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Theobald Hocks Schönes Blumenfeldt (1601)

Texte und Kontexte

0826
2019
978-3-7720-5678-9
978-3-7720-8678-6
A. Francke Verlag 
Ralf Georg Bogner
Sikander Singh

Das literarische Schaffen des 1573 in Limbach/Saar geborenen und vor 1624 in Böhmen oder im Elsass verstorbenen Dichters Theobald Hock umfasst 92 Gedichte, die 1601 in der Sammlung Schönes Blumenfeldt im Druck erschienen sind. Hocks Werk ist ein singuläres Zeugnis literarischen Gestaltungswillens in deutscher Sprache im Übergang vom Späthumanismus zum Barock, im Spannungsfeld spätmittelalterlichen Meistersangs, neulateinischer Dichtung und italienischer Einflüsse. Der Band bietet neben einem Überblick über die aktuelle Forschung Untersuchungen einzelner Gedichte, thematischer und motivischer Fragen sowie Studien zur Lebensgeschichte des Autors und zur Druckgeschichte seines Werkes.

<?page no="0"?> ISBN 978-3-7720-8678-6 Das literarische Schaffen des 1573 in Limbach/ Saar geborenen und vor 1624 in Böhmen oder im Elsass verstorbenen Dichters Theobald Hock umfasst 92 Gedichte, die 1601 in der Sammlung Schönes Blumenfeldt im Druck erschienen sind. Hocks Werk ist ein singuläres Zeugnis literarischen Gestaltungswillens in deutscher Sprache im Übergang vom Späthumanismus zum Barock, im Spannungsfeld spätmittelalterlichen Meistersangs, neulateinischer Dichtung und italienischer Einflüsse. Der Band bietet neben einem Überblick über die aktuelle Forschung Untersuchungen einzelner Gedichte, thematischer und motivischer Fragen sowie Studien zur Lebensgeschichte des Autors und zur Druckgeschichte seines Werkes. PASSAGEN. LITERATUREN IM EUROPÄISCHEN KONTEXT www.francke.de Theobald Hocks Schönes Blumenfeldt (1601) Bogner • Singh (Hrsg.) 04 RALF GEORG BOGNER SIKANDER SINGH (HRSG.) Theobald Hocks Schönes Blumenfeldt (1601) 04 38678_Umschlag.indd 1,3 24.07.2019 10: 43: 12 <?page no="1"?> Passagen Literaturen im europäischen Kontext Herausgegeben von Sikander Singh und Hermann Gätje am Literaturarchiv Saar-Lor-Lux-Elsass der Universität des Saarlandes Band 4 <?page no="2"?> Ralf Georg Bogner / Sikander Singh (Hrsg.) Theobald Hocks Schönes Blumenfeldt (1601) Texte und Kontexte <?page no="3"?> www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. © 2019 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck ISBN 978-3-7720-8678-6 (Print) ISBN 978-3-7720-5678-9 (ePDF) ISBN 978-3-7720-0098-0 (ePub) <?page no="4"?> Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Anmerkung zur Zitierweise / Siglen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Stand der Forschung Eckehard Czucka Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld. Ein Forschungsbericht 1601 bis 2018 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 0 Rezeptionsgeschichte als Forschungsgeschichte - Ein Sonderfall der Literaturhistorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 0.1 Gegenstand und Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 0.1.1 Das Textkorpus - Schriften von und zu Hock . . . . . . . . . . . . 16 0.1.2 Rezeptions- und Forschungsgeschichte des Blumenfelds - Die Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 0.2 Zu diesem Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 Vorbemerkung 1: Zur Zählung der Capitel im Blumenfeld . . . . . . . . . . . 23 Vorbemerkung 2: Zur Form des Namens Hock . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 I Rezeption im 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 I.1 Erste Wahrnehmung und ihre Verbreitung . . . . . . . . . . . . . . . . 24 I.2 Abhandlungen im 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 I.2.1 Hoffmann von Fallersleben 1845, 1844/ 1866 . . . . . . . . . . . . . . 26 I.2.2 Höpfner 1866 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 I.3 Literaturgeschichten und Anthologien 1847-1900 . . . . . . . . . . 34 I.4 Resümee: Literaturgeschichten und Anthologien des 19. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 II Max Koch, Theobald Hock und die Edition des Schönen Blumenfelds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 II.1 Vorarbeiten Kochs 1893, 1897 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 II.2 Die Edition 1899 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 III Rezeption im 20. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 III.1 Max Kochs Edition - Die Kritik und deren Folgen . . . . . . . . . 60 III.1.1 Die drei ersten Rezensionen aus Böhmen - 1900 . . . . . . . . . 61 III.1.2 Kollegiale Kritik oder Die letzte Schlacht des Positivismus . . . 62 <?page no="5"?> III.2 Forschungsliteratur bis 1930 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 III.2.1 Thematisierungen unter gattungstheoretischen und literaturgeschichtlichen Aspekten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 III.2.2 Hock in der „Barockdiskussion der 20er Jahre“ . . . . . . . . . . 81 III.2.3 Literaturgeschichten und -lexika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 III.3 Forschungsliteratur 1930 bis 1950 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 III.3.1 Monographien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 III.3.2 Thematisierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 III.3.3 Literaturgeschichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 III.4 Forschungsliteratur 1950 bis heute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 III.4.1 Ausgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 III.4.2 Monographisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 III.4.3 Thematisierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 III.4.4 Literaturgeschichten und Handbücher . . . . . . . . . . . . . . . . 178 III.4.5 Kurze Erwähnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 IV Varia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 IV.1 Hock in Anthologien des 20. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . 202 IV.1.1 Übersicht und Eingrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 IV.1.2 Anthologien zwischen 1913 und 1985 . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 IV.1.3 Resümee: Blumenfeld -Texte in Anthologien . . . . . . . . . . . . 211 IV.2 Sprachwissenschaftliche, -geschichtliche Untersuchungen, Wörterbücher, Bibliographien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 IV.3 Literarische Rezeption - Übersetzung und Hommage . . . . . 216 IV.4 Internetseiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 IV.4.1 Webseiten auf Deutsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 IV.4.2 Webseiten auf Tschechisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 V Biographie und Name . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 V.1 Zur Biographie Hocks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 V.2 Zum Namen: Hock, Höck oder Hoeck? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 VI Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 Nachtrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 Biographie und Überlieferung Klaus Wolf Poeta Doctus - Theobald Hocks Prägung durch das gymnasium illustre in Hornbach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 6 Inhalt <?page no="6"?> Anna Kubíková Theobald Hock - Ein Beitrag zu seinem Leben am Hofe Peter Woks von Rosenberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 Václav Bok Nachlese zum Leben und Umkreis von Theobald Hock . . . . . . . . . . . . . . 265 Sikander Singh Buchwissenschaftliche Forschungen zu Theobald Hocks Schönem Blumenfeldt nebst Beschreibung des neu aufgefundenen Prager Exemplars . . . . . . . . . . 285 Analysen und Andeutungen Stephanie Blum Vom Lieben und Versemachen - Poetologische Abgrenzungen bei Theobald Hock . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 Hermann Gätje Theobald Hocks Schönes Blumenfeldt - Eine performative Poetik? . . . . . 325 Ralf Georg Bogner Die Reflexion des Verhältnisses von Mensch und Tier in der Lyrik Theobald Hocks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 Heiko Ullrich Poetologisches Propemptikon und grobianischer Transformationsschwank - Zur gattungspoetologischen Einordnung von Theobald Hocks An die Satiren (Cap. III.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 Marlen Wagner Zum Konnex von Endzeitbewusstsein, Vanitasmotivik und Frömmigkeitspraxis in Theobald Hocks Schönes Blumenfeldt Cap. XXVII. und zu seinen Bezügen zum zeitgenössischen Kirchenlied . . . . . . . . . . . . 423 Frédérique Renno Theobald Hocks Schönes Blumenfeldt im Kontext der zeitgenössischen Liedlyrik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 Achim Aurnhammer und Emma Louise Brucklacher Theobald Höck und Johann Ulrich - eine deutsch-lateinische Dichterfreundschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465 Inhalt 7 <?page no="8"?> Vorwort 9 Vorwort Das literarische Schaffen des 1573 in der Ortschaft Limbach bei Homburg/ Saar geborenen und vor 1624 in Böhmen (? ) oder im Elsass (? ) verstorbenen Dichters Theobald Hock umfasst 92 Gedichte, die im Jahr 1601 in einer Sammlung unter dem Titel Schönes Blumenfeldt, auff jetzigen allgemeinen gantz betrübten Standt, fürnemmlich aber den Hoff-Practicanten und sonsten menigklichen in seinem Beruff und Wesen zu guttem und besten gestellet im Druck erschienen sind. Es ist nicht nur die einzige von Hock veröffentlichte Gedichtsammlung, sondern zugleich ein singuläres Zeugnis literarischen Gestaltungswillens in deutscher Sprache im Übergang vom Späthumanismus zum Barock, im Spannungsfeld des spätmittelalterlichen Meistersangs, der neulateinischen Dichtung und italienischer Einflüsse. Seitdem die Literaturgeschichtsschreibung den Dichter und sein Werk in der Folge eines 1845 erschienenen Aufsatzes von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben wiederentdeckt hat, ist seine wechselvolle Lebensgeschichte zwar in großen Zügen erforscht worden, sein Werk hat jedoch im Hinblick auf Einzelinterpretationen und Analysen nur geringe Beachtung gefunden. Vornehmlich wurden seine Gedichte als Dokument einer literarhistorischen Schwellenzeit gewertet, die den prägenden sprach-, stil- und verskünstlerischen Positionen, die Martin Opitz formulierte, voranging und die deshalb an der weiteren Entwicklung der deutschen Lyrik des 17. Jahrhunderts keinen Anteil hatte. Insbesondere sind autopoetische Aussagen im Schönen Blumenfeldt im Hinblick auf Opitz’ Buch von der Deutschen Poeterey gelesen worden. Ausgehend von einem Forschungsbericht, den Eckehard Czucka erarbeitet hat, bieten die Beiträge des vorliegenden Bandes daher neue Forschungsergebnisse zu biographischen und buchgeschichtlichen Fragestellungen, Analysen einzelner Gedichte sowie motivischer Strukturen des Schönen Blumenfeldts , Untersuchungen zur Poetik Theobald Hocks sowie Studien, die seine Dichtungen in den literarischen Diskursen des 16. und 17. Jahrhunderts verorten. Die hier versammelten Aufsätze basieren auf den Ergebnissen eines Arbeitsgespräches, zu dem der Lehrstuhl für Neuere Deutsche Philologie und Literaturwissenschaft der Fachrichtung Germanistik der Universität des Saarlandes und das Literaturarchiv Saar-Lor-Lux-Elsass im März 2018 nach Saarbrücken eingeladen haben. Die Herausgeber danken dem Ministerium für Bildung und Kultur, das die Ausrichtung des Arbeitsgespräches und die Drucklegung des Tagungsbandes <?page no="9"?> 10 Vorwort durch sein großzügiges Engagement finanziell unterstützt hat, den Referentinnen und Referenten für ihre engagierten Diskussionsbeiträge, Herrn Prof. Dr. Franz-Josef Holznagel (Universität Rostock) für die ausgezeichnete Moderation des Arbeitsgesprächs und - nicht zuletzt - den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Literaturarchivs Saar-Lor-Lux-Elsass für ihre hilfreiche Unterstützung bei der Drucklegung dieses Buches. Saarbrücken, im Frühjahr 2019 Ralf Georg Bogner und Sikander Singh <?page no="10"?> Anmerkung zur Zitierweise / Siglen 11 Anmerkung zur Zitierweise / Siglen Das Schöne Blumenfeldt von Theobald Hock wird mit folgenden Siglen unter nachgestellter Angabe der Seitenzahl zitiert: Blumenfeld (Hanson) Theobald Höck „Schönes Blumenfeld“. Kritische Textausgabe. Hrsg. von Klaus Hanson. Bonn 1975 [Abhandlungen zur Kunst-, Musik- und Literaturwissenschaft. Bd. 194]. Blumenfeld (Koch) Theobald Hock: Schoenes Blumenfeld. Abdruck der Ausgabe von 1601. Hrsg. von Max Koch. Halle an der Saale 1899 [Neudrucke deutscher Litteraturwerke des XVI. und XVII. Jahrhunderts. Nr. 157-159]. <?page no="12"?> Stand der Forschung 13 Stand der Forschung <?page no="14"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld Ein Forschungsbericht 1601 bis 2018 1 Eckehard Czucka Durch viele Citate vermehrt man seinen Anspruch auf Gelehrsamkeit, vermindert aber den auf Originalität. Arthur Schopenhauer, HNH 4, I, S. 131 Hock, Höck, Hoeck? - ? ? - Ach ja, alles klar: Capitel 19, also irgendetwas mit Sprache. Eintrag für ein zu erstellendes Wörterbuch germanistischer Gemeinplätze 0 Rezeptionsgeschichte als Forschungsgeschichte - Ein Sonderfall der Literaturhistorie 0.1 Gegenstand und Problemstellung Theobald Hock verdient das Interesse der Literaturwissenschaft als Autor des Gedichtbandes Schönes Blumenfeld von 1601. Sein Lebenslauf ist nur teilweise bekannt: geboren wurde er 1573 in Limbach bei Homburg (Saar), von 1586 bis 1589 besuchte er die Schola illustris in Hornbach. Die Zeit nach Verlassen der Schule bis 1598 liegt im Dunkeln, dagegen ist sein Leben in der Zeit zwischen 1598 und 1621/ 22 gut dokumentiert (siehe Kap. V). 1621/ 22 ist seine Teilnahme an kriegerischen Aktionen des Dreißigjährigen Krieges nachweisbar, 1624 wird seine Gattin in einem Dokument als Witwe bezeichnet (vgl. Anm. 849). 1 Für die Unterstützung bei der Beschaffung der Literatur danke ich der Universitätsbibliothek Osnabrück. Als besonderes Privileg betrachte ich es, dass ich bei meinen Recherchen Bücher aus der Bibliothek Alewyn benutzen konnte, die seit 1980 in Osnabrück steht; sie gewährten einen beeindruckenden Einblick in seine akribische Lektüre. Sein Verständnis von Hock konnte dennoch nur rekonstruiert werden (Anm. 451; 634). - Ferner danke ich Frau Christine Reiter, Universitätsbibliothek Augsburg (subito-Team), für die Unterstützung beim Nachweis eines abgelegenen Textes sowie Frau Petra Dolle (Staats- und Universitätsbibliothek Dresden) und Herrn Marco Becker (Bayerische Staatsbibliothek München) für die Mithilfe bei der Autopsierung dieses Belegs. <?page no="15"?> 16 Eckehard Czucka 0.1.1 Das Textkorpus - Schriften von und zu Hock Hocks bekanntes schriftstellerisches Wirken zwischen 1601 und 1619 umfasst insgesamt sechs Texte: Theobald Höck: Schoenes Blumenfeldt / Auff jetzigen All=gemeinen gantz betrübten Standt / fürnemlich aber den Hoff=Practicanten vnd sonsten menigklichen in sei=nem Beruff und Wesen zu guttem und besten gestellet: Durch Othebladen Öckhen von Ichamp Eltzapffern Berme=orgisschen Secretarien. Im Jahr / M.D.CI. Theobald Höck: Commonitorium 2 : Sive amica ad amicum Ad Monitio; de Roberti Bellarmini Scriptis atque libris / . Sonst. Personen: Wok, Petrus [Widmungsempfänger] Winckler a Winckelstein, Matthias [Beiträger]; Singer, Matthias [Beiträger] Bellarmino, Roberto, 1542-1621; Prem, Richard von Latein Lugduni Batavorum apud Christophorum Pacificum. M DC VI. Lugduni Batavorum: Pacificus, 1606. Erscheinungsvermerk fingiert, vermutl. in Köln erschienen. 3 2 Schon im von Hock gesetzten Titel Commonitorium liegt offenbar eine komplexe Anspielung: zunächst ist er allgemein eine Gattungsbezeichnung für theologische Auseinandersetzungen mit häretischen Lehren. Zur Erscheinungszeit des Hock-Textes kann eine Allusion auf das Commonitorium des Vincentius von Lerinum (Vinzenz von Lérins), eines Kirchenvaters aus dem 5. Jahrhundert, angenommen werden, da dessen Schrift während der Religionsdispute des 16. Jahrhunderts entdeckt worden war (Erstausgabe 1527). Als unmittelbare Anknüpfung für Hock darf jedoch die Zitierung dieses Textes der Alten Kirche bei Bellarmin in Erwägung gezogen werden. Dieser hatte - wie auch andere Kontroverstheologen der Zeit - in seinen Disputationes de controversiis christianae fidei adversus nostri temporis haereticos (erste Auflage in drei Bänden Ingolstadt: David Sartorius 1586, 1588, 1593) das Vinzentinische Commonitorium erwähnt. Vgl. dazu die Edition von Michael Fiedrowicz (Hrsg.): Vinzenz von Lérins, Commonitorium. Mit einer Studie zu Werk und Rezeption. Mülheim an der Mosel 2011. Zu Bellarmin, Robert S. 132, S. 139, S. 140. Ferner die jüngere Darstellung bei Peter Walter: Katholizität: Allgemeinheit, Einheitlichkeit, Fülle? Wandlungen eines Begriffs in der jüngeren Theologiegeschichte. In: Christoph Böttigheimer (Hrsg.): Globalität und Katholizität: Weltkirchlichkeit unter den Bedingungen des 21. Jahrhunderts. Freiburg im Breisgau [u. a.] 2016 [Quaestiones disputatae 276], S. 31-66, hier S. 40f. 3 In einigen Randglossen sind Texte in Deutsch zu finden, so polemische Ausfälle gegen den Papst: S. 92 „Gott mit uns / der Teuffel mit dem Papst.“; S. 123 „Soll ich nicht lachen / wenn ich gedenck / wie daß ein wunderlicher Gott ist / der einen so gottlosen Pfaffen zu Rom / und einem solchen verwegnen Gemsensteiger allhie / die Christenheit zu regiern vertraut […]; Grimms Wörterbuch (Bd. V, Sp. 3288-3289) weist in der Bedeutung „bildlich von übersteigendem denken und streben“ einen Beleg bei Luther nach. Brauer (Anm. 20) nennt mit kritischem Tenor („plumpe deutsche Randglossen“) S. 3 „Kuhebann“ „boum via“ und S. 126: „Und bluttge Platten darvon bringen = sauguinolentas aliquando capitis (ut appehlant) rasuras“. In den Text eingefügt findet sich S. 125: „Lieber last [sic! ] uns das Münchle mausen / wann es reiffer wird“ als Zitat einer Drohung gegen Luther. - Gleichwohl ist die fundierte Ernsthaftigkeit der Hockschen Darlegung unzweifelhaft. Sie zeigt sich deutlich - wenngleich nicht nur dort - im Vergleich mit verbreiteten Pasquillen und Schmähschriften gegen Bellarmin, wie sie beispielsweise exemplarisch beschrieben sind bei Karl Lorenz: Die kirchlich-politische Parteibildung in Deutschland von Beginn des <?page no="16"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 17 Theobald Höck: Alte Kunst getzogen auß dem Buch, Der Landreichen Acker Bawung an manu Then. Höck. Nach 1607, vor 1611. Theobald Höck: Büchlein von mancherley Kunst, ganz breviert, vnd mit der erfahrung probiret, manu Theobaldi Häckh scriptus. Nach 1607, vor 1611. Theobald Höck: Mancherley Kunststück und Experiment. Das erst, das einer nitt müd württ manu Theobaldi Häckh Secretarii. Nach 1607, vor 1611. Theobald Höck: Copey eines Schreibens an Ihr Gn. Defensorn und Herrn Directorn der löbl. evang. drey Ständ der Cron Böheimb in Prag den 23. Jun. 1618 abgangen. 1619. Von den drei Manuskripten Hocks ( Alte Kunst getzogen , Büchlein von mancherley Kunst , Mancherley Kunststück und Experiment ) sind nur die Titel bekannt. 4 - Auch Briefe Hocks sind erhalten: Im Herzoglich-Anhaltischen Staatsarchiv, Abt. Bernburg (heute Magdeburg SA) haben etwa dreihundert seiner Briefe aus den Jahren 1606-1619 den Zweiten Weltkrieg überstanden. 5 Ferner berichtet Kühlmann: Bei einer Durchsicht der Akten fand sich auch ein eigenhändiges Schreiben Hocks aus dem Hauptquartier Mansfelds datiert am 26. Juni 1622 und signiert mit vollem Namen („Theobald Hock von Zweybruck“). Der dreiseitige Brief (Stadtarchiv Hagenau, Sign. EE 79, Nr. 24) behandelt die Verhandlungen und Mansfelds Forderung nach einer Kriegskontribution von 20000 Dukaten. 6 Weitere Briefe, v. a. die politischen Korrespondenzen, sind bei Kraus näher erläutert. 7 Vor kurzem ließ sich das Gedicht zur Hochzeit Hocks mit Agneta Kalckreuth von 1611 nachweisen: Ioan. Ulricus: Odae In Nuptias Nobilis Et Praeclariss.mi V. Dn. Thobaldi [sic-! ] Hock a Zweybruck Domini Sonbergii, Consiliarii Rosenbergici. Quas Celebrabit Idem Cum Nobilissima Virgine Agnete A Kalckreut Ad D. XXVII. Sept. Anni. MDCXI , Ambergae, 1611. Im Erscheinungsjahr des Blumenfelds 1601 erschien auch eine Schrift des Hock-Bruders Anastasius: dreißigjährigen Krieges im Spiegel der konfessionellen Polemik. München 1903. S. 43f., S. 45. 4 So Klaus Hanson: [Erläuterungen zur kritischen Ausgabe]. In: Schönes Blumenfeld: Kritische Textausgabe. Bonn 1975 [Abhandlungen zur Kunst-, Musik- und Literaturwissenschaft 194], S. 1-168, hier S. 131f. unter Berufung auf Brežans Bücherkatalog der Rosenbergischen Bücherei. 5 Dünnhaupt: Theobald Höck (Anm. 739), S. 2112. 6 Kühlmann: Vom Weiterleben (Anm. 721), S. 189. 7 Kraus: Höck (Anm. 194), S. 19, S. 66. <?page no="17"?> 18 Eckehard Czucka Anastasius Hock: Oratiuncula Græce Conscripta ab Anastasio Hockio Bipontino, Qua Clarissimis, Maximeqve Reverendis Viris S. S. Theologiæ Et Philosophiæ Doctoribus, Dominis Præceptoribus Pro Liberali frugiferaq[ue] institutione in inclyta Sapientiæ domo sibi præstita gratias agit [.] . Heidelbergae: Apud Iohannem Lancellotum, 1601. Gegenstand der Betrachtung im Folgenden ist das Blumenfeld . 0.1.2 Rezeptions- und Forschungsgeschichte des Blumenfelds - Die Ausgangslage Das Schöne Blumenfeld fand im 17. und 18. Jahrhundert keine Beachtung, muss also - trotz gegenteiliger, nicht unbegründeter, aber doch unbelegter Vermutungen (Anm. 577) - für diese Zeit als verschollen gelten; es wurde am Beginn des 19. Jahrhunderts überhaupt erst (wieder)entdeckt. Die Rezeption des Blumenfelds ist im 19. Jahrhundert das Konstrukt einer sich als Universitätsdisziplin konstituierenden Germanistik. Wir haben hier also die sehr seltene, ja vielleicht einmalige Situation, dass die Forschung eines sich in Gegenstandsbestimmung und methodischem Zugriff etablierenden Fachs sich nicht an zeitgenössischen Einschätzungen und Urteilen zustimmend oder kritisch-modifizierend orientieren konnte und musste, sondern anhand der Eindrücke, die sie aus dem Text gewann, ihren Gegenstand re-konstruierte, genaugenommen konstruierte. Die ersten wissenschaftlichen Arbeiten (Docen, Hoffmann von Fallersleben) hatten sich zu stützen auf die wenigen bekannt gewordenen Exemplare des Blumenfelds . Später wurden Kenntnisse einzelner Texte durch Abdrucke ausgewählter Kapitel vermittelt, so dass es bis zum Erscheinen der Kochschen Ausgabe 1899 nur sehr fragmentarische, in vielen Fällen ungenaue Kenntnisse gab 8 . Deshalb nehmen wir das Jahr 1899 als Grenze zwischen dem 19. und dem 20. Jahrhundert und weisen Forschungsarbeiten, die sich auf Blumenfeld (Koch) stützen, dem 20. Jahrhundert zu. Die Aufschlüsse, die aus einer Revision der Forschungsgeschichte zu gewinnen sind, sagen über den Gegenstand Blumenfeld mindestens so viel aus wie über die Geschichte der Germanistik zwischen 1800 und 2000. Bis in das späte 20. Jahrhundert hinein wird es also keine von der germanistischen Forschung unabhängige Rezeption geben, was es aufgibt, den literarischen Text als Gegenstand der Literaturwissenschaft neu zu bedenken. In der mehr als 200 Jahre langen Forschungsgeschichte zu Theobald Hock und seinem Schönen Blumenfeld hat es mindestens vier Forschungsberichte ge- 8 Darüber handelt auch Kraus: Höck (Anm. 194), S. 49: Bis zum Erscheinen der Kochschen Ausgabe seien alle Verfasser „gezwungen [gewesen], eines der wenigen erhaltenen Exemplare zu benutzen; und eine Nachprüfung ihrer Ergebnisse war überaus beschwerlich.“ <?page no="18"?> geben. Den ersten liefert Max Koch, einleitend zu seiner Ausgabe Blumenfeld (Koch), S. III-X. Da diese Arbeiten selbst aber in die jeweilige Situation, oftmals in durchaus problematischer Weise, eingebunden sind, wird auf den Versuch, diese Darstellungen fortzuschreiben, verzichtet. Sie werden an gegebener Stelle diskutiert. Den größeren Teil der Ausführungen machen die Beschreibungen der Suche nach Blumenfeld -Ausgaben aus (S. V-X). Von der vorangehenden Forschungsliteratur nennt er nur die Titel, in denen Hock-Texte mitgeteilt wurden, also die Arbeiten von Hoffmann von Fallersleben, Erlach, Höpfner, Lemcke, die Anthologie Deutscher Sprache Ehrenkranz , Scholl, Docen und Wolkan; seine Revision der Textpräsentationen kann als Begründung für einen diplomatischen Abdruck gelesen werden: Dass durch diese bis jetzt mitgeteilten Proben, die übrigens einzig von Höpfner in der ursprünglichen Rechtschreibung und sprachlich unverändert wiedergegeben wurden, ein vollständiger und getreuer Neudruck nicht überflüssig geworden ist, wird hoffentlich dieser Neudruck selbst erweisen. 9 Einen weiteren Forschungsbericht liefert Albert Leitzmann 1927 als knappe Einleitung (ca. 1,5 Seiten) zu einer eigenen Untersuchung. Hier konstatiert Leitzmann, dass das Blumenfeld „seit decennien aus dem blickpunkte der forschung vollständig verschwunden“ sei, „nachdem es eine kurze zeit intensiv beachtet worden war“; damit rekurriert er darauf, dass zwischen 1900 und 1902 in insgesamt zehn Rezensionen und Aufsätzen der Neudruck des Blumenfelds (Koch) kritisch diskutiert worden war, während bis 1925 nur noch fünf Arbeiten zu Hocks Leben und Werk erschienen waren. Er formuliert seinen Eindruck, dass „die merkwürdige lyrische sammlung noch zu manchen erörterungen reichliche gelegenheit gibt“. 10 Sein Forschungsrückblick rekapituliert zustimmend knapp die von Köster 11 und Jellinek 1900 12 und 1901 13 vorgetragene Kritik an der Kochschen Ausgabe des Blumenfelds von 1899 und referiert Ergebnisse von Unter- 9 Max Koch: [Einleitung] I-III. In: Blumenfeld (Koch), S. III-LXII, hier S. IV. 10 Albert Leitzmann: Zu Theobald Höck. In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 51 (1927), S. 195-205, hier S. 195. 11 Albert Köster: [Rezension] „Theobald Hock, Schoenes Blumenfeld. Herausgegeben von Max Koch […]“. In: Anzeiger für deutsches Altertum und deutsche Litteratur 26 (1900), S. 286-319. 12 Max Hermann Jellinek: [Rezension] „Theobald Hock, Schoenes blumenfeld. Abdruck der Ausgabe von 1601. Herausgegeben von Max Koch. […]“. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 32 (1900), S. 392-402. Max Hermann Jellinek: Theobald Hocks Sprache und Heimat. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 33 (1901), S. 84-122. 13 Max Hermann Jellinek: Miscelle. Zu Theobald Hock. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 34 (1902), S. 413-421. Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 19 <?page no="19"?> 20 Eckehard Czucka suchungen zur Herkunft (Becker 14 ) und Mundart Hocks ( Jellinek). Im Übrigen nimmt er die Hinweise Goetzes 15 und Hauffens 16 auf mögliche Beziehungen zu Fischart auf: Ein teil meiner folgenden bemühungen soll dahingehen, das literarisch-stilistische gesicht Höcks noch weiterhin durch beleuchtung einzelner stellen als ein rückwärtsgewantes [sic! ] und seine dichtung eng mit der des 16. jh.’s und besonders Fischarts verwant [sic! ] zu erweisen, also den von Götze einst gewiesenen weg weiter zu verfolgen. […] Ferner soll sich im folgenden zeigen, dass Höck in seiner vorliebe für volkstümliche redensarten und sprichwörter, auf die schon Koch (siehe LII) hingewiesen hat, ohne sie irgend auszuschöpfen, gleichfalls aufs engste mit der literatur des vergangenen 16. jh.’s zusammengeht. 17 Da Leitzmann in keiner Weise versucht, den von ihm aufgezeigten Gang der Forschung in weitere historische und methodengeschichtliche Zusammenhänge einzuordnen, bleiben erhebliche Desiderate. 1936 erscheint die Untersuchung von Arnošt Kraus, 18 die sich nicht nur ausführlich mit Leben und Werk Hocks auseinandersetzt, sondern im letzten Kapitel unter dem Titel „Literatur“ eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Forschung seit Beginn des 19. Jahrhunderts führt und dabei fundiert Kochs Irrtümer und Verallgemeinerungen („der Pauschalangriff Kochs“ 19 auf die tschechische Hock-Forschung) korrigiert. Hier sei ein für allemal auf dieses Werk verwiesen, da sonst in vielen Anmerkungen für die Zeit bis 1925 (Leitzmanns Beitrag ist der jüngste der behandelten Texte) genannt werden müsste. Zustimmende wie kritische Bezugnahmen auf Kraus sind selbstverständlich nachgewiesen. Die Literaturnachweise sind teilweise nicht verlässlich und werden hier stillschweigend korrigiert. 14 Leitzmann bezieht sich dabei auf die Miscelle von Edward Schröder: Lückenbüßer, Theobald Höck. In: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 62 (1925), S. 20. 15 Alfred Goetze: Zu Theobald Höck. In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 27 (1902), S. 154-165. 16 A. Hauffen: Rezension zu Theobald Höck. In: Euphorion 7 (1900), S. 821. 17 Leitzmann: Höck (Anm. 10), S. 196. 18 Arnošt Kraus: Theobald Höck. Praha 1936 [Mémoires de la Société Royale des Lettres et des Sciences de Bohême, Classe des Lettres 3]. Hinweise zur Einschätzung finden sich in der Rezension von Konrad Bittner: Arnost Kraus: Theobald Höck. Vèstnik Královské Ceské spolecnosti nauk 1935 und Sonderabdruck Prag 1935, 69 S. In: Germanoslavica 4 (1936), S. 358-359. 19 Kraus: Höck (Anm. 18), S. 62. <?page no="20"?> Eine umfassende Bibliographie der gedruckten Werke Hocks, seiner Briefe und der von ihm ausgefertigten Akten sowie der über Leben und Werk verfassten Studien gibt Brauer 1938. 20 Eine weitere Arbeit, die als Forschungsbericht gelesen werden könnte, ist die Dissertation von Karl-Henning Senger aus dem Jahr 1939, die von Petsch und dessen damaligem Assistenten Fritz Martini betreut wurde. 21 Unterteilt ist die Arbeit in drei Abschnitte: Biographie, Wesen und Form des Blumenfeldes , Textkritik. In den vorangestellten Leitgedanken zur Arbeit heißt es: Aufgabe dieser Dissertation soll es daher sein, die gegenwärtig vorliegenden Ergebnisse der Höckforschung zu sichten und kritisch zu würdigen, sie selbstverständlich auch durch eigene Arbeit des Verfassers zu erweitern, um so einen festen Boden für zukünftige Forschungsarbeiten zu gewinnen. Sie wird sich also im wesentlichen darstellen als ein Forschungsbericht […] 22 Zweifel, ob dies gelingen kann, werden durch den Schlusssatz der Leitgedanken geweckt, wenn es heißt, das Kapitel 3. Textkritik sei „aufgebaut auf dem Breslauer Geschenkband des ‚Blumenfeldes‘ (Originaldruck aus dem Jahre 1601), den der Verfasser ausgiebig benutzen konnte.“ 23 Die Frage, warum die Ausgabe Kochs 1899 nicht genutzt, ja nicht einmal - wie gleichfalls die Beiträge Jellineks nicht - im Literaturverzeichnis erwähnt wird, wird durch eine kleine, am Schluss der Bibliographie verborgene, durch Striche ober- und unterhalb abgesetzte Notiz beantwortet: Die Neuausgabe des „Schönen Blumenfeldes“ durch den Juden Max Koch (Halle 1899) mußte mit in den Mittelpunkt aller Betrachtungen gestellt werden, da die gesamte Höck-Forschung nach 1900 darauf aufbaut. Es ließ sich weiter nicht umgehen, auch die Forschungen des Juden M. H. Jellinek gelegentlich mit in den Kreis der Erörterungen einzubeziehen, weil sich die übrige Forschung auch mit ihm auseinandersetzt. Alle Mitteilungen Kochs und Jellineks sind jedoch vom Verfasser dieser Arbeit nachgeprüft worden, soweit es die vorliegende Forschung noch nicht getan hatte. Folgende Schriften Jellineks wurden benutzt: ZfdPh. 32 (1900), S. 392ff., ZfdPh. 33 (1901), S. 118ff. ZfdPh. 34 (1902), S. 414ff. ZfdAlt. 69 (1932), S. 210ff. 24 Unter diesen Bedingungen wird selbst die Entscheidung, nach dem Vorbild Kösters „Höck“ statt wie Koch „Hock“ zu sagen, zu einem politischen statement. 20 Walter Brauer: Theobald Hock. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 63 (1938), S. 254- 284. 21 Karl-Henning Senger: Theobald Höck, der Dichter des „Schönen Blumenfeldes“. [Diss. masch. Hamburg 1939]. 22 Ebd., S. 1. 23 Ebd. 24 Ebd., unpag. [S. 106]. Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 21 <?page no="21"?> 22 Eckehard Czucka Der offene Antisemitismus lässt das ganze Unternehmen fragwürdig und mögliche Einsichten obsolet erscheinen. Zugleich steht diese Dissertation am Beginn einer Phase in der Zeit des Dritten Reichs, in der zahlreiche Arbeiten zu Hock entstanden sind. 0.2 Zu diesem Unternehmen Dieser knappe Rückblick auf die vorliegenden Forschungsberichte konturiert schon die Aufgaben einer erneuten Revision der Hock-Forschung. Es soll versucht werden, - die Kenntnisnahme des Blumenfelds in ihrem historischem Ablauf zu registrieren, - Stellungnahmen und Einschätzungen zu protokollieren, - wissenschaftsgeschichtliche Entwicklungen in der Konzentration auf die Wahrnehmung eines Textes zu bedenken und - Forschungsdesiderate zu benennen. Es wird also gehen um die Geschichte einer Rezeption, in der Struktur und die Positionen einer neu entstehenden Universitätsdisziplin deskriptiv-enumerierend registriert, raisonnierend beschrieben und konzeptionskritisch erörtert werden sollen. Dabei werden die bekannten Konfliktfelder, wie die Strich-Cysarz-Debatte der 1920er Jahre um den Barock-Begriff oder die Diskussion um das Konzept einer Frühe-Neuzeit-Forschung, nicht weiter diskutiert. Auch werden methodengeschichtliche Entwicklungen nicht als Orientierungsschema genutzt; denn nicht jeder Forschungsfortschritt wird sich als Erkenntnisfortschritt erweisen. Für die Geschichte des Fachs Germanistik sei auf das Germanistenlexikon 25 und die sich daran anschließende Diskussion verwiesen. Hier wird auf jede Thematisierung politischer Verwicklungen der Beiträger zur Hock-Forschung verzichtet, sofern sie sich nicht aus den Forschungstexten selbst ergibt, wie etwa bei Senger oder dem Prager Jahrbuch 1943. Problematische Lücken werden sich bei den Referaten der tschechischen Beiträge zu Hock ergeben: da sind in erster Linie die Texte zu nennen, die nur auf Tschechisch vorliegen und die darum hier nicht oder nicht angemessen berücksichtigt werden können; daneben sind die deutschsprachigen Beiträge zu Hock, die im Umkreis der tschechischen Germanistik während einer zeitlich weitgefassten Jahrhundertwende (etwa zwischen Wolkan 1894 und Kraus 1936) entstanden sind, sicherlich nicht immer passgenau eingeordnet. Diskussionsbedarf sei hier vorab eingeräumt. Außerhalb der Betrachtung muss auch der nur auf Ungarisch vorliegende Aufsatz Nedeczeys 25 Christoph König (Hrsg.): Internationales Germanistenlexikon 1800-1950. 3 Bde. Berlin und New York 2003. <?page no="22"?> bleiben. Die merkwürdigerweise in der amerikanischen Germanistik unterbliebene Rezeption des Blumenfelds (Hanson) kann hier an gegebenem Ort nur angemerkt werden. Vollständigkeit war nicht intendiert und kann wohl auch nicht erreicht werden. Wo möglicherweise schon Offensichtliches und Naheliegendes übersehen wurde, da scheint eine Entschuldigung dafür, dass Entferntes nicht gefunden wurde, überflüssig. Doch es steht zu vermuten, dass weitere Belege den Gesamteindruck nur um weniges verschieben würden. Das leitende Interesse war, die Beschäftigung mit Hocks Blumenfeld zu dokumentieren und sie raisonnierend zu beschreiben, in der Erwartung, dass sich ein Forschungsstand eruieren läßt. Auch, wenn die historischen, literaturgeschichtlichen wie -wissenschaftlichen Bezüge sicherlich nicht bis in alle Verästelungen hinein dargestellt werden konnten, so ist schon vorab festzuhalten, dass die Erwartung sich nicht erfüllt hat. Angesichts eines Werks ohne (historisch belegten) Autor hat die Germanistik nie die Chance, sondern immer nur den Mangel gesehen. Für die Darstellung ergab sich für das 19. Jahrhundert die Chronologie als Ordnungsprinzip; für das 20. Jahrhundert wurde eine an der Chronologie orientierte Systematik entwickelt, bei der die Unterscheidungen zwischen „Thematisierung“ und „Kurze Erwähnungen“ quantitativ nicht trennscharf sind, sondern eher eine subjektive Einschätzung wiedergeben. Ironie ist nicht beabsichtigt, ergibt sich aber an manchen Stellen unvermeidlich aus der Diskrepanz zwischen dem Aufwand der Beschreibung von Forschungsergebnissen und minimalistischen Forschungsansätzen wie -ergebnissen. Außer Zweifel steht, dass viele Belege nicht über herkömmliche Bibliographierverfahren gefunden worden wären, sondern sich der digitalen Recherche mit Suchmaschinen verdanken. Digitalisate werden nicht mit Netzadresse nachgewiesen, da diese zum Abtippen oft zu lang sind und die Auffindbarkeit über Kataloge (GBV, VD 16, VD 17) oder Internetrecherche gegeben ist. Vorbemerkung 1: Zur Zählung der Capitel im Blumenfeld Theobald Hocks Schönes Blumenfeld von 1601 besteht aus 92 Gedichten, doch trägt das letzte Gedicht aufgrund von Fehlern in der Zählung die Nummer 90. Erst 1899 bemerkt Koch die Fehlzählung, korrigiert sie in seinem sonst diplomatischen Abdruck. Als Problem für die Hock-Forschung erweist es sich, dass die Forschungsliteratur vor 1899 durchgehend die Zählung der Ausgabe 1601 verwendet. Wir werden hier die jeweiligen Angaben zitieren und - nach einer Kontrolle - die Kochsche Nummerierung mit einem „recte“ beifügen. Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 23 <?page no="23"?> 24 Eckehard Czucka Vorbemerkung 2: Zur Form des Namens Hock Über die Form des Namens - Hock, Höck oder Hoeck - gibt es eine lange Auseinandersetzung, die an gegebener Stelle thematisiert wird. Wir benutzen hier durchgehend die Form Hock, wenn auch contre cœur, übernehmen aber in Zitaten die jeweils vorgefundene Form. I Rezeption im 19. Jahrhundert 26 I.1 Erste Wahrnehmung und ihre Verbreitung Docen 1807 Den ersten Hinweis auf das Blumenfeld gibt Bernhard Joseph Docen, der 1807 in seinen Miscellaneen zur Geschichte der teutschen Literatur als Nummern 12 und 13 unbetitelt die Capitel 55 ( Ein jeder ist seins Glücks ein Schmidt ) und 68 ( Traw der Lieb nit zuuil ) abdruckt und als Quelle „aus Othebladen Oeckhen schönem Blumenfeld, Lignitz im Elsas, 1601. 4.“ angibt 27 . Er hat unzweifelhaft das Münchner Exemplar als Vorlage gehabt, dessen Orthographie er vielfach modifiziert (z. B. Tilgung von Doppelkonsonanz [Würfel statt: Wirffel, mit Rundung des Vokals]; oft statt: offt u. v. m. - dt zu d, ck zu k, Aufhebung von Anlautverhärtungen wie p zu b, Tilgung des th). Allerdings ändert er in Capitel 68, Strophe 1, Vers 4 „mühe“ in „Müh“ zur Herstellung der metrischen Korrektheit und bemerkt damit ein wesentliches Problem des Drucks. Bei Capitel 55 fehlt die letzte Strophe. In einer Vorbemerkung zu diesem Teil der Sammlung benennt er deren Intention: Nun (zum Vorgeschmack und zum Beschluss) noch Verschiedenes aus unserem Vorrath altteutscher Lieder, die wir, wie schon gesagt, in der grösseren Sammlung nach dem sechzehnten Iahrhundert datiren werden, obwohl einiges aus früheren Zeiten (die schweizerischen Siegeslieder) oder selbst noch aus Zinckgräf [sic! ] und Spee mit eingeschlossen werden dürfte, was grade in dieser Reihe seinen schicklichen Platz haben wird. 28 26 Eine Übersicht über die im 19. Jahrhundert bekannt gewordenen Blumenfeld -Texte gibt Tab. 1. 27 Bernhard Joseph Docen (Hrsg.): Miscellaneen zur Geschichte der teutschen Literatur. Neu-aufgefundene Denkmäler der Sprache, Poesie und Philosophie unsrer Vorfahren enthaltend. 2 Bde. München 1807, hier Bd. I, S. 282f. 28 Ebd., S. 263. <?page no="24"?> Erlach 1834 Aus den Miscellaneen sind - wie schon Koch anmerkt 29 - diese beiden Gedichte in „Erlachs Volkslieder der Deutschen 30 übergegangen.“ Die Textgestalt folgt - trotz einiger Modernisierungen - Docens Vorlage: durchgängig werden Kontraktionen wie „wems“ und „giebts“ zu „wem ’s“ und „giebt ’s“ apostrophiert, Formen wie „heimb“ und „drumb“ sind zu „heim“, „drum“ modernisiert, Schärfungen von Konsonanten und Rundungen von Vokalen durchgeführt. Die Zeichensetzung ist geringfügig verändert. Wenige Stellen hielt Erlach für erklärungsbedürftig und fügte in Klammern ein anderes Wort ein. Die Quellenangabe folgt Docen, allerdings problematisiert Erlach die Angabe des Druckorts „Liegnitz“ durch zwei Fragezeichen. Die größte Freiheit erlaubt Erlach sich mit der Vergabe von Überschriften, die ja bei Docen fehlen: Capitel 55 ( Ein jeder ist seins Glücks ein Schmidt ) wird übertitelt mit Spruch vom Glück , Capitel 68 ( Traw der Lieb nit zuuil ) mit Vergebene Mühe . Scholl 1844 1844 drucken die Brüder Scholl in ihrer Literaturgeschichte in Biographien und Proben aus allen Jahrhunderten 31 ohne Angabe eines Verfassers und ohne Angabe einer Jahreszahl unter dem Titel Jeder seines Glückes Schmied Hocks Capitel 55 ( Ein jeder ist seins Glücks ein Schmidt ). Dieses Gedicht eröffnet das Kapitel Siebzehntes Jahrhundert ; die Stellung am Beginn des Jahrhundert-Kapitels impliziert m. E., dass den Herausgebern das Erscheinungsjahr 1601 bekannt war. Auch ist der hier gesetzte Titel so nah am Original, dass eine Autopsie des Originals vermutet werden kann. Gleichwohl ist das Fehlen der letzten Strophe (wie bei Docen und Erlach) nicht angegeben, wohl aber weist die Anmerkung auf einen anderen Eingriff hin: „Zwischen der dritten und vierten Strophe haben wir eine, des zweideutigen Inhalts wegen, weggelassen.“ 32 Es geht dabei um die Strophe: Wenn’s Glück das Fähnlein schwingt, Da gibt’s gut Beut’ und Kriegen; Wenn’s Glück dem Buhler singt, 29 Koch: [Einleitung] (Anm. 9), S. IV. 30 Friedrich Karl Freiherr von Erlach (Hrsg.): Die Volkslieder der Deutschen. Eine vollständige Sammlung der vorzüglichen deutschen Volkslieder von der Mitte des fünfzehnten bis in die erste Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts. 5 Bde. Mannheim 1834, hier Bd. III, S. 21-23. 31 Gottlob Heinrich Friedrich Scholl/ Traugott Ferdinand: Deutsche Literaturgeschichte in Biographien und Proben aus allen Jahrhunderten. Zur Selbstbelehrung und zum Gebrauche in höheren Unterrichtsanstalten. Stuttgart 1844, S. 203. 32 Ebd. Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 25 <?page no="25"?> 26 Eckehard Czucka Da ist gut Kinder wiegen, Galanisieren und lieben. Die Zurichtung ad usum delphini erklärt sich daraus, dass das Werk dem Untertitel zufolge nicht nur zur „Selbstbelehrung“, sondern auch „zum Gebrauche in höheren Unterrichtsanstalten“ gedacht und die Brüder - beide Theologen - als Rektor bzw. als Lehrer an der „höheren Töchterschule“ in Ulm tätig waren. Damit entziehen sie dem Text auch das schöne Wort ‚galanisieren‘, das schon Waldbergs 33 Aufmerksamkeit fand und noch im 21. Jahrhundert Hock als Lieferanten eines Belegs bis in ein aktuelles Fremdwörterbuch (Anm. 835) brachte. Erläutert werden insgesamt fünf Ausdrücke. Auffällig didaktisiert wirkt die Zeichensetzung, v. a. die Auszeichnung einer wörtlichen Rede nach dem „Man sagt“ (Strophe 1, Vers 1) bis „Den Bettler wie den Fürsten.“ (Strophe 3, Vers 4) I.2 Abhandlungen im 19. Jahrhundert I.2.1 Hoffmann von Fallersleben 1845, 1844/ 1866 Hoffmann von Fallersleben 1845 Die erste wissenschaftliche Beschäftigung mit Autor und Werk unternahm 1845 Hoffmann von Fallersleben, der seinen Aufsatz ausdrücklich als Beitrag zur Geschichte der deutschen Literatur verstanden wissen wollte. 34 Er beginnt mit einer Epochalisierung, indem er die Zeit vor „dem Eintritt der Opitzischen Schule“ als eine „der merkwürdigsten, zugleich aber auch dunkelsten und unbekanntesten Epochen unserer Literaturgeschichte“ charakterisiert, der es „an großen Namen, an bedeutenden Werken, an poetischen Reichthümern“ fehle. 35 Hier entsteht ein erster Topos, der in der weiteren Rezeption Hocks eine entscheidende Rolle spielen wird, nämlich eine Perspektivierung des Blumenfelds auf die als „Wendepunkt“ verstandene Opitzsche Poetik und ihre Wirksamkeit. Die Kennzeichnung der Epoche als „dunkelste“ scheint zuerst im Kontext von Licht („wissenschaftlicher Untersuchungen“) und „Glanz des Ruhmes“ antonymisch zu sein und die wertneutrale Einschätzung ‚unbekannt‘ zu konturieren, weil es „durch die spätere glänzende Erscheinung der schlesischen Schule in den 33 Max von Waldberg: Die galante Lyrik. Beiträge zu ihrer Geschichte und Charakteristik. Strassburg [u. a.] 1885 [Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker 56]. 34 August Heinrich Hoffmann von Fallersleben: Theobald Höck. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Literatur. In: Literarhistorisches Taschenbuch 3 (1845), S. 399-422. 35 Ebd., S. 401. <?page no="26"?> Schatten gestellt“ wurde. 36 Doch erweist sich dies als ein Werturteil, das sich in Bezeichnungen wie „unscheinbar“ andeutet und später ausgeführt werden wird. Diese schon ganz vom Positivismus bestimmte Auffassung von einer Entwicklung, für die „Geschichtlichkeit“ „ordnungsstiftendes Prinzip“ 37 ist, widmet auch den „vorbereitenden Epochen“ trotz ihrer Unvollkommenheiten „vorzügliche Aufmerksamkeit“. 38 Der Gedanke einer historischen Entwicklung bildet die Klammer; der Schlusssatz betont noch einmal den Wert, „den jede Erweiterung unserer Kenntniß im Einzelnen, und wäre sie noch so klein, für die Gesammtkenntniß und das wahre geistige Verständniß unserer Literatur nothwendig mit sich führt.“ 39 Noch mit (eigentlich schon: vor) der positivistischen Aufmerksamkeit für das Werk entwickelt sich das Interesse an der Person. So stellt Hoffmann von Fallersleben das Capitel 6, dessen Überschrift mit Der Dichter [recte Author] beweint das Leben angegeben wird, an den Anfang. Es ist für ihn - in Verbindung „mit dem oben mitgetheilten Titel des Buches“ - „die einzige Quelle über das Leben unseres Dichters.“ 40 Er zieht aus dem Gedicht als Geburtsdatum den 10. August 1573 sowie die Herkunft aus der Pfalz. Ferner gelingt es ihm, gestützt auf die eigenhändige Widmung Hocks an von Berbisdorff, die in dem von ihm benutzten Exemplar der Magdalenen-Bibliothek in Breslau 41 zu finden ist, das Anagramm aufzulösen und den Namen des Dichters, wenngleich noch nicht den des Geburtsorts (Limbach) zu nennen: Hoffmann von Fallersleben löst „Ichamp“ nach Imbach auf. Aus weiteren Recherchen in Wittingau hat er noch die Nobilitierung Hocks von 1602 und die Erwähnung in Woks von Rosenberg Testament eruieren können. 42 Wichtiger als diese Lebensdaten und die ‚Auskunft‘ über Lebensverhältnisse scheinen aber die Einschätzungen der Person Theobald Hocks zu sein; „von besonderem Interesse“ ist für Hoffmann von Fallersleben „die Charakteristik seines Innern und seiner gemüthlichen, wie geistigen Eigenschaften“. 43 Die findet Hoffmann von Fallersleben in den 36 Ebd., S. 401. 37 Jost Hermand: Synthetisches Interpretieren. Zur Methodik der Literaturwissenschaft. München 1968, S. 18. 38 Hoffmann von Fallersleben: Höck (Anm. 34), S. 401. 39 Ebd., S. 422. 40 Ebd., S. 405. 41 Hier stellt sich die Frage, warum Hoffmann von Fallersleben nicht die beiden sogenannten Meusebachschen Exemplare seines Förderers Karl Hartwig Gregor Freiherr von Meusebach benutzt bzw. aus Gründen der archivalischen Genauigkeit erwähnt hat, die erst 1849 von der preußischen Regierung angekauft und Teil der königlichen Bibliothek zu Berlin wurden. Diese beiden später als Berliner Exemplare bezeichneten Bände wurden im Zweiten Weltkrieg zerstört. 42 Siehe dazu die Erörterungen zu diesem Datum bei Hanson: Erläuterungen (Anm. 4), S. 14-18. 43 Hoffmann von Fallersleben: Höck (Anm. 34), S. 402. Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 27 <?page no="27"?> 28 Eckehard Czucka Gedichten, die sich seinem Eindruck nach „in zwei Kreise zerlegen lassen: in eine Sphäre der subjektiven Leidenschaften, das heißt in diesem Fall ausschließlich der Liebe, und in eine andere des Staats- oder mehr noch des Hoflebens.“ 44 Das Psychogramm ist - angesichts der Faktenlage, nämlich gestützt auf eine nur inhaltlich begründete Auswahl von 18 Texten - irritierend ausführlich; in beiden Themenkreisen zeigt er sich als einen Menschen [sic! ] von reichem und innigem Gemüth, zutraulich, zu Liebe und Wohlwollen gestimmt, leicht erregt und leicht gewonnen, aber eben darum auch leicht getäuscht, woraus denn, wie der Leser bereits an obigem Gedichte gemerkt haben wird, nicht selten ein gewisser sentimentaler Hang, ein gewisses Wohlgefallen am eignen Leid sich entwickelt, dem der Dichter sich sogar mit Leidenschaft und nicht ohne einige Übertreibung ergiebt. Doch ist es ihm bei all seinen Poesieen [sic! ] nur um die eigene künstlerische Befriedigung, nur um den lebendigen Ausdruck des eigenen Innern zu thun, keineswegs um schriftstellerische Bedeutsamkeit und eine Stellung in der Literatur, wofür unter Anderm auch jene seltsamen Entstellungen seines Namens etc. auf dem Titelblatt seiner Sammlung ein Zeugniß abgeben. 45 Übergangslos fährt Hoffmann von Fallersleben fort: Seine Sprache ist mitunter sehr rauh, oft überladen mit Härten, welche der Ausstoß von Vocalen in der Regel bewirkt; sie hat daneben etwas Alterthümliches, was ihr mitunter ein keckes, ritterliches Ansehen giebt. Doch tönen viele mundartliche Wörter und landschaftliche Redensarten dazwischen, die dann nebst den mancherlei persönlichen Beziehungen das Verständniß sehr erschweren. Demungeachtet athmen diese anspruchslosen poetischen Ergüsse eine Frische, Wärme und Wahrheit der Empfindung, dass wir den Mangel äußerer Correctheit, der auch namentlich im Metrischen stark hervortritt, leicht vergessen, und lieber zu ihnen zurückkehren mögen, als zu den schulgerechteren Erzeugnissen der meisten Opitzianer. 46 Diese Einschätzungen zu Person und Werk sind auf den ersten Blick von großer Sympathie für einen historisch vorgestellten Theobald Hock als Menschen in seinem Widerspruch getragen und bewerten ein hinter Mängeln sichtbares Werk durchaus positiv. Doch bleiben die Bewertungen unverbunden zu den faktischen Befunden. Beides wird die Diskussion im 20. Jahrhundert weiter beschäftigen, ebenso wie diese beiden Kategorisierungen - Leben und Werk sowie eine inhaltsorientierte Wahrnehmung der Gedichte -, die die Rezeption Hocks 44 Ebd., S. 405. 45 Ebd., S. 406. 46 Ebd. <?page no="28"?> bis ins 21. Jahrhundert hinein bestimmen und den Blick auf das Blumenfeld als strukturierten Text verstellen. 47 Überaus spekulativ ist die Lesung von Capitel 63 (recte 66 Dasz doch nichts zur Busz helfen will ) als Vorausdeutung auf den Dreißigjährigen Krieg, „die unglückselige Zeit, die damals für Deutschland, ja für ganz Europa anhub.“ 48 Auch damit etabliert Hoffmann von Fallersleben einen Textumgang, der noch im 21. Jahrhundert zu finden ist. Im Nachwort zur Auswahlausgabe des Blumenfelds von 2007 wird das Motto, ein literarischer Text, als Vorausweisung auf das künftige Schicksal gelesen: „Recht bleibt Recht, krumm ist nicht schlecht“ hatte der junge Dichter Theobald Hock seinem Gedichtband „Schönes Blumenfeld“ als scherzhaftes Motto vorangestellt, nicht ahnend, wie sehr der eine wie der andere Teil der Sentenz sich an ihm erfüllen würde. 49 Die den Hauptteil ausmachenden Gedichtpräsentationen bleiben im thematischen Umkreis von Liebe und Hof, die knappen, zumeist nur Überleitungsfunktion erfüllenden Erläuterungen zu den ausgewählten Gedichten kommen über inhaltliche Aspekte nicht hinaus. Wohl wegen der engen Fokussierung lässt Hoffmann von Fallersleben auch die Texte unberücksichtigt, die explizit die deutsche Geschichte sowie Sprache und Literatur behandeln, wie das Capitel 19 ( Von Art der Deutschen Poeterey ) und die auf Aventin bezogenen Capitel 85 bis 92. Insgesamt druckt Hoffmann von Fallersleben 18 Gedichte aus dem Blumenfeld , einige nur auszugsweise, darunter die beiden von Docen mitgeteilten. Einigermaßen verwunderlich ist, dass er für das Blumenfeld als Umfang nur 80 Gedichte annimmt. Vermutlich hat er die Angabe LXXXX (statt: XC) als LXXX gelesen. Auch sind ihm die Verzählungen, die Koch dann korrigiert, entgangen. Für Hocks Capitel 55 ( Ein jeder ist seins Glücks ein Schmidt ), das Hoffmann von Fallersleben als Ein Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied (Capitel LIV) zitiert und vollständig abdruckt, verweist er in einer Fußnote auf das Zitat bei Docen und fügt den Hinweis bei, „Dies Lied war bereits in die music Sammlungen [sic! ] der älteren Zeit übergegangen.“ 50 Höpfner folgt 1866 fast wörtlich dieser Angabe, 51 ohne aber einen Beleg zu bringen oder die Behauptung zu problematisieren. Wohl kaum kann die Erlachsche Volksliedsammlung von 47 Siehe den Hinweis bei Zeidler: Rezension (Anm. 198), S. 1504. Ferner, deutlich kritischer, Spina: Rezension (Anm. 199), S. 164. 48 Hoffmann von Fallersleben: Höck (Anm. 34), S. 420. 49 Bernd Philippi/ Gerhard Tänzer: Der Lebensweg Theobald Höcks - Zu dieser Edition. In: dies. (Hrsg.): Schönes Blumenfeld: Ausgewählte Gedichte. Saarbrücken 2007, S. 199-212, hier S. 208. 50 Hoffmann von Fallersleben: Höck (Anm. 34), S. 419. 51 Ernst Höpfner: Reformbestrebungen auf dem Gebiete der deutschen Dichtung des XVI. und XVII. Jahrhunderts. Vorausgeschickt ist eine Abhandlung des Oberlehrers Dr. Ernst Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 29 <?page no="29"?> 30 Eckehard Czucka 1834 ff. gemeint sein, die 1845 nicht als eine „der älteren Zeit“ bezeichnet werden kann. 52 Hier ergibt sich ein Desiderat der weiteren Hock-Forschung, denn ein solcher Nachweis würde die bisher vertretenen Annahmen über die Rezeption bzw. Nicht-Rezeption des Blumenfelds seit dem 17. Jahrhundert entscheidend korrigieren können. Hoffmann von Fallersleben beschließt zur Bekräftigung seiner Intention mit einem resümierenden Blick auf seine Auswahl, die „mitgetheilten Proben“, von denen er sagt: „Daß es nicht bloß der Fund an sich ist, was mich erfreut, sondern daß dieser Dichter, gemüthlich, klar, empfindungsreich, voll naiver Lebendigkeit, wie er ist, auch seinen Werth an sich hat“. 53 Hoffmann von Fallersleben 1844, 1866 In der 1844 erschienenen einbändigen Sammlung der Deutschen Gesellschaftslieder des 16. und 17. Jahrhunderts 54 Hoffmanns von Fallersleben finden sich keine Hock-Texte, obwohl er angibt, schon 1827 Recherchen zu Hocks Leben in Wittingau angestellt zu haben. 55 Erst in der 2. Aufl. von 1866 56 , die in zwei Bänden die doppelte Anzahl von Texten versammelt (401 gegen 200 in der 1. Aufl.) finden sich drei Gedichte Hocks, die auch schon in dem Aufsatz gegeben waren. Die Nr. 121, das Capitel 70 (recte 68, Traw der Lieb nit zuuil ), ist betitelt Liebesglut , Capitel 68 (recte 72 Danten kan einer der Maiden im sehen sich nit müssigen-/ es wer auch Epschen vnartig ) erscheint als Nr. 130 mit dem Titel Sanct Velten soll euch trauen! , und das Capitel 54 (recte 55, Ein jeder ist seins Glücks ein Schmidt ) steht als Nr. 338 unter dem Titel Jeder ist seines Glückes Schmied . Kurios ist, dass alle drei Gedichte die anagrammierte Verfasserangabe haben und nur dem an zweiter Stellen stehenden Gedicht (Nr. 130) der entschlüsselte Name samt einer kurzen Vita Hocks und einem Hinweis auf den Aufsatz von 1845 beigegeben ist. Der Beginn der Hock-Rezeption steht bei Hoffmann von Fallersleben ganz im Zeichen des methodischen Positivismus als Konzept der frühen Germanistik. Festzuhalten ist, dass es gerade bei der philologischen Genauigkeit bedauerliche Fehlleistungen gibt, während sich seine Kategorisierungen, also die Leben-Werk-Relation und das Interesse am „Inhalt“, dauerhaft etablieren. Höpfner. In: Königliches Wilhelms-Gymnasium in Berlin: Jahresbericht über das Schuljahr Ostern 6 (1866), S. 3-45, hier S. 37. 52 Erlach: Volkslied (Anm. 30). 53 Hoffmann von Fallersleben: Höck (Anm. 34), S. 421. 54 August Heinrich Hoffmann von Fallersleben: Die deutschen Gesellschaftslieder des 16. und 17. Jahrhunderts. Aus gleichzeitigen Quellen gesammelt. Leipzig 1844. 55 Hoffmann von Fallersleben: Höck (Anm. 34), S. 405. 56 August Heinrich Hoffmann von Fallersleben: Die deutschen Gesellschaftslieder des 16. und 17. Jahrhunderts. Aus gleichzeitigen Quellen gesammelt. 2. Aufl. Leipzig 1860. <?page no="30"?> I.2.2 Höpfner 1866 Die nächste literaturgeschichtliche Arbeit zu Hock erscheint 1866, mehr als 20 Jahre später, an einem eher abgelegenen Ort, im Jahresbericht des Berliner Königlichen Wilhelms-Gymnasiums. 57 Hock wird rein quantitativ eine bedeutende Rolle in den untersuchten Reformbestrebungen zugewiesen; in der weitgefassten Untersuchung sind ihm immerhin sechs Seiten, also fast 15 Prozent des Umfangs, gewidmet. Höpfner spricht, angelehnt an ein Epigramm Jan Gruters 58 über den Zustand der deutschen Dichtung aus dem Jahr 1619, von „langsamen Fortschritten Deutschlands in allen Zweigen des Wissens“, 59 deren Zögerlichkeit im Vergleich mit den Entwicklungen in England und Frankreich augenfällig sei. Im Vergleich zur deutschen Dichtung des 12. und 13. Jahrhunderts werde v. a. ein Sprachverfall deutlich, eine „Rohheit der Sprachbehandlung und Armuth der Verskunst, insbesondre aber die wildeste Entartung der prosodischen Verhältnisse“. 60 Er gibt einen weitgespannten Überblick über die Entwicklungen des 16. Jahrhunderts und fokussiert dann Heidelberg (mit Schede-Melissus) als Literaturstadt und zielt insbesondere auf Opitz. Damit wird Hock wiederum auf seine Vorläuferrolle fixiert. Ausdrücklich nimmt Höpfner Bezug auf den Beitrag von Hoffmann von Fallersleben, der „aber unter anderm Gesichtspunkte, als der unsrige, geschrieben“ worden sei, und weist auf Unterschiede der von Hoffmann von Fallersleben benutzten Breslauer und der von ihm offenbar eingesehenen Meusebachschen Ausgabe hin. 61 Die Anzahl der enthaltenen Gedichte beziffert er mit 90, 62 hat also auch nicht Verzählungen im Druck bemerkt, korrigiert aber auch nicht explizit die Angabe „80 Gedichte“ bei Hoffmann von Fallersleben. Ein Blick auf den Osten und den Norden Deutschlands wird uns, ehe wir nach Heidelberg zurückkehren, zeigen, dass man auch dort den Zielen entgegenschritt, bei welchen die Opitzische Zeit anlangte. Zunächst nimmt hier Theobald Hoeck […] mit seinem „Schönes Blumenfeldt“ betitelten Werkchen unsre Aufmerksamkeit in Anspruch. Als Vorbote eines neuen Zeitalters der Dichtung steht letzteres schon darum da, weil auf den zweiundneunzig Quartblättern desselben zum ersten Male eine grössere Anzahl Gedichte von fast durchweg lyrischer Haltung für den Leser veröffent- 57 Höpfner: Reformbestrebungen (Anm. 51). 58 Dazu siehe Wilhelm Kühlmann (Hrsg.): Die deutschen Humanisten. Dokumente zur Überlieferung der antiken und mittelalterlichen Literatur in der Frühen Neuzeit. Turnhout 2005 [Europa humanistica 4]. 59 Höpfner: Reformbestrebungen (Anm. 51), S. 1. 60 Ebd., S. 4. 61 Ebd., S. 32. 62 Ebd., S. 33. Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 31 <?page no="31"?> 32 Eckehard Czucka licht wurden. Bedeutsamer war der Beginn einer neuen Kunstlyrik durch die Eigenthümlichkeit dieser Gedichte angekündigt, dass aus ihnen das Dichterindividuum mit seinem innerlich bewegten Leben aufs bestimmteste heraustrat. Ueberall ist hier in und zwischen den Zeilen Lebensgeschichte zu lesen. Der Dichter, der an der Moldau diesen Band Gedichte schrieb, blickte auf ein freilich noch junges, aber unruhvolles Leben zurück. 63 Als Fortsetzung der von Hoffmann von Fallersleben vorgegebenen positivistischen Leben-Werk-Relation sieht er „das Dichterindividuum mit seinem innerlich bewegten Leben aufs bestimmteste“ aus den Gedichten hervortreten, wofür er sich auf Capitel 6, 14, 63 (recte 64) und den Titel zu stützen angibt. Überzeugt davon, dass „Ueberall […] hier in und zwischen den Zeilen Lebensgeschichte zu lesen“ sei, gibt er eine teils paraphrasierende, teils phantasiereiche biographische Skizze, die mit den wenigen Daten endet, die Hoffmann von Fallersleben in Wittingau eruiert hatte. 64 Er schließt in einem furor biographicus aus den Verszeilen „O Manches Kindt ertrunck jetzt auch, / Hie in der Moldawe wers der brauch.“ (85 [recte 87], Strophe 5, Vers 6-7 / Hanson 3902f.), der Dichter habe „an der Moldau diesen Band“ geschrieben. Darin folgt ihm 1952 noch Vetters in ihrer Wiener Dissertation. 65 Dabei wird - von beiden - völlig übersehen, dass in derselben Strophe, Vers 3, vom Rhein die Rede ist, und dies im Zusammenhang der Beschreibung eines Brauchs, mit dem „ehrliche“, also ehelich gezeugte Kinder von Bankerts unterschieden werden sollen. Hanson ( Blumenfeld [Hanson], S. 595) verweist mit einigem Recht auch auf Aventins Deutsche Chronik als Quelle für dieses Motiv; jedenfalls scheint der intertextuelle Bezug überzeugender zu sein als der lebensgeschichtliche. Thematisch stellt Höpfner die Liebesklagen in den Vordergrund, die er mit kurzen Zitaten illustriert. Insgesamt präsentiert er acht Hock-Texte in zehn längeren oder kürzeren Zitaten. Als Erster verweist er auf das Capitel 19 ( Von Art der Deutschen Poeterey ), das er vollständig abdruckt, aber durchaus zwiespältig beurteilt: zwar muss er das ‚Kunstwollen‘ Hocks anerkennen, kann aber die Mängel der Durchführung nicht übersehen, die v. a. in der Strophenbildung und der „Regulierung der Verszeile“ gesehen werden. Ferner werde das Prinzip der Hebungenzählung nicht durchgeführt; über die Silbenzählung in der aus- 63 Ebd., S. 32. 64 Ebd., S. 32f. So weiß er zu berichten (S. 32) „Als fahrender Schüler ist er umher gezogen, allen Fechtschulen, mehr noch allen Tanz- und Singschulen nachstellend, in seiner deutschen Muttersprache damals noch fremd und unbekannt, ohne Vorahnung also davon, wie werth sie ihm später werden sollte.“ 65 Brunhilde Vetters: Studien zum lyrischen Werk Theobald Hocks. [Diss. masch. Wien 1952], S. 228. <?page no="32"?> schließlich jambischen Bewegung seiner Verse setze er sich hinweg und bediene sich „einer Silbenverschleifung nach italienischer Art“. 66 Letzter Grund für die bisherige Nichtbeachtung des Blumenfelds liegt aber für Höpfner in den Mängeln der Sprache. Der Vergessenheit der folgenden Zeiten aber wird er vornehmlich dadurch verfallen sein, dass seine Sprache ungemein roh und durch eine das allgemeine Verständniss sehr erschwerende Menge von provinciellen [sic! ] Wendungen und Ausdrücken entstellt ist. 67 Insgesamt präsentiert Höpfner zehn Zitate aus acht Gedichten, darunter erstmals das Capitel 19. Seine besondere Aufmerksamkeit finden die sieben letzten Gedichte der Sammlung (Capitel 85 bis 92). Ohne einen Bezug zu Aventin herzustellen, sieht Höpfner, dass Hock „aber einen ganz neuen Kreis historisch-patriotischer Poesie auf[tat], worin ein sehr bemerkenswerthes Zeichen der Zeit zu sehen ist.“ 68 Hier wird in die Vergangenheit ein Nationalgefühl projiziert, das die im 19. Jahrhundert sich formierende Germanistik bis weit ins 20. Jahrhundert hinein beschäftigen wird. Durch die Darstellung der Geschichte der deutschen Schrift und Sprache, wie des ältesten Königthums, versuchte der Dichter nun auf das nationale Selbstgefühl zu wirken, mit dessen Erweckung und Erwachtsein neue und verheissungsvolle Regungen auf dem Gebiete der Poesie innig zusammenhingen. 69 Zu vermerken ist noch ein absprechender Duktus, wenn Höpfner über Hock und sein „Werkchen“ 70 spricht und ihm als positives Gegenbild Johannes Domans Lied von der Teutschen Hanse (1606) kontrasiert. 71 Den Annahmen Höpfners zum Drucker des Blumenfelds 72 widerspricht Koch nachdrücklich. 73 Die Arbeiten Hoffmanns von Fallersleben und Höpfners sind die einzigen Abhandlungen im 19. Jahrhundert, die Hock monographisch bzw. ausführlich in einem größeren Zusammenhang behandeln. 66 Höpfner: Reformbestrebungen (Anm. 51), S. 37. 67 Ebd., S. 37. 68 Ebd., S. 33. 69 Ebd., S. 33. 70 Ebd., S. 32. 71 Ebd., S. 38. 72 Ebd., S. 37. 73 Koch: [Einleitung] (Anm. 9), S. X. Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 33 <?page no="33"?> 34 Eckehard Czucka I.3 Literaturgeschichten und Anthologien 1847-1900 Als Besonderheit der im folgenden zu behandelnden Literaturgeschichten des 19. Jahrhunderts ist zu vermerken, dass sie sehr oft und teilweise umfangreich Texte aus dem Schönen Blumenfeld abdrucken und damit auch die Funktion von Anthologien übernehmen. Die auf diese Weise bis zum Erscheinen des Blumenfelds (Koch) 1899 bekanntgewordenen Gedichte Hocks sind der Kanon, auf den sich die gesamte wissenschaftliche Diskussion im 19. Jahrhundert stützt. Der Aufsatz Hoffmanns von Fallersleben von 1845 initiierte eine breitere Beschäftigung mit Hock: „Seither geht kaum eine grössere Gesamtdarstellung der Literatur über ihn hinweg. [Selbst] Ältere Werke folgen in ihren späteren Auflagen nach.“ 74 Koberstein 1847 Das trifft erstmals bei Koberstein zu; in der 4. Aufl. von 1847 siedelt er Hock im Umkreis von Melissus und Denaisius sowie Andreae an und stellt ihn als „Verfasser einer ziemlich bedeutenden Zahl von Liebesliedern und von Gelegenheitsstücken aus dem Kreise des Hof- und Staatslebens“ vor. Die Texte seien zwar „frisch, warm und wahr im Ausdruck der Empfindung“, aber „in der Behandlung der Sprache und der metrischen Form sind sie aber noch nicht über die Regellosigkeit der gleichzeitigen Volkspoeten hinaus“. 75 Er verweist explizit auf Docen und Hoffmann von Fallersleben, dessen Angabe, das Blumenfeld enthalte 80 Gedichte, er übernimmt. 76 Insgesamt dürfte es sich bei dem Eintrag, v. a. aber bei der Beurteilung um nicht mehr als ein verdecktes Zitat aus Hoffmann von Fallersleben handeln. Wackernagel 1848 Wackernagel weiß 1848 nicht mehr zum Biographisch-Bibliographischen beizutragen als Hocks anagrammierten Namen, seine Herkunft aus der Pfalz und den Haupttitel „seines Schoenen Blumenfeldes von 1601“, allerdings garniert mit einem Vorbehalt gegen die „etwas hart geschmiedeten Lieder[…]“. 77 Er ist wohl der Erste, der Johannes Domans Lied der Hanse als Gegenbeispiel den für 74 Kraus: Höck (Anm. 18), S. 46f. 75 August Koberstein: August Kobersteinʼs Grundriss der Geschichte der deutschen Nationalliteratur. 4., durchgängig verbesserte und zum größten Theil völlig umgearbeitete Ausgabe. 3 Bde. Leipzig 1847-1866, S. 599-600. 76 Ebd., S. 600. Unter Berufung auf Höpfner wird die Zählung auf 90 korrigiert in August Koberstein: August Kobersteinʼs Grundriss der Geschichte der deutschen Nationalliteratur. 5 Bde. Leipzig 1872-1884, Bd. II, S. 110. Auch hier wird nur Hoffmanns von Fallersleben Lese-, nicht aber der Zählfehler korrigiert. 77 Wilhelm Wackernagel: Deutsches Lesebuch. Vierter Theil: Handbuch der Litteraturgeschichte. Basel 1848, S. 440. <?page no="34"?> misslungen gehaltenen Versen Hocks entgegenhält, worin ihm Höpfner folgt. Die Neubearbeitung durch Ernst Martin übernimmt 1894 diesen Text, fügt aber den Hinweis hinzu: „Höpfner Reformbestrebungen 32 fgg. zeigt das Moderne in Hoecks Strophenformen.“ 78 Gervinus 1853 Bei Gervinus wird Hock erstmals in der 4. Aufl. von 1853 unter Hinweis auf das Anagramm des Names und den zweifelhaften Druckort erwähnt; das Urteil über das Blumenfeld ist kurzum („drollige Gedichte im alten meistersängerlichen Ton“) und historisch perspektiviert („Wie übel mochte ihm [d. i. Opitz] das ‚schöne Blumenfeld […]‘ duften“). Ob in der metaphorischen Verbrämung angedeutet werden soll, dass Opitz von Hocks Werk Kenntnis hatte, kann vermutet, aber hier nicht entschieden werden. Trotz der negativen Einschätzung ist Gervinus bereit einzuräumen, dass die Texte „aber durch die verschiedenartigen Stoffe [sic! ] die sie behandeln, und in den Versmaßen die italienische Vorbilder verrathen, eine neue Zeit doch schon ankündigen.“ 79 Kurz 1856 Einleitend schon gibt Kurz 1856 zu erkennen, dass die „löblichen Bemühungen“ Schedes, Denaisius’ und v. a. Domans, „den Volksgesang künstlerisch zu entfalten“, „zu vereinzelt [blieben], als daß sie von segensreichem Einfluß hätten werden können“. 80 Gemessen daran aber konnte Hock noch weniger „Bedeutung gewinnen, da er der kunstmäßigen Form zu wenig Beachtung schenkte, nach welcher das Streben der Zeit doch vorzugsweise gerichtet war.“ 81 In einem gut einspaltigen Artikel verweist er dann auf die erst kürzlich erfolgte Entdeckung des Blumenfelds , seine geringe Verbreitung und das Namensanagramm, gibt ferner einige Lebensdaten, um dann - überraschend positiv - die Gedichte zu charakterisieren: Es sind Liebeslieder und Gelegenheitsgedichte, die ohne Anstand den besseren Erscheinungen der Zeit beizuzählen sind. Namentlich sind die Liebeslieder in dem ächtesten Volkstone gedichtet und zeugen von einem wahren poetischen Talent. 78 Wilhelm Wackernagel: Deutsches Lesebuch. Theil 4: Geschichte der deutschen Litteratur. Ein Handbuch Bd. II. 2. [verm. und verb.] Aufl. Basel 1894, S. 90. 79 G[eorg] G[ottfried] Gervinus: Geschichte der deutschen Dichtung. Bd. III. 4. gänzlich umgearbeitete Aufl. Leipzig 1853, S. 207. 80 Heinrich Kurz: Geschichte der deutschen Literatur. Mit ausgewählten Stücken aus den Werken der vorzüglichsten Schriftsteller. Bd. II: Vom ersten Viertel des 16. Jahrhunderts bis ungefähr 1770. Leipzig 1856, S. 5. 81 Ebd. Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 35 <?page no="35"?> 36 Eckehard Czucka Nicht ohne den Einwand der Regellosigkeit zu wiederholen („in der metrischen Willkür der Volksgedichte gehalten“), 82 teilt er dann „zwei von seinen Liedern mit, die wohl zu den frischesten gehören“. Es sind dies die Capitel 55 und 68, die schon bei Docen und Erlach abgedruckt waren, hier unter die Titel Das Glück und Undank gestellt. Die bei Hoffmann von Fallersleben mitgeteilten Texte bleiben außer Acht. Gödeke 1862 Gödeke, der 1862 neben Hocks Geburtsdaten seine Tätigkeit für Wok von Rosenberg erwähnt, befindet: „Einer der ersten Dichter weltlicher Lieder für den bloßen Druck, in schwerfällig unbeholfner Form.“ 83 Zwischenresümee Bis hin zu Gödeke zeigen die Literaturgeschichten der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in ihrer Behandlung Hocks ein einheitliches Bild: methodisch sind sie einem (eher minimalistischen) Leben-Werk-Schema verpflichtet, das sie aufs knappste nur und in ziemlicher Beliebigkeit bei Auswahl der genannten Details füllen. Kaum lässt sich der Eindruck vermeiden, dass alle Literaturgeschichten den Kenntnisstand des Aufsatzes von Hoffmann von Fallersleben teilen, den sie (mit Ausnahme von Gervinus und Kurz) auch nachweisen. Nun hatte Hoffmann von Fallersleben insgesamt 18 Gedichte (zum Teil nur bruchstückhaft) präsentiert, also knapp 20 Prozent des Gesamttextes. Angesichts dieser schmalen Textgrundlage sind die apodiktischen, durchweg negativen Urteile verwunderlich. Selbst der Hinweis bei Gervinus auf das Vorausweisende bei Hock wirkt eher zufällig zutreffend. Höpfner (Anm. 51) hebt mit seinem Aufsatz zu Reformbestrebungen 1866 die Diskussion auf ein neues Fundament. Sprachwart 1869 Als Kuriosum bleibt eine Notiz im Sprachwart von 1869 zu erwähnen: „Von Art der Deutschen Poeterey. Von Theobald Hoeck; eingesandt von A. M. Ottow.“ 84 82 Ebd., S. 36. 83 Karl Goedeke: Grundriss zur Geschichte der deutschen Dichtung aus den Quellen. 2 Bde. Berlin 1862, hier Bd. II, S. 440. 84 In: Deutscher Sprachwart 14 (1869), S. 209. <?page no="36"?> Lemcke 1871 1871 gewinnt die Wahrnehmung Hocks durch Carl von Lemckes ausführliche Behandlung durchaus eine neue Qualität. 85 Er widmet seinem Gegenstand fast acht Seiten und zitiert aus neun Hock-Gedichten, von denen sieben bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht veröffentlicht waren. 86 Diese über die zuvor anthologisierten Gedichte hinausgehende Textkenntnis lässt darauf schließen, dass er das Blumenfeld im Original benutzt hat. Über das benutzte Exemplar gibt er ebenso wenig Auskunft wie über die zu Rate gezogene Forschungsliteratur: Ueber einen Punkt habe ich hier Rechenschaft zu geben. Ich habe weder die sämmtlichen Werke der von mir besprochenen Dichter genannt, noch die bezüglichen beihülflichen Bücher citirt. Mit gutem Bedacht. Denn ich wollte nicht Gegebenes wiederholen. 87 Für das „Bibliographische“ verweist er anschließend auf den „Gödeke“ als ein Werk, „welches in keinem Hause fehlen sollte“, sowie auf „die verdienstvollen Werke von Gervinus, Koberstein, Kurz, Cholevius u. A.“ Es ist dies eine unbeschwerte Wissenschaft, der ein gründliches Fachliteraturstudium zu glauben ist, die sich aber völlig unbeeindruckt von den Be- und Verurteilungen Hocks in den genannten Werken zeigt. 88 - Geradezu euphorisch setzt seine Erörterung ein: es begegnet uns zu Anfang des Jahrhunderts ein Dichter, der seiner Zeit weit voraus in vielen Beziehungen die Lösung der Lyrik gefunden hat, nach der man später so emsig studirend sucht. Sonderbarer Weise ist er seinen Nachfolgern nicht bekannt oder ward doch von Keinem genannt und anerkannt. […] Es ist dies der Pfälzer Theobald Höck (1573 bis nach 1618), eine der interessantesten Erscheinungen der deutschen Poesie dieser und der nächsten Zeit, ein Geist, der, wie wenn es sich von selbst verstände, nun plötzlich mit seinem subjectiven Denken und Empfinden die Welt und die Dinge ergreift, mit einer geistigen Freiheit und nach einer innerlichen Gährung, dass ihn darin kein deutscher Lyriker seines Jahrhunderts, auch Paul Fleming nicht übertrifft. 89 85 Carl von Lemcke: Geschichte der deutschen Dichtung neuerer Zeit. Bd. I: Von Opitz bis Klopstock. Leipzig 1871, S. 118-125. 86 Es sind fast nur kurze Zitate, überwiegend in den Fußnoten, zumeist ohne Capitel-Nummern, hier in der Reihenfolge des Vorkommens: 49 [recte 50], 1, [73, 34, 12, 6, 12, 26, 16, 19]. Capitel 1 und 19 waren schon 1866 bei Höpfner mitgeteilt worden. 87 Lemcke: Geschichte (Anm. 85), S. IV. 88 In der Diktion des 20. Jahrhunderts könnte diese captatio benevolentiae so lauten: „Auf Anmerkungen habe ich dieses Mal verzichtet. Fußnoten sind die Schweißperlen des Forscherfleißes. […] Ich erkläre hiermit, daß ich - nur zum Beispiel - die Literatur über […] ausführlich studiert und etliche Werke diverser […] gelesen habe. Es ist sicherlich nicht notwendig, […] jeden drittklassigen Positivisten beim Namen zu nennen und auf die Seitenzahlen [seiner] Veröffentlichungen hinzuweisen.“ So Ulrich Erckenbrecht: Anleitung zur Ketzerei. 4. Aufl. Göttingen 1984, S. 6f. 89 Lemcke: Geschichte (Anm. 85), S. 118f. Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 37 <?page no="37"?> 38 Eckehard Czucka Mit der Apostrophierung des „Subjektiven“ bindet er Hock an die zentrale Kategorie der Moderne an und weist auf deren Realisierung. Lemcke hält Hock, der ihn an „die kühnen selbständigen Denker und somit Ketzer, […] wie […] Giordano Bruno“ erinnert, für einen „Mann der neuen Zeit und des neuen, aus dem groben Realismus der Sitten und Auffassungen hinausstrebenden Geistes“, dessen „Geschmack renaissancemässig-vornehm, mehr höfisch als schulgelehrt“ sei und der „mit vollem Verständniss der Lage und der Geschmacksrichtungen“ dichte. Er findet Reminiszenzen „an die gute mittelalterliche Lyrik, manchmal durch seinen Rhythmus an die Italiener.“ Bemerkenswert sei, wie „er das Gedankenhafte verarbeitet, ohne allen Schwulst, ohne alle Tirade, fern von der herkömmlich breiten didactisch-moralischen Weise“, und er nimmt Hock als „ein freies, modernes Wesen“, dem „ein heiterer, lebenskräftiger Epicuräismus“ eignet: „Nichts darin von nachgeahmten oder abgeschriebenen Sentenzen, von philosophischer Wichtigthuerei, sondern echte Gedankenhaftigkeit“. 90 Lemcke stützt seine Argumentation durch seine Zitatauswahl, die er durchaus interpretierend benutzt. Dabei übersieht er keineswegs Problematisches, wie die „Freiheiten, welche er sich in Vers- und Wortbehandlung nimmt“ und die „für uns anfangs sehr unbequem und Eindruck störend“ sind. Auch ist „durch Provinzialismus das Verschlucken der stummen ‚e‘ übermässig.“ 91 Dies sind Monita, die in der Hock-Rezeption des 20. Jahrhunderts eine bedeutende Rolle spielen werden, die Lemcke aber - anders als Spätere - einzuordnen weiß. Die Freiheiten, die Hock bei Wort und Vers sich gestattet, führen ihn zu der Beobachtung: Doch wird man bald finden, dass man es bei ihm durchaus nicht mit der damals grassirenden Knittelvers-Willkür und -Ungeschicklichkeit zu thun hat und dass er rhythmische Gefügigkeit, Ohr für Melodie besitzt und Metrum, Cäsur u. s. w. beobachtet, wo man es auf den ersten Blick nicht vermuthet. 92 Mit dem Verschlucken des stummen „e“, über das Köster 93 nachdrücklich und dann Hanson 94 referierend mit Blick auf einen intendierten Jambus handeln werden, 90 Ebd., S. 119f. 91 Ebd., S. 122. 92 Ebd. 93 Siehe Köster: Rezension (Anm. 11). 94 Siehe dazu Hanson: [Erläuterungen] (Anm 4), S. 161f. In der zugehörigen Anmerkung spricht Hanson (S. 689) davon, dass Goetze in seiner Rezension „wohl diese ‚freischwebende Betonung‘ gemeint [habe], als er von ‚verlängertem Auftakt‘ bei vielen Zeilen sprach.“ Allerdings sind diese Begriffe bei Goetze nicht zu finden. Siehe auch S. 415 zu Vers 2334, 2335. <?page no="38"?> befolgt er anderseits noch metrische Regeln, die in Nibelungen und Minnedichtung galten, für uns aber seit Opitz in der Praxis spurlos verloren gegangen sind. Das Ganze ist zu lesen nach der italienischen und französischen freischwebenden Betonung. 95 V. a. die Möglichkeit freischwebender Betonungen scheint in der weiteren Rezeption nur von Senger 96 erwogen worden zu sein. Wenn wir heute davon ausgehen, dass Hocks Blumenfeld keine Rezeption gefunden und damit keine Spuren in der barocken Dichtung hinterlassen hat, er also nur rein zeitlich, aber keineswegs literaturgeschichtlich Vorläufer Opitz’ ist, so entwickelt Lemcke eine andere Sicht auf den Sachverhalt. Er zieht die für die Bekanntheit negative Wirkung des angrammierten Namens in Betracht und hält fest, dass Zincgref, der für die Verbreitung des Opitzschen Lehre so bedeutend war, ihn nicht kannte, gibt aber zu bedenken: Die Kreise, in welchen Opitz erwuchs, konnten des in Schlesien mit Männern der Wissenschaft und Literatur befreundeten Höck’s Gedichte und somit auch seine Bemerkungen hinsichtlich des Metrums u. s. w. kennen. Opitz erwähnt seiner nirgends. 97 Einen Beleg für eine solche Annahme liefert die Provenienz des Breslauer Exemplars, dessen Widmung an Berbisdorff für Hoffmann von Fallersleben der Schlüssel für die Auflösung des Anagramms war. Solche Beweise sucht Lemcke nicht, sondern gibt eine psychologisierende Begründung: […] die siegreichen Neuerer übergehen sie [i.e. die Vorgänger] wissentlich oder unwissentlich mit Stillschweigen, wie sie es auch mit Höck machten. Und doch möchte man vermuthen, dass die genannten Bestrebungen für Zincgref, Opitz u s.w. nicht ganz verloren gewesen sind und diese nur als Männer, wie es oft geht, nicht ganz eingestanden, woher ihnen die fruchtbaren Anregungen gekommen sind und was auf sie als Knaben eingewirkt hat. 98 Doch steht für ihn fest: „Ist Höck der Vorläufer eines Weckherlin“ und „repräsentirt um das Jahr 1600 eine Renaisance der Poesie“. 99 Einen ebenfalls eigenen, dieses Mal aber eher indignierten Blick wirft Lemcke auf die Texte, die Sprache in poetologischer (Capitel 19) und historischer Perspektive erörtern. Von dem Capitel 19 ( Von Art der Deutsche Poeterey ), einem 95 Lemcke: Geschichte (Anm. 85), S. 122. 96 Senger: Höck (Anm. 21), S. 82, S. 86, S. 89. In seinem Zeilenkommentar verwendet Senger das Argument eines ‚verlängerten Auftakts‘ gegen Köster und Goetze. 97 Lemcke: Geschichte (Anm. 85), S. 119. Dem wiederspricht Koch: [Einleitung] (Anm. 9), S. L, Anm. 1 dezidiert: „Schon Zinkgref (Neudrucke Heft 15) wusste nichts mehr von Hocks ‚Blumenfeldt‘, ebensowenig Opitz oder einer der folgenden.“ 98 Ebd., S. 125. 99 Ebd. Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 39 <?page no="39"?> 40 Eckehard Czucka „sonst nicht inhaltsschweren Gedicht“, das als „Von der deutschen Poeterei“ zitiert wird, gibt er eine zwei Verse umfassende Probe und eine Paraphrase mit einem unerwartet zustimmenden Resümee: „Das Bewusstsein und die Erkenntniss des einzuschlagenden Weges hinsichtlich der neuen Form tritt darin klar zu Tage.“ 100 Der Beschluss des Blumenfelds , also die Capitel 85 bis 92, findet sein dezidiertes Unverständnis: Zum Schluss muss auch er der Zeit seinen Tribut zahlen, indem er in barocker Gelehrsamkeit nach Tacitus Germania über deutsche Sprache, deutsche Namen und Schrift, über Tuiscons Polizei, König Ingewon und die Begebenheiten zu Zeiten König Istaevons und König Harmans deutschthümelnd versificirt. Es ist die langweilige Parthie seines „schönen Blumenfeldes“, die seinem Patriotismus grosse, seinem Dichterruhme keine Ehre macht. 101 Anzumerken ist, dass Lemcke die Themen ausschließlich an Tacitus zurückbindet, aber nicht Aventin 102 als mögliche Quelle in Betracht zieht. Gleichzeitig gibt er aber auch zu bedenken, dass der Rückverweis „auf die alte glorreiche Zeit“, „Armins Lob und den Preis der Deutschen, ihrer Ehrenfestigkeit, Treue“ verbreitete Topoi „bei Historikern, Staatsmännern und Soldaten“ sind; auch bringt er Leonhart Fronsperger als Militärschriftsteller des 16. Jahrhunderts ins Gespräch, der in der Hock-Forschung nicht weiter bedacht werden wird. Hock setze diesen Ton nur fort, befindet er und zieht die Linie bis zu Opitz und Moscherosch, Schottel und Lohenstein, ja bis zu Bodmer und Klopstocks Dramen aus; Lemcke wertet diesen Rückbezug als eine „Verwirrung in der Auffassung der deutschen Zustände der Vorzeit“, die erst durch Ossian beendet werde. 103 Doch ist ihm Nationalstolz nicht fremd, immerhin datiert er sein Vorwort „Am Geburtstage des deutschen Kaisers, d. 22. März 1871.“ 104 und spielt in einem Absatz - ohne das Ereignis zu bezeichnen - auf den Deutsch-Französischen Krieg 1870/ 71 an, der erst am 10. Mai 1871 endgültig zu Ende ging. Methodologisch relevante Hinweise gibt das Vorwort mit einem bemerkenswerten Literaturverständnis, das die „Poesie“ von heterogenen Vorgaben freistellt und sie zwischen den Polen zeitgenössischen Denkens ansiedelt: Schöne poetische Idealität hat in den letzten Decennien wenig Pflege gefunden. Es wird besser werden. Die Extreme sind erreicht: Affentheorie hüben, Unfehlbarkeit eines Menschen drüben. 105 100 Ebd., S. 123. Siehe auch Kraus: Höck (Anm. 18), S. 47f. 101 Lemcke: Geschichte (Anm. 85), S. 123. 102 Den ersten Hinweis auf Aventin gibt offenbar Koch: Neuere Zeit (Anm. 167), S. 4. 103 Lemcke: Geschichte (Anm. 85), S. 124. 104 Ebd., S. V. 105 Ebd. <?page no="40"?> Die Anspielungen auf die Verkündung des Dogmas von der päpstlichen Unfehlbarkeit 1870 und auf Darwin ( The descent of man, and selection in relation to sex, 1871) sind offensichtlich. Die Poesie siedelt er zwischen naturwissenschaftlich-biologistischem Monismus und religiöser Dogmatik an und plädiert offensichtlich für deren Freistellung von „fremden Wissenschaftsofferten“. 106 Er richtet sich damit gegen die herrschenden Diskurse des Positivismus, nicht ausgeschlossen ist, dass Lemcke Scherers Feuilletonbeitrag Die neue Generation von 1870 kannte, der den markanten, wirkungsmächtigen Satz „Die Naturwissenschaft zieht als Triumphator auf dem Siegeswagen einher, an den wir Alle gefesselt sind“ enthält. 107 Über die Wirkung, die diese - nicht nur bei dem Thema Hock, sondern hinsichtlich des gesamten 17. Jahrhunderts einlässliche Untersuchung Lemckes (siehe dazu Anm. 391) - gehabt haben mag, lässt die Rezension der neuen Ausgabe von Rudolf Pfleiderer 1882 keinen Zweifel: Es gehört zu den Unbegreiflichkeiten in der Wissenschaft, wie ein Buch […], zuerst 1871 erschienen, die erste und einzige Spezialmonographie über die deutsche Litteratur im 17. Jahrhundert, so wenig beachtet werden konnte, wie es geschehen ist, wie gar manche der gebräuchlichen Handbücher beweisen, die dasselbe nicht kennen und über dieses „saeculum obscurum“ eines dem anderen das allgemein absprechende Urteil nachschreiben. 108 Pfleiderer weist zwar auf die lobende Erwähnung bei Gödeke (Buch 5, Vorwort „gediegene Darstellung“) hin, doch ändert auch das nichts an seinem Urteil über die Forschung bis 1882, die zu einem guten Teil das Urteil vorwegnimmt, zu dem wir am Schluss dieses Teils des Forschungsberichts gleichfalls werden kommen müssen. Er würdigt im Detail Lemckes Zugriff und vermerkt als Ergebnis: „Die ganze Epoche tritt […] in ein gerechteres Licht.“ Dazu zählt Pfleiderer auch „die 40 Seiten über Opitz“, „dem hier auch einmal eine ernsthafte, wahrhaft wissenschaftliche, nach beiden Seiten vollständig gerechte Behandlung zuteil wird.“ 106 Zu solchen Überlegungen siehe etwa Winfried Nolting: Literatur oder Kommunikation. Anstelle fremder Wissenschaftsofferten. Orientierungen eines positionslosen Denkens. Münster 1982 [Literatur als Sprache Literaturtheorie, Interpretation, Sprachkritik 3]. 107 Wilhelm Scherer: Die neue Generation. In: ders.: Vorträge und Aufsätze zur Geschichte des geistigen Lebens in Deutschland und Österreich. Berlin 1874, S. 408-414. Der Aufsatz erschien am 19. Juni 1870 in der Wiener Presse und konnte also Lemcke bekannt sein. Zur Datierung siehe Klaus Amann: Literatur und Nation. Die Gründung des Deutschen Reiches 1871 in der deutschsprachigen Literatur. Mit einer Auswahlbibliographie. Wien 1996 [Literatur in der Geschichte, Geschichte in der Literatur 36], S. 233. 108 Rud[olf] Pfleiderer: Von Opitz bis Klopstock. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Dichtung. Von Professor Dr. C. Lemke [sic! ]. Neue Ausgabe. Leipzig 1882 (VIII und 534 S. 8 ̊ .). In: Deutsches Litteraturblatt 5, 26 (1882), S. 103f., hier S. 103. Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 41 <?page no="41"?> 42 Eckehard Czucka Zuvor aber nennt Pfleiderer die Behandlung Theobald Höcks [sic! ] als „unbekanntes Talent“ (neben anderen), das Lemcke „als ein nicht wertloses Glied in die ganze Kette ein[reihe].“ Die abschließende Feststellung: „die Wissenschaft wird inskünftig mehr Notiz davon zu nehmen haben als bisher.“ begründet er ebenso schlüssig wie folgenlos: „Es darf als eine der besten litteraturwissenschaftlichen Arbeiten gelten.“ 109 Ein spätes forschungsgeschichtliches Echo findet Lemckes Literaturgeschichte in der amerikanischen Barockforschung der 1940er und 50er Jahre. Blake Lee Spahr berichtet, 110 dass der „Lemcke“ das einzige verfügbare Nachschlagewerk für das 17. Jahrhundert gewesen sei, das ihm von seinem Doktorvater Faber du Faur zugänglich gemacht wurde. Spahrs Einschätzung, dass es sich dabei um eine positivistische Darstellung handle, ist unter Verweis auf die hier gemachten Befunde nachdrücklich zu widersprechen. Und merkwürdigerweise ist Lemckes Darstellung des Blumenfelds ohne jeden Einfluss auf die Hock-Kritik Faber du Faurs (Anm. 694) geblieben. Maltzahn 1875 Die Nachricht von einem Exemplar des Blumenfelds gibt 1875 Maltzahns Deutscher Bücherschatz , der ca. 2800 Titel verzeichnet, in der 2. Abtheilung: Literatur des Siebzehnten Jahrhunderts unter I, 1. Er gibt den Hockschen Titel vollständig, einschließlich des Mottos und des Druckvermerks im Kolophon, wieder, vermerkt Namen des Autors wie seine Lebensdaten mit Hinweis auf Hoffmann von Fallersleben als Quelle und beschreibt den Zustands des Exemplars: „Sehr selten. Schönes Ex. in gleichzeit. Pergbd.“ 111 In einer späteren, rückblickenden Charakteristik beschreibt der gleichfalls berühmte Büchersammler und Bibliophile Gustav Weisstein ihn als „rücksichtslose Sammlernatur“ und „besitzlüstern“; wegen „seiner mikrologischen Arbeitsweise“ sei er kein „eigentlicher Historiker der Literatur“ gewesen. 112 Schon 1877 hatte Wilhelm Dilthey in seinem 12. Literaturbrief für Westermann Monatshefte den Anlass für die Erstellung dieses Katalogs genannt: Maltzahn „beabsichtigt sich von dieser Sammlung zu tren- 109 Ebd. Pfleiderer: Opitz (Anm. 108), S. 104. 110 Blake Lee Spahr: The Legacy of Curt von Faber du Faur to the United States. In: Colloquia Germanica 25, 3/ 4 (1992), S. 195-209, hier S. 202: „The only standard reference work for the period was the positivistic history of old Carl Lemcke, Von Opitz bis Klopstock: Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Dichtung (Leipzig, 1882) and indeed this was the book which von Faber assigned to me as a guide to my endeavors! “ 111 Wendelin von Maltzahn (Hrsg.): Deutscher Bücherschatz des 16., 17. und 18. bis um die Mitte des 19. Jahrhunderts. Mit einem Register von Georg Völcker. Reprograf. Nachdr. d. Ausg. Jena und Frankfurt am Main 1875-1882. Hildesheim 1966, S. 223. 112 Gustav Weisstein in: Nationalzeitung, 28. August 1904, Sonntagsbeilage. URL: http: / / deacademic.com/ dic.nsf/ dewiki/ 1499343 (zuletzt abgerufen am 30. Mai 2018). <?page no="42"?> nen, wünscht aber dieselbe Deutschland und der wissenschaftlichen Forschung in diesem Lande erhalten zu wissen.“ 113 Das lässt nur den Schluss zu, dass die Sammlung zu diesem Zeitpunkt noch nicht verkauft war. Bei Bogeng 114 findet sich ein Hinweis auf den Katalog 125 von Cohn aus dem Jahr 1879 „Deutsche Literatur, größtenteils aus der Bibliothek des Herrn Wendelin von Maltzahn, Abt. 1. 2.“ 115 In dieser 2. Abteilung sei ein Exemplar des Blumenfelds angezeigt worden. Dieser Hinweis konnte nicht verifiziert werden. 116 Aber auch, wenn es bei dieser Gelegenheit nicht versteigert worden sein sollte, ist wohl die von Koch angestellte und von Hanson übernommene Vermutung, „dass es sich dabei höchstwahrscheinlich um das schon bekannte Breslauer Exemplar handelte“, 117 für unzutreffend zu halten. ADB 1880 In der Allgemeinen Deutschen Biographie wird 1880 unter dem Lemma „Hock von Zwaybruck, Theobald“ zu Lebensdaten und Werk Auskunft gegeben. Ihn als „Dichter im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts“ zu bezeichnen, ist zumindest unpräzise, der Ort seines Wirkens wird als „Wittingen in Böhmen“ angegeben, sein Tod auf „nach 1658“ datiert. Als mögliche Auflösung des anagrammierten Ortsnamen „Ichamp“ wird „Imbach“ erwogen, aber als geographisch nicht nachweisbar verworfen. Auch die Frage nach Drucker und Druckort bleibt ungelöst. Hoffmanns von Fallersleben Entdeckung des Blumenfelds wird gewürdigt, dessen Sprichwörtliches in „oft nicht gebräuchlicher Form sowie mehrere pria- 113 Wilhelm Dilthey: Literaturbrief XII. In: Westermanns Monatshefte 41 (1877). S. 438-447, hier S. 443. Wieder in ders.: Zur Geistesgeschichte des 19. Jahrhunderts. Aus „Westermanns Monatsheften“: Literaturbriefe, Berichte zur Kunstgeschichte, verstreute Rezensionen 1867-1884. Hrsg. von Ulrich Herrmann. Göttingen 1974 [Gesammelte Schriften 17], S. 93. 114 Gustav Adolf Erich Bogeng: Buchkundliche Arbeiten. Nachdr. der Ausg. Leipzig 1922. Hildesheim 1984, S. 154. 115 Albert Cohn (Hrsg.): Katalog des Antiquarischen Lagers von Albert Cohn in Berlin. CXXV. Deutsche Literatur grösstentheils aus der Bibliothek des Herrn Wendelin von Maltzahn. I. Abtheil. XV, XVI. und XVII. Jahrh. Berlin 1879. 116 Autopsiert wurden drei Exemplare des Katalogs, die vollständig in der SLUB Dresden (Signatur: Hist.lit.1684.g) und der BSB München (Katalogschlüssel: BV020647629) und nur mit dem Teil 1 in der UB Osnabrück (Signatur: BUB-410 Z 561) erreichbar waren. 117 Hanson: Erläuterungen (Anm. 4), S. 143. Hanson hat offenbar nicht gesehen, dass es sich bei Maltzahns Katalog um einen Besitznachweis in der Absicht des Verkaufs handelt; anders ist seine Ausführung in der zugehörigen Fußnote 28 nicht zu verstehen: „Wendelin von Maltzahn (Deutscher Bücherschatz des sechzehnten Jahrhunderts / Jena, 1875 / , S. 223) beschreibt den Band: ‚Verfasser Theobald Hoeck, geb. d. 10. August 1573, gest. nach 1618. Sehr selten. Schones Ex. im gleichzeit. Pergbd. Vgl. Hoffman von Fallersleben …‘ Da von Fallersleben sich des Breslauer Exemplars bedient hatte, dürfte es sich bei Maltzahn um dasselbe handeln.“ Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 43 <?page no="43"?> 44 Eckehard Czucka melartige Strophen“ verzeichnet, aber kritisch angemerkt, dass die Proben von Hoffmann von Fallersleben „in modernisierter Schreibung“ mitgeteilt werden. 118 (Vgl. die überarbeitete Fassung in NDB 1972 [Anm. 715].) Stern 1882 1882 stellt Stern in einer Geschichte der neuern Litteratur 119 Hock in eine Reihe von „Versuchen, eine neue vornehm weltliche, formell höher stehende Poesie zu gewinnen“, und damit in eine Nachfolge zu Denaisius und Philipp Freiherr von Winnenberg als Vertreter des Heidelberger Kreises. 120 Er sieht Hock in seiner Tätigkeit für Rosenberg „tief in die politischen Intriguen der letzten Zeit vor dem Dreißigjährigen Krieg verstrickt“ und stellt durch einen Verweis auf Gindely 121 - wohl erstmals - Hock in Beziehung zum Prager Hof Rudolfs II. In einer merkwürdigen Mischung von unbekümmerter Titelaufnahme und scharfsinniger Aufmerksamkeit gibt er als Titel ein „Poetisches Blumenfeld“ [sic! ] an, hält aber die Angabe des Druckortes „Liegnitz im Elsas“ für fiktiv und verzeichnet „o. O. 1601“. Als „Elemente […], mit denen man sich der Roheit und Trivialität der breit gewordenen deutschen Poesie zu entheben meinte“, nennt Stern für Hock wie für seine namhaft gemachten Vorgänger: die Nachahmung der Antike, der Italiener und Franzosen, die Hereinziehung gelehrten Wissens, […] eine gewisse weltmännische Skepsis in Bezug auf Zeit und Leben, bewußte Galanterie und formelle Beweglichkeit und Mannigfaltigkeit. Eine Beziehung zwischen Hock und der Opitz-Schule hält Stern offensichtlich für fraglos: „Bei ihm erklingt der Spott gegen die bäuerische Weise, den die Poeten der schlesischen Schule nachher aufnahmen“. 122 Sterns abschließender Hinweis, dass „bei [Hock] aber auch mancher Ton individueller Empfindung und unmittelbaren Lebens [erklinge], der verräth, daß die akademische Richtung nicht von vorn herein auf die bloße Nachbildung gestellt war“, kann durchaus als Anerkennung einer modernen Subjektivität zum einen und einer singulären Stellung Hocks in der barocken Dichtung zum anderen gelesen werden. 123 118 Jakob Franck: Hock von Zwaybruck, Theobald. In: Allgemeine Deutsche Biographie 12 (1880), S. 533f. Wieder in: Allgemeine deutsche Biographie. Bd. XII: Hensel-Holste. 2., unveränd. Aufl., Neudr. der 1. Aufl. von 1880, S. 533f. Online-Version unter URL: https: / / www.deutsche-biographie.de/ pnd129212822.html#adbcontent (zuletzt abgerufen am 17. März 2018). 119 Adolf Stern: Geschichte der neuern Litteratur. Bd. II: Hochrenaissance und Reformation. Leipzig 1882. 120 Ebd., S. 339. 121 Anton Gindely: Rudolf II. und seine Zeit 1600-1602. Prag 1862, S. 143. 122 Stern: Geschichte (Anm. 119), S. 340. 123 Ebd. <?page no="44"?> Waldberg 1885 Waldbergs Untersuchung zur galanten Lyrik 1885 ist die erste Untersuchung, die Hock ohne weitere Rückfragen, Relativierungen oder Verdikte als einen Autor des 17. Jahrhunderts akzeptiert, keine Leben-Werk-Relationen entwickelt und themenfokussiert seinen Sprachgebrauch dokumentiert. Denn Waldberg geht es einleitend um den Wortgebrauch von „galant“, das er aus dem französischen „galer“ ableitet. Den Beleg dafür, dass sich in Deutschland „der Ausdruck substantivisch schon am Beginne des siebzehnten Jahrhunderts“ findet, liefert Hocks Blumenfeld , Capitel 89 ( Von der Deutschen Schrifft ), Strophe 4, Vers 7: „Galanterey“. „Zu gleicher Zeit tauchte die, wenn auch nicht identische, so doch sehr nahe verwandte Bezeichnung ‚Galan‘ und die daraus gebildete verbale Form ‚galanisiren‘ auf,“ im Blumenfeld in Capitel 64 ( Der Cammerjung hat mehr Platz im Frawenzimmer als der Gallän ), „galanisieren“ in Strophe 3, Vers 4, „Galan“ in der Überschrift sowie in Strophe 7, Vers 3 und 11, Vers 4. 124 Das Blumenfeld wird offensichtlich nach der Ausgabe 1601 zitiert, denn hier werden erstmals in der Rezeption des 19. Jahrhunderts aus dem bis dahin unbekannten Capitel 63 [recte 64] ( Der Cammerjung […] ) die Strophe 3 und die Eingangsverse aus Capitel 8 ( Frei von Lieb’ - ein Freiherr ) präsentiert: Jetzt bin ich einmal frei Von Lieb’ und Liebesbanden 125 . Nicht erwähnt in der Fußnote (ein Literaturverzeichnis fehlt) ist, welche Ausgabe benutzt wurde. Waldberg bemerkt die Verzählung in der Kapitelnummerierung und korrigiert 86 nach 82 [recte 89], benennt Capitel 64 als 63 und das Capitel 68 als 66, 126 findet also auch den Fehler nicht. Weitere Belege, die Waldberg nicht nennt, finden sich - nach einer hier nur kursorischen Suche - in den Capiteln 7, 40, 45, 46, 50 und 55. Allerdings ist zu bedenken, dass für Waldbergs Fragestellung der Fund auch nur eines Belegs völlig hinreichend ist. Borinski 1886 Ein Jahr später, 1886, stellt Borinski Hock in den Kontext der europäischen Renaissancepoetik und behandelt ihn nach Lobwasser, Schede und Andreae. 127 Als Erster erwähnt er, dass die Gedichte Hocks „nach dem Muster Petrarcas in den trionfi mit ‚Capitel‘“ 128 überschrieben sind. Sein Interesse gilt der Poetik, und da- 124 Waldberg: Lyrik (Anm. 33), S. 4f. 125 Ebd., S. 41. 126 Ebd., S. 40, Anm. 2. 127 Karl Borinski: Die Poetik der Renaissance und die Anfänge der litterarischen Kritik in Deutschland. Berlin 1886. 128 Borinski: Poetik (Anm. 127), S. 49. Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 45 <?page no="45"?> 46 Eckehard Czucka mit rückt das Capitel 19 ( Von Art der deutschen Poetery ) ins Zentrum der Erörterung. Für die Bestimmung des Dichters in Strophe 11 („Niemand sich auch billig ein’n Poeten nennet“ u. s. f.) findet er Entsprechungen bei Opitz und Ronsard. Auch dieser Dichter [Hock] unterhält sich schon ernsthaft theoretisch „mit seinem Leser“ (Cap. V.), er richtet Verse an seine Satiren (Cap. III. Bl. 4) „Glück zu auff d’Raiß, zeucht hin in d’Welt“, wie Ronsard an sein Buch „va livre, va desboucle la carrière“ nach Horazischem Vorbild (Ep. I. 20). 129 Seine Zitate bleiben damit in dem Bereich, den Höpfner schon abgesteckt hatte 130 , die letzten sieben Kapitel finden nur pauschale Erwähnung. 131 Aber er erhebt einen fundamentalen Einwand gegenüber der Hockschen Klage über Sprachverfall und -verfälschung und der Kritik an der Lektüre der Volksbücher: Aber diese Leute bedachten nicht, wie gefährlich grade sie selbst für diese Sprache waren mit ihrem in Frankreich und Italien erworbenen classischen Geschmack. Da finden sich welsche Ausdrücke, Verschleifungen nach italienischer Art, italienische Melodien, französischer Satzbau, Anglicismen (bei Weckherlin), kurz ein fremdes Wesen, welches bei den ersten oft unglaublich unbehülflichen und rohen Versuchen mitunter bezweifeln läßt, ob die Verfasser in ihrer Muttersprache schreiben. So ist es denn auch mit der dichterischen Form. Daß Hoeck vom „scandiren, die Silben recht führen, den Daktylum und auch Spondeum rieren“ spricht, ist der reine Hohn. 132 Diese Kritik ist deutlich fundierter als alles, was bislang im 19. Jahrhundert Hock entgegengehalten wurde, klingt aber doch ein wenig nach dem Allgemeinen Deutschen Sprachverein, der 1885 gegründet wurde, und seiner Deutschtümelei. Nicht versagen kann Borinski sich, abschließend - wie andere vor ihm - auf die Vorbildfunktion von Lobwasser, Ernst Schwabe und vor allen von „dem wackeren hansestädtischen Syndikus Johannes Doman“ 133 zu verweisen. Koch 1893 s. unten (Anm. 162) Kochs Geschichte der deutschen Literatur von 1893, die zeitlich hierher gehört, wird aus systematischen Gründen in Kap. II behandelt. Wolkan 1894 1894 erscheint Wolkans Geschichte der deutschen Litteratur in Boehmen, die in den Ausgang des 16. Jahrhunderts auch noch Hocks Blumenfeld von 1601 einbe- 129 Ebd., S. 50. 130 Vgl. Höpfner: Reformbestrebungen (Anm. 51). 131 Borinski: Poetik (Anm. 127), S. 50, Anm. 2. 132 Ebd. 133 Ebd., S. 51. <?page no="46"?> zieht. 134 Wolkan beginnt mit einer biographischen Skizze, die auf Hocks Tätigkeit als Sekretär Rosenbergs zentriert bleibt und detailreich diesen als Förderer und Widmungsempfänger vorstellt. 135 Wittingau wird - vermutlich eher fälschlich - als Entstehungsort des Blumenfelds bezeichnet, auch geht für Wolkan „aus zahlreichen Stellen seines Werkes hervor“, dass es sich dabei nicht um Hocks Erstlingswerk handeln könne und „er schon früher litterarisch sich bethätigt“ haben müsse. 136 An den Beginn der Werkbetrachtung stellt Wolkan seine Einschätzung einer historischen Person namens Hock: Hoeck ist Philosoph und Dichter zugleich, er ist ein Ethiker, der sich sein eigenes System aufbaut, und das, was er für gut und wahr erkennt, allen Menschen zuruft, auf dass sie seine Stimme vernehmen; und ebenso offen geisselt er alles, was mit seiner innersten Ueberzeugung nicht in Einklang steht, unbekümmert um irgend welche Rücksichten; und es zeigt [sic! ] von der Freisinnigkeit auch seines Herrn, Peter Woks von Rosenberg, dass sein Secretär Dinge sagen durfte, die gewiss manchen in Woks Umgebung recht unangenehm berühren mussten. 137 Diese Charakteristik soll dann aus dem Werk belegt werden. Zu diesem Zweck nimmt er insgesamt 40 Gedichte in eine nähere (oder auch weitere) Betrachtung und gibt einen zusammenfassenden Eindruck zu den abschließenden historisierenden Capitel 85 bis 92. 138 Damit gibt Wolkan, Hoffmanns von Fallersleben Hock-Aufsatz von 1845 mit 18 Texten quantitativ weit übertreffend, den umfangsreichsten Eindruck des Blumenfelds im 19. Jahrhundert. Das Capitel 19 ( Von Art der deutschen Poeterey ) druckt er - zum zweitenmal nach Höpfner - in ganzer Länge ab mit der Begründung: „Was er [Hock] von der ‚Art der Deutschen Poeterey‘ (no. 19) denkt, ist so charakteristisch […]“. 139 Wolkans Resümee macht deutlich das Erkenntnisinteresse des Positivismus erkennbar: „Damit hätten wir den Inhalt der Gedichte Hoecks erschöpft, die unstreitig zu den interessantesten der ganzen Zeit gehören. Hoeck steht an der Schwelle einer neuen Zeit.“ Zwar werden „im gelegentlichen Gebrauch der Priamel und der Verwen- 134 Rudolf Wolkan: Geschichte der deutschen Litteratur in Boehmen bis zum Ausgange des XVI. Jahrhunderts. Prag 1894 [Böhmens Antheil an der deutschen Litteratur des 16. Jahrhunderts 3]. Ein Referat dazu, das einer weiteren Kommentierung bedarf, enthält Kraus: Höck (Anm. 18), S. 48f. 135 Wolkan: Geschichte 1894 (Anm. 134), S. 364f. 136 Ebd., S. 365. 137 Ebd. 138 Es handelt sich um die Capitel 1, 2, 4, 5, 6, 7, 9, 12, 13 [recte 23], 16, 24, 27, 28, 30, 31,32, 33, 37, 39, 40, 42, 43, 45, 48, 49, 52, 54, 55, 56, 58, 59, 63, 65, 66 [recte 67], 67 [recte 68], 72 [recte 73], 81 [recte 82],88 [recte 89], 89 [recte 90], 90 [recte 91], 91 [recte 92], globaler Verweis auf den Schluss (Capitel 85-91 [recte 85-92]). 139 Ebd., S. 374. Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 47 <?page no="47"?> 48 Eckehard Czucka dung des Sprichwortes“ wie in den „Beziehungen zum Gesellschaftslied“ rückwärtsgewandte Tendenzen gesehen, aber insgesamt - so Wolkan - „kündigt er doch eine neue Zeit dadurch an, dass seine eigene Persönlichkeit klar und scharf umrissen in den Vordergrund rückt, und er die nationale Poesie in den Kreis der Dichtung einführt.“ 140 In dem kurzschlüssigen Bezug vom Inhalt der Gedichte und der Konstruktion der „Persönlichkeit“ einer historischen Figur realisiert sich das Leben-Werk-Konzept vollständig. Dem so sistierten Inhalt folgt die Nennung von „Schattenseiten, die seine Gedichte so wenig beachtet bleiben liessen“; diese Argumentation impliziert eine konzeptuelle Inhalt-Form-Dichotomie, treten die Mängel doch nur in sprachlichen Phänomenen auf. Es ist dies einmal seine Vorliebe für die Italiener, die ihn zu einer grossen Menge von Fremdwörtern führt, namentlich aber seine Bevorzugung dialektischer Wendungen und Ausdrücke, die seine Sprache entstellen und das Verständnis seiner Dichtungen sehr erschweren. Ferner aber wird verantwortlich gemacht die gewaltsame Verkürzung des Artikels und der Vorsilben ge-, be-, zer-, der Präpositionen bei und zu, die weniger angewandt sind, Reimschwierigkeiten auszuweichen, als um den Dialekt beizubehalten. 141 Die Frage des Hockschen Dialekts, aber v. a. die Synkopen, Kontraktionen und Rekonstruktion voller Wortformen werden die Diskussion des frühen 20. Jahrhundert bestimmen. Wolkans Kritik der Fremdwörter bedient Tendenzen des Sprachpurismus, die durch den 1885 gegründeten Allgemeinen Deutschen Sprachverein virulent waren, der seinerseits aber Hock 1898 in eine Anthologie zur „Muttersprache“ aufnahm (siehe Anm. 145). Mit dieser Inhalt-Form-Konzeption geht einher ein eher großzügiger Umgang mit der Literarizität der behandelten Texte. So wird der Versuch Hocks genannt, am „Schlusse seiner Gedichtsammlung (no. 85-91) […] einen Ueberblick über die ältere deutsche Geschichte“ zu geben, „weil es so viele Leute gäbe, die der fremden Völker Gebräuche, Art, Gesetz und Sitten ausforschen und doch nicht wissen, wo, wann und wie ihre eigene Heimat den Ursprung genommen habe“; dieser doch wohl diskursive Sprechakt aber wird verstanden: „Er will von ihr erzählen“, wobei dieses „erzählen“ nichts weniger ist als epische Narration. Und Wolkan fährt fort: „Die gute Absicht wäre zu loben, aber Geschichte findet man nicht in seinen Reimen, nicht einmal so viel, als sonst im XVI. Jhd. Gemeingut 140 Ebd., S. 376f. 141 Ebd., S. 377. <?page no="48"?> war.“ 142 Selbst der bemerkte Widerspruch zwischen der Redeweise „Reime“ und dem Fehlen von dem, was doch angeblich „Gemeingut“ sein soll, führt nicht zu Irritationen und Überlegungen, ob die Wiedergabe von allgemein Bekanntem Aufgabe der Lyrik sein möchte. Die Textpräsentation belegt die immer noch verkürzte Wahrnehmung des Blumenfelds , dessen Umfang Hoffmann von Fallersleben mit 80 Gedichten angegeben hatte, während Wolkan 91 Texte zählt („Schlusse seiner Gedichtsammlung [no. 85-91]“ 143 , was eine Korrektur seiner Capitel-Angaben nötig macht. Bei der Angabe Capitel 13 statt recte 23 handelt es sich um eine offensichtliche Verschreibung, während die Angaben ab Capitel 65 um eins zu erhöhen sind. Das bedeutet, dass Wolkan zwar die von Koch beschriebene Verzählung bei Capitel 47 bemerkt und von da an die Nummerierung um eins erhöht hat, nicht aber die Auslassung des Capitel 65 im Inhaltsverzeichnis, so dass er, statt ein weiteres Mal die Nummerierung zu erhöhen, die falsche Zählung benutzt. Euphorion 1894 Im selben Jahr 1894 wird im ersten Band des neugegründeten Euphorion unter Nachrichten vermerkt: „In Vorbereitung befinden sich folgende Arbeiten: […] Berliner Dissertation über Theobald Höck“. 144 Diese Arbeit lässt sich nicht nachweisen und dürfte wohl nicht angefertigt worden sein. Koch 1897 s. unten (Anm. 166) Kochs zusammen mit Vogt verfasste Geschichte der deutschen Literatur von 1897, die zeitlich hierher gehört, wird aus systematischen Gründen in Kap. II behandelt. Deutscher Sprache Ehrenkranz 1898 Nachdem seit 1805 die Kenntnis Hockscher Texte über Miszellen, Liedersammlungen und wissenschaftliche Untersuchungen, v. a. aber durch Abdrucke in Literaturgeschichten vermittelt worden war, nimmt 1898 die erste thematische Anthologie ein Hock-Gedicht auf. Unter dem Titel Deutscher Sprache Ehrenkranz. Was die Dichter unserer Muttersprache zu Liebe und zu Leide singen und sagen 145 wurde sie 1897 für die Teilnehmer an der X. Hauptversammlung des 142 Ebd., S. 376. 143 Ebd. 144 Rudolf Prisching: Nachrichten. In: Euphorion 1 (1894), S. 233-235. 145 Paul Pietsch/ Günther Alexander/ Ernst Adolf Saalfeld (Hrsg.): Deutscher Sprache Ehrenkranz. Was die Dichter unserer Muttersprache zu Liebe und zu Leide singen und sagen. Berlin 1897. - Rezensiert von Otto Lyon: Paul Pietsch: Deutscher Sprache Ehrenkranz. In: Zeitschrift für den deutschen Unterricht 13,3 (1899), S. 218-226. Eine fünf Jahre früher Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 49 <?page no="49"?> 50 Eckehard Czucka Allgemeinen Deutschen Sprachvereins in Stuttgart als Manuskript gedruckt und erschien im darauffolgenden Jahr im Verlag ebendieses Vereins. Ausdrücklich hat das Unternehmen nicht die „Auswahl, sondern die Sammlung alles Hergehörigen [zum] Ziel.“ 146 Aufgenommen wurden das Capitel 19 ( Von Art der deutsche Poeterey ) unter Auslassung der Strophen 8 bis 10 und 12 bis 14, gefolgt von den Strophen 3 und 4 aus dem Capitel 89 ( Von der Deutschen Schrifft ). 147 Beigegeben sind (Wort-)Erklärungen in den Fußnoten sowie ein mit dem ablehnenden Diktum Gödekes 148 eingeleiteter Kommentar im Anhang: „Höcks hier mitgetheilte Strophen bestätigen dieses Urteil“. 149 Es folgen dann eine Paraphrase der ausgelassenen Strophen und Hinweise auf Hock als Vorläufer Opitz’ und auf vermutete Verbindungen zu Rollenhagen und auch zu Otfried. Nagl und Zeidler 1899 Die Deutsch-österreichische Literaturgeschichte von Nagl und Zeidler 150 ist gewillt, für Bestimmung regionaler Spezifika der Entwicklung (in Tirol und in anderen Alpenländern) „direct heimische und italienische Barocke [sic! ] anzunehmen“, und glaubt, „in Böhmen und Ungarn die verbindenden Fäden zwischen Deutschland und Österreich deutlicher nachweisen“ zu können. 151 Für den Übergang vom Volkslied zum Gesellschaftslied wird in Böhmen v. a. der Einfluss Rudolfs II. geltend gemacht und der Pfälzer Hock als Dichter von „Kunstliedern“ in den Blick genommen, der - im Vergleich mit Joachim Langes Erstes Buch schöner neuer weltlicher Lieder (1609) - „freilich um ein bedeutendes höher“ und „unter den Dichtern Böhmens […] mit an erster Stelle“ stehe. 152 Die Tätigkeit als „Sekretär des letzten der Rosenburge [sic! ] Peter Wok“ wird als Hinweis genommen, dass in Wittingau die Sammlung von Gedichten entstanden ist, in denen „durchaus ernste[r] Inhalt und männliche[…] Gesinnung“ erkannt werden. Dieses Deutungsmuster entspricht ganz offensichtlich dem in erschienene Anthologie für den Schulgebrauch (in modernisierter Schreibung), aber auf den fraglichen Zeitraum eingegrenzt, kennt Hock nicht. Vgl. Gotthold Bötticher (Hrsg.): Die Litteratur des siebzehnten Jahrhunderts. Halle 1892 [Denkmäler der älteren deutschen Literatur]. 146 Pietsch und Saalfeld (Hrsg.): Ehrenkranz (Anm. 145), S. III. 147 Ebd., S. 16-18. 148 Vgl. Goedeke: Grundriss (Anm. 83). 149 Pietsch und Saalfeld (Hrsg.): Ehrenkranz (Anm. 145), S. 291. 150 Johann Willibald Nagl/ Jakob Zeidler (Hrsg.): Deutsch-österreichische Literaturgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Dichtung in Österreich-Ungarn. Von der Colonisation bis Kaiserin Maria Theresia. Wien 1899, S. 777f. 151 Ebd., S. 776. Diese Aspekte spielen dann bei Nadler 1913 (Anm. 341) eine zentrale Rolle; sie führen aber noch am Ende des 20. Jahrhunderts zu einer bösen Kontroverse, in deren Zentrum Hock steht (Anm. 599). 152 Ebd., S. 777. <?page no="50"?> Hoffmanns von Fallersleben Aufsatz 153 . Die aus dem Werk gezogene Charakteristik wird auf das Leben projiziert, in dem sich der Charakter bewährt, wie wiederum das Werk beweist: Obwohl im Herrendienst, weiß er nicht zu schmeicheln und deckt das charakterlose Wesen auf, das solchenorts häufig zu gedeihen pflegt; auch an flüchtiger Liebe ist ihm wenig gelegen. Von kleinlichen Interessen hat er sich abgekehrt zu den Interessen der Menschheit; so ist er Philosoph und Dichter zugleich, ein Ethiker mit einem festen System, ein Mann von festem Charakter, der ungesehen gegen alles sich wendet, was seiner Überzeugung widerspricht. 154 Erstaunlicherweise wird kein Versuch unternommen, Qualifizierungen wie „Philosoph“ oder „Ethiker“ historisch oder systematisch zu belegen, obwohl doch die Aussage „Der Grundzug seines Wesens ist abgeklärte Ruhe, die ihn in allen Dingen, in jeder Lebenslage Maß halten lehrt.“ geradezu einen Hinweis auf den Stoizismus etwa aufdrängt. Wichtiger aber scheint Nationalstolz (durchaus im Sinne des 19. Jahrhunderts) zu sein, der über reinen Sprachpurismus hinausgeht; denn: Und was besonders angenehm an ihm berührt, ist sein offenes Eintreten für seine deutsche Gesinnung, seine Gegnerschaft gegen das fremde, gezierte Wesen, das sich bereits damals bedenklich genug ankündigte. 155 Da bleiben nach diesem Leben-Werk-Abriss nur zwei Sätze zum literarischen Werk, die kaum mehr als Paraphrase mit Quellenkunde sind: Man wird bei ihm an die Tendenzen des Melissus Schede gemahnt. Zuweilen glaubt man Neidhart zu vernehmen, wenn er „Lienl Baur“ räth, statt der „edlen Rose zart“ eine tüchtige Viehmagd zu heiraten. 156 Toischer 1900 Offenbar ohne Kenntnis der 1899 erschienenen Edition des Blumenfelds schließt Toischer in einer Darstellung der ‚deutschen Literatur in Böhmen‘ Hock an die Gelehrsamkeit des ‚Kunstgemäßen Gesellschaftsliedes‘ an. 157 Er gibt einen 153 Vgl. Hoffmann von Fallersleben: Höck (Anm. 34), S. 416 u. ö.: „So sehen wir unsern Dichter aus den Täuschungen und Klagen einer leidenschaftlichen Jugendzeit sich frühzeitig auf einen heitern Gipfel männlicher Lebensanschauung retten“. 154 Nagl/ Zeidler (Hrsg.): Literaturgeschichte (Anm. 150), S. 777. 155 Ebd., S. 777f. 156 Ebd., S. 778. 157 Wendelin Toischer: Deutsche Litteratur in Böhmen. I. Die ältere Litteratur bis 1750. In: Hermann Bachmann (Hrsg.): Deutsche Arbeit in Böhmen. Kulturbilder. Mit Unterstüt- Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 51 <?page no="51"?> 52 Eckehard Czucka knappen Hinweis auf Hocks Leben und paraphrasiert einigermaßen ausführlich das Capitel 19, das ebenso wie die Hinweise auf die „Geschichte der alten Deutschen“ und Erwähnungen der „ältesten deutschen Sprachdenkmäler“ („mögen auch seine Kenntnisse davon noch so unbedeutend gewesen sein“) in die Perspektive von Opitz gestellt wird. Für die Person Hocks wird die zum Topos gewordene Charakterisierung Hoffmanns von Fallersleben („zeigt einen ernsten, männlichen Charakter“) bemüht, jedoch: Der Erfolg seiner Dichtungen scheint freilich sehr gering gewesen zu sein und doch sind die Grundsätze für die „deutsche Poeterei“, die er 1601 vertritt, im Laufe des XVII. Jahrhunderts zur allgemeinen Anerkennung gekommen und so ist sein „Schönes Blumenfeldt“ für die Litteraturgeschichte [sic! ] nicht unbedeutend. 158 Bemerkenswert scheint, dass und wie Toischer es versteht, alle deutsch-tschechischen Konflikte, die um die Jahrhundertwende schon virulent waren, auszusparen. 159 I.4 Resümee: Literaturgeschichten und Anthologien des 19. Jahrhunderts Seit der ersten Erwähnung des Blumenfelds durch Docen 1807 fand bis 1899 die Auseinandersetzung mit Hock - abgesehen von der einzigen monographischen Arbeit Hoffmanns von Fallersleben - in Aufsätzen und v. a. in literaturgeschichtlichen Verzeichnissen und Darstellungen 160 statt, die durch Zitierungen auch bis dahin unbekannter Texte die Aufgabe von Anthologien zu übernehmen scheinen. Von den 92 Gedichten des Blumenfelds werden 32 Texte insgesamt 55 mal zitiert. Eine Übersicht der Titel und der Orte findet sich im Anhang Tabelle 1: Anthologien bis 1900 . Nur neun Texte werden an verschiedenen Orten vollständig wiedergegeben, die Capitel 6, 7, 10, 14, 19, 48, 49, 62, 68. Die erstmals von Docen abgedruckten Capitel 55 und 68 werden insgesamt sechsmal zitiert und bilden das Fundament des mehrfach geäußerten Eindrucks, es gehe im Blumenfeld zentral um Liebe zung der Gesellschaft zur Förderung deutscher Wissenschaft, Kunst und Litteratur in Böhmen. München 1900, S. 133-156. 158 Ebd., S. 153. 159 Siehe dazu Václav Bok: Wendelin Toischer - ein halb vergessener Germanist. In: Milan Tvrdík/ Lenka Vodrážková-Pokorná (Hrsg.): Die Germanistik in den Böhmischen Ländern im Kontext der europäischen Wissenschaftsgeschichte (1800-1945). Wuppertal 2006 [Arco Wissenschaft], S. 45-57, S. 215-218. 160 Nicht erwähnt ist Hock bei Theodor Mundt: Allgemeine Literaturgeschichte. Bd. II: Die Literatur der Reformationsperiode und des achtzehnten Jahrhunderts. Berlin 1846 und Wilhelm Scherer: Geschichte der Deutschen Litteratur. Berlin 1883. <?page no="52"?> und Liebesklage sowie um das Hofleben. Die schon bei Docen ausgelassene letzte Strophe des Capitels 55 Was ist jetzt aber ’s Glück, Das sich der Mensch erwählet? Es ist das Fatum dick, Gott und der Tod es bestellet, Wie es ihnen beiden gefället. fehlt auch in allen weiteren Zitierungen. Die Thematisierungen der Literatur und der Sprache werden in der viermaligen Zitierung des Capitels 19 und der dreimaligen des Capitels 89 präsentiert. Nur Höpfner zitiert - unter ausdrücklichem Hinweis auf dessen Bedeutung - Capitel 19 ganz, sonst bleibt es bei dessen auszugsweiser Darbietung. Die einzige Anthologie des 19. Jahrhunderts, in die Hock Aufnahme findet, gibt das Capitel 89 im Sinne der Intention des Sprachpurismus verkürzt wieder, Waldberg zitiert nur eine Strophe, den Fundort seines wortkundlich-begriffsgeschichtlichen Belegs, während Höpfner dieselbe Stelle als Begründung für Hocks poetologischen Versuch mit Capitel 19 bringt. Weitere acht Gedichte werden in verkürzter Form je zweimal, weitere zwanzig je einmal erwähnt. Das erscheint als schmale Textbasis für die doch - wie oben aufgezeigt - meinungsstarken Urteile, unter denen die Gödekes (Anm. 83) und Borinskis (Anm. 127) hervorstechen. Eine bemerkenswerte Konstante in der Forschung des 19. Jahrhunderts ist die Relation, in die Hock mit Doman wie mit Schwabe von der Heyde gesetzt wird. Wackernagel, Kurz, Höpfner und Borinski vergleichen Hocks Gedichte mit dem Schön new Lied von der alten teudtschen Hansa des Johannes Doman, durchaus zu ungunsten Hocks. Koberstein und Borinski verweisen auf Schwabe von der Heyde. Die beiden letzten im 19. Jahrhundert erschienenen Literaturgeschichten, die Hock behandeln (also Wolkan sowie Nagl und Zeidler), zeigen in ihrer Methodik einen voll entwickelten Positivismus, zugleich aber sind Tendenzen einer Regionalisierung zu finden, die auf das Beschreibungsmodell vorausweisen, das sich mit Nadlers Literaturgeschichte der deutschen Stämme und Landschaften 1913 (Anm. 341) etabliert. Bei Wolkan sind auch Nationalismen zu erkennen, die das 20. Jahrhundert bestimmen werden. Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 53 <?page no="53"?> 54 Eckehard Czucka II Max Koch, Theobald Hock und die Edition des Schönen Blumenfelds II.1 Vorarbeiten Kochs 1893, 1897 Max Koch, der seit 1890 den neugegründeten Lehrstuhl für neuere Literaturgeschichte in Breslau besetzte, 161 verfasste 1893 für die Sammlung Göschen eine Literaturgeschichte, die in drei Kapiteln Von der ältesten Zeit und Mittelalter über Reformation und Renaissance und Das achtzehnte und neunzehnte Jahrhundert reicht. 162 Obgleich er auf Lemcke verweist und dessen ausführliche Hock-Erörterung kennen könnte, 163 lässt er die Beschreibung der Literatur des 17. Jahrhunderts mit Opitz und den Sprachgesellschaften beginnen. 164 Vier Jahre später, 1897, erscheint eine zusammen mit dem Breslauer Kollegen Friedrich Vogt 165 verfasste Literaturgeschichte, 166 die zu einer zweibändigen Ausgabe erweitert 1904 erscheint. 167 Hier findet sich ein eher knapper Hinweis auf Hock, der so eingeleitet wird: Schon im Jahre 1601 warf Theobald Hock (geb. 1573), ein an den Hof des böhmischen Dynasten von Rosenberg verschlagener Pfälzer, in seinem „Schönen Blumenfeldt“ die Frage auf, warumb [sic! ] wir nicht in unserer deutschen Sprache auch „gwisse Form und Gsatz“ machten, um „die Kunst des deutschen Carmen bei Mann und Weiben in Ansehen zu bringen“. 168 Zentral gestellt ist das Capitel 19 ( Von Art der Deutschen Poeterey ), das in einer bemerkenswert ungeschickten Weise vorgestellt wird. Kann man über die Wiedergabe des „vnd“ als „und“ im ersten Zitatfragment wegsehen, so ist das 161 Schulz, Hans-Joachim: Koch, Max. In: Neue Deutsche Biographie 12 (1979), S. 272f. URL: https: / / www.deutsche-biographie.de/ pnd116273143.html#ndbcontent (zuletzt abgerufen am 19. März 2018). 162 Max Koch: Geschichte der deutschen Litteratur. Stuttgart 1893 [Sammlung Göschen 31]. Eine 6., neu durchges. Aufl. erschien 1906. 163 Ebd., S. 114. Vgl. Lemcke: Geschichte (Anm. 85). 164 Ebd., S. 116ff. 165 Eine Station auf dem Karriereweg Vogts, der als „einer der letzten großen Germanisten der älteren Schule“ [Wikipedia] gilt, war die Universität Breslau, an der er von 1889 bis 1902 als Professor tätig war. 166 Friedrich Vogt/ Max Koch: Geschichte der deutschen Litteratur. Von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart. Leipzig [u. a.] 1897, S. 326. 167 Der identische Text wieder in Max Koch: Die neuere Zeit. Vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart. 2., neubearbeitete und vermehrte Aufl. Leipzig und Wien 1904 [Geschichte der deutschen Literatur von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart von Friedrich Vogt und Max Koch 2], S. 4. 168 Ebd. <?page no="54"?> Hocksche „warumb“ in Kochs Beschreibungssprache ein merkwürdig wirkender Archaismus. Dem folgt die als Zitat ausgewiesene Klitterung der Strophe 6. Daran schließt sich eine kuriose Prosafassung des Capitels 19 an, die zwischen mimetischer Anpassung und distanzierendem Kommentar („klagt er“) schwankt, aber als Zitat eingerückt ist. Der weitere Bericht Kochs verweist auf die Capitel 85 bis 92 (die „unter Benutzung der Aventinischen Chronik […] abgefaßten Gedichte“), die ihn „an die schlimmsten Reimereien der Meistersinger erinnern“, und er beklagt, dass „die moralisierenden Ermahnungen in anderen Gedichten […] sich seltsam mit Anklängen an den Minnedienst“ mischen. Doch dem solchermaßen vorbereiteten Verdikt Dem bewußten Streben nach einer kunstvolleren, gefälligen Ausdrucksweise folgt immer unvermerkt der Rückfall in die plumpe alte Gebeweise. folgt dann völlig überraschend die Salvierung: Allein gerade dieser Wechsel von Altem und Neuem macht den an der Schwelle des Jahrhunderts stehenden Dichter, der im Hof- und Liebesleben wie als hart verfolgter Agent der protestantischen Partei in Böhmen mannigfache bittere Erfahrungen sammelte, zu einer bedeutsamen und lehrreichen Erscheinung. Auch, wenn der „fünfzehn Jahre später“ auftretende Weckherlin „schon ein viel neumodischeres Gepräge“ zeige. 169 II.2 Die Edition 1899 Diese vorlaufende Präsentation Hocks lässt kaum vermuten, dass zwei Jahre später Koch das Blumenfeld als „Abdruck der Ausgabe 1601“ herausgibt. Diese Ausgabe macht erstmals das Hocksche Werk in Gänze zugänglich und beendet damit die Rezeption des 19. Jahrhunderts, die eher selektiv war und sorglos mit den Texten umging, dafür aber - wie auch Koch - ablehnend urteilsfreudig war. Gleichzeitig bildet diese Ausgabe die Grundlage für die Rezeption im 20. Jahrhundert und steht deshalb eigentlich nicht auf der Grenze zwischen beiden Jahrhunderten, sondern ist u. E. der Hock-Rezeption des 20. Jahrhunderts zuzurechnen. Dem Abdruck ist eine unbetitelte, von I bis III durchgezählte Einleitung 170 vorangestellt. In I. folgt auf einen Überblick zur Forschung und die Beschreibung der bekannten Exemplare des Blumenfelds ein Bericht der Recherchen nach weiteren Exemplaren. Das von Koch bezeichnete, aber nicht auffindbare Prager Exemplar in „der Bücherei des Metropolitan Domkapitels“ mit dem Vermerk „Sign. 169 Alle Zitate ebd. 170 Max Koch: [Einleitung] I-III. (Anm. 9), S. III-LXII. Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 55 <?page no="55"?> 56 Eckehard Czucka K. 2S. Otheblad Ockhen Schones Blumenfeldt auf jetzigen Stand nebst Rollenhagen seltsame Reisen“ dürfte jetzt aufgetaucht sein 171 (siehe den Beitrag von Sikander Singh in diesem Band). Ausführlich widmet Koch sich der Beschreibung des von ihm zugrundegelegten Breslauer Exemplars mit den Münchner und Berliner Exemplaren und stellt Überlegungen zum Druckort an, die von der Annahme ausgehen „ Lignitz im Elsas ist zweifellos das schlesische Liegnitz.“ 172 , schließt am Ende aber den Liegnitzer Buchdrucker Nikolaus Schneider oder Sartorius aus und vermutet Prag als Druckort. An die bedauernde Feststellung am Schluss des Abschnitts I., dass „somit ein scheinbar feststehender Punkt in der Geschichte von Hocks Autorenschaft wieder wankend geworden“ ist, schließt Koch ohne erkennbaren Zusammenhang zuerst eine Mitteilung an: so wurde es dafür möglich, zwei bisher völlig unbekannte Schriften Hocks [die Copey der Defensionsschrift von 1619 und das Commonitorium ] aus den reichen und stets so gefälligst zur Benutzung gestellten Schätzen der Breslauer Stadtbibliothek auszunutzen und [das bleibt für diesen Moment völlig kontextfrei] dadurch der gehässig einseitigen Darstellung von czechischer Seite eine unparteiisch abwägende Darstellung von Hocks Thaten und Leiden gegenüberzustellen. 173 Der Eindruck, dass hier ein Dialog geführt wird, dessen Antagonist unbekannt ist, bestätigt sich Jahrzehnte später durch den Aufsatz von Kraus 1936, 174 der der Kochschen Danksagung nach „Prag, wo Herr Professor Dr. Ernst Krauss [sic! ], dem ich auch den Nachweis der czechischen Aufsätze über Hock verdanke,“ 175 einen neuen Sinn gibt. Auf diesen Kontakt bezieht sich Kraus 1936, der von dem in Rede stehenden Sommer 1898 schreibt: „als ich für Max Koch vergeblich nach Exemplaren des Blumenfelds in böhmischen Bibliotheken suchte.“ 176 Eine captatio benevolentiae für die späte Antwort, die Kraus am Ende seines Beitrags versteckt hat, lässt vermuten, dass die Zusammenarbeit nicht ohne Spannungen war: Wie jedes Übel sein Gutes hat, so brachte der Pauschalangriff Kochs gegen die Objektivität der tschechischen Wissenschaft einen grossen Gewinn. […] war es doch ursprünglich meine Absicht, das reiche Material an neuen Erkenntnissen den Lesern Kochs zur Kenntnis zu bringen, eine Absicht, deren Ausführung freilich leider gleichfalls um dreissig Jahre durch andere Beschäftigungen aufgehalten, ja fast vereitelt 171 Ebd., S. IVf. 172 Ebd., S. IX. 173 Ebd., S. X. Über den Fund der Denkschrift [d. i. Copey eines Schreibens (…)] siehe ebd., S. XXXV. 174 Kraus: Höck (Anm. 18). 175 Koch: [Einleitung] (Anm. 9), S. V. 176 Kraus: Höck (Anm. 174), S. 45. <?page no="56"?> wurde. Erst die Abfassung meiner kurzen „Geschichte der deutschen Literatur auf dem Gebiete der Tschechosl. Republik bis zum J. 1848“ ([…] Prag 1933) brachte mir diese alte Schuld an die deutschen Fachgenossen wieder zum Bewusstsein und meine D[a]rstellung wiederholt das von Mareš gefundene mit Unterdrückung des überreichen Details [u]nd zuweilen mit abweichender Deutung der Tatsache. 177 Hier wird der Beginn eines Dissenses beschrieben, der bis in die 1940er Jahre reichen wird und dessen Einzelheiten bei der Diskussion des Beitrags von Kraus (Anm. 174) erörtert werden. Zu lesen ist Kochs Schlusssatz zu I. als Eröffnung der biographischen Skizze zu Hock in Abschnitt II., die fast 33 Seiten umfasst und an deren Anfang Koch die Namensform „Höck“ als falsch abweist und damit die heute gültige Sprachregelung begründet (siehe Kap. V). Die biographischen Ausführungen Kochs realisieren einen Positivismus, der - methodenkritisch betrachtet - am Kasus Hock gerade nicht eine Leben-Werk-Relation entwickeln kann, so dass der Biographismus ins Absurde umzuschlagen droht. Denn das literarische Werk Schönes Blumenfeld ist ohne Dichterbiographie, liegen doch die Jahre zwischen dem Verlassen der Schule 1589 und dem Erscheinen der Gedichte in völligem Dunkel; die bewegte Biographie zwischen 1601 und dem Verschwinden Hocks aus dem Blickfeld der Historie bleibt jedoch ohne Werk, will man nicht das Commonitorium und die Defensionsschrift von 1619 zur Literatur rechnen. 178 So legt Koch ausführlich das Leben Hocks als Sekretär des Wok von Rosenberg dar, indem er sich auf historische Forschungen deutscher, v. a. jedoch tschechischer Forscher stützt (Sedláček, Rybička), denen er ‚nationale Gehässigkeit‘ vorwirft und entgegenhält, dass „Hocks dichterische Thätigkeit […] freilich von seinen beiden czechischen Biographen nicht mit einem Worte erwähnt [werde], während Hoepfner vom ‚Blumenfeldt‘ mit Recht rühme, dass ‚überall hier in und zwischen den Zeilen Lebensgeschichte zu lesen“ sei. 179 Während Ersteres sich auf die Darstellung der Verwicklungen bezieht, in die Hock nach dem Tode Woks von Rosenberg und während seines Prozesses geriet, beruht das angebliche „Verschweigen“ des Blumenfelds auf einem Umstand, den Kraus damit erklärt, dass es bis „zum Sommer 1898 […] für die Wissenschaft zwei Höck oder Hock“ gegeben habe: die deutsche Literaturgeschichte beschäftigte sich seit dem J. 1845 mit dem Dichter des Schönen Blumenfelds, die böhmische Geschichte mit dem Rosenbergischen Sekretär. 177 Ebd., S. 62f. 178 Über die Ähnlichkeit des Mottos der Defensionsschrift zu dem auf dem Titel des Blumenfelds handeln Koch wie Kraus. Ebd., S. 62. Zuvor auch Koch: [Einleitung] (Anm. 9), S. XLII. 179 Ebd., S. XIII. Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 57 <?page no="57"?