oder die ins‐ trumentale Funktion des Wassers für die Johannestaufe angespielt werden. Die starke Ortssymbolik der Johannestaufe unterstreicht v. a. den instrumentalen 2 Johannestaufe 321 <?page no="322"?> 308 Auffällig ist dabei v. a., dass die Beschneidung in einem Großteil der alttestamentlichen Schriften (beinahe) keine Erwähnung findet (z. B. Lev; 1 / 2Kön; Jes; Jer; Ez; Dodeka‐ propheta; Ps; Hiob). Daneben sind zeit- und religionsgeschichtlich bedingte Unter‐ schiede in der allgemeinen Bedeutung, welche der Beschneidung jeweils zugewiesen wird, sowie den konkreten Funktionszuschreibungen wahrzunehmen. Beide Aspekte können hier jedoch nur insofern thematisiert werden, als sie Relevanz für die Verhält‐ nisbestimmung zur christlichen Taufe haben. Siehe v.a. unter IV.3.7 sowie IV.3.8. Aspekt des „durch das Wasser hindurch“. Lässt man eine differenzierte Inter‐ pretation von βαπτίζω zunächst außen vor, so legt sich nahe, in Heiligem Geist und Feuer ebenfalls Elemente zu sehen, durch die hindurch der „Täufling“ ge‐ langen muss und deren Macht sodann auf ihn einwirkt. Dass das endzeitliche Gericht mit beiden, Geist und Feuer, verbunden werden kann, scheint diese In‐ terpretation zu stützen. Zugleich gelangt ein Mensch, welcher in Wasser oder Feuer gerät, völlig und ganz in dessen Gewalt, was nicht nur das holistische Moment wiedererkennen lässt, sondern auch ein lokale Dimension transpor‐ tiert. Aufgeladen mit dieser traditionsreichen Motivgeschichte sowie der auch in den anderen neutestamentlichen Schriften unklar offen bleibenden Verhält‐ nisbestimmung von christlicher Taufe und Geist, kann demnach weder end‐ gültig entschieden werden, ob mit der Taufe des Kommenden tatsächlich die christliche Taufe bezeichnet wird, noch inwieweit diese Aussage (in ihren Teilen) auf Johannes zurückzuführen ist. Es treten jedoch Deutungsmomente hervor, welche sich auch bei der christlichen Taufe finden lassen und diese so‐ dann (mindestens indirekt) in ein analoges und zugleich überbietendes Ver‐ hältnis zur Johannestaufe stellen: Der „Täufling“ gerät in eine lebensbedro‐ hende, ihn komplett umgebende und bestimmende Lage, welche es zu „durchschreiten“ gilt. 3 Beschneidung Die folgende Darstellung der Beschneidung wird zu jedem Einzelaspekt diffe‐ renzieren zwischen dem Befund der alttestamentlichen 308 und zwischentesta‐ mentarischen Quellen einerseits und den neutestamentlichen andererseits. Zwar stellen einzelne neutestamentliche Schriften die Beschneidung in für die Zeit des ersten Jahrhunderts typischen Zusammenhängen und Deutungen dar, wie etwa die Beschneidung Jesu am 8. Tag (Lk 2,21). V.a. aber in den Schriften, welche die Beschneidungsdiskussion im Rahmen der aufkommenden Heiden‐ mission thematisieren, lassen sich in der Darstellung abwertende Tendenzen wahrnehmen, welche, nicht zuletzt weil sie im Wesentlichen aus der Verhält‐ Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 322 <?page no="323"?> 309 Horn, Verzicht, 479. 310 Zur Diskussion über die mögliche Existenz der Nebenform ללמ siehe Mayer, Art. לומ , 736. 311 Gesenius, לומ , 446. 312 Zur gesonderten Stellung der Überlieferung in Ex 4,24-26 siehe ausführlicher unter IV.3.7. nisbestimmung zur christlichen Taufe resultieren, für die hiesige Beschreibung und den sich anschließenden Vergleich eine besondere Herausforderung dar‐ stellen. Daher werden zu einzelnen thematischen Aspekten weitere zeitgenös‐ sische und, wenn der Sache dienlich, auch spätere jüdische Quellen hinzuge‐ zogen, um über das neutestamentliche Bild von der Beschneidung ggf. eine Kontrast- und Korrektivfolie hinsichtlich der Wahrnehmung und Interpretation der Beschneidung aus jüdischer Sicht in der Entstehungszeit der christlichen Taufe legen zu können. Insofern ist der These Friedrich Horns zu widersprechen, welcher die Quel‐ lenproblematik der neutestamentlichen Beschneidungsdiskussion hauptsäch‐ lich darin sieht, dass die „neutestamentlichen Schriften […] mehrheitlich mit erheblichen zeitlichen Abstand auf die Anfänge des frühen Christentums“ bli‐ cken. 309 Vielmehr wird die nachfolgende Untersuchung aufweisen, wie erheblich das neutestamentliche Beschneidungsbild v. a. der paulinischen Briefe von der Aktualität der Auseinandersetzung über die Bedeutung der Beschneidung für Christusgläubige speziell im Verhältnis zur christlichen Taufe bestimmt wird. 3.1 Die Ritualbezeichnung: לומ / περιτέμνω Der Quellenbefund zur Bezeichnung der Beschneidung zeichnet sich durch eine erstaunliche Einheitlichkeit sowohl innerhalb der Sprachen als auch im Über‐ setzungsprozess aus. 3.1.1 Der Sprachgebrauch im AT Die Beschneidungshandlung wird in der BHS fast ausschließlich mit Hilfe des Verbes לומ beschrieben: Ob nun als Objekt allgemein die Person (Gen 17,10) oder konkret ihr רשב הלרע (Gen 17,11) bzw. ihre הלרע ( Jer 9,24) genannt wird, bezeichnet 310 לומ in insgesaMt 24 Fällen eindeutig die Beschneidung des männlichen Gliedes: „eig. vorn (die Vorhaut) abschneiden, beschneiden“. 311 Die beiden alternativen Verben zur Bezeichnung dieses Vorganges sind jeweils nur einmal und in besonderen Kontexten belegt: תרכ (Ex 4,25); 312 רוס hiph. ( Jer 4,4). Die Beschneidung einer Frau wird an keiner Stelle thematisiert. Daneben kann 3 Beschneidung 323 <?page no="324"?> 313 Die frühesten außerbiblischen Belege zeigen auf, dass auch andere Tätigkeiten damit bezeichnet werden können und geben zugleich einen Hinweis auf die Beschnei‐ dungsart, welche in Israel vollzogen wird: „ringsum abschneiden (seit Hom, zB Hes Op 570); einkreisen mit dem Ziel des berauben (Hom Od 11,402)“ (Meyer, Art. περιτέμνω, 72). 314 A. a. O. 73. 315 In Dtn 30,6 als auch Jos 5,4 wird לומ durch περικαθαρίζω wiedergegeben. 316 Im wörtlichen Sinne z. B. Gen 17,10-14.23-27LXX; Ex 4,25LXX. 317 Meyer, Art. περιτέμνω, 73. 318 Dass die griechische Sprache konkrete Alternativen bereit halten würde, zeigt eine spätere Entwicklung, welche sich erstmals bei dem Judenchristen Symmachus (Ende des 2. Jh.) nachweisen lässt, „[…] der scharf trennt zwischen dem term techn für die eigtl Beschneidung u dem übertragenen Gebrauch des Begriffes. In letzterem Falle ver‐ wendet er analog zu Dt 30,6 der LXX καθαρίζειν“, (ebd.). 319 Die Mischnah bezeugt den Terminus הלימ , z. B. Quid 1,17 (zitiert in Billerbeck, IV.1 Exkurse, 24). 320 Außerbiblisch belegt seit Agathachides, 2. Jh. v. Chr., siehe dazu Meyer, Art. περιτέμνω, 72. 321 In Ex 4,26LXX als Übersetzung von הלומ ; Ex 4,25LXX bietet über die BHS hinaus‐ gehenden Textbestand; Gen 17,13 gibt den Niph. Inf.abs. von לומ wieder. Jer 11,16 belegt zwar ἡ περιτομή, bezeichnet allerdings mit dem Abschneiden von Ästen einen anderen Sachverhalt. לומ in übertragenem Sinne Verwendung finden für die Bezeichnung einer „Be‐ schneidung des Herzens“ (Dtn 10,16; 30, 6; Jer 4,4) bzw. „der Lippen“ (Ex 6,12). Dass diese bildliche Ausdrucksweise in so grundlegender Weise auf das Ritual Bezug nimmt, dass sie hier wie auch im Folgenden mit zu betrachten ist, wird nicht zuletzt dadurch bestätigt, dass auch die Wiedergabe in der LXX das gleiche Verb für beide Sachverhalte gebraucht: περιτέμνω. 313 „In der LXX begegnet das Verbum περιτέμνω ausschließlich als ritueller term techn“ 314 und übersetzt mit lediglich zwei Ausnahmen 315 sowohl לומ als auch תרכ und רוס . 316 „Dieser ein‐ heitliche Sprachgebrauch erklärt sich offenbar daraus, daß die Terminologie der Ägypter, die im Altertum als die klass Vertreter der Beschneidung galten […], maßgebend auf den Sprachschatz der jüd Übersetzer eingewirkt u die Bedeu‐ tungsnuancen der hbr Wortvorlagen verwischt hat.“ 317 Neben dem eigentlichen rituellen Akt kann περιτέμνω also auch die übertragene Bedeutung bezeichnen (Dtn 10,16 LXX ). 318 Es fällt für das Hebräische wie das Griechische auf, dass die jeweilige Sub‐ stantivform nur äußerst selten Verwendung findet: הלומ 319 nur in Ex 4,26 und ἡ περιτομή 320 an insgesamt drei relevanten Stellen. 321 Dieser Befund ist wesent‐ lich der Erzählform der Quellen geschuldet, welche seltener das Ritual als sol‐ ches benennt, als vielmehr unter Verwendung der entsprechenden Verben dessen Vollzug anordnet oder beschreibt. Dies unterstreicht auf der Erzählebene Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 324 <?page no="325"?> 322 A. a. O. 80 Anm. 68. 323 Siehe unter IV.3.4. zudem die Art der Ritualbezeichnung, welche nämlich auf den Ritualvollzug abhebt. 3.1.2 Der Sprachgebrauch im NT Das NT spricht grundsätzlich mit den gleichen Vokabeln wie auch der gleichen Motivik von der Beschneidung wie das Griechisch der LXX , jedoch „ist zu be‐ achten, daß im NT , bes bei Pls, περιτέμνω u περιτομή bedeutend häufiger ge‐ braucht werden als im AT .“ 322 Eine genauere Untersuchung bringt weitere Be‐ sonderheiten ans Licht. Περιτέμνω bezeichnet mehrheitlich das eigentliche körperliche Beschneiden, etwa des Johannes (Lk 1,59) oder Jesus (Lk 2,21). An einer einzigen Stelle findet es in übertragener Bedeutung Verwendung, wobei damit die Bedeutung der Taufe zum Ausdruck gebracht wird (Kol 2,11). Wesentlich häufiger findet sich das Substantiv ἡ περιτομή in unterschiedli‐ chen Verwendungsweisen: Einerseits kann damit (relativ wertneutral) die kör‐ perliche Beschneidung bezeichnet werden ( Joh 7,22), teilweise mit eindeutigen Bezugnahmen auf alttestamentliche Stellen (Apg 7,8, vgl. Gen 17). Dass ἡ περιτομή über das konkrete Ritual hinaus auch den Zustand des Beschnitten‐ seins ausdrücken kann, wird v. a. in den paulinischen Gegenüberstellungen von ἡ περιτομή und ἡ ἀκροβυστία deutlich (1Kor 7,19; Gal 5,6; 6,15). In dieser Be‐ deutung wird es als abstractum pro concretum verwendet für die Juden im Ge‐ genüber zu den unbeschnittenen Heiden (Röm 3,30; auch οἱ ἐκ περιτομὴς Röm 4,12; vgl. Tit 1,10). Warum und in welchen Kontexten es aber auch Juden‐ christen (οἱ ἐκ περιτομῆς [πιστοί] Apg 10,45; 11,2) und sogar unbeschnittene Heidenchristen (Phil 3,3) bezeichnen kann, ist noch genauer zu untersuchen. 323 Wesentliche, wenn auch nicht einzige Grundlage dafür mag die übertragene Bedeutung von ἡ περιτομή sein, welche auch für neutestamentliche Texte belegt ist (Röm 2,29; Kol 2,11). 3.1.3 Zusammenfassung Die Ritualbezeichnung im Hebräischen wie im Griechischen rekurriert auf den Ritualvollzug. Ritual wie Zustand werden dabei im AT fast ausschließlich über das Verb לומ ausgedrückt. περιτέμνω/ περιτομή sind in LXX und NT exklusiv als terminus technicus für die Beschneidung belegt. Es fällt dabei besonders ins Auge, dass die Evangelien und die Apostelgeschichte lediglich auf die wörtliche Bedeutung rekurrieren, während Paulus auch auf die übertragene Dimensionen 3 Beschneidung 325 <?page no="326"?> 324 Siehe ausführlich unter IV.3.8.1 sowie IV.3.8.7. 325 Für einen einzigen Entstehungsort spricht etwa, dass „sich ein großer Teil der mit der Beschneidung verbundenen Zeremonien besonders in Afrika und Ozeanien so außer‐ ordentlich [gleichen]“ ( Jensen, Beschneidung, 4). Jedoch werden unterschiedliche Aus‐ gangsorte und Verbreitungsrichtung diskutiert: Ägypten (Foucart, Circumcision, 676); Orient (Zaborowski, Circoncision, 675) oder auch der nordwestsemitische Raum (Sasson, Circumcision, 473-476). 326 Für die weitgehend unabhängige Entstehung an verschiedenen Orten spricht v. a. das Vorkommen in Australien und Amerika, aber auch „die doch große Variationsbreite bei der Durchführung der Operation im einzelnen“, (Blaschke, Beschneidung, 5). 327 So z. B. Betz, Beschneidung, 716. 328 Meyer, Art. περιτέμνω, 75. 329 Siehe Ruwe, Beschneidung, 76-81. 330 So z. B. Meyer, Geschichte, 559. 331 Sasson, Circumcision, 476. 332 Siehe ausführlich unter IV.3.7. eingeht. Die Identifikation der übertragenen Bedeutung der Beschneidung mit der christlichen Taufe (Kol 2,11) 324 ist dabei ein Höhepunkt unter mehreren An‐ sätzen. 3.2 Der Ursprung des Rituals: תואל תירב 3.2.1 Der religionsgeschichtliche Ursprung Weder zu Ort noch Zeit noch Anlass der Entstehung des Beschneidungsrituals im Allgemeinen konnten bisher mehrheitsfähige Antworten vorgetragen werden. So gibt es Thesen, nach denen die Beschneidung sich von einem Ort aus verbreitet habe, 325 wie auch solche, dass sie in ganz unterschiedlichen Re‐ gionen unabhängig voneinander entstanden sei. 326 Davon ausgehend stellt sich die Frage nach dem Alter des Rituals: Allgemein wird der Gebrauch eines scharfen Steines ( רצ ) zur Beschneidung in Ex 4,25 (siehe auch Jos 5,2 f) als Beleg für ein hohes Alter der Beschneidung gedeutet. 327 Zugleich wird diese Erzählung als „[d]er ält. lit Beleg für den Ursprung der Be‐ schneidung in Israel“ gewertet. 328 Selbst wenn Zeugnisse aus Ägypten 329 nicht mehr exakt zu datieren sind, so sind sie doch unzweifelhaft älter als Ex 4,25. Ob dies jedoch auch die Quelle der Beschneidung in Israel gewesen ist, 330 wird immer wieder in Frage gestellt. Neben den fehlenden sprachlichen Ähnlich‐ keiten ist angesichts des Verhältnisses der Gruppen anzuzweifeln „that some of the infiltrators’ rituals became accepted and adopted by the ruling classes.“ 331 Die Frage nach Motivation und Hergang der Übernahme der Beschneidung dürfte wesentlich von den (sich unterscheidenden) Bedeutungszuschrei‐ bungen 332 und Gründen abhängig gewesen sein, welche rückwärtsgewandt bis Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 326 <?page no="327"?> 333 Einen Überblick über mögliche Entstehungsanlässe der Beschneidung bieten Wester‐ mann, Genesis 2, 319 f, Jacobs, Circumcision, 98, und Blaschke, Beschneidung, 6-18. Ein kurzer Überblick über mögliche ursprüngliche Funktionen ausgehend von einzelnen alttestamentlichen Beschneidungstexten siehe unter IV.3.7.1.1). 334 רשאכ הוצ ותא םיהלא - „es ihm Gott geboten hatte“ (Gen 21,4). 335 Nach Aggad B e resch 17 § 2 (16 a ) verweist die in Ex 19,5 geforderte Treue auf den Bund, d. h. den Beschneidungsbund. Nach P e siqR 23 (117 a ) kann das Sabbatgebot für Fremd‐ linge lediglich Proselyten meinen. Und da lediglich Vollproselyten den Sabbat heiligen, „[s]o liegt also im Wortlaut des Sabbatgebotes Ex 20,10 das Beschneidungsgebot als notwendige Voraussetzung mit eingeschlossen.“ (Billerbeck, IV.1 Exkurse, 23). 336 Anders Joh 7,22, wo die Tradition, Mose habe die Beschneidung eingeführt, korrigiert wird: οὐχ ὅτι ἐκ τοῦ Μωϋσέως ἐστὶν ἀλλ’ ἐκ τῶν πατέρων. zum ursprünglichen Entstehungsanlass kaum mehr rekonstruierbar sind. So bewegen sich die Thesen im Bereich der Medizin, der Sexualität, der Gesellschaft und der Religion. 333 Demgegenüber bietet das AT einen Text, welcher v. a. Anlass und Entstehungsort bestimmt, Gen 17. Im Judentum des 1. Jahrhunderts wie auch in der innerchristlichen Auseinandersetzung über die Bedeutung einer Beschneidung angesichts der sich etablierenden christlichen Taufe wird dieser Stelle die Bedeutung einer Ursprungserzählung beigemessen. 3.2.2 Zwei biblische Ursprungserzählungen: Gen 17 und Jos 5 Der Bundesschluss Gottes mit Abram / Abraham (Gen 17), der dessen Nach‐ kommen seitdem zu dem Vollzug des Bundeszeichens der Beschneidung ver‐ pflichtet, gilt als die eine biblische Ursprungserzählung des Rituals: לומה םכל רכז־לכ - „es soll von euch beschnitten werden alles, was männlich ist.“ (Gen 17,10). Konkretisierend wird vom Abschneiden der Vorhaut gesprochen (Gen 17,13), als יתירב םכרשבב - „mein Bund in eurem Fleisch“ (Gen 17,13). Wer sich dem verweigert, hat sein Leben verwirkt und ist aus dem Volk auszu‐ stoßen, denn יתירב־תא רקה - „er hat meinen Bund gebrochen“ (Gen 17,14). Dass innerbiblisch an gewichtiger Stelle, nämlich bei der Beschneidung des verheißenen Sohnes Isaak (Gen 21,4), darauf Bezug genommen wird, 334 scheint die These zu bestätigen, dass es sich in Gen 17 um eine Ätiologie des Beschnei‐ dungsrituals handelt. Dennoch gibt es alttestamentlich wie rabbinisch auch weitere Zeugnisse: Im Rahmen der Reinheitsvorschriften für Wöchnerinnen, wird die Beschneidung eines Sohnes am 8. Tag angeordnet (Lev 12,3), ohne dass auf den Abrahamsbund verwiesen wird. Die rabbinische Literatur wiederum tradiert Gen 17 als eigentlichen Ursprung der Beschneidung, versucht diese je‐ doch auch zusätzlich im Kontext der 10 Gebote zu verorten. 335 Diese beiden Überlieferungen stellen den Ursprung oder mindestens die Verpflichtung zur Beschneidung also (auch) in den Kontext des Bundesschlusses am Sinai. 336 Die 3 Beschneidung 327 <?page no="328"?> 337 Siehe auch Ex 12,43-49. 338 Siehe unter IV.3.7. 339 Vgl. dazu die Ausführungen zum Wüsten- und Jordanbezug der Johannestaufe unter IV.2.5. 340 Dafür, dass die Beschneidung nach dem Jordandurchzug in besonderer Weise mit der Person des Josua verbunden verstanden worden ist, spricht neben der Erzählung in Jos 5 auch Jos 24,31aLXX, wonach man ihm die steinernen Messer, welche er zur Be‐ schneidung des Volkes verwendet hatte, mit ins Grab beigab. vielschichtige Literaturgeschichte des Pentateuchs, auf welche hier nicht näher eingegangen werden kann, mag eine Ursache für dieses Doppelzeugnis sein. Wesentlicher für den hiesigen Gegenstand scheint mir eine zweite Ursprungs‐ erzählung zu sein, welche - konkurrenzlos zu Gen 17 - von der Wiederbzw. Neueinsetzung der Beschneidung durch Josua berichtet ( Jos 5,2-9): Seit dem Auszug aus Ägypten wird die in der Wüste geborene Generation nicht mehr beschnitten, bis Josua nach dem Jordandurchzug und der Errichtung der Erin‐ nerungssteine zum Vollzug der Beschneidung beauftragt wird. Mit Blick auf das folgende erste Passahmahl im verheißenen Land kann die Beschneidung als dessen Voraussetzung interpretiert werden. 337 Dem würde auch die abschlie‐ ßende Feststellung korrespondieren: םויה יתולג חפרח־תא םירצמ - „Heute habe ich die Schande Ägyptens von euch gewälzt.“ ( Jos 5,9). Inwieweit darin und durch die Verbindung mit dem Passah die Beschneidung hier mit dem Motiv der Freiheit bzw. Befreiung in Zusammenhang gebracht wird, ist an späterer Stelle zu klären. 338 Nach der Erzählung folgt der Zwischenzeit und Grenzerfahrung in der Wüste der Jordandurchzug und daraufhin eine Neueinsetzung der Beschnei‐ dung als Initiationsritual der Israeliten. 339 3.3 Der Ritualleiter: der Beschneider Ob für die Beschneidung eines männlichen Säuglings oder für die eines erwach‐ senen Mannes, ist sie stets von einer anderen Person durchzuführen, kann also nicht selbst vollzogen werden. Sind an den Dienst des Ritualleiters Vorausset‐ zungen oder auch Traditionen gebunden? Und wer vollzieht die (symbolische) „Beschneidung des Herzens“? 3.3.1 Der Ritualleiter im AT Nur wenige der Stellen zur Beschneidung erwähnen einen konkreten Be‐ schneider: Abraham beschneidet seine Söhne Ismael (Gen 17,23.25), Isaak (Gen 21,4) und alle Knechte (Gen 17,23), Zippora beschneidet (unter speziellen Umständen) ihren Sohn (Ex 4,25) und Josua beschneidet die Wüstengeneration nach dem Jordandurchzug ( Jos 5,3) 340 . All diese Erzählungen geben jedoch Aus‐ Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 328 <?page no="329"?> 341 Zur Herzensbeschneidung siehe ausführlich unter IV.3.7.2. 342 Ausgehend von der Formulierung in Jer 4,4 macht Althann, Circumcise, 239, darauf aufmerksam, dass sich die Konstruktion לומ Niph + ל + Gott an fünf weiteren Stellen in der BHS findet (Gen 17,10.12; 34,15.22; Ex 12,48) und nicht wie zumeist als „be‐ schnitten werden für Gott“, sondern auch im Sinne eines lamedh of agency als „be‐ schnitten werden von Gott“ übersetzt werden kann. Eine solche Deutung hätte dann auch Auswirkungen auf die Interpretation anderer Stellen: „The concept of circumcision by the divinity found in Dt 30,6, Jer 4,4 and Job 33,16-17 would reflect a very ancient tradition.“ (a. a. O. 240). Unabhängig von der Möglichkeit eines lamedh of agency für den Text der BHS übersetzt die LXX die genannten Stellen stets als περιτμήθητε τῷ θεῷ - „lasst euch für Gott beschneiden“ ( Jer 4,4). 343 Siehe unter IV.3.7.2. nahmesituationen wieder, aus denen kaum abgeleitet werden kann, dass die Beschneidung bspw. immer von den Eltern durchgeführt wird. 1Makk 1,60 f spricht etwa dafür, dass Mütter für die Beschneidung ihrer Kinder sorgen, diese allerdings durch jemand anderen vollzogen wird. Konkrete Angaben zu mögli‐ chen Voraussetzungen für diesen Dienst werden an keiner alttestamentlichen Stelle thematisiert. Einen Sonderfall stellt die Beschneidung Abrahams dar: Während der MT die Frage offen lässt, erweckt die Formulierung in Gen 17,24 LXX (ἡνίκα περιέτεμεν τὴν σάρκα τῆς ἀκροβυστίας αὐτοῦ) die Vorstellung, Abraham habe sich selbst beschnitten. Verschiedene Antwortversuche in Targumen und rabbinischen Texten sprechen dafür, dass keine der beiden Varianten als befriedigend ange‐ sehen wurde. Folgende Erklärungsmodelle lassen sich finden: Sem, der Sohn Noahs, habe Abraham beschnitten ( PRE 29); ein Skorpion habe Abraham die Vorhaut abgebissen (Tan ךל ךל § 17) oder auch Abraham habe sich zwar selbst beschnitten, allerdings mit der Hilfe Gottes (TanB ךל ךל § 24). Diese Diskussion unterstreicht m. E. die Vorstellung, dass selbst Abraham (als der Erste) sich nicht eigenständig beschneiden konnte. Einen weiteren Sonderfall stellt die Herzensbeschneidung dar, welche gele‐ gentlich als notwendige Bestätigung der körperlichen Beschneidung im eigenen Denken und Verhalten interpretiert wird. 341 Bei ihr wäre demnach zu erwarten, dass sie selbst vollzogen wird. Drei Stellen machen dazu Aussagen: Mose fordert das Volk auf, sich am Herzen zu beschneiden (Dtn 10,16: םתלמו Qal); Mose verkündet dem Volk, dass JHWH ihnen die Herzen beschneiden wird (Dtn 30,6: למו Qal); Jeremia fordert die Männer Judas und Jerusalem auf, sich am Herzen beschneiden zu lassen ( Jer 4,4: ולמה Niphal). 342 Auch wenn zur Bedeutung der Herzensbeschneidung an späterer Stelle zu handeln ist, 343 so kann hier doch festgestellt werden, dass selbst dieses übertragene Verständnis den Vollzug einem anderen zuordnet bzw. mindestens die Mitwirkung Gottes voraussetzt. 3 Beschneidung 329 <?page no="330"?> 344 Billerbeck, IV.1 Exkurse, 28. 345 tAS 3,12 f. (464): R. Meir lehnt eine Beschneidung durch einen Nichtisraeliten grund‐ sätzlich ab, R. J e huda hält sie für möglich, solange sie nicht unter vier Augen geschieht, ausführlicher Text siehe Billerbeck, IV.2 Exkurse, 28. 346 tAS 3,12 f. (464): R. Meir und R. J e huda lehnen sie ab, weil die Nichtisraeliten des Tötens verdächtig seien; Samaritaner sei es untersagt, weil sie „auf den Namen des Berges Garizim beschneiden“; bSchab 19,17,33: Da die eigene Beschneidung Voraussetzung für einen Beschneider ist, kann sie von keinem unbeschnittenen Nichtisraelit durchgeführt werden. bMen 42 a : Auf die Frage, ob im Notfall ein samaritanischer Arzt einem heid‐ nischen Arzt vorzuziehen ist, finden sich widerstreitende Antworten. Die ausführlichen Texte siehe Billerbeck, IV.1 Exkurse, 28 f. 347 Siehe unter IV.3.8.3. 3.3.2 Der Ritualleiter im Judentum und im NT In der späteren jüdischen Literatur finden sich teilweise erstaunliche Konkreti‐ sierungen zur Person des Beschneiders: Einzelnen Stellen nach führt der Vater die Beschneidung durch (bQid 29a), andere wiederum sprechen von einem Arzt (Flav.Jos.Ant. XX 46; bMen 42a; bShab 137a). „Nach der im Schulchan Arukh, הרוי העד § 264, kodifizierten Halakha sind alle Israeliten zur Vornahme der Beschneidung geeignet, selbst (israelitische) Sklaven, Frauen, Minderjährige u. solche Israeliten, die wegen des Wegsterbens ihrer Brüder infolge der Beschnei‐ dung unbeschnitten geblieben sind.“ 344 Strittig ist lediglich, inwieweit auch ein Nichtisraelit die Beschneidung durchführen kann 345 und mit welcher Begrün‐ dung dies ggf. abgelehnt wird. 346 Dass auch neutestamentlich keine konkreten Aussagen darüber gemacht werden, durch wen die Beschneidung durchgeführt wird, liegt im Duktus der alttestamentlichen Texte. Als beachtenswert ist dennoch Kol 2,11 hervorzu‐ heben, da dort die Taufe als Beschneidung bezeichnet wird, und zwar als τῇ περιτομῇ τοῦ Χριστοῦ. Ob dies als Genitivus subjectivus zu verstehen ist, wird an späterer Stelle zu klären sein. 347 3.4 Die Ritualteilnehmer: οἱ ἐκ περιτομῆς Biblisches wie außerbiblisch-jüdisches Zeugnis sprechen stets allein von der Beschneidung männlicher Kinder und Erwachsener. An keiner Stelle wird die Beschneidung einer Frau auch nur theoretisch erwähnt. 3.4.1 Die Beschnittenen im AT Das AT thematisiert hinsichtlich der zu Beschneidenden im Wesentlichen zwei Aspekte: Wer soll beschnitten werden? Und in welchem Alter soll das ge‐ schehen? Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 330 <?page no="331"?> 348 Verse wie Jer 4,4; 9,25; Dtn 10,16; 30,6 setzen die körperliche Bescheidung voraus und fordern darüber hinaus die Herzensbeschneidung. 349 Siehe unter IV.3.8.4. 350 Auch in anderen Bereichen des jüdischen Kultes kennt man eine Art 8-Tage-Schonfrist, z. B. bei Erstlingsopfertieren (Ex 22,29; Lev 22,27) und bei Aussätzigen (Lev 14,8-10). Für einen entsprechenden Zusammenhang spricht v. a. Lev 12,2 f, wo die Reinigungsfrist für Wöchnerinnen direkt mit der Zeitspanne für die Beschneidung kombiniert erzählt wird. Siehe ausführlicher bei Blaschke, Beschneidung, 95 f. Immer wieder finden sich die Formulierungen, dass לכ bzw. רכז־לכ zu be‐ schneiden sind (Gen 17,10.12 u. a.). Das beinhaltet nicht allein die Söhne einer Familie, sondern auch geborene wie gekaufte Knechte (Gen 17,12 f) und Fremde, die sich mit der Tochter verheiraten (Gen 34,15 f) oder am Passah teilnehmen wollen (Ex 12,48). Diese Beschneidungen werden im näherem oder weiteren Kontext des Bundesschlusses gefordert (vgl. Gen 17,10 f). Entsprechend ist auch die Beschneidung des Achior bei seiner Konversion zu verstehen ( Jdt 14,10 LXX ). Daneben werden in Jer aber auch andere Völker erwähnt, welche ebenfalls - völlig unabhängig von Israel - die Beschneidung durchführen, ohne dass deren Bedeutung reflektiert würde: Ägypten, Juda, Edom, Ammoniter, Moab und solche Wüstenbewohner, die das Haar rundum abscheren ( Jer 9,24 f). Im Kon‐ trast dazu werden die Philister immer wieder als „die Unbeschnittenen“ be‐ zeichnet (Ri 14,3; 15,18 u. a.). Bezüglich der beschnittenen Israeliten erwähnt Jer solche, die zwar körper‐ lich beschnitten sind, aber nicht am Herzen ( Jer 9,25). Die Aufforderung, sich auch am Herzen beschneiden zu lassen, lässt diejenigen, welche „in beider Weise beschnitten“ sind, als die eigentlichen oder auch komplett Beschnittenen er‐ scheinen. 348 Während die körperliche Beschneidung lediglich an Männern zu vollziehen ist, wäre zu fragen, ob die Aufforderung zu einer Herzensbeschnei‐ dung als geistige Aneignung der körperlichen Beschneidung auch für Frauen gilt. Ist sie überhaupt möglich? Auch wenn diese Frage alttestamentlich - ver‐ mutlich auf Grund der damaligen Vorstellungen zur Religionsmündigkeit von Frauen - nicht weiter diskutiert bzw. belegt ist, wird sie neutestamentlich inte‐ ressant und wichtig mit Blick auf die christliche Taufe, welche von Paulus mit der Herzensbeschneidung in Verbindung gebracht und damit an beiden Ge‐ schlechtern vollzogen wird. 349 Nach unterschiedlichen Texten wird die Beschneidung der männlichen Säug‐ linge einhellig für den achten Tag nach der Geburt gefordert (Gen 17,12; 21,4; Lev 12,3). 350 Wo Beschneidungen von Erwachsenen erzählt werden, handelt es sich jeweils um Sonderfälle: hinzugekaufte Sklaven (Gen 17,12 f); Fremde, welche am Passahmahl teilnehmen wollen (Ex 12,48); solche, welche einheiraten wollen 3 Beschneidung 331 <?page no="332"?> 351 Je nach Ursprungsthese (ob an einem Ort einheitlich oder an mehreren Orten in ver‐ schiedener Weise, siehe unter IV.3.2) wäre auch zu fragen, ob die Beschneidung in Israel bereits als Kinderbeschneidung eingeführt bzw. übernommen wurde. Doch angesichts von Berichten über Erwachsenenbeschneidungen ( Jos 5 u. a.) stellt sich auch dort die Frage nach der Begründung. 352 Siehe ausführlich unter IV.3.7. 353 Blaschke, Beschneidung, 85. Zur Beschneidung als mögliches Mannbarkeits- oder auch Hochzeitsritual siehe unter IV.3.7. 354 Siehe ausführlich unter IV.3.4.1. Wenn der Text auch der exilischen Priesterschrift zu‐ geordnet wird, so greift Gen 17 laut Zimmermann, Kinderbeschneidung, 39 f, „ein äl‐ teres Beschneidungsgebot auf (Gen 14) und kodifiziert eine bereits bestehende Praxis.“ Demnach sei die Kinderbeschneidung nicht erst im Exil entstanden, wenn sie auch „in dieser Zeit eine vertiefte theologische und praktische Bedeutung“ erhält (a. a. O. 40). 355 Die folgende Auflistung entstammt Blaschke, Beschneidung, 85 f. 356 Zur Bewertung der aufgelisteten Begründungen siehe ebd.; außerdem Propp, Origins, 364-366. 357 Blaschke, Beschneidung, 86. (Gen 34,15 f); Konvertiten ( Jdt 14,10 LXX ) und die komplette Wüstengeneration ( Jos 5,2-9). Exkurs: Entstehung und Begründung der Kinderbeschneidung In den alttestamentlichen und jüngeren Texten wird die Beschneidung von Kindern mit ganz unterschiedlichen Bedeutungen in Verbindung gebracht. 351 Ohne dem Ab‐ schnitt zur Ritualbedeutung allzu weit vorzugreifen, 352 sollen sie im Folgenden unter der Fragestellung kurz dargestellt werden, ob eine als die älteste und damit der ur‐ sprüngliche Grund der Einführung der Kinderbeschneidung identifiziert werden kann. Allgemein lässt sich vermuten, dass „man einem Menschen alles Erstrebens‐ werte, das die Beschneidung zu bringen verspricht, möglichst früh angedeihen lassen will, sofern das erwartete Positive nicht ausschließlich an ein höheres Alter gebunden ist“. 353 Alttestamentlich steht dafür v. a. die Anordnung Gottes zur Beschneidung am achten Tag - als Aufnahme in den Bund. 354 Später finden sich jedoch einige weitere Begründungen dafür, die Beschneidung be‐ reits an Kleinkindern zu vollziehen: 355 1) Für Kinder sei es nicht so schmerzhaft und die Wunde würde schneller heilen (bShab 134b). 2) Babys könnten sich nicht aus Furcht wehren (Philo QG III 48). 3) Es diene dem medizinisch-hygienischen (Philo QG III 48 par Philo spec I 4) oder göttlich-apotropäischen Schutz. 4) Es würde ein besseres Schicksal nach dem Tod garantieren. 5) Es verspricht größere Fruchtbarkeit. 6) Es bezeichnet die Volkszugehörigkeit. 356 Wenn sich unter den Begründungen auch durchaus Unterschiede in der theologischen Wertigkeit und Plausibilität ausmachen lassen, so ist letztlich dennoch Blaschke zu‐ zustimmen: „Ein sicheres Urteil, welche Überlegung nun tatsächlich am Anfang der Einführung der Kinderbeschneidung in ‚Israel‘ etc. stand, ist m. E. nicht möglich.“ 357 Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 332 <?page no="333"?> 358 bSchab 19,5 regelt entsprechend Zweifels- und Ausnahmefälle: Wird ein Kind zwischen zwei Tagen geboren, sodass der Geburtstag nicht mehr eindeutig festgestellt werden kann. Fällt der Beschneidungstag eines solchen Zweifelsfall auf den Sabbat, so wird dieser nicht wie sonst üblich verdrängt. Folgen auf einen solchen Sabbat ein oder gar zwei Festtage, so verschiebt sich der Beschneidungstag ebenfalls auf insgesamt maximal den 12. Lebenstag. 359 bSchab 19,5 stellt allgemein fest, dass kranke Kinder erst nach ihrer Genesung be‐ schnitten werden; bSchab 137 konkretisiert dies auf den 8. Tag nach der Genesung. 360 tSchab 15,8, zitiert nach Billerbeck, IV.1 Exkurse, 26. 361 Billerbeck, IV.1 Exkurse, 24. Siehe etwa Chul 4 und bJev 72.99. 362 Siehe unter IV.4.3.2 363 Siehe ausführlich zitiert in Billerbeck, IV.1 Exkurse, 28 f. 364 AZ 27, zitiert nach Billerbeck, IV.1 Exkurse, 29. 3.4.2 Die (Un-)Beschnittenen im Judentum Die zwischentestamentarischen und jüngeren Texte bieten über die alttesta‐ mentliche Grundlage hinaus verschiedene Sonderfälle. So können Säuglinge unter Umständen auch am 9.-12. Tag beschnitten werden 358 bzw. am 8. Tag nach der Genesung eines krank geborenen Jungens. 359 Bemerkenswert ist auch eine Ausnahme, bei welcher die Jungen gar nicht beschnitten werden müssen: „Hat eine Frau Knaben geboren, die beschnitten wurden u. (infolgedessen) starben - hat sie den ersten beschneiden lassen u. der starb, den zweiten u. er starb, den dritten u. er starb - so läßt sie den vierten nicht beschneiden.“ 360 Laut Billerbeck sei dies die Erklärung dafür, dass „in den älteren rabbinischen Schriften öfters von unbeschnittenen Israeliten u. unbe‐ schnittenen Priestern geredet wird.“ 361 In diesen Kontext gehört auch die Frage nach der Vergleichbarkeit des Be‐ schnittenseins von Israeliten und Nichtisraeliten, welches für die Frage nach der Beschneidung durch Nichtisraeliten 362 relevant wird ( AS 27): 363 Die Aufforde‐ rung „Beschnitten, ja beschnitten soll werden“ (nach Gen 17,13) wird dahinge‐ hend interpretiert, dass die eigene Beschneidung einzige Voraussetzung eines Beschneiders sei. Sie wird etwa von beschnittenen Nichtisraeliten erfüllt. Dem wird allerdings entgegen gehalten: „Du (der Israelit) sollst meinen Bund be‐ obachten“ (nach Gen 17,9), was die Bundeszugehörigkeit und -treue als zweite Voraussetzung benennt, welche auch von Israeliten erfüllt wird, welche auf Grund des Versterbens ihrer Brüder unbeschnitten geblieben sind. Die Rabbinen klären das Problem in folgender Weise: „Obwohl sie (die unbeschnitten geblie‐ benen Israeliten) also nicht beschnitten sind, so gleichen sie doch denen, die beschnitten sind“, und „[o]bwohl die letzteren [beschnittene Nichtisraeliten, Anm. CM ] also beschnitten sind, gleichen sie doch denen, die nicht beschnitten sind! “ 364 Wenn dies auch am konkreten Fall der Voraussetzungen für einen Be‐ schneider diskutiert wird, so lässt sich doch m. E. ableiten, dass die Rabbinen die 3 Beschneidung 333 <?page no="334"?> 365 Siehe ausführlicher unter IV.3.7. Diese zweite Variante eines übertragenen Verständ‐ nisses des Beschnittenseins neben der Herzensbeschneidung ist als mögliche Vorlage für die paulinische Identifikation Unbeschnittener als „Beschnittene“ zu prüfen, siehe unter IV.3.4.3 und IV.3.8.4. 366 (Voneinander abweichende) Aufzählungen finden sich u. a. finden sich in ARN 2,2 und MTeh 9,7. Auf der Grundlage aller Belege (nach Blaschke, Beschneidung, 185) für diese Vorstellung wird sie für folgende Personen in Anspruch genommen: Adam, Seth, He‐ noch, Noah, Sem, Abraham, Melchisedek, Hiob, Terach, Jakob, Gad, Josef, Mose, Balaam, Obed, Samuel, David, Jesaja, Jeremia und Serubbabel. 367 Eine Auflistung sämtlicher Begründungen siehe a. a. O. 185 f. 368 A. a. O. 186. Bedeutung der Beschneidung nicht nur allgemein an den Bund gebunden wissen wollten, sondern dass dieser Wirkebene im Einzelfall sogar eine größere Be‐ deutung beigemessen werden kann als dem tatsächlichen Ritualvollzug: Fak‐ tisch unbeschnitten gebliebene Israeliten gleichen beschnittenen Israeliten mehr als tatsächlich beschnittene Nichtisraeliten. Erstaunlicherweise wird dafür nicht die bereits etablierte übertragene Bedeutung einer „Beschneidung des Herzens“ ins Feld geführt, sondern allein die Bundestreue über den tatsächlichen Ritualvollzug gestellt. 365 Einen weiteren Sonderfall stellen die sog. „beschnitten Geborenen“ ( אצי לחמ bzw. דלונ לוהמ ) dar: Von prägenden Personen des AT wird behauptet, dass sie bereits von Geburt an beschnitten gewesen seien. 366 Während manche Beleg‐ stellen dies lediglich konstatieren, bieten andere ganz unterschiedliche, aus den alttestamentlichen Texten abgeleitete Begründungen: Die Männer werden etwa als בוט (Ex 2,2 - Mose: ShemR 1,20), םת (Hi 1,8 - Hiob: ARN 2,2) oder םלש (Gen 14,18 - Melchisedek: ARN 2,2) bezeichnet oder stehen in einem Stamm‐ baum an ungewöhnlicher Stelle (Gen 37,2 - Josef: MT eh 9,3). 367 Die meisten und mit LibAnt 9,13 wohl auch der älteste Beleg über einen Beschnittengeborenen findet sich über Mose. 368 Das würde nach Blaschke auch gegen die These spre‐ chen, „daß hier die jüdische Antwort auf die christliche Polemik gegen die Be‐ Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 334 <?page no="335"?> 369 Ebd. So argumentiert bspw. Gilbert, Jew: Christliche Thesen zur Gottgefälligkeit vor‐ abrahamitischer Personen (Iust.dial 3.5) sowie Abrahams vor seiner Beschneidung (Röm 4,9-12), habe man mit Verweis auf deren Beschnittengeborensein gekontert. Blaschke, a. a. O. 187, weist zurecht daraufhin, dass diese Argumentation nicht auf Mose anwendbar ist, für den der vermutlich älteste Beleg vorliegt: „Die Entstehung der Le‐ gende einer beschnittenen Geburt muß andere, wahrscheinlich vorchristliche Gründe haben. Daß man sich dieser Legende später auch in der Auseinandersetzung mit christ‐ licher Polemik bediente, ist gut möglich […].“ 370 Laut Blaschke, ebd., könnte bei Mose auch das Aufwachsen unter Ägyptern sowie die schwer deutbare Episode in Ex 4,24-26 Anlass gegeben haben, nach seiner Beschnei‐ dung zu fragen. 371 Ebd. 372 Röm 3,30; Eph 2,11. 373 Apg 10,45; 11,2; Röm 15,8; 1Kor 7,18; (Phil 3,2; ) Kol 4,11; Tit 1,10. 374 Phil 3,3; Kol 2,11. 375 Röm 2,26. 376 Dazu, in welcher Weise das „Beschnittensein“ jeweils gedeutet wird, siehe unter IV.3.7.3. Zur jeweiligen Verhältnisbestimmung zur christlichen Taufe siehe unter IV.3.8.4 sowie IV.3.8.7. schneidung vorläge.“ 369 Vielmehr sei die Vorstellung auf die besondere Gottun‐ mittelbarkeit des Mose, 370 vgl. etwa das Beschnittensein der höchsten Engel ( Jub 15,27), und die Wertschätzung der Beschneidung speziell in der seleukidi‐ schen Religionsverfolgung zurückzuführen. 371 Und später sei diese Besonderheit dann auch für weitere Personen festgestellt worden. 3.4.3 Die Beschnittenen im NT Während das Beschnittensein v. a. der jüdischen Akteure allgemein vorauszu‐ setzen ist, so erwähnen die neutestamentlichen Schriften doch in unterschied‐ lichen Zusammenhängen dezidiert die Beschneidung von insgesamt fünf Per‐ sonen: Isaak (Apg 7,8 im Rahmen der Rede des Stephanus); Johannes der Täufer (Lk 1,59); Jesus von Nazareth (Lk 2,21); Paulus (Phil 3,5) und Timotheus (Apg 16,3). Während bei den ersten vier der achte Tag als Zeitpunkt der Be‐ schneidung benannt ist, wird Timotheus als Erwachsener von Paulus be‐ schnitten. Darüber hinaus werden unterschiedliche Gruppierungen als Be‐ schnittene oder der Beschneidung zugehörig bezeichnet, wobei die Beschneidung wörtlich oder auch übertragen verstanden wird: Juden, 372 Juden‐ christen, 373 unspezifisch für Christusgläubige 374 und dezidiert unbeschnittene Heidenchristen 375 . 376 3 Beschneidung 335 <?page no="336"?> 377 Gradwohl, Hügel, 235. 378 Meyer, Art. περιτέμνω, 75. 379 Ebd. 380 Gradwohl, Hügel, 239. Alternativ spricht er von einem „erhöhten Ort, an dem die Be‐ schneidung vollzogen wurde und darunter oder daneben die Vorhäute vergraben wurden“ (ebd.). Seiner Meinung nach wäre zu überlegen, ob auch andere Tempelbezirke einen entspr. „Vorhäutehügel“ besaßen, (a. a. O. 240). 3.5 Der Ritualort und die Ritualzeit 3.5.1 Der Ritualort: am Ufer des Jordan Innerhalb der biblischen und rabbinischen Schriften thematisiert lediglich eine Erzählung den Ort, an welchem eine Beschneidung stattfindet, dies jedoch auf gleich mehrfache Weise: die Beschneidung der Wüstengeneration ( Jos 5,1-9). Die Ortsangaben, genauer die Ortswechsel, werden dabei nicht etwa zufällig erwähnt, sondern bilden geradezu den Anlass der beschriebenen Beschneidung: Die vorherige Generation war aus Ägypten ausgezogen und wanderte 40 Jahre durch die Wüste, רשא ועמש־אל לוקב הוהי - „weil sie Gottes Stimme nicht gehorcht hatten.“ ( Jos 5,6). Die in diesen Jahren geborene Generation war nicht beschnitten worden. Nach dem Versterben der aus Ägypten Ausgezogenen endet die Wüstenperiode mit der Durchquerung des Jordans ( Jos 3 f). Dieser Grenzüberschreitung folgt die Beschneidung der Wüstengeneration und die Feier des ersten Passahmahles. Als konkreter Ort der Beschneidung wird תעבג תולרעה - „der Hügel der Vorhäute“ benannt ( Jos 5,3). Dies habe bei לגלג / Gilgal stattgefunden, dessen Name daraufhin auf dieses Ereignis zurückgeführt wird ( Jos 5,9). Nach Meinung der Kommentatoren handelt es sich hierbei v. a. um eine äti‐ ologische Sage: „Sie sucht zu erklären, aus welchem Grund eine topographisch nicht näher bestimmbare Örtlichkeit in der Nähe Gilgals, eines bedeutenden frühisraelitischen Heiligtums, mit dem Namen ‚Hügel der Vorhäute‘ […] be‐ zeichnet wird.“ 377 Meyer lokalisiert diesen „Hügel der Vorhäute“ hingegen „[a]uf dem Boden des sicher vorisraelitischen Heiligtums Gilgal“. 378 Auch unabhängig von der Frage nach der zeitlichen wie religionsgeschichtlichen Einordnung un‐ terscheiden sich die abgeleiteten Erklärungen: Nach Meyer ist es die Bezeich‐ nung für den Ort, an dem die Beschneidungen durchgeführt werden, 379 nach Gradwohl vielmehr der Platz, an welchem die Vorhäute danach vergraben werden. 380 Beide Herleitungen scheinen vorstellbar und eine sichere Rekon‐ struktion ist wohl nicht mehr möglich. Neben dem תעבג תולרעה sind jedoch auch die anderen Ortsangaben der Erzählung von Aussagekraft für die Wahrnehmung speziell der Bedeutung der Beschneidung: In der Wüstenzeit wurde nicht beschnitten, sie endet mit dem Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 336 <?page no="337"?> 381 Nach Ex 12,48 ist die Beschneidung zudem die Voraussetzung für die Teilnahme am Passahmahl. 382 Vgl. dazu die beiden wesentlich mit der Johannestaufe verbundenen Ortsangaben: dem Kommen in die Wüste und dem Getauftwerden im Jordan. Zudem fällt auf, dass es sich in beiden Fällen bei den Ritualteilnehmern um Erwachsene handelt. Wenn nun Johan‐ nestaufe und Beschneidung als die beiden engsten Bezugsrituale der christlichen Taufe mit Wüste und Jordan in Verbindung gebracht werden, ist zu fragen, ob sie auch eine Relevanz für die christliche Taufe haben. Siehe ausführlich unter IV.3.8.5. 383 Siehe unter IV.3.6. 384 Siehe unter IV.3.4.1. 385 Zur Bedeutung sowie Deutungen der Beschneidung siehe ausführlich unter IV.3.7. Jordandurchzug. Ihm folgt eine Neubzw. Wiedereinsetzung der Beschneidung als dem Bundeszeichen - nachdem sich mit dem Betreten des Landes eine Bun‐ desverheißung erfüllt hat (Gen 17,8) und bevor mit dem Passahmahl die beson‐ dere Bundestreue Gottes sowie die Zugehörigkeit zu diesem Bund gefeiert werden (Ex 12). 381 Auch wenn es die Bedeutung(-en) der Beschneidung an spä‐ terer Stelle noch näher auszuführen gilt, so bleibt doch festzuhalten, dass Jos 5 als einzige Stelle, welche den Durchführungsort der Beschneidung überhaupt reflektiert, diese bei bzw. nach der buchstäblich grenzüberschreitenden Erfah‐ rung des Jordandurchzuges verortet. 382 Die in jüdischen Schriften diskutierten Ortsfragen richten sich nicht auf den Ort der Durchführung, sondern die korrekte Stelle an Penis bzw. Vorhaut. 383 Auch die neutestamentlichen Texte scheinen keinen besonderen Ort für die Be‐ schneidung vorauszusetzen (siehe etwa Lk 2,21; Apg 16,3). Den einzigen vagen Hinweis bietet Lk 1,59: ἦλθον περιτεμεῖν τὸ παιδίον spricht dafür, dass die Be‐ sucher zu dem Säugling kamen, also vermutlich ins Elternhaus. 3.5.2 Die Ritualzeit: Beschneidung vor Sabbatheiligung Nachdem das vorgesehene Beschneidungsalter, der 8. Lebenstag, bereits ver‐ handelt wurde, 384 bieten die alttestamentlichen Schriften keine weiteren Hin‐ weise auf eine bevorzugte Ritualzeit. Es scheinen sich jedoch später zwei den Zeitablauf betreffende Aspekte herausgebildet zu haben: 1) Das Beschneidungs‐ gebot steht im Ernstfall über der Sabbatheiligung ( Joh 7,22; bSchab 18,3). 2) Die Beschneidung wird stets tagsüber vollzogen (Pes 4). 3.6 Der Ritualablauf: das Abschneiden 3.6.1 Die Schilderung des Ritualablaufes Obwohl die Beschneidung für das Volk Israel von so erheblicher Bedeutung ist, 385 finden sich alttestamentlich (wie auch neutestamentlich) kaum Beschrei‐ 3 Beschneidung 337 <?page no="338"?> 386 Die rabbinischen Schriften diskutieren immer wieder, wo sich die Vorhaut genau be‐ findet, welche zu beschneiden ist und ziehen verschiedene alttestamentliche Stellen zur Begründung heran (siehe LvR 25; GnR 46). In diesem Zusammenhang werden auch drei andere „Vorhäute“ genannt, welche beschnitten werden können: die des Ohres (vgl. Jer 6,10), des Mundes (vgl. Ex 6,30) und des Herzens (vgl. Jer 9,25). Siehe ausführ‐ licher zur sog. „Herzensbeschneidung“ unter IV.3.7. 387 Blaschke, Beschneidung, 6. Zu dieser Einschätzung siehe ausführlicher Kaless, Circum‐ cision, 1. 388 Die folgende Aufzählung richtet sich nach Billerbeck, IV.1 Exkurse, 28-31, welcher die Liste wie die Reihenfolge aus einer Vielzahl von Quellen rekonstruiert. Entsprechende Belegstellen siehe dort. 389 Z. B. „Gepriesen sei, der uns geheiligt hat durch seine Gebote u. uns die Beschneidung befohlen hat! “ (bMen 42, ausführlicher zitiert in Billerbeck, IV.1 Exkurse, 30 f). 390 Z. B. „Gepriesen sei, der uns geheiligt hat durch seine Gebote u. uns befohlen, ihn (den Sohn) einzuführen in den Bund unseres Vaters Abraham.“ (bMen 42, ausführlicher zi‐ tiert in Billerbeck, IV.1 Exkurse, 30 f). bungen des konkreten Ritualablaufes, wie sie etwa Lev zu den verschiedensten Opferritualen bietet. Als mögliche Erklärungen kämen in Frage: 1) Der Ritual‐ ablauf ist ritologisch nicht weiter ausdifferenziert als das Erwähnte. 2) Der Vollzug ist den Beteiligten soweit bekannt, dass weitere Ausführungen über‐ flüssig sind. Oder 3) der konkrete Ablauf ist weniger relevant, solange das Ritual vollzogen wird, welches bereits durch die Ritualbezeichnung beschrieben ist. Zum Ritualablauf erfährt man alttestamentlich Folgendes: Eine zweite Person schneidet die Vorhaut 386 des Penis ab (Gen 17,11; Ex 4,25), also buchstäblich in das Fleisch (Gen 17,13). Die Erwähnung von רצ (Stein, Ex 4,25) und תוברח םירצ (Steinmesser, Jos 5,2 f) lassen vermuten, dass dazu ursprünglich aus Stein gefertigte Messer verwendet wurden. Es handelt sich dabei um „die wahr‐ scheinlich älteste Operation der Welt.“ 387 Die rabbinischen Schriften schildern später weitere Handlungen, welche sich an das eigentliche Abschneiden ( הלימ ) anschließen: 388 1) das Entblößen der Ei‐ chel ( העירפ ), 2) das Entfernen von zurückgebliebenen Fleischfasern, 3) das Aussaugen des Blutes, 4) Auftragen eines Pflasters und Kümmel ( ןוםכ ) auf die Wunde, 5) Festmahl zum Abschluss der Feier. 3.6.2 Mit der Beschneidung verbundene Einzelaspekte Im Kontext der Beschneidung werden in den rabbinischen Quellen weitere Ri‐ tuale berichtet: 1) Lobsprüche, welche der Beschneider, 389 der Vater 390 und die Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 338 <?page no="339"?> 391 Z. B. „Wie er eingetreten ist in den Bund, so möge er eintreten in die Tora, unter den Traubaldachin u. in gute Werke! “ (bMen 42, ausführlicher zitiert in ebd.). 392 PirqeREL 29: „Bei deinem Leben, nicht sollen die Israeliten den Bund der Beschneidung vollziehen, bis du es mit deinen Augen siehst! Auf Grund hiervon haben die Gelehrten verordnet, daß man für den Engel des Bundes (= Elias) einen Ehrensitz (während des Beschneidungsaktes) bereit halten soll.“ (zitiert nach a. a. O. 31). 393 Lk 2,21: Καὶ ὅτε ἐπλήσθησαν ἡμέραι ὀκτὼ τοῦ περιτεμεῖν αὐτὸν καὶ ἐκλήθη τὸ ὄνομα αὐτοῦ Ἰησοῦς […]. 394 Billerbeck, II. Markus, 107. 395 Meyer, Art. περιτέμνω, 81. Vgl. erst wesentlich später PirqeREl 48. 396 Vgl. die unter IV.3.4 dargestellte Diskussion, dass als Voraussetzung für einen Be‐ schneider einerseits das eigene Beschnittensein, andererseits die Verpflichtung auf den Bund diskutiert wird. Den beschnittenen Samaritanern mangelt es nach Einschätzung der Gelehrten offensichtlich an Zweiterem. Umstehenden 391 zu sprechen haben. 2) Das Bereitstellen eines Sessels, von wel‐ chem aus der Prophet Elias die Beschneidung verfolgen kann. 392 Darüber hinaus tauchen 3) im Kontext der Beschneidung zwei unterschied‐ liche Namensmotive auf: Zum einen wird diskutiert, ob mit der Beschneidung eines acht Tage alten Säuglings die Namensgebung verbunden wird. Während die beiden möglichen alttestamentlichen Belegstellen (Gen 17,5: Umbenennung Ab‐ rams im Kontext des Beschneidungsbundes; Gen 21,3 f: Namensgebung und Be‐ schneidung Isaaks) nicht überbewertet werden sollten, haben die beiden neu‐ testamentlichen Beschneidungserzählungen zu Johannes (Lk 1,59) und Jesus (Lk 2,21) 393 geradezu ihr Ziel in der Namensgebung: Καὶ ἐγένετο ἐν τῇ ἡμέρᾳ τῇ ὀγδόῃ ἦλθον περιτεμεῖν τὸ παιδίον καὶ ἐκάλουν αὐτὸ ἐπὶ τῷ ὀνόματι τοῦ πατρὸς αὐτοῦ Ζαχαρίαν (Lk 1,59). Jedoch sind diese beiden Verse auch „die Hauptzeugnisse für die Sitte, mit der Beschneidung die Namensgebung zu ver‐ binden“, 394 während sie „aus dem zeitgenössischen Judentum nicht zu belegen ist.“ 395 Zum anderen wird bezüglich der Vergleichbarkeit der Beschneidung von Is‐ raeliten und Samaritanern erwähnt, dass Letzteren, obwohl selbst beschnitten, das Beschneiden von Israeliten zu untersagen ist, „weil sie auf den Namen des Berges Garizim beschneiden.“ (t AS 3,12 f) 396 Der Garizimbezug ist dabei weniger als Ortsangabe als vielmehr als Hinweis auf die Bedeutung bzw. Gebundenheit des Rituals zu werten, entsprechend der Bundesschlusserzählung (Gen 17) für die Beschneidung Israels. Dass nun gerade zwei neutestamentliche Text die Beschneidung grundlegend mit der Namensgebung verbinden, ist mit Blick auf eine christliche Taufe „εἰς τὸ ὄνομα τοῦ κυρίου Ἰησοῦ“ (vgl. Apg 19,5) und überhaupt dem „Namen“ als 3 Beschneidung 339 <?page no="340"?> 397 Siehe unter IV.3.8.6 sowie V.5. 398 Westermann, Genesis 2, 320. 399 Ebd. Siehe ausführlich Wagner, Profanität, 447, dessen Grundthese lautet: „Die nach‐ exilische Gemeinde hat gefährdete Bräuche, die sie für wertvoll erachtete, in ihr sakrales System integriert und dadurch lebendig gehalten.“ Die Beschneidung sei zuvor nicht durchgehend vollzogen worden und habe zuvor keine religiöse Bedeutung gehabt. „Dieser Bedeutungsgewinn geht mit einer Sakralisierung einher, d. h. die Beschneidung erhält einen Stellenwert im Gedankengebäude des israelitischen Kultus, sie wird als Voraussetzung zur Mitgliedschaft in der Gemeinde und insbesondere zur Teilnahme am Pesach propagiert, […]“ (a. a. O. 462). 400 Siehe etwa Beyerle Vorhaut, 71 f. typischen ritologischen Motiv interessant zu beobachten und an späterer Stelle noch genauer auszuwerten. 397 3.7 Die Ritualfunktion und -deutung: das Bundeszeichen 3.7.1 Die Funktion(en) und Deutung(en) der Beschneidung 3.7.1.1 AT und Judentum Die Beschneidung hat bezüglich ihrer Deutung und Funktion eine erhebliche Ent‐ wicklung durchgemacht, welche hier nicht ausführlich dargestellt werden kann und braucht, da für die neutestamentliche Auseinandersetzung um die Be‐ schneidung und den Vergleich mit der christlichen Taufe v. a. die alttestament‐ lichen Haupttexte sowie die Deutung im zeitgenössischen Judentum des 1. Jh.s relevant sind, welche die Grundlagen für die folgende Darstellung abgeben. Lediglich zwei Grundthesen der entsprechenden Diskussion seien dem Fol‐ genden vorangestellt: 1) Die Übernahme der Beschneidung von einem anderen Volk sowie vergleichbare Beschneidungstätigkeiten bei den semitischen Nach‐ barn lassen vermuten, dass sie „[b]ei ihrer Übernahme […] daher keine spezi‐ fisch religiöse Bedeutung gehabt haben“ 398 kann. Dies würde auch erklären, warum sie in den älteren Gesetzeskorpora kaum vorkommt (lediglich in Lev 12,3 kurz erwähnt). 2) Dies ändert sich grundlegend im babylonischen Exil: „[…] jetzt wird (zumal die Babylonier die Beschneidung nicht üben) die Beschneidung zu einem Zeichen der Zugehörigkeit zum Volk Israel und damit zugleich zum Volk Jahwes. Dadurch wird es zum ‚Bundeszeichen‘ und erhält so religiöse Bedeu‐ tung“. 399 Neuere Studien widersprechen dem zwar nicht grundsätzlich, kommen aber zu dem Schluss, dass die Beschneidung erst in hellenistischer Zeit zum eigentlichen „Identitätsmarker“ des jüdischen Volkes wird. 400 Zunächst werden kurz verschiedene Thesen aufgelistet, welche die Literatur zur ursprünglichen Funktion der Beschneidung bietet. Im Folgenden werden Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 340 <?page no="341"?> 401 Die jeweiligen Vertreter der einzelnen Thesen gehen entweder von der Exklusivität ihrer Deutung aus oder können sich auch verschiedene Ursprungssituationen und damit -funktionen vorstellen. 402 Meyer, Art. περιτέμνω, 75. Dazu ist jedoch anzumerken, dass LXX an dieser Stelle einen abgeänderten Textbestand bietet. 403 Dagegen Wagner, welcher hier - im Gegensatz zu den meisten anderen Beschnei‐ dungsstellen - eine eindeutige religiöse Bedeutung feststellt, den Text allerdings als weniger alt einordnet (Wagner, Profanität, 461 f). 404 Siehe dazu ausführlich Derby, Why did God. 405 Siehe z. B. Meyer, Art. περιτέμνω, 75. dann alttestamentliche und jüdische Deutungsmotive und Funktionsbestim‐ mungen zwar differenziert dargestellt und auf ihre gegenseitige Bezogenheit und Relevanz hin befragt, nicht aber weiter historisch eingeordnet. a) Die Frage nach der ursprünglichen Funktion Immer wieder wird versucht - hauptsächlich aus den Kontexten der alttesta‐ mentlichen Beschneidungstexte - Hinweise auf deren ursprüngliche Funk‐ tion(-en) 401 und Verortung zu gewinnen. Die Verschiedenartigkeit der Quellen, aber auch der hohe Spekulationsgrad des Ansinnens führten und führen in der Sekundärliteratur zu einer großen Vielfalt an Antwortversuchen, welche hier nicht weiter diskutiert oder gar bewertet, sondern lediglich mit ihren Bezugs‐ stellen kurz genannt werden sollen. a. a Auslösungsritual: Ausgehend von der Verhütung des Angriffes Gottes auf Mose durch die Beschneidung (Ex 4,24-26) wird diese gedeutet als „Auslösung, wozu die altwestsemitische Wurzel *hatana = [ver]heiraten, beschneiden […] zu vergleichen ist.“ 402 Da Ex 4 zumeist als ältester alttestamentlicher Beleg für die Beschneidung gewertet wird, 403 kommt dieser möglichen funktionalen Ver‐ ortung eine besondere Bedeutung zu. 404 a. b Hochzeitsbzw. Mannbarkeitsritual: V.a. Gen 34,16, aber auch Ex 4,24-26 und Jos 5,2-9 werden immer wieder dafür ins Feld geführt, dass es sich bei der Beschneidung ursprünglich um ein Mannbarkeitsbzw. Hochzeits‐ ritual gehandelt hat. 405 Während in Gen 34 der Hochzeitsbezug offensichtlich ist, indem die Beschneidung zur Voraussetzung erklärt wird, um danach םעל דחא (Gen 34,16) sein zu können, so stützt man sich in den anderen Belegstellen v. a. darauf, dass in ihnen - anders etwa als die Anweisung in Gen 17 - Erwach‐ sene beschnitten werden. a. c Pubertätsritual: Ebenfalls mit Bezug auf Jos 5,2.8 f, doch m. E. eher auf Grund von vergleichenden religionsgeschichtlichen Aspekten (Initiationsritual häufig im Pubertätsalter, zudem an den Genitalien) wird die Beschneidung ur‐ 3 Beschneidung 341 <?page no="342"?> 406 Siehe Orelli, welcher diese Deutung auch exklusiv versteht (zitiert bei Hermisson, Sprache, 64 f). 407 Siehe Zimmermann, Beschneidung, wibilex, letzter Zugriff 02. 07. 2015. 408 Billerbeck, IV.1 Exkurse, 32. 409 Siehe zu den entsprechenden Diskussionen um Voraussetzungen und Auswirkungen unter IV.3.3 sowie IV.3.4. 410 Wird die Wirksamkeit der Beschneidung vom Bundesbezug abhängig gemacht, wird dies oft mit dem Nachvollzug des Rituals durch die Herzensbeschneidung in Verbindung gebracht. Siehe ausführlicher unter IV.3.7.2. sprünglich in der Pubertät verortet. Der Übergang zur Säuglingsbeschneidung hätte die Bedeutung damit grundlegend verändert. a. d Reinheitsritual: Ausgehend von Lev 12,3, wo die Beschneidung im Kontext der Reinigungsvorschriften für Wöchnerinnen erwähnt wird, kann auch die Beschneidung selbst als Reinigungsritual aufgefasst werden. 406 a. e Antike Erklärungsversuche: Angaben zur (ursprünglichen) Funktion der Beschneidung bei antiken Autoren werden gemeinhin als sekundär eingestuft, 407 da aus den Quellen v. a. der Rechtfertigungswunsch spricht, den Vollzug der Beschneidung - entgegen Vorbehalten etwa der griechisch-hellenistischen Ge‐ sellschaft - als vernünftig aufzuweisen. Herodot spricht bspw. von ursprünglich medizinisch-hygienischen Gründen (Hdt. 2,37). Philo schreibt sogar ausführlich über die Bedeutung der Beschneidung in anderen Völkern (Philo spec. I 1-11) und versucht auf diese Weise die Sinnhaftigkeit ihrer Ausübung zu unter‐ mauern. b) Göttliche Einsetzung und „wirkliche Beschneidung“ Welche Bedeutung und Wirkung die Beschneidung hat, wird wesentlich auf ihre göttliche Einsetzung zurückgeführt (Gen 17,9-11). Alttestamentliche Texte kennen bekanntlicher Weise auch andere beschnittene Völker. An keiner Stelle jedoch wird deren Beschneidung mit dem Beschneidungsbund und dessen Ver‐ heißungen in Verbindung gebracht. Ebenso reflektieren später auch rabbinische Schriften, dass die „wirklich Beschnittene[n] nur die Israeliten seien, vermutlich weil diese allein die Beschneidung auf ein Gottesgebot zurückführen konnten.“ 408 (siehe Ned 3,11). Dies kann sogar zu der Feststellung führen, dass ein (begründet) nicht beschnittener Israelit, der sich dem Bundesschluss verpflichtet fühlt, als „beschnitten gilt“, während ein beschnittener Nicht-Israelit als „nicht beschnitten gilt“. 409 M. E. hängt die Bedeutung und Wirkung der Beschneidung des jüdischen Volkes damit nicht allgemein an dessen göttlicher Einsetzung, sondern vielmehr konkret an der Funktion als Bundeszeichen. 410 Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 342 <?page no="343"?> 411 Für einen Überblick über verschiedene Arten von Bundesschlüssen und ihre jeweilige Ratifizierung, sowie einer entsprechenden Einordnung des Beschneidungsbundes siehe Kline, Oath, 13-25. 412 Zimmermann, Beschneidung, wibilex, letzter Zugriff: 02. 07. 2015. Diesbezüglich wird gelegentlich Ex 4,24-26 angebracht, wo die Beschneidung zur Abwehr des göttlichen Strafgerichtes zu dienen scheint. Jedoch sind zeitliche Einordnung wie auch Deutung der Stelle allgemein schwierig. Siehe z. B. Derby, Why did God. 413 Wenn auch eine historische Einordnung und Bewertung hier nicht geleistet werden kann, so sei dennoch erwähnt, dass die Beschneidung im Kontext der großen Geset‐ zeskorpora und den damit in Verbindung gebrachten Bundesschluss am Sinai keine Rolle spielt. Lediglich Lev 12,3 spricht von der Beschneidung am 8. Tag ohne weiter darauf einzugehen. c) Begründung von Zugehörigkeiten c. a) Zugehörigkeit zu Gott - das Bundeszeichen: Die Beschneidung als תוא תירב (Zeichen des Bundes, Gen 17,11) begründet die Zugehörigkeit des Beschnittenen zum Bund Gottes auf der Grundlage des Bundesschlusses mit Abraham und seinen Nachkommen. Ohne die Art des Bundesschlusses 411 und all seine Wir‐ kungen darstellen zu können, sei lediglich erwähnt: Die Beschneidung םכרשבב (an eurem Leib, Gen 17,13) ist bleibender Ausdruck weniger dafür, dass sich der Beschnittene an Gott bindet, schon gar nicht der Säugling, als vielmehr dafür, dass sich Gott an ihn bindet. Das Motiv „Nachkomme bzw. Erbe Abrahams“ zu sein, bedeutet demnach, zu denen zu gehören, zu denen Gott unumstößlich spricht: … תויהל ךל םיהלאל („Ich bin euer Gott …“, Gen 17,7). Auch alle sich anschließenden Verheißungen werden schlicht begründet mit יתייהו םהל םיהלאל … („… und / denn ich bin ihr Gott“, Gen 17,8). Es handelt sich entsprechend um einen „bedingungslosen Gnadenbund“, 412 sieht man von der Beschneidung als einziger Verpflichtung auf Seiten des Men‐ schen und einer allgemeinen Ermahnung zu einem Gott gefälligem Leben ab, welche aber nicht direkt Gegenstand des Bundesschlusses ist (Gen 17,1). 413 Ent‐ sprechend scheint die Beschneidung in den Zusammenhängen als (teilweise einzige) Voraussetzung betont zu werden, in denen der Erweis der Bundestreue Gottes gefeiert wird, wie etwa beim Passahmahl (Ex 12,44-51; Jos 5,2-9). Die Konsequenzen einer Beschneidungsverweigerung unterstreichen zudem deren Bedeutung im Rahmen des Bundesschlusses: התרכנו שפנה אוהה הימעמ (seine Seele soll aus dem Volk ausgerottet werden, Gen 17,14). Zwei weitere Deutungsmomente beziehen sich auf den Bundesschluss: 1) Gelegentlich wird die Beschneidung in Gen 17 als Pendant des Opfers des Bundesschlusses in Gen 15,9-11.17-20 verstanden, als das Blut, das den Bund besiegelt. Entsprechend wird ein Einritzen auch von solchen Babys verlangt, welche ohne Vorhaut geboren werden: „Man muß von dem Blut des Bundes 3 Beschneidung 343 <?page no="344"?> 414 Zitiert nach Billerbeck, IV.1 Exkurse, 34. 415 Bei der Berufung des Abram wird diesem zudem verheißen, dass Segen und Fluch an‐ derer Völker sich an ihm entscheiden (Gen 12,3). tröpfeln lassen.“ (tSchab 15,9). 414 2) Anlass der Neueinsetzung der Beschneidung in Jos 5 ist das Erleben der Bundestreue Gottes: Er befreit von der Schande Ägyptens, er errettet aus der Wüste - das wird sodann im gemeinsamen Pas‐ sahmahl erinnert und gefeiert. c. b) Zugehörigkeit zum Volk: Dass die Beschneidung neben der vertikalen auch eine horizontale Dimension hat, belegt nicht allein die Aufforderung zum Aus‐ schluss aus dem Volk (Gen 17,14). Die Bindung Gottes an Abraham geht mit der Volkwerdungsverheißung einher (Gen 17,6 f). Zwar findet sich diese bereits im ersten Bundesschluss, welcher noch keine Beschneidung kennt, dennoch be‐ gründet Gen 17, wo Erwählung Israels und Volkwerdung Israel gemeinsam er‐ zählt werden, die doppelte Funktion der Beschneidung, nicht allein als religiöses Bundeszeichen, sondern eben auch Volks- und Gemeinschaftsinitiationsritual. Wo Volks- und Religionsgemeinschaft deckungsgleich gedacht werden, kann das Initiationsritual nie allein eine religiöse oder gar individuelle Funktion haben. c. c) Zugehörigkeit zur familiären Kultgemeinschaft: Zur Zugehörigkeit zum Volk im Allgemeinen kommt die Zugehörigkeit zur konkreten familiären Kult‐ gemeinschaft, welcher neben der eigentlichen Familie auch Sklaven und ggf. sich dazu haltende Freie angehören. Entsprechend trägt das Familienoberhaupt nicht allein die Verantwortung zur Beschneidung der eigenen Söhne, sondern auch der geborenen und zugekauften Sklaven (Gen 17,12 f), sowie die Regelung der Zulassung zum Passah, die ja an der Beschneidung hängt (Ex 12,44.48). Dass dem Familienvater diese Verantwortung obliegt, bedeutet nicht zwangsläufig, dass er auch die Beschneidung durchzuführen hat. d) Beschneidung und die Verheißungen des Bundes Der Beschneidungsbund ist mit zwei (teilweise bereits aus Gen 15 bekannten) Verheißungen verbunden: 1) Nachkommen- und Volkwerdungsverheißung, 2) Landverheißung. 415 d. a) Nachkommen- und Volkwerdungsverheißung: Inwieweit die Beschnei‐ dung sowohl Zeichen für den Bund als auch für die Eingliederung in das Volk darstellt, wurde bereits erwähnt. Diese Verheißung begründet ein ganzes Mo‐ tivfeld der „Sohnschaft bzw. Nachkommenschaft Abrahams“, welches sich auf konkrete Verheißungen und deren rechtmäßige Erben beziehen oder auch all‐ gemein das Volk bezeichnen kann. Abraham wird sogar verheißen, dass er zum Vater vieler Völker werden soll (Gen 17,4 f). Außerdem liegt nahe, dass der Ri‐ Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 344 <?page no="345"?> 416 Zur Motivik von Ritualen an den (männlichen) Geschlechtsorganen siehe Glick, Flesh, 17-20. 417 Beyerle interpretiert die Reihenfolge der Schilderungen in 1Makk 1,45-49.59 f dahin‐ gehend, dass das Beschneidungsverbot zwar zu den Folgen des Gräuels gehört, dieses aber zuvorderst Opfer, Tempel und Gesetz trifft (Beyerle, Vorhaut, 43). 418 1Makk 1,47-51: Einstellen der Opfer; Abschaffung des Sabbat und der Feste; Entwei‐ hung des Tempels und des Volkes; Errichtung fremder Altäre, Tempel und Götzenbilder; Opferung von Schweinen und anderen unreinen Tieren; Verbot der Beschneidung; Ge‐ wöhnung an Unreinheiten und heidnische Bräuche. tualablauf, eine Veränderung am männlichen Fortpflanzungsorgan, mit einer Fruchtbarkeitsmotivik in Verbindung gebracht bzw. gedeutet wird. Um dies je‐ doch sicher behaupten zu können, bräuchte es weitgehende Ritualvergleiche. 416 d. b) Landverheißung: Das verheißene Land wird nach Auskunft anderer Quellen ( Jer 9,24 f) teilweise von Völkern bewohnt, welche selbst beschnitten sind. Dies wird alttestamentlich an keiner Stelle thematisiert. Als das Volk nach 40 Jahren in der Wüste das Land jedoch erneut betritt, berichtet Jos 5,2-8 zuerst von der Wiedereinsetzung der Beschneidung in Vorbereitung auf das Passahfest. Dies kommt im Erzählduktus des Hexateuch einer erneuten Verpflichtung des Volkes auf den Bund gleich, dessen Verheißung mit dem Jordandurchzug in Er‐ füllung geht. Die Verheißungen des Bundes werden stets in einem besonderen Verhältnis zur Beschneidung bzw. ihres Vollzuges wahrgenommen, nicht zuletzt deshalb, weil sie den menschlichen Pflichtpart des Bundesschlusses darstellt. e) Beschneidung als Bekenntniszeichen und Identitätsmarker Im Umfeld von Nachbarvölkern, welche selbst die Beschneidung üben, kann zwar grundsätzlich deren Bedeutung reflektiert werden, etwa in Rückführung der eigenen Beschneidungspraxis auf einen Bundesschluss mit Gott, ein ausge‐ prägtes Verständnis des Rituals als originäres Bekenntniszeichen oder gar Iden‐ titätsmarker des jüdischen Volkes ist für diese Situation jedoch schwer vor‐ stellbar. Es lassen sich jedoch drei Epochen der Geschichte des Volkes Israel feststellen, welche dieses in eine veränderte Situation führen und mit einer Be‐ deutungsentwicklung der Beschneidung einhergehen. Aus der Zeit des babylonischen Exils entstammen die Texte der Priester‐ schrift, zu welcher nicht zuletzt Gen 17 gehört. Die zweite Epoche stellt die seleukidische Herrschaftszeit dar, welche neben der Tempelentweihung v. a. das Beschneidungsverbot (1Makk 1,48) mit sich bringt. Bei Zuwiderhandlungen werden Kind, Mutter und der jeweilige Beschneider hingerichtet (1Makk 1,64). 417 Beyerle interpretiert die Reihenfolge, in denen die Gräueltaten aufgezählt werden, 418 dahingehend, dass die Auswirkungen auf Opfer, Tempel und Gesetz 3 Beschneidung 345 <?page no="346"?> 419 Beyerle, Vorhaut, 43. In ähnlicher Weise beurteilt er die Bedeutung des Beschneidungs‐ verbotes nach 2Makk (siehe a. a. O. 43 f). 420 A. a. O. 55. 421 A. a. O. 55 f. 422 Lerle, Proselytenwerbung, 47. Anfang des 2. Jh.s n. Chr. schließlich vergleicht (oder verwechselt) Kaiser Hadrian die Beschneidung mit einer Kastration und untersagt sie bei Todesstrafe. 423 Siehe dazu ausführlich bei Cohen, Beginnings, 25-68. 424 Vgl. weiterhin 1Kor 7,18; Flav.Jos.Ant. XXII 5,1. Das Unkenntlich- oder auch Rückgän‐ gigmachen der Beschneidung wird als Bundesbruch verstanden und eine erneute Be‐ schneidung wird gefordert, siehe etwa tSchab 15,9. Billerbeck, IV.1 Exkurse, 33 f, bieten und diskutieren eine Reihe an Beispielen, wer angeblich einen Epispasmos habe voll‐ ziehen lassen. 425 Beyerle, Vorhaut, 72. Entsprechend auch Collins, Symbol, 224, und Spann, Circumcision, 241. als schwerwiegender empfunden wurden, als auf die Beschneidung. 419 Dies scheint mir jedoch eine fragliche Schlussfolgerung, insofern die Beschneidung unbestritten als Zulassung zur Religionsgemeinschaft und damit zur Kultaus‐ übung verstanden wird. Es ist vielmehr eine Wechselwirkung der Einzelaspekte der Verfolgungssituation wahrzunehmen. Schließlich ändert sich die Situation erneut mit Aufkommen der grie‐ chisch-römischen Kultur, welche einerseits die Beschneidung als „barbarischen Akt“ (Hdt 2,37) versteht und andererseits eine „sehr positive Haltung zur Nackt‐ heit“ 420 etwa bei der Ausübung von Sport hat: „Erst dadurch konnte ja die Be‐ schneidung als Identitätsmarker sichtbar werden. Zumindest war hier ein An‐ lass für, vor allem innerjüdische, Konflikte gegeben.“ 421 Nun sichtbar geworden und oftmals Ziel des Spotts, 422 erlangt die Beschneidung erstmals die Bedeutung eines tatsächlichen identity markers. 423 Entsprechend hart wird über die geur‐ teilt, welche einen Epispasmos, eine künstliche Verlängerung bzw. Wiederher‐ stellung der Vorhaut, vornehmen lassen (1Makk 1,15). 424 Dennoch hält Beyerle den praktizierten Monotheismus für ein „viel schärferes Unterscheidungskrite‐ rium zwischen Judentum und hellenistisch-römischer Umwelt, als es das indi‐ viduelle Ritual der Beschneidung je hätte sein können.“ 425 Zusammenfassend lässt sich jedoch sagen, dass zur Weiterentwicklung der Beschneidung hin zum Identitätsmarker des jüdischen Volkes wesentlich deren Verbot bzw. Verspot‐ tung beigetragen haben. f) Beschneidung und Konversion Eine der wenigen alttestamentlichen Stellen, welche die Konversion eines Mannes zum Judentum erzählt, findet sich in Jdt 14,6-10 LXX : Angesichts des Wirken Gottes durch Judith kommt Achior zum Glauben an den Gott Israels: […] Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 346 <?page no="347"?> 426 Deutsche Übersetzung: Septuaginta Deutsch. 427 Siehe unter IV.3.7.1 e. 428 Siehe etwa die Untersuchung von McEleney, Conversion, 328, welcher die Akzeptanz von unbeschnittenen Proselyten unter bestimmten Umständen in Teilen des Judentums des 1. Jh. s für möglich hält. Eine ausführliche Beurteilung, der dort genannten Stellen, bietet Nolland, Proselytes, 12. 429 Weitere Stellen bei Josephus und wie diese einzuschätzen sind, siehe auch Harrison, Josephus and Paul. 430 Nolland, Proselytes, 194. 431 Für einen Überblick siehe z. B. Siegert, Gottesfürchtige. 432 Lerle, Proselytenwerbung, 26. Siehe ausführlicher unter IV.4. καὶ περιετέμετο τὴν σάρκα τῆς ἀκροβυστίας αὐτοῦ καὶ προσετέθη εἰς τὸν οἶκον Ισραηλ ἕως τῆς ἡμέρας ταύτης - „[…] und er ließ sein unbeschnittenes Fleisch beschneiden und wurde dem Haus Israel hinzugefügt bis zu diesem Tage“ ( Jdt 14,10 LXX ). 426 Damals wie heute ist immer wieder angefragt worden, ob die Beschneidung für eine Konversion zum Judentum tatsächlich unverzichtbar ist. Gründe dafür mögen Vorbehalte erwachsener Männer gegenüber der Durchführung oder auch die negative Beurteilung des Rituals in der griechisch-römischen Gesell‐ schaft sein, welche nicht allein die Proselyten zögern lassen, sondern sogar Juden zum Epispasmos verleiten. 427 Verschiedene Belegstellen 428 werden dies‐ bezüglich diskutiert, wobei Flav.Jos.Ant. XX 38-46, die Konversion des Königs Izates von Adiabene, die tragfähigste sein dürfte, 429 da in ihrem Kontext festge‐ halten wird: καὶ χωρὶς τῆς περιτομῆς τὸ θεῖον σέβειν […] - „Er könne Gott dienen auch ohne beschnitten zu sein […]“ (Flav.Jos.Ant. XX 41). Es ist jedoch Nolland zuzustimmen, welcher festhält, dass es sich hier einerseits um eine Ausnahmefigur und damit ggf. auch Ausnahmefall handelt und andererseits dennoch gilt: „Even Izates was considered something less than a proselyte (= a Jew) in his uncircumcised but pious state.