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Das Prinzip Einfachheit

Reduzieren Sie die Komplexität

0306
2018
978-3-8169-8333-0
978-3-8169-3333-5
expert verlag 
Christian Helfrich

Der Blick in die Zukunft eröffnet eine ganz neue Perspektive: Ohne ein Zurück zur Einfachheit werden wir weiter zurückfallen oder gar wie andere ehemals führende Mächte »implodieren«. Die Organisationen in allen Bereichen sind nur durch Vereinfachung effizienter und menschlicher zu machen. Dazu müssen die Komplexitätstreiber erkannt werden, um sie bekämpfen zu können. Neue sowie natürliche Organisationsformen bilden dazu die Leitlinien. Hinweise aus der Praxis unterstützen die neue Einfachheit. Beispiele für Informations-Architektur und Arbeitstechnik in bekannten und erfolgreichen Firmen runden die Darstellung ab.

<?page no="1"?> Christian Helfrich Das Prinzip Einfachheit Reduzieren Sie die Komplexität 2., neu bearbeitete und erweiterte Auflage <?page no="3"?> Prof. Dipl.-Ing. Christian Helfrich Das Prinzip Einfachheit Reduzieren Sie die Komplexität 2., neu bearbeitete und erweiterte Auflage <?page no="4"?> 2., neu bearbeitete und erweiterte Auflage 2018 1. Auflage 2009 Bei der Erstellung des Buches wurde mit großer Sorgfalt vorgegangen; trotzdem lassen sich Fehler nie vollständig ausschließen. Verlag und Autoren können für fehlerhafte Angaben und deren Folgen weder eine juristische Verantwortung noch irgendeine Haftung übernehmen. Für Verbesserungsvorschläge und Hinweise auf Fehler sind Verlag und Autoren dankbar. © 2009 by expert verlag, Wankelstr. 13, D -71272 Renningen Tel.: + 49 (0) 71 59 - 92 65 - 0, Fax: + 49 (0) 71 59 - 92 65 - 20 E-Mail: expert@expertverlag.de, Internet: www.expertverlag.de Alle Rechte vorbehalten Printed in Germany Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. ISBN 978-3-8169-3333-5 Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / www.dnb.de abrufbar. Bibliographic Information published by Die Deutsche Bibliothek Die Deutsche Bibliothek lists this publication in the Deutsche Nationalbibliografie; detailed bibliographic data are available on the internet at http: / / www.dnb.de <?page no="5"?> Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis ............................................................................... 1 1 Prolog.......................................................................................... 1 2 Einführung ................................................................................. 3 2.1 Wovon ich ausgehe.................................................................................. 3 2.2 Von den Erfahrungen zu den Gesetzmäßigkeiten ................................... 5 2.3 Kompliziertheit verleiht Macht ............................................................... 5 2.4 Vom Nimbus der Wissenschaftlichkeit ................................................... 7 2.5 Soll und kann man etwas ändern? ........................................................... 8 3 Was steht auf dem Spiel? ........................................................ 10 3.1 Von Kompliziertheit und Komplexheit ................................................. 10 3.2 Randbedingungen und Kosten engen uns ein ....................................... 11 3.3 Heimlich unheimliche Kosten ............................................................... 13 3.4 Gute Konzepte sind wirkungsvoll - aber rar......................................... 14 4 Komplexität - von Menschen gemacht! ................................. 18 4.1 Exponentielles Wachstum - die verhängnisvolle e-Kurve! .................. 18 4.2 Bürokratie und Perfektionismus - geht es ohne? .................................. 21 4.3 Kann die Technik alles - und darf sie es? ............................................. 27 4.4 Auch Kommunizieren wird immer komplizierter ................................. 29 4.5 Wir werden Opfer von Gier und Irrationalität....................................... 31 4.6 Kontrollieren wir uns zu Tode? ............................................................. 34 4.7 Was könnten wir von der Natur lernen? ................................................ 36 5 Ist eine Laudatio auf den Zustand unserer Welt wirklich angebracht? ............................................................... 39 5 Ist eine Laudatio auf den Zustand unserer Welt wirklich angebracht? ............................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................... 39 6 Exkurs in die Theorie .............................................................. 46 6.1 Können wir aus der Geschichte lernen? ................................................ 46 6.2 Der Zeitgeist ist immer stärker .............................................................. 49 6.3 Psychologisches ist immer dabei........................................................... 51 6.4 Sehen wir die Bedeutung der Organisation? ......................................... 60 6.5 Naturgesetze werden grob missachtet ................................................... 63 <?page no="6"?> Inhaltsverzeichnis 7 Bionik: Wie einfach macht es die Natur? .............................. 69 7.1 Die Natur ist stets auf Nachhaltigkeit ausgerichtet ............................... 69 7.2 Kybernetik hilft uns weiter .................................................................... 70 7.3 Dezentralisation ist das Prinzip der Natur ............................................. 71 7.4 Selbstorganisation ist der Schlüssel zur Produktivität .......................... 72 8 Produkt- und Prozessgestaltung............................................. 74 8.1 Produktgestaltung .................................................................................. 74 8.1.1 Wiederbeschaffungszeit (WBZ) der Teile...................................... 74 8.1.2 Produktaufbau mit weniger Teilenummern................................... 76 8.1.3 Regeln zur Variantenbildung.......................................................... 77 8.1.4 Zur Parametrierung ......................................................................... 80 8.1.5 Zum Findsystem: ............................................................................ 81 8.1.6 Technische Perfektion und Kosten: ................................................ 83 8.1.7 Total Cost of Ownership (TCO): .................................................... 83 8.1.8 Praktische Vereinfachungen: .......................................................... 84 8.1.9 Zusammenhang zwischen einer flachen Stückliste und der Termintreue........................................................................ 85 8.2 Prozess-Gestaltung ................................................................................ 85 8.2.1 Ziele der Prozess-Gestaltung .......................................................... 85 8.2.2 Zeitpotenziale: ................................................................................ 87 8.2.3 Schnittstellen: ................................................................................. 87 8.2.4 Reduktion der Ausnahmen ............................................................. 88 8.2.5 Business-Reengineering (BR) und Lean Production...................... 91 8.2.6 Die Rolle der ISO9001 ff................................................................ 92 9 Praktische Hinweise ................................................................ 94 9.1 Für die Selbstorganisation ..................................................................... 94 9.2 Für Spitzenleistungen ............................................................................ 96 9.3 Für weniger Schnittstellen ..................................................................... 96 9.4 Für die Organisation ............................................................................ 102 9.5 Für Kennzahlen, Kontrolle und Wertschöpfung ................................. 107 9.6 Für die IT ............................................................................................. 110 9.7 Für die Persönlichkeit.......................................................................... 111 9.8 Für stabile Prozesse ............................................................................. 114 9.9 Für offenen Führungsstil ..................................................................... 116 9.10 Für einfache Informations-Technologie (IT) ...................................... 118 9.11 Für gesunden Hausverstand................................................................. 120 10 Einige Beispiele ...................................................................... 122 10.1 Firmen und Organisationen ................................................................. 122 10.2 Systeme und IT-Architektur ................................................................ 123 10.3 Unkonventionelle Schritte zur Einfachheit ......................................... 124 <?page no="7"?> Inhaltsverzeichnis 11 Lob der Einfachheit............................................................... 131 12 Blick in die Zukunft............................................................... 134 13 Literatur ................................................................................. 137 14 Abbildungsverzeichnis .......................................................... 139 15 Sachverzeichnis ...................................................................... 140 <?page no="9"?> 1 Prolog 1 1 Prolog Das Thema Einfachheit ist nicht neu. Immer wieder gibt es einschlägige Literatur zum Ver-Einfachen, meist in Rezepte für den Alltag verpackt. Die zugrunde liegenden Gesetzmäßigkeiten werden dabei jedoch ausgeklammert. Ich will hier eher über diese Gesetze schreiben. Sowie auch über die Bestimmungsgrößen einer jeden Organisation: Bodenhaftung, Hausverstand und Regeln. Wenn man diese Größen beachtet, muss weniger vorgeschrieben werden. Ein geheimnisvolles Gesetz scheint mit einem Weniger, das mit jeder Vereinfachung einhergeht, einen Verlust an Macht zu verbinden. Schon ist man in einem negativ besetzten Bereich angelangt. Und muss sich nicht über die Schwierigkeiten wundern, Einfaches einzuführen. Alles Positive entwickelte sich in der Vergangenheit stets zu einem „Mehr“ und jeder, der dagegen war, wurde zum Feind. Gleichwohl erleben wir schon seit Jahren eine andere Welt, eine erfolgreichere, sozusagen eine Nebenwelt. Dafür steht zum Beispiel die Firma ALDI. Dafür stehen andere Organisationen wie der Internet-Handel oder Kleinigkeiten wie ein Lichtschalter aus nur vier Teilen, Bildschirm-Oberflächen, mit denen man gerne und leicht arbeitet, geniale Order-Systeme etc. Jedoch weht der Zeitgeist immer noch in die Richtung des „Viel ist gut, Mehr ist besser! “ und das Maximum wird erst dann erreicht, wenn alles - und das heißt auch jede Ausnahme - perfekt im Großsystem abgebildet und damit „im Griff“ ist. Es fehlt für mein Empfinden die Untersuchung darüber, wie viel die Volkswirtschaft durch diese gut gemeinten, jedoch überflüssigen Verkomplizierungen einbüßt oder - positiv ausgedrückt - wie gewinnbringend sich die Potenziale einer vereinfachten Organisation und Gesetzgebung auswirken würden. Komplexität ist ja nicht nur mühsam zu beherrschen, sondern auch kostspielig. Werden die Zeiten - wie vorhersehbar - härter, dann schmelzen auch die Margen. Wir können uns dann unsere Komplexheit schlicht nicht mehr leisten. Wir müssen uns spätestens dann von den überbordenden Systemen befreit haben, die nicht nur teuer sind, sondern auch zur Bewegungslosigkeit führen. Organisations-Stillstand jedoch ist Rückschritt und führt zur baldigen Verarmung. <?page no="10"?> 1 Prolog 2 Wir müssen zurück zu einer Neuen Einfachheit, geeignet für die Globalisierung und die Durchdringung der Welt durch Computertechnik. Mit dieser kleinen Ausarbeitung wäre schon viel gewonnen, gelänge es das Verständnis für diese Zusammenhänge zu schärfen und Mut zu machen im eigenen Umfeld die einfachen Lösungen zu favorisieren. Damit wäre mein Ziel schon erreicht. Mit Wissenschaftlichkeit hat dieser Ansatz nichts gemein, wohl aber mit Hausverstand und Lebenserfahrung. <?page no="11"?> 2.1 Wovon ich ausgehe 3 2 Einführung 2.1 Wovon ich ausgehe Die Welt bewegt sich immer vom Einfachen zum Komplizierten - nie umgekehrt. Meine Kernthese für dieses Buch lautet: Wir müssen uns wieder einfacher organisieren, um in der krisenreichen Globalisierung nicht nur bestehen, sondern gewinnen zu können! Denn es geht letztlich auch für uns um das Überleben in einer ungemütlicher werdenden Welt. Die Globalisierung beseitigt nach und nach alle Nischen, in denen bisher einige noch gut überleben konnten. Alle unsere staatlichen und die meisten betrieblichen Organisationen arbeiten noch nach einem veralteten Leitbild zur Organisation, das aus den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts stammt. Es ist charakterisiert durch Koordinations- und Informations-Sucht, verwischte Verantwortungen, verzögerte Entscheidungen und unwirksames Controlling. Die vom Markt geforderten Fähigkeiten wie kurze Durchlaufzeiten und hohe Termintreue werden vernachlässigt. Von sozialen oder psychologischen Kriterien, von Nachhaltigkeit, Ethik und Anständigkeit will ich hier noch gar nicht reden. Wenn man über Einfachheit der Organisation schreibt, hat man ein spezielles Problem: Es ist schwierig, die Aufmerksamkeit der Leser zu gewinnen. Was verstehen wir unter Einfachheit, wie sieht eine einfache Organisation aus? Das ist doch ganz simpel: So wie es ist, ist es eben. Wie sollte es anders sein? Jeder Chef weiß es. Er hat seine Spezial-Methode. Und im Notfall gelingt mit Druck so ziemlich alles. Zu den Charakteristika des heutigen Lebens gehört die Kompliziertheit: Überall lauert sie und reitet Attacken gegen unser Wohlbefinden. Jeder leidet an zu Kompliziertem. Denn es ist überall: beim Video-Recorder, beim Handy, bei der Digital-Kamera, bei der Unverständlichkeit der Bedienungsanleitung, bei der Software, bei der Rückerstattung einer Fahrkarte, beim Schließen des Sturzhelmes, bei der Krankenkasse - einfach überall. Hunderte von Beschreibungen über Kompliziertheit wären überflüssig - einschließlich des vorliegenden Buches! <?page no="12"?> 2 Einführung 4 Bei Steuererklärungen und ähnlichen Formularen erübrigt sich jeder Kommentar: Ihre Kompliziertheit ist sprichwörtlich. Überall benötigt man einen Spezialisten, um das Komplizierte aufzulösen, das heißt in aller Regel - zu vereinfachen. Viele reden vom Standortnachteil Deutschland. Alle jammern über die Höhe der Lohn- und Lohnnebenkosten. Wenn ringsherum neue Pleiten gemeldet werden, wenn die Firmen ganze Zweige nach Osten verlagern, wenn sich die Gewerkschaft wieder zu Wort meldet, dann heißt es stereotyp: Die Löhne oder Lohnnebenkosten sind zu hoch. Sie sind demnach an allem schuld? Ach, wäre das schön, wenn es so wäre! Nein, die Komplexitätskosten sind zu hoch, weil Gesellschaft, Firmen und Verwaltungen viel zu kompliziert organisiert sind. Das ist meine Kernthese: Wir sind zu kompliziert geworden! Wir müssen uns wieder einfacher organisieren! Das Interessante daran ist: Keiner kennt die wahren Kosten des Komplizierten, noch nicht einmal das Rechnungswesen. Was kostet die Verwaltung eines Kundenauftrags, wie viel eine Management- Sitzung bis in die frühe Nacht hinein, wie viel die Lustlosigkeit der gegängelten Mitarbeiter, wie viel die ganze Bürokratie, die Unterschriftenregelung, wie viel die Koordinations-Sitzungen, die Computer-Anwendungen mitsamt den Anpassungen und der Wartung, die verzögerten Entscheidungen etc., etc. Wenig bewegt sich, nichts wird einfacher. Jedoch sind die Gemeinkosten längst höher als die Lohnsumme, eine Sitzung folgt der anderen im Stundentakt, eine Produkt-Änderung braucht stets länger als geplant, die Bestände quellen über - aber was hört man: Die Lohn- und Lohnnebenkosten seien zu hoch. Wer so etwas kundtut, äußerst damit seine Inkompetenz und Abgehobenheit vom wirklichen Geschehen. Die wahre Ursache, nämlich die zugrunde liegende kostspielige Kompliziertheit wird nie diskutiert. Wir neigen dazu, uns damit abzufinden. Es fehlt uns völlig an einer Einschätzung darüber, was uns die Kompliziertheit kostet, wie viel von unserer persönlichen, aktiven Lebenszeit sie uns wegnimmt und wie sie unser Lebensgefühl dezimiert. Dieses defensive Lebensgefühl bezieht sich auf alle, ob Manager, einfacher Angestellter, Arbeiter, Bürger oder auch nur Zeitungsleser. <?page no="13"?> 2.2 Von den Erfahrungen zu den Gesetzmäßigkeiten 5 Jedem Versuch, Einfachheit und Kompliziertheit der Organisation voneinander unterscheidbar darzustellen, haftet eine gewisse Willkür an. Die Übergänge sind gleitend. In der Praxis wird fast immer Einfaches verkompliziert. Selten ist es umgekehrt, dann aber - sehr häufig! - mit überraschend positiven Effekten. 2.2 Von den Erfahrungen zu den Gesetzmäßigkeiten Ich verfüge dazu - wie jeder meiner Leser wohl auch - über viele persönliche Erfahrungen. Die spärliche Literatur über Einfachheit habe ich nicht vollständig gelesen. Das erscheint auch nicht so wichtig zu sein, weil sie wenig über die zugrunde liegende Theorie offenbart und die vielen praktischen Hinweise (wie z. B. in „Simplify your life“) für diese Abhandlung zu trivial sind. Ich will mich um die Gesetzmäßigkeiten kümmern, die zur Kompliziertheit führen. Ich denke oft an ein anderes Leben, in dem ich wie damals als Kind meine Umgebung verstehe, wo alles einfach und unkompliziert ist. Die bekannten Situationen und Sachen sind freundlich zu mir. Sie bereiten mir keine Probleme, sondern gehorchen auf Zuruf. Die Welt wird wieder zutunlich, wie man sie von den Märchen kennt: Ein ruhiges und natürliches Leben, wenigstens im Traum. Alles ist einfach, zugänglich und sympathisierend. Ich sehne mich nach einem Leben in natürlicher Einfachheit. Aber die Realität nimmt darauf überhaupt keine Rücksicht. Im Gegenteil: alles wird komplizierter, und selbst die Gebrauchsanweisung für das neue, einfachere Handy verlangt ein intensives Studium und verschlingt einige Stunden meiner Lebenszeit. Viele klagen, aber niemand redet im Ernst darüber. Das wundert mich. Es ist der Anlass für dieses Buch. Keiner redet über die Ursachen des Komplizierten. Vielleicht ist sie sogar von Einigen gewollt. 2.3 Kompliziertheit verleiht Macht Bei jeder Betrachtung komplizierter Systeme und Organisationen hilft zum Verständnis eine einzige Frage: wer profitiert von dieser Kompliziertheit? Heißt die Antwort die IT (=Informationstechnologie), das Management, der Verband oder die Vereinigung, u.ä., dann weiß jeder, dass hier Pfründe verteidigt werden, die mit der eigentlichen Wertschöpfung schon längst nichts mehr zu tun haben. Ganz offensichtlich haben viele Manager große Freude am Verkomplizieren. Sie sind die Wissenden, sie glauben das ganze System zu verstehen, tun es aber nicht, nach außen jedoch verstehen nur sie das Ganze. Die Geschichte der amerikanischen Autoindustrie zeigt dies sehr deutlich: die Chefs haben viel von Zahlen verstanden, aber nichts oder zu wenig von Autos. Wissen - auch nur über Zahlen - ist immer mit Macht verbunden und nur wenn einer die Kompli- <?page no="14"?> 2 Einführung 6 ziertheit zu durchschauen vermag, ist seine Macht gefestigt. Die Kompliziertheit gibt dem scheinbar Wissenden Macht. Sie ist ein Herrschaftsinstrument, ein unerkanntes und subtiles zwar, aber ein sehr wirkungsvolles. Oft dient sie der beliebten Verschleierungstaktik, zum Beispiel dann, wenn es keine belastbaren Zahlen gibt. Die Möglichkeit, Macht auszuüben, bietet eine starke Triebfeder für Karrieristen. Also lieben und pflegen sie Kompliziertes. Der „Wille zur Macht“ beherrscht das Leben in den Organisationen sehr viel mehr als es die Lehrbücher beschreiben. Intrigen, Mobbing, offener Machtkampf und lähmende Entscheidungslosigkeit sind die Folgen. Das Primitive des Neandertalers ist auch heute noch wirksam. Wenn keiner mehr die Hintergründe einer Entscheidung kennt, wenn eine Änderung des Bestehenden wegen der Abhängigkeit mit anderen Bereichen nicht machbar erscheint, wenn die Abläufe und Strukturen nicht offen gelegt, sondern mystifiziert sind, dann, ja dann ist es leicht, die Mannschaft im Zaum zu halten. Dann ist das Ziel, Macht zu gewinnen und zu halten erreicht. So haben die Manager vieler deutscher Unternehmen ihre Organisation sehr erfolgreich verkompliziert. Sie verwalten heute diese Kompliziertheit mithilfe aufwändiger und teurer EDV-Systeme. Wunderbar, denn sie schwimmen im Zeitgeist. Niemand stellt sie zur Rede. Oder gibt es wirklich jemanden, der nach der Amortisations-Dauer fragt? Das ist nicht weiter erwähnenswert, treiben es doch offenbar viele so. Es scheint der Normalfall zu sein. Nur: In der gleichen Zeit haben andere - vor allem Asiaten - Produkt auf Produkt nachgebaut und die Weltmärkte erobert. Möglicherweise ist die Kompliziertheit unserer Steuer- und Sozialsysteme sogar beabsichtigt. Die Regierenden wollen vielleicht gar nicht, dass die Bürger sie verstehen und darauf Einfluss nehmen. Die Kompliziertheit schützt vor Fragen und Initiativen. Ganze Berufsstände leben von ihr. Die Steuererklärung auf dem Bierdeckel ist ein netter Gag, wirklich gewollt ist sie wohl nicht. Kaum einer redet vom eigentlichen Standortnachteil Deutschlands: der Kompliziertheit seiner Organisationen und Systeme. Nur Kybernetiker tun es, aber die sitzen weit weg, sind gescheit und haben deswegen keine Macht. Kein Manager, kein Journalist, kein Politiker und kein Verbandspräsident - wirklich niemand fordert wirklich eine neue Einfachheit und einfachere Organisationen! Diese aber entscheidet - in meiner Weltsicht - letztlich über Erfolg oder Misserfolg eines Unternehmens, der Wirtschaft und der Gesellschaft. Gern verweise ich an dieser Stelle auf das Buch von Paul Kennedy, „Aufstieg und Fall der großen Mächte“. <?page no="15"?> 2.4 Vom Nimbus der Wissenschaftlichkeit 7 Das vorliegende Buch ist nicht nur für Firmen und Organisationen geschrieben, sondern auch für Einzelne wie Manager, Berater, Techniker, Politiker, Ärzte, kurz: für alle, die den Attacken der Kompliziertheit ausgesetzt sind. 2.4 Vom Nimbus der Wissenschaftlichkeit Alles, was wir heute akzeptieren, muss wissenschaftlich begründet sein. Die Wissenschaftlichkeit von allem und jedem ist oberstes Gebot. „Management Science“, diese von Frederick Winslow Taylor (1856 - 1915) begründete Art des Organisierens, führt uns hier und heute jedoch in eine Sackgasse. Aber vor 100 Jahren redete man wenigstens noch über die Wissenschaft der Organisation. Man organisierte nach einem festen Leitbild, nämlich dem des Taylorismus: Sämtliche Funktionen wurden optimiert. Es hieß: Die Summe der Teiloptima ergäbe automatisch das Gesamtoptimum. Heute wissen wir, dass dies falsch ist. Zudem bleiben dabei die „weichen“ Faktoren wie Motivation, Lieferzeit, Flexibilität, Gesundheit u.a. völlig außer Acht. Die heutige Wissenschaft für Betriebswirtschaft und Organisation hinkt der Praxis hinterher. Begriffe wie „Schlanke Organisation“, „Lean Management“ oder „Durchlaufzeitverkürzung“ kommen in der wissenschaftlichen Durchdringung des Alltags erst gar nicht vor. Es geht oft nur um die Lohnhöhe und stets um die Kosten - so wie schon vor 100 Jahren. Das ist nicht ausreichend, ja nicht einmal befriedigend. Die Einfachheit stellt derzeit kein Leitbild dar, weder für die Betriebswirtschaft noch die Organisatoren. Vermehrt müssen wir uns an die Globalisierungszwänge anpassen. Dafür suchen wir immer noch Leitbilder. Welches Leitbild wird vorgezogen? Nach welchen Vorbildern gestalten wir die notwendigen Veränderungen? Ist es die totale Vernetzung und EDV-Durchdringung? Oder sind es umfassende Kontrollsysteme? Raschheit statt Genauigkeit? Lassen wir neue Konzepte wie die Einfachheit der Organisation dabei weg? Die Wirtschaftswissenschaften haben inzwischen alles ganz genau untersucht. Sie nahmen jedoch zu keinem Zeitpunkt auf die schleichende Verkomplizierung Bezug. Einfachheit als Thema an sich existiert nicht in der traditionellen Wissenschaft. Im Gegenteil: Je komplizierter der Sachverhalt ist oder dargestellt wird, desto höher wird die wissenschaftliche Leistung eingeschätzt. Diese Ausarbeitung bietet Ihnen keine neue wissenschaftliche Theorie. Sie ist nur eine Warnung, um nicht in die „Komplexitätsfalle“ zu laufen. Sie enthält viele sehr persönliche Ansichten und wird allein aus diesem Grunde provozieren. Ich hoffe aber, eine ganze Menge von Organisationsproblemen theoretisch zu lösen; viele davon allein dadurch, dass sie durch das Vereinfachen gar nicht <?page no="16"?> 2 Einführung 8 mehr existieren. Theorie und Praxis klaffen weit auseinander. Die Praxis gewinnt jedoch. Sag, Freund, was ist Theorie? Man weiß es zwar, doch funktionieren tut es nie! Und was ist Praxis? Frag nicht dumm! Es funktioniert und keiner weiß warum! 2.5 Soll und kann man etwas ändern? Ich empfehle, eine natürlich entstandene Organisation nicht zu ändern. Alles, was auf natürliche Weise in langen Zeiträumen wachsen konnte, ist stabil und soll nicht wesentlich geändert werden. Darunter fallen alte Werkstätten, Bauernhöfe, viele kleinere Produktionsfirmen, Marktplätze, Wirtshäuser und vieles mehr. Vieles in einer Alltags-Organisation muss gar nicht geändert oder betrachtet werden. Wenn jemand zum Beispiel in die sich selbst organisierende Alltags-Einfachheit eines Marktes eingreift wird er scheitern. Diese gestaltet der Alltag oder - wenn man will - die Natur nämlich effizienter und menschlicher, nach den immer gleichen Gesetzen der natürlichen Gruppenorganisation. Kantinen, Meisterbüros, Gruppenarbeitsplätze, Märkte im engen und weiteren Sinn - dort läuft alles ohne Einwirkung von außen und ohne wissenschaftliche Durchdringung des Alltags nach kurzer Zeit effektiv, menschlich und nachhaltig. Wenn jemand jedoch die darüber liegenden Meta-Ebenen eines Systems nicht organisiert, wird er auch keinen Erfolg haben. Denn er fällt mit großer Wahrscheinlichkeit in die „Komplexitätsfalle“ und hat überdies das Risiko, von der Sprengkraft des exponentiellen Wachstums ausgehebelt zu werden. Mein Thema ist nicht die wunderbare, sich selbst organisierende Kompliziertheit der Natur, die der Musik und andere bewundernswerte Formen der Vielfalt. An die Strukturen der Komplexheit (Lit.: Rupert Riedl, Wien) wage ich mich nicht heran. Ich denke als Manager oder Berater nur dann über das Thema Einfachheit nach, wenn sich eine Organisation selbst im Weg steht und sich dadurch hindert zu wachsen, sich veränderten Bedingungen anzupassen und notwendige Leistungen unter verantwortbarem Verbrauch an Ressourcen zu erbringen. Wenn der Markterfolg gefährdet ist oder der Beitrag des Unternehmens für Umwelt und <?page no="17"?> 2.5 Soll und kann man etwas ändern? 9 Gesellschaft. Natürlich auch dann, wenn die Handlungsfähigkeit nach innen mit dem Ziel der Ertragssteigerung zum Erliegen kommt.. Nur wenn der Leser einige der folgenden Ausführungen für sich akzeptieren kann, empfehle ich ihm, weiter zu lesen. Wenn er nur wenig oder gar nichts davon akzeptiert, sollte er dieses Buch zur Seite legen oder an einen anderen ihm nicht gut Gesonnenen weiter schenken. Zum Wegwerfen halte ich das Buch für zu teuer. Aber in der Akzeptanz wenigstens einiger meiner Argumente findet der Mitleidende möglicherweise Genuss beim Lesen, weil er seine eigenen Erfahrungen bestätigt findet. Und vielleicht macht ihm das Ganze Mut, um in seiner Umgebung Einfachheit stärker zu fordern und im Kleinen dann auch durchzusetzen. <?page no="18"?> 3 Was steht auf dem Spiel? 10 3 Was steht auf dem Spiel? 3.1 Von Kompliziertheit und Komplexheit Eine Organisation ist einfach, wenn jeder die Zusammenhänge sofort versteht. Der Unterschied zwischen Komplexheit und Kompliziertheit erschließt sich nicht sofort. Im Folgenden wird alles Operative mit den Begriffen Kompliziertheit oder als Gegensatz dazu mit dem Begriff Einfachheit belegt. Komplexheit - im Weiteren hier als Begriff kaum noch verwendet - bleibt dem Anwender weitgehend verborgen. Sie liegt im Innenleben eines Systems, eines Organs oder einer Pflanze. Sie ist dadurch verdeckt und interessiert den Anwender im Alltag nicht. Ein Baum ist nicht kompliziert, er ist einfach zu beschneiden oder zu fällen, jeder Baum ist in seiner Art jedoch ein höchst komplexes Gebilde mit Wurzeln, Stamm, Ästen und Blättern, seinem Feuchtigkeitshaushalt und seiner Fähigkeit, Sauerstoff abzugeben, seiner Anpassungsfähigkeit an Lichtverhältnisse, Jahreszeiten, die Witterung und in vielem anderen mehr. Eine Uhr hingegen ist ein kompliziertes Gebilde, aber keineswegs komplex. - Wovon wir uns leiten lassen Es hat sich bewährt, ein schwieriges Thema durch Leitsätze einzuleiten. Hier sind einige zum Thema Einfachheit der Organisation: 1. Gute Organisation ist immer einfach. 2. KISS = Keep it simple and stupid. 3. Auch die großen Wahrheiten sind stets einfach, z.B. die Zehn Gebote. 4. Die Organisation sollte so flach und klar wie möglich sein, z.B. wie die Katholische Kirche (oder - pardon! - die Mafia). 5. Einfach denken ist eine Gabe Gottes. Einfach denken und reden ist eine doppelte Gabe Gottes. (Konrad Adenauer (1876 - 1967). 6. Wenn es gelingt, die Dinge einfach zu halten, können die Steuerungs- und Regulierungsmechanismen ebenfalls einfach sein (Fredmund Malik, St. Gallen). 7. Kontrolle ist gut - Vertrauen ist besser für die Einfachheit (Lenin konträr zitiert) <?page no="19"?> 3.2 Randbedingungen und Kosten engen uns ein 11 So griffig diese Leitsätze auch sein mögen, überall durchgesetzt haben sie sich noch lange nicht. Würden sie befolgt, würde die derzeitige Ausrichtung der Organisationen eine andere sein. Es wird ja immer noch eher verkompliziert als vereinfacht. Die Organisationen werden überfrachtet mit Details, sie haben Schnittstellen-(=Abgrenzungs-)Probleme von einer Abteilung zur anderen. Eine unbeherrschbare EDV (=Elektronische Daten-Verarbeitung) macht träge, teuer und passiv. Unsicherheiten, wie weit die Verantwortung reicht, die übliche Bürokratie mit Unmengen von Formularen in der Regel nur zur Absicherung, eine überbordende Kontrollwut und Unklarheiten in der Wertschöpfungskette sind unsere Probleme aufgrund der Kompliziertheit. Sie sind Futter für die Unternehmensberater. Die aktuellen Schlagworte lauten nicht: Zurück zur Einfachheit oder Ähnliches, sondern Finanzkrise, Globalisierung, asiatische Konkurrenz, IT-Unterstützung, Heuschrecken - mit solchen Schlagworten kann man überall die Diskussion an sich reißen. Einfachheit der Organisation, Bodenhaftung, Hausverstand mit wenigen und einfachen Regeln sind Themen, mit denen man in Diskussionen kaum punkten kann. Sie könnten jedoch die Randbedingungen und Kosten bestimmen. 3.2 Randbedingungen und Kosten engen uns ein Man kann kaum jemals nach eigenem Geschmack organisieren, völlig frei von vorhandenen Gegebenheiten, sozusagen auf der „Grünen Wiese“: Immer gibt es Randbedingungen, die beengen und einschränken. Eine davon bildet das internationale Umfeld, ausgedrückt durch Kürzel wie EU oder Brüssel. - Immer wieder Brüssel! Mit dem Stichwort „Brüssel“ werden heute viele Auswucherungen einer gefräßigen Bürokratie angesprochen. Der Krümmungs-Radius einer Gurke wird als Beispiel viel zitiert. Zwar wurde diese Regelung inzwischen aufgehoben, obwohl sie durch die mögliche Normierung der Verpackung sogar Sinn ergab. Aber die genormte Gurke wird noch lange die Stammtischgespräche beherrschen, wenn von Brüssel die Rede ist. Nicht diskutiert wird die Tatsache, dass in der EU schleichend das Germanische Recht mit seiner „Handschlag-Qualität“ ersetzt wird durch das Französische Recht, bei dem alles in Schriftform formuliert sein muss. Damit wird alles von allein bürokratischer und eben auch komplizierter. In den Betrieben müssen aus Gründen der Haftung, der Qualität, der Sicherheit, des internationalen Rechts immer mehr und immer häufiger aufwändige, schrift- <?page no="20"?> 3 Was steht auf dem Spiel? 12 liche, detaillierte Systeme eingeführt werden: Nur was schriftlich oder in elektronischer Art dokumentiert ist, ist Sache im Streitfall und kann vor Gericht berücksichtigt werden, wobei die Unternehmen dafür Sorge tragen müssen, dass die elektronischen Speichermedien auch nach mindestens zehn Jahren noch lesbar sind. Immer zu bezahlen sind die Aufwendungen in Form umfangreicher Dokumentationen der Qualitätsnormen (ISO 9001 ff, der Produkthaftung, der Sicherheit u.a.) - alles sind „Produktivitätsfresser“ und Faktoren, die alles verkomplizieren. Diese von oben angeordnete Bürokratie ist ein effizienz-mindernder, selten diskutierter, wahrscheinlich ungewollter und auch gefährlicher Übergang zur Kompliziertheit, selbst wenn man einfache Formen des Geschäftslebens beibehalten möchte. Auch „Brüssel“ ist somit ein Feind der Einfachheit. Durch Brüssel wachsen mehr oder minder unmerklich und laufend Bürokratie und Perfektionismus. - Aber auch Berlin ist nicht unbeteiligt Auch die Innenpolitik gebiert eine geradezu unglaubliche Bürokratie. Als Beispiel möge das Grundsatzprogramm einer unserer Volksparteien dienen. Es umfasst 770 Seiten, ist 4 kg schwer und muss weitere 2400 Änderungsanträge berücksichtigen. Wer will behaupten, alles gelesen zu haben und zu kennen? Alle Parteien beklagen die Bürokratie, sind aber offenbar selber recht anfällig dafür geworden. - Wachsen wir ins Unermessliche? In den nächsten 40 Jahren wird die Weltbevölkerung um etwa 2,5 Milliarden Menschen wachsen. Allein durch diese rechenbare Randbedingung werden die Veränderungen im weltweiten Wirtschaftskreislauf gewaltig sein. Niemand kann ernsthaft annehmen, dass wir ohne radikale Vereinfachungen unserer komplizierten Organisationen die künftigen Verteilungskämpfe überleben werden. Letztlich geht es hier nur um eine einzige Frage: Welche ist für mich die einfache, zum Überleben geeignete Organisation? Die Kompliziertheit steigt mit der technischen Entwicklung und der Anzahl der Mitspieler im globalen Wettbewerb automatisch, weil nicht nur die Beteiligten, sondern auch deren Beziehungen untereinander immer zahlreicher werden. Im Kleinen merkt man wie der Koordinierungsbedarf steigt. Im Großen büßen Manager und Politiker ihre Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten ein und werden immer weniger glaubwürdig. Niemand kann sich mehr so richtig durchsetzen. Manager und Minister sind nur noch die Moderatoren von Abstimmungen. <?page no="21"?