> 58 Eckehard Czucka Ihre Vereinigung vollzog sich in mir, als ich für Max Koch vergeblich nach Exemplaren des Blumenfelds in böhmischen Bibliotheken suchte, dabei selbstverständlich auch in Wittingau anfragte und vom H. Archivdirektor Fr. Mareš auf die andere Seite dieser Doppelpersönlichkeit aufmerksam gemacht wurde. Die Folge war die Bereicherung von Kochs Einleitung um ihr wertvollstes Kapitel, doch wie vorher bewegt sich die Höckliteratur auch weiterhin zum grössten Teil in zwei Richtungen, deren eine den Dichter, die andere den Menschen zum Gegenstande hat. 180 Diese Einlassung ist insofern merkwürdig, als schon Hoffmann von Fallersleben 1845 Hock als Rosenbergschen Sekretär eingeführt und auf eigene Forschungen in Wittingau verwiesen hatte. 181 Auch ist allen anderen Hock-Forschern des 19. Jahrhunderts die literarisch-politische Doppelrolle ihres Autors bekannt. Die Gründe für den einseitigen Blick mögen (in den Begriffen des 21. Jahrhunderts formuliert) auf einem interkulturellen Missverständnis oder einer Rezeptionsstörung beruhen; der Umgang damit auf Seiten Kochs deutet wohl auf nationalistische Ressentiments, die ihren Gegenpart in tschechischen Nationalismen am Ende der habsburgischen Herrschaft in Böhmen haben mögen. 182 Koch folgt unter der Ziffer II seiner Einleitung konsequent der positivistischen Linie, die bei Höpfner vorgezeichnet ist, und liest „in und zwischen den Zeilen“ des Blumenfelds „Lebensgeschichte“. Wie das geht, zeigt exemplarisch ein Blick auf den Abschnitt I.: Von seiner Kindheit erzählt der Dichter in Nr. 14 […] Die Reisen ins Ausland […] werden durch Gedichte wie Nr. 43 (Strophe 2 bis 4) und 54 bestätigt. Höepfner hat auch den drei ersten Strophen von Nr. 64 autobiographische Bedeutung zugesprochen. Weitausgreifend, vom Ende des Lebens auf seinen Beginn zurückphantasierend, nur gestützt auf Blumenfeld -Texte, heißt es dann: Wenn man andrerseits die Nachricht, dass Hock 1619 beim Kriegsausbruch als Oberst eintrat, mit Aeusserungen in den Gedichten Nr. 25. 46. 54. (V. 9) 61. 79. 80 zusammenbringt, so erhalten wir wohl ein Recht [sic! ], uns den jungen Theobald Hock während seiner Wanderjahre vor Eintritt in den Rosenbergischen Dienst eine Zeit lang auch als Kriegsmann zu denken. 180 Kraus: Höck (Anm. 18), S. 45. 181 Vgl. Hoffmann von Fallersleben: Höck (Anm. 34), S. 405. Siehe auch Anm. 42. 182 Erinnert sei hier nur an die Aufteilung der Prager Universität in eine tschechische und eine deutsche Hochschule, die 1882 aufgrund einer Übereinkunft im Wiener Parlament 1881 vollzogen wurde. Eine knappe neuere Darstellung siehe URL: http: / / www.radio.cz/ de/ rubrik/ geschichte/ die-deutsche-universitaet-in-prag-1882-1945 (zuletzt abgerufen am 14. Juli 2018). <?page no="58"?> Wenn aber andererseits der Text nicht durch das „Leben“ gestützt erscheint, kommt es umgehend zum Verdikt über die „letzten, historischen Gedichte des ‚Blumenfeldts‘“, die „so sehr an die Dichtungsweise der Meistersinger“ erinnern, diese „unerfreulicheren Reimereien“. 183 Dass aber der Dichter von seiner Kindheit erzählt, Gedichte sogar von Liebessachen erzählen, 184 wird nicht als Gattungsproblem gesehen. Dagegen gerät bei Koch die Erörterung der von Höpfner aufgeworfenen Frage, ob es sich bei den Texten um Gedichte oder doch eher um Satiren handle, unter der Hand zu einer Paraphrase der Gedichte, die zu einer weiteren Lebensbeschreibung als Rekonstruktion der Gedankenwelt wird. 185 Im Abschnitt III der Einleitung geht es Koch um literaturwissenschaftliche Fragestellungen wie Einflüsse durch Autoren der Antike, der Renaissance, des Meistersangs, durch die französische und italienische Literatur, 186 Zusammenhänge mit dem Volks- und dem Gesellschaftslied; er nennt Thematisches wie Teufels- und Aberglauben, religiöse Bezüge (insbesondere zum Protestantismus) und geschichtliche Quellen (Aventin). 187 Als ausgemacht gilt für Koch, dass „die besondere litterargeschichtliche Bedeutung Hocks und seiner Gedichte […] darin [liege], dass wir in ihm einen schüchternen Vorläufer von Martin Opitz und seiner Reform erkennen.“ 188 Es schließen sich Untersuchungen zur Strophenform, zum Reimschema, zum Endreim und zu Schreibkonventionen an. 189 Eine weitergehende Erörterung der Kochschen Argumentation erübrigt sich an dieser Stelle, da die ausführliche Auseinandersetzung mit dem von Koch Beigebrachten die Diskussion des frühen 20. Jahrhunderts bestimmen wird, die wir an gegebenem Ort behandeln werden und die 1975 mit dem Blumenfeld (Hanson) ihre Zusammenfassung findet. Trotz der Einrede Kösters (Anm. 229) ist die Feststellung des Umfangs des Blumenfelds und die damit verbundene Richtigstellung der Kapitelzählung ein bleibendes Verdienst der Kochschen Edition. In Fußnoten zum Verzeichnus aller hierinn begriffener Capitul gibt er als Erläuterung: Bei Nr. 47 fehlt im Inhaltsverzeichnis die Numerierung völlig, während sie im Texte fälschlich mit XLV bezeichnet ist, so dass im Neudruck sich die Zahlen von hier an um eine verschieben. 190 183 Koch: [Einleitung] (Anm. 9), S. XLVIII. So auch schon in Kochs Literaturgeschichten vgl. Anm. 168. Ferner S. LI: „Je mehr man sich in die Gedichte des ‚Blumenfeldts‘ hineinliest, um so wahrscheinlicher findet man einen Zusammenhang Höcks mit der Dichtung der Meistersingerschulen.“ 184 Ebd., S. XVII. 185 Ebd., S. XLVII. 186 Ebd., S. XLII-XLVI. 187 Ebd., S. XLVI-L. 188 Ebd., S. L. 189 Ebd., S. LIII-LVIII. 190 Blumenfeld (Koch), S. 142. Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 59 <?page no="59"?> 60 Eckehard Czucka Nr. 65 fehlt im Inhaltsverzeichnis völlig, so dass von hier an die Zahlen des Neudruckes sich der alten Ausgabe gegenüber um zwei verschieben. 191 Dass die gesamte Forschung des 19. Jahrhunderts diese Fehler nicht (Hoffmann von Fallersleben u. a.) oder nur teilweise bemerkt (Wolkan) hat, erschüttert ganz wesentlich und über Hock als vermeintlichen Einzelfall hinaus die Vorstellung einer philologischen Genauigkeit als conditio sine qua non für einen wissenschaftlichen Textumgang. Die Blumenfeld -Rezeption wird so zum Menetekel einer positivistisch ausgerichteten Literaturwissenschaft, die sich - trotz gegenteiliger Beteuerungen - ihres Gegenstandes gerade nicht mit Akribie vergewissert, dafür aber meinungsstarke Urteile zu formulieren weiß, wie die Übersicht zeigt. 192 Die Folgen einer solchen literarischen Textferne 193 dauern in der Blumenfeld -Rezeption fort. Schon in einer der ersten Rezensionen dieser Edition formuliert Köster Vorbehalte gegen eine dieser Korrekturen (siehe Anm. 206), und noch 1936 wendet Kraus gegen die Richtigstellung ein: Koch „berichtigt […] die Numerierung der Kapitel, so dass sie mit dem Original etwas differieren, was ein bedenklicher Vorgang ist.“ 194 Kraus macht allerdings auch keinen anderen Vorschlag, wie mit den Zählfehlern umzugehen sei. Hanson, in dessen kritischer Ausgabe von 1975 ( Blumenfeld [Hanson]) das Inhaltsverzeichnis gänzlich fehlt, übernimmt stillschweigend die Kochsche Zählung bei der Präsentation der Hock-Gedichte, führt aber aus technischen Gründen (siehe unten) für seine Kommentare eine durchgehende Zeilenzählung ein. III Rezeption im 20. Jahrhundert III.1 Max Kochs Edition - Die Kritik und deren Folgen Kochs Edition des Blumenfelds findet unmittelbare und breite Beachtung: allein 1900 erscheinen sieben Rezensionen. 195 Die Auseinandersetzung über diesen Neudruck wird die Hock-Rezeption bis in die 1940er Jahre bestimmen und 191 Ebd., S. 143. 192 Mit methodischen Folgerungen, die nicht unbedingt geteilt werden müssen, findet sich eine schlagende Darstellung des Problems im 20. Jahrhundert bei Joachim Rickes: Das ungenaue Lesen der gegenwärtigen Germanistik. Ein Plädoyer für das scheinbar Selbstverständliche: close reading. In: Wirkendes Wort 49,3 (1999), S. 431-444. Dazu auch die weitausgreifende Fallstudie zu Thomas Mann in Joachim Rickes: Der sonderbare Rosenstock. Eine werkzentrierte Untersuchung zu Thomas Manns Roman „Königliche Hoheit“. Frankfurt am Main 1998; [zugl.: Düsseldorf, Univ., Habil.-Schr. 1997]. 193 Ebd., S. 17-30 und das Kapitel „Das Manko der Textferne“, S. 56-71. 194 Kraus: Höck (Anm. 18), S. 49. 195 Prima vista ist anzunehmen, dass die Artikel unabhängig voneinander entstanden sind. Eine explizite oder implizite Bezugnahme ist nicht erkennbar. <?page no="60"?> mündet 1975 in der von Hanson veranstalteten kritischen Ausgabe ( Blumenfeld [Hanson]), die die Einzelheiten der gesammelten Vorbringungen im Kommentarteil unter die Kategorien I. Metrik und Reim, II. Texterklärungen und III. Quellen systematisch sortiert und in einer Zusammenschau auswertet. III.1.1 Die drei ersten Rezensionen aus Böhmen - 1900 Eine grundsätzlich positive Aufnahme findet das Blumenfeld (Koch) schon 1900 bei den drei böhmischen 196 Germanisten Wolkan 197 , Zeidler 198 und Spina 199 . Wolkan, der durch das Hock-Kapitel in seiner Literaturgeschichte 1894 ausgewiesen war, erinnert einleitend an seine Vorbereitungen eines Neudrucks in „Bibliothek deutscher Schriftsteller aus Böhmen“ und begrüßt das Kochsche Unternehmen. Seine Anmerkungen beschäftigen sich ausschließlich mit der Einleitung Kochs, v. a. mit der Darstellung der Biographie Hocks und der Frage nach der Testamentsfälschung; die Exkulpierung Hocks referiert er, ohne auf die von Koch vorgetragenen Attacken auf die tschechische Forschung einzugehen. Kochs Entscheidung für die Namensform „Hock“ akzeptiert Wolkan, weist aber darauf hin, dass „im Text selbst […] überall Höck stehen geblieben“ und „überhaupt die Schreibweise der Eigennamen nicht immer richtig“ 200 sei. Zeidler ist durchaus gründlich in der Nachzeichnung der Editions- und Rezeptionsgeschichte vor dem Erscheinen des Neudrucks und nimmt Bezug auf biographische und inhaltliche Aspekte, aus denen er - anders als Wolkan der Kochschen Exkulpation zustimmend - auf eher dunkle Seiten des Hockschen Charakters abhebt. Der Namensform „Hock“ stimmt er zu und begrüßt ausdrücklich „die dankenswerthe Ausgabe K.s“. 201 Spina 202 begrüßt die Neuausgabe des Blumenfelds , da sie 196 Diese Bezeichnung wird hier ohne politische Implikation gebraucht; sie benennt den Ort der deutschsprachigen Germanisten in dem unter habsburgischer Herrschaft stehenden Gebiet vor Gründung der Tschechoslowakei ohne Stellungnahme zu den Konflikten zwischen der deutsch- und tschechischsprachigen Bevölkerung. 197 Rudolf Wolkan: Theobald Hock, Schönes Blumenfeld. In: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Deutschen in Böhmen 38 (1900), Beilage S. 66f. Ferner die knappe Anzeige von Rudolf Wolkan: Rezension von Max Kochs „Schönes Blumenfeld“. In: Literarisches Zentralblatt (1900), Sp. 154. 198 Jakob Zeidler: Rezension von Max Kochs Neuausgabe des „Schönen Blumenfelds“. In: Deutsche Literatur Zeitung 21 (1900), S. 1504-1506. 199 Franz Spina: [Rezension] Hock Theobald, Schönes Blumenfeld. In: Euphorion 7 (1900), S. 164-166. 200 Wolkan: Hock (Anm. 197), S. 67. 201 Zeidler: [Rezension] (Anm. 198), S. 1506. 202 Spina schrieb seine Rezension ein Jahr bevor er 1901 promoviert wurde und eine Tätigkeit als Gymnasialprofessor in Mährisch Trübau aufnahm, also noch vor Beginn seiner wissenschaftlichen Laufbahn 1906 als Lektor für die tschechische Sprache an der Deutschen Universität in Prag, dort 1909 Habilitation für die tschechische Sprache; von 1921 Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 61 <?page no="61"?> 62 Eckehard Czucka die als unbefriedigend empfundene Überlieferung der Hock-Texte namentlich durch Hoffmann von Fallersleben („unzulängliche Proben“ 203 ) beende und dem Werk eine u. a. von Lemcke und Wolkan begründete Wertschätzung erweise. Den wesentlichen Teil bildet ein kenntnisreiches, zustimmendes Referat der Kochschen Einleitung, das einen einzigen Druckfehler moniert. Kochs Einschätzung einer „nationalgehässige[n] Darstellung“ des Hock-Prozesses teilt er und erwähnt ausdrücklich den „extremsten Standpunkt“ bei August Sedláček, „der den Dichter als abgefeimten, betrügerischen Erbschleicher und Betrüger darstellt“. 204 Spina schließt mit einem Wunsch: Möge dem Dichter des „Schönen Blumenfeldes“ recht bald ein ähnlich schöner „fortlaufender Kommentar“ zuteil werden, wie ihn uns Köster für den Dichter der „Geharnschten Venus“ beschert hat. 205 III.1.2 Kollegiale Kritik oder Die letzte Schlacht des Positivismus Chronologische Übersicht Selten wohl ist ein Wunsch schneller erfüllt worden; denn mehr oder minder zeitgleich mit Spinas Rezension in Euphorion erscheint im Anzeiger für deutsches Altertum und deutsche Litteratur Kösters 206 Besprechung der Koch-Edition, über die noch im selben Jahr Hauffen 207 im Rahmen einer Bibliographie betitelten Zeitschriftenrevue des Euphorion berichtet. 1902 erscheint eine Untersuchung von Goetze 208 , der sich explizit auf Köster bezieht und die Frage vertieft behandelt, ob die Gedichte Hocks für den Gesang oder einen Sprechvortrag gedichtet seien. Ganz affiziert vom Blumenfeld zeigt sich Jellinek, von dem 1900 eine weitere Rezension der Koch-Ausgabe in der Zeitschrift für deutsche Philologie erscheint 209 , in der er eine Untersuchung zu Hocks Heimat und Sprache ankündigt, bis 1938 ordentlicher Professor für tschechische Sprache. Nach Gründung der Ersten Tschechischen Republik war er zunächst Abgeordneter, von 1926 bis 1938 Minister. Er gilt als „Brückenbauer zwischen der dt. und der tschech. Geisteswelt“, so Helge Dvorak: Biographisches Lexikon der Deutschen Burschenschaft. Bd. I: Politiker, Teilbd. V: R-S. Heidelberg 2002 [Biographisches Lexikon der Deutschen Burschenschaft 1.5], S. 30. 203 Spina: Rezension (Anm. 199), S. 164. 204 Ebd., S. 165. 205 Ebd. Gemeint ist die Arbeit von Albert Köster: Der Dichter der geharnschten Venus. Eine litterarhistorische Untersuchung. Marburg 1897, in der er Stieler namhaft macht. 206 Köster: [Rezension] (Anm. 11), S. 286-319. 207 A. Hauffen: Bibliographie [Referat zu Köster Theobald Hock, Schoenes Blumenfeld. Herausgegeben von Max Koch (…)]. In: Euphorion 7 (1900), S. 821. 208 Goetze: Höck (Anm. 15), S. 154-165. 209 Jellinek: [Rezension] (Anm. 12). <?page no="62"?> die 1901 a. a. O. 210 erscheint. 1902 erscheint dann eine Miscelle 211 , die auf Goetzes Untersuchung antwortet und dessen Konjekturen kritisch diskutiert. Damit könnte dieser Diskurs über die Edition abgeschlossen sein, und tatsächlich verlagert sich die Hock-Forschung an andere Orte, etwa in Dissertationen und v. a. auch in die Untersuchungen der sich mit Strich, Cysarz u. a. etablierenden Barockforschung, der Gattungsdiskussion bei Müller etc. pp. Und v. a. zeichnet sich ein Methodenwechsel ab, bei dem geisteswissenschaftliche Zugriffweisen den Positivismus ablösen. Doch nehmen Hübscher 212 und Leitzmann 213 1927 diesen Faden wieder auf; Hübscher bezieht sich umstandslos auf Köster, Jellinek und Goetze, um Biografisches und Textkritisches nachzutragen. Leitzmann, der auch die o. a. Rezensionen als Basis seiner anstehenden Erörterung nennt, leitet mit der Feststellung ein: Theobald Höcks ‚Schönes blumenfeld‘ ist, nachdem es eine kurze zeit intensiv beachtet worden war, seit decennien aus dem blickpunkte der forschung vollständig verschwunden, obwohl die merkwürdige lyrische sammlung noch zu manchen erörterungen reichliche gelegenheit gibt. 214 Schon im Titel ist eine Spitze gegen Koch versteckt, wenn er, statt mit diesem „Hock“ zu schreiben, wieder mit Köster „Höck“ sagt. Im übrigen vertieft er v. a. Fischart-Bezüge. 1932 erscheint dann der letzte Beitrag Jellineks 215 zu Hock, der die Aufsätze von Hübscher und Leitzmann als Zeichen nimmt, dass „für das Schöne Blumenfeld ein gewisses Interesse wieder erwacht ist“, 216 obwohl er dafür nur die schon 1914 erschienene Dissertation Veltens zu nennen vermag. Das letzte Wort in diesem Diskurs spricht Kraus 217 1936, der in einem ca. siebzig Seiten langen Bericht die Leben-Werk-Relation abarbeitet und in einem Literatur überschriebenen Teil einen Forschungsbericht liefert mit Abschnitten zum Namen, zum 210 Max Hermann Jellinek: Theobald Hocks Sprache und Heimat. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 33 (1901), S. 84-122. 211 Max Hermann Jellinek: Miscelle. Zu Theobald Hock. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 34 (1902). S. 413-421. 212 Arthur Hübscher: Zu Theobald Hock. Biografisches und Textkritisches. Miszelle. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 52 (1927), S. 123-126. 213 Albert Leitzmann: Zu Theobald Höck. In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 51 (1927), S. 195-205. 214 Leitzmann: Höck (Anm. 213), S. 195. 215 Max Hermann Jellinek: Beiträge zur Textkritik und Erklärung des Schönen Blumenfelds. In: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 69 (1932), S. 209-216. 216 Jellinek: Beiträge (Anm. 215), S. 209. 217 Kraus: Höck (Anm. 18). Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 63 <?page no="63"?> 64 Eckehard Czucka Dichter und - unter der Spitzmarke „Der Mensch“ - historische Materialien unter Einbeziehung der tschechischen Autoren ausbreitet. Spezifika der Argumentation Wenn im 19. Jahrhundert die Forschung zu Hock und dem Blumenfeld das Werk schon parzelliert hatte, dann beginnen Köster und Jellinek wie ihre Mitstreiter in dieser Phase der Hock-Foschung ab 1900 damit, den literarischen Text zu atomisieren. Köster 1900 Köster geht folgender Fragestellungen nach: Wie schon erwähnt, hat K. uns das druckbild des Blumenfeldts von 1601 genau widergegeben. an die betrachtung dieses textes muste [sic! ] sich aber nun die frage knüpfen: wie wurden solche verse gelesen? wie klang das, was hier das auge erblickt, dem ohre? geben die einzelnen buchstaben jedes wortes würklich [sic! ] die laute getreulich wider? oder erkennt man vielleicht durch hin- und hervergleichung, dass beim lesen der verse hier eine vollere wortform synkopiert, contrahiert oder dgl. zu sprechen, dort einem verstümmelten worte seine unverkürzte articulation widerzugeben ist? 218 Seine Belege gewinnt Köster aus einer Analyse der Reimwörter, die sich an den Strophen orientiert, für die er Vorbilder „im volks- und kirchenlied des 16 jhs.“ 219 sieht. Sein Zwischenergebnis lautet, dass „das gesprochene wort bei Höck von dem druckbild abweicht, wie also zb. [sic! ] sehr häufig eine synkopierte wortform gemeint ist, wo der dichter oder der setzer die normale vollere form in den text gestellt hat, und umgekehrt.“ 220 Weitere Wortuntersuchungen - erst unterteilt in die Abschnitte a-d, dann ohne weitere Zählung - nehmen insgesamt elf Seiten ein. Köster selbst spricht von „diese[n] anscheinend trocknen zusammenstellungen“ und appelliert an philologisches Ethos, dass „man die entsagung übt, sie buchstaben für buchstaben durchzuarbeiten“, damit „solch ein exacter leseversuch an einem dichter des ausgehenden 16 jhs. gelingen könne“. 221 Aus der Feststellung, dass offenbar „eine ganze reihe von Versen […] so verderbt“ ist, gewinnt Köster die Linzenz, „dass uns hier, wie bei der herausgabe eines antiken dichters, die befugnis zustehen muss, conjecturen zu wagen“, die weitere drei Seiten in Anspruch nehmen. Für den Umgang mit dem Ergebnis seiner Untersuchungen, die seiner Ansicht nach zeigen, „was man von einer 218 Köster: [Rezension] (Anm. 11), S. 287. 219 Ebd., S. 289. 220 Ebd., S. 290. 221 Ebd., S. 299. <?page no="64"?> ausgabe des ‚Schönen Blumenfeldts‘ fordern muss“, 222 gibt Köster drei durchaus widersprüchliche Hinweise. Der erste lautet: „es ist natürlich nicht meine meinung, dass man sämtliche von mir aufgezählten apokopen, synkopen usw. dem dichter in den text hineincorrigieren solle; man soll sie sprechen, wenn auch nicht drucken.“ Der zweite (contra Koch): für „reimstudien und andere untersuchungen“ hätte man den Text „von den zufälligen beschädigungen durch druckfehler befreien“ müssen: in diesem Falle wäre „ein paralleldruck sehr lehrreich gewesen“. Zum Schluss aber dann doch der Vorschlag: um zu erkennen, „worin der ‚reformversuch‘ Höcks besteht“, „trägt man sich nämlich die sämtlichen von mir zusammengestellten verbesserungen in das exemplar ein.“ 223 Diese Konfusion beruht wohl weniger auf Unkonzentriertheit, sondern zeigt sehr deutlich, in welches Dilemma die endgültige Atomisierung des Textes führt. Es sind nicht einmal mehr disiecti membra poetae übrig, die wieder zusammengefügt werden können. Das gilt schon für Köster, das gilt aber auch für seinen Rezipienten Kraus, der mitteilt: „Sommerfelds Deutsche Barockdichtung, nach Motiven geordnet (Berlin 1929), druckt vier Gedichte mit nach Köster berichtigtem Text ab, das biographische Eingangsgedicht, auf 5.-17“. Richtig ist, dass bei Sommerfeld das Capitel 6 ( Der Autor beweint das Leben ) auf S. 17-19 abgedruckt ist. Kraus fährt dann fort: „Dasselbe Gedicht steht in J. Petersens und Truntz’ Lyrischer Weltdichtung in Übertragungen aus sieben Jahrhunderten (1931) an der Spitze der 11 Übersetzungen von Petrarkas erstem Sonett 1601-1917.“ Auch daran ist nur richtig, dass in diese Anthologie ein Hock-Gedicht aufgenommen wurde, nämlich tatsächlich das Capitel 1 ( Unglück thut die Augen auff ) als Petrarca-Allusion. 224 Köster schließt dann Überlegungen zum Druckort an, die als falsch gelten müssen, und entscheidet sich gegen Koch für die Namensform „Höck“. 225 Es folgen Einreden gegen Koch in biographischen Fragen, es geht dann seitenlang um Fragen der zitierten und alludierten Quellen von der Antike über die Bibel bis zu den Sprichwörtern aus Texten des 16. Jahrhunderts, v. a. aus Gartner, und die Bezüge zu Aventin und Anklänge an die Meistersinger. 226 Und auch hier werden nur kleinste Bruchstücke des Textes verhandelt. An zwei Stellen nimmt Köster Bezug auf größere Texteinheiten. Einmal, wenn er als Leistung Hocks herausstellt, dass dieser „zu den ersten dichtern gehört, die am ende des 16 jhs. für strophische gedichte reine jamben anwenden 222 Ebd., S. 303. 223 Ebd. 224 Kraus: Höck (Anm. 18), S. 55. 225 Köster: [Rezension] (Anm. 11), S. 304f. 226 Ebd., S. 304-317. Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 65 <?page no="65"?> 66 Eckehard Czucka möchten.“ und dann fortfährt: „es gelingt ihm noch recht schwer; er muss sehr viele accentversetzungen sich gestatten und alle dialektischen freiheiten in anspruch nehmen. aber die absicht ist unverkennbar.“ 227 Hier bleibt er weit hinter früheren wie heute als gesichert geltenden Einsichten zurück; so hatte schon Lemcke bei Gelegenheit von Weckherlin auf dessen „Jamben nach französisch schwebender Betonung“ und auf die „Freiheit“ hingewiesen, „die er sich mit der Betonung innerhalb der gezählten Versfüsse nimmt“, die „oft über das, was Hoeck, Andreae u. s. w. wagen“, hinausgeht. 228 An anderer Stelle lehnt Köster die von Koch vorgenommene Korrektur der Kapitelnummerierung ab. Koch hatte als Erster zwei Verzählungen bemerkt und korrigiert. Während Köster die erste Korrektur unkommentiert lässt, bemerkt er zur zweiten: K. meint hier eine verbessrung angebracht zu haben, indem er diesem liede eine besondere nummer gab. er hatte nur getrost seiner vorlage folgen sollen. 64 und 65 bilden nämlich trotz dem [sic! ] wechselnden rhythmus zusammen ein ganzes; der zweite teil ist die antwort auf den ersten, die strophe aber, die K. leichtsinnig genug als die ersten vier Verse von cap. 65 mitgezählt hat, gehört, wie schon das versmass zeigt, gar nicht in das stück hinein, sondern wird als gesprochenes intermezzo zwischen zwei gesungnen liedern aufzufassen sein. und wider scheint dieser zusatz wie manche Überschriften gar nicht von Höck herzurühren; das wort Prack deutet abermals auf Schlesien oder Sachsen hin. 229 Während die Frage der Mundart gegen Köster entschieden zu sein scheint, darf die Behauptung der Einheit zweier Gedichte in Zweifel gezogen werden. Wieder argumentiert Köster im Rahmen seiner kleinteiligen Zerlegung des Textes, auf der Ebene des Rhythmus dieses Mal. Ob der Titel von Hock stammt, ist nicht zu entscheiden, aber hat zum Glück auch keine Relevanz. Relevant aber dürfte sein, dass der Titel des unnummerierten Kapitels wie der aller anderen Kapitel als lebender Kolumnentitel auf den Bl. 60 recto und verso erscheint, also paratextuell wie der eines eigenen Kapitels behandelt wird. Darum wird der Einwand Kösters ins Leere laufen, wie überhaupt seine Textbeobachtungen unbehilflich wirken. Zur letzten Strophe von Capitel 34 ( Von dem Gerichts Prozes : „Hast du Gewalt, so richte recht, / [etc.]“) gibt er die zustimmende Fußnote: die zusatzstrophe von cap. 34 möchte ESchröder sehr ansprechend für die inschrift aus einem rathause halten, die möglicherweise noch heute nachzuweisen ist. 230 227 Ebd., S. 303. 228 Lemcke: Geschichte (Anm. 85), S. 150. 229 Köster: [Rezension] (Anm. 11), S. 305. In einer Fußnote zu „prack“ entwickelt Köster „aller pracktik mutter“ als Konjektur zu „aller prack kumeter“. 230 Ebd. <?page no="66"?> Beim Blick in den Text hätte aber beiden auffallen müssen, dass diese letzte Strophe durch eine Zwischenstrophe an die (vieldiskutierten) Verse Je größer ’s Recht, je größer d’ List, Je näher z’ Rom, je ärger d’ Christ vielfältig angeschlossen ist. Voran stehen die Verse, die im Blumenfeld einzigartig in fast Arno-Holzscher Manier um die Mittelachse zentriert sind: Doch Höre, was ich dort g’lesen hab’, als ich noch trug den Pilgerstab: Sie leiten die Strophe explizit als Zitat ein, so dass es des ESchröderschen Scharfsinns nicht bedurft hätte, um es „sehr ansprechend für die inschrift aus einem rathause halten“ zu können. Die Deixis „dort“ verweist auf Rom als einen Ort, an dem der Reisende als Pilger auftritt, so dass hier nicht auf „Zusatzstrophe“ zu erkennen ist, sondern es sich um eine strukturell wie semantisch raffinierte Konnexion handelt. Köster treibt die durch die positivistische Methode induzierte Blindheit gegenüber dem Blumenfeld , an der die meisten seiner Vorgänger, aber auch viele seiner Nachfolger (auch wegen anderer methodischer Behinderungen) bis heute leiden, auf die Spitze. So bewundernswert scharfsichtig und -sinnig vieles ist, was er an Beobachtungen beibringt, alles bleibt immer auf den Partikel und im besten Falle auf deren Zusammenstellung begrenzt. Kommt der Text in den Blick, dann versagt er - wie die meisten anderen - vor der Zumutung von Bedeutung. Aber Kösters Aufsatz enthält noch Zumutungen ganz anderer Art. Er benötigt genau einen Absatz für Präliminarien, bevor er nicht zur Sache, sondern zur Person kommt: Ein neudruck der selten gewordenen Gedichte Höcks war sehr willkommen; und es konnte nur gefragt werden, ob gerade Max Koch der geeignete und genügend vorbereitete herausgeber sei. K. […] begnügt sich damit […], den wortlaut des ‚Schönen blumenfeldts‘ [sic! ] buchstabengetreu zu wiederholen. dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden, wenn es auch gerade keine schwierige aufgabe war. Aber! ! dem neudruck geht eine einleitung voraus. und in dieser ist der ungereinigte text mit all seinen setzfehlern und misverständnissen [sic! ] zur grundlage philologischer untersuchungen gemacht worden, die natürlich gänzlich wertlos und für den herausgeber im höchsten maße compromitierend sind. kein student im zweiten semester hätte so wider das ABC jeder wissenschaftlichen methode sündigen dürfen, wie es hier K. getan hat. seine ganze einleitung […] ist so nachlässig gearbeitet, wie uns seit jahren nichts in unsrer wissenschaft geboten ist. 231 231 Ebd., S. 287. Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 67 <?page no="67"?> 68 Eckehard Czucka Dieser Generaldestruktion von Person und Werk folgt dann, nachdem Köster die für nötig gehaltenen Korrekturen erarbeitet hat, eine Attacke auf eine spezifische Kompetenz Kochs wie auf die von ihm mitbegründete Komparatistik: Doch ist es zeit, zu dem wichtigsten teil der K.schen einleitung überzugehen. dass es mit der philologie im engern sinne bei ihm nicht zum besten bestellt sei, haben wir zur genüge gesehen. aber die ‚vergleichende litteraturgeschichte‘ war doch bisher sein liebster tummelplatz; den litterarischen austausch untern den völkern hatte er sich zu besondrem studium erwählt. so dürfen wir denn erwarten, dass er uns über die beziehungen Höcks zu der litteratur fremder nationen sicher belehren wird. wir wollen sehen. 232 Das ist geeignet, Kochs Tätigkeit als Herausgeber der seit 1887 erscheinenden Zeitschrift für vergleichende Literaturgeschichte (bis 1910) zu diskreditieren, die einen großen Beiträgerkreis renommierter Fachkollegen hatte, und zielt wohl ganz direkt auf eine Auseinandersetzung über wissenschaftliche Themen und Methoden. Es folgen weitere Spitzen und Insultationen, deren Sachgehalt kaum zu eruieren ist; so heißt es zum Thema „quellenstudien“, dass sie „samt und sonders entweder unzulänglich oder falsch sind. und selbst wo er einmal auf richtiger fährte ist, verdirbt er sich den erfolg durch seine oberflächlichkeit.“ 233 Zu den „metrischen belehrungen“ heißt es: sie sind von einer papierenheit, die uns in die tage Justi Georgii Schottelii zurückführt. trostlos, diese strophenanalyse, die nur nach zeilenzahl und reimstellung rechnet! und obendrein noch falsch rechnet! 234 Und Köster ist nicht bereit, auch nur einen Mangel zu übersehen: Nur einen fundamentalen irrtum K.s muss ich noch schliesslich aus der welt schaffen […] also auch diese entdeckung unseres gelehrten ist wider [sic! ] eine ganz windige behauptung. 235 Am Schluss steht trotz der einleitenden gegenteiligen Aussage („Nun ist wol am ende unsrer wanderung kaum mehr nötig, ein zusammenfassendes urteil über Kochs ausgabe des ‚Blumenfeldts‘ zu sprechen.“) eine Totalvernichtung: es hat eine zeit gegeben, in der im vorurteil mancher philologen die beschäftigung mit der ältern deutschen litteratur stets für wissenschaftlich und hochachtbar galt, die mit 232 Ebd., S. 307. 233 Ebd., S. 315. 234 Ebd., S. 316. 235 Ebd. <?page no="68"?> der neuern a priori für minderwertig und halb dilettantisch. nicht ganz mit unrecht! die letzten anderthalb jahrzehnte haben nun zwar intra et extra einen ausgleich herbeigeführt, arbeiten jedoch wie die von K. sind nur dazu angetan‚ die alte hydra des vorurteils wider [sic! ] lebig zu machen. denn jetzt kann jeder auf diese stelle zeigen und sagen: seht ihrs? da lag einmal eine glänzende philologische aufgabe vor, ebenbürtig der ausgabe einer alten verderbten handschrift, weitweisend in ihren folgen. und was ist aus ihr unter den händen eines historikers der neuern deutschen litteratur geworden? ! - wir müssen ingrimmig schweigen, wenn man uns so fragt. In der ausgezeichneten sammlung der Hallischen neudrucke macht das ‚Schöne Blumenfeldt‘ so üble figur, dass man sich fragt, ob die nummern 157-159 nicht noch einmal gedruckt werden dürften. Leipzig. ALBERT KÖSTER. 236 Eine besondere Form der Herabsetzung liegt darin, dass Köster nicht nur - wie schon erwähnt - den Studenten im zweiten Semester als Widerpart einführt, sondern auch die Basis seiner Kritik als seminaristische Fleißarbeit deklariert: mir kommt dabei zu statten, dass ich im vergangenen winter das ‚blumenfeldt‘ zum gegenstand seminaristischer übungen gemacht habe; und ich verzeichne mit dank, dass mir bei dieser gelegenheit für meine untersuchungen einzelbeobachtungen zur verfügung gestellt sind, besonders von den herren […] 237 dass diese beobachtungen von einem grossen kreise oppositionslustiger jünger unsrer wissenschaft einen ganzen winter hindurch in stets erneuten einzeluntersuchungen geprüft und endlich rückhaltlos für richtig erkannt sind. 238 In der Rückschau wirkt es sehr befremdlich, dass der Wissenschaftsbetrieb - umgehen wir die um diese Zeit wohl schon überholte Bezeichnung ‚res publica litteraria‘ und die heute gebräuchliche der ‚scientific community‘ - solche Ausfälle nicht sanktioniert, ja nicht einmal zur Kenntnis genommen hat. Einzig Velten wagt 1914 in seiner Dissertation die tadelnde Bemerkung: Auf die metrischen Beziehungen zwischen Höcks Gedichten und den Volksliedertexten hat bereits A. Köster hingewiesen, wobei jedoch die metrische Italianisierung, die von M. Koch flüchtig gestreift ist, vollständig übergangen oder übersehen wird. Es wird einigen Mut gekostet haben, in einer Fußnote hinzuzusetzen: 236 Ebd., S. 318f. 237 Ebd., S. 286. Der genannte „dr. götze“ ist wohl der bei Sievers 1899 promivierte Alfred Goetze, der 1902 seine Erträge aus dem Seminar in seinem Hock-Aufsatz (Anm. 15) verwertet. 238 Köster: [Rezension] (Anm. 11), S. 299. Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 69 <?page no="69"?> 70 Eckehard Czucka Dies ist um so mehr zu verwundern, als A. Köster gewisse Mängel der Kochschen Ausgabe übertrieben streng beurteilt. 239 Denn zu dieser Zeit war Köster einflussreicher Ordinarius mit einer großen Schülerzahl. Jellinek 1900, 1901 Jellinek 1900 Diese Rezension, 240 datiert auf den Dezember 1899, muss vor der Kösters entstanden sein, der im Winter(semester) daran gearbeitet hat, so dass die beiden negativen Beurteilungen voneinander unabhängig entstanden sein dürften, will man nicht eine konspirative Aktion annehmen. Nicht übersehen sollte man allerdings Kösters Erwähnung der „vortrefflichen“ Jellinekschen Schede-Ausgabe, die gegen Koch gerichtet ist 241 und auf die auch Jellinek mit einer Spitze gegen Koch verweist („Da ich aus eigener erfahrung die schwierigkeiten eines genauen neudrucks recht wol [sic! ] kenne“ 242 ). Ausgehend von der als verbreitet vorgestellten Einschätzung Hocks als Vorläufer von Opitz hebt Jellinek den biographischen Teil der Kochschen Einleitung hervor und weiß zu rühmen, dass hier „die brücke zwischen historie und litteraturgeschichte geschlagen“ worden sei, gibt aber doch auch eine Koch korrigierende Anmerkung zum Geburtsdatum mit Bezug auf Hocks Capitel 6. Anders als Köster übernimmt er die von Koch vorgeschlagene Form „Hock“, eine Reverenz, bevor er zur Sache kommt: 243 Ich hebe den wert des biographischen teils der einleitung um so nachdrücklicher hervor, als ich leider über die eigentlich philologische arbeit ein durchaus ungünstiges urteil fällen muss. Der verdienstvolle litterarhistoriker lässt in allem, was textgestaltung, untersuchung der sprache, der verskunst, des Stils, der quellen betrifft, teils sorgfalt, teils kenntnisse, teils beides vermissen. 244 Es folgen die teils in Kategorien zusammengefassten, teils in Tabellen gegenübergestellten Korrekturen und Vergleichungen mit vermuteten Quellen wie Aventins Chronik sowie dem ersten Petrarca-Sonett: „Übersetzt hat H. frei- 239 Rudolf Velten: Das ältere deutsche Gesellschaftslied unter dem Einfluß der italienischen Musik. Mit vier Musikbeilagen. Heidelberg 1914, S. 111. 240 Jellinek: [Rezension] (Anm. 12). 241 Köster: [Rezension] (Anm. 11), S. 287. 242 Jellinek: [Rezension] (Anm. 12), S. 395. 243 Ebd., S. 392. 244 Ebd., S. 393. <?page no="70"?> lich das sonett nicht, sondern frei benutzt und - vergröbert.“ 245 Hier ist sehr deutlich zu sehen, wie eine als Kritik an der Edition beginnende Rezension in die Destruktion des Autors umschlägt: „Der text der Hockschen gedichte ist sehr verderbt und durch anakoluthien und idiotismen schwer verständlich. Es ist nur vieles unklar geblieben […]“ 246 Jellinek - und mit ihm Köster - zementieren durch die Zerlegung des Textes und die punktuellen Korrekturen und Konjekturen den schon im 19. Jahrhundert immer wieder geäußerten Vorbehalt, Hock sei an der Sprache und ihrem Gebrauch gescheitert und habe etwas von vornherein und grundsätzlich Reparaturbedürftiges abgeliefert. In der Frage der Metrik vertritt Jellinek ähnlich unhaltbare Positionen wie Köster, wenn er dekretiert, „die gedichte sind silbenzählend so gut oder so schlecht, wie die der zeitgenossen,“ und Kochs Eindruck, „Hock befreie sich von der mechanischen silbenzählung und lasse häufig silbenverschleifung eintreten“ als „eine ganz haltlose behauptung“ zurückweist. Er dagegen nimmt an, dass „der druck sehr incorrect ist“ und konstatiert, ganz im Sinne seiner Inkompetenztheorie: „Hin und wider [sic! ] liegt nachlässigkeit des dichters vor.“ Die ‚haltlose Behauptung‘ Kochs weiß er aber in der Rezeptionsgeschichte zu verorten: Sie geht auf Höpfner, Reformbestrebungen s. 37 zurück. Höpfner spricht von einer silbenverschleifung nach italienischer art. Bei Lemcke, Gesch. d. d. dichtung neuerer zeit I, 123 ist daraus die behauptung geworden, dass Hock metrische regeln befolge, die in Nibelungen und Minnedichtung galten, für uns aber seit Opitz in der praxis spurlos verloren gegangen sind. Ich möchte sie doch kennen lernen, diese regeln. 247 Auf diese Weise bleibt die Auseinandersetzung und v. a. die Würdigung der Hockschen Dichtung ein Desiderat. Jellinek 1901 Die Ankündigung in seiner Rezension von 1900 macht Jellinek schon ein Jahr später wahr; unter dem Titel Theobald Hocks Sprache und Heimat 248 heißt es: In meiner recension von Kochs ausgabe des Schönen Blumenfelds habe ich eine abhandlung über die sprache Th. Hocks in aussicht gestellt. Sie ist umfänglicher ausgefallen, als ich ursprünglich dachte, und mitunter hat mich bei der ausarbeitung das gefühl beschlichen, dass die ausführlichkeit der behandlung nicht ganz im verhältnis steht zur bedeutung des autors, dem sie gewidmet ist. Wenn ich mich trotzdem zu ihrer veröffentlichung entschliesse, so geschieht dies nicht bloss aus dem begreiflichen 245 Ebd., S. 400. 246 Ebd., S. 395. 247 Ebd., S. 401. 248 Max Hermann Jellinek: Theobald Hocks Sprache und Heimat. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 33 (1901), S. 84-122. Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 71 <?page no="71"?> 72 Eckehard Czucka wunsche heraus, mühsame arbeit nicht umsonst getan zu haben; ich möchte auch an meinem teil dazu beitragen, dass den denkmälern des älteren nhd. jene sorgfalt der untersuchung nicht versagt bleibe, die man bei mhd. werken schon lange für selbstverständlich hält. Und gerade der von mir behandelte text zeigt recht deutlich, welche aufschlüsse die erforschung der reimtechnik auch für das nhd. zu geben im stande ist. Nach der gemeinen ansicht war Theobald Hock ein Rheinpfälzer aus der nähe von Zweibrücken. Die Zweifel an der Bedeutung des Autors wiederholen ganz unverblümt die Einschätzung, zu der sich Köster und Jellinek schon in ihren Rezensionen verstanden hatten. Unter dieser Voraussetzung ist die prima vista löbliche Absicht, einem neuhochdeutschen Text dieselbe Sorgfalt angedeihen zu lassen wie einem mittelhochdeutschen Denkmal, aber fatal. Denn das bedeutet nicht weniger als eine Rechtfertigung für Texteingriffe. Schon Köster hatte ungeniert davon gesprochen, dass eine Strophe nicht von Hock stamme, „sondern wahrscheinlich von wer weiss wem darangefügt ist, schwerlich von dem dichter selbst, ich habe die capitel 11. 17. 34. 38. 46 im auge“. 249 Jellinek liefert mit seiner Analogisierung von Texten durchaus verschiedener Sprachstufen eine scheinbare Begründung für Eingriffe, um die sich Köster noch nicht einmal bemüht hatte und die für Texte der Moderne, die keine Handschriften sind, unzulässig erscheinen. Jellineks Medisance setzt sich im weiteren fort als scheinbare Salvierung: Ich glaube nun allerdings nicht, dass Hock direkt für die angeführten schreibungen verantwortlich zu machen ist. Die schreibung des Blumenfelds ist so wüst, dass ich sie einem geschulten kanzleibeamten nicht zutrauen kann. Ich erwähne die zahlreichen i , ei für ü , eu . Auch e für ö kommt vor. 250 Sein Unterfangen, die „Sprache Hocks […] vor allem aus seinen reimen zu bestimmen“, so dass „in zweiter linie […] der wortgebrauch, erst in letzter instanz die schreibung des textes in betracht” 251 kommen, setzt er in gewohnter Weise durch Auflistungen und Tabellen um, die in das Blumenfeld (Hanson) Aufnahme finden werden. Und er weiß ganz genau: „Hocks e -reime bilden einen der stärksten beweise für den bair. charakter seiner sprache.“ 252 - Jellineks mit Aplomb und einer nochmaligen Spitze gegen Hock vorgetragenes Ergebnis lautet: Dass bei der correctur die elende orthographie nicht verbessert wurde, steht im einklang mit der schlechten beschaffenheit des textes überhaupt. 249 Köster: Rezension (Anm. 11), S. 305. 250 Jellinek: Sprache (Anm. 248), S. 120. 251 Ebd., S. 86. 252 Ebd., S. 110. <?page no="72"?> Doch mag es sich mit der orthographie verhalten, wie auch immer, reim- und wortgebrauch des Blumenfelds erweisen die sprache als bairisch. Welche gründe hat man nun aber [sic! ] Hock für einen Rheinpfälzer zu halten? 253 Keine - so lautet die Antwort Jellineks: Aber mit der rheinpfälzischen hypothese hat es noch einen haken. Auf dem titel nennt sich H. von Ichamp . Das hat schon Hoffmann von Fallersleben, Prutz’ Lit. taschenbuch III, s. 405, anm. 2 als Imbach gedeutet und gemeint, es sei ein ort in der nähe von Zweibrücken, der sich leicht in einem ortsverzeichnisse von Rheinbaiern auffinden lasse. Nun constatiert Koch s. XI, dass ein Imbach in der Rheinpfalz nicht vorkomme, wol [sic! ] aber in der Oberpfalz. 2 lch glaube, damit ist die frage gelöst. H. war allerdings ein Pfälzer, aber kein Rheinpfälzer, sondern ein Oberpfälzer. Der bair. charakter seiner Sprache ist dadurch sehr erklärlich. 2) Die von Koch erwähnten rheinpfälzischen orte Imsbach und Ohmbach können mit dem anagramm Ichamp nicht in verbindung gebracht werden, auch bei Mimbach ist es höchst unwahrscheinhlich. Übrigens gibt es auch in der Oberpfalz bei Amberg ein Mimbach. 254 Wie man heute weiß, sind alle Schlussfolgerungen falsch. - Allerdings stützt Hanson seine für das computergestützte „Wortvergleichsverfahren“ zentrale Annahme, 255 das Blumenfeld sei ein homogener Text, auf Jellineks Einschätzung, die Sprache des Blumenfelds sei bairisch. Goetze 1902 und Jellineks Replik 1902 Goetze 1902 Ausgehend von Kösters Bemerkung in „Anz. fda. 26, 288, dass von den gedichten des Schönen blumenfelds cap. 46, 47 u. a. für den gesang, andere wahrscheinlich für den sprechvortrag gedichtet seien“, nimmt Goetze das Stilmittel des Enjambements, das er bei Hock häufig findet, als Unterscheidungsmerkmal: ein gedicht mit enjambinent von strophe zu strophe, wie etwa Höcks cap. 2, oder von vers zu vers, wie cap. 76, ist schlechthin unsangbar. und auch bei leichteren enjambements, wie z. b. 21, 23f., hätte sich Höck, wenn er für den gesang gedichtet hätte, die wirkung mutwillig stark beeinträchtigt. Die Bedeutung des Enjambements für das Verständnis zeigt sich für ihn, wenn er „bei richtiger interpunction“ dort einen Zeilensprung lesen kann, wo Jellinek einen Texteingriff für nötig hielt. 253 Ebd., S. 121. 254 Ebd., S. 122. 255 Hanson: [Erläuterungen] (Anm 4), S. 164. Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 73 <?page no="73"?> 74 Eckehard Czucka Daraus leitet er seine These ab: Beim gesang kann das verständnis solcher strophen nicht erreicht werden, das ist nur möglich bei stillem lesen oder sprechvortrag. Dafür also werden von Höcks gedichten die bestimmt sein, die enjambements aufweisen, das sind 78 von den 92. Und von den übrigbleibenden sind wider [sic! ] die meisten aus inhaltlichen gründen unsangbar: cap. 4, 12, 15, 23, 33, 44, 55, 69, 73, lauter gedichte moralischer oder referierender art, die am schlusse meist mit einem drum eine gute lehre aussprechen, oder mit einem also, zwar, in summ ihren bericht zusammenfassen. So bleiben nur 7, 8, 27, 47 und 68, doch stehen auch ihrer sangbarkeit bedenken entgegen. 256 Die Diskussion des Capitels 47, dem er als vermuteten Einschub von fremder Hand eine „ausnahmestellung“ einräumt, 257 fasst Goetze in eine Warnung: Mag aber cap. 47 echt sein oder nicht, jedenfalls nimmt es eine solche ausnahmestellung ein, dass die vorsicht geboten erscheint, beim urteil über den gesammtcharakter [sic! ] von Höcks dichtung von dieser zweifelhaften nummer abzusehen und den sonst glatten befund, dass Höck für den sprechvortrag, nicht für den gesang gedichtet hat, durch sie nicht stören zu lassen. 258 Die weitere Untersuchung, die die Zahl der unverständlichen Stellen verringern will und weitgehend Kösters Befunde diskutiert, mündet (ab S. 160) in eine Auflistung. Jellinek 1902 Aber wohl schon Goetzes Eingangsbemerkung Wie sehr das verständnis des textes von der erkenntnis des enjambements abhängt, zeigt 14, 11ff., wo Jellinek, Zs. fdph. 32, 398 In in On ändern will, während bei richtiger interpunction Höcks text einen guten sinn gibt: 259 wird Veranlassung genug gewesen sein, Jellinek bereits 1902 zu einer Miszelle zu bewegen. Nach knappen Lob, v. a. des Fischart-Bezugs, droht der Widerspruch: In dem jüngst erschienenen heft der Beiträge (27, 154 fgg.) hat A. Goetze einen sehr fördernden artikel über Hock veröffentlicht. Aus den von ihm beigebrachten parallelen geht hervor, dass Hock stark unter dem einfluss von Fischart steht. Viele verderbte stellen hat Goetze durch einleuchtende konjekturen gebessert. Aber in einigen 256 Goetze: Höck (Anm. 15), S. 154. 257 Das wird noch einmal erörtert bei Senger: Höck (Anm. 21), S. 62, S. 71. 258 Goetze: Höck (Anm. 15), S. 156. 259 Ebd., S. 154. <?page no="74"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 75 Punkten bin ich anderer meinung und auch sonst habe ich ein paar bemerkungen anzuknüpfen. 260 Die Einrede vollzieht sich wesentlich durch punktuelle Einreden, die sich auch hier über Seiten erstrecken und - so gelehrt sie jede für sich sein werden - doch nicht mehr erbringen, als die Zerlegung des Blumenfeld -Textes in Partikel weiter zu befördern. Hanson wird dann in seiner akribischen Zusammenstellung aller dieser Einwände deren Nutzlosigkeit in toto belegen. Aber bei der Gelegenheit, seinem Kollegen Goetze zu widersprechen, kann Jellinek noch einmal Absprechendes über Hock unterbringen: Was die metrik H.s betrifft, so stimme ich G. darin bei, dass mehrere fehler durch den dichter und nicht durch den setzer verschuldet sind. Auch glaube ich wie G., dass H.s verse nichts prinzipiell neues bieten. Aber mit G.s ausführungen über die zweisilbigkeit der senkungen bin ich nicht einverstanden. 261 Das dürfte die bündigste Formulierung einer Einschätzung des Hockschen Werks durch die Germanistik nach Erscheinen der Kochschen Ausgabe sein. Der Dichter des Blumenfelds muss so unfähig gewesen sein, dass sogar Jellineks Studenten was herausfinden können: Über das fehlen eines verses in 45, str. 4 hat einer meiner zuhörer, herr R. Junk, eine plausible Vermutung aufgestellt. Nach dem schema soll die vierte zeile mit der zweiten, die fünfte mit der letzten reimen; in str. 4 reimt die vierte mit der zweiten und mit der letzten. H. glaubte, als er die vierte zeile geschrieben hatte, dass dies schon die fünfte sei; durch diese entgleisung erklärt sich das fehlen einer zeile. 262 III.2 Forschungsliteratur bis 1930 Offenbar völlig unbeeindruckt von dieser positivistisch basierten Kontroverse um Kochs Blumenfeld -Ausgabe, die endgültig erst mit den Beiträgen Jellineks 1932 und Kraus’ 1936 endet, entwickelt sich nach 1900 eine literaturwissen- 260 Max Hermann Jellinek: Miscelle. Zu Theobald Hock. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 34 (1902), S. 413-421, hier S. 413. Schon die Benutzung der Namenform „Hock“ darf als Affront gegen den Köster-Schüler Goetze gelesen werden (vgl. dazu Anm. 858, S. 413. „Eine sichere entscheidung über die namensform - Hock oder Höck - scheint mir unmöglich. Auf das anagramm Öckh kann ich kein so grosses gewicht legen wie Köster und E. Schröder, Anz. f. d. a. 26, 306. Eine majuskeltype Ö, wie der originaldruck des Schonen blumenfelds bietet, ist für jene zeit eine grosse Seltenheit. H. konnte von vornherein nicht darauf rechnen, dass die druckerei sie besitzen würde. Hätte er also wert darauf gelegt, dass der umlaut im anagramm zum ausdruck komme, so würde er wol ö in o e aufgelöst haben, wie er ä in Pfälzern anagramm als a + e verwertet.).“ 261 Ebd., S. 414. 262 Ebd. <?page no="75"?> 76 Eckehard Czucka schaftliche Auseinandersetzung mit Hock, die der sich formierenden geistesgeschichtlichen Betrachtungsweise 263 zugerechnet werden kann. III.2.1 Thematisierungen unter gattungstheoretischen und literaturgeschichtlichen Aspekten Hurch 1910 In der Einleitung zu einer Edition der Lieder Schallenbergs bemerkt Hurch: Viel ähnlichkeit zeigt Schallenberg mit Theobald Hock. Er kennt wie dieser die italienische und französische poesie und nimmt deren formen an, ohne den deutschen geist aufzugeben. 264 Bedeutsam und orientierend für das Verständnis der Hockschen Dichtung scheinen die Untersuchungen Hurchs zu Sprache und Metrik Schallenbergs zu sein. Crone 1911 Die an Einflüssen und Quellen interessierte Dissertation über den Kirchenlieddichter und Übersetzer Homburg 265 wurde u. a. von Waldberg und Goetze betreut, was Crone aber nicht hindert, bei Gelegenheit die Ausgabe Kochs zu benutzen. Er verfährt durchweg positivistisch, die Arbeit hat aber aus der Sicht von 1990 in ihren Ergebnissen „im großen und ganzen der Zeit standgehalten.“ 266 Das sagt vermutlich mehr über die Forschungslage in der Frühe-Neuzeit-Forschung als über den Text von 1911. Crone gelingt scheinbar eine trouvaille: von Hocks Capitel 69 ( Ein schöne Fraw vnd ein schöns Pferdt sollen in vier stucken gleich sein ) glaubt er eine Beziehung zu dem Homburgschen Epigramm Auff ein stoltzes vnkeusches Weib, mit einem Pferde verglichen herstellen zu können. Doch muss er einräumen: Die „schöne lange Mähne“ fehlt bei Homburg, doch weiß er statt deren mehrere andere Vergleichungspunkte, die Hock nicht kennt. Ich will mit diesem Zitat nicht be- 263 Hermand: Interpretieren (Anm. 37), S. 35ff. 264 Hans Hurch (Hrsg.): Christoph von Schallenberg. Ein österreichischer Lyriker des 16. Jahrhunderts. Tübingen 1910, S. XXVI. 265 Max Crone: Quellen und Vorbilder E. C. Homburgs. Ein Beitrag zur Literaturgeschichte des 17. Jahrhunderts. Heidelberg 1911. 266 Guillaume van Gemert: „Clio“ und „Zeeusche Nachtegael“. Ernst Christoph Homburgs poetisches Verfahren in der Auseinandersetzung mit niederländischen Vorlagen. In: Barbara Becker-Cantarino/ Jörg-Ulrich Fechner (Hrsg.): Opitz und seine Welt. Festschrift für George Schulz-Behrend zum 12. Februar 1988. Amsterdam 1990 [Chloe. Beihefte zum Daphnis 10], S. 201-231, hier S. 209. <?page no="76"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 77 haupten, daß Homburg sein Epigramm gerade hierher entnommen hat, muß es aber hier anführen, weil ich keine andere Quelle gefunden habe. Das ist dann doch eher ein Eingeständnis der Beliebigkeit, mehr noch die Bankrotterklärung, und bleibt ohne Erkenntniswert. Souvageol 1911 Gleichfalls 1911 untersucht eine Dissertation Petrarkas Einfluss auf die deutsche Lyrik des 17. Jahrhunderts. Souvageol 267 eröffnet sein erstes Kapitel „Einwirkungen des Canzoniere und der Triumphe Petrarkas“ mit Theobald Hock, der somit noch vor Schede-Melissus behandelt wird und den Reigen von insgesamt 26 Dichtern bzw. Dichterkreisen anführt. Textgrundlage bildet der „Kochsche Text […] revidiert nach Kösters Textkritik […], welche mit Correkturen und Conjekturen auf die formale Gleichgestaltung der einzelnen Strophen zielt.“ 268 Als Nachweis, dass Hock „nach Stoff und Form in der fremden Lyrik wohl bewandert“ gewesen sein muss, nimmt er die „Lieder Nr. XXX, XXII 3 , XLVII, LXXII, LXXXVI der Ausgabe von Max Koch, Halle 1899.“ 269 Angesichts dieser „verhältnismäßig wenigen“ Liebesgedichte kommt der Analyse des Capitels 1 besondere Bedeutung zu. Souvageol entdeckt diesen Text als „freie Übertragung“ des Anfangsgedichts des Canzoniere in den Strophen 1, 2, 4 und 6 des Cap. I „Vnglück thut die Augen auff“ […], ohne dem einheitlichen Charakter und der Gedrungenheit des Originals gleichzukommen, aber in der Form mit der wesentlichen und bedeutsamen Neuerung, daß er nach dem Vorbild in Petrarkas Canzonen abwechselnd 5 und 3-füßige Jamben anwenden möchte. 270 Eine tabellarische Gegenüberstellung der fraglichen Strophen bestätigt frühe Hinweise Lemckes, Waldbergs und Borinskis auf Petrarka-Bezüge, auf die Souvageol sich stützen kann. Kösters Kritik an Koch bestätigend, stellt Souvageol knapp fest: „Koch hatte also nicht einmal das erste Sonett des Canzoniere gelesen.“ Da Souvageol notwendige Korrekturen und Konjekturen nur technisch sieht und nicht - wie verbreitet üblich - mit einem Unvermögen des Dichters verrechnet, kommt er aufgrund seiner Nachweise der Bezüge zu einer positiven Einschätzung des Blumenfelds . So räumt er eine „geschickte und nicht unpoe- 267 Hugo Souvageol: Petrarka in der deutschen Lyrik des 17. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Geschichte der italienischen Literatur in Deutschland. Ansbach 1911 [zugl.: Leipzig, Univ., Diss. 1911]. 268 Ebd., S. 4. 269 Ebd., S. 3. 270 Ebd., S. 4. <?page no="77"?> 78 Eckehard Czucka tische[] Bearbeitung diese[s] Sonetts für seine [Hocks] Zwecke“ ein, 271 liest das „Cap. II bei Höck […] als eine Aufstellung des eigenen und Petrarka gegenüber selbständigen Programms.“ 272 Seiner Einschätzung nach sind „drei künstlerisch so wertvolle Lieder wie Capitel XVIII, LXVIII und LXX, im engsten Anschluss an Petrarka konzipiert, ihrer Vorlagen würdig“, und für Bearbeitungen hält er fest: Es handelt sich hier nicht um wörtliche Entlehnungen, vielmehr um eine großzügige Anlehnung des wahren Dichters an die Motive seines Vorbildes, die in allen Einzelheiten ihres Verlaufs festgehalten sind.“ 273 Souvageol kommt zu dem abschließenden Ergebnis, dass tatsächlich eine Einwirkung Petrarkas auf den ersten größeren deutschen Renaissancedichter stattgefunden hat, doch nicht in der Weise, daß dieser Einfluß dem Charakter seiner Lyrik eine entscheidende Prägung verliehen hat. 274 Das Verdienst Hocks sieht er mit Köster in dem Bestreben, „für strophische Gedichte reine Jamben anwenden“ zu wollen, und leitet „dieses verdienstvolle Streben nach neuen Formen wohl unter anderm von der bewußten Nachahmung Petrarkas“ 275 ab. Die Intention der Untersuchung ist es, „nicht vereinzelte Einflüsse statistisch einzufangen, sondern vielmehr den letzten Endes auf Petrarka zurückgehenden Schatz an poetischen Motiven und Ausdrucksmitteln in der deutschen Lyrik des 17. Jahrhunderts endgültig festzulegen.“ 276 Der Vorsatz, in der Literatur etwas „endgültig festzulegen“, ist eine Reminiszenz an Scherers „Triumphwagen der Naturwissenschaft“. Verwunderlich bleibt, dass Souvageol zwar die Kongruenz von Petrarkas Anfangsgedichts des Canzoniere und Hocks Capitel 1 ebenso detailreich wie penibel behandelt, 277 aber nicht die sich aufdrängende kontextuelle Semantik bemerkt, dass sich hier nämlich ein Anspruch Hocks anmeldet, der fast vermessen wirken kann: das Blumenfeld als deutsche Canzoniere . 271 Ebd., S. 5. 272 Ebd., S. 6. 273 Ebd., S. 7. 274 Ebd., S. 9. 275 Ebd. 276 Ebd., S. 3. 277 Emil Sulger-Gebing: [Rezension Souvageol]. In: Literaturblatt für germanische und romanische Philologie 34 (1913), S. 100f. Seinen Einwand, „mag man auch in einzelnen Fällen zweifeln, ob wirklich die von Souvageol angeführte Petrarkastelle die Quelle des deutschen Dichters gebildet habe, oder ob diese nicht doch bei einem französischen oder italienischen Pertrarkisten näher fliesse“, weist Senger: Hock (Anm. 21), S. 50 für Hock zurück: „Wenn wir schon als sicher annehmen dürfen, daß Höck des Italienischen mächtig war, warum sollte er dann nicht aus der Urquelle geschöpft haben.“ <?page no="78"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 79 Velten 1914, 1919 In zwei Arbeiten von 1914 278 und 1919 279 geht Rudolf Velten dem „Einflusse der italienischen Musik“ auf das „ältere deutsche Gesellschaftslied“ nach. Er problematisiert den Versuch, wegen des „oft mit Gelehrsamkeit angefüllten Inhalt[s]“ „Höcks Gedichte aus dem Zusammenhang des Volks- oder Gesellschaftsliedes herauszuheben und in ihnen einen frühen Ansatz der späteren Kunstdichtung erblicken zu wollen.“ Dagegen betont Velten, dass „manche Fäden auf die früheren Liedertexte zurückweisen“ und Hock in eine von Velten aufgestellte Entwicklungsreihe gehöre, „welche durch die Namen Regnart, Schallenberg und Joachim Lange“ zu bestimmen sei. 280 Velten 1914 Hier unterscheidet Velten aufgrund metrischer Verhältnisse drei Gruppen, in die er die 92 Gedichte 281 des Blumenfelds verteilt: 1. 52 mit deutsch-volkstümlichen Formen 2. 13 mit deutsch-italienischen Mischformen 3. 27 mit italienischen Metren a) 25 Canzonette b) 2 Ballette Es ist bemerkenswert, dass diese Beobachtung bislang nicht genutzt wurde für Überlegungen zur Gliederung und zum Aufbau des Blumenfelds , das als Textganzes noch nie in den Blick genommen wurde. Selbst Velten begnügt sich mit der typologischen Verteilung, ohne die Gedichte zu benennen, was durchaus nicht trivial ist. Präziser wird Velten bei der Untersuchung der Strophenformen, die er einem sog. „Regnartschen Typus II“ zu- und dabei alle Capitel tabellarisch einordnet. Das Verhältnis von musikalischer Form und Literatur sieht er durchaus differenziert: Damit soll freilich nicht behauptet werden, Höck habe seine Texte italienischen Melodien unterlegt; es sind vielmehr nur Nachahmungen von Unterlegungsformen, welch letztere sich zunächst unbewußt ergeben hatten, schließlich aber zu rein literarischen Typen erstarrt waren. Eine Ausnahme macht Cap. 47, das zu der Melodie von „So ben mi ehe a buon tempo“ gedichtet ist, und das andre Tanzlied Cap. 46, das durch den Refrain fa la la deutlich auf den Gesangsvortrag hinweist. 282 278 Velten: Gesellschaftslied [Diss.] (Anm. 239). Michels gibt ein Referat der Dissertation in: Jahresberichte für neuere deutsche Literaturgeschichte 25 (1914), S. 476. 279 Rudolf Velten: Das deutsche Gesellschaftslied unter dem Einflusse der italienischen Musik. In: Germanisch-romanische Monatsschrift 7 (1919), S. 337-345. 280 Velten: Gesellschaftslied [Diss.] (Anm. 239), S. 110f. 281 Mit dieser Zählung stellt Velten sich gegen die Einwände, die Köster gegen die von Koch vorgenommene Korrektur der Capitel-Nummerierung vorgebracht hatte. Vgl. Anm. 229. 282 Velten: Gesellschaftslied [Diss.] (Anm. 239), S. 112f. <?page no="79"?> 80 Eckehard Czucka Velten 1919 Diesen Gedanken, der für eine Untersuchung des Liedhaften in Hocks Gedichten leitend werden könnte, nimmt er ausführlicher auch in seinem Aufsatz von 1919 auf: Noch ausschließlicher nach der rein literarischen Seite tendiert eine Erscheinung wie Th. Höck, dessen Erwähnung in diesem Zusammenhange zunächst verwundern könnte. Wenn man von seinen zwei Falalaliedern absieht, wovon das eine direkt auf eine italienische Melodie hinweist, so sind Höcks Gedichte rein literarisch gedacht; auch inhaltlich zeigen sie nur wenige Anlehnungen an die gleichzeitigen Liedertexte. Aber von seinen Strophen haben viele echte Canzonettenformen und sind nur als metrische Nachahmungen von italienischen Liedertexten zu verstehen, die aus musikalischen Gründen nach Deutschland gebracht worden waren. 283 Noch interessanter ist die metrische Seite. Es mag verwundern, daß man die Reihe der metrischen Umbildungsbestrebungen jener Zeit immer an dem dünnen Faden über P. Rebhuhn, Melissus, Lobwasser, Höck und Weckherlin bis zu Opitz hinaufführte, ohne die viel einflußbreitere Flut italienischer Metren nur im geringsten zu berücksichtigen. Die Villanellen- und Canzonettenformen tauchen durch die italienische Musik nicht nur zum erstenmal auf, sondern sie lassen sich in der ganzen deutschen Literatur überhaupt nicht mehr nachweisen, als eben in jener dunkelsten Ecke zwischen Fischart und Opitz. 284 Eine positive Aufnahme und adäquate Weiterführung der Überlegungen findet erst 2014 bei Scheitler (Anm. 673) statt, die auch seine Darstellung als „noch relativ objektiv“ qualifiziert, während er „sich später sehr nationalistisch zeigen sollte“. 283 Velten: Gesellschaftslied [Aufsatz] (Anm. 279), S. 342f. 284 Ebd., S. 344. <?page no="80"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 81 III.2.2 Hock in der „Barockdiskussion der 20er Jahre“ 285 Als Gegenbewegung zum Positivismus etabliert sich schon kurz nach der Jahrhundertwende im Rückgriff auf die Wölfflinschen „Grundbegriffe“ die Form- und Stilanalyse als methodisches Konzept, 286 das sich neben anderem in den Beiträgen Strichs und Hübschers konkretisierte, die auch als Beiträge zur Hock-Forschung gelesen werden können. Einen Rückblick gibt Merker in zwei Aufsätzen, die 1930 und 1931 in zeitlicher Nähe die Linien der Diskussion nachzeichnen (Anm. 388; 390); ferner ist zu verweisen auf Viëtor (Anm. 331). Außerdem kann auch heute noch der Bericht zum Stand der Forschung von Milch als Übersicht mit Gewinn benutzt werden. 287 - Viele der hier zu behandenden Arbeiten sind nach 1945 wiederaufgelegt worden und haben die Barockdiskussion bis in die 1970er Jahre hinein beeinflusst. Strich 1916 Strich eröffnet 1916 mit der bis heute nachwirkenden Einführung des Stilbegriffs die Barockforschung in einem strikten Sinne und stellt Hock an den Beginn einer Entwicklung der Barocklyrik, die von „den ewig gültigen Gedanken und Gefühlen“ der Meisterlyrik weg und hin zum Ausdruck des „werdenden, sich wandelnden, momentanen Erlebnis[ses]“ gehe. „Die persönliche Eigentümlichkeit der lyrischen Bewegung kommt zu ihrem Rechte. Diese neue Art beginnt etwa mit Theobald Hock.“ „Das lyrische Gemüt vertieft sich in sich selbst und wird einsiedlerisch.“ 288 Dieses Verständnis unterscheidet sich grundlegend 285 Mit diesem Begriff kennzeichnet Barner eine Phase der Barockforschung, deren Problematik hier nicht ausgebreitet werden kann. Siehe Wilfried Barner (Hrsg.): Der literarische Barockbegriff. Darmstadt 1975 [Wege der Forschung 358], S. 1-13, hier S. 2. Einen ähnlichen Tenor zeigt auch die zehn Jahre früher erschienene Textsammlung von Richard Alewyn (Hrsg.): Deutsche Barockforschung. Dokumentation einer Epoche. Köln [u. a.] 1965, S. 9-13. Wilhelm Voßkamp: Deutsche Barockforschung in den zwanziger und dreißiger Jahren. In: Klaus Garber (Hrsg.): Europäische Barock-Rezeption: [6. Jahrestreffen des Internationalen Arbeitskreises für Barockliteratur in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel vom 22. bis 25. August 1988]. Wiesbaden 1991, S. 683-705. Einen neueren forschungsgeschichtlichen Überblick mit teils mutigen Bewertungen in hochschuldidaktischer Absicht gibt Dirk Niefanger: Barock. Stuttgart 2000 [Lehrbuch Germanistik], S. 4-8. Forschungsgeschichtliche Einschätzungen zu den hier behandelten Autoren finden sich in den genannten Werken passim. 286 Siehe dazu Hermand: Interpretieren (Anm. 37), S. 130-137, zu Strich und Hübscher v. a. S. 135ff. 287 Werner Milch: Deutsches Literaturbarock: Der Stand der Forschung. In: The German Quarterly 13,3 (1940), S. 131-136. 288 Fritz Strich: Der lyrische Stil des 17. Jahrhunderts. In: Eduard Berend (Hrsg.): Abhandlungen zur deutschen Literaturgeschichte. Franz Muncker zum 60. Geburtstage. Dargebracht von Mitgliedern der Gesellschaft Münchener Germanisten […]. München 1916, S. 21-53. Wieder in: Barner: Barockbegriff (Anm. 285), S. 32-71, hier S. 37. <?page no="81"?> 82 Eckehard Czucka von Einschätzungen, die sich aus der Quellenforschung des 19. Jahrhunderts bis in die Rezeption des 20. Jahrhunderts hinein fortgeschrieben haben. Auch mit Blick auf Hock erörtert Strich die Frage des lyrischen Rhythmus, die zu einer anderen Bewertung der oft als Unvermögen Hocks betrachteten Abweichungen von einem regelmäßigen Jambus führen könnten: Ebensowenig ließ sich dieser Stil in seiner tönenden Rhythmik fesseln. Das Opitzsche Gesetz des Gleichmaßes, das nur auf einer irrenden Theorie beruhte, wurde denn auch sofort nach seiner Aufstellung umgestoßen, und nicht nur die daktylischen, sondern die wechselnden und tanzenden Rhythmen gehören zu dem Charakter des Jahrhunderts. 289 Hübscher 1922, 1925, 1927 Hübscher 1922 Hübscher verortet Hock in seiner Konzeption des „Barock als Gestaltung antithetischen Lebensgefühls“ 290 und stellt ihn an den Eingang seiner Darlegungen als einen Dichter, „in dem barockes Weltgefühl zum erstenmal deutlicher sichtbar zu sein scheint“. Dieses zeige sich als „ein ganz neues subjektives Erfassen den Erscheinungen gegenüber, eine einsame geistige Unabhängigkeit, die doch aus einem gewaltigen innerlichen Gären gekommen ist“, 291 wie er unter Verweis auf Lemcke 292 spezifiziert. Subjektivität ist für Hübscher das Kriterium, das Hock, der als „[n]och mitten in der Literatur der Meistersingerei, der Volksbücher, des Grobianismus“ stehend gesehen wird, von Zeitgenössischem unterscheidet. „Ausstrahlungen eines modernen Wesens“ konkretisieren sich in dem ‚unendlichen lyrischen Thema‘ des Jahrhunderts; das ist - gemäß der These von der Antithetik - „Der Wechsel aller Dinge, die gewaltige, nie mehr so tief erlebte Antithetik von Sinn und Geist, von Üppigkeit und Askese, von Genuß und Verzicht.“ 293 In einer beiläufigen Bemerkung nennt Hübscher als Beispiele für „die barocke Bildungsreise: Die englischen Jahre Hocks und Weckherlins“, 294 die für Letzteren bekannt sind, in keiner der Arbeiten zu Hocks Leben jedoch erwähnt werden. 289 Ebd., S. 36. 290 Arthur Hübscher: Barock als Gestaltung antithetischen Lebensgefühls. Grundlegung einer Phaseologie der Geistesgeschichte. In: Euphorion 24 (1922), S. 517-572, S. 759-805. 291 Ebd., S. 527. 292 Lemcke: Geschichte (Anm. 85). 293 Hübscher: Barock (Anm. 290), S. 528. In der zugehörigen Fußnote verweist er einigermaßen kryptisch, nämlich zustimmend wie abweisend, auf Strich: Stil (Anm. 288). 294 Ebd., S. 544. <?page no="82"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 83 Walter Benjamin nennt in seinem Trauerspiel-Buch von 1925/ 1928 diesen Aufsatz als einen der „wenigsten“ Fälle, die ‚echte‘, „neue Zusammenhänge nicht zwischen dem modernen Kritiker und seiner Sache, sondern innerhalb der Sache selbst erschließenden Einsicht“ bringen, allerdings in Gegenüberstellung zur „Einfühlung“, „in dem die bloße Neugier unterm Mäntelchen der Methode sich vorwagt.“ 295 Der methodische Anspruch Hübschers, den schon der Untertitel Grundlegung einer Phaseologie der Geistesgeschichte von 1922 im Rückverweis auf Spengler anmeldet, findet entschiedenen Widerspruch, den Baesecke 1924 formuliert. 296 Es geht um einen Methodenstreit, in dem der Positivismus gegen die Geistesgeschichte antritt. Baesecke nimmt für sich in Anspruch, dass ihm „das Aufsuchen höherer Gesetzlichkeit des geschichtlichen Ablaufs höchst sympathisch“ sei, und fährt fort: ich glaube, in meiner ‚Einführung ins Althochdeutsche‘ trotz aller Mikrologie den Beweis dafür erbracht zu haben. Wer von uns hätte es nicht nach Scherers Vorgang mit solchen Periodisierungen der Literatur versucht? 297 Eine derart gegründete „Einheitlichkeit der deutschen Literatur- und Geistesgeschichte“ ist in seinen Augen „mehr wert […], als der immer philosophischere Aspekt eines Bruchteils, der in der Luft steht! “ Er verlangt nicht weniger als eine Säuberung von der majestätischen Dilettanterei, die etwa von der Plattform der Neukirchschen Gedichtsammlung aus mit ein viertel philosophischer und dreiviertel stilistischer Hypostasenkunst nicht allein die Literatur, sondern jede andere Kunst, jedes [sic! ] menschliche Bereich, die ganze Welt umfassen und in rhythmische Perioden bannen möchte: „Grundlegung einer Phaseologie der Geistesgeschichte“! Ich sehe in dem Aufsatze von Hübscher eine der verderblichen Früchte, die jawohl an dem Baume Spengler wachsen mußten, wenn er von jugendlich-journalistischen Enzyklopäden gehegt und gepflegt wurde, die (in den Zeiten der Volkshochschule) den dritten Schritt vor dem - sagen wir zweiten zu tun lieben, und es fällt mir die Mahnung von Troeltsch ein (Hist. Zs. 120. 290f. in einer Besprechung Spenglers): „Es wäre lediglich allerschwerster Verlust, wenn wir den mühsam errungenen kritischen Rationalismus, das philologische Element, die empirische Exaktheit und nüchterne Kausalitätsforschung einfach preisgeben wollten, um sie dann später mühsam wieder 295 Walter Benjamin: Ursprung des deutschen Trauerspiels. In: Gesammelte Schriften. Hrsg. von Rolf Tiedemann/ Hermann Schweppenhäuser. Frankfurt am Main 1972-1989, Bd. I/ 1, S. 203-409, hier S. 234. 296 Georg Baesecke: Zur Periodisierung der deutschen Literatur. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 2 (1924), S. 770-776. 297 Ebd., S. 773. <?page no="83"?> 84 Eckehard Czucka erobern zu müssen, oder, wenn dazu Fähigkeit oder Wille fehlen sollten, in einer erst geistreichen und dann verworrenen Barbarei unterzugehen.“ 298 Die vordergründig als Methodenstreit geführte Auseinandersetzung ist zugleich auch die Abweisung des nie zu akademischen Würden gekommenen Außenseiters, der als Redakteur arbeitete und seit 1936 die Schopenhauer-Gesellschaft leitete. Dagegen lässt er Strich, Cysarz („de[n] anschauungsmächtigen und wortprächtigen“) und Gundolf gelten: „Immer in der Meinung, daß unter allem noch so edlem Aufgepfropften der Stamm der Stamm bleibt“, 299 was schon 1924 eine fragwürdige Metaphorik war. Strichs Aufsatz (Anm. 288) werde „hier von Hübscher sozusagen aufgeblasen (vgl. besonders S. 30)“ 300 : „Man könnte erste neuangelegte Kolleghefte als Grundlagen in gewissen Arbeiten über das Barock erkennen: als ob da die Welt begönne.“ 301 Hübscher 1925 Auf diese Kritik, deren Titel und Erscheinungsort genannt werden, in der aber nicht der Name des Autors Erwähnung findet, antwortet Hübscher mit einem Aufsatz, der „die mehr programmatischen Anfänge“ seines Unternehmens darlegt. 302 Das Unternehmen ist strikt anti-positivistisch ausgerichtet: Nicht daß eine Geringschätzung sachlicher Grundlagen damit ausgesprochen wäre. Aber wir glauben nicht an die Möglichkeit voller Erfassung aller Gegebenheiten. […] Und darum muß, […] vornehmlich auch zur Abweisung dessen berechtigt sein, der über selbstgenügsame Einzelfeststellungen sich jeder Bemühung um die Gesamtkonzeption entschlägt. 303 Die Hübscher-Baesecke-Kontroverse müsste an dieser Stelle nicht so ausführlich dargelegt werden, wenn nicht Hock in der Argumentation Hübschers eine zentrale Stelle einnähme. Zwar erwähnt Baesecke, dem es um anderes als einen einzelnen Dichter geht, Hock nicht, Hübscher aber intensiviert geradezu seine Einschätzung zu Hock in der Replik: Die erstmalige Erfüllung des barocken dichterischen Geistes in barocker Ausdrucksform ist um die Jahrhundertwende in der Sammlung Theobald Hocks gegeben. Jede 298 Ebd., S. 775. 299 Ebd., S. 774. 300 Dort heißt es: „Der lyrische Stil des 17. Jahrhunderts ist durch und durch antithetisch.“ Siehe Strich: Stil (Anm. 288), S. 43. 301 Baesecke: Periodisierung (Anm. 296), S. 774. 302 Arthur Hübscher: Das Problem der geistesgeschichtlichen Pseudomorphose in Renaissance und Barock. In: Euphorion 26 (1925), S. 367-372. 303 Ebd., S. 367. <?page no="84"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 85 Untersuchung, die den Barock als Fertiges und Grundsätzliches, als „äußerste Denkbarkeit“ (S. 524) erfassen will, wird bei diesem Zeitpunkt einsetzen müssen. Vielfache Ansätze reichen über ihn zurück, ebenso wie vielfache Ausklänge über den angenommenen Endpunkt hinausschwingen. Wer aber in der Unzahl „wertbarer Zwischenformen“ die gesamte Entwicklung erfassen und damit auch den tieferen Beziehungen von Epoche zu Epoche Erklärung schaffen will, der wird sich mit der Periodisierung nach Dichterschulen so wenig dem Wesentlichen nahezwingen wie mit der billigen Feststellung von Generationsfolgen. 304 Die Absage an ‚Schulen‘ wie ‚Generationen‘ weist Hock als singulärem Akteur eine herausragende Stellung zu. Übergangslos wird Hock zum Muster der Pseudomorphose, die Spengler „[a]m Beispiel der magischen Kultur“ 305 entwickelt, dient also bestenfalls als Beleg für eine Theorie, schlimmstenfalls als unbegriffenes Beispiel: 2. Die Schaffung der barocken Formenwelt um 1600: Wieder geht die Malerei voran. Rollwerk und Kurvendrang beweisen bald auch für die Architektur. In demselben Jahr aber, in dem Giovanni di Bologna den Sockel für das Standbild Ferdinand I. schafft, veröffentlicht Theobald Hock die Jamben und Trochäen seines „Schönen Blumenfeldts“. Der Auftakt für die neue Dichtart ist gegeben. Es folgt die Einführung des Alexandriners (nach Melissus zunächst durch Abraham von Dohna 1613, durch Schwabe 1616, und vor allem durch Zincgref), des Echogedichts (durch Paul von der Aelst 1602), des Bildgedichts, des Sonetts (nach Melissus vor allem durch Weckherlin und Opitz), der pindarischen Ode (durch Weckherlin 1618) schließlich des Madrigals, das eine allmähliche Umbildung aus der ursprünglich auf harmonisches Zusammenwirken der Stimmen eingestellte Renaissanceform erfährt und offiziell 1653 von Caspar Ziegler in charakteristisch barocker Bestimmung als epigrammatischer [sic! ] Dichtungsart anerkannt ist. 306 Auf der zweiten Stufe der als dreistufig gedachten Entwicklung jeder Geistesepoche erhält Hock einen prominenten Platz als Auftaktgeber, dessen synchrones Auftreten mit einem musterhaften Werk der Bildhauerkunst nochmals seine Bedeutung steigern soll. In diesem interdisziplinären Brückenschlag mag man einen Reflex auf die sich in den 1920er formierende Kulturwissenschaft bei Georg Simmel, Ernst Cassirer, Max Weber und Aby Warburg sehen, die dann nach 1933 in die politische Pflicht genommen wurde. 307 Auch mag ein von Wölff- 304 Ebd., S. 369. 305 Ebd. 306 Ebd., S. 369f. 307 Zu denken ist etwa an die Umbenennung der Bibliotheca Hertziana in Rom in „Kaiser-Wilhelm-Institut für Kunst- und Kulturwissenschaft“, dessen wichtigste Aufgabe es war, deutsche Kultur und „deutschen Geist“ im faschistischen Italien zu vermitteln. <?page no="85"?> 86 Eckehard Czucka lin her gedachtes Theorem „Literatur als Kunst“ bei dieser Zusammenstellung eine Rolle spielen, bei der „Rollwerk und Kurvendrang“ Hocks „Jamben und Trochäen seine[s] Schönen Blumenfeldts“ entsprechen, Architektur und „neue Dichtart“ kongruieren. Es ist festzuhalten, dass in Hübschers Replik Hock zentral für die Argumentation ist. Angesichts der durchgängigen Geringschätzung wirkt diese Akzentuierung fast als Überforderung. In jedem Fall wird Hock in die Regie einer ‚fremden Wissenschaftsofferte‘, 308 Spenglers Geschichtstheorie, genommen. Hübscher 1927 Noch ein drittes Mal beschäftigt sich Hübscher mit Hock, dieses Mal monographisch in einer Miszelle. 309 Hier geht es jetzt ganz positivistisch um „Biografisches“ und „Textkritisches“, Details der Kochschen Ausgabe werden auf der Basis der Kösterschen und Jellinekschen Aufsätze diskutiert und die Frage der Mundart wird erörtert. Geradezu artig meldet Hübscher sein Vorhaben an: „Ich benutze die Gelegenheit, um die Bemerkungen Jellineks, Goetzes und Kösters zum Text zu ergänzen“, so dass die Frage sich aufdrängt, welcher karrieretaktische Zug sich dahinter verbirgt. Hanson nennt in seiner kritischen Ausgabe zwar alle drei Aufsätze Hübschers, im Kommentarteil wird aber nur der dritte Aufsatz ausgewertet. Cysarz 1923, 1924 Cysarz 1923 Die Position, die Cysarz bei seinem Eintritt in die Barock-Diskussion der 1920er Jahre vertritt, 310 umreißt Garber knapp und treffend: „Die lyrischen Äußerungen zwischen Hoeck und Günther - sie alle sind Verkörperung eines Lebens- und Kunstwillens.“ 311 Cysarz sieht in der deutschen Literatur eine Epoche des Formtriebs und der Glücksbegier, ein Zeitalter der suchenden Rezeptionen und der ordnenden Konventionen. Die künstlerische Renaissance, unter den Zeitgenossen Huttens und Frischlins und Fischarts nur in kümmerlichen Keimen rege, seit der Jahrhundertwende im Westen, vornehmlich in 308 Siehe dazu Nolting: Literatur (Anm. 106). 309 Arthur Hübscher: Zu Theobald Hock. Biografisches und Textkritisches. Miszelle. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 52 (1927), S. 123-126. 310 Herbert Cysarz: Vom Geist des deutschen Literatur-Barocks. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 1 (1923), S. 243-268. Wieder in: Barner (Hrsg.): Barockbegriff (Anm. 285), S. 72-100. 311 Klaus Garber: Zum Bilde Walter Benjamins. Studien, Porträts, Kritiken. München 1992, S. 238. <?page no="86"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 87 Straßburg, markiger aufstrebend, dann von einsamen Wegbereitern gleich Theobald Höck und Georg Rudolf Weckherlin und ein paar anderen verkündigt, erhebt sich jetzt als Ziel und Pflicht und öffentlicher Ehrgeiz aller erwachenden Geistigkeit. Abgesehen davon, dass die Verortung der neuen Bewegung im „Westen“ eine Allusion auf Nadlers Kategorisierung sein dürfte, wird Hock freigestellt von allen Medisancen positivistischer Rechthabereien und bekommt - zusammen mit Weckherlin - eine Position in der Entwicklung der Epoche. Cysarz 1924 Diese Einschätzung Hocks ändert sich grundlegend in der nur ein Jahr später erscheinenden Darstellung der Barockdichtung. 312 Hier zieht Cysarz die Arbeiten von Köster (Anm. 11), Goetze (Anm. 15) und Jellinek (Anm. 211) bei, deren Urteil er übernimmt: so spricht er von „beträchtliche[n] Anleihen“ Hocks „in der italienischen Renaissanceliteratur“ und der „Volksdichtung“, von „Meistersängeranregung“, von „groben Abzählungen und lässigen Schleifungen“. Zusammenfassend kommt er zu der Vermutung: Vielleicht ist an dieser formalen Verwahrlosung seiner Gedichte, die übrigens durch einen dialektfremden und leichtsinnigen Setzer mitverursacht ist, auch seine Nachwirkung so gänzlich gescheitert. 313 Zur Biographie macht er außer dem merkwürdigen Hinweis, Hock sei Jurist gewesen, 314 keine weiteren Angaben; seine Ausführungen lassen sich zentrieren um die Kennzeichnung Hocks als „ein Duodez-Petrarca an einem kleinen böhmischen Fürstenhof “. Diese ironische Distanzierung setzt sich fort in Anachronismen wie „Behaben“ oder „Gelahrtheit“, v. a. aber in dem schon von Benjamin bemerkten Gebrauch der Adjektive. So wird Hock eingeführt als „ein junger Mann von grüblerischem Rang und resigniertem Behaben. Geschwellt von humanistischem Nationaleifer“; er sei ein Vermittler zwischen „der welkenden volksmäßig-anonymen und der reifenden exklusiv-gelehrten Poesie.“ Hübsch, aber nichtssagend ist die anschließende Klimax: „In seinem wählenden Persönlichkeitsbewußtsein, seinem gläubigen Streitertum und mutigen Bekennertum“, die auf die Petrarca-Sottise hinausläuft. 315 Auch wenn Benjamin zum Adjektivgebrauch bei Cysarz in einem Brief an Scholem eine zwiepältige, aber doch halb bewundernde Anmerkung macht 312 Herbert Cysarz: Deutsche Barockdichtung. Leipzig 1924. 313 Ebd., S. 14f. 314 Ebd. 315 Ebd. [Hervorhebungen E. C.] <?page no="87"?> 88 Eckehard Czucka („Der Kerl ist manchmal sehr glücklich in seinen Beiwörtern und darin muß ich von ihm lernen.“), findet er den kritischen Punkt: Es ist weder in der Dokumentation noch in den einzelnen Perspektiven verfehlt und unterliegt im ganzen doch vollständig der vertiginösen Attraktion [sic! ] den dieser Stoff auf den, der sich beschreibend vor ihm aufpflanzt, ausübt, so daß statt einer Erhellung des Gegenstandes nur wieder ein Stückchen Nachbarock (mit einem r! ) herauskommt; oder: ein Versuch dem verkommenen Lümmel des expressionistischen Reporterstils mit dem Kamme der exakten Wissenschaften einen Scheitel zu ziehen! Es ist für den Stil des Barock ganz kennzeichnend, daß, wer einmal während seiner Inspektion aus dem angestrengten Denken herausfällt, sofort seiner hysterischen Nachäffung verfallen ist. 316 Mit Blick auf die Beurteilung Hocks sind Zweifel anzumelden, dass „Dokumentation“ und „Perspektiven“ bei Cysarz wirklich tadellos sind. Gundolf 1923 In einem 52 Seiten langen, geistesgeschichtlich gegründeten Essay über Opitz behandelt Gundolf zwischen Schwabe von der Heyde und Weckherlin auch Hock und sein Blumenfeld , den er als einen „Weltmann […], den der Südwind am Böhmischen Hof der Rosenberge angeweht hatte“, vorstellt. 317 Wenig belastbar wirkt diese Metapher der Himmelsrichtung, denkt man an Nadlers West- Ost-Ordnung der Stämme. Während Gundolf anderen Vorläufern wie Scheidt und Fischart attestiert, sie hätten „sich voreilig in ein noch nicht tragfähiges Übersetzungsdeutsch hinaus[gewagt], ehe die deutsche Populärüberlieferung schon abgetan war“, hafte „ein anderer Vorläufer, Theobald Hock, […] noch zu fest im Alten.“ Gundolf rechnet Hock zu der Kategorie der „Nichtmehrleute und Nochnichtleute“, die […] den Übergang bezeichnen, wenn ein Gesamtstil erstarrt, oder ehe die neue Form fertig ist - Zeiten der unfruchtbaren Sonderlinge, der unverarbeiteten Anregungen, der merkwürdigen Versuche, der ahnungsvollen Vorklänge und der romantischen Abklänge. 318 Der Reiz der „Abklänge“ liegt für Gundolf in der „Romantik des Zuspät, nicht des Zufrüh“, und die Verspätung wird terminiert als: „zu spät für den Minnesang, für das Volkslied“, sein Stil sei der „volkstümlich adlige eines Walther“, Hock selbst 316 Walter Benjamin: Briefe Bd. I. Hrsg. und mit Anm. versehen von Gershom Scholem/ Theodor W. Adorno. Frankfurt am Main 1966, S. 353f. Auch bei Garber: Benjamin (Anm. 311), S. 238. 317 Friedrich Gundolf: Martin Opitz. München und Leipzig 1923, S. 19. 318 Ebd. <?page no="88"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 89 „eher ein Nachzügler der Rüge- und Minnedichter als ein eigentlicher Gelehrtenpoet“. 319 „Sein Sprachgefühl ist eher Hans Sachsisch als Opitzisch.“ 320 Noch in der Gegensätzlichkeit wirkt Hock auf Gundolf mittelalterlich: „Wie Frauenlob etwa ein verbürgerter Ritter, ist Hock ein verhöflichter Bürger.“ 321 An das verkürzte Zitat des Capitels 19, Strophe 5 knüpft Gundolf die Einsicht, Hock suche neue Steigerungen der deutschen Sprache .. festere Form, größere Korrektheit […], doch nicht aus selbstverständlichem Bildungstrieb, sondern nur, um die deutsche Sprache zu üben, da sie „viel schwerer“ sei als die anderen: er ist v. a. Patriot bis zur Altertümelei. 322 So erscheint sein Tun wie Flickschneiderei: die „Tradition vom Minnesang her […] genügte ihm nicht, sie war ihm wie ein altes Kleid zugleich unbehaglich und schlampig, und da er kein neues fand, so flickte er es mit Stücken aus der Renaissancewerkstatt“. 323 Nicht gesagt wird, ob aus derselben auch die unstreitigen Petrarca-Einflüsse stammen. Gerade aber das, was Hock als rettende Orientierung erschien, die antiken Autoren, ist für Gundolf der Auslöser des Anachronismus, der lebensphilosophisch gedeutet wird: Und eben Hocks klassizistische Adern zeigen nur [sic! ] daß es zu spät war und weshalb: der Verstand war bereits zu gesondert um natürliches Stil wachstum zu gestatten, noch nicht sicher genug um künstliche Formen regel- und musterhaft zu wählen. Die Zweck- und Zierpoeterei war „an der Zeit“, und die Sprache der lebendigen Seele versickerte in der dörrenden Kruste von Gelehrtheit und Pomp. 324 Gundolfs Ausführungen zu Hock haben in der Forschung bislang keine Rolle gespielt, im Blumenfeld (Hanson) wird der Titel nicht verzeichnet. Das mag auch damit zu tun haben, dass Gundolfs „Arbeiten für die gegenwärtige Literaturwissenschaft keine direkten Anknüpfungspunkte“ 325 bieten. Allerdings spricht Wolfskehl 1938 in einem Brief an Scholte über „G.s Opitz-Monographie“ und bei der Gelegenheit auch über die darin vorgenommene Einschätzung Hocks: 319 Ebd., S. 20. 320 Ebd., S. 19. 321 Ebd., S. 20. 322 Ebd., S. 19. 323 Ebd. 324 Ebd., S. 20f. [Hervorhebungen E. C.] 325 Hans-Martin Kruckis: Art. Gundolf, Friedrich. In: Walther Killy (Hrsg.): Literaturlexikon. Bd. IV: Fri-Hap: Autoren und Werke deutscher Sprache. Gütersloh 1988, S. 429f., hier S. 430. <?page no="89"?> 90 Eckehard Czucka Diese bezüglich der Charakteristik der Opitzischen Leistung und Person vortreffliche Schrift streift ja auch mit einem Blick die Neben- und Vorgänger, wobei allerdings Weckherlin sehr zu Unrecht schlecht wegkommt, und auch Hoecks ‚Blühendes Blumenfeld‘ [sic! ] zwar sehr geistreich, aber recht unhistorisch, als Leistung eines letzten nach-mittelalterlichen Fahrenden gesehen wird, während der Pfälzer Hoeck ganz deutlich und eindeutig der grossen rheinländischen, und nicht nur der ihm von der älteren niederländischen Schwester bestimmten Renaissance-Bewegung, zugehört. 326 Die als „recht unhistorisch“ kritisierte Rückbindung Hocks resultiert aus der schon am Anfang vorgenommenen strengen Fokussierung auf Opitz, von dem aus gesehen Schede, Rebhuhn, Clajus, Hock, Weckherlin, Hübner für Gundolf nur „Vortaster“ sein konnten, deren „Wollen […] erst durch den Sieg seiner Reform ein Gesicht“ 327 bekam. Auch Garber benennt Problematisches in Gundolfs Opitz-Porträt („in diesen broschüreförmigen Arbeiten stehen Sätze, die nur mit befremdetem Kopfschütteln zu parieren sind.“), 328 doch gerade die Wendung „Vortaster“ kommentiert er: „Der prägnanten und fast durchgängig treffend akzentuierten Biographie steht ein Passus voran, welcher die Linien derart absteckt, daß der Leser Ersprießliches erwarten darf.“ 329 Allerdings - wie hier hinzugefügt sei - geht die Salvierung Opitz’ mit der (ungegründeten) Abwertung Hocks einher. Viëtor 1923, 1928, (1930) Viëtor 1923 In Viëtors Untersuchungen kommt Hock nur beiläufig vor. In der Geschichte der Ode von 1923 geht es vorrangig um einen Text Weckherlins, das Dedikationsgedicht der ersten Odenausgabe an die Kurfürstin Elisabeth, und den darin erhobenen Anspruch des Deutschen: „So energisch wie hier war das Recht der Muttersprache seit humanistischen Zeiten von keinem Dichter vertreten worden, auch nicht von Theobald Höck.“ 330 326 Karl Wolfskehl: An J. H. Scholte, Amsterdam. 5. September 1938. In: Margot Ruben (Hrsg.): Zehn Jahre Exil. Briefe aus Neuseeland, 1938-1948. Mit einem Nachw. von Fritz Usinger. Heidelberg 1959 [Veröffentlichungen der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung 13], S. 28-31, hier S. 30. 327 Gundolf: Opitz (Anm. 317), S. 5. 328 Klaus Garber: Der Reformator und Aufklärer Martin Opitz (1597-1639). Ein Humanist im Zeitalter der Krisis. Berlin und Boston/ MA 2018, S. 25. 329 Ebd., S. 26. 330 Karl Viëtor: Geschichte der deutschen Ode. München 1923, S. 54. <?page no="90"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 91 Viëtor 1928 Die Monographie Probleme der deutschen Barockliteratur von 1928 ist ein Beitrag zur Ausrichtung der neu erstandenen Barockforschung und deren Begrifflichkeit bei Strich, Cysarz, Baesecke u. a., der auch die Forschungsgeschichte, speziell Höpfners Reformbestrebungen (Anm. 51), in den Blick nimmt und dessen Forschungsprogramm revidiert: Man sieht hier, daß man mit den von Höpfner […] zusammengestellten Lobwasser, Melissus und Höck, mit Schallenberg, den Zinkgref-Freunden und Weckherlin nicht mehr auskommt, wenn man den Frühbarock vor Opitz erfassen will. Die romanisierende Musikerdichtung des Regnard, Haßler, Schein ist offenbar viel lebendig-wirksamer gewesen, obgleich hier die Intention nicht auf ausgesprochen hohe Kunstdichtung geht und ohne jedes theoretisierende Element, ohne programmatische Tendenz ist. Müller findet in dieser neuen kunstmäßigen Liedpoesie schon typisch barocke Züge: den stark intellektuellen Zug in der sprachlichen Formung des Erlebnisses (Dialektik, Antithese), das Spielen mit dem Gefühl; dabei aber bewegter, sich übersteigernder Aufbau. 331 Der Hinweis auf die Bedeutung des Gesellschaftsliedes ist auch für das Verständnis der Gedichte Hocks fruchtbar geworden. Eine stilistische Beziehung Hocks zum Kirchenlied Luthers stellt Viëtor im mehrgliedrigen Asyndeton her; er verweist auf Blumenfeld (Koch) S. 3, 53, 60. 332 - In dem Barock-Aufsatz von 1930 kommt Hock nicht vor. 333 Müller 1925 Müller setzt mit seiner gattungsgeschichtlichen Untersuchung des Liedes 334 bei der „Begründung eines neuen Liedtypus durch Regnart“ (I. Kapitel) ein. Hock findet seinen Platz im folgenden Kapitel „Weitere Ansätze zur Ausbildung des neuen deutschen Kunstliedes“ unter dem Rubrum „Literarische Lieddichter“. Das Erscheinen „seines ‚Schoenen Blumenfeldt‘“ [sic! ] 1601 wird auf „rund 10 Jahre nach Schallenbergs Blüte“ datiert. Für Hinweise auf Regnart, das Volkslied und italienische Melodien werden Velten (Anm. 239) und Köster (Anm. 11) angeführt. Müller moniert, dass Hocks „Stoffwahl und innere Form […] nichts 331 Karl Viëtor: Probleme der deutschen Barockliteratur. Leipzig 1928 [Von deutscher Poeterey. Forschungen und Darstellungen aus dem Gesamtgebiete der deutschen Philologie 3], S. 9. 332 Ebd., S. 3. 333 Karl Viëtor: Das Zeitalter des Barock. In: H. A. Korff/ W. Linden (Hrsg.): Aufriß der deutschen Literaturgeschichte nach neueren Gesichtspunkten. Leipzig und Berlin 1930, S. 83- 103. 334 Günther Müller: Geschichte des deutschen Liedes vom Zeitalter des Barock bis zur Gegenwart. München 1925. <?page no="91"?> 92 Eckehard Czucka von den Errungenschaften der vorhergehenden Jahrzehnte“ verraten. Negativ werden vermerkt „inhaltliche Überlastung“ und, dass „Didaktik, Lebensphilosophie, Erzählung […] einen breiten Raum“ einnehmen. „Der Zusammenhang […] zwischen den letzten, historischen Liedern des ‚Blumenfeldts‘ und dem Meistergesang“, so wie ihn Koch annimmt, „scheint auch mir unabweislich.“ Ästhetisch hält Müller die „Lieder“ für stoffbeschwert und nüchtern: „ohne Wohllaut und ohne lebendigen Schwung stapfen die unsanglichen Strophen daher.“ In Anspielung auf das Capitel 19 konstatiert er, dass die „Frage nach der Möglichkeit einer deutschen Literatur […] jedenfalls den ‚lied‘-dichterischen Wert des ‚Blumenfeldts‘ nicht erhöht“ hat, ja mehr noch, Hock repräsentiere einen „veralteten Zustand“ der Liedgattung. Allein für eine „kulturgeschichtliche Betrachtung“ mag das Blumenfeld seiner Ansicht nach Stoff bieten. Er kommt zu dem abschließenden Urteil: Als Dichter verdient Hoeck keineswegs die hohe Wertung, die in ihm noch jüngst „barockes Weltgefühl zum erstenmal deutlich sichtbar“ findet, 335 mit dem zugleich Hübscher (Anm. 290) wie Strich (Anm. 288) abgewiesen werden. Peukert 1928 Peukert nennt Theobald Hock in einer Fußnote, in der er die Frage aufwirft, ob der Rosenbergsche Sekretär mit dem 1645 in London agierenden Theodor Haak identisch sei. 336 Diskutiert und verworfen wird diese Vermutung von Brauer 1938 (Weiteres s. Anm. 20). Größere Aufmerksamkeit findet Oswald Croll, dessen Verbindungen zu Hock aber nicht erwähnt werden. III.2.3 Literaturgeschichten und -lexika Der Blick auf die Literaturgeschichten bis 1930 zeigt Unterschiede, die politisch-ideologische Gründe vermuten lassen. So behandeln Theobald Hock neben anderen Bartels und Nadler, während Ermatinger 337 und Müller 338 ihn nicht aufgenommen haben. 335 Ebd., S. 27. 336 Will-Erich Peuckert: Pansophie. 3: Das Rosenkreutz. Berlin 1928. Hier zitiert nach der 2. neugefaßten Auflage. Berlin 1973, S. 370. 337 Emil Ermatinger: Barock und Rokoko in der deutschen Dichtung. Leipzig [u. a.] 1926 [Gewalten und Gestalten 4]. 338 Günther Müller: Deutsche Dichtung von der Renaissance bis zum Ausgang des Barock. Wildpark-Potsdam 1927. <?page no="92"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 93 Bartels 1901, (1919), (1924) Bartels stellt Hock wie Schwabe von der Heide in einen Zusammenhang mit Weckherlin und dessen Versuch, „der deutschen Dichtung die formelle Korrektheit wiederzugewinnen“; einer von vielen anderen ist „der im Böhmischen wirkende Pfälzer Theobald Höck, der 1601 ein ‚Poetisches Blumenfeld‘ [sic! ] herausgab“. 339 Mit ‚Böhmen‘ und ‚Pfalz‘ werden schon die Stichwörter für Nadler aufgerufen, und angesichts seines völkisch-antisemitischen Standpunkts und v. a. des journalistischen Selbstverständnisses, das bei Bartels anzunehmen ist, wäre es zuviel verlangt, dass wenigstens der Titel richtig zitiert wird. In seine Hauptwerke zur deutschen Literaturgeschichte 340 hat er Hock nicht aufgenommen. Nadler 1913, 1951 Nadler 341 kehrt in seiner Darstellung den Topos von Hock als dem Vorläufer Opitz’ um, indem er die „Bemühungen um eine neue Form“ im „Westen“, also bei Hock, denen im „Osten“, für den Opitz steht, konfrontiert. Die Rückständigkeit des „Ostens“ liegt in einer von ihm konstatierten eklatanten Verspätung: Opitz war für den Osten, was gegen Ende des zwölften Jahrhunderts Friedrich von Hausen im Westen gewesen. Für Altpreußen und Schlesien, die keine deutsche Tradition für eine umfassende Literatur hatten, war die neue Kunst der typische Anfang. Daher erklären und mildern sich auch die Fehler. Darum wurde hier zur prinzipiellen, alles erregenden Grundfrage, was für den Westen nur eine Episode war. 342 Den „Westen“ sieht er realisiert in einer „Heidelberger Stimmung“ Hocks, in der „seine Grundnote, der Stolz, der sich gegen die Fremde aufbäumt und die deutschen Verse siegreich sehen möchte“ 343 , sich ausdrücke. Denn für den „Westen“ war die neue Form, die praktisch zunächst kaum geübt wurde, ein kleines Glied in einer langen Kette, eine Unstimmigkeit, die ohne Aufsehen stillschweigend korrigiert wurde. Bereits 1601 war für den Westen die erste Gedichtsammlung erschienen, die Theorie und Praxis schon im neuen Geiste verband: das schöne Blumenfeld . 344 339 Adolf Bartels: Geschichte der deutschen Litteratur in zwei Bänden. Bd. I: Von den Anfängen bis zum Ende des achtzehnten Jahrhunderts. Leipzig 1901, S. 153. So wieder in 6. -10. Tsd., 3. und 4. Aufl. 1909 und in: ders.: Geschichte der deutschen Literatur. Kleine Ausgabe. 15. Aufl. Bd. I. Braunschweig [u. a.] 1919. 340 Adolf Bartels: Hauptwerke zur deutschen Literaturgeschichte. Geschichte der deutschen Literatur. Große Ausgabe in 3 Bänden. Bd. I: Die ältere Zeit. Leipzig 1924. 341 Josef Nadler: Literaturgeschichte der deutschen Stämme und Landschaften. Bd. II: Die Neustämme von 1300, die Altstämme von 1600-1780. Regensburg 1913. 342 Ebd., S. 18f. 343 Ebd., S. 19. 344 Ebd. <?page no="93"?> 94 Eckehard Czucka Die geistige Zugehörigkeit wird auch biographisch verortet; als Pfälzer ist Hock „ein echter Rheinfranke“, durch den Dienst für Rosenberg „tief in die böhmischen Wirren verstrickt“. Seinen Tod datiert Nadler (fälschlich, wie inzwischen bekannt ist [s. Anm. 721]) auf die Zeit nach der Schlacht am Weißen Berge. Die literaturgeschichtliche Bedeutung Hocks fasst Nadler in dem Satz zusammen: „Der Mann war die Fuge der neuen Zeit.“ Das heißt für Nadler, dass Hock noch ein halber Humanist ist, schon mit Rabelais und Boccaccio vertraut, aber noch von Fischart stark beeinflusst ist, dass das Faustbuch, Hans Sachs sowie die volkstümliche Literatur ihm bekannt waren. Als Ursache für dies alles wird das Landsmannschaftliche angenommen: So spiegelt sich in ihm bereits das Überwiegen des Alamannen [also seine Heidelberger Stimmung] über den Franken. […] Aber das fühlt man, daß er, der Rheinfranke, die Zeichen der Zeit verstand und sich in Gedanken und Tat um ein glückliches Fortbilden der Formen mühte. Im Vergleich damit muss Opitz unterliegen, wenngleich sich die Unterschiede nur in einem Metapherngestöber des Kugelspiels sagen lassen: Opitz so neben Höck gestellt, das zeigt wie grundverschieden die inneren Bedingungen waren, die beide das Gleiche erstreben ließen. Und doch der eine, ganz klar im Banne der Traditionen des Westens, der der rollenden Kugel nur eben eine geschickte Wendung zu geben brauchte, während sie der Schlesier, in seiner Heimat der Erste, ein Anfang und ohne landschaftliche Voraussetzungen großer Vergangenheiten, kraftvoll vorwärts stoßen mußte. Hier macht es weder das Ziel allein noch die gleiche Bewegung; hier macht es der Ursprung, die innere Kraft. Beim Blick auf das Werk, sobald es also konkret wird, wird aus dem Ungefähren das Ungenaue: „Sein Gedicht von der Art der deutschen Poesie [sic! ] gibt Rätsel auf.“ 345 Das dürfte insgesamt zu wenig sein, um inhaltlich den Primat Hocks über Opitz zu begründen. - In der 1951 erschienenen einbändigen Ausgabe 346 fehlt Hock. 347 Findeis 1914 Hock wird Weckherlin gegenübergestellt; der Versuch, mit dem Blumenfeld es in der Muttersprache „den beneideten welschen und antiken Dichtern“ gleichzutun, „bleibt aber schließlich doch in plumper Formlosigkeit stecken“. 348 In 345 Ebd. 346 Josef Nadler: Geschichte der deutschen Literatur. Wien 1951. 347 Siehe die äußerst kritische Rezension von Joachim Günther: Nadler, Josef: Geschichte der deutschen Literatur. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14. Juli 1951, S. 10. 348 Richard Findeis: Geschichte der deutschen Lyrik. Berlin [u. a.] 1914 [Sammlung Göschen 737/ 738]. Findeis starb im Jahr der Veröffentlichung, siehe dazu im Schulprogramm des <?page no="94"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 95 dieser kurzen Bemerkung kulminiert die Hock-Medisance des 19. Jahrhunderts und deren Fortsetzung bei Köster, Jellinek, Goetze et al., sie hat aber keinen Erkenntnis- und kaum Informationsgewinn. Meyer 1916 Meyer behandelt Hock im siebten Kapitel seiner Literaturgeschichte, 349 betitelt Neuaufbau der Literatur. 1600-1700 . Der dezidiert nicht-chronologische Aufbau des Kapitels entspricht der expliziten Absicht, „eine Geschichte der deutschen Literatur zu geben, und also nicht eine Darstellung ihrer Dichter und Werke, sondern eine solche der Gesamtentwicklung selbst“. 350 Die Behandlung des Zeitraums 1600-1700 beginnt mit dem trotz aller Kautelen vernichtenden Urteil: „Dennoch bleibt der Gesamteindruck des Zeitraumes ein unerfreulicher“. 351 Die Entwicklung des Gedankengangs kann hier nicht nachgezeichnet werden, aber der Eindruck des Herausgebers dieses postum erschienenen Werks, Otto Pniower, die Darstellung zeige einen „vielfach rhetorischen Vortrag“ 352 , trifft wohl das Assoziative des Ablaufs. Meyer betrachtet die Sprachgesellschaften und Opitz in einem Zusammenhang, den er mit hier nicht weiter zu diskutierenden Argumenten mit dem Schlussverdikt abfertigt: „Bis zu Bodmer hin galt er als Vater der neueren deutschen Poesie, und war doch nur ihr Hofmeister gewesen.“ 353 Hock und Weckherlin führt er anschließend ein als „Separatisten“, „aber die Entwicklung ging über sie hinweg wie über die der mittelhochdeutschen Zeit.“ Einen Vorrang räumt er Weckherlin ein, den er für „[b]edeutender als Persönlichkeit wie als Typus“ hält“. 354 Auf knapp einer Seite referiert Meyer zu Hock Biographisches, bespricht das Anagramm auf dem Titelblatt, umschreibt Hocks Selbstverständnis als Dichter, nennt Themen, gibt Hinweise zur Reimtechnik und zu den Überschriften. Das verspricht auf den ersten Blick eine umfassende Information. Meyer stellt Hock an den Anfang einer Erneuerungsbewegung, da er als Erster weltliche Lieder für den Druck geschrieben habe und einer der Ersten gewesen sei, K. K. Staats-Gymnasiums im 6. Bezirk den Nachruf von M(ax) Binn: Dr. Richard Findeis † (Vor dem Feinde gefallen am 28. September 1914). Wien 1915. 349 Richard M. Meyer: Die deutsche Literatur bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts. 2., durchges. Aufl., 5.-9. Tsd.: Volksausgabe. Berlin 1916. 350 Ebd., S. 1. 351 Ebd., S. 254. 352 Ebd., S. VIII. 353 Ebd., S. 272. 354 Ebd., S. 273. <?page no="95"?> 96 Eckehard Czucka der aus innerem Antrieb schreibt; und weil er über sein Schönes Blumenfeld „sibi scripsit“ hatte [sic! ] setzen können, ist er auch kaum gelesen worden. […] Seine Aufgabe ist, eine eigene Weltbetrachtung - die des ruhigen, von dem Getriebe des Marktes fernen Beobachters - in klingende Strophen aufzulösen. 355 Dies (und Hocks Aufenthalt im „Ausland“ [Böhmen]) seien bedeutende Gründe für die ausgebliebene Rezeption des Blumenfelds. Ebenso ausführlich wie redundant behandelt Meyer das Anagramm des Namens, dem er gleich zweimal Freude am Sprachspiel attestiert, für das er Analogien bei dem früheren Fischart und den späteren Grimmelshausen und Logau sieht und das er in einer kühnen Assoziation als „ein Überbleibsel der Namensentstellungen in den Pasquillen der Reformationszeit“ 356 versteht. Entgegen der weitverbreiteten Kritik an Hocks Reimen befindet Meyer: „Fast als einziger hat er eine bewußt musikalische Reimwahl“, 357 wobei nicht gesagt wird, welcher andere Autor zu der Einschränkung „fast“ beiträgt. Meyer ist auch der einzige, der Hock mit der Deutungstechnik der Emblematik in eine Beziehung setzt: Zur Überschrift nimmt er gern eine Sentenz, vervollständigt auch wohl den emblematischen Charakter durch eine sinnbildliche Zeichnung in der erste Strophe: wie er als Kind in der Wiege nach Äpfeln greift; wie der Pilger durch die Welt zieht. 358 Neben vielem, das noch zu klären bliebe (etwa Hocks Verhältnis zur res et verba-Lehre), müsste Meyer sagen, wie er es mit der Dreigliedrigkeit von Motto, Pictura und Subscriptio hält. Auch hier findet nicht mehr als ein Assoziationsgewitter statt. Angesichts der einleitend vorgetragenen Ablehnung des Barock fällt die Darstellung Hocks überraschend positiv aus und kulminiert in dem wortspielenden Resümee: „ein rechter Bildungsdichter, aber von wirklicher, unsere Schack 359 und Kruse 360 weit überragender künstlerischer Dichterbildung.“ 361 Dabei sind name dropping und Wortspiel wohl eher feuilletonistisch zu nehmen; denn was die beiden poetae minores des 19. Jahrhunderts mit Hock verbindet, bleibt ungeklärt. 355 Ebd., S. 272. 356 Ebd. 357 Ebd., S. 273. 358 Ebd. 359 Schack, Adolf Friedrich Graf von, * 2. August 1815, † 14. April 1894 Rom. - Kunstsammler; Lyriker, Epiker, Dramatiker, Historiker, Übersetzer. 360 Kruse, Heinrich, * 15. Dezember 1815 Stralsund, † 12. Januar 1902 Bückeburg. - Dramatiker, Erzähler, Versepiker, Journalist. 361 Meyer: Literaturgeschichte (Anm. 349), S. 273. <?page no="96"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 97 Bei den vielen preziösen Beziehungen, die Meyer herstellt, fällt auf, dass er andererseits nicht die (schon bei Docen und Hoffmann von Fallersleben) breit diskutierten Beziehungen zwischen Hocks Gedichten und dem Gesellschaftslied, dem er sich später widmet, 362 thematisiert. Er zitiert, den Autor im ‚man‘ verschwinden lassend, Gödeke (Anm. 83) ungenau und in verkürzter Form: „Man hebt hervor, daß er als einer der ersten Dichter ‚weltliche Lieder bloß für den Druck geschrieben habe‘“. Lemckes Charakteristik (Anm. 90), auf die er sich zustimmend bezieht, fasst er großzügig zusammen. 363 Scholte 1925/ 26, 1965 Scholte 1925/ 26 Scholte leitet seinen Artikel 364 mit einer Definition der Barockliteratur ein und stellt zu diesem Zweck das Barockzeitalter in „Gegensatz zur Renaissance und zum Klassizismus einerseits, zur Gotik andrerseits.“ 365 Nachdrücklich weist er die Bezeichnung ‚Renaissance‘ für diese Literaturperiode zurück. Als typische Vertreter des Barock nennt er die Nürnberger Dichter und die Zweite Schlesische Schule unter Hinweis auf den Art. Schwulst . Am Beispiel der Architektur und der bildenden Kunst zeichnet er die Entwicklung von der runden zur gekrümmten Linie nach, so dass „in der barocken Kunst eine dramatische Bewegtheit der Darstellung [entsteht], die ihre eigene Psychologie bekommt und sich in gebogenen Linien, Reichtum an Form und Farbe erkennen läßt.“ Obwohl er einen Zusammenhang der Künste einräumt („Merkmale finden sich in der Barockliteratur zurück“), betont er die Ungleichzeitigkeit: Obgleich man die Barockliteratur erst viel später als solche erkannt und klassifiziert hat, hat sie vor dem Barock in der bildenden Kunst und Architektur einen nicht unbedeutenden zeitlichen Vorsprung voraus. Die Barockdichter hatten bereits ihre Stilformen gefunden, als man noch im Renaissancestil baute. 366 362 Ebd., S. 286-289. 363 Meyer ist - verglichen mit den Literaturwissenschaftlern des 19. Jahrhunderts - ein neuer Typus in der Hock-Forschung. Es kann nicht unerwähnt bleiben, dass Karl Kraus, der sich in sechs Texten mit Richard M. Meyer befaßt hat, mit Bezug auf ihn schrieb: „Daß Literaturgeschichte die Unfähigkeit zum Journalismus sei, hätte ihn so im Allgemeinen vielleicht gar nicht alteriert.“ Karl Kraus: Notizen. In: Die Fackel, Nr. 389-390, 15. Dezember 1913, S. 13. 364 Jan Hendrik Scholte: Art. Barockliteratur. In: Paul Merker/ Wolfgang Stammler (Hrsg.): Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte. 4 Bde. Berlin 1925/ 26, Bd. I, S. 111-124. 365 Ebd., S. 111. 366 Ebd. <?page no="97"?> 98 Eckehard Czucka Als Kriterium für Barockliteratur gilt Scholte das sich in der Individualität zeigende Subjektive, das sich nicht ausländischen Stilkonventionen anpasst. So unterscheidet er die kleineren Geister (Buchner, Opitz und Genossen) von denen, die wie Weckherlin „eine eigene Sprache und einen packenden Rhythmus“ finden, oder von Gryphius, der, orientiert an einem großen Muster, überlieferte Formen „zersprengt.“ 367 Nach diesen Maßstäben hat dann Hock, bei dem an „die Stelle allgemeiner Reflexionen […] persönliches, inneres Erleben“ tritt, „eine Einzelstellung am Eingangstor des 17. Jhs.“ Scholte sieht zwar die Bezüge des Blumenfelds zu den Meistersingern, entdeckt aber auch einen Bezug „zur Metrik des Minnesangs, die [Hock] in eigener, origineller Weise der Behandlung seines Stoffes anpaßt“, und den Scholte als „ein gotische[s] Element […] mitten im Zeitalter der Renaissance“ wertet. Dass er und sein Werk unbekannt blieben, ist für Scholte Beweis seiner singulären Kunst. Scholte 1965 Für die 1965 erscheinende Neuausgabe des Reallexikons hat Scholte seinen Artikel 368 überarbeitet und gibt einleitend Auskunft über eine grundlegende Änderung. Zum einen nennt er das Anwachsen der Forschungsliteratur, so dass es ihm „unmöglich ist, hier auch nur eine gedrängte Übersicht über die Vielheit der Meinungen zu geben“. Aber auch aus methodischen Gründen entschließt er sich, „Höck und Weckherlin, Zincgref und Opitz nicht einzubeziehen“ und dadurch „den Begriff B. möglichst einzuengen, um bei geringerer Ausdehnung stärkere Prägnanz zu gewinnen.“ Malerei, Bildhauerkunst, Musik und Bühnenbild lassen Grenzen verfließen und machen eine Bestimmung des Literaturbarock ungenau. 369 Stammler 1927 Unter dem lebenden Kolumnentitel Übergangslyrik: Theobald Höck nennt Stammler 370 in einem halbseitigen Absatz als wesentlich: Gebrauch von reinen Jamben für strophische Gedichte, strenge Form des Liedes, Nachahmung „ausländischer“ Muster, Lebensgefühl der älteren Generation, Moralisieren in lehrhaften Betrachtungen, Sprachreflexion. 367 Ebd., S. 112. 368 Jan Hendrik Scholte: Barockliteratur. In: Werner Kohlschmidt (Hrsg.): Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte. Bd. I. Begr. von Paul Merker/ Wolfgang Stammler. 4 Bde. Berlin 1965, S. 135-139. 369 Ebd., S. 135. 370 Wolfgang Stammler: Von der Mystik zum Barock 1400-1600. 2., durchges. und erw. Aufl. Stuttgart 1927 [Epochen der deutschen Literatur. Geschichtliche Darstellungen Bd. II, Teil 1]. <?page no="98"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 99 Auffällig ist der durchgängig ironische Tonfall in der Beschreibungssprache. Da heißt es: Wenigstens bemüht er sich […], aber es fällt ihm noch recht sauer. Das neue musikalische Gefühl geht ihm offenbar gänzlich ab […] Indes, die strenge Form des Liedes schwebt ihm bereits vor […] Denn die seltenen freieren Liebeslieder werden erstickt von den lehrhaften Betrachtungen […] Über die deutsche Sprache und „Poeterei“ zerbricht er sich in stolpernden Versen den Kopf, und für das mangelnde Vergnügen muß die aufrechte vaterländische Gesinnung entschädigen, mit der er seiner Muttersprache sich berühmt […] 371 Am Schluss wird der ironische Gestus in das Beschriebene projiziert: „aber wie Selbstironie klingt die ehrlich gemeinte Strophe: [Capitel 19, Strophe 12]“. Wie Bartels (Anm. 339) hat auch Stammler ganz offensichtlich keine Ausgabe des Blumenfelds autopsiert, sondern schreibt wie Stern (Anm. 119): Poetisches Blumenfeld. Rehm 1928 In seiner von Friedrich Muncker betreuten Habilitationsschrift beschäftigt Rehm sich mit dem Todesgedanke[n] in der deutschen Dichtung , dem er vom Mittelalter bis zur Romantik nachgeht. 372 Er geht das motivgeschichtliche Vorhaben methodisch reflektiert an; da es ihm um „die durchgehende Linie“ geht, die nach „dem Typischen und Konstanten, nach dem, was alle Zeugnisse miteinander verbindet“, fragt und den „Ausdruck eines Gesamtlebensgefühls“ nachzeichnen will, treten das Individuelle „und die Darlegung der einzelnen Brechungen, Wandlungen und Beeinflussungen“ zurück. Es geht darum, „den geistesgeschichtlichen ‚Idealtyp‘ eines Seelenraums zu umreißen“: der Verfasser ist sich aber bewußt, daß für diesmal die besonderen geistesgeschichtlichen Übergänge und Zwischenräume in den Hintergrund treten müssen; doch ist die Arbeit bemüht, diese Problematik an den jeweiligen Stellen wenigstens sichtbar zu machen. Man könnte, von einer anderen Seite her, sagen, eine solche Arbeit wie die nachfolgende gewinne, über die gefühlsgeschichtlichen und problemhistorischen Ergebnisse hinaus, erst dann ihren eigentlich dichtungsgeschichtlichen Sinn, wenn sie nachweisen könne, wie weit ein irgendwie geartetes Todesgefühl und Todesbewußtsein auch die Art des dichterischen Wesensausdruckes und der dichterischen Form selbst bestimme. 373 371 Ebd., S. 491. 372 Walther Rehm: Der Todesgedanke in der deutschen Dichtung vom Mittelalter bis zur Romantik. Halle 1928. 373 Ebd., S. VII-VIII. <?page no="99"?> 100 Eckehard Czucka Im VII. Kapitel Das Jahrhundert des Barock sieht Rehm Hock an der Schwelle des Jahrhunderts, da sich in ihm „symbolisch Ende und Beginn, Altes und Neues einen“ und er „den neuen, tiefen Ton zum Erklingen [bringt], der dann nicht mehr zum Verstummen“ komme. In einer Revision zu einschlägigen Themen und Motiven (Mühsal des Lebens, Gewissheit des Todes, Leben als Pilgerfahrt) findet Rehm bei Hock all das in „melancholischen, müden Versen“ ausgesprochen, „was dann später, bei Gryphius etwa, machtvoll pathetisch, bei anderen christlich innig nach Außen strebt. Hier bei Hoeck liegt es noch wie unter einem Schleier, zaghaft, knospend. Die Todessehnsucht klingt leise“. Daran gemessen kommt Weckherlin, der „gesellschaftlich festesfrohe, noch humanistisch gestimmte Prunkdichter aus dem Anfang des Jahrhunderts“, „über das Allgemeinste Äußerlichste nicht hinaus“. Abschließend kommt Rehm zu der Einschätzung, „dass in Hoeck zuerst frühbarocke Art sich kundgibt“, und dies „mit Hübscher und Strich gegen G. Müller […] doch aufrecht zu erhalten [ist] gerade vom Problem des Todes aus.“ 374 Die „frühbarocke Art“ - so bestimmt Rehm an anderer Stelle - vereint „das Humanistisch-Stoisch-Antike mit einer mehr oder weniger stark betonten christlich-reformatorischen, objektiven Frömmigkeit zu einer gewissen seelischen Distanzhaltung“, für die Hock, Zinkgref, Weckherlin, Opitz, Fleming und Rompler als „Zeugen“ benannt werden können. 375 Eine direkte Auseinandersetzung mit Rehm führt 1931 Wentzlaff-Eggebert (Anm. 449). Hanson erwähnt in seiner kritischen Ausgabe den Titel, ohne auf ihn einzugehen oder ihn auszuwerten. Heckel 1929 Heckel 376 ist Schüler von Max Koch und stellt sich ganz in die Tradition einer Literaturgeschichte nach Stämmen: in Nadlers Werk sieht er Anregungen August Sauers verwirklicht. 377 Er übernimmt von Nadler die Kategorien „Westen“ und „Osten“, für den „die Darstellung der allmählichen geistigen Eindeutschung Schlesiens“ 378 wichtig ist. Hock wird für die Argumentation zentral als Beispiel für „Bemühungen um die Jahrhundertwende, als ein Nachbarvolk nach dem anderen den Beweis für die Möglichkeit einer nationalen Renaissanceliteratur 374 Ebd., S. 196. 375 Ebd., S. 201. 376 Hans Heckel: Geschichte der deutschen Literatur in Schlesien. Bd. I: Von den Anfängen bis zum Ausgange des Barock. Breslau 1929 [Einzelschriften zur schlesischen Geschichte. Hrsg. von d. Historischen Kommission für Schlesien 2]. 377 Ebd., „Zur Einleitung“ unpag. Bl. 1. 378 Ebd. <?page no="100"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 101 einwandfrei erbracht hatte“. 379 Für Hock wird aus Capitel 19, Strophe 6 „die Forderung einer sich festen Gesetzlichkeiten fügenden, ebenbürtigen Rang beanspruchenden deutschen Dichtung“ abgeleitet. Im Rahmen eines Katalogs von Intentionen und Themen gibt Heckel einen in der gesamten Hock-Literatur einzigartigen Quellenhinweis: Der nationale Antrieb war dabei in ihm besonders stark: er besingt die deutsche Urgeschichte nach den phantastischen Legenden, die der humanistische Fälscher Johannes Annius von Viterbo 1498 über die Geschichte der Deutschen von Noah bis über die Teutoburger Schlacht hinaus in Anknüpfung an die biblischen Stammtafeln in die Welt gesetzt hatte; er schreibt Gedichte zur Verherrlichung der deutschen Sprache und der deutschen Schrift. 380 Die Antiquitates des Annius von Viterbo werden in der gesamten Hock-Forschung nicht in Anschlag gebracht, wie die eigene Durchsicht ergab, aber auch Hansons kritische Ausgabe nennt entsprechend der ausgewerteten Forschungsliteratur nur Aventin als mögliche Quelle. Eine neuere Dissertation zu Annius 381 geht ausführlich dessen Rezeption durch Aventin nach, dessen „Hauptwerke erst viele Jahre nach seinem Tod in der Mitte des 16. Jahrhunderts im Druck vorlagen“ und somit zu Hocks Lebenszeit verfügbar waren, und stellt fest, dass Aventin „maßgeblich an einer Popularisierung annianischer Motive in Deutschland beteiligt“ 382 war. Hocks Bezug in den Capitel 85 bis 92 auf die imaginäre Geschichte der Deutschen und ihrer Könige Amasidis, Tuitschon, Ingeuuon oder Vuigewan, Istewon und Harman sowie die Darstellungen zu Ursprung der deutschen Sprache, der deutschen Schrift und den deutsche Namen werden neu perspektiviert und könnten unter der Prämisse neu diskutiert werden, die für die annianischen Fälschungen formuliert wurde: Denn wir wollen sie ja nicht danach beurteilen, ob sie den Zeitgenossen oder uns verwertbare historische Tatsachen liefert. Wir betrachten sie nur als Beweismittel dafür, was man damals glaubte, glauben wollte und konnte. 383 Ohne hier einer gründlichen Überprüfung vorgreifen zu wollen, ist zu bedenken, dass die Antiquitates auch ein missing link zwischen Hock und Joseph Justus Scaliger sein könnten, der seinerseits in Verbindung zum Prager Hof 379 Ebd., S. 185. 380 Ebd., S. 186. 381 Siehe dazu Thomas Lehr: Was nach der Sintflut wirklich geschah. Die Antiquitates des Annius von Viterbo und ihre Rezeption in Deutschland im 16. Jahrhundert. Frankfurt am Main 2012. 382 Ebd., S. 257. 383 Anneliese Grau: Der Gedanke der Herkunft in der deutschen Geschichtsschreibung des Mittelalters. Trojasage und Verwandtes. Würzburg 1938, S. 54. Zitiert nach Lehr: Sintflut (Anm. 381), S. 21. <?page no="101"?> 102 Eckehard Czucka Rudolfs II. stand und der - so wird beschrieben - 1583 in seinem Opus novum de emendatione temporum mit gleichem Vergnügen Beroaldus, Annius und Eusebius demontiert habe. 384 Insbesondere wäre den konfessionellen Verwicklungen (Aventin protestantisch, desgleichen Scaliger vs. die ‚katholischen‘ Annius-Fälschungen) nachzugehen. Heusler 1929 In dritten Band seiner Versgeschichte von 1929 behandelt Heusler Französische Verse, als unwägende Jamben und Trochäen nachgebildet . 385 Er sieht „fortgesetztes Werben um wirklich antike Formen“ gestört durch die „erste französische Welle“, die, „getragen durch Glauben und Tonkunst“ herangerollt sei. Die calvinischen Liederbücher in den „Verdeutschungen […] von Paul Schede (Melissus) und Ambrosius Lobwasser“ „formten daher die welschen Verse ganz ins einzelne nach, nach Silbenzahl, Taktzahl und Taktfüllung. Sie haben, kurz gesagt, den welschen Versstil in die deutsche Sprache eingeführt.“ Die Richtung griff über auf die nicht gesungene strophische Buchdichtung. Es schloß sich an eine Reihe von süd-, mittel- und norddeutschen Dichtern, deren Blüte zwischen 1590 und 1620 fällt: Petrus Denaisius, Johannes Doman, Theobald Hoeck, Tobias Hübner u. a. 386 Dieser „Welschvers“, wie Heusler die Entwicklung mit deutlich frankophoben Akzent nennt, reiche - wie er ausführt - mit Weckherlin „in den nachopitzischen Zeitraum herab.“ 387 III.3 Forschungsliteratur 1930 bis 1950 Die von Leitzmann 1927 konstatierte geringe Beschäftigung mit dem Blumenfeld endet mit dem Beginn der 1930er Jahre. In diesen Zeitraum fallen die Arbeiten von Max Hermann Jellinek: Beiträge zur Textkritik und Erklärung des Schönen Blumenfelds 1932 (Anm. 215) und von Arnošt Kraus: Theobald Höck 1936 (Anm. 18), die schon im Zusammenhang mit der Diskussion um Kochs Edition behandelt worden sind. 384 Anthony Grafton: Scaligerʼs Chronology: Philology, Astronomy, World History. In: Defenders of the text. The traditions of scholarship in an age of science, 1450-1800. Cambridge/ MA 1994, S. 104-144, hier S. 104: „In the De emendatione Scaliger demolished Beroaldus, Annius, and Eusebius with equal pleasure.“ 385 Andreas Heusler: Deutsche Versgeschichte. Mit Einschluß des altenglischen und altnordischen Stabreimverses. Bd. III = Teil 4/ 5: Der frühneudeutsche Vers, Der neudeutsche Vers. Berlin 1929 [Grundriss der Germanischen Philologie 8,3], § 965, S. 112f. 386 Ebd., S. 112f. 387 Ebd., S. 113. <?page no="102"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 103 Die 1930er und 40er Jahre könnten geradezu als Hoch-Zeit der Hock-Forschung erscheinen, mit einer besonderen Intensivierung der Hock-Forschung nach 1933, so dass die bekannten politischen Konstellationen in die Germanistik und in die Forschung zu Hock hineinspielen. Ein Sonderfall: Merker 1930, 1931 Zu Beginn der 1930er Jahre umkreist Merker in zwei Aufsätzen, die in zeitlicher Nähe entstanden sind und intentional gleichlaufen, das Jahr 1600: inhaltliche Anknüpfungen liefern die Herausstellung des Todesjahres von Hans Sachs 1576, dem er „symbolische Bedeutung“ beimisst, und die Reflexion von „voropitzianischen Reformbestrebungen“, die er um das Jahr 1573 (das ist das Geburtsjahr Hocks) zentriert, ohne jedoch das Blumenfeld in die Überlegungen einzubeziehen. Dabei hatte Merker als Erster im 20. Jahrhundert Hock in eine Anthologie 1913 aufgenommen (Anm. 783). Merker 1930 In seinem 1930 erschienenen Beitrag zu einem literaturgeschichtlichen Aufriss 388 behandelt er Das Zeitalter des Humanismus und der Reformation ; am Ende des 16. Jahrhunderts sieht er „die Anfänge eines neuens Lebens- und Kunststils“, der sich „spätestens seit den siebziger Jahren […] in der deutschen Kultur geltend“ macht, und er beendet seine Überlegungen mit einer Rückschau: Die aus derselben neuen Geschmacksrichtung fließenden voropitzianischen Reformbestrebungen in der Lyrik (1572 Melissus’ Psalmenübersetzung, 1573 Lobwassers „Psalter“) deuten nicht weniger darauf hin, daß ein neues Literaturzeitalter im Werden ist. Das Todesjahr des Hans Sachs (1576) hat in dieser Hinsicht fast symbolische Bedeutung. 389 Hier kann man annehmen, dass Merker das Blumenfeld als jenseits seiner Epochengrenze liegend ausgeschieden hat. Merker 1931 1931 spricht Merker in einem Vortrag an der Columbia-Universität über die Anfänge der deutschen Barockliteratur 390 , in dem er knapp den Beginn der Be- 388 Paul Merker: IV. Das Zeitalter des Humanismus und der Reformation. In: H[ermann] A. Korff/ W[alther] Linden (Hrsg.): Aufriß der deutschen Literaturgeschichte nach neueren Gesichtspunkten. Leipzig und Berlin 1930, S. 61-82. 389 Ebd., S. 82. 390 Paul Merker: Die Anfänge der deutschen Barockliteratur. In: Germanic Review 6 (1931), S. 109-124. <?page no="103"?> 104 Eckehard Czucka schäftigung mit dem Barock im 19. Jahrhundert skizziert, die sich auf Einzelwerke und einzelne Autoren beschränkt habe; von diesen Arbeiten erscheint ihm allein erwähnenwert die methodisch mustergültige und seinerzeit Aufsehen erregende Untersuchung (1898) von Albert Köster Der Dichter der geharnischten Venus , die mit verblüffender wissenschaftlicher Analytik Kaspar Stieler als Verfasser dieser 1668 erschienenen lebensvollen Lyriksammlung nachwies. Es fehlen ihm jedoch „zusammenfassende Darstellungen und Untersuchungen, die von höherer Warte aus größere Komplexe zu erfassen suchten, fast ganz“; „Lemckes verdienstvolle, aber wenig eindringliche Geschichte der deutschen Dichtung von Opitz bis Klopstock “ [s. Anm. 87] sei „ein einzelner, verfrühter Versuch“ geblieben; und auch „die beiden, auf liebevoller Einzelforschung aufgebauten Bücher von M. von Waldberg über Die deutsche Renaissance-Lyrik und Die galante Lyrik [s. Anm. 124] regten nicht zu weiteren synthetisch gerichteten Studien an.“ 391 Festzuhalten ist, dass Merker über solche Einzelbeobachtungen hinaus den Positivismus als methodisches Konzept nicht problematisiert, sondern es bei einer Kritik der Ergebnisse belässt, denen er die der Barockforschung der 1920er Jahre unter dem Stichwort der geisteswissenschaftlichen Forschung gegenüberstellt: Während früher mit vorwiegend individualistischer Blickrichtung sich die Aufmerksamkeit fast nur auf die einzelne Dichterpersönlichkeit oder das einzelne literarische Werk gerichtet hatte, versuchte die moderne geistesgeschichtliche Betrachtungsweise mit größerer Blickweite die Totalität dieses literarischen Zeitraumes zu erfassen oder das verwickelte Kräftespiel der Richtungen, Strömungen und Gattungen zu verfolgen. 392 Als Beispiele für diese vielfältigen Aspekte nennt Merker die Arbeiten von Strich (1916), Cysarz, Viëtor, Ermatinger, Günther Müller, Flemming, Johannes Müller, Alewyn, Hübscher, Weisbach sowie die verschiedenen Barockartikel in dem von ihm und Stammler herausgegebenen Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte . Die Schwierigkeit, den Beginn einer Epoche „Barock“ zu bestimmen, führt er auf die Vorstellung zurück, daß Martin Opitz mit seinem Buch von der deutschen Poeterey (1624) den neuen Stil begründet und damit dieses ganze Literaturzeitalter heraufgeführt habe. Literatur- 391 Ebd., S. 109f. 392 Ebd., S. 111. <?page no="104"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 105 geschichte und Schulbücher pflegten ja in früheren Jahrzehnten diesen schlesischen Dichter mit der spätbiedermeierischen Phraseologie jener Tage als „Vater der neueren deutschen Dichtung“ zu bezeichnen. Dagegen stellt er als „Nüchterne Tatsachenforschung“ die Erkenntnis, daß die theoretischen Lehren dieses rasch zusammengeschriebenen Büchleins durchaus nicht geistiges Eigentum seines Verfassers sind, sondern zumeist aus fremdländischen Poetiken des sechzehnten Jahrhunderts stammen, [und] die vorgetragenen Erkenntnisse für die damalige Zeit (1624) keineswegs mehr so neu und zeitgemäß [waren], wie Opitz in seinem starken Selbstgefühl meinte und eine übereifrige reklame-freudige Anhängerschaft die Zeitgenossen glauben machen wollte. 393 Als konzeptionelle Voraussetzung für diese zutreffende Relativierung der Leistung des Martin Opitz verweist Merker auf Nadler und dessen „Grundgedanken eines starken Wesensunterschiedes zwischen Ost- und Westdeutschland“ [s. Anm. 342]. Damit positioniert er den Anfang des Barock deutlich vor 1612 und wiederholt die Vermutung: Es ist fast, als ob das Todesjahr des Hans Sachs (1576) symbolisch das Ende eines abgelaufenen Kulturzeitalters andeutet und den Grenzstein an einer allgemeinen Kulturwende bildet. 394 So dezidiert wie hier von Merker ist wohl die Entstehungszeit des Barock nie bestimmt worden. Barocker Geist ist so seit 1570 auf der ganzen Linie im Vorstoß begriffen, wenn auch daneben noch vielfach die ältere volkstümliche Art namentlich in den literarischen Tiefenströmungen zu erkennen ist. Es ist eine Übergangszeit, aus der sich erst allmählich die barocken Zukunftselemente zu immer stärkerer Geltung durcharbeiten. Aber nicht erst seit Opitz, sondern längst vor ihm ist dieser neue literarische Stil vorhanden. Wie oft, hinkt auch hier die Theorie nach und bringt erst nachträglich zu vollem Bewußtsein [sic! ] was der Geist der Zeit vorher von sich hervorgebracht hatte. 395 Doch benennt er nicht Hock als den Autor, der - unserer Auffassung nach - die von ihm so präzise bestimmte Leerstelle ausfüllt. Der Grund, Hock nicht zu behandeln, mag darin liegen, dass Merker bei diesem Vortrag, den er während seiner Gastprofessur an der Columbia University hielt, sein auslandsgermanistisches Publikum im Auge hatte, dem er ein konturiertes Forschungsfeld zeigen wollte. So bleibt es bei einem Beitrag zur Hock-Forschung ex negativo. 393 Ebd., S. 112. 394 Ebd., S. 114. 395 Ebd., S. 124. <?page no="105"?> 106 Eckehard Czucka III.3.1 Monographien Kraus 1936 s. oben (Anm. 18) Fleischmann 1937 Die von Cysarz betreute Dissertation 396 verhandelt - motivgeschichtlich und stilkritisch verfahrend - auf 60 Druckseiten das Verhältnis zwischen der volkstümlichen Lyrik des 16. und der Kunstlyrik des 17. Jahrhunderts, denen jeweils ein Teil der Arbeit gewidmet ist. In jeweils sechs Kapiteln werden als Elemente der volkstümlichen Überlieferung, Einflüsse der Reformation, Satirisch-Didaktisches, Grobianismus, das Volkslied und der Meistersang untersucht. Als Einflüsse der Renaissance werden die neulatinische Dichtung, das höfische Ideal, der Petrarkismus, das Gesellschaftslied und Hocks Verhältnis zur barocken Lyrik erörtert. Den Abschluss bildet jeweils ein sechstes Kapitel Der Stil . Fleischmann ist der Erste im Gang der Forschungsgeschichte, der eine literaturgeschichtliche Einordnung des Blumenfelds auf der Grundlage von Textbeobachtungen und Interpretation unternimmt und sich nicht mit dem Nachweis von Parallelstellen begnügt. Somit ist es Fleischmann als dem einzigen Hockforscher gelungen, über die bloßen Feststellungen von oft bedeutungslosen Textparallelen zu einer Gesamtschau von Höcks literarischer Persönlichkeit vorzustoßen. 397 Er versammelt eine Fülle von Belegen, die genauer und genauester Betrachtung unterzogen werden, jedoch weder hier noch in einer weiterführenden Rezeption, die niemals stattgefunden hat, für eine Untersuchung des Blumenfelds als Werk genutzt werden. Als eines für alle soll dieses Beispiel genügen: In Cap. II, in welchem er sein dichterisches Streben darstellt, beginnt er 5 Strophen mit „ich“, 16 mal erscheint das Wort „ich“ in diesem Gedicht. Hier nimmt er den ersten großen Anlauf - seiner Zeit weit vorauseilend - zu wahrer Erlebnisdichtung. Freilich ist seine Sprache noch ungefüge, eignet sich noch nicht zur Wiedergabe feinster Gefühle; all der Abtönungen, welche die geschmeidige lateinische Sprache dem Dichter bietet, entbehrt Höck noch, aber er schafft doch schon einen verheißungsvollen Anfang. 398 Hier wäre dann zu fragen, wie die festgestellte Intensivierung des Gebrauchs von „ich“ sich zu dem Ich-Sagen in Capitel 1 verhält und wie zu dem autobiographischen Ich in Capitel 6. Evident dürfte sein, dass bei Fleischmann für 396 Kurt Fleischmann: Theobald Höck und das sprachliche Frühbarock. Reichenberg 1937. 397 Hanson: Erläuterungen (Anm. 4), S. 103. 398 Fleischmann: Höck (Anm. 396), S. 37. <?page no="106"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 107 eine zukünftige Forschung Funde gemacht und Anregungen gewonnen werden können. In der Frage, ob und wann der Rosenbergsche Sekretär Hock als Dichter des Blumenfelds identifiziert wurde, referiert Fleischmann ohne eigene Stellungnahme oder Kommentar die Sichtweise der tschechischen Forschung, nach der erst Mareš 1904 und Kraus 1935 (Anm. 18) den Sekretär Hock und den Dichter Höck in einer Person zusammengebracht haben, was jedoch schon Hoffmann von Fallersleben 1845 beiläufig mitgeteilt hatte. Hinter diesem forschungsgeschichtlichen Detail verbirgt sich ein politisches Problem, das mit der Epoche der 1930er Jahre, dem Nationalsozialismus und dem Krieg 1939-1945 wesentlich zu tun hat und in das die Hock-Rezeption dieser Zeit nachdrücklich involviert ist, wie auch der Blick auf die Dissertation Sengers 1939 (Anm. 21) und den Aufsatz von Edeltraud von Kamptz 1943 (Anm. 404) zeigen. Die Paratexte bei Fleischmann geben deutliche Hinweise auf eine Lage, die vielleicht nur mit der umgangssprachlichen Redewendung „zwischen allen Stühlen“ einigermaßen neutral wiedergegeben werden kann. Die Dissertation erschien im Sudetendeutschen Verlag Franz Kraus in Reichenberg. Die Geschichte dieses Verlages kann wie unter einer Lupe die böhmisch-tschechisch-deutsche Geschichte nach dem Ende des Krieges 1914-1918 und der Gründung der Tschechoslowakei 1918 zeigen. Schon im 19. Jahrhundert hatten Spannungen zwischen Deutschen und Tschechen zur Teilung der Prager Universität in eine deutsche und eine tschechische Hochschule geführt (Anm. 182). Der Verleger Kraus (geb. 1879) geriet als junger Buchhändler in Prag seit 1902 durchaus parteiisch in die Vorkriegsquerelen und kam u. a. mit den Germanisten August Sauer, 399 dem Herausgeber der kritischen Stifter-Ausgabe, und Adolf Hauffen (Anm. 16), in Kontakt, v. a. im Kreis um die „Deutsche Arbeit“, deren Verleger er wurde. Kraus nimmt für sich in Anspruch 400 , den Begriff „sudetendeutsch“ durchgesetzt zu haben, so dass der Publikationsort der Disseration Fleischmanns durchaus programmatisch zu nehmen ist. 401 399 Siehe dazu etwa Steffen Höhne (Hrsg.): August Sauer (1855-1926). Ein Intellektueller in Prag zwischen Kultur- und Wissenschaftspolitik. Köln 2011 [Intellektuelles Prag im 19. und 20. Jahrhundert 1]. 