“ 430 Wenn also auch umfassend belegt ist, dass bei den sog. „Gottesfürchtigen“, welche sich zur jüdischen Gemeinde halten, durchaus Abstufungen zu erkennen sind, etwa in dem Umfang, dem sie sich dem Gesetz verpflichtet fühlen, 431 so kann dies für tatsächliche Proselyten nicht gelten: „Ein Nichtjude, der an den Gott Israels glaubt, aber den Übertritt nicht vollzogen hat, wird durch seine Geisteshaltung weder Halbjude noch Vierteljude, sondern bleibt Vollheide, der keinen Anteil an den Gütern des auserwählten Volkes hat.“ 432 g) Einzelaspekte der Beschneidung g. a) Beschneidung und das Gesetz: Keiner der typischen alttestamentlichen Be‐ schneidungstexte reflektiert deren Verhältnis zum Gesetz bzw. findet die Be‐ 3 Beschneidung 347 <?page no="348"?> 433 Siehe IV.3.7.2. 434 Siehe die Ausführungen unter IV.3.7.1 f, sowie die Überlegungen von Siegert, Gottes‐ fürchtige. 435 Siehe unter IV.4.7.1 f. 436 Zimmermann, Kinderbeschneidung, 40. Zu weiteren Bedeutungsaspekten, welche die Kinderbeschneidung gefördert haben können, siehe unter IV.3.4.1 Exkurs: Entstehung und Begründung der Kinderbeschneidung. 437 Zitiert nach Billerbeck, III. Briefe, 628. Philo begründet dies in folgender Weise: „Denn da unter den Verlockungen durch Lüste die geschlechtliche Gemeinschaft mit der Frau den Siegespreis davonträgt (den ersten Platz einnimmt), so erschien es den Gesetzge‐ bern gut, das dem Geschlechtsverkehr dienende Werkzeug zu entspitzen, indem sie damit auf das Wegschneiden der allzu großen Lust anspielen, nicht bloß einer (Lust), sondern durch die eine gewaltigste zugleich auch aller übrigen […].“ (ebd.). schneidung keinerlei Erwähnung im Rahmen der älteren Gesetzeskorpora. Doch auch Dtn spricht lediglich von der Herzensbeschneidung. 433 Nur eine kurze Er‐ wähnung im Vorfeld des Bundesschlusses in Gen 17 kann dahingehend gedeutet werden: היהו םימת … (… und sei rechtschaffen, Gen 17,1). Dass spätestens im 1. Jh. n. Chr. die Beschneidung als Verpflichtung auf das gesamte Gesetz ver‐ standen wurde, lässt sich aus entsprechenden Überlegungen zur Konversion entnehmen, welche im Vollzug des Rituals den entscheidenden Unterschied zu verschiedenen freiwilligen Verpflichtungen der Gottesfürchtigen verorten. 434 g. b) Beschneidung und der Freiwilligkeitsaspekt: Angesichts einer göttlich an‐ geordneten Säuglingsbeschneidung ist zu fragen, inwieweit von einem freiwil‐ ligen Vollzug gesprochen werden kann. Im Kontext der Seleukidenherrschaft wird erwähnt, dass Mattatias unbeschnittene Jungen sogar mit Gewalt hat be‐ schneiden lassen (1Makk 2,45 f). Außerdem wird umgekehrt das mit dem Tod bestrafte Zuwiderhandeln gegen ein Beschneidungsverbot als Vorbild hinge‐ stellt (1Makk 1,60 f; 2Makk 6,10). Tatsächliche Freiwilligkeit ist somit lediglich bei Nichtjuden zu konstatieren, welche sich mit der Beschneidung zum vollen Proselytentum entscheiden. 435 g. c) Beschneidung als Bedingung für eine bessere postmortale Existenz: Be‐ stimmte Texte der Exilszeit werten die Beschneidung als Voraussetzung für eine gute Existenz in der Totenwelt (Ez 28,8-10; 31,18; 32,17-32). „[D]ies könnte in Verbindung mit der hohen Kindersterblichkeit zur verstärkten Übung der Kin‐ derbeschneidung beigetragen haben.“ 436 Es finden sich jedoch alttestamentlich keine vergleichbaren Aussagen. g. d) Weitere Bedeutungsaspekte in der jüdischen Literatur: In der außertesta‐ mentarischen jüdischen Literatur finden sich eine Reihe an weiteren Bedeu‐ tungsaspekten, welche der Beschneidung zugerechnet werden. So hält sie etwa Philo für ein Symbol „für das Wegschneiden der Lüste, die den Verstand betören“ (Philo, De Circumcisione 2). 437 Erst die Beschneidung würde den Menschen Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 348 <?page no="349"?> 438 Billerbeck, IV.1 Exkurse, 32. Entsprechende Aussagen finden sich v. a. in polemischen Auseinandersetzungen (Belegstellen siehe a. a. O. 35 f) und führen bis zur Spitzenbe‐ merkung, die Vorhaut sei die Unreinheit aller Unreinheiten, der Fehler aller Fehler (Pirqe REl 29). 439 Horn, Verzicht, 480. In ähnlicher Weise können die kommentarlosen Erwähnungen der Beschneidungen von Johannes dem Täufer (Lk 1,59), Jesus (Lk 2,21) und Paulus (Phil 3,5) gedeutet werden. Vgl. auch der Befund zu Qumran nach Betz, Beschneidung, 718: „In den Qumranschriften ist die Beschneidung als etwas Selbstverständliches vo‐ rausgesetzt und deshalb nur in bildlichem Sinne erwähnt.“ vollkommen machen, „während die Vorhaut ihn verächtlich erscheinen läßt.“ 438 Dass aber nicht allein die Vorhaut, sondern mindestens ebenso der Ritualvollzug entscheidend ist, zeigt sich etwa in der Anweisung, dass selbst die Jungen, welche ohne Vorhaut geboren werden, an der entsprechenden Stelle eingeritzt werden sollen (tSchab 15,9). 3.7.1.2 NT Die einzige neutestamentliche Äußerung zur Beschneidung, welche auf Jesus zurückgeführt wird ( Joh 7,22 f), thematisiert das Verhältnis zum Sabbatgebot und deren Einsetzung, nicht aber ihre Bedeutung. Horn erklärt die Nichterwäh‐ nung mit ihrer Selbstverständlichkeit: „Die Beschneidung ist im palästinischen Judentum nahezu außerhalb jeder Diskussion.“ 439 Umso eindrücklicher stellt sich der Kontrast dar, dass in Apg und Corpus Paulinum die Beschneidung bzw. das Beschnittensein nicht nur erwähnt, son‐ dern in seiner Bedeutung und Wirkung umfangreich diskutiert werden. Die teilweise überspitzten Argumentationen gehören dabei fast ausschließlich in den Kontext der Frage nach der Beschneidungspflicht für ursprünglich heidni‐ sche Christusgläubige. a) Beschneidung als Bundeszeichen Auch in den neutestamentlichen Schriften wird die Beschneidung mit grund‐ sätzlichem Bezug auf den Bund verstanden: καὶ ἔδωκεν αὐτῷ διαθήκην περιτομῆς - „und er gab ihm [Abraham] den Bund der Beschneidung“ (Apg 7,8). Entsprechend werden an ihr von Paulus auch die Bundesverheißungen thema‐ tisiert: Auf die Frage hin, ob es für die Juden einen Gewinn habe, beschnitten zu sein, antwortet Paulus, dass die im Bund und der Beschneidung begründete Treue Gottes auch weiterhin Bestand hat (Röm 3,1-4). Gleichzeitig sieht Paulus den Beitrag Abrahams zu seiner Erwählung, nämlich dessen Glauben, vor dem eigentlichen Bundesschluss (Röm 4,9 f). Und so will er auch die Verheißung, welche auf der Nachkommenschaft Abrahams liegt, zeitlich dort verortet wissen - nämlich vor und geradezu unabhängig von der Beschneidung: καὶ 3 Beschneidung 349 <?page no="350"?> 440 Die Bezeichnung οἱ ἐκ τῆς περιτομῆς kann dabei einerseits wertneutral diejenigen be‐ nennen, welche dem Beschneidungsbund angehören (Röm 4,12), andererseits kann die Formulierung auch eine polemische Tendenz annehmen, wo sie im Kontext der Dis‐ kussion um die Beschneidungsforderung und ihrer Ablehnung zur abwertenden Be‐ zeichnung für Juden Verwendung findet (siehe z. B. Tit 1,10). 441 Näheres zum Motiv des Siegels siehe ausführlich bei Dölger, Sphragis. 442 Siehe unter IV.3.7.1 g. a. 443 Vgl. dagegen Joh 7,22, wo eben diese Vorstellung, die Beschneidung sei ἐκ τοῦ Μωϋσέως, korrigiert wird mit ἀλλ’ ἐκ τῶν πατέρων. πατέρα περιτομῆς τοῖς οὐκ ἐκ περιτομῆς μόνον ἀλλὰ καὶ τοῖς στοιχοῦσιν τοῖς ἴχνεσιν τῆς ἐν ἀκροβυστίᾳ πίστεως τοῦ πατρὸς ἡμῶν Ἀβραάμ. - „Er ist auch der Vater der Beschnittenen, wenn sie nicht nur beschnitten sind, sondern auch in den Fußstapfen gehen des Glaubens unseres Vaters Abraham, als er noch unbeschnitten war.“ (Röm 4,12). 440 Die soteriologische Wirkung, welche Gen 17 dem Ritual der Beschneidung zuspricht, liegt nach paulinischem Verständnis demnach allein auf der Verheißung, „Abraham zum Vater zu haben“, welche Paulus an die πίστις gebunden sieht (Röm 4,12). b) Beschneidung als Siegel der Gerechtigkeit Die Beschneidung empfängt Abraham dafür, dass Gott ihm seinen Glauben zur Gerechtigkeit angerechnet hat. Paulus bezeichnet und versteht die Beschnei‐ dung dabei als σημεῖον (Zeichen; Röm 4,11) und als σφραγίς τῆς δικαιοσύνης τῆς πίστεως (Siegel der Gerechtigkeit des Glaubens; Röm 4,12). 441 c) Beschneidung und das Gesetz Neben dieser positiv bestätigenden Funktion wird der Beschneidung in Apg und von Paulus v. a. eine negative Bedeutung beigemessen, denn ἀνθρώπῳ περιτεμνομένῳ ὅτι ὀφειλέτης ἐστὶν ὅλον τὸν νόμον ποιῆσαι - „ein beschnittener Mensch ist verpflichtet, das gesamte Gesetz zu halten“ (Gal 5,3; vgl. 3,10). Ein Aspekt, welcher im AT nicht explizit zu finden ist, aber im Kontext des Prose‐ lytentums im 1. Jh. vermehrt diskutiert wird. 442 Während Paulus den Ursprung der Beschneidung beim Abrahambund ver‐ ortet, findet sich in der Apg die Vorstellung einer τῷ ἔθει τῷ Μωϋσέως / τὸν νόμον Μωϋσέως - „nach dem Gesetz des Mose“ (Apg 15,1.5; 21,12), wobei Mose vermutlich in seiner Funktion als Gesetzesmittler verstanden wird. 443 Doch auch unabhängig von dieser Vorstellung betont Paulus ebenso immer wieder den grundlegenden Zusammenhang zwischen Beschneidung und Gesetz (Röm 2; Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 350 <?page no="351"?> 444 Zur Bewertung des Verhältnisses der unterschiedlichen Bundesschlüsse (Abrahams‐ bund, Gesetzesbund) durch Paulus siehe ausführlich Kline, Oath, 22-25. 445 Zu dem Aspekt der „wirklichen Beschneidung“ bzw. des „als Beschnittensein gelten“ siehe weiter unter IV.3.7.1.2 f. 446 Siehe ausführlich unter III.1.2.2. 447 Zum Motiv des ὑπὸ νόμον siehe ausführlich unter III.1.2. 448 Dass Paulus mit dieser Begründung der Ablehnung der Beschneidung keinerlei zeitge‐ nössische jüdisch-hellenistische Vorstellungen aufgreift, sondern eigenständig argu‐ mentiert, siehe ausführlich bei Barclay, Paul and Philo, sowie Harrison, Josephus and Paul. Gal 6,13) 444 und leitet daraus ab: Περιτομὴ μὲν γὰρ ὠφελεῖ ἐὰν νόμον πράσσῃς· ἐὰν δὲ παραβάτης νόμου ᾖς, ἡ περιτομή σου ἀκροβυστία γέγονεν. - „Denn die Beschneidung nützt, wenn du das Gesetz tust, wenn du aber das Ge‐ setz nicht tust, ist deine Beschneidung zur Unbeschnittenheit geworden“ (Röm 2,25). Im Umkehrschluss wertet er die Gesetzesbefolgung durch einen Unbeschnittenen als εἰς περιτομὴν λογισθήσεται (Röm 2,26). 445 Beide, Apg wie Paulus, sehen daher an die Beschneidungsforderung folge‐ richtig die Verpflichtung auf das Gesetz gebunden (Apg 15,5; Gal 2,4). Paulus will darin den eigentlichen Grund für die Beschneidungsforderung der sog. ψευδαδελφοί ausgemacht haben (Gal 2,4; 6,12). Für ihn hingegen ist die funktio‐ nale Beschaffenheit des Gesetzes der Hauptgrund einer Beschneidungsver‐ pflichtung für Heidenchristen zu widersprechen, genauer sie für „nichtchrist‐ lich“ zu erklären: Das Gesetz verstanden als ὁ παιδαγωγός versklavt, beaufsichtigt, straft den letztlich Unmündigen (Gal 3,15-29). 446 Ist jemand dem Gesetz verpflichtet, so steht er ganz und gar ὑπὸ νόμον (z. B. Gal 3,23). 447 Da nun Glaube und Taufe als Befreiung vom Gesetz verstanden werden, widerspricht der Vollzug der Beschneidung an ursprünglich heidnischen Christusgläubigen dem Wirken Christi (Gal 5,3 f). 448 d) Beschneidung und Konversion zum christlichen Glauben Die grundsätzliche Entscheidung über die Notwendigkeit der Beschneidung bei einer Konversion zum Christusglauben fällt auf dem Apostelkonzil: Die nach Antiochia kommenden Juden bestehen auf der Heilsnotwendigkeit der Be‐ schneidung (Apg 15,1). Petrus jedoch hat bei Cornelius und seinem Haus selbst erlebt, wie Unbeschnittene den Geist Gottes empfangen (Apg 10,44-48). Für Paulus widerspricht die Beschneidung gar dem befreienden Handeln Christi (Gal 5,2-4). Dennoch plädiert Paulus nicht für eine grundsätzliche Abschaffung der Beschneidung, wie sein Einspruch gegen einen Epispasmos bei Juden‐ christen verdeutlicht (1Kor 7,18). Seine Ablehnung der Beschneidung für Hei‐ denchristen gilt demnach nicht der Beschneidung in der Fülle ihrer Funktionen. 3 Beschneidung 351 <?page no="352"?> 449 Näheres zur Neubewertung und -verteilung der einzelnen Funktionen der Beschnei‐ dung siehe unter IV.3.8.7. 450 Vgl. IV.3.7.1.1 c. 451 Siehe Näheres unter IV.3.7.2.1. 452 Siehe unter IV.3.7.1.1 b. 453 Siehe ausführlich unter IV.3.7.2.1. Ansonsten müsste er auch einer fortgehenden Beschneidung von Judenchristen widersprechen. Für diese bleibt die Beschneidung aber Volks- und Bundeszei‐ chen. Sie verliert jedoch ihre soteriologische Bedeutung - für Judenwie Hei‐ denchristen - an die christliche Taufe. 449 e) Zugehörigkeit zu Gott und zum Volk Dass die Beschneidung die Zugehörigkeit zu Gott und seinem Volk begründen würde, 450 dem widerspricht Paulus dezidiert: „Denn es ist nicht derjenige ein Jude, der es äußerlich ist, es ist auch nicht diejenige die Beschneidung, die im Fleisch ist, sondern es ist derjenige ein Jude, der es im Verborgenen ist und das ist die Herzensbeschneidung, die im Geist und nicht im Buchstaben geschieht“ (Röm 2,28 f). 451 f) „wirkliche Beschneidung“ Wird auch die Frage danach, was die „wirkliche Beschneidung“ ist bzw. „als beschnitten gilt“, bei Paulus in ähnlicher Weise thematisiert wie in rabbinischen Schriften, 452 verfolgt sie doch ein konträres Ziel: Die Beschneidung ἐν σαρκὶ χειροποιήτου (Eph 2,11 f) wird entweder 1) als defizitär bzw. ergänzungsbe‐ dürftig angesehen ( Jer 4,4: + Herzensbeschneidung; Phil 3,3: + Heiligen Geist) oder 2) eine übertragene Bedeutung der Beschneidung kann der tatsächlichen sogar entgegen gestellt werden (Röm 2,25 f). 453 g) ob beschnitten oder unbeschnitten … Von der Diskussion über die „wirkliche Beschneidung“ grundsätzlich zu unter‐ scheiden sind diejenigen Stellen, welche der Unterscheidung bzw. dem Unter‐ schied von Beschneidung und Nichtbeschneidung die Relevanz absprechen: οὔτε γὰρ περιτομή τί ἐστιν οὔτε ἀκροβυστία - „es ist / gilt weder Beschnitten‐ sein noch Unbeschnittensein“ (Gal 6,15, siehe auch Gal 5,6; Kol 3,11, vgl. auch Gal 3,28a; 1Kor 12,13). Dieser paulinische, ggf. bereits vorpaulinische Topos findet sich auffällig oft im Kontext von Tauftexten und hat an keiner Stelle das Ziel, die Beschneidung für Judenchristen abzuschaffen, sondern führt letztlich durch einen Vergleich mit der christlichen Taufe zu einer Neubestimmung der Bedeutung der Beschneidung „nach bzw. seit der Taufe“. Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 352 <?page no="353"?> 454 Gal 5,12: Ὄφελον καὶ ἀποκόψονται οἱ ἀναστατοῦντες ὑμᾶς. - „Mögen sie sich doch auch entmannen / zerschneiden lassen, die euch aufhetzen.“ 455 Einen Überblick über den paulinischen Sprachwitz siehe bei von Campenhausen, Witz. 456 Lev 26,41; Dtn 10,16; 30,6; Jer 4,4; 9,24 f; Ez 44,9. Siehe auch weitere mit diesem Motiv assoziierte Stellen z. B. Ex 6,12 (unbeschnittene Lippen); Jer 6,10 (unbeschnittene Ohren). 457 Siehe unter IV.3.1. h) paulinisches Wortspiel Die Abwehr einer falsch verstanden Beschneidung nimmt bei Paulus sogar po‐ lemische Züge an, indem er Vertreter der Beschneidungsforderung als τὴν κατατομήν bezeichnet (Phil 3,2). Karikiert wird hierbei, wie auch in Gal 5,12, 454 der Ritualablauf. 455 3.7.2 Die übertragen(en) Bedeutung(en) der Beschneidung 3.7.2.1 Herzensbeschneidung im AT An insgesamt sechs Stellen erwähnt das AT eine Beschneidung des Herzens. 456 Die Texte lassen klar erkennen, dass das Motiv direkt auf die körperliche Be‐ schneidung Bezug nimmt: 1) Es wird konkret die תולרע םכבבל (die Vorhaut eures Herzens, Jer 4,4) benannt. 2) Beide Tätigkeiten werden mit identischer Wortwahl beschrieben: לומ bzw. περιτέμνω / ἡ περιτομή. 457 Selbst das Nichtbeschnittensein - an Körper wie Herz - wird über die gleiche Begrifflichkeit ausgedrückt: לרע ( Jer 9,25). 3) Deutungsmotive der körperlichen Beschneidung werden indirekt oder auch direkt mit der Herzensbeschneidung in Verbindung gebracht: a) Werden sich die unbeschnittenen Herzen demütigen, wird Gott seines Bundes mit A‐ braham, Isaak und Jakob gedenken und des Landes (Lev 26,41 f). b) Aufruf zu Umkehr und Herzensbeschneidung, weil Gott sie aus allen Völkern erwählt hat (Dtn 10,15 f). c) Auf die Betonung von Land- und Volkwerdungsverheißung folgt die Ankündigung einer Herzensbeschneidung durch Gott (Dtn 30,5 f). d) Dass Menschen, die unbeschnitten an Körper und Herz sind, den Tempel betreten und dort Dienst getan haben, wird als Bundesbruch gewertet (Ez 44,7). 4) Einige Texte handeln dezidiert von dem Verhältnis zur körperlichen Be‐ schneidung: a) Die Unbeschnittenheit von Fleisch und Herz der Israeliten wird unkommentiert - zusammengehörig - erwähnt (Ez 44,7-9). b) Den körperlich unbeschnittenen Heiden werden am Herzen unbeschnittene Israeliten gegen‐ über gestellt ( Jer 9,25). 3 Beschneidung 353 <?page no="354"?> 458 Ruwe, Beschneidung, 90. 459 Hermisson weist jedoch zu Recht darauf hin, dass das Motiv „zu einer bloßen Rede‐ wendung abgeblast“ ist (Hermisson, Sprache, 71). 460 LvR 25 (123), ausführlich zitiert in Billerbeck, IV.1 Exkurse, 27. 461 Hermisson, Sprache, 76. 462 Ebd. 463 Ebd. 464 Ruwe, Beschneidung, 90. 465 A. a. O. 94. 466 Ebd. Darüber hinaus werden der Herzensbeschneidung aber auch weitere Bedeu‐ tungsaspekte beigemessen: Ein unbeschnittenes Herz zu haben, bedeutet, Gott untreu zu sein und ihm zuwider zu handeln (Lev 26,40). Die Beschneidung ent‐ spricht dann der Entscheidung, „nicht mehr halsstarrig“ zu sein (Dtn 10,16) - „d. h. jene hartnäckige Widerständigkeit gegenüber Gott und seinen Weisungen zu beseitigen“. 458 Dies ermöglicht, Gott zu lieben, seine Stimme zu hören und so seine Gebote zu befolgen (Dtn 30,6-8). Buße und Her‐ zensbeschneidung schützen vor dem Gottesgericht ( Jer 4,4). Das Motiv der Beschneidung kann des Weiteren auch auf Ohren ( Jer 6,10) und Lippen (Ex 6,12.30) 459 angewendet werden und meint dort die Untauglich‐ keit zum Hören bzw. Sprechen. In der Wirkungsgeschichte dieser Texte wird von den insgesaMt 4 Vorhäuten eines Menschen vor Ohr, Mund / Lippen, Herz und Glied gesprochen. 460 Die konkrete Bedeutung der Herzensbeschneidung ist also aus der Verhält‐ nisbestimmung zur körperlichen Beschneidung abzuleiten. Eine relativ klas‐ sisch kultkritische Interpretation bietet z. B. Hermisson: Während es sich ur‐ sprünglich um nur einen geschlossenen Vorgang gehandelt hat, konnte „der Ritus […] zum bloß äußerlichen Ritus werden, der die Haltung des Menschen nicht mehr in sich beschloß.“ 461 Die Herzensbeschneidung wurde daraufhin als „Zeichen der Annahme des von Jahwe aufgerichteten Bundes“ gefordert. 462 „Der Vollzug des Ritus wird damit nicht in Frage gestellt. Hinter der Formel steht die Erkenntnis: Beschneidung ist ja - wesentlich: Beschneidung des Herzens. So erlangt die Beschneidung in dieser Interpretation ihren eigentlichen Sinn.“ 463 Auch Ruwe betont, dass die Herzensbeschneidung die körperliche nicht ersetzen soll, 464 sondern sie „vielmehr als wechselseitig aufeinander bezogene Vorgänge“ zu verstehen sind. 465 Die Herzensbeschneidung ist für ihn eine ethische und religiöse Zuspitzung der Beschneidung und entsprechend meint er zu Jer 4,4: „[…] ist vielleicht so zu verstehen, daß die Herzensbeschneidung als einzig JHWH -gemäße Ausführung des überkommenen Körperrituals interpretiert wird.“ 466 Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 354 <?page no="355"?> 467 So Hermisson, Sprache, 76: „Daß jedoch solche spiritualisierende Deutung auch zur Aufgabe des Ritus führen kann, ist nicht zu bestreiten, ist aber jedenfalls nicht ihre Intention. Dieser Weg ist dann erst - von einem anderen Ausgangspunkt her - im Neuen Testament beschritten worden.“ Dagegen Ruwe, Beschneidung, 94. 468 Siehe Déaut, circoncision, 178-205. 469 Eine Auflistung siehe bei Paganini, Art. לומ , 593 f. 470 Siehe u. a. LvR 25 (123). Exemplarisch an Hermisson und Ruwe wird deutlich, dass das Verhältnis der beiden Vorgänge an Hand der Stellen interpretiert wird, welche beide dezidiert benennen: Ez und Jer. Dass aber sämtliche Textstellen auf die eine oder andere Weise auf Motive des Bundesschlusses mit Abraham anspielen oder diese direkt auf die Herzensbeschneidung beziehen, ist dabei nicht im Blick. Es ist demnach nicht allein nach dem Verhältnis zum Ritual der Beschneidung zu fragen, son‐ dern nach dem kompletten Bundesbezug. Die Herzensbeschneidung wird, v. a. in den Dtn-Texten, in der gleichen Funktion wahrgenommen wie die Beschnei‐ dung in Gen 17: als einzigen Beitrag des Menschen. Dabei sind zwei Aspekte spürbar: Einerseits erscheint die Herzensbeschneidung verbunden mit der Auf‐ forderung zu Buße und Wandel der Lebensführung als ein Entschluss des Men‐ schen. Andererseits lässt sie die Tatsache, dass man sich nicht allein beschneiden kann, in Dtn 30,6 gar Gott als Beschneider genannt wird, wie auch die ver‐ wandten Motive der Ohren- und Lippenbeschneidung, eher als die Vorausset‐ zung des geforderten gottgefälligen Lebens erscheinen. Vermutlich konnte die Herzensbeschneidung beide Aspekte transportieren: Voraussetzung wie Wille zu einem Leben gemäß des Bundes, wobei die Bundestreue sowohl die Liebe zu Gott als auch das Halten seiner Gebote einschließt. Je nach Interpretation der Herzensbeschneidung steht am Ende die Frage, ob das Auftauchen dieses Motives zur Abschaffung der Beschneidung beiträgt. 467 M. E. unterstützt und verdeutlicht die Tradierung dieses Motives, welches zu‐ tiefst und grundlegend mit dem Ritualvollzug und dessen Bedeutung verbunden ist, eher die begründete Fortführung der Beschneidung, gerade auch in solchen Zeiten und Gesellschaften, welche ihr kritisch gegenüber stehen. Jedenfalls stellt die reiche Wirkungsgeschichte 468 der Herzensbeschneidung in Qumran 469 und den rabbinischen Quellen 470 das eigentliche Ritual nie in Frage. In welchem Ver‐ hältnis das Motiv im NT aufgegriffen wird und ggf. in einen Zusammenhang mit der Abschaffung der Beschneidung gebracht wird, ist im Folgenden zu klären. 3 Beschneidung 355 <?page no="356"?> 471 Siehe ausführlich unter IV.3.8.7. 472 Siehe ausführlich gerade mit Blick auf die sich daraus ergebenden Berechtigungen etwa zum Beschneidungsvollzug unter IV.3.4.2. 3.7.2.2 Herzensbeschneidung im NT Von einer dezidierten Herzensbeschneidung spricht allein Röm 2,28: περιτομὴ καρδίας. In der Frage nach dem Nutzen der Beschneidung für die Juden spricht Paulus demnach von der Notwendigkeit einer Beschneidung des Herzens, welche ἐν πνεύματι οὐ γράμματι vollzogen wird. Das allein macht einen Men‐ schen - körperlich beschnitten oder nicht - zu einem Ἰουδαῖός und rettet ihn (Röm 2,28 f). In zwei weiteren Texten innerhalb des Corpus Paulinum wird allerdings auf eine zweite Beschneidung angespielt: Kol 2,11 f spricht von einer Beschneidung ἀχειροποιήτῳ, durch welche der fleischliche Körper ausgezogen und Sünden vergeben werden - ἐν τῇ περιτομῇ τοῦ Χριστοῦ. Der Folgevers legt nahe, dass dieser Vorgang mit der christlichen Taufe identifiziert wird. 471 Weniger eindeutig spricht die Formulierung, dass es solche gibt, die περιτομῆς ἐν σαρκὶ χειροποιήτου (Eph 2,11), dafür, dass es auch anderweitig Beschnittene gibt (Eph 2,11 f). Der unmittelbare Kontext (Eph 2,5 f.10, vgl. Röm 6,3 f) verweist auch hier auf die Taufe. Die Beschneidung ἐν σαρκὶ wird als defizitär oder gar ganz nutzlos darge‐ stellt, solange sie nicht durch die Herzensbzw. eine weitere Beschneidung er‐ gänzt wird. Dass dabei vom Judesein (Röm 2,28 f) bzw. der Zugehörigkeit zum Bund (Eph 2,12 f) gesprochen wird, zeigt erneut, wie nahe das Motiv an den Bedeutungsaspekten der körperlichen Beschneidung angesiedelt ist. Näher zu klären bliebe die Zuordnung zu bzw. Funktion des Geistes (ἐν πνεύματι) bzw. Christi (τοῦ Χριστοῦ, ἐν αὐτῷ) in diesem Zusammenhang. Da Formulierung wie Kontext allerdings direkt auf die Taufe verweisen, gehört dies in den Rahmen des Gesamtvergleiches von Beschneidung und christlicher Taufe. 3.7.2.3 Faktisch unbeschnitten „Beschnittene“ Judentum wie Christentum kennen Menschen, welche unbeschnitten sind, je‐ doch - gerade gegenüber Beschnittenen - als Beschnittene bezeichnet und be‐ handelt werden. Das Judentum kennt dies als Ausnahmefall bei solchen Jungen, denen bereits mehrere Brüder zuvor an der Beschneidung verstorben sind. Ihrer Bundestreue wegen gelten sie im Gegensatz zu tatsächlich beschnittenen Nicht‐ juden als „beschnitten“. 472 Die ist nicht als Geringschätzung des Rituals der Be‐ schneidung zu verstehen, sondern als Klärung über ihre eigentliche Bedeutung, welche nicht opere operato dem bloßen Vollzug zu eigen ist, sondern im Kontext Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 356 <?page no="357"?> des Bundesschlusses verstanden sein will. Letztlich in gleicher Weise ist die Aussage des Paulus, ἡμεῖς γάρ ἐσμεν ἡ περιτομή (Phil 2,14), welche unbeschnit‐ tene Christusgläubige meint, zu deuten. 3.8 Ertrag und Vergleich mit der christlichen Taufe Der Vergleich von Beschneidung und christlicher Taufe auf der Grundlage der biblischen Schriften unterliegt einer doppelten Problematik: Zum einen sind schon die Darstellungen und Deutungen der Beschneidung Entwicklungen und zeitabhängigen Tendenzen unterworfen. Zum anderen lassen die neutestament‐ lichen Texte, welche sich dezidiert der vergleichenden Betrachtungen der Ri‐ tuale Beschneidung und christlicher Taufe widmen, klare argumentative Ab‐ sichten und teilweise Polemik erkennen. Derartige Passagen finden sich ausschließlich in den Briefen des Paulus und dienen unbestreitbar dem Wider‐ spruch gegen eine Beschneidung von Heidenchristen. Geht man jedoch von der differenzierten ritologischen Darstellung der Be‐ schneidung in den biblischen und außerbiblischen Schriften aus und zieht zu‐ gleich auf Seiten der Taufe auch andere Texte heran, so erscheint die Beschnei‐ dung längst nicht mehr als bloßes „Anti-Ritual“ zur christlichen Taufe, sondern erweist sich gerade für die paulinischen Taufdeutungen ebenso als (positiver) Bildspender: Einerseits integriert Paulus wesentliche Deutungsaspekte der Be‐ schneidung in seine Tauftheologie, andererseits lassen diese traditionsgeschichtli‐ chen Vorgänge gerade deutlich werden, dass die Beschneidung, und nicht etwa die Johannestaufe, das Ritual ist, an welchem sich für die frühchristlichen Gemeinden die Bedeutung der Taufe entscheidet und entwickelt wird. In der Konsequenz hat diese doppelte Bezogenheit der Taufe auf die Beschneidung im paulinischen Verständnis, auch wenn dies an keiner Stelle expliziert wird, auch Auswir‐ kungen auf die Bedeutung der Beschneidung für Judenchristen. 3.8.1 Ritualbezeichnung: לומ , περιτέμνω und βαπτίζω - Verben Insgesamt ist der Sprachgebrauch zur Beschneidung im Hebräischen wie im Griechischen sehr einheitlich - in beiden Sprachen können לומ und περιτέμνω / ἡ περιτομή als terminus technicus für das Ritual gelten. Auffällig dabei ist, dass die Bezugnahme der übertragenen Bedeutung von לומ auf das Ritual als so gewichtig empfunden wird, dass auch diese trotz alternativer Ausdrücke im Übersetzungsprozess der LXX einheitlich mit περιτέμνω wiedergegeben wird. Auch wenn es keine direkte Beziehung zwischen den Ritualbezeichnungen von Beschneidung und Taufe gibt, sind doch zwei Aspekte festzustellen: 1) Der Beschneidungsbegriff als Kategoriebeschreibung für eine Gruppe von Personen 3 Beschneidung 357 <?page no="358"?> 473 Der Begriff wird dabei oft, aber eben auch nicht immer in seiner übertragenen Bedeu‐ tung verwendet, siehe ausführlich unter IV.3.8.7. 474 Gleichzeitig sprechen die paulinischen Texte von der Beschneidung fast ausschließlich als ἡ περιτομή, einem Terminus, welcher sich in der LXX fast nicht findet. 475 Siehe ausführlich unter IV.3.8.7. 476 Siehe ausführlich unter IV.2.8.2. Dass die alttestamentlichen wie zeitgenössischen jü‐ dischen Waschungen nicht als direkter Ursprung der christlichen Taufe verstanden werden können, wurde bereits dargestellt, siehe unter IV.1.3 und IV.5.5. Entsprechende Missverständnisse werden durch den terminus technicus βαπτίζω sowie das passive Element abgewehrt. wird in den paulinischen Schriften auf verschiedene Gruppierungen von Chris‐ tusgläubigen angewendet, welche mindestens teilweise körperlich unbe‐ schnitten sind. 473 2) Beide Rituale werden nach ihrem Ritualablauf benannt, wobei die Texte, welche noch um die Bedeutung des Rituals ringen, v. a. Gen 17 und Jos 5 und die paulinischen Tauftexte, den Verlauf beschreibende Verben ( לומ / περιτέμνω, βαπτίζω) den durchaus bekannten Substantiven ( הלומ , τὸ βάπτισμα) vorziehen. 474 M. E. gibt es dafür einen doppelten Grund: Erstens ver‐ wendet Paulus in seinen Tauftexten formelhafte Wendungen (Röm 6,3b; Gal 3,27a), welche offensichtlich im Verbalstil formuliert sind. Zweitens wollen diese, möglicherweise auch weil sie aus der unmittelbaren Taufliturgie ent‐ stammen, wie auch die Argumentationen des Paulus weniger das Ritual an sich betonen, als viel mehr das, was in und durch das Ritual an dem Getauften ge‐ schieht. Damit wird, auch ohne dass Details des - ohnehin bekannten - Ritu‐ alablaufes dargestellt oder diskutiert werden, der eigentliche Ritualvollzug in seiner Bedeutung betont. 475 3.8.2 Ritualursprung: Bundesschluss vs. Sterben und Auferstehen Christi Soweit auch der konkrete religionsgeschichtliche Ursprung der Beschneidung Israels ungeklärt bleibt, ist dennoch unzweifelhaft deutlich, dass ein Ritual mit ganz ähnlichem Vollzug sowohl vor der Einführung in Israel als auch zeitgleich bei benachbarten Völkern praktiziert wird. Neben dieser - biblisch bekannten - Tatsache steht die alttestamentliche Ursprungserzählung des Bundesschlusses mit Abraham (Gen 17) und die Erzählung von der (dazu konkurrenzlosen) Wiederbzw. Neueinsetzung der Beschneidung ( Jos 5) als Antwort auf die Bun‐ destreue Gottes. Dass sowohl bei der Beschneidung als auch bei der christlichen Taufe ein Ritual zum Initiationsritual gewählt bzw. gedeutet wird, welches mit gleichem Ablauf in der unmittelbaren zeitlichen und räumlichen Umgebung bereits existiert (Be‐ schneidungen außerhalb Israels bzw. Johannestaufe 476 ), zieht auch ähnliche Aus‐ wirkungen nach sich: Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 358 <?page no="359"?> 477 So findet sich wiederholt die Angabe, dass regulär am 8. Tag zu beschneiden sei (be‐ gründet als Gottesgebot, Gen 17,12) und nicht etwa erst im Pubertäts- oder Erwachse‐ nenalter bzw. dass die christliche Taufe εἰς Χριστόν zu vollziehen ist. 478 Vgl. entsprechend die vermehrte Thematisierung der Erzählung in Zeiten, in denen die Beschneidung durch Verfolgung oder auch Verspottung zur Disposition steht. 1) Der Ablauf ist nicht diskutabel, sondern als bekannt oder anderweitig ein‐ deutig, z. B. aus der Ritualbezeichnung, vorausgesetzt. Es finden sich daher keine Darlegungen des oder Anweisungen für den Ritualvollzug. Hierzu finden sich höchstens Erwähnungen und Begründungen von derartigen Details, die zu be‐ kannten Ritualvorgängern differieren. 477 2) Es besteht vielmehr eine erhöhte Notwendigkeit die Bedeutung des jeweiligen Rituals - in Abgrenzung zu den ähnlichen Ritualen - herauszustellen, was we‐ sentlich über die Ursprungserzählung bzw. das Ursprungsereignis geschieht: Die Beschneidung hat ihre Ursprungserzählung im Bundesschluss Gottes mit Ab‐ raham (Gen 17). Die christliche Taufe wird auf das Sterben, Begrabenwerden und Auferwecktwerden Christi zurückgeführt (ausführlich in Röm 6,3 f). Diese Ursprungsbestimmungen finden sich entsprechend in Kontexten wieder, wo Bedeutung und Relevanz des jeweiligen Rituals existentiell angefragt werden: Die Entstehung von Gen 17 wird zumeist auf die Zeit des babylonischen Exils zurückgeführt, in welchem die Beschneidungspraxis erstmals als etwas Eigentümliches des jüdischen Volkes begründet werden muss und über die Bun‐ desschlusserzählung als Bundeszeichen qualifiziert wird. 478 Die paulinischen Tauftexte kreisen dagegen stets um die Bedeutung des Rituals im Kontext der paulinischen Theologie und entsprechend folgen der tradierten Formel, welche nach paulinischen Verständnis den Bezug der Taufe auf das Sterben und Aufer‐ stehen Christi maximal verkürzt ausdrückt, ἐβαπτίσθημεν/ ἐβαπτίσθητε εἰς Χριστὸν Ἰησοῦ, stets Erläuterungen zur Art des Verhältnisses der Taufe zu ihrem Ursprungs‐ ereignis, wie z. B. 1) Auswirkung des Erlebens Christi auf die vertikale Beziehung des Getauften (Gal 3,27b.28d; 1Kor 12,13); 2) Auswirkung des Erlebens Christi auf die horizontalen Beziehungen der Getauften (Gal 3,28a-d; 1Kor 1,13-17; 12,13-20); und 3) Taufe als Mitvollzug des Erlebens (Röm 6,3-11), der ausführ‐ lichsten Darstellung dieser Art. 3.8.3 Ritualleiter: Hauptsache kein Selbstvollzug Wie unvorstellbar ein Selbstvollzug der Beschneidung für die biblischen wie nachbiblischen Texte ist, zeigen die Diskussionen zur Person des Beschneiders, um die Beschneidung Abrahams, divergierende Aussagen zur Herzensbeschnei‐ dung sowie rabbinische Diskussionen zur Person des Beschneiders, welche selbst einen beschnittenen Nichtisraeliten für möglich halten, solange es nur 3 Beschneidung 359 <?page no="360"?> 479 Ggf. ist 1Kor 1,17 dahingehend zu interpretieren, dass Paulus ein Zusammenfallen von Täufer und Verkündiger in einer Person, vermutlich wegen der Gefahr der Überbewer‐ tung dieser Person von Seiten des zum Glauben Kommenden, für unangebracht hält. Dies wäre damit die einzige Einschränkung, welche sich im NT ausmachen ließe. 480 Siehe unter III.4.2. 481 Siehe unter III.4.3.3.2. kein Samaritaner ist. Angesichts der zwingenden Notwendigkeit eines Be‐ schneiders erstaunt, dass die alttestamentlichen wie neutestamentlichen Texte gar keine Anforderungen für diese Person kennen oder auch nur bevorzugte Funktionsträger o. ä. benennen und auch die rabbinischen Schriften sämtliche Israeliten grundsätzlich für geeignet halten, solange sie nur selbst beschnitten und bundestreu sind - selbst Sklaven, Minderjährige und Frauen, wobei letztere faktisch unbeschnitten sind. Dies entspricht dem neutestamentlichen Befund zur Funktion bzw. Person des Täufers: Er ist zwingend notwendig und dennoch werden keinerlei Voraussetzungen benannt. 479 Die bisherigen Untersuchungen haben zu der These geführt, dass Grundlage dessen die Überzeugung ist, dass das eigentlich in der Taufe wirksame Geschehen, nämlich das Sterben, Begrabenwerden und Auferwecktwerden Christi, bereits zuvor vollbracht wurde und Christus zugleich der eigentlich Handelnde und Wirkende in der Taufe ist. 480 Zwei Aspekte des Vergleiches mit der Beschneidung würden dafürsprechen: 1) Auch die Beschneidung kennt bereits die Vorstellung der (Mit-)Wirkung Gottes. Einerseits ist er es, der den Bund mit Abraham schließt und begründet, andererseits kann er bei der Herzensbeschneidung di‐ rekt als Ritualleiter identifiziert werden. 2) An der Stelle, an welcher die Be‐ schneidung am Deutlichsten zum Bildgeber für die christliche Taufe wird, Kol 2,11, wird letztere bezeichnet als ἡ περιτομή τοῦ Χριστοῦ. Dafür, dass dies als Genitivus subjectivus zu verstehen ist, nämlich als eine Beschneidung, welche von Christus selbst vollzogen wird, und nicht etwas als Genitivus objectivus, als eine Beschneidung zu Gunsten oder mit Bezugnahme auf Christus, spricht nicht allein die Interpretation des σύν-Motives als eines mehr und für des Wirkens Christi, 481 sondern auch ein vergleichender Blick in die LXX , welche eine Be‐ schneidung zu Gunsten Gottes stets formuliert als περιτμήθητε τῷ θεῷ ( Jer 4,4). 3.8.4 Ritualteilnehmer: alle vs. wirklich alle Zu beschneiden ist jeder männliche Angehörige eines jüdischen Haushaltes, ob er nun hineingeboren wird, hinzugekauft oder eingeheiratet. Die Beschneidung erfolgt am 8. Lebenstag bzw. sobald er hinzukommt. Spätere alttestamentliche Bücher kennen solche, die am Herzen beschnitten sind. Nachbiblische Schriften diskutieren die Vergleichbarkeit von unterschiedlich Beschnittenen anhand Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 360 <?page no="361"?> 482 Zur Zeit der Kirchenväter kommt etwa die Diskussion auf, warum Jüdinnen nicht be‐ schnitten werden und in welcher Weise sie dann Anteil am Heil erlangen, siehe Lieu, Circumcision. 483 Martin, circumcision, 125. ihres Bundesbezuges. In neutestamentlichen Schriften wiederum wird das Be‐ schnittensein als Gruppenbezeichnung für unterschiedliche Gruppen faktisch Beschnittener wie Unbeschnittener verwendet. Die Teilnehmer von Beschneidung und christlicher Taufe teilen zwei we‐ sentliche Gemeinsamkeiten: „Alle“ haben sich dem Ritual zu unterziehen und entsprechend scheint es keine zu erbringenden Zugangsvoraussetzungen von Seiten des Ritualteilnehmers zu geben. 1) „alle“: Die alttestamentlichen Texte betonen seit dem Bundesschluss, dass alle sich beschneiden lassen sollen ( לכ ). Lediglich zwei Aspekte, nämlich der Ritualablauf (eine Frauenbeschneidung wäre ein anderes Ritual als die Männer‐ beschneidung) und die Ritualbedeutung (Initiationsritual in die jüdische Reli‐ gion), schränken das „alle“ auf natürliche Weise ein. Dafür, dass es sich dabei um Einschränkungen des „alle“ statt um Alternativen oder auch eine Auswahl handelt, an denen das Ritual zu vollziehen ist, dafür spricht etwa, dass es kein funktional vergleichbares Ritual für Frauen gibt. Die Beschneidung stellt damit das einzige Initiationsritual in die jüdische Religion dar. 482 In der christlichen Taufe sind beide Einschränkungen aufgehoben: Der Ritu‐ alablauf eines Ganzkörperuntertauchens ist in gleicher Weise an Frauen wie Män‐ nern vollziehbar. Die Ritualbedeutung - die Heilsmöglichkeit unabhängig von der vorherigen Volks- und Religionszugehörigkeit - eröffnet Juden wie Nicht‐ juden den gleichen Zugang. Am deutlichsten kommt dies im sog. Taufbefehl zum Ausdruck: πορευθέντες οὖν μαθητεύσατε πάντα τὰ ἔθνη, βαπτίζοντες αὐτοὺς εἰς τὸ ὄνομα τοῦ πατρὸς καὶ τοῦ υἱοῦ καὶ τοῦ ἁγίου πνεύματος (Mt 28,19). Doch bereits innerhalb des Corpus Paulinum sprechen Texte wie Gal 3,28a-c und 1Kor 12,13 nicht nur von einem unterschiedslosen Zugang zur Taufe, sondern auch von der gleichen (Heils-)Wirkung für alle Ritualteilnehmer. Entsprechend ist zu fragen, ob Paulus die dortigen Gegensatzpaarungen aus dem Vergleich der Taufe mit der Beschneidung heraus entwickelt. So verfolgt etwa Troy Martin die These: „These three pairs of antitheses occur in Gal 3: 28 not because of a fixed baptismal formula but because these are the antitheses established by the covenant of circumcision in determining who must be cir‐ cumcised.“ 483 Die Erwähnung von Herren und Sklaven, welche sich ja beide der Beschneidung zu unterziehen haben, erklärt er damit, dass letztere zwangsbe‐ schnitten wurden und sich nun für die Taufe frei entscheiden könnten. Die Frage nach der Freiwilligkeit des Vollzuges, welche an späterer Stelle ausführlicher zu 3 Beschneidung 361 <?page no="362"?> 484 Siehe unter IV.3.8.7. 485 Siehe unter VI.4. 486 Dem widerspricht Kurt Aland vehement, Aland, Kindertaufe, 67. 487 Zimmermann, Kinderbeschneidung, 68. 488 A. a. O. 68 f. thematisieren ist, 484 betrifft auch den zweiten Aspekt, welcher sowohl der Be‐ schneidung als auch der Taufe eignet: 2) keine zu erbringenden Zugangsvoraussetzungen: Die Festsetzung des Be‐ schneidungszeitpunktes auf den 8. Lebenstag, kann keine Vorableistungen des Beschnittenen, wie etwa ein Bekenntnis, voraussetzen. Ob den paulinischen oder sonstigen neutestamentlichen Tauftexten Taufvoraussetzungen, wie z. B. Buße oder Bekenntnis, zu entnehmen sind, soll an späterer Stelle zusammen‐ hängend dargestellt werden. 485 Hier sei lediglich erwähnt, dass das Aufgreifen von Beschneidungsmotivik in neutestamentlichen Tauftexten gelegentlich die Frage aufbringt, ob die mit der Kinderbeschneidung verbundene Voraussetzungslosigkeit auch für Taufe in Anspruch genommen werden kann und damit für eine Kinder‐ taufe spricht. 486 Zimmermann hält in seiner umfangreichen Untersuchung „Kin‐ derbeschneidung und Kindertaufe“ eine christliche Kindertaufe in neutesta‐ mentlicher Zeit zwar für durchaus möglich, versteht diese jedoch nicht als „eigenständige[n] theologische[n] locus“: 487 „Dennoch werden hier bereits the‐ ologische Grundlagen der Kindertaufe erkennbar, die mit den Grundmotiven der alttestamentlichen Kinderbeschneidung übereinstimmen: a) Vorauslau‐ fendes Gnadenhandeln Gottes, der Mensch ist ausschließlich Empfangender, b) Aufnahme des Kindes in die Familie als Glaubensgemeinschaft.“ 488 Die Frage nach der möglichen Bezugnahme einer Kindertaufe auf die Kinderbeschneidung ist jedoch nur ein Aspekt unter vielen in der Diskussion nach Vollzug der Kin‐ dertaufe in den ersten Generationen und deren Begründung(-en). 3.8.5 Ritualort: Das Wasser des Jordans Während sich ansonsten keinerlei Angaben zu einem bevorzugten Ort für die Beschneidung finden, bietet die einzige Ausnahmeerzählung ( Jos 5) gleich meh‐ rere, welche zudem symbolisch zu verstehen sind: Mit dem Durchzug durch den Jordan erfüllt sich nicht allein die Landesverheißung des Abrahambundes, son‐ dern bestätigt sich auch die Bundestreue Gottes, der aus Ägypten befreit und aus der Wüste errettet. Dies wird im ersten Passahmahl im neuen Land gefeiert. Gottes Versprechen stehen geradezu steinern fest, aber für das Volk ist es ein Grenzerlebnis - durch den Jordan hindurch. Diesen Ort, Wüste und Jordan, wählt Johannes der Täufer für seine Verkün‐ digung: Gottes Treue ist ungebrochen, aber das Volk hat den Bund wiederum Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 362 <?page no="363"?> 489 Zur Bedeutung der beiden Ritualorte der Johannestaufe siehe unter IV.2.5. 490 Siehe unter VI.5.2. 491 Zu denkbaren Gründen siehe unter IV.3.8.2. 492 Hermisson, Sprache, 69. 493 Vgl. dazu I.1.5. gebrochen und sollte sich lieber nicht allein auf seine Abrahamskindschaft ver‐ lassen. Doch er setzt nicht erneut die Beschneidung in Kraft, sondern fordert ein Bußritual, die Taufe im Jordan bzw. durch das Wasser des Jordans hin‐ durch. 489 Bereits Jesus löst sich mit seiner Wandertätigkeit von Wüste und Jordan und die christliche Taufe war wohl nie an diese Orte gebunden, sondern wie auch die Beschneidung von Anfang an ortsunabhängig. Doch bleibt sie in ihrer Bedeu‐ tung stets das, was die Beschneidung in Jos 5 und die sich darauf beziehende Johannestaufe waren: das Grenzritual, welches den Ritualteilnehmer (zurück) in den Bund mit Gott stellt - und zwar durch das Wasser hindurch. In dieser Motiv‐ linie wird wiederum deutlich, dass weder das Wasser des Jordan, ob nun in Jos 5 oder bei der Johannestaufe, noch das der Taufe einer Reinigung dienen, son‐ dern die Grenze und ggf. das Gefahrenmoment des Wassers symbolisieren, wie wir es auch in 1Petr 3,20 ausgedrückt finden: διεσώθησαν δι’ ὕδατος. Die Ritualzeit thematisieren weder die Primärtexte zur Beschneidung noch zur christlichen Taufe eingehend, wobei sich zu beiden in späterer Zeit Diffe‐ renzierungen ausmachen lassen. 490 3.8.6 Ritualablauf: permanenter Marker vs. vorübergehendes Erlebnis Das AT kennt keine ausführliche, gar ausdifferenzierte Beschreibung eines Be‐ schneidungsablaufes. 491 Erst später lagern sich teilweise ausdeutende, teilweise ergänzende Einzelrituale an den eigentlichen Beschneidungsakt an, wobei auf den eigentlichen Ritualakt, das Abtrennen der Vorhaut, an keiner Stelle ausdeutend eingegangen wird. Hermisson erklärt dieses Phänomen folgendermaßen: „Of‐ fenbar hat es ihr [der Priesterschrift, Anm. CM ] genügt, zu sagen, daß Jahwe den Ritus als Bundeszeichen geboten habe, und sie hat nicht gefragt, weshalb es gerade dieser Ritus sein mußte. […] Das Schweigen der Texte könnte ein Hinweis darauf sein, daß eine ‚bedeutende Bezugnahme auf die Prozedur als solche‘ (G. v. Rad) in Israel gar nicht mehr aktuell war.“ 492 Auch wenn dies, eine mögliche Erklärung darstellt, lässt sich doch auch immer wieder bei Ritualen das Phänomen beobachten, dass sich symbolische, auf den Ritualablauf Bezug nehmende Deutungen erst nach und nach entwickeln, etwa wenn das Wissen über den genauen Ritualablauf verloren geht oder dieser in die Kritik gerät. 493 Wie auch bei der Taufe ist der eigentliche Ritualablauf jedoch sehr einfach angelegt und zudem bereits in der Ritualbezeichnung (ausreichend) beschrieben. Aus der 3 Beschneidung 363 <?page no="364"?> 494 Siehe ausführlich unter IV.3.8.7. 495 Zum Namensmotiv siehe ausführlich unter V.5. 496 Siehe unter IV.3.7.1.2. 497 Siehe unter IV.3.8.7 und V.2. 498 Siehe unter V.2. Perspektive des Ritualvollzuges erscheint eine symbolische Deutung dessen nicht notwendig. Beschneidung und christliche Taufe in ihrer Entstehungszeit haben beide Ri‐ tuale mit gleichem Ritualablauf in ihrer unmittelbaren zeitlichen wie räumlichen Umgebung. Entsprechend liegt der Fokus der biblischen Texte nicht auf einer Dar‐ stellung oder gar Begründung des Ritualablaufes, sondern vielmehr auf einer Klar‐ stellung des Ritualursprunges und der Ritualbedeutung(-en). 494 Weiter ist beiden Ritualen gemeinsam, dass sie mit einem Namensmotiv verbunden sind: Wäh‐ rend - mindestens neutestamentlich - im Kontext der Beschneidung die Na‐ mensgebung berichtet wird (Lk 1,59; 2,21), wird die christliche Taufe „auf den Namen Christi“ vollzogen. In den rabbinischen Texten wird zudem eine Be‐ schneidung „auf den Namen des Berges Garizim“ für die Samaritaner er‐ wähnt. 495 Deutlich unterschieden sind Beschneidung und christliche Taufe in der blei‐ benden Sichtbarkeit ihres Vollzuges am menschlichen Körper: Wie viele Initita‐ tionsrituale hinterlässt das Einschneiden ein dauerhaftes Merkmal am männlichen Körper, während die Taufe nach ihrem Vollzug nicht mehr sichtbar ist. Dabei fehlt keineswegs der Körperaspekt des Volkes, sondern lediglich die „sichtbare cha‐ racter indelibilis“. Auf die „Körperlichkeit“ der Taufe nehmen die neutestament‐ lichen Texte in dreifacher Weise Bezug: 1) Polemik, welche das Beschneiden in das Fleisch als „Zerschneiden“ disqualifiziert; 496 2) Ausweitung auf den gesamten Körper als Gegenstand des Rituals (Kol 2,11); 497 3) Begründung des Leibes Christi durch das Ritual (1Kor 12,13). 498 Ebenfalls lassen sich Unterschiede in Revisions- und Wiederholungsmög‐ lichkeiten zu beiden Ritualen feststellen: Ein Mann, der seine Vorhaut künstlich verlängern lässt und damit den Bund bricht, ist erneut zu beschneiden. Ebenso sollen männliche Babys, welche quasi ohne Vorhaut geboren werden, an der entsprechenden Stelle mindestens eingeritzt werden. Ein anderweitig bereits beschnittener Mann (etwa zugehörig zu den Samaritanern) kann jedoch bei einer Konversion zum Judentum nicht erneut beschnitten werden. Obwohl der‐ artige Beschneidungen in ihrer Bedeutung von der jüdischen unterschieden werden, würde dem Konversionsprozess damit das eigentliche Initiationsritual fehlen. Diese Situation trifft jedoch allgemein auf alle konvertierenden Frauen Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 364 <?page no="365"?> 499 Siehe ausführlicher unter IV.4.6 sowie IV.4.7. 500 Siehe unter I.1.2 Exkurs: Initiationsrituale. 501 Siehe ausführlich unter IV.1.3.2. 502 Bereits van Gennep ordnet die Beschneidung zu den Passageriten, sieht ihren Über‐ gangscharakter allerdings vornehmlich in dem Wechsel vom Kind zum Mann - eine Deutung, welche auf die alttestamentliche Säuglingsbeschneidung nicht anwendbar ist, siehe van Gennep, Rites, 75-77. zu. 499 Aus der fehlenden Wiederholungsfähigkeit der Beschneidung, wie sie typi‐ scherweise vielen Initiationsritualen eignet, 500 ergeben sich demnach ggf. Schwie‐ rigkeiten bei Konversionen, auf die das Judentum allerdings nicht dezidiert ange‐ legt ist. Die christliche Taufe hingegen ist - allein von ihrem Ritualablauf ausgehend - unbegrenzt oft wiederholbar. Entsprechend wird an den vorherigen Johannes‐ jüngern eine zweite Taufe vollzogen, wobei es sich mit der christlichen Taufe εἰς τὸ ὄνομα τοῦ κυρίου Ἰησοῦ um ein anderes Ritual handelt (Apg 19,5). Den‐ noch ist der Ritualvollzug nicht im eigentlichen Sinne rückgängig zu machen (vgl. etwa einem Epispasmos). Genauso wenig ist die christliche Taufe auf Grund ihrer Ritualbedeutung wiederholbar und darin grundsätzlich verschieden von den ständig zu wiederholenden Waschungen. 501 3.8.7 Ritualfunktion und -deutung 3.8.7.1 Beschneidung in AT, Judentum und NT allgemein a) AT und Judentum Die alttestamentliche wie jüdische Deutung der Beschneidung hängt wesentlich an ihrer göttlichen Einsetzung im Abrahamsbund. Rabbinische Schriften stellen entsprechend klar, dass nur die Beschneidung gilt, welche mit einem Bundes‐ bezug bzw. -treue des Beschnittenen einhergeht. Als Bundeszeichen ist die Be‐ schneidung für den Einzelnen wie für alle wesentlich mit den Verheißungen des Bundes und deren Erfüllung verbunden. In diesem Sinne wird die Beschneidung zunehmend zum identity marker und somit Voraussetzung für eine Konversion. Was bereits bei anderen Ritualaspekten, wie etwa dem Ritualort, festzustellen war, bestätigt sich auch hier: Funktionen und zugesprochene Wirkungen haben eindeutig liminalen Charakter und sind mit klassischen liminalen Deutungsmo‐ tiven besetzt, z. B. die (Neu-)begründung von Beziehungen zwischen den Ritual‐ teilnehmern und die Bestimmung dieser über Familienbzw. Nachkommensmo‐ tivik. 502 3 Beschneidung 365 <?page no="366"?> 503 Neutestamentlich kann insgesamt lediglich Mt 28,19 in entsprechender Weise inter‐ pretiert werden. 504 Allgemein zu (den Umständen von) Ursprung und Herkunft des Rituals siehe unter IV. 3.8.2 sowie VI.2. 505 Die Einsetzung durch Christus bzw. göttliche Stiftung (bzw. auch biblische Begründung) wird später wesentliches Element der Argumentation um den Charakter eines Sakra‐ mentes. Diese dogmatischen Erörterungen stützen sich bezüglich der Taufe zumeist auf Mt 28,19. b) NT Die neutestamentlichen Texte - überwiegend Paulus - greifen grundlegende und erstaunlich viele Deutungsaspekte der Beschneidung auf. Sie werden jedoch teilweise negiert oder auch umgedeutet, wie dies etwa bei der extremen Inter‐ pretation der Gesetzesbindung durch Paulus geschieht, welche sich so alttesta‐ mentlich nicht finden lässt. Außerdem werden einige Bedeutungsaspekte auf die christliche Taufe übertragen: Dabei handelt es sich sowohl um klassische Motive von Initiationsritualen, bei welchen jedoch die Verbindung zur Beschneidung dezidiert erwähnt wird, als auch um konkrete Spezifika der Beschneidung, wie etwa die Herzensbeschneidung oder auch ihre Funktion als Bundeszeichen und das Verhältnis zu den Bundesverheißungen, welche bewusst übernommen und uminterpretiert werden. Dabei ist einiges, was als spezifisch christliche bzw. Tauftheologie gilt, bereits in den alttestamentlichen und späteren jüdischen Auslegungen angelegt, wie z. B. die Frage danach, wer als „wirklich beschnitten“ gelten darf - ggf. sogar ohne körperlich beschnitten zu sein - oder auch das Verhältnis von der Her‐ zensbeschneidung zur körperlichen Beschneidung. Die Entwicklung dieser Deutungsansätze kann demnach nicht auf Paulus zurückgeführt werden, son‐ dern „lediglich“ das Aufgreifen und Anwenden der Deutungsmotive auf die Taufe bzw. die Situation der christlichen Heidenmission und die sich daraus entwickelnde Theologie und Hermeneutik. Als dezidiert paulinisch kann hin‐ gegen die Auswahl und Schwerpunktsetzung innerhalb des Spektrums alttes‐ tamentlicher Beschneidungsdeutungen gewertet werden - welche Aspekte und Motive greift Paulus auf (z. B. Verhältnis zum Gesetz) und welche wiederum nicht (z. B. Rettung und Schutz). 3.8.7.2 Göttliche (oder sonstige) Einsetzung Während die göttliche Einsetzung der Beschneidung im Abrahamsbund ihre Durchführung überhaupt begründet, wird eine solche für die christliche Taufe pau‐ linisch 503 nirgends benannt oder reflektiert. 504 Bedarf die Taufe keiner göttlichen Begründungen in diesen Belangen? 505 Bekannterweise wird an keiner Stelle der Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 366 <?page no="367"?> 506 Zur These der selbsterklärenden Terminologie siehe unter II.1.2; IV.2.8.1 sowie VI.1. 507 Cullmann, Tauflehre, 63. Cullmann liefert in seinem 4. Kapitel „Taufe und Beschnei‐ dung“ (a. a. O. 50-63) einen der ausführlichsten Vergleiche der vielfältigen Beziehungen der beiden Rituale, lässt sich jedoch leider von zweifelhaften Voraussetzungen (Früh‐ datierung des Proselytentauchbades vor die christliche Taufe) und klar erkennbaren Absichten (Versuch der Widerlegung Karl Barths und Begründung der Kindertaufe aus der Kinderbeschneidung) leiten, welche das Bild der Studie erheblich verzerren. Vollzug an sich in Frage gestellt oder der konkrete Ablauf beschrieben oder begründet. 506 Abgrenzungsnotwendigkeiten werden auch weniger gegenüber der Johannestaufe - das Ritual mit dem gleichen Ritualablauf - gesehen, als vielmehr gegenüber der Beschneidung - dem in der Ritualbedeutung wenn nicht gleichen, so doch zumindest konkurrierenden Ritual. In dem mannigfaltigen Aufgreifen, Uminterpretieren bzw. auch Negieren von Beschneidungsmotivik im Taufkon‐ text, nicht zuletzt verschiedener auf den Bundesschluss gerichteter Deutungs‐ aspekte wird mehr als deutlich, was explizit nicht mehr gesagt werden muss: Die christliche Taufe ist zu verstehen als das eine Bundeszeichen des Bundes‐ schlusses Gottes in Christus - wie die Beschneidung das eine Bundeszeichen des Bundesschlusses mit Abraham darstellt. 3.8.7.3 Bund, Bundeszeichen und Bundesverheißungen Die Bedeutungsentsprechung zwischen Beschneidung und Taufe in der Bun‐ destheologie geht weiter als die einfache Erklärung, dass ein neuer Bund auch eines neuen Bundeszeichens bedarf. a) Bund und Bundeszeichen Die Bezeichnung der christlichen Taufe als neues Bundeszeichen führt zumeist zu einer der beiden folgenden Schlussfolgerungen: 1) Die Taufe löst die Beschnei‐ dung als Bundeszeichen ab oder 2) sie sei „die heilsgeschichtliche Erfüllung der Beschneidung“. 507 Eine genauere Betrachtung zeigt jedoch, dass die Beschnei‐ dung auch in dem paulinischen Ritual- und Theologiesystem in einem Teil ihrer bisherigen Bedeutung bestehen bleibt. Zur Betonung der bleibenden Erwählung der Juden gehört unwidersprochen die Beschneidung als Zeichen dieses Bundes Gottes (siehe Röm 9-11). Auch dass Paulus in Gal leidenschaftlich gegen die Beschneidung von Heidenchristen kämpft und solchen, welche sich dennoch beschneiden lassen, vor Augen malt, Χριστὸς ὑμᾶς οὐδὲν ὠφελήσει (Gal 5,2) und κατηργήθητε ἀπὸ Χριστοῦ (Gal 5,4), macht diese für Judenchristen als Bundeszeichen des Abrahamsbundes sowie als Volksinitiationsritual nicht obsolet. Paulus spricht ihr aber die soteriolo‐ gische Wirkung ab, dies jedoch nicht nach der Vorstellung, die christliche Taufe 3 Beschneidung 367 <?page no="368"?> würde diese „übernehmen“ oder „erfüllen“, sondern durch die Doppelthese, Gott allein rettet und menschlicherseits „angerechnet“ wird von jeher der Glaube vor dem Ritualvollzug, ohne diesen jedoch zu verneinen: […] καὶ πατέρα περιτομῆς τοῖς οὐκ ἐκ περιτομῆς μόνον ἀλλὰ καὶ τοῖς στοιχοῦσιν τοῖς ἴχνεσιν τῆς ἐν ἀκροβυστίᾳ πίστεως τοῦ πατρὸς ἡμῶν Ἀβραάμ. - „[…] er ist auch ein Vater der Beschnittenen, wenn sie nicht allein aus Beschneidung sind, sondern auch in den Fußstapfen unseres Vaters Abra‐ hams, als er noch unbeschnitten war“ (Röm 4,12). Damit spricht Paulus dem bloßen Vollzug der Beschneidung die soteriologische Wirkung ab - eine Auf‐ fassung, welche bereits aus dem Konzept der Herzensbeschneidung und später in Diskussionen um die Unterscheidbarkeit und Wirkung von anderen Be‐ schneidungen auftaucht. Die soteriologische Wirkung liegt auf der Verheißung, „Abraham zum Vater zu haben“. Diese Verheißung realisiert sich - für Judenwie Heidenchristen - in der Taufe: εἰ δὲ ὑμεῖς Χριστοῦ, ἄρα τοῦ Ἀβραὰμ σπέρμα ἐστέ, κατ’ ἐπαγγελίαν κληρονόμοι. - „Wenn ihr aber des Christus seid, dann seid ihr Nachkommen Abrahams, Erben gemäß der Verheißung“ (Gal 3,29). Von einer rein geistigen und allzu oft antirituellen Deutung, wie sie sich ge‐ legentlich zu dieser Topik finden lässt, kann also keine Rede sein: Zwar ist deut‐ lich erkennbar, dass in der paulinischen Tauftheologie neben der Bedeutungs‐ motivik der Beschneidung auch die der Herzensbeschneidung aufgegriffen wird (insofern sie sich überhaupt von ersterer unterscheiden lässt), doch kreiert Paulus damit nicht etwa eine rein innerliche Vorstellung von Glaube, sondern nutzt sie unterschiedlicher Weise zur Erläuterung von Bedeutung und Wirkung der christlichen Taufe. In der Weise, wie Paulus Beschneidung und Herzensbe‐ schneidung versteht, sind sie nicht Typus für eine - gar private - πίστις ohne rituelle Anbindung, sondern für die christliche Taufe, wie die nachfolgenden Abschnitte deutlich aufzeigen. b) Zugehörigkeit zu Gott - ohne Voraussetzungen Durch Beschneidung wie Taufe wird die Zugehörigkeit zu Gott begründet, wobei die Aktivität jeweils erkennbar von Gott ausgeht: Er bindet sich in der Beschnei‐ dung bereits an den unmündigen Säugling. Entsprechend kann in beiden Fällen von einem bedingungslosen Gnadenbund gesprochen werden. Dass der Mensch in dem Ritual, welches die Zugehörigkeit begründet, passiv bleibt, nämlich be‐ schnitten bzw. untergetaucht wird, unterstreicht dies nachdrücklich. Als Folge, weniger als Verpflichtung steht in Gen 17 und etwa Röm 6 die Ermahnung zu einem gottgefälligen Leben. Paulus interpretiert die Gesetzesverpflichtung in der Beschneidung bekannterweise anders. Das Motiv, über welches die - mit‐ Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 368 <?page no="369"?> 508 Interessanterweise wird bereits im Kontext der Johannestaufe die automatische Wir‐ kung der biologischen Abstammung von Abraham angezweifelt und alternative Wege angedeutet (Mt 3,9). 509 Siehe unter II.2.1. telbare - Zugehörigkeit zu Gott ausgedrückt wird, übernimmt er allerdings von der Beschneidung: Nachkomme bzw. Erbe Abrahams zu sein. 508 In den paulinischen Tauftexten und ihrem Umfeld wird dieses Motiv der Zuge‐ hörigkeit weiter über verschiedene Motive expliziert: 1) Taufformel εἰς Χιρστόν (z. B. Gal 3,27), 2) entsprechende grammatikalische Konstruktionen τοῦ Χριστοῦ (z. B. Gal 3,29) und τῷ θεῷ (Röm 6,10), 3) συν-/ σύν-Motivik (z. B. Röm 6,4). Dass Paulus damit mindestens an die aus der Beschneidung bekannte Begründung der Zugehörigkeit zu Gott erinnern will, macht Gal 3,29 deutlich, wo die in der Taufe begründete Zugehörigkeit zu Christus mit Hilfe der Abra‐ hamskindschaftmotivik erläutert wird. c) Zugehörigkeit zu und Begründung des „Volkes“ Wie die Beschneidung zwar am Einzelnen vollzogen wird, aber damit die Auf‐ nahme in die Volkswie Religionsgemeinschaft begründet, so ist auch die christliche Taufe nie zuerst oder gar allein ein individueller religiöser Akt: Dabei führt die Zugehörigkeit zu Christus, die vertikale Dimension, den Getauften nicht nur in die Gemeinschaft der Christen, die horizontale Dimension, ein, sondern be‐ gründet und verändert bzw. gestaltet diese mit jedem einzelnen Getauften neu. Wenn auch die Öffnung der Taufe für Heiden für das jüdische Denken erst‐ mals zu einer (Unter-)Scheidung zwischen Volks- und Religionsgemeinschaft führt, welche bisher durch die Beschneidung als quasi identisch begründet wurden, so bringt Paulus mit der Übernahme des Motivs der Nachkommen‐ schaft für die christliche Gemeinde (Gal 3,29, vgl. auch Röm 9,6-13; 1Petr 2,9) gerade die grundlegende horizontale Wirkung der Taufe zum Ausdruck: Die Taufe macht nicht nur zum Mitglied, sondern setzt erst die christliche Gemeinde (εἰς ἓν σῶμα ἐβαπτίσθημεν [1Kor 12,13]) - und das sowohl in ihrer Vielfalt (1Kor 12,12-20; Gal 3,28a-c) als auch in ihrer Einheit (ἓν σῶμα [1Kor 12,13]; ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ [Gal3,28d]). Entsprechend argumentiert Paulus bei Missständen, welche das Verhältnis des Einzelnen zur Gemeinschaft betreffen (1Kor 1; 12), als auch an solchen Stellen, wo er das Wesen der christlichen Gemeinschaft zu fassen versucht (1Kor 12; Gal 3), tauftheologisch. Weiteres Indiz für diese Wir‐ kung der christlichen Taufe ist die Beobachtung, dass die sog. Taufformel, ob sie nun aus der Taufliturgie selbst oder auch aus einer Art vor- oder nachberei‐ tenden Taufkatechese entstammt, stets im Plural formuliert wird, 509 obwohl die 3 Beschneidung 369 <?page no="370"?> Aufnahme von derartigem Traditionsmaterial gerade Anlass sein könnte, von der brieflichen pluralen Anrede abzuweichen. d) Zugehörigkeit zur Kultgemeinschaft Wie die Beschneidung die Zugehörigkeit zur familiären wie allgemeinen Kultge‐ meinschaft eröffnet und markiert, so auch die christliche Taufe. Wenn dies hier auch nicht ausführlich erörtert werden kann, sondern eher das Thema für eine eigene Arbeit darstellt, so sei doch erwähnt, dass die Beschneidung dezidiert als Zugangsvoraussetzung für das Passahmahl genannt wird, während sich relativ bald die Tradition herausbildet, die Taufe als Voraussetzung für die Herren‐ mahlsteilnahme zu verstehen. Dies kann relativ leicht begründet werden, sieht man im Herrenmahl ein internes Ritual und die Taufe als Eintrittsritus in die Gemeinschaft. Zwei weitere Aspekte können aber dafür ins Feld geführt werden: Das Pas‐ sahmahl erinnert an die vorauslaufende und beständige Bundestreue Gottes wie auch das Abendmahl - entsprechend logisch ist auch auf Seiten der Teilnehmer die Bundeszugehörigkeit zu erwarten. Des Weiteren führt die Übernahme des Volksbegriffes und dessen Begründung in der Taufe zu der Schlussfolgerung, dass - wie man nur Mitglied eines Volkes - auch nur mitbegründender Teil einer Gemeinschaft sein kann. Indem die Taufe den Einzelnen eben nicht „nur“ ein‐ gliedert, sondern die gesamte Gemeinschaft begründet und mit jeder Taufe ge‐ staltet und auch verändert, so widerspricht die Teilnahme an Götzenopferfeiern, welche eine ähnliche Gemeinschaft voraussetzen oder auch schaffen, der Teil‐ nahme an der Herrenmahlsfeier (1Kor 10,14-22). Die Vorstellung der Taufe als „Zeichen des neuen Bundes“ referiert also auf wesentlich mehr Aspekte als nur denjenigen, dass jeder Bundesschluss eines Rituals bedarf. Würde man die hier lediglich betrachteten paulinischen Tauf‐ texte schließlich um sämtliche neutestamentliche erweitern, so ließen sich Auf‐ nahmen auch anderer Bundesverheißungen und der zugehörigen Motivik des Abrahamsbundes in Taufkontexten finden: Abrahams- und Gotteskindschaft (Apg 10), Volkwerdung (1Petr 2 f), Erben (Tit 3,5-7), Landverheißung (Mt 3; Lk 3), Segensverheißung (Mt 28,19 f). 3.8.7.4 Einzelaspekte Wenn alttestamentliche Texte wie auch später das rabbinische Judentum eine „eigentliche, wirkliche Beschneidung bzw. wirklich Beschnittene“ diskutieren, dann wird - stets mit Blick auf die soteriologische Wirkung der Beschneidung - ein grundlegende Bedingung benannt, welche beim Vollzug des Rituals, wie Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 370 <?page no="371"?> 510 Die Bezugnahme auf den Bund sowie die Bundestreue sind der entscheidende Unter‐ schied zu jeder anderen Beschneidung. Der Beschneidungsvollzug der Samaritaner „auf den Namen des Berges Garizim“ wird mit Blick auf die Wirkung der Beschneidung als abträglicher eingeschätzt, denn ein „neutraler“ Vollzug. Im Ausnahmefall kann ein tat‐ sächlich unbeschnitten gebliebener Israelit gegenüber einem beschnittenen Nichtisra‐ eliten als eigentlich „Beschnittener“ gelten. 511 Siehe unter III.4.3.3.2 sowie V.1.2.2. 512 So Robinson, circumcision, 30. auch später gegeben sein muss: die richtige Bezugnahme (auf den Abrahams‐ bund). 510 Dies drückt sich auch in der Rede von einer Herzensbeschneidung aus. Nun wird an drei neutestamentlichen Stellen (Röm 2,28 f; Kol 2,11 f; Phil 3,2 f) von ἡ περιτομή gesprochen, ohne das jüdische Ritual zu bezeichnen. Dass es sich dabei jedoch nicht um ein (bereits etabliertes) Konzept einer spirituellen Be‐ deutung der Beschneidung handelt, sondern vielmehr um Sprach- und Deu‐ tungsversuche, welche sich direkt auf die christliche Taufe beziehen, zeigen die Verhältnisbestimmungen zur tatsächlichen Beschneidung und dass diese durchaus unterschiedlich ausfallen. Lediglich Röm 2,28 f greift dabei auf das bereits vorhandene Konzept einer Herzensbeschneidung zurück: Am Halten des Gesetzes als dem Willen Gottes entscheidet sich das „Judesein“ und das „Beschnittensein“. Die Beschneidung ἐν σαρκὶ wird gegenüber gestellt und letztlich abgelöst durch eine περιτομὴ καρδίας ἐν πνεύματι. Auch Kol 2,11 f nimmt zur Illustrierung des neuen Heils‐ weges Bezug auf die περιτομῇ ἀχειροποιήτῳ, bezeichnet die Variante allerdings als ἐν τῇ περιτομῇ τοῦ Χριστοῦ, um sie sodann über die συν-Motivik 511 eindeutig mit der Taufe zu identifizieren. Schließlich karikiert Phil 3,2 f die Beschneidung am Fleisch als ein Vertrauen auf eine Wirkung ex opere operato, welchem die Taufe als „wahre Beschneidung“ entgegengehalten wird, die allein auf Christus vertraut. Dabei bezeichnet ἡμεῖς nicht etwa allein die beschnittenen Juden‐ christen, 512 sondern alle getauften Christen, insofern die Taufe als „eigentliche Beschneidung“ verstanden wird, welche gerade die fleischliche Beschneidung ersetzt und nicht etwa ergänzt. Wie bereits die Rabbinen kann Paulus demnach solche, die tatsächlich nicht beschnitten sind, gegenüber solchen, die am Körper beschnitten sind, als die „wirklich Beschnittenen“ bezeichnen. V.a. in Jos 5,9 wird die Beschneidung als Besiegelung des Befreiungshandeln Gottes verstanden, wohingegen Paulus sie als „Versklavung“ unter das Gesetz (Gal 3-5) darstellt. Indem er das Befreiungshandeln Christi mit der Taufe ver‐ bindet, übernimmt er ein weiteres Motiv aus dem Bund-Beschneidung-Tradi‐ tionen-komplex. Dass er dabei nicht zufällig auf ein bekanntes ritologisches Motiv zurückgreift, sondern sich dessen Bedeutung für die Beschneidungsin‐ terpretation bewusst ist, zeigt sich darin, dass er kontrastierend das Motiv für 3 Beschneidung 371 <?page no="372"?> 513 Siehe unter V.4. 514 Ob einige Texte auf das Proselytentauchbad abheben, kann zwar spekuliert, aber nicht als erwiesen behauptet werden. Siehe z. B. 1) TestLev 14,6: „[…] Töchter aus den Völkern werdet ihr zu Frauen nehmen (sie reinigend mit einer ungesetzlichen Reinigung)“ (Übersetzung Becker, Testamente, 57). Sollte hiermit das Proselytentauchbad gemeint sein, würde seine Zulässigkeit bestritten werden. 2) Epict.diss. II 9,19-21: „Wenn wir jemanden sehen, der zwischen (zwei Religionen) hin und her schwankt, dann sagen wir gewöhnlich: ‚Das ist kein Jude, sondern er stellt sich nur so‘. Nimmt er aber die Lebensweise (? ) dessen auf sich, der getaucht ist und einen Entschluss gefasst hat, dann ist er in Wahrheit ein Jude und heißt auch so.“ (Über‐ setzung Sänger, Israelit, 310). Nach Sänger könnte sich diese Bemerkung, die ein Tauchbad (im Sinne eines kultischen Reinigungsritus‘) als Identifikationsmerkmal der Juden sieht, tatsächlich auf ein Proselytentauchbad oder auch auf Aktivitäten aus jü‐ dischen Täuferkreisen beziehen. Dass ein Tauchbad allerdings konstitutives Element beim Übertritt zum Judentum bereits in der Zeit des Zweiten Tempels gewesen sei, lässt sich so oder so nicht belegen. (Siehe ausführlich a. a. O. 309-311). 3) Die in mPes 8,8 für Proselyten erwähnte Waschung, welche nötig wird, wenn sie noch am gleichen Abend das Passah essen wollen, ist ebenso für die Juden vorgesehen, und kann daher auch nicht die Praxis für die Zeit des Zweiten Tempels belegen. 515 Beasley-Murray, Taufe, 36. 516 Zur Diskussion und mögliche Erklärungen der Nichterwähnung des Proselytentauch‐ bades in JosAs siehe a. a. O. 37 f. 517 Sämtliche hier gebotenen direkten Zitate entstammen der Übersetzung von Polster, Proselyten, 2-17. die Beschneidung geradezu „verdreht“, um es sodann für die christliche Taufe positiv zu verwenden. 513 4 Proselytentauchbad 4.0 Quellenlage und Datierung Weder zwischentestamentarische 514 noch neutestamentliche Schriften er‐ wähnen das Proselytentauchbad eindeutig. Auch Philo und Josephus berichten an keiner Stelle von einem Proselytentauchbad, was überraschend ist, „wenn man bedenkt, wie interessiert sie alle [inklusive der Autoren des NT , Anm. CM ] am Verhältnis der Juden zu den Heiden waren.“ 515 Am auffälligsten ist jedoch das Fehlen jeglicher Erwähnung in JosAs, wo der Bekehrungsprozess der Ase‐ neth eingehend beschrieben wird. 516 Texte, welche uns in dessen Praxis und Bedeutung Einblick geben, finden sich v. a. in Midrasch, Talmud und Josefta. Neben dem תכסמ םירג (im Folgenden: Gerim 517 ), welches über sämtliche Pro‐ selyten betreffende Fragen handelt, finden sich v. a. rabbinische Streitgespräche zu dem Personenkreis, an dem das Tauchbad zu vollziehen ist, zum Zeitpunkt Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 372 <?page no="373"?> 518 Siehe Anm. 517. 519 Zur schwierigen Diskussion um die Datierung siehe ausführlich Stemberger, Einleitung. 520 Sänger, Israelit, 321, welcher in Anm. 134 weitere alte, explizite Erwähnungen des Tauchbades als Bestandteil des Übertrittsrituals listet. sowie zur Verhältnisbestimmung gegenüber der Beschneidung und damit zur Bedeutung des Proselytentauchbades. Die Frage nach der Datierung der Entstehung und Etablierung des Prosely‐ tentauchbades gestaltet sich nun weniger deswegen schwierig, weil die Erwäh‐ nung in zwischentestamentarischen Texten diskutabel bleibt, 518 sondern viel‐ mehr weil der Vollzug des Tauchbades bereits - teilweise erheblich - vor dem ersten sicheren schriftlichen Beleg diskutiert wird. Dies fiele zeitlich vor oder auch in den Entstehungszeitraum der Johanneswie der christlichen Taufe, was Thesen zu möglichen Wechsel- oder auch Abhängigkeitsverhältnissen nach sich zieht. Die Diskussionslage in der Literatur ist bis heute kontrovers und kann hier nicht in ihrer gesamten Forschungsgeschichte dargestellt werden. Vielmehr seien hier lediglich die diesbezüglich angebrachten Argumente und Positionen kurz genannt; eine abschließende Beurteilung erfolgt jedoch erst nach der aus‐ führlichen Darstellung und dem Vergleich mit der christlichen Taufe. Als früheste sichere Belege gelten Beraita, 519 SifBem 108 zu Num 15,12 ( Jehuda ha-Nasri) und bKer 9a, welche „Beschneidung, Tauchbad und Opfer als Zulas‐ sungsbedingung für den Eintritt in den ‚Bund‘ (bKer 9a) ausdrücklich [fest‐ halten].