eBooks

Von Heidelberg nach Harvard

Erinnerungen eines Literaturwissenschaftlers an die Goldenen Jahre der Migration nach Nordamerika

0514
2018
978-3-7720-5650-5
978-3-7720-8650-2
A. Francke Verlag 
Karl S. Guthke

Karl S. Guthke hat als Germanist, Anglist und Komparatist die Entwicklung dieser Fächer seit seiner Promotion in Göttingen zunächst in Berkeley, später in Toronto und Harvard entscheidend mit geprägt. In diesem Band schildert der renommierte Literaturwissenschaftler seinen Lebensweg nach und in Amerika in den Goldenen Jahren der akademischen Migration der 1950er bis 1970er Jahre mit Ausblicken bis ins 21. Jahrhundert. Seine persönlichen Erfahrungen erzählt Guthke auch mit Blick auf all das Kuriose und Amüsante, das dem Migranten in seiner neuen Heimat auffällt. Dabei werfen seine Erinnerungen immer wieder Streiflichter auf literaturwissenschaftliche, gesellschaftliche und zeitgeschichtliche Entwicklungen. In diesem Band zeichnet Guthke ein lebendiges Bild der akademischen und nicht nur akademischen Begegnung und des geistigen Austauschs der Neuen mit der Alten Welt, die sein eigenes Leben prägten und das Erleben einer ganzen Generation junger Wissenschaftler widerspiegeln dürften, die als transatlantische Studierende oder Hochschullehrer nach Nordamerika kamen.

<?page no="1"?> Von Heidelberg nach Harvard <?page no="3"?> Karl S. Guthke Von Heidelberg nach Harvard Erinnerungen eines Literaturwissenschaftlers an die Goldenen Jahre der Migration nach Nordamerika <?page no="4"?> Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. © 2018 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.francke.de E-Mail: info@francke.de Satz: typoscript GmbH, Walddorfhäslach ISBN 978-3-7720-5650-5 <?page no="5"?> Das Leben ist nicht das, was man gelebt hat, sondern das, woran man sich erinnert und wie man sich daran erinnert - um davon zu erzählen. (La vida no es la que uno vivió, sino la que uno recuerda y cómo la recuerda para contarla.) Gabriel García Márquez, Vivir para contarla. <?page no="7"?> Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1. “ Wo de Nordseewellen trekken an de Strand ” : Aus Ostfriesland (1952) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 2. Am Golf von Mexiko: In einer amerikanischen Familie (1952) . . . . . . . . . . . . . 25 3. “ Deep in the Heart of Texas ” : Student an der Staatsuniversität (1952 - 53) . . . . . . . . . . 43 4. Unter Pionieren: In einer deutschen Stadt in Texas (1953) . . . . . . . . . . . . 65 5. Planmäßige Rückkehr: Noch einmal Heidelberg, Göttingen, Dr. phil (1953 - 56) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 6. Ein Blick voraus: Transatlantische Verlockungen, fremd in Deutschland, zu Hause in Amerika, Sympathie für England (1956 - ) 79 7. Zwischen Pazifik und Sierra: In Berkeley (1956 - 65) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 8. Ausblick: In Toronto (1965 - 68) und Harvard (1968 - ) . . . . . . . . 129 9. Rückblick: Literaturwissenschaft im Niemandsland? Chancen, Interessen, Credo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 Abbildungsnachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 Namensverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 <?page no="9"?> Vorwort Eine soziologische oder wissenschaftshistorische Studie wollen diese Erinnerungen nicht sein, wenn auch immer wieder Streiflichter auf literaturwissenschaftliche und gesamtgesellschaftliche Entwicklungen fallen. Sie versuchen vielmehr, ein Bild, ein Stimmungsbild vielleicht, der akademischen Begegnung eines jungen Deutschen mit Nordamerika in den fünfziger, sechziger und siebziger Jahren zu skizzieren, das überindividuell aussagekräftig sein dürfte für die damaligen Erfahrungen derjenigen seiner Generation, die als transatlantische Austauschstudenten und Hochschullehrer nach Tausenden zählen. Wie impressionistisch auch immer und ohne das Kuriose und Amüsante zu scheuen, das dem nicht in Amerika Aufgewachsenen auffällt, stellt dieses Bild die grundverschiedenen universitären und nicht nur universitären Lebenswelten hüben und drüben dar, wie sie erlebt wurden in “ Goldenen Jahren ” der akademischen Migration: in Heidelberg und Göttingen einerseits, in Austin (Texas), Berkeley, Toronto und Harvard andererseits. Unverzichtbar gehört dazu der nicht eben schmale Rahmen des Bildes: die voruniversitäre Herkunft und Bildungssituation des Berichterstatters oder Erzählers und dann sein weiterer Lebensweg als Germanist und Komparatist in Amerika in den Jahrzehnten bis ins einundzwanzigste Jahrhundert, in denen das Goldene Zeitalter in vielfacher Hinsicht noch andauerte in den im Englischen redensartlichen “ Hainen der akademischen Welt ” mit oder ohne Elfenbeinturm, jedenfalls mancherorts und zeitweilig. Manchmal wird der Rahmen da auch schon so breit, daß er seinerseits zum Bild gerät, das das derart eingefaßte lebensvoll ergänzt. Ebenso gehört in diesem Fall zum Gesamtbild der bleibende Kontakt mit der Alten Welt, mit den deutschsprachigen Ländern und mit Großbritannien, vor allem die über Jahrzehnte anhaltende, auch institutionell gefestigte Verbindung des promovierten Anglisten mit der Universität Cambridge, dem historischen Urbild seiner letzten Lebens- und <?page no="10"?> Arbeitsstation, in der er seit mehr als einem halben Jahrhundert beheimatet ist. Was sich derart und nicht zuletzt auch durch die Reisen auf fünf Kontinenten ergeben hat, ist also das Bild akademischer Lebenswelten in dieser Zeit. Erzählt wird davon im Stil eines persönlichen Erfahrungsberichts; die Vorgänge auf der zeitgeschichtlichen Bühne - internationale und nationale politische Entwicklungen und Krisen, soziale Spannungen und Umbrüche im öffentlichen Leben - bleiben entsprechend peripher, angedeutet allenfalls als der weitere Horizont der beschriebenen Lebenswelt. Last, not least ist dies ein Buch des Dankes an ein Land und seine Menschen: Genannte und Ungenannte, Tote und Lebende, Lehrer und Schüler, Freunde und Kollegen - und Wildfremde. Der Text dieses Buches stellt eine vollständige Überarbeitung und erhebliche Erweiterung meines Essais “ Von Heidelberg nach Harvard ” dar, der in meinem Buch Geistiger Handelsverkehr (Francke, 2015) erschienen ist. 10 Vorwort <?page no="11"?> 1. “ Wo de Nordseewellen trekken an de Strand ” Aus Ostfriesland (1952) Der Zufall, der für Friedrich den Großen über ein “ empire ” herrschte und für Schiller die ganze “ Weltgeschichte rollte ” , kann andererseits auch gar nicht trivial genug sein, um eine veritable Lebenswende herbeizuführen. Das wissen oder hoffen oder befürchten wir alle. Halbwegs akademisches Interesse gewinnt solches Spiel des Hasard, wenn die so bewirkte Lebenswende über das beliebig Biographische hinaus als Symptom gesehen werden kann. Sie wäre dann nicht so sehr, wenn überhaupt, ein Dokument persönlicher Entwicklung wie ein Zeitzeugnis, das ein Licht wirft auf Stimmung und Verhältnisse in einer bestimmten Lebenswelt, etwa auf die unterschiedlichen modi vivendi in den nachbarlich verbundenen Universitätskulturen Deutschlands und Nordamerikas während der Umbruchszeit nach dem Zweiten Weltkrieg, als deutsche und amerikanische Akademiker und ihr Nachwuchs (wieder) in Kontakt kamen. Ein solcher Zufall passierte im Frühsommer 1952 in einem Sitzungssaal des amerikanischen Generalkonsulats im ehemaligen “ Haus des Reichs ” in Bremen. An der einen Längsseite eines mächtigen Konferenztischs saßen etwa zehn deutsche Studenten und Studentinnen, ihnen gegenüber nicht ganz so viele, teils deutschsprachige Damen und Herren unter dem Vorsitz des zuständigen amerikanischen Chefs des Studentenaustauschprogramms, das die High Commission for Germany (HICOG) im Auftrag des US-Außenministeriums und mit Unterstützung des schon seit der Zeit des Ersten Weltkriegs bestehenden Institute of International Education und verschiedener privater Organisationen seit dem Herbst 1949 durchführte. Das Gespräch zwischen den beiden Seiten des Tischs hatte den Zweck, zu entscheiden, wem von den jungen Leuten, die sich um Teilnahme an diesem Programm beworben hatten, ein Studienjahr an einer amerikanischen Universität ermöglicht <?page no="12"?> werden sollte: nur einem von ihnen, hieß es. Solche “ selection committees ” , die jeweils mehrere Studentengruppen interviewten, gab es für jedes Land der amerikanischen Zone; Bewerber aus der britischen Zone wurden vom “ Office of the Land Commissioner for Bremen ” ausgewählt. 1 (Das Gebiet von Bremen und Bremerhaven gehörte als Exklave zur amerikanischen Zone.) Die Diskussion über mehr oder weniger aktuelle Themen des öffentlichen Lebens, über die man als Zeitungsleser eine Meinung haben konnte, flackerte an jenem Nachmittag eine Zeitlang etwas irrlichternd hin und her, bis der Vorsitzende sich räusperte: er habe dieser Tage John Steinbecks The Grapes of Wrath gelesen und ob einer der vor ihm Sitzenden den Roman kenne? Ich war der einzige aus dem einfachen Grund, daß ich in meiner Oberschulzeit einer Art Buchklub angehört hatte, durch den ich mir ab und zu Paperbacks englischer und amerikanischer Verlage besorgt hatte, und zwar vor allem Titel neueren Datums, da die englischen Bücher, die ich zu Hause vorfand - etwas einschüchternd gehörte eine vielbändige Carlyle-Gesamtausgabe dazu, aber auch A Study in Scarlet - aus dem Nachlaß meines anglophilen, aber auch Wilhelm Raabe und Schiller verehrenden brandenburgischen Großvaters stammten, der in Sunderland in Durham County als Pfarrer amtiert hatte (und in der von mir geerbten Schiller-Ausgabe alle geflügelten Worte unterstrichen hatte). So kam es zu einem lebhaften, den Rest der vorgesehenen Zeit ausfüllenden Gespräch zu zweit über Steinbecks offenbar noch nicht überholte Sozialkritik an den Auswirkungen der Depression seit dem Ende der zwanziger Jahre, wobei meine für amerikanische Ohren anstößige britische Aussprache von “ wrath ” und sicherlich auch anderen Vokabeln verständnisvoll hingenommen wurde. Doch daß ich mit The Grapes of Wrath das große Los gezogen hatte, erfuhr ich erst Wochen später. Am 5. August 1952 flog ich zusammen mit Dutzenden von deutschen Austauschstudenten und -studentinnen aus den westlichen Zonen mit KLM vom Amsterdamer Flughafen Schiphol ab und betrat nach der planmäßigen Odyssee mit Zwi- 12 Aus Ostfriesland (1952) <?page no="13"?> schenlandungen und Massenabfütterungen in Keflavik (Island) und Gander (Neufundland) auf dem damals noch Idlewild genannten New Yorker Flughafen, den Propellerlärm noch in den Ohren, amerikanischen Boden oder doch Asphalt - mit der ungeahnten Folge, daß mir Nordamerika und seine Universitäten zur Wahlheimat wurden und es auf Lebenszeit blieben. Vielleicht war diese Lebenswende (ich kehrte drei Jahre nach dem Studienjahr, nach der Promotion in Göttingen, als Dozent in die USA zurück) vorauszusehen gewesen. Die frühen bis mittleren fünfziger Jahre waren bekanntlich die Zeit einer großen Auswanderungswelle aus Deutschland nach Nordamerika. 2 Aus meiner Schulzeit in Ostfriesland, wo es der schalkhaften alternativen Regionalhymne zufolge “ am besten ” ist, kann ich mich an solche Fälle, nicht nur von Flüchtlingen aus dem Osten, erinnern; die Berichte eines aus gesicherten bürgerlichen Verhältnissen stammenden Mitschülers aus der Grundschulzeit machten in der Kleinstadt Leer an der Emsmündung, nicht weit von der holländischen Grenze, die Runde mit ihren Erfolgsmeldungen einschließlich präziser Auskunft über wieviel Pfund Leber er sich für einen Stundenlohn leisten konnte. Allerdings: die mittlere und ältere Generation der Deutschen, selbst der “ Gebildeten ” , war, wie Umfragen aus diesen Jahren um 1950 ergaben, großenteils überzeugt, daß die materialistisch und kommerziell, aber auch technologisch geprägte Zivilisation “ Amerikas ” den Deutschen kulturell wenig oder nichts und schon gar nicht “ geistige Tiefe ” zu bieten habe. 3 ( “ Germans dive deeper, and come up muddier ” , habe ich später im englischen Cambridge gehört.) In der Süddeutschen Zeitung stand in der Ausgabe vom 1./ 2. August 1953 ein Artikel, “ worin behauptet wurde, Europa sei nun einmal Amerika kulturell weit überlegen und deshalb sei die europäische Arroganz gegenüber der amerikanischen Kultur ebenso angebracht und legitim wie etwa die Arroganz ‘ der ’ Deutschen gegenüber ‘ den ’ Italienern inbezug auf soldatische Leistungen. Die amerikanische Arroganz angesichts Europas hingegen sei nur eine Arroganz des Nichtwissens und eine Arroganz gegen die Kultur ” (der Aus Ostfriesland (1952) 13 <?page no="14"?> Verfasser war Hans Habe, der sich vielleicht zu lange in Südkalifornien aufgehalten hatte); ein anderer Kritiker hatte schon etwa zwei Jahre vorher “ in einer führenden deutschen Zeitschrift ” das “ Versagen ” Thomas Manns in seinem Doktor Faustus mit dem langjährigen Aufenthalt unter südkalifornischer Sonne, in einem Land ohne literarische Kultur erklärt. 4 Was da als Mangel an Kultur ausgegeben wurde, war offensichtlich die Unkenntnis amerikanischer Kultur auf seiten der so frischfröhlich drauflos urteilenden Pharisäer. Für die jüngeren Jahrgänge aber, die Kriegskinder-Generation der Teenager und Twenty-Somethings, sah das anders aus. Kaum vorstellbar für die heutige, mit Billigfluglinien fürs Wochenende nach London, Paris, Rom, Prag oder auch Tallinn jettende europäische Jugend, hatten sie nie ins Ausland reisen können und waren entsprechend aufgeschlossen für alles da “ draußen ” , von woher all die Fremdwörter kamen, die zu vermeiden man in der Schule getrimmt wurde. Was hatte es eigentlich damit auf sich, daß man, als vielleicht Vierzehnjähriger vom Geschichtslehrer in eine Parteiversammlung geschickt, dort hören konnte: “ Gott schütze uns vor Sturm und Wind und Deutschen, die im Ausland sind ” ? War es nicht eher eine Verlockung, jenes mit einem Anflug von Xenophobie bezeichnete Ausland, das anderswo “ abroad ” hieß? (Amüsant bezeichnend war, daß ich wie manche andere bei einem Schulausflug nach Borkum eine Flaschenpost in die Nordsee warf, die allerdings nur bis Holland driftete und mir einen Brief von einem meisje einbrachte, das anfragte, ob sie mir Kartoffeln verkaufen könne.) Für diese Generation, die die formell erst 1952 beendete Besatzung durch die Alliierten und die Westorientierung der Adenauer-Regierung miterlebt hatte, war der Kontinent der Niagara-Fälle und des Grand Canyon das Gelobte Land - auch ohne profunde Kenntnis der überseeischen Leberpreise und ohne Verwöhnung durch Kaugummi, Virginia-Zigaretten und krustenloses Weißbrot und ohne berückt zu sein von der importierten Pop-Kultur der Jugendlichen: Jitterbug, Boogie- Woogie (Rock ‘ n ’ Roll gab es noch nicht), Ringelsocken, Krepp- 14 Aus Ostfriesland (1952) <?page no="15"?> sohlen, Lumberjacks, Hawaii-Hemden, Coca-Cola statt des blutfarbenen “ Heißgetränks ” , “ lässig ” als Wertprädikat und als Indiz dafür die Hand in der Hosentasche, statt sie bei der flüchtigsten Begegnung selbst im alltäglichen Umkreis wie einen Pumpenschwengel zu schütteln, usw. Besonders hatte sich bei jungen und angehenden Akademikern herumgesprochen, daß die amerikanischen Universitäten und Colleges damals einen ungeheuren Aufschwung erlebten infolge des Bevölkerungswachstums und des zunehmenden Wohlstands in der Nachkriegszeit und mit der Finanzhilfe der Regierung für die ins Zivilleben zurückgekehrten Soldaten durch die G. I. Bill of Rights. Das war also schon lange vor 1957, dem Jahr des Sputnik, auf den Amerika mit dem National Defense Education Act von 1958 reagierte, indem es seine Aufnahmebereitschaft für Natur-, aber auch Human- und namentlich Fremdsprachenwissenschaftler schlagartig intensivierte mit erhöhten Zuwendungen für die Hochschulen. Die kolportierte Freizügigkeit der Lebens- und Arbeitsbedingungen und die schon seit langem legendären Aufstiegsmöglichkeiten “ drüben ” , wenn auch nicht unbedingt vom Tellerwäscher, taten ein übriges, seit Juni 1952 auch im Verein mit der Erleichterung der Einwanderung von Fachkräften durch den McCarran-Walter Act, eine starke Anziehungskraft für akademisch interessierte junge Menschen zu entfalten, die durch Lektüre oder persönliche Kontakte eine ganz andere Vorstellung von amerikanischer Kultur hatten als ihre naserümpfenden Eltern mit ihren vergötterten “ Geisteshelden ” einerseits und die Fans der materiellen Massen- und Pop- Kultur in ihren Bluejeans andererseits. 5 Abzulesen ist das nicht zuletzt an dem Problem, das sich aus eben jenem Stipendienprogramm für deutsche Studenten ergab, das 1948 auf Grund des Smith-Mundt Act von der amerikanischen Militärregierung eingeführt worden war, bevor im Jahr darauf die HICOG diese Funktion, effektiv für das Studienjahr 1950 - 51, übernahm (und zugleich das Einzugsgebiet für Kandidaten um die britische und die französische Zone erweiterte). 6 Viele der deutschen “ Ausgetauschten ” kehrten nämlich nach Aus Ostfriesland (1952) 15 <?page no="16"?> Ablauf ihrer Studienzeit nicht wie vereinbart und im Visum vorgesehen nach Deutschland zurück, was dann, besonders seit Ende der fünfziger Jahre, zu amerikanischen Verordnungen zur Verhinderung des schmeichelhafter Weise so genannten “ Brain Drain ” führte. 7 Ein “ Bumerang ” offizieller amerikanischer Kulturpolitik war diese Entwicklung allerdings nicht. Denn seit der Übernahme des Austauschprogramms durch die HICOG war das ursprüngliche, unmißverständlich politische Programm der “ Reeducation ” und “ Demokratisierung ” als Zweck des Austauschs bereits zugunsten von “ Reorientation ” aufgegeben worden. An seine Stelle trat damals (als die Militärregierungen die Entnazifizierung der Elterngeneration hatten einschlafen lassen) die Auffassung, daß der Sinn des einjährigen Aufenthalts von deutschen Studenten an amerikanischen Universitäten in der Förderung des gegenseitigen Verstehens zu sehen sei, das gerade durch den Verzicht auf jegliche “ Propaganda ” Voreingenommenheiten beiderseits abbauen und damit die deutschamerikanischen Kulturbeziehungen beleben könne. 8 Die Besucher sollten sich den offiziellen Richtlinien zufolge keineswegs der HICOG verpflichtet fühlen und dementsprechend auch nicht ideologisch beeinflußt werden, sondern ermutigt, sich auf eigene Faust im Land umzusehen, und das auch dort, wo es nicht sonderlich demokratisch zuging. 9 Die einzige Kritik, die offiziell zur Kenntnis genommen wurde, war, daß der “ Austausch ” von Studenten (das waren unvergleichlich mehr deutsche als amerikanische) beschränkt sei auf die “‘ top class ’ Germans ” , die für ihre Generation nicht repräsentativ seien. Daran war etwas: 1951 gab es in Deutschland statt der Millionen von heute 110.000 Studierende, 1952 114.000, etwa 5 Prozent der “ school population ” . 10 Wie dem auch sei, ob also solcher Elitismus in diesem Zusammenhang ein Minus ist oder ein Plus: den Verzicht auf ideologische Einflußnahme oder gar politische Indoktrination kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen. Ich hatte als Austauschstudent keinen Tutor irgendwelcher Art und konnte in der vorlesungsfreien Zeit ungehindert, ungemeldet und unbe- 16 Aus Ostfriesland (1952) <?page no="17"?> aufsichtigt im ganzen Land reisen, per Anhalter, im Greyhound, in den Zügen der kontinentalen Eisenbahnlinien. Weder vom Außenministerium noch vom Institute of International Education wurde ich instruiert oder aufgeklärt über zu machende Erfahrungen. Nur ein einziges Mal hatte ich mich mit einer Mitarbeiterin des Institute of International Education zu treffen, die sich lediglich erkundigte, wie ich mich eingelebt habe und mit der englischen Sprache zurecht käme. Man vertraute offenbar auf den Gesamteindruck vom Land der längst zum Klischee, aber auch zum Zerrbild gewordenen “ unbegrenzten Möglichkeiten ” , in dem die Zukunft nach dem Bestseller von Robert Jungk schon begonnen hatte, während die Vergangenheit noch quicklebendige Gegenwart war, auch wenn man nicht ausnahmslos stolz auf sie sein konnte. 11 Aber damit habe ich in meinem Bericht über den damaligen “ geistigen Handelsverkehr ” schon weit vorgegriffen. Am Anfang stand die Bewerbung um Teilnahme an dem Austauschprogramm. Aufmerksam wurde ich auf diese Möglichkeit in meinem letzten Oberschuljahr durch ein Plakat am Eingang zu den Büroräumen des für den Kreis Leer zuständigen britischen Resident Officer im ehemaligen Wehrmeldeamt. Dort kannte ich mich schon aus als Mitglied des deutsch-englischen Clubs, der sich hier zu Diskussionen und Vorträgen und Berichten von Engländern und deutschen Englandreisenden traf, und als eifriger Benutzer der englischen Bibliothek (deren Anschaffungsprinzipien, wenn es die gab, nicht politisch waren, sondern obskur; das erste Buch, das ich mir dort auf Empfehlung der englischen Bibliothekarin auslieh, war Cocks and Bulls in Caracas: das sei nämlich eine “ cock-and-bull story ” , was mir nichts klarer machte, aber ideologisch harmlos war es sicherlich). Die Bewerbung also, so hieß es in der Präambel des mir ausgehändigten Formulars, sollte zunächst im Hinblick auf “ akademische ” Qualifikation geprüft werden, “ a final committee will then interview the applicants to determine civic, moral and personal characteristics ” . 12 Personen, die einen Antrag auf Einwanderung gestellt hatten, kämen nicht in Frage und Bedin- Aus Ostfriesland (1952) 17 <?page no="18"?> gung sei, daß erfolgreiche Bewerber nach Ablauf ihrer Studienzeit nach Deutschland zurückkehren würden. Wissen wollte das Formular, wie gut man Englisch spräche und schreibe, wie es mit der Gesundheit stünde und ob man schon einmal in den USA gewesen sei. Gefragt wurde auch, ob man Mitglied der NSDAP oder angegliedeter Organisationen gewesen sei und wie ggf. die Spruchkammer-Klassifikation war, aber auch, ob man der kommunistischen Partei angehöre oder jemals angehört habe. (Das Formular war außer für Studenten auch für Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens gedacht, die sich um einen kürzeren Informationsaufenthalt bewerben konnten.) Anzugeben waren auch die Schulen und Hochschulen, die man besucht hatte, dazu Namen und Adressen von potentiellen Gutachtern in Deutschland und von Verwandten und Freunden in den Vereinigten Staaten. Akademische Interessen und nichtakademische Hobbies ( “ outside your professional or academic field ” ) waren aufzulisten und last, aber sicherlich nicht least “ Participation in any community activity such as [. . .] youth groups, religious organizations, civic enterprises, etc. ” Am Schluß stand eine halbe Seite zur Verfügung für eine Erklärung der speziellen Gründe für den Wunsch, im Rahmen dieses Austauschprogramms nach Amerika zu kommen. Ich muß wohl welche gehabt haben. Ich füllte das Formular gewissenhaft aus, in erster Linie aus reiner Lust am Abenteuer (die mich auch später auf privaten und beruflichen Reisen auf fünf Kontinenten nicht verlassen hat). War Amerika doch, wie schon angedeutet, “ bis in die späten sechziger Jahre der Inbegriff dessen, was Deutschen fehlte, wovon sie träumten ” . 13 Und das auch, wenn sie weder vom Nazi-Regime verfolgt noch ausgebombt, weder aus dem Osten geflüchtet noch von Kampfhandlungen in Mitleidenschaft gezogen und nicht einmal in einer Trümmerlandschaft aufgewachsen waren. Amerika war über die “ unbegrenzten Möglichkeiten ” hinaus auch die Welt einer Zukunft, die nicht bedroht war von den gerade damals, zu Beginn des Kalten Kriegs, grassierenden Ungewißheiten und Ängsten, während nach einer oft, noch 2006 im Spiegel (4, S. 48) zitierten Beobachtung Walther 18 Aus Ostfriesland (1952) <?page no="19"?> Killys von 1954 “ Unsicherheit ” die “ normale Daseinsform ” der um 1933 geborenen Deutschen war. Doch solche lebenspraktischen oder gar beruflichen Motive spielten bei mir keine Rolle - wie sollten sie auch bei einem eben neunzehn gewordenen Oberprimaner, noch dazu in einer Zeit, als, wie man in Ostfriesland sagt, das Schiff mit Geld oder doch etwas Geld statt der streichholzschachtelgroßen Besatzungsgeldscheine bereits über den Deich gekommen war. Zu Deutsch: das Wirtschaftwunder hatte schon begonnen mit “ Bohnenkaffee ” , Butterkremtorte, Embonpoint und Urlaubsreisen ins Nachbarland der Exotik von Marillen mit Schlagobers, oder war es Kren? Auch war ein halbes Jahr Trümmerräumen nicht mehr die Vorbedingung für die Zulassung zum Studium. Die Mißstände und Unannehmlichkeiten der Grundschuljahre seit 1939 und dann der ersten Gymnasialzeit von 1943 bis Kriegsende verblaßten schon zu vagen Erinnerungen: im ersten Schuljahr Seidenraupen füttern in einer Ecke des Klassenzimmers gleich neben dem Wandschmuck “ Kohlenklau ” , “ Die Liese und die Miese ” und “ Führer, befiehl, wir folgen dir ” ; der drohende Rohrstock, wenn wir Steppkes in der “ Volksschule ” “ Wir haben Hunger, wir haben Hunger, wir hab ’ n den ganzen Tag noch nichts gehabt ” zu singen wagten. (Hochwillkommen war natürlich “ Und wenn die ganze Erde bebt und Chamberlain im Nachthemd steht - das kann doch einen Seemann nicht erschüttern; keine Angst, keine Angst, Rosmarie ” .) Später, in den ersten Gymnasialjahren, waren jede Woche Heilkräuter und Altmaterial, besonders Metall, für den Endsieg abzuliefern unter Androhung von Strafen für Nichterfüllung des Solls. Bei Fliegeralarm fand der Unterricht (auch der Englisch-Unterricht) im Luftschutzkeller statt, und als Zehn- oder Elfjähriger hatte man zum “ Jungvolk ” - Dienst anzutreten, wo der schikanöse Kasernenhofton der ein paar Jahre Älteren herrschte, die den Pimpfen Marschieren, Grüßen und Schießen beizubringen versuchten, aber nicht elementaren Anstand: als wir nach einem “ Geländespiel ” in einem ländlichen Lokal einkehrten, mogelten sich mehrere Spieler als Zechpreller durch. All das also waren um 1952 längst verblaßte Aus Ostfriesland (1952) 19 <?page no="20"?> Erinnerungen des Neunzehnjährigen an “ jene Tage ” , aber trotz aller Banalität keineswegs ausgelöschte; und zweifellos haben sie nachgewirkt auf das Bild meiner Generation von ihrem Land und ihrer Zukunft. Ähnliches dürfte gelten von den Erfahrungen der ersten Nachkriegszeit, als die Straße der SA die Roosevelt-Straße und die Adolf-Hitler-Straße die Churchill-Straße wurde, aber bald schon wieder die Bremer- und die Mühlenstraße, was sie für meinen Großvater ununterbrochen geblieben waren, und der wöchentliche Fahnenappell auf dem Schulhof durch die “ Andacht ” in der Aula ersetzt worden war. Diese Erfahrungen, Entbehrungserfahrungen großenteils, die bis zur Währungsreform und dem Marshall-Plan 1948 anhielten, sollen manchen Soziologen zufolge meine Alterskohorte zu stärkerer Leistungsorientierung bestimmt haben, im Unterschied zu der in Frieden und Sicherheit großgewordenen “ Me Generation ” , für die Selbstverwirklichung vielfacher Art höher im Kurs stand. In Erinnerung sind mir statt dessen, in buntem Durcheinander: Hamsterfahrten aufs Land (ohne “ Feind hört mit ” und “ Räder müssen rollen für den Sieg ” im Zugabteil), Milchholen tagtäglich bei Bauern in nahegelegenen Dörfern (nicht jeder in der Stadt hatte eine Kuh im Keller wie einer der Pastoren), Brennholzsammeln, Diphtherie-Epidemie, ärztlich bescheinigte Unterernährung, Arbeit im Torfmoor für den Heizungsbedarf der Schule ( “ niemand braucht zu hungern, ohne zu frieren ” , blödelte der Volksmund), Kunsthonig und Muckefuck vom “ Kolonialwarenhändler ” (echten Tee hingegen gab es in der Kriegs- und ersten Nachkriegszeit “ für Verbraucher über sechs Jahre im ostfriesischen Teetrinkerbezirk ” , wie auf den Lebensmittelmarken zu lesen war), “ entrahmte Frischmilch ” (damals noch nicht aus gesundheitlichen Gründen begehrt), Tabakpflanzen im Garten, Sirupkochen aus Zuckerrüben im sonst einmal im Monat von der Waschfrau geheizten Kupferkessel im Keller, Einquartierung von Brüdern und Schwestern aus dem Osten, wie man in den überfüllten Kirchen sagte, Tauschzentralen und private Tauschgeschäfte, etwa Butter (auch ein Kanarienvogel als Weih- 20 Aus Ostfriesland (1952) <?page no="21"?> nachtsgeschenk für mich) für einen Teppich, bröcklige Seife für ausgekochte Knochen, einmal sogar Speck für eine Brokattischdecke in gedämpften Farben, die dem Altar einer wohlgenährten Sekte auf dem Land eine weihevolle Aura verleihen sollte. In der Schule - “ Staatliche Oberschule für Jungen mit gymnasialem Zug i. E. ” in Leer, im sechzehnten Jahrhundert als Lateinschule gegründet, heute Ubbo-Emmius-Gymnasium - gab es jahrelang nach Kriegsende keine oder kaum Lehrbücher. Lateinische Texte schrieb der Studienrat im Elementarunterricht an die Wandtafel ( “ avia ruri habitat ” war der erste Satz), die Schüler schrieben sie ab mit ihren damals schwer zu ergatternden Bleistiften und lernten sie übersetzen. Auch in späteren Jahren, als Caesar, Cicero, Tacitus, Livius und selbst Vergil gelesen wurden, gedieh der Unterricht nicht über das routinemäßige Übersetzen hinaus zur Kulturkunde: das erste halbe Dutzend Verse der Aeneis kann ich immer noch herunterleiern, ohne mir über ihren Bildungswert im Klaren zu sein. Konnte einer der Französischlehrer eigentlich Französisch? Die Deutschstunden waren der Lektüre gewidmet, die gerade verfügbar war: Die Räuber, Hermann und Dorothea, Penthesilea, Odyssee, aber auch das katholisierende Versepos Dreizehnlinden von einem gewissen Friedrich Wilhelm Weber und aus der Lokalzeitung gerissene Gedichte. Schillers “ Glocke ” war vom Anfang bis zum bitteren Ende auswendig zu lernen; aus Fontanes “ Archibald Douglas ” und “ John Maynard ” kann ich immer noch zitieren, übrigens auch aus Heines “ Belsatzar ” . Der Geschichtsunterricht war fragmentarisch und eklektisch: viel über Germanen, Rund- und Langschädel (einer war besser als der andere, ich vergesse, welcher; eine Nachbarin, die ein Huhn namens Thusnelda besaß, ergänzte etwas über die Schlacht im Teutoburger Wald), über die Zeit der Französischen Revolution kam man nicht hinaus. In “ Religion ” mußte ein Schüler, nämlich ich, stundenlang aus einem theologie- oder kirchengeschichtlichen Buch vorlesen, ohne daß ich mich an irgendwelche Diskussion erinnern könnte. Mehrere Lehrer gehörten zu den Flüchtlingen aus exotischen Orten wie Gumbinnen oder Hei- Aus Ostfriesland (1952) 21 <?page no="22"?> ligenbeil; ihre Unterrichtsressourcen hatten sie natürlich nicht mitbringen können, wohl aber ihr merkwürdiges Vokabular: Wruke, Marjellchen, Lorbas - lauter Fremdwörter nicht nur für die Mitschüler mit den nur für Friesen standesamtlich zugelassenen Vornamen wie Fokko, Manno, Tammo, Weert, Enno, Remmert, Onno etc. (aber auch Bobby, oder “ Silly ” ), die denn auch schadenfroh mit Ölljeflutten, Karmelkbreei und Schojer konterten. Einer der Studienräte aus Ostpreußen erzählte unermüdich Geschichten von Fritz und Franz und ihrer Vorliebe für Apfelbzw. Käsekuchen. Vorbildhaft bemerkenswerte Lehrer gab es damals auch bis zum Abitur kaum in der Oberschule, mit wenigen, aber nicht immer langzeitigen Ausnahmen wie dem Englischlehrer Kaftan, dem späteren Lateinlehrer Aulbert und dem Germanisten Dr. Lüdtke. Allerdings prügelten die Studienräte nach 1945 auch nicht mehr, aber sie machten es manchen von uns Schülern leicht, sich ihnen mit adoleszenter Arroganz überlegen zu fühlen. Andererseits fehlte es in diesen schwierigen Jahren auch nicht an - seltenen - Lichtblicken: in der Kriegszeit die Sommerferien auf dem dann 1945 im Rahmen der Bodenreform als “ Großgrundbesitz ” enteigneten und zur landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft gemachten angestammten Guthkeschen Familiengut im brandenburgischen Dahlhausen, in der Nachkriegszeit die Landverschickung zu einer Bauernfamilie in der Nähe von Leer zwecks Auffütterung cum Gottesdienstbesuch und vor allem die Lebensmittel- und Kleidungspakete von den entfernt verwandten, sicherlich tweedy gekleideten englischen “ Tanten ” Ida und Clara aus dem schwer bombardierten Exeter, wo damals noch Rationierung herrschte. Sie bezeichneten die abgelegten Kleidungsstücke taktvoll als “ for the garden ” bestimmt, woran ich mich voller Stolz nicht hielt mit dem Tweedjackett von Claras Ehemann, das in der Zeit, als der eine oder andere Mitschüler noch Kleidung aus dem Stoff von SA-Uniformen trug, eine recht und schlecht aus dem Cut meines Vaters geschneiderte Jacke ersetzte. Ein Glücksfall waren schließlich auch zahllose Büchsen u. a. mit “ Irish Stew ” - was war das 22 Aus Ostfriesland (1952) <?page no="23"?> überhaupt? - , die die kanadischen Besatzer, die das Haus zu ihrem Club umfunktioniert hatten, während wir bei Nachbarn kampierten, beim Abzug von Montgomerys Armee in der Küche hinterlassen hatten. Lichtblicke sehr verschiedener Art also in den sonst relativ trüben, aber keineswegs akut traumatischen und schon gar nicht mit den schlimmen Erfahrungen anderer meiner Generation in einem Atem zu nennenden Erinnerungen eines vergleichsweise behütet Aufgewachsenen - Erfahrungen, die im übrigen auch ausgeglichen wurden durch glücklich stimmende Erfahrungen und Erlebnisse persönlicher Art, die jedoch nicht in einen Bericht über miterlebte Zeitstimmungen gehören. Auf die Bewerbung folgte nach einiger Zeit ein Einzelinterview im sonst nie betretenen, zigarettenrauchgeschwängerten Lehrerzimmer der Oberschule. Ich saß einem halben Dutzend oder mehr Honoratioren gegenüber; den Vorsitz führte der britische Resident Officer des Landkreises, der in einer Spalte des Bewerbungsformulars zu erklären hatte, ob der Bewerber geeignet sei oder nicht und warum. Offenbar war ich nicht ungeeignet (was immer das bedeuten mochte). Denn das derart amtlich komplettierte Formular wurde an den Exchange Officer im amerikanischen Generalkonsulat in Bremen weitergeleitet, wo ein paar Wochen später das entscheidende Interview stattfand, in dem The Grapes of Wrath zufällig die Hauptrolle spielte. Vom 11. Juli 1952 datiert, erreichten mich dann - inzwischen war ich Student in Heidelberg - gleich zwei Schreiben von dem “ Chief, Exchanges Branch ” im amerikanischen Generalkonsulat in “ Bremen, Germany ” , einem Herrn Smith mit imposantem Vornamen. Ich hatte, wie gesagt, Glück gehabt: mit dem Segen des Außenministeriums Abreise von Amsterdam nach New York am 5. August. Zur “ Orientierung ” , hieß es in einem der Briefe, würde ich zunächst, vermittelt durch das Experiment in International Living in Putney, Vermont, einen Monat lang in einer amerikanischen Familie “ as a member of the family ” zubringen. “ The chief aims of this orientation are to give you Aus Ostfriesland (1952) 23 <?page no="24"?> an opportunity to become acquainted with everyday American life and make friends with Americans. ” Von September bis Juni würde ich dann an einer noch zu bestimmenden amerikanischen Universität studieren. Sämtliche Kosten würden von der amerikanischen Regierung oder privaten Fonds getragen, die dem Institute of International Education, das das Projekt im Auftrag des Außenministeriums betreue, zur Verfügung stünden. Es folgten Hinweise zu Tagegeldern für die Reisetage und zur Besorgung von Paß und Visum und zur Zahlung der bei der Landung in New York fälligen Kopfsteuer. Die Regierung käme für die Kranken- und Unfallversicherung für die Zeit von der Abreise aus Deutschland bis zur Rückkehr auf; nur Zahn- und Augenarztrechnungen habe man selbst zu begleichen, weshalb man sich die Zähne und Augen vor der Abreise untersuchen lassen solle. 24 Aus Ostfriesland (1952) <?page no="25"?> 2. Am Golf von Mexiko In einer amerikanischen Familie (1952) Für einen oder zwei Tage vor der Abreise aus Amsterdam waren die etwa zweihundert erfolgreichen Bewerber mit ihren gesundheitsamtlich geprüften Augen und reparierten Zähnen nach Frankfurt bestellt. Dort erfuhr ich, daß ich an der Staatsuniversität von Texas in Austin ein Fach oder Fächer meiner Wahl studieren würde, die Studiengebühren seien erlassen und jeden Monat würde mir dort für den Lebensunterhalt, Bücher usw. ein Scheck zugestellt werden (der sich ebenso wie das für den vorausgehenden Aufenthalt in der amerikanischen Familie bestimmte Taschengeld als sehr großzügig erwies). Im übrigen bekam man allerlei Hinweise zur Erleichterung des transatlantischen Lebens, etwa zu Frühstücksgewohnheiten, -möglichkeiten und -preisen, aber keinerlei politische “ Aufklärung ” . Dann, nach einer Übernachtung und Stadtbesichtigung in Amsterdam, schließlich Ankunft in New York. In Empfang genommen von Vertretern des Institute of International Education, wurden wir zwei Tage in einem Hotel in mid-town untergebracht. Es gab eine offizielle Begrüßung in getäfeltem Saal ohne Nierentische und Tütenlampen und auch einen Rundgang durch Manhattan - Empire State Building, United Nations, Times Square, Broadway, aber auch eine Cafeteria war zu erleben und eine Drogerie oder vielmehr ein Drugstore, wo man Hamburger, Ice Cream und anderes Amerikanische bekam, und schließlich Sugar Ray Robinsons Bar, wo wir die Coca- Cola unerhört teuer fanden und wie zur Erklärung belehrt wurden, wer Sugar Ray Robinson war. All das war augenöffnend für uns, zumal wir auch Gelegenheit hatten, Luxus, Elend und Vulgarität des “ Big Apple ” auf eigene Faust zu erkunden: riesige, panzerähnliche Autos statt Volkswagen und Borgward, Schuhputzer am Straßenrand und im Friseurladen, wo es auch einen Spucknapf gab, wohl für Kautabak-Konsumenten, operettenhaft uniformierte Türsteher, Bettler, mondäne Mode auf <?page no="26"?> der Fifth Avenue, aufdringlich glitzernde und blinkende Lichtreklame für alles mögliche, das unserer eher anspruchslosen Kriegskinder-Generation provokant überflüssig vorkam; für das Metropolitan Museum blieb leider keine Zeit. Mit dem Zug fuhren dann zehn von uns über Nacht nach Beaumont im Südosten von Texas, nördlich von Houston. In glühender Nachmittagssonne erwarteten uns dort, Palmen im Hintergrund, unsere Gastgeberfamilien am Bahnhof, um den ihnen bestimmten Gast in Empfang zu nehmen. Nach Begrüßungsworten auf dem Bahnsteig (für deren Beantwortung ich, als der einzige Anglist unter uns, vorgeschoben wurde) ging es gleich weiter in die etwa eine Autostunde südöstlich, ein paar Meilen vom Golf von Mexiko, an der Grenze zu Louisiana gelegene Kleinstadt Port Arthur, für manche von uns zusammen mit Teenagern aus den Gastgeberfamilien in rasendem Tempo im offenen Kabriolett bei dröhnender Radiomusik. So begann das Experiment in International Living. Meine Gastgeberfamilie, er Buchprüfer, sie Hausfrau ( “ homemaker ” , wie damals üblich), drei Kinder, kein Hund, wohnte in einem bequemen, von Rasen umgebenen, für europäische Vorstellungen eher leicht gebauten Einfamilienhaus mit Schindelwänden am Las Palmas Drive in einem vorstädtisch wirkenden, großzügig angelegten “ grünen ” Stadtteil neueren Datums. Das war weltenfern von der meinem Vater als Bezirkszollkommissar (später Zollrat) zustehenden Dienstwohnung in der Beletage einer düster-soliden gründerzeitlichen Stadtvilla in Leer - mit Stuckengeln und -blumen an der “ Herrenzimmer ” -Decke, einem wuchtigen dunkelgrünen Kachelofen im Eßzimmer und bestenfalls lauwarmer Zentralheizung, ein paar Schritte vom Rathaus im Neo-Renaissance-Stil, umgeben von niederländisch gegiebelten Backsteinhäusern, dem einen oder anderen barocken Patrizierdomizil und dem reich bestückten Heimatmuseum, in das die holländischen Touristen strömten. Der Blick ging auf den malerischen Hafen der deichgeschützten, ehemals mit der Hanse liierten Handelsstadt und schräg gegenüber auf das historisch korrekt restaurierte Handelsdepot (später Gast- 26 In einer amerikanischen Familie (1952) <?page no="27"?> haus) “ Die Waage ” aus dem frühen achtzehnten Jahrhundert, an dessen Grundmauer eine entschärfte englische Seemine, angekettet und rostvorbeugend lackiert, vor sich hin döste. Abb. 1: Leer (Ostfriesland), Hafen, Rathaus, gründerzeitliche Stadtvilla, “ Die Waage ” Ein paar Straßen weiter die Altstadt mit windschiefen Katen, Brunnen, Pferdemarkt, Pranger, Kirchen aus dem achtzehnten Jahrhundert und drei noch nicht ganz verfallenen Burgen. Zu den stimmunggebenden Gestalten im Stadtbild gehörten ein Leichenbitter, ganz in schwarz mit flatterndem Trauerflor am Zylinder, Scherenschleifer, Schornsteinfeger, die am Neujahrstag, oder war es der Tag vorher, von Haus zu Haus die Runde machten, um ein Trinkgeld zu kassieren, ambulante Buttermilchbreihändler mit ihren zweirädrigen Wägelchen, eine plattdeutsche Romanschriftstellerin, die auch die Ostfriesische Landesbühne belieferte, ein verkrachter Poet als Lokalreporter . . . Von dort also in die fremde Welt von Texas. In einer amerikanischen Familie (1952) 27 <?page no="28"?