400 Franz Kraus: Der Sudetendeutsche Verlag. Wie dieser mein Verlag entstand. In: Die Wünschelrute. Jahrbüchlein der „Heimatbildung“ für 1930. Zum zehnjährigen Bestand des Sudetendeutschen Verlages. Reichenberg 1929, S. 135-140. Zitiert nach URL: http: / / www. boehmischeverlagsgeschichte.at/ boehmische-verlage-1919-1945/ sudetendeutscher-verlag-franz-kraus/ (zuletzt abgerufen am 14. Juli 2018). 401 1944 erscheint dann eine neue Jubiläumsschrift im Sudetendeutschen Verlag Franz Kraus: Funken aus der Waffenschmiede 1919-1944. Nach 25 Arbeitsjahren des Sudetendeutschen Verlages Franz Kraus von der Gefolgschaft ihrem Betriebsführer als Zeichen der Verbundenheit gewidmet. Reichenberg 1944. <?page no="107"?> 108 Eckehard Czucka Auf der anderen Seite dankt Fleischmann im Vorwort dem „Kuratorium des Masarykfonds beim Tschechoslowakischen Wissenschaftlichen Nationalrat“ für materielle Unterstützung bei der Drucklegung. 402 Bei diesem Fonds handelt es sich um eine private Stiftung des Präsidenten Tomáš Garrigue Masaryk, die deutsche und tschechische Vorhaben förderte, deren Wirken und Entscheidungen aber durchaus nicht unumstritten waren. 403 Abgesehen von dem Hinweis auf die Hock-Höck-Problematisierung durch Mareš und Kraus spielt die Stellung Hocks im Böhmen des 17. Jahrhunderts für Fleischmanns Erörterung keine Rolle, wie überhaupt historische Gegebenheiten soweit ausgeblendet sind, dass man fast von einer werkimmanenten Arbeit sprechen könnte. Senger 1939 siehe oben (Anm. 21) Von Kamptz 1943 und das Prager Jahrbuch Hock als Prager Dichter bei von Kamptz Schon mit der Apostrophierung Hocks als „Prager Dichter“ entwirft von Kamptz 404 eine neue Perspektive, die kennzeichnend für die Hock-Diskussion der 1940er Jahre ist. Am Schluss einer knappen einleitenden Lebensbeschreibung steht die - leider nicht belegte - Feststellung, das Blumenfeld stamme „aus der Zeit, als er am Prager Hofe lebte.“ Damit wird Hock erneut in einen kulturgeschichtlich relevanten Zusammenhang mit dem Hof Rudolfs II. gebracht. Hock wird in der Tradition der „Rudolfinischen Dichterkomponisten Regnart und Haßler“ gesehen, dessen Leistung darin liege, „den nächsten entscheidenden Schritt“ getan zu haben, indem er „den Text von der Musik“ löse und „fast ausschließlich Lese-Lyrik“ schreibe. Gleichwohl gehöre er, auch als Vorläufer Opitz’, mit dem Blumenfeld in eine Übergangszeit, indem er, an der neulateinischen Dichtung orientiert, auf Deutsch schreibe. 405 402 Fleischmann: Höck (Anm. 396), S. 5. 403 So etwa die Kritik von Kurt Hiller: An den Vorsitzenden der Deutschen Friedensgesellschaft. In: Die Weltbühne 26 (2. Halbjahr) (1930), H. 27, S. 4-9. Beispielhaft für die Bandbreite der Förderung siehe: Die Verteilung des Jubiläumsfonds. In: Bohemia vom 1. Februar 1931, S. 4. In biographischen Zusammenhängen erwähnt bei Demetz: Prag (Anm. 665), S. 549: „[…] denn mein Vater war zur Audienz beim Staatspräsidenten Masaryk auf den Hradschin geladen, der ihm ein Studienstipendium aus seinem Privatfonds zukommen ließ - […]“. 404 Edelgard von Kamptz: Theobald Höck, ein Prager Dichter. In: Prager Jahrbuch (1943), S. 83-87. 405 Ebd., S. 83. <?page no="108"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 109 Man kann sagen, daß die romanischen Formen die Oberfläche beherrschen, den kunstvollen Oberbau bilden. Der Grund, auf dem dieser errichtet wird, ist deutsch. Trotzdem muß man gerade den Formwillen betonen. 406 Ein „Nebeneinander von Altem und Neuem“ finde sich auch im „Gehalt“, und dieser erst gebe dem Blumenfeld seine Bedeutung, da es die Wende von mittelalterlicher, allerdings durch Luther erschütterter jenseitsorientierter Ordnung zum renaissancehaften neuen, an Diesseits und Individuum gebundenen Selbstgefühl repräsentiere. In dem Vers „Dass ich der Welt gleich ein Exempel worden" (Capitel 1, Strophe 4, Vers 5) sieht Kamps den Versuch Hocks ausgedrückt, alte Ordnung und neue Subjektivität zu verbinden. Diese Zwischenstellung zwinge Hock, den Blick auf die Grenze zwischen Jenseits und Diesseits zu richten, wodurch der Tod „in die Mitte des Gesichtskreises“ rücke und für Hock „zum eigentlichen Mittelpunkt aller Gedanken, des ganzen Weltgefüges, der menschlichen Existenz“ 407 werde. Damit nimmt von Kamptz einen rezenten Aspekt auf, der bei Rehm 1928 (Anm. 372) für die Dichtung und bei Wentzlaff-Eggebert 1931 (Anm. 449) für die Lyrik des 17. Jahrhunderts ausführlich entwickelt worden ist. Kamptz findet bei Hock aber nichts Resignatives: Und doch bleibt Höck nicht bei der negativen Bewertung der Welt, bei Betrachten und Erkennen, stehen. Seine Tat, das Positive, ist, daß er aktiv in das Leben eingreift und versucht, mit den Problemen fertig zu werden, daß er trotz allem darum ringt, das Leben zu gestalten. 408 Als Beglaubigung dieser Haltung nimmt sie das Blumenfeld selbst: „[…] sein Lyrik-Buch in deutscher Sprache bedeutete eine nationale Tat, und im Inhalt wird diese bewußt deutsche Haltung noch deutlicher.“ 409 Weitere Beiträge im Prager Jahrbuch Der Hock-Aufsatz der Edeltraud von Kamptz ist der fünfte von neun Beiträgen, die durch das Nachwort des Herausgebers zu identifizieren sind: In Prag steht aber auch die älteste deutsche Universität. In Prag Student zu sein, hieß seit Jahrhunderten, an einer deutschen kulturellen Front zu stehen. Es ist daher auch eine Aufgabe unseres Jahrbuches, jene Wissenschaft in unseren Kreis einzubeziehen, die dem Leben zu dienen unternimmt, indem sie der Volksforschung immer neue Quellen erschließt. Dieses Jahr mag es das Germanistische Seminar von Professor 406 Ebd., S. 84. 407 Ebd. 408 Ebd., S. 86. 409 Ebd., S. 87. <?page no="109"?> 110 Eckehard Czucka Erich Trunz sein, das für die Gesamtheit unserer Hochschulen steht, im nächsten Jahr mögen andere für das Ganze sprechen. 410 Dabei handelt es sich um vierbis fünfseitige Texte, die eher abstracts sind; deren Themen konturieren das Trunzsche Forschungsprogramm der 1930er und 40er Jahre, dessen Ergebnisse erst in den 1980er Jahren publiziert wurden (Anm. 423): Marianne Wünsch: Die Niederländer am Hofe Rudolfs II. S. 60 Traute Swoboda: Alchimisten und Paracelsisten in Prag S. 65 Trude Mechelke: Kepler als Pansoph und religiöser Denker S. 70 Eva Sybille Busch: Die literarischen Leistungen der Dichterkomponisten im Kreise Rudolfs II. S. 76 Edelgard von Kamptz: Theobald Höck, ein Prager Dichter des Frühbarock S. 83 Herta Hajny: Melchior Goldast und sein Prager Tagebuch S. 88 Maria Weiß: Niklas Ulenhart, ein Darsteller des Alt-Prager Volkslebens S. 93 Raissa Schkelenko: Die neulateinische Dichtung am Hofe Rudolfs II. S. 98 Irmgard Patzak: Eine Prager Dichterin im Zeitalter Rudolfs II. S. 102 Der einleitende Aufsatz Kaiser Rudolf II., der Sonderling in der Prager Burg ist aber nicht - wie zu erwarten wäre - von Trunz verfasst, sondern von - so die Betitelung - Universitätsprofessor Dr. Wilhelm Wostry, einem renommierten Historiker, der aber als NSDAP-Parteimitglied auch in der Reinhard-Heydrich-Stiftung tätig war. Die beiden Beiträge zu Rudolf II. von Wostry und Wünsch markieren einen Forschungskontext der 1940er Jahre, in dem auch Trunz’ Arbeiten zum Leben am Hofe Rudolfs II. entstanden, in dem, beiherspielend, auch Hock genannt wird (Anm. 435). Die Aufmerksamkeit für die Dichterin Elizabeth Weston stammt ebenfalls aus dieser Zeit, wie der Aufsatz von Patzak 411 zeigt. Dort findet sich der Hinweis: „In einem kleinen Gedicht ‚Judaeus mercator‘ drückt sie Haß und Abscheu gegen die Juden aus.“ 412 Ist das nun eine Textbeobachtung oder eine politische Aussage? Das Prager Jahrbuch 1943 Damit könnte das Referat eines kleinen Beitrags mit prima vista bedenkenswerten Hinweisen zur Hock-Interpretation und die Beschreibung seines Kontextes beendet sein, wenn nicht der Publikationsort die vollständige Negation aller Bemühungen bedeuten müsste. Das Prager Jahrbuch , das von 1940 bis 1943 410 Franz Höller: Nachwort des Herausgebers. In: Prager Jahrbuch (1943), S. 252. 411 Irmgard Patzak: Eine Prager Dichterin im Zeitalter Rudolfs II. In: Prager Jahrbuch (1943), S. 102-106. 412 Ebd., S. 105. <?page no="110"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 111 erschien, war eine Publikation der SS, die heute nicht nur, aber auch in der Stiftung Topographie des Terrors (Berlin) am Standort T-Rara (SS) zu finden ist. Der Band mit über 250 Seiten, den ein Text Soldatenspruch des Herausgebers Franz Höller eröffnet, ist unterteilt in fünf Kapitel, die überschrieben sind mit Erbe und Aufgabe, Stimme des Krieges, Geliebtes Prag, Prager Berichte und Unsere Bilder . Das Ende bildet das Nachwort des Herausgebers . Der letzte Teil Unsere Bilder zeigt auf 38 Seiten 40, zumeist ganzseitige Kunstdrucke, mit Titeln und Sujets, die einen direkten Bezug zum Krieg haben wie Melder vor Sewastopol , Schützenloch vor Sewastopol , Infanterievorstoß , Ausgeräuchert , Vor dem Start 1 - Bei einer Englandstaffel , Zerstörte Brücke über den Dnjestr bei Tiraspol , Aus der Winterschlacht im Osten . Andere haben einen Lokalbezug und heißen etwa Prager Burg , Landschaft im Isergebirge , Hochzeitstracht aus der mährischen Sprachinsel Wischau . Die Liste der porträtierten Personen ist vielsagend: es feiert sich die Kunstszene mit einer Plakette Bruno Brehm in Bronze, dem Bildnis Maler Palme , einem Bildnis Professor Hönich , der für manche der vertretenen Maler Lehrer an der Akademie der Bildenden Künste Prag war, mit einem Bildnis Generalmusikdirektor Keilberth , daneben aber steht auch das Bildnis Staatssekretär SS-Gruppenführer K. H. Frank (Öl) . Die Beschäftigung mit den nationalsozialistischen Bezügen der hier vertretenen Maler ist Aufgabe der Kunstgeschichte und kann hier nicht geleistet werden. Im vierten Teil Prager Berichte versammeln sieben kurze Beiträge Unterschiedlichstes: Kunst, Theater, Musik, historische Personen werden thematisiert, ein Aufsatz über Postl-Sealsfield und die deutsche Dichtung in Amerika steht neben einer Erörterung einer Politik der zweckmäßigen Verteilung der Sozialprodukte . Die Nennung von „Großdeutschland“ bzw. „großdeutsch“ verweist auf die politische Ausrichtung. Unter dem Obertitel Geliebtes Prag finden sich in der dritten Abteilung fünf Zeichnungen mit Prager Motiven (wie Ständetheater am Obstmarkt, Niklas-Kirche auf der Kleinseite u. ä.) neben Gedichten und kurzen Prosatexten von Autoren mit Bezug zu Prag und dem Sudetenland bzw. Böhmen, etwa von Gertrud Henlein, die 1944 in den Prager deutsche Studien (Bd. 53), die im Verlag Kraus (Reichenberg) erschienen, ihre Dissertation Der grossdeutsche Gedanke in der politischen Lyrik des 19. Jahrhunderts veröffentlichte, oder Hermann Claudius, der - trotz früherer Mitgliedschaft in der SPD, die sein Wann wir schreiten Seit’ an Seit’ (1914/ 15) noch heute singt - umstandslos zur „Literatur im Nationalsozialismus“ gerechnet werden muss. Die zweite Abteilung dürfte hier durch die Nennung des Titels Stimme des Krieges hinreichend gekennzeichnet sein. Der erste Teil des Jahrbuchs besteht ohne weitere äußerliche Untergliederung aus zwei Themenbereichen: Der hier in Frage stehende Band 1943 thematisiert <?page no="111"?> 112 Eckehard Czucka anfangs das Attentat auf Heydrich am 27. Mai 1942, in dessen Folge er am 4. Juni 1942 starb. Abgedruckt ist Die Gedenkrede des Reichsführers SS Heinrich Himmler beim Staatsakt für Reinhard Heydrich in Berlin , enthalten ist ein Beitrag des Staatssekretärs SS-Gruppenführer Karl Hermann Frank: Reinhard Heydrichs Vermächtnis für Böhmen und Mähren ; Kunstdrucktafeln zeigen die Totenmaske Reinhard Heydrichs und Bilder aus dem politischen Leben in Prag , auf denen zumeist Heydrich zu sehen ist. Zur Rezeption der germanistischen Beiträge im Prager Jahrbuch - Fakten und Desiderate Nach den hier verarbeiteten Recherchen weist Schwarzenfeld 1961 (Anm. 595) als Erste die Veröffentlichungen zum Hof Rudolfs II. im Prager Jahrbuch 1943 vollständig nach, nur die Arbeit von Weiß wird nicht genannt, die Dissertation von Schkelenko ist verzeichnet. 1973/ 1980 gibt Evans (Anm. 604) einen nächsten Hinweis auf eine der Veröffentlichungen zum Hof Rudolfs II. im Prager Jahrbuch 1943, wenn er zum Thema der konfessionellen Konversionen - versteckt in einer Fußnote - auf Schkelenko ( Die neulateinische Dichtung am Hofe Rudolfs II. ) verweist. 413 Doch weder die Bibliographie noch das Namenregister führen zu diesem Hinweis. 1975 nennt Hanson neben dem von Kamptzschen Hock-Aufsatz noch die Arbeiten von Busch ( Dichterkomponisten im Kreise Rudolfs II. ) und Swoboda ( Alchimisten und Paracelsisten ). 414 Zitiert wird aus keiner der drei Arbeiten, ebensowenig werden Erscheinungsort und -jahr problematisiert. Pyritz 1985 415 , auf die sich wiederum Garber (Anm. 628) bezieht, verzeichnet unter der Nummer 3873 den Beitrag von Kamptz’. Die Hinweise zur neulateinischen Literatur am Prager Hof, die von DaCosta Kaufman und Coignard in dem Katalog zur Ausstellung Éros et poesia (Anm. 621) von 1985 gegeben werden und die schlussendlich zu Hock führen, gehen einen verwinkelten Weg, berufen sich aber im wesentlichen auf das Prager Jahrbuch 1943. Einleitend wird ein Handbuch der humanistischen Poesie in Böhmen und Mähren 416 als Einführung in die Renaissanceliteratur Böhmens genannt, für weitere Informationen wird unmittelbar anschließend auf die Beiträge aus dem 413 Evans (Anm. 604), S. 109, dazu S. 211 Anm. 32. 414 Blumenfeld (Hanson), S. 702, S. 694, S. 711. 415 Ilse Pyritz/ Hans Pyritz (Hrsg.): Bibliographie zur deutschen Literaturgeschichte des Barockzeitalters. Zweiter Teil: Dichter und Schriftsteller, Anonymes, Textsammlungen. Bearbeitet von Ilse Pyritz. Bern 1985. 416 Rukověť humanistického básnictví v Čechách a na Moravě. Gegründet von Antonín Truhlář und Karel Hrdina, fortgesetzt von Josef Hejnic und Jan Martínek. Prag 1966. <?page no="112"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 113 Jahr 1943 von Schkelenko, die von den genannten Neulateinern nur Arconatus 417 erwähnt, und Patzak, die allein die Westonia behandelt, verwiesen und dann („également aux commentaires“) auf Evans weitergeleitet, der sich aber gerade auf die genannten Autorinnen des Prager Jahrbuchs stützt und auch den Hock-Aufsatz von von Kamptz erwähnt. Aus dem aber wird nicht zitiert, sondern Hock wird in der Edition Blumenfeld (Hanson) angeführt. Der Mahnung, dass das Thema größere Aufmerksamkeit bei Literaturwissenschaftlern verdiene („Le sujet mérite une plus ample attention de la part des spécialistes de la littérature.“), ist vorbehaltlos beizupflichten. Dass die Kommentare zu den neulateinischen Werken (Anm. 622) auf eigenen Lesungen der angegebenen Ausgaben basieren, sei hier mitgeteilt. Dass aber auch 1985 die Aufmerksamkeit bei sonstigem Scharfsinn noch nicht für die Wahrnehmung des Kontextes reichte, ist zu bedauern. Der postum erschienene Band zu Böhmen zwischen 1570 und 1620, den Hans- Bernd Harder herausgegeben hat, enthält einen Aufsatz des Herausgebers zum Hof Rudolfs II. und der Kultur seiner Zeit. 418 Auf etwas mehr als zwei Seiten thematisiert Harder auch die Literatur, zu der er seinen Zugang über eine Untersuchung der poetae laureati sucht. 419 Zuvor aber beklagt er: „Nicht ernstlich versucht worden ist bisher die Bestimmung der Dichtkunst am Hof Rudolfs.“ In der zugehörigen Fußnote heißt es dann: „Auffällig ist, daß sich bisher keine wirkliche Beschäftigung mit der Frage der Literatur (Poesie) am Prager Hof nachweisen läßt.“ Dann folgt die Verzeichnung aller einschlägigen Beiträge aus dem Prager Jahrbuch (Schkelenko, Patzak, Busch, von Kamptz), ergänzt um die bibliographischen Angaben zu Trunz’ kleinem Beitrag im Katalog der Essener Ausstellung Prag um 1600 420 und den Verweis auf Evans (Anm. 604). An dieser Auswahl ist fragwürdig, dass Trunz mit einem kleinen Beitrag zu seinem großen Thema „Rudolf II. und der Prager Hof “ angeführt wird, aber die große Arbeit aus der Zeit des Prager Jahrbuchs nicht zitiert und nicht, wie auch die anderen Arbeiten nicht, forschungsgeschichtlich einzuordnen versucht wird. 417 Raissa Schkelenko: Die neulateinische Dichtung am Hofe Rudolfs II. In: Prager Jahrbuch (1943), S. 98-101, hier S. 101. 418 Hans-Bernd Harder: Der Prager Hof Rudolfs II und die Kultur seiner Zeit. In: ders. (Hrsg.): Später Humanismus in der Krone Böhmen: 1570-1620. Dresden 1998 [Studien zum Humanismus in den böhmischen Ländern 4; Schriften zur Kultur der Slaven 3], S. 59-68. 419 Ebd., S. 61-63. 420 Erich Trunz: Späthumanismus und Manierismus im Kreise Kaiser Rudolfs II. In: Kulturstiftung Ruhr/ Kunsthistorisches Museum Wien (Hrsg.): Prag um 1600: Kunst und Kultur am Hofe Rudolfs II. [Ausstellung Kulturstiftung Ruhr, Villa Hügel, Essen, 10. Juni bis 30. Oktober 1988; Kunsthistorisches Museum Wien, 24. November 1988 bis 26. Februar 1989]. Freren 1988, S. 57-60. <?page no="113"?> 114 Eckehard Czucka Die einzige inhaltliche Information, deren Beleglosigkeit auch hier nicht diskutiert wird, bezieht er aus dem Aufsatz von Edelgard von Kamptz (Anm. 404): „Zu beachten ist auch die Darstellung zu Theobald Höck, dem Verfasser des Bandes ‚Schönes Blumenfeld‘ von 1601, also aus der Zeit, als er als Beamter am Hof Rudolfs war. […] Daraus ergeben sich jedoch keine Rückschlüsse auf den literarischen Geschmack am Hofe Rudolfs.“ 421 In seinem Plenarvortrag bei dem internationalen Kongress Germania latina - Latinitas teutonica (München 2001) erwähnt Garber Hocks Blumenfeld knapp (Anm. 628); in einer auf den ganzen Absatz bezogenen Endnote erwähnt er - unter explizitem Bezug auf Harder - diese Beiträge im Prager Jahrbuch , die er als Auszüge aus den Arbeiten der „Prager Schülerinnen und Schüler“ von Trunz ausweist und die - wie er sagt - „nur in den knappen Auszügen des Prager Jahrbuchs (1943) von Harder benutzt werden.“ Unsere Recherchen ergeben deutlich mehr Zitierungen. - Offenbar ist nur eins der angezeigten Promotionsprojekte beendet worden: „Wichtig insbesondere die Arbeit von Raissa Schkelenko: Die deutschen Neulateiner am Hofe Rudolfs II. in Prag, Diss. phil. Prag 1943 (masch.) [Kopie in der Bibliothek des Frühneuzeit-Instituts Osnabrück]“. 422 Zwischen 1961 und 2003 sind die germanistischen Beiträge im Prager Jahrbuch 1943 immerhin in sieben wissenschaftlichen Publikationen nicht nur bibliographisch nachgewiesen, sondern durchaus auch inhaltlich zur Kenntnis genommen worden. Dabei wird in keinem Fall auch nur ansatzweise der Kontext problematisiert, geschweige denn, dass auf die Diskrepanz auch nur hingewiesen wird, die zwischen einer durchaus festellbaren wissenschaftlichen Ernsthaftigkeit und einem diskussionswürdigen Ertrag, der v. a. auch dem Hock-Aufsatz von von Kamptz nicht abzusprechen ist, und der unaufhebbaren Negativität einer nicht nur nationalsozialistischen Publikation im weiteren Sinne, sondern einer SS-Veröffentlichung, die den Tod eines ihrer brutalsten Protagonisten zelebriert, besteht. Für die Barock- oder Frühe-Neuzeit-Forschung stellt sich die Frage, inwieweit sie überhaupt in der Lage und willens ist, die Historizität nicht nur ihres Gegenstandes, sondern auch die ihres eigenen Tuns in Betracht zu ziehen. Die Forschung zu Hock als Autor des Schönen Blumenfelds , die durchaus nur an wenigen Stellen respektvoll verlaufen ist, hat zwischen 1943 und 2003 ihren absoluten Tiefpunkt erreicht. 421 Harder: Kultur (Anm. 418), S. 61. 422 Garber: Latinität (Anm. 628), S. 130. - Die Arbeit ist im OPAC der UB Osnabrück zwar nicht verzeichnet, kann aber auf Nachfrage eingesehen werden. <?page no="114"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 115 III.3.2 Thematisierungen Trunz 1931, 1937, 1941 [1986/ 1992], 1975 Wesentliche Arbeiten, die Trunz während der späten 1920er bis in die 40er Jahre zum 16. und 17. Jahrhundert geschrieben hat, wurden teils an entlegenen Orten veröffentlicht, teils erst weit nach dem Zweiten Weltkrieg gedruckt, so dass eine Rezeption erst mit deutlicher Verzögerung einsetzen konnte. Trotzdem stellen wir sie in die Zeit vor 1950, in deren Forschungszusammenhang sie gehören. Über die oftmals verwickelte Entstehungsgeschichte gibt Trunz im Nachwort zu seinen Acht Studien Auskunft. 423 Vier seiner Aufsätze behandeln Hock direkt oder tragen zu seinem Verständnis bei. Ferner sind Hocks Capitel 1 ( Unglück thut die Augen auff ) in die 1933 von Trunz zusammen mit seinem Lehrer Petersen herausgegebene Anthologie Lyrische Weltdichtung (Anm. 787) aufgenommen. Trunz 1931 In seiner (ungedruckt gebliebenen) Dissertation untersucht Trunz den Übergang der Neulateiner zur deutschen Dichtung . 424 In einem erstmals 1995 gedruckten Auszug nennt er auch Hock, der hier erstmals in einem Zusammenhang mit dem Neulateinischen und den Bemühungen um die Muttersprache gesehen wird. Am Ende einer Reihe zahlreicher Vorläufer steht Hock: Schede Melissus rühmte die deutschen Sitten in einem Gedicht, das später als erstes seiner Gedichte in der Zincgrefschen Sammlung stand, und die deutsche Vorzeit behandelte Theobald Hock in den sieben letzten, langen Gedichten seines „Schönen Blumenfelds“: „Von den deutschen ersten Königen“, „Von des Tuitschons Policey“, „Was sich zu König Istaevons vnnd Harmanns zeiten zugetragen hat“ usw. Es ist ein wirres Gemisch zusammengelesener Dinge über Manus und Ingevon, über germanische Sitten und die Druiden, über gotische Buchstaben und althochdeutsche Handschriften, aber alles getragen von ehrlicher Begeisterung für eine Zeit, die in erträumter Herrlichkeit gesehen wird. 425 Aus der Beschäftigung mit deutschem Altertum und deutscher Geschichte leitet sich für Trunz auch die Beschäftigung mit der deutschen Sprache ab, für die er Beispiele seit 1548 beibringt, in die sich Hock einreihen lässt: 423 Erich Trunz: Deutsche Literatur zwischen Späthumanismus und Barock. Acht Studien. München 1995, S. 378-379. 424 Erich Trunz: Der Übergang der Neulateiner zur deutschen Dichtung (Anm. 423), S. 207- 227. 425 Ebd., S. 215. <?page no="115"?> 116 Eckehard Czucka […] Theobald Hock, der sich für die deutsche Vorzeit begeisterte, machte sich über die deutsche Sprache mancherlei Gedanken und behandelte sie in mehreren Gedichten: „Die deutsche Sprach kan mit keiner art Als mit der Griechischen so zart Mehr gemeinschaft haben je …“ (CAP. LXXXIX.) Aus der Feststellung der Sprachgelehrten, daß Deutsch und Griechisch verwandt seien, glaubte Hock die Folgerung ziehen zu dürfen, daß man in deutscher Sprache auch ebenso edel müsse dichten können. 426 Gleichwohl sieht er das Ziel dieser Bemühungen bei Opitz, zu dessen Vorläufer Hock an dieser Stelle wieder einmal gemacht wird: Zincgref nannte die deutsche Sprache in der Vorrede seiner Opitz-Ausgabe einen „verborgenen Schatz“ und sprach die Hoffnung aus, daß ihr Wert durch die neue Kunstdichtung endlich erkannt würde. […] Und wie schon so viele vor ihm hat dann auch Opitz das Lob der deutschen Sprache gesungen, 1617 im „Aristarchus“, 1624 in der Vorrede der „Poemata“ und in demselben Jahr in der „Poeterey“. 427 Allerdings hatte er zuvor schon vor-opitzsche „Wege zu einer neuen Dichtung“ bei Melissus, Zincgref, Weckherlin, Hudemann und anderen gesehen und zitiert zum Beleg aus Hocks Capitel 5: Drumb liß mich, [sic! ] wirst spüren, Das allerley Materi man kann führen Im Deutsch so wol vnd artlich Als im Wällisch vnd Frantzösisch zartlich [sic! ] […] 428 Zwar sieht Trunz nirgends so klar und umfassend die Ziele der Literaturreform formuliert wie bei Opitz, dessen in der Poeterey erhobene Forderung nach Kenntnissen des Griechischen und Lateinischen er in Zusammenhang mit Hocks Capitel 19 („Niembt sich auch billich […]“) stellt. 429 Gewichtig scheint der Hinweis zu sein, dass in der neuen deutschen Dichtung alle Gattungen der neulateinischen Literatur übernommen wurden, also neben der Lehrdichtung, dem religiösen Epos, dem antikisierenden Epigramm etc. vor allem das freundschaftliche Gelegenheitsgedicht im Vordergrund gestanden 426 Ebd., S. 216. Siehe auch S. 212. 427 Ebd., S. 215. 428 Ebd., S. 209. 429 Ebd., S. 221. <?page no="116"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 117 habe und von Hock, Zincgref, Hudemann, Opitz, Ruarus, Plavius, dem ganzen Heidelberger und dem ganzen schlesischen Kreis gelte: „sie alle haben in erster Linie Lyrik, Gelegenheitslyrik gemacht.“ 430 Dieser Beziehungsstrang ins Neulateinische wäre von der Hock-Forschung - sicherlich mit Gewinn - zu verfolgen. Trunz 1937 In einem Aufsatz von 1937 zu Weltbild und Dichtung im deutschen Barock 431 findet Hock zwar keine explizite Erwähnung, aber mit seiner breiten Thematisierung der Pansophie und der damit verbundenen Alchimie 432 führt Trunz Themen in die Diskussion ein, die er wenig später - auch mit Blick auf Hock - ausführen wird. Er bezieht sich dabei auf die von Peuckert gezogene Linie Paracelsus - Weigel - Böhme (anhand der Ausgabe der Pansophie von 1936 [s. Anm. 336]). Deren Ansätze sieht Trunz durch die Gelehrten unterbrochen, zu deren Sache die Dichtung wurde; durch sie sei die Dichtung „in eine geistige Welt internationaler, verstandesmäßiger Art“ geführt worden, wodurch die deutschen Dichtung durch fremde (nicht-„völkische“) Formen in einen Zustand der „Überfremdung“ geriet, 433 ablesbar an der Ablösung der Pansophie durch die Rhetorik. 434 Es sind weniger die Befunde als vielmehr deren Bewertungen, die eine deutliche Anpassung an die nationalsozialistische Rhetorik zeigen. Trunz 1941 [1986/ 1992] 1986 erscheint in einem Aufsatzband zur österreichischen Literatur ein mehr als 160 Seiten langer Beitrag von Erich Trunz unter dem Titel Pansophie und Manierismus im Kreise Kaiser Rudolfs II. 435 mit der aufschlussreichen Schlussbemerkung: Der vorliegende Aufsatz ist in den Jahren 1941-1945 entstanden (als der Verfasser an der Deutschen Universität in Prag tätig war), wurde aber damals wegen der Kriegsereignisse nicht ganz fertig. Auf Veranlassung von Herrn Professor Herbert Zeman wurde er 1983 druckfertig gemacht. Dabei handelte es sich vor allem darum, im Anmerkungsteil die wichtigste neuere Literatur einzufügen, die Angaben älterer Literatur entsprechend zu reduzieren und die Vorlagen für einige Abbildungen zu besorgen. 436 430 Ebd., S. 223. 431 Erich Trunz: Weltbild und Dichtung im deutschen Barock. In: Zeitschrift für Deutschkunde 1 (1937), S. 14-29. 432 Ebd., S. 16, S. 28 et passim. 433 Ebd., S. 19f. 434 Ebd., S. 25. 435 Erich Trunz: Pansophie und Manierismus im Kreise Kaiser Rudolfs II. In: Fritz Peter Knapp/ Herbert Zeman (Hrsg.): Die österreichische Literatur. Eine Dokumentation ihrer literarhistorischen Entwicklung. Graz 1986, S. 865-1034. 436 Ebd., S. 983. <?page no="117"?> 118 Eckehard Czucka Ein textgleicher Separatdruck erschien 1992, in dem der oben zitierte Hinweis auf die Entstehungsgeschichte gleichfalls abgedruckt ist, ergänzt um die Angabe des Abdrucks bei Zeman, einen Hinweis auf den Katalog zu der Ausstellung „Prag um 1600“ in Essen 1988 und die Versicherung: „Für den Neudruck […] ist außer einigen Einzelheiten nichts geändert.“ 437 Die beiden Versionen des Titels sagen Allgemeines und Besonderes: Wissenschaft erscheint als Pansophie und Kunst als Manierismus. Ein einleitender Blick auf Rudolf II. in seiner Zeit und auf den kaiserlichen Hof und ein abschließender Ausblick auf das 17. Jahrhundert rahmen die Darstellung der thematischen Schwerpunkte ein. Das Kapitel 3 Die Wissenschaften nennt die Grundlagen, die Akteure und zeigt deren Interaktionen, das Kapitel 9 Der Kreis als Ganzes resümiert die Zusammensetzung und das Zusammenwirken der in Prag Versammelten. Im Mittelpunkt der Erörterung steht mit dem Kapitel 6 Die Auffassung der Musik , die zwei vorlaufenden Kapitel behandeln die Emblematik und Die bildenden Künste , die beiden folgenden widmen sich der neulateinischen und der deutschen Dichtung. Die der Fragestellung nach kulturhistorisch-interdisziplinär angelegte Untersuchung ist ebenso weitausgreifend wie in die Tiefe gehend. Das bedeutet für die literaturwissenschaftlichen Teile, dass die Ausführungen eine genaue Textkenntnis verraten. Theobald Hock wird als politischer Akteur, eben als Sekretär Woks von Rosenberg, behandelt, besonders aber als Autor des Blumenfelds auf mehr als drei Seiten gewürdigt als Literat. In der Entwicklung vorangehend werden die „Prager Dichterkomponisten“ (genannt werden u. a. Regnart, Haßler, Lange) gesehen, die - ihre Texte selbst schreibend -, in ihren Liedertexten auf ihre Weise schon die Entwicklung durch[machen], welche bald darauf die deutsche Barockdichtung im großen vollzog: die Aneignung der europäischen Literaturmoden, ihre Einschmelzung und Umgestaltung. 438 Doch war das „Dichten […] dabei zweitrangig im Vergleich zu der Musik. Deswegen bedeuteten diese Liedertexte noch keinen neuen Durchbruch in der Literatur.“ Den brachten erst „Lyrik-Sammlungen in deutscher Sprache“ als „literarische Bücher“ bei Opitz und Weckherlin. „Doch diese haben einen Vorläufer: Theobald Hock. Sein Gedichtbuch Schönes Blumenfeld (1601) ist der eigentliche Beginn der frühbarocken Kunstlyrik in Deutschland.“ 439 437 Erich Trunz: Wissenschaft und Kunst im Kreise Kaiser Rudolfs II. 1576-1612. Neumünster 1992 [Kieler Studien zur deutschen Literaturgeschichte 18], S. 162. 438 Ebd., S. 106. 439 Ebd., S. 107. <?page no="118"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 119 Trunz gibt anschließend einen knappen Überblick zu Hocks Werdegang und Stellung in der böhmischen Umgebung; 440 später kommt er noch einmal auf dessen Lebenslauf zurück, in dem das Dichten eine „Durchgangsstufe“ war, und gibt - Kühlmanns Hinweis von 1981 aufnehmend (Anm. 721) - über Hocks Ende an: „1621-1622 war er ‚Commissarius‘ bei der Truppe des Grafen Ernst von Mansfeld am Oberrhein.“ 441 In der Übersicht zur Thematik des Blumenfelds rückt er weit von dem früher geäußerten Verdikt über „die Gruppe vaterländisch-lehrhafter Gedichte“ ab, das er noch in seiner Dissertation von 1931 gefällt hatte (Anm. 425), verweist auf Aventin als Quelle und akzeptiert „ein phantasievolles Bild dieser Zeit“, „das man seit Hutten und Frischlin der Gegenwart als Spiegel vorhielt. So auch Hock“. 442 Den sieht er jetzt als Neuerer, auch wegen seiner Gedanken über die deutsche Dichtung, für die Hock zwar - in Übereinstimmung mit den Neuerungsbestrebungen - die antike Dichtung als Vorbild sieht, aber - gegen die herrschende Meinung bei Opitz et. al. - auch die Volksliteratur in ihr Recht setze. 443 Als Person würdigt Trunz Hock („Insgesamt also: ein frischer und beweglicher Mann, höfisch geschliffen, vaterländisch denkend, zugleich bewegt von der irdischen Schwermut und der Jenseitshoffnung seiner Zeit.“), bei dem „andere Züge der Zeit am Rande“ erscheinen, v. a. auch die Pansophie und Emblematik - „typische Gedanken des Prager Kreises, die aber bei Hock nicht tief gehen.“ 444 Nach einer solchen differenzierten Betrachtung versteht Trunz sich zu einer Gesamtwürdigung: Die Bedeutung des Schönen Blumenfeld besteht darin, daß es nationalsprachliche Kunstlyrik ist, wie sie in Italien und Frankreich schon vorhanden war, in Deutschland aber erst seit Opitz gebräuchlich wurde. Was es in Deutschland vor 1601 gab, war zweierlei: einerseits die neulateinische Dichtung, da sprach ein individueller Dichter sich aus, aber nur lateinisch und im üblichen Formenschatz; anderseits das deutsche Kirchenlied, Volkslied, Gesellschaftslied, da lieferte der einzelne nur Texte für Sammelwerke, in denen es auf die Singweise ebenso ankam wie auf die Texte, und die waren allgemein gehalten. Hock schreibt als Persönlichkeit, wie die Neulateiner, doch er schreibt in deutscher Sprache. Er schreibt nicht Liedertexte, sondern Gedichte. Er benutzt dabei nicht die Strophen des Kirchenliedes, nicht den Knittelvers der Spruchgedichte, sondern ist in der Form individuell ebenso wie im Text. Er ist selbständig und ist ein Neuerer, doch in Grenzen. Weckherlin war ein Künstler von sprudelnder Kraft 440 Ebd. 441 Ebd., S. 110. 442 Ebd., S. 108. 443 Ebd., S. 108f. 444 Ebd., S. 109. <?page no="119"?> 120 Eckehard Czucka und blieb auch in seinen späteren Jahren der Dichtung treu. Opitz war ein Organisator, der ein Werk nach dem anderen schrieb und eine Schule aufbaute. Theobald Hock hat kein weiteres Werk geschrieben und hat nicht Schule gemacht. 445 Trunz sieht - anders als viele Vorgänger - Hock nicht als bemühten, aber erfolglosen und den Traditionen hilflos verhafteten Reimeschmied, sondern würdigt seine Leistungen, wenn auch mit Recht „in Grenzen“ und in Abgrenzung zu Weckherlin und Opitz. Belastbar weiterführend sind seine Parallelisierungen der neulateinischen und deutschen Dichtung sowie die Betonung der Individualität bei Hock. Für die Wirkungslosigkeit des Blumenfelds sieht Trunz Gründe in der Veröffentlichungspolitik im Rahmen eines sich entwickelnden Verlagswesens: Das Schöne Blumenfeld ist vermutlich ein Privatdruck, finanziert durch Peter Wok von Rosenberg, den die Kritik am Höfischen darin nicht störte; er bezog sie wohl auf Prag, nicht auf Wittingau. Schallenberg hatte seine Gedichte nur in Abschriften herumgegeben. Hock machte es ähnlich, er ließ sie zwar drucken, aber ebenfalls nur für seinen Bekanntenkreis. Darum gibt es so wenig Exemplare [sic! ], und darum ist das Werk etwas ganz anderes als die Barockdichtungen seit Opitz. Zu denen gehörte ein Verleger, der sich auf der Frankfurter und der Leipziger Buchmesse für das Buch einsetzte, es in den Meßkatalogen anzeigte und an neue Auflagen dachte, und ein Autor, der einem Anfangswerk alsbald weitere Werke folgen ließ, so daß eins das andere stützte. 446 Bedeutung wie belegbare Wirkungslosigkeit des Blumenfelds stehen für Trunz außer Frage: Hocks Werk als ein böhmischer Privatdruck kam nur sehr wenig herum. Es steht historisch-wirkungsgeschichtlich völlig abseits, es ist nur für den rückschauenden Historiker formgeschichtlich der Anfang der deutschen Barockdichtung. Die deutschen Dichter des 17. Jahrhunderts haben dieses Büchlein niemals gesehen, auch Schottelius und Morhof nicht, die sorgfältig die Leistungen deutscher Autoren zusammengetragen haben. Sie alle sahen als den Beginn der neuen Lyrik einzig Opitz. Dessen Werk gelang, weil er nicht nur sehr produktiv, sondern auch etwas schulmeisterlich war; er gab Vorbilder: Deutsche Poemata. Hock, ohne Ehrgeiz, frisch und unbeschwert, gab ein Schönes Blumenfeld. 447 Es dürfte nicht zweifelhaft sein, wem Trunz den Vorzug gibt. Das differenzierte Bild, das Trunz von Hock im Rahmen seiner groß angelegten Studie entwirft, ist wissenschaftsgeschichtlich durch Entstehungszeit und -ort an anderer Stelle 445 Ebd., S. 110. 446 Ebd., S. 110f. 447 Ebd., S. 111. <?page no="120"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 121 problematisierbar, ist allerdings auch nach den zwei Publikationen am Ende des 20. Jahrhunderts nicht, jedenfalls nicht in der Hock-Forschung rezipiert worden. Trunz 1975 In einem 1975 entstandenen, literatursoziologisch argumentierenden Aufsatz findet Hock noch einmal eine knappe Erwähnung: Die Adligen waren damals am ehesten in der Lage, nach Italien, Frankreich, Holland, England zu reisen, fruchtbare Eindrücke mitzubringen und kulturfördernd zu wirken. Im Dienste des Grafen Wok von Rosenberg stand Theobald Hock, der 1601 sein „Schönes Blumenfeld“, die erste deutsche Lyrik-Sammlung, veröffentlichte. Das Werk blieb unbeachtet, und Hock tat nichts dafür, um weiter in dieser Richtung zu wirken. 448 Wentzlaff-Eggebert 1931, 1975, 1978 In seiner von Julius Petersen betreuten Dissertation behandelt Wentzlaff-Eggebert das Problem des Todes in der deutschen Lyrik des 17. Jahrhunderts 449 und steht damit thematisch wie methodisch in direkter Konkurrenz zu der 1928 erschienenen Arbeit von Rehm (Anm. 372). In einer einleitenden Stellungnahme zu Walther Rehms Gesamtdarstellung […] setzt er sich mit dessen problemgeschichtlichem Zugang und der daraus resultierenden, als unzureichend empfundenen Auswertung des Materials auseinander und positioniert sich in „der Mitte von problemgeschichtlicher Gesamtdarstellung und Einzelanalyse“. 450 Im zweiten Hauptteil der Arbeit unterscheidet er jenseitszugewandte von diesseitszugewandten Gläubigen, namentlich Paul Gerhardt und andere Kirchenlieddichter aller Konfessionen auf der einen, und Opitz, die Nürnberger und Logau auf der anderen Seite. Die lyrische Dichtung Deutschlands beginnt um die Jahrhundertwende nach dem Reformationszeitalter mit drei Namen bekannt zu werden: Theobald Hock, Georg Weckherlin und Martin Opitz. Diese drei verkörpern noch heute den sichtbaren Abschnitt in der deutschen Dichtung, an dem sich eigene Kunst von ausländischem Vorbild befreit. 451 448 Erich Trunz: Schichten und Gruppen in der deutschen Literatur um 1600 (Anm. 423), S. 187-206, hier S. 196. 449 Wentzlaff-Eggebert, Friedrich-Wilhelm: Das Problem des Todes in der deutschen Lyrik des 17. Jahrhunderts. Leipzig 1931 [Palaestra. Untersuchungen zur europäischen Literatur 171]. 450 Ebd., S. 4. 451 Ebd., S. 51. In dem von mir benutzten Exemplar aus der Bibliothek Alewyn ist der Name Theobald Hock mit dickem Bleistift durchgestrichen. <?page no="121"?> 122 Eckehard Czucka In dieser Konzentration auf die neue Form bleibe die Auseinandersetzung mit der Todesproblematik im 17. Jahrhundert defizitär: „Sie kommen kaum über die ersten völlig formalen Spielereien mit dem Todesgeschehen hinaus, wie sie Regnart und Schallenberg aus ihrer italienischen Lektüre mitgebracht hatten.“ 452 Wie für Schallenberg bleibe am Beginn des 17. Jahrhunderts „Tod“ ein Stilelement und Anlass zu Wortspielen, während die Rechtfertigungslehre Luthers ihnen die Kraft gebe, „dem Tode überhaupt begegnen zu können. In ihr sehen sie ihre Erlösung vom Tode.“ 453 Hocks Verhältnis zum Tod ist in Wentzlaff-Eggeberts Sicht eher undifferenziert, eine „Flucht vor der Problematik“: „Er kennt kein Todesproblem, höchstens eine Todesvorstellung, die aber bei ihm auch schon durch allzu häufige Übernahme allgemeiner Sätze farblos geworden ist.“ 454 Mit Blick auf die Capitel 6, 16, 31 stellt er fest, dass Ermahnungen nur aus allgemeingültigen, moralischen Sätzen gegeben werden, aber dass alle Stellen, „die sich auf den Tod beziehen, soweit der Dichter überhaupt persönlich Stellung zum Tode nimmt, im Schlussvers jedes Gedichts“ 455 stehen. Gegen Rehms Einschätzung („Behauptung“, wie er es nennt), „daß Hock schon ‚den neuen tiefen Ton zum Erklingen‘ 456 brächte“, wendet er ein, dies sei „allzu sehr verallgemeinernd im Verhältnis zu den anderen Dichtern des 17. Jhdts.“ 457 Auch die Beziehung zwischen Hock und Weckherlin sieht er anders als Rehm; während dieser beide in einem epochalen Gegensatz sieht (Anm. 374), sieht Wentzlaff-Eggebert Zusammenhänge. Weckherlins Leitwort für seinen Sohn Gedancken, Freind und Bücher, gut, Was Recht stehts lernen oder lehren, Der Stirn und Zungen gleicher muht, Den Tod nicht förchten noch begehren. 458 klingt für ihn „wie eine Zusammenfassung von Theobald Hocks Lebens- und Todeseinstellung“: Diese seltsame Parallele zwischen Theobald Hocks und Weckherlins Lebens- und Todesauffassung bleibt nicht einmalig. Sehr viele Gedanken Hocks finden sich auch in den Gedichten Weckherlins. Der Gedanke an den Tod scheint bei beiden dieselben 452 Ebd., S. 52. 453 Ebd., S. 53. 454 Ebd., S. 55f. 455 Ebd., S. 56. 456 Rehm: Todesgedanke (Anm. 372), S. 196. 457 Wentzlaff-Eggebert: Problem (Anm. 449), S. 56. 458 Georg Rudolf Weckherlin: Georg Rudolf Weckherlins Gedichte. Bd. II. Hrsg. von Hermann Fischer. Tübingen 1895, S. 440, Z. 21-24. <?page no="122"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 123 Vorstellungen hervorgerufen zu haben. Die bei Theobald Hock angeführte Stelle, daß der Tod arm und reich, jung und alt gleich mache, findet sich mehrmals auch bei Weckherlin. Es ist zwar nicht zu sehen, dass Wentzlaff-Eggebert hier eine Rezeption des Blumenfelds insinuieren will oder im Sinne einer Einflussforschung argumentiert, doch könnte es reizvoll sein, diesen Zusammenhang etwa unter dem Aspekt der Intertextualität weiterzuverfolgen. - Hansons kritische Ausgabe kennt übrigens Wentzlaff-Eggebert nicht. 1975 hat Wentzlaff-Eggebert eine neue Untersuchung zum Thema Tod in der Wort- und Bildkunst des Barock vorgelegt, die Gryphius, das Trauerspiel und die Emblematik in den Mittelpunkt stellt und Hock nicht erwähnt. Allerdings könnten Hinweise auf die „Änderung der Todes- und Lebensbewertung“ 459 in Petrarcas Dichtungen auch für Hock fruktifiziert werden. In einer für einen interdisziplinären, von einem Mediziner initiierten Sammelband geschriebenen Übersicht stellt Wentzlaff-Eggebert drei Dichterkreise, nämlich die Kirchenlieddichter, die Opitzianer und Nürnberger sowie „Neu- Mystiker“ (Balde, Scheffler, Czepko, Kuhlmann) in den Mittelpunkt. Hock lässt sich offensichtlich in einem eher populären Diskurs nicht vermitteln. 460 Kahn 1932 In einer von Waldberg herausgegebenen Schriftenreihe erscheint 1932 eine Dissertation zum Thema Melancholie in der deutschen Lyrik des 18. Jahrhunderts , 461 in der einleitend das 17. Jahrhundert traktiert wird. Ob eine „melancholische[…] Gemütshaltung“ tatsächlich ihren „Ursprung in einem Gefühl , in dem schmerzlichen Gefühl, daß unser Leben ein ewiges Sterben ist“, hat, mag andernorts verhandelt werden. Kühn schon ist die hier interessierende These: Aus den Schrecken des Dreißigjährigen Krieges, die das Leben aller gefährdeten und unsicher erscheinen ließen, erklärt sich, daß beinahe das einzige Thema der ernsten Lyrik „Vergänglichkeit“ ist. Zu deren Beleg verweist sie auf „‚Und siehe, es war alles eitel und Jammer! ‘ (45: Prediger Salomo 1, 14)“ und fährt fort: „Dies Wort des Koholeten tönt uns entgegen aus Gedichten wie ‚All Ding zergengklich‘ von Hoeck ([…] Blumen- 459 Friedrich-Wilhelm Wentzlaff-Eggebert: Der triumphierende und der besiegte Tod in der Wort- und Bildkunst des Barock. Berlin 1975, hier S. 5, S. 9-19. 460 Friedrich-Wilhelm Wentzlaff-Eggebert: Problem des Todes in der deutschen Dichtung des Barocks. In: Hans Helmut Jansen (Hrsg.): Der Tod in Dichtung, Philosophie und Kunst. Darmstadt 1978, S. 182-186. 461 Charlotte Kahn: Die Melancholie in der deutschen Lyrik des 18. Jahrhunderts. Heidelberg 1932 [Beiträge zur neueren Literaturgeschichte N. F. 21]. <?page no="123"?> 124 Eckehard Czucka feldt 1601, S. 27)“, ohne dem Anachronismus auch nur geringste Aufmerksamkeit zu schenken. 462 Ziemendorff 1933 Hock trägt wenig bei zur Metapher bei den weltlichen Lyrikern des deutschen Barock 463 , die in der Berliner, bei Petersen entstandenen Dissertation behandelt wird. Es werden mit Bezug auf Souvageol für Hock Einflüsse italienischer Lyrik festgestellt, „diesmal weniger des Liedes (Capitel 47) als Petrarcas“ 464 . Bei Johann Christian Günther 465 erinnere „Das Glück mischt die Karten“ an Hocks Volkstümlichkeit 466 . Die Literaturangaben enthalten offenbar einen Zahlendreher; liest man statt 72, 34 und 160, 13 als 72, 13 und 160, 34 kommt man zu folgenden Belegstellen bei Günter: 19. Nun Kind! Ich kann dich nicht mehr bitten: (72, 13) Das Glücke spielt mir tausend Possen Und lockt mich auf des Hofes Eis, Ich folg’ ihm klug und unverdrossen, So gut ich seine Tücke weiß: 63. An Hans Gottfried von Beuchel (160, 34) Der Vater zog mich ab, verwarf mein Spiel als Grillen Und sprach: (ich hör’ es noch) Sohn! wirf den Bettel hin, Und häng den Brodkorb an; kein Reimen bringt Gewinn. Das mag angängig sein, ist aber als Bezug nicht schlagend. Aus der Beiläufigkeit, mit der Hock bei Kahn und Ziemendorff traktiert wird, lässt sich vielleicht ableiten, dass er in den Kanon der Barockliteratur aufgenommen wurde und Bezugnahmen keiner besonderen Begründung mehr bedürfen. 462 Ebd., S. 9. 463 Ingeborg Ziemendorff: Die Metapher bei den weltlichen Lyrikern des deutschen Barock. Berlin 1932 [Germanische Studien 135]; [zugl.: Berlin, Univ., Diss. 1932]. Nachdruck Nendeln/ Liechtenstein 1967. 464 Ebd., S. 54. 465 Johann Christian Günther: Gedichte. Mit Günthers Bildnis. Hrsg. von Berthold Litzmann. Leipzig 1879. [Nachdruck 1930]. [Reclams Universal-Bibliothek 1295/ 1296], S. 72, Vers 34; S. 160, Vers 13. 466 Ziemendorff: Metapher (Anm. 463), S. 131. <?page no="124"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 125 Müller 1934 Ähnlich selbstverständlich geht Müller 1934 mit Hock um, den er in einer Entwicklung positioniert: Etwa gleichzeitig erfährt das deutschsprachige Lied in den „Villanellen“ Jak. Regnarts (1576) nach italienischem Vorbild Formverstraffung, zuspitzenden Aufbau, Bewußtheit und begriffliche Helle, in deren abgrenzendem, schillerndem Spiel mittelbar etwas von dem unmittelbar Unsäglichen erscheint. Schallenberg und Th. Hoeck („Schönes Blumenfeld“ 1601) versuchen nach ihm mit verwandten Mitteln stofflich weiter zu greifen, erreichen aber den straffen Glanz der besten Regnartschen Stücke kaum je. 467 Cysarz 1936 Cysarz weist in der Einleitung des ersten Teils seiner dreibändigen Auswahl mit Barocklyrik von 1937 Hock eine prominente Stellung im Vor- und Frühbarock 468 zu. In erweiterter Form war der Text schon 1936 separat erschien. 469 Darin schließt er Hock an den „Werdegang des deutschen Liedes“ und seiner „breiten Italianisierung [sic! ]“ an. Der Einfluss Regnarts, Haßlers, Haußmanns, v. a. aber Scheins sei in den „petrachisierenden Strophen“ Hocks zu nachzuweisen. Der sei „bildungs- und gelehrsamkeitsgeflissen wie volks- und überlieferungsbewußt. Doch seine Sprachkunst bricht ob solcher Spannungen noch auseinander“. 470 Aber gerade er als „ein unmusikalischer Dichter“ kann „die störrische Masse des 16. dem Formwillen des 17. Jahrhunderts weiter aufschließ[en]“. 471 Aus der Biographie, die in einem knappen Abriss besprochen wird, wird der „Höfling“ als Figur präpariert, dem das Blumenfeld „das Wort“ gibt. Die Stationen seiner disparaten Biographie werden als thematische Einheiten sistiert. Zerrissenheit der Person bildet sich ab in Verachtung des bäurischen, ungebildeten Tölpels und in der Klage über Eitelkeit des höfischen Treibens, im Gegensatz von Jurist und Humanist, „vertraut der Antike, mit Rabelais und Ronsard, mit Ariost und vor allem Petrarca“, der zugleich „tief […] in dem ungeschlachten Landsknecht-, Volksbuch- und bestenfalls Volkslied-Ton des 16. Jahrhunderts steckt“. 472 467 Günther Müller: Deutsches Dichten und Denken vom Mittelalter zur Neuzeit. Deutsche Literaturgeschichte 1270 bis 1700. Berlin 1934 [Sammlung Göschen 1086], S. 112. 468 Herbert Cysarz (Hrsg.): Vor- und Frühbarock. Leipzig 1937 [Deutsche Literatur in Entwicklungsreihen. Reihe Barock. Barocklyrik 1]. 469 Herbert Cysarz: Deutsches Barock in der Lyrik. Leipzig 1936. 470 Ebd., S. 15. Vgl. auch S. 48. 471 Ebd., S. 49. 472 Ebd. <?page no="125"?> 126 Eckehard Czucka Schon sein eigentümliches Widerspiel von Entsagung und Ehrgeiz macht Höck zum seelischen Ahnherrn des Opitz. Auch sein formaler Vorstoß aus der Volksdichtung in die Renaissance […] führt in Opitzens Nähe. 473 Wegen der in der Forschung oft gescholtenen Capitel 85 bis 92 des Blumenfelds stellt Cysarz Hock in eine Traditionsreihe barocken Geschichtsbewusstseins: Die deutsche Vorzeit stachelt den Stolz, die Einbildungskraft und die Quellensuche, von Höck und Opitz bis zu den Bardendichtungen Aßmanns von Abschatz und dem Arminius-Museum Caspers von Lohenstein. 474 Hier ist anzumerken, dass Cysarz als einziger Hock als Juristen apostrophiert, ohne allerdings eine Quelle dafür zu nennen (Anm. 315); bei Brauer 1936 findet sich ebenfalls diese Berufsbezeichnung. Brauer 1936, 1938 Brauer beschäftigt sich in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre in zwei Aufsätzen mit Theobald Hock, einmal im Zusammenhang mit den Anfänge der deutschen Barocklyrik 475 und einmal monographisch. 476 Brauer 1936 In dem ersten Aufsatz geht es zentral - wie angekündigt - um Regnart und Schein, deren Einschätzungen von Überlegungen zu Schallenberg und eben Hock konturiert werden. Mit Rückgriff auf Stammlers Von der Mystik zum Barock (Anm. 370) gibt Brauer eine soziologische Einordung der Dichterriege: er erblickt in der seit 1550 sich vorschiebenden „Gesellschaft“ eines höheren Beamtentums, in fürstlichen Diensten stehender und oft nobilitierter Juristen, mit Recht den Hauptträger der literarischen Erneuerung. In der Tat, Männer wie Höck, der Heidelberger Kreis um Lingelsheim, Opitz, Weckherlin, Fleming u. a. lassen deutlich das literarische und „politische“ Element eng verschwistert erscheinen. 477 Ganz offensichtlich übernimmt er die Berufsangabe „Jurist“ von Cysarz, die für Fleming definitiv nicht stimmt und für Hock nicht nachweisbar ist. Cysarz’ Darstellung der „Dichtung des Frühbarocks“, insbesondere bei Regnart, Haßler, 473 Ebd., S. 40. 474 Ebd., S. 118. 475 Walter Brauer: Jacob Regnart, Johann Hermann Schein und die Anfänge der deutschen Barocklyrik. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 17 (1936), S. 371-404. 476 Brauer: Hock (Anm. 20). 477 Brauer: Barocklyrik (Anm. 475), S. 372. <?page no="126"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 127 Demant, Haußmann, J. H. Schein und Schallenberg wie Hock, wird zustimmend referiert: „Der Versuch, den Cysarz macht, die vorbarocke Situation zu erhellen, ist höchst dankenswert.“ 478 „[…] stoffliche Anklänge an den Meistergesang […] in Höcks ‚Schönem Blumenfeld‘ (1601) und da v. a. in den acht letzten Gedichten,“ 479 v. a. die Beurteilung Hocks und seines Blumenfelds durch Cysarz „mit sehr positiver, übertreibender Wertung und in stark zugespitzten Wendungen 480 werden unter Berufung auf Müllers Beurteilung von 1925 (Anm. 334) kritisch gesehen. Andererseits wird Hock ein durchaus kompetenter Blick auf die zeitgenössische lyrische Produktion, eben das Gesellschaftslied, insbesondere das Regnarts, zugebilligt: Das Primäre jedoch bleibt bei allen Gesellschaftslyrikern die Musik, so sehr, daß die Liedtexte in den meisten Fällen floskelhaft bleiben oder gar, barbarisch schematisiert, rein silbenzählend und allen Gesetzen einer Metrik zum Hohn, der Musik „synchronisiert“ sind. Man geht wohl nicht fehl, auf solche Produkte Theobald Höcks Verse (‚Schönes Blumenfeld‘, 1601, cap. 19: ‚Von Art der deutschen Poeterey‘, Str. 13) zu beziehen. 481 Brauer 1938 Der monographische Beitrag Brauers über Hock gliedert sich in drei Teile: Lebensgang , Theobald Hock und die Pansophie und Bibliographie . Einleitend geht Brauer auf die 1936 erschienene Biographie von Arnošt Kraus (Anm. 18) ein, die er nach Abschluss seiner eigenen Recherchen erhalten habe und deren schlechte Erreichbarkeit er beklagt und nachweist. 482 Ferner nimmt er ausführlich Stellung zur Frage „Hock“ oder „Höck“ und plädiert - gegen A. Kraus - für Hock. 483 Den Lebensgang Hocks gliedert er in vier Phasen: 1573-1600, 1600-1612, 1612-1617 und 1617-1619 und nimmt damit 1619 als Todesjahr an. Für Hocks Lebensbeschreibung zieht er v. a. die Dissertation Uflackers von 1926, heran, in der Hock v. a. in der Nachzeichnung der Zeit von Oktober 1606 bis Juni 1608 vorkommt, 484 die aber wohl nicht nur Brauers Erkenntnisinteresse, sondern auch 478 Ebd., S. 373. 479 Ebd. 480 Ebd., S. 374. 481 Ebd., S. 384. 482 Brauer: Hock (Anm. 20), S. 254f. - Er weist in seiner Anm. 1 zehn Exemplare in deutschen Bibliotheken nach. 483 Ebd., S. 255. 484 Hans Georg Uflacker: Christian I. von Anhalt und Peter Wok von Rosenberg. Eine Untersuchung zur Vorgeschichte des pfälzischen Königtums in Böhmen. Dessau o. J. [1926], S. 40-52 [zugl.: München, Univ., Diss. 1926]. Später versteht Uflacker sich zu einer Beur- <?page no="127"?> 128 Eckehard Czucka seiner Darstellungsabsicht entspricht: „Lebendig ist das Bild, das Uflacker, aus den Zerbster Akten schöpfend, von den Strömungen am Miniaturhof des alten Barons entwirft.“ 485 Die detailreiche Arbeit Brauers wirkt wie eine Vorstufe zur narrativen Geschichtsschreibung und vergegenwärtigt die beschriebenen Vorgänge im Präsens: „Hock entwirft persönlich für Christian einen Bericht, sehr bewegt und ein wenig atemlos. Er steht mitten drin in diesem Wirbel und spürt ihn vielleicht am ärgsten.“ 486 Aber auch ‚Anschaulichkeit‘ steht Brauer zu Gebote: „Unterdessen stand Christian, Gewehr bei Fuß, an der pfälzisch-böhmischen Grenze, ‚in eigenartiger Untätigkeit‘ (Uflacker).“ 487 Das „Gewehr bei Fuß“ ist eine Metapher, die gerade nicht metaphorisch ist; 1934 stellt Karl Kraus als Signatur der Zeit fest: „so bleibt nur erstaunlich, daß sie noch Redensarten gebrauchen, die sie nicht mehr machen.“ 488 Überhaupt ist Brauers Sprachgebrauch nah an der Zeit: Historisch aufschlussreich und überaus instruktiv ist dieses Ringen, da es an dem damals schicksalsvollsten Ort Deutschland - Prag 1617-1619 - in einer der unglückseligsten Stunden unseres Vaterlandes, und zugleich beispielhaft in sie verwoben, vor uns abrollt. 489 Das ist weniger eine historische Beschreibung als eine Stellungnahme zur aktuellen Politik. Zu den für die Entstehung und Aufnahme des Blumenfelds relevanten Jahren um 1600 kann Brauer nur bekannte Vermutungen beibringen: Der Aufenthalt in Prag, die Atmosphäre am Hof Rudolf II. haben den Dichter gewiß entscheidend beeinflußt. Ganz mit Recht sieht man in den Gedichten des „Blumenfelds“, die vom Hofleben handeln, Erlebtes aus der Zeit. Das sind zwar nicht unplausible Annahmen, die sich jedoch durch salvatorische Klauseln („gewiß“, „in der Tat“) vor Widerrede schützen. Fundierter steht es mit Brauers Einschätzung der Forschungslage. Die Arbeiten über die „literarhistorischen Zusammenhänge“ von Waldberg bis Müller teilung des Politikers Hock: „Diese Freude an der politischen Intrige ist Hocks hervorstechender Charakterzug. Dabei besaß der Zweibrückener eine eigentümliche Weite seines Blickes und eine relativ große politische Urteilsfähigkeit. Seine eigene Überzeugung und Weltanschauung waren daher höchst labil.“ (S. 64) 485 Brauer: Hock (Anm. 20), S. 262. 486 Ebd., S. 264. 487 Ebd. 488 Karl Kraus: Warum die Fackel nicht erscheint. In: Die Fackel 36 (1934), Nr. 890-905, S. 95f. 489 Brauer: Hock (Anm. 20), S. 273. <?page no="128"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 129 bedürfen noch einer zusammenfassenden Schau. Dann erst, und wenn auch der vielumstrittene, oft noch dunkle Text selbst einer gründlichen Revision und gewissenhaften Durchkommentierung unterzogen worden ist, wird die literarhistorische Forschung ihre Aufgabe erfüllt haben. 490 Beide Forderungen, die nach Zusammenschau der Forschung wie die nach Kenntnisnahme des Textes, sind auch 2018 noch nicht einmal ansatzweise erfüllt. Brauer formuliert hier das Ergebnis unserer Unternehmung gültig vorab. Aber auch von Brauer wird die Chance der Literaturgeschichtsschreibung nicht erkannt, mit dem Blumenfeld ein Werk bearbeiten zu können, dessen Wahrnehmung nicht durch die Quisquilien biographischer Details aus dem Leben eines Autors behindert wird. In einem zweiten Kapitel seines Aufsatzes geht Brauer unter dem Titel Theobald Hock und Pansophie zahlreichen Hinweisen in den Zerbster Akten nach, findet aber im Blumenfeld nicht mehr als die „allerdings zeittypischen“ Angaben in Capitel 6, die geometrischen Symbole in Capitel 74 sowie die noch nicht aufgelöste Schlusszeile. 491 Ferner diskutiert er Peuckerts Hinweise auf Hock und wiederspricht dessen Vermutung, der Verfasser des Blumenfelds sei identisch mit dem Pfälzer Theodor Haak, der 1645 in London ein „Philosophisches Collegium“ gründete. Den Ertrag seiner Recherchen beurteilt er selbst skeptisch: Wie immer die Fäden liefen, bezeichnend für die Mentalität Theobald Hocks bleibt, daß er teilhat an Pansophie und Rosenkreutzerei [sic! ]. So spiele denn über sein durch die Zeit nachgedunkeltes Bild auch dieser Schein. 492 Mit seinen Hinweisen auf Peuckert und durch die Mitteilungen aus den Zerbster Akten bringt Brauer ein Thema in die Diskussion, das dann in den Untersuchungen zum Hof Rudolfs II. v. a. bei Trunz eine große Rolle spielt. - Den Abschluss bildet, wie oben beschrieben (Anm. 20) eine umfangreiche Bibliographie. Wolfskehl 1938 s. unten (Anm. 326; 861) 490 Ebd., S. 258. 491 Ebd., S. 276. 492 Ebd., S. 279. <?page no="129"?> 130 Eckehard Czucka III.3.3 Literaturgeschichten Hankamer 1935 Hankamer bringt im Titel seiner immer noch als Standardwerk geltenden Literaturgeschichte 493 „einen Kampfbegriff der protestantischen Geschichtsschreibung und einen Schimpfbegriff des Kunstgeschmacks“ 494 zusammen. Sein formgeschichtliches Interesse am Stil der Epoche fragt nach den Bedingungen in „Raum und Zeit“. Hock (und mit ihm Regnart) verortet er „im politischen Raume Österreichs“, in dem [d]em Geist der ganzen Zeit und der Eigenart der staatlichen Aufgabe nach […] sich ein übernationaler Cäsarismus christlicher Art als geistige Lebensform ergeben [mußte]. Ihre Träger und Vermittler sind der Hof und der Klerus; vor allem die Jesuiten und Ordensgesellschaften. Da sind „Ansätze anderer Art“, also der aus „individuellem edelmännischem [sic! ] Lebensstil“ entspringende Hocks wie der „bei Regnart weniger soziologisch faßlich und ‚höfisch‘ in weiterem Sinne“, dazu verurteilt zu verkümmern. Überhaupt blieb die „deutschsprachlich gelehrte Dichtung, die Opitz zunächst heraufführte, […] hier fast ohne Wirkung“. 495 Als bestimmend für das Barock und seine Literatur sieht Hankamer, dass sie „dem Gesetz der Weltstunde“ unterstehen, „die Gesellschaftlichkeit als Lebensart vorschreibt“. Opitz hat die Tatsache der gesellschaftlichen Daseinsform, in der Weckherlin und noch renaissancistisch Höck als Dichter sprachen, programmatisch festgestellt und zur Grundlage der neuen Dichtung gemacht. 496 Als formgeschichtlich relevant werden die Ode und das Lied gesehen, die v. a. von Weckherlin „aus dem Bedürfnis nach festlicher und kunstvoll-geistiger Art des Sagens in die deutsche Sprache übertragen“ worden seien. Doch: Das intime Menschliche ist in das Politische eingeschmolzen. Der persönlich-biographische Stoff unterwirft sich dem Stilgesetz der neuen Haltung. Während Theobald Hoeck seine Erfahrungen und Wirren, seine Erfolge und seine Schuld bekannt und erzählt hatte, ohne diesen Lebensabenteuern eine wirklich repräsentative Bedeutung 493 Paul Hankamer: Deutsche Gegenreformation und deutsches Barock. Die deutsche Literatur im Zeitraum des 17. Jahrhunderts. Stuttgart 1935. 494 Wolfgang Brückner: Gibt es eine fränkische Barockfrömmigkeit? In: Dieter J. Weiss (Hrsg.): Barock in Franken. Dettelbach 2004 [Bayreuther Historische Kolloquien 17], S. 243-254, hier S. 244. 495 Hankamer: Gegenreformation (Anm. 493), S. 7. 496 Ebd., S. 132. <?page no="130"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 131 und Form geben zu können, tritt in Weckherlin der barocke Dichter auf, der sich in hoher Stilisierung, wenn auch persönlich, äußert. 497 Hier wirken, ohne dass das Blumenfeld formgeschichtlich in den Blick genommen wurde, offenbar noch die Verdikte der positivistischen Arbeiten aus dem Beginn des Jahrhunderts nach. Schmitt 1935, 1949-1952, 1963 Die Tabellen zur Literaturgeschichte erschienen 1935 in aufwendiger Ausstattung mit eingeklebten Falttafeln zum ersten Mal und werden nach dem Zweiten Weltkrieg noch zweimal unter neuem Titel und mit überarbeiteten Texten wiederaufgelegt, zuletzt 1963. Die 1962 erstmals als Taschenbuch erscheinende Lizenzausgabe von Frenzels Daten deutscher Dichtung (Anm. 690), die dasselbe tabellarische Konzept verfolgen, hat sich dann durchsetzen können. Schmitt 1935 1935 wird Hock in dem Kapitel Gruppierungen der Lyrik im 17. und frühen 18. Jh. zwischen Lobwasser und Schede-Melissus sowie Weckherlin ohne irgendeinen biographischen Hinweis genannt und charakterisiert: „inneres Erleben, Gedankentiefe; Metrik des Minnesangs“ heißt es - mit dem Hinweis „anonym erschienen“ - vom Blumenfeld . 498 In dem Kapitel Fremde Literatur in Deutschland wird unter den von Petrarca im 17. Jahrhundert beeinflussten Autoren Hock genannt: „1601 Versuch der Nachahmung des Canzonen-Versmaßes im ‚Schönen Blumenfeld‘; (ohne inhaltliche Anlehnung).“ 499 Schmitt 1949-1952 Das zwischen 1949 und 1952 in drei Teilen unter dem Titel Literaturgeschichte in Tabellen neuerscheinende Werk verzeichnet im Teil 2 Hock mit einem ausführlichen Eintrag, der über Biographie und Edition sowie literaturhistorische Stellung informiert. Theobald Höck (1573-1658 (? ); aus Zweibrücken in der Pfalz; 1601 Sekretär derer von Rosenberg zu Wittingau in Böhmen; 1602 geadelt. 1618 gefangen und zum Tode verurteilt, dann aber befreit. Kriegsdienste; ausgedehnte Bildung im Geiste des Humanismus; Kenner der volkstümlichen Literatur). Schönes Blumenfeldt … (1601; unter dem Pseudonym Otheblad Öckh). A.: M. Koch, 1899 (Hallesche Neudrucke). 497 Ebd., S. 171. Eine weitere Erwähnung Hocks findet sich in der Alphabetischen Zeittafel S. 518. 498 Fritz Schmitt: Tabellen zur Literaturgeschichte. Berlin 1935, S. 47. 499 Ebd., S. 150. <?page no="131"?> 132 Eckehard Czucka Bekenntnishaft, Rechenschaft über sein eigenes Leben. Vielfache Verwendung volkstümlichen Sprachguts; Übernahme minnesängerischer Formen; sprachlich ungewandt. 500 Das mag als eine erste orientierende Information durchgehen, auch wenn hier das Capitel 19 mit seinen sprach- und literaturreformerischen Ansätzen unerwähnt bleibt. - In der neubearbeiteten dritten Auflage von 1963 fehlt Hock. 501 Markwardt 1937 Hock findet im Rahmen von Markwardts Geschichte der Poetik 502 dessen beiläufiges Interesse („Ein kurzer Seitenblick mag noch zurückschweifen auf Theobald Hoeck, der […] wohl auch einmal Betrachtungen anstellen lässt über die Möglichkeit und Notwendigkeit deutschsprachlicher Kunstdichtung“), 503 für das das Capitel 19 einschlägig ist. Doch vorher findet er schon einen Einstieg in einer als Vorausweisung verstandenen Leseranrede: […] die knappe Vorrede „An den getrewen Leser", die mit ihrem Voranstellen der „Seelen säligkeit“ das christliche Leitmotiv kurz aufklingen läßt, beschränkt sich im Wesentlichen auf das Anraten, aus „diser Welt ergernüssen“ möglichst das Angenehme zu erlösen und zu „erwählen", und auf das Anrufen des Leserurteils, etwaige Rückfälle des Dichters in die Düsternisse des Lebens wohlwollend zu verzeihen, malt also mehr die ganze tragende Lebensstimmung, ohne kunsttheoretische Richtungsmerkmale vorzuzeichnen. Höchstens der Umstand selbst, daß überhaupt dem Leser eine kritische Urteilsbildung zugewiesen und also eine Urteilsfähigkeit zuerkannt und daß dem idealen Leser mehrfach das Wertungsattribut „verständig“ zuerteilt wird, könnte einige Anhaltspunkte bieten. 504 Zu bemerken ist, dass Markwardt aus dem Capitel 5 („Wesentlich karger an kunsttheoretischem Ertrag bleibt Hoecks Gedicht ‚An den Leser‘“) zwar „über die damalige Lektüre Aufschlüsse“ findet, 505 er jedoch nicht auf die emphatische, auch poetologisch relevante Leseranrede eingeht, die, im Titel und der Einleitungsstrophe beginnend, sich durch das ganze Gedicht zieht und die - sagen wir es im Vokabular des 21. Jahrhunderts - den Katalog der Kompetenzen eines 500 Fritz Schmitt: Deutsche Literaturgeschichte in Tabellen. Teil II: 1450-1770. Bonn 1950, S. 110. Siehe auch Anhang S. XIII und S. XVI. 501 Fritz Schmitt und Jörn Göres: Deutsche Literaturgeschichte in Tabellen. 3., völlig neu bearb. Aufl. des Buchs […] nach dem Tabellenwerk von Schmitt/ Fricke. 1. Aufl. 1955, 2. Aufl. 1961. Frankfurt am Main 1963. 502 Bruno Markwardt: Geschichte der deutschen Poetik. Bd. I: Barock und Frühaufklärung. 3. Aufl. Reprint 2012. Berlin 1964 [Grundriß der germanischen Philologie 13,1]. 503 Ebd., S. 26. 504 Ebd. 505 Ebd., S. 28. <?page no="132"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 133 mündigen Lesers aufstellt: „Liß mich mit witz und Sinnen / Vnd darnach vrtheil mich / wenn duß wirst künnen, […]“ Zentral steht das Capitel 19, dessen Argumentation Markwardt paraphrasiert und als „mehr vernünftig und kritisch betrachtend erörtert als gefühlsmäßig“ einschätzt. Ihn interessiert v. a. das Verhältnis von „Nationalsprache“ und fremder Sprache, und er konstatiert, dass „Th. Hoeck sehr bald die kulturpatriotische Leitidee zum Einsatz“ bringt „mit der Ermahnung, daß seine Landsleute über solchem Eifer ‚jhr eygene Sprachen / Nit vnwerth machen‘ sollten.“ Doch setzt Hock noch nicht auf Ermutigung, wie später etwa Opitz: Noch nicht geht Hoeck von der dann vielfach gebräuchlich werdenden Ermutigungstaktik aus, die deutsche Sprache als besonders günstige Voraussetzung für eine dichterische Formung hinzustellen und die Mühelosigkeit deutschsprachlichen Dichtens verlockend anzupreisen. Vielmehr verweist er auf die Schwierigkeiten der deutschen Sprache […] 506 Eine „Überlegenheit deutscher Poeten“ wird erst „etwa drei Jahrzehnte später Joh. Rist“ behaupten. Doch wird Hock zugerechnet, dass er vor Buchner den Daktylus in die Diskussion bringt. In der Perspektive einer Geschichte der Poetik bleibt für Markwardt der Eindruck: Im ganzen wirken die kunsttheoretischen Einsprengungen in Hoecks Gedichtsammlung wie ein kleines zwangsloses Vorspiel zur Opitzschen Reform. Sie lassen voraussehen, daß die Bemühungen Opitz’ günstige Einsatz- und Einwirkungsmöglichkeiten vorfinden werden. 507 III.4 Forschungsliteratur 1950 bis heute III.4.1 Ausgaben Hanson (Hrsg.) 1973, 1975 Der von Hanson veranstalteten kritischen Textausgabe von 1975, die hier als Blumenfeld (Hanson) zitiert wird, 508 geht eine 1973 als Dissertation eingereichte Fassung voraus, 509 deren Untertitel „Unter Zuhilfenahme eines durch Compu- 506 Ebd., S. 27. 507 Ebd., S. 28. 508 Theobald Höck: Schönes Blumenfeld. Kritische Textausgabe. Bonn 1975 [Abhandlungen zur Kunst-, Musik- und Literaturwissenschaft 194]. 509 Klaus Dieter Hanson: Theobald Hoeck: „Schoenes Blumenfeld“ (1601). Neue biographische Materialien sowie kritische Erlaeuterungen zu Metrik, Reim, Wortbestand und besonders den Betonungs- und Ausspracheeigenheiten des Dichters. Unter Zuhilfenahme eines durch Computer erstellten Wort- und Reimindexes. Urbana/ IL 1973. <?page no="133"?> 134 Eckehard Czucka ter erstellten Wort- und Reimindexes“ Hinweise auf technische Rahmenbedingungen gibt und damit einiges über Arbeitsweisen der Literaturwissenschaft am Beginn der Computerisierung deutlich machen kann. Nachweislich benutzt worden ist diese Ausgabe wohl nur von Straßner (Anm. 832). Die Buchausgabe ist nur einmal ausführlich von Lohmeier (vernichtend) rezensiert worden; 510 in einem von dem Rezensenten herausgegebenen Band zum Lied versteht sich von Ingen zu dem Hinweis, die Edition Hansons sei „mit fast pedantisch anmutender philologischer Akribie veranstaltet und mit einem ausführlichen Kommentar versehen“ (Anm. 755). Lohmeiers Rezension Referat zu Aufbau und Gliederung Lohmeier beginnt seine Rezension mit einem Referat zu Aufbau und Verfahren, das wir uns ohne Probleme an dieser Stelle zu eigen machen können. Er beginnt mit der Einschätzung des Gegenstandes: Theobald Höcks „Schönes Blumenfeld“ (1601), der erste Gedichtband eines einzelnen Autors in deutscher Sprache, ganz zu Beginn des 17. Jahrhunderts erschienen und zudem ein programmatisches Gedicht „Von Art der Deutschen Poeterey“ enthaltend, hat seinen festen Platz in Literaturgeschichten und Barock-Anthologien. Eine Edition wie die von Klaus Hanson […], Assistant Professor an der University of Wyoming, vorgelegte kann also auf Interesse der Fachkollegen rechnen. 511 Zum Aufbau teilt Lohmeier nachvollziehbar mit, das Werk enthalte - eine umfangreiche biographische Einleitung (S. 8-132), - einen vergleichsweise breiten Editionsbericht (S. 133-170), - die eigentliche Edition (S. 171-642), - eine „Schlußbetrachtung“ über Höcks Stellung zwischen Renaissance und Barock (S. 643-654) - sowie Anmerkungen und Literaturverzeichnis. Der weitere Fortgang der Beschreibung gibt Auskunft zu Verfahren und Ergebnissen: Der im Vergleich mit dem Original erstaunliche Umfang der Edition erklärt sich daraus, daß der ganze Band im Schreibmaschinensatz hergestellt ist und daß H. jedem der 510 Dieter Lohmeier: [Rezension] Theobald Höck: Schönes Blumenfeld. Kritische Textausgabe von Klaus Hanson. Bonn: Bouvier 1975. 714 S. [Abhandlungen zur Kunst-, Musik- und Literaturwissenschaft 194] DM 98, -. In: Daphnis 5 (1976), S. 179-186. 511 Ebd., S. 179. <?page no="134"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 135 92 Gedichte einen ausführlichen, im Durchschnitt etwa dreimal so langen Kommentar folgen läßt. Die äußeren Voraussetzungen für H.s Arbeit waren denkbar günstig: es gibt nur eine Auflage des Textes; bereits Max Koch hat für seine 1899 in den Hallischen Neudrucken erschienene Ausgabe alle ihm erreichbaren Exemplare des außerordentlich seltenen Drucks ermittelt und verglichen, und was Koch als Editor versäumte, haben die Rezensionen und anschließenden Untersuchungen von Albert Köster (AfdA 1900), Max H. Jellinek (ZfdPh 1901 und 1902, ZfdA 1932) und anderen nachgeholt. H. selbst hat für seine neue Edition alle vier heute noch vorhandenen Exemplare des „Schönen Blumenfelds“ benutzen können (zwei früher in Berlin vorhandene Stücke zählen zu den Kriegsverlusten). Er hat die Möglichkeit gehabt, sie, allerdings nur in Xerokopien und Photos, mit dem Hinman-Collator […] zu vergleichen und den gesamten Wortschatz mit Hilfe eines Computers aufzuschlüsseln. 512 Deutlich wird, dass Lohmeier die Kritik der Kochschen Ausgabe durch Köster et. al. (siehe Punkt 3.1) zum Ausgangspunkt und Maßstab nimmt und weder die Ergebnisse, an denen schon früh vorsichtige Kritik geübt worden war (Anm. 239), auch nur ansatzweise kritisch reflektiert noch gar den positivistischen Zugang methodengeschichtlich einordnet. Revision der Lohmeier-Rezension Mit dem letzten Satz des Zitats ist für Lohmeier der deskriptive Teil beendet, und er kommt umstandslos zur Beurteilung: Dennoch ist das Ergebnis katastrophal. Das sei an den drei wesentlichen Bestandteilen der eigentlichen Edition - Darstellung der Druckgeschichte, Textkritik und Kommentar - gezeigt. 513 In der Diktion übernimmt Lohmeier den Ton, den schon Köster angeschlagen hatte: denn so hat es nur geringfügige Konsequenzen für die Textkonstitution, daß er aus seinen Befunden genau die falschen Schlüsse zieht. […] Wie die gesamte falsche Deutung der Druckgeschichte erklärt sich dieser Purzelbaum letztlich daraus, daß H. von der Buchherstellung Anno 1601 nur sehr ungenaue Vorstellungen hat. […] Daß H. mit den drucktechnischen Verfahren und den zugehörigen Begriffen nicht hinreichend vertraut ist (ihm fehlen Termini wie Preßkorrektur, Bogensignatur, ausschießen, Kolophon usw.), macht sich auch sonst nachteilig bemerkbar. […] Dieses anfechtbare Prinzip zeitigt die wunderlichsten Ergebnisse: […] H. verunklärt das versgeschichtliche und editorische Problem also geradezu, wenn er es vom einzelnen Wort her angeht statt, wie Köster, vom Prinzip her. […] Das zeigt, daß er sich geradezu obstinat den 512 Ebd., S. 179f. 513 Ebd., S. 180. <?page no="135"?> 136 Eckehard Czucka Weg zur Einsicht verbaut, […] wo dieses ihn im Stich läßt, entwickelt er jedoch eine beträchtliche Fähigkeit, mitten daneben zu treffen. […] Er selbst scheint nur wenige zeitgenössische Vorreden gelesen zu haben, […] aber wenn bis zu einem Drittel der Anmerkungen falsch oder ungenau ist, ist die Toleranzgrenze eindeutig überschritten. 514 Man könnte auf den Gedanken kommen, dass hier der Ton für ein Argument gehalten werden soll. Tatsächlich moniert Lohmeier - wohl mit Recht - in der Druckgeschichte die von Hanson angenommene Reihung der vier Exemplare unter Hinweis auf drucktechnische wie Textbefunde, ohne aber Hansons Ergebnisse der maschinellen internen Kollation in Frage stellen zu können. Bei aller Kritik an Hansons Untersuchungen zum Druckort räumt er ein: „Es sei jedoch nicht verschwiegen, daß H. auf anderem Wege zeigen kann, daß Höcks Buch sehr wahrscheinlich in Brünn gedruckt ist (S. 136f.).“ 515 Sehr schön dagegen ist Lohmeiers naheliegende, aber vorher nie gesehene Erklärung des Namens des Blumenfeld -Druckers: „nach Ausweis des Grimmschen Wörterbuchs ist ‚Nickel‘ ein Schimpfwort und ‚Schöps‘ ein einfältiger Mensch, das ganze also ein sprechender Name.“ 516 Und ein Instrument satirischer Fiktion, wie zu ergänzen ist. Der zweite Abschnitt erörtert Textkritisches, und Lohmeier macht zum Kriterium seiner Begutachtung Kösters Prämisse, „daß Höck zwar allem Anschein nach korrekt alternierende und reimende Jamben hat schreiben wollen, daß der Leser dies aber kaum erkennen kann“. Auch übernimmt er Kösters Lösungsvorschlag eines Paralleldrucks, der ja mit der Vorgabe verbunden ist, daß man die zahllosen Apokopen, Synkopen usw. mit deren Hilfe er [Hock] die Verse geglättet hatte, nicht „dem dichter in den text hineincorrigieren solle; man soll sie sprechen, wenn auch nicht drucken“. 517 An Hansons Verfahren macht Lohmeier zwei methodische Fehler aus. Zum einen betrachte dieser „alle Besserungsvorschläge so, als sollten sie in den Text hineingenommen werden.“ Zum anderen übernehme Hanson nicht Kösters Gegenüberstellung vom „sprachgebrauch des dichters im ganzen“ und der „gruppenweise[n]“ Darbietung seiner Vorschläge als Verdeutlichung der typischen Differenzen zwischen Druckbild und Aussprache. Vielmehr behandle Hanson jeden Fall individuell, indem er, von einer festen Relation zwischen geschriebener und gesprochener Form ausgehend, feststellt, mit wieviel Silben Höck die verschiedenen Varianten ausgesprochen habe, um dann allein nach der „Frequenz ihres 514 Ebd., S. 180, S. 181, S. 182, S. 183, S. 184, S. 185, S. 186. 515 Ebd., S. 181. 516 Ebd. 517 Ebd. Siehe auch Köster: [Rezension] (Anm. 11), S. 303. <?page no="136"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 137 Auftretens“ zu entscheiden (S. 163). Was er damit meint, sagt er nirgends ausdrücklich, doch ergibt es sich aus der Praxis: er greift, abgesehen von der Emendation ganz offensichtlicher Satzfehler, nur dort ein, wo eine nicht in das Metrum oder den Reim passende Wortform im Textkorpus Varianten hat und eine dieser Varianten in der Mehrzahl aller Fälle so ausgesprochen wird, wie es an der fraglichen Stelle eigentlich der Fall sein müßte. 518 Angebliche Konsequenzen aus den methodischen Verstößen bringt Lohmeier dann umfänglich bei und fordert als Lösung die Übernahme oder fortdauernde Geltung der Ergebnisse Kösters und Jellineks ein. Der sachliche Vorwurf lautet: H. merkt nicht, daß seine ausschließlich quantitative Argumentation einerseits vom Prinzip her Emendationen bei selteneren Wörtern beinahe ausschließt und andererseits in der Praxis einen ganz bestimmten Typ von Eingriffen favorisiert: die Auslassung oder Einfügung von tonlosem e. 519 Für diesen Fall hätten - so Lohmeier - „Kösters Aufstellungen gezeigt, daß die allermeisten metrischen Unregelmäßigkeiten in Höcks Texten zu beheben sind, wenn man das tonlose e je nach den Erfordernissen des Metrums ausspricht oder wegläßt.“ Lohmeier merkt nicht, dass er hier einem grundsätzlichen, und zwar für 1976 grundsätzlich neuen Problem auf der Spur ist; denn Hansons quantitative Argumentation ist ja nicht dezionistisch-verblendet, sondern notwendiges Ergebnis seiner computergestützten Auswertung. Dass die nicht unproblematisch ist, ist eines, dass die sich hier in ersten Anfängen abzeichnende Problematik nicht mit Donnerworten wie „obwohl er sich sonst zu gern hinter seinen Computerausdrucken verschanzt“ aus der Welt zu schaffen ist, ein anderes. Im dritten Teil der Rezension geht es um den Erläuterungsteil der Ausgabe, der zu jedem Gedicht die Abschnitte Metrik und Reim , Texterklärungen und Quellen liefert. Die Haupteinwände laufen darauf hinaus, dass es „In der Masse […] sich dabei um Diskussionen der Kösterschen Besserungsvorschläge“ handle und „H. fast nur seine Vorgänger“ zitiere, „woran wenig auszusetzen wäre, wenn er sich die Mühe gemacht hätte, deren abgekürzt zitierte Quellen- und Literaturhinweise für den Leser aufzuschlüsseln und bloße Parallelstellen von den wirklichen Quellen zu sondern.“ 520 Lohmeier setzt eine als exemplarisch gedachte Analyse zu Capitel 3 ( An die Satiren ) anstelle der für notwendig erachteten Einzelkorrekturen. 521 Dabei kom- 518 Lohmeier: [Rezension] (Anm. 510), S. 182. 519 Ebd. 520 Ebd., S. 184. 521 Ebd., S. 184f. <?page no="137"?> 138 Eckehard Czucka men ihm seine unbestrittenen Kenntnisse zugute; abschließend aber sagt er in Richtung Hanson, es sei „mangels Vorarbeiten und spezieller Wörterbücher besonders schwierig, barocke Texte sprachlich und sachlich zu erläutern“. 522 Zum ersten zitiert H. eine Wiener Dissertation, deren Autorin meine, „dass Tunckelgut sich auf die Dünkelhaftigkeit einer neidischen Person beziehen müsse“, anstatt auf eigene Faust auf das unmittelbar folgende Gedicht zu verweisen, in dem Höck sich speziell mit „Herrn Neidhart Tunckelgut“ auseinandersetzt. Mit „Neydhart“, so referiert H. weiter, „weise Höck über den aus der mittelalterlichen Literatur natürlich sattsam bekannten Namen hinaus auf eine allegorische Darstellung des Neides hin.“ Er selbst scheint nur wenige zeitgenössische Vorreden gelesen zu haben, sonst wüßte er, daß Neidhart und seine antiken Brüder Zoilus und Momus zum festen Personal der barocken Literaturszene gehören, als implizite Kritiker gewissermaßen. 523 Lohmeiers Interpretationsskizze ist so überzeugend wie selten, belegt aber gegen Hanson nichts; wir können (im Vorgriff auf unser Ergebnis) schon hier sagen, dass es in der gesamten Hock-Literatur bis 1976 (und darüber hinaus bis heute) keine Stelle gibt, in der auch nur ansatzweise ein ähnlicher Versuch unternommen wurde, eine Textkohärenz im Blumenfeld zu finden, geschweige denn, das Blumenfeld selbst als einen auslegungsfähigen Text zu lesen und nicht als Sammlung emendationsfähiger und konjekturbedürftiger Stellen, von Reimmustern und Strophenformen, von Motiven und Themen, die es auszuschlachten gilt. Und es darf erinnert werden, dass bei Köster der Minimalversuch einer Texterläuterung in externer Heimatforschung landete (Anm. 230). Der Verriss 524 endet mit wohlmeinenden Hinweisen, die sich im Wesentlichen gegen die Computerbearbeitung richten, in vielen Fällen (v. a. was Lesbarkeit 522 Ebd., S. 186. 523 Ebd., S. 185f. 524 Ebd., S. 186. Eine anscheinend wohlbegründete Kritik bringt Lohmeier mit seiner Rüge einer Worterklärung vor: „Zu ‚Impressa‘ vermerkt H., es gehe ‚nach Alanne auf das ital. ‚impresa‘ ‚Unternehmen‘ oder ‚Unternehmung‘ zurück. Leitzmann meint dagegen, es handle sich um einen Wappenspruch.‘ Das ist typisch in seiner Hilflosigkeit: anstatt den in der Emblemforschung gebräuchlichen Terminus ‚lmprese‘ mit eigenen Worten zu erläutern, bringt H. Äußerungen von Gewährsleuten zusammen, und obwohl diese dieselbe Sache, nur von verschiedenen Seiten her, beleuchten, konstruiert er, aus Unkenntnis oder aus sprachlicher Nachlässigkeit, einen Gegensatz zwischen ihnen, mit dem er den Leser dann allein läßt. Gewiß ist es mangels Vorarbeiten und spezieller Wörterbücher besonders schwierig, barocke Texte sprachlich und sachlich zu erläutern […]“ - Was Lohmeier nicht weiß oder nicht bedenkt, ist, dass der Betreuer der Arbeit (vulgo: Doktorvater) Henri Stegemeier für die University of Illinois Library, die eine der wenigen großen Sammlungen von Emblembüchern der Renaissance besitzt, deren Anschaffung betreut hat. <?page no="138"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 139 und Benutzerfreundlichkeit betrifft) nachvollziehbar sind, aber dennoch - wie zu zeigen sein wird - am Problem vorbeigehen: Zum Schluß sei noch geraten, das in H.s Buch gewählte Verfahren, eine Textedition im Schreibsatz herauszubringen, schnell wieder aufzugeben, denn der am schlechtesten lesbare Teil ist hier der Text selbst, der zur Wiedergabe der Fraktur im [sic! ] einer Art Schreibschrift geschrieben ist. Der Lesartenapparat ist dadurch gespart, daß die fehlerhaften Wörter und Buchstaben durchstrichen und die Emendationen in Klammern in den Text hineingenommen sind. Das macht das Druckbild noch unübersichtlicher. Die wenigen Lesarten hätte man genausogut unter den Text setzen können. Im übrigen hätte der gesamte Kommentar durch stärkere Formalisierung der Anmerkungen und Verzicht auf diskursive Argumentation bei den meisten textkritischen Entscheidungen und Erläuterungen kräftig entschlackt werden können. Er hätte dadurch an Benutzbarkeit gewonnen. Aber an den Leser hat man ohnehin nicht gedacht: ein mehr als 700 Seiten starkes wissenschaftliches Buch ohne lebende Kolumnentitel und ohne Gedichtregister, die beim Nachschlagen die Orientierung erleichtern, ist ein Unding, und eine durch den ganzen Band hindurchlaufende Verszählung ist für die Vorarbeiten mit dem Computer zwar erforderlich, für den Leser aber unbequem, weil er bei der Benutzung der gesamten älteren Höck-Literatur, die die Verse der einzelnen Gedichte durchzählt - die Gedichte selbst sind schon im Original numeriert -‚ umrechnen oder suchen muß. Zu der durchlaufenden Verszählung ist daran zu erinnern, dass dieses Verfahren für Goethes Faust seit der Weimarer Ausgabe üblich ist und auch von Lohmeiers damaligem Kollegen in Kiel, Trunz, in der Hamburger Ausgabe selbstverständlich angewendet wurde. Zweiter Blick Positionierungen der Edition Noch bemerkenswerter als die einzige Rezension aus der deutschen Germanistik ist der Umstand, dass die Arbeit in der amerikanischen Germanistik offenbar überhaupt keine Resonanz gefunden hat. Wissenschaftsgeschichtliche und -politische Zusammenhänge aufzuarbeiten, bleibt genuine Aufgabe der amerikanischen Germanistik. Feststellbar aber ist, dass Hock als Autor nach dem Verdikt Faber du Faurs von 1936 (Anm. 794) für seine Yale-Absolventen offensichtlich als Forschungsgegenstand nicht mehr in Frage kam. 525 Ob und wie die Faber du Faur-Schüler, deren Einfluss Spahr als insider selbst als „Yale-Mafia“ 526 525 Siehe dazu Spahr: Legacy (Anm. 110), S. 201. 526 Ebd., S. 195. <?page no="139"?> 140 Eckehard Czucka beschreibt und deren Beiträge zur Barockforschung er umfänglich auflistet, 527 anderes nicht zur Kenntnis nahmen, kann hier nicht geklärt werden. Ob es sich also um ein aktives Totschweigen der Hansonschen Hock-Edition oder nur um kommune Ignoranz handelt, muss dann die Wissenschaftsgeschichte der amerikanischen Germanistik klären. Jedenfalls blieb Hansons kritische Ausgabe in jeder Weise singulär. - In der Forschungsliteratur wurde die Ausgabe wohl nur in den Arbeiten von Grimm 1983 (Anm. 616) und Czucka (Anm. 563) zugrunde gelegt. Methodisches Konzept Auch wenn es in Hansons Arbeit keine methodenkritische Vorüberlegung gibt, ist schon an der Gliederung erkennbar, dass er in seiner Edition einen streng positivistischen Ansatz verfolgt: Fragen zum Autor des Blumenfelds und zur Textüberlieferung werden in den einleitenden Kapiteln behandelt. Bei der Konzeption stützt Hanson sich auf Vorarbeiten. Literaturwissenschaftlich sind die Kochsche Edition und besonders deren positivistische Diskussion Grundlage des Unternehmens, das - auf seine eigene Weise - die Forderung Kösters nach einer seine Korrekturen berücksichtigenden Neuausgabe erfüllen will. Die Darbietung orientiert sich an dem Versuch Sengers, der im dritten Abschnitt seiner Dissertation mit dem Kapitel 3. Textkritik und Kommentar 528 seine Arbeit beschließt. Darin gibt er zu jedem Hock-Kapitel zeilenweise geordnet v. a. die bei Koch, Köster, Jellinek (1900, 1901, 1932) und Goetze sowie die gelegentlich bei Leitzmann aufzufindenden Korrekturvorschläge an, die Senger kritisch sichtet und ggf. auch zurückweist. Weitere Eintragungen stützen sich auf Schmeller und Grimm, während die frühen, eher gattungsgeschichtlich orientierten Dissertationen (wie etwa Souvageol [Anm. 267] und Velten [Anm. 239]) zwar im Literaturverzeichnis aufgeführt sind, aber für den Kommentar nicht genutzt werden, der damit seinen Schwerpunkt auf die sprachlichen Phänomene legt. Ähnlich verfährt auch Hanson, der z. B. die drei Arbeiten Hübschers verzeichnet, aber nur dessen Miszelle Biografisches und Textkritisches von 1927 benutzt. Sengers Auflistung wertet Hanson auch für seine Erläuterungen aus, die er dann in Metrik und Reim , Texterklärungen und Quellen unterteilt. Technische Voraussetzungen Hanson nahm die Arbeit an der Dissertation, die die Grundlage der Buchpublikation Blumenfeld (Hanson) ist, 1966 auf und legte 1973 den Text vor. Gemessen 527 Ebd., S. 204-206. 528 Senger: Höck (Anm. 21), S. 71-100. <?page no="140"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 141 an der zu dieser Zeit verfügbaren Ausstattung germanistischer Institute konnte Hanson auf avancierte Technik zugreifen: - Fotokopien (Xerox) - Hinman-Collator - Computer und Programm (Alphabetisierungsprogramm Henry B. Slotniks vom „Office of Instructional Resources, University of Illinois“) - Lochkarten - Datenspeicherung - IBM-Kugelkopf Vorab ist daran zu erinnern, dass in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre in Deutschland Kopierer für universitäre Zwecke keineswegs zur Verfügung standen, sondern das Exzerpieren noch zu den Grundtechniken wissenschaftlicher Arbeit gehörte. Die Faszination des von Lohmeier nur beiläufig genannten Hinman-Collators wird in der Beschreibung Fabians 529 deutlich, der die Anwendungsfelder wie -prozeduren beschreibt und offene Forschungsfragen erörtert. Zu der Zeit, als Hanson mit dem Gerät arbeitete, waren etwa vierzig Exemplare gebaut, die in der Mehrzahl von amerikanischen Universitäten und Bibliotheken für bibliographische Arbeiten und Editionsvorhaben verwendet werden. Drei davon stehen in Europa zur Verfügung: im Britischen Museum in London (älteres Modell), in der Universitätsbibliothek Edinburgh und im Forschungsinstitut für Handschriftenkunde und Buchwissenschaft der Universität Münster (Institutum Erasmianum). 530 Das Münsteraner Gerät war in der Verfügungsgewalt Fabians, während es zweifelhaft erscheint, dass Lohmeier jemals eine solche Maschine gesehen hat und sich vermutlich auch keine rechte Vorstellung davon machen konnte. Jedenfalls ist die Benutzung von Kopien, die Lohmeier recht skeptisch betrachtet („allerdings nur in Xerokopien und Photos“), solange unproblematisch, wie „die optische Verkleinerung oder Vergrößerung gegenüber dem Original nicht mehr als zehn Prozent beträgt.“ 531 - Aus heutiger Sicht ist es zu bedauern, dass Hansons Arbeit mit dem Kollator weder angemessen gewürdigt noch unter den Aspekten eines weiterentwickelten Umgangs diskutiert worden ist. Außerhalb der zu dieser Zeit in Deutschland vorstellbaren Möglichkeiten war die Benutzung eines Computers, wie Hanson ihn zur Erstellung der Wort- und 529 Bernhard Fabian/ Dieter Kranz: Interne Kollation. Eine Einführung in die maschinelle Textvergleichung. In: Gunter Martens (Hrsg.): Texte und Varianten. Probleme ihrer Edition und Interpretation. München 1971, S. 385-400, hier S. 390-394. 530 Ebd., S. 391. 531 Ebd., S. 392. <?page no="141"?> 142 Eckehard Czucka Reimindizes für die ca. 25.000 Wörter des Blumenfelds benutzen konnte. Der habe „diese Aufgabe mit vollkommener Genauigkeit in knapp zwei Minuten“ erledigen können, „vorausgesetzt, das ‚Programm‘ und die ‚vorgegebenen Daten‘ enthalten keine Fehler. Das eigens geschriebene Instruktion „brachte […] den Computer dazu, eine alphabetische Liste aller im Blumenfeld vertretenen Wörter und dahinter die zugehörigen Nummern der Zeilen, in denen sie erscheinen, auszudrucken.“ Im Reimindex wurden „alphabetisch jedes Reimwort“ mit den dazugehörigen Reimen aufgeführt. 532 Über die dafür notwendigen Vorarbeiten gibt Hanson knappe, durchaus instruktive Auskunft. Die Kommunikation mit dem Computer fand über Lochkarten statt, die heute verloren sind; 533 das ist bedauerlich, auch wenn in Anschlag zu bringen sein wird, dass die notwendigen Maschinen der Hardware nicht mehr verfügbar sind. Leider sind auch die Wort- und Reimlisten nicht mehr vorhanden, so dass über die von Hanson im Kommentar mitgeteilten Ergebnisse hinaus keine weiteren Recherchen im Wortbestand des Blumenfelds möglich sind, etwa zu thematischen Bezügen etc., die seinerzeit nicht das Forschungsinteresse bestimmten. Einen kleinen Ersatz bietet das - nach dem Stand der Technik ebenfalls sehr früh hergestellte - Digitalisat der Dissertation 534 , das als durchsuchbare pdf- Datei erhältlich ist. Auch wenn die Kursivschrift, in der die Hock-Texte wiedergegeben sind, gegenwärtig die OCR-Programme vor ähnliche, im Ergebnis unlösbare Herausforderungen stellt wie jede Frakturschrift, so gibt es einen Trick, auch in den Gedichten zu recherchieren. Die Treffergenauigkeit ist ähnlich groß (oder klein) wie bei allen Suchläufen in digitalisierten Texten. Für den Druck der beiden Versionen wurde - dem Schriftbild nach zu urteilen - eine IBM-Kugelkopf-Schreibmaschine benutzt. Zwischen den beiden Versionen von 1973 und 1975 gibt es augenfällige Unterschiede: so markiert die erste Fassung Absätze durch Einrückungen um ein Geviert, in der Buchausgabe durch einen minimalen Einzug. Die Paginierung wechselt von oben mittig nach unten außen. Überprüfungen einzelner Stellen geben Hinweise sowohl auf Ergänzungen als auch auf Kürzungen (Diss. S. 618 entspricht Buchausgabe S. 644 [Raaber Liederbuch], Diss. S. 383 der Buchausgabe S. 371). Die Endnoten sind vom Ende der Einleitung an den Schluss des Buches transferiert. Da eine zweimalige Texteingabe ausgeschlossen erscheint, kann angenommen werden, dass der Text auf dem seit 1965 verfügbaren System/ 360 von IBM bearbeitet und gespeichert wurde. 535 532 Hanson: Erläuterungen (Anm. 4), S. 165f. 533 Mitteilung Klaus Hanson vom 18. März 2018. 534 Hanson: Hoeck [Diss.] (Anm. 509). 535 Detlef Borchers: Vor 40 Jahren: der perfekte Computer. 7. April 2004. URL: https: / / www. heise.de/ newsticker/ meldung/ Vor-40-Jahren-der-perfekte-Computer-96683.html (zuletzt <?page no="142"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 143 Hansons Hock-Edition wurde auf einem technischen Stand erarbeitet, der in der deutschen Germanistik zum Zeitpunkt der Entstehung nicht verfügbar, ja noch nicht einmal vorstellbar war. Hansons Verdienst ist es, dass er in allen Arbeitsphasen neue Techniken, Verfahren wie Geräte, nutzte und deren Möglichkeiten in der Blumenfeld -Edition realisierte. Bedenkenswert, aber noch nicht ausdiskutiert ist die Entsprechung, die die dezidiert positivischen Forschungen von Köster et. al. in den technischen Verfahren der analytischen wie produktiven Textverarbeitung finden. Erst mit Kittlers Arbeiten zu Aufschreibsystemen 536 und -geräten 537 entwickelt sich eine Aufmerksamkeit für die Arbeitsverfahren und deren Folgen. Die von Lohmeier heftig kritisierte Wiedergabe der Gedichttexte („fehlerhafte[…] Wörter und Buchstaben durchstrichen und die Emendationen in Klammern in den Text hineingenommen“) kann - so soll hier vorgeschlagen werden - verstanden werden als eine Realisierung eines Hypertext mit nicht adäquaten, da analogen Mitteln. Zwar nicht avant la lettre, denn den Begriff gibt es seit 1965, aber doch vor jeder Theorie und v. a. ohne die technischen Möglichkeiten digitaler Textrepräsentation versuchte Hanson, die verschiedenen Textzustände graphisch zu realisieren. Ergänzungen Dank des Internets lässt sich eine von Hanson als ungelöst verzeichnete Frage beantworten: Ein Rätsel bleibt vorläufig auch noch, woher Zedler in dem Großen Vollständigen Universallexikon die Information bezogen hat: „Hockius, (Theobald) von Zweybrucken, schrieb amicam Admonitionem de. Rob. Bellarmini scriptis atque libris , Leiden, 1606 in 4.“ Seine Angabe, diese Nachricht komme aus Teissiers Catalogus Auctorum ist nicht zutreffend (siehe oben! ). 538 Der Verweis „siehe oben! “ bezieht sich auf die Bemerkung: Teissier, Anton: Catalogus Auctorum …, 1686 (Zedlers Großes Vollständiges Universallexikon wollte seinen Eintrag zu „Theobaldus Hockius“ aus diesem Katalog bezogen haben [siehe unten! ], aber weder Höck noch das Commonitorium werden in diesem Buche erwähnt). 539 abgerufen am 18. September 2018). 536 Friedrich A. Kittler: Aufschreibesysteme 1800-1900. München 1985; [zugl.: Freiburg im Breisgau, Univ., Habil.-Schr. 1984]. 537 Friedrich A. Kittler: Grammophon, Film, Typewriter. Berlin 1986. 538 Hanson: Erläuterungen (Anm. 4), S. 121f. 539 Ebd., S. 121. <?page no="143"?> 144 Eckehard Czucka Tatsächlich aber ist im Teissier 540 -Digitalisat der Eintrag, auf den Zedler 541 verweist, zu finden. Philippi und Tänzer (Hrsg.) 2007 Es ist nicht ganz überraschend, dass die bislang letzte Ausgabe des Blumenfelds 542 nicht von Fachgermanisten, sondern von Literaturkennern veranstaltet worden ist. Die beiden Herausgeber, Bernd Philippi und Gerhard Tänzer, sind mit wissenschaftlichen Publikationen, Übersetzungen und literarischen Veröffentlichungen hervorgetreten, gehören aber nicht in den Kreis der Universitätsgermanisten. Der Text folgt dem des neuaufgefundenen Exemplars in der Stiftsbibliothek des Prämonstratenserkloster Tepl, dessen Digitalisat die Herausgeber benutzen konnten. 543 Die Herausgeber haben sich für eine Auswahl entschieden, die 56 von den 92 Gedichten enthält. 544 Die Auslassung begründen sie in den Erläu- 540 Antoine Teissier (1632-1715): Catalogus Auctorum Qui Librorum Catalogos, Indices, Bibliothecas, Virorum Litteratorum Elogia, Vitas, aut Orationes Funebres, Scriptis consignârunt. Cum Philippi Labbaei Bibliotheca Nummaria. - Genevae : Apud Samuelem De Tournes. Bd. II: 1705, S. 249. - Signatur: Sch 101/ 262-1/ 2. URL: https: / / www2.uni-mannheim.de/ mateo/ camenaref/ teissier/ teissier1/ bd2/ jpg/ s249.html (zuletzt abgerufen am 19. August 2018). 541 [Zedler]: Art. Theobaldus Hockius. In: Johann Heinrich Zedler (Hrsg.): Grosses vollständiges Universal Lexicon Aller Wissenschafften und Künste. Bd. XIII. Leipzig 1735, S. 334. 542 Theobald Hock: Schönes Blumenfeld. Ausgewählte Gedichte. Hrsg. von Bernd Philippi/ Gerhard Tänzer. Saarbrücken 2007. 543 Philippi/ Tänzer: Schönes Blumenfeld (Anm. 49), S. 4 [recte 2]. Siehe auch den Verweis auf Boks Fundbericht (Anm. 558), S. 209. 544 Ausgeschieden wurden die Capitel 1, 5, 7, 10, 11, 14, 15, 16, 18, 21, 24, 25, 28, 29, 30, 32, 36, 38, 40, 42, 46, 47, 56, 57, 67, 75, 77, 79, 85, 86, 87, 88, 89, 90, 91, 92 ( Vnglück thut die Augen auff , An den Leser , Nimmer sich zuuerlieben , Der Mensch muß was zuthun haben , Die Lieb kan ein recht deponiren , Nach verbottener Wahr lust vns noch mehr , Gott theilt seine Gaben gleich auß / allein die Menschen brauchens vngleich , Wir sollen bedencken daß wir Sterben müssen , Ach die maiden sonst an Cupidine , Jeder soll seins gleichen nemen , Vom Hoffleben , Venus vnd Mars gehörn zusammen , Vmb Ampter sol man sich nit reissen , Der mensch ist weniger frey als die Thier , Dienst / Krieg / vnd Lieb / das sein drey Dieb , Drey Lehr des weisen Römers Catonis , Die Herrligkeit vnnd Ellendt diser Welt ist hoch zubeklagen , Ein erwölter Freund ist vber ein Blutsfreund in gemein rede ich , Man macht vil Ordnung vnd niemandts helts , Der Todt würgt den Starcken / vnd läst den Krancken leben , Nun behüt dich Gott gantz Näerelgen , Der schönen Juliana in der Weisz So ben mi che á buon tempo, fa la la la , Der Geitzig ist Arm / vnd wer sich gnügen lest der ist Reich , Ein vnterscheid ist zwischen der Wissenheit vnnd der Gedachtnuß , Drey Plagen jederman verlacht / das Podagra / den Eyffer vnd die Armut , Vergleichung auff die Vernunfft / die Affecten vnd Appetit , Vergleichung auff allerhandt Hörner , Es soll sich keiner vmb etwas annemen was er nit gelernet hat , Desz Königs Amasidis neun Fragen , Von der deutschen ersten Königen , Von desz Tuitschons Policey , Von vrsprung der Deutschen Sprach , Von der Deutschen Schrifft , Was Ingeuuon oder Vuigewan der zweit Deutsch König guts gestiefft , Woher vnd warumb etliche Deutsche Namen <?page no="144"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 145 terungen Zu dieser Edition mit dem Ziel, die Gedichte Theobald Hocks „für ein größeres Publikum“ wiederzugewinnen; die 36 ausgeschiedenen Texte ordnen sie drei Gruppen zu. In die erste Gruppe fallen die letzten acht Capitel 85 bis 92 („heute töricht anmutende Texte zur deutschen Geschichte“), in die zweite „im Ganzen stilistisch wie Fremdkörper wirkende kurzstrophige Liedlein, denen gegenüber der dringende Verdacht besteht, dass sie von einem anderen Autor stammen“, und schließlich die Texte, „deren Thematik […] in der getroffenen Auswahl zur Genüge repräsentiert schien.“ 545 Manche der Argumente sind durchaus widerspruchsfähig, auch wirkt die Zusammenstellung geglättet nach Maßgabe sehr viel späterer, anderen Subjektivitätskonzepten folgender Dichtervorstellungen. Hinweise zur literaturgeschichtlichen Einordnung thematisieren v. a. das Verhältnis zu Opitz und beschreiben - wohl sehr zutreffend - das Forschungsinteresse seit dem 19. Jahrhundert als in „Wellenlinien“ 546 verlaufend. Beschreibung und Beurteilung der Dichtweise bleiben wesentlich an Kösters Einwendungen („Meistersinger“) orientiert; der Themenkatalog wird auf „eine strenge protestantische Moral“ projiziert, die Hock allerdings unterlaufe, um „hauptsächlich, den Leser [zu] unterhalten und [zu] vergnügen.“ 547 Dem ins Auge gefassten Adressatenkreis werden als Leseerleichterung die Texte in einem Paralleldruck geboten, links wird eine Frakturschrift (Schwarz- KopfOld und SchwarzKopfNew 548 ) verwendet, rechts Adobe Garamond. Wenige Stichproben ergaben, dass in die rechtsstehende Leseversion von Köster (Anm. 11) erwogene Konjekturen stillschweigend eingearbeitet, Kontraktionen in Apostrophierungen aufgelöst sind und eine modernisierte Zeichensetzung angewendet wird. Durchgängig beigegeben sind Worterklärungen. - Der Anhang enthält ein längeres Kapitel Der Lebensweg Theobald Hocks und eine Anmerkung zur Namensform „Hock“. 549 Das Ganze muss als eine beachtliche Leistung genommen werden, die vielleicht die von der Germanistik gelassene Lücke nicht ganz füllen kann, aber mehr ist als ein Lückenbüßer. kommen vnd geben sein worden , Was sich zu Königs Istewons vnnd König Harmans zeiten zugetragen hat ). 545 Philippi/ Tänzer: Schönes Blumenfeld (Anm. 49), S. 212. 546 Ebd., S. 208. Fälschlich wird hier Hansons Dissertation (1973) mit der Buchausgabe (1975) identifiziert, die als nur über Universitätsbibliotheken erreichbares Digitalisat genannt wird. 547 Ebd., S. 211. 548 URL: https: / / www.fonts.com/ de/ font/ p22/ schwarzkopf (zuletzt abgerufen am 22. Juli 2018). 549 Philippi/ Tänzer: Schönes Blumenfeld (Anm. 49), S. 212. <?page no="145"?> 146 Eckehard Czucka Danowski 2013 Wohl nur als Kuriosum zu nehmen ist eine Sammlung von Hock-Gedichten, die 2013 unter dem Titel All Ding zergengklich höre mich doch als Bd. 10 in einer 164 Publikationen umfassenden Reihe Österreichische Dichterschulen erschienen ist. 550 Diese Publikation ist weder im GBV verzeichnet, noch erscheint sie in Antiquariatskatalogen, eine Liefermöglichkeit über die als Verlag angegebene Literatur-Agentur Danowski ist nicht zu finden. Einzig der WorldCat (http: / / www.worldcat.org) verzeichnet die Publikation 551 am Standort der Deutschen Nationalbibibliothek, die ihrerseits ein Exemplar am Standort Leipzig (Signatur: 2013 B 23273) nachweist und ergänzend vermerkt: „Umfang 54 Bl., Unvollst. Kopie der Vorlage, Sprache: Mittelhochdeutsch (gmh)“. Als wäre dieses nicht schon kurios genug, findet sich in einem Blog Philobar am 21. November 2007 eine Notiz zu einer früheren Publikation dieser Agentur, die auch auf die Hock-Veröffentlichung zutreffen dürfte: Sieht aus wie ein Schweizer Verlag, ist aber bloß eine Kopierstation. Die sogenannte Literatur-Agentur Danowski vertreibt z. B. eine „Bibliographie der Schriften von und über“ Friedrich Schelling „bis 1926“, von Johann Jost, 2006 angeblich in Zürich erschienen. Angezeigt war dies so im Neuerscheinungsdienst der Deutschen Nationalbibliothek […] Nicht sehen konnte man allerdings in diesem Heft die Information […], dass es sich nämlich um ein Werk handelt, das schon früher erschienen ist, und zwar als Kopie dieser früheren Ausgabe. Die DNB schreibt vornehm „Reprint“ dazu, nämlich der Ausgabe Bonn: Cohen 1927. Und wie teuer ist der Spaß? Offenbar hat Danowski dasselbe schon einmal 1998 angeboten, heftweise. Das „Heft 1“ mit 24 S. hat eine Preisangabe von 99,- $ im Katalog der DNB. […] Inzwischen habe ich außerdem andere „Bücher“ gesehen, die Danowski vertrieben hat: 1seitig bedruckte, gelochte [sic! ] mit einem Faden zusammengebundene Loseblattsammlungen, für horrende Preise. 552 Auf den Aufwand einer Bibliotheksreise zwecks Autopsie wurde verzichtet. Zu den politischen Aktivitäten des Herausgebers informiert ein Wikipedia-Artikel. Auch so geht Germanistik. 550 Theobald Höck: Österreichische Dichterschulen. All Ding zergengklich höre mich doch. Zürich 2013. Als Verlag wird angegeben: Literatur-Agentur Danowski. 551 URL: http: / / www.worldcat.org/ search? qt=worldcat_org_all&q=O%CC%88sterreichische+Dichterschulen+All+Ding+zergengklich+ho%CC%88re+mich+doch+%2F+Theobald+Ho%CC%88ck (zuletzt abgerufen am 18. Juli 2018). 552 Philobar . Philosophisches, Bibliothekarisches, und manchmal keins von beidem. URL: http: / / philobar.blogspot.com/ 2007/ 11/ literatur-agentur-danowski.html# (zuletzt abgerufen am 18. Juli 2018). <?page no="146"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 147 III.4.2 Monographisch Vetters 1952 Vetters’ Wiener Dissertation 553 ist nicht nur die erste monographische, sondern überhaupt die erste Arbeit, die Hocks Blumenfeld nach dem Zweiten Weltkrieg thematisiert. Der eher abstrakt formulierte Titel wird im Vorwort durch die Feststellung erläutert, „dass es meine Absicht war, dem Gehalt von Hocks Lyrik näher zu kommen. Denn auf diesem Gebiet liegt, seiner eigenen Meinung zum Trotz, die Bedeutung dieses Mannes [sic! ] für die deutsche Dichtung“. Mit einem solchen quiproquo wird die Lyrik zum Lebensdokument umgedeutet. Der Hinweis auf „bedeutende Arbeiten über seine Sprache, seinen Rhythmus und Strophenbau (Köster, Jellinek, Goetze, Velten, Fleischmann)“ stellt die Untersuchung frei von scheinbar Formalem, und so kann sie sich unbehindert dem, was scheinbar „Gehalt“ ist, widmen: Hock „als Vertreter seines Standes und seiner Zeit, der Darstellung seiner Weltanschauung und Lebensauffassung, wie sie aus seiner Gedichtsammlung zu uns spricht .“ 554 Methodengeschichtlich schließt dieses Verfahren entfernt an Ansätze wie Walzels Gehalt und Gestalt i m Kunstwerk des Dichters (1929) an, die Anfang der 1950er Jahre in der Germanistik obsolet wurden und durch Kaisers Das sprachliche Kunstwerk (1948) oder Böckmanns Formengeschichte der deutschen Dichtung (1949) abgelöst werden, die eine - auch politisch begründbare - Wendung ins Formalistische einleiten. De facto aber wird hier eine Form-Inhalt-Dichotomie exerziert, die im gymnasialen Deutschunterricht auch gegenwärtig nicht ausgestorben sein dürfte. Der zentrale Teil der Arbeit (B. II), 555 der einer eine Seite langen Mitteilung zur „Überlieferung“ folgt, ist überschrieben Interpretation der Gedichte und Kommentar zum Text des Blumenfeldes [sic! ]“. Dabei handelt es sich um ein durchaus positivistisches Unternehmen, bei dem intertextuelle Referenzen deklariert, Wortbedeutungen fixiert und Lebensbezüge sistiert werden. Die hier gewonnenen Ergebnisse fließen direkt in Hansons Kommentar ein, v. a. in seine Texterklärungen und Quellennachweise, in dem sie einen nennenswerten Teil bilden. Dagegen fallen die Ergebnisse zum Gehalt unter der Überschrift Weltanschauung und Lebensauffassung Theobald Hocks, soweit sie aus einem Werk zu erschließen sind eher knapp aus und lassen sich auf 24 Seiten unter duale, antithetische Formeln fassen: Mensch und Welt , Leben und Tod , Liebe und Freundschaft , Freiheit und Dienstbarkeit , Ständische Ordnung und Individuum , Recht und Unrecht , 553 Brunhilde Vetters: Studien zum lyrischen Werk Theobald Hocks. [Diss. masch. Wien 1952]. 554 Ebd., Vorwort unpag. [Hervorhebungen E. C.] 555 Ebd. Vetters: Studien (Anm. 553), S. 15-246. <?page no="147"?> 148 Eckehard Czucka Deutsche Vorzeit und deutsche Gegenwart sowie Poetisches Ideal und literarische Wirklichkeit . 556 Es handelt sich zumeist um Paraphrasen, die im schlechten Falle begriffslos sind, wie der Hinweis, dass Hock „uns, wie deutlich zu spüren [sic! ] ist, eigene Erfahrungen […] bietet, wie […] kein in diesem Sinne echter Lyriker getan hat [sic! ].“ 557 Es geht also nicht um das frühe Auftreten von Erfahrung als Kategorie neuzeitlicher Wahrnehmung und Erkenntnis, sondern wohl eher um ein Erlebnis im Sinne der Erlebnislyrik in der Nachfolge des Sturm und Drang. Bok 1981, 1991, 2008 Der tschechische Germanist Václav Bok berichtet 1981 in einem Artikel in tschechischer Sprache über den Fund eines weiteren Exemplars des Blumenfelds im Prämonstratenserkloster Tepl (Signatur: g1 285). 558 In zwei weiteren Aufsätzen gibt er Auskunft über die Bestände der Rosenbergschen 559 und der Hockschen Bibliotheken, 560 die Aufschlüsse über den geistesgeschichtlichen Hintergrund und mögliche Zusammenhänge geben, die für ein Verständnis des Blumenfelds fruktifiziert werden können. Über die Bibliotheken von Hans und Theobald Hock werden aufschlussreiche Mitteilungen gemacht: Nicht ganz klar ist, ob tatsächlich alles erfaßt wurde. Unser Mißtrauen erweckt die Tatsache, daß im Inventar der in Sonnberg befindlichen Bücher keines der gedruckten Werke des Bibliotheksbesitzers, „Schönes Blumenfeld“ und „Commonitorium“ genannt wird. Möglicherweise hatte Theobald Höck die ‚gefährlichsten‘ Bücher rechtzeitig weggebracht, andererseits scheint es jedoch, daß seine Bibliothek kaum einen viel größeren Bestand gehabt hatte, als durch das Inventar festgehalten ist. 561 Nicht nur lebensgeschichtlich bedeutsam scheint die Beobachtung zu sein, 556 Ebd., S. 247-271. 557 Ebd., S. 269. 558 Václav Bok: Nový exemplář básnické sbírky Theobalda Höcka „Schönes Blumenfeld“. In: Jihočeský sborník historický 50 (1981), S. 122-124. Siehe dazu Bernd Philippi/ Gerhard Tänzer: Der Lebensweg Theobald Höcks - Zu dieser Edition. In: Philippi/ Tänzer: Schönes Blumenfeld (Anm. 49), S. 199-212, hier S. 209. 559 Václav Bok: Zur Vertretung der deutschsprachigen Literatur in der Bibliothek der Herren von Rosenberg. In: Hans-Bernd Harder (Hrsg.): Vorträge und Studien einer Arbeitstagung, Marburg an der Lahn, September 1987. Köln 1991 [Schriften des Komitees der Bundesrepublik Deutschland zur Förderung der Slawischen Studien 13], S. 49-55. 560 Václav Bok: Die Bibliotheken von Theobald und Hans Höck von Zweibrücken nach einem Inventar von 1618. In: Ulman Weiß (Hrsg.): Buchwesen in Spätmittelalter und Früher Neuzeit: Festschrift für Helmut Claus zum 75. Geburtstag. Epfendorf am Neckar und Jena 2008, S. 341-356. 561 Ebd., S. 349. <?page no="148"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 149 daß sich unter den Büchern von Hans Höck auch die Gedichtsammlung „Schönes Blumenfeld“ seines Verwandten und zuletzt erbitterten Feindes Theobald Höck befand. 562 Eine Arbeit von 1993 zu Leben und Werk Hocks ist hier in dem einschlägigen Kapitel verzeichnet. Czucka 1987 Intention und Ergebnis dieses Beitrags 563 sind bei Kohl knapp und zutreffend charakterisiert; der Aufsatz sucht Höck nicht als Verfasser der ‚ersten‘ deutschen Poetik darzustellen, sondern arbeitet sein sprachorientiertes Literaturverständnis heraus, um die Ursachen für die ‚fast systematisch zu nennende Rezeptionsverweigerung‘ […] durch eine an Opitz orientierte Literaturgeschichtsschreibung zu ergründen. 564 III.4.3 Thematisierungen Kanduth 1953 Kanduths Dissertation von 1953 ist wie die von Vetters (Anm. 553) ebenfalls in Wien eingereicht und damit die zweite Arbeit nach dem Krieg, die Hock behandelt. 565 Die streng deduktiv angelegte Untersuchung stellt Die literarischen Grundlagen des Petrarkismus an den Anfang, in dem eine Deutung des Begriffes „Petrarkismus“ gegeben und Der Petrarkismus als Komponente der deutschen Barocklyrik innerhalb des Gesamtkomplexes des italienischen literarischen Einflusses eingeführt wird. Damit ist eigentlich das, was erst untersucht werden soll, schon am Anfang auf den Begriff gebracht. Im zweiten und dritten Kapitel geht es um die Entwicklung des Petrarkismus und seine Vermittlung nach Deutschland, die zentral sind für die Fragestellung, aber für Hock keine Relevanz haben. Der wird im IV. Kapitel unter Die Petrarkisten des deutschen Frühbarock gerechnet und zwischen Mellissus-Schede und Schallenberg sowie Schwabe von der Heyde, Weckherlin und Opitz behandelt. Weite Teile der Ausführungen setzen sich mit Souvageols (Anm. 267) Ergebnissen teils kritisch, teils zustimmend auseinander. Auch bei einer differenzierten Sicht auf weitere Einflüsse bekräftigt sie: 562 Ebd., S. 354. 563 Eckehard Czucka: Poetologische Metapher und poetischer Diskurs. Zu Theobald Höcks „Von Art der Deutschen Poeterey“. In: Neophilologus 71 (1987), S. 1-23. 564 Katrin Kohl: Poetologische Metaphern. Formen und Funktionen in der deutschen Literatur. Berlin 2007, S. 196. 565 Erika Kanduth: Der Petrarkismus in der Lyrik des deutschen Frühbarock. Vorbereitung, Entwicklung, Auswirkungen. [Diss. masch. Wien 1953]. <?page no="149"?> 150 Eckehard Czucka Das direkte Verhältnis zu Petrarca ist durch cap. I und II offenkundig; inwiefern zum petrarkistischen Einschlag auch noch die aktuelle Dichtung beitrug, die in fremdsprachiger Literatur und in der Musik ihren Niederschlag fand, kann jedoch nicht so genau ermessen werden. 566 Wenn auch verschiedene Allusionen zwar nicht immer genau bestimmbar sind, aber doch unbestritten bleiben, 567 erkennt Kanduth bei Hock individuelle Spezifika, die seine singuläre Stellung belegen: Daneben hat Höck aber immer Zweck und Ziel einer subjektiven Dichtung vor Augen und diese ist vom leidenschaftsbefreiten Sinnen eines gereiften Menschen bestimmt, der vorgibt, mit dem Leben abgeschlossen zu haben, weil „die gröst Bues ist nimmer than bey zeiten“ [Capitel 1]. Was er also in Capitel LXX. anbringt, ist eine „antipetrarkistische Situation“, die den Grundthemen des Petrarkismus Absage leistet. 568 Kanduth kommt aufgrund ihrer Befunde zu einer Einschätzung, die Hocks kritisches Vermögen in einem neuen Licht erscheinen lassen: Ich habe den Eindruck, Höck habe hier seine Kenntnis vom Canzoniere dazu benützt, um sich gegen Petrarca [sic! ] (vielleicht auch gegen die zeitgenössische Liebeslyrik, die schon dem Petrarkismus huldigte) auszusprechen und zwar aus dem Bewußtsein‚ daß der Leerlauf eines Gefühls, wie es im Rahmen des Petrarkismus propagiert ist, nicht die Aeußerungen [sic! ] wert ist, die er verursacht: dies soll auch schon der Titel kundtun „Was die Lieb nit erwirbt“. Wenn man bedenkt, dass Höck in diesem Gedicht nur summarisch die Art des Gehabens Petrarcas [sic! ] und der Petrarkisten darlegt, so ist es nicht mehr notwendig, ein ganz bestimmtes Vorbild im Canzoniere dafür zu suchen. 569 Geiger 1958 An den Schluss seiner Übersetzungen von Petrarcas Canzoniere , Triumphe und Nugellae stellt Benno Geiger den Versuch einer Bibliographie der deutschen Übersetzungen nach Petrarcas italienischen Gedichten . Nach Daniel Federmann und Hans Leo Hassler wird zu Hock vermerkt: 1601 Theobald Höck (1573-1618). Freie Übertragung des Sonetts Voi ch’ascoltate in: Schönes Blumenfeldt auff jetzigen Allgemeinen gantz betrübten Stand. 1601. Vgl. Hugo Souvageol, Petrarca in der deutschen Lyrik des 17. Jahrhunderts, 1911. Höck umschreibt das Anfangsgedicht des Canzoniere in den Strophen des Cap. I. „Unglück thut die Augen auff“ in dieser Weise: […] 570 566 Ebd., S. 137. 567 Siehe etwa ebd., S. 129-131. 568 Ebd., S. 136. 569 Ebd., S. 137. 570 Francesco Petrarca: Das lyrische Werk. Deutsch von Benno Geiger. Darmstadt 1958. <?page no="150"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 151 Es folgt der Abdruck der ersten beiden Strophen des Capitels 1. Die Erwähnung zeigt, dass Hock inzwischen einen festen Platz in der Petrarca-Rezeption einnimmt. - Erlaubt sei der Hinweis, dass Geiger ähnlich wie Hock sein Leben weitgehend in fremder Umgebung, in Italien vorwiegend, verbrachte und zeitlebens auf die Anerkennung seines dichterischen und übersetzerischen Werks gewartet hat - vergebens. 571 Nedeczey 1959 Eine von ihm im Bischöflichen Priesterseminar zu Györ entdeckte Liederhandschrift aus der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert gibt der Budapester Germanist Eugen Nedeczey 1959 unter dem Titel Das Raaber Liederbuch 572 heraus; im selben Jahr erscheint an einem anderen Ort eine Abhandlung zu dem Werk. 573 Beide Publikationen erschienen postum. - Auskunft über den wissenschaftlichen Ertrag beider Publikationen geben die Rezensionen von Klier, 574 Siuts 575 und Gruenter 576 sowie die neuere Arbeit von Jónácsik (Anm. 650). In unserem Zusammenhang ist bemerkenswert, mit welcher Selbstverständlichkeit Nedeczey „das Verhältnis des Denkmals […] zu Theobald Höck“ 577 anführt und die „Berührung einer schwachen Hälfte der Texte mit Höcks Schönem Blumenfeld“ 578 unterstellt. Unter Berufung auf Veltens (Anm. 239) Argumentation, der „in der Geschichte des ältern deutschen Gesellschaftsliedes den Einfluss der ital. Kanzonette feststellt“, fixiert Nedeczey die Entstehungszeit: Alles in allem, werden wir das Entstehen unserer Lieder von 1590 bis etwa 1620 als spätesten Termin ad quem ansetzen, wobei als ein wichtiges zeitbestimmendes Krite- 571 Vgl. dazu Gabriella Rovangnati: Zwischen Rodaun und Venedig. Die doppelte Seele Benno Geigers. In: Jeanne Benay (Hrsg.): Österreichische Satire (1933-2000). Exil - Remigration - Assimilation. [Internationale und Pluridisziplinäre Tagung, vom 5. bis 7. Oktober 2002 in Metz]. Bern 2003 [Convergences 29], S. 129-144. 572 Eugen Nedeczey (Hrsg.): Das Raaber Liederbuch. Aus der bisher einzigen bekannten Handschrift zum erstenmal hrsg., eingeleitet und mit textkritischen und kommentierenden Anmerkungen versehen. Mit drei Tafeln. Wien 1959 [Österreichische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse, Sitzungsberichte 232,4]. 573 Eugen Nedeczey: Das Raaber Liederbuch. In: Acta litteraria Academiae Scientiarum Hungaricae 2 (1959), S. 383-404. - Ferner ist zu verzeichnen Nedeczeys Habilitationsvorlesung unter dem Titel Petrarca in einem unbekannten Liederbuch des deutschen Frühbarock (unveröffentlicht, in ungarischer Sprache). 574 Karl M. Klier: [Rezension] Eugen Nedeczey, Das Raaber Liederbuch. In: Österreichische Zeitschrift für Volkskunde 63 (1960), S. 62f. 575 H[inrich] Siuts: Das Raaber Liederbuch. […] In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 82,2/ 3 (1960), S. 428-430. 576 Rainer Gruenter: Das Raaber Liederbuch […]. In: Euphorion 56 (1962), S. 427-430. 577 Nedeczey: Liederbuch (Anm. 572), S. 5. 578 Ebd., S. 15. <?page no="151"?> 152 Eckehard Czucka rium anzusehen ist, daß die Slg. noch keine Beeinflussung von seiten der schäferlichen Poesie aufweist. 579 Die ihm vorliegende Niederschrift des Hauptteils (Korpus A 1) datiert er auf „um das Jahr 1630“. 580 Da er keine Erwägungen anstellt, auf welche Weise möglich Kontakte zwischen dem Blumenfeld und dem Raaber Liederbuch zu denken sind, bleiben hier Fragen. Aber insgesamt scheint es, dass es in der Argumentation nicht um Einflussforschung gehen soll, sondern um sprachgeschichtliche und -geographische Verbindungen 581 wie gattungsgeschichtlich-typologische Verwandtschaften. V. a. aber geht es um inhaltlich-thematische Vergleichbarkeit und Unterschiede sowie um Intentionales: Die Berührungen zwischen A 1 und dem SchBf [= Schönes Blumenfeld ] sind vielfach, freilich für eine engere Verwandtschaft nicht alle beweiskräftig. Der Vergleich ist zunächst durch die Verschiedenheit in der Stellung der Dichtenden zum Erlebnis der Liebe erschwert. Während diese in A 1 - von elegischen Rückblicken und den Nachrufen abgesehen - ein Faktor ist, welcher der Gegenwart angehört, ist sie im SchBf zumeist eine Angelegenheit, die zurückliegt, mit der sich der Dichter bis aufs weitere abgefunden hat. Beide Slgen verbindet ein starker Hang zum Lehrhaften. Die elegischen Ldr, die Todeslyrik und die lehrhaft-satirischen Stücke zeigen sich noch am ehesten geeignet, vom RLb eine Brücke zum SchBl zu schlagen. Beiden Slgen sind die Vorstellungen von der Eitelkeit alles Irdischen, von der Welt als Jammertal, mit der vertröstenden Ausrichtung auf den erlösenden Tod und das vergeltende Jenseits, eigen (Vgl. bes. RLb , 34 und SchBl 9). 582 Hocks Blumenfeld wird dabei - und dies ist einer der seltenen Fälle in seiner Forschungsgeschichte - als ein intentional bestimmbares und nachvollziehbar strukturiertes Werk behandelt, das bei allen Unterschieden gegenüber Schallenberg und dem Raabener Liederbuch bestehen kann. 2. Entwicklungsgeschichtlich ist das RLb vornehmlich […] zu Schallenberg, und überhaupt zu Höck zu stellen. Schwerflüssiger, besinnlicher, mit Reflexion stärker durchsetzt als Schallenbergs Lyrik, mehr in sich gekehrt als Höcks der Umwelt zugewandte Gesellschaftskritik, vertritt unsere Slg, in Haltung und Ton eigenartig, eine dritte Abart unter den Slgen, die in ihrem wesentlichen Bestande Erlebtes aus innerer Veranlassung dichterisch formen, nicht in erster Reihe, um damit einer musik- und gesangliebenden Gesellschaft Genüge zu tun, sondern um persönliche Ziele zu verfolgen: den Drang nach Offenbarung und das Werben um Liebeslohn. Das Werben des Dichters 579 Ebd., S. 21. 580 Ebd., S. 14. 581 Ebd., S. 16: „Die Seltenheit des Vorkommens - Höck hat die al.-schwäb. Variante überhaupt nicht -“ 582 Nedeczey: Liederbuch (Anm. 573), S. 397. <?page no="152"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 153 um die Gunst der Herrin über sein Herz hat Züge, die an den alten Minnedienst erinnern und die unter den drei Slgen besonders stark im RLb hervortreten. Das RLb ist eine Slg, die - wie das zu sehen war - manches vorweg nimmt, was für die spätere Kunstdichtung des Frühbarock bezeichnend ist. 583 Als Orientierungen für eine noch zu leistende Blumenfeld -Interpretation sind die Hinweise auf eine Formung „aus innerer Veranlassung“, die in einem Gegensatz zur Funktionalität („einer musik- und gesangliebenden Gesellschaft Genüge zu tun“) gesehen wird, sowie die Vorwegnahme dessen, „was für die spätere Kunstdichtung des Frühbarock bezeichnend ist“, zu nehmen. Dabei erscheint Kritik, die Jónácsik an dem von Nedeczey nahegelegten „‚erlebnislyrischen‘ Ansatz“ 584 übt, zwar auf der einen Seite - denkt man an die Verirrungen der Leben-Werk-Konzepte - nachvollziehbar, andererseits ist für Hock darauf zu beharren, dass es im Blumenfeld , wenn nicht um Erlebtes, so doch zentral um Erfahrung als Kriterium für Subjektivität geht. Man nehme unter diesem Aspekt einmal die Capitel 1, 2, 6, 9. Für die Beschreibung der Sprache und der Reime Hocks stützt Nedeczey sich auf die Arbeiten Kösters und Jellineks; dabei gelingt es ihm, die Benutzung einzelner Befunde nicht nur von deren absprechenden Bewertung freizustellen, sondern die Phänomene in eine synchrone Betrachtung des Sprachgebrauchs einzubetten: Bei dem sprachlichen Eklektizismus, der sich neben schriftsprachlichen Gebilden auch solcher der Verkehrssprache oder der städtischen Halbmundart bedient, handelt es sich einerseits um Wortverkürzungen d. h. um Apokopen, Synkopen, Anlehnungen, Angleichungen, Verschleifungen, Schwund, mit einem Wort um den Gebrauch von Kurzformen, anderseits um Wortverlängerungen d. h. um Zerdehnungen, unorganische lautliche Zutaten wie die Anfügung eines paragogischen eine solche ist, mit einem Wort um den Gebrauch von Vollformen, alles Erscheinungen, wie sie Englert bei Fischart und Köster bei Höck untersucht und festgestellt haben. (Auch die typischen Tonbeugen sind die gleichen.) 585 Nedeczeys zusammenfassende Charakterisierung der Bedeutung des Raaber Liederbuches lässt sich vollständig und ohne Abstriche, allerdings unter Verzicht auf die Erlebnislyrik, auch auf Hock beziehen, man ersetze nur RLb durch SchBl : Schon an und für sich nimmt das RLb unter den LSlgen unseres Zeitalters eine ganz eigenartige Stellung ein. Es gehört nicht zu den Slgen, deren Bestand einfach ein Quodlibet von deutschen Textunterlegungen zu italienischen Weisen vorstellt. Es ist 583 Ebd., S. 398. 584 Jónácsik: Poetik (Anm. 650), S. 16. 585 Nedeczey: Liederbuch (Anm. 573), S. 385. <?page no="153"?> 154 Eckehard Czucka vielmehr ein Ausdruckswille festzustellen, der in einer Gruppe der Gedichte Erlebtes, Persönliches, ja Persönlichstes mit Zuhilfenahme der Formungen eines Großen dichterisch gestalten will […] Nicht nur die Petrarca-Paraphrasen zeugen für einen starken italienischen Einfluß, sondern dazu noch eine nicht geringe Anzahl von Ldrn spricht dafür, die durch eine Vorliebe für die italienische Gefolgschaft des großen Sängers der acedia bestimmt sind. Man stellt sich unwillkürlich die Frage, wie die Weiterentwicklung der deutschen Lyrik gewesen wäre, wenn eine am Italienischen orientierte Dichtung zur „Kunstdichtung“ gediehen, und diese Weiterentwicklung vorderhand nicht durch die Franzosen und Engländer und einen bereits weiter derivierten Petrarkismus (Ronsard) bestimmt worden wäre. Kunstdichtung in Opitzischem Sinne ist das RLb noch nicht, aber auch keine mehr volksliedhafte Sig von der Art des Ambraser Lb oder des Jaufn Lb . Es steht bereits vorausweisend auf dem Wege zur Kunstdichtung. 586 Beckmann 1960 Nach Max Koch widmet sich mit Beckmann wieder eine Vertreterin der in der Nachkriegszeit sich neu etablierenden Vergleichenden Literaturwissenschaft Hock. 587 Die Arbeit kontrastiert die deutsche Lyrik des 17. Jahrhunderts der französischen seit Ronsard, ist gattungs- und themenorientiert und formuliert das Interesse an der Einflussforschung im Terminus „Entsprechung“. Beckmann stellt Literaturgeschichtliche Zusammenhänge an den Anfang ihrer Überlegungen, die sie v. a. in Bewegungen zur Spracherneuerung im 16. Jahrhundert festmacht, die in Westeuropa wie in Deutschland als parallel verlaufend beschrieben werden. Während sie die Entwicklungen namentlich in Spanien, Frankreich, England, Italien positiv einschätzt, klafft in Deutschland weiterhin die alte Spaltung zwischen gelehrt-neulateinischer und ungehobelt-volkstümlicher Sprache. Die deutsche Nationaldichtung beginnt nicht mit Kunstpoesie, sondern mit der Prosa der Lutherschen Bibelübersetzung. 588 Insbesondere das Wirken der humanistischen Gelehrten mit ihrer Konzentration auf religiöse Probleme betrachtet sie als Hindernis in der Entwicklung einer deutschen Literatursprache. Hinderlich erscheint die Gebundenheit alter Formen, die als „unorganisch, nur traditionsgemäß übernommen und starr“ beurteilt werden. Unverarbeitete Stoffmassen und Formkünsteleien werden nicht als Bereicherung der Dichtung gesehen. „Vor allem aber ist die Sprache der Meistersinger rhythmisch ungeordnet und damit unfähig zu großer Form.“ All diese Probleme findet Beckmann konzentriert bei Hock wieder; denn: 586 Ebd., S. 398. 587 Adelheid Beckmann: Motive und Formen der deutschen Lyrik des 17. Jahrhunderts und ihre Entsprechungen in der französischen Lyrik seit Ronsard. Ein Beitrag zur vergleichenden Literaturgeschichte. Tübingen 1960 [Hermaea N. F. 5]. 588 Ebd., S. 7. <?page no="154"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 155 Von hier aus ist vor allem die Wirkungslosigkeit Theobald Hocks zu verstehen. In seinem „Blumenfeld“ von 1601 überrascht er durch den klaren Blick für die Situation der deutschen Lyrik. Er fordert eine deutsche muttersprachige Dichtung, die an den antiken Vorbildern geschult ist und bereichert durch die Dichtung des modernen Auslandes. Sehr wichtig ist ihm dabei die rhythmische Formung der Verszeilen. Aber so sehr sich Hock für die vorwärtsstrebenden Gedanken einer gelehrten Dichtung in deutscher Sprache einsetzt, so rückwärtsgewandt zeigt er sich andererseits bei seinem Festhalten an der Tradition der Meistersinger. Seine Dichtung zerbricht an dieser Zwiespältigkeit. Hock nimmt viele der neuen Anregungen auf, die durch Regnart und die Neulateiner an die deutsche Dichtung herangetragen waren, aber er hat nicht den Mut, die veralteten Formen der Meistersinger über Bord zu werfen. Er sucht seine Dichtung von der mechanischen Silbenzählung zu befreien und strebt durch Silbenverschleifungen einen regelmäßigen Wechsel von Hebung und Senkung an. Er gibt die kunstvollen Reimverschränkungen der Meistersinger auf zugunsten einer freieren Reimgestaltung, aber das alles bleibt in den Ansätzen stecken und wird nicht konsequent zu Ende geführt. Der Stoff ist noch zu mächtig bei Hock, die Form ist nicht stark genug, ihn zu bändigen. 589 Diese Charakteristik argumentiert auf dem Forschungsstand zwischen Höpfner 1866 (Anm. 51) und Fleischmann 1937 (Anm. 396), wie die nachgewiesene Sekundärliteratur zeigt, die ferner Kochs Vorwort 1899 (Anm.9), Müller 1925 (Anm. 334), Stammlers Literaturgeschichte 1927 (Anm. 370) und Cysarz 1936 (Anm. 469) nennt. Bemerkenswerterweise spielen weder die Köster-Jellinek-Kritik der Kochschen Ausgabe eine Rolle noch die komparatistischen Arbeiten von Souvageol 1911 (Anm. 267), Vetters 1952 (Anm. 553) und Kanduth 1953 (Anm. 565). Wesentliche Leistungen findet Beckmann in der neulateinischen Dichtung der Zeit, die die antiken Formen revitalisiert. Das gilt zum einen für Versgestaltung (Hexameter, Pentameter) wie für Gattungen (Epigramm, Ekloge, Ode, Elegie). Neben der Liebesdichtung wird die Bedeutung der Freundschaftsdichtung betont, die einen Zusammenhalt konstituiert, den neben der Lyrik Briefe sowie die „Peregrinatio academica“ fördern. - Die internationalen Beziehungen bringen aber auch Kenntnisse von muttersprachlichen Bemühungen um die jeweiligen Nationalsprachen in den anderen westeuropäischen Ländern. 590 An diesen Entwicklungen sieht Beckmann Hock nur noch peripher beteiligt, etwa in der Verwendung des Liebesmotivs, das „in ersten Ansätzen bereits in den Gesellschaftsliedern von Regnart bis Schein, bei Schallenberg oder Hock“ erscheint und seinen „vollen Glanz in den rhetorisch geprägten Formen der Opitzischen Zeit“ erst gewinnt. 591 Für das Vanitas-Motiv sei als Vorläufer Hock 589 Ebd., S. 8f. 590 Vgl. ebd., S. 12f. 591 Ebd., S. 55. <?page no="155"?> 156 Eckehard Czucka zu nennen, v. a. die Capitel 16 ( Wir sollen bedencken daß wir Sterben müssen ), 20 ( Der Mensch soll sich dessen nit rühmen was nit sein ist ) und 27 ( All ding zergengklich höre mich doch ). 592 Dieser Hinweis könnte nützlich sein bei Überlegungen zur Struktur des Blumenfelds . Für Barockes findet Beckmann bei Hock Capitel 71 ( Beschwerlich / noch Beschwerlicher ) Beispiele für die frühe Verwendung des Oxymorons. 593 Nicht im direkten Bezug zu Hock, aber doch charakteristisch für den Leerlauf der Einflussforschung ist die Verwahrung: Bezeichnend ist ferner, daß Witkowski in seiner Ausgabe der „Teutschen Poemata“ des Martin Opitz von 1624 für zahlreiche Gedichte holländische Vorbilder aufzeigt, während die vorliegende Arbeit für die gleichen Gedichte zeitlich frühere französische Vorbilder nachweisen kann. 594 Solche Bedenken wären auch mutatis mutandis gegen früher behauptete Bezüge und Anknüpfungen vorzubringen. Schwarzenfeld 1961 Eine durchaus teils merkwürdige, teils bemerkenswerte Erwähnung findet Hock in einer eher populärwissenschaftlichen Biographie mit hagiographischen Zügen. Die 1979 erschienene Biographie über Rudolf II. ( Ein deutscher Kaiser am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges ), die erstmals 1961 mit dem Untertitel Der saturnische Kaiser erschienen war, 595 wird 1980 in der Zeit von Rolf Schneider rezensiert. 