“ 520 Belegbar ist demnach der etablierte Gebrauch zum Ende des ersten nachchristlichen Jahrhunderts. Über einen älteren Vollzug kann lediglich spe‐ kuliert werden. Dass in einem Großteil der Sekundärliteratur lange Zeit ein regelrechtes Be‐ mühen zu erkennen ist, das Proselytentauchbad möglichst früh zu datieren, liegt m. E. weniger in der Überlegung begründet, dass ein gewisser Entstehungs- und Verbreitungszeitraum für das neue Ritual anzunehmen ist, als vielmehr in dem deutlichen Anliegen diesen vor denjenigen der christlichen und ggf. der Johan‐ nestaufe zu datieren: Konstatiert man die flächendeckende Verbreitung der christlichen Taufe in christlichen Kreisen bereits für die Zeit der paulinischen Briefe sowie die Entstehung der drei Wasserrituale in relativ kurzer Zeit, so ziehen daraus beinahe alle Kommentatoren den Schluss, dass hier Abhängig‐ keitsverhältnisse vorliegen. Wer dieser Argumentation folgt, kommt dann zu‐ meist mit Oepke zu dem Schluss: „Der Gegensatz gegen die Christen war spä‐ testens von 70 n Chr an viel zu scharf, als daß ein ‚christlicher‘ Brauch unter 4 Proselytentauchbad 373 <?page no="374"?> 521 Oepke, Art. βάπτω, 533. Bis heute finden sich Vertreter, welche eine entsprechende Frühdatierung für möglich oder wahrscheinlich halten, z. B. Pusey / Hunt, Proselyte Baptism. 522 Siehe z. B. Ferguson, Baptism, 79. Vgl. weiterhin Torrance, Beginnings, nach welchem sich das Proselytentauchbad ursprünglich aus der Waschung nach dem Opfer, welches bei der Konversion erbracht wird, entwickelt hat. 523 In der englischen wie französischen Fachliteratur finden sich ganz ähnliche Bezeich‐ nungen: „proselyte baptism“ bzw. „baptême des prosélytes“. den Juden neu aufkommen konnte. Die Proselytentaufe muß daher vor der christlichen Taufe entstanden sein.“ 521 Bei späteren Datierungsansätzen wird entweder tatsächlich eine Übernahme der christlichen Taufe in den jüdischen Konversionsprozess angenommen, das Verhältnis zur Taufe gar nicht reflektiert oder aber - wie vermehrt in jüngerer Zeit - die unabhängige Entwicklung von der Taufe aus den jüdischen Wa‐ schungen heraus angenommen, 522 was letztlich mit der Überlegung Oepkes einher geht, aber dem Abhängigkeitsverhältnis widerspricht. Die nachfolgende Darstellung wie auch der Vergleich mit der Taufe werden zwei Aspekte auf‐ zeigen, welche diese Position nachdrücklich unterstreichen: Proselyten‐ tauchbad und christliche Taufe (und damit auch Johannestaufe) haben sich nicht nur unabhängig voneinander, sondern sowohl in ihrem Vollzug als auch in ihrer Bedeutung v. a. zu völlig verschiedenen Ritualen entwickelt. 4.1 Die Ritualbezeichnung: הליבט Die im rabbinischen Judentum verwendete Bezeichnung הליבט geht auf die Wurzel לבט zurück, welche alttestamentlich für das Eintauchen von Gegen‐ ständen in verschiedene Flüssigkeiten ohne rituell-reinigenden Hintergrund Verwendung findet. Die LXX gibt diese Stellen durchgehend mit βάπτω wieder. Der Begriff הליבט ist erst für die nachalttestamentliche Zeit belegt - als ter‐ minus technicus für eine (Ganzkörper)Selbsttauchung. Dass הליבט in der deutschsprachigen Forschung 523 gemeinhin mit „Prose‐ lytentaufe“ übersetzt wird, ist eine unglückliche, weil unpassende Tradition, da sie die Assoziation nahe legt, es handele sich dabei um eine der christlichen Taufe adäquaten Taufe für Proselyten des Judentums. Auch wenn לבט mit dem mit βαπτίζω verwandten βάπτω übersetzt wird, so handelt es sich doch stets - so sich das Untertauchen auf Menschen bezieht - um Selbsttauchungen: Die Israeliten setzen ihre Füße zu ersten Schritten in das Wasser des Jordan ( Jos 3,15); Naaman taucht sich zur Reinigung von Aussatz sieben Mal im Jordan unter (2Kön 5,14); und entsprechend wird das Proselytentauchbad stets als Selbsttauchung zwar mit Zeugen, aber ohne Täufer vollzogen. Dieter Sänger Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 374 <?page no="375"?> 524 Sänger, Israelit, 298. 525 Zum Initiationsbzw. Konversionsaspekt siehe ausführlich unter IV.4.7, zur Klärung des Verhältnisses zur christlichen Taufe siehe unter IV.4.8. 526 Siehe ausführlich unter IV.5. 527 Ob und inwieweit diese Tauchungen auch als direkte Vorgängerrituale des Proselyten‐ tauchbades verstanden werden können, hängt zuerst an der Beurteilung der Datie‐ rungsfrage und dann auch an der eruierten Funktion des Tauchbades im Konversions‐ prozess, siehe unter IV.4.7. stellt daher treffend fest, dass der Begriff „Proselytentaufe“ einen „Zuschrei‐ bungsbegriff “ darstellt, welcher „sich als interpretatio christiana zu erkennen gibt“. 524 4.2 Der Ursprung des Rituals: Die jüdischen Reinigungswaschungen Die Geschichte von Herkunft, Entwicklung, Einführung oder Etablierung des Proselytentauchbades wird in keiner der bekannten Quellen reflektiert. Es han‐ delt sich um ein neues Ritual, dessen Wurzeln allerdings klar erkennbar sind: Das Tauchbad entwickelt sich aus den jüdischen Waschungen und bleibt letzt‐ lich auch eine solche - eine rituelle Reinigung in einem sehr konkreten Kontext mit daraus abgeleiteten Besonderheiten. Selbst Vertreter einer Spätdatierung sehen darin den „Grundursprung“ des Tauchbades, wenn auch über den „Zwi‐ schenschritt“ der christlichen Taufe - verstanden als Reinigungsritual mit Ini‐ tiationsaspekt, welchen das Proselytentauchbad zusätzlich übernommen habe. 525 Die Wahrnehmung, dass das Tauchbad im Selbstvollzug, in der reinigenden Symbolik des Wasser wie auch in seiner Bedeutung einer rituellen Reinigung grundlegende Aspekte der Waschungen weiterführt, lässt die jüdischen Wa‐ schungen als logisches Vorgängerritual erscheinen. Auch die Tatsache, dass diese sich in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten quantitativ wie quali‐ tativ entwickeln und gar zu rituellen Zentren einzelner Gruppierungen werden, spricht dafür. 526 Dennoch lassen sich drei Aspektkomplexe erkennen, welche als Weiterent‐ wicklungen oder auch konkrete Abänderungen den sonstigen Waschungen ge‐ genüber zu verstehen sind: 1) Bei dem Proselytentauchbad handelt es sich - anders als alttestamentlich bekannt - nicht um Waschungen oder Besprengungen, sondern um eine Ganz‐ körpertauchung. Solche sind auch aus Qumran, dem Traktat Miqvaoth und den (späteren) sog. Täufersekten bekannt. 527 Zudem finden sich für Männer und Frauen differierende Anweisungen. 4 Proselytentauchbad 375 <?page no="376"?> 528 So Sänger, Israelit, 325. 529 Cohen, Beginnings, 236. 530 Sänger, Israelit, 324. Bereits in Dtn 7,3 grundgelegt, aber erst explizit in der Mischna erwähnt, ergeben sich in Bezug auf das matrilineare Prinzip daher Schwierigkeiten, dass eine Konvertitin auf Grund der Beschneidung ausschließlich von Männern nur schwer von einer Gottesfürchtigen zu unterscheiden war. Siehe ausführlicher a. a. O. 305, bes. Anm. 59. 531 bJev 46b. 532 Billerbeck, I. Matthäus, 111, vgl. Num 15,16. 533 Siehe ausführlicher unter IV.4.6. 2) Das Proselytentauchbad wird nicht wiederholt, sondern einmalig voll‐ zogen und steht in einem grundlegenden Zusammenhang mit der Konversion zum Judentum bzw. der dabei durchgeführten Beschneidung. 3) Das Proselytentauchbad wird begleitet bzw. gerahmt von Belehrungen durch die anwesenden Zeugen. Auch dabei finden sich unterschiedliche Versi‐ onen für männliche und weibliche Proselyten. Diese Unterschiede zu den jüdischen Waschungen bedürfen - an späterer Stelle - der Erklärung als Weiterentwicklungen oder auch Abänderungen, geht man von ersteren als Vorgängerritual aus. Konkrete Rekonstruktionsthesen zum Einführungsbzw. Entwicklungsprozess behalten m. E. einen spekulativen Cha‐ rakter, wenn auch für die Vorstellung Sängers einiges spricht, es sei versucht wurden, eine diverse „wilde“ Praxis nach und nach zu regulieren, zu formali‐ sieren und in geordnete Bahnen zu lenken. 528 Cohen spricht für diese Zeit sogar von einem „entirely personal and chaotic process“. 529 Wesentlich spekulativer ist dann bereits die These, dass die Einführung oder später bewusstere initiato‐ rische Deutung „dem - erst in den tannaitischen Quellen propagierten - mat‐ rilinearen Prinzip eine Basis“ verschaffen sollte. 530 Die folgende nähere Unter‐ suchung wird aufzeigen, wie die Neuerungen gegenüber den jüdischen Waschungen zu deuten sind und ob diese für die entsprechende Rekonstruk‐ tionsthesen bezüglich der Entstehung und Etablierung des Proselytentauch‐ bades etwas beitragen können. 4.3 Die Ritualleiter: Die Zeug(inn)en des Tauchbades Im Unterschied zu sämtlichen anderen bekannten Waschungen bedarf das Pro‐ selytentauchbad - wenn auch eigenständig vollzogen - doch dreier Zeugen, 531 wobei sich die Anzahl möglicherweise aus der Analogie zu einer Gerichtsver‐ handlung ableitet, welche mindestens dreier Richter bedarf. 532 Es handelt sich dabei allgemein um Gelehrtenschüler, welche dem Konvertiten vor und nach dem Tauchbad Gesetzesbelehrungen verlesen. 533 Vollzieht jedoch eine Proselytin Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 376 <?page no="377"?> 534 Gerim 1,3.8. 535 Zu den Umständen wie den Inhalten der Gesetzesbelehrung siehe ausführlich unter 398 IV.4.6. 536 Gerim 1,4; bShab 2,6. 537 Polster, Proselyten, 22. Auf seiner Übersetzung ins Deutsche fußen die hier gebotenen Zitate aus Gerim, a. a. O. 2-17. 538 Zur Diskussion um die konkrete Funktion des Tauchbades in der Verhältnisbestimmung zur Beschneidung siehe ausführlich unter IV.4.7. das Tauchbad, so werden ihr Zeuginnen beigegeben, während Gelehrte von au‐ ßerhalb die Belehrungen vortragen. 534 Dies beinhaltet die religionsgeschichtlich erstaunliche Tatsache, dass Frauen als anerkannte Zeuginnen fungieren. Diese Besonderheit liegt offensichtlich nicht in einer eigentlichen Unterschiedlichkeit des Tauchbades für Männer und Frauen begründet als vielmehr in der Nacktheit beim Vollzug. Sowohl die Benennung als „Zeugen“ als auch die Aufgabe des Belehrens macht deutlich, dass es sich hierbei zwar um für das Ritual unver‐ zichtbare Funktionen handelt, die Aktivität des Vollzuges dennoch bei dem je‐ weiligen Proselyten bleibt. 4.4 Die Ritualteilnehmer: alle Proselyt(inn)en Proselyten beider Geschlechter und jeden Alters haben sich prinzipiell alle dem gleichen Proselytentauchbad zu unterziehen. Die Quellen reflektieren dabei eingehender Sonderbestimmungen für weibliche Proselyten sowie für noch re‐ ligionsunmündige Kinder von Proselyten. Es ist bereits erwähnt worden, dass - aus Schamgründen - Proselytinnen auch Zeuginnen beigegeben werden. Zudem unterscheiden sich die Gesetzes‐ belehrungen in allgemeine 535 und geschlechtsspezifische: Den Frauen werden die Achtsamkeit in Bezug auf die monatliche Reinigung, die Absonderung der Teighebe sowie das Anzünden des Sabbatlichtes geboten. 536 Es handelt sich dabei um die „Kardinalgebote der frommen Jüdin“. 537 Im Übrigen sind keine Diffe‐ renzierungen des Ritualvollzuges bei Männern und Frauen belegt, was die An‐ nahme bestätigt, dass das Proselytentauchbad bei beiden Geschlechtern die gleiche Funktion wahrnimmt - auch wenn im Konversionsprozess von Prosel‐ ytinnen die Beschneidung entfällt und das Tauchbad damit das einzige Ritual darstellt. 538 Weitere Sonderregularien diskutiert der Traktat Gerim in Bezug auf minder‐ jährige Proselyten - der Umgang mit Kindern deren Eltern oder auch nur ein Elternteil zum Judentum konvertieren. Grundsätzlich scheint zu gelten: „beim Übertritt von Heiden zum Judentum war es völlig selbstverständlich, daß gleich‐ zeitig auch die Kinder mit in das Judentum aufgenommen wurden, und zwar 4 Proselytentauchbad 377 <?page no="378"?> 539 Jeremias, Kindertaufe, 44. 540 Für Jungen stellt sich die Frage einer Beschneidung am 1. Tag (→ beim Übertritt) oder am 8. Tag (→ bei Geburt durch eine Proselytin). Für Mädchen betrifft die Konversion die Ehegesetzgebung. Siehe ausführlicher a. a. O. 44-47. 541 Ket 11. 542 Ebd. 543 Ebd. Die Möglichkeit des (unstrafbaren) Austritts gilt für eine Stunde ab dem Moment des Mündigwerdens. Danach erlischt die Protestmöglichkeit. 544 Ebd. 545 bJev 78. 546 Jeremias, Kindertaufe, 46. 547 Siehe Billerbeck, I. Matthäus, 110. 548 Gerim 1,3. 549 Gerim 1,5. auch die minderjährigen.“ 539 Da sich - für Mädchen und Jungen - unterschied‐ liche rechtliche Fragen auftun, 540 sind wir darüber erstaunlich gut unterrichtet: Kinder können übertreten, wenn dies ein Elternteil tut, 541 da dies zu ihrem Vorteil ist, kann es auch in deren „Abwesenheit“ (sprich: Unwissenheit) geschehen, 542 sie haben jedoch die Möglichkeit dies ungeschehen zu machen, sobald sie voll‐ jährig werden. 543 Zum Übertritt braucht es für einen Jungen - analog zu einem Mann - Beschneidung und Tauchbad, für ein Mädchen - analog zu einer Er‐ wachsenen - lediglich das Tauchbad. 544 Dies entfällt, wenn sich die Mutter in der Schwangerschaft getaucht hat. 545 Wie üblich eine Konversion von Kindern war, zeigt vielleicht der in bJev 8,8d 45-47 berichtete Umgang mit Findelkindern: „Das Findelkind erhält ein Tauchbad, weil es möglicherweise ein Heidenkind ist.“ 546 4.5 Der Ritualort und die Ritualzeit 4.5.1 Der Ritualort: Innen Über den vorgesehenen Ort und ggf. Ansprüche an diesen reflektieren die Quellen fast gar nicht: Aus dem Umstand, dass bei Proselytinnen männliche Gelehrte etc. draußen bleiben, 547 lässt sich immerhin ableiten, dass das Tauchbad drinnen vollzogen wird. Konkreter ist eine Richtungsangabe, welche den Verlauf des Tauchbades be‐ schreibt: Der Proselyt wird zum Tauchbad hinabgeführt ( תיבל הליבטה ), 548 taucht ein ( לבט ) und schließlich steigt er wieder herauf ( הלעו ). 549 Der Teil‐ nehmer vollzieht demnach eine Bewegung von oben nach unten und wieder hinauf. Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 378 <?page no="379"?> 550 bJev 46b. 551 Ferguson, Baptism, 81. 552 Siehe Näheres unter IV.4.7.2.2. 553 bJev 47a.b. 554 Siehe ausführlich unter IV.4.7. 555 bJev 47a-b spiegelt die Verhältnisse um Mitte des 2. Jahrhunderts wieder, wenn auch spätere Interpolationen vorstellbar sind, siehe dazu Sänger, Israelit, 316. „Der Traktat Gerim ist wohl irgendwann zwischen dem sechsten und achten Jahrhundert entstanden, enthält aber altes Material.“ 556 Die Nummerierung folgt der Studie von Cohen, Beginnings, 202, s.a. die folgende Er‐ läuterungen, 203-209; siehe so auch Gavin, Antecedents, 32, welcher eine zugeordnete Gegenüberstellung von bJev 47a-b und Gerim 1,1-5 bietet (a.a.O. 33-35). 4.5.2 Die Ritualzeit: Nach der Beschneidung Das Proselytentauchbad soll nicht vollzogen werden am Sabbat, am 3. Tag der Woche sowie an Feiertagen. 550 Dass ebenfalls eine Durchführung bei Nacht un‐ tersagt ist, spricht für Ferguson ebenso wie die Notwendigkeit von Zeugen dafür, dass „it was not a private affair“. 551 Kontrovers diskutieren Rabbinerschulen des 2./ 3. Jh. s den Zeitpunkt im Ver‐ hältnis zur Beschneidung: Die Hilleliten forderten eine 7-Tagesfrist nach Vollzug der Beschneidung, adäquat zu den sieben Tagen nach einer Leichenverunreini‐ gung. 552 Die Schammaiten lassen das Tauchbad sofort vollziehen, sobald die Wunde geheilt ist, welche im Wasser ansonsten schmerzen würde. 553 Laut Bil‐ lerbeck liegt bJev 47 eine unterschiedliche Bewertung der Unreinheit eines Heiden zu Grunde, doch halten verschiedene Kommentatoren die funktionale Verhältnisbestimmung zur Beschneidung für den eigentlich dahinterstehenden Differenzpunkt. 554 Wenn dieser Text auch gemeinhin als der älteste sicher zu datierende Text zum Proselytentauchbad gilt, so spricht die geführte Diskussion um den Vollzugszeitpunkt dennoch nicht für die unmittelbare Wichtigkeit des Zeitpunktes. Die Bedeutung des Tauchbades stellt vielmehr den eigentlichen Mittelpunkt der Auseinandersetzung dar. 4.6 Der Ritualablauf: Beschneidung, Belehrungen und Tauchbad 4.6.1 Der Ablauf des Konversionsprozesses Zwei rabbinische Texte, bJev 47a-b und Gerim 1,1-5, 555 beschreiben den Ablauf einer Konversion eines Heiden zum Judentum ausführlicher. Die Prozedur be‐ steht nach bJev 47a-b aus vier Abschnitten: 556 4 Proselytentauchbad 379 <?page no="380"?> 557 Abgelehnt werden Proselytengesuche um eines Weibes willen, um einem Juden zu ge‐ fallen oder aus Angst (Gerim 1,7) 558 Gerim 1,1: „Warum willst du Jude werden? Du siehst doch, wie dieses Volk mehr als die anderen erniedrigt, gebeugt und gedemütigt ist, wie Krankheiten und Leiden (gerade) über die Juden kommen, daß (gerade) sie Kinder und Enkel begraben, ja, die Hinrichtung erdulden: wegen Beschneidung und Taufe und aller übrigen Satzungen; weil ihnen nicht, wie sämtlichen anderen Völkern, die freie Religionsübung gestattet ist.“ Die ältere Version in bJeb 47a ist bei übereinstimmenden Inhalt kürzer. 559 bJev 47a: „[…] und mache ihn mit manchen der leichteren und manchen der strengeren Gebote bekannt.“ (Übersetzung Goldschmidt, Babylonischer Talmud IV, 473). 560 Siehe ausführlich im folgenden Abschnitt IV.4.6.2. 561 Sänger, Israelit, 316: „Der Traktat Gerim ist wohl irgendwann zwischen dem sechsten und achten Jahrhundert entstanden, enthält aber altes Material.“ 562 Gerim 1,5. Der vollständige Abschnitt lautet: „An wen hast du dich angeschlossen? Heil sei dir! An den, der mit seinem Worte die Welt erschuf, [ihm sei Preis]! Denn nur um Israels willen ist die Welt erschaffen worden! Nur die Israeliten sind es, die Kinder Gottes heißen! Nur die Israeliten hat Gott lieb! Und alles, was wir dir gesagt haben, haben wir dir nur zu bedenken gegeben, um deinen Lohn zu mehren! “ 563 Siehe unter IV.4.6.2.4. 564 Siehe unter IV.4.7. 1. Bitte um Aufnahme 557 und Frage nach den Beweggründen, 558 2. eine erste Unterweisung in einer Auswahl an Geboten, 559 3. Beschneidung der männlichen Proselyten und 4. Tauchbad und weitere Unterweisungen. 560 Der spätere Traktat Gerim 561 überliefert zudem Glück- und Segenswünsche für den frisch Wiederauftauchenden, welche die Bedeutung der Konversion illus‐ trieren, indem sie die besondere Erwählung Israels hervorheben: „[…] Nur die Israeliten sind es, die Kinder Gottes heißen.“ 562 Es folgen sodann nähere ge‐ schlechtsspezifische Anweisungen. 563 Verschiedene Überlegungen zur Funktion und Deutung des Proselytentauch‐ bades heben auf notwendige Reinigungsriten in Vor- und Nachbereitung eines Opfers ab. 564 Auch wenn ein Sündopfer im Kontext der Konversion als möglich bis wahrscheinlich gelten kann, so wird kein solches in den beiden beschrei‐ benden Texten zum Ablauf des Konversionsprozesses erwähnt. 4.6.2 Konkreta zum Vollzug des Tauchbades bJev 47b: „Ist er geheilt, so läßt man ihn sofort das Tauchbad nehmen. Zwei Gelehr‐ tenschüler stehen bei ihm u. machen ihn mit einem Teil der leichten u. mit einem Teil der schweren Gebote bekannt. Hat er das Tauchbad genommen u. ist er herausge‐ stiegen, siehe, so ist er in jeder Hinsicht wie ein Israelit. Eine Frau bringen Frauen bis an den Hals ins Wasser, u. die beiden Gelehrtenschüler stehen für sie draußen u. ma‐ Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 380 <?page no="381"?> 565 Übersetzung nach Billerbeck, I. Matthäus, 111. 566 Siehe unter IV.5.1.3. 567 Siehe unter IV.1.1.2.2 Exkurs תואוקמ - Miquaoth. 568 Ferguson, Baptism, 81; Brandt, Elchasai, 27; vgl. Billerbeck, I. Matthäus, 102. 569 Polster, Proselyten, 25. 570 Brandt, Elchasai, 27. chen sie mit einem Teil der leichten u. mit einem Teil der schweren Gebote be‐ kannt.“ 565 Gerim 1,3-5: „ 3 Hat (der Proselyt) (das Gesetz) auf sich genommen, so muß man ihn ins Tauchbad hinabführen. Während ihn das Wasser bis zur Scham bedeckt, soll man ihm einige Einzelheiten der Gebote sagen: (er könnte nur Jude werden) unter der Bedingung, daß er die vergessene Garbe, die Nachlese, die Ackererde und den Zehnt entrichte. 4 Wie man (das) zu einem Manne sagt, so soll man einer Frau sagen: (sie könne nur Jüdin werden) unter der Bedingung, daß sie mit der Regel, [der Teighebe] und dem Kerze-Anzünden gewissenhaft sei. 5 Nun taucht er (ganz) ein. Ist er dann heraufgestiegen, so soll man ihm freundliche und stärkende Worte sagen: […]“ 4.6.2.1 Der Selbstvollzug Bei dem Proselytentauchbad handelt es sich um ein eigenständiges Untertau‐ chen ( לבט ) des gesamten Körpers im Wasser, auf das hin der Proselyt wieder auftaucht ( הלעו ). Die größte Nähe zu anderen uns überlieferten Wasserritualen im Blick auf den Ritualvollzug besteht m. E. zu den Ganzkörpertauchbädern zur rituellen Reinigung in Qumran 566 und den ausführlich im Traktat Miqvaoth be‐ schriebenen Reinigungstauchbädern. 567 Die meisten Kommentatoren sehen in Selbstvollzug und Ganzkörpertauchung allgemein die Parallele zu den jüdischen Waschungen. 568 Dennoch finden sich gelegentlich Interpretationen, welche das Ritual als eine Taufe durch einen Täufer verstehen wollen. Diese beziehen sich hauptsächlich auf Gerim 1,8, wo zu lesen ist: „An einem Manne vollziehen [ ליבטמ ] Männer die Taufe, Frauen an einer Frau [ תלבטמ ], aber nicht an einem Manne.“ So in‐ terpretiert etwa Polster dies als Taufakt und wundert sich zugleich über „die Kürze der Bestimmung über die Täufer“. 569 Dem ist mit Brandt entgegenzu‐ halten: „Bei der jüdischen Proselytentaufe taucht der Proselyt ohne Beihilfe unter die Oberfläche des Wassers im Bassin des miqwa. Aber es müssen Zeugen dabei zugegen sein und diese Assistenz wird mit der Hifilform, dem Causativum, des Zeitworts לבט als ‚taufen‘ bezeichnet, z. B. bJev 46b unten ןיא ןיליבטמ רג הלילב ‚ man tauft einen Proselyten nicht zur Nachtzeit‘.“ 570 4 Proselytentauchbad 381 <?page no="382"?> 571 Übersetzung Goldschmidt, Babylonischer Talmud IV, 474. 572 Siehe unter IV.1.1.2.2 Exkurs תואוקמ - Miquaoth. 573 So etwa Billerbeck, I. Matthäus, 110 f. Zudem ist m. E. zu beachten, dass Gerim 1,5 לבט הלעו , ebenso wie bJev 47b ויליבטמ ותוא דימ , klar im Aktiv formulieren. Beide Stellen lassen außerdem erkennen, dass es sich bei Ein- und Wiederauftauchen um einen Doppelvorgang handelt, welcher von dem gleichen Akteur gesteuert wird. Während den Gesetzesschülern die Belehrung und Zeugenschaft, bzw. bei Pro‐ selytinnen allein die Belehrung zukommt und die Bezeugung von Frauen über‐ nommen wird - was die eigentliche Aussage von Gerim 1,8 darstellt -, vollzieht der Proselyt das Tauchbad selbstständig. Dies bestätigt sich auch in den zusätz‐ lichen Anweisungen in bJev 47b, welche zwar von einem „Führen ins Wasser“ sprechen, gleichzeitig das folgende Tauchbad aber mit den Waschungen nach den Monatsblutungen vergleichen und von einem selbstständigen Eintauchen ausgehen. 4.6.2.2 Der einmalige Vollzug Anders als die anderen - täglich zu wiederholenden - jüdischen Waschungen wird das Proselytentauchbad nur einmal vollzogen. Im Gegensatz zu der Be‐ schneidung wäre eine Wiederholung zwar theoretisch durchführbar, als Teil des einmaligen Konversionsprozesses jedoch inhaltlich nicht möglich. Dies zeigt sich etwa in der grundlegenden Gesetzesbelehrung vor und während des Voll‐ zuges des Tauchbades. Dennoch wäre auf der Grundlage einer genaueren Un‐ tersuchung der Ritualbedeutung zu fragen, ob es nicht dennoch als erstes, wenn auch besonderes Tauchbad zur rituellen Reinigung zu verstehen ist, welchem ab sofort viele weitere folgen. 4.6.2.3 Die Konditionierungen für das Tauchbadwasser Keiner der beiden Texte, welche den Ablauf eines Proselytentauchbades schil‐ dern, erwähnen oder diskutieren mögliche Konditionierungen des benötigten Wassers. Als einziger Hinweis in eine solche Richtung kann die abschließende Bemerkung in bJev 47b gedeutet werden: „Wo eine Menstruierende untertaucht, tauchen auch der Proselyt und der freigelassene Sklave unter, und alles, was beim Untertauchen als Trennung gilt, gilt auch beim Proselyten, dem freigelas‐ senen Sklaven und der Menstruierenden als Trennung.“ 571 Daher geht die For‐ schung allgemein davon aus, dass die Anforderungen an Menge und Art des Wassers für allgemeine Tauchbäder, wie sie sehr ausführlich im Traktat Miq‐ vaoth 572 beschrieben werden, auch für das Tauchbad der Proselyten gelten. 573 Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 382 <?page no="383"?> 574 Siehe etwa die Überlegungen von Gavin, Antecedentes, 37-39. 575 Siehe Dtn 24,19; 26,12-15; Lev 19,9. 576 Polster, Proselyten, 23. 577 Gerim 1,3. Angesichts der Verortung dieses Traktates im 2. Jh. würde diese explizite These gegen eine Frühdatierung des Proselytentauchbades sprechen. M. E. ist eher für beide von einer Entstehungsperiode auszugehen, innerhalb welcher die Differenzierung sowohl der Wasserarten als auch der Taucharten und ihrer Sonderfälle beständig zunehmen. Alternativ können allgemein anerkannte Standards für Reinigungsbäder angenommen werden, bspw. dass es sich um fließendes Wasser handele, 574 oder aber man hält besondere Voraussetzungen für das Wasser und ggf. den Raum für irrelevant, was angesichts der Reini‐ gungsfunktion und den damit bereits alttestamentlich verbundenen Vor‐ schriften als unwahrscheinlich gelten kann. 4.6.2.4 Das Geschlechtsspezifische des Vollzuges Es ist bereits mehrmals angeklungen, dass die Texten zwischen männlichen und weiblichen Proselyten unterscheiden - und zwar in zwei Punkten: den beglei‐ tenden Belehrungen und dem Vollzug an sich. bJev 47a-b erwähnt Belehrungen mit einer Auswahl an leichten und schweren Geboten und nennt davon beispielhaft die Nachlese, vergessene Garbe, nicht abzuerntenden Felddecken sowie den Armenzehnt (bJev 47a). 575 Für Proselytinnen wird bestimmt, dass auch sie mit leichten und schweren Geboten zu belehren sind, jedoch werden sie nicht näher bestimmt (bJev 47b). In dem Traktat Gerim hingegen werden vergessene Garbe, Nachlese, Ackerecke und der Armenzehnt konkret den Proselyten und Reinigung nach der Menstruation, Teighebe und das Kerzenanzünden den Proselytinnen zugeordnet. „Diese be‐ treffen sämtliche das Gebiet der Sozialethik, das heißt, des Verhaltens gegenüber dem (armen) Nächsten. Gottgewollte Nächstenliebe […] empfand das Judentum als das bezeichnende Eigengut seines Glaubens […] sie lehrte es die Katechumen mit ganz besonderem Nachdruck als wichtigstes Merkmal des Unterschiedes zwischen Heide und Jude.“ 576 Der eigentliche Vollzug unterscheidet sich in zwei Aspekten: Während bei Proselyten die Gesetzesschüler auch die Funktion der Zeugen wahrnehmen können, bedarf es dafür bei Proselytinnen der Zeuginnen, während die beleh‐ renden Gesetzesschüler draußen verbleiben. Außerdem wird erwähnt, dass die Männer während der letzten Belehrungen bis zu den Geschlechtsteilen im Wasser stehen, 577 wohingegen Frauen bereits bis zum Nacken vom Wasser be‐ 4 Proselytentauchbad 383 <?page no="384"?> 578 bJev 47b. 579 Zu diesem Zusammenhang - teilweise mit Zirkelschlussdimensionen - siehe unter IV. 4.0. deckt ausharren. 578 V.a. die letzte Differenzierung verdeutlicht, dass es sich um ein und dasselbe Ritual handelt, welches allein aus Schamgründen leicht diffe‐ renzierend ausgeführt wird. Neben dem Aspekt, dass es Frauen in die kul‐ tisch-rechtlich anerkannte Position von gültigen Zeuginnen bringt, ist dieser Befund v. a. mit Blick auf die Funktionsdiskussion zu beachten, die immer wieder die These aufbringt, dass das Proselytentauchbad für Frauen, für welche ja die Beschneidung „entfällt“, das einzige Konversionsritual darstellen würde und daher eine gehobene Bedeutung habe. Dass ein Konversionsprozess für Männer mit zwei Einzelritualen und für Frauen (ersatzlos) mit einem der beiden ver‐ bunden ist, scheint mir auf jeden Fall bemerkenswert. Inwieweit sich dies auf die Ritualbedeutung auswirkt, muss der folgende Abschnitt erbringen. 4.7 Die Ritualfunktion und -deutung: Reinigungs- und Initiationsfunktion Dezidierte Aussagen über die Funktion des Proselytentauchbades und eine damit verbundene Deutung sind in den Quellen eher spärlich und müssen daher weitestgehend erschlossen werden. Dies geschieht in der Forschung zumeist in Wechselwirkung mit anderen Annahmen oder gar von diesen abhängig, wobei v. a. die Datierungsfrage im direkten Verhältnis zur christlichen Taufe zur Kar‐ dinalsfrage erhoben wird, erstaunlicherweise sowohl bei Vertretern einer Frühals auch einer Spätdatierung. 579 Jüngere Studien entwickeln demgegenüber ihre Thesen stärker in Relation zu den jüdischen Waschungen und v. a. zu der Be‐ schneidung - ein Interpretationsansatz, den auch die Quellen nahelegen. 4.7.1 Die Reinigungsfunktion 4.7.1.1 Grundthese: Die Reinigung des Heiden Versteht man das Proselytentauchbad, etwa auf Grund seiner erheblichen Ähn‐ lichkeit im Ritualablauf, als jüdische Waschung, so liegt die Reinigungsfunktion im kultischen Sinne durchaus nahe. In der Literatur findet sich allerdings allzu oft eine andere Argumentation, welche eine problematische Datierungsdiskus‐ sion nach sich zieht: „Ein Heide, der die levitischen Reinheitsgesetze nicht beobachtete, war selbst‐ verständlich unrein und konnte deshalb in die jüdische Gemeinschaft ohne eine Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 384 <?page no="385"?> 580 Beasley-Murray, Taufe, 38. 581 Schürer, Geschichte, 183. 582 Beasley-Murray, Taufe, 38. 583 A. a. O. 38 f. Zur Frage nach dem zeitlichen Aufkommen der Ansicht einer allgemeinen Unreinheit von Heiden siehe z. B. Zeitlin, Halaka, 360, welcher sich für das Jahr 65 n. Chr. ausspricht. Dem entgegen etwa Finkelstein, Baptism for Proselytes, 207 f, der für möglich hält, dass das Konklave diesen Jahres lediglich vorher bereits gebräuchliche Bestimmungen bestätigte bzw. wieder in Kraft setzte. Ausführlich zu dieser Diskussion siehe Beasley-Murray, Taufe, 38 Anm. 49. 584 Michaelis, Proselytentaufe, 18. 585 Billerbeck, I. Matthäus, 104. Zur genaueren Verhältnisbestimmung zur Beschneidung siehe unter IV.4.7.2.2. tebilah, ein levitisches Reinheitsbad, nicht eintreten.“ 580 Beasley-Murray fasst mit diesen Worten sehr treffend den Gedankengang Schürers, als einem Ver‐ treter von vielen, zusammen, welcher daraus die Schlussfolgerung zieht: „Diese allgemeine Erwägung ist für sich allein so zwingend, daß auf die einzelnen Zeugnisse gar kein großes Gewicht zu legen ist.“ 581 Daraus wäre zu schlussfol‐ gern: „[…] folglich ist die Proselytentaufe so alt wie das levitische Gesetz, da Israel stets den ‚Fremden in seinen Toren‘ gekannt hat! “ 582 Beasley-Murray hält einer solchen Argumentation treffend entgegen, dass dafür einerseits jegliche Belege fehlen, was v. a. in Schriften wie Joseph und Aseneth kaum zu erklären ist, und dass andererseits sich die Auffassung von der pauschalen Unreinheit des Heiden erst entwickelt. 583 Michaelis merkt zu Recht an, dass eine allgemeine Unreinheit eines Heiden eher ein Tauchbad vor der Beschneidung - quasi als deren Voraussetzung - fordern würde. Dies spricht seiner Meinung nach für die Grundauffassung, dass ein Heide, der dem Gesetz nicht unterstellt ist, auch nicht als levitisch unrein angesehen werden kann. 584 Nur Juden bedürfen der reinigenden Funktion des Tauchbades. Noch einen anderen Aspekt betont Billerbeck, wenn er hinter der Diskussion um den zeitlichen Abstand zur Beschneidung in Pes 8,8 und tPes 7,13, immerhin dem ältesten Beleg zum Proselytentauchbad, eigentlich unterschiedliche Beur‐ teilungen des Grades der Unreinheit eines Heiden vermutet: „Die Schammaiten hielten diese Unreinheit für eine leichte u. gestatteten deshalb den sofortigen Empfang der Taufe; die Hilleliten hielten sie für eine schwere u. forderten des‐ halb nach Analogie der Bestimmungen über Verunreinigung durch einen Toten (Nu 19,11 ff.) den Aufschub der Taufe um 7 Tage.“ 585 So ergibt sich schließlich die Frage, ob das Proselytentauchbad funktional auf die kultische Reinigungsfunktion beschränkt ist, oder ob es - auch - initiatori‐ sche Funktion erfüllt: Auch wenn etwa Meeks betont, „das von den Proselyten 4 Proselytentauchbad 385 <?page no="386"?> 586 Meeks, Urchristentum, 314. 587 Zur Initiationsfunktion des Proselytentauchbades siehe ausführlich unter IV.4.7.2. 588 Siehe ausführlich mit einer Reihe von Beispieltexten Sänger, Israelit, 299 Anm. 33. 589 Vgl. dazu die Überlegungen, dass ein Heide ja bisher nicht auf das Gesetz verpflichtet gewesen ist und entsprechend dieses nicht übertreten konnte, siehe unter IV.4.7.1.1. Anders etwa Jeremias, Proselytentaufe, 426 f, welcher verschiedene Indizien für einen Zusammenhang zwischen Proselytentauchbad und Sündenvergebung zusammenträgt. 590 Gerim 1,3-5 weiß davon nichts. verlangte Eintauchen ist nicht mehr als ein Sonderfall der normalen Reini‐ gungsprozedur und stellt für sich genommen kein Einweihungsritual dar, auch wenn manche Forscher darin gern den unmittelbaren Vorläufer der christlichen Taufe sehen möchten.“ 586 So sind doch die meisten Ausleger überzeugt, dass das Proselytentauchbad mit zunehmender Etablierung und Verbreitung eine über die Reinigung hinausgehende initiatorische Funktion annimmt und sich der Schwerpunkt sogar dahingehend verschiebt. 587 4.7.1.2 Verhältnisbestimmung zu den sonstigen jüdischen Waschungen Der Selbstvollzug als Ganzkörpertauchung entspricht den jüdischen Tau‐ chungen zur Reinigung, wie sie etwa vor Betreten des Tempels gefordert sind. 588 Dass entsprechend auch die Ritualdeutung analog zu verstehen ist, scheint na‐ heliegend. Dennoch lassen sich Unterschiede ausmachen, nach deren Auswir‐ kung auf die Ritualbedeutung zu fragen ist: Zuerst ist festzustellen, dass die Abweichungen gegenüber der sonstigen Form eines Tauchbades Akzidenzien darstellen, nicht aber in den eigentlichen Ritualablauf grundlegend verändernd eingreifen. 1) Die Belehrungen zur Bedeutung der Konversion sind, auch wenn der Pro‐ selyt bereits im Wasser steht, dem eigentlichen Untertauchen vorgelagert. Eine Sündenvergebungsbitte oder gar ein Abschwören, wie es sich etwa in Flav.Jos.Ant XXII 1- XXIII 15 findet und worin sich das Tauchbad für die Pro‐ selyten wesentlich von anderen Tauchbädern unterscheiden würde, ist in keiner Quelle belegt. 589 2) Die anwesenden Zeugen bzw. Zeuginnen führen zwar nach bJeb 47b den Proselyten ins Wasser, 590 übernehmen aber ansonsten keinerlei aktive Funktion, abgesehen von ihrem Zeugesein. Darin unterscheiden sie sich in grundlegender Weise etwa von einem Täufer, welcher den Täufling unter Wasser und wieder herauf bringt. Wenn demnach keine wesentlichen Unterschiede zum Ritualablauf sonstiger Tauchungen auszumachen sind - sieht man von den Gesetzesbelehrungen ab -, sondern es sich auch hier um ein selbstvollzogenes Tauchbad handelt, wie ist dann der einmalige Vollzug des Proselytentauchbades zu bewerten? Zwei Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 386 <?page no="387"?> 591 So z. B. Pusey / Hunt, Proselyte Baptism, 143: „There was a ‘once-for-allness’ about this baptism, marking it off from normal repeatable lustrations.“ 592 Siehe so z. B. Michaelis, Proselytentaufe, 19: „Es war dies sein erstes Tauchbad, das er nahm. Es mochte für ihn daher persönlich eine bestimmte Bedeutung und Feierlichkeit besitzen, und er mochte sich ihm nicht ohne innere Bewegung unterziehen. In der äu‐ ßeren Form aber unterschied es sich nicht von allen anderen Tauchbädern, […] und wie auch er sie in Zukunft noch oft hat üben müssen.“ (Hervorhebung im Original). 593 Pusey / Hunt, Proselyte Baptism, 145. Ganz ähnlich Ferguson, Baptism, 79: „It seems that the immersion of proselytes developed from a purificatory rite to become a symbol of a new life. Beginning likely as an act of cleansing, it became also an initiatory act.“ Vgl. auch Bamberger, Proselytism, 44. 594 So Sänger, Israelit, 325. 595 Cohen, Beginnings, 236. 596 Daube, New Testament, 106. 597 Ebd. grundsätzlich verschiedene Thesen können dazu vertreten werden: 1) Der ein‐ malige Vollzug dieses Tauchbades ist der alles entscheidende Unterschied, 591 welcher dann aber auch die Bedeutung grundlegend bestimmen, also gegenüber den zu wiederholenden Tauchbädern verändern müsste. Oder 2) Das Prosely‐ tentauchbad ist gar nicht als das besondere einmalige Tauchbad zu verstehen, sondern lediglich als das erste, dem viele weitere folgen werden. 592 Ein abschlie‐ ßendes Urteil kann erst gefällt werden, wenn man auch die zweite zum Prose‐ lytentauchbad diskutierte Funktion untersucht hat: die Initiationsfunktion. 4.7.2 Die Initiationsfunktion 4.7.2.1 Grundthese: Das Proselytentauchbad hat Initiationsfunktion. Die Mehrheit der Forscher vertritt bezüglich der Initiationsfunktion bzw. ähn‐ lich gelagerter Deutungen eine Entwicklungsthese: „It is certain that proselyte baptism developed in meaning from being purely purificatory to a symbol of the forgiveness of sins and the start of a new life.“ 593 Vorgestellt wird sich dazu eine anfängliche „wilde Praxis“, welche nach und nach reguliert und formalisiert wurde, 594 gar einen „entirely personal and chaotic process“. 595 Dabei wird nicht immer reflektiert, was zu dieser Bedeutungs- und schließlich auch Gebrauchsentwicklung, geradezu -wechsel geführt bzw. diesen begünstigt habe. Eines der wenigen Argumente, das in diesem Kontext begegnet, zielt auf die besondere Bedeutung des Tauchbades für den Konversionsprozess von Frauen ab: Für sie ist es das einzige Ritual im Konversionsprozess - daneben gäbe es demnach „no rite by which they were brought into the covenant.“ 596 Nun stellen aber gerade sie die Mehrheit der Proselyten dar. 597 Außerdem ließe sich darüber spekulieren, ob Einführung bzw. bewusstere initiatorische Deutung „dem - erst 4 Proselytentauchbad 387 <?page no="388"?> 598 Sänger, Israelit, 324. Bereits in Dtn 7,3 grundgelegt, aber erst explizit in der Mischna erwähnt, ergeben sich in Bezug auf das matrilineare Prinzip daher Schwierigkeiten, dass eine Konvertitin auf Grund der Beschneidung ausschließlich von Männern nur schwer von einer Gottesfürchtigen zu unterscheiden war. Siehe ausführlicher a. a. O. 305, bes. Anm. 59. 599 Beasley-Murray, Taufe, 44 Anm. 68. 600 Ebd. 601 Bezüglich der Geschlechterdiskussion mit Blick auf die Initiation siehe auch die rabb. Auseinandersetzung um die sog. Stammmütter unter IV.4.7.2.2. 602 Zur Typologie von Initiationsritualen siehe unter I.2 Exkurs Initiationsrituale. 603 Sich an der Initiationsdefinition von Mircea Eliade orientierend, vermisst Sänger, Isra‐ elit, 322 f, u. a. jegliche Auseinandersetzung mit dem bisherigen (sündigen) Leben (Dis‐ kussion siehe oben), eine Thematisierung der Zukunft, eine Bezugnahme auf den neuen sozialen Verband, Geschenke, ein gemeinsames Mahl oder den Bruch symbolisierende rituelle Performanzen (Kleiderwechsel, Namenswechseln, Prozession). 604 Ebd. in den tannaitischen Quellen propagierten - matrilinearen Prinzip eine Basis“ verschaffen sollte. 598 Dem Frauenargument ist mit Beasley-Murray allgemein entgegenzuhalten, warum es dann erst so spät belegt ist, während alttestamentliche Erzählungen wie die von Ruth ohne ein Proselytentauchbad auskommen. 599 Er pointiert diese Anfrage noch: „Man kann sich schwer vorstellen, daß sie [Proselytentaufe, Anm. CM ] vor allem der Frauen wegen eingeführt worden ist.“ 600 Mit Blick auf das Verhältnis von Männern und Frauen ist v. a. zu betonen, dass nicht allein die Konversion „Juden hervorbringt“, sondern auch die Geburt (durch eine jüdische Frau). Das vermeintliche „rituelle Defizit“ scheint mir hier noch viel stärker, da weibliche Säuglinge, anders als bei der Konversion, nicht einmal dem Tauchbad unterzogen werden, sondern gar kein Ritual „haben“, welches ihr Judesein ver‐ anschaulicht bzw. - adequat zur Beschneidung - „herbeiführt“! 601 Da nur wenige direkte Aussagen über die Bedeutung des Proselytentauch‐ bades vorliegen, kann auch nur indirekt erschlossen werden, ob es typisch in‐ haltlich-ritologische Merkmale von Initiationsritualen 602 erfüllt: Sänger stellt dies‐ bezüglich fest, dass einerseits wesentliche Merkmale fehlen, 603 andererseits das innewohnende egalitäre Moment, als Transzendierung der Geschlechterdiffe‐ renz von Mann und Frau, sowie das Verständnis als habituisierende Handlung dafür sprechen. Zudem interpretiert er die Hinzufügung der Segenswünsche in Gerim 1,5, welche in besonderer Weise die Erwählung der Juden betonen, in diese Richtung. 604 Die Frage nach den typischen Merkmalen eines Initiations- und davon abge‐ leitet eines Konversionsritual, wie sie uns in der Sekundärliteratur zum Prose‐ lytentauchbad gelegentlich begegnet, sucht im Allgemeinen nach dem einen Ri‐ Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 388 <?page no="389"?> 605 Siehe etwa Ferguson, Baptism, 81: „Proselyte baptism involved a change of status or condition for the convert. However, this was due more to becoming a proselyte than to the bath itself.“. 606 So etwa Pusey / Hunt, Proselyte Baptism, 144 f. 607 Siehe unter IV.4.7.2.2. 608 Sänger, Israelit, 324. 609 Vgl. auch ganz ähnlich tPes 7,13. 610 Goldschmidt, Babylonischer Talmud II, 603. tual, dem einen Moment, in dem sich der grundlegende Wechsel vollzieht. Stellt man die Frage in dieser Art kann sie nur auf zweierlei Weise beantwortet werden: Entweder geschieht dies in der Beschneidung 605 oder aber im Prosely‐ tentauchbad. Letzteres kann wiederum einschränkend gemeint, dass lediglich bei Proselytinnen die Initiation im Moment des Tauchbades vollzogen wird. Es kann aber auch allgemein behauptet werden, dass die eigentliche Initiation sich stets im Proselytentauchbad ereignet. Pusey / Hunt führen dahingehend etwa ins Feld, dass, wenn es sich „bloß“ um ein Reinigungstauchbad handeln würde, es keine Zeugen bräuchte. 606 Leider reflektieren sie nicht darüber, dass diese ausschließliche Position die Bedeutung der Beschneidung für männliche Pro‐ selyten in Abrede stellen, mindestens aber schmälern würde. Erstaunlich wenige Kommentatoren können sich vermittelnde Positionen vorstellen, welche beiden Ritualen initiatorische Funktion zukommen lassen, obwohl verschiedene Quellen die Zusammengehörigkeit von Beschneidung und Proselytentauchbad voraussetzen und problematisieren. 607 Als Vertreter eines solchen Versuches kann an dieser Stelle Sänger genannt werden, welcher davon spricht, dass das Proselytentauchbad „neben der Beschneidung die Zugehörig‐ keit zum Judentum sinnenfällig zur Anschauung bringt.“ 608 4.7.2.2 Verhältnisbestimmung zur Beschneidung bPes 8,8: 609 „[…] Der Proselyt, der sich am Vorabend des Pesahfestes bekehrt, darf, wie die Schule Shamajs sagt, untertauchen und abends vom Pesahopfer essen; die Schule Hillels sagt, wer sich von der Vorhaut trennt, sei wie wenn er sich von einem Grabe trennen würde.“ 610 bJev 46a Bar: „Ein Proselyt, der beschnitten worden und nicht untergetaucht ist, gilt, wie R. Eliezer sagt, als Proselyt, denn dies finden wir bei unseren Vorfahren, sie waren beschnitten und nicht untergetaucht. Ist er untergetaucht und nicht beschnitten worden, so gilt er, wie R. Jehosua sagt, als Proselyt, denn dies finden wir bei unseren Stammüttern, sie waren untergetaucht und nicht beschnitten worden. Die Weisen sagen, wenn er untergetaucht und nicht beschnitten worden oder beschnitten worden und nicht untergetaucht ist, gelte er nicht als Proselyt; nur wenn er beschnitten 4 Proselytentauchbad 389 <?page no="390"?> 611 A. a. O. 469 f. 612 Ferguson, Baptism, 77. Er verweist auf die Ausführungen von Cohen, Proselyte Baptism, 291. 613 Billerbeck, I. Matthäus, 104. 614 Ebd. 615 Ferguson, Baptism, 80. worden und untergetaucht ist. Sollte auch R. Jehosua von der Vorfahren, und ebenso auch R. Eliezer von den Stammüttern folgern! ? “ 611 Diese beiden Texte, welche um die Verhältnisbestimmung zur Beschneidung kreisen, dürften neben denen, welche den Ablauf des Konversionsprozesses schildern (bJev 47ab; Gerim 1,1-5), die aussagekräftigsten zur Bedeutung des Proselytentauchbades sein: 1) zu bPes 8,8 bzw. tPes 7,13: Die Frage nach dem zeitlichen Abstand zwischen Beschneidung und Proselytentauchbad ergibt sich nach Ferguson aus einer un‐ terschiedlichen Auffassung über „the degree of impurity“, 612 der einem Heiden eignet und von dem er sich zu befreien hat. Da die Schule Schammais als „un‐ entwegte Vertreterin der überkommenen Tradition“ galt, 613 vermutet Billerbeck als eigentlichen Grund für die Möglichkeit des sich sofort anschließenden Tauchbades die Vorstellung, dass der „Übertritt des Proselyten mit der Be‐ schneidung für vollendet“ angesehen wurde. 614 M. E. lässt die Tatsache, dass mit diesem Text der vermutlich älteste Beleg für das Proselytentauchbad vorliegt, Diskussionspotential zu deren Bedeutung ge‐ radezu erwarten und der Ansatz Billerbecks über die Eigenheiten der beiden Schulen, auch in anderen Texten zum Proselytentauchbad, die Hintergründe der Positionen weiter zu ergründen, scheint mir grundsätzlich vielversprechend, dennoch ist ihnen von Pes 8,8 her auch zu widersprechen, denn die Teilnahme am Passah setzt bekanntlich das (vollständige) Judesein voraus, dieses kann aber noch nicht gegeben sein, wenn die dazu notwendige Reinheit noch nicht her‐ gestellt wurde. Die Texte diskutieren ja kein Unterlassen des Proselytentauch‐ bades, wie es angesichts der zeitlichen Dringlichkeit am Vorabend zum Passah ja auch hätte vorgeschlagen werden können, sondern setzen beides, Beschnei‐ dung und Tauchbad, für die Passahteilnahme und damit das „Judesein“ voraus. 2) zu bJev 46a Bar: Hier wird die Frage nach dem Entweder-Oder gestellt und in ganz ähnlicher Weise beantwortet. Gemeinhin wird die Stelle im Rahmen einer Entwicklungsthese, die also vom allmählich zunehmenden initiatorischen Charakter des Tauchbades ausgeht, dahingehend interpretiert, dass „the con‐ troversy shows the connection of circumcision and the first bath of a proselyte was not yet established.“ 615 Billerbeck interpretiert den Text gar in folgender Weise: „Während anfänglich die Beschneidung der entscheidende Akt war, Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 390 <?page no="391"?> 616 Billerbeck, I. Matthäus, 102. 617 „Wenn ein Proselyt beschnitten ist und nicht getauft, oder getauft, aber nicht be‐ schnitten, so entscheidet (über sein Judesein) einzig, ob er beschnitten ist. Das ist die Ansicht R. Eliezers. R. Aqiba sagt: [auch] die Taufe ist unerläßlich.“ (Gerim 1,6). M. E. betont dies - im Anschluss an die Schilderung des Ritualablaufes - die Notwendigkeit beider Rituale. Vgl. auch Gerim 2,5: „[…] so müssen die Proselyten durch Beschneidung, Taufe und Opfer aufgenommen werden. Die ersten beiden sind unerläßlich, das dritte nicht. […]“ 618 Siehe Num 19,14-20. 619 So Billerbeck, I. Matthäus, 104. durch den der Übertritt perfekt wurde, gewann das erste Tauchbad der Prose‐ lyten allmählich mehr u. mehr selbständigen Charakter neben der Beschnei‐ dung, so daß es schließlich ziemlich allgemein als das entscheidende Merkmal der erfolgten Konversion gewertet wurde.“ 616 In diesem Zusammenhang werden gern bJev 47ab und Gerim 1,1-5 vergleichend herangezogen, welche zwar je‐ weils beide Rituale erwähnen, doch wird gemeinhin in bJev die Beschneidung und in Gerim das Tauchbad als zentral interpretiert. M. E. betont bJev 46a Bar zuerst, dass eine zwischen Geschlechtern differen‐ zierende Argumentation fehl geht. Ebenso scheint die Frage nach einer beson‐ deren Schwerpunktsetzung auf dem einen oder anderen Ritual in bJev 47ab und Gerim 1,1-5 zum einen sekundär, geradezu anachronistisch zu sein, und zum anderen den jeweiligen kontextuellen Einbettungen zuwider zu laufen: Beide Texte beschreiben den Konversionsvorgang als differenzierten Prozess, welcher beide Rituale - neben weiteren Handlungen - beinhaltet. Zudem geht bJev 47ab die oben zitierte Aussage voraus, dass man nicht zwischen beiden wählen sollte (bJev 46a) und auf Gerim 1,1-5 folgt ein Kommentar, welcher die Frage in glei‐ cher Weise beantwortet. 617 Diesen Texten ist also gemeinsam, dass das Proselytentauchbad auf die Be‐ schneidung folgt und nicht die Beschneidung den Männern und das Tauchbad den Frauen zuzuordnen ist. Es gibt nicht das eine Konversionsritual, sondern einen Prozess, welcher beides beinhaltet: die Beschneidung (wenn möglich, also für Männer) und das Proselytentauchbad (für alle). Es verbleibt nun noch zu klären, ob der Verweis auf die „Scheidung vom Grab“ (Pes 8,8) lediglich die Schwere der Unreinheit (→ Leichenunreinheit 618 ) bezeichnet 619 oder ob es - ggf. zugleich - ein Deutungsmotiv für den Konver‐ sionsprozess darstellt, wofür die Beobachtung spricht, dass sich der Motivkom‐ plex „Tod - neuer Anfang - neugeboren“ auch an anderen Stellen zur Konver‐ sionsdeutung findet: „Wer sich von der Vorhaut absondert, gilt wie einer, der sich vom Grab absondert“ (Pes 92a); “Der Proselyte ist wie ein neugeborenes 4 Proselytentauchbad 391 <?page no="392"?> 620 Siehe etwa Jeremias, Proselytentaufe, 425, wenn auch seine Beobachtung, dass Heiden und Leichenunreine „im Tempelritual gleichgestellt“ waren: Beiden war das Betreten des äußeren Vorhofes des Tempels untersagt (Kel 1,8). 621 Siehe etwa Daube, New Testament, 109 f, aber auch Jeremias, Urkirche, 16, wo er auch weitere vermeintliche Parallelen auflistet, siehe unter IV.4.8.7. 622 Beasley-Murray, Taufe, 48 f, will das Motiv allein auf die „Annahme der Beschneidung“ (a. a. O. 48) bezogen wissen und versucht dies durch eine Analogie zu Num 19,16 ff zu untermauern und kommt zu dem Schluss: „Der Neubeschnittene ist von einem Grab gekommen und muß die sieben Tage andauernde Unreinheit ertragen und sich dann baden. Die entscheidende Abkehr vom ‚Tode‘ war deshalb die schon vollzogene Be‐ schneidung, nicht das sieben Tage später genommene Bad.“ (a. a. O. 49). Eine solche Deutung begründet ein übertragenes Verständnis von Tod mit einer rituellen Anwei‐ sung zum Umgang mit tatsächlicher Leichenunreinheit. Es bliebe zu fragen, ob sich solche Deutungsschemata auch anderweitig in der rabbinischen Literatur finden lassen. 623 Siehe ausführlich unter V.1. 624 Ferguson, Baptism, 79. Siehe auch Leipoldt, Taufe, 22 f. Kind.” (bJev 22a; 62a); „Wenn eine Frau den jüdischen Glauben annimmt, ist sie ein anderer Mensch“ (bJev 23a); „Der Proselyt gilt als eintägiges Kind.“ (Gerim 2,6); das Proselytwerden bedeutet einen neuen Anfang (bShab 145b-146a). Angesichts der Breite der Belege, welche diesen Motivkomplex zur Deutung der Konversion zum Judentum verwenden, muss einer einseitigen Interpreta‐ tion widersprochen werden, welche den Kommentar in Pes 8,8 allein auf die Unreinheit des Heiden beziehen will. 620 Ebenso müssen aber auch Interpreta‐ tionen abgelehnt werden, welche das „Neugeborenwerden“ originär mit dem Proselytentauchbad verbunden sehen und dies als Vorlage für die Interpretation der christlichen Taufe als Mitsterben und Mitauferstehen mit Christus in Röm 6 postulieren. 621 Dies lässt sich für keine einzige Stelle verifizieren, da sich das Motiv entweder konkret auf die Beschneidung (Pes 8,8; 92a) 622 oder aber auf den Konversionsprozess im Ganzen bezieht, nicht aber speziell auf das Prose‐ lytentauchbad. Die Deutung eines Initiations- oder auch Konversionsrituals bzw. -prozesses mit Hilfe des „Tod-(neu) Leben“-Motives ist aber nun eine der, wenn nicht die typischste Metapher zur Illustration der Bedeutung des Aktes und findet sich weit verbreitet bei jüdischen wie nichtjüdischen Kontexten. 623 „The language of becoming a child does not seem to carry the idea of an inner rebirth, for the concept had more a legal than an ethical meaning.“ 624 Diese These Fergusons führt zu der abschließenden Frage, ob das Proselytentauchbad kon‐ kret mit Sündenvergebung in Verbindung gebracht wird. Jeremias führt an Hand des Kontextes einiger der oben zitierten Stellen zum „Tod-(neu) Leben“-Motiv sowie weiteren Texten zu Proselyten aus, dass sie konstitutiv mit Sündenver‐ Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 392 <?page no="393"?> 625 Jeremias, Proselytentaufe, 426 f; ders., Urkirche, 21 f. 626 Jeremias, Proselytentaufe, 427. 627 Orac. Sib. IV 165 ff: „Badet den ganzen Körper in immer fließenden Flüssen und reckt die Hände zum Himmel empor, Vergebung dessen erbittend, was ihr getan.“ 628 Beasley-Murray, Taufe, 51. Er zitiert sodann die entsprechende Stelle: „Joseph bittet für die bußfertige Aseneth: ‚Herr […] der du alle Dinge lebendig machst und sie aus der Finsternis zum Licht rufst und aus dem Irrtum zur Wahrheit und aus dem Tod zum Leben […]‘ Als die Zeit ihrer Buße beendet war, versichert der Engel der Aseneth: ‚Sei guten Mutes, Aseneth […] von diesem Tag an sollst du erneuert und neugeformt und wiederbelebt sein.‘“ 629 Siehe ausführlich unter V.1. 630 Z. B. Meeks. 631 Z. B. Pusey / Hunt. 632 Z. B. Ferguson; Bamberger. 633 Billerbeck, I. Matthäus, 102. gebung in Verbindung gebracht werden 625 und stellt die eher rhetorisch zu ver‐ stehende Frage: „Kann man angesichts dieses Tatbestandes wirklich sagen, daß die Proselytentaufe nichts mit Sündenvergebung zu tun hatte? “ 626 Doch bis auf die schwierig einzuordnende und zudem außerrabbinische Formulierung in Orac. Sib. IV 165-167 627 bezieht sich keine der Textstellen konkret auf das Tauchbad, sondern zumeist allgemein auf den Konversionsprozess. Dies wiederum passt zu einer Beobachtung Beasley-Murrays, welche dieser nicht abschließend zu deuten vermag: „Es ist bemerkenswert, daß auf die jüdi‐ sche Theologie der Bekehrung als Leben aus dem Tod und Wiedergeburt in einer früher erwähnten Schrift, ‚Joseph und Aseneth‘, angespielt wird, in der die Pro‐ selytentaufe keinen Platz hat.“ 628 Es legt sich demnach auch hierbei der Schluss nahe, dass sowohl Buße und Sündenvergebung als auch das diesen Prozess deu‐ tende Motiv „Tod-(neu) Leben“ sich auf den Konversionsprozess im Ganzen beziehen und nicht auf das Proselytenauchbad im Konkreten. 629 4.7.3 Fazit: Das Proselytentauchbad als Abschluss des Konversionsprozesses Die Forschungspositionen zur Funktion des Proselytentauchbades reichen von einem Verständnis allein als Reinigungsritual, 630 über „zuerst Reinigungsritual und dann zunehmend Initiationsritual“, 631 bis hin zu „Reinigungs- und Initia‐ tionsritual zugleich“. 632 1) Es ist nun zunächst festzuhalten: Das Proselytentauchbad ist ein Tauchbad zur Reinigung. Darin gleicht es in der Ritualfunktion wie auch größtenteils im Ritualablauf sämtlichen anderen jüdischen Tauchbädern zur Reinigung. Billerbeck, 633 aber z. B. auch Michaelis, spricht davon, dass es das erste Tauchbad darstellt: „Das erste Tauchbad des Proselyten war gewiß für diesen 4 Proselytentauchbad 393 <?page no="394"?> 634 Michaelis, Proselytentaufe, 19. Noch schärfer Schürer, Geschichte, 185: „Leider weiß jedoch niemand anzugeben, worin denn der Unterschied (zwischen Tauchbad und Taufe) bestehen soll. Er besteht auch wirklich nur im deutschen Ausdruck.“ Als „Tauchbad“ bezeichnet er dabei die jüdischen Waschungen, als „Taufe“ das Proselyten‐ tauchbad. 635 Insofern ist Michaelis, Proselytentaufe, 19, zu widersprechen, der die Einmaligkeit des Vollzuges allein in der emotionalen Wahrnehmung oder höchstens in der Erstmaligkeit der Herstellung der kultischen Reinheit sehen will. Als Teil des Konversionsprozesses ist das Proselytentauchbad einmalig, darin eben aber auch nur, als der Konversions‐ prozess im Ganzen ein einmaliges Ereignis darstellt. selbst etwas Einmaliges, war aber einmalig zunächst nur in dem Sinne, in dem alles Erstmalige einmalig ist. Höchstens könnte man sagen, daß sein Charakter als Behebung der gesamten levitischen Unreinheit der heidnischen Vergangen‐ heit ihm einen einmaligen Wert verlieh, wie ihn spätere Tauchbäder notwendig nie mehr erlangen konnten. Aber auch von da ist noch ein weiter Weg bis zur Bedeutung als selbständiger Aufnahmeritus, ja zunächst als Aufnahmeritus überhaupt.“ 634 2) Dem ist insofern zu widersprechen, als das Proselytentauchbad neben seiner eröffnenden Funktion, welche das erste Mal die kultische Reinheit her‐ stellt, auch eine abschließende Funktion für den Konversionsprozess wahrnimmt: Die Ablaufschilderungen ebenso wie die Auseinandersetzungen um das zeitliche wie funktionale Verhältnis zur Beschneidung zeigen auf, dass der Übergang vom Heiden zum Proselyten sich über verschiedene Elemente prozessual gestaltet und mit dem Proselytentauchbad, welches die für den Juden konstitutive kultische Reinheit herstellt, zu seinem Abschluss kommt. 635 Typische Deutungsaspekte wie das „Tod-(neu) Leben“-Motiv beziehen sich dabei auf den gesamten Prozess oder verorten sich konkret bei der Beschneidung. 3) Auch bzw. gerade weil das Proselytentauchbad sowohl an Männern als auch an Frauen - letztlich in gleicher Weise - vollzogen wird, wäre es falsch, dieses als eine Art „Beschneidungsersatzritual“ für Proselytinnen zu verstehen. Es geht aus keiner einzigen Quelle hervor, dass ihm geschlechterbezogen unterschied‐ liche Bedeutungen zugeschrieben werden. Wenn es eines solchen Ersatzes be‐ dürfte, um die Initiation bzw. Konversion zum Juden rituell zu versinnbildlichen, so dann auch für jedes „jüdisch geborene“ Mädchen. Dass die grundsätzlichen Belehrungen beim Tauchbad verortet werden und nicht etwa bei der Beschnei‐ dung, hat wohl seinen Grund in der Vorstellung, dass das Halten der Gebote erst durch die auf die Gottesbeziehung ausgerichtete Reinheit ermöglicht wird, mög‐ licherweise daneben aber auch darin, dass die Belehrung somit - gerade und obwohl geschlechtsspezifisch differenziert - bei beiden Geschlechtern den glei‐ chen Ort findet. Es ist ohnehin beachtenswert, dass sich (mindestens) der Ab‐ Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 394 <?page no="395"?> 636 bJev 47b, ganz ähnlich Gerim 1,5. Auch die sich dort anschließenden Segenswünsche konstatieren ja bereits den vollzogenen Wandel. 637 Dass das Proselytentauchbad der direkte Vorgänger der Johannestaufe und damit auch der christlichen Taufe ist, vertreten etwa Leipoldt, Cullmann, Oepke, Billerbeck u. a. 638 Dass es sich um zwei (relativ) unabhängig voneinander entwickelte Rituale handelt, betonen Beasley-Murray, Cohen, Meeks, Michaelis, Ferguson u. a. 639 Jeremias, Kindertaufe, 34. schluss des Konversionsprozesses bei Männern wie Frauen in gleicher Weise gestaltet, nämlich in der für beide wesentlichen Herstellung der kultischen Reinheit. 4) Davon ausgehend drängt sich die These auf, dass ein Konversionsprozess nicht so sehr eines konkreten Anfanges, wohl aber eines festgelegten Abschlusses bedarf: „Ist er heraufgestiegen, so ist er in jeder Hinsicht ein Israelit.“ 636 Das Proselytentauchbad ist demnach konstitutiver Bestandteil des vom Proselyten zu vollziehenden Prozesses und zwar indem es als Reinigungstauchbad den Prozess abschließt. 4.8 Ertrag und Vergleich mit der christlichen Taufe Es ist deutlich geworden, dass die unterschiedlichen Thesen zur (wechselsei‐ tigen) Abhängigkeit 637 oder auch Unabhängigkeit 638 von Proselytentauchbad und christlicher Taufe die Interpretation beider Rituale wesentlich beeinflusst. Dabei war die Diskussion lange Zeit von der Beobachtung geprägt, wie sie Je‐ remias formuliert: „Wer sich mit der Proselytentaufe näher beschäftigt, ist über‐ rascht über die Fülle der Berührungen mit der urchristlichen Taufe.“ 639 Für das Folgende ergibt sich demnach eine ähnliche Situation wie bei dem Vergleich zwischen Johannestaufe und christlicher Taufe: Eine mögliche Beeinflussung in die eine oder andere Richtung ist bei dem angestrebten Vergleich der beiden Rituale stets mit zu beachten. Doch bevor dies geschehen soll, ist kurz über das Verhältnis von Proselytentauchbad und Johannestaufe, dem unzweifelhaften Vorgängerritual der christlichen Taufe, zu handeln. Exkurs: Vergleich und Verhältnisbestimmung von Proselytentauchbad und Johannestaufe Bei verschiedenen Autoren, welche sich dieser Frage einer Verhältnisbestimmung widmen, lässt sich gut erkennen, in welcher Weise über die Quellen hinausgehende Vorannahmen sich auf die Interpretation eines oder auch beider Rituale auswirken: So versteht etwa Flemington - auf der Grundlage einer Frühdatierung des Prosely‐ tentauchbades - die Johannestaufe als eine Art Adaption für die Juden und schluss‐ folgert: es war „a solmn reminder that the people of God themselves through sin had 4 Proselytentauchbad 395 <?page no="396"?> 640 Flemington, Baptism, 14. Ähnlich auch Pusey / Hunt, Proselyte Baptism, 143, welche vermuten, dass Johannes die Juden dadurch auf eine Stufe mit den Konvertiten stellen wollte, um ihnen das kollektive Versagen als Gottesvolk vor Augen zu halten. So auch Cullmann, Tauflehre, 56: „Es darf als gesichert gelten, dass Johannes der Täufer an sie [Proselytentaufe, Anm. CM] angeknüpft hat, aber indem er die revolutionäre und für Juden skandalöse Neuerung eingeführt hat, dass er diese Taufe nicht nur von den Heiden, sondern von allen beschnittenen Juden zur Aufnahme in die messianische Ge‐ meinschaft verlangte.“ 641 So etwa Billerbeck, I. Matthäus, 112; Leipoldt, Taufe, 26-28; Jeremias, Proselytentaufe. become alien.“ 640 Andere wiederum erkennen durchaus Unterschiede in Motivik und Bedeutung, meinen aber, Johannes habe für seine Taufe mindestens den Ritualablauf des Proselytentauchbades übernommen. 641 Fragt man nun auf der Grundlage der voranstehenden Darstellungen der beiden Ri‐ tuale nach konkreten Gemeinsamkeiten, so ist als erstes der einmalige Vollzug zu nennen, wenn auch festgestellt wurde, dass - bei aller Funktionalisierung des Tauch‐ bades im Konversionsprozess - es dennoch besser als erstmaliger Vollzug eines Tauchbades zu verstehen ist. Außerdem findet sich im Kontext der beiden Rituale jeweils eine Bezugnahme auf das Gesetz, welche entsprechende Handlungsanwei‐ sungen impliziert. Während die Predigt des Johannes aber auf ein Sündenbekenntnis zielt und in der Taufe Sündenvergebung verspricht, dient die Katechese im Zusam‐ menhang mit dem Proselytentauchbad einer ersten Einweisung in die Gebote - Sün‐ denvergebung scheint dabei nicht notwendig, da der Konvertit diesem Gesetz bisher nicht verpflichtet gewesen ist. Daneben lassen sich zahlreiche Unterschiede zwischen Proselytentauchbad und Jo‐ hannestaufe ausmachen: Wenn auch die hebräische bzw. aramäische Bezeichnung der Taufe nicht mehr überliefert ist, wäre über eine gleiche Bezeichnung höchstens zu spekulieren. Doch selbst darin bliebe der Hauptunterschied stets erkennbar: Während Subjekt des Tauchbades der Proselyt selbst ist, wird die Taufe von Johannes vollzogen (bzw. nach dessen Ableben offensichtlich von seinen Jüngern). Der grundlegende Un‐ terschied zwischen aktiv vollzogenen Waschungen bzw. Tauchungen und einer passiv „erlebten“ Taufe ist bereits ausgeführt worden. Für ein innerjüdisches Ritual ist zudem kaum zu vergleichen, ob dieses auf konvertierungswillige Heiden oder aber Juden angewendet wird. Während das Tauchbad - mit zunehmender Formalisierung - drinnen und in für Tauchbäder reservierten Becken vollzogen wird, ist die Johannes‐ taufe (inhaltlich) konstitutiv an Wüste und Jordan gebunden. Zudem ist die eschato‐ logische Dimension der Johannestaufe wesentlich, welche sich beim Tauchbad auch nicht andeutungsweise findet. Während letzteres ein klassisches Reinigungsritual darstellt, welches eine besondere Bedeutung im Konversionsprozess einnimmt, ist die Johannestaufe ein einmaliges innerjüdisches Buß- und damit Wenderitual. Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 396 <?page no="397"?> 642 So z. B. Jeremias, Kindertaufe, 34 f. 643 Beasley-Murray, Taufe, 47, verweist etwa auf Mk 7,4 und Hebr 6,2 und fügt hinzu, dass βαπτίζω im nichtjüdischen Hellenismus ganz ohne sakral-technischen Sinn gebraucht wird. 644 Siehe entsprechend unter II.2. Dass nur wenige bis gar keine inhaltlichen Gemeinsamkeiten zwischen den Ritualen bestehen, ist offensichtlich und von der Mehrheit der Kommentatoren anerkannt. Dennoch steht immer wieder die These im Raum, dass Johannes den Ritualablauf direkt übernommen habe: Wie grundlegend der Unterschied zwischen einem selbst‐ vollzogenen Tauchbad und einer Taufe mit Täufer ist, wurde eingehend herausgestellt. 4.8.1 Ritualbezeichnung: Tauchbad vs. Taufe Das auf לבט zurückgehende הליבט sollte am besten mit „Tauchbad“ wieder‐ gegeben werden, um auf diese Weise falsche Assoziationen zur christlichen Taufe zu vermeiden und zugleich zutreffende zu den sonstigen jüdischen Tauch‐ bädern auch begrifflich deutlich zu machen. Es findet sich nun immer wieder in der Sekundärliteratur die These, die christliche Taufterminologie sei aus derjenigen zum Proselytentauchbad abge‐ leitet worden. 642 Dementsprechend sei βαπτίζω bzw. τὸ βάπτισμα lediglich als die Übersetzung von הליבט ins Griechische zu verstehen. Dagegen sprechen verschiedene Aspekte, welche in der vorangehenden Untersuchung deutlich geworden sind: 1) Das Proselytentauchbad kann zeitlich nicht vor die christliche Taufe - mindestens nicht als etabliertes Ritual - eingeordnet werden. Somit könnten lediglich allgemeine Tauchbäder die begriffliche Vorlage geboten haben. 2) Die christliche Terminologie verbreitet sich - wie und mit der Taufe - erstaunlich schnell und flächendeckend. Als terminus technicus findet man sie stets mit Christusbezug vor, welcher so keinerlei Vergleichsmoment im Vollzug weder eines allgemeinen noch des Proselytentauchbades im Speziellen hat. 3) Auch dort, wo βαπτίζω bzw. τὸ βάπτισμα nicht auf die christliche Taufe An‐ wendung finden, lassen sich keine Bezüge zum Proselytentauchbad erkennen. 643 4) Adäquat zum Grundunterschied im Ritualvollzug wird der Proselyt wie jeder andere Tauchende als Akteur des Tauchbades dargestellt, während die Texte zur christlichen Taufe entweder einen Täufer benennen oder aber - wie fast durch‐ gehend bei Paulus - die Taufe als passiven Akt formulieren: „Die wir getauft sind / wurden …“. 644 Was die hebräisch-aramäische Vorlage zum christlichen βαπτίζω gewesen ist, lässt sich nicht mehr sicher rekonstruieren. Dass die Terminologie jedoch auf das (Proselyten)Tauchbad zurückgeht, kann sicher verneint werden. 4 Proselytentauchbad 397 <?page no="398"?> 645 Finkelstein, Baptism for Proselytes, 211. 646 Zur Abhängigkeit der christlichen Taufe von der Johannestaufe bereits unter IV.2.8.2. 647 Siehe ausführlich Kp. V. 648 Siehe unter IV.2.8.7. 4.8.2 Ritualursprung: Zwei unabhängige Ritualentwicklungslinien Das Fazit Finkelsteins, dass letztlich nicht mehr zu sagen ist, wie bzw. wann „the rite of bathing as a means of conversion became established“, 645 klingt beinahe schon resigniert. Versucht man dennoch darüber hinauszugehen und zugleich auf quellenunabhängige Vorannahmen zu verzichten, wie etwa, dass das Ju‐ dentum kein christliches Ritual übernehmen würde, so sprechen mindestens die schriftlichen, datierbaren Belege des Proselytentauchbades dafür, dass es sich erst so spät entwickelt bzw. etabliert hat, dass es der christlichen Taufe unmöglich vo‐ rausgegangen sein kann. Ohnehin müsste es dafür bereits Vorlage für die Johan‐ nestaufe gewesen sein. 646 Geht man von einer zunehmenden Erweiterung der Bedeutung des Tauch‐ bades um den Initiationsaspekt aus, wäre dieser noch später zu datieren und es gäbe somit gar kein Argument mehr dagegen, dass sich die beiden Taufen nicht aus einer der anderen Tauchungen entwickelt haben sollten, welche für diese Zeit wesentlich einfacher zu belegen sind. Für Proselytentauchbad und christ‐ liche Taufe sind demnach weder eine Abhängigkeit noch eine Wechselwirkung anzunehmen, da sich neben dem Datierungsargument auch keine der schein‐ baren Gemeinsamkeiten in Bedeutung und Motivik bestätigen ließen, sondern diese sich entweder als auf den gesamten Konversionsprozess bezogen oder aber als allgemein verbreitete ritologische Motive 647 zu bewerten sind. Vielmehr ist davon auszugehen, dass sich die christliche Taufe aus der Johan‐ nestaufe und das Proselytentauchbad aus den allgemeinen jüdischen Waschungen bzw. bereits deren Spezialform der Tauchung zur rituellen Reinigung entwickelt haben. Es handelt sich in beiden Fällen um eine Weiterentwicklung bzw. Umin‐ terpretation der Ritualbedeutung unter Beibehaltung des maßgeblichen Ritual‐ vollzuges, der Selbsttauchung bzw. der Taufe. Die Bedeutungserweiterung des Proselytentauchbades hat dabei seinen Grund in dessen Einbettung in den Kon‐ versionsprozess. Im Vergleich zu dieser Bedeutungsweiterentwicklung ist der Entwicklungsprozess von der Johannestaufe zur christlichen Taufe geradezu als Entwicklungssprung zu bewerten. 648 Denn auch wenn das Proselytentauchbad Initiationsaspekte mit wahrnimmt, bleibt seine Hauptbedeutung im Rahmen des Konversionsprozesses dennoch auf der rituellen Reinigung. Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 398 <?page no="399"?> 649 Es ist Ferguson, Baptism, 81, in seiner Interpretation dieser beiden Aspekte Recht zu geben, dass sie für den nichtprivaten, öffentlichen Charakter des Rituales stehen. 650 Einzige Ausnahme dürfte das Ersatzbußritual für einen ungesühnten Toten darstellen, welches gemeinschaftlich zu vollziehen ist - es betrifft jedoch auch die potentielle Un‐ reinheit der gesamten Dorfgemeinschaft (Dtn 21,1-9). 651 Siehe ausführlicher unter VI.3, siehe außerdem die Vergleiche zur Ritualleiterfunktion bei der Johannestaufe unter IV.2.8.3 und der Beschneidung unter IV.3.8.3. 652 Siehe unter II.2. 653 Siehe Gal 3,28; 1Kor 1 sowie 1Kor 12. 4.8.3 Ritualleiter: Zeug(inn)en vs. Täufer Die Anwesenheit der Zeugen bzw. Zeuginnen während des Proselytentauchbades ist einerseits unverzichtbar und andererseits nicht zu vergleichen mit dem Täufer bzw. auch dem Beschneider, insofern erstere keine leitende, aktive Funk‐ tion wahrnehmen. Ihre Bedeutung liegt, korrespondierend dem Nachtvollzugs‐ verbot, in der Darstellung von Öffentlichkeit und zugleich Gemeinschaft. 