> 3.3 Heimlich unheimliche Kosten 13 Mit welchen Organisationsformen sind die Herausforderungen der Zukunft zu bestehen? Das ist die einzig interessante Frage für den Manager. Seine Erfahrungen - ex definitione immer aus der Vergangenheit - werden in unserer sich stark verändernden Welt fast bedeutungslos. Dazu kommt, dass ja auch die Kosten für die Änderungen zu hoch sind! Vereinfachen kostet ja richtig Geld! Hier zeigt sich die alte Manager-Weisheit: Nur Leidensdruck verändert die Welt. Dieser Leidensdruck wird noch wachsen. Denn die Kosten werden unheimlich hoch werden. 3.3 Heimlich unheimliche Kosten „Komplexitätskosten - bitte, was ist das? “ Die Kosten für Kompliziertheit im Betrieb werden nirgends ausgewiesen: Es gibt für sie keine Zeile in der Buchhaltung oder im Betriebsabrechnungsbogen (BAB). Sie kommen im Rechenwerk einer Firma nicht vor. Das hat den Vorteil, dass jeder irgendetwas zu ihrer Höhe sagen kann, ohne Risiko eines Besseren belehrt zu werden. Niemand kennt aus diesem Grund die Einsparungs- und Leistungssteigerungs-Potenziale durch eine einfachere Organisation. Im Grunde spielen die Aufwendungen für eine komplizierte Organisation oder ein überbordendes EDV-System im betrieblichen Informationsaustausch keine Rolle, sie werden noch nicht einmal zur Kenntnis genommen. Der Abbau der Bürokratie in Firmen, Staat und Gesellschaft ist schwerer, als die einfachen Schlagworte signalisieren. Denn es gibt - die Zahlen sind der Tagespresse entnommen - allein 10.900 Vorschriften für gesetzliche Berichts- und Dokumentationspflichten. Allein aus 2.100 dieser Vorschriften resultiert eine Kostenbelastung von 27 Milliarden Euro jährlich für die deutsche Wirtschaft. Rechnet man die Belastungen durch EU- und Länderrecht hinein, könnten sich die Aufwendungen zur Bedienung staatlicher Bürokratie auf über 50 Milliarden Euro/ Jahr summieren. Diese Summe senkt die Gewinne der Betriebe, damit mittelbar auch die Steuereinnahmen des Staates. Die Aufhebung der „Pflicht zur Mitführung des Rinderpasses beim innerstaatlichen Verbringen des Rindes“ erspart den Bauern ca. 16 Millionen Euro pro Jahr, vergleichsweise wenig, nämlich nur 10.000 Euro pro Jahr hat es gebracht, dass die „Betriebsräume der tierärztlichen Hausapotheke“ nicht mehr kenntlich gemacht werden müssen. Die Fahrer von Kleinlastern bis 3,5 Tonnen Gewicht müssen demnächst nicht mehr die Lenk- und Ruhezeiten aufzeichnen. Die Transporteure sparen damit ca. 37 Millionen Euro pro Jahr ein <?page no="22"?> 3 Was steht auf dem Spiel? 14 „Bis zum Jahre 2011 sollen die Bürokratielasten um insgesamt 25 Prozent sinken. Damit könnte die Wirtschaft schätzungsweise bis zu 20 Milliarden Euro jährlich sparen.“ (DER SPIEGEL Nr. 31/ 2007; Seite 40). Daraus errechnen sich die Bürokratielasten auf 80 Milliarden Euro pro Jahr. Das entspricht ca. 30 Prozent des Bundeshaushalts - ein beachtliches Potenzial! Im gleichen Artikel wird ein konträres Beispiel erwähnt: Neue Regeln für Abschreibungen sollen dem Fiskus einmalig etwa 900 Millionen Euro an Mehreinnahmen bringen, während der Aufwand für die Unternehmen jährlich laufend mit 190 Millionen an „Bürokratiekosten“ veranschlagt wird. In etwa 5 Jahren wären durch die „Bürokratiekosten“ die Mehreinnahmen aufgefressen. Das fällt neuerdings auch dem so genannten Normenkontrollrat auf, der die Folgekosten und den Aufwand für die administrativen Lasten der Gesetze verringern soll. Das Gremium prüft, welche Regeln sinnvoll sind und welche den Bürgern, Betrieben und Beamten nur unnötige Lasten aufbürden. Er soll - mit anderen Worten - den deutschen Vorschriftendschungel durchforsten und lichten. Als Beispiel für die Wirksamkeit wird die Reform der Unternehmenssteuern genannt: Auf 156 Seiten in der alten Fassung werden 23 neue Informationspflichten für die Betriebe genannt, acht weitere für die Staatsverwaltung, neun für die Bürger. Abgeschafft werden sollen hingegen nur drei Informationspflichten. Es bleiben demnach 37 neue Vorschriften. Erst auf hartnäckiges Drängen des Rates wurden einige der bürokratischen Vorschriften aus dem Gesetz gestrichen. Das Jahressteuergesetz 2008 sieht 21 neue Informationspflichten vor, abgeschafft werden im Gegenzug nur 5. Ganz gleich, ob es um die Unternehmenssteuerreform, das Gaststättengesetz, die Fahrradverordnung, das Modellkommunengesetz die Verwaltungsreform oder das Abfallverbringungsgesetz geht: Es gibt für alles eine gute Begründung seitens der Lobbyisten, der Ministerien oder Fachabteilungen. So wird die Arbeit den Beamten nie ausgehen. Die Anzahl der Staatsdiener in Deutschland (Beamte, Angestellte und Arbeiter) pro hundert Einwohner schwankt zwischen 1,9 (Hessen) und 2,6 (Sachsen-Anhalt). In der Schweiz sind es im Durchschnitt nur halb so viele. Werden die Schweizer schlechter versorgt oder nur weniger gut verwaltet? Oder sind sie einfacher organisiert? 3.4 Gute Konzepte sind wirkungsvoll - aber rar Konzepte für einfache Organisation oder auch nur eine einfache Informations- Technologie (IT) gibt es nicht allzu viele. Da sind zum einen zu nennen die Berater-Konzepte für eine schlanke (= lean) Organisation. Dort ist in den letzten Jahren Respektables erreicht worden. <?page no="23"?> 3.4 Gute Konzepte sind wirkungsvoll - aber rar 15 Das sind zum anderen die Konzepte von Firmen und Produkten, die für sich selbst sprechen. ALDI ist groß geworden durch das firmeneigene Konzept zur radikalen Einfachheit. Das Konzept einiger finnischer Elektro-Artikel lautet: je weniger Teile, desto besser. Weiter das Konzept zur Einfachheit in der Konstruktion: Der Chef erlässt die Vorschrift, dass 30 Prozent der Teile eines neuen Produktes aus Gleichteilen bestehen müssen, wie es bei BMW praktiziert wurde. Zu nennen ist auch das neuerdings wieder diskutierte Konzept, jede neue Vorschrift mit einem Verfallsdatum zu versehen. Nur bei Bedarf wird sie dann erneuert. Typische Symptome ausufernder Kompliziertheit sind: Stillstand in der Firmenentwicklung, Verzweiflung der Mitarbeiter und des Managements, drückende Kosten, der dahin schmelzende Gewinn, der schrumpfende Marktanteil, das schlechte Betriebsklima, die Hilflosigkeit der EDV und der Berater, aber auch des „klassisch“ organisierten Controllings - alles vorhersehbare und erlebbare Wirkungen einer überbordenden Kompliziertheit. Ein gutes Beispiel für Einfachheit kann man der Geschichte entnehmen: Die Entstehung des berühmten Triumvirats in Rom. Im Jahre 60 v. Chr. in einfacher Handschlagqualität entstanden, war es ohne komplizierte Verträge sehr effektiv. Die jüngeren Herren Cäsar und Pompeius sowie der ältere, dicke Crassus - hier die Visionen und dort das Kapital - kamen in einer römischen Taverne (Kaffee gab es noch nicht) zusammen, konferierten (conferre = zusammentragen), trafen Entscheidungen, gaben sich die Hand und schufen letztlich so die Grundlagen für die Weltmacht Rom. Die gute und einfache Handschlagqualität? Wo gibt es sie noch? Beim Viehhandel! Neueste Beispiele für genial einfache Organisationen zeigen Ikea, ALDI sowie manche Standardprozesse der Airlines oder der Banken - das meiste Übrige ist in der Regel kompliziert. Handschlagqualität und Zuruf-Organisationen nach altem Muster sind wohl überholte Formen des Geschäftslebens. Sie werden nicht wiederkommen. Dafür haben wir IT-Spezialisten und Juristen, deren Ehrgeiz es ist, noch die letzte Ausnahme in Programm-Code oder in einen Gesetzestext zu gießen. Das sind zuerst einmal gut verdienende Feinde der Einfachheit. Da bleibt wenig Kraft für die Pflege der inneren Beziehungen einer Organisation. Wenn jedoch einfacher organisiert werden würde, wenn die inneren Beziehungen einer Vertrauensorganisation für Stabilität und Effizienz sorgen könnten, sänken die Kosten, weil die Kompliziertheit eingedämmt würde. Aufwändige Kontrollen könnten entfallen. <?page no="24"?> 3 Was steht auf dem Spiel? 16 Die Manager, im starren, tayloristischen Konzept des vorigen Jahrhunderts gefangen, die „überbezahlten Verwalter des Stillstands“, die Kostenkiller und Personal-Freisteller, die sollen nun plötzlich die inneren Beziehungen einer Organisation neu gestalten, die entstehende Einfachheit fördern, den Informationsfluss zwischen ihnen und ihren „Untergebenen“ neu gestalten, den - in ihrer Sicht - unterqualifizierten, launischen, faulen sowie unberechenbaren kleinen Angestellten und Arbeitern vertrauensvoll entgegen kommen? Das kann nicht funktionieren! Sie werden eher teure Überwachungssysteme installieren und damit die Komplexitäts-Kosten dauerhaft erhöhen. Sie werden die Kosten erhöhen und gleichzeitig die Produktivität senken. Die Prognose: Hier wird der langsame Tod der Firma eingeleitet. Kompliziertheit durch Kompliziertheit bekämpfen, das ist aufwändig und teuer. Der bessere Ansatz ist deswegen das Vereinfachen, z.B. durch Dezentralisieren, durch Aufteilen - kurz: durch Zerschneiden, um die einzelnen Teile wieder einfach und steuerbar machen. Bodenhaftung und gesunder Menschenverstand sind gute Wegweiser für Einfachheit. Im gelebten Alltag hält sich eh nichts was kompliziert ist. - Mitarbeiter können mehr! Die Mitarbeiter einer einfachen, dezentralen Organisation „auf Zuruf“ sind natürlich nicht die stumpfsinnigen, unausgebildeten Männer, die Henry Ford und sein Berater F. Taylor vor sich hatten, als sie die Firma Ford mit Hilfe des „Scientific Managements“ zur damals produktivsten Fabrik der Welt machten. Der heutige Mitarbeiter ist, zumindest in Europa, breiter veranlagt und einsetzbar. Er ist nicht der Spezialist in nur irgendeinem Fachgebiet, sondern schaut auch über seinen Tellerrand hinaus (siehe hierzu Abbildung 1). Dazu gehören auch als soziale Fähigkeit Teameignung und andere so genannte „weichen“ Faktoren. Einfachheit in der Organisation setzt voraus, dass die Menschen mitdenken, Eigeninitiative entfalten und in der Lage sind, sich selbst zu organisieren. Dies ist kein allzu hoher Anspruch, aber auch nicht selbstverständlich und jedem möglich. Man braucht viel Mut für das Vereinfachen. Der Vereinfacher kämpft gegen das Image des Inkompetenten und die psychologische Hürde, die mit jedem Wegnehmen verbunden ist. Außerdem wächst mit der Größe des Unternehmens die Kompliziertheit von selbst und zwar überproportional. <?page no="25"?> 3.4 Gute Konzepte sind wirkungsvoll - aber rar 17 Abbildung 1: T-Modell für Mitarbeiter-Qualifikationen Eine gute Frage an den jeweiligen Chef wäre: „Mit welcher Organisationsform werden Sie die zu erwartende Kompliziertheit bekämpfen? Welches sind Ihre Konzepte gegen engere Margen und die zunehmende Krisenanfälligkeit der Wirtschaft? Helfrich 20081214 T-Modell für Mitarbeiter-Qualifikationen Breite: soziale Fähigkeiten Tiefe: Fachkenntnisse Spezialistentum <?page no="26"?> 4 Komplexität - von Menschen gemacht! 18 4 Komplexität - von Menschen gemacht! Komplexität - eine ständig wachsende Hydra! Die zunehmende Komplexität machen wir selber, wir können ja gar nicht anders als zu organisieren und zu regeln. Es scheint sich um ein Gesetz zu handeln, weil alle Gesellschaften davon berührt werden, weltweit entsteht zunehmende Kompliziertheit. Einige Ursachen für unsere zunehmende Kompliziertheit sind schon skizziert, weitere finden sich in späteren Kapiteln. Die dort zitierten Ursachen haben viel mit psychologischen und soziologischen Gesetzmäßigkeiten zu tun. Die Historie erzählt vom allgemeinen Gesetz über Wachsen und Verfallen. Viel wird analysiert, wenig verhindert, nichts pragmatisch therapiert. Die mir in meiner beruflichen Praxis am stärksten begegneten Komplexitätstreiber sind die Folgenden: 1. Exponentielles Wachstum 2. Bürokratie und Perfektionismus 3. Technikglaube 4. Kommunikationsmängel 5. Gier und Irrationalität 6. Kontrollwut 7. Naturfeindlichkeit 4.1 Exponentielles Wachstum - die verhängnisvolle e-Kurve! Das exponentielle Wachstum sprengt jedes System. (Physikalisches Gesetz) Die stärkste Kraft der Welt ist der Zinseszinseffekt. (Albert Einstein, 1879 - 1955) Alles ist in unserer Zivilisation auf Wachstum ausgerichtet: Gesellschaft, Staatshaushalt, Firmen, Karrieren - alles! Über den Sinn von ununterbrochenem Wachstum wird seit den Veröffentlichungen des Club of Rome nicht mehr ernsthaft diskutiert, und wenn, dann ideologisch. Es gibt bisher kein Konzept einer Betriebswirtschaftslehre, die auch das Management eines negativen Wachstums lehrt. Möglicherweise sind wir alle Jünger eines Wachstumswahns im Kleinen wie im Großen. <?page no="27"?> 4.1 Exponentielles Wachstum - die verhängnisvolle e-Kurve! 19 Der olympische Gedanke des „citius, altius, fortius“ (schneller, höher, stärker) leuchtet über der westlichen Gesellschaft. Er erzeugt Wachstum und damit auch wachsende Firmen. Auch das Zinsgebot impliziert und fordert dauerndes Wachsen. Das Streben nach unendlichem Wachstum in einer endlichen Welt ist jedoch fatal. Es ist letztlich eine Utopie. Nichts kann ewig wachsen. Noch schlimmer als das lineare Wachstum wirkt sich das geometrische, das exponentielle Wachsen aus. Denn dort ergeben selbst kleine Prozentsätze im jährlichen Wachstum eine eindrucksvolle geometrische Reihe. Oder anders formuliert: Das Wachstum folgt dann nach einer e-Funktion. Dazu nur eine einzige Feststellung: Eine e-Funktion sprengt jedes System. Die Frage stellt sich nicht nach dem „Ob“, sondern nur nach dem „Wann“. Abbildung 2: e-Funktion In der westlichen Welt bilden alle Wachstumsraten kleine Prozentsätze in einer e-Funktion. Zum Beispiel sei das verhängnisvolle Wachstum der US-Immobilenfinanzierung herangezogen. Die offenen Hypothekendarlehen für selbst genutztes Wohneigentum sind über die Zeitachse von 1952 bis 2003 gesehen gemäß einer e-Funktion gewachsen. Auch die Immobiliendarlehen bei Ge- <?page no="28"?> 4 Komplexität - von Menschen gemacht! 20 schäftsbanken zeigen eine fast idealtypische Kurve für exponentielles Wachstum. Diese Kurve war und ist stets der Beweis dafür, dass hier ungesteuertes Wachstum ausufert. Die einzige Frage war und ist: Wann kollabiert dieses System? Sie hat sich inzwischen auf dramatische Weise beantwortet. Der Zusammenbruch an sich war stets so sicher wie das viel zitierte „Amen in der Kirche“. Die ebenfalls nach einer e-Funktion um ca. 90 Millionen jährlich wachsende Menschheit (täglich leben ca. 270.000 neue Erdenbürger, netto, also nach Abzug der Gestorbenen) macht die Organisation der künftigen Ver- und Entsorgung nicht einfacher. Diese wachsende Zahl ist für sich genommen schon ein Komplexitätstreiber. Es ist vor allem die Geschwindigkeit, mit der etwas wächst. Die typische Folge einer e-Funktion folgt aus deren einfachster Definition: „Verdoppelung in gleichen Zeitabständen“. Man kann das an der Entwicklung der Weltbevölkerung in den letzten 50 Jahren zeigen. Die Zahlen dazu: 1927 ca. 1,8 Milliarden, 40 Jahre später, im Jahre 1967 das Doppelte davon, demnach ca. 3,5 Milliarden und im Jahre 2007, wiederum 40 Jahre später sind es - das Doppelte von 3,5 - ca. 7 Milliarden. Wie viele Milliarden werden es im Jahr 2047 sein? Werden wir die errechneten 14 Milliarden erreichen oder kollabiert unser globales System vorher? Ungesteuertes Wachstum ist immer gefährlich, nicht nur beim Wachstum der Weltbevölkerung, sondern auch bei Krebszellen, Vorstädten oder Abfällen. Bekannt ist die Geschichte mit dem Reiskorn und dem Schachbrett. Der Erfinder des Schachspiels soll angeblich für seine Erfindung einen scheinbar billigen Lohn gefordert haben: Für das 1. Feld ein Reiskorn und für jedes weitere Feld doppelt so viele Körner wie für das jeweils vorangegangene Feld. Das ergibt auf dem 64. und letzten Schachfeld mehr als neun Trillionen Reiskörner. (Trillion = 10 hoch 15, das ist eine „1“ mit 15 Nullen). Das wäre wahrscheinlich Reis für mehr als sämtliche Lagerhäuser der Welt. Man kann sich das schlecht vorstellen, weil wir gelernt haben, nur linear zu extrapolieren, eine Entwicklung geradlinig in die Zukunft zu verlängern. Eine e-Funktion wirkt eben wie ein Tsunami: Eigentlich sind allen alle Zusammenhänge klar und dennoch ist die Situation lebensgefährlich. Alles wächst nach einer e-Funktion: die Weltbevölkerung, die Schadstoffe, die globale Erwärmung, das Bruttoinlands-Produkt (BIP), die Aktienkurse vor der nächsten „Blase“ - eigentlich alles, das nicht in irgendeiner Weise gedämpft oder „gemanagt“ wird. Unsere Lebensgrundlagen sind damit nicht auf Nachhaltigkeit ausgelegt - eine arge Bedrohung. Einige Institute und die UNO reden über diese Bedrohung, aber was wollen wir eigentlich mit diesen Bedenken-Trägern? Was richten sie aus? <?page no="29"?> 4.2 Bürokratie und Perfektionismus - geht es ohne? 21 Wird aber allein durch Wachstum schon alles komplizierter? Das Wachsen erzeugt ja noch nicht in jedem Falle Kompliziertheit. Wenn es jedoch z. B. die Anzahl der Gesetze oder Verordnungen sind, dann allerdings. Denn auch diese wachsen bei uns nach einer e-Funktion. Der juristische Standardkommentar zum gesetzlichen Kündigungsschutz in Deutschland umfasst inzwischen über 3000 Seiten. Ein einfacheres und übersichtlicheres Arbeitsrecht würden die meisten (61 Prozent) der befragten Unternehmen für hilfreich halten (Umfrage des Bayerischen Industrie- und Handelstages im Jahre 2006). Stattdessen wächst dieses Standardwerk vermutlich weiter und zwar - wer ist überrascht? - nach einer e-Funktion. Es gibt bei uns noch keine Erfahrungsgruppen für einfachere Lösungen hier oder dort. Auch in den Suchmaschinen wird man nicht fündig. Speziallösungen dagegen sind dort für alles und jedes zu finden. Man kann daraus erkennen, wie schwer es ein Vereinfacher heutzutage hat. Das liegt sicher nicht nur am willentlichen Bürokratisieren, sondern auch an einer größer gewordenen Welt und an der allgemeinen Beschleunigung des Lebens. Beides sorgt ohne weiteres Zutun für eine Zunahme der Kompliziertheit. 4.2 Bürokratie und Perfektionismus - geht es ohne? Bürokratie ist ein vielköpfiges Monster, dem immer wieder Köpfe nachwachsen (Altägyptische Weisheit) „Freiheit für den mündigen Bürger“ - „Weniger Bürokratie - Weniger Staat“ - „Wehret den Anfängen“ - „Steuererklärung auf dem Bierdeckel“ - das sind einige Slogans aus der Politik zu unserem Thema. Bürokratie ist notwendig für einen funktionierenden Staat. Eine überall gültige Ordnung verhindert die Ungerechtigkeiten der Herrscher früherer Zeiten. Für Max Weber war sie sogar das Ideal einer rationalen Herrschaft. Aber muss sie deswegen jedes Detail regeln und überproportional wachsen, oder sich gar nach einer e-Funktion vermehren? Nein, nicht notwendigerweise, jede Bürokratie arbeitet starr nach vorgegebenem „wie“, entscheidet jedoch langsam und liebt einen komplizierten Ausgleich im Konsens. So findet sie im erzwungenen Wachsen immer wieder Futter für die zunehmende Kompliziertheit. Sie ist dadurch mit sich selbst beschäftigt; sie benötigt keinen Input von außen, zum Beispiel in Gestalt eines Kundenauftrags oder einer Bürgeranfrage. Northcote Parkinson hat dies eindrucksvoll und ernsthaft durch seine Parkinsonsche Gesetze bewiesen, worauf noch einzugehen ist. Bürokratie ist durchaus mit einem Krebsgeschwür vergleichbar - Wachstum aus sich selbst heraus zum Schaden des Körpers, zum Schaden des Eigentlichen, des <?page no="30"?> 4 Komplexität - von Menschen gemacht! 22 Staates, der Firma oder in der Sprache der Industrie: zum Schaden der Wertschöpfung. Zur Bürokratie gehört die Perfektion der Nichtwertschöpfung und die Maximierung der eigenen Auslastung - koste es was es wolle. Wir perfektionieren die Datenverarbeitung, den Fuhrpark, das Lager, die Kontrolle, das Controlling, die Kennzahlensysteme etc. Darüber vergessen wir das Wesentliche, nämlich die Wertschöpfung, die eigentliche Arbeit zum Kundenutzen. Wir lassen teure EDV-Abteilungen als moderne Form der Bürokratie schalten und walten. Diese sagen dann: Ohne uns läuft hier gar nichts. Und verlangen immer größere Speicher und weitere Zusatzprogramme. Keiner hat Macht über diese Form zeitgemäßer Bürokratie. Das Ohnmacht-Gefühl der Menschen, das von der Bürokratie erzeugt wird, bestimmt die Diskussionen. Beschwerden nützen nichts, denn die EDV, Bürokratie und die Beamten überleben jede Beschwerde, jede Partei und jeden Minister. Der Bürger erstickt in einem Geflecht von Regeln und Gesetzen. Dem Nachbarn wird der Bau einer Solaranlage oder einer Dachgaube verwehrt. Das im Testament erwünschte Grabkreuz scheitert an der Friedhofsordnung. Das Konzert wird abgesagt, weil die Feuerwehrleiter zu kurz ist. Der Auftritt einer Musik- Kapelle wird von Berlin aus wegen eines winzigen Sicherheitsmangels abgesagt. Ein Weiterbildungsinstitut wird geschlossen, weil die Toilettenfenster 1,5 cm zu klein sind. Auf Gemeindeebene gibt es Aufpasser, die in die Gärten schauen, ob alles richtig im Sinne der neuen „Baumschutzverordnung“ angepflanzt ist. In Bayern überwacht dies sogar das Landratsamt, nicht die Gemeinde vor Ort! Kaum hat man eine Vorschrift weniger, wachsen zwei neue nach - Charakteristik der Hydra. Der Bürger irrt herum in einem Labyrinth aus unverständlichen, kaum jemals komplett bekannten Verordnungen. Dagegen hilft nur die Auflehnung. Aber wer gründet als Familienvater schon eine Bürgerinitiative? Wer hat die Zeit und - vor allem - die Kraft dazu? So wird nur das Entstehen einer immer komplizierteren und rigider werdenden Bürokratie beklagt, deren vornehmliches Ziel ihr eigenes Fortbestehen ist. Die Bürokraten haben immer den Sachzwang auf ihrer Seite. Jedenfalls fühlen sie sich wie eine Art Gutmensch - jedes Einschränken ihres Tuns bewirke nachweisbar Negatives, behaupten sie. Die Bürokratie erzeugt Stillstand, ja Unbeweglichkeit. Die Staatsbürokratie ist erfahrungsgemäß stärker als Präsidenten und Manager. Diese haben es schwer, beweglich zu erscheinen. Das wiederum macht man ihnen zum Vorwurf. Es gibt weltweit nirgends überzeugende, vor allem nachhaltige Programme zum Bürokratieabbau. Es sei denn, man bezeichnet eine Revolution, nach der alles von vorne beginnen muss, auch als ein Programm dafür. <?page no="31"?> 4.2 Bürokratie und Perfektionismus - geht es ohne? 23 Heute ist die Perfektion erreicht: Jede Ausnahme wird im EDV-System erfasst oder außerbetrieblich in Gesetzes-Texte gegossen. Juristen und IT-Leute regeln noch jede Ausnahme. Das ist gut und wird vom Zeitgeist erwartet, denn dies ist gute Arbeit, es ist die Perfektion. Die Kompliziertheit ist system-immanent. Sie hat die Weihen der Wissenschaftlichkeit. Die Wirklichkeit ist im Modell abgebildet und zwar total und perfekt. Alles ist geordnet und geregelt. Was kann es Besseres geben? Einfachheit sieht anders aus. Dazu ein Alltags-Beispiel: 40 Garagenplätze sind frei geworden. Die erste Idee für deren Zuteilung lautete: Wer als Erster kommt, parkt und wer als Letzter parken möchte, muss zusehen, wo er bleibt. Das wäre die einfachste, weil natürlichste Form einer Parkordnung; sie erfordert überhaupt keine Verwaltung. Dann wachsen die üblichen Bedenken: die allein erziehende Mutter, der Präsident, der Sonderfall …. Was passiert? Eine detaillierte Parkordnung wird mühsam geboren, danach die Überwachung eingerichtet und dennoch ist kaum einer zufrieden, weil es immer wieder vorher nicht bedachte Ausnahmen gibt, z.B. einen Stau. Jetzt muss die Parkordnung verfeinert werden. Eine Arbeitsgruppe wird eingerichtet. Alles klar? Irgendwann sind dann alle Mitarbeiter in Arbeitsgruppen untergebracht. Für die eigentliche Arbeit bleibt immer weniger Zeit und Kraft. Die Folge wird sein - in die Zukunft gedacht - der spätere Absturz der Firma durch ihre verminderte Produktivität. Die Einfachheit war vorher längst verschwunden. Auf die Suche nach der verlorenen Einfachheit wird sich niemand machen, denn die Ursache des Absturzes wird niemandem bewusst werden. Wir produzieren auf staatlicher Ebene eine Novelle zur Novelle, beide in einem unverständlichen Deutsch geschrieben. Nur noch einige Spezialisten überblicken und verstehen das Ganze. Eine Missachtung der einfachen Sprache und eines ursprünglich einfachen Zusammenhangs durch die Bürokratie treibt jede Organisation über kurz oder lang in die „Komplexitätsfalle“. Über der eigentlichen Arbeit, der Wertschöpfung, wölbt sich zur Freude von Beratern sowie der vielen Spezialisten ein anonymer Apparat, der nicht nur Geld verschlingt, sondern Kompliziertheit erzeugt. Der Apparat des so genannten Gesundheitswesens hat z. B. mit der eigentlichen Leistungserbringung, der Wertschöpfung zwischen Arzt und Patient gar nichts mehr zu tun. Warum aber kümmert sich dieser Apparat, bestehend aus Politik, Krankenkassen, Pharma- Industrie, Verbänden, Apotheken sowie vielen anderen im Detail um diese Wertschöpfung? Denn dieser ganze Apparat leistet nichts dafür. Er verwaltet und koordiniert ja nur. Verwalten und Koordinieren, die Urfunktionen von Bürokratie und Perfektionismus treffen hier ungestört aufeinander. Der Gesetzgeber ist längst machtlos und versucht nur noch durch „Deckelung“ des Ganzen das exponentielle <?page no="32"?> 4 Komplexität - von Menschen gemacht! 24 Wachstum des Systems zu bremsen. Hier ist die neue Einfachheit wie kaum irgendwo sonst gefragt! Alle Anstrengungen der Bürokratie-Bekämpfung im so genannten Gesundheitssystem wie auch sonst sind bisher verpufft. Die bisherigen Programme zum Bürokratie-Abbau haben alle versagt. Nur in gewissen Phasen einer Entwicklung scheint es zu gelingen, die Bürokratie wirksam und nachhaltig zu stutzen. Statt des geplanten Abbaus gibt es sogar neue Stellen mit komplizierten Anweisungen zur Bürokratie-Bekämpfung. Eine Hydra nährt die andere - ein phantastisches Bild. So wächst die Kompliziertheit und die Einfachheit stirbt dabei einen langsamen, schmerzhaften Tod, zum Nachteil der gesamten Gesellschaft. Das Interessante: keiner nennt die wahre Ursache der künftigen Engpässe. Vielleicht nur, weil er sie nicht kennt? Während vom Machtzentrum einer Bürokratie andauernd neue Regeln in Form von Anweisungen, E-Mails mit dringenden Bitten, ja Forderungen um weitere Informationen zu den Arbeitenden, den Wertschöpfenden fließen, strömen von dort die geforderten Informationen ins Machtzentrum zurück: Kosten, Planabweichungen, Termine, geleistete Arbeiten, Fragen und offene Punkte, Informationen jeglicher Art, meist in Form von Excel-Tabellen. Gewonnen ist viel an Daten und nichts an Weiterentwicklung, Marktanteil oder gar Ertragssteigerung. Im Gegenteil: Schritt für Schritt vernachlässigen Bürokraten die wertschöpfenden Arbeiten weil sie für ihre perfektionierenden Arbeiten immer auf ihre Zuarbeiter angewiesen sind. So verlieren sie die Bodenhaftung. Zusammen mit fehlenden Hausverstand und komplizierten Regeln gibt dies eine idealtypische Voraussetzung für Kompliziertheit, die - wer ist überrascht - nach einer e-Funktion wächst. - Das Parkinson’sche Gesetz von 1957 war kein Jux! Das Parkinson’sche Gesetz geht davon aus, dass eine Bürokratie ohne Arbeitsbelastung stärker wächst als eine, die viel Arbeit bewältigt. Arbeit lässt sich nämlich dehnen wie Gummi, keine Arbeit ebenso. Northcote Parkinson wies statistisch nach: Jede Arbeit dehnt sich in genau dem Maß aus, wie Zeit für ihre Erledigung zur Verfügung steht - und nicht in dem Maß, wie komplex sie tatsächlich ist. Daraus schloss Parkinson auf einige Lehrsätze, von denen ich nur drei zitiere. Diese haben für viele Büros immer noch Gültigkeit: 1. Beamte oder Angestellte wünschen die Zahl der Untergebenen zu vergrößern, nicht jedoch die Zahl ihrer Rivalen. 2. Beamte oder Angestellte schaffen sich gegenseitig Arbeit. <?page no="33"?> 4.2 Bürokratie und Perfektionismus - geht es ohne? 25 Ein weiterer Lehrsatz von Parkinson lautet: „ Ausdehnung bedeutet Komplexität und Komplexität Verfall.“ Jede neue Organisation einer Firma dehnt sich aus, ist aber zu Beginn noch nicht kompliziert. Sie ist im Gegenteil extrem einfach. Pioniere schätzen Einfachheit. Es ist die schwungvolle, höchst effiziente Pionierphase. Dann wächst die Firma, wird unübersichtlicher, anonymer und komplizierter. Sie benötigt deswegen die ersten Steuer- und Kontrollmechanismen, z.B. eine Struktur, eine Buchhaltung, ein Controlling etc. Einige Zentralfunktionen werden eingeführt: Personal- und Rechtsabteilung, Stellenbeschreibungen dafür, Regulierungen, Arbeitsabläufe u.a. Die damit verbundene überproportionale Zunahme der Gemeinkosten ist zunächst kein Problem. Die zunehmende Kompliziertheit wird lange Zeit nicht thematisiert, sie wird ja auch nur von wenigen bemerkt. Erst in einer späteren Phase, wenn das Großsystem längst eingeführt ist, wenn es die üblichen Abgrenzungsprobleme und Unklarheiten gibt, wird aus lauter Verzweiflung der Auftrag erteilt, die Prozesse (= Ablauforganisation) zu straffen. Damit verbunden ist die Forderung, sie digital abzubilden. Dann - so meint man - kann man sie erst erkennen und am Bildschirm, sozusagen im Labor, neu ausrichten. Die Kompliziertheit wird also zuerst mühsam erfasst, um sie dann abbilden zu können. Möglicherweise wird hier der Teufel mit dem Belzebub ausgetrieben. Mit Einfachheit hat dieser merkwürdige Therapieversuch nichts zu tun. In Wirklichkeit ist hier das Management wieder einmal mutlos in eine teure Komplexitätsfalle geraten. Es wird digitalisiert, selbst der so genannte Management- Prozess wird auf diese Weise behandelt und nachhaltig verkompliziert. Auf diese Weise wurde in den betroffenen, vornehmlich größeren Unternehmen schon viel Kapital vernichtet. Diese Systeme zur totalen IT-Abbildung vergessen den eigentlichen Unternehmenszweck: Geld zu verdienen, indem für den Kunden unverwechselbar günstige Leistungen angeboten und verkauft werden. Bürokratie und Überorganisation entstehen vor allem dann, wenn sich die IT und die Verwaltung, der „Wasserkopf“ also, nicht mehr mit der Wertschöpfung beschäftigten. Die einen tragen Krawatte und sitzen im 10. Stock, die anderen arbeiten in der Werkhalle, wo Krawatten verpönt sind. Man kennt sich kaum und schreibt sich lieber E-Mails als miteinander zu reden. Die gegenseitigen E- Mails, Aktenvermerke und Protokolle entfernen sich vom eigentlichen Geschäftszweck und entwickeln ein Eigenleben - die Charakteristik jeder größeren Verwaltung. Die Bodenhaftung ist dadurch verloren gegangen. Die gegenseitigen Abhängigkeiten sind jedoch bereits so groß, dass ein Zurückschneiden auf den ehemaligen, einfach organisierten Zustand schwierig, ja in vielen Fällen ohne „Machete“ unmöglich ist. <?page no="34"?> 4 Komplexität - von Menschen gemacht! 26 Besonders umständlich wirkt die Bürokratie, wenn sich über dem „Punkt der Wertschöpfung“, in der Werkhalle also, mehrere Ebenen gebildet haben, die untereinander mit komplizierten Regeln und Kombinationen von Abhängigkeiten verbunden sind. Wenn also eigentlich niemand mehr das ganze verflochtene Gebilde durchschaut und Veränderungs-Möglichkeiten anbietet, um eine vorhersehbare Wirkung zu erzeugen. Das System ist damit unsteuerbar geworden und folgt eigenen, den Betroffenen unbekannten Gesetzen. Dazu ein Beispiel aus dem Bankenbereich: Der Kreditgeber kennt das Produkt nicht, das er eingekauft hat und jetzt verkaufen will. Und er kennt auch seine Schuldner nicht, deren unterschiedlich abgesicherte Verbindlichkeiten im Produkt gebündelt wurden. Das ist, als ob ein Controller die Werkstatt und die hergestellten Erzeugnisse nicht kennt. Beide sind weit entfernt vom Punkt der Wertschöpfung und kennen weder Produkt noch dessen Entstehung. Jetzt muss kontrolliert werden. Schon entstehen Leerlauf und möglicherweise sogar Unsteuerbarkeit. Der Kontrollapparat überwuchert bald alles. Damit wächst das Krebsgeschwür der Bürokratie, es wächst der Wasserkopf. Das kann eine kompliziert denkende Abteilung Controlling oder „Entwicklung und Konstruktion“ sein, eine gegenseitige Abhängigkeit von Verbänden und Hauptverbänden oder das kann eine undurchsichtige, weltweit verbundene Abhängigkeit von Finanzmärkten sein. Alle Verwaltungen und Organisationen, die in einem lokalen oder gar globalen Netzwerk operieren, neigen dazu, kompliziert zu werden. Das bedeutet: Sie entwickeln Eigengesetzlichkeiten, die es der Führung verunmöglichen, einzugreifen und zu verändern. Ergebnis-Orientierung wird niemand dazu sagen wollen, es sei denn, man akzeptiert als Ergebnis schon eine saubere, effiziente und vielleicht sogar korruptionsfreie Verwaltung an sich. Weil unsere post-industriellen Gesellschaften eine ganze Schicht von gut verdienenden Bürokratie-Bedienern hervorgebracht hat, wird sich am Wachstum der Bürokratie auch nichts ändern. Die Substanz- oder Realwelt, dort wo „Wert geschöpft oder gearbeitet wird, dort wo - um ein Bild zu gebrauchen „die Späne fliegen „- ist immer einfach organisiert, denn dort kann sich gar keine Kompliziertheit halten. Der betriebliche Alltag vereinfacht alles. Die Substanzwelt ist listig, stark und subtil im Abwehren jeglicher Kompliziertheit. Dagegen steht die Spekulationswelt. Dort sitzen Leute, die den Bezug zur Substanzwelt - zur Welt also, in der gearbeitet wird - längst verloren haben und auch gar nicht erst suchen. Ja, ich nehme sogar an, dass diese personifizierten Komplexitätstreiber jeden, der im klassischen Sinne arbeitet und einen Mehrwert erzeugt, ein wenig verachten. Diese „master of universe“ sonnen sich in dem Bewusstsein, dass viele der Produkte (Derivate, Hedge-Fonds-Produkte u.a.) von den meisten gar nicht verstanden werden. Möglicherweise auch nicht von allen Angehörigen der Spekulationswelt. <?page no="35"?> 4.3 Kann die Technik alles - und darf sie es? 27 Sie nutzen die Technik der globalen Informationsübermittlung, um ihre Transaktionen durchführen zu können. Ohne diese Technik gäbe es weder diese Art der Globalisierung noch die Finanzkrise. 