596 Er identifiziert die Autorin „als Verfasserin einer vielgelesenen Biographie über Habsburgs Karl V.“, weiß, dass sie „böhmisch-aristokratischer Abkunft“ ist und konstatiert: „mit solchen Biographien bewältigt sie eingestandenermaßen auch etwas die eigene. Das erbringt Leidenschaft, Wortseligkeit und mangelnde Distanz.“ Nicht erwähnt er, dass Schwarzenfeld in den 1950er Jahren für die Zeit schrieb. Auch kann seinem Urteil, hier werde versucht, „ein wie auch immer geartetes Individuum ins Singuläre zu hieven und den unbequemen Rest in den alles nivellierenden Dämmer der Fatalität zu versenken“, nicht uneingeschränkt beigestimmt werden. Denn wenigstens zwei Literaten des frühen 17. Jahrhunderts finden bedenkenswerte Erwähnung und eine räsonable Einordung. 592 Ebd., S. 63. 593 Ebd., S. 106. 594 Ebd., S. 27. 595 Gertrude von Schwarzenfeld: Rudolf II. Ein deutscher Kaiser am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges. 2., durchges. Aufl. München 1979. Erstveröffentlichung München 1961 unter dem Titel: Rudolf II. Der saturnische Kaiser. 596 Rolf Schneider: Donaumonarchie. Kaiser von Habsburgs Gnaden. Rudolf II. und Joseph II. - zwei Biographien. In: Die Zeit, Nr. 47, 14. November 1980. <?page no="156"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 157 Das Schrifttum erreichte am Prager Hof nicht die Höhe der gleichzeitigen bildenden Kunst. Zwar förderte Rudolf II. einige Poeten, doch die meisten von ihnen blieben in der konventionellen Formensprache des Neulatein befangen. Eine Ausnahme bildete Theobald Höck, der in jungen Jahren als Beamter an den Prager Hof kam und Lyrik in deutscher Sprache schrieb. Seine gesammelten Gedichte erschienen 1601 anonym unter dem Titel „Schönes Blumenfeld“. Aber seine volkstümliche und subjektive Ausdrucksweise stand anscheinend nicht im Einklang mit dem höfischen Ton auf dem Hradschin, denn Höck begab sich in den Dienst von Peter Wock [sic! ] von Rosenberg zu Wittingau, wo er sich auch als Protestant mehr zuhause fühlte. 597 Während die Informationen das erwartbare Leben-Werk-Konglomerat nicht überschreiten, ist die (nicht direkt nachgewiesene) Beziehung, in die das Blumenfeld mit dem Prager Hof Rudolfs gesetzt wird, einigermaßen ungewöhnlich. Das Literaturverzeichnis zeigt, dass Schwarzenfeld das Prager Jahrbuch 1943 ausgewertet hat und von dort den Aufsatz von von Kamptz beizieht, in dem eine solche Relation angedeutet wird (Anm. 404); weiterhin hat sie auch die Beiträge zur neulateinischen Dichtung und zu Westonia ausgewertet und in einer kurzen Notiz 598 mitgeteilt. Diese Aufmerksamkeit für die germanistische Forschung an der Prager Deutschen Universität wird zurückzuführen sein auf das Germanistikstudium, das von Schwarzenfeld von 1926 bis 1928 dort absolvierte, bevor sie sich künstlerischen Studien und Tätigkeiten (u. a. Bühnenbilder für das Neue Deutsche Theater in Prag) zuwandte; später heiratete sie einen brasilianischen Diplomaten und ging, 1932 Prag verlassend, nach Kolumbien; nach 1945 kehrte sie über Portugal und Frankreich nach Deutschland zurück. Trotz aller berechtigten Einwände gegen das Buch selbst bleibt festzuhalten, dass hier die erste Rezeption der von Trunz zwischen 1941 und 1945 an der Deutschen Universität Prag angeleiteten Forschungen vorliegt. Kein Zweifel kann bestehen, dass das Prager Jahrbuch 1943 als Publikationsort einen absoluten Tiefpunkt in der Hock-Rezeption und -Forschung darstellt. Ein angemessener Umgang damit ist bislang nicht gefunden, der zwischen dem totalen Verdikt und einer isolierenden, nur auf die durchaus vorzeigbaren Inhalte fokussierten Diskussion - wie sie etwa bei Garber 2003 (Anm. 628) zu finden ist - liegen wird. Adel 1967 Die umfangreiche Darstellung Adels 599 ist weniger eine Literaturgeschichte als vielmehr ein großangelegter Versuch, Vorstellung und Begriff einer „österrei- 597 Schwarzenfeld: Rudolf II. (Anm. 595), S. 97. 598 Ebd., S. 98. 599 Kurt Adel: Geist und Wirklichkeit. Vom Werden der österreichischen Dichtung. Wien 1967. <?page no="157"?> 158 Eckehard Czucka chischen Literatur“ zu gewinnen. Motiviert sieht sich das Unternehmen durch den selbst gestellten Auftrag, „das geistige Erbe der Österreichisch-ungarischen [sic! ] Monarchie zu wahren und zu verwalten.“ Daraus abgeleitet wird eine „Sonderstellung der österreichischen Länder“, die aus hier nicht zu diskutierenden Gründen „mit dem Eintreten der Aufklärung in Deutschland“ angesetzt wird. 600 Innerhalb einer solchen Periodisierung gehören Humanismus und Reformation zu einem als „Vorgeschichte“ betrachteten Zeitraum „österreichischer Dichtung“, für den das „Fortwirken mittelalterlicher volkstümlicher Töne […] kennzeichnend“ sei und in den neben dem Ambraser Liederbuch von 1582 „ebenso“ das Schöne Blumenfeld des Theobald Hock gehört, „der bedeutendsten und interessantesten Gestalt der österreichischen Lyrik um die Jahrhundertwende“. Es folgen Informationen zum Leben, Einschätzungen zum Werk („unhöfisch, offen, manchmal derb, aber ernsthaft und menschlich ergreifend“) und ein Themenkatalog (Liebesabsage, Weltklage, Volkslied, epigrammatisch scharfer Spott). Besondere Erwähnung finden die Capitel 85 bis 92, von denen mitgeteilt wird, sie stellten, „vorzugsweise auf Grund der ‚Germania‘ des Tacitus, die ersten Könige und das Leben der alten Deutschen in Versen dar.“ Allerdings wird das Capitel 19 als das „interessanteste“, da Weckherlin und Opitz vorlaufend, mit einem auszugsweisen Zitat vorgestellt. 601 Diese Aufnahme Hocks in den Kreis österreichischer Dichter findet in einer längeren, aber wohl der einzigen Rezension heftigen Widerspruch aus grundsätzlichen Erwägungen: Dichtung ist von den Tagen des Humanismus bis weit ins 18. Jahrhundert hinein eine Beschäftigung von Gelehrten und Geistlichen beider Bekenntnisse gewesen, und wo uns aus dem Munde eines von ihnen doch ein volkstümlicher Urlaut entgegenschlägt, horchen wir beglückt auf. Dies ist in der Tat bei Österreichern häufig der Fall. In diesem Zusammenhang jedoch auf Theobald Höck als Beispiel hinzuweisen ist aber eine nicht gerade glückliche Wahl. Er ist geborener Pfälzer; seine Verbindung mit Österreich besteht nur darin, daß er bei den Rosenbergern in Böhmen in Dienst steht; er ist Parteigänger des protestantischen Winterkönigs und schwindet nach der Schlacht am Weißen Berge völlig aus unserem Gesichtskreis. Keine der angegebenen Voraussetzungen für ein österreichisches Dichtertum trifft sonach zu. 602 Das heißt ins klare übersetzt: Hock ist schon deshalb kein Österreicher, weil er protestantisch ist. Immerhin hätte Bietak darauf verweisen können, dass 600 Ebd., S. 5. 601 Ebd., S. 24. 602 Wilhelm Bietak: [Rezension] Kurt Adel, Geist und Wirklichkeit. Vom Werden der österreichischen Dichtung (1967). In: Österreich in Geschichte und Literatur 12 (1968), S. 113- 116, hier S. 114. <?page no="158"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 159 der Aufsatz zur österreichischen Lyrik im Zeitalter des Barock und Rokoko von Nemetz-Fiedler 603 Hock nicht erwähnt. Evans 1980 (Original 1973) Die Intention der Biographie, die der renommierte Oxford-Historiker Robert John Weston Evans vorgelegt hat, wird im Titel der Originalausgabe deutlich: Rudolf II and his World. A Study in Intellectual History , während die deutsche Ausgabe die Person Rudolfs zu sensationieren versucht. 604 Aus einer einleitenden Charakteristik, die „rätselhafte Persönlichkeit Rudolfs [sei] ein Extrem, aber auch ein Präzedenzfall der Epoche“ 605 gewesen, entwickelt Evans eine Struktur der zentralen Felder des Wirkens: Politik, Religion, humanistische Kultur, die schönen und die okkulten Künste sowie der Manierismus. Im Rahmen einer Würdigung des Peter Wok von Rosenberg findet neben Oswald Croll Theobald Hock einen Platz als eine „Ebenfalls […] interessante Figur im Dienste der Rosenbergs“. Angeführt werden Herkunft, Hochzeit, Erwähnung im Testament und die Vermittlerrolle zu Croll. Bedenkenswert scheint die Bewertung der religiösen Einstellung Hocks, die den Wertungen früherer Biographen widerspricht: „Er wurde für einen eifrigen Protestanten gehalten, obwohl die Beweise dürftig sind.“ Über Hocks one man-one work-Produktion wird berichtet: Sein Versbuch, das sogenannte „Schöne Blumenfeld“, das 1601 anonym erschien und erst kürzlich entdeckt [sic! ] wurde, weist ihn als Übergangsfigur zur deutschen Barocklyrik aus. Bei ihm mischen sich die Volkspoesie des 16. Jahrhunderts und die Anfänge der barocken Dichtung mit ihrer Ornamentik, ihrer Anspielungstechnik und der Bildungsfracht der Spätrenaissance. 606 Diese Einschätzung Hocks stützt Evans, ausweislich des Literaturverzeichnisses, wesentlich auf Wolkan 1894 (Anm. 134) und Fleischmann 1937 (Anm. 396), ferner für die Literatur der Zeit allgemein auf Uflacker (Anm. 484), Peuckert (Anm. 336) und Trunz [Standeskultur] 607 sowie auf die Emblematikbücher von 603 Kurt Nemetz-Fiedler: Österreichische Lyrik im Zeitalter des Barock und Rokoko. In: Germanisch-romanische Monatsschrift 7 (1919), S. 427-438. 604 Robert John Weston Evans: Rudolf II and his World. A Study in Intellectual History, 1576-1612. Oxford 1973. Deutsche Übersetzung unter dem Titel: Rudolf II. Ohnmacht und Einsamkeit. Graz 1973. 605 Ebd., S. 11. 606 Ebd., S. 100. 607 Erich Trunz: Der deutsche Späthumanismus um 1600 als Standeskultur. In: Richard Alewyn (Hrsg.): Deutsche Barockforschung. Dokumentation einer Epoche. Köln [u. a.] 1965, S. 147-181. In diesem Aufsatz von 1931 wird Hock nicht erwähnt. <?page no="159"?> 160 Eckehard Czucka Schöne 608 und Schöne/ Henkel 609 . Es findet sich eine im Rahmen des Erwartbaren angemessene Darstellung der Rolle und der Leistungen Hocks, bei dem aber Evans auch die schlüssige Formulierung für das Lebensgefühl von Zeitgenossen Rudolfs II. wie Comenius Hippolytus Guarinoni mit ihrem Abscheu vor der hässlichen Welt findet, 610 wenn er in Capitel 17, Strophe 9, Vers 1 und 2 sagt: Es ist kein Freundschafft mehr auff Erdt Ein Mensch dess andern Teufel. Breuer 1981 Breuers Deutsche Metrik und Versgeschichte 611 ist angelegt als eine Einführungsvorlesung, die nachdrücklich den Anlass ihrer Entstehung als Antwort auf die sozialgeschichtliche und medienkundliche Ausrichtung der Germanistik in den 1970er Jahren reflektiert. 612 Im Rahmen einer Versgeschichte (Teil III) spricht er in einem Kapitel (98) über Die Versexperimente der Humanisten , also über Rebhun, Oelinger, Albertus, Claj, Puschmann und insbesondere über Hornmoldt, dessen Versuche, silbenmessend reine Jamben zu schreiben, als zu schwierig erscheinen. Einfacher hat es sich da der Humanist Theobald Hock gemacht. Er versucht, den Besonderheiten der deutschen Prosodie dadurch Rechnung zu tragen, daß er neben Jamben und Trochäen auch Daktylen und Spondeen zuläßt. Unregelmäßigkeiten der Tonstellenverteilung im Vers können so, gleichsam „wissenschaftlich“, auf den gehörigen Begriff gebracht werden: sie werden als Daktylus oder Spondeus bezeichnet. 613 Zur Erläuterung zieht er Hocks „poetologisches Gedicht ‚Von Art der Deutschen Poeterey‘ aus seiner Sammlung ‚Schönes Blumenfeld‘ (1601)“ bei, das ohne Quellennachweis zitiert und anschließend in einer gegenwartssprachlichen Fassung präsentiert wird. Diesen - wie alle anderen Versuche der Humanisten - stuft Beuer als gescheitert ein und sieht die Lösung erst durch Opitz erreicht: Letztlich konnten alle diese Versuche, den theoretischen und praktischen Anforderungen, die das neue römisch-antike Ordnungsdenken auch an die Metrik stellte, nicht genügen. Entweder erreichen die Versexperimente die strenge Regulierung nur auf komplizierte, unpraktikable oder sprachwidrige Weise, oder aber die Regulierung 608 Albrecht Schöne: Emblematik und Drama. Im Zeitalter des Barock. München 1964. 609 Arthur Henkel/ Albrecht Schöne (Hrsg.): Emblemata. Handbuch zur Sinnbildkunst des XVI. und XVII. Jahrhunderts. Stuttgart 1967. 610 Evans: Rudolf II. (Anm. 604), S. 100. 611 Dieter Breuer: Deutsche Metrik und Versgeschichte. München 1981 [Uni-Taschenbücher Germanistik. Deutsche Literatur 745]. 612 Ebd., S. 12. 613 Ebd., S. 158. <?page no="160"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 161 läßt trotz Übertragung der antiken Skansionsbegriffe zu wünschen übrig. In dieser versgeschichtlichen Situation wurde Martin Opitz zum Mann der Stunde. 614 Doch weist er Hock eine besondere Stellung unter den versexperimentierenden Humanisten zu: Die bisher genannten Humanisten gelangen in direkter Auseinandersetzung mit der antiken Metrik zu einer neuen volkssprachigen Versbehandlung. Sie verbleiben dabei, Theobald Hock ausgenommen, mit ihren Experimenten im Bereich der gelehrten Bildungsanstalten. 615 Grimm 1983, 2015 Grimm 1983 Grimm geht es in seiner Habilitationsschrift von 1983 616 um den Wandel des Dichterbildes und des Selbstverständnisses der Dichter seit der Aufklärung, die als „Kehrtwendung gegen die traditionsreiche Gestalt des poeta eruditus“ 617 verstanden wird, die in Petrarca, Celtis, Opitz, Gryphius, Lohenstein, Wernicke und Günther inkorporiert war. Als zentraler Akteur bei der „Inaugurierung einer deutschen Poesie“ wird Opitz gesehen, da das von ihm eingeführte theoretische Modell unangefochten die poetologische und die poetische Produktion beherrschte. […] Angesichts seines Erfolges - ein Verdienst des Literaturorganisators, nicht des Dichters allein - verblaßt für die Zeitgenossen die Leistung der Psalmenübersetzungen Lobwassers und Melissus’, der Gedichte Theobald Hocks, in denen der Umschlag in ‚gelehrtes Dichten‘ und die Wendung gegen die bisher beliebte volkstümliche Dichtung am deutlichsten hervortritt. 618 Einzuwenden ist, dass Hocks Wirkungslosigkeit offensichtlich schon besiegelt war, bevor Opitz mit seinen Reformen auftrat, wenngleich Lemcke es für ausgeschlossen hielt, dass die Schlesier Hock nicht gekannt haben sollen (Anm. 97). Und so richtig es ist, auf die Notwendigkeit hinzuweisen, dass eine „einheitliche Regelung der prosodischen Voraussetzungen […] unumgänglich“ für das Gelingen einer Literaturreform war, so zielt doch der Verweis auf Hocks Capitel 614 Ebd., S. 161. 615 Ebd., S. 162. 616 Gunter E. Grimm: Literatur und Gelehrtentum in Deutschland. Untersuchungen zum Wandel ihres Verhältnisses vom Humanismus bis zur Frühaufklärung. Berlin 1983 [Studien zur deutschen Literatur 75]. 617 Ebd., S. 1. 618 Ebd., S. 115. <?page no="161"?> 162 Eckehard Czucka 19, Strophe 6 („Warumb sollen wir den vnser Teutsche sprachen, / [etc.]“) 619 auf einen nicht wirksam gewordenen Ansatz. Grimm 2015 Nicht erwähnt wird Schwabe von der Heyde in Grimms Beschreibung des Petrarkismus in Deutschland : Bereits vor Opitz wurde der Versuch gemacht, einige Gedichte Petrarcas ins Deutsche zu übersetzen, etwa von Theobald Hoeck in der Sammlung „Schönes Blumenfeld“ von 1601, [sic! ] oder von Georg Rodolf Weckherlin, aber man meisterte die Form des Sonetts nicht. Erst Opitz gelang es, die Sonettform ins Deutsche zu transponieren. 620 Die Positionierung Hocks, der nicht einmal im Register verzeichnet wird, als Vorläufer wird noch einmal wiederholt, ohne dass ein erkennbarer Erkenntnisgewinn zu verzeichnen wäre. DaCosta Kaufmann und Coignard 1985 1985 taucht im Katalog zu einer Ausstellung der Kunst am Hof Rudolfs II. unter dem Titel Éros et poesia 621 bei Gelegenheit einer Bildinterpretation u. a. Hock auf. Zu dem Gemälde Venus und Adonis des flämischen Malers Bartholomaeus Spranger (geb. 1546 in Antwerpen, gest. 1611 in Prag), entstanden zwischen 1595 und 1597, wird ausgeführt, das Bild sei vielschichtiger Ausdruck einer höfischen Philosophie, die von Valens Acidalius, Hieronymus Arconatus, Elizabeth Jane Weston und insbesondere Salomon Frenzelius und Theobald Höck sprachlich gefasst worden sei. Für eine kohärente allegorische Interpretation fehle jedoch die Kenntnis des ursprünglichen Kontextes und der Funktion vieler in Prag gefertigter erotischer Gemälde. 622 Kunstgeschichtliches kann hier nicht erörtert werden. Interessant in unserem Zusammenhang ist, dass Hock nicht nur einer Gruppe neulateinischer Dichter zugeordnet wird, sondern zusammen mit Frenzelius herausgehoben („en particulier“) wird. Noch wichtiger aber scheint zu sein, dass hier in knappsten Hinweisen vielversprechende Bezüge angedeutet werden. So wurde etwa 619 Ebd., S. 115f. 620 Gunter E. Grimm: Zwischentöne. Stationen der deutschen Lyrik. Vom Barock bis zur Gegenwart. Marburg 2015, S. 26. 621 Thomas DaCosta Kaufmann/ Jerôme Coignard: Éros et poesia. La peinture à la cour de Rodolphe II. In: rvart 69,1 (1985), S. 29-46. 622 Ebd., S. 35: „On fit de son Vénus et Adonis l’expression complexe d’une philosophie destinée à un public ciées à la cour telles que Valens Accidalius, Hieronymus Arconatus, Elizabeth Jane Weston et, en particulier, Salomon Frenzelius et Theobald Höck. Du reste, nous ignorons le contexte original et la fonction de beaucoup de peintures érotiques faites à Prague, qui auraient pu favoriser une interprétation allégorique cohérent.“ <?page no="162"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 163 über Beziehungen zwischen Arconatus 623 und Schallenberg gehandelt, 624 der in der Hock-Diskussion wiederholt als formales Vorbild genannt wird. Inhaltliche Bezüge zwischen Hock und Arconatus sind zu vermuten, wenn Kühlmann in seinem Arconatus-Artikel nicht nur darauf verweist, dass Arconatus „den Formenkreis der humanist. Lyrik“ beherrschte, sondern auch erwähnt: Seine Gedichte verarbeiten autobiogr. Erfahrungen (u. a. erotische Erlebnisse) u. illustrieren die personalen Beziehungen im Umkreis des böhmischen bzw. schles. Späthumanismus. 625 Mögliche Parallelen zum Blumenfeld dürften augenfällig sein, wie die Verarbeitung persönlicher Erfahrungen und erotischer Erlebnisse (bei Hock mit misogyner Note) und Erfahrungen mit dem Hofleben. - Wieder finden sich an abgelegener Stelle Hinweise auf Zusammenhänge, die so im Fach selbst bislang nicht gegeben wurden. Garber 1992, 2003, 2005, 2018 Garber 1992 Garber erwähnt eher beiläufig Hock bei Gelegenheit wissenschaftsgeschichtlicher Erörterungen zu Benjamin 626 und Alewyn 627 sowie in seinem „Späthumanismus“-Vortrag 628 und gibt damit vor allem einen Blick auf die Einschätzung Hocks in der Forschungsliteratur. In seiner Darstellung Benjamins spielt dessen Konkurrenz mit Cysarz eine Rolle, dessen Barockbegriff in Vom Geist des deutschen Literatur-Barocks so zusammengefasst wird: Die lyrischen Äußerungen zwischen Hoeck und Günther - sie alle sind „Verkörperung eines Lebens- und Kunstwillens. Es ist ‚ barock ‘ im weiteren Sinn des Ausdrucks. Das Barock ist ein erstes Ringen unserer neuzeitlichen Literatur mit der Antike, historisch eingebettet zwischen der überliterarischem Seelenkampf hingegebenen Reformation und der gleichfalls vorzüglich außerästhetisch eingestellten Aufklärung.“ 629 623 Wilhelm Kühlmann: Art. Arconatus, Hieronymus. In: Walther Killy (Hrsg.): Literaturlexikon. Bd. I: A-Bis. Gütersloh und München 1988, S. 199. 624 Elisabeth Klecker: Es schallt durch Berg und tiefe Tal. Hieronymus Arconatus und Christoph von Schallenberg. In: Unsere Heimat 75,2 (2004), S. 152-169. 625 Kühlmann: Arconatus (Anm. 623), S. 199. 626 Klaus Garber: Zum Bilde Walter Benjamins. Studien, Porträts, Kritiken. München 1992. 627 Klaus Garber: Zum Bilde Richard Alewyns. München 2005. 628 Klaus Garber: Späthumanistische Verheißungen im Spannungsfeld von Latinität und nationalem Aufbruch. In: Eckhard Keßler (Hrsg.): Germania latina - latinitas teutonica. Politik, Wissenschaft, humanistische Kultur vom späten Mittelalter bis in unsere Zeit. München 2003 [Humanistische Bibliothek Reihe 1, Abhandlungen 54], Bd. I, S. 107-142. 629 Garber: Benjamin (Anm. 626), S. 238. <?page no="163"?> 164 Eckehard Czucka Zur Reaktion Benjamins, für den allerdings keine Kenntnisnahme von Hock nachweisbar ist, auf Cysarz wird oben gehandelt (Anm. 310). Garber 2003 In einem Vortrag über das späthumanistische Spannungsfeld von Deutsch und Latein kommt Garber 2003 beiläufig auf Hock zu sprechen, und dies in Kategorien, die an Nadler erinnern können: Wieder aber stehen wir wie in der Pfalz vor dem Rätsel der Mutation dieser durch und durch lateinisch geprägten Gelehrtenkultur aus dem Geiste Melanchthons und in engster Fühlung mit dem internationalen Reformiertentum. Wie kam es, daß fast zeitgleich mit der Pfalz nun auch in Schlesien Stimmen eben aus den angedeuteten kryptocalvinistischen Kreisen laut wurden, die da den Übergang aus der lateinischen in eine erstmals deutschsprachige Formkultur sich angelegen sein ließen. Wieder sollte zuerst mit dem konfessionellen das Raum verpflichtete Argument bedacht werden. Schlesien unterstand dem Königreich Böhmen. In Böhmen wiederum war schwerlich nur zufällig bereits im Jahr 1600 die erste deutsche Lyriksammlung aus dem neuen Geist veröffentlicht worden. Sie stammt aus der Feder des gebürtigen Pfälzers Theobald Hoeck, ist gewiß poetisch noch ungelenk, birgt jedoch bereits ein Panegyrikum auf die Ehre der deutschen Sprache, so daß die poetischen Versuche einen programmatischen Rahmen und Bezugspunkt erhalten. Böhmen war der Nährboden für ein derartiges Werk, denn hier gab es eine starke ständische Bewegung im Adel, die vermittelt wiederum über das mehr oder weniger manifeste reformierte Bekenntnis die politische Absetzungsbewegung von der katholischen Krongewalt in Wien betrieb. Sie blieb auf kulturelle Autogenität verwiesen, und die ist stets gleichbedeutend mit der Erprobung und sodann der Schmeidigung des nationalen Idioms, sei es des tschechischen, sei es des deutschen. Prag wäre der Ort gewesen, wo auf der Basis einer weitläufigen lateinischen Kultur, wie sie uns das Werk von Martínek und anderen erschlossen hat, gestützt auf Adel und reformiertes Königtum, der Übergang zum Deutschen in großem Stil hätte vollzogen werden sollen, die mit Karl IV. anhebende Bewegung also zweieinhalb Jahrhunderte später zu einem inneren Abschluß gekommen wäre. Schlesien schaute deshalb mit den größten Erwartungen auf die Entwicklungen im Nachbarland. Aber es nahm eben auch seine westliche [sic! ] Kontakte wahr. Beide zusammengenommen müssen ins Blickfeld genommen werden, wenn eine Erklärung für den nationalsprachigen Aufbruch in Schlesien gelingen soll, wie er in der religiösen Literatur ja lange praktiziert wurde, nun aber eben für die humanistische Formenwelt zu bewerkstelligen war. 630 Nadlers Unterscheidung von „Osten“ und „Westen“ wird hier konkretisiert in „Schlesien“ und „Pfalz“, deren Ausgleich an drittem Ort, in Prag, stattfinde, wodurch dann die Aufmerksamkeit auf gleichlaufende tschechische Bemühungen 630 Garber: Latinität (Anm. 628), S. 129. <?page no="164"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 165 gerichtet werde - dies eine Überlegung, die auch bei Demetz (Anm. 668) ähnlich zu finden ist. Allerdings scheint das Lob, das Garber Hock zu zollen scheint, gebrochen; denn die Konnotationen von „Panegyrikum“ sind nicht nur in der Tradition schon durchaus zwiespältig, auch seine Kennzeichnung der Gedichtsammlung als „gewiß poetisch noch ungelenk“ konterkariert einen dem Begriff inhärierenden Anspruch auf Meisterschaft des rhetorischen Vortrags. Die Erläuterungen in der zugehörigen Endnote sind, sofern sie auf die Texte aus dem Prager Jahrbuch rekurrieren, erörtert (Anm. 422). Garbers Einschätzung der deutschen Forschungslage („insgesamt spärliche Literatur bei Kosch […]; Pyritz/ Bölhoff […] und Killy […]“ 631 ) ist wenigstens diskussionswürdig, Hinweise auf Bůžek und Bok decken Fragen der Zweisprachigkeit und Aspekte der Tätigkeit bei Rosenberg ab. Unterstützung verdient die auch heute nicht überholte Forderung: „Eine große neue Arbeit zu Theobald Hoeck fehlt.“ Garber 2005 In seiner biographisch-wissenschaftgeschichtlichen Darstellung zum Werk und Wirken Richard Alewyns rekonstruiert Garber in dem Kapitel Die ungeschriebene Literaturgeschichte. Das Bild des Barock in dem späten Bonner Vorlesungs- Zyklus 632 eine Vortragsreihe aus dem Wintersemester 1960/ 61. Gestützt auf seine eigene Nachschrift 633 kann er Alewyns zu vermutende (Anm. 451), jedoch schriftlich nie belegte Beurteilung Hocks zitierbar machen: Natürlich sprach Alewyn von den Versuchen zur Eindeutschung der Renaissancepoesie vor Opitz. Gerade aber an Hoecks „Schoenem Blumenfeld“ (1601) zeigte er auch, wie weit entfernt die deutsche Sprache um 1600 noch von der Geschmeidigkeit blieb, die ihr erst Opitz verlieh. Ganz anders im Falle Weckherlins, dem Alewyn huldigte, weil er hier - im Gegensatz zu Opitz - eine echte dichterische Potenz gewahrte. 634 Garber 2018 In seiner Opitz-Darstellung von 2018 635 diskutiert Garber einleitend frühe Positionen der Opitz-Foschung bei Gundolf (Anm. 328) und seinem Lehrer Alewyn, die im Fall Gundolfs beiherspielend bzw. bei Alewyn durch Auslassung die Hock-Rezeption tangieren. - Mit einem Zitat aus Alewyns Klassizismus-Buch bezeichnet Garber noch einmal sehr präzise, wie trotz genauer Sicht auf die Situation der Literatur um 1600 Hock trotzdem nicht in den Blick der Barockforschung kam: 631 Ebd., S. 130. 632 Garber: Alewyn (Anm. 627), S. 19-34. 633 Ebd., S. 20. 634 Ebd., S. 24. 635 Garber: Opitz (Anm. 328), S. 25-27. <?page no="165"?> 166 Eckehard Czucka Dieser Gegensatz zwischen einer lateinischen Kunstdichtung und einer deutschen Volksdichtung beherrscht die unentschlossen gespannte Atmosphäre um die Wende des 16. Jahrhunderts. Alles wartete auf einen, der entschlossen war, diese Spannung aufzulösen. Das war Opitz. 636 Doch versteht Garber sich jetzt zu einem kritischen Blick auf Opitz, wenn er - auf den Einsatz vor und neben Opitz blickend - zuerst den Umgang mit Schwabe von der Heyde beschreibt: „Er [= Opitz] macht da durchaus keine rühmliche Figur.“ Auch wird der Blick auf Hock nicht mehr von Opitz verstellt, sondern vielmehr auf ihn hin perspektiviert: Anders stand es um eine Gestalt wie die von Theobald Hoeck. Den hatte es aus der Pfalz nach Böhmen verschlagen, wo er in den Dienst des böhmischen Magnaten Peter Wok von Rosenberg trat, einer Schlüsselfigur der ständischen antihabsburgischen Bewegung. Im mährischen Brünn erschien schon 1601 seine Gedichtsammlung mit dem ansprechenden Titel „Schoenes Blumenfeld“. Explizit verlegte sich Hoeck auf das Verfassen deutschsprachiger Gedichte, um beizutragen zum Ruhm seines Vaterlandes im Medium einer anspruchsvollen Poesie. Ungeachtet vieler Anleihen im ‚altdeutschen Stil‘ ließ die Sammlung doch gleichfalls erkennen, daß man vor Opitz durchaus bereits auf dem Weg zu einer neuen deutschen Dichtung war. Und dies aus verwandtem kulturpatriotischem Geist, geprägt von dem Willen, die deutsche Nation ebenbürtig neben den anderen Völkerschaften an den poetischen Errungenschaften der jüngsten Zeit teilhaben zu lassen, wie sie in Italien musterbildend erstmals zur Ausbildung gelangt waren. Doch dies blieben Einzelfälle. 637 Dies könnte man lesen als den rezenten Versuch einer neuen Lektüre, die - würde sie intensiviert - zu einem neuen Hock-Bild führen würde. Zymner 1995, 2013 Zymner 1995 In einem Aufsatz geht Zymner dem Manierismus im Barock 638 nach und will Schallenberg und Hock „in die von Fischart ausgehende Traditionslinie des ‚witz- und sinnreichen‘ artistischen Schreibens stellen.“ Ihre literarhistorische Bedeutung liege darin, 636 Richard Alewyn: Vorbarocker Klassizismus und griechische Tragödie. Analyse der „Antigone“-Übersetzung des Martin Opitz. In: Neue Heidelberger Jahrbücher - Neue Folge (1926), S. 3-63. Nachdruck: Darmstadt 1962 [Libelli 79], S. 12. 637 Garber: Opitz (Anm. 328), S. 4f. 638 Rüdiger Zymner: Zwischen „Witz“ und „Lieblichkeit“. Manierismus im Barock. In: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik (LiLi 98) 25 (1995), S. 52-79. <?page no="166"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 167 daß sie durch zahlreiche Übertragungen und die Einführung insbesondere italienischer Gedichtformen zur Entwicklung einer voropitzianischen Kunstlyrik beitragen, eine Entwicklung, die zuerst durch Jacob Regnarts Villanellen-Dichtungen ihre entschiedensten Anstöße erfährt. Inhaltlich merkt Zymner zu Hock einzig an, dass dessen Gedicht Capitel 5 ( An den Leser ), Strophe 1, Zeile 1 nicht nur auffordere, „mit ‚witz und sinnen‘ [sic! ] zu lesen, sondern in der siebten Strophe auch den ‚Spitzn Pantagruel‘ erwähnt.“ 639 Energischen Widerspruch findet dieses Verständnis bei Jónácsik (Anm. 650), der nicht nur feststellt: „Zymner vertritt selbstverständlich auch einen überholten Petrarkismus-Begriff“, 640 sondern zu der Gesamteinschätzung kommt: das Ergebnis des […] Versuches, gewissen poetologischen Traditionen in Schallenbergs Liebeslyrik auf die Spur zu kommen, ist als kaum befriedigend anzusehen, zumal Zymner für Schallenbergs (aber auch Jacob Regnarts, Johann Hermann Scheins und Theobald Höcks) erotische Lyrik konstitutive Traditionen der italienischen Liebeslyrik verkennt oder ignoriert und die „manieristische Schreibweise” Schallenbergs zum Beispiel in die Fischartsche Tradition stellt. 641 Zymner 2013 Bei der Untersuchung der Frage nach dem „‚Wissen‘ der Lyrik“ 642 entscheidet Zymner sich für eine deduktive Annäherung, bei der der Begriff „Wissen“ aus einer Reihe konkurrierender Definitionen ausgewählt und der der „Lyrik“ an Zymners „Objekttheorie der Lyrik“ angeschlossen wird, die zusammengefasst so lautet: „Lyrik: Repräsentation von Sprache als generisches Display sprachlicher Medialität und damit als generischer Katalysator ästhetischer Evidenz.“ 643 Ziel ist es zu zeigen, „inwiefern und wie genau“ Wissen und Lyrik in ein funktionalpragmatisches Verhältnis gesetzt werden können. 644 Auf dieser Grundlage werden die in der Lyrik verhandelbaren Wissensformen benannt; primär wird aber thematisiert, dass Nicht zuletzt […] Lyrik natürlich auch poetologisches und poesiologisches Wissen heranziehen und es lyrisch formatieren [sic! ] - und dabei nicht nur über Dichtung, 639 Ebd., S. 61. 640 Jónácsik: Poetik (Anm. 650), S. 147. 641 Ebd., S. 146. 642 Rüdiger Zymner: Das „Wissen“ der Lyrik. In: Michael Bies [u. a.] (Hrsg.): Gattungs-Wissen. Wissenspoetologie und literarische Form. Göttingen 2013, S. 109-121. 643 Ebd., S. 112. 644 Ebd., S. 109f. <?page no="167"?> 168 Eckehard Czucka Poesie, Literatur im Allgemeinen sprechen [kann], sondern eben gewissermaßen auch über sich selbst in Lyrik über Lyrik. 645 Über die Nützlichkeit der von Barner eingeführten Unterscheidung zwischen Poetologie als autorbezogener und Poesiologie 646 als werkbezogener Kategorie ist hier nicht zu rechten, doch darf vermerkt werden, dass die Wendung „lyrisch formatieren“ kaum mehr ist als rezenter Jargon, der das auch bleibt, wenn Zymner weitere Verwendungen in seinen Schriften nachweist. Zymner liest die Selbstthematisierung der Lyrik in Gedichten nicht als Selbstreferentialität, sondern gemäß mathematisch-logisch grundierter sprachphilosophischer Kategorien als „Metalyrik“: Eine Geschichte der neueren deutschsprachigen Metalyrik könnte beispielsweise mit Theobald Höcks Von Art der Deutschen Poeterey von 1601 beginnen und mindestens bis zu Thomas Klings Gedicht Poetik von 2005 führen. […] Beiden Gedichten könnte man […] poesiologisches Wissen entnehmen, das jeweils spezifisch ist für die jeweilige Zeit. Das ist ein weiter Bogen über fünf Jahrhunderte, der hier geschlagen wird und an dessen Ende es im 21. Jahrhundert bei Thomas Kling um die gesprochene, hin auf Einzelteile gesprochene Schrift [gehe]: [D]ie Schrift - die Heilung. / Das Zerreißen und das Wieder-Zusammensetzen der Einzelglieder - Das Schreiben. Das ist zum einen sehr verkürzt, denn die erste Zeile des Gedichts lautet: „ Disiectio membrorum : die schamanistische Gliederverstreuung.“ und gibt damit der zitierten Stelle eine eigene Perspektive. Zum anderen scheint es sich um eine sehr auf die These hin getroffene Auswahl zu handeln, denn in einer längeren, unmittelbar vor dem Zitat stehenden „Strophe“ wird das Dichten als „ein Vorgang vergleichbar vielleicht mit Arbeitsabläufen des alten Lederverarbeitungsgewerbes? “ befragt und dann als „Werkstoff“ bezeichnet. 647 Diese Vorstellung nimmt Zymner in dem Hinweis auf, dass es hier „um die Montage phonischen und graphischen Sprachmaterials [sic! ]“ gehe. Darin werden Vorannahmen über die Natur der Sprache erkennbar, die hier nicht diskutiert werden können, und 645 Ebd., S. 113. 646 Wilfried Barner: Spielräume. Was Poetik und Rhetorik nicht lehren. In: Hartmut Laufhütte (Hrsg.): Künste und Natur in Diskursen der Frühen Neuzeit: [Vorträge und Referate, gehalten anläßlich des 9. Kongresses des Wolfenbütteler Arbeitskreises für Barockforschung in der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel vom 31. Juli bis 2. August 1997]. Wiesbaden 2000, S. 33-67, hier S. 34f. 647 Thomas Kling: [Gedichte]. In: Thomas Geiger (Hrsg.): Laute Verse. Gedichte aus der Gegenwart. 2. Aufl. München 2011 [dtv Premium 24692], S. 137-152, hier S. 138. <?page no="168"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 169 dass das etwas „mit einem monistischen Konstruktivismus“ zu tun habe, „wie er einem Theobald Höck und seiner Zeit noch undenkbar gewesen sein dürfte“, ist für den ersten Teil mit Bedenken, für den zweiten Teil zustimmend zur Kenntnis zu nehmen. Zymner meint mit dem „monistischen Konstruktivismus“ eine moderne Weltauffassung, die eben nicht mehr mit dem Gegebensein einer metaphysischen Neben- oder Anderswelt, insbesondere einer providenziellen Oberwelt und deren Einwirken auf diese Welt rechnet, sondern eine einzige geschlossene Welt annimmt und die Erfahrbarkeit der einen Welt für subjekt- und theorieabhängig hält. Diesem textfernen, aber theoriegesättigten Konstrukt wird Hock konfontiert: „Man würde dann bei Höck erfahren, dass es in der ‚Deutschen Poeterey‘ unter anderem darum gehe, ‚die Silben recht‘ zu führen und den ‚Reim zu ziehren‘ oder auch die ‚Pedes zu scandiren‘ - so der knappe Auszug aus dem Capitel 19. Auch hier kann man - so behauptet Zymner - poesiologisches Wissen entnehmen, das jeweils spezifisch ist für die jeweilige Zeit - etwa, daß „Poeterey“ etwas mit einer bestimmten ornamentalen Behandlung der verba zu tun habe, deren Verhältnis zu den res auch unter anderem mit einem kulturspezifischen Ordnungsgefüge der Welt zusammenhängt.“ 648 Es sind große Zweifel angebracht, ob aus den angeführten Stellen, die aus zwei Strophen zusammenmontiert sind und die sich offensichtlich mit prosodischen Problemen beschäftigen, der Schluss auf die res-et-verba-Problematik gezogen werden kann: jedenfalls lautet die Strophe 8 in Gänze: Man muß die Pedes gleich so wohl skandieren, Den Daktilum und auch Spondeum rühren, Sonst, wo das nicht würd’ gehalten, Da sind d’ Reim’ gespalten, Krumm und voll Falten. Wir halten dafür, dass es sich bei Hocks Von Art der Deutschen Poeterey um eine Reflexion der Dichtung in Lyrik handelt, für die der gebräuchliche, wenngleich durchaus nicht unproblematische Begriff „Lehrgedicht“ zuhanden ist. Ferner, dass es eine - bislang nicht hinreichend gewürdigte - Leistung Hocks ist, noch vor Opitz und ohne dessen Bindung an rhetorische Traditionen einen Begriff der modernen Dichtung in der Selbstreferenzialität eines Gedichts versucht zu haben. 649 648 Zymner: Lyrik (Anm. 642), S. 113. 649 Vgl. dazu Czucka: Metapher (Anm. 563), S. 14f. <?page no="169"?> 170 Eckehard Czucka Jónácsik 1996 (1998) In einer Dissertation zum Raaber Liederbuch 650 wird Hocks Blumenfeld wohl zum ersten Mal in der Forschungsgeschichte als Gesamtwerk in Betracht genommen. Nach einer kurzen Beschreibung seines Untersuchungsgegenstandes als „uneinheitliche Sammelhandschrift“ mit 107 Gedichttexten und -fragmenten 651 gewinnt Jónácsik mit dem von Pforte 652 übernommenen Begriff der Privatanthologie 653 ein überzeugendes tertium comparationis, das dem Vergleich eine nachvollziehbar-überzeugende Grundlage gibt. Die Untersuchung kommt in einem kritischen Forschungsbericht zu der Einschätzung, die Forschung habe „das ‚Raaber Liederbuch‘ meist ohnehin nur einer flüchtigen Erwähnung“ 654 gewürdigt, die mutatis mutandis so auch für die Hock-Forschung gelten kann. Zunächst beruft Jónácsik sich auf „Entsprechungen beziehungsweise Übereinstimmungen zwischen den beiden Corpora“, die allerdings nur sehr global („ed. cit., passim“) im Blumenfeld (Hanson) belegt werden. 655 Doch verweist er zugleich aus methodischen Gründen nachdrücklich auf die Singularität: „Fast könnte man sagen: Nichts ist dem ‚Raaber Liederbuch‘ so fremd wie seine unmittelbaren deutschsprachigen Vorgänger etwa im 16. Jahrhundert.“ Deshalb kommt er zu dem Entschluss: Der Einfachheit halber wird hier von der etwa zeitgenössischen, eher punktuellen und motivbezogenen als gesamtkonzeptionellen, romanisch-italienischen Teilrezeption, zum Beispiel bei Jacob Regnart, Christoph von Schallenberg, Christoph Demantius, Nicolaus Zangius, Valentin Haußmann, Hans Leo Haßler, Leonhard Lechner, Theobald Höck, in der „Auricher Liederhandschrift“ und im „Jaufener Liederbuch“ abgesehen. 650 László Jónácsik: Poetik und Liebe. Studien zum liebeslyrischen Paradigmenwechsel, zur Petrarca- und zur Petrarkismus-Rezeption im „Raaber Liederbuch“. Zugleich ein Beitrag zur Geschichte protestantischer „Renaissancelyrik“ in Österreich. Frankfurt am Main 1998 [Mikrokosmos 48]; [Diss. München 1996]. 651 Ebd., S. 10. 652 Dietger Pforte: Die deutschsprachige Anthologie. Ein Beitrag zu ihrer Geschichte. In: Die deutschsprachige Anthologie: Bd. I: Ein Beitrag zu ihrer Theorie und eine Auswahlbibliographie des Zeitraums 1800-1950. Frankfurt am Main 1970 [Studien zur Philosophie und Literatur des neunzehnten Jahrhunderts/ Neunzehntes Jahrhundert; Forschungsunternehmen der Fritz Thyssen Stiftung 2,1], S. XIII-CXXIV, hier S. LIII. 653 Jónácsik: Poetik (Anm. 650), S. 11. 654 Ebd., S. 12. 655 Ebd. Gemeint sind Erläuterungen zu folgenden Versen in der Zählung der Hansonschen Ausgabe: 320, 349, 372, 653f., 669ff., 761f., 819, 838, 1389ff., 1580f., 1780f., 1870f., 1874, [1900-1913], 1927ff., 2065, 2352ff., 2382ff., 2471f., 2493ff., 2509f., 2577, 2695, 2700, 2764f., 2849, 2899f., 2959f., 3018, 3125, 3189f., 3506f. <?page no="170"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 171 Stattdessen wird auf Vergleichungen einschlägiger Gedichte im Lauf der Untersuchung verwiesen. 656 Einen ersten Beleg für Entsprechungen liefert die Untersuchung der „Kreuz-Metaphorik als typisch protestantisch-lutherische Bildlichkeit, die in Gesangbüchern und in der Lyrik besonders gern verwendet wird.“ Wegen der spezifischen Kombination bleibt im Falle des „Raaber Liederbuches“ an der christlich-protestantischen Konnotation/ Assoziation auch dann festzuhalten, wenn man berücksichtigt, daß die Kreuz-Metapher in dieser Zeit gewissermaßen lexikalisiert war und in amouröser Verwendung sogar in anderen Liebesgedichten aus dem überwiegend süddeutsch-österreichischen Raum vorkommt: zumal die meisten dieser - uns bekannten - Texte ebenfalls von protestantischen Dichtern stammen. In einer Fußnote werden dann Belege für Enumerationen bei Christoph von Schallenberg und vor allen bei Hock geliefert, die die von Hanson genannten Belege noch ergänzen. Überhaupt sieht Jónácsik gewisse Übereinstimmungen des Raaber Liederbuchs mit Hocks Gedichtsammlung, denen er in einem eigenen Kapitel nachgehen wird. 657 In Kombination mit dem Gedanken einer Privatanthologie steht das Argument, dass eine „spezifische literarische Öffentlichkeit der literarischen Zirkel des an Italien orientierten, österreichischen protestantischen Adels um die Wende des 16. und 17. Jahrhunderts“ an der Organisation intertextueller Verweise beteiligt gewesen sei, die hier etwa zwischen dem Raaber Liederbuch und Schallenberg gesehen und als Forschungsdesiderat markiert wird. 658 Als Verbindung zu Hock wird die Historia Vom Rasenden Roland namhaft gemacht: Eingehende Kenntnisse des Furioso trägt auch Theobald Höck im cap. XXI. Jeder soll seins gleichen nemen seiner Gedichtsammlung Schönes Blumenfeldt (1601) zur Schau, indem er eine (andere) Episode aus dem Furioso erwähnt und Angelica und Medoro sogar namentlich nennt. Höcks Sammlung steht dem „Raaber Liederbuch“ sehr nahe, weist mit ihm sogar textuelle Übereinstimmungen auf, was auch auf eine literarische Vermittlung über persönliche Kontakte schließen läßt. Dies wird noch im 18. Kapitel anhand des Gedichtes Nr. 45 erörtert werden. 659 Im Anschluss an Überlegungen zu der spezifischen Vermittlungsposition des Raaber Liederbuches konstatiert Jónácsik „die Tatsache, dass diese Lyrikvermitt- 656 Ebd., S. 56. 657 Ebd., S. 96f. 658 Ebd., S. 146. Vgl. auch S. 219: „Also kann das ‚Raaber Liederbuch‘ nur in einer bilingualen literarischen Kommunikationsgemeinschaft, nur in einem - noch näher zu erforschenden - bilingualen ‚Literaturbetrieb‘ Österreichs um die Wende des 16. und 17. Jahrhunderts situiert werden.“ 659 Ebd., S. 186. <?page no="171"?> 172 Eckehard Czucka lung nicht über liedtypische Vertextungsverfahren erfolgt.“ Die Argumentation kann an dieser Stelle nicht weiter diskutiert werden, führt aber zu einer diskussionswürdigen Einschätzung: Belegt ist […] die - vielleicht vermittelte - Rezeption von Petrarcas Eingangssonett, und zwar in der Lyriksammlung Schönes Blumenfeldt (1601) von Theobald Höck - hier sogar im Einleitungsgedicht - und im Sonett Ihr, die jhr höret an, wie mancher Sturmwind weitet … von Ernst Schwabe von der Heyde (überliefert von Martin Opitz): beide lassen aber kaum auf eine besondere poetologische Systematik in ihrer Auseinandersetzung mit Petrarca schließen und scheinen auch viel weniger auf Petrarca bezogen zu sein. 660 Für Hock ist hier aber noch einmal daran zu erinnern, dass die incipit-Stellung des Gedichts die Ordnung Petrarcas wiederholt, dies kaum zufällig sein dürfte und damit ein Anspruch angemeldet wird, der poetologisch belastbar zu sein scheint. Eine ausführliche und fundierte Auseinandersetzung mit Hock führt Jónácsik in seinem Kapitel 18 Rollenprogramm und Aemulationsprinzipien mit dem Gedicht Ein Gott ein himel vnnd Erden (Nr. 45); für das Raaber Liederbuch wird das „poetologische Prinzip der pointenhaften Endpositionierung des erotisch instrumentalisierten Psalmzitats“ erörtert, aus dem „auf ein doppeltes Referenzsystem: neben der italienischen Lyrik auch auf das Deutsch-Protestantische“ geschlossen wird. Daraus entwickelt Jónácsik seinen Verweis auf Hock: […] als protestantisch geprägte ‚Cantio cum auctoritate‘ ist in diesem Gedicht nicht erst sein Schluß anzusehen, d. h. nicht erst die erotische „Ausbeutung“ des Psalmverses im Gedichtschluß, sondern auch die erotische Instrumentalisierung protestantischen Kulturguts bereits im Gedichteingang. Die 1. Strophe des Gedichtes [Raaber Liederbuch Nr. 45] weist nämlich wörtliche Übereinstimmungen mit dem religiös geprägten, didaktischen 51. Kapitel der Gedichtsammlung Schönes Blumenfeldt von Theobald Höck (1601) auf: Cap. LI. Alle ding zwifach allein die Lieb vnd Herrschafft einfach. […] 661 Nach einer Revue der Ratschläge, welche Verrichtungen einmal und welche zweimal vorgenommen werden sollen, liest Jónácsik die schließende Strophe 7 als „konklusive Zusammenfassung“ und „Perspektivierung“ einer „protestanti- 660 Ebd., S. 218. 661 Ebd., S. 244. <?page no="172"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 173 schen Didaxe“ bei Hock, auf die „sich also das 45. Gedicht des ‚Raaber Liederbuches‘“ bezieht. 662 In Ermangelung fundierter Untersuchungen zur Struktur und Intention des Blumenfelds sieht Jónácsik sich auf die zwar fundierten, aber knappen Hinweise bei Kühlmann (Anm. 721) verwiesen und kommt kaum über die Leben-Werk-Relationierung (Hock als „Schlüsselfigur in der Verbindung der böhmisch-österreichischen Ständeopposition mit den antihabsburgischen Operationen der pfälzischen Politik“ 663 ) hinaus. Weiterführend und bedenkenswert scheint aber die Fortführung der These von einer Privatanthologie zu sein: Zur Situierung der Höckschen, dem „Raaber Liederbuch“ in vielfacher Hinsicht nahestehenden Gedichtsammlung wäre unter dem Aspekt des „Raaber Liederbuches“ noch folgendes zu berücksichtigen: Höcks Schönes Blumenfeldt erschien höchstwahrscheinlich als Privatdruck, finanziert von Peter Wok von Rosenberg, der auch als protestantischer Kunst- und Literaturmäzen galt. Also wurde die Sammlung zwar gedruckt, aber in sehr wenigen Exemplaren, und die Kenntnis und Wirkung des Werkes blieben auf ihren engsten Umkreis beschränkt: Die literarische Öffentlichkeit, die literarische Kommunikationssituation des Höckschen Werkes entsprach im wesentlichen der einer Handschrift: Dieses Argument stützt sich auf eine Einsicht bei Trunz (Anm. 446) und wird weiterentwickelt: Selbst wenn beide Texte eventuell ein gemeinsames Drittes referieren sollten, d. h. eventuell lediglich in einer indirekten Beziehung zueinander stehen sollten, sind sie beide unbedingt in das gleiche Stemma zu stellen, in der gleichen Filiation zu situieren. Diese Tatsache läßt auch die Handschrift „Raaber Liederbuch“ als ein Produkt der gleichen, protestantisch geprägten literarischen „Zweiten Öffentlichkeit“ um die Wende des 16. und 17. Jahrhunderts wie das Höcksche Werk erscheinen, besonders wenn man auch die Bezüge des Corpus zum „Jaufener Liederbuch“ und zum Schallenberg-Kreis berücksichtigt. 664 Demetz 1998 Demetz kommt in seinem biographisch gegründeten Prag-Buch 665 nicht als Literaturwissenschaftler auf Hock zu sprechen, sondern als Autobiographist bei dem Versuch, das Bild vom „magischen Prag“ durch eine andere Perspektive zu ersetzen: 662 Ebd., S. 245. 663 Ebd. 664 Ebd., S. 246f. 665 Peter Demetz: Prag in Schwarz und Gold. Sieben Momente im Leben einer europäischen Stadt. München 1998. <?page no="173"?> 174 Eckehard Czucka Ich warte, daß endlich einmal einer […] von Prag als der Stadt der Analytiker und der Rationalisten zu sprechen beginnt - mit einem Blick auf den pragmatischen Administrator Karl IV. […] die soziale Theologie der Hussiten, die naturwissenschaftlichen Interessen Rudolfs II., der den bedeutenden Astronomen seiner Epoche ein modernes Observatorium baute, die tschechischen Philologen Dobrovský, Gebauer und Goll, die die Geschichtsklitterungen entlarvten, den Logiker Bernard Bolzano, den Humanisten Augustin Smetana, den Soziologen Tomas G. Masaryk (der sich allerdings seine evangelische Herzensfrömmigkeit bewahrte), die Prager Gruppe der Schüler Franz Brentanos, den Prager linguistischen Kreis, ja auch den Dramatiker Havel, der sich selbst dazu bekannte, von seinem Bruder, dem Mathematiker und Linguisten, vieles gelernt zu haben. 666 Demetz stellt hier mit leichter Hand und eher essayistisch Beziehungen her, in deren Mitte auch immer Hock zu denken ist: Hussiten und die Bibelübelsetzung der Böhmischen Brüder, Rudolf II. allemal, die Geschichtsklitterungen der Grünberger Handschrift, in deren Diskussion Masaryk involviert war, vs. die möglichen Annius-Bezüge bei Hock und schließlich auch Masaryk und die Förderung der Hock-Dissertation Fleischmanns durch seinen Fonds. Mit Masaryk als Staatspräsidenten verbindet Demetz eine persönliche Erfahrung: „[…] denn mein Vater war zur Audienz beim Staatspräsidenten Masaryk auf den Hradschin geladen, der ihm ein Studienstipendium aus seinem Privatfonds zukommen ließ - […].“ 667 Es handelt sich um denselben Fonds, der Fleischmanns Hock-Dissertation mit einem Druckkostenzuschuss gefördert hat (Anm. 402) und dessen Rolle in dem Zusammenleben von Tschechen und Deutschen in der Tschechischen Republik bislang wohl nicht hinreichend gewürdigt worden ist. Tiefergehend behandelt Demetz Hock im Zusammenhang mit Rudolf II. und seinem Hof, der als Nicht-Wahrnehmung beschrieben wird: Dichter und Schriftsteller haben sich im Lauf der Jahrhunderte Rudolfs immer getreulich angenommen und gute Geschichten über ihn erzählt, doch er hatte für ihren Stand wenig übrig. Die zeitgenössische Literatur interessierte ihn kaum. Er blieb gleichgültig gegenüber den bemerkenswerten deutschen Dichtungen, die Theobald von Höck [sic! ] schrieb (der in Diensten eines südböhmischen Adligen stand), gegenüber der neuen Kraft und Reinheit der tschechischen Literatursprache, wie sie sich in den vielen Aktivitäten Daniel Adams von Veleslavín zeigte, dem die berühmte Melantrich-Presse gehörte, gegenüber der subtilen philologischen Arbeit der Böhmischen Brüder, welche eine Bibelübersetzung in sechs Bänden (1579-1594) vorlegten, die auf Jahrhunderte hinaus den sprachlichen Maßstab für Böhmen, Mähren und die Slowakei abgeben sollte. 668 666 Ebd., S. 554. 667 Ebd., S. 549. 668 Ebd., S. 284f. <?page no="174"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 175 Zu bemerken ist, dass Demetz Hock nicht - wie es üblich und auch wohl richtig ist - zu der neulateinischen Tradition in Beziehung setzt, sondern auf die Parallelität zu den tschechischen Bemühungen um die Erneuerung der Literatursprache verweist; hier sind Ansätze für eine Zusammenarbeit zu sehen, die im Ergebnis zu einem deutsch-tschechischen Bild von Hock führen könnten. Einen Zusammenhang zwischen Hock und Elizabeth Weston stellt Demetz nicht her, sondern behandelt sie „[u]nter den Engländern im Prag jener Zeit“, und vermerkt neben Biographischem, dass sie ebenfalls auf lateinisch schrieb und Unterstützung eher bei den kaiserlichen Räten als bei Rudolf selbst fand (was angesichts der Gerüchte über sein haltloses Temperament ein Glück gewesen sein mag). 669 Scheitler 2014 Man mag es als symptomatisch nehmen, dass in der jüngeren Zeit die einzige ausführliche und gründliche Auseinandersetzung mit Hock und ausgewählten Aspekten der Hock-Forschung in einer musikwissenschaftlichen Arbeit stattfindet. Irmgard Scheitler untersucht komparatistisch Melodien und Gattungen der Gesangslyrik seit 1570 670 und konstatiert einleitend mit einigem Recht, dass die „frühneuzeitliche Lyrikproduktion vor Opitz“ „bis zur Stunde keine angemessene Würdigung“ erfahren habe: sie sei entweder nicht „in den Fokus der deutschen Philologie gekommen“ oder „mit Urteilen belegt, die einer genaueren Nachprüfung […] nicht standhalten.“ Einflüsse „durch Übersetzung und Kontrafaktur“ seien in „früheren Jahrzehnten […] teils übertrieben, teils bagatellisiert, beides nicht zuletzt aus nationalen Rücksichten“. Für die Epoche vor Opitz verzeichnet sie ‚Forschungsdefizite und disziplinäre Engführungen‘; dagegen will sie „die literarische Qualität der Texte einer genaueren Nachprüfung“ unterziehen und nimmt dafür - durchaus nachvollziehbar - in Kauf, dass Opitz, dessen epitheton ornans „Vater der deutschen Dichtkunst“ zitiert wird, unterbelichtet bleibe. 671 Ihr Blick auf die Forschungsgeschichte setzt sich v. a. auseinander mit der von Meid in verschiedenen einschlägigen Publikationen 672 vertretenen, geradezu als communis opinio der deutschen Literaturgeschichtsschreibung erscheinenden 669 Ebd., S. 286. 670 Irmgard Scheitler: Melodien und Gattungen anderer Nationen und die deutsche Gesangslyrik. In: Wolf Gerhard Schmidt [u. a.] (Hrsg.): Klang - Ton - Musik. Theorien und Modelle (national)kultureller Identitätsstiftung. Hamburg 2014 [Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft Sonderheft 13], S. 171-203. 671 Ebd., S. 171. 672 Hier geht es einmal um Volker Meid: Lyrik. In: Harald Steinhagen (Hrsg.): Zwischen Gegenreformation und Frühaufklärung: Späthumanismus, Barock. 1572-1740. Reinbek <?page no="175"?> 176 Eckehard Czucka These, 1624 beginne „‚eine neue Epoche der deutschen Poesie‘“. Der grundlegende Unterschied bestehe in der „Musikgebundenheit der vorhergehenden Lyrik.“ Eine vertretbare Gegenposition findet sie bei Velten (Anm. 239), der „bis heute unersetzlich [sei], auch wenn sie [sc. seine Arbeit] nicht mehr gern zitiert wird“, wie sie bei Meid nachweist, der zwar Veltens „merkwürdigen Ausdruck „italianisiertes Lied“ 673 übernehme, ihn aber in beiden ausgewerteten Texten nicht zitiere. Auch die Rezeption Veltens durch Brauer (Anm. 475) findet sie bei Meid wieder. Leider ist aus der Sicht unseres Fachs ihrem Resümee nicht zu widersprechen: „Insgesamt hat sich die Musikwissenschaft stärker für die Epoche des frühdeutschen Liedes interessiert als die Germanistik und dabei differenzierte Forschungen auch zu den Texten vorgelegt.“ 674 Bedenkenswert - auch für eine zukünftige Hock-Forschung - scheint auch der Hinweis zur interdisziplinären Praxis zu sein: In Hinblick auf den literarischen Wert der Lyrik aber verlassen sich Musikologen gern auf die Kompetenz der Nachbardisziplin - was zu höchst unglücklichen Zirkelschlüssen führt, wenn sich wiederum die Literaturwissenschaft auf musikwissenschaftliches Urteil beruft. 675 Nach ausführlichen Erörterungen zur Entwicklung des deutschen Liedes, die außerhalb des hier gesteckten Rahmens liegen, kommt mit Blick auf „die ersten populären Formen im daktylischen Metrum“ 676 und die dafür angeführten Beispiele Hocks Capitel 47 ( Der schönen Juliana in der Weiß So ben mi che á buon tempo, fa la la la ) in einen Vergleich. Es stehe „Haßlers hübsches ‚Tanzen und Springen‘ weit über einem ebenfalls vom italienischen Ballo inspirierten Gedicht von Theobald Höck (1601).“ Für den „Thon (Melodieangabe)“ verweist sie - soweit zu sehen ist: erstmals - auf ein vierstimmiges Ballo von Oratio Vecchi (1590), eine inhaltliche Übereinstimmung mit der Vorlage sieht sie nicht. Die positivistische Diskussion um Hock in der Germanistik scheint sie nicht zu kennen (oder auszublenden), denn weder rekurriert sie auf Köster et al. (siehe Kap 3.1.2) noch benutzt sie das Blumenfeld (Hanson), sondern zitiert nach bei Hamburg 1985 [Deutsche Literatur. Eine Sozialgeschichte 3], S. 367-384, hier S. 367. - Ferner um Meid/ de Boor/ Newald: Barock (Anm. 730), S. 104. 673 Scheitler: Gesangslyrik (Anm. 670), S. 172. 674 Ebd., S. 173. 675 Ebd., S. 174. 676 Ebd., S. 199 heißt: „Die Gastoldi-Adaptationen waren wohl die ersten populären Formen im daktylischen Metrum, das erst durch August Buchner im 17. Jahrhundert wieder zu Ehren gebracht wurde.“ Es ist zu ergänzen, dass - wie Markwardt (Anm. 506) anmerkte - Hock der Erste ist, der dieses Metrum in Erwägung zieht, auch wenn er es nicht verwendet. <?page no="176"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 177 Blumenfeld (Koch). Das ermöglicht einen sehr klaren und knappen Blick auf die Problematik dieses Textes: Höcks insgesamt 16 Strophen enthalten die um 1600 üblichen Fremdwörter, aber auch kolloquiale Wendungen, die der schönen Juliana eine deutliche Abfuhr erteilen. Wie die Erfahrung mit Höcks Dichtung lehrt, sind bei ihm scheinbar überzählige Silben in aller Regel durch Kontraktion zu elidieren: V, 2 lies: Wolt ich eh’ haben lieber; IX, 2 lies: Kein Brief schreib’n noch hofieren. Dieses Verfahren ist willkürlich und wenig elegant. Vor allem aber versagt es bei dem Vers X, 2, der sich folglich schlecht singen lässt. Die Gleichmäßigkeit in der Silbenzahl war Voraussetzung für die Sangbarkeit und wurde deswegen von den Meistersingern hochgehalten. Mit Verweis auf Puschman lehnt Scheitler das Konzept einer Senkungsfreiheit in Sprech- und Gesangsversen ab: Wenn Höck die Strophenidentität nicht wahrt, so ist das nach seinen eigenen Regeln ein Fehler, gibt er doch an, dass nur der ein guter Dichter sein könne, der „dSingkunst recht thut richen“. Es ist schwer verständlich, dass die Germanistik für den eklatanten Unterschied in Deklamation und Sprachgeschmeidigkeit zwischen den Dichterkomponisten und Höck taub ist, dass sie diesen als Vermittler zwischen 16. und 17. Jahrhundert hochachtet und einzig ihm einen „humanistisch geprägte[n] Kunstanspruch“ [Kühlmann (Anm. 722] zuerkennt. Der Grund hierfür aber ist einfach: Höcks Veröffentlichung hat keine Noten bei sich. Von dieser musikwissenschaftlichen Position aus argumentiert sie nochmals gegen Einschätzungen zur literarischen Erneuerung bei Kühlmann und Meid. Besonders nachdrücklich wendet sie sich aber gegen Brauer. Er gehe in totaler Verkennung der wahren Verhältnisse so weit, auf die Verse „Regnarts […] und die gesamte Gesellschaftslyrik“ die scharfen Verdikte Höcks in seinem Gedicht „Von Art der Deutschen Poeterey“ […], Str. XIII anzuwenden und die Lyrik der Dichterkomponisten „barbarisch schematisiert, rein silbenzählend und allen Gesetzen einer Metrik zum Hohn, der Musik ‚synchronisiern‘“ zu schelten. Ihr Gegenvorschlag lautet: „In Wahrheit ist es die Abstimmung auf die Musik, die die Dichterkomponisten die Metrik lehrte.“ 677 Das möchte ein Vorschlag für die Hock-Forschung sein. Die anschließende These, dass „die Germanistik in auffallender Weise die beiden ohne Noten überlieferten Gedichtsammlungen der „Renaissance“: diejenigen der Dichter Schallenberg und Höck“ bevorzuge, während „Texte von Haßler und Haußmann […] in der dtv-Lyrik-Anthologie zum 16. Jahrhundert gar nicht vor[kommen], von Regnart erscheint nur einer, von Schallenberg hin- 677 Ebd., S. 200. <?page no="177"?> 178 Eckehard Czucka gegen sechs, von Höck drei“, macht auf ein tatsächlich vorhandenes Ungleichgewicht, aber v. a. auf ein bislang nicht bedachtes Paradoxon aufmerksam: Die Anthologien spiegeln den Forschungsstand. Völlig außer Acht bleiben dabei die tatsächliche Wirkung und Nachwirkung: Die Dichterkomponisten wurden sehr stark rezipiert, Schallenberg und Höck jedoch erfuhren zu ihrer Zeit und von ihrer Nachwelt kaum Beachtung. Die Frage ist berechtigt, ob ihre Bevorzugung durch die Germanistik nicht etwa mit der Verfügbarkeit ihrer Dichtung zu tun hat; von Haßler und Haußmann, ebenso von Regnart und auch dem Thomaskantor J. H. Schein liegen keine Texteditionen vor. Die Verbindung eines lyrischen Textes mit Musik jedenfalls kann für sich genommen kaum der Grund für den mangelnden Kunstcharakter sein, auch wenn dies immer wieder ins Feld geführt wird. 678 Hinweise auf den akzeptierten literarischen Wert der Gedichte Simon Dachs, Paul Gerhardts, Johann Rists, David Elias Heidenreichs, Paul Flemings, die alle „zuerst im Zusammenhang mit Kompositionen zum Druck“ kamen, sind bedenkenswerte Gegenbeispiele. Ein schöner Fund gelingt Scheitler, wenn sie die Bedeutung der Wendung in Capitel 14, Strophe 14 „Du kommst aus Flandern“, die „auch bei Theobald Höck, Hans Sachs, Christian Weise und noch bei Goethe als Wortwitz gebraucht“ wird, unter Beiziehung des Grimmschen Wörterbuchs beibringt: „du bist flatterhaft, du bist treulos“. Man vergleiche damit beispielsweise die sich auf Silbenzahl und Quellenbelege beschränkenden Belege, die Hanson registriert. 679 III.4.4 Literaturgeschichten und Handbücher Die Literaturgeschichtsschreibung nach 1945 schließt offenbar nahtlos an den ‚Boom‘ der Hock-Forschung in den 1940er Jahren an, manchmal so, dass geradezu die Wege der Überlieferung nachzuverfolgen sind, wie etwa im Fall Martinis. Strich in: Boesch (Hrsg.) 1946 Nur eine knappe Erwähnung findet Hock bei Strich. Der sieht im Blumenfeld am Anfang des Jahrhunderts einen Vorverweis auf „die gegenreformatorische Botschaft der vanitas und des memento mori“, die dann im Krieg die sinnfälligste Bestätigung finde. 680 678 Ebd., S. 203. 679 Blumenfeld (Hanson), S. 384, S. 387f. 680 Fritz Strich: Der Barock. In: Bruno Boesch (Hrsg.): Deutsche Literaturgeschichte in Grundzügen. Die Epochen deutscher Dichtung in Darstellung von L. Beriger, A. Bettex, B. Boesch, W. Birkhard, E. Ermatinger […]. Bern und München 1946, S. 140-168, hier S. 153. <?page no="178"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 179 Fricke 1949 Fricke perspektiviert sein Barock-Kapitel schon durch die Überschrift: Die Erneuerung der deutschen Literatur durch Opitz und das Jahrhundert des deutschen Literaturbarocks . Für die Zeit vor Opitz nennt er die Neulateiner (Schede-Melissus, Lobwasser) und das Gesellschaftslied; Regnart, Hassler und Schein zählt er zu den Musiker-Poeten, für die der Liedtext mehr um der Melodie willen geschaffen wurde, […] eine andere Gruppe, die aus rein poetisch-literarischem Interesse auf eine deutschsprachige Hoch- und Kunstlyrik hinstrebt, knüpfe an „italienische und französische Vorbilder an, vor allem an den französischen Lyriker Ronsard und seinen ‚Die Plejade‘ genannten Kreis.“ Diese Zuordnung wird in der Forschung wohl gesehen, ist hier aber wohl bis zur Irreführung verkürzt. Denn wohl mit Grund führt Jónácsik Ronsards „weiter derivierten Petrarkismus” (Anm. 586) an. Hier folgen noch wenige Zeilen zu Biographie und Werk: Theobald HÖCK, als Sekretär verschiedener Fürsten und schließlich Kaiser Rudolfs II. ganz im höfischen Lebenskreise zu Hause, läßt 1601 eine Gedichtsammlung unter dem Namen Schönes Blumenfeld erscheinen. Worauf es ihm bei seinen oft noch hölzernen und auch inhaltlich vielfach noch didaktisch-satirisch gerichteten Versuchen ankommt, sagt ein Vers: [Capitel 19, Strophe 6] 681 Die Konstruktion einer Karriere als Sekretär stellt erweisliche Fakten auf den Kopf, die Kennzeichnung des Werks wird auch da, wo Vertretbares erwähnt wird, diesem nicht gerecht. Warum Hock „[k]ünstlerisch wie menschlich“ gegenüber Weckherlin herabgesetzt werden muss, bleibt unerfindlich. Martini 1949 Explizit rekurriert Martini im Vorwort auf die Nachkriegssituation, in der seine einbändige Literaturgeschichte nicht mehr sein will als ein sachlich orientierender Grundriß, vor allem dazu bestimmt, dem nach der Vernichtung so vieler Bibliotheken in Deutschland heute doppelt fühlbaren Mangel an knapp und zuverlässig unterrichtenden, jedermann zugänglichen Handbüchern abzuhelfen. 682 681 Gerhard Fricke: Geschichte der deutschen Dichtung. Tübingen 1949, S. 82. 682 Fritz Martini: Deutsche Literaturgeschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Stuttgart 1949 [Kröners Taschenausgabe 196], S. VII. <?page no="179"?> 180 Eckehard Czucka In dem Kapitel X Die Dichtung im Zeitalter des Barock entwickelt er, nach einer bloßen Nennung Haßlers, eine Relation zwischen Schein und Hock, dessen Absichten - wie es die communis opinio will - durch Opitz realisiert werden: […] der Musiker Johann Hermann Schein (1586-1630) ließ das Lied und seine Musik aus einer Einheit entstehen und gewann eine graziös-bewegliche Sprachkunst. An die Stelle schlichter Gefühle trat jetzt bei ihm ein gesellschaftlich geziertes und reflektiertes Kunstverlangen. Das Schöne Blumenfeld (1601) des Pfälzers Theobald Hock (1573-1658) versuchte nun, diese neue Kunst mit dem sittlich-patriotischen Geist des 16. Jahrhunderts zu vereinigen. Seine nicht umfangreiche Gedichtsammlung zeigt das zähe, mühsame Ringen eines ehrlichen, biedermännischen Ernstes mit einer noch schwierigen Eleganz der Form. Durch Martin Opitz wurden diese Bemühungen in einer klar durchdachten und souverän beherrschten Kunstform zu voller Reife gebracht. 683 Die Einschätzung der Person und Persönlichkeit Hock schreibt sich seit Hoffmann von Fallersleben durch die Literaturgeschichten fort, ebenso findet sich 1658 als Todesjahr (Anm. 849). Prang 1950 Prang, der sich als Schüler u. a. von Gundolf und Petersen einführt, legt in der frühen Nachkriegszeit eine knappe, nur in kleiner Auflage erschienene Literaturgeschichte vor, 684 die ausdrücklich „in erster Linie für Studenten gedacht“ ist, aber auf „ein wissenschaftliches Literaturverzeichnis und Quellennachweise […] bewußt verzichtet.“ 685 Zentriert ist die Darstellung auf den Dreißigjährigen Krieg als epochemachendes Ereignis und sieht durch „die politische Abhängigkeit vom Ausland […] teilweise volksfremde Einflüsse“, „so daß sich eine Nachahmungssucht fremdländischer Themen und Formen geltend macht.“ (Auf das Vokabular sei hingewiesen, dessen Einordnung der Germanistikgeschichte überantwortet sei.) Ebenso stellt die Literaturgeschichte auf Opitz ab, von dem aus gesehen die Früheren als Vorläufer erscheinen, „die noch stark dem Geist des 16. Jh. angehören“. Das Bemühen um einen neuen Stil sei „nach der Formvernachlässigung der Reformationszeit bereits ein Anzeichen für einen neuen Stilwillen, der sich zunächst auf dem Gebiet der geistlichen und weltlichen Lieddichtung“ zeige. Nach einem Hinweis auf Schede-Melissus und Lobwasser bleiben für Hock die beiden Sätze: 683 Ebd., S. 138. - In der Ausgabe von 1961 heißt es dann Kunstbedürfnis statt Kunstverlangen . 684 Helmut Prang: Geschichte der deutschen Literatur im Grundriss. 1.-3. Tsd. Bamberg 1950 [Vermächtnis und Aufgabe Reihe B 1]. 685 Ebd., S. 3. <?page no="180"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 181 In der weltlichen Lieddichtung, die an italienischen Vorbildern, besonders an Petrarca, geschult war, fällt das Schöne Blumenfeld des Theobald Höck auf, der seine Sammlung 1601 unter dem Anagramm Otheblad Oeckh veröffentlichte. Hier herrscht eine naive und volksliedhafte Frische in z. T. durchaus volkstümlichen Formen. 686 Das ist knappste Information über Ansichten, die von Hoffmann von Fallersleben, Erlach, Köster u. v. a. m. vertreten worden sind, die aber keine weiteren Hinweise zur Forschungsgeschichte bereitstellen. Newald 1951 Newald behandelt Hock in dem von ihm verfassten Band 5 der Geschichte der deutschen Literatur , 687 der dann bis zur letzten, dem Nachdruck der 6., verbesserten Auflage 1975 unverändert erscheint und 2008 durch eine Neuausgabe ersetzt wird (Anm. 730). - Knappen biographischen Angaben folgt eine literaturgeschichtliche Einordnung, die den „Übergang vom Meisterlied zu romanischer Formgebung“ erkennt und die Beziehung zu Schallenberg erwähnt. Erwogen werden verschiedene Einflüsse auf Hock: Er mag die gespannte Atmosphäre in Böhmen vor Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges gefühlt haben. Die Stimmung in seinen Gedichten schwankt zwischen stoischem Bekennertum und petrarkistischem Weltschmerz aus Enttäuschung über Hofdienst und Liebe. Es ist schwer zu sagen, ob er dem Vorbild und der Konvention verfällt oder ob er „Erlebnislyriker vom Schlage der großen Kämpferseelen“ ist. Frische und Leidenschaft allein machen den Dichter nicht aus. 688 Mit der Wendung vom „Erlebnislyriker“ zitiert er ohne Nachweis eine von Cysarz (Anm. 312) benutzte Formel. Gespür für die Probleme der Hock-Forschung zeigt Newald in der abschließenden Bemerkung: Um Hock erfassen und würdigen zu können, müssen erst philologische Fragen geklärt werden: Welchen Anteil an den schlecht überlieferten Texten hat die Offizin, in der sie gedruckt wurden? Verleugnet Hock seine Heimatmundart und hält er sich wirklich schon an das reine Ostmitteldeutsche? Es wäre mehr als sonderbar, wenn er dies getan hätte, da Heidelberg noch immer geistiges Zentrum war und das Ostmitteldeutsche erst durch Opitz die deutsche Dichtersprache mit Beschlag belegte. 689 686 Ebd., S. 87. 687 Richard Newald: Die deutsche Literatur vom Späthumanismus bis zur Empfindsamkeit. 1570-1750. München 1951 [Helmut de Boor und Richard Newald (Hrsg.): Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart 5], S. 42f. 688 Ebd., S. 43. 689 Ebd. <?page no="181"?> 182 Eckehard Czucka Die Überlegungen zu Hocks Sprache können auch ohne explizite Bezugnahme als Widerrede zu Jellineks Abhandlung Theobald Hocks Sprache und Heimat (Anm. 248) verstanden werden. Frenzel 1953, 1962 Von der 1953 erstmals bei Kiepenheuer und Witsch erschienenen Literaturchronologie Daten deutscher Dichtung 690 gab es zwei weitere, jeweils verbesserte und vermehrte Auflagen; 1962 erschien dann die Lizenzausgabe im Deutschen Taschenbuch-Verlag, die weiteste Verbreitung erfuhr, so dass es zeitweise nötig wurde, Studenten darauf hinzuweisen, dass es neben den bei Frenzel verzeichneten Texten noch weitere Primärtexte gibt, die der akademischen Bemühungen wert sind (vgl. dazu Schmitt Anm. 500). Hock ist in der 1. Auflage 1953 nicht verzeichnet. Die 2. und alle weiteren Auflagen nennen ihn, aber in der Epochenübersicht wird er nicht als ein wichtiger Autor aufgeführt. Seit der 2. und 3. Auflage werden unter dem Erscheinungsjahr des Blumenfelds 1601 als Lebensdaten angegeben: „Ende 16. Jh. bis 1658“. 691 In späteren Auflagen wird das Geburtsjahr 1573 richtig genannt, während bis in die neueste Auflage hinein - heute singulär in der Literatur - als Todesjahr 1658 angegeben wird. Es folgen ein knapper Themenkatalog, Hinweise zum Stil und zur Rezeption, die unverändert bleiben: Gedichte über Leben und Tod, Liebe und Mühsal des Daseins. Volkstümliches Sprachgut, mitunter vom Dialekt gefärbt. Persönlich Erlebtes an Stelle der üblichen allgemeinen Reflexionen. Zurückgreifen auf Metrik des Minnesangs. Einzelgänger ohne Einfluß und Nachfolge. Von Hoffmann von Fallersleben wiederentdeckt. 692 Faber du Faur 1958, 1969 In einer persönlichen Reminiszenz an seinen Doktorvater Faber du Faur 693 charakterisiert Spahr dessen Bestandsverzeichnis German baroque literature 694 : Es sei mehr als ein Katalog, da nach Trends, Bewegungen oder Tendenzen im deut- 690 Herbert A. Frenzel (Hrsg.): Daten deutscher Dichtung. Chronologischer Abriss der deutschen Literaturgeschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart. Köln und Berlin 1953. 691 H[erbert] A. und E[lisabeth] Frenzel: Daten deutscher Dichtung. Chronologischer Abriß der deutschen Literaturgeschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart. 2., verb. und verm. Aufl. Köln und Berlin 1962, S. 87. 692 Ebd. Aber so auch in der Ausgabe München 1962, Bd. I: Von den Anfängen bis zur Romantik, S. 129. 693 Spahr: Legacy (Anm. 110), S. 195-209. 694 Curt von Faber du Faur: German baroque literature. A catalogue of the collection in the Yale University Library. 2 Bde. New Haven/ CT 1958-1969. <?page no="182"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 183 schen 17. Jahrhundert organisiert. Diese Gliederung verbinde eine traditionelle Herangehensweise mit einer ganz eigenen neopositivistischen Aussage. 695 Der Einschätzung „neo-positivistisch“ kann nicht widersprochen werden, und sie bereitet gut auf die Behandlung Hocks vor. Nachdem Faber du Faur schon in seiner Barockanthologie 1936 (Anm. 792) Hock behandelt hatte, kommt er in dem Verzeichnis an zwei Stellen auf Hock zu sprechen, der im Vergleich zu anderen Autoren als negatives Beispiel dienen muss. In dem Abschnitt über Musiker-Poeten ( The Musician-Poets ) gibt Faber du Faur zu Regnart eine biographische Skizze sowie eine Titelaufnahme des in Yale vorhandenen Exemplars der Neuen deutschen Lieder Regnarts (Nürnberg 1586). Im Anschluss vertritt Faber du Faur die Auffassung, dass die Musiker-Poeten ihre Texte selbst geschrieben hätten und gibt als Begründung an, dass - entgegen einer in der musikwissenschaftlichen Forschungsliteratur vertretenen Meinung - kein Höfling oder Gelehrter in Prag in der Lage gewesen sei, Verse so glatt und melodisch wie Regnart zu schreiben. Das belegt er mit einem Verweis auf die archaischen und primitiven Verse Hocks, den er am Kaiserhof in Prag verortet. 696 In dem zweiten Katalogband steht bei den von Opitz beeinflussten Autoren ( The Realm of Martin Opitz ) Christian Brehme (1613-1667) zur Diskussion. Nach den standardmäßigen Auskünften zu Leben und Werk lautet die literaturgeschichtliche Zuordnung: er sei zwar kein Petrarca-Anhänger, sondern eher ein versierter Nachfolger Hocks, und, obwohl „unendlich talentierter [sic! ] und besser ausgebildet“ als dieser, behalte er eine Spur von Urtümlichkeit. 697 Die Rede vom Hock-Nachfolger dürfte - bei allem Positivismus des Ansatzes - nicht mehr als eine façon de parler im Sinne einer Geistesverwandtschaft im Misslingen sein. Wilpert 1963 Wilpert gibt im Autorenteil seines Lexikons 698 einige biographische Hinweise zu Hock; das Todesjahr gibt er - eher vage bleibend - mit „nach 1618“ an; die Auskunft, er sei „als Oberst in der Armee verschollen“, beruht wohl auf einer 695 Spahr: Legacy (Anm. 110), S. 198: „More than a catalogue, it is organized according to trends, or movements, or tendencies in the German seventeenth century, an organization which combines a traditional approach with a neo-positivistic statement all his own.“ 696 Faber du Faur: Literature (Anm. 694), Bd. I, S. 3: „The archaic and primitive strophes of Theobald Höck, who had lived at the emperor’s court at Prague and whose book of poems appeared in 1601, proves the contrary.“ 697 Ebd., Bd. II, S. 28: „[…] he is not a follower of Petrarch but rather a very accomplished successor of Theobald Höck. Though infinitely more talented and better educated, he retains a trace of earthiness.“ 698 Gero von Wilpert: Lexikon der Weltliteratur. Biographisch-bibliographisches Handwörterbuch nach Autoren und anonymen Werken. Stuttgart 1963, S. 602. <?page no="183"?> 184 Eckehard Czucka Erwähnung bei Mareš. 699 Ferner gibt er den überraschenden, aber nicht belegten Hinweis, Hock sei „als Vagant oder Soldat an den Hof Kaiser Rudolf [sic! ] II. nach Böhmen verschlagen“ worden. Zur literarischen Einordnung des Blumenfelds , dessen Ausgaben von Koch und - in den Auflagen nach 1975 - die von Hanson genannt werden, teilt er mit: Vorbarocker weltl. Lyriker mit bekenntnishaft moralisierenden, betrachtenden Gedichten in Formen des 16. Jh. [sic! ] mit roher Metrik, wenig geschmeidiger, volkstüml. Sprache und reicher Verwendung sprichwörtl. Redensarten. Im Bemühen um e. Reform der dt. Dichtung Vorläufer von Weckherlin und Opitz. Als Sekundärliteratur werden nur die beiden aus den 1930er Jahren stammenden Dissertationen von Fleischmann (Anm. 396) und Senger (Anm. 21) genannt. Kohlschmidt 1965 Im zweiten Band der Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen zur Gegenwart stellt Kohlschmidt 700 in ziemlich einzigartiger Weise Hock frei von Beziehungen zu Opitz, die schon wegen der Lebens- und Werkdaten auszuschließen ist: Aus der Zeit vor dem großen Kriege ist vor allem sein Name [Weckherlin] zu verzeichnen, neben einer noch älteren Gestalt des Übergangs, die Opitz nichts zu verdanken hat. Es ist dies der Pfälzer Theobald Hoeck (1573 bis nach 1618) […] 701 Knapp streift er Biographisches, da Hocks „unbürgerliches und unstetes Leben nur undeutlich vor uns liegt. Sein Kriegsdienst nach 1618 ist noch bezeugt.“ An Hocks Texten hebt er deren Zwiespältiges hervor mit einem skeptischen Blick auf Sprachreformerisches: Hoecks Gedichtsammlung Schönes Blumenfeld (1601) gehört ebensowohl zum Abschluß des vergangenen Jahrhunderts wie in die Anfänge der Barockzeit. Es kann sein, daß man ihre Modernität teilweise überschätzt hat. In der Tat hat manches den Charakter des vergangenen Gesellschaftsliedes, auch in der Sprache, die das meistersingerliche Erbe noch nicht abgeworfen hat, obwohl sie deutlich von ihm fortstrebt. Neben der Feier eines ungebundenen ‚Freiherren‘-Lebens, die dem Vaganten und Soldaten nahe genug liegen mochte, findet sich hier und da schon ein Anklang barocker Vergänglichkeitsschwermut. 699 Franz Mareš: Der deutsche Dichter Theobald Hock in Rosenbergischen Diensten. In: Anzeiger der böhmischen Akademie [Ceskoslovenska akademie ved Vestnik] 13 (1904), S. 147-163, S. 247-263, hier S. 256. 700 Werner Kohlschmidt: Geschichte der deutschen Literatur vom Barock bis zur Klassik. Stuttgart 1965 [Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart 2/ Reclam Universal-Bibliothek 10024]. 701 Ebd., S. 39. <?page no="184"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 185 Diesen Bezug belegt er mit Überlegungen zu Thema und Sprache in der Eingangsstrophe des Capitels 27 ( All ding zergengklich höre mich doch ): All Kreatur, Die Element, Ja die Natur, Das Firmament Eilet zum End’. Aber wirkt dieser Eingang des Gedichtes (auch rhythmisch) mit seinen Kurzversen dem Inhalt wie der Form nach frühbarock, so findet man in demselben Gedicht daneben auch noch meistersingerlich Volkstümliches. Zwischen diesem und Einflüssen höfischer Galanterie einschließlich des romanischen Fremdwortes schwanken Hoecks Gedichte. Sein Lebensgefühl ist vielleicht schon eher frühbarock als seine Sprache, obwohl er sie, manchmal auch im Rhythmischen, romanischen Einwirkungen öffnet. Im übrigen ist einiges davon auch Humanistenerbe. Vorwärtsweisend bleiben auf jeden Fall frühsubjektive Ansätze, von der eigenen Lebenserfahrung gespeist, wie in dem schon genannten Frei von Lieb ein Freiherr , wo er äußere und innere Freiheit nach Überwindung des ‚Galanisierens‘ wie des irdischen Besitzes in Gott findet. 702 Kohlschmidts Versuch, biographische Leerstellen (‚Vagant und Soldat‘) frei phantasierend zu füllen, scheint angesichts der einlässlichen Auseinandersetzung mit einem Textauszug, die immerhin auf Subjektivität und Erfahrung als Positionen der Hockschen Lyrik aufmerksam macht, verzeihlich. Neumann 1966 Kurzes Federlesen macht Neumann in seiner Geschichte der altdeutschen Literatur , deren achtes Kapitel dem Zeitalter der Reformation gewidmet ist, an dessen Ende er die Anfänge neuer Lyrik 703 würdigt, die er aber nicht goutiert: Zur Jahrhundertwende! Eine Einschränkung stehe am Anfang. Wir wollen die Gedichte nicht überschätzen, die der 1573 geborene Rheinpfälzer Theobald Hoeck 1601 unter einem Decknamen von Böhmen aus veröffentlicht, um in ihnen das „beste Wissen“ aus den Ärgernissen der Welt herauszuholen. Uns geht hier nicht das verwegene Leben Hoecks an, das aber dann doch mit wenigen Details aufgerufen wird und die literarische Qualität verbürgt. 702 Ebd. 703 Friedrich Neumann: Geschichte der altdeutschen Literatur (800-1600). Grundriß und Aufriß. Berlin 1966, S. 352-356. <?page no="185"?> 186 Eckehard Czucka Die wohl schnell hingeworfenen Gedichte seiner Sammlung „Schönes Blumenfeldt“ verbinden die Form volkstümlicher „Singlieder“ mit prosaischer Meistersingersprache, die schon etwas von „galantem“ Wortschatz ins Lyrische einläßt. Zwar bemüht sich der Belesene, der Antikes und Romanisches kennt, durch Kunstgesetz das zu bauen, was er ein „deutsches Carmen“ nennt. Aber echt sind seine Verse nur dort, wo sie biographischer Lebensspiegel sind. 704 Wie andere auch stellt Neumann Weckherlin in Gegensatz zu Hock, der letzlich als schlechtes Gegenbild aus der Vergangenheit zu dienen hat, wie es in einer verqueren Metaphorik, die Zeit in Raum überführt, ausgedrückt wird: Wie sehr er im Vergangenen bleibt, erkennt man gut, wenn man einen Lyriker heranzieht, der in Verbindung mit der Heidelberger Gruppe die Welt des 16. Jahrhunderts verlassen hat. Wie sich auch sein Werk von einer neuen Zeit her ausnehmen mag, seine Anfänge machen erkennbar, wo wir die Grenzpfähle erreichen, jenseits derer sich Neuland öffnet. 705 Haller 1967 Auch Haller stellt in seiner Lyrikgeschichte Hock als eine in den Anfängen einer neuen Kunstdichtung (sein Kapitel 2) „isoliert stehenden Erscheinung“ 706 vor, die im Vergleich mit Schein 707 weder dessen Übermaß an Diminutiv-Formen zeige noch thematisch wie funktional dem gesellschaftlichen Charakter der Liedkunst entspreche. - Biographisch siedelt Haller das Blumenfeld dezidiert in einer Zeit an, die „noch vor dem Eingreifen in die politischen Wirren“ 708 liegt und vermeidet so irreführende Assoziationen zwischen dem Blumenfeld und historisch-politischen Ereignissen, wie sie etwa bei Hoffmann von Fallersleben (Anm. 48), Stern (Anm. 121) oder Prang (Anm. 686) behauptet oder insinuiert werden. Haller ist wohl der Erste, der - wenn auch nur ex negativo - dem Titel eine Bedeutung abzugewinnen versucht: Trotz des Titels Schönes Blumenfeld sproßt darin keine anmutige Liebes- und Schäferpoesie. Es enthält Erfahrungsgedichte eines durch Ehrgeiz, moralischen Sinn, Partei- und Nationalgefühl erregten Weltmannes. 709 704 Ebd., S. 354f. 705 Ebd., S. 355. 706 Rudolf Haller: Geschichte der deutschen Lyrik vom Ausgang des Mittelalters bis zu Goethes Tod. Bern 1967 [Sammlung Dalp 101], hier S. 54. 707 Ebd., S. 52f. 708 Ebd., S. 54. 709 Ebd. <?page no="186"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 187 Der Hinweis auf „Erfahrung“ als Ausgangspunkt des Dichtens liefert auch eine Kategorie für die Analyse, die von hier ausgehend weiter zu verfolgen wäre. Auch wenn „Erfahrung“ offensichtlich nicht mit biographischem Erleben gleichgesetzt wird, konstatiert Haller, dass „die für die neue Dichtung typische Distanzhaltung“ fehle und Hock seine Reflexionsdistanz („Impuls“ nennt er das) als „Rügedichter“ in der Tradition des 16. Jahrhunderts (Hans Sachs) gewinne und sich deshalb nicht „in das vorbarocke Schrifttum“ einfügen lasse. Gleichwohl sieht er bei Hock den kritischen Anspruch realisiert: Allerdings äußert sich dieses Engagement auf didaktische und satirische Weise. Hock selbst nennt seine Spruchgedichte Satiren, gibt ihnen erklärende Überschriften und numeriert sie mit der Bezeichnung Kapitel. Solche Überschriften lauten: „Die Welt will stets Newzeitung hören“, „Venus und Mars gehören zusammen“, „Dienst, Krieg und Lieb, das sein drei Dieb“ oder „Drei Lehr des weisen Römers Catonis“. Wenn Hock etwa vor dem Hofleben warnt, meint er es ernst mit solchen Mahnungen; sogar Sprichwörter werden von ihm als Argumente benutzt. 710 Man könnte die Auswahl der Überschriften für eigenwillig halten, aber in ihnen eventuell auch einen Hinweis auf lohnende Stellen für weitergehende Analysen und Interpretationen vermuten. Zu dem Capitel 88 ( Von vrsprung der Deutschen Sprach ), das Haller als nach „Thema und Form meistersingerisch“ beurteilt und dessen Aventin-Bezug (wie in allen Capiteln 85 bis 92) verschiedentlich diskutiert wird, gibt er einen vermutlich belastbaren Hinweis auf die Textkonstitution, wenn denn „der versifizierte Prosa-Rohstoff im Gedicht“ 711 nicht nur thematisch und formal, sondern gattungskonstituierend, etwa im Sinne des Lehrgedichts, gelesen würde. Das Capitel 19 ( Von Art der Deutschen Poeterey ) ist für Haller nur von „kulturhistorischem Interesse“ und als Vorwegnahme der Opitzschen Gedanken bedeutend. 712 - Doch sieht Haller auch Hocks Beziehungen zu zeitgenössische Neuerungen: An anderen Gedichten merkt man jedoch, daß Hock auch vom neuen Stil Kenntnis hat. Wahrscheinlich erreicht ihn der Einfluß Regnarts über Schallenberg. Liebeslieder stehen zwar nicht im Schönen Blumenfeld , wohl aber wird die Liebe satirisch behandelt in der Absage „Unglück tut die Augen auf “. Dort findet sich eine Anlehnung an den Refrain aus Regnarts berühmtem Venuslied, von dem Hock mindestens eine Nachschöpfung gekannt haben muß. 713 710 Ebd. 711 Ebd. 712 Ebd., S. 55. 713 Ebd., S. 54. <?page no="187"?> 188 Eckehard Czucka Doch bleiben nach seinem Eindruck die „Einflüsse der neuen Liedform […] in der Strophenbehandlung […] äußerlich und vermögen auf Thema und Art dieser Gedichte nicht einzuwirken“, so dass Hocks Lyrik „unmodern“ und in die Nachfolge von Brant und Sachs einzuordnen sei, da „er in seinen ungeschlachten Versen die Zierlichkeit der neuen Schäferpoesie nicht erreicht“. Einen Grund dafür sieht er in der Persönlichkeit Hocks: ihn hindere „daran auch sein ernst gestimmter Charakter, der das ungeschminkte Sprechen vorzieht und durch das Scheinhafte der neuen Poesie nicht verlockt werden kann.“ Unter dieser Prämisse kann er Hocks wiederholte Wendung gegen das Galanisieren der höfischen Liebesschule - erstmals in der Forschungsgeschichte - nachvollziehbar kontextualisieren. 714 NDB 1972 Der Artikel 715 folgt den strengen Formalisierungen der NDB. Nach den Lebensdaten wird unter dem Rubrum Genealogie der Bruder Anastasius genannt, nicht aber der für Hocks Schicksal ungleich wichtigere Hans Hock. Unter Leben werden die nachweisbaren Daten erläutert; für die nicht dokumentierte Zeit zwischen 1589-98, also zwischen dem Verlassen der Schule und dem Auftauchen in Prag, wird die Vermutung wiedergegeben: „unternahm er vermutlich Reisen, um seine Kenntnisse lebender Sprachen zu erweitern.“ Nicht verzichten will Derks auch auf die Wiedergabe von Brauers (Anm. 20) Beurteilung der Person: „Seine politische Haltung war im Grunde charaktervoll, mit einem kleinen Hang ins Konspiratorische (Brauer).“ Zur Literatur wird knapp vermerkt: Seine Gedichtsammlung „Schönes Blumenfeldt“ umfaßt moralisierende und belehrendreflektierende [sic! ] Gedichte mit satirischen Betrachtungen menschlicher Torheiten. Als Dichter gehört H. zu den Renaissanceliteraten, die, wie etwa Paul Melissus Schede, die deutsche Gesellschaftsdichtung auf das Niveau der neulateinischen und außerdeutschen Lyrik heben wollten. Opitz hat mit seinen Neuerungen der Verssprache und -metrik diese Versuche in Vergessenheit geraten lassen. Die Literaturangaben nennen neben den Arbeiten Kösters (Anm. 11) und Jellineks (Anm. 11; 248) die Untersuchungen zur Biographie von Brauer (Anm. 20) und Uflacker (Anm. 484) und referieren mit dem Hinweis „überholt“ auf die Vorgängerfassung in ADB 1880 (Anm. 118) 714 Ebd., S. 55. 715 Paul Derks: „Hock von Zwaybruck, Theobald“. In: Neue Deutsche Biographie 9 (1972), S. 295f. URL: http: / / www.deutsche-biographie.de/ pnd129212822.html (zuletzt abgerufen am 30. März 2018). <?page no="188"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 189 Wehrli 1980 Eine späte Begründung, warum Max Wehrli in seine 1945 veranstaltete Anthologie barocker Lyrik 716 Hock nicht aufgenommen hat, liefert die Literaturgeschichte von 1980. 717 Schon am Beginn des Kapitels über die Neue deutsche Lyrik der Reformationszeit nähert er sich ausgesprochen kritisch Hocks Blumenfeld („Gedichtsammlung mit dem preziös-programmatischen Titel“ 718 ), stützt jedoch sein Verdikt ausschließlich auf den Wortlaut des Capitels 19, Strophe 6. Der Verfasser setzt damit voraus, daß es ein deutsches Carmen, ein literaturfähiges Gedicht in der Volkssprache nicht gebe, und er postuliert ohne einen Blick zurück „gwisse Form vnd Gsatz“ dafür, schon aus Gründen des Nationalstolzes. Wie recht er in seinem Falle hat, belegt er selbst: Er bedient sich einer schwer durchschaubaren Metrik, die zusätzlich durch nachlässigen Druck verunklärt ist, nur teilweise ohne Verletzung des natürlichen Akzents als Vers ins Ohr fällt; die Sprache ist mundartlich, unsicher, „unpoetisch“, die Behandlung der Endsilben willkürlich. Offenbar ist eine Strophe angestrebt, die den üblichen Viertakter vermeidet und mindestens in den ersten zwei Zeilen einen ausholenden jambischen Fünftakter bringt. 719 Wehrli stellt ein Übergewicht der Überlegungen zur Vers- und Reimkunst zuungunsten der zum Gehalt fest. Den Abstand zu dem Gelingen neuer Lyrik bemisst er nach Jahren: 15 bis zu Weckherlin und 23 bis zu Opitz. Auch fehlendes historisches Bewusstsein bei Hock wird angemerkt: „Dennoch sind die Versuche, mit Hilfe lateinischer, italienischer und französischer Muster einen neuen deutschen Stil zu entwickeln, schon älter, als Hoeck weiß.“ 720 Kühlmann 1981, 1990 Kühlmann 1981 In seiner Miszelle 721 korrigiert Kühlmann die Vermutungen, Hock sei zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges bei den Kämpfen in Böhmen ums Leben gekommen, und kann nachweisen, dass Hock 1622 noch lebte und sich am Oberrhein aufhielt. 716 Max Wehrli: Deutsche Barocklyrik. Klosterberg und Basel 1945. Dann: Zürich 1977 [Manesse Bibliothek der Weltliteratur]. 717 Max Wehrli: Geschichte der deutschen Literatur vom frühen Mittelalter bis zum Ende des 16. Jahrhunderts. Stuttgart 1980 [Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart 1/ Reclam Universal-Bibliothek 10294], S. 1088f. 718 Ebd., S. 1088. 719 Ebd., S. 1088f. 720 Ebd., S. 1089. 721 Wilhelm Kühlmann: Vom Weiterleben eines Verschollenen. Theobald Hock als ‚Commissarius‘ Ernst von Mansfelds am Oberrhein. In: Wolfenbüttler Barock-Nachrichten 8 (1981), S. 189. <?page no="189"?> 190 Eckehard Czucka Kühlmann 1990 Eine Gesamtübersicht, die verlässlich den Stand der Forschung wiedergibt, liefert Kühlmann dann 1990 in einem ebenso detailwie kenntnisreichen Lexikonartikel. 722 Darin gibt er einen Überblick zu den belegten wie erschlossenen Stationen des Lebenslaufs und eine abgewogene, sich jeder Wertung enthaltende Darstellung der literaturgeschichtlichen Bedeutung des Blumenfelds . Die hier gegebenen Hinweise - u. a. der auf Hocks Kulturpatriotismus, der sich stütze „auf die Quellen humanistischer Nationalromantik (v. a. Aventin)“ - finden etwa bei Meid 2008 (Anm. 730) eine produktive Aufnahme. Meid 1983, 1986, 2008 Eine besondere Stellung in der Hock-Literatur um die Jahrtausendwende hat Volker Meid sich erarbeitet, der zwischen 1983 und 2008 an verschiedenen Orten zu dem Autor publiziert hat und dessen Einschätzung sich deutlich wandelt. Zu verzeichnen ist, dass er Hock weder in der von ihm herausgegebenen Sammlung von Gedichten und Interpretation 723 berücksichtigt noch in seinem Art. Lyrik in der Rowohlt-Sozialgeschichte der Literatur 724 behandelt. Meid 1983 Nur eine kurze Erwähnung findet Hock in Meids Kapitel zum 17. Jahrhundert als Beitrag zu Hinderers Lyrikgeschichte. 725 Dort taucht Hock auf als derjenige Autor, der die Umbruchsituation in der Literatur in Worte zu fassen versteht: Die Diskrepanz zwischen den volkssprachlichen Renaissanceliteraturen Süd- und Westeuropas und der noch weithin spätmittelalterlichen Mustern verpflichteten deutschen Verskunst war um die Wende zum 17. Jahrhundert unübersehbar geworden. Die Frage lag nahe, und Theobald Hock stellte sie etwas unbeholfen in seinem Gedicht Von Art der Deutschen Poeterey schon 1601. 726 Es folgt ein Zitat der Strophe 6 aus Capitel 19, das übergangslos an die nationale Argumentation des Martin Opitz in den Teutschen Poemata von 1624 angeschlossen wird. 722 Wilhelm Kühlmann: Art. Hock, Höck(h), Theobald. In: Walther Killy (Hrsg.): Literaturlexikon. Bd. V: Har-Hug. Gütersloh und München 1990, S. 375f. 723 Volker Meid (Hrsg.): Gedichte und Interpretationen. Renaissance und Barock. [Nachdr.] Stuttgart 1982 [Reclams Universal-Bibliothek 7890]. Bislang letzter Nachdruck 2011. 724 Volker Meid: Lyrik. In: Harald Steinhagen (Hrsg.): Deutsche Literatur. Reinbek bei Hamburg 1985 [Deutsche Literatur. Eine Sozialgeschichte 3], S. 367-384. 725 Volker Meid: Das 17. Jahrhundert. In: Walter Hinderer (Hrsg.): Geschichte der deutschen Lyrik vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Stuttgart 1983, S. 74-138, hier S. 78. 726 Ebd. <?page no="190"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 191 Meid 1986 In diesem Jahr erscheint derselbe Text Meids an zwei Orten, einmal in dem Metzler-Band Barocklyrik , 727 der 2000 neu gedruckt wurde und 2008 in einer 2., aktualisierten Neuauflage erschien, dann auch 1986 in der 2. (und in allen weiteren bis zur 7.) Auflage der von Beutin herausgegebenen Literaturgeschichte. 728 Der Text erörtert - konform mit den zu der Zeit aktuellen Ansätzen - die literatur- und sozialgeschichtlichen Voraussetzungen einer als Die deutsche Verspätung bezeichneten Diskrepanz zwischen der deutschen Literatur und der europäischen Renaissancepoetik: Zu Beginn des 17. Jahrhunderts, zu der Zeit, in der Shakespeares Meisterwerke entstanden, stellte der Sekretär eines böhmischen Magnaten eine Frage, die nicht nur ihn bewegte: Die Antwort gebe das Zitat aus Capitel 19, Strophe 6, das den Unterschied nicht nur thematisiere, sondern, „auch durch seine Unbeholfenheit, auf den unbefriedigenden Zustand der deutschen Dichtung um die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert“ verweise und das „die Diskrepanz zwischen den volkssprachlichen Renaissanceliteraturen Süd- und Westeuropas und der noch weithin spätmittelalterlichen Mustern verpflichteten deutschen Verskunst“ 729 belege. Übergangslos ist Meid dann bei Opitz und macht Hock (wie schon so oft in der Rezeptionsgeschichte) zu dessen unbeholfenem Vorläufer. Unübersehbar ist, dass sich die Argumentation von 1983 wiederholt. Meid 2008 Bei der Neuausgabe der de Boor-Newaldschen Geschichte der deutschen Literatur schrieb Meid den fünften Band, 730 der 1951 von Newald verfaßt worden war (Anm. 687). 727 Volker Meid: Barocklyrik. Stuttgart 1986 [Sammlung Metzler 227]. 728 Volker Meid: Literatur des Barock. In: Wolfgang Beutin (Hrsg.): Deutsche Literaturgeschichte: Von den Anfängen bis zur Gegenwart. 7., erw. Aufl. Stuttgart 2008, S. 101-147. In der ersten Auflage war das Barock-Kapitel von Bodo Lecke verfaßt worden, der nachdrücklich die Prinzipien der literatursoziologisch (sowie pragmalinguistisch) orientierten „kommunikativen Wende“ der Fachgermanistik umsetzte und seine Darstellung der Epoche mit dem Dreißigjährigen Krieg begann, bei der Hock fast zwangsläufig auszublenden war. Siehe Bodo Lecke: Literatur des Barock. In: Wolfgang Beutin (Hrsg.): Deutsche Literaturgeschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Stuttgart 1975, S. 84-107. 729 Meid: Barocklyrik (Anm. 727), S. 1. 730 Volker Meid: Die deutsche Literatur im Zeitalter des Barock. Vom Späthumanismus zur Frühaufklärung 1570-1740. [Neuausg.] München 2009 [Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart 5. Begr. von Helmut de Boor und Richard Newald], hier S. 105-107. <?page no="191"?> 192 Eckehard Czucka Die ausführliche Darstellung Hocks hat einen durchgängig positiven Tenor und stellt das Blumenfeld (Meid schreibt Blumenfeldt ) als „einen bewußten Versuch der literarischen Erneuerung“ und die „einzige wirkliche Gedichtsammlung“ in einer Zeit vor, in der „Liederbücher nach italienischer Manier die Regel waren“. 731 Dem Capitel 19 wird ohne weitere Einschränkungen ein programmatischer und in die Zukunft weisender Charakter zuerkannt, und überhaupt wird die Wahl der Vorbilder - wohl erstmals überhaupt und für weitere Untersuchungen als leitend zu empfehlen - als Kunstanspruch Hocks verstanden: An welchen anspruchsvollen Vorbildern sich dieses Plädoyer für eine moderne Kunstdichtung in deutscher Sprache orientiert, zeigt bereits das Eingangsgedicht „Vnglück thut die Augen auff“, eine siebenstrophige Paraphrase des Sonetts „Voi ch’ascoltate in rirne sparse il suono“, mit dem Petrarca seinen Canzoniere einleitet. 732 Einen großen Teil der Darstellung nimmt die Revison inhaltlicher Aspekte ein: gesehen werden im Werk Hocks „neben den petrarkistischen Gedichten religiöse, lehrhafte und satirische Texte vorwiegend reflektierender und moralisierender Art“ sowie ein Kulturpatriotismus, der auf der Geschichtsschreibung des Humanismus und ihren durch Tacitus geprägten Vorstellungen vom ‚deutschen‘ Altertum beruht. Aventinus’ Baierische Chronik (deutsche Fassung postum 1566) ist die Hauptquelle der historisch-patriotischen Gedichte am Ende der Sammlung. 733 Offensichtlich nimmt Meid - entgegen vielfach vertretener Ablehnung und im Anschluss an Kühlmann (Anm. 722) - den Schluss mit den Capitel 85 bis 92 als integralen Bestandteil einer Konzeption, die weitere Komponenten erkennen lässt: Angesichts dieser Haltung verwundert es nicht, daß satirisch-didaktische und zeitkritische Gedichte eine wichtige Rolle spielen. Maßstab ist dabei allerdings nicht nur die bessere „alte Welt“ der Vorfahren, sondern ebenso Hocks lutherisch geprägtes Christentum, das einfache praktische Sittenlehre mit der Aufforderung verbindet, an die Vergänglichkeit des menschlichen Lebens und die ewige Seligkeit zu denken, Vorstellungen, die durch das in der Zeit weit verbreitete Endzeitbewußtsein verstärkte Bedeutung gewinnen. 734 Meid erwähnt „z. T. recht kunstvolle eigene Strophenformen“ bei Hock, sieht aber trotz einiger „Anklänge an die ältere deutsche Dichtung, doch vorrangig 731 Ebd., S. 105. 732 Ebd., S. 106. 733 Ebd. 734 Ebd., S. 107. <?page no="192"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 193 […] die Orientierung an den europäischen Renaissanceliteraturen“. Thematisches zeige dennoch wie „die Vers- und Sprachbehandlung den Übergangscharakter des Werkes“. 735 Das Blumenfeld ordnet er als einen - wie auch Trunz (Anm. 447) „Privatdruck“ mit dem Druckort Brünn ein, der nur eine geringe Verbreitung gefunden habe und von dem nur vier Exemplare erhalten seien. 736 Nachdrücklich betont er die Einflusslosigkeit der Gedichtsammlung, „die man an den Anfang der Barockdichtung stellen könnte“ und die, obwohl sie „doch in die Zukunft“ weise, dennoch an „der weiteren Entwicklung der nationalsprachlichen Kunstlyrik […] nicht beteiligt“ gewesen sei. Sehr dezidiert stellt er in Übereinstimmung mit Trunz (Anm. 446), aber im Gegensatz zu Annahmen v. a. im 19. Jahrhundert fest, dass das Blumenfeld „den Reformern und den späteren Dichtern nicht bekannt“ gewesen sei. - Hocks Biographie resümiert er knapp und zutreffend: Das Schöne Blumenfeldt blieb Hocks einziges dichterisches Werk. […] Hock selbst griff nicht mehr in die poetologische Diskussion ein. Sein weiteres Leben bestimmte die böhmisch-pfälzische Politik. 737 Garland 1984 Gemäß dem Anspruch dieser Buchreihe, Allgemeinwissen in einem bestimmten Wissensbereich bereitzustellen, werden in knappster Form Hinweise zur Biographie, zu Inhalt und Form gegeben, die nicht sehr erhellend, aber auch nicht irreführend sind und die Leben-Werk-Relation als gängige Form von Literaturwissen bestätigen: HOCK, THEOBALD (? Limbach, Palatinate, 1573-after 1618), a man of classical education, was condemned to death in Bohemia as a result of a dispute over ecclesiastical rights, but was saved by the revolt in Prague which began the Thirty Years War (see DREISSIGJÄHRIGER KRIEG). He seems to have become an officer, though his later career is unknown. He wrote 92 poems which present a kind of conspectus of morals and suggest a transition to baroque style ( Schönes Blumenfeldt , 1601). 738 Bemerkenwert sind die vorsichtigen Formulierungen von Thema („a kind of conspectus of morals“ - eine Art Betrachtung der Moral) und Wirkung als Vorschlag eines Übergangs („suggest a transition to baroque style“ - die einen Übergang zum barocken Stil vorschlagen). 735 Ebd., S. 106. 736 Ebd., S. 105. 737 Ebd., S. 107. 738 Henry Garland/ Mary Garland: The Oxford companion to German literature. Oxford 1984, S. 391. <?page no="193"?> 194 Eckehard Czucka Dünnhaupt 1991 Während Dünnhaupt Hock nicht in die Hundert Personalbibliographien deutscher Autoren des siebzehnten Jahrhunderts 739 aufgenommen hatte, verzeichnet er ihn 1991. 740 Als Bibliographie bislang unverzichtbar. III.4.5 Kurze Erwähnungen Kohlschmidt (Hrsg.): Reallexikon 1965 - Cysarz, Richter, Schweikle Das Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte 741 von 1965 verzeichnet Hock in drei Artikeln, was als Beleg für eine gewisse Kanonisierung des Autors genommen werden kann. In dem Art. Gedankenlyrik hebt Cysarz den gelehrten Charakter der didaktischen und satirischen Dichtung hervor, die bei Opitz dem „Erzieherisch- Erbaulichen inniger zuneigt als kritischem Eifern“ und „horazisch-weltkluge“ mit „christlich-stoischer Weisheit“ kombiniert. Vorklänge sieht Cysarz bei Neulateinern wie bei Hock. 742 - Richter liefert in dem Art. Lehrhafte Dichtung eine Art Metaanalyse der Begrifflichkeit, in der es um definitorische wie historische Positionierung der Gedankenlyrik in der Lehrdichtung bei Cysarz 743 und anderen geht. Genannt werden Brant und Murner, Opitz und Theobald Hock, Logau und Abschatz, Weise und Rabener, Brockes und Haller, die als poetae minores eingeordnet werden: „Das wird zwischen den gedankenlyrischen Ansätzen größerer Dichter angesiedelt.“ 744 - Um die Bezeichnung für das Phänomens des Reims geht es Schweikle; im Gegensatz zu anderen Formulierungen stellt er die als mehrdeutig gelesene Umschreibung bei Theobald Hock ( Reime gleimen , 1601 [= Capitel 19, Strophe 10, Vers 1 und 2]) in Beziehung zu rîme lîmen (Gottfried, Tristan v.4716). 745 Sowohl der Hinweis auf das Metaphorische dieser Wendung wie der auf dessen Tradition möchten weiterführend sein. 746 739 Gerhard Dünnhaupt: Bibliographisches Handbuch der Barockliteratur. Hundert Personalbibliographien deutscher Autoren des siebzehnten Jahrhunderts. Stuttgart 1980 [Hiersemanns bibliographische Handbücher 2]. 740 Gerhard Dünnhaupt: Theobald Höck. In: ders.: Personalbibliographien zu den Drucken des Barock: Franck-Kircher. 2., verb. und wesentl. verm. Aufl. Stuttgart 1991, S. 2112- 2114. 741 Werner Kohlschmidt (Hrsg.): Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte. 4 Bde. Berlin 1965. 742 Herbert Cysarz: Gedankenlyrik. In: ebd., Bd. I, S. 526-531, hier S. 528. 743 Ebd. 744 Werner Richter: Lehrhafte Dichtung. In: ebd., Bd. II, S. 31-39, hier S. 33. 745 Günter Schweikle: Art. Reim. In: ebd., Bd. III., S. 403-420, hier S. 404. 746 Vgl. dazu Blumenfeld (Hanson), S. 269. <?page no="194"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 195 Barner 1970 In einem Exkurs 747 zum ‚Theatrum mundi‘ - Der Mensch als Schauspieler kommt Barner beim Thema der Illusion/ Desillusionierung auf den „Antagonismus von ‚Zunge‘ und ‚Herz‘“ als „Topos der Hofkritik im 17. Jahrhundert“ zu sprechen. Nur in einer Fußnote verweist er darauf, dass „Schon Theobald Hock, ‚Schönes Blumenfeldt‘, o. O. 1601 […] mehrfach darauf ab[hebt], z. B. in dem Gedicht ‚Von der Welt Hoffart vnd Boßheit‘ (S. 26): „Ohn Rew vnd Laide / Zu Hoff man jetzt verkehret / Wer schwetzen kan der wird auffs höchst geehret“. Ebenso beiläufig perspektiviert Barner (wohl als Erster) die Adressierung des Blumenfelds , „das sich laut Titel insbesondere an ‚Hoff-Practicanten‘ wendet.“ Hoffmeister 1973 In Hoffmeisters Fragestellung nach dem Petrarkismus in der Lyrik 748 spielt Hock nur in der Perspektive von Schwabe von der Heyde und von Simon Dach her eine Rolle. Dem Ersteren „gelingt es endlich […] das auch von Hock benutzte erste P.-Sonett formgerecht in Alexandriner zu übertragen (Druck 1617 in Opitz’ „Aristarchus“).“ 749 Dachs Umdeutung petrarkistischer Metaphorik „zum Preise ehelicher Liebe“ verbindet Hoffmeister mit einem Verweis auf Hock: „Diese Liebe hat ihren Ursprung in Gott, mit ihm hören alle Plagen auf (vgl. Nr. 95, S. 134f. mit Hocks cap. LXIII).“ 750 Die behauptete Beziehung zwischen Dachs Braut-Tanz 751 und Hocks Das Cupido kein Kindt sey bedarf sicherlich noch eines zweiten Blicks. Hager 1974 Die Dissertation von Hager zu Petrarca-Nachdichtungen und -Übersetzungen 752 stellt Überlegungen zu Hock zwischen englische Einleitungssonette und Schwa- 747 Wilfried Barner: Barockrhetorik. Untersuchungen zu ihren geschichtlichen Grundlagen. Tübingen 1970, S. 122; [teilw. zugl.: Tübingen, Univ., Habil.-Schr. 1968/ 1969] 748 Gerhart Hoffmeister: Petrarkistische Lyrik. Stuttgart 1973 [Sammlung Metzler Abt. D, Literaturgeschichte 119]. 749 Ebd., S. 62. 750 Ebd., S. 75. 751 Hermann Oesterley (Hrsg.): Simon Dach, seine Freunde und Johann Röling. Berlin und Stuttgart 1883 [Deutsche National-Litteratur. Hrsg. von Joseph Kürschner 30], S. 134f., Nr. 95. 752 Emanuela Hager: Übersetzungen und Nachdichtungen von Sonetten Petrarcas in der europäischen Lyrik des 16. Jahrhunderts. Wien 1974 [Dissertationen der Universität Wien 112], S. 68-70. <?page no="195"?> 196 Eckehard Czucka be von der Heyde. Zu finden ist eine einlässliche Analyse von Capitel 1, die auf (wenige) klangliche Übereinstimmungen und zahlreichere wörtliche Parallelen hinweist, Änderungen der Zeilenabfolge als „eine notwendige Folge des großzügigeren Konzepts und wahrscheinlich auch Intention des Autors“ versteht. Abschließend wird die Einschätzung formuliert: Petrarkisches Gedankengut durchzieht also wie ein roter Faden das Gedicht von Höck, das eine teleologische und poetische Bearbeitung des Einleitungssonetts aus dem Canzoniere ist. 753 Weinacht 1976 Diese Hans-Sachs-Jubiläumsschrift teilt mit, dass Hock den ‚hürnen Seyfried‘ erwähnt, ohne weitere Überlegungen anzubieten. 754 Van Ingen 1979 Im Rahmen einer Bestandsaufnahme zur Barocklied-Forschung setzt van Ingen sich mit Hock und - bei der Gelegenheit - auch mit Hanson (Anm. 510) auseinander. Er beklagt, dass Anregungen und Erkenntnisse, die Günther Müller vor mehr als 50 Jahren formuliert hat, in der literaturwissenschaftlichen Forschung keinen nennenswerten Niederschlag gefunden haben. Bei Hanson findet er „Höcks von Müller hervorgehobene Abhängigkeit von Unterlegungsformen italienischer Melodien nur gestreift.“ Von Ingen besteht dagegen darauf, dass gerade bei Hock („einem Dichter auf der Schwelle zur Neuzeit“) die musikalische Form für die Entwicklung des Verses besondere Bedeutung habe. An Hanson kritisiert er, der interessiere sich nicht für das Problem, weil er Höck für unmusikalisch hält: „Hätte er nämlich etwas von Musik verstanden, so würde er nicht immer wieder betont haben, daß seine Gedichte für den Leser geschrieben sind“ (S. 108). Dieses Argument verfängt nicht, wie weiter unten ausgeführt wird. 755 753 Ebd., S. 70. 754 Helmut Weinacht: Das Motiv vom Hürnen Seyfried im Nürnberg des 16. Jahrhundert. In: Horst Brunner (Hrsg.): Hans Sachs und Nürnberg. Bedingungen und Probleme reichsstädtischer Literatur. Hans Sachs zum 400. Todestag am 19. Januar 1976. Nürnberg 1976, S. 137-182, hier S. 178. 755 Ferdinand van Ingen: Stand der Barocklied-Forschung in Deutschland. In: Dieter Lohmeier (Hrsg.): Weltliches und geistliches Lied des Barock. Studien zur Liedkultur in Deutschland und Skandinavien. Stockholm und Amsterdam 1979 [Skrifter utgivna av svenskt visarkiv 7], S. 3-18, hier S. 5. <?page no="196"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 197 An der Stelle, die van Ingen als Beleg nennt, spricht Müller zwar davon, dass Hock „von Unterlegungsformen italienischer Melodien beeinflußt“ sei, doch kommt der zu dem Schluss: In der Entwicklung der Liedgattung repräsentiert Hoeck einen schon beim Erscheinen seines Werkes veralteten Zustand. 756 Es ist nicht zu übersehen, dass die Rezension wie der Forschungsbeitrag an dieser Stelle ins Leere laufen. Adam 1988 In den Untersuchungen zu Geschichte und Formen des Schreibens „bei Gelegenheit“ , die Adam unter den sprechenden Titel Poetische und kritische Wälder stellt, 757 erscheint Hocks Blumenfeld in einer bemerkenswerten Perspektive. Adam vermerkt, Opitz habe konsequent darauf verzichtet, In den verschiedenen Ausgaben seiner Teutschen Poemata […] auf die metaphorische Qualität des Buchtitels Poetische Wälder einzugehen, und dies, obwohl er im Buch von der Deutschen Poeterey ausdrücklich an die dem Wort innewohnende Bildlichkeit erinnert. Einen Grund „für die bewußte Zurückhaltung“ sieht Adam darin, dass Opitz „jegliche Verwechslungsmöglichkeit mit bereits erschienenen oder zu seiner Zeit kursierenden Gedichtsammlungen zu vermeiden“ suchte: „Denn diese Texte erfüllen in keiner Weise die hohen Ansprüche, die er an die neue deutsche Kunstdichtung stellt.“ Genannt wird neben Jacob Weidners Teutsches Poetisches Lustgärtlein auch Theobald Hocks Schoenes Blumenfeld , die sich „mit sprechenden Titeln aus dem Bereich der Pflanzenmetaphorik schmücken.“ 758 Dass Opitz das Blumenfeld gekannt habe, wird hier eher insinuiert als behauptet; Adam unternimmt nicht einmal argumentative Anstrengungen, wie sie etwa noch Lemcke aufbrachte, als er es für unwahrscheinlich hielt, dass die Schlesier Hock nicht gekannt hätten (Anm. 97). Allerdings verfolgt Adam diesen Zusammenhang auch bei einer weiteren Erwähnung Hocks 759 nicht weiter. Ohne Not, aber dezidiert nimmt er dann Stellung zur Schreibung des Namens: „Zu Hock - der Quellenbefund verbietet die falsche Schreibweise Höck […]“ verweist er auf Hanson: „Obwohl Hanson über die fehlerhafte Anagramm-Auf- 756 Müller: Lied (Anm. 334), S. 27. 757 Wolfgang Adam: Poetische und kritische Wälder. Untersuchungen zu Geschichte und Formen des Schreibens „bei Gelegenheit“. Heidelberg 1988 [Beihefte zum Euphorion 22]; [zugl.: Wuppertal, Univ., Habil.-Schr. 1985/ 1986]. 758 Ebd., S. 156. 759 Ebd., S. 176. <?page no="197"?> 198 Eckehard Czucka lösung durch Hoffmann von Fallersleben referiert, wählt er die unkorrekte Namensform.“ 760 Aurnhammer 1989, 2002, 2004 Aurnhammer 1989 Unter dem Titel Ein Hausspruch als poetische Devise 761 erörtert Aurnhammer einen Aspekt der Ariost-Rezeption, den er von Gryphius über Goethe und Nietzsche bis zu George verfolgt. Anlässlich von Überlegungen zu dem Verweis auf die Angelica-Medoro-Episode aus dem Orlando Furioso in Cardenio und Celinde erörtert Aurnhammer beiläufig, nämlich in einer Fußnote, die Ariost-Rezeption im 17. Jahrhundert, die er für weitreichender hält, als „die einschlägigen Studien vermuten lassen“: Neben den zahlreichen Ariost-Rekursen in den Barock-Poetiken sind auch poetische Verarbeitungen festzustellen. So hat schon Theobald Höck, in dessen Schönem Blumenfeld (1601) sich mehrere Ariost-Anspielungen finden (cap. 6, 69) mit der Angelica-Medoro-Episode als literarischem Exemplum die sentenziöse Überschrift Jeder soll seins gleichen nemen (cap. 21) beglaubigt: Doch ist es vor geschehen mehr / Daß die schon Angelica so sehr / Darumb so vii Riter geworben / Die hat zu letzt erworben Medoro der gar gemeine Knecht / Villeicht zur straff vnd vngiücks recht / Weil sie aufl fürwitz wegen / Vii Körbel hat außgeben. Aurnhammer 2002 2002 weist Aurnhammer dem von Opitz in Aristarchus mitgeteilten Sonnet des Ernst Schwabe von der Heyde im Verlauf einer ‚voropitzischen Modernisierung der deutschen Literatur‘ 762 eine zentrale Rolle zu; ihm gebühre „die literarhistorisch bedeutsame Ehre, als Erster ein Sonett Petrarcas in Sonettform ins Deut- 760 Ebd., S. 156. 761 Achim Aurnhammer: Ein Hausspruch als poetische Devise. Zum Nachleben von Ariosts Hausinschrift bei Gryphius, Goethe, Nietzsche und George. In: Germanisch-romanische Monatsschrift N. F. 39 (1989), S. 90-99. 762 Achim Aurnhammer: Neues vom alten Ernst Schwabe von der Heyde. Drei Sonette auf die Krönung des Kaisers Matthias (1612). In: Daphnis 31 (2002), S. 279-298, hier S. 297. <?page no="198"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 199 sche übersetzt zu haben.“ Gemessen daran bleibe das „Strophenlied“ des Raaber Liederbuchs wie auch das, mit dem Hock, das Einleitungsgedicht von Petrarcas Canzoniere variierend, das Schönes Blumenfeld eröffnet ( Vnglück thut die Augenn auff ) sprachlich unterlegen. 763 Aurnhammer 2004 Im Katalog zur Ausstellung Petrarca in Deutschland wird 2004 das Blumenfeld von 1601 als Exponat beschrieben und darauf verwiesen, dass die „lyrische Sammlung Schönes Blumenfeld mit einer freien Variation von Petrarcas Einleitungsgedicht“ eröffnet werde. Im Katalog sind die Strophen 1 und 2 abgedruckt. Die hier gegebene Einschätzung ist eine der wenigen Äußerungen zu Hocks Capitel 1, die dem Text gerecht zu werden versuchen: Höck amplifiziert Petrarcas Sonett um drei Strophen, lehnt sich aber unverkennbar an Petrarcas Widerruf an, indem er die Überwindbarkeit der Liebe und die vanitas alles Irdischen betont. In Vnglück thut die Augen auff orientieren sich die Strophen 1, 2, 4 und 6 an Petrarca, die übrigen Strophen gehören Höck. Ihr Tenor, die Spiritualisierung der irdischen Liebe, paßt aber zum Canzoniere . 764 Morawitz 1989 Kaum glauben mag man, was an renommiertem, wenngleich nicht fachwissenschaftlich legitimiertem Ort am Ende des 20. Jahrhunderts zu Hock gesagt wird: Vergessen waren die Gedichte des Theobald Höck aus Hannover [sic! ] um 1650 [sic! ], eines Einzelgängers ohne Einfluß und Nachfolge, den erst Hoffmann von Fallersleben in Bothfeld bei Hannover „entdeckte“. 765 Bedenklicher noch als die Orts- und Zeitangaben scheint die Fehlinformation in der Aussage, Hoffmann von Fallersleben habe die Gedichte Hocks „entdeckt“. Düwel 1991 Der Lexikonartikel 766 stützt sich wesentlich auf den Aufsatz von Nedeczey (Anm. 573) und trägt die darin aufgezeigten Beziehungen der Sammlung zu Hock vor. 763 Aurnhammer: Schwabe (Anm. 762), S. 280. 764 Achim Aurnhammer (Hrsg.): Petrarca in Deutschland. Ausstellung zum 700. Geburtstag (20. Juli 2004) im Goethe-Museum Düsseldorf in Zusammenarbeit mit der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Heidelberg 2004, S. 71. 765 Kurt Morawitz: Zwar wenige Werke von Weltgeltung, aber ständig und nachdrücklich Anstöße und Impulse. [Artikelreihe: ] Niedersachsen im Buch. In: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel 156, 29 (1989), S. 1214-1242, hier S. 1218. 766 Klaus Düwel: Art. Raaber Liederbuch. In: Walther Killy (Hrsg.): Literaturlexikon. Bd. IX: Ore-Roq. Gütersloh und München 1991, S. 259f. <?page no="199"?> 200 Eckehard Czucka Kühlmann 1993 Im Fischart-Artikel Kühlmanns findet Hock eine knappe Erwähnung. 767 Asmuth 1994 Asmuth sieht die Reform des deutschen Verses mit Opitz allgemein durchgesetzt und damit Bestrebungen an ein Ende gekommen, deren Beginn er in Rebhuns Empfehlung sieht, „in Form von Jamben und Trochäen eine ‚gewisse Anzahl der Silben […] zu halten, auch nicht wider den Accent zu stolpern‘“. Ganz unvermittelt schließt er ein Zitat von Hocks Capitel 19, Strophe 6 an, das nach Breuer (Anm. 611) zitiert wird. 768 Hinck 1994 Dem Selbstbild des Dichters in der deutschen Lyrik vom Barock bis zum Ende des 20. Jahrhunderts geht Hinck unter dem Titel Magie und Tagtraum nach und spricht über Hock, Opitz und Klaj unter der Überschrift Die Nobilitierung der deutschen Sprache . 769 Hinck stellt die drei Autoren in eine gemeinsame Perspektive und vermeidet so jede Vergleichung oder Rangfolge: Trotz der Verdienste neulateinischer Dichtung um die Kultivierung der deutschen Literatur mußte doch die Forderung nach dem Deutschen als Dichtungssprache, und zwar auch der Gelehrten - in der Volkspoesie und, seit der Reformation, im Kirchenlied war es ja ohnehin unumstritten - immer gebieterischer werden. Hocks Bedeutung leitet er aus der Selbstreferentialität seines Capitel 19, Strophe 6 ab: Als ein Vertreter der vermittelnden Position erweist sich Theobald Höck mit dem Gedicht „Von Art der Deutschen Poeterey“ (aus der Sammlung „Schönes Blumenfeld“ von 1601). Höck erwartet sich zwar vom Poeten Kenntnis des Griechischen und Lateinischen, beantwortet aber mit der Wahl der Sprache bereits diese seine Frage: Warumb sollen wir den vnser Teutsche sprachen […] 770 767 Wilhelm Kühlmann: Art. Johann Fischart. In: Stephan Füssel (Hrsg.): Deutsche Dichter der frühen Neuzeit (1450-1600). Ihr Leben und Werk. Berlin 1993, S. 589-612, hier S. 603. 768 Bernhard Asmuth: Anfänge der Poetik im deutschen Sprachraum. Mit einem Hinweis auf die von Celtis eröffnete Lebendigkeit des Schreibens. In: Heinrich F. Plett (Hrsg.): Renaissance-Poetik/ Renaissance Poetics. Berlin 1994, S. 94-113, hier S. 104. 769 Walter Hinck: Magie und Tagtraum. Das Selbstbild des Dichters in der deutschen Lyrik. Frankfurt am Main und Leipzig 1994, S. 27-31. 770 Ebd., S. 27. <?page no="200"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 201 Dass er diesen Selbstbezug nicht für zufällig hält, zeigt sich in dem folgenden Verweis auf das Capitel 5, das mit der Leseranrede ebenfalls eine eigene Referentialität hat und inhaltlich in die gleiche Richtung argumentiert. Schon im Gedicht „An den Leser“ rechtfertigt er sich damit, daß man „allenley Materi“ ebensogut im Deutschen wie im [/ 28] „Wällischen“ und „Frantzösischen“ behandeln könne. 771 Hübner 2002 Anknüpfend an knappe Bemerkungen, die Trunz zum Zusammenhang von Schallenberg („auf dem Weg zu selbständiger deutscher Kunstlyrik“) und Hock („Diesen Weg hat dann Theobald Hock in Prag weitergeführt.“) macht, in dessen „Gedichtbuch […] der eigentliche Beginn der frühbarocken Kunstlyrik in Deutschland“ zu sehen sei, 772 entwickelt Hübner weiterführende Überlegungen zum Lied bei Hock. In einer Fußnote, die einen Verweis auf Hansons Edition des Blumenfelds gibt, stellt er den Eindruck, dass „es sich um eine gedruckte Autorsammlung handelt, die die Texte ausdrücklich als Leselyrik präsentiert“, in Frage und konstatiert: „Die Liebeslyrik benutzt durchweg die charakteristischen Villanellen- und Kanzonettenformen“. Da ist nicht der Gattungszuschreibung zu wiedersprechen, aber doch zu bedenken, dass es im Blumenfeld nur Liebesabsagen gibt, was die Verhältnisse doch verändert. Unter Verweis auf die Capitel 12, 46 und 47 und die „Villanellen mit lalalala bzw. falala -Refrain“ sei es keineswegs auszuschließen, daß Höcks Blumenfeld entgegen der Prätention eine Sammlung von Liedtexten zum musikalischen Gebrauch des offenbar kleinen Adressatenkreises des Drucks im Umfeld der böhmischen Liedkultur war. 773 Das bleibt sine fundamento in re und ist entweder hübsch ausgedacht oder poststrukturalistisch fabuliert. Steinkämper 2007 In einer rezeptions- und stoffgeschichtlichen Untersuchung zur Figur der Melusine charakterisiert Steinkämper Hock und verweist auf dessen Ablehnung der Volksbücher in Capitel 5 des Blumenfelds (zitiert werden Strophe 6 und 4), in dem die Melusine allerdings nicht explizit erwähnt wird: 771 Ebd., S. 27f. 772 Siehe Trunz: Pansophie (Anm. 435), S. 941, S. 943. Wieder in Trunz: Wissenschaft (Anm. 437), S. 104, S. 107. 773 Gert Hübner: Christoph von Schallenberg und die deutsche Liebeslyrik am Ende des 16. Jahrhunderts. In: Daphnis 31 (2002), S. 127-186, hier S. 139. <?page no="201"?> 202 Eckehard Czucka So bezeugte Theobald Höck, der als ein früher Vorläufer von Opitz angesehen wird, in seiner Schrift „Schönes Blumenfeld“ (1601), einer Sammlung von didaktisch-satirischen Gedichten, seine Geringschätzung für Romane wie den „Fortunatus“ oder den „Hürnen Seyfrid“, indem er sie als „lähre Fabeln“ bezeichnete. Die Erklärung für solche Abweisung zielt auf ein sehr in Kategorien des 21. Jahrhunderts angesiedeltes Verständnis der Autorinszenierung: Die Dichter nutzten den Verweis auf die alten Romane vielfach, um sich in ihren eigenen literarischen Texten von der bisherigen Tradition abzugrenzen und die Innovativität und hochstehende Poetizität des eigenen Schreibens zu unterstreichen. 774 IV Varia IV.1 Hock in Anthologien des 20. Jahrhunderts 775 IV.1.1 Übersicht und Eingrenzung Nach dem Erscheinen der Kochschen Ausgabe des Blumenfelds haben die Anthologien nicht mehr die Funktion - wie für das 19. Jahrhundert zu konstatieren war -, Texte Hocks überhaupt zugänglich zu machen, sondern sind Teil der Rezeption(sgeschichte) und zeigen im Idealfall neue, bisher nicht gesehene thematische, formale oder literaturgeschichtliche Aspekte auf. Sehr optimistisch scheint die Annahme, dass Anthologien den Forschungsstand spiegeln (Anm. 678). In die großen, auf literaturhistorische Überblicke abstellenden Anthologien, die um die Jahrtausendwende in nennenswerter Zahl erschienen, hat Hock in keinem Fall eine Aufnahme gefunden. Damit setzt sich eine Tradition fort, die 774 Claudia Steinkämper: Melusine - vom Schlangenweib zur „Beauté mit dem Fischschwanz“. Geschichte einer literarischen Aneignung. Göttingen 2007 [Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 233], S. 248; [Vollst. zugl.: Göttingen, Univ., Diss. 2005]. 775 Ein Gesamtüberblick findet sich bei Renate Jürgensen: Barock-Anthologien im 20. Jahrhundert. In: Klaus Garber (Hrsg.): Europäische Barock-Rezeption. [6. Jahrestreffen des Internationalen Arbeitskreises für Barockliteratur in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel vom 22.-25. Aug. 1988.] Wiesbaden, S. 729-748. Die Hock-Nennungen bei Merker (1913), Sommerfeld (1929), Cysarz (1937), Schöne (1963) und Szyrocki (1971) werden verzeichnet, siehe S. 731, S. 734, S. 736, S. 741, S. 743. Für Hock scheint die Einschätzung nicht zuzutreffen, „daß der Gattung Anthologie eine wichtige Rolle im Kommunikationsfeld zwischen Schriftsteller, Forscher und literarhistorisch interessiertem Leser zukommt. Herausgeber von Anthologien können Anstöße zur wissenschaftlichen Erschließung einer weithin unbekannten literarischen Landschaft geben, sie können den Forschungsprozess kritisch begleiten, aber auch weit hinter dem Stand der Wissenschaft zurückbleiben, wenn sie sich den Modeströmungen und den Vorlieben des Publikums allzu schnell fügen.“ (S. 747) (vgl. auch Anm. 678). <?page no="202"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 203 schon im 19. Jahrhundert festzustellen war: Echtermeyers Auswahl deutscher Gedichte für die unteren und mittleren Classen gelehrter Schulen erschien erstmals 1836, also noch vor Hoffmanns von Fallersleben Hock-Aufsatz, aber anders als etwa Gervinus, der in der 4. Aufl. den entdeckten Hock erstmals verzeichnete, nahmen weder er noch spätere Bearbeiter Hock-Gedichte in die Sammlung auf. 776 Conradys Das große deutsche Gedichtbuch 777 von 1977 enthält auch in den folgenden Auflagen keinen Text von Hock; dasselbe gilt für das Konkurrenzprodukt Reclams großes Buch der deutschen Gedichte , 778 das 2007 erstmals erschien. Gleiches gilt für eine Reihe weiterer Gedichtsammlungen dieser Zeit, die hier nur verzeichnet seien. 779 Nicht verwunderlich ist, dass Hock in keiner der Sammlungen, die Reich-Ranicki veranstaltet hat, Aufnahme fand. - Insgesamt legt dieser Befund den Schluss nahe, dass Hock nur etwas für Spezialisten ist (siehe dazu aber Anm. 811). 780 Doch auch eine große Zahl von Anthologien zur Barockliteratur verzeichnet Hock nicht. Sieht man ab von thematisch eingegrenzten Sammlungen (etwa zur galanten oder religiösen Dichtung) oder Sammlungen zu einzelnen Gattungen 776 Neueste Ausgabe Theodor Echtermeyer (Hrsg.): Deutsche Gedichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Auswahl für Schulen. 20., akt. und erw. Aufl. Bearb. von Elisabeth Katharina Paefgen/ Peter Geist. Berlin 2010. 777 Zuletzt Karl Otto Conrady (Hrsg.): Der große Conrady. Das Buch deutscher Gedichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Erw. Neuausg. Düsseldorf 2008. 778 Heinrich Detering (Hrsg.): Reclams großes Buch der deutschen Gedichte. Vom Mittelalter bis ins 21. Jahrhundert. Stuttgart 2007. 779 Dietrich Bode (Hrsg.): Deutsche Gedichte. Eine Anthologie. Stuttgart 1984 [Reclam Bibliothek]. - Hanspeter Brode (Hrsg.): Deutsche Lyrik. Eine Anthologie. Frankfurt am Main 1990 [Suhrkamp-Taschenbuch 1607]. - Hans-Joachim Simm (Hrsg.): Deutsche Gedichte. Frankfurt am Main 2000. - Wulf Segebrecht und Christian Rößner (Hrsg.): Das deutsche Gedicht. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Frankfurt am Main 2005. - Alois Weimer: Gebete der Dichter. Große Zeugnisse aus 12 Jahrhunderten. Düsseldorf 2006. 780 Durchgesehen wurden ferner ohne Fundstelle: Will Vesper (Hrsg.): Die Ernte aus acht Jahrhunderten deutscher Lyrik. 2 Bde. Düsseldorf 1906. - Will Vesper (Hrsg.): Deutsche Gedichte des 17. Jahrhunderts. München 1907. - Hans Böhm (Hrsg.): Deutsche Barocklyrik. Ausgew. und eingel. von […]. München 1926 [Kunstwart-Bücherei 37]. - Ernst Ginsberg (Hrsg.): Komm, güldner Friede. Lyrik des Barock. Zürich 1944. - Erwin Laaths (Hrsg.): Das Gedicht. Deutsche Lyrik von den Anfängen bis zur Gegenwart. München 1951. - Walter Urbanek: Deutsche Lyrik aus 12 Jahrhunderten. Frankfurt am Main 1956. - Carl Stephenson (Hrsg.): Die schönsten Gedichte aus acht Jahrhunderten. Berlin-Schöneberg 1960. - Frank J. Warnke (Hrsg.): European metaphysical poetry. New Haven/ CT [u. a.] 1961 [The Elizabethan Club series 2]. - Johann Anderegg (Hrsg.): Deutsches Lesebuch. Bd. I,1.: Das Zeitalter des Barock. Frankfurt am Main und Hamburg 1970 [Deutsches Lesebuch. Ein Lesebuch in 5 Bden. Hrsg. von Walther Killy]. - Jean-Baptiste Neveux (Hrsg.): Anthologie du XVII. siècle germanique. Paris 1970. - Wulf Segebrecht und Christian Rößner (Hrsg.): Das deutsche Gedicht. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart. 2. Aufl. Frankfurt am Main 2008. <?page no="203"?> 204 Eckehard Czucka (wie dem Sonett), 781 so bleibt doch eine nennenswerte Zahl von Anthologien, die keine Hock-Gedichte enthalten. 782 Die in die Anthologien aufgenommenen Texte werden nicht vollständig in der Darstellung verzeichnet, sondern sind in Tabelle 2 zusammengestellt. IV.1.2 Anthologien zwischen 1913 und 1985 Merker 1913 Die erste Anthologie, die Hock-Texte auf der Basis des Blumenfelds (Koch) präsentierte, veranstaltete Merker 783 als Kleine Texte für Vorlesungen und Übungen . Michels skizziert das Konzept in seiner Rezension: Eine sehr geschickte Auswahl aus der Lyrik des 17. Jahrhunderts gibt P. Merker […] auf einem halben Hundert Seiten; er beginnt mit der Gruppe Schede, Lobwasser, Höck, Zincgref, Weckherlin, läßt dann Opitz, Dach, Titz, Tscherning, Fleming folgen, dann 781 Hans Landsberg (Hrsg.): Das Venusgärtlein. Ein Liederbuch aus der galanten Zeit. Berlin 1905. - Franz Blei (Hrsg.): Das Lustwäldchen. Galante Gedichte aus der deutschen Barockzeit. München und Leipzig 1907. - Joseph Kiermeier-Debre (Hrsg.): Die Entdeckung der Wollust. Erotische Dichtung des Barock. Orig.-Ausg. München 1995 [dtv Klassik Literatur, Philosophie, Wissenschaft 2360]. - Helmut Schieck (Hrsg.): Geistliche Lyrik des Barock. Berlin 1950. - Hartmut Kircher (Hrsg.): Deutsche Sonette. Stuttgart 1984 [Universal-Bibliothek 9934]. 782 Rudolf von Delius (Hrsg.): Die deutsche Barocklyrik. Stuttgart [u. a.] 1921. - Unus Walther [d. i. Walther E. Heinrich] (Hrsg.): Die Deutsche Lyrik des Barock. Berlin 1922. - Richard Wiener (Hrsg.): Pallas und Cupido. Deutsche Lyrik der Barockzeit. Wien 1922. - Hans Schauer (Hrsg.): Dichtungen des deutschen Barock. Leipzig 1926 [Deutschkundliche Bücherei]. - Ernst L. Hauswedell (Hrsg.): Dichter des deutschen Barock. Weltliche und geistliche Lieder des 17. Jahrhunderts. Hamburg 1937. - Friedrich von der Leyen (Hrsg.): Das Buch deutscher Dichtung. Bd. III: Von Luther bis Leibniz. Leipzig 1942. - Max Wehrli: Deutsche Barocklyrik. Zürich 1945 [Manesse Bibliothek der Weltliteratur]. - Otto Heuschele (Hrsg.): Deutsches Barock. Eine Anthologie. Hamburg 1946. Das Kapitel Um die Erneuerung der Sprache gibt zwei Texte (Schottel, Leibniz). - Fritz Martini (Hrsg.): Gedichte des deutschen Barock. Eine Auswahl. Stuttgart 1948 [Die Parthenon Bücher]. - Johannes R. Becher (Hrsg.): Tränen des Vaterlandes. Deutsche Dichtung aus dem 16. und 17. Jahrhundert. Berlin 1954. - Edgar Hederer: Deutsche Dichtung des Barock. München 1954. - Renate Fischetti (Hrsg.): Barock. Stuttgart 1975 [Universal-Bibliothek 9613]. - Herbert Cysarz (Hrsg.): Deutsche Barock-Lyrik. Eine Auswahl. Krieg und Frieden; Natur; Liebe; Kunst; Menschensitten; Das Ich; Die Eitelkeit der Eitelkeiten; Die letzten Dinge, Glaube und Gott. Stuttgart 1978 [Reclams Universal-Bibliothek 7804/ 05]. - Volker Meid (Hrsg.): Gedichte und Interpretationen. Renaissance und Barock. Stuttgart 1982 [Universal-Bibliothek 7890]. - Peter Reichartz: Barock, Lyrik. Mit Materialien. Stuttgart 1984 [Klettbuch 35132]. - Wulf Segebrecht: Der Blumengarten oder Reden vom Gedicht. Würzburg 2015. 783 Paul Merker (Hrsg.): Deutsche Lyrik des siebzehnten Jahrhunderts. In Auswahl. Bonn 1913 [Kleine Texte für Vorlesungen und Übungen 124]. <?page no="204"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 205 Homburg, Kaspar, Stieler und Pegnitzschäfer, bildet aus Spee, Silesius, Andreae, Gerhardt eine geistliche Gruppe; die zweite schlesische Schule und ihr Gegner Chr. Weise machen den Schluß. 784 Sommerfeld 1929 Die Anthologie 785 verteilt die ausgewählten Texte auf Motivbereiche, so dass Capitel 6 ( Der Autor beweint das Leben ) unter Selbstbegegnung , Capitel 27 ( All Ding zergänglich ) unter Vanitas, vanitatum vanitas, 1. Zeit und Ewigkeit , Capitel 9 ( Von dem mühseligen Leben der Menschen ) unter Vanitas […] 2. Das menschliche Leben , Capitel 8 ( Frei von Lieb ein Freiherr ) unter Liebesverzicht stehen. Die Texte bedienen zentrale barocke Kategorien und zeigen damit Bedeutungspotentiale, die in der Diskussion des frühen 20. Jahrhunderts so noch nicht gesehen wurden. Die Textgestalt folgt der Kochschen Ausgabe. Der vermeintlich maßgebende Forschungsstand wird berücksichtigt: „Der Text hier berichtigt in fast völliger Übereinstimmung mit A. Koesters Rezension […]“. 