649 Ein Konversionsprozess stellt nie einen privaten, gar ausschließlich inner‐ lich-persönlichen Akt dar, sondern verlangt als Initiation in eine Gemeinschaft hinein die Anwesenheit bzw. aktive Teilhabe dieser. Der Gemeinschaftsaspekt kann in unterschiedlicher Weise rituell ausgestaltet werden: Obwohl das Pro‐ selytentauchbad nicht das eigentliche Konversionsritual darstellt, welches un‐ zweifelhaft in der Beschneidung vorliegt, spricht die Notwendigkeit der Zeug(inn)en dafür, dass es konstitutiver Bestandteil des Konversionsprozesses ist, welcher als Ganzer eine Gemeinschaftsdimension bzw. Öffentlichkeit hat, mindestens aber ein Gegenüber voraussetzt. Die Bedeutung dieses Aspektes lässt sich etwa daraus ablesen, dass sogar Frauen als Zeuginnen zugelassen werden, um die Gemeinschaftsdimension auch beim Vollzug des Tauchbades durch Frauen zu ermöglichen. Darin unterscheidet sich das Proselytentauchbad wesentlich von allen sonstigen jüdischen Waschungen, die sich allein auf die Rein‐ heit des einzelnen beziehen und daher auch keiner Zeugen bedürfen. 650 Bei der christlichen Taufe wird das Gegenüber in der Person und Funktion des Täufers in ganz anderer Qualität wahrgenommen - er stellt dabei einen tatsäch‐ lichen Ritualleiter dar. 651 Daneben lässt sich die Gemeinschaftsdimension m. E. auch bereits in der stets im Plural formulierten Taufformel bzw. der Namen‐ formel 652 und sämtlichen sich auf die horizontale Wirkdimension der Taufe ab‐ hebenden Texten erkennen. 653 4.8.4 Ritualteilnehmer: alle Proselyt(inn)en vs. wirklich alle Anders als die Beschneidung ist das Proselytentauchbad von allen Proselyten unabhängig von Geschlecht und Alter zu vollziehen. Die christliche Taufe jedoch steigert diese Dimension des „alle in gleicher Weise“ noch dadurch, dass sie für 4 Proselytentauchbad 399 <?page no="400"?> 654 Siehe ausführlich unter VI.4. 655 Siehe unter IV.4.8.2. 656 Siehe unter VI.4. tatsächlich alle Menschen, sprich Heiden wie Juden, Anwendung findet. Dies ist in der Weise von besonderer Bedeutung, dass die - v. a. in ihrer Frühphase - nicht allgemein als Initiationsritual einer Religion zu bewerten ist, dem sich eben alle zu unterziehen haben, welche dieser Religion „beitreten“ wollen. Dass die christ‐ liche Gemeinde nicht generell gegen die Beschneidung der Juden vorgeht, son‐ dern sie lediglich für die Heiden ablehnt, gibt der Taufe als dem Ritual, welches in gleicher Weise auf beide Gruppen angewendet wird, eine besondere Bedeu‐ tung. 654 An dieser Stelle setzen - genau wie bei der Beschneidung - Thesen an, welche den Vollzug der Kindertaufe aus dem Vollzug des Proselytentauchbades an Kin‐ dern ableiten wollen. Da jedoch die Unabhängigkeit der beiden Rituale festge‐ stellt wurde, 655 können keine direkten Ableitungen vorgenommen werden, son‐ dern höchstens - auch hier in gleicher Weise wie bei der Beschneidung - aus dem religiös-rituellen Usus des Vollzuges von Initiations- und Konversionsritualen an unmündigen Kindern auf einen entsprechenden Vollzug auch bei der Taufe ge‐ schlossen werden. Zu vergleichen wären an dieser Stelle die οἶκος-Aussagen in den Tauftexten der Apg. Gerade auf Grund der Unabhängigkeit von Tauchbad und Taufe wären jedoch verstärkt die paulinischen und allgemein die biblischen Tauftexte dahingehend zu befragen, ob diese zusätzliche oder andere Voraus‐ setzungen erwähnen, in welchen sich die christliche Taufe sowohl vom Tauchbad als auch von der Beschneidung unterscheidet. 656 4.8.5 Ritualort und Ritualzeit: scheinbar irrelevant Wenn auch die Quellen nichts Konkretes darüber verlauten lassen, so kann doch - unter Voraussetzung einer Spätdatierung - angenommen werden, dass für das Proselytentauchbad dieselben Becken Verwendung finden, welche auch für die sonstigen Tauchungen vorgesehen sind. Zum Zeitaspekt erwähnen die Quellen Tage, an denen das Proselytentauchbad nicht vollzogen werden soll; die ausführliche Diskussion um den zeitlichen Abstand zur Beschneidung fokussiert hingegen nicht eigentlich die Ritualzeit, sondern vielmehr die Art der Reini‐ gungsbedeutung. In den biblischen Texten zur christlichen Taufe fehlen bekannter Weise ebenso nähere Angaben zu Ort und Zeit. Weitet man den Blick auf spätere Ent‐ wicklungen in der Zeit der Alten Kirche, so lässt sich erkennen, dass eigene Baptisterien wie auch Tauftermine entstehen, welche dafür sprechen, dass die Taufe nicht - wie das Proselytentauchbad - in Abhängigkeiten bestimmt wird, Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 400 <?page no="401"?> 657 Gelegentlich wird von Kommentatoren aus dem Nacktvollzug des Proselytentauchbades Gleiches auch für die christliche Taufe geschlossen. Aus der Art, wie etwa im Traktat Miqvaoth die Nacktheit radikal gefordert und auch begründet wird, lässt sich jedoch deutlich erkennen, dass diese eine wesentliche Voraussetzung für eine komplette Rei‐ nigung des Sichtauchenden darstellt, zu welcher kein Gegenstand zwischen Körper und Wasser geraten darf. Hat die christliche Taufe keine Reinigungsfunktion inne, so wird eine solche Argumentation hinfällig. Wenn die Taufe in späteren Jahrhunderten (zu‐ sätzlich) eine solche Reinheitsbedeutung annimmt, geht diese dann auch mit entsprech‐ enden Hinweisen zum Nacktvollzug einher. Siehe zu dieser Diskussion ausführlich Be‐ asley-Murray, Taufe, 198. sondern sich im Gegensatz um sie in zeitlicher wie örtlicher Perspektive herum weitere Rituale und Aspekte anordnen und entwickeln. 4.8.6 Ritualablauf: Zwei grundlegend verschiedene Ritualvollzüge Das Proselytentauchbad unterscheidet sich seinen Ablauf betreffend in unter‐ schiedlichen Aspekten von der christlichen Taufe: 1) Selbstvollzug: Trotz der festgestellten Gemeinsamkeit in Bezug auf die Öffentlichkeits- und Gemein‐ schaftsdimension von Tauchbad und Taufe bleibt Ersteres ein selbst vollzogenes Ritual, durch welches der einzelne etwas für sich allein bewirkt. Im Gegensatz dazu bleibt der christliche Täufling passiv und seine Taufe hat auch eine grund‐ legende Wirkung auf alle anderen Getauften. 2) Konditionierungen des Tauch‐ badwassers: Wenn es die Quellen auch nicht eingehend reflektieren, so ist von der reinigenden Funktion wie auch vom Tauchbadablauf her anzunehmen, dass für das Proselytentauchbad die allgemeinen Bestimmungen des Traktates Miq‐ vaoth gelten. Dass sich vergleichbare Anforderungen nicht zur christlichen Taufe finden oder auch nur die alttestamentlichen Vorschriften für Reinigungs‐ rituale eingehalten werden, liegt darin begründet, dass die christliche Taufe - wie bereits die Johannestaufe - keine Reinigungsfunktion innehat. 657 Ein vermeintlicher Unterschied liegt in der geschlechtsspezifischen Durchfüh‐ rung des Tauchbades vor. Die Differenzierungen, sowohl die schambezogenen (Gesetzesschüler draußen; Höhe der Wasserkante während der Belehrung) als auch die inhaltliche (Auswahl der verlesenen Gesetze) greifen jedoch nicht in den eigentlichen Ritualablauf, welcher sich von der Ritualbedeutung der Reini‐ gung her versteht, ein. Insofern vollziehen Proselyt und Proselytin das gleiche Ritual. Auch wenn sich die Ritualabläufe unterscheiden, verbindet dieser Aspekt Proselytentauchbad und christliche Taufe. Ob und wenn ja inwieweit eine Torahbelehrung die christliche Taufe in der frühchristlichen Zeit begleitet, ist nicht mehr eindeutig zu rekonstruieren. Die Funktion ist kaum mit der Pragmatik der überlieferten Bekehrungspredigten zu vergleichen. Die Frage danach, ob es bereits so früh eine Art Taufkatechese ge‐ 4 Proselytentauchbad 401 <?page no="402"?> 658 Siehe unter V.5. geben hat und ob sich diese - in Teilen - in den katechetischen Texten und Belehrungen im Umfeld der Tauftexte finden lässt, ist alt. Die Untersuchung des Tauchbades hat hervorgebracht, dass die gottgewollte Nächstenliebe den Haupt‐ gegenstand darstellt. Dass bezüglich der christlichen Taufe geschlechtsspezi‐ fisch unterschieden wird, lässt sich m. E. jedenfalls nicht feststellen. Zu den vermeintlichen Gemeinsamkeiten gehört zudem die öfters begeg‐ nende These, Proselytentauchbad und Taufe würden beide „im Namen von …“ vollzogen werden. An späterer Stelle wird aufgewiesen, dass dies bezüglich des Tauchbades nicht zutrifft. 658 Schließlich liegt die größte Gemeinsamkeit der Meinung vieler Kommentatoren nach im einmaligen Vollzug von Proselyten‐ tauchbad und christlicher Taufe. Die Untersuchung hat festgestellt, dass ersteres zwar in seiner speziellen Einbettung in den Konversionsprozess einmalig ist, da es sich um einen einmaligen Prozess handelt, doch könnte man mit Blick auf die Herstellung der rituellen Reinheit durch ein Tauchbad ebenso von einem erst‐ maligen Vollzug sprechen. Dahingegen leitet sich der einmalige Vollzug der Taufe in keinerlei Weise ab, sondern liegt grundlegend in deren Bedeutung selbst verankert - unabhängig von ihrem rituellen Kontext oder sonstigen Einflüssen. Sie ist der einmalige Akt, der zur grundlegenden Wende im Leben des Getauften wird. 4.8.7 Ritualfunktion und -deutung: Das Tod - Leben - Motiv Das Proselytentauchbad ist und bleibt ein Reinigungsritual. Als erstes Tauchbad hat es eine eröffnende Funktion für die nun immer wieder herzustellende und zu erhaltende rituelle Reinheit. Daneben eignet ihm aber auch eine abschließende Funktion im Konversionsprozess. V.a. diese zweite Bedeutung des Rituals wird immer wieder zum Ausgangspunkt für Überlegungen zum Verhältnis zur christ‐ lichen Taufe. Die hierbei oft behauptete Abhängigkeit ist demnach im folgenden Vergleich mitzubedenken. Während die Reinigungsfunktion die Hauptbedeutung des Proselytentauch‐ bades darstellt, wird mit der christlichen Taufe keine Reinigung verbunden. Über diesen grundlegenden Unterschied zwischen den beiden Ritualen, der eine Ab‐ hängigkeit oder auch Weiterentwicklung vom Tauchbad zur Taufe äußerst un‐ wahrscheinlich erscheinen lässt, ist in der Sekundärliteratur vermutlich des‐ wegen lange Zeit wenig reflektiert worden, weil die Reinigungsfunktion eng verbunden mit dem vermeintlich gleichen Ablauf für beide Rituale als unstrittig wahrgenommen wird. Dem ist für die christliche Taufe entschieden zu wider‐ sprechen. Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 402 <?page no="403"?> 659 Daube, New Testament, 109 f. Ganz ähnlich auch Gavin, Antecedents, 58. 660 Crehan, Baptism, 4. 661 Siehe des Weiteren Spekulationen darüber, dass 1Kor 10 eine sehr frühe Übung und damit verbundene Deutung der Taufe, nämlich bereits in der Zeit des Auszuges, belegt. Siehe die Zusammenschau bei Beasley-Murray, Taufe, 52 Anm. 86. 662 So ganz richtig Pusey / Hunt, Proselyte Baptism, 144. 663 Siehe unter IV.3.8.7. 664 Daube, New Testament, 109 f, hingegen interpretiert das „Wenn er hinaufsteigt“ als ein „Auferstehen aus dem Grab“ und differenziert damit den Sterbe- und neu-Leben-Vor‐ gang auf die beiden Rituale der Proselytwerdung. Siehe ausführlich unter V.1. 665 Beasley-Murray, Taufe, 51 f. Das Hauptinteresse des Vergleiches und der sich daraus ableitenden Entste‐ hungsthesen gilt in älteren wie neueren Arbeiten der Initiationsfunktion, wobei sich die Frage an dem „Tod - (neu) Leben“-Motiv kristallisiert, welches einerseits aus den neutestamentlichen Tauftexten bekannt ist (Röm 6,3 f; Tit 3,5) und sich andererseits in den Quellen zum Proselytentauchbad finden lässt. Folgende Er‐ klärungen dieser „Dopplung“ werden vertreten: 1) Die christliche Taufe übernimmt das Deutungsmotiv direkt vom Proselyten‐ tauchbad: Daube etwa sieht in der Interpretation des Heideseins als „Leben im Grab“ und der Proselytwerdung als „Schritt zum Leben“ die unmittelbare Wurzel für die Interpretation des Taufe als Mitsterben, Mitbegrabenwerden und die Neuheit des Lebens durch die Taufe in Röm 6,1-4. 659 Es wurde bereits dargestellt, dass sich das Motiv entweder auf den Konversionsprozess im Ganzen oder aber speziell auf die Beschneidung bezieht, was eine derartige These hinfällig macht. 2) Die christliche Taufe übernimmt das Motiv zwar nicht direkt, lässt sich aber „inspirieren“: Crehan geht zwar nicht von einer direkten Einflussnahme aus, sieht in der Interpretation der Proselytwerdung als einem Neustart eine Art „Inspirationsquelle“ des Paulus. 660 Diesen beiden ersten Deutungen sind die Da‐ tierungsthesen entgegenzuhalten, welche selbst für eine Frühdatierung kaum so explizite Deutungsmuster wahrscheinlich machen. 661 3) Das Motiv wird unabhängig voneinander für beide Rituale verwendet: Da sich das Motiv auf den Konversionsprozess im Ganzen oder aber auf die Beschnei‐ dung konkret bezieht, 662 wäre eine Übernahme des Motives - wenn überhaupt - hier zu suchen. 663 Dies bestätigt sich gerade in der Diskussion um den zeitlichen Abstand des Tauchbades, welche die Analogie zur Leichenunreinheit ja mit der Deutung des Sterbens bei der Entfernung der Vorhaut verbindet. 664 In eine ähn‐ liche Richtung, wenn auch unabhängig von der Beschneidung, geht die These Beasley-Murrays, welcher mit Blick auf JosAs feststellt, dass das Motiv schon länger im Konversionsprozess des Judentums existiert und wahrscheinlich daher kommend auch die Taufdeutung inspiriert hat. 665 4 Proselytentauchbad 403 <?page no="404"?> 666 Siehe ausführlich unter V.1. Wie erwähnt handelt es sich jedoch bei dem Motiv „Tod - (neu) Leben“ nicht allein um ein Motiv im Konversionsprozess des Judentums, sondern um eine der klassischen Deutungsmetaphern von Initiationsritualen. 666 Und da die christliche Taufe mit dem Proselytentauchbad weder Ritualablauf noch die Grundbedeu‐ tung des Rituals gemeinhin hat und zudem erhebliche Zweifel an einer voraus‐ zusetzenden Frühdatierung des Tauchbades bestehen, erscheint mir eine direkte Abhängigkeit der Taufdeutung als Sterben und Neu-Leben (Röm 6,3 f) bzw. Wie‐ dergeborenwerden (Tit 3,5) von dem Proselytentauchbad oder auch allgemein dem jüdischen Konversionsprozess als nicht möglich. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es sich bei Proselytentauchbad und christlicher Taufe zwar um zwei Wasserrituale handelt, welche beide in einem Konversions-Initiationskontext vollzogen werden, dabei allerdings ganz unter‐ schiedlichen Funktionen dienen. Und da das Tauchbad selbst seine initiatorische Bedeutung als Reinigungsritual ausfüllt, muss es als mehr als unwahrscheinlich gelten, dass die christliche Taufe ihren Initiationsaspekt vom Proselyten‐ tauchbad „übernimmt“, sondern dieser an dem Vollzug als Taufe mit Täufer und der Christusbindung hängt. 5 Gruppen mit intensivem Gebrauch von Wasserritualen 5.0 Einleitung Im Folgenden werden Gruppierungen dargestellt, für welche die Durchführung von Wasserritualen von entscheidender Bedeutung ist. Diese werden in der Li‐ teratur zumeist als „Täufersekten“ bezeichnet. Dass dabei, anders als bei den weiteren Vergleichsritualen, nicht nur auf zeitgenössische Erscheinungen der Entstehungszeit der christlichen Taufe eingegangen wird, sondern auch auf Phänomene, welche erst für das 2. Jahrhundert belegt sind, hat mehrere Gründe: 1) Sie alle werden in der Forschungsliteratur in der einen oder anderen Weise mit Blick auf die Entstehung und Etablierung der christlichen Taufe oder auch der Johannestaufe herangezogen und besprochen. Dem will sich diese Unter‐ suchung nicht entziehen. 2) Wenn die Gruppierungen teilweise auch deutlich jünger sind als die ersten Zeugnisse zur christlichen Taufe, so geben sie doch Einblick in Gemeinschaften, welche häufig und ganz unterschiedliche Arten von Wasserritualen gebrauchen. Die Untersuchung erwartet an dieser Stelle weniger einen Einblick in die Entstehungsgeschichte der christlichen Taufe, sondern Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 404 <?page no="405"?> 667 Rudolph, Baptisten, 5. 668 Eine Ursache für die uneinheitliche Bezeichnung in der Literatur mögen die jeweiligen Originalsprachen der Primärquellen zu den Gruppen darstellen. 669 Siehe so etwa Harrington, outsiders, 203: „[…] the Qumran sect divided the world into light and darkness, and those in the dark, whether Jew or Gentile, carried both an inward and an outward impurity. […] Finally, I submit that at Qumran the ritual impurity of outsiders was primarily a label which preserved group identity as ‘holy house for Aaron and Israel’ by reinforcing the barrier between member and non-member.“ 670 Siehe ausführlich Magness, Archaeology; aber auch Lawrence, Washing, 155-184. trägt vielmehr einen phänomenologisch vergleichenden Aspekt, welcher für die Interpretation der christlichen Taufe fruchtbar gemacht werden soll. Bei der Auswahl der in Frage kommenden Gruppen soll die Beobachtung Rudolphs leitend sein: „Nicht jede Wasserzeremonie, die in einer Gemeinschaft üblich ist, macht diese zu einer ‚Taufsekte‘, sondern nur eine solche, die einen zentralen Ort im Kult einnimmt (also nicht nur auf ihn vorbereitet) und auf die auch in der Ideologie ausdrücklich in besonderer Weise Bezug genommen wird. Man kann dabei auch von einer sakramen‐ talen Bedeutung dieser Zeremonie sprechen, die sie von den sonst üblichen und ver‐ breiteten Lustrationsriten und ‚Waschungen‘ abhebt, wenn auch nicht in der äußeren Form der Handlung als solcher.“ 667 Es muss jedoch klärend hinzugefügt werden, dass der Begriff „Taufsekte“ allge‐ mein irreführend ist, insofern es sich nur bei wenigen der im Folgenden be‐ schriebenen Wasserrituale tatsächlich um Taufen handelt. Vielmehr finden sich in den gemeinhin mit dem Begriff „Taufsekte“ oder auch „Täufersekte“ bezeich‐ neten Gruppen eine ganze Reihe an unterschiedlichen Arten von Wasserritu‐ alen. Für die folgende Untersuchung gelten jedoch - unabhängig von den teil‐ weise sehr divergierenden Bezeichnungen in der Literatur 668 - folgende Begriffe: 1) „Taufen“ meint ein Getauchtwerden durch eine andere Person. 2) „Tauchen“ bzw. „Tauchbad“ meint ein selbst durchgeführtes Unter- oder Eintauchen von Körperteilen, des gesamten Körpers oder von Gegenständen. 5.1 Die Gemeinschaft von Qumran 5.1.1 Die Gruppierung - zur Quellenlage Die Beobachtung, dass die Gemeinschaft von Qumran häufig rituelle Wa‐ schungen durchgeführt hat, ist immer wieder mit Blick auf die Identitätsbildung interpretiert worden, indem der Gegensatz von Reinheit und Unreinheit als klassischer boundary marker verstanden wird. 669 Dies wird zwar durch die ar‐ chäologischen Untersuchungen von Qumran gestützt, welche eine Vielzahl an Becken und Gefäßen zur Reinigung hervorgebracht haben, 670 jedoch steht dem 5 Gruppen mit intensivem Gebrauch von Wasserritualen 405 <?page no="406"?> 671 Labahn, Wasser, 168. 672 Eine ausführliche Beschreibung und Diskussion der die Reinheitsgebote thematisie‐ renden Abschnitte siehe a. a. O. 169-175. 673 Eine ausführliche Beschreibung und Diskussion dieser Texte siehe a. a. O. 176-194. 674 A. a. O. 207. 675 Siehe dazu v. a. die Untersuchung von Lawrence, Washing, welche schriftliche und ar‐ chäologische Quellen in gleicher Weise erfasst und im Rahmen seiner Interpretation in ein fruchtbares Verhältnis setzt. 676 Siehe ausführlicher unter IV.5.2.1.4. nur eine sehr geringe Zahl von Texten gegenüber, welche sich mit dem Thema Reinheit im Zusammenhang mit Wasser beschäftigen. Einerseits bleibt unbe‐ stritten, dass sich „[d]er Großteil der frühjüdischen Belege für Reinigungs‐ riten […] in den Schriften vom Toten Meer“ 671 finden lässt, andererseits handelt es sich dabei in der Mehrheit um alttestamentliche Gesetzestexte auslegendes Material: 1) Die in verschiedenen Fragmenten erhaltende sog. Tempelrolle 11Q19 / 11Q20 ist vorqumranisch. Die dort erwähnten Wasserrituale entsprechen den alttes‐ tamentlichen Bestimmungen oder sind direkt davon abgeleitet. 672 2) Innerhalb des halachischen Materials erwähnen 4QpapRitPur; 4 QO rdinances; 4 QT ohorot; 4 QMMT 673 Wasserrituale, „sie schaffen […] Sühne und lassen den Menschen rituell rein werden. Damit bringen sie ihn Gott nahe. Das Wasser […] stellt damit das wesentliche Mittel dar, das Reinheit und damit eine Veränderung des ritu‐ ellen Zustandes im Leben des Menschen bringt.“ 674 3) Die sog. Gemeinschaftsregel 1 QS thematisiert an drei Stellen Wasserrituale im Kontext von Regelungen zum Eintritt von Mitgliedern bzw. Vorschriften für „Außenstehende“ und die Jahres‐ feier der Gemeinschaft. 4) Die sog. Damaskusschrift CD nennt ebenfalls an drei Stellen Wasserrituale im Zusammenhang mit Geboten und Verboten der Ge‐ meinschaft. Um das tatsächliche Spezifikum von Wasserritualen für die Qum‐ rangemeinschaft herauszuarbeiten, wird im Folgenden schwerpunktmäßig auf die beiden letzteren Schriften eingegangen und das halachische Material ggf. ergänzend hinzugezogen. Eine Darstellung und Auswertung der archäologischen Quellen, im Wesent‐ lichen der ausgegrabenen Tauchbecken, wäre eine weitere vielversprechende Herangehensweise zur Bestimmung von Art und Bedeutung der Wasserrituale der Qumran-Gemeinschaft, welche hier in Umfang und Methodik allerdings nicht geleistet werden kann. 675 5.1.2 Die Arten und Bezeichnungen der Wasserrituale Sämtliche Wasserrituale, welche in den Rollen vom Toten Meer Erwähnung finden, stellen Waschungen in kultisch reinigender Funktion dar. 676 Es finden Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 406 <?page no="407"?> 677 Siehe ausführlich unter IV.5.2.1.3. 678 Lawrence, Washing, 84. 679 In der Gebrauchsweise lassen sich laut Lawrence, insofern Unterschiede feststellen, dass סבכ , während es im AT stets mit einem Objekt konstruiert wird, in den Rollen vom Toten Meer teilweise mit Objekt, aber auch ohne verwendet werden kann (ebd.). 680 Ebd. 681 Findet sich atl. lediglich in Num 19,18 f, siehe unter IV.1.1.2.2 a.b. 682 Findet sich atl. in reinigender Funktion lediglich in 2Kön 5,14, siehe unter IV.1.1.2.2 a.c. Siehe dort auch Belegstellen für eine Verwendung in anderer, zumeist profaner Funk‐ tion, welche die LXX stets mit βάπτω wiedergibt. 683 Lawrence, Washing, 84 f, welcher vergleichend auf den Gebrauch in der Mischna ver‐ weist, in welcher םימ םייח im Sinne von fließendem, frischem oder von Menschenhand unberührtem Wasser verwendet wird. 684 1QS 4,21 nimmt vergleichend darauf Bezug: „[…] Und er wird über sie sprengen den Geist der Wahrheit wie Reinigungswasser von allen Greuel“ ( זיו וילע חור תמא ימכ הדנ …; Übersetzung hier wie im Folgenden Lohse, Texte) sich jedoch kaum konkrete Beschreibungen der Ritualablaufes, 677 wodurch der Verbwahl besondere Beachtung zu schenken ist. Dabei ist zunächst festzustellen: „For the most part, the washing vocabulary used in the Dead Sea Scrolls follows the pattern set in the Hebrew Bible“: 678 Mehrheitlich werden verwendet ץחר für das Waschen des menschlichen Körpers und סבכ 679 für das Waschen von Kleidern und anderen Gegenständen. Es finden sich allerdings auch zwei Verben „which are used rarely or not at all in terms of washing in the Hebrew Bible are used more frequently in the Scrolls“: 680 הזנ für das Besprengen 681 und לבט für das Einbzw. Untertauchen. 682 Auffällig häufig begegnet zudem der Begriff םימ םייח , welcher laut Lawrence sowohl in metaphorischer Weise Verwendung findet als auch als „technical term“. 683 5.1.3 Der Ritualablauf Es wurde bereits erwähnt, dass der Ablauf von Wasserritualen keineswegs aus‐ führlich beschrieben wird, sondern lediglich aus dem jeweiligen Verb und Kon‐ text ansatzweise rekonstruiert werden kann: Neben dem oben thematisierten Waschen ( ץחר ; סבכ ) kann man aus den Texten erheben, dass 1) Menschen mit Reinigungswasser besprengt werden ( ורשב תוזהל ימב הדנ ; 1 QS 3,9), 684 2) Menschen ins Wasser steigen ( לא אובי םימב ; 1 QS 5,13) und 3) Menschen sich heiligen mit Wasser der Reinheit ( שדקתהלו ימב יכוד ; 1 QS 3,9). Bis auf die im Zusammenhang mit dem Gemeinschaftseintritt erwähnte Besprengung mit Wasser werden sämtliche Wasserrituale selbst und wiederholt vollzogen. Es wird allerdings an verschiedenen Stellen auf zwei konkrete Aspekte näher eingegangen, nämlich die Konditionen für das verwendete Wasser und die Ri‐ 5 Gruppen mit intensivem Gebrauch von Wasserritualen 407 <?page no="408"?> 685 Anlass dieser Aufzählung ist die Feststellung, dass kein Wasserritual in irgendeiner dieser Wasserarten Sühne schaffen könnte jemandem, welcher der Gemeinschaft nicht angehört (1QS 3,1-5). 686 Labahn, Wasser, 197. 687 Da trinken, nicht aber schöpfen erlaubt ist, ist mit Labahn, a. a. O. 204, zu fragen, ob man „den Kontext mit seinen Bestimmungen über den Sabbat (CD 10-11) mit in die Inter‐ pretation [einbeziehen sollte], obwohl nicht explizit gesagt wird, dass es sich in 11,1 um Anordnungen für den Sabbat handelt“. 688 Zwei kleinere Fragmente zur Damaskusschrift (4Q272 / 2Q266) erwähnen als Anlässe für Waschungen außerdem Verunreinigungen durch nächtlichen Erguss und Menstru‐ ation. Der Kontext lässt auf eine Auslegung von Lev 15 schließen, siehe a. a. O. 205-207. tualteilnehmer. Grundsätzlich wird festgehalten, dass schmutziges Wasser ( םימב םיאוצ ; CD 10,11) ebenso wenig für rituelle Waschungen geeignet ist wie Wasser, das nicht ausreicht, den- oder dasjenige, das gewaschen werden soll, vollständig zu bedecken ( םיטועמו ידמ ליערמ שיא ; CD 10,11). Unrein wird Wasser beispielsweise dann, wenn es von einem Unreinen berührt wird ( CD 10,13). Des Weiteren werden verschiedene Wasserarten genannt: Reini‐ gungswasser, Meereswasser, Flüsse, ein nicht näher bestimmtes Wasser der Wa‐ schung ( אולו רהטי ימב הדנ אולו שדקתי םימיב תורהנו אולו רהטי לוכב ץחרימ ; 1 QS 3,4 f). 685 Eine Verhältnisbestimmung dieser Unterscheidung zu un‐ terschiedlichen Wasserritualen muss jedoch im Bereich der Spekulation ver‐ bleiben: „Es könnte sein, dass wenigstens einige der Reinigungsriten in unter‐ schiedlichen Wasserarten durchführbar wären. Es könnte aber auch sein, dass die verschiedenen Wasserarten für divergierende Reinigungsvorgänge stehen.“ 686 Grundsätzlich ist es nur Mitgliedern der Gemeinschaft erlaubt und überhaupt möglich, die Wasserrituale zu vollziehen (1 QS 3,4 f), „denn sie können nicht gereinigt werden [ אול ורהטי ], wenn sie nicht umgekehrt sind von ihrer Bos‐ heit; denn Unreines ist an allen, die sein Wort übertreten“ (1 QS 5,13 f). Die Um‐ kehr zu den Geboten Gottes und der Gemeinschaft geht dem Ritual als Bedin‐ gung voraus (1 QS 3,6-9). Außerdem werden einige wenige Sonderfragen diskutiert: Darf man auf dem Weg zum Baden trinken und schöpfen ( CD 11,1)? 687 Darf man im Zustand der Unreinheit ein Bethaus betreten ( CD 11,21-23)? 688 5.1.4 Die Ritualfunktion und -deutung Allgemein ist festzuhalten, dass die Texte im Zusammenhang mit Wasserritu‐ alen von Wirkungen kultischer Dimension sprechen: So werden Menschen ge‐ reinigt ( רהט ), gewaschen ( ץחר ) und geheiligt ( שדק ). Dass dabei der Reini‐ gungsaspekt eine wesentliche Rolle spielt, wird außer in der Verbwahl auch darin deutlich, dass schmutziges bzw. nicht vollkommen bedeckendes Wasser Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 408 <?page no="409"?> 689 Lohse, Texte, 113. 690 Labahn, Wasser, 198. 691 Neben der selbstvollzogenen Heiligung durch Wasser der Reinheit (1QS 3,9) wird im Rahmen des Initiationsprozesses eine Besprengung mit Reinigungswasser ( תוזהל ימב הדנ 1QS 3,9, vgl. auch 4,21) erwähnt, das einzige nicht selbst vollzogene Wasserritual in den beiden Grundschriften der Gemeinschaft. Zwar scheint auch die Besprengung eine reinigende Funktion gehabt zu haben, dennoch bleibt auffällig, dass im Kontext eines Eintrittsritualprozesses der Initiand passiv am Ritual teilnimmt, da v. a. ein selbst‐ vollzogendes Reinigungsritual folgt. Siehe die Ausführungen zur Bedeutung eines Ri‐ tualleiters für ein Initiationsritual unter I.1.2 Exkurs Initiationsritual. als nicht geeignet angesehen wird ( CD 10,11 f). Jedoch betonen beinahe alle Texte, dass die Reinheit nicht allein und automatisch aus den Wasserritualen erfolgt. Denn dass die Waschungen Mitgliedern der Gemeinschaft vorbehalten sind, hat seine Ursache darin, dass Umkehr und Unterwerfung unter die Gebote Gottes und der Gemeinschaft zwingende Voraussetzung ihrer Wirksamkeit sind. Bezüglich der Aufnahmekonditionen wird festgehalten: „Denn durch den Geist des wahrhaftigen Rates Gottes werden die Wege eines Mannes entsühnt [ ורפוכי ], alle seine Sünden, sodass er das Licht des Lebens erblicken kann. Durch den heiligen Geist (,der) der Gemeinschaft in seiner Wahrheit (gegeben ist,) wird er gereinigt von allen seinen Sünden [ רהטי לוכמ ותונווע ], und durch den Geist der Rechtschaffenheit und Demut wird seine Sünde gesühnt [ רפוכת ותטח ]. Und wenn er seine Seele demütigt unter alle Gebote Gottes, wird sein Fleisch gereinigt werden [ רהטי ורשב ], daß man ihn mit Reinigungswasser besprenge und daß er sich heilige durch Wasser der Reinheit.“ (1QS 3,6-9) 689 Demnach wird Sündenvergebung durch Gott demjenigen zuteil, welcher sich den Geboten unterwirft und umkehrt. Waschungen wirken an diesem Entsüh‐ nungsprozess nicht mit, sondern können auf dieser Grundlage Reinigung und Heiligung bewirken. Auch der Vergleich einer Besprengung mit dem Geist der Wahrheit wie mit Reinigungswasser legt nahe (1 QS 4,21), dass es sich dabei um zwei verschiedene Vorgänge handelt. Den Wasserritualen im Aufnahmeprozess in die Gemeinschaft kommt damit keine sündenvergebende, lediglich eine kul‐ tisch reinigende Funktion zu. Anders etwa Labahn, welche überzeugt ist: „Die Reinigungen, von denen in 1 QS 3 die Rede ist, stellen eine Art Eintrittsbedin‐ gung in die Gemeinschaft dar. Den Vollzug des Rituals oder der Rituale könnte man so verstehen, dass dadurch gleichsam ein Generalerlass rituell erwirkt werde.“ 690 Ihr ist zwar insofern zuzustimmen, als dass umfangreiche Reini‐ gungen notwendiger Bestandteil der Aufnahme sind, jedoch ist der Sündener‐ lass Voraussetzung dieser selbstvollzogenen Reinigungen (1 QS 3,4.9), 691 welche 5 Gruppen mit intensivem Gebrauch von Wasserritualen 409 <?page no="410"?> 692 Vgl. dazu Finn, Death, 103-106, welcher insgesamt vier Stufen des Eintrittsprozesses in die Gemeinde von Qumran rekonstruiert und diesbezüglich schreibt, „[…] ritual im‐ mersion was at the heart of Qumran’s rite of entry, the necessary condition for advan‐ cing to full membership“ (a. a. O. 106). 693 Siehe ausführlich Labahn, Wasser, 211 f. 694 A. a. O. 212. sich in Wortwahl und Beschreibung nicht von den immer wieder notwendig werdenden Waschungen der Mitglieder unterscheiden. 692 Alle weiteren erwähnten Waschungen sind unbestritten von kultisch reinigender Funktion und werden nach konkreten Verunreinigungen oder aber auch in Vorbereitung auf heilige Handlungen wiederholt notwendig, um den Zustand der Reinheit wieder herzustellen bzw. zu gewährleisten. 5.1.5 Ertrag Die Vielzahl an ausgegrabenen Reinigungsbecken und Gefäßen in Qumran würde wesentlich häufigere und ausführlichere Thematisierungen von Wasser‐ ritualen in den Schriften der Gemeinschaft erwarten lassen. Zudem stellen die Mehrheit der entsprechenden Textstellen Kommentierungen alttestamentlicher Gesetzestexte dar, welche selten wesentlich über diese hinausgehen. Um den‐ noch die Spezifika der Wasserrituale von Qumran zu erheben, stützte sich die Untersuchung auf die beiden großen Schriftrollen der Gemeinschaft, die Ge‐ meinschaftsregel 1 QS und die Damaskusschrift CD . Die dort beschriebenen Wasserrituale sind beinahe ausschließlich zu wiederholende Selbstwaschungen mit kultisch reinigender Funktion. Ihre reinigende Wirkung ist stets abhängig von der inneren Haltung zu den Geboten der Gemeinschaft und ggf. dem Zusam‐ menwirken mit anderen Ritualen, wie etwa Opfern und Gebeten. Durch die besondere Betonung kultischer Reinheit als boundary marker der Gemeinschaft, können Waschungen, welche Reinheit (wieder) herstellen, den Weg (zurück) in die Gemeinschaft ebnen. Labahn interpretiert diese Wieder‐ herstellung „sozialer Gemeinschaftsfähigkeit“ durch Reinigungsriten ebenso wie die wiederkehrende Betonung der Notwendigkeit von םימ םייח (leben‐ digem Wasser) dahingehend, dass das Element des Wassers selbst mit dem Motiv des Lebens verbunden sei. 693 Auf der Grundlage weiterer frühjüdischer Belege kommt sie zu der These: „Durch Waschungen wird rituelle Reinheit wieder her‐ gestellt und der Mensch zurück ins Leben gebracht.“ 694 Der Beobachtung der Interpretation von Wasserritualen durch das Motiv des Lebens soll nicht grund‐ sätzlich widersprochen werden, jedoch ist klärend zu unterscheiden zwischen dem lebenspendenden Aspekt des Wassers und dem reinigenden Aspekt, wel‐ cher in Gemeinschaften zurückführen kann, deren Identität in derartiger Weise Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 410 <?page no="411"?> 695 Siehe unter IV.1.1.1.2. 696 Hipp.haer. IX 3,4: εὐηγγελίσθαι τοῖς ἀνθρώποις καινὴν ἄφεσιν ἁμαρτιῶν ἐπὶ Τραϊανοῦ βασιλείας τρίπτῳ […]. auf der Qualität kultischer Reinheit basiert, dass Unreinheit (einen teilweisen) Ausschluss bedeutet. 695 Darin und auch in vielen weiteren Ritualaspekten lassen sich keine wesent‐ lichen Unterschiede gegenüber den bereits dargestellten Wasserritualen des AT feststellen. Ausgenommen davon bleibt die vermehrte Durchführung der Wa‐ schung als Tauchung entweder von Gegenständen oder von Menschen. Das Vo‐ kabular wie auch die Betonung der Notwendigkeit von ausreichendem Wasser sowie die Unterscheidung von Wasserarten ähneln den Ausführungen im Traktat Miqvaoth grundlegend. Im Vergleich zu den alttestamentlichen Texten wie auch denen der Mischnah fällt jedoch auf, dass derartige Konkretisierungen des Ritualablaufes an keiner Stelle im bewussten Fokus der Texte stehen. Es finden sich keine ausführlichen Beschreibungen der Wasserrituale, ob etwa ganz oder nur bestimmte Körperteile gereinigt werden sollen, oder ob die Rituale nackt oder bekleidet vollzogen werden. Betont wird hingegen beständig die not‐ wendige Übereinstimmung mit den Lehren der Gemeinschaft für die Wirkung der Rituale. Aus den beiläufigen Erwähnungen unterschiedlicher Wasserarten und sich unterscheidenden Bezeichnungen der Vorgänge ist jedoch zu vermuten, dass verschiedene Arten von Wasserritualen vollzogen werden und dem Ritu‐ alablauf daher Bedeutung zugemessen wird. Auf der Grundlage der derzeitig bekannten Quellenlage scheinen mir eine Rekonstruktion oder Überlegungen, die über das bisher Gesagte hinausgehend, als Spekulation. Das Fehlen ent‐ sprechender Beschreibungen könnte jedoch damit erklärt werden, dass die täg‐ liche Anschauung in der geschlossenen Gemeinschaft wie auch die unterschied‐ lichen Arten von Becken und Gefäßen weitere Erläuterungen überflüssig machen. 5.2 Die Elchasaiten 5.2.1 Die Gruppierung - zur Quellenlage Hippolyt, Origines (nach Euseb), Epiphanius und möglicherweise der sog. Mani-Kodex berichten von einer auf Elchasai zurückgehenden Gruppe von Juden, welche später auch im Umfeld christlicher Gemeinden „Mission“ be‐ trieben: „Im dritten Regierungsjahr des Trajan ist den Menschen eine neue Ver‐ gebung der Sünden verkündet worden.“ 696 Origines bemerkt dazu in erheblich abwertendem Tonfall, dass diese das AT sowie die Evangelien nur selektiv ver‐ 5 Gruppen mit intensivem Gebrauch von Wasserritualen 411 <?page no="412"?> 697 Eus.h.e. VI 38. 698 Laut Hippolyt ist das Buch von einem Engel und einem gleichgroßen weiblichen Wesen offenbart worden (Hipp.haer. IX 13,2). Elchasai erhält es ἀπὸ Σηρῶν τῆς Παρθίας und übergibt es später Σοβιαί (Hipp.haer. IX 13,1 f). Wenn auch der Mani-Codex von einem gewissen Sabbaios berichtet, mag damit doch eher eine Gruppe von „Getauften“ ge‐ meint sein (siehe so Rudolph, Baptisten, 13). Theorien zur Identifikation von Σηρῶν als Ort oder auch Volk siehe Brandt, Elchasai, 9 f, sowie Rudolph, Baptisten, 30 Anm. 34. Die Angabe spricht laut Rudolph jedenfalls für eine ursprüngliche Verortung im „sy‐ risch-parthischen Grenzgebiet am oberen Euphrat […], von wo sich die Bewegung dann nach Westen, Osten und Süden ausbreitete“ (a. a. O. 14). 699 Luttikhuizen, Revisions, 180. 700 Rudolph, Baptisten, 15. 701 Siehe auch Hipp.haer. X 29,3, wo zusammenfassend gesagt wird: χρῶνται δὲ ἐπα(οι)δαῖς καὶ βαπτίσμασιν ἐπὶ τῇ τῶν στοιχείων ὁμολογίᾳ - „Sie verwenden Be‐ schwörungen und Waschungen unter Anrufung der Elemente.“ (Übersetzung Preysing, Wiederlegung). wenden, den Apostel (Paulus) sogar ganz verwerfen. 697 Weiterhin erwähnt er ein heiliges Buch, dass „vom Himmel gefallen“ sei. 698 Dass dieses Buch ausführ‐ liche Beschreibungen der praktizierten Wasserriten enthalte, wie sie bei Hip‐ polyt überliefert sind, oder dass Wasserriten überhaupt für die Gruppe eine Rolle spielen, erwähnt Origines nicht. Zumeist werden die im sog. Mani-Codex beschriebenen Gläubigen, welche sich um einen Alchasaios versammeln ( CMC 94,10 f) und bei welchen der spä‐ tere Begründer der Manichäer, Mani, aufwächst, als Elchasaiten identifiziert. Zwar werden von ihnen verschiedenste Wasserriten berichtet, jedoch “we do not find specific agreement between the rites mentioned by Hippolytus and the rites of the Babylonian baptists.” 699 Die bei Epiphanius (Epiph.haer. XIX ; XX 3; XXX 2 f.17) überlieferten Berichte beziehen sich zwar tatsächlich auf Elcha‐ saiten, werden allerdings - nicht nur wegen ihrer Polemik - als historisch un‐ glaubwürdig eingestuft. Zudem sind die Bezugnahmen auf Wasserriten ohnehin spärlich. So wird lediglich festgestellt, dass sie „gewisse Taufen verwenden und das Wasser gegenüber dem Feuer (des Opferkultes) bevorzugen.“ 700 Für eine Be‐ schreibung der von den Elchasaiten praktizierten Wasserriten verbleiben dem‐ nach lediglich die Ausführungen bei Hippolyt (Hipp.haer. IX -X), welche jedoch ebenso wie die Zeugnisse von Origines starke polemische Tendenzen aufweisen. 5.2.2 Die Arten und Bezeichnungen der Wasserrituale Die Elchasaiten praktizieren zwei Arten von Wasserriten, welche zwar mit dem gleichen Begriff, τὸ βάπτισμα, bezeichnet werden, sich jedoch in Ausführung und v. a. Funktion wesentlich unterscheiden. 701 Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 412 <?page no="413"?> 702 Siehe zur Verhältnisbestimmung gegenüber der ersten Taufe unter IV.5.2.3. 703 Epiphanius erwähnt zwar eine Taufe, nicht aber, dass sie an bereits Getauften vollzogen wird. Brandt erklärt diese Beobachtung mit Hilfe von literarkritischen Überlegungen zum geoffenbarten Buch Elchasais und kommt zu dem Schluss, dass Hippolyt und Epi‐ phanius unterschiedliche Varianten vorgelegen haben (Brandt, Elchasai, 94 f). Neben der Verantwortbarkeit derartig detaillierter Literarkritik an einem aus wenigen Zitaten rekonstruierten Buch ist v. a. der historische Wert der Überlieferung des Epiphanius anzufragen. Dieser ist grundlegend vorausgesetzt bei der ausführlichen Darstellung und v. a. den darauf basierenden Schlussfolgerungen der bis heute eingehendsten Untersu‐ chung, welche uns mit der Monographie von Brandt vorliegt. 704 Der als historisch wenig glaubwürdig zu bewertende Mani-Codex berichtet weiterhin vom Tauchen der Nahrung, speziell von Gemüse und Obst (CMC 81,1-82,13). 705 Der Biss von einem tollwürtigen Hund wird gelegentlich symbolisch gedeutet als „von der Sünde gebissen“. Angesichts der Reihung z. B. mit Lungenerkrankungen scheint das m. E. an dieser Stelle aber nicht zwingend. 706 Strecker, Elkesai, 1181. 707 Rudolph, Baptisten, Endn. 45. Er ergänzt ebd.: „Der CMC belegt βαπτίζεσθαι vorwie‐ gend für die Körpertaufe (83,1. 4. 12; 94,9), βαπτίζειν für die ‚Gemüsetaufe‘ (80,3; 81,1; 82,7.20; 88,12 f.). Reinigungswaschung und ‚Taufe‘ ist nicht unterschieden, weshalb gleichbedeutend und z.T. parallel λούεσθαι, ἀπολούεσθαι und καθαρίσαι, (ἀπο-)καθαρθῆναι, verwendet wird“. Siehe auch Brandt, Elchasai, 26.94. 1) Die zweite Taufe - τὸ βάπτισμα / βαπτισάσθω ἐκ δευτέρου: Alkibiades hat eine Taufe bestimmt bzw. eingesetzt (ὁρίζω), durch die eine neue Sündenver‐ gebung ermöglicht wird (Hipp.haer. IX 13,4). Es handelt sich hierbei um eine zweite Taufe 702 (Hipp.haer. IX 15,1), wie die noch zu beschreibende Ritualfunk‐ tion verdeutlichen wird. 703 Auch die Aufforderung dazu lautet: βαπτίζετε (Hipp.haer. IX 16,2 f). 2) Die zu wiederholenden Tauchbäder - τὸ βάπτισμα: Es werden Tauchbäder durchgeführt bei Hundebiss, Krankheit und Besessenheit. 704 Wird man von einem tollwütigen Hund gebissen 705 oder berührt, so soll man in einen Fluß oder eine Quelle steigen (καταβὰς εἰς ποταμὸν ἢ εἰς πηγήν, Hipp.haer. IX 15,4) und βαπτισάσθω (Hipp.haer. IX 15,5.6). Lungenkranke sollen βαπτίζεσθαι. Taufe wie Tauchbäder werden zwar gleichermaßen als τὸ βάπτισμα be‐ zeichnet, jedoch lässt sich eine Differenzierung in der Verbwahl ausmachen: Strecker weist darauf hin, dass βαπτισάσθω passivisch kausativ verwendet die Taufe bezeichnet (Hipp.haer. IX ,15,1; vgl. 16,2), anders als „jene Waschungen, die von den Beteiligten selbst vollzogen werden (medial. βαπτισάσθω: Hipp.haer. IX 15,5 f) u. nicht Sündenvergebung, sondern Heilung von Krank‐ heiten (Tollwut, Schlangenbiß u. dämonischer Besessenheit) bewirken sollen.“ 706 Rudolph beurteilt diesen terminologischen Befund eher als „mißverständlich“, spekuliert über eine christliche Beeinflussung und verweist auf die fehlende Differenzierung etwa im CMC . 707 5 Gruppen mit intensivem Gebrauch von Wasserritualen 413 <?page no="414"?> 708 Diese Zeugen sind: der Himmel, das Wasser, die heiligen Geister, die Gebetsengel, das Öl, das Salz und die Erde (Hipp.haer. IX 15,2). Zur Deutung dieser sieben Zeugen siehe ausführlich a. a. O. 14-16. 709 Eine Überlieferung belegt an dieser Stelle ein gleichordnendes καὶ, siehe die textkriti‐ schen Anmerkungen in Hippolyt, 253. Auch wenn solche Beobachtungen wie deren Interpretation interessant sind und mit bedacht werden sollten, ist dennoch vor einer Überinterpretation von spezifischen Begrifflichkeiten in Texten zu warnen, welche sämtlich Fremd‐ zeugnisse darstellen. Es bleibt vielmehr zu fragen, ob Darstellungen, welche den Vollzug von Wasserritualen verschiedener Bedeutung mit ähnlichen oder auch den gleichen Verben beschreiben, den differenzierenden Schwerpunkt nicht an‐ derswo sehen wollen. So geht nämlich aus sämtlichen Texten eindeutig hervor, dass die sog. zweite Taufe durch einen anderen und mit anderer Funktion voll‐ zogen wird als die Selbsttauchungen. 5.2.3 Der Ritualablauf 1) Die zweite Taufe: Christen, welche schwer gesündigt haben, erhalten die Möglichkeit sich zu bekehren (ἐπιστρέψαι, Hipp.haer. IX 15,3), und im Vertrauen auf das Buch sich ein zweites Mal taufen zu lassen. Konkret erwähnt werden in diesem Zusammenhang verschiedene sexuelle Vergehen (gleichgeschlechtlich, mit einem Tier, mit Schwester oder Tochter, Ehebruch und Hurerei, Hipp.haer. IX 15,1) sowie falsches Prophetentum (Hipp.haer. IX 15,3). Diese Taufe wird vollzogen ἐν ὀνόματι τοῦ μεγαλοῦ καὶ ὑψίστου θεοῦ καὶ ὀνόματι υἱοῦ (τοῦ) μεγάλου βασιλέως (Hipp.haer. IX 15,1), wobei die sieben im Buch genannten Zeugen anzurufen sind. 708 Getauft wird σὺν τοῖς ἐνδύμασιν (Hipp.haer. IX 15,3). Ob die sich den Anweisungen anschließende Bemerkung καθαρισάτω καὶ ἁγνευσάτω (Hipp.haer. IX 15,1) ein weiterer Ritualbestandteil ist, nämlich ein zusätzliches Reinigen und Waschen nach der Taufe oder eine Deutung dieser, lässt sich nicht eindeutig bestimmen. 709 Voraussetzung ist die Anwesenheit von ἐπὶ δύο καὶ τριῶν μαρτύρων (Hipp.haer. ΙΧ 15,2). 2) Die zu wiederholenden Tauchbäder: Wer von einem tollwütigen Hund ge‐ bissen oder berührt wurde, soll sich mit all seinen Kleidern (σὺν παντὶ τῷ φορέματι αὐτοῦ, Hipp.haer. ΙΧ 15,6) sofort in einem Wasser untertauchen (βαπτισάσθω) und dabei τῷ μεγάλῳ καὶ ὑψίστῳ θεῷ anrufen (Hipp.haer. IX Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 414 <?page no="415"?> 710 Neben dem höchsten Gott sollen die sieben in dem Buch aufgeschriebenen Zeugen mit folgenden Worten angerufen werden: „Siehe, ich rufe zu Zeugen den Himmel und das Wasser und die heiligen Geister und die Gebetsengel und das Öl und das Salz und die Erde. Diese sieben Zeugen rufe ich zum Zeugnis, daß ich nimmermehr sündigen, nicht mehr ehebrechen, nicht mehr stehlen, nicht mehr Unrecht tun, nicht mehr betrügen, nicht mehr Feindschaft haben, niemand mehr verachten, nicht mehr an irgendetwas Lasterhaften Freude haben werde.“ (Hipp.haer. IX 15,5 f; Übersetzung Preysing, Wie‐ derlegung). Da Anlass für das Tauchbad ein Biss oder eine Berührung durch einen toll‐ wütigen Hund gewesen ist, scheint diese entweder als Strafe für sündhaftes Verhalten gedeutet zu werden oder aber mit dem Untertauchen allgemein Versprechungen zu sündfreiem Leben verbunden zu sein. 711 Brandt, Elchasai, 27. Er verweist dafür etwa auf bJev 46b. 712 […] τὸ θυσιαστήριον τό τε πῦρ ὡς θεοῦ ἀλλότριον, τὸ δὲ ὕδωρ εἶναι […] (Epiph.haer. XIX 3,7). 713 Brandt, Elchasai, 25. 15,5). 710 Das Wasser mag eine Quelle oder ein Fluss sein, ὅπου ἐὰν ᾖ τόπος βαθύς (Hipp.haer. IX 15,5). Lungenkrankheiten und Besessenheit bedürfen einer ausführlicheren Behandlung: Bei ihnen soll man sieben Tage lang je 40mal un‐ tertauchen (Hipp.haer. IX 16,1). Folgende allgemeine Konditionierungen sind noch zu erwähnen: Es wird von allen Anhängern gefordert, sich beschneiden zu lassen und das Gesetz zu halten (Hipp.haer. IX 14,1), wobei Hippolyt nicht ausführt, in welcher Reihenfolge Be‐ schneidung und Taufe vollzogen werden. Für die Taufe werden zudem zeitliche Einschränkungen erwähnt: Es soll nicht getauft werden an astrologisch zu er‐ mittelnden Tagen der ἀστέρες πονηροὶ τῆς ἀσεβείας (Hipp.haer. IX 16,2), am Sabbat, am dritten Tag der Woche (Hipp.haer. IX 16,3). Laut Brandt leiten sich diese Einschränkungen direkt vom Proseytentauchbad ab, welches ebenfalls an Sabbat, Feiertagen und bei Nacht verboten gewesen sei. 711 Aus der Betonung, dass an solchen Tagen weder ἄνδρα ἢ γυναῖκα getauft werden sollen, kann abgeleitet werden, dass die Taufe prinzipiell an beiden Geschlechtern vollzogen wird. 5.2.4 Die Ritualfunktion und -deutung Nicht dem Feuer sollen sie folgen „[…] sondern folgt vielmehr der Stimme des Wassers.“ ([…] πορεύεσθε δὲ μᾶλλον ἐπὶ τὴν φωνὴν τοῦ ὕδατος, Epiph.haer. XIX 3,7). Dieses bei Epiphanius überlieferte Schlagwort der Elchasaiten meint die Ersetzung der Brandopfer durch Wasserrituale. 712 „Natürlich um beim Wasser zu finden, was sonst beim Feuer gesucht wurde: die Gunst der Gottheit und die Sühne der Verfehlungen.“ 713 Mit Blick auf die beiden unterschiedlichen Typen von Wasserriten sind die Funktionen jedoch noch weiter zu differenzieren. 5 Gruppen mit intensivem Gebrauch von Wasserritualen 415 <?page no="416"?> 714 So auch a. a. O. 94. 715 Dieser Hinweis findet sich sowohl bei Hippolyt (Hipp.haer. IX 15,3.6) als auch bei Epi‐ phanius (Epiph.haer. XXX 2). 716 Brandt, Elchasai, 25. Diesbezüglich sei angemerkt, dass genau dies der Grund ist, warum Männer bei einem Proselytentauchbad einer Frau nur außerhalb der Sichtweite, nor‐ malerweise durch Mauern getrennt beiwohnen dürfen. Siehe unter IV.4.6. 1) Die zweite Taufe: Da die Elchasaiten Beschneidung und christliche Taufe praktizieren, mag die Beschneidung die grundsätzliche Funktion der Initiation übernehmen und die Taufe den Aspekt der Sündenvergebung. Dafür spricht m. E. die entsprechende Funktionszuschreibung für die zweite Taufe: καινὴν ἄφεσιν ἁμαρτιῶν (Hipp.haer. IX 13,4; 15,1). Da diese zweite Taufe allerdings einhergeht mit einem Bekennen und dem Glauben an das geoffenbarte Buch und sich zudem an derartige Sünder richtet, welche auf Grund der Schwere ihrer Schuld aus anderen christlichen Gemeinden ausgeschlossen wurden, nimmt diese zweite Taufe auch Aspekte einer Initiation in die elchasaitische Gemein‐ schaft an. 714 Weitergehende Differenzierungen würden auf Grund der relativ schmalen Quellenbasis in den Bereich des Spekulativen führen. 2) Die zu wiederholenden Tauchbäder: Wiederholte Tauchbäder bei Hunde‐ bissen und Lungenkranken scheinen zunächst therapeutische Funktion zu haben. Für eine entsprechende reinigende Vorstellung nach einem Biss oder Berührung durch einen tollwütigen Hund spricht auch die Empfehlung, das Tauchbad so schnell wie möglich zu vollziehen und dabei sämtliche, möglicher‐ weise verunreinigte Kleidung anzubehalten (Hipp.haer. IX 15,5). Allerdings deuten die dabei zu sprechenden Beteuerungen, hinfort ein sündfreies Leben zu führen (Hipp.haer. IX 15,6), darauf hin, dass die Tauchbäder dennoch im Zu‐ sammenhang mit der Sündenvergebung standen. Da dies jedoch von Hippolyt nicht näher ausgeführt wird, lässt sich nur Folgendes vermuten: Entweder wurden die Krankheiten als Strafe bzw. Symptom für eine sündhafte Lebens‐ weise gewertet oder aber auf das allgemeine Versprechen eines sündfreien Le‐ bens hin Heilung erhofft. Dass Taufe wie Tauchbad in kompletter Bekleidung vollzogen werden, 715 kann neben einer reinigenden Vorstellung auch andere Aspekte transportieren: Brandt verwehrt sich heftig gegen eine Deutung, dass dies allein aus Scham‐ haftigkeit geschehe oder dass die Formulierungen ein vom Tauchbad unabhän‐ giges Untertauchen der Kleidung meinen könnten, wie es etwa die jüdischen Vorschriften vorsehen. 716 Er kontrastiert diese Anweisung mit der von den Es‐ säern berichteten Praxis eines Lendenschurzes, bietet aber schließlich keine Deutung an. M. E. könnte die Anweisung, sich samt aller Kleidung taufen zu lassen, den holistischen Aspekt betonen: Einfach alle(s), inklusive des Gewandes Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 416 <?page no="417"?> 717 Siehe unter V.5. haben es nötig, untergetaucht zu werden, sodass komplette grundlegende Sün‐ denvergebung geschehen kann. Die Deutung des zu wiederholenden Untertau‐ chens ἐν ὀνόματι τοῦ μεγάλου καὶ ὑψίστου θεοῦ und der zweiten Taufe ἐν ὀνόνματι τοῦ μεγαλοῦ καὶ ὑψίστου θεοῦ καὶ ὀνόματι υἱοῦ (τοῦ) μεγάλου βασιλέως ist an späterer Stelle eingehender zu bedenken. 717 5.2.5 Ertrag Von den Quellen, welche Wasserrituale erwähnen und beschreiben, kann ledig‐ lich für Hippolyts Refutatio sicher festgestellt werden, dass sie tatsächlich auf die Elchasaiten Bezug nimmt und zugleich als ausreichend historisch glaub‐ würdig einzuordnen ist. Da es sich jedoch auch hierbei um einen Bericht aus dritter Hand mit zudem eindeutig polemischen Tendenzen handelt, sind sämt‐ liche Notizen, speziell Spezifika wie differenzierende Terminologie, unter Vor‐ behalt zu beobachten. Laut Hippolyt vollziehen die Elchasaiten zwei sich grund‐ sätzlich in Ablauf und Bedeutung unterscheidende Wasserrituale, einerseits eine Taufe und andererseits selbst ausgeführte Tauchungen. Während beide Rituale als τὸ βάπτισμα bezeichnet werden, ist mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit eine Differenzierung in der Beschreibung des Vorganges wahrzunehmen. Bei der Taufe handelt es sich um eine zweite Taufe zur Sündenvergebung für bereits getaufte Christen, welche sich schwerwiegende Verfehlungen haben zu‐ schulden kommen lassen. Wenn auch die notwendige Beschneidung grundsätz‐ lich initiatorische Funktion wahrnimmt, so macht doch die Verpflichtung des Täuflings auf das Offenbarungsbuch deutlich, dass dieser (zweiten) Taufe neben der Sündenvergebung ebenfalls ein initiativer Aspekt eignet. Die selbstvollzo‐ genen Tauchungen hingegen sind bei Krankheiten in reinigend-therapeutischer Absicht anzuwenden. Aber auch sie verlangen die Übereinstimmung mit den Richtlinien des Buches bzw. das Versprechen, diesen künftig zu folgen. Es wird mehrmals betont, dass Taufe und ggf. auch Tauchungen in kompletter Beklei‐ dung durchzuführen sind. Zudem werden Tage benannt, an denen nicht getauft werden soll. 5.3 Die Mandäer 5.3.1 Die Gruppierung - zur Quellenlage „Es gibt wohl in der Religionsgeschichte keine Religionsgemeinde, deren Ur‐ sprung und Werdegang so umstritten und unerklärbar erscheint wie der der 5 Gruppen mit intensivem Gebrauch von Wasserritualen 417 <?page no="418"?> 718 Rudolph, Mandäer I, 1. 719 Neben kleineren Gemeinden in den USA, Kanada, Europa sowie Australien leben heute noch „einige tausend bis hunderttausend“ Mandäer im Südirak und Iran, http: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Mand%C3%A4er#Gegenwart, letzter Zugriff 16. 10. 2014. 720 So Rudolph, Mandäer I, 252-255; Segelberg, Masbūtā, 182-184; Lidzbarski, Ginza, I-XII. 721 Siehe ausführlich Rudolph, Mandäer I, 48-63. 722 Siehe ausführlich a. a. O. 108-131. 723 So Müller-Kessler, Mandaeans, 47-60; Brandt, Mandäer, 34-37, und Hultgård, Water Ritual, 92-94. 724 A. a. O. 93. 725 So nachdrücklich Hartte, Wasserkultus, 104 f: „Die Tatsache, dass die Gemeinden der Mandäer in demselben Territorium des alten Ea-Kultes nahe Eridu ihren Sitz hatten, macht es […] geradezu sicher, dass hier eine Fortsetzung der babylonischen Wasser‐ verehrung im Dienste Eas vorliegt […] und fügen wir hinzu, eine Weiterbildung.“ Hult‐ gård verweist dazu auf die Fülle an Texten zu babylon. Reinigungsriten, welche da‐ raufhin zu befragen seien. Siehe Zimmern, Vorbild; und Widengren, Enthronement, 573-587. 726 Siehe Hultgård, Water Ritual, 71. Mandäer“ 718 und das obwohl, vielleicht auch weil sie die einzige der Taufsekten der Antike ist, welche bis heute existiert. 719 Besonders strittig ist dabei die erste geographische und damit auch religionsgeschichtliche Verortung: Protago‐ nisten der Mandäerforschung, wie Rudolph und Segelberg, sehen den Ursprung der Gemeinschaft in jüdisch(-christlichen) Kreisen des 1. Jh.s in Palästina, spe‐ ziell dem Jordantal. Von dort aus habe sich die Bewegung über Westmesopota‐ mien bis hin nach Zentral- und Südbabylonien ausgebreitet. 720 Dafür spreche v. a., dass sowohl der Jordan als auch Johannes der Täufer tief verwurzelte Mo‐ tive der mandäischen Wasserrituale wären 721 und auch die sonstigen Lehren typische gnostische Züge aufweisen würden. 722 Demgegenüber sehen immer wieder Forscher älterer wie jüngerer Zeit Mesopotamien als den regionalen wie religiösen Ursprung an, 723 denn „[t]he cultural milieu of that region is well re‐ flected in the Mandaean incantation texts, as well as in the early literature, the Ginza and the Qolasta.“ 724 Die in den Quellen beschriebenen Wasserrituale werden entsprechend entweder auf das Umfeld Johannes des Täufers, anderer Täuferbewegungen oder auch der christlichen Taufe zurückgeführt bzw. die Texte als versuchte Abgrenzung zu diesen verstanden. Oder aber der rituelle Ursprung wird im babylonischen Wasserkult gesehen. 725 Auch die Weltsicht und Lehren der Mandäer zeigen, dass beide Religions- und Kulturkreise Einfluss auf sie gehabt haben: Die oberste Gottheit wird zumeist als „Leben“ bezeichnet, aber auch als „erstes Leben“, „Herr der Größe“, „der Vater“ oder „König des Lichts“. 726 Die Gebetssammlung Qolastā beginnt ent‐ Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 418 <?page no="419"?> 727 Die folgenden Zitate und Übersetzungen folgen Mandäische Liturgien, übersetzt und erklärt von Mark Lidzbarski. Da sich in der Sekundärliteratur unterschiedliche Kapi‐ telzählweisen zur Qolastā finden lassen, orientieren sich die Stellenangaben in dieser Arbeit an den Seitenzahlen bei Lidzbarski. 728 Hultgård, Water Ritual, 72. 729 Auch wenn das älteste uns erhaltene Manuskript auf das Jahr 1529 datiert, so wird doch deutlich, dass es sich dabei um eine Abschrift eines wesentlich älteren Textes handelt. Siehe Macuch, Anfänge, 159. 730 Siehe ausführlich Rudolph, Mandäer II, 56 Anm. 1. sprechend mit אמושב אייהד - „Im Namen des Lebens“ (Qolastā, 3). 727 Darunter ordnen sich Lichtgestalten und göttliche Wesen unterschiedlichen Ranges. Demgegenüber steht „a world of darkness and evil that was formed and emerged from a primordial element, ‚the black waters‘. It is ruled by the Lord of darkness together with his mother, the fallen spirit Ruha.“ 728 Da es sich nicht mehr zweifelsfrei feststellen lässt, wann die einzelnen Motive und rituellen Einflüsse Eingang in den Glauben der Mandäer und schließlich auch in deren Schriften gefunden haben, wird sich das Ursprungsgebiet nicht mehr eindeutig bestimmen lassen, wenn auch die Bedeutung des Jordans sowie Johannes des Täufers für das Palästina des 1. Jh.s sprechen. Ob die in den man‐ däischen Schriften beschriebenen Wasserrituale diese These weiter bestätigen, wird die folgende Untersuchung zeigen. Sie stützt sich für die Beschreibung und Interpretation der Wasserrituale der Mandäer hauptsächlich auf die Qolastā. 729 Die Sammlung von Gebeten ist zwar „not a liturgical manual in the strict sense prescribing the exact sequence and performance of various rites“, enthält allerdings nach den einzelnen Gebeten entsprechende liturgische Anweisungen für die Priester. Die ersten 31 Kapitel beinhalten Gebete, welche im Zusammenhang mit der Masbūtā, dem zentralen Wasserritual der Mandäer stehen. Darüber hinaus sollen Ginza und andere Schriften nur in Einzelfällen ergänzend hinzugezogen werden. 5.3.2 Die Arten und Bezeichnungen der Wasserrituale 1) die Masbūtā - אתובצאמ : In der Antike wie heute stellt die Masbūtā das Hauptritual der Mandäer dar. Die Bezeichnung geht auf die Wurzel ṣb zurück, welche so viel wie „Eintauchen, Untertauchen“ bedeutet. 730 Sowohl der reflexive Gebrauch als auch die Schilderungen sprechen dafür, dass es sich um ein selbst zu vollziehendes Tauchbad handelt, dem verschiedene Einzelrituale vor- und nachgelagert sind, welche der Mitwirkung eines Priesters bedürfen und von Gebeten begleitet und gedeutet werden. Die Masbūtā ist wiederkehrend am ersten Tag der Woche zu vollziehen, kann aber auch (vorbereitender) Teil an‐ 5 Gruppen mit intensivem Gebrauch von Wasserritualen 419 <?page no="420"?> 731 Ign. narr 31-33; siehe Siouffi, Études, 68 ff.105 ff. 732 Brandt, Mandäische Religion, 89. 733 Dieses wie nachfolgende Zitate aus dem Ginza folgen der Übersetzung von Brandt, Mandäische Schriften. 734 Qolastā X; XIII. 735 Eine ausführliche Auflistung der mandäischen Verben siehe bei Rudolph, Mandäer II, 81, wobei er anmerkt, dass keines „dieser Verba auf einen speziellen Terminus technicus den Anspruch erheben dürfte“ (ebd.). 736 Brandt, Mandäische Religion, 95. derer ritueller Zusammenhänge sein, z. B. einer Hochzeit oder einer Priester‐ weihe. 731 Da sowohl Außenstehende wie auch Kinder, welche das Ritual noch nicht vollzogen haben, nicht als Mandäer gelten, ist die Masbūtā als ständig zu wiederholendes Zugehörigkeitsritual zu verstehen, welches Sündenvergebung wirkt und für den Gläubigen „das Unterpfand seiner künftigen Seligkeit“ 732 dar‐ stellt. Denn mit Verweis auf die Masbūtā ist den Mandäern gesagt: „Euer Zeichen ist das Zeichen des lebenden Wassers, durch welches [Zeichen] ihr aufsteigt zum Lichtort“ (Ginza 18,13). 733 Zudem findet sich auch die Vorstellung, dass selbst im Jenseits die Taufe von den Lichtwesen wiederkehrend vollzogen wird. 734 2) Die Reinigungswaschungen - Tamasha: Täglich, aber auch mit konkretem Anlass werden allgemeine Reinigungswaschungen durchgeführt, welche nach dem mandäischen tmaša, „untertauchen, eintauchen“ benannt sind. Dieses ebenfalls selbst zu vollziehende Ritual wird in den Quellen mit „(ab)waschen, reinigen, (ab)spülen“ 735 umschrieben. Trotz der unterschiedlichen Bezeich‐ nungen und der Ausführlichkeit der Masbūtā kommt Brandt zu dem Schluss: „Reinigungsbad und Taufsacrament lassen sich nach den vorliegenden Be‐ richten nicht unterscheiden; ebenso wenig giebt es einen wesentlichen Unter‐ schied zwischen Selbstlustrationen und Taufe durch den Priester.“ 736 Da er nicht genauer ausführt, ob er sich mit seiner These eher auf den Ritualablauf und / oder auf die Ritualfunktion bezieht, hat die nachfolgende Untersuchung diese Differenzierung zu erbringen und abschließend zu beurteilen, ob sich die sonntägliche Masbūtā und die täglichen Waschungen tatsächlich in so erhebli‐ chen Maße gleichen. Eine zweite Art der täglichen Waschung, Rishama genannt - nach mand. rašūma „Zeichnung, Zeichen“, wird zwar gelegentlich in der Sekundärliteratur erwähnt und auch bei den zeitgenössischen Mandäern vollzogen, ist in den Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 420 <?page no="421"?> 737 Siehe Drower, Mandaeans, 101-104. In ihrer Studie beschreibt Drower ausführlich die rituelle Welt der Mandäer im Ausgang des 19. Jh.s. Die Benennung rishama bezieht sich ihrer Meinung nach auf einen Teilaspekt des Ritualablaufes: „He takes water in his hand and signs himself from ear to ear across the forehead from right to left […]“ (a. a. O. 103). Drower bezeichnet diesen täglich zu wiederholenden Vorgang als „minor baptism“, die „removing the lesser pollutions and protecting the faithful from the perils of daily life, as well as reiterating belief in eternal life“ (a. a. O. 104). 738 Siehe z. B. Brandt, Mandäische Religion, 99-113; Hultgård, Water Ritual, 76-79; Ru‐ dolph, Mandäer II, 56-80; Segelberg, Masbūtā, 19-110. 739 Lidzbarski, Liturgien, vi. 740 Hultgård, Water Ritual, 85. 741 Zur schwierigen Diskussion des Verhältnisses und v. a. der Entstehungsreihenfolge von ausdeutenden Gebeten und liturgischen Anweisungen zu den Ritualhandlungen siehe ausführlich Rudolph, Mandäer II, 58 f, aber auch Schaeder, Reitzenstein, 353-360. mandäischen Quellen allerdings zu uneindeutig belegt, um sie hier ausführlich darstellen zu können. 737 5.3.3 Der Ritualablauf 1) Masbūtā: Bevor der Ablauf der Masbūtā en détail geschildert werden kann, sind zwei grundsätzliche, miteinander in Zusammenhang stehende Fragen zu klären: Welche Einzelrituale gehören zur eigentlichen bzw. ursprünglichen Masbūtā und wann haben sich die anderen in der Entwicklungsgeschichte des Rituals angelagert? Die zweite Frage wird in der Forschung sehr kontrovers diskutiert, was nicht zuletzt die immer wieder neuen Rekonstruktionsver‐ suche 738 für das antike wie das moderne Ritual belegen. Angesichts des jungen Alters erhaltener Quellen im Gegenüber zu beinahe 2000 Jahren Ritualge‐ schichte ist man geneigt, Lidzbarski zuzustimmen: „Die einzelnen Stücke der Rituale sind sicherlich zu sehr verschiedenen Zeiten entstanden, aber bei unserer Unkenntnis der Geschichte der Mandäer ist es nicht möglich, sie irgendwie zeitlich zu fixieren.“ 739 Dennoch hat erst wieder in den letzten Jahren Hultgård in seiner Studie versucht nachzuweisen, „the main elements of the present mas‐ buta were certainly part of the Mandean water ritual in Late Antiquity.“ 740 Wenn er dafür auch beachtenswerte Argumente bietet und diese Frage aus ritualwis‐ senschaftlicher Sicht durchaus von Interesse ist, so vermeiden die nachfol‐ genden Abschnitte dennoch entsprechende Annahmen, die letztlich Spekula‐ tionen bleiben müssen, dadurch, dass sie lediglich die in Qolastā und Ginza erwähnten Teilrituale berücksichtigen. 741 In besonderer Weise stellt sich die Frage allerdings für das der Masbūtā fol‐ gende Mahl: Während Segelberg in seiner Studie zu dem Schluss kommt, dass das Mahl zusammen mit anderen ausdeutenden Ritualen sich erst in nachantiker 5 Gruppen mit intensivem Gebrauch von Wasserritualen 421 <?page no="422"?> 742 Segelberg, Masbūtā, 154. 743 So z. B. Rudolph, Mandäer II, 340-348; Widengren, Mandäismus, 88. 744 So ebd.: „In der mandäischen Taufe ist das wichtigste vor allem, dass Taufhandlung und Kommunion nur eine Haupthandlung bilden.“ Siehe auch Rudolph, Mandäer II, 57 Anm. 7, der Stellen auflistet, in denen Wasserritual und Mahl gemeinsam genannt werden, was mindestens für eine enge Zusammengehörigkeit spricht. 745 Genaugenommen bietet die Qolastā „zwei Versionen“ (so a. a. O. 57) der Masbūtā, ei‐ nerseits die Gebete und liturgischen Anweisungen für das Ritual und andererseits eine Schilderung der Masbūtā Adams durchgeführt von Hibil-Ziwa (Qolastā 20). Als Mas‐ būtā םאדאל אבאג (an Adam, dem ersten Mann) stellt sie damit eine Art Gründungs‐ mythos des Rituals dar, bei dem Hibil-Ziwa die Funktionen des Priesters übernimmt. Im Übrigen weichen beide Schilderungen „nicht sehr voneinander ab“ (ebd.), wenn auch die Masbūtā Adams zusammenhängender und teilweise ausführlicher dargestellt wird (so Reitzenstein, Vorgeschichte, 168 Anm. 1; Rudolph, Mandäer II; 57 Anm. 4). Auch dieses Gewässer wird אנדראיד ( Jordan) genannt. 746 Zu den vorbereitenden Handlungen des Priesters gehören das Aufstellen der im Ritual verwendeten Kultgeräte, Waschung und Ankleidung des Priesters mit dem sog. rasta, Gebete für Burzinga, den Kranz und dessen „Aufrichtung“, Herstellung der Myrthen‐ kränze und die Bekränzung des Priesters, Gebet für den Weihrauch und dessen Ent‐ zündung, Gebete am Jordanufer, Anlegen des Kopftuches und Eröffnung des Jordans (Qolastā 20). (Diese Auflistung wie die folgenden Ausführungen zu den Ritualhand‐ lungen orientieren sich an der historisch-kritischen Rekonstruktion von a. a. O. § 9). 747 Rudolph wie die meisten anderen Forscher bezeichnen das Wasserritual in der Summe seiner Einzelteile als „Taufe“. Die Qolastā schreibt an den entsprechenden Stellen stets אתובצאמ (Masbūtā). Zeit an die Taufe anlagert, 742 spricht sich doch die Mehrheit der Forscher dafür aus, dass das Mahl bereits in der Antike in dieser oder ähnlicher Form begangen wurde und stützt sich dazu auf die entsprechenden Belege in Qolastā und Ginza. 743 Dies lässt jedoch die Frage offen, ob das Mahl als wesentlicher Be‐ standteil der Masbūtā zu verstehen ist 744 oder ob es sich bei Wasserritual und Mahl um zwei aufeinander folgende, aber dennoch verschiedene Rituale han‐ delt. Die Masbūtā ist also ein Gesamtritual, in dessen Zentrum ein Tauchbad steht. Es finden sich unter den anderen Ritualteilen allerdings auch noch weitere Was‐ serrituale. Die Qolastā belegt dazu in ihrem ersten Teil folgende Einzelrituale: 745 1) Vorbereitungen des Priesters: Der Priester bereitet sich selbst wie auch den Ritualort für die Masbūtā vor. Dazu gehören u. a. Waschungen und Gebete. 746 2) Das Wasserritual 747 Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 422 <?page no="423"?> 748 Die Aufforderung an den Täufling geschieht mit den Worten: „Im Namen des großen Lebens. Ein jeder, der die Kraft dazu hat und dessen Seele es liebt, komme, steige zum Jordan herab, werde getauft, empfange das reine Zeichen, ziehe Gewänder des Glanzes an und richte sich auf dem Haupte prangende Kränze auf “ (Qolastā, 26 f). 749 Kuštā meint einen Handschlag mit der jeweils rechten Hand, siehe dazu Rudolph, Man‐ däer II, 140-151. 750 Rudolph weist den Einzelelementen der mandäischen Masbūtū-Zeremonie „Parallelen“ in der christlichen Liturgie zu: Ölzeichnung = Versiegelung; Pihtā (Brot) und Masbūtā (Wasser) = Kommunion; Handauflegung und Versiegelung = Exorzismus. 2.1) Vorbereitungen des Priesters im Jordan: 1. Der Priester steigt in den Jordan (Qolastā, 20; 56); 2. „Epiklese“ über Margna (Qolastā, 21; 56), der in den Jordan gesteckt und bekränzt wird (Qolastā, 56); 3. Exorzismus mit Bin‐ dezauber (Qolastā, 22-25) und Herbeirufung der Lichtwelt (Qolastā, 24); 4. Besprengung des Jordans (Qolastā, 56); 5. Aufforderung an Täuflinge, in den Jordan zu steigen (Qolastā, 26 f; 56 f). 748 2.2) das eigentliche Wasseritual (Qolastā, 27; 57) 2.2.1) dreimaliges Tauchbad des Täuflings, 2.2.2) dreimaliges Untertauchen durch den Priester / Täufer, 2.2.3) dreimalige Zeichnung durch den Priester mit Sprechen der Tauf- und Zeichenformel: „N, Sohn der N! Du bist mit dem Zeichen des Lebens gezeichnet, der Name des Lebens und der Name des Mandā dHaijē ist über dich ausgesprochen. Du bist mit der Taufe des großen Bihrām, des Sohnes des gewaltigen (Lebens), gezeichnet. Deine Taufe behüte dich und sei erfolgreich. Der Name des Lebens und der Name des Mandā dHaijē ist über dich ausgesprochen.“ (Qolastā, 27) 2.2.4) dreimaliges Wassertrinken des Täuflings bei Wiederholung der Tauf‐ formel, 2.2.5) Bekränzung des Täuflings mit dem Myrthenkranz, 2.2.6) Handlung und Anrufung von 12 verborgenen Namen, 2.2.7) Kuštā 749 zwischen Priester und Täufling (Qolastā, 28; 57), 2.2.8) Heraussteigen des Täuflings aus dem Jordan (Qolastā, 28; 57). 2.3) Nachbereitungen des Priesters im Jordan: Lobpreis und Bitte für die Ge‐ tauften (Qolastā, 30 f; 57). 3) Ölzeichnung: 750 Gebete und dreimaliges Zeichnen der Stirn der Ge‐ tauften mit adia bei Wiederholung der Taufformel (Qolastā, 34-39) und Selbstsalbung des Priesters (Qolastā, 40); Kuštā geben. 4) Pihtā (Brot) und Mabūhā (Wasser) für die Täuflinge: Brot (Pihtā) und Wasser (Mabūhā) werden vom Priester gesegnet; das Brot in das Wasser 5 Gruppen mit intensivem Gebrauch von Wasserritualen 423 <?page no="424"?> 751 Siehe Brandt, Mandäische Religion, 98-113; Segelberg, Masbūtā, 38-71; Hultgård, Water Ritual, 85 f; Hartte, Wasserkultus, 104-108. 752 Siehe die umfangreichen Studien von Drower, Mandaeans, und Siouffi, Études. 753 Diese Bezeichnung ist dann auch eines der Hauptargumente für eine Verortung der Anfänge der Mandäer in Palästina, siehe unter IV.5.3.1. 754 Siehe Rudolph, Mandäer II, 56, bes. Anm. 4. getaucht und beides den Getauften gereicht (Qolastā, 40; 58), nachdem diese ihre rechte Hand im Jordan gewaschen haben; Kuštā geben. 5) Handauflegung und Versiegelung: Handauflegung des Priesters bei Ver‐ lesen der „siegelnden Gebete“ (Qolastā, 40-45) zum Schutz gegen Dä‐ monen; Hymnen, welche die Taufhandlungen und ihre Bedeutung zum Inhalt haben; Kuštā geben unter Segensformel (Qolastā, 50); Kuss der eigenen rechten Hand. 6) Priestermahl: Gebete u. a. um Sündenvergebung; Gebete über Brot und Wasser; Eintauchen des Brotes in das Wasser; Priester nimmt Brot und Wasser zu sich (Qolastā, 52). 7) Abschluß: Die im Ritual verwendeten Elemente werden geehrt und ab‐ gelegt (Qolastā, 53). Die hier gebotene Gliederung der Einzelelemente orientiert sich an der Darstel‐ lung von Rudolph. Andere grundlegende Studien zum antiken Ritual, wie etwa die von Brandt oder Segelberg, weichen - auf Grund der gemeinsamen Haupt‐ textgrundlage der Qolastā - kaum in Reihenfolge, aber gelegentlich in der Glie‐ derung bzw. Zusammenfassung von Einzelelementen zu größeren Zusammen‐ hängen ab. 751 Studien, welche auch Beobachtungen an den modernen Mandäern als Quellen hinzuziehen, weisen einzelne weitere im Wesentlichen ausdeutende Elemente und Details auf. 752 Neben dem Ablauf lassen sich noch folgende Einzelaspekte aus den Quellen erheben: Das Wasser, in dem die Mandäer die Masbūtā vollziehen, bezeichnen sie als Jordan נדראיד (z. B. Qolastā, 24), 753 dessen grundlegende Bedeutung sich aus Formulierungen und Umschreibungen ablesen lässt, welche den Begriff Masbūtā teilweise ersetzen: „zu den Ufern des Jordans gehen“ ( GL 86,11), „in den Jordan hineinsteigen“ (Qolastā, 24) oder auch „den Jordan nehmen“ (Qo‐ lasta, 57). Die Masbūtā ist stets am אבאשבאה (Sonntag) als dem ersten Tag der Woche durchzuführen, wobei die besondere Bedeutung des Tages nach Rudolph gerade von der Masbūtā herrührt. 