4.3 Kann die Technik alles - und darf sie es? Wir haben bisher noch jedes Problem gelöst und wir werden auch in Zukunft alle Herausforderungen meistern. Alles ist machbar. Man wird alles, was heute noch fehlt, rechtzeitig erfinden. Neue Werkstoffe, neue Energiequellen, Süßwasser-Versorgungen, Präparate für heute noch unheilbare Krankheiten etc. - alles! Das ist der Technikglaube, der viel Begeisterung erzeugt, aber auch viel Komplexheit antreibt. Denn die Welt wird artifiziell. Wohnhäuser unter Wasser oder auf dem Mond, künstliche Nahrung aus Algen - kein Problem, die Technik wird das ermöglichen. Der Kopierer, der Kaffee kochen kann, scannen und drucken, löst ein Problem, schafft aber gleichzeitig zwei bis drei neue. Die Technik an sich ist komplizierter geworden. War eine alte Dampflok schon ein Wunderwerk der Thermodynamik und der Fahrzeugtechnik, so sind die heutigen Lokomotiven Wunder des Fahrzeugbaus sowie der Elektronik. Ein Zurück ist nicht möglich, nicht einmal denkbar. Auch die Computertechnik ist kompliziert; sie hat unser Leben von Grund auf verändert. Und es ist immer noch kein Ende der Entwicklung absehbar. Selbst eine Zahnbürste und das Fahrrad schienen am Ende ihrer Entwicklung angelangt zu sein. Und was passiert? Sie werden wieder verkompliziert! Die Zahnbürste mit Elektromotor, links und rechts drehend, mit verschiedenen Aufsätzen, und das Fahrrad mit allerhand auto-ähnlichen Zusatz-Funktionen. Es fehlen eigentlich nur noch das Dach, Bremslicht und Blinker. Das aufsteckbare Navigationsgerät ist auch schon erfunden. Die Organisation bedient sich dieser atemberaubenden technischen Entwicklung in Form von Computern, Netzwerken, Digitalisierungen etc. Oft wird daraus eine Flucht in die Technik, in das EDV-System, in die IT-Unterstützung. Diese Flucht erzeugt - wenn auch ungewollt - Kompliziertheit. Schon einfache Arbeiten wie z.B. die Vorgänge in der Buchhaltung, benötigen in Sonderfällen den IT-Spezialisten. Denn es gibt den Sachzwang des Systems, der viele Verkomplizierungen verursacht. Hier seien einige Alltags-Beispiele für diese ungewollte Verkomplizierungen der Technik angeführt: Man kauft eine neue Waschmaschine und wünscht sich 3 Programme, man bekommt jedoch 27. Man will eine Zahnpasta und steht ratlos vor dem Regal mit 69 verschiedenen Tuben zur Auswahl. <?page no="36"?> 4 Komplexität - von Menschen gemacht! 28 Man will ein Fahrrad, weil das alte verrostet ist, und muss unbekannte Fragen beantworten: Wofür, für welche Wegebeschaffenheit, mit welchem Gepäck, mit welcher Gangschaltung, aus welchem Material, welches Gewicht. Man beschafft sich ein neues Handy und bekommt ein Multifunktionsgerät, das man eigentlich nicht wollte und zuerst auch nicht bedienen kann. Die Verwirrung ist jeweils ungeheuer. Sie sorgt für Frustration und Unlust, ja sogar auch ein wenig für Verdrossenheit durch die ständige Überforderung. Die Technik wird immer anwenderfeindlicher und damit entwürdigend. Wir sind umgeben von Technik, die uns ausgrenzen, erniedrigen und vielleicht sogar abstrafen will. Gebrauchsanweisungen preisen das Produkt und sind zu fachlich getextet, um für jedermann verständlich und praktikabel zu sein. Alles ist umständlich formuliert und - weil fortschrittlich! - mit Fremdworten garniert. Komplizierte Technik wird häufig gleichgesetzt mit Wissenschaftlichkeit. Je mehr Komma-Stellen beim Messen der Temperatur oder des Blutdrucks, bei der Sekundenanzeige der Armbanduhr, bei der Angabe der Durchlaufzeit in Minuten etc., desto genauer ist das Ergebnis und desto besser fühlt man sich auch. Der Zeitgeist unterstützt diese Genauigkeit, obwohl schon Henry Matisse (1869 - 1954) sagte: Genauigkeit ist nicht Wahrheit. Oft ist die Angabe des Trends oder eine grobe Anzeige viel nützlicher, weniger aufwändig zu erreichen und damit eben auch einfacher. Die Kompliziertheit der Technik hat den berühmten Flop beim Internetfernsehen der Deutschen Telekom bewirkt. Die Technik ist weiter entwickelt als der Markt oder - besser - die Kunden. Dabei ist die Unterhaltungsbranche eigentlich bekannt für leicht zu bedienende und einfache Geräte, mit Ausnahme der Video- Recorder. Davon kann derzeit keine Rede mehr sein. Nur Apple verwöhnt seine Kunden durch einfach zu bedienende Geräte. Die Einfachheit der Bedienung ist wohl der wichtigste Wert der Technik in der Unterhaltungsbranche. Jetzt kommen die komplizierten Techniken Betriebssystem und Internet-Schnittstelle ins Wohnzimmer. Wie soll das jemals ohne Vereinfachung funktionieren? In der IT schwingt auch heute noch der alte Wunderglaube mit, sie sei Alles- Könnerin und würde - richtig eingesetzt - alle Organisationsprobleme lösen. Ihr zuliebe werden Hausverstand und Einfachheit geopfert. Hauptsache ist dabei, dass das multifunktionale, integrierte Groß-System redundanzfrei arbeitet, alle Daten aktuell sind und die Übergänge (= Schnittstellen) zu den Add-Ons (= Zusatzprogramme für spezielle Einsatzgebiete) gut bedient werden. <?page no="37"?> 4.4 Auch Kommunizieren wird immer komplizierter 29 Nach Einfachheit und Wertschöpfung wird nicht gefragt, ja es wäre eine Art Blasphemie. IT-Spezialisten befriedigen ihren Ehrgeiz in der Behandlung der allerletzten Ausnahme. Die 110-Prozent-Lösung ist derjenigen mit 90 Prozent überlegen. So wird alles zwangsweise immer komplizierter. Den IT-Chef, der als Standard-Antwort auf die unendlichen Begehrlichkeiten seiner Programmierer ein dauerndes, schlichtes „Nein“ hat, gibt es (noch) nicht. Durch Systeme und Technikeinsatz wird alles komplizierter, allein weil alles größer wird: weltweite Netze, globale Unternehmen, die Verschlüsselungstechnik mithilfe von Zufallsgenerator und 256 Bit - Codierung etc. Es gibt kein Zurück. Die Technik wirkt jedoch nach beiden Richtungen: Sie kann auch zum Vereinfachen genutzt werden, zum Beispiel bei elektronischen Zugangsregelungen, im Bankverkehr oder beim Telefonieren, mit oder digital übertragenem Bild. Das sind durch die Technik ermöglichte neue Formen der Kommunikation. 4.4 Auch Kommunizieren wird immer komplizierter Je weniger Meetings anberaumt werden müssen, desto besser ist die Organisation (Berater-Erfahrung) Gute Kommunikation funktioniert von alters her in kleinen Räumen, auf Marktplätzen, in Hütten, auf der Eckbank - überall wo Menschen körperlich eng zusammenrücken müssen. Kommunikation, das „Reden-Miteinander“ ist ohne Frage essentiell für ein gutes Leben und auch unerlässlich für eine wirksame Organisation oder, wenn man es umständlicher ausdrücken möchte, für die Gestaltung und Lenkung irgendeines sozialen Systems. Die beste Kommunikation ist wohl diejenige, die natürlich entstanden ist, aus Sympathie, Notwendig- oder Nützlichkeit und die formell gar nicht gebraucht wurde. Es hat sich alles von selbst geregelt. Alles ist einfach geworden ist: keine Weisung „von oben“, nur noch wenige Sitzungen, keine Abstimmungen, keine routinemäßigen Koordinationen etc. Heute wird modern mit Hilfe der Technik vorzugsweise digital kommuniziert. Wie sieht die digitale Kommunikation in unseren Betrieben aus? Die gut ausgebildeten, arbeitsfreudigen und loyalen Mitarbeiter sitzen von früh bis spät fast regungslos vor dem Bildschirm und - wenn sie reden - dann nur zwischen Tür und Angel oder im Lift. Dort kann man naturgemäß nur wenige Worte wechseln. Es entstehen auf diese Weise keine unternehmensweiten Zusammengehörigkeits-Gefühle, sondern eher kleine Zellen mit einer kommunikationsfeindlichen, jedoch für den Zusammenhalt der Zelle wichtigen Abschottung nach außen. Diese vielen kleinen Zellen müssen jedoch für das große Ganze koordiniert werden. So entsteht wieder wichtige Arbeit für die Manager! Denn diese sind ja <?page no="38"?> 4 Komplexität - von Menschen gemacht! 30 für die Koordination und Kommunikation zuständig. In dieser Situation wird der Manager als zentrale Anlaufstelle wichtig: Ohne ihn läuft nichts, nicht einmal die Verständigung untereinander. Eine Organisation arbeitet jedoch nur dann einfach genug, wenn sie im Alltag auch ohne Chef funktioniert. Eine neue Regel muss dann nur einmal und nicht ständig kommuniziert werden. Sobald die betriebliche Kommunikation zum Thema gerät, wird automatisch viel Kompliziertes angesprochen, bis zur „Kybernetik komplexer sozialer Systeme“. Plötzlich ist nicht die mehr Digitalisierung in Echtzeit über alle Grenzen hinweg das Thema, sondern die Steuerung im sozialen Bereich, die Gestaltung der Zusammenarbeit von Menschen. Das ist mehr als die Informationsübermittlung von A nach B und wieder zurück, das ist auch mehr als Interaktivität. Digitale Kommunikation als Hohelied der Internet-Gemeinde ist ein komplexes Gebilde, das eigenen Gesetzen folgt und sich der bewussten Steuerung weitgehend entzieht. Die ungezählten, nicht mehr zu überblickenden Blogs im Internet zeigen das recht eindrücklich. Die einfache Kommunikation, die Bereitschaft sowie Fähigkeit des persönlichen Miteinander-Redens scheinen derzeit zu verkümmern. Seminare über dieses Ur- Thema menschlichen Zusammenlebens haben Hochkonjunktur. Dabei wäre es fast schon eine Provokation, über dieses Thema nur ein einziges Wort zu verlieren; gehört doch die Bereitschaft des Individuums, mit der Außenwelt zu reden und sich auszutauschen, zu den Urtrieben des Menschen. Nur Einsiedler und Höhlenmenschen kommunizieren nicht mit ihrer Umwelt. Sind die heutigen Büromenschen vielleicht auch alle Einsiedler? Der normale Tagesablauf eines Bürokraten verläuft etwa so: Allein mit dem Auto stau-gebremst ins Büro fahren, Bildschirm anwerfen, E-Mails schreiben - insbesondere die Defensiv-Mails, damit man „aus dem Schneider“ ist - abfragen sowie beantworten, die verschiedenen Aufgaben - heimlich auch die Spiele und anderes! - durchklicken, zum Essen gehen mit der üblichen, langjährigen Kleingruppe, heimfahren, wieder alleine im Auto, im Radio eines der drei Programme hören und abends dann endlich „entspannen“ mit ausgiebigem Fernsehen. Wo bleiben bei diesem vereinzelten Massenmenschen das natürliche Kooperieren und Kommunizieren? So werden die Menschen trotz oder wegen der digitalen Kommunikationsmöglichkeiten immer einsamer. Die Psychologen können darüber viel erzählen - eine kranke Gesellschaft, die nicht mehr miteinander redet und sich dafür als Ersatzbefriedigung im Verkomplizieren auslebt, als Spielwiese und als Selbstbestätigung. Die natürlichen Eigenschaften des „Miteinander-Lebens“ werden im leistungsorientierten Zusammenleben durch die bildschirm-unterstützte Vereinzelung des Mitarbeiters immer mehr infrage gestellt. Wo kann der Einzelne vor dem Bildschirm noch so etwas wie Gemeinschaft spüren? Wenn dann noch ein machtneurotischer Chef dazu kommt, wird die Situation ziemlich entwürdigend. Sie macht bald sogar krank und fördert weder Kooperation, Kommunikation noch Einfachheit. Jeder versteckt sich, damit der Blitz nicht bei ihm einschlägt. <?page no="39"?> 4.5 Wir werden Opfer von Gier und Irrationalität 31 In einem solchen Klima wächst nichts mehr. Bald muss ein Berater für die „corporate identity“ eingeflogen werden und ein Mediator versuchen, die Spannungen abzubauen. Nur jeder vierte Konzern nutzt hierzulande die Verbesserungsvorschläge und Tipps der Mitarbeiter. Das größte Hemmnis für eine erfolgreiche Umsetzung der Mitarbeiter-Ideen sind die Führungskräfte, die offenbar vor lauter Selbstüberschätzung keinen Wert auf das Wissen der Mitarbeiter legen. Die Anti-These dazu lautet: „Nur Unternehmen mit zufriedenen Mitarbeitern sind auf Dauer auch produktiv“. Kommunikation ist ja vom lateinischen Wortstamm her schon etwas Gemeinschaftliches. Dieses Gemeinschaftsgefühl herzustellen, ist die Aufgabe der früheren Chefs gewesen. In der Familie waren es vor allem die älteren Frauen, die das Gemeinschaftsgefühl, das Miteinander zu pflegten. Wenn diese reifen Persönlichkeiten, diese familiären Kommunikationszentren gänzlich ausgestorben sein werden, bekommen die Psychotherapeuten wieder viel Arbeit. Dann nämlich ist dieser Gesellschaft etwas abhanden gekommen, was sehr einfach und sehr wirkungsvoll Stabilität nach innen und außen erzeugt hat: Einfache, beseelte Kommunikation für nachhaltige Stabilität. Die real existierende, digitale Kommunikation ist damit ein weiterer Feind der Einfachheit. Ein moderner und ein unerkannter zwar, aber ein sehr, sehr wirkungsvoller! Eine natürliche Arbeitsgruppe mit allen Kennzeichen für ein harmonisches internes Arbeitsklima - das ist an sich schon ein Trumpf, mit dem jeder wuchern kann. Sie zu führen ist denkbar einfach: Das Vereinbaren des Zieles genügt. Kompliziertes Kommunizieren und Koordinieren wird überflüssig. Demokratische Abstimmungen sind natürlich Feinde der Einfachheit. Alles wird wiederholt, jeder darf, ja muss sogar mitreden. Das macht insbesondere die Politik so kompliziert. Man wird selbst als Gestaltender Opfer, vieles ist Irrational. 4.5 Wir werden Opfer von Gier und Irrationalität Manager darf man nicht mit theoretischen Problemen behelligen; sie sind viel zu beschäftigt, ihre Macht zu festigen. (Erfahrung) Gier ist menschlich. Aber auch human? Ist Gier unanständig? Sie ist die Triebfeder für wirtschaftliches Handeln, das über den Eigenbedarf hinaus reicht. Falsch wäre es, das Zusammenbrechen von Blasen auf dem Aktienmarkt nur der Gier und dem Leichtsinn zuzuschreiben. <?page no="40"?> 4 Komplexität - von Menschen gemacht! 32 Denn niemand wird einen neuen Menschen schaffen, dem jegliche Gier fremd ist und der edel, hilfreich und gut nur der Gemeinschaft dient. Dieses Leitbild wäre irrational. Der Gierige, der sich ohne Regeln austoben kann, wird gern komplizierte Produkte in die Welt setzen, die nur ihm nützen. Das wissen wir seit der Finanzkrise. Schwer zu durchschauende „Produkte“ haben diese Finanzkrise verursacht. Niemand war in der Lage, diese langsam entstehende Krise zu steuern, kaum jemand hat die Produkte überhaupt verstanden. Politiker, Aufsichträte und Banker haben diese Kompliziertheit jahrelang geduldet, ja gefördert und - so lange es gut ging - erhebliche Profite eingefahren. Sie haben damit ein System unterstützt, das letztlich dann doch - von der Gier getrieben - unsteuerbar geworden war. Kritischeres kann man den Staatenlenkern, Bankern und anderen Marktteilnehmern nicht ins Stammbuch schreiben. Der Weltmarkt ist globalisiert und frei; zu frei, wie wir heute wissen. Es gab keine Regel und keine Begrenzung. Es war kein Markt im überkommenen Sinn. Dieser nämlich ist einfach organisiert, hat einfache Regeln, die jedem bekannt sind und die Fähigkeit, Gier und Betrügereien rasch zu erkennen und zu eliminieren. Der Markt der letzten Jahrhunderte war umrahmt von Rathaus, Post, Schule, Wirtshaus und Kirche. Hier wurden die einfachen Regeln gelebt, durch Übereinkunft und ohne kompliziertes Vertragswerk. Sie galten für jeden, der am Marktplatz Handel trieb. Eine einfachere Organisation gibt es nicht. - Irrationalität beherrscht alles Geschehen Die machtvollsten Gedanken in der Karriere eines Managers sind nicht im Geringsten logisch, sondern instinktiv, atavistisch und primitiv. Irrational also. Der Neandertaler (vor ca. 40.000 Jahren) steckt immer noch in uns, er ist nicht tot. Die Betriebswirtschaftslehre und alle unsere Organisationskonzepte kennen jedoch nur den „homo rationalis“. Er dient als Grundlage für alle Modelle, die Angebots- und Nachfragekurve eingeschlossen. Nur Angebot und Nachfrage bestimmen beispielsweise den Preis, will uns die die rationale Wissenschaft glauben machen. Und schon beim Kaufen einer Nobelkarosse wird dieser Lehrsatz täglich dutzendfach widerlegt. Wir glauben immer noch zu fest an den „homo rationalis“. Er dürfte jedoch eine Chimäre sein. Machtkämpfe innerhalb der Abteilung und der Firmen oder Mobbing dürften gar nicht vorkommen oder müssten mindestens durch eine sachlich geführte Diskussion aus der Welt zu schaffen sein. Das ist bekanntlich nicht der Fall. Trotz aller Zivilisation, Technik und Digitalisierung haben sich menschliche Psyche und Entscheidungs-Verhalten nicht geändert. Ich vermute, dass dies so bleiben wird. Es gibt jedenfalls keinen Hinweis darauf, dass sich die Physiologie des Gehirns geändert hat. Unser Stammhirn wird nicht ohne Grund selbst von Gehirnforschern als Reptilienhirn bezeichnet, weil es sich in Jahrmillionen Jah- <?page no="41"?> 4.5 Wir werden Opfer von Gier und Irrationalität 33 ren, seit die Reptilien der Erde bevölkerten, in seiner Programmierung kaum verändert hat. Der Mensch wird deswegen zum guten Teil irrational bleiben. Alle Management-Methoden werden daran nichts ändern. Zu managementmäßigem Vorgehen müssen wir uns immer zwingen. Wir müssen demnach gebietsweise von einem irrationalen, tierhaften, Neandertaler ähnlichen Menschen ausgehen. Wir werden ihn nicht ändern und - vor allem - wir haben gar keinen anderen. Man sagt ja nicht zuletzt deswegen in Manager-Kreisen, dass die wichtigen Entscheidungen irrational auf dem Golfplatz oder im „Networking“ fallen. Erst hinterher wird der Computer befragt und eine hübsch anzusehende Excel-Graphik präsentiert, angefertigt von einem zumeist jüngeren Wirtschafts-Ingenieur, der stolz ist, die Mächtigen bedienen zu können. Aber Vorsicht: Auch ein gut strukturierter Jung-Manager neigt zuweilen zu irrationalen Entscheidungen „aus dem Bauch heraus“. Die Macht wirkt auf geheimnisvolle Weise, zuverlässig und immer, sie korrumpiert und sie ist nicht digitalisierbar. Alle Betriebswirtschaft, alle Wissenschaft ist davor ohnmächtig. Mächtige erkennt man in der Praxis auf einfache Weise. Man nennt das Ausstrahlung oder so ähnlich. Kaum ist der Mächtige im Machtkampf unterlegen und „angezählt“, verlaufen die Kraftlinien um ihn herum. Er selbst kann, rational handelnd, nichts daran ändern, nur spüren kann er es. Das alles ist höchst einfach, man kann es täglich erleben und braucht keine aufwändige Analyse dafür. Eine bewährte Methode der Machtergreifung liegt darin, Kompliziertheit herbeizuführen, die nur noch ihr Schöpfer beherrscht. Er macht sich unentbehrlich; kann nicht entmachtet werden - es sei denn durch eine wieder hergestellte Einfachheit. Sie nimmt dem Mächtigen den Nimbus, was er zu vermeiden sucht, weil es Gefahren für ihn bringt. Machtkämpfe rational erklären zu wollen, ist vergebliche Mühe. Das ist eine eigene irrationale Welt, die sich den Lehrbuch-Weisheiten schon immer entzogen hat. Einige Vordenker haben allerdings geholfen, das Gebiet der Machtverteilung ein wenig aufzuhellen. Der berühmteste davon ist Machiavelli (1469 - 1527), als Zeitgenosse kann der Schweizer Peter Noll (1926 - 1982) genannt werden. Viel könnte man auch von den Jesuiten lernen, wenn diese ihre Führungsrichtlinien veröffentlichen würden. Nur eins weiß man: deren Menschenbild ist illusionslos. Die Machtkämpfe sind - wie bei den meisten Tieren - höchst einfach. Das Ergebnis ist rasch erreicht. Der Machtkampf in einer Pferdekoppel funktioniert immer, einfach, schnell und gut. Er dient der Weitergabe der besten Gene, wirkt nach außen völlig irrational, ja ein wenig geheimnis-umwittert und ist für alle Modelle der aufgeklärten Computer-Zunft missliebig, weil nicht digitalisierbar. Das Irrationale in den Entscheidungen kann in keinem Modell der Welt „abgebildet“ werden. Entscheidungen fallen außerdem gerne „aus dem Bauch“ heraus. Das ist zwar sehr einfach, aber eben auch sehr altmodisch und eines „homo <?page no="42"?> 4 Komplexität - von Menschen gemacht! 34 oeconomicus“ oder „homo rationalis“, als hoher Form des „homo sapiens“ im Grunde nicht würdig. Einige Organisationen der Betriebe haben komplizierte Kontrollmechanismen eingebaut, um das Irrationale auszubremsen. Alles muss dazu in Zahlen gefasst werden, denn nur was sich quantifizieren lässt, ist Wirklichkeit. Macht - an sich ja auch irrational - wird in der Demokratie nach den bekannten Regeln der Machtverteilung zwischen Legislative, Exekutive und Rechtsprechung beschnitten. Allein dadurch entstanden komplizierte politische Mechanismen. Eine Vereinfachung wird von Heilsbringern jeglicher Richtung gerne versprochen. Was sie nicht sagen: sie endet unweigerlich in einer Diktatur. Ohne irgendeine Art von Kontrolle läuft jedes System Gefahr zur Diktatur zu entarten. 4.6 Kontrollieren wir uns zu Tode? „Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser.“ (abgewandelt nach Lenin) Der viel zitierte Lenin-Satz „Vertrauen ist gut - Kontrolle ist besser“ gehört für die unbürokratischen, einfacheren Organisationsformen der Zukunft umformuliert: Vertrauen ist gut! Niemand kann doch in einer vom Markt getriebenen, sich rasch ändernden Umgebung alles kontrollieren. Das ist sowohl theoretisch als auch praktisch unmöglich. Vom dafür erforderlichen Aufwand muss man gar nicht reden. Außerdem: In der Regel sollte man wohl Mit-Arbeiter und nicht Gegen-Arbeiter beschäftigen. „Hast du jemanden eingestellt, so misstraue ihm nicht! Misstraust du ihm, stelle ihn nicht ein! “ Dieser Rat sollte zur Maxime werden. Zweifellos ist eine sinnvolle Kontrolle in jeder Umgebung nicht nur erforderlich, sondern auch erwünscht, allein deswegen, weil ja jeder - eigentlich auch die Chefs - wissen will, ob er seine Arbeit gut verrichtet und wo es noch etwas zu verbessern gibt. Der Schwerpunkt liegt auf dem Wort „sinnvoll“, denn man kann sich auch zu Tode kontrollieren. Kontrolle spiegelt auch das Interesse an der Arbeit und den Leistungen des Mitarbeiters wider (Werner Siegert). Kontrolle ist essentiell, es kommt nur auf die Methode an. Muss es z.B. die tägliche Anwesenheitszeit in Minuten oder der verbrauchte Schweißdraht in cm sein, wo es doch nur auf die vereinbarten Ergebnisse ankommt? Muss es z.B. die alte (von Hitler eingeführte) Vollkostenzuschlagskalkulation sein, deren nur schein-wissenschaftlichen und schein-genauen Ergebnisse ja eigentlich längst berüchtigt sein sollten? Das sind doch alles nur Spielwiesen für <?page no="43"?> 4.6 Kontrollieren wir uns zu Tode? 35 kontrollwütige Chefs, die die Kompliziertheit erhöhen, die Durchsicht erschweren und jede schnelle Entscheidung verzögern! Angst vor dem Versagen ist das Resultat aller übertriebenen Kontrollsysteme. Angst gibt keine guten Ratschläge, insbesondere dann, wenn sie sich zur Kontrollwut steigert. Dadurch wurde in den letzten Jahrzehnten viel an Substanz vernichtet. Als Beispiel möge die ehemalige AEG dienen. Sie wurde förmlich zu Tode kontrolliert. Bei ihr waren allein in der Zentrale in Frankfurt/ M. rund. 4000 gut ausgebildete Mitarbeiter mit der Kontrolle des Konzerns beschäftigt. Der Chef, ein Geologe, erwies sich nämlich als extrem ängstlich und misstrauisch. Er wollte „alles im Griff haben“. Das ist ihm auf makabre Weise gelungen: Der Patient ist an seinem Würgegriff gestorben. Die einfachste Kontrolle übt in manchen Gemeinden die Feuerwehr aus: Am Samstag um 12.00 Uhr wird mit einem lauten, für jeden wahrnehmbaren Ton die Funktion der Sirenen getestet und kontrolliert. Alarmiert wird nur im Falle eines Falles. Da gibt es kein überflüssiges Kontrollieren und keine unnütze Information - da sitzt sozusagen jeder Ton. Die kontrollwütigen Chefs und ihr Hilfspersonal haben sich in den letzten Jahrzehnten rasch vermehrt. Das mag an der überall vorhandenen EDV liegen, die die Zahlen ohne großen Aufwand bereitstellt. Das mag aber auch am Lieblingsfach Betriebswirtschaft der Universitäts-Absolventen liegen. Was macht so ein akademisch gebildeter junger Mensch in seiner ersten Stellung? Er stürzt sich voller Lust in die Arbeit und stellt fest, dass es hier und dort, ja eigentlich überall an Produktivität mangelt, die Kosten zu hoch sind und die Pläne nicht erreicht wurden. Weil er ja nicht selbst in die „Wertschöpfung“ eingreifen kann und darf, kontrolliert er die vorhandenen Zahlen und Ergebnisse einmal, zweimal und gleich mehrere Male, um sich zu bestätigen. Dann kann er bald auf die Controller-Akademie oder zu ähnlichen Veranstaltungen gehen, in der viele Zahlenstränge nach ihm unbekannten Kriterien ausgesucht und dargestellt werden. Das alles hat aber mit der eigentlichen Wertschöpfung nichts zu tun. Das Controlling als Frühwarn-Instrument, das dem Kapitän sagt, ob vor ihm Sandbänke, Felsen oder freie See liegen, das wird meist überdeckt durch eine ausufernde Misstrauenskontrolle, um den Leuten „da unten mal wieder die Hammelbeine lang zu ziehen“. Kontrolleure erleben ja nur dann ein Erfolgserlebnis, wenn sie endlich was gefunden haben. Das Unternehmen ist jedoch nur dann erfolgreich, wenn sie nichts finden. <?page no="44"?> 4 Komplexität - von Menschen gemacht! 36 Der durch Gremien (z.B. den Aufsichtsrat) übermäßig oder auch nur scheinbar kompetent kontrollierte Unternehmer widerspricht seinem Leitbild. Ein wirklicher Unternehmer unterzieht sich keiner Kontrolle, es sei denn durch den Markt oder durch seine persönliche Berufsauffassung, seine Ethik. Für die Kontrolle wird immer noch freudig investiert in EDV-Tools, Personal und auch Management-Kapazität. Man kommt dann bald zu dem Eindruck, dass die Firma Kontroll-Unterlagen produziert, und die Maschinen, die für die Kunden schon auf dem Hof stehen, ein unliebsames Nebenprodukt darstellen. Dadurch wird die Kompliziertheit immer weiter angetrieben und die Einfachheit immer mehr zurück gedrängt. Niemand beklagt sich und keiner hat es bemerkt, denn in diesen Kategorien denken nur Philosophen. Und im betrieblichen Umfeld wirken keine Philosophen, sondern qualifizierte Unternehmensberater. Nur in einem Gefängnis würde die fehlende Kontrolle sofort bemerkt werden, denn dort muss sicherlich alles genau kontrolliert werden. Aber sonst? Wird vielleicht alles fragwürdig um uns herum, wenn man es nicht vorher und nachher mehrmals sorgfältig kontrolliert hat? Die EU-Behörden in Brüssel sind offenbar dieser Meinung. Die Kosten für diese gesetzlich vorgeschriebenen Kontrollen von den Ursprüngen aller „Zutaten“ bis zur Auslieferung, Lagerung und dem Gebrauch steigen ins Uferlose. Und töten gelegentlich auch ein Unternehmen. Gibt es dafür eine natürliche Grenze, ein Benchmark sozusagen? Oder verlangt die Natur danach? Gibt es etwa eine Art natürliche Kontrolle? 4.7 Was könnten wir von der Natur lernen? Alles was gegen die Natur funktionieren soll, wird langfristig scheitern Die Natur funktioniert einfach. Sie handelt nach ihren Gesetzen und niemand kann die Natur nachhaltig überlisten. Wer es versucht, bekommt immense Schwierigkeiten in allen Bereichen. Wer sich gegen die Natur stemmen will, muss unweigerlich eine komplizierte Organisation aufziehen. Je weniger die Natur berücksichtigt wird, desto mehr Kompliziertheit muss die Organisation liefern. Man benötigt Regeln und Kontrollen, Vorschriften und Anweisungen, Strukturpläne und Handbücher. <?page no="45"?> 4.7 Was könnten wir von der Natur lernen? 37 Wer gegen die Natur organisiert, kann nur verlieren. Verlierer stellen keine der folgenden Fragen: - Was sind die Massenmenschenhaltungen in den Großraum-Büros anderes als unnatürliche Lebensformen? - Ist ein Bildschirm-Arbeitsplatz für den Menschen wirklich eine natürliche Art, einen Großteil seines Lebens zu verbringen? - Ist die Bewegungsarmut des modernen Büromenschen von der Natur vorgesehen? Die Naturfeindlichkeit des modernen Lebens erzeugt Kompliziertheit im Kleinen wie im Großen. Man muss an seinen Körper, an seine Gesundheit und an seine Diät denken. Einfachste Vorgänge wie die der Kommunikation oder Zusammenarbeit werden verwissenschaftlicht. Da wird ein großes, ja bodenloses Fass für viele Systeme und organisatorische Krücken aufgemacht, damit Stabilität und Funktion des Gesamten sichergestellt sind. Irgendetwas fehlt immer; somit folgt ein dauernder Druck zu neuen Kontrollsystemen und zur Leistung. Ist dieser Druck etwa naturgemäß? Gibt es ein gesundes Leben, das immer nur Höchstleistungen liefert? Wohl kaum - die vielen Herzinfarkte von Managern in „ihren besten Jahren“ beweisen es wohl zur Genüge. Der Mensch von heute ist eingezwängt in eine Vielzahl von Systemen, von denen der genau geplante 10-Stunden-Arbeitstag einschließlich der Fahrzeiten noch die einfachste Form ist. Die Natur ist aus unserer Sicht unsystematisch. Sie hat keine festen Systeme und Checklisten, nach denen sie vorgeht. Ist nicht an feste Abläufe gebunden. Überall, wo starre Systeme (griechisch = ganzheitlicher Zusammenhang von Verbundenem) eingeführt werden, handelt der Manager im Grunde gegen die Natur. Und alles wird heute mit Systemen überzogen, auch das Verhalten des Managers, z.B. in vielen so genannten Management-Systemen. Aber auch in den Qualitäts-, Computer-, Fertigungs-, Führungssystemen - scheint sich nichts mehr nach den natürlichen Gegebenheiten des menschlichen Verhaltens zu richten und nach der Natur organisieren zu lassen. Es entstehen komplexe Systeme, für die jeweils Spezialisten zum Einführen und Bedienen benötigt werden. Jedes System verdrängt aber - auf nachvollziehbare Weise - die natürlichen Antriebe des Individuums. Hinter jedem System steht - wie gesagt - Angst. Diese Angst und die Furcht vor der Zukunft führen zu widernatürlichem Verhalten. Sie sind starke Komplexitäts-Treiber. Denn Angst und Furcht verkomplizieren, indem sie Planungs- und Kontrollsysteme ins Leben rufen. Diese Systeme richten sich gegen jedes natürliche Leben, denn sie fordern fast roboter-ähnliches Verhalten ein. Das ist naturfeindlich und kann somit nicht allzu gesund und nachhaltig funktionieren. <?page no="46"?> 4 Komplexität - von Menschen gemacht! 38 ANREGUNGEN: Gibt es für Sie eine Checklist, die sich mit der bei Ihnen selbst gemachten Komplexität beschäftigt? Und Lösungen einfordert? Für - das Büro - die Werkstatt - den Alltag - die persönliche Arbeitstechnik - die Lebensgestaltung? <?page no="47"?> 5 Ist eine Laudatio auf den Zustand unserer Welt wirklich angebracht? 39 5 Ist eine Laudatio auf den Zustand unserer Welt wirklich angebracht? 5 Ist eine Laudatio auf den Zustand unserer Welt wirklich angebracht? „Wir leben doch so gut! Weiter so! “ Hier folgt der Versuch, die normalen Argumente für das übliche „Weiter so“ - und seien es die waghalsigsten - zusammenzufassen. Nichts davon ist erfunden, alles ist selbst erlebt, gehört sowie diskutiert und kann wahrscheinlich von jedem am Thema Interessierten gleichermaßen bestätigt und erlebt werden. Wer könnte schon der Versuchung widerstehen, alles besser und komplizierter zu machen, wenn er an sämtlichen Schrauben der Organisation drehen dürfte? Die Frage nach dem Return on Investment sollte ihm dabei niemand stellen. Als Vorbild für den Zustand unserer Welt gelten die Systeme der Arbeitslosen- und Sozialversicherung. Sie bilden riesige, komplizierte und kostspielige Umverteilungsprogramme, die man - um mit den alten Römern zu sprechen - als Einrichtung für „panem et circenses“ (Brot und Spiele) des unmündigen Volkes bezeichnen könnte. Eine ganze Heerschar von Organisationen und Behörden hat den Auftrag, Bildungsmaßnahmen, Arbeit, Subventionen, Hilfeleistungen und vor allem viel Geld zu vermitteln. Geld allerdings, das keiner von den Umverteilern selbst verdient hat. Das gibt Arbeitsplätze! Und macht das Regieren leichter, weil sich die Oberen mit der viel zitierten Sozialen Gerechtigkeit schmücken können. Niemand kann jedoch den Begriff „Soziale Gerechtigkeit“ wirklich definieren und keiner der betroffenen Bürger ist in der Lage, das System zu verstehen. Niemand, wirklich niemand hat mehr den Durchblick. Das klingt unglaublich. Aber noch unglaublicher wirkt die Tatsache, dass diese Kompliziertheit gewollt ist; sie wirkt zudem als wissenschaftlich durchdacht - und damit für jeden positiv. Irgendwie stimmt dieses undurchschaubare Monstersystem fast jeden zufrieden, und alle wünschen sich, dass es bewahrt wird und noch für viele Jahre Soziale Gerechtigkeit für das Land produzieren möge. Dagegen sprechen allerdings solche wahrlich nicht nebensächlichen Fakten wie die demographische Entwicklung sowie die exponentielle Vermehrung der Weltbevölkerung, um nur zwei rechenbare Entwicklungen herauszugreifen. <?page no="48"?> 5 Ist eine Laudatio auf den Zustand unserer Welt wirklich angebracht? 40 Normalerweise beginnt die Diskussion über „einfach“ oder „kompliziert“ etwa so: Zugegeben, es ändert sich vieles und manche von uns werden von Asiaten bedrängt. Vielleicht rollt ein realwirtschaftlicher Tsunami irgendwann auf uns zu. Aber um zu überleben und in der Globalisierung sogar zu gewinnen, müssen wir nur so gut sein wie bisher und einfach ungestört weiter machen können! Hatten wir nicht Erfolg? Sind wir nicht auch Exportweltmeister? Sind wir allein deswegen nicht gut, ja sehr gut? Wenn man uns nur weiter machen ließe, dann würden wir auch weiter belohnt: Markterfolg, hohe Produktivität und ebensolche Gewinne - genau das, was wir bislang durch unsere bewährten Organisationen bekommen haben. Wer will das eigentlich bestreiten und ändern? Wir sind nun mal keine Chinesen! Wir haben unsere anspruchsvollen und komplizierten Organisationsformen in Jahrzehnten entwickelt. Sollen wir sie einfach so über Bord werfen? Hört mir doch auf mit der Einfachheit! Wir sind doch nicht mehr in den Höhlen des Neandertalers! Wir haben uns doch auf wunderbare, einmalige Weise weiter entwickelt. Und die Welt ist dadurch vielleicht hier und dort komplizierter, aber doch auch viel lebenswerter, gesünder und sicherer geworden. Unser Steuersystem zum Beispiel wird von vielen kopiert. 50 Prozent der Weltliteratur zu diesem Thema erscheint auf Deutsch! Ist dies nicht großartig, ja bewundernswert? Ist denn ein Auto einfach? Ein Computer, ein internationales Netzwerk oder auch nur das Funktionieren eines Organs, z.B. der Leber oder gar des Gehirns? Die Zivilisation und die Technik sind nun einmal anspruchsvoll und kompliziert. Unser Lebensstandard ist hoch und soll noch höher werden können. Gibt es irgendein Argument dagegen? Man kann doch die Entwicklung nicht zurückschrauben! Man darf uns doch nicht zurück werfen in das 19. Jahrhundert oder gar in das Mittelalter! Die etwa 65.000 Gesetze, Vorschriften und Richtlinien, die bei uns ein Unternehmer beachten muss, garantieren doch den Fortschritt! Sie schützen ihn vor Überraschungen. Auch wenn er nicht wissen sollte, dass kein anderes Land dieser Welt über so viel staatlichen Schutz verfügt, wird er froh doch darüber sein. Außerdem: die komplizierten Organisationen für alles und jedes, die ungezählten Arbeitskreise und Task-Forces, die Rechts- und Steuersysteme, die Abstimmungs-Orgien - sie haben ja alle ihren Reiz, ja, sie sind irgendwie sogar schön zu nennen. Und: Sie ernähren Hunderttausende von best ausgebildeten Menschen, die im Bedienen von Kompliziertheit ihr Glück finden. Jeder kann sich wichtig fühlen, und das, obwohl keiner jemals irgendein Ergebnis seiner Arbeit zu Gesicht bekommen wird. <?page no="49"?> 5 Ist eine Laudatio auf den Zustand unserer Welt wirklich angebracht? 