786 Petersen und Trunz 1933 Der Band versammelt Lyrische Weltdichtung in deutschen Übertragungen aus sieben Jahrhunderten 787 in der Absicht, für eine an der Wölfflinschen Methode orientierte Stilforschung Material bereitzustellen. Dabei spiele die Qualität der Nachdichter eine Rolle; es komme jedoch nicht darauf an, die absoluten Meisterstücke deutscher Übersetzungskunst zu vereinen, sondern ein möglichst mannigfaltiges Bild der Richtungen zu geben und in Vielfältigkeit der Übersetzungsproben sowohl dem Anteil verschiedener Zeitalter als dem Anteil verschiedenster gleichzeitiger Persönlichkeiten gerecht zu werden. 788 Eine Abteilung bilden die Übersetzungen von Petrarcas Sonett 1 , die in der Zeit zwischen 1601 und 1917 von Hock, Schwabe von der Heyde, von Reinbaben, Meinhard, Herder, A. W. Schlegel, Krigar, Hübner, Bettina Jacobson, Spunda und Hauser angefertigt wurden. Damit wird Hock in eine beachtliche Reihe der Rezipienten gestellt. 784 Viktor Michels: Lyrik. In: Jahresberichte für neuere deutsche Literaturgeschichte 24 (1913), S. 521. 785 Martin Sommerfeld (Hrsg.): Deutsche Barocklyrik. Nach Motiven ausgew. und geordnet […]. Berlin 1929 [Literarhistorische Bibliothek 1], S. 17, S. 32, S. 42, S. 135. - Das von mir benutzte Exemplar, das aus der Bibliothek Alewyn (UB Osnabrück 4320-532 5) stammt, zeigt einige Korrekturen Alewyns zu den Hock-Gedichten. 786 Ebd., S. 176. 787 Julius Petersen/ Erich Trunz (Hrsg.): Lyrische Weltdichtung. In deutschen Übertragungen aus sieben Jahrhunderten. Berlin 1933 [Literarhistorische Bibliothek 9]. 788 Ebd., S. VIII. <?page no="205"?> 206 Eckehard Czucka Am Ende des 20. Jahrhunderts findet diese Anthologie in der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit wieder Aufmerksamkeit und erhält Anerkennung. Trotz einiger Bedenken gegenüber der Einengung des Begriffs der Weltliteratur auf die europäische Literatur wird bemerkt, es liege bei der Lyrischen Weltdichtung […] der thematische Schwerpunkt weniger auf den Leistungen der ausgewählten Autoren als vielmehr der verschiedenen Übersetzer, was dieses Compendium auch zu einem Sonderfall macht. 789 2001 wird das Werk in einer wissenschaftsgeschichtlichen Darstellung der 1940er Jahre, in der es um Trunz und bei Gelegenheit auch um Petersen geht, als eine „noch heute lesenswerte Anthologie“ 790 bezeichnet. - Am Rande sei angemerkt, dass an der Sammlung und Durcharbeitung des Materials eines zweisemestrigen Seminars in Berlin u. a. Friedrich-Wilhelm Wentzlaff-Eggebert und Herbert A. Frenzel (insbesondere an der Bearbeitung des Petrarca-Kapitels) beteiligt waren. 791 Faber du Faur 1936 Noch vor seiner Flucht in die USA 1939 gab Faber du Faur eine Anthologie barocker Lyrik heraus, der er ein Vorwort voranstellt, in dem er seine Epochalisierung 1620-1720 begründet. 792 Er geht aus von einem „Zerrbild“ namens „Lustwäldchen“, 793 das sich zwischen „die Lyrik aus der Barockzeit und den deutschen Leser von heute“ geschoben habe: „Eine eigentümliche Bezeichnung zwingt uns, verschnittenen Taxus zu sehen, wo dem unbefangenen Auge sich gerader und kerniger Wuchs offenbart.“ Von der Pflanzenmetapher geht es über zum „Parnaß“ des 17. Jahrhunderts, der „kein erratischer Block im Tiefland war, sondern ein gründiges Gebirge von beträchtlicher Höhe der Gipfel.“ Diese Vorstellung von steinerner Höhe erlaubt es ihm, seine Revision des Barock- 789 Birgit Bödeker: Weltliteratur im Dritten Reich. Zur Rezeption nicht-deutschsprachiger Literatur 1933-1945. In: dies. (Hrsg.): Weltliteratur in deutschen Versanthologien des 20. Jahrhunderts. Berlin 1997 [Göttinger Beiträge zur internationalen Übersetzungsforschung 13], S. 297-313, hier S. 298. 790 Hans-Peter Kunisch: Erich Trunz (*1905) Germanist. Von Lobwasser über das Gegenwartsschrifttum zu Goethe. In: Monika Glettler/ Alena Míšková (Hrsg.): Prager Professoren 1938-1948. Zwischen Wissenschaft und Politik. Essen 2001 [Veröffentlichungen zur Kultur und Geschichte im östlichen Europa 17], S. 299-311, hier S. 300. 791 Petersen/ Trunz (Hrsg.): Lyrische Weltdichtung (Anm. 787), S. IX. 792 Curt von Faber du Faur (Hrsg.): Deutsche Barocklyrik. Eine Auswahl von 1620 bis 1720. Salzburg und Leipzig 1936, S. 5-32. 793 Das dürfte sich umstandslos beziehen lassen auf Franz Blei (Hrsg.): Das Lustwäldchen. Galante Gedichte aus der deutschen Barockzeit. Ges. und hrsg. von Franz Blei. München und Leipzig 1907; mitgemeint wird sein Hans Landsberg (Hrsg.): Das Venusgärtlein. Ein Liederbuch aus der galanten Zeit. Berlin 1905. <?page no="206"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 207 begriffs mit Goethes Aufhebung ‚aller synonymischen Mißverständnisse‘ der Gotik beim Anblick des Straßburger Münsters zu parallelisieren 794 und in einem Zug - unbezeichnet, aber deutlich - den Expressionismus zu kritisieren: „‚barocker‘ muten manche Blätter an, deren Druckerschwärze noch keine zwanzig Jahre alt ist.“ 795 Faber du Faur schlägt im folgenden einen weiten Bogen (unter Einschluss bibliophiler Erwägungen), um dann recht übergangslos ein donnerndes Verdikt loszulassen, in das - ebenso unvermittelt - durchaus Anerkennung eingelassen ist: Im ersten Jahr des neuen Jahrhunderts erschien unter groteskem Pseudonym Theobald Hocks Liederbuch „Das schöne Blumenfeld“ [sic! ], ein scheuer Vorläufer. Holpernd und stolpernd tritt der hinkende Versfuß die schönen Blumen nieder. So sauer es dem Dichter wurde, so sauer ist es zu lesen. Rührende Sehnsucht lebt darin nach deutschem Ausdruck für das, was in anderen Sprachen möglich war, nach Dichtung und Gedicht. Erstaunlich mutet an die lyrische Selbstbezogenheit: es ist vorweggenommene Bekenntnis- und Erlebnisdichtung in der Art, wie sie erst einer viel späteren Zeit vorbehalten geblieben ist. Gelungen ist manches Volksmäßige, so ist einiges in Liedersammlungen übergegangen. Mißlungen ist jeder Ansatz zu höherem Flug. 796 Mit dem Entschluss „Hier sei ein Gedicht, ‚Von Art der Deutschen Poeterey‘, gegeben, um zu zeigen, was alles zu überwinden war.“ und dem folgenden Abdruck des Capitels 19 in voller Länge kommt es zu der unaufhebbar paradoxen Situation, dass ein Gedicht, dem die Aufnahme in die Sammlung verwehrt wird (immerhin ist das Inhaltsverzeichnis mit Ehrentafel 797 überschrieben), nun doch Teil der Blütenlese ist. Diese beginnt mit Weckerlin, dem die Ehrentafel das Prädikat „Vorläufer“ verleiht: Nur fünfzehn Jahre nach dem „Schönen Blumenfeld“ erschien Weckherlins „Triunf [sic! ] bey der Kindtauf zu Stuttgart“, und mit ihm schlägt die Geburtsstunde der deutschen geistigen Renaissance, […] Weg ist der Geruch von Schusterstube und der pastorale Muff, ein Hauch hellenistischen Adels schwingt durch die Verse. 798 Vielleicht ist Hock aber auch nicht aufgenommen worden, weil entweder ein „Blumenfeld“ zu nahe an die „Lustwäldchen“ grenzt oder mit der Aufnahme des Blumenfelds die dem Literaturverzeichnis vorangestellte Bemerkung obsolet ge- 794 Faber du Faur (Hrsg.): Barocklyrik (Anm. 792), S. 5. 795 Ebd., S. 6. 796 Ebd., S. 10f. 797 Ebd., S. 343. 798 Ebd., S. 13. <?page no="207"?> 208 Eckehard Czucka worden wäre: „Folgende Ausgaben wurden als Grundlage für den Text benützt oder verglichen. Sämtliche befinden sich in der Privatbibliothek des Herausgebers.“ 799 (siehe dazu auch Anm. 694) Eine Würdigung der Faberschen Anthologie, gerade auch der Vorrede, gibt Spahr: seine Einführung zeuge sowohl vom Stil seines Autors als auch von einem in dieser Zeit einzigartigen kritischen Urteil. 800 Dass Hock zu dessen Opfer wurde, ist eines; ein anderes, dass Spahr in unmittelbarem Kontext dieser Anthologie Faber du Faur als „Schmied seines eigenen Glückes“ bezeichnet, was nicht nur, aber auch eine Hock-Allusion ist (Capitel 55). 801 Cysarz 1937 Cysarz präsentiert Hock mit fünf Texten als einen Dichter des von ihm so bezeichneten Vor- und Frühbarock 802 und reiht ihn ein in die Aufbrüche vor und neben Opitz . Die Auswahl deckt die Themen Sprachreform, Liebesverzicht und Weltekel ab und gibt zwei Beispiele aus den Aventin-Adaptationen, so dass ansatzweise ein Eindruck vom Ganzen gewonnen werden kann. Zitiert werden die Texte nach der Ausgabe Blumenfeld (Koch). Roos 1942 Der dänische Germanist Carl Roos, seit 1927 Professor für deutsche Literatur in Kopenhagen, war u. a. Goetheforscher und beschäftigte sich in den 1940er Jahren unter dem Eindruck der zeitgenössischen deutschen Barockforschung mit dieser Epoche. 803 Die Intention seiner Sammlung, die einen Hock-Text enthält, Capitel 9 ( Von dem Mühseligen Leben der Menschen ), 804 beschreibt er: Wenn auch in erster Linie als Textbuch für Vorlesungen und Übungen an der Universität gedacht, wird sie jedem Freund und Verehrer von Kunst und Menschlichkeit manche willkommene Gabe bringen. Die Auswahl beschränkt sich chronologisch auf die Zeit nach 1600, inhaltlich auf Gefühls- und Gedankenlyrik. Der Text geht auf Original- oder kritische Ausgaben zurück. 805 799 Ebd., S. 353. 800 Spahr: Legacy (Anm. 110), S. 197: „its introduction bears witness both to the style of its author as well as to a critical judgement unique in this time.“ 801 Ebd., S. 204. 802 Herbert Cysarz (Hrsg.): Vor- und Frühbarock. Leipzig 1937 [Deutsche Literatur in Entwicklungsreihen. Reihe Barock. Barocklyrik 1], S. 108-113. 803 Siehe dazu Steffen Steffensen: Carl Roos i Dansk Biografisk Leksikon. 3. Aufl. Kopenhagen 1979-1984. URL: http: / / denstoredanske.dk/ index.php? sideId=296479 (zuletzt abgerufen 27. August 2018). 804 Carl Roos (Hrsg.): Lyrische Anthologie. Kopenhagen 1942 [Deutsche Texte, 2], S. 4f. 805 Ebd., S. 239. <?page no="208"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 209 Milch 1954 Die postum erschienene Anthologie ist kleinteilig gegliedert und versucht, durchaus bedenkenswert, historische und systematische Ordnungsprinzipien miteinander zu verbinden. Sie beginnt mit einem Kapitel Martin Luther , dem Das lutherische Kirchenlied und Lutherische Traditionen folgen; in dem vierten Abschnitt Das neue Lied wird - nach Geburtsjahren geordnet - Hock zwischen Melissus-Schede, Regnart und Schein, Weckherlin, Zincgref sowie Schwabe von der Heyde mit dem Capitel 55 ( Ein jeder ist seins Glücks ein Schmidt ) präsentiert. Allerdings ist der Text um die letzte (siebte) Strophe - wohl aus Platzgründen - auf die Seitenlänge gekürzt. 806 Weber 1960 Auch in dieser Anthologie (vgl. Anm. 797) findet Hock keine Aufnahme, jedoch wenigstens Erwähnung: Die Lateinschulen Melanchthons, des praeceptors Germaniae, die Jesuitenschulen, die strenge Zucht der Sprache der Römer, sie zwingen der deutschen Sprache Form auf. Und, wie aus fremder Schulzucht entlassen, treten plötzlich an der Wende des Jahrhunderts gebildete Deutsche auf und wagen deutsche Verse: Johann Hermann Schein, Theobald Höck, Georg Rudolf Weckherlin. 807 Schöne 1963 Schöne eröffnet den Materialband mit einem Kapitel Über deutsche Sprache und Poeterey , das mit Hocks Capitel 19 ( Von Art der Deutschen Poeterey ) beginnt, gefolgt von Auszügen aus Poetiken und sprachtheoretischen Texten von Opitz, Buchner, Harsdörffer, Birken, Schottel, Leibniz, Moscherosch, Lauremberg, Sacer, Heidegger in chronologischer Reihung. 808 Wagenknecht 1969 Aufgrund des Erscheinungsjahrs gerät Hock an den Anfang der Anthologie Wagenknechts, die die Gedichte des 17. Jahrhunderts „Nach den Erstdrucken in zeitlicher Folge“ präsentiert. Als einen Kunstgriff des Herausgebers könnte man verstehen, dass das Capitel 5 ( An den Leser ) den Band eröffnet; es folgen Capitel 806 Werner Milch (Hrsg.): Deutsche Gedichte des 16. und 17. Jahrhunderts. Renaissance und Barock. Heidelberg 1954, S. 57. 807 Albrecht Weber (Hrsg.): Deutsche Barockgedichte. Ausgew. und interpretiert […]. Frankfurt am Main [u. a.] o. J. [1960], S. 40. 808 Albrecht Schöne (Hrsg.): Das Zeitalter des Barock. Texte und Zeugnisse. München 1963, S. 3-48, hier S. 3-5. <?page no="209"?> 210 Eckehard Czucka 19 ( Von Art der Deutschen Poeterey ) und Capitel 39 ( Ein Armer kann jetzund zu keinem Ambt kommen ). 809 Szyrocki 1971 Szyrocki lässt in seiner zweibändigen Sammlung Hock mit dem Capitel 19 zu Wort kommen, das wegen der chronologischen Ordnung den Bd. 1 eröffnet. 810 Heckmann 1976 Heckmann will mit seinem „Lesebuch“ diejenigen erreichen, „die noch keine Kenntnis von der Lyrik des 17. Jahrhunderts haben“, und damit „die Barockdichtung aus der etwas angestaubten Exklusivität akademischer Bevormundung befreien.“ Denn: „Literatur, auch die vergangener Zeit, ist eine Angelegenheit für alle.“ 811 Das entspricht weitgehend den Ansätzen einer Reform der Germanistik, wie sie seit Ende der 1960er Jahre exekutiert wurde (siehe auch Anm. 728). In einem programmatischen Vorwort wird die Fremdheit der Epoche thematisiert, die zuerst in der Orthographie und Interpunktion gesehen wird und die darum „dem heutigen angeglichen wurde. Auch wurde anstelle von vor für, und anstelle des kausalen dann denn gesetzt.“ 812 Als weitere Rezeptionshindernisse werden genannt: der Bildungshintergrund der barocken Autoren, die Entstehung der Literatur aus Literatur und der Gegensatz von Gefühl und Form, die Kenntnis der Bibel, der antiken Mythologie sowie der europäischen Literatur. Schließlich werden die sozio-ökonomische Folgen des Dreißigjährigen Krieges skizziert. 813 Für das beigebrachte Hock-Gedicht Capitel 39 ( Ein Armer kann jetzund zu keinem Amt kommen ) wird - wenig nachvollziehbar - nur der Druck von 1601 genannt. 814 Hartmann 1977 Diese in der DDR erschienene Anthologie präsentiert Hock mit acht Gedichten. Dem wohl unvermeidlichen Capitel 19 ( Von Art der Deutschen Poeterey ) und dem durch seine Rückbezüglichkeit poetologisch bedeutenden Capitel 3 ( An die Satiren ) folgen zwei hofbzw. sozialkritische Texte, die Capitel 26 ( Von der Welt Hoffart und Bosheit ) und Capitel 31 ( Mehr Herrn als Knecht auf der Welt ), schließ- 809 Christian Wagenknecht (Hrsg.): Gedichte 1600-1700. Nach den Erstdrucken in zeitlicher Folge. München 1969 [Epochen der deutschen Lyrik 4], S. 13-17. 810 Marian Szyrocki (Hrsg.): Lyrik des Barock. 2 Bde. Reinbek bei Hamburg 1971 [Deutsche Literatur 39], Bd. I, S. 7f. 811 Herbert Heckmann (Hrsg.): 80 Barock-Gedichte. Berlin 1976 [Wagenbachs Taschenbücherei 27], S. 11. 812 Ebd., S. 7f. 813 Ebd., S. 9f. 814 Ebd., S. 23f. <?page no="210"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 211 lich die subjektiven, unter Umständen an die Autorenbiographie anschließbaren Capitel 6 ( Der Autor beweint das Leben ), Capitel 7 ( Nimmer sich zu verlieben ), Capitel 68 ( Trau der Lieb nicht zuuil ) und das durch den italienischen Liedeinfluss bemerkenswerte Capitel 47 ( Der schönen Juliana … [Schöns Lieb, ich muß dich lassen]). 815 - Beigegeben ist ein Lebensabriss, 816 in dem das Todesjahr als unbekannt angegeben ist. Haufe 1985 Gleichzeitig erscheint 1985 Haufes Anthologie in der DDR und der BRD, die - allerdings in modernisierter Schreibung - das Capitel 39 ( Ein Armer kann jetzund zu keinem Amt kommen ) und das Capitel 65 ( Den Jungen wird die Lieb belohnt, die Alten müssens kaufen ) nach dem Blumenfeld (Hanson) wiedergibt und auch die Worterklärungen weitgehend auf die Basis seiner Anmerkungen stellt. 817 IV.1.3 Resümee: Blumenfeld-Texte in Anthologien Insgesamt sind in zwölf Anthologien 18 verschieden Texte aus dem Blumenfeld zu finden, die dreißigmal gedruckt werden. Die vollständige Übersicht findet sich im Anhang Tabelle 2: Anthologien seit 1900 . In zwei weiteren Anthologien wird Hock erwähnt, aber nicht (Anm. 806) oder unter bemerkenswerten Bedingungen (Anm. 797) präsentiert. Der am häufigsten zitierte Text ist mit sechs Nennungen das Capitel 19 ( Von Art der deutschen Poeterey ), es folgt mit vier Zitierungen Capitel 39 ( Ein Armer kan jetzund zu keinem Ambt kommen ); je zwei Aufnahmen finden die Capitel 6 ( Der Author beweint das Leben ), 9 ( Von dem Mühseligen Leben der Menschen ) und 26 ( Von der Welt Hoffart vnd Boßheit ). Die Auswahl der Anthologisten des 19. Jahrhunderts ist mit 32 Texten fast doppelt so umfangreich wie die sich auf 18 Texte beschränkende Textbasis des 20. Jahrhunderts. Bei 13 Texten besteht Übereinstimmung: gleichermaßen zitiert werden die Capitel 1, 3, 5, 6, 7, 8, 9, 19, 26, 47, 55, 68 und 86. Es zeigt sich eine deutliche Konzentration auf die das Blumenfeld eröffnenden Texte, die scheinbar auch biographisch gelesen werden können, während die Liebesabsagen, auf die das 19. Jahrhundert großen Wert legte, im 20. Jahrhundert eher durch sozialkritisch zu deutende Texte (wie Capitel 31 [ Mehr herrn als Knecht auff der Welt ] und 39 [ Ein Armer kan jetzund zu keinem Ambt kommen ]) abgelöst zu 815 Horst Hartmann (Hrsg.): Komm, Trost der Nacht, o Nachtigall. Deutsche Gedichte aus dem 17. Jahrhundert. Leipzig 1977 [Reclams Universal-Bibliothek 682], S. 29-40. 816 Ebd., S. 159f. 817 Eberhard Haufe (Hrsg.): Wir vergehn wie Rauch von starken Winden. Deutsche Gedichte des 17. Jahrhunderts. 2 Bde. Berlin und München 1985, S. 18-21. <?page no="211"?> 212 Eckehard Czucka werden scheinen. Hier wie bei einer vollständigen Durchsicht der Anthologien (Anm. 779-782) besteht noch Klärungsbedarf, da eine Reihe von Anthologien bei dieser Gelegenheit nicht autopsiert werden konnte. IV.2 Sprachwissenschaftliche, -geschichtliche Untersuchungen, Wörterbücher, Bibliographien Biemer 1916 Biemer skizziert einleitend eine in den 1920er Jahren breit geführte Diskussion über die Systematik und Geschichte der Verbstellung im Deutschen und trägt Ergänzungen in der Absicht bei, „einen Überblick über die gesamtentwicklung zu gewinnen“, für den er „texte aus allen perioden der deutschen litteratur herangezogen und insbesondere die Hallenser Neudrucke berücksichtigt“ 818 hat, in denen u. a. das Blumenfeld (Koch) zu finden war. Im Gegensatz zu anderen Untersuchungen wird auch die poesie […] mit herangezogen. denn diese hat m.e. nicht nur als ein wesentlicher teil der litteratur darauf anspruch, sondern auch für die wortstellungsfragen in manchen perioden eine besondere bedeutung. so hat sie gewis [sic! ] den einflüssen der schullogik einen stärkeren widerstand entgegengesetzt als die prosa, und das wiegt den einfluss von metrum und reim wol [sic! ] auf. 819 Reim und Metrum als Hindernisse der Sprachanalyse zu betrachten, zeigt ein eher problematisches, aber bis in die Linguistik des 20. Jahrhunderts verbreitetes Sprachverständnis. Das Blumenfeld liefert Belege für den Abschnitt „citat von Bibelstellen“, für die Verdrängung des Verbs von der zweiten Stelle durch enklitische Wörter und die Verbstellung bei Reim. 820 Saran 1934 Ausgehend von Goethes Nachtgesang und Schillers Theklalied als Beispiele für „das Lied orchestischer Art“ thematisiert Saran den „Zusammenhang der neueren Sprechlyrik mit dem orchestisch-rhythmischen Lied“, der „in der Literatur deutlich zum Ausdruck“ komme: 818 Clemens Biemer: Die Stellung des Verbums im Deutschen. In: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 63 (1926), S. 225-256. 819 Ebd., S. 225. 820 Ebd., S. 238, S. 240, S. 243. <?page no="212"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 213 Man braucht nur die strophischen Gedichte eines Theobald Höck (1601), eines Opitz (1624), der Dichter des Zinkgrefschen Anhangs, Flemings und anderer durchzusehen, um das gleich zu erkennen. 821 Scheid 1934 In der Zeitungssprache seiner Gegenwart entdeckt Scheid das Wort „Galan“, dessen Herkunft er nachgeht: VIII. 31. Frankfurter Nachrichten: ‚Die Braut, eine Hausangestellte, machte Augen, als sie später hörte, daß ihr Galan sich mit ihrer Kusine eingelassen habe‘; ebda., daß die Polizei alsbald hinter dem Galan her sein konnte‘. Anm. Zahlreiche Belege bei Schramm, S. 49ff.; - vgl. auch Z. f. d. Ph. XXXIII, 150 Beschreibung von ,Galan‘. 76. Galanisieren, aus galan abgeleitetes Verbum. Belege: a) 1601 Theobald Höck (vgl. Ausgabe von Max Koch, Halle 1899, S. 67) 822 Hausmann und Kapp 1992 - Martino 1994 In einer Bibliographie der deutschen Übersetzungen aus dem Italienischen erscheint Hock unter der Nummer 0894 bei den Petrarca-Übersetzungen. Die Angaben beziehen sich auf die Disseration von Souvageol aus dem Jahr 1991 (Anm. 267). 823 Ein umfangreicher Band mit „.Ergänzungen und Berichtigungen“ zu Hausmanns Bibliographie notiert zusätzlich die Arbeiten von Kanduth (Anm. 565) und Hager (Anm. 752). 824 Jones 1995, 1999 In zwei großen Publikationen setzt der englische Germanist Jones sich mit dem Verhältnis des Deutschen zu fremden Sprachen zwischen dem 15. und 18. Jahrhundert auseinander. Einmal geht es ihm um „Fremdwortpurismus“, 825 zum an- 821 Franz Saran: Deutsche Verskunst. Ein Handbuch für Schule, Sprechsaal, Bühne. Berlin 1934, S. 101. 822 Paul Scheid: Studien zum spanischen Sprachgut im Deutschen. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Wortforschung. Greifswald und Bamberg 1934, S. 82. 823 Frank-Rutger Hausmann/ Volker Kapp: Bibliographie der deutschen Übersetzungen aus dem Italienischen von den Anfängen bis zur Gegenwart. Bd. I: Bibliographie der deutschen Übersetzungen aus dem Italienischen von den Anfängen bis 1730. Teil 2: Magni-Z. Tübingen 1992, S. 954. 824 Alberto Martino: Die italienische Literatur im deutschen Sprachraum. Ergänzungen und Berichtigungen zu Frank-Rutger Hausmanns Bibliographie. Amsterdam 1994 [Chloe. Beihefte zum Daphnis 17], S. 420. 825 William J[ervis] Jones: Sprachhelden und Sprachverderber. Dokumente zur Erforschung des Fremdwortpurismus im Deutschen (1478-1750). Berlin 1995 [Studia Linguistica Germanica 38]. <?page no="213"?> 214 Eckehard Czucka deren um die Einstellung zu europäischen Sprachen vom 16. bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts. 826 Jones 1995 In der Dokumentensammlung zum Sprachpurismus zitiert Jones auszugsweise die Strophen 3 und 4 aus Hocks Capitel 89 ( Von der Deutschen Schrifft ), an die er zwei weiterführende motivgeschichtliche Überlegungen knüpft. Im vorliegenden Verstext aus Theobald Hoecks schlecht überlieferter Gedichtsammlung führt der ab 1598 am Prager Hof Rudolfs II. tätige Saarländer und Rheinländer die Rollenhagensche Sprachkritik (1595) weiter aus, indem er verschiedene kulturpatriotische Motive mit einbezieht: Urverwandtschaft der griechischen mit der deutschen Sprache; Veränderung der deutschen Sprache durch Gelehrte und Frauen, die ‚nach art‘ Welsch und Latein reden; Unverständlichkeit des Deutschen, auch für den auferstandenen Stammvater Tuitschon. Die Verbindung zu Rollenhagen stellt Jones durch den zuvor zitierten Text aus dem Froschmevseler 827 her. Der Aventin-Bezug wird hier einmal nicht kritisch gegen Hock gewendet, sondern für eine diskursive Anknüpfung genutzt. Weiterführend für das Verständnis scheint auch der Hinweis auf das Motiv der „Auferstehung“ zu sein: Zur redivivus-Technik vgl. schon Nikodemus Frischlins lateinisches Schuldrama „Julius Redivivus“ (gedruckt 1584), in dem Cäsar und Cicero aus der Unterwelt nach Deutschland kommen und die Bühne betreten, wo sie sich u. a. über die Entartung der romanischen Sprachen beschweren. 828 Jones 1999 In der Aufsatzsammlung Images of language fragt Jones, gestützt auf die Texte der Dokumentation von 1995, nach der Einstellung zur Sprache unter frühen deutschen Puristen; er erwähnt Reaktionen Hocks auf Einflüsse des Italienischen auf die Lexik des Deutschen; verwiesen wird auf das auch schon in der früheren Dokumentation herangezogene Capitel 89 ( Von der Deutschen Schrifft ) des Blumenfelds . 829 Neben den Gelehrten, die als Verursacher der Unverständ- 826 William Jervis Jones: Images of language. Six essays on German attitudes to European languages from 1500 to 1800. Amsterdam und Philadelphia/ PA 1999 [Amsterdam studies in the theory and history of linguistic science. Series III, Studies in the history of the language sciences 89]. 827 Jones: Sprachhelden (Anm. 825), S. 28f. 828 Ebd., S. 29. 829 Jones: „Mit rainem teutschen lispeln“. Attitudes to language among earlier German purists. In: Jones: Images (Anm. 826), S. 25-58, hier S. 33. <?page no="214"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 215 lichkeit genannt werden, sind es aber auch die „Frawenzimmer zart / Reden Wälsch vnd Latein nach art“. 830 In einem weiteren Aufsatz geht es um die Bedeutung des Lexikons und der Metaphorik bei der Entwicklung des sprachpuristischen Diskurses. 831 Ausgehend von Beobachtungen, dass in einschlägigen Quellen - als Beispiel wird Moscherosch genannt - Deutsch oftmals als Sprache der Helden positiv konnotiert ist, nennt er Hocks Kunstgriff, eine alte Figur, nämlich den auferstandenen Stammvater Tuitschon, für Zwecke des sprachlichen Vergleichs und der Satire wiederzubeleben (Capitel 89, Strophe 4). Straßner 1995 In der Beschreibung der Entwicklung der deutschen Sprache Von der Barbarensprache zur Weltsprache wird das 17. Jahrhundert Von Martin Opitz bis Gottfried Wilhelm Leibniz terminiert. 832 Darin wird den grammatisch, fachlich, didaktisch und puristisch orientierten Sprachkulturen eine literarisch orientierte beigeordnet: Anders als die skeptischen Grammatiker preist der Pfälzer THEOBALD HOCK oder HOECK zu Beginn des 17. Jahrhunderts die deutsche Sprache in einem Gedicht ‚Von Art der Deutschen Poeterey‘ und mahnt die Deutschen, sie über den Sprachen fremder Völker nicht zu vernachlässigen. Die antiken Poeten hätten ihre Meisterstücke nur zustande gebracht ‚weil sie gschrieben bsunder, ihr Sprach jetzunder‘. Darum sollten die Deutschen es ihnen nachtun und auch ‚in der Mutter Zungen‘ singen. Die deutsche Sprache habe den Vorteil, daß sie viel schwerer sei als andere und viel mehr Mühe mache, denn ‚drin man muß obseruiren, die Silben recht führen, den Reim zu zieren‘. 833 Dem folgt dann im Text unmittelbar anschließend - wie nicht anders zu erwarten - Opitz, während in der Fußnote neben der Quellenangabe zum Blumenfeld ein bedenkenswerter Hinweis auf eine gegensätzliche Position gegeben wird, 830 Jones: lispeln (Anm. 829), S. 33: „According to Theobald Hoeck, not only were scholars rendering the language incomprehensible, but also ‚Frawenzimmer zart / Reden Wälsch vnd Latein nach art‘“. 831 Jones: „Die Söhne wolten nicht der eignen Mutter schonen“. Lexis and metaphor in the formation of German puristic discourse. In: Jones: Images (Anm. 826), S. 59-84, hier S. 70: „German is often depicted positively in our sources as a language of heroic men. Moscherosch (1643 II, 119) introduces the historical figure of Ariovistus to the contemporary scene and places in his mouth a shaming reference to ‚die Mannliche [sic! ] Heldensprach ewrer Vorfahren‘.[…] The device of reviving an ancient figure for purposes of linguistic comparison and satire is found also in Hoeck 1601: 84 r .“ 832 Erich Straßner: Deutsche Sprachkultur. Von der Barbarensprache zur Weltsprache. Berlin und Boston/ MA 1995, S. 65-120. 833 Ebd., S. 77-89, hier S. 77. <?page no="215"?> 216 Eckehard Czucka die Hermann Fabronius um 1620 in seinem Gedicht Wieder [sic! ] die Vermengung der Teutschen sprache formuliert. 834 Schmidt et. al. 2008 Die 2. Aufl. des Fremdwörterbuchs verzeichnet mit Bezug auf das Blumenfeld (Koch) als Quelle unter „Galanterie [Belege]“ Hock 1601 Blumenfeld 132 Frawenzimmer zart / Reden Waelsch Vnd Latein nach art / Deutsch zur Galanterey, / Nicht kleckt wie gutt es sei. 835 IV.3 Literarische Rezeption - Übersetzung und Hommage Literarische Reaktionen auf Hock sind nur in zwei Fällen nachweisbar. Mareš Auf einer Web-Seite 836 sind die Übersetzungen zweier Texte aus dem Blumenfeld ins Tschechische zu finden, die von Jan Mareš stammen. Druckorte konnten nicht ausfindig gemacht werden. Zum einen ist die Übersetzung der ersten Strophe des Capitels 2 ( Nach Erfahrenheit kombt Erkantnüß ) aufgenommen: Já, který jsem před časy, to za dob mého mládí, lásek strasti i krásy užil a nejen kradí s pilností, k níž to svádí. Zum anderen werden mit Verweis auf die zweisprachige Umgebung, in der Hock lebte, die ersten drei Strophen aus dem Capitel 88 ( Von vrsprung der Deutschen Sprach ) präsentiert als Thematisierung der Babylonischen Sprachverwirrung: 834 Hermann Fabronius (Mosemannus) 1620(? ): Wieder [sic! ] die Vermengung der Teutschen sprach [Kassel GHSB: 2° Ms. poet. et roman. 12. fols. 957-958]. - Straßner bezieht sich auf den Abdruck bei C. S.: Aus alter und neuer Zeit. In: Hessenland. Zeitschrift für hessische Geschichte und Litteratur 10 (1896), S. 52f. 835 Herbert Schmidt/ Dominik Brückner/ Isolde Nortmeyer/ Oda Vietze/ Gerhard Strauss (Hrsg.): Deutsches Fremdwörterbuch. Bd. VI: Gag-Gynäkologie. 2. Aufl. Berlin 2008, S. 17. - Quellenverzeichnis unter URL: http: / / www1.ids-mannheim.de/ lexik/ fremdwort/ quellen/ quellenverzeichnis/ (zuletzt abgerufen am 31. August 2018). 836 URL: http: / / www.svobodne.estranky.cz/ clanky/ spolecnost/ ceskonemecky-evangelicky-renesancni-basnik-theobald-hock.html (zuletzt abgerufen am 15. Juni 2018). <?page no="216"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 217 O původu německé řeči Než byla právě tisíc let, navíc sedm set sedm a osmdesát roků doba zralá, dotud, co stvořeny nebe a zem, jak známo všem, jedna řeč panovala. Až počal tyran, jenž Nimrud zván, věž Bábel stavět pýchou štván. Bůh nato rozhodnut však jest, co mstu a trest, jednu řeč zmást, a tak ji změní ve dvaasedmdesát podříší věřme Mojžíši a jeho vyprávění. Cham získal třicet, patnáct vzal Jefet, Šém pak ty zbylé řeči na počet. I Teuton odtud pilně má vlást rovnou dvěma řečmi: Němců a Slávů. Beztak ještě než zničena Trója tak řečená, bývávaly v promíšeném stavu. Když slavný císař žil, i dál to nařídil, Karel Čtvrtý jméno nosil. To on ve zlaté bule své k tomuto zve: ať každičké z knížat zmůže vždy dobře řeč obojí a že obstojí on prvý, nezůstal dlužen její sepsání, ba samotné ani gramatiky pojednání. Tänzer 1988 (1985) Gerhard Tänzer, der Mitherausgeber des Blumenfelds (Philippi/ Tänzer) von 2007 (Anm. 49), hat 1985 eine Versschule publiziert; 837 darin werden Definitionen der poetologischen Fachbegriffe Vers, Strophe, Gedicht und Reim gegeben und mit 837 Gerhard Tänzer: Schönes Blumenfeld. Kleine erotische Versschule. Durchges. und erw. Ausg. Frankfurt am Main 1988 [Fischer-Taschenbücher 9221]. <?page no="217"?> 218 Eckehard Czucka kurzen Beispielen erläutert, die zu einem Teil Zitate, Variationen oder Allusionen klassischer oder zeitgenössischer Texte sind. Die erotische Thematik soll - nach dem Willen des Verfassers - „das Spielerische formaler Strukturen unmittelbar deutlich machen.“ 838 Der Hinweis auf dem Titelblatt verso lautet: „Der Titel ‚Schönes Blumenfeld‘ stammt von Theobald Hock, einem pfälzischen Dichter des Vorbarock.“ Das ist Quellenangabe und Hommage zugleich. IV.4 Internetseiten Angesichts eines zunehmendes Desinteresses an Hock, das sich etwa seit der Jahrtausendwende an der Zahl der wissenschaftlichen Publikationen ablesen lässt, ist Hock als Autor und historische Person im Internet durchaus bemerkenswert präsent, das sich etwa zur gleichen Zeit durchzusetzen beginnt. Verschiedene Seiten, die Hock-Texte präsentieren, sind graphisch nicht akzeptabel, da Gedichttexte zentriert um die Mittelachse dargeboten werden. IV.4.1 Webseiten auf Deutsch literaturland-saar Reiner Marx gibt in dem Internetartikel Theobald Hock 839 , der auf einer von dem Verein Literaturland Saar e. V. betriebenen Web-Seite steht, einen Überblick in zwei Kapiteln. In einer kurzen Einleitung wird unter Verweis auf das Blumenfeld konstatiert, dass Hock „mit Sicherheit literaturgeschichtlich der wichtigste saarpfälzische, wenn nicht gar ‚saarländische‘“ Dichter“ sei, auch wenn seine „Beziehung zu seinem Geburtsort Limbach […] für sein späteres abenteuerliches Leben keine bedeutende Rolle spielen sollte“. Das erste Kapitel nimmt mit der Überschrift Der Autor beweint das Leben Bezug auf das gleichnamige Hock-Gedicht, das in voller Länge nach der Ausgabe Blumenfeld (Philippi/ Tänzer [Anm. 49]) zitiert wird. Ausgehend von den darin enthaltenen, „vage[n] autobiographische[n] Hinweise[n]“ wird ein knapper Lebensabriss gegeben, dessen Resümee lautet: „Sein […] abenteuerliches Leben könnte durchaus den Stoff für einen barocken Picaro-Roman abgeben.“ Dadurch, dass Hocks letztes Lebenszeichen aus dem Elsass kommt, „scheint sich der Kreis seines unsteten Lebens mit seiner Rückkehr in die weitere Region seiner Herkunft wieder zu schließen.“ 838 Ebd., Klappentext. 839 URL: https: / / literaturland-saar.de/ personen/ theobald-hock/ (zuletzt abgerufen am 21. August 2018). <?page no="218"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 219 Eine einlässliche, detailreiche und aufmerksame Beschreibung des Blumenfelds steht unter dem Titel Deutsche Poeterey , die die weitgefasste Thematik vorstellt, das Innovative des Capitels 19 ( Von Art der Deutschen Poeterey ) und die literarische Bedeutung des Capitels 1 ( Unglück thut die Augen auff ) deutlich macht. Für den Umgang mit Hocks Sprache wird ein bedenkenswerter Hinweis gegeben: Der gedruckte Text gibt überdies noch nicht vollends die Aussprache wieder, er ist eher so etwas wie die Notation der Intention, die sich erst beim (am besten lauten) Lesen einstellt. Wie eine musikalische Partitur erschließt sich erst die Schönheit der noch suchenden und tastenden Hockschen Sprache mit der aufführenden Interpretation. Dieser kleine Text, der Hinweise von Philippi und Tänzer aufnimmt, kann für eine bemerkenswerte Annäherung an Hock genommen werden. whoswho Die Interetausgabe des whoswho 840 weiß - hier die zeichengenaue Wiedergabe des Eintrags - zu berichten: Der deutsche Dichter. † nach 1618 Wurde in Prag wegen seines Eintretens für die evangelische Union angeklagt und zum Tode verurteilt; 1618 beim Prager Aufstand befreit. In seinen Gedichten wird der Übergang vom Meisterlied zur romantischen Formgebung deutlich: „Schönes Blumenfeld“ (1601). Bleibt nur die Frage, wann die ‚romantische Formgebung‘ zu datieren ist. Wikipedia Nachdem Wikipedia die gedruckten Enzyklopädien ersetzt hat und nicht nur in studentischen Kreisen die online-Auskunft das Maß der Erkenntnis geworden ist, erübrigen sich an dieser Stelle kulturpessimistische Anmerkungen. Der Wikipedia-Artikel „Theobald Hock (auch Hoeck oder Hoeckh)“ 841 ist in fünf Abschnitte gegliedert: Leben, Werk, Ausgaben (mit dem Unterpunkt „Anthologien“), Literatur (Auswahl) und Weblinks. Merkwürdigerweise wird die Namensform „Höck“ nicht aufgeführt. Vorkommende Namen sind durchweg verlinkt, Begriffe werden eher willkürlich weitergeleitet: so sind z. B. Kollatur und Protestantische Union nicht erklärt. Bedenklich aber ist, dass die Angaben nicht - wie durchaus in anderen Wikipedia-Artikeln üblich - mit Quellenan- 840 URL: http: / / www.whoswho.de/ bio/ theobald-hoeck.html (zuletzt abgerufen am 21. August 2018). 841 URL: https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Theobald_Hock (zuletzt abgerufen am 21. August 2018). <?page no="219"?> 220 Eckehard Czucka gaben nachgewiesen werden, wenngleich benutzte Quellen der Forschungsliteratur leicht zu identifizieren sind. So ist etwa der Hinweis auf „die nach Sturmschen Grundsätzen eingerichtete ‚Schola illustris‘“ eine Kontraktion der Information des nicht unter „Literatur“ genannten Artikels Kühlmanns im Killy- Literaturlexikon (Anm. 722) und des Eintrags in der NDB (Anm. 715). Die Ausführungen zur Biographie sind die umfangsreichsten und im großen und ganzen zuverlässig. Stolpern mag man über die Berufsangabe „politischer Agent und deutscher Lyriker“. Dass diese Biographie nichts mit dem Werk zu tun hat, wird nicht erwähnt. Die Ausführungen über das Werk übernehmen (bis auf wenige Zeilen am Anfang und die Medisance über Sprichwörter [„Diese volkssprachliche Fertigware“]) fast wörtlich die Ausführungen zur Edition von Philippi und Tänzer (Anm. 49). Zwar wird der benutzte Text unter Ausgaben genannt, doch dürfte eine solche plagiatorische Übernahme auch urheberrechtlich fragwürdig sein. 842 Die Zusammenstellung der Anthologien wirkt zufällig, fast beliebig: wer kann schon die Lyrische Anthologie von Roos (Anm. 804), erschienen 1942 in 842 Da Texte im Internet flüchtig sind, wird hier der am 23. September 2018 aktuelle Wortlaut festgehalten; die Seitenzahlen beziehen sich auf Blumenfeld (Philippi/ Tänzer): „Seine Vorbilder sind weniger in der lateinischen Dichtung zu suchen als vielmehr im entstehenden Kunstlied der Prager Dichterkomponisten Jakob Regnart (1540-1599) und Christoph von Schallenberg (1561-1597).“ [209f.] - „Hocks Verse holpern zwar oft noch nach Art der Meistersinger, umso bewundernswerter aber erscheinen dann seine sauberen Jamben, sein kunstvolles Variieren der Strophenformen und seine Reimtechnik.“ [210] - „Der Wortschatz seiner Texte umfasst eine breite Spanne von grobianischen, oft erotisch anspielenden Ausdrücken bis hin zu Fachausdrücken aus dem Hofleben.“ [ebd.] - „Die Thematik der Texte Hocks ist vielgestaltig. Noch in der Tradition der Meistersinger verspottet er die Bauern, beklagt die List und Falschheit der Frauen und kritisiert Zustände der Zeit, insbesondere die Privilegierung der untauglichen adligen Hofbeamten, denen er die tüchtigen bürgerlichen (und damit sich selbst) gegenüberstellt. Hocks Kritik an den Zuständen bei Hof ist für jemanden, der selbst in der höfischen Welt lebt, erstaunlich offenherzig. Vom protestantischen Christentum und seiner Ethik bezieht er das Lob von Fleiß und Ausdauer sowie die Verkündigung von Duldsamkeit im Leiden und der Ausrichtung des Lebens auf den Tod.“ [210f.] - „Die strenge protestantische Moral unterläuft Hock jedoch mit witzigen Formulierungen, wie überhaupt Spott und Ironie viele seiner Gedichte durchdringen.“ [211] - „Das 16. Jahrhundert ist das goldene Zeitalter der Sprichwörter.“ [ebd.] - „Denn bei allem Predigen und Moralisieren will Hock den Leser auch unterhalten und vergnügen. Im selben Gedicht mischen sich oft Ernst und Scherz, Lehrhaftes und Belustigendes, und dem Spaßigen wiederum stehen Vergänglichkeitsklagen gegenüber, wie sie manch nachfolgender Barockdichter nicht zu schreiben vermochte.“ [ebd.] - „Schon im Titel Schönes Blumenfeld weist Hock auf die Vielfalt und Buntheit der Texte (und Themen) hin, spielt aber auch auf die Wiese als Tummelplatz der Narren an (Satire als ‚speculum mundi - Spiegelbild der Welt‘). Satire ist bei Hock Charakter-Satire. Sie zielt nicht so sehr auf allgemeine Laster, als vielmehr auf bestimmte Charakterfehler der einzelnen Menschen.“ [212] <?page no="220"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 221 Kopenhagen, ohne Umstände erreichen? Der Hinweis auf die Anthologie Deutsche Dichtung des Barock von Hederer und Pörnbacher führt in die Irre, da diese Sammlung keinen Hock-Text enthält. Die „Auswahl“ an (Sekundär-)Literatur wirkt völlig beliebig; so sind Kösters und Jellineks Rezensionen des Blumenfelds (Koch) nicht aufgeführt, wohl aber Jellineks Aufsätze von 1901 und 1932. Was Schröders halbseitige Notiz von 1925 (Anm. 14) in einer solchen ersten Übersicht zu suchen hat, bleibt unerfindlich. Dass unter Weblinks auch die Weiterleitung auf das Digitalisat des Zedler (Anm. 541) gegeben wird, ist eine hübsche Beigabe. - Die Ausführungen beziehen sich auf den Text mit dem Vermerk: „Diese Seite wurde zuletzt am 24. März 2018 um 16: 15 Uhr bearbeitet.“ Wikivisually Die Seite wikivisually beschreibt sich selbst als „die gesamte Wiki mit Video- und Fotogalerien / finde etwas Interessantes, das in Sekunden angesehen werden kann.“ 843 Neben dem Text aus der Wikipedia werden ausgewählte links bebildert, gern mit Wappen und Postkartenansichten genannter Städte, Porträts historischer Persönlichkeiten; recht abstrus wird es, wenn zu Begriffen wie „Sprichwort“ Bilder angeboten werden. Da in dem Hock-Artikel - eher überflüssigerweise - auch der Zedler erwähnt wird, gibt es dann auch Abbildungen Zedlerscher Druckprodukte. Das alles wirkt - setzt man das Interesse an einem Dichter Hock und seinem Werk voraus - wie eine biblia pauperum fürs Internet. Žumberk/ Sonnberg Die Webseite, die von dem Förderverein Pfarrkirche Sonnberg/ Žumberk Südböhmen e. V. eingestellt wird, 844 präsentiert die Übersetzung eines Berichts von Roman Lavička (Nationales Institut für Denkmalpflege, Kunsthistorische Abteilung, Budweis) über die Entdeckung des Hockschen Wappens im Jahre 2012 und informiert über die Biographie: Während der laufenden Rekonstruktionsarbeiten im Kircheninnern haben der Kunstmaler und Restaurator Antonín Hamsík und der Restaurator Pavel Hála vom Gerüst aus restauratorische Ergänzungen vorgenommen, nachdem am 20. und 21. Februar 2012 ein unerwarteter und sehr wertvoller Fund von spätmittelalterlichen und manieristischen Wandmalereien im Kircheninnern zutage gefördert worden war. 843 URL: wikivisually.com/ lang-de/ wiki/ Theobald_Hock (zuletzt abgerufen am 21. August 2018). 844 URL: http: / / www.pfarrkirche-sonnberg.de/ Site2.PfarrKirchFresken3.html (zuletzt abgerufen am 21. August 2018). <?page no="221"?> 222 Eckehard Czucka An der Westwand des Kirchenschiffs, und zwar über der Empore, fand sich im Gewölbefeld nahe der Nordwestecke ein gemalter deutscher Text mit dem Wappen von Theobald Höck (*1573 - † etwa 1625), dem Besitzer der Festung Sonnberg in den Jahren 1610-1617, also einer Zeit, als die Malerei im Kircheninneren entstand. Eine weitere und inhaltlich bislang nicht identifizierbare Malerei aus derselben Zeit hat sich über dem Portal erhalten, durch das man über eine Treppe die Empore betritt. Die aufgefundenen Malereien weisen denselben Charakter auf wie die im Innern der Sonnberger Festung befindliche Ausstattung und bestätigen somit, dass hier derselbe Maler am Werk war. Theobald Höck (*1573 - † etwa 1625) wurde in der Unterpfalz geboren. Ab 1600 war er deutscher Sekretär am Hofe Peter Woks von Rosenberg († 1611), wo er die deutsche Korrespondenz des Regenten besorgte und sich gemeinsam mit Václav Březan um die Ergänzung des Bücherbestands kümmerte. Der letzte Rosenberger Regent übereignete ihm 1610 die Festung in Sonnberg und in Chvalkov bei Nové Hrady (Gratzen). Im Jahr 1617 erhielt Theobald Hock eine Vorladung der böhmischen Hofkanzlei, denn man beschuldigte ihn, die Urkunden über die adlige Herkunft seiner Familie gefälscht zu haben. Durch Gerichtsentscheid wurde ihm die Festung Sonnberg konfisziert. Die letzte Nachricht über T. Höcks Aufenthalt im Königreich Böhmen stammt von Juli 1619. Der hier verhandelte Text ist der Festschrift entnommen, die der Förderverein nach erfolgter Renovierung zum fünfhundertjährigen Bestehen der Kirche in Sonnberg veröffentlicht hat. 845 Diese Publikation muss als nennenswerter Beitrag zur Lebensbeschreibung Hocks genommen werden. IV.4.2 Webseiten auf Tschechisch Mehr als Hinweise können hier nicht gegeben werden. Kohoutí Kříž/ ’S Hohnakreiz Diese Seite 846 liefert viele Bilder, u. a. aller Ausgaben des Blumenfelds und der Kopie eines österreichischen Zeitungsartikels, in dem über die Wiener Promotion Brunhilde Vetters’ (Anm. 553) berichtet wird, da der Arbeit eine Abbildung des Hockwappens vorangestellt ist. 845 Ernst Wohlschläger: Theobald Hock. Poet und Herr der Feste Sonnberg von 1610 bis 1618. In: ders. (Hrsg.): 500 Jahre St. Johannes der Täufer Sonnberg 1513-2013/ Farního kostela sv. Jana Křtitele v Žumberk. Jubiläum und Wiedereinweihung/ Výročí a znovuzasvěcení. 5. Oktober 2013. Osnabrück 2013, S. 229-233. 846 URL: https: / / www.kohoutikriz.org/ priloha/ hock.php (zuletzt abgerufen am 21. August 2018). <?page no="222"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 223 Svobodné protestantské stránky/ Protestantische Seite Die Seite 847 präsentiert einen längeren Text in tschechischer Sprache, der u. a. die Hock-Übersetzungen von Mareš (siehe Anm. 836) enthält. Hier findet sich ein leider nicht belegter Hinweis, der nahelegt, Goethe habe Hoeck gekannt. Das ließ sich während unserer Recherchen nicht verifizieren. encyklopedie.ckrumlov Der tschechische Text unter dem Titel Theobald Hock z Zweibrückenu 848 gibt eine kurze Biographie Hocks, ohne das Blumenfeld zu erwähnen. V Biographie und Name V.1 Zur Biographie Hocks In einem fast unvorstellbaren quid pro quo werden die Fragen nach dem Leben Hocks erörtert, obwohl die Phase, in der das Blumenfeld entstanden ist, definitiv nicht belegt sind. Die Germanistik hat von ihrem Beginn an - und hier ist Hoffmann von Fallersleben als mustergebendes Beispiel zu nennen - es leider nicht als Chance begriffen, dass hier ein Werk vorliegt, welches ohne Referenzen auf das Lebens des Verfassers aus sich heraus zum Sprechen gebracht werden kann. Vielmehr ist - nach dem Leben-Werk-Muster der Goethe-Philologie - der nicht herzustellende biographische Bezug als Rezeptionshindernis verstanden worden. Damit wird nicht in Abrede gestellt, dass Hocks Wirken in den bekannten politischen Zusammenhängen das Interesse der Forschung verdient, aber eben das der Geschichtswissenschaft. Dabei verfolgt die tschechische Forschung durchaus andere Interessen als die deutsche, die im wesentlichen regionalgeschichtlich orientiert zu sein scheint, sieht man etwa von den nachstehend aufgeführten Beiträgen Jellineks, Hübschers, Brauers (1936), von Kamptz’ und Kühlmanns ab. Im folgenden werden deshalb die Ergebnisse der Bemühungen in chronologischer Folge mit den bibliographischen Angaben ohne Verweis auf event. frühere Nennungen in dieser Arbeit dokumentiert, Publikationen des gleichen Verfassers werden entgegen der Chronologie zusammengestellt. [Zedler]: Theobaldus Hockius. In: Johann Heinrich Zedler (Hrsg.): Grosses vollständiges Universal Lexicon Aller Wissenschafften und Künste. Bd. XIII. Leipzig 1735, S. 334. Jakob Franck: Hock von Zwaybruck, Theobald. In: Allgemeine Deutsche Biographie 12 (1880), S. 533-534 unter Höck [Online-Version]; URL: . In: Allgemeine deutsche Bio- 847 URL: www.svobodne.estranky.cz (Anm. 836) (zuletzt abgerufen am 21. August 2018). 848 URL: http: / / www.encyklopedie.ckrumlov.cz/ docs/ cz/ osobno_thoczw.xml (zuletzt abgerufen am 21. August 2018). <?page no="223"?> 224 Eckehard Czucka graphie; 12: Bd. 12: Hensel-Holste. 2. unveränd. Aufl., Neudr. der 1. Aufl. von 1880, S. 533f. (Anm. 118) Anton Rybicka: Die letzten Rosenberger und ihr Erbe. Unterabteilung Theobald Hocke und seine Verwandtschaft. Časopis Musea Království Českého. In: Zeitschrift des Museums des Königreiches Böhmen 55 (1880/ 1881), S. 370-374. Adolf Berger: Die Rosenbergische Bibliothek und Wenzel Březan. In: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Deutschen in Böhmen 20 (1882), S. 193-211. Matthäus Klimesch (Hrsg.): [Rosenberg’sche Chronik] Norbert Heermann’s Rosenberg’sche Chronik. Prag 1897. Max Hermann Jellinek: Theobald Hocks Sprache und Heimat. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 33 (1901), S. 84-122. Karl Lorenz: Die kirchlich-politische Parteibildung in Deutschland von Beginn des dreißigjährigen Krieges im Spiegel der konfessionellen Polemik. München 1903. Franz Mareš: Der deutsche Dichter Theobald Hock in Rosenbergischen Diensten. In: Anzeiger der böhmischen Akademie Ceskoslovenska akademie ved Vestnik 13 (1904), S. 147-163, S. 247-263. Albert Becker: Der Dichter Theobald Hock, ein Limbacher. In: Der Pfälzerwald 22-23 (1921), S. 85f. 849 Albert Becker: [Hock]. In: Zweibrücker Zeitung vom 1. September 1923. Albert Becker: [Hock]. In: Saarbrücker Zeitung vom 29. Juni 1924. Albert Becker: [Hock]. In: Blätter für pfälzische Kirchengeschichte und religiöse Volkskunde (1925). Albert Becker: Zur Kulturgeschichte des Westrichs. Streifzüge durch das Geistesleben der pfälzisch-saarländischen Grenzmark. Kaiserslautern 1927 [Beiträger zur Heimatkunde der Pfalz]. Albert Becker: [Hock]. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 53 (1928). 850 Edward Schröder: Lückenbüßer, Theobald Höck. In: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 62 (1925), S. 20. Wolfgang Krämer: Theobald Hock (1573-1658). Ein saarpfälzischer Dichter in Böhmen. In: Südwestdeutsche Heimatblätter 1 (1926/ 27), S. 68-71. Hans Georg Uflacker: Christian I. von Anhalt und Peter Wok von Rosenberg. 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In dem ersten Aufsatz (1921), der den Fund von Hocks Namen im Schulmatrikel mitteilt, gibt er - wohl gestützt auf die ADB 1880 - als Todesjahr Hocks 1658 an; diese Jahreszahl wird dann von Krämer 1927 übernommen und findet sich noch 1949 bei Martini, 1950 bei Schmitt und 1962 Frenzel wieder. 850 Die kurze Notiz reagiert auf den Aufsatz von Hübscher (1927), wobei nicht recht nachvollziehbar ist, warum Becker die korrekt zitierte Auskunft meint korrigieren zu müssen. <?page no="224"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 225 Will-Erich Peuckert: Pansophie. 3: Das Rosenkreutz. 2., neugef. Aufl. Berlin 1928. J. Matthäus Kliemesch: Ein deutscher Dichter aus dem Anfang des 17. Jahrhunderts als Besitzer des Gutes Sonnenberg. Monatsschrift für Geschichte, Kunst, Landes- und Volkskunde des Böhmerwaldes. In: Waldheimat 9 (1932), S. 33-40. Walter Brauer: Jacob Regnart, Johann Hermann Schein und die Anfänge der deutschen Barocklyrik. 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Theobald Hock als ‚Commissarius‘ Ernst von Mansfelds am Oberrhein. In: Wolfenbüttler Barock-Nachrichten 8 (1981), S. 189. Václav Bok: Bemerkungen zu Leben und Werk Theobald Höcks von Zweibrücken. In: Václav Bůžek (Hrsg.): Zivot na dvore a v rezidencních mestech posledních rozmberku. Vyd. 1. Ceské Budejovice 1993 [Opera historica 3], S. 233-242. Martin Baus: Der „Hock von Zweybrücken“ Limbach. Als Dichter war Theobald Höck ähnlich virtuos. In: Westricher Geschichtsblätter 21/ 22 (2001/ 2002), S. 30f. Martin Baus: Der Dichter aus Limpach. In: Saarbrücker Zeitung vom 13. Oktober 2001, E8. Klaus Wilhelm: Nochmals: Der Name „Hock“ in Limbach. In: Saarpfalz 86,2 (2005), S. 46-50. Bernd Philippi/ Gerhard Tänzer: Der Lebensweg Theobald Hocks - Zu dieser Edition. In: dies. (Hrsg.): Schönes Blumenfeld: Ausgewählte Gedichte. Saarbrücken 2007, S. 199-212. Václav Bok: Die Bibliotheken von Theobald und Hans Höck von Zweibrücken nach einem Inventar von 1618. In: Ulman Weiß (Hrsg.): Buchwesen in Spätmittelalter und Früher Neuzeit: Festschrift für Helmut Claus zum 75. Geburtstag. Epfendorf am Neckar und Jena 2008, S. 341-356. Ernst Wohlschläger: Theobald Hock. Poet und Herr der Feste Sonnberg von 1610 bis 1618. In: Ernst Wohlschläger (Hrsg.): 500 Jahre St. Johannes der Täufer Sonnberg 1513-2013 farního kostela sv. Jana Křtitele v Žumberk. Jubiläum und Wiedereinwei- <?page no="225"?> 226 Eckehard Czucka hung Výročí a znovuzasvěcení. 5. Oktober 2013. Osnabrück 2013, S. 229-233. (Anm. 845) Karlheinz Schauder: Von Limbach nach Prag. Das abenteuerliche Leben von Theobald Hock. In: Saarpfalz-Jahrbuch (2015), S. 31-40. Wohlschläger 2013 Die Lebensbeschreibung Hocks 851 fasst den Kenntnisstand zusammen und ordnet die Zeit zwischen 1611 und 1618, als Hock Besitzer von Sonnberg war, in die Geschichte der Kirche ein, für die Hocks Regentschaft nur eine Episode war. Diese Kontextualisierung ist neu und erhellend. V.2 Zum Namen: Hock, Höck oder Hoeck? Der Katalog der Deutschen Nationalbibliothek verzeichnet in einem Datensatz „Hock, Theobald“ 852 folgende Namenformen: Hock von Zwaybruck, Theobald (böhm. Adel 1602) Hock von Zweybrucken, Theobald Hock, Theobaldus Hoeck von Zwaybruck, Theobald Höck von Zwaybruck, Theobald Hoeck, Theobald Höck, Theobald Höckh, Theobald Ichamp, Otheblad Öck von Öck von Ichamp, Otheblad Öck, Otheblad Öckh, Otheblad (Pseudonym) Zwaybruck, Theobald Hock von Zweybrucken, Theobald Hock von Seit der Auflösung des Anagramms „Othebladen Öckhen von Ichamp Eltzapffern Berme=orgisschen Secretarien“ in „Theobald Höck“ durch Hoffmann von Fallersleben hat sich durch das 19. Jahrhundert hindurch in allen nachfolgenden Publikationen entweder die umgelautete Namensform Höck 853 oder die in der Aussprache nicht eindeutig festgelegte Form Hoeck 854 durchgesetzt. 855 Eine Aus- 851 Ernst Wohlschläger: Theobald Hock. Poet und Herr der Feste Sonnberg von 1610 bis 1618. In: Wohlschläger: Hock (Anm. 845), S. 229-233. 852 URL: http: / / d-nb.info/ gnd/ 129212822 (zuletzt abgerufen am 16. Mai 2018). 853 Höck schreiben: Koberstein, Gervinus, Kurz, Lemcke, Stern, Euphorion . 854 Hoeck verwenden: Höpfner, Wackernagel, Goedecke, Maltzahn, Waldberg, Borinski, Wolkan, Ehrenkranz , Nagl und Zeidler, Toischer. 855 Siehe auch die Übersicht bei Blumenfeld (Koch), S. Xf. <?page no="226"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 227 nahme ist die ADB 1880 (Anm. 118), die als einzige auch die Variante „Höckh“ nennt. 1899 zieht Koch die von Hoffmann von Fallersleben vorgenommene Auflösung des Anagramms in Zweifel, indem er sich auf die „eigenhändige Eintragung des Dichters in dem Breslauer Exemplar“, „die Unterschrift im ersten der in Wien aufbewahrten Briefe“, „in den beiden andern von ihm selbst veröffentlichten Schriften“, die „an ihn und seinen Bruder gerichteten Zuschriften“, den Eintrag im „böhmischen Adelsverzeichnis“ und in „der czechischen Quelle“ sowie „latinisiert als ‚Hoccius‘ in der Heidelberger Matrikel“ beruft. 856 Allerdings muss er einräumen, dass „In dem Abdruck des Rosenbergischen Testamentes […] aus Hock ein Theobalden Hackhen geworden“ ist als Entstellung des Namens in einer fremden Sprachumgebung. Kösters vernichtende Kritik gegen Kochs Edition bezieht sich auch auf die von Koch favorisierte Namenform. Zur Begründung verweist er auf den analogen Fall einer Namenassimilation: […] in der mehrzahl der fälle nennt sich und wird der dichter Hock genannt; aber das geschieht immer erst seit seiner übersiedlung nach Böhmen, wo man ihm seinen Namen mag umgestaltet haben, gerade so wie es Göschen in England ergangen ist. Die beiden Söhne des Verlegers Georg Joachim Göschen reüssierten während des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts in England unter dem Namen Goschen. Mit diesem Beispiel lässt Köster aber erkennen, dass er das Graphem oe für einen Umlaut hält und andere Möglichkeiten nicht in Betracht zieht. - Aber obwohl Köster sonst eher bracchial argumentiert, bringt er hier als feine Spitze unter, dass auch „Koch“ ein mögliches Anagramm zu „Hock“ ist: ausschlaggebend scheint mir vielmehr das titelblatt der einzigen gedichtsammlung Höcks, wo der dichter seinen namen anagrammatisch verändert. hätte er sich wirklich Hock gesprochen, so würde er seinen namen etwa in Koch oder dgl. umgestaltet haben; er anagraphiert ihn aber zu Öckh. das sagt genug. Die biographie Höcks, wie wir ihn nur getrost weiter nennen mögen […] 857 Dieser Regelung par l’ordre du mufti will sich Jellinek allerdings keineswegs anschließen, und er nutzt seine Antwort auf Goetze (Anm. 260) als die erste Gelegenheit, auf Kösters parallel zu seiner Koch-Rezension entstandene und zeitgleich erschienene Publikation zu reagieren: Eine sichere entscheidung über die namensform - Hock oder Höck - scheint mir unmöglich. Auf das anagramm Öckh kann ich kein so grosses gewicht legen wie Köster 856 Ebd., S. XI. 857 Köster: Rezension (Anm. 11), S. 306. <?page no="227"?> 228 Eckehard Czucka und E. Schröder, Anz. f. d. a. 26, 306. Eine majuskeltype Ö , wie der originaldruck des Schönen blumenfelds bietet, ist für jene zeit eine grosse Seltenheit. H. konnte von vornherein nicht darauf rechnen, dass die druckerei sie besitzen würde. Hätte er also wert darauf gelegt, dass der umlaut im anagramm zum ausdruck komme, so würde er wol ö in o e aufgelöst haben, wie er ä in Pfälzern anagramm als a + e verwertet. 858 Brauer fasst 1938 den Stand der Diskussion, der hier nicht im einzelnen nachzuzeichnen ist, zusammen und plädiert, damit Kraus, der aus tschechischer Sicht argumentiert, widersprechend, für „Hock“. Aber auch Brauer muss in Fragen der Aussprache einräumen, dass über Hocks „Haustür in Sonnberg heute noch ‚Hak‘ (o wird sehr offen im Munde des Böhmen) zu lesen steht“. 859 Die regional ausgerichtete Biographistik zu Hock hat sich schon mit Beckers erstem Aufsatz 1921 für die Form „Hock“ (mit kurzem, offenen o ) entschieden und bleibt bis heute dabei. So auch Philippi und Tänzer. 860 Auch wenn nur wenig Hoffnung besteht, dass sich diese Festlegung der Germanistik auf die Namenform „Hock“ noch einmal ändern lässt, sollen doch hier wenigstens die Argumente skizziert werden, die bislang nicht in Betracht gezogen worden sind. Zuerst und v. a. ist Kösters Anmerkung ernstzunehmen, dass der Verfasser des Blumenfelds seinen Namen zu „Öckh“ anagrammiert hat. Dass der Autor später in anderen Zusammenhängen und in fremdsprachiger Umgebung „Hock“ genannt wurde und wohl auch selbst so unterzeichnete, ist als Variation zur Kenntnis zu nehmen, die aber keine rückwirkende Kraft hat. Für das Verschwinden des e aus dem Namen finden sich bei Köster und Brauer, aber auch passim begründungskräftige Hinweise. Einen zweiten, wichtigen Aspekt formuliert Marx in seinem Hock-Artikel auf der Webseite (Anm. 839): Die mitunter verschiedenen Schreibweisen seines Namens (Hoeck oder Hoeckh) dürfen keineswegs dazu verführen, das oe als Umlaut zu lesen und auszusprechen. Vielmehr handelt es sich bei dem e um einen Dehnungsvokal, der lediglich anzeigen soll, dass das o mit einer gewissen Längung zu sprechen ist, wie es heute noch in Limbach üblich ist, wo ausschließlich der Familienname Hock bekannt ist. Mit dieser umsichtigen Bemerkung werden die Bescheidwisser des beginnenden 20. Jahrhunderts, allen voran Köster und Jellinek, die bei oe nur an den Umlaut denken konnten und deren Gelehrsamkeit sich wie bei Jellinek sogar auf die Ausstattung der Setzkästen im ausgehenden 16. Jahrhundert erstreckte, vollständig desavouiert. 858 Jellinek: Miscelle (Anm. 260), S. 413. 859 Brauer: Hock (Anm. 20), S. 255. 860 Blumenfeld (Philippi/ Tänzer) (Anm. 49), S. 212. <?page no="228"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 229 Es ist verwunderlich, dass in allen Überlegungen zu Hocks Herkunft, die v. a. von Becker und Leitzmann angestellt worden sind, nie sprachgeographisch basierte Überlegungen zum Namen eine Rolle spielten. Jellineks Versuch von 1901 (Anm. 248), der als gescheitert anzusehen ist, bleibe hier unberücksichtigt. - In Betracht zu ziehen ist wohl, dass oe nicht zwangsläufig als o -Umlaut gesprochen werden muss. Gebiete, in denen sich ein Dehnungse in Namen bis heute erhalten hat, liegen in ziemlicher Nähe zum pfälzischen Limbach: Westfalen, der Niederrhein und Ostbelgien. Nachdrücklich jedoch wäre in eine noch einmal zu führende Diskussion der Hinweis Wolfskehls einzubeziehen, der 1938, schon aus seinem Exil in Neuseeland, in einem Brief an Scholte plädiert: Ja, ich gehe so weit, anzunehmen, daß sein Name der heute noch in der Pfalz häufige „Huck“ gewesen ist, den er während oder infolge seines holländischen Aufenthalts in niederländischer Rechtschreibung aufzeichnet. 861 Bei einer Schreibung des Namens „Hoeck“ müsste dann - wie beim Lesen des Blumenfelds - der Rat gelten: Der gedruckte Text gibt überdies noch nicht vollends die Aussprache wieder, er ist eher so etwas wie die Notation der Intention, die sich erst beim (am besten lauten) Lesen einstellt. Wie eine musikalische Partitur erschließt sich erst die Schönheit der noch suchenden und tastenden Hockschen Sprache mit der aufführenden Interpretation. (Anm. 839) VI Fazit Rückblick Theobald Hocks Schönes Blumenfeld ist nach gegenwärtigem Kenntnisstand zwischen seinem Erscheinen 1601 und dem ersten Abdruck bei Docen 1807 (Anm. 27) nicht nachweisbar rezipiert worden. Verschiedentlich im 19. Jahrhundert geäußerte Vermutungen zu einer möglichen zeitgenössischen Rezeption bleiben ohne Beleg. Gervinus (Anm. 79) unterstellt eine Ablehnung Hocks durch Opitz, Stern (Anm. 122) verweist auf vermeintliche inhaltliche Übereinstimmungen; Lemcke (Anm. 97) beruft sich - im Sprachgebrauch des 20. Jahrhunderts ausgedrückt - auf literatursoziologische Annahmen. Im 20. Jahrhundert wird Hock für Cysarz (Anm. 473) mangels belastbarer Belege kurzerhand als „seelischer Ahnherr“ dem Martin Opitz zugeordnet. 1988 rekonstruiert Adam (Anm. 758) aus literaturkritischen Überlegungen eine dezidierte Nicht-Erwähnung Hocks durch Opitz. Demgegenüber scheinen die Beziehungen, die Nede- 861 Wolfskehl: Scholte (Anm. 326), S. 30. <?page no="229"?> 230 Eckehard Czucka czey 1958 (Anm. 578) und ihm folgend Jónácsik 1998 (Anm. 655) zwischen dem Raaber Liederbuch und dem Blumenfeld erkennen zu können meint, deutlich belastbarer, wenngleich auch sie ohne Beleg bleiben. - Von Trunz (Anm. 447) wird im Rahmen einer literaturgeschichtlich fundierten Argumentation die Möglichkeit einer Rezeption Hocks durch Opitz explizit ausgeschlossen. Nach heutigem Stand ist also von einer zweihundertjährigen Rezeptionsgeschichte des Blumenfelds auszugehen, die identisch ist mit der Forschungsgeschichte, die ihrerseits deckungsgleich ist mit der Geschichte des Fachs Germanistik. Die Beschäftigung mit Hock erfolgte auf eine durch die Standards des jungen Fachs festgelegte Weise: Textpräsentation als Quellenedition und Forschung zum Verfasser. Hoffmanns von Fallersleben Arbeit zum Blumenfeld (Anm. 34) ist 1845 nicht nur die erste Arbeit über den wiederentdeckten Hock, sondern auch eine der frühen germanistischen Abhandlungen zum „Barock“, in der historische wie methodische Probleme zusammentreffen. Zum einen fällt der Text aus dem frühen 17. Jahrhundert in die Lücke zwischen mittelalterlicher und zeitgenössischer, durch das Muster Goethe bestimmter Literatur; zum anderen erweist sich das Fehlen einer Dichterbiographie als methodische Schwierigkeit, innerhalb des Leben-Werk-Konzepts mit dem Text umzugehen. Hoffmann von Fallersleben versucht das dadurch zu beheben, dass er - wo es zu gehen scheint - die Gedichte als Lebenszeugnisse liest und damit einen Topos der weiteren Hock-Forschung begründet. - Dem Versuch der Beschreibung der Rezeption im 19. Jahrhundert in Kap. I dieser Untersuchung ist an dieser Stelle nichts mehr hinzuzufügen. Im Zentrum der Hock-Rezeption steht, auch zeitlich, die Blumenfeld -Edition Kochs von 1899. Sie gibt erstmals Gelegenheit, das Blumenfeld als ein Textganzes wahrzunehmen, nachdem bis dahin nur etwa 20 Prozent der Texte in Anthologien und Literaturgeschichten des 19. Jahrhunderts publiziert worden waren. Nicht zu klären ist, warum Koch nach seinen doch zwiespältigen Hock-Präsentationen von 1893 und 1897 sich aufgerufen fühlte, das Blumenfeld zu edieren. Die Kochsche Edition führt zu einem bemerkenswerten Bruch in der Rezeption des Blumenfelds . Zwar ist die Ausgabe durchaus nicht tadelfrei, aber schon die beiden ersten unmittelbar nach der Veröffentlichung erscheinenden Rezensionen von Köster und Jellinek 1901 zeitigen weitreichende Folgen. Denn trotz der von beiden erklärten Absicht, die Fehler der Edition zu benennen und Möglichkeiten ihrer Behebung beizubringen, destruieren die beiden Rezensionen den Text Hocks selbst dadurch, dass sie ihn auf die Abfolge punktueller Fehler reduzieren. Zwar geht Köster von der umfassenden Entstellung des Druckbildes im Blumenfeld aus und nimmt eine systematisierbare Differenz zwischen Schrift und Aussprache an. Doch bleiben seine Folgerungen merkwürdig widersprüchlich; <?page no="230"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 231 zum einen betont er, man solle nicht „sämtliche […] apokopen, synkopen usw. dem dichter in den text hineincorrigieren […] man soll sie sprechen, wenn auch nicht drucken.“ Doch dann fordert er, man hätte den Text „von den zufälligen beschädigungen durch druckfehler befreien“ müssen und empfiehlt einen Paralleldruck (Anm. 11). Zum Schluss aber fordert er, seine Verbesserungen in ein Blumenfeld -Exemplar einzutragen. Das alles sind prima vista Einwände gegen die Edition Kochs, die aber in der Summe geeignet sind, das Blumenfeld als Text und Hock als Dichter zu beschädigen. Jellineks Rezension von 1900 unterscheidet in den Einwänden wenig, im Verfahren gar nichts von der Kösters. Nur ist Jellinek so unvorsichtig, 1901 noch eine Begründung für diese Destruktion zu liefern, wenn er vorgibt, jetzt werde „den denkmälern des älteren nhd. jene sorgfalt der untersuchung nicht versagt […], die man bei mhd. werken schon lange für selbstverständlich hält“ (Anm. 248). Zu erkennen gibt er damit, dass er (wie auch Köster) keinen Unterschied macht zwischen einer Handschrift, bei der mit Fehlern eines Schreibers zu rechnen ist, der nicht der Verfasser ist, und dem integralen Text eines neuzeitlichen Autors. Dieser Irrtum führt dazu, dass Köster und sein Adlatus Götze ganz ungeniert über Einschübe fremder Hand wie über die Neugliederung der Gedichte phantasieren. Hier wäre ein Blick auf das Werkverständnis an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert vermutlich hilfreich korrigierend. Nun könnten die positivistischen Ergebnisse Kösters et. al. möglicherweise ein Schatz sein, der aber vorerst nur als disiecti membra poëtae verfügbar ist. Doch führt die Horazische Metapher am Beginn des 20. Jahrhunderts in die Irre. Denn in dem Moment, in dem erstmals im Gang der Rezeption das Blumenfeld von Koch als Ganzes vorgelegt und damit der Forschung zugänglich gemacht wurde, haben Köster, Jellinek, Götze und später Leitzmann (Anm. 213) und Hübscher (Anm. 212) das Textganze buchstäblich atomisiert. Hansons kritische Ausgabe des Blumenfelds ist deshalb die Realisierung des positivistischen Traums: sie liefert die Präsentation der Atome. Zwar trifft der Hinweis Lohmeiers zu, Köster sei das Problem nicht vom einzelnen Wort, sondern vom Prinzip her angegangen (Anm. 514), doch hatte Köster schon keine klare Vorstellung von der Präsentation der Ergebnisse. Da scheint auch im Rückblick Hansons Entscheidung, die Fülle der Einzelbelege mit den Mitteln der Digitalisierung zu bändigen und das Prinzip versuchsweise im Druckbild zu realisieren, sowohl sachangemessen als auch intentional stimmig. Da Hanson sich bei der Auswahl der Forschungsliteratur strikt auf die positivistisch gegründeten Texte beschränkt, bindet er sich - wohl eher unbemerkt - auch an deren Urteile. Mehr als dreißig Mal nimmt er in seinem Werkkommentar Zuflucht zu der Erklärung, dass Hock das, was er habe ausdrücken wollen, nicht oder nicht angemessen habe sagen können. Damit transportiert er Auffassungen des frühen ins späte 20. Jahrhundert und bekräftigt deren Geltung. <?page no="231"?> 232 Eckehard Czucka Für das 20. Jahrhundert scheint schon der Versuch, an dieser Stelle eine Systematisierung der Ergebnisse zu geben, unangemessen, da er einen Gang der Forschung prätendieren würde, der sich nicht als Erkenntnisfortschritt behaupten ließe. Zu disparat sind die Ansätze, die Methoden, die Auswahl der Untersuchungsgegenstände und der Fragestellungen. Wohl aber lassen sich über den gesamten Forschungszeitraum immer wieder auftauchende Thematisierungen bestimmter Aspekte benennen, die eine Strukturierung des Gegenstands ermöglichen. Noch im 20. Jahrhundert spielt die Frage nach Hocks Leben zwischen dem Verlassen der Schule und dem Auftauchen in Prag, also nach der Entstehungszeit des Blumenfelds , gelegentlich eine Rolle. Die neuen Antworten unterscheiden sich nur wenig von Höpfners 1866 erfundener Version (Anm. 64). Angeboten wird mangels Belegen bei Wilpert 1963 (Anm. 698) und Kohlschmidt 1965 (Anm. 701), Hock sei „Vagant“ gewesen; Neumann 1966 (Anm. 703), der keine Biographie geben will („geht uns nichts an“), weiß aber dann doch, dass es „das verwegene Leben“ war; die NDB (Anm. 715) vermutet in der Zeit nach Verlassen der Schule Reisen zum Spracherwerb. Beliebt ist durch die Zeiten hindurch, aus dem Blumenfeld Vorausdeutungen auf den Dreißigjährigen Krieg herauszulesen oder wenigstens einen Zusammenhang zu insinuieren. Hier findet Hoffmanns von Fallersleben Vorbild (Anm. 48) Nachahmung bei Stern 1882 (Anm. 121), Kahn 1932 (Anm. 461), selbst noch bei Prang 1946 (Anm. 686), Strich 1946 (Anm. 680) und Newald 1951 (Anm. 688). Einzig Haller 1967 (Anm. 709) stellt explizit das Blumenfeld frei von biographischen Bezügen. Beziehungen Hocks zum Hof Rudolfs II., schon in der Zeit kurz vor dem Erscheinen des Blumenfelds , werden schon seit dem 19. Jahrhundert immer wieder mit unterschiedlichem Nachdruck thematisiert z. B. von Stern 1882 (Anm. 121), der sich auf Gindely stützt, und Nagl/ Zeidler 1899 (Anm. 152), Heckel 1929 (Anm. 384), Brauer 1938 (Anm. 489), Schwarzenfeld 1961 (Anm. 597), Evans 1980 (Anm. 610), DaCosta Kaufmann/ Coignard 1985 (Anm. 621), Demetz 1990 (Anm. 666) und vor allem jedoch Trunz in mehreren Aufsätzen. Die Hinweise umkreisen aus verschiedenen Perspektiven das Umfeld, in dem Hocks Blumenfeld möglicherweise verortet werden könnte, ohne jedoch konkrete Nachweise führen zu können. Im Dissertationsabstract, das von Kamptz 1943 (Anm. 404) im Prager Jahrbuch veröffentlichte, wird die Entstehung des Blumenfelds in der Zeit vermutet, die Hock am Prager Hof verbrachte. Leider ist die Arbeit nicht beendet worden. - Zu bedenken ist, dass das Thema „Rudolf II.“ in dem betrachteten Zeitraum in unterschiedlichen Konstellationen politisch überaus kontrovers kontextualisiert wurde. Vor allem ist bislang in der Rezeption der Umkreis des Prager Jahrbuchs völlig ausgeblendet. <?page no="232"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 233 Bei den literarischen Bezügen werden im 19. Jahrhundert vor allem Hinweise auf Texte des 16. Jahrhunderts gegeben, während im 20. Jahrhundert Bezüge zu Petrarca mannigfaltig diskutiert werden. Speziell für die Capitel 85 bis 92 wird von mehreren Autoren Aventin als Quelle erwogen, wobei Heckel 1929 (Anm. 384) Annius als Quelle für Aventin und damit möglicherweise auch für Hock erwähnt. In jüngerer Zeit werden auch Ariost-Bezüge diskutiert. Jede dieser Beobachtungen ist für sich genommen interessant und mag erhellend sein, doch sind viele Hinweise schlicht inkompatibel zu anderen, und allen ist eines gemeinsam: sie nehmen das Blumenfeld als eine Sammlung von Anspielungen, Zitaten und Einflüssen und nicht als literarischen Text. Ausblick Dies beginnt bei der Wahrnehmung des Titels. Blumenfeld ist unter all den barocken Wäldern und Gärten eher singulär. Der VD 17 862 verzeichnet insgesamt fünfmal diesen Titel bei Texten, die aber erst zwischen 1625 und 1695 erschienen sind, so dass Hock mit der Titelwahl den Primat zu haben scheint. Erstmals wird Hocks Titel von Haller 1967 (Anm. 709) bedacht, der dann aber nur moniert, dass das Buch trotz des Titels „keine anmutige Liebes- und Schäferpoesie“ enthalte. Adam (Anm. 758) argumentiert 1988 aus der Opitzschen Perspektive: der habe bei der Titelwahl konsequent darauf geachtet, Titel aus dem Bereich der Pflanzenmetaphorik zu vermeiden, um sich von kursierenden Lustgärtlein und Blumenfeldern - so Adam - abzugrenzen. Weniger aufmerksam sind durchaus renommierte Philologen. So nehmen Stern, Bartels, Stammler, Scholte und Wolfskehl an, sie läsen ein „poetisches“ oder ein „blühendes“ Blumenfeld . Noch nie jedoch ist in der Forschung bedacht worden, dass Hock sein Buch ein „schönes“ Blumenfeld nennt. Dieses Attribut steht in einem nachdrücklichen Gegensatz zu dem Titel, den etwa Schottel 1647 seiner Sammlung gibt, nämlich „Fruchtbringender“ Lustgarten . 863 Hier ist an einen Gegensatz zwischen der Nutzlosigkeit eines bloß ‚ schönen Blumenfeldes‘ und Zweckhaftigkeit eines ‚ fruchtbringenden Lustgartens‘ zu denken. Auch wenn Neumark Blumen zu den fruchtbringenden Pflanzen zu zählen scheint, so widersetzt sich das Höcksche ‚schön‘ offensichtlich jeglicher Indienstnahme, wie sie dagegen bei Schottel erkennbar wird: 862 URL: https: / / gso.gbv.de/ DB=1.28/ SET=8/ TTL=1/ CMD? MATCFILTER=N&MATCSET=N&AC T0=&IKT0=&TRM0=&ACT3=*&IKT3=8183&ACT=SRCH&IKT=1016&SRT=YOP&ADI_ BIB=&TRM=blumenfeld&REC=*&TRM3= (zuletzt abgerufen am 17. Oktober 2018). 863 Justus Georg Schottel: Fruchtbringender Lustgarten in sich haltend die ersten fünf Abtheilungen. Reprogr. Nachdruck [d. Ausg. Wulffenbüttel 1647]. München o. J. [1967]. <?page no="233"?> 234 Eckehard Czucka Der Name Fruchtbringend / darum / damit ein jeder / so sich hinein begiebet / oder zu begeben gewillet / anders nichts / als was fruchtmeßig / zu Früchten / Bäumen / Blumen / Kräutern oder dergleichen gehörig / aus der Erden wächset / und davon entstehet / ihme erwehlen / und darneben überall Frucht zuschaffen äußerst beflissen seyn solle. 864 1723 - also sehr viel später - findet sich ein Nachweis für die Vorstellung, dass sogar ein Blumenfeld fruchtbringend sein könne: Wir begehen heut die herzliche Festivität des H. Adalberti, Bischoffs und Martyris, dessen hoher Tugend=Geruch also groß / daß er sich nicht nur ausbreitet durch das Königreich Böhmen / […] [(415)] Wohl ein schöne tugendreiche Lilien / ja ein fruchtbringendes Blumen=Feld / mit so vielen Lilien besteckt / […] 865 Aber die Fruchtbarkeit dieses Blumenfeldes scheint nicht darin zu liegen, dass es Lilien trägt, sondern dass die Lilien ‚tugendreich‘ sind. So bleibt es doch bei Dümler 1651 dabei, Daß zwar die Blumenfelder / vnd die örter / da die Blumen und Wurtzscherben 866 stehen / von den Bäumen befreyet sind: Aber die Gartenfeldlein / in welchen die Kuchenspeiß wächset / sind mit Fruchtragenden Bäumen umbsetzet. 867 So ist dann für die Forschung die Einsicht einzufordern, dass Hock - so weit jetzt zu sehen ist - wohl der erste neuzeitliche Dichter ist, der seine Gedichte als ‚schön‘ bezeichnet und damit einen völlig neuen Anspruch an Literarizität stellt, weit über das prodesse et delectare-Postulat der angeblich avancierteren Barockliteratur der Opitz-Schule hinausweist. Von einem solchen Punkt einer 864 Georg Neumark: Der Neu-Sprossende Teutsche Palmbaum. Oder Ausführlicher Bericht / Von der Hochlöblichen Fruchtbringenden Gesellschaft Anfang / Absehn / Satzungen / Eigenschaft / und deroselben Fortpflantzung / mit schönen Kupfern ausgeziehret / samt einem vollkommenen Verzeichnüß / aller / dieses Palmen-Ordens Mitglieder Derer Nahmen / Gewächsen und Worten / . Nürnberg und Weimar 1669, S. 15f. 865 Christian Brez: VIrtVosIVs Pantheon, Deo, & SanCtIs ereCtVM. Id est: Sermones Panegyrici De Præcipuis Sacrorum Ordinum Fundatoribus, Patriarchis, Aliisque Terrarum Patronis, ad normam, & formam Psalmo-graphi Psal. 148. v. 1. LaVDate IpsVM IneXCeLsIs … Das ist: Lob-Predigen Von Denen führnehmsten Heil. Ordens-Stifftern, Patriarchen, und andern heiligen Lands-Patronen … / Operâ, & Industriâ F. Christiani Brez, Ordinis Fratrum Minorum Recollectorum, Provinciæ Thuringiæ S. Elisabethæ Concionatoris Emeriti & Ordinari. 3 Bde. Nürnberg 1723, S. 415f. 866 Wurzscherbe(n) ‚blumentopf ‘ H. Sachs 2, 220 lit. ver.; Harsdörffer gesprächsp. (1641) 8, 157; Jacob Grimm/ Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch. Leipzig 1854-1954, Bd. XXX, Sp. 2334. 867 Wolfgang Jacob Dümler: Obsgarten, das ist: eine kurtze, jedoch deutliche Anweisung zur Baumgärtnerei und Peltzkunst, welcher Gestalt fruchtbringende Baumgärten angerichtet und bäulich erhalten werden können. Nürnberg 1651, S. 20. <?page no="234"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 235 emphatischen Literarizität wäre Barners (Anm. 747) Hinweis zu würdigen, dass das Blumenfeld im Titel den „Hof-Praktikanten“ adressiert. Und gern würde man Überlegungen zur Kenntnis nehmen, ob und wie im Blumenfeld die Capitel 1 bis 8 als Formulierung subjektiver Erfahrung den Capiteln 85 bis 92 korrespondieren, in denen eine als Geschichte objektivierte Erfahrung formuliert wird, die sich ihres Ursprungs vergewissern will. Und möglicherweise auch ihrer Gegenwart; in Capitel 89 lautet die Strophe 4: Und wenn Tuitschon jetzt erst erstündt, Gewiß er kein Wort daruon verstündt, Die Glerten nit allein, Verenderns in gemein, Sondern Frawenzimmer zart, Reden Wälsch und Latein nach art, Deutsch zur Galanterey, Nicht kleckt wie gutt es sey. Diese Verse wurden in der Forschungsgeschichte öfter schon zitiert, oft gegen Hock gewandt, aber nie darauf hin befragt, ob sich nicht darin eine Anspielung auf die Westonia verbirgt, die Hocks Antipodin war, in Sprache wie im literarischen Erfolg. Das Ergebnis dieses Durchgangs durch die Forschungsgeschichte fällt ernüchternd aus und kann knapp formuliert werden: In den mehr als 200 Jahren seit seiner Entdeckung ist das Blumenfeld nicht ein einziges Mal als ein Buch, also als eine intentional geordnete Texteinheit, bedacht worden. So bleibt zu fragen, ob Hock nicht die Rezeption seines Blumenfelds in der germanistischen Forschungsgeschichte gemeint hat, als er schrieb: An die Satiren Glück zu auf d’ Reis’, zieht hin in d’ Welt, Weil ihr doch nicht wollt bleiben - Ihr lieben Schwarzfärber, habt ihr Geld Und Paßport auch nach Landes Brauch, So laßt euch gleich nur schreiben! Z’ Venedig, Rom, Paris, Prager Schul’ Man wird euch deponieren, Ziehet, d’ wird euch heiß, bald wieder kuhl, Man wird den Kopf euch zwagen im Schopf, Euch wacker tribulieren. Daselbst seid ihr allbereit zu Hof Wohl unter den Galänen Wie untern Wölfen, da ein Schaf Mußt’ durch die Furch’ sich schliefen durch: <?page no="235"?> 236 Eckehard Czucka Sie werden’s euch furlänen! Von dann zum Frauenzimmer zart, Die werd’n euch sieben und reitern, Seiden auf euch winden nach der Art, Euch ausskalieren und wohl vexieren, Durch Feuer und Wasser läutern. Wenn durch den Strom und Wirbel zwar Ihr durchpassiert mit Jammer, So werden auch Handwerker gar Muster aus euch schneiden zu ihrem Zeug, Danach ihr kommt zum Kramer. Die werden Schnipsel machen frei, Mit G’würz wohl ein euch mischen. Habt ihr das Glück noch mehr dabei, So werd’n s’ ung’fähr, wenn ihr seid leer, Den Hintern an euch wischen. Nachbemerkung 1: Zur Zählung der Capitel im Blumenfeld Einer zukünftigen Hock-Forschung sei empfohlen, die Zitate aus dem Blumenfeld nach Hansons Edition zu zählen. Nachbemerkung 2: Zur Schreibung des Namens Man schreibe Hoeck, vermeide den Umlaut und spreche ein kurzes o , wie die Saarländer möchten, oder ein kurzes u , so wie Wolfskehl empfohlen hat. <?page no="236"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 237 Anhang Cap Tabelle 1: Anthologien bis 1900 Nennungen Häufigkeit Docen 1807 Erlach 1834 Scholl 1844 HVF 1845 Kurz 1856 Hoffmann von Fallersleben Höpfner 1866 Lemcke 1871 Waldberg 1885 Borinski 1886 Pietsch 1897 Nagl/ Zeidler 1899 1 Vnglück thut die Augen auff 1 2 1 1 2 Nach Erfahrenheit kombt Erkantnüß 1 2 1 1 3 An die Satiren 1 2 1 1 5 An den Leser 1 2 1 1 6 Der Author beweint das Leben 1 2 1 1 7 Nimmer sich zuuerlieben 1 1 1 8 Frey von Lieb ein Freyherr 1 1 1 9 Von dem Mühseligen Leben 1 1 1 10 Der Mensch muß was zuthun haben 1 1 1 12 Thue recht bedenck das Ende 1 1 1 14 Nach verbottener Wahr lust vns noch mehr 1 1 1 15 Gott theilt seine Gaben gleich 1 1 1 16 Wir sollen bedencken daß wir Sterben 1 1 1 19 Von Art der Deutschen Poeterey 1 4 1 1 1 1 26 Von der Welt Hoffart vnd Boßheit 1 1 1 34 Von dem Gerichts Proces 1 1 1 46 Nun behüt dich Gott gantz Näerelgen 1 1 1 47 Der schönen Juliana in der Weisz 1 1 1 48 Vom Herrn Vettern 1 1 1 49 Von der Fraw Muemb 1 1 1 50 An Riden Wendlen / sonst an Lienl 1 2 1 1 55 Ein jeder ist seins Glücks ein Schmidt 1 6 1 1 1 1 1 1 62 Ach du schandliche Eyffersucht 1 1 1 63 Das Cupido kein Kindt sey 1 1 1 64 Der Cammerjung hat mehr Platz 1 1 1 66 Dasz doch nichts zur Busz helffen will 1 1 1 68 Traw der Lieb nit zuuil 1 6 1 1 1 1 1 1 71 Beschwerlich / noch Beschwerlicher 1 1 1 72 Danten kan einer der Maiden 1 2 1 1 73 Vber ware vnd trewe Lieb ist nichts hie 1 2 1 1 86 Von der deutschen ersten Königen 1 1 1 89 Von der Deutschen Schrifft 1 3 1 1 1 32 55 2 2 1 18 2 3 8 9 4 3 2 1 Tabelle 1: Anthologien bis 1900 <?page no="237"?> 238 Eckehard Czucka Cap Tabelle 2: Anthologien seit 1900 Nennungen Häufigkeit Merker 1913 Sommerfeld 1996 Petersen/ Trunz 1933 Cysarz 1937 Roos 1942 Milch 1954 Schöne 1963 Wagenknecht 1969 Szyrocki 1971 Heckmann 1976 Hartmann 1977 Haufe 1985 1 Vnglück thut die Augen auff 1 1 1 3 An die Satiren 1 1 1 5 An den Leser 1 1 1 6 Der Author beweint das Leben 1 2 1 1 7 Nimmer sich zuuerlieben 1 2 1 1 8 Frey von Lieb ein Freyherr 1 1 1 9 Von dem Mühseligen Leben der Menschen 1 2 1 1 19 Von Art der Deutschen Poeterey 1 6 1 1 1 1 1 1 26 Von der Welt Hoffart vnd Boßheit 1 2 1 1 27 All ding zergengklich höre mich doch 1 1 1 31 Mehr herrn als Knecht auff der Welt 1 1 1 39 Ein Armer kan jetzund […] 1 4 1 1 1 1 47 Der schönen Juliana in der Weisz […] 1 1 1 55 Ein jeder ist seins Glücks ein Schmidt 1 1 1 65 Den Jungen wirdt die Lieb belont / […] 1 1 1 68 Traw der Lieb nit zuuil 1 1 1 86 Von der deutschen ersten Königen 1 1 1 87 Von desz Tuitschons Policey 1 1 1 18 30 2 4 1 5 1 1 1 3 1 1 8 2 Tabelle 2: Anthologien seit 1900 <?page no="238"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 239 Nachtrag Nach Fertigstellung des Manuskripts und nach dem Beginn der Druckeinrichtung wurde ich auf drei Publikationen aufmerksam (gemacht), 868 die nachzutragen sind. Petry 1949 (Einzuordnen in III.4.4 Literaturgeschichten und Handbücher , nach: Martini 1949) Petry stellt Hock zur „Dichtung des Frühbarocks“ und hebt hervor, er sei „der erste Dichter dieses Zeitraumes“ gewesen, „der eine theoretische Grundlage, ‚gwisse Form und Gsatz‘, für die Poesie“ gefordert habe. Kritisch merkt Petry an, dass die „Gedichte […] nicht einmal alle in dem von ihm geforderten Sinne metrisch korrekt“ seien, räumt aber auch ein: „Unter ihnen sind einige tief empfundene Liebeslieder hervorzuheben.“ Als Todesjahr wird 1618 angegeben, der anagrammierte Name wird als „Pseudonym Othebald [sic! ] Ockh“ angeführt. 869 Szyrocki 1968 (Einzuordnen in III.4.4 Literaturgeschichten und Handbücher , nach: Haller 1967) Szyrockis Epochendarstellung wurde sofort nach dem Erscheinen harsch kritisiert. 870 In seiner Rezension hebt Wiedemann bei ausdrücklichem Verweis auf verdienstvolle Vorarbeiten des Verfassers darauf ab, dass in dieser Einführung „weite Strecken mit bloß lexikalischer Mitteilung überbrückt“ werden. 871 Diese Einschätzung kann auch für die Erläuterungen zu Hock übernommen werden, die nicht mehr sind als eine breite Paraphrase des Capitels 19. 872 Der Hinweis auf „romanische Gedichtformen“ bei Hock nimmt die einleitende Bemerkung auf: Die Nachbildung der französischen Verse in nicht wägenden Jamben und Trochäen findet auch einen Widerhall in der nicht gesungenen strophischen Dichtung vor OPITZ, u. a. bei HOCK, HÜBNER und WECKHERLIN. HEUSLER spricht in diesem Zusammenhang vom „Welschvers“. 873 868 Für den Hinweis auf Petry 1949 und Szyrocki 1968 danke ich dem Freund und Kollegen Professor Dr. Volker Ladenthin (Bonn); mit Dank ist zu vermerken, dass Herr Roman Josefik, Kastellan der Feste Sonnberg, mir bei einem Besuch im Dezember 2018 Schneiders Broschüre über Sonnberg/ Žumberk 1981 schenkte. 869 Karl Petry: Handbuch zur deutschen Literaturgeschichte. Bd. 2: Von der Barockdichtung bis zur Gegenwart. Köln 1949, S. 583. 870 Marian Szyrocki: Die deutsche Literatur des Barock. Eine Einführung. Reinbek bei Hamburg 1968 [rowohlts deutsche enzyklopädie 300/ 301]. 871 Conrad Wiedemann: Rezension Szyrocki, Marian: Die deutsche Literatur des Barock. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14. November 1968, S. 23. 872 Szyrocki: Barock (Anm. 870), S. 60f. 873 Ebd., S. 59. <?page no="239"?> 240 Eckehard Czucka Diese Formulierung ist keineswegs terminologisch neutral, sondern hat im Kontext der Heuslerschen Argumentation eine durchaus abwertende Konnotation (Anm. 387). Dies wird aber nicht vermerkt. Schneider 1981 (Einzuordnen in V.1 Zur Biographie Hocks , vor: Wohlschläger 2013) Diese Publikation, die sich in der Hauptsache mit der Ausstellung des Südböhmischen Museums beschäftigt, ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. 874 Sie erschien 1981 „anläßlich des 60. Jahrestags der Gründung der KPTsch“, ist ausschließlich in deutscher Sprache verfasst und ordnet in dem ersten Abschnitt „Aus der Vergangenheit Žumberks“ Hock in die Geschichte der ursprünglich gotischen Festung ein, deren Stationen zwischen 1230 und der Mitte des 19. Jahrhunderts skizziert werden. Hocks literarisches Werk wird zwar erwähnt, jedoch wird vor allem seine Stellung in der Reihe der Besitzer des Schlosses bestimmt. Diese Betrachtungsweise ist ein durchaus neuer Aspekt in den Bemühungen, Hocks außerliterarische Lebensgeschichte zu schreiben. Zu vermerken ist, dass Schneiders Darstellung hier wie in dem gesamten Text sich jeder kommunistischen Feudalismuskritik enthält und auch das Nationalitätenproblem nicht thematisiert. Da die Broschüre kaum in Bibliotheken zu finden sein wird, sei hier der Text, soweit er die Besitzgeschichte Žumberk mit und nach Hock behandelt, vollständig wiedergegeben: Der Ritter Jindřich Pouzar von Michnice und zu Žumberk, Höfling und Ratgeber des Herrn Vilém von Rosenberg und einer der Hauptleute der Landschaft Bechyně, war zweifellos ein humanistisch gebildeter typischer Adeliger der Renaissancezeit, ein weltkundiger Diplomat im Dienste der Rosenberger. An seine Zeit, da die Landschaft Nové Hrady noch zu den blühenden Gegenden Südböhmens gehörte, erinnert in Žumberk der sog. Kleine Rosenberger Salon, ein im ursprünglichen Zustand erhaltener Wohnraum aus dem 16. Jahrhundert, mit Fragmenten der ursprünglichen Wandmalereien und einem zeitgemäßen Bibelzitat in alttschechischer Sprache, mit der erhaltenen ursprünglichen Balkendecke samt dem geschnitzten Wappen der Rosenberger und einem renovierten Erker, der als Abort diente. […] Da Jindřich Pouzar keinen rechtmäßigen Erben hatte, vermachte er Žumberk samt der dazugehörigen Herrschaft seinem Schwager, der es für 23000 Schock Groschen dem letzten Rosenberger Petr Vok verkaufte. Dieser wiederum schenkte das Schloß im Jahre 1610 mit dem verhältnismäßig umfangreichen umliegenden Grundbesitz (für 874 Evžen Schneider: Denkmal der Landbevölkerung in Žumberk. Ständige Ausstellung des Südböhmischen Museums. Handgemalte Volksmöbel in Südböhmen. Budweis 1981. Unpag. <?page no="240"?> Buch ohne Leser: Theobald Hocks Schönes Blumenfeld 241 den symbolischen Kaufpreis von 1000 Schock Groschen) seinem deutschen Sekretär Theobald Hock aus Zweibrücken und dessen Oheim Johann. Theobald Hock suchte Žumberk neu herzurichten, um diesem ländlichen Objekt den Glanz einer herrschaftlichen Residenz im Renaissancestil zu verleihen. An seine Zeit erinnert ein steinernes Relief mit dem Hockschen Wappen aus dem Jahre 1613 nahe der Burg, am Haus Nr. 43, das zum Meierhof gehörte. Der aus der Pfalz stammende Theobald Hock stand seit 1601 im Dienst von Petr Vok und war ein deutsch schreibender Dichter. Neuerdings wird er überaus geschätzt als einer der bedeutendsten Lyriker des beginnenden 17. Jahrhunderts, als Vorläufer der frühbarocken deutschen Poesie. Durch Bildung und diplomatisches Geschick gewann er die Gunst Petr Voks und wurde in dessen Beziehungen zur habsburgfeindlichen Opposition eingeweiht. Auf Petr Voks Fürsprache wurde er in den Adelsstand erhoben, sein Familienwappen durch kaiserlichen Majestätsbrief von 1605 aufgebessert und sein Rang auch im Testament des letzten Rosenbergers abgesichert. In der Zeit vor der Schlacht am Weißen Berg wurden die beiden Hocks auf Geheiß der kaiserlichen Statthalter, die zweifellos einen Eigentumszwist zwischen beiden ausnützten, der Fälschung des kaiserlichen Majestätsbriefes und des Testaments Petr Voks bezichtigt, verhaftet, eingekerkert, zum Tode verurteilt, und ihr Eigentum wurde konfisziert. Nach Ausbruch des Aufstands der Stände 1618 wurde jedoch der Prozeß revidiert und die beiden Verurteilten freigelassen. Theobald Hock starb sodann unter ungeklärten Umständen während des Dreißigjährigen Krieges noch vor 1625, und Johann Hock ließ sich in Jindřichův Hradec nieder. Im Jahre 1618 wurde Žumberk mit der Herrschaft Nové Hrady vereinigt, die der Rosenbergsche Erbe Petr von Švamberk, ein führender Vertreter der habsburgfeindlichen Opposition, erworben hatte. Nach der Niederlage der tschechischen ständischen Erhebung in der Schlacht am Weißen Berg wurde sein Eigentum konfisziert. Nové Hrady mit Žumberk verlieh 1620 Kaiser Ferdinand II. dem General Karl Bonaventura Buquoy. Seither wurde die Burg Žumberk als Schlößchen instand gehalten, zur gelegentlichen Verwendung der Buquoyschen Obrigkeit. Für die Angestellten der örtlichen obrigkeitlichen Verwaltung errichtete man damals Unterkünfte als Zubauten zu den Basteien an der Burgmauer. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts entsprach die alte Burg nicht mehr der standesgemäßen Lebenshaltung der buquoyschen Obrigkeit, und auch der hiesige Herrenhof gab auf den Böden minderer Güteklassen nicht mehr den erwünschten Ertrag. Darum wurden seit den achtziger Jahren des 18. Jahrhunderts die Festungsobjekte und die Grundstücke des Hofs unter die hörigen Interessenten aufgeteilt. Die Angestellten der Obrigkeit übersiedelten ins Schloß. So kamen die Objekte von Žumberk allmählich in die Hände von Kleinbauern. <?page no="242"?> Biographie und Überlieferung 243 Biographie und Überlieferung <?page no="244"?> Poeta Doctus - Theobald Hocks Prägung durch das gymnasium illustre in Hornbach Klaus Wolf In der Vormoderne ist es keine unwichtige Frage, ob ein volkssprachiger Dichter über gelehrte, das heißt im Regelfall lateinische Bildung verfügte. Schon im Hochmittelalter entspann sich sogar ein literarischer Diskurs darüber, der etwa in der berühmten Kontroverse zwischen Gottfried von Straßburg und Wolfram von Eschenbach kulminierte. Der Dichter des Parzival behauptete nicht ohne Übertreibung, er könne nicht lesen und interessiere sich überhaupt nicht für Buchgelehrsamkeit, um sich so vom Magister Gottfried von Straßburg, dem Dichter des Tristan abzuheben. Letztlich ging es dabei im frühen 13. Jahrhundert auch um die Frage, ob ein rechtschaffener Ritter oder ein subtiler Gelehrter besser für die Minne (nicht zuletzt in den Augen der Frauen) geeignet wäre. 1 Und so stellt sich auch bei Theobald Hock die Frage, 2 ob der zunächst am gymnasium illustre in Hornbach ausgebildete Politiker, ja zeitweise auch Soldat, quasi im Sattel dichtete oder doch anhand regelhafter Poetiken etwa seine Dichtkunst übte. Denn der Besuch von Lateinschulen und Universitäten machte traditionell bereits im Trivium, genauer in der Rhetorik, mit der regelhaften ars dictaminis vertraut, worunter als Zweck oder erwünschtes Endergebnis eben nicht nur juristische Plädoyers, sondern auch Predigten oder gerade Dichtkunst im weiteren Sinne fallen konnten. Dies trifft auf das Mittelalter ebenso zu wie auf den Humanismus. 3 Mehr noch, die Universitäten waren seit ihren Anfängen geradezu blühende Spielstätten des Theaters. 4 Und dies gilt epochenübergrei- 1 Vgl. Bernd Schirok: Wolfram und seine Werke im Mittelalter. In: Joachim Heinzle (Hrsg.): Wolfram von Eschenbach. Ein Handbuch. Studienausgabe. Berlin und Boston/ MA 2014, S. 1-81. 2 Zu seiner Biographie vgl. Paul Derks: Hock von Zwaybruck, Theobald. In: Neue Deutsche Biographie 9 (1972), S. 295f. (Online-Version). URL: www.deutsche-biographie.de/ pnd129212822.html#ndbcontent (zuletzt abgerufen am 16. August 2018). 3 Vgl. Klaus Wolf: Hof - Universität - Laien. Literatur- und sprachgeschichtliche Untersuchungen zum deutschen Schrifttum der Wiener Schule des Spätmittelalters. Wiesbaden 2006, passim. 4 Vgl. Klaus Wolf: Universitätsangehörige als Dramenautoren und Regisseure - Wien als Fallbeispiel. In: European Medieval Drama 15 (2011), S. 65-76. <?page no="245"?> 246 Klaus Wolf fend in Latein und Volkssprache für das Mittelalter wie für die Reformationszeit und das Zeitalter des Konfessionalismus, 5 welcher das Schicksal Theobald Hocks ja nachhaltig bis dramatisch biographisch prägen sollte. Von daher schloss der Besuch einer höheren Schule im 16. Jahrhundert (sogar konfessionsübergreifend) die Beschäftigung mit Literatur und Dichtkunst ein, und im Grunde gilt dies bis ins 18. Jahrhundert, wie etwa die Ettaler Ritterakademie zeigt. 6 Und nimmt man noch die beeindruckenden Bibliotheksbestände Theobald Hocks hinzu, die mit Deutsch, Latein, Griechisch sowie Französisch ein breites sprachliches Spektrum ebenso abdeckten, wie im Falle Theologie und Juristerei auch die beiden höheren Fakultäten auf universitärem Niveau berücksichtigten, dann kann es keinen Zweifel mehr darüber geben, dass Theobald Hock als durchaus gelehrter Dichter anzusprechen ist. Denn er hat die Bücher nicht nur gesammelt, sondern ihnen als bibliophiler Landadeliger, ja als Bibliophage, sogar einen bis in die Lichtverhältnisse sorgsam architektonisch geplanten Bibliotheksbau angedeihen lassen. 7 Theobald Hocks deutschsprachiges Werk Schönes Blumenfeld , welches sich aufgrund der Reimgrammatik in den pfälzisch-wittelsbachischen Territorien verorten lässt, 8 gehorcht so trotz der intendierten überregionalen Verbreitung im Buchdruck der zeitüblichen schreibsprachlichen Regionalität, wobei aber von der Reimgrammatik her auch Goethe als Hesse, ja Frankfurter, und Schiller als Schwabe anzusprechen wären, und eigentliche Mundartdichtung erst mit der überregionalen Ausbildung einer Hochsprache von dieser trennscharf zu scheiden wäre, recht eigentlich weniger im ausgehenden 18., sondern mehr im 19. Jahrhundert. 9 Jedenfalls ist Theobald Hocks Schönes Blumenfeld sowohl schreibsprachlich als auch als deutsche Dichtung gelehrter Provenienz im frü- 5 Vgl. Klaus Wolf: Reformationstheater als moralische Anstalt in Augsburg. Zum Augsburger Schuldrama der Vormoderne. In: Jahrbuch des Vereins für Augsburger Bistumsgeschichte 51 (2017), S. 155-165. 6 Vgl. Klaus Wolf: Ludwig der Bayer und die Ettaler Ritterakademie. In: Wolfgang Wüst/ Lisa Bauereisen (Hrsg.): Adelslandschaften. Kooperationen, Kommunikation und Konsens in Mittelalter, Früher Neuzeit und Moderne. Berlin 2018, S. 25-35. 7 Vgl. Václav Bok: Die Bibliotheken von Theobald und Hans Höck von Zweibrücken nach einem Inventar von 1618. In: Ulman Weiß (Hrsg.): Buchwesen in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Festschrift für Helmut Claus zum 75. Geburtstag. Epfendorf am Neckar 2008, S. 341-356. 8 Vgl. Max Hermann Jellinek: Theobald Hocks Sprache und Heimat. In Zeitschrift für Deutsche Philologie 33 (1901), S. 81-122. 9 Vgl. Klaus Wolf: Der Mundartdichter Sebastian Sailer im Rahmen der Prälatenschriftsteller Bayerns. In: Thomas Groll/ Klaus Wolf (Hrsg.): Perspektiven bayerisch-schwäbischer Literaturgeschichtsschreibung. Lindernberg im Allgäu 2015, S. 70-77. <?page no="246"?> Poeta Doctus - Theobald Hocks Prägung durch das gymnasium illustre in Hornbach 247 hen 17. Jahrhundert gerade im Umfeld der Wittelsbacher, die ja das Bildungswesen in Hornbach nicht unwesentlich prägten, nicht ganz ungewöhnlich. 10 Und diese Prägung des Hornbacher Bildungswesens geschah letztlich durch die Hinwendung der wittelsbachischen Linie Pfalz-Neuburg zum Protestantismus, eine Wendung, die im Falle von Ottheinrich beeindruckende literatur- und kunstgeschichtliche Folgen zeitigte, und dies nicht nur in Heidelberg oder Neuburg an der Donau. 11 Und gerade das protestantische wie wittelsbachische Hornbach hatte in seiner Frühzeit einen bedeutenden Reformator und mehr noch naturwissenschaftlichen Schriftsteller aufzuweisen, nämlich den berühmten Botaniker und meisterlichen Prosaautor Hieronymus Bock. 12 Ob sein langjähriges Wirken nicht zuletzt zur pharmakologischen Erforschung der Pflanzen, welches in einem frühneuhochdeutschen, überaus erfolgreichen Kräuterbuch seine Krönung fand, Theobald Hock (jenseits von Dichtungstopik) ein wenig zur Pflanzenmetaphorik im eigenen Werk anregte, wäre erwägenswert. Darüber hinaus kennen wir den von Straßburg beeinflussten Lehrplan der Hornbacher Schule Theobald Hocks, welche auf die Universität vorbereiten sollte, genau. Sie, die auf ein Benediktinerkloster samt Bibliothek zurückgeht, war eine Anstalt, welche von einer städtischen Lateinschule in Hornbach, aber auch an anderen Orten im wittelsbachischen Territorium sich dadurch unterschied, dass sie zwar keine Universität darstellte, aber Absolventen hervorbrachte, welche als Landesbeamte wie Universitätsabsolventen für den frühmodernen Staat brauchbar waren. Daneben konnten die Absolventen des gymnasium illustre in Hornbach oder in Lauingen bedenkenlos im Anschluss eine Volluniversität besuchen. Denn anders als das reformierte Heidelberg und das katholische Ingolstadt konnte die in Hornbach und in Lauingen regierende Nebenlinie der Wittelsbacher sich eine Universität nicht leisten. In Hornbach wurde jedenfalls auf letztlich humanistische Bildung, auf Latein und Altgriechisch, auf fundierte rhetorische Schulung im Geiste Ciceros großer Wert gelegt. Für das hohe Niveau sorgte das universitär gebildete Lehrpersonal, keine Selbstverständlichkeit im Vergleich mit gewöhnlichen Lateinschulen andernorts. Ein Stipendiensystem, von dem wohl auch Theobald Hock profitierte, ermöglichte auch ärmeren, aber begabten Schülern den sozialen Aufstieg über Bildung. Dabei war der Anteil von 10 Zum literarischen Leben im Umfeld der Wittelsbacher vgl. Klaus Wolf: Bayerische Literaturgeschichte. Von Tassilo bis Gerhard Polt. München 2018, passim. 11 Vgl. Brigitte Langer / Thomas Rainer (Hrsg.): Kunst und Glaube. Ottheinrichs Prachtbibel und die Schlosskapelle Neuburg. Regensburg 2016. 12 Vgl. zu Hieronymus Bock in Hornbach ausführlich Thomas Bergholtz: „Dass ich nichts als allein die heilige göttliche Schrift hab vorgetragen“. Der Sendbrief des Hieronymus Bock an die Gemeinde in Hornbach und die Stellung der Saarbrücker Grafen zur Reformation. In: Monatshefte für evangelische Kirchengeschichte des Rheinlandes 54 (2005), S. 169-192. <?page no="247"?> 248 Klaus Wolf knapp 50, meist in einem Konvikt untergebrachten Stipendiaten in Hornbach besonders groß. Die Landesherrschaft intendierte damit eine Kaderschmiede für den Nachwuchs an Juristen und Theologen, also Verwaltungsbeamten und Pastoren. Neben den Letzteren entgegenkommenden mehr philologischen Disziplinen wurden auch Mathematik und Physik ausgiebig gelehrt. Lehrern wie Schülern stand dafür eine gute Bibliothek zur Verfügung. Obrigkeitliche und landesherrliche externe Visitatoren sollten das kontinuierlich hohe Niveau sichern helfen. 13 Dieses lässt sich etwa aus den leges der schule zu Hornbach von Hertzog Wolffgang Pfaltzgraven gegeben anno 1559 ablesen. 14 Und die dem Schulwesen geltende Sorge des frommen Landesherrn zeigt auch die von Pfalzgraf Wolfgang im Jahre 1557 erlassene neue Kirchenordnung. Darüber hinaus hielt der Kanzler Dr. Ulrich Sitzinger fest: Dieweil dann jedermann weiß, daß nicht notwendigers in der christenheit ist dann rechschaffne schulen fur die unerzogene jugend, das auch one dieselben kein kirchen oder weltlich regiment besten könne. 15 Diese Intention wurde in Hornbach wie Lauingen gleichermaßen erfolgreich verwirklicht, wobei Wolfgang von Pfalz-Zweibrücken, der 1554 den manischen Büchersammler Ottheinrich beerbt hatte, im Gebäude des Lauinger Benediktinerinnenklosters ein Landesgymnasium errichtete, das ab 1562 den Schulbetrieb aufnahm und als Parallelinstitut zu Hornbach anzusehen ist. Der ehrgeizige Lehrplan, der vom Straßburger Johannes Sturm entwickelt wurde, ließ den Stachel der benachbarten fürstbischöflich-augsburgischen Universität Dillingen spüren. Latein war sogar Unterrichtssprache, ebenso stand Griechisch auf dem Lehrplan. 16 Vergleichbar war vom Niveau her und zeitgleich in städtischem Bereich die wie Hornbach protestantische (reichsstädtische) Schule von Sankt Anna in Augsburg, die durchaus als anregender Musenort der Künste, insbesondere der Dichtkunst anzusehen war. 17 Deshalb ist es so ungewöhnlich nicht, 13 Noch immer grundlegend: Anton Schindling: Humanistische Reform und fürstliche Schulpolitik in Hornbach und Lauingen. Die Landesgymnasien des Pfalzgrafen Wolfgang von Zweibrücken und Neuburg. In: Neuburger Kollektaneenblatt 133 (1980), S. 141-186. 14 Vgl. Lars G. Svensson: Die Geschichte der Bibliotheca Bipontina. Mit einem Katalog der Handschriften. Kaiserslautern 2002, S. 234. 15 Zitiert nach Anton Schindling: Humanistische Hochschule und Freie Reichsstadt. Gymnasium und Akademie in Strassburg 1538-1621. Wiesbaden 1977, S. 39. 16 Vgl. Franz Josef Merkl: Unterrichtsordnung des Illustre Gymnasium Lauingen. In: Michael Henker [u. a.] (Hrsg.): Fürstenmacht und wahrer Glaube - Reformation und Gegenreformation. Das Beispiel Pfalz-Neuburg. Regensburg 2017, S. 338. 17 Vgl. den neuesten Forschungsstand bei Rolf Kießling (Hrsg.): St. Anna in Augsburg - eine Kirche und ihre Gemeinde. Augsburg 2013. <?page no="248"?> dass die Schule in Hornbach mit Theobald Hock einen großen Dichter hervorbrachte. Denn gerade der Typus des gymnasium illustre war im 16. Jahrhundert durchaus ein Erfolgsmodell, das weitere Verbreitung fand. Man versteht darunter eine humanistische Bildungsinstitution, die eine Lateinschule mit einem propädeutischen Programm verband. Neben philologischen Disziplinen als unentbehrlicher Grundlage wurde auch in Inhalte der höheren Fakultäten eingeführt, also neben Juristerei und Theologie sogar Medizin. Einige später durchaus renommierte Universitäten existierten übrigens zunächst nur als gymnasium illustre , wie etwa Straßburg, Altdorf oder Gießen. 18 Dieses große intellektuelle Potenzial der Institution eines gymnasium illustre im 16. Jahrhundert lässt für Theobald Hocks deutsches Werk folgende Forschungsdesiderate aufscheinen: Zum einen hätte eine eingehende Kommentierung, ja Exegese seines lyrischen Werks im Blick auf die in Hornbach vermittelten Bildungsideale zu erfolgen, konkret quellenphilologisch und poetologisch. Zum anderen wäre mehr komparatistisch nach vergleichbaren Dichterpersönlichkeiten des späten 16. und des frühen 17. Jahrhunderts mit ähnlicher akademischer Prägung zu fragen. Dabei müssten Latein wie die Volkssprache gleichermaßen als Idiom der Dichter in den Blick genommen werden. Jetzt aber sollte schon feststehen, dass für Theobald Hock das Attribut poeta doctus angemessen ist. 18 Vgl. Joachim Castan: Hochschulwesen und reformierte Konfessionalisierung. Das Gymnasium Illustre des Fürstentums Anhalt in Zerbst, 1582-1652. Halle an der Saale 1999, S. 15. Poeta Doctus - Theobald Hocks Prägung durch das gymnasium illustre in Hornbach 249 <?page no="250"?> Theobald Hock - Ein Beitrag zu seinem Leben am Hofe Peter Woks von Rosenberg Anna Kubíková Die geographische Entfernung zwischen Südböhmen und dem Saarland ist ziemlich groß. So sind es beispielsweise von České Budějovice nach Saarbrücken Luftlinie 545 Kilometer. Deshalb überrascht es ein wenig, dass ein Mann aus der Nähe von Saarbrücken für eine längere Zeit auf dem südböhmischen Dominium der Adelsfamilie von Rosenberg Fuß gefasst hat. Zugegeben, er ist nicht direkt aus seiner Heimat nach Südböhmen gekommen. Vor seinem Eintritt in die Dienste Peter Woks von Rosenberg hatte er in deutschen Ländern gelebt und gewirkt und danach kurz am Hof Kaiser Rudolfs II. in Prag. Für das Leben von Theobald interessierten sich mehrere Forscher. Das Ergebnis ihres Studiums sind einige Aufsätze und Monographien. 1 Theobald Hock hat einige Angaben und Ereignisse seines Lebens in der Gedichtsammlung Schönes Blumenfeldt verschlüsselt. Angesichts der poetischen Lizenz waren und sind diese Informationen nachzuprüfen und mit erreichbaren Quellen zu konfrontieren. Den bisherigen Erkenntnissen zufolge wurde Theobald Hock am 23. August 1573 in Limbach geboren. Da alle dortigen amtlichen Schriften in den Kriegsjahren 1634 und 1793 vernichtet wurden, kann über Hocks Herkunft und Familienverhältnisse nichts festgestellt werden. Man weiß lediglich, dass er einen Bruder Anastasius und einen Onkel Johann hatte, die später genauso wie er in Böhmen lebten. Als eine interessante Tatsache darf hier nebenbei erwähnt werden, dass 1 František Mareš: Německý básník Theobald Hock v službách Rožmberských (Der deutsche Dichter Th. H. in rosenbergischen Diensten). In: Věstník České akademie císaře Františka Josefa pro vědy, slovesnost a umění 13 (1904), S. 147-163 und S. 247-263; Arnošt Kraus: Theobald Hock. In: Věstník Královské české společnosti nauk, Třída pro filosofii, historii a filologii 1935, S. 1-69; Blumenfeld (Hanson); Jaroslav Pánek: Poslední Rožmberk (Der letzte Herr von Rosenberg). Praha 1996; Lenka Veselá: Knihy na dvoře Rožmberků (Bücher am Hof der Herren von Rosenberg). Praha 2005; Václav Bok: Die Bibliotheken von Theobald und Hans Höck von Zweibrücken nach einem Inventar von 1618. In: Ulmann Weiss (Hrsg.): Buchwesen in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Festschrift für Helmut Claus zum 75. Geburtstag. Epfendorf am Neckar 2008, S. 341-356. <?page no="251"?> 252 Anna Kubíková das Gedicht Der Autor beweint das Leben , in dem Theobald Hock sein Geburtsdatum angibt, im Jahre 2004 ins Tschechische übersetzt wurde. Theobald Hock erwarb eine gute Bildung am Gymnasium (Schola illustris) in Hornbach. Das Gymnasium von Hornbach bildete künftige Landesbeamte aus, und dadurch wurde in gewissem Maße auch die künftige Dienstkarriere von Theobald Hock vorausbestimmt. Dieses Gymnasium besuchte er drei Jahre lang (vom 24. Juli 1586 bis zum 25. März 1589). 2 In den neunziger Jahren des 16. Jahrhunderts stand Theobald Hock wahrscheinlich in den Diensten Christians von Anhalt, der seit 1594 Statthalter in der Oberpfalz war. Zu Beginn der neunziger Jahre nahm Hock möglicherweise an einer Militärexpedition von deutschen Protestanten teil, die unter der Führung Christians von Anhalt den französischen Hugenottenkönig Heinrich IV. im Kampf gegen die katholische Liga unterstützen wollten. Wahrscheinlich vom Hof Christians von Anhalt in Amberg kam Theobald Hock 1598 an den Hof Kaiser Rudolfs II. in Prag, wo bereits seit einigen Jahren sein Onkel Johann Hock am Appellationsgericht gewirkt hatte. Zwei Jahre später trat Theobald in die Dienste des südböhmischen Magnaten Peter Wok von Rosenberg als dessen deutscher Sekretär. In diesem Amt ersetzte er Heinrich Klinger, der den Dienst bei Peter Wok im Jahre 1599 verlassen hatte. Theobald Hock lebte am Hof Peter Woks in Český Krumlov (Krumau) ab dem 4. August 1600. 3 Zuerst gehörte er nicht zu den führenden Beamten am rosenbergischen Hof, aber nach und nach erlangte er dort einen großen Einfluss. František Mareš, der seit dem Ende des 19. Jahrhunderts im schwarzenbergischen Archiv in Třeboň (Wittingau) arbeitete, wo auch das rosenbergische Archiv aufbewahrt wird, suchte in den erhaltenen rosenbergischen Schriften und Rechnungen mehrere wichtige Informationen über Theobald Hock zusammen, die er aus dem damaligen Prager Landesarchiv ergänzte. Die von František Mareš im Jahre 1904 tschechisch publizierte Studie wurde u. a. auch Grundlage für die Darstellung von Hocks Leben im Buch von Klaus Hanson. 4 Ich habe die von Mareš ermittelten und von ihm durch Hanson übernommenen Informationen über das Leben von Theobald Hock im heutigen Staatlichen Gebietsarchiv in Třeboň aus den Quellen im Bestand Cizí rody (Fremde Fami- 2 Achim Aurnhammer: Höck, Theobald. In: Wilhelm Kühlmann [u. a.] (Hrsg.): Frühe Neuzeit in Deutschland 1520-1620. Literaturwissenschaftliches Verfasserlexikon. Berlin und Boston/ MA 2014, Bd. III, Sp. 354-365, hier Sp. 355. 3 Státní oblastní archiv Třeboň (Staatliches Gebietsarchiv Třeboň), Bestand Cizí rody (Fremde Familien), z Rožmberka - weiter nur: SOA Třeboň, z Rožmberka, Sign. 23a, Faszikel VI. 4 Mareš: Německý básník (Anm. 1); Blumenfeld (Hanson), bes. S. 23-102. <?page no="252"?> Theobald Hock - Ein Beitrag zu seinem Leben am Hofe Peter Woks von Rosenberg 253 lien), Abteilung z Rožmberka nachgeprüft. 5 Einige der Schlussfolgerungen von Mareš und von Hanson mussten korrigiert, andere konnten ergänzt werden. Theobald Hock bezog seit dem Beginn seines Dienstes bei Peter Wok ein Jahresgehalt in Höhe von 100 Gulden, was in Umrechnung auf Meißner Groschen 85 Schock Groschen 42 Groschen und 6 Denare betrug. Die Beamten der Rosenberger wurden halbjährlich ausgezahlt, jeweils zu St. Georg (23. April) und zu St. Gallus (16. Oktober). Hocks Jahresgehalt blieb während seines ganzen Dienstes bei Peter Wok von Rosenberg unverändert. Mareš hatte in seiner Arbeit über Theobald Hock irrtümlicherweise angegeben, dass Hock in den Jahren 1601 bis 1602 ein Jahresgehalt von 50 Schock Meißner Groschen bezogen habe, was aber in Wirklichkeit nur ein Gehalt für ein halbes Jahr war; in den Jahren 1603 und 1604 führt er schon richtig das Jahresgehalt von Theobald Hock mit 100 Gulden an, was 85 Schock Groschen 42 Groschen und 6 Denare ausmacht. 6 Hanson arbeitete in seinem Werk mit den von Mareš übernommenen Angaben und kam zu dem Schluss, dass Hock „eine magere Bezahlung“ erhielt.“ 7 Für jene 85 Schock Groschen konnte man jedoch zu Beginn des 17. Jahrhundert in Krumau ein kleineres Wohnhaus kaufen. 8 Neben diesem Gehalt hatte der rosenbergische deutsche Sekretär Anspruch auf freie Kost und Kleidung. Laut den rosenbergischen Rechnungen aus den Jahren 1604 und 1605 bestand die damalige Bekleidung Hocks aus folgenden Stücken: einem Samtrock, einer karmesinroten Hose, mit breiten Schnüren verziert, und einem Mantel aus schwarzem englischem Tuch mit einem Samtkragen und Schnüren; er hatte ferner schwarze Harrasstrümpfe und einen breiten Hut. Aus der gleichen Quelle ergibt sich, dass Hock im Jahre 1611 auf eine ähnliche Weise gekleidet war: Er hatte einen Rock aus dunklem Karmesin, eine schwarze Samthose und einen Mantel aus aschfarbenem Tuch mit einem kastanienbraunen Kragen. 9 Am rosenbergischen Hof aß Hock im gemeinsamen Speisesaal, er saß dort am dritten Tisch mit dem Regenten (das heißt dem Verwalter aller rosenbergischen Herrschaften), dem Hauptmann, dem Burggrafen und anderen führenden 5 SOA Třeboň, Cizí rody, z Rožmberka, Sign. 23a, Faszikel VI. (Anm. 3). 6 Ebd. 7 Blumenfeld (Hanson), S. 32. 8 Es handelte sich beispielsweise um folgende Häuser im Wert von 80 Schock Meißner Groschen: Haus Nr. 137 in der Masná-Gasse, vgl. Anna Kubíková: Historická topografie Českého Krumlova (Historische Topographie von Krumau). (1424) 1459-1654. Část (Teil) VII. In: Jihočeský sborník historický 77-78 (2008-2009), S. 243; Haus Nr. 104 in der Gasse Parkan, vgl. Anna Kubíková: Historická topografie Českého Krumlova (Historische Topographie von Krumau). (1424) 1459-1654. Část (Teil) VI. In: Jihočeský sborník historický 76 (2007), S. 181f. 9 SOA Třeboň, Cizí rody, z Rožmberka, Sign. 11. <?page no="253"?> 254 Anna Kubíková rosenbergischen Hofleuten. 10 Theobald Hock besaß weder in Krumau noch in Wittingau ein eigenes Haus. Er wohnte im Schloss, zuerst in Krumau, dann in Wittingau. In Krumau befand sich Hocks Zimmer höchstwahrscheinlich im ersten Stock des Gebäudes für Beamte, wo auch andere rosenbergische Beamte ihre Zimmer hatten, darunter auch der rosenbergische Archivar, Bibliothekar und Historiograph Václav Březan. Dieses Gebäude befindet sich auf dem zweiten Schlosshof und wurde in den siebziger Jahren des 16. Jahrhunderts als ein Zweckbau erbaut. Im Erdgeschoss befanden sich die Arbeitszimmer der Beamten, im ersten Stock ihre Wohnungen, im Untergeschoss gab es Ställe für Dienstpferde und Abstellräume für Dienstkutschen. In diesem Gebäude befindet sich heutzutage die Krumauer Arbeitstelle des Staatlichen Gebietsarchiv Třeboň, wo ich ab 1972 arbeitete. Peter Wok von Rosenberg verkaufte im Jahre 1601 die Herrschaft Krumau an Kaiser Rudolf II. und siedelte im folgenden Jahr nach Třeboň (Wittingau) über, samt seinen Beamten und einigen Dienstleuten. Das Schloss von Wittingau war viel kleiner als das von Krumau, und das Hock zugeteilte Zimmer war sehr schmal und wohl auch dunkel. Im Jahre 1608 bat Hock Peter Wok von Rosenberg um ein größeres und helleres Zimmer sowie um ein selbständiges Arbeitszimmer. Die von Mareš untersuchten rosenbergischen Rechnungen deuten an, dass Hocks Wohnraum und die Kanzlei danach baulich verändert wurden. 11 Im Jahre 1608 hatte Hock zwei Schreiber zur Hand - Václav Burda und Pavel Frelich. 12 Theobald Hock hatte in Krumau einen Bekannten, Matthias Singer, der aus der Oberpfalz stammte. In Krumau wirkte Singer an der rosenbergischen evangelischen Schule, die von Peter Wok im Gebäude des einstigen Witwensitzes seiner Mutter Anna, geborenen von Rogendorf, errichtet wurde (heute ist dieses Gebäude ein Bestandteil der Brauerei Eggenberg). Für seinen Beruf hatte Singer eine entsprechende Ausbildung - er hatte an der Universität Helmstedt studiert, wo er 1590 an der dortigen theologischen Fakultät disputierte. 13 Matthias Singer kaufte im Jahre 1599 das Haus Nr. 5 in der Krumauer Gasse Latran, am Fuß der Schlosstreppe. 14 Im Winter 1600/ 1601 heiratete er Sabina Štroblová aus Vimperk (Winterberg), die Schwester von Šimon Štrobl, dem rosenbergi- 10 Ebd. 11 Mareš: Německý básník (Anm. 1), S. 262, Anlage Nr. V. 12 SOA Třeboň, Cizí rody, z Rožmberka, Sign. 10. 13 Disputatio XV. Quae de invocatione sanctorum et coniugio sacerdotum agit … In Illustri Academiâ Iuliâ exercitatione privatâ Praeside M. Ottone Lindenio pro viribus defendet Matthias Singerus 22. Septemb. … Magdeburg 1590 (VD16 L 1880). 14 Anna Kubíková: Historická topografie Českého Krumlova (Historische Topographie von Krumau). (1424) 1459-1654. Část (Teil) IX. (Latrán 1-20). In: Jihočeský sborník historický 80 (2011), S. 169-190. <?page no="254"?> Theobald Hock - Ein Beitrag zu seinem Leben am Hofe Peter Woks von Rosenberg 255 schen Mühlenschreiber und Besitzer des benachbarten Hauses Nr. 4. 15 Sabina Štroblová war vorher eine der Hofdamen der Gattin Peter Woks, Katharina von Ludanice, gewesen. Auch Matthias Singer ging an den neuen Sitz Peter Woks nach Wittingau. Im Jahre 1606 kehrte er nach Krumau zurück, aber 1617 zog er aus religiösen Gründen nach Dresden. 16 Matthias Singer schrieb lateinische humanistische Verse in Hocks antijesuitische Schrift Commonitorium: Sive amica ad amicum admonitio de Roberti Bellarmini scriptis atque libris , deren Ausgabe 1606 von Peter Wok von Rosenberg finanziert wurde. Singer arbeitete auch für die rosenbergische Bibliothek, in deren Katalog er zweimal erscheint. Im Jahre 1608 schrieb er die Österreichische Chronik des Thomas Ebendorfer ab, bei einer zweiten Handschrift kann nicht festgestellt werden, ob es sich um ein Musikwerk Singers handelt oder ob er dabei auch nur ein Abschreiber war - der Titel lautet etwas unklar: Centuria, Das ist Hundert Psalmen, Kirchengesänge und geistliche Lieder, mit 4 und 5 Stimmen, V Partes. Colligirt und geschrieben durch Matthiam Singerum . Ähnliche Lobverse auf den Verfasser des Commonitoriums schrieb auch der evangelische Priester Matthias Winkler aus der kleinen Bergstadt Rudolfov (Rudolfstadt) bei Budweis. Dieser soll im Jahre 1610 eine Gedichtsammlung herausgegeben haben, in deren Titel man eine Anspielung auf Hocks Schönes Blumenfeldt suchen könnte - Geistlicher Lust- und Spatziergarten . Bisher ist jedoch kein Exemplar dieses Werkes aufgetaucht. 45 Exemplare des Commonitoriums ließ Hock auf Wunsch Peter Woks beim Krumauer Buchbinder Jan Kempf binden. Sie sollen auf dem Vorderdeckel das Supralibros von Peter Wok, auf dem Hinterdeckel das Supralibros von Theobald Hock gehabt haben. Matthias Singer bezog in der Funktion des Präzeptors das Jahresgehalt von 80 Schock Meißner Groschen und dazu die Zuschläge für die bei ihm einquartierten Schüler. 17 Im Jahre 1607 erhielt Singer 41 Schock Meißner Groschen für das „Schreiben des Katalogs“, im Jahre 1608 „für das Abschreiben einer lateinischen österreichischen Historie“ 20 Schock Groschen, an der Wende der Jahre 1608 und 1609 für das „Abschreiben einer tschechischen Chronik“ 100 Schock Groschen. Diese Angaben deuten an, dass Singer in gewisser Weise an der Bereicherung der Rosenbergischen Bibliothek beteiligt war. 18 Hocks literarische Interessen führten zu seiner Zusammenarbeit mit dem rosenbergischen Archivar und Bibliothekar Václav Březan bei der Bereiche- 15 SOA Třeboň, Cizí rody, z Rožmberka, Sign. 23a, Faszikel VI. (Anm. 3). Václav Březan: Životy posledních Rožmberků (Die Leben der letzten Herren von Rosenberg). Hrsg. von Jaroslav Pánek. Praha 1985, S. 549. 16 Březan: Životy (Anm. 15), S. 578. 17 SOA Třeboň, Cizí rody, z Rožmberka, Sign. 23a, Faszikel VI. (Anm. 3). 18 Ebd. <?page no="255"?> 256 Anna Kubíková rung der rosenbergischen Bibliothek, selbstverständlich im Auftrag und mit Einverständnis Peter Woks von Rosenberg. Hock beteiligte sich am Einkauf von Büchern und Kunstgegenständen für die Bibliothek und die Kunstsammlungen. Aus den rosenbergischen Rechnungen ergibt sich, dass Hock im Kontakt mit Buchhändlern in Böhmen und im Ausland stand. Manchmal wurde ihm auch aufgetragen, ganze Büchersammlungen zu kaufen. So erhielt er beispielsweise im Jahre 1608 24 Schock Meißner Groschen für eine Reise nach Mostky (Pernlesdorf), um dort die Bibliothek des verstorbenen Scheiner von Rosenegg in Augenschein zu nehmen. 19 Peter Wok von Rosenberg besaß eine große Bibliothek, die er aus dem Krumauer Schloss in seinen neuen Sitz in Wittingau bringen ließ. Václav Březan bemerkt in seiner Biographie von Peter Wok, dass er am 16. November 1601 von seinem Herrn die Anweisung erhielt, die Bücher der Bibliothek einzupacken und zum Transport nach Wittingau vorzubereiten. Die Bücher füllten ganze 23 Kisten. 20 Weil die Räumlichkeiten des Schlosses von Wittingau keine Möglichkeit zu einer würdigen Aufstellung der Büchersammlung des Herrn von Rosenberg boten, ließ Peter Wok gleich neben dem Hauptgebäude des Schlosses in Richtung des Marktplatzes anstelle von drei abgerissenen Häusern ein neues Gebäude errichten, in dem seine Bücher- und Kunstsammlungen untergebracht wurden. Das Gebäude wurde vom italienischen Baumeister Dominik Cometa von Eckthurn erbaut. Die Buchwissenschaftlerin Lenka Veselá führt in ihrer grundlegenden Arbeit über die rosenbergische Bibliothek an, dass sich im ersten Stock zwei Säle im Gesamtumfang von etwa 320 Quadratmetern befanden. Die Räume der Bibliothek wurden mit Wandmalereien des rosenbergischen Hofmalers Tomáš Třebechovský ausgeschmückt. 21 Den Feststellungen von Frau Veselá zufolge, die den heute in der Königlichen Bibliothek von Stockholm aufbewahrten Katalog der einstigen rosenbergischen Bibliothek gründlich studierte und bearbeitete, beteiligte sich Theobald Hock an der Bereicherung der Bibliothek durch seine Werke sowie durch einige eigenhändige Abschriften. Seine 1601 in Brünn erschienene Gedichtsammlung Schönes Blumenfeldt ist in der Abteilung Philosophie auf dem Folio 1710 eingetragen und das bereits erwähnte Commonitorium in der Abteilung Theologie auf dem Folio 182. Des Weiteren registriert der Katalog in der Abteilung Philosophie auf dem Folio 1433 das von Hock abgeschriebene Werk als „ Büchlein von mancherley Kunst, gantz bewert, vnd mitt der erfarung probiertt manu Theobaldi Häck scriptus “, in der gleichen Abteilung auf dem Folio 1533 „ Mancherley Künststück und 19 Ebd. 20 Březan: Životy (Anm. 15), S. 559. 21 Veselá: Knihy (Anm. 1), S. 82. <?page no="256"?> Theobald Hock - Ein Beitrag zu seinem Leben am Hofe Peter Woks von Rosenberg 257 Experiment das erst, Das Einer nitt müd württ. Manu Theobaldi Häck Secretarii “ und ebenda auf dem Folio 1535 „ Alte Kunst getzogen auss dem Buch der Caldeyischen Acker Bawung etc. manu Theob. Hock “. Václav Březan, der der offizielle Archivar und Bibliothekar des letzten Herrn von Rosenberg war, hatte den Hauptanteil an der Neuordnung der rosenbergischen Bibliothek. In welchem Maße ihm dabei der deutsche Sekretär Theobald Hock geholfen hat, lässt sich heute nicht sagen. Hock hatte am rosenbergischen Hof seine eigene Mission und seine eigene Arbeit, zu der die verschiedensten Aufträge hinzukamen, mit denen ihn Peter Wok auch im Zusammenhang mit seiner Eingliederung in die antihabsburgische Opposition betraute. Aus verschiedenen indirekten Indizien kann man ahnen, dass Václav Březan nicht zu den Freunden von Hock gehörte und wohl auch an keiner Hilfe bei eigenen Arbeiten sowohl im Archiv als auch in der Bibliothek interessiert war. Er machte alles auf seine Weise, und weil er keine Familie hatte, verbrachte er fast die ganze Zeit mit seiner Arbeit, was ihn wohl völlig zufriedenstellte. Březans grundlegende Anordnung der Bibliothek berücksichtigte die damaligen Vorstellungen über die Ordnung von großen Büchersammlungen. Er teilte die rosenbergischen Bücher in fünf thematische Gruppen ein: Theologie, Jurisprudenz, Medizin, Geschichte, Philosophie. In der Gruppe Theologie waren die Bücher entsprechend ihrem Format gegliedert, in den übrigen Gruppen alphabetisch. Mit ihren 10.059 Bänden war die Rosenbergische Bibliothek zu Beginn des 17. Jahrhunderts die größte weltliche Bibliothek in Böhmen. 22 Das Schicksal der rosenbergischen Bibliothek ist relativ gut bekannt, deshalb werde ich nur die Hauptpunkte kurz erwähnen. Peter Wok von Rosenberg legte in seinem Testament fest, dass die Bibliothek nach seinem Tode der zu gründenden evangelischen Schule in der Stadt Soběslav zufallen solle. Den Haupterben, den Mitgliedern der Familie von Schwanberg, fiel es wohl schwer, eine so große Bibliothek der Schule von Soběslav zu übereignen, und sie behielten die Bibliothek in ihrem Besitz. Möglicherweise taten sie dies auf Anregung von Václav Březan, der nach dem Tode von Peter Wok in die Dienste der Schwanberger trat und der sich schwer von der Bibliothek getrennt hätte. Nach der Niederlage des Böhmischen Ständeaufstandes im Jahre 1620 wurde der gesamte Besitz der Herren von Schwanberg konfisziert; die Herrschaft Wittingau samt Schloss und dessen ganzer Einrichtung nahmen die Habsburger, konkret der damalige Kaiser und böhmische König Ferdinand II., in ihren Besitz. Ferdinands Sohn, Ferdinand III., ab 1637 sein Nachfolger, wünschte, dass die Rosenbergische Bibliothek nach Prag gebracht würde, was im Jahre 1647 auch geschah. Dort wurde sie im folgenden Jahr Beute der schwedischen Truppen und wur- 22 Ebd., S. 119. <?page no="257"?> 258 Anna Kubíková de auf Wunsch von Königin Christine nach Schweden gebracht. Dort wurden zahlreiche Bücher verschiedenen Institutionen und Personen geschenkt; heute sind rosenbergische Bücher in ganz Europa verstreut, manche verbrannten in Schweden. In der Königlichen Bibliothek von Stockholm blieb bis auf heutige Tage Březans vierteiliger, im roten Leder gebundener Katalog der Rosenbergischen Bibliothek erhalten. Vor einigen Jahren hatte ich bei einer Exkursion von tschechischen Archivaren kurz die Gelegenheit, einen Teil des Katalogs in meinen Händen zu halten. Peter Wok von Rosenberg würdigte die Dienste Theobald Hocks unter anderem auch dadurch, dass er sich um die Erhebung seines deutschen Sekretärs und dessen Bruders Anastasius in den niederen Adelsstand einsetzte. Dieser Schritt war keine besondere Ausnahme. Der Rosenberger erwirkte auch die Erhebung einiger anderer seiner Beamten in den niederen Adelsstand, beispielsweise des Jan Benýdek von Veveří (im Jahre 1599) oder des Kammerdieners Jan Hagen von Švarcbach (im Jahre 1603). 23 Den ersten Schritt zur Nobilitierung Hocks tat der Rosenberger im September 1601, als er in Prag den kaiserlichen Kämmerer Jeroným Makovský von Maková um eine Fürsprache beim Kaiser bat, damit den Hocks zur Erlangung des Adelstitels geholfen werde. Er bat ebenfalls in der Reichskanzlei den Vizekanzler Corodovius und den Sekretär Barvitius um Hilfe. 24 Am 24. Februar 1602 erließ die Reichskanzlei den Majestätsbrief für Theobald und Anastasius Hock über deren Erhebung in den Adelsstand mit der Erteilung des Prädikats von Zweibrücken. Das darin beschriebene Wappen sah folgendermaßen aus: drei große Z in Gestalt des griechischen Buchstaben Zeta („tres nigros in formam graeci charakteris Z pictus“) im goldenen Feld, die in einem Dreieck zueinander standen, über dem Schild ein geöffneter Helm mit einer Königskrone, darauf zwei goldene Adlerflügel, auf jedem ein schwarzes Z, die Helmdecke auf der Innenseite golden, auf der Außenseite schwarz. 25 Diese Erhebung genügte jedoch Theobald Hock bald nicht mehr und er versuchte, in einen höheren Adelsstand vorzudringen. Deswegen fertigte er eine falsche Urkunde an oder ließ sie vielmehr von seinem Onkel Hans anfertigen, deren Inhalt sich auf das Jahr 1405 bezog und die angeblich im Jahre 1548 vom Kaiser Karl V. bestätigt worden war. Die gefälschte Urkunde sprach über die Dienste der Vorfahren von Hocks für einstige Kaiser, weswegen ihnen angeblich das Wappen verbessert wurde. Aufgrund dieses Falsums setzte sich der nichts ahnende Peter Wok um die Ausstellung eines neuen Majestätsbriefes 23 Březan: Životy (Anm. 15), S. 542 und S. 799. 24 Mareš: Německý básník (Anm. 1), S. 261f., Anlage Nr. III. 25 SOA Třeboň, z Rožmberka, Sign. 10. <?page no="258"?> Theobald Hock - Ein Beitrag zu seinem Leben am Hofe Peter Woks von Rosenberg 259 für seinen deutschen Sekretär ein. Kaiser Rudolf II. bestätigte am 22. März 1605 die gefälschte Urkunde Kaiser Karls V. und erteilte am 30. Mai 1607 als König von Böhmen den Hocks alle Rechte, die die böhmischen Adligen im Königreich Böhmen genossen. Das zugrunde gelegte Falsum wurde einige Jahre später zum Bestandteil der Anklage gegen Theobald Hock, der im Jahre 1617 der Fälschung des Testaments von Peter Wok, der Fälschung des eigenen Stammbaums und weiterer Verbrechen beschuldigt wurde. Theobald Hock war ein geheimer Vermittler zwischen Peter Wok und Christian von Anhalt und weiteren Vertretern der antihabsburgischen Opposition. Diese Kontakte gewannen in den Jahren 1607 bis 1609 an Intensität. Der rosenbergische Hof von Wittingau vermittelte Kontakte zwischen Peter Wok, Christian von Anhalt, dem Anführer der oberösterreichischen Ständeopposition Georg Erasmus von Tschernembl und einigen böhmischen und mährischen nichtkatholischen Politikern, zu denen beispielsweise Václav Budovec von Budov und Karel der Ältere von Žerotín gehörten. Christian von Anhalt besuchte zweimal heimlich Wittingau und erhielt von Peter Wok beträchtliche Geldsummen zur Unterstützung protestantischer Interessen. Nach dem Erscheinen des Majestätsbriefs Rudolfs II. über die Religionsfreiheit im Jahre 1609 musste Peter Wok von Rosenberg seine Einstellung neu bewerten, weil seine bisherigen antihabsburgischen Positionen für ihn persönlich gefährlich wurden. Theobald Hock hatte in diesen Jahren die geheime Korrespondenz von Peter Wok geführt. Der Historiker Otakar Hulec hat im Jahre 1961 in einem relativ kurzen, aber gehaltvollen tschechischen Aufsatz mit dem Titel Konspirační charakter předbělohorské protestantské opozice (Der konspirative Charakter der protestantischen Opposition in der Zeit vor der Schlacht am Weißen Berg) die Art und Weise dieser geheimen Korrespondenz behandelt und die Tatsache erwähnt, dass der meiste Teil davon in deutschen Archiven erhalten geblieben ist. Im Prager Nationalarchiv befinden sich zahlreiche Abschriften davon, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts angefertigt wurden. 26 Die böhmischen Partner dieser Korrespondenz haben die an sie gerichteten Briefe größtenteils vernichtet. Es ist noch zu erwähnen, dass der südböhmische Historiker Václav Bůžek im Jahre 2014 einen tschechischen Aufsatz mit dem Titel: Theobald Hock z Zweibrückenu mezi Amberkem, Třeboní a Žumberkem (Theobald Hock von Zweibrücken zwischen Amberg, Wittingau und Sonnberg) veröffentlichte. 27 Theobald Hock genoss offensichtlich volles Vertrauen seines Dienstherrn. Peter Wok von Rosenberg betraute seinen deutschen Sekretär mit verschiede- 26 Otakar Hulec: Konspirační charakter předbělohorské protestantské opozice. In: Jihočeský sborník historický 30 (1961), S. 97-102, hier S. 97, Anm. 1. 27 Erschienen in: Opera romanica 14. Edition Universitatis Bohemiae Meridionalis, České Budějovice 2013, S. 149-163. <?page no="259"?