754 So kann der אבאשבאה etwa von den Man‐ däern als Zeuge für ihren Glauben angeführt werden - neben dem Jordan, dem Almosengeben und der Kuštā (Qolastā, 33 f). Neben dem Sonntagsgebot unter‐ scheidet sich die Masbūtā von den anderen Wasserritualen v. a. durch die Not‐ Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 424 <?page no="425"?> 755 A. a. O. 67. 756 Qolastā, 21 ermahnt das Pandāmā nicht zu vergessen. 757 Qolastā, 25 warnt vor der Bereitung des Pihtā im Sitzen. Siouffi, Études, 77, nennt für das moderne Ritual fünf Aspekte, welche dieses ungültig werden lassen: die Unvoll‐ ständigkeit des Gewandes des Priesters, die Verunreinigung der Taufstätte, das Ver‐ gessen einer Formel oder eines Gebetes, Lockerlassen des Gürtels und das Verlassen des Jordan während der Taufhandlung. 758 Näheres zur Kindstaufe bei den modernen Mandäern siehe Drower, Mandaeans, 44-47; welche erwähnt, dass die zu taufenden Kinder oft während des Rituals versterben. Die antiken Quellen geben wenig konkrete Anweisungen für den Vollzug einer Masbūtā an einem Kind, siehe Rudolph, Mandäer II, 66. 759 A. a. O. 81. Die folgenden Ausführungen zur tamasha orientieren sich wesentlich an der Darstellung a. a. O. 80-88. 760 Siouffi, Études, 83, berichtet, dass nach dem Ritual neue Kleider angezogen werden. Frauen könnten während des Tauchbades die Kleidung anbehalten, sollten aber eben‐ falls danach neue Kleidung anziehen. 761 Übersetzung nach Brandt, Mandäische Religion, 95. wendigkeit der Mitwirkung eines Priesters, dessen ausführliche Vorbereitung und Reinigung den Anfang und das Ende des Rituals bildet. Wenn aber nun ein Priester „rituelle oder moralische Verfehlungen begangen hat, wird eine beson‐ dere ‚Šitil-Taufe‘ vollzogen, sie besteht aus neun Masbūtās (dreimal am Tage).“ 755 Außer der unsachgemäßen Vorbereitung des Priesters wird an mehreren Stellen vor dem Vergessen 756 oder auch Variieren 757 verschiedener Aspekte gewarnt, welche zum Misslingen bzw. der Ungültigkeit des Rituals führen würden. Dass aber der regelmäßige und gültige Vollzug der Masbūtā notwendig zum Erreichen des Lichtreiches ist, unterstreicht die Vorstellung, dass Kinder, an welchen das Ritual noch nicht durchgeführt wurde, nicht als Mandäer gelten. 758 2) Die Reinigungswaschungen: Die Reinigungsrituale finden nicht zu einem festgesetzten Zeitpunkt, sondern „unmittelbar nach der Verunreinigung bzw. vor einem Ritus statt.“ 759 Dazu sind sämtliche Kleidung bis auf die Hosen aus‐ zuziehen, diese jedoch während des Tauchbades mitzuführen und ebenfalls un‐ terzutauchen. 760 Das Waschen muss - ebenso wie bei der Masbūtā - im „Jordan“ erfolgen. Nähere Beschreibungen als ןוס אימ „wascht euch mit Wasser“ und ןוכאדו ןוכיאשפאנ „reinigt euch“ (Ginza r. 14,3) 761 verweisen eher auf die Funk‐ tion denn auf den Ritualablauf. Die grundlegende Bezeichnung tamasha spricht für ein selbstständiges Ganzkörperuntertauchen. Diese Annahme wird auch von allen detaillierteren Berichten über diese Reinigungstauchbäder gedeckt, welche sich jedoch wesentlich auf die Rituale der Mandäer des 19. und 20. Jh.s stützen und daher an dieser Stelle nicht weiter berücksichtigt werden sollen. Es sei le‐ 5 Gruppen mit intensivem Gebrauch von Wasserritualen 425 <?page no="426"?> 762 Nach Rudolph besteht das Ritual aus vier Abschnitten mit jeweils einer dieser deu‐ tenden Formel: 1. Eröffnung des Jordans; 2. Taufe und Zeichnung; 3. Bekränzung; 4. Sprechen der Taufformel, siehe Rudolph, Mandäer II, 83, der sich v. a. auf die persönli‐ chen Recherchen von Souffi und Drower stützt. 763 Beispielsweise kann die Masbūtā unter Bezugnahme auf den babylonischen Ea-Marduk-Kult als „magisch-theurgische Handlung“ gedeutet werden, so etwa Jere‐ mias, Babylonisches, 74, und Hennecke, Apokryphen, 22. Reitzenstein, Vorgeschichte, 27 Anm. 1, wiederum meint einen Mysteriencharakter erkennen zu können und spricht von einem „Tod-Leben-Mysterium“ (30 ff) und der Vereinigung mit Gott (100 ff). Eng‐ nell, Kingship, 20 Anm. 13, interpretiert die Masbūtā als Reinigungs- und Fruchtbar‐ keitsritus. Weitere Beispiele für die vielfältige Auslegungsgeschichte siehe unter Ru‐ dolph, Mandäer II, 68 f. diglich erwähnt, dass Ablauf 762 wie die dabei gesprochenen Formeln dafür spre‐ chen, dass es sich um eine Kurzform der Masbūtā handelt. 5.3.4 Die Ritualfunktion und -deutung 1) Die Masbūtā: Dass die Sekundärliteratur eine ganze Fülle an Deutungen zur Masbūtā bietet, mag einerseits dem Umfang der auf den Ritualvollzug rekur‐ rierenden Primärtexte geschuldet sein und andererseits den darüber teilweise weit hinausgehenden Versuchen, Parallelen zu anderen Ritualen zu ziehen. 763 Die Masbūtā ist allerdings sowohl in ihrem Ablauf als auch in ihren Verflech‐ tungen mit beinahe allen theologischen Aspekten der Mandäischen Religion derartig ausdifferenziert, wie es von keinem anderen Wasserritual bekannt ist, so dass vermeintliche Parallelen zu Ritualen und ihren Deutungen in anderen Religionsgemeinschaften zwangsläufig nur auf Einzelaspekte der mandäischen „Taufe“ Bezug nehmen können. Zudem würden Thesen über direkte Abhängig‐ keiten bzw. Wechselwirkungen etwa mit babylonischen oder auch christlichen Gruppierungen angesichts der ungewissen Religionsgeschichte der Mandäer nie den Status der Spekulation verlassen können. Die folgenden Darlegungen zur Bedeutung und Funktion der Masbūtā gehen daher ausschließlich von den durchaus vielfältigen Hinweisen in der Qolastā aus. Grundlegend für das Verständnis der gesamten mandäischen Masbūtā ist die Vorstellung, dass sie ihren Ursprung in der Lichtwelt hat: Die oberste Gottheit, „das erste Leben“, tauft sich am Beginn selbst (Qolastā, 21) bevor es den ersten Menschen Adam tauft. Doch auch fortan werden die Lichtwesen in den himm‐ lischen Jordanen getauft. Auch die Seelen der Mandäer und das Wasser des Jordan entstammen diesem himmlischen Bereich, sind allerdings auf Erden von diesem abgeschnitten, was den Anlass der wiederkehrenden Masbūtā darstellt, denn diese ist das „Abbild der himmlischen Taufe und zugleich Symbol der Zu‐ gehörigkeit der Seele zur Lichtwelt. Die Taufe gewährleistet und gibt die reale Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 426 <?page no="427"?> 764 A. a. O. 70. 765 A. a. O. 74, und verweist auf Qolastā, 107. 766 Rudolph, Mandäer II, 75. 767 Siehe ausfühlich a. a. O. 76 f. 768 A. a. O. 85. 769 Siehe Brandt, Mandäische Religion, 95 f; Siouffi, Études, 76 f.83 f; Rudolph, Man‐ däer II,85-87. Brandt, Mandäische Religion, 95, weist treffend daraufhin, dass es weit‐ reichende Überschneidungen mit den in Lev 15 geschilderten Verunreinigungen gibt: Berührung von Unreinen und Fremden, Tierbiss, Ausscheidungen. Verbindung der gefallenen göttlichen Seele mit dem ebenfalls aus dem Jenseits stammenden Wasser.“ 764 Auf diese Weise wird eine allerletzte Masbūtā für die bereits verstorbene und aufgestiegene Seele notwendig, um die vollkommene Gemeinschaft mit der Lichtwelt herzustellen. Bis dahin ist die regelmäßige Wiederholung der Masbūtā die einzige Verbin‐ dung zur Lichtwelt (Qolastā, 26; 43; 50), um die sich daraus ergebenden Gna‐ dengaben zu erlangen: Durch die ständige Erneuerung der Gemeinschaft mit dem „Leben“ durch das „lebende Wasser“ (Qolastā, 43) des Jordans erlangt die Seele schließlich Unsterblichkeit (Qolastā, 144). Auf diese Weise stellt die Mas‐ būtā auch einen Gegenstand des Glaubens dar, „ist sie doch unerläßliches Mittel zum Heil und verleiht ‚Sieghaftigkeit‘ (zakūtā).“ 765 Zudem erwirken die Mandäer im Sinne einer Reinigungstaufe auch Sündenvergebung (Qolastā, 14; 54; 42), wobei auffällt, „es fehlt völlig der ethische Imperativ.“ 766 Vielmehr wird stets die Erneuerung der Gemeinschaft mit der Lichtwelt betont. Daraus ergeben sich für den Täufling auch Heilung, Festigkeit und Sieghaftigkeit für sein irdisches Leben. 767 2) Die Reinigungswaschungen: „Im Unterschied zur Taufe liegt offenbar das Gewicht bei den Waschungen auf der Reinigung von sittlicher und ritueller Un‐ reinheit“, 768 wobei dies weniger aus konkreten Deutungen innerhalb der Texte als vielmehr aus den Anlässen zu derartigen Waschungen zu erschließen ist. Die älteren Schriften benennen lediglich die Verunreinigung durch Geschlechtsver‐ kehr und Menstruation (Ginza r. 14,3). Immer wieder in der Sekundärliteratur auftauchende umfangreiche Listen von Anlässen 769 beziehen sich auf For‐ schungen an den Mandäern des 19. und 20. Jh.s. 5.3.5 Ertrag Die Frage nach dem Ursprung in und (gegen-)seitigem Einfluss von entweder Palästina und damit den jüdischen Wasserritualen, der Johannestaufe und der christlichen Taufe oder aber mesopotamischen Wasserkulten lässt sich nicht mehr endgültig klären. Dadurch bleibt auch die Entstehungs- und Entwick‐ lungsgeschichte der mandäischen Wasserrituale, speziell der Masbūtā zwangs‐ 5 Gruppen mit intensivem Gebrauch von Wasserritualen 427 <?page no="428"?> läufig im Dunkeln. Besonderheit der Mandäer bleibt jedoch unbestritten, dass - wenn auch erst vergleichsweise spät belegt - in der Qolastā liturgische Primär‐ texte zum zentralen Wasserritual vorliegen, wie wir sie in ihrer Ausführlichkeit für keine andere der Gruppen überliefert haben. Ein Grund dafür dürfte sein, dass es die einzige bis heute aktive „Täufersekte“ ist. Beide von den Mandäern vollzogenen Wasserrituale sind Selbsttauchungen, wobei es sich bei der einen Art, der tamasha, um eine zu wiederholende Reini‐ gungstauchung bekannten Typus‘ handelt, welche von sittlicher und ritueller Unreinheit befreit. Die stets am ersten Tag der Woche zu vollziehende Masbūtā hingegen, ist ein in Ablauf und Deutung höchst ausdifferenziertes Großritual, in dessen Zentrum jedoch ebenfalls eine Selbsttauchung steht. Die vielen Einzelri‐ tuale wie auch die enge Verflechtung mit unterschiedlichen Aspekten mandäi‐ scher Theologie führen zu einer Fülle an Bedeutungen und der Masbūtā zuge‐ schriebenen Wirkungen: Zum einen vollzieht sie ein Ereignis in der Lichtwelt nach und schafft darüber Verbindung zu dieser und zum anderen vermittelt sie Gnadengaben unterschiedlicher Art, wie etwa die Unsterblichkeit der Seele, Reinigung und Sündenvergebung, Festigkeit und Sieghaftigkeit. Zugleich be‐ gründet sie auch die Gemeinschaft unter den Mandäern. Der eingangs zitierten These Brandts, dass Masbūtā und Reinigungswa‐ schungen sich kaum unterscheiden lassen, muss sowohl mit Blick auf den Ri‐ tualablauf als auch die -funktion widersprochen werden. Die Frage nach der Entstehungsregion der Mandäer kann und soll nach einem so exemplarischen und kurzen Überblick nicht geklärt werden, es sei jedoch auf Einzelrituale der Masbūtā aufmerksam gemacht, welche sich auch im Kontext der Johannes- oder auch der christlichen Taufe wiederfinden: das (dreimalige) Untertauchen, die Zeichnung durch einen Priester, das Tauchen im Jordan, die gemeinschaftsstif‐ tende Funktion in Nachahmung eines Ursprungsmythos. Diese und weitere As‐ pekte sprechen für eine Beeinflussung, welche aber nicht mehr zweifelsfrei ge‐ klärt werden kann. Die immer wiederkehrende Bezugnahme auf Johannes den Täufer spricht jedoch ebenso dafür, wie sie Indiz für die Wirkrichtung der Ein‐ flussnahme ist. Dagegen, dass die Masbūtā eine direkte Weiterentwicklung der Johannestaufe oder auch der christlichen Taufe ist, sprechen jedoch sowohl der Ritualablauf (wiederkehrende Selbsttauchung) als auch Ritualfunktion (Reini‐ gungsaspekt). Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 428 <?page no="429"?> 770 Iren.haer. 1,26,2. 771 So fälschlicherweise Hipp.haer. IX 7,35. 772 Or.princ. 4,3,8. 773 Frey, Ebionäerevangelium, 607, welcher es auf eine Ehrenbezeichnung jüdischer Frommer zurückführt (vgl. Ps 40,18; 70,6). Immer wieder diskutiert wird auch die These, dass die Bezeichnung auf die sozialen Verhältnisse der Jerusalemer Urgemeinde zu‐ rückgeht (vgl. Apg 2,44) und die Ebioniten damit die direkten Nachfolger der ersten christlichen Gemeinde darstellen, so etwa Strecker, Ebioniten, 487, sowie Rudolph, Baptisten, 20. 774 Siehe Epiph.haer. XXIX; XXX; Hier.ep. 112,13. 775 Dem sog. Ebionäerevangelium können nur die bei Epiph.pan. XXX zitierten Fragmente sicher zugeordnet werden. Diese enthalten keine besonderen Hinweise auf zu wieder‐ holende Wasserrituale. Jedoch thematisieren die Mehrheit der Zitate die Johannestaufe, wobei sie dabei jedoch inhaltlich nicht über die Synoptiker hinausgehen (Epiph.pan. XXX 13,4-6; 14,3). 776 Ebioniten bei Iren.haer. 3,15,1; Or.princ. 4,3,8; Hipp.haer. VII 35,1; Tert.praesc. 33,5. 777 Zur kritischen Bewertung des Quellenwertes siehe Klijn / Reinink, Evidence, 19-43. 778 Spätere Hinweise auf die Ebioniten, wie etwa Io.D.haer. 30.53 oder Theodor Bar-Khonai, liber scholiorum p. 301, hängen nachweisbar von Epiphanius ab. Siehe a. a. O. 264-267. 5.4 Die Ebioniten 5.4.1 Die Gruppierung - zur Quellenlage Erstmals findet sich die Bezeichnung Ἐβιωναῖοι bei Irenäus 770 für eine Gruppe von Judenchristen, welche in besonderer Weise an Beschneidung und Sabbat festhalten (Epiph.haer. XXX 17,5) und häufige rituelle Waschungen durch‐ führen. Der Name leitet sich nicht etwa von einer Gründungsfigur namens Ebion, 771 oder wie Origines ironisch anmerkt von „der Armut ihres Verständ‐ nisses“ ab, 772 sondern ist vermutlich eine auf das hebr. ןויבא „die Armen“ zu‐ rückgehende Selbstbezeichnung. 773 Dass die Quellenlage schwierig und ent‐ sprechend vorsichtig zu bewerten ist, zeigen bereits unterschiedliche Aussagen über die Abgrenzung gegenüber den Nazoräern, 774 aber auch den Elchasaiten. Als „ebionitische“ Schriften werden die Periodoi Petrou (Epiph.haer. XXX 15,1), die Anabathmoi Jakobou (Epiph.haer. XXX 15,7) und das sog. Ebionäer‐ evangelium 775 genannt, welche uns lediglich in Zitaten und Fragmenten über‐ liefert sind. Ansonsten entstammen unsere heutigen Informationen ausschließ‐ lich Häretikerkatalogen, 776 welche wohl nur selten auf eigene Beobachtungen der Autoren zurückgehen. 777 Auskunft über die von den Ebioniten vollzogenen Wasserrituale geben lediglich Epiphanius 778 und die pseudo-clementinen Schriften. 5 Gruppen mit intensivem Gebrauch von Wasserritualen 429 <?page no="430"?> 779 Dies ist an dieser Stelle klärenderweise festzuhalten, da für das auf die gleiche Wurzel zurückgehende und eine ähnliche Bedeutung tragende ἐνδύομαι in Gal 3,27b immer wieder die übertragene Bedeutung als „Anziehen“ behauptet wird, anstatt wie an dieser Stelle die wörtliche Übersetzung. In beiden Kontexten dient das Verb dabei der Erläu‐ terung des Ritualvollzuges bzw. direkt des βαπτίζεσθαι. 780 ἡ δὲ ὑπ‘ αὐτοῦ ὁρισθεῖσα θρησκεία ἐστὶν αὕτη (PsClem H VII,8,1). 5.4.2 Die Arten und Bezeichnungen der Wasserrituale Βάπτισμα δὲ καὶ αὐτοὶ λαμβάνουσι χωρὶς ὧν καθ‘ ἡμέραν βαπτίζονται (Epiph.haer. XXX 16,1). Als Judenchristen vollziehen die Ebioniten neben der christlichen Taufe häufig zu wiederholende Waschungen und Tauchbäder. 1) die christliche Taufe - τὸ βάπτισμα: Bezüglich der einmalig vollzogenen christlichen Taufe durch einen Täufer werden keine Besonderheiten erwähnt (Epiph.haer. XXX 16,1; 18,2). 2) die zu wiederholenden Tauchbäder - βαπτίζεσθαι ἐν τοῖς ὕδασιν: Die Ebi‐ oniten tauchen sich selbst sehr häufig, ja täglich sowie aus besonderen Anlässen in Wasser. Der Vorgang wird dabei stets mit βαπτίζειν beschrieben bzw. τὸ βάπτισμα genannt. An einer Stelle wird jedoch synonym reihend ἀπὸ τῆς τῶν ὑδάτων καταδύσεως gesprochen, welchem ein ὡσαύτως πάλιν ἀνατρέχω folgt (Epiph.haer. XXX 2,5). Καταδύω bezeichnet gemeinhin ein „Untergehen lassen, Untertauchen, Versenken“ bzw. das trans. mediale καταδύομαι ein „Untergehen, Hinabsinken, Versinken“. Dass an dieser Stelle auf eine übertragene Bedeutung im Sinne von „sich in etwas Hineinbegeben, sich Verkriechen, Anziehen, An‐ legen (von Waffen)“ abgezielt wird, ist angesichts des kontrastierenden ἀνατρέχω - „Emporlaufen, Ersteigen; sich Erheben“ auszuschließen. 779 Die Bedeutung der Taufe wie der häufigen Tauchbäder für die Gruppe wird darin erkennbar, dass beide Wasserritualarten zu den von Gott gegebenen Ge‐ boten und Glaubensübungen 780 zählen: […] καὶ εἰς ἄφεσιν ἁμαρτιῶν βαπτισθῆναι … μὴ ἀκαθάρτως βιοῦν, ἀπὸ κοίτης γυναικὸς λούεσθαι, αὐτὰς μέντοι καὶ ἄφεδρον φυλάσσειν […] (PsClem H VII ,8,1 f). 5.4.3 Der Ritualablauf Während die christliche Taufe nicht näher beschrieben wird, finden sich ver‐ schiedene Hinweise auf zeitliche, kausale und sonstige Konditionierungen der Tauchbäder. Epiphanius betont mehrmals, wie häufig und beständig diese Tauchbäder von den Ebioniten durchgeführt werden: täglich (καθ‘ ἡμέραν, Epiph.haer. XXX 16,1); immerzu (συνεχῶς, Epiph.anc. II 30,3); häufig (πολλάκις, Epiph.haer. XXX 2,5) und sommers wie winters (Epiph.anc. II 30,3). Zudem werden auch Verunreinigungen genannt, nach denen Tauchbäder in be‐ sonderer Weise nötig werden: nach Geschlechtsverkehr und nach Berührungen Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 430 <?page no="431"?> 781 Vgl. etwa Epiph.haer. XXX 15,3, wo behauptet wird, Petrus habe sich täglich getaucht, um sich zu heiligen. 782 Wolf, Aqua Religiosa, 81. mit Fremden (Epiph.haer. XXX 2,4 f) und nach der Menstruationsphase (PsClem H XI 30,1). Ebenso tauchen sie sich vor dem Essen, wobei an dieser wie auch anderen Stellen begründend herangezogen wird, dass bereits Petrus dies getan habe (Epiph.haer. XXX 21,1), 781 was nach der Meinung Wolfs „offensicht‐ lich nur dazu diente, die eigene Sitte zu rechtfertigen und zu empfehlen (vgl. auch pskl. Homilien VIII 2,5; IX 23,3; X 26,2).“ 782 Wenn auch immer wieder erwähnt wird, dass sie sich in Wasser tauchten, wird dieses selten näher klassifiziert. Epiphanius beschreibt es einmal als ἢ θαλάσσης ἢ ἄλλων ὑδάτων (Epiph.haer. XXX 2,4). Die Pseudoclementinen sprechen von einer Bevorzugung von fließendem Wasser (PsClem H IX 19,4). Außerdem erwähnt Epiphanius, dass sie sich in vollständiger Bekleidung (σὺν τοῖς ἱματίοις, Epiph.haer. XXX 2,5) untergetaucht hätten. An einer einzigen Stelle findet sich eine Bemerkung, welche als etwas detail‐ liertere Beschreibung des eigentlichen Ritualvollzuges verstanden werden kann: ἀλλὰ καὶ εἰ συναντήσειέν τινι ἀνιὼν ἀπὸ τῆς τῶν ὑδάτων καταδύσεως καὶ βαπτισμοῦ, ὡσαύτως πάλιν ἀνατρέχει βαπτίζεσθαι, πολλάκις καὶ σὺν τοῖς ἱματίοις. (Epiph.haer. XXX 2,5) - dem Untergehen und Tauchen im Wasser folgt ebenso wieder ein Auftauchen. Diese Formulierung macht zweierlei deutlich: 1) Es handelt sich um ein tatsächliches Untertauchen, im Gegensatz etwa zu einem Abwaschen o. ä. 2) Der Ritualvollzug besteht aus zwei Teilen, dem Un‐ tertauchen und dem Wieder-Auftauchen, welche zusammen das Ritual bilden. 5.4.4 Die Ritualfunktion und -deutung Dass die praktizierte christliche Taufe als eine εἰς ἄφεσιν ἁμαρτιῶν (PsClem H VII 8,1) beschrieben wird und ansonsten diesbezüglich keine weiteren Beson‐ derheiten berichtet werden, spricht dafür, dass sie sich nicht von dem Gebrauch in den übrigen christlichen Gemeinden dieser Zeit unterschied. Dem gegenüber finden sich vielfältige Hinweise auf die Funktionsweise der so häufig wiederholten Tauchbäder, welche sich in dem Glaube διὰ βαπτισμῶν ἔχειν τὴν κάθαρσιν (Epiph.haer. XXX 21,2) zusammenfassen lassen. Dass sie dazu Wasserrituale dem Feuer und dem damit verbundenen Opferkult vorzogen (PsClem H XI 26), liegt wesentlich in der Vorstellung begründet, dass das Wasser göttlich sei und der Heiligung diene (Epiph.anc. II 30,3). Bestätigend wird für diese Auffassung wiederholt auf Petrus verwiesen, welcher sich auch täglich getaucht habe, um sich zu heiligen (Epiph.haer. XXX 15,3). 5 Gruppen mit intensivem Gebrauch von Wasserritualen 431 <?page no="432"?> Sowohl die für Petrus beschriebenen Anlässe (nach dem Aufstehen, vor dem Gebet, vor dem Abendessen) als auch die für die Ebioniten benannten (nach Geschlechtsverkehr und Menstruation, Verunreinigung durch Berührungen mit Fremden) bedienen einerseits bekannte Muster (Reinigung nach Verunreini‐ gung; Reinigung vor besonderen heiligen Handlungen) und gehen doch ande‐ rerseits darüber hinaus: Die vielfache Betonung in sämtlichen Quellen, dass sich die Ebioniten sehr häufig, ja ständig tauchten, lässt den Tauchbädern neben der konkreten Reinigungs- und Vorbereitungsfunktion die Rolle einer andauernden Frömmigkeitsübung zukommen. Dafür spricht zum einen die Tatsache, dass sie unter die gebotenen Regeln und religiösen Übungen gezählt werden (PsClem H VII ,8,2) und zum anderen die Korrelation der Reinheit des Herzens mit der Reinheit des Leibes. Während erstere durch himmlische Lehren (οὐρανίῳ λογισμῷ) erreicht wird, erlangt man zweitere durch beständige Tauchbäder (PsClem H XI ,28,1-3). Beide sind beständig anzustreben, ἀλλ‘ ὡς ὅτι ἕπεται τῷ ἀγαθῷ τὸ καθάριον (PsClem H XI ,28,3). 5.4.5 Ertrag Ebionitische Schriften sind nur in Form weniger Zitate erhalten. Alle weiteren Informationen über die Gruppe entstammen Häretikeraktalogen, deren Histo‐ rizität schon darin zweifelhaft erscheint, dass sie - einander widersprechend - die Ebioniten mit unterschiedlichen anderen Täufergruppen identifizieren. Beide von den Ebioniten ausgeübten Arten von Wasserritualen werden zu den von Gott gegebenen Geboten und Glaubensübungen gerechnet: Einerseits vollziehen sie die christliche Taufe, ohne dass die Quellen Einzelheiten überlie‐ fern, sodass auch keine Besonderheiten diesbezüglich zu vermuten sind. Ande‐ rerseits werden wiederholte Tauchungen berichtet, welche ebenfalls als τὸ βάπτισμα und der Vorgang als βαπτίζω bezeichnet wird. Diese werden sowohl täglich und überhaupt sehr häufig durchgeführt als auch nach konkreten kul‐ tischen Verunreinigungen, wobei dafür auf Petrus verwiesen wird, der sich etwa bereits vor dem Essen getaucht habe. In der Vorstellung, dass die Ganzkörper‐ waschung der Heiligung diene, also kultisch reinigt, wie auch mit den dazu benannten Anlässen stehen die Ebioniten in der alttestamentlichen Tradition, wenn sie diese auch erheblich in der Häufigkeit ausdehnen. Über die konkrete Verunreinigung hinaus wird die Tauchung damit zur beständigen Frömmig‐ keitsübung. Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 432 <?page no="433"?> 5.5 Ertrag und Vergleich mit der christlichen Taufe Im Folgenden sollen die Ergebnisse zu den teilweise sehr unterschiedlichen Täufersekten zusammengestellt und ihre Wasserrituale hinsichtlich der ein‐ schlägigen Ritualaspekte vergleichend interpretiert werden. Außerdem erfolgt ein Vergleich mit der christlichen Taufe bezüglich der Ritualaspekte, zu welchen für die Täufersekten aussagekräftige Informationen vorliegen. 5.5.0 Vorbemerkung zur Quellenlage Sieht man von den Qumranzeugnissen und den lediglich in sehr jungen Text‐ zeugen belegten Schriften der Mandäer ab, entstammen alle überkommenen Informationen zu den sog. Täufersekten Fremdzeugnissen. In den seltensten Fällen ist davon auszugehen, dass eigene Augenzeugenberichte einfließen, der Normalfall dürften berichte aus dritter Hand sein, wobei speziell bei den sog. Häretikerkatalogen mit einer grundsätzlich diskreditierenden Tendenz zu rechnen ist. Es stellt sich nun die Frage, ob diese sich hauptsächlich auf inhaltlich-theo‐ logische Aspekte beschränkt oder auch die erwähnten und teilweise interpre‐ tierten Wasserrituale der Gruppen in verzerrter Weise dargestellt werden. Ge‐ nerell ist für die Häretikerkataloge Polemik und eine übertreibende Darstellungsweise in all den Punkten zu vermuten, wo Theologie und eben auch religiöse Praxis von der eigenen abweichen oder gar dieser entgegenstehen. Dafür sprechen etwa Kommentierungen und Wertungen, wie beispielsweise dass es sich bei den Elchasaiten um eine „zweite Taufe“ (Hipp.haer. IX 15,1) handeln würde, welche also die einmalig sündenvergebende Wirkung der christ‐ lichen Taufe in Frage stellt, oder aber, dass sie Wasserrituale den jüdischen Brandopfern vorziehen würden (Epiph.haer. XIX 3,7) - ein nach großkirchlicher Vorstellung nicht notwendiger Ersatz angesichts des Endes des Kultes seit Christi Tod und Auferstehung. Mindestens für die jüdischen und judenchristli‐ chen Gruppen ist auch der andauernde Ablösungs- und Abgrenzungsprozess als weiterer Hintergrund der Darstellung zu werten. Dennoch bieten die hier besprochenen Quellen, nach Aussonderung der allzu polemischen, den einzigen Einblick in die um Wasserrituale kreisenden Gruppen, wenn sie auch stets im Hinblick auf ihre historische Glaubwürdigkeit befragt werden müssen. Dies gilt in besonderer Weise für die in den Quellen verwendeten Bezeichnungen für die Wasserrituale. 5.5.1 Die Ritualbezeichnung Man könnte hoffen, der Differenzierung von Wasserritualen über unterschied‐ liche Bezeichnungen auf die Spur zu kommen und ggf. sogar termini technici 5 Gruppen mit intensivem Gebrauch von Wasserritualen 433 <?page no="434"?> 783 Vgl. etwa καταδύομαι als Beschreibung für die Tauchungen bei den Ebioniten (Epiph.haer. XXX 2,5). 784 Siehe unter II.1.2, aber auch unter IV.2.1. für bestimmte Wasserrituale auszumachen. Abgesehen von dem Umstand, dass die Quellen in unterschiedlichen Sprachen verfasst sind (Hebräisch, Mandäisch, Griechisch), hat die Untersuchung erhoben, dass speziell die Fremdzeugnisse die gleichen Bezeichnungen für sich eindeutig in Ablauf und Funktion unterscheidende Wasserrituale verwenden. So werden etwa bei den Elchasaiten sowohl die ein‐ malige Taufe zur Sündenvergebung als auch die wiederholten Tauchungen mit τὸ βάπτισμα benannt. Die differenzierende Vielfalt an Bezeichnungen sowohl durch Nomina als auch durch beschreibende Verben in den Zeugnissen von Qumran und der Mandäer sprechen dafür, dass die Gruppen Wasserrituale durchaus auch sprachlich unterschieden. Die relativ einheitlichen Bezeichnungen in den Häretikerkatalogen mögen ihre Ursache in der Unwissenheit / Uninfor‐ miertheit der Autoren oder aber auch in deren Desinteresse für derartige Details haben. Eine begriffliche Rekonstruktion, welche vor diese zurückgeht, wird wohl kaum mehr zu leisten sein. Aus den Quellen lassen sich aber immerhin folgende Ergebnisse erheben: Die Wasserrituale werden über sich auf den Ritualablauf beziehende Verbformen dif‐ ferenziert. Die Mandäer verwenden Eigennamen, welche sich ebenfalls von Verben herleiten, die den differierenden Ritualablauf bezeichnen. Sämtliche Wasserrituale der Elchasaiten und Ebioniten werden als τὸ βάπτισμα bezeichnet oder über βαπτίζω oder sinnverwandte Worte 783 umschrieben. An den Stellen, welche keine weiteren Erläuterungen etwa zur Häufigkeit oder zur Funktion der Rituale anführen, lassen sich die einmalige christliche Taufe und die wie‐ derholt durchgeführten Tauchungen nur dadurch unterscheiden, dass das Ritual selbst vollzogen wird oder aber durch einen Täufer. Angesichts der Wahrnehmung, dass sich τὸ βάπτισμα und βαπτίζω sehr schnell und flächendeckend als termini technici für die Taufe etablieren 784 und die christliche Gemeinde ansonsten keine weiteren Wasserrituale durchführt, ist von einer christlichen Beeinflussung oder zumindest Übertragungen der Begriffe auch auf Tauchungen durch die Autoren der Häretikerkataloge auszugehen. In‐ nerhalb der Gruppierungen ist mit differenzierteren Benennungen zu rechnen, wenn dies auch nicht mehr nachgewiesen werden kann. Trotz der verwisch‐ enden Namen werden die Wasserrituale von den Fremdautoren dennoch un‐ terschieden, wobei das wesentliche Unterscheidungsmoment neben der Funk‐ tion in der Durchführung liegt, ob nämlich eine Selbsttauchung vollzogen wird oder aber durch einen anderen untergetaucht wird. Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 434 <?page no="435"?> 785 Siehe ausführlicher unter IV.5.5.6. 5.5.2 Der Ursprung des Rituals Die Frage nach dem Ursprung stellt sich in doppelter Weise: Einerseits bieten manche der Täufersekten selbst Erklärungen, woher ihre Wasserrituale stammen, andererseits ist religionsgeschichtlich nach Vorgängerritualen zu fragen. Dazu wird ab sofort zwischen Waschungen bzw. Tauchungen und der christlichen Taufe unterschieden, soweit diese von den Gruppen vollzogen wird. I. Waschungen und Tauchungen 1) mythische Erklärungen: Die ausführlichste Herleitung findet sich bei den Mandäern, bei denen die Masbūtā ein wesentliches Element sowohl der Schöp‐ fungserzählung als auch deren Vorstellung von der himmlischen Welt, genannt Lichtwelt, darstellt. Die irdische sonntägliche Masbūtā ist demnach Nachah‐ mung und dadurch Verbindung mit dem ständigen Vollzug ihres Urbildes in den himmlischen Jordanen. Auch die Ebioniten bieten eine zurückliegende Erklä‐ rung ihrer Tauchpraxis: Bereits Petrus habe sich vor dem Essen untergetaucht. Dass Rituale auf Ursprungsmythen zurückgeführt werden, welche den gegenwär‐ tigen Vollzug als Nachahmung dessen deuten, ist keine Seltenheit. Während Petrus jedoch lediglich eine, wenn auch bedeutende Autorität ist, so geht der mandäi‐ sche Mythos doch weit darüber hinaus. Dass durch die Masbūtā Gemeinschaft mit der himmlischen Sphäre wie untereinander hergestellt und Sündenverge‐ bung und ewiges Leben bewirkt wird und dies wesentlich in dieser Ursprungs‐ erzählung begründet liegt, ist immer wieder mit dem heilbringenden und Ge‐ meinschaft mit Christus und untereinander stiftenden Tod und Auferstehung Christi als Grundereignis der christlichen Taufe verglichen worden. 785 2) religionsgeschichtliche Erklärungen: Ablauf wie Funktionszuschreibungen der Tauchungen und Waschungen der Qumrangemeinschaft, der Elchasaiten sowie der Ebioniten sprechen dafür, dass es sich um quantitative wie qualitative Weiterentwicklungen der in den alttestamentlichen Schriften begründeten Reini‐ gungsrituale handelt, vergleichbar den in der Mischna beschriebenen. Dass der Ursprung der mandäischen Wasserrituale auch im Ea-Kult liegen könnte, ist dargestellt worden und wird sich wohl nicht mehr endgültig entscheiden lassen. II. Taufe Die Ebioniten führen eine christliche Taufe durch, zu der keine Besonderheiten berichtet werden. Die von den Elchasaiten gepredigte „zweite Taufe“ bezieht sich inhaltlich wie religionsgeschichtlich auf die christliche Taufe und wieder‐ 5 Gruppen mit intensivem Gebrauch von Wasserritualen 435 <?page no="436"?> 786 Vgl. IV.4.4 sowie IV.4.6. holt diese unter der Voraussetzung eines Glaubens an das geoffenbarte Buch, das vom Himmel gefallen ist. 5.5.3 Der Ritualleiter und die Ritualteilnehmer I. Waschungen und Tauchungen Alle Mitglieder einer Täufersekte führen an sich Waschungen bzw. Tauchungen durch. Indem der Vollzug Nichtmitgliedern nicht gestattet ist oder aber als un‐ wirksam erklärt wird, weil etwa der Glaube an die Gemeinschaftsregel oder -schriften fehlt, werden die wiederholten Wasserrituale zum boundary marker. Diese Funktion kommt ihnen allerdings nicht im Sinne eines initiatorischen Aspektes zu, sondern vielmehr als gemeinsame, die Gruppe festigende kultische Praxis. In den Schriften finden sich keine Hinweise darauf, dass es alters- oder geschlechtsspezifische Einschränkungen oder Variationen gäbe. 786 Es finden sich allerdings gelegentlich Anweisungen für Kranke, dass ihnen bei der Durch‐ führung der Tauchung geholfen werden soll. Die Masbūtā verlangt zudem die Anwesenheit und Assistenz durch einen Priester. Doch auch in diesen Fällen bleibt deutlich, dass es sich bei der Tauchung um eine Selbsttauchung handelt. Wenn in der Diskussion um die Anfänge der christlichen Taufe danach ge‐ fragt wird, ob Menschen aller Altersstufen und Geschlechts getauft werden, so ist vergleichend aus Sicht der Täufersekten zu sagen, dass diese Gruppen, welche ihre religiöse Identität wesentlich über Wasserrituale konstituieren, diese uneinge‐ schränkt von allen Mitgliedern vollzogen werden und darüber ein verbindendes Element gegenüber Nichtmitgliedern darstellen. II. Taufe Es gibt keinen Hinweis darauf, dass die von Elchasaiten und Ebioniten erwähnte Taufe hinsichtlich der beteiligten Personen anders abgelaufen sein sollte als die in den sonstigen christlichen Gemeinden vollzogene Taufe: Ein Täufer taucht einen Täufling unter. 5.5.4 Der Ritualort und die Ritualzeit Generell lassen sich den Quellen - ganz ähnlich den christlichen Texten - nur wenige Informationen darüber entnehmen, welche Aspekte bezüglich Ort und Zeit der Durchführung von Tauchungen wie Taufen zu beachten sind. Sie finden sich am ehesten in den Schriften der Mandäer, was die These zulässt, dass es sich um Detailinformationen handelt, welche Fremdautoren nicht bekannt ge‐ Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 436 <?page no="437"?> 787 Vgl. unter IV.2.5. 788 Vgl. unter IV.1.1.2.3. wesen sind oder als unwichtig erschienen. Es finden sich bei ihnen lediglich die Angaben, dass die Ebioniten ihre Wasserrituale sommers wie winters (Epiph.anc. II 30,3) und täglich durchführten (Epiph.haer. XXX 16,1) und dass die Elchasaiten bestimmte astrologisch zu ermittelnde Tage für ungünstig erach‐ teten (Hipp.haer. IX 16,2 f), was Hippolyt möglicherweise nur deswegen erwäh‐ nenswert erschien, weil die besondere Beachtung von Tagen ein bereits aus dem NT bekannter kritisierter Topos ist (vgl. Kol 2,16). Die Mandäer nun vollziehen die Masbūtā wiederkehrend an jedem ersten Tag der Woche und nennen jedes Wasser, in dem sie sich tauchen „Jordan“. 787 Der Mangel an Angaben zur Ritualort und -zeit lässt unterschiedliche Erklä‐ rungen zu: Angesichts der tägliche Anschauung und möglicherweise einer damit verbundenen mdl.en Überlieferung waren keine weiteren Ausführungen nötig. Dies ist etwa für die Gemeinde von Qumran anzunehmen. Die Fremdautoren waren darüber nicht im Detail informiert oder hielten eine Erwähnung für weniger wichtig. Dies ist speziell für die Verfasser von Häretikerkatalogen, welche stets tendenziell auswählen und darstellen, durchaus denkbar. Oder aber, die Gruppen hatten keine allgemeinen örtlichen und zeitlichen Bestimmungen, sondern rich‐ teten den Vollzug rein funktional aus, also direkt nach einer konkreten Verun‐ reinigung oder aber zur Vorbereitung einer religiösen Handlung. 788 Auch wenn sich die Frage nicht mehr eindeutig entscheiden lässt und die Tauchungen der Täufersekten auch eine ganz andere Funktion erfüllen als die christliche Taufe, so fällt doch ins Auge, dass auch die ältesten Texte zur christlichen Taufe, die besprochenen paulinischen Texte, keine Angaben zu so grundlegenden Ritu‐ alaspekten wie Ritualzeit und -ort machen, sondern vielmehr um die Bedeutung der Taufe und ihre Wechselwirkungen mit anderen Aspekten des christlichen Glaubens kreisen. 5.5.5 Der Ritualablauf Die Grundunterscheidung zwischen Waschung bzw. Tauchung und Taufe wurde auf Grund der Beobachtung getroffen, dass sich die beiden Ritualtypen nicht nur in Bezug auf ihre Ritualfunktion, sondern auch mit Blick auf Aktivität bzw. Passivität des Ritualteilnehmers und die Häufigkeit ihrer Durchführung - wesentlichen Aspekten des Ritualablaufes - unterscheiden. 5 Gruppen mit intensivem Gebrauch von Wasserritualen 437 <?page no="438"?> I. Waschungen und Tauchungen Alle Waschungen und Tauchungen werden in den Täufersekten wiederholt und selbst vollzogen. Wenn auch die tamasha der Mandäer diesem Schema folgt, so stellt die Masbūtā insofern eine Ausnahme dar, als sie der Mitwirkung eines Priesters bedarf. Die Zeichnung und weitere Handlungen des Priesters als Mas‐ būtā-Teilnehmer beschränken sich jedoch auf die vor- und nachgelagerten Ein‐ zelrituale und nicht auf die Selbsttauchung, das Herzstück der Masbūtā. Inner‐ halb der überlieferten Quellenlage nimmt die Masbūtā auch darin eine Sonderrolle ein, dass sie das einzige der Wasserrituale der Täufersekten ist, das sich in seinem Ablauf rekonstruieren lässt. Es bleibt jedoch festzuhalten, dass die Qolastā als diesbezügliche Hauptquelle in ihrer Pragmatik auch keine Be‐ schreibung und Interpretation des Ritualablaufes darstellt, sondern eine Art Gebetsbuch für die während des Rituals zu sprechenden Gebete, denen lediglich liturgische Anweisungen für die Ausführenden beigegeben sind. Damit fällt selbst die Masbūtā unter die Beobachtung, dass weder Primärtexte der Gruppen noch Fremdzeugnisse ausführliche Beschreibungen des Ritualablaufes bieten. Sieht man von gelegentlichen Hinweisen zur Qualität des zu verwend‐ enden Wassers und zur Bekleidung während des Rituals ab, so sind Rekonst‐ ruktionsversuche zum jeweiligen Ritualablauf auf indirekte Hinweise und die Ritualbezeichnungen, zu deren Historizität in den Fremdzeugnissen bereits oben gehandelt wurde, angewiesen. Für die Schriften der Täufersekten selbst ist diese Lücke möglicherweise daher zu erklären, dass die tägliche Anschauung dem Neuling zur Nachahmung vor Augen steht und durch mündliche Überliefe‐ rungen ergänzt wird, sodass eine schriftliche Fixierung überflüssig wird. Au‐ ßenstehenden, wie den Verfassern der Häretikerkataloge, fehlt möglicherweise die Einsicht ins Detail oder aber das Interesse an der Überlieferung konkreter Ritualabläufe oder aber sie setzen bei ihren Lesern das Wissen voraus, mit den von ihnen gewählten Bezeichnungen konkrete Abläufe aus eigener Erfahrung oder auch damaligem Allgemeinwissen verbinden zu können. Angesichts der Feststellung, dass auch den paulinischen Tauftexten entsprechende Beschrei‐ bungen ermangeln, ist für die Untersuchung weiterer Vergleichsrituale auch die These zu prüfen, dass die Gattung einer Ritualablaufbeschreibung generell unüb‐ lich gewesen ist, was wiederum die Frage nach einer Ursache und ggf. Kompensa‐ tion nach sich zieht. Weitere vergleichende Überlegungen zur christlichen Taufe entfallen an dieser Stelle, da es keine Hinweise darauf gibt, dass die bei Elcha‐ saiten und Ebioniten vollzogene Taufe, welche im Folgenden kurz dargestellt wird, sich in ihrem Ablauf von der christlichen Taufe der Großkirche unter‐ scheidet. Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 438 <?page no="439"?> 789 In Qumran stellt die Sündenvergebung durch Gott die Grundlage jeder Reinigungswir‐ kung der Tauchungen dar. Die durch die mandäische Masbūtā vermittelte Sündenver‐ gebung ist eine von weiteren Gnadengaben, welche durch die Gemeinschaft mit den himmlischen Sphären gewährt werden. Diese Gemeinschaft aber wird durch die Mas‐ būtā immer wieder erneuert. II. Taufe Die für die christlichen Täufersekten belegte Taufe wird wie für die christliche Taufe charakteristisch einmalig und durch einen Täufer vollzogen. Dass die entsprechenden Fremdzeugnisse nun an gar keiner Stelle den Ritualablauf be‐ denken, ihn also beim Leser als bekannt voraussetzen, spricht ebenfalls dafür, dass es sich bei der von diesen Täufersekten durchgeführten Taufe um die christliche Taufe handelt. Zwar zeichnet die Elchasaiten eine sog. „zweite Taufe“ zur Sündenvergebung aus, doch ist für diese der Glaube an das geoffenbarte Buch zwingende Voraussetzung, sodass die erste Taufe von der Gruppe kaum als vollgültige Taufe anerkannt werden wird und die von ihnen einmalig voll‐ zogene Taufe die - in ihrem Sinne - eigentliche erste Taufe darstellt. 5.5.6 Die Ritualfunktion und -deutung I. Waschungen und Tauchungen Die Waschungen und Tauchungen werden von den Täufersekten mit verschie‐ denen Einzeldeutungen und -funktionen verbunden, welche jedoch stets auf den gleichen Grundaspekt des Wassergebrauches rekurrieren, nämlich der Reinigung. Dabei haben sämtliche erwähnten Rituale das Ziel der kultischen Reinigung und Heiligung dessen, der das Wasserritual an sich durchführt. Die bereits unter IV .2.6.2 angeführte These, dass es sich bei den von den Täufersekten durchgeführten Waschungen und Tauchungen um quantitative und qualitative Weiterentwicklungen der in den alttestamentlichen Schriften be‐ zeugten Wasserrituale handelt, wird bestätigt durch die Beobachtung, dass sie die gleichen Funktionen erfüllen wie jene: Sie werden zur vorbereitenden Her‐ stellung von Reinheit angewendet oder aber nach einer konkreten Verunreini‐ gung. Dazu wird an mehreren Stellen betont, dass sie mit dem Glauben an die jeweiligen Glaubenssätze der Gruppe (Qumran, Elchasaiten, Mandäer) bzw. einer allgemeinen Reinheit des Herzens einhergehen müssen (Ebioniten). Dass die Wasserrituale schließlich mit einer über Reinigung hinausgehenden tat‐ sächlichen Sündenvergebung in Zusammenhang gebracht werden, zeigt an, dass sie stets ursächlich als Wirken Gottes und nicht etwa als ein opere operato des Rituals verstanden werden. 789 5 Gruppen mit intensivem Gebrauch von Wasserritualen 439 <?page no="440"?> Indem die Waschungen lediglich von Angehörigen der jeweiligen Täufer‐ sekte wirksam durchgeführt werden können bzw. dürfen, stärken sie mittelbar die Gemeinschaft untereinander als Unterscheidungsmerkmal nach außen. Doch auch dieser Aspekt geht letztlich auf die reinigende, heiligende Wirkung der Rituale zurück, welche die Ritualteilnehmer „qualitativ“ von anderen abheben, wie die Tatsache belegt, dass daneben eigentliche Initiationsrituale durchgeführt werden. Dass der Reinigungsaspekt im Mittelpunkt steht, zeigen auch einzelne Konditionierungen zur Beschaffenheit des Wassers, welches sauber und ausrei‐ chend vorhanden und bevorzugter Weise fließend, also „lebendig“ sein soll. In der gleichen Weise ist auch die gelegentliche Forderung zu verstehen, sich in voller Bekleidung unterzutauchen und dennoch danach neue Kleidung anzu‐ ziehen. Der These, dass diese Anweisung lediglich auf Schamaspekte zurück‐ zuführen ist, wurde bereits widersprochen. Vielmehr ist ein holistisches Mo‐ ment dahinter zu erkennen, welches fordert, sämtliche Körperteile und damit in Berührung gekommene Gegenstände von der Verunreinigung zu befreien. Dies entspricht auch der gegenüber den alttestamentlichen Wasserritualen zu‐ nehmenden Tendenz, nicht mehr nur einzelne Körperteile, sondern zumeist den kompletten Körper unterzutauchen. II. Taufe Die von den Ebioniten vollzogene Taufe ist eine christliche Taufe auch in ihrer Funktion, die in den Fremdzeugnissen nicht näher beschrieben wird. Zu diffe‐ renzieren wäre indirekt lediglich dahingehend, dass mit der christlichen Taufe als Initiation in die christliche Gemeinde normalerweise die Notwendigkeit zur Durchführung von Ritualen, welche eine äußere kultische Reinheit herstellen, überflüssig wird, die von den Ebioniten zusätzlich durchgeführten Tauchungen aber eben diese Funktion erfüllen. Die von den Elchasaiten durchgeführte „zweite Taufe“ steht zwar in Konkurrenz zur vorangehenden christlichen Taufe sonstiger christlicher Gemeinden dieser Zeit, jedoch ist bereits dargestellt worden, dass diese Taufe der Elchasaiten für ihre Gemeinschaft letztlich die gleiche Funktion erfüllt. Allgemein lässt sich trotz der schwierigen Quellenlage für die Täufersekten also feststellen, dass die von ihnen durchgeführten Waschungen und Tauch‐ ungen auf der Grundlage von Ritualablauf und -funktion, welche jeweils auf den Reinigungsaspekt des Wassers zurückgeführt werden können, Weiterentwick‐ lungen der alttestamentlich belegten Wasserrituale darstellen und sie sich gleichzeitig in diesen beiden Aspekten des Ablaufes und der Funktion grundle‐ gend von der christlichen Taufe unterscheiden. Dies wird besonders bei den Gruppierungen offensichtlich, welche als christliche Täufersekten selbst Taufen Kapitel IV: Die rituelle Umwelt der christlichen Taufe. Ritualvergleiche 440 <?page no="441"?> durchführen, die in kleineren Modifikationen als christliche Taufe zu verstehen sind und dabei erkennbar von den übrigen Waschungen und Tauchungen un‐ terschieden werden. Außerdem konnte festgestellt werden, dass Waschungen und Tauchungen geprägt werden von der Zusammengehörigkeit der beiden Ele‐ mente der Wiederholung und des Selbstvollzuges, wohingegen die christliche Taufe von der Zusammengehörigkeit der Einmaligkeit der Durchführung und der Passi‐ vität des Teilnehmers angesichts des Vollzuges durch einen Täufer bestimmt wird. 5 Gruppen mit intensivem Gebrauch von Wasserritualen 441 <?page no="442"?> 1 Zu den einzelnen Forschungspositionen siehe in den jeweiligen Unterkapiteln. 2 Siehe unter II.1.2.1; III.1.3; 4.2-5; IV.1.1.1.1; 1.2.1.1; 2.7. 3 Siehe unter III.1.4; 1.5; 2.2; 2.4; 3.3; 3.4; IV.3.7. 4 Siehe unter III.1.6; IV.3.7. 5 Siehe unter III.1.2; IV.3.7. 6 Siehe unter II.2.2; III.2.4; IV.5.2.4. Kapitel V: Ritologische (Deutungs)Motive Paulus verwendet in seinen Tauftexten Bilder, mit Hilfe derer er die Bedeutung und Wirkung der christlichen Taufe illustriert. Sie sollen im Folgenden unter ritologischen Gesichtspunkten noch näher untersucht werden. Im Rahmen der Darstellung der mit der Taufe in Beziehung stehenden jüdi‐ schen Rituale konnte bereits beobachtet werden, dass manche der Taufmotive auch bei diesen belegt sind. In der Literatur wird die Beobachtung, dass sich Deutungsmotive der christlichen Taufe auch bei anderen jüdischen und nicht‐ jüdischen Ritualen finden, fast ausschließlich dahingehend interpretiert, dass man entweder eine direkte Abhängigkeit der Taufe von einem dieser Rituale bzw. umgekehrt postuliert oder aber von einer bewussten oder unbewussten Übernahme lediglich des Motivs ausgeht. 1 Die folgende Untersuchung wird hingegen zunächst die einzelnen Motive in ihrer Verwendung sowohl bei der christlichen Taufe als auch bei anderen jüdi‐ schen wie nichtjüdischen antiken Ritualen und wo hilfreich auch exemplarisch bei modernen Ritualen darlegen und interpretieren. In der Zusammenschau sämtlicher Motive sind schließlich Schlussfolgerungen und Thesen zum Ver‐ hältnis der Rituale untereinander und damit auch zur Entstehung bzw. Ent‐ wicklung der christlichen Taufe und ihrer Deutung bei Paulus abzuleiten. Im Einzelnen sollen dargestellt werden die Motive „Tod-Leben“; 2 „Leib, Einheit“; 3 „Erbe, Sohn“; 4 „Freiheit, Befreiung“ 5 sowie „Name“. 6 1 Tod - Leben 1.1 Das Verhältnis von Leben und Tod In Röm 6,3 f deutet Paulus die christliche Taufe als ein Sterben, Mitbegraben‐ werden und schließlich Leben in einer neuen Qualität. Bei dem Deutungsmotiv des „Todes“ handelt es sich um die häufigste bei Initiationsritualen anzutreffende <?page no="443"?> 7 Siehe I.1.2 Exkurs Initiationsrituale. 8 Macho, Tod, 939. 9 Siehe ebd. Für einen Überblick zur Geschichte der Beziehungen des Menschen zum Tod siehe Ariès, Geschichte; sowie ders., Bilder. 10 Macho, Tod, 939. 11 Strecker, Auf den Tod, 261 (Hervorhebung im Original). 12 A.a.O. 262 (Hervorhebung im Original). Interpretationsmetapher - in ganz unterschiedlichen, voneinander unabhän‐ gigen Kulturen und Religionen. 7 Man könnte vermuten, dass sich die Verbrei‐ tung des Motivs daher erklärt, dass es sich hierbei um eine selbsterklärende anthropologische Grundkonstante handelt, von der jedermann eine Vorstellung hat und zu der sich jeder in der einen oder anderen Weise verhält. 1.1.1 Der Tod Doch auch wenn jeder Mensch schließlich sterben muss, ist diese Grundan‐ nahme dennoch in mehreren Aspekten zu relativieren: 1) Die Rede über den Tod ist und bleibt spekulativ. Die einzigen, welche ihn erlebt haben, sind nicht mehr auskunftsfähig. 2) „Daß Menschen ein kollektiv reguliertes Verhältnis zum bevorstehenden Tod - zum eigenen oder fremden Sterben in der Zukunft - unterhalten, ist in historischer Perspektive keineswegs selbstverständlich.“ 8 In prämodernen Ge‐ sellschaften etwa finden sich kaum abstrakte Begriffe vom Tod, aus denen sich die Beziehung der Lebenden zum Tod ableiten ließe - dabei handelt es sich eher um ein modernes Phänomen. 9 Für antike Gesellschaften gilt vielmehr: „Sie küm‐ mern sich um die Toten, nicht um den Tod.“ 10 3) „Den Tod gibt es nicht.“ 11 Wie auch das grundsätzliche Verhältnis zum Tod bzw. den Toten, so haben sich auch die einzelnen Vorstellungen über den Tod und den Umgang mit den Toten stets verändert. Ausgehend von kulturanthro‐ pologischen Untersuchungen unterscheidet sich laut Strecker das okzidentale Verständnis, welches „de[n] Tod als punktuelles, zeitlich genau bestimmbare[s] Ereignis“ deutet, von dem Todesverständnis in den meisten anderen Kulturen, welche den Tod als fortlaufenden Prozess auffassen, „bei dem der auf den Au‐ genblick des Verscheidens hinführende Prozess des Sterbens mehr oder weniger deutlich in einen über das eigentliche Ableben hinaus fortwährenden Prozess des Absterbens im Tod übergeht. […] Die Passage dieser Strecke wird dabei oftmals in eingängigen mythischen Bildern imaginiert.“ 12 Die folgenden Unter‐ suchungen werden diese Beobachtung insofern präzisieren, als dem prozes- 1 Tod - Leben 443 <?page no="444"?> 13 Siehe den Überblick a. a. O. 273 f. 14 A. a. O. 274. 15 Siehe ausführlich unter V.1.2.1. 16 Dietrich, Eine Mithrasliturgie, 157-160. 17 Braun, Stirb und Werde, 136. Die folgende Darstellung orientiert sich maßgeblich an diesem grundsätzlichen Aufsatz. sualem Element ein unterschiedliches Maß an Bedeutung zugemessen werden und dieses auch in unterschiedlichen Momenten - vor und nach dem physischen Tod - verortet werden kann. Vor dem Hintergrund dieser allgemeinen Überlegungen ist nun zu fragen, inwieweit und in welcher Weise sie die paulinischen Äußerungen zum Sterben und zum Tod prägen, v. a. dort, wo Paulus das Todesthema mit der Taufe ver‐ bindet. Strecker ist überzeugt, aus den vielfältigen Bezugnahmen des Apostels auf den Tod 13 sei „unschwer zu erkennen, dass Paulus ganz offenkundig keine trennscharfe Linie zwischen Tod und Leben zieht. Die beiden Bereiche überla‐ gern sich vielmehr auf mannigfaltige und zugleich äußerst spannungsvolle Weise, sodass der Apostel sowohl von einem Tod im Leben sprechen kann wie auch von einem Leben wider den Tod …“ 14 Strecker sieht dieses Verständnis wesentlich mit der paulinischen Taufinterpretation verknüpft und deutet es unter Zuhilfenahme ritualtheoretischer Überlegungen. 15 Ob dieses wechselsei‐ tige Verhältnis von Leben und Tod, wie es sich in manchen paulnischen Texten findet, auch auf die Taufstellen anzuwenden ist, wäre noch zu prüfen. Doch bevor dem weiter nachzugehen ist, muss zunächst darauf hingewiesen werden, dass das wechselseitige Verhältnis von Leben und Tod in der Antike weder ein spezifisch paulinisches Thema noch ein ausschließlich an Rituale ge‐ bundenes ist. Es ist daher zu fragen, ob entsprechende Modelle Vorlage oder zumindest Hintergrund der Formulierung in Röm 6,3 f gewesen sind. 1.1.2 Das Konzept des „Stirb und Werde“ Dietrich prägte den Oberbegriff des „Stirb und Werde“ 16 für mehrere Denk- und Lebenskonzepte der antiken Philosophie und Literatur, welche die Dialektik vom Leben und seinem Ende so verstehen, dass „Tod und Leben also nicht nur einander begrenzen, sondern aufeinander bezogen und angewiesen sind“. 17 Drei dieser Entwürfe, welche sich auch neutestamentlich niederschlagen, seien in einem Exkurs kurz dargestellt und auf ihr Verhältnis zu Röm 6 hin analysiert: 1) „Wer sein Leben erhalten will …“; 2) das Samenkorn, das in die Erde gelegt wird und 3) Sterben als Durchgang zum Leben. Kapitel V: Ritologische (Deutungs)Motive 444 <?page no="445"?> 18 bTam IV 32a, zitiert nach ebd. Mit einem noch deutlicheren Akzent auf dem eigentlichen Leben, welches nicht das des „armseligen Leibes“ ist, folgt Sokrates dem Leitbild des wahren Freien: „Der Stoiker wahrt und gewinnt, gerade wenn er im Entscheidungsfalle dem Tod nicht ausbiegt, seine Eigentlichkeit, die als ethische Unabhängigkeit von Ma‐ terie und Umwelt verstanden ist“ (a. a. O. 137). Vgl. Epict. Diss. 3,20,4-8; 4.1,163-265. 19 Mk 8,35; Lk 9,24; Mt 10,39; 16,26; Lk 17,35; Joh 12,25, wobei Letztere die antithetische Struktur nicht so konsequent durchhalten wie Erstere. 20 Interessanterweise folgt direkt darauf der bereits oben thematisierte Ausspruch über Erhalten und Verlieren des Lebens, Joh 12,25. Siehe unter III.3.4.3.1. 21 Braun, Stirb und Werde, 140. 22 Siehe Epict. Diss. IV 8,36; Plut. Fr. 104; aber auch bKet 111b; San 90b. Exkurs: Drei Versionen des Konzeptes „Stirb und Werde“ 1) „Wer sein Leben erhalten will …“ Im Babylonischen Talmud liest man: „Was soll ein Mensch tun, daß er lebe ( היחיו )? Sie erwiderten ihm: er töte sich selbst ( תימי ומצע ). Was soll ein Mensch tun, daß er sterbe ( תומיו )? Er belebe sich selbst ( היחי תא ומצע [Hiph.]).“ 18 In radikalisierter, weil realistisch gedachter Version ist ein dem ähnliches Herrenwort in den vier Evangelien insgesamt sechs Mal überliefert, 19 wobei der „Erfolg des Lebensverlustes“ dort an die Gefolgschaft Jesu bzw. des Evangeliums gebunden ist: ὃς γὰρ ἐὰν θέλῃ τὴν ψυχὴν αὐτοῦ σῶσαι ἀπολέσει αὐτήν· ὃς δ’ ἂν ἀπολέσει τὴν ψυχὴν αὐτοῦ ἕνεκεν ἐμοῦ καὶ τοῦ εὐαγγελίου σώσει αὐτήν. - „Denn wer sein Leben erhalten will, der wird es ver‐ lieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird es erhalten.“ (Mk 8,35). Mit Blick auf das vorherige sündenverhaftete Leben ohne Christus muss natürlich dieses nach Röm 6 als verloren gelten, jedoch ist das geistige Sterben und Begraben‐ werden in der Taufe mit Christus nicht dem realistisch gedachten ἀπόλλυμι τὴν ψυχὴν αὐτοῦ vergleichbar und insofern kann dieses Konzept vom „Verlieren des Lebens, um dieses eigentlich zu gewinnen“ kaum hinter der Taufdeutung im Röm stehen. 2) Das Samenkorn, das in die Erde gelegt wird ἀμὴν ἀμὴν λέγω ὑμῖν, ἐὰν μὴ ὁ κόκκος τοῦ σίτου πεσὼν εἰς τὴν γῆν ἀποθάνῃ, αὐτὸς μόνος μένει· ἐὰν δὲ ἀποθάνῃ, πολὺν καρπὸν φέρει. - „Amen, amen, ich sage euch, wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, dann bleibt es allein. Wenn es aber stirbt, trägt es viel Frucht.“ ( Joh 12,24). 20 Der johanneische Jesus greift mit diesem auf die Nachfolge zielenden Wort „de[n] antike[n] Topos von dem in die Erde gelegten und wieder aufwachsenden Samenkorn“ 21 auf. Die auf den damaligen agrarwissen‐ schaftlichen Erkenntnissen basierende Vorstellung umfasst das Vergraben (κατορυγῆναι), Verstecken (κρυφθῆναι), teilweise auch Verfaulen (σαπῆναι) des Kerns, bevor aus ihm neue Frucht hervorgehen kann. 22 „Und eben diese - an sich ganz profane und für uns heute biologisch ja irrige - Voraussetzung macht den Topos von Aussaat und Wachstum verwendungsfähig für die Verbindung mit dem Auferste‐ 1 Tod - Leben 445 <?page no="446"?> 23 A. a. O. 141. 24 Ebd. 25 Braun, a. a. O. 142, ist überzeugt: „[D]ie Verwendung des Topos vom sterbenden und auferstehenden Saatkorn für die Auferstehung der Toten ist, wie dies Theologumenon selber, nichts typisch Christliches“. 26 Vgl. Wedderburn, Baptism, 361: „The motif of the seed buried in the ground in order to give new life is a commonplace, although the stress on the necessity of death before the new life is a distinctive Christian emphasis.“ 27 1Clem 24,4 f: 4 Nehmen wir die Früchte: Wie und auf welche Weise geschieht die Aus‐ saat? 5 Der Sämann ging hinaus und warf auf die Erde jedes der Samenkörner [ἕκαστον τῶν σπερμάτων]; wenn sie, trocken und nackt [γυμνά], auf die Erde fallen, lösen sie sich auf [διαλύεται]. Aus der Auflösung läßt sie dann die großartige Fürsorge des Herrn auferstehen [ἀνίστησιν], und aus dem einen wachsen viele und bringen Frucht [ἐκ τοῦ ἑνὸς πλείονα αὔξει καὶ ἐκφέρει καρπόν]. (Übersetzung: Lona, Clemensbrief, 298). 28 Siehe etwa Cullmann, Tauflehre, 9: „Im Taufakt werden wir nach Röm. 6, 5 eine Pflanze mit Christus, indem wir mit ihm sterben und auferstehen“. 29 Siehe unter III.4.5.1. 30 Eine Beschreibung des Apuleiustextes sowie deren weiteren möglichen Verbindungen mit der christlichen Taufe siehe unter V.1.2.2. hungsglauben.“ 23 Laut Braun lag die Verbindung des Topos mit Auferstehungsvor‐ stellungen besonders dort nahe, „wo der Auferstehungsglaube an sich zuhause ist, also im Parsismus, im nachdanielischen Judentum und im Christentum.“ 24 In seiner ausführlichen Untersuchung stellt Braun überzeugend heraus, dass es sich bei dem Topos des in die Erde gelegten und dann wieder aufwachsenden Samenkorns tatsächlich um einen commonplace der antiken Gedankenwelt handelt. 25 Braun wür‐ digt mit Blick auf Röm 6 Paulus’ Betonung der Notwendigkeit des Sterbens als typisch christlichen Aspekt in der Verwendung des Topos, es entgeht ihm dabei jedoch, dass dieses Moment gerade zum Hauptfokus in den christlichen, das Bild aufgreifenden Texten wird, 26 wie es besonders eindrücklich die entsprechenden Textstellen in 1Clem zeigen. 27 Dafür, dass dieser Topos, welcher im christlichen Kontext also stets das Tod-Lebenbzw. Auferstehungsmotiv beinhaltet, bereits auch Röm 6 zu Grunde liegt, wird neben der Auferstehungsthematik gelegentlich auch die Formulierung in Röm 6,5a angeführt, insofern σύμφυτοι im botanischen Sinne übersetzt wird. 28 Die Untersuchung hat jedoch eine andere Deutung als wahrscheinlicher erwiesen. 29 Das Konzept des ersterbenden Samenkorns entspricht demnach nicht den Spezifika der Taufdeutung in Röm 6. 3) Sterben als Durchgang zum Leben In der von Apuleius geschilderten Isisweihe 30 wie auch der im sog. Pariser Zauberpa‐ pyrus beschriebenen Mithras-Liturgie erlebt der Initiand ein geistiges Mitsterben mit der Gottheit und aus dieser Schicksalsgemeinschaft ergibt sich für ihn eine „diesseitige Kapitel V: Ritologische (Deutungs)Motive 446 <?page no="447"?> 31 Braun, Stirb und Werde, 147. 32 A. a. O. 152. Siehe ausfürlich unter V.1.2.2. Lebensförderung“. 31 Wenn sich die Berichte auch darin unterscheiden, inwieweit man in diesem „neuen Leben“ der Gottheit gegenüber Verpflichtungen hat, so verbindet doch beide Berichte mit Röm 6, dass sie von einem geistigen Mitsterben mit einer Gottheit während eines Rituals erzählen, welches ein erneuertes Leben nach sich zieht - ob nun mit Verpflichtungen ihr gegenüber oder nicht, so doch auf jeden Fall in einer neuen besonderen Bindung an diese. Braun urteilt zum „Stirb und Werde“ im NT sogar: „Die Herkunft dieses Topos aus dem Kreise der soeben analysierten Mys‐ terienvorstellungen wird deutlich, wenn man sich vor Augen stellt, wie stark die Ähnlichkeit ist.“ 32 1.1.3 Zusammenfassung Es ist demnach festzuhalten, dass sowohl die Vorstellungen zum Tod als auch diese über das Verhältnis von Leben und Tod bzw. Sterben kulturabhängigen Entwicklungen unterworfen sind, welche hier nicht in all ihrer Vielfalt darge‐ stellt werden konnten. Von den in Frage kommenden antiken Konzepten, welche die Dialektik von Leben und Tod reflektieren, käme lediglich die Vorstellung eines Sterbens als Durchgang zum Leben als Hintergrund für Röm 6 in Frage. Alternativ oder auch in Verbindung dazu steht die These, dass es sich bei der Vorstellung „Tod-Leben“ um ein klassisches, scheinbar zeit- und kulturunab‐ hängiges Interpretationsmotiv von Initiationsritualen handelt. Für Röm 6,3 f ist noch einmal zu betonen, dass es sich um eine Taufdeutung handelt, welche Paulus gegenüber einer Gemeinde äußert, die ihm nicht nur persönlich unbekannt ist, sondern zudem wahrscheinlich aus Judenwie Hei‐ denchristen zusammengesetzt ist, demnach mit unterschiedlichem religiösen Vorwissen zu rechnen ist. Die Kürze der Formulierung, welche lediglich in den Versen 5-11 eine gewisse Erläuterung erfährt, spricht nun dafür, dass Paulus entweder von der Selbstverständlichkeit des Bildes innerhalb des Textes oder aber von der allgemeinen Bekanntheit der Metapher ausgeht. Neben einer tie‐ feren Interpretation des Motivs will die Untersuchung abschließend sich auch dieser Frage annehmen. Dazu wird sie aufzeigen, dass es sich bei Röm 6,3 f nicht um eine einzigartige Taufdeutung handelt, sondern der Text in eine Reihe von paulinischen und nichtpaulinischen Tauftexten einzuordnen ist, welche in un‐ terschiedlicher Weise das Motiv „Tod-Leben“ variieren. 1 Tod - Leben 447 <?page no="448"?> 33 Die weitreichende Wirkungsgeschichte dieses Motivs als Taufinterpretation kann an dieser Stelle nicht dargestellt werden. Es sei dazu verwiesen auf die umfangreiche Sammlung und Auslegung entsprechender altkirchlicher Belegstellen bei Jensen, Bap‐ tismal Imagery, 137-176. 34 Zur Art der Bezugnahme auf das Sterben und Auferstehen Christi siehe konkret unter V.1.2.2. 35 Zum Begrabenwerden des Täuflings siehe konkret unter V.1.2.3. 36 Zum Motiv eines neuen Lebens vgl. V.1.2.5 - V.1.2.7. 37 Der These, dass sich das „Totsein“ auf das Maß an Unreinheit von Nichtjuden beziehen könnte, ist bereits widersprochen worden. Insofern erst das Proselytentauchbad die Reinheit (erstmals) herstellt und die Wartezeit nicht für konvertierende Frauen gilt, muss sich das Todesmotiv auf die Beschneidung beziehen. Siehe ausführlich unter IV.4.7.2.2. 38 Siehe konkret unter V.1.2.6. 1.2 Motivvarianten - Verwendung und Interpretation als Ritualdeutung 1.2.1 Das Motiv „Tod → (neu) Leben“ allgemein 1.2.1.1 Bezugstexte Im Zusammenhang mit der christlichen Taufe ist ein Tod-Leben-Motiv in den bisherigen Untersuchungen in dreierlei Weise begegnet: 33 1) Das Verb βαπτίζω im Passiv assoziiert den Ritualablauf des Getauftwerdens mit einem lebensge‐ fährdenden bzw. -beendenden Moment des Untergetauchtwerdens im Wasser, welches zu unterscheiden ist von einem selbständigen Eintauchen in Wasser mit reinigender Absicht. 2) Sowohl die εἰς-Taufformel als auch ihr folgende Erläu‐ terungen qualifizieren die Taufe als εἰς Χιρστόν, d. h. durch die grundlegende Bezugnahme auf Sterben, Begrabenwerden und Auferstehung Christi. 34 3) In Röm 6,3 f deutet Paulus die Taufe als Mitbegrabenwerden 35 und Wandeln in der Neuheit des Lebens. 36 Zur Erklärung der Beschneidung findet sich folgende Anmerkung: „Wer sich von der Vorhaut scheidet, ist wie einer, der vom Grab scheidet“ (Pes 8,8). Indem der geforderte zeitliche Abstand zum Proselytentauchbad in der Konsequenz dieser Feststellung auf sieben Tage festgelegt wird - orientiert an den sieben Tagen Wartezeit nach dem Kontakt mit einem Leichnam -, wird der frisch Be‐ schnittene metaphorisch als Gestorbener verstanden. 37 Als Deutung des Prose‐ lytentauchbades als Abschluss des Konversionsprozesses begegnet auch die Vorstellung eines neuen Lebens. 38 Kapitel V: Ritologische (Deutungs)Motive 448 <?page no="449"?> 39 Für eine allgemeine Charakteristik von Initiationsritualen siehe unter I.1.2 Exkurs Ini‐ tiationsrituale, dort auch zur Differenzierung zwischen Passageritualen und Initiati‐ onsritualen. 40 Eliade, Mysterium, 14. 41 Theorien mit ausschließlicher Bezugnahme auf das Sterben und Auferstehen Christi siehe unter V.1.2.2, zu einem ausschließlichen Bezug auf das Begräbnismotiv siehe unter V.1.2.3. Das Todes-Motiv begegnet sehr oft bei Passageritualen und stellt das zentrale Deutungsmotiv der Initiationsrituale dar: 39 „Die meisten Initiationsprüfungen enthalten in mehr oder weniger erkennbarer Form einen rituellen Tod, dem eine Auferstehung oder eine Wiedergeburt folgt. Das zentrale Moment jeder Initia‐ tion wird durch die Zeremonie dargestellt, die den Tod des Neophyten und seine Rückkehr zu den Lebenden symbolisiert. Aber es kommt ein neuer Mensch ins Leben zurück, der eine andere Seinsweise auf sich genommen hat.“ 40 1.2.1.2 Ritualtheoretische Überlegungen Ritualtheoretische Interpretationsansätze, welche konkret Röm 6,3 f bzw. allge‐ mein das Todesmotiv in Bezug auf die Taufe interpretieren, beziehen sich ent‐ weder auf einen oder auch auf mehrere der drei Aspekte, welche die Taufe mit dem Todesmotiv in Verbindung bringen. 41 Die in der Literatur vorfindlichen Theorien lassen vier unterschiedliche Richtungen erkennen: a) Das Motiv leitet sich aus der Symbolik des Ritualablaufes her. b) Das Motiv qualifiziert die Taufe als Initiationsritual. c) Röm 6,3 f entspricht der Dreigliedrigkeit der Passageri‐ tuale. d) Das Motiv hat einen anderen Anhalt am Taufritual. a) Die Symbolik des Ritualablaufes Die unterschiedlichen Thesen zur Symbolik des Ritualablaufes gehen entweder davon aus, dass dem Ritualablauf die Symbolik von sich aus stets (selbsterklä‐ rend) inhärent gewesen ist oder aber, dass sie - vermutlich von Paulus - an Hand des Ablaufes entwickelt wird. Ersteres würde voraussetzen, dass bereits die Johannestaufe, von welcher die christliche Taufe den Ritualablauf über‐ nimmt, mit dem Todesmotiv verbunden ist. Dafür würde eine entsprechende Deutung von βαπτίζω sprechen wie auch die Interpretation der Johannestaufe als Vorwegnahme des Gerichtes, insofern dieses ein Urteil auf Leben und Tod bringt, welches in der Johannestaufe vollzogen wird. Die grundlegende Buße und der einmalige Vollzug sprechen ebenso dafür wie die ethischen Forderungen für das Leben nach der Taufe im Sinne eines neuen, anderen Lebens interpretiert werden können. Die Wahrnehmung, dass Paulus in der εἰς-Taufformel sowohl βαπτίζω 1 Tod - Leben 449 <?page no="450"?> 42 Siehe unter I.1.2 Exkurs Initiationsrituale. 43 Betz, Transferring, 263. 44 Ebd. (Gal 3,27) als auch das Todesmotiv (Röm 6,3 f) für erläuterungsbedürftig er‐ achtet, kann einerseits dahingehend gedeutet werden, dass er das Todesmotiv unter Bezugnahme auf den Ritualablauf erst entwickelt, und andererseits in der Weise, dass er das bereits vorhandene Todesmotiv der Johannestaufe mit grund‐ legenden Bezug auf Sterben und Auferstehen Christi lediglich umdeutet. Gänz‐ lich spekulativ scheint angesichts des Verbgebrauches nicht zuletzt in der εἰς-Taufformel, dass sich das Tod-Leben-Motiv auf das Kleideran- und -ablegen vor und nach dem Taufvollzug bzw. auf das Hineinsteigen und Wiederheraus‐ steigen aus dem Wasser anstatt auf das Untergetauchtwerden und Wiederauf‐ tauchen bezieht. b) Die Dreigliedrigkeit von Passageritualen 1) Ausgehend von den Ritualtheorien van Genneps und Turners kann die scheinbar dreigliedrige Taufdeutung in Röm 6,3 f als Ausdruck bzw. Entspre‐ chung der drei Phasen eines Passagerituales verstanden werden: 42 a) Das Sterben in der Taufe (Röm 6,3c), ggf. identifiziert mit dem Untergetauchtwerden, wird als vorliminale Phase der Trennung verstanden. b) Das Mitbegrabensein (Röm 6,4a), ggf. identifiziert mit dem Unterwassersein oder auch dem Unterge‐ tauchtwerden, wird interpretiert als die liminale Phase der Umwandlung. c) Das Wandeln in der Neuheit des Lebens (Röm 6,4c), ggf. identifiziert mit dem Wie‐ derauftauchen, wird verstanden als die postliminale Phase der Integration. 2) Betz wiederum versteht die Taufe lediglich als „beginning act“ eines le‐ benslangen Prozesses der Inkorporation des neuen Mitgliedes in die Kirche als Leib Christi. 43 Dennoch erkennt er in dem Prozess das dreigliedrige Schema van Genneps wieder - unabhängig von Teilabschnitten des Taufrituals: „There is the séperation from the previous way of life and environment, the marge or preca‐ rious transition from the old to the new status, and agrégation or the integration into the new cultic community.“ 44 3) Während Betz demnach den lebenslangen Prozess in der postliminalen Phase der Integration verortet, versteht Strecker das Leben des Christusgläu‐ bigen als anhaltenden Schwellenprozess, d. h. liminale Phase: „Losgelöst von der alten Existenz unter der Herrschaft des Todes und zugleich des gänzlich neuen Status, der sich erst mit der Auferstehung einstellen wird, noch har‐ rend, eingelassen mithin in eine vitale Wandlungsdynamik, die zwar angebrochen, aber noch nicht vollendet ist, verortet der Apostel das aktuelle Leben der Christus‐ gläubigen insofern offenkundig in der Schwellenphase eines umfassenden Transfor‐ Kapitel V: Ritologische (Deutungs)Motive 450 <?page no="451"?> 45 Strecker, Auf den Tod, 275. 46 Siehe bereits unter V.1.1.1. 47 Siehe Petersen, Secondary Burial, der erstmals die Taufdeutung in Röm 6 mit einem zweiten Begräbnis in Verbindung bringt. 48 Strecker, Auf den Tod, 276. 49 Ebd. 50 A. a. O. 281. 51 A. a. O. 283. 52 A. a. O. 282. 53 A. a. O. 280. 54 Siehe van Gennep, Übergangsriten, 21. 55 Ebd. mationsprozesses. Der Eintritt in diese Schwellenphase erfolgt dabei in und mit der Taufe. Das heißt: Die Taufe eröffnet und markiert bei Paulus ein Leben im Über‐ gang.“ 45 Ausgehend von einem antiken prozessualen Todesverständnisses 46 und der Praxis eines doppelten Begräbnisses 47 versteht Strecker die Taufe in Röm 6,3 f als „zentrale[n] Markstein dieser fundamentalen Transformation namhaft ge‐ macht“, 48 und sieht darin „keineswegs allein das Moment des definitiven Endes, Abbruchs der alten Existenz unter der Sünde, vielmehr klingt darin ebenso die Vorstellung der Passage, des Übergangs mit an, und zwar des Übergangs in eine neue Lebens- und Machtsphäre.“ 49 Entsprechend deutet Strecker das Perfekt in Röm 6,5 (γεγόναμεν) nicht als einen punktuellen Tauftod, sondern „er mündet vielmehr in einen beständigen Vollzug des Verwachsens mit der Gleichgestalt des Todes Christi.“ 50 Strecker spricht dabei einerseits von einem „anhaltenden Initiationstod“ 51 und andererseits von der „Integration in die Dynamis des Le‐ bens und der Auferstehung“ - „zwei diametral entgegengesetzte Prozesse“. 52 Dennoch erscheinen die Getauften insgesamt als „liminale Personen […] die den weltlichen Lebensmustern und Strukturen prinzipiell enthoben sind.“ 53 Strecker nimmt für seine Erklärung grundlegend Bezug auf Vorstellungen zur Liminalität, einem Phänomen, das der mittleren Phase in van Genneps Schema zuzuordnen ist, zu welcher bereits van Gennep bemerkte, dass sie z. B. Initiati‐ onsrituale derart ausdifferenziert sein kann, dass sie eine eigene Phase bildet. 54 Van Gennep differenziert dabei innerhalb dieser Phase zwischen Schwellenriten, die sich auf einen Raumwechsel beziehen, und Umwandlungsriten, welche einen Zustandswechsel bezeichnen, wie z. B. Initiationsrituale. 55 Ausgehend von van Genneps Bemerkungen ist „Liminalität“ ein vielbeschriebenes Phänomen, längst nicht allein bei Initiations- oder Passageritualen. Als am grundlegendsten und zugleich weitreichendsten dürften die Beobachtungen und Thesen Turners gelten, welche im Folgenden kurz dargestellt werden sollen. 1 Tod - Leben 451 <?page no="452"?> 56 Die folgenden Ausführungen beziehen sich soweit nicht anders angegeben auf Turner, Ritual, 94-127. 