> Abb. 2: Deutsche Austauschstudenten, amerikanische Gastgeber, Port Arthur, Weihnachten 1952 Mir wurde mein Zimmer, der “ guest room ” (im Deutschen sagte man damals “ Fremdenzimmer ” ), gezeigt, und gleich, vom ersten Dinner en famille an, war ich dort kaum ein Fremder mehr. Der älteste Sohn hatte, wie ich auch, früher im Jahr sein Abitur gemacht; im September sollte er ebenfalls zum Studium an die University of Texas gehen. Mittlerweile arbeitete er, wie ich in der Zeit vor dem Studium an der Ostfriesen-Zeitung, an der Port Arthur News als gelegentlicher Reporter - ich für Bücher, er für einen Jeepster aus zweiter Hand, der noch abzuzahlen war. Rasch lernten die Deutschen in den folgenden Wochen, oft als Gruppe, aber auch einzeln im Freundeskreis der Gastgeber und besonders ihrer Teenager das tagtägliche Leben dort kennen. Port Arthur war nur etwas über fünfzig Jahre alt, gegründet von einem Entrepreneur, der den Ort auf seinen Vornamen getauft hatte. Entlang dem Lake Sabine gab es drei oder vier Großbürgerhäuser, die im Schmuck ihrer griechisch inspirierten Säu- 28 In einer amerikanischen Familie (1952) <?page no="29"?> len geradezu palastartig wirkten, doch bestimmt wurde der Gesamteindruck davon nicht. Die Bedeutung der Stadt beruhte auf ihren Ölraffinerien, deren Produkt nach Mexiko und in die USA verschifft wurde. Die deutschen Gäste wurden denn auch auf diesem Gelände herumgeführt, von dem mir nur noch der Ölgeruch in Erinnerung ist. Aber Port Arthur hatte auch anderes zu bieten, auch außer den 160 Kirchen, die es heute hat: ein College für das erste und zweite Studienjahr, wo wir eine, wie uns schien, etwas anspruchslose, vokabelnpaukende Englischstunde besuchen durften (heute kann man dort auch “ Kosmetologie ” studieren); eine großräumige, lichtdurchflutete High School, ganz anders als meine Oberschule mit ihrem klapprig verwahrlosten Mobiliar hinter der stolzen Pseudo-Renaissance Fassade, wo man gar nicht geahnt hätte, wozu eine in Port Arthur in jedem Klassenzimmer des Nullachtfünfzehn-Gebäudes angebrachte Lautsprecheranlage da war - die Port Arthur News wußte zu berichten, ich hätte sie für ein Abhörgerät ( “ eaves-dropping device ” ) gehalten. In den Beehive (Bienenkorb), ein Zentrum für Teenager-Geselligkeiten, waren wir zu einem Tanzabend eingeladen, dem zuhause ein “ Tanztee ” in einem Hotel entsprochen hätte, wo man sich nachmittags nach der Tanzstunde traf. Eine Barbecue-Party gab es auf dem Rasen eines standesbewußt gewässerten Gartens, wo ein Afro-Amerikaner uns ab und zu mit Moskito-Spray das Leben angenehmer machte. Palmen überall, unter denen man sich in Blue Jeans photographieren ließ. Etwas außerhalb ein Staub aufwirbelndes Rodeo. Mein erstes Fernseherlebnis, schwarz-weiß natürlich noch, im Kreis von Teenagern auf dem Fußboden hockend, weil es dort kühler war. Private Klimaanlagen waren selbst in Texas noch nicht weit verbreitet, aber man machte auch nicht viel Wesens von der Hitze: gut auf sie zu sprechen seien nur Bestattungsunternehmer. Immerhin aber war auf den väterlich taktvollen Rat meines Gastgebers Deodorant, in Norddeutschland nicht eben ein Begriff, einer meiner ersten Einkäufe. Für einen anderen Aspekt amerikanischen oder doch süd- oder weststaatlichen Lebens öffnete mir der Familienvater am Las In einer amerikanischen Familie (1952) 29 <?page no="30"?> Palmas Drive die Augen, als er mich auf seine Fahrt zur Polizei mitnahm, wo er seinen Revolver zu registrieren hatte - wofür brauchte man einen Revolver in diesem idyllischen Gartenwinkel? Auch deodorisiert war man noch in der Cowboy-Welt des Wilden Westens. Neue Erlebnisse waren auch ein Drive-In- Kino, unter freiem Himmel also, mit Filmen wie “ The Duchess of Idaho ” und Drive-In-Restaurants, in denen als Cowgirls verkleidete Mädchen einen Milkshake oder Hamburger oder auch, besonders exotisch, ein Root Beer (Wurzelbier - was war das bloß? ) auf einem Tablett an das Autofenster klemmten. Dann Ausflüge, etwa nach Nederland, einer von Holländern um die Jahrhundertwende gegründeten Siedlung, wo einige von uns entlang den Bahnschienen in die Grundlagen der Klapperschlangenjagd eingeführt wurden, ohne daß ein Reptil uns den Gefallen getan hätte, den Kopf in die an einem Stock angebrachte Schlinge zu stecken. Einen anderen Nachmittag verbrachten wir am MacFadden Beach am Golf von Mexiko und später einen am Cow Creek oder Cow Bayou, an einer etwas trüben Badestelle (vor Wasserschlangen wurde gewarnt). Nicht zu vergessen auch der Rotary Club, in den mich mein Gastgeber zu einem Business-Lunch mitnahm, wofür ich mich anschließend mit ein paar Worten zu bedanken hatte, die, so wurde ich instruiert, völkerverbindend wirken sollten. Unsere gleichaltrigen neuen Freunde, die, wie mir einer sagte, noch nie einem Ausländer begegnet waren, waren überraschend anders als wir. Sie konnten alle Auto fahren (wie, ebenso erstaunlich, ihre Großmütter auch), einige besaßen sogar ihr eigenes Auto. Ihrerseits waren sie, oder doch manche von ihnen, beeindruckt davon, daß wir alle Englisch sprachen. Englisch war für die “ Eingeborenen von Bizonesien ” und seit 1948 einem Karnevalsschlager zufolge von Trizonesien immerhin neun Jahre lang Pflichtfach gewesen mit zwar wenig texastauglicher Klassenlektüre wie Macbeth, Saint Joan und The Scarlet Letter, allenfalls noch Wordsworths “ Daffodils ” und Kiplings “ Recessional ” , dem Abgesang auf das Empire, nicht aber mit seinem kanonischen “ If ” , dem Katechismus des Gentleman-Ideals. Die 30 In einer amerikanischen Familie (1952) <?page no="31"?> jugendlichen Texaner hingegen hatten kein erkennbares Interesse an der Sprache der “ am anderen Ende der Stadt ” , um nicht mit dem amerikanischen Idiom zu sagen: auf der falschen Seite der Eisenbahnschienen, wohnenden “ Mexikaner ” . Politisch inkorrektes Sprechen ging ihnen wie wohl vielen in der Zeit, als es noch eine Restaurantkette namens “ Sambo ” gab (abfällig für Schwarzer), anscheinend gedankenlos von den Lippen. (Die Deutschen wußten es natürlich auch nicht besser: das Wort “ Kanake ” habe ich zum ersten Mal 1961 auf einem deutschen Schiff vor der Küste von Nicaragua gehört, und den “ Sarotti- Mohr ” gab es ja noch lange.) Exkurs Bei mir kam zu der Sprachkenntnis der deutschen Gäste noch eine gewisse, von den englischen Verwandten nicht entmutigte Anglophilie hinzu. Allerdings war mein erster Englischlehrer (der es sich nicht versagte, sich über den “ sprechenden ” Namen Church-ill und über die Großschreibung des Personalpronomens “ I ” zu mokieren) kein England-Freund; manchmal trat er im Unterricht in SA-Uniform auf. Wenig Begeisterug erweckte auch ein späterer Englischlehrer, der beim Betreten des Klassenzimmers den linken Arm zum Hitlergruß hob, wohl wegen einer Verletzung aus dem Ersten Weltkrieg: er glaubte, daß sich das geringe Auf und Ab der englischen Intonation am besten erreichen ließe, wenn man beim Sprechen zwei Bleistifte walroßartig von den Mundwinkeln baumeln ließe, selbst beim gemeinsamen Singen von “ Fifteen men on a dead man ’ s chest - yo-ho-ho, and a bottle of rum ” aus Treasure Island, der damaligen Klassenlektüre. (Die Erinnerung daran meldete sich Jahrzehnte später in der Admiral-Benbow-Inn, wo das Seemannsgarn seinen Ausgang nahm.) Ohne Bleistifte konnte ich, obwohl musikalisch unbegabt, immerhin schon dank meiner Mutter “ Last rose of summer ” singen In einer amerikanischen Familie (1952) 31 <?page no="32"?> und auch “ My bonnie lies over the ocean ” , lange bevor ich wußte, was “ bonnie ” bedeutet. Besser wurde es mit dem Englischunterricht, als nach 1945 ein Studienrat, Wolfgang Kaftan, aus jahrelanger englischer Kriegsgefangenschaft zurückkehrte und vielen von uns das Englischlernen, ohne Bleistifte und ohne den Befehl “ opine something ” , zum reinen Vergnügen machte. Dazu gehörte das Projekt der Klasse, G. B. Shaw einen essayartigen Brief über sein Saint Joan-Drama, unsere erste anspruchsvollere Unterrichtslektüre, zu schreiben, der heute vielleicht noch in einem Archiv vor sich hin schlummert. (Meine erste Veröffentlichung, in Paustians lustiger Sprachzeitschrift, datiert aus dieser Zeit: eine englisch geschriebene läppische Familienanekdote . . .) Auftrieb bekam das Selbstwertgefühl schon vorher, als ich, gerade zwölf geworden, mit den kanadischen Besatzern - später drei Jahre lang meine Landsleute - parlieren konnte, die im Frühjahr 1945, kurz vor und nach dem Waffenstillstand ( “ Zusammenbruch ” im damaligen Deutsch) in nächster Nähe auf weiteres wartend, sich keineswegs an den Non-Fraternization-Befehl hielten (und mir das Schießen mit mehr Erfolg beibrachten als der Jungvolk- Hordenführer, der nicht verstehen konnte, wieso ein Gymnasiast so schlecht zielen konnte). Wenn meine Großmutter aus Thüringen zu Besuch kam, frischte sie mit mir gern ihr Englisch auf, das auf ihre Zeit in England zurückging, wo sie, die Pfarrerstochter, meinen Großvater, den Pfarrer, kennengelernt hatte, ich nehme an, auf einem Besuch bei ihren vielen englischen Verwandten. Sie muß es gewesen sein, von der ich zum ersten Mal Rupert Brookes Zeilen hörte “ If I should die, think only this of me: / That there ’ s some corner of a foreign field / That is forever England. ” Hinzu kamen Brieffreundschaften (große Mode damals mit Vermittlungsagenturen für “ pen pals ” ) mit englischen Schülern und auch einem Araber namens Abdullah in Aden. (Ob sie wohl auch 32 In einer amerikanischen Familie (1952) <?page no="33"?> wie wir 1944 die Invasion im “ Kunst ” -Unterricht hatten malen müssen? ) Zusammenkünfte und Vortragsveranstaltungen des erwähnten englischen Clubs wurden geleitet von einem deutschen, aber auch ohne Regenschirm englischer als Chamberlain wirkenden ehemaligen Handelsherrn in China. Ein ganz großes Erlebnis war eine King Lear-Aufführung, mit der das Londoner Old Vic Theatre im nahegelegenen Oldenburg gastierte. In der Schule kam es zu auf andere Weise Staunen erregenden Gesprächen mit so exotischen Gestalten wie einem kilttragenden Dudelsackspieler von der Besatzungsarmee und einem Straußenfarmer (so was gab es also! ) aus Kalifornien, der sich long distance in eine Schauspielerin der Ostfriesischen Landesbühne verliebt hatte. Im ersten Semester und dann wieder im vierten in Heidelberg lernte ich im Collegium Academicum, einem Studentenwohnheim angelsächsischen Musters, amerikanische Studenten kennen; auch gab es dort ein Amerika-Haus, mit Vorträgen von amerikanischen Professoren, die nicht zuletzt dadurch beeindruckten, daß sie die vertrauten Starallüren offenbar nicht beherrschten. Einer von den Gastgebersöhnen in Port Arthur erinnerte sich Jahrzehnte später im Internet: nicht nur sprachen wir alle Englisch, wenn auch mit ausgefallenen britischen Idiomen wie “ on the never-never ” (auf Ratenzahlung) und “ tell that to the marines ” (das kannst du mir nicht weismachen). Aus dem, was wir Deutschen so sagten und taten (auf mich machte Hemingways eben erschienene Erzählung “ The Old Man and the Sea ” einen so großen Eindruck, daß ich ihm mit teenagerhafter Chuzpe gleich einen Brief schrieb), hätten sie entnommen, daß wir eine gediegenere Schulbildung, “ a lot more education ” , hätten als sie. 14 Nicht ganz falsch war daran, daß unser Abitur nach dem dreizehnten statt, wie in Amerika üblich, nach dem zwölften Schuljahr war. In der Beherrschung unregelmäßiger lateinischer Verben waren wir daher den neuen Freunden überlegen, die es uns In einer amerikanischen Familie (1952) 33 <?page no="34"?> ihrerseits nicht übelnahmen, daß wir keine Ahnung hatten, wer Davy Crockett war und daß der Kirschenstibitzer George Washington nicht lügen konnte. Vor allem aber war bei uns, soweit wir im humanistischen statt naturwissenschaftlichen Zweig einer Oberschule unterrichtet worden waren, größerer Wert auf literarische Bildung gelegt worden, woraus folgte, daß man sich in dieser Hinsicht auch auf eigene Faust umtat, unabgelenkt vom Fernsehen damals noch. Ganz anders war das offenbar in den öffentlichen Schulen in Amerika, im Unterschied zu den privaten, den sogenannten “ prep schools ” , die gezielter auf das Universitätsstudium vorbereiteten. Über Literatur habe ich jedenfalls, soweit ich mich erinnere, mit meinen neuen Freunden nicht gesprochen, so begeistert ich, wie damals unter deutschen Jugendlichen üblich, von den Dramen und Romanen der französischen Existentialisten und Avantgardisten auch war, von Camus allen voran, aber auch von Sartre, Anouilh, Cocteau. Und nicht nur von ihnen. Im Fahrwasser des Nachholbedarfs gehörten für mich und manche, die ich kannte, auch die Romane und Dramen der Amerikaner und Engländer mehr oder weniger zum persönlichen Pflichtpensum, wenn man “ mitreden ” wollte. Texte gab es auf Englisch (zumeist aus der Bibliothek des englischen Informationszentrums, aber auch in Paperback-Ausgaben waren sie leicht zu besorgen) oder, wie es in der Volkshochschule, an deren Kursen ich teilnahm, gang und gäbe war, in Übersetzung; selbst die Stadtbibliothek war ziemlich auf der Höhe. Diese neuen Bücher lösten außer Felix Dahns und Gustav Freytags Historienschmökern auch die in der Nazizeit populären Romane von Hans Grimm, Kolbenheyer, Beumelburg und Konsorten ab, die weiterhin in der Schulbibliothek zur Verfügung standen (neben einigen englischen, vor allem von Dickens, von dem einer der Englischlehrer abriet). Deutlich erinnere ich mich an Norman Mailers The Naked and the Dead, James Jones ’ From Here to Eternity, Steinbecks The Moon is Down und Hemingways For Whom the Bell Tolls und The Sun Also Rises, aber auch an Gone with the Wind (warum das mediokre Literatur sei, erklärte mir mein Großvater, nicht der 34 In einer amerikanischen Familie (1952) <?page no="35"?> Theologe, sondern der säkulare Humanist aus Ostfriesland, Rektor Beekman, Respektsperson vom Scheitel bis zur Sohle, unvorstellbar ohne dreiteiligen dunklen Anzug mit Uhrkette und Krawatte). Unvergessen sind auch so verschiedene Werke wie Lost Horizon, Nineteen Eighty-Four, Louis Bromfields The Rains Came und C. S. Foresters Hornblower-Romane (oder doch einer davon) und von den älteren modernen “ Klassikern ” , zum Teil von meinem anderen Großvater stammend, David Copperfield und A Tale of Two Cities, Ivanhoe und Kenilworth, ein Band von Galsworthys Forsyte Saga, Conrads Nostromo und Victory und Maughams Of Human Bondage, Wilders The Bridge of San Luis Rey und auch The Good Earth von der damals noch weithin geschätzten Pearl Buck. Hinzu kamen die Theaterstücke, als Lesetexte oder in der Aufführung durch die Ostfriesische Landesbühne. Unausweichlich geradezu waren Tennessee Williams ’ The Glass Menagerie und A Streetcar Named Desire, Arthur Millers Death of a Salesman und Wilders The Skin of our Teeth (unter dem damals aktuellen Titel Wir sind noch einmal davongekommen), aber auch Terence Rattigans Schmarren The Winslow Boy. Keine Gespräche also in Port Arthur über diese und ähnliche in diesen Jahren in Deutschland vielgelesenen Werke, wie sie in Heidelberg und schon in der Schule manchmal möglich gewesen waren. Und natürlich hätten auch die damals von vielen von uns in den letzten Schuljahren verschlungenen deutschen Autoren in Port Arthur kein Echo gefunden (aber deswegen war man schließlich auch nicht nach Texas gekommen): Rilke war mein Spezialgebiet in der mündlichen Abiturprüfung, Jüngers Strahlungen nötigte mir mein Deutschlehrer auf, um meinen Aufsatzstil zu verbessern; de rigeur waren, heute so gut wie vergessen, Werner Bergengruens Der Großtyrann und das Gericht und Hermann Kasacks Die Stadt hinter dem Strom; Hesse gehörte mit Demian, Siddharta und dem Glasperlenspiel, lange bevor er in den sechziger Jahren zum internationalen Guru avancierte, zum sine qua non, aber auch Wiechert und Borchert, noch nicht jedoch Benn, Brecht, Musil und Kafka; nicht zu In einer amerikanischen Familie (1952) 35 <?page no="36"?> vergessen aber Des Teufels General, das Stück, das seine enorme und umstrittene, bis zur Ostfriesischen Landesbühne reichende Popularität dem Umstand verdankte, daß es als Apologie der politischen Mitläufer verstanden werden konnte. Holthusens Essays in Der unbehauste Mensch boten in der Oberschulzeit Orientierung für manche von uns, überdies die Vorträge von Göttinger Professoren im Rathausaal. Doch um gegenüber den texanischen Nicht-Gesprächspartnern fair zu sein: diese (mehr oder weniger) Highbrow-Kultur war natürlich in Deutschland umbrandet von Druckerzeugnissen des Kuckucksuhr-Niveaus, von Heimatfilmen wie “ Grün ist die Heide ” und “ Schwarzwaldmädel ” , “ Illustrierten ” , die über Glanz und Elend einstmals oder gerade eben noch gekrönter Häupter von Soraya an abwärts oder aufwärts orientierten, und von Lesezirkeln für Leute, die eher für “ Leichtes ” zu haben waren. Wir jungen Deutschen waren unsererseits in Port Arthur wenn nicht von der literarischen Bildung unserer neuen Freunde, so um so mehr von den “ Social Studies ” in ihrem Bildungsprogramm angetan, das sich durchaus nicht in Anleitung zu Feuerverhütung und Vaterlandsliebe erschöpfte, wie böse Zungen wissen wollten. Vielmehr vermittelten ihnen diese Studien (während es in Deutschland in diesen Jahren nicht einmal so etwas wie Gemeinschafts- oder Staatsbürgerkunde gab) eine gewisse kontaktfreudige Ungezwungenheit und Lebensgewandtheit, mit einem Wort: Selbstsicherheit und Aufgeschlossenheit im Umgang mit Menschen. Das übertrug sich offenbar auch auf den lockeren Stil des öffentlichen Lebens in Amerika, wenn vermutlich auch nicht überall, der uns angenehmer berührte als der uns vertraute. Die selbstverständliche Zugewandtheit und spontane Freundlichkeit dieses Stils hat sich mir in späteren Jahren, bis heute, immer erneut bestätigt, selbst im Umgang mit Bürokraten, und sei es auch nur durch Floskeln und das zur zweiten Natur gewordene, den alltäglichen Lebensstil angenehm reibungslos machende Lächeln, selbst beim zufälligen Blickkontakt mit Wildfremden. Das dürfte kaum allein auf Dale Carnegies Bestseller How to Win Friends and Influence 36 In einer amerikanischen Familie (1952) <?page no="37"?> People und Norman Vincent Peales 1952 eben erschienenes Erfolgsbuch The Power of Positive Thinking zurückzuführen gewesen sein; deutsche Besucher befremdet dieses Lächeln immer noch leicht: es “ bedeute ” doch nichts, urteilte ein deutscher Gastprofessor kopfschüttelnd, als sei ein menschenfreundliches Miteinander eben “ nichts ” . Ein Höhepunkt war die etwa eine Woche lange Anhalterfahrt (heute längst verboten) mit dem ältesten Sohn meiner Gastgeber in den Tiefen Süden, der gegenüber Texas, das als amerikanischer Westen gilt, wieder eine ganz neue Welt war: Louisiana mit seinem kolonialen Ambiente einschließlich “ Sklavenmarkt ” in New Orleans und, tatsächlich, mit einem (nach der Endhaltestelle benannten) Streetcar “ Desire ” dort; Mississippi mit seinen stattlichen Plantagenvillen hinter griechischen Säulenportikos, aber auch ein Heidelberg gab es da; Alabama mit seinen verschlafenen Kleinstädten, wo uns ein Einheimischer erzählte, er sei noch als Sklave geboren; schließlich der Panhandle von Florida mit seinen Eichen, an denen im subtropisch feuchten Wind Girlanden von Spanischem Moos wie Lametta an Weihnachtsbäumen flatterten. Dazu aber entlang den Landstraßen aufdringliche Schilder mit Reklame für allerlei Amerikanisches wie Motels, Icecream Sundae, Root Beer und die Rasierseife Burma Shave, die die Haut unter den “ noses ” so glatt mache wie die von “ Eskimoses ” (eine heute zugunsten von Inuits längst von der politischen Korrektheit in die Verbannung geschickte Bezeichnung wie auch das damals noch zu hörende “ greasers ” für Mexikaner im amerikanischen Südwesten). Gar nicht zu übersehen war natürlich die schwarz-weiße Rassentrennung mit den “ whites only ” -Restaurants, Wasserspendern und separaten öffentlichen Toiletten für “ White ” und “ Colored ” . In Louisiana war es, glaube ich, daß ein Bus, kaum daß er abgefahren war, anhielt und der Fahrer mich aufforderte, weiter vorn Platz zu nehmen, wo die Weißen hingehörten. (Die Aufforderung an Rosa Parks in Montgomery, Alabama, ihren Platz im Bus einem neu zugestiegenen Weißen zu überlassen, geschah erst im Dezember 1955; es folgte der Bus-Boycott, der einer der In einer amerikanischen Familie (1952) 37 <?page no="38"?> Anstöße zur Bürgerrechtsbewegung wurde.) Auch unter sich schienen Weiße in der Öffentlichkeit nach ihren eigenen Regeln zu leben: in einem keineswegs luxuriösen Hotelrestaurant (wir waren schließlich Hitchhiker, die für möglichst wenig Geld möglichst weit herumkommen wollten) wurde uns, in Alabama war das wohl, ein Tisch erst angewiesen, nachdem man uns, in drückender Hitze, Leihjacketts für den Aufenthalt im (nicht klimatisierten) Speisesaal aufgenötigt hatte. (Später wurden wir im Hotel gefragt, ob wir “ girls ” wollten.) Nicht nur die Zeit der Rassenschranke und der selbstzufriedenen Wohlhabenheit der Weißen waren die frühen fünfziger Jahre; es waren auch die McCarthy-Jahre des Kalten Kriegs in der Form der (auch in Deutschland geschürten) Angst vor “ den Russen ” . In den USA war sie aufsehenerregend durch die Hexenjagd auf allerlei “ Linke ” , z. T. schon vor den McCarthy- Verhören; Stichworte: Loyalty Oath für staatlich Angestellte in Kalifornien, J. Robert Oppenheimer in Los Alamos, Schwarze Listen in Hollywood. Davon allerdings merkte man in Port Arthur nichts. Allenfalls war die Gastgeberfamilie von einem von uns besorgt, als ihr Sohn sich für Russisch interessierte und sich später im Jahr im Zusammenhang einer Seminararbeit an die Sowjet-Botschaft wandte oder wenden wollte mit der Bitte um Auskunft über irgendetwas. Und als ich im Sommer 1953 nach Semesterende im nahegelegenen New Braunfels einen Job bei der dortigen deutschsprachigen Wochenzeitung hatte, mußte ich aus amerikanischen Blättern die Berichte über den Prozeß gegen die Spione Julius und Ethel Rosenberg für die Zeitung ( “ Seitung ” ausgesprochen) ins Deutsche übersetzen, aber das war nur ein Tagesthema neben vielen anderen. Gegenüber uns Deutschen, über die die Port Arthur News gelegentlich berichtete, gab es, sieben Jahre nach Kriegsende, keine Antipathien. Nicht etwa aus historisch-demographischen Gründen, denn im mittleren neunzehnten Jahrhundert, als es zu der massiven Einwanderung aus Deutschland nach Texas kam, die noch heute das Bild in New Braunfels und Fredericksburg weiter landeinwärts bestimmt, hatte es Port Arthur ja noch nicht 38 In einer amerikanischen Familie (1952) <?page no="39"?> gegeben. Vielmehr waren wir Austauschstudenten zu jung, um Nazis gewesen zu sein, und als Stipendiaten der amerikanischen Regierung “ linker ” Neigungen nicht verdächtig. Da galt ein gewisser Jugendschutz, auch wenn wir eine Jugend waren, die in ihrer Heimat damals und selbst später noch, bis in die sechziger Jahre, Gesprächsfetzen aufschnappen konnte wie “ zweimal in diesem Jahrhundert haben die Engländer und Amerikaner uns kaputt gemacht ” oder “ in allem habe ich auch nicht mit Hitler übereingestimmt ” , “ wir haben ja das beste gewollt ” und die Erfinder des KZ seien doch die Engländer im Burenkrieg gewesen. Allerdings hatte ich auch einen Lehrer in der Oberschule, der nach Kriegsende in der Unterrichtsstunde öfter “ auf die Nazis schimpfte ” , als manchen Eltern lieb war und dessen Unterricht als einziger in dieser Zeit von einer amtlichen Kommission visitiert wurde. Die kritische und besonders die selbstkritische Einstellung der deutschen Bevölkerung zur Nazizeit und ihrer antisemitischen Politik trat bekanntlich, von Ausnahmen abgesehen, erst seit den späten fünfziger Jahren und besonders nach dem Eichmann- und dem Auschwitz-Prozess (1961, 1963) auf breiter Basis an die Stelle der schuldverdrängenden Flucht in die Wiederaufbauleistung und die Stabilisierung des eigenen Wohlstands oder auch des Opferbewußtseins (Kriegstod der Väter und der Kinder, Ausbombung, Flüchtlingselend, Wohnungsnot, Lebensmittelknappheit). Wehler (Anm. 10) bringt erschreckende Umfragestatistiken zu der Sympathie mit der Nazi-Ideologie in den fünfziger und sechziger Jahren (IV, 982; V, 295). Erst in den späteren sechziger und den achtziger Jahren sollten dann Alexander und Margarete Mitscherlichs Unfähigkeit zu trauern (1967) und Ralph Giordanos Zweite Schuld (1987) die verbreitete Verleugnung der Mitverantwortung einschließlich der passiven Mitwisserschuld mit psychologischer Analyse bzw. moralischer Anklage konfrontieren. Norbert Frei beschreibt diese Entwicklung in seinem Buch Vergangenheitspolitik (1996; Kap. 2 u. 3). Im Gesamthabitus wirkten wir jungen Deutschen in Port Arthur vielleicht (der Sohn einer der Gastgeberfamilien hat es In einer amerikanischen Familie (1952) 39 <?page no="40"?> mir später bestätigt) eine Idee förmlicher, um nicht zu sagen steifer, als die gleichaltrigen Einheimischen. Den Rat eines für ausländische Studenten in Amerika gedachten “ Handbuchs ” von 1945: “ Vermeide es, dich in Gesellschaft am Kopf oder anderen Körperteilen zu kratzen ” 15 brauchten wir sicherlich nicht. Mir wurde nachgesagt, ich habe mich am Telephon in der Küche meiner Gastgeberfamilie (neben der stolz erworbenen nagelneuen Bendix-Waschmaschine), als ich nach einem Gespräch mit einem “ Thank you ” auflegte, regelrecht verbeugt, was doch am anderen Ende der Leitung nicht zu sehen gewesen sei . . . Ganz anders als wir “ förmlichen ” jungen Deutschen waren auch die älteren Texaner: nicht eben selten kam es vor, daß man von Fremden, kaum daß man mit ihnen bei zufälliger Begegnung ins Gespräch gekommen war, zum Mittagessen oder Drink oder Kaffee (nicht zum Tee) eingeladen wurde, gleich jetzt oder morgen. Schon und selbst in New York hatte ich solche Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit in der Kontaktaufnahme bemerkt, und (um ein wenig vorzugreifen) während der Studienzeit in Austin an der texanischen Staatsuniversität war es so ähnlich: von Professoren und Zufallsbekanntschaften wurde man zum Dinner oder Drink eingeladen, allein oder mit anderen zusammen; eine Graduate-Studentin und ihr Mann, der den “ great American novel ” schrieb, wie es hieß, nahmen mich spontan zum Abendessen mit nach Hause; ein Studienfreund, den ich bei den Unitarian-Universalists kennengelernt hatte, brachte mich zum Wochenende ins Haus seiner Eltern in West-Texas mit, wo man Pfeilspitzen in der Wüste fand (für mich als einen ehemaligen Karl-May-Leser bewegender als ein 1945 am Grasrand meines Schulwegs gefundenes Parteiabzeichen); eine Freundin aus dem altenglischen Seminar schickte mir noch Jahre später die eine oder andere Textausgabe, die für mich sonst schwer zu besorgen gewesen wäre. Auf dem Campus war ich als Lutheraner gemeldet (damals durften Studenten noch nach ihrer Religionszugehörigkeit gefragt werden; wenn sie Anstoß daran nahmen, gaben sie auf dem Fragebogen “ Druidismus ” an), daher luden mich Kirchengruppen hin und wieder 40 In einer amerikanischen Familie (1952) <?page no="41"?> zum Gottesdienst und anschließenden Familienmittagessen ein oder, wie sie es ausdrückten: mit ihnen zu teilen, was ihnen der Herrgott gegeben habe, und der Herrgott war damals unparteiisch: er gab allen immer dasselbe, nämlich gebratene Hähnchen mit Kartoffelbrei und grünen Erbsen und Vanille-Eis zum Dessert. Beim Abschied von Port Arthur bedankten wir Austauschstudenten uns überschwenglich in einem sicherlich in der Redaktion bearbeiteten Brief in der Port Arthur News vom 12. September für die “ enjoyable and unforgettable ” Gastfreundschaft. Wir hofften “ that on our part we did our small share not to be a nuisance ” und daß wir zusammen mit unseren Gastgebern und vielen anderen in Port Arthur “ laid one or two bricks of the building of world-wide understanding and benevolence ” . Wir hätten in diesen Wochen das “ every day American life ” aus erster Hand kennengelernt; ohne diese Erfahrung würde der Übergang von einer deutschen zu einer amerikanischen Universität sicherlich wie ein Sprung ins kalte Wasser werden, “ the families gave us the life-belts ” . Unsere Gastgeberfamilien, hieß es, altklug den Mund vollnehmend, “ will fill one of the most glorious pages in the annals of the advancement of understanding and the conviction that [. . .] people of different languages can speak in the tongue which they have in common: that of humanity and unprejudiced broadmindedness. ” In einer amerikanischen Familie (1952) 41 <?page no="43"?> 3. “ Deep in the Heart of Texas ” Student an der Staatsuniversität (1952 - 53) Mitte September, kurz vor Semesterbeginn, lieferten meine Gastgeber ihren Sohn und mich nach mehrstündiger Autofahrt in Austin ab, wo mir erst nach und nach klar wurde, was für ein Glück ich gehabt hatte, daß man mich einer wissenschaftlich bedeutenden Universität zugewiesen hatte - es hätte ja auch, wie im Falle anderer aus unserer Gruppe, ein bescheidenes, “ general education ” betreibendes College sein können, das, ohne Graduate School natürlich, im extremsten Fall dem deutschen Oberschulniveau wohl allzu nah gewesen wäre. Austin, die Staatshauptstadt, seit 1839 sämtliche Regierungsbeamte mit ihren Ochsenkarren aus Houston hierher übersiedelten, wo zuvor Apatschen, Comantschen und dann auch spanische Missionare Fuß gefaßt hatten, war damals noch eher kleinstädtisch; die heutigen Wolkenkratzer machten dem imposanten Capitol, dem Parlaments- und Regierungsgebäude, noch keine Konkurrenz. Am Ufer des Colorado River gelegen, nicht weit vom hispanischen Mekka San Antonio mit seinem historischen Staatsheiligtum “ The Alamo ” , wo Davy Crockett, “ king of the wild frontier ” , 1836 im Krieg gegen Mexiko den Tod fand, umgeben von oft grüner, aber öfter “ goldener ” Hügellandschaft und sieben Seen samt einer das ganze Jahr über warmen Badequelle, verbreitete die Stadt die Aura freundlicher Gutnachbarlichkeit. Und dies besonders in den dezent gepflegten Wohngegenden rund um den Campus, der noch “ Forty Acres ” genannt wird wie zur Zeit der Gründung in den frühen 1880er Jahren, aber mittlerweile weit darüber hinausgewachsen ist. Heute gilt Austin, inzwischen durchaus Großstadt, seriösen Umfragen zufolge als eine von etwa einem halben Dutzend amerikanischen Städten mit den angenehmsten Lebensbedingungen und die Universität mit ihren jetzt mehr als 50.000 Studierenden als eine der zwei Dutzend besten der Welt. Dazu beigetragen hat das Humanities Research Center, nach dem <?page no="44"?> Inspirator auch Harry Ransom Research Center genannt, mit seinen immensen Manuskriptsammlungen, gezielt spezialisierten Beständen seltener Druckwerke und Autorennachlässen: es hat Austin zum Wallfahrtsort für literatur- und kulturwissenschaftliche Forscher gemacht. Im übrigen wird die größte nordamerikanische “ städtische ” Kolonie einer besonderen Fledermausspezies zu den nicht zu verpassenden Sehenswürdigkeiten gezählt. Der Campus wurde und wird noch heute beherrscht von seinem Wahrzeichen, einem ca. hundert Meter hohen Turm, der nach gewonnenen Football-Spielen mit der Kennfarbe der Universität, orange, angestrahlt wurde, während man weit und breit den Universitätssong “ The Eyes of Texas are upon you ” nicht überhören konnte. Umringt ist der Tower von ockerfarbigen, mit rötlichen Ziegeln gedeckten z. T. palastartigen Sandsteingebäuden klassischer und kolonialspanischer Inspiration mit ihren Säulen, Architraven, Pilastern, Kolonnaden und Terra-cotta-Ornamenten; der Turm wird von einem Aufsatz gekrönt, der mit seinen Säulen wie ein griechischer Miniaturtempel wirkt. (Inzwischen sind - die Universität ist mittlerweile fast doppelt so alt wie damals und der Campus ausgedehnter und dennoch enger besiedelt - allerlei prononciert modernere und mediterran wirkende Bauten hinzugekommen.) Im näheren Umkreis dann Dutzende von Fraternity- und Sorority-Häusern, viele von ihnen ebenfalls mit klassischen Säulenportikos, wie man sie im Tiefen Süden oft sieht. 16 Dieses weitäufige, doch zielstrebig geplante Universitätsgelände, der Campus, war natürlich ein überraschend neues akademisches Habitat für den Neuling, der es gewohnt war, daß die Institute der Universität über die ganze Stadt verstreut waren, während sich hier ein Gemeinschaftsleben der Studierenden aller Fachrichtungen ganz von selbst einstellte. Ein Zimmer in Campus-Nähe war bald gefunden, in einem von drei ältlichen Schwestern bewohnten, schon etwas bemoost verfallenden zweistöckigen Einfamilien-Holzhaus mit verwildertem Garten in einer stillen Seitenstraße ohne Beleuchtung 44 Student an der Staatsuniversität (1952 - 53) <?page no="45"?> Abb. 3: The University of Texas, Austin Student an der Staatsuniversität (1952 - 53) 45 <?page no="46"?> und Asphalt. (Man war in dieser Wohngegend auf die bescheidene Miete - monatlich $ 30, antikes Telephon, Badewanne mit Löwenkrallen und “ Raumpflege ” inklusive - offenbar angewiesen: die vielgerühmte amerikanische Prosperität der Nachkriegszeit hatte längst nicht alle erreicht.) Gleich um die Ecke war das deutsche Bierlokal “ Scholz Garten ” , über hundert Jahre alt, seit 1914 im Besitz der Austin Saengerrunde, von der man allerdings nichts zu hören bekam. 17 Hier waren immer Studenten und oft auch Professoren zu finden, die sich unter den Augen von Generationen von Football-Mannschaften, deren Photographien an den Wänden hingen, entspannten. Rasch gefunden war auch, ein paar Straßen weiter, ein Boarding House, wo ich mich dann dreimal am Tag zu den Mahlzeiten einfand. Die Studenten, die dort wohnten oder nur zu den Mahlzeiten kamen (Studentinnen hatten ihre eigenen Boarding Houses und Dormitories), stammten überwiegend aus Texas und den benachbarten Staaten des Südens und Südwestens; einer hieß Gott mit Nachnamen, ein anderer Maedgen. Hinzu kamen zwei Südamerikaner, ein Australier, ein Texaner, der Wert auf seine indianische Abstammung legte in der Zeit, als es noch nicht politisch inkorrekt war, von “ Indian giving ” (schenken Abb. 4: Auf dem Turm der University of Texas, 1952 46 Student an der Staatsuniversität (1952 - 53) <?page no="47"?> und dann zurückfordern) zu sprechen; dazu ich als einer der zwei deutschen Austauschstudenten an der Universität, aber keine Amerikaner afrikanischer oder hispanischer Abstammung. (Eines Tages hörte ich dort eine ältere Frau nicht ohne Stolz sagen, ihr Großvater, oder war es ihr Vater, habe mehr Sklaven gehabt als . . . ich habe vergessen, wie es weiterging.) Überhaupt habe ich an der Universität während des ganzen Jahres keine afro-amerikanischen Studierenden, geschweige denn Dozenten, zu Gesicht bekommen; zugelassen wurden Undergraduates afrikanischer Abstammung erst ein paar Jahre später, und auch dann nur zögerlich. 18 Asiaten hingegen gab es durchaus unter den 434 ausländischen Studenten, die UT damals hatte 19 - ein Bruchteil der etwa 12.000 Studierenden insgesamt. Ein Vietnamese, der mit mir im Romantik-Seminar saß, korrigierte mein Französisch; ein Araber, der im Shakespeare-Seminar seine textkritischen Ergebnisse vortrug, fragte mich, ob ich ihm aus Deutschland eine Frau vermitteln könnte; ein Japaner erweiterte meine Kenntnis englischer Literaturgeschichte. Aber von der heutigen Multikulturalität war man, wie auch in Berkeley ein paar Jahre später, noch weit entfernt, und fürs Anstoßnehmen an der Diskriminierung Afro-Amerikaner war man noch unzureichend sensibiliert; noch in den siebziger Jahren sah ich am Eingang zum Faculty Club einer südstaatlichen Universität nicht weit von Washington die Steingutstatuette eines Schwarzen, der die Hand ausstreckte, um einem ankommenden Reiter die Zügel abzunehmen. Die Immatrikulation in einer photogenen Sporthalle, halb Scheune, halb Herrenhaus, Gregory Gym, war ein mir seit Heidelberg vertrautes Verfahren, und doch nicht. Oberhalb der sich drängenden Studentenscharen war von einer Seite zur anderen die Buchstabenreihe A bis Z angebracht; man stellte sich in einer kleinen Schlange vor dem Anfangsbuchstaben seines Nachnamens an, um sich registrieren zu lassen. Ich ging gleich ans Ende des Alphabets, denn in Heidelberg folgte auf Z “ Ausländer ” . Doch “ Foreigners ” , die es, wie gesagt, gab, waren in Texas bei der Immatrikulation nicht als separate Gruppe Student an der Staatsuniversität (1952 - 53) 47 <?page no="48"?> vorgesehen. So wandte ich mich, mit meinem deutschen Akzent, an die für XYZ zuständige Angestellte, die dort an einem Tischchen saß: wo denn Ausländer immatrikuliert würden? “ What ’ s your name, son? ” und dann schickte sie mich zu dem von der Decke schwebenden Buchstaben G, “ zwischen F und H ” - peinlich, doch auch ein Willkommen, wie es herzerwärmender nicht hätte sein können. Als “ special student ” (ich würde ja nur ein Jahr hier sein statt die üblichen vier bis zum Bachelor of Arts) war ich, so stellte sich sofort heraus, nicht auf ein bestimmtes Studienprogramm verpflichtet, das zu jener Allgemeinbildung führen sollte, die das Ziel des B. A.-Studiengangs war und noch ist. Erlassen wurde mir ebenfalls die für diese Allgemeinbildung prinzipiell unerläßliche “ physical education ” (im Deutschen sagte man damals Leibeserziehung). Anstatt von Pflichtkursen konnte ich also in freier Wahl Vorlesungen und Seminare, für Undergraduates wie für Graduates (Studierende vom fünften Jahr an) belegen. Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. In Heidelberg hatte es in meinem ersten Semester relativ viel Auswahl in der Germanistik gegeben, obwohl eigentlich nur das Kleist-Seminar von Walter Müller-Seidel, Assistent damals noch, wirklich bereichernd und anregend war. Der Ordinarius für neuere deutsche Literaturgeschichte, Paul Böckmann, Verfasser einer klassischen Studie über das Formprinzip des Witzes in der Aufklärung, orakelte (so schien es dem ungeduldigen Erstsemester) in dicht umnebelter Syntax über Hölderlin, während der ebenfalls “ ordentliche ” Mediävist außer über mittelhochdeutsche Dichtung auch über den jungen Goethe und die chronologisch geordnete Serie seiner Geliebten und die dazugehörigen Gedichte mit der Gewissenhaftigkeit eines Buchhalters wortwörtlich “ las ” . Doch Germanistik im Ausland zu studieren schien mir nicht besonders sinnvoll, nicht ahnend, daß die dortigen Professoren, wie mir später klar wurde, zur allerersten Garnitur gehörten. Im Vorlesungsverzeichnis waren sie erfrischenderweise lediglich als “ Mr. ” ausgewiesen; die Bezeichnung “ Professor Dr. ” habe ich 48 Student an der Staatsuniversität (1952 - 53) <?page no="49"?> auch später in amerikanischen Universitäten nicht gesehen, wohl aber “ Geheimrat ” an der Bürotür eines Berkeleyer Kollegen, der sich über die deutsche Titelsucht lustig machte, nicht ohne daß einer der deutschen Emeriti aus den zwanziger Jahren sich darüber schriftlich entrüstete. “ Professor ” war und ist eher eine Berufsbezeichnung, und auch der Doktor-Titel, mit dem ich in Göttingen sofort nach der Promotion angeredet werden sollte, bezeichnet in Nordamerika in der Regel einen Arzt, wie ich später auf einem Transatlantikflug erfuhr, als die Stewardess mich mitten in der Nacht wegen eines medizinischen Notfalls weckte. Da waren also der Indogermanist Winfred P. Lehmann, der Philologe und Skandinavist Lee M. Hollander, Ritter des isländischen Ordens des Silbernen Falkens, und die Literarhistoriker Wolfgang F. Michael, ein Kenner der Kultur des sechzehnten Jahrhunderts, und vor allem Robert T. Clark, Jr., wenig später Verfasser der immer noch maßgeblichen Herder-Biographie. Also Anglistik. Nach Heidelberg war das English Department in Texas ein wahres Dorado. (Der Vergleich ist natürlich insofern ungerecht, als dem Institut für eine Fremdsprache und ihre Literatur einem Department für die Landessprache und -literatur gegenübergestellt wird.) In Heidelberg gab es einen Ordinarius, einen Privatdozenten, einen hauptsächlich für den Sprachunterricht verantwortlichen Lektor aus Großbritannien und eine für Phonetik zuständige Lektorin. Die Hauptvorlesung, gehalten vom Ordinarius natürlich, dessen wortgeschichtliches Buch über Zinn und Zink im Schaufenster des gegenüberliegenden Buchgeschäfts zu bestaunen war, ohne daß es mein Herz hätte höher schlagen lassen, war vierstündig oder vielmehr dreistündig, nämlich s. t., also je sechzig statt der üblichen fünfundvierzig Minuten lang, und das um acht Uhr morgens in einem bis auf den letzten Platz besetzten kleinen Hörsaal. Thema: “ Geschichte des altenglischen Lautsystems ” . Als ich im vierten Semester aus Texas zurückkam, war Professor Flasdieck, Semester für Semester vierstündig bei der Sache bleibend, bereits zur Geschichte des englischen Lautsystems Student an der Staatsuniversität (1952 - 53) 49 <?page no="50"?