41 Ist das nicht genial? Was sollen denn z. B. die vielen Zehntausenden von Steuerberatern (allein in Bayern haben wir ca. 70.000 davon) machen, wenn man ihnen ihr kompliziertes System wegnimmt, was die Mitglieder der Kreisräte, der Landtage, der unzähligen Arbeitskreise? Was die vielen Koordinatoren, Kommunikatoren, Verbands- Vizepräsidenten und sonst wie Beziehungspflegenden? Die 16 Bundesländer haben Regierungen und diese haben Minister und diese beschäftigen Sekretärinnen und Fahrer. Diese wiederum benötigen große Büros und Autos usw. - ist das nicht ein großartiges Beschäftigungsprogramm? Wer wird da schon fragen, was diese Tausende eigentlich den ganzen Tag tun? Gibt es überhaupt noch genügend Arbeit für alle, jetzt, wo alles schon festgelegt und organisiert ist? Was produziert eigentlich ein Kreisrat? Niemand weiß es, keiner fragt, und so hat diese ganze überkommene Welt ihren Charme, der den Kreisrat neben dem Unternehmer in Frieden leben lässt. Diese komplizierte Welt ist eine schöne und eine gute Welt. Nie haben wir besser gelebt als heute, nie waren die Ausprägungen bürgerlichen Lebensstils reicher und farbiger, nie gab es mehr an Wohlstand. Qualität, Globalisierung, Produktivitätssteigerung, Wettbewerb, Best of the Class, IT-Unterstützung - eine wunderbare, weil reichhaltige, eben komplizierte Welt. Ein Zurück in die relative Einfachheit der 60er Jahre wäre ein Zurück in den Mief und die Unproduktivität der Adenauer-Ära, in deren geistige Enge und auch in die relative Armut. Wer will denn das? Zudem: Komplizierte Organisationen sind schwierig, ja oft einmalig. Das Komplizierte hat den Hauch des Überlegenen und Wissenschaftlichen. Und es ist auch das Überlegene, das Bessere. Die Welt entwickelt sich hin zum Komplizierten. Der Zeitgeist weht ganz in diese Richtung. Warum sind denn alle Bemühungen, die Bürokratien und EDV-Systeme zu vereinfachen, bislang im Sande verlaufen? Es gibt eben kein Zurück! Es darf gar nicht sein! Oder wollen wir sein wie Don Quijote und gegen Windmühlenflügel kämpfen? Deswegen: Macht unsere Welt nur weiter komplex! Dann sind wir auf dem richtigen Weg! Kein Widerspruch wird uns daran hindern, beispielsweise Bedienungsanleitungen, Verträge, Beipackzettel, Dokumentationen, Software, Handys, Beschreibungen von Haushaltsgeräten immer komplizierter und Dokumentationen immer unleserlicher zu machen. Das alles könnende Handy, mit dem man fernsehen, fotografieren, zahlen, navigieren und auch noch telefonieren kann - das ist doch schon greifbare Zukunft. Stellen wir uns darauf ein und genießen unsere Zukunft schon heute! Je multifunktionaler und komplizierter, desto besser. Dieses multifunktionale Handy ist ja nur der Beginn für die technische Weiterentwicklung, z.B. für Autos, Haushaltsgeräte, Software etc. Alles besteht immer mehr aus Software, alles ist vernetzt, jeder kann mit jedem in Millisekunden kommunizieren - hier ent- <?page no="50"?> 5 Ist eine Laudatio auf den Zustand unserer Welt wirklich angebracht? 42 steht die neue Welt! Diese kann ja gar nicht einfach sein, im Gegenteil: je komplizierter desto besser. Das Lob der Chefs ist uns sicher! Und manchmal auch eine Erwähnung in der Tagespresse. Gibt es eine andere Form der Werbung, die wirkungsvoller wäre und dabei noch kostenlos ist? Einfachheit befreit manchmal vielleicht sogar von Unwesentlichem. Wer will das eigentlich? Dann gibt es ja weniger zu tun, die Arbeit geht aus und das Einfache kostet ja eventuell den eigenen Arbeitsplatz! Deswegen: Machen wir unser Leben weiter kompliziert! Wir denken an die vielen Verwaltungs-Menschen! Sie verwalten und pflegen diese wunderschöne Welt, in der wir uns so wohl fühlen. Wir wollen doch keine Revolution, sondern nur das weitere Gedeihen in unseren undurchsichtigen und komplizierten Lebensformen! Bitte, nur keine Änderung! Denken wir an die Arbeitsagentur-Mitarbeiter, die Horden von Juristen und Beratern sowie die ungezählten Mitarbeiter einer Groß-Organisation, die gar nicht mehr wissen, für was sie eigentlich arbeiten! Das sind die Kolonnen des „kleinen Glücks“, die ein Leben lang funktionieren, die aber auch den Status Quo brauchen für ihr Dasein und Sosein. Eine Vereinfachung, eine Reduktion der komplizierten Welt, in der sie leben, brächte einen guten Teil der Fähigkeiten, die sie sich mühsam erworben haben, zum Erliegen; sie würden schlussendlich gar nicht mehr gebraucht. Wer kann das wollen? Mögen sie ungestört weiter ihren Arbeitsplatz ausfüllen, von morgens bis abends sehr fleißig und - ohne weiterführende Ergebnisse. Denn die Maschinerie will gefüttert sein, sie verlangt ihr Recht, belassen wir es dabei! Kompliziertheit erzeugt bekanntlich viele Sklaven des jeweiligen Systems: Alle sind fleißig und keiner hat mehr den Durchblick. Alle profitieren jedoch von unserer weltweit einzigartigen Kompliziertheit; denn sie verdienen gut. Und alle sind froh, wenn es nach jahrelanger Einführung überhaupt irgendwann funktioniert. So werden die jungen Revolutionäre ruhig gestellt. „Brot und Spiele“, die alte Metapher von früher heißt heute „Brot und komplizierte Systeme“ - die Leute sind mit der System-Bedienung beschäftigt. Und sie sind stolz und zufrieden dabei. Die EDV kostet ja heute nichts mehr! Kennt vielleicht jemand die wirklichen Kosten eines Großsystems? Niemand will sie doch wissen und das ist gut so. Denn nur auf diese Weise können wir alles „abbilden“. Noch die komplizierteste Ausnahme und letzte Variante findet ihren Platz in den Stammdaten. Das ist wirkliches Management! <?page no="51"?> 5 Ist eine Laudatio auf den Zustand unserer Welt wirklich angebracht? 43 Und noch etwas aus dem wunderbar komplizierten Alltag: Wenn ein Mitarbeiter mit einem Problem beim Chef vorsprechen will, bekommt er vielleicht einen Termin und findet Gehör. Wenn er das nächste Mal mit zwei Problemen antritt, wird er an Bedeutung gewinnen. Mit drei Problemen einen Termin zu erfragen ist noch Erfolg versprechender. Das ist genau die Welt, die wir erhalten wollen! Wozu haben wir denn die Chefs, wenn sie uns nicht bei der Problemlösung vorangehen! ? Sie müssen das Komplizierte, das Schwierige managen! Das Komplizierte hat eine Faszination, der man sich als Chef kaum entziehen kann. Es sieht so aus, als würde der Zeitgeist die Verkomplizierung fraglos fordern und übernehmen. Und jeder, der sich gegen den Zeitgeist stemmt, wird verlieren. Also weiter so! Auch Doppelarbeiten, so genannte Redundanzen sind gut, denn auch sie verkomplizieren! Ausnahmen, zum Beispiel bei Verpackungsgrößen und Rücknahmeregelungen. Komplizierte personenbezogene Sonder-Abmachungen sind besonders nützlich; , denn sie belasten jedes System, das ja immer auf irgendwelchen festen Nummern, also Standards beruht. Aber mit den schnell genehmigten Ausnahmen ist man als Chef wieder spürbar. Man muss sie nur durchdrücken! Wachstum ist unser aller Ziel. Also muss es gefördert, ja erzwungen werden! Wenn man irgendwo in der Firma ein Wachstum nach einer e-Funktion findet, z.B. bei der Zunahme der Stammdaten oder der EDV-Speichergrößen, dann weiß man eigentlich, dass das System gefährdet ist. Weiter so! Fast automatisch gewinnt der dafür Verantwortliche an Bedeutung: Die Organisation braucht dringend Hilfe! Hier zeigt sich dann der wahre Meister, der durch steten Zukauf und andere Maßnahmen das System stabil erhält! Wunderbar - man wird wieder wichtig! Und hat es allen anderen gezeigt! Auch Hochschulen sind glücklicherweise auf Kompliziertheit getrimmt. Jeder Professor muss, um bekannt zu werden, sein eigenes Begriffs-Gebäude bauen. Das Motto dabei ist auch hier: je komplizierter, desto besser. Kaum einer versteht den Professor noch, aber er ist bekannt und somit irgendwann auch berühmt. Der Philosophie-Professor Martin Heidegger kann dafür als Beispiel dienen. Er leistete sich die Frechheit, in einer für die Allgemeinheit unverständlichen Sprache zu schreiben. Doch gereichte es ihm keineswegs zum Nachteil: Er ist weltberühmt. Somit ein Vorbild für jeden von uns! Unverständlichkeit gepaart mit Kompliziertheit gibt eine unschlagbare Mischung moderner Organisation und modernen Lebens! Waren wir damit nicht sehr erfolgreich? Sind wir nicht - wie schon gesagt - sogar Exportweltmeister? Vor den USA und Japan? Und können wir uns nicht noch nebenbei ein weltweit einzigartig kompliziertes Sozialsystem leisten? <?page no="52"?> 5 Ist eine Laudatio auf den Zustand unserer Welt wirklich angebracht? 44 Natürlich ist der Apparat ein wenig schwerfällig und teuer geworden. Aber wo liegt das Problem? Darin, dass die Sachbearbeiter und die so genannten „Persönlichen Ansprechpartner“ in den Arbeitsagenturen von der Kompliziertheit der vielen Regeln überfordert sind? Ist denn mit dieser Kompliziertheit etwa die „Kombination von Wissen und Kapital“ (M. Miegel) so schlecht verlaufen, dass wir jetzt plötzlich den Kurs ändern müssten? Nein, macht bitte weiter so! Alles ist in Ordnung, nur noch nicht überall kompliziert genug. „Wenn ich alle Daten gespeichert habe, dann habe ich den Betrieb und das ganze Geschehen im Griff „. Nichts kann mir entkommen. Der Innenminister hat Angst vor Terroristen. Seine Flucht in ein Computer- Überwachungssystem für meinen PC bringt ohne Zweifel eine 100%-ige Sicherheit für mich. Hier zeigt sich die Erfolg verheißene Denkweise der IT- Techniker, die sich an der Totallösung extrem schwieriger Fälle gerne abarbeiten. So denken aber auch die Juristen, die noch den letzten vorstellbaren Fall der Praxis vorgedacht in ihrem System wieder finden wollen. Genauso arbeiten die schon erwähnten Controller und EDV-Spezialisten. Freiräume sind nirgendwo vorgesehen. Wunderbar - hier leuchten die besten Erscheinungsweisen der heutigen Welt. Alles im System, alles vorgedacht - wir haben die Welt fest im Griff und nichts kann uns mehr passieren. Einen Tusch, bitte! Dieses Vordenken wird immer noch beeinflusst durch den deutschen Idealismus, immerhin die höchste Philosophen-Schule der ganzen Welt. Marcuse sagt zum Beispiel: „Wenn Wirklichkeit und Modell nicht übereinstimmen - umso schlimmer für die Wirklichkeit“. Dieses Konzept ist auf alle Groß-EDV-Systeme angewendet worden. „Die Anwender sind leider nicht in der Lage unser System zu verstehen“. Wunderbar! Das wird nirgends so klar ausgesprochen, dennoch gewollt. Anwender neigen nun einmal zur Trägheit. Jetzt haben wir ein Mittel, sie zu erziehen. Es erleichtert doch auch das Führen, weil niemand mehr wagen wird zu widersprechen. Arbeitsreiche und aufwändige System-Einführungszeiten von mehreren Jahren folgen. Nach dem Return on Investment traut sich niemand mehr zu fragen. Jeder freut sich, wenn das System endlich einigermaßen funktioniert. Wir haben es den Anwendern und dem System wieder einmal gezeigt. Da kommt wirklich Stolz auf! Nützlich für den Zustand unserer Welt wirken die Akkreditierungen im Hochschulbereich. Es wird in Deutschland mindestens 30.000 Studiengänge geben, die zertifiziert werden müssen. Die Agenturen haben das System derart aufgebläht, dass sich das System verselbständigt hat. Endlich ist es gelungen! Wunderbar! <?page no="53"?> 5 Ist eine Laudatio auf den Zustand unserer Welt wirklich angebracht? 45 Für viele in der Welt sind wir allein durch unsere Kompliziertheit Vorbild geworden. Sie ahmen uns nach, wo immer sie können. Ist das nicht der Beweis für die Überlegenheit unserer komplizierten Welt? Kann man darauf nicht wirklich stolz sein? Also: bitte weiter so! <?page no="54"?> 6 Exkurs in die Theorie 46 6 Exkurs in die Theorie 6.1 Können wir aus der Geschichte lernen? Fortschritt ist der Weg vom Primitiven über das Komplizierte zum Einfachen! Wie war das alte, mächtige Ägypten, wie waren die Inkas, die Venezianer, die Habsburger organisiert? Wir wissen die Antwort: einfach. Allein deswegen, weil es noch keine verkomplizierende Technik gab. Wie war die Organisation des „Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation“. Sie steht für eine 1000-jährige Geschichte für den Zusammenhalt, wenn auch auf niedrigstem Organisationsgrad. Dieses historische Gebilde war extrem einfach. Das Reich hatte eine einfache, für jeden verständliche Verfassung und war zudem dezentral organisiert. Diese Einfachheit war möglicherweise die Basis für ihr langes Überleben. Auch die katholische Kirche ist ein gutes Beispiel. Ihre Hierarchie bedient sich flacher Strukturen: Papst, Bischof und Pfarrer - das sind nur drei Ebenen. Das Überleben der Kirche ist eine Folge dieser einfachen Strukturorganisation. Die Zehn Gebote sind ein Muster an Einfachheit. ( insbesondere im Vergleich zur Europäischen Verfassung mit über 1400 Seiten Text). Schon vor ca. 500 Jahren - zurzeit Leonardo da Vincis - gab es in Florenz Textil-Betriebe mit 3000 Mitarbeitern. Wie waren sie organisiert, wie wurden die Arbeiter versorgt, wie stand es um die Hygiene? Wie wurden sie eingeteilt, angeleitet, wie bezahlt? Wir wissen wenig darüber, aber wir sind sicher, dass dies alles aus heutiger Sicht sehr, sehr einfach gewesen sein muss. Welche Folgen hatte der Produktivitäts-Zuwachs der einfachen Drei-Felder- Agrarwirtschaft für die Entstehung des Bürgertums? Das ist eher bekannt, weil vielfach untersucht. Aber: wie einfach war die daraus erwachsene Bürgerschaft organisiert? Darüber gibt es kaum Literatur, denn Organisation hat deutsche Historiker wenig interessiert. Warum war die Gründerzeit (ca. 1870 bis 1900) so erfolgreich? Was war das Geheimnis der Nachkriegs-Jahre? War das erstaunliche, weltweit bewunderte Wachstum etwa nur möglich, weil es so wenig Bürokratie und Kompliziertheit gab? Arbeitete jeder mit dem anderen noch auf Zuruf? Ohne Versicherung, Tarifvertrag, Arbeitsschutz, Gewerkschaft etc. etc. ? War alles noch einfach und vor Ort entscheidbar? Die Meta-Ebene der IT-Spezialisten oder der Spekulanten gab es kaum oder jedenfalls nicht spürbar. Ein noch nicht eingeführtes Fach „Organisationsentwicklung in der Geschichte“ könnte diese und viele weitere Fragen beantworten. <?page no="55"?> 6.1 Können wir aus der Geschichte lernen? 47 Als vor Jahrhunderten die kleinräumigen Marktplätze verlassen wurden, entstanden kaufmännische Systeme wie die doppelte Buchführung und im weiteren Firmen und Handelsgesellschaften, die zusammengehalten werden mussten: die Organisation, manchmal auch die Groß-Organisation war geboren. Und damit ein Gebiet, in das Kompliziertheit automatisch einzieht, wenn auch zunächst unbemerkt. Unbemerkt von den Römern hatte sich sogar schon im alten Rom die Organisation geändert, sozusagen schleichend. Die Republik wurde komplizierter: es gab immer mehr Regeln. Roms System der imperialen Finanzierung blieb jedoch immer bewundernswert einfach. Es war solider als beispielsweise das der heutigen USA, die als abschreckendes Beispiel dienen können. Rom finanzierte sich nämlich ganz einfach über den von den Vasallenstaaten zu entrichtenden Tribut von ca. 10% der Wirtschaftsleistung. Das war immer im Eigeninteresse der Besetzten. Sie bekamen nämlich dadurch Sicherheit nach außen und innen. So entstand das Beste, was einem Organisator passieren kann: eine win-win-Situation. Die freiwillige Zusammenarbeit der Untertanen mit Rom reduzierte den Aufwand zur Erhebung des Tributs ganz erheblich. Das System konnte damit einfach sein und bleiben. Es fehlte möglicherweise nur der soziale Kitt im bewunderten Riesenreich, um seine Stabilität auch für Jahrtausende zu gewährleisten. Die Organisation an sich war extrem einfach - beurteilt aus heutiger, speziell amerikanischer Sicht. In der industriellen Revolution setzte sich Europa vom Rest der Welt ab und erzielte in einer vergleichsweise kurzen Zeit gigantische Produktivitätszuwächse. Wie kam das zustande? War alles noch einfach organisiert? Nicht lange hat es gedauert und die Europäer waren die Mächtigsten dieser Welt. Sie hatten die produktivste Organisation zur Kombination der Produktionsfaktoren Mensch, Kapital und Boden, sie hatten die besten Wissenschaftler, Philosophen, die mächtigsten Armeen, die edelste Musik und die am weitesten entwickelte Kultur. Obwohl Jahr für Jahr alle Nationen der westlichen Welt laufend neue Gesetze, Vorschriften und Steuern schufen, die alles verkomplizierten, stiegen gleichzeitig Produktion und Produktivität. Ein Staat wird doppelt so reich, wenn er doppelt so viel produziert. Obwohl auch die Bürokratie gewachsen ist, haben sich Produktivität und Reichtum erhöht. Vom Ende der 1940er Jahre bis Anfang der 1970er Jahre verdoppelte sich beispielsweise in Westdeutschland die Produktion und damit verdoppelten sich auch die Real- und die Haushaltseinkommen. Die Produktivität, das heißt die Arbeitsleistung pro Mitarbeiter wuchs in dieser Zeit um 100%. Eine phantastische Folge des freien Verkehrs an Kapital, Informationen und Menschen, aber auch von effizienter Organisation in den Betrieben. Die Welt war damals noch relativ einfach, die Märkte waren klein und übersichtlich. Und: es gab eine übersichtliche Finanzwirtschaft. Die Globalisierung brachte dann eine weitere Arbeitsteilung und eine vorher unbekannte Ausdehnung der sog. Finanzindustrie. Damit diese und der weltweite Handel funktio- <?page no="56"?> 6 Exkurs in die Theorie 48 nieren, müssen jedoch gewisse Regeln von allen gelebt werden. Denn man muss sich ja aufeinander verlassen können. Der Welthandel wurde voluminöser, die Finanzprodukte intransparenter und die ganze Globalisierung wurde damit komplizierter. Die Überschaubarkeit und die Einfachheit gingen verloren. Verloren gegangene Einfachheit wird als Problem eigentlich nie erkannt, obwohl die Wirkung tödlich sein kann. Wir alle waren Zeugen, wie eines der größten Staaten der Welt, nämlich die Sowjetunion, implodierte: ganz ohne äußeren Feind, nur durch innere Schwäche und verloren gegangene Einfachheit, ausgedrückt in ungenügender Produktivität des Gesamten. Sie ist an ihrer eigenen Planungs-Bürokratie erstickt. Genau wie etwa 500 Jahre früher Byzanz an seiner eigenen Bürokratie (und Korruption) implodiert ist. Zwei sehr lehrreiche, anschauliche Lektionen der Geschichte zur Wirkung von komplizierter Organisation. Sie müssen uns Europäern, die sich von Brüssel auf komplizierende Weise gegängelt fühlen, als Warnung dienen. Die Verkomplizierung ist langsam, kaum spürbar: jede neue Richtlinie verstärkt den Trend weg von der ehemaligen Einfachheit der Gründungs-Mitglieder. Die Geschichte belegt die schleichende Verkomplizierung: jedes Reich, jede Institution und letztlich jede Firma wird tendenziell immer komplexer. Der Kontrollaufwand zur Überwachung der wertschöpfenden Tätigkeiten wird dadurch immer größer. Denn mit dem Größer-Werden der Organisationen wachsen die nicht wertschöpfenden Nebentätigkeiten (Korrespondenz, Beschwerden, Anfragen, Konferenzen, Abstimmungen, Arbeitskreise etc.) in der Regel unkontrolliert, vielleicht sogar unkontrollierbar. Ohne Analyse kann behauptet werden, dass auch hier das exponentielle Wachstum greift. Zur Verkomplizierung trägt heute der Sozialstaat nicht unwesentlich bei. Dauernd müssen sich seit den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts Produktivität und Effizienz gegen die Soziale Gerechtigkeit behaupten. Der Begriff Soziale Gerechtigkeit ist so schillernd, dass sich jeder auf sie berufen kann und immer Recht hat. Produktivität gegen Soziale Gerechtigkeit ist eine Gratwanderung, die niemals zu einem für alle gutem Ende führt. Immer bleibt die Einfachheit jedoch auf der Strecke: die Verteilungssysteme sind kompliziert bis zur Unverständlichkeit und Unsteuerbarkeit. Historisch betrachtet spielen Firmen und Institutionen nur ihre jeweiligen Rollen. Die eine wächst, die andere vergeht. Die eine ist jung, einfach organisiert und dynamisch, die andere alt, kompliziert und verkalkt. Die eine muss sterben, damit eine andere ihren Platz einnehmen kann. Oder, frei nach Schumpeter: eine muss sich selbst ruinieren, damit eine andere aufblühen kann. Die Menschen „unterschätzen die Beständigkeit der traditionellen Seite der Geschichte, den Aufstieg und Fall von Imperien, die Konkurrenz von Regimen und die katastrophalen Folgen der Siegestaten großer Männer.“ (Raymond Aron, franz. Historiker, 1905 - 1983). Sie unterschätzen sicherlich auch die Kraft einfacher Organisation. Auch das Bewusstsein des Individuums wird unterschätzt. Der Einzelne muss in gewissem Sinne starr bleiben, damit er seine jeweilige Rolle spielen kann. Er <?page no="57"?> 6.2 Der Zeitgeist ist immer stärker 49 lebt und denkt angepasst an seine Umgebung, nicht weil er sich bewusst dazu entschieden hat, sondern als Folge seines Geburtsorts, des Studiums und der Karriere. Danach ist die Welt so wie sie halt ist und nur ein Revolutionär stellt sie in Frage, in der Regel sogar aus edlen Motiven. Nur ein Revolutionär wird fragen: was wird als nächstes mit unseren Firmen und ihren Organisationen passieren? Es ist doch absehbar, dass das Komplizierte in Produkten und Organisationen bei uns verharren wird, während in Zukunft die Asiaten auf Einfachheit setzen können. Dann ist es mit dem Appell „Blaupausen zu liefern“ nicht mehr getan. Wir müssen uns schon intelligenter verhalten und das heißt, dass wir wieder einfacher und produktiver werden müssen, um führend zu bleiben. Ganz früher waren alle höchst einfach organisiert: eine Hierarchie der Mächtigen, Herrschern und Priestern, hielt das Volk zusammen und organisierte in der Regel nur ihre kriegerischen Eroberungen. Die alten Firmen aus der Gründerzeit, wie Krupp, Röchling, Siemens u.a. - sie alle waren Hierarchien der Mächtigen und aus heutiger Sicht einfach organisiert. Was sollte daran kompliziert gewesen sein? Es war die Stab-Linien-Organisation nach militärischem Vorbild: derjenige an der Spitze hatte ganz einfach immer Recht. Die Sehnsucht nach Einfachheit ist nicht tot. Ihr erliegen zum Beispiel die Kreationisten, die die Evolution verneinen und die einfachen Bilder der Schöpfungsgeschichte aus dem Alten Testament zur Grundlage ihres Weltbildes machen. Ein eindrucksvolles Beispiel für die Anziehungskraft einfacher Bilder! 6.2 Der Zeitgeist ist immer stärker Selbst der Esel ist nicht frei vom Zeitgeist (Adalbert Stifter, 1805 - 1868) Der Zeitgeist scheint die Verkomplizierer und Bedenkenträger zu unterstützen. Nur wenn etwas so richtig kompliziert ist, ist es zeitgemäß und verdient Beachtung. Und es ist ja auch richtig: wenn man an alle Ausnahmen gedacht hat, kann man nichts falsch machen. Dadurch werden viele Feinde der Einfachheit vom Zeitgeist unterstützt, ja gezüchtet. Die Mentalität, die eine Abbildung aller Ausnahmen sucht, nämlich diejenigen, die bekannt sind und die anderen, die noch kommen könnten, ist nichts für einfache Organisationsformen. Der Anwender weiß doch: Die „da oben“ haben schon an alles gedacht. Die Folge ist der Tod der Eigenverantwortung und damit auch der Möglichkeit zur natürlichen Selbstorganisation. <?page no="58"?> 6 Exkurs in die Theorie 50 Jeder wartet dann auf die Regeln, die von oben kommen sollen. So werden lauter kleine, aber anspruchsvolle Sklaven gezüchtet. Der Schwung z. B. einer Pionierphase, in der sich jeder die Kompetenz nimmt, die er braucht, ist in dieser verkrusteten Welt längst dahin. Nach Diamond (Lit.: Kollaps, Warum Gesellschaften überleben oder untergehen, Fischer, 2005) haben sich in der Geschichte die Handelnden, also auch wir, stets rational im Sinne des jeweiligen Zeitgeists verhalten und alle wichtigen Grundsatz-Entscheidungen waren immer eingebettet in den Zeitgeist. Es gab daran keine Kritik, außer vielleicht von Querdenkern. Aber die waren schon zu jeder Zeit zu schwach, um in die Chroniken aufgenommen zu werden. Das heißt: alle Entscheidungen für weiteres Wachstum waren und sind dem jeweiligen Zeitgeist gemäß. Dennoch sind alle Kulturen - über die Jahrtausende betrachtet - grandios gescheitert, nämlich gerade durch die rationalen Entscheidungen. Diese historisch belegte Tatsache (Lit.: Wright, Kleine Geschichte des Fortschritts, rowohlt, 2007) wirkt nicht sehr beruhigend. Möglicherweise sind ja unsere perfekten Organisationen auch nur das Produkt unseres mechanistisch orientierten, auf Rationalität setzenden Zeitgeistes, der jeden Querdenker kalt stellt, den Verantwortlichen die stets gleichen Argumente liefert (wachstumsfreundlicher, wirtschaftlicher, schneller, kundenfreundlicher etc.) und uns gerade deswegen auf Dauer kollabieren lässt. Wir sind im Stillstand der Konzepte gelandet: es entstehen kleine Besitzstände, unterfüttert durch das winzige, behagliche Glück der Sklaven, die - wie seinerzeit in der DDR - sich in Nischen einzurichten verstehen und alles wissen über ihre Rechte, jedoch nur ganz wenig, ja nichts über ihre Pflichten. Die Wissenschaft sorgt auf ihre komplizierende Weise für die Besitzstände durch komplexe Systeme: insbesondere Juristen, Controller und IT-Spezialisten wachen über die Einhaltung der zahllosen Regeln. Das alles zusammen erzeugt den Stillstand. Die Prognose ist dann immer die gleiche: qualvoller Tod des Gesamtsystems einer Gesellschaft oder einer Firma. Der Niedergang der Wirtschaft oder die baldige Zahlungsunfähigkeit der Firma wird dann dem Markt, den Banken, den Mitbewerbern oder den äußeren Umständen zugesprochen. In Wirklichkeit ist alles - eingebunden in den Zeitgeist - zu kompliziert geworden und dadurch zu schwerfällig. Aufwändig und teuer war das System dann allemal. Die Psychologen diagnostizieren bei den Beteiligten psychosomatische Krankheiten wie Bluthochdruck, Magengeschwüre, Kreislaufschwäche und dgl. <?page no="59"?> 6.3 Psychologisches ist immer dabei 51 6.3 Psychologisches ist immer dabei Der Neandertaler steckt immer noch in uns. In der klassischen Theorie der Organisation, in der Betriebswirtschaftslehre und in geschichtlichen Betrachtungen spielen psychische Kriterien keine Rolle, sie sind sozusagen nicht existent. Alles ist mechanisch nach klaren, rationalen und digitalisierbaren Kriterien beschreibbar: Zahlen, Zahlen und immer wieder Zahlen. Immer noch sind wir Kinder des cartesianischen Weltbildes, das ja vor allem ein mechanistisches ist. Das Koordinatenkreuz steht dafür als Symbol: alles wird quantifiziert, damit es erkannt, möglicherweise auch beeinflusst werden kann. Und wenn etwas nicht zu quantifizieren ist, wie eben Betriebsklima, Motivation, Laune des Chefs u.ä. - dann wird es eben quantifizierbar gemacht. Die Multifaktorenmethode und ähnliche Checklisten leisten dazu hervorragende und bewährte Dienste. Die so genannten psychosomatischen Krankheiten werden im Alltag durchaus wahrgenommen, sie existieren also, sie werden jedoch nie offen diskutiert und damit zum Thema gemacht. Das alles ist bekannt, aber noch lange nicht beseitigt. Ein Manager sollte immer auch Psychologe sein, zumindest zu einem Teil seiner Fähigkeiten. In einer von ihm gut geführten Organisation kommt das Gruppen-Mitglied von sich aus zu dem Schluss: Ich will, was ich soll! Erst dann ist gut organisiert. Man nennt das Identifikation mit der Aufgabe, gutes Betriebsklima, Corporate Identity und ähnliches. Das ist ein einfacher und leicht verständlicher Zusammenhang. Jeder Psychologe stellt fest, dass das Komplizierter-Werden immer auch ein Mehr gewesen ist. Das Mehr war positiv besetzt, das Weniger entsprechend negativ positioniert. Nichts ist deswegen schwieriger durchzusetzen als ein Wegnehmen, ein Auflassen, ein „Ab-morgen-nicht-mehr“, z.B. eines Transportes, einer Statistik, einer Unterschrift. Vereinfachen ist Wegnehmen und deswegen das Schwierigste für einen Manager! Denn immer wird das Weniger auch als Machtverlust empfunden - die eigentliche Hürde in einer von Männern bestimmten Welt. Zum Zauber der Macht gehört nicht nur die Wollust des Herrschens, sondern auch die des Gehorchens. Einfachem zu gehorchen ist kaum möglich, da wirken starke Systemzwänge besser! Derjenige, der vereinfacht ist immer ein Spielverderber und böser Wegnehmer - er wird allein deswegen bekämpft und gehasst. Ausgangspunkt für den Psychologen ist der kleine Angestellte in seiner Suche nach Gemeinschaft. Er besteht aus „Gewohnheit, Verstand und Begeisterung“ den Bestandteilen des „homo industrialis“. <?page no="60"?> 6 Exkurs in die Theorie 52 Der Angestellte spielt dabei die Rolle, die ihm zugewiesen ist und sei es die primitivste. Er fügt sich und glaubt, was er glauben muss, um seine Rolle spielen zu können. Er fühlt sich aber aufgehoben, weil alle mitspielen. Die Kompliziertheit gibt ihm das Gefühl, dabei zu sein und im Strom der Entwicklung zu leben und zu arbeiten. Der kleine Angestellte will Gemeinschaft spüren und er will gerecht behandelt werden. Im Wesentlichen will er jedoch nicht entwürdigt sein und in gewisser Sicherheit sein eigenes Leben planen können. Der Zwang arbeiten zu müssen, hilft dabei. Wer aus eigener Kraft weiter gekommen ist, lebt besser sowie freier und - einfacher. Er benötigt z.B. keine staatlichen Transfer-Leistungen. Die Technik spielt der Kompliziertheit immer neue Möglichkeiten zu: große Computer-Systeme, Internetanwendungen, Bewegungsbilder, PC-und Video- Überwachung von öffentlichen Plätzen, der maschinenlesbare Ausweis, die Gesundheitskarte - alles ist heute schon möglich und zum Teil sogar schon in Einführung. Der kleine Angestellte nimmt den technischen Fortschritt gerne wahr, der Psychologe stellt die Verkümmerung der Persönlichkeit fest: der Bildschirm kanalisiert alle spontanen Reaktionen. - Flucht in das System Die Flucht in das System wird - wie schon gesagt - von der Versagens-Angst verursacht. Die Hybris der totalen Weltbeherrschung setzt das allumfassende System voraus. Sie trägt zur weiteren Entmythologisierung der Welt bei. In der Medizin, Meteorologie, Management der Unternehmen, Finanzwesen - überall dominieren die Systeme. Von Stellschrauben zur Beeinflussung und Steuerung ist kaum die Rede. Das totale Abbild genügt. Wenn die Allmacht beim Menschen und nicht mehr bei Gott liegt, muss - nach Adorno - alles sehr genau und kompliziert werden. Mit der Flucht in das System besiegt die instrumentalisierte Vernunft die Natur. Hybris und Komplexitätswahn liegen in der Dialektik der Aufklärung: sie sind modern und liegen insoweit im Zeitgeist. Der Mensch der Neuzeit will seine Umgebung verstehen. Was unternimmt er dafür? Er quantifiziert, klassifiziert, digitalisiert. Er handelt bald nicht mehr mit Inhalten, sondern mit Informationen und Daten. Die Vorstellung der totalen Abbildung des Geschehens ist heute zu einem Wahn geworden, der die Firmen, die Institutionen und die Politik gleichermaßen durchdrungen hat. Und was passiert eigentlich, wenn sich irgendwann ein Diktator dieser Technik bedient? Der Blick auf das Ganze geht mit dem wahnhaften Verhalten bald verloren. Der Mensch verliert seine Seele an das System. Das ist zwar - in anderer Formulierung - als Tatsache überall bekannt und jeder beklagt sich über die Systemzwänge. Noch gibt es jedoch keinen Trend zurück. Diskutiert werden immer <?page no="61"?> 6.3 Psychologisches ist immer dabei 53 noch die unendlichen Möglichkeiten des Groß-Systems, die gigantische Produktivitätsreserven versprechen. Die gesamte Deutsche Bahn kommt fast zum Stillstand, wenn ihr Zentralcomputer für Fahrkarten-Ausgabe und Kunden-Information zusammenbricht. Das ist natürlich nicht gewollt oder geplant, aber eine vorhersehbare Folge der wahnhaften Systemgläubigkeit. - Wunsch nach Kontrolle Der Wunsch nach totaler Kontrolle seiner Umgebung scheint eine anthropologische Konstante zu sein. Ein weites Feld, insbesondere für Psychologen. Geht es dadurch nicht auch um das Beherrschen der Welt, nach ganz alten Mythen. Mythen dienten - und dienen? - dem Beherrschen und geben Orientierung. Starke Mythen verursachen jedoch starke Zwänge bis hin zu Zwangsneurosen, zum Beispiel die der totalen Kontrolle - ein Teufelskreis. Neurosen brauchen Rituale, weil nur das Ritual die Angst zu nehmen vermag - die Begründung für Macht und Einfluss von Mythen. In der Wirtschaft wie in der Politik funktionieren die großen informellen Systeme wie Orientierungshilfen. Die Leute vertrauen darauf, dass die anderen die Rituale einhalten, die von ihnen erwartet werden. Eine große Zahl von Regeln bestimmt die Systembedienung und den Alltag. In jedem Reich, in jeder Firma wird Ordnung durch ein umfassendes Netz von Regeln aufrechterhalten. Diese heißen Ritual, Tradition, Familienbande, persönliche Verbindung u.a. Der Wunsch der Herrschenden nach dauernder Kontrolle wird manchmal sogar durch dieses Regelwerk erfüllt. - Produktivitätszuwachs durch Motivation Auf die Produktivitätszuwächse nach Einführung des Großsystems warten die meisten heute noch - vergeblich. Die Motivation endet bei den Systemeinführern. Das verwundert eigentlich nicht, denn die tradierten Arbeitsweisen und Strukturen, die die Möglichkeiten des Mitarbeiters beschneiden und seine Phantasie begrenzen, bringen - unabhängig vom jeweiligen System - nicht mehr die erwarteten Produktivitätszuwächse eines kreativen Individuums. Alles ist ja betoniert und in ein starres Korsett gepresst. Das aber ist eine gefährliche Sackgasse. Das System als Kommando-Zentrale, wie früher die Chefs im alten Taylorismus, können schon aus ökonomischen Gründen nicht perpetuiert werden. Die Zeit ist vorbei, in der wir nur Maschinen effizienter machen mussten, um eine höhere Produktivität zu erhalten. Das ist eine Sackgasse. Selbst der Computer macht uns nicht mehr produktiver. Bei Stanzmaschinen weiß man, wie man <?page no="62"?> 6 Exkurs in die Theorie 54 sie produktiver macht. Aber bei Menschen? Wie sind sie einzubinden, zu motivieren, ja zu begeistern? Die psychologische Sackgasse bietet Chancen, wie fast jede Bedrohung. Die Chance bietet möglicherweise eine neue, einfachere Organisationsform. Bestehend in der Notwendigkeit auf den nächsten in der nachfolgen Gruppe oder Ab- Teilung zuzugehen, mit dem Ziel, die gemeinsame Arbeit noch besser hinzukriegen. Und auch aus der Fähigkeit, die eigene Idee zur Verbesserung möglichst konfliktfrei und effizient durchzusetzen. An Selbstbewusstheit mangelt es ja keinem, der eine gewisse Autonomie im Operativen schon erreicht hat. Anweisungen einer Zentrale sind dann zur Motivation sowieso überflüssig. Das Lebensgefühl in einer einfacheren, produktiveren Umgebung ist ein anderes geworden. - Lebensgefühl Die Entfremdung des Einzelnen der den Zusammenhang und den Sinn seiner Arbeit nicht mehr erkennen kann, schlägt durch auf das Lebensgefühl. (nach Karl Marx, 1818 - 1883), Dazu eine Strophe des Gedichtes „Der Panther“ von Rilke (1907): Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe So müd geworden, dass er nichts mehr hält. Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe Und hinter tausend Stäben keine Welt ………. Das ist - prophetisch und dichterisch gesprochen - der Blick eines Angestellten in einer beliebigen Bürokratie. Nichts bewegt sich mehr aus diesem Käfig der tausend Stäbe! Man ist so müd’ geworden! In diesem Käfig wächst nichts als Frustration und Verzweiflung. Er ist ein Feind von Kreativität und Selbstverantwortung. Was soll da noch wachsen können? Wo lassen sich noch Produktivitäts-Potenziale freisetzen? Von wo kommen dann noch die neuen Ideen? Das mechanistische Weltbild, das Bild eines Käfigs, das unseren Organisationen zugrunde liegt und in dem der handelnde Mensch vor Ort, der „Wertschöpfer“ nur noch ein kleines Rädchen ist, das sich gefälligst reibungslos zu drehen hat, denn der Verstand, die Kraft dazu und die Richtung sind ja vom Management auf bestmögliche Weise vorgegeben, dieses Weltbild hat die Grenze seiner möglichen Effektivität erreicht. Wir sind ja in unserer Wissensgesellschaft in der globalisierten Welt nicht mehr am Fließband oder gar auf dem Kasernenhof, wo Misstrauen und Angst zur Disziplinierung zu möglichst hirnlosen Tätigkeiten eingesetzt werden. <?page no="63"?> 6.3 Psychologisches ist immer dabei 55 Der Taylorismus, der die Grundlage zum „Scientific Management“ lieferte, machte aus kreativen Menschen stumme, hirnlose Ausführungs-Gehilfen. Das war jedoch vor mehr als hundert Jahren. Dennoch sind diese Leitbilder, geprägt von Misstrauen und Kontrollwut, immer noch lebendig für die meisten unserer Organisationen. Es ist klar, dass es sich bei diesen alten Leitbildern um recht kräftige Feinde der Einfachheit handelt. „Was raten Sie Informatikern und Software-Programmierern? … Have fun! Man stellt nur gute Leute ein und lässt diese selbst entscheiden, was sie tun wollen. Gut heißt, das sind Leute, die was bewegen wollen in der Welt.“ (Informatiker Tony Hoare in der Süddeutschen Zeitung Nr. 251/ 2007, Seite 18). Daraus entsteht ein anderes Lebensgefühl: Kompliziertheit und Einengung sind gewichen, das Vertrauen auf die eigenen Fähigkeiten und die der anderen ist gewachsen. Die Voraussetzung: eine einfache Organisation. Und eine vernünftige Lebensführung. - Lebensführung Die Feinde der Einfachheit zeigen sich schon im Alltag. Zum Beispiel bei Ritualen einer Einladung mit der Einladungskarte auf Bütten, mit höchst komplexer Sitzordnung, dem Anlass entsprechend ausgewähltem Geschirr und Besteck, einer aufgesetzten Themenwahl, vorzugsweise über Richard Wagners Rheingold in Bayreuth oder über Professoren mit Empfehlungen für welche komplizierten Krankheiten - alles kompliziert bis zum Bizarren. Das Bizarre nimmt interessanterweise zu mit der niedrigen sozialen Einstufung des Einladenden, denn gesellschaftliche Regeln wurden vom souveränen Herrn noch nie beachtet. Er umging sie oder spielte mit ihnen, vergnügt und seiner selbst sicher. Der souveräne Mensch, der Überlegene entscheidet schnell aus „dem Bauch heraus“ - mit einem deutlichen Trend hin zum Unkomplizierten, in allem, im Auftreten, in der Kleidung und sogar in den Grußformeln. Dafür stimmen dann die Themen, die immer außerhalb der eigenen Lebenssphäre angesiedelt sind. Das Wort „ich“ kommt dann kaum vor. Gute Manager, die über viele Jahre Erfolg haben, verlieren nie die Bodenhaftung. Sie halten ihr Leben einfach, bleiben bescheiden und wollen sich nie über ihre Umgebung erheben. Und reden ganz selten über sich und ihre Erfolge. Sie sind eingebettet in ihre jeweilige Umgebung - komplizierter ausgedrückt in ihr Soziales System - und in das Grundvertrauen zu sich und den anderen. <?page no="64"?> 6 Exkurs in die Theorie 56 - Soziale Systeme Die Forschung hat die Komplexität über Soziale Systeme schon längst abgeschlossen mit dem Ergebnis: alles ist höchst kompliziert. Deswegen hält sich niemand in der Praxis an die Ergebnisse. Im Alltag hängen Soziales und Vertrauen fast ausschließlich am jeweiligen Chef. Zur Produktivitätssteigerung werden international laufend neue Führungsformen in einfacheren Organisationen, aber heute in erweiterten internationalen, sozialen Systemen eingefordert. Dann wird wieder modelliert, die neue Art der Führung wird hoch gelobt und wieder wird viel Komplexität gebraucht, allein zum Aufbauen des Modells. Bald ist alles modelliert und erkundet. Aber auch hier wieder: wozu, wem nützt es? Außer einem Modell mit hochwissenschaftlicher Erkenntnis bewegt sich nichts, jedenfalls nichts im Sinne der Vereinfachung. Hinter jeder Abteilung lauert doch wieder nur ein eitler Chef. Weder Soziales, Liebe noch Geld treiben die Welt an, sondern schlicht Eitelkeit. (LaRochefaucauld, 1613 - 1680, Maximen). In den letzten Jahren litten - aus meiner Sicht - viele Firmen und Institutionen an Verletzungen, die sie sich durch Eitelkeit selbst zufügten; unterschiedliche Formen organisatorischer Phrasendrescherei schwächten sie als Mitbewerber im Wettbewerb. Auch die Welt der drei Buchstaben gehorchte ja eitlen Moden: CIM, ERP, CAP, SCM…..Wenn der neue Investor ein umfangreiches Regelwerk einzieht, um seine Macht zu festigen oder die berühmt-berüchtigte Transparenz herzustellen, dann stellt sich bald heraus, dass umfangreiche Vorschriften ebenso hinderlich für die Produktivität sind wie zu viele Stabsabteilungen. Oder wenn Berater durch die Büros spazieren, um alt gedienten Mitarbeitern zu erzählen, wie sie ihre Arbeit machen sollen, ist das nicht sehr Vertrauen-erweckend sowie auch der Produktivität nicht immer förderlich. Jedes soziale System, wie es eine gut funktionierende Organisation darstellt, braucht Unterstützung, keine Empfehlungen und überhaupt keine neuen Regeln. Dann wird alles noch viel komplizierter. Für diese merkwürdige Sucht nach Kompliziertheit ist später niemand verantwortlich zu machen. Niemand hat eigens dafür ein Programm gemacht. Jeder ist überrascht, dass sich die Kompliziertheit derart weit entwickeln konnte und so teuer geworden ist. Jetzt stellt man fest, dass das Beherrschen der Situation schwierig geworden ist. So ist eine gefährliche, ja morbide Situation entstanden, die sich nie rechnet. Und die Heuschrecken einlädt. Diese berüchtigten Heuschrecken (= Hedge-Fonds) versuchen Probleme immer mit Vereinfachung und neuen Leuten zu lösen. Sie führen niemals neue, umfangreiche Regeln ein. Sie fragen vielleicht: „Soziale Systeme - was ist das bitte? “ (Wobei das „bitte“ gerne weglassen, eine Vereinfachung, die sich Mächtige gerne heraus nehmen). Meistens werden die vielen Versprechungen der neuen Herren zur Verbesserung nicht eingehalten. Dafür gibt es Intrigen und persönlichen Konflikte, Profilierungs-Versuche, die Missverständnisse durch unterschiedliche Moderatoren und Bedenkenträgern, es gibt die Perfektionisten und Überflieger - alles Leute, die <?page no="65"?> 6.3 Psychologisches ist immer dabei 57 gut sind im Bekriegen der vorgeschlagenen, einfachen Lösung. Der Laden steht z. B. kurz vor dem Konkurs und es wird ihm noch schnell ein Kennzahlensystem verkauft. Die Manager kaufen von irgendwelchen Beratern gern neue Konzepte ein. Einige Jahre später wird dann ein weiterer Flop beklagt. Oft genug ist der Grund dafür die fehlende Bodenhaftung: die da oben wissen nichts mehr von der eigentlichen Arbeit, der Wertschöpfung im eigenen Unternehmen. Sie waren noch nie in der Werkstatt gewesen und kennen den Betrieb nur von den Zahlen auf dem Bildschirm. Von der Konzeption bis zur Realisierung müssen die Menschen jedoch „mitgenommen“ werden. Eben weil es ja Menschen sind, kreativ und loyal und keine Sklaven oder Roboter. Im Übrigen: auch Sklaven sind Menschen und können kreativ sein. Im alten Rom entwickelte sich z. B. Epiktet (50 -125) vom Sklaven zum Philosophen. Zwietracht und Kampf beherrschen den Alltag, das zeigt jeder Tag in unseren Betrieben, Schulhöfen und öffentlichen Verkehrsmitteln, aber auch in mancher Ehe. Der Freiraum des noblen, flexiblen Mitarbeiters gebietet es, dennoch höflich zu sein, seine Pflichten zu tun und dem Schreibtisch-Nachbarn zu helfen. Sisyphos (Albert Camus, Der Mythos des Sisyphos, rowohlt) steht für die Selbstbehauptung des Menschen in einer Welt, die von sich aus für einen intelligenten, sensiblen Angestellten keinerlei Sinn erkennen lässt. In diesem tapferen „Dennoch“ bewährt sich die geistige Grundhaltung und zeigt sich das robuste Rückgrat, das man als Vereinfacher braucht. „Man muss sich Sisyphos als glücklichen Menschen vorstellen“ - das vielfach gebrauchte Camus-Zitat passt hier sehr gut. Die eigene Stärke, die aus dem Kampf um Einfachheit erwächst, wird leicht zum Schrecken für die anderen, die als Opportunisten und Angepasste nur rasch Karriere machen wollen. Die eigene Festigkeit erschreckt die anderen, die vielleicht viele Haken, aber nie richtig Wurzeln geschlagen haben. Denn Einfachheit ist nichts für die ewigen Besserwisser, Wichtigtuer und Selbstdarsteller dieser Welt. Gelassenheit ist eine der wichtigsten Tugenden. - Gelassenheit Wie schlafe ich wieder gut? Wie bleibe ich gesund? Oder - schlimmer - wie werde ich wieder gesund? Wie finde ich meine Gelassenheit wieder? Wer unterstützt mich? Wie lange kann ich mich noch halten? Wird mich mein Chef abstrafen oder abmahnen, bekommt meine Personalakte einen Eintrag? Es geht aber nicht darum, den Mitarbeiter abzustrafen oder zu verwarnen, sondern eine langfristige, vertrauensvolle Zusammenarbeit zu begründen. Die Persönlichkeit ist wieder gefragt. Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit wächst nur dann, wenn sich der andere darauf verlassen kann, dass der andere in jedem Fall zu ihm hält, dass er nicht lügt und die Wahrheit nicht zu seinem Vorteil verbiegt. <?page no="66"?> 6 Exkurs in die Theorie 58 Dann wächst die gelassene Grundstimmung, in der es sich wieder leben und arbeiten lässt. Dann kann man auch mit Gegnern besser umgehen. Und Gegner hat man immer, nicht nur als Vereinfacher. - Gegner Immer hat der Vereinfacher starke Gegner. Die geplante Einführung des Einfachen zerbricht an den tradierten Betonköpfen. Die Forderung wird zwar angehört, aber schon im nächsten Meeting leicht verspottet. Sie wird verdreht um sich von den Alleswissern der Betriebe als Inkompetenz und Seichtheit eines Überfliegers abtun zu lassen. Einfachheit zu leben ist schwieriger als Kompliziertes zu tun. Die Gegner verkomplizieren mit Freude, denn das haben sie ein Leben lang getan. Nirgends taucht diese natürliche Gegnerschaft zwischen den Betonköpfen und den Vereinfachern auf. Die Einfachheit gehört auch nicht zum normalen Industrie-Angestellten: konservativ und eloquent, aber nie radikal Einfaches freudig begrüßend. Das scheint system-immanent zu sein. Hinzu kommt: die offiziellen Texte, z.B. von Juristen strotzen von komplizierten, unverständlichen Formulierungen. Sie müssen kommentiert und an Beispielen erläutert werden. Jeder redet dann von Pfusch oder mit „heißer Nadel genäht“, dabei ist alles nur system-immanent. Denn ein einfacher und verständlicher Gesetzes-Text würde doch im heutigen Bürokratie-System als inkompetent auffallen und gar nicht über die Hürden der parlamentarischen Demokratie mit ihren Ausschüssen und Arbeitskreisen kommen. Hier sind viele Gegner der Einfachheit tätig, hoch bezahlt und geachtet. Sie sind Kinder des Systems und sie spielen mit ihm. Sie fühlen sich als die Herren und lassen uns das spüren. Ein Vereinfacher wird jedoch nicht so schnell aufgeben. Er kann - auch bei großen Verkomplizierungen - seine Umgebung zu einem einfachen Lebensraum kultivieren, mit Übersichtlichkeit und Transparenz in allem. Er muss ja keinem System gehorchen - auch wenn es alle glauben. Er macht aus den gegebenen Umständen das Beste, er spürt Freiräume auf und lässt die Finger von dem, was sich nicht ändern lässt. Allein deswegen hat der Vereinfacher viele Gegner. Ein Vereinfacher fordert Großzügigkeit, Übersicht und Toleranz, er zeigt diese Eigenschaften ja selbst. Mit Fundamentalisten als Gegner lässt sich schlecht arbeiten und am schlechtesten vereinfachen. Denn dort ist ein Egoismus eigener Art ausgeprägt. Den natürlichen Egoismus, die Selbstsucht des Mitarbeiters besiegen nicht komplizierte Regeln zur Organisation, sondern nur Vernunft, Charakter und Vorbild. Kant spricht von den „blöden Maulwurfsaugen der Selbstsucht“. Ein Vereinfacher fordert Toleranz, er wird seinerseits nicht mit ihr geizen. Gefordert ist die selbstständige, verantwortliche Persönlichkeit, die sowohl strukturierte Arbeit effizient erledigt als auch mit anderen kooperativ und kreativ <?page no="67"?> 6.3 Psychologisches ist immer dabei 59 zusammen arbeitet. Neu ist, dass immaterielle Investitionen in derartige Menschen das finanzielle Gewicht bekommen werden, das früher Stahlwerke oder große Autofabriken beansprucht haben. (E. Händeler). Allein eine derartige These erzeugt eine starke Gegnerschaft. Schlichte Geister brauchen fundamentale Überzeugungen, um Halt zu finden. Jeder Fundamentalist verkürzt die Wirklichkeit. Die hassvolle Feindschaft zu irgendwelchen Vereinfachern und die damit verbundenen Verschwörungs- Theorien fallen immer wieder auf. Hier sitzen weitere Gegner der Einfachheit: Aus Hass und Verschwörung wächst keine Toleranz. Aber das kennt man auch in den Betrieben: die Abteilung A ist kaum jemals ein Freund der Abteilung B. Wobei ja der Begriff Ab-Teilung schon aussagefähig genug ist: hier wurde abgeteilt, was eigentlich zusammengehört. Es wurden Grenzen gezogen und dadurch das Entstehen der sog. „Herzogtümer“ gefördert. Bedenkenträger, Schlaumeier, Spezialisten, oft aber auch schlichte Programmierer (,die immer den Sachzwang auf ihrer Seite haben! ) sind die personifizierten Gegner der Einfachheit. Die Forderung nach Einfachheit wird vom Management wohl erhoben, kann aber nie problemlos eingelöst werden. Die Bedenkenträger melden sich sofort: „Der Teufel steckt im Detail und so einfach, wie Sie sich das vorstellen, ist es - leider! - nicht.“ In der Regel haben die Bedenkenträger sogar Recht. Damit sind sie psychologisch im Vorteil und schlagen die nächste Vereinfachungs-Schlacht schon routinierter. Sie haben Stillstand erzeugt und lieben ihn als ihr eigenes „Baby“. Sie fordern den großen Wurf, weil ja auch sie wissen, dass es ohne Reformen nicht gut weiter gehen kann. Bis jedoch der „weiße Ritter“ den großen Wurf liefert, der mit einem Schlag Strukturen und Abläufe auf nachhaltige Weise verbessert, vergeht viel Zeit. Oft sind es Jahre oder Jahrzehnte. Und oft genug nie. Bedenkenträger sind ganz natürliche Gegner der Einfachheit. Eigentlich müsste ihretwegen eine ständige Kultur-Revolution einberufen, um Bedenken, Filz und Starrheit erst gar nicht zuzulassen. Und in der Tat: es gibt Mittelständler, die alle vier Jahre umorganisieren oder mindestens umziehen lassen - mit genau dieser Argumentation. Das heißt: auch Starrheit und Verfilzung stehen als Gegner zur Einfachheit. Gegner denken nie in Systemen, es sei denn es ist ihr eigenes. <?page no="68"?> 6 Exkurs in die Theorie 60 6.4 Sehen wir die Bedeutung der Organisation? „Mehr Gesetze bringen nicht mehr Recht“ = mehr EDV bringt keine bessere Organisation. Ordnung führet zu allen Tugenden, aber welche Tugend führet zur Ordnung? Johann W. von Goethe (1749 - 1832) Die Produktivität der Wirtschaft - die Schlüsselgröße für Aufstieg und Niedergang der großen Mächte - steigt in Europa nicht mehr ausreichend, um auf den globalisierten Märkten zu gewinnen. Wollen wir Fortschritt durch eine wieder ausreichend steigende Produktivität, müssen wir nach allgemeiner Überzeugung einfach wieder mehr Druck machen. Wenn wir mehr Leistung einfordern, wird auch mehr gearbeitet werden. Das ist der übliche, möglicherweise irgendwann früher auch bewährte Ansatz. Die Wirklichkeit ist jedoch anders. Produktivität entsteht heute nicht mehr durch Druck, sondern durch eine einfachere Organisation. Warum zum Beispiel ist Norditalien derzeit die produktivste Region Europas (gemessen am BIP (=Bruttoinlandsprodukt) pro Kopf)? Weil die Italiener keine komplizierten Organisationen zulassen, mittelständisch organisiert sind (außer FIAT) und damit eine Kompliziertheit gar nicht erst diskutieren. „Das ist nur etwas für die Deutschen“. Der Patrone entscheidet am Morgen, was tagsüber zu tun ist. Warum sind die Asiaten so erfolgreich? So produktiv und wendig? Aus genau den gleichen Gründen. Sie bevorzugen die einfacheren Formen der industriellen Organisation, allerdings in Japan mit viel gegenseitiger Abstimmung und vielen kleinen Schritte zu einem großen Ziel - eine Methode, die hierzulande dem Total-Anspruch der EDV-Riege häufig zum Opfer fällt. Organisatorisch besser aufgestellt als Italiener und Chinesen sind vor allen anderen in Europa die Schweizer. Die deutschen Unternehmer schaffen es im internationalen Vergleich nur auf Platz sieben. (Quelle: Tagespresse). Besonders schlecht ist die Organisation in deutschen Energiekonzernen und im so genannten Gesundheitswesen. Diesen satten Unternehmen mangelt es an Einfachheit, vor allem bei den Entscheidungsstrukturen. Kleine Unternehmen arbeiten weitaus effizienter als Konzerne. Die Konzerne sind behäbig geworden, wie Schlachtschiffe behalten sie träge ihren Kurs. Die dort in Jahrzehnten ausgebauten Rechte lassen sich nur mit viel Kraft und Geduld aufbrechen. China schneidet auch deswegen so gut ab, weil die Firmen häufig noch jung und damit dynamischer sind. Und ein autokratischer Führungsstil führt zu schnellen Entscheidungen, die unverzüglich umgesetzt werden. <?page no="69"?> 6.4 Sehen wir die Bedeutung der Organisation? 61 Die Betriebe Chinas und Asiens pflegen eine einfache Organisation, investieren aber in modernere Maschinen. Sie sparen mehr und arbeiten zu den niedrigsten Stückkosten. Darin eingeschlossen sind nicht nur die Lohnkosten, sondern auch der Wasserkopf mit den Gemeinkosten. Durch ihre Kostenvorteile nehmen die Asiaten jeden Monat der westlichen Welt einige Promille an Marktanteilen ab. Aber schon heute verschulden sich die Amerikaner bei ihren asiatischen Gläubigern um mehr als 1 Milliarde Dollar pro Tag, immer noch steigend (2008). Eine simple Extrapolation über der Zeitachse zeigt uns - sozio-ökonomisch gedacht - sofort die künftige Machtverteilung auf dem Globus. Die Verlagerung der im Westen aussterbenden „kolonnenhaft zu organisierenden“ Arbeit nach Osten wird auch weiter gehen, denn was sich digitalisieren lässt, lässt sich auch globalisieren: Buchhaltung, Dokumentation, Finanzwesen, ja selbst Engineering und manches an Architektur. Diese Tätigkeiten, oft auch ganze Branchen wandern nach und nach in die Gebiete mit der höheren Produktivität und den niedrigeren Arbeitskosten. Es entsteht dadurch ein globales Ungleichgewicht der Arbeit. Die Arbeit wandert aus Kostengründen ab. Bei der Kompliziertheit ist das nicht der Fall. Sie wandert nicht ab, sie bleibt, verharrt vielleicht ein wenig und wächst dann weiter. Es ist wünschenswert, wenn auch sie umzöge. Alle Versuche des Bürokratie-Abbaus sind bislang gescheitert. Unaufhaltsam wie ein Krebsgeschwür bewirkt ein Naturgesetz offenbar das Wachstum des Komplizierten. Nie wächst Krebs in umgekehrter Richtung, nie vereinfacht sich die Bürokratie von allein. Eine Planung, eine Budgetierung, ein Controlling, eine Zeitwirtschaft - sie alle können einfach und auch kompliziert sein. Eine flexible Organisation, wie sie überall gefordert wird, kann unter vielen möglichen Aufgaben nur einige wenige leisten. Flexibilität wird für einen Angestellten inzwischen jedoch sehr gefährlich. Feste Arbeit ist heute kein Besitzstand mehr, selbst ein fester Inhalt fehlt meistens. Der flexible Mitarbeiter fragt nach seinem persönlichen Beitrag zum Erhalt des Ganzen. Wenn er diesen Beitrag erkennt, braucht es keine Motivations-Programme mehr. Das sind offenbar psychologische Gesetze, von denen wenig in den Organisations-Lehrbüchern steht. Auch von der nachhaltigen Stabilität einer Organisation ist selten die Rede. Stabilität fördert Einfachheit. Jahrelange Übung im Umgang miteinander verkürzt vieles und spart jeden Ansatz einer Regelungswut. Organisatorische Unruhe löst jedoch Bindungen auf und schafft damit neue Kompliziertheit. Dann muss über neue, stabilisierende Programme die Effizienz wieder gesucht werden - ein Teufelskreis, in dem viele Manager gefangen sind. Gewinnen wird die immer reife Persönlichkeit mit Selbstkontrolle, Distanz, Unaufgeregtheit, Skepsis, aber auch Begeisterungs- oder Motivationsfähigkeit. Sie weiß um Konkurrenzkampf, Neid, Missgunst, Verrat, Lüge, Egozentrik und Verbohrtheit. An diesen Erscheinungen in unserer Welt hat sich nichts geändert. Vielleicht ändern sich deswegen auch Firmen und Institutionen merkwürdigerweise kaum, sogar über längere Zeiträume hinweg. Bei derartigen Fixierungen <?page no="70"?> 6 Exkurs in die Theorie 62 bleiben die Verhaltensweisen erhalten, als würden die Mitarbeiter die Veränderungen gar nicht bemerken und als gäbe es so etwas wie einen unsterblichen Firmengeist. - Freiräume Für eine einfache Organisation gilt es Freiräume zu schaffen für das Eigene, das oft das Neue und überraschend Einfache ist. Manchmal scheint die Vereinfachung in Schwäche umzuschlagen, dann nämlich, wenn ein Mitarbeiter trotzt und auch durch Strenge in seiner Schlichtheit nicht mehr verunsichert werden kann. Er beherrscht seine Affekte nicht und wird grob. Beherrschung der Affekte und Verfeinerung der Umgangsformen machen im Wesentlichen die zivile Kultur aus. Das entwickelt sich nur im Freiraum, den jedes Individuum einfordert. Respekt im Umgang der Einzelnen, Gruppen und Einheiten wird gefordert. Das aber ist nicht zu organisieren. Gute Umgangsformen machen das Miteinander einfach. Weniger gute Leute bekommen weniger Freiraum bis hin zu gar keinem, z.B. die Arbeiter in Detroit vor 100 Jahren, gute und loyale Mitarbeiter, z. B. heutige Projektleiter sind mit vielen Freiheiten ausgestattet. Sie müssen sich nur an die vorgegebenen Grenzen für Termin, Aufwand und Ergebnis halten. Und immer müssen sie die jeweilige Unternehmensethik berücksichtigen. (Abbildung 3: Freiräume innerhalb enger Grenzen). Abbildung 3: Freiräume innerhalb enger Grenzen Helfrich 20081214 Eigenverantwortliche Gruppen Freiräume innerhalb strenger Grenzen Vereinbartes Ergebnis Budget, Termin, Qualität: strenge Grenzen Freiraum Freiraum Ziel <?page no="71"?> 6.5 Naturgesetze werden grob missachtet 63 - Die Welt des Angestellten Die Welt des Angestellten ist nicht die des Unternehmers, denn die beiden verkörpern zwei völlig verschiedene Lebensentwürfe. Für die Einfachheit ist nicht jeder Typ des Angestellten gleichermaßen geeignet. Der Rechthaber, der Ausnützer, der Illoyale gelten als schlechte Beispiele dafür. Aber auch der normale und loyale Angestellte kann an seinem Arbeitsplatz oft keine Verpflichtung mehr spüren, er sieht keinen Sinn oder Arbeitszweck; er fühlt oft nicht einmal mehr eine persönliche Sicherheit Die Ich-AG fördert dieses Gefühl. Bei ihr geht es nur um das Überleben. Eine Ich AG baut ganz bewusst keine sozialen Beziehungen mehr auf für eine längere Zeit und Freundschaften zu schließen wird schwierig. Die Ich-AG weiß nur eines: sicher ist die Unsicherheit. Daraus entstehen komplizierte Absicherungen, im beruflichen wie im persönlichen Bereich. Wenn der charismatische Chef fehlt, dann gibt es in den Groß-Organisationen kaum noch persönliche Ansprache. Die Chefs sind dann Funktionäre und mehr dem Aktienkurs als dem Miteinander verpflichtet. So wird Kompliziertheit gefördert und eine Menge an Festlegungen eingefordert: für Verantwortungen, Arbeitszeiten, Schnittstellen, Meetings, Protokolle, bis hin zur Kleidung - denn jeder will sich ja vor Fehlern schützen. „Was muss ich tun, damit mir nichts passiert? “ steht ungeschrieben über vielen Handlungen. Diese defensive Angestelltenwelt ist ein mächtiger Komplexitätstreiber. Peter F. Drucker kommt nicht umsonst zu dem berühmten, viel zitierten Ausdruck „Lähmschicht“. Sogar in der Freizeit entsteht eine merkwürdige Kompliziertheit. Weil die Lebensweise der „fun and action“-Generation immer oberflächlicher wird, muss die Vergnügungsindustrie komplizierter werden: mehr Aktionen, mehr Reisen, jeder muss überall gewesen sein und alles unternommen haben. Nichts wird gelassen erwartet, alles wird geplant und mit großem Aufwand an Transport und Detailregelungen in die Tat umgesetzt. Erholung gibt es dann am überregulierten Arbeitsplatz. 6.5 Naturgesetze werden grob missachtet Die Natur kennt keine zentralen Monopole. Die Naturgesetze gelten immer und überall, demnach auch in der Angestelltenwelt und in jeder Organisation. Man spricht jedoch nie über Naturgesetze in der Technokratenweltwelt. Das ist ein Nachteil, denn die Natur kann für Einfachheit sorgen. Sie ist sehr stark, man muss sie nur lassen. Man benötigt viel Kraft, um sich gegen ein Naturgesetz zu stemmen. Wahrscheinlich wird man verlieren dabei. <?page no="72"?> 6 Exkurs in die Theorie 64 Naturgesetze finden sich bei der Gruppenbildung, bei Gesundheits- und Kommunikationsregeln, bei der Ergonomie und in vielen anderen Bereichen. Bei der Gesundheit hat die Natur offensichtlich die besten Trümpfe in der Hand und niemand wird bezweifeln, dass ein Manager den Fehler seines Lebens gemacht hat, wenn er durch dauernde Überlast einen frühen Herztod erleidet, Aber schon die Tatsache, dass die Entwicklung vom Einfachen zum Komplizierten offenbar auch ein Naturgesetz ist, wird wahrscheinlich überall ungläubig kommentiert werden. Jedenfalls auch dahinter die Natur zu sehen, wird den meisten schwer fallen. Eine Entwicklung nach einer e-Funktion scheint - wie ja schon gesagt - auch ein Naturgesetz zu sein, obwohl man geneigt ist, sie eher zur Mathematik zu zählen. Wenn es sich beim Wachstum nach einer e-Funktion tatsächlich um ein Naturgesetz handelt, dann sind alle Verkomplizierer eigentlich gar nicht selbst verantwortlich? Denn was können sie gegen ein Naturgesetz tun? Die Natur bildet höchst einfache und effiziente Organisationen. Im Ameisenstaat hat das einzelne Tier genau den Job, der für den Arbeiter oder Soldaten vorgesehen ist. Ein Ameisenstaat umfasst alle hirnlosen Insekten zusammen und erst im Zusammenwirken entsteht offenbar etwas Höheres. Die Voraussetzung: sie haben einfache Jobs in einer einfachen Organisation. Zentralcomputer? Auch hier Fehlanzeige, wenn auch eine Termiten-Königin einige Zentral-Funktionen übernimmt, z.B. die des „Daseins“. Man weiß im Übrigen immer noch nicht, wie Termiten auf ihre Königin ausgerichtet werden. Man weiß nur: tötet man die Königin, zerfällt der Staat. Die Natur hat ein höchst einfaches und effektives System begründet. Das ist kein Beitrag für den Kreationismus, aber ein Bekenntnis zur Kraft einer einfachen Organisation, hier am Beispiel eines Insektenstaates. 1. Zentralismus und dezentrale Gruppenarbeit Ein Insektenstaat ist zentralistisch organisiert, sonst aber kennt die Natur keinen Zentralismus. Zentrale Organisationen haben nicht auf Ewigkeit Bestand, wohl aber die Natur. Jede Kompliziertheit in einer Organisations-Zentrale wirkt unnatürlich. Eine Holding muss demnach klein und einfach funktionieren. Kompliziertheit kann auch als „Entropie der Organisation“ bezeichnet werden. (Entropie = hier als Unordnung gemeint. Entropie führt zum Ausgleich der Energieunterschiede, sie wird oft als Wärmetod bezeichnet). Eine komplizierte, zentrale Organisation stirbt den Wärmetod an ihren inneren Reibungen, an den Schnittstellen, der Vielfalt der Kontrollsysteme und oft auch der komplizierten Entscheidungswege. Dagegen arbeitet eine gut gebildete Gruppe, z. B. eine Holding ohne innere Reibungen mit wenigen Schnittstellen zusammen. Sie kennt Kontrolle, aber kein Kontrollsystem, das diesen Namen verdient. Eine Gruppe besteht, einem weite- <?page no="73"?> 6.5 Naturgesetze werden grob missachtet 65 ren Naturgesetz zu Folge, immer aus 5 bis 8 Mann. Offenbar gibt es so etwas wie eine soziale Kohäsion und dieses Naturgesetz bestimmt diese Team- oder Gruppengröße. Jedenfalls zeigt die Erfahrung, dass in der genannten Gruppengröße die Zusammenarbeit noch ganz einfach funktioniert. Schon eine Großgruppe von z.B. 16 - 20 Mann zerfällt nach kurzer Zeit in zwei Teile und zwar ganz von selbst. Niemand muss das anordnen. Man kann das schon in einem Schikurs beobachten: der Schilehrer bildet die Großgruppe mit 20 Schülern und nach einem Vormittag hat sie sich auf natürliche Weise in zwei Kerngruppen geteilt. Die gut zusammenarbeitende Gruppe schwebt nicht irgendwo im Nirwana oder Gemeinkosten-Raum, sondern hat in der Regel viel mit Wertschöpfung zu tun. Sie kämpft um das vereinbarte Ergebnis, sie vermeidet Zeitverschwendung, z.B. durch Intrigen. Mit anderen Worten: sie ist leistungs-orientiert und nicht abgehoben. Und sie verlangt gute Führung, die nichts verkompliziert! Dazu braucht es eigentlich nicht viel Organisation. Alles kann einfach bleiben, wenn der Projektleiter Führung zeigt und genügend Kompetenz hat, um nicht nur den Ober-Koordinator spielen zu müssen. Deswegen ist die gut zusammen gesetzte Gruppe eine kraftvolle Einheit, in der normalerweise ergebnisorientiert und ohne Machtkampf zusammen gearbeitet wird. Sie ist der Kern einer produktiven Organisation, so wie die Familie als stabiler Kern einer Gesellschaft angesehen wird. Eine Gruppe fühlt sich dann wohl, wenn ein Ziel erreicht, sozusagen erjagt werden soll. Da sind die Jäger unter sich, die sich - auch bei Gegensätzen - sofort verbrüdern, jedenfalls solange bis der Feind erlegt ist. Da hilft der männliche „Tunnelblick“ (G. Höhler), der ja viel ausblendet um des einzigen Zweckes willen, nämlich den Feind zu erlegen. Eine Männersache, durch die Chromosomen verursacht. Deswegen sind Frauen in solchen Teams auch eher selten, denn sie leiden nicht unter der Abblendung der Wirklichkeit im männlichen Tunnelblick. Die Chemie muss allerdings stimmen. In der Soziologen-Sprache sagt man: Vertrauen und Loyalität sind die Basis für ein gemeinsames Leit- und Menschenbild. Oder sollte man sagen eine gemeinsame Vision, ein Traum für eine einfache, neue Welt, der alles vereint? Es gibt keine Gruppe ohne Chef: nicht auf der Pferdekoppel, nicht im Wolfsrudel, nicht im Hühnerstall und nicht bei Angestellten - nirgends! Wer eine Art Räterepublik einführen oder leiten möchte durch Arbeitskreise, Analysen und Befragungen kennt dieses Naturgesetz nicht. Er kann keinen Erfolg haben. Dafür gibt es inzwischen genügend Beispiele in Wirtschaft und Politik. Eine Gruppe vereinfacht und verringert die Kompliziertheit der Welt. Die Soziologen reden von der Reduktion der komplexen Umwelt in den „Sozialen Syste- <?page no="74"?> 6 Exkurs in die Theorie 66 men“, wie es z.B. in Kegelvereine oder Gebirgsschützen geschieht. Darin liegt ihr Reiz für den Einzelnen. Für das schwache Individuum ist das ein Segen, denn das macht ihn fast unverletzlich, auch in Lebens- oder Wirtschaftskrisen. Die Einfachheit einer Gruppe und eines Vereins schließt eine unbegrenzte Mitgliederzahl aus. Es werden bewusst Grenzen zur Umwelt gezogen. Die Abgrenzung vereinfacht, denn möglicherweise ist der Mensch für die globalisierte Vielfalt an Anregungen und Informationen gar nicht geschaffen. Durch Abgrenzung entstehen Inseln der Einfachheit in einer komplexen Umwelt, die durch einfache Ziele und natürliches Zusammensein glückliche und loyale Mitglieder für ihre jeweiligen Farben halten können. Sie verbreiten durch ihre natürliche Art soziale Wärme und Geborgenheit. Das Einbringen von Zuwendung, ja Liebe und positiver Energie in die Gemeinschaft, das sind merkwürdige Worte in unserer Technokratenwelt; sie sind jedoch - wie ja jeder aus eigener Erfahrung weiß - wichtige Teile des Daseins und eben auch des erfolgreichen Berufs im Team. Und sie sind ja auch von der Natur gefordert. Jeder Mensch hat diese Forderungen; auch das ist ein Naturgesetz. Die Gruppenorganisation ist nicht neu. Schon vor 40 Jahren gab es bei Volvo Fertigungsinseln oder autonome Arbeitsgruppen. Schon damals reduzierten sie höchst produktiv arbeitend die Kompliziertheit. Es waren Fabriken in der Fabrik. Derartig kleine und einfach organisierte Einheiten sind überall auf der Welt sehr erfolgreich, vorausgesetzt die Leute spielen das unternehmerische Spiel. Das übliche Rechenwerk der Firma, insbesondere die Kostenrechnung und im Weiteren auch das Controlling können die Kennzahlen der einfach organisierten, kleinen Einheit gar nicht erkennen, zum Beispiel Durchlaufzeit, Anzahl Störungen und Änderungen oder auch die interne Lagerumschlagszahl. Das übergeordnete Gesamtsystem benötigt nur noch ganz wenig Aufmerksamkeit der kleinen Einheit. Dies ist ja in der Regel mit Aufwand verbunden: Stammdatenpflege, Änderungshinweise, Vorgaben, Kontrollen, Störungsmeldung „nach oben“, regelmäßiges Reporting und dergleichen mehr. Die Soziologen sagen dazu: die Anzahl der möglichen Zustände der Gruppe hat sich verringert. Das führt auf ganz natürliche Weise zur Einfachheit. 2. Volkswirtschaft Einfache Naturgesetze in der Volkswirtschaft? Kapital, Sparquote und Investition in die Zukunft sind voneinander abhängige Begriffe - das ist zwar ein Gesetz, das jeder Student der Volkswirtschaftslehre schon im 1. Semester lernt. Aber kann man schon Naturgesetz dazu sagen? Die Gesamtsteuerung der Wirtschaft geschieht bekanntlich nur durch Markt und Geld, mit allen Defiziten, die mit der Reduktion der wirklichen Welt auf diese zwei Dimensionen verbunden ist. Es gibt keine Steuerungszentrale für Banken, Investoren, Hedge-Fonds, Industrien und andere Marktteilnehmer. So gesehen ist die Wirtschaft - eine eigentliche Volkswirtschaft gibt es ja in der Globalisierung nicht mehr - ein Sys- <?page no="75"?> 6.5 Naturgesetze werden grob missachtet 67 tem, das wie die Natur ohne Zentrale auskommt. Das Besondere: es gibt sich die Regeln selbst und wehrt sich gegen jede Kontrolle. Das sind wiederum unnatürliche Vorgaben, denn dort kennt jeder Teilnehmer die Spielregeln und die Kontrolle ist gnadenlos: ein Verstoß gegen die Regeln endet normalerweise mit dem Tod. Wenn aber - wie in den USA - äußerst geringe Ersparnisse und wenige Investitionen in unproduktive Industriezweige fließen und dennoch eine Illusion von Reichtum erzeugt wird, was sich in steigenden Preisen für Häuser und Grundstücken zeigt bzw. zeigte, entsteht Stillstand bei hohem Konsum. Das komplizierte Gesamtsystem verletzt damit die natürlichen Grundgesetze des Wirtschaftens. Es erzeugt durch kompliziert konstruierte Spekulationsprodukte der Finanzwelt den Anschein einer endlosen Geldvermehrung. Die Einfachheit, um das System und dessen Finanzprodukte zu verstehen, ist längst verloren gegangen. Selbst Insider sind überfordert, sonst könnte ein Alan Greenspan nicht sagen, dass er auch nicht mehr versteht, was bei der Finanzkrise vor sich ginge. 