> 260 Anna Kubíková nen Aufträgen, die mit finanziellen Transaktionen verbunden waren. Im Rechnungshalbjahr Oktober 1602 bis April 1603 erhielt Hock für eine nicht näher spezifizierte Reise 5 Schock Meißner Groschen und im Frühjahr 1603 erledigte er „einige Dinge Seiner Gnaden des Herrn“ am Osterjahrmarkt in Linz um 85 Schock Groschen. Im Halbjahr April bis Oktober 1603 erhielt er „für die Reise zu Diensten Seiner Gnaden des Herrn“ 15 Schock Groschen. Im Halbjahr April bis Oktober 1606 war er unterwegs, um „einem guten Menschen auf Befehl Seiner Gnaden des Herrn“ 907 Schock Groschen zu überstellen. In der gleichen Rechnungsperiode erhielt er 26 Schock Groschen für eine Reise nach Prag. Im Halbjahr April bis Oktober 1607 brachte er für die Brüder Antonín und Ludvík Mukšan in Prag 300 Schock Groschen. Die Brüder Mukšan vermittelten für den rosenbergischen Hof Einkäufe von kostbaren Stoffen. 28 Diese ganze intensive Tätigkeit beschäftigte Theobald Hock dermaßen, dass er keine Zeit hatte, eine eigene Familie zu gründen. Er heiratete erst mit 38 Jahren, im Jahre 1611. Er ehelichte die Tochter von Melichar Kolchrajter von Kolchrajt Anežka Kolchrajterová von Kolchrajt, die zu den rosenbergischen Hofdamen gehörte. Die Adelsfamilie Kolchrajter von Kolchrajt besaß das Gut Černý Dub unweit der Stadt Budweis. Laut Eintrag von Václav Březan in seiner Lebensbeschreibung Peter Woks von Rosenberg fand die Hochzeit von Theobald Hock am 27. September 1611 im Schloss von Wittingau auf Kosten Peter Woks statt. Danach wurde drei Tage lang gefeiert, wobei 40 Eimer (etwa 2.400 Liter) Wein ausgetrunken wurden. Unter den zahlreichen geladenen Gästen waren u. a. Johann Georg von Schwanberg mit seinem Sohn Peter, Jan Zrinský von Seryn und Friedrich von Fürstenberg. 29 Es ist möglich, dass Theobald Hock mit der Heirat deswegen so lange zögerte, weil er vor dem Jahr 1610 seiner eventuellen Frau keine eigene Behausung bieten konnte. Wie schon gesagt, besaß er weder in Krumau noch in Wittingau ein Haus. Im Jahre 1610 überließ Peter Wok seinem deutschen Sekretär und dessen Onkel Hans für eine niedrige Summe (1000 Schock Böhmische Groschen) die südlich von Wittingau gelegene kleine Herrschaft Žumberk (Sonnberg). Peter Wok von Rosenberg selbst hatte das Gut Sonnberg wenige Jahre vorher gekauft. Über den Kauf des Gutes von Sonnberg begann der letzte Herr von Rosenberg mit dem damaligen Besitzer Častolar Dlouhoveský von Dlouhá Ves zu Beginn des Jahres 1602 zu verhandeln und nach bestimmten Verzögerungen, die durch die Verhandlungen über die Grenzen zwischen dem Gut von Častolar und der Peter Wok von Rosenberg gehörenden Herrschaft Nové Hrady (Grat- 28 SOA Třeboň, Cizí rody, z Rožmberka, Sign. 23a, Faszikel VI. (Anm. 3). 29 Březan: Životy (Anm. 15), S. 630. <?page no="260"?> Theobald Hock - Ein Beitrag zu seinem Leben am Hofe Peter Woks von Rosenberg 261 zen) gegeben waren, kaufte er das Gut. Laut dem am 15. Juli 1602 abgeschlossen Kaufvertrag kaufte Peter Wok von Rosenberg das Gut Sonnberg von Častolar Dlouhoveský von Dlouhá Ves für 23.000 Schock Meißner Groschen. Zum Gut Sonnberg gehörten damals die Vesten in Sonnberg und in Chvalkov (Chwalkow) und die Dörfer Sonnberg, Buková (Buggau) und sieben weitere Dörfer. 30 Theobald Hock war jedoch nicht der alleinige Besitzer dieses Gutes, die Mitbesitzer waren sein Bruder Anastasius und sein Onkel Hans. Die näher unerklärbare Feindschaft zwischen Theobald und Hans führte zur Teilung des Gutes Sonnberg. Theobald und Anastasius behielten Sonnberg mit den meisten Dörfern, Hans erhielt Chwalkow und das Dorf Buggau. Theobald Hock ließ die Veste von Sonnberg nach den damaligen manieristischen Anforderungen herrichten und ausschmücken. Das Inventar der Veste von Sonnberg aus dem Jahre 1618 ermöglicht uns einen Einblick in den Wohnsitz und in die Privatsphäre von Theobald Hock. Das Hauptgebäude hatte im Erdgeschoss eine Halle, aus der man linkerhand ein Zimmer betrat, wo der Besitzer im großen grünen, bemalten Schrank einen Teil seiner Bibliothek unterbrachte. Im Zimmer gab es des Weiteren einen grünen Kachelofen, drei Tische, drei Stühle, zwei Landkarten und fünf Bilder. Neben diesem Zimmer war eine Kammer. Rechts von der Eingangshalle lag ein großes Zimmer mit einem gelben Kachelofen und mit damals gängigen Möbelstücken. Neben diesem Zimmer befand sich die Küche mit einer Kammer und einem kleinen Zimmer sowie mit einigen Speisekammern. Im Erdgeschoss befand sich noch ein großes Zimmer mit einem grünen Kachelofen, zwei Tischen, 16 Stühlen und drei Lehnstühlen. An der Wand hingen zwei Landkarten. Hinter diesem Zimmer gab es eine Kammer mit vier Himmelbetten. Neben dem Wohnteil der Veste stand eine Brauerei mit der nötigen Ausstattung und Vorräten sowie mit einer Unterkunft für den Mälzer und seine Gehilfen. 31 Im Areal der befestigten Veste sind heutzutage fünf der ursprünglich sechs runden Türme und die Wehrmauer erhalten. Laut Inventar von 1618 war der Raum im ersten Turm mit einem grünen Kachelofen ausgestattet. Im zweiten Turm gab es damals lediglich einen nicht eingerichteten Raum. Im dritten Turm hatte Theobald Hock sein privates Studierzimmer und seine Bibliothek. Diesem Zweck diente der im ersten Stock befindliche Raum, in dem es einen grünen Kachelofen gab, weiter einen runden Tisch, zwei Lesepulte, drei Stühle, zwei 30 SOA Třeboň, z Rožmberka, Sign. 10. 31 Daniel Kovář: Několik inventářů sídel Českobudějovicka z doby předbělohorské. (Chvalkov, Lustenek, Rudolfov a Žumberk) (Einige Inventare der Wohnsitze in der Budweiser Region aus der Zeit vor der Schlacht am Weißen Berg [Chwalkow, Lustenegg, Rudolfstadt und Sonnberg]). In: Táborský archiv 14 (2009), S. 135-174, hier S. 152-158. <?page no="261"?> 262 Anna Kubíková Bücherregale und sechs kleinere Bücherschränke. 32 Im vierten Turm befand sich offensichtlich ein kleines Labor (das Inventar registriert dort u. a. einen Destillierkessel, einen Zirkel, einen Hammer, eine Zange u. a.). Der fünfte Turm war mit einem grünen Kachelofen ausgestattet. Der sechste Turm war leer. 33 Das Inventar der Veste Sonnberg wurde am 29. März 1618 von den Kommissaren Kašpar Parmanský und Zikmund Turnovský auf Tschechisch ausgefertigt. Die Kommissare waren mit diesem Auftrag von der Böhmischen Kammer betraut, die die Schuld von Theobald Hock untersuchte. Das Inventar wurde am 9. April 1618 durch die Inventarisierung von Hocks persönlichen Sachen beendet. In einer mit Metall beschlagenen Truhe wurden folgende Kleidungsstücke Hocks vorgefunden: ein violetter Mantel aus Tuch, ein schwarzer Mantel aus Tuch, ein schwarzer Sommermantel aus Taft, ein schwarzer Biberhut mit 15 goldenen Knöpfen, ein schwarzer Hutschmuck mit einer goldenen Medaille, eine Hose aus rotem Mailänder Tuch, ein schwarzer Trauermantel aus englischem Tuch, eine weiße Hose spanischen Schnitts mit einem Rock mit silbernen Knöpfen, eine violette Samthose mit einem Rock, eine schwarze Samthose mit einem schwarzen Rock, der mit einem Samtkragen geschmückt war, eine Leinenhose mit einem silberfarbenen Rock, eine schwarze Hose aus englischem Tuch, ein schwarzer Rock aus englischem Tuch mit einem Samtkragen, ein schwarzer Hut ohne Verzierung, drei abgewetzte schwarze Gürtel und zwei mit einem metallenen Zwirn gestickte Gürtel. Des Weiteren waren in der Truhe folgende persönliche Sachen von Hock untergebracht: ein mit Silber beschlagener türkischer Säbel, ein langes türkisches Messer in einer schwarzen, mit Silber geschmückten Scheide, ein mit Silber beschlagener türkischer Beilhammer, zwei kleine Pistolen und drei Köcher. Es wurden auch die Kleidungsstücke und das Essgeschirr von Hocks Gattin inventarisiert, die bat, man möge diese Gegenstände in ihrem Besitz belassen. Es handelte sich um keine besonders wertvollen oder interessanten Dinge, die zur Charakterisierung von Theobald Hock beitragen würden, und deshalb werden sie hier nicht aufgezählt. Nach dem Tod von Peter Wok von Rosenberg am 6. November 1611 trat Theobald Hock nicht in die Dienste der neuen Wittingauer Herrschaft, der Herren von Schwanberg. Mit dem Ableben des letzten Herrn von Rosenberg ging Hocks glänzendster Lebensabschnitt zu Ende, und er musste sich mit schweren Problemen auseinandersetzen, wobei er fast sein Leben verlor. 32 Eine gründliche Beschreibung der Bibliothek von Theobald Hock siehe bei Bok: Die Bibliotheken (Anm. 1). 33 Kovář: Několik inventářů (Anm. 31), S. 158-162. <?page no="262"?> Theobald Hock - Ein Beitrag zu seinem Leben am Hofe Peter Woks von Rosenberg 263 Der rosenbergische Archivar, Bibliothekar und Historiograph Václav Březan widmete im fünften Teil seiner Rosenbergischen Geschichte , der sich mit dem Leben von Peter Wok von Rosenberg beschäftigte, auch Theobald Hock eine gewisse Aufmerksamkeit. Wie ich bereits gesagt habe, gehörte Hock offensichtlich nicht zu Březans Freunden, aber Březan, der die historischen Tatsachen faktographisch beschrieb, ließ dabei auch Hock nicht unerwähnt. Außer der Schilderung von Hocks Hochzeit handelt es sich jedoch zumeist um Kleinigkeiten aus dem Alltagsleben des rosenbergischen Hofes. Aus verständlichen Gründen verschwieg Václav Březan jedoch die konspirativen Treffen der antihabsburgischen Opposition und Hocks Vermittlerrolle, also das Wichtigste an Hocks Tätigkeit am rosenbergischen Hof. <?page no="264"?> Nachlese zum Leben und Umkreis von Theobald Hock Václav Bok Die wichtigsten Begebenheiten des wechselvollen Schicksals von Theobald Hock sind bereits mehrmals abgehandelt und geklärt worden; der vorliegende Beitrag versteht sich als Ergänzung, eventuell auch Korrektur in einigen Teilaspekten. 1 Außerdem sollen einige Personen näher betrachtet werden, mit denen Hock in engerem Kontakt stand. Deshalb mag dieser Aufsatz etwas disparat wirken, wofür sich der Verfasser entschuldigen möchte. I. Zur Tätigkeit Theobald Hocks am Hof Peter Woks von Rosenberg Theobald Hock arbeitete von 1600 bis 1611 als deutscher Sekretär des südböhmischen Magnaten Peter Wok von Rosenberg († 6. November 1611). Es ist 1 Grundlegend für die Darstellung des Lebens von Theobald Hock in Böhmen ist der Aufsatz von František Mareš: Německý básník Theobald Hock v službách Rožmberských (Der deutsche Dichter Th. H. in rosenbergischen Diensten). In: Věstník České akademie císaře Františka Josefa pro vědy, slovesnost a umění 13 (1904), S. 147-163 und S. 247-263, auf dem alle folgenden Biographien Hocks letztlich basieren. Der schwarzenbergische Archivar Mareš, der auch Max Koch für dessen Einleitung zur Edition (Blumenfeld [Koch]) mehrere Angaben zur Verfügung gestellt hatte, trug in seinem Aufsatz fast lückenlos alle relevanten Erwähnungen Theobald Hocks aus den Beständen des heutigen Staatlichen Gebietsarchivs Třeboň [Wittingau] sowie einige aus dem heutigen Prager Nationalarchiv zusammen. In einigen Fällen vermisst man jedoch eine exakte Quellenangabe der mitgeteilten Fakten. Die meisten der Angaben von Mareš über Hocks Leben übernahm der Prager Germanist Arnošt Kraus in seiner deutsch geschriebenen Abhandlung (Theobald Höck. In: Věstník Královské české společnosti nauk, Třída pro filosofii, historii a filologii. Jg. 1935, Nr. 3. Praha 1936, S. 1-69). Eine weitere Bereicherung der Biographie Theobald Hocks stellt der Aufsatz von Walter Brauer (Theobald Hock. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 63 (1938), S. 254-284) dar, in dem mehrere neue Fakten aus dem Archiv von Zerbst mitgeteilt wurden. Auf all diesen Arbeiten basiert die umfangreiche Einleitung zur kritischen Edition von Hocks Gedichten in der Monographie von Klaus Hanson (Blumenfeld [Hanson]). Die neueste zusammenfassende Darstellung über Theobald Hock stammt von Achim Aurnhammer (Höck, Theobald. In: Wilhelm Kühlmann [u. a.] [Hrsg.]: Frühe Neuzeit in Deutschland 1520-1620. Literaturwissenschaftliches Verfasserlexikon. Berlin und Boston/ MA 2014, Bd. III, Sp. 354-365). <?page no="265"?> 266 Václav Bok hinreichend bekannt, dass Hock ein bedeutender Vermittler von konspirativen Kontakten zwischen einem Teil der nichtkatholischen Adligen aus Böhmen, Mähren und Oberösterreich mit Peter Wok an der Spitze und einer der führenden Persönlichkeiten der Protestantischen Union, Christian I. von Anhalt, gewesen ist. Im Auftrag von Peter Wok schrieb Theobald Hock insbesondere in den Jahren 1607 bis 1609 unzählige Briefe und war einige Male als Gesandter seines Dienstherrn unterwegs. 2 Die hohe Wertschätzung von Hocks Diensten fand ihren Niederschlag sowohl in anerkennenden Worten in mehreren Dokumenten als auch in der Überlassung der kleinen Herrschaft Žumberk [Sonnberg] zu einem sehr niedrigen Preis. Zur Wertschätzung Hocks durch Peter Wok trug auch seine - in ihrer konkreten Gestalt leider nicht näher bekannte - Tätigkeit diplomatischer Art bei, die Hock in der ersten Hälfte des Jahres 1611 im Auftrag seines Dienstherrn leistete. Seit Ende Dezember 1610 waren nämlich die Truppen des Passauer Bischofs Leopold von Habsburg plündernd und raubend über Oberösterreich und Südböhmen nach Prag gezogen, um die sehr geschwächte Position Kaiser Rudolfs II. gegenüber seinem jüngeren Bruder Matthias zu stützen. Ihre Aktion scheiterte jedoch, trug wesentlich zum Fall Rudolfs bei und öffnete Matthias rasch den Weg zum böhmischen Königsthron. 3 Bei ihrem Zug besetzten die Passauer u. a. die südböhmischen Städte Krumau, Budweis und Tábor und verwüsteten einige rosenbergische Güter. Peter Wok von Rosenberg führte mit dem Kommandanten der Passauer Truppen, Oberst Laurentius Ramée, Verhandlungen, die sich über mehrere Wochen hinzogen. Anfang Juni 1611 zahlte Peter Wok unter hohem finanziellem Aufwand die Passauer Soldateska vollständig aus und erwirkte somit die völlige Auflösung der Passauer Truppen, zu der es am 13. Juni 1611 kam. 4 In der Tat war es Theobald Hock, der auch dank seiner vorherigen 2 Über die politischen Kontakte zwischen Christian von Anhalt und Peter Wok gibt es umfangreiche Literatur, von der hier nur einige Titel zitiert werden sollen: Hans Georg Uflacker: Christian I. von Anhalt und Peter Wok von Rosenberg. München 1926; Václav Bůžek: Die politische Rolle der Residenz Peter Woks von Rosenberg in Třeboň/ Wittingau zur Zeit des Bruderzwists. In: ders. (Hrsg.): Ein Bruderzwist im Hause Habsburg (1608-1611). České Budějovice 2010, S. 307-330; ders.: Theobald Hock z Zweibrückenu mezi Amberkem, Třeboní a Žumberkem (Th. H. von Zweibrücken zwischen Amberg, Wittingau und Sonnberg). In: Opera romanica 14. Edition Universitatis Bohemiae Meridionalis. České Budějovice 2013, S. 149-163. 3 Dieses politisch-militärische Unternehmen wird in allen Darstellungen der Regierung Rudolfs II. behandelt, die erste gründliche Schilderung der Ereignisse stammt von Anton Gindely: Rudolf II und seine Zeit. 1610-1612. Bd. II. Prag 1865, S. 182-242. Vgl. auch: Jaroslav Pánek: Poslední Rožmberk. Životní příběh Petra Voka (Der letzte Rosenberger. Die Lebensgeschichte Peter Woks von Rosenberg). Praha 1996, S. 191-196. 4 Václav Březan: Životy posledních Rožmberků (Die Leben der letzten Herren von Rosenberg). Hrsg. von Jaroslav Pánek. Praha 1985, S. 626. <?page no="266"?> Nachlese zum Leben und Umkreis von Theobald Hock 267 politischen und diplomatischen Erfahrungen in der Praxis die Verhandlungen mit den Passauern geführt hatte. Als Peter Wok von Rosenberg bald nach der endgültigen Lösung des Problems mit den Passauer Truppen am 28. Juni 1611 seine adeligen Freunde zu der Ende September 1611 stattzufindenden Hochzeit Theobald Hocks einlud, begründete er sein Engagement für Theobald Hock in dieser Angelegenheit nämlich folgendermaßen: […] weil der oben genannte Herr Hockh mir und dem Wohl dieses ganzen Königreiches mehrere angenehme und wirksame Dienste erwiesen hat, insbesondere was die Verhandlungen mit dem passauischen Volk und dessen Abdankung betrifft, wobei er keine Mühe und Fleiß scheute […]. 5 Als einen zweiten Grund zur Einladung nach Třeboň (Wittingau) führte der schon dahinsiechende Peter Wok an, er möchte aus diesem Anlass noch einmal einige seiner adeligen Freunde sehen. Die Anwesenheit der böhmischen Hochadligen bei der Hochzeit von Theobald Hock war dann allerdings mäßig. Theobald Hock wird oft sein schlechter Charakter vorgeworfen, am schärfsten von H. G. Uflacker: „Habgierig und schlau, gerissen und skrupellos, verstand er es bald, eine einflußreiche Stellung am Wittingauer Hofe zu erringen. […] Diese Freude an der politischen Intrige ist Hocks hervorstechender Charakterzug.“ 6 Uflacker gibt für sein Urteil keine explizite Begründung, in der sonstigen Fachliteratur werden in diesem Zusammenhang Theobald Hock zum einen die direkte (oder eher indirekte) Beteiligung an der Fälschung von Unterlagen zur 1607 erfolgten Erhebung in den böhmischen Adelsstand vorgeworfen, zum anderen die Zustimmung zu dem Vorschlag Christians von Anhalt, sofern Hock bewirken werde, dass Peter Wok von Rosenberg sein Testament zugunsten Christians aufsetze, dieser ihm eine Provision in Höhe von zehn Prozent auszahlen werde. 7 Ich will diese beiden Tatsachen weder bestreiten noch beschönigen, will jedoch mit Walter Brauer betonen, 8 dass in Hocks Leben die calvinistische Sache höchste Priorität hatte und dass er ihr alles andere unterstellte (auch die Angelegenheit mit Woks Testament) und in den letzten Jahren seines Lebens dafür auch aktiv mit der Waffe in der Hand kämpfte. 9 Sonst sehe 5 Eine Abschrift dieser Einladung befindet sich im Národní archiv (Nationalarchiv) Praha, Bestand Stará manipulace (Alte Manipulation), H 167, Karton 922, Nr. 4. Das Zitat wurde aus dem Tschechischen ins Deutsche von V. Bok übersetzt. 6 Uflacker: Christian I. von Anhalt (Anm. 2), S. 64. 7 Blumenfeld (Hanson), S. 60f. sowie die Anmerkung 128 auf S. 670 mit Hinweis auf Anton Gindely: Rudolf II und seine Zeit. 1610-1612. Bd. I. Prag 1863, S. 143. 8 Brauer: Theobald Hock (Anm. 1), S. 262. 9 Wilhelm Kühlmann: Vom Weiterleben eines Verschollenen: Theobald Hock als „Commissarius“ Ernst von Mansfelds am Oberrhein 1621/ 1622. In: Wolfenbütteler Barocknachrichten 8 (1981), S. 189. <?page no="267"?> 268 Václav Bok ich keine weiteren Anzeichen, dass er sich gegenüber Peter Wok illoyal verhalten hätte. Im Laufe der Jahre sind sich die beiden Männer anscheinend immer nähergekommen und Hock wurde höchstwahrscheinlich zu einem der engsten Vertrauten Peter Woks. Andererseits ist nicht zu verhehlen, dass Theobald Hock wohl wegen seines selbstherrlichen Auftretens am Wittingauer Hof bei einigen anderen Hofleuten verhasst war. 10 Theobald Hock war Peter Wok von Rosenberg für die großzügigen Gunsterweisungen dankbar und brachte dies auch nach dessen Tod zum Ausdruck. Ein interessanter Beweis dafür ist das Wappen an einer der von Hock erbauten Basteien seines Sitzes in Sonnberg. Auf dem Wappen mit der Jahreszahl 1615 sieht man die rosenbergische Rose, die einige Teile des Allianzwappens von Theobald Hock und seiner Gattin Agnes von Kalckreut überdeckt. Dass dies der Fall ist und die in den Ecken des Schildes quasi unterhalb der Rose hervortretenden Gebilde tatsächlich Teile des Hockschen Allianzwappens sind, zeigen der Vergleich mit dem vollständigen Allianzwappen der Eheleute Hock an einem anderen Gebäude in Sonnberg sowie die über dem Schild mit der Rose angebrachten Inschriften „T. Hock“ und „A. Kalich“ (siehe Abb. 1 und 2). Abb. 1: Das Allianzwappen der Eheleute Hock aus dem Jahre 1613 an einem Haus von Žumberk (Zustand 2018). Foto: PhDr. Roman Lavička, Ph.D. 10 Mareš: Německý básník (Anm. 1), S. 248, mit konkreten Äußerungen einiger Hofleute gegen Theobald Hock. <?page no="268"?> Nachlese zum Leben und Umkreis von Theobald Hock 269 Abb. 2: Die rosenbergische Rose mit Teilen des Allianzwappens der Eheleute Hock aus dem Jahre 1615 an einer Bastei in Žumberk (Zustand 2018). Foto: PhDr. Roman Lavička, Ph.D. II. Zu den Sprachkenntnissen von Theobald Hock Obwohl Theobald Hock keine Universität besucht hat, waren seine Sprachkenntnisse beachtlich. Er beherrschte Latein passiv und auch aktiv, wie seine lateinische Polemik Commonitorium Sive amica ad amicum Admonitio de Roberti Bellarmini Scriptis atque libris (1606) beweist. Es überrascht allerdings, dass Theobald Hock keine lateinischen Gelegenheitsverse schrieb, die zu seiner Zeit fast von jedem Intellektuellen wenigstens ab und zu verfasst wurden. Theobald Hock konnte auch griechisch lesen - in seiner Bibliothek befanden sich einige griechische Schriften antiker Autoren. Er beherrschte aktiv Französisch, wie einige seiner französisch geschriebenen Briefe beweisen. 11 Die französische Sprache kann er schon in seiner unweit von der französischen Grenze gelegenen Heimatregion erlernt haben oder aber während seines Aufenthaltes in Frankreich. 12 In welchem Maße Hock Italienisch beherrschte, lässt sich nicht beurteilen. Die meisten böhmischen Adelshöfe waren zweisprachig (tschechisch und 11 Es handelt sich beispielsweise um den am 14. April 1608 in Wittingau datierten Brief an Christian I. von Anhalt. Eine Abschrift des Briefes vom Beginn des 20. Jahrhunderts aus dem Archiv von Zerbst befindet sich im Národní archiv Praha, Bestand Sbírka přepisů z domácích a zahraničních archivů (Sammlung von Abschriften aus in- und ausländischen Archiven), Zerbst Ia (1341-1608), die damalige Zerbster Signatur war A 9 a 160 1 , fol. 60-61; lateinisch verfasst ist auch der am 6. Oktober 1608 in Wittingau datierte Brief an Oswald Croll, ebd., fol. 153-154. 12 Hocks schon immer vermuteter Aufenthalt in Frankreich und in Italien scheint im von Johannes Ulrich verfassten Gedicht zur Hochzeit von Theobald Hock (vollständiger Titel weiter unten im Haupttext) S. 3 bestätigt. <?page no="269"?> 270 Václav Bok deutsch), so dass Hock keine Notwendigkeit empfand, Tschechisch zu lernen, er mag es aber einigermaßen verstanden haben. III. Zum Schicksal der Bibliothek von Theobald Hock Am 23. März 1618 wurde Theobald Hock zum Tode verurteilt, sein gesamter Besitz verfiel dem König. Bereits eine knappe Woche danach, am 29. März 1618, wurde sein Gut in Sonnberg einschließlich der Bibliothek gründlich inventarisiert. 13 Die Kommission verzeichnete insgesamt 132 Bücher in 193 Bänden. Unter den registrierten Büchern überwogen solche in Latein, nicht unwesentlich war der Anteil von französischen und griechischen Büchern, Deutsch war viel seltener vertreten, Tschechisch selbstverständlich gar nicht. Hinsichtlich der Thematik führen eindeutig juristische und theologische Schriften (vertreten sind sowohl evangelische und reformierte als auch katholische), weiter fanden sich darin historische, politische und geographische Bücher. Von der Belletristik gab es dort vor allem Werke der Antike sowie einige wenige der lateinischen humanistischen Dichtung. Von Theobald Hock selbst wurde lediglich ein handgeschriebenes Werk im Quartformat gefunden - Loci communes , was möglicherweise eine Sammlung von biblischen Zitaten war, die Hock vielleicht als Unterlage für seine polemischen Schriften zusammenstellte. Im Inventar kommen bemerkenswerterweise keine anderen Werke von Hock und auch nicht von seinen Freunden Matthias Singer, Matthias Winckler oder Johannes Ulrich vor. Interessant ist dagegen der Posten: „Lobwaßer německý nevázaný exemplářů 4“ (Lobwasser deutsch, ungebunden, 4 Exemplare). Dadurch wird die seit langem von der Literaturwissenschaft angenommene Beziehung zwischen der Psalmennachdichtung von Ambrosius Lobwasser und dem Hockschen Blumenfeldt untermauert. Eine präzise Identifizierung vieler Bücher ist schwierig oder gar unmöglich, weil das Inventar den Druckort und das Jahr nicht angibt, so dass bei manchen Büchern verschiedene Auflagen in Betracht kämen, und weil manche Einträge sehr allgemein gehalten sind. Eindeutig zeigt sich aber, dass Theobald Hock auch nach seiner Übersiedlung nach Sonnberg (1610/ 1611) weiterhin Bücher kaufte. 14 13 Nationalarchiv Praha, Alte Manipulation (Anm. 5), H 167, Karton 922, Nr. 2. 14 Zum Inventar der in Sonnberg vorgefundenen Bücher vgl. Václav Bok: Die Bibliothek von Theobald und Hans Höck von Zweibrücken nach einem Inventar von 1618. In: Ulmann Weiß (Hrsg.): Buchwesen in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Festschrift für Helmut Claus zum 75. Geburtstag. Epfendorf am Neckar 2008, S. 341-356. Jüngere Erwerbungen Hocks zeigt z. B. der Eintrag: „Annales Sacri et Prophani autore Augustino Torniello uolumen in folio“ (ebd., S. 344). Es handelt sich um das Werk Annales Sacri & Profani … von Agostino Tornielli, das zum ersten Mal in Frankfurt am Main 1611 bei Johann Theobald Schönwetter erschien, zum anderen ebenda im Jahre 1616 bei Jakob <?page no="270"?> Nachlese zum Leben und Umkreis von Theobald Hock 271 Die Bücher aus Hocks Bibliothek wurden zerstreut oder gar vernichtet, was in der Zeit des bald danach ausgebrochenen Dreißigjährigen Krieges keine Seltenheit war. Das Schicksal von Hocks Bibliothek ist jedoch noch komplizierter. Bisher sind nur vier Bände aus Hocks Besitz ermittelt worden. Auf ihrem Einband sieht man die Initialen T. H. A. Z., also: Theobald Hock a Zweibrücken, weiter das Supralibros mit Hocks Wappen sowie die Jahreszahl 1606. Wahrscheinlich ließ Theobald Hock in jenem Jahr seine Bücher einheitlich einbinden. Ob er seine nach diesem Jahr erworbenen Bücher auch binden ließ oder sie auf eine andere Art und Weise kennzeichnete, lässt sich vorerst nicht feststellen. In den erwähnten vier Buchexemplaren gibt es auf dem Titelblatt weder die Unterschrift von Hock noch einen anderen Besitzervermerk von ihm, was die Wahrscheinlichkeit steigert, dass auch seine nach 1606 erworbenen Bücher keinen Einband mit seinem Supralibros hatten und deshalb nicht als Hocks Besitz erkannt werden können. Bemerkenswert ist jedoch, dass keines der vier bekannt gewordenen Bücher im Inventar von 1618 registriert wird. Alle haben auf dem Titelblatt den Besitzervermerk des südböhmischen Zisterzienserklosters Zlatá Koruna [Goldenkron]. Die Forscher, die sich mit der Geschichte dieses Klosters bzw. dessen Bibliothek beschäftigten, erwähnen, dass im März 1616 der Goldenkroner Abt Valentin August von Schönbeck, der des Protestantismus verdächtigt wurde, auf sein Amt verzichten musste. Schönbeck soll dann mehrere Wagen mit Gegenständen und Büchern des Klosters mitgenommen, sich während seiner Reise nach Zwettl und Mähren drei Tage bei Theobald Hock in Sonnberg aufgehalten und ihm einige Bücher aus den Klosterbeständen geschenkt haben. 15 Schönbecks Amtsnachfolger Georg Huber (1616 bis 1623 im Amt) 16 habe die Bücher von Sonnberg nach Goldenkron zurückgebracht, dabei jedoch auch einige Bücher aus dem Besitz von Theobald Hock mitgenommen, darunter auch einige „ketzerische Bücher“. 17 Dies wird höchstwahrscheinlich zwischen Juli 1617 und März 1618 erfolgt sein, in der Zeit, als Theobald Hock bereits in Prag eingekerkert war und die Inventarisierung seines Besitzes noch nicht vorgenommen war. Nachdem das Kloster Goldenkron im Oktober 1785 aufgelöst worden war, ge- Fischer (Erben) und Nikolaus Hoffmann d. Ä. Es lässt sich nicht entscheiden, welche der beiden Ausgaben Theobald Hock besessen hat. 15 Mareš: Německý básník (Anm. 1), S. 249; Jindřich Špinar: Knihovna kláštera cisterciáků ve Zlaté Koruně (Die Bibliothek des Klosters der Zisterzienser in Goldenkron). České Budějovice 1997, S. 32. 16 Ján Trnka: Catalogus monachorum Sacri Ordinis Cisterciensis monasterii Sanctae Spineae Coronae. České Budějovice 2013, S. 84f. 17 Josef Braniš: Svatá Koruna, bývalý klášter cistercienský (Heiligenkron, ein ehemaliges Zisterzienserkloster). Praha 1907, S. 67, Anmerkung ohne Nummer; leider ohne Quellenangabe. <?page no="271"?> 272 Václav Bok langten viele seiner Bücher in die damalige Universitätsbibliothek (die heutige Nationalbibliothek) in Prag, andere wurden in einer Versteigerung verkauft. 18 Die vier bisher ermittelten Bände aus Hocks Bibliothek haben heute völlig unterschiedliche Standorte. Das Werk Reineri Reineccii … Historia Orientalis. Helmstedt 1602 (VD17 7: 704527H) befindet sich jetzt in der Prager Nationalbibliothek (Národní knihovna České republiky), Sign. 22 G 000297. Vom dreibändigen Werk mit Schriften antiker Historiker, das sich einst in Hocks Besitz befand, sind nur zwei Bände erhalten, dazu noch in verschiedenen Bibliotheken. Der erste Teil mit dem Titel Historiae Romanae scriptores latini minores … opera Friderici Sylburgii. Tomus primus (Frankfurt am Main 1588; VD 16 S 10349) war in den Bestand der Bibliothek des Zisterzienserklosters Ossegg (Osek) in Nordböhmen gelangt (Sign. S II 14a/ 13), die sich heute im Regionalmuseum in Teplitz (Regionální muzeum v Teplicích) befindet. Der zweite Teil des Werkes ist verschollen, der dritte Teil mit dem Titel Romanae historiae scriptores Graeci minores … Opera et studio Friderici Sylburgii Veterensis. Tomus tertius (Frankfurt am Main 1590; VD 16 S 10351) ist im Besitz der Mährischen Landesbibliothek in Brünn (Moravská zemská knihovna v Brně, Sign. ST4-0055.810,3). 19 Interessant müssen die leider unbekannten Wege des Buches über die Geschichte Siziliens vom Dominikaner Tommaso Fazello Rerum Sicularum scriptores … (Frankfurt am Main 1579; VD 16 F 672) gewesen sein. Man kann sich vorstellen, dass nach der Auflösung von Goldenkron ein Italiener das Buch, vielleicht in Prag, gekauft und er oder einer seiner Landsleute es in die Region gebracht hat, von der das Werk handelt. Heute befindet sich das Buch nämlich in der Stadtbibliothek der sizilianischen Stadt Milazzo. 20 IV. Personen im Umkreis von Theobald Hock IV.1. Theobalds Bruder Anastasius Hock Die bisher bekannten Tatsachen über das Leben von Anastasius, dem jüngeren Bruder Theobalds, können in einigen Punkten ergänzt werden. Nach wie vor bleibt unbekannt, wo er seine mittlere Bildung erworben hat, das Gymnasium in 18 Špinar: Knihovna kláštera cisterciáků (Anm. 15), S. 43-45. 19 Ebd., S. 32 Špinar hat einige dieser Werke ermittelt. Ich danke herzlich Frau PhDr. Jana Perutz Michlová vom Regionalmuseum in Teplice für die freundliche Überprüfung und Vervollständigung der Angaben von J. Špinar. 20 Auf diese Tatsache weist die Online-Publikation der Südböhmischen Wissenschaftlichen Bibliothek České Budějovice hin: Jan Mareš/ Ivo Kareš: Kohoutí kříž. Šumavské ozvěny - ʽs Hohnakreiz. Des Waldes Widerhall, Jihočeská vědecká knihovna v Českých Budějovicích, 2001-2018. URL: https: / / www.kohoutikriz.org/ inc/ priloha.php? id=hock (zuletzt abgerufen am 23. Juni 2018). <?page no="272"?> Nachlese zum Leben und Umkreis von Theobald Hock 273 Hornbach besuchte er nicht. Zu seinem Studium an der Universität Heidelberg können dagegen Ergänzungen geboten werden. Der Aufenthalt von Anastasius Hock an dieser Universität lässt sich quellenmäßig für die Jahre 1601 bis 1607 belegen. Bereits 1601 disputierte Anastasius als Student der Heidelberger Universität, 21 im Jahre 1602 wurde er als Theologiestudent erwähnt. 22 Am 17. Februar 1605 wurde Anastasius Hock zum Magister der Philosophie promoviert, 23 ab Juni des gleichen Jahres betreute er als Präsident bzw. Präses mindestens acht Disputationen. Seit Juli 1606 wird er in solchen Disputationen sowohl als Magister der Philosophie als auch als Student der Medizin bezeichnet. Die letzte der von ihm betreuten Heidelberger Disputationen ist mit dem 20. Dezember 1606 datiert. 24 Wahrscheinlich bald danach, im Jahre 1607 oder aber erst 1608, wurde Anastasius Hock in Heidelberg zum Doktor der Medizin promoviert; bisher wurden jedoch keine schriftlichen Nachweise über die Erlangung dieses akademischen Grades gefunden. Es ist erwähnenswert, dass Anastasius weder auf den Titelblättern der Heidelberger Disputationen noch im Vermerk der Matrikel über die Erteilung des Magistergrades als Adliger bezeichnet wird, obwohl er bereits 1602 gemeinsam mit seinem Bruder Theobald in den niedrigsten Adelsstand erhoben worden ist. Über die Tätigkeit von Anastasius Hock nach der Beendigung seines Heidelberger Studiums konnte nichts ermittelt werden. Im Zusammenhang mit dem rosenbergischen Hof erscheint Anastasius Hock zum ersten Mal in den Wittingauer Rechnungen für die Zeitspanne St. Gallus (16. Oktober) 1608 bis St. Georg (23. April) 1609. Darin wird erwähnt, dass Anastasius Hock auf Verlangen Peter Woks nach Wittingau gekommen war und als Vergütung für diese Reise, deren Zweck nicht angegeben wird, 28 Schock und 40 Meißner Groschen und 4 Denare erhielt. 25 Weder die Zeit noch die Dauer des Aufenthalts von Anastasius Hock in Wittingau ist bekannt. Vermutlich war er 21 Oratiuncula Græce Conscripta ab Anastasio Hockio Bipontino, Qua Clarissimis, Maximeqve Reverendis Viris S. S. Theologiæ Et Philosophiæ Doctoribus, Dominis Præceptoribus Pro… gratias agit, Apud Iohannem Lancellotum Heidelbergae 1601. 4°, 4 fol. Exemplar: Gdansk, Pomorska biblioteka cyfrova Cf 879 8° adl. 5. Von dieser Bibliothek wurde die Schrift auch digitalisiert. Die Datenbank VD17 registriert dieses Werkchen nicht. Der Tag und Monat der Disputation werden leider nicht angegeben. 22 https: / / digi.ub.uni-heidelberg.de/ diglit/ matrikel1554/ 0564/ image (zuletzt abgerufen am 12. Juni 2018). 23 Ebd., S. 472. 24 Es handelt sich um folgende Drucke: VD17 1: 064141H, VD17 1: 064125A, VD17 7: 684314S, VD17 7: 684321A, VD17 7: 683558E, VD17 7: 683565P sowie um zwei in der Bibliothek der Franckeschen Stiftungen in Halle an der Saale erhaltene Disputationen, Signatur: 54 K 2 [10] und 54 K 2 [33], die bisher in der Datenbank VD17 nicht erfasst sind. 25 Státní oblastní archiv v Třeboni [Staatliches Gebietsarchiv in Třeboň], Bestand Cizí rody [Fremde Familien], z Rožmberka 23a/ VI. Mareš: Německý básník (Anm. 1), S. 161, ohne Quellenangabe, legt den Empfang dieser Summe fälschlicherweise in das Jahr 1610. <?page no="273"?> 274 Václav Bok dort im Herbst 1608 und eventuell auch noch im Winter 1608/ 1609, weil sein Bruder Theobald in einem in Wittingau am 13. Oktober 1608 datierten Brief den sich in Prag aufhaltenden Mediziner und Agenten Christians von Anhalt Oswald Croll um Rat bittet, an welcher Universität sein Bruder Anastasius studieren sollte - ob in Bologna, Padua oder in Montpellier. 26 Die Antwort Crolls ist nicht erhalten, er hat allem Anschein nach das Studium in Montpellier vorgeschlagen. Wann Anastasius nach Montpellier ging, ist unbekannt. 1610 disputierte er dort unter der Präsidentschaft des Medizinprofessors Jean de Varanda (1563 bis 1617). 27 Am 7. März 1611 schrieb Peter Wok an Anastasius Hock nach Montpellier einen Brief, in dem er ihn mit „Edler, vertrauter, lieber Anastasi“ anredet. 28 Peter Wok bedankt sich darin für Anastasiusʼ Brief aus Montpellier mit dem Gutachten von Anastasius und anderen Montpellierer Ärzten über seine gesundheitlichen Probleme und dankt für die empfohlenen Heilmittel, die ihm etwas Linderung brachten. Des Weiteren schreibt Peter Wok über die gegenwärtige Situation in Böhmen, beklagt die Intrigen Hans Hocks gegen sich und Theobald Hock und fordert Anastasius dringend zur raschen Rückkehr nach Böhmen auf. Peter Wok drängte wahrscheinlich deshalb auf das rasche Kommen von Anastasius nach Böhmen, weil er ihn als einen auch diplomatisch begabten Menschen kennengelernt hatte und ihn nun in den politischen Verhandlungen mit den Passauern brauchte. Wann Anastasius Hock nach Wittingau zurückgekehrt ist, lässt sich nicht feststellen. Zwei Jahre später, am 27. Juni 1613, erwähnt er, dass er von Peter Wok aus Montpellier wegen den Verhandlungen mit den Passauern berufen wurde. 29 Der Hauptakteur dieser Verhandlungen war allerdings sein älterer Bruder Theobald. Die kurz nach der Auflösung der Passauer Truppen erfolgte Ernennung von Anastasius Hock zum dritten Leibarzt Peter Woks von Rosenberg (am 27. Juni 1611) kann als eine Art Entlohnung für diesen Dienst angesehen werden. 30 Anastasius Hock wird dann unter den 26 Eine moderne Abschrift aus dem Archiv von Zerbst befindet sich im Národní archiv Praha, Sbírka přepisů, Zerbst Ia (Anm. 11), die damalige Zerbster Signatur A 9 a 160 1 , fol. 157-158. 27 Quæstio medica … Utrum in principiis morborum auctorum sudorifica potius, quam venæ sectio aut purgatio, adhibenda? … Præs. J. Varandæo …, o. O. (Montpellier? ) 1610. Exemplar: British Library, Humanities and Social Sciences, St Pancras Reading Rooms 7306.f.6. (33.). Das Datum der Disputation ist nicht angegeben. 28 Eine Kopie des Briefes ist erhalten im Národní archiv Praha, Stará manipulace (Anm. 5), H 167, Karton 922, Nr. 1. Der Brief ist abgedruckt in: Theobald Hock: Copey eines Schreibens An Ihr Gn. Herrn Defensorn vnd Herrn Directorn der Löblichen Evangelischen drey Ständ der Cron Böheimb In Prag den 23. Julii 1618. Jahrs abgangen. o. O. 1619 (VD17 14: 017154K), fol. E IIr-E IIIr, eigene Abschrift in Dresden. URL: http: / / digital.slub-dresden.de/ werkansicht/ dlf/ 3655/ 1/ (zuletzt abgerufen am 2. August 2018). 29 Národní archiv Praha, Stará manipulace (Anm. 5), H 167, Karton 922, Nr. 4. 30 Březan: Životy (Anm. 4), S. 627. <?page no="274"?> Nachlese zum Leben und Umkreis von Theobald Hock 275 Ärzten genannt, die Peter Wok († 6. November 1611) in seinen letzten Tagen betreuten. 31 Beim Begräbnis Peter Woks am 30. Januar 1612 werden Anastasius und Theobald Hock zum letzten Mal im Zusammenhang mit dem Wittingauer Hof erwähnt. 32 Nach dem Ableben von Peter Wok hielt sich Anastasius wohl vorwiegend in Sonnberg auf. In den Zwistigkeiten zwischen Theobald und Hans Hock stand er an Theobalds Seite. Der im Sommer 1617 erfolgten Verhaftung von Theobald und Hans Hock entzog sich Anastasius durch Flucht. In seinem am 31. Oktober 1618 an die oberösterreichischen Stände gerichteten Schreiben bittet er, sie möchten beim Kaiser Matthias zugunsten des noch in der Haft gehaltenen Bruders Theobald intervenieren, was sie mit ihrem Brief vom 6. November 1618 auch taten und gegenüber dem Kaiser Theobald Hocks Verdienste um Matthias im Jahre 1608 erwähnten. 33 Laut August Sedláček stand Anastasius Hock im Jahre 1620 in den Diensten des böhmischen Königs Friedrich von der Pfalz. 34 Über das weitere Schicksal von Anastasius Hock ist nichts bekannt. IV.2. Hocks Freund Johannes Ulrich Der in Amberg tätige Jurist Johannes Ulrich zählte zu den engsten Freunden von Theobald Hock. Bereits 1904 stellte F. Mareš fest, dass ein gewisser Dr. Ulrich (Mareš schreibt diesen Namen in tschechischer Form Dr. Oldřich) aus Amberg in den Jahren 1608 bis 1609 auf Hocks Fürsprache Geldgeschenke von Peter Wok von Rosenberg erhalten habe. 35 Mareš urteilte zu Recht, dass dieser Mann mit demjenigen identisch ist, der im Akrostichon VLRICVS in der zweiten Strophe des Gedichts Nr. 38 im Schönen Blumenfeldt genannt wird. 36 Mareš wusste über diese Person nichts Näheres. Das Gedicht Nr. 38 des Schönen Blumenfeldts behauptet, wahre Freundschaft stehe höher als verwandtschaftliche Bande. Es bewegt sich auf allgemeiner Ebene, Fakten über die gefeierte Person oder Beispiele einer wahren Freundschaft werden im Gedicht nicht geboten. Klaus Hanson übernahm die Angabe von Mareš, erweiterte sie jedoch um die unrichtigen 31 Ebd., S. 631. 32 Mareš: Německý básník (Anm. 1), S. 163. 33 Brauer: Theobald Hock (Anm. 1), S. 257. Brauer, der den Brief aus dem Archiv von Zerbst zitiert, gibt leider den Ort nicht an, wo er verfasst wurde, Anastasius Hock war höchstwahrscheinlich schon wieder in Böhmen. 34 August Sedláček: Hrady zámky a tvrze Království Českého (Burgen, Schlösser und Vesten des Königreichs Böhmen). Bd. III. Praha 1884, S. 248, leider mit einer unpräzisen Angabe der Quelle, die sich demnach im heutigen Prager Nationalarchiv befindet. 35 Mareš: Německý básník (Anm. 1), S. 152, leider ohne Quellenangabe, so dass es nicht gelungen ist, die betreffenden Einträge zu finden und dort eventuell etwas Näheres über den Anlass dieser Schenkungen zu erfahren. 36 Blumenfeld (Koch), S. 56; Blumenfeld (Hanson), S. 344. <?page no="275"?> 276 Václav Bok Behauptungen, Ulrich sei Doktor der Medizin gewesen und stamme aus der Oberpfalz. 37 Hanson bezog nämlich fälschlicherweise auf den Amberger Dr. Johannes Ulrich die Information über einen Mediziner, der in Zedlers Universallexikon als Ioannes Hulderich geführt wird. 38 Bei dieser Person handelt es sich in Wirklichkeit um den aus Speyer stammenden Johannes Huld(a)rich Streitter, der im Jahr 1617 an der medizinischen Fakultät in Gießen nachgewiesen ist. 39 Woher Hanson die Angabe über Ulrichs Abstammung aus der Oberpfalz hat, ist mir unbekannt. Hocks Freund Johannes Ulrich stammte aus der Stadt Kusel im Südwesten des heutigen Bundeslandes Rheinland-Pfalz. Seit dem 10. Februar 1590 besuchte er das vierjährige Gymnasium illustre in der südlich von Zweibrücken gelegenen Stadt Hornbach. 40 Theobald Hock und Johannes Ulrich werden sich in ihrer Zweibrücker Heimat kennengelernt haben, allerdings kaum am Hornbacher Gymnasium, das Theobald Hock etwas früher, und zwar zwischen 24. Juli 1586 und 25. März 1589, besucht hatte. 41 Johannes Ulrich studierte dann an der Universität in Heidelberg und wurde hier am 4. Juni 1601 zum Doktor der Rechte promoviert. 42 Unmittelbar danach trat er in die Dienste des Kurfürsten von der Pfalz, möglicherweise gleich in der oberpfälzischen Residenzstadt Amberg. 43 Hier hatte er seit 1601 höhere Landesämter inne, und zwar bis zum Jahre 1628, 37 Ebd., S. 28. 38 Ebd., S. 663, Anm. 65. Johann Heinrich Zedler: Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschafften und Künste. Bd. XIII. Halle und Leipzig 1735, S. 1146. URL: https: / / www.zedler-lexikon.de/ index.html? c=blaettern&seitenzahl=594&bandnummer=13&view=100&l=de (zuletzt abgerufen am 12. Juni 2018). 39 Am 4. Dezember 1617 verteidigte Streitter seine Dissertation über die Epilepsie - VD17 14: 630115E; am 8. Dezember 1617 erlangte er in Gießen den Doktortitel auf dem Gebiet der Medizin, vgl. VD17 23: 253534T. 40 Als „Joannes Vlricus Cussellanus“ wird er in der Matrikel des Gymnasiums bezeichnet, vgl. Rudolf Buttmann (Hrsg.): Die Matrikel des Hornbacher Gymnasiums 1559-1630. I. Teil. Verzeichnis der Professoren und Stipendiaten (Text). Zweibrücken 1904. In: Programm des Kgl. Humanistischen Gymnasiums Zweibrücken am Schlusse des Schuljahres 1903/ 04. Zweibrücken 1904, S. 37 URL: http: / / digital.ub.uni-duesseldorf.de/ ulbdsp/ periodical/ titleinfo/ 7568557 (zuletzt abgerufen am 2. Juli 2018). Ähnlich, als „Cussellanus, Bipontinus“, wird Johannes Ulrich auch in der Heidelberger Matrikel zum 1. August 1599 bezeichnet, vgl. Toepke: Die Matrikel (Anm. 22), 2, S. 198, Nr. 99. URL: https: / / digi. ub.uni-heidelberg.de/ diglit/ matrikel1554/ 0202/ image (zuletzt abgerufen am 7. Juli 2018). 41 Buttmann: Die Matrikel (Anm. 40), S. 36. 42 Vgl. VD17 125: 044042D, dort wird er als „Bipontinus“ bezeichnet. 43 Buttmann: Die Matrikel (Anm. 40), S. 37: „[…] ac deinceps Heydelbergam profectus, J. V. Doctorem in sinu retulit. A. Ch. 1601. Cooptatus statim in Collegium Consiliariorum Ill. principis“. <?page no="276"?> Nachlese zum Leben und Umkreis von Theobald Hock 277 obwohl die Oberpfalz bereits 1621 an das katholische Bayern angegliedert worden war. 44 Theobald Hock war jedoch schon seit 1598 oder 1599 in Böhmen. 45 Wo und wann die Wurzeln zu einer so engen Freundschaft gelegt wurden, wie sie im 1601 gedruckten Blumenfeldt gepriesen werden, lässt sich demnach schwer sagen, am wahrscheinlichsten war es bereits um die Mitte der 80er Jahre des 16. Jahrhunderts im Zweibrücker Land. Johann Ulrich und Theobald Hock trafen sich sicherlich im Sommer 1607 wieder, als Hock im Auftrag Peter Woks von Rosenberg eine Reise nach Amberg und Heidelberg unternahm. 46 Dass Theobald Hock in den Jahren 1608 und 1609 bei seinem böhmischen Dienstherren Peter Wok für Johannes Ulrich Geldgeschenke erwirken konnte, 47 deutet an, dass auch Ulrich in die politischen Kontakte zwischen Amberg und Wittingau verwickelt war, wenn auch nicht in dem Maße, wie der Agent Christians von Anhalt, der Mediziner Oswald Croll. Die Freundschaft Johann Ulrichs zu Theobald Hock äußerte sich darin, dass er 1611 zwei lateinische Gedichte anlässlich der Hochzeit von Theobald Hock Odae In Nuptias Nobilis Et Praeclariss.mi V. Dn. Theobaldi Hock a Zweybruck Domini Sonbergii, Consiliarii Rosenbergici; Quas Celebrabit Idem Cum Nobilissima Virgine Agnete A Kalckreut: Ad D. XXVII. Sept. Anni. MDCXI. , Ambergae 1611, veröffentlichte, wobei das zweite Gedicht jedoch vorwiegend Theobalds Bruder Anastasius feiert. 48 Wiederum ist es nicht klar, wann und wo Johannes Ulrich den etwas jüngeren Anastasius Hock kennenlernte - Anastasius besuchte ja nicht das Gymnasium von Hornbach, an der Universität in Heidelberg ist er zum ersten Mal im Jahre 1601 belegt (leider kennt man das Tagesdatum nicht), 49 44 Matthias Schöberl: Vom pfälzischen Teilstaat zum bayerischen Staatenteil . Landesherrliche Durchdringungs- und Religionspolitik kurpfälzischer und kurbayerischer Herrschaft in der Oberen Pfalz von 1595 bis 1648. Diss. Regensburg. Regensburg 2006, S. 161, 199, 200, 206, 252, 364. 45 Ich halte die Behauptung von Anastasius Hock vom 31. Oktober 1618, sein Bruder lebe seit zwanzig Jahren in Böhmen, nicht für so präzise, dass man daraus eindeutig schließen könnte, dass Theobald Hock gerade im Jahre 1598 nach Böhmen kam, wie es die Fachliteratur tut, etwa Brauer: Theobald Hock (Anm. 1), S. 257, oder Hanson (Anm. 1), S. 29, es kann ja genauso gut das Jahr 1599 gewesen sein. 46 Brauer: Theobald Hock (Anm. 1), S. 262. Die Reise wird u. a. durch mehrere Briefe belegt, deren Abschriften sich im Národní archiv Praha, Sbírka přepisů, Zerbst Ia (Anm. 11) befinden, beispielsweise die Zerbster Signaturen A 9a No 159 1 , fol. 83, fol. 88, fol. 90-91. 47 Mareš: Německý básník (Anm. 1), S. 152. 48 VD17 125: 030968R. Das einzige mir bekannte Exemplar dieser Gedichte befindet sich in der Ratsschulbibliothek Zwickau, Signatur 48.8.8.(43). Für die freundliche Zusendung der Scans danke ich Frau Martina Herrmann von der Ratsschulbibliothek Zwickau recht herzlich. 49 Anastasius Hock: Oratiuncula (Anm. 21). <?page no="277"?> 278 Václav Bok während Johannes Ulrich dort sein Studium schon Anfang Juni 1601 beendete. Wie aus dem Titel des Bändchens von Gedichten zur Hochzeit Theobalds Hocks ersichtlich, sind sie bereits vor der Hochzeit erschienen. Deshalb ist es gut möglich, dass Johannes Ulrich sie persönlich zu Hocks Hochzeit nach Wittingau brachte. Der rosenbergische Chronist Václav Březan führt nämlich unter den wichtigen Hochzeitsgästen einen aus Amberg gesandten Mann an, dessen Namen er jedoch nur mit N. bezeichnet. 50 Auf der Titelseite des Gedichtbändchens befinden sich die Wappen der Brautleute. Bemerkenswert ist das dort abgebildete Wappen von Theobald Hock: ein gevierteter Schild, im ersten und vierten Feld ein einschwänziger schreitender gekrönter Löwe, im zweiten und dritten Feld zwei Pfähle. Der Schild hat einen Herzschild mit drei Z, als Helmzier ist ein sitzender gekrönter Löwe zwischen zwei Büffelhörnern zu sehen. Ein solches Wappen von Theobald Hock ist nirgendwo sonst belegt, es gibt auch keinen Wappenbrief mit diesem Wappen. Auch in den Wappen der Eheleute Hock in der Kirche von Sonnberg, die in Farben und ohne Helmzier abgebildet sind, kommt nur das übliche Wappen von Theobald Hock - drei Z - vor. Den gevierteten Schild mit dem Herzschild habe ich auch in keinem heraldischen Werk gefunden. 51 Das auf dem Titelblatt der Hochzeitsgedichte abgebildete Wappen reflektiert teilweise das durch den Majestätsbrief Rudolfs II. vom 22. März 1605 etwas veränderte Wappen von Theobald Hock, das um die Helmzier, den Löwen zwischen den Büffelhörnern, verbessert wurde. 52 Auch beim Wappen der Braut Agnes von Kalkreut (tschechisch oft als Kolchrajt bezeichnet) gibt es Abweichungen von den sonst belegten Varianten des Wappens dieser weitverzweigten Familie - im Amberger Druck zeigt es zwei gekreuzte Kalkreuten im dunklen Feld, was dem schwarzen Feld im Allianzwappen Hock-Kalkreut in der Kirche von Sonnberg entspricht. Die Helmzier weicht von der sonst für diese Familie belegten etwas ab - auf dem Titel der Hochzeitgedichte ist es eine wachsende nackte Jungfrau, die in jeder Hand eine Kalkreute hält und auf dem Kopf eine Art Kranz trägt; bei anderen Mitgliedern dieser Familie ist es jedoch eine wachsende gekrönte Jungfrau, deren Kleid genauso wie der Schild schwarz und silbern gespalten ist. 53 Es bleibt 50 Březan: Životy (Anm. 4), S. 630. 51 Vgl. August Sedláček: Českomoravská heraldika. Část zvláštní (Böhmisch-mährische Heraldik. Sonderabteilung). Praha 1925, über die Hocks S. 438f. Mehrere Abbildungen des Hockschen Wappens befinden sich in: Kohoutí kříž (Anm. 20). URL: https: / / www.kohoutikriz.org/ inc/ priloha.php? id=hock (zuletzt abgerufen am 23. Juni 2018). 52 Mareš: Německý básník (Anm. 1), S. 153f. 53 Vgl. Rudolf Johann Gf. Meraviglia-Crivelli: J. Siebmacher’s grosses und allgemeines Wappenbuch … Vierten Bandes Neunte Abtheilung. Der Böhmische Adel. Nürnberg 1886, S. 231; Sedláček: Českomoravská heraldika (Anm. 51), S. 479. Die Familie Gribel von Kalkreut hatte zwar einen schwarzen Schild mit gekreuzten goldenen Kalkreuten, als <?page no="278"?> Nachlese zum Leben und Umkreis von Theobald Hock 279 also nur der Schluss, dass insbesondere Hocks Wappen auf dem Titelblatt der Hochzeitgedichte ein nur teilweise von der Realität ausgehendes Phantasiegebilde ist, was jedoch juristisch sehr bedenklich ist und beim Juristen Johann Ulrich überrascht. Die Hochzeitsgedichte bzw. der eventuelle Besuch Johann Ulrichs bei der Hochzeit von Theobald Hock ist der letzte nachgewiesene Kontakt der beiden Männer. Die Hochzeitsgedichte waren weder die ersten noch die letzten Versuche Ulrichs in der lateinischen humanistischen Poesie, der spätestens seit 1600 den Titel Poeta laureatus führte. 54 IV.3. Der rosenbergische Mathematiker und Arzt Hermann Bulder Hermann Bulder wirkte am rosenbergischen Hof von 1581 bis zu seinem Tod im Februar 1612 als Mathematiker, Astronom, Astrologe und Arzt. 55 Die gemeinsame Zeit von Theobald Hock und Hermann Bulder in den rosenbergischen Diensten erstreckt sich demnach über die Jahre 1600 bis 1611, aber über die Kontakte dieser beiden Männer lässt sich nichts Konkretes feststellen. Es handelte sich um zwei Intellektuelle, die sich sprachlich, konfessionell und vielleicht auch in geistig-kultureller Hinsicht nahe standen, so dass ihr Gedankenaustausch über den alltäglichen Verkehr hinaus anzunehmen ist. 56 In Bulders Bibliothek befand sich u. a. auch Hocks Commonitorium . 57 Die wenigen theologischen Bücher in der Büchersammlung Bulders stehen mit der antikatholischen Helmzier aber die goldenen Kalkreuten, vgl. URL: https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Liste_ schw%C3%A4bischer_Adelsgeschlechter/ Unsichere_Zuordnung (zuletzt abgerufen am 5. Juli 2018). 54 Es handelt sich dabei sowohl um mehrere Empfehlungsverse in Disputationen (z. B. in VD16 N 435) und Büchern seiner Freunde als auch um eigene kleine Dichtungen, wie beispielsweise: Elegia De Octo Triadibvs Illvstrissimae Gentis Comitvm Palatinorvm & Dvcvm Bavariæ &. Qvi Svnt Hodie. Zweibrücken 1602 (in der Datenbank VD17 nicht erfasst, erhalten in Marienstiftsbibliothek Lich, Sign. D II.2 / 380) oder Tetrasticha Evangelica Ad Isacum Cramerum. Amberg 1623 (VD17 29: 718868D). Als Poeta laureatus erscheint Johannes Ulrich zum ersten Mal im Werk Johann Kahl: Lexicon Iuridicum Ivris Romani … Frankfurt am Main 1600 (VD16 K 18). URL: http: / / reader.digitale-sammlungen. de/ de/ fs1/ object/ goToPage/ bsb10147145.html? pageNo=15 (zuletzt abgerufen am 5. Juli 2018). 55 Das Anstellungsjahr bei Lenka Veselá: Knihy na dvoře Rožmberků (Bücher am Hof der Herren von Rosenberg). Praha 2005, S. 231, jedoch ohne Quellenangabe. 56 Hermann Bulder war ein großer Paracelsist (siehe oben im Haupttext). Brauer: Theobald Hock (Anm. 1), S. 277, vermutet, dass auch Theobald Hock Anhänger der paracelsischen Lehre war. 57 SOA Třeboň, Cizí rody, z Rožmberka (Anm. 25) 20a, fol. 192, dort registriert als: „Admonitio amici ad amicum de scriptis Bellarmini, 1606“. <?page no="279"?> 280 Václav Bok Ausrichtung Hocks und des rosenbergischen Hofes im Einklang: Im Katalog seiner Bibliothek findet man das 1609 gedruckte Glaubensbekenntnis der drei evangelischen Stände in Böhmen 58 sowie einige antijesuitische Satiren. 59 Der als selbstverständlich anzusehende Kontakt zwischen Theobald Hock und Hermann Bulder hinterließ im Brief Hocks an Oswald Croll (Wittingau, 9. Februar 1608) eine Spur, in dem Hock dem Adressaten Grüße von den rosenbergischen Ärzten Timin und Bulder ausrichtete. 60 Biographische Nachrichten über Hermann Bulder sind spärlich. Er stammte aus Osnabrück, über seine Bildung lässt sich nichts feststellen. Etwa seit 1581 hielt er sich am Hof Wilhelms von Rosenberg in Krumau auf, der ihn zum Studium der Astronomie nach Prag schickte. 61 Im August 1596 ist Bulder in Prag als Medicus und Mathematicus belegt, möglicherweise weilte er dort als Mitglied des rosenbergischen Hofstaates. 62 Die Rosenberger hatten auf dem Prager Hradschin einen gewaltigen Palast und hielten sich hier als führende Landesbeamte des Königreichs Böhmen oft auch längere Zeit auf. Václav Březan erwähnt in seiner Darstellung des Lebens von Peter Wok, dass Bulder mit seinem Dienstherrn und einigen weiteren Personen am 27. Januar 1599 sowie am 7. Januar 1600 nach Prag reiste. 63 In Prag verkehrte Bulder mit Johannes Kepler, der sein Werk De fundamentis astrologiae certioribus (Prag 1601) Peter Wok von Rosenberg dedizierte und in der Vorrede u. a. die fachliche Qualität von Hermann Bulder anerkennend erwähnte. 64 Es haben sich zwei in „Trebonii“ 58 Ebd., fol. 192v. Es handelt sich um das Werk: Bekantnuß Deß Heiligen Christlichen Glaubens aller dreyer Ständ deß Königreichs Böhmen … o. O. 1609; in der Datenbank VD17 nicht registriert. 59 Catechismus oder Gründlicher bericht von der Lehr unnd Leben der Jesuiten …, Freystadt [fingiert] 1603, VD17 12: 114809S - SOA Třeboň, Cizí rody, z Rožmberka (Anm. 25) 20a, fol. 192v; Zwo Actiones Oder Bedencken: Das ist, Sonderbare offenbarung der fürnemen heimlichen Practicken deß Bapsts wider die Protestirende und andere Evangelische Stände …, Amberg 1609, VD17 7: 680209A - SOA Třeboň, Cizí rody, z Rožmberka (Anm. 25) 20a, fol. 191r; Wolmeinende Warnung An alle Christliche Potentaten und Oberkeiten Wider Deß Bapsts unnd seiner Jesuiten hochgefehrliche Lehr und Practicken …, o. O. o. J. VD17 1: 081182L - SOA Třeboň, Cizí rody, z Rožmberka (Anm. 25) 20a, fol. 191r. 60 Národní archiv Praha, Sbírka přepisů Zerbst Ia (Anm. 11), die damalige Zerbster Signatur A 9 a 160 1 , fol. 29-30. Matthias Timin von Ottenfeld war seit 1606 einer der Leibärzte Peter Woks, vgl. Březan: Životy (Anm. 4), S. 856. 61 John P. O’Neill (Hrsg.): Liechtenstein The Princely Collections. New York 1985, S. 42. URL: https: / / books.google.cz/ books? redir_esc=y&hl=cs&id=A1f7lsIFyu0C&q=Bulderus#v=snippet&q=Bulderus&f=false (zuletzt abgerufen am 3. Juli 2018). 62 Karl Sudhoff: Versuch einer Kritik der Echtheit der Paracelsischen Schriften. Berlin 1894, S. 652. URL: https: / / archive.org/ details/ versucheinerkri00sudhgoog (zuletzt abgerufen am 15. Juni 2018). 63 Březan: Životy (Anm. 4), S. 543 und S. 550. 64 Veselá: Knihy (Anm. 55), S. 221f. <?page no="280"?> Nachlese zum Leben und Umkreis von Theobald Hock 281 (Třeboň = Wittingau) am 19. Juni 1608 und 29. August 1609 datierte Briefe Bulders an Johannes Kepler erhalten, denen zu entnehmen ist, dass sich die beiden Männer ab und zu gegenseitig astronomische Bücher liehen und dass Bulder Keplers Urteil über aktuelle Himmelserscheinungen erbat. Bulder war einer der Leibärzte Peter Woks, war wohl aber schon selbst seit dem Herbst des Jahres 1611 krank, weil er unter den den sterbenden Peter Wok († 6. November 1611) betreuenden Ärzten nicht aufgeführt wird. 65 Bulder starb in Wittingau am 23. Februar 1612. Hermann Bulder besaß eine umfangreiche und wertvolle Bibliothek. Nach seinem Tod verkaufte sie sein Bruder Vinand am 5. Juni 1612 dem neuen Wittingauer Herrn Johann Georg von Schwanberg für 250 Gulden. 66 Laut L. Veselá, die eine tabellarische Übersicht der Anzahl von Büchern in den jeweiligen Abteilungen der Bibliothek aufstellte, befanden sich in Bulders Bibliothek insgesamt 449 Bände. 67 Bulders Bibliothek wurde in die bereits katalogisierte rosenbergische Bibliothek nicht eingegliedert, sie teilte jedoch mit ihr das Schicksal, indem auch sie im Oktober 1647 nach Prag gebracht und hier im folgenden Jahr zur schwedischen Kriegsbeute wurde. 68 In der Bibliothek Bulders befand sich eine erstaunlich hohe Zahl der Werke von Paracelsus, Tycho Brahe und Johannes Kepler. Bulder sammelte handschriftliche Werke von Paracelsus und überließ einige davon anderen Gelehrten zum Abschreiben. 69 Neben den weitaus überwiegenden naturwissenschaftlichen Werken erwecken unsere Aufmerksamkeit folgende Posten: „Machiavelli: Princeps 1595“ (fol. 191r) - es handelt sich um die Ausgabe Hanau 1595 (VD16 M 12) sowie „Gargantua teutsch 1600“ (fol. 191r), womit Fischarts Geschichtsklitterung , Straßburg 1600 (VD16 F 1131) gemeint ist. Man würde gern wissen, ob Theobald Hock die Bibliothek Bulders näher kennenlernen konnte. Bulder selbst publizierte anscheinend keine Schrift. Im Katalog der Rosenbergischen Bibliothek wird jedoch in der Abteilung Philosophie, fol. 1456, die Handschrift „Ewigwerender Calender Hermanni Bulderi“ registriert. 70 Die heute verschollene Handschrift lieferte die Vorlage, nach der der für den Prager und 65 Březan: Životy (Anm. 4), S. 631. 66 SOA Třeboň, Cizí rody, z Rožmberka (Anm. 25) 20a, fol. 195. Das von Václav Březan geschriebene Verzeichnis der Bibliothek Bulders befindet sich ebenda, fol. 178-195. Die mathematischen (darunter zahlreiche astronomische) und medizinischen Schriften machten das Gros von Bulders Bibliothek aus. 67 Veselá: Knihy (Anm. 55), S. 231f. 68 Ebd., S. 234f. und S. 240. 69 Max Caspar (Hrsg.): Johannes Kepler Gesammelte Werke. Bd. XVI: Briefe 1607-1611. München 1954, S. 171, Nr. 496 und S. 249, Nr. 534. In der Edition wird der Ausstellungsort falsch als Trübau erläutert. 70 Veselá: Knihy (Anm. 55), der Katalog als CD-ROM Beilage. <?page no="281"?> 282 Václav Bok den rosenbergischen Hof arbeitende berühmte Konstrukteur von astronomischen Instrumenten Erasmus Habermel († 1606) etwa zwischen 1587 und 1596 einen „ewigen“ Kalender baute, der sich heute im ehemaligen Liechtenstein- Museum in Wien befindet. 71 V. Zum Werk Terpnotēs illustris principis domini Domini Petri Wok a Rosenberg Klaus Hanson behauptet, dass laut F. Mareš Theobald Hock im Jahre 1600 ein Preisgedicht auf Peter Wok von Rosenberg mit dem Titel Terpnotēs illustris principis domini Domini Petri Wok a Rosenberg. Carmina in Liegnitz veröffentlicht habe und dass sich dieses Werk in der Rosenbergischen Bibliothek befinde, er habe es jedoch in deren Katalog nicht gefunden. 72 Diese Behauptungen sind unrichtig, weil sie aber dann und wann in der Fachliteratur über Theobald Hock auftauchen, sollen sie hier korrigiert und erläutert werden. 73 Hanson reproduziert den Text von Mareš nicht richtig, denn dieser schreibt Folgendes: „Kochs Zweifel an der Richtigkeit der Angabe, dass das Blumenfeld in Liegnitz in Schlesien gedruckt wurde, teilen wir nicht, weil, wie wir bereits gesehen haben, ein Jahr früher dort auch andere Gedichte zur Verherrlichung von Herrn Peter Wok gedruckt wurden.“ 74 (Übersetzung V. B.) F. Mareš äußert sich also nur zum Druckort (und zwar unrichtig), er behauptet jedoch nicht, dass es sich bei Terpnotēs um ein Werk von Theobald Hock handele. Weder Mareš noch Kraus noch Hanson haben das seltene Druckwerk gesehen und wiederholen unrichtige Fakten über seinen Inhalt. 71 Die Beschreibung des Instruments mit seiner Abbildung bietet der Auswahlkatalog der Liechtensteinischen Sammlung, vgl. O’Neill: Liechtenstein (Anm. 61), S. 40-42. Auf der Rückseite des Instruments befindet sich eine Inschrift, die mit den gleichen Worten wie die Handschrift Bulders beginnt: „Ewichwerender Calender. Samt Tabulen auf etliche gewisse Jahre […]“, vgl. URL: https: / / books.google.cz/ books? redir_esc=y&hl=cs&id=A1f7lsIFyu0C&q=Bulderus#v=snippet&q=Bulderus&f=false (zuletzt abgerufen am 3. Juli 2018). 72 Blumenfeld (Hanson), S. 39. 73 A. Kraus folgt der Darstellung von Mareš, jedoch der Kontext könnte auch eventuell zu Missverständnissen führen: „Zu den ersten Arbeiten, die Höck in Krumau vornahm, gehörte die Redaktion seiner Gedichte für den Druck. Im J. 1601 wurde das Blumenfeld in Liegnitz in derselben Offizin gedruckt, welcher ein Jahr vorher der Druck der Тεφωυότης betitelten Sammlung von Preisgedichten auf Wok anvertraut worden war. Herr Wok gewährte dem Dichter als Belohnung für die Arbeit und Beitrag zu den Kosten der Drucklegung eine einmalige Zulage von 160 Schock Meissner Groschen.“ Vgl. Kraus: Theobald Höck (Anm. 1), S. 13. 74 Mareš: Německý básník (Anm. 1), S. 152. <?page no="282"?> Nachlese zum Leben und Umkreis von Theobald Hock 283 Das einzige bisher bekannt gewordene Exemplar der Schrift wird in der Sächsischen Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden aufbewahrt und wurde kürzlich digitalisiert, so dass man nun die bisherigen Mutmaßungen über seinen Inhalt richtigstellen kann. Der vollständige Titel der kleinen Schrift lautet: Terpnotēs Illustriss. Principis ac Domini Dn. Petri VVog A Rosenberg Domvs Rosenbergicae Gvbernatoris Cum descriptione illustris Horti In Nova Vrbe Cromlov plantati. Lignicii typis Sartorianis, MDC. 75 Weil der Verfasser nicht auf dem Titelblatt, sondern erst am Schluss des Werkes genannt wird - Ioannes Brachman -, wurde das Werk bis jetzt als anonym angesehen und konnte Theobald Hock zugeschrieben werden. In dem in Stockholm erhaltenen handschriftlichen Katalog der Rosenbergischen Bibliothek aus den Jahren 1602 bis 1608 ist das Werk in der Abteilung Philosophie, Bücher im Quartformat, fol. 1709, unter dem Namen Johannes Brachmann registriert. 76 Das Werk war ebenfalls in der Bibliothek des rosenbergischen Mathematikers und Leibarztes Hermann Bulder vorhanden. 77 Das Bändchen bringt keine direkte Verherrlichung Peter Woks von Rosenberg. Es hat zwei Abteilungen, in der ersten (fol. A 2r-A 4v) stehen lateinische, jeweils mit einer Überschrift versehene Distichen, die sich auf die Rosenberger und ihre Herrschaft beziehen, wobei kein thematisches Anordnungsprinzip ersichtlich ist (z. B. Rosa rubra, Illustris familiae celsitudo, Templum s. Trinitatis, Ars destillatoria, Vivarium, Molae, Sylvae, Musica usw.). Die andere, viel längere Abteilung (fol. B 1r-E 4r) mit der einfachen Überschrift Hortus bringt eine ebenfalls in Distichen verfasste ausführliche Beschreibung des rosenbergischen Gartens in Krumau. VI. Tschechische Übersetzungen der Gedichte von Theobald Hock Theobald Hock, der bei seinen Verhören, aus welchen Gründen auch immer, nach zwanzig Jahren seines Aufenthalts in Böhmen Tschechisch nicht verstanden haben will, 78 würde sicher überrascht sein, dass nach 400 Jahren einige seiner Verse in diese Sprache übersetzt wurden. Zdeněk Hron (* 1944), Dichter und Übersetzer aus dem Deutschen und Englischen ins Tschechische, hat in seiner 2008 in Prag erschienenen Sammlung 75 In der Datenbank VD16 wird das Werk als ZV 21745 geführt, die Dresdener Signatur lautet: Hist.Germ.biogr.434,38.m. URL: http: / / digital.slub-dresden.de/ werkansicht/ dlf/ 21384/ 1/ (zuletzt abgerufen am 23. Juni 2018). 76 Vgl. Veselá: Knihy (Anm. 55), die beigelegte CD-ROM. 77 Im Katalog seiner Bibliothek war das Werk in der Abteilung Philosophici, Philologici, Poetici et similes libri , Format 4°, ohne Angabe des Verfassers, nur mit den Anfangsworten des Titels registriert - SOA Třeboň, Cizí rody, z Rožmberka (Anm. 25) 20a, fol. 193v. 78 Hock: Copey (Anm. 28), fol. B 3v. <?page no="283"?> 284 Václav Bok Skrytý poklad. Zasuté verše z Čech [Ein verborgener Schatz. Verschüttete Verse aus Böhmen], die u. a. Übertragungen aus dem Lateinischen und Deutschen bietet, auch Hocks Gedicht Nr. 6 Der Author beweint das Leben (Blumenfeld [Koch], S. 12-14, Blumenfeld [Hanson], S. 204-206) poetisch übertragen und seine Übersetzung neben dem Originaltext Hocks synoptisch abdrucken lassen. Der Budweiser Bibliothekar Jan Mareš (* 1940), der verdienstvolle Kenner und Übersetzer der deutschen Poesie aus Böhmen, insbesondere aus dem Böhmerwald, hat für seine umfangreiche Online-Anthologie der deutschen Literatur aus dem Böhmerwald Kohoutí kříž - ’s Hohnakreiz die ersten vier Strophen des Hockschen Gedichts Nr. 88 Von vrsprung der Deutschen Sprach (Blumenfeld [Koch], S. 128f., Blumenfeld [Hanson], S. 598) sowie die erste Strophe aus dem Gedicht Nr. 2 Nach Erfahrenheit kombt Erkantnuß (Blumenfeld [Koch], S. 4, Blumenfeld [Hanson], S. 178) nachgedichtet. 79 Theobald Hock wird von den tschechischen Historikern relativ häufig erwähnt, es ist jedoch bemerkenswert, dass nach 400 Jahren einige Verse von ihm in seiner Wahlheimat Böhmen tschechisch erklingen können. 79 Kohoutí kříž (Anm. 20). URL: https: / / www.kohoutikriz.org/ inc/ text.php? id=hock (zuletzt abgerufen am 24. Juni 2018). <?page no="284"?> Buchwissenschaftliche Forschungen zu Theobald Hocks Schönem Blumenfeldt nebst Beschreibung des neu aufgefundenen Prager Exemplars Sikander Singh 1. Bekannte Exemplare des Schönen Blumenfeldts Von Theobald Hocks Schönem Blumenfeldt sind nur wenige Exemplare erhalten geblieben, was vornehmlich in der geringen Anzahl der überhaupt gedruckten Bücher seine Begründung findet. Klaus Hanson kommt in seiner kritischen Ausgabe der Gedichtsammlung zu dem Schluss, dass die Auflagenhöhe bei einhundert Exemplaren gelegen haben mag. Eine geringere Anzahl an Drucken wäre „selbst für damalige Verhältnisse“ nicht wirtschaftlich gewesen, wie sich aus dem Vergleich mit den wenigen erhalten gebliebenen Dokumenten der Zeit - die Frage nach Auflagenziffern und Kommissionen betreffend - schlüssig ergibt. 1 Dass heute nur einige Exemplare in Bibliotheken überliefert worden sind, mag darüber hinaus dem Umstand geschuldet sein, dass das Werk nach seiner Veröffentlichung im Jahr 1601 lediglich im Umfeld des Dichters, und damit in einem peripheren Bereich des deutschen Kulturraumes, Verbreitung gefunden hat. Weder die Leipziger noch die Frankfurter Messkataloge verzeichnen das Buch; 2 auch hat die deutschsprachige Dichtung des Barock die Sammlung in keiner Weise wahrgenommen. Hanson konstatiert daher zu Recht: Wie schon erwähnt, war es Höcks Unglück, der neuen deutschen Literatur der Barockzeit um wenige Jahre voraus zu sein und dazu noch an einer peripheren Stelle des deutschen Sprachraumes zu leben. So ist es nur zu verständlich, daß sich sein Blumen- 1 Blumenfeld (Hanson), S. 140f. 2 Siehe Catalogus universalis pro nundinis Francofurtensibus. De anno …; hoc est: Designatio omnium librorum, qui hisce nundinis … vel novi, vel emendatiores & auctiores prodierunt. Verzeichnüß aller Bücher, so zu Franckfurt in der … Meß Anno … auffgelegt, und jetzo nach Leipzig gebracht worden, und daselbst in den Buchläden verkaufft werden. Mit Vermehrung, derer Bücher, so diesen Leipzigischen … Marckt außgehen, und nicht nach Franckfurt gebracht worden. Leipzig 1600-1616. <?page no="285"?> 286 Sikander Singh feld schon bald nach Erscheinen keiner weiteren Verbreitung mehr erfreute und daß es schon nach wenigen Jahren, als die neue Literatur sich in Deutschland eingebürgert hatte, völlig vergessen war. 3 Abgesehen von dem Fund, von dem ich berichten möchte, sind der Forschung heute fünf Exemplare zugänglich: Das wohl prominenteste ist jenes, das in der Universitätsbibliothek Breslau verwahrt wird. 4 Es ist dasjenige, von dem Johann Heinrich Hoffmann von Fallersleben in seinem Beitrag für das Literarhistorische Taschenbuch des Jahres 1845 berichtet und dessen Widmung an Ehrenfried Ritter von Berbistorff auf Zumberg der Nachwelt die Autorschaft Theobald Hocks enthüllte. 5 Berbistorff war bis zur Schlacht am Weißen Berg im Jahr 1620 Generalproviantmeister der königlich böhmischen evangelischen Stände; 6 in späteren Jahren ist er als Generalmajor in den Diensten des Landgrafen Wilhelm V. von Hessen-Kassel bezeugt. 7 Er entstammte einem uradeligen böhmischen Geschlecht, das u. a. auf der Burgresidenz Žumberk (zu Deutsch: Sonnberg) ansässig war. Übrigens erwarb Hock, nach seiner Erhebung in den böhmischen Adelsstand im Jahr 1607, die Herrschaft Žumberk, mitsamt den neun dazugehörigen Dörfern. Für Forschungszwecke am leichtesten zugänglich ist das Exemplar der Bayerischen Staatsbibliothek in München. Es ist vollständig digitalisiert worden und kann daher jederzeit eingesehen werden. 8 In der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel wird ein anderes Exemplar verwahrt. 9 Die Bibliothek verfügte zunächst über ein weiteres, dieses wurde jedoch an die Bibliothek des British 3 Blumenfeld (Hanson), S. 141. 4 Biblioteka Uniwersytecka Wrocław, Signatur: 395330. Das Buch befand sich zuvor im Bestand der Bibliothek des Maria-Magdalenen-Gymnasiums in Breslau, wie entsprechende Besitzstempel auf der Seite. 1 („An den getreuwen Leser: “) und der Rückseite des Inhaltsverzeichnisses bezeugen. Weitergehende Erkenntnisse zur Provenienz sind jedoch leider nicht zu gewinnen. 5 Johann Heinrich Hoffmann von Fallersleben: Theobald Höck. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Literatur. In: Literarhistorisches Taschenbuch. Hrsg. von Robert Eduard Prutz. 3. Jg. Hannover 1845, S. 399-422. 6 Vgl. hierzu Bernd Warlich: Berbistorff auf Zumberg, Ehrenfried Ritter von. URL: www.30jaehrigerkrieg.de/ berbistorf-auf-zumberg-ehrenfried-ritter-von/ (zuletzt aufgerufen am 16. Februar 2018). 7 Vgl. einen von Berbistorff als „Furstl(ich) Heßischer generalmajeur uber die infanterie unnd commandeur“ gezeichneten und auf den 21. Februar 1633 datierten Schutzbrief für die Jesuitenresidenz in Coesfeld (Landesarchiv NRW Abteilung Westfalen / Studienfonds Münster / Signatur 9031, Bl. 2), URL: www.westfaelische-geschichte.de/ que1318 (zuletzt aufgerufen am 31. Juli 2018). 8 Bayerische Staatsbibliothek München, Signatur: Rar. 1857. 9 Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Signatur: A: 125.22 Quod. (3). <?page no="286"?> Buchwissenschaftliche Forschungen zu Theobald Hocks Schönem Blumenfeldt 287 Museum in London abgegeben. Heute liegt dieses Buch in der British Library London. 10 Schließlich entdeckte Václav Bok ein bis dahin unbekanntes Exemplar in der Bibliothek des Prämonstratenser Stiftes Tepl in Westböhmen und informierte darüber in einem ausführlichen Fundbericht. 11 Das Buch ist sowohl durch das Exlibris auf dem vorderen Innendeckel („FRANCISCUS GODEFRIDUS TROILO IN LESSOT. SAC[ER]. CAES[SARIS]. M[AIESTA]TIS. CONSILIARIUS“) als auch durch einen entsprechenden handschriftlichen Eintrag auf dem Titelblatt als Exemplar aus der Bibliothek des Handschriften- und Büchersammlers Franz Gottfried Troilo von Lessoth ausgewiesen. 12 Einen Hinweis auf einen weiteren Vorbesitzer gibt zudem das Supralibros auf dem vorderen Buchdeckel; es zeigt die Ligatur MB zu beiden Seiten von zwei unten sich kreuzenden Palmwedeln umfasst und oben von einem Kurhut bekrönt. Es handelt sich um das Monogramm von Maria Benigna Franziska von Sachsen-Lauenburg. 13 Große Teile 10 The British Library London, Signatur: 11522.ccc.42. 11 Klášter Premonstrátů Teplá Knihovna, Signatur: T/ A 1 (g 1 285); Václav Bok: Nový exemplar básnické sbírky Theobalda Höcka „Schönes Blumenfeld“. In: Jihoceský sbonik historický 50 (1981), S. 122-124. 12 Vgl. hierzu Milan Hlinomaz: Troilovy knihy v tepelské klášterní knihovně. In: Jitka Radimská (Hrsg.): K výzkumu zámeckých, měšťanských a církevních knihoven. Čtenář a jeho knihovna. / Pour une étude des bibliothèques aristocratiques, bourgeoises et conventuelles. Budweis 2003, S. 215-226. Der Aufsatz, der explizit auch auf das Exemplar des Schönen Blumenfeldts eingeht (S. 220), ist zwar in tschechischer Sprache verfasst, bietet aber auch eine deutschsprachige Zusammenfassung (S. 222). Milada Svobodová schreibt über den schlesischen Sammler: „Franz Gottfried Troilo von Lessoth (ca 1583-ca 1648) besaß eine der bemerkenswertesten Bibliotheken in Prag in der Zeit vor der Schlacht am Weißen Berg. Über diese Bibliothek sowie über ihren Besitzer weiß man bis jetzt nur sehr wenig. Das gebildete Mitglied einer führenden Breslauer Familie (er war Bruder des Dekans des Domkapitels Nikolaus Troilo und Schwager des kaiserlichen Rats Matthäus Wacker von Wackenfeld), deren Kontakte in geistlichen und höfischen Kreisen ihm eine Karriere am Hof zweifelsohne erleichterten, erfreute sich der Gunst Kaiser Rudolfs II. und seiner Nachfolger. Im Jahr 1617 wurde er zum kaiserlichen Rath ernannt (diesen Titel hatte er allerdings schon seit 1612 benutzt) und im gleichen Jahr erwarb er das Inkolat in den Ländern der Böhmischen Krone und wurde in die Reihen des böhmischen Adels aufgenommen. Er hielt jedoch auch Kontakte mit seiner Familie und mit seinen Freunden in Schlesien weiterhin aufrecht, wo er den Familiensitz Lessoth besaß.“ (Milada Svobodová: Knihovna slezského humanisty Franze Gottfrieda Troila von Lessoth. In: Alena Císařová-Smítková/ Andrea Jelínková/ Milada Svobodová (Hrsg.): Libri magistri muti sunt. Pocta Jaroslavě Kašparové. Prag 2013 S. 79-111, hier S. 110. Die deutschsprachige Zusammenfassung stammt von Václav Bok, dem ich für diese Literaturhinweise und die einhergehenden Einsichten zu Dank verpflichtet bin.) 13 Zu dem Monogramm vgl. Eva Raffel: Klassik Stiftung Weimar. Herzogin Anna Amalia Bibliothek. Die Inkunabeln. Wiesbaden 2007 [Bibliographien und Kataloge der Herzogin Anna Amalia Bibliothek zu Weimar. Hrsg. von Michael Knoche], Tafel XV, Abb. 4; zu der Lebensgeschichte vgl. Arnold von Weyhe-Eimke: Octavio Piccolomini als Herzog von <?page no="287"?> 288 Sikander Singh von Troilos Sammlung gelangten nach seinem Tod in ihren Besitz und wurden nachfolgend einem Konvent im westböhmischen Ostrov vermacht: Wir wissen, dass Troilos Bibliothek offensichtlich bald nach seinem Tod in den Besitz von Herzog Julius Heinrich von Sachsen-Lauenburg gelangte, der sie seiner Tochter Maria Benigna, verheiratete Fürstin Piccolomini (1631-1701), vermachte. Sie erweiterte die vererbte Bibliothek bedeutend und vermachte ihren wesentlichen Teil an das Konvent der Piaristen in Ostrov nad Ohří (Schlackenwerth). 14 Ob das Exemplar des Schönen Blumenfeldts , das nunmehr in dem ca. einhundert Kilometer nordöstlich gelegenen Tepl verwahrt wird, mittel- oder unmittelbar dorthin gelangt ist, kann allerdings nicht nachvollzogen werden. Die beiden Exemplare, die sich im Bestand der Rara-Sammlung der ehemals Königlichen Bibliothek in Berlin bzw. der ihr nachfolgenden Preußischen Staatsbibliothek befanden, sind leider als Verluste des Zweiten Weltkrieges zu beklagen. 15 Sie wurden in den frühen 1940er Jahren im Zuge kriegsbedingter Auslagerungen gemeinsam mit anderen wertvollen Beständen auf das Schloss Fürstenstein in Schlesien (heute Zamek Książ in Polen) verbracht. Nachdem das Schloss 1943 der Nutzung durch die SS und der Organisation Todt übergeben worden war, erging 1944 auf Anordnung der Breslauer Gauleitung die Order, die Bestände in das Kloster Grüssau umzulagern (heute Opactwo Cysterskie w Krzeszowie in Polen). Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurden die hier vorgefundenen Bestände auf Veranlassung der polnischen Verwaltung in die Biblioteka Jagiellońska nach Krakau transportiert. 16 Im Zusammenhang dieser Auslagerung verliert sich die Spur der beiden Bände, so dass über ihren weiteren Verbleib keine Aussage zu treffen ist. Allerdings hatte Max Koch in Vorbereitung seiner Edition des Schönen Blumenfeldts aus dem Jahr 1899 die Möglichkeit, eines der Bücher einzusehen, so dass im Hinblick auf verschiedene der zu verzeichnenden Presskorrekturen Er- Amalfi, Ritter des goldenen Vließes, deutscher Reichsfürst und Gemahl der Prinzessin Maria Benigna Franziska von Sachsen-Lauenburg. Quellen-Studie aus dem Schloß-Archive zu Nachod. Pilsen 1871, S. 35-41. 14 Svobodová: Knihovna (Anm. 12), S. 110. 15 Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz, Signatur: Yh 7001 und Signatur: Yh 7002. 16 Vgl. hierzu Werner Schochow: Bücherschicksale. Die Verlagerungsgeschichte der Preußischen Staatsbibliothek. Auslagerung, Zerstörung, Entfremdung, Rückführung. Dargestellt aus den Quellen. Berlin und New York 2003 [Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin. Bd. 102], S. 34-38, S. 64f. und S. 116-121 sowie Handbuch deutscher historischer Buchbestände in Europa. Bd. VI: Polen. Bearb. v. Marzena Zacharska. Hildesheim 1999 [Handbuch deutscher historischer Buchbestände in Europa. Eine Übersicht über Sammlungen in ausgewählten Bibliotheken. Hrsg. von Bernhard Fabian], S. 112: „Die Sammlung zur Germanistik (Siganturen Y bis Yy, Rara) umfaßt Werke der deutschen Literatur seit dem Ende des 15. Jhs und in Wiederabdrucken von den Anfängen des 16. Jhs bis zum Ende des 18. Jhs (1100 Bde).“ <?page no="288"?> kenntnisse vorliegen. 17 Nach der Publikation seines Neudrucks machte Max Hermann Jellinek in einer Rezension derselben auf die Existenz des zweiten Berliner Exemplars aufmerksam. 18 Der österreichische Mediävist gibt ebenfalls einige, die Presskorrekturen betreffende Hinweise. 19 Sowohl Koch als auch Jellinek behaupten, dass die von ihnen jeweils in Berlin autopsierten Exemplare der berühmten Bibliothek von Karl Hartwig Gregor Freiherr von Meusebach entstammten. Koch verweist in diesem Zusammenhang auf Ernst Höpfner, 20 während Jellinek für diese Behauptung weder Belege liefert noch weiterführende Angaben macht. 21 Wenngleich in der Meusebachschen Sammlung tatsächlich ein Exemplar des Schönen Blumenfeldts belegt ist, gibt es keine Dokumente, welche bezeugen, dass dasselbe im Kontext des von König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen unterstützen Ankaufs im Jahr 1850 von der Königlichen Bibliothek erworben wurde. 22 Und auch auf der Grundlage von Höpfners Darstellung ist nicht zweifelsfrei auszumachen, ob das Meusebachsche Exemplar mit einem der beiden Exemplare der Königlichen Bibliothek in Berlin identisch ist. 23 Somit ist auch der Verbleib des Buches aus Meusebachs Besitz unklar. Allerdings scheint es sehr wahrscheinlich, dass dieses Buch 1850 mit dem Erwerb der Sammlung in die Königliche Bibliothek gelangt ist. Das zweite Berliner Exemplar ist mit großer Wahrscheinlichkeit identisch mit demjenigen aus der ehemals bekannten Sammlung des Freiherrn Wendelin von Maltzahn. 24 Nachdem der Literarhistoriker von Weimar nach Berlin zurückge- 17 Vgl. Blumenfeld (Koch), S. VIIf. Der Editor hat nach eigenen Angaben das Buch mit der Signatur Yh 7002 eingesehen. 18 Vgl. Max Hermann Jellinek: Rezension zu Theobald Hock „Schönes Blumenfeld“. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 32 (1900), S. 392-402, hier S. 393: „Die kgl. bibliothek in Berlin besitzt ausser dem Koch bekannten und von ihm benutzten exemplar Yh 7002 noch ein zweites, mit Yh 7001 signiertes.“ 19 Ebd., S. 393. 20 Vgl. Blumenfeld (Koch), S. VII sowie Ernst Höpfner: Reformbestrebungen auf dem Gebiete der deutschen Dichtung des 16. und 17. Jahrhunderts. Berlin 1866 [Kaiser Wilhelms-Gymnasium in Berlin. VI. Jahresbericht, womit zu der am 28. und 29. September stattfindenden öffentlichen Prüfung und Entlassung der Abiturienten ehrerbietigst einladet der Director Professor Dr. O. Kübler], S. 32. 21 Jellinek: Rezension (Anm. 18), S. 393. 22 Vgl. Friedrich Zarncke: Die Meusebach’sche Bibliothek. In: Serapeum. Zeitschrift für Bibliothekswissenschaft, Handschriftenkunde und ältere Literatur. 11. Jg., Nr. 6 u. 7. Leipzig 1850, S. 89-96 u. 109-112. 23 Höpfner schreibt: „Von dem hier beschriebenen Breslauer Exemplare weicht das Meusebachʼsche nur dadurch ab. dass in diesem der Vermerk von Drucker und Druckort fehlt.“ (Höpfner: Reformbestrebungen [Anm. 20], S. 32) 24 Wendelin Freiherr von Maltzahn: Deutscher Bücherschatz des 16., 17. und 18. bis um die Mitte des 19. Jahrhunderts. Jena und Frankfurt am Main 1875-1882, S. 223, Nr. 1: „Schönes Ex. in gleichzeit. Pergbd.“ Buchwissenschaftliche Forschungen zu Theobald Hocks Schönem Blumenfeldt 289 <?page no="289"?> 290 Sikander Singh kehrt war, gelangte seine Sammlung, seinem Wunsch entsprechend, in den Besitz der Königlichen Bibliothek in Berlin. 25 Aber auch bei diesem Buch sind keine Zeugnisse greifbar, welche die Identität ohne jeden Zweifel zu belegen vermögen. Darüber hinaus sind keine Exemplare der Gedichtsammlung bekannt geworden. Dasjenige, das der handschriftliche Katalog der Bibliothek Peter Woks von Rosenberg verzeichnet, ist nach der Plünderung durch schwedische Truppen zwischen 1641 und 1648 wahrscheinlich über Stralsund nach Stockholm verbracht worden, wo sich seine Spur verliert. 26 In dem Besitz von Hans Hock befand sich, wie Václav Bok anhand eines Inventars aus dem Jahr 1618 belegen konnte, ebenfalls ein Exemplar des Schönen Blumenfeldts ; sein Verbleib ist allerdings nicht dokumentiert. 27 Zugleich ist nicht auszuschließen, dass die Exemplare aus den Sammlungen Meusebach und Maltzahn oder diejenigen aus dem Besitz von Peter Wok und Hans Hock mit einem der anderen, bekannten oder verschollenen Exemplare identisch sind. Dagegen spricht allerdings, dass Theobald Hock zumindest die Exemplare für seinen Dienstherren Peter Wok und seinen Verwandten Hans Hock mit großer Wahrscheinlichkeit mit Widmungen versehen haben wird; diese sind jedoch in keinem der überlieferten Exemplare zu finden. Auch ist in keinem der heute bekannten Exemplare eines der jeweils charakteristischen Exlibris der Rosenbergschen oder Meusebachschen Bibliothek auszumachen. 2. Das Prager Exemplar des Schönen Blumenfeldts Max Koch berichtet in der Einleitung zu seiner Neuausgabe von einem „aus dem 18. Jahrhundert stammenden Katalog der Bücherei des Metropolitan Domkapi- 25 Im Vorwort seines Deutschen Bücherschatzes erklärt von Maltzahn in diesem Sinne: „Der Unterzeichnete beabsichtigt, sich von s e i n e r S a m m l u n g z u t r e n n e n , hat aber den sehnlichsten Wunsch, d i e s e l b e m ö g e d e m d e u t s c h e n V a t e r l a n d e - durch Einverleibung in eine große öffentliche Bibliothek oder a l s G r u n d l a g e z u e i n e r n e u e n S a m m l u n g - erhalten bleiben, um den Forschern und Freunden unserer Literatur auch ferner die Benutzung dieser Sammlung zu sichern.“ (ebd., S. VI) 26 Vgl. Blumenfeld (Hanson), S. 143f. sowie Beda Dudík: Forschungen in Schweden für Mährens Geschichte. Im Auftrage des hohen mährischen Landesausschusses im Jahr 1851 unternommen und veröffentlicht. Brünn 1852, S. 9f.; Isaak Collijn: Det Rosenbergska bibliotheket och dess exlibris. Stockholm 1907; Otto Walde: Storhetstidens litterära krigsbyten. En kulturhistorisk-bibliografisk studie. 2 Bde. Uppsala 1916-1920, hier Bd. I, S. 306-333; Lenka Veselá: Knihy na dvoře Rožmberků. Prag 2005, S. 279, Nr. 164. 27 Václav Bok: Die Bibliotheken von Theobald und Hans Höck von Zweibrücken nach einem Inventar von 1618. In: Ulman Weiß (Hrsg.): Buchwesen in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Festschrift für Helmut Claus zum 75. Geburtstag. Epfendorf am Neckar 2008, S. 341-356, hier S. 353 [C 14]. <?page no="290"?> tels“ in Prag, in dem ein Exemplar des Schönen Blumenfeldts verzeichnet gewesen sei. Seine diesbezüglichen Nachforschungen blieben jedoch „trotz allen Suchens“ ergebnislos. 28 Das Prager Exemplar galt seitdem als verschollen, weshalb Klaus Hanson konstatiert, das Buch habe „nie aufgefunden werden“ können. 29 Da die Bibliothek des Prager Metropolitandomkapitels zwischenzeitlich über einen OPAC verfügt, konnte ich diese Angaben noch einmal überprüfen. 30 Tatsächlich verzeichnet der Katalog unter dem Verfassernamen Theobald Hock ein Exemplar des Schönen Blumenfeldts , allerdings nicht mehr unter der Signatur, die das von Koch angeführte Inventar des 18. Jahrhunderts nennt. 31 Dieser Katalog ist nicht erhalten, da die Bestände der Bibliothek in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts neu aufgestellt und verzeichnet worden sind. In diesem Kontext wurden auch neue Signaturen vergeben; so ist die auf dem Rücken noch zu erkennende ursprüngliche (handschriftliche) Signatur „K XXVIII“ mit einem Signaturschild aus dem späten 19. Jahrhundert überklebt. Auf dem vorderen Innendeckel findet sich das ebenfalls aus diesem zeitlichen Zusammenhang stammende Bücherzeichen der „Bibliothek des allezeit getreuen Metrop. Domkapitels in Prag“ (siehe Abb. 1). Abb. 1: Bücherzeichen der „Bibliothek des allezeit getreuen Metrop. Domcapitels in Prag“. 28 Blumenfeld (Koch), S. VI. 29 Blumenfeld (Hanson), S. 143. 30 URL: http: / / kpmk.eu/ index.php/ katalogy (zuletzt aufgerufen am 26. Januar 2018). 31 Vgl. Blumenfeld (Koch), S. VI. Das Exemplar wird heute unter der Signatur Xb 0058 verzeichnet. In besonderer Weise danke ich dem Dekan des Prager Domkapitels Herrn Professor Dr. Jan Matějka für die Möglichkeit, das in der Bibliothek des Domkapitels verwahrte Exemplar zu autopsieren. Buchwissenschaftliche Forschungen zu Theobald Hocks Schönem Blumenfeldt 291 <?page no="291"?> 292 Sikander Singh Dass das Buch mit jenem Exemplar identisch ist, das in dem von Koch angeführten Katalog verzeichnet ist, wird durch den Umstand belegt, dass das Blumenfeldt , wie dort vermerkt, mit Gabriel Rollenhagens Vier Büchern wunderbarlicher biß daher vnerhörter / vnd ungleublicher Indianischer reysen , das 1603 in Magdeburg erschienen ist, zusammengebunden vorliegt. 32 Es handelt sich um einen Schweinslederband der Zeit im Quartformat, die Papierqualität ist durchgängig und unauffällig, es gibt keine Wasserzeichen. Der Kopfschnitt, ehemals wohl rot, ist altersbedingt zu braun verschmutzt. Ein handschriftlicher Besitzvermerk, der sich auf der Titelseite, unterhalb des Mottos, die Vignette links wie rechts umschreibend, befindet, gibt Auskunft darüber, dass das Buch der Sammlung des Dompropstes Georg Barthold Pontanus von Breitenberg entstammt. Da der Vermerk von der gleichen Hand auch in solchen Büchern aus seiner Sammlung zu finden ist, die nicht in der Bibliothek des Prager Domkapitels verwahrt werden, ist es wahrscheinlich, dass die Eintragung von Pontanus selbst stammt, der solchermaßen die in seinem Besitz befindlichen Bücher kennzeichnete. Die Handschrift, die in einem Exemplar der Institutionis Oratoriae libri duodecim des Quintilian zu sehen ist, die in der Bibliothek des Nationalmuseums in Prag verwahrt wird, belegt dies. 33 (Das Werk des römischen Rhetoriklehrers stammte übrigens ursprünglich aus der Sammlung des Dichters, Mathematikers und Astronomen Petrus Codicillus, der an der Prager Universität lehrte und ihr zeitweilig als Rektor vorstand. Nach seinem Tod im Jahr 1589 muss das Buch in den Besitz Breitenbergs gelangt sein.) Der auch als humanistischer Dichter hervorgetretene Breitenberg wurde nach dem Besuch der Prager Universität, „wo er sich in der Dichtkunst, in der deutschen und lateinischen Beredsamkeit, in der Geschichtskunde und Gottesgelehrtheit auszeichnete“, zum Priester geweiht. Von 1583 bis 1614 war er Mitglied des Domkapitels. Anton Weis schreibt in der Allgemeinen Deutschen Biographie weiter über ihn: Seine Talente und Verdienste wurden bald durch Ehrentitel und geistliche Pfründen belohnt. Im J. 1588 krönte ihn Kaiser Rudolph II. zum Dichter, erhob ihn in den Adelstand und legte ihm ein adeliges Wappen bei, kurz nachher erhielt er den Titel eines Comes palatinus und kaiserlichen Rathes; früher schon war er Canonicus an mehreren Kirchen, als auf dem Wyschehrad, zu Olmütz und Bautzen geworden, im J. 1582 Domherr an der Prager Metropolitankirche, seit 1586 daselbst Dechant und Generalvicar. 34 32 Vgl. ebd., S. VI. 33 Knihovna Národního muzea; URL: http: / / opac.nm.cz/ authorities/ 56092 (zuletzt aufgerufen am 19. Februar 2018). 34 P. Anton Weis: Pontanus, Georg Barthold. In: Allgemeine Deutsche Biographie (1888). URL: www.deutsche-biographie.de/ pnd104282185.html (zuletzt aufgerufen am 26. Januar 2018). Vgl. hierzu auch Antonius Podlaha: Series praepositorum, decanorum, archidiaco- <?page no="292"?> Und Erich Trunz, der sich grundlegend mit der neulateinischen und deutschen Dichtung im Umfeld des kaiserlichen Hofes Rudolfs II. auseinandergesetzt hat, urteilt über Breitenberg: Als Schriftsteller war er immer in erster Linie Priester, alle seine Schriften zeigen kirchlichen Charakter. Er begann 1580 mit geistlichen Spielen und errang seinen größten Erfolg mit der Vita Hroznatae , der Hexameterlegende, 1586. Geistliche Lyrik bringt Hymnen und Lieder auf Heilige. Die Gelegenheitsdichtung, zumal Gedichte auf Rudolf II., ist gehaltlich schwach, formal voll von Künsteleien, wie sie damals gefielen. Weit besser ist das Epos Bruxia Bohaemiae (1593), das Lobgedicht seiner Heimatstadt. […] Ferner erschien im Druck eine Anzahl geistlicher Reden, unter denen die auf den Tod des Kaisers durch Inhalt und Form besonders bemerkenswert ist. Hier zeigt sich das Rhetorische, Gewollte, Weitbauschige, Bewegte, Massige dieses neulateinischen Stils am deutlichsten. Auch in deutscher Sprache hat Pontanus Predigten und Erbauungsbücher gedruckt, Kraftbüchlein (1590), Himmlische Redekunst (1596) und Türckenglöckle (1596), aber sie bleiben weit hinter den lateinischen Werken zurück; von deren Glanz ist hier nichts zu spüren; denn es gab im Deutschen solche rhetorische Prosa noch nicht, und Pontanus war nicht der Mann, dergleichen zu schaffen. Zu merken ist lediglich die Tradition der Psalmen, die man schon immer in kirchlichem Schrifttum besaß. Im Lateinischen dagegen konnte Pontanus dem Zeitstil, der in der aufblühenden Ordensdichtung aller Länder sich nun üppig zu entfalten begann, voll entsprechen. […] Dem Geist des Rudolfinischen Hofes entspricht seine Neigung zum Majestätischen, zum Effektvollen, zu glanzvoller Sprache mit dichterischen Bildern, einem Stil der Häufungen und Kontraste. Er war der eigentliche Dichter dieses Kreises. 35 Dass die Bücher Breitenbergs nach dessen Tod im Jahr 1616 in den Besitz der Bibliothek des Domkapitels übergingen, war übliche Praxis. Seit ihrer Gründung im 11. Jahrhundert erwirbt die Bibliothek, die eine der ältesten Tschechiens ist, nicht eigenständig Bücher, sondern verwahrt die nachgelassenen Sammlungen der Prager Domherren. Weis bemerkt hierzu: „Ein Freund der Wissenschaften, sammelte [Pontanus] eine ansehnliche Bibliothek, die an vielen und seltenen Handschriften reich gewesen sein soll und von ihm dem Domcapitel vermacht, norum aliorumque praelatorum et canonicorum s. metropolitanae ecclesiae Pragensis a primordiis usque ad praesentia tempora. Prag 1912 [Editiones archivii et bibliothecae s. f. metropolitani capituli Pragensis. Bd. 10], S. 137-147; John L. Flood: Poets Laureate in the Holy Roman Empire. A Bio-bibliographical Handbook. Bd. III: L-R. Berlin und New York 2006, S. 1571-1574 [P-65], sowie Josef Hejnic/ Jan Martínek: Rukověť humanistického básnictví v Čechách a na Moravě. Prag 1966, Bd. I, S. 137-167. Für diese weiterführenden Literaturhinweise bin ich Václav Bok und Jan Matějka zu besonderem Dank verpflichtet. 35 Erich Trunz: Pansophie und Manierismus im Kreise Kaiser Rudolfs II. In: Die österreichische Literatur. Ihr Profil von den Anfängen im Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert (1075- 1750). Hrsg. von Herbert Zeman. 2. Teil. Graz 1986 [Die österreichische Literatur. Eine Dokumentation ihrer literarhistorischen Entwicklung], S. 865-1034, hier S. 927f. Buchwissenschaftliche Forschungen zu Theobald Hocks Schönem Blumenfeldt 293 <?page no="293"?> 294 Sikander Singh im J. 1648 aber von den Schweden geplündert wurde.“ 36 Warum das vorliegende Exemplar des Blumenfeldts der Plünderung entgangen ist, ist nicht zu erklären. Allerdings bezeugt nicht nur der handschriftliche Vermerk auf dem Titelblatt des Blumenfeldts , dass das Buch aus Breitenbergs Besitz stammt. Auf dem ansonsten schlichten Schweinslederband findet sich auf dem vorderen Deckel das Wappensupralibros des Dompropstes: „GE[ORGIVS] PONTANVS A BRAI- TENBERG M[ETROPOLITANAE]. E[CCLESIAE]. P[RAGENSIS]. DEC[ANVS]. PROT[ONOTARIUS]. APOST[OLICVS]“ (siehe Abb. 2 und 3). Abb. 2: Vorderer Einbanddeckel des Prager Exemplars. 36 Weis: Pontanus (Anm. 34). <?page no="294"?> Abb. 3: Das Wappensupralibros von Georg Barthold Pontanus von Breitenberg. Breitenberg ließ also Hocks Blumenfeldt und Rollenhagens Indianische reysen aufbinden. Möglicherweise wurden die beiden Titel zusammengestellt, weil es sich um Werke in deutscher Sprache handelt, die zur gleichen Zeit gedruckt worden sind. Aber auch dies muss Vermutung bleiben. Unwahrscheinlich ist, dass Pontanus einen weiteren handschriftlichen Vermerk auf der Titelseite des Blumenfeldts , der die Angabe des Erscheinungsjahres von 1601 auf 1603 verändert, als Korrektur bewertet hat und deshalb mit Rollenhagens Schrift hat binden lassen. Auf welche Weise die Gedichtsammlung in den Besitz Breitenbergs gelangt ist, ist ebenfalls nicht zu belegen. Zwar ist denkbar, dass Pontanus und Hock miteinander bekannt waren, allerdings wusste Breitenberg, wie nachfolgend zu zeigen sein wird, nicht, dass der Sekretär der Rosenberger der Autor dieser Gedichtsammlung ist. Dies ist auch deshalb interessant, weil es indirekte Zeugnisse gibt, die eine Bekanntschaft der beiden nahelegen: So verwahrt die Universitätsbibliothek Wien das Exemplar der Orationes Synodales, Sacræ, Bellica, Funebres (Prag 1606) von Breitenberg, in welchem sich eine eigenhän- Buchwissenschaftliche Forschungen zu Theobald Hocks Schönem Blumenfeldt 295 <?page no="295"?> 296 Sikander Singh dige Widmung des Dompropstes an Peter Wok findet. 37 Es ist daher wahrscheinlich, dass Hock und Breitenberg sich in diesem Kontext begegnet sind. Trotz der Unterschiede - Hock war reformierten, Breitenberg katholischen Glaubens, Hock war als Beamter am Hof eines einflussreichen böhmischen Adligen tätig, Breitenberg bekleidete ein bedeutendes geistliches Amt - gibt es einige bemerkenswerte Parallelen: Beide traten neben ihren jeweiligen administrativen Aufgaben mit dichterischen Werken hervor und beide wurden von Rudolf II. in den Reichsadelsstand erhoben. Im Umfeld des Prager Hofes ist ein weitergehender Umgang beider also nicht nur denkbar sondern sogar wahrscheinlich - zumal, wie Weis herausstellt, Pontanus zwar ein „eifriger Vertheidiger der katholischen Religion“ war, jedoch „von den Protestanten ob seiner Redlichkeit und Klugheit geschätzt“ wurde. 38 Auch befand sich, wie Václav Bok belegen konnte, ein Band der Breitenbergschen „orationes“ in der bemerkenswerten Büchersammlung, die Hock auf Sonnberg (Žumberk) zusammengetragen hat. 39 Die zweite Handschrift auf der Titelseite des Blumenfeldts vermerkt jedoch nicht nur ein Datum: Es handelt sich, nach derjenigen des Breslauer Exemplars, um die einzige, bekannt gewordene Widmung von der Hand des Autors (siehe Abb. 4). Am unteren Rand der Seite ist der Name „Theobald Hockh“ zweifelsfrei zu erkennen, auch wenn dieser zu einem Teil abgeschnitten worden ist, so dass der erste Buchstabe des Vornamens wie die Unterlängen durchgängig fehlen. Dies muss beim Einbinden des Werkes geschehen sein, in der Absicht die differierenden Formate des Blumenfeldts und der Indianischen reysen anzugleichen. 37 Universitätsbibliothek Wien, Signatur: I-238783; vgl. hierzu auch Veselá: Knihy (Anm. 24), S. 266, Nr. 24. 38 Weis: Pontanus (Anm. 34). 39 Vgl. Bok: Die Bibliotheken (Anm. 25), S. 347 [S 62]. Aufgrund der verkürzten Angabe in dem Inventar aus dem Jahr 1618 ist nicht eindeutig zu bestimmen, um welches der Werke Breitenbergs es sich handelt; allerdings kommen hierfür lediglich zwei Titel in Frage: die Orationes tres die coenae dominicae in metropolitana ecclesia Pragensi habitae (Prag 1594) oder die Orationes Synodales, Sacræ, Bellica, Funebres (Prag 1606). <?page no="296"?> Abb. 4: Titelseite des Prager Exemplars mit der handschriftlichen Dedikation Hocks. Der Band misst 19,5cm in der Höhe und 14cm in der Breite. 40 Die Beschneidung des Buches ist nicht nur auf der Titelseite zu bemerken. Auf den drei Seiten der Sammlung, die Marginalien aufweisen, ist in der Konsequenz ein minimaler Textverlust zu konstatieren. 41 Indem der Name Hocks abgetrennt worden ist, wird zugleich deutlich, dass spätestens mit dem Übergang des Buches in den Bestand der Sammlung Breitenbergs das Wissen um die Autorschaft Hocks verloren gegangen ist. Leider ist es bislang nicht gelungen, die auf den 26. November 1603 in Prag datierte Widmung mit letzter Sicherheit zu entziffern, denn im Gegensatz zu derjenigen des Breslauer Exemplars ist Hocks Handschrift hier recht flüchtig. Zudem sind einzelne Worte durch die Überlagerung von Zierbögen kaum mehr zu lesen. Die Widmung lautet: 40 Der Breslauer Quartband misst 20,8 cm in der Höhe und 15,5 cm in der Breite. 41 Vgl. Blatt 2, linke Seite: „cœci versamur in urbe“; Blatt 73, linke Seite: „Mit Bratwürsten“; Blatt 77, linke Seite: „Körblkraut“. Buchwissenschaftliche Forschungen zu Theobald Hocks Schönem Blumenfeldt 297 <?page no="297"?> 298 Sikander Singh Prag M. DCIII 26 9bris Herrn [Felin? ], Seinem g[nädigen? ] Herrn verert dis bieglein zur [Gedächt? ] nuß Theobald Hockh Die Lesung des Namens ist unsicher. Ich halte es jedoch für wahrscheinlich, dass es sich um Hans Heinrich Fehlin (auch Vechlin) handelt, der am Hof Kaiser Rudolf des II. zunächst als deutscher Reichshofkanzleischreiber, später als Reichshofkanzleiregistrator und -taxator diente. 42 Sollte sich diese Lesart als korrekt erweisen, läge erstmals ein Hinweis über Aufenthalt und Tätigkeit Theobald Hocks während des Jahrzehnts nach dem Ende seiner Schulzeit in Kloster Hornbach im Jahr 1589 und vor dem Beginn seines Dienstverhältnisses als deutscher Sekretär Peter Woks im April 1601 vor. 43 Denn die Anrede des kaiserlichen Schreibers als „[s]eine[n] g[nädigen] Herrn“ deutet darauf 42 Vgl. Jaroslava Hausenblasová: Der Hof Kaiser Rudolfs II. Eine Edition der Hofstaatsverzeichnisse 1576-1612. Prag 2002 [Fontes Historiae Artium. Bd. IX], S. 284 und S. 286. (Den Hinweis auf diese Quellenedition verdanke ich Václav Bok, dem an dieser Stelle für seine kollegial-liebenswürdige Hilfe sehr herzlich gedankt sei.) Biographische Einzelheiten über Hans Heinrich Fehlin sind nicht zu ermitteln, die Hofstaatsverzeichnisse belegen lediglich, dass er zwischen 1576 und 1589 als deutscher Reichshofkanzleischreiber tätig war (ebd., S. 286) und 1601 als Reichshofkanzleiregistrator und -taxator (ebd., S. 284). Sein Name erscheint ansonsten im Kontext verschiedenster Abschriften kaiserlicher Urkunden und Dokumente, so beispielsweise in: Württembergische Landtagsakten. Hrsg. von der Württembergischen Kommission für Landesgeschichte. Stuttgart 1911, S. 223. 43 Verschiedentlich findet sich in früheren Arbeiten zur Biographie des Dichters die allerdings nicht zu belegende Feststellung, Theobald Hock sei vor 1601 am Hof des römisch-deutschen Kaisers als Schreiber tätig gewesen, vgl. beispielsweise Jesse W. Hoover: A History oft he Hock/ Hoke Family 1405-1990. Englewood/ OH 1990, S. 21f. oder Blumenfeld (Hanson), S. 25. Zu Hocks Aufenthalt während des letzten Jahrzehnts des 16. Jahrhunderts vgl. Walter Brauer: Theobald Hock. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 63 (1938), S. 254-284, hier S. 256f. oder Achim Aurnhammer: Höck, Theobald. In: Wilhelm Kühlmann [u. a.] (Hrsg.): Frühe Neuzeit in Deutschland 1520-1620. Literaturwissenschaftliches Verfasserlexikon. Berlin und Boston/ MA 2014, Bd. III, Sp. 354-365, hier Sp. 354: „Nachdem H. 1589 durch fürstliches Dekret von der für ihn vorgesehenen geistlichen Laufbahn entbunden worden war, versiegen die Quellen zu den folgenden elf Lebensjahren. Vermutet werden für diesen Zeitraum Reisen nach Frankreich, Italien und Spanien, da H. danach entsprechende Sprachkenntnisse aufweisen konnte. Auch ein Kriegsdienst vom Juni 1591 bis 1592 im Heer des ref. Fürsten Christian I. von Anhalt-Bernburg (1568−1630) zur Unterstützung des hugenottischen Kg.s Heinrich von Navarra im Krieg in Frankreich gegen die Liga liegt im Bereich des Möglichen. Als sicher gelten ein mehrjähriger Aufenthalt in der Oberpfalz, damals den rheinischen Wittelsbachern zugehörig, und 1594−98 eine Stellung am Hofe Christians I. von Anhalt-Bernburg, des kurpfälzischen Statthalters von Amberg. Als Beleg gilt die oberpfälzisch geprägte Sprache in H.s Gedichtslg. Schönes Blumenfeldt , die zu einem großen Teil in diesem Zeitraum entstanden sein muss. 1598 wechselte H. in die Prager Kanzlei Ks. Rudolfs II.“ <?page no="298"?> hin, dass Hock in der Reichshofkanzlei in Diensten stand und Fehlin als Schreiber zugeordnet war. Der Rosenberger beschäftigte mit Hock also einen Beamten, der bereits in Diensten der Reichshofkanzlei Erfahrungen als deutscher Sekretär hat sammeln können. Für Fehlin als Widmungsempfänger spricht ferner, dass diese in Prag verfasst worden ist, wo Hock im Auftrag von Peter Wok oftmals Geschäfte zu erledigen hatte. Ein Aufenthalt im Rosenbergschen Palais auf dem Hradschin bot somit die Gelegenheit für ein Wiedersehen mit dem Reichshofkanzleiregistrator, anlässlich dessen er ein Exemplar seiner Gedichtsammlung überreichte. Der Text der Widmung entspricht übrigens in Aufbau und Struktur derjenigen an Ehrenfried von Berbistorff im Breslauer Exemplar des Schönen Blumenfeldts . Der Nennung des Namens folgt ein Einschub, der die Beziehung des Autors zu dem Widmungsempfänger genauer bezeichnet. Bei dem Breslauer Exemplar ist dies der freundlich-vertrauliche Zusatz „Seinem treuherzig Herren Brudern“, bei dem Prager Exemplar der Hinweis „Seinem g[nädigen] Herrn“, was, nach dem Sprachgebrauch der Zeit, auf ein Dienstverhältnis hindeutet. 44 Damit komme ich zu den Auffälligkeiten des Prager Exemplars. Die kritische Edition verzeichnet auch drucktechnische Abweichungen der überlieferten Exemplare. Ich verzichte darauf; die Aufstellung von schlechten oder undeutlichen Aufdrucken, von einzelnen, aus den Zeilen auf- oder abgerutschten Typen liefert, soweit ich sehe, im vorliegenden Fall keine Erkenntnisse, die weitergehende Einsichten in die Geschichte des Drucks eröffneten. Brunhilde Vetters hat in ihrer Dissertation aus dem Jahr 1952 zum lyrischen Werk Hocks die These vertreten, dass die Ausschreibung des Namens „VLRICVS“ ein „Versehen des Druckers“ gewesen sei, weil „dadurch die Andeutung des durch [die nachfolgende Zeile] ausgedrückten Akrostichons plump vorweggenommen“ werde. 45 Hanson argumentiert demgegenüber zwar zu Recht, dass sich der Drucker des Akrostichons „durchaus bewußt“ gewesen sei, ansonsten „hätte er die Buchstaben des Namens nicht genau über die Wortanfänge der Folgezeile gesetzt“; es sei daher anzunehmen, Hock habe „den Namen in seinem Manuskript absichtlich stehen gelassen“. 46 Nun ist bereits in verschiedenen Exemplaren zu erkennen, dass entweder der Name ausgestrichen wurde (wie im Wolfenbütteler Exemplar) oder der Versuch 44 In diesem Sinne definiert noch Adelung die Herren als diejenigen, „deren die Macht zu befehlen, oder die Gewalt über andere fähig ist“ ( Johann Christoph Adelung: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der oberdeutschen. Zweyte, vermehrte und verbesserte Ausgabe. Leipzig 1793-1801, Bd. II, Sp. 1131). 45 Brunhilde Vetters: Studien zum lyrischen Werk Theobald Hocks. [Diss. masch. Wien 1952], S. 111. 46 Blumenfeld (Hanson), S. 348. Buchwissenschaftliche Forschungen zu Theobald Hocks Schönem Blumenfeldt 299 <?page no="299"?> 300 Sikander Singh unternommen wurde, diesen auszuradieren (wie im Münchner Exemplar). Wie der Abgleich mit dem Original in der Bibliothek des Prager Domkapitels bestätigt, wurde die auf Blatt 36 auf der linken Seite vorgenommene Streichung des Wortes „VLRICVS“ mit großer Sicherheit mit derselben Tinte vorgenommen wie die Widmung. Sie stammt somit von Theobald Hock selbst. Diese Streichung macht es daher wahrscheinlich, dass der Name „VLRICVS“ im Manuskript stand, um den Setzer darauf aufmerksam zu machen, das Akrostichon durch eine Auszeichnung der jeweils ersten Buchstaben hervorzuheben. Die Ausschreibung des Namens wäre somit auf die Flüchtigkeit bzw. Unaufmerksamkeit des Setzers zurückzuführen, die in zahlreichen Gedichten des Blumenfeldts zu beobachten ist. Die weiteren Auffälligkeiten des Prager Exemplars fügen sich in die Reihe der Presskorrekturen ein, die Hanson für die Exemplare aus München, Wolfenbüttel, Breslau und London beschrieben hat: Das Breslauer Blumenfeldt bleibt weiterhin das einzige, dessen Titelseite von dem Rudolfinischen Adler geschmückt wird. Die Titelseite des Prager Exemplars ist mit der gleichen schlichten, ornamentalen Vignette verziert, wie die Exemplare aus München, Wolfenbüttel, London und Tepl. Auf Blatt 7, linke Seite, lautet die erste Zeile „List mich mit witz vnd sünnen / “, die Korrektur von „sünnen“ zu „sinnen“, die in den Exemplaren aus Breslau und München vorgenommen wurde, ist hier (noch) nicht vollzogen worden. Auf Blatt 33, linke Seite, lautet die Zeile „Je nähner z Rom / je ärger Christ.“ Die Änderung in „Je nähner z Rom / je besser Christ.“ findet sich also nur in dem Exemplar aus Tepl sowie dem zweiten Berliner Exemplar, das nicht überliefert ist. Auf Blatt 35, rechte Seite, lauten die Zeilen „Ich will offt selbst beym Herrn hoch / || Ehe Bschaidt haben / als beym Schreiber doch.“ Nach „haben“ findet sich eine Virgel, wie in allen Exemplaren, mit Ausnahme des in Breslau verwahrten, in dem Virgel und nachfolgender Buchstabe fehlen. Auf Blatt 43, rechte Seite, lautet die Zeile „SChöns Lieb ich muß dich lassen / “. Die gleiche Verbesserung findet sich in den Exemplaren in Breslau und München sowie dem verlorenen ersten Berliner Exemplar. In allen anderen Exemplaren lautet die Zeile „SOns Lieb ich muß dich lassen / “. Auf Blatt 83, linke Seite, steht, wie beim Breslauer Exemplar, der Kustos „Reissen“. In allen anderen Exemplaren wurde dieser falsche Kustos zu dem im Sinne der Konsequenz korrekten „Der“ verbessert. Diese Presskorrektur ist bedeutsam, weil sie weitergehende Schlüsse auf die Reihenfolge des Druckes ermöglicht. Abgesehen von dem Umstand, dass die Überwachung des Drucks durch Autoren im 17. Jahrhundert noch nicht üblich war, macht die Vielzahl von Fehlern und Unstimmigkeiten im Satz des Blumenfeldts eine Fahnenkorrektur durch den Autor ohnehin unwahrscheinlich. Aber selbst wenn es diese gegeben <?page no="300"?> hätte, wäre Hock der falsche Kustos, der lediglich für das Binden des Buches von Relevanz ist, mit großer Wahrscheinlichkeit entgangen. Auf allen übrigen Seiten des Blumenfeldts wird jeweils das erste Wort der nachfolgenden Seite als Kustos verwandt. Der falsche Kustos wurde also erst beim Falten der Bögen und Binden der Lagen entdeckt, weil er - gemeinsam mit der Bogensignatur (im Fall des Blattes 83 lautet diese „W iiJ“) - der einzige Anhaltspunkt für die Reihenfolge darstellt, in welcher die Seiten zusammengelegt werden mussten. Das Breslauer und das Prager Exemplar sind somit sicher vor den übrigen gedruckt worden oder zumindest wurde der Bogen, auf dem das Blatt 83 sich befindet, zuerst gedruckt. 47 Daraus ergibt sich zusammenfassend und in Übereinstimmung mit den Befunden von Hanson, dass das Breslauer Exemplar zunächst gedruckt worden ist, nachfolgend wurde das Titelblatt vereinfacht und das Prager Exemplar hergestellt, anschließend erfolgten die anderen Presskorrekturen, die es wahrscheinlich machen, dass das Münchner Exemplar vor denjenigen aus London und Wolfenbüttel gedruckt wurde. Zuletzt wurde das Exemplar aus Tepl hergestellt, dessen Kolophon zu „Gedruckt im 1601. Jahr.“ verkürzt wurde. 48 Auf Blatt 26, rechte Seite, lautet die erste Zeile des Gedichts Von der Welt Hoffart und Boßheit „Lachen möchte eins / doch ders recht wolt bedenckt“. Nach „eins“ steht hier eine Virgel, deren untere Hälfte im Wolfenbütteler Exemplar noch zu erkennen ist, die in allen anderen Exemplaren jedoch fehlt. Auf Blatt 50 findet sich, wie in allen Exemplaren, auf der rechten Seite die falsche Seitenzahl: Hier steht „30“ anstatt „50“. Schließlich ist das Kolophon auf dem (nicht nummerierten) Blatt [92] identisch mit den Angaben in den Exemplaren aus Breslau, München, London und Wolfenbüttel, was aber bereits zu dem letzten Punkt meiner Überlegungen überleitet. 47 Vgl. hierzu auch ebd., S. 147f. 48 Vgl. hierzu ebd., S. 153. Buchwissenschaftliche Forschungen zu Theobald Hocks Schönem Blumenfeldt 301 <?page no="301"?> 302 Sikander Singh Breslau London München Tepl Wolfenbüttel Prag Berlin Yh7001 Berlin YH 7002 Titelseite abweichende Randleisten, rudolfinischer Adler mit ornamentaler Vignette mit ornamentaler Vignette mit ornamentaler Vignette mit ornamentaler Vignette mit ornamentaler Vignette mit ornamentaler Vignette mit ornamentaler Vignette Blatt 7 Cap. V „sinnen“ „sünnen“ „Sinnen“ „sünnen“ „sünnen“ „sünnen“ „sünnen“ keine Angabe Blatt 26 Cap. XXVI keine Virgel nach „eins“ keine Virgel nach „eins“ keine Virgel nach „eins“ keine Virgel nach „eins“ unterer Teil der Virgel nach „eins“ erhalten Virgel nach „eins“ Virgel nach „eins“ keine Angabe Blatt 33 Cap. XXXIIII „je ärger Christ.“ „je ärger Christ.“ „je ärger Christ.“ „je besser Christ.“ „je ärger Christ.“ „je ärger Christ.“ „je ärger Christ.“ „je besser Christ.“ Blatt 35 Cap. XXXVII Komma nach „haben“, folg. Buchst. fehlt Komma nach „haben“, folg. Buchst. vorhanden Komma nach „haben“, folg. Buchst. vorhanden Komma nach „haben“, folg. Buchst. vorhanden Komma nach „haben“, folg. Buchst. vorhanden Komma nach „haben“, folg. Buchst. vorhanden keine Angabe keine Angabe Blatt 43 Cap. XLV „SChöns“ „SOns“ „SChöns“ „SOns“ „SOns“ „SChöns“ „SChöns“ „SOns“ Blatt 83 Kustos „Reissen“ „Der“ „Der“ „Der“ „Der“ „Reissen“ keine Angabe keine Angabe Blatt 92 Kolophon „Gedruckt zur Lignitz im Elsas / durch Nickel Schöpssen / 1601.“ „Gedruckt zur Lignitz im Elsas / durch Nickel Schöpssen / 1601.“ „Gedruckt zur Lignitz im Elsas / durch Nickel Schöpssen / 1601.“ „Gedruckt im 1601. Jahr.“ „Gedruckt zur Lignitz im Elsas / durch Nickel Schöpssen / 1601.“ „Gedruckt zur Lignitz im Elsas / durch Nickel Schöpssen / 1601.“ „Gedruckt zur Lignitz im Elsas / durch Nickel Schöpssen / 1601.“ „Gedruckt im 1601. Jahr.“ Verzeichnis der Druckvarianten <?page no="302"?> 3. Erkenntnisse über Druckort und Drucker des Schönen Blumenfeldts Über den Drucker, der das Schöne Blumenfeldt hergestellt hat, sind seit dem Beitrag von Hoffmann von Fallersleben verschiedene Vermutungen angestellt worden. In vier der erhaltenen Exemplare lautet das Kolophon auf dem (nicht nummerierten) Blatt [92], dem Inhaltsverzeichnis nachfolgend: Gedruckt zur Lignitz im Elsas / durch Nickel Schöpssen / 1601. Max Koch hatte in Vorbereitung seiner Neuausgabe aus dem Jahr 1899 die Möglichkeit, das heute nicht mehr erhaltene Berliner Exemplar Yh 7002 einzusehen. 49 Aufgrund seiner Autopsie hält er fest, dass in diesem Exemplar lediglich das Kolophon: „Gedruckt im 1601. Jahr.“ zu finden gewesen sei. 50 Da das Buch als Kriegsverlust zu beklagen ist, ist seine Angabe nicht mehr nachzuprüfen. Allerdings weist das Exemplar, das heute im Prämonstratenser Stift in Tepl aufbewahrt wird, die gleiche Angabe auf, auch hier ist auf die Nennung eines Druckers verzichtet worden. Das Kolophon lautet ebenfalls: „Gedruckt im 1601. Jahr.“ Die offensichtlich unrichtigen Orts- und Namensangaben haben zu verschiedenen Vermutungen geführt, die zwar als mehr oder weniger wahrscheinlich anzusehen waren, jedoch auf keinerlei Tatsachen zu gründen vermochten. 51 Zuletzt hat Hanson einen Hinweis im (handschriftlichen) Katalog der Rosenbergischen Bibliothek, der in der Königlichen Bibliothek in Stockholm aufbewahrt wird, zum Ausgangspunkt einer Überlegung gemacht, die mir ermöglicht hat, die bis heute offene Frage nunmehr abschließend zu beantworten: In dem von Vácslav Brězan angefertigten Verzeichnis findet sich die Anmerkung, das Blumenfeldt sei 1601 in „Brinn“, also Brünn, erschienen. 52 Durch weitergehende Recherchen, vornehmlich in Beda Dudiks Geschichtliche Entwicklung des Buchdrucks in Mähren , gelangt er zu der Vermutung, dass das Schöne Blumenfeldt von dem seit 1601 in Brünn tätigen Drucker Bartholomäus Albrecht Fuhrmann hergestellt worden sei. 53 Er führt hierfür verschiedene Argumente an: 1. Brezan kannte Höck persönlich seit 1601, und der Eintrag in seinem von Hand verfaßten Katalog kann frühestens 1602 erfolgt sein; 2. Brünn ist von Krumau nicht weit 49 Blumenfeld (Koch), S. VII. 50 Ebd., S. VIII. 51 Vgl. die Diskussion zusammenfassend Blumenfeld (Hanson), S. 136-140. 52 Ebd., S. 136; vgl. auch Veselá: Knihy (Anm. 24), S. 279, Nr. 164. 53 Vgl. Blumenfeld (Hanson), S. 136f.; Beda Dudik: Geschichtliche Entwicklung des Buchdrucks in Mähren vom Jahre 1468 bis 1621. Brünn 1879. Buchwissenschaftliche Forschungen zu Theobald Hocks Schönem Blumenfeldt 303 <?page no="303"?> 304 Sikander Singh entfernt, was bei den damaligen Reiseverhältnissen eine Rolle gespielt haben mag; 3. In Brünn hatte sich gerade um jene Zeit der Drucker Bartholomäus Albert Forman niedergelassen, der wahrscheinlich anfänglich zu niedriger Kommission druckte, was bei Höcks ärmlicher Finanzlage in den ersten Jahren am Hofe Peter Woks von Bedeutung gewesen sein dürfte. 54 Aufgrund dieser Überlegungen habe ich nach Drucken aus der Offizin Fuhrmanns gesucht. Christian d’Elvert belegt in seinen Beiträgen zur Geschichte und Statistik Mährens neunzehn Bücher aus den Jahren 1601 bis 1611, von denen im „Verzeichnis der im deutschen Sprachraum erschienenen Drucke des 17. Jahrhunderts“ keiner erfasst ist. 55 Ich habe daher nach einem Druck Fuhrmanns aus dem Jahr 1601 gesucht und fand einen solchen in der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien. Es handelt sich um die acht Seiten umfassende, ohne Verfasserangabe veröffentlichte Schrift Gründtliche vnd Warhafftige Newe zeitung, von eroberung der ansehenlichen Vestung Stul Weissenburgk, wie dieselbe von Ihr Fürstli: Genaden Duca de Mercuri … den 20. Septemb: im 1601. Jahr, eingenommen, die Türcken … nidergehawt, mit … Schatz vnd grosser Beuth erobert vnnd bekommen worden . 56 Auf deren Titelseite steht der Vermerk: „Gedruckt zu Brün / durch Bartolo: Albert: F. Der Druck stammt somit zweifelsfrei aus der Offizin Fuhrmanns. Die Schrift berichtet übrigens von dem siegreichen Feldzug, den Erzherzog Matthias von Österreich im September und Oktober 1601 in Siebenbürgen gegen die Türken unternommen hat. 57 Vergleicht man die Randleiste am Kopf der dritten Seite dieser Schrift mit der Randleiste, die am Kopf der zweiten Seite des Schönen Blumenfeldts (mit der Vorrede „An den getrewen Leser.“) Verwendung gefunden hat, so ist deren Identität festzustellen. Auch die verwendeten Typen sind identisch, wenn man die drucktechnisch bedingte Abweichung individueller Typen berücksichtigt. Nicht zuletzt ist der Holzschnitt des Rudolfinischen Adlers, der die Titelseite des Breslauer Exemplars schmückt, mit dem Adler, der auf der Titelseite der Gründtlichen vnd Warhafftigen Newen zeitung zu sehen ist, deckungsgleich. Die an den Rändern zu erkennenden geringfügigen Verzerrungen entstehen, auch bei der 54 Blumenfeld (Hanson), S. 137f. 55 Christian d’Elvert: Beiträge zur Geschichte und Statistik Mährens und Österreichisch-Schlesiens. Brünn 1854, Bd. I, S. 50. 56 Österreichische Nationalbibliothek Wien, Signatur: 33.K.52. URL: http: / / digital.onb.ac.at/ OnbViewer/ viewer.faces? doc=ABO_%2BZ197423005 (zuletzt aufgerufen am 14. Februar 2018). 57 Vgl. hierzu Johann Baptist Schels: Geschichte der Länder des östreichischen Kaiserstaates. Achter Band: Zeitraum von dem Regierungsantritte des Kaisers Carl V. im Jahr 1519, bis zum Tode des Kaisers Mathias im Jahre 1619. Wien 1826, S. 310f. <?page no="304"?> Verwendung des gleichen Druckstocks, durch den handwerklichen Druckvorgang sowie die unterschiedlichen Papierqualitäten. Was weiß man über den Drucker? Albertus Auriga, wie er genannt wurde, stammte aus dem oberschlesischen Loslau, er „war zunächst Drucker im Prämonstratenserstift Bruck an der Thaya“; in Brünn stellte er „kleinere Drucke her, so v. a. die Beschließungen des Landtages“. 58 In der mährischen Stadt bekleidete er in den Jahren 1605 bis 1610 das Amt eines Schreibers im Stadtamt. Ferner ist interessant, dass er ursprünglich lutherischer Konfession war, aber zum katholischen Glauben konvertierte. Mutmaßlich erfolgte dieser Schritt, um als Drucker erfolgreich zu sein, da diese Tätigkeit ohne die Zustimmung des Bischofs von Olmütz nicht denkbar war. Klaus Hanson macht in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam, dass die in einzelnen Gedichten sichtbar werdende protestantische Tendenz des Schönen Blumenfeldts ein Argument für Fuhrmann gewesen sein mag, das Kolophon zu fingieren. 59 Um seine neu eröffnete Offizin nicht zu gefährden, sah er es als notwendig an, seine Identität zu verschleiern. 58 Christoph Reske: Die Buchdrucker des 16. und 17. Jahrhunderts im deutschen Sprachgebiet. Auf der Grundlage des gleichnamigen Werkes von Josef Benzing. Wiesbaden 2007 [Beiträge zum Buch- und Bibliothekswesen. Bd. 51], S. 135. 59 Blumenfeld (Hanson), S. 138. Buchwissenschaftliche Forschungen zu Theobald Hocks Schönem Blumenfeldt 305 <?page no="306"?> Analysen und Andeutungen 307 Analysen und Andeutungen <?page no="308"?> Vom Lieben und Versemachen - Poetologische Abgrenzungen bei Theobald Hock Stephanie Blum Theobald Hocks Schönes Blumenfeld entsteht in einem Zeitraum, in dem lediglich erste Liederbücher nach italienischer Manier in deutscher Sprache erschienen sind, und gilt als „einzige wirkliche Gedichtsammlung“ sowie als „bewußte[r] Versuch der literarischen Erneuerung.“ 1 Es verwundert daher nicht, dass ein solcher Innovationsanspruch mit poetologischen Reflexionen innerhalb der Gedichte einhergeht - am prominentesten sicherlich in dem programmatischen Gedicht Von Art der Deutschen Poeterey . Doch auch in anderen Gedichten finden sich Verweise auf literarische Vorbilder: „Zwar gibt es auch Anklänge an die ältere deutsche Dichtung, doch vorrangig sind die Orientierung an den europäischen Renaissanceliteraturen und die Forderung der Kenntnis der antiken Sprachen und Literaturen.“ 2 Diese Anknüpfungspunkte geraten jedoch in ein eigentümliches Spannungsverhältnis, denn häufig finden sich auch dezidierte Ablehnungen eben der anderen Sprachen und Literaturen sowie die besondere Hervorhebung des Eigenen im Kontext eines „ausgeprägten deutschen Kulturpatriotismus.“ 3 Ziel dieses Beitrags ist es daher zu untersuchen, wie Hocks poetologische Forderungen aus Abgrenzungsbewegungen gegenüber anderen Nationen, deren literarischen und sprachlichen Traditionen entstehen. Ausgangspunkt bildet das Gedicht Cap. XXII. Was etlichen Völckern für Bulschafften gefallen , für das nach genauer Analyse eine poetologische Lesart vorgeschlagen wird. Über die dort auf amouröser und dann auf poetologischer Ebene stattfindende Abgrenzung von anderen Nationen wird abschließend eine Verbindung zu anderen poetologischen Gedichten hergestellt, die sich ähnlicher Abgrenzungsmechanismen bedienen. 1 Volker Meid: Die deutsche Literatur im Zeitalter des Barock. Vom Späthumanismus zur Frühaufklärung 1570-1740. München 2009 [Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart. Begr. von Helmut de Boor und Richard Newald. Bd. V], S. 105. 2 Ebd., S. 106. 3 Ebd. <?page no="309"?> 310 Stephanie Blum Das Gedicht Cap. XXII. Was etlichen Völckern für Bulschafften gefallen besteht aus sieben strophischen Abschnitten zu je zehn Versen. Über das Reimschema werden die Strophen zusammengehalten, denn jeweils vier Verse bilden einen Kreuzreim, darauf folgt ein Paarreim in der Mitte und abschließend wieder ein Kreuzreim über vier Verse hinweg - allerdings unvollständig, da sich der siebte und neunte Vers nicht reimen. Diese ohne Reimpartner stehenden Verse bilden jedoch eine Besonderheit, denn ab der dritten Strophe ist jeweils im siebten Vers ein Binnenreim vorhanden, sodass die vorangehende Paarreimstruktur hier quasi wiederholt wird. Auch der neunte Vers weist in allen Strophen einen Binnenreim und somit einen Ersatz für das fehlende Reimwort am Versende auf. Diese elaborierte Struktur entspricht der Tendenz des gesamten Gedichtbandes und bestätigt, dass sich Hock „bei seinen Reimen tatsächlich mit wenigen Ausnahmen an ganz bestimmte Regeln gehalten hat.“ 4 Das Gedicht folgt keiner regelmäßig alternierenden Metrik, doch es lassen sich dreibis vierhebige, meist jambische Verse ausmachen. Die Sprechinstanz berichtet in den ersten fünf Strophen in allgemeiner Form von den amourösen Vorlieben verschiedener Personengruppen. Erst in der vorletzten Strophe tritt der Sprecher als Ich auf und grenzt sich von den zuvor geschilderten Positionen ab, um dann in der letzten Strophe wieder zu allgemeinen Aussagen über die Nachteile der Meisterschaft zu kommen. Das Gedicht beginnt mit einer direkten Leseranrede als Aufforderung zur Aufmerksamkeit: „HOert an.“ 5 Es wird ein Inhalt angekündigt, der als „wunderlich Humor“ bezeichnet wird. Das in lateinischen Lettern gedruckte „Humor“ ist hier jedoch weniger im Sinn von „Launen“ 6 oder gar als „lustige Geschichte“ 7 zu verstehen, sondern ein Rückgriff auf die sogenannte Säftelehre. Auf diese Bedeutung von „Humor“ im Frühneuhochdeutschen verweist Christa Baufeld im Kleinen frühneuhochdeutschen Wörterbuch : humor M. Feuchtigkeit, Saft (Nach Auffassung der antiken und mittelalterlichen Medizin existieren im menschlichen Körper vier Kardinalsäfte, die den vier Elementen entsprechen, ihre Qualitäten / Merkmale besitzen und durch ihre spezielle Mischung das Temperament des Menschen bestimmen. 8 4 Blumenfeld (Hanson), S. 108. 5 Ebd., S. 282. 6 Ebd., S. 286: „Humor ist in den Fremdwörterlexika der Zeit (Roth, Wis) nicht belegt. Vetters (74) meint, es bedeute soviel wie Launen.“ 7 Theobald Hock: Schönes Blumenfeld. Ausgewählte Gedichte. Frühneuhochdeutscher Text mit einer Version in moderner Schreibweise. Hrsg. von Bernd Philippi/ Gerhard Tänzer. Saarbrücken 2007, S. 51. 8 Christa Baufeld: Kleines frühneuhochdeutsches Wörterbuch. Lexik aus Dichtung und Fachliteratur des Frühneuhochdeutschen. Tübingen 1996, S. 132. <?page no="310"?> Vom Lieben und Versemachen - Poetologische Abgrenzungen bei Theobald Hock 311 Auch im Grimmschen Wörterbuch ist diese ältere Bedeutung vermerkt: humor war in der natur- und heillehre des mittelalters auch auf die feuchtigkeit, den saft im innern des menschen bezogen: naturlich feuchtigkeit, […] und da mit der beschaffenheit dieses saftes die menschliche art als eng zusammenhängend gedacht ward, so nahm das wort diesen letzteren sinn an. 9 Sujet des Gedichtes ist also diese laut der Säftelehre naturgegebene Beschaffenheit der Menschen in Liebesdingen, die hier nach „Völkern“ aufgeteilt präsentiert wird. In den ersten drei Strophen werden Franzosen, Spanier und Italiener in Sachen Liebe charakterisiert, wozu nationale Stereotype genutzt werden. Zuerst widmet sich der Sprecher den Franzosen: „D Frantzösen die Lilien / Auff dMaidlein lustig hien“ ist im Dativ zu verstehen, in dem Sinne, dass den Franzosen die von der Lilie symbolisierte Jungfräulichkeit gefällt. Es folgt ein Nebensatz, der die Jungfräulichkeit genauer bestimmt, da die „Maidlein“ auf sie „lustig hien.“ Das Verb „hienen“ ist eine Form von „heinen“, was so viel heißt wie „hegen, schützen, hüten.“ 10 Die beschriebenen Mädchen schützen also ihre Jungfernschaft, jedoch mit der Einschränkung „lustig“, die durchaus sexuelle Bereitschaft signalisiert. Zu dem so entstehenden Widerspruch trägt auch die Beschreibung im nächsten Vers bei, laut der die Mädchen „in dem schein / fürwitzig sein.“ Die Mädchen geben sich also keusch und scheinen sittsam, sind aber gleichzeitig neugierig auf sexuelle Erfahrungen und haben ein „Leichtfertigs Gemüth vnd Sinn.“ Diese Diskrepanz zwischen Schein und Sein findet sich auch in der Beschreibung der von den Spaniern bevorzugten Frauen, die in der zweiten Strophe folgt. Sie sollen einerseits „schambhafft“ sein, ebenso „Holdselig vnd ohn argelist“, aber andererseits auf die Werbung der Männer eingehen: „Vnd wil doch gern / den Bueler gwern / Jn liebes dienst vnd Spill.“ 11 Auf ähnliche Weise werden die in der folgenden Strophe beschriebenen Frauen charakterisiert, die von den Italienern bevorzugt werden: „Die sich fest wert zu Liebes Krieg / Flicht vnd lest sich von fernen / Doch sehen vnd auch reitzet.“ Hier entsteht die Spannung ebenfalls aus einem Spiel von Abwehr und Lockung seitens der Frauen. Im folgenden Vers, „Damit baß werdt erbaitzet“, wird der Effekt dieses Spiels beschrieben, denn die Frauen fordern regelrecht zu ihrer Jagd heraus. 12 Die 9 Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm, 16 Bde. in 32 Teilbänden. Leipzig 1854-1961, Bd. X, Sp. 1906. 10 Ebd., Bd. X, Sp. 886. 11 Blumenfeld (Hanson), S. 283. 12 Klaus Hanson verweist auf den Begriff „erbaitzet“, der im Kontext der Jagd so viel wie erjagt oder gehetzt bedeutet. Vgl. ebd., S. 287. <?page no="311"?> 312 Stephanie Blum Strophe endet mit dem Rat des Sprechers, sich als Anfänger in Liebesdingen eine solche Frau zum Lernen zu suchen: „Der Bueler / ein Schueler / Sey / vnd das Handwerck lern / Mit jhr fach an / biß daß er kan.“ In der vierten und fünften Strophe widmet sich die Sprechinstanz den Deutschen und unterscheidet zunächst zwischen dem, „der nie gwandert auß“, und dem, „Der aber gewandert ist ein weil.“ Die Frage nach den Vorlieben in Sachen Liebe wird hier mit dem persönlichen Erfahrungshorizont respektive der Weltkenntnis verbunden. Ersterer wird daher als eher uninspiriert geschildert: Er liebt „Zur noth / vnd nit zum lust“ und „braucht“ eine gleichgesinnte Frau, die „jhm kein dienst versagt“ sowie „Von hertzen / thut schertzen.“ Die Beschreibung bildet einen Kontrast zu den Frauenfiguren, die zuvor geschildert wurden. Während deren Widerstand erst überwunden werden muss, ist das weibliche Ideal des unbewanderten Deutschen unverstellt und gleichermaßen am Geschlechtsverkehr interessiert. Diese Form der Liebe wird nicht als höfisches Spiel, sondern als Notwendigkeit aufgefasst, die „Zur noth“ betrieben wird. Die auf diese Weise von beiden Seiten gewollte Vereinigung hat positive Effekte auf sowohl den Körper als auch den Geist des Mannes: „Ein solche Diern / jhm sterckt das Hirn / Vnd ist seim Leib gar recht.“ Eine erneute Kontrastwirkung setzt in der folgenden Strophe ein, wo die Vorlieben des bewanderten Deutschen mit „aber“ eingeleitet werden. Dessen Beschreibung knüpft wiederum an die vorherigen Schilderungen der romanischen Gepflogenheiten an, da er auf seinen Reisen „frembde Griff“ „glernt“ hat und das Spiel der Liebe zu betreiben „weiß.“ Er hat also gelernt, „wie man der Venus Pfeil / Schiest“ und den Widerstand der Frauen bricht, denn er „Kan spielen / mit willen / Auff allerley Manier.“ Mit der Proklamation „Jch aber“ leitet der Sprecher in der vorletzten Strophe wiederum seine eigene Abgrenzung von diesem Liebeskonzept ein. Er „möcht’ der keine haben“, distanziert sich also von den Meistern der Verführung, die zuvor geschildert wurden. Stattdessen bevorzugt er eine gegenseitige Liebe, die in den folgenden Versen durch den Chiasmus „die gegen mir“ - „ich gegen jhr“ und das Wort „gleich“ verdeutlicht wird: „Allein die gegen mir auch / Wie ich gegen jhr gleich Lieb thet tragen / Auß rechtem Gmüth vnd brauch.“ Da die gegenseitige Zuneigung aus „rechtem Gmüth vnd brauch“ herrührt, wird sie sowohl persönlich als auch gesellschaftlich legitimiert. Es folgt eine weitere Legitimierung, denn in den nächsten Versen beschreibt das Ich, dass auch die „Maidlein“ keine Meisterschaft, sondern „gerner / die Lehrner / Vnd Schueler in dem fahl“ bevorzugen. Nachdem bislang nur die Vorlieben der Männer und ihr ideales Frauenbild geschildert wurden, rückt hier erstmals weibliches Begehren in den Fokus. Durch das Verb „wollen“ wird die weibliche Perspektive als aktiv dargestellt. Allerdings dient diese Verschiebung der Sichtweise im Rahmen des <?page no="312"?