57 Siehe die komplette Aufzählung a. a. O. 105. Exkurs: Liminalität Turner 56 beschreibt die Liminalität allgemein für Rituale, welche einen Raum-, Posi‐ tions-, Altersgruppen- oder einen Zustandswechsel intendieren und bezeichnet die jeweilige Eingangs- und Endsituation als „Zustand“, im Sinne einer definierten, sta‐ bilen und wiederkehrenden Situation. Dazwischen und im Kontrast dazu steht der sog. „Schwellenzustand“, die Liminalität - Personen befinden sich in dieser Zeit „zwi‐ schen den vom Gesetz, der Tradition, der Konvention und dem Zeremonial fixierten Positionen“ (95). Symbolisch umschrieben oder auch gleichgesetzt wird dies „mit dem Tod, mit dem Dasein im Mutterschoß, mit Unsichtbarkeit, Dunkelheit, Bisexualität, mit der Wildnis und mit einer Sonnen- oder Mondfinsternis“ (95). Die Gemeinschaft unter den Neophyten, von Turner „Communitas“ genannt, ist geprägt von Statuslo‐ sigkeit, intensiver Kameradschaft, Egalitarismus, Heiligkeit und Homogenität. Um dies zum Ausdruck zu bringen, kann in dieser Zeit auf weltliche oder auch ganz auf Kleidung verzichtet werden. Außerdem leben Neophyten beispielsweise enthaltsam, schweigen, verhalten sich demütig. Im Verhalten der einzelnen wie auch in ihren Beziehungen untereinander unterscheiden sich Menschen in der liminalen Phase von denen in vor- und nachgelagerten etablierten und ausdifferenzierten Zuständen. Turner bietet dazu eine ganze Liste an binären Gegensatzpaaren: Übergang / Zustand; Totalität / Partialität; Homogenität / Heterogenität; Communitas / Struktur; Gleich‐ heit / Ungleichheit; Anonymität / Bezeichnungssysteme; Besitzlosigkeit / Besitz; Sta‐ tuslosigkeit / Status usw. 57 Ausgehend von seinen ritualtheoretischen Überlegungen entwickelt Turner eine Gesellschaftstheorie, nach welcher neben den etablierten, klassischen Gesellschaften und Gruppen auch solche gelegentlich zu finden sind, die von dauerhaft liminalem Charakter sind, z. B. die Hippiebewegung (111). Sieht man die Interpretationen der Taufe unter Bezugnahme auf das dreiglied‐ rige Schema van Genneps im Kontext der bisherigen Ergebnisse dieser Arbeit, so ist Folgendes zu sagen: 1) Thesen, welche die drei Phasen direkt in der Formulierung in Röm 6,3 f wiedererkennen, ob nun mit oder ohne Identifikation mit Einzelbewegungen des Taufrituals, ist entgegenzuhalten, dass die Exegese von Röm 6,3 f weder strukturell noch inhaltlich eine Dreiteilung erkennen konnte. Als Weiterent‐ wicklung der auch in 1Kor 15,3b-5 vorfindlichen Tradition betont Paulus viel‐ mehr einen Doppelaspekt: den tatsächlichen Tod und das neue Leben. Weiterhin ist zu betonen, dass van Gennep die unterschiedlichen Phasen mit Einzelritu‐ Kapitel V: Ritologische (Deutungs)Motive 452 <?page no="453"?> 58 Siehe unter I.1.2 Exkurs Initiationsrituale. 59 Siehe unter V.1.2.3. 60 Siehe unter V.2. 61 Siehe unter V.2. alen, nicht aber mit Bewegungen eines einzelnen Rituals identifiziert bzw. darauf verweist, dass nicht sämtliche Phasen in Einzelritualen elaboriert sein müssen. 2) Betz’ Interpretation, dass die Taufe den Beginn des Initiationsprozesses markiert, dessen dritte Phase andauert, ist entgegenzusetzen, dass die paulini‐ schen Tauftexte ein klares Vorher-Nachher-Szenario beschreiben (siehe nicht zuletzt Röm 6,5-11), dessen Integrationsphase auch bereits abgeschlossen ist: Der Getaufte ist vollständig Teil der Gemeinschaft der Getauften. 3) Dies gilt auch für Streckers Deutung, nach welcher die liminale Phase als ein Zwischen und Ineinander von Tod und Leben andauert bis zur endgültigen Auferstehung: Er versucht damit die scheinbare Ambivalenz von Sterben und Leben in der paulinischen Theologie zu deuten. Doch in Bezug auf die Taufe betont der Apostel gerade das endgültige, definitive Ende und die Verantwor‐ tung für das nun ganz neue und andere Leben. Dies entspricht auch einem Grundelement aller Initiationsrituale: Sie stellen keinen endlosen Prozess dar, sondern haben ein erkennbares, klares Ende. 58 Dennoch spricht für Streckers Deutung, dass Paulus die Gemeinschaft der Getauften mit Aspekten beschreibt, wie sie für liminale Gesellschaften typisch sind und welche im Weiteren noch näher zu untersuchen sind: das Motiv des Begrabenseins, 59 die Relativierung von Standesunterschieden 60 bzw. jeglichen zwischenmenschlichen Differenzie‐ rungen sowie die Betonung der Einheit untereinander. 61 Allgemein dürfte etwas Zurückhaltung angemessen sein gegenüber dem Versuch, die frühchristliche Gemeinde als dauerhaft liminale Gemeinschaft zu beschreiben, insofern diese Gesellschaftstheorie wesentlich an Hand von modernen Gesellschaften und Gruppierungen entwickelt wurde. Dennoch ist zu überlegen, ob die paulini‐ schen Vorstellungen von der christlichen Gemeinschaft dem Anfangsstadium verschiedener neuer Gruppierungen und Religionsgemeinschaften zu verglei‐ chen sind, welche von liminalen Aspekten und Idealen gekennzeichnet sind, bis sie sich zunehmend etablieren und dabei Struktur(en) entwickeln, wodurch die Liminalität zurückgedrängt wird. c) Das Deutungsmotiv von Initiationsritualen Unabhängig davon, ob Paulus das Tod-Leben-Motiv von der Beschneidung her bekannt gewesen ist, er es ggf. bewusst von daher auf die Taufe überträgt, kann das Motiv als das klassische Deutungsmotiv von Initiationsritualen verstanden werden. Als allgemein verständliches anthropologisches Motiv ist es - trotz 1 Tod - Leben 453 <?page no="454"?> 62 Siehe unter V.1.1.1. 63 Dunn, Romans, 312: „Despite frequent assertions to the contrary (e.g., Lagrange, Dodd, Barrett), baptism was not an obvious symbol for death […]. The symbolism of cleansing was much more obvious; and since death did not necessarily mean burial under the surface of the earth (but typically in tombs and caves) the symbolism of immersion provided no self-evident link“ (Hervorhebung im Original). 64 Ebd. 65 A. a. O. 331. kultureller Unterschiede 62 - in seiner Grundaussage gegenüber Judenwie Hei‐ denchristen gleichermaßen geeignet, die Taufe als Initiationsritual darzustellen und nachhaltig zu installieren. Ohne größeres z. B. traditionsgeschichtliches Vorwissen verstehen vormalige Angehörige verschiedener Religionen und Kulte, dass die Taufe als Initiationsritual konkurrenzlos, einmalig, von erhebli‐ cher Bedeutung und Auswirkungen ist. Fragt man nach dem spezifisch Christ‐ lichen in einem so allgemeinen Motiv sämtlicher Initiationsrituale, so ist es in der existentiellen Verbindung zum Sterben und Auferstehen Christi und dem daraus abgeleiteten σύν-Motiv zu sehen. Dass das Motiv einen Anhalt am Ri‐ tualvollzug hat, ist als möglich, aber keinesfalls notwendig zu betrachten. d) Andere Bezugnahmen auf das Taufritual Dunn postuliert eine weitere Deutung, welche das Todes-Motiv mit der Taufe in Verbindung bringt. Indem er jegliche Todessymbolik im Ritualvollzug ver‐ neint und vielmehr eine Reinigungssymbolik darin erkennt, 63 schlussfolgert er: „The association of baptism and death is probably distinctively Christian. Jesus himself was remembered as having made the link (Mark 10: 38-39; Luke 12: 50), that is, expli‐ citly using baptism as a metaphor for his own death, the imagery of death as an over‐ whelming torrent of destruction (Ps 69: 2 [Aq 68: 3]; Josephus, War 4.137). The ἀγνοεῖτε therefore may refer implicitly to this tradition as something the Roman believers should know: Paul speaks of them being baptized to share Jesus’ death because Jesus before him had spoken of his own death as a ‚baptism‘ […]. If the Baptist had spoken of a baptism which all must undergo, and Jesus was remembered as having focused that baptism on himself, then Paul here combines the two: all must be baptized with his baptism […]. Alternatively, or in addition, the new step Paul takes here is that of combining two strands of his own teaching which he had not hitherto linked—baptized into (union with) Christ (as in Gal 3: 27 and 1 Cor 12: 13), and dying with Christ (as in Gal 2: 20 and 2 Cor 4: 10-11).“ 64 Unabhängig von der Wahl zwischen beiden Erklärungsmöglichkeiten versteht Dunn die Taufe als Verbindung mit den Auswirkungen des Todes Christi: „The very real dying of believers is a lifelong process“. 65 Zu dieser Interpretation ist zu sagen, dass die Kontextualisierung mit Mk 10,38 f und ihre Deutung als Kapitel V: Ritologische (Deutungs)Motive 454 <?page no="455"?> 66 Siehe unter III.4.3.3.2. „overwhelming torrent of destruction“ nur zu unterstreichen ist, auch wenn der Bezug zum Ritualablauf damit als mehr als wahrscheinlich gelten muss, v. a. da die Reinigungssymbolik lediglich selbstvollzogenen Wasserrituale inhärent ist. Für das Herrenwort wie auch das des Täufers ist anzufragen, inwieweit es als Paulus bekannt anzunehmen ist, nicht zuletzt deswegen, weil er keines von beiden anklingen lässt, obwohl dies angesichts der scheinbaren Begründungs- und Interpretationsproblematik der Taufe äußerst hilfreich gewesen wäre. Wenn auch die εἰς-Taufformel vorpaulinischen Ursprungs sein dürfte, so ist die σύν-Metaphorik sowie die Kombination beider Aspekte durchaus Paulus zuzu‐ rechnen. 66 Eine weitere These ist zu nennen, welche sich auf die Herkunft des Tod-Leben-Motivs richtet: Paulus adaptiert das Bekenntnis in 1Kor 15,3b-5 für seine Taufdeutung ohne jegliche originäre Verbindung zum Taufritual. Die er‐ hebliche Bedeutung der auch 1Kor 15,3b-5 zu Grunde liegenden Tradition für Röm 6,3 f ist bereits herausgestellt worden. Doch die Vielfalt und mindestens teilweise Evidenz der Verbindung des Motivs mit dem Ritual der Taufe konkret oder einem Ritual allgemein macht diese „zufällige“ Kombination eher unwahr‐ scheinlich. 1.2.1.3 Schlussfolgerungen Es finden sich eine Reihe von Theorien, welche die Verbindung des allgemeinen Motivs „Tod-Leben“ mit der Taufe erläutern und interpretieren. V.a. Versuche, etablierte Ritualtheorien im Text wiederzuerkennen oder zu dessen Interpreta‐ tion heranzuziehen, sollten mit einer gewissen Vorsicht betrachtet werden, da sie teilweise sehr explizit an modernen Phänomenen gemachte Beobachtungen zur Interpretation antiker Texte benutzen, welche nur einen Teil und vermutlich auch nur eine Tendenz bzw. Ausprägung der damaligen Situation wiedergeben. Dennoch kann festgehalten werden: Das Tod-Leben-Motiv ist das klassische und zudem allgemein verständliche Motiv von Initiationsritualen. Seine Verwen‐ dung im Kontext der Taufdeutung durch Paulus betont den Initiationsaspekt der christlichen Taufe. Zwar lassen sich in der paulinischen Theologie verschiedene Ambivalenzen zwischen Tod / Sterben und Leben erkennen, doch beziehen sie sich nicht auf die Taufinterpretation, bei welcher stets das endgültige, einmalige Ende des Bisherigen sowie der ganz neu geartete Anfang betont wird. Die Ver‐ bindung von Taufe(n) und Tod findet sich auch an anderen Stellen im NT . Diese können ebenfalls auf den Initiationsaspekt der Taufe abheben oder als Indiz dafür gewertet werden, dass über die den Ritualablauf wiedergebende Begriff‐ 1 Tod - Leben 455 <?page no="456"?> 67 Siehe unter V.1.2.2-7. 68 Siehe unter V.2-4. 69 Siehe ausführlich unter III.4.3.3.2. 70 Weitere Beispiele der Verhältnisbestimmung zur Gottheit folgen unten. lichkeit ein Anhalt am, ggf. eine konkrete Symbolik des Ritualvollzuges wie‐ dergegeben und gedeutet wird. Weiterhin finden sich neben dem Todesmotiv in Tauftexten Aspekte, welche klar liminalen Charakter haben. Das Liminalitäts‐ moment kann, muss aber nicht als Teil einer dreigliedrigen Struktur wahrge‐ nommen werden. Sie kann entweder metaphorisch verstanden oder konkret in der Formulierung von Röm 6,3 f verortet werden, wogegen allerdings die bis‐ herigen exegetischen Ergebnisse sprechen. Die weiteren Verbindungen von Taufe und dem Motiv „Tod-Leben“ 67 sowie die liminalen Aspekte 68 bedürfen vor einer endgültigen Beurteilung weiterer, konkreter Untersuchungen. 1.2.2 Mitvollzug des Schicksals einer Gottheit 1.2.2.1 Bezugstexte Konkret in Röm 6,4a (συνετάφημεν), aber auch allgemein in Röm 6,3-11 und einigen weiteren Stellen verbindet Paulus das Erleben des Christusgläubigen mit Hilfe des σύν-Motives mit Sterben, Begrabenwerden und Auferstehung Christi. 69 Da dem Sterben und Auferstehen Christi im Vergleich zum Mitvollzug durch den Christusgläubigen stets die Momente des „Mehr“ und des „Für“ eignen, ist die christliche Taufe εἰς Χριστόν, in welcher der Täufling der heil‐ vollen Wirkungen des Sterbens und Auferstehens Christi teilhaftig wird, als Bezugskontext des Motivs insgesamt zu verstehen und nicht allein in Röm 6,3 f. Laut der Schilderung des Apuleius (Apul. Met. XI 23 f) z. B. erlebt der Initiand der Isismysterien im Rahmen seiner Weltenreise das Schicksal der Isis nach. Am nächsten Tag tritt er mit einem Mantel bekleidet, mit einer Fackel in der Hand und einem Palmenblätterkranz auf dem Kopf vor die Gemeinschaft: „So war ich wie der Sonnengott ausstaffiert und einem Bilde gleich aufgestellt“ [sic ad instar Solis exornato me et in vicem simulacri constituto] (24,4). Alle diejenigen, welche zum Bewundern oder nur aus Neugier gekommen sind, nehmen sodann am großen Fest seines „natalem sacrorum“ teil. 70 1.2.2.2 Ritualtheoretische Überlegungen Die Bedeutung von Röm 6,1-11 und die zugehörige Forschungsdiskussion geht weit über eine Taufdeutung hinaus. Der Text gilt als „Testfall für den Einfluß hellenistischer Erlösungsanschauungen, speziell der Mysterienkulte auf Paulus Kapitel V: Ritologische (Deutungs)Motive 456 <?page no="457"?> 71 Zeller, Mysterienkulte, 42. Einen Überblick über die Forschungsgeschichte bieten Wagner, Problem, 13-68; sowie Wedderburn, Baptism, 1-5. 72 Siehe etwa Betz, Transferring, 242-254, welcher Paulus in diesem Tun in der Funktion einer sog. „founder figures“ versteht, wie sie bei Kultübertragungen aktiv werden, vgl. unter I.1.3.1.1. 73 Lohse, Römer, 188. Hellholm, Tauftraditionen, 449, schlussfolgert daraus: „Das würde wohl bedeuten, dass Paulus mit solchen theologischen Überlegungen schon zu Beginn seiner Tätigkeit in Berührung gekommen war bzw. sich selber daran beteiligt hatte“. 74 Wasserrituale in Mysterienkulten haben allermeist eine vorbereitende Reinigungs‐ funktion. Siehe Graf, Baptism, 114, welcher einige wenige Reinigungsrituale ausmachen kann, bei welchen „purification is the central transformative rite“, wobei es sich nicht bei allen von diesen um Wasserrituale handelt und keinerlei zeitliche und räumliche Überschneidungen mit den ersten frühchristlichen Gemeinden auszumachen sind. 75 Hellholm, Tauftraditionen, 450 (Hervorhebung im Original). 76 Siehe Strecker, Auf den Tod, 290. bzw. seine Gemeinde als Beleg für einen weitreichenden Synkretismus, zwar nicht in den Kultvollzügen, der Taufe, aber in ihrer Deutung.“ 71 Die folgenden Thesen beschränken sich jedoch auf den „Mitvollzug“ als Ritualdeutungsmotiv und werden nicht die Mysterienkulte in Gänze in ihren möglichen Beziehungen und Wechselwirkungen zu frühchristlichen Gemeinden darstellen. Die Interpretationsansätze lassen sich dennoch am Besten danach kategori‐ sieren, woher Paulus das Motiv übernimmt bzw. entwickelt: a) Paulus übernimmt das Motiv des Mitvollzuges von den Mysterienkulten Entweder Paulus selbst 72 oder aber bereits vor ihm die antiochenische Gemeinde übertragen die mystische Vorstellung der Verbindung mit bzw. des Nachvoll‐ zuges des Schicksals einer Gottheit auf die Taufe, damit diese „in der synkretis‐ tischen Welt verständlich gemacht werden konnte.“ 73 Es finden sich keine An‐ zeichen dafür, dass in Mysterienkulten Taufen oder auch andere Arten von Wasserritualen mit dem Motiv gedeutet werden. 74 Demnach wird das Motiv un‐ abhängig vom Ritualablauf auf die Taufe übertragen, was nach Hellholm be‐ deutet, dass die Formulierung in Röm 6 „zwar keine genealogische, wohl aber eine zumindest teilweise (weil ohne Taufrituale! ) analoge Vorstellung“ in den Mysterienkulten hat. 75 Blickt man nun auf die Verwendung und Bedeutung des Motivs in den Mysterienkulten, so lassen sich Unterschiede erkennen: Der Myste wird mit der Gottheit vereinigt, an ihre Stelle gestellt oder auch mit ihrem Schicksal identifiziert. Nur in wenigen dieser Mysterienerzählungen erleiden die entsprechenden Gottheiten ein gewaltsames Schicksal bzw. den Tod. Vergleicht man diese Interpretationen mit Röm 6, so lässt sich einerseits ein eschatologischer Vorbehalt ausmachen, 76 insofern der Mitvollzug in Bezug auf die Auferstehung noch aussteht, und andererseits ein historischer Vorbehalt, 1 Tod - Leben 457 <?page no="458"?> 77 Siehe Strecker, Theologie, 59. 78 Strecker, Auf den Tod, 290. 79 Siehe Eliade, Mysterium, 213-215. 80 Schnelle, Paulus, 364 f. 81 Mit Zeller, Mysterienkulte, 59. 82 A. a. O. 60 f. 83 Untersuchungen zur σωτήρ-Terminologie und mögliche Sühnetodvorstellungen in den Mysterienkulten siehe a. a. O. 44-60. Leider sind Zellers Überlegungen von der Voran‐ nahme beeinflusst, es handele sich bei der Taufe um ein Reinigungsritual. insofern das Bezugsmoment der Taufe mit dem Sterben und Auferstehen Christi ein historisches Geschehen darstellt. 77 Außerdem sei die „stark[e] ethisch[e] Einbindung der Getauften“ 78 als Differenz wahrzunehmen. Angesichts dessen, dass Paulus oder andere vor ihm, das Motiv unabhängig vom Ritualvollzug übertragen hätten, findet sich dieses in den Mysterienkulten demnach nicht nur in großer Variationsbreite und entsprechender Deutungsvielfalt, sondern zeigt zudem erhebliche Unterschiede zu der in Röm 6,3 f belegten Formulierung. Ent‐ sprechend schlussfolgert nicht zuletzt Eliade, dass das Motiv den Mysterien‐ kulten entstammen muss. 79 b) Paulus lässt sich für das Motiv von den Mysterienkulten inspirieren Die eben genannten Einwände können auch darauf hindeuten, dass Paulus das Motiv aus den Mysterienkulten bekannt gewesen ist und er sich davon „inspi‐ rieren“ lässt, ggf. ebenfalls mit der Motivation, durch bereits bekannte Muster das Verständnis v. a. für Heidenchristen zu erleichtern. Schnelle etwa ordnet die Mysterienkulte damit als „kulturgeschichtliches Umfeld“ ein. 80 Dies ist insofern als möglich zu erachten, als das Motiv des Mitvollzuges des „Leidens“ einer Gottheit über das für Initiationsrituale typische Motiv des Chaos bzw. Tod einer Gottheit hinausgeht. 81 Zeller schlussfolgert dennoch, dass Paulus „ohne es zu wissen […] in Übereinstimmung mit antiken Denkstrukturen“ formuliert. 82 Selbst wenn Röm 6,3 f den antiken Lesern entsprechende Deutungen der Mys‐ terienkulte in Erinnerung rufen würde, sollten ihnen die Differenzen zu diesen, v. a. die Bezugnahme auf das historische Ereignis des Sterbens Christi, mehr ins Auge fallen und über die Bedeutung der Taufe aussagen als es analoge Bezug‐ nahmen auf die Mysterienkulte jemals könnten. Will man Paulus eine solche Absicht unterstellen, würde dies auch den bisherigen Ergebnissen zur σύν-Me‐ taphorik entsprechen, welche stets den Fokus auf den heilvollen Wirkungen des Sterbens und Auferstehens Christi für die Christusgläubigen und weniger auf dem Mitvollzug oder gar einer Identifikation mit Christus hat: Mit Christus zu sterben heißt v. a., dass er bereits für den Christusgläubigen gestorben ist. 83 Kapitel V: Ritologische (Deutungs)Motive 458 <?page no="459"?> 84 Vgl. dagegen die Nachstellungen der Kreuzigung am Karfreitag auf den Philippinen, https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Selbstkreuzigung. 85 Siehe Stommel, Begraben, 5. 86 Siehe unter III.4.3.3.2. 87 Obwohl der Begriff „Begräbnis“ sprachlich schöner erscheint, soll er im Folgenden an den Stellen, wo allgemein eine Beisetzung eines Leichnams thematisiert wird, durch den Begriff „Bestattung“ ersetzt werden, um mit dem Begriff „Begräbnis“ teilweise ein‐ hergehende Assoziation eines Erdbegräbnisses als mögliche Engführung zu vermeiden. 88 Siehe unter V.1.2.1.1. 89 Einen Überblick über sämtliche - ritualtheoretische wie auch ritualunspezifische - Deutungen zu Röm 6,4a siehe unter III.4.3.2. c) Paulus entwickelt die Vorstellung vom Mitvollzug des Sterbens und Auferstehens Christi in der Taufe unabhängig von Mysterienkulten Die Einwände gegen eine wie auch immer geartete Beeinflussung durch Mys‐ terienkulte sind bereits genannt worden. Dafür, dass Paulus mit dem σύν-Motiv keine Imitation des Sterbens und Auferstehens Christi meint, wie sie sich teil‐ weise bei den ausführlichen Schilderungen der Mysterienkulte findet, spricht außerdem, dass er keinerlei Bezug auf die Imitation des Todes Christi am Kreuz nimmt 84 oder diesen gar im Taufvollzug verortet, sondern lediglich auf seinen Tod abhebt. Wenn auch ironisch formuliert zur Abwehr jeglicher Todesmotivik im Ritualvollzug, so ist doch Stommels Bemerkung zuzustimmen, dass Jesus nicht ertränkt wurde. 85 Die bisherigen exegetischen Untersuchungen haben viel mehr erbracht, dass Paulus in Röm 6,4(-11) die σύν-Motivik verwendet, um die bereits formelhaft gewordene und zudem äußerst knappe εἰς-Taufformel näher zu erläutern und in seinen theologischen Überlegungen, in diesem Fall der So‐ teriologie, zu kontextualisieren. 86 1.2.3 Bestattetwerden 1.2.3.1 Bezugstexte Neben der christlichen Taufe, welche in Röm 6,4a als ein Mitbegrabenwerden mit Christus beschrieben wird, wird auch ein anderes Ritual mit dem Begräb‐ nismotiv 87 in Verbindung gebracht: Wie bereits zitiert, 88 kann das Scheiden von der Vorhaut dem Scheiden vom Grab verglichen werden, woraus eine Unrein‐ heitsphase von 7 Tagen bis zum Proselytentauchbad abgeleitet wird (Pes 8,8). 1.2.3.2 Ritualtheoretische Überlegungen 89 Im Unterschied zu sämtlichen anderen untersuchten Taufdeutungsmotiven (V. 1-5) handelt es sich hierbei nicht im eigentlichen Sinne um eine Metapher, ein Bild, sondern zuerst um ein anderes Ritual, welches zur Deutung der Taufe 1 Tod - Leben 459 <?page no="460"?> 90 Insofern stellt Pes 8,8 den einzigen adäquaten Vergleichstext zu Röm 6,4a dar, während Texte zu Ablauf und Deutung von antiken Bestattungen als Sekundärquellen einzu‐ ordnen sind. 91 Siehe unter IV.2.8.7.4. 92 Siehe unter IV.3.8.7.4. 93 Siehe ausführlich unter V.1.2.3.2 b,c, siehe dort auch Verweise auf zugehörige Quellen‐ texte. 94 Eine umfangreiche Literaturübersicht zur Bestattung in der Antike und später siehe Macho, Tod, 953 f. 95 Siehe unter V.1.2.3.2 b. 96 Siehe Schnackenburg, Heilsgeschehen, 22. 97 Dunn, Romans, 312. bzw. Beschneidung herangezogen wird. 90 Das Vergleichsmoment ist demnach nicht ein in verschiedenen Ritualdeutungen belegtes Motiv, sondern ein direkter Ritualvergleich, wie er sich auch für Johannes- und Geisttaufe 91 bzw. christlicher Taufe und (Herzens-)Beschneidung 92 findet. Ohne diese Differenz zu anderen Taufmotiven zu reflektieren, nehmen einige der folgenden Thesen der For‐ schung umfangreich auf entsprechende Ritualaspekte und -deutungen einer Bestattung Bezug. 93 Wesentliches Moment des Vergleiches ist dabei neben dem Ritualablauf einer antiken Bestattung 94 v. a. der Aspekt, dass diese - durch alle Zeiten - als Passageritual 95 verstanden wird. Vier unterschiedliche Ansätze lassen sich innerhalb der ritualtheoretischen Interpretationen zur Taufe als (Mit-)Begrabenwerden ausmachen: a) Unterge‐ tauchtwerden als Symbol für Bestattetwerden; b) Bestattetwerden als Prozess; c) Grab als Quelle der Unreinheit; d) Bestattung als rituelle Bestätigung des Todes. a) Untergetauchtwerden als Symbol für Bestattetwerden Das Untergetauchwerden unter die Wasseroberfläche kann verstanden werden als Symbol für das Bestattetwerden eines Leichnams unter die Erdoberfläche. 96 Ebenerdige Höhlengräber, wie für die Bestattung Jesus beschrieben (Mk 15,46par), geben diese Symbolik jedoch nicht her. Da der Brief an die Ge‐ meinde in Rom gerichtet ist, gibt Dunn jedoch zu bedenken: „…the practice of using catacombs for burial may already have become an established practice of the Jewish community in Rome (Leon, Jews, 66), and we cannot exclude the possibility that Paul was aware of this and had it in mind here.“ 97 So oder so setzt eine solche Symbolik das vollständige Untergetauchtwerden voraus. Indem er die Ursprünglichkeit dieses Ritualablaufes anzweifelt, hält Stommel alternativ zur oben dargestellten These auch die umgekehrte Entwick‐ lung für möglich: „Vielleicht ist die durch einige spätere Texte belegte völlige Kapitel V: Ritologische (Deutungs)Motive 460 <?page no="461"?> 98 Stommel, Begraben, 20. 99 A. a. O. 19 f. 100 Zu einer möglichen Symbolik des Ritualablaufes siehe abschließend unter VI.6 und VI.7. 101 Ridderbos, Paul, 402. 102 Siehe Petersen, Pauline Baptism. 103 Siehe Meyer, Jewish Ossuaries; sowie ders., Reburial. Zu Wiederbestattungen im grie‐ chischen und römischen Kulturkreis siehe Kutz / Boardman, Burial Customs; Toynbee, Death and Burial. 104 Hertz, Contribution, 48. 105 Siehe Hertz, Contribution, 79 f, zitiert nach Petersen, Pauline Baptism, 224. Untertauchung mancherorts erst eingeführt worden, damit das Begraben‐ werden im Ritus dargestellt werden konnte.“ 98 Die ursprüngliche Symbolik sieht Stommel hingegen in der Vorstellung eines reinigenden Vollbades. 99 Die bishe‐ rigen Ergebnisse zu Ritualbezeichnung, Ritualentwicklung wie auch der sons‐ tigen Deutung der Taufe stehen dem jedoch entgegen und entziehen seiner These damit die Grundlage. 100 Wenn nun insgesamt eine symbolische Deutung des Ritualablaufes als Be‐ stattung nicht als „entirely absurd“ 101 bezeichnet werden muss, so bleibt sie doch eine reichlich unwahrscheinliche Spekulation, der plausiblere Erklärungsmo‐ delle gegenüberstehen. b) Bestattetwerden als Prozess Ausgehend von einer über längere Zeit gestreckten Bestattung kann das Mit‐ begrabenwerden mit Christus in bzw. durch die Taufe als ein längerer Prozess verstanden werden, der lediglich in der Taufe beginnt und erst mit der noch ausstehenden Auferstehung endet. Der Getaufte wird damit verstanden als ein - noch nicht endgültig - Bestatteter. Erstmals finden sich derartige Überlegungen bei Petersen, 102 welcher ausge‐ hend von Meyers Untersuchungen zu jüdischen Ossuarien 103 das Phänomen einer Doppelbzw. Sekundärbestattung in Israel aufgreift. Dies bringt er in Ver‐ bindung mit der Deutung von Bestattungsritualen bei van Gennep, v. a. aber bei dem Anthropologen Hertz, welcher in Indonesien und anderen Regionen Dop‐ pelbestattungen untersucht und für diese schlussfolgert: „The first is that death is not completed in one instantaneous act […] The second is that death is not mere destruction but transition: as it progresses so does the rebirth […]“. 104 Hertz hat dabei nicht allein den körperlichen Veränderungsprozess (Verwesung) im Blick: „As a passage from one bodily and social form of existence to another, death and its rites constitute an initiatory rebirth into another state of human society.“ 105 Mit Verweis darauf, dass auch van Gennep Bestattungen als Passa‐ 1 Tod - Leben 461 <?page no="462"?> 106 Van Gennep, Rituale, 3. Ausführlicher zur Bestattung als Passageritual siehe Davies, Death, 17 f. 107 Petersen, Pauline Baptism, 225. 108 Strecker, Auf den Tod, 277. 109 Petersen, Pauline Baptism, 226. 110 Ebd. gerituale versteht, deren Schwerpunkt auf dem Trennungsaspekt liegen, 106 in‐ terpretiert Petersen die christliche Taufe - auf der Grundlage von Röm 6,4a - folgendermaßen: „[…] while Pauline baptism marks the believers separation from worldly society, it more importantly signifies the beginning of the belie‐ vers’ transition to the new society of the kingdom of God. It is a rite of initiation into a transitional process, not a rite of incorporation into a ‚more or less orga‐ nized social class.‘“ 107 Strecker greift diese Deutung auf und versucht sie in folgender Weise zu un‐ termauern: „[…] dass die Schwellenzeit zwischen erster und zweiter Bestattung in der antiken Ritualpraxis mutmaßlich mit dem Aspekt der Sündentilgung bzw. der Reinigung zu‐ sammengesehen wurde (s. oben) und Paulus in Röm 6 nachdrücklich argumentiert, die getauften Christusgläubigen seien als symbolisch mit Christus ‚Begrabene‘ der Macht der Sünde abgestorben und nun einem Prozess der Heiligung (ἁγιασμός, vgl. V. 19.22) eingegliedert, wobei indes die Loslösung von der Sünde nach Paulus insoweit noch nicht vollends abgeschlossen zu sein scheint, als es offenkundig immer noch eines expliziten Imperativs zur praktischen Umsetzung des besagten Abgestorbens‐ eins von der Sünde bedarf, wie in V. 12 ff deutlich wird.“ 108 Bei diesem Interpretationsansatz handelt es sich um eine der fundiertesten ri‐ tualtheoretischen Thesen zur christlichen Taufe, welche sich in der exegetischen Forschung finden lässt. Dennoch sind einige Anmerkungen nötig: Zunächst gibt es, wie von Petersen selbst angemerkt, 109 keinerlei Erwähnung einer zweiten bzw. Wiederbestattung bei Paulus oder sonst im NT . Seinem Einwand ist jedoch zunächst zuzustimmen, dass mit einer entsprechenden Praxis auch die zugehö‐ rige Ritualdeutung der Bestattung als einem längeren (Transformations-)Pro‐ zess verbreitet sein könnte. 110 Doch auch wenn man die Verbreitung von Se‐ kundärbestattungen sowohl in Israel als auch in Rom voraussetzt, sowie das feste Vertrauen des Paulus darauf, dass die ihm persönlich unbekannte Ge‐ meinde die Ritualinterpretation ohne nähere Erläuterungen verstehen wird, sprechen doch eine Reihe an Aspekten gegen diese Deutung, welche sich nicht zuletzt aus dem unmittelbaren Kontext von Röm 6,4a - immerhin der einzigen Stelle, an der diese Taufdeutung neutestamentlich belegt ist - ergeben: Kapitel V: Ritologische (Deutungs)Motive 462 <?page no="463"?> 111 Siehe unter III.4.4.3. 112 Douglas, Reinheit, 210. Ein Ritual, dass diese Unreinheitskräfte zähmen könne, sei machtvoll (ebd.). Röm 6,3 f greift auf die gleiche Tradition zurück, welche auch in 1Kor 15,3b-5 belegt ist, was sich nicht zuletzt an der Vokabel (συν-)θάπτειν festmacht, und deutet diese im Blick auf die Taufe aus. Daher wäre zuerst nach dem Verständnis von Bestattung in dieser Tradition zu fragen. Fokus sowohl in den Grable‐ gungserzählungen der Evangelien als auch der zweigliedrigen Tradition über das Sterben und Auferstehen Christi als Glaubensgegenstand liegt jedoch nicht auf dem Verständnis der Bestattung als Beginn eines Transformationsprozesses als vielmehr auf der rituellen Bestätigung seines tatsächlichen Todes. Dabei ist der Tod wesentliche Voraussetzung für eine Vorstellung von Auferstehung Christi, welche sich gerade wesentlich von anderen Transformationsprozessen unterscheidet, wie sie Verstorbene im Übergang in ein Totenreich vollziehen. Dass Paulus auf genau diesen Aspekt der Bestattung in seiner Vorstellung eines „Mitbegrabenwerdens“ abzielt, unterstreicht auch der weitere Fortgang seiner Argumentation, nach welcher der Täufling endgültig und tatsächlich dem Machtbereich der Sünde abgestorben ist. Dass an dieser Stelle ein Imperativ (Röm 6,4c) stehen bleibt, wie Strecker richtig feststellt, hat seinen Grund darin, dass Christi Auferstehung dennoch von anderer Qualität gewesen ist, als der Neuanfang, den der christusgläubig Getaufte erlebt - ihm steht die Auferste‐ hung noch bevor. 111 Der endgültige, momenthafte Bruch mit allem Vorherigen, welcher sich in der Taufe vollzieht, ist dennoch nicht als Prozess zu verstehen, sondern als abgeschlossenes, tatsächliches Ereignis - so wenig andauernd, son‐ dern vielmehr kurz wie das Untergetauchtwerden und anschließende Wieder‐ auftauchen bei der Taufe. Auch mit van Genneps Ritualtheorie ist einem anhaltend prozessualem Ver‐ ständnis zu widersprechen: Zwar handelt es sich sowohl bei der Bestattung als auch bei einem Initiationsritual wie der Taufe um Passagerituale, jedoch weiß van Gennep diese durchaus in unterschiedliche Gruppierungen zu unterteilen, je nachdem welche der drei Ritualphasen eine schwerpunktmäßige Betonung erhält: Bestattungen betonen z. B. durch weitere ausdeutende Teilrituale v. a. die Trennungsphase, während Initiationsrituale v. a. die liminale Phase weiter aus‐ gestalten und (aus-)deuten. c) Grab als Quelle der Unreinheit Strecker weist unter Bezugnahme auf Douglas 112 darauf hin, dass Initiationsri‐ tuale in besonderer Weise Kräfte der Unreinheit entfesseln und auch zähmen 1 Tod - Leben 463 <?page no="464"?> 113 Strecker, Auf den Tod, 286, siehe ausführlich zur transformierenden Kraft des Unreinen unter ders., Theologie, 277-280. 114 Siehe unter IV.1.1.2.3 b.d. 115 Siehe so z. B. Meeks, Urchristentum, 320. 116 Siehe unter IV.1.2.2.2. 117 Damit scheidet die Entstehungsthese einer Herleitung oder gar Übernahme des Bestat‐ tungsmotivs von Beschneidung zur Taufe durch Paulus aus, da die Rituale auf unter‐ schiedliche Aspekte des Motivs einer Bestattung Bezug nehmen. 118 Stommel, Begraben, 7, welcher dazu auf Rohde, Psyche, 26.217, verweist. können. 113 Diese Art der gefährlichen Unreinheit ist jedoch m. E. zu unter‐ scheiden von allgemeinen jüdischen Vorstellungen, wie sie sich auch in vielen weiteren Kulturen finden, nach denen der Kontakt mit einem Leichnam bzw. Gegenständen und Räumen, welche mit einem Leichnam in Verbindung stehen, und nicht zuletzt ein Grab zur kultischen Verunreinigung führen (siehe Pes 8,8). 114 So finden sich Thesen, welche die Taufe angesichts der Bestattungs‐ metaphorik von Röm 6,4a mit einer Waschung, also einem Wasserritual mit Reinigungsfunktion, identifizieren. 115 Doch - wie bereits dargestellt wurde - handelt es sich bei der Taufe nicht um ein Reinigungsritual. Zudem entfallen gerade bei Jesu Bestattung - dem Be‐ zugspunkt von Röm 6,4a! - die notwendigen Waschungen (Mk 16,1 par) bzw. werden sie „vorgezogen“ (Mk 14,3-9). Dem entspricht Jesu Kritik an der Wer‐ tigkeit und Wirkmacht von Reinigungsritualen. 116 Und schließlich richtet sich die Diskussion auf das Verhältnis von Taufe und Beschneidung, dem einzigen Ritual, für das eine Bestattung als Deutungsmotiv (mit Verweis auf die Unrein‐ heit von Gräbern) verwendet wird (Pes 8,8), speziell auf die Gesetzesverpflich‐ tung (nicht zuletzt auf die Reinheitsvorschriften) durch die Beschneidung und die Befreiung davon durch die Taufe. 117 d) Bestattung als rituelle Bestätigung des Todes Es verbleibt schließlich die Deutung der Taufe als rituelle Bestätigung und Ab‐ schluss des Todes. Denn auch dieses Moment kann in der Antike wie auch heute mit einer Bestattung verbunden werden: „Der Vorgang des Sterbens, des Ab‐ scheidens von dieser Welt, wurde erst durch die Bestattung ganz abgeschlossen. Die Psyche eines unbestatteten Leichnams hielt sich nach antiker Vorstellung noch immer in dessen Nähe auf; erst die Beisetzung des Körpers öffnete auch der Seele den Zugang zum Totenreiche und verwies sie von der Erdoberfläche, aus dem Bereich der Lebenden, hinab in die Unterwelt.“ 118 Das prozessuale Mo‐ ment samt Übergang in die Totenwelt wird demnach beim Sterben selbst ver‐ ortet und nicht in einem längeren Bestattungsprozess, wie er lediglich mit der Kapitel V: Ritologische (Deutungs)Motive 464 <?page no="465"?> 119 Wie oben bereits angemerkt beziehen sich die ritualtheoretischen Überlegungen Hertz‘ wie auch die drauf aufbauende Taufdeutung Petersens nicht auf Bestattungsrituale an sich, sondern auf Sekundärbestattungen. 120 Siehe unter III.4.3.2. besonderen Praxis von Sekundärbestattungen einhergeht. 119 Die Bestattung nimmt dabei nicht die Funktion des Beginns des Prozesses ein, sondern stellt dessen Endgültigkeit fest und zugleich dessen rituell vermitteltes Ende dar. Das betonen die Grablegungserzählungen Jesu: Er ist tatsächlich tot. Das betont die Tradition in 1Kor 15,3b-5: Er ist tatsächlich tot gewesen und wurde danach auferweckt. Und darauf zielt auch die Taufdeutung des Paulus in Röm 6,3 f: Auch die unspezifische Verbwahl 120 und das Fehlen weiterer Erläuterungen sprechen dafür, dass Paulus nicht den speziellen Bestattungstyp der Sekundär‐ bestattung vor Augen hatte. Wenn überhaupt eine konkrete Bestattungsart Vor‐ bild gewesen ist, dann die der Beisetzung in einer Grabhöhle, wie sie für Jesus bezeugt ist. Paulus vergleicht die Bedeutung der Taufe εἰς Χριστόν, also der Taufe εἰς τὸν θάνατον αὐτοῦ, mit einer Bestattung als dem tatsächlichen ritu‐ ellen Ende des Sterbeprozesses. Auch wenn es sich lediglich um ein metapho‐ risches Sterben handelt, so ist es doch nicht weniger endgültig als das Sterben Christi. Indem Paulus die christliche Taufe allgemein mit dem Tod-Leben-Motiv verbindet, macht er sie für Adressaten sämtlicher religiöser Herkunft als Initia‐ tionsritual erkennbar. Indem er jedoch das Bestattungsmotiv aus der Traditi‐ onsformel übernimmt, betont er in Röm 6 von den drei typischen Phasen der Passage- und damit auch der Initiationsrituale den Separationsaspekt: Der Täuf‐ ling ist endgültig und komplett von allem Bisherigen getrennt und enthoben - sogar der Macht der Sünde, welcher alle Menschen unterworfen sind. Die fol‐ genden Untersuchungen werden zeigen, dass sich das Moment der Separation bzw. Relativierung von allem Vorherigen, nicht zuletzt von allen sozialen Bin‐ dungen und Verhältnissen, auch in anderen paulinischen Tauftexten findet, diese jedoch (zusätzlich) auch die anderen beiden Aspekte der Liminalität und der Integration betonen können. 1.2.4 Rettung durch das Wasser hindurch Das Motiv der „Rettung durch das Wasser hindurch“ beschreibt zwar nicht den metaphorischen Tod, wohl aber eine lebensbedrohende Situation und die Er‐ rettung daraus und ist deswegen zu den Taufdeutungen im größeren Themen‐ komplex „Tod-Leben“ zu rechnen. 1 Tod - Leben 465 <?page no="466"?> 121 Da an dieser Stelle keine ausführliche Darstellung der verschiedenen Übersetzungs- und Deutungsmöglichkeiten geboten werden kann, siehe für einen Überblick Be‐ asley-Murray, Taufe, 340-345. 122 Siehe ausführlich unter V.1.2.6. 123 Eliade, Mysterium, 15. 124 Es kann hier nicht ausführlich auf Spezifika und das Deutungsspektrum von ἀντίτυπον eingegangen werden, siehe Ostmeyer, Taufe, 145-148. 125 Siehe auch a. a. O. 148 f 1.2.4.1 Bezugstexte Nach 1Petr 3,18 f predigte Christus, der getötet wurde nach dem Fleisch, aber lebendig gemacht nach dem Geist den „Geistern im Gefängnis“, womit Folgende gemeint sind: 20 die einst ungehorsam waren, als Gott in Langmut harrte in den Tagen Noahs, als man die Arche baute, in der wenige, genau acht Seelen, gerettet wurden durch das Wasser hindurch. 21 Das ist ein Bild der Taufe, die jetzt auch euch rettet. Es wird nicht der Schmutz vom Leib abgewaschen, sondern man bittet Gott um ein gutes Gewissen durch die Auferstehung Jesu Christi … 121 (1Petr 3,20 f) Der von Eliade bei Initiationsritualen beobachtete und beschriebene „Initiationstod“ wird mit Bildern und Mythen näher illustriert. Den wichtigsten Bild‐ spender stellt die Kosmogonie dar, welche im Initiationsritual erneut symbolisch vollzogen wird: 122 „Jeder rituellen Wiederholung der Kosmogonie geht eine symbolische Regression zum ‚Chaos‘ voraus. Damit die alte Welt von neuem erschaffen werden kann, muß sie zuerst vernichtet werden. […] Im Szenarium der Initiationsriten entspricht der ‚Tod‘ der vorübergehenden Rückkehr zum ‚Chaos‘“. 123 1.2.4.2 Ritualtheoretische Überlegungen Indem die Rettung der acht Seelen aus der Sintflut als Bild 124 für die Taufe ver‐ standen wird, bringt der Autor des 1Petr das Geschehen in der Taufe mit der urgeschichtlichen Erzählung von der beinahe vollständigen Vernichtung der Welt samt all ihrer Lebewesen in Verbindung. Anders als bei den zuvor und im Folgenden besprochenen Motiven wird dabei nicht der (symbolische) Tod des Täuflings ausgesagt, sondern gerade dessen Rettung durch die Taufe. Wohl aber gerät die alles-Leben-bedrohende-Macht des Wassers in den Fokus, 125 während die reinigende Funktion des Wassers bewusst negiert wird. Darin korrespondiert das Motiv mit Beschreibungen Eliades, welche das Erlebnis des Initianden mit dem Erleiden des zwischenzeitlich wiedergekehrten Chaos beschreiben, aus dem heraus das Initiationsritual letztendlich zu einem ganz neuen Leben er‐ rettet. Kapitel V: Ritologische (Deutungs)Motive 466 <?page no="467"?> 126 Siehe Bauer, Art. δία, 280. 127 Siehe unter V.1.2.5. 128 Ausgehend davon, dass Tit nicht zu den Protopaulinen zu rechnen ist, liefert Wedder‐ burn eine These, warum sich das klassische Deutungsmotiv der Wiedergeburt nicht bei Paulus findet, siehe ders., Baptism, 388 f. 129 Zimmermann,Wiederentstehung, 294, hat versucht aufzuzeigen, dass παλιγγενεσία καὶ ἀνακαίνωσις „eine Übersetzung des paulinischen Neuschöpfungsgedankens […] in pa‐ gane Terminologie“ darstelle, welche neben der inidviduellen auch eine überindividu‐ elle Konnotation inne habe und παλιγγενεσία somit korrekter als „Wiederentstehung“ anstatt als „Wiedergeburt“ zu übersetzen wäre. Folgt man ihrer Argumentation sind die ritologischen Parallelen nicht unter dem Aspekt „Neugeburt“, sondern eher unter „Neu‐ schöpfung“ u. ä. zu suchen. Siehe unter V.1.2.6. Will man im Bild der Rettung Noahs vor der Sintflut eine symbolische Be‐ zugnahme auf den Ritualablauf erkennen, so lässt das Untergetauchtwerden den Täufling die (reale) Gefahr durch das Wasser erspüren, um danach zu erleben, wie ihn die Taufe - vermittelt durch den Täufer - daraus errettet, im wörtlichen Sinne „herauszieht“. Die lebensbedrohende Gefahr, aus welcher der Täufling errettet wird, stellt dabei die Sünde dar. Durch Sterben und Auferstehen Christi wird der Täufling wie „durch das Wasser hindurch“ davon gerettet. Δία ist dabei lokal zu verstehen 126 vergleichbar der Aussage σωθήσεται, οὕτως δὲ ὡς διὰ πυρός (1Kor 3,15). Dem Getauften wird ein Neuanfang vergleichbar dem Noahs auf der wieder getrockneten Erde geschenkt: Es war keine vorübergehende Rei‐ nigung, welche ein „wieder-schmutzig-Werden“ impliziert, sondern ein grund‐ sätzlicher Neuanfang von neuer Qualität - συνειδήσεως ἀγαθῆς. Auch die von Eliade beschriebenen Initiationsrituale führen zu einem neuen Leben von an‐ derer Qualität. 127 1.2.5 Wiedergeborenwerden bzw. Neugeborenwerden 1.2.5.1 Bezugstexte Die Ursache der grundsätzlichen Wende weg von Ungehorsam, Begierden (Tit 3,3) und hin zu Gehorsam, guten Werken und Sanftmut (Tit 3,1 f) beschreibt der Autor des Tit 128 folgendermaßen: 5 Nicht um der Werke der Gerechtigkeit willen, die wir getan hatten, sondern nach seiner Barmherzigkeit rettete er uns durch das Bad der Wiedergeburt und Erneuerung des Heiligen Geistes … (Tit 3,5). 129 Innerhalb der Beschreibungen zum Proselytenprozess, bestehend aus Beschneidung und Proselytentauchbad, finden sich Formulierungen, welche den Proselyt am Ab‐ schluss des Prozesses in folgender Weise vergleichen: „Der Proselyt ist wie ein neu‐ geborenes Kind.“ (bJev 62). „Der Proselyt gilt als eintägiges Kind.“ (Gerim 2,6). „Wenn 1 Tod - Leben 467 <?page no="468"?> 130 Eliade, Mysterium, 14. 131 Siehe unter V.1.2.7. 132 Der Begriff τὸ λουτρόν könnte - entsprechend seiner Verwendung in Eph 5,26 - auf den Reinigungsaspekt verweisen. Dies bedürfte weiterer Untersuchungen und würde in Spannung zu den bisherigen Beobachtungen zu den paulinischen Tauftexten und nicht zuletzt 1Petr 3,20 f stehen. 133 Zum Proselytentauchbad als Abschluss des Konversionsprozesses siehe unter IV.4.7.2 und unter IV.4.7.3. eine Frau den jüdischen Glauben annimmt, ist sie ein anderer Mensch“ (bJev 23). Das Proselytwerden kann auch allgemeiner als eine Art neuer Anfang gedeutet werden (Shab 145b-146a). In den von Eliade beschriebenen Initiationsritualen folgt dem rituellen Tod stets eine Auferstehung bzw. eine Wiedergeburt. Beide Elemente gehören untrennbar zusammen: „Das zentrale Moment jeder Initiation wird durch die Zeremonie dargestellt, die den Tod des Neophyten und seine Rückkehr zu den Lebenden symbolisiert. Aber es kommt ein neuer Mensch ins Leben zurück, der eine an‐ dere Seinsweise auf sich genommen hat.“ 130 Gedeutet werden kann diese „Rück‐ kehr“ als Wiedergeburt, Neugeburt oder auch Neuschöpfung. 131 1.2.5.2 Ritualtheoretische Überlegungen Obwohl die sonst übliche Taufterminologie fehlt, ist Tit 3,5 dennoch als Tauf‐ deutung zu identifizieren, indem das Bild entweder in lokaler oder instrumen‐ taler Bedeutung das Ereignis beschreibt, durch welches ein Mensch Anteil an der rechtfertigenden φιλανθρωπία Gottes erlangt. Diese Beschreibung in Rei‐ hung mit einer Erneuerung durch den Heiligen Geist sowie die Beschreibung des grundsätzlichen Wandels in der Lebensführung deuten auf die Taufe als Moment und Mittel dieser Phänomene. Unabhängig von verschiedenen Deu‐ tungsmöglichkeiten zu τὸ λούτρον 132 qualifiziert das Genitivobjekt παλιγγενεσίας die Taufe als Initiationsritual: Entsprechend des ethischen Ar‐ gumentationsganges liegt der Fokus hierbei weniger auf der Endgültigkeit des Abbruchs als auf der Grundsätzlichkeit des Neubeginns. Auch wenn der Text zum jüdischen Konversionsprozess statt von einer Wie‐ dergeburt von einer Neugeburt spricht (bJev 62), so bezeichnet er doch - wie die anderen oben zitierten Aussagen belegen - das gleiche Phänomen: Der Pro‐ selyt gleicht einem neugeboren Menschen - für ihn beginnt mit dem Abschluss des Prozesses 133 ein ganz anderes Leben. Nach jüdischem Selbstverständnis dürfte das Leben als Jude als ein Leben von anderer, besonderer Qualität wahr‐ genommen werden, was nicht allein in den Verheißungen für das jüdische Volk zum Ausdruck kommt, sondern auch in der durch die jüdischen Reinheitsvor‐ Kapitel V: Ritologische (Deutungs)Motive 468 <?page no="469"?> 134 Eliade, Mysterium, 16. 135 A. a. O. 17. 136 Dieselbe Schlussfoglerung muss für die These gelten, Paulus habe das Motiv direkt von den Mysterienreligionen übernommen (so Dibelius, Conzelmann). Siehe ausführlich zu dieser Diskussion Dey, Palingenesia, bes. 157-176. 137 Siehe unter IV.3.8 und unter IV.4.8. schriften konditionierten kultischen Reinheit, welche durch das Proselyten‐ tauchbad erstmals hergestellt wird. Eliade beschreibt diesen Neubeginn - unabhängig davon, ob er als Wieder‐ geburt, Neugeburt oder Neuschöpfung bezeichnet wird - nicht etwa als eine Art zweite Chance oder zweiten Beginn, sondern als Start eines anderen, geistigen Lebens: „[D]ieses neue Leben [wird] als die wahre Existenz des Menschen auf‐ gefaßt […] Alle Wiedergeburts- und Auferstehungsriten und die in ihnen ent‐ haltenen Symbole deuten darauf hin, daß der Novize zu einer anderen Seins‐ weise gelangt ist, die allen die die Initiationsprüfungen nicht durchgemacht und den Tod nicht erfahren haben, unzugänglich ist.“ 134 Weiterhin schreibt sie: „Die zweite Geburt, die Initiationsgeburt, wiederholt nicht die erste, biologische. Um die Seinsweise des Initiierten zu erreichen, muß man Wirklichkeiten kennen, die nicht mehr zur ‚Natur‘ gehören, sondern zur Biographie der übernatürlichen Wesen, also zur heiligen Geschichte, wie sie von den Mythen bewahrt wurde.“ 135 Diese von Eliade verallgemeinernden Schlussfolgerungen zu Initiationsritu‐ alen sind nicht eins zu eins auf Tit 3,5 oder das Proselytentauchbad zu über‐ tragen, können jedoch deutlich machen, dass der jüdische Konversionsprozess ebenso wie die Taufe als Initiationsritual qualifiziert wird, welches den Neube‐ ginn eines Leben von anderer Qualität bewirkt und markiert. Es handelt sich dabei in Kombination mit bzw. Voraussetzung der Vorstellung eines vorherigen rituellen Todes um das typische Deutungsmotiv „Tod-Leben“ von Initiations‐ ritualen, was eine Beeinflussung bzw. eine Übernahme des Motivs zwischen Taufe und jüdischem Konversionsprozess zwar nicht endgültig ausschließt, aber ebenso wenig als notwendig erscheinen lässt. 136 Nachdem das jeweilige Ver‐ hältnis der Taufe zu den Einzelaspekten des jüdischen Proselytenprozesses be‐ reits auf mögliche Abhängigkeiten hin untersucht wurde, 137 würde eine Über‐ nahme des Motivs für die Taufe (oder auch in die entgegengesetzte Richtung) v. a. den Initiationsaspekt des jeweiligen Rituals betonen. Es ist abschließend noch zu erwähnen, dass Tit 3,5 in diesem Motiv den glei‐ chen Taufdeutungsaspekt transportiert, welchen Paulus in Röm 6,4c den Aus‐ führungen zum Getauftwerden auf Christi Tod und Mitbestattetwerden folgen lässt: Wie Christus auferstanden ist, so sollen auch die Getauften in der Neuheit 1 Tod - Leben 469 <?page no="470"?> 138 Die exegetischen Untersuchungen zu dieser ungewöhnlichen Formulierung siehe unter III.4.4.3.4. 139 Siehe zu diesem Motiv auch 2Kor 5,17 f. 140 Dafür, dass es sich hierbei um eine Taufdeutung handelt, spricht zudem, dass es eine weitreichende Wirkungsgeschichte des Motivs zur Taufinterpretation gibt. Siehe aus‐ führlich Jensen, Baptismal Imagery, 177-213. 141 Siehe Eliade, Mysterium, 14-16. 142 Vgl. z. B. die εἰς-Taufformel und die Deutungsversuche des Paulus (Röm 6,3 f; Gal 3,27). 143 Siehe ausführlich unter IV.3.8. des Lebens wandeln. 138 Das Motiv betont demnach nicht den Separations- oder liminalen Aspekt von Initiationsritualen, sondern deren abschließenden Inte‐ grationsaspekt. 1.2.6 Neuschöpfung 1.2.6.1 Bezugstexte Es ist an dieser Stelle ein weiterer paulinischer Text zu erwähnen, welcher zwar auf Grund des Fehlens der klassischen Taufterminologie nicht endgültig als Tauf(deutungs)text identifiziert werden kann, jedoch machen das in ihm ver‐ wendete Motiv der Neuschöpfung 139 wie auch verschiedene Aspekte des Kon‐ textes eine Taufinterpretation sehr wahrscheinlich: 140 13 Denn sie selbst, die sich beschneiden lassen, halten das Gesetz auch nicht ein, son‐ dern sie wollen, dass ihr euch beschneiden lasst, damit sie sich eures Fleisches wegen rühmen können. 14 Es soll aber nicht geschehen, dass ich mich rühme, außer des Kreuzes unseres Herrn Jesus Christus, durch den die Welt mir gekreuzigt ist und ich der Welt. 15 Denn es ist weder Beschneidung noch Unbeschnittensein etwas, sondern eine neue Kreatur. (Gal 6,13-15) Es ist bereits erwähnt worden, dass in den von Eliade untersuchten Initiations‐ ritualen der rituelle Tod als Nachvollzug der gesamten Kosmogonie ausgedeutet werden kann. Innerhalb der Ritualdeutung folgt auf die zwischenzeitliche Rück‐ kehr des Chaos eine neue Schöpfung, zu verstehen als (noch größer gefasste) Entsprechung zur Deutung als Neubzw. Wiedergeburt. 141 1.2.6.2 Ritualtheoretische Überlegungen Folgende Motive sprechen für eine Taufthematik: die Bezugnahme auf ὁ σταυρὸς τοῦ κυρίου ἡμῶν Ἰησοῦ Χριστοῦ (Gal 6,14) als Grundereignis der christlichen Taufe; 142 die (konkurrierende) Verhältnisbestimmung zur Beschnei‐ dung und ihrer Funktion als Initiationsritual der jüdischen Religion (Gal 6,13-15); 143 das Motiv des Todes des Christusgläubigen mit eindeutiger Be‐ Kapitel V: Ritologische (Deutungs)Motive 470 <?page no="471"?> 144 Siehe ausführlich unter III.4.2.2.2. 145 Siehe unter III.4.3.3.2. 146 Siehe die unter V.1.1.1 erwähnte These Streckers zum anhaltenden Ineinander von Leben und Tod in der Existenz eines Christusgläubigen. zugnahme auf den Tod Christi (ἐσταύρωται [Gal 6,14]). 144 Alle drei Aspekte zielen zudem auf den Initiationsaspekt der Taufe, was sich auch in dem Motiv der Neuschöpfung widerspiegelt (Gal 6,15): Wie die Bilder von Neu- oder auch Wiedergeburt bezeichnet auch die Vorstellung einer neuen Schöpfung bzw. eines neuen Geschöpfes einen grundsätzlichen Neuanfang nach einem endgül‐ tigen Ende alles Vorherigen, was Paulus mit der Formulierung δι’ οὗ ἐμοὶ κόσμος ἐσταύρωται κἀγὼ κόσμῳ (Gal 6,14) in der bereits dargestellten Todesmotivik zum Ausdruck bringt. Auch ohne das Motiv hier in seinem ganzen Umfang und sonstigem Vorkommen bei Paulus darstellen zu können, wird deutlich, dass sich das Tod-Leben-Motiv in den drei Versen im vollen Umfang wiederfindet: Unter Verweis auf den grundlegenden Tod Christi wird der Tod des Christusgläubigen ausgesagt, was dem Separationsaspekt entspricht. Die Neuschöpfung ist zu ver‐ stehen als Bild des Neuanfanges, des neuen Lebens, was auf den Integrations‐ aspekt abzielt. Schließlich betont Paulus, dass in dieser neuen Realität die vorher grundlegende Unterscheidung in Beschnittene und Unbeschnittene, markiert und bewirkt durch das Initiationsritual der Beschneidung, keine Trennungs‐ funktion bzw. Bedeutung mehr hat, insofern als der Initiationsaspekt nun bei der Taufe liegt. Diese Relativierung bisheriger Strukturen und Unterschei‐ dungen ist klassisches Indiz des liminalen Aspektes von Initiationsritualen. 1.3 Schlussfolgerungen und Gesamtinterpretation Am Anfang des Kapitels stand die Frage nach sich wandelnden Vorstellungen zum Tod und inwieweit diese Einfluss auf die hier untersuchte Motivik haben. Verschiedene Thesen zu einem prozessualen Verständnis entweder des Todes oder aber des Totbzw. Begrabenseins konnten weder durch die hier unter‐ suchten Texte noch die hinzugezogenen ritualtheoretischen Überlegungen nachdrücklich erhärtet werden. Die erläuterungslose Kürze der paulinischen wie nichtpaulinischen Taufdeutungen wie auch die Motivik in ihren Varianten deuten vielmehr auf ein Verständnis des Todes als (ggf. momenthaften) endgültigem und radikalem Ende des bisherigen Lebens in all seinen Beziehungen. Mit diesem Ver‐ ständnis korrespondieren auch verschiedene sonstige Aussagen des Paulus über das Verhältnis von Leben und Tod, v. a. solche, welchen die συν-Motivik zueigen ist. 145 Andere Aussagen über das vermeintliche In- und Miteinander von Leben und Tod eines Christusgläubigen 146 stehen dazu im Kontrast und sind nicht als 1 Tod - Leben 471 <?page no="472"?> 147 Siehe eine ausführliche Darstellung und Interpretation unter Jensen, Baptismal Imagery, 137-213. Bezugnahmen auf den in der Taufe erlebten Bruch und Neubeginn zu interpre‐ tieren, sondern als Beurteilungen des tatsächlichen, physischen Lebens und Sterbens in fremder und eigener Wahrnehmung. Entsprechend kommt auch von den drei antiken unter dem Begriff „Stirb und Werde“ geführten Denkmodellen lediglich das letzte, „Sterben als Durchgang zum Leben“, als mögliches Deu‐ tungsmuster für die Taufdeutung in Röm 6,3 f in Frage. Wie die Untersuchung zum Tod-Leben-Motiv in seinem Variantenreichtum konkret als Taufdeutung jedoch aufgezeigt hat, liegt eine andere „Vorlage“ bzw. Herkunft näher: die all‐ gemeine Motivik von Initiationsritualen. Im Rahmen einer Kulturen und Religionen übergreifenden Motivik von Ini‐ tiationsritualen, welche in einem ureigenem Zusammenhang mit deren Funk‐ tion korrespondiert, steht das Motiv des metaphorischen Todes und eines sich an‐ schließenden Neuanfanges für den durch das Initiationsritual markierten radikalen Veränderungsprozess des Initianden. Das Motiv kann dabei komplett erst einen Tod und dann ein neues Leben benennen oder aber nur von einem Tod oder allein von einem neuen Leben bzw. Neu- oder Wiedergeburt sprechen, was je‐ doch stets einen vorherigen Tod voraussetzt. Dadurch, aber auch durch die kon‐ krete Verwendung im jeweiligen Kontext, werden ein oder auch mehrere der klassischen Aspekte eines Initiationsrituals betont: Trennung, Transformation und Integration. Dennoch sind die hier dargestellten Bilder alle als Variationen des einen Grundmotivs zu verstehen. Als Ursachen für die Variationsbreite in den darge‐ stellten neutestamentlichen Texten, welche sich in den ersten christlichen Jahr‐ hunderten noch erheblich erweitert, 147 sind denkbar: 1) Die Wahl des jeweiligen Ausdrucks oder auch Aufgreifens einer entsprechenden Tradition (z. B. Sint‐ fluterzählung) dürfte kontext- und ggf. auch gemeindeabhängig sein. Als weitere Variationen des Motivs in neutestamentlichen Texten könnten z. B. noch ge‐ rechnet werden das Zeichen des Jona (Lk 11,30-32; Mt 12,39 f) sowie das Motiv des Ausziehens des alten und Anziehens des neuen Menschen (Kol 3,9 f). 2) Die Wahl der jeweiligen Variation dürfte v. a. aussage‐ abhängig sein: Eine Betonung des präliminalen Trennungsaspektes unter‐ streicht das Ende alles Bisherigen, z. B. der Macht der Sünde. Liegt die Betonung auf dem postliminalen Integrationsaspekt, dann zielt das Bild v. a. auf die Be‐ schaffenheit der christlichen Gemeinde und der Stellung des frisch Getauften darin. Wird hingegen das liminale Element betont, so steht die enorme grund‐ Kapitel V: Ritologische (Deutungs)Motive 472 <?page no="473"?> 148 In klassischen Initiationsritualen wie auch der Taufe beinhaltet der liminale Aspekt stets eine Transformation, während andere Passagerituale an dieser Stelle eher einen Schwellenzustand beschreiben. Diesbezügliche vergleichende Überlegungen v. a. zur Johannestaufe siehe unter VI.2 und unter VI.5. legende Transformation des Täuflings im Fokus. 148 Der Taufe als Initiationsritual eignen all diese Bedeutungsmomente, auch wenn sie nicht in jedem Text glei‐ chermaßen im Fokus stehen. Der einzige neutestamentliche Text, der dies gleichwertig tut, ist Röm 6,3 f. Weiterhin hat die Untersuchung ergeben, dass sich nicht allein das Grund‐ motiv „Tod-Leben“ auch bei anderen Initiationsritualen findet, sondern auch konkret einzelne, spezielle Varianten. Das Bild des (Mit-)Begrabenwerdens sticht dabei in doppelter Weise heraus: 1) Es unterscheidet sich in seiner klaren Be‐ zugnahme auf die Bestattung Jesu Christi als historischem Ereignis deutlich von anderen Motiven. 2) Es stellt einen Ritualvergleich dar. Insofern ist es nicht im eigentlichen Sinne eine (freigewählte bzw. freiassoziierte) Variation des Motivs, sondern hat seine klar erkennbare Herkunft in der 1Kor 15,3b-5 zu Grunde lie‐ genden Tradition. Darin und in seiner vollständigen Wiedergabe des Tod-Leben-Motivs sowie der expliziten und spezifisch christlichen συν-Motivik stellt Röm 6,3 f dann doch einen Sonderfall, man möchte fast sagen, Kristallisa‐ tionstext des Motivs dar. Es wäre näher zu untersuchen, ob sich in der für nach‐ paulinische und nachneutestamentliche Texte feststellbaren zunehmenden Va‐ riationsfreiheit eine allgemeine Tendenz hinsichtlich einer Betonung eines der drei Aspekte (Trennung, Transformation, Integration) erkennen ließe, welche mit den sich verändernden Gemeindeverhältnissen einhergeht. Zunehmende Strukturierungsprozesse dürften Einfluss auf das Taufverständnis haben und beispielsweise zu einer zunehmenden Ausdeutung des Integrationsaspektes führen. Fragt man nun abschließend nach der Herkunft des Motivs, so können mit Blick auf eine symbolische Deutung des Ritualablaufes Überlegungen angestellt werden, ob das Untergetauchtwerden eine lebensgefährdende Situation nach‐ erleben lässt. Konkretere Zuweisungen einzelner Ritualteile - ob zwei- oder dreigliedrig - müssen eher als spekulativ gewertet werden. Geht man von einer Übernahme des Motivs von einem anderen Ritual unabhängig vom Ritualablauf aus, so kann dies theoretisch diskutiert werden. Die Beweislage ist jedoch eher dünn und keinesfalls tragfähig genug, darüber etwa eine Frühdatierung des Proselytentauchbades zu argumentieren. Am wahrscheinlichsten ist die These eines allgemeinen, religions- und kulturenübergreifenden Verständnisses von Ini‐ tiationsritualen und deren Bedeutung, welches sich Paulus bedient, um den Initia‐ tionscharakter - in seinen drei Aspekten - für die Taufe einwandfrei und unmiss‐ 1 Tod - Leben 473 <?page no="474"?> 149 Siehe abschließend unter V.6. 150 Zur Begründung von Gemeinde und Gemeinschaft siehe unter V.2.2-4. 151 Siehe unter IV.1.3.2; IV.5.5.3 und IV.5.5.5. 152 Siehe unter IV.4.3 und IV.4.6. 153 Siehe unter IV.2.3 und IV.2.8.3.3. 154 Siehe unter IV.3.3 und IV.3.8.3. 155 Zur Funktion des Ritualleiters bei der Einweihung in Mysterienkulte siehe unter III.2.5 Exkurs Der Mystagoge als Täufer - Heinrici. 156 Siehe v. a. Bischöfe, Superintendenten und Äbte bei religiösen Initiationen heute, aber auch profane Ritualleiter wie z. B. Standesbeamte bei standesamtlichen Trauungen. 157 Snoek, Initiation, 173. verständlich deutlich zu machen. 149 Möglicherweise hat die herausfordernde Verfassersituation des Röm (eine ihm bisher persönlich unbekannte Gemeinde) Paulus dazu gebracht, die in seinem Denken bereits angelegte Vorstellung (siehe συν-Motivik, aber auch Gal 6,13-15) derart auf den Punkt zu bringen, wie er es in Röm 6,3 f tut. 2 Gemeinschaft, Einheit und Leibmetaphorik 2.1 Keine Taufe ohne Gemeinde Die bisherigen Untersuchungen machen auf zwei Aspekte aufmerksam, die dafür sprechen, dass es keine christliche Taufe ohne christliche Gemeinde geben kann. In beiden Punkten erweist sich die Taufe als klassisches Initiationsritual: 1) Die Taufe wird vollzogen von einem Täufer. 2) Die gemeinschaftsbezogene Wirkung der Taufe setzt eine Gemeinde voraus und begründet diese zu‐ gleich. 150 2.1.1 Die Notwendigkeit eines Täufers Der Vollzug der christlichen Taufe durch einen Täufer - eine zweite Person neben dem Täufling - bestimmt diese grundlegend. Er unterscheidet sie von jeglichen aktiv selbständig vollzogenen Reinigungsritualen 151 wie auch vom Proselytentauchbad, bei welchem zwar Dritte ausgewählte Gesetze verlesen, allerdings nicht aktiv in den eigentlichen Ritualvollzug eingreifen. 152 Die grund‐ legende Funktion eines Ritualleiters, welcher den Initianden somit in eine pas‐ sive Position bringt, hat die Taufe mit der Johannestaufe, 153 der Beschneidung 154 und Mysterieneinweihungen gemeinsam. 155 Es handelt sich dabei um ein allge‐ meines Merkmal von Initiationsritualen von der Antike bis heute, 156 für welche gilt: „one initiator should take part in the ritual, which renders ‚self-initiation‘ a contradiction in terms.“ 157 Erstreckt sich das Initiationsritual über eine längere Kapitel V: Ritologische (Deutungs)Motive 474 <?page no="475"?> 158 A. a. O. 174. 159 Siehe unter III.2.5 Exkurs Der Mystagoge als Täufer - Heinrici. 160 Siehe ausführlich unter III.2.5 Exkurs: Der Mystagoge als Täufer - Heinrici. 161 Siehe etwa Stellen, an denen sich Paulus selbst als Vater bzw. Erzeuger bezeichnet, unter V.3. 162 Siehe unter V.2.2.2. Zeit, so wird der Initiand von einem solchen Initiator, ggf. auch mehreren, fort‐ während begleitet bzw. geführt. 158 Doch trotz der Notwendigkeit des Täufers, der die Taufe unverwechselbar etwa gegenüber Reinigungswaschungen o. ä. als Initiationsritual erkennbar macht, unterscheidet sich dessen Bedeutung im Konkreten dennoch - mindes‐ tens insoweit sie sich an Hand der neutestamentlichen Schriften rekonstruieren lässt - von derjenigen von Ritualleitern in anderen antiken Initiationsritualen: An keiner Stelle ist von einer besonderen Bindung an oder gar Verpflichtung gegenüber dem Täufer die Rede, wie sie v. a. für Initianden der Mysterienkulte belegt ist. 159 In seiner tagelangen Begleitung durch die Einweihungsrituale ist der Mystagoge derjenige, welche den Initianden in die geheime Lehre einweiht und ihm damit das Herzstück des Kultes offenbart, über welches nach außen Stillschweigen zu herrschen hat. Heinrici hat unlängst die These geäußert, nach welcher Apollos - als vorheriger Anhänger eines Mysterienkultes - seine Funk‐ tion innerhalb der Gemeinde in dieser Weise missversteht bzw. akzentuiert, was die besondere Bindung seiner Täuflinge an ihn begründet und damit die Apol‐ logruppe in Korinth hervorbringt. 160 Auch wenn diese Theorie nicht das Zustandekommen der weiteren korin‐ thischen Parteiungen erklärt, so macht sie doch auf ein wesentliches Moment aufmerksam: Nach den Äußerungen des Paulus scheinen in den frühchristlichen (paulinischen) Gemeinden Verkündigung und Taufen bereits getrennte Tätig‐ keiten zu sein, welche von unterschiedlichen Personen bzw. konkret Funkti‐ onsträgern ausgeführt werden. Anders als bei der Beschneidung bedarf es ge‐ genüber den zumeist erwachsenen Täuflingen einer vorherigen Verkündigung; anders als bei den Mysterieneinweihungen erfolgt diese aber scheinbar nicht durch den Ritualleiter. Auch wenn dies zu einigen sonstigen Äußerungen des Paulus in Spannung steht, 161 so weist der Apostel diesbezüglich auch jegliche Verbindung zu ihm als Verkündiger ab. Vielmehr betonen die paulinischen Tauftexte immer wieder zwei andere Bezugspunkte, zu denen die Taufe eine besondere Verbindung herstellt bzw. begründet: 1) Jesus Christus 162 und 2) die einzigartige Gemeinschaft der Getauften. Jedes Initiationsritual hat eine Gruppe, deren Teil der Initiand mit Hilfe des Rituals wird. Dass die christliche Gemeinde der Getauften jedoch mehr bedeutet als lediglich die Gruppe, welcher der Ini‐ 2 Gemeinschaft, Einheit und Leibmetaphorik 475 <?page no="476"?> 163 Siehe unter II.2.1. 164 Siehe unter IV.1.1.2.3. 165 Siehe unter IV.4.3. 166 Siehe bereits ausführlich unter III.1.5.4.4 und weiterhin unter V.2.2. 167 Siehe unter V.2.2. tiand „beitritt“ und dass die christliche Taufe (ausschließlich) als Eintritts- oder auch Eingliederungsritual sowohl mit Blick auf den Initianden als auch auf die Gemeinde missverstanden ist, soll im Folgenden aufgezeigt werden. 2.1.2 Die Notwendigkeit und Begründung einer Gemeinde An keiner einzigen Stelle findet sich die Taufformel, welche höchstwahrschein‐ lich im Taufvollzug zu verorten ist, im Singular formuliert. 163 Dafür, dass ihr die horizontale Dimension bewusst und ursprünglich eigen ist und demnach nicht einem pluralen „wir“ bzw. „ihr“ mit Blick auf die Adressatengemeinde ent‐ springt, spricht neben der Formelhaftigkeit auch die Beobachtung, dass im Zu‐ sammenhang mit der εἰς-Taufformel auf die horizontalen Wirkungen der Taufe eingegangen wird: Taufe zu einem Leib (1Kor 12,13), Relativierung der Unter‐ scheidungen durch die Taufe (Gal 3,28a-c), Taufe zu einer Einheit bzw. Person (Gal 3,28d). Die Ausführungen zur Taufe in 1Kor 1 bilden außerdem das Zentrum der Argumentation gegen die Parteienbildung und die Mahnung zur Einheit (1Kor 1,12-17). Der funktionale Bezug auf die Gemeinschaft liegt dabei nicht in der „Bereinigung“ gestörter Gemeinschaftsverhältnisse oder einer Wiederauf‐ nahme in die Gemeinschaft, wie er sich bei Reinigungsritualen findet. 164 Weder ermöglicht noch bereitet die Taufe die eigentliche Interaktion mit anderen vor. Andere nehmen auch nicht die bloße Funktion von Zeugen ein, wie dies für das Proselytentauchbad belegt ist. 165 Vielmehr begründet die christliche Taufe die Gemeinschaft selbst und führt dabei in das Zentrum einer äußerst engen und zugleich einzigartigen Gemeinschaft. Bewirkt durch den Geist bilden sie nicht mehr eine Gruppe von Individuen, sondern stellen eine Einheit dar, welche Paulus in unterschiedlichen rhetorischen und bildlichen Ansätzen versucht den Adressaten vor Augen zu malen. 166 Doch die Gemeinde wird nicht nur als Einheit von ganz besonderer Qualität beschrieben, sondern auch mit weiteren Aspekten und Qualitäten in Verbindung gebracht, welche sämtliche als solche Phänomene und Aspekte identifiziert werden können, die Initianden innerhalb der liminalen Phase untereinander erleben. 167 Aus der Beobachtung, dass die Qualitäten der Gemeinde auch nach der Taufe zugesprochen werden, entwickelt Strecker die These, dass die Chris‐ tusgläubigen (bis zur endgültigen Auferstehung) in der liminalen Phase ver‐ Kapitel V: Ritologische (Deutungs)Motive 476 <?page no="477"?> 168 Siehe bereits unter V.1.2.1.2. 169 Siehe sehr ausführlich unter III.1.3-5. 170 Siehe ausführlich Strecker, Liminale Theologie, 349-407; die hiesige Darstellung folgt jedoch seiner späteren pointierten Darlegung in ders., Auf den Tod, 290-294. 171 A. a. O. 291. 172 A. a. O. 292. bleiben. 168 Dagegen ist bereits vorgebracht worden, dass Initiationsrituale stets einen Abschlusspunkt haben. Die erstaunliche Betonung der horizontalen Gemeinschaft ebenso wie deren Beschreibung kann noch in anderer Weise interpretiert werden: Die leiden‐ schaftlichen Argumentationen des Paulus erwecken den Eindruck, als würde in der Taufe nicht allein der Täufling einer Transformation und Neubegründung unterzogen, sondern zugleich die gesamte Gemeinde. Dabei scheint der Taufe eine größere Dynamik zugeschrieben zu werden, als dass die bereits Getauften lediglich an die eigene Taufe erinnert werden. Dies würde auch dem Bild ent‐ sprechen, dass durch die Taufe nicht ein Einzelner zu einem bereits voll funk‐ tionstüchtigen Leib hinzukommt, sondern dass durch die Taufe, und zwar jede einzelne Taufe wieder, der Leib als Einheit begründet wird (1Kor 12,13). Dies ist im Folgenden durch die Untersuchung der Einzelmotive zu bestätigen. 2.2 Die Taufe begründet eine einzigartige Einheit und Gemeinschaft. Indem die Taufe den Einzelnen in all seinen Beziehungen und Verhältnissen einer Transformation unterzieht, begründet sie eine ganz neue Art von Ge‐ meinschaft. Entsprechende Überlegungen zur besonderen Art der christlichen Gemeinschaft und sich darauf beziehende ritualtheoretische Thesen gehen ge‐ meinhin von Gal 3,27 f aus. 169 Die wohl weitreichendste diesbezügliche ritual‐ theoretische Deutung stammt von Strecker. 2.2.1 Die christliche Gemeinde als „normative Communitas“ Strecker 170 interpretiert das dreifache οὐκ ἔνι … οὐδὲ / καὶ … als Annullierung, Aufhebung bzw. „Relativierung der tief in das gesellschaftliche Gefüge einge‐ schriebenen ethnischen, sozialen und geschlechtlichen hierarchischen Dicho‐ tomisierungen“ als Wirkung der Taufe. 171 Unter Aufnahme der Begrifflichkeit Turners beschreibt Strecker das Gemeindebild des Paulus folgendermaßen: „[…] Communitas der Getauften als tatsächliche Sozialform, es geht ihm um eine faktisch am Ideal der Egalität ausgerichtete christusgläubige Gemeinschaft über alle Unterschiede hinweg.“ 172 Für alle drei Paarungen bringt Strecker Belege aus 2 Gemeinschaft, Einheit und Leibmetaphorik 477 <?page no="478"?> 173 Siehe a. a. O. 292 f: 293. 174 Siehe a. a. O. 292 f. 175 Ebd. 176 A. a. O. 293. 177 Ebd. 178 Siehe ebd. Turner, Ritual, 129, beschreibt eine „nomative Communitas“ als „ein dauer‐ haftes soziales System, das sich im Laufe der Zeit aufgrund der Notwendigkeit, die Ressourcen zu mobilisieren und zu organisieren sowie die Gruppenmitglieder bei der Verfolgung dieser Ziele der sozialen Kontrolle zu unterwerfen, aus der existentiellen Communitas entwickelt“. 179 Strecker, Auf den Tod, 293. den Protopaulinen an, weiß aber auch um Gegenbeispiele: Aus der ethnischen Egalität folge die Ablehnung der Beschneidungsforderung (z. B. Gal 2,1-10), die Ablehnung ethnisch begründeten Rühmens (z. B. Gal 6,13) u. a.; dennoch gilt für Paulus der „heilsgeschichtlich bedingte Prärogativ Israels“ (z. B. Röm 11,17-24). 173 Die soziale Egalität ließe sich in der Bruderschafts- und κοινωνία-Motivik bezüglich Onesimus und Philemon erkennen (Phlm 15-17), dennoch gibt es keine Kritik an der Institution Sklaverei. 