> im Mittelalter fortgeschritten, aber nicht mitreißender oder für Lehramtskandidaten (die allermeisten Hörer) relevanter geworden. Der Privatdozent Robert Fricker (der mir später bei Berufungsgesprächen in Bern als Ordinarius wiederbegegnete) war von den frühen Stücken Shakespeares inzwischen bereits zu den späteren gekommen, ohne Frage der einzige Höhepunkt in der Heidelberger Anglistik damals. Außerdem gab es, im ersten Semester, angeboten vom Ordinarius, dem Sprachwissenschaftler, eine einstündige (fünfundvierzig Minuten) Vorlesung über “ Das Viktorianertum ” (in der man, anders als später in Texas bei Oscar Maurer und in Göttingen bei Sehrt, hörte, daß die Königin von England und Kaiserin von Indien eine “ Schießbudenfigur ” gewesen sei) und im vierten, wieder einstündig, ein Seminar “ Sprachwissenschaftliche Übungen an neuenglischen Texten ” , genauer an nur einem Text, Thomas Grays “ Elegy Written in a Country Churchyard ” , deren Wörter in der Reihenfolge, in der sie im Gedicht vorkamen, auf ihre linguistische Geschichte befragt wurden; daß es Literatur war, und noch dazu kulturhistorisch bedeutsame, spielte keine Rolle. Schließlich einstündig eine Vorlesung über D. H. Lawrence von der Phonetik-Lektorin; dazu noch, im ersten Semester, belebend, aber nur einstündig, eine englischsprachige Vorlesung über “ Contemporary Poetic Drama ” von dem englischen Lektor. Sonst stand, in zwei Semestern, über Phonetik- und Übersetzungsübungen hinaus nichts zur Wahl. In Austin sah es ganz anders aus. Da gab es im englischen Department vierzehn Ordinarien, einundzwanzig Extraordinarien, sieben Assistenzprofessoren und eine Dozentin (insgesamt vier Frauen, die im Vorlesungsverzeichnis als Miss oder Mrs. betitelt wurden). Das Angebot war schlicht überwältigend. Unterteilt in Kurse - so der gängige Ausdruck - für “ Juniors ” (Studenten des dritten Jahres) und “ Seniors and Graduates ” (Studenten vom vierten Jahr an), lockten Vorlesungen und Seminare über alle britischen und amerikanischen Literaturperioden, Gattungen und Sprachstufen (vom Altenglischen bis zum gegenwärtigen Amerikanischen), dazu Kurse über “ Meis- 50 Student an der Staatsuniversität (1952 - 53) <?page no="51"?> terwerke ” verschiedener Jahrhunderte, über ausgewählte Themen in der Literatur einer Epoche und natürlich auch über die Koryphäen der Literaturgeschichte wie Chaucer, Shakespeare, Spenser, Milton, Johnson, Burns, Byron, Whitman usw. Man hatte die Qual der Wahl: daß man sich also unter Anleitung von Spezialisten (und, wie ich später erfuhr, größtenteils renommierten Fachvertretern) statt von einem in der Literatur des neunzehnten Jahrhunderts wildernden Linguisten oder einer Phonetik-Expertin einführen lassen konnte in diese oder jene Epoche oder Gattung oder Starautoren der englischsprachigen Literatur und Kultur. Mein deutsches Studienbuch verzeichnet - jeweils mit dem (in Heidelberg bereits 1947 abgeschafften) handschriftlichen Testat der Professoren versehen - Kurse über die Canterbury Tales, den Roman von Defoe bis Scott, dazu Altenglisch (das mir als Deutschsprachigem bedeutend leichter fiel als den Amerikanern) mit einem im nächsten Semester anschließenden Seminar über Beowulf von Rudolph Willard und Mittelenglisch und “ The English Language in America ” von E. Bagby Atwood, dazu Seminare über Shelley, Wordsworth, Coleridge, Byron und andere Romantiker bei dem maßgeblichen Spezialisten David Lee Clark. Als ob es gestern gewesen wäre, erinnere ich mich an die erste Vorlesung bei ihm, meinen ersten Besuch eines amerikanischen Kurses überhaupt: statt, wie gewohnt, mit einem Wust von bibliographischen Präliminarien zu überwältigen, schlug er uns in manuskriptlosem Gespräch den Bann mit seiner lebhaften Vorstellung von Wordsworths berühmter Vorrede zur zweiten Auflage der Lyrical Ballads. Anders als in Deutschland hatte man von Woche zu Woche bestimmte Texte zu lesen, die man sich im University Bookstore, wo sie vorbestellt waren, auch secondhand besorgte, und gegen Mitte des Semesters eine einstündige schriftliche Zwischenprüfung und am Semesterende eine dreistündige, ebenfalls schriftliche Prüfung abzulegen, wofür man eine Zensur bekam (von A bis D, wenn nicht gar F), die in der Verwaltung registriert wurde. (In Heidelberg und später in Göttingen gab es allenfalls einen mit einer Zensur versehenen “ Schein ” für eine nicht Student an der Staatsuniversität (1952 - 53) 51 <?page no="52"?> immer vom Professor selbst gelesene und bewertete schriftliche Seminararbeit; aber würde der später in einem anderen Bundesland anerkannt werden? Nicht unbedingt.) Über diese in aller Form belegten Kurse hinaus aber konnte ich mich als mehr oder weniger regelmäßig anwesender Gasthörer in anderen “ Lehrveranstaltungen ” umsehen, etwa über Shakespeares späte Dramen bei dem schon emeritierten hochgeachteten Robert Adger Law, über Literatur der Renaissance bei dem vielfach ausgewiesenen Sachkenner D. T. Starnes, über Prosa der Aufklärung (Swift, Addison, Steele, Locke und Paine) bei dem Hume-Biographen Ernest Mossner. Überlaufen war kein Kurs. In den für die höheren Undergraduate-Semester und für Graduates gedachten Seminaren, und das waren mit einer Ausnahme die, die ich belegt hatte oder auch als Gasthörer besuchte, saßen statt einigen Dutzend wie in Heidelberg nur eine Handvoll Studierende, was die Verwaltung heutzutage mit hochgezogenen Augenbrauen zur Kenntnis nehmen würde, damals aber völlig normal war. Nur für die Vorlesungen über die Canterbury Tales von M. M. Crow, dem Herausgeber der Dokumentation von Chaucers Leben, und amerikanisches Englisch von Atwood, dem Mitautor des Linguistic Atlas of New England, gab es etwas mehr Nachfrage, so um die zwanzig Hörer, die im Hinblick auf die obligatorischen Prüfungen öfter kamen als wegblieben. Aber Vorlesungen als Massenveranstaltungen, wie sie heute selbst in den Eliteuniversitäten mit beschränkter Studentenzahl an der Tagesordnung sind, habe ich in der Anglistik in Texas nicht erlebt; selbst der Shakespeare-Kurs für Graduates zog nur so wenige Interessenten an, daß das Seminar in der eleganten Ambiance eines getäfelten Sitzungssaals stattfinden konnte. So stellte sich von selbst eine gewisse Kameraderie unter den Kommilitonen ein, die die aus dem Boarding House ergänzte. Während Studenten in Deutschland sich damals größtenteils noch siezten und füreinander Herr und Fräulein Soundso waren, nannte man sich hier sofort beim Vornamen, ohne unbedingt auch gleich den Nachnamen zu erfahren, der manchmal, 52 Student an der Staatsuniversität (1952 - 53) <?page no="53"?> schien es, gehütet wurde wie die Nummer eines Bankkontos, und am Telephon antwortete hier ohnehin niemand mit dem bloßen Nachnamen. In diesen zahlenmäßig überschaubaren Verhältnissen konnten sich die Professoren, damals generell noch Schlipsträger und ohne Passion für Cowboyhemden und Blue Jeans oder anderes Räuberzivil, den Studierenden intensiver widmen, sich überhaupt leichter als “ educators ” sehen, wie Who ’ s Who sie nennt, also das Pädagogische als einen wesentlichen Aspekt ihres Berufs verstehen, selbst in einer Research University, wie UT eine war. Der nach meiner Erfahrung typische deutsche Professor von damals oder doch der “ Großordinarius ” - sich sehr ernst, um nicht zu sagen wichtig nehmend und hochgeachtet wie sonst vielleicht nur ein Bischof oder in Amerika ein Senator - zelebrierte seine Vorlesungen, selbst wenn er sie aus einem entstehenden oder gar schon druckfertigen Buch vorlas, als eine Art Schau oder Événement für das studentische Fußvolk und die Gebildeten der Stadt, “ le tout Heidelberg ” oder “ ganz Göttingen ” . Seinen amerikanischen Kollegen, wie ich sie in meinem Studienjahr kennenlernte, wäre er eher wie eine komische Nummer vorgekommen. (Ich korrespondierete noch Ende der fünfziger Jahre mit einem österreichischen Kollegen, der sich im selbstgetippten Briefkopf als “ Hofrat Prof. Dr. ” vorstellte.) Amerikanern, und auch den zu Gastvorträgen kommenden Engländern wie selbst Arnold Toynbee, in dessen Study of History ich schon zu Hause hineingesehen hatte, war der gesprächlich lockere Ton zweite Natur, der professorale Nimbus fremd; “ Professor ” nannten sich immerhin vor noch nicht allzulanger Zeit auch die Hausierer, die Schlangenöl als Heilmittel für allerlei Gebrechen verhökerten. Der amerikanische “ Seminarleiter ” lud seine Studenten in der Regel zu sich nach Hause zum Abendessen oder zur Hausmusik ein (mit der texanischen Delikatesse Pecan Pie hinterher vielleicht). In der Mensa, die “ Chuck Wagon ” hieß ( “ Gulaschkanone ” ), hatten die Professoren ihren eigenen, mit einem ornamentalen Seil abgegrenzten Bereich, aber ein Student konnte ohne weiteres aufgefordert Student an der Staatsuniversität (1952 - 53) 53 <?page no="54"?> werden, sich mit seinem Tablett zu ihnen zu setzen - entschieden informeller, als es in Heidelberg denkbar gewesen wäre, wo sich der anglistische Ordinarius “ aus gegebener Veranlassung ” in der Vorlesung mit dem Hinweis eingeführt hatte, daß es “ so etwas wie Besuchszeiten ” gäbe. In dem erwähnten “ Scholz Garten ” ging es ähnlich zu. Der Professor konnte bei solcher Gelegenheit auf selbständig entwickelte Projekte auch von Undergraduates verständnisvoll eingehen. So unterstützte mich der Linguist Atwood in meiner sicherlich ziemlich naiven Umfrage und Studie zum deutschen Vokabular im amerikanischen Englisch, woran er sich ein paar Jahre später noch erinnerte, als ich während seines Sabbaticals in Belgien ein paar Tage bei seiner Familie zu Gast war. Überhaupt reagierte auch keiner meiner Professoren anders als “ welcoming ” , wenn ich mich am Semesterbeginn als Student aus Deutschland mit entsprechendem Sprachdefizit vorstellte und hoffte, an ihrem Graduate-Seminar teilnehmen zu können; “ I ’ ll have to explain my jokes then ” , erwiderte einer mit schelmischem Wohlwollen - am Rande des “ Inkorrekten ” heute, doch damals mit dankbarem Augenzwinkern aufgenommen. Übrigens stammten die meisten meiner Professoren aus dem Süden oder Südwesten; von einem Anglisten aus Neu-England hieß es, daß er am Ende des akademischen Jahres regelmäßig einen Subtropenkoller bekäme. Alles andere als unnahbar waren selbst die höheren und höchsten Verwaltungsbeamten. Der Präsident der Universität, Logan Wilson - in Deutschland wäre er, für mich inzwischen schon leicht komisch, als “ Magnifizenz ” zu titulieren gewesen - unterschrieb in meinem Studienbuch persönlich, über dem Amtssiegel der Universität, die Erklärung, daß ich dort 1952/ 53 ordnungsgemäß studiert hätte. (Die in Heidelberg von einem Angestellten am Semesterende routinemäßig ins Studienbuch gestemptelte zwielichtige Formel “ Über die Führung ist Nachteiliges nicht bekannt geworden ” gab es hier nicht.) Harry H. Ransom, der spätere Universitätspräsident, dem das legendäre Literaturarchiv im Humanities Research Center zu verdanken ist, damals noch Associate Dean der Graduate School, 54 Student an der Staatsuniversität (1952 - 53) <?page no="55"?> schrieb mir in gestochener Schrift ins Studienbuch, daß ich den Titel des Master of Arts erworben hätte. (Die Urkunde, dekorativ und zur Einrahmung und Zurschaustellung geradezu prädestiniert und weitaus eindrucksvoller als meine Göttinger Doktorurkunde, kam später mit der Post, ebenso die noch feierlichere, mit goldenem Staatssiegel, roter Schleife und der Unterschrift des Gouverneurs von Texas versehene Urkunde, die mich aus ungeklärten Gründen zum Ehrenbürger von Texas ernannte - “ with all the rights, privileges, and emoluments ” . Was für Rechte und Privilegien? Und was waren “ emoluments ” ? Nützlich war mir die Urkunde, als ich 1956, nach Berkeley berufen, in meinem telegraphischen Visumsantrag diesen Titel betonte, woraufhin ich einen sofortigen Termin im Hamburger Konsulat bekam.) Daß ich auf den damals in Deutschland nirgends verliehenen, eher Erinnerungen ans achtzehnte Jahrhundert, wenn nicht gar ans Mittelalter erweckenden Magister-Titel überhaupt hinarbeiten konnte, wäre übrigens auch ohne Harry Ransom und die flexible Bürokratie der damals etwa 70 Jahre alten Universität nicht passiert. Eines Tages, noch im Herbst 1952, als mein erstes Semester eben erst begonnen hatte, kam ich auf die Idee, daß es doch schön wäre, wenn ich diese Phase meines Lebens akademisch dokumentieren könnte. So ging ich, der unklassifizierte “ special student ” , zum zuständigen Dekan, eben Ransom, und fragte, ob ich nicht als Graduate Student eingestuft und so als Kandidat für den Magister-Titel zugelassen werden könne. Ransom hörte mir freundlich interessiert zu, ganz ohne professorales Gehabe, so daß man ihn unmöglich als “ Spektabilität ” hätte anreden können. Nach einigen Fragen war er Feuer und Flamme, “ that ’ s a great idea ” , hob den Telephonhörer ab und bestellte nach ein paar Bemerkungen über den sonnigen Vormittag hier unten in Texas von der Princeton University die Formulare für eine Graduate Standing Examination, die damals in Princeton zentral für die USA gehandhabt wurde. 20 Kurze Zeit später füllte ich dann zwei Tage lang unter Aufsicht in einem Universitätszimmer allerlei Fragebögen zur Allgemein- Student an der Staatsuniversität (1952 - 53) 55 <?page no="56"?> bildung und zu einem speziellen Interessengebiet im “ multiple choice ” -Verfahren aus: unter den verschiedenen Antworten auf eine Frage kreuzte man die einem richtig (oder doch nicht falsch) scheinende an. Der Bescheid aus Princeton ließ nicht lange auf sich warten: ich war fast über Nacht Graduate Student geworden dank der damals noch auf möglichst breite Allgemeinbildung eingestellten deutschen Oberschule, die insofern dem Liberal Arts-Programm des amerikanischen College vergleichbar war. So konnte ich mich daran machen, die Voraussetzungen für den M. A. zu erfüllen. Das waren acht, mit einer Ausnahme für Seniors und Graduates gedachte Kurse in der Anglistik, hinzu kam eine über hundert Seiten lange Thesis, über Heinrich von Kleist, die Robert T. Clark und Lee M. Hollander begutachteten, sowie ein für diesen Studiengang obligatorischer Kurs über “ American Government ” . Am 30. Mai 1953 war es so weit: Commencement, ein feierliches Freilichttheater auf dem bühnenartig erhöhten Platz vor dem Tower mit Ansprachen, Glockenklang vom Tower und “ The Eyes of Texas are upon you ” , geschmettert von der Universitäts-Band, Professoren im Talar und Familien-Angehörigen der Graduierenden im Sonntagsstaat. Auf der weiten Rasenfläche zwischen dem Tower und der sprudelnden Littlefield Memorial Fountain, dem zweiten Wahrzeichen der Universität, gruppierten sich in diesem opernhaften Gesamtkunstwerk, ebenfalls in Talar und unterschieden durch die farbigen Troddeln an der akademischen Kopfbedeckung, Hunderte von Titelanwärtern, die nun über den Lautsprecher als B. A. oder M. A. oder Ph.D., M. D. usw. eingesegnet wurden. (Anders in Göttingen. Da fand im Juli 1956 nach meiner mündlichen Promotionsprüfung zufällig eine Fakultätssitzung im selben Gebäude statt, und die neuen Doktoren, die, wie ihnen eingeschärft worden war, ihren Titel jedoch erst zu führen berechtigt waren, wenn sie zehn - glaube ich - Exemplare ihrer Dissertation im Dekanat eingereicht hätten, durften sich vor den versammelten Professoren einschließlich der Spektabilität vom Dienst verbeugen, bevor sie sang- und klanglos in die wirkliche Welt entlassen wurden. Man konnte 56 Student an der Staatsuniversität (1952 - 53) <?page no="57"?> sich allerdings zur Feier des Tages eine “ Promotionskutsche ” für eine Triumphfahrt die Weender-Straße hinunter bestellen, aber mir genügte, wie den meisten anderen, mein Fahrrad.) Den guten Sinn der von Europa aus manchmal belächelten Jahresabschluß-Show der amerikanischen Universitäten, deren Attraktion ein Prominenter, ob nun Staatsoberhaupt oder internationaler Erfolgsschriftsteller, ist, sollte man nicht unterschätzen. Sie fördert, im Verein mit den jedes Jahr in der Commencement-Zeit stattfindenden “ Reunions ” der Absolventen früherer Jahre, die Loyalität der Ehemaligen: nicht nur die der Graduierten untereinander, sondern vor allem auch die gegenüber der Universität, die, auch wenn sie vom Staat finanziert wird, mehr oder weniger auf die finanzielle Unterstützung durch die Ehemaligen angewiesen ist, die über Jahrzehnte hin mit Postsendungen auf dem laufenden gehalten (und um Beiträge gebeten) werden und überall in der Welt ihre Clubs haben. Texas Exes heißen sie in meinem Fall. Sie treffen sich zu allerlei Veranstaltungen (Vortrag, Dinner, Tanz, Barbecue) mit einer Regelmäßigkeit, die das Zusammengehörigkeitsgefühl bekräftigt, das sich grundlegend schon daraus ergibt, daß amerikanische Studierende ihr vierjähriges B. A.-Pensum an ein und derselben Universität absolvieren, häufig in den obligatorischen Kursen zusammen sind (und auch zusammen wohnen in Dormitories und Boarding Houses). So entwickeln sie einen gemeinsamen Erfahrungsbesitz, wie er an deutschen Universitäten, die damals überdies noch häufiger als heute gewechselt wurden, nicht recht denkbar ist infolge der fehlenden für alle Undergraduates verbindlichen amerikanischen Programme zur Allgemeinbildung. Das Studentenleben war, ganz anders als spätestens in den sechziger Jahren im Zusammenhang der Bürgerrechtsbewegung, denkbar unpolitisch. Demonstrationen habe ich, obwohl ich jeden Tag auf dem Campus war, nie gesehen. Ein Student in meinem Boarding House hatte in seinem Zimmer eine Hakenkreuzfahne an der Wand hängen, das dürfte jedoch kaum mehr als jugendlich ignorantes épatez le bourgeois gewesen sein. Von Student an der Staatsuniversität (1952 - 53) 57 <?page no="58"?> der rezenten deutschen Vergangenheit war nie die Rede, wenn ich als Deutscher mit amerikanischen Studenten zusammen war. Aber auch aktuelle Ereignisse gingen, ganz anders als Sputnik 1957, offenbar spurlos an diesen jungen Leuten vorüber: etwa der Tod Stalins, der Korea-Krieg, der amerikanische Wasserstoffbombentest auf einem Atoll der Marshall-Inseln im November 1952 und noch vor Ende des Sommers der entsprechende sowjetische in Sibirien. Allenfalls Eisenhowers Sieg in der Präsidentschaftswahl Ende 1952 kam zur Sprache, nicht aber Nixons inzwischen berühmt-berüchtigte Wahlkampfrede über den wohlanständigen “ republikanischen ” Textilmantel seiner Frau und den Hund Checkers seiner Kinder als Indizien dafür, daß der Vorwurf der Korruption aus der Luft gegriffen sei. Soziologische Studien haben mittlerweile festgestellt, daß solches politisches Desinteresse unter amerikanischen Jugendlichen in jenen frühen Nachkriegsjahren des unaufhaltsam aufkommenden Wohlstands im ganzen Land gang und gäbe war: konformistisch, konservativ, auf Existenzsicherheit bedacht, berufsorientiert, aber zugleich privates Glück in der Familie, möglichst in Suburbia anstrebend, ideologisch zurückhaltend und wenig unternehmungslustig ambitioniert. So wurde diese “ Silent Generation ” der Studierenden der frühen fünfziger Jahre beschrieben - kaum anders, als Helmut Schelsky die deutsche Jugend dieser Zeit als “ skeptisch ” , nüchtern lebenspraktisch auf Sicherheit bedacht und leistungsbewußt zielstrebig statt romantisch jugendbewegt oder politisch engagiert gekennzeichnet hat. 21 Das heißt nicht, besonders für Undergraduates nicht, daß berufsorientiertes Büffeln den Lebensstil auf dem Campus bestimmt hätte, so “ schulmäßig ” diszipliniert man, im Unterschied zum Studieren in Deutschland, wo es immerhin noch Schwundformen der Humboldtschen selbständigen Bildungsbemühung gab, auch zu “ arbeiten ” hatte schon wegen der häufigen, keineswegs immer auf Midterms und Finals beschränkten Prüfungen, die entsprechende Beherrschung des jeweiligen Pensums erforderten. Die Football-Spiele waren, 58 Student an der Staatsuniversität (1952 - 53) <?page no="59"?> wie an anderen Universitäten auch, Großereignisse für Tausende, einschließlich der Professoren und der Ehemaligen. Meine betagte Zimmervermieterin erbot sich sogar, mir mit Hinweisen zu Finessen des Sports behilflich zu sein, falls die Studenten im Boarding House nicht gut genug Bescheid wüßten. Was immer sonst ein solches Spiel war, eine opernhafte Schau, ein Gesamtkunstwerk unter blauem Himmel, war es allemal. Eingeleitet durch batonschwingende Girls, die in pomponbesetzten farbenfrohen “ Uniformen ” zur Blasmusik der Longhorn-Band durch das Stadium marschierten, umrahmt von einem Sitzarrangement, das durch die Farben der Kleidung ein Abbild des ikonischen texanischen Longhorn-Rinds oder doch seines Kopfes veranschaulichte, unterbrochen von der pietätvollen Vorführung des Universitätsmaskottchens höchstpersönlich, nämlich eines Longhorn-Bullens namens Bevo, und von den penibel choreographierten Formationen der Band auf dem Spielfeld, wurden diese Spiele mit einem Jubel quittiert, der noch in den entlegensten Winkeln der “ Forty Acres ” des Campus zu hören war. Die Qualität “ unserer ” Mannschaft war berühmt, nur selten wurde nach solchen Spielen der Tower nicht orange angestrahlt als allseits erwartete Frohe Botschaft. Die Football-Spieler waren die Helden des Universitäts-Jahrbuchs, das sich Cactus nannte. Die Heldinnen waren die Gewinnerinnen und die mit Trostpreisen bedachten Beinah- Gewinnerinnen von allerlei Schönheitswettbewerben; die glamoureusen Photos von “ Sweetheart of the University of Texas ” , von den “ Bluebonnet Belles ” , den “ Ten Most Beautiful ” , samt und sonders in Ballroben, füllten viele Seiten auf Hochglanzpapier. Erst seit den mittleren siebziger Jahren, als auch das Hauptfach “ Home Economics ” (Haushaltswissenschaft) abgeschafft wurde, wurde auf diese Sektion im Jahrbuch verzichtet als nicht mehr zeitgemäß. 22 Im Nachhinein wirkt sie wie ein Fingerzeig auf das in den fünfziger Jahren auf dem Campus übliche in mancher Hinsicht förmlichere Verhältnis der Geschlechter; die Universität sah sich noch in loco parentis; “ chaperons ” (Aufsichtspersonen bei geselligen Anlässen, “ Feuer- Student an der Staatsuniversität (1952 - 53) 59 <?page no="60"?> löscher ” genannt) spielten noch eine Rolle, und Undergraduate- Studentinnen hatten sich, wenn sie zum “ date ” ausgingen, bis zu einer bestimmten Uhrzeit in ihrem Dormitory zurückzumelden. Andere Sektionen des Jahrbuchs betrafen, immer reich bebildert, die studentische Mitverwaltung, soweit es sie gab, die Universitätszeitung, Veranstaltungen, Theater (damals unter Leitung des renommierten B. Iden Payne, der früher Direktor des Abbey Theatre in Dublin und des Shakespeare Theatre in Stratford gewesen war), Laienspielgruppen, die Party-Szene (weithin von Fraternities und Sororities beherrscht), das Reserve Officers Training Corps (ROTC), Wohngemeinschaften aller Art und das intensive Club-Leben der Undergraduates, das ein breites Spektrum von musikalischen und literarischen bis hin zu vielerlei sportlichen Gruppen umfaßte. Die Bibliothek war für mich, den Bücherwurm aus Deutschland, eine ungeahnte neue Welt. In Heidelberg und später auch in Göttingen war die Universitätsbibliothek außer dem Lesesaal nur stundenweise geöffnet, der Katalogsaal, wo man (in Göttingen) für einen Pfennig von einem graubekittelten Faktotum einen Leihschein kaufen mußte, war nur zu bestimmten Zeiten ein paar Stunden lang zugänglich und ebenso, zu anderen Zeiten, die Ausleihe, wo man am nächsten Tag ein bestelltes Buch abholen konnte - wenn man Glück hatte. Denn Bücher, die in den Vorlesungen genannt wurden, waren infolge der großen Studentenzahl bei weitem nicht immer aus der UB zu bekommen; wenn nicht, mußte man sich mit “ Ich lasse das prüfen ” der Bibliotheksoberinspektorin und langzeitlicher Hoffnung zufrieden geben. In den Seminarbibliotheken war immerhin jeweils ein einziges Exemplar der für dies oder jenes Seminar wichtigsten Bücher zu finden, wenn es nicht schon ein anderer der zahlreichen Teilnehmer gefunden hatte. An ein gewissenhaftes Aufarbeiten des ex cathedra Gehörten war also kaum zu denken, allenfalls schob man es auf die Semesterferien und die Benutzung privater oder lokaler Bibliotheken auf. Notfalls kaufte man sich das eine oder andere Buch in der Universitäts- 60 Student an der Staatsuniversität (1952 - 53) <?page no="61"?> buchhandlung, wo der auf den Ladentisch gelegte Geldschein (in Heidelberg) mit “ Ich bin so frei ” entgegengenommen wurde. Sich selbständig im Magazin umzusehen oder Bücher zum sofortigen Gebrauch auszuleihen war für Studenten und wohl auch für Dozenten unerhört. In Austin, wie auch später in Berkeley, Toronto und Harvard, war das alles anders. Die Bibliothek war so gut wie immer geöffnet, von frühmorgens bis spätabends, und selbstverständlich auch am Wochenende, und man konnte ohne jede Kontrolle nach Belieben im Magazin herumstöbern und überraschende Entdeckungen machen, wenn man Bücher brauchte oder auf gut Glück suchte, die nicht zum Eisernen Bestand der Lektüre für eine Vorlesung oder ein Seminar gehörten. Mehr noch: als Graduate bekam man auch ein “ carrel ” zugewiesen, einen persönlichen Arbeitswinkel mit Bücherregal, Schreibtisch und Holzsessel; dort konnte man für die Dauer eines Semesters zusammenstellen, was man an Büchern brauchte, und in geisterhafter Stille, abgelenkt allenfalls durch den Blick aus dem Fenster, seine Seminararbeiten schreiben oder vorbereiten. Wie anderswo gab es natürlich auch einen Rare Books Room in der Bibliothek; doch wie sicherlich nicht überall war es dort üblich, daß einem in der Nachmittagshitze ein Glas Iced Tea angeboten wurde. Auch war da ein Repräsentationssaal mit Orientteppichen und kostbar aussehenden Büchern in Mahagoni-Regalen hinter Glas, wo ein eben erschienenes Buch von einem UT- Professor den in Abendgarderobe erscheinenden Gästen stilvoll vorgestellt werden konnte. Zu solchem Anlaß wurden auch Studenten eingeladen - kennzeichnend für das Verhältnis von Professoren und Studierenden zueinander. Einiges dazu wurde schon berührt. Aus der deutschen akademischen Welt kommend, fiel einem der unautoritäre Stil dieses Verhältnisses immer wieder eindrucksvoll auf; an deutschen Universitäten gab es entfernt Entsprechendes, etwa Einladungen ins Haus des Professors, wie ich in den nächsten Jahren erlebte, allenfalls wenn man Doktorand war (schon wegen der höheren Studentenzahlen). Die unentwickelte Student an der Staatsuniversität (1952 - 53) 61 <?page no="62"?> Autoritätspflege in Texas hatte indes weniger mit den in der Regel geringeren Studentenzahlen zu tun als mit dem schon angedeuteten Selbstverständnis der Lehrkräfte als Pädagogen, sogar an den Forschungsuniversitäten, die bis heute, und besonders heute, großen Wert legen auf die Funktion der Professoren als Mentoren, also Betreuer und Berater ( “ advisers ” ) der Studierenden. Das kam schon in der Art der Themen der angebotenen “ Lehrveranstaltungen ” zum Ausdruck: wissenschaftliche Hobbys, spezielle Arbeitsinteressen, etwa Science Fiction, Krimis, Film, aber auch (zeitbedingt natürlich) “ Theorie ” , engagierte Sozial- und Ideologiekritik spielten damals meinem Eindruck nach keine nennenswerte Rolle. Es ging darum, junge Menschen, die in der Regel mit mäßiger Vorbildung aus der Schule gekommen waren, vertraut zu machen mit dem bewährten kulturellen Erbe, mit dem, was sie an einer Kultur- oder Literaturepoche, einem Autor, einer Gattung interessant und für ihre Persönlichkeitentwicklung relevant finden könnten im Licht der mitgebrachten Erfahrung; das Ziel war eine, soweit möglich, ideologisch neutrale “ Allgemeinbildung ” , aber nicht ohne einen auf die Berufswahl vorausdeutenden Schwerpunkt. Diese pädagogische Verantwortung galt natürlich vornehmlich für die vier Undergraduate-Jahre. Doch auch die Betreuung der Fortgeschrittenen, die also auf den M. A. oder den Doktorgrad hinarbeiteten, wurde offensichtlich von den Professoren als wesentliche Aufgabe gesehen. So oder so aber, ob man Undergraduate war oder Graduate, galt eine erfrischende Zwanglosigkeit als Norm für das Verhältnis von Professoren und Studenten. Nicht zuletzt trug dazu bei, daß alle Professoren statt des in Deutschland damals üblichen, von mehreren und nur höheren stundenweise genutztes “ Dozentenzimmers ” ein eigenes Sprech- und Arbeitszimmer im Department hatten, wo viele von ihnen sich oft den ganzen Tag aufhielten, meistens mit dem Prinzip der “ offenen Tür ” , so daß man also auch außerhalb der formellen Sprechstunde dort anklopfen konnte; das gewohnte Schlangestehen gab es so oder so nicht. (Mein Sohn und seine Mitstudenten spielten später in 62 Student an der Staatsuniversität (1952 - 53) <?page no="63"?> seinem College in Neu-England sogar Volleyball mit ihren Professoren.) So lernte man sich kennen und erfuhr, welcher Professor einmal Hundefänger gewesen war oder sich in der Freizeit als Möbeltischler versuchte. Es war fast wie in einem Club. Wenige Jahren später, als ich in Berkeley “ lehrte ” , und später noch in Harvard, habe ich das auch von der anderen Seite erfahren: Studenten nannte man üblicherweise beim Vornamen, und sie ihre Professoren nicht selten auch, Einladungen gab es herüber und hinüber, manchmal schließlich auch Freundschaften über Jahre und Jahrzehnte hin. Nicht zu vergessen jedoch, daß, auch in meiner Erfahrung, dieser Unterschied zwischen deutschem und amerikanischem akademischem Miteinander nicht absolut gelten konnte, am wenigsten in den sechziger, siebziger Jahren, als sich an deutschen Universitäten jedenfalls hier und da ein gelockerterer Stil herausbildete. Im Rückblick nach Jahrzehnten akademischen Lebens beiderseits des Atlantiks scheinen mir aber die damaligen Unterschiede durchaus handgreiflich und nicht unbedeutend. Mit dem als farbenfrohe akademische Modenschau inszenierten Commencement (das ja eigentlich Neubeginn bedeutet: ich war nun tatsächlich und exotisch ein “ Magister ” ) war das akademische Jahr ans Ende gekommen. Aber ich blieb noch etwa zwei Monate im Land, bevor es von New York aus auf einem Passagierdampfer der Italian Line zusammen mit vielen, vielleicht allen deutschen Austauschstudenten dieses Jahres zurückging. Nach kurzen Zwischenlandungen und Stadtführungen in Lissabon (wo uns eröffnet wurde, Salazar sei ein treusorgender Landesvater) und Gibraltar (wo die Affen auf dem Felsen unsichtbar Siesta machten) gingen wir in Genua von Bord, ich mit einer Fahrkarte “ gen Norden ” und Tonio-Kröger-Gefühlen. Kurz vor der Abreise hatte ich noch einen Greyhound-Trip in den amerikanischen Fernen Westen unternommen, zum Grand Canyon in Arizona, zu einem jahrhundertealten indianischen Pueblo in New Mexico und nach Südkalifornien, wo ich im Huntington Museum in San Marino das Ellesmere-Manu- Student an der Staatsuniversität (1952 - 53) 63 <?page no="64"?> skript der Canterbury Tales bewundern konnte, von dem im Chaucer-Kurs die Rede gewesen war. Auf der Pullman-Reise nach New York hatte ich noch einen Abstecher an die Niagara- Fälle gemacht - in lebhafter Erinnerung an den transkanadischen Reisebericht zweier ältlicher Engländerinnen, der in einem der letzten Schuljahre Klassenlektüre gewesen war mangels anspruchsvollerer Texte und dank seines bis auf seine amüsante Pfennigfuchserei offenbar garantierten Bildungswerts. 64 Student an der Staatsuniversität (1952 - 53) <?page no="65"?> 4. Unter Pionieren In einer deutschen Stadt in Texas (1953) In den vorausgehenden Sommerwochen, nach dem Commencement, hatte ich einen Job in dem etwa eine Autostunde entfernten, zwischen Austin und dem romantisch fremdländischen San Antonio gelegenen Städtchen New Braunfels. Das kam so. In meinem zweiten Semester hatte ich nach einem Vortrag in Austin ein paar Worte mit einem älteren Herrn gewechselt, Fred Oheim, der die Neu-Braunfelser Zeitung herausgab. Es war wohl das einzige Mal, daß mir mein damaliger deutscher Akzent (den ein Linguist in Austin zu meiner kaum verhaltenen Freude für Kentisch gehalten hatte) zustatten kam; denn prompt forderte Oheim mich auf, während der Sommerferien eine Zeitlang an seinem in diesem Jahr gerade hundert Jahre alt werdenden Wochenblatt auszuhelfen. Ich sagte sofort zu. Dreißig Dollar die Woche war mein Salär, aber es sprang dann doch viel mehr dabei heraus. Fred und seine Frau, die, ohne den geringsten Anflug von Deutschkenntnis, als Photographin ebenfalls an der Zeitung arbeitete, besorgten mir ein Zimmer in der Nähe ihres kleinen Hauses, das ich, wie sie es ausdrückten, als mein “ Hauptquartier ” betrachten sollte. So nahmen sie mich in diesen Sommerwochen quasi in die Familie auf, die seit einiger Zeit ein “ empty nest ” war. Sie erzählten mir vieles über die Geschichte dieses deutschen Einwanderungsorts, der weniger bekannt war als das nahegelegene Fredericksburg, aus dem Admiral Nimitz stammte. Und vor allem machten sie allerlei Wochenendausflüge mit mir und sogar eine größere Auto-Reise vorbei an Ölfeldern, endlos ausgedehnten Wüstenranches, trostlosen Dörfern mit Kirche und Tankstellen zum Big Bend National Park am Rio Grande und von dort auf ein paar Stunden bis nach Mexiko hinein. Nach Mexiko einzureisen war damals - im Zeitalter der über den Grenzfluß einsickernden Saisonarbeiter (politisch inkorrekt damals noch “ Wetbacks ” genannt) - auch ohne Paß ebenso problemlos möglich wie die Rückkehr in die <?page no="66"?> USA, ob man nun im Nachbarland eine (verzollbare? ) lebensgroße Jesus-Statue zum Vorzugspreis erworben hatte oder nicht. Auf der texanischen Seite lag, ebenso unvergeßlich, das Häuschen einer legendären Gestalt aus der Geschichte der Südwestens: Judge Roy Bean, “ the law west of the Pecos (River) ” , der für seine originelle Rechtsprechung berühmt und berüchtigt war. So soll er etwa einem mit zwanzig Dollar in der Hosentasche in der Wüste tot aufgefunden Mexikaner eine gebührenpflichtige Verwarnung in Höhe von zwanzig Dollar für unbefugtes Herumlungern verpaßt haben. (Im irischen Dublin gibt es gegenüber dem Trinity College ein Pub namens “ Judge Roy Bean ” mit entsprechendem wildwestlichen Dekor - wie viele durstige Seelen verbinden damit wohl ein ähnliches Erlebnis “ vor Ort ” wie ich? ) Meine Arbeit in der Redaktion, mitten in der Stadt, wohin also niemand einen Umweg machen mußte, um sich für fünf Cent auf den neusten Stand zu bringen, bestand darin, aus texanischen Tageszeitungen für die einmal wöchentlich erscheinende Zeitung Artikel ins Deutsche zu übersetzen, die nach lokalem Ermessen auch noch eine Woche später dankbar verschlungen werden würden. Überdies hatte ich, nicht immer zu Dank, stilistische Korrekturen an sonstigen, im Haus entstandenen Texten vorzunehmen; unantastbar waren nur die Leserbriefe und die Gedichte der Regionalautorin Selma Metzenthin- Raunick, die die “ Eingesandt ” -Spalten bereicherten, in denen vor allem über das Neueste aus den umliegenden Ortschaften aufgeklärt wurde. Wer waren die Leute, die das lasen? Der Leserkreis bestand aus den Nachkommen der deutschen Siedler, die, zunächst nur ein Trupp von 200 Leuten, beflügelt waren von Charles Sealsfields Texas-Roman Das Kajütenbuch (1841) mit seiner berühmten Schilderung der “ Prairie am Jacinto ” und sich von dem 1842 auf Schloß Biebrich bei Mainz ins Leben gerufenen “ Adelsverein ” (offiziell “ Verein zum Schutze deutscher Einwanderer in Texas ” ) hatten rekrutieren lassen. Nach zwölfwöchiger Seereise hatten sie etwa 300 km landeinwärts in den Hügeln am Comal River, in der damals erst seit 66 In einer deutschen Stadt in Texas (1953) <?page no="67"?> knapp einem Jahrzehnt von Mexiko unabhängigen Republik Texas Fuß gefaßt. Der Generalbevollmächtigte des Adelsvereins, der hessische Prinz Carl zu Solms-Braunfels, gründete dort im Frühjahr 1845 “ Neu-Braunfels ” als rein deutschsprachige Immigranten-Siedlung mitten in den Jagdgründen der Comantschen, kurz bevor die Republik im Jahr darauf amerikanischer Bundesstaat wurde. 23 Eine Welt für sich innerhalb von Texas und den Vereinigten Staaten war New Braunfels noch gut hundert Jahre später, als ich es erlebte. Offenbar war die Kenntnis der deutschen Sprache hier wie auch sonstwo in Texas noch verbreitet genug, daß sich die “ Seitung ” rentierte (sie ging jedoch bereits 1954 ein). In Läden und Restaurants konnte man, wenn man es darauf anlegte, noch Deutsch hören. Gelegentlich gab es Gottesdienste auf Deutsch; das erste Haus am Platze war das Hotel Faust. Ob außer der Zeitung noch viel Deutsch gelesen wurde, weiß ich nicht, aber im Oheimschen Eßzimmer stand ein Schränkchen mit deutschen Büchern, vor allem Sammelausgaben der Klassiker einschließlich Hebbel, aus dem neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhundert zumeist, und Fred versuchte sich gelegentlich an einem neueren deutschen Roman. Wie tief im neunzehnten Jahrhundert gab es noch einen deutschsprachigen Sängerverein. Manche andere Erinnerungen an deutsche Kultur dürften inzwischen im Blick auf Tourismus aufgefrischt worden sein. So findet heute im Mai ein “ Wein- & Saengerfest ” statt, dazu unvermeidlich ein Oktoberfest, genauer: “ Artoberfest ” , im März ein “ Gartenfest ” und, Höhepunkt des Neu-Braunfelser Jahres, in der auch für Theateraufführungen benutzten “ Wursthalle ” nicht etwa eine Gründungsfeier, sondern ein “ Wurstfest ” im November, das sich über eine Woche hinzieht, komplett mit “ Wurst Regatta ” . (Das hätte den vor ein paar Jahren von einer prominenten deutschen Universität angereisten germanistischen Ordinarius belehren können, der, eine Woche nach seiner Ankunft in Neu-England nach seinen Eindrücken befragt, kopfschüttelnd vermerkte, es gäbe in Amerika keine “ Wurst-Kultur ” .) In der Badeanstalt im Landa-Park kön- In einer deutschen Stadt in Texas (1953) 67 <?page no="68"?> nen sich Touristenkinder heute auf der “ Schlitterbahn ” vergnügen, und selbstverständlich locken deutsche Restaurants, eins heißt Omas Haus, nostalgiefördernd mit “ Sauerbraten ” , “ Schnitzel ” , “ Rouladen ” und “ Brötchen ” , allerdings in Konkurrenz mit italienischen und asiatischen in der nun schon 60.000 Einwohner zählenden, aber noch nicht ganz globalisierten “ deutschen ” Kleinstadt. Rein deutsch jedoch ist alles im Sophienburg-Museum (benannt nach der überseeischen Verlobten des Gründungsprinzen, die sich weigerte, sich in der ihr zu Ehren errichteten hölzernen “ Sophienburg ” und überhaupt in Texas sehen zu lassen). Hier sind deutsche Möbel lokaler Herstellung zu sehen, vergilbte Photographien en masse, alte Bücher, altfränkische Kleidungsstücke und aus Menschenhaar gewirkte Bildwerke, Porträts zumeist, “ made in New Braunfels ” . Deutsche Ortsnamen gibt es im näheren und weiteren Umland noch in Hülle und Fülle, manchmal auch in später anglisierter Form wie Comfort (ehemals Gemütlichkeit) und Industry (Fleiß). 68 In einer deutschen Stadt in Texas (1953) <?page no="69"?