> Vom Lieben und Versemachen - Poetologische Abgrenzungen bei Theobald Hock 313 Gedichts keineswegs zur Ermächtigung der Frau, sondern zur Betonung der zuvor durch den Sprecher geforderten Gegenseitigkeit. In der letzten Strophe wird durch mehrere Metaphern die Absage an eine Meisterschaft in Liebesdingen illustriert. Sowohl „die gutten Fechter“ 13 als auch „die gutten Schwimmer“ und „die gutten Raiter“ sind vor schweren Verletzungen oder gar vor dem Tod nicht sicher. Ihr anaphorischer Beginn verbindet diese Verse auch lautlich miteinander, die anschließend genannten „Springer vnd Ringer“ knüpfen ebenfalls an Bildfelder der körperlichen Ertüchtigung an. Hanson erwähnt den Sprichwort-Charakter dieser Verse und verweist auf Quellen, die dem Vers „Die gutten Schwimmer vnuerhofft / Ertrincken offt so schwer“ zugrunde liegen. Das Sprichwort, dass gute Schwimmer gern ertrinken, ist unter anderem bei Martin Luther verbrieft. 14 Aber auch ältere, lateinische Ursprünge lassen sich nachweisen. 15 Ebenso gehen Hocks Verse über die „gutten Fechter“, die „gmeinigklich offt / Werden erschlagen ohn (gfahr)“, auf tradierte Sprichwörter zurück, die unter anderem bei Hans Sachs und in den sogenannten Freidank-Predigten nachgewiesen sind. 16 Der Rückgriff auf solch bekannte Sprüche hat hier legitimierenden Charakter, da die Argumentation des Sprechers durch die gängigen Volksweisheiten unterstützt wird. Darüber hinaus entstammen die genannten sportlichen Disziplinen der höfischen Kultur, denn Fechten, Schwimmen, Reiten, Ringen und Springen gehören zur Ausbildung junger Adeliger auf den sogenannten Ritterakademien der Frühen Neuzeit. 17 Dort bildet sich auch eine neue Einstellung zum Körper heraus, denn die Praxis der Sportarten gilt zunehmend als „Demonstration[] des Könnens und der Eleganz.“ 18 Da in dem Gedicht das Liebesspiel mit Sportmetaphorik verbunden wird, liegt das tertium comparationis neben der Körperlichkeit vor allem in der Form des damit assoziierten physischen Könnens - eben der Meisterschaft. Doch das Gedicht endet mit einer Pointe, denn in einer Reihe mit den zuvor genannten Sportlern ereilt auch „Die Bueler“ ein körperliches Leid 13 Ebd., S. 284. 14 Vgl. ebd., S. 288. 15 Vgl. Thesaurus Proverbiorum Medii Aevi. Lexikon der Sprichwörter des romanisch-germanischen Mittelalters. Begründet von Samuel Singer. Hrsg. vom Kuratorium Singer der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften. Bd. X: Schaf-sollen. Berlin und New York 2000, S. 350f. 16 Vgl. Thesaurus Proverbiorum Medii Aevi. Lexikon der Sprichwörter des romanisch-germanischen Mittelalters. Begründet von Samuel Singer. Hrsg. vom Kuratorium Singer der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften. Bd. VI: heilig-Kerker. Berlin und New York 1998, S. 420. 17 Vgl. Wolfgang Behringer: Kulturgeschichte des Sports. Vom antiken Olympia bis zur Gegenwart. München 2012, S. 162f. 18 Ebd., S. 137. <?page no="313"?> 314 Stephanie Blum „zulohn“ für ihre Meisterschaft in Sachen Liebe: Sie sterben zwar nicht direkt, aber „kriegen zletzt zulohn / DFrantzosen für jhr Glück.“ Hock spielt hier auf die Syphilis an, für die der Begriff ‚Franzosen‘ oder ‚Franzosenkrankheit‘ in der Frühen Neuzeit verbreitet war. 19 Diese Pointe suggeriert zwar einen Zusammenhang zwischen dem Sexualverhalten und der Krankheit, aber auch weitere Kausalitäten spielen im Kontext der Gesamtargumentation eine Rolle. So können die Ursachen für die Krankheit im Körperverständnis der Frühen Neuzeit vielfältig sein: „Neben Badestubenbesuchen und dem Stillen von Kleinkindern wurde der Aufenthalt in fremden Ländern unter ungewohnten klimatischen Bedingungen von einigen Supplikanten als unmittelbare natürliche Ursache für die eigene Franzosenkrankheit gedeutet.“ 20 Die Krankheit ist nicht nur als Ergebnis eines promiskuitiven Verhaltens auf dem Weg zur Meisterschaft zu deuten, sondern kann auch durch Reisen in die Fremde verursacht werden. Denn dadurch kommt es zu einer Verschiebung der Körpersäfte und zu einem Verlust des natürlichen Gleichgewichtes: Jeder Mensch verfügte über eine ganz individuelle Mischung dieser Elemente und Qualitäten, denen darüber hinaus noch die vier Körpersäfte (Blut, gelbe und schwarze Galle, Schleim) zugeordnet wurden. Diese ganz ‚persönliche Mixtur‘, mit der jeder Mensch geboren wurde, war sein ‚Temperament‘ oder seine ‚Komplexion‘. Jede Gleichgewichtsverschiebung der Komplexion brachte die Gefahr einer Erkrankung des jeweiligen menschlichen Körpers mit sich. 21 Über den Verweis auf die Krankheit wird in dem Gedicht der Kreis zu den eingangs als „Humor“ angesprochenen Körpersäften geschlossen. In diesem Zusammenhang lässt sich die Positionierung des Ichs auf Seiten der im wörtlichen und übertragenen Sinne unbewanderten Liebhaber auch als Positionierung zugunsten des eigenen Temperaments lesen. Der Bezug auf diese sogenannte Temperamentenlehre wird in dem Gedicht mit nationalen Stereotypen verbunden. Unter Rückgriff auf wiederentdeckte Schriften des griechischen Arztes Galenos von Pergamon (dt. Galen) gilt die Lehre von den Säften als ein Leitgedanke der frühneuzeitlichen Anthropologie, der auch die Vorstellung von Nationen beeinflusst: „Körperbau und Klima, Nahrung und Habitus gehören zu den humoralpathologischen Beobachtungsfeldern. […] Auf die Darstellung der Nationen blieben diese Verbindungen nicht 19 Vgl. Claudia Stein: Die Behandlung der Franzosenkrankheit in der Frühen Neuzeit am Beispiel Augsburgs. Stuttgart 2003 [Medizin, Gesellschaft und Geschichte. Bd. XIX], S. 12. 20 Ebd., S. 188. 21 Ebd., S. 49. <?page no="314"?> Vom Lieben und Versemachen - Poetologische Abgrenzungen bei Theobald Hock 315 ohne Auswirkung.“ 22 So werden häufig „nationale Differenzen aus Säfteverhältnissen“ heraus erklärt und es entstehen sogenannte Merkmalskataloge mit traditionsbildenden Zuschreibungen. 23 Die Typisierungen werden zur Bildung von Kontrasten zwischen den Nationen eingesetzt, aber auch um bestimmte Nationen oder Völker anhand ihrer Ähnlichkeiten zu Gruppen zusammenzufassen. 24 Auch in dem Gedicht lassen sich die Vorlieben der romanischen Männer zu einer Gruppe verbinden, denen die Präferenzen des ungereisten Deutschen und des sprechenden Ichs entgegenstehen. In dem Gedicht findet darüber hinaus eine Verknüpfung der humoralpathologisch begründeten Vorlieben mit petrarkistischen Motiven statt. So wird der „Liebes Krieg“ 25 als petrarkistischer Topos in der dritten Strophe wörtlich genannt und mit der Abwehr von Seiten der Frau verbunden. Zu diesem Motivkomplex gehören auch die Elemente der Flucht und der Jagd, die in den folgenden Versen aufgegriffen werden. Zwar erfolgt die Darstellung der Geliebten ohne die typische detaillierte Schönheitsbeschreibung, aber durchaus präsent ist das petrarkistische Motiv der strahlenden Augen, die durch ihre Blitze die Liebesglut anfachen. So heißt es bei der Beschreibung der spanischen Frau: „Da Venus mit Begier / Jhr auß den Augen schier / Herbriendt.“ 26 Insgesamt ist die ambivalente Beschreibung der Frauen zwischen Abwehr und Begehren als „antinomisches Verhältnis“ zu sehen, 27 wobei hier jedoch eine Verschiebung der Perspektive vorliegt: Die in petrarkistischer Tradition dominante Ich-Aussprache wird nach außen verlagert, indem ein Sprecher das Verhältnis der Liebenden beschreibt und dazu Stellung bezieht. Dadurch fallen typische Elemente, wie beispielsweise die qualvolle Klage oder die Schmerzensliebe, die an die Perspektive des Liebenden gebunden sind, weg. Schon konzeptionell rekurriert das Schöne Blumenfeldt auf die Lyrik des Italieners Francesco Petrarca, denn Hanson merkt an, dass die Gedichte „in Anlehnung an Petrarca als ‚Capitel‘ deklariert[…]“wurden. 28 Auf solche intertextuellen Bezugnahmen zum Petrarkismus verweist auch Gerhart Hoffmeister in seiner Standardeinführung Petrarkistische Lyrik aus dem Jahr 1973. In dem Kapitel „Volkssprachliche Lyrik vor Opitz“ erwähnt er, dass sich Hock im Schö- 22 Franz M. Eybl: Typus, Temperament, Tabelle. Zur Systematik der Völkerstereotypen. In: Miroslawa Czarnecka/ Thomas Borgstedt/ Tomasz Jablecki (Hrsg.): Frühneuzeitliche Stereotype. Zur Produktivität und Restriktivität sozialer Vorstellungsmuster. Bern 2010 [Jahrbuch für internationale Germanistik. Bd. 99 A], S. 29-43, hier S. 31. 23 Ebd. 24 Vgl. ebd., S. 33f. 25 Blumenfeld (Hanson), S. 283. 26 Ebd., S. 282f. 27 Gerhart Hoffmeister: Petrarkistische Lyrik. Stuttgart 1973, S. 25. 28 Blumenfeld (Hanson), S. 2. <?page no="315"?> 316 Stephanie Blum nen Blumenfeldt in Cap. I. auf Petrarcas Eingangssonette bezieht, die er dort „frei wiedergibt“, und dass in dem Gedichtband „aber auch sonst zahlreiche Petrarca-Echos anklingen und nicht nur ein Sonett bearbeitet wird.“ 29 Er schließt darauf, dass „Hock der Canzoniere tatsächlich vorlag“ und verweist diesbezüglich auf die Dissertation von Erika Kanduth aus dem Jahr 1953. Kanduth untersucht dort mehrere intertextuelle Bezugnahmen Hocks auf Petrarca und formuliert abschließend „den Eindruck, Höck habe hier seine Kenntnis vom Canzoniere dazu benutzt, um sich gegen Petrarca (vielleicht auch gegen die zeitgenössische Liebeslyrik, die schon dem Petrarkismus huldigte) auszusprechen.“ 30 Insgesamt zieht sie das Fazit, dass sich zwar eine Wirkung Petrarcas auf Hocks Dichtung nachweisen lasse, doch diese nicht unbedingt den ‚Charakter‘ seiner Lyrik prägte - womit die formal-sprachliche Gestaltung der Gedichte gemeint ist. 31 Auch Hoffmeister kommt zu dem Schluss, dass „Hock überhaupt in dem Sinne eine antipetrarkistische Haltung einnimmt, als er dem erotischen Spiel der Renaissance grundsätzlich negativ gegenübersteht.“ 32 Zu diesen beiden Thesen lässt sich auch der Tenor des untersuchten Gedichts einordnen, da sich der Sprecher ebenfalls von der Meisterschaft des Liebeskriegs und Liebesspiels lossagt: Der Liebe als performatives Spiel des höfischen Werbens, der Abwehr und Lockung, der Nähe und Distanz, wird eine Absage erteilt zugunsten einer „gleich Lieb“ 33 auf beiden Seiten, die „Lehrner / Vnd Schueler“ vor Könnern bevorzugt. Der Bezug Hocks auf die petrarkistische Tradition ermöglicht eine poetologische Lesart des Gedichts. Denn die Abgrenzung des Sprechers in Sachen Liebe lässt sich auch auf die Dichtung übertragen - genauer auf die petrarkistische Liebesdichtung. Die Nachahmung Petrarcas beginnt im 15. Jahrhundert in Italien und weitet sich im 16. Jahrhundert auf Frankreich, England, Spanien und Portugal aus, auch in deutscher Sprache setzt dann langsam eine Auseinandersetzung damit ein. Durch die Auswahl eben der Länder Frankreich, Spanien und Italien rekurriert Hock auf die petrarkistischen Zentren, in denen die produktive Rezeption Petrarcas einen großen Beitrag zur Etablierung der volkssprachigen Literatur in den romanischen Sprachen leistete. Das Gedicht nimmt eine Verortung der „Teutschen“ in diesem Zusammenhang vor, denn Hock argumentiert zugunsten eines eigenen deutschen Modus in Abgrenzung von den romanischen Vorlieben. Er stellt seinen Sprecher auf Seite des nicht-gereisten, ungelernten Liebhabers - auf die (Liebes-)Dichtung übertragen bedeutet dies 29 Ebd., S. 62. 30 Erika Kanduth: Der Petrarkismus in der Lyrik des deutschen Frühbarock. Vorbereitung, Entwicklung, Auswirkungen. Wien 1953, S. 137. 31 Vgl. ebd., S. 137-139. 32 Hoffmeister: Petrarkistische Lyrik (Anm. 27), S. 62. 33 Blumenfeld (Hanson), S. 283. <?page no="316"?> Vom Lieben und Versemachen - Poetologische Abgrenzungen bei Theobald Hock 317 eben keine Orientierung an den literarischen Mustern anderer Nationen und an deren Meisterschaft. Sieht man den Petrarkismus als „europäischen Gründungsmythos“, wie der Titel eines 2011 erschienenen Sammelbandes postuliert, so lässt sich auch aus seiner Ablehnung literarisches Potential gewinnen. Denn der Petrarkismus als „kulturproduktiver und kulturreflexiver Diskurs“, der „eine identitätsstiftende Kraft für ganz Europa hat“, 34 erweist sich auch bei Hock als kulturproduktiv: Das Gedicht entsteht aus der Auseinandersetzung mit dem Petrarkismus und auch andere Gedichte Hocks greifen auf Themen und Motive sowie auf konkrete Prätexte aus dem Canzoniere zurück. Kulturreflexiv ist dieser Rekurs insofern, als in dem Gedicht der Petrarkismus durch den Sprecher reflektiert und gegen dessen eigenes Gegenmodell einer beiderseitigen, dilettantischen Liebesauffassung ausgespielt wird. Dieses Potential des Eigenen lässt sich wiederum auf die Dichtung übertragen, die sich - wie der unbewanderte Liebhaber - am volkssprachigen „Teutschen“ orientieren und dies der Nachahmung der romanischen „Groß Maister“ vorziehen soll. Hierbei rückt die Betonung des Eigenen einer „teutschen“ Kultur in Abgrenzung zu den romanischen Kulturen in den Fokus. Identitätsstiftend ist der Rückgriff auf den Gründungsmythos insofern, als eigene Identität aus der Abgrenzung, aus dem Gefühl der Alterität heraus, gewonnen wird. Das Gedicht vollzieht also Abgrenzungsbewegungen unter Rückgriff auf zwei Topoi, denn die humoralpathologisch bedingten Vorlieben in Sachen Liebe und der Petrarkismus werden miteinander verbunden. Solche Denkmuster wie die der Nationalcharaktere werden in der Frühen Neuzeit als „Ordnungsbegriffe“ eingesetzt: Wenn Autoren der Frühen Neuzeit Nationalcharaktere als Ordnungsbegriffe einsetzen, handeln sie im Vorfeld späterer historischer und geographischer Einteilungen, aus deren Perspektive Nationen als komplexe, genetisch zu rekonstruierende, individuelle Kultureinheiten die Menschheitsgeschichte und die Vielfalt der kulturellen Phänomene strukturieren und das Erscheinungsbild von Einzelpersonen mitbestimmen. […] Einen Bedarf an zuverlässigen Nationalcharakterkenntnissen melden zeitgenössische Stimmen an, wenn es gilt, ein hohes Maß an Kontingenz zu bewältigen. 35 34 Michael Bernsen/ Bernhard Huss: Vorwort der Herausgeber. In: dies. (Hrsg.): Der Petrarkismus - ein europäischer Gründungsmythos. Göttingen 2011, S. 7-13, hier S. 7. 35 Martin Disselkamp: Nationalcharaktere als Kriterien historischer Wahrheit. Zu Bodins „Methodvs ad facilem historiarum eocnitionem“. In: Miroslawa Czarnecka/ Thomas Borgstedt/ Tomasz Jablecki (Hrsg.): Frühneuzeitliche Stereotype. Zur Produktivität und Restriktivität sozialer Vorstellungsmuster. Bern 2010 [Jahrbuch für internationale Germanistik. Bd. 99 A], S. 45-65, hier S. 46f. <?page no="317"?> 318 Stephanie Blum Gerade der Aspekt der Kontingenzbewältigung erweist sich im literarhistorischen Kontext des Schönen Blumenfeldts auf mehreren Ebenen anschlussfähig, gilt doch die Frühe Neuzeit allgemein „als Schwellenepoche und Phase des dynamischen Zwischen- oder Vorzustands.“ 36 Ein solcher Zustand der Unsicherheit lässt sich vor allem an der Frage nach nationaler Identität festmachen, da Deutschland als Nation im heutigen Sinne nicht existent war: „‚Deutschland‘ im Sinne eines festen geographischen oder gar staatlich verfassten Gebildes gab es in der Frühen Neuzeit nicht. […] ‚Teutschland‘ oder das ,teutsche Reich‘ blieb eine gelehrte Konstruktion, eine Sache der narrativen und damit rhetorischen Geschichtsaufbereitung.“ 37 So lassen sich die Versuche, Deutsch als Literatursprache zu etablieren, auch als Projekte einer nationalen Einigung verstehen. Die über Nationalcharaktere erfolgenden Abgrenzungen des Sprechers in Hocks Gedicht sind in dieser Umbruchsphase der Dichtung typische rhetorische Verfahren: „Virulent für das nationale Selbstbewusstsein der deutschen Gelehrtenwelt war die Konkurrenz mit den romanischen Ländern.“ 38 Über die Antithese dient das rhetorische Stilmittel der Nationalcharaktere als Kontrastfolie zum Eigenen und konstruiert Identität über eben diese Abgrenzungsbewegung. Darüber hinaus wirken solche Ordnungsmuster auch als Verhaltenshilfen, beispielsweise in politischen, aber auch in literarischen Zusammenhängen, und fußen hierbei ebenfalls auf Elementen der Rhetorik: „Die Wurzeln solcher Ratschläge liegen in der rhetorischen Aptum -Lehre. Das Zusammenspiel von Rhetorik und Rücksicht auf die Nationalcharaktere waren den Zeitgenossen bekannt.“ 39 Der Rückgriff auf Nationalcharaktere lässt sich also zur rhetorischen Kategorie des aptums oder decorums einordnen, das die Angemessenheit der Gestaltung beschreibt. Diese ist einerseits auf das Verhältnis von Text und Publikum bezogen, andererseits aber auch auf den Zusammenhang von Sujet und sprachlicher Gestaltung: Man soll seinen Text so gestalten, dass res und verbum - Rede und Gegenstand - in angemessenem Verhältnis zueinander stehen. Das Gedicht thematisiert diese Angemessenheit auf Inhaltsebene, indem das sprechende Ich Partei für den unbewanderten „Teutschen“ ergreift. Die daraus abzuleitende poetologische Aussage fordert eine Anpassung der deutschsprachigen Liebesdichtung an den eigenen Nationalcharakter und eben nicht an die petrarkistische Tradition, die den romanischen Völkern zugeschrieben wird. Hock schafft durch die Abgrenzungsbewegung von eben diesen „anderen“ Charakteren eine Betonung des ‚Eigenen‘ und richtet sich an ein Publikum, das sich darin wiedererkennen kann. 36 Andreas Keller: Frühe Neuzeit. Das rhetorische Zeitalter. Berlin 2008, S. 14. 37 Ebd., S. 164. 38 Ebd., S. 166. 39 Ebd., S. 47. <?page no="318"?> Vom Lieben und Versemachen - Poetologische Abgrenzungen bei Theobald Hock 319 Auch in weiteren poetologischen Gedichten Hocks werden solche Abgrenzungen von anderen Nationen vollzogen, was nun an exemplarischen Passagen gezeigt werden soll. In dem Gedicht Cap. V. An den Leser adressiert ein sprechendes Ich eben jenen titelgebenden Leser und reflektiert über dessen ideale Lektüren. Nach der Nennung vieler literarischer Beispiele heißt es in den letzten beiden Strophen: Denn es ist gwiß das frembde Zungen / Die Jugendt lieber lehrnt auch vngezwungen / Wo Possen man thut treiben / Vnd sonderlich von schönen Frawen vnd Weiben / Wo Mundt zu Mundt sich füget/ Die Sprach sich leichter jebet. (Darumb) liß mich wirst spüren / Das allerley Materi man kan führen / Ins Deutsch so wol vnd artlich / Als in das Wällisch vnd Frantzösisch zärtlich / Straff nit mein müh vnd sachen / Du käns denn besser machen. 40 Die „frembden“ Sprachen werden hier über den ungezwungenen Umgang beider Geschlechter miteinander verbunden. So wird der gängige Liebesdiskurs mit Fremdsprachen verknüpft, genauer mit den in der folgenden Strophe als „zärtlich“ beschriebenen romanischen Sprachen Italienisch und Französisch. Ihnen setzt der Sprecher die Aufforderung entgegen, „allerley Materi“, also auch die Liebesdichtung, „Ins Deutsch“ zu übertragen. Hanson kommentiert die Schlussverse folgendermaßen: „Den Abschluß seiner Ausführungen bildet dann derselbe Gedanke, den er auch in Cap. 19 vertritt, nämlich, daß man im Deutschen ähnlich gut wie im Italienischen oder Französischen seine Gedanken zum Ausdruck bringen kann.“ 41 Diese Deutung ist jedoch zu allgemein, betrachtet man die Verse als Abschluss einer Gesamtargumentation. Durch die zahlreichen Verweise auf deutschsprachige Dichtung in den vorangehenden Strophen kann es hier nicht um den Ausdruck von Gedanken auf allgemeiner Ebene gehen, sondern um Literatur. Denn der Sprecher tritt als Dichter auf und bittet die titelgebenden Leser um Verständnis für seine volkssprachigen Versuche: „Straff nit mein müh vnd sachen.“ Während diese in Cap. XXII. mit einer Abgrenzung verbunden sind, ist hier eher von einem Anknüpfen an die fremdsprachige Dichtung im Sinne einer imitatio die Rede. 40 Blumenfeld (Hanson), S. 198. 41 Ebd., S. 203. <?page no="319"?> 320 Stephanie Blum Auch Hocks bekanntestes poetologisches Gedicht Cap. XIX. Von Art der Deutschen Poeterey setzt sich mit der Dichtung, ihrer Sprache und dem Verhältnis zu anderen Sprachen auseinander. Besonders betont wird im Titel das Adjektiv „Deutsche“, wie Eckehard Czucka in seiner Studie zu dem Gedicht ausführt: Der Titel des Gedichts […] enthält eine deutliche Anspielung auf die Bezeichnung, die sich seit Quintilian für die ‚Epistula ad Pisones‘ des Horaz eingebürgert hat: ‚De arte poetica‘. Die Assonanz ‚de arte‘ - ‚Art‘ wird auch durch etymologisch nicht unbegründete Vermutungen gestützt. Die Wortwahl selbst setzt einen anderen Akzent: während ‚ars poetica‘ Dichtkunst meint, differenziert Höcks Titel in der Weise, daß er über die Art (i. e. die Eigentümlichkeit, Beschaffenheit) der Deutschen Poeterey spricht. 42 Der Titel vollzieht also zunächst einen Traditionsbezug und knüpft an einen der wirkungsmächtigsten Texte der europäischen Literaturgeschichte an. Dann jedoch erfolgt eine Abgrenzungsbewegung, indem das Besondere eben der deutschen Dichtkunst betont wird. Dieses fast schon dialektisch anmutende Verfahren setzt sich in den ersten Strophen fort. So verweisen die Anfangsverse direkt auf das besondere Verhältnis der Deutschen zu anderen Sprachen: DJe Deutschen haben ein bsonder art vnd weise / Daß sie der fremden Völcker sprach mit fleisse / Lernen vnnd wöllen erfahrn / Kein müh nicht sparn / Jn jhren Jahren. 43 Dieses ist zunächst positiv besetzt, da das Erlernen der Sprachen mit Fleißarbeit und Wissensdurst verbunden wird. Der Sprecher findet es „hoch zloben“ und betont, dass es die „geschickligkeit“ der Deutschen zeige. Erst in den folgenden Versen meldet er Bedenken an: „Wenn sie nur auch jhr eygene Sprachen / Nit vnwerth machen / Durch solche sachen.“ Nach diesem Einwand kommt der Sprecher von der Sprache allgemein zur Dichtung, durch die andere Nationen Ruhm erwerben konnten, weil sie „in der Mutter Zungen“ geschrieben haben. 44 Czucka fasst diesen ersten Argumentationsschritt wie folgt zusammen: Den Str. I-V ist ein Mitteilungssubstrat scheinbar ohne besondere Schwierigkeiten abzuziehen, das vielleicht so lauten könnte: die Neigung der Deutschen, fremde Sprachen zu lernen, werde dann problematisch, wenn sie mit der Herabsetzung der eige- 42 Eckehard Czucka: Poetologische Metaphern und poetischer Diskurs. Zu Theobald Höcks „Von der Art der Deutschen Poeterey“ (1601). In: Neophilologus. An International Journal of Modern and Mediaeval Language and Literature 71.1 (1987), S. 1-23, hier S. 10f. 43 Blumenfeld (Hanson), S. 263. 44 Ebd., S. 264. <?page no="320"?> Vom Lieben und Versemachen - Poetologische Abgrenzungen bei Theobald Hock 321 nen Sprache einhergehe, weil die dichterischen Leistungen anderer Völker, wie am Beispiel Ovids und Vergils zu sehen sei, sich dadurch erklären lassen, daß die „künstlich Vers vnnd Meisterstück“ in ihrer Muttersprache verfaßt seien. 45 In der sechsten Strophe ergeben sich daraus Konsequenzen für die Forderungen des sprechenden Ichs, die in Form einer rhetorischen Frage formuliert werden: „Warumb sollen wir den vnser Teutsche sprachen / Jn gwisse Form vnd Gsatz nit auch mögen machen / Vnd Deutsches Carmen schreiben.“ Die doppelte Wiederholung des Adjektivs „deutsche“ bekräftigt die Abgrenzung der eigenen Sprache und Literatur von den zuvor genannten lateinischen Dichtern. Während in Cap. V. und Cap. XXII. die romanische Literatur als Bezugs- und Abgrenzungspunkt fungiert, wird in diesem Gedicht das Verhältnis zur Antike ausgelotet. Daher durchzieht der Verweis auf „dGriechisch vnd Lateinisch Sprach“ die folgenden Strophen. Hier gerät die Argumentation laut Czucka „mit sich selbst in Widersprüche“, denn der „emphatischen Beschwörung des Dichtens ‚in der Mutter Zungen‘ stellt sich ein kategorisches Verdikt entgegen: “ 46 „Niembt sich auch billich ein Poeten nennet / Wer dGriechisch vnd Lateinisch Sprach nit kennet.“ Dieser scheinbare Widerspruch lässt sich jedoch auflösen, denn die Kenntnis der antiken Dichtkunst schließt die zuvor geforderte Praxis einer volkssprachigen Dichtung nicht aus. Diese wird sogar als „vil ein schwerer Kunst“ gesehen, da die deutsche Sprache Schwierigkeiten mit sich bringe. Um ihre Qualität zu sichern, die in den folgenden Versen beispielsweise anhand einer Metaphorik des Schmiedens und Holzhackens bezweifelt wird, 47 sind daher möglicherweise gerade die zuvor genannten „Form vnd Gsatz“ nötig. Das Gedicht lässt sich also als Reflexion über den gegenwärtigen Zustand der volkssprachigen Dichtung lesen, die zwar deren Probleme benennt, aber keine konkreten Anweisungen zu ihrer Lösung proklamiert. Ein solches Verhältnis zur Antike findet sich auch in dem Gedicht Cap. LXXXIX. Von der Deutschen Schrifft , das eine Art Reflexion über Herkunft und Zustand der deutschen Schrift und Sprache darstellt. Sowohl Hanson als auch Meid benennen als dessen Vorlage die sogenannte Deutsche Chronik, die Baierische Chronik des Johannes Turmair, genannt Aventinus, die von Hock als Quelle genutzt und stellenweise fast wörtlich übernommen wurde. 48 Der Sprecher des Gedichts betont eine Art Verwandtschaftsverhältnis der deutschen mit der griechischen Sprache, das „dWeisen“ bekannt sei und positiv bewertet wird: Die Deutsche Sprach kan mit keiner art / 45 Czucka: Poetologische Metaphern (Anm. 42), S. 11. 46 Ebd., S. 13. 47 Vgl. ebd., S. 14. 48 Vgl. Blumenfeld (Hanson), S. 610 und Meid: Deutsche Literatur (Anm. 1), S. 106. <?page no="321"?> 322 Stephanie Blum Als mit der Griechischen so zahrt / Mehr gmainschafft haben je / Wie es dWeisen bekandt hie / Ach laider was sicht man drinn jetzundt / Jm Schreiben vnd reden/ vnd reimens pundt / Mit frembden Sprachen hoch / Daß es ein wundert doch. 49 Durch den Kontrast einer „gmainschafft“ der beiden Sprachen in den ersten vier Versen und den „frembden Sprachen“ in den letzten vier Versen erfolgt eine Zweiteilung der Strophe, die mit der Klage „Ach laider“ eingeleitet wird. Die deutsche und die griechische Sprache haben also den gleichen Ursprung und ihre Verwandtschaft wird über die Wendung „mit keiner […] mehr gmainschafft“ zur größtmöglichen gesteigert. Die eigene Sprache gilt zwar als ebenso althergebracht und angesehen, jedoch ist ihr aktueller Zustand beklagenswert, weil man sich sowohl mündlich als auch schriftlich und in der Literatur „frembden Sprachen“ bedient. In der nächsten Strophe werden dann als Beispiele für eine solchermaßen verdorbene Sprache die Sphäre der Gelehrten und der Galanterie angeführt: Die Glerten nit allein / Verenderns in gemein / Sondern Frawenzimmer zart / Reden Wälsch vnd Latein nach art / Deutsch zur Galanterey / Nicht kleckt wie gutt es sey. Nicht nur der Einfluss der lateinischen Sprache durch die Gelehrten verändert das Deutsche, sondern vor allem der Gebrauch der lateinischen und romanischen Sprachen im galanten Kontext wird als schädlich ausgemacht. Das im letzten Vers verneinte Verb „klecken“ bedeutet soviel wie „wirken, eine gewünschte Wirkung tun.“ 50 Die deutsche Sprache, die „zur Galanterey“ nach Art und Weise der romanischen Sprachen verändert wird, wirkt nicht mehr so gut, wie sie ursprünglich war. Die hier enthaltene „Warnung und Anklage der Frauen als Sprachverderber“ ist ein Topos, 51 der wie die stereotypen Nationalcharaktere in Cap. XXII. zur Abgrenzung genutzt wird und darüber hinaus die weite Verbreitung der geschilderten Sprachpraxis zeigt. Auch die Verbindung 49 Blumenfeld (Hanson), S. 607. 50 Grimm: Deutsches Wörterbuch (Anm. 9), Bd. XI, Sp. 1056. 51 Blumenfeld (Hanson), S. 611. <?page no="322"?> Vom Lieben und Versemachen - Poetologische Abgrenzungen bei Theobald Hock 323 der romanischen Sprachen und des Lateinischen mit der höfischen, galanten Liebe ist ebenso in den Gedichten Cap. XXII. und Cap. V. präsent. Hocks Bezug auf die sogenannte Deutsche Chronik entspringt einer ähnlichen Richtung wie der Gebrauch der Nationalcharaktere, der Rückgriff auf Sprichwörter oder auf den zuvor genannten Topos der Frauen als Sprachverderber. Er nutzt tradierte Argumentationsmuster, um seine Abgrenzungsbewegungen teils zu legitimieren, teils in größere Denkzusammenhänge einzugliedern und somit die Bedeutung der eigenen Aussagen zu verdeutlichen. In diesem Zusammenhang lässt sich die in Cap. XIX. und Cap. LXXXIX. präsente Auseinandersetzung mit den antiken Sprachen ebenfalls als Topos sehen, denn die Argumentationsmuster passen zu der Debatte um das Verhältnis von Gegenwart und Vergangenheit, die seit der klassischen Antike mit dem Begriffspaar antiqui-moderni verbunden wird. In der Frühen Neuzeit werden Argumente der moderni beispielsweise zur Etablierung der nationalsprachlichen Literatur genutzt: Das zyklische Schema der humanistischen Geschichtsphilosophie ließ gleichwohl der Idee des Fortschritts einen gewissen Spielraum zwischen imitatio und aemulatio, Nachahmung und Überbietung des antiken Vorbilds. So konnten die humanistischen moderni in ihrem nationalen Ehrgeiz durchaus den Gedanken entwickeln und in der beliebten Form der Parallelen begründen, daß die Künste ihrer Zeit die antiken überträfen. 52 Auch in den untersuchten Gedichten finden sich Hinweise auf die Nachahmung und Überbietung der antiken Literatur, beispielsweise die programmatische Anknüpfung an Horaz in Cap. XIX. und die darauf folgende Betonung der deutschen Besonderheiten. Der in diesem Gedicht präsente Verweis auf „dGriechisch vnd Lateinisch Sprach“ 53 dient der Herausforderung, die dortigen Gesetze auf die volkssprachige Dichtung zu übertragen und die Antike nachzuahmen. Jedoch lässt sich die Betonung der damit verbundenen Schwierigkeiten aufgrund der sprachlichen Eigentümlichkeiten des Deutschen als Form der Überbietung verstehen - der volkssprachige Dichter muss über höhere Kompetenzen verfügen. Bei Hock lassen sich auch zaghafte Versuche einer Parallelsetzung des Griechischen und Deutschen finden, wenn in Cap. LXXXIX. selbstbewusst die Verwandtschaft der Sprachen proklamiert wird. Allerdings dient dieses Argument hier eher zur Abgrenzung von den romanischen Sprachen und zur Aufwertung 52 Hans R. Jauss: Antiqui/ moderni. (Querelle des Anciens et des Modernes). In: Joachim Ritter (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie. Unter Mitwirkung von mehr als 700 Fachgelehrten. Bd. I A-C. Darmstadt und Basel 1971, Sp. 410-414. 53 Blumenfeld (Hanson), S. 264. <?page no="323"?> 324 Stephanie Blum des Deutschen. Der nationale Ehrgeiz richtet sich also auf die Gegenwart und nutzt die Topoi flexibel, um die eigene Position zu untermauern. Wenngleich Hock in seinen poetologischen Gedichten kein ausführliches poetologisches Programm entwirft, so lässt sich doch durch die wiederholten Abgrenzungen zumindest eine zentrale Forderung ableiten: die Abwehr fremder Einflüsse am Beispiel der romanischen Sprachen. Eine kohärente Poetik dieser neuen, deutschsprachigen Dichtung wird im Schönen Blumenfeldt jedoch nicht entworfen und Hanson schließt darauf, daß Höck die Mehrzahl seiner Gedichte weniger aus einem damals keimenden künstlerischen Erneuerungswillen heraus verfaßt hatte, als vielmehr aus seinem übermäßig politischen Nationalgefühl. Das Wort „deutsch“ oder „teutsch“ und damit verwandte Formen erscheinen häufig genug im Text, um eine solche Vermutung nur noch zu bestärken. 54 Dieser politischen Programmatik entsprechen die immer wiederkehrende Betonung des Eigenen in den Gedichten und die Abgrenzungsbewegungen als Versuche, aus dem Gefühl der Alterität heraus zu einer nationalen Identität zu finden - sei es in Sachen Liebe oder Dichtung. 54 Ebd., S. 112. <?page no="324"?> Theobald Hocks Schönes Blumenfeldt - Eine performative Poetik? Hermann Gätje Dieser Beitrag betrachtet Hocks Schreiben und sein poetologisches Konzept exemplarisch als Ausdruck einer Epoche des Paradigmenwechsels von Sprache und Literatur im Zuge der Revolution von Informations- und Kommunikationstechnik nach der Erfindung des Buchdrucks sowie den Aus- und Nachwirkungen der Reformation. Dabei sollen im Wesentlichen zwei Aspekte aufgegriffen, zusammengeführt und an einigen Textstellen unterstrichen werden. Zum einen wird die Frage erörtert, ob Hocks Werk eine „performative Poetik“ darstellt. Das Schöne Blumenfeldt wurde häufiger als Antizipation der Poetik von Martin Opitz charakterisiert. Dass Hock selber auf Opitz wie auf die Poetologie des 17. Jahrhunderts eine unmittelbare Wirkung gehabt hat, ist auszuschließen, wie Hanson plausibel darlegt. 1 Doch zeigt sich an einigen indirekt intertextuellen Analogien zwischen dem Schönen Blumenfeldt und Martin Opitz’ Buch von der Deutschen Poeterey , dass sie in einem grundsätzlichen Denken ihrer Epoche verhaftet, Ausdruck eines kollektiv verbreiteten Denkmusters sind. Das Bedürfnis nach einer Poetik sei an ihn herangetragen, „an mich [] begehret“ worden, schreibt Opitz zu Beginn. 2 Dieser zeitgemäß verbreitete Wunsch, die deutsche Sprache in der Literatur zu verankern, und gleichermaßen die Widerstände gewisser Personen und sozialer Gruppen dagegen, werden in Hocks Versen thematisiert. Hock formuliert im Text seine Positionen zur „deutschen Poeterey“ zuweilen explizit und führt sie gleichzeitig in seinen Versen paradigmatisch aus. Daher wird Hocks Gedichtsammlung unter der Prämisse des Begriffs der „performativen Poetik“ pointiert zur Diskussion gestellt. Aus diesem Kontext ergibt sich der zweite Aspekt. Da die Lebenszeit Hocks durch einen der großen Umbrüche der Informationstechnik und die Reformation geprägt war, stellt sich die Frage, inwieweit Hocks Schaffen Aufschluss über die sprachtheoretischen und poetologischen Transformationsprozesse seiner 1 Blumenfeld (Hanson), S. 116f. 2 Martin Opitz: Buch von der Deutschen Poeterey. Studienausgabe. Hrsg. von Herbert Jaumann. Stuttgart 2001, S. 7. <?page no="325"?> 326 Hermann Gätje Epoche gibt. Was heute im Rückblick unter Barockliteratur und ihren wesentlichen Eigenschaften subsumiert wird, war 1601, als Hocks Sammlung erschien, noch nicht existent. Insofern ist sein Text mit Blick auf die Perspektive seiner Entstehungszeit von Interesse. Gerade weil er an einem solchen markanten Wendepunkt der Literaturgeschichte situiert ist - man setzt rückblickend die zeitliche Epochenabgrenzung zwischen Humanismus und Barock um das Jahr 1600 an - ist das Verhältnis zwischen seiner Gegenwart sowie seiner nachträglichen Zuordnung wie Deutung spannungsreich. Grundsätzlicher Schwerpunkt meiner momentanen Forschungsarbeit ist die Frage nach literarischen Denkstilen und Paradigmen. Ein wesentlicher Aspekt ist es dabei, Phasen des Übergangs der literarischen Epochen zu untersuchen. Diese werden zwar im Nachhinein gebildet, abgegrenzt und nominalisiert, doch bereits in ihrer Gegenwart müssen sich Wandlungsprozesse vollzogen haben. Hock wird als Dichter zwischen Humanismus und Barock verortet. Da solche Zuweisungen rückwirkend sind, halte ich es für interessant, in dem Text selbst nach Elementen zu suchen, die die eigene Zeit als Zeit des Umbruchs charakterisieren und die Frage des Alten und des Neuen aufwerfen. Es stellt sich in einem größeren kulturellen Kontext die Frage nach Signalen im Schönen Blumenfeldt , die auf die Phase des Paradigmenwechsels zwischen Latein und deutscher Sprache referieren sowie Korrelationen zur kommunikationsbzw. informationstechnischen Innovation des Buchdrucks erkennen lassen. Wenn auch Hock selbst als Autor praktisch nicht rezipiert wurde, so hat seine Zeit auf sein Denken und Schreiben signifikant gewirkt. In diesem Sinne kann er literaturpsychologisch und -soziologisch als Dichter seiner Zeit charakterisiert werden. Die Differenz zwischen der Gegenwart des Autors und seiner nachträglichen Zuordnung in die Literaturgeschichte wird in Czuckas Betrachtung der Rezeption Hocks durch die Literaturwissenschaft evident. Hock werde lediglich in eine Perspektive epochaler Entwicklung gestellt, die literarisch wie literaturhistorisch in Opitz kulminierte, so daß von vor- und nachopitzscher Zeit des Barock gesprochen werden kann. […] Sowohl Literaturgeschichte als auch Historie verdecken - nicht nur in diesem Fall, obwohl hier besonders deutlich - den Zugang zu Texten, indem sie entweder ein System der Epochen vorgeben, dem die Texte nur beiläufig einzuordnen sind, oder ein Interesse für die historische Person des Autors kultivieren. […] eine fast systematische Rezeptionsverweigerung zu betreiben, bleibt umso befremdlicher, als Höck im Cap. 19 […] Kritik an der zeitgenössischen Poesie und Normen für die poetische Praxis zu formulieren versucht. 3 3 Eckehard Czucka: Poetologische Metaphern und poetischer Diskurs. Zu Theobald Höcks „Von Art der Deutschen Poeterey“ (1601). In: Neophilologus 71 (1987), S. 1-23, hier S. 1f. <?page no="326"?> In der Tat kann die von Czucka kritisierte Fokussierung der Forschung die unmittelbare Schreibhaltung des Autors Hock nicht adäquat fassen. An der Rezeption von Hock lässt sich beispielhaft aufzeigen, wie sehr die Lektüre eines Texts von literarhistorischen Zuordnungen und Denkmustern gelenkt werden kann. Das Schöne Blumenfeldt wurde fast ausschließlich deduktiv in Relation zu entsprechenden Prämissen gelesen; eine auf den Eigenwert des Texts und den schöpferischen Akt des Autors konzentrierte Lesart erschien inkommensurabel mit den kanonisierten Vorgaben. Von daher sollte man die historisierende Blickweise auf das Schöne Blumenfeldt relativieren und zwischen den unterschiedlichen Perspektiven differenzieren. Der Text entstand tatsächlich in einer Zeit, als - heuristisch weitgefasst formuliert - das humanistische Paradigma durch das barocke abgelöst wurde. Während sich aus Opitz’ Normpoetik ein über lange Zeit weithin gültiges und bestimmendes literarisches Paradigma entwickelte, erscheint Hocks Zeit weniger von standardisierten Denk- und Schreibmustern geprägt. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Schönen Blumenfeldt ist unter dieser Maßgabe sehr ergiebig, da sie Aufschlüsse über die generelle Rolle und Wirkungsweise von Denkstilen und Paradigmen im literarischen Diskurs geben kann. Die Diskussion des Paradigmenbegriffs in der Wissenschaft wurde stark durch Thomas S. Kuhns Theorie von der Struktur wissenschaftlicher Revolutionen geprägt. 4 Kuhns wissenschaftstheoretisches Modell basiert auf einer Kritik an der Vorstellung, dass sich Wissen kumulativ vermehre und so eine stetige Erweiterung von Erkenntnis stattfinde. Er postuliert dagegen ein zyklisches Prinzip. Die Wissenschaftsgemeinschaft einer Zeit unterliege in ihrem Denken und ihrer Forschungsarbeit einem Paradigma, das bestimmte Prinzipien, Grundannahmen, Methoden und Denkmuster vorgebe. Den Wechsel eines Paradigmas assoziiert Kuhn mit einer wissenschaftlichen Revolution. Ein Paradigma ist nicht unbeschränkt gültig, kann durch neue Voraussetzungen seine Gültigkeit verlieren, und wird durch ein anderes abgelöst. Dabei kann es durch die Beharrung und den Widerstand der Vertreter des alten Paradigmas zu sozialen Konflikten kommen. Kuhns nicht unumstrittenes wissenschaftstheoretisches Modell und seine zahlreichen Implikationen lassen sich nicht kongruent auf die Literatur übertragen, dennoch lassen sich anhand einiger Analogien modellhaft Zusammenhänge konstruieren, die Ansätze für das Verständnis des literarischen Diskurses zu Hocks Zeit bieten. Diese stand politisch-sozial unter dem Eindruck der Reformation und Deutschland befand sich am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges. Hocks Lebenszeit fällt historisch in eine Phase des 4 Vgl. Thomas S. Kuhn: Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen. Zweite revidierte und um das Postskriptum von 1969 ergänzte Auflage. 4. Aufl. Frankfurt am Main 1979. Theobald Hocks Schönes Blumenfeldt - Eine performative Poetik? 327 <?page no="327"?> 328 Hermann Gätje großen Umbruchs, in der der Großteil der bislang gültigen Vorstellungen infrage gestellt wurde, respektive sich radikal wandelten. Vor dem Hintergrund der Terminologie Kuhns ist die Frage interessant, ob Hocks Schönes Blumenfeldt charakteristische Merkmale einer Literatur der kollektiven Sinnkrise aufweist. Wenn man das Gesamtwerk als literarischen Ausdruck einer Übergangsphase fassen will, muss man Stellen finden, die signalisieren, dass sich der Text sowohl gegen einen als überkommen, nicht zeitgemäß empfundenen Kanon wendet als auch bereits Grundzüge eines neuen poetischen Paradigmas impliziert. Eine solche Perspektive bietet gleichermaßen Erklärungsansätze für den unfertigen, ungeordneten und disparaten Gesamtcharakter des Werks. Schönes Blumenfeldt umfasst eine Spanne von Eklektizismus bis zu originellen Formgebungen. Einige Texte lassen sich intertextuell als Nacherzählungen bzw. -dichtungen identifizieren, 5 andere hingegen präsentieren eigenständige Gedanken und autobiographische Reflexionen. Die Adaption vielfältiger Formen und Inhalte lässt das dem Werk inhärente Experiment erkennen, aus der Tradition heraus neue, der Zeit adäquate literarische Muster zu transformieren. Bereits der Titel Schönes Blumenfeldt lässt sich als poetologischer Verweis deuten. Er signalisiert, dass durch unterschiedliche Texte und Themen die Vielfalt der Welt und der menschlichen Natur gespiegelt werden soll. Die Blumenmetaphorik selbst ist dabei nicht strukturbildend, sondern erscheint im Text nur sporadisch und nicht konzeptualisiert: z. B.: Cap. XVIII. Ach die maiden sonst an Cupidine : „Von Früchten süß und Blümblen seuberleichen“, 6 Cap. XXII. Was etlichen Völckern für Bulschafften gefallen : „Dfrantzösen die Lilien“, 7 Cap. XXVII. All ding zergengklich höre mich doch : „Der Blümlein zier“, Cap. L. An Riden Wendlen / sonst an Lienl Bawrn im Gastey : „SO(ll) den ein grober Bawr von Art / Ein solche Edle Rosen zart/ Abbrechen schier / das wer kein zier“, 8 Cap. LII. Die Zeit bringt Frucht / nicht der Acker / die Jebung macht gelert / nicht der verstandt : „Ein Bluem / sie wür erfrieren“, 9 Cap. LXXVIII. Von der Demüttigkeit : „Warum die tieffen Thal fruchtbar auff Erden / Drin so vil Blümlein stehen“. 10 Doch die Konnotation von Vielfalt im titelgebenden Naturbild ist vorausweisend für Hocks poetisches Programm, das sich in den Texten entfaltet. Auch wenn sich die Sammlung nicht als geschlossen angeordnete inhaltliche Einheit entschlüsseln lässt, ist sie nicht willkürlich komponiert, denn die Texte chan- 5 Vgl. dazu in diesem Band die detaillierten Darstellungen an Textbeispielen im Beitrag von Frédérique Renno (S. 437-463). 6 Blumenfeld (Hanson), S. 259. 7 Ebd., S. 282. 8 Ebd., S. 398. 9 Ebd., S. 408. 10 Ebd., S. 538. <?page no="328"?> gieren zwischen Antagonismen wie Besinnlichkeit und Spott, Individualität und Allgemeinem, persönlicher und kollektiver Erfahrung, klassischer Bildung und Volksweisheit, Erhabenheit und Grobianismus. Der nicht immer harmonische Vielklang der Stimmlagen kann als literarisches Konzept gedeutet werden, das der Autor hier umsetzen möchte. Er sucht nach sprachlichen Mitteln, dem adäquaten Ausdruck für den jeweiligen Inhalt. Es scheint, die Sammlung sei ein work in progress auf der Suche nach einer Ordnung in der Unüberschaubarkeit. Im Ganzen entfaltet der Autor ein Panorama seiner Zeit, auffallend ist das Zusammenspiel aus Persönlichem und Zeitgenössischem. Er tritt in einigen Gedichten sogar im lyrischen Ich als Person hervor, besonders in Cap. VI. Der Autor beweint das Leben . In Bezug auf das Titelmotiv des „Blumenfeldts“ stellt sich die Frage, ob diese Begrifflichkeit als möglicherweise ironische Kontrapunktierung des griechischen „anthologia“ bzw. des lateinischen „florilegium“, die eine ausgewählte „Blütenlese“ meinen und damit Erhabenheit zum Ausdruck bringen, gedeutet werden kann. Das „Blumenfeldt“ assoziiert eher die chaotische Totalität des Lebens, also ließe sich ein Bezug und eine Abgrenzung zum humanistisch-klassischen Ideal der Ordnung und Schönheit gleichermaßen konstatieren. Wenn man Opitz’ ausformulierte Regelpoetik heuristisch als Paradigma charakterisiert, das jahrelang eine entsprechende Wirkung entfaltete, kann man Hocks Text als eine Suche, ein Ausprobieren auf dem Weg zu einem solchen Normwerk hin ansehen, als eine Art Literaturwerkstatt oder Sprachlabor. Dadurch, dass bei ihm vieles, was Opitz ausgearbeitet hat, in der Ausführung ansatzweise, noch unfertig erscheint, präsentiert sich Schönes Blumenfeldt als Ausdruck einer Übergangszeit. Hocks Schaffenszeit liegt zwischen zwei markanten, aus Deutschland stammenden poetologischen Werken. Nach ihr erschien mit Opitz’ Buch von der Deutschen Poeterey die erste wegweisende Poetik der deutschsprachigen Literatur, vor ihr entstand die Poetik des Frühhumanisten Konrad Celtis, den man wegen seiner kategorischen Standpunkte auch den deutschen Erzhumanisten nannte und der auch im Schönen Blumenfeldt ( Cap. LXXXVIII. Von ursprung der Deutschen Sprach ) erwähnt wird: Wie wohl Lateinisch aber doch / Frembdt Buchstab noch / Die gleichen sich den alten / Griechischen mehr / alls eben (den) Lateinischen / Der Celtis hats gehalten / Für Göttisch gschlecht / Lombardisch recht / Theobald Hocks Schönes Blumenfeldt - Eine performative Poetik? 329 <?page no="329"?> 330 Hermann Gätje Nendts Ruxomag der rechten Knecht. 11 Celtis veröffentlichte 1486 seine Ars versificandi et carminum (Leipzig 1486, 1492). Ein Gedicht am Schluss des Werkes, in dem Apoll als Gott der Dichtkunst angerufen wird, bringt Celtis’ Programmatik pointiert zum Ausdruck: Sic velis nostras rogitamus oras Italas ceu quondam aditare terras, Barbarus sermo fugiatque, vt atrum Subruat omne. 12 So mögest du, bitten wir dringlich, unsere Gegenden aufsuchen wie einst die italischen Länder, und die barbarische Sprache weiche, daß alles Dunkel vergehe. 13 Die Regelwerke von Celtis und Opitz illustrieren die konträren Positionen im Deutschland des 16. Jahrhunderts prägnant und spiegeln exemplarisch die Entwicklung und Etablierung der deutschen Sprache in der Literatur. Dieser Disput erscheint auch vor dem Hintergrund der ab 1450 durch den Buchdruck initiierten Zeitenwende und deren sprachsoziologischen und -politischen Implikationen interessant. Mit dessen Erfindung und zunehmender Verbreitung etablierte sich eine vollkommen neue Technik der Informationsübermittlung. Die Reformatoren nutzten das Medium rege, um ihre Ideen in die Öffentlichkeit zu bringen. Mit dieser neuen Möglichkeit, das Wort zu verbreiten, wuchs die Zahl potentieller Leser bzw. Vorleser und öffnete die Literatur breiteren Schichten. Damit ergab sich konsekutiv eine stärkere Hinwendung zur deutschen Sprache. Celtis’ Gedicht ist als Reaktion auf diese Entwicklung zu verstehen: Er fordert ein Beharren auf dem bisherigen Paradigma. Auch wenn die Rezeption von Literatur damals mit der heutigen nicht vergleichbar ist, setzt in dieser Phase die Abkehr von der Oralität und die Hinwendung zu schriftlicher Überlieferung ein, damit verbunden sind fundmentale soziale und sprachliche Wandlungsprozesse. Hocks Schönes Blumenfeldt als „performative Poetik“ ist als aktiv mitwirkender Teil dieser Transformation zu sehen. Hock wendet sich gegen die von Celtis propagierte humanistische Position, welche Griechisch und Latein als höhere Literatursprachen postuliert und dem Deutschen den potentiellen Charakter kategorisch abspricht. Seine Meinung 11 Ebd., S. 599. 12 Konrad Celtis: ad phoebvm , vt germaniam petat . v . In: Humanistische Lyrik des 16. Jahrhunderts. Lateinisch und deutsch. Hrsg. von Wilhelm Kühlmann [u. a.]. Frankfurt am Main 1997 [Bibliothek deutscher Klassiker. Bd. 146; Bibliothek der frühen Neuzeit. Bd. 5], S. 68/ 70, hier S. 70. 13 Konrad Celtis: An Apollo, daß er Deutschland aufsuchen möge. In: ebd., S. 69/ 71, hier S. 71. <?page no="330"?> formuliert er in einigen Gedichten direkt, besonders markant ist dabei in poetologischer Hinsicht, dass er in seinen Versen nicht nur das Deutsche als Literatursprache propagiert, sondern zugleich dessen Probleme als solche zu ergründen versucht. Bei diesem Aspekt fällt die Performanz des Schönen Blumenfeldts besonders ins Auge. Cap. XIX. Von Art der Deutschen Poeterey ist unter dieser Perspektive das wichtigste Gedicht der Sammlung. Darin heißt es unter anderem: Den ander Nationen also bescheide / Ihr Sprach vor andern loben und preisen weidte / Manch Reimen drin dichten / So künstlich schlichten / Vnd zsammen richten. […] Warumb sollen wir unser Teutsche sprachen / In gwisse Form und Gsatz nit auch mögen machen / Vnd Deutsches Carmen schreiben / Der Kunst zutreiben / Bey Mann und Weiben. So doch die Deutsche Sprach vil schwerer eben / Alß ander all/ auch vil mehr müh thut geben / Drin man muß oberseruieren / Die Silben recht führen / den Reim zu zieren. […] 14 In sprachlich-formaler Hinsicht bringt dieser Text Hocks Poetik auf den Punkt. Bemerkenswert sind hier neben dem grundsätzlichen Plädoyer für das Deutsche als Literatursprache seine Überlegungen zu Klang und Wesen der deutschen Sprache. Er verweist indirekt darauf, dass das Lateinische oder die romanischen Sprachen aufgrund ihrer Syntax einfacher nach der klassischen Metrik zu handhaben seien. Hock fordert daher, dass die deutsche Sprache eigene poetische Ausdrucksformen und Regeln finden müsse: „Wir mögen new Reym erdencken / “. 15 Er demonstriert dies in den unterschiedlichen Strophen, Metren, Reimen des Schönen Blumenfeldts . Dabei greift er auf traditionelle Formen zurück, modifiziert diese und entwickelt neue Muster. Es entspricht dem poetologisch experimentellen Charakter des Werks, dass viele Gedichte Hocks noch nicht ausgereift sind: „Hocks Verse holpern bisweilen zwar noch nach Art der Meis- 14 Blumenfeld (Hanson), S. 263f. 15 Ebd., S. 264. Theobald Hocks Schönes Blumenfeldt - Eine performative Poetik? 331 <?page no="331"?> 332 Hermann Gätje tersinger, umso bewundernswerter aber erscheinen dann seine sauberen Jamben, sein kunstvolles Variieren der Strophenformen und seine Reimtechnik.“ 16 Im Hinblick auf Inhalte und Themen ist das Schöne Blumenfeldt ebenso programmatisch wie in formaler Hinsicht. Wie auch zu sprachlichen Aspekten formuliert Hock in einigen Texten explizit seine grundsätzlichen Vorstellungen von Themen, Sinn und Zweck der Literatur und versucht gleichermaßen, diese umzusetzen. Im Vorwort An den getrewen Leser formuliert er seine Ziele: „N e c h s t E r k a n d t n u ß d e r S e e l e n s ä l i g k e i t / […] die geheimbnussen diser vnserer Pilgerschaft recht wissen zu discerniren / “. 17 Die Gedichte am Beginn der Sammlung lassen eine strukturierte Komposition in der Formulierung seiner poetologischen Intentionen erkennen. Im ersten Gedicht Cap. I. Vnglück thut die Augen auff deutet er seine persönliche Schreibmotivation an. Eine unglückliche Liebe und die damit einhergehende persönliche Lebenskrise bilden den Ausgangspunkt seines Dichtens. 18 „Da ich noch war ein ander mensch besunder / Alls der ich bin jetzunder. / / Ja jhr die jhr mein ellends leben und wesen / Mein Klag gedicht habt glesen / “. 19 Aus dieser persönlichen Läuterung leitet er einen allgemeingültigen, didaktischen Charakter seiner Textsammlung ab, auf den er im zweiten Gedicht des Bandes Cap. II. Nach Erfahrenheit kombt Erkantnüß näher eingeht. Er formuliert dort seine Intentionen, die als Ausdruck seines Literaturverständnisses interpretiert werden können. Er setzt die Überwindung seiner Lebenskrise in Verbindung mit seinem poetischen Prinzip. Indem er eine Analogie des Persönlichen zu den Missständen der Zeit insinuiert, evoziert er die seinem Gesamttext innewohnende Spannung einer Verknüpfung des Individuellen mit dem Allgemeinen: „Ich der ich vor gedichtet / Von Lieb vnd liebes Art / Manch wunder Reim geschlichtet / […] Jetzt muß ich von der Welde / Boßheit vnd vntrew groß / […] Dichten so schwär vnd bloß. / […] Die Warheit rain vnd klar / […] Doch wem ich znahent kumme / Der besser sich darauß“. 20 Hock versteht seine Texte als Literatur für alle Schichten und grenzt sie von höfischer bzw. bildungselitärer 16 Bernd Philippi/ Gerhard Tänzer: Zu dieser Edition. In: Theobald Hock: Schönes Blumenfeld. Frühbarocke Gedichte. Hrsg. von Bernd Philippi und Gerhard Tänzer. Saarbrücken 2007, S. 208-212, hier S. 210. 17 Blumenfeld (Hanson), S. 173. 18 Der Topos der unglücklichen Liebe findet sich in der mittelalterlichen Dichtung, besonders bei Walther von der Vogelweide. Charakteristisch ist er für Petrarca. Vgl. in diesem Band den Beitrag von Heiko Ullrich, S. 353-421. 19 Blumenfeld (Hanson), S. 175. 20 Ebd., S. 179. <?page no="332"?> Dichtung ab: „Wie wir ohn vnterscheide / Solln erbar leben fürwar / Vnd selig werden gar. […] Es ist gleich Paur und Adl / “. 21 Es folgen drei Anrufungsgedichte mit drei unterschiedlichen Adressaten, die untereinander typologisch klassifizierbar sind und jeweils ein bestimmtes Element von Hocks poetischer Intension repräsentieren. Der Appell ist ein in der Dichtung seit der Antike charakteristisches Merkmal. Das Gedicht Cap. III. An die Satiren entspricht der klassischen Anrufung an die Musen. Es hat typischen autopoetologischen Charakter, der Dichter mahnt sich selbst durch die Anrufung zur Unbestechlichkeit: „Galäne[n]“, „Frawenzimmer“, „Clerisey“ „Euch [die Satiren] werden auch antasten / Doch last euch nichts jhr Litaney / Anfechten noch / jhr beschweren hoch / […] Eim jeden sagt die Warheit rundt / “. 22 Er formuliert damit in dieser Apostrophe eine Aufforderung zu einem poetischen Programm, das er auch ausführt, vor allem, wenn er sich über den Adel auslässt. Das folgende Gedicht Cap. IV. richtet sich An Herrn Neidhart Tunckelgut . Möglicherweise handelt es sich um eine konkrete Person, vielleicht einen Angehörigen des böhmischen Adelsgeschlechts Tunkl 23 , was Hock hier zu dem im Schönen Blumenfeldt zahlreich erscheinenden Wortspiel aus „Neid“ und „Dünkel“ inspiriert haben könnte. Tunckelgut repräsentiert den im Schönen Blumenfeldt häufig zur Zielscheibe des Spotts gemachten abgehobenen und dekadenten Adel. Dies assoziiert Hock mit poetologischen Aspekten: „Geldt! du meinst sich nicht gebiert / Das ich so Deutsch Poetisiert / “. 24 Der Grundtenor dieses Gedichts ist polemisch. Das dritte Gedicht dieser Gruppe Cap. V. ist An den Leser gerichtet und der Autor wechselt zu einer freundlichen Tonlage. Die Aufforderung: „Probieret alls vnnd bhaltet / Allein das guet / das nimmermehr veraltet / “ 25 lässt sich als Signal dafür deuten, dass Hock den Text des Schönes Blumenfeldts selbstreferentiell als ein poetisches Ausprobieren intendiert hat. Er verweist auf die Absicht des Werks im Kontext seines Literaturverständnisses hin: „So billich du das lisest / […] Hierauß du vil mehr lernste / Als auß dem Schimpff vnd Ernste / “. 26 Die 21 Ebd., S. 179f. 22 Ebd., S. 184f. 23 Zu den Freiherren von Tunkl (auch: Tunckel) siehe Ernst Heinrich Kneschke (Hrsg.): Neues allgemeines deutsches Adels-Lexikon. Neunter Band (Steinhaus-Zwierlein). Leipzig 1870 (Reprint Hildesheim [u. a.] 1996), S. 311; Constantin von Wurzbach: Tunkl, die Freiherren, Genealogie. In: Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich . 48. Theil. Kaiserlich-königliche Hof- und Staatsdruckerei, Wien 1883, S. 113f. URL: http: / / www.literature.at/ viewer.alo? objid=11707&page=120&scale=3.33&viewmode=fullscreen (zuletzt abgerufen am 10. August 2018). 24 Blumenfeld (Hanson), S. 192. 25 Ebd., S. 197. 26 Ebd. Theobald Hocks Schönes Blumenfeldt - Eine performative Poetik? 333 <?page no="333"?> 334 Hermann Gätje reihende Aufzählung von Werken und Autoren verweist auf seine Belesenheit und hat die Funktion, den Autor als kompetente Lehrinstanz auszuweisen. Das Narrenschiff , Fortunatus , Decamerone , Faust und Eulenspiegel werden u. a. angeführt, ebenso lateinische Dichter wie Plautus, Martial, Terenz, Iuvenal. Mit seinen Kenntnissen der Literatur und Sprachen bekräftigt er, dass sein poetologisches Konzept fundiert ist: „(Darumb) liß mich wirst spüren / Das allerley Materi man kan führen / Ins Deutsch so wol und artlich / Als in das Wällisch vnd Frantzösisch zärtlich / Straff nit mein müh vnd sachen / Du küns denn besser machen.“ 27 Die drei Gedichte als Einheit antizipieren die hervorstechende Rolle, die die Symbolik der heiligen Zahl „Drei“ im Gesamttext spielt. Wie ein roter Faden ziehen sich Verweise durchs Schöne Blumenfeldt , z. B. Cap. XXX. Dienst / Krieg / vnd Lieb / das sein drey Dieb , Cap. XXXII. Drey Lehr des weisen Römers Catonis , Cap. LXVII. Drey Plagen jederman verlacht / das Podagra/ den Eyffer vnd die Armut , Cap. LXXIV. Vergleichung auff einen Weisen Mann : „Gleich wie da Gottes Namen / Einig vnd die Personen drey zusammen / “, 28 Cap. LXXV. Vergleichung auff die Vernunfft/ die Affecten vnd Appetit : „Der [Mensch] durch drey weg und würckung wirdt / Natürlich gführt / “. 29 Nach den drei Anrufungen folgt Cap. VI. Der Author beweint das Leben ; das Lied stellt performativ den Zusammenhang von Autobiographie und Dichtung in Hocks Literaturverständnis heraus. In diesem Gedicht tritt er als Person konkret hervor. Am Beginn nennt er sein Geburtsjahr. Mit autobiographischen Verweisen gibt er Auskunft über sich selbst, seine Persönlichkeit und seinen sozialen Status. Es ist bemerkenswert, dass die Angaben zu seiner Person nicht in einem Paratext formuliert sind, sondern in ein Gedicht integriert sind. Hock projiziert hier sein poetologisches Verständnis von Autor und Autorschaft. Dichtung soll Lebenserfahrung spiegeln, sie dient dem Autor zur Reflexion und dem Leser als Beispiel. Dieses eher melancholisch gehaltene Gedicht illustriert im Vergleich mit anderen die Varianz der Stimm- und Tonlagen, die Mischung aus Spott und Besinnlichkeit, die das Schöne Blumenfeldt bestimmt. Einen thematisch geschlossenen Gesamtaufbau hat die Sammlung nicht, aber vielleicht ist diese eher zufällig wirkende Gesamtstruktur auch Teil des poetologischen Prinzips. Es wäre anachronistisch, auf die Textsammlung den heutigen oder einen aus einer Epoche nach Hock tradierten Werk- und Textbegriff anzuwenden, doch lassen sich einige intratextuelle Zusammenhänge erkennen, die auf eine in Ansätzen vorhandene Kohärenz verweisen: Manche Gedichte sind in 27 Ebd., S. 198. 28 Ebd., S. 510. 29 Ebd., S. 514. <?page no="334"?> der Textabfolge thematisch-sinnhaft miteinander verknüpft. 30 Zuweilen lassen sich vage einige (manchmal jedoch unterbrochene) Themencluster identifizieren. 31 Auffällig sind in diesem Kontext besonders der bereits behandelte Anfang und das Ende der Sammlung. In den letzten sieben Gedichten setzt Hock einen Akzent auf deutsche Geschichte und deutsche Sprache, Namen und Schrift. Hierdurch untermauert er sein poetologisches Konzept der deutschen Sprache argumentativ und rundet es ab. Bemerkenswert sind besonders die sprachhistorischen und -theoretischen Ausführungen, die sein literarisches Programm fundieren. Das Gedicht Cap. LXXXVIII. Von ursprung der Deutschen Sprach hebt in der Schlussstrophe die bahnbrechende, zukunftsweisende Bedeutung der Erfindung des Buchdrucks hervor, und unterstreicht den Status des Deutschen damit, dass diesen ein Deutscher erfunden hat: Tausent vier hundert vierzig frey / Die Druckerey / Zu Kayser Friderich zeiten / Johannes Guttenberg der Mann / Zu Maintz gar schon / Erfunden hat mit frewden / Vil guets ich sag und böses mag Gstiefft wern damit / das ist am Tag. 32 Hocks Hervorhebung der Bedeutung der Erfindung des Buchdrucks deckt sich mit Befunden des Sprach- und Kulturwissenschaftlers Michael Giesecke. Dieser betont, wie sehr Gutenbergs deutsche Herkunft in der Folge die Identität der Deutschen gestützt hat. 33 Giesecke stellt die Erfindung des Buchdrucks und die in unserer Gegenwart sich vollziehende Digitalisierung in ihrer Bedeutung als 30 Z. B. Cap. LXXX. Von den Kriegsz Befelchsleuthen - Cap. LXXXI. An die schnarchische Soldaten ; Cap. XL. Man macht vil Ordnung vnd niemandts helts - Cap. XLI. Man macht teglich vil Geldt / noch wil keins erlecken ; Cap. XXIII. Vil Ratsherrn sein im Land - Cap. XXIV. Von dem Gerichts Proces . 31 Z. B. Cap. LXII. bis Cap. LXV. und Cap. LXVIII. bis Cap. LXXIII. thematisieren „Liebe“; Cap. LI. bis Cap. LVIII. subsumieren auffällig Sprichwörter. 32 Blumenfeld (Hanson), S. 514. 33 Michael Giesecke: Von den Mythen der Buchkultur zu den Visionen der Informationsgesellschaft. Trendforschungen zur kulturellen Medienökologie. Frankfurt am Main 2002, S. 217: „Weil man Gutenberg als ‚Deutschen‘ betrachten konnte, ließ sich seine Erfindung auch zur Stützung der nationalen Identität heranziehen. Diese im Vergleich zu anderen Nationen engere Bindung an den Buchdruck mag eine Ursache dafür sein, dass Deutschland in der Gegenwart nicht gerade zu den Nationen zählt, die eine Vorreiterrolle bei der Einführung der neuen Informations- und Kommunikationstechniken spielt. […] Ein herausragendes Beispiel für die außerordentliche Verherrlichung der Werte der Buchkultur in Deutschland sind die seit 1640 regelmäßig stattfindenden Gutenbergfeiern.“ Theobald Hocks Schönes Blumenfeldt - Eine performative Poetik? 335 <?page no="335"?> 336 Hermann Gätje kommunikationstechnische Umwälzungen gleichrangig neben die Entwicklung der Sprache und die der Schrift. Er konstatiert für beide Phasen eine „unvermeidliche[] Ideologisierung der neuen Medien“: Nachdenklich stimmt, mit welcher Absolutheit sowohl in der frühen Neuzeit als auch jetzt die neuen Medien die gesellschaftliche Aufmerksamkeit auf sich konzentrieren, wie stark die Identitätsbestimmung der sozialen Gemeinschaft von diesen Medien abhängig gemacht wird. Faktisch existieren in diesen Gesellschaften ja alle alten Informations- und Kommunikationssysteme und deren Sprachen weiter. Man artikuliert weiter, man schreibt weiter, man druckt weiter. 34 Dies verdeutlicht, dass die Gedichte des Schönen Blumenfeldts als Ausdruck einer Zeit des Umbruchs mit den entsprechenden Implikationen gedeutet werden können. Hocks Klagen über Bürokratie, Vetternwirtschaft, Machtarroganz, Justiz oder Sittenverfall, hinzu die Forderung nach Rückbesinnung auf die wahren, eigentlichen, zeitlos tradierten Werte lassen an aktuelle Diskurse denken und unterstreichen die Zeitlosigkeit bestimmter Topoi. Manches mag stereotyp wirken, doch muss man Hocks Text als authentischen Spiegel der Stimmung seiner Zeit verstehen. Das Schöne Blumenfeldt ist sowohl eine in Ansätzen konzeptualisierte performative Poetik als auch eine literarische Reaktion auf einen kulturellen Wandel. Zum Schluss soll knapp auf drei Gedichte eingegangen werden, an denen sich die Korrelation dieser beiden Wesensmerkmale exemplarisch herausarbeiten lässt. In zahlreichen Gedichten der Sammlung spiegeln sich die Dialektik von Erwartung und Angst dem Neuen gegenüber, aber auch die Suche nach Stabilität im Bewährten und Zeitlosen, die ein typisches Muster menschlichen Verhaltens darstellt. Vor dem Hintergrund dieses Gesamtkontexts lässt sich das Gedicht Cap. XXIII. Die Welt will stets Newzeutung hörn als selbstreferentiell charakterisieren: „Also gehts in der Welt jetzt zu / Nach newem verlangt vns spat und fru / Was wir haben schon / ficht uns nicht an / Wir wöllens auch nie spüren / Alß / biß wirs gleich verlieren.“ 35 Neugier und Geldgier werden hier verspottet, vieles vermeintlich Neue sei nur Blendwerk: „New(e) Warn und Newzeutung vil / Will haben die Welt stets zu j(h)rem Spiel / Und bleib(e)t doch / vorhin wie noch / Im alten Thand und wesen / Wie sie ist allzeit gwesen.“ 36 Viele Texte der Sammlung mögen in ihren Sprichwortweisheiten, ihrer Religiosität oder den Vanitas-Anklängen aus heutiger Perspektive als Gemeinplätze 34 Michael Giesecke: Sinnenwandel, Sprachwandel, Kulturwandel. Studien zur Vorgeschichte der Informationsgesellschaft. Frankfurt am Main 1992, S. 66. 35 Blumenfeld (Hanson), S. 289. 36 Ebd., S. 288. <?page no="336"?> erscheinen. Doch Hock kann in seiner Zeitkritik auch konkret sein. Als Symptom der Krise eines herrschenden sozialen Paradigmas kann Cap. LXXV. Vergleichung auff die Vernunfft / die Affecten vnd Appetit gedeutet werden. Er geht hier auf die Ständeordnung ein, die er grundsätzlich als gottgewollt und sinnvoll erachtet, abgeleitet auch aus der Dreifaltigkeit. Doch wird die Sozialkritik dezidiert formuliert: Jeder Stand habe seine Rechte und Pflichten, vor allem der Adel komme diesen Aufgaben nicht nach und bereichere sich auf Kosten der Untertanen. Dieses überhebliche und willkürliche Auftreten des Adels thematisieren einige Gedichte des Schönen Blumenfeldts . 37 Hock lehnt dies ab, und unter dieser Prämisse ist auch seine Hinwendung zur deutschen Sprache - auch im Kontext der Reformation - zu verstehen. Wie das oben erwähnte Gedicht Cap. IV. An Herrn Neidhart Tunckelgut explizit dokumentiert, sind die Kritik am Adelsgebaren selbst und an dessen Ablehnung der deutschen Sprache als Idiom des einfachen Volkes, das für die Kunst nicht geeignet ist, miteinander verknüpft. Der Charakter von Hocks Werk als satirische Reaktion und konterkarierende Umdeutung von humanistischen Topoi und Motiven zeigt sich prägnant in dem Gedicht Cap. XXV. Venus und Mars gehörn zusammen . Venus nimmt in der Kunst der Renaissance eine exponierte, idealisierte Stellung ein. In zahlreichen Darstellungen wird evoziert, dass Venus Mars zähme. 38 Hock stellt hier das genaue Gegenteil heraus: Venus stachelt Mars an: „Es ist kein Wunder wenn in Krieg / Gleich ziehen die Soldaten / Das anfangs sie mit Venus Lieb / Sich hitzen vnd beladen / “. 39 Dieses Motiv hängt zwar nicht primär mit Hocks poetologischem Konzept einer deutschsprachigen Literatur zusammen, es lässt sich jedoch in 37 Z. B. Cap. XXXVI. Wol dem der zu Hoff nichts zu Solicitieren hat ; Cap. XXIIII. Vom Hoffleben . 38 Z. B. das Gemälde Venus, Mars und Amor (um 1505) von Piero di Cosimo. URL: http: / / smb-digital.de/ eMuseumPlus? service=ExternalInterface&module=collection&objectId=865206&viewType=detailView (zuletzt abgerufen am 17. August 2018). Vgl. das Kapitel Venus zähmt Mars . In: Erik von Grawert-May: Theatrum Belli. Zum Verhältnis von Theater, Krieg und Politik in der Neuzeit. Bd I: Form und Lüge. Norderstedt 2013, S. 31- 36. Hier wird auf den Florentiner Humanisten und Neuplatoniker Marsilio Ficino (1433 bis 1499) verwiesen. Das Motiv der Zähmung des Mars durch die Venus - die Befriedung durch die Liebe - stellt einen Grundgedanken in dessen Schaffen dar. Konrad Celtis lernte den Kreis von Ficino auf einer Italienreise kennen und es finden sich Einflüsse. Vgl. Humanistische Lyrik (Anm. 12), S. 921, S. 946, S. 949, S. 955, S. 982, S. 1019 und Conrad Celtis. Oden/ Epoden/ Jahrhundertlied. Übersetzt und hrsg. von Eckart Schäfer. 2. überarb. Aufl. Tübingen 2012, S. 85: „In dieser Stellung wird Celtis dem Mars in den Armen der Venus ähnlich […]; vgl. das Gemälde ‚Venus und Mars‘ von Botticelli (1445-1510) in London.“ (Stellenkommentar des Herausgebers zu einem Liebesgedicht Celtis’). 39 Blumenfeld (Hanson), S. 295. Theobald Hocks Schönes Blumenfeldt - Eine performative Poetik? 337 <?page no="337"?> 338 Hermann Gätje seinem offensichtlichen Bezug auf das humanistische Weltbild mittelbar dazu in Beziehung setzen. Ausgangspunkt dieser Betrachtung war die Frage, ob Hocks Schönes Blumenfeldt in einer Zeit ohne wirkende Poetik präsumptive basale Elemente einer solchen entworfen und zum Ausdruck gebracht hat. Dies wurde unter dem Aspekt diskutiert, dass der Text in einer Zeit entstand, die von einem markanten sozialen, politischen und kulturellen Wandel geprägt war. Auch wenn man Thomas Kuhns Modell des Paradigmenwechsels als Maßstab für solche Prozesse nicht hypostasieren und verallgemeinern darf, lassen sich am Beispiel von Hocks Texten einige bemerkenswerte Analogien herausstellen. Eine vertiefende Betrachtung unter diesem Fokus erscheint daher lohnend. Die hier unsystematisiert vorgetragenen Beobachtungen müssten unter Heranziehung der Spezialforschung von Hocks Zeit fundiert, ergänzt und soziologisch wie textuell im damaligen literarischen Feld verortet werden. Solche Untersuchungen würden eine Basis bilden, um strukturelle Parallelen mit Textzeugnissen aus anderen Zeitabschnitten eines literarischen Wandels zu ermitteln. Eine solche Analyse von Hocks Schönem Blumenfeldt könnte Einblicke in das grundlegende Wesen und die Abläufe literarischer Paradigmenwechsel geben. <?page no="338"?> Die Reflexion des Verhältnisses von Mensch und Tier in der Lyrik Theobald Hocks Ralf Georg Bogner I. Einleitung: Literaturgeschichtlicher Kontext Tieren kommt als Motiv in der deutschsprachigen Literatur der Reformationszeit bekanntlich eine herausragende Bedeutung zu. Eine besondere Rolle spielt dabei die Gattung Fabel. Erasmus Alberus veröffentlicht erstmals 1534 Etliche Fabel Esopi , 1550 in zweiter Auflage als Das buch von der Tugent vnd Weißheit. 1 Burkard Waldis publiziert 1548 einen umfangreichen Band mit 400 Fabeln. 2 Bereits 1531 hat Martin Luther eine Auswahl von Fabeln Äsops ins Deutsche übertragen und mit einer programmatischen Vorrede versehen; der Text erscheint postum in den Gesamtausgaben. 3 Hans Sachs hat, wie andere Meistersänger, zeitlebens Fabeln gedichtet. 4 Neben der Fabel ist aber auch das Tierepos - wie die Fabel eine bereits in der Antike intensiv gepflegte Gattung - in der reformationszeitlichen Literatur stark präsent. 1595 veröffentlicht Georg Rollenhagen seinen Froschmeuseler , 5 und wenig später erscheinen von Wolfhart Spangenberg unter anderem der GanßKönig und der EselKönig. 6 Des Weiteren kommen Tiere immer wieder als wichtige Figuren in der satirischen Literatur der Zeit zum Einsatz. 1 Erasmus Alberus: Die Fabeln. Die erw. Ausg. von 1550 mit Kommentar sowie die Erstfassung von 1534. Hrsg. von Wolfgang Harms/ Herfried Vögel in Verbindung mit Ludger Lieb. Tübingen 1997 [Frühe Neuzeit. Bd. 33]. 2 Burkard Waldis: Esopus. 400 Fabeln und Erzählungen nach der Erstausg. von 1548. Hrsg. von Ludger Lieb/ Jan Mohr/ Herfried Vögel. Bde. I-II. Berlin 2011 [Frühe Neuzeit. Bd. 154]. 3 Martin Luther: Fabeln und Sprichwörter. Mit Einl. und Kommentar hrsg. von Reinhard Dithmar. 2., korr. Aufl. Darmstadt 1995. 4 Hans Sachs: Sämtliche Fabeln und Schwänke. Hrsg. von Edmund Goetze/ Carl Drescher. Bde. I-VI. Halle an der Saale 1893-1913 [Neudrucke deutscher Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts. 110/ 117, 126/ 134, 164/ 169, 193/ 199, 207/ 211, 231/ 235]. 5 Georg Rollenhagen: Froschmeuseler. Hrsg. von Dietmar Peil. Frankfurt am Main 1989 [Bibliothek deutscher Klassiker. Bd. 48/ Bibliothek der frühen Neuzeit. Bd. 12). 6 Wolfhart Spangenberg: Sämtliche Werke. Bde. III,1-III,2: Tierdichtungen I und II. Hrsg. von András Vizkelety. Berlin 1977f. [Ausgaben deutscher Literatur des XV. bis XVIII. Jahrhunderts. Bd. 73 und 79]. <?page no="339"?> 340 Ralf Georg Bogner Das bekannteste Beispiel dafür stellt Johann Fischarts erstmals 1571 veröffentlichter Text Flöh Hatz / Weiber Tratz dar. 7 Und nicht zuletzt sind diverse Wesen der Fauna in der seit Andreas Alciatus’ zuerst 1531 in Augsburg gedrucktem Emblematum liber florierenden Emblemkunst allenthalben gegenwärtig, sowohl bildlich als auch litteral. Ihre äußeren Eigenschaften und ihre Verhaltensweisen werden in unterschiedlichster Form allegorisch auf menschliches Handeln bezogen und daraus ethische Maximen für die Leser und Betrachter abgeleitet. 8 II. Tierallegorese Theobald Hock hat bekanntlich in seine Gedichtsammlung Schönes Blumenfeldt weder eine Fabel in gebundener Rede noch gar ein kurzes Tierepos integriert. Die Tiere, welche in seinen Versen durchaus immer wieder vorkommen, sind nicht, wie in der Fabel und im Tierepos, anthropomorphisiert, das heißt sie sind keine menschenanalogen Handlungsträger und Sprecher, und die Tierfiguren appellieren nicht demonstrativ an die Rezipienten, aus ihren Reden und Verhaltensweisen direkt bestimmte ethische oder taktische Regeln abzuleiten. Auch arbeitet Hock in seinen satirischen Gedichten nicht mit tierischen Figuren. Aber er bedient sich allegorisch-emblematischer Deutungen von Tieren mit Blick auf den Menschen und sein Verhalten, wenn diese auch selten vorkommen und nur wenig umfangreich ausgestaltet sind. Ein typisches Beispiel dafür ist in Hanson Nr. 69 der Vergleich eines Pferdes mit einer Frau bzw. mit einer guten Ehefrau. Es handelt sich hierbei um eine ganz klassische Tierallegorese in vier vergleichbaren Aspekten: Ein schöne Frawe ein schönes Pferdt / Sagt man solln haben wohl bewert / Ein schöne lange Man / Ein breite Brust so schon / Ein stoltzen gang vnd noch darbey Solln gern lassen auffsitzen frey / Das sein die Schönheit vier / So haben solln die zwey Thier. Doch solln die beyde auch mit fueg / An eim Breidter haben genug / 7 Johann Fischart: Flöh-Hatz, Weiber-Tratz. Hrsg. von Alois Haas. Stuttgart 1982 [Reclams Universal-Bibliothek. Bd. 1656]. 8 Vgl. Emblemata. Handbuch zur Sinnbildkunst des XVI. und XVII. Jahrhunderts. Im Auftrag der Göttinger Akademie der Wissenschaften hrsg. von Arthur Henkel/ Albrecht Schöne. Tle. 1-2. Stuttgart 1967-1976. <?page no="340"?> Die Reflexion des Verhältnisses von Mensch und Tier in der Lyrik Theobald Hocks 341 Wie Alexandrj Roß / Niembts auffließ sitzen bloß / Als seinen Herrn außerwöhlt / Wer sein Pferd und sein Weib wohl helt / Ein Cauaglier sein muß / Zu Roß vnd auch zu Fuß. 9 Ganz in der Tradition der christlichen Allegorese liest der Mensch hier in den von Gott geschriebenen Büchern der Natur und der Geschichte und erkennt die darin von demselben angelegten Signale. Die drei ersten Aspekte, in denen Pferd und Frau übereinstimmen, belegen die Legitimität der Herstellung einer allegorischen Verbindung zwischen ihnen. Aus dem vierten Aspekt, in welchem die beiden sich ebenfalls vergleichen lassen, ergeben sich Verhaltensregeln sowohl für den Mann als auch für die Frau. Der offenkundig obszöne Sinn - die Anspielung auf den Geschlechtsverkehr - wird dabei sittlich gebändigt durch die Verpflichtung des Mannes auf die Monogamie, welche ihrerseits noch mit einem historischen Exempel, dem Ross Alexanders des Großen, unterlegt wird. Eine weitere typisch allegorische Tierdeutung findet sich in Hanson Nr. 39, wo rückgratlose Höflinge mit Papageien verglichen werden: Und than gleich wie der Papegey / Deß Brots Er jßt zuhande / Desselben Lied singt Er so frey / Drumb zu der zeit / vil mehr gradt Leuth / Menglen / als Geld im Lande. 10 Die Fähigkeit des Papageis, in geringem Umfang menschliche Sprache lautlich nachzubilden, wird auf die Hofleute und deren Sprechhandeln in ihrem Dienst angewendet, um schließlich daraus noch eine allgemeine kulturpessimistische These abzuleiten. Charakteristisch für eine solche Tierallegorese ist hierbei, dass eine Eigenschaft eines Wesens auch in eine völlig andere Richtung gedeutet werden kann. Hans Sachs beispielsweise gewinnt aus der mechanisch-imitatorischen Sprechfähigkeit des Papageis in seinem Gedicht Der zwölff reynen vögel eygenschafft, zu den ein Christ vergleichet wird , eine gänzlich konträre, positive Einschätzung des Tieres: Der pappagey redt menschlich stim; Also ein Christ bekent in im 9 Blumenfeldt (Hanson), S. 488. 10 Ebd., S. 353. <?page no="341"?> 342 Ralf Georg Bogner Sein selb brechen und sündig art, Helt sich selb schnöd zu aller fart. 11 Eine spezifische Eigenschaft des Papageis, seine Fähigkeit zur Nachahmung einzelner menschlicher Sprechakte, wird in den beiden Texten in zwei völlig unterschiedliche Richtungen ausgedeutet. Einmal steht diese tierische Fähigkeit für die Unart, seinem Dienstherrn bedenkenlos nachzuplappern, einmal wird sie als Fähigkeit des guten Christen interpretiert, seine eigene Sündhaftigkeit und Begrenztheit einzusehen. Der Papagei wird dabei einmal abschätzig, einmal sehr positiv betrachtet. All das ist für die Allegorese der Zeit typisch. Es geht hier nicht darum, eine naturwissenschaftliche, mutmaßlich objektive Erkenntnis über ein Tier zu erlangen. Der Papagei steht auch nicht im Mittelpunkt des Interesses. Er ist vielmehr ein aus dem mundus sympbolicus herausgegriffenes Demonstrationsobjekt, aus dem der Mensch einen Fingerzeig Gottes entnehmen möge, und dieses Demonstrationsobjekt kann in zwei verschiedenen Kontexten stark divergierend gesehen und betrachtet werden. Hock steht hier ganz ungebrochen in der Tradition der christlichen Allegorese, wie sie etwa auch in den in seiner Zeit so beliebten emblematischen Bild-Text-Kombinationen betrieben wird. III. Tierfiguren in Fabel- und Bibeltradition Die Beispiele des Pferdes aus Hanson Nr. 69 und des Papageis aus Hanson Nr. 39 zeigen bereits deutlich, dass die Tierwelt in Hocks Gedichtsammlung weniger aus seiner Erfahrungswirklichkeit als vielmehr aus den ihm bekannten literarischen Traditionen, Konventionen und Verfahrensweisen gespeist wird. Er beschreibt nicht irgendeine auffällige Verhaltensweise von Katzen oder von einer spezifischen Hunderasse, sondern er betreibt immer wieder klassische christliche Tierallegorese. Hinzu kommt, dass er zwar, wie bereits bemerkt, keine Fabeln und keine tierepische Dichtung verfasst, die animalischen Gestalten in seinen Gedichten jedoch häufig in genau diesen literaturgeschichtlichen Traditionen stehen. Das heißt, dass er gerne die seit Äsop in der Antike gebräuchlich gewordenen Eigenschaften bestimmter Fabeltiere aufgreift und ungebrochen fortschreibt. Die einzelnen menschlichen Merkmale, welche spezifischen Tieren und den Beziehungen zwischen verschiedenen Tierarten seit vielen Jahrhunderten anthropomorphisierend zugeordnet werden, greift Hock etliche Male in ganz konventioneller Form auf. So erscheint in Hanson Nr. 53 wie selbstverständlich etwa die Ameise mit dem klassischen Attribut des Fleißes oder der 11 Hans Sachs. Hrsg. von Adelbert von Keller. Bd. I. Tübingen 1870 [Bibliothek des Litterarischen Vereins in Stuttgart. Bd. 102], S. 377f. <?page no="342"?> Die Reflexion des Verhältnisses von Mensch und Tier in der Lyrik Theobald Hocks 343 Löwe als vor allem starkes, aber zugleich großzügiges Tier. 12 In Hanson Nr. 3 wiederum wird die althergebrachte, spannungsreiche Beziehung zwischen den Fabeltieren Wolf und Schaf zitiert. 13 Neben Fabel und Tierepos ist die Bibel eine weitere von Hock gerne aufgegriffene Quelle tradierter, topisch gewordener Attribuierungen von animalischen Wesen. So tritt in Hanson Nr. 14 und Hanson Nr. 44 die Schlange nach Gen 3, 1-7 als Verführerin zum Bösen auf. 14 Wie in der Allegorese können freilich beim Rückbezug auf unterschiedliche Bücher und Passagen der Bibel einem Tier divergierende Eigenschaften zugeordnet werden. So wird in Hanson Nr. 53 nach Mt 10, 16 „der Schlang fürsichtigkeit“ gelobt, und unter Rückbezug auf dieselbe Bibelstelle wird der Tauben „Einfaltigkeit im Glauben“ gepriesen. 15 Die Fische, Vögel und die anderen Tiere der Schöpfung wiederum stellen eine stehende Wendung nach Gen 1, 28 dar, welcher sich Hock in Hanson Nr. 14 16 und in Hanson Nr. 66 bedient: Es trawret Erdt / Wasser / Lufft vnd Fewr / Sonn / Mond / Stern sich letzen / Sich ob der Boßheit ungehewr Der Menschen hoch entsetzen. Die Frucht / Obst / Blumen / Laub vnd Graß / Die Vögel in den Lüfften / Die Fisch im Meer empfinden das Die Thier in tieffen Clüfften. 17 Diese Zeilen aus einem Gedicht über die Sündhaftigkeit der Menschen und ihre Unfähigkeit zur Buße verweisen bereits auf den Schwerpunkt von Hocks Thematisierung von Tieren im Schönen Blumenfeldt. Gleichgültig, ob er klassische animalische Figuren aus der Tradition der Fabeldichtung oder aus der Bibel aufgreift oder ob er die damals übliche Tierallegorese betreibt: In den meisten Fällen geht es ihm dabei um die Reflexion der Unterschiede zwischen Tier und Mensch. 12 Vgl. Blumenfeldt (Hanson), S. 412. 13 Vgl. ebd., S. 184. 14 Vgl. ebd., S. 236 und S. 371f. 15 Vgl. ebd., S. 413. 16 Vgl. ebd., S. 235. 17 Vgl. ebd., S. 474. <?page no="343"?> 344 Ralf Georg Bogner IV. Vernunft als Differenzkriterium zwischen Mensch und Tier Tiere kommen in Hocks Gedichten vor allem deswegen vor, um diese sogenannte anthropologische Differenz - eine althergebrachte, vielfältig verzweigte Diskussion der abendländischen Philosophie 18 - zu diskutieren, zu illustrieren und auszudeuten. Hocks Auseinandersetzung mit dem Thema kulminiert - fast genau in der Mitte der Gedichtsammlung - in Hanson Nr. 53 Das vernünfftig Thier / soll von dem vnuernunfftigen lernen. 19 Bereits dieser Titel spielt auf die in der Diskussion um den Unterschied zwischen Mensch und Tier am häufigsten genannte Eigenschaft des Ersteren an, welche erst seine Humanität begründet, nämlich die Begabung mit Vernunft. Zugleich jedoch wird das Paradoxon formuliert, dass der mit der Ratio ausgestattete Mensch vom Tier etwas lernen solle, dem es ja an dieser herausragenden Fähigkeit des Menschen mangelt. Und nicht zuletzt wird in einem weiteren Paradoxon der durch seine Vernunftbegabung menschliche Mensch als Tier klassifiziert - offenbar deswegen, weil er sich seiner rationalen Anlagen nicht in hinreichendem Maße bedient, um wirklich als vollwertiger Mensch gelten zu können. Die erste Strophe des Textes exponiert das im Titel bereits angedeutete Thema etwas ausführlicher: LErnt / lernt jr hoch vernünfftige Thier auff Erden / Weils euch so gut mag werden / Lernt von dem vnuernünfftigem Viech vnd Thiern / Die jhr hie solt regieren / Last euch von solcher witz vnnd klugheit trämen / Köndt euch doch selbst nit zähmen. 20 Der Sprecher des Textes appelliert wie im Titel an die Leser in imperativischer Form, zum eigenen Vorteil von den vernunftlosen Tieren zu lernen, die zwar nicht über die Ratio, aber doch über außerordentliche geistige Kräfte („witz vnnd klugheit“) verfügten. Grund für die Ermahnung ist die Unfähigkeit der angesprochenen Leser, das eigene Handeln zu disziplinieren. Hinzu kommt unter Rekurs auf Gen 1, 28 ein weiteres Paradoxon: Der Mensch, der von Gott dazu eingesetzt worden ist, über die Tiere zu herrschen, sollte sich aufgrund seiner 18 Vgl. dazu z. B. Markus Wild: Die anthropologische Differenz. Der Geist der Tiere in der Frühen Neuzeit bei Montaigne, Descartes und Hume. Berlin [u. a.] 2006 [Quellen und Studien zur Philosophie. Bd. 74]; Tiere. Kulturwissenschaftliches Handbuch. Hrsg. von Roland Borgards. Stuttgart 2016; Tobias Davids: Anthropologische Differenz und animalische Konvenienz. Tierphilosophie bei Thomas von Aquin. Leiden und Boston/ MA 2017 [Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters. Bd. 120]. 19 Vgl. Blumenfeldt (Hanson), S. 412f. 20 Ebd., S. 412. <?page no="344"?> Die Reflexion des Verhältnisses von Mensch und Tier in der Lyrik Theobald Hocks 345 eigenen Unbeherrschtheit etwas von den Tieren abschauen, über denen er doch eigentlich stehen müsste. Das hier skizzierte Verhältnis von Tier und Mensch einerseits und Vernunft und Affekten, die kontrolliert werden müssen, andererseits, reflektiert Hock auch in Hanson Nr. 75: Die Thier doch zwar / Auch die Affect empfinden / Zorn / Traurn vnd Neid / Lieb / Lust vnd Frewd / Dem Menschen gleich haben offt ein zeit. Das erst als die Vernunfft so weiß / Darmit mit fleiß / Allein nit vnderscheidet Den Menschen / Gott / hie von den Thiern / Als wir es spiern / Sondern jhn also kleidet / Das einer mehr / ist witziger Als ander viel / an Kunst vnd Lehr. 21 Affekte und Emotionen werden demgemäß nicht als ein Humanum verstanden, sondern sie sind auch den Tieren eigentümlich. Gott aber hat dem Menschen die Vernunft als wesentliches Merkmal der anthropologischen Differenz verliehen, allerdings in unterschiedlich hohem Maße. Der eine, so stellt es der Text dar, verfügt über Vernunft in einem höheren Umfang, der andere in einem niedrigeren. Daraus ergeben sich Unterschiede in Kunstfertigkeit und Gelehrsamkeit. In Hanson Nr. 53 hingegen spielt diese Frage keine Rolle. Dieses Gedicht handelt nicht von intellektuellen Anlagen, sondern von der Fähigkeit des Menschen, sich der ihm von Gott verliehenen Vernunft zur Zügelung seiner Begierden zu bedienen. Es geht also um Ethik. Hock führt in der zweiten und dritten Strophe seines Textes ein weiteres Paradoxon aus. Obgleich die Tiere keine Vernunft besitzen, können wir ethisch vorbildliche Verhaltensweisen an ihnen beobachten, an welchen es den vernunftbegabten Menschen selbst nur allzu oft mangelt: Lernt Wirtschafft heußligkeit von Panien / Da last ewer Klugheit scheinen / Secht wie die Ameiß klein eintregt im Summer / Damits ohn sorg vnd kummer / Jm Winter leb / lernt von den Storchen Demüttigkeit / secht wie so fromb sie gehorchen. 21 Ebd., S. 515. <?page no="345"?> 346 Ralf Georg Bogner Lernt von der Schlang fürsichtigkeit / von Tauben Einfaltigkeit im Glauben / Vom Lamb geduldt / von kranichen gar eben / Gutt Ordnung in ewerm leben / Vom Hannen wachtsambkeit all zeit vnd stunde / Die lieb vnd trew vom Hunde. 22 Im Text werden konsequent Tiere mit konventionalisierten positiven Eigenschaften aufgezählt, so etwa die Biene mit ihrem Fleiß oder die Taube mit ihrer Einfältigkeit. Hock steht hier ganz ungebrochen in der bereits skizzierten Tradition klassischer Anthropomorphisierungen in der Fabel, in der Bibel und im Emblem. Primär geht es dabei um weltlich-ethische Tugenden, sekundär aber auch um die Glaubenspraxis. Die beiden folgenden Strophen des Textes führen die Argumentation fort: Vom Löwen großmüttigkeit darzu die stärcke / Vom Pferdt den gehorsamb mercke / Ja lernt nie müssig sein wol von der Spinnen / Die arbeit stets mit sinnen / Jn Summ lernt messigkeit vnd zucht ich melde / Von allen Thieren der Welde. Das Vieh hat offt mehr Sinn / schier vnd vernunffte / Jn seinem Gschlecht vnd Zunffte / Alß wir / den nichts thuts wider sein Nature / Es helt zeit / maß vnd Cure, Frist / saufft / schläfft / wacht nie vber sein vermügen/ All andere sorgen lests liegen. 23 Die vierte Strophe des Gedichts führt die Aufzählung von positiv konnotierten Tieren fort und beschließt sie mit einem demonstrativen Fazit. Die Tiere sollen dem Menschen Vorbilder in den Tugenden des Maßhaltens und der Disziplin sein. Auch hierin ist weiterhin das bereits im Titel formulierte Paradoxon präsent, dass der mit Vernunft ausgestattete Mensch sich am Verhalten von Wesen zu orientieren habe, welche nicht von Gott mit der Ratio ausgestattet worden sind. Die fünfte Strophe führt den Gedanken fort, dass die Tiere scheinbar vernünftig und die Menschen unvernünftig handelten. Indiz dafür sind allerlei menschliche Laster wie die Völlerei, der Alkoholmissbrauch oder der allzu lange Schlaf (als typisches Zeichen für Faulheit). All dies lasse sich bei den Tieren 22 Ebd., S. 412f. 23 Ebd., S. 413. <?page no="346"?> Die Reflexion des Verhältnisses von Mensch und Tier in der Lyrik Theobald Hocks 347 nicht finden, weil sie trotz fehlender Vernunft Maß hielten. Damit kehrt sich im Gedicht die anthropologische Differenz gewissermaßen um. Die Tiere verhalten sich trotz ihnen fehlender Ratio de facto vernünftiger als die Menschen und stehen ethisch über ihnen - und genau dies muss für die Menschen ein Ansporn zur sittlichen Besserung sein. Die sechste Strophe führt nun aber vor, dass dies nicht für die gesamte Tierwelt gilt. Sie richtet den Blick nun auf einen Teil der Fauna, der von Gott den Menschen als negatives Exempel vor Augen gestellt wird: Du solt Exempel nemen dich regieren / Nach disen gutten Thieren / So folgstu dem Raben / dem Wolff vnd Sawen / Da lest dein Art wol schawen / Fluchst / würgst / hurst / stilst / geitzst / sauffst vnd spilst / Die Zehen Gebott sündtlich erfülst. Da bistu nur in zweyen stücken vnderscheiden / Von Thieren / im reden und Klaiden / Sonst jhnen gleich / offt erger auch ohn zweyffel / Den du kanst leicht zum Teuffel / Mit all deim gut Gschlecht / Amt vnd Weißheit wandern / Drumb lern ein Thier vom andern. 24 Der Text appelliert also offensiv an den Leser, den positiv bewerteten Tieren nachzufolgen und sich selbst zu disziplinieren. Wer es hingegen wie die negativ bewerteten Tiere treibt, übertritt die von Gott geoffenbarten Zehn Gebote und verfällt der Sünde. In der siebten Strophe wird hierauf nochmals implizit auf das Humanum der Vernunft abgehoben. Wer seine Affekte und Begierden nicht zähmt, setzt die ihm von Gott als besondere menschliche Gabe verliehene Rationalität nicht ein. Die anthropologische Differenz reduziert sich in diesem Fall auf zwei Eigenschaften, nämlich die Kleidung (unter Rekurs auf Gen 3, 21) und die Sprachfähigkeit. Beide sind für Hock offenbar gegenüber der Vernunft nur äußerliche oder minderwertige Humana, und zwar deswegen, weil sie im Gegensatz zur Vernunft nicht ethisch relevant zu sein scheinen. Insofern führt der mangelnde Einsatz der von Gott dem Menschen gegebenen Vernunft in sittlichen Fragen konsequenterweise am Ende des Textes zu einer Drohung mit der ewigen jenseitigen Verdammung. 24 Ebd., S. 413. <?page no="347"?> 348 Ralf Georg Bogner V. Willensfreiheit und Selbstreflexion als Differenzkriterien zwischen Mensch und Tier Neben dem Humanum Vernunft befasst Hock sich in seinen Gedichten des Weiteren intensiv mit der Willensfreiheit als weiterem klassischen Kriterium der anthropologischen Differenz. Bereits der Titel von Hanson Nr. 29, der klar auf dieses philosophische Konzept verweist, formuliert erneut ein Paradoxon: Der Mensch ist weniger frey als die Thier. Die erste Strophe exponiert wie Hanson Nr. 53 diese These in allgemeiner Form: Thier / Vogel / Fisch in Meeren / Vnnd alle Creaturn / Was lebt vnnd schwebt auff Erd / ins Himmels Heern / Ja selbst auch die Naturen / Freyen sich / das sie sein frey kein Gsätz nit hulden Dürffen / vnd leben ohn schulden. 25 Die verschiedensten Tiere erfreuen sich mithin im Gegensatz zum Menschen ihrer Freiheit, weil sie zum einen keinem - wie auch immer zu definierenden - Gesetz unterworfen und zum anderen nicht durch den Sündenfall (vgl. Gen 3, 6) gegenüber Gott mit Schuld beladen sind. Der Mensch mit seinem freien Willen ist in seinen Handlungsspielräumen also aus diesen Gründen mehr eingeengt als ein Tier. Die zweite Strophe des Textes kontrastiert die freien Tiere in der Natur mit den von Menschen gefangenen Tieren. Hock illustriert nicht mit konkreten Beispielen, welche Tiere er damit meint - etwa auch Haustiere oder Nutztiere. Wesentlich ist ihm aber offenbar die emotionale Situation der Tiere in der menschlichen Gefangenschaft: Sie trauern und wünschen sich Freiheit, und zwar selbst wenn sie vom Menschen sehr gut gehalten werden. Im Umkehrschluss impliziert dies, dass die in Freiheit lebenden Tiere keine Mängelwesen sind. Genau darum handelt es sich aber, wie nun die dritte Strophe ausführt, beim Menschen. Nach dem Sündenfall und der Vertreibung aus dem Garten Eden steht er - im Gegensatz zu den Tieren - ohne Kleidung und ohne natürliche Waffen da, und das auch noch, obwohl er von Gott zum Herrscher über die Tiere eingesetzt worden ist. Die vierte Strophe stellt dieser Einsetzung des Menschen zum Regenten über die Welt seine Einbindung in die unterschiedlichsten Pflichten und Dienstbarkeiten gegenüber und bezeichnet ihn deswegen provokativ sogar als das Ärmste aller Tiere. 26 25 Ebd., S. 308. 26 Vgl. ebd., S. 308f. <?page no="348"?> Die Reflexion des Verhältnisses von Mensch und Tier in der Lyrik Theobald Hocks 349 Die vielfältigen Belastungen des Menschen, welche ihn der ihm eigentlich gegebenen Willensfreiheit berauben, werden in Hanson Nr. 29 nur recht undeutlich formuliert. Er sei, heißt es da, „stets bunden / An Weib vnd Kind / an dienst vn[d] andere sachen / Die anfechtung jhm machen“. 27 Genauere Erläuterungen dazu finden sich in Hanson Nr. 82. Hier wird ein weiteres Mal explizit die Freiheit der Tiere gegenüber der eingeschränkten Existenz der Menschen herausgestrichen. Als erster Grund dafür wird ins Treffen geführt, dass der Mensch aus der Einsetzung zum Herrscher über alle anderen Lebewesen in Gen 1, 28 auch das Recht ableitet, andere Menschen zu regieren. Die Unfreiheit der Menschen ist also bedingt dadurch, dass sie sich ihre Freiheit gegenseitig nehmen. Als Beispiele folgen die Dienstbarkeit unter Vorgesetzten, die Besteuerung, die Eingebundenheit in Gesetze oder Zahlungsverpflichtungen. Wirkliche Freiheit könne der Mensch, so die vanitas -basierte Quintessenz des Gedichts, erst im Grab erlangen, weil er dann aller dieser ihn einschränkenden Bande ledig werde. 28 In der fünften Strophe von Hanson Nr. 29 werden die Freiheitsgrade von Mensch hier und Tier dort noch anhand eines mythologischen Exempels in bemerkenswerter Weise gegeneinander abgewogen: Drumb niembt sich auch verwunder / Das Circe den Thieren eben / Als sie Vlysses bat widerumb jetzunder / Die Menschliche gstalt wolt geben / Vnd sie nit gwölt / weil sie das elendt wesen / Gschröckt / drin sie vor sein gwesen. 29 Hier sei davon abgesehen, dass zumindest in der Odyssee (10, 575) Odysseus’ Gefährten keineswegs in tierischer Gestalt verbleiben möchten. Wichtig ist, dass Hock in den Mythos von der Metamorphose von Menschen in Tiere und dann wieder umgekehrt von Tieren in Menschen den Zweifel projiziert, ob es wünschenswerter sei, als Schwein in Circes Koben gefangen gehalten zu werden oder aber Odysseus bei seinen langjährigen Irrfahrten auf der gefährlichen See zu dienen. Die letzte Strophe von Hanson Nr. 29 bietet eine Zusammenfassung des Gedichts, in einigen Details erweitert um einen weiteren Aspekt der Reflexion der anthropologischen Differenz. Es wäre - so heißt es da - besser, manch ein Mensch wäre nie geboren worden, wenn er entweder durch höhere Mächte wie das Schicksal oder durch ihm übel gesinnte Gestirne verfolgt werde oder aber 27 Ebd., S. 309. 28 Vgl. ebd., S. 553-555. 29 Ebd., S. 309. <?page no="349"?> 350 Ralf Georg Bogner „wie ein Viech sein selbs ist ein vergesser“. 30 Ein Mensch, der sich in seinem Menschlich-Sein vergisst, sinkt also auf die Stufe eines Tieres hinab. Neben der Vernunft wird demnach auch die Selbstreflexion von Hock als ein Humanum betrachtet. Dieselbe wird hierbei wieder, wie die Vernunft in Hanson Nr. 53, stark ethisch konzeptualisiert. Der Text schließt nämlich mit dem Hinweis, dass der Mensch, welcher seines Leibes nicht „mechtig“ sei, der Knecht eines anderen werden müsse. 31 Freiheit, soweit sie unter Menschen möglich ist, setzt also den Einsatz der Vernunft, Selbstreflexion und in der Folge Selbstdisziplinierung voraus, weil nur dadurch der Mensch in die Lage versetzt werde, über andere zu herrschen und Gottes diesbezüglichen biblischen Auftrag zu erfüllen. VI. Fazit Es hat sich gezeigt: Hock schreibt keine der klassischen literarischen Gattungen seiner Zeit, in denen Tiere eine wichtige Rolle spielen, direkt weiter, bedient sich aber traditioneller Gestaltungsweisen der Tierdarstellung in Fabel, Bibel und emblematischer Allegorese. Im Mittelpunkt von Hocks Integration animalischer Figuren in seine Gedichtsammlung steht vielmehr die lyrische Reflexion der anthropologischen Differenz. Er formuliert seine Gedanken stellenweise etwas sprunghaft, insgesamt aber ergibt sich eine sehr klare, genau durchdachte, homogene und originelle poetische Konzeption der Unterscheidung von Tier und Mensch. Die anthropologische Differenz ist für Hock keine nebensächliche philosophische Quisquilie, sondern sie rührt an die Fundamente der Selbstdefinition des Menschen. Er greift etliche der klassischen Humana auf, bewertet sie aber sehr unterschiedlich. Die Nacktheit des Menschen und seine Scham dafür sowie die Notwendigkeit der Kleidung sind theologisch gesetzt, spielen aber für ihn keine besondere Rolle. Auch der Sprachfähigkeit des Menschen kommt interessanterweise keine herausragende Bedeutung zu. Affekte und Emotionen sieht Hock nicht als alleiniges humanoides Wesensmerkmal an, sondern spricht sie Tieren in gleicher Weise zu. Die Letzteren sind jedoch ohne Erbsünde und daher ethisch schuldlos. Die Erbsünde stellt ein zentrales Humanum dar. Ebenfalls durch die Bibel klar bestimmt als wichtiger Aspekt der anthropologischen Differenz ist die Einsetzung des Menschen zum Herrscher über die gesamte Welt und damit auch über die Tiere. Die Erbsünde jedoch öffnet ein Tor zum Missbrauch dieser Aufgabe. Die Willensfreiheit ist ein weiteres von Gott verliehenes Humanum, wird allerdings erst durch den ethisch positiven Gebrauch wirklich ein Differenzkriterium zum Tier. Die Zivilisation mit ihrer Einbin- 30 Ebd. 31 Ebd. <?page no="350"?> Die Reflexion des Verhältnisses von Mensch und Tier in der Lyrik Theobald Hocks 351 dung des Individuums in diverse Pflichten begünstigt nicht die Entfaltung der Freiheit des Einzelnen, sondern schränkt sie massiv ein. Die Vernunft und die Selbstreflexion gelten Hock grundsätzlich als weitere Humana, sie müssen aber wie die Willensfreiheit vom Menschen erst einmal adäquat eingesetzt werden, um faktisch zu Differenzkriterien gegenüber dem Tier werden zu können. Der Mensch erhebt sich demgemäß nicht einfach über das Tier, weil ihm eine Reihe von Humana verliehen sind. Vielmehr muss er die beiden wichtigsten Humana, die Vernunft und die Willensfreiheit, erst verantwortungsvoll in seinem Denken und Handeln umsetzen, um sich tatsächlich vom Tier zu unterscheiden. <?page no="352"?> Poetologisches Propemptikon und grobianischer Transformationsschwank - Zur gattungspoetologischen Einordnung von Theobald Hocks An die Satiren (Cap. III.) Heiko Ullrich Einleitung Während die ältere Forschung zum Schönen Blumenfeldt versucht, 1 den Verstehensschwierigkeiten des Textes mit philologischem Rüstzeug zu Leibe zu rücken, 2 bemüht Eckehard Czucka sich in seiner Interpretation von Cap. XIX. ( Von Art der Deutschen Poeterey ) darum, zu zeigen, wie Hock ein Bewusstsein vom subversiven Potenzial einer metaphorisch gebrauchten Sprache entwickle und seine praktische Poetik auf dieser Haltung aufbaue. 3 Diese Erkenntnis 1 Vgl. zur Pflanzenmetaphorik des Titels auch Wolfgang Adam: Poetische und Kritische Wälder. Untersuchungen zu Geschichte und Form des Schreibens „bei Gelegenheit“. Heidelberg 1988, S. 156 und S. 176f., sowie den Aufsatz von Eckehard Czucka im vorliegenden Band. 2 Daneben existieren eine breite biographische Forschung zu Theobald Hock und zahlreiche Versuche, das Schöne Blumenfeldt literarhistorisch zwischen Renaissance, Reformationszeitalter und Frühbarock zu verorten. Wichtige Etappen innerhalb der philologischen Kommentierung der Einzelgedichte stellen die Editionen von Koch (Blumenfeld [Koch]) und Hanson (Blumenfeld [Hanson]) sowie die Arbeiten von Albert Köster: Rezension Theobald Hock, Schönes Blumenfeld. In: Anzeiger für deutsches Altertum und deutsche Litteratur 26 (1900), S. 286-319, Alfred Goetze: Zu Theobald Hoeck. In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 27 (1902), S. 154-165, Kurt Fleischmann: Theobald Hock und das sprachliche Frühbarock. Reichenberg 1937, Karl-Henning Senger: Theobald Hock, der Dichter des „Schönen Blumenfeldes“. [Diss. masch. Hamburg 1939], und Brunhilde Vetters: Studien zum lyrischen Werk Theobald Hocks. [Diss. masch. Wien 1952], dar. 3 Eckehard Czucka: Poetologische Metaphern und poetischer Diskurs. Zu Theobald Höcks „Von Art der Deutschen Poeterey“ (1601). In: Neophilologus 71 (1987), S. 1-23. Eine wesentlich konservativere Deutung des Gedichts schlägt Rüdiger Zymner: Das „Wissen“ der Lyrik. In: Gattungs-Wissen. Wissenspoetologie und literarische Form. Hrsg. von Michael Bies/ Michael Gamper/ Ingrid Kleeberg. Göttingen 2013, S. 109-120, hier S. 113, vor, wenn <?page no="353"?> 354 Heiko Ullrich wendet Czucka auch auf Cap. III. ( An die Satiren ) an, 4 indem er den an die Satiren gerichteten Vers 5 („So last euch gleich nur schreiben“) als Wendung von einem passiven Angesprochenwerden zu einem aktiven Sprechen deutet, das die Satiren in einen Gegensatz zum „Tunckel gutt“ (V. 46) setze, womit die Überwindung dieser aus Minne- und Meistersang übernommenen Figur des Neiders durch die Satiren zu einer Überwindung der Allegorie 5 durch die Metapher werde: Die Satiren treten in diesem Gedicht zwar in Analogie zu Menschlichem, diese Beziehung wird aber nicht qua Personifikation allegorisch realisiert, sondern ist eine metaphorische, die sich nicht durch Rückübersetzung ins Eigentliche, ins verbum proprium, mehr auflösen läßt, weil das Gedicht als Großmetapher alle Bedeutung in dem Wort entfaltet; was an den Satiren menschlich erscheint, kommt mit dem überein, was an den Menschen sprachlich ist: beide sprechen. 6 Czuckas Ausführungen zu Cap. III. verfolgen den Zweck, das aus der Interpretation von Cap. XIX. Entwickelte in seiner Gültigkeit für das gesamte Schöne Blumenfeldt zu erweisen: Ausgehend von der Vorstellung, Hocks „emphatische Vorstellung von Literatur als Sprache“, wie sie sich im Gedicht Von Art der Deutschen Poeterey manifestiere, stelle den Kern seiner Poetik dar, sollen mit dieser Ausweitung des Deutungsansatzes die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass „eine Gesamtinterpretation [sc. des Schönen Blumenfeldts ] das lyrische Ich als die subjektive Allgemeinheit einer sprechenden Bedeutungsvielfalt konturieren“ könne. 7 Auf den ersten Blick erscheint es durchaus einleuchtend, dass Hock seinen Satiren natürlich deshalb abschließend ihre Unsterblichkeit zuschreibt, weil sie er als Botschaft von Cap. XIX. identifiziert, „dass ‚Poeterey‘ etwas mit einer bestimmten ornamentalen Behandlung der ‚verba‘ zu tun habe, deren Verhältnis zu den ‚res‘ auch unter anderem mit einem kulturspezifischen Ordnungsgefüge der Welt zusammenhängt“; leider führt Zymner nicht aus, inwiefern dieses „kulturspezifische Ordnungsgefüge der Welt“ den Zusammenhang zwischen res und verba bei Hock beeinflusst. 4 Das Gedicht wird im Folgenden unter Nennung der für das einzelne Gedicht relevanten Verszahlen zitiert nach dem in Blumenfeld (Hanson), S. 184f. hergestellten Text. Hanson verwendet eine über alle Gedichte fortlaufende Verszählung, auf die hier nicht rekurriert wird; stattdessen werden die Verse für jedes Kapitel durchgezählt. 5 Als Allegorie deutet den „Neydhart“ bereits die Einleitung zu Blumenfeld (Koch), S. LIII, der sich Fleischmann: Theobald Hock (Anm. 2), S. 29, und Vetters: Studien (Anm. 2), S. 22, anschließen. Fleischmann will dabei eine gewisse Entwicklung festgestellt haben: „In den späteren Gedichten erkennen wir, daß Höck die Eigenschaften nicht mehr als allegorische Wesen auffaßt, nicht mehr vermenschlicht. Die Eigenschaften haben kein Eigenleben mehr.“ 6 Czucka: Poetologische Metaphern (Anm. 3), S. 17f. (Hervorhebung im Original). 7 Ebd., S. 16. <?page no="354"?> Poetologisches Propemptikon und grobianischer Transformationsschwank 355 in dem Augenblick, in dem der Leser die entsprechenden Verse liest, tatsächlich sprechen und so weiterleben - vor dem realen Hintergrund, dass das Schöne Blumenfeldt allerdings mehrere Jahrhunderte der Vergessenheit anheimfiel, zunächst keinerlei nachvollziehbare Rezeption zeitigte 8 und um ein Haar (man braucht keine große Phantasie, um sich den Verlust weiterer zehn Kodizes 9 ein paar Jahre vor der Wiederentdeckung Hocks durch Docen 10 und Hoffmann von Fallersleben 11 vorzustellen) tatsächlich spurlos verschwunden wäre, hat diese Deutung allerdings ihre Tücken, wenn auch Hock selbst in Cap. III. alle Möglichkeiten der Rezeption in Erwägung zieht - nur nicht die eine (dann eingetretene), dass man ihn mit völliger Nichtachtung strafen könnte. Davon einmal abgesehen, bleibt insbesondere die unterstellte Antinomie von moderner, der Komplexität des Systems Literatur angemessener (Groß-)Metapher und veraltet-mittelalterlicher, unreflektierter und primitiver Allegorie die Achillesferse von Czuckas Interpretation. Hock ein avantgardistisches Sprachbewusstsein zu unterstellen, mag durchaus gerechtfertigt sein - aber sein Anliegen ist gerade in Cap. III. nicht die Überwindung der Allegorie durch die Metapher, sondern die Kombination beider Ausprägungen literarischer Bildlichkeit: Das Buch überlebt allegorice alle Angriffe auf seine Materialität und metaphorice alle Angriffe auf seine Funktion als Medium, weil es sowohl materiell als auch medial wandlungsfähig ist - und dieser Wandel ist nur durch die Beibehaltung beider Dimensionen des Buches möglich, deren gegenseitige Abhängigkeit voneinander am Ende des Gedichts noch einmal betont wird, wenn der Wahlspruch des Buches als „Impressa“ (V. 62) erscheint 12 und damit auch in seiner Materialität 8 Vgl. dazu neben Erich Trunz: Pansophie und Manierismus im Kreise Kaiser Rudolph II. In: Die österreichische Literatur. Ihr Profil von den Anfängen im Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert (1050-1750). Teil 1. Hrsg. von Herbert Zeman/ Fritz Peter Knapp. Graz 1986, S. 865-983, hier S. 946, auch die Einleitung zu Blumenfeld (Hanson), S. 5f., sowie ebd., S. 112-122. 9 Vgl. zur Überlieferungslage neben der Einleitung zu Blumenfeld (Hanson), S. 140-145, insbesondere den Aufsatz von Sikander Singh im vorliegenden Band. 10 Bernhard Joseph Docen (Hrsg.): Miscellaneen zur Geschichte der teutschen Literatur, neu-aufgefundene Denkmäler der Sprache, Poesie und Philosophie unserer Vorfahren enthaltend. München 1806, Bd. I, S. 260. 11 August Heinrich Hoffmann von Fallersleben: Theobald Höck. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Literatur. In: Literarhistorisches Taschenbuch 3 (1845), S. 399-422. 12 So auch Albert Leitzmann: Zu Theobald Höck. In: Beiträge zur deutschen Sprache und Literatur 51 (1927), S. 195-205, hier S. 197, und Max Hermann Jellinek: Beiträge zur Textkritik und Erklärung des Schönen Blumenfeldes. In: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 69 (1932), S. 209-216, hier S. 211; Eero Alanne: Das Eindringen der romanischen Sprachen in den deutschen Wortschatz des Frühbarock. In: Zeitschrift für deutsche Sprache 21 (1966), S. 84-91, hier S. 90, will den Begriff nicht auf das adjektivische Partizip „impresso“, sondern auf das Substantiv „impresa“ (‚Unternehmen‘) zurückführen - diese Auflösung ergibt an der vorliegenden Stelle jedoch keinen Sinn. <?page no="355"?> 356 Heiko Ullrich betont wird, die nach Czuckas Deutung zu diesem Zeitpunkt des Handlungsverlaufs eigentlich längst keine Rolle mehr spielen dürfte. Dennoch ist die Unterscheidung zwischen Metapher und Allegorie natürlich eine für Cap. III. des Schönen Blumenfeldts wesentliche, zumal sie sich über Czuckas aufgrund ihrer Kürze weitgehend textimmanenten Ausführungen zu An die Satiren hinaus gattungspoetologisch fundieren lässt, wie in der Folge gezeigt werden soll: Die Vorstellung vom Buch als Materie, die allegorisch den menschlichen Körper vertritt, wenn Hock die Verwandlung der Buchseiten in Seidenspulen, Schablonen, Gewürztüten, Toilettenpapier, Patronenhülsen und Abführmittel als allmähliches Altern und Sterben darstellt, wird mit der Vorstellung vom Buch als Medium verschränkt, das metaphorisch einen dichterischen Ausdruckswillen verkörpert, der in einer Haltung trotziger Behauptung die Angriffe eines kritischen Publikums aus Gelehrten, Hofleuten und Klerikern an sich abprallen lässt. Dabei bezieht Hock sich auf zwei Gattungstraditionen, die im Folgenden zunächst vorgestellt werden sollen, bevor auf dieser Grundlage eine Czuckas Ergebnisse vertiefende und teilweise korrigierende Deutung von Cap. III. unternommen werden soll. I. Poetologisches Propemptikon und grobianischer Transformationsschwank vor 1601 Hinsichtlich der Quellenlage von An die Satiren hat schon Karl Borinski auf die klassischen Vorbilder aus Renaissance und klassischer Antike hingewiesen: „Auch dieser Dichter […] richtet Verse an seine Satiren […] wie Ronsard an sein Buch ‚va livre, va desboucle la carrière‘ nach Horazischem Vorbild (Ep. I. 20)“. 13 Die von Borinski angesprochene und von Jellinek noch einmal etwas umfänglicher skizzierte 14 Tradition ist zunächst von Siegfried Besslich näher 13 Karl Borinski: Die Poetik der Renaissance und die Anfänge der literarischen Kritik in Deutschland. Berlin 1886, S. 50. Senger: Theobald Hock (Anm. 2), S. 30 und 47, argumentiert - eher aufgrund seiner zeitbedingten frankophoben Haltung als mit sachlichen Argumenten - dafür, hier ausschließlich den Einfluss des Römers anzusetzen; die Bedeutung der Episteln für das Schöne Blumenfeldt betont auch die Einleitung zu Blumenfeld (Koch), S. XLIII. Ernst Höpfner: Reformbestrebungen auf dem Gebiete der deutschen Dichtung des 16. und 17. Jahrhunderts. Berlin 1866 [Kaiser Wilhelms-Gymnasium in Berlin. VI. Jahresbericht, womit zu der am 28. und 29. September stattfindenden öffentlichen Prüfung und Entlassung der Abiturienten ehrerbietigst einladet der Director Professor Dr. O. Kübler], S. 33, sieht die Einordnung in diese Tradition als Beleg für Hocks Hinwendung zur „Gelehrtendichtung“; Fleischmann: Theobald Hock (Anm. 2), S. 35f., stellt Hock ohne konkreten Bezug zu Cap. III. in den Kontext der humanistischen „Reisedichtung“. 14 Jellinek: Beiträge zur Textkritik (Anm. 12), S. 211, verweist dazu auf die Tradition des poetologischen Propemptikons in der Antike, wie sie Anton E. Schönbach: Die Anfänge <?page no="356"?> untersucht worden; dieser benennt die Episteln des Horaz, die Exildichtung Ovids und zahlreiche (Horaz und Ovid nachahmende) Epigramme des Martial als Konstituenten einer Gattung, die als „Anrede an das Buch“ bezeichnet wird 15 und die jener metaphorischen Verkörperung des dichterischen Ausdruckswillens im personifizierten Buch entspricht, die Czucka in Hocks An die Satiren entdeckt hat. Mario Citroni hat in einem Aufsatz, der die Tradition der „Apostrofa al libro“ über die drei genannten Autoren hinaus darstellt, verschiedene Ausprägungen dieser Traditionslinie voneinander unterschieden: Generalmente il modula ritorna in rapporto a tre funzioni principali, variamente combine: quella (di derivazione ovidiana) di invio dellʼopera a un dedicatorio lontano; quella (di derivazione prevalentemente marzialiliana) dellʼofferta del libro a persona autorevole cui il libro si dovrà raccomandare; quella (di derivazione prevalentemente oraziana e marzialiana) di ostentazione di modestia, di timore riguardo allʼaccoglienza che il libro riceverà. 16 Andreas Heider schließlich hat in seinem Kommentar zu den „Parthenia“ aus Jakob Baldes SJ Sylvae (1643) den ersten der drei von Citroni beschriebenen Typen als „poetischen Sendboten“ bezeichnet und umfangreiches Material für diese Spezialform der „Anrede an das Buch“ zusammengetragen. 17 Gabriele Wissig-Baving kennt Citronis Aufsatz nicht, was ihre sehr textnahen Deutungen leider hinter das bereits von diesem Geklärte zurückfallen lässt; anders als dieser bezeichnet sie den zentralen Text Hor. epist. 1,20 aber immerhin als „Propemptikon“ und ordnet ihn damit zu Recht diesem Genre zu. 18 Besonders deutlich und prägnant beschreibt Catherine Magnien-Simonin in ihrer Edition der Werke Jucquel Rougearts das Propemptikon in der Tradition des Horaz: „La poétique des pièces intitulées Lʼauteur à son livre nʼa pas suscité dʼétudes auxquelles nous aurions pu nous référer. Il sʼagit de textes stéréotypes dans leur contenu: apostrophe au livre, rejeton qui quitte son père pour affronter un mondes Deutschen Minnesanges. Eine Studie. Graz 1898, S. 47f. aufzählt; diese Liste stammt von dem mit Schönbach befreundeten Altphilologen Heinrich Schenkl und nennt Ovid, Martial, Statius und Ausonius. 15 Siegfried Besslich: Anrede an das Buch. Gedanken zu einem Topos in der römischen Dichtung. In: Alfred Swierk (Hrsg.): Beiträge zur Geschichte des Buches und seiner Funktionen in der Gesellschaft. Festschrift für Hans Widmann. Stuttgart 1974, S. 1-12. 16 Mario Citroni: Le raccomandazioni del poeta. Apostrofa al libro. In: Maia 38 (1986), S. 111-146, hier S. 140. 17 Andreas Heider: Spolia Vetustatis. Die Verwandlung der heidnisch-antiken Tradition in Jakob Baldes marianischen Wallfahrten: Parthenia, Silvae II 3 (1643). München 1999, S. 217-226. 18 Gabriele Wissig-Baving: Die Anrede an das Buch in der römischen Dichtung. Studien zum Verhältnis des Dichters zu seinem Werk. Frankfurt am Main 1991, S. 7. Poetologisches Propemptikon und grobianischer Transformationsschwank 357 <?page no="357"?> 358 Heiko Ullrich de hostile.“ 19 Wie Borinski durch seinen Verweis auf Horaz, epist. 1,20 bereits erkannt hat, sind die beiden anderen Typen der „Anrede an das Buch“, die Dedikation an einen bestimmten Adressaten, wie sie insbesondere bei Martial zu beobachten ist, sowie die auf der Grundlage der Liebesdichtung entwickelte und von dort auf die Exilsituation übertragene Instrumentalisierung des Gedichtes oder Gedichtbuches als poetischen Sendboten bei Ovid für Hocks An die Satiren nicht relevant: Hier sendet weder ein Verbannter einen Stellvertreter, um eine Botschaft ausrichten zu lassen, noch widmet Hock Cap. III. einem bestimmten Adressaten; vielmehr entlässt er es eben in eine „monde hostile“, wenn er auch nicht zwingend als der treusorgende „père“ erscheint, als der sich der Sprecher von Hor. epist. 1,20 darstellt. Neben dem Schlussgedicht des ersten horazischen Epistelbuches, das schon deshalb für Hock bedeutsam ist, weil dieser die abschließende autobiographische Spragis des Horaz, in der der augusteische Dichter sein Alter angibt (epist. 1,20,26-28), zu Beginn von Cap. VI. ( Der Autor beweint das Leben ) 20 exakt abbildet, gehört auch das Einleitungsgedicht zum dritten Buch der ovidischen Tristien zu dieser Tradition: Während Horaz den Abstieg seines Buches von der umjubelten Neuerscheinung in Rom (1-10) zum in die Provinz abgeschobenen Ladenhüter (11-16) und schließlich zum Steinbruch für Buchstabier- und Leseübungen in den Schulen (17 f.) voraussagt, beklagt Ovid in seinem Gedicht, das nicht das Buch apostrophiert, sondern dieses selbst sprechen lässt, dass seinem Werk die Aufnahme in die öffentlichen Bibliotheken verweigert werde (trist. 3,1,60-73): Der von Horaz als Niedergang konzipierte Rezeptionsprozess findet insofern eine Entsprechung und Radikalisierung, als Ovids Buch sich nun - vorerst - anstelle der Öffentlichkeit auf die Zirkulation im privaten Freundeskreis verwiesen sieht (trist. 3,1,79-80). Den umgekehrten Weg erhofft sich Martial, wenn er dem Buch, dem er zunächst in der Tradition von Hor. epist. 1,20 anstelle des erhofften Ruhms den Spott der Menge prophezeit hat (1,3), schließlich empfiehlt, sich zu Caesius zu begeben, der es sicherlich anderen Lesern weiterempfehlen werde (7,97). Immerhin noch mit der persönlichen Wertschätzung dürfe das Buch rechnen, wenn es ihm gelingen sollte, seine Zuflucht bei dem Kenner Faustinus zu finden, der es sicher gut behandeln werde - im anderen Falle könne das Buch allerdings schon jetzt damit rechnen, als Einschlagpapier für Makrelen, Pfeffer oder Weihrauch zu enden (3,2). Mit diesem Gedicht knüpft Martial nicht nur an das Schlussgedicht des ersten horazischen Epistelbuches an, wo der Ver- 19 Jucquel Rougeart: Oeuvres Complètes (1578). Hrsg. von Catherine Magnien-Simonin. Genf 1988, S. 14. 20 Blumenfeld (Hanson), S. 204f. <?page no="358"?> lust der Wertschätzung durch den Käufer beschrieben wird (epist. 1,20,6-8), sondern insbesondere an das Eröffnungsgedicht des zweiten Epistelbuches, an dessen Ende Horaz die wohlbekannte recusatio eines Augustus-Epos durch seine fehlenden Kräfte begründet und dazu abschließend das (nie entstandene, aber hypothetisch missglückte) Epos selbst das Wort ergreifen lässt: „Ne rubeam pingui donatus munere et una | cum scriptore meo capsa porrectus operta | deferar in vicum vendentem tus et odores | et piper et quidquid chartis amicitur ineptis“ (epist. 2,1,267-270) - auf den Vorbildcharakter dieser und verwandter Stelle wie Mart. 4,86 für die sechste Strophe von Hocks An die Satiren haben Leitzmann und Jellinek bereits hingewiesen. 21 Hock baut diesen Missbrauch beschriebenen Papiers noch deutlich aus, wenn er seinen im Titel apostrophierten „Satiren“ in Form einer allegorischen Personifikation, die den inneren Verlust an Wertschätzung durch eine äußere Degradierung zu immer minderwertigen Verwendungszwecken abbildet, eine Zukunft als Schablonen für Handwerker, Gewürztüten, Toilettenpapier und Patronenhülsen ankündigt. Insbesondere das Toilettenpapier („Das Hinter an euch wischen“, V. 24) verweist dabei auf eine berühmte Stelle des wohl prominentesten Werks der deutschen Barockliteratur überhaupt voraus, nämlich auf die sogenannte „Schermesser-Episode“ aus der Continuatio zu Grimmelshausens Simplicissimus . 22 Dass man bei der Suche nach Quellen und literarischen Vorbildern für diese Episode nicht auf die poetologischen Propemptika des Horaz oder Martial (oder Theobald Hocks) verfallen ist, liegt natürlich in erster Linie daran, dass Grimmelshausen jeglichen literarischen Charakter des Schermessers explizit verneint: Bekanntlich wird dieses im Verlauf seines Lebens zwar durchaus zu Papier und infolgedessen auch zu einem Buch verarbeitet - allerdings handelt es sich um ein Rechnungsbuch, das nur zu satirischen Zwecken mit der hohen Literatur verglichen wird: Dieses Buch nun / worin ich als ein rechtschaffener Bogen Pappier auch die Stell zweyer Blätter vertrate / liebte der Factor so hoch / als Alexander Magnus den Homerum ; es war sein Virgilius , darin Augustus so fleissig studirt / sein Oppianus darin Antonius Keysers Severi Sohn so embsich gelesen / seine Commentarij Plinij Iunioris , 21 Leitzmann: Zu Theobald Höck (Anm. 12), S. 197. Außerdem verweist Jellinek: Beiträge zur Textkritik (Anm. 12), S. 211, auf den Kommentar des Herausgebers in Auli Persii Flacci Satiarum liber. Cum scholiis antiquis. Hrsg. von Otto Jahn. Leipzig 1843, S. 88f., wo als Parallelen zu Hor. epist. 2,1 Belege aus Martial, Statius und Sidonius Apollinaris genannt werden. 22 Hans Christoffel von Grimmelshausen: Werke I: Simplicissimus Teutsch. Hrsg. von Dieter Breuer. Frankfurt am Main 2005, S. 610-622. Als Vorgänger Grimmelshausens wird Hock bereits bei Herbert Cysarz: Deutsche Barockdichtung. Renaissance - Barock - Rokoko. Leipzig 1924, S. 159, eingestuft. Poetologisches Propemptikon und grobianischer Transformationsschwank 359 <?page no="359"?> 360 Heiko Ullrich welche Largius Licinius so werth gehalten; sein Tertullianus , den Cyprianus allzeit in Händen gehabt / seine paedia Cyri , welche ihm Scipio so gemein gemacht; sein Philolaus Pithogoricus daran Plato so grossen Wolgefallen getragen; sein Speusippus den Aristoteles so hoch geliebt; sein Cornelius Tacitus , der dem Kayser Tacitum so höchlich erfreut / sein Comminaeus den Carolus Quintus vor allen Scribenten hochgeachtet / und in summa summarum seine Bibel / darinnen er Tag und Nacht studirte ; zwar nit deßwegen / daß die Rechnung auffrichtig und just seyn: sonder daß er seine Diebsgriff bemänteln: seine Untreu und Bubenstück bedecken: und alles dergestalt setzen möchte / daß es mit dem Iournale überein stimme. 23 Und so hat man denn Grimmelshausens Quellen zu Recht vor allem in einem Genre gesucht, das sich wohl am deutlichsten im Schwanck. Die ellend klagent roßhaut des Hans Sachs (1570) manifestiert: Ein sprechender Gegenstand berichtet von seinem wechselvollen Schicksal, in dessen Verlauf er mehrmals Gestalt und Funktion verändert, wie es eben nicht nur die Rosshaut tut, die schließlich vor dem Schuster liegt und darum bittet, doch wenigstens zu feinen Damenschuhen (und nicht zu groben Bauernstiefeln) verarbeitet zu werden, 24 sondern auch das Schermesser, das Grimmelshausens Protagonisten vergeblich anfleht, es vor dem ihm eigentlich zugedachten Verwendungszweck zu bewahren. Dass keine etablierte Bezeichnung für dieses Genre existiert, ist umso erstaunlicher, als sich im 18. und 19. Jahrhundert in der englischen Literatur das Genre der sogenannten „novel of circulation“ oder „it-narrative“ etabliert: Romane, die meist als Skandalund/ oder Schlüsselromane konzipiert und aus der Sicht eines Tieres oder eines Gegenstandes erzählt werden. 25 In Anlehnung an diese spätere Form derselben Tradition und an das Vorbild des Hans Sachs möchte ich vorschlagen, die auf Grimmelshausens Schermesser-Episode zulaufende Gattung als Zirkulations- oder noch besser: als Transformationsschwank zu bezeichnen, und zwar deshalb, weil die betreffenden Gegenstände in der Regel nicht nur zirkulieren wie beispielsweise die titelgebende Münze in Charles Johnstones Chrysal, Or the Adventures of a Guinea (4 Bde., 1760-1765), sondern ihre Gestalt vom Flachskorn über den Faden, das Gewebe und die Lumpen bis hin zum Papier im Verlauf des Schwanks mehrfach verändern. Abgesehen von Hans Sachs werden im Kommentar zu Grimmelshausens Schermesser-Episode leider beinahe ausschließlich Werke genannt, die nach 23 Grimmelshausen: Simplicissimus (Anm. 22), S. 621. 24 Hans Sachs. Hrsg. von Adelbert von Keller. Tübingen 1870, Bd. V, S. 146-153. 25 Vgl. dazu beispielsweise den folgenden Sammelband von Mark Blackwell (Hrsg.): The Secret Life of Things. Animals, Objects, and It-Narratives in Eighteenth-Century England. Lewisburg/ PA 2007. <?page no="360"?> 1601 erschienen sind; 26 die einzigen Verweise auf kürzere Textauszüge, die Theobald Hock beim Verfassen seines Gedichts An die Satiren bereits gekannt haben könnte, betreffen Garzonis Piazza Vniversale (einen extrem prominenten, allerdings erst 1619 ins Deutsche übersetzten Text) 27 und - Hieronymus Bocks Kräuterbuch. 28 Das dort aufzufindende und Hock als ehemaligem Hornbacher Schüler 29 mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bekannte 116. Kapitel ( Von Teütschem Flachs ) führt aus: Also ist der Flachs eyn gemartert kraut im Teütschen landt / bede von reichen vnnd armen / den armen zuor notturfft / den reichen zum wollust / ja den edlen Fürstin vnd Gräffin keyn schandt / damit zuo kurtzweilen. Die plag vnnd marter des Flachs sint vnzalbar. Erstlich mit ropffen vnd reffen / dann schwerlich ertrenckt werden / darnoch auff der heyden gedört / von newem gedroschen vnnd geschlagen werden / dann muoß er sich lassen zerbrechen / vnd schwingen / von diser marter muoß er durch die stehele spieß der ygeln oder hecheln geschleiffe sein / nach diser plag verbint man in eyn weil / thuot in wider uff / zeücht jn von eynander / henckt jn an den galgen des rockens / do würt er geküst / geleckt / vnd durch die finger gezogen / wider auffgewickelt / schnabs abgehaspelt / darnoch von newem mit sieden vnnd braten gemartert / ins kalt badt vom warmen gefürt / widerumb gehenckt / gedört vnnd mit kolben geplawt / über den stock gelegt mit vmb treiben auff runde kugel gewunden / abgespult / außgestreckt / als dann durch die enge strassen der weber geschir gefürt / in eyn verbuntnuß verknüpfft mit fluochen vnd schelten durcheinander gewebet. Noch ist er dem vngesel nit entrunnen / muoß aller erst von den schneidern vnnd Nederin zerschnitten vnnd zerstochen werden / kumpt er dann nach der marter zuo den eren / eylens beklagten sich die krancke / guotte döchter vnnd allerley gesyndt / die wöllen allesampt seiner nit entperen / do würt er zuo windeln / zuo pflastern vnnd zuo lest zu arßwüschen gemacht. Vnnd so yederman vermeynt es sei gar mit im auß / kompt er doch nach aller vnere widerumb herfür / doch nit on plagen / der wasser mülen / in den selben würt er zerschnitten / gedretten / gestampfft / erdrenckt vnd erhenckt hoch vnnd nider / begeren als dann seiner von newem. Er würt gehorsam 26 Zum Einfluss der Werke des Hans Sachs auf Hock vgl. auch die Einleitung zu Blumenfeld (Koch), S. XLVI, die Kommentare zu verschiedenen Stellen bei Goetze: Zu Theobald Hoeck (Anm. 2), S. 156-165, und Senger: Theobald Hock (Anm. 2), S. 33-35. 27 Zu Hocks Verwendung einzelner italienischer Begriffe vgl. auch die Einleitung zu Blumenfeld (Koch), S. XLIV, gegen Kochs Einschätzung vertreten nach Rudolf Wolkan: Böhmens Antheil an der deutschen Litteratur des XVI. Jahrhunderts. Bd. III: Geschichte der Litteratur. Prag 1894, S. 364 und S. 377, auch Senger: Theobald Hock (Anm. 2), S. 45, und László Jónácsik: Poetik und Liebe. Studien zum liebeslyrischen Paradigmenwechsel, zur Petrarca- und zur Petrarkismus-Rezeption im „Raaber Liederbuch“. Frankfurt am Main [u. a.] 1998, S. 186, die Auffassung, Hock habe über profunde Sprachkenntnisse im Italienischen verfügt. 28 In Dieter Breuers Kommentar zu Grimmelshausen: Simplicissimus (Anm. 22), S. 1020. 29 Vgl. dazu neben der Einleitung zu Blumenfeld (Hanson), S. 24f., auch den Aufsatz von Klaus Wolf im vorliegenden Band. Poetologisches Propemptikon und grobianischer Transformationsschwank 361 <?page no="361"?> 362 Heiko Ullrich dem Keyser vnnd dem Hirten zuo land vnd auff dem wasser zuo nutz vnnd schaden / wie man in brauchen wil. Der dott vnnd absterben geschicht im vom fewer / vnnd meußen / die fressen jn gar / also muoß der guot Flachs vnnd was seins geschlechts ist / vmbkommen. Den nutz vnnd schaden dises krauts / samens / vnnd was daruon kompt / zuo beschreiben ist keym menschen müglich / dann on zweiffel keyn kraut auff erden ist das mehr gebraucht würt als Flachs vnnd Hanff. 30 Nun deutet Hieronymus Bock freilich ausgerechnet die entscheidende Verarbeitung der Lumpen zu Papier nur an, die dann - in Kombination mit den horazischen und martialischen Gewürztüten - in der deutschen Übersetzung der Piazza Vniversale aus dem Jahr 1619 eine bedeutendere Rolle spielt: Darnach wirdt er gesponnen / gewunden / gewaschen / gewickelt vnnd endtlich dem Leinenweber zu Hauß gebracht: Der macht Tuch darauß / welches hernach so lang durch die Hände gehet / biß es zerbricht / zerlumpet vnnd auff die Papiermühlen kompt / allda wird es im Wasser zerstossen / Papier darauß gemacht / welches beschrieben / gedruckt oder sonst gebrauchet / auch zu Würzdutten / biß man endlich die letzte Arbeit damit verrichtet vnnd (mit Gunst) den Hindern dran wischt. 31 Allerdings stellen die beiden zitierten Sätze einen Zusatz des deutschen Übersetzers dar und finden sich nicht in den italienischen Ausgaben, die Hock theoretisch gekannt haben könnte; 32 insofern trägt der Passus zur Erhellung der Quellenlage des Schönen Blumenfeldts vorerst nichts bei - ebenso wenig wie die folgende Passage aus einem Werk des Andreas Tharaeus, das 1609 entstanden, aber nur als Abdruck in Caspar Dornaus Amphitheatrum Sapientiae Socraticae 30 New Kreütter Buoch von vnderscheydt / würckung vnd namen der kreütter so in Teütschen landen wachsen. Auch der selbigen eygentlichem vnd wolgegründetem gebrauch in der artznei / zuo behalten vnd zuo fürdern leibs gesuntheyt nutz vnd tröstlichen / vorab gemeynem verstand. Wie das auß dreien Registern hienach verzeychnet ordenlich zuofinden. Beschriben durch Hieronymum Bock auß langwüriger vnnd gewisser erfarung / vnnd gedruckt zuo Straßburg / durch Wendel Rihel. Jm jar M. D. XXXIX, S. 102. 31 Piazza vniversale, das ist: Allgemeiner Schauwplatz/ oder Marckt / vnd Zusammenkunfft aller Professionen / Künsten / Geschäfften / Händlen vnd Handtwercken / so in der gantzen Welt geübt werden: […] Erstlich durch Thomam Garzonum auß allerhand Authoribus vnd experimentis Italiänisch zusammen getragen / vnd wegen seiner sonderlichen Anmüthigkeit zum offternmal in selbiger Sprach außgangen. Nunmehro aber gmeinem Vatterlandt Teutscher Nation zu gut auffs trewlichst in vnsere Muttersprach vbersetzt / Vnd so wol mit nothwendigen Marginalien, als vnterschiedlichen Registern geziert. Gedruckt zu Franckfurt am Mayn / bey Nicolao Hoffman / in Verlegung Lucae Iennis. M. DC. XIX, S. 379f. 32 Zum anonymen Verfasser der deutschen Übersetzung der Piazza Vniversale vgl. auch Italo Michele Battafarano: Petrarcas Verse in der deutschen ‚Piazza Universale‘ von Tomaso Garzoni anno 1619. In: Achim Aurnhammer (Hrsg.): Francesco Petrarca in Deutschland. Tübingen 2006, S. 177-187, hier S. 177f. mit weiterführender Literatur. <?page no="362"?