174 Hinsichtlich der „Geschlechterpolarität“ bestehe eine „prinzipielle Präferenz für eine enkra‐ tisch-agamische Lebensform“ (1Kor 7) und eine „zumindest latente Suspendie‐ rung der klassischen geschlechtlichen Rollenerwartungen und -bestim‐ mungen“; 175 dennoch beharre Paulus „mehrfach auf konventionellen Werten und Maßstäben“ (z. B. 1Kor 11,2-16). 176 Strecker zieht daraus den Schluss: „Die Theologie der Protopaulinen trägt insofern gleichermaßen egalitäre und kon‐ servative Züge in sich.“ 177 Dies entspräche dem Konzept einer „normativen Communitas“, welche sich unter bestimmten Notwendigkeiten aus einer „exis‐ tentiellen Communitas“ heraus entwickelt. 178 Laut Strecker bliebe die Taufe für Paulus dennoch ein „die herkömmlichen gesellschaftlichen Statuspositionen überschreitendes Ritual.“ 179 Dieser durchaus interessanten ritualtheoretischen These Streckers ist jedoch entgegenzuhalten, dass die bisherigen Untersuchungen zu Gal 3,28a-c ergeben haben, dass die Tradition keine Egalität oder Abschaffung sämtlicher Unter‐ schiede aussagt. Nicht nur, dass die entsprechenden Gegenbeispiele allein aus der paulinischen Literatur (! ) eine weitaus größere Anzahl ausmachen, sondern auch die Verwendung der Tradition in 1Kor 12,13 - ebenfalls im Rahmen einer Taufaussage - spricht dagegen, insofern der Kontext gerade die Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit der Unterschiede zwischen den Gemeindegliedern hervor‐ hebt. Zudem ist Gal 3,28a nicht als (zumindest allein) ethnische Unterscheidung zu werten. Auch stellt die Vorstellung einer speziell „normativen Communitas“ ebenso wie die zugrundliegende Idee eines Verharrens der Christusgläubigen in Kapitel V: Ritologische (Deutungs)Motive 478 <?page no="479"?> 180 Siehe ausführlich unter III.1.5.4.4. 181 Diese Deutung spricht gegen jede Interpretation von Gal 3,28c als Asexualität oder gar Androgynität, siehe entsprechende Vertreter unter III.1.4.3. der liminalen Phase m. E. eine übermäßige Übertragung von Ritual- und Gesell‐ schaftstheorien, welche an vorwiegend nichtantiken Gesellschaften entwickelt worden, auf die besondere Situation der erst im Entstehen begriffenen christli‐ chen Gemeinde, dar, zu welcher wir zudem nur auf die Hälfte einer Kommuni‐ kation - nämlich die Paulusbriefe - als Quellen Zugriff haben. Diese Texte leiten vielmehr zu einer anderen Interpretation der durch die Taufe bewirkten Verän‐ derungen der Verhältnisse der Getauften untereinander. 2.2.2 Die christliche Gemeinde als einzigartige Einheit Zum Verständnis von Gal 3,28a-c ist es nicht allein nötig, die neuen Verhältnisse als Wirkung der Taufe zu verstehen (Gal 3,27), sondern auch den Rest des Verses als notwendigen Kontext zu beachten: πάντες γὰρ ὑμεῖς εἷς ἐστε ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ (Gal 3,28d). Wie auch in 1Kor 1 und 1Kor 12 wird als Taufwirkung eine einzigartige Einheit und Gemeinschaft der Christusgläubigen betont. Und so werden ihnen auch die Heilswirkungen der Taufe nie singulär, sondern stets allen gemeinsam zugesprochen: κατ᾽ ἐπαγγελίαν κληρονόμοι (Gal 3,29c), υἱοὶ θεοῦ (Gal 3,26) u.s.w. 180 In den Tauftexten bilden sie dabei als besondere Ein‐ heitsgemeinschaft entweder das Gegenüber (Gal 3; Röm 5 f) oder auch die Ent‐ sprechung (1Kor 1. 12) zu dem einen Menschen Jesus Christus. Doch das von Paulus dazu gewählte Bild zeigt, dass die einzigartige Einheit nicht von der Gleichgestaltigkeit oder Egalität ihrer Teile herkommt, sondern gerade aus deren Verschiedenheit lebt: Als Getaufte sind sie εἷς (Gal 3,28d), σῶμα (1Kor 12,12-20). Indem Paulus den Leib als in der Taufe begründet versteht (καὶ γὰρ ἐν ἑνὶ πνεύματι ἡμεῖς πάντες εἰς ἓν σῶμα ἐβαπτίσθημεν [1Kor 12,13a]), sind sämtliche Aspekte dieses Leibes letztlich auch als Wirkungen der Taufe aufzu‐ fassen: 1) Ein Leib besteht aus unterschiedlichen, aufeinander angewiesen Gliedern. 181 Wie Paulus in 1Kor 12 ausführlich beschreibt, herrscht keinerlei Rangfolge unter den Gliedern, da sämtliche in ihren Positionen, mit ihren Funktionen und Gaben zur Funktionalität des Leibes beitragen. Ebenso wenig kann ein Glied eines Leibes überzählig sein. Die Formulierung in 1Kor 12,13 (βαπτίζω εἰς …) wie auch das Bild selbst sprechen dafür, dass die Taufe eines neuen Christusgläubigen 2 Gemeinschaft, Einheit und Leibmetaphorik 479 <?page no="480"?> 182 Das deutsche Wort „Mitglied“ bringt einen wesentlichen Aspekt dieses Bildes zum Ausdruck: In einer wahren Gemeinschaft, ob Verein, Partei oder auch Gemeinde, ist man nie „bloß Glied“, sondern stets „Mitglied“ mit den anderen. 183 Siehe unter III.1.5.3. 184 Siehe unter III.2.4. diesen nicht in die Gemeinde „inkorporiert“, quasi „transplantiert“, sondern dass jede Taufe wieder den nun leicht veränderten Leib begründet. 182 2) Die Gemeinde ist kein lebloser Gegenstand, sondern ein Organismus, ein Leib. Die textkritischen Korrekturen zu Gal 3,28d sind eingehend diskutiert worden 183 und haben gezeigt, dass es dem menschlichen Empfinden näher liegt, eine Gruppe eher mit einer Sache, denn einer Person zu vergleichen. Doch in 1Kor macht Paulus deutlich, dass die Gemeinde als lebender Organismus, gar als Leib Christi selbst verstanden werden kann - wohl um zu verdeutlichen, in welch hohem Maße die Gemeindeglieder in ihrer Einheit voneinander abhängig sind und was sie durch Fehlverhalten und Missverständnisse riskieren zu zerstören. 3) Missstände einzelner und ganzer Gruppierungen in der Gemeinde bedrohen die Existenz, das Leben der Gemeinde. Versteht man die Gemeinde nicht als An‐ sammlung von Individuen, sondern als lebendige Einheit, so schränkt jedes Fehlverhalten die ganze Gemeinde ein und so muss eine Gruppenbildung, welche ihre innere Bindung, ggf. an das Gruppenhaupt, höher wertet als die Gemeinde als lebendige Einheit, diese in ihrer Integrität und Existenzfähigkeit geradezu „zerreißen“. Um die Gefahr bis in die letzte Konsequenz deutlich zu machen, identifiziert Paulus die Gemeinde an dieser Stelle mit Christus selbst (vgl. 1Kor 12,27 Gemeinde als Leib Christi): μεμέρισται ὁ Χριστός; (1Kor 1,13) 184 Wie ein verheirateter Mann sich zwischen dem Herrn und seiner Frau „zerreißt“ (μεμέρισται [1Kor 7,34]) oder gar die Herrschaft des Satan untergeht, wenn er sich „zerreißt“, indem er gegen sich selbst vorgeht (ἐμερίσθη [Mk 3,26par]), so wird auch die Gemeinde zerreißen, untergehen, letztlich sterben, wenn sie sich in unterschiedliche, konkurrierende Gruppen mit Gruppenhaupt aufteilt. 4) Indem die Gemeinde mit dem einen Geist getränkt wird, erhält sie von Gott das für jedes Lebewesen Notwendige - Wasser zum Leben. Paulus betont in 1Kor 12 v. a. die Einheit des Geistes, welche die Einheit der Gemeinde in der Taufe be‐ gründet und damit die eine Quelle gerade der sehr verschiedenen χαρίσματα bildet. Doch aus den Gaben ihrer Glieder lebt die Gemeinde und jeder einzelne - vermittelt in der eigenen Taufe und in jeder Taufe eines Gemeindegliedes immer wieder. Das Bild einer Gemeinschaft als Leib, überhaupt als lebendiges Individuum findet sich bei keinem anderen hier untersuchten Ritual als Interpretation. Zwar Kapitel V: Ritologische (Deutungs)Motive 480 <?page no="481"?> 185 Siehe unter I.1.2 Exkurs Initiationsrituale. 186 Die Mandäner beispielsweise stellen über den Vollzug der Masbūtā eine Verbindung zur himmlischen Sphäre her, in welcher ebenfalls die Masbūtā vollzogen wird, siehe unter IV.5.3.4. 187 Siehe unter V.1.2.1 Exkurs Liminalität. 188 Siehe unter V.3. Gal 3,28a-c - im klaren Kontrast zur Argumentation in 1Kor 12 - auf Egalität und Gleichheit der Getauften hin zu interpretieren, widerspräche auch der Be‐ obachtung, dass die Tradition in Gal 3 wie auch in 1Kor 12 Teil eines größeren Tradi‐ tionsstückes ist, in welchem auf eine Taufaussage die Aufzählung der bisherigen Ver‐ hältnisse und sodann eine Einheitsaussage folgt. sind es weit verbreitete Deutungen, dass durch Rituale Bindungen entstehen 185 und dass über das Ritual Gemeinschaft mit Gottheiten 186 oder auch innerhalb der Gruppe hergestellt wird, jedoch sind sämtliche besonderen Einheitsempfin‐ dungen normalerweise als liminale Erfahrung zu werten 187 und damit auf die Zeit des Ritualvollzuges beschränkt. 2.3 Zusammenfassung In der Taufe wird durch den einen Geist Gottes nicht allein der einzelne in seinem Verhältnis zu Gott und in seiner ganzen Lebensführung transformiert, sondern auch die Gemeinde als Einheit begründet. Wenn in 1Kor 12,13b und Gal 3,28a-c die Getauften in ihren - bisherigen - Verhältnissen und Zuord‐ nungen im Kontext einer Taufaussage aufgezählt werden, so ist das οὐκ ἔνι … οὐδὲ … bzw. das εἴτε … εἴτε … in doppelter Weise zu deuten: 1) coram deo - unabhängig von Herkunft und Stand gelten sie vor Gott gleich auf der Grundlage ihrer gleichen Christusbindung, die ihnen in der Taufe geschenkt wurde. Dies drückt sich nicht zuletzt in dem Ritualablauf aus, welcher an allen gleich voll‐ zogen wird. 2) coram hominibus - in all ihrer bleibenden Verschiedenheit wird in der Taufe ihre Einheit und Bindung aneinander begründet. Jegliche vorherige Bindung, soziale oder sonstige Zuordnung und Gruppierung hat für ihr Ver‐ hältnis untereinander - innerhalb der Gemeinde - keine Relevanz mehr, ist in der Taufe gestorben. Dass es um interne Gleichwertigkeit und Gebundenheit geht, bringt auch die Erbenmetaphorik zum Ausdruck. 188 In allen vier ausführlicher betrachteten paulinischen Tauftexten argumen‐ tiert Paulus mit Hilfe der Taufe bzw. mit Verweis auf die Wirkungen der Taufe für den Einzelnen wie die Gemeinschaft der Getauften gegen Entwicklungen in‐ nerhalb der Gemeinde, welche einen „Rückfall“ in Vor-Taufverhältnisse darstellen: 1) Gal 3 argumentiert er gegen die freiwillige Rückkehr zum Gesetz durch die Beschneidungsforderung für Heidenchristen, welche verkennt, dass der Initia‐ tionsaspekt, der für Juden bei der Beschneidung verortet ist, nun auf die Taufe 2 Gemeinschaft, Einheit und Leibmetaphorik 481 <?page no="482"?> 189 Zur Wirkungsgeschichte des Leibmotives sowie weiterer Einheits- und Gemeinschafts‐ motive siehe Jensen, Baptismal Imagery, 53-90. übergegangen ist. Eine Unterteilung in Beschnittene und Unbeschnittene hat keine Relevanz mehr und gefährdet die Einheit der Gemeinde. 2) 1Kor 1 richtet sich gegen differenzierende Gruppenbildungen innerhalb der Gemeinde, welche der grundlegenden Einheit widersprechen und diese massiv gefährden. 3) 1Kor 12 sieht ebenfalls die Einheit der Gemeinde durch konkurrierendes Ver‐ halten und Ablösungstendenzen in Gefahr. 4) Röm 6 schließlich betont das Ende jeder Vorherrschaft der Sünde und ähnlicher Abhängigkeiten. Alle diese Texte richten sich in ihren Taufargumentationen gegen Verhält‐ nisse, Bindungen und Abhängigkeiten bzw. Trennungstendenzen, welche vor der Taufe Realität waren und es teilweise außerhalb der Gemeinde noch sind, doch der Gemeinschaft und Einheit der getauften Christusgläubigen entgegen‐ stehen. Aus der Sicht des Paulus 189 ist das mehr als ein „Zurückwünschen“ oder ein „Rückfall“ in die alten Verhältnisse und Bindungen, denn es gibt kein „Zu‐ rück“ vor die Taufe: Wie die Taufe den Einzelnen grundlegend verändert, ja trans‐ formiert, so wirkt sie auch initiierend auf die Gemeinde als Ganze. Nicht allein der Einzelne stirbt in der Taufe und erfährt mit dem Abbruch all seiner bisherigen Verhältnisse einen Neubeginn von ganz anderer Qualität, sondern auch die Ge‐ meinschaft der Getauften wird transformiert und immer wieder neu mit jeder Taufe begründet. Das Bild der Gemeinde als lebendiger Einheit, als Leib, ist somit ein weiteres Bild für das Tod-Leben-Motiv, wobei der Schwerpunkt hier auf der Illustration des neuen Lebens liegt. 3 Erbe, Sohn Die getauften Christusgläubigen als „Kinder Gottes“ und „Samen Abrahams“ zu bezeichnen, ist eines der zentralen Taufdeutungsmotive des Gal. Beide Motive finden sich auch im Kontext anderer, v. a. jüdischer Rituale und sollen im Fol‐ genden einzeln, wie auch in ihrer gegenseitigen Bezogenheit dargestellt werden. Sowohl bei υἱοὶ θεοῦ (Gal 3,26) als auch bei κληρονόμοι (Gal 3,29c) handelt es sich um grammatikalisch männliche Formen, was nicht zuletzt mit der Er‐ benthematik und der damaligen fast ausnahmslosen Vererbung über die männ‐ liche Linie korrespondiert. Dazu steht in einer gewissen Spannung, dass der Plural auf die bewusste Inklusion sämtlicher getaufter Christusgläubiger zielt, was mit Gal 3,28a-c demnach auch solche einschließt, welche nach jüdischem Erbgesetz nicht erbberechtigt sind, nämlich Frauen und Sklaven, aber auch die‐ Kapitel V: Ritologische (Deutungs)Motive 482 <?page no="483"?> 190 Siehe die umfassende Studie von Gerber: Paulus und seine „Kinder“. Studien zur Be‐ ziehungsmetaphorik der paulinischen Briefe. 191 Siehe Gerber, Paulus, 205-214.398-424. 192 Agamben, Homo sacer, 97 f. jenigen, welche von den Verheißungen des Bundes ausgeschlossen sind, nämlich sämtliche Nichtjuden. Dieser inhaltlichen Argumentation entsprechend wird im Folgenden geschlechtsneutral von Kindern bzw. Erben (gemeint: beiden Ge‐ schlechts) gesprochen. 3.1 Kindschaft und Verwandtschaft allgemein 190 Paulus bezeichnet einzelne Christusgläubige, welche durch seine Verkündigung zum Glauben gekommen sind, als Sohn / Kind (2Tim 1,2; Phlm 10) und kann den Moment bzw. Vorgang sogar als Zeugung verstehen (Phlm 10). 191 Neben der Verantwortlichkeit schwingt auch ein Aspekt der Macht und von Seiten des Kindes des notwendigen Gehorsams mit. Ein zweiter bildlicher Ausdruck, wel‐ cher sich ebenfalls bei Paulus findet, macht jedoch deutlich, dass familiäre Ter‐ minologie noch etwas Zweites transportiert: ἀδελφοί (Röm 16,23; 1Kor 1,1; Phil 2,25; Phlm 16 u.v.m.). Bezeichnet wird damit die besondere Nähe, Verbunden‐ heit und gegenseitige Fürsorge untereinander bzw. der Anspruch darauf. In diesem Sinne sind die Begriffe als weitere Metaphern für die Bindungen und Gebun‐ denheit der Christusgläubigen untereinander zu verstehen - ein klassisches Moment der liminalen Phase. Zudem greift die Terminologie mit der patria po‐ testas eine Grundnorm der antiken Gesellschaft auf - Agamben spricht gar von dem „Modell der politischen Macht im allgemeinen“ 192 - und relativiert sie in der Neukonstituierung durch die Taufe mindestens innerhalb der Gemeinde. 3.2 Kinder Gottes Πάντες γὰρ υἱοὶ θεοῦ ἐστε διὰ τῆς πίστεως ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ· - „Denn ihr seid alle Kinder Gottes durch den Glauben an Christus Jesus.“ (Gal 3,26) Wenn Paulus die Christusgläubigen als Kinder Gottes bezeichnet, so verweist er dabei auf ihren Glauben an Christus Jesus, durch den ihnen die Verheißung zukommt (Gal 3,22). Die nachfolgende Begründung (ὅσοι γὰρ εἰς Χριστὸν ἐβαπτίσθητε …[Gal 3,27a]) macht deutlich, dass dies in der Taufe εἰς Χριστὸν vermittelt wird - dieses exklusive Verhältnis zu Gott wird in der Taufe be‐ gründet. Doch das Motiv findet sich auch im Zusammenhang mit einem anderen rituellen Kontext - der Konversion zum Judentum: 3 Erbe, Sohn 483 <?page no="484"?> 193 Übersetzung Polster, Proselyten, 3. 194 Siehe Stemberger, Einleitung, 230. 195 Siehe ausführlich unter V.3.4. 196 Siehe zu diesem Aspekt ausführlich unter V.2. 197 Siehe unter III.1.6. „Nun taucht er (ganz) ein. Ist er dann heraufgestiegen, so soll man ihm freundliche und stärkende Worte sagen: ‚An wen hast du dich angeschlossen? Heil sei dir! An den, der mit seinem Worte die Welt erschuf, [ihm sei Preis]! ‘ Denn nur um Israels willen ist die Welt erschaffen worden! Nur die Israeliten sind es, die Kinder Gottes heißen! Nur die Israeliten hat Gott lieb! […]“ (Gerim 1,5). 193 Nach Abschluss des Proselytenprozesses durch das Tauchbad wird dem Prose‐ lyten gegenüber noch einmal das Verhältnis zu Gott vor Augen gemalt, in wel‐ ches ihn die Rituale versetzt haben: Als Kind Gottes untersteht er der besonderen Fürsorge und Liebe Gottes, welche ihn nun von anderen Menschen abhebt. Wenn auch dieser Ritualtext definitiv jünger 194 ist als der Paulusbrief, so ist doch durchaus vorstellbar, dass das Motiv - aus nichtrituellem Kontext - bereits älter ist. Im Blick auf Gal 3 ist zu bemerken, dass es für Initiations- (Taufe) wie Kon‐ versionsrituale (Beschneidung und Proselytentauchbad) nahe liegt, Aspekte zu betonen, welche den Ritualteilnehmern sodann zu Gute kommen, nämlich die exklusive Beziehung zu Gott. Paulus erörtert die Möglichkeit dazu ausführlich über die Bedeutung des Glaubens bereits für Abraham, was das Kind-Gott-Sein mit dem Nachkomme-Abrahams-Sein originär verbindet. 195 Doch konkrete For‐ mulierungen (πάντες [Gal 3,26.27a.28d]) wie auch der Argumentationsgang im Ganzen (Plural; Gal 3,28a-c) betonen einen weiteren Aspekt: Die Taufe macht sie alle, d. h. gemeinsam zu Kindern Gottes und begründet dabei zugleich deren besondere Beziehung, Angewiesenheit und Fürsorgepflicht füreinander - als Kinder Gottes durch Glaube und Taufe sind sie untereinander Geschwister. 196 3.3 Erben Mit dem Kind-Gottes-Motiv korrespondieren Bild und Argumentation zum Er‐ besein. 197 Ohne die Beschneidung direkt zu nennen, konterkariert Paulus die damit verbundene Vorstellung der Bundesverheißungen, welche den Beschnit‐ tenen zu Gute kommen, durch seine Ausführungen zum Gesetz als παιδαγωγός: Beschnittene seien unter dem Gesetz, auf das sie die Beschneidung verpflichtet, wie unmündige Erben, laut Paulus damit Sklaven rechtlich ver‐ gleichbar, insofern sie als Unmündige keinen Zugang zum Erbe haben. In der Argumentation, welche auf eine Abwehr einer freiwilligen Beschneidung von Heidenchristen zielt, entsprechen diese einem δούλος (Gal 4,1-7). Indem der Kapitel V: Ritologische (Deutungs)Motive 484 <?page no="485"?> 198 Siehe ausführlich unter V.3.4. 199 Die weitreichende Traditionsgeschichte des Motivs kann hier nicht umfassend darge‐ stellt werden. 200 Siehe unter IV.3.7.1. 201 Siehe unter IV.3.8.7.3. Glaube an Christus von der Bevormundung durch das Gesetz befreit, macht die Taufe die Christusgläubigen zu κατ’ ἐπαγγελίαν κληρονόνμοι (Gal 3,29c). Infolge seines Gesetzesverständnisses verwendet Paulus ein dezidiertes Deu‐ tungsmotiv der Beschneidung, welches v. a. in Bezug auf die Abrahamskind‐ schaft Anwendung findet, 198 gegen die Beschneidungsforderung. Wie seine kau‐ sale Bezugnahme auf die Taufe jedoch verdeutlicht (εἰ δὲ ὑμεῖς Χριστοῦ … κατ᾽ ἐπαγγελίαν κληρονόμοι [Gal 3,29]), ist dies nicht als allgemeine Abwertung oder gar Diffamierung der Beschneidung zu verstehen, sondern als Verhältnis‐ bestimmung zwischen Beschneidung und Taufe: Paulus lässt dabei die Bedeu‐ tung der Beschneidung als Aufnahme in das jüdische Volk völlig unberührt. Er thematisiert jedoch umso leidenschaftlicher den soteriologischen und damit reli‐ giösen Initiationsaspekt der Beschneidung. Indem die Taufe das einzige Initiati‐ onsritual der christlichen Gemeinde darstellt, welches aus dem rettenden Sterben und Auferstehen Christi heraus wirkt, kann es keine Beschneidung von Heidenchristen geben, welche die Rettung in der Bezugnahme und Verpflich‐ tung auf das Gesetz verankert. Das Motiv des Erben illustriert dabei die rettende Wirkung, welche durch das jeweilige Ritual zuteilwird. Noch deutlicher kommt dies in der Tradition der Abrahamskindschaft zum Ausdruck. 3.4 Abrahamskindschaft 3.4.1 Abrahamskindschaft und Bundesverheißungen Indem das Judentum eine Volksreligion darstellt, gibt es - mindestens auf der Bedeutungsebene, insofern Konversionen zum Judentum auch möglich sind - die Vorstellung, dass es sich bei den Israeliten um tatsächliche Nachkommen Abrahams handelt. Doch darüber hinaus reichend stellt die Abrahamskindschaft ein tiefverwurzeltes theologisches Motiv dar, 199 welches über die Nachkom‐ mensverheißung des Bundes die Beschneidung als dessen Zeichen mit den an‐ deren Bundesverheißungen verbindet: Durch die Beschneidung wird man in den Bund aufgenommen, zum Nachkomme Abrahams und damit Erbe der ihm ge‐ gebenen Verheißungen. 200 Es ist bereits allgemein darüber verhandelt worden, inwieweit die Taufe die Beschneidung als Bundeszeichen ablöst. 201 Hier soll le‐ diglich der Aspekt der Abrahamskindschaft und deren Relativierung vertieft werden. 3 Erbe, Sohn 485 <?page no="486"?> 202 Avemarie, Johannestaufe, 397. Die Hoffnung auf das Erbarmen Gottes durch einen Ver‐ weis auf Abraham oder auch die anderen Väter findet sich etwa auch in Dan 3,35 LXX; 1Makk 4,10; Weish 18,22; TestLev 15,4; AssMos 3,9; ParJer 6,21. 203 Ebd. 204 Wenn dies hier auch nicht weiter ausgeführt werden kann, so ist doch offensichtlich, dass das Motiv der Abrahamskindschaft grundlegend in das Spannungsfeld unter‐ schiedlicher Abrahamsbilder im NT gehört. 3.4.2 Zweifel an der Abrahamskindschaft Es ist zu bemerken, dass bereits die Erzählungen, welche sich um die Verhei‐ ßungen des Bundes und die tatsächlichen, biologischen Nachkommen Abra‐ hams drehen (siehe v. a. die Erzählung von Ismael [Gen 16; 21,8-21]), die Idee einer wahren, verheißungsgemäßen Abrahamskindschaft (vgl. Gal 3,29c κατ’ ἐπαγγελίαν κληρονόμοι) im Gegenüber zu einer rein biologischen Abstammung beinhalten. Die Möglichkeit zur Kritik bzw. zum Zweifel an der Wirkmächtigkeit der Abrahamskindschaft ist demnach bereits in Gen angelegt. Das Vertrauen auf die Abrahamskindschaft ist ein „tragende[s] Elemen[t] zeit‐ genössischer Bußfrömmigkeit und Heilsgewissheit“ 202 im 1. Jahrhundert. Umso auffälliger ist die Warnung Johannes des Täufers in Androhung des Gerichtes zu werten, sich unter Absehung von einem rechtschaffenen Lebenswandel allein auf die eigene Abrahamskindschaft als Rettung zu verlassen (Lk 3,8). In eine ähnliche Richtung geht auch das in Joh überlieferte Jesuswort, nach dem sich wahre Abrahamskinder auch durch abrahamsgemäße Werke auszeichnen ( Joh 8,37-45). Doch auch die Gemeinde von Qumran erwartet „eine baldige Vernichtung der Frevler, vor der Israels alter Bund nicht zu schützen vermag. Ein anderer Bund, die Gemeinde selbst, ist an seine Stelle getreten, und die Beschneidung, das Siegel des Abrahamsbundes im Fleisch, hat für sie nur in spiritueller Form noch Bedeutung.“ 203 Fragt man nun nach der Verwendung des Motivs in Bezug auf die christliche Taufe, so ist festzustellen, dass auch Paulus das Moment der Abrahamsentspre‐ chung aufgreift, jedoch nicht in Bezug auf dessen Gesetzesgerechtigkeit und rechten Lebenswandel, sondern im Blick auf dessen Glauben: 204 γινώσκετε ἄρα ὅτι οἱ ἐκ πίστεως, οὗτοι υἱοί εἰσιν Ἀβραάμ. - „Erkennt also: Die aus dem Glauben sind, das sind Abrahams Kinder.“ (Gal 3,7) Wie Paulus weiter ausführt, richtet sich der Segen Abrahams auf diejenigen, welche wie er glauben (Gal 3,6-14). Glaube meint an dieser Stelle Vertrauen auf das rettende Handeln Gottes in Christus. Indem dies in der Taufe rituell verortet wird, kann deren Wirkung als „Nachkomme-Abrahams-Sein“ beschrieben werden (Gal 3,29b). Es ist deutlich geworden, dass Paulus auf Grund des ihm eigenen Gesetzes- und Abrahamsbildes in Gal das Motiv der Abrahamskindschaft, welches bisher Kapitel V: Ritologische (Deutungs)Motive 486 <?page no="487"?> 205 Siehe ausführlich unter III.1.2. mit der Beschneidung verbunden gewesen ist, zwar aufgreift, es aber zugleich grundlegend gegen die bisherige Tradition verwendet, indem er die dem Motiv ei‐ gene Erbenmetaphorik seinem negativen Gesetzesverständnis gemäß ausdifferen‐ ziert. Zu fragen bleibt, ob Paulus die Relativierung der Abrahamskindschaft aus der Verkündigung des Täufers her und damit wohl in Kombination mit dem Taufritual übernimmt. In beiden Fällen richtet sich die Relativierung der Heils‐ wirkung der Abrahamskindschaft gegen das Vertrauen auf einen unpersönli‐ chen Heilsmechanismus. Johannes fordert eine persönliche Buße verbunden mit der Taufe als einem grundlegenden Neuanfang, dem ein rechtschaffener Le‐ benswandel folgt. Johannes stellt dabei keineswegs die Beschneidung und deren Wirkung in Frage, wie er auch keine Heilsmöglichkeit außerhalb des Judentums thematisiert - sein Fokus richtet sich letztlich gegen eine Beschneidungsfröm‐ migkeit ex opere operato. Paulus’ Argumentationsfokus hingegen ist ein anderer: Er fordert nicht zu einer zusätzlichen (christlichen) Taufe neben der Beschneidung auf, sondern sieht den soteriologischen-initiatorischen Aspekt komplett von der Beschnei‐ dung auf die Taufe εἰς Χριστόν übergegangen, was eine freiwillige Beschnei‐ dung ad absurdum führen und letztlich das Heilswerk Christi negieren würde: Zwar würde man durch die Beschneidung - in einer „technischen Weise“ - Nachkomme Abrahams werden, jedoch ohne der Verheißungen des Bundes Ab‐ rahams tatsächlich teilhaftig zu werden, ohne als „Unmündiger“ das Erbe an‐ treten zu können. Während Johannes also an der Wirkung der Abrahamskind‐ schaft zweifelt und die Möglichkeit in Aussicht stellt, Gott könne sich aus Steinen Nachkommen Abrahams und Erben seiner Verheißungen erwecken (Lk 3,8), sieht Paulus dies in der Taufe εἰς Χριστόν für Heiden letztlich realisiert. 4 Befreiung - Freiheit Ausgehend von einer vorherigen Bevormundung bzw. Versklavung unter dem Gesetz bezeichnet Paulus das Handeln Christi - dem Christusgläubigen ver‐ mittelt im Glaube ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ und Taufe εἰς Χριστόν - als Befreiung von dem Fluch des Gesetzes (Gal 3,13, vgl. allgemein Gal 3,1-5,15). 205 Die Vorstellung vom Gesetz als παιδαγωγός (Gal 3,24 f), dem man nicht entrinnen kann, kor‐ respondiert mit der Vorstellung der Macht der Sünde, welcher jeder Mensch unterworfen ist und von welcher der Christusgläubige in der Taufe befreit wird 4 Befreiung - Freiheit 487 <?page no="488"?> 206 Siehe unter IV.4.2.2 und unter IV.3.5.1. (Röm 6,1-11). Auch hier verhandelt Paulus über ein Leben befreit vom Gesetz (Röm 6 f). Das befreiende Handeln Gottes wird in der Befreiung aus Ägypten nicht nur zum Gründungsdatum des Volkes Israel, sondern in seinem immer wieder‐ kehrenden Befreiungen und Rückführungen, nachdem das Volk in Besetzungs‐ situationen oder gar in das Exil geführt wurde, erweist Gott durch die Geschichte hindurch nach alttestamentlicher Darstellung seine bleibende Bundestreue. Immer wieder gewährt er seinem Volk einen neuen Anfang. Einer dieser Neu‐ starts, der Durchzug durch den Jordan in das Gelobte Land ( Jos 5), welcher die Befreiung aus Ägypten erst endgültig abschließt, verbindet sich entsprechend mit der Wiedereinsetzung der Beschneidung nach der 40-jährigen Zeit in der Wüste ohne Beschneidung: 206 Als ginge nach dem ursprünglichem Ende der Vorherrschaft der Ägypter eine 40-jährige liminale Phase des „Dazwischen“ zu Ende, markiert die Wiedereinsetzung der Beschneidung den Neuanfang. Paulus versteht die Taufe als eine grundlegende und endgültige Befreiung aus lebensfeindlichen Verhältnissen und Vormachtstellungen von Mächten auf das Wirken, indem sie dem Christusgläubigen Anteil am befreienden Sterben und Auf‐ erstehen Christi gibt. Nach Röm 6,3 f erfolgt die Befreiung gegenüber der Sünde durch das Mitsterben mit Christus. Anders als in vielen alttestamentlichen Be‐ freiungserzählungen geschieht die Befreiung nicht durch die Vernichtung der Feinde, sondern durch den Tod des einen Menschen Jesus Christus und die ri‐ tuelle Anteilhabe daran in der Taufe: Nicht der Feind stirbt, sondern Christus und mit ihm der Täufling. Durch diese Art der Befreiung ist danach ein ganz neues Leben in tatsächlicher Freiheit möglich, ohne erneute Vormachtstellungen und Ver‐ sklavungen fürchten zu müssen. Der einzige Weg, in eine vergleichbare verskla‐ vende und tatsächlich lebensfeindliche Situation wieder zu geraten, ist der Weg der freiwilligen Versklavung in alte Verhältnisse: durch ein mutwillig sündhaftes Leben (Röm 6); durch den freiwilligen, die Gemeindeeinheit gefährdenden An‐ schluss an ein Parteioberhaupt (1Kor 1) und natürlich durch die freiwillige Be‐ schneidung und damit Verpflichtung auf das Gesetz (Gal 3-5). Paulus argumen‐ tiert gegen all diese Fehlentwicklungen nicht etwa ethisch-ermahnend, sondern mit der Taufe: Durch die Taufe wurde der Christusgläubige aus all diesen lebens‐ feindlichen Verhältnissen ein für alle Mal befreit und kann nun ein Leben ganz neuer Qualität, nämlich in Freiheit führen. In diesem Sinne erweist sich das Taufmotiv „Befreiung - Freiheit“ als weitere Variation des Tod-Leben-Motivs. Kapitel V: Ritologische (Deutungs)Motive 488 <?page no="489"?> 207 Siehe unter II.2.2.2. 208 Siehe unter II.2.2.3. 209 Siehe eingehend Avemarie, Tauferzählungen, 30-35. Seine Untersuchung der tauf‐ unabhängigen Namen-Jesu-Stellen in Apg kommt außerdem zu dem Schluss, der Name Jesu könne „für jedes Tun und Ergehen der Christen als sinngebende Referenz fun‐ gieren, wenn es als charakteristisch für ihr Christsein im Blick steht.“ (ders., Taufer‐ zählungen, 36 f.). 210 Siehe ausführlich unter II.2.2.3.3. 211 Billerbeck, I. Matthäus, 1055; vgl. auch Bietenhard, Art. ὄνομα, 267. 5 Name Als Grundbestandteil der ὄνομα-Taufformel gehört der Name Jesu Christi zum Deutungsmotiv der christlichen Taufe. Es ist bereits aus semantischer und tra‐ ditionsgeschichtlicher Sicht über mögliche Wurzeln der Taufformel im Griechi‐ schen 207 bzw. unterschiedliche Formulierungen des Hebräischen 208 gehandelt worden. Die Ergebnisse dieser Untersuchung wie auch die unterschiedlichen Präpositionsvarianten samt deren diversen kontextuellen Verwendungen der Formel in Apg 209 sprechen für eine Herkunft von dem hebräischen םש , ohne dass eine weitere Konkretisierung im Sinne einer direkten Ableitung von םשב oder םשל sicher feststellbar wäre: Beide Ausdrücke eignen sich dafür, mit Hilfe des Namens die Beziehung zwischen zweien auszudrücken oder zu betonen, wäh‐ rend der eine ggf. (körperlich) abwesend ist. 210 Es ist im Folgenden zu eruieren, in welcher Weise das Motiv des Namens im Kontext anderer Rituale Verwendung findet, um den ersten semantisch-traditionsgeschichtlichen Befund zu prüfen bzw. zu spezifizieren. 5.1 Das Namensmotiv in rituellen Kontexten Das Motiv des Namens findet sich bei Ritualen ganz unterschiedlichen Vollzuges und Funktion und kann zudem auch bei ein und demselben Ritual in unter‐ schiedlicher Weise verwendet werden. a) Opferrituale: Allein bei Schlachtopfern kann der „Name“ ( םשל ) nach Zeb 4,6 auf sechs verschiedene Arten Bezug nehmen: „auf den Namen des (be‐ treffenden) Opfers םשל חבז , auf den Namen des Opfernden םשל חבוז , auf den Namen Gottes םשל םשה , auf den Namen von Feueropfern, auf den Namen des Wohlgeruchs (vor Gott) u. auf den Namen des Wohlgefallens (vor Gott). Ferner das Sünd- und Schuldopfer auf den Namen der (betreffenden) Sünde“. 211 b) Tauchbäder: Wenn ein heidnischer Sklave ein jüdisches Haus betritt, so hat er ein Tauchbad םשל תוחפש zu vollziehen (bJev 47b). 5 Name 489 <?page no="490"?> 212 Siehe daher weiter unter d) Beschneidung. 213 So auch Meyer, Art. περιτέμνω, 81. 214 Zu gelegentlich diskutierten potentiellen weiteren Stellen siehe unter IV.3.6.2. 215 Auffarth, Initiation, 217. c) Proselytentauchbad: Gegen die gelegentlich zu findende Annahme, das Pro‐ selytentauchbad würde „im Namen von …“ ( םשל ) vollzogen, ist zu betonen, dass sich die entsprechenden Stellen entweder konkret auf die Beschneidung oder aber den Konversionsprozess im Ganzen beziehen. 212 d) Beschneidung: Bezüglich der Beschneidung finden sich mehrere Anwei‐ sungen, dass sie םשל תירב zu vollziehen ist (bJev 47b; TAZ 3,12 f). Im Gegen‐ satz dazu beschneiden die Samaritaner „auf den Namen des Berges Garizim“ ( TAZ 3,12). Die beiden Belege machen deutlich, dass die Formulierung םשל jeweils auf die Grundlage bzw. das Bezugsereignis verweist, aus dem heraus das Ritual seine Wirkung bezieht. e) Elchasaiten: Die judenchristlichen Elchasaiten vollziehen ihre wiederkehrenden Tauchbäder ἐν ὀνόματι τοῦ μεγάλου καὶ ὑψίσται θεοῦ / „im Namen des großen und höchsten Gottes“ (Hipp.haer. IX 15,6). Bei ihrer (zweiten) Taufe findet sich dieselbe Formulierung mit einer entsprechenden christologischen Erweiterung: ἐν ὀνόματι τοῦ μεγάλου καὶ ὑψίστου θεοῦ καὶ ὀνόματι υἱοῦ αὐτοῦ, μεγάλου βασιλέως / „im Namen des großen und höchsten Gottes und im Namen seines Sohnes, des großen Königs“ (Hipp.haer. IX 15,1). f) Ebioniten: Die judenchristlichen Ebioniten lassen sich nach Auskunft von PsClem R I,39,3 auf den eigenen Namen taufen (baptizaretur in nomine ipsius). Neben diesen Belegen für eine Bezugnahme auf eine Person mittels ihres Na‐ mens findet sich eine weitere Verbindung von Ritualen und Namensmotiv: die Namensgebung während oder auch dezidiert durch ein Ritual. Neutestamentlich finden sich zwei Erzählungen, welche die Namenswahl mit der Kindsbeschnei‐ dung kombinieren. Dabei scheint sowohl bei Johannes (Lk 1,59 f) als auch bei Jesus (Lk 2,21) die ungewöhnliche Namenswahl den eigentlichen Fokus der Be‐ richte auszumachen. 213 Wenn es für die Verbindung Beschneidung-Namensge‐ bung auch sonst keinerlei antike Belege gibt, 214 so handelt es sich bei der Na‐ mensgebung doch um ein bekanntes rituelles Element. Es kann entweder eigenständig rituell inszeniert werden: „Durch das Ritual der Namensge‐ bung […] wird das Lebewesen zum Teil der Gemeinschaft. Es erhält einen Namen, der es identifizierbar macht.“ 215 Oder aber es findet sich im Kontext von Initiations- oder allgemein Passageritualen, wobei es sich zumeist um einen Namenswechsel handelt: Einer der Ehepartner tauscht seinen Familiennamen für den des anderen ein; ein Ordensnovize erhält beim Eintritt einen Ordensnamen; Kapitel V: Ritologische (Deutungs)Motive 490 <?page no="491"?> 216 Siehe a. a. O. 218. 217 Siehe auch die verschiedenen alttestamentlichen Erzählungen zu Namensgebung und Umbenennung, welche nicht zuletzt einem Herrschaftsakt darstellen können (Gen 2,19 f.23; 17,5; 35,10 u. a. m.). 218 Siehe ausführlich Avemarie, Tauferzählungen, 35-40. ein Täufling erhält bei der Taufe überhaupt erst einen Namen oder einen zu‐ sätzlichen Taufnamen. Laut Auffarth steht der Namenswechsel für die Auslö‐ schung der vorherigen Existenz. 216 Der Namenswechsel stellt damit eine weitere Variante des Tod-Leben-Motives dar, bei welchem der neue Name die neue Existenz bezeichnet und das Individuum in seinem neuen Leben ansprechbar und damit beziehungsfähig macht. 217 Jedoch gibt die neutestamentliche Verwendung der ὄνομα-Taufformel keinen Hinweis darauf, dass zu dieser Zeit die Taufe bereits mit einer Namensgebung bzw. einem Namenswechsel verbunden ist. Die rituelle Parallele scheint eher in den oben aufgeführten Namensmotiven anderer Rituale zu liegen. 5.2 Das Namensmotiv in der ὄνομα-Taufformel Der rituelle Vergleich hat eine Vielzahl an Ritualen allein aus dem jüdischen Umfeld der christlichen Taufe erbracht, in welchen der Namensbegriff Verwen‐ dung findet. Neben einer allgemeinen und sehr breiten Benennung unterschied‐ licher Ritualaspekte (Schlachtopfer; Tauchbäder) wird mit םשל entweder das Bezugbzw. Grundereignis des Rituals benannt (Beschneidung der Juden wie Samaritaner) oder aber der Gott, auf den hin das Ritual vollzogen wird (Tauch‐ bäder der Elchasaiten). Der christologische Zusatz bei der zweiten, aber doch christlichen Taufe der Elchasaiten lässt erahnen, dass mit der Nennung des Sohnes nicht etwa die Gottesbezeichnung erweitert oder präzisiert werden soll, sondern - vergleichbar der Bundesnennung der Beschneidung - das Bezugser‐ eignis und damit der Wirkgrund der Taufe genannt wird. Versteht man nun die ὄνομα-Taufformel in Entsprechung dazu und in enger Verbindung mit der εἰς-Taufformel, so kann man sie als Benennung des Heilsereignisses, nämlich des Ergehens Christi, verstehen, welches Voraussetzung und Wirkgrund der Taufe ist. Dies ist angesichts der nicht letztgültig zu verifizierenden Wurzel und der Varia‐ tionsvielfalt in Apg als mindestens sicher festzuhalten. Will man jedoch nicht dabei stehenbleiben, so ist zunächst zu bemerken, dass sich der ὄνομα-Begriff auch ohne Taufkontext bei Lukas findet und an diesen Stellen eine allgemeine Bezugnahme auf Jesus oder auch ein ihm entsprechendes Verhalten benennt. 218 Dies spricht gemeinsam mit dem unterschiedlichen Prä‐ positionsgebrauch für eine verbleibende Flexibilität der Formel, durch welche 5 Name 491 <?page no="492"?> 219 So a. a. O. 30-35: 35. Lukas ggf. kontextuell abhängig unterschiedliche Nuancen betonen kann. 219 Dennoch lässt sich laut Avemarie erkennen, dass er im Taufkontext vornehmlich die Variante εἰς τὸ ὄνομα verwendet, durch welche - wie auch in der εἰς-Tauf‐ formel - der Wirkgrund der Taufe bezeichnet wird. Doch was unterscheidet dann beide Formeln in der Weise, dass bei Paulus eine klare Präferenz zu erkennen ist? Dem ὄνομα-Begriff eignet durch seine lange Traditionsgeschichte im Hebräischen ( םש / םשב / םשל ) eine große Bedeu‐ tungstiefe und -vielfalt: Über den Namensbegriff kann in vielfältiger Weise eine Beziehung (zwischen Menschen wie zwischen Mensch und Gott) zum Ausdruck gebracht werden - gerade auch, wenn einer von beiden abwesend ist. Das be‐ sondere theologische Potential des Namensmotivs zeigt sich nicht zuletzt in der weitreichenden Wirkungsgeschichte der ὄνομα-Taufformel, welche über die Aus‐ differenzierung des Namens (Mt 28,19) schnell hinausgeht. Der Name kann allerdings auch einfach ein Bezeichnungs- oder auch Macht‐ instrument darstellen. Diese Vielfalt spiegelt sich sodann in der Verwendung des Namensbegriffes in Ritualen ganz unterschiedlicher Arten und Funktionen wider. Wenn auch einige der oben aufgeführten Texte bereits als christlich be‐ einflusst oder immerhin jünger als Apg und Paulus zu werten sind, so belegen sie doch gerade darin die Funktionsbreite des Motivs. In keiner dieser Beispiele lässt sich jedoch eine - wie auch immer geartete - Bezugnahme auf die Ritual‐ symbolik erkennen. Vergleicht man dies mit der εἰς-Taufformel, so zeichnet sie sich zunächst da‐ durch aus, dass sie kein Übersetzungsgriechisch darstellt und damit auch kei‐ nerlei traditionsgeschichtliche Kenntnisse voraussetzt. Es besteht somit aber auch keinerlei Gefahr einer Bedeutungsverwechslung bzw. -übertragung mit anderen, jüdischen wie nichtjüdischen Ritualen. Denn bezeichnender Weise verwendet Paulus die ὄνομα-Taufformel lediglich in 1Kor 1, wo er mit der rhetorischen Frage ἢ εἰς τὸ ὄνομα Παύλου ἐβαπτίσθητε; (1Kor 1,13c) darauf aufmerksam macht, dass eine Personenverehrung bzw. -bindung, wie sie in den korinthi‐ schen Parteien vorzukommen scheint, etwa durch eine rituelle Anwendung des Namensmotivs auf ihn, Paulus, begründet werden könnte. Es ist bereits diesbe‐ züglich die Parallele zur Bindung des Initianden an den Mysten in Mysterie‐ neinweihungen erwähnt worden. Eine vergleichbare Parallele wäre aber auch die Verwendung des Namensmotivs in den Schlachtopfern, über welches Be‐ ziehungen zu Gott aber auch anderen Beteiligten des Rituals hergestellt werden können. Für Paulus stellt die Taufe allerdings nur Bindungen zwischen drei verschiedenen Größen her: dem Täufling - Christus - der Gemeinde als Ganzer. Kapitel V: Ritologische (Deutungs)Motive 492 <?page no="493"?> 220 Siehe unter V.1. 221 Siehe unter V.2. Jede missverständliche Betonung einer weiteren Person, sei es der Täufer oder auch der Verkündiger führt potentiell zu Fehldeutungen der initiatorischen Funktion der Taufe für den Einzelnen 220 wie für die Gemeinde 221 und ist des‐ wegen zu vermeiden oder klarzustellen. Indem die εἰς-Taufformel keine lange Traditionsgeschichte voraussetzt und der‐ artige unzutreffende Ritualparallelen vermeidet, macht sie dies in besonderer Weise für die Heidenmission geeignet. Zudem ist sie offen für Erläuterungen zur Symbolik des Ritualablaufes, insofern entsprechende Erklärungen bzw. Begründungen des Ritualvollzuges nötig sind. Die paulinischen Taufstellen mit den der Taufformel folgenden Parallelverszeilen verweisen jedoch eher auf eine Erläuterungsbe‐ dürftigkeit hinsichtlich der Ritualbedeutung und darin der Ritualwirkung. Dies‐ bezüglich ist der εἰς-Taufformel in ihrer klaren Kürze ein doppelter Schwerpunkt inhärent, auf welchen sich Paulus kontextabhängig unterschiedlich bezieht: 1) Das Ritual ist ein Untergetauchtwerden. 2) Es geschieht unter grundlegender, wirkmächtiger Bezugnahme auf Christus, was keine Benennung einer am Ritual beteiligten Person bedeutet, sondern für das rettende Sterben und Auferweckt‐ werden Jesu Christi steht. Fragt man abschließend nach der Bedeutung des Namensmotivs mit Blick auf die Johannestaufe und damit vornehmlich nach dessen Verwendung in Apg 19, dürfte deutlich geworden sein, dass bei aller Bedeutungs- und Variantenvielfalt der ὄνομα-Taufformel diese klar über eine einfache Unterscheidungshilfe zwi‐ schen beiden Taufen hinausgeht. Die Formulierung εἰς τὸ Ἰωάννου βάπτισμα (Apg 19,3) bezeichnet - wie auch in den Evangelien - einerseits das Ritual als Moment und Werkzeug, in dem die rettende Wirkung unter Voraussetzung der Buße sich vollzieht und andererseits Johannes als den Entwickler und Ritual‐ leiter. Die nachfolgende Verkündigung macht deutlich, dass dem gegenüber die christliche Taufe εἰς τὸ ὄνομα τοῦ κυρίου Ἰησοῦ (Apg 19,5) auf Jesus als das Rettungsereignis verweist, welchem der Christusgläubige in der Taufe anteilig wird. 6 Zusammenfassung Die hier vollzogene Untersuchung der neutestamentlich verwendeten Taufdeu‐ tungsmotive unter ritualtheoretischen Gesichtspunkten entzündete sich an der Frage, inwieweit sich die Motive auch bei anderen Ritualen finden lassen und 6 Zusammenfassung 493 <?page no="494"?> ob - so die oft zu lesende These - dies auf eine Relation der Rituale zur christ‐ lichen Taufe oder auch eine (un-)bewusste Übernahme des jeweiligen Motivs von einem zum anderen schließen lässt. Das Motiv „Tod-Leben“, welches auf einen endgültigen und umfassenden Bruch mit allem Bisherigen und einen grundsätzlichen Neubeginn verweist, stellt das Standardmotiv von Initiationsritualen dar, um deren beendenden, transformierenden und zugleich initiierenden Aspekt zum Ausdruck zu bringen. Entsprechend lässt sich sowohl das komplette Motiv als auch seine, teilweise partiären Variationen bei vielen anderen Initiationsritualen finden. Deren reli‐ gions- und kulturenübergreifende Verbreitung spricht gegen eine direkte oder auch nur indirekte Abhängigkeit der Rituale, sondern vielmehr dafür, dass in diesem allgemein verständlichen Motiv das Ureigene der Initiationsrituale ver‐ deutlicht und verbildlicht wird. Wählt nun Paulus dieses Motiv zur Erklärung der christlichen Taufe, so betont er damit unmissverständlich deren Initiationscha‐ rakter. Der Motivkomplex „Einheit, Gemeinschaft und Leibmetaphorik“ stellt in all seiner Differenziertheit letztlich auch ein weiteres Bild für das Tod-Leben-Motiv dar, welches seinen Schwerpunkt auf der Illustration des neuen Lebens legt. Der Abbruch und folgende Neubeginn bezieht sich dabei nicht allein auf den ein‐ zelnen Getauften - auch die Gemeinschaft der Getauften wird transformiert und immer wieder neu mit jeder Taufe begründet. Paulus verwendet das Motiv, um gegen Verhältnisse, Bindungen, Abhängigkeiten und Trennungstendenzen zu argumentieren, welche vor der Taufe Realität waren und teilweise außerhalb der Gemeinde noch sind, doch der Gemeinschaft und Einheit der getauften Christen entgegenstehen. Für den Einzelnen wie für die Gemeinde als Ganze gibt es kein „Zurück“ vor die Taufe. Der Motivkomplex „Erbe, Sohn“ variiert mit den Motiven Zeugung, Kindsein bzw. Kindwerden sowie Erben den (neu) Leben-Aspekt des Tod-Leben-Motivs und findet sich so auch direkt bei anderen Initiationsritualen. Doch Paulus be‐ tont durch die Verwendung des Motivs nicht allein des Initiationsaspekt der Taufe, sondern verbindet ihn - auch bei diesem Motiv - mit einem deutlichen horizontalen Moment, indem er stets die Getauften im Plural oder aber die Ge‐ meinde als Ganze damit bezeichnet. Auch das Motiv „Befreiung-Freiheit“ stellt eine Variation des Tod-Leben-Motivs dar, insofern er das endgültige Ende der vorherigen lebens‐ feindlichen Verhältnisse bezeichnet und darüber hinaus das neue Leben von ganz anderer Qualität illustriert. Das Namensmotiv findet sich mit einer Vielfalt an Deutungs- und Verwen‐ dungsmöglichkeiten bei einer ebenfalls vielfältigen Zahl und Art von Ritualen. Kapitel V: Ritologische (Deutungs)Motive 494 <?page no="495"?> Diese Bedeutungsbreite scheint sich in der Verwendungsweise der ὄνομα-Tauf‐ formel widerzuspiegeln. Demgegenüber eignet sich die εἰς-Taufformel in ihrer Kürze und Klarheit zur Betonung des Wesentlichen und zur Verhinderung von fälschlichen Bedeutungsübertragungen von anderen Ritualen, welche etwa das Namensmotiv führen. Die Texte, in denen Paulus argumentativ die Taufe an‐ bringt und erläutert, verhandeln ebensolche Unklarheiten, Fehlentwicklungen und Problemlagen in ekklesiologischen und ethischen Bereichen als auch im Blick auf die Beschneidungsforderung. Obwohl und gerade weil Paulus - und wohl auch den Gemeinden - die assoziationsreiche ὄνομα-Taufformel bekannt ist (siehe 1Kor 1,13), liegt es in dieser Gemengelage näher, die unmissverständliche εἰς-Taufformel zu wählen und ihre sehr knappe Aussage in Bildern und Motiven zu entfalten. Abgesehen vom Namensmotiv, welches Paulus offenbar bewusst vermeidet, handelt es sich bei den hier untersuchten neutestamentlichen Taufdeutungen um teilweise bildreich entfaltete Variationen des Tod-Leben-Motivs. Dieses Ur‐ sprungsmotiv wie auch seine (partiären) Variationen findet sich bei einer Viel‐ zahl an Initiationsritualen, für welche die These einer Abhängigkeit der Rituale untereinander nicht haltbar ist. Vielmehr ist von einer allgemeinen Bekanntheit bzw. Allgemeinverständlichkeit des Motivs auszugehen, mit dessen Hilfe - v. a. Paulus - die Taufe als Initiationsritual kennzeichnet. Je nach Kontext und Pro‐ blemlage der jeweiligen Gemeinde wird das Motiv variiert oder auch mit einem erkennbaren Schwerpunkt entweder auf dem Abbruch, der Transformation oder dem Neubeginn verwendet. Daneben jedoch kann der Befund, dass einige dieser Motive sich auch zur Deutung von (jüdischen) Ritualen zeitlich vor und gleichzeitig zur christlichen Taufe finden, nicht allein auf deren allgemeine Bekanntheit bzw. Verständlich‐ keit zurückgeführt werden, sondern ist als bewusste Bezugnahme auf und darin Verhältnisbestimmung zu diesen Ritualen zu werten: Das Motiv der „Kinder Gottes“ ist für die Beschneidung belegt; die Vorstellung der „Nachkommenschaft Abrahams“ findet sich ebenso im Kontext der Beschneidung wie die Zweifel an der Wirksamkeit der damit verbundenen Erwartungen im Zusammenhang mit der Johannestaufe auftauchen; ebenso kann eine Verbindung des Befreiungs‐ motivs mit der Beschneidung ausgemacht werden. Bei Johannestaufe und Be‐ schneidung handelt es sich wie bereits ausführlich dargestellt um zwei Rituale, welche mit der christlichen Taufe in vielfältigen Relationen stehen, welche je‐ doch den Adressaten der neutestamentlichen Schriften in ihrem Umfang bzw. Bedeutung (noch) nicht sämtliche bewusst gewesen zu sein scheinen. Zu beiden Ritualen finden sich Äußerungen, welche eine Verhältnisbestimmung zur christ‐ lichen Taufe vornehmen. 6 Zusammenfassung 495 <?page no="496"?> 222 Siehe unter I.1.3. 223 Siehe ausführlich unter VI.2. Dass sich Deutungsmotive der Taufe auch (bereits vorher) bei diesen beiden Ritualen finden, kann demnach nicht als „Zufall“ gewertet werden - v. a. dort nicht, wo das Motiv für die christliche Taufe bewusst verändert gebraucht wird. Vielmehr handelt es sich hierbei um bewusste Übernahmen, welche im Rahmen des Methodenkapitels bereits als typisch für Ritualveränderungen und -entwick‐ lungen beschrieben wurden: 222 1) Das Aufgreifen von bereits bekannten Ritualelementen - für den Ritualablauf, aber auch andere Ritualaspekte - kann das Verstehen und damit Funktionieren von ganz neuen Ritualen unterstützen und so beispielsweise helfen, Umbrüche und andere gravierende Neuerungen zu überbrücken und zu deuten. Bereits Bekanntes kann helfen, Neues zu verstehen und zu integrieren. Die Weiterfüh‐ rung bzw. Übernahme des Ritualablaufes von der Johannestaufe für die christ‐ liche Taufe ist in diesem Sinne zu werten. 223 2) Die Übernahme eines Ritualelementes von einem Ritual zu einem anderen geht automatisch mit einer Verfremdung einher, welche durch eine bewusste weitere Veränderung noch verstärkt werden kann. So dürfte der Zweifel an der automa‐ tischen Wirkmächtigkeit der Abrahamskindschaft den Lesern als frömmigkeits‐ kritisches Moment der Zeit entweder von der Johannestaufe oder auch von an‐ deren Bußbewegungen bekannt sein. Dies greift Paulus in der Deutung der christlichen Taufe einerseits auf und entwickelt das Motiv andererseits weiter. Anders verhält es sich hingegen bei Motiven, welche Paulus aus dem Deutungs‐ umfeld der Beschneidung aufgreift und in seinen massiven Weiter- und Umin‐ terpretationen für die christliche Taufe beinahe schon gegen die Beschneidung wendet. Besonders deutlich wird dies bei dem Motiv „Erbe, Sohn“, welches nun ausgeweitet auch auf Nichtbeschnittene bezogen wird. Noch erheblicher zeigt sich die Verfremdung des Motivs „Befreiung-Freiheit“, welches ausgehend von Paulus‘ Gesetzesverständnis die Beschneidung (von Heidenchristen) geradezu als versklavendes Element erscheinen lässt. Findet sich ein Deutungsmotiv der Taufe demnach auch bei anderen Ritualen, so ist auf der Grundlage einer eingehenden, ritualtheoretischen Untersuchung festzustellen, ob es sich um ein allgemein verbreitetes Motiv handelt, welches in seiner typischen Weise Verwendung findet - so ist eine (direkte) Abhängig‐ keit der Rituale als eher unwahrscheinlich bzw. auch unbedeutsam zu werten und die Pragmatik der Motivwahl eher in der (gleichen) Funktion bzw. Bedeu‐ tung des Motivs für beide Rituale zu suchen. Handelt es sich jedoch um ein spezielles Motiv, welches ggf. auch in veränderter Version gebraucht wird bzw. Kapitel V: Ritologische (Deutungs)Motive 496 <?page no="497"?> 224 Diese Schlussfolgerung fußt auf den zu Grunde liegenden paulinischen Texten sowie den zum Vergleich herangezogenen Ritualen. Daneben treten Traditionen, welche christliche Taufe und Beschneidung (von Heidenchristen) parallel praktizieren, wie sie sich etwa in der Koptisch-Orthodoxen Kirche, der Äthiopisch-Orthodoxen Kirche sowie die Eritreisch-Orthodoxen Tewahedo-Kirche finden lassen. Eine eingehendere Unter‐ suchung der jeweiligen Funktionsbzw. Deutungszuweisungen an Taufe und Beschnei‐ dung in diesen Kirchen könnten die hier vollzogenen Schlussfolgerungen unter ganz anderen Voraussetzungen prüfen und ggf. ergänzen. findet ein anderes Ritual, für welches dieses Motiv auch belegt ist, gar Erwäh‐ nung, so ist die Pragmatik ebenso in dem (ggf. veränderten) Motiv zu suchen wie in der Verhältnisbestimmung gegenüber dem anderen Ritual. Eine exklusive Vereinnahmung bzw. grundlegende Uminterpretation des Motivs, wie es sich sowohl bei „Erbe, Sohn“ als auch bei „Befreiung-Freiheit“ findet, ist sodann als klares Indiz für ein abgrenzendes bzw. sogar Konkurrenzverhältnis zu deuten. Indem Paulus diese beiden Motive in der Weise uminterpretiert, betont er nicht allgemein den Initiationsaspekt der Taufe (für den christlichen Glauben), sondern verdeutlicht diesen auch als exklusiv gegenüber der Beschneidung. Eine Beschnei‐ dung von getauften Heidenchristen ist demnach unmöglich, insofern sie der Taufe als einzigem christlichen Initiationsritual widerspricht. 224 Dieses Beispiel verdeutlicht sogleich, dass die Pragmatik der Wahl eines all‐ gemein verständlichen Motivs, welches etwa über eine Variation des Tod-Leben-Motivs auf den Initiationscharakter des Rituals verweist, nicht die direkte Bezugnahme auf ein anderes Ritual, für welches ebenfalls dieses Motiv bekannt ist, ausschließt, in diesem Fall die Beschneidung, sondern gerade erst in dieser Doppelpragmatik seine letztliche Funktion erfüllt: Die christliche Taufe löst die Beschneidung in ihrem Initiationsaspekt für die christliche Gemeinde ab. 6 Zusammenfassung 497 <?page no="498"?> 1 Die Ritualbezeichnung, der Ursprung des Rituals, der Ritualleiter, die Ritualteilnehmer, der Ritualort und die Ritualzeit, der Ritualablauf, die Ritualfunktion und -deutung. Kapitel VI: Die christliche Taufe als Ritual. Eine Zusammenfassung 0 Einleitung Nachdem sich die voranstehenden Kapitel mit Hilfe von unterschiedlichen An‐ sätzen und Analyseschritten der Frage nach dem Ritual Taufe in seinen ersten Jahrzehnten genähert haben, will dieses Schlusskapitel die dabei erhobenen Einzelergebnisse thematisch bündeln, ins Verhältnis setzen und sich bisher noch offen gebliebenen Fragen widmen. Dazu orientiert sich die Darstellung an den bereits für die Vergleichsrituale bewährten sieben Ritualaspekten, 1 zu welchen jeweils die Ergebnisse der Untersuchung zusammengefasst und in einem zweiten Schritt weiterführende Fragen und Aspekte aufgelistet werden. Letztere richten den Blick auf sich anschließende ritualwissenschaftliche Fragestel‐ lungen innerhalb der Neutestamentlichen Wissenschaft sowie auf die weitere Entwicklungsgeschichte der Taufe in den unterschiedlichen theologischen Dis‐ ziplinen. Allgemein lässt sich festhalten, dass die untersuchten neutestamentlichen Texte, obwohl sie sämtliche den Gebrauch der Taufe voraussetzen, dennoch weiterhin von ihrer Entstehungssituation geprägt werden. Während in paulinischen Texten die Taufe stets argumentativ eingebunden bzw. kontextualisiert ist (z. B. Röm 6; Gal 3), erwähnt Apg die Taufe etwa in exemplarischen Erzäh‐ lungen (z. B. Begründung der Heidenmission [Apg 10 f]). Auf Grund dessen ist mit verallgemeinernden Ableitungen und Aussagen darüber, was „typisch“ für die christliche Taufe ist, vorsichtig umzugehen, v. a. dort, wo sie auf lediglich einem Text gründen. „Typisch“ und darin vergleichbar mit anderen Ritualen ist in den neutestamentlichen Tauftexten vielmehr der Entstehungs-, Etablierungs- und Deutungsprozess eines Rituals zu beobachten. Entsprechend liegt ein allgemeines Ergebnis der Ritualvergleiche darin, dass sie erkennen lassen, wie die neutestamentlichen Tauftexte neben den allge‐ meinen Ritualaspekten der Taufe hauptsächlich um deren Funktion und Deutung „ringen“. Dies geschieht einerseits relational in dezidierten wie in nicht so of‐ <?page no="499"?> 2 Siehe v. a. die Vergleiche mit der Johannestaufe (siehe unter IV.2.8) und der Beschnei‐ dung (siehe unter IV.3.8). 3 Siehe unter I.2.1. 4 Siehe ausführlich unter VI.1. 5 Siehe ausführlich unter VI.7. 6 Die von Strecker vorgeschlagene Kategorie 6 „Texte, die synekdochisch mit einem Ri‐ tual vernetzt sind“ bleibt selbst in seiner Beispielwahl und den Erläuterungsversuchen etwas unterbestimmt und scheint mir eher eine offene Kategorie zu sein, welche ver‐ sucht weitere mögliche Aspekte abzudecken. Die neutestamentlichen Tauftexte lassen sich m. E. ohne Schwierigkeiten in eine oder auch mehrere der ersten 5 Kategorien einordnen. 7 Siehe unter I.1.1.2. 8 Zur näheren Klassifizierung v. a. als Initiationsritual und deren Bedeutung siehe unter VI.7. fensichtlichen Verhältnisbestimmungen zu anderen Ritualen 2 und andererseits in eigenständig gesetzten und erläuterten Bildern. Des Weiteren lässt sich die oben aufgestellte These auch an Hand der von Strecker vorgeschlagenen Text-Ritual-Kategorisierung 3 bestätigen: Die beiden Taufformeln sind entweder der Kategorie 4 „Texte, die direkt rituellen Gebrauch entstammen“ oder Kategorie 5 „Texte, die eine unmittelbare rituelle Funktion besitzen“ zuzuordnen. 4 Doch sämtliche andere Tauftexte, selbst die der εἰς-Tauf‐ formel folgenden Erläuterungen gehören primär der Kategorie 3 an „Texte, die sich mit der Bedeutung, Funktion oder rechten Durchführung rituellen Han‐ delns auseinandersetzen“. 5 Inwieweit den Texten dennoch Aspekte der Kate‐ gorie 2 „Texte, die den Vollzug einer rituellen Handlung schildern bzw. konsta‐ tieren“ eignen, ist im Einzelnen zu klären. Die Kategorie 1 „Texte, die zur Ausführung eines Rituals anweisen“ scheint innerhalb der neutestamentlichen Tauftexte komplett zu fehlen. 6 Schließlich kann die Eingangsthese bezüglich der gewählten Ritualdefini‐ tion 7 bekräftigt werden: Auch wenn Ritualdefinitionen höchst strittig sind, so ist doch auf der Grundlage der neutestamentlichen Tauftexte sowie der hier zusätzlich hinzugezogenen sonstigen Quellen an keiner Stelle ein Zweifel daran festzustellen, dass es sich bei der christlichen Taufe um ein Ritual handelt. 8 0 Einleitung 499 <?page no="500"?> 9 Siehe unter II.2. 10 Siehe unten. 11 Siehe unter II.1.2. 12 Siehe unter IV.2.1. 13 Näheres zu Verhältnis und Entwicklung der beiden Rituale siehe unter VI.2. 14 Siehe ausführlich unter IV.2.8.2. 15 Siehe unter II.2.2. 1 Die Ritualbezeichnung: ἐβαπτίσθητε εἰς Χριστόν 1.1 Zusammenfassung 1.1.1 βαπτίζω Das den Taufvorgang bezeichnende βαπτίζω hat, wie es bei Paulus und auch sonst im NT verwendet wird, bereits einen gewissen Status als Terminus tech‐ nicus, was nicht zuletzt an der Verwendung in den beiden Taufformeln ersicht‐ lich wird. 9 Jedoch lassen die der εἰς-Taufformel folgenden Erläuterungen 10 wie auch die Art und Weise der argumentativen Thematisierung der Taufe in den einzelnen Texten erkennen, dass βαπτίζω noch nicht vollständig bzw. allein als Terminus technicus aufgefasst wird oder mindestens nicht bei allen Adressaten in seiner umfänglichen Bedeutung im Blick auf die Taufe entfaltet bekannt ist. Zwar ist mit der Taufe auch die Begrifflichkeit verbreitet und geübt, jedoch sind verschiedentlich Erläuterungs-, Abgrenzungs- und Entfaltungsbedarf wahrzu‐ nehmen. Dazu greift Paulus auf die Grundbedeutungen des Verbes zurück - ver‐ mutlich auch um den Fachterminus aus sich heraus organisch inhaltlich zu füllen und zu bekräftigen: Aus dem breiten Spektrum der Bedeutungsnuancen von βαπτίζω 11 lassen sich im paulinischen Sprachgebrauch einerseits das (pas‐ sive) Moment der Lebensgefährdung bzw. -beendigung und andererseits das (ebenfalls passive) holistische Moment eines komplett-Umgebensein erkennen, welches drauf verweist, dass der Mensch ganz und gar davon betroffen ist. Die Terminologie (βαπτίζω, τὸ βάπτισμα) leitet sich vom Ritualablauf her. 12 Beide Begrifflichkeiten werden - in Kombination - für die christliche Taufe von der Johannestaufe her übernommen bzw. weitergeführt. 13 Durch Bezugnahme auf eine Person werden beide Rituale in ihrer Bezeichnung näher qualifiziert, wobei es sich bei der Johannestaufe um den Ritualentwickler und zugleich Ri‐ tualleiter handelt, während es sich bei der christlichen Taufe um eine beim Ri‐ tualvollzug abwesende Person handelt: 14 Der wechselnde Sprachgebrauch in den beiden Taufformeln (Χριστὸν Ἰησοῦν [Röm 6,3b], Χριστόν [Gal 3,27a], τοῦ κυρίου Ἰησοῦ [Χριστοῦ] [Apg 19,5] u. a.) 15 weist darauf hin, dass dennoch we‐ Kapitel VI: Die christliche Taufe als Ritual. Eine Zusammenfassung 500 <?page no="501"?> 16 Vgl. etwa das Aussprechen eines Götternamens über dem Initianten oder sonstige Re‐ präsentationsmotive von abwesenden göttlichen Personen in Ritualen, welche zumeist magischen Charakters sind. 17 Siehe unter IV.2.8.7.3 sowie II.2. 18 Siehe unter III.1.3. 19 Siehe unter III.1.3.3-5. 20 Siehe unter III.4.2.3. 21 Siehe u.a. II.2.1; II.2.2; III.1.3; III.2.4; III.3.3.2.1; III.4.3.2.3; IV.2.8.1. 22 Siehe unter II.2.1.2. niger die feste Formulierung 16 im Blick ist als vielmehr die Verbindung mit und zugleich Begründung des Rituals in der Person. Dass sich jedoch an keiner Stelle lediglich Ἰησοῦ findet, macht deutlich, dass die christlichen Taufformeln we‐ niger auf die historische Person Jesus von Nazareth verweisen wollen - wie es die Johannestaufe mit τὸ Ἰωάννου (Apg 19,3) tut -, sondern dessen Bedeutung als Christus und damit sein Sterben und Auferstehen und dessen Wirkung für die Taufe und die Täuflinge herausstellen. Dies bestätigt sich auch in der un‐ terschiedlichen Verwendung von Präpositionen bzw. Genitivkonstruktionen bei beiden Taufen, welche verschiedene Verhältnisbestimmungen zwischen Ritual und Person zum Ausdruck bringen. 17 1.1.2 Die εἰς-Taufformel Paulus verwendet in seinen Brief die εἰς-Taufformel und erläutert sie an zwei Stellen konkret in Parallelkonstruktionen: 1) Gal 3,27ab stellt einen synonymen Parallelismus membrorum dar, welcher das Eingetauchtwerden des Täuflings ins Wasser symbolisch als Eingetauchtwerden in Christus deutet, was den Chris‐ tusbezug der Taufe in den unmittelbaren Fokus rückt. 18 Gegen die weitverbrei‐ tete Übersetzung von ἐνεδύσασθε (Gal 3,27b) als „ihr habt angezogen“ spricht zudem, dass die Wortfelder von βαπτίζω und ἐνδύω sowohl das lebensbedro‐ hende Element des „Versinken / Versenken“ als auch das „komplett Hineingeben, Umgebensein“ beinhalten. 19 2) Auch in Röm 6,3bc findet sich ein synonymer Parallelismus membrorum, allerdings mit chiastischem Aufbau, welcher da‐ durch das Getauftwordensein in den Mittelpunkt stellt. 20 Es wird jedoch nicht allgemein als „christlich“ qualifiziert, sondern als εἰς τὸν θάνατον αὐτοῦ (Röm 6,3c) präzisiert. Den beiden Parallelkonstruktionen ist demnach ge‐ meinsam, dass sie ausgehend von der εἰς-Taufformel die Art und Weise des in der Taufe geschehenen Christusbezuges beleuchten bzw. als erläuterungsbe‐ dürftig ansehen, worauf sie jedoch kontextabhängig unterschiedlich reagieren. Auf Grund des erheblich divergierenden Befundes 21 ist bisher die viel disku‐ tierte Frage 22 offen geblieben, ob βαπτίζω εἰς / ἐν ein lokales oder ein instrumen‐ tales Verständnis zu Grunde liegt. Einzelne Stellen scheinen eindeutig zuordbar, 1 Die Ritualbezeichnung: ἐβαπτίσθητε εἰς Χριστόν 501 <?page no="502"?> 23 Siehe unter VI.6, vgl. aber auch entsprechende Beobachtungen zur Johannestaufe unter IV.2.6 und IV.2.8.6. 24 Siehe unter III.1.3. 25 Siehe unter VI.6, vgl. aber auch zur Johannestaufe IV.2.6 und dazu im Kontrast den aktiven Vollzug beim Proselytentauchbad unter IV.4.6.2.1. 26 Siehe unter II.1.2. 27 Zur Interpretation der Passivität siehe unter VI.3 zur Funktion des Täufers. 28 Zum Moment der Lebensgefährdung bzw. -beendigung siehe unter V.1 sowie unter VI.7. 29 Siehe unter III.3.2. 30 Siehe unter III.3.3. andere hingegen nur schwer zu entscheiden. M. E. stellen das lokale und das instrumentale Verständnis jedoch keinen Gegensatz dar, der in die eine oder andere Richtung entschieden werden müsste. Vielmehr liegt die instrumentale Bedeutung in der Bewegungsrichtung des Ritualablaufs (= lokal) begründet: Indem jemand in das Wasser hineingetaucht wird, entfaltet die Taufe mit Hilfe bzw. durch das Wasser ihre Wirkung. Entsprechend scheint die εἰς-Taufformel bei Paulus beide Aspekte transportieren zu können, wenn auch in den einzelnen Stellen auf den einen oder den anderen (mehr) Betonung liegt. Dass zur Zeit des Paulus noch beide Aspekte in der Taufformel mitschwingen, kann zudem als ein weiterer Grund dafür angesehen werden, warum der Apostel sie kontextab‐ hängig einerseits für erklärungsbedürftig, aber andererseits auch für ver‐ wendbar hält. Diese Interpretation des In- und Miteinanders der lokalen und instrumentalen Bedeutung der εἰς-Taufformel fußt auf einer Reihe an Einzelbeobachtungen: 1) Der Bewegungsablauf des Ritualvollzuges (Unter- und Wiederauftauchen) 23 allgemein und wie er speziell in Gal 3,27ab gedeutet wird, 24 fokussiert eindeutig den lokalen Aspekt. 2) Die grundsätzliche Passivität des Täuflings 25 sowie die literale Bedeutung von βαπτίζω als „Versinken“ bzw. genauer „Versenktwerden, unter Wasser Gebrachtwerden“ 26 transportiert zwar ebenfalls ein gewisses lo‐ kales Moment, indem der Täufling sodann komplett vom Wasser umgeben ist, hat den Schwerpunkt allerdings erkennbar auf einem instrumentalen Ver‐ ständnis, welches das Wasser als Medium ansieht, mit dem derjenige in ein grundsätzliches, beinahe ausweglos passives Verhältnis 27 gerät, bis hin zur Le‐ bensgefährdung. 28 3) Ausschließlich instrumental ist εἰς Χριστόν im Rahmen der εἰς-Taufformel und ἐν ἑνὶ πνεύματι (1Kor 12,13a) 29 zu deuten als die jeweilige Wirkursache der Taufe, während εἰς ἓν σῶμα (1Kor 12,13a) 30 das Ergebnis dieser Wirkung darstellt. 4) Die Interpretationsvielfalt wird schließlich mit einer wei‐ teren funktionalen und darin ebenfalls instrumentalen Deutung unterstrichen, dem sich auf die Taufe beziehenden „Getränktwerden mit dem einen Geist“ Kapitel VI: Die christliche Taufe als Ritual. Eine Zusammenfassung 502 <?page no="503"?> 31 Siehe unter III.3.5. 32 Siehe unter II.2.2. 33 Siehe unter V.5. 34 Siehe zu dieser Deutung unter II.2.2.3. 35 Siehe unter V.5.1. 36 Siehe unter III.2.4. (1Kor 12,13c), 31 bei dem eine lokale Auslegung ausgeschlossen werden konnte. Trotz dieser gewissen Deutungsvariabilität der εἰς-Taufformel bleibt doch er‐ kennbar, dass sich sowohl die lokale als auch die instrumentale Interpretation letztlich auf den relativ einfachen Ritualvollzug beziehen, wenn sie dabei auch unterschiedliche Aspekte betonen. 1.1.3 Die ὄνομα-Taufformel Der ὄνομα-Taufformel, wie sie sich in Apg findet, eignet hingegen eine weitaus größere Deutungsvielfalt, welche sich von der Assoziationsweite des Namensbe‐ griffes her speist. Dass nicht endgültig geklärt werden kann, ob die Wurzel im Griechischen oder im Hebräischen liegt -, wobei Letzteres m. E. als wahrschein‐ licher gelten kann -, 32 kann auch als Indiz dafür angesehen werden, dass beide sprachlichen Bereiche nach und nach (in unterschiedlicher Weise) Einfluss auf die Ausbildung und Deutung der Formel nehmen. Der Namensbegriff ist allge‐ mein, v. a. aber im rituellen Kontext mit vielfältigen Assoziationen und damit einhergehenden Funktionen und Verwendungsweisen verbunden. 33 Die Grund- und mglw. auch ursprüngliche Deutung dürfte darin liegen, dass durch die Nen‐ nung des Namens Christi nicht allein derjenige benannt wird, dessen Sterben und Auferstehen die Taufe ihren Bezugspunkt und ihre Wirkung verdankt, son‐ dern dass auch über die Namensnennung eine besondere Verbindung und ggf. ein Schutzverhältnis aufgebaut wird zu dieser im Ritual abwesenden Person. 34 Das Namensmotiv ist in besonderer Weise für Menschen der hebräischen wie griechischen Sprache und Kultur anschlussfähig, insofern es bereits unabhängig von der Taufe als Deutungsmotiv mit unterschiedlichen Nuancen bekannt ist. Doch darin liegt auch ein gewisses Potential derartige Deutungsmuster in ver‐ fälschender Weise auf das neue Ritual Taufe zu übertragen. In anderen Ritualen kann mit dem „Namen“ die Gottheit oder der Ritualleiter, aber auch das Opfer bezeichnet werden. 35 M. E. spielt Paulus an der einzigen Stelle, an welcher er die ὄνομα-Taufformel verwendet und damit auch bei seinen Adressaten als bekannt voraussetzt, genau mit diesem Missverständnispotential: ἢ εἰς τὸ ὄνομα Παύλου ἐβαπτίσθητε; (1Kor 1,13c). 36 Wenn auch nicht davon ausgegangen werden muss, dass die Korinther tatsächlich „auf den Namen des Paulus“ getauft haben (, wie auch nicht Paulus für sie gekreuzigt wurde), so lässt der ihnen bekannte Na‐ 1 Die Ritualbezeichnung: ἐβαπτίσθητε εἰς Χριστόν 503 <?page no="504"?> 37 Zur bewussten Veränderung von Ritualaspekten als Mittel der Ritualkritik siehe unter I.1.5. 38 Siehe unter III.2.4. 39 Vgl. die Texte zur Johannestaufe, in welchen oft durch den Substantivgebrauch das Ritual objektiviert wird (siehe unter IV.2.1). mensbegriff eine solche Assoziation zumindest zu - als Nennung des Namens des Paulus im Rahmen des Rituals als der Person, welche ihnen zuerst verkün‐ digt hat und insofern eine wesentliche Rolle im Prozess der Glaubensentwick‐ lung einnimmt. Diese bewusste und durchschaubare Veränderung, ja Verfäl‐ schung der ὄνομα-Taufformel nutzt Paulus in eindeutig ritualkritischer Funktion, 37 um der Gemeinde nicht allein die Bedeutung der Formel, sondern die umfängliche Wirkmacht der Taufe und die Konsequenzen eines geradezu falschen Taufverständnisses zu verdeutlichen. 38 1.1.4 Das Verhältnis der Taufformeln zueinander und weitere terminologische Aspekte Zum Verhältnis der beiden Taufformeln ist zunächst festzuhalten, dass beide, wie beinahe sämtliche neutestamentlichen Texte zur christlichen Taufe, im Ver‐ balstil formulieren und somit den Blick auf die zu vollziehende Handlung und weniger objektivierend auf den „Sachstatus“ (vgl. τὸ βάπτισμα) 39 richten. Dies ist durchaus merkenswert, insofern gerade die paulinischen Tauftexte keine Tauferzählungen bieten, welchen der Verbalstil zur Schilderung einer Tauf‐ handlung organisch wäre. Beiden Taufformeln eignet bereits eine gewisse For‐ melhaftigkeit, welche allerdings bei der ὄνομα-Taufformel mit dem wechselnden Präpositionsgebrauch und bei beiden mit einer gewissen Interpretationsvaria‐ bilität einhergeht. Dass nun Paulus, obwohl der die ὄνομα-Taufformel selbst kennt und auch bei seinen Lesern voraussetzt, sich eindeutig für die εἰς-Tauf‐ formel entscheidet, scheint mir situations- und kontextabhängige Gründe zu haben: Die Argumentationen der paulinischen Tauftexte lassen erkennen, dass die Taufe geübt wird und damit in ihrem relativ einfachen Ritualvollzug bekannt ist, jedoch (noch) nicht in ihrer theologischen Tiefe und Verknüpfung zu anderen soteriologischen sowie ekklesiologischen Themen entfaltet ist. Die Tauftexte haben sodann vordringlich klärenden, erläuternden und abgrenzenden Cha‐ rakter, z. B. mit Blick auf das Verhältnis zur Beschneidung, zu gemeindlicher Gruppenbildung oder zur Lebensweise vor der Taufe. Dieser Pragmatik kann die εἰς-Taufformel in ihrer Kürze und Eindeutigkeit mit erkennbarem, symbol‐ ischem Anklang an den Ritualvollzug besser dienen als die ὄνομα-Taufformel, welche über das Namensmotiv zwar anknüpfungsfähig für Juden- und Heiden‐ Kapitel VI: Die christliche Taufe als Ritual. Eine Zusammenfassung 504 <?page no="505"?> 40 Siehe unter V.5.2. 41 Siehe unter IV.5.1.2 (Qumran) und IV.5.3.2 (Mandäer). 42 Siehe unter IV.5.2.2 (Elchasaiten) und IV.5.4.2 (Ebioniten). 43 Siehe unter IV.5.5.1. 44 Siehe unter IV.4.1 und IV.4.8.1. 