> 5. Planmäßige Rückkehr Noch einmal Heidelberg, Göttingen, Dr. phil (1953 - 56) Warum ich zum Wintersemester 1953/ 54 nach Heidelberg zurückgegangen bin - weiße Lederschuhe, schlafanzugähnlicher Seersucker-Anzug, aber ohne Schlips mit “ Kiss me in the dark ” in Leuchtschrift - weiß ich nicht recht, wahrscheinlich um mein Amerika-Erlebnis noch ein bißchen zu verlängern. Heidelberg galt als größte amerikanische Stadt in Deutschland, da dort das Hauptquartier des Militärs der Amerikaner war, die ihrerseits seit langem eine Schwäche für die Stadt am Neckar hatten, die sie, so hieß es mit einem gereimten Zweizeiler, im Krieg von Luftangriffen verschonen wollten, weil sie dort selber wohnen wollten. Schließlich verdankte die Universität ihr stattliches Kollegiengebäude einer amerikanischen Stiftung aus der Vorkriegszeit, und noch zu meiner Zeit traf man dort viele amerikanische Studenten, nicht nur im Amerika-Haus. (Bei den Engländern reichte dieses Faible für die Stadt am Neckar bis zu George I. zurück, dessen Mutter eine Enkelin James ’ I. und eine Tochter eines Kurfürsten von der Pfalz war, und noch meine englische “ Tante ” Ida hatte dort in den zwanziger Jahren promoviert.) Ich wohnte wieder in dem entfernt von englischen und amerikanischen Colleges inspirierten Collegium Academicum, das sich dem Konzept nach in Lebensform, Selbstverwaltung und Bildungszielen (obligatorisches Studium Generale, Tutoren) als ein für die Nachkriegsjugend wegweisendes demokratisches internationales Institut verstand. 24 Damals allerdings, in den “ Ohne-mich-Jahren ” , war es noch völlig unpolitisch, jedenfalls im Hinblick auf “ Vergangenheitsbewältigung ” . Die zwölf Jahre vor der Kapitulation waren kein Thema; um so stärker ist mir eine Ausnahme in Erinnerung geblieben, daß nämlich Walter Müller-Seidel im Seminar à propos des Emigranten Karl Viëtor die Bemerkung fallen ließ, “ als bei uns die Barbarei ausbrach ” . 25 Was die Lehrveranstaltungen anging, so war alles gegenüber meinem ersten Semester beim alten geblieben. Über einige der <?page no="70"?> Themen habe ich schon berichtet. Zum Gotischen und Mittelhochdeutschen des ersten Semesters kam nun Althochdeutsch hinzu, bei der pädagogisch sympathischen Elfriede Stutz. Aber keiner dieser Sprachkurse reichte auch nur entfernt an das kulturgeschichtliche Augenöffnen heran, das Rudolph Willard in Texas mit seiner Einführung ins Altenglische und erst recht mit der anschließenden Beowulf-Lektüre zu bewirken verstand. Ferner gab es eine anspruchsvoll anregende, auch zu wissenschaftlicher Arbeit anleitende Vorlesung über Wolfram von Eschenbach von dem Assistenten Peter Wapnewski, der in seiner sachlichen und entdeckungsfreudigen Art eine Vorlesung über das Nibelungenlied kaum, wie in meinem ersten Semester ein im Schuldienst tätiger Privatdozent, hätte ausklingen lassen mit der Feststellung, daß Hebbels Bearbeitung des Stoffes “ im Zeichen dessen, der am Kreuz verblich ” gestanden hätte. So hatte man in Austin nicht gesprochen, ebensowenig so ins eigene Sprachgewebe eingesponnen wie der Großordinarius Böckmann, der seine Hauptvorlesung über Goethes Altersdichtung offenbar Wort für Wort vom Manuskript einer sicherlich entstehenden Abhandlung ablas - als er es einmal zu Hause vergessen hatte, mußten wir warten, bis er es sich hatte holen lassen. (Hans Neumann in Göttingen meisterte das gleiche Mißgeschick mit unerschütterlichem savoir faire.) Erfrischend unterbrochen wurde die Routine jedoch von einem unmittelbar eingängigen Gastvortrag über Stifter von dem Oxforder Germanisten Frederick Stopp und, extra muros, im Amerika-Haus, von einem Vortrag des von der Cornell University angereisten Victor Lange, dessen weltmännische Souveränität und Horizontweite ich in späteren Jahren noch öfters bewundern konnte. (Erst viel später habe ich Böckmanns Formgeschichte der deutschen Dichtung mit ihrem tatsächlich über bloß Formales hinausgehenden Erkenntnisinteresse schätzen gelernt, wenn auch nicht sein Hölderlin-Buch.) Rhetorisch mitreißend hingegen, in freier Rede, vielleicht mit einem Notizzettel, war die assoziativ weitschweifende geistesgeschichtliche Gedankenführung Otto Manns in seinen Vorlesungen über die deutsche Romantik und 70 Noch einmal Heidelberg, Göttingen, Dr. phil (1953 - 56) <?page no="71"?> über “ Geschichte und Methoden der deutschen Literaturwissenschaft ” . Doch gab es in seinem Redeschwall weniger textliche Bodenhaftung und Detailinterpretation, als ich von Amerika aus gewohnt war, wo sich die Literaturwissenschaft damals mehr oder weniger intensiv im Fahrwasser des New Criticism bewegte. Schließlich der Altgermanist Richard Kienast, eine distinguierte, wenn auch etwas dröge Respektsperson, ehemaliger Prinzenerzieher, patriarchalisch preußisch korrekt wie aus einem Fontane-Roman, aber nicht dem Stechlin, entlaufen, ein unerschütterlich solider Wissenschaftler, bei dem man erfuhr, daß der höchste Ehrgeiz des Gelehrten auf die Textedition gehe, was mir im Überschwang unternehmungslustiger Anfängerschaft nicht eben einleuchtete. Müller-Seidels Seminar, diesmal “ Interpretationen zur deutschen Lyrik des neunzehnten Jahrhunderts ” betitelt, war, wie schon sein Kleist-Seminar in meinem ersten Semester, der Höhepunkt. Hier lernte man im Dialog literarische Werke aufmerksam und nachfragend lesen, verstehen und schätzen und lernte zünftige Herangehensweisen, die dazu führten. In einem kleinen Kreis diskutierte er außerhalb der Lehrveranstaltungen übrigens auch zeitgenössische Literatur. Bei ihm hätte ich gern promoviert, um so mehr, als er mir schon im Jahr zuvor mit individuellen Lektürehinweisen und sogar den Korrekturbögen eines seiner Aufsätze bei meiner Arbeit behilflich gewesen war; doch er war damals nur Assistent und damit kein Doktorvater (wir sind allerdings über Jahrzehnte hin immer wieder im Kontakt geblieben). So dauerte es in dem Wintersemester im Anschluß an Texas nicht lange, bis mir unvorstellbar wurde, daß ich eines Tages bei einem der anderen Herren als Doktorand antreten könnte, schon gar nicht bei “ dem ” Anglisten, der mir, angestrengt aus dem Fenster blickend, in der Sprechstunde versicherte, für die Promotion könnte ich Englisch sprechen “ wie ’ n Chinese ” . In Otto Manns Vorlesung hatte mir Eindruck gemacht, was ich über Wolfgang Kayser hörte, der wenige Jahre zuvor eine Professur in Göttingen angetreten hatte. Im Sommersemester 1954 immatrikulierte Noch einmal Heidelberg, Göttingen, Dr. phil (1953 - 56) 71 <?page no="72"?> ich mich in Göttingen. Meine Erwartungen wurden nicht enttäuscht, obwohl Kayser unter Studenten damals schon Kritiker hatte, die seine aufmerksamen, verborgene Valeurs aufspürenden ästhetischen Analysen mit Walter Rehms geisteswissenschaftlich-theologischem Tiefgang in Sinnfragen verglichen. Und höchst angetan war ich auch von dem nicht ganz auf derselben “ werkimmanenten ” Linie liegenden, die Literatur stärker in kulturgeschichtliche Zusammenhänge rückenden Angebot in der Anglistik, nämlich den Vorlesungen von Ernst Theodor Sehrt, der mein Doktorvater wurde. In Göttingen, unzerstört wie Heidelberg, aber von Flüchtlingen überlaufen, hatte ich zum erstenmal seit Texas eine eigene “ Bude ” , ohne Zugang zur Geselligkeit eines Boarding House wie in Austin oder eines Wohnheims wie in Heidelberg; ich lebte also, wie es für die meisten deutschen Studenten damals üblich war, als es noch genug Haushalte gab, die Zimmer vermieteten. Im ersten Semester war es das Familienwohnzimmer mit Hirschgeweihen an der Wand, im letzten eine Dachkammer mit Waschtisch, dazwischen das Fremdenzimmer einer Etagenwohnung (wo ein Zimmernachbar, anders als ich, sein Zimmer beim Weggehen regelmäßig abschloß, weil er dort die “ Ergebnisse ” seiner Studien liegen ließ, und wo die Vermieterin mir bei meiner Rückkehr aus den Semesterferien ein Stück Kuchen auf den Schreibtisch legte und die Miete erhöhte, ohne Vorankündigung, weil das Vermächtnis ihres Mannes, eines höheren Postbeamten, gewesen seien: “ Belaste die Post nicht unnötig ” ). Anders die Vermieterin der Dachkammer: ohne Miterhöhung gab es jeden Sonntag ein Stück Kuchen, und als ich am Abend nach meiner mündlichen Doktorprüfung nach Hause kam, stand ein Blumenstrauß auf meinem Schreibtisch. An der Universität herrschte, so mein Eindruck, ein ganz anderer Geist als in Heidelberg. Weltoffen war sie schon im achtzehnten Jahrhundert gewesen, als sie als dritte englische Hohe Schule von George II., König von England und Kurfürst von Hannover, gegründet wurde (und darauf geachtet wurde, daß der Bierpreis derselbe sei wie in Oxford und Cambridge). 72 Noch einmal Heidelberg, Göttingen, Dr. phil (1953 - 56) <?page no="73"?> Weltoffen war die Georgia Augusta auch in den fünfziger Jahren, vor allem, aber nicht nur in der Anglistik. Gar nicht selten kamen englische und amerikanische Professoren zu Gastvorträgen, so der Historiker Henry Steele Commager, dessen Short History of the United States ich flüchtig kannte, der amerikanische Germanist Oscar Seidlin, der Oxforder Anglist F. P. Wilson. Lebhaft unterhaltsam war Elsie Marian Butlers Vortrag über Goethe und Byron (oder war es Byron und Goethe? Über beide Themen hatte sie je ein Buch veröffentlicht). Sie hielt uns im größten Hörsaal des wilhelminischen Kollegiengebäudes weit über die üblichen fünfundvierzig Minuten hinaus in Bann und auch die Theologen, die außerhalb bei offenen Türen schon, ohne zu trampeln, auf ihre Vorlesung warteten. Mit einem amerikanischen Gastprofessor gingen ein paar von uns Oberseminaristen zum Dinner in der Weenderstraße, wo man wie zu Heines Zeiten Korporationsstudenten “ einherziehen ” sehen konnte. Ein wildfremder Anglist, Louis F. Peck, schickte mir damals, als ich an meiner Dissertation arbeitete, aus Pennsylvania auf Treu und Glauben leihweise 150 Jahre alte Erstdrucke, die in ganz Deutschland nicht aufzutreiben waren. Sowohl Kayser wie Sehrt legten in ihren Vorlesungen und Seminaren eine erfrischend urbane Weltläufigkeit an den Tag, die beide zu Vorbildern machte für jeden, der über die Fachgrenzen hinausblicken wollte. Der Verfasser des Sprachlichen Kunstwerks, der in Amsterdam, Aarhus und dann jahrelang in Lissabon gelehrt hatte, ließ seine weltliterarische Versiertheit wie in seinem epochemachenden Buch auch in den Lehrveranstaltungen mit souveräner Eleganz spielen, indem er etwa nichts dabei fand, Juan Ramón Jiménez im Original und aus dem Stegreif zu zitieren ( “ El dormir es como un puente / que va del hoy al mañana. / Por debajo, como un sueño, / pasa el agua ” ), und in einem weltliterarischen Ratespiel im Seminar dafür sorgte, daß die preisgekrönte Antwort “ Camões ” lautete und daß auch englische Texte zum Thema Erzählkunst erörtert wurden. In die Semesterferien entließ er seine Hörer mit dem dringenden Noch einmal Heidelberg, Göttingen, Dr. phil (1953 - 56) 73 <?page no="74"?> Rat, zu lesen und zu reisen. Bei Sehrt, der mit Pfeife und Tweed, mit seinem Interesse an Comical Histories of Britain, am Detektiv-Roman, an schottischer Literatur, Kipling und amerikanischen Autoren wie Poe und dem Südstaatler James Branch Cabell und not least an Shakespeare wie ein Squire aus der englischen oder schottischen Gentry wirkte, dürfte die weltoffene Haltung eher mit dem Verständnis seines Fachs, der Kultur und Literatur eines Reiches zu tun gehabt haben, in dem die Sonne noch nicht ganz untergegangen war. In seinen Vorlesungen und Übungen, humorvoll übrigens, teilte sich seine Freude und sein Staunen bei der Wahrnehmung von Nuancen und Perspektiven eines Textes unmittelbar auf die Studenten mit; Gespür für ästhetische Valeurs ging Hand in Hand mit Ausblicken auf die Welt, der die Werke entstammten. Mit ihrem lockeren Vortragsstil, der mich an meine Lehrer in Texas erinnerte, unterschieden sich beide Ordinarien wohltuend von dem gewöhnungbedürftigen vieler, nicht aller, deutschen Kollegen, die noch um 2000 in Amerika ihre Vorträge in einem Ton hielten, der wichtigtuerisch belehrend wirkte. Und im Unterschied zu manchen Sekundärwerken war hier auch nichts von Dichtung als “ Sich-ins-Werk-Setzen der Wahrheit ” zu hören. Merkwürdig allerdings berührte mich die Bemerkung ex cathedra, daß Heine, bedeutender Autor, der er zwar war, niemals “ von der Sprache in die Knie gezwungen ” worden sei - warum sollte das so erstrebenswert sein? Heideggers Aufsatz “ . . . dichterisch wohnet der Mensch ” , der der Sprache die Herrschaft über den Dichter zuwies, war gerade 1954 erschienen . . . Sachlich wurde in Göttingen für meine Interessenrichtungen unvergleichlich mehr geboten, quantitativ und vor allem qualitativ, als in Heidelberg (von Heidelberger Ausnahmen habe ich gesprochen). In den fünf Semestern, die ich in Göttingen immatrikuliert war, hatte ich zwar auch, für den Fall, daß ich eines Tages nicht umhin könnte, das Staatsexamen zu machen statt “ nur ” zu promovieren, allerlei Philosophie- und Pädagogikvorlesungen gehört: Philosophie bei Professoren so verschiedener Vorgeschichte während des Dritten Reichs (wie man später 74 Noch einmal Heidelberg, Göttingen, Dr. phil (1953 - 56) <?page no="75"?> erfuhr) wie Helmuth Plessner einerseits und Hermann Wein und Hans Heyse andererseits, Pädagogik bei Professor Erich Weniger, Oberst im Katalog der Seminarbibliothek, Verfasser einer Abhandlung über “ Goethe und die Generale ” und zeitnah mit Wehrpädagogik befaßt, der sich zu meiner dankbaren Erleichterung später bereitfand, sich neben Kayser und Sehrt an meiner mündlichen Doktorprüfung zu beteiligen, und sogar meinen ausgefallenen Prüfungsschwerpunkt John Dewey ohne weiteres und im übrigen kenntnisreich akzeptierte. Nur hin und wieder hörte ich, ohne sonderlich beeindruckt zu sein, bei den außerplanmäßigen Professoren der Germanistik und Anglistik (Kurt Schreinert, bei dem man erfahren konnte, wie Ewald von Kleist in der Schlacht bei Kunersdorf verwundet wurde, Klaus Ziegler, der Literatur höchst abstrakt nach Ideologien kategorisierte, aber auch, seiner Zeit voraus, unter soziologischen Gesichtspunkten analysierte, Hertha Marquardt, später Autorin eines wichtigen Buchs über die deutsch-englische Vermittlerrolle von Henry Crabb Robinson), regelmäßig aber bei den Mediävisten (den beiden Neumanns, Eduard und Hans), doch mehr aus Pflichtbewußtsein als Interesse an der Sache. Die unbestrittenen Stars, ohne professorale Allüren, waren natürlich Kayser und Sehrt. Bei ihnen gab es, ähnlich wie in Texas, statt (wie heute nicht unüblich) Veranstaltungen zu Themen wie Science Fiction, Comics, Film und Theorie-Ismen oder zu punktuell isolierten Texten noch die mittlerweile fast ausgestorbenen großen Übersichtsvorlesungen: vom Barock über das neunzehnte Jahrhundert zwischen Romantik und Naturalismus bis zum Expressionismus in der Germanistik, Literatur im Jahrhundert Miltons, im Zeitalter Victorias, Dramatik von Jonson bis Shaw in der Anglistik, dazu aber auch solche über die beherrschende Gestalten wie Lessing, Klopstock, Wieland, Shakespeare und überdies natürlich Seminare oder Übungen über Themen wie Kaysers Kolloquium über “ Neuere Arbeiten zum Problem der Erzählkunst ” und Sehrts Übungen zum Drama der elisabethanischen Zeit. Und all das stets mit der philologisch “ zarten Empirie ” , mit der feinfühligen Textnähe des Noch einmal Heidelberg, Göttingen, Dr. phil (1953 - 56) 75 <?page no="76"?> New Criticism, die ich aus Texas kannte. 26 Hier wurden das Wort, das sprachliche Bild, die Anspielung genau und nüchtern im jeweiligen Eigenrecht und im strukturellen Gesamt und, bei Sehrt öfter als bei Kayser, im historischen Kontext in den Blick gerückt. Anders als in Heidelberg war hier nichts zu hören von wortgewaltig souveränen und berauschenden, über die Perioden der Literatur, wenn nicht gar des “ Geistes ” schweifenden Perspektivenkonstruktionen und ebensowenig von anscheinend gedankentiefem, aber auch “ schwierigem ” Privatidiom; und wenn es um die Ästhetik von klanglichen Valeurs ging, war das Schicksal der altenglischen Velarvokale in Northumberland nicht nur geographisch weit entfernt. Eine Göttinger Semesterarbeit, über die Künstlerdramen Gerhart Hauptmanns, die aus dieser Art der Literaturbetrachtung hervorging, schickte ich mit seither bedauerter Unverfrorenheit an den Neophilologus, wo sie rasch genug, in Groningen und Jakarta damals noch, erschien, so daß Kayser sie im nächsten Jahr in der Vorlesung zitieren konnte - tolerant, wie ich ihn auch im Seminar erlebt hatte. Die Begegnung mit den beiden Stars, beide noch nicht fünfzig und erst seit wenigen Jahren in Göttingen, Kayser aus Portugal, Sehrt vom Birklehof-Internat bei Freiburg, bestärkte mich in meiner Entschlossenheit, weder Schmalspur-Germanist noch Schmalspur-Anglist zu werden, sondern Komparatist. Das grenzte an Wahnsinn oder doch Unvernunft, obwohl ich mit Hilfe meiner Mutter und trotz des Französischunterrichts in der Schule auch ein bißchen Französisch und privat bei einem bei Kriegsausbruch in Deutschland hängen gebliebenen Deutsch- Uruguayer jahrelang Spanisch gelernt hatte, das mir später bei meinen Traven-Studien unverzichtbar nützlich wurde, dazu natürlich Latein, wenn auch zum Leidwesen meines Vaters kein Alt-Griechisch. Unvernunft, denn komparatistische Professuren gab es damals noch nicht oder kaum; interdisziplinäre Grenzgänger sahen sich vielmehr, wie mir schien, einem fachlichen Grenzschutz gegenüber. Das hinderte mich jedoch nicht, mir mit Sehrts und Kaysers Zustimmung eine komparatistische 76 Noch einmal Heidelberg, Göttingen, Dr. phil (1953 - 56) <?page no="77"?> Dissertation über ein selbst gewähltes Thema vorzunehmen, die mir dann 1956 den Doktortitel in “ englischer Philologie ” einbrachte, begutachtet außer von Sehrt auch von Kayser. Die Germanistik, aber auch die Anglistik, war in den fünfziger Jahren schon, was man damals überlaufen nannte. Hunderte studierten Germanistik oder Anglistik und oft beides. Der Zustrom zu Kaysers Vorlesung am mittleren Vormittag war ein Verkehrsproblem auf der Weenderstraße. Sehrt hielt seine Vorlesungen ein paar Jahre später in einer Kirche, sein Seminar schon zu meiner Zeit in einem Hörsaal. Solche Studentenmassen, wie man schon damals nichtsahnend sagte, haben vermutlich das ihre dazu beigetragen, daß die deutschen Professoren in diesen Jahren, so lese ich in einer sachlichen Abhandlung, einen “ Prestigezuwachs ” erfuhren “ wie nie zuvor ” . 27 So wirkte es fast wie ein Wunder, daß die Studierenden der höheren Semester ähnlich viel Kontakt mit ihren Lehrern hatten, wie ich es aus Austin gewohnt war. Bei Sehrt gab es ein Doktorandenkolloquium in seiner Wohnung und manchmal ein Abendessen en famille, und am Abend nach meiner mündlichen Doktorprüfung ging er mit mir zum Dinner ins Rohns-Restaurant oberhalb der Stadt. Wie Kayser lud auch er nach der Vorlesung manchmal zur informellen Sprechstunde in ein Café ein, und am Semesterende ging es mit dem Seminar in eine Weinstube. Für Kaysers Seminare gab es gelegentlich am Wochenende einen Spaziergang, um sich besser kennen zu lernen, und in seiner Wohnung gesellige After-Dinner-Abende mit Weißwein für eine Handvoll Studenten und Studentinnen und vielleicht auch einen neuen Privatdozenten. Auch hatte er einen Kreis von Studierenden ins Leben gerufen, “ die heimlich schreiben ” . Schließlich nominierte er als Vertrauensdozent ein paar Fortgeschrittene, die er als potentiellen Nachwuchs bewertete, für die Studienstiftung des Deutschen Volkes; die regelmäßigen von Kayser betreuten Treffen dieser Gruppe zu Gesprächen über uns Wichtiges, meistens im Café Cron und Lanz bei “ Kaffee und Kuchen ” , habe ich in schönster Erinnerung wie auch die längere Studienreise nach London zu Vorarbeiten für meine Disserta- Noch einmal Heidelberg, Göttingen, Dr. phil (1953 - 56) 77 <?page no="78"?> tion über M. G. Lewis, die die Studienstiftung finanzierte. (Aus Düsseldorf ging es in das noch sichtlich bombengeschädigte London mit der Lancashire Aircraft Corporation, die spezialisiert war auf den - getrennten - Transport von Studenten und Vieh.) So bildete sich denn trotz der “ Massen ” sowohl in der Germanistik wie in der Anglistik ein Kreis von höheren Semestern aus, der sich öfters, besonders nach Sehrts Kolloquium in seiner Wohnung, etwa in einem Gartenrestaurant in den Hügeln von Göttingen, traf. Mit einigen von ihnen blieb ich noch über Jahre hin in Verbindung. Es war eine glückliche Zeit des Gesprächs, des Lernens und Kennenlernens. Daß ich im Anschluß an die Promotion noch gern im deutschen akademischen Leben geblieben und vielleicht sogar Fuß gefaßt hätte, war also ein Gedanke, der nicht von ungefähr anklopfte. Andererseits lockte die Erinnerung an das glückliche Jahr in Amerika je länger, desto stärker. 78 Noch einmal Heidelberg, Göttingen, Dr. phil (1953 - 56) <?page no="79"?> 6. Ein Blick voraus Transatlantische Verlockungen, fremd in Deutschland, zu Hause in Amerika, Sympathie für England (1956 - ) Am 18. Juli 1956 bestand ich bei Sehrt, Kayser und Weniger die zweistündige mündliche Doktorprüfung summa cum laude, ganz benommen von dem Glück, daß die wohlwollenden, fast schon kollegialen Gespräche im “ Rigorosum ” , wie es damals noch bedrohlich genannt wurde, nicht das weite Feld berührt hatten, auf dem ich nicht Bescheid wußte (ein Spezialgebiet konnte man für die beiden Hauptfächer, Germanistik und Anglistik, nicht angeben). Hinwegtrösten konnte man sich über diesen Zufall später, als sich dieses Feld ständig ausweitete, allenfalls mit dem Gedanken, daß man ja wohl auch einiges nicht zur Sprache Gekommene gewußt habe oder doch gewußt haben müsse. Die Dissertation war einige Wochen vor der mündlichen Prüfung im akademischen Jargon von Anno dazumal als opus eximium bewertet worden und daher zum Druck auf Kosten der Deutschen Forschungsgemeinschaft vorgesehen. Die vorausgegangene Bürokratie war minimal gewesen: bestimmte Vorlesungen oder Seminare oder auch nur eine bestimmte Anzahl von Lehrveranstaltungen waren nicht vorgeschrieben, eine Zwischenprüfung gab es nicht, die aus Texas mitgebrachten, mit dem Universitätswappen gesiegelten auf meinen Wunsch improvisierten “ Scheine ” hatte Sehrt gleich bei meiner Vorstellung im ersten Göttinger Semester mit seiner Unterschrift akzeptiert. Am 25. August holten mich Professor Robert T. Clark und seine Frau Lucy am Flughafen in San Francisco ab und fuhren mit mir über die Bay Bridge nach Berkeley auf der Ostseite der Bucht von San Francisco, gegenüber dem Golden Gate. Clark, mit dem ich wie auch mit zweien meiner Anglistikprofessoren in Austin in Kontakt geblieben war, leitete inzwischen das German Department der University of California in Berkeley. Im Namen der Universität hatte er mir Anfang März eine Dozentenstelle ( “ Instructorship ” ) angeboten, die ich hocherfreut <?page no="80"?> angenommen hatte. Der Zufall hatte auch da wieder seine Hand im Spiel gehabt. Wolfgang Kayser, der im Wintersemester 1955 - 56 Gastprofessor in Harvard war, lernte im Dezember auf der Jahrestagung der Modern Language Association in Chicago Clark kennen. Ich stelle mir vor, daß sie in einer Hotelbar beisammen saßen und kein Gesprächsthema hatten - und das war ich: daß also Clark, der von meinem Interesse an einer Rückkehr nach Amerika wußte, sich bei Kayser nach mir erkundigte. Clark lud ihn zum Mai zu einem Vortrag nach Berkeley ein. Aber das war nicht das einzige Ergebnis der Begegnung der beiden. Aus Berkeley (oder anschließend aus Harvard) schrieb Kayser mir einen von Kalifornien geradezu euphorisch begeisterten Brief, in dem er mich zu meiner Zukunft dort beglückwünschte. Was ich nicht wußte, aber Clark in seinem Brief von Anfang März angedeutet hatte, war, daß er im Februar mich in einem längeren Schreiben, das mir später aus den Institutsakten bekannt wurde, in großzügigster Weise als wissenschaftlich und sonstwie für die Dozentenstelle geeignet empfohlen hatte, wobei er nicht verschwieg, daß der Anglist Sehrt der Haupt-Betreuer meiner noch nicht abgeschlossenen Dissertation war; er selbst sei Korreferent und werde rechtzeitig wieder in Göttingen sein, so daß meiner Promotion im Lauf des Sommers insofern nichts im Wege stehen würde. Der Doktortitel aus einem benachbarten Fach, also “ Englische Philologie ” , war damals kein Problem: eine Kollegin hatte in Romanistik promoviert, ein Kollege in Anglistik, und Germanisten anderer Universitäten wie Heinrich Henel und Victor Lange waren von Haus aus Anglisten. Und keine Frage, daß der deutsche Doktortitel anerkannt würde, während die deutschen Kultusministerien erst Jahrzehnte später erlaubten, den amerikanischen ohne präzise Herkunftsangabe zu führen. Übrigens brauchte ich die Doktururkunde in Berkeley und auch später niemals vorzulegen, und an die Wand hängte man sie schon gar nicht - eine frühe Erfahrung des Mangels an akademischer Bürokratie. Noch Jahrzehnte später überraschte mich das “ Treu und Glauben ” -Prinzip, als Harvard mich nach einer Herzattacke in 80 Transatlantische Verlockungen <?page no="81"?> Begleitung eines Kardiologen und eines Sauerstoffapparats von London nach Boston zurückflog: gratis, auf Grund meiner telephonischen Versicherung, daß es sich bei meiner Reise nach England um einen business trip (Studien in der Cambridger Universitätsbibliothek) gehandelt habe. Clark hatte mir in seinem offiziellen Schreiben (und mit Ergänzungen auch mündlich bei seiner Stippvisite in Göttingen im Frühsommer) die Anstellungsbedingungen en détail geschildert. Wenn in Göttingen in der Germanistik oder Anglistik in absehbarer Zeit eine Assistentenstelle freigeworden wäre, was jedoch nicht der Fall war, wären die Möglichkeiten des beruflichen Weiterkommens nach Ablauf der üblichen Befristung, wie an anderen deutschen Universitäten auch, ungewiß gewesen, abhängig von verfügbaren Planstellen, konkurrierenden Seilschaften, dem Wohlwollen und Überzeugungsvermögen des zuständigen Chefs und dem Entgegenkommen der Fachordinarien anderer Universitäten, die man betriebsam auf sich aufmerksam machen mußte, um nicht nach mehrjähriger subalterner Ochsentour und Hoffnung auf Wunder höchstens als nichtbeamteter und bescheiden honorierter Privatdozent und schließlich als einer von den nicht besser versorgten außerplanmäßigen Professoren zu enden, von denen es in Göttingen nicht wenige im mittleren, wenn nicht gar höheren Alter gab. Der Heidelberger Neugermanist war erst im Alter von ca. fünfzig Jahren Ordinarius geworden, und mit über zweiundfünfzig konnte man noch in den achtziger Jahren nicht mehr auf eine beamtete Professur berufen werden. Mit Kennern der Lage hatte ich öfters Gespräche, die mir diese Aussichten erläuterten. Daß Vakanzen in den Medien bekannt gemacht wurden, war in den fünfziger Jahren noch nicht üblich. (Nachwuchsmangel wurde, signalisiert durch Georg Pichts Buch Die deutsche Bildungskatastrophe von 1964, erst ein knappes Jahrzehnt später akut im Gefolge der vielen Neugründungen von Universitäten, als dann auch Auswanderer durch die deutschen Auslandsvertretungen aufgefordert wurden, ihr eventuelles Interesse an der Rückkehr an eine deutsche Universität anzumelden.) Transatlantische Verlockungen 81 <?page no="82"?> Ganz anders Kalifornien Anfang der fünfziger Jahre. Clark beschrieb mir die Aufstiegschancen als intern geregelt. Betriebsamkeit um die Aufmerksamkeit des Fachs auf sich zu lenken war nicht nötig; es ging gentleman-like zivilisiert zu: befördert wurde man vom Instructor zum Assistant Professor und dann zum unkündbaren Associate Professor und schließlich zum Ordinarius (Full Professor) in festgelegten, doch auch flexiblen Zeitabständen (und mit garantierten Sabbaticals) auf Grund der Leistung als Wissenschaftler und der Bewährung als akademischer Lehrer entsprechend der Beurteilung durch einen ad hoc zusammengestellten Ausschuß von Kollegen aus dem eigenen und einem angrenzenden Department. Auch das Aufrücken des Ordinarius in die jeweils nächsthöhere Gehaltsklasse wurde durch einen solchen Ausschuß geregelt. In späteren Jahren zog man in Berkeley, ebenso wie an anderen anspruchsvollen Universitäten, bei der anstehenden Beförderung zu den beiden unkündbaren Rängen sowie zur Berufung von Auswärtigen auf einen unkündbaren Lehrstuhl zusätzlich Gutachten von Fachleuten von anderen Universitäten heran, mancherorts auch die Bewertung von vergleichbaren Kandidaten, wenn nicht gar, wie etwa in der Ivy League, das Urteil eines eigens zu diesem Zweck zusammentretenden Auschusses von solchen nicht-lokalen Experten. Ein Nachteil der periodischen Evaluierung (und damit verbundenen finanziellen Aufstockung) auf allen Rängen und Stufen innerhalb der Ränge wurde allerdings später erkennbar: die Versuchung nämlich, sich in einer raschen Folge von Artikeln zu verzetteln statt über mehrere Jahre hin an Büchern zu arbeiten - die dann seit den späteren Jahrzehnten des zwanzigsten Jahrhunderts immer schwieriger bei Verlagen, selbst Universitätsverlagen, unterzubringen waren. Es sei denn, man ließ sich zu kommerziellen Veröffentlichungen verlocken, die, weil “ popularisierend ” und wenig wirklich Neues bringend, für das akademische Avancement, gelinde gesagt, nicht zählten. Diese Sorgen gab es in den fünfziger Jahren in Berkeley jedoch noch kaum. Man hatte den Eindruck, daß die Zukunft im wesentlichen von einem selbst abhing und daß die wissen- 82 Transatlantische Verlockungen <?page no="83"?> schaftliche Produktion, welcher Art auch immer, fair und wohlwollend beurteilt werde. Wenn auch manche jüngere Kollegen während meiner Zeit in Berkeley nicht befördert wurden oder vielleicht auch aus freien Stücken anderswohin wechselten, dann lag das in dem damaligen “ offenen System ” jedenfalls nicht etwa daran, daß für den nächsten Rang keine Planstelle vorgesehen gewesen wäre. Das kalifornische System war in diesen Jahren des rapiden Anstiegs der Bevölkerungszahl und des Bildungs- und Ausbildungsbedarfs auf Erweiterung nach oben und in die Breite angelegt. Und so geschah ’ s. Ich war zwei Jahre lang Instructor, ein Jahr Assistant Professor, drei Jahre Associate Professor, also im Alter von 26 Jahren unkündbar angestellt, und, seit meinem dreißigsten Lebensjahr, drei Jahre Full Professor, bevor ich dann 1965 nach Toronto und drei Jahre später nach Harvard berufen wurde. Einen “ Chef ” hat es während der ganzen Zeit, bis zu meiner Emeritierung, ebensowenig gegeben wie “ untergebene ” Kollegen, und damit keine Anweisungen oder auch nur Beaufsichtigung durch “ Vorgesetzte ” . (Der Chairman, seit einigen Jahren Chair genannt, stammt turnusmäßig immer aus den eigenen Reihen.) So einfach war das damals. Ein besonderer Reiz einer solchen amerikanischen Laufbahn war darüber hinaus eine weiterreichende Unabhängigkeit: die von außeruniversitären Instanzen. Man war kein weisungsgebundener Staatsdiener oder -funktionär von Ministers Gnaden, der etwa einen Sabbatical bewilligen konnte oder auch nicht und bei Berufungs- und Bleibeverhandlungen gegenüber den Professoren das letzte Wort hatte und (mit)bestimmte über die Gestaltung von Staatsexamen für Lehramtskandidaten und insofern über die akademischen Anforderungen an die Studierenden und damit auch über den von den Professoren anzubietenden Lehrstoff. Selbst die Bescheinigung über die bestandene Prüfung für das Lehramts-Pädagogikum und -Philosophikum wurde von einem Beamten des Ministeriums ausgestellt, während die Professoren, die die Prüfung durchgeführt hatten, nicht einmal genannt wurden. In Berkeley hingegen war man eher Transatlantische Verlockungen 83 <?page no="84"?> freiberuflich tätig und doch, mit der Beförderung zum Associate Professor, unkündbar angestellt. Man konnte sich so gut wie alle beruflichen Aufgaben, im Rahmen selbstverständlicher institutioneller Verpflichtungen natürlich, methodisch und inhaltlich eigenständig bestimmen und sich dennoch in den fachlichen “ Betrieb ” (Konferenzen, Zeitschriftenherausgabe, Mitwirkung in wissenschaftlichen Gesellschaften) soweit einfügen, wie einem lieb war. Und noch etwas bestimmte mich zur Annahme des Angebots aus Kalifornien. Das waren die Erinnerungen an das Studenten- Leben in Texas drei, vier Jahre zuvor: an den konversationsmäßigen “ light touch ” der akademischen Lehre (der in der angelsächsischen Welt oft als sigillum veri des Seriösen gilt). Dieses Berufsbild ohne Gravitas war mir sympathisch und vorbildlich. (Und wenn ich in jugendlicher Arroganz eins nicht wollte, dann, in Erinnerung an meine Schulzeit, eine autoritär “ staatstragende ” Beamten- “ Karriere ” an einem deutschen Gymnasium, wie es in meiner Erinnerung damals war.) Henry Remak, der es nach jahrzehntelanger Tätigkeit an amerikanischen Universitäten wissen mußte, hat einmal zu diesem Berufsbild bemerkt, der Amerikaner betrachte den Ordinarius nicht als “ das höchste der Gefühle im Bereich des homo sapiens ” 28 - und der auch noch so bedeutende Full Professor sieht sich ebenfalls nicht so. Die von mir erlebte Lockerheit der Lehre und die Zugänglichkeit der amerikanischen Professoren hatte natürlich auch damit zu tun, daß die Vorlesungen (und Seminare sowieso) selbst in der Anglistik zumeist nicht in Hörsälen von der Größe eines Kinos gehalten wurden, wo das distanzschaffende Dozieren unvermeidlich war; sie fanden im Office des Professors statt oder um einen Tisch in einem Seminarzimmer oder in einer aus zusammengerückten Stühlen gebildeten Runde. (Für die kleinen Kreise der Doktoranden und vielleicht noch manche “ Oberseminare ” gab es diese Zugänglichkeit auch in Deutschland, aber notgedrungen eben nur für diese.) Vernünftig fand ich schließlich in meiner Universitätserfahrung als Student die nicht immer zu Recht als schulisch kritisierte Organisation 84 Transatlantische Verlockungen <?page no="85"?> des Studiums in Amerika: Kurse mit regelmäßiger Leistungskontrolle durch schriftliche Prüfungen während des Semesters und Richtlinien für die Anforderungen (obligatorische Kurse, Leselisten und -termine) für den Erwerb von akademischen Titeln. In Deutschland waren die Studiengänge damals noch minimal geregelt oder strukturiert und auch nicht von den in Amerika heute unverzichtbaren Mentoren begleitet, so daß die Studierenden selten recht wußten, wo sie standen. Alles in allem: ein mir zusagendes, selbstbestimmt sinnvolles Leben schienen meine Lehrer in den fünfziger Jahren in Texas zu führen, und warum sollte das anderswo in den USA anders sein? Mit dem Einreisedatum 1956 saß man als Germanist in Amerika allerdings auch zwischen den Stühlen. Man gehörte weder zu der Auswandererwelle aus den Hitlerjahren, der die amerikanische Germanistik viel verdankt: eine Anhebung des professionellen Qualitätsniveaus, neue Impulse wie die aus dem Encounter mit der fremden Sprache und Kultur hervorgehende Bevorzugung der komparatistischen Arbeitsweise und die Hinwendung zur nichtkanonischen Literatur der Moderne des zwanzigsten Jahrhunderts, aber auch, vertreten vor allem durch Karl Viëtor und Oskar Seidlin, die Bewahrung der hergebrachten, “ zeitlosen ” deutschen Kulturwerte der kanonischen Literatur, namentlich der Goethezeit. Noch gehörte man zu der durch Sputnik (1957) ausgelösten Zuwanderungswelle der späten fünfziger und der sechziger Jahre. Wissenschaftlich anspruchsvoller als die mehr lehrerhafte “ alte Garde ” der Amerikaner waren auch diese Immigranten, doch zugleich stark methodentheoretisch interessiert und großenteils kritisch engagiert angesichts der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse und Mentalitäten in Deutschland, die sie z. T. wohl auch zu beeinflussen suchten. Sie standen weithin unter dem Eindruck des ideologiekritischen Neomarxismus der Frankfurter Schule und erweiterten in diesem Sinne im Lauf der Jahre im Verein mit Historikern, Soziologen und Politikwissenschaftlern die Germanistik um die “ German Studies ” als kritische Sozial- und Kulturanalyse. Das hatte eine Revision des Lektüre-Kanons zur Transatlantische Verlockungen 85 <?page no="86"?> Folge: zugunsten von soziopolitisch instrumentalisierbaren, wenn auch (zugestandenerweise) oft literarisch weniger bedeutenden Autoren, wenn nicht gar von außerliterarischen Werken aus Vergangenheit und Gegenwart, wie es noch 1993 die Nicht- Emigranten John Van Cleve und A. Leslie Willson in einer Art Manifest forderten. Soweit beide Gruppen ihre Arbeiten vorwiegend auf Deutsch und in deutschsprachigen Ländern veröffentlichten (und die zweite primär auf die sozialpolitischen Zustände in Deutschland fokussiert war), setzten sie sich dem Vorwurf aus, sich mit ihrer Orientierung an der auswärtigen, besonders der deutschen Germanistik vom geistigen Leben Amerikas abzukaspeln statt es, etwa mit Übersetzungen und Einführungen, wenn nicht gar Schulbüchern, zu bereichern durch die Vermittlung der Kenntnis deutscher Kultur- und Sozialverhältnisse; Germanistik in Amerika sei heute nicht mehr eine Literatur-, sondern eine umfassende Sozialwissenschaft. 29 Allerdings haben beide Gruppen bekanntlich wesentliche Wirkungen ausgeübt durch die Ausbildung der in Amerika gebürtigen Nachwuchsgenerationen. Gegenüber beiden Gruppen sah ich mich, je länger, desto mehr, und keineswegs als einziger 30 und auch nicht beunruhigt in einer Art Niemandsland - wo man nach beiden Seiten hin Ausschau halten kann und darüber hinaus, mit einem über die Jahre und Jahrzehnte hin entwickelten distanzierten Blick, auch auf die Germanistik der deutschsprachigen Länder. Meine Sympathie galt eher der ersten als der zweiten Gruppe (stark aber auch der relativ eigenständig amerikanischen, zum Beispiel von Hermann Weigand ausgebildeten Germanistik mit ihrer textnahen Sachlichkeit und ihrem soliden Kenntnisfond). Von den Interessen der ersten Einwanderergruppe und überdies von der Fixierung der “ werkimmanenten Interpretation ” auf die ästhetische Qualität driftete ich mit der Zeit jedoch dahin ab, die gehaltliche, letztlich anthropologische Problematik literarischer Werke interessanter zu finden und, schon bei Hauptmann und dann bei Haller, Lessing, Schiller und anderen, die Lebensskepsis, den existentiellen Zweifel und die Beängstigung durch seine 86 Transatlantische Verlockungen <?page no="87"?> Majestät den Zufall in den Blick zu rücken. Von daher war es dann auch möglich, einen weiteren Horizont zu suchen in der die Nationalliteraturen übergreifenden komparatistischen Thematologie, verstanden als Erkundung der in der Literatur über lange Zeiten und im geistigen Raum der Säkularisation gestalteten Lebenserfahrung: Kulturgeschichte der Literatur, wie ich sie verstand (s. u. S. 150). Was mich von der zweiten Gruppe trennte, war neben ihrer spezifischen soziologisch-extraliterarischen Interessenrichtung überhaupt ihre Fixierung auf die Verhältnisse und Mentalitäten in der mir immer mehr entrückten Bundesrepublik Deutschland und der mir ohnehin fremden DDR. (Von dem beiden Gruppen, doch verstärkt der zweiten gemachten Vorwurf der Nicht-Kommunikation mit der englischsprachigen geistigen Welt sah ich mich ohnehin nicht getroffen: manche meiner Bücher und viele meiner Essays habe ich auf Englisch geschrieben und veröffentlicht, andere übersetzt oder übersetzen lassen; es geht da natürlich um die Frage, ob man einen Beitrag leisten will zur Erweiterung und Präzisierung des Wissensstands der weltweiten Germanistik, deren lingua franca vorwiegend Deutsch ist, oder zur literarischen Kultur der Gebildeten eines anderssprachigen Landes.) Teilen konnte ich mit der zweiten Gruppe jedoch offensichtlich den günstigen Zeitpunkt: nach Sputnik (ich war 1957 schon in meinem zweiten Jahr in Berkeley) herrschte in Amerika infolge der intensiven politisch motivierten Förderung der Fremdsprachenwissenschaften (neben den Naturwissenschaften) ein größerer Bedarf an qualifizierten Lehrkräften, als die Vereinigten Staaten ausbilden konnten. Dieses Goldene Zeitalter, nicht zuletzt also auch das der Germanistik, reichte von den mittleren fünfziger bis zum Ende der sechziger Jahre oder noch etwas weiter, danach begann das Interesse, auch das finanzkräftige staatliche, an deutscher Sprache, Literatur und Kultur spürbar abzuflauen mit mancherorts katastrophalen Folgen. 31 War ich 1956, in einem Jahr, als sich die Wolken des Kalten Kriegs bedrohlich über Europa zusammenballten, als Emigrant nach Amerika gekommen? Der Reiz des Abenteuers mag nicht Transatlantische Verlockungen 87 <?page no="88"?