3. Räumlichkeiten Wenn man fremde Menschen nebeneinander setzt, sorgt ein geheimnisvolles Gesetz - ein Naturgesetz? - dafür, dass sie miteinander reden, sich kennen- und in der Regel schätzen lernen. Wenn es glücklich verläuft, gibt es eine Art geistige Nähe. Die Situation und das Gefühl ähneln dem Zustand, der entsteht, wenn die Menschen auf einer Hütte einige Tage eingeschneit waren. Für eine einfache Organisation in der Industrie sind das wertvolle Hinweise, die auf möglicherweise noch unentdeckten Naturgesetzen beruhen. Bei einem Sondereinzelfertiger zum Beispiel kann man mit nichts so viel Geld verdienen, wie durch das Nebeneinander-Setzen von Konstruktion und Materialwirtschaft mit Einkauf. Es entsteht dadurch eine natürliche Verbundenheit, die sehr viel nicht quantifizierbares Know-how vom einen zum anderen wandern lässt und an Einfachheit nicht zu übertreffen ist. Für die Gruppendynamik - wiederum ein Naturgesetz? - scheint es egal zu sein, ob die Menschen in gestylten Räumen arbeiten oder in einem alten Haus am Waldrand residieren dürfen. Jedoch: je weiter weg von einer Zentrale desto besser, produktiver und gemeinschaftlicher arbeiten erfahrungsgemäß die Teams zusammen. Offenbar wirkt der Freiraum positiv auf Kreativität, Zusammenhalt und Schwung. <?page no="76"?> 6 Exkurs in die Theorie 68 ANREGUNGEN: - Gibt es bei Ihnen Theorien, z.B. Konzepte und auch Systeme, die seit Jahren nicht produktiv arbeiten? - Haben Sie in Teilbereichen praktische Lösungen dagegen gesetzt? - Sind die Lösungen in Teilschritten zu gehen? - Gibt es wirklich für Sie keine Vorbilder aus den Firmengeschichten, der Psychologie, den Naturgesetzen etc.? <?page no="77"?> 7.1 Die Natur ist stets auf Nachhaltigkeit ausgerichtet 69 7 Bionik: Wie einfach macht es die Natur? 7.1 Die Natur ist stets auf Nachhaltigkeit ausgerichtet Bionik ist die Lehre von natürlichen Gesetzen, auf Organisation und Technik angewandt. Sie übernimmt Vorbilder der Natur für unsere Organisationen, Energieflüsse, Konstruktionen und anderes. Für viele Gebiete unseres Lebens gibt es Beispiele aus der Natur. Sie sollten stets als Vorbild dienen, weil in ihnen mehrere hundert Millionen von Erfahrung steckt. Die Bionik ist sozusagen der beste denkbare Unternehmensberater. Zugegeben: die Überschrift „Bionik“ ist ungewöhnlich. Was soll die Bionik, die Biologie, wenn es um Einfachheit, um einfache Organisation geht? Die Begründung ist überzeugend: Organisationen, die sich die Natur zum Vorbild genommen haben, funktionieren einfach und nachhaltig stabil. Ja, sie arbeiten sogar ohne großen Energie-Input und Koordinationsaufwand. Der Wirkungsgrad ist maximal. Ein Management-Einwirken wird nicht benötigt. Gerade künftig, wenn die angekündigten, großen Veränderungen eingetreten sein werden, brauchen wir Einfachheit, Nachhaltigkeit und Stabilität der Organisationen. Dann sind Vorbilder aus der Natur gefragt, zum Beispiel bei der Maximierung der Energie-Effizienz und bei einfachen Steuerungen zum Ausgleich von Energiebedarf und Energieangebot. (z.B. im Internet für Solarstrom). Wie schon erwähnt: Nachweislich hat uns die Natur einige Millionen Jahre im „Trial-and-Error“-Verfahren voraus. Was sich endlich nach diesem langen und brutalen Entwicklungsprozess als Lösung heraus kristallisiert hat, hat sich bewährt. Nachhaltigkeit in dezentralen Strukturen kann man nirgends so gut lernen wie von der Natur. Die Evolution ist allerdings kein Vorbild für uns, denn so viel Zeit haben wir gar nicht. Und eine Organisation ohne Menschen hilft uns nicht weiter, es sei denn, man hebt ab auf die Selbstorganisationsfähigkeit von natürlichen Gruppierungen ab wie bei Pferden, Wölfen etc. bis hin zur so genannten „Schwarmintelligenz“ von Termiten, Bienen oder Ameisen. Das Konzept der einfachen Selbstorganisation der Natur funktioniert schon ewig; dennoch wirkt es für uns noch ziemlich neu und fremdartig, weil der Taylorismus unser konzeptionelles Denken stark verseucht hatte. Immer noch wird das neue Konzept bekämpft, insbesondere durch die alten, in vielen Schlachten gereiften Betriebsleiter. „Mit den faulen und trägen Arbeitern kann man das doch nicht machen, noch nicht einmal versuchen“. Die „Alten“, die so etwas <?page no="78"?> 7 Bionik: Wie einfach macht es die Natur? 70 sagen und auch kaum zu belehren sind, stehen an der Spitze der Macht- Hierarchie, stets im Mittelpunkt und sie haben immer Recht. Sie sind die Repräsentanten der „Theorie X“ nach Douglas McGregor (The Human Side of Enterprise, 1960). Mit ihrem Ausscheiden zerbricht hoffentlich bald die alte Machtzentrale. Und es entsteht eine Chance für einen Aufbruch zu einfacheren, natürlichen Selbstorganisationen. Kein Stein wird dann auf dem anderen bleiben, alles wird neu und vereinfacht werden. Die Mitarbeiter müssen allerdings lernen, ohne die Dauerberieselung von Vorschriften und Kontrollen, also ohne die gefängnisartige Gängelung auszukommen. Das Führen nach „Theorie Y“ wird sie langsam emanzipieren und sie lernen, ohne Machtzentrale zu arbeiten. In der Natur gibt es keine Machtzentrale, dafür folgt sie vielen ganz simplen Organisationsgesetzen für Gruppengröße, Führungsverhalten, Einfachheit. Wenn es kein steuerndes Zentralhirn für eine Entscheidung gibt, muss man eben selbst in die vorderste Ebene und selbst denken und entscheiden. Nirgends kommt ein alter Betriebsleiter vor, den man letztlich schuldig sprechen könnte, wenn was schief gegangen ist. Dafür finden wir viel dezentrale Selbstorganisation rund um einen „Leitwolf“. Davon wurde viel übernommen in den letzten Jahren. Die Begriffe dazu heißen: „Fraktale Organisation“, „Fabrik in der Fabrik“, „autonome Arbeitsgruppe“ oder schlicht „Gruppenorganisation“, manchmal auch „Business Reengineering“. Alle haben sich längst vom Einzelarbeitsplatz und vom Akkordlohn verabschiedet. Alle müssen sich zu unterschiedlichen Graden selbst organisieren. 7.2 Kybernetik hilft uns weiter Die Rückkopplung ist das natürliche Prinzip der kybernetischen Steuerung schlechthin. Das bekannteste Beispiel dafür ist der Schweinezyklus: Wenn es zu viel Schweinefleisch auf dem Markt gibt, sinkt der Preis, die Produktion wird gedrosselt bis der Preis wieder steigt. Dann werden wieder mehr Schweine gezüchtet. Oder die Selbstregelung bei Füchsen oder Wölfen, wo die Natur je nach Futterangebot oder - Mangel die Anzahl regelt. Niemand greift hier ein, nur die Gesetze der Kybernetik oder eben der Rückkopplung. Kybernetische Konzepte haben eine natürliche, erfrischende Wirkung. Lässt man sie zu, wird alles einfach. Der Zentral-Computer muss gar nicht alles wissen - vieles regelt sich in gegebenen Grenzen von alleine. Alles wird dadurch einfacher. Kybernetik ist die Wissenschaft von der Struktur und Dynamik komplexer Systeme, insbesondere der Kommunikation und Steuerung durch Rückkopplung in einem Regelkreis. <?page no="79"?> 7.3 Dezentralisation ist das Prinzip der Natur 71 Beispiele aus unserem Wirtschaftsleben sind Kanban, autonome Arbeitsgruppen, Fraktale, Selbstverwaltung - alles bekannte Begriffe, die vom kybernetischen Konzept, das heißt von der Natur unterstützt werden. Die kybernetischen Naturgesetze sind überall gültig. Nur werden sie in einer herkömmlichen, betrieblichen Organisation eher selten angewendet. Hier herrschen immer noch die komplizierteren Regeln des Taylorismus und damit einer mechanistischen Organisation. Alles muss von irgendeiner Zentrale gesteuert werden. Selbst der Austausch einer Neonröhre wird von einem Internationalen Facility Management veranlasst, auch wenn dieses auf einem anderen Kontinent liegt. (Beispiel Opel-Werk). Eine Selbstregelung in gegebenen Grenzen sähe anders aus: der Leitende bestellt beim Vertrauens-Lieferanten per Fax die Neonröhre und lässt sie unverzüglich auch gleich einsetzen. 7.3 Dezentralisation ist das Prinzip der Natur Dezentralisation - richtig organisiert, das heißt mit vielen Freiräumen sowie der damit verbundenen Autonomie - verringert die Komplexität des ganzen Systems. Alles wird einfacher. Selbst das menschliche Gehirn kennt keine Zentrale für Entscheidungen. An vielen Orten werden gleichzeitig Teilergebnisse erarbeitet und dann zusammengefügt. Die Natur lebt nur in dezentralen Räumen. Die Natur ist das Vorbild für Dezentralisation. Alles kann dort in irgendeiner Weise als wertschöpfend bezeichnet werden, und nichts gehört zu einem wie auch immer gearteten verwaltenden Wasserkopf. Gemeinkostenbereiche gibt es nicht. Kein Organ kann weggelassen werden, jedes ist essentiell wichtig. (Eine Ausnahme bildet offenbar nur unser Blinddarm). Ganz wenige Informationen reichen für aus für eine Änderung, zum Beispiel des Kurses von Zugvögeln. Statt einer Steuerungszentrale gibt es unendlich zahlreiche Verbindungen. Alles in der Natur bildet, in der heutigen Sprache und in Analogie zur Computerwelt ein großes Netz. Das einzelne System in der Natur mag komplex sein. Im Austausch mit seiner Umgebung gibt es nur Einfaches. Die Verbindungen im Netz liefern nur wenige Informationen an die dezentralen Einheiten. Die Bionik als Wissensgebiet versucht dieses einfache und vernetzte Wirken zu verstehen, damit es für menschliche Konstrukte ausgenützt werden kann. Eine lebende Körperzelle benutzt zum Beispiel ähnlich einfache Steuerungs- Mechanismen wie die Arbeitsgruppe einer Firma. Im Kern der Körperzelle oder in Analogie beim Gruppensprecher laufen die wichtigen Informationen zur Steuerung zusammen. Beide sind dezentral angeordnet und reagieren auf unterschiedliche Störungen ohne Einwirkung einer Zentrale verschiedenartig. Ziel ist immer, die Funktion aufrecht zu erhalten. <?page no="80"?> 7 Bionik: Wie einfach macht es die Natur? 72 Ein bionisches Organisationsmodell sieht dem menschlichen Körper nicht nur ähnlich, sondern es beschreibt auch, wodurch die Effektivität dieses lebendigen, sozialen Systems gefördert wird. Danach gibt es Muss- und Kann-Kriterien für das Überleben von Organisationen (Viable System Model von St. Beer). Es gibt sogar von Pionieren der Bionik angelegte Unternehmens-Karten, die nach kybernetischen Prinzipien gezeichnet sind. Sie zeigen die Wirkung von Strukturen und Prozessen, ja manchmal sogar nur von Absichten. Diese Schemata sorgen mit wenig Aufwand auf engem Raum für Klarheit bei organisatorischen Maßnahmen, z.B. zur Beseitigung von Engpässen. Die Karten zeichnen sich aus durch Übersichtlichkeit und Einfachheit. 7.4 Selbstorganisation ist der Schlüssel zur Produktivität In der Natur stellt Selbstorganisation an sich nichts Besonderes dar. Kein lebendiges Gebilde der Natur kommt ohne Informationen zur Selbstorganisation aus. Ein Zellkern z.B. enthält sämtliche Information, die er benötigt, um sich durch den Körper zu bewegen und sich dort festzusetzen, wo er gebraucht wird. Jede Zelle trägt die für sie wichtigen Steuerungs-Informationen schon in sich (DNS/ A= Desoxyribonuklein-Säure = wichtigster Baustein des Zellkerns). Das Gehirn, sozusagen der Zentral-Computer nimmt von diesem Vorgang keinerlei Notiz. Die Regel heißt: Löse Dein Problem selbst! Die Natur hat alles in ganz einfachen Regeln festgelegt. Das Konzept dazu heißt Selbstorganisation. Auch die Führungsfrage wird auf natürliche Weise beantwortet: Bei Wölfen, Pferden, Hirschen usw. wird rasch und unter Umständen auch schmerzhaft entschieden, wer das Kommando über das Rudel hat. Von der Natur kann man lernen, wie sich der Stärkere durchsetzt. Aber auch, wie sich ein komplexes System stabilisiert, nämlich durch Redundanz und Unterschiedlichkeit. Redundanzen sind jedoch eine Art von Kapitalverbrechen in einer IT- Konzeption. Möglicherweise ist diese deswegen nicht sehr nachhaltig konzipiert. In der Selbstorganisation geschieht alles mit viel Redundanz und Vielfalt. Wenn die Bionik in ein Organisationskonzept eingebracht werden würde, könnte die Organisation sehr einfach gestaltet werden, denn der Chef kann sich dann auf die natürlichen Selbstregulierungen verlassen. Alle üblichen Fragen zur Organisation werden damit auf einfachste Weise beantwortet: Wer ist der Gruppen-Chef? Wie sähe seine Stellenbeschreibung aus? Mit welchen Informationen arbeitet er (oder sie)? Welches sind die wichtigen Kennzahlen? Wer geht wann in die Ferien? Das sind alles Fragen, die sich auf einfache, weil natürliche Weise selbst beantworten würden Die Bionik ist fast unbekannt und wird nur von ganz Wenigen angewendet. Sie ist ja auch noch jung, denn sie stammt vom Fast-Zeitgenossen Frederik Vester. (1925 - 2003). <?page no="81"?> 7.4 Selbstorganisation ist der Schlüssel zur Produktivität 73 ANREGUNGEN: - Der Chef ist dann und nur dann gut, wenn das Alltagsgeschäft ohne ihn läuft. - Nachhaltigkeit, Gesundheit der Mannschaft, Möglichkeiten zur Dezentralisation und Selbstorganisation als Fragen an eine jeweilige (Zentral-)Verwaltung gestellt, zeigen in jedem Fall überraschende Gestaltungsmöglichkeiten. <?page no="82"?> 8 Produkt- und Prozessgestaltung 74 8 Produkt- und Prozessgestaltung Motto: Nur die reale Welt und nicht das digitalisierte Modell entscheidet! 8.1 Produktgestaltung Entwicklung und Konstruktion sind die Mütter für alles Weitere im Produktleben. Jedoch: das Potenzial für Einfachheit, das in der Produktgestaltung liegt, wird kaum jemals behandelt. Ja, man kann sagen, dass Folgen der Einfachheit eines Produktes, eines Gerätes, einer Dienstleistung eigentlich nirgends als Rationalisierungsmöglichkeit diskutiert werden. Jedenfalls sind die Kostenrechner und die Controller blind auf diesem Gebiet. Nur die Praktiker nehmen sich ihrer an. Am sog. Point of Sale (POS) und im Konstruktionsbüro wird das Produkt einfach gemacht oder eben nicht. Was tun, wenn der Verkauf das berühmte „karierte Maiglöckchen“ oder die „eierlegende Wollmilchsau“ immer wieder verkauft? (Abbildung 1: Produktgestaltung nur am Beginn eines Prozesses). Deswegen werden im Folgenden weniger theoretische als praxistaugliche Überlegungen zur Vereinfachung der Produktgestaltung entwickelt. Ungewöhnliche Fragen zur Einfachheit sind dabei das Besondere. Zum Beispiel: inwiefern trägt die Zeit, insbesondere Wiederbeschaffungszeit zur Vereinfachung bei? 8.1.1 Wiederbeschaffungszeit (WBZ) der Teile Über die Wiederbeschaffungszeit oder - allgemeiner - über Zeiten redet man für die Fabrik der Zukunft oder für die „Production 4.0“ etc. nur am Rande, obwohl sie eine der entscheidenden Steuerungs-Größen der Vereinfachung ist. Deswegen habe ich sie hier an den Anfang der Betrachtungen gestellt. Ein mechanisches Produkt, das im Konstruktionsbüro gestaltet wird, ist der typische Normalfall. Aber natürlich gilt das Folgende auch für Software-Häuser, für Architekten, für Banken - kurz für jeden, der etwas Neues als Produkt auf den Markt bringen möchte. Es gilt für alle: - Je kürzer die Zeiten für das Fertigen oder Beschaffen, desto besser und einfacher kann alles werden. Von Lagerzeiten sollte man überhaupt nicht sprechen müssen. <?page no="83"?> 8.1 Produktgestaltung 75 Noch einmal: ich stelle die „Steuerungs-Größe Zeit“ für eine gute, weil einfache Produktgestaltung an den Anfang, weil ich weiß, dass sie kaum jemals in den Überlegungen für ein neues Produkt, in den CAD-Systemen oder in den Anleitungen für den Konstrukteur vorkommt. Welche Forderungen leiten sich aus der Betrachtung der Zeiten ab? - Konfigurieren der Technischen Lösung nur aus Bewährtem, d.h. aus bekanntem Teilen und Baugruppen, demnach nicht mehr das geniale Konstruieren mit dem Vorbild eines Leonardo da Vinci. Dadurch wird gefordert und gefördert: - Auswählen der Lieferanten auch nach Lieferzeit und -Sicherheit, nicht nur nach Kosten und Qualität. - Verkürzen der Durchlaufzeiten, insbesondere durch das Verhindern und Verkürzen von Lager-und Transportzeiten. Am ehesten gelingt dies durch das - Verwenden von Norm- oder Standardteilen Wenn der Konstrukteur nur aus Normteilen oder Firmenstandards wählen könnte, wenn sämtliche Teile in der Montage verfügbar wären oder auf Zuruf in kürzester Zeit zu beschaffen, wenn es nur 4 statt 16 Teile gäbe - wie bei Nachttischlampen-Schaltern - oder - nur 15000 statt 45000 Teilenummern - wie bei LKWs - ja, dann gäbe es das Fach Einfachheit oder Produktionslogistik in der Fertigung wohl gar nicht. Und auch kein Buch über „Das Prinzip Einfachheit“ mit Berücksichtigung der Produkt- und Prozessgestaltung. Oder wenn sich das 3-D-Drucken schon so durchgesetzt hätte, dass es ein fester Bestandteil der Produktionslogistik geworden wäre. Dieser idealisierte Sollzustand ist natürlich nur ein Traum. In Wirklichkeit muss mit zeitlichem Vorlauf beschafft und gefertigt werden, wobei allein die Wiederbeschaffungszeit (WBZ) - wie gesagt - eine der Schlüsselgrößen für gute Produktgestaltung ist. Kurze Zeiten durch Einfachheit werden im Konstruktionsbüro gefunden, um nicht zu sagen erzeugt. Das ist allein deswegen interessant, weil kein Buchhalter und kein Controller die positiven Auswirkungen einer kurzen Wiederbeschaffungszeit sehen kann. Obwohl sie auf alles einwirkt. Zum Beispiel auf: - Beschaffung - Logistik - Auftragsdurchsteuerung (auch PPS genannt) <?page no="84"?> 8 Produkt- und Prozessgestaltung 76 - Montage - Ersatzteildienst - Wartung usw. - Total Cost of Ownership (TCO) Die Produktgestaltung ist eine Domäne der technisch-wirtschaftlich ausgebildeten Organisatoren, z.B. der Wirtschaftsingenieure. 8.1.2 Produktaufbau mit weniger Teilenummern Einfachheit entsteht vor allem durch Weglassen. Es braucht danach weniger Teilenummern. Jeder weiß, dass dies leicht gefordert werden kann, jedoch überaus schwierig im Durchsetzen ist. Denn Weglassen ist schwieriger als Hinzuzufügen. Man ist immer wieder erstaunt, wie viel Kreativität in Verbesserungen, Ergänzungen und Perfektionen gesteckt wird und wie wenig in die doch so notwendige Vereinfachung. Alles wird komplizierter, als sei es ein Naturgesetz. Dabei scheint es eher vom Zeitgeist gesteuert zu sein. Und jeder weiß auch, dass nicht die Groß-Serie betreut werden muss, sondern vor allem die Varianten-Bildung mit der Fähigkeit, die Kunden-Variante als Losgröße „eins“ rasch und einfach zu fertigen. Ein anderer Produktaufbau führt zur Stücklisten-Vereinfachung (Abbildung 2: Stücklisten-Vereinfachung). Man erkennt, dass nicht alles für den Produktaufbau und die Prozess-Steuerung von Bedeutung ist. Als Grundsatz gilt: Nur durch - Vereinfachung am Beginn des Prozesses, nämlich im Konstruktionsbüro (dort und nur dort), wird über die Teilenummer entschieden: wird sie wirklich benötigt, gibt es dafür ein gleiches oder ähnliches Teil, einen Standard oder gar ein Normteil? Dazu ein Tipp aus der Praxis: Man kann mit keiner Maßnahme so viel Geld sparen, wie durch das Zusammenarbeiten von Konstruktionsbüro und Beschaffung, z.B. in einem Großraumbüro. Das Wissen um - Materialarten, - Vorzugslieferanten, - Varianten einer Bestellung - Preisvarianten (z.B. für Relativkosten) - Beschaffungsmöglichkeiten und um gleiche und ähnliche Teile etc. ist nur in einer gegenseitigen Kommunikation zwischen Konstrukteur und Beschaffer wirksam. Für den Betrieb eine unerschöpfliche Quelle für eine weitere Vereinfachung am Beginn des gesamten Produktlebens. <?page no="85"?> 8.1 Produktgestaltung 77 Die Praxis hat dafür die folgenden Möglichkeiten entwickelt: 1. Standardisieren der Konstruktionen: es gibt nur Bekanntes und das fertige Produkt wird in Losgröße „eins“ daraus zusammengesetzt. Dies kann schon im Verkaufsgespräch geschehen. Man spricht dann gern von der „Konfiguration der Technischen Lösung“. 2. Einführen eines Kundenentwicklungs- Teams (KET) mit Konstruktion, Verkauf, Logistik, Kostenrechnung und Einkauf 3. Erzeugen von Selbstinteresse der Konstrukteure an der Sachnummern- Reduktion z.B. durch Prämien Einführen eines sportlichen Wettbewerb zwischen den Gruppen Veröffentlichen in der Firmenzeitung Loben (selten angewandt und immer wirkungsvoll) mit dem Bekanntgeben der Gründe. 4. Einführen von Spezialregelungen: z.B.: Eine neue Sachnummer muss zwei alte Sachnummern töten. Der Konstrukteur ist dafür verantwortlich, dass dies geschieht. 5. Erschweren des Vergebens neuer Sachnummern, z.B. durch ein kompliziertes Genehmigungsverfahren 6. Einführen eines Wiederfindsystems für technische Lösungen, z.B. durch die bekannten Sachmerkmalsleisten oder ein Retrieval -System. 7. Einführen einer Plus/ Minus-Stückliste, in der jede Erweiterung vom Standard sichtbar wird. 8. Parametrieren der Konstruktion: Nur die Rechenregeln werden hinterlegt. Der Konstrukteur gibt nur die Parameter ein und das System „fährt die Geometrie-Daten hoch.“ 9. Begünstigen von Normen und Standards. 10. Genehmigen einer neuen Nummer nur über die Unterschrift des Chefs. 11. Verbieten neuer Teilenummern. Verbote sind allerdings nie ein Beispiel großer Führungskunst. 8.1.3 Regeln zur Variantenbildung Oft gelingt Einfachheit nur durch das Befolgen starrer Regeln. Dazu gilt: - Eine Variante entsteht so spät wie möglich - Eine Variante wird konfiguriert aus bekannten Baugruppen und Teilen <?page no="86"?> 8 Produkt- und Prozessgestaltung 78 Dadurch wird: 1. die Komplexität in der Fertigung vermieden und 2. die einfache Gestaltung des Produktes an den Beginn, demnach in die Produktgestaltung gelegt. Einige Regeln dazu: 1. Bilden der Variante so spät wie möglich. (wie ja schon gesagt). Zum Beispiel in der Montage oder - besser noch - beim Kunden. (IKEA-Prinzip). 2. Konstruieren in Modulbauweise (Bsp. PC-Industrie) 3. Einrichten eines „Jour Fixe“ mit Logistik, Fertigung, Einkauf u.a. zum Vermeiden neuer Teile. Die anderen wissen ja oft mehr! 4. Vorgeben eines Prozentsatzes an Gleichteilen, z.B. 30%. 5. Fördern von Norm- und Standardteilen durch Prämien oder einen „Filter“ im CAD-System. 6. Definieren der „Strategisch“ wichtigen Teile und Benennen eines „Sachnummern-Kümmerers“. Alle Klein- oder Normteile fallen damit aus dem System. 7. Vereinfachen des Systems, z. B. keine Sachnummern mehr für Farben, Etiketten oder andere Kleinigkeiten. 8. Einführen eines Notebooks im Verkauf: nur bekannte Teile können verkauft werden. (Die Geometrie-Daten der bekannten Sachnummern können fast zeitgleich an die NC-Automaten überspielt werden.) 9. Verkaufen der nächsthöheren Variante. Der Kunde bekommt z.B. statt des gewünschten 3,0 Tonners einen schon durchkonstruierten 3,5-Tonner. Das ist für die Firma günstiger und für den Kunden in den meisten Fällen auch. 10.Einführen einer „Fiktiven“ Baugruppe. Diese Baugruppe ist fiktiv, weil sie in den Katalogen nicht vorkommt, sondern nur von der Disposition bzw. dem Konstruktionsbüro als Hilfsgröße geführt wird. 11.Neu konstruieren mit weniger Teilen (z.B. nur 4 Teile anstelle von 16 für einen Nachttisch-Lampen-Schalter) 12.Neu und variantenfreundlich strukturieren ( z.B. durch neue montagefreundliche Konstruktion und flache Stückliste) 13.Belohnen: ein Gleichteil bringt 50.- Euro (netto) als Prämie für den Konstrukteur. Die Konstruktion neigt immer zum Perfekten und damit zum Komplizierten als gäbe es - dem Zeitgeist folgend - das Motto: „Vom Einfachen zum Komplizierten“. <?page no="87"?> 8.1 Produktgestaltung 79 Was aber sagte schon der große Albert Einstein? „Vom Komplizierten zum Einfachen, aber nicht mehr.“ Seit Generationen bewährt ist das Motto: die „Konfiguration der Technischen Lösung“. Nur Bekannte Teile und Baugruppen dürfen verwendet werden. Die setzt voraus, dass die Baugruppen im System gesichert sind und dass das Findsystem kein Problem hat, sie nach den Suchkriterien aufzurufen und wiederverwendbar zu machen. Schlüsselworte zum Thema Einfachheit in der Produktgestaltung sind demnach - Gleichteile, - Ähnliche Teile - Standards, - Normen Die Wiederbeschaffungszeiten und die Relativkosten werden jeweils am Bildschirm auch angezeigt. Die Charakteristik zeigt Abbildung 1: (Abbildung 1: Produktgestaltung nur am Beginn eines Prozesses im Konstruktionsbüro). Abbildung 4: Produktgestaltung nur am Beginn eines Prozesses. <?page no="88"?> 8 Produkt- und Prozessgestaltung 80 Abbildung 5: Stücklisten-Vereinfachung Abbildung 6: Radikale Vereinfachung 8.1.4 Zur Parametrierung Bei der (in der Regel in der Praxis unbekannten Parametrierung) werden nur die Rechenregeln (neudeutsch: Algorithmen) hinterlegt. Somit nicht die großen Dateien für die Zeichnungen und ihrer Varianten: statt großer Mengen an Daten benötigt man nur eine einzige Formel. Ein gutes Beispiel dafür sind die DIN-Normen der Papierformate. Die Papierformate haben alle die gleiche Formel für das Verhältnis der Kantenlängen. Die <?page no="89"?> 8.1 Produktgestaltung 81 beiden Kantenlängen a und b stehen in jedem Format (A0 bis A8) im gleichen Verhältnis. Es genügt also die Eingabe einer einzigen Größe. Es braucht damit nur die Eingabe einer einzigen Kantenlänge, um sich das Format errechnen zu können. Die einzelnen Formate (DIN A0, DIN A1 etc.) sind durch einen ganzzahligen Multiplikator für die Fläche bestimmt. Im Übrigen: der „Goldene Schnitt“ wurde bei der Festlegung der Rechenregel berücksichtigt. Dieses Parametrieren, hier beispielhaft für die schlichten DIN-Papier-Formate, wird international gerühmt. Aber auch Schrauben, Muttern u.a. sind parametriert - eine Großtat der Gründer der Deutschen Industrie-Norm (= DIN). Sie leisteten schon damals einen Beitrag zur Vereinfachung, insbesondere der Dokumentation und der Konstruktion. 8.1.5 Zum Findsystem: Jede Konstruktions-Arbeit am CAD-Bildschirm muss nach bekannten Regeln nachvollziehbar sein. Denn die Nachvollziehbarkeit erspart Kontrolle. Sie ist eine Charakteristik guten Prozess-Managements. Oder: je straffer die Regeln, desto weniger Führung braucht es. Das Management kann sich auf eine Kontrolle des Einhaltens der Regeln beschränken. Für die Nachvollziehbarkeit müssen die bewährten Lösungen früherer Konstruktionen leicht gefunden werden können. Diese Find-Kriterien sind: Datum Name Projekt Baugruppe Technische Funktion Die Sachnummer als Find-Kriterium ist in der Regel schlecht geeignet. Sie sollte nur als Notlösung zugelassen werden. Wer merkt sich schon eine 10-stellige Nummer, insbesondere wenn sie keine Klassifikations-Merkmale hat? Konstruktions-Grundsätze (aus der Praxis): 1. Alle Varianten sind durch Rechenregeln miteinander verbunden (Vorstufe zur künftigen Parametrierung) 2. Das Produkt wird von innen nach außen entwickelt Wenn man die Anzahl der Teilenummern verkleinern will, muss man brutal sein. Weglassen ist schwerer als hinzuzufügen. <?page no="90"?> 8 Produkt- und Prozessgestaltung 82 3. Eine Variante entsteht so spät wie möglich, am besten erst beim Kunden (IKEA! ). 4. Gliederung und Ausführung entsprechen den Regeln, d.h. private Spezialregelungen fallen weg. 5. Das Konstruktionsbüro konstruiert in vollständiger Eigenkontrolle. Es gibt keine nachgeschalteten Kontrollorgane wie Normenstelle u.a. 6. Die Konstruktion arbeitet nach festgelegten Regeln, die in den Handbüchern (bzw. im CAD-System) z.B. für Grundnormen und Zentrierbohrungen festgelegt sind. 7. Die Konstruktion beginnt die Arbeiten nur mit genauer Spezifikation (Pflichtenheft mit Angabe des Ergebnisses, des Aufwandes und des Termins), sie erzwingt eine Nullserie, sie hat eine Vorgabe für den Prozentsatz der Gleichteile, die maximale Wiederbeschaffungszeit, die Herstellkosten u.a. 8. Die Konstruktion hält die Baugruppen-Gliederung ohne Kompromisse ein. 9. Die Konstruktion legt zuerst die Standard-Typen eines Typs fest, aus denen dann die Varianten entwickelt werden. Die Konstruktion arbeitet mit der Teile-Fertigung, der Montage und der Logistik nach festen Regeln zusammen. 10.Die Konstruktion erarbeitet für das „Target Costing“ mindestens drei Lösungen. 11.Die Konstruktion stellt durch Simulation im 3D-System sicher, dass in der Montage alle Teile passen. 12.Die Konstruktion verwendet Vorzugsteile. Neue Sachnummern bedürfen einer eigenen Begründung. 13.Die Konstruktion verwendet die Grundelemente des Produktes in Standardisierter Ausführung. Sie arbeitet „von innen nach außen“. 14.Die Konstruktion errechnet die Lebensdauer des Produktes, den Energieverbrauch, stellt die einfache Montage sicher, zeigt die Möglichkeiten der Fernwartung u.a. Das ist Teil der Konstruktionsrichtlinien für das “Total Cost of Ownership“. (TCO). Das TCO wird aktiv vermarktet und ist Teil der neuen Strategie. 15.Die Konstruktion arbeitet nach Leistungspaketen: Ergebnis, Aufwand und Termin werden vor Beginn der Arbeiten geplant. Der zusammen mit der Logistik und der Fertigung organisierte Änderungsdienst nimmt nicht mehr als 25% der Kapazität in Anspruch. Die Arbeitsplanung und -Vorbereitung (APV) ist ein fester Bestandteil des Managements im Konstruktionsbüro. Es gibt keine nicht budgetierte, d.h. nicht vorbereitete Konstruktionsarbeit mehr! Dadurch wird auch das Wiederverwenden ausgereifter Lösungen erleichtert. <?page no="91"?> 8.1 Produktgestaltung 83 8.1.6 Technische Perfektion und Kosten: Das Konstruktionsbüro liebt in aller Regel die perfekte Lösung, ohne Rücksicht auf Preise und Kosten. Damit kann man jede Firma ohne Anstrengung in den Konkurs treiben. Das konventionell ausgerichtete Controlling merkt es noch nicht einmal und ergreift deswegen auch keine Gegenmaßnahmen. Wir streifen hier das viel diskutierte Thema der Komplexitätskosten. Komplexität ist z.B. ausgedrückt durch die Zahl der Varianten oder die Anzahl der Teilenummern oder auch nur die Anzahl der Lieferanten oder Partner. Kosten sind hier immer Vollkosten. Dazu gehören auch Meetings und Abstimmungen mit dem Kunden, Lagerhaltungs- oder Beschaffungskosten für eine Variante. Diese Kosten werden niemals in einem Betriebsabrechnungsbogen (BAB), im Rechnungswesen oder in der Kostenrechnung geführt. Sie sind sozusagen unsichtbar. 8.1.7 Total Cost of Ownership (TCO): Die heute vielfach geforderte Prozess-Orientierung macht es erforderlich, nicht nur die einzelnen Funktionen des Prozesses, sondern auch deren jeweilige Kosten aufzulisten. Das ist nicht neu, sondern schon immer die Aufgabe einer Kostenstellenrechnung. Wenn man jedoch nicht nur den eigenen Betrieb zu Grunde legt, sondern die gesamten Kosten im Laufe des Produktlebens über der Zeitachse, dann spricht man heute gern von Total Cost of Ownership, kurz TCO. Das sind die Kosten (und manchmal auch der Nutzen) des Gesamtprozesses über der gesamten Lebensdauer. Dafür gibt es Beispiele aus der Autobranche, aber verstärkt auch aus dem Facility Management. Daraus geht dann z.B. hervor, dass die Investitions- Kosten eines Gebäudes nur 5% der TCO ausmachen. Die 95 % übrige Kosten werden nicht „gemanagt“: es gibt keinen „Kümmerer“ für sie. Fast in allen Branchen werden offiziell nicht die Gesamtkosten betrachtet. Umweltfragen, Müll, Produkthaftung und Recyclings-Möglichkeit sind keine Themen, müssten aber stets erhoben werden. Ein Gesamtkonzept ist kaum irgendwo erkennbar. Wer kümmert sich um die praxistaugliche Gliederung und dessen Folgekosten eines Projektes, eines Gebäudes, einer Anlage oder auch eines Softwarepaketes während der Forschung und Entwicklung (F+E) und der Arbeiten im Konstruktionsbüro oder Programmierung? <?page no="92"?> 8 Produkt- und Prozessgestaltung 84 Durch die Möglichkeiten der Informations-Technologie (IT) kann dieses Konzept besser als jemals zuvor verwirklicht werden. Die Autofirmen sind auch hier die Vorreiter: sie montieren an jedem Fahrzeug einen Chip, der alles enthält, was an Information für die Fertigung wichtig ist, aber auch, was umgekehrt von der Fertigung an das Produkt mitzuteilen ist. Nichts spricht dagegen, diesen Chip so auszulegen, dass er für das gesamte Fahrzeugleben wichtig wird. Sämtliche Informationen dazu werden gespeichert und sie werden auch für die Service-Stellen auswertbar gehalten. Für ein Auto z.B. sämtliche Tankstopps, alle Wartungen und Reparaturen, alle besonderen Ereignisse wie das Überschreiten der Höchstgeschwindigkeit, das Überhitzen des Motors etc. Ein Bewegungsbild wird möglich und damit auch die totale Überwachung. Darin wird eine Hürde durch unsere Datenschützer erkennbar, die künftigen Prozess-Managern das Leben erschweren dürfte. Ein gutes Hilfsmittel für die Prozess-Betrachtung ist eine um 90 Grad gedrehte Stückliste. So entsteht eine Stückliste über der Zeitachse. Man erkennt in ihr sofort die Langläufer, manchmal auch die Engpass-Teile. In jedem Falle sind die Kernkompetenzen (die wichtigen Baugruppen) deutlich zu erkennen. Ein wenig erinnert die Stückliste über der Zeitachse an ein Gleisbild-Stellwerk eines großen Bahnhofs. Sie ist - genau wie dieses - ein wirkungsvolles Steuerungshilfsmittel. Unabhängig von der Methode, muss der Produktaufbau und damit die Stückliste einfach und flach sein. Eine tief gestaffelte Stückliste bringt immer Probleme der Übergangszeiten, der Losgrößen- Bildung und der Steuerung mit sich. 8.1.8 Praktische Vereinfachungen: Etiketten sind z.B. nicht in der Stückliste zu führen. Sie werden dezentral in der Montage ausgedruckt, sozusagen Just-in-Time und ohne Disposition durch das System. Sie sind stets verfügbar und bedürfen keiner eigenen Steuerung durch irgendeine Art des Prozess-Managements. Hier ist die Selbststeuerung das Prinzip. Einige Stücklistenäste sind ausgegliedert, d.h. gestrichen. Sie werden nicht mehr zentral disponiert, sondern sind in der Verantwortung der Meister oder der Mitarbeiter im Lager. Man erkennt in der Skizze die Stückliste über der Zeitachse als wichtiges Instrument. (Abbildung 2). <?page no="93"?> 8.2 Prozess-Gestaltung 85 8.1.9 Zusammenhang zwischen einer flachen Stückliste und der Termintreue Die Art der Stückliste ist für die Terminierung von ausschlaggebender Bedeutung. Eine vielstufige Stückliste verunmöglicht eine hohe Termintreue, es sei denn, es werden große Lagerbestände geführt. Es geht demnach darum, die Stücklisten zu verflachen. Je flacher die Stückliste ist, desto besser kann der Prozess oder der Auftrag gesteuert werden. Die in der Regel großzügig bemessenen Übergangszeiten mit ihren systemimmanenten Streuungen der Zeiten machen irgendeine Art der Steuerung des Auftrages zunichte. Darüber hinaus berechnet das System die Termine und Mengen nach Regeln, die den Beteiligten meist unbekannt sind. Für die Steuerung der Wertschöpfungskette benötigt niemand die Vollständigkeit der Stückliste. Kleinteile werden nicht eigens gesteuert. Allerdings: Die Prozesse, das sind häufig die Kernkompetenzen, müssen erkennbar sein, damit sie gesteuert werden können. Jeder Prozess ist ein Stücklistenast. Und jeder Prozess hat seinen Kümmerer (neudeutsch Prozess-Owner). 