> Joco-Seriae aus dem Jahr 1619 erhalten ist und dort den Titel „Eine erbermliche Klage Der lieben Fravv Gerste, vnd ihres Brudern Herrn Flachs, die sie gehalten haben auff einem Stuck Acker, fur Friederstdorff im Ampt Storckovv gelegen, vvie offt vnd vielmal sie beyde durch der Menschen Hende gezogen, vnd sehr vbel tractirt vverden, ehe sie von ihnen können gebraucht vverden“ trägt: Ein nevven Nahmen gibt er mir, Vnd vverd hinfort genant Pappir, Doch kan man mich noch brauchen nicht, Es hat der Meister zugericht, Von Schaffsfüssen ein Leimen fein, Dadurch muss ich gezogen sein. Mit einem Hammer glatt geschlagn, Nun thut man mich zum Marckte tragn, Von Glertenleuten hoch geehrt, Werd ich gehalten lieb vnd vverth. Vnd vveil zu Bautzen in der Statt, Es vvoll die beste Mühle hatt, In vvelcher (daß gleube man mir,) Gemacht vvird daß beste Pappir. Welches ist breit vnd vveit bekandt, Vnd vveggefuhrt in manches Landt. Habichs in Ehren vvolln gedenckn, Vnd hoff es vvird der Herre schenckn, Desselben Papirs ein gantzes Rieß, Dem Tichter, vvie ers hofft gevviß. Auff daß er darnach vvolgemuth, Mehr schreibn kan der Reimen gutt. Nun hore doch mein Schvvesterlein, Wie es auch geht den Köpffen mein, […] Ein Oele vvird gemacht darauß, Welchs sie vvissen zupressen auß, Dasselb man offt gebrauchen thut, Vnd ist zu vielen Sachen gut. Wie ich denn hierauff vvol kan schvvern, Kein Buchtrucker kan es entpern, Er muß deß haben zimblich viel, Wenn er vvas artlichs drucken vvill, Sih da vvird auß meim Kopff der Safft. Vnd Kern des Leibs zusammenschafft. Wenn vvir also in Gottes Nahmn, Sindt vviderum zusammen kommn, So pflegen vvir ohn alles tichtn Poetologisches Propemptikon und grobianischer Transformationsschwank 363 <?page no="363"?> 364 Heiko Ullrich Sehr grosse Sachen außzurichtn, Vnd sonderlich an manchem Orth, Wir pflantzen daß rein Gottes Wort, Vnd machen es in frembde Landt, Fein angenehm vnd vvolbekandt. Durch vnß die Menchen reden fein, Wenn sie gleich vveit von ander sein, Kein vvichtige vnd grosse Sachn, Ohn vns man nicht kan richtig machn. Keyser, König, Fürsten vnd Herrn, Vns halten traun in grossen Ehrn, Keiner kan vverden recht Gelehrt, Der mich nicht liebet vnd hoch ehrt. Anrichten vvir auch viel Schalckheit, Nicht durch vns, sondern durch Boßheit Der Menschen, vvenn in diesem Zill, Man vnser nicht recht brauchen vvill. Die Ketzer mißbrauchen vns frey, Zur Außbreitung der Ketzerey. Darzu denn vnser lieber Gott, Vns vvarlich nicht geschaffen hatt. 33 Anders als bei Hieronymus Bock und beim anonymen Garzoni-Übersetzer scheint bei Tharaeus die grobianische Tradition, die den Flachs bzw. das Buch letztlich zum Toilettenpapier degradiert und die Grimmelshausen dann aufgreifen wird, zugunsten eines stärker poetologischen Diskurses überwunden, der Hocks An die Satiren sehr nahekommt und vielleicht von Cap. III. des Schönen Blumenfeldts beeinflusst sein könnte. Neben Tharaeus und dem Übersetzer der Piazza Vniversale , die diese Verbindung von poetologischem Propemptikon und grobianischem Transformationsschwank allerdings nicht zwangsläufig von Hock oder aus einer gemeinsamen Quelle übernommen haben müssen, sondern durchaus selbständig aus den beiden Traditionssträngen hergestellt haben könnten, wobei freilich auch ein Abhängigkeitsverhältnis des Ersteren vom Letzteren denkbar wäre, weist 33 Amphitheatrum Sapientiae Socraticae Joco-Seriae, hoc est, Encomia et Commentaria Avtorvm, qva vetervum, qva recentiorvm prope omnivm: qvibvs res, avt pro vilibvs vvlgo aut damnosis habitae, styli patrocinio vindicantur, exornantur: Opvs ad Mysteria Natvrae discenda, ad omnem amoenitatem, sapientiam, virtutem, publice priuatimque vtilißimum: in dvos tomos partim ex libris editis, pertim manvscriptis congestum tributumque, Caspare Dornavio Philos. et Medico. Cum gratia & priuilegio S. Caesareae Maiestatis. Hanoviae: Typis Wechelianis, Impensis Danielis ac Dauidis Aubriorum, & Clementis Schleichii. M. DC. XIX, S. 229f. <?page no="364"?> auch das folgende „Räthsel“, das Georg Philipp Harsdörffer in Nr. CLXVIII seines Schau-Platzes Lust- und Lehrreicher Geschichte präsentiert, die deutlichsten Parallelen zu An die Satiren auf: Es hat mein graues Haubt ein langer Spies durchstochen / Der Finger und der Mund hat solches abgebrochen / und durch den Fleiß gemacht / daß ich das Fleisch bedekʼ und meines Hauptes Darm an manche Dolchen stekʼ. Ich werde mit dem Kalch gewaschen und gepasset / bis ich aus diker Milch den neuen Leib gefasset / als dann mein Pflüger trinkt aus seiner Schwester Bauch Jch werdʼ ein Pfefferhut / und dienʼ im Kunstgebrauch. Dass im „Räthsel“ wie bei Tharaeus der Flachs spricht, wird deutlich, wenn dieses unter dem Titel „Die mütterliche Liebe“ folgendermaßen aufgelöst wird: DAs graue Haupt ist der Flachs / welches der Spies / der Roken durchstochen. Dieses beraubet der nasse Mund und die emsige Hand der Spinnerin / damit Leinengewand daraus gewürket werde. Die Gedärmer sind die Fäden / an den Dolchen / verstehe Spindeln / aufgesteket. Aus dem Leinengewand machet man das Papier / zu welchem die Lumpen in Kalch gepasset werden / hernach werden sie durch die Stampmühle zu dikem Molken / und endlich zu Papier / darauf der Pflüger / die Feder / von seiner Schwesterbauch dem Dintenfaß getränket / seine Furchen oder Zeile ziehet. Aus dem alten Papier machet man Scharmützel zu dem Pfeffer und Gewürze / aus dem neuen mit allerhand Künsten beschriebene Bücher. 34 Wenn Harsdörffer den von der Chronologie vorgegebenen unaufhaltsamen Niedergang des Papiers in der Syntax umkehrt, indem er zuerst das Schicksal des „alten“ und dann den des „neuen“ Papiers verhandelt, vollzieht er durch einen sprachlichen Trick dieselbe wundersame Auferstehung der unsterblichen Literatur aus den Niederungen ihrer materiellen Existenz, die auch im Zentrum von An die Satiren steht. Diesen allen Fährnissen des Schicksals trotzenden Optimismus bemüht Hock gleich zweimal, wenn er der Degradierung zum Toilettenpapier, die bereits in der sechsten Strophe erfolgt, eine zweite Reise des Buches durch die Welt folgen lässt, die zwar im Darm des Neiders und schließlich ebenfalls im stillen Örtchen endet, aber erneut nicht das Ende der Satiren darstellt: „Doch freyt euch jhr seidt 34 [Georg Philipp Harsdörffer: ] Der Grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte. Das zweyte hundert. Mit vielen merckwürdigen Erzehlungen / klugen Lehren / verständigen Sprichwörtern / tiefsinnigen Räthseln / wolerfundnen Gleichnissen / artigen Hofreden / wolgefügten Fragen und Antworten gezieret und eröffnet / durch Ein Mitglied der Hochlöblichen Fruchtbringenden Gesellschafft. Gedruckt zu Franckfurt / in Verlegung Johann Baumanns / Buchhändlers zu Hamburg. Jm Jahre 1651, S. 257f. Poetologisches Propemptikon und grobianischer Transformationsschwank 365 <?page no="365"?> 366 Heiko Ullrich Chrisamms Kind / | Euch schadt kein Schuß noch Segen“ (V. 56f.). Zu diesen Versen hat bereits Goetze eine Parallele aus Fischarts Geschichtsklitterung nachgewiesen; 35 dort schlachtet ein Mönch alleine ein ganzes Heer im klösterlichen Weinberg marodierender Soldaten ab und stürzt sich mit folgenden Worten auf seine Feinde: Hey ich will drumb nicht sterben / dann ich bin der ders andern thut: Wir sind Chrisamskinder: vns rührt kein Schinder: Botz sackerdam / solt vns einer antasten / er solt bei S. Aßmus heiligen Därmen / den Chrisam auff seinen Kopf bekommen: Was: wir bestehen für all Tausent Teuffel / es hafft kein Schuß an vns / wie an Wollsäcken: wir sind ölig / glatt vnd hell wie die Ael / truckt mans / so wischts auß / schließt mans / so giltschs auß. 36 35 Goetze: Zu Theobald Hoeck (Anm. 2), S. 159. Zu Hocks Erwähnung von Rabelais bzw. Fischart vgl. auch die Einleitung zu Blumenfeld (Koch), S. XLIV bzw. S. XLVII sowie Max Hermann Jellinek: Rezension zu Theobald Hock, Schönes blumenfeld. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 32 (1900), S. 392-402, S. 401; zum Einfluss Fischarts auf das Schöne Blumenfeldt neben den Kommentaren von Goetze: Zu Theobald Hoeck (Anm. 2), S. 165, auch Leitzmann: Zu Theobald Höck (Anm. 12), S. 196-201, Senger: Theobald Hock (Anm. 2), S. 35-40, Arthur Hübscher: Zu Theobald Hock. Biographisches und Textkritisches. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 52 (1927), S. 123-126, hier S. 125, sowie Rüdiger Zymner: Zwischen „Witz“ und „Lieblichkeit“. Manierismus im Barock. In: Helmut Kreuzer (Hrsg.): Barock. Stuttgart und Weimar 1995, S. 52-79, S. 61f., dagegen jedoch Jónácsik: Poetik (Anm. 27), S. 146, Anm. 82, sowie in Hebert Zeman (Hrsg.): Literaturgeschichte Österreichs von den Anfängen im Mittelalter bis zur Gegenwart. Graz 1996, die Beiträge des Herausgebers (Das deutsche literarische Leben in den österreichischen Ländern um 1600, S. 185-206, hier S, 193-196), von Dieter Breuer („Vivat Unordnung! “ Die österreichische Literatur im 17. Jahrhundert, S. 221-258, hier S. 235), und Erich Trunz (Das deutsche literarische Leben in Böhmen im 16. Jahrhundert. Volkstümliche und höfische Literatur, S. 207-220, hier S. 216). 36 Johann Fischart: Affentheurlich Naupengeheurliche Geschichtklitterung. Von Thaten vnd Rhaten der vor kurtzen langen vnnd je weilen Vollenwolbeschreiten Helden vnd Herren Grandgoschier Gorgellantua vnd deß Eiteldurstlichen Durchdurstlechtigen Fürsten Pantagruel von Durstwelten / Königen in Vtopien / Jederwelt Nullatenenten vnd Nienenreich / Soldan der neuen Kannarien / Fäumlappen / Dipsoder / Dürstling / vnd Oudissen Jnseln: auch Großfürsten im Finsterstall vnd Nubel Nibel Nebelland / Erbvögt auff Nichilburg / vnnd Niderherrn zu Nullibingen / Nullenstein vnd Niergendheym. Etwan von M. Franz Rabelais Frantzösisch entworffen: Nun aber vberschröcklich lustig in einen Teutschen Model vergossen / vnd ungefährlich oben hin / wie man den Grindigen laußt / in vnser MutterLallen vber oder drunder gesetzt. Auch zu disen Truck wider auff den Ampoß gebracht / vnd dermassen mit Pantadurstigen Mythologien oder Geheimnusdeutungen verposselt / verschmidt vnd verdrängelt das nichts ohn das Eysen Nisi dran mangelt. Durch Huldrich Elloposcteron. Gedruckt zur Grenflug im Gänsserich [d. i. Straßburg] 1590, S. 398. Die Bemerkung ist Zusatz der zweiten Auflage und findet sich in der Erstausgabe von 1575 noch nicht. <?page no="366"?> Senger, der wie Goetze nur den einen Satz „Wir sind […] Schinder“ zitiert und darüber hinaus lediglich Fischarts Kapitelüberschrift anführt, kommt zu folgendem Schluss: „Man könnte also demnach auf eine Entlehnung Höcks schliessen, nur lässt sich auch hier wiederum keinerlei inhaltliche Übereinstimmung feststellen“. 37 Angesichts der wörtlichen und motivlichen Übereinstimmungen im näheren Umkreis des von Goetze und Senger zitierten Satzes - insbesondere der Wendung „es hafft kein Schuß an vns“ (Hock: „Euch schadt kein Schuß noch Segen“) sowie dem Schwur des Mönchs „bei S. Aßmus heiligen Därmen“ (Hock: „Er kriegt das Currecito doch“) - ist der Einschätzung Sengers wohl doch zu widersprechen; die Geschichte vom einen Mönch, der alleine ein ganzes Heer besiegt, ist vielmehr in der elften Strophe von An die Satiren , in der die Satiren dem Neider „so offt […] | […] durch das Maul […] lauffen“, bis dessen Därme kapitulieren, von Hock in einer klassischen Kontrafaktur geradezu in ihr Gegenteil verkehrt worden: Nun besiegt nicht der Einzelne die Menge, sondern die Menge an Satiren den einzelnen Kritikaster. Noch deutlicher als an die satirisch-grobianische Tradition Fischarts und der sogenannten Volksbücher, von der Hock sich in Cap. VI. wohl eher distanziert, 38 schließt der ostentative Optimismus des Sprechers von An die Satiren jedoch an eine Tradition des poetologischen Propemptikons an, die eine gefahrvolle Reise weniger als Bedrohung denn als Herausforderung auffasst. Damit kehrt unsere Analyse der Quellenlage zum eingangs zitierten Zitat Borinskis zurück, das ja neben dem antiken Vorbild Horaz auch eine Orientierung Höcks an den Dichtern der Pléiade, namentlich an Ronsard, annimmt. Von Ronsard existieren zwei Beiträge zur Anrede an das eigene Buch, seine lange Elegie. A son livre , die in den ersten acht Versen ziemlich genau den Eingang von Hor. epist. 1,20 abbildet, im Mittelteil 37 Senger: Theobald Hock (Anm. 2), S. 36. 38 So beispielsweise formuliert bei Borinski: Die Poetik (Anm. 13), S. 50, Höpfner: Reformbestrebungen (Anm. 13), S. 33f., in den Einleitungen zu Blumenfeld (Koch), S. XLVI, und zu Blumenfeld (Hanson), S. 103-105; ähnlich wie Hanson beurteilen diese Verse auch Hildegard Beyer: Die deutschen Volksbücher und ihr Lesepublikum. [Diss. masch. Frankfurt am Main 1961], S. 73f., sowie gegen Wolfgang Virmond: Eulenspiegel und seine Interpreten. Berlin 1981, S. 91f., Georg Bollenbeck: Till Eulenspiegel. Der dauerhafte Schwankheld. Zum Verhältnis von Produktions- und Rezeptionsgeschichte. Stuttgart 1985, S. 317 Anm. 146, Sabine Griese: Salomon und Markolf. Ein literarischer Komplex im Mittelalter und in der frühen Neuzeit. Studien zur Überlieferung und Interpretation. Tübingen 1999, S. 332f. und Claudia Steinkämper: Melusine - vom Schlangenweib zur „Beauté mit dem Fischschwanz“. Geschichte einer literarischen Aneignung. Göttingen 2007, S. 247f., als eindeutige Kritik Hocks an den angeführten Werken, obgleich die Formulierungen des Gedichts hier auch nur in sprachlicher Hinsicht vorerst noch nicht eindeutig überzeugend kodiert sind. Zurückhaltend zu Hocks Bewertung der volkssprachigen Literatur seiner Zeit äußern sich Wolkan: Böhmens Antheil (Anm. 27), S. 364 und Bruno Markwardt: Geschichte der deutschen Poetik. Bd. I: Barock und Frühaufklärung. Berlin 1937, S. 28. Poetologisches Propemptikon und grobianischer Transformationsschwank 367 <?page no="367"?> 368 Heiko Ullrich dann eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Programm des Petrarkismus bietet, und am Ende eine erste Wendung ins Trotzig-Optimistische formuliert: Non, non, je ne veux pas que pour ce livre icy On me lise au poulpitre, ou dans l’escole aussi D’un Regent sourcilleux: il suffist si m’amye Le touche de la main dont elle tient ma vie: Car je suis satisfait, si elle prend à gré Ce labeur, que je voue à ses pieds consacré, Et a celles qui sont de nature amiables, Et qui jusqu’à la mort ne sont point variables. 39 Dem Genügen an der Gunst der Geliebten allein geht eine Absage an die Welt der Gelehrten („l’escole“) und des Fürstenhofes („un Regent“) voraus, der Hock sich im ersten Kursus von „An die Satiren“ gerade nicht anschließt (vgl. Strophe 2-4); auch die Konzentration auf die Geliebte, die im Kontext von Ronsards Amours konsequent ist, passt nicht zum Schönen Blumenfeldt mit seiner prononcierten Absage an die Liebesdichtung. 40 In Ronsards Sonnet. A son livre dagegen, das sich an Properz 3,1, Ov. am. 3,15,18-20 und Ov. fast. 2,1-6 orientiert und das in zwei Versionen vorliegt, findet sich eine Emanzipation von den Launen eines missgünstigen Publikums, die Hocks abschließender Wendung eher entspricht. Die beiden Quartette, die bei der Überarbeitung des Sonetts unverändert bleiben, spielen für An die Satiren keine Rolle, da sie die Auseinandersetzung mit den Konkurrenten lediglich in Form eines Wettrennens darstellen und damit ein Motiv in den Mittelpunkt rücken, das Hock überhaupt nicht berührt. Auch die ältere Version der beiden Terzette, die sich ironisch vor einer Reihe poetischer Rivalen verbeugt, um ihnen den Vortritt zu lassen, 41 ist für Hock weniger relevant als die spätere Überarbeitung, in der der Dichter das Buch dazu auffordert, keine weiteren Anstrengungen mehr zu unternehmen, um die Konkurrenten zu überholen - ihn kümmere der dichterische Ruhm und die Gunst des Publikums nicht mehr, auf den er trotz oder gerade wegen seines Vertrauens auf die eigene Stärke verzichte: 39 Pierre de Ronsard: Œuvres complètes. Bd. VII: Les Odes de 1555. Les Continuations des Amours 1555-1556. Édition critique Agave introduction et commentaire. Hrsg. von Paul Laumonier. Paris 1934, S. 325. 40 Vgl. dazu auch Hoffmann von Fallersleben: Theobald Höck (Anm. 11), S. 412-416, Höpfner: Reformbestrebungen (Anm. 13), S. 32f., Max Freiherr von Waldberg: Die galante Lyrik. Beiträge zu ihrer Geschichte und Charakteristik. Straßburg 1885, S. 41 und Carl Lemcke: Geschichte der deutschen Dichtung neuerer Zeit. Bd. I: Von Opitz bis Klopstock. Leipzig 1871, S. 121f. Als Vorbild für diese Wendung Hocks kommt gerade für die poetologischen Eingangsgedichte neben Petrarca auch Martial 8,1 in Frage. 41 Pierre de Ronsard: Œuvres complètes. Bd. IV: Les Amours (1552). Édition critique avec introduction et commentaire. Hrsg. von Paul Laumonier. Paris 1925, S. 185f. <?page no="368"?> Mais non, demeure, & nʼauance ton rang Bien que ie sois eschaufé dʼvn beau sang Fort de genoux, dʼhaleine encore bonne: Liure cesson dʼacquerir plus de bien Sans me fascher si la belle couronne De Laurier serre autre front que le mien. 42 Obgleich die hier formulierte Erhebung über Publikumsgunst und Kritik durchaus der Schlussstrophe von Cap. III. entspricht, wäre es wohl eher verfehlt, in Ronsards Elegie oder Sonett mit Borinski ein direktes Vorbild für An die Satiren zu sehen. Eher schon dürfte diese Rolle Joachim Du Bellays Sonett A son livre einnehmen, mit dem dieser sich zunächst an Ovids Exildichtung anlehnt, indem er sein Buch im ersten Quartett darum beneidet, den Hof des Fürsten sehen zu dürfen, was dem Dichter offenbar verwehrt ist. 43 Bereits im zweiten Quartett aber wendet sich der Blick den Konkurrenten und Kritikern zu, die dem Buch zusetzen könnten; diese Auseinandersetzung endet in den beiden Terzetten in der Verfluchung der Neider, wobei der Sprecher und das Buch dem Neider seelische Qualen an den Hals wünschen, die denen in der zehnten und elften Strophe von An die Satiren und insbesondere auch dem anschließenden Cap. IV. An Herrn Neidhart Tunckelgut durchaus entsprechen: Mon liure (& ie ne suis sur ton aise enuieux) Tu tʼen iras sans moy uoir la court de mon Prince. He chetif que ie suis, combien en gré ie prinsse, Quʼun heur pareil au tien fust permis à mes yeulx! Là si quel quʼun uers toy se monstre gracieux, Souhaitte luy quʼil uiue heureux en sa prouince: Mais si quelque malin obliquemente te pince, Souhaitte luy tes pleurs, mon mal ennuieux. Souhaitte luy encore quʼil face un long uoyage, Et bien quʼil aot de ueüe elongné son mesnage, Que son cueur, ou quʼil uoise, y soit tousiours present: Souhaitte quʼil uiellisse en longe seruitude, Quʼil nʼesprouue à la fin que toute ingratitude, Et quʼon mange son bien pendant quʼil es absent. 44 42 Les Elegies de P. De Ronsard Gentilhomme Vandomois, avec les mascherades. Paris 1567, Bd. V, S. 3. 43 Vgl. dazu auch George Hugo Tucker: Homo Viator. Intineraries of Exile, Displacement and Writing in Renaissance Europe. Genf 2003, S. 247f. 44 Les Regrets et autres oeuvres poetiques de Ioach. Du Bellay. Paris 1558, unpag. Vorspann. Poetologisches Propemptikon und grobianischer Transformationsschwank 369 <?page no="369"?> 370 Heiko Ullrich In ähnlichem Grade entspricht Hocks Formulierungen von der Unantastbarkeit seiner Satiren und deren Überlegenheit über die Neider auch Jucquel Rougearts Ad librum suum auctor , das wie Ronsards Sonett mit einer deutlichen Anlehnung an Hor. epist. 1,20 beginnt, sich in den beiden Terzetten jedoch ebenfalls der eigenen Unverletzlichkeit durch die Angriffe des Neiders versichert: Der Dichter bietet dem Buch ein Heilmittel gegen diese Angriffe an - ein Gedanke, den Hock umkehren wird, indem er dem Kritiker die Satiren als Gift verabreicht -, rät ihm, auf Spott mit Gegenspott zu reagieren und kündigt an, der Neider werde sich aus blindem (und taubem) Aktionismus beim Versuch, das Buch zu treffen, schließlich durch das Abschneiden der eigenen Nase selbst verstümmeln: Sed quoniam Momo te vis committere, dicam Proderit huic morbo quae medicina tuo. Te cum deridebit, eum ridebis et una: Deseret et nasum, parve libelle, suum. Nam reprehendit agens Momus nihil omnia, caecus Et videt, audit item surdus ubique sonum. 45 Eine Anlehnung Hocks in den beiden „Tunckel gutt“-Strophen des Gedichts An die Satiren , in denen der Neider das Zerreißen und Aufessen des Buches durch eine Überreaktion des Magen-Darm-Trakts büßen muss, scheint zumindest vorerst recht plausibel. Noch weit deutlichere Übereinstimmungen zeigt Hocks Cap. III. jedoch mit einem Propemptikon, das Georgius Sabinus zu Beginn seiner postum erschienenen Poemata (1563) als erste Elegie Ad librum richtet. 46 Auch Sabinus beginnt mit einer deutlichen Anlehnung an Hor. epist. 1,20, indem er den Willen des Buches zum Aufbruch beklagt und diesem ein trauriges Schicksal prophezeit: „Inuidiae morsus, & acerba vulnera linguae / Cogeris, populo te lacerante, pati“ (V. 5f.). Aus Ovids Aufforderung an das Buch, es solle auf aufwändige Prachtentfaltung verzichten, macht Sabinus die lapidare Feststellung, dafür werde es seinem Werk ohnehin an Geld fehlen („Nec tibi sunt nummi“, V. 23); Hock wiederum wird die von Sabinus aufgeworfene finanzielle Problematik in die Reisewünsche der Satiren zu Beginn seines Gedichts aufnehmen und ins Positive umdeuten. Schließlich gelangt das Buch des Sabinus zum Erzbischof von Mainz und erinnert diesen an die Unsterblichkeit der Dichtung, die auch das Lob des fürstlichen Adressaten dem Vergessen entziehen werde. Diese Argumentation 45 Zitiert nach der Edition Rougeart: Oeuvres Complètes (Anm. 19), S. 14. 46 Zitiert nach Wilhelm Kühlmann/ Robert Seidel/ Hermann Wiegand (Hrsg.): Humanistische Lyrik des 16. Jahrhundert. Lateinisch und Deutsch. Frankfurt am Main 1997, S. 500- 505. <?page no="370"?> werde den Erzbischof überzeugen und dazu veranlassen, das Buch reich zu beschenken, wodurch es sich schließlich doch noch in der Ausgangssituation von Hocks Satiren wiederfindet: „Iamque graues auro loculos vbi diues habebis, / Quo te cunque iuuat pergere, carpe viam“ (V. 65f.). Tatsächlich jedoch erscheint die (erste) Reise, zu der Hocks Satiren aufbrechen, weniger als zielgerichtetes Streben nach dem Zentralgestirn des absolutistischen Hofes denn als Vagabundieren durch die Welt des Spätmittelalters mit ihren Universitäten, Minnehöfen, Handwerkern und Händlern - ähnlich derjenigen, in die Thomasin von Zerklaere seinen Wälschen Gast entlässt: nu var hin, welhischer gast, und hüet durch mînen willen vast daz du komest ze herberge niht zuo deheinem boesewiht, und ob du im komest zuo, son sitze nicht, wan du tuo daz du schiere komest dan, wan dich sol ein biderbe man müezeclîchen an gesehen: sitze ûf sîn schôz, daz hab ze lêhen. vrume rîtr und guote vrouwen und wîze phaffen suln dich schouwen. ob dich begrîft ein boesewiht, sô habe des dehein angest niht, daz er dich lange getürre sehen. ich mac des harte wol gejehen, daz er an dir siht, daz im tuot vil wundernwê in sînem muot. sô wirfet er dich in ein schrîn, dâ solt du ligen, buoch mîn, unz du dem kumest ze hant dem du wirst lîht baz erkant und der dich dicke überlist und dich wol handelt zaller vrist. Nu wis gemant, welhischer gast, swenn du begrifst einn edelen ast, sô lâ dich niht einn boesen dorn ziehen dervon. ez ist verlorn swaz man dem wolf gesagen mac pâter noster durch den tac, wan er spricht doch anders niht niwan lamp. alsam geschiht dem boesen man; swaz man im seit, Poetologisches Propemptikon und grobianischer Transformationsschwank 371 <?page no="371"?> 372 Heiko Ullrich daz vert vür die wârheit zeim ôren ûz, zem andern in. wie möhte dâ beliben sin dâ man dar nâch gedenket niht? wizzet daz ein boesewiht mac sîne gedanke niht twingen ze guot von unnützen dingen. wizzet daz man niht vüllen mac einen durchstochen sac die wîl er nicht verschoben ist. alsam geschiht zaller vrist dem der sich durchstochen hât mit boesem gedanc, mit valschem rât, mit übelen werken und mit sunde. dâ enmac ze deheiner stunde in sîm willn und sînem muot belîben dehein red guot, ez enwelle unser herre got verschieben mit sînem gebot diu löcher dâ ez ûz gât: sîn mac niht anders werden rât. dâ von solt du, mîn buoch, belîben bî dem der dich geruochet schrîben in sînem herzn und sînem muot. swer ist sô ganz und sô guot und sô mit staete ensamt gewallen daz du ûz im niht maht gevallen, den soltu bezzern mit dîner lêr. sô sol dich bezzern ouch er, wan der vrum man sol tuon baz dan du lêrest, wizze daz. Hie wil ich dir ende geben. got gebe daz wir âne ende leben durch die drî heiligen namen, vater, sun, heiliger geist. Âmen. (V. 14685-14752) 47 47 Zitiert nach der folgenden Ausgabe: Der wälsche Gast des Thomasin von Zirclaria. Hrsg. von Heinrich Rückert. Mit einer Einleitung und einem Register von Friedrich Neumann [Photomechanischer Nachdruck der Ausgabe Quedlinburg und Leipzig 1852]. Berlin 1965. Vgl. zu dieser Stelle des Wälschen Gasts auch die Interpretation von Monika Unzeitig: Konstruktion von Autorschaft und Werkgenese im Gespräch mit Publikum und Feder. In: Nine Miedema/ Franz Hundsnurscher (Hrsg.): Formen und Funktionen von Redeszenen in der mittelhochdeutschen Großepik. Tübingen 2007, S. 89-101, hier S. 89-91. <?page no="372"?> Insbesondere der Aufbau des ersten Teils von An die Satiren variiert Thomasins Abschied von seinem Buch nur geringfügig; während bei diesem erst „vrume rîtr und guote vrouwen“ auftreten, denen „wîze phaffen“ folgen, beginnt Hock mit den Gelehrten und lässt diesen die ritterlichen Galane und Frauenzimmer folgen, bevor schließlich auch die Kleriker noch explizit erwähnt werden. Die lange Auseinandersetzung mit dem Bösewicht entspricht dem letzten Drittel von Hocks Gedicht, zielt bei Thomasin aber noch optimistischer auf dessen Besserung ab, wie sie beispielsweise auch in der Vorrede oder in Cap. II. des Schönen Blumenfeldts formuliert wird, und weist darüber hinaus keine der in Cap. III. so deutlich präsenten grobianischen Elemente auf, die dem höfischen Dichter anders als Hock ebenso fern liegen wie später den meisten humanistischen Neulateinern vom Schlage eines Georgius Sabinus. An die Satiren gehört damit zur Schnittmenge der beiden Traditionen des poetologischen Propemptikons und des grobianischen Transformationsschwanks, die sich schon in der Antike bei Horaz (epist. 1,20 und 21,) und Martial (3,2 und 4,86) miteinander verbinden, bevor sich der Letztere in der frühen Neuzeit zu einer Erzählform ausbildet, aus der sich im 18. Jahrhundert wiederum die „novel of circulation“ entwickeln wird. Sowohl Hans Sachsens Schwanck. Die ellend klagende roßhaut als auch Hieronymus Bocks Kräuterbuch könnte Hock dabei konkrete Anregungen entnommen haben; dass er sie in einer ganz ähnlichen Weise kombiniert wie später Andreas Tharaeus, der anonyme Übersetzer der Piazza Vniversale und Harsdörffer in seinem Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte , lässt allerdings wohl nicht unbedingt darauf schließen, dass auch nur einer der drei das Schöne Blumenfeldt gekannt haben müsste; umgekehrt ist eine Kenntnis des Wälschen Gastes bei Hock weder nachzuweisen noch auszuschließen. Der unabhängig vom Nachweis direkter Abhängigkeiten unübersehbaren Kontinuität bei der Darstellung ritterlich-höfischer Gesellschaftsschichten zwischen Thomasin und Hock 48 tritt eine Aufwertung bürgerlicher Werte an die Seite, wenn Hock sich in der Wertschätzung des Geldes an das poetologische Propemptikon des Georgius Sabinus anschließt und dessen spannungsvolle Gegenüberstellung von Mäzenatentum und freiem Literaturmarkt tendenziell zugunsten des Letzteren auflöst. Eine optimistische Bewertung dieser Konfrontation des eigenen Buches mit einem selbstbewussten und kritischen Publikum fußt bei Hock nicht wie bei Ronsard auf einem durch Understatement und Ironie zum Ausdruck gebrachten Selbstbewusstsein, sondern ähnlich wie bei Du Bellay und Jucquel Rougeart auf einer Freude am satirisch-grobianischen 48 Zu Hocks Einordnung in eine Tradition höfischer Dichtung vgl. auch Fleischmann: Theobald Hock (Anm. 2), S. 37-39. Poetologisches Propemptikon und grobianischer Transformationsschwank 373 <?page no="373"?> 374 Heiko Ullrich Gegenschlag gegen vermeintliche oder tatsächliche Kritiker, wobei Hock auf Formulierungen und Motive aus Fischarts Geschichtsklitterung zurückgreift. 49 Natürlich kann die vorliegende Skizzierung der beiden Gattungsdiskurse keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben: Gerade für das Propemptikon ließen sich noch weitaus mehr Beispiele anführen, die auf Übereinstimmungen mit Hocks Gedicht untersucht werden könnten; umgekehrt ist die Gattung des Transformationsschwanks derart diffus und - wie das Beispiel des Tharaeus zeigt - auch nicht selten von Überlieferungslücken bedroht, dass sich eine hieb- und stichfeste Filiation bis zu Hock wohl nicht mehr rekonstruieren lässt. Um die Position von An die Satiren innerhalb der skizzierten Diskurse mit ihrer bereits von Czucka entdeckten Dichotomie metaphorischen und allegorischen 49 Eine Einschätzung wie diejenige Hoffmanns von Fallersleben: Theobald Höck (Anm. 11), S. 406: „Doch ist es ihm [sc. Hock] bei all seinen Poesieen nur um die eigene künstlerische Befriedigung, nur um den lebendigen Ausdruck des eigenen Innern zu thun, keineswegs um schriftstellerische Bedeutsamkeit und eine Stellung in der Literatur, wofür unter Anderm auch jene seltsamen Entstellungen seines Namens etc. auf dem Titelblatt seiner Sammlung ein Zeugniß abgeben“ ist wahrscheinlich eher aus der Entstehungszeit von Hoffmanns Untersuchung als aus genauer Textbeobachtung heraus zu erklären. Treffender urteilen Adolf Stern: Geschichte der neuern Litteratur. Bd. I: Frührenaissance und Vorreformation. Leipzig 1882, S. 339f., für den sich im Schönen Blumenfeldt „alle die Elemente begegnen, mit denen man sich der Roheit und Trivialität der breit gewordenen deutschen Poesie zu entheben meinte: die Nachahmung der Antike, der Italiener und Franzosen, die Hereinziehung gelehrten Wissens, die aber bei diesen Dichtern nicht sowohl didaktische Zwecke hat, als vielmehr die Überlegenheit ihrer Bildung erweisen soll, eine gewisse weltmännische Skepsis in Bezug auf Zeit und Leben, bewußte Galanterie und formelle Beweglichkeit und Mannigfaltigkeit“, Cysarz: Deutsche Barockdichtung (Anm. 22), S. 14f.: „Der Dichter des ‚Schönen Blumenfelds‘ ist ein junger Mann von grüblerischem Hang und resigniertem Behaben. Geschwellt von humanistischem Nationaleifer, Jurist und Kenner der Antike, bewandert in der italienischen Renaissanceliteratur, abhold aller Volksdichtung, ohne sich indes hier beträchtliche Anleihen zu versagen. Zwischen der welkenden volksmäßig-anonymen und der reifenden exklusiv-gelehrten Poesie ein Vermittler. In seinem wühlenden Persönlichkeitsbewußtsein, seinem gläubigen Streitertum und mutigem Bekennertum ein Duodez-Petrarca an einem kleinen böhmischen Fürstenhof, weltschmerzlich in satirischen Betrachtungen, zernagt von Enttäuschung, zerfallen mit Herren- und Frauendienst. Zugleich ein religiös Zerknirschter, versucht er immer auch zu lehren und zu bessern, und hier gewinnt sein Vortrag Ähnlichkeit mit dem Sebastian Brants. Stets auf Veredlung und Vergeistigung der gesamten Menschennatur bedacht, ist er durchaus schon Erlebnislyriker vom Schlag der großen Kämpferseelen“ und Rudolf Haller: Geschichte der deutschen Lyrik vom Ausgang des Mittelalters bis zu Goethes Tod. Bern und München 1967, S. 54: „Trotz des Titels Schönes Blumenfeld sproßt darin keine anmutige Liebes- und Schäferpoesie. Es enthält Erfahrungsgedichte eines durch Ehrgeiz, moralischen Sinn, Partei- und Nationalgefühl erregten Weltmannes. Es fehlt daher die für die neue Dichtung typische Distanzhaltung. Allerdings äußert sich dieses Engagement auf didaktische und satirische Weise. […] Seinem Impuls nach ein Rügedichter, würde Hock sich besser in die Hans Sachsische Tradition des 16. Jahrhunderts einordnen lassen als in das vorbarocke Schrifttum.“ <?page no="374"?> Sprechens dennoch genauer bestimmen zu können, soll Cap. III. des Schönen Blumenfeldts zunächst in die Sammlung von Hocks Gedichten eingeordnet und anschließend der Aufbau des Gedichtes untersucht werden; auf der Grundlage dieser Gliederung erfolgt dann eine Deutung der einzelnen Kompositionselemente sowie eine abschließende Gesamtbetrachtung des Gedichts in seinen verschiedenen Kontexten. II. Einordnung und Gliederung von Cap. III. An die Satiren Cap. III. des Schönen Blumenfeldts steht im Kontext von sechs einleitenden Texten, die sich mit dem Verhältnis von Autor, Werk und Leser auseinandersetzen. 50 Dabei inszenieren Cap. I. und Cap. II. eine Abwendung von der Liebesdichtung bzw. die Hinwendung zu ernsteren Themen; 51 auf das an das eigene Buch gerichtete Cap. III . folgt in Cap. IV. eine polemische Verteidigung gegen Neider, in Cap. V. eine Empfehlung des Buches an den Leser sowie eine Einordnung desselben in literarische Traditionslinien. In Cap. VI. präsentiert Hock Ansätze zu einer Autobiographie in der Nachfolge der antiken Sphragis, wie man sie etwa bei Properz (1,22) oder Horaz (epist. 1,20) findet. Gegliedert ist An die Satiren in den Titel sowie dreizehn Strophen; 52 dabei stellen der Titel und die Schlussstrophe insbesondere die gattungspoetologische Einordnung 50 So schon Senger: Theobald Hock (Anm. 2), S. 20. 51 Vgl. bereits Hoffmann von Fallersleben: Theobald Höck (Anm. 11), S. 405: „Die Sammlung besteht aus achtzig Gedichten, die sich im Ganzen in zwei Kreise zerlegen lassen: in eine Sphäre der subjectiven Leidenschaften, das heißt in diesem Falle ausschließlich der Liebe, und in eine andere des Staats- oder mehr noch des Hoflebens.“ Nach August Kobersteins Grundriss der Geschichte der deutschen Nationalliteratur. Bd. II. Bearb. von Karl Bartsch. 5. Aufl. Leipzig 1872, besteht das Schöne Blumenfeldt aus „einer ziemlich bedeutenden Zahl von Liebesliedern und Gelegenheitsstücken aus dem Kreise des Hof- und Staatslebens“; ähnlich dann auch Lemcke: Geschichte (Anm. 40), S. 123: „Liebe, Hof- und Lebensphilosophie giebt ihm hauptsächlich den Stoff“, und Höpfner: Reformbestrebungen (Anm. 13), S. 33: „Als Hoeck dem eitlen Liebestreiben Valet gesagt und 1601 als Dichter auftrat, galt es ihm Hebung der Mitwelt in Sitte und Bildung“. 52 Zu den Strophenformen des Schönen Blumenfeldts vgl. auch die Übersicht in der Einleitung zu Blumenfeld (Koch), S. LIV sowie zur Bedeutung strophigen Dichtens für Hock überhaupt auch Angelo George de Capua: German Baroque Poetry. Interpretive Readings. Albany/ NY 1973, S. 25. Zur Liedhaftigkeit der Gedichte Hocks vgl. neben Karl Goedeke: Grundriß zur Geschichte der deutschen Dichtung aus den Quellen. Hannover 1859, Bd. II, S. 440, Köster: Rezension (Anm. 2), S. 317f., Günter Müller: Geschichte des deutschen Liedes. München 1925, S. 27 und der Einleitung zu Blumenfeld (Hanson), S. 108, auch Ferdinand van Ingen: Der Stand der Barockliedforschung in Deutschland. In: Dieter Lohmeier (Hrsg.): Weltliches und geistliches Lied des Barock. Studien zur Liedkultur in Deutschland und Skandinavien. Amsterdam 1979, S. 3-18, hier S. 5 und Irmgard Scheitler: Melodien und Gattungen anderer Nationen und die deutsche Gesangslyrik. In: Wolf Gerhard Schmidt/ Jean-François Candoni/ Stépahne Pesnel (Hrsg.): Klang - Ton Poetologisches Propemptikon und grobianischer Transformationsschwank 375 <?page no="375"?> 376 Heiko Ullrich des eigenen Werks als Satire in den Vordergrund; die erste und zwölfte Strophe verabschieden das Buch in die materielle Welt bzw. in die mediale Unsterblichkeit. Innerhalb dieses doppelten Rahmens beschreiben die verbleibenden zehn Strophen eine Doppelwegstruktur ähnlich derjenigen, die Hugo Kuhn als zentrales Strukturelement des mittelalterlichen Artusromans herausgearbeitet hat: 53 Im Verlauf von fünf Strophen (Strophe 2-6) gelangt das Buch zunächst in die Bibliotheken der Gelehrten, sodann zu den galanten Rittern, weiter zu ihren Damen, schließlich zu Handwerkern, die aus dem Papier Schablonen schneiden, und zu Gewürzkrämern, die diese ausgedienten Schablonen zu Tütchen weiterverarbeiten, bevor sie schließlich als Toilettenpapier ihre letzte Verwendung finden. Den Geltungsbereich dieser negativen Karriere des Buches, in der die von kritischen Lesern angegriffene Medialität sich schließlich zur achtlos zerstörten Materialität wandelt, beschränkt der Sprecher des Gedichts in den folgenden fünf Strophen (Strophe 7-11) zunächst scheinbar unter Berufung auf das Vorbild der „Türcken“, bei denen ein solcher Missbrauch des Papiers, auf das man ja immerhin den heiligen Namen Gottes schreiben könne, nicht zu beobachten sei. Allerdings haben die Satiren, die sich in den folgenden Strophen überraschenderweise keineswegs unter den „Türcken“, sondern erneut mitten im christlichen Europa befinden und dort offenbar eine wundersame Wiederauferstehung vollzogen haben, nun mit jeder Art von Feindschaft von Seiten der „gschworne[n] Clerisey“ zu rechnen; die Soldaten machen - in einer erneuten Ersetzung der anfänglich verhandelten Medialität des Buches durch seine Materialität - Patronenhülsen aus ihnen und der „Tunckel gutt/ | Vnd Neydhart“ schließlich zerreißt sie, isst sie auf und scheidet sie schließlich in Form eines „Currecito“ wieder aus. Damit stellt der zweite Kursus der negativen Doppelwegstruktur eine Überbietung des ersten dar, der ja ebenfalls im Reich der Fäkalien sein Ende findet; anders als bei der Wiederbelebung des Toilettenpapiers durch das Materialität in Medialität übersetzende Gedankenexperiment der frommen Verehrung der „Türcken“ für das potenziell heilige Papier wird hier nun explizit die Unsterblichkeit der Satiren betont (Strophe 12), die in ihrer erneuten Wendung von der Materialität zur Medialität wiederum auf die Veröffentlichung des Buchs rekurriert, die in der Eingangsstrophe als Auszug in die Welt dargestellt worden ist (Strophe 1). - Musik. Theorien und Modelle (national)kultureller Identitätsstiftung. Hamburg 2014, S. 171-208, hier S. 200. 53 Hugo Kuhn: Erec. In: Felix Genzmer [u. a.] (Hrsg.): Festschrift für Paul Kluckhohn und Hermann Schneider. Tübingen 1948, S. 122-147. <?page no="376"?> III. Titel und Siegel: Die Überwindung der Didaxe aus dem Geist der Satire Bereits die Vorrede des Schönen Blumenfeldts 54 charakterisiert den Inhalt desselben als Satire, 55 wenn der Wirkungsbereich des „gegenwertigen Tractätlein[s]“ - allein diese Bezeichnung unterstützt bereits den didaktischen Grundcharakter von Hocks Werk 56 - nicht als „Erkandtnuß der Seelen säligkeit“ definiert wird, sondern sich darauf erstreckt, die geheimbnussen diser vnserer Pilgerschafft recht wissen zu discerniren / vnnd sich ob aller diser Welt ergernüssen und scheinbarsten sachen (die mit den grösten Gebrechen verhafft zu sein pflegen) nit zuuerkürtzen / sondern vil mehr seines theils / auß dem ergisten das beste wissen zu erwöhlen. Neben dem emphatischen Bekenntnis zum Diesseits, das zwar noch aus christlicher Perspektive als „Pilgerschafft“ bezeichnet, durch die offensichtlich erforschenswerten „geheimbnusse[]“ derselben jedoch enorm aufgewertet wird, wird auch eine Handlungsanweisung vermittelt, die dem Menschen den Löwenanteil der Verantwortung für das Glück seines Lebens zuschreibt: Anstatt sich durch negative Erfahrungen und (Ent-)Täuschungen unterkriegen zu lassen, müsse man das Beste aus den Gegebenheiten machen. 57 Die Zuschreibung 54 Vgl. zu dieser auch Markwardt: Geschichte der deutschen Poetik (Anm. 38), S. 26. Alle folgenden Zitate aus der Vorrede nach Blumenfeld (Hanson), S. 173. 55 Zu Hocks Auffassung der Satire vgl. auch Fleischmann: Theobald Hock (Anm. 2), S. 14. 56 Diesen hebt gegen Walther Rehm: Der Todesgedanke in der deutschen Dichtung vom Mittelalter bis zur Romantik. Halle an der Saale 1928, S. 196f., neben Friedrich-Wilhelm Wentzlaff-Eggebert: Das Problem des Todes in der deutschen Lyrik des 17. Jahrhunderts. Leipzig 1931, S. 55-57, und Gunter E. Grimm: Literatur und Gelehrtentum in Deutschland. Untersuchungen zum Wandel ihres Verhältnisses vom Humanismus bis zur Frühaufklärung. Tübingen 1983, S. 193, auch die Einleitung zu Blumenfeld (Hanson), S. 3, hervor, wenn der Titel von Cap. III. An die Satiren vor dem Hintergrund der aufgerufenen Gattung als Hinweis auf rein didaktische Absichten gedeutet wird; vgl. zur Bedeutung der Kapitel-Überschriften bei Hock auch Fleischmann: Theobald Hock (Anm. 2), S. 23. 57 Vgl. Hoffmann von Fallersleben: Theobald Höck (Anm. 11), S. 416-420, der Hock „eine heitere männliche Stimmung“ attestiert; dieser sei trotz mancher Enttäuschungen „nicht erbittert darüber, daß ihm das Schicksal nicht gewährt, was Andern […] zu Theil ward“: „Dennoch hat er das Vertrauen zu sich selbst nie verloren und eine gewisse poetische Lebensanschauung muthig behauptet. Denn am Ende, weiß er, ist doch ein Jeder seines eigenen Glückes Schmied“. Denn gerade die Satire ermögliche ihm den Sieg über „trübe Gedanken“: „Aber auch in dieser Stimmung bleibt er nicht schwermüthig stecken, im Gegentheil, er entäußert sich ihrer zu heiterm Scherz und schwingt muthigen Sinns die Siegesfahne des Humors über alle Unvollkommenheiten dieser Erde, die noch nicht die schlechteste ist: darum nämlich, weil zu jedem Schlechten, das existirt, noch ein Schlechteres sich denken läßt, das exisitiren könnte. Und das ist auch ein Trost.“ Poetologisches Propemptikon und grobianischer Transformationsschwank 377 <?page no="377"?> 378 Heiko Ullrich dieser Verantwortung an den Menschen bedingt dabei einen Verzicht auf die „Höfligkeit“; an deren Stelle habe der Verfasser „etwa die schwartze Dinten doch in genere auß schwartzem leben oder Blut gefast“. 58 Hier schließt der Verfasser sich selbst in die Reihe der im Rahmen dieser Eigenverantwortung fehlenden und daher tadelnswerten Menschen mit ein; indem er sich als Melancholiker bezeichnet („auß schwartzem leben oder Blut“), stilisiert er sich außerdem zum Satiriker aus eigener Verzweiflung - und nicht aus der aggressiven Haltung des Cholikers - heraus, weshalb er seine Kritik auch „deß gutthertzigen Lesers vernünfftiger Censur vnnd vnpatheischen entscheidens […] vnderwerffen“ könne, sofern dieser sein Urteil nach den „inserirten Gesetzen vnnd nachdencken“ zu fällen bereit sei, 59 zumal „ein jeder verständiger“ erkennen müsse, dass eine melancholisch und nicht cholerisch begründete Satire „auß trew gentzlichen gemeint“ sei. Dass An die Satiren zwar als Geleitgedicht firmiert, das Schöne Blumenfeldt aber dennoch nicht eröffnet, schreibt Hocks Selbststilisierung zum Melancholiker in eine andere Richtung fort: Während die Vorrede den missionarischen Eifer des angesichts der menschlichen Fehler verzweifelten Reformators in der Tradition Luthers repräsentiert, gehen Cap. I. und Cap. II. vom Eingangssonett des Canzoniere aus, in dem Petrarca sein liebeskrankes lyrisches Ich in augustinischer Tradition eine Absage an die amourösen Sünden der Jugend formulieren lässt 60 - und wie der Canzoniere macht auch das Schöne Blumenfeldt nicht wirk- 58 Vgl. zu dieser Stelle auch die Einleitung zu Blumenfeld (Koch), S. XLVII. 59 Zur Bedeutung des Gesetzes für das Schönen Blumenfeldt vgl. auch Wolkan: Böhmens Antheil (Anm. 27), S. 369. 60 So bereits Jellinek: Rezension (Anm. 35), S. 400, Hugo Souvageol: Petrarca in der deutschen Lyrik des 17. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Geschichte der italienischen Literatur in Deutschland. Ansbach 1911, S. 3-5, Erika Kanduth: Der Petrarkismus in der Lyrik des deutschen Frühbarock. Vorbereitung - Entwicklung - Auswirkungen. [Diss. masch. Wien 1953], S. 129f., das Nachwort in Francesco Petrarca: Das lyrische Werk: Der Canzoniere - die Triumphe - Nugellae. Übers. und hrsg. von Benno Geiger. Darmstadt [u. a.] 1958, S. 816, Gerhart Hoffmeister: Petrarkistische Lyrik. Stuttgart 1973, S. 62, Emanuela Hager: Übersetzungen und Nachdichtungen von Sonetten Petrarcas in der europäischen Lyrik des 16. Jahrhunderts. [Diss. masch. Wien 1974], S. 68-70, Alberto Martino: Die italienische Literatur im deutschen Sprachraum. Ergänzungen und Berichtigungen zu Frank-Rutger Hausmanns Bibliographie. Amsterdam und Atlanta 1994, S. 420, Leonard Forster: Über Reihen und Gliedern. Vornehmlich in mittlerer deutscher Literatur. In: Joseph P. Strelka/ Jörg Jungmayr (Hrsg.): Virtus et Fortuna. Zur Deutschen Literatur zwischen 1400 und 1720. Festschrift für Hans-Gert Roloff. Bern [u. a.] 1983, S. 15-37, hier S. 24, Jónácsik: Poetik (Anm. 27), S. 218 und 297 Anm. 31, Volker Meid: Die deutsche Literatur im Zeitalter des Barock. Vom Späthumanismus zur Frühaufklärung 1570-1740. München 2009 [Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart. Begr. von Helmut de Boor und Richard Newald. Bd. V], S. 106, Günter Irmscher: Amor und Aeternitas. Das Trionfi-Lavabo Christoph Jamnitzers für Kaiser Rudolf II. Wien und <?page no="378"?> lich Ernst mit dieser Abwendung von der Liebesdichtung, die ja durchaus einen quantitativ wie qualitativ bedeutenden Aspekt der folgenden Gedichtsammlung bildet. 61 Tatsächlich weitet Hock den Fokus in Cap. II. jedoch programmatisch über die Liebesdichtung hinaus 62 und knüpft damit an die Vorrede an, wenn er sein künftiges Vorhaben folgendermaßen formuliert: Jetzt muß ich von der Welde / Boßheit vnd vntrew groß / Von jhrem Pracht vnd Gelde / Von jhrer Narrheit loß / Dichten so schwär vnd bloß Jetzt muß ich erst verlachen / Jn halben Tagen alt / Der Welt so wunder sachen / Jhr krumbe form vnd gstaldt / Die doch vergeht so baldt. Jetzt will ich sagen von Kriegen / Vnd von dem Hoffleben reich / Von Hauswirtschafft vnd Wiegen / Von Herrn vnd Knecht zugleich / Nach dem ich zeit erschleich. Niembt zLieb vnd niembt zu Laide / Die Warheit rain vnd klar / Wie wir ohn vnderscheide / Solln erbar leben fürwar / Vnd selig werden gar. Wie wohl der Momus klaffen Wirdt sagn / nichts gehts mich an / Jch hab mit mir selbst zschaffen / Vnd bey der Nasen schon / Mich selbst soll nemen zLohn. Doch wem ich znahent kumme / Der besser sich darauß Mailand 1999 [Schriften des Kunsthistorischen Museums. Bd. 4], S. 78 und S. 167 sowie Achim Aurnhammer: Petrarca in Deutschland. Ausstellung zum 700. Geburtstag. Katalog. Heidelberg 2004, S. 71; Fleischmann: Theobald Hock (Anm. 2), S. 43, sieht in Cap. I. und Cap. II. dagegen eher den Einfluss des Gesellschaftsliedes in der Tradition Regnarts und Schallenbergs. 61 Vgl. Wolkan: Böhmens Antheil (Anm. 27), S. 368. Zu Hocks Petrarkismus vgl. auch Souvageol: Petrarca (Anm. 60), S. 3-9, Fleischmann: Theobald Hock (Anm. 2), S. 39f., Kanduth: Der Petrarkismus (Anm. 60), S. 125-128 und Hoffmeister: Petrarkistische Lyrik (Anm. 60), S. 62. 62 So bereits Hoffmann von Fallersleben: Theobald Höck (Anm. 11), S. 416 und Wolkan: Böhmens Antheil (Anm. 27), S. 365f. Poetologisches Propemptikon und grobianischer Transformationsschwank 379 <?page no="379"?> 380 Heiko Ullrich Das Gsatz khert nit wer frumme / Die Katz fecht nur die Mauß / Der loß nicht alles auß. Wer guttes nit mag hören / Der stopff die Ohrn zue / Gleich wie die Schlang vom beschweren / Der Fromb kombt zu der rhue / Es sey spatt oder frue. Vnd niemandts lebt ohn Tadl / Niembts jedem recht kan thain / Es ist gleich Paur vnd Adl / Jetz Gottloß in gemein / Thue rechts fürcht Gott allein. Gott selbst den Menschen Kinder / Rechts than nit kunt hat doch / Weil er auff Erdt / vil minder Vnd weniger jetz noch Seit er im Himmel hoch. (Cap. II, V. 26-70) 63 Die Welt kann, darf und muss „verlach[t]“ werden, gerade weil sie „vergeht so bald“: 64 Aus dem Bewusstsein der vanitas entwickelt Hock keine barocke Verzweiflung, die sich dann in einem hoffnungsvollen memento mori oder einem eskapistischen carpe diem entladen müsste; vielmehr empfiehlt sein Optimismus als realistisches Ziel, dass die Menschen „Solln erbar leben fürwar / | Vnd selig werden gar“. 65 Um dieses ehrbare Leben richtig führen zu können, bedürfen jedoch alle Menschen (Krieger, Hofleute, Hausfrauen, Herren, Knechte, Bauern 63 Blumenfeld (Hanson), S. 179f. 64 Vgl. dazu auch Höpfner: Reformbestrebungen (Anm. 13), S. 33, Wolkan: Böhmens Antheil (Anm. 27), S. 371f. sowie insbesondere Ferdinand van Ingen: Vanitas und Memento mori in der deutschen Barocklyrik. Groningen 1966, S. 66. 65 Vgl. dagegen die Einschätzung Fleischmanns: Theobald Hock (Anm. 2), S. 44: „Höck verrät bereits das dualistische Lebensgefühl des Barocks. Er schwankt zwischen Diesseitslust und Jenseitssehnsucht, zwischen epikuräischer Lebensbejahung und stoischem ‚memento mori‘. Freilich schwebt Höck nicht wie die hochbarocken Dichter in der Mitte zwischen diesen beiden Seelenlagen. Er neigt stärker als alle frühbarocken Dichter zum Pessimismus, die Klagegesänge übertönen die Lobpreisungen. Er schreitet viel schwerer bepackt durchs Leben als etwa Weckherlin oder Opitz. Ihm fehlt jene höfische Leichtlebigkeit, jener humanistische Stolz und Welttrutz, der, ungeachtet des Wissens um die Vergänglichkeit aller Dinge und bei aller Erkenntnis der Sündhaftigkeit der Menschen, doch den Glauben an ihre Besserungsfähigkeit nicht verlieren kann. Höck gehört dem am Leben verzweifelnden Geschlecht an, das die weltfreudigen Renaissance-Menschen ablöste.“; ausgewogener urteilen hier bereits Wolkan: Böhmens Antheil (Anm. 27), S. 368 und S. 372f. sowie Meid: Die deutsche Literatur (Anm. 60), S. 107, dieser betont „Hocks lutherisch geprägtes Christentum, das einfach praktische Sittenlehre mit der Aufforde- <?page no="380"?> und Adlige) des Satirikers, der ihnen die „Warheit rain vnd klar“ sagen darf 66 - und den man nicht durch den Hinweis, dass er selbst nicht besser sei als seine Mitmenschen, zum Schweigen bringen dürfe: Gerade wer sich getroffen fühle, solle die Gelegenheit ergreifen, sich zu bessern, gleichgültig, ob der Tadler ihm nun ein positives Vorbild bieten könne oder nicht. 67 Hier scheint eine gewisse Inkongruenz auf, wenn sich ausgerechnet ein Satiriker gegen die Angriffe des „Momus“ verwahrt und damit eine zumindest nicht im Sinne strenger Logik stringente Apologie des Sprechers einleitet, in der dieser - wohl als rhetorisches Ablenkungsmanöver - zunächst allgemein die Schlechtigkeit der Welt beklagt, das tadelnswerte Verhalten aller Menschen dann jedoch durch einen sehr allgemein gehalten Ratschlag („Thue rechts fürcht Gott allein“) bessern zu können glaubt, bevor er wieder in die Apologie seiner selbst verfällt, indem er in gnomischer Diktion betont, selbst Gott könne es nicht allen Menschen recht machen. Dem Anspruch der Satire, die „Warheit rain vnd klar“ zu formulieren, stellt Hock also bereits in Cap. II. die erwartbaren Konflikte bei der Rezeption dieser Texte gegenüber: Selbst von allgemein gehaltenen Satiren, die nicht den Tatbestand der Personalsatire erfüllen, muss der Leser sich angesprochen fühlen, da sonst der didaktische Zweck der Gattung verfehlt wird. 68 Anders als bei der Personalsatire wird er jedoch nicht bloßgestellt, sondern dazu aufgefordert, die getadelten Fehler bei sich selbst zu suchen und ggf. zu beseitigen: „Doch wem ich znahent kumme / | Der besser sich darauß“. 69 In der Betonung der eigenen Gewissenserforschung verbindet Hock ein zentrales Element der protestantischen Theologie mit dem poetologischen Anliegen einer Einübung richtigen Lese- und Rezeptionsverhaltens: „Momus“ ist nicht als Tadler tadelnswert, sondern deshalb, weil er sich auf eine bestimmte Person stürzt und dieser eine direkte und öffentliche Rüge erteilt („klaffen“), auf die der Angegriffene zur Wahrung seines rung verbindet, an die Vergänglichkeit des menschlichen Lebens und die ewige Seligkeit zu denken“. 66 Vgl. zu dieser Stelle auch Fleischmann: Theobald Hock (Anm. 2), S. 36f. sowie zu diesem Gedanken bei Hock allgemein van Ingen: Vanitas (Anm. 64), S. 309 und S. 315. 67 Vgl. auch die Erläuterung dieser Stelle bei Goetze: Zu Theobald Hoeck (Anm. 2), S. 159. 68 Vgl. dazu auch die Ausführungen insbesondere in der Einleitung bei John T. Gilmore: Satire. Abingdon 2017, den eher literarhistorischen Zugang in den Beiträgen zum Sammelband von Thomas Haye (Hrsg.): Epochen der Satire. Traditionslinien einer literarischen Gattung in Antike, Mittelalter und Renaissance. Hildesheim 2008 sowie die epochenspezifischen Untersuchungen von Barbara Könneker: Satire im 16. Jahrhundert. Epoche - Werk - Wirkung. München 1991 und Christoph Deupmann: „Furor satiricus“. Verhandlungen über literarische Aggression im 17. und 18. Jahrhundert. Tübingen 2002. 69 Zur zeitgenössischen Personalsatire vgl. neben der Textsammlung von Oskar Schade (Hrsg.): Satiren und Pasquille aus der Reformationszeit. Bd. I. 2. Aufl. Hannover 1863, auch die Untersuchung von Oskar Bauer: Pasquille in den Fuggerzeitungen. Spott- und Schmähgedichte zwischen Polemik und Kritik (1568-1605). Wien [u. a.] 2008. Poetologisches Propemptikon und grobianischer Transformationsschwank 381 <?page no="381"?> 382 Heiko Ullrich gesellschaftlichen Ansehens wiederum durch eine Selbstverteidigung reagieren muss, die jede Konstruktivität der Kritik verhindert. Damit steht bereits der Titel von Cap. III. , An die Satiren , in einem Spannungsverhältnis von Materialität und Medialität, ausgelöst durch die Einordnung in die beiden Gattungstraditionen des Transformationsschwanks und des poetologischen Propemptikons. Begreift man den Titel des Gedichts als Synonym für den der gesamten Sammlung, also die Anrede an die „Satiren“ als eine an das gesamte Schöne Blumenfeldt , angelehnt an die Etymologie der satura lanx als Schale gemischter Speisen, ergibt sich der allegorische Bezug auf eine ungeordnete Anzahl von Einzelblättern, die zunächst einmal materiell zusammenfinden müssen, um eben nicht mehr wie Blumen auf einem Feld verstreut zu bleiben, sondern in einer gemeinsamen Form, dem allegorisch durch die satura lanx vertretenen Kodex, zusammengefasst zu werden. 70 Liest man den Titel dagegen als Beitrag zu einer funktionalen gattungspoetologischen Bestimmung der Satire (also aller einzelnen Beispiele für satirisches Schreiben der vergangenen, gegenwärtigen und künftigen Literaturgeschichte), was der in Hocks Titel verwendete bestimmte Artikel in seiner verallgemeinernden Bedeutung ja ebenfalls bezeichnen kann, so ist das Verhältnis zwischen der angesprochenen Personifikation der Satire und der gemeinten Definition der Gattung als Medium einer bestimmten Textaussage ein metaphorisches, da die Satire die vorgängige Gattungstradition ja tatsächlich in sich aufnimmt, abbildet und weiterentwickelt. Was im Titel des Gedichts durch die etymologische und die funktionale Betrachtung der Semantik differenziert werden kann, erscheint in der Schlussstrophe als Verschlingung einzelner Textelemente zu einem spannungsreichen Mit- und Gegeneinander von Allegorie und Metapher, von Materialität und Medialität, von Transformationsschwank und poetologischem Propemptikon: Eim jeden sagt die Warheit rundt / Vnnd die Impressa führet / Wers nit mag leydn der küß euch punt / Was khait die Leuth / selber euch freyt / Damit jhr euch saluiret. (V. 61-65) Die im ganzen Gedicht von der materiellen Zerstörung bedrohten Satiren müssen sich als greifbarer Kodex „saluire[n]“, 71 sie haben einen „punt“, den man 70 Vgl. dazu auch die Bemerkungen zur Entstehung der Gedichtsammlung in der Einleitung zu Blumenfeld (Hanson), S. 131. 71 Vetters: Studien (Anm. 2), S. 22 und mit ihr der Kommentar von Hansons Ausgabe (Blumenfeld [Hanson], S. 191) bestimmen die Bedeutung des Wortes als ‚sich wohlbefinden‘, was angesichts der stärker in Richtung von Rettung und Bewahrung zielenden Semantik <?page no="382"?> „küß[en]“ kann, 72 und sie haben Gefühle wie die Freude („freyt“): Das alles macht sie zu einer allegorischen Figur des Transformationsschwanks, sie sind ein Gegenstand, der sich wie ein Mensch verhält und über einen Selbsterhaltungstrieb verfügt, für den es bei einem Gegenstand wie dem Buch keine Entsprechung gibt. Gerade dieser aus dem allegorischen Transformationsschwank übernommene Selbsterhaltungstrieb, der Hans Sachsens Rosshaut, den Flachs des Hieronymus Bock, des Andreas Tharaeus und Harsdörffers wie auch insbesondere Grimmelshausens Schermesser auszeichnet, ist für das Verständnis von An die Satiren zentral. Denn verbürgt wird das Ringen um eine auch im Körperlichen verankerte Identität durch die „Impressa“, die zwischen Allegorie und Metapher steht, der Materialität des Schriftträgers verhaftet ist und mediale Aufgaben wahrnimmt, einen Leitgedanken verkündet 73 (der sich allerdings im trotzigen Götz-Zitat erschöpft), aber auch schon durch ihr bloßes Vorhandensein die Repräsentationsaufgaben erfüllt, die den frühneuzeitlichen Körper erst zu einem wahrnehmbaren Objekt machen. Markiert die „Impressa“ den typisch frühneuzeitlichen Übergang von der allegorisch aufgefassten Materialität zur als Metapher fungierenden Medialität, so ist die Aufforderung an die Satiren, „[e]im jeden […] die Warheit rund“ zu sagen, eindeutig dem letzteren Bereich zuzuordnen. Anders als in Cap. II. spricht nun nicht mehr der Dichter; stattdessen fordert er das Buch zum Sprechen auf, das damit zum Sprachrohr und Stellvertreter des Verfassers wird - ähnlich dem des Wortes in den romanischen Ausgangssprachen (in der Tradition des spätlateinischen salvare als Synonym zum servare des klassischen Latein) etwas blass erscheint. 72 Jellinek: Rezension (Anm. 35), S. 398, möchte vor „punt“ einen (in der Metrik verschliffenen) Artikel ergänzen. Was mit diesem Vers exakt gemeint ist, scheint noch nicht abschließend geklärt: Köster: Rezension (Anm. 2), S. 299, vermutet eine Bedeutung ‚Hosenbund‘, dem schließen sich Jellinek: Beiträge zur Textkritik (Anm. 12), S. 211 (unter Verweis auf ein Flugblatt, in dessen Titel die Wendung „küß im die bruch“ erscheint) und Senger: Theobald Hock (Anm. 2), S. 75, an, während die Einleitung zu Blumenfeld (Hanson), S. 191, zwar auf den einzigen Parallelbeleg bei Hock selbst verweist, der eine solche Lesart eher nicht unterstützt, sondern tatsächlich den ‚Punkt‘ als geometrische Figur meint, aber letztlich dennoch Köster und Konsorten beipflichtet. Ausgehend von der Grundbedeutung des Wortes, das insbesondere Spund und Spundöffnung eines Fasses bezeichnet (Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm, 16 Bde. in 32 Teilbänden. Leipzig 1854-1961, Bd. XIII, Sp. 2243), wäre gerade im Kontext von Cap. III. aber vielleicht zunächst an die Körperöffnung zu denken, um die sich das Gedicht mit dem „durch die Furch […] schliffen“ (V. 14), dem „Hinter […] wischen“ (V. 30) und dem „Loch“ (V. 51), durch das der „Currecito“ austritt (V. 53), ohnehin permanent dreht; damit ergäbe sich auch für die vorliegende Stelle eine ähnliche Bedeutung wie in V. 14, also ungefähr das bekannte Götz-Zitat, das ja auch die Interpreten von Köster bis Hanson als Bedeutung des ganzen Verses ansetzen. 73 So auch die Erklärung der beiden Verse durch Senger: Theobald Hock (Anm. 2), S. 75: „Hinter führet müsste ein Doppelpunkt stehen.“ Poetologisches Propemptikon und grobianischer Transformationsschwank 383 <?page no="383"?> 384 Heiko Ullrich Propemptikon mit Sendboten-Funktion, aber an eine breite Öffentlichkeit („Eim jeden“) gerichtet. Ein weiterer wichtiger Unterschied zu Cap. II. besteht im Verzicht auf eine didaktische Intention und in der Leugnung jeglichen Unrechtsbewusstseins: Der Dichter erklärt es vielmehr geradezu zum Anliegen der Satiren, die Menschen zu verärgern („Was khait die Leuth / selber euch freyt“). 74 Insofern können Vorrede, Cap. II. (in dem die Selbstapologie zwar noch betrieben wird, aber im impliziten Selbstvergleich des Dichters mit Gott letztlich dann doch recht selbstherrlich endet) und Cap. III. als drei Stufen gedeutet werden, in denen sich Hocks dichterisches Selbstvertrauen immer deutlicher und hemmungsloser äußert. 75 Dass dies über den Stellvertreter des angeredeten Buches erfolgt, erlaubt dem Dichter allerdings noch ein Minimum an höflicher Zurückhaltung, indem er die ‚Schuld‘ an der hervorgerufenen Verärgerung seiner Mitmenschen den Satiren und damit letztlich einer Gattungskonvention zuschiebt, die ihn selbst zumindest partiell entschuldigt, indem sie sein Vorgehen als Teil einer (altehrwürdigen) literarischen Tradition legitimiert. Mit dieser Instrumentalisierung der Gattung jedoch verlässt Hock nicht nur den Boden der argumentierenden Logik, indem er sich auf die Lizenzen der satirischen Dichtung beruft, die dieser zur Erfüllung ihrer didaktischen Aufgaben erteilt worden sind, ohne sich aber auch selbst zu diesen erzieherischen Zielen zu bekennen. Mit dem von der Metapher ausgehenden poetischen Spiel, dessen Zweck und Absicht sich darin erfüllt, aus dem Ärger der Verspotteten eigene Freude zu ziehen, ist ein subversives Sprechen realisiert, wie es Czucka in Hocks poetologischen Gedichten entdeckt hat. Doch dieses benötigt nicht nur die Metapher, sondern eben auch die Allegorie: Das personifizierte Buch kann zwar metaphorice den Leser ärgern, sich selbst darüber freuen jedoch kann es nur allegorice ; beide stilistischen Modi sind notwendiger Bestandteil einer Überwindung didaktischer Festlegungen von Literatur, wie Hock sie im Schönen Blumenfeldt vollzieht. Anders als von Czucka angenommen verschwindet die Allegorie nicht, sondern wandelt lediglich ihre Funktion: Nun dient sie nicht mehr dazu, den Leser zu belehren, indem sie diesem einen Spiegel vorhält; stattdessen ermöglicht sie es dem Autor, sich seiner selbst zu vergewissern, indem sie ihm als Mittel der Selbstreflexion zur Verfügung steht. Das Ergebnis dieser Selbstreflexion ist dann das Bewusstsein des Dichters von der eigenen Doppel- 74 Auch hier folgt der Kommentar in Blumenfeld (Hanson), S. 191, der Argumentation von Vetters: Studien (Anm. 2), S. 22, die eine Infinitivbedeutung ‚verspotten‘ anführt; zentral ist in jedem Falle jedoch vor allem die Antithese zu „freyt“, die eine Semantik im Umkreis des Antonyms ‚verärgern‘ wahrscheinlich macht; vgl. zur zeitlichen Einordnung des Wortes auch Leitzmann: Zu Theobald Höck (Anm. 12), S. 196. 75 Vgl. zu Cap. III. als Ausweis von Hocks großem Selbstvertrauen auch Senger: Theobald Hock (Anm. 2), S. 25. <?page no="384"?> natur, wie sie auch seinem Buch eigen ist: Er hat eine materielle und eine mediale Komponente, besteht aus einem Körper und einer Botschaft. IV. Der Rahmen: Räumliche und zeitliche Wirkungsgeschichte in der Aufwärtsspirale Während Titel und Siegel des äußeren Rahmens Cap. III. in den Kontext des Schönen Blumenfeldts als einer satirischen Schrift einordnen und daraus die Überwindung didaktischen Schreibens ableiten, wenden sich die erste und zwölfte Strophe von An die Satiren der genremäßigen Bestimmung des Gedichts als poetologisches Propemptikon und grobianischer Transformationsschwank zu. Beim ersten Betrachten scheint hier eine klare Trennung vorzuliegen: Auf der einen Seite gestaltet die Eingangsstrophe das metaphorische, auf die mediale Funktion abhebende Reisemotiv des Propemptikons in der Tradition von Hor. epist. 1,20 und der ersten Elegie des Georgius Sabinus, indem Hock sein Buch in die Welt hinaus verabschiedet: Glück zu auff dRaiß / zeucht hin in dWelt / Weil jhr doch nit wölt bleiben / Ihr lieben Schwartzferber habt jhr Geldt / Vnd Paspart auch / nach Landes brauch / So last euch gleich nur schreiben. (V. 1-5) Auf der anderen Seite gestaltet die zwölfte Strophe das allegorische, auf die materielle Existenz des Buches abhebende Motiv des Lebenslaufs aus dem Transformationsschwank in der Tradition des Hans Sachs und des Hieronymus Bock, insbesondere aber in der Johann Fischarts, indem Hock den soeben vom „Tunckelgutt / | Vnd Neydhart“ verspeisten und in Form des „Currecito“ wieder ausgeschiedenen Satiren eine wunderliche Auferstehung angedeihen lässt: Doch freyt euch jhr seidt Chrisamms Kind / Euch schadt kein Schuß noch Segen / Je mehr man euch will dempffen gschwindt / Je mehr ewr lob / außbreith sich drob / Jhr dörfft vmb niembt nichts geben. (V. 56-60) An eben dieser Stelle sieht Czucka den Kardinalbeleg für die angebliche Überwindung der Allegorie durch die Metapher: Das „lob“ des Buches, also seine rühmende Erwähnung durch Rezeption und Literaturgeschichtsschreibung - so könnte man Czuckas knappe Andeutungen weiterdenken -, werde seine materielle Vernichtung überdauern und stelle so den Triumph der Medialität über die Poetologisches Propemptikon und grobianischer Transformationsschwank 385 <?page no="385"?> 386 Heiko Ullrich Materialität und der Metapher über die Allegorie dar. Um diesen Trugschluss zu vermeiden, ist ein Vorgriff auf die elfte Strophe notwendig, denn dort heißt es: O wenn jhr jhm so offt durchs Loch Alß durch das Maul würd lauffen / Er kriegt das Currecito doch Vnd wär mit schmach / vnd vngemach / Sich selbst vor laidt zerrauffen. (V. 51-55) Der Neider kann seine Absicht, das Buch materiell zu vernichten, nicht erreichen: Selbst wenn er alle Exemplare des Schönen Blumenfeldts , die er verspeist, auch tatsächlich wieder ausscheiden könnte, 76 müsste er schließlich aufgrund der Insuffizienz seines Verdauungsapparats kapitulieren, da einfach zu viele Exemplare existieren. Hocks Stolz auf die von ihm beim Verfassen der Gedichte erwartete Auflagenhöhe seiner Gedichtsammlung muss natürlich vor dem Hintergrund der Tatsache gesehen werden, dass er selbst als Sekretär noch zahlreiche Bücher selbst handschriftlich kopiert hat. 77 Darüber hinaus stellt das „lob“ stets auch eine Kaufempfehlung für das Schöne Blumenfeldt dar; aus der dadurch resultierenden verstärkten Nachfrage ergibt sich in der blühenden Phantasie des angehenden poetischen Debütanten die Notwendigkeit zu Nachdrucken und damit eine Stärkung der materiellen Existenz des Buches, 78 die mit dem Prädikat „ausbreith“ ebenso gemeint sein könnte wie die Verbreitung der in den Satiren enthaltenen Botschaft. Ähnlich kann auch der Vers „Euch schadt kein Schuß noch Segen“ aufgeschlüsselt werden, denn auch hier spielt sowohl die mediale als auch die materielle Seite des Buches, sowohl die metaphorische als auch die allegorische Personifikation eine Rolle - in diesem Fall jedoch wird sie von Hock selbst differenziert: Dass den Satiren der „Segen“ der in Strophe 8 genannten „Clerisey“ nicht schadet, 79 stellt eine Metapher dar, 76 Zur Form des Hilfsverb im Konjunktiv II vgl. auch Max Hermann Jellinek: Theobald Hocks Sprache und Heimat. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 33 (1901), S. 84-124, hier S. 112. 77 Vgl. dazu beispielsweise die Einleitung in Blumenfeld (Hanson), S. 42f., oder Václav Bok: Die Bibliotheken von Theobald und Hans Höck von Zweibrücken nach einem Inventar von 1618. In: Ulman Weiß (Hrsg.): Buchwesen in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Festschrift für Helmut Claus zum 75. Geburtstag. Epfendorf am Neckar 2008, S. 341-356, hier S. 349 Anm. 25. 78 Sicherlich hat Hock auf eine wesentlich größere Auflage gehofft als diejenige, die dann nach verbreiteter Forschungsmeinung aufgrund der bescheidenen Überlieferung angenommen wird (vgl. beispielsweise die Einleitung in Blumenfeld (Hanson), S. 113 und S. 140f., Trunz: Pansophie (Anm. 8), S. 946, Jónácsik: Poetik (Anm. 27), S. 246f., oder Meid: Die deutsche Literatur (Anm. 60), S. 105). 79 Dass der Kommentar in Blumenfeld (Hanson), S. 191, die These vertritt, hier müsse „die Bedeutung ‚Fischernetz‘“ angesetzt werden, weil diese „hier mehr dem Sinn der Zeidenn <?page no="386"?> dieser „Segen“ richtet sich gegen die Botschaft der Satiren, die aus theologischer Sicht als bedenklich eingestuft wird; dass ihnen der „Schuß“ der in Strophe 9 erwähnten Soldaten ebenso wenig etwas anhaben kann, ist dagegen als Allegorie aufzufassen, denn in der Verwendung als Patronenhülse ist die körperliche Unversehrtheit der Satiren bedroht. Einziger Beleg für eine rein metaphorische Personifikation des Schönen Blumenfeldts in der überwiegend vom allegorischen Transformationsschwank geprägten Strophe 12 ist damit der Verweis, dass man die Satiren „dempffen“ wolle: Als Klangmetapher verweist diese Formulierung auf die mediale Funktion der Schrift, die an dieser Stelle eingeschränkt werden soll. Eindeutig allegorisch sind dagegen die biologistische Auffassung des Buches als „Kind“, die diesem eine eigenständige körperliche Existenz zuschreibt, was sich spätestens dann als Allegorie entpuppt, wenn diese eigenständige Existenz sich durch die Emotionen der Freude („freyt“) oder des vorgeblich gleichgültigen Trotzes („nichts geben“) als Abbild des menschlichen Lebens zu erkennen gibt. 80 Abgesehen davon werden die Satiren ja in diesem Fall nicht wie im poetologischen Propemptikon durchaus üblich als Kinder des Autors, sondern als „Chrisamms Kind“ bezeichnet; in welchem Verhältnis die offenbar unter dem Schutz des heiligen Salböls stehenden Kinder 81 nun zu ihrem Schutzpatron stehen, ist dabei weniger von Belang als die bereits oben zitierte Stelle aus Fischarts Geschichtsklitterung , auf die Hock hier offenbar verweist. Wie dort der Mönch erscheinen hier die Satiren als durch einen Zauber (das Chrisamsöl? ) kugelfest gemachte Soldaten, deren vom Autor geteilte (und wohl eher nicht als Aberglaube verurteilte) Zuversicht sich sowohl gegen die Angriffe auf die eigene Materialität (den „Schuß“) als auch gegen die eigene Medialität (den „Segen“) erstreckt - der heimliche Traum eines jeden Buches, das von einem Propemptikon begleitet in die feindliche Welt hinauszieht, aber auch eines jeden Gegenstandes, der den Wechselfällen eines Transformationsschwanks unterworfen ist. In der Eingangsstrophe sind die beiden Genres genauso eng miteinander verschränkt, wenn auch die Kräfteverhältnisse deutlich zugunsten des metaphorisch geprägten, auf die Medialität des Buches abzielenden Propemptikons verschoben ist. Wenn Czucka allerdings den Schlussvers der Strophe („So last euch le“ entspräche „als die übliche Bedeutung des Wortes“, bedarf eigentlich angesichts der Parallele in Strophe 8, wo sich der „Segen“ der „Clerisey“ (den auch Hanson nicht als Fischernetz lesen will) ebenfalls bereits gegen die Satiren richtet, keiner weiteren Diskussion. 80 Zum unreinen Reim auf „Segen“ vgl. auch Jellinek: Theobald Hocks Sprache (Anm. 76), S. 86. 81 Im Kommentar zu Blumenfeld (Hanson), S. 191, findet sich ein Deutungsansatz, der den Sachverhalt sofort metaphorisch liest: „Es soll wohl eine Anspielung darauf sein, daß der Dichter seinen Gedankenkindern hier seinen Segen gegeben hat.“ Poetologisches Propemptikon und grobianischer Transformationsschwank 387 <?page no="387"?> 388 Heiko Ullrich gleich nur schreiben“) nicht im von Goetze vorgeschlagenen 82 und von Hanson favorisierten 83 Sinne als Aufforderung an die Satiren, sich einen Pass ausstellen zu lassen, sondern als Verweis auf den Entstehungsprozess des Schönen Blumenfeldts selbst liest, 84 irrt er letztlich genauso wie sein Kontrahent: Hock meint - und das ist ja eigentlich auch die Quintessenz aus Czuckas Interpretation - natürlich beides. Darüber hinaus kann man auch dem „Paspart“ 85 selbst sowohl metaphorische als auch allegorische Qualitäten zuschreiben: Natürlich verweist das Ausweispapier zunächst einmal auf einen menschlichen Reisenden, dessen körperliche Identität durch den materiellen Pass bezeugt wird, doch einen solchen Identitätsnachweis erhält klassischerweise auch ein Buch in Form von Titel, ggf. Gattungsbezeichnung - und durch die Nennung des Autors, der diese Konvention im Falle des Schönen Blumenfeldts jedoch durch das Anagramm „Othebladen Öckhen“ sowie die fingierten Angaben zu Verleger und Druckort bekanntlich unterläuft bzw. mit ihr spielt. Mit seinem ‚falschen‘ (oder jedenfalls die Funktion eindeutiger Identitätsbestimmung nur unzureichend erfüllenden) Pass nimmt das Schöne Blumenfeldt jedoch in allererster Linie mediale, kommunikative Aufgaben wahr, indem das Buch seinem Leser bereits auf dem Titelblatt ein Rätsel aufgibt und ihn damit zu einem Versteck- und Entdeckspiel einlädt, das die ganze „Welt“ beschäftigen soll, die das Buch auf seiner „Raiß“ besucht. Diese Unterhaltungs- und Anregungsfunktion der Literatur, deren Spielcharakter noch durch das erste Wort des Gedichts („Glück“) unterstrichen wird, bildet nicht nur eine Parallele zu dem zaubermächtigen Chrisamsöl aus Strophe 12, sondern untermalt grundsätzlich die zuversichtliche, optimistische Stimmung, die in beiden Rahmenstrophen herrscht. Dabei erscheint der durch Reisemetaphorik und Lebensallegorie gestaltete Publikationsprozess des Werkes als Aufwärtsspirale, in der sich die beiden Effekte gegenseitig verstärken: Die „Schwartzferber“, die einerseits die mensch- 82 Goetze: Zu Theobald Hoeck (Anm. 2), S. 159. Goetze verweist auf ein Flugblatt aus dem Jahr 1557, das in der Sammlung von Schade: Satiren und Pasquille (Anm. 69), S. 145-153 abgedruckt ist, den Titel Newe Zeytung. Pasquillus vom saltzburgischen Bawrn gjaid geschehen im Siben vnd fünfftzigsten Jahr vmb Ruperti im Herbst trägt und folgende Verse beinhaltet: „Solche ler findt man geschriben stan | In büchern so iez von Salzburk außgan, | Begeren nit vil passport.“ (ebd., S. 151, V. 225-227) Die Stelle im Flugblatt verweist möglicherweise auf den (niedrigen? ) Preis der genannten Bücher, der eine weite Verbreitung derselben (bewusst? ) fördert; in jedem Fall erscheint der Gedanke bei Höck durch die Kontextualisierung desselben in einem klassischen Propemptikon entscheidend weiterentwickelt. 83 Blumenfeld (Hanson). S. 189, ähnlich im Anschluss an Goetze: Zu Theobald Hoeck (Anm. 2), S. 159, auch Senger: Theobald Hock (Anm. 2), S. 75. 84 Czucka: Poetologische Metaphern (Anm. 3), S. 17f. 85 Zu Herkunft und Verbreitung des Wortes vgl. auch Alanne: Das Eindringen (Anm. 12), S. 87. <?page no="388"?> lichen Laster sichtbar machen und dadurch deren Träger schwarz einfärben (Strophe 1) und andererseits dafür sorgen, dass die Getadelten sich schwarz ärgern (Strophe 12), 86 können ihre Wirkung nur durch ihr Hinausziehen in die feindliche Welt der lasterhaften Menschen und durch ihr Überleben in dieser Welt entfalten. Diese Wirkung ist allerdings eben keine didaktische, sondern die eines Spiels, einer Herausforderung, wie sie der Teilnehmer am höfischen Turnier auf seinem „Cartel“ 87 oder seiner „Impressa“ formuliert: In Analogie zu Ronsards Sonnet. A son livre , das diese Herausforderung direkt an die konkurrierenden Poeten richtet, wendet sich auch An die Satiren letztlich an die Welt als das größtmögliche Publikum - aber nicht mit der demütigen Bitte um deren Gunst, sondern mit dem Versuch, deren Bewunderung durch die Demonstration eigener Exzellenz und Überlegenheit zu erzwingen. Etwas seltsam mutet in diesem Zusammenhang der Verweis auf das „Geld“ an, das die Satiren offensichtlich für die Reise brauchen, zumal dieser am ehesten noch als Beleg für die allegorische Auffassung der materiellen Existenz des Buches gelten darf, insofern dieses als Vertreter des menschlichen Körpers entsprechende Bedürfnisse zu haben scheint, die auf Reisen bekanntlich nur durch das Mitführen (und Aufbrauchen) finanzieller Ressourcen zu befriedigen sind. Ausgerechnet dieses allegorische Element jedoch stammt gar nicht aus der Tradition des Transformationsschwanks, sondern aus einem ganz klassischen Propemptikon, nämlich aus der ersten Elegie des Georgius Sabinus. Auch hier benötigt das Buch Geld für die Reise; da es anfangs nicht über dieses verfügt, soll es sich die nötigen finanziellen Mittel von einem Mäzen erbitten bzw. erbetteln. Erst dann könne seine Reise in die Welt wirklich beginnen und damit eine Aufwärtsspirale der Verbreitung einsetzen, wie sie auch An die Satiren imaginiert. Dass Hock sich auf dieses Propemptikon bezieht, erscheint aufgrund der motivischen wie strukturellen Parallelen doch recht wahrscheinlich; sein intertextueller Ver- 86 Vgl. zu dieser Deutung auch Vetters: Studien (Anm. 2). S. 20; eine weniger gattungsspezifische Auflösung des Begriffs als Verweis auf die Druckerschwärze der Buchstaben bietet Senger: Theobald Hock (Anm. 2), 75. 87 Etwa in den Festbeschreibungen Georg Rudolf Weckherlins; vgl. dazu die Ausgabe: Ludwig Krapf/ Christian Wagenknecht (Hrsg.): Stuttgarter Hoffeste. Texte und Materialien zur höfischen Repräsentation im frühen 17. Jahrhundert. Tübingen 1979 sowie die Untersuchungen von Laure Ognois: ‚Daß ein Cavallier seinen Dienst nicht besser kan anwenden, als denselben dem Vaterland zu nutzen den Unirten zu praesentieren.‘ Politische Instrumentalisierung eines christlichen Ereignisses? Die Festtaufe Friedrichs von Württemberg im Jahre 1616. In: Albrecht Ernst/ Anton Schindling (Hrsg.): Union und Liga 1608/ 09. Konfessionelle Bündnisse im Reich - Weichenstellung zum Religionskrieg? Stuttgart 2010, S. 227-261 und Heiko Ullrich: Eine rinascimentale Alternative zum Barock des Martin Opitz? Höfische Repräsentation und nationale Literatursprache in Weckherlins ‚Triumf ‘ (1616). In: Wolfgang Mährle (Hrsg.): Spätrenaissance in Schwaben. Wissen, Literatur, Kunst. [im Druck]. Poetologisches Propemptikon und grobianischer Transformationsschwank 389 <?page no="389"?> 390 Heiko Ullrich weis muss dabei aber in erster Linie als selbstbewusste Abgrenzung gegenüber dem demütigen Lobgedicht des Sabinus an seinen Mäzen interpretiert werden. Anders als dessen recht unverhohlene Bitte um finanzielle Zuwendung bzw. Entlohnung für das dichterische Schaffen, in der das Buch metaphorisch für den seine Aussageabsichten formulierenden Dichter steht, geht Hock von einem allegorischen Verständnis aus: Seine Satiren benötigen das Geld bereits beim Beginn ihrer Reise, um damit ihre Unabhängigkeit zu behaupten, zu prahlen und aufmüpfige Kritiker in die Schranken zu weisen - insofern verweist das Geld im Rahmen der Allegorie wohl in erster Linie auf das ästhetisch ansprechende und intellektuell herausfordernde Kapital des Schönen Blumenfeldts , das sich etwa im skizzierten Spiel- und Rätselcharakter des Werkes niederschlägt. V. Der erste Kursus: Die gewachsene Gesellschaft des ausgehenden 16. Jahrhunderts Zugleich zeigt die Verwendung des Geldmotivs bei Sabinus jedoch auch die allfällige Tendenz des poetologischen Propemptikons, ausgehend von der Reisemetaphorik ins Allegorische des Transformationsschwanks zu verfallen, was sicherlich auch darin begründet liegt, dass hier bereits die antiken Vorbilder eine Verbindung herstellen, wenn etwa Horaz in der ersten Epistel des zweiten Buches - und damit in derjenigen, die direkt an epist. 1,20 anschließt - die Klage eines Buches formuliert, das sich als Protagonisten eines Transformationsschwanks inszeniert, wenn es befürchtet, man werde es in Zukunft als Einwickelpapier für Waren aller Art verwenden („deferar in vicum vendentem tus et odores | et piper et quidquid chartis amicitur ineptis“, epist. 2,1,267-270). Die hier genannten Duftstoffe und Gewürze werden von Martial jeweils aufgegriffen und einerseits durch weitere - in aller Regel nicht so angenehm riechende - Lebensmittel erweitert, andererseits aus der ovidischen Tradition mit dem Ratschlag, sich einen Schutzherrn zu suchen, sowie der kontrastierenden Gegenüberstellung mit dem Schicksal eines derart protegierten Buches verbunden. Zunächst versetzt Martial das Buch aus Horazens Gewürzladen in die finstere, verräucherte Küche und nennt neben Weihrauch und Pfeffer auch die triefenden, stinkenden Makrelen: Festina tibi uindicem parare, ne nigram cito raptus in culinam cordylas madida tegas papyro uel turis piperisue sis cucullus. (3,2,2-5) 88 88 Ähnlich auch im vierten Buch der Epigramme: „Si te pectore, si tenebit ore, | nec rhonchos metues maligniorum, | nec scombris tunicas dabis molestas: | si damnauerit, ad salariorum | curras scrinia protinus licebit, | inuersa pueris arande charta.“ (Martial 4,86,6-11). <?page no="390"?> Dieser traurigen Zukunft stellt Martial nun im Gegensatz zu Ovid, der seine Exildichtung in der nachlässigen Trauerkleidung eines Verbannten auftreten lässt (trist. 1,1), die prachtvolle Ausstattung und fürsorgliche Pflege gegenüber, die der wahre Bücherfreund der neuerworbenen Prachtausgabe angedeihen lassen wird: Cedro nunc licet ambules perunctus et frontis gemino decens honore pictis luxurieris umbilicis, et te purpura delicata uelet, et cocco rubeat superbus index. (3,2,7-11) Hocks mit der „Impressa“ geschmücktes Schönes Blumenfeldt ist vor diesem Hintergrund - immer in der vorauseilenden Phantasie des hoffnungsvollen Nachwuchsautors - eher als eine solche Prachtausgabe denn als ärmliches, bemitleidenswertes Büchlein zu denken; vor allem der Gegensatz zu Sabinus, der sich mit seiner Behauptung, dem eigenen Buch fehlten die finanziellen Mittel zur anstehenden Reise, an Ovid anschließt, macht deutlich, dass die Satiren des Pfälzers sich in der Vorstellung ihres Autors mit allerbesten Voraussetzungen auf den Weg machen - schließlich haben sie Geld und Pässe, mit denen sie die Welt zu erobern gedenken. Auch eine so hoffnungsvoll begonnene Reise kann jedoch traurig enden, wie Horaz in epist. 1,20, dem Gründungstext des poetologischen Propemptikons, deutlich macht. Der dort geschilderte Abstieg vom Kassenschlager in der Hauptstadt zum Ladenhüter in der Provinz mündet schließlich in die Verwendung des Epistelbuches als Schullektüre, Hock dagegen beginnt den ersten Kursus seiner Satiren durch die Welt mit eben dieser Station, die jedoch bereits eine Leidensstation ist und so zwar nicht strukturell, aber motivisch an Horaz anschließt: ZVenedig / Rom / Pariß / Prager Schul / Man wirdt euch deponiren Ziehet / dwirdt euch heiß / baldt wider küel / Man wirdt den Kopff / euch zwagen im Schopff / Euch wacker tribuliren. (V. 6-10) Die erste Rezeption des Buches gehört eindeutig der metaphorischen, medial akzentuierten Tradition des Propemptikons an; zwar scheint das „deponiren“ zunächst auf die Materialität des Buches zu verweisen, wichtiger ist jedoch auch hier schon die indirekt geäußerte Kritik am langsamen Wissenschaftsbetrieb, der ein Buch zunächst einmal im metaphorischen Sinne liegen lässt, bis es durch sein ehrwürdiges Alter einer eingehenden Betrachtung würdig erscheint. Ähnlich kann auch der folgende Vers zunächst einmal bedeuten, dass das Buch Poetologisches Propemptikon und grobianischer Transformationsschwank 391 <?page no="391"?> 392 Heiko Ullrich nun viele Sommer und Winter in der Bibliothek liegen und daher alle Wechsel der Jahreszeiten am eigenen materiellen Leib erfahren und allegorisch erleiden wird. Wahrscheinlicher jedoch ist auch hier bereits die wechselvolle kritische Begutachtung des Werkinhalts gemeint, wobei die Temperaturmetapher auf eine Betrachtung des Schönen Blumenfeldts entweder cum oder eben sine ira et studio verweist. Beides erscheint Hock offenbar als eher inadäquater Umgang mit seinem Werk; zumindest folgen Körpermetaphern, die aber für das Buch keine wirkliche Entsprechung aufweisen und folglich nicht allegorisch zu verstehen sind: Dass den Satiren der Kopf gewaschen werden soll („zwagen“) 89 und diese von allen Seiten bedrängt werden sollen („tribuliren“), stellt wohl am ehesten eine Analogie zur Examens- oder Disputationssituation eines Schülers oder Studenten dar, in der sich nun die literarische Neuerscheinung vor dem Katheder der Wissenschaft auf Herz und Nieren prüfen lassen muss. Anders als bei Horaz, wo das Buch in der Schule allmählich seiner medialen Funktion entkleidet und auf seine allegorische Materialität reduziert wird, indem man seinen nur noch als Buchstabenfolge wahrgenommenen Inhalt langsam zum Steinbruch für Sprachübungen degradiert, erfolgt bei Hock eine kritische Auseinandersetzung mit der Textaussage, aber wohl auch der ästhetischen Qualität des Schönen Blumenfeldts , der sich das Werk selbstbewusst stellen soll, was das anerkennende Adverb „wacker“ unterstreicht: So erhebt sich die erhoffte kritische Wertschätzung der humanistischen Gelehrten an den renommiertesten frühneuzeitlichen Universitäten 90 weit über die das literarische Werk missbrauchende Elementardidaktik der von Horaz verspotteten Schulmeister. 89 Zu Syntax und Zeichensetzung des Verses vgl. auch den Vorschlag von Senger: Theobald Hock (Anm. 2), S. 75, die - wohl nicht zuletzt aus metrischen Gründen und zur Hervorhebung des Binnenreims hinter „Kopff“ gesetzte - Virgel hinter „zwagen“ zu setzen, wodurch „im Schopff“ zum nächsten Vers gehörte. 90 Zu den metrischen Schwierigkeiten des ersten Verses dieser Strophe vgl. insbesondere den Kommentar Blumenfeld (Hanson), S. 185f. Die Köster: Rezension (Anm. 2), S. 294) von Edward Schröder mitgeteilte und von Hanson zurückgewiesene Vermutung, der Vers könnte ursprünglich „ZVenedig, Rom, Parißer Schul“ gelautet haben und erst aus biographischen Gründen ausgerechnet durch Prag ergänzt worden sein (vgl. die Einleitung in Blumenfeld [Hanson], S. 31f.), ist vielleicht auch dann nicht ganz abwegig, wenn es sich (was ja durchaus wahrscheinlich ist) um ein vergleichsweise spätes Gedicht Hocks handeln sollte (vgl. dazu auch Senger: Theobald Hock [Anm. 2], S. 65 sowie insbesondere die Begründung ebd., S. 74; ähnlich auch die Deutung bei Höpfner: Reformbestrebungen [Anm. 13], S. 32 und Köster: Rezension [Anm. 2], S. 304). Fleischmann: Theobald Hock (Anm. 2), S. 29 geht dagegen offenbar von einer frühen Entstehung der Cap. III. und Cap. IV. aus). Möglicherweise wollte Hock „Parißer“ auch durch „Prager“ bzw. ein dreisilbiges „vnnd Prager“ ersetzen, war aber beim Streichen der eigentlich getilgten Version so undeutlich, dass der Setzer die Streichung als solche nicht erkennen konnte und so beide Städtenamen stehen blieben. <?page no="392"?> Auch in der Folge bewegt sich das Schöne Blumenfeldt nur in den höchsten Kreisen, zu denen neben der Gelehrtenrepublik eben gleichrangig auch der Fürstenstaat gehört: 91 Daselbst seyt jhr allbereit zu Hoff / Wohl vnder den Galänen / Wie vndern Wölffen da ein Schaff / Must durch die Furch / jhr schliffen durch / Sie werdens euch furlänen! (V. 11-15) Hier spielt nun die Didaktik vollends keine Rolle mehr; stattdessen wird das Element der Selbstbehauptung in einer wo nicht feindlichen, so doch zumindest von Rivalitäten und Konkurrenzdenken bestimmten Welt weiter akzentuiert. Mit dem Anspruch, sich selbst als „Galäne[]“ 92 zu begreifen, formulieren die Mitglieder des absolutistischen Hofstaats in erster Linie ein Ideal höfischer Umgangsformen, dem alle diejenigen zu folgen haben, die sich in diesen gehobenen Kreisen bewegen wollen. Der biblische Vergleich 93 mit dem Schaf 94 unter Wölfen zeigt die innere Distanz des Autors zum Galanteriediskurs, 95 die auch immer eine nationale, anti-‚welsche‘ Komponente aufweist, 96 und zeichnet das Bild einer sich stets gegenseitig belauernden Hofgesellschaft, die jederzeit bereit ist, über einen Unschuldigen herzufallen, der eben in dieser Unschuld seine Schwäche zeigt. 97 Dieser im letzten Vers der Strophe beschriebene Angriff auf das Schöne Blumenfeldt wird als Spott über eine inadäquate Verhaltensweise oder ein Missgeschick des Satirenbuches dargestellt („Sie werdens euch furlä- 91 Formulierung nach dem Titel der grundlegenden Untersuchung von Wilhelm Kühlmann: Gelehrtenrepublik und Fürstenstaat. Entwicklung und Kritik des deutschen Späthumanismus in der Literatur des Barockzeitalters. Tübingen 1982. 92 Vgl. zum Begriff bei Hock insbesondere Waldberg: Die galante Lyrik (Anm. 40), S. 4f.; zur Form des Wortes neben Jellinek: Theobald Hocks Sprache (Anm. 76), S. 120, auch Alanne: Das Eindringen (Anm. 12), S. 89. 93 Vgl. zu den biblischen Anspielungen im Schönen Blumenfeldt auch die Einleitung in Blumenfeld (Koch), S. XLIIf., Köster: Rezension (Anm. 2), S. 312f., Goetze: Zu Theobald Hoeck (Anm. 2), S. 163 und Senger: Theobald Hock (Anm. 2), S. 32f.; zur theologischen Fachliteratur in Hocks Bibliothek auch Bok: Die Bibliotheken (Anm. 77), S. 350f. 94 Zum Reim „Hoff“ - „Schaff“ vgl. auch Jellinek: Theobald Hocks Sprache (Anm. 76), S. 92 sowie nochmals Jellinek: Beiträge zur Textkritik (Anm. 12), S. 209. 95 Die Behauptung von Senger: Theobald Hock (Anm. 2), S. 47, Hock verwende den Begriff der Galanterie „nur im verächtlichen Sinne“, ist sehr überspitzt formuliert, lässt sich aber mit Blick auf Cap. III. (das Senger in diesem Zusammenhang nicht erwähnt) durchaus bestätigen. 96 William Jervis Jones: Sprachhelden und Sprachverderber. Dokumente zur Erforschung des Fremdwortpurismus im Deutschen (1478-1750). Berlin und New York 1995, S. 29f. 97 Zur Hofkritik bei Hock vgl. neben Wolkan: Böhmens Antheil (Anm. 27), S. 369f. auch Meid: Die deutsche Literatur (Anm. 60), S. 107 und Haller (Anm. 49), S. 54. Poetologisches Propemptikon und grobianischer Transformationsschwank 393 <?page no="393"?> 394 Heiko Ullrich nen“; etwa: ‚Sie werden euch dafür verspotten‘). 98 Worin dieses unangemessene Verhalten bzw. Missgeschick indes besteht, ist nicht ohne Weiteres zu verstehen; Hanson sieht in seinem Kommentar „ein Bild aus der Landwirtschaft“ und bringt das Verb „schliffen“ in Verbindung mit einer „Pflugschar“. 99 Ausgehend davon könnte man den Vers so deuten, dass die Satiren untergepflügt (‚in die Furche gänzlich hineingepflügt‘) werden, also unter die Räder kommen - es hätte sie dann eben das Schicksal ereilt, das man für ein Schaf unter Wölfen ohnehin hätte befürchten müssen. Vielleicht konstituiert die aktive Verwendung des in diesem Kontext etwas mysteriösen Wortes „schliffen“ zusätzlich eine vorausdeutende Anspielung auf die kommenden grobianischen Formulierungen vom „Hinter […] wischen“ und dem „loch“ und wäre etwa in dem Sinne aufzufassen, dass die Satiren dann mit dem Spott der Hofleute zu rechnen hätten, wenn sie sich dazu herablassen, durch eine ganz andere Furche zu schlüpfen und der Hofgesellschaft sozusagen ‚in den Arsch zu kriechen‘. Diese metaphorische Deutung hätte den Vorteil, dass auch die dritte Strophe - wie die vorausgegangene zweite über das Adverb „wacker“, das die implizite Aufforderung beinhaltet, sich in der bevorstehenden Prüfung ebenso wacker zu halten - als Handlungsanweisung gelesen werden könnte: Gerade in Hofkreisen ist nichts wichtiger als die Wahrung der eigenen Ehre und folglich nichts so ängstlich zu vermeiden wie der aus übermäßig demütigem Verhalten resultierende Gesichtsverlust. Der insbesondere am Ende des Gedichts in der „Impressa“, die ja gerade auch im Hinblick auf die vorliegende dritte Strophe das „Cartel“ der höfischen Festbeschreibung vertritt, formulierte Repräsentationsanspruch wird hier fast ausschließlich durch Metaphern zum Ausdruck gebracht, die auf die Sprechweise des Buches und damit auf seine mediale Funktion verweisen. Einen Übergang zur allegorischen Darstellung der Materialität des Schönen Blumenfeldts bietet die folgende Strophe, die vom männlichen zum weiblichen Teil der Hofgesellschaft voranschreitet: Von dann zum Frawenzimmer zart / Die wern euch siebn vnd reittern / Seidn auff euch winden nach der art / Euch auß scaliren / vnd wohl vexieren / Durch Fewr vnd Wasser leittern. (V. 16-20) Ähnlich wie im Fall der „Galäne“, die durch das Bibelzitat als Wölfe gekennzeichnet werden, nimmt der Sprecher des Gedichts auch zum „Frawenzim- 98 Vgl. dazu auch Jellinek: Beiträge zur Textkritik (Anm. 12), S. 210. 99 Blumenfeld (Hanson), S. 189. <?page no="394"?> mer“ 100 eine Haltung kritischer Distanz ein; das Attribut „zart“ jedenfalls wird im weiteren Verlauf der Strophe nach Kräften widerlegt und damit als ironische Zuschreibung kenntlich gemacht. Anders als die Untersuchung der Gelehrten und die Konversation der Hofleute steht die Umgangsweise der Damen mit den Satiren von vornherein stärker unter materiell-handwerklichem Vorzeichen, wenn diese das Buch durch ein Sieb laufen lassen („siebn vnd reittern“), 101 dann als Spule für Seidenfäden verwenden („Seidn auff euch winden“), 102 sie der Größe nach ordnen bzw. die zu großen und kleinen aussortieren („Euch auß scaliren“), 103 dabei allgemein plagen und quälen („vexieren“) und schließlich durch „Fewr vnd Wasser leittern“, d. h. läutern bzw. reinigen. 104 Zu dieser Strophe lassen sich zahlreiche Parallelen aus dem Transformationsschwank finden, bei denen es allerdings um die Flachsverarbeitung oder um die Papierherstellung geht - beides passt jedoch nicht in die von Hock konstruierte Reise des fertigen Buches. Wenn man Hock hier nicht einfach die mindere Qualität seines Gedichts vorhalten und damit einen interpretatorischen Offenbarungseid leisten möchte, muss man wohl davon ausgehen, dass die Abweichungen von Logik und Stringenz gewollt sind, und da die Verwendung der Satiren als Spulen für Seidenfäden die Zerlegung des Kodex in Einzelblätter voraussetzt, darf man annehmen, dass die Strophe letztlich deshalb so unübersichtlich gestaltet ist, weil sie einen Prozess der chaotisch verlaufenden Zerstörung des Buches beschreibt. Abgesehen von „vexieren“, das etwa dem „tribuliren“ aus der zweiten Strophe entspricht, allerdings in seiner Bedeutung noch allgemeiner gehalten ist und lediglich dazu dient, die menschlichen Emotionen als Konstituenten der Allegorie in Erinnerung zu halten, deuten alle Verben auf einen Auslese- und Reinigungsprozess hin, der einerseits metaphorisch als negative Zensur oder als positive Blütenlese und andererseits allegorisch als Auflösung des Kodex in einzelne Flugblätter gelesen werden kann. Maßstab und Grundlage dieser Läuterung sind offensichtlich ganz divergierende Ansprüche, die mit dem Bild von „Fewr vnd Wasser“ beschrieben werden und vielleicht an die Antithetik aus der zweiten Strophe („heiß“ und „küel“) 105 anschließen, sodass auch hier die Widerstandskraft des dichterischen Werkes gegen eine emotional wie rational geleitete Kritik gemeint sein könnte. 100 Vgl. zur Verwendung dieses Wortes bei Hock auch Emil Seidenadel: Frauenzimmer. Eine wortgeschichtliche Untersuchung. Straßburg 1903, S. 14. 101 Vgl. den Kommentar Blumenfeld (Hanson), S. 190. 102 So auch die Interpretation der Stelle durch Vetters: Studien (Anm. 2), S. 21. 103 Die von Senger: Theobald Hock (Anm. 2), S. 75, vorgeschlagene Bedeutung „jemand lästern“ ergibt an dieser Stelle wenig Sinn. 104 Zur Wortform „leittern“ vgl. auch Jellinek: Theobald Hocks Sprache (Anm. 76), S. 120, Anm. 1. 105 Zur Syntax dieses Verses vgl. auch Senger: Theobald Hock (Anm. 2), S. 75. Poetologisches Propemptikon und grobianischer Transformationsschwank 395 <?page no="395"?> 396 Heiko Ullrich Dabei wird das „Wasser“ - das ja ohnehin nicht so bruchlos an das „küel“ aus Strophe 2 anknüpft wie das „Fewr“ an das „heiß“ - direkt mit dem in der vorliegenden vierten Strophe beschriebenen Läuterungsprozess des Siebens verbunden und deutet in besonderem Maße darauf hin, dass hier das Grobe vom Feinen geschieden und aussortiert werden soll, was natürlich insbesondere Hocks Satiren mit ihren grobianischen Einsprengseln bedroht. So grenzt auch das Aufwickeln von Seidenfäden als eines Luxusgutes zunächst den Kreis der Leserinnen auf die höfische Gesellschaft ein; das Sortieren der Einzelblätter nach ihrer Größe („scaliren“) stellt dabei den Übergang von der noch metaphorisch zu verstehenden Auseinandersetzung mit dem Inhalt bzw. der Botschaft des Buches hin zur Reduzierung desselben auf seine allegorisch dem menschlichen Körper angenäherte Materialität dar. So mündet der Läuterungs- und Verfeinerungsprozess, den der Mann als Liebhaber der „zart[eren]“ Frau seit der antiken Liebeselegie und dem mittelalterlichen Minnesang durchläuft, bei Hock in die Zweckentfremdung, die den Übergang zwischen Propemptikon und Transformationsschwank schon im Epistelbuch des Horaz, wo diese Grenze scharf zwischen 1,20 und 2,1 verläuft, und dann insbesondere bei Martial markiert. Die Verwendung als Spule verweist dabei als symbolische Fesselung verweist dabei vielleicht auch direkt auf Horaz, wo das bereits zum künftigen Schicksal als Gewürztüte verdammte Buch nach seiner Aussortierung zunächst im Schrank eingeschlossen wird („capsa porrectus operta“, epist. 2,1,268). Weiterhin in Anlehnung an das aus dem Transformationsschwank übernommene Schicksal des Flachses bzw. der Lumpen in der Papiermühle und ausgehend vom in der vierten Strophe gezeichneten Bild der höfischen Leserin als eher handfeste Textilarbeiterin (und damit ihrer satirisch-misogynen Umdeutung im Vergleich zum Minnesang), 106 wird aus dem „Wasser“ jetzt (mindestens) ein reißender Fluss, der nun wiederum ein klassisches (See-)Reisemotiv konstituiert, wie es das Propemptikon letztlich aus dem antiken Epos übernimmt: Wen durch den Stromb vnd Werbl zwar / Jhr durch passiert mit jammer / So werden auch Handtwercker gar Muster auß euch / schneiden zu jhrem Zeug / Darnach jhr kombt zum Krammer. (V. 21-25) 106 Vgl. dazu auch Fleischmann: Theobald Hock (Anm. 2), S. 17f.; allgemein zur Frauensatire bei Hock auch Matthias Deltgen: Der Hahnrei. Versuch der Darstellung eines komischen Typus im deutschen Lustspiel des 17. und 18. Jahrhunderts. [Diss. masch. Köln 1966], S. 5f. <?page no="396"?> Das aus der Odyssee wie der Aeneis bekannte Motiv von Skylla und Charybdis, das Hock in „Stromb vnd Werbl“ aufnimmt, 107 unterstreicht nicht nur noch einmal die allegorische Darstellung des materiellen Buches, das auch hier wie die homerischen und vergilischen Protagonisten menschliche Emotionen zeigt („jammer“), sondern erzeugt darüber hinaus durch den Kontrast zur Stilhöhe des Epos die satirischen Effekte, denen das im Vergleich zum Minnesang ironisch gebrochene „Frawenzimmer zart“ bereits in der vierten Strophe ausgesetzt worden ist. So erscheint dieses als direkte Vorläuferin der „Handtwercker“, die mit dem Inhalt und damit der medialen Funktion des Buches nun so gar nichts mehr zu schaffen haben scheinen - allerdings klingt die Formulierung, dass die Satiren zum „Muster“ für deren „Zeug“ werden sollen, 108 zumindest durch die kontextunabhängig betrachtete Wortwahl noch an inter-, hyper- und architextuelle Verfahren aus dem Bereich der Literatur an 109 und konstituiert so eine mitlaufende metaphorische Schicht unterhalb der dominanten allegorischen. Indem die Handwerker die bereits von den Frauen aus dem Verbund des Kodex herausgelösten Einzelblätter nun zer-„schneiden“, wird der Zerstörungsprozess, dem zumindest die Einzelblätter, wenn auch nicht das Schöne Blumenfeldt als Gesamtkomposition soeben noch glücklich entgangen sind, nun konsequent fortgesetzt. Mit dieser allmählichen Zerstörung des Buches ist auch ein Abstieg durch die Gesellschaftsschichten des 16. Jahrhunderts verbunden, deren Darstellung den einzelnen Fürsten ausschließt und die Hofgesellschaft der Universität unterordnet. Während Hock - der wohl selbst keine Universität besucht hat, aber über die Zukunftspläne seines jüngeren Bruders Anastasius vielleicht auch dieser zentralen Institution des humanistischen Bildungsideals verbunden ist 110 - hier das Ideal einer freien Wissenschaft imaginiert, die aus kirchlichen Zwängen befreit und noch nicht für die Verwaltung der frühneuzeitlichen 107 Vgl. dagegen auch die vielleicht jedoch allzu mechanistische Deutung des „Werbl“ als „Zapfen, Walze zum Umdrehen, Drehwalze am Ziehbrunnen“, die der Kommentar Blumenfeld (Hanson), S. 190 anführt. 108 Die folgende Deutung im Kommentar Blumenfeld (Hanson), S. 190, scheint mir nicht zutreffend: „Hier wird wohl auf den Brauch angespielt, nach dem man alte Bücher zum Zwecke des Einbindens neuerer Werke zerschnitt.“ Es dürfte sich vielmehr um Schablonen handeln, wie sie etwa ein Schneider, vielleicht auch Tischler o. ä. benutzen; jedenfalls wird an keiner Stelle explizit auf den Buchbinder verwiesen. Zum unreinen Binnenreim „euch“ - „Zeug“ vgl. Jellinek: Theobald Hocks Sprache (Anm. 76), S. 87 und S. 116. 109 Gérard Genette: Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe. Übers. von Wolfram Bayer und Dieter Hornig. Frankfurt am Main 1993, S. 9-21. Der aus der verdeutlichenden Zeichensetzung entwickelte Verweis des Kommentars in Blumenfeld (Hanson), S. 187, ausgerechnet hier sei Hock sich „der meistersängerischen Holperigkeit dieser Zeile wohl bewußt“ geworden, kann so vielleicht auch als bewusste Parodie des zünftischen Meistersangs ausgerechnet in der Handwerker-Strophe und -Zeile gedeutet werden. 110 Vgl. dazu etwa ebd., S. 45f. Poetologisches Propemptikon und grobianischer Transformationsschwank 397 <?page no="397"?> 398 Heiko Ullrich Landesherrschaft instrumentalisiert worden ist, bleibt seine Einschätzung der mittleren Gesellschaftsschichten vormodernen Mustern verhaftet, wenn er dem Handwerk den Vorrang vor dem Handel einräumt; der mutmaßlich aus (groß-) bäuerlicher Familie stammende Hock 111 präsentiert sich ja auch in seiner Biographie, soweit sie greifbar ist, keineswegs als Vertreter eines selbstbewussten Besitzbürgertums. Auch der später erreichte niedere Adel ist Ergebnis eines durch Bildung erreichten Aufstiegs, seine Ideale wie der Erwerb von Grundeigentum und der Anspruch auf eine - wenn auch subalterne - Rolle in der Weltpolitik 112 gemahnen an die aristokratischen Ideale der späten römischen Republik, in deren Vorstellungswelt der schriftstellernde Sekretär sich wie so viele seiner humanistisch gebildeten Zeitgenossen heimisch gefühlt haben mag. 113 Wie wenig Achtung Hock dem „Krammer“ entgegenbringt, zeigt sich bereits an dem sicherlich nicht zufälligen Reim der Berufsbezeichnung auf das vorangegangene „jammer“; noch wesentlich konsequenter als die Handwerker, denen womöglich noch der zünftige Meistersang zugutegehalten wird, verkörpern die Händler für Hock offenbar ein bildungsfernes Banausentum: Die wern Scarnitzel machen frey / Mit Gwirtzt wohl ein euch mischen / Habt jhr das Glück noch mehr darbey / So werns ohn gfähr / wenn jhr seyt lähr / Das Hindter an euch wischen. (V. 26-30) Das bereits bei Horaz und Martial erscheinende, später vom Garzoni-Übersetzer und Harsdörffer übernommene Gewürztüten-Motiv überführt das Buch nicht nur wie die Seidenspulen der Damen und die Schnittmuster der Handwerker in einen Verwendungszusammenhang, in dem die mediale Funktion des Schriftträgers keine Rolle mehr spielt, sondern steigert den Leidensweg des Buches durch die aus dem Transformationsschwank bekannte Verschmutzung, die den Flachs klassischerweise noch vor der Verarbeitung zu Papier kurz vor dem Lumpenstatus ereilt, wenn er für die Verwendung als Kleidung zu brüchig geworden ist. 114 111 Vgl. ebd., S. 23f. 112 Vgl. ebd., S. 59-71. 113 Vgl. zum weiteren Kontext auch die Beiträge zum Sammelband von Luise Schorn-Schütte (Hrsg.): Aspekte der politischen Kommunikation im 16. und 17. Jahrhundert. Politische Theologie, Res-Publica-Verständnis, konsensgestützte Herrschaft. München 2004. 114 Schon für Fleischmann: Theobald Hock (Anm. 2), S. 17, „bricht doch ab und zu auch in Höck der Grobianismus durch, wie in Cap. III“; es folgt neben den beiden Toilettenpapier-Versen auch die Currecito-Strophe als Zitat. <?page no="398"?> Onomatopoetisch gemahnen die Begriffe „Scarnitzel“ 115 und „Gwirtzt“ durch ihre - sicher auch der pfälzischen Mundart zu verdankende - Konsonantenfülle, die selbst das italienische Fremdwort konsequent eindeutscht, an winzige Papierfitzelchen. Das über die Assonanz angegliederte „mischen“ leitet die Verunreinigung noch auf einer recht harmlosen Ebene ein, auf die aber umgehend das aus Hieronymus Bocks Kräuterbuch bekannte „wischen“ reimt. Hier wird die Personifikation, die erst den allegorischen Charakter der ansonsten ja auch wörtlich zu verstehenden Beschreibung konstituiert, nun nicht eigentlich über eine Emotion hergestellt, auch wenn das ‚Glückhaben‘ zunächst einmal auch so gelesen werden kann; vielmehr verweist die ironische Verwendung des Begriffs über die doppelte (negative wie positive) Konnotation des Fortuna-Begriffs auf das Grundmotiv des allegorischen Transformationsschwanks, der das ‚Schicksal‘ des beschriebenen Gegenstandes als Lebenslauf darstellt. Mit der Degradierung zum Toilettenpapier ist dieser Lebenslauf auf seinem Tiefpunkt angelangt und eigentlich beendet, was beispielsweise Hieronymus Bock betont, wenn er schreibt, der Flachs werde „zuo lest“, also am Ende seines langen Leidensweges, „zu arßwüschen gemacht“. Auch bei Hock deutet die Formulierung „wenn jhr seyt lähr“ darauf hin, dass nach der Verwendung als Gewürztüte, also aus dem Reich der Lebensmittel, nur noch der Abstieg ins Reich der Fäkalien möglich ist; die sehr biologistische Auffassung des Lebens konterkariert dabei bewusst die Idee des mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Entwicklungsromans. In eben diesem konträren Verhältnis stehen auch die Strophen 2 bis 6 von Hocks Gedicht An die Satiren zum ersten Kursus des klassischen Artusromans, in dem der Held alle äußerlichen Ziele wie das Bestehen von Abenteuern und die Anerkennung als Artusritter, aber auch die Erringung der Hand einer Dame sowie die einer Landesherrschaft erreicht, um diese Errungenschaften alsbald wieder zu verlieren und in einem zweiten Kursus, der neben dem erneuten äußerlichen Erfolg einen inneren Reifeprozess bringt, endgültig zu erobern: 116 Das Buch ist zwar physikalisch verstümmelt und durch Auftragungen verunreinigt, aber seine Substanz ist noch unverändert - so wie der Artusritter zwar ritterliche Techniken und Verhaltensweisen gelernt und damit auch eine Position in der Gesellschaft errungen hat, obgleich sein innerer Reifeprozess noch nicht der neuerworbenen Stellung entspricht. Gegensätzlich ist damit auch die Bewertung: Während der Artusritter sich im zweiten Kursus noch grundlegender als im ersten ändern muss, um dem Ideal, dem er nacheifert, entsprechen zu kön- 115 Vgl. zur Herkunft und Verbreitung des Wortes neben Jellinek: Theobald Hocks Sprache (Anm. 76), S. 119, auch Alanne: Das Eindringen (Anm. 12), S. 88. 116 Vgl. zum Erzählkonzept insbesondere die Beiträge von Elisabeth Schmid und Friedrich Wolfzettel im Sammelband von Friedrich Wolfzettel (Hrsg.): Erzählstrukturen der Artusliteratur. Forschungsgeschichte und neue Ansätze. Tübingen 1999. Poetologisches Propemptikon und grobianischer Transformationsschwank 399 <?page no="399"?> 400 Heiko Ullrich nen, wird es für den sächlichen Protagonisten des Transformationsschwanks darum gehen, die eigene Identität gegen alle Angriffe zu verteidigen und letztlich unverändert zu bewahren - auch wenn den äußerlichen Attacken des ersten im zweiten Kursus auf das eigene Innere zielende Anschläge folgen werden. VI. Der zweite Kursus: Die Welt der konfessionellen Kriege und poetischen Revolutionen Um zu verstehen, wie Hock überhaupt einen zweiten Kursus eröffnen kann, nachdem er den - eigentlich ja im Gegensatz zum Artusroman gerade nicht zyklischen - Transformationsschwank in der sechsten Strophe zu einem klassischen Ende geführt hat, muss man zunächst das Rätsel der siebten Strophe von Cap. III. lösen, die scheinbar jegliche Kontinuität zum Vorangegangenen durch die adversative Konjunktion schlichtweg leugnet: Doch than daß nur die Christen frumb / Die Türcken habens für Sünde / Daß sie Papier / drauff man in sumb / Kan Gottes Nam / schreiben recht zusam / Vermailling solln vnbsinde. (V. 31-35) Im ersten Moment scheint es naheliegend, die Strophe in der Tradition der als Sittenspiegel fungierenden Ethnographie zu stellen, deren bekanntestes Beispiel sicherlich die Germania des Tacitus ist: Ähnlich wie der römische Geschichtsschreiber seinen degenerierten Landsleuten die transalpinischen Barbaren als Vorbilder an Rechtschaffenheit und Biedersinn vorhält, 117 scheint auch Hock den „Christen“ im Vergleich mit ihrem Erbfeind - man befindet sich mitten im Langen Türkenkrieg (1593 bis 1606) 118 - ein schlechtes Zeugnis auszustellen, das sich vor allem im Adverb „vnbsinde“ 119 sowie der ironischen Verwendung des zwischen Adverb und prädikativem Attribut schwankenden „frumb“ 120 nieder- 117 Vgl. zur Bedeutung des Textes für Renaissance und Humanismus auch Christopher B. Krebs: Negotiatio Germaniae. Tacitusʼ Germania und Enea Silvio Piccolomini, Giannantonio Campano, Conrad Celtis und Heinrich Bebel. Göttingen 2003 [Hypomnemata. Bd. 158]. 118 Zum Niederschlag desselben im Schönen Blumenfeldt vgl. neben Köster: Rezension (Anm. 2), S. 315f. und Senger: Theobald Hock (Anm. 2), S. 28, auch Meid: Die deutsche Literatur (Anm. 60), S. 107. 119 Der Kommentar Blumenfeld (Hanson), S. 190 stellt fest: „Das Wort ‚vnbsinde‘ […] dürfte wohl die Bedeutung von ‚unbesonnen‘ haben“; vgl. auch Jellinek: Theobald Hocks Sprache (Anm. 76), S. 87. 120 Zu „than“ als Nebenform von „tun“ im Schönen Blumenfeldt vgl. auch Senger: Theobald Hock (Anm. 2), S. 50. <?page no="400"?> schlägt. Das Buch könnte also bei den beschriebenem Papier gegenüber wesentlich pietätvolleren „Türcken“ überleben und quasi als Reimport seinen zweiten Kursus antreten - eine eher unrealistische, aber immerhin in sich logische Vorstellung. Vielleicht kann aber der Vergleich mit einer ein Jahr vor dem Schönen Blumenfeldt erschienenen gegenreformatorischen Schrift des Conrad Vetter SJ noch weiteres Licht ins Dunkel bringen. Der Jesuit Vetter poltert in folgenden Worten gegen die Profanierung alles der altgläubigen Kirche Heiligen durch den Protestantismus: Jsts nicht wahr / daß zuuor das Hochwürdig Heilthumb so gemeyn vnd wolfeil nicht gewesen das mans under die füß geworffen vnnd getreten hette (welches ich keines Lutherischen Fürstens Gebein / noch Bild / noch gemäl nicht thun kündte noch wolte) jetzo aber so wolfeil ist / das mans mit füssen tretten darff / nicht angesehen obs von S. Peter oder Paul / wens schon daß H. Creutz selber / ja gar (wie Hertzog Georg bezeugt) das H. Sacrament deß Altars währe? Jsts nicht wahr / das die H. Bibel jetzo vil wölffler ist dan vor / Ja so wolfel / das wan Apoteker vnd Kramer nit Scarnitzel darauß machten / die fromme Bibel einer noch grösseren Ehr zugewarten hette? Jsts nicht wahr / das die Priester jetzo wölffler seynd als zuuor / weil der Ersame Vatter Luther bezeugt / das alles waß auß der Taufft kreucht Weib vnd Mann / alles lauter Priester seynd / vnnd solche Priester die dem Bapst / Cardinälen / vnd Bischoffen dörffen die feigen zeigen? 121 Die Anklänge des mittleren Absatzes an Cap. III. des Schönen Blumenfeldts sind wohl kaum zu überhören; auch Vetter, der sich allerdings scheut, die letzte Konsequenz auch explizit zu ziehen bzw. auszusprechen, malt den Teufel eines zum Toilettenpapier erniedrigten Buches an die Wand und schlüpft damit genau in die Rolle des „Türcken“, indem er den Protestanten eben den Missbrauch der (Heiligen) Schrift vorhält, den Hocks Gedicht bei der gesamten Christenheit anprangert. 121 Antwort Auff den vnschuldigen Luther / deß vnschuldigen Doctors von Lauingen. Das ist: Augenscheinliche Beweisung / das D. Philip Heilbrunner / Predicant vnd Professor zu Lauingen / in seim Vnschuldigen Luther / ebenso wol ein Vnschuldiger Doctor sey / als der Vnschuldig Luther / Derhalben dann alle / die sich von einem solchen Doctor äffen / vnnd bey der Nasen führen lassen / anderst nicht / als mutwillig / müssen wöllen betrogen seyn. Allen Liebhabern Göttlicher Warheit vnnd Seligkeit / sonderlich den armen verführten Lutheranern / so Luthers Schrifften haben / vnnd selber darinn lesen vnd nachschlagen könden / zum beßten gestellt. Durch M. Conradvm Andreae etc. Mit Römischer Keyserlicher Mayestät Freyheit. Gedruckt zu Ingolstadt in der Ederischen Truckerey / durch Andream Angermeyer. Anno M. C., S. 21. Poetologisches Propemptikon und grobianischer Transformationsschwank 401 <?page no="401"?> 402 Heiko Ullrich Nun ist Hocks protestantischer Eifer wohl über allen Zweifel erhaben 122 und eine direkte Anlehnung an Vetters Schmähschrift gegen dessen protestantischen Kontrahenten Philipp Heilbronner damit zumindest auf den ersten Blick nicht sehr wahrscheinlich. Andererseits spricht gerade die Ersetzung der Katholiken durch die „Türcken“ für eine Übernahme des Zitats als Kontrafaktur: Indem Hock das eigentlich vorbildliche Verhalten den munter expandierenden Ungläubigen zuschreibt, verhindert er nicht nur eine Selbststilisierung der Katholiken zu Bewahrern der guten alten Zeit, wie Vetter dies anstrebt, sondern hält sich den Rücken für seinen folgenden Angriff auf die Katholiken frei: Zugleich die gschworne Clerisey / Euch werden auch antasten / Doch last euch nichts jhr Litaney / Anfechten noch / jhr beschweren hoch / Jhr Bannen / Segen noch fasten. (V. 36-40) Goetze schlägt vor, im ersten Vers der Strophe „geschorne Clerisey“ zu lesen, 123 und Hanson glaubt, diese Emendation könne „den Sinn der Zeile klären helfen“. 124 Tatsächlich jedoch trägt Goetzes Vorschlag zum Verständnis des Verses oder auch der Strophe nichts Wesentliches bei, denn sowohl die „geschworne“ als auch die „geschorne Clerisey“ erscheint in protestantischen Kampfschriften gleichermaßen als Verunglimpfung der katholischen Geistlichkeit, ob diese sich nun aus dem Schwur zum Rückzug aus der Welt (dem Zölibat, dem Ordensgelübde) 125 oder aus der Tonsur als äußerem Unterscheidungsmerkmal 126 herleitet. 122 Vgl. dazu auch die Einleitung zu Blumenfeld (Hanson), S. 60. 123 Goetze: Zu Theobald Hoeck (Anm. 2), S. 159; diesem Vorschlag schließt sich Senger: Theobald Hock (Anm. 2), S. 75, an. 124 Im Kommentar zur Stelle in Blumenfeld (Hanson), S. 190. 125 Vgl. Rettung D. Martin Luthers / seeligen / Lehr / Ehr / vnd guten Namens: Wider D. Sixti Sartorii, genandt Mildtenberger / Canonici zu Passaw / in den Causis Motivis seines Abfalls / außgestossene Schmachreden: Sampt angehefften Vrsachen: Warumb ein Christ das Papstthumb verlassen / vnd zu der Reinen Evangelischen Warheit Augspurgischer Confeßion sich halten soll. Zu dieser schwürigen Zeit der Jrrsamen Welt / nützlich zu lesen. Mit zu End angehefftem zwyfachen Registern. Gestellet durch Laurentium Laelium, Pfarrern zu Onoltzbach. Gedruckt vnd Verlegt zu Onoltzbach / durch Paulum Böhem / Fürstl: Brandenb: bestalten Buchdrucker / M. DC. XIV, S. 213: „Jhr aber / vnd Eweres Papstes geschworne Clerisey / gestehet / daß jhr viel Articul habt / die nicht in der Bibel geschrieben sind: Vnd ewer Papst will haben / daß alles, was er inn Religionssachen handele vnd setze / für Glaubens Articul / oder als Gottes Wort selbst gehalten vnd angenommen werden soll.“ 126 In der von einem Zeitgenossen Hocks verfassten, aber erst posthum erschienenen Schrift Christianus Vapulans Oder Marter-Chronick / Das ist / Eine kurtze / nützliche / so wol Historische als Theologische Betrachtung / Was zu allen Zeiten fromme / gottselige und unschuldige Christen in dieser argen / bösen / verkehrten Welt / von Gottlosen / un- <?page no="402"?> Damit konstituiert sich der zweite Kursus insofern als Gegenmodell zum ersten, als er - aus der Sicht des protestantischen Politikers und Verwaltungsbeamten - nicht auf die Mitte der Gesellschaft (humanistische Gelehrte, fürstliche Höfe, Handwerker, Händler), sondern auf deren Ränder verweist (Ungläubige wie „Türcken“ und Katholiken, Soldaten, neidische Schriftstellerkollegen). Auch im zweiten Kursus ist jedoch in erster Linie eine Entwicklung von Angriffen auf die Medialität bzw. die Botschaft des Buches hin zu Attacken auf seine Materialität festzustellen: Während bereits die „Türcken“ dem Papier nur aufgrund seiner potenziellen Verwendung zu frommen Zwecken Respekt zollen, wendet sich die „geschworne Clerisey“ nun endgültig gegen die weltlichen Inhalte des Schönen Blumenfeldts , was Hock zwar mit dem auf den ersten Blick allegorisch anmutenden „antasten“ eingeleitet, das an das - von den „Türcken“ ja gerade nicht praktizierte, sondern auf das Ende des ersten Kursus verweisende - „Vermailling“ erinnert, 127 tatsächlich jedoch rein metaphorischen Charakter hat. Denn das Denken in den Kategorien von „Sünde“ und richtigem Verhalten, von „frumb“ und unfromm, das die „geschworne Clerisey“ mit den „Türcken“ teilt, die sich als Nachfolger der Katholiken aus Vetters Schrift wesentlich weniger positiv ausnehmen denn als Nachfolger der taciteischen Germanen, führt zu einer ‚Anfechtung‘ der Satiren durch „Litaney“, „beschweren hoch“, „Bannen“, „Segen“ und „fasten“ der Katholiken. Dass all diese religiösen Riten die Satiren ebenso unbeeindruckt lassen (sollen) 128 wie die wissenschaftliche und höfische Kritik im ersten Kursus, darf nun allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier ein viel grundsätzlicherer Angriff erfolgt als im ersten Zug des Schönen Blumenfeldts durch die Welt. Nicht aus der Mitte einer säkularen, mit Wissenbarmhertzigen Tyrannen haben leiden und außstehen müssen. Auß unterschiedlichen Authoribus, und bewährten Historicis zusammen getragen / Und mit vielen nützlichen Marter-Reguln / denckwürdigen Exempeln / wichtigen / erbaulichen Fragen und Einreden / auch andächtigen eyferigen Gebetlein / bey diesen trübseligen / gefährlichen Läuffen / auff die Praxin, und täglich Ubung gerichtet / Durch M. Joh. Conradum Goebelium. Ehemalig hochverdientem Seniorem Ministerii Augustani, und Mitgenossen an der Trübsal / am Reich / und an der Geduldt JEsu Christi. Mühlhausen / Gedruckt und verlegt durch Jacob Eibel / Buchhändlern / im Jahr Christi M DC XCIX, S. 6, stellt der Verfasser dagegen fest: „In genere, und ins gemein darvon zu reden / wenn fromme / gottselige / vnd glaubige Christen darum in die Spanische Inquisition kommen / verfolgt / oder gar hingericht / und getödtet worden / daß sie von der Römischen Kirchen sich abgesöndert / weder den Papst zu Rom für das Haupt / noch sein geschorne Clerisey für den rechten Clerum und wahre Glieder der Christlichen Kirchen erkennen; […] so bin ich der gäntzlichen meynung / daß solche fromme eiferige Christen under des HErrn Christi rechte / wahre Märtyrer zu zehlen / und zu rechnen seyn.“ 127 Vgl. zu diesem Wort neben Köster: Rezension (Anm. 2), S. 293, auch Leitzmann: Zu Theobald Höck (Anm. 12), S. 196. 128 Zur adverbialen Funktion von „nichts“ in diesem Vers vgl. auch Senger: Theobald Hock (Anm. 2), S. 75. Poetologisches Propemptikon und grobianischer Transformationsschwank 403 <?page no="403"?> 404 Heiko Ullrich schaft, Politik und Wirtschaft befassten Welt droht dem Werk des Autors wirkliche Gefahr, sondern von den Rändern her: von einer fanatischen Religion (als Gegensatz zur Wissenschaft), von ruhmbegierigen Kriegstreibern (als Gegensatz zur Politik) und von einem fehlgeleiteten Künstlertum (als Gegensatz zur Wirtschaft). Während Universität und Hofgesellschaft das Werk lediglich einer kritischen Prüfung unterziehen, erinnern die Methoden der Kleriker an einen Abwehrzauber; an die Stelle einer inhaltlichen Auseinandersetzung tritt die Verteufelung in Bausch und Bogen. Es ist diese generelle Infragestellung der schönen Literatur, die die Poesie im Innersten trifft, denn zum einen maßt sich die katholische Kirche seit der Reformation und der Einführung des Index Librorum Prohibitorum im Jahr 1559 tatsächlich die Zensur missliebiger Bücher und Autoren an, unter denen sich 1582 beispielsweise der gerade für An die Satiren wichtige Georgius Sabinus findet (was beim Schwiegersohn Melanchthons freilich auch nicht verwundern darf), 129 viel entscheidender ist jedoch das Konkurrenzverhältnis, das sich zwischen der Religion und der schönen Literatur ergibt, solange die Letztere sich einer didaktischen Aufgabe verschreibt, wie sie auch in der Vorrede und den ersten beiden Kapiteln des Schönen Blumenfeldts formuliert wird. Gerade die Liebesdichtung als fundamentaler Bestandteil der Lyrik - und trotz (oder gerade wegen) aller petrarkistisch gefärbten Absagen auch des Schönen Blumenfeldts - ist im konfessionellen Zeitalter stets in gewissem Maße von Bannstrahl oder Segensspruch der eigenen theologischen Koryphäen abhängig. Was einer derart von Seiten der Kirche diffamierten Literatur in allegorischem Verständnis blühen dürfte, kann indirekt aus der „Türcken“-Strophe abgeleitet werden, in der ja betont wird, man könne Gottes Namen auch auf eben das Papier schreiben, das bereits mit Hocks Gedichte bedruckt worden ist: So entstünde ein Palimpsest, das die darunterliegenden Schrift überdeckt und damit eine besonders perfide Form der Zensur darstellt. Mit dieser ‚Überschreibung‘ der weltlichen, spielerisch-poetischen Inhalte des Schönen Blumenfeldts durch geistliches Schrifttum ist größerer Schaden angerichtet als durch die Zerstückelung und Beschmutzung im ersten Kursus, die das Gedicht bestenfalls unleserlich macht: Das Palimpsest kann den Inhalt der Satiren verfälschen oder gar ins Gegenteil verkehren - wie Hock dies durch seine Übernahme des Zitats aus Vetters Schmähschrift als Kontrafaktur ja selbst eindrucksvoll vorführt. 130 129 Index librorum authorumque S. Sedis Apostolicae, Sacrique Concilij Tridentini authoritate prohibitorum. München 1582, unpag., s.v. „Georgius Sabinus“. 130 Vgl. zum Zusammenhang von Palimpsest und Kontrafaktur insbesondere die Theorien von Genette: Palimpseste (Anm. 109), S. 39-47, der zwischen ernsthafter und satirischer Nachahmung und Transformation unterscheidet, und von Theodor Verweyen / Gunther <?page no="404"?> Über diese Problematik hinaus entsteht An die Satiren in einer Zeit, 131 in der die sich zuspitzenden konfessionellen Konflikte bereits zu ersten begrenzten militärischen Auseinandersetzungen wie dem Kölner Krieg oder dem (laufenden) Straßburger Kapitelstreit geführt haben, von denen Hock die Entwicklung einer deutschsprachigen Kunstdichtung, wie er sie anstrebt, mutmaßlich bedroht sieht - möglicherweise zu Recht, wenn man Nikola Kaminskis allerdings wohl mit Recht umstrittener These folgen will, die einen Kausalzusammenhang zwischen dem Dreißigjährigen Krieg und der opitzianischen Versreform herstellt und so ein Erklärungsmodell für die Marginalisierung der Vorkriegsdichter wie Theobald Hock und (mit Abstrichen) Georg Rudolf Weckherlin bietet. 132 Dass es sich bei der im zweiten Kursus skizzierten Bedrohungslage für Hocks Gedichte nach der Analyse ihres Autors eben nicht allein um die Gefahr einer Verfälschung durch oder zugunsten theologischer Diskurse, sondern um die Furcht vor aus diesen Diskursen entstehenden blutigen Konflikten handelt, zeigt sich, wenn auf die Bann oder Segen aussprechenden Kleriker unmittelbar (oder deutlicher: völlig unvermittelt) die Soldaten folgen: DWalonen vnnd Archibusier / Freybeitter vnd Husseren / Patronen auß euch machen schier / Sonst würdt sich niembt / wer sich auch rümbt / Nichts vber euch beschweren. (V. 41-45) Vermutlich verweisen die meisten Bezeichnungen schlicht auf aktuelle Realien der Entstehungszeit, konkreter auf das Söldnerwesen: Die Wallonen dürften dem Pfälzer Theobald Hock wohl in erster Linie als Glaubensflüchtlinge aus den Spanischen Niederlanden bekannt gewesen sein, die im Achtzigjährigen Krieg eine gewisse Rolle spielten; wallonische Regimenter waren aber auf allen Kriegsschauplätzen der Zeit zu finden. 133 Die Arkebuse charakterisiert als Waffe der leichten Infanterie allgemein die beweglicheren Truppenteile 134 und Witting: Die Kontrafaktur. Vorlage und Verarbeitung in Literatur, bildender Kunst, Werbung und politischem Plakat. Konstanz 1987. 131 Zur „Lücke in seiner [sc. Hocks] Lebensgeschichte zwischen 1589 und 1600“, in die ja auch die Entstehungszeit des Schönen Blumenfeldts fallen dürfte, vgl. auch die Einleitung in Blumenfeld (Hanson), S. 25-31. 132 Nicola Kaminski: Ex bello ars oder der Ursprung der „Deutschen Poeterey“. Heidelberg 2004. 133 Das übersieht der Kommentar Blumenfeld (Hanson), S. 190, der sich auf folgende etwas ratlos wirkende Bemerkung beschränkt: „Für ‚Walonen‘ weiß ich keine andere Bedeutung als die übliche, nämlich die französischssprechenden Bürger Belgiens.“ 134 Zur Herkunft des Wortes vgl. auch Alanne: Das Eindringen (Anm. 12), S. 87 sowie allgemein zur Herkunft der militärischen Fachterminologie aus Frankreich ebd, S. 90f. Poetologisches Propemptikon und grobianischer Transformationsschwank 405 <?page no="405"?> 406 Heiko Ullrich leitet zu den Freibeutern 135 über, die wie die Wallonen wohl in erster Linie im Kontext des Achtzigjährigen Krieges anzusiedeln sind und deren Aktionsraum speziell die Gewässer vor den spanischen Kolonien in Mittel- und Südamerika bilden, während die Husaren 136 als leichte Kavallerie im Südosten des Habsburgerreiches beheimatet sind. 137 Ein buntes Gemisch also - und eben das scheint Hock auch beabsichtigt zu haben: Die einzelnen, möglicherweise als besonders typisch geltenden Söldnergruppen und Waffengattungen sollen die frühneuzeitliche Kriegsmaschinerie durch die Aufzählung einer Reihe quasi als partes pro toto vertreten. Dass all diese Kämpfer ihre Papierpatronen, die sich erst mit dem Dreißigjährigen Krieg durchsetzen und um 1600 noch als Avantgarde der militärtechnischen Entwicklung gelten dürfen, 138 aus den Blättern oder wohl eher Blattfetzen der Hockschen Satiren herstellen, erscheint auf den ersten Blick als exakte Entsprechung zum Übergang von der medialen zur materiellen Zerpflückung des Schönen Blumenfeldts im ersten Kursus, wo diese Rolle von den Hofdamen und ihren Seidenspulen übernommen wird. Das „sich beschweren“ 139 in den letzten beiden Versen der Strophe muss aber wohl als Gegensatz zu den vielfältigen Angriffen auf das Schöne Blumenfeldt gesehen werden: Erst in dem Augenblick, da die Satiren im Rahmen der allegorischen Darstellung als Waffen missbraucht werden, liegt ein Grund vor, auch im juristischen Sinne 140 Klage über diese zu führen. Anders als in der vorangegangenen Kleriker-Strophe beinhaltet die Soldaten-Strophe also eine Befürchtung Hocks, dass von seinen Schriften selbst eine Gefahr ausgehen und zu Recht auf diese als Verursacher zurückgeführt werden könnte, was noch einmal eine auch metaphorische Deutung der Strophe erlauben würde: Während die Verwendung als Seidenspulen im ersten Kursus aufgrund der dekorativen Verwendung des hochwertigen Stoffes noch als ästhetische Rezeption interpretiert werden kann, stellt sich bei der Verarbeitung zu 135 Zur Wortform „Freybeitter“ vgl. auch Jellinek: Theobald Hocks Sprache (Anm. 76), S. 120, Anm. 1. 136 Zu Wortform und Reim vgl. neben Köster: Rezension (Anm. 2), S. 288 auch Jellinek: Theobald Hocks Sprache (Anm. 76), S. 94 sowie S. 108. 137 Auch hier bleibt der Kommentar Blumenfeld (Hanson), S. 191 ein wenig knapp. 138 Die Abbildung einer „Patronbüchse und Papierpatrone. Ende des 16. Jahrhunderts“ findet sich bei Erich Haenel: Alte Waffen. Mit 88 Abbildungen. Berlin 1913, S. 95; auf S. 97 setzt Haenel die Verbreitung dieser Munitionsart jedoch später an: „Für Aufnahme der Papierpatronen, die seit dem Dreißigjährigen Krieg an Stelle der hölzernen Patronenhülsen traten (durch Gustav Adolf im schwedischen Heere eingeführt), dienten dann lederne Taschen (Patronentaschen).“ 139 Vgl. dazu auch den Kommentar in Blumenfeld (Hanson), S. 188. 140 Zur Rolle rechtlicher Sachverhalte im Schönen Blumenfeldt vgl. auch ebd., S. 92; zum Bestand juristischer Fachliteratur in Hocks Bibliothek auch Bok: Die Bibliotheken (Anm. 77), S. 350. <?page no="406"?> Patronenhülsen doch die Frage nach einer lebensweltlich-aggressiven Funktion der Satiren: Offensichtlich scheint es in den kommenden Auseinandersetzungen unmöglich zu sein, nicht schuldig zu werden - und sei es als Hülse einer Papierpatrone. Mit diesem Schuldigwerden aber ist erneut das Wesen der Hockschen Gedichte bedroht: Wie diese - das zumindest suggeriert der den Frieden propagierende Dichter - nicht als Grund- und Vorlage für verfälschende konfessionspolemische Palimpseste dienen sollen, dieses Schicksal aber jederzeit erleiden können, kann es durch die Handlungen der Soldaten dazu kommen, dass die Satiren allegorice zu Mördern und dabei selbst restlos zerstört werden. Und während der Sprecher der Gedichte die Bedrohung durch das geistliche Überschreiben noch als verhältnismäßig gering einstuft (wobei er sich durch seine eigenen intertextuellen Techniken allerdings sogleich selbst widerlegt), hält er nicht nur den als Patronenhülse begangenen Mord, sondern auch die darauf folgende Anklage offenbar nicht nur für unvermeidlich, sondern im letzteren Fall auch für gerechtfertigt. Aus dem folgenden Auftritt des allegorischen Neiders, mit dem Minne- und Meistersängerisches in Hocks Gedicht hineinragt, hat Czucka wohl zu Recht den Konflikt mit der älteren Kunstauffassung herausgelesen; neben Konfessionsstreit und Kriegstreiberei bedroht also auch die reformunwillige, den Neuerungen der volkssprachlichen italienischen und französischen Renaissanceliteratur mit ihrer komplexen Formenvielfalt und ihrem gelehrten Anspruch nur bedingt aufgeschlossene Dichterzunft. Dass es bereits Hock wie später Opitz um ein