> verflogen gewesen sein. Aber ein Visum, das mich zur Green Card als Voraussetzung für die Einbürgerung berechtigte, hatte ich, und schon nach den ersten Jahren hatte ich mich trotz sehr seltener und rasch vorübergehender Enttäuschungen, wie man sie überall bei einer solchen Umstellung hätte haben können, gut eingelebt dank der Nachbarlichkeit der Amerikaner, die ja, wenn nicht selbst “ naturalisiert ” , so doch Nachkommen von Einwanderern sind (was sie manchmal auch vergessen), und dank der Kollegialität der Professoren, mit denen ich zu tun hatte (im Frühjahrssemester 1962 auch als Gastprofessor an der University of Colorado in Boulder). In der Familie Hans Wolffs, meines Mentors während der ersten Jahre in Berkeley ( † 1958), durfte ich mich zu Hause fühlen. Halt und Freude gab die Geselligkeit vor allem, aber keineswegs nur, mit den jüngeren Professoren und den Graduate Students, mit einigen von denen ich über Jahrzehnte hin befreundet blieb. Wohl bewegte sich die Kontaktfreudigkeit und Geselligkeit auch nicht eben selten auf dem doch wohl auch in Deutschland nicht ganz unbekannten Niveau der Cocktailparty, aber mußte sie damit gleich ein Symptom der Lonely Crowd sein? Daß man mit amerikanischen Kollegen keine wissenschaftlichen Gespräche führen könne, war der Eindruck eines prominenten deutschen Germanisten nach einem Jahr als Gastprofessor an einer Ivy-League-Universität. Daran mag etwas sein; statt barocker Erstausgaben würde einem nach dem Dinner im Haus eines Kollegen schon eher seine Hobby- Werkstatt im Souterrain gezeigt. Ob man ein Verhältnis zum Tragischen habe, würde man, anders als in Göttingen, kaum gefragt werden. Nur rezente Zuwanderer oder deutsche Gäste würden auf Parties mit einem Glas in der Hand von ihrem “ übernächsten Buch ” sprechen oder sich als “ Kantianer ” oder “ Kantianerin ” vorstellen. Man muß eben wissen, daß in amerikanischen Universitätskreisen Fachsimpelei bei geselligen Anlässen streng verpönt ist, sicherlich nach englischem Vorbild: in englischen Colleges, in denen ein breites Spektrum von akademischen Disziplinen durch je ein, zwei und selten mehr Fellows vertreten ist, gilt “ shop talk ” als faux pas, und in englischen 88 Transatlantische Verlockungen <?page no="89"?> Clubs (oder nur manchen von ihnen? ) kann man sich damit als nicht “ clubbable ” disqualifizieren. Daß zwei deutsche zu einer Konferenz angereiste Professoren, auf einem amerikanischen Provinzflughafen am Gepäckkarussell auf ihre Koffer wartend, sich in ein Gespräch über Lessings Theologie vertiefen, wie ich es in Cincinnati erlebt habe, wirkt eher befremdlich, wie umgekehrt ein deutscher Gast in einem englischen Club befremdet sein dürfte von dem Kärtchen auf dem Frühstückstisch “ Conversation not preferred at breakfast ” , bekräftigt durch ein Gestell für das aufrechte Ausbreiten der Zeitung, hinter der man sich taktvoll zu verschanzen hat. Im übrigen läßt sich Tiefe nach einer Bemerkung Hofmannsthals auch an der Oberfläche verstecken, wie man in der angelsächsischen Welt weiß. Wie es auch bestellt sein mag mit der Geselligkeit in amerikanischen akademischen Kreisen: für eine Rückkehr in die Welt des mehr oder weniger zur Tagesordnung gehörenden “ Sichaussprechens ” oder tiefschürfenden “ Sichaustauschens ” 32 war es für mich schon nach wenigen Jahren zu spät, wenn sich, außer vorfühlenden Anfragen und Gesprächen, Möglichkeiten ergaben, an eine deutsche Universität zurückkehren, wo man zweifellos weiterreichende Wirksamkeit hätte entfalten können als in dem Orchideenfach “ German Literature ” . Mit einer von Kayser angebotenen unbefristeten Germanistik-Dozentur in Göttingen 1959 fing es an und endete 1984, mit dem Ruf auf eine Komparatistik-Professur in Augsburg. Zu spät war es für mich vor allem, weil das rasche Einleben in Amerika sich als nachhaltig erwies, “ habit forming ” . Von meinem zweiten Jahr in Kalifornien an wohnte ich am malerisch mäandernden Panoramic Way in den Hügeln von Berkeley in einem idyllischen gemieteten Cottage, faux rustikal mit viel pseudo-antikem Kupfer in der selten benutzten Küche, ohne Kamin, aber mit der Atrappe eines windschiefen Schornsteins aus bröckelig alten Backsteinen; im Garten ein Zitronenbäumchen am Goldfischteich, das das ganze Jahr über unter fast immer blauem Himmel nicht nur blühte, sondern gleichzeitig Früchte trug, die man nach Bedarf für den Gin-and-Tonic Transatlantische Verlockungen 89 <?page no="90"?> pflückte; postkartenschön der Blick aufs Meer und San Francisco in diesiger Ferne. In der Woche vor den Semesterabschlußprüfungen konnte man hier spätabends den wehklagenden Ruf “ Pedro! ” widerhallen hören: Pedro, so wollte es der aus dem Geist der Examensangst geborene Instant-Mythos, hieß der Hund, der einem früheren Universitätspräsidenten entlaufen war, worauf dieser angeordnet haben sollte, die Prüfungen ausfallen zu lassen, falls Pedro wiedergefunden würde. Seit den frühen sechziger Jahren “ besaß ” ich dann, einschließlich der “ mineral rights ” in diesem Goldgräberstaat, das heißt: hatte ich eine enorme Hypothek aufgenommen und eine kleine Anzahlung gemacht für ein betont modernes, angeblich erdbebensicheres und termitenresistentes Redwood-Haus hoch über der Stadt und wieder mit dem Blick auf die Bucht von San Francisco, wo ich etwas später mit meiner Verlobten zu segeln versuchte, auf die elegant geschwungene Selbstmörderbrücke Abb. 5: Cottage am Panoramic Way, Berkeley, ca. 1961 90 Transatlantische Verlockungen <?page no="91"?> des Golden Gate, das Symbol des non plus ultra des amerikanischen Drangs nach Westen, und auf die ausbruchsichere Zuchthaus-Insel Alcatraz mitten in der Bucht, über die im Sommer der “ goldene ” Nebel landeinwärts driftete, während das Nebelhorn heiser herüberröhrte. Unwiderstehlich wie der berühmte View war für einen Professor auch die neue Adresse: Campus Drive, Ecke Parnassus Road, unglaublich dabei die Erfahrung, daß ein Umzug hier nicht polizeilich ab- und angemeldet werden mußte, ganz anders als in Deutschland selbst der Wechsel von einem gemieteten Studentenzimmer ins andere, wozu auch der Personalausweis vorzulegen war, den es in Amerika bis heute nicht gibt. Ungewohnt war auch die üppige Vegetation in dieser mediterranen Ambiance: eine Bougainvillea rankte fast bis ans Dach hinauf, hügelauf hinter dem Haus ein romantisch verwilderter Garten nicht nur mit Obst-, sondern auch Eukalyptusbäumen, Quittenbüschen, Eiben und anderem Immergrün und feuerhemmenden Sukkulenten rundherum. Statt für Bücher mußte ich allerdings jetzt Geld für neue Dachrinnen und Zentralheizungszubehör ausgeben. Abb. 6: Mein Haus in Berkeley, 1962 - 65 Transatlantische Verlockungen 91 <?page no="92"?> Zu spät für eine Rückkehr war es aber auch, weil mir Deutschland infolge des Mangels an aktueller Kenntnis der Lebensverhältnisse und Mentalitäten und des sich damit einstellenden Interesseverlusts je länger, desto mehr ziemlich entfremdet war - trotz der befreundeten Kollegen dort (bei denen man sich nicht fragen mußte, wie sie sich wohl in der Nazizeit verhalten hätten) und trotz (oder wegen) der beruflichen Reisen dorthin zu Tagungen, Vorträgen und Archivstudien. Diese Reisen bestätigten eher: Deutschland war in der Berkeleyer Zeit, in den Jahren vor Jets und Direktflügen, viel “ weiter weg ” , als es seit langem der Fall ist, also nicht in ein paar Flugstunden und strapazenlos zu erreichen. Die angenehmere Seereise auf dem mit ein paar Passagierkabinen ausgestatteten Frachter durch den Panama-Kanal dauerte drei Wochen und länger, wobei mehrere Stippvisiten in Bananenrepubliken an die halbe Welt erinnerten, die zwischen San Franciscos Goldenem Tor und dem Göttinger Gänseliesel lag. Davon unabhängig bestätigten mir die Europareisen mit der Zeit auch immer wieder, daß ich es in Amerika gut, in mancher Hinsicht märchenhaft gut getroffen hatte. Und das nicht nur im Kreis der Kollegen und aufgeweckten und motivierten Schüler und Schülerinnen, während man in Deutschland damals - lange bevor, wie heute, fast die Hälfte eines Jahrgangs, unterschiedlich vorbereitet und engagiert, studierte - die immer gleiche Litanei zu hören bekam: Arbeitsüberlastung, besonders durch Verwaltungsaufgaben und Verantwortung für den “ Mittelbau ” , hohes, staatlich verfügtes “ Lehrdeputat ” und sonstige Abhängigkeit vom Ministerium, Mangel an akademischer Freizeit, an Hilfskräften und institutioneller Ausstattung. Die Briefformel “ Nach Diktat verreist ” wurde erst später Gegenstand amerikanischen Amüsements. Sympathisch war mir auch der vorherrschende Stil des öffentlichen Lebens in diesem Land der Nachkommen der Pioniere und Späterer: das höfliche, beim Autofahren schon mal bis an die Grenze des Gefährlichen gehende Rücksichtnehmen, die spontane Anteilnahme, Zuwendung und nachbarlich-freundliche Vertrauens- und Hilfsbereitschaft auch von Fremden oder 92 Transatlantische Verlockungen <?page no="93"?> kaum Bekannten ( “ log-rolling spirit ” nannten manche das in Anspielung auf die Pionierzeit; weniger angenehme Zeitgenossen konnte man links liegen lassen). Was mich bis heute in dieser Hinsicht immer wieder freudig überrascht, wurde mir um so lieber, wenn ich mich bei meinen Besuchen in Deutschland umsah, wo, wie gesagt, selbst das zur Gewohnheit gewordene Lächeln befremdete. Ein drolliges Beispiel aus den ersten Jahren in Berkeley: beim Auftanken meines Kabrioletts in der kalifornischen Sierra bemerkte der Tankwart meinen Sonnenbrand, nahm seinen Hut vom Kopf und verkaufte ihn mir, da ich auf Bezahlung bestand, auf der Stelle für fünfzig Cent, ohne Umsatzsteuer, was der vermiedene Hitzschlag uns beiden wert war. Die Bundesrepublik hingegen mag in den sechziger Jahren noch nicht die nachmalige angebliche “ Rüpel-Republik ” (so 2003 der Titel des Bestsellers von Jörg Schindler) gewesen sein, aber “ Ausländer raus! ” -Graffiti gab es auch damals schon, an einer Hausmauer in einer norddeutschen Kleinstadt etwa, wo früher vielleicht einmal “ Kilroy was here ” gestanden hatte. Und peinlich berührte mich in diesen Jahren in Deutschland schon der zuweilen, nicht immer, rüde Ton des öffentlichen Miteinanders, sei es im Straßenverkehr oder in Behörden und Instituten, am Telephon, im Rezensionswesen und in Diskussionen im Anschluß an Vorträge im universitären Milieu und gelegentlich selbst in der wissenschaftlichen Schriftstellerei, wo bis heute Anpöbelung vorkommt, wie sie in Amerika unvorstellbar ist. “ Nett sein zueinander ” überschrieb Peter Wapnewski 1970 in einer deutschen Zeitung seinen Bericht über den Stil der wissenschaftlichen Kommunikation auf der von Victor Lange weltmännisch geleiteten Princetoner Tagung der Internationalen Vereinigung der Germanisten. Neu für Deutschland? Alexander und Margarete Mitscherlich 1977 in der Vorbemerkung zu ihrer vielgelesenen Unfähigkeit zu trauern: “ Der freundliche Deutsche [. . .] hat im eigenen Land keinen zwingenden Vorbild- Charakter. ” Ich könnte ein Lied davon singen. Ein besonders traumatisches Beispiel mag genügen. Im Zug nach Hannover, zum Flughafen, hätte mich ein ruppiger Schaffner um ein Haar Transatlantische Verlockungen 93 <?page no="94"?> der Polizei übergeben, wenn nicht zufällig ein höherer Bahnbeamter im Abteil gesessen, sich per Ausweis legitimiert und mit “ Lassen Sie ’ s gut sein ” eingegriffen hätte. Mein Delikt? Auf der Rückseite der Fahrkarte hatte ich die Adresse des Städelschen Kunstinstituts notiert - Verstoß gegen, ich weiß nicht mehr welches Bundesgesetz, das mir als Amerikaner unbekannt war, was ich durch Vorzeigen meines Passes plausibel machen mußte: “ Für ’ n Amerikaner sprechen Sie aber ganz gut Deutsch ” . . . Der Aufruf des Flugs nach England war Musik in meinen Ohren. Komplementär zur Entfremdung von meiner “ Heimat ” und auch wohl auf der Suche nach Ersatz im Bereich meiner ursprünglichen (und anhaltenden) akademischen Interessenrichtung belebte sich über viele Jahre hin, bis weit über meine Zeit in Berkeley hinaus, obwohl ich mich in Amerika dankbar zu Hause fühlte, die in die Schulzeit zurückreichende - nicht blinde - Sympathie für die weitere Welt englischer Sprache, die der Doktortitel besiegelt hatte, speziell für “ this precious stone set in the silver sea, [. . .] this England ” oder genauer Großbritannien. On revient toujours à ses premiers amours. Ich reiste zu Vorträgen nach Kanada von Neufundland bis British Columbia, Australien, Hong Kong, Südafrika, an englische, schottische und irische Universitäten, aber auch immer wieder an amerikanische an den Küsten und “ in the interior ” , wie manche Engländer den Mittleren Westen nennen. Hinzu kamen seit den sechziger Jahren die regelmäßigen Familienurlaube in der britischen Kronkolonie Bermuda, wo bei allen Unabhängigkeitsgebärden Lebensstil und Atmosphäre - einschließlich Schlangestehen als Nationalsport ( “ It ’ s only fair, isn ’ t it? ” wurde ich anläßlich eines faux pas belehrt) - in mancher Hinsicht eher noch traditionell englischer, wenn nicht gar viktorianischer waren als im Mutterland. Das ist meiner Erfahrung nach auch heute noch (mit Einschränkungen) der Fall in ehemaligen Kolonialgebieten von Belize bis Neuseeland, von Kapstadt bis Canberra, wo ich einen langen Sommer als Fellow des Humanities Research Centre der National University verbrachte. Dort allerdings ging es auch - manchmal - schon eher europäischer zu als britisch-insular. 94 Transatlantische Verlockungen <?page no="95"?> Kollegen belehrten mich über den im mittleren neunzehnten Jahrhundert im Outback verschollenen, von Patrick White in seinem Roman Voss verewigten deutschen Explorer Ludwig Leichardt, von dem es in der Universität noch eine Nachkommin gab; Flug-Tickets zum Eingeborenen-Heiligtum Ayers Rock (heute Uluru) waren dreisprachig (englisch, italienisch, griechisch). Reflex der Vorlieben der englischen Kolonialherren hingegen war immer noch die Nationalreliquie: das in Spiritus konservierte Herz des legendären, dem Gerücht zufolge in Kalifornien ermordeten Rennpferds Phar Lap, ausgestellt in der Australischen Akademie der Wissenschaften. Vor allem aber waren seit der Arbeit an meiner Dissertation im British Museum die häufigen Aufenthalte und Reisen in England, Schottland, und Irland prägend - von Suffolk (W. E. Sebald-Country) und Norfolk, wo die Königin von Sandringham aus jahraus, jahrein ihre Weihnachtsbotschaft in die Welt schickt, die ich einmal gehört hatte, bis zu Scotts Abbotsford und zu der äußeren Hebrideninsel Lewis mit ihren gälisch sprechenden Pakistanern und prähistorischen Steinringen und zu J. M. Synges urtümlich versteinerten Aran-Inseln vor der Küste von Galway. Zum Teil waren das auch Reisen in eine Zeit, als es noch Farthings gab, trostlose Sonntage, die für Annoncen reservierte Titelseite der Times, als London Fog noch nicht nur ein Regenmantel war und im Kino ( “ picture palace ” ) am Schluß jeden Abend die Königin, manchmal hoch zu Roß, auf der Bildfläche erschien und man ihr die Ehre erwies, indem man sich erhob und bis zum Ende der Show stehen blieb. Zwei Sommer verbrachte ich später als Fellow des Institute of Advanced Studies in the Humanities in Edinburgh, wo die schottische Geschichte auf Schritt und Tritt gegenwärtig war, selbst auf dem Reklameschild der Immobilienfirma Macbeth & Smith, und im Schloß den Hunden und Kanarienvögeln ehrendes Andenken gewidmet wurde, die den Ersten Weltkrieg gewinnen halfen. Ich schrieb damals an meinem Buch über letzte Worte; mein täglicher Weg ins Büro führte über den Grassmarket, wo der Galgen gestanden hatte, unter dem die Verurteilten einem Transatlantische Verlockungen 95 <?page no="96"?> Abb. 7: Sidney Sussex College, Cambridge 96 Transatlantische Verlockungen <?page no="97"?> stilkritisch aufmerksamen Publikum ihre von der Konvention verlangten wohlüberlegten last words zum besten gaben. Ferner verbrachte ich zweimal einen Sabbatical und jahrzehntelang weit über die Jahrtausendwende hinaus die Sommermonate in Cambridge, zunächst am ursprünglich von Puritanern bevorzugten Sidney Sussex College, das noch heute den einbalsamierten Kopf seines Alumnus und Studienabbrechers Oliver Cromwell diskret aufbewahrt, und später am eher anglokatholisch orientierten Magdalene College ( “ Maudlin ” ausgesprochen) noch älteren Datums. In beiden hatte man mich, in Maudlin im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, als Visiting Fellow zum Mitglied auf Lebenszeit gewählt ( “ elected ” ) und in einer seit vierhundert und mehr Jahren tradierten Renaissance-englischen bzw. lateinischen Formelsprache feierlich, und im Talar natürlich, auf Loyalität gegenüber den mir allerdings nicht geläufigen Glaubensüberzeugungen der Gründerin bzw. des Gründers eingeschworen. Das qualifizierte mich gleichberechtigt mit den Altgedienten zu einem der Postfächer in der Porters ’ Lodge, zum allerletzten allerdings, da die Fächer in der Reihenfolge der Seniorität angeordnet waren: die oberste Reihe hieß Death Row. (Weniger feierlich ging es zu bei der Ernennung zum korrespondierenden Mitglied des britischen Institute of Germanic Studies, jetzt Institute of Modern Languages Research in London.) Amüsiert, aber auch angenehm beeindruckt war ich in Cambridge von der oft kreativen sorgsam gepflegten, aber auch selbstironisch heruntergespielten Exzentrizität der Fellows, die als aparte Ehrung die Aufsicht über den Weinkeller vergeben konnten. Ein Geograph hatte ein noch nicht vergriffenes Buch geschrieben, in dem er mit close reading und tongue in cheek nachwies, in welchem Cambridge-College Sherlock Holmes studiert habe, in Sidney Sussex natürlich, woraufhin ein nicht weniger exzentrisches, auf Reliquien von Sherlock Holmes ’ Wohnungen spezialisiertes japanisches Museum mit vorausgezahltem Porto um einen authentischen Backstein von einem der College-Gebäude bat. Ein international gefragter Jurist, der Transatlantische Verlockungen 97 <?page no="98"?> seine Expertisen auf einer hochbetagten Schreibmaschine tippte, in der drei Buchstaben abgebrochen waren, kannte sich in allen bizarren Einzelheiten auf der winzigen britischen Südatlantikinsel Tristan da Cunha aus, wo er nie gewesen war. Ein Mediziner sammelte Bücher über die diversen Besitzmarkierungen, mit denen jedes Jahr im Juli, am Swan-Upping-Day, die Schnäbel der jeweils jüngsten Schwäne auf dem River Cam von elisabethanisch uniformierten Männern in Gummistiefeln versehen werden, womit verhindert wird, daß sie Eigentum der Königin werden. Sympathisch schrullig auch die Rituale und Usancen des akademischen Alltags unter College-Wappen und nachgedunkelten Ölporträts verdienter Vorgänger. Unerläßlich waren vor und nach dem Dinner auf der Empore im großen Speisesaal die lateinischen Tischgebete, an gewöhnlichen Tagen fast befehlsmäßig knapp, bei festlichen Anlässen endlos lang und von einem Fellow von einer Art entsäkularisiertem Ping-Pong- Schläger abgelesen, was mich übrigens nicht befürchten ließ, auch einmal als Vorbeter an die Reihe zu kommen: einer der älteren Fellows hatte mir sotto voce eröffnet, meine lateinische Aussprache sei interessant, aber schlechterdings “ not English ” . Gegen Ende des Dinners zelebrierte man das unaufhaltsame Kreisen der auf einem silbernen Untersatz ruhenden Port- und Madeira-Flaschen: nur im Uhrzeigersinn, nach links weiterzureichen, bis sie auf den letzten Tropfen geleert waren. Ferner: die zeremonielle Einführung eines Vortrags des mit einem esoterischen Titel anzuredenden Erzbischofs von Canterbury durch eine Prozession der Fellows in die Kapelle, angeführt vom “ Marshall ” , der das silberne College-Szepter gemessenen Schritts wie eine Monstranz präsentiert; bei jedem Bankett der Toast auf die Königin (bei ihrer Anwesenheit am High Table des Sidney Sussex College im Jahr des vierhundertjährigen Gründungsjubiläums blickte ihr das Porträt des Königsmörders Cromwell, realistisch komplett mit Warze, über die Schulter, ohne daß der am Rahmen befestigte Vorhang taktvoll zugezogen gewesen wäre); die bei besonderen Anlässen dort 98 Transatlantische Verlockungen <?page no="99"?> rund um den Tisch weitergereichte riesige Silberschale mit einem leicht alkoholischen faden Mischgetränk, aus der man einen Schluck nahm und “ Auf unsere Gründerin ” murmelte, deren Porträt an der Stirnwand der Hall die Fellows nicht aus den Augen ließ; die Pflicht, bei gewissen administrativen Sitzungen und beim Abendessen im Speisesaal den weitärmelig kuttenähnlichen schwarzen Gown aus Seide oder Polyester ( “ vive la différence! ” ) zu tragen, bei besonders festlichen Gelegenheiten (selbst ohne Erzbischof oder Queen) auch den nur Ehrendoktoren zustehenden karminroten samt Orden (für Studenten war beim Dinner eine vereinfachte Version des schwarzen Talars vorgeschrieben); das auf Fellows sowie Perl- und Moorhühner beschränkte Recht, den seit Jahrhunderten gepflegten, stets crew-cut-kurz geschorenen Rasen zu betreten; die silberne Schnupftabakdose, die im Trinity College nach dem Dinner die Runde machte, um, wie man mir mit dem deutschen Wort sachkundig erklärte, “ Wohlsein ” zu stiften; das Fehlen von elektrischem Licht in dem aus dem sechzehnten Jahrhundert datierenden Speisesaal des Magdalene College, der nur von importierten, nicht-tröpfelnden Kerzen erhellt wurde (Elektrifizierung war vor einem Jahrhundert oder so abgelehnt worden, und seitdem hatten sich, wurde dem Neuling erklärt, keine neuen relevanten Gesichtspunkte ergeben); die in eine Art Cut (mit College-Schlips) gekleideten, im Trinity College auch einen grauen Bowler Hat tragenden Porters, die zwar nicht mehr das Gepäck ankommender Gäste trugen, aber vierundzwanzig Stunden am Tag, sieben Tage in der Woche, Weihnachten inklusive, auf ihren Patrouille-Gängen die ganze Herrlichkeit bewachten: das (im Sidney Sussex College mit einem nur noch ornamentalen Fallgatter gesicherte) monumentale College-Tor, die malerisch verwinkelten und etwas vergammelten Verwaltungsbauten, die Kapelle mit dem labyrinthischen Weinkeller darunter (first things first beim Bau), die College- Bibliothek, die Dining Hall, den Kreuzgang und die mit Kamin und Mahagoni-Weinkühler ausgestatteten Zimmer für die Fellows und die sehr unterschiedlichen und unterschiedlich teuren Transatlantische Verlockungen 99 <?page no="100"?> Einzelzimmer und Suiten für die Studierenden, die beiden Gärten, einen für den Master und einen für die Fellows, hinter pittoresk verwitterten Mauern und, nicht zu vergessen, im Magdalene College den Hundefriedhof und die Steinskulptur des chinesischen Gottes der kaiserlichen Beamten-Prüfungen in einem Blumenbeet. Die Vergangenheit ist hier auf Schritt und Tritt gegenwärtig, ob älteren oder neueren Datums, erfreulich oder nicht, imposant oder trivial: lebendig ist sie allemal. Mit den Baulichkeiten fängt es an. Klösterlich oder palastartig reichen viele der Gebäude der bekanntesten Colleges bis in die Renaissance oder ins Mittelalter zurück, manche mit beglaubigten Gespenstern, viele mit Nobelpreisträgern, jedenfalls eins mit Uhren, die grundsätzlich einige Minuten von Greenwich-Zeit abweichen. Im Magdalene College hat der Master, gegenwärtig der ehemalige Erzbischof von Canterbury, sein Amtszimmer in einem im sechzehnten oder siebzehnten Jahrhundert als Bordell errichteten Gebäude, das als solches noch am eindeutig obszönen Schnitzwerk der Fassade zu erkennen ist. Bei Renovierungsarbeiten im Sidney Sussex College kamen ein paar Spielkarten aus einem tief im Gemäuer versteckten Rattennest an den Tag - aus einer Zeit stammend, als die puritanische Verwaltung Glücksspielen als Sünde bestrafte. In der Bibliothek von Trinity Hall, einem der Colleges, sind immer noch jedenfalls zwei Bücher aus dem sechzehnten Jahrhundert an ihr solides Regal gekettet. Einzigartig ist sicherlich auch die Toilette mit authentischem Tudor- Kamin im Sidney Sussex College, die erst vor kurzem zu einer Sherry-Bar umgemodelt wurde. Ein paar Schritte vom Hauptgebäude des St. John ’ s College ragt immer noch das Steintreppchen aus dem Rasen hervor, von dem der Fuß um so bequemer in den Stegreif zu setzen war. Neben dem Portal des Trinity College, das mehr naturwissenschaftliche Nobelpreisträger hervorgebracht hat als Frankreich und die Sowjetunion zusammen, wird ein angeblich direkter Ableger von dem Apfelbaum gärtnerisch verwöhnt, unter dem Newton die Gravitationslehre aufging; ebenso gepäppelt wird im Christ ’ s College der Maul- 100 Transatlantische Verlockungen <?page no="101"?> beerbaum, unter dem Milton ein bekanntes Gedicht geschrieben haben soll. Ein Buntglasfenster in der Kapelle des Emmanuel College zeigt den Pionier-Missionar St. Augustin Schulter an Schulter mit John Harvard, der hier studiert hat. In der Long Gallery des St. John ’ s College, ursprünglich eine Wandelhalle für den Verdauungsspaziergang zwischen Dinner-Gängen, wurden, so heißt es, 1944 bei der Vorbereitung der Invasion die Karten der nordfranzösischen Küste auf einer langen Tischreihe ausgebreitet, die sonstwo nicht ihresgleichen hatte. Im “ Eagle ” Pub, wo bis heute stets ein Fenster offen bleibt, damit ein ortsansässiger Poltergeist ungehindert kommen und gehen kann, sollen Francis Crick und James Watson beim Apéritif auf die DNA-Struktur gekommen sein. Traditionelles Klassendenken ist weniger handgreiflich, aber noch keineswegs, scheint es, ganz verschwunden, wenn etwa einem Sir beim Lunch Orangensaft im silbernen Becher kredenzt wird, während die gewöhnlichen Sterblichen sich Wasser in Wirtshausgläser einschenken. An der Spitze der Universität steht, rein symbolisch, als Chancellor der Herzog von Edinburgh, der nur bei den wichtigsten Anlässen in Erscheinung tritt: im historischen Kostüm mit langer Schleppe, die ihm ein Student Schritt für Schritt nachträgt. Altertümlich ist selbst das akademische Vokabular: May Ball im Juni (weil er vor langer Zeit im Mai stattfand), Tripos (B. A.-Prüfung), Wrangler (B. A. erster Klasse in Mathematik). Und so weiter. All das heißt aber nicht, daß man die Geschichte immer todernst nimmt. Ein Studentenstreich ersetzte an der Statue Heinrichs VIII. am Tor des Trinity College das vergoldete Szepter durch ein Stuhlbein - lang ist ’ s her, aber das Stuhlbein ist immer noch da, wo es nicht hingehört. Ernst genommen wird jedoch die Erinnerung an die berühmten Ehemaligen: Spenser, Milton, Gray, Sterne, Wordsworth, Coleridge, Byron, Housman, E. M. Forster, Newton, Darwin, Bertrand Russell, Rutherford, Wittgenstein, Keynes usw. usw. Der Friseur erzählt selbsterlebte Anekdoten über den legendären F. R. Leavis vom “ spät ” , um 1800, gegründeten Downing College, und zweifellos wer- Transatlantische Verlockungen 101 <?page no="102"?> den auch die noch später gegründeten Colleges mit der Zeit ihre originellen Traditionen zu Touristenattraktionen entwickeln. Ernstlicher beeindruckend, belebend und bereichernd wirkte in dieser apart historischen Welt die Kollegialität der auf diese Traditionen wertlegenden oder auch nicht mit ganzem Herzen wertlegenden Fellows, die übrigens nicht alle Briten sind, unterschieden jedoch, schon auf dem Türschild und in der Sprachregelung der Porters am Haupteingang, als Mr., Dr., Professor und Sir, Miss, Mrs., Dr. und Dame. Dennoch wird in vielfacher Weise dafür Sorge getragen, daß sie sich als eine Art Großfamilie sehen, und zwar bis ans Lebensende: im Ruhestand sind sie jederzeit in Dining Hall und Senior Common Room willkommen, wenn sie nicht gar in einem der College-Apartments wohnen bleiben, während andere jedenfalls ihr Amtszimmer auf Lebenszeit behalten. Etwas reserviert war zwar die menschliche Atmosphäre, unentwegt freundlich, doch ohne vertrauensselige Kameraderie - vielleicht um gegen Animositäten vorzubeugen: die Fellows mußten oder durften schließlich damit rechnen, daß sie auch Jahrzehnte später immer noch mit einigen derselben Fellows zusammen sein würden, was dann nicht verhinderte, daß etwa ein Agnostiker mit einem emeritierten Bischof freizügige Gespräche führen konnte. Wenig begabt für Wichtigtuerei und niemals hingerissen zu Fachsimpelei (im Unterschied zu Hobby-Gesprächen), begegneten sie dem Neuankömmling mit höflichem und, wie es entgegen der notorischen Feindpropaganda schien, auch ungeheucheltem Interesse, und auch untereinander (man gehörte ja schon bald “ dazu ” ) waren sie unterhaltsam unter dem Zwang zur Zwanglosigkeit, eventuelle “ Tiefe ” mit leichter Hand an der Oberfläche versteckend und Ernst mit dem obligatorischen Understatement signalisierend. ( “ Not bad ” bedeutet soviel wie “ super ” in Amerika.) Besonders war das der Fall bei den tagtäglich außer am Weihnachtstag gebotenen gemeinsamen Mahlzeiten mittags und abends “ in Hall ” , mittags mit anschließendem Kaffee im Senior Common Room, wo Tageszeitungen und Zeitschriften wie Country Life, Private 102 Transatlantische Verlockungen <?page no="103"?> Eye und The Spectator auslagen, abends mit After Dinner Drinks am Kamin im Combination Room mit seinen stilvoll verschlissenen Orientteppichen und urväterzeitlichen geschnitzten Möbeln. Combination Room - denn auch ohne “ Festordner ” wurde dort dafür gesorgt, daß man nicht mit denselben Leuten zusammensaß wie während der Mahlzeit, so daß man allerdings notfalls das Gespräch noch einmal mit der Erörterung eröffnen mußte, ob das Wetter “ nippy ” oder “ chilly ” , “ raw ” , “ brisk ” oder “ fresh ” sei, um sich dann auf “ bracing ” zu einigen. Dabei hatte die Gesprächsatmosphäre übrigens durchaus nichts von der Insularität, die Oxbridge Colleges in partibus infidelium nachgesagt wird. Ein Fellow, mit dem man gefrühstückt hatte, konnte etwas zu spät zum Dinner erscheinen mit der Entschuldigung: “ Sorry, I ’ ve been in Finland all day. ” Und da jedes der ungefähr dreißig Colleges Fellows (und Studierende) aus so gut wie allen akademischen Fächern, einschließlich Jura und Medizin, hat, sind diese Gespräche last, not least ein probates Mittel gegen Fachidiotie. An diesen Mahlzeiten jedenfalls ein paar Mal in der Woche teilzunehmen galt als guter Ton, Gäste und Familienangehörige waren immer, und besonders nachdrücklich an einem bestimmten Wochentag und vor allem am Sonntagabend, willkommen. Überdies gab es die schon angedeuteten erstaunlich opulenten “ Feasts ” , festliche Abendessen mit entsprechend vielen Gängen, für die Anlaß zu finden die kollektive Phantasie unerschöpflich war - kein Wunder eigentlich bei den Erfindern des Frühstücks statt der Kuckucksuhr und den Weltmeistern des Picknicks im Regen statt des Oktoberfests. Zu Hause konnte man sich in dieser College-Welt fühlen, wenn man bei der Ankunft Anfang Juni, ganz als sei man nie weg gewesen, von einem der seit langem emeritierten Fellows gefragt wurde, ob man seine Erbsen schon ausgesät habe. Mit manchen der Kollegen aus dieser College-Welt, auch solchen ohne Erbsenbeete, vor allem Barry Nisbet, Roger Paulin, David Midgley, Nick Boyle und John Guthrie, bin ich bis heute dankbar und freundschaftlich verbunden. Unvergeßlich bleibt neben den rituellen High Table Transatlantische Verlockungen 103 <?page no="104"?> Dinners in ihren Colleges das häufige Sunday Lunch bei den Familien Nisbet und Boyle. Über den beschriebenen Lebensstil hinaus war für mich beruflich sympathisch die vom Commonsense geprägte englische Art, Literaturwissenschaft zu betreiben: ihre theorieresistente philologische Empirie kam offenbar ohne begriffsüberladene esoterische Fachsprache aus; sie fand angestrengtes Imponiergehabe belustigend und ließ sich, gestützt auf ihre bodenständige Tradition, nicht so leicht umwerfen von jedem vom “ Kontinent ” her oder auch aus Amerika wehenden Wind dieses oder jenes methodischen Trends, wohl ahnend, daß er eher früher als später auch wieder abflauen würde. De rigeur war und ist der nur scheinbar amateurhafte Light Touch, neuerdings zwar auch mit seltenen Ausnahmen (hermetischer Jargon statt unumwölkte Klarheit). Die Kehrseite war allerdings und ist bis heute die Neigung, in der wissenschaftlichen Arbeit die sogenannte Sekundärliteratur weithin links liegen zu lassen oder auf die leichte Schulter zu nehmen im Vertrauen auf die eigene Kompetenz und den eigenen Geschmack in der Begegnung mit dem literarischen Wort, aber auch aus der Abneigung gegen die Überzeugung, man müsse, um die eigene Sicht eines Sachverhalts plausibel zu machen, über die Leichen der Vorgänger gehen, die bedauerlicherweise wieder einmal auf dem Holzweg waren. Der Fairness halber füge ich hinzu: die nicht erst neuerliche Ruppigkeit jugendlicher Rowdies, notorisch in Fußball-Stadien, in London und Ibiza, blieb ante portas in dieser akademischen Welt, ebenso wie die Konflikte der multikulturellen Ära. Unerwähnt bleiben auch andere - übrigens keineswegs nur englische - Schattenseiten des Verhaltens und der Lebensbedingungen, namentlich, aber nicht allein außerhalb der Welt von Oxbridge, die heute z. T. mit Nostalgie für Old England, kritisch thematisiert werden als nivellierende Folgeerscheinungen von Urbanisierung und Globalisierung. Um diese in ihrem ganzen Umfang angemessen zu erfahren und zu verstehen, müßte man dort ansässig sein oder sich als Gast viel länger dort aufgehalten haben, als es mir möglich war. 104 Transatlantische Verlockungen <?page no="105"?> 7. Zwischen Pazifik und Sierra In Berkeley (1956 - 65) Aber mit diesem Ausblick bin ich schon weit in die Zukunft geraten. Zurück also zum Anfang in Berkeley, Ende August 1952, zurück zum Flughafen San Francisco, wo Robert und Lucy Clark mich (mit meinem durch die siebzehnbändige Gesamtausgabe der Werke Gerhart Hauptmanns übergewichtig gewordenem Überseekoffer) abholten. Mit ihnen - beide als Ex-Texaner warm gekleidet für den Fall, daß die frühabendliche Temperatur soweit absinken könnte, daß man in Ostfriesland von einer Hitzewelle gesprochen hätte - ging es zunächst zu einem populären Fischrestaurant auf der Berkeleyer Seite der Bucht, wo mir unter anderen Winken zur Überlebenshilfe geraten wurde, regelmäßig Vitamintabletten zu schlucken, um den kalifornischen Winter zu überstehen (Durchschnittstemperatur im Winter, so konnte ich später nachlesen, 50 Grad Fahrenheit; im Sommer 62 Grad). Dann - während ich noch ganz benommen war von der fast zwei Tage dauernden Reise in Propellerflugzeugen - ging die Fahrt, kilometerweit die University Avenue hinauf nach Osten, den hoch aufragenden Glockenturm der Universität immer imposanter im Blick, in die Hügel von Berkeley. Ein paar Tage war ich bei Clarks in ihrem geräumigen Haus dort zu Gast, bis ich, endlich ausgeschlafen, mit ihrer rührenden Hilfe fürs erste ein redwoodgetäfeltes Zimmer in einer Nebenstraße in parkartiger Umgebung, ein paar Minuten zu Fuß von der Universität, gefunden hatte und auch ein Boarding House für die Mahlzeiten ganz in der Nähe. Inzwischen hatte ich mich auch dank der praktischen Hinweise zu meiner bevorstehenden Tätigkeit von der Institutssekretärin und diesem oder jenem schon vor Semesteranfang im German Department angetroffenen Kollegen auf dem Campus und im germanistischen Institut (Blick auf Grünanlagen von meinem Büro) ein bißchen zurechtgefunden. Unter Clarks Anleitung richtete ich mir dann bei der Bank of America ein Scheckkonto <?page no="106"?> für die Gehaltszahlungen ein, wobei er mir den Rat gab, nicht unbedingt benötigtes Geld immer gleich auf ein Sparkonto zu überweisen, nämlich im Hinblick auf die Anzahlung für ein Haus, das ich doch in absehbarer Zeit hier kaufen würde - könnte man sich eine psychologisch willkommenere Bemerkung vorstellen beim ersten Schritt in das unvermessene Terrain eines entscheidend neuen Lebensabschnitts? Berkeley, benannt nach dem anglo-irischen Philosophen George Berkeley, der in einem Gedicht die Zukunft des Empire im Westen gesehen hatte, war eine streckenweise malerisch mediterrane, im Flachland im Westen eher bescheidene Stadt von ca. 30.000 Einwohnern, nach Süden bruchlos übergehend in das großstädtische Oakland mit seinen Geschäftsvierteln, nach Norden hingegen ausufernd in gediegene Wohngegenden und allerlei Vororte, wo die meisten Kollegen in ihren Einfamilienhäusern im Grünen wohnten, zumeist mit dem berühmten “ View ” auf San Francisco Bay und das Goldene Tor. Nicht weit, höchstens ein paar Autostunden entfernt, erklärten mir die Kollegen in den ersten Tagen, erstreckten sich die weißen Sandstrände nördlich des Golden Gate, ebenso das Naturschutzgebiet Muir Woods mit seinen viele Jahrhunderte alten, ja: zum Teil mehr als tausendjährigen riesigen Redwoods. Etwas weiter die Küste hinauf war Fort Ross, eine Niederlassung russischer Pelztierjäger im neunzehnten Jahrhundert, vor dem Verkauf von Alaska an die Vereinigten Staaten, mit einer restaurierten orthodoxen Holzkirche, Palisaden und einem verwilderten Friedhof. Landeinwärts die Weinberge von Sonoma, wo Jack London seine letzten Lebensjahre auf seiner Ranch verbracht hatte. Im Süden, am Meer, lockte die idyllische Künstlerkolonie Carmel, ohne Straßenbeleuchtung und ohne Hausnummern (die Häuser hatten einen jeweils vom Besitzer gewählten, meist nostalgischen oder wildromantischen Namen) - seit langem ein gehobenes Ferienziel, das dem künstlerisch oder kulinarisch weniger Interessierten eine restaurierte Kirche und Missionsbauten aus der spanischen Kolonialzeit zu bieten hatte. Hier hauste damals noch Robinson Jeffers in seinem selbst- 106 In Berkeley (1956 - 65) <?page no="107"?> gebauten Feldsteinturm oberhalb des Strandes. Im nahegelegenen Monterey spielen Steinbecks Tortilla Flat und Cannery Row. Weiter südlich, um Big Sur herum, war Henry-Miller- Country. In ein paar Autostunden zu erreichen waren auch die vielen Schigebiete in der Sierra Nevada, der Yosemite National Park (wo ich Schilaufen lernte) und die Sommerferienorte an einem See mit dem indianerromantischen Namen Tahoe, wo es allerdings, im angrenzenden Nevada, auch Spielkasinos mit dem entsprechenden Publikum gab, übrigens auch Silberdollars als Wechselgeld. Nach Südosten zu, zwischen zwei Höhenzügen der Rocky Mountains, breitete sich, ebenfalls nur ein paar Stunden entfernt, unterhalb des Meeresspiegels gelegen, die salzgeschwängerte Wüstenwelt des Death Valley aus. Und schließlich oder zu allererst direkt gegenüber von Berkeley und in Sicht, wenn der Nebel vom Pazifik nicht über die Bucht hereinschwebte, San Francisco mit seinem reichen kulturellen Leben, in immer noch grüner Umgebung, in der Chamisso einst botanisiert hatte. Nach und nach explorierte ich das alles in Abb. 8: University of California, Berkeley, im Hintergrund die Bucht von San Francisco und San Francisco In Berkeley (1956 - 65) 107 <?page no="108"?> meinem ständig mit Streik drohenden zitronengelben Buick- Kabriolett und später in einem ebenso klapprigen olivgrünen MGA, im Radio fast unausweichlich die Hit Parade mit “ El Paso ” , “ Tom Dooley ” , “ The Tijuana Jail ” und “ Don ’ t let the stars get in your eyes ” . Mitten drin in dieser vielversprechenden Welt die Universität, das Kernstück des sich über ganz Kalifornien erstreckenden und noch expandierenden Netzwerks der University of California, die sich 1873 in Berkeley für die erste Studentengeneration aufgetan hatte oder, in der ortsüblichen Bildlichkeit, ihr Flaggschiff vom Stapel gelassen hatte. Der Campus zog sich als in sich geschlossenes Gartengelände vom Rand des Flachlands im Westen in die jahreszeitlich grünen oder “ goldenen ” Hügel im Osten hinauf, gekrönt vom Labor für Nuklearphysik, das wie ein Shangri-La streng abgeriegelt war für gewöhnliche Sterbliche. Die in großzügigen Abständen über den Campus verteilten, zumeist ockerfarbigen Institutsgebäude, die Pfade durchs Grüne dazwischen und der sich durch Redwood- und Eukalyptushaine schlängelnde Strawberry Creek waren beherrscht von dem erwähnten Glockenturm, Campanile genannt und dem an der Piazza San Marco in Venedig nachgebildet, der täglich seine Mini-Konzerte bot. Eine andere Sehenswürdigkeit war das von Epidaurus inspirierte “ Griechische Theater ” , wo im Lauf der Zeit so verschiedene Größen wie Robert Frost und Billy Graham zu hören waren, zu groß allerdings für Eleanor Roosevelt, Carl Sandburg, Christopher Isherwood, Stephen Spender, Aldous Huxley und den König von Marokko, zu klein für John F. Kennedy, der 1962 im Football-Stadion 60.000 Hörer anzog. Photogen war eine in Deutschland unbekannte Institution: der von Bernard Maybeck entworfene rustikale Faculty Club, ganz aus Redwood, in einem kleinen englischen Garten, wo man sich zum Lunch treffen und auch Gäste unterbringen konnte. Die Gästezimmer waren nur Männern zugänglich, selbst ihren Ehefrauen nicht, wie ein Gastprofessor beim Besuch seiner Gattin erfuhr. (Mit den Jahren änderte sich das; im Women ’ s Faculty Club konnte dann auch ein männlicher Gast 108 In Berkeley (1956 - 65) <?page no="109"?