8.2 Prozess-Gestaltung Während die Produkt-Gestaltung sofort zum Vereinfachungs-Thema wird, braucht es für die Begründung der Prozess-Gestaltung immer noch einige Überzeugungsarbeit. Prozess ist derzeit ein Modewort. Alles, was früher ganz harmlos und richtig als Ablauf bezeichnet wurde, ist heute stets bedeutungsschwer ein Prozess. Gute Beispiele Einfachheit der Produkte und Prozesse sind die Firmen - Aldi - Lidl - IKEA - ….. 8.2.1 Ziele der Prozess-Gestaltung Diese Überschrift dürfte es nicht geben, weil ja die neue IT (Information Technology) alles vereinfacht. Die reale Welt ist nicht interessant, wichtig sind die digitalabgebildeten Prozesse und diese müssen nicht eigens gestaltet werden. Dafür gibt es die Algorithmen. Und die gefürchtete Schnittstellen zwischen einzelnen Abteilungen kommen in der IT-Abbildung so wie so nicht vor. <?page no="94"?> 8 Produkt- und Prozessgestaltung 86 Der betriebliche Alltag wird bestimmt durch Ausnahmen: fehlende Teile, fehlende Mitarbeiter, fehlende Erklärungen, fehlende Informationen, fehlende Einsatzfreude, etc. Schlüssel zum Erfolg ist die Prozesssicherheit. Alles was ihr entgegensteht, beeinträchtigt natürlich den Erfolg. Und so ändert sich das Interesse des Managements, das früher gerne in Systemen dachte und insbesondere dort an die EDV und sich dabei oft nur - wie die Feuerwehr - um Störungsbeseitigung zu kümmern hatte. Jetzt, unter dem Stichwort Einfachheit, Standardisierung und Prozesssicherheit geht es um den geglätteten Prozess. (Abbildung 3: Radikale Vereinfachung). Je einfacher und standardisierter der Ablauf ist, desto weniger Ausnahmen gibt es, desto billiger wird der Prozess und desto besser ist die Eingriffs- oder Steuerungsmöglichkeit. Früher konnte man viele Unregelmäßigkeiten über Lagerbestände abpuffern. Ausnahme sind seit langem die Autohersteller. Sie sind führend im Thema Prozessgestaltung. Alles, was erst am Punkt der Wertschöpfung geklärt werden muss, stört den Prozess. Hier leistet die vorhin erwähnte ISO 9001ff einen großen Beitrag: Die Verfahren und Methoden zuerst dokumentieren, sie dann auf Standardisierung prüfen und die Abweichungen vom Standard ausmerzen, und zwar für immer - das ist vom Konzept eine große Hilfe für jeden Prozessmanager. Die Korrekturen werden dokumentiert. Die Norm ist als Hilfe für das Prozess- Management gedacht. Auch das geforderte Aufzeigen von Kennzahlen und das Dokumentieren des jeweiligen Trends bestärkt diese Hilfe. Charakteristisch dafür sind hier die vielen kleinen Schritte im Laufe der Zeit. Es gibt kaum jemals die große umwerfende 100 %-Lösung, die ja bei anderen Konzepten gängiges Leitbild ist. Diese Forderung nach standardisierter ausnahmefreier Arbeit steht nur vermeintlich im Widerspruch zu der andernorts empfohlenen Freiheit einer meistergeführten Werkstatt. Beides lässt sich sehr gut miteinander verbinden, wenn man in der ISO nur die Verfahren beschreibt, aber das Detail der Arbeitsschritte (in den Arbeitsplänen) frei lässt und damit ausdrücklich nicht in das ISO-Regelwerk einbindet. So bleiben genügend Spielräume für die Meisterwerkstatt und es entsteht keine hinderliche Bürokratie. Zugleich können die Ausnahmen im kleinstmöglichen Regelkreis bearbeitet werden; sie belasten damit nicht das Gesamtsystem. Ein gängiger Ausweg aus dieser teuren Organisation um Varianten herum, ist - wie bereits erwähnt - eine Variante erst in der Montage entstehen zu lassen. Die Pipeline - vom Verkauf - bis zur Montage - bearbeitet den Standard mit dem geringstmöglichen Aufwand. Erst in der Montage entsteht die Variante: andere Farbe, andere Etiketten für den Export, neue Verpackung, weitere Anschlüsse und vieles andere, z. B. auch Blechverkleidung und Hydraulik-Schläuche mit der Maßgabe „Anpassung in der Montage“. <?page no="95"?> 8.2 Prozess-Gestaltung 87 Die Ziele der Prozess- Gestaltung sind schlicht: Sicherstellen der größtmöglichen Einfachheit des Auftragsdurchlaufes, um Störungen zu minimieren und Eingriffe zur Auftragssteuerung zu erleichtern. Größtmögliche Einfachheit bedeutet - Wenige oder keine Ausnahmen wenige Schnittstellen, keine großen Verästelungen, keine Rückkopplungen, übersichtliche, kurze Wege und klare Zuständigkeiten. Der Prozess, den es zu steuern gilt, beginnt schon am Point of Sale (POS). Dort wird schon über die Variante, die Menge, die Termine, die Zahlungsart, die Verpackung und die Zustellung bestimmt. Jede Unklarheit, jeder offene Punkt behindert den Auftragsdurchlauf, den späteren Prozess. Der Prozess- Manager muss sich um „seinen“ Auftrag schon am POS kümmern: was ist eigentlich wirklich verkauft worden, wie hat der Kunde oder der Verkauf diese Angabe gemeint? Nach welcher Norm wird geliefert? Gibt es mündlich zugesagte Zusatzleistungen? 8.2.2 Zeitpotenziale: Die Zeitpotenziale liegen heute nicht mehr in der relativ kurzen Zeit für Wertschöpfung („dort, wo die Späne fliegen“), sondern in den Gebieten, in denen das Prozessmanagement federführend ist, nämlich in Beschaffung und Distribution. Dafür ist die Durchlaufzeit-Entwicklung ein gutes Beispiel. Das Prozessmanagement hat in den letzten Jahren bereits gut gearbeitet. Die Durchlauf- und die Wiederbeschaffungszeiten sind für das Prozessmanagement ganz entscheidende Gestaltungsfelder. Der Prozess ist nur dann gut neu gestaltet, wen die Kurzatmigkeit des gesamten Systems sichergestellt ist. Ein wichtiges Ergebnis kurzer Wiederbeschaffungszeiten ist die geringe Anfälligkeit des Systems gegen Änderungen und Störungen. Die hohe Schule wird durch den Begriff Antifragilität gekennzeichnet: nach jeder beseitigten Störung ist der Prozess besser, d.h. sicherer geworden. Antifragilität entsteht durch Selbst- Reparatur in Freiräumen, in denen keine Zentrale Organisation eingreifen muss. 8.2.3 Schnittstellen: Wenn ein Prozess neu gestaltet und auch nur geglättet werden soll, gilt das zuerst für die Schnittstellen. Sie stehen als Folge des überholten Taylorismus einem ungebremsten Durchlauf immer im Weg. Jede Abteilung bildet ein Herzogtum mit klaren Grenzen; sie hat einen Chef, einen Herzog. So entstehen Proble- <?page no="96"?> 8 Produkt- und Prozessgestaltung 88 me der Bürokratie: Belege müssen zum Beispiel neu erstellt und verbucht werden, z.B. für einen Lagerein- und späteren Ausgang. So hat ein Auftrag in einer Boiler-Fertigung allein acht Schnittstellen mit dem Lager. Wie will man da eigentlich noch Geld verdienen? Oft gleicht der Prozess eher einem Irrweg. Offensichtlich hat es keinen Sinn, einen Irrweg EDV-technisch zu betreuen, zu digitalisieren, um ihn besser „in den Griff zu bekommen“. Dieses Vorhaben wird scheitern! - Zusammenfassen verschiedener Kostenstellen z.B. Auflösen der Kostenstelle "Vorfertigung" (Biegen, Schneiden etc.) und zusammenfassen mit der Kostenstelle "Schweißerei". - Erhöhen der Prozesssicherheit in der Emaillierung durch Pflichten des dortigen Meisters auf bedingungslose Ausbesserung bzw. Reparatur in der nachfolgenden Nachtschicht. - Umstellen von Druck auf das Holbzw. Pullprinzip, damit Auflösen fast sämtlicher Halbfabrikate-Lager. - Einführen von 3-Tages-Scheiben für die Abschnitte Fertigen und Montieren. Innerhalb dieser Zeitscheiben können die Meister die Reihenfolge der Aufträge selbst bestimmen. - Einführen von Tagesscheiben der jeweiligen Fertigungsabschnitte. Etwa 30-40 Kundenaufträge pro Tag entsprechen ihrer Kapazitätsanforderung. - Einführen einer Logistik, die eine Grobplanung durchführt sowie die Kompetenz hat als Prozessmanager für kurze Durchlaufbzw. Wiederbeschaffungs-Zeiten zu sorgen. - Entwickeln eines Standardboilers, der erst in der Montage für die jeweilige Variante umgerüstet werden kann. Der Standardboiler ist in keinem Katalog geführt. Einführen einer ausschließlich kundenauftragsbezogenen Fertigung ohne Lagerberührung 8.2.4 Reduktion der Ausnahmen Ausnahmen müssen überall beseitigt werden, insbesondere aber in den folgenden Bereichen: Rückgabe-Möglichkeiten Anzahlungen Zahlungsarten Verpackungen Varianten <?page no="97"?> 8.2 Prozess-Gestaltung 89 Lieferterminen Angaben für unterschiedliche Lieferadressen und Kundenadresse Aussehen und Adressierung von Lieferschein und Rechnungen Teillieferungen Kommissionsware Dreiecks-Geschäfte Mengen Kombinationen von Waren-Rücknahme, Garantiefall, Austausch und Neulieferung Kulanzen ........ Besonders verhängnisvoll ist eine Auftragsabklärung erst in der Montage. So hat alles, was am POS festgelegt wird - Termine, Mengen, Variante, Zahlungsbedingungen und Lieferung etc. - einen Einfluss auf den damit angestoßenen Prozess. Vielfach wird das Ergebnis der Verkaufsverhandlung durch eine Checkliste vorbereitet: nur die bekannten Sachnummern können überhaupt verkauft werden. Warum wird für jede Ausnahme der ganze organisatorische Apparat bereitgehalten? Wie klüger ist es doch, die 80% der Aufträge, die dem Standard gehorchen, auf kurzem Wege abzuwickeln mit allen Erleichterungen, die ein Standard auch für das Prozess-Management bringen kann und nur die 20% Ausnahmen und Exoten in eine Art der „Waschküchen-Bearbeitung“ einzuschleusen. Leitbild ist dabei die Lieferung über das Internet im sog. E-commerce. Der Roboter kann die Lagerentnahme und die Kommissionierung übernehmen, und oft braucht es keinen Lieferschein mehr und keine Rechnung - es wird vom bekannten Konto elektronisch abgebucht. Der Standard-Prozess kann - wie das Standard-Produkt - billiger angeboten werden. Jede Ausnahme kostet Geld und der Kunde sollte das wissen. Man spricht deswegen von der „Deckungsbeitrags-maximalen“ Variante bei Produkten und Prozessen. Der betriebliche Alltag wird bestimmt durch Ausnahmen: fehlende Teile, fehlende Mitarbeiter, fehlende Erklärungen, fehlende Informationen, fehlende Einsatzfreude, etc. Schlüssel zum Erfolg ist die Prozesssicherheit. Alles was ihr entgegensteht, beeinträchtigt natürlich den Erfolg. Und so ändert sich das Interesse des Managements, das früher gerne in Systemen dachte und insbesondere dort an die EDV und sich dabei oft nur - wie die Feuerwehr - um Störungsbeseitigung zu küm- <?page no="98"?> 8 Produkt- und Prozessgestaltung 90 mern hatte. Jetzt, unter dem Stichwort Einfachheit, Standardisierung und Prozesssicherheit geht es um den geglätteten Prozess. Je einfacher und standardisierter der Ablauf ist, desto weniger Ausnahmen gibt es, desto billiger wird der Prozess und desto besser ist die Eingriffs- oder Steuerungsmöglichkeit. Früher konnte man viele Unregelmäßigkeiten über Lagerbestände abpuffern. Ausnahme sind seit langem die Autohersteller. Alles, was erst am Punkt der Wertschöpfung geklärt werden muss, stört den Prozess. Hier leistet die vorhin erwähnte ISO 9001ff einen großen Beitrag: Die Verfahren und Methoden zuerst dokumentieren, sie dann auf Standardisierung prüfen und die Abweichungen vom Standard ausmerzen, und zwar für immer - das ist vom Konzept eine große Hilfe für jeden Prozessmanager. Die Korrekturen werden dokumentiert. Die Norm ist als Hilfe für das Prozess- Management gedacht. Auch das geforderte Aufzeigen von Kennzahlen und das Dokumentieren des jeweiligen Trends bestärkt diese Hilfe. Charakteristisch dafür sind hier die vielen kleinen Schritte im Laufe der Zeit. Es gibt kaum jemals die große umwerfende 100 %-Lösung, die ja bei anderen Konzepten gängiges Leitbild ist. Diese Forderung nach standardisierter ausnahmefreier Arbeit steht nur vermeintlich im Widerspruch zu der andernorts empfohlenen Freiheit einer meistergeführten Werkstatt. Beides lässt sich sehr gut miteinander verbinden, wenn man in der ISO nur die Verfahren beschreibt, aber das Detail der Arbeitsschritte (in den Arbeitsplänen) frei lässt und damit ausdrücklich nicht in das ISO-Regelwerk einbindet. So bleiben genügend Spielräume für die Meisterwerkstatt und es entsteht keine hinderliche Bürokratie. Zugleich können die Ausnahmen im kleinstmöglichen Regelkreis bearbeitet werden; sie belasten damit nicht das Gesamtsystem. Ein gängiger Ausweg aus dieser teuren Organisation um Varianten herum, ist - wie bereits erwähnt - eine Variante erst in der Montage entstehen zu lassen. Die Pipeline - vom Verkauf bis zur Montage - bearbeitet den Standard mit dem geringstmöglichen Aufwand. Erst in der Montage entsteht die Variante: andere Farbe, andere Etiketten für den Export, neue Verpackung, weitere Anschlüsse und vieles andere, z. b. auch Blechverkleidung und Hydraulik- Schläuche mit der Maßgabe „Anpassung in der Montage“. Die Glättung eines Prozesses ist nur manchmal ein Beseitigen von Ausnahmen. Oft sind die grundlegenden Einteilungen in Kostenstellen und die tradierte Anordnung von Maschinen und Abteilungen, die einen Prozess so „zerrupft“ und disharmonisch machen. Jeder Stücklisten-Ast hat seine eigene Fabrik. Dann gibt es keine Verflechtungen mehr und die Prioritäten sind klar. Oft spricht man dann von einem „Fraktal“ (Warnecke, TU Stuttgart). Die „Smart-Fabrik hat diese Prinzip vollständig übernommen, andere Firmen, die nicht so glücklich sind, auf der „Grünen Wiese“ neu anfangen zu können, haben einige Probleme mit der Neuordnung ihrer Anlagen im Sinne einer Prozess-Orientierung. <?page no="99"?> 8.2 Prozess-Gestaltung 91 Nicht nur Maschinen, auch Abteilungen sind Objekte einer Prozess-Glättung. Warum sitzt die Arbeitsvorbereitung im 3. Stock? Sie gehört doch zwischen die Maschinen! Warum konstruieren die Entwickler weit ab von allen anderen ? Sie sollten in die Nähe der Montage, damit sie jeden Tag die Sünden, die sie konstruiert haben, selbst sehen können oder -besser! - müssen. Warum sitzen Einkauf und Disposition getrennt? Man kann - einem On-dit der Praxis zufolge - bei einem Anlagenbauer durch nichts so viel Geld sparen, wie wenn man Konstruktion und Einkauf nebeneinander setzt. Durch die körperliche Nähe wird viel geglättet, vor allem die mühsamen Materialabklärungen, die oft fast als Insider-Wissen gehandelten Legierungen, Beschaffungsmöglichkeiten, Relativkosten, Lagerbestände, Aufbrauchmaterial etc., etc.. Eine neue Herausforderung für jeden Prozessmanager ist die Notwendigkeit, Abläufe auch in anderen Firmen, ja sogar in branchenfremden wie z.B. Speditionen harmonisieren zu müssen. Die gesamte Wertschöpfungskette muss neu gestaltet werden. Das ist mehr als technokratisches Systemeinführen. Diese Prozess-Gestaltung verlangt politisches Feingefühl und viel Überzeugungsarbeit. Ein geglätteter, neu gestalteter Prozess lässt sich immer neu und pufferlos darstellen. Die Zwischenpuffer sind der Neugestaltung fast immer zum Opfer gefallen. Es entsteht ein neues Layout. 8.2.5 Business-Reengineering (BR) und Lean Production Ohne es auszusprechen, wird angenommen, dass das alte, tayloristische System zu diesem Quantensprung nicht mehr fähig ist. (Abbildung 70). Die früheren Stabfunktionen, die eine Menge von Abstimmungen erforderlich machten, also die berüchtigten Schnittstellen-Probleme verursachten, sind in die Gruppe gewandert. (Abbildung 71). Der Zeitgewinn durch den Übergang von der Funktionszur Prozessorientierung wird von jedem Praktiker bestätigt. Oft ist es der erwähnte Quantensprung von 50%. Die Schnittstellen stehen müssen nicht mehr überwunden werden, die Herzöge stehen nicht mehr im Weg. Man erkennt das auch in den weggefallenen Tätigkeiten eines Wareneingangs, der hier natürlich nur als gegriffenes Beispiel steht. Hier ist der Ist-Zustand über der Zeitachse aufgezeigt. Das allein ist häufig eine verdienstvolle Anstrengung, die viele Diskussionen über Zeiten und Zeiten- Verschwendung auslösen kann. Hier wird diskutiert werden müssen, wie man <?page no="100"?> 8 Produkt- und Prozessgestaltung 92 die Durchlaufzeit durch die Montage verkürzt, z.B. in dem aus den hintereinander geschalteten Teilmontagen parallel angeordnete Teilmontagen werden. Unter Umständen muss dazu die Konstruktion geändert werden. Das Prozessmanagement gründet dafür ein Teilprojekt. Er sollte es sonst tun? Das Problem und das Potenzial, das in der Lösung steckt, wird ja von den Funktionsträgern aller Ebenen noch nicht einmal gesehen. Im Supply Chain Management ist der Zeitgewinn sogar noch größer, weil der Blickwinkel noch weiter reicht: vom Lieferanten über die relativ klein gewordene Eigenfertigung bis zum Kunden. Die Möglichkeiten der Digitalisierung in Verbindung mit einer perfekten Logistik in sog. „Value Nets“ (D.Bovet, J. Marta) zur Losgröße “eins” in wenigen Stunden ausgeliefert, bringt die Sache auf den Punkt: hier sind völlig neue Konzepte gefragt. Sogar das Denken in Supply Chains wirkt hier schon ein wenig altmodisch. Business Reengineering lebt von der Fähigkeit der Mitarbeiter, Verantwortung zu übernehmen. Der Prozessmanager ist derjenige, der die Budgets für seinen Prozess, seinen Auftrag bildet. 8.2.6 Die Rolle der ISO9001 ff. Eine internationale Norm als Quelle von Einfachheit? Ja, denn die viel gescholtene und oft nur als Bürokratie-Übung bezeichnete Norm ISO 9001 ff. hat in der Prozess-Gestaltung wirksame Maßnahmen gesetzt. Denn hier geht es erstmalig um die Beschreibung der Verfahren und der Arbeitsschritte - zusammengefasst um den Prozess - und es geht vor allem um die Ausmerzung der Fehler. Dann wird alles einfacher. Das ist allein deswegen beachtlich, weil nicht die Fehler, sondern die Maßnahmen zu deren Ausmerzung dokumentiert werden müssen. Die meisten Fehler werden aber bekanntlich durch Ausnahmen verursacht. Der Standard-Fall ist in der Regel leicht zu beherrschen. Wenn alle Fehler, die durch Ausnahmen bewirkt werden, beseitigt sind, sind auch die Ausnahmen selbst verschwunden. Der Prozess ist standardisiert: er ist einfach und sicher. Das erscheint als großer Verdienst, insbesondere wenn man bedenkt, dass ja die EDV-Mannschaften aller Firmen seit Jahren nichts anders machen als das Organisieren von Abläufen. In der neuen Terminologie nennt man das gerne: Abbilden der Prozesse. Allerdings mit einer anderen Zielsetzung: sie bemühen sich sämtliche Ausnahmen zu erfassen und wählen dazu gerne komplizierte EDV- Werkzeuge. Auf diese Weise sind die EDV-gestützten Organisationen immer komplizierter geworden. Das entspricht dem Selbstverständnis manchen EDV- <?page no="101"?> 8.2 Prozess-Gestaltung 93 Chefs und wohl auch ein wenig dem Zeitgeist. Für Einfachheit war dies keine gute Entwicklung. Die Organisationen wurden dadurch kompliziert. Die EDV wurde zum Daten ansaugenden Moloch. Die Qualitäts-Gesichtspunkte konnten nur noch EDV-gestützt in komplizierter Weise vorgetragen und berücksichtigt werden: von der Beteiligung der Obersten Leitung über die Steuerung der Dokumente bis zur Dokumentation des Arbeitsplanes. Das alles will die ISO9001 ff ja gar nicht. Sondern sie will für den Prozessmanager eine Unterstützung zur Einfachheit sein. Sie würde sich auch mit 5 Gliederungspunkten anstelle der üblichen 20 Punkte begnügen. Nämlich dann, wenn „es unternehmerisch denkend nützt.“ Deswegen liegt sehr viel an den Vorgaben, die die Projektleitung zur Einführung der ISO9001 bekommen hat. Die ISO 9001 ff. ist demnach - richtig eingeführt - eine große Chance für wirkungsvolles Prozess-Management. Sie kann in der Fertigung richtig eingeführt, sogar einige PPS-Anwendungen überflüssig machen. Nämlich dann, wenn die Eigenkontrolle auf den Prozess ausgeweitet wird: Termineinhaltung, Durchlaufzeit, dezentrales Controlling der Logistikleistung und andere kreative Neuerungen. Das ist ein immer erfolgreicher Beitrag zur Einfachheit: Dezentral in Eigenverantwortung. Die neue ISO 2000 sieht in der Qualitätssicherung hauptsächlich ein Werkzeug für die gute, d.h. einfache Steuerung der Prozesse. Sie ist damit ein Management-Tool für Qualität in Einfachheit. Eine wesentliche Regel der ISO2000 lautet, dass für jeden Teilprozess Kennzahlen gebildet werden müssen. Die Steuerung des Prozesses ist damit durch den Vergleich von Plan- und Istwert erleichtert. Man fühlt sich dadurch ein wenig an eine Piloten-Kanzel erinnert. Das ist ein gutes Bild für das Wesentliche: Steuerungsmöglichkeit durch das Aufzeigen der Trends. Kennzahlen sind dafür eine gute Voraussetzung. Einfach, einfach, einfach - vielleicht braucht es dann gar keine IT-Unterstützung mehr. Vielleicht kann das PPS-System sogar entfallen und die Werkstatt braucht nur noch die Angabe des machbaren Produktionsprogramms? Der Daten- Moloch, die datenansaugende Kralle, die IT greift ins Leere? Ist dies nicht ein begeisterndes Leitbild, wenn das Ziel Einfachheit ist? <?page no="102"?> 9 Praktische Hinweise 94 9 Praktische Hinweise Nichts kann den Menschen mehr stärken als das Vertrauen, das man ihm entgegenbringt (Paul Claudel, 1868 - 1955) 9.1 Für die Selbstorganisation Asiaten sind Gruppen-Mitglieder, Europäer neigen eher zum kreativen Individualismus. Die hier empfohlene Steigerung der Produktivität mit Hilfe der einfachen Selbstorganisation darf sich nicht gegen den kreativen Individualismus eines Europäers richten. Sie ist außerdem kein Allheilmittel und darf nicht überall angewendet werden. Aber sie ist einfach und sie wirkt nachhaltig. Es braucht innerhalb der Gruppe jedenfalls keine schriftlich festgelegten Regeln und Stellenbeschreibungen mehr. Mit Selbstorganisation meine ich auch einen respektvollen Arbeits- und Führungsstil. Wertschätzung des anderen und Kollegialität fördern die Zusammenarbeit, ja machen sie eigentlich erst möglich. Wie anders als durch Respekt will denn die Führung gute Arbeitsergebnisse erreichen? In der Gruppe stellt sich sofort heraus, ob das Ergebnis der Arbeit gut oder schlecht ist, es gibt keinen Dienst nach Vorschrift, dafür sorgt schon der berühmte Gruppenzwang. Die Gruppe fördert durch eine Art sportlichen Wettbewerbs die Kreativität und damit die Innovation - jedenfalls wenn man Glück mit der Auswahl der Mitglieder hatte. Für mich handelt es sich dabei um unternehmerische Kerntugenden, die keiner eigenen Begründung bedürfen. Vorbild zu sein, loslassen zu können und nicht jedes Detail selbst regeln zu wollen und dadurch keine Frustration aufkommen zu lassen, sind sowieso die Basis jeder Führung. Außerdem kosten frustrierte Mitarbeiter ja auch richtig Geld, allein dadurch, dass sie ihr Potenzial nicht nutzen. Irgendwann werden sie dann ein Fall für die Statistik, wenn nämlich ihre psychosomatischen Krankheiten (Kreislauf, Blutdruck, Magen….) das so genannte Gesundheitssystem belasten. Die Gruppe eröffnet dem Einzelnen im Allgemeinen mehr Einflussmöglichkeiten der Gestaltung, normalerweise jedenfalls, obwohl Aufstiegschancen und Verdienstmöglichkeiten sich nicht verbessern können. Dahinter steht die Erfahrung: Arbeitsplätze sind gestaltbar. Und damit auch gute oder schlechte Arbeit. Gruppen in Selbstorganisation stellen die beste Art dar, eine Aufsicht und die übliche Art der Kontrolle überflüssig zu machen. Dadurch wird jede Organisation sehr einfach. Es gibt praktisch - wie bei natürlichen Vorbildern - keinen Overhead oder Wasserkopf. Die Komplexität des Gesamtunternehmens wird vor allem durch zahlreiche starre Regeln bewirkt. Kann man demnach sagen, dass die eigentliche Wertschöp- <?page no="103"?> 9.1 Für die Selbstorganisation 95 fung, dort „wo die Späne fliegen“ immer einfach ist, ja sein muss? Ja, denn gute Organisation ist immer einfach. Der eigentliche Ablauf „vor Ort“, die Arbeit am sog. Punkt der Wertschöpfung, das Miteinander, das spontane Helfen - alles ist immer einfach. Nichts Kompliziertes kann sich dort auf Dauer halten. Die Erfahrung zeigt, dass diese sich selbst organisierten Einheiten produktiver arbeiten als die im herkömmlichen Sinne gebildeten Bereiche, in denen Aufsicht und Kontrolle einen großen Teil des für das Funktionieren erforderlichen Aufwands einnimmt. Diese Einfachheit der Selbstregulierung überzeugt auch Kritiker. Gilt das Prinzip der Selbstorganisation für alles? Nein. Bei der weltweiten Finanzkrise zeigte sich zum Beispiel, dass das Prinzip der Selbstregulierung versagt hat. Die Verbreitung fauler Kredite, damit undokumentierter, unregulierter und möglicherweise sogar unverstandener Risiken hat die Stabilität der Finanzmärkte unterhöhlt. Von funktionierender Selbstorganisation oder gar Kontrolle konnte gar keine Rede sein. Die Börsen der Welt und ihre hoch angesehenen, über alle Maßen bezahlten Akteure hatten und haben demnach die Risiken nicht im Griff. Ja, sie wissen noch nicht einmal Veränderungs-Möglichkeiten zur Korrektur. Das gesamte System war durch eine nicht mehr steuerbare Kompliziertheit aus dem Ruder gelaufen. Ein nachhaltig abschreckendes Beispiel für die Wirkung fehlender Einfachheit in Produkten und Regeln! Im Gegensatz zum komplizierten Finanzsystem, in dem sich Großbanken bewegen, arbeiten Privat-Banken üblicherweise nach einem einfachen und vor allem transparenten Geschäftsmodell. Jeder, Chef, Kunde und Mitarbeiter versteht die einfachen Produkte und Regeln der Bank. Auch die Organisation ist einfach, sie hält dadurch nachhaltig stabil. Viele Probleme lösen sich dann von selbst: das Problem der Kontrolle, das der Motivation, der Ergebnis-Orientierung, des unternehmerischen Mitdenkens, die Konzentration auf die Wertschöpfung - alles bedarf keiner organisatorischer Regelung mehr. Die Führung gibt das Ziel vor, stimmt es ab und hält danach schützend ihre Hand über der - oft - ergebnissüchtigen Einheit. Trotz dieser Ergebnis-Sucht sorgt die Selbstorganisation für größte Einfachheit im Alltag: die Kommunikation in der Gruppe, das Gespräch untereinander, die Kontrolle und Anweisung, die Meister-Tätigkeit, die Organisation auf Zuruf, das Schreiben, das Rechnen, das Schreiben und Verteilen von E-Mails, das Begrenzen der Pausen, das Transportieren und Beladen, in einer Werkstatt das Anreißen, Bohren, Fräsen - alles ganz einfache Tätigkeiten mit einfachen Regeln ohne irgendeine Notwendigkeit für ein übergreifendes Ganzes, sobald sich die Organisation selbst zurecht geschaukelt hat. <?page no="104"?> 9 Praktische Hinweise 96 Selbstorganisation - richtig eingespielt mit Verantwortung, Flexibilität, Gestaltungsmöglichkeit und Kompetenz vor Ort organisiert - verringert die Komplexität des Gesamtunternehmens. Diese Einfachheit der Selbstorganisation überrascht viele positiv. Aber Vorsicht: sie ist nicht überall und immer anwendbar. Spitzenleistungen benötigen zum Beispiel ein anderes Organisationsmodell. 9.2 Für Spitzenleistungen Forscher gehen längst davon aus, dass Leistungen nur in einer offenen Arbeitsatmosphäre wachsen. Jedenfalls können sie nicht von oben erzwungen werden. Sie brauchen Zeit, sich in lockerer Umgebung zu entwickeln. Ein Spitzenforscher für Spitzenleistung sagt dazu ganz einfach: „Work and have fun! “ Selbstorganisation mag vielen Sonderlingen entgegen kommen. Kritiker verkennen dabei, dass Spitzenleistungen nicht nach dem Top-Down-Prinzip funktionieren. Gelegentlich ist es unabdingbar, einen Schwerpunkt zu setzen, indem ein Externer - möglichst mit Einfluss und Geld ausgestattet - das Ziel vorgibt und danach schützend seine Hand über die sich selbst organisierende Gruppe hält. Es entsteht die Chance zum sportlichen Wettbewerb von einzelnen Teilnehmern. Nur so entstehen Spitzenleistungen. Die kleinen und flexiblen Einheiten werden möglich, die so genannten „Guerrillas“, die kleinen Krieger also, die so gerne siegen. Dafür allerdings braucht es Mut, auf der einen wie auf der anderen Seite. Denn da kann auch zu viel Unruhe entstehen und manche Sackgasse begangen werden. Spitzenleistungen wachsen aber nur in Begeisterung und Schwung. Eine dauernde Kritik „von oben“ tötet beides und bringt das Schnittstellen- Problem an die Oberfläche. 9.3 Für weniger Schnittstellen Abteilungsgrenzen bestimmen Herzogtümer: der Prozess wird durch Grenzen unterbrochen. - Taylorismus Der Taylorismus, das heißt die Unterteilung nach Funktionen, die uns jahrzehntelang unter dem Titel „wissenschaftliche Unternehmensführung“ die höchsten Produktivitäts-Zuwächse gebracht hatte, hatte seine große Zeit und steht heute bei veränderten Randbedingungen jedem Vereinfacher zunächst im Weg. Die Gliederung nach ab-geteilten Funktionen ist zudem oft willkürlich, manchmal unbewusst personen- oder traditions-bezogen. Merkwürdigerweise werden Firmen auch heute noch immer noch nach Funktionen gegliedert, nicht nach <?page no="105"?> 9.3 Für weniger Schnittstellen 97 Prozessen. Sie folgen immer noch dem Konzept des Mr. F. Taylor (gest. 1915). Dieser ging von der Hypothese aus, dass die Summe der Einzeloptima automatisch das Gesamtoptimum ergibt. Diese Hypothese ist falsch. Denn selbst wenn alle Teilaufgaben „optimiert“ sind - damit ist in der Regel die Minimierung der Kosten gemeint - braucht der Gesamtprozess möglicherweise zu lang. Der Grund: die funktional gegliederte Organisation, die aus lauter optimal arbeitenden Spezialisten besteht, weist zu viele Schnittstellen auf. Schnittstellen oder Abteilungsgrenzen bereiten immer Abgrenzungsprobleme, meist aus psychologischer Sicht und manchmal auch aus rein fachlicher Begründung heraus. Der Kundenauftrag, in heutiger Formulierung der Kernprozess, wird aufgehalten. Er braucht dann gegebenenfalls länger als der Markt erlaubt. Wir können uns mit dem tayloristischen Konzept seit etwa 15 Jahren auf dem Weltmarkt nicht mehr behaupten, weil nicht nur die Kosten, sondern auch Lieferzeit und Termintreue von den Märkten honoriert werden - oder eben nicht. Schnittstellen erzeugen allein deswegen Probleme, weil sich innerhalb der Firma gern die berüchtigten „Herzogtümer“ bilden. Dessen Grenzen müssen bewacht werden: andere Herzöge könnten ja Einfluss gewinnen. So werden die eigenen Tätigkeiten optimiert oder in der Bedeutung maximiert und damit jeder Fremdeinfluss zurück gedrängt. Der Auftragsfluss stockt und schon sind organisatorische Regeln zu bilden. Jetzt wird es kompliziert, denn es entstehen Abstimmungs- und Koordinationsprobleme. Dies mag auf den ersten Blick nicht einleuchten, wird aber durch jede Erfahrung bestätigt. Es bilden sich - jeder Psychologe wird zustimmen - ab-geteilte Bereiche, die schon erwähnten „Herzogtümer“. Diese sind leider oft mehr an ihrem Machterhalt als am Wohl des Kundenauftrags interessiert. Machtgewinn und Machterhalt scheinen eine Art Naturgesetz zu sein. Es kommt damit überall zu Grenzziehungen und -Befestigungen zwischen den Abteilungen. Viele Schnittstellen und die damit zusammenhängende Kompliziertheit einer Organisation sind oft schon aus dem Organigramm zu erkennen: viele Kästchen hängen wie Früchte an verästelten Zweigen. Eine schnittstellenreiche Organisation hat manche Firma schon bis an den Rand der Unsteuerbarkeit geführt. Das bedeutet Gefahr: Zeitverzögerung, Koordination und mangelnde Produktivität sind die Folgen. Allerdings: zur Optimierung des Einzelarbeitsplatzes kann man die Optimierung wissenschaftlich fast immer gut begründen. Eine schnittstellenreiche Organisation ist meist auf eingespielte Rollen der Mitarbeiter und deren Bildschirm-Bedienung verkürzt. Und die Menschen verhalten sich gern gemäß ihren Rollen und Ritualen. Die Kommunikation wird durch die Abteilungsgrenzen eingebremst: dahinter sitzen ja die Feinde! Die Angestellten der unterschiedlichen Abteilungen sitzen den ganzen Tag vor ihrem Bildschirm und reden nur ganz selten miteinander. Jede Abteilung hält sich für die Wichtigste der ganzen Firma und empört sich mit schöner Regelmäßigkeit über das Verhalten der jeweils anderen. <?page no="106"?> 9 Praktische Hinweise 98 - Business Reengineering (BR) Es geht im Business Reengineering seit etwa 1995 um radikale Vereinfachungen, vor allem bei der Abnahme der Anzahl „Grenzen“ oder Ab-Teilungen für den Kundenauftrag. Der sog. Kernprozess ist weitgehend schnittstellenfrei, deswegen stark verkürzt, sehr einfach und dadurch in seiner Bearbeitung viel produktiver als zuvor. Alle neueren Organisationen arbeiten mit weniger Schnittstellen für den Auftragsdurchlauf als noch vor wenigen Jahren, vor der Zeit des Business Reengineerings (BR). Alle Bereiche der betrieblichen Organisation sind einbezogen, von der Auftragsannahme bis zum Schreiben der Rechnung. Die frühere Aufteilung in Einzelfunktionen ist komplett entfallen: Auftragsannahme, Bonitätsprüfung, Korrespondenz, Terminplanung etc. oder in der Fertigung Anreißen, Stanzen, Biegen und Fräsen sowie die dazu gehörige Kostenstellengliederung sind ersatzlos gestrichen. Die einzelnen Funktionen werden in Gruppen zusammengefasst, die Grenzen entfallen, die Qualifikation der Mitarbeiter steigt und nach einiger Zeit will niemand mehr ein Zurück. Im Business Reengineering wird durch das Zusammenfassen die Organisationsstruktur flacher. Flache Strukturen ermöglichen erst die Einfachheit. In Abbildung 4 (Schnittstellen: alt gegen neu) ist für einen Einzelfertiger der Auftragsfluss in der alten und neuen Abteilungsgliederung gezeigt. Die Einsparung an Durchlaufzeit ist deutlich sichtbar, sie ist erheblich. Die Einsparung an Kosten (Transport, Kommunikation, Lagern, Qualität, EDV...) ist unsichtbar, aber auch beträchtlich. Erfahrene sprechen von Werten zwischen 20% und 50%, erreicht durch Vereinfachung. Fast jede Organisation, die einige Jahren nicht angepasst wurde, weist zu viele Grenzen für zu viele Abteilungen auf, hat also zu viele Schnittstellen. Besonders gefährdet sind Versicherungen, Krankenhäuser, Pharma-Industrien - demnach Branchen, die vom Weltmarkt noch nicht allzu sehr bedroht werden. Je mehr Schnittstellen desto größer ist die Ineffizienz und in diesem besonderen Falle auch die Fehlsteuerung. Ein radikal vereinfachter Prozess braucht keine Schnittstellen mehr. Wo früher Abteilung nach Abteilung aktiv werden musste, erfüllt eine Gruppe alle früheren Funktionen ohne Schnittstellen. Häufig wird eingewendet, dass dann die Perfektion leide. Das ist richtig, aber in vielen Fällen ist die maximale Erfüllung nicht erforderlich und falls irgendwann die Perfektion gefordert sein sollte, ruft man dafür den Spezialisten. Die Einfachheit einer schnittstellenfreien Organisation strahlt derart überzeugend aus, dass nach der eher turbulenten Einführung der neuen Organisation sich niemand ein Zurück vorstellen möchte, ja kann. <?page no="107"?> 9.3 Für weniger Schnittstellen 99 Abbildung 7: Schnittstellen alt gegen neu Abbildung 8: Radikale Vereinfachung Helfrich 20081214 7 Brilliant des Business Reengineering: Radikale Vereinfachung Prozess Leitbild Geld + Prämie Struktur Nach Hammer <?page no="108"?