45 Siehe unter IV.4.8.6. christen ist, jedoch damit auch das Potential von missverständlichen „Eintra‐ gungen“ aus anderen (nicht-)rituellen Kontexten mit sich bringt. 40 Die christliche Terminologie verbreitet sich insgesamt schnell und flächende‐ ckend. Die in dieser Arbeit durchgeführten Untersuchungen zu den jüdischen und christlichen Gruppierungen, welche umfassend und zentral Wasserrituale durchführen, waren u. a. mit der Hoffnung verbunden, von differenzierten Be‐ grifflichkeiten aus Rückschlüsse auf unterschiedliche Wasserrituale ziehen und ggf. begriffliche Abhängigkeiten rekonstruieren zu können. Diejenigen Gruppen, von welchen Eigenzeugnisse überliefert sind, 41 lassen erkennen, dass sie ihre Rituale auch in den Bezeichnungen differenzieren, wobei fast aus‐ schließlich - wie auch bei der Taufe - auf den Ritualablauf Bezug genommen wird. Den Fremdzeugnissen, allen voran den sog. Häretikerkatalogen 42 scheinen derartige sprachliche Unterschiede unbekannt oder von geringem Interesse zu sein, sodass sie für die angesprochene Rekonstruktion von möglichen Termini technici ausscheiden. Dennoch lassen sich sprachliche Abhängigkeiten inner‐ halb der christlichen Gruppierungen ausmachen, welche sämtliche auf βαπτίζω zurückgehen. 43 Anders stellt sich die Lage zum Proselytentauchbad dar, wo - auch unabhängig von der recht eindeutigen Datierungslage - keine begriffliche Abhängigkeit in die eine oder andere Richtung auszumachen ist. 44 Eine entsprechende Übertra‐ gung ist auch deswegen als höchst unwahrscheinlich einzustufen, da es sich um zwei verschiedene Ritualvollzüge handelt, 45 was eine gemeinsame sich auf den Ritualvollzug beziehende Bezeichnung unplausibel macht. 1.2 Weiterführende Aspekte und Fragen Vor dem Hintergrund dieser frühen Entwicklungs- und Verwendungsgeschichte der Taufterminologie ist auch heute danach zu fragen, vor welchen inhaltlichen, praktischtheologischen und allgemein sprachlichen Herausforderungen wir stehen und wie diesen zunächst sprachlich begegnet werden kann. Ist βαπτίζω und das deutsche „Taufen“ heute verständlicher als damals etabliert oder bräuchte es ähnliche Erläuterungen wie in Gal 3,27ab und Röm 6,3bc? Sind die beiden frühchristlichen Taufformeln überhaupt noch geeignet, das Taufge‐ 1 Die Ritualbezeichnung: ἐβαπτίσθητε εἰς Χριστόν 505 <?page no="506"?> 46 Siehe unter IV.2.2 sowie IV.2.6. schehen sowie seine Begründungen und Wirkungen zu illustrieren oder haben sich über die Zeit andere formelhafte Wendungen entwickelt, welche heute an‐ gemessener erscheinen - mit Blick auf den Sprachgebrauch, v. a. aber auch auf den veränderten Ritualablauf. Denn dem heute größtenteils verbreiteten Be‐ träufeln mit Wasser eignet weder die Bewegung des Einbzw. Untergetaucht‐ werdens noch das holistische Moment des komplett-Umgebenseins. Wie ist mit Deutungen und entsprechenden Sprachversuchen umzugehen, welche darauf bereits Bezug nehmen, wie z. B. jegliche Reinigungsmetaphorik, auch wenn sie in deutlicher Spannung zum neutestamentlichen Zeugnis der ersten Taufdeu‐ tungen steht (vgl. 1Petr 3,21)? Sind ähnliche Abgrenzungsargumentationen an‐ zustrengen oder können derartige Deutungen auf Grund der geänderten Dis‐ kussionslage heute sorglos integriert werden? Ließen sich andere geeignete Bilder und Metaphern entwickeln, welche den heutigen Ritualablauf deuten? Und schließlich: Gegen welche Missverständnisse, unangemessene Übertra‐ gungen von anderen Ritualassoziationen und Fehlentwicklungen haben sich derartige neue Sprachbilder zu wenden? Oder wäre es heute nötiger, Taufe erst einmal wieder eigenständig positiv zu begründen - ohne Abgrenzungen und Abwehrargumentationen? 2 Der Ursprung und die Entwicklung des Rituals: εἰς τὸν θάνατον αὐτοῦ ἐβαπτίσθημεν 2.1 Zusammenfassung 2.1.1 Der doppelte Ursprung der christlichen Taufe Die christliche Taufe, soweit sich ihr Entstehen rekonstruieren lässt, speist sich aus einem doppelten Ursprung: die Johannestaufe als Vorgängerritual sowie das Sterben, Begrabenwerden und Auferwecktwerden Jesu Christi als Ursprungs‐ ereignis. 2.1.1.1 Das Vorgängerritual: die Johannestaufe Die Johannestaufe stellt v. a. in verschiedenen Aspekten des Ritualablaufes (Täufer; Getauchtwerden; einmaliger Vollzug) ein grundsätzlich neues Ritual dar. 46 Auch wenn die christliche Taufe wesentliche Elemente weiterentwickelt, so ist die Johannestaufe dennoch als direktes Vorgängerritual darin zu erkennen, dass die genannten Neuerungen, welche sie grundlegend von allen anderen Kapitel VI: Die christliche Taufe als Ritual. Eine Zusammenfassung 506 <?page no="507"?> 47 Siehe unter IV.1. 48 Siehe ausführlich unter IV.2.8.7.1. 49 Siehe unter IV.1.3.2. 50 Siehe ausführlich unter IV.2.8.7.2. 51 Siehe unter VI.5.1. 52 Siehe unter IV.2.8.7.2 und VI.7. 53 Siehe unter IV.2.8.7.2 und VI.7. 54 Siehe unter IV.2.8.7.1 und IV.2.8.7.2. 55 Siehe unter V. und VI.7. Wasserritualen der Zeit 47 unterscheiden, in der christlichen Taufe übernommen werden. 48 Eine andere rituelle Quelle, z. B. die jüdischen Waschungen, kann daher ausgeschlossen werden. 49 Die spezifisch christlichen Motive liegen demnach in den Unterschieden ge‐ genüber der Johannestaufe begründet: 50 1) Während die Taufe des Johannes grundlegend in der Wüste und am Jordan verortet ist, löst sich die christliche Taufe nicht nur konkret davon, sondern allgemein von jeglicher Ortsbindung. 51 2) Johannes versteht seine Taufe als Vorbereitung auf bzw. Vorwegnahme des Gerichts; die christliche Taufe ist hingegen mit dem Gedanken verbunden, dass dies in unnachahmlicher Weise am Kreuz geschehen ist, woran die Taufe Anteil gibt. 52 3) Zwar ist auch mit Buße und Johannestaufe die Hoffnung auf Sünden‐ vergebung verbunden, jedoch wird diese in der christlichen Taufe durch den Glauben an das Sterben und Auferstehen Christi in anderer Weise gegründet. 53 4) Die Johannestaufe ist gerade in ihren neuen Ritualaspekten (Einmaligkeit; Ablauf; Deutung der Verortung) als Passageritual zu erkennen und zu verstehen. Sie zielt auf eine einmalige, grundlegende Grenzüberschreitung, die dem Leben des Getauften eine neue Ausrichtung gibt. 54 Diese Elemente übernimmt die christliche Taufe, verlagert die Schwerpunktsetzung mit der Betonung des Ini‐ tiationsaspektes jedoch eindeutig weg von einer einfachen Grenzüberschrei‐ tung hin zu einer umfassenden Transformation des Täuflings. 55 2.1.1.2 Das Ursprungsereignis: das Sterben, Begrabenwerden und Auferwecktwerden Jesu Christi Der wohl gravierendste Unterschied zur Johannestaufe stellt die Tatsache dar, dass die christliche Taufe ein Ursprungsereignis hat, welches in grundlegender Weise Bezugspunkt und Wirkursache des Rituals darstellt. Zugleich liegt darin möglicherweise der entscheidende Hinweis darauf, wie und warum es zur Ent‐ stehung und so raschen und flächendeckenden Etablierung der christlichen Taufe kommt. Das gewaltsame Sterben Christi stellt zusammen mit dessen Auferweckung die größte hermeneutische Herausforderung zunächst der engsten Jünger und so‐ 2 Der Ursprung und die Entwicklung des Rituals: εἰς τὸν θάνατον αὐτοῦ ἐβαπτίσθημεν 507 <?page no="508"?> 56 Siehe unter I.1.3.1. 57 Siehe unter I.1.3.1.2 und I.1.3.2. 58 Siehe unter V.1.2.2. dann schnell auch der ersten Christen dar. Die Fragen nach dem Warum und Wozu stellen sie vor eine nie dagewesene Situation, die es zu bewältigen, ja du deuten und antizipieren gilt. Evangelien und Apostelgeschichte beschreiben eine Zeit der Verunsicherung, der Erscheinungen und Sendungen durch Jesus und schließlich einen begeisterten Aufbruch mit ersten Predigten, welche be‐ reits mit dem Aufruf zur Buße und der Einladung zur Taufe ἐπὶ τῷ ὀνόματι Ἰησοῦ Χριστοῦ verbunden sind (Apg 2,38). Selbst wenn man darin einen historischen Bericht sehen wollte, würde auch dies den Sprung von der Johannestaufe zur christlichen Taufe nicht erklären. Ritualwissenschaftliche Untersuchungen beobachten immer wieder, dass Ri‐ tuale zu den Zeiten und an den Stellen neu entstehen bzw. bewusst neu entwi‐ ckelt werden, wo gravierende Brüche und Umbrüche das Leben der Menschen vor ganz neue Herausforderungen nicht zuletzt des Verstehens stellen. 56 Rituale nehmen dabei Funktionen der Deutung und Bewältigung wahr. Um nicht noch zusätzliche, bisher unbekannte und damit zunächst unzugängliche Neuerungen hervorzubringen, wird dazu auf bereits bekannte Rituale bzw. Ritualaspekte zu‐ rückgegriffen und diese werden der Situation gemäß abgeändert bzw. umge‐ staltet. Bereits Vertrautes wird verwendet, um Brüche zu überbrücken, zu über‐ winden und zu deuten. 57 Sieht man das frühe Christentum vor der Herausforderung, das gewaltsame Sterben und die einzigartige Auferweckung Christi zu deuten und in das bisher Geglaubte und Erhoffte zu integrieren, so liegt es nahe, die christliche Taufe nicht am Ende dieses Prozesses als ein „unerklärliches Produkt“ anzusehen, sondern als Mittel der „Bewältigungsstrategie“: Den ersten Jüngern ist die Jo‐ hannestaufe in ihrem Ritualablauf wie den damit verbundenen Hoffnungen - teilweise aus eigenem Erleben - bekannt. Indem sie den Ritualvollzug samt ein‐ zelner Motive aufgreifen und auf das Sterben und Auferstehen Christi beziehen, deuten sie dieses nicht nur als heilwirkend für alle, die sich der Taufe unter‐ ziehen, sondern gewinnen zugleich einen Vollzug, durch den sie das Geglaubte erlebbar und damit einfacher „verstehbar“ machen. Der Täufling partizipiert erfahrbar an dem „Wort vom Kreuz“. Ein Ritual lässt damals wie heute das Ge‐ wusste und Geglaubte noch einmal anders Wirklichkeit werden. Inwieweit das Ritualmotiv des „Mitvollzuges des Schicksals einer Gottheit“ 58 als bekannt vorauszusetzen und damit als weiteres bereits vertrautes Ritualele‐ ment zu werten ist, kann nicht mehr eindeutig festgestellt werden. Die konkrete Entfaltung des Motivs v. a. bei Paulus geht jedoch weit über die sonstige Ver‐ Kapitel VI: Die christliche Taufe als Ritual. Eine Zusammenfassung 508 <?page no="509"?> 59 Siehe ausführlich unter V. 60 Siehe unter I.1.3.1.2. 61 Siehe unter IV.2.4.3. 62 Siehe unter IV.5.3.4. wendung hinaus. In der „Wahl“ des Motives wie auch in der Verwendung der weiteren Deutungsmotive bei Paulus wird die christliche Taufe als Initiations‐ ritual erkennbar. 59 Doch bereits die prominente Nennung Christi bzw. des Na‐ mens Christi in beiden (erstaunlich alten) Taufformeln und dessen eindeutige Interpretation auf das Sterben und Auferstehen Christi hin und nicht allgemein als Bezugnahme auf seine Person schließen jede mögliche Verwechslungsgefahr mit der Johannestaufe (auch der Jünger des Johannes) vor vorherein aus. Trotz und neben dieser ritualtheoretischen Argumentation zur Entstehung der christlichen Taufe unter Bezugnahme auf (einzelne Aspekte der) Johannes‐ taufe kann dennoch gefragt werden, ob es ein auslösendes Moment oder Ereignis gibt, welches zur Entwicklung und Übung der christlichen Taufe führt: 1) Der Taufbefehl, mindestens wie er sich in Mt 28,19 findet, erscheint als historisches Ereignis v. a. auf Grund der dreigliedrigen Namensformel, welche zudem von τοῦ υἱοῦ anstatt von Χριστοῦ spricht, eher unwahrscheinlich, nicht zuletzt da die theologische Entfaltung in Vater, Sohn und Heiligen Geist einer typischen Ausdifferenzierung eines Ritualaspektes, in diesem Falle der ὄνομα-Taufformel, entspricht, wie man sie bei zunehmender Ausgestaltung und Etablierung eines zuvor neuen Rituals kennt. 60 2) Gelegentlich findet sich die These, dass die Taufe Jesu 61 der Grund dafür sei, dass Christen angefangen haben zu taufen, obwohl er selbst nicht getauft hat. Vergleichbar dazu wäre die Mandäertaufe (Masbūtā), welche die ursprüng‐ liche Taufe Adams sowie die himmlische Taufe als Bezugs- und Ursprungser‐ eignis hat. 62 Doch auch wenn die Johannestaufe, welcher Jesus sich unterzieht, das direkte Vorgängerritual der christlichen Taufe darstellt, handelt es sich doch bei letzterer um ein komplett anderes Ritual, v. a. weil sie das Sterben und Auf‐ erstehen Christi und dessen gewisse Abwesenheit voraussetzt. Auch wenn Jesus selbst getauft hätte, wäre es somit ein von der christlichen Taufe grundsätzlich zu unterscheidendes Ritual gewesen. 3) Sucht man nach einem rituellen Bindeglied zwischen Johannestaufe und christlicher Taufe, so ist dieses am ehesten im Taufen der Jünger ( Joh 4,1 f [vgl. 3,22 f]) zu sehen, insofern es ein Taufe mit Bezugnahme auf die Person Jesus (Christus) ist, auch wenn es - auf Grund der oben genannten Voraussetzungen - keine christliche Taufe im eigentlichen Sinne darstellt. Es ist jedoch aus ritolo‐ gischer Sicht als Sprung gegenüber der Johannestaufe zu werten, da die Funktion des Ritualleiter nicht allein von Johannes weg wechselt, sondern sich auch auf 2 Der Ursprung und die Entwicklung des Rituals: εἰς τὸν θάνατον αὐτοῦ ἐβαπτίσθημεν 509 <?page no="510"?> 63 Vgl. die Entwicklung der Johannestaufe nach dem Tod des Täufers unter IV.2.3.4 und unter IV.2.8.3.5. 64 Siehe ausführlich unter IV.3.7 und unter IV.3.8.7. verschiedene Personen verteilen kann 63 und v. a. die Bezugnahme von der pro‐ phetischen Person des Johannes hin zu Jesus sich komplett verändert. Geht man also davon aus, dass die Jünger und damit auch die Zwölf bereits zu Jesu Leb‐ zeiten getauft haben, würde dies einfacher erklären, wie sich die christliche Taufe später so schnell und flächendeckend verbreitet hat. Jedoch ist dies be‐ kanntlich lediglich in Joh (und mit Blick auf Jesu Taufen auch noch wider‐ sprüchlich) belegt. Bedenkt man, dass Johannes und seine Taufe auch bei den Synoptikern eine erhebliche Rolle spielt und die Taufe Jesu den Beginn seines Wirkens markiert, ist die fehlende Erwähnung der Tauftätigkeit der Jünger umso erstaunlicher. Es könnte demnach auch entgegengesetzt die These for‐ muliert werden, dass das Taufen der Jünger in Joh eine erklärende Replik auf die unumstrittene Tauftätigkeit der christlichen Gemeinden darstellt. 2.1.2 Die weitere Entwicklung, Entfaltung und Positionierung der christlichen Taufe 2.1.2.1 Inhaltliche Aspekte Die Untersuchung hat nachdrücklich herausgestellt, dass mit dem ersten Vollzug einer christlichen Taufe und selbst mit ihrer offensichtlich flächendeckenden raschen Verbreitung die Ritualentwicklung nicht abgeschlossen ist. Besonders die paulinischen Tauftexte machen deutlich, dass verschiedene theologische Dimensionen erst nach und nach entdeckt, entwickelt bzw. entfaltet werden und die Taufe innerhalb des theologischen Denksystems zunehmend vernetzt wird. Einen wesentlichen Teil dieser anhaltenden Entfaltung nimmt die Verhältnis‐ bestimmung zu anderen Ritualen ein, welche aus unterschiedlichen Intensionen heraus in verschiedener Weise vollzogen wird. Das Verhältnis zur Johannestaufe ist bereits eingehend beschrieben worden. Hinzuzufügen bleibt lediglich, dass Apg 19,1-7 darauf hindeutet, dass eine klärende Abgrenzung beim Zusammen‐ treffen mit Johannesjüngern auch noch später ein Thema bleibt. Das Ritual, dem gegenüber eine Verhältnisbestimmung besonders nahe liegt, ist sodann die Beschneidung. Die Bezugnahmen ganz unterschiedlicher Art kreisen zumeist um den Initiationsaspekt, welche die Taufe für die christliche Gemeinde wahrnimmt. Für Heidenchristen tut sie das in umfassenden Sinn. Für Judenchristen hingegen, welche sich weiterhin beschneiden lassen, vollzieht die Beschneidung die Initiation in das Volk, während der religiöse Initiationsaspekt auf die Taufe übergeht. 64 Kapitel VI: Die christliche Taufe als Ritual. Eine Zusammenfassung 510 <?page no="511"?> 65 Siehe unter V.1.2.4. 66 Siehe unter IV.1.2 Exkurs 1Kor 6,9-11. 67 Siehe unter I.1.2 Exkurs Initiationsrituale. 68 Siehe unter III.2.5 Exkurs Der Täufer als Mystagoge. 69 Siehe unter I.1.4. Auch wenn die Johannestaufe als Vorgängerritual bereits keine Waschung darstellt, lässt 1Petr 3,20 f 65 erkennen, dass sich die christliche Taufe gegenüber Wasserritualen mit reinigender Funktion und den damit verbundenen Deutungen abzugrenzen hat. Zwar wird 1Kor 6,11 zumeist in dem Sinne gedeutet, dass die Taufe eine Waschung darstellt, doch ist dagegen mindestens festzuhalten, dass Paulus an dieser Stelle gerade keine Taufterminologie oder wie sonst die εἰς-Taufformel verwendet, da die ihr inhärente Motivik eben nicht mit der Funktion einer reinigenden Waschung einhergeht. 66 Neben diesen bewussten, von den neutestamentlichen Autoren ausgehenden Verhältnisbestimmungen finden sich auch Hinweise darauf, dass die Gemeinden oder auch einzelne Ritualaspekte, welche ihnen aus anderen Ritualen bekannt sind, auf die christliche Taufe übertragen. So spricht die besondere Betonung des Täufers in Korinth etwa dafür, dass die allgemeine Bedeutung eines Ritualleiters im Rahmen eines Initiationsrituals, 67 wie man sie etwa aus Mysterieneinwei‐ hungen kennt, auch in der Taufe vermutet bzw. auf diese übertragen wird. 68 Auch wenn dies eine These bleiben wird, so spricht doch u. a. dafür, dass der‐ artige „Ein- und Übertragungen“ von anderen Ritualen einerseits - wie bereits dargestellt - Teil eines Ritualentwicklungsprozesses sind, und anderseits die Ursache für Missverständnisse und Fehler 69 im Kontext des Rituals darstellen können. Gründe dafür können mangelnde Entwicklung oder Erklärung des Ri‐ tuals, aber auch widersprüchliche Informationen über die Bedeutung des Rituals sein. Mit Blick auf die Korinthische Gemeinde ist anzunehmen, dass die christliche Taufe noch nicht in ihrer vollen Bedeutung entfaltet und verstanden ist, sodass Bekanntes aus anderen Ritualen zur Füllung dieser (vermeintlich) „blinden Fle‐ cken“ herangezogen wird, was zu einer missverständlichen Praxis führt. Paulus führt gegen derartige Entwicklungen an, dass die Taufe keinen besonderen Ri‐ tualleiter braucht, zu dem die Initianden eine enge Beziehung aufbauen, weil die grundlegende und entscheidende Beziehung im Ritualvollzug diejenige zu Christus ist. M. E. lassen sich die Parteihäupter, gerade in ihrer Unterschied‐ lichkeit, damit erklären, dass die Korinther eine Person suchen, zu der sie ein besonderes Verhältnis eingehen: Die einen sehen sie im Täufer als Ritualleiter, die anderen in einem Jünger, der Jesus besonders nahe stand, wieder andere in demjenigen, der ihnen das Evangelium verkündet, sie gewissermaßen in die 2 Der Ursprung und die Entwicklung des Rituals: εἰς τὸν θάνατον αὐτοῦ ἐβαπτίσθημεν 511 <?page no="512"?> 70 Siehe unter I.1.3.1.1. 71 Siehe erste Überlegungen an Hand der unter Kp. V untersuchten Deutungsmotive zur Taufe, inwieweit diese auch im nichtjüdischen Bereich bekannt bzw. gebräuchlich sind und wenn ja, ob Paulus dies in anknüpfender oder vielleicht auch abgrenzender Weise aufgreift. 72 Siehe unter VI.2.1.1. 73 Siehe unter IV.2.8.7.3. „Geheimnisse“ eingeweiht hat und wieder andere im Gemeindeleiter. Dass Christus als derjenige, zudem die Taufe eine besondere Beziehung eröffnet, im Ritual nicht körperlich anwesend ist, dürfte diese „Ersatzsuche“ zusätzlich be‐ dingen. Wieder anders stellt sich die Lage in den Galatischen Gemeinden dar: Hier wirken sich nicht etwa mangelnde Informationen oder Verständnis für die Taufe, sondern vielmehr widersprüchliche Hinweise v. a. zur Beschneidung auf das Taufverständnis ein, vermutlich ohne dass es den Adressaten des Gal be‐ wusst ist: Erst die direkte Verhältnisbestimmung von Taufe und Beschneidung macht deutlich, dass die Beschneidung von Heidenchristen weder ein notwen‐ diges, noch ein zusätzliches christliches Ritual ist, sondern in ihrem Konkur‐ renzverhältnis bezüglich des Initiationsaspektes (für Heidenchristen) in einer sich ausschließenden Beziehung zur Taufe steht. 2.1.2.2 Methodische Aspekte Die Kontextualisierung innerhalb des rituellen Umfeldes wird methodisch in unterschiedlicher Weise vollzogen. Betz hat dazu die These geäußert, dass es sich um einen „Ritualtransfer“ handelt und Paulus maßgeblich die Rolle einer founder figure einnimmt, welche vergleichbar anderen hellenistischen Prota‐ gonisten einen ganzen Kult oder einen Teil davon an einen anderen Ort, ggf. in eine andere Kultur transferiert. 70 Auch wenn seinen Überlegungen bezüglich der heidenchristlich spezifischen Etablierung und Entfaltung der christlichen Taufe durch Paulus näher nachgegangen werden sollte, 71 so ist doch der Theorie im Ganzen entgegenzuhalten, dass sich die christliche Taufe in der Zeit des Paulus noch allgemein im Entwicklungsprozess befindet 72 und man insofern nicht vom Transfer eines komplett entwickelten Rituals in einen anderen Kulturbereich sprechen kann. Dennoch lässt sich über das methodische Vorgehen zur Entfal‐ tung, Abgrenzung und Positionierung innerhalb des rituellen Kontextes einiges sagen: 1) Es werden Ritualvergleiche angestellt: In Apg 19,1-7 werden Johannestaufe und christliche Taufe direkt miteinander verglichen. 73 Auch Mk 1,8parr bietet einen direkten Vergleich zwischen der Wassertaufe des Johannes und der Taufe Kapitel VI: Die christliche Taufe als Ritual. Eine Zusammenfassung 512 <?page no="513"?> 74 Siehe unter IV.2.8.7.4. 75 Siehe unter IV.3.8.7. 76 Siehe ausführlich unter V.1; V.3; V.4 und V.5. mit dem Heiligen Geist. 74 Indirekt, aber nicht weniger offensichtlich vergleicht Paulus Taufe und Beschneidung bezüglich des Initiationsaspektes, indem er Bundesverheißungen und die sog. „Herzensbeschneidung“ thematisiert. 75 Es ist in diesem Zusammenhang noch festzuhalten, dass Paulus die Johan‐ nestaufe an keiner Stelle erwähnt oder gar in ein Verhältnis zur christlichen Taufe setzt. In überwiegend heidenchristlichen Gemeinden ist nicht davon auszu‐ gehen, dass sie von der Taufe des Johannes wissen. Ob jedoch das Vorgänger‐ ritual bekannt und ggf. selbst erlebt wurde, dürfte auf die Wahrnehmung und Etablierung des neuen Rituals christliche Taufe einen Einfluss haben. Vergleiche dazu Apg, wo das Kennen der Johannestaufe einerseits zu abgrenzenden Erläu‐ terungen führt und andererseits Texte zur Begründung der christlichen Taufe allgemein zu finden sind. Paulus hingegen scheint sich in seinen Tauftexten und -bildern wesentlich auf den Initiationsaspekt und die Abgrenzung gegenüber den Adressaten bekannten und präsenten Ritualen zu fokussieren. Insgesamt lässt sich festhalten, dass der Ritualvergleich keine moderne Me‐ thodik der Ritualwissenschaften ist, sondern bereits in der Antike der Ritualbe‐ schreibung dient, v. a. dann, wenn Rituale neu entstehen, entwickelt werden bzw. konkret abzugrenzen sind. Dies macht eine methodische Anwendung des Ritualvergleichs als Analysemittel tendenziell eher schwierig bzw. fordert geh‐ obene Aufmerksamkeit mit Blick auf die ggf. tendenziöse Darstellung in der Quelle. 2) Bereits bekannte Ritualmotive finden Verwendung: Es wurde ausführlich untersucht und herausgearbeitet, dass Paulus, aber auch andere neutestament‐ liche Autoren einerseits Ritualdeutungsmotive aufgreifen, die allgemein be‐ kannt sind, um etwa damit einhergehende Interpretationen bzw. Funktionen für die Taufe entfalten zu können. 76 Teilweise erfolgt eine christliche Konkretisie‐ rung des Motivs. Andererseits werden Motive konkret von anderen Ritualen übernommen, was entweder von selbst mit einer Bedeutungsveränderung ein‐ hergeht oder diese durch Abänderung des Deutungsmotivs herbeigeführt wird. Insgesamt lässt sich festhalten, dass v. a. Paulus seine Taufvorstellungen oft an‐ knüpfend formuliert, teilweise abgrenzend bzw. kontrastierend - immer jedoch situations- und kontextabhängig variierend bzw. angepasst. 2 Der Ursprung und die Entwicklung des Rituals: εἰς τὸν θάνατον αὐτοῦ ἐβαπτίσθημεν 513 <?page no="514"?> 77 Zur Weiterentwicklung und Ergänzung der Motive in den ersten Jahrhunderten siehe sehr ausführlich Jensen, Baptismal Imagery. 78 Zur christlichen Taufe im Kontext ihrer rituellen Umwelt siehe unten, konkret zum Initiationsaspekt siehe unter VI.7. 2.2 Weiterführende Aspekte und Fragen Lassen sich in den neutestamentlichen oder auch späteren Texten weitere di‐ rekte oder indirekte Verhältnisbestimmungen zu anderen Ritualen, z. B. dem Herrenmahl ausmachen? Unter welcher Pragmatik werden sie von wem ange‐ stellt und was lässt sich daraus für das Verständnis, ggf. auch die Praxis der Taufe rückschließen? Relativ schnell entwickelt sich nachneutestamentlich (siehe bereits Did 7) die Deutung der Taufe und die dazu verwendeten Motive weiter, auch kommen ganz neue Deutungsmotive hinzu. 77 Bezüglich der Deutung der Taufhandlung als einer symbolischen Waschung, welcher in 1Petr 3,21 noch dezidiert widerspro‐ chen wird, wäre zu fragen, ob diese von Anfang an existiert und ggf. abgelehnt wird oder ob sie erst nach und nach, möglicherweise mit den sich ändernden Rahmenbedingungen entwickelt wird. Auch mit Blick auf weitere später auf‐ kommende Deutungen steht die Frage im Raum, wie sie mit dem sich nach und nach ausdifferenzierenden Ritualvollzug einhergehen und ob sie diesem bei‐ spielsweise folgen oder auch mitbeeinflussen. Mit Blick auf heutige theologische und kirchliche Fragestellungen ist darüber nachzudenken, gegenüber welchen anderen Ritualen ein Vergleich v. a. in ab‐ grenzender Absicht sinnvoll wäre, um die christliche Taufe in ihrer ganzen theologischen, aber auch konkret ekklesiologischen Dimension wieder heraus‐ zustellen. Zu denken ist v. a. an eine Verhältnisbestimmung gegenüber unter‐ schiedlichen Arten von Segnungen, aber auch gegenüber dem Abendmahl, nicht zuletzt bezüglich des Zugangs zu diesem. 3 Der Ritualleiter: ein Täufer 3.1 Zusammenfassung Die christliche Taufe bedarf eines Täufers in der Funktion des Ritualleiters und damit als Gegenüber zum Täufling. Es handelt sich dabei um einen der Ritual‐ aspekte, welche die Taufe in Abgrenzung zu anderen Wasserritualen als Initia‐ tionsritual erkennbar machen. 78 Jedoch werden an den Täufer im Unterschied zu den Ritualleitern in vielen anderen Initiationsritualen gerade keine besonderen Anforderungen oder Erwartungen gestellt, welche über den bloßen Vollzug des Kapitel VI: Die christliche Taufe als Ritual. Eine Zusammenfassung 514 <?page no="515"?> 79 Siehe unter VI.2.1.2.1. 80 Siehe unter III.2.5. 81 Siehe unter IV.3.8.3. 82 Siehe unter V.2.1.2 und unter VI.4. 83 Zu weiteren Initiationselementen neben dem Gegenüber des Ritualleiters siehe unter VI.7. 84 Siehe unter I.1.2 Exkurs: Initiationsrituale. 85 Siehe ausführlich unter VI.4. 86 Siehe ausführlich unter VI.6. Taufrituals hinausgehen: Die neutestamentlichen Texte erwähnen weder eine Weihe oder Beauftragung zu dieser Tätigkeit, noch lässt sich die für viele Ini‐ tiationsrituale belegte Vorstellung erkennen, dass während des Rituals eine be‐ sondere Bindung zwischen Ritualleiter und Initiand entsteht. Im Gegenteil, es ist bereits darüber verhandelt worden, dass Paulus in 1Kor 1 gegen eine solche Missinterpretation der Taufe mit den entsprechenden Auswirkungen vorgeht und entsprechend erleichtert festhält, dass er neben der Verkündigungsaufgabe nicht auch noch die Täuferfunktion wahrgenommen hat (1Kor 1,14). 79 Es zeigt sich darin weder eine Abwertung der Taufe noch des Täufers, sondern vielmehr die Betonung der Unterschiedlichkeit von Aufgaben und darin gerade ihre Gleichwertigkeit (vgl. 1Kor 3). 80 Wenn auch die Funktion des Täufers als Ritualleiter unverzichtbar ist, so führt eine entsprechende Überbetonung seiner Person tendenziell zu einer Unter‐ schätzung derjenigen beiden Beziehungen, welche das Ritual stiftet: 1) Die Taufe begründet eine Bindung des Täuflings an Christus als dem durch sein heilbrin‐ gendes Sterben und Auferstehen eigentlich Wirkenden in der Taufe. Entspre‐ chend ist die Formulierung ἡ περιτομή τοῦ Χριστοῦ (Kol 2,11) als Genitivus subjectivus zu verstehen. An dieser Stelle ist die bildgebende Funktion der Be‐ schneidung, welche ebenfalls als Initiationsritual fungiert, am stärksten wahr‐ zunehmen. 81 2) In der Taufe wird die essentielle Einheit und Gemeinschaft der christlichen Gemeinde begründet. 82 Mit Fokus auf den Ritualleiter lässt sich die christliche Taufe innerhalb ihrer rituellen Umwelt zudem eindeutig positionieren: 1) Die Taufe ist ein Initiationsritual. 83 Initiationsrituale brauchen einen Ritu‐ alleiter, 84 insofern man sich nicht selbst in eine Gemeinschaft einführen bzw. aufnehmen kann. Es liegt demnach bereits in der Grundfunktion von Initia‐ tionsritualen eine gewisse horizontale Dimension begründet, welche mindes‐ tens einen Ritualleiter als Gegenüber voraussetzt. Oft wird diese zusätzlich durch die Anwesenheit der Gruppe repräsentiert. 85 In dieser Konstellation gerät der Initiand (automatisch) in eine passive Position. 86 Daher kann ein Initiati‐ onsritual und eben auch die Taufe nie zuerst oder gar allein als privater, indivi‐ 3 Der Ritualleiter: ein Täufer 515 <?page no="516"?> 87 Siehe ausführlich unter IV.2.8.3. 88 Siehe ausführlich unter IV.3.8.3. 89 Siehe ausführlich unter IV.4.3 und IV.4.4 sowie IV.4.8.3. 90 Siehe ausführlich unter IV.1.3.2. dueller Akt vollzogen werden. Selbst die Anwesenheit von Zeugen oder lediglich Assistenten kann einen aktiv handelnden Ritualleiter nicht ersetzen. In ganz besonderer Weise verdeutlicht diesen Aspekt die Person des Mystagogen im Rahmen von Mysterieneinweihungen. 2) Anders als bei der Johannestaufe „teilt“ sich die Multifunktionalität des Johannes bei der christlichen Taufe auf: Ein christlicher Täufer nimmt dabei lediglich die Rolle des Ritualleiters ein, nicht aber die zuvor ebenfalls bei Jo‐ hannes liegenden Funktionen des „Ritualentwicklers“, Verkündigers und „Mitt‐ lers“ der Sündenvergebung. 87 Dies könnte potentiell zu missverständlichen Er‐ wartungen bezüglich eines christlichen Täufers bei denen geführt haben, welche zuvor die Johannestaufe oder sogar Johannes persönlich kannten und erlebt haben. 3) Dem Gegenüber weist die christliche Taufe eher erstaunliche Ähnlich‐ keiten mit der Beschneidung auf, insofern auch dort der Fokus bezüglich des Ritualleiters allein darauf liegt, dass es keinen Selbstvollzug geben kann. 88 Dies kann sogar zu der Diskussion führen, ob beschnittene Nichtisraeliten als Be‐ schneider fungieren können. Dass überhaupt keinerlei besondere Anforde‐ rungen an die Person geknüpft werden, macht deutlich, dass im Notfall sogar Sklaven, Minderjährige und Frauen in Frage kommen, wobei Letztere bekannt‐ lich nicht einmal selbst beschnitten sind. Beschneidung und Taufe setzen damit den gleichen unmissverständlichen Akzent: Es ist nicht die besondere Person des Ritualleiters, welche etwa in ihrer Weisheit, Wirkmacht oder Erwählung das Ritual vollzieht, sondern das Grundereignis des jeweiligen Rituals (Bund bzw. Sterben und Auferstehen Christi), welches dem Initianden durch das exempla‐ rische Gegenüber vermittelt wird. Besonders deutlich wird darin auch der Un‐ terschied zum Proselytentauchbad, zu dessen Anerkennung zwar Zeug(inn)en unverzichtbar sind, welches aber dennoch eigenständig von dem Proselyten zu vollziehen ist. Einen aktiv handelnden Ritualleiter, welcher für den Haupt‐ vollzug des Rituals verantwortlich ist, gibt es beim Proselytentauchbad nicht bzw. übernimmt der Proselyt selbst diese Funktion. 89 In eben diesem Punkt unterscheidet sich die christliche Taufe auch von der absoluten Mehrheit der sonstigen Wasserrituale, welche als Reinigungsrituale (zumeist Waschungen) stets selbstvollzogen werden und lediglich durch Assis‐ tenten oder Zeugen begleitet werden. 90 Diese Wahrnehmung an Hand der alt‐ testamentlichen und jüngeren jüdischen Schriften lässt sich ebenso auf die sog. Kapitel VI: Die christliche Taufe als Ritual. Eine Zusammenfassung 516 <?page no="517"?> 91 Siehe zusammenfassend unter IV.5.5.3. 92 Siehe unter IV.2.4. 93 Siehe unter IV.3.4. „Täufersekten“ erweitern: Bei sämtlichen zu wiederholenden Waschungen han‐ delt es sich um Selbstvollzüge. In den christlichen „Täufersekten“ stellt der Vollzug durch einen Täufer oft sogar den einzigen Unterschied dar, welcher sich bei teilweise ähnlichen Bezeichnungen (v. a. in den Fremdzeugnissen) zwischen Waschungen und (einmaliger) Taufe eindeutig ausmachen lässt. 91 3.2 Weiterführende Aspekte und Fragen Ausgehend von diesem Befund wäre v. a. für die paulinischen Briefe und Ge‐ meinden weiterführend zu untersuchen, ob sich die doch auffällige Unterbeto‐ nung der Person des Täufers auch bei anderen Ämtern bzw. Funktionsträgern erkennen lässt oder ob es sich dabei um ein Spezifikum der Taufe handelt. Mit Blick auf die Notwendigkeit eines Täufers ist ekklesiologisch wie prak‐ tisch-theologisch kaum überzubetonen, dass es selbst bei einer Nottaufe niemals einen Selbstvollzug geben kann und davon ausgehend wäre zu fragen, ob es aus christlicher Perspektive nicht doch Mindestanforderungen (selbst für eine Not‐ situation) an die Person des Täufers geben muss bzw. gibt. Kommt ein Nicht-Ge‐ taufter als Täufer in Frage? Kann es somit christliche Taufe ohne Anwesenheit und Gegenüber von christlicher Gemeinde geben? 4 Die Ritualteilnehmer(innen): Wirklich alle können getauft werden. 4.1 Zusammenfassung 4.1.1 Wer wird getauft? Das Motiv, dass alle aufgefordert sind, sich dem Ritual zu unterziehen, findet sich bereits nachdrücklich bei den der christlichen Taufe vorangehenden Ri‐ tualen: Alle Juden sind aufgefordert, Buße zu tun und sich von Johannes taufen zu lassen. 92 Und vergleichbar dazu wird immer wieder betont, dass sich alle männlichen Juden sowie diejenigen Männer, die Juden werden wollen, der Be‐ schneidung zu unterziehen haben. 93 Die der Religionsgemeinschaft (siehe Jo‐ hannestaufe und Beschneidung) bzw. dem Ritualvollzug (siehe Beschneidung allein von Männern) geschuldete Einschränkung von „alle“, ist in der christli‐ chen Taufe erstmals aufgehoben. Es sind nun wirklich alle aufgefordert, sich 4 Die Ritualteilnehmer(innen): Wirklich alle können getauft werden. 517 <?page no="518"?> 94 Zur Bedeutung des gleichen Vollzuges der Taufe an Menschen aller Altersstufen und beiderlei Geschlechts siehe unter VI.6. 95 Siehe unter IV.3.8.4. 96 Siehe unter IV.4.7. 97 Siehe unter IV.2.4. 98 Die Voraussetzungslosigkeit der Beschneidung zeigt sich einerseits in der zeitlichen Festsetzung des Vollzuges bereits am 8. Lebenstag und andererseits in der Aufforderung, dass alle (Männer) zu beschneiden sind. Wie sich diese Frage konkret für die christliche Taufe darstellt siehe unter VI.7. 99 Siehe unter VI.7. 100 Siehe unter IV.3.8.7. 101 Siehe wie auch zur Frage nach der Kindertaufe unter VI.7. taufen zu lassen: Die Paare Juden und Griechen, Sklaven und Freien, Männern wie Frauen (Gal 3,28a-c; vgl. 1Kor 12,13b) beschreiben einerseits in umfassender Weise die (damalige) Gesellschaft und illustrieren andererseits deren Vielfalt und Gegensätzlichkeit, welcher nun das eine Ritual für alle gegenübersteht, das zudem an allen in gleicher Weise vollzogen wird: 94 Für jüdische Frauen hat es bis dahin keinerlei Initiationsritual gegeben, da die Beschneidung das einzige eigentliche Initiationsritual in die jüdische Religions‐ gemeinschaft darstellt. 95 Selbst das Proselytentauchbad von Konvertitinnen ist in der Konsequenz lediglich als Abschluss des Konversionsprozesses, nicht aber als eigentliches Konversionsritual zu verstehen. 96 Bei der Johannestaufe wie‐ derum handelt es sich nicht um ein Initiationsritual, es kann aber begründet darüber spekuliert werden, 97 was für die christliche Taufe eindeutig ausgesagt wird: Frauen können und sollen sich taufen lassen. Dass die Taufe an Juden wie Griechen zu vollziehen ist, macht sie zur rituellen Verankerung und Verbildlichung der Öffnung für die Heidenmission (siehe Gal 2; Apg 15; aber auch Apg 10,47). Gerade indem die christliche Taufe vo‐ raussetzungslos zu verstehen ist, 98 stellt sie für jüdische wie heidnische Täuf‐ linge dabei dasselbe Ritual dar und gewinnt für beide die gleiche Bedeutung. 99 Diese Überzeugung liegt jedenfalls der Verhältnisbestimmung von christlicher Taufe und Beschneidung zu Grunde, wie sie Paulus in Gal entfaltet. 100 Auch wenn die Frage nach der Kindertaufe sachlich an dieser Stelle einzu‐ ordnen wäre, muss zunächst abschließend über die Voraussetzungen der Teil‐ nahme oder ggf. der Voraussetzungslosigkeit der Taufe gehandelt werden. Dies jedoch kann erst vor dem Hintergrund einer vollen Erfassung der Ritualbedeu‐ tung geschehen. 101 Kapitel VI: Die christliche Taufe als Ritual. Eine Zusammenfassung 518 <?page no="519"?> 102 Siehe unter VI.1.1. 103 Vgl. die Funktion von Reinigungsritualen unter IV.1. 104 Vgl. die Funktion von zu wiederholenden Waschungen in den sog. Täufersekten unter IV.5.5.3. 105 Siehe unter V.2.2. 106 Siehe unter V.1.2.1.2 Exkurs Liminalität. 107 Siehe unter V.1 sowie VI.7. 108 Siehe unter V.2.2.2 sowie die dortigen Verweise. 109 Siehe die reichlichen Gegenbeispiele allein in der paulinischen Literatur, sowie die Ver‐ wendung der aus Gal 3,28a-c bekannten Formel in 1Kor 12,13, welche gerade auf die Unterschiedlichkeit der Glieder am Leib abhebt. 110 Siehe unter III.3.5. 4.1.2 In welchem Verhältnis stehen die Getauften untereinander und zur Gemeinde? Die plurale Form der Taufformeln ist nicht etwa der Briefperspektive mit einer Vielzahl an Adressaten geschuldet, sondern ursprünglich. Dafür sprechen neben der Formelhaftigkeit 102 v. a. die horizontalen Wirkungen der Taufe, welche spe‐ ziell bei Paulus ausgehend von der Taufformel erläutert werden (siehe Gal 3,28a-c.d; 1Kor 1,12-17; 12,13). Dabei dient die Taufe weder der Ermögli‐ chung bzw. Vorbereitung von Interaktionen mit anderen 103 noch der Festigung einer Gruppenstruktur durch gemeinsame kultische Praxis, 104 vielmehr be‐ gründet sie eine besondere Art von Gemeinschaft und Einheit. 105 Die beschriebenen Aspekte zum Verhältnis der Getauften untereinander er‐ innern an typische liminale Erfahrungen von Initianden auch anderer Initia‐ tionsrituale. 106 Diese dort für die Zeit des Rituals beschriebenen Phänomene werden jedoch als Wirkung der Taufe zu grundlegenden und damit dauerhaften Aspekten des Miteinanders in der christlichen Gemeinde. Wie der einzelne Täuf‐ ling eine grundlegende Transformation und einen Neubeginn in der Taufe er‐ fährt, 107 so wird auch die Gemeinde als Ganze mit jeder Taufe neu begründet. Diese ganz einzigartige Einheit und Gemeinschaft 108 besteht jedoch nicht etwa in dem Ende aller Unterschiede zwischen den Getauften, 109 sondern lebt gerade aus deren Verschiedenheit. In besonderer Weise wird dies in der Vorstellung von der Gemeinde als Leib illustriert: Der Leib besteht aus unterschiedlichen, aufei‐ nander angewiesenen Gliedern und ist ein lebender Organismus, sodass Miss‐ stände bzw. Missverhalten Einzelner die Existenz des Leibes im Ganzen schä‐ digen oder gar bedrohen. Den Heiligen Geist als das für den Organismus Lebensnotwendige erhält die Gemeinde (immer wieder) in und mit der Taufe. 110 Angesichts dieser Sinnhaftigkeit der bleibenden Unterschiede zwischen den Getauften (siehe 1Kor 12) stellt sich die Frage nach dem rechten Verständnis der 4 Die Ritualteilnehmer(innen): Wirklich alle können getauft werden. 519 <?page no="520"?> 111 Die Vielzahl und Widersprüchlichkeit der in der Literatur zu findenden Interpreta tionen liegt v. a. darin begründet, dass Gal 3,28a-c; 1Kor 12,13 sowie Kol 3,11 dieselbe vorpaulinische Tradition in unterschiedlichen Versionen bieten, siehe unter III.1.4. 112 Die jeweilige Differenzierung zwischen den drei Paarungen siehe unter III.1.4.4. dreifachen Verneinung οὐκ ἔνι … οὐδὲ / καὶ … (Gal 3,28a-c). 111 Negiert wird in und durch die Taufe für alle drei Paarungen die bisherige Ungleichheit coram deo: Auch und gerade indem sie Juden und Nichtjuden, Sklaven und Freie, Männer und Frauen bleiben, sind sie gleich(wertig), was nicht zuletzt im glei‐ chen Zugang zu und in der gleichen Wirkung der Taufe anschaulich wird. Jeder Täufling geht dabei in der Taufe eine doppelte Bindung ein: diejenige zu Christus und diejenige zu den anderen Getauften. Und insofern werden auch alle bishe‐ rigen Verhältnisbestimmungen coram hominibus - Gruppentrennung ( Juden und Griechen; Sklaven und Freie) wie auch Bindungen (männlich und weib‐ lich) - negiert, indem sie durch die in der Taufe neu gestiftete Einheit unterei‐ nander überboten werden. 112 4.2 Weiterführende Aspekte und Fragen Ausgehend von den hier dargestellten Thesen ergeben sich eine Reihe an wei‐ terführenden Fragen und Achtungszeichen, welche in diesem Rahmen lediglich angerissen werden können: Neutestamentlich wäre weiter zu fragen, ob das Bild des Leibes sich in andere paulinische und nichtpaulinische ekklesiologische Bilder einreiht oder ob es gerade in der Betonung der Unterschiedlichkeit der Glieder auch aus diesen herausragt. Dogmatisch wie pastoral stellt sich die Frage, ob heutige ekklesiologische Entwürfe die Bedeutung der Taufe ähnlich grundlegend einstufen und ob es überhaupt noch Gemeindebilder gibt, welche ihren Ausgangspunkt bei der Taufe nehmen. In Wechselwirkung dazu steht die Frage, ob die Gemeinschaftsdimension der Taufe im Vollzug wie in der Wirkung so grundlegend gedacht und umgesetzt wird, wie man es bei Paulus findet. Eine Taufe außerhalb des (sonntäglichen) Gemeindegottesdienstes wäre für Paulus vermutlich undenkbar. Eine entsprechende Wiederbetonung dieser ekklesiolo‐ gischen Dimension der Taufe dürfte auch hilfreich dazu sein, immer wieder zu unterstreichen und ähnlich leidenschaftlich wie Paulus zu betonen, dass jedes Gruppen- oder gar Konkurrenzdenken innerhalb der Gemeinde diese in ihrer Existenz als Ganze schädigt und gefährdet, ja „Christus zerreißt“. Kapitel VI: Die christliche Taufe als Ritual. Eine Zusammenfassung 520 <?page no="521"?> 113 Siehe ausführlich unter IV.2.5. Mit der zu Grunde liegenden Erzählung des Einzugs der Wüstengeneration in das gelobte Land ist zudem die Beschneidung verbunden (siehe unter IV.3.5.1). Später greifen die Mandäer diese Symbolik auf, indem sie das Wasser, in welchem die Masbūtā vollzogen wird, als „Jordan“ bezeichnen (siehe unter IV.5.3.3). 114 Siehe ausführlich unter IV.1. 115 Zur Wassersymbolik in Ritualvollzug und -deutung der christlichen Taufe siehe unter VI.6 sowie VI.7. 5 Der Ritualort und die Ritualzeit 5.1 Der Ritualort: Die Taufe ist ortsunabhängig. Anders als bei vielen Ritualen lassen sich neutestamentlich keinerlei Anforde‐ rungen an den konkreten Taufort oder dessen Ausstattung erkennen, abgesehen davon dass Wasser vorhanden sein muss (vgl. Apg 8,36). Der Vollzug der christ‐ lichen Taufe ist damit von Anfang an ortsunabhängig bzw. löst sich von der doppelten Verortung und Symbolik der Johannestaufe: die einmalige Errettung aus der Wüste durch das Wasser des Jordans hindurch. 113 Auch wenn sich kaum mehr rekonstruieren lässt, wie sich die Entwicklung von der so essenziell ver‐ orteten Johannestaufe zu der komplett ortsunabhängigen christlichen Taufe im Einzelnen vollzogen hat, so ist doch deutlich wahrzunehmen, dass die Bedeu‐ tung der Johannestaufe wesentlich Bezug nimmt auf den Ort ihres Vollzuges, während das Grundbezugsereignis der christlichen Taufe das Sterben und Auf‐ erstehen Christi darstellt, ohne dass dieses im Ritualvollzug an einen entspre‐ chend symbolischen Ort gebunden würde. Ohne diese klare Ortssymbolik wird die christliche Taufe tendenziell offener für andere Assoziationen, die mit dem Element des Wassers verbunden werden können, wie z. B. eine Waschung. 114 Dass dies zu missverständlichen Deutungen führen kann, macht 1Petr 3,21 deutlich, wo für die Taufe mit Hilfe einer Analogie zur Rettung Noahs und der Seinen aus der Sintflut Reinigungsvorstellungen abgewehrt werden. 115 Die Loslösung von einem konkreten Ort jedoch lässt die christliche Taufe „mobil“ werden und damit in besonderer Weise geeignet für die Mission: Wie Gott den Menschen in Jesus Christus „entgegen gekommen ist“, bis hin zu dessen Leiden und Tod, so setzen die Missionare die Bewegungs‐ richtung hin zu den Menschen fort. Und auf dieser (Deutungs-)Ebene findet sich dann auch die einzige Ortsbestimmung der christlichen Taufe, welche für sie von Bedeutung ist: Als Taufe εἰς Χριστόν führt sie ἐν Χριστῷ. Die christliche Taufe bedarf keines symbolischen oder festgelegten Ortes, da sie den Täufling 5 Der Ritualort und die Ritualzeit 521 <?page no="522"?> 116 Siehe ausführlich unter III.1.3, siehe außerdem zum Verhältnis von lokalem und in‐ strumentalem Verständnis der εἰς-Taufformel unter VI.1. 117 Siehe etwa die Beschneidung am 8. Tag und die umfangreichen Sonderbestimmungen unter IV.3.5.2. Vgl. auch verschiedene Bestimmungen zur Terminierung wie dem zeit‐ lichen Ablauf beim Proselytentauchbad (siehe unter IV.5.2) und den sog. Täufersekten (siehe unter IV.5). 118 In der Alten Kirche entstehen zahlreiche Traditionen zu besonderen Taufsonntagen und -uhrzeiten sowie des zeitlichen Ablaufes des Ritualvollzugs mit den sich nach und nach anlagernden Vorbereitungs- und Ausdeutungsteilen. 119 Siehe unter III.1.1. 120 Siehe unter III.1.2. 121 Siehe unter III.4.6. 122 Siehe unter V.4. 123 Siehe unter V.1. 124 Siehe unter III.1.2. (im übertragenen Sinne) an einen solchen dauerhaft führt: ὅσοι γὰρ εἰς Χριστὸν ἐβαπτίσθητε, Χριστὸν ἐνεδύσασθε (Gal 3,27). 116 5.2 Die Ritualzeit: Die Taufe ist der Moment des Wechsels. Die neutestamentlichen Texte bieten im Unterschied zu vielen anderen Ri‐ tual(text)en 117 keinerlei zeitliche Angaben oder Einschränkungen für den Vollzug der Taufe. Diese entwickeln sich erst in den folgenden Jahrhun‐ derten. 118 Dennoch spielt die zeitliche Dimension im Bezug auf die Taufe eine erhebliche Rolle, insofern sie das individuelle Leben des Christusgläubigen in ein „Davor“ und ein „Danach“ scheidet: 119 Die Zeit des Gesetzes (Gal 3) 120 und der Macht der Sünde (Röm 6) 121 wird durch die Taufe von der Zeit der Freiheit (Gal 3 f) 122 vom Gesetz im Machtbereich Gottes (Röm 6) abgelöst. Dieser Wechsel vollzieht sich in umfassender und unumgänglicher Weise und betrifft sowohl das Gottesver‐ hältnis des Täuflings als auch sämtliche sonstigen Lebensverhältnisse. Beson‐ ders deutlich kommt dies im Tod-Leben-Motiv 123 zum Ausdruck, welches in all seinen Varianten stets das endgültige Ende des Vorherigen und den grundsätz‐ lichen Neubeginn hervorhebt. Dass es sich dabei um ein klassisches Deutungs‐ motiv von Initiationsritualen handelt, ist als weiteres Indiz dafür anzusehen, dass Paulus den Moment im Taufvollzug verortet sieht. Ohne dass Paulus das Verhältnis zum Glauben oder auch zum Heiligen Geist inhaltlich oder auch nur zeitlich bewusst thematisieren würde, lässt sich dennoch aus den paulinischen Tauftexten erheben, dass Taufe, Glaube und Geist mindestens zeitlich zusam‐ menfallen als der Moment, in dem sich das Leben des Christusgläubigen un‐ umkehrbar wandelt. 124 Kapitel VI: Die christliche Taufe als Ritual. Eine Zusammenfassung 522 <?page no="523"?> 125 Zur Funktion des Täufers siehe unter VI.3.1. 126 Ausgenommen ist davon die Johannestaufe, welche mit Hilfe des Täufers auf eine ähn‐ liche Symbolik des Ritualvollzuges abhebt wie die christliche Taufe, siehe unter IV.2.6. 127 Allgemein zu Wasserritualen siehe unter IV.1; zum Proselytentauchbad unter IV.4.6 und IV.4.7 sowie zu den zu wiederholenden Waschungen der sog. Täufersekten unter IV.5. 128 Vgl. etwa den detaillierten Anforderungskatalog in Miqaoth unter IV.1.1.2.2 Exkurs תואוקמ - Miquaoth. Erstmals begegnet eine entsprechende Forderung für das christ‐ liche Taufwasser in Did 7, siehe unten. Ein weiterer zeitlicher Aspekt prägt die Taufe als Ritual: Grundlegend ver‐ schieden von der Johannestaufe bezieht sie sich auf ein Ursprungsereignis in der Vergangenheit, das Sterben und Auferstehen Christi. Dieses stellt dabei nicht allein die Wirkursache der christlichen Taufe dar, sondern wird auch im Ritual insofern vergegenwärtigt, als der Täufling Tod, Begrabenwerden und Auferste‐ hung in übertragener Weise mitvollzieht, wobei auch hier der kategoriale Un‐ terschied zwischen „Davor“ und „Danach“ im Fokus steht. 6 Der Ritualablauf: Wirklich alle werden in gleicher Weise einmalig getaucht. 6.1 Zusammenfassung Zwar wird in keinem neutestamentlichen Text die christliche Taufe in ihrem Ablauf detailliert geschildert, dennoch lassen sich viele den Ritualablauf betref‐ fende Aspekte aus den Texten erheben: Die christliche Taufe bedarf eines Täufers, 125 kann demnach vom Täufling nicht selbstständig vollzogen werden. Darin unterscheidet sich die Taufe von der Mehrheit der damaligen (wie heutigen) Wasserrituale, 126 welche über die Be‐ handlung des eigenen Körpers mit Wasser symbolisch auf den Reinigungsaspekt des Wassers Bezug nehmen. 127 Auch dass neutestamentlich keinerlei Anforde‐ rungen an die Qualität oder die Herkunft des Wassers (z. B. fließendes Wasser) 128 belegt sind, spricht gegen eine Reinigungssymbolik der christlichen Taufe. Die einzige neutestamentliche Beschreibung eines Ortes (Apg 8,36-39) spricht un‐ spezifisch von ὕδωρ, was den Fokus auf das Element Wasser im Allgemeinen legt, nicht aber auf eine Qualifizierung des Wassers, welche nur dann von be‐ sonderen Interesse ist, wenn auf die Reinigungsfunktion des Elementes abge‐ hoben wird. 6 Der Ritualablauf: Wirklich alle werden in gleicher Weise einmalig getaucht. 523 <?page no="524"?> 129 Siehe unter IV.1.1.1.1. Zur Deutung dieses Aspektes in der Taufe siehe unter VI.7. 130 Siehe ausführlich unter VI.7. 131 Siehe unter VI.4.1.2. 132 Siehe unter VI.5.2. 133 Siehe unter VI.7. 134 Siehe zum einmaligen Vollzug und den damit verbundenen Bedeutungsaspekten der Johannestaufe unter IV.2.6 sowie der Beschneidung unter IV.3.6. 135 Siehe zur Problematik der Erneuerung bzw. Wiederholung der Beschneidung unter IV.3.6 sowie IV.3.8.6. 136 Siehe unter I.1.2 Exkurs Initiationsrituale. 137 Vgl. zur Beschneidung IV.3.1 und IV.3.6. Die christliche Taufe hingegen zielt auf den lebensgefährdenden Aspekt von Wasser, dem Ausgeliefertsein des Menschen gegenüber dem Element. 129 Indem er eingetaucht wird, gerät der Täufling in eine vollkommen passive Position nicht allein gegenüber dem Täufer, sondern auch dem Wasser gegenüber. Selbst in dem sicheren Wissen, dass er nur kurzzeitig unter der Oberfläche aushalten muss und der Täufer ihn danach wieder aufrichten wird, kann ein rückseitiges Eingetauchtwerden erstaunlich Angst auslösend wirken. Um mit dem Ritual‐ ablauf auf diesen Wasseraspekt abzuzielen, bedarf es keinerlei Wasser beson‐ derer Qualität, sondern lediglich von ausreichender Menge. Unterschiedliche Aspekte des Ritualablaufes sind als typische Elemente von Initiationsritualen 130 zu erkennen: 1) das Moment der Lebensgefährdung; 2) die Notwendigkeit eines Ritualleiters. 3) Die Taufe wird an einem Einzelnen voll‐ zogen und nicht an einer Gruppe als Ganzer, auch wenn die christliche Gemeinde als Bezugsgruppe von entscheidender Bedeutung ist. 131 Dies korrespondiert mit den entsprechenden Bedeutungsaspekten der Sündenvergebung und der grund‐ sätzlichen Änderung des Lebenswandels (Moment des Wechsels 132 sowie der kompletten Transformation 133 ). 4) Ein Mensch kann nur einmal christlich getauft werden. 134 Anders als etwa die Beschneidung 135 kann ein Taufritual zwar theo‐ retisch mehrmals vollzogen werden, wie dies z. B. bei Konvertiten geschieht, welche in einem anderen bekenntnishaften Kontext sich zuvor bereits einem Taufritual unterzogen haben (siehe Apg 19,1-7). Tatsächlich handelt es sich dabei jedoch nicht um die „Wiederholung“ der christlichen Taufe, sondern um ein anderes Ritual. Die Hauptursache für die „theoretische Wiederholungsfä‐ higkeit“ der Taufe liegt darin, dass sie im Gegensatz zu der Mehrheit der Initi‐ ationsrituale weder ein vorübergehendes 136 noch ein bleibendes 137 Zeichen setzt. Letztlich lässt sich aus den neutestamentlichen Texten nur eine einzige Hand‐ lung für den Taufvollzug rekonstruieren: In der Taufe wird der Täufling von einem Täufer untergetaucht. Dieser schlichte Ritualablauf findet sich jedoch in Kapitel VI: Die christliche Taufe als Ritual. Eine Zusammenfassung 524 <?page no="525"?> 138 Siehe unter VI.1.1. 139 Siehe unter VI.7. Dabei ist nie aus dem Blick zu verlieren, dass die Deutung der Johan‐ nestaufe lediglich aus den (späteren) christlichen Evangelientexten sowie Josephus er‐ hoben werden kann, denen man noch keine disqualifizierende Intensionen unterstellen muss, um zu vermuten, dass diese Quellen die Deutung des Johannes nicht vollständig wiedergeben. 140 Auch benachbarte nichtjüdische Völker kennen und üben die Beschneidung in der Zeit, als die alttestamentlichen Beschneidungstexte entstehen (siehe unter IV.3.6). Ver‐ gleichbar ist in der Entstehungszeit der christlichen Taufe und der ersten neutesta‐ mentlichen Tauftexte die Johannestaufe als Ritual beinahe identischen Ablaufs bekannt. 141 Siehe unter IV.3.8.6. 142 Siehe unter I.1.3. 143 Siehe unter VI.7. jedem einzelnen der neutestamentlichen Tauftexte wieder, bis hinein in die εἰς-Taufformel. Für beide Taufformeln, auch wenn dies an keiner Stelle explizit erwähnt ist - am ehesten ist Apg 19,5 dahingehend zu deuten -, spricht die Art ihrer Verwendung v. a. in den Argumentationen des Paulus, aber auch ihre sprachliche Beschaffenheit dafür, dass sie im Vollzug des Taufrituals gesprochen werden. 138 Rein äußerlich dürfte dies der Hauptdifferenzpunkt zum Ritualablauf der Johannestaufe sein, abgesehen davon, dass es sich bei dem Täufer nicht um die besondere Person des Johannes handelt. Dies schließt nicht aus, dass Aspekte des (gleichen) Ritualablaufes in unterschiedlicher Weise betont und in der Ri‐ tualdeutung nuanciert werden. 139 Es entsteht auf der Grundlage der Texte und Untersuchungen insgesamt ein relativ schlichtes, einfaches Bild des Taufablaufes. Dies könnte seine Ursache darin haben, dass es v. a. Paulus nicht für notwendig oder hilfreich hält, auf die unterschiedlichen Varianten und ggf. Teilrituale einzugehen. Wie auch bei der Beschneidung ist in der Entstehungszeit der christlichen Taufe ein anderes Ri‐ tual mit gleichem Ritualablauf bereits bekannt. 140 Entsprechend liegt der Fokus nicht auf einer Darstellung oder gar Begründung des Ritualablaufes, sondern vielmehr auf einer Klarstellung des Ritualursprunges und der Ritualbedeu‐ tung(-en). 141 Außerdem scheint sehr wahrscheinlich, dass der Taufablauf zu dieser Zeit noch nicht wesentlich mehr umfasste als das bloße Untergetauchtwerden und Sprechen einer der Taufformeln. Die zunehmende Ausdifferenzierung und Er‐ weiterung eines ursprünglich relativ einfachen Ritualvollzuges ist typisch für die Entwicklungsgeschichte eines neuen Rituals. 142 In ähnlicher Weise entwi‐ ckelt sich nach und nach eine Vielzahl an Ritualdeutungen bzw. werden diese weiter elaboriert - teilweise korrespondierend mit der Ausdifferenzierung des Ritualablaufes, teilweise unabhängig davon. 143 Als Beispiel dafür kann die An‐ 6 Der Ritualablauf: Wirklich alle werden in gleicher Weise einmalig getaucht. 525 <?page no="526"?> 144 Vgl. die Beschneidung nur für Männer, was dazu führt, dass jüdische Frauen keinerlei Initiationsritual vollziehen (können), siehe unter IV.3.4. 145 Siehe Sonderregelungen für das Proselytentauchbad bei Frauen (unter IV.4.6.2.4), aber z. B. auch alters- oder krankheitsspezifische Regularien zu den Waschungen bei ver‐ schiedenen sog. Täufersekten (unter IV.5.). 146 Siehe unter VI.4.1 sowie unter VI.7. 147 Siehe ausführlich unter IV.2.8.6 sowie unter VI.2.1.1.1. weisung zur Verwendung von fließendem Wasser in Did 7 gelten, welche mit einer symbolischen Vorstellung des (Ab-)Waschens einhergeht. Das tatsächlich revolutionäre Element, welches darin auch durchaus symbo‐ lischen Charakter gewinnt, ist der christlichen Taufe von Anfang an zu eigen: Sie wird an wirklich allen in gleicher Weise vollzogen. Es sind nicht nur alle Men‐ schen zur Taufe zugelassen, sondern sie werden im Ritual auch auf die gleiche Weise „behandelt“. Nicht zuletzt auf Grund des relativ einfachen Ritualablaufes brauchen weder manche vom Ritual ausgeschlossen bzw. enthoben werden, 144 noch muss ihnen eine z. B. geschlechts- oder altersspezifische Sonderbehand‐ lung zukommen. 145 Der gleiche Vollzug der Taufe an den so unterschiedlichen Täuflingen, welche auch durch die Taufe nicht etwa ihre Diversität verlieren, verbildlicht eindrücklich die Voraussetzungslosigkeit der Taufe, die Gleichwer‐ tigkeit der Täuflinge coram deo und davon ausgehend, dass die Taufe für all diese so unterschiedlichen Personen die gleiche Bedeutung und Wirkung ent‐ faltet. 146 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die christliche Taufe wesentliche Elemente des Ritualablaufes von der Johannestaufe übernimmt. 147 Dennoch ge‐ winnen Aspekte wie die Einmaligkeit des Vollzuges und die Passivität des Täuf‐ lings in Wechselwirkung mit dem anderen Bezugsereignis der christlichen Taufe, dem Sterben und Auferstehen Jesu Christi, und den sich daraus ablei‐ tenden Ritualdeutung(en) noch einmal eine andere Bedeutung. 6.2 Weiterführende Aspekte und Fragen Für die nachneutestamentlichen Texte sind die Notizen über die weitere Aus‐ differenzierung des Ritualablaufes in ihrer Entwicklung aufzuzeigen und auf ihre mögliche Wechselwirkung zur Entfaltung der Ritualbedeutung(en) hin zu untersuchen. Daneben dürften auch aus archäologischen, baulichen wie gra‐ phischen Quellen weitere Hinweise auf die Entfaltung des Ritualablaufes zu gewinnen sein. Mit Blick auf die heutige kirchliche Praxis wäre zu fragen, inwieweit die enorme rituelle Weiterentwicklung des Taufablaufes von einem ursprünglichen Kapitel VI: Die christliche Taufe als Ritual. Eine Zusammenfassung 526 <?page no="527"?> 148 Siehe unter VI.2.1.1.1. 149 Siehe im Folgenden sowie ausführlich unter IV.3.8.7. 150 Siehe unter IV.2.7. Untergetauchtwerden in Wasser zu einem (heute weitestgehend verbreiteten) dreifachen Beträufeltwerden mit Wasser in Spannung zu den neutestamentli‐ chen Deutungsmotiven steht. Welche teilweise traditionsgeschichtlich ge‐ prägten Deutungen und Begründungen gehören zu diesem heutigen Ritual‐ vollzug? Was ist zu beachten, wenn man biblische Texte im Kontext einer Taufhandlung liest, welche eindeutig auf einen anderen Ritualvollzug verweisen und diesen deuten? Wie ist v. a. der Wechsel vom lebensbedrohenden Aspekt des Wassers hin zum Reinigungsaspekt theologisch zu reflektieren und in der Praxis zu vermitteln? 7 Die Ritualfunktion und -deutung: Die christliche Taufe ist ein Initiationsritual der besonderen Art. Beinahe alle neutestamentlichen Tauftexte kreisen um Bedeutung und Funktion der Taufe, was seine Ursache nicht zuletzt in ihrer rituellen Umwelt hat, welche Verhältnisbestimmungen und Abgrenzungen zu v. a. zwei anderen Ritualen nötig macht: 1) die Johannestaufe - das im Ritualablauf beinahe identische Ri‐ tual, demgegenüber es auf eine Klärung des Ursprungs und Klarstellung der Bedeutung ankommt 148 und 2) die Beschneidung - das Ritual, mit dem es im Bereich der Bedeutung zu konkurrierenden Überschneidungen kommt, welche vornehmlich mittels Übernahme und Veränderung von dezidierter Beschnei‐ dungsmotivik verhandelt wird. 149 Zunächst ist eines der Hauptergebnisse der Untersuchung festzuhalten: Nach neutestamentlichem Verständnis (paulinisch wie nichtpaulinisch) ist die christ‐ liche Taufe weder eine Waschung im Allgemeinen noch eine kultische Wa‐ schung im Besonderen. Bereits die neutestamentlichen Texte zur Johannestaufe lassen keinerlei Reinigungsmotivik erkennen - weder in der Symbolik des Ri‐ tualablaufs noch in der sonstigen Deutung des Rituals. 150 Dass die christliche Taufe mit dem Ritualablauf auch diesen grundlegenden Deutungsaspekt über‐ nimmt, zeigt sich nicht allein in entsprechenden Deutungsmotiven (Tod-Leben-Motiv), sondern auch in der bewussten Abwehr von Reinigungs‐ vorstellungen (1Petr 3,20 f). Im einzigen Text, der Reinigungsmotivik transpor‐ 7 Die Ritualfunktion und -deutung 527 <?page no="528"?> 151 Vgl. Selbstvollzug und Wiederholbarkeit bzw. -notwendigkeit als typische Aspekte von Waschungen (siehe unter IV.1.1.2). 152 Worin die Taufe in ihrer Bedeutung und Funktion als Initiationsritual erkennbar wird, ist wesentlich mit ihrem Ritualablauf verbunden, welcher ebenfalls Grundaspekte von Initiationsritualen trägt. Siehe bereits unter IV.6.1. 153 Siehe allgemein unter I.1.2. Exkurs Initiationsrituale. 154 Siehe unter VI.6.1. 155 Siehe unter V.2.2. 156 Siehe bereits unter VI.4.1. tiert (1Kor 6,9-11), verzichtet Paulus (bewusst) auf die Taufterminologie, welche die Einmaligkeit und die Passivität des Vollzuges zum Ausdruck bringt. 151 Vielmehr stellt die christliche Taufe ein Initiationsritual dar und speziell die paulinischen Texte scheinen den Initiationsaspekt in besonderer Weise unter‐ streichen und teilweise verteidigen zu wollen. Die folgende Aufzählung von Einzelaspekten will einerseits deutlich machen, worin die Taufe als typisches Initiationsritual erkennbar wird 152 und andererseits diejenigen Momente unter‐ streichen, in denen sie sich auch von anderen Initiationsritualen unterscheidet bzw. über diese hinausgeht. 153 1) Das aktive Moment im Ritualvollzug geht vom Täufer als Ritualleiter aus. Dennoch steht er weder vor noch nach der Taufe in einem besonderen (bleib‐ enden) Verhältnis zum Täufling, wie sich auch keinerlei besondere Anforde‐ rungen oder Voraussetzungen an die Person des Täufers aus den Texten he‐ rauslesen lassen. Denn das allein Wirksame und Relevante in Vollzug und Wirkung der christlichen Taufe ist ihr Bezugsereignis, das Sterben, Begraben‐ werden und Auferstehen Jesu Christi. Dies kommt in den Taufformeln sehr deutlich zum Ausdruck. Jegliche Hervorhebung eines Ritualleiters oder sons‐ tiger Beteiligter, wie es für andere Initiationsrituale durchaus üblich ist, gerät dazu in Konkurrenz. 2) Die Taufe kann als christliche Taufe nur einmal vollzogen werden, auch wenn, auf Grund des Fehlens eines bleibenden Zeichens, der Grundablauf des Ritualvollzuges, das Eingetauchtwerden, in anderen Bedeutungszusammen‐ hängen mehrmals wiederholt werden kann. 154 Im Ein- und Wiederauftauchen ist die Taufe ein abgeschlossener Vorgang. Ihr ist dennoch besonders, dass ihr typische liminale Motive, wie sie sich auch im Ritualverlauf anderer Initiati‐ onsrituale finden lassen, als anhaltende Wirkungen für die Gemeinschaft der christlich Getauften zugesprochen werden. 155 3) Die christliche Taufe wird am Einzelnen vollzogen, auch wenn die Gruppe der bereits Getauften eine grundlegendere Funktion wahrnimmt, als die Be‐ zugsgruppe bei anderen Initiationsritualen. Es entsteht einerseits eine einzig‐ artige Einheit unter den Getauften 156 und andererseits eine grundlegende Bin‐ Kapitel VI: Die christliche Taufe als Ritual. Eine Zusammenfassung 528 <?page no="529"?> 157 Zu den Namensformeln siehe unter VI.1.1, aber auch konkret zum Namensmotiv unter V.5. 158 Siehe unter IV.3.8.4. 159 Siehe unter III.4. 160 Siehe ausführlich unter III.1.4.4. 161 Siehe im Gegenüber zur Johannestaufe unter IV.2.8.7. 162 Siehe unter II.1.2. 163 Siehe umfassend unter V.1. 164 Siehe unter V.1.2.1-6. Siehe aber auch Aspekte des Motivs in der Leibmetaphorik (V.2.3) sowie im Motiv der Befreiung (V.4). 165 Siehe ausführlich unter III.4 sowie IV.1.2.2-3. dung an Christus, welche u. a. im Mitvollzug seines Sterbens und Auferstehens, aber auch direkt in den beiden Taufformeln 157 zum Ausdruck kommt. Im Ge‐ gensatz zu vielen anderen Initiationsritualen benennen die neutestamentlichen Texte keinerlei Bedingungen, Voraussetzungen oder auch nur „Vorbereitungs‐ maßnahmen“ für die Teilnahme an der Taufe. 158 4) In der Taufe erlebt der Täufling einen grundsätzlichen und endgültigen Bruch in allen Aspekten seines bisherigen Lebens und einen ebenso umfassenden Neubeginn. Dieses meint nicht etwa das Einebnen charakterlicher Eigenheiten mit dem Ziel der „Gleichheit“ im Sinne der maximalen Ähnlichkeit der Ge‐ tauften, wie es Teil liminaler Phänomene während des Ritualverlaufes bei an‐ deren Initiationsritualen sein kann. Vielmehr ist der Mensch in all seinen Bezie‐ hungen und Abhängigkeiten im Blick: Dem Sterben und Auferstehen Christi, mit dem er in der Taufe verbunden wird, verdankt er einen endgültigen Bruch mit der Macht der Sünde. 159 Doch auch auf zwischenmenschlicher Ebene negiert die Taufe bisherige Beziehungen wie Trennungen und gestaltet eine neue Einheit. 160 Dass von der Neugestaltung der Beziehungen nicht nur einzelne Lebensbereiche des Täuflings betroffen sind, sondern der Initiand eine grundlegende Transfor‐ mation 161 erfährt, welche ihn in seiner ganzen Person betrifft, kommt einerseits im holistischen Moment von βαπτίζω 162 und andererseits in der Tod-Leben-Motivik 163 zum Ausdruck. Letztere vereint in sich die drei typischen Phasen von Passage- und damit auch Initiationsritualen: Trennung, Transfor‐ mation und Integration. Das Motiv kann als das Hauptdeutungsmotiv von Ini‐ tiationsritualen überhaupt bezeichnet werden. Eine Reihe an neutestamentli‐ chen Taufbildern lässt sich als (Teil-)Varianten dieses Grundmotives verstehen. 164 Einen Sonderfall stellt Röm 6,3 f dar, 165 insofern er zwar die auch bei anderen Initiationsritualen bekannte Motivvariante des Mitvollzuges des (tödlichen) Schicksals einer Gottheit wiederzugeben scheint, es sich beim Tod Jesu Christi allerdings um ein historisches Ereignis handelt im Gegensatz zu verschiedenen 7 Die Ritualfunktion und -deutung 529 <?page no="530"?> 166 Siehe unter V.1.3. 167 Siehe unter III.4.3.3.2. 168 Siehe unter VI.2.1.1.2. 169 Siehe die bisherigen Vorüberlegungen unter IV.3.8.4 sowie IV.4.8.4. 170 Siehe unter III.3.2.1. 171 Siehe unter III.1.1. 172 Siehe ausführlich unter VI.4.1.1. mythischen Schilderungen etwa in den Mysterienkulten. 166 Zudem lässt sich die συν-Motivik als genuin paulinisches theologisches Moment wahrnehmen, wel‐ ches auch außerhalb des konkreten Textes Verwendung findet und demnach nicht allein an der Initiationsthematik hängt. 167 Weiterhin ist das Sterben und Auferstehen Christi nicht allein das „nachzuahmende Grundereignis“ des Ri‐ tuals, sondern auch eine hermeneutische Herausforderung, welche in und mit Hilfe der Taufe gedeutet und verarbeitet wird. 168 5) Im Gegensatz zu manch anderem Initiationsritual, nicht zuletzt zur Be‐ schneidung, steht der gleiche Ritualablauf an jedem männlichen wie weiblichen Täufling jeglicher sozialer wie religiöser Herkunft dafür, dass die christliche Taufe für alle nötig ist, die gleiche Wirkung hat und darin ausreichend ist. Schließlich bleibt die Frage, was das neutestamentliche Zeugnis zur Diskussion um Kindertaufe und / oder Erwachsenentaufe beitragen kann: 169 Zunächst muss festgehalten werden, dass weder Paulus noch die anderen neutestamentlichen Autoren sich mit dieser Fragestellung konkret auseinandersetzen. Dies mag un‐ terschiedliche Ursachen haben: Einerseits scheinen für ihre Zeit und Situation andere Probleme vordringlicher zu sein und andererseits stellt sich die Frage nach der Religionsmündigkeit von Kindern, aber auch Erwachsenen unter‐ schiedlicher Stellung damals ganz anders dar als heute. Insofern kann eine Ant‐ wort, welche (allein) vom neutestamentlichen Zeugnis ausgehen will, immer nur abgeleitet werden. Sie soll hier dennoch versucht werden: 1) Die neutestamentlichen Tauftexte bleiben geradezu von einer vielsagenden Offenheit, was die Verhältnisbestimmung von Taufe und Geist, 170 aber auch von Taufe und Glauben 171 betrifft. 2) Selbst angesichts der durchaus gravierenden offenen Fragen und Miss‐ verständnisse zur Taufe, nicht zuletzt in der Verhältnisbestimmung zur Be‐ schneidung, welche das Potential haben, der Taufe den Initiationscharakter komplett abzusprechen, werden an keiner Stelle Bedingungen diskutiert, welche erst zu erfüllen wären, bevor man zur Taufe kommen dürfe. Nicht nur Paulus betont, dass wirklich jede/ r zur Taufe zugelassen ist 172 und sie für jede/ n die gleiche ausreichende Wirkung erfüllt. Kapitel VI: Die christliche Taufe als Ritual. Eine Zusammenfassung 530 <?page no="531"?> 173 Siehe ausführlich unter VI.6.1. 174 Siehe unter VI.4.1.2. 175 Die Ritualbedeutung betreffende weiterführende Aspekte und Fragen sind zahlreich und klingen bei jedem einzelnen der oben verhandelten Ritualaspekte an. 3) Ritualablauf und Deutung könnten es nicht deutlicher zum Ausdruck bringen: Der Täufling tut nichts dazu, dass die Taufe vollzogen wird. Der (per‐ sönlich unbedeutende) Täufer und Christi Tod und Auferstehung sind dieje‐ nigen Elemente, welche die Taufe vollziehen und in ihr wirken. 173 4) Die einzige notwendige Voraussetzung für den gelungenen Vollzug einer christlichen Taufe ist neben dem Gegenüber eines Täufers die Anwesenheit und das Involviertsein und -werden 174 der christlichen Gemeinde. 175 7 Die Ritualfunktion und -deutung 531 <?page no="532"?> Literaturverzeichnis I. Sekundärliteratur Agamben, Giorgio, Homo sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben, Frankfurt a. M. 2002. 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Diese Studie untersucht die paulinischen Tauftexte erstmals umfassend unter dezidiert ritualwissenschaftlichen Gesichtspunkten. Ausgehend von einer klassischen exegetischen Analyse bedient sie sich dazu eines Spektrums an Methoden der sogenannten ritual studies. Die vor allem vergleichenden Analysen und Interpretationen richten sich sowohl auf die Taufe als Wasser- und Initiationsritual im Ganzen als auch auf einzelne Ritualaspekte. Folgende Fragen treten dabei in den Fokus: Welche Bedeutungsaspekte werden von Paulus betont, welche hingegen abgelehnt? Nimmt seine Taufdeutung Bezug auf den Ritualablauf oder ist sie unabhängig davon zu verstehen? Welche Rituale können als „Vorläufer“ der christlichen Taufe gelten und zu welchen Ritualen steht die Taufe anderweitig in Relation? Den Abschluss bilden eine Interpretation der neutestamentlichen Taufe als Ritual und davon abgeleitet Fragen an ihre heutige Deutung und Praxis in der Evangelischen Kirche. 25 25 25 Herausgegeben von Eve-Marie Becker, Kathy Ehrensperger, Jens Herzer, Friedrich W. Horn, Oda Wischmeyer und Hanna Zapp Eine ritualwissenschaftliche Untersuchung zur christlichen Taufe dargestellt anhand der paulinischen Tauftexte