> ein Zimmer zugewiesen bekommen.) Schließlich Sproul Plaza, der Schnittpunkt vieler Campuswege und damit das Nervenzentrum der studentischen Betriebsamkeit, wo später die Demonstrationen und Krawalle und die Polizeiaktion stattfanden. Sproul Plaza war aber auch das Habitat von Ludwig (Nachname von Schmargendorff, wie manche wissen wollten), dem Kurzhaar-Pointer, der in den sechziger Jahren in einem flachen Springbrunnenbecken zu Hause war und es mit der Zeit zum alternativen Universitätsmaskottchen brachte als Rivale von Oski, dem dienstälteren Grizzley-Bären. Im Süden und Westen des Campus die stattlichen Fraternity- und Sorority-Häuser und, statutengemäß eine Meile vom Campus entfernt (die Universität verstand sich als in loco parentis) Wein-, Bier- und Spirituosenläden. Das Berkeley dieser besonnten Vergangenheit, von den mittleren fünfziger bis in die mittleren sechziger Jahre, war eine stark von Emigranten geprägte Welt, die vor der hier erinnerten “ goldenen ” Zeit, unter anderen geschichtlichen Bedingungen, eine Heimat gefunden hatten. Doch im Unterschied zu Los Angeles und seiner Umgebung, dem “ Weimar am Pazifik ” , war Berkeley und seine Umwelt nicht Sammelpunkt von in den dreißiger Jahren aus Deutschland und Österreich geflüchteten literarischen Autoren, vielmehr vorwiegend von Wissenschaftlern und nicht primär literarisch tätigen Intellektuellen derselben Einwanderungswelle; für sie war, wie für manche früher Angekommene, das geistige Leben der Universität ein Magnet geworden, ob sie dort angestellt waren oder nicht. Und das nicht nur für deutschsprachige Emigranten; in der Vorkriegszeit Eingewanderte aus den slawischen, romanischen und anderen Ländern waren ebenfalls nicht eben selten, darunter viele von Rang und Namen. Da die meisten von ihnen meine Wege nie kreuzten und nur wenige zu meinem entfernten Bekanntenkreis gehörten, setze ich mich wohl nicht dem Vorwurf des Namedropping aus, wenn ich ein paar von ihnen nenne. Da waren die Physiker Edward Teller (dazu eine “ Tante der Wasserstoffbombe ” ) und Enrico Fermi, (nicht Einstein, aber eine Enkelin von ihm), der In Berkeley (1956 - 65) 109 <?page no="110"?> Jurist Hans Kelsen, der “ Vater ” der österreichischen Verfassung, der Staatssekretär und Reichstagsabgeordnete Oscar Meyer, ein Raconteur von Vignetten aus der Weimarer Republik, die Slawisten Waclaw Lednicki, Gleb Struve, in den sechziger Jahren auch Czeslaw Milosz, ein osteuropäischer Prinz, der in der slawistischen Abteilung Assistentendienste tat, die Romanisten Jacqueline de La Harpe, Leonardo Olschki, Yakov Malkiel und Manfred Sandmann, der Philosoph Jacob Loewenberg, der Komparatist Alain Renoir, der Sinologe Wolfram Eberhard, die Historiker Hans Rosenberg, Werner Angress und Ilza Veith, der Soziologe Leo Löwenthal aus der Frankfurter Schule, der Mongolist Ferdinand Lessing, der Kunsthistoriker Alfred (Fred) Neumeyer am benachbarten Mills College, Arthur Schnitzlers Witwe Olga (mit einer gerahmten Visitenkarte Ibsens an der Eßzimmerwand, von deren literarhistorischer Bedeutung ich damals noch nichts ahnte), der in Deutschland politisch prominent gewesene Wirtschaftswissenschaftler Karl Brandt und Aleksandr Kerensky in Stanford, dazu viele andere mit weniger klingendem Namen: Ärzte, Rechtsanwälte, eine Grundstücksmaklerin (die, selbst Opfer “ rassischer ” Diskriminierung, das mir angebotene Haus wie alle Häuser in dieser Wohngegend nur Weißen zu zeigen berechtigt war, was sich dann ein paar Jahre später änderte), der Flickschneider Yager, ehemals Jäger, der mir für eine Änderung “ einen Dollar und einhalb ” berechnete (oder war es “ einen Bock und einhalb ” ? ), eine baltische Baronin, ehemals Hofdame in St. Petersburg, jetzt Krankengymnastikerin, ein uralter Bartender, der noch Nietzsche begegnet sein wollte, und schließlich der frühere Besitzer des Wiener Opern- Cafés, der jetzt das Old Europe Café in der Telegraph Avenue betrieb; seine Frau steckte mir öfters eine selbstgebackene Delikatesse zu, die sich Kipferl nannte. Im German Department, das zwar auch seine waschechten Amerikaner hatte, sah es ähnlich aus. Besonders bedeutsam als mein Mentor in dieser neuen Welt war der schon erwähnte Hans M. Wolff, aus einer Berliner Gelehrtenfamilie stammend und nach Berkeley berufen von der University of Texas in 110 In Berkeley (1956 - 65) <?page no="111"?> Austin, wo auch seine Frau Gail tätig gewesen war. Wir stellten noch gleich 1956 ein paar Aufsätze über Gerhart Hauptmann zu einem Buch zusammen, nachdem wir bei einem Ausflug nach Yosemite auf unseren widersprüchlichen Auffassungen herumgehackt hatten - “ méthode très americaine ” , behauptete ein französischer Rezensent. Durch Wolff kam ich so in den immer noch anhaltenden Kontakt mit dem Francke-Verlag, dessen Inhaber, Dr. Carl Lang, seine Autoren noch ganz altmodisch statt als Geschäftsmann als väterlicher Freund behandelte. Ferner waren da im German Department Andrew Jaszi, ein origineller philosophischer Kopf, aus Budapest emigriert zur Zeit Béla Kuns, Marianne Bonwit aus dem Rheinland, die dem Department die Mittel für die Heine-Bonwit-Lectures vermachen sollte, die Lektorin Edith J. Lewy, etwas später noch Thomas Manns Sohn Michael und Heinz Politzer, dem ich (obwohl kein Wiener, wie er mich einmal augenzwinkernd erinnerte) bis zu seinem Tod freundschaftlich verbunden blieb. Überdies gab es immer wieder emigrierte Gäste, die zum Vortrag kamen wie Hans Reiss, Peter Stern und Erich Heller oder Gastprofessuren wahrnahmen wie Egon Schwarz und wiederholt Heinrich Schneider, mit dem zusammen ich ein kleines Lessing-Buch schrieb. (Wenn er einem ein Buch schenkte, schrieb er “ donum auctoris ” hinein.) Aus Europa kamen u. a. die liebenswürdig unprimadonnahafte Maria Bindschedler, der einfallsreiche Eudo Mason, die großordinariellen H. H. Borcherdt und Wilhelm Emrich, der seinen Vortrag Wort für Wort aus einem aus der Jackentasche gezogenen Buch vorlas. Vielfalt herrschte damals auch unter den Graduate Students: in der Nazizeit Verfolgte wie Ruth Klüger (Angress damals noch), ein hochkultivierter etwas älterer Berliner, ein über Schanghai emigrierter Wiener, dessen Name während seines amerikanischen Militärdienstes den später restauriereten Umlaut eingebüßt hatte, und natürlich auch gebürtige Amerikaner einschließlich eines Hispanics, eines California-Chinesen und einer Tochter der Plantagenaristokratie des Tiefen Südens. In Berkeley (1956 - 65) 111 <?page no="112"?> Einige hatten ihr Deutsch als Besatzungssoldaten gelernt und studierten jetzt als Stipendiaten der G. I. Bill. Ferner waren da ein Kanadier, der in Burma gegen die Japaner gekämpft hatte, und ein Australier, der von seiner Tante, der erwähnten E. M. Butler, zu erzählen wußte und T. S. Eliot einmal die Hand geschüttelt hatte ( “ like a cold fish ” ). Schließlich waren unter den für heutige Begriffe vielen Graduate Students in der Berkeleyer Germanistik auch deutschsprachige Einwanderer ohne Verfolgungshintergrund aus den späten vierziger und den fünfziger Jahren: Spannungen zu den früher nach Amerika Gekommenen gab es nicht, soweit ich da Bescheid wissen konnte. Einer dieser Spätankömmlinge ließ die typisch deutsche Schlußsilbe seines Nachnamens durch die Ersetzung eines Buchstabens, die ihm ein authentisch tschechisches Aussehen gab, ändern, damit er weiterhin deutsch und nicht russisch klingen würde, wenn Amerikaner ihn aussprächen. Ein etwas älterer der damals noch zahlreichen Doktoranden, der nichts dabei fand, eine gesprächliche Bemerkung mit “ obzwar ” einzuleiten, adressierte Mitteilungen an seine Professoren noch mit einem dem Namen vorausgeschickten “ S. W. ” (wer wußte eigentlich noch, wofür diese Buchstaben standen? ). Andere waren schon erheblich amerikanisierter: ein Veteran der deutschen und der amerikanischen Armee, eine mit einem ehemaligen G. I. verheiratete Frankfurterin, eine Wolga-Deutsche, eine Schweizerin aus Chile, eine Deutsche, Ruth Eis, mit der zusammen ich einen Artikel über die Herkunft von Naphtas Pietà im Zauberberg schrieb. Im Rückblick fällt mir auf: die von Hitler erzwungene Emigration aus Deutschland und Österreich war kein Gesprächsthema im German Department. Vielleicht war über die Jahre hin schon alles gesagt, was darüber zu sagen war. Daß ich als Neueinwanderer aus Deutschland in dieser Hinsicht isoliert oder gar diskriminiert worden wäre - auf diesen Gedanken bin ich dank der Einstellung der Emigranten aus der Hitlerzeit mir gegenüber nie gekommen. Gerade ihnen, insbesondere Hans Wolff und Heinz Politzer, aber auch Fred Neumeyer, verdanke ich 112 In Berkeley (1956 - 65) <?page no="113"?> Zuwendung, Förderung und echte Kollegialität; später kamen noch Ulrich (Ulo) Goldsmith, Lilian Furst, Wolfgang Paulsen, Walter Sokel, Hans Eichner in Toronto und Alexander Altmann in Harvard dazu. Daß ihre Sicht auf die nachweimarische Vergangenheit sich auf mich übertrug, soweit sie sich im Lauf der Zeit denn doch in Andeutungen zu erkennen gab, war wohl unvermeidlich, und ich bin dankbar dafür. Doch ging mit der kritischen Sicht der Emigranten auch oft die nostalgische Erinnerung an die Jahre davor Hand in Hand, etwa in Neumeyers Memoiren Licht und Schatten und Politzers Schwanken angesichts der Möglichkeit der beruflichen Rückkehr ins deutschsprachige Europa, nicht zu reden von der unvoreingenommenen Beziehung mancher von ihnen, innerhalb und außerhalb der Germanistik, zum Generalkonsulat der Bundesrepublik in San Francisco und zu der von dort ausgehenden Geselligkeit. Ein ausgesprochen germanophiles Institut - so etwas gab es - war das German Department in Berkeley jedoch zu meiner Zeit nicht, ebensowenig wie das in Toronto und in Harvard; es ging auch ohne Oktoberfest. Umgangssprache, außer unter deutschen Muttersprachlern, war Englisch, anders als in anderen German Departments, wo selbst gebürtige Amerikaner Deutsch miteinander sprachen. Der Vorteil eines amerikanischen Akzents im grammatisch perfekten Deutsch, erklärte mir später ein Kollege in Harvard nur halb im Scherz, sei im Zweiten Weltkrieg geradezu kriegswichtig gewesen: hätte er seine Radiosendungen nach Deutschland damals in akzentfreiem Deutsch gesprochen, hätten seine Hörer ihn für einen Emigranten gehalten und insofern für weniger vertrauenerweckend . . . So stark die Emigranten und damit die Native Speakers, die auch, neben dem Folkloristen Archer Taylor, die wissenschaftlich Bedeutendsten waren, in Berkeley das Leben im Institut bestimmten, gab es doch keine Spannungen zwischen ihnen und den in Nordamerika Aufgewachsenen und Ausgebildeten und den wenigen Engländern, die hier vorübergehend tätig waren; soweit es zu Unstimmigkeiten kam, waren sie eher persönlicher Art. Allerdings war die alte, in die Vor-Nazizeit zurückgehende In Berkeley (1956 - 65) 113 <?page no="114"?> Garde, zu der auch deutsche Emigranten gehörten, schon im Ruhestand, übrigens durchaus nicht in jedem Fall im Rang des Ordinarius, sondern als “ totes Holz ” emeritiert, d. h. wegen unzureichender fachwissenschaftlicher Tätigkeit nicht befördert. Schulmeistertypen offenbar, lebten sie im Waffenstillstand miteinander. Unangenehm betriebsam war einer von ihnen: ein allenfalls mit seiner 1914 privat gedruckten Dissertation über den spanischen Dichter Béquer hervorgetretener Nicht-Ordinarius, der in einem im Privatverlag veröffentlichten Buch und vermittels einer Schreibmaschine mit Frakturlettern gegen angeblich unzureichendes Interesse am Unterrichten polemisierte - in gewisser Weise seiner Zeit voraus, aber der Ton macht die Musik, und so wurde er nicht, wie aggressiv erhofft, zum Dekan für “ instruction and student faculty reaction ” ernannt. Zu Gesicht bekam man von dieser Gruppe noch oft den wissenschaftlich weit Herausragenden: Lawrence M. Price, den immer noch unermüdlich produktiven Verfasser eines Standardwerks über deutsch-englische Literaturbeziehungen, der lebhaft von seinen Erinnerungen an sein Studium vor dem Ersten Weltkrieg in Leipzig bei Eduard Sievers und anderen Urvätern der Germanistik zu berichten wußte. Ein anderer noch keineswegs in die Ecke gerückter Emeritus war Edward V. (Ned) Brewer, der bis 1954 Chairman gewesen war: ein unterhaltsamer, immer gastlicher Bonvivant, manchmal mit frischgepflückter Blume im Knopfloch. Im Lebensstil gab er sich souverän ohne Minderwertigkeitsgefühle angesichts des ihm fehlenden Doktortitels. Wichtiger war ihm, daß er als Mitglied des Bohemian Club zur Haute Volée von San Francisco gehörte. Den Doktortitel zu erwerben galt in Amerika für diese Generation noch weithin als nicht gentlemanlike, als zu zielstrebig und der kultivierten Amateurhaftigkeit im Beruf abträglich, besonders natürlich in English Departments. Beispiele wären etwa der legendäre Harvard-Anglist George Lyman Kittredge, dessen Auffassung der Canterbury Tales ich in Texas als maßgeblich kennengelernt hatte (den Vorschlag, doch endlich zu promovieren, soll er mit der Frage beantwortet haben: wer ihn denn prüfen solle, oder 114 In Berkeley (1956 - 65) <?page no="115"?> war es könne? ) und in meiner Zeit noch der Komparatist Harry Levin, der als gar nicht so graue Eminenz dutzendfach Doktorvater war. Brewer, der noch von “ der ” Deutschlandreise in den zwanziger Jahren und von “ London Town ” von damals schwärmte und unentwegt moderne französische Romane las, war der im besten, Goetheschen Sinne dilettantisch Hochgebildete; seine häufigen Dinner-Parties, die er statt bequemerweise mit Sherry oder (amerikanischem) Martini mit individuell gemixten ausgefalleneren Apéritifs wie Manhattan und Oldfashioned einleitete und seine Frau Susan mit Kunstverstand und savoir vivre arrangierte, oft für Ausländer oder Amerikaner neueren Datums, waren immer eine reine Freude. Die noch aktiven der alten oder mittleren Garde der Nicht- Emigrierten waren mit Ausnahme des Folkloristen Archer Taylor, der 1958 emeritiert wurde, und Clark, der 1957 starb, weniger interessant als Brewer und Price. Sie waren literaturwissenschaftlich enthaltsam oder waren es geworden und gingen nicht-germanistischen Interessen nach, sei es Gedichteschreiben, Lexikologie, Namenkunde oder die Aufzeichnung einer indianischen Sprache, die den Betreffenden, einen bedeutenden Linguisten, nach dem Tod seiner Informantin zum letzten Mohikaner machte. Von den Jüngeren, auch sie älter als ich, wurden der vielseitig, selbst an Kafka, interessierte Barockforscher Blake Lee Spahr und seine serbische Frau Helen meine guten Freunde; die aus dem sechzehnten Jahrhundert datierende Karte von Ostfriesland, die Blake mir schenkte, weil sie mich lebhaft an manche der Dörfer erinnerte und die Kleinstadt Leer mir sofort ins Auge fiel, hängt noch heute über meinem Schreibtisch. Mit Dankbarkeit erinnere ich mich an die freundschaftlich-kollegiale Hilfsbereitschaft Bluma Goldsteins, die, als ich an meinem ersten englischsprachigen Buch arbeitete, den Text Woche für Woche, Seite für Seite kommentierte, beim Lunch im Sonnenschein auf der Terrasse des “ Golden Bear ” -Restaurants auf dem Campus. Nicht alle können hier erwähnt werden: es war ein großes Department mit dem üblichen Kommen und Gehen besonders In Berkeley (1956 - 65) 115 <?page no="116"?> in den Rängen ohne “ Tenure ” (unkündbare Anstellung). In den mittleren fünfziger Jahren zählte es um die fünfzehn vollzeitliche Lehrkräfte, in der Mitte der sechziger um die zwanzig (rund die Hälfte davon Harvard-Absolventen); hinzu kamen Dutzende von Teaching Assistants, also Graduate Students auf dem Weg zum Ph.D. Damit hatte Berkeley, auch was die Undergraduate- und Graduate-Bevölkerung angeht, wenn nicht das größte, so doch eins der größten German Departments in Nordamerika - bevor seit den siebziger Jahren der generelle Rückgang in der Germanistik einsetzte. 33 Wie ließ sich das Leben an in diesem Kreis? Unsere Büros, wo man sich während des Semesters stundenlang und zugänglich und oft den ganzen Tag aufhielt und sich auch mit einem Sandwich im kleinen Kollegenkreis zum Lunch versammelte, befanden sich alle in nächster Nähe zueinander in einer Etage der weitläufigen Dwinelle Hall, wo auch die Hörsäle und Seminarräume waren. Um die Ecke waren die Slawisten zu Hause, mit den Germanisten verbunden durch den “ polnischen Korridor ” (was off-campus zu Bigosch- und Weißwurst-Parties Anlass gab Abb. 9: University of California, Berkeley, Dwinelle Hall 116 In Berkeley (1956 - 65) <?page no="117"?> oder auch zu Cocktail-Geselligkeiten, bei denen ein Gemisch aus Wodka und Tee aus einer Teekanne geschenkt wurde). Die Büros waren im ganzen Gebäude mit identischem graugrünen Kunstleder- und Metallmobiliar ausgestattet, aber in der Regel individualisiert durch einen vegetarischen Dackel unter dem Schreibtisch, einen ausgefransten Orientteppich oder einen efeuumrankten Totenkopf (bei einem Barockspezialisten), an den Wänden Kindermalereien, Alte-Meister-Stiche, eine Südstaatenflagge (heute verpönt) oder eine gerahmte Eintrittskarte zur kaiserlichen Fußwaschung in Wien usw. Ein Coffee Shop in Dwinelle Hall, wo der Pappbecher Kaffee sieben Cent kostete, brachte uns tagtäglich mit Kollegen aus den Instituten für klassische und moderne Sprachen und für Anglistik zusammen: cutting edge-Gelehrte und Kreuzworträtsel-Koryphäen, Wagnerianer und Golfer. Zwischen den Vorlesungen und Seminaren unterhielt man sich da angeregt, zumeist über akademische Tagesereignisse und ihre Vorgeschichte. Ein Admiral a. D., mittlerweile Philologe, sah seine Lebensleistung schmunzelnd darin, daß er auf einem Marinestützpunkt die Orthographie der Beschilderung von Navel (Bauchnabel) zu Naval korrigiert hatte; ein aus Osteuropa stammender grandseigneuraler Chevalier de Faux Pas, der sich stolz und mit Akzent als “ four-lingual ” bezeichnete, trauerte wortreich einem auf der abenteuerlichen Flucht verlorenen Seidenschal ( “ Vorkriegsqualität ” ) nach; ein stets in eine Parfümwolke gehüllter großer Schweiger war auch dabei, ein “ Küß ’ -die-die-Hand ” -Österreicher, ein Neu-Engländer (auch im Sommer im dreiteiligen Tweed-Anzug), ferner ein aus San Francisco gebürtiger Amerikaner aus Kleinheubach, der mit fränkischem Akzent in seinem Englisch unterhaltsam zu erzählen wußte. Ein jüngerer Kollege betonte gern seine Herkunft aus dem Stamm der Blackfoot-Indianer. Es war die Atmosphäre eines Clubs, die da herschte. Wir verfolgten jeder unabhängig voneinander unsere wissenschaftlich-schriftstellerischen Interessen, aber anders als am High Table englischer Colleges war es nicht tabu, auch von seinen Projekten zu sprechen, vorausgesetzt, und insofern doch ähn- In Berkeley (1956 - 65) 117 <?page no="118"?> lich wie in Oxbridge, man tat es nur gelegentlich und wie von Abenteuern, Nebensachen oder Hobbies; wer sich weniger an diesen Code als an die Versuchung, seinen akademischen Heiligenschein zu polieren, hielt, lief Gefahr, als Berichterstatter seiner Fortschritte ironisiert zu werden. Das humorvoll animierte Hin und Her und verständnisvolle Gelächter der Kollegen und Graduate Students glaube ich immer noch im Ohr zu haben. Nebenbei: das interne Telephonbuch verzeichnete uns als Mrs., Miss und Mr. - letzteren mit einem Sternchen für Unverheiratete: “ The girls will want to know ” , erläuterte der Chairman. Diese entspannte Stimmung erklärte sich zum Teil sicher auch daher, daß man mit den Kollegen im eigenen und erst recht in fremden Departments nicht in beruflichem Rivalitäts- oder Konkurrenzverhältnis stand. Beförderungen hingen, wie gesagt, nicht von einer beschränkten Zahl von Planstellen in diesem oder jenem Rang ab, sondern von der individuellen Leistung. Überhaupt konnte man nach Sputnik (1957) der Zukunft gelassen entgegensehen. Wohl hörte man noch das Schlagwort “ Publish or perish ” , und eine ganze Reihe von jüngeren Kollegen wechselte in den neun Jahren, die ich dort war, aus dem Berkeleyer German Department an andere Universitäten; dabei war es jedoch in meiner Erinnerung kaum je klar, ob eine Beförderung zum Tenure-Rang nicht geklappt hatte, ob man der entsprechenden Begutachtung vorsorglich aus dem Weg gegangen war oder ob das Gras anderswo grüner war. Einer von ihnen, ein Engländer, schrieb mir eines Tages zu meiner Überraschung aus Malaysia, unter Palmen sitzend, Pimm ’ s schlürfend und an einem Buch über die deutsche Tragödie laborierend, während andere es wohl weniger gut trafen, etwa nach einer mittsommerlichen Postkarte zu urteilen, die als berichtenswert aus dem amerikanischen Landesinneren wissen ließ, man hoffe auf Schnee zu Weihnachten. Aufsehen erregte nur der Fall eines Acting Assistant Professors 1964, der sich im Hinblick auf den damals noch für die Bediensteten der Universität und überhaupt des Staats Kalifornien obligatorischen Treueid weigerte, die 118 In Berkeley (1956 - 65) <?page no="119"?> Frage zu beantworten, ob er Mitglied der Kommunistischen Partei sei oder je gewesen sei, und daraufhin entlassen, aber bald wieder angestellt wurde. Davon abgesehen, herrschte damals, in den “ goldenen ” Jahren bis zum Ende der sechziger Jahre, ganz entschieden weniger Stress in Bezug auf die Sicherung des beruflichen Weiterkommens als in späteren Jahrzehnten; es gab reichlich Stellenangebote, die auf den Jahrestagungen der Modern Language Association of America ausgehandelt wurden, vor allem für die frisch Promovierten. Das hinderte uns nicht, uns über den Weg zu solcher akademischen Absicherung lustig zu machen. Von einer Literaturgeschichte des Knopfes hörte man; jemand hatte die grundlegende Abhandlung über “ Goethe and the Yoyo ” geschrieben, ein anderer hatte nachgewiesen, daß ein deutscher Lyriker, wenn er glücklich war, kürzere und wenn er unglücklich war, längere Verszeilen schrieb (vielleicht war ’ s auch umgekehrt, aber damals so oder so noch unbekannt). Später gab es auch Studien über das Bett bei Kafka und Hesses Katze (bevor, seit Julian Barnes ’ Flaubert ’ s Parrot, Titel dieser Art romanfähig und modisch wurden). Solche Karikaturthemen, belustigend auf den ersten Blick, aber nicht immer auf den zweiten und typisch natürlich immer nur für andere Universitäten, hatten allerdings auch ihren Aussagewert: man stand als Germanist nicht eben in der Nähe des Zentrums des geistigen Lebens der Nation und der sich von daher ergebenden Funktionen und Verpflichtungen in der Öffentlichkeit; Physiker, Ökonomen, Juristen und manchmal auch Anglisten spielten da offensichtlich, wie überall in Nordamerika und sonstwo außerhalb der deutschsprachigen Länder, eine ganz andere Rolle. In Deutschland wäre das Leben für “ o. ö. ” Germanisten oder doch für manche von ihnen anders gewesen: unvergeßlich die Bemerkung eines Emigranten, das Schöne an unserem Beruf in den USA sei, daß man ein “ Niemand ” sei. Aber das ist ein weites Feld und ein vielgestaltiges. Zweifellos jedoch war der deutsche Germanistikprofessor in der Großordinarienzeit als hoher Beamter, auf wie bescheidene Weise auch immer, zu quasi staatstragender Verantwortlichkeit und Repräsentation In Berkeley (1956 - 65) 119 <?page no="120"?> gegenüber der soziopolitischen Öffentlichkeit verpflichtet - was man als Anfänger mit Anfang zwanzig nicht unbedingt zu schätzen weiß. Meine Lehrverpflichtungen beschränkten sich in den beiden ersten Jahren auf Sprachunterricht jenseits der Elementarstufe. Der bestand aus zwei Teilen im jeweiligen Semesterkurs. Der kleinere galt der Wiederholung der Grammatik an Hand eines Lehrbuchs, das zur Erläuterung grammatischer Regeln als Übungstexte auch kleine Lesestücke enthielt, die die Herausgeber in sprachdidaktischer Absicht selbst verfaßt hatten. Deren Deutsch war manchmal etwas altfränkisch ( “ Ich war froh, des Gepäckes ledig zu sein ” ; “ Bedürfen Sie eines Rates ” oder so ähnlich). Mein Kollege Bjarne Ulvestad und ich nahmen uns vor, eine derartige Blütenlese als “ College German ” zusammenzustellen, kamen aber bald aus begreiflichen Gründen wieder davon ab. Immerhin sieht man schon, daß Deutsch eher als tote Sprache denn als umgangssprachliches Kommunikationsmedi- Abb. 10: Im Hörsaal, University of California, Berkeley, 1956 120 In Berkeley (1956 - 65) <?page no="121"?> um gelehrt wurde; das Sprechen spielte in meiner Erfahrung keine Rolle. Die um so trockenere Materie mußte man daher durch einen leichten Touch beleben. Das ging mir einigermaßen gut von der Hand, da mir von Texas her und nun wieder im Boarding House vertraut war, wie Undergraduates “ ticken ” und was sie erwarten: eine halbwegs komische Bemerkung, ein Aperçu, eine triviale Kuriosität wirken stärker aussagekräftig für den angepeilten Informationsgehalt und das davon angeregte Denken als ein didaktischer Merksatz, der alle zu vermittelnden Nuancen berücksichtigt. Den größeren Teil des Sprachunterrichts für Studenten des zweiten oder dritten Jahres, in dem ich tätig war, machte in jedem Semester die Lektüre von literarischen Werken aus. Für jede Stunde waren so und so viele Seiten zu übersetzen und vom Lehrer zu kommentieren. Deutsch blieb auch damit eine tote Sprache, a fortiori in dem “ Scientific German ” -Kurs, in dem ich so manches über Stoffwechsel und Gravitation gelernt haben dürfte. Systematische Kurse über die Didaktik des Sprachunterrichts mit dem dazugehörigen Sprachlabor wurden in Amerika generell erst Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte später gang und gäbe und obligatorisch für Teaching Assistants und damit auch für zukünftige Professoren. Mich hat in Berkeley jedenfalls nie jemand als Sprachlehrer beaufsichtigt, beurteilt oder auch nur mit praktischen Hinweisen instruiert, außer daß ein silberhaariger Kollege mir einmal, ohne die silberne Zigarettenspitze aus dem Mund zu nehmen, als der pädagogischen Weisheit letzten Schluß verriet: ein guter Lehrer sei seinen Schülern immer um ein Kapitel voraus; so wurde ich hoffentlich ein guter Lehrer, übrigens auch ohne dokumentarischen Nachweis meiner pädagogischen Eignung. Der für die Sprachkurse vorgesehene Lesestoff war wenig aktuell. In meinem ersten Jahr war es u. a. ein Band zeitgenössischer Geschichtchen von zumeist unbekannten Größen, von denen die Mehrzahl ( “ most of them ” ) sich durch einen “ sentimental strain ” auszeichnete; denn, so das Vorwort, “ sentimentality is a characteristic of the German, and we must take him as In Berkeley (1956 - 65) 121 <?page no="122"?> he is ” . Ein Student fragte mich daraufhin, ob ich wirklich Deutscher sei, während ein anderer zu bedenken gab, seine Großmutter behaupte, der Titel des Bandes, Helles und Dunkles (hg. v. Roy Temple House und Johannes Malthaner “ of the University of Oklahoma ” , Boston: Ginn, 1948), bedeute helles und dunkles Bier. Gehaltvoller, wenn auch nicht ganz kitschresistent war Eduard von Keyserlings amüsant-melancholische, in aristokratisch-dekadenten Verhältnissen im Baltikum spielende Novelle Dumala (1908), in einer Schulausgabe mit Erläuterungen zumeist sprachlicher Art und einer Vokabelliste, in heute selbst für amerikanische Doktoranden zu sieben Siegeln gewordener Fraktur, Copyright 1934. Auch damit konnte man nicht jeden kulturell interessierten Undergraduate hinter dem Ofen hervorlocken. In vorausgehenden Jahren waren in Kursen dieser Stufe, die schließlich zum Interesse an deutscher Literatur und Kultur anregen sollten, die pièces de résistance Storms Immensee, Gerstäckers Germelshausen, aber auch eine Erzählung von Arthur Schnitzler gewesen, die der Herausgeber durch einen kleinen Texteingriff enterotisiert hatte. Die von den Emigranten weithin geförderte kanonische Literatur, besonders der Goethezeit, wurde im Sprachunterricht für Undergraduates dieser Kompetenzstufe meiner Erfahrung nach nicht oder kaum gelesen, obwohl der Lesestoff im German Department nicht direkt vorgeschrieben, allenfalls als bewährt empfohlen wurde. Als ich es in meinem zweiten Jahr mit Minna von Barnhelm versuchte, machte mich gegen Ende des Semesters ein Student darauf aufmerksam, daß der Untertitel eine Komödie verspreche: hätte es da wirklich viel zu lachen gegeben? Ich hatte offenbar trotz mancher Bemühungen noch einiges zu lernen. Vom dritten Jahr an “ graduierte ” ich dann zu Literaturvorlesungen und -seminaren. Dort bekam man es mit einem sprachlich kompetenteren Publikum von Undergraduates und Graduates zu tun, was natürlich größere berufliche Sinnerfüllung bedeutete. Auf diesem Niveau konnte das Institut mit einem reichhaltigen Programm aufwarten, vom Barock bis zu Hesse, Kafka, Mann und Hofmannsthal. Mein selbstgewähltes Thema 122 In Berkeley (1956 - 65) <?page no="123"?> war anfangs Gerhart Hauptmann, der damals einer der in Amerika hochgeschätzten modernen deutschen Autoren war. (Im Institutsbüro hing professionell gerahmt ein kurzer Brief von ihm an einen emeritierten Kollegen, in dem er sich für die Übersendung von dessen Ausgabe der Werke des obskuren Schuhmachers und Meistersingers Georg Hager bedankte.) Ins Zentrum rückten für mich aber bald Lessing und Schiller und, in einer Übersichtsvorlesung über die deutsche Literatur des achtzehnten Jahrhunderts, Goethe. Hinzu kamen zweisemestrig und öfters wiederholt eine mit lernbereiter Chuzpe angekündigte Vorlesung über “ German Culture and Institutions ” (bis ca. 1900) sowie über die Jahre hin, fast bis zu meiner Emeritierung, immer wieder umgemodelt und erweitert (und jedenfalls für mich augenöffnend), ein Stilkunde-Seminar für Undergraduates, “ Composition and Style ” , in dem es um die Interpretation kurzer literarischer Schlüsseltexte von Luther bis Enzensberger ging. Daß Literatur in den fünfziger und frühen sechziger Jahren im Hinblick auf das “ gute ” und das “ schlechte ” Deutschland seit Beginn der Weimarer Republik gelesen wurde, kam meines Wissens nicht vor im German Department in Berkeley, wie vermutlich auch anderswo nicht (oder nur vereinzelt) vor den späteren sechziger Jahren. Und wie in Texas spielten Gender, Rasse und Klasse noch keine sichtbare Rolle. Auch von Adorno, Foucault und anderen Nachkriegstheoretikern war noch lange nicht die Rede. So spielte sich eine aus heutiger Sicht konventionell erstarrte Routine ein, von der rauhbeinigen “ wirklichen Welt ” allenfalls unterbrochen von einem Erdbeben, dem Pistolenschuß in Dwinelle Hall auf einen anglistischen Kollegen, die kurzfristige Flucht mancher Berkeleyer in die Sierra zur Zeit der Kuba-Krise, wo sie sich Lebensmittelvorräte anlegten. Ein Gerücht wollte wissen, ein dankbarer Student habe einem vor der Beförderung stehenden Assistant Professor angeboten, den möglicherweise dagegen stimmenden Chairman zeitweilig entführen zu lassen: sein Vater kenne einen einschlägigen Gangster . . . In Berkeley (1956 - 65) 123 <?page no="124"?> Was die Studenten der Lehre verdanken, weiß man als Lehrer nie so recht. Mündliche und schriftliche Reaktionen sind, soweit man sie in den Jahren vor der üblich gewordenen anonymen Kurs-Beurteilung zu hören bekam, in der Regel naturgemäß herzerwärmend, und ich habe mir seit langem manche der schriftlichen, die mich zum Teil noch nach vielen Jahren erreichten, aufgehoben, um dunkle Stunden aufzuhellen. Hingegen: was ich der Lehre, überhaupt dem Kontakt mit amerikanischen Studenten, ihren Fragen und Einwänden, seit Berkeley und bis heute verdanke, ist nicht nur, daß ich deutsche und andere Literatur (auch) mit den Augen einer fremden, wenn auch benachbarten Kultur sehen lernte, was mir unerwartete Aspekte, Nuancen und Wertsetzungen erschloß. Ich lernte auch - das hoffe ich jedenfalls manchmal - das Handwerk des Schreibens über Literatur. Wer damals jungen Amerikanern eine ihren Bildungsvoraussetzungen und -erwartungen fremde Materie in ihrer Sprache zu vermitteln hatte und wenige Jahre zuvor selbst mit ihnen als Lernender am Seminartisch gesessen hatte, war mit der Zeit kaum noch in der Lage, in verfremdendem Fachjargon, syntaktischer Kompliziertheit und mit akrobatischen Wortneubildungen zu schreiben oder auch unter der Bürde der Gelehrsamkeit zu stolpern. Klarheit und Nüchternheit, die Dinge beim Namen nennen wird Trumpf. Schwieriges verständlich zu machen, wolkige Abstraktheit ihres Anspruchs auf “ Tiefe ” zu berauben zugunsten nüchterner Sachnähe und Lesbarkeit - das lernt sich schnell in der täglichen Begegnung mit aufgeweckten Köpfen, deren Muttersprache Englisch ist. Ob britisch oder amerikanisch, ist Englisch bekanntlich gegenüber dem Deutschen dank seines Reichtums an farbig-anschaulichen idiomatischen Wendungen und domestiziertem Slang und dank seines mehr als doppelt so großen und daher nuancenreicheren Wortschatzes weniger geeignet für akademischen blauen Dunst, und nicht zuletzt ist es auch genährt von angelsächsischen Kulturtraditionen wie der Wertschätzung des Commonsense und des Gentleman-Amateurs; Gegenständlichkeit steht höher im Kurs als Begrifflich- 124 In Berkeley (1956 - 65) <?page no="125"?> keit. Beispiele: Graham Greenes Brighton Rock (so heißt ein Bonbon in der südenglischen Hafenstadt) erschien in Deutschland als Am Abgrund des Lebens; der damals für Ausländer beim Verlassen der USA noch erforderliche “ sailing permit ” war eine “ Einkommensteuerunbedenklichkeitserklärung ” . Wer in Amerika wie manche Autoren der Frankfurter Schule schreibt, muß sich auf den Preis für Bad Writing gefaßt machen, den die Zeitschrift Philosophy and Literature um 2000 zu verleihen pflegte. 34 Die aufgeweckten Köpfe in meinen Kursen sprachen von “ the bone of contention ” oder “ the heart of the matter ” und nicht von “ sinnbedingter Wesenheit ” - ein Ausdruck, den mir mein Kollege Blake Spahr freundschaftlich, aber hoffentlich kreativ übertreibend ganz zu Anfang einmal vorwarf, als ich von meinem Anglistikstudium in Austin und Göttingen her eigentlich schon über solche Pseudo-Originalität hätte hinaus sein müssen. Als Abbitte dafür kann ich nur auf meine spätere Selbstvorstellung im Jahrbuch des Harvarder Lowell House verweisen: “ I like to think of the study of literature as an exploration which imparts a sense of adventure and, with luck, the joy of discovery. I am less committed to ‘ theory ’ - ‘ so different from practice, isn ’ t it? ’ as Miss Marple reminded the bumbling inspector in Murder at the Vicarage. ” Hilfreich für die Einübung in angelsächsische Kommunikation war auch die Vortragstätigkeit, die sich nach und nach in meiner Berkeleyer Zeit trotz meiner Reserve gegenüber professioneller Betriebsamkeit ergab, wenn auch noch nicht wie später in exotischem Ambiente wie Senatssaal, Yachtklub, Botschaft oder Kasino, in Nasa-Events, einem Ärzte-Verein, einer Akademie-Sitzung oder im bayerischen Harvard-Club, wo es galt, die rechte Stimmung für den anschließenden Tanzabend zu schaffen. In den Berkeleyer Jahren waren es wie auch später noch Tagungshotels und Hörsäle in Universitäten - unvergeßlich darunter ein kleines katholisches Frauen-College, dessen leitende Nonne ( “ Ich kann kein Deutsch, aber ich spiele Geige ” ) den Vortrag statt mit einem Scheck lebensklug mit einem in ein Buch gesteckten Geldschein honorierte. In Berkeley (1956 - 65) 125 <?page no="126"?> Daß wir Germanistik-Professoren in Dwinelle Hall so oft und regelmäßig zusammenwaren, übrigens auch mit den Kollegen anderer Fächer, führte für die meisten von uns, besonders die jüngeren, zu viel Geselligkeit auch außerhalb der Universität, in den Privatwohnungen, die in der Regel Häuser auf kleinem gartenzwergfreien Grundstück in der Hügellandschaft in und um Berkeley herum waren. Diese Gastlichkeit äußerte sich vornehmlich in einer intensiven Runde von Dinner- und Cocktail- und After-Dinner-Parties, wobei die Ehefrauen, so hieß es, als Gastgeberinnen miteinander wetteiferten. Zu erinnern ist hier, daß berufstätige Frauen in der “ affluent society ” der wirtschaftlich florierenden Nachkriegszeit bei der Rückkehr der G. I.s ihren Beruf weithin aufgegeben oder verloren hatten und in den für Familien attraktiv gewordenen Vororten als Hausfrauen und Mütter lebten, bis Betty Friedans The Feminine Mystique (1963) einen Umschwung signalisiere, der mit der Zeit auch die Universitäten erreichte. 35 Eine Rolle spielte bei dem späteren Abflauen solcher Geselligkeit aber wohl auch ein Wandel, der sich spätestens in den achtziger Jahren in manchen Fremdsprachen-Departments vollzog. Das Leben dort gestaltete sich mehr zu einem Kampf ums Dasein infolge der Stellenknappheit, des Konkurrenzbewußtseins und erhöhten Leistungsdrucks. “ Publish or perish ” wurde bedrohlicher; zunehmende “ Professionalisierung ” verlagerte den Fokus des aufstrebenden Wissenschaftlers vom Department auf die landesweiten Berufsorganisationen, was zum Verlust oder zur Einschränkung der intellektuellen Gemeinschaft und Geselligkeit in einem Department führen konnte, wo die sich schärfer und aggressiver polarisierenden methodischen Trends ohnehin Spannungen und ideologische Zersplitterung bewirkten. 36 In den fünfziger Jahren und bis in die mittleren sechziger Jahre war das also noch anders. Die Lebensatmosphäre war, auch außerhalb von Dwinelle Hall, eher die eines Country Clubs: gepflegte Geselligkeit, unterhaltsames Miteinander von Gebildeten, fast immer ohne Drang zu teutonisch tiefsinniger Grundsätzlichkeit, wenn auch nicht ohne Anflug des angeblich 126 In Berkeley (1956 - 65) <?page no="127"?> amerikanischen Übels des Cocktailparty-Geredes. Politisch war es eine ereignis- und wandlungsreiche Zeit - Suez, Sputnik, Ungarn, Kuba, Vietnam, Little Rock und die Bürgerrechtsbewegung im Gefolge von Martin Luther King, Kennedys Tod, Affirmative Action. Aber außer in den etwa zwei Jahren der Berkeleyer Studentenrevolution, in meinen letzten Semestern dort, war im intensiven Ambiente der akademischen Gastlichkeit von Politik kaum die Rede; das althergebrachte Tabu war noch einigermaßen ungebrochen. Auch die Jugendkultur - Elvis Presley und Rock ‘ n ’ Roll, James-Dean-Filme, die Schlager der Top Forty - war nach meiner Erinnerung kein prominentes Gesprächsthema in akademischen Kreisen, allenfalls noch die Beat Generation drüben in San Francisco. On the Road hatte wohl jeder gelesen und von Howl jedenfalls gehört. Und natürlich kannte man auch The Catcher in the Rye, wo die Ostküstenzivilisation aus der Perspektive der Jugendlichen aufs Korn genommen wurde. Für mich erstreckte sich die Geselligkeit auch auf das Zusammensein mit den mehr oder weniger gleichaltrigen Graduate Students, also den Teaching Assistants, die den Sprachunterricht auf der Elementarstufe bestritten und übrigens zusätzlich zu ihrem Pensum an Graduate-Kursen auch wie seit humanistischen Urväterzeiten gründliche Latein- und Französischkenntnisse erwerben oder nachweisen mußten. Mit einigen Studenten-, später Kollegenehepaaren aus diesem Kreis wurde ich mit der Zeit gut befreundet, vor allem mit Ted und Claudia Gish, Warren und Jadwiga Maurer, Rose und Lesley Royal. Man traf sich zum Dinner bei ihnen oder im Restaurant, ging zusammen ins Theater drüben in San Francisco und fuhr zum Schilaufen in die Sierra. Zwei Graduate Students brachten mir das Autofahren bei, und soweit sie gebürtige Amerikaner waren, vermittelten mir alle von ihnen Einblicke in das, was mir an amerikanischer Jugend fehlte. Erinnernswert ist vielleicht noch aus der Sicht von heute: die regelmäßigen offiziellen Warnungen des Dekans vor “ asymmetrischen ” erotischen Beziehungen zwischen Studierenden und Lehrkräften wie auch zwischen In Berkeley (1956 - 65) 127 <?page no="128"?