> 9 Praktische Hinweise 100 Das Business Reengineering baut die gesamte Organisation neu auf. Nach den Prozessen werden die Struktur, dann das Leitbild und zuletzt die Bezahlung neu gestaltet. Dies ist der schwierigste Teil. (Abbildung 5: Radikale Vereinfachung). Die alten Zöpfe müssen abgeschnitten werden, damit die neuen erfolgreich sein können. Alte Abteilungsleiter werden entmachtet; junge, schwungvolle werden mit neuen Verantwortungen betraut. Beispiel: Bei einem Autounfall beantwortet derjenige, der den beschädigten Wagen abschleppt, auch gleich die Versicherungsfragen, stellt den Gutachter stellt und repariert das Auto. Damit entfallen ganz von selbst viele Abstimmungs- und Übermittlungsarbeiten, insbesondere natürlich an den Schnittstellen. Das ganze Nach-Unfall-Geschehen bis zur Rückgabe des reparierten Wagens an den Fahrer wird dadurch sehr beschleunigt. Mit der Zeiteinsparung geht eine deutliche Erhöhung der Produktivität einher, die Vorgabe ist mindestens 50%. Das ist auch die Größenordnung, die bei Projekten für die neue Einfachheit im Business Reengineering als Ziel vorgegeben wird. Das Gegenargument eines dadurch möglichen Betruges durch fehlende Kontrolle wird durch die weitaus größere Produktivität entkräftet. Als weiteres Beispiel: Die Schnittstellen, die bei amerikanischen Banken für die Kreditvergabe zu überwinden waren, sind allein deswegen von Übel, weil sie die Kontrolle der „subprime loans“, der risiko-behafteten Hypotheken also, verunmöglicht haben. Der Kreditgeber kannte seinen Schuldner gar nicht mehr, eine Verletzung von elementaren Gesetzen für den ehrbaren Kaufmann und seine einfache Organisation. Hier hatte eine ganze Branche die berühmte Bodenhaftung verloren und in ein anonymes System hinein investiert, noch dazu mit virtuellem Geld. Das war die Krönung der Kompliziertheit. - Bodenhaftung Die berühmte „Bodenhaftung“, die Tuchfühlung mit der Praxis, geht durch viele Schnittstellen und die Hierarchie notwendigerweise verloren. Das hat immer negative Folgen. Die Finanzkrise ist ja nur der sichtbare Ausdruck der Folge einer fehlenden Bodenhaftung. Die Substanzwelt spielte doch gar keine Rolle mehr, alles drehte sich ausschließlich um virtuelles Geld in der Spekulationswelt. Wie und wo soll da Bodenhaftung möglich sein? Es gibt Firmen, in denen schon die Abteilungsleiter ihren Bereich und die Mitarbeiter gar nicht mehr kennen und nicht kennen lernen wollen. Die Welt ist ihnen zu „Zahlen des Bildschirms geronnen“ und sie sind sogar noch stolz darauf. Um dies zu vermeiden, lässt eine bekannte österreichische Restaurant-Kette jeden ihrer Manager 40% seiner Zeit im Service verbringen. Auf diese bodenhaftende Weise brauchen sie keine Berater und deren Analysen mehr, denn sie ha- <?page no="109"?> 9.3 Für weniger Schnittstellen 101 ben die Nöte und Engpässe längst am eigenen Leib verspürt. Und - wenn es gut gelaufen ist - im Miteinander die jeweilige Situation sofort verbessert. Das Verständnis für das jeweilige Geschäft, die Fähigkeit den Alltag mit den Strategien zu verbinden, den Zugang zu den Problemen der Arbeitenden, die von mir gern als Wertschöpfende Bezeichneten, ist das Erfolgsgeheimnis derjenigen, die in der Substanzwelt groß geworden sind. Spekulanten von heute brauchen keine Bodenhaftung, denn für sie gilt anderes. Renditemaximierung schließt Bodenhaftung aus. Diese wirkt für manche langweilig, ja spießig, aber Geschäfte kann man dann in der berühmten „Handschlagqualität“ machen. Verträge mit Fußnoten braucht es nicht, nur eine normale, natürliche Seriosität. Manche Top-Manager gehen deswegen jedes Jahr zwei Wochen auf eine Berghütte ohne zivilisatorisches Beiwerk. Dort holen sie sich wieder das, was sie unter Bodenhaftung verstehen und setzen anschließend ihren Erfolg fort. Sie reden jedoch nicht über ihr einfaches Erfolgsrezept. ANREGUNGEN: - Wer war schon jahrelang nicht mehr im Service resp. in der Werkstatt? - Gibt es regelmäßigen Erfahrungsaustausch zwischen „oben“ und „Unten“? - Gruppengröße Die Gruppengröße (oder die Anzahl Teammitglieder) besteht überall aus 6 bis 10 Mitgliedern - auch ein Naturgesetz? Große Abweichungen nach oben oder unten sind sehr selten. Das hängt wahrscheinlich mit den alten Jagdrudeln zusammen, die nur in dieser Größenordnung erfolgreich waren. Denn wenn das ganze männliche Dorf auszog, um die Beute zu jagen, war es genauso wenig erfolgreich wie ein Einzelkämpfer. Nur eine Gruppe von 6 bis 10 Männern brachte den Bären zur Strecke. So eine Gruppe von 6 bis 10 Kämpfern bringt die unterschiedlichsten Charaktere zusammen. Wenn sie und ihre Chefs Glück haben, kämpfen sie dennoch um ein von allen akzeptiertes Ziel und bilden gleichzeitig einen Informations-Pool, mit der Folge, dass jeder fast alles weiß und jeder jeden anderen mehr oder weniger ersetzen kann. Gut ausgesuchte Teams machen aus vielen, zuerst uneinigen Menschen eine große Gemeinschaft, auf ein Ergebnis hin orientierter Subunternehmer, die auf einfachste Weise zusammenarbeiten kann. Sie benötigt zum Beispiel keinen dauernden Führungs-Input von außen, abgesehen von der einmaligen Vorgabe des Zieles. <?page no="110"?> 9 Praktische Hinweise 102 Der richtige Typ soll am richtigen Platz sein. Teams setzen sich aus verschiedenen Typen zusammen, darunter die Leader-Persönlichkeit, der Motivator, Inspirator, Berater, Unterstützer, Koordinator, Beobachter und Reformer. Es schadet der einfach funktionierenden Gemeinschaft nicht, die ganze Bandbreite in einem Team zu vereinen. Und: es gibt keine Gruppe ohne Leitwolf. Das sind die Leader, die Alpha-Tiere, die sich von selbst an die Spitze setzen. Wozu dann noch eine Anweisung oder gar eine Stellenbeschreibung? Alles reguliert hier die Natur, auch heute noch. 9.4 Für die Organisation „Ein Gesetz ist nur dann legitim, wenn es der letzte Schweinehirt in Galizien versteht.“ (Kaiserin Maria Theresia, 1740 - 1780) Hier folgen einige Beispiele für leicht zu verstehende, deswegen bewährte Regeln: - Information ist immer Holschuld - Jeder Kernprozess hat seinen verantwortlichen „Kümmerer“. - Keine Anweisung darf länger als eine A4-Seite sein. - Wenn es gelingt, die Dinge einfach zu halten, können die Steuerungs- und Regulierungsmechanismen auch einfach sein. (Fredmund Malik, St. Gallen). - Kein System darf sich seine Regeln selbst geben. Immer gilt im Sinne der Einfachheit: - Je weniger Regeln, desto besser. Die Zehn Gebote regeln das Zusammenleben eines Volkes auf knappste und einfachste Art. Das kann man unserer Verfassung schon nicht mehr sagen; sie bekommt zwar aus der ganzen Welt die besten Kommentare, aber einfach hat sie noch niemand genannt. Unternehmensgrundsätze und -Ziele spielen die gleiche stabilisierende Rolle wie eine Verfassung, hier jedoch nur auf Unternehmensebene, unabhängig davon, ob sie niedergeschrieben sind oder „nur“ gelebt werden. Moralische Regeln sind immer einfach: du sollst nicht stehlen, du sollst nicht betrügen usw. Die Moral gilt individuell, die Tugend ist freiwillig. Weil sich niemand auf die individuelle Tugend allein verlassen kann, braucht es auf Organisationsebene weitere Regeln. Wenn sie nachhaltig wirken sollen, dann müssen sie allerdings einfach sein. Es entsteht die Unternehmens- und Managementethik, zuerst gelebt und später möglicherweise beschrieben und nicht mehr ohne <?page no="111"?> 9.4 Für die Organisation 103 Aufwand praktiziert. Das alles ist leicht gefordert, schwer durchgesetzt und gelebt, auch weil es fern irgendeiner Ausbildung entsteht. Für die Einfachheit im Management, aber auch für das Managen allein bräuchte es eine Art Führerschein, so wie ihn jeder Taxi-Chauffeur oder Arzt als Lizenz bekommt, aber erst nach Kurs oder anderer Ausbildung. (nach F. Malik, St Gallen). Neuerdings gibt es sogar Anti-Korruptions-Regeln, die erstaunlich einfach konstruiert sind: Strafmilderung erhält nämlich nur derjenige, der mit ganzer Kraft bei der Aufdeckung kooperiert. Eine positive Rückkopplung nennt man das. Damit ist diese Regel gut konzipiert, weil sie durch Selbstinteresse des Betroffenen viel an Detaillierung unnötig macht. Wie heißt die erste Regel für Toyota? „- Eliminiere die gesamte Nichtwertschöpfung und verbinde die Wertschöpfungen untereinander! “ Und die zweite Regel: „- Suche nach einfachen Lösungen für komplexe Herausforderungen“. Als weitere Regel wird für die betriebliche Ebene sogar der Zen-Buddhismus herangezogen: „- Strebe nach Verbesserung, Klarheit, Einfachheit und praktischer Funktionalität“. Das Interessante: es gibt bei Toyota keine Regel für die Nicht-Wertschöpfung, z. B. für automatisierte Lager- und Transportsysteme, Montageautomaten oder gar EDV-Architekturen. Hier darf sich jeder austoben. Vielleicht beklagen wir hierzulande allein deswegen so viele komplizierte Auswüchse. Einfache Regeln für die Wertschöpfung sind immer ein Kennzeichen für wirkliche Pioniere, denn dort wird noch einfach und direkt gearbeitet. Diese Ursprungs-Kraft eines Pioniers haben die Firmen und die Gesellschaft im alten Europa offenbar längst verloren. Arbeitskreise, Abstimmungs-Orgien, IT- Systemzwänge … Ein Irrgarten für Arbeitsbienen und Termiten. Oder: eine einzige Arbeitsbeschaffungs-Maßnahme. Die Praxis regelt nur manchmal - wie z.B. bei ALDI - eine konsequente und radikale Auseinandersetzung mit dem Einfachen. Damit wird das Elementare sozusagen wieder entdeckt. Oder: „Zurück zu den einfachen Prinzipien des Geschäftslebens“. Das hat einen besonders aktuellen Bezug, weil wir ja alle wissen, dass wir Jahr für Jahr etwas weniger Überfluss haben werden. Das liegt vor allem an der demografischen Entwicklung, die globale Finanzkrise muss dabei noch gar nicht <?page no="112"?> 9 Praktische Hinweise 104 eingerechnet werden. Wir müssen folglich unsere Mittel effektiver einsetzen, um den Wohlstand zu erhalten. Das heißt: wir müssen uns besser und effektiver, kurz einfacher organisieren. - Schritte zur Einfachheit der Organisation Zur Einfachheit führen einige bewährte Schritte, gleichwohl sind sie schwieriger zu gehen als eventuelle Schritte zur Verkomplizierung. Weil sich Komplexität nur durch weitere Komplexität managen lässt, sind mutige Schritte zur Einfachheit der einzig sinnvolle Weg. Der Weg dafür ist frühzeitig zu planen. Dann stellen sich nämlich viele komplizierte Probleme gar nicht mehr. Diese bewährten Schritte zur Einfachheit für können im Beispiel für einen produzierenden Betrieb die folgenden sein: - Einfacheres Kunden- und Produktfolio, - Einfacherer Produktaufbau (flache Stückliste und reduzierte Teilevielfalt), - Garantieren der Prozess-Sicherheit für die Kernprozesse - Reduktion der Fertigungstiefe, - Integrieren der Lieferanten, - Segmentieren der Fertigung" - Analysieren der Reichweiten der Bestände, - Einfache Variantenbildung, - Einfacher Änderungsdienst - Segmentieren in den Gemeinkostenbereichen, - Komplexitätskosten-Controlling. (frei nach H. Wildemann, Komplexitätsmanagement, www.managementliteratur.com) . In Abbildung 6 werden diese Kriterien noch einmal in Verbindung mit dem Business Reengineering zusammengefasst. (Abbildung 6: Einfachheit in neueren Organisationsformen). <?page no="113"?> 9.4 Für die Organisation 105 Abbildung 9: Einfachheit in neueren Organisationsformen - Regeln zur Einfachheit Hier sind aus einem größeren Projekt die „Regeln zur Einfachheit“ für die Team-Mitglieder zusammen gefasst. (Abbildung 7: Zehn Regeln zur Einfachheit) Eigentlich fehlt hier nur noch das „Ei des Kolumbus“ - die einfachste Funktion des Eierbechers und nicht umsonst sprichwörtlich für eine sehr einfache Lösung. Entscheidungen und Maßnahmen zur Einfachheit folgen keinem Königsweg, weil es in der Organisation keine ewigen Wahrheiten gibt. Im Gegenteil: Fortschritt gibt es nur dann, wenn jemand den Mut hat, Regeln intelligent zu brechen. Um eine ganz neue Regel einzuführen, zum Beispiel für eine Parkordnung oder den E-Mail-Verkehr in der Firma. Helfrich 20081214 Gruppe: •Selbstorganisation •Selbstinteresse •Marktbezug •Prozess-Orientierung •Gruppen-Dynamik •Unternehmerisches Denken und Handeln Einfachheit in neueren Organisationsformen Organisatorische Voraussetzungen Prozess Leitbild Struktur Prämie + Entlohnung <?page no="114"?> 9 Praktische Hinweise 106 H B 011001 Copyright by Ch. Helfrich / FH München Zehn Regeln zur Einfachheit 1. Nur am Beginn eines Prozesses wird organisiert, nicht am Ende 2. Das Produkt hat wenige Teile. 3. Die Stabilität einmal festgelegter Abläufe ist Gesetz (=Prozess-Sicherheit) 4. Das Eigeninteresse der Handelnden vor Ort (der „Wert-Schöpfer“) ist die Quelle zur Produktivitäts-Steigerung 5. Die „Wert-Schöpfer“ brauchen Freiräume: nicht alles darf vorgeschrieben und geregelt sein 6. Eine übernommene Verantwortung wird nicht zurück gegeben 7. Gute Organisation ist immer einfach. Kurze Wege und keine Ausnahmen. 8. Jeder Kern-Prozess hat seinen Kümmerer 9. Der Kundennutzen und der Markt sind jedem stets im Bewusstsein 10. Loyale Mitarbeiter sind das wichtigste Kapital der Firma: sie müssen begeistert werden. Abbildung 10: 10 Regeln zur Einfachheit - Hierarchien Das Wort Hierarchie kommt aus dem Griechischen, es heißt „Herrschaft der Heiligen“ und bedeutet Machtverteilung von oben nach unten. Visualisiert wird die Hierarchie in der Aufbau-Organisation einer Firma. Diese Sammlung von Kästchen kann einfach oder kompliziert sein, je nachdem wie viele hierarchische Ebenen zu erfassen sind. Erfolgreiche Unternehmen setzen auf flache Hierarchien, klar definierte Prozesse und schnelle Entscheidungen. Ein neues Projekt z. B. für mehr Einfachheit, lebt außerhalb der Hierarchie, hat einen kompetenten Projektleiter und wird so geführt, dass die ersten Erfolge frühzeitig messbar werden. Das überzeugt jeden und außerdem entstehen ganz nebenbei Mut und Zuversicht. Jede Projektorganisation unterwandert Hierarchien. Der Einzelne ist heute eigentlich befreit von der Diktatur staatlicher und religiöser Zwangsvorgaben. Man meint, jetzt sei es deswegen weniger mühevoll geworden, in der Firma einen Konsens für die neue, einfachere Organisation zu finden. Dies erscheint dennoch oft fast unmöglich und so ist die „Politik der kleinen Schritte“ der einzige Ausweg. Wir müssen, in Hierarchien oder Projekten arbeitend, lernen Reibungen auszuhalten und dennoch Verantwortung zu übernehmen. Die Fähigkeit, mit anderen trotz persönlicher Reibereien effektiv Probleme zu lösen, gilt für jeden, gleich in welcher hierarchischen Stufe. <?page no="115"?> 9.5 Für Kennzahlen, Kontrolle und Wertschöpfung 107 Statt der hierarchischen Führungskultur des Industriezeitalters setzt die Informations-Gesellschaft eine so genannte „dienende Führungskultur“ voraus. Die Manager sind dann „Diener“ des Ganzen, oft eines Projektleiters, außerhalb ihres Machtzentrums. Immer soll gelten: wer die größte Macht und Kompetenz besitzt und auch am meisten Geld verdient, soll sich auch am heftigsten anstrengen. Und auch im Zweifel die Verantwortung für den allfälligen Misserfolg übernehmen - die Abfindung bekommt er sowieso. 9.5 Für Kennzahlen, Kontrolle und Wertschöpfung - Kennzahlen Kennzahlen vereinfachen: sie zeigen einen Trend in kürzest möglicher Form. Jede wirkungsvolle Kennzahl lebt und wird nur in eine lebendige Organisation eingebaut. Deswegen sollten Kennzahlen auch persönlich bestimmt werden und keinem Lehrbuch nachgeformt sein. Auch hier: weniger ist mehr. Kennzahlen können drei oder maximal zehn sein - mehr kann ein Mensch nicht sinnvoll einordnen. Kennzahlensysteme mit zahlreicheren Werten sind sinnlos, ja sogar schädlich, weil das Wesentliche in der Vielzahl der Information untergeht. Als persönliche Kennzahlen müssen sie sich nicht notwendigerweise im so genannten Rechenwerk der Firma wieder finden. Deswegen sind Anzahl Ist-Besuche zum Soll, Ist-Durchlaufzeit zur Plan- Durchlaufzeit, aber auch nur Reklamationen zur Gesamtzahl der Aufträge zulässige, persönliche Kennzahlen, die am besten dezentral gewonnen und im eigenen Büro visualisiert werden. Kann der Einzelne wirklich die Firma über Zahlen steuern? Ja, aber nur im Bewusstsein, dass es im Grunde nicht wirklich so funktioniert. Ein Orchester in New York arbeitet z. B. konsequent ohne Dirigenten und ist trotzdem seit 1973 erfolgreich unterwegs. Hier wird sehr wohl gesteuert, nur eben nicht zentral, sondern in permanenter Abstimmung untereinander. Das ist ein Plädoyer für eine dezentrale Steuerung in dauernder Abstimmung und eine Empfehlung, Kennzahlen auch in neuen Gebieten unkonventionell einzusetzen. - Kontrolle Als weitere Regel gilt: Kontrolle ist unerlässlich. Denn es gibt keine nachhaltige Effektivität ohne Kontrolle. Man kann auf einfache oder komplizierte Weise kontrollieren. Es macht einen erheblichen Unterschied aus, ob ich täglich, wöchentlich oder monatlich kontrolliere, ob ich 5 Statistiken, 30 oder über gar 100 dafür benötige. Kennzahlen- <?page no="116"?> 9 Praktische Hinweise 108 systeme mit 83 verschiedenen Werten sind sinnlos. Sie verwirren nur, lassen jedoch dessen Erfinder im warmen Licht der Wissenschaftlichkeit leuchten. Neben der schon erwähnten Regelungswut gibt es - davon genährt - den gefürchteten Kontrollwahn. So als könne man durch eine nachfolgende Kontrolle der Arbeit noch den Gewinn steigern. Gesteigert werden jedoch nur das Kontrollsystem und der Wasserkopf. Die Einfachheit bleibt auf der Strecke und das Vertrauen entsteht erst gar nicht. Die Regel dazu: „Einfachheit braucht Vertrauen“. Oder umgekehrt: Vertrauen erzeugt Einfachheit. Manager, die nicht vertrauen und delegieren können, haben längerfristig nie Erfolg. Die Firmen, die sie zu Tode kontrollieren, werden geführt wie Gefängnisse! Der Wirklichkeits-Verlust, der eintritt, wenn man sich zu Tode kontrolliert, ist erheblich und steht in keinem Zusammenhang mit dem üblichen hohen Selbstverständnis der Leitenden. Informations-Überversorgung zur Kontrolle und Effizienzsteigerung widersprechen sich. Ein Mehr bringt hier keinen Grenznutzen - im Gegenteil. Die Informations-Technologie entfernt sich derzeit - immer noch von der Technik getrieben - weiter weg von Datenarmut und Einfachheit. - Wertschöpfung Der größte Teil der Wertschöpfung wird in Zukunft in „Gedachten Räumen“ erbracht. (Erik Händeler). Das ist ein schön formuliertes Bild. Dazu braucht es aber einen offenen, vielleicht sogar heiteren Führungsstil. Man muss zum Beispiel offen und heiter zugeben können, dass der Andere Recht hat. Es darf keine der üblichen Status- und Machtkämpfe geben. Der Chef schlüpft auch einmal in die Rolle des dienenden, kleinen Angestellten. Damit wird eine intrigenfreie Kultur der Neugier und des kritischen Mitdenkens in offener Atmosphäre geboren, wie man sie z. B. von gut geführten Uni-Instituten kennt. Dort hat der Professor durch seine Machtposition auch nicht immer automatisch Recht. Die Globalisierung erfordert, dass mehr und komplexere Probleme in der Zusammenarbeit von immer mehr Spezialisten gelöst werden müssen. Die Wertschöpfung wird komplizierter - eine automatische Folge davon. Der Manager fragt: wie geht das? Wie muss ich mich verhalten? Und wenn nicht einfach und effizient organisiert wurde, fragt er nach einigen Jahren: wie finde ich meine Gelassenheit wieder? Fragen dieser Art lenken von der Wertschöpfung ab und schreien nach einer besseren Organisation. Ein „Weiter so“ wirkt tödlich: für den Betroffenen, für die Arbeitsergebnisse und letztlich für die Firma. <?page no="117"?> 9.5 Für Kennzahlen, Kontrolle und Wertschöpfung 109 - „Alles im Griff“ Die Flucht in das komplizierte System wird vom Zeitgeist unterstützt, so dass der Protagonist keinen Widerspruch befürchten muss. Seine Antwort auf eine kritische Frage: Wir haben bald „alles im Griff“. Nachhaltige Innovationen durch Vereinfachungen werden dadurch verunmöglicht, denn es bleibt schlicht keine Kraft übrig für sie. Man muss auch nichts entscheiden, der Weg ist ja vorgezeichnet - das System hat also viele Vorteile. Alles im Griff zu haben kostet jedoch immens viel, was allerdings nicht sichtbar wird, weil diese Kostenart in keiner Kostenrechnung erscheint. Der unaufhaltsame Konkurs der Firmen, die alles im Griff hatten und dann wenig später an ihren bürokratischen Kontrollsystemen erstickt sind, wird mit schöner Regelmäßigkeit anderen Ursachen zugeschoben: Marktentwicklung, Konjunktur und ähnlichen externen Einflüssen. Alle diejenigen, die stets betonen „alles im Griff“ zu haben, die Gestressten, die Vielflieger, die Tausendsassas haben nie Zeit für irgendetwas Neues. Deswegen fehlt ihnen eigentlich die Fähigkeit zu urteilen. Denn nichts Neues hat mehr Platz in ihrer Welt und Vorstellung. Zum Beispiel auch nicht über die Kosten der Komplexität, die sie zugelassen haben und die Möglichkeit für deren Reduktion. Komplexitätskosten erscheinen bekanntlich in keiner Kostenrechnung. Eine Aufstellung darüber verwirrt und kostet Zeit. Immer fehlen gerade noch eine bestimmte Tätigkeit und ein spezieller Stundensatz. Wie sollen da rasche Entscheidungen möglich sein? In dieser Situation können Manager nach Belieben schalten und walten. Nie gibt es Kritik, denn alles ist nicht jetzt, aber bald im Griff. Sie müssen nur auf irgendwelche, immer vorhandene Missstände hinweisen und Ausnahmen nennen, Bedenken äußern und unzählige Aktennotizen und E-Mails schreiben, um im Falle des Misslingens nicht verantwortlich gemacht werden zu können. Für eine Grundsatz-Entscheidung fehlt die Kraft und das Vereinfachen bringt ja keine Meriten, im Gegenteil. Diese so genannten Manager, eigentlich „überbezahlte Verwalter des Stillstands“, müssen wenig Neues beurteilen und sie entscheiden deswegen kaum noch. Die selbst erzeugte Kompliziertheit des totalen Systems schützt sie wirkungsvoll und dieser Schutz trägt dazu bei, dass sie kaum jemals gefährdet werden. - Freiräume Wenn alles betoniert und mit Regeln voll gestopft erscheint, sitzt man wahrscheinlich im Gefängnis. Denn nicht alles darf in einer lebendigen Organisation geregelt werden. Freiräume braucht jeder, nicht nur der Kreative. Es scheint kaum jemanden zu geben, der wie ein Roboter ein Leben lang eine einzige Tätigkeit ausführen könnte oder wollte. Bewusst ausgesparte Freiräume, wenn der Chef z.B. auf eine genaue Kontrolle verzichtet - setzen natürlich Vertrauen und Großmut voraus. Das sind Eigenschaften, wie sie Persönlichkeiten mitbringen und andere eventuell durch Le- <?page no="118"?> 9 Praktische Hinweise 110 benserfahrung erst bekommen. Freiräume anzubieten heißt nicht arbeiten lassen ohne Kontrolle. Es heißt, in gewissen Grenzen eigenverantwortlich Ergebnisse produzieren zu lassen und sich dann gemeinsam darüber zu freuen. Im Taylorismus von früher gab und gibt es keine Freiräume für den Einzelnen, denn die Arbeiter im Detroit um 1900 waren zumeist „von der Straße“ hereingeholte Hilfskräfte. Diese mussten natürlich genauestens angewiesen und kontrolliert werden. Da konnte kein Freiraum entstehen, eine Gemeinschaft der Leidenden, die sich abends beim Bier traf, gab es vielleicht. Dieses Zerrbild einer Zusammenarbeit bestimmt jedoch noch heute weite Bereiche der betrieblichen Organisation: Freiräume zuzulassen gilt als Schwäche. 9.6 Für die IT - Über-Information Eine Regel zur Einfachheit in der Datenverarbeitung heißt: weniger ist mehr Ein zu viel an Information lähmt das Denken. Ein Übermaß an „Google“ bringt nicht nur keine neue Lösung, sondern im Gegenteil: die Verwirrung wird komplett. Das Argument, dass heutzutage die EDV ja nichts mehr koste, ist kurzsichtig. Natürlich müssen die Kosten gesenkt werden, wie immer und überall. Aber ein zu viel an Information lähmt die Innovation und erhöht immer die Wartungs- und Änderungskosten. Das Leitbild der Organisatoren ist immer noch das total abgebildete Unternehmensgeschehen. Früher gab es das berühmt-berüchtigte Computer Integrated Manufacturing, abgekürzt zu den drei Buchstaben CIM und das „Digitale Gebäudemodell“. Beide Leitbilder der totalen Digitalisierung sind als „costly flops“ in die Geschichte eingegangen. Niemand redet noch ernsthaft darüber. Heute wird die Digitalisierung jedoch immer noch ernsthaft verfolgt in der Medizin und in manchen Firmen und Organisationen. Computer-Tomographie in der Medizin und der Satz „wir bilden Ihnen Ihr Unternehmen im System ab“ kennzeichnen die Situation. Diese Vision wird heute von der Technik gefördert, denn es ist in der Tat fast alles ist digitalisierbar, sogar Bewegungsbilder für alles und jeden sind schon heute möglich. Alles ist vernetzt und jeder kann theoretisch mit jedem in wenigen Sekunden Informationen austauschen. Aber ist die totale Digitalisierung auch ein Leitbild für einfache Organisationen? Die Sinnfrage wird dabei nie gestellt, also auch nicht beantwortet. Bringt die Digitalisierung wirklich die Lösung der Organisations-Probleme? Können alle Einfluss-Faktoren digitalisiert werden? Erleichtert Digitalisierung Einfachheit in Anwendung, Arbeitstechnik und Management? Was kostet sie? Wie lang dauert die Amortisation? Wird das Unternehmen flexibler oder starrer? Bekanntlich werden nur wenige dieser Fragen vor einer Digitalisierung gestellt. <?page no="119"?> 9.7 Für die Persönlichkeit 111 9.7 Für die Persönlichkeit Eine weitere Regel für die Mitarbeiter: - die Mitarbeiter müssen sich gut miteinander verstehen. Produktivitätssteigerung wird nämlich unter anderem durch die Kommunikationsfähigkeit der Mitarbeiter beeinflusst und ist - wie bereits gesagt - kaum noch von Maschinen oder Computern bestimmbar. Die Fähigkeit der sog. Informationsbearbeiter - und das sind wir alle! - mit Wissen produktivitäts-steigernd umzugehen, wird unser Standortvorteil werden - oder eben nicht. Meinhard Miegel spricht von der „Kombination von Wissen und Kapital“. Aber diese Kombination muss zum Leben gebracht und angewendet werden. Dazu gehören die „weichen“ Faktoren wie Kooperation- und Kommunikation, von denen in den Standortdebatten über Deutschland nie die Rede ist. Das Besondere: diese weichen Faktoren kosten wenig. Sie fallen unter die Rubrik „Investitionsarme Rationalisierung“. Eine einfacher einzuführende Maßnahme gibt wohl kaum irgendwo sonst. Jeder Mensch weiß, was Anspannung durch ständige Leistungsanforderung bedeutet. Nach vielleicht jahrelangen Versuchen, sich fit und leistungsbereit zu halten, flieht man irgendwann vorhersehbar in eine scheinbare Einfachheit: Abwehren von allem Neuen, Bewahren des Alten, Resignieren und politisches Denken bis hin zum Rechts- oder Linkspopulismus. Die Instrumente zur Beherrschung der Mitarbeiter wurden in den letzten Jahren - dank der allumfassenden Technik - laufend verfeinert: Stempeluhren, Zutrittskontrollen, Personalakte, Abmahnungen und Kontrollen, ja neuerdings werden sogar Telefongespräche abgehört und die Internetzugriffe sowie die Tastenbenutzung protokolliert. Der Erfolg all dieser Maßnahmen ist doch recht fragwürdig, denn trotz aller vermeintlichen Beherrschung funktionieren die simplen Abwehrmechanismen der Mitarbeiter. Die Mitarbeiter machen ihre eigene Welt wieder einfach: immer wieder finden sie Nischen, in denen Kompliziertheit und Kontrolle nicht greifen. Das sind die kleinen Nester, die man in den Meisterbüros findet, die Pausenräume oder nur das Rauchereck, irgendwo. In radikal vereinfachten Organisationen werden sowieso mehr Hausverstand, Persönlichkeit und andere, neue Mentalitäten gefragt. Es werden eigentlich alle effizient arbeitende, flexible, ein Leben lang lernende Subunternehmer. Die passiven Mitarbeiter von früher haben sich mit den Jahren verändert und völlig unterschiedliche Arbeitsweisen entwickelt. Ein mitdenkender Aktiver von heute steht gegen einen dumpfen Passiven von gestern. Der ganze Apparat für das Personalwesen könnte stark vereinfacht werden, wenn es diese Dumpfheit nicht manches Mal auch noch gäbe. Viele Eintragungen in die Personalakte würden <?page no="120"?> 9 Praktische Hinweise 112 entfallen und der Begriff „Personalentwicklung“ bekäme einen ganz neuen Klang. Einfachheit beginnt schon im persönlichen Bereich, in der eigenen Denkweise, in Lebensgestaltung und Lebensentwurf. Mit wie viel Materiellem will ich mich umgeben, wie viel Quadratmeter betreuen, mit welch schwierigem und kompliziertem Hobby meine Freizeit verbringen? Warum muss der neue Nussknacker so kompliziert sein? Warum der Skiträger auf dem Auto das letzte Modell mit allen Sicherheits-Funktionen, warum die Café-Maschine und der Küchenmixer so viele nie gebrauchte Funktionen haben, der Adventskalender keine Bilder sondern Pralinen, warum ist meine Hausbank global unterwegs usw.? - Regeln für die Arbeitstechnik Alle Regeln zur Vereinfachung des Alltags beeinflussen die persönliche Arbeitstechnik - ein weithin unterschätztes Potential - unmittelbar. Die guten Ideen dazu lassen sich leider nirgends gleichzeitig umsetzen. Auf diesem Gebiet haben schon einige andere Autoren auflagenstark geschrieben. Es geht dabei um so triviale Kriterien wie z.B. Ordnung am Schreibtisch, systematisches Entrümpeln und Wegwerfen, einfaches Planen des vor einem liegenden Tages, bewusstes Vermeiden der Perfektion, Verlangsamen durch das Einbauen von Pufferzeiten. Dann wird auch das eventuelle Warten auf einen Zug zur „Gewinnzeit“, um die Batterie wieder aufzuladen oder gar zur körperlichen Erholung genutzt - ganz früher hätte man Ertüchtigung gesagt. Es ist nun einmal die Einheit von Körper, Geist und Nerven, die uns gestresst oder gelassen werden lassen. Das bedeutet, öfters zu Fuß zu gehen und die nächste Treppe hinauf zu steigen, ohne Rolltreppe oder Lift zu benutzen. Das kostet nichts und hilft sogar noch der Gesundheit. Die Regel: „die Treppe ist der Lift zur Gesundheit“. Im Internet lassen sich weitere Vereinfachungen im persönlichen Bereich abrufen, zum Beispiel bei www.orgenda.de/ simplifywork). - Regeln zum Umgang mit dem „Neandertaler“ Der Neandertaler lebt noch, auch in uns. Wir haben es ja mit Menschen zu tun. Während die mechanistisch aufgebaute Organisation nur die Rationalität des Menschen voraussetzt, weiß der erfahrenen Manager, dass es auch die Irrationalität berücksichtigt sein will. Das ist das Arbeitsgebiet der Betriebs- Psychologen. Stark vereinfacht kann dies durch die „Blaue“ rationale und die „Rote“ die irrationale Hälfte des Menschen dargestellt werden. (Abbildung 8: „Blaue“ und „Rote“ Organisation). <?page no="121"?> 9.7 Für die Persönlichkeit 113 Die „Blaue“ Seite des Menschen glaubt an Kennzahlen-Systeme und EXCEL- Tabellen und verhält sich berechenbar, wie ein Angestellter sich eben zu verhalten hat. Abbildung 11: Blaue und Rote Hälfte des Menschen Die „Rote“ Seite, der Unterleib verkörpert den irrationalen Teil des Menschen. Auf ihn treffen die Charakteristiken des Neandertalers zu. Führungskunst besteht darin, beide Teile wirkungsvoll zu verbinden. Einfacher zu führen ist der Blaue Teil des Menschen, schwieriger ist der Rote Teil, der immer noch lebendige Neandertaler. Denn dieser hat vor allem Angst, die sich in Unsteuerbarkeit und Aggressivität zeigt. Aber auch die Intuition sitzt hier, der man nichts vorspielen kann und die man mitnehmen sollte. Die erste Regel heißt, den Neandertaler ernst zu nehmen, immer und überall. - Gemeinschaft, Humor und Mut Ein humorvoller, die ganze Persönlichkeit fordernder Führungsstil fördert besonders die Intelligenteren und Loyalen unter den Informationsarbeitern. Humor macht deren Lebensarbeitszeit wertvoll und zwar für das Unternehmen wie für den Einzelnen. Er glättet eine schwierige Situation und vereinfacht eine Lösung. Eine wunderbare win-win-Situation entsteht, wie sie sich besser kaum vorstellen lässt. Zwar kann auch bei humorvollem Miteinander die Arbeitszeit immer län- Helfrich 20081214 „Blaue“ und „Rote“ Organisation Blau Rot Homo rationalis • Industriemensch • offen • rational Neandertaler Homo irrationalis • Angst • Aggression Gefühlsmensch Technokrat Intuition • <?page no="122"?> 9 Praktische Hinweise 114 ger als der Durchschnittstag werden, aber die Arbeit wird so nicht als Last empfunden, weil sie ja Freude macht. Geistige, nervliche und körperliche Gesundheit wird verstärkt zum Produktivitäts-Faktor werden. Wenn heute die Gesunderhaltung der Mitarbeiter für manche noch als Kostenfaktor gilt, dann werden sie morgen zu anderen Führungsformen greifen müssen. Fordert ein offenerer Führungsstil Mut? Ja, für eine Vereinfachung braucht es besonderen Mut! Viel mehr als zum üblichen Verkomplizieren, Draufsatteln oder Ergänzen! Auch die früher üblichen Geschäfte mit Handschlag - auch für sie brauchte es Mut! Mut setzt geistige und materielle Unabhängigkeit voraus. Daraus entsteht Vertrauen. Kaum diskutierte Eigenschaften kommen ins Gespräch, jenseits einer digitalen Welt, denn für die neue Einfachheit werden anspruchsvolle Persönlichkeiten gefordert. Die alten Organisationsmodelle nach Taylor kennen keine Persönlichkeitsmerkmale und wissen mit der Eigenschaft „mutig“ nichts anzufangen. Die gute, alte Zeitwirtschaft sowie das gesamte Industrial Engineering verwenden weder Persönlichkeits-Merkmale, noch Mut oder gar Humor. Zwei Besonderheiten können für den Mutigen zusammenkommen: das Vertrauen in die eigenen Stärken sowie die Erfahrung von Niederlagen, gespeist vom Wissen um die eigene Persönlichkeit. Das hat viel mit Zurückhaltung zu tun; aber auch damit, sich nicht immer in den Mittelpunkt der Welt stellen zu müssen. 9.8 Für stabile Prozesse „Wenn Wirklichkeit und Modell nicht übereinstimmen, umso schlimmer für die - Wirklichkeit.“ (Herbert Marcuse, 1898 - 1979) Marcuse hat als letzter Ausläufer des „Deutschen Idealismus“ eine unerfüllbare Forderung gestellt: die Wirklichkeit muss sich dem Modell anpassen. Das Modell oder das Konzept ist danach stärker als die Wirklichkeit. Diesem komplizierenden, idealistischen Leitbild hängen jedoch offenbar einige Manager, Organisatoren, Professoren, Juristen und IT-Experten immer noch an. Mit diesem Leitbild können gar keine einfachen und pragmatischen Lösungen entstehen, weil es ja vor allem um das Modell und die Vergewaltigung der Wirklichkeit geht. Wenn dann eine Systemeinführung wieder einmal gescheitert ist oder länger gebraucht haben sollte als geplant, heißt es nur: die Anwender waren unfähig, man müsse noch schulen. In Wahrheit haben Modell und Wirklichkeit nicht zusammen gepasst: die Wirklichkeit war stärker - wie immer. <?page