> höher- und niederrangigen Lehrkräften gab es damals noch nicht. Es herrschte einerseits wohl eine größere Förmlichkeit im Umgang (und schon in der Kleidung) als heute, andererseits war aber nicht unerhört, daß es mehr Ungezwungenheit im Miteinander gab, als im Zeitalter der “ Korrektheit ” üblich sein dürfte. Asymmetrische “ dates ” waren nicht tabu; daß ein Professor eine Studentin heiratete, kam vor. In Harvard bekannte ein älterer Kollege dem Dekan, daß er (Jahrzehnte zuvor) eine seiner Studentinnen geheiratet habe, und: wie könne er für diese Sünde Ablaß bekommen? Durch eine Geldspende an die Universität, war die verständnisvolle Antwort. 37 Mit der “ deutschen Kolonie ” hatten die Berkeleyer Germanisten nicht viel zu tun. Kolonie - das waren also die seit den dreißiger Jahren und zum Teil auch schon früher Eingewanderten aller Berufe vorwiegend außerhalb der Universität und besonders die vorübergehend in Amerika tätigen Geschäftsleute späterer Jahrgänge, in der Regel Vertreter von deutschen Firmen und Organisationen. Sie sammelten sich, soweit sie nicht negativ zur Bundesrepublik eingestellt waren, um das Goethe-Institut und das Generalkonsulat in San Francisco zu kulturellen Veranstaltungen und “ Empfängen ” . Wie auch später in Toronto und Boston kam es gelegentlich zu guter Bekanntschaft von Germanistik-Professoren mit den zeitweiligen “ offiziellen ” Deutschen vom Goethe-Institut und Konsulat, “ diktatberechtigten ” und anderen. Aber zur “ deutschen Kolonie ” gehörten die Germanisten in meiner Erfahrung im Osten und Westen Nordamerikas in der Regel nicht. Vielleicht weil man dort auf Mammut-Cocktailparties einer marginalen und an sich harmlosen, aber auf die Dauer weniger amüsanten Deutschtümelei nicht immer entgehen konnte. ( “ Versteht Ihr Hund Deutsch? ” , “ Amerikaner nehmen keinen Urlaub; sie streichen ihr Haus an ” , “ Ist [Soundso] Deutscher? ” “ Nein, aber sich seines Deutschtums sehr bewußt ” .) 128 In Berkeley (1956 - 65) <?page no="129"?> 8. Ausblick In Toronto (1965 - 68) und Harvard (1968 - ) In Berkeley blieb ich neun Jahre. 1965 begann für mich ein neuer Lebensabschnitt. Für 1966 stand an der University of California die Einführung des Quartalstatt des Semestersystems bevor, von dem ich wie viele Kollegen eine stressigere und pädagogisch bedenkliche Situation befürchtete, nicht zuletzt auch die Beeinträchtigung der Kontinuität der nach wie vor erwarteten - und geliebten - wissenschaftlichen Arbeit. (Das war nicht aus der Luft gegriffen: wenige Jahre später schon wurde die Einteilung des akademischen Jahrs in Quartale in Berkeley wieder abgeschafft.) Auch die Studentenunruhen seit dem Herbst 1964 luden nicht gerade zum Bleiben ein, so wenig die Germanistik da auch als Zielscheibe geeignet war und so sehr sie in der Sache in mancher Hinsicht ihren guten Sinn hatten (es ging nach anfänglichen strikt lokalen Quisquilien um Bürgerrechte, Rassismus, Armut, Vietnam). In dieser kritischen Zeit erreichte mich im Anschluß an eine Vortragsreise der Ruf auf ein Ordinariat am Scarborough College, einem der Colleges, die nach englischem Muster zusammen die University of Toronto ausmachen. Der Reiz des Neuen oder vielmehr des “ Besten beider Welten ” , nämlich der Neuen und der Alten Welt vornehmlich britischer Prägung, war stark. Im April 1965 hatte ich geheiratet; im Herbst des Jahres begann unser Leben am Lake Ontario. (Unser Haus war nur ein paar hundert Schritte vom See entfernt, wo man bei klarer Sicht die Lichter von Niagara Falls im Bundesstaat New York sehen konnte.) Das Leben in der Großstadt Toronto, wo, wie in ganz Kanada im Unterschied zu den USA, der Melting Pot kein sozialpolitisches Ideal war, ließ sich noch multikultureller, noch kosmopolitischer an als im mittelstädtischen Berkeley und selbst in San Francisco. Die Regierung ( “ the Crown ” ) begrüßte Einwanderer aus der ganzen Welt, schien geradezu um sie zu werben. Kaum jemand, so schien es manchmal, sprach in Toronto akzentfrei <?page no="130"?> Englisch, auch so manche Kollegen nicht, was gelegentlich, selten genug, auch zu leichten Spannungen mit den Alteingesessenen führte. Das galt, sehr selten, auch für “ das deutsche Element ” , wie ein englisch-kanadischer Kollege es (nicht unkritisch) bezeichnete, das hier unvergleichlich stärker präsent war als in Berkeley und Umgebung bis hin zu unverfälscht deutschen Geschäften mit “ gnädige Frau ” -Anrede, Zervelatwurst, Marzipan, Adventskalendern und dem jeweils neusten Stern (wo ich auf das Traven-Mysterium stieß und gleich Feuer fing). Die Skala der Deutschsprachigen reichte vom auf Deutsch predigenden lutherischen Pfarrer bis zum ehemals estnischen Konsul, dessen Land schon seit einem Vierteljahrhundert eine Sowjet-Republik war. Sogar die ältere wilhelminische Geschichte und Literatur brachten sich hier noch in Erinnerung: in der Umgebung von Toronto waren eine Reihe von adeligen deutschen Emigranten ansässig geworden. Eine dieser Familien (er und sie mit historischen Namen, die jedes Schulkind auch außerhalb der deutschsprachigen Länder kennt) lebte nicht weit von Lake Erie als bescheidene Version der englischen Gentry (Jauchegrube am Haus, aber auch eine Buddha-Skulptur am Swimming Pool) von der Rennpferdezucht; von ihr konnte man nicht nur (ohne Nachfrage) erfahren, wo es in Toronto die besten Sättel zu kaufen gab, sondern auch, daß einer ihrer Mitarbeiter John Maynard hieß, der über seinen gleichnamigen tatsächlichen Vorfahren (also nicht etwa Namensvetter) aufgeklärt werden mußte: über den damals jedem gebildeten Deutschen geläufigen selbstlosen Schiffssteuermann auf dem Erie- See also, in Fontanes Gedicht mit der fast sprichwörtlich gewordenen Zeile “ noch zehn Minuten bis Buffalo ” . Zugleich aber war Toronto bei aller Völkervielfalt des intensiv auf Einwanderung eingestellten Landes betont britisch wie die Diaspora auch sonstwo im Commonwealth: vom Porträt der Königin in Privatwohnungen bis zu Titeln, vom Bombay Bicycle Club (einem Treffpunkt auch für Nicht-Inder und Nicht- Radfahrer) bis zum Highlander Square Dance, vom Nationalfeiertag Victoria Day bis zur Tea Time mit silberner Teekanne in 130 In Toronto (1965 - 68) und Harvard (1968 - ) <?page no="131"?> einem Clubzimmer des University College, nicht zu reden von Originalen wie dem älteren Herrn in Tweed-Knickerbockers, der die Eichhörnchen, die er unter den Bäumen des St. Michael ’ s College fütterte, beim Vornamen nannte: “ Come on, Leonard ” . Seit der Gründung der Universität im mittleren neunzehnten Jahrhundert hatte das akademische Jahr hier nur einen einzigen Term und, mit Ausfall der Winterpause, viel längere Sommerferien; der Grund dafür war ursprünglich, daß die durchweg britischen Professoren regelmäßig aus dem Dominion ins Mutterland zurückreisen und die Studenten bei der Feldbestellung und Ernte helfen konnten. Im German Department gab es interessante Gestalten: den Nestor der nordamerikanischen Germanistik, den aus England gebürtigen Barker Fairley, der wegen seiner politischen Überzeugungen die USA nicht betreten durfte (und seine diebische Freude daran hatte, daß man von Toronto nonstop nach Mexiko fliegen konnte); Hermann Boeschenstein, Inbegriff lebenserfahrener Schweizer Bürgerlichkeit und Humanität; Walter Bauer, Verfasser der Stimme aus dem Leunawerk, der es in Kanada vom Tellerwäscher, wenn nicht schon zum Millionär, so doch zum Universitätsdozenten gebracht hatte; Margaret Sinden, die anregende Gesprächspartnerin in Sachen Gerhart Hauptmann, über den sie zwei Bücher geschrieben hatte; Robert Farquharson und seine Frau Ann, die ich aus Berkeley kannte, wo sie Graduate Students gewesen waren. Sie nahmen uns, nachdem uns noch gleich am Flughafen unser Status als “ landed immigrants ” bescheinigt worden war, ein paar Tage auf das gastfreundlichste in ihrem Haus auf. Kulturell war Toronto Berkeley und San Francisco dank seiner durch seine Verbindung von “ the best of both worlds ” weit überlegen (Theater, Museen, Galerien, Musik). Darüber ist viel geschrieben worden. Statt das aus persönlicher Erfahrung wiederzubeleben, nur diese eklektischen Eindrücke von vielleicht weniger Bekanntem: Barker Fairley war zu unserer Zeit längst als Maler bekannt, scherzhaft als der achte der Group of Seven bezeichnet, jenes immer noch international zu wenig In Toronto (1965 - 68) und Harvard (1968 - ) 131 <?page no="132"?> bekannten Ensembles kanadischer Landschaftmaler um Tom Thomson und A. Y. Jackson, denen im nahegelegenen Kleinburg ein eigenes Kunstmuseum gewidmet war, das nicht zu unrecht fast als eine Art kulturelles Nationalheiligtum galt. Eine Überraschung war die Entdeckung eines Landguts am Lake Simco, auf dem die in Kanada hoch geschätzte Mazo de la Roche zu Hause gewesen war, die Autorin der Jalna-Romane über die Geschichte einer kanadischen Kolonistenfamilie, von denen mir in meiner Schulzeit ein Klassenkamerad einen zu lesen gegeben hatte. In der Universität deutete sich eingehobenes kulturelles Niveau dadurch an, daß es - damals, anders als heute - Sprachunterricht überhaupt nicht gab, jedenfalls nicht in der Germanistik. Beherrschung der Sprache wurde bei den Undergraduates vorausgesetzt; ins Deutschstudium führte sie ein weit ausgreifender Textlektüre-Kurs ein, ganz unsystematisch nach dem Prinzip “ Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen ” , nämlich Heine, Keller, Fontane, Hauptmann, Dürrenmatt, Frisch. Um so leichter konnte sich dann nach dem B. A. das Graduate-Studium an das in Nordamerika übliche Niveau halten. Drei Jahre später wurde ich als Professor of German Literature nach Harvard berufen - zu meiner Überraschung, denn Vakanzen wurden damals noch nicht ausgeschrieben, so daß man sich hätte bewerben können. Neu-England mit den unverwischten Spuren seiner puritanischen Anfänge war wieder eine ganz neue Welt. Cambridge liegt gegenüber von Boston, wo The Scarlet Letter schulzeitlichen Angedenkens spielt, an dem Fluß, der nach Charles II., dem Sohn des von Cromwell enthaupteten Königs, benannt ist. Und auch rundherum bewegt man sich hier, im angeblich so wenig geschichtsbewußten Amerika, allenthalben auf historischem Boden, doch im Unterschied zum “ anderen ” Cambridge mehr in landesgeschichtlicher als in akademischer Hinsicht. Gedenktafeln überall an Friedhofsmauern, Gebäuden und Kirchen aus der Zeit des Unabhängigkeitskriegs und im Hafen von Boston das nachgebaute Tea-Party-Schiff - man steht an der Wiege der Nation. Nur eine kurze Autostrecke 132 In Toronto (1965 - 68) und Harvard (1968 - ) <?page no="133"?> entfernt sind auch Lexington, berühmt durch Emersons, dunkel aus der Schulzeit erinnerten “ shot heard round the world ” , und das Schlachtfeld bei Concord, dem späteren neu-engländischen Weimar von Emerson, Hawthorne und Thoreau, weiter nördlich das restaurierte Salem der von Arthur Miller dramatisierten Hexenverfolgungen, nach Süden zu die Plymouth Plantation der “ Pilgerväter ” und die nachgebaute Mayflower im Atlantik, rundum Ortschaften mit Namen, die aus den südöstlichen Counties Englands widerhallen oder auch Touristen befremden: Peabody (Erbsenleiche), Braintree (Gehirnbaum), Alewife (Biergemahlin; so heißt hier ein heringartiger Fisch). In Harvard, wo das Glück mir außergewöhnlich sympathische Fachkollegen wie Jack Stein und später Judith Ryan, Gail Finney, Stephen Mitchell und Peter Burgard bescherte, wurde mir fünf Jahre nach meiner Übersiedlung der Titel Kuno Francke Professor of German Art and Culture verliehen. Stiftungsprofessuren, erkennbar an einem vorausgehenden Namen oder sonstigem Vorspann und oft mit altertümlicher Fachbezeichnung, gelten als inneruniversitäre Anerkennung, die bis zur Emeritierung und darüber hinaus gültig bleibt und einem nur als Disziplinarmaßnahme auf Grund von irgendwelchen Verfehlungen wie ungehöriges Finanzgebaren oder Diebstahl von Pferdemist von einer benachbarten Farm wieder abgesprochen werden kann. Der Kuno-Francke-Lehrstuhl, benannt nach einem penetrant germanophilen Germanisten aus der wilhelminischen Zeit, dessen erster Inhaber Karl Viëtor gewesen war, auf den mich schon Walter Müller-Seidel hingewiesen hatte, war von einem deutschstämmigen Bierproduzenten aus dem Mittleren Westen gestiftet worden. Anders als eine uralte Theologie- Professur erlaubt sie jedoch keine Viehhaltung unter den Ulmen des Campus. Sonst aber sind alle Lehrstuhlinhaber, ob nun Stiftungsprofessoren oder nicht, gleichgestellt, und sie haben das Heft in der Hand; notfalls können sie einen Universitätspräsidenten zum Rücktritt zwingen. Der Kern der Universität, hundert Jahre älter als Göttingen, ist mit seinen für die Undergraduates grundlegenden geistes- In Toronto (1965 - 68) und Harvard (1968 - ) 133 <?page no="134"?> und naturwissenschaftlichen Instituten und den Wohnheimen für Freshmen immer noch eine Welt für sich, hinter übermannshohen schmiedeeisernen Gittern und kunstgewerblichen Toren, doch jedermann zugänglich. Sie ist ein vom Verkehr umbrandeter penibel gepflegter Park, Yard genannt, überragt von der typisch neu-engländischen Memorial Church, von deren Terrasse 1947 der Marshall-Plan verkündet wurde. Umringt wird der Yard, das eigentliche Liberal-Arts-College, von den beruflich orientierten Graduate Schools (Divinity, Government, Law usw.) und sonstigen Gebäuden von Architekten wie José Luis Sert, Le Corbusier und Renzo Piano und, jenseits des Charles River, von der Business und Medical School. Diese Welt war nicht nur das Habitat von manchen längst verstorbenen prominenten Professoren wie George Lyman Kittredge und Fred N. Robinson oder auch von manchmal noch sichtbaren wie Abb. 11: Harvard Yard, 1989 134 In Toronto (1965 - 68) und Harvard (1968 - ) <?page no="135"?> David Riesman, deren Werke mir aus meiner deutschen und texanischen Studienzeit bekannt waren, sondern auch von vielen anderen gebürtigen Amerikanern, von denen man inzwischen gehört hatte: Harry Levin, Oscar Handlin, I. B. Cohen, Willard Van Orman Quine u. a. Harvard war und ist auch eine Hochburg von Emigranten, von seinen Anfängen über die Nazizeit bis in die unmittelbare Gegenwart. (Der erste Germanist, Karl Follen, war in den 1820er Jahren aus Deutschland gekommen und soll den Weihnachtsbaum nach Amerika verpflanzt haben.) Wer nennt die Völker, kennt die Namen, die akademisch hier zusammenkamen und denen man im letzten Drittel des zwanzigsten Jahrhunderts noch begegnen konnte, wenn nicht gar heute noch über den Weg laufen kann: aus den deutschsprachigen Ländern Carl Joachim Friedrich, Ernst Mayr, Annemarie Schimmel, Werner Sollors, Gerald Holton, Stanley Hoffmann; aus England I. A. Richards, D. R. Shackleton Bailey, Homi Bhabha; aus Frankreich Jean Bruneau und Patrice Higonnet; aus den osteuropäischen Ländern Richard Pipes, Roman Jakobson, Ihor Sevcenko, Alexander Gerschenkron, Judith Shklar - um nur diese wenigen von vielen, in bunter Folge, zu nennen. (Manche von ihnen, und auch von den eminenten Yankees, hatten es bereits in den Rang von Anekdoten-Persönlichkeiten geschafft: wer war das doch, der eine humanistische Abhandlung seiner Katze gewidmet hatte . . . ? ) Nicht zu reden von den Prominenten, die über die Jahre hin zu Gastprofessuren oder Vorträgen kamen, in willkürlicher Anordnung und Auswahl: Derek Walcott, Toni Morrison, Carlos Fuentes, Octavio Paz, Mario Vargas Llosa, Czeslaw Milosz, Umberto Eco, Marguérite Yourcenar, Orhan Pamuk, Seamus Heaney, Nadine Gordimer, Salman Rushdie, Aleksandr Solschenizyn, Isaiah Berlin, Jacques Derrida, Jürgen Habermas. Koryphäen der Germanistik wie Herman Meyer, Richard Brinkmann, Gerhard Neumann u. v. a. blieben und bleiben nicht aus und ebensowenig deutsche Autoren von Grass bis Schlink, Johnson bis Enzensberger, Martin Walser bis Michael Krüger. Boston war und ist schließlich ein Einfallstor für Amerika- In Toronto (1965 - 68) und Harvard (1968 - ) 135 <?page no="136"?> Besucher. Lange Zeit galt ein von Emigranten gegründetes Café in der Brattle Street als die amerikanische Galata-Brücke: wenn man lange genug wartet, kann man die ganze Welt vorbeikommen sehen - ganz von fern in der Regel, aber überwältigend nicht nur für den Neuling. In weiteren Kreisen war und ist Harvard bekannt nicht nur als Standort der Glasblumen-Sammlung zweier böhmischer Kunsthandwerker, die sich kein Tourist entgehen läßt, sondern auch der hochkarätigen Kunst- und Naturkunde-Museen und der für Touristen unzugänglichen unerschöpflichen und überraschungsreichen Bibliothek, in der Studenten, Professoren und externe Karteninhaber ziemlich unbeschränkt stöbern können. Sie ist benannt nach Harry Elkins Widener, dem mit der Titanic untergegangenen Sohn der Stifterin des imposanten Gebäudes mit Säulenfassade und Kupferdach. Im luxuriösesten der Räume, der seine private Büchersammlung einschließlich einer Gutenberg-Bibel ausstellt, wird ihm noch jede Woche ein Blumenstrauß auf den Schreibtisch gestellt, um zu vermeiden, daß das Gebäude in den Besitz der Stadt Cambridge übergeht, was die Schenkungsurkunde, wie den Touristenscharen tagtäglich erklärt wird, für den Fall vorsieht, daß dies versäumt werden sollte. Eine weitere Bedingung der Mutter des Nicht- Schwimmers Harry Widener war, daß jeder Harvard-Student eine Schwimmprüfung bestehen müsse - eine Klausel, die vor einigen Jahren mit Rücksicht auf Behinderte zurückgenommen wurde. Auch abgesehen von Blumenstrauß und Gutenberg- Bibel (die vor Jahren einmal gestohlen wurde, aber mit Hilfe Gottes, der den Dieb ein Bein brechen ließ, rasch wieder in ihren Glaskasten zurückkehrte) bietet dieser Büchertempel nun schon seit über hundert Jahren Nichtschwimmern und Schwimmern unvergleichliche Möglichkeiten für Studien und Entdeckungen. Weitere bibliothekarische Schätze erwarten den Besucher in der auf Rara und Rarissima spezialisierten, von Arthur A. Houghton gestifteten Houghton Library nebenan, die für Bildungstouristen auch mit Kuriositäten wie Dickens ’ Spazierstock und T. S. Eliots Strohhut aufwarten kann. 136 In Toronto (1965 - 68) und Harvard (1968 - ) <?page no="137"?> Wie in Toronto war und ist die alltägliche Ambiance in Harvard kosmopolitisch und intensiv intellektuell, selbst an der Peripherie, wo Hunde auf den Namen Wagner und Nietzsche hören und ein Restaurant sich Grendel ’ s Den nennt. Gesteigert wird das intellektuelle Klima noch durch das kulturelle Angebot der Colleges und Universitäten in der Umgebung, zu deren Germanistik-Professoren guter Kontakt besteht. Wie in Toronto erinnert in Harvard auch vieles speziell an die exzentrische Welt der Oxbridge-Colleges: nicht nur Kuriositäten wie die gespenstische Erscheinung des schwarz gekleideten Kurators der mehr als zweihundert über den ganzen Campus verstreuten antiken Uhren oder, bis 1983, das Pferdesteak als Spezialität des Hauses im Faculty Club oder beim Commencement die lateinische Rede eines in eine Toga gehüllten Undergraduates sowie der County-Sheriff hoch zu Ross, angetan mit Cut und Zylinder. Vor allem gehören zu diesen englischen Echos die in den dreißiger Jahren gebauten, seit Anfang der siebziger Jahre auch Studentinnen aufnehmenden “ Houses ” , in denen die Undergraduates, mit verschwindend wenigen Ausnahmen, nach dem Freshman-Jahr drei Jahre lang wohnen, ihre Mahlzeiten einnehmen und Geselligkeit pflegen. Alles andere als Boarding Houses oder Dormitories, wie sie in Austin und Berkeley üblich waren, sind sie wie die Colleges in Oxbridge gedacht als Stätten gemeinschaftlicher, mittlerweile auch betont multikultureller und -sozialer Erfahrung und Bildung. Konstitutiv für diese Houses sind Eßsaal (bis in die sechziger Jahre nur mit Jackett und Schlips zu betreten), Computer- Labor, Wellness- und Fitness-Center einschließlich Kletterwand, Räumlichkeiten für kulturelle Veranstaltungen, Sport, Hobbies, Spiele und Parties, Bibliothek, Grill-Room und Gästezimmer. Die Aufsicht hat ein im House wohnender Master (jetzt Faculty Dean, um südstaatliche Sklaverei-Assoziationen zu vermeiden). Ein ausgewählter Kreis von zum Teil auch im House wohnenden Tutoren, Mentoren, Professoren und Verwaltungsbeamten - Mitgliedern des sogenannten Senior Common Room, die sich wöchentlich zu Sherry und Lunch treffen - In Toronto (1965 - 68) und Harvard (1968 - ) 137 <?page no="138"?> ist mit jedem der Houses liiert und stets gern gesehen bei allen möglichen, oft von den Studierenden einfallsreich gestalteten Gelegenheiten: von Vorträgen und Konzerten sowie Theateraufführungen bis zum Tanz in Smoking und Abendkleid auf Abb. 12: Lowell House, Harvard 138 In Toronto (1965 - 68) und Harvard (1968 - ) <?page no="139"?> einer der Brücken über den Charles River am ersten Mai um sechs Uhr morgens und zum wöchentlichen Five o ’ Clock Tea - beides Lowell House-Traditionen wie auch die alljährliche Inszenierung einer Oper und mehrmals im Semester das High Table Dinner für Seniors (Studierende im vierten Jahr) und die Senior Common Room-Mitglieder (Smoking und Abendkleid nicht mehr wie jahrzehntelang de rigueur, sondern nur noch empfohlen). Die Tutoren und sonstigen Mitglieder des Senior Common Room haben ihre Funktion darin, daß sie die Undergraduates formell und informell, mehr oder weniger praktisch beraten im Hinblick auf ihre Berufswahl und den eventuell gewünschten Zugang zu den Graduate Schools hier oder sonstwo (Jura, Medizin, Theologie, Pädagogik, Arts and Sciences, Design, Business, Politische Wissenschaften, Public Health). So erleichtern und fördern die Houses, die nach Mäzenen oder ehemaligen Präsidenten, außer nach Präsident Hoar natürlich, benannt sind, den zwanglosen Kontakt der Lehrenden und Studierenden, von denen im übrigen auch erwartet wird, daß sie ihre Professoren zu eigens dafür vorgesehenen Gelegenheiten zum Dinner im House einladen. Die derart sozial und kulturell gut versorgten Undergraduates verschiedener sozialer, geographischer, ethnischer, nationaler und bildungsmäßiger Herkunft, auf deren Zusammengehörigkeitsgefühl die Universität großen Wert legt, gelten als das Salz der Erde, häufig genug mit vertretbarem Lokalstolz, ob sie nun später etwa Staatschefs oder Lehrer werden, Finanzgrößen oder Entwicklungshelfer, Bürgerrechtler oder Wissenschaftler, Weinkenner oder Baseballfans oder auch “ nichts Besonderes ” . Schließlich wurde das einstige College für angehende Gentlemen aus wohlhabendem Bostoner Haus im zwanzigsten Jahrhundert nach und nach neukonzipiert als Bildungs- und Ausbildungsinstitut für eine internationale Elite von betonter “ diversity ” . Dementsprechend werden die fünf Prozent der heute etwa 40.000 Bewerber, die jedes Jahr als Undergraduates zugelassen werden, nicht auf Grund einer bestimmten fachlichen Vorbil- In Toronto (1965 - 68) und Harvard (1968 - ) 139 <?page no="140"?> dung und auch nicht allein auf Grund von Intelligenz und Zensuren ausgewählt, sondern im Hinblick auf Faktoren wie Persönlichkeit, Begabung, außerschulische Betätigung, Vielseitigkeit, Kreativität, Unternehmungslust und Interessen. Etwa 60 Prozent ihrer Undergraduates sichert die Universität mit Stipendien ab; das Studium wird also für alle (ohne vorherige Information über die Finanzkraft der Eltern) angenommenen Bewerber erschwinglich gemacht. Das versöhnt mit der Gediegenheit, um nicht zu sagen mit dem Marmor- und Mahagoni- Luxus der Ausstattung der regelmäßig renovierten Gebäude und ständig verbesserten Einrichtungen aller Art, die zum täglichen Leben der Studierenden gehören. Ermöglicht werden die Stipendien wie so vieles andere in Harvard, von Gebäuden bis zu Professuren, großenteils durch die Spenden ehemaliger Undergraduates, die sich damit bedanken für ihre fachliche und menschliche Bildung und die Bereicherung ihres Lebens während ihrer vier Jahre im College, egal wie ausgefallen ihre Interessen auch gewesen sein mögen. Denn auch in dieser Hinsicht ist die Universität nicht knauserig: das Angebot an Vorlesungen und Seminaren ist überwältigend, auch wenn manche Kurse, in seltenen Sprachen etwa, es zu nur ein, zwei Interessenten bringen; und wenn ein Undergraduate für sein in eigener Regie definiertes Hauptfach diesem oder jenem Sonderthema nachzugehen hat, dann wird ein entsprechendes Seminar, wenn irgend möglich, eingerichtet. Selbstverständlich sind Undergraduates des hier üblichen Interessen- und Motivationskalibers auch bereichernd für den noch so erfahrenen akademischen Lehrer, oder doch manchmal. Mit ihren nicht wissenschaftlich zugespitzten, vielleicht unbedarften oder auch halbernsten, aber zielsicheren Bemerkungen (höflich auch in den Jahren der Studentenunruhen) geben sie gelegentlich produktive Anstöße zu weiteren Erkundungen. (Woran sterbe Goethes Faust eigentlich? Was habe es zu besagen, daß der Hund Rollo in Effi Briest so viel menschlicher ist als die Menschen? Die bekannten deutschen Autoren der Goethezeit hätten doch kaum etwas von der großen weiten Welt gesehen . . .) 140 In Toronto (1965 - 68) und Harvard (1968 - ) <?page no="141"?> Was sich für mich in dieser Welt, in der man nicht selten auch die Eltern der Schüler kennenlernte, als besonders reizvoll erwies, waren die sogenannten Freshman-Seminare, mit höchstens zwölf, persönlich in Gesprächen mit den immer zahlreichen Bewerbern ausgewählten Studienanfängern, die sich erst im zweiten Jahr auf ein Hauptfach festlegen müssen. Die Zwanglosigkeit (und Ergiebigkeit) dieser Kurse wurde dadurch gesteigert, daß es keine Prüfungen und keine Zensuren gab. Hinzu kam: ausdrücklich vorgesehen war, daß die Themen in Verbindung standen zu jeweils aktuellen Arbeitsinteressen, so daß die Studierenden an Forschungsvorhaben der “ Seminarleiter ” beteiligt und derart in wissenschaftliches Arbeiten eingeführt würden. Meine Themen waren zum Teil fachübergreifend: nicht nur Goethes Faust, sondern auch “ Letzte Worte ” und “ Are We Alone? ” (intelligenzbegabtes Leben im Weltraum als Thema der Kulturgeschichte). Fremdsprachenkenntnis wurde nicht erwartet. Mit mehreren dieser Freshmen, wie natürlich auch mit den über längere Zeit hin unterrichteten Hauptfach- Germanisten, Undergraduate und Graduate Students, die dann Doktoranden wurden, hielt der Kontakt über viele Jahre an, zum Teil bis heute. In den sonstigen Vorlesungen und Seminaren, vor allem, aber nicht nur für Graduate Students (und oft spätere Kollegen), hatte sich mein germanistisches und komparatistisches Repertoire seit Berkeley und Toronto stark erweitert: Einführung in die Literaturwissenschaft, Faust-Tradition in Europa, bürgerliches Trauerspiel in den westlichen Ländern, Aufklärung und Goethezeit (mit Nachdruck auf der literarischen Umwelt von Lessing, Schiller und Goethe), “ Realismus ” (Büchner, Fontane u. v.a), Naturalismus, Geschichte der Komödie, Geschichte der Literaturkritik und in späteren Jahren immer wieder - eine Alterserscheinung wahrscheinlich - Goethes Faust, für Germanisten und andere, auf Deutsch und auf Englisch, aber auch das schon in Berkeley präludierte und dann ständig variierte Seminar über Stilstudien anhand von kurzen Texten aus dem Gesamtbereich der deutschen Literaturgeschichte. In Toronto (1965 - 68) und Harvard (1968 - ) 141 <?page no="142"?> Weniger begeistert war ich, wie die meisten Kollegen auch, von der Rolle als Chairman, die Goethe, der es wissen mußte, bekanntlich für eine Sache für Philister, Narren oder Schelme hielt. Ernannt wurde man turnusmäßig für drei oder fünf Jahre nach dem Prinzip gewiefter Dekane, daß der am wenigsten an dieser Rolle Interessierte den geeignetsten geschäftsführenden Direktor abgeben würde (der sich in keiner Weise als “ Chef ” verstehen konnte). Außer mit der Verwaltungsroutine hatte man sich in dieser Funktion herumzuschlagen mit den Klagen von Eltern, die etwa beanstandeten, daß im German Department nicht Deutsch, sondern Slang gelehrt werde, oder behaupteten, daß ihr Sprößling nicht durchs Examen hätte fallen können. Aber mein Turnus liegt schon weit zurück. Seit mittlerweile fünfzig Jahren - seit 2008 bin ich emeritiert, komme aber noch mehrmals in der Woche in die Universität - wohnen wir, statt wie früher die meisten Professoren ein paar Gehminuten von Harvard entfernt, etwa fünfzehn Meilen landeinwärts, in einem Dorf, das sich durch seine in die Kolonialzeit zurückgehenden Town Meetings weitgehend selbständig verwaltet (und besteuert). Statt der Bauern, die ihre Viehweiden über drei Jahrhunderte hin mit den wahrzeichenhaften niedrigen Feldsteinmauern umrandeten, sind hier, wie in manchen anderen Dörfern in der Umgebung, vor allem viele in Boston und Cambridge tätige Intellektuelle zu Hause, Nachkommen von Freud und dem zweiten USA-Präsidenten inklusive. Zum Erstaunen deutscher Besucher ist unser Haus nicht von Grundstückszäunen umgeben, sondern von Wald und Wiesen und einem Bach, der zwar nur nach der Schneeschmelze murmelt. Zu Fuß zu erreichen sind Emersons Concord und Thoreaus Walden Pond (wo vor einigen Jahren noch Spucken und Gotteslästern per Anschlag verboten war); einen kurzen Waldweg entfernt sind ein parkumsäumtes Herrenhaus aus dem achtzehnten Jahrhundert und Gropius ’ unter Denkmalschutz stehendes Privatdomizil im Bauhausstil. Ringsherum ausgedehnte Naturschutzgebiete (die die hohen Grundstückssteuern bewirken). Statt von nahen Nachbarn wird man beäugt von Rehen, Waschbären, Füchsen, 142 In Toronto (1965 - 68) und Harvard (1968 - ) <?page no="143"?> wilden Truthühnern, aber auch Skunks; nicht selten ist man metertief eingeschneit oder japst in tropischer Hitze - bis der Dekan eines Tages “ with great regret ” die übliche, altertümlich “ your obedient servant ” signierte schwarzgeränderte Todesanzeige auf Büttenkarton verschickt. In Toronto (1965 - 68) und Harvard (1968 - ) 143 <?page no="145"?> 9. Rückblick Literaturwissenschaft im Niemandsland? Chancen, Interessen, Credo Mit den Jahren in Berkeley, Toronto und der Übersiedlung nach Harvard gegen Ende der “ Goldenen Jahre ” der akademischen Migration von Europa nach Amerika war die akademische Lebenswende abgeschlossen, die amerikanische Integration erreicht. Besiegelt wurde sie nach der erforderlichen fünfjährigen Wartezeit seit der Rückkehr aus Kanada durch die Einbürgerung 1973, bei der man von einer Daughter of the American Revolution eine kleine US-Flagge in die Hand gedrückt bekam mit den Worten “ This is the proudest day of your life ” . Sie mußte es ja wissen. Der Richter, der die “ Naturalisierungs ” - Zeremonie leitete, betonte: wir Neuen seien eigentlich die “ besseren ” Amerikaner, da wir die Staatsbürgerschaft aus freien Stücken, mit dem bewußten Bekenntnis zu diesem Land, erworben hatten. Die Chance, bei dieser Gelegenheit den Namen zu wechseln, habe ich nicht wahrgenommen, anders als der Chinese direkt vor mir in der Reihe der Neubürger, der die entsprechende Frage mit der Wahl eines waschecht neu-engländischen Namens beantwortete. Ein noch so bescheidener zünftiger Beitrag zur germanistischen Wissenschaftsgeschichte oder zur Darstellung gesamtgesellschaftlicher Entwicklungen war, unnötig zu sagen, im Vorausgehenden nicht beabsichtigt, wenn auch hier und da ein Streiflicht darauf gefallen sein mag. Ebensowenig wollen diese Erinnerungen an eine neue Lebenswelt eine persönliche Bildungsgeschichte oder Autobiographie sein, obwohl natürlich niemand “ I am a camera ” uneingeschränkt für sich in Anspruch nehmen kann. Es ging eher darum, mit der Darstellung eines frühen “ Falls ” zurückzublicken auf die Lebensumstände der akademischen Nachkriegsmigration aus Europa nach Nordamerika, auf die Begegnung mit dem universitären “ way of life ” und Ambiente jener “ Goldenen Jahre ” . Auf betont impressionistische <?page no="146"?> Weise sollten die (mehr oder weniger) beruflichen Erfahrungen festgehalten werden, die sich ergaben aus der in jungen Jahren begonnenen transatlantischen akademischen Umstellung. Was dem Fremden in seiner neuen Lebenswelt auffiel, ihn, manchmal bis heute, verwunderte, aufstörte, dankbar stimmte oder belehrte, mag hier und da und vielleicht zu oft Alltäglich-allzu-Alltägliches, eher Kurioses, wenn nicht gar Triviales gewesen sein: doch die Augen geöffnet hat es, auch in der Rückschau, allemal - für hoffentlich nicht ganz auf optischer Illusion beruhende, wenn auch nicht umwerfend “ tiefere ” Bedeutung. Was sich so ergibt, ist eine Art Stimmungsbild oder individueller Erlebnisbericht über den damaligen deutsch-amerikanischen Encounter, in dem sich auch andere Migranten erkennen mögen. Immerhin: trotz der vorwiegend impressionistisch erzählerischen Ausrichtung des Vorhergehenden mögen noch ein paar Worte über den wissenschaftlichen Aspekt eines solchen interkontinentalen Professorenlebens und seiner Welt nicht ganz unangebracht sein. In der Skizze der Orientierung der beiden Emigrantengruppen, die in den fünfziger und sechziger Jahren das Bild der amerikanischen Germanistik nachdrücklich mitbestimmten, wurde schon einiges angedeutet; das ist jetzt noch kurz zu erweitern im Hinblick auf die Entwicklungen seither. Die fünfziger Jahre und sechziger Jahre waren für einen Literaturwissenschaftler nicht nur in praktisch-beruflicher Hinsicht die “ Goldenen Jahre ” , also wegen des stark erhöhten Bedarfs an Lehrkräften. Es war auch die Zeit der Stille vor dem Sturm, der gegen Ende der sechziger Jahre ausbrach: vor den heftigen ideologischen Kontroversen über die Aufgaben, Methoden, Fragestellungen und Zielsetzungen, die der Erforschung und Vermittlung der Literatur zukommen sollten. In dem Maße, wie das ästhetische Interesse des New Criticism an der werkimmanenten Analyse in der Folgezeit an Reiz und “ Relevanz ” verlor, verpflichtete sich das Fach in Amerika nicht anders als in Europa zunehmend auf Engagement verschiedener 146 Literaturwissenschaft im Niemandsland? Chancen, Credo <?page no="147"?> Art. Deutsche Literatur konnte, wie erwähnt, instrumentalisiert werden für “ social science ” , für eine Wissenschaft von den sozialpolitichen Verhältnissen und Mentalitäten in den deutschsprachigen Ländern, wie John Van Cleve und A. Leslie Willson es etwas verspätet 1993 für die amerikanische Germanistik im Ton der Programmerklärung verlangten. 38 Der Gegenstand dieser Sozialwissenschaft wurde infolgedessen ausgeweitet von der anspruchsvolleren Literatur nicht nur auf die bislang für weniger bedeutend gehaltene, aber weithin konsumierte, sondern auf praktisch alles schriftlich Überlieferte; “ Texte ” zu Psychologie und Geschichte, zu Naturwissenschaft und Wirtschaft, Politik und Recht sollten ins Blickfeld der Germanistik gerückt werden mit dem ausgesprochenen oder implizierten Fernziel der Erhellung, wenn nicht gar der mehr oder weniger “ links ” orientierten Reform des sozio-kulturellen Status quo. Zu solcher Mission fühlte ich mich, der akademischen Herkunft nach ohnehin nicht nur Germanist, nicht berufen, da ich der Gesellschaft, der sie zugute kommen sollte, schließlich längst nicht mehr angehörte und mich auch nicht für genügend interessiert und erst recht nicht befugt hielt, Amerikanern ein Bild von dieser Gesellschaft zu vermitteln, geschweige denn von dem, was sie für manche Meister des erhobenen Zeigefingers sein und werden sollte - ganz davon abgesehen, daß beträchtliche sozialwissenschaftliche Kompetenz im Sachlichen und Methodischen erforderlich gewesen wäre. Ähnlich stand es für mich um die ebenfalls in den neuen “ German Studies ” beheimatete Aufdeckung von “ falschem Bewußtsein ” , das dem literarischen Wortlaut unauffällig zugrundeliege, also um die Entlarvung von cachierter “ repressiver ” Voreingeommenheit und Machtausübung hinsichtlich Rasse, Klasse, Ethnie und Gender. Ich blieb solchen aktualisierenden sozialpolitischen Tendenzen gegenüber, wie gesagt, im Niemandsland, doch keineswegs allein und auf verlorenem Posten, eher in der Rolle eines reservierten, aber aufmerksamen und nicht selten verwunderten Beobachters. Entsprechend lag es mir auch nicht, Betriebsamkeit in den großen allumfassenden literaturwissenschaftlichen Literaturwissenschaft im Niemandsland? Chancen, Credo 147 <?page no="148"?> Berufsorganisationen und ihren mehr oder weniger offen politisierenden Grabenkämpfen um immer neue und rasch veraltende oder unermüdlich modifizierte “ Theorien ” zu entwickeln. Thematisch prazisierte kleinere Tagungen hingegen habe ich immer produktiv gefunden. Was mir bei meiner generellen Skepsis gegenüber mehr oder weniger grandiosen Perspektiven und Entwürfen umfassender Art vor allem fremd blieb, war jene poststrukturalistische Theorie, die in den achtziger und neunziger Jahren als “ Dekonstruktion ” in manchen amerikanischen Kreisen hoch im Schwange war. Für sie konnte, pauschal formuliert, ein auch nur annäherungsweise faßbarer Sinn eines literarischen Werks prinzipiell nicht in Sicht kommen, nicht einmal ein Wink zu einer nicht sofort wieder ad infinitum in Frage zu stellenden “ Bedeutung ” oder “ Aussage ” , auf die hin ein Gedicht, ein Roman oder ein Drama mit oder ohne bewußte Absicht des Autors angelegt gewesen wäre (um so weniger, als der Bezug auf alles außerhalb des Textes tabu war). Dagegen sträubte sich bei mir schon ein Minimum von Commonsense, aber auch die Neigung zur Empirie des aufnahmebereiten statt a priori auf unendliche “ Aufschiebung ” des Sinnes eingeschworenen Lesens von literarischen Werken. Im Glücksfall öffnet solches Lesen, scheint mir, die Augen für Unerwartetes. Es überrascht mit Unvertrautem, das dann in seinem historischen Kontext zu verstehen und überdies auch (warum nicht? ) zu beurteilen ware von einem dem Leser vertrauten Blickpunkt aus, vielleicht mit der Folge, daß dieser Blickpunkt seinerseits sich anders verortet. An solcher Betrachtungsweise war nichts Ungewöhnliches selbst in den Jahren der Hochflut der “ Theorie ” -Fixiertheit, die dann auch bald wieder abebbte. Sogar institutionalisiert wurde solche (erneute) Achtung vor dem Text in seiner sinnlich-geistigen Eigenständigkeit (statt als Anschauungsmaterial für jeweilige “ Wirklichkeit ” oder als zu entlarvender und zu bekämpfender “ Feind ” des ideologisch Wünschenswerten) 39 im Jahre 1994 mit der Gründung der Association of Literary Scholars and Critics, die noch heute 148 Literaturwissenschaft im Niemandsland? Chancen, Credo <?page no="149"?> eine Zeitschrift herausbringt. (Ich war unter denen, die in der vielfach veröffentlichten Ankündigung als Befürworter der ALSC genannt wurden.) In die Nähe des Elfenbeinturms wies diese gegen die Politisierung oder Instrumentalisierung gerichtete Orientierung jedoch durchaus nicht, jedenfalls nicht, wie ich sie verstand. In einer Zeit der verbreiteten Skepsis gegenüber den Humanities und namentlich dem Bildungswert von Literatur kam hier eine letztlich auf Aristoteles zurückgehende und vornehmlich in der Klassik und noch von Adorno und der amerikanischen Philosophin Martha C. Nussbaum aufgefrischte Überzeugung 40 zur Geltung: daß nämlich literarische Werke als sprachkünstlerische Gebilde menschliche Erfahrung gestalten und bewahren und damit, wie verhalten auch immer, auf einen in ihnen beschlossenen und erschließbaren Sinn oder Bedeutungsgehalt verweisen. Was sie derart vermitteln, nacherlebbar machen, sind Einsichten in die condition humaine in ihrer Vielgestaltigkeit, in Möglichkeiten des menschlichen In-der-Welt-Seins, die der geistig-seelischen Lebenswirklichkeit des Lesers Alternativen bieten: Robert Frosts “ the road not taken ” , Joseph Conrads “ I write to make you see ” im Vorwort zu The Nigger of the ‘ Narcissus ’ . Sofern diese Alternativen, diese Möglichkeiten des Sehens, Denkens und Empfindens, dem Leser etwas “ sagen ” und er sie klärend oder zur Kritik auffordernd auf sich einwirken läßt, wird seine unweigerlich beschränkte Lebenserfahrung virtuell erweitert, seine Selbstvergewisserung bereichert. Und dies, ohne daß solche ungelebten, aber denkerisch-imaginativ nachvollzogenen Möglichkeiten unmittelbar und spezifisch soziopolitisch, theologisch oder sonstwie ideologisch ausgemünzt würden - aber auch ohne daß es, am anderen Extrem, zu einer gelegentlich noch heute, etwa bei Durs Grünbein begegnenden Mystifikation des “ Dichters ” als Erkenntnisorgan höherer Ordnung käme, die schließlich ein Glaubensartikel bleibt. Ebensowenig verschreibt sich die bezeichnete Sicht einer Reprise jenes in früherer Beschäftigung mit Literatur hochgeschätzten “ Allgemeinmenschlichen ” , das sich in seiner all- Literaturwissenschaft im Niemandsland? Chancen, Credo 149 <?page no="150"?> zuleicht von den Lippen gehenden Abstraktheit ebenso leicht zum binsenwahr Nichtssagenden verflüchtigt. Auf diese Überzeugung gründet sich die im Prinzip zwar nicht absolut neue, aber in den letzten Jahrzehnten in der Komparatistik stark als Novum beachtete, wenn nicht vermeintlich sogar begründete Thematologie oder Themengeschichte. Für sie ist “ das Menschliche ” nicht eine monolithische Universalie, die es in der Sichtung von thematisch verwandten, im weitesten Sinne literarischen Werken aufzuspüren gälte. Vielmehr geht es diesem Forschungsinteresse darum, durch vergleichende Aufmerksamkeit auf den Wortlaut solcher aus größeren Zeitspannen und verschiedenen kulturellen Zusammenhängen stammenden Texte individuelle Variationen und Nuancen der Erfahrungsgestaltung aufzuspüren, mit denen sie sich, wenn nicht immer, so doch in vielen Fällen der Facetten oder Aspekte dessen vergewissern, was für sie den Menschen zum Menschen macht. Das wären also tentative, auch herausfordernde Antworten solcher Texte auf Gauguins Fragen “ D ’ où venons-nous? Que sommesnous? Où allons-nous? ” - Fragen, die sich zuspitzen können zum sokratischen “ Wie soll ich leben? ” , woran Martha Nussbaum die Literaturwissenschaft pointiert erinnert hat. Im Rückblick will es mir scheinen, daß ich über sechs Jahrzehnte hin (in denen zwar auch andere, weitläufig verwandte Interessen ins Blickfeld rückten) in mancherlei Weise aufgeschlossen gewesen bin für ein solches thematologisches Interesse an literarischen Werken, vor allem solchen, die sich im Horizont der Säkularisation, außerhalb eines prägenden traditionell theologischen Selbstverständnisses, profilieren. Schon meine Geschichte und Poetik der deutschen Tragikomödie (1961) war auf die “ weltanschaulich-anthropologische Relevanz ” der Exemplare dieser Gattung gerichtet. Stärker noch waren es die komparatistischen Bücher, die folgten. In der Mythologie der entgötterten Welt wurde das schon im Untertitel signalisiert: Ein literarisches Thema von der Aufklärung bis zur Gegenwart (1971), ebenso in Der Mythos der Neuzeit: Das Thema der Mehrheit der Welten in der Literatur und Geistes- 150 Literaturwissenschaft im Niemandsland? Chancen, Credo <?page no="151"?> geschichte von der kopernikanischen Wende bis zur Science Fiction (1983; The Last Frontier, 1990). Im Bann dieses thematologisch-anthropologischen Interesses stehen jedenfalls teilweise auch die seit 1967 erschienenen Aufsatzsammlungen, besonders die kulturgeschichtlichen Bände Der Blick in die Fremde (2000), Die Erfindung der Welt (2005), Die Reise ans Ende der Welt (2011), Geistiger Handelsverkehr (2015), Exploring the Interior (2018) und stärker noch die auch ins Englische übersetzte “ Trilogie ” Letzte Worte: Variationen über ein Thema der Kulturgeschichte des Westens (1990), Ist der Tod eine Frau? : Geschlecht und Tod in Kunst und Literatur (1997) und Sprechende Steine: Eine Kulturgeschichte der Grabschrift (2006) und schließlich besonders prononciert Lebenszeit ohne Ende: Kulturgeschichte eines Gedankenexperiments in der Literatur (2015; Life without End, 2017). Mit dieser komparatistischen Interessenrichtung konnte ich mich in der literaturwissenschaftlichen Landschaft Amerikas zu Hause fühlen. Gut erinnere ich mich noch an eine Feier zu Ehren von Harry Levin, dem Doyen der amerikanischen Komparatistik, in der sein Buch Grounds for Comparison (1972) vorgestellt wurde, in dem er sich zum Anwalt der Thematologie oder “ thematics ” als noch “ ziemlich neuer ” , sinn- und zukunftshaltiger Forschungsrichtung machte. 41 Zu Hause fühlen kann ich mich aber seit langem ebenfalls in jenem akademischen Habitat, das nicht erst, doch besonders in den fünf Harvard-Jahrzehnten meinen Interessen und der entsprechenden Tätigkeit am Schreibtisch, im Hörsal, in der Seminarrunde und auf Vortrags- und Studienreisen entgegenkam und bis heute entgegenkommt und so ihren Sinn bestätigt in vielfacher, die Arbeit erleichternder, ja: ermöglichender Weise. T. S. Eliots “ Old men ought to be explorers ” scheint hier noch für einen Ruheständler zu gelten, dem dies nach wie vor einfacher gemacht wird durch großzügige finanzielle und sekretarielle Unterstützung und durch ein geräumiges Arbeitszimmer in der Widener-Bibliothek mit allem technologischen Drum und Dran und Blick auf Boston und Seemöwen. Literaturwissenschaft im Niemandsland? Chancen, Credo 151 <?page no="152"?> Zu Hause fühlen kann ich mich darüber hinaus auch in Amerika überhaupt. Amerika erwies und erweist sich noch fast jeden Tag zu meiner dankbaren Verwunderung als eine der sicherlich wenigen Weltgegenden, in denen man, ob man nun selbst Einwanderer ist oder Nachfahre von Einwanderern, den Fremden nicht lange fremd bleiben läßt. 42 Auf dem seit vierhundert Jahren von Europäern besiedelten Boden des Landes überrascht mich immer wieder die spontan freundliche Aufgeschlossenheit von Nachbarn, Bekannten, Clubmitgliedern, aber auch Wildfremden gegenüber dem nicht von Mayflower-Pionieren Abstammenden - Amerika von seiner besten Seite (es gibt auch andere, in meiner akademischen Welt nur flüchtig erlebte Seiten). Vertrauensvoll und hilfsbereit gibt man in meiner Erfahrung dem Fremden die Chance, seinen Weg zu finden, seine Ziele und Aufgaben im Rahmen der beruflichen Verantwortung (und damit sein Leben) nach seinen Vorstellungen von Sinn und Wert zu gestalten. Und wenn solche Tätigkeit, in meinem Fall weniger auf zusammenschauende Darstellung als auf Erkundung weißer Flecken gerichtet, im akademischen Bereich jenseits des engsten Kreises der Freunde, Schüler und Kollegen dann und wann Anerkennung findet, 43 etwa durch Berufungen, Gastprofessuren und nationale und ausländische Fellowships - dann bestätigt sich für den ursprünglich Fremden der mögliche Sinn seiner Tätigkeit. Das läßt ihn empfinden oder hoffen, daß er, dankbar für die gegebene Chance, durch das gesprochene oder geschriebene Wort seinerseits etwas zu geben gehabt hat (wenn auch nie genug). Selbst wenn seine Tätigkeit nicht meßbar “ gemeinnützig ” war, mag sie mit Glück vielleicht hier und da ihre Wirkung gehabt haben, indem sie anderen - Lesern, Hörern, Schülern, Gesprächspartnern - die Augen öffnete und sie anregte zum Weiterdenken in Widerspruch und Zustimmung. Und zum Schluß: von der “ großen Öffnung in die weite Welt ” , der Ausdehnung des Gesichts- und Bildungskreises der Europäer auf die überseeischen Kontinente seit dem achtzehnten Jahrhundert, über die ich häufig geschrieben habe, hat die 152 Literaturwissenschaft im Niemandsland? Chancen, Credo <?page no="153"?> Übersiedlung ins amerikanische Berufsleben mir erlaubt selbst einiges zu erfahren. Wie die “ Weltreisen ” von Fontanes altem Stechlin sind auch meine in letzter Zeit nicht nur, aber zunehmend auf eine Kurzstrecke zwischen Dorf und Großstadt reduziert. Doch über die Jahrzehnte hin hatte das Zuhausesein in Amerika nichts von Rilkes Panther in seinem Käfig ( “ und hinter tausend Stäben keine Welt ” ). Mit Berkeley, Toronto und Cambridge in Neu-England und in Cambridgeshire als Ausgangspunkten ist für mich die deutsche Reisewelle der Nachkriegszeit mein amerikanisches Leben lang nicht abgeebbt. Die Welt in Blakes “ grain of sand ” zu sehen, war nicht nötig. Seit der Zeit, als statt des Internetanschlusses noch ein Stiefelknecht zur Hotelzimmerausstattung gehörte, war die Welt vielmehr bis zu ihren “ Enden ” von Angesicht zu erleben durch (nie rein) berufliche und private Reisen: von Neuseeland oder Tasmanien bis Neufundland, von Japan bis Mexiko, Peru, Bolivien und Tierra del Fuego (das Goethe-Zitat “ so fern und doch so nah ” stand dort auf einem Grabstein), von Tahiti und Fidschi bis zur Chinesischen Mauer und Kapstadts Tafelberg (wo es im Jahr der Unabhängigkeit schon weiße Bettler gab), und natürlich in Europa von den Shetlands bis Kreta und Istanbul (wo man zum Abendessen nach Asien eingeladen wurde), von Moskau und St. Petersburg bis Stockholm und Lissabon und immer wieder London und Paris. (Unerreichbar blieb leider Tristan da Cunha, die einsamste Insel der Welt, deren Literatur- und Besiedlungsgeschichte ich mit Fernweh geschrieben habe.) Hinzu kamen selbstverständlich die Natur- und Kulturwunder der vielen Welten Nordamerikas: urtümlich grandiose Landschaften im Innern, malerische Küsten, Museen mit ihren überwältigenden Kunstschätzen, aber auch eine museale Ghosttown aus der Goldgräberzeit im Wilden Westen, das Alamo in San Antonio und Los Alamos in der Wüste von New Mexico. Daß die Immigration einen solchen Verlauf nimmt, dazu gehört auch das Glück oder der Zufall (unheimlich genug so manches Mal), zur rechten Zeit mit der rechten Ausbildung im rechten Alter am rechten Ort im Kontakt mit den rechten Literaturwissenschaft im Niemandsland? Chancen, Credo 153 <?page no="154"?> Menschen gewesen zu sein. Unvergessen bleibt mir, dem derart Eingebürgerten und in seinen Wunschberuf Gelangten, die Begrüßung, vor vielen Jahren, bei der Paßkontrolle auf dem Flughafen von Honolulu bei der Rückkehr aus Australien, während vor den großen Fenstern der Ankunftshalle die Palmen in der Brise wedelten, die Begrüßung: “ Welcome home, sir. ” 154 Literaturwissenschaft im Niemandsland? Chancen, Credo <?page no="155"?> Anmerkungen 1 Henry P. Pilgert, The Exchange of Persons Program in Western Germany, Office of the U. S. High Commission for Germany, Historical Division, Office of the Executive Secretary, 1951, S. 24, 27. “ In Bremen the procedure involves calling several applicants before the committee at one time, asking questions, and observing the participation in the discussion of these questions by the several applicants. Rating is based upon performance and characteristics displayed during this discussion ” (S. 26). Weiteres zur Auswahl der Studenten: Henry J. Kellermann, Cultural Relations as an Instrument of U. S. Foreign Policy: The Educational Exchange Program between the United States and Germany, 1945 - 1954, Washington, D. C.: Bureau of Educational and Cultural Affairs, U. S. Department of State, 1978, bes. S. 114 - 118, 144 - 147. 2 Karin Nerger-Focke, Die deutsche Amerikaauswanderung nach 1945: Rahmenbedingungen und Verlaufsformen (American-German Studies, XIV), Stuttgart: Hans-Dieter Heinz, 1995, S. 287, 290. 3 Robert Breen, “ Das deutsch-amerikanische Austauschprogramm im Rahmen der Umorientierung Westdeutschlands ” , Diss. (Masch.) Heidelberg 1956, Bl. 67 - 68 (auf Grund einer HICOG-Veröffentlichung von 1952); Kaspar Maase, Bravo Amerika: Erkundungen zur Jugendkultur der Bundesrepublik in den fünfziger Jahren, Hamburg: Junius, 1992, S. 83; Axel Schildt u. Detlef Siegfried, Deutsche Kulturgeschichte: Die Bundesrepublik - 1945 bis zur Gegenwart, München: Hanser, 2009, S. 146 (Zitat), 188; Schildt, Moderne Zeiten: Freizeit, Massenmedien und “ Zeitgeist ” in der Bundesrepublik der 50er Jahre, Hamburg: Christians, 1995, S. 404 - 408. 4 Breen, Bl. 68 (beide Zitate). Die Quelle für den zweiten Beleg ist “ Literature and the Arts ” von Melvin J. Lasky in America and the Mind of Europe, hg. v. Lewis Galantière, London: Hamish Hamilton, 1951, S. 90. Zu dem über die unmittelbare Nachkriegszeit hinaus noch weiterwirkenden deutschen kulturellen Anti-Amerikanismus s. Alexander Stephan in The Americanization of Europe: Culture, Diplomacy, and Anti-Americanism after 1945, hg. v. Stephan, New York, Oxford: Berghahn, 2006, S. 69 - 88; zur Vorgeschichte s. Maase, S. 41 - 61, 190 - 197. 5 Dazu Nerger-Focke (Anm. 2), S. 221, 293. Zum Amerikabild der Jugendlichen s. Maase (Anm. 3), S. 83 - 90; über den “ American Way of Life ” als “ verwirklichte Utopie guten Lebens ” (wesentlich von 1956 an und in bezug auf Konsum und Wohlstand) s. Maase, S. 186 - 190. Zum Boom der Higher Education s. J. Ronald Oakley, God ’ s Country: America in the Fifties, New York: Dembner, 1990, S. 287. 6 Breen (Anm. 3), Bl. 50, Pilgert (Anm. 1), S. 27. Für die britische Zone waren zwanzig, für die französische zehn Prozent der Stipendien vorgesehen. Seit 1948: Pilgert, S. 8, 31; HICOG: Pilgert, S. 10 - 14. 1953 wurde der Austausch durch das Fulbright-Programm abgelöst. <?page no="156"?> 7 Nerger-Focke (Anm. 2), S. 117, 181 - 183, 219. 8 Dazu Breen (Anm. 3), Bl. 41, 42, 45, 79, 109 (doch vgl. Pilgert, S. 14). Education for One World (Annual Census of Foreign Students in Institutions of Higher Education in the United States 1952 - 1953), veröff. v. Institute of International Education, o. J., S. 15: der Austausch geschehe, damit “ propaganda-inspired misconceptions about America can be refuted ” . Siehe auch Kellermann (Anm. 1), Kap. 3: “ Transition from OMGUS to HICOG: Reeducation to Reorientation. ” Zur Anzahl der 1952 “ Ausgetauschten “ (s. o. S. 25) s. Kellermann, S. 115, 264. 9 Dazu Breen (Anm. 3), Bl. 114, 117; John W. Gardner, “ The Foreign Student in America ” , Foreign Affairs, XXX (1952), 646: “ We have been consistently hesitant about ‘ indoctrination ’ or ‘ propaganda ’ aimed at the foreign student. We do not want to ‘ sell him ’ anything; and this stems partly from our proud confidence that, if he has eyes in his head, he will soon learn more favorable things about the United States than we could possible tell him. ” 10 Breen, Bl. 114; Pilgert (Anm. 1), S. 57; zu den Zahlen: Pilgert, The West German Educational System, with Special Reference to the Policies and Programs of the Office of the U. S. High Commissioner for Germany, Office of the U. S. High Commissioner for Germany, Historical Division, Office of the Executive Secretary, 1953, S. 86, 106; Abiturienten machten um 1950 ca. 4 Prozent eines Jahrgangs aus (Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, V, München: Beck, 2008, S. 373; Axel Schildt, Ankunft im Westen, Frankfurt: Fischer, 1999, S. 213, Anm. 3). Siehe auch Schildt u. Siegfried (Anm. 3), S. 116 u. 585, Anm. 67. Daß fast die Hälfte der Abiturienten ein Hochschulstudium aufnehmen, ist bekanntlich erst eine sehr rezente Entwicklung. 11 Pilgert (Anm. 1) betont in seinem offiziösen Bericht, befragte Austauschstudenten seien generell von der Gastfreundschaft, Informalität und “ vitality ” der Amerikaner beeindruckt gewesen, von dem “ freer and more humane way in which Americans live with one another ” , “ the free and equal man-toman relationship in the U. S. ” (S. 71, 72). “ Geistiger Handelsverkehr ” im nächsten Satz: Goethe, Weimarer Ausgabe, 1. Abt., XLII/ 1, S. 186 - 187. 12 Ein Exemplar des Formulars findet sich im Anhang zu Pilgert (Anm. 1). 13 Kaspar Maase, “ Forget America! ” , Merkur, LVIII: 7 (Juli 2004), 635. 14 http: / / thepersonalnavigator.blogspot.com/ 2011/ 09/ trip-to-Cambridge-andremarkable-Karl.html. 15 Meet the USA: Handbook for Foreign Students in the United States, dt. als Ein Student erlebt die USA: Ein Handbuch für ausländische Studenten in den Vereinigten Staaten, übers. v. Helmut Rienäcker, Wiesbaden: Metopen, 1945, S. 135. 16 Lawrence E. Speck, “ Campus Architecture: The Heroic Decades ” , The Texas Book: Profiles, History, and Reminiscences of the University, hg. v. Richard A. Holland, Austin: Univ. of Texas Press, 2006, S. 125 - 138. 17 Vgl. Margaret Catherine Berry, UT Austin: Traditions and Nostalgia, Austin: Shoal Creek Publishers, 1975, S. 116 - 117. 156 Anmerkungen <?page no="157"?> 18 Michael L. Gillette, “ Blacks Challenge the White University ” , The Texas Book, S. 139 - 152, bes. S. 149. Die juristische Graduate School in Austin ließ Afro-Amerikaner seit 1950 - 51 zu, ebenso die medizinische Fakultät in Galveston; s. Randolph B. Campbell, Gone to Texas: A History of the Lone Star State, New York: Oxford Univ. Press, 2003, S. 424. 19 Education for One World (Anm. 8), S. 36. 20 Vgl. den Erinnerungsbericht über den stets hilfsbereiten Harry Ransom in Texas, Our Texas: Remembrances of the University, hg. v. Bryan A. Garner, Austin: Eakin Press, 1984, S. 98 - 100. Als Ransom ein paar Jahre später Präsident der Universität war und ich, inzwischen an der University of California angestellt, einen Ruf auf eine Assistenzprofessur an der UT erhalten hatte, empfing er mich zu einer Besprechung, in der ich ihm noch einmal danken konnte für seine Initiative, die sich als die entscheidende Weichenstellung für mein Berufsleben erweisen sollte. 21 “ The Careful Young Men ” , The Nation, 9. März 1957, S. 199 - 214; David Riesman, “ The Found Generation ” , American Scholar, XXV (1956), 421 - 436; Oakley (Anm. 5), S. 285 - 290; Schelsky, Die skeptische Generation: Eine Soziologie der deutschen Jugend, Düsseldorf: Diederichs, 1957; Wehler (Anm. 10), S. 187 - 188. 22 Berry (Anm. 17), S. 106. 23 Vgl. Rudolph Leopold Biesele, The History of the German Settlements in Texas 1831 - 1861, Austin: Von Boeckmann-Jones, 1930, Kap 6. 24 Gerd Steffens, “ Collegium Academicum 1945 - 1978: Zur Lebensgeschichte eines ungeliebten Kindes der Alma mater Heidelbergensis ” , Auch eine Geschichte der Universität Heidelberg, hg. v. Karin Buselmeier u. a., Mannheim: Quadrat, 1985, S. 381 - 410. 25 Zur Heidelberger Germanistik im Dritten Reich s. Karin Buselmeier, “ Von deutscher Art: Heidelberger Germanistik bis 1945 ” , Auch eine Geschichte (Anm. 24), S. 64 - 74. Zu Böckmann: Hans-Jürgen Schings, “ Zum hundertsten Geburtstag von Paul Böckmann (4. 11. 1899 - 24. 4. 1987) ” , Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft, XLIV (2000), 267 - 276 (bei aller Hochachtung auch Kritik am Schreibstil). 26 Meike G. Werner, “ Germanistik in the Shadow of the Holocaust: The Development of the Professoriat 1942 - 1970 ” , German Studies in the United States, hg. v. Peter Uwe Hohendahl, New York: Modern Language Association of America, 2003, S. 414, über dieses Verfahren Kaysers und der amerikanischen Anglistik in dieser Zeit. 27 Eva Willms, “ Die Göttinger Germanistik in der Nachkriegszeit ” , Drei Kapitel aus der Geschichte der Göttinger Germanistik, hg. v. Karl Stackmann u. a., Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1991, S. 76. 28 “ Deutsche Emigration und amerikanische Germanistik ” , Modernisierung oder Überfremdung? Zur Wirkung deutscher Emigranten in der Germanistik der Aufnahmeländer, hg. v. Walter Schmitz, Stuttgart u. Weimar: Metzler, 1994, S. 187. 29 Vgl. Werner (Anm. 26), S. 410 - 413, 416 - 418, mit Quellenangaben. Den Vorwurf gegen die zweite Generation formulierten aufsehenerregend John Anmerkungen 157 <?page no="158"?> Van Cleve und A. Leslie Willson, Remarks on the Needed Reform of German Studies in the United States, Columbia, SC: Camden House, 1993, bes. S. 19, 30, 25. 30 Über die Unbeteiligten s. Werner (Anm. 26), S. 419. 31 Zu dem Aufschwung s. Werner, S. 416, und John A. McCarthy, “ The History of the Organization of German Departments in the United States ” , German Studies in the United States (Anm. 26), S. 44 - 45, zu dem Rückgang, S. 49 - 50. 32 Den Unterschied bezeichnet auch Peter Wapnewski in Mit dem anderen Auge: Erinnerungen 1922 - 1959, Berlin: Berlin Verlag, 2005, über sein Gastsemester in Harvard 1958 - 59: “ Diese Begegnungen mit Gelehrten kannten aber in der Regel nicht die Übung des angestrengten Tiefsinns. Will sagen, die gesellschaftliche und gesellige Kommunikation mied, ja perhorreszierte die grübelnde Innerlichkeit des gedankenbeschwerten Diskurses. Eben jenes, den man in Deutschland ehrt, indem man ihm die beklemmende Prädikatisierung eines ‘ guten Gesprächs ’ verleiht. Die Tiefe offenbart, wie man in der Tradition der angelsächsischen Konversation weiß, nur allzu leicht Flachheit und Peinlichkeit; ihre Schätze behalte man für sich und mache deutlich, dass die Oberfläche ihren Glanz der Tiefe verdankt ” (S. 232). 33 Vgl. die Geschichte des Berkeleyer German Department von M. S. Beeler in Verne A. Stadtman, The Centennial Record of the University of California, Berkeley: Univ. of Cal., 1967, S. 87 - 88. 34 Marjorie Garber, Academic Instincts, Princeton: Princeton Univ. Press, 2001, S. 97. Die britische wissenschaftliche Prosa ist von jeher gegen diese Ehrung gefeit. Zum Unterschied zwischen deutsch- und englischsprachigem wissenschaftlichen Stil sprach Henry Hatfield von deutschen “ cloudy generalities ” , die sich für “ depth ” ausgäben, aber von “ truth ” weit entfernt seien ( “ Literaturgeschichte - mit Maßen ” , Warum und zu welchem Ende wurde ich Literarhistoriker? , hg. v. Siegfried Unseld, Frankfurt: Suhrkamp, 1972, S. 107). Vgl. o. S. 104; TLS, 17. Nov. 2017, S. 7, u. 8. Dez. 2017, S. 40. 35 David Halberstam, The Fifties, New York: Villard, 1993, S. 589; Geert Mak, In America, London: Harvill Secker, 2014, S. 201, 331 - 332. 36 Henry J. Schmidt, “ Wissenschaft als Ware und als Selbstbehauptung: Die institutionellen Grundlagen der amerikanischen Germanistik ” , Germanistik in den USA: Neue Entwicklungen und Methoden, hg. v. Frank Trommler, Opladen: Westdeutscher Verlag, 1989, S. 66 - 83; Lynne Tatlock, “ The Well- Lived Life of the German Professor in American Academe, 1938 - 1999 ” , German Studies (Anm. 26), S. 81 - 82; McCarthy (Anm. 31), 48 - 50; Peter Uwe Hohendahl, Übergänge: Autobiographische Notate (Bielefeld: Aisthesis, 2008), S. 101: “ Eine Form der Geselligkeit, die inzwischen fast verschwunden ist ” ; S. 119: “ persönlicher Verkehr ” schwieriger infolge der Loyalität gegenüber einander bekämpfenden wissenschaftlichen “ Lagern ” . In Harvard spielte in Lauf der Zeit eine Rolle, daß die Immobilienpreise (und der Reiz der ländlichen Umgebung) dazu führten, daß die Lehrkräfte öfter als früher weit draußen und damit weit verstreut wohnten. 158 Anmerkungen <?page no="159"?> 37 Henry Rosovsky, The University: An Owner ’ s Manual, New York: Norton, 1990, S. 298 - 294 ( “ error ” , “ indulgence ” ). 38 Remarks (Anm. 29), S. 25. S. auch o. S. 85 - 86. 39 Theodore Ziolkowski, “ Das Neueste aus USA: Die Literatur als Feind ” , Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft, XXXIX (1995), 454 - 459. Vgl. Gerhard Kaiser, Rede, daß ich dich sehe: Ein Germanist als Zeitzeuge, Stuttgart: Deutsche Verlagsanstalt, 2000, S. 203. 40 Adorno, Gesammelte Schriften, VII (Ästhetische Theorie), Frankfurt: Suhrkamp, 1970, S. 199 - 200; Martha C. Nussbaum, Love ’ s Knowledge: Essays on Philosophy and Literature, New York u. Oxford: Oxford Univ. Press, 1990, bes. das Kapitel “ Form and Content, Philosophy and Literature ” und S. 5, 47, 170 - 171. Vgl. Albrecht Schöne, Vom Betreten des Rasens: Siebzehn Reden über Literatur, München: Beck, 2005, S. 16 über die in der Literatur “ eingespeicherte [. . .] Fülle an historischer Erfahrung und Einsicht in die Möglichkeiten des Menschen ” , die “ eingehen kann in ihr [der Leser] Leben ” . Siehe auch Kaiser (Anm. 39), 250, 269, und den “ Epilog ” und S. 30 - 34 in meinem Buch Lebenszeit ohne Ende: Kulturgeschichte eines Gedankenexperiments in der Literatur, Würzburg: Königshausen u. Neumann, 2015. Über Hermeneutik als Erfahrungsbereicherung statt kategorischer Verdächtigung des Textes im Hinblick auf untergründige unakzeptable Ideologie s. auch Rita Felski, The Limits of Critique, Chicago: Univ. of Chicago Press, 2015. 41 Grounds for Comparison, Cambridge: Harvard Univ. Press, 1972, S. 91 - 109: “ Thematics and Criticism ” . Dort auch Abgrenzung gegen verwandte Ansätze wie die “ Stoffgeschichte ” . Aus der früheren “ Thematologie ” war für mich anregend besonders Walter Rehms Experimentum medietatis (1947). 42 Vgl. Egon Schwarz, Keine Zeit für Eichendorff, Königstein: Athenäum, 1979, S. 72: in den USA werde “ der Neuankömmling sofort in einen regen Verkehr mit den Amerikanern gezogen [. . .], wo er sich in kurzer Zeit als mehr oder weniger akzeptierter Bürger fühlen kann ” . Natürlich gab und gibt es auch Schattenseiten wie Armut und die Diskriminierung von Nicht-Weißen. Sie wurden im Vorausgehenden hier und da gestreift; die persönliche Berührung damit blieb jedoch, durch die Lebensverhältnisse bedingt, flüchtig und sporadisch. 43 Von Dankbarkeit überwältigt bleibe ich bis ans Lebensende von dem von William Collins Donahue und Scott Denham herausgebenen stattlichen Band History and Literature: Studies in Honor of Karl S. Guthke, Tübingen: Stauffenburg, 2000. Anmerkungen 159 <?page no="161"?> Abbildungsnachweise Frontispiz: Aus dem Besitz des Verfassers (1982). Abb. 1: Postkarte, Verlag Ferdinand Lagerbauer, Hamburg (lt. Handelsregister Google zufolge 2008 “ erloschen ” ). Abb. 2: Aus dem Besitz von Samuel Coulbourn, Rockport, MA. Used with permission. Abb. 3: The 1953 Cactus, The University of Texas, Austin: Student Publications, Inc.Used with permission of Gerald Johnson, Director of Student Media. Abb. 4, 5, 6: Aus dem Besitz des Verfassers. Abb. 7: Sidney Sussex College, Cambridge. Used with permission. Abb. 8: Office of Business Contracts and Brand Protection, University of California, Berkeley. Used with permission. Abb. 9, 10, 11: Aus dem Besitz des Verfassers. Abb. 12: Lowell House, Harvard University. Used with permission. <?page no="163"?> Namensverzeichnis Adams, John 142 Addison, Joseph 52 Adenauer, Konrad 14 Adorno, Theodor W. 123, 149, 159 Altmann, Alexander 113 Angress, Werner 110 Anouilh, Jean 34 Atwood, E. Bagby 51 f., 54 Augustin, St. 101 Aulbert, Friedrich 22 Barnes, Julian 119 Bauer, Walter 131 Bean, Roy 66 Beekman, Johannes 35 Beeler, M. S. 158 Benn, Gottfried 35 Béquer, Gustavo Adolfo 114 Bergengruen, Werner 35 Berkeley, George 106 Berlin, Isaiah 135 Berry, Margaret Catherine 156 f. Beumelburg, Werner 34 Bhabha, Homi 135 Biesele, Rudolph Leopold 157 Bindschedler, Maria 111 Blake, William 153 Böckmann, Paul 48, 70, 81, 157 Boeschenstein, Hermann 131 Bonwit, Marianne 111 Borcherdt, H. H. 111 Borchert, Wolfgang 35 Boyle, Nicholas (Nick) 103 f. Boyle, Rosemary 104 Brandt, Karl 110 Brecht, Bertolt 35 Breen, Robert 155 f. Brewer, Edward V. 114 f. Brewer, Susan 115 Briceño, Olga 17 Brinkmann, Richard 135 Bromfield, Lewis 35 Brooke, Rupert 32 Bruneau, Jean 135 Büchner, Georg 141 Buck, Pearl S. 35 Burgard, Peter 133 Burns, Robert 51 Buselmeier, Karin 157 Butler, Elsie Marian 73, 112 Byron, George Gordon, Lord 51, 73, 101 Cabell, James Branch 74 Caesar, Julius 21 Camões, Luis de 73 Campbell, Randolph B. 157 Camus, Albert 34 Carlyle, Thomas 12 Carnegie, Dale 36 Chamberlain, Neville 19, 33 Chamisso, Adelbert von 107 Charles I., König v. England 132 Charles II, König v. England 132 Chaucer, Geoffrey 51 f., 64, 114 Christie, Agatha 125 Churchill, Winston 20, 31 Cicero, Marcus Tullius 21 Clark, David Lee 51 Clark, Lucy 79, 105 <?page no="164"?> Clark, Robert T., Jr. 49, 56, 79, 81 f., 105, 115 Cocteau, Jean 34 Cohen, I. B. 135 Coleridge, Samuel Taylor 51, 101 Commager, Henry Steele 73 Conrad, Joseph 35, 149 Crick, Francis 101 Crockett, Davy 34, 43 Cromwell, Oliver 97 f., 132 Crow, M. M. 52 Dahn, Felix 34 Darwin, Charles 101 de la Roche, Maz 132 Dean, James 127 Defoe, Daniel 51 Denham, Scott 159 Derrida, Jacques 135 Dewey, John 75 Dickens, Charles 35, 136 Donahue, William Collins 159 Doyle, Arthur Conan 12 Dürrenmatt, Friedrich 132 Eberhard, Wolfram 110 Eco, Umberto 135 Edinburgh, Philip Mountbatten, Duke of 101 Eichmann, Adolf 39 Eichner, Hans 113 Einstein, Albert 109 Eis, Ruth 112 Eisenhower, Dwight D. 58 Eliot, T. S. 112, 136, 151 Elizabeth I., Königin v. England 75, 98 Elizabeth II., Königin v. England 95, 98 Emerson, Ralph Waldo 133, 142 Emmius, Ubbo 21 Emrich, Wilhelm 111 Enzensberger, Hans Magnus 123, 135 Fairley, Barker 131 Farquharson, Ann 131 Farquharson, Robert 131 Felski, Rita 159 Fermi, Enrico 109 Finney, Gail 133 Flasdieck, Hermann 49, 50, 54, 71 Follen, Karl (Charles) 135 Fontane, Theodor 21, 71, 130, 132, 140 f., 153 Forester, C. S. 35 Forster, E. M. 101 Foucault, Michel 123 Francke, Kuno 133 Frei, Norbert 39 Freud, Sigmund 142 Freytag, Gustav 34 Fricker, Robert 50 Friedan, Betty 126 Friedrich der Große 11 Friedrich, Carl Joachim 135 Frisch, Max 132 Frost, Robert 108, 149 Fuentes, Carlos 135 Furst, Lilian 113 Galantière, Lewis 155 Galsworthy, John 35 Garber, Marjorie 158 García Márquez, Gabriel 5 Gardner, John W. 156 Garner, Bryan A. 157 Gauguin, Paul 150 164 Namensverzeichnis <?page no="165"?> George I., König v. England 69 George II., König v. England 72 Gerschenkron, Alexander 135 Gerstäcker, Friedrich 122 Gillette, Michael L. 157 Ginsberg, Allen 127 Giordano, Ralph 39 Gish, Claudia 127 Gish, Theodore (Ted) 127 Goethe, Johann Wolfgang (von) 21, 48, 70, 73, 75, 115, 119, 123, 140 - 142, 153, 156 Goldsmith, Ulrich (Ulo) 113 Goldstein, Bluma 115 Gordimer, Nadine 135 Graham, Billy 108 Grass, Günter 135 Gray, Thomas 50, 101 Greene, Graham 125 Grimm, Hans 34 Gropius, Walter 142 Grünbein, Durs 149 Gutenberg, Johannes 136 Guthrie, John 103 Habe, Hans 14 Habermas, Jürgen 135 Hager, Georg 123 Halberstam, David 158 Haller, Albrecht (von) 86 Handlin, Oscar 135 Harvard, John 101 Hatfield, Henry 158 Hauptmann, Gerhart 76, 86, 105, 111, 123, 131 f. Hawthorne, Nathaniel 30, 133 Heaney, Seamus 135 Hebbel, Friedrich 67, 70 Heidegger, Martin 74 Heine, Heinrich 21, 73 f., 111, 132 Heller, Erich 111 Hemingway, Ernest 33 f. Henel, Heinrich 80 Henry VIII., König v. England 101 Herder, Johann Gottfried 49 Hesse, Hermann 35, 119, 122 Heyse, Hans 75 Higonnet, Patrice 135 Hilton, James 35 Hitler, Adolf 20, 39, 112 Hoare, Leonard 139 Hoffmann, Stanley 135 Hofmannsthal, Hugo von 89, 122 Hohendahl, Peter Uwe 157 f. Hölderlin, Friedrich 48, 70 Holland, Richard A. 156 Hollander, Lee M. 49, 56 Holthusen, Hans Egon 36 Holton, Gerald 135 Homer 21 Houghton, Arthur A. 136 House, Roy Temple 122 Housman, A. E. 101 Humboldt, Wilhelm von 58 Hume, David 52 Huxley, Aldous 108 Ibsen, Henrik 110 Isherwood, Christopher 108 Jackson, A. Y. 132 Jakobson, Roman 135 James I., König v. England 69 Jaszi, Andrew 111 Jeffers, Robinson 106 Jiménez, Juan Ramón 73 Johnson, Samuel 51 Namensverzeichnis 165 <?page no="166"?> Johnson, Uwe 135 Jones, James 34 Jonson, Ben 75 Jünger, Ernst 35 Jungk, Robert 17 Kafka, Franz 35, 115, 119, 122 Kaftan, Wolfgang 22, 32 Kaiser, Gerhard 159 Kasack, Hermann 35 Kayser, Wolfgang 71 - 73, 75 - 77, 79 f., 89, 157 Keller, Gottfried 132 Kellermann, Henry J. 155 f. Kelsen, Hans 110 Kennedy, John F. 108, 127 Kerensky, Aleksandr 110 Kerouac, Jack 127 Keynes, John Maynard 101 Keyserling, Eduard von 122 Kienast, Richard 48, 71 Killy, Walther 19 King, Martin Luther 127 Kipling, Rudyard 30, 74 Kittredge, George Lyman 114, 134 Kleist, Ewald von 75 Kleist, Heinrich von 21, 48, 56, 71 Klopstock, Friedrich Gottlieb 75 Klüger, Ruth 111 Kolbenheyer, Erwin Guido 34 Krüger, Michael 135 Kun, Béla 111 La Harpe, Jacqueline de 110 Lang, Carl 111 Lange, Victor 70, 80, 93 Lasky, Melvin J. 155 Law, Robert Adger 52 Lawrence, D. H. 50 Le Corbusier 134 Leavis, F. R. 101 Lednicki, Waclaw 110 Lehmann, Winfred P. 49 Leichardt, Ludwig 95 Lessing, Ferdinand 110 Lessing, Gotthold Ephraim 75, 86, 89, 111, 122, 123, 141 Levin, Harry T. 115, 135, 151 Lewis, Matthew Gregory 78 Lewy, Edith J. 111 Livius, Titus 21 Locke, John 52 Loewenberg, Jacob 110 London, Jack 106 Löwenthal, Leo 110 Lüdtke, Wilhelm 22 Luther, Martin 123 Maase, Kaspar 155 f. Mailer, Norman 34 Mak, Geert 158 Malkiel, Yakov 110 Malthaner, Johannes 122 Mann, Michael 111 Mann, Otto 70 f. Mann, Thomas 14, 63, 111 f., 122 Marquardt, Hertha 75 Mason, Eudo 111 Maugham, W. Somerset 35 Maurer, Jadwiga 127 Maurer, Oscar 50 Maurer, Warren 127 May, Karl 40 Maybeck, Bernard 108 Maynard, John 130 Mayr, Ernst 135 McCarthy, John A. 158 166 Namensverzeichnis <?page no="167"?> McCarthy, Joseph Raymond 38 Metzenthin-Raunick, Selma 66 Meyer, Herman 135 Meyer, Oscar 110 Michael, Wolfgang F. 49 Midgley, David 103 Miller, Arthur 35, 133 Miller, Henry 107 Milosz, Czeslaw 110, 135 Milton, John 51, 75, 101 Mitchell, Margaret 34 Mitchell, Stephen 133 Mitscherlich, Alexander 39, 93 Mitscherlich, Margarete 39, 93 Montgomery, Bernard Law 23 Morrison, Toni 135 Mossner, Ernest 52 Müller-Seidel, Walter 48, 69, 71, 133 Musil, Robert 35 Nerger-Focke, Karin 155 f. Neumann, Eduard 75 Neumann, Gerhard 135 Neumann, Hans 70, 75 Neumeyer, Alfred (Fred) 110, 112 Newton, Isaac 100 f. Nietzsche, Friedrich 110, 137 Nimitz, Chester W. 65 Nisbet, Angela 104 Nisbet, Hugh Barr (Barry) 103 f. Nixon, Richard 58 Nussbaum, Martha C. 149 f., 159 Oakley, J. Ronald 155, 157 Oheim, Fred 65, 67 Olschki, Leonardo 110 Oppenheimer, J. Robert 38 Orwell, George 35 Paine, Thomas 52 Pamuk, Orhan 135 Parks, Rosa 37 Paulin, Roger 103 Paulsen, Wolfgang 113 Payne, B. Iden 60 Paz, Octavio 135 Peale, Norman Vincent 37 Peck, Louis F. 73 Piano, Renzo 134 Picht, Georg 81 Pilgert, Henry P. 155 f. Pipes, Richard 135 Plessner, Helmuth 75 Poe, Edgar Allan 74 Politzer, Heinz 111 f. Presley, Elvis 127 Price, Lawrence M. 114 f. Quine, Willard Van Orman 135 Raabe, Wilhelm 12 Ransom, Harry H. 44, 54 f., 157 Rattigan, Terence 35 Rehm, Walther 72, 159 Reiss, Hans 111 Remak, Henry H. H. 84 Renoir, Alain 110 Richards, I. A. 135 Rienäcker, Helmut 156 Riesman, David 88, 135, 157 Rilke, Rainer Maria 35, 153 Robinson, Fred N. 134 Robinson, Henry Crabb 75 Robinson, Sugar Ray 25 Roosevelt, Eleanor 108 Roosevelt, Franklin Delano 20 Rosenberg, Ethel 38 Rosenberg, Hans 110 Namensverzeichnis 167 <?page no="168"?> Rosenberg, Julius 38 Rosovsky, Henry 159 Royal, Rose 127 Royal, Lesley 127 Rushdie, Salman 135 Russell, Bertrand 101 Rutherford, Ernest 101 Ryan, Judith 133 Salazar, António de Oliveira 63 Salinger, J. D. 127 Sandburg, Carl 108 Sandmann, Manfred 110 Sartre, Jean-Paul 34 Schelsky, Helmut 58, 157 Schildt, Axel 155 f. Schiller, Friedrich (von) 11 f., 21, 86, 123, 141 Schimmel, Annemarie 135 Schings, Hans-Jürgen 157 Schlink, Bernhard 135 Schmidt, Henry J. 158 Schmitz, Walter 157 Schneider, Heinrich 111 Schnitzler, Arthur 110, 122 Schnitzler, Olga 110 Schöne, Albrecht 159 Schreinert, Kurt 75 Schwarz, Egon 111, 159 Scott, Walter 35, 51 Sealsfield, Charles 66 Sebald, W. E. 95 Sehrt, Ernst Theodor 50, 72 f., 75 - 77, 79 f. Seidlin, Oskar 73, 85 Sert, José Luis 134 Sevcenko, Ihor 135 Shackleton Bailey, D. R. 135 Shakespeare, William 30, 33, 47, 50 - 52, 60, 74 f., 94 Shaw, George Bernard 30, 32, 75 Shelley, Percy Bysshe 51 Shklar, Judith 135 Siegfried, Detlef 155 f. Sievers, Eduard 114 Sinden, Margaret 131 Sokel, Walter 113 Sollors, Werner 135 Solms-Braunfels, Prinz Carl zu 67 Solschenizyn, Aleksandr 135 Soraya 36 Spahr, Blake Lee 115, 125 Spahr, Helen 115 Speck, Lawrence E. 156 Spender, Stephen 108 Spenser, Edmund 51, 101 Stackmann, Karl 157 Stadtman, Verne A. 158 Stalin, Josef 58 Starnes, D. T. 52 Steele, Richard 52 Steffens, Gerd 157 Stein, Jack 133 Steinbeck, John 12, 23, 34, 107 Stephan, Alexander 155 Stern, Peter 111 Sterne, Laurence 101 Stevenson, Robert Louis 31 Stifter, Adalbert 70 Stopp, Frederick 70 Storm, Theodor 122 Struve, Gleb 110 Stutz,Elfriede 70 Swift, Jonathan 52 Synge, J. M. 95 Tacitus, Publius Cornelius 21 Tatlock, Lynne 158 Taylor, Archer 113, 115 168 Namensverzeichnis <?page no="169"?> Teller, Edward 109 Thomson, Tom 132 Thoreau, Henry David 133, 142 Toynbee, Arnold 53 Traven, B. 76, 130 Trommler, Frank 158 Ulvestad, Bjarne 120 Unseld, Siegfried 158 Van Cleve, John 86, 147, 158 Vargas Llosa, Mario 135 Veith, Ilza 110 Vergil 21 Victoria, Königin v. England 50, 75 Viëtor, Karl 69, 85, 133 Wagner, Richard 117, 137 Walcott, Derek 135 Walser, Martin 135 Wapnewski, Peter 70, 93, 158 Washington, George 34 Watson, James 101 Weber, Friedrich Wilhelm 21 Wehler, Hans-Ulrich 39, 156 f. Weigand, Hermann 86 Wein, Hermann 75 Weniger, Erich 75, 79 Werner, Meike G. 157 f. White, Patrick 95 Whitman, Walt 51 Widener, Harry Elkins 136, 151 Wiechert, Ernst 35 Wieland, Christoph Martin 75 Wilder, Thornton 35 Willard, Rudolph 51, 70 Williams, Rowan 100 Williams, Tennessee 35, 37 Willms, Eva 157 Willson, A. Leslie 86, 147, 158 Wilson, F. P. 73 Wilson, Logan 54 Wittgenstein, Ludwig 101 Wolff, Gail 111 Wolff, Hans M. 88, 110, 112 Wolfram von Eschenbach 70 Wordsworth, William 30, 51, 101 Yourcenar, Marguérite 135 Ziegler, Klaus 75 Ziolkowski, Theodore 159 Zuckmayer, Carl 36 Namensverzeichnis 169 <?page no="171"?> Vom selben Verfasser Exploring the Interior: Essays on Literary and Cultural History, 2018. Goethes Reise nach Spanisch-Amerika: Weltbewohnen in Weimar, 2016. Geistiger Handelsverkehr: Streifzüge im Zeitalter der Weltliteratur, 2015. Lebenszeit ohne Ende: Kulturgeschichte eines Gedankenexperiments in der Literatur, 2015. Die Reise ans Ende der Welt: Erkundungen zur Kulturgeschichte der Literatur, 2011. Die Erfindung der Welt: Globalität und Grenzen in der Kulturgeschichte der Literatur, 2005. Epitaph Culture in the West: Variations on a Theme in Cultural History, 2003. Deutsch: Sprechende Steine: eine Kulturgeschichte der Grabschrift, 2006. Lessings Horizonte: Grenzen und Grenzenlosigkeit der Toleranz, 2003. Goethes Weimar und “ die große Öffnung in die weite Welt ” , 2001. Der Blick in die Fremde: Das Ich und das andere in der Literatur, 2000. Ist der Tod eine Frau? Geschlecht und Tod in Kunst und Literatur, 1997; 2. Aufl., 1998. Engl.: The Gender of Death: A Cultural History in Art and Literature, 1999. Schiller ’ s Dramen: Idealismus und Skepsis, 1994; 2. Aufl., 2005. Die Entdeckung des Ich: Studien zur Literatur, 1993. Trails in No-Man ’ s-Land: Essays in Literary and Cultural History, 1993. Letzte Worte: Variationen über ein Thema der Kulturgeschichte des Westens, 1990. Engl.: Last Words: Variations on a Theme in Cultural History, 1992. Jap.: Ojosai no meiserifu, 1995. B. Traven: Biographie eines Rätsels, 1987. Engl.: B. Traven: The Life Behind the Legends, 1991. Span.: B. Traven: Biografía de un misterio, 2001. “ Das Geheimnis um B. Traven endeckt ” - und rätselvoller denn je, 1984. Erkundungen: Essays zur Literatur von Milton bis Traven, 1983. Der Mythos der Neuzeit: Das Thema der Mehrheit der Welten in der Literatur- und Geistesgeschichte von der kopernikanischen Wende bis zur Science Fiction, 1983. Engl.: The Last Frontier, 1990. <?page no="172"?> Das Abenteuer der Literatur: Studien zum literarischen Leben der deutschsprachigen Länder von der Aufklärung bis zum Exil, 1981. Haller im Halblicht: Vier Studien, 1981. Literarisches Leben im achtzehnten Jahrhundert in Deutschland und in der Schweiz, 1975. Gotthold Ephraim Lessing, 1973; 3. Aufl., 1979. Das deutsche bürgerliche Trauerspiel, 1972; 6. Aufl., 2006. Die Mythologie der entgötterten Welt: Ein literarisches Thema von der Aufklärung bis zur Gegenwart, 1971. Wege zur Literatur: Studien zur deutschen Dichtungs- und Geistesgeschichte, 1967. Modern Tragicomedy: An Investigation into the Nature of the Genre, 1966. Deutsch: Die moderne Tragikomödie: Theorie und Gestalt, 1968. Der Stand der Lessing-Forschung, 1965. Haller und die Literatur, 1962. Gerhart Hauptmann: Weltbild im Werk, 1961; 2. Aufl., 1980. Geschichte und Poetik der deutschen Tragikomödie, 1961. Das Leid im Werke Gerhart Hauptmanns (mit Hans M. Wolff), 1958. 172 Vom selben Verfasser <?page no="173"?> Werke von Karl S. Guthke im A. Francke Verlag Geistiger Handelsverkehr Streifzüge im Zeitalter der Weltliteratur Edition Patmos, Band 19 2015, X, 295 Seiten € [D] 39,90 ISBN 978-3-7720-8572-7 Die Reise ans Ende der Welt Erkundungen zur Kulturgeschichte der Literatur Edition Patmos, Band 15 2011, 530 Seiten € [D] 148, - ISBN 978-3-7720-8415-7 Die Erfindung der Welt Globalität und Grenzen in der Kulturgeschichte der Literatur Edition Patmos, Band 11 2005, VI, 589 Seiten € [D] 78, - ISBN 978-3-7720-8142-2 Der Blick in die Fremde Das Ich und das andere in der Literatur Edition Patmos, Band 3 2000, VI, 451 Seiten € [D] 74, - ISBN 978-3-7720-2882-3 Der Mythos der Neuzeit Das Thema der Mehrheit der Welten in der Literatur- und Geistesgeschichte von der kopernikanischen Wende bis zur Science-fiction 1983, 384 Seiten geb. € [D] 39, - ISBN 978-3-7720-1552-6 Das Abenteuer der Literatur Studien zum literarischen Leben der deutschsprachigen Länder von der Aufklärung bis zum Exil 1981, 366 Seiten € [D] 49, - ISBN 978-3-7720-1489-5 Literarisches Leben im 18. Jahrhundert in Deutschland und der Schweiz 1975, 423 Seiten geb. € [D] 58, - ISBN 978-3-7720-1144-3 Wege zur Literatur Studien zur deutschen Dichtungs- und Geistesgeschichte 1967, 280 Seiten geb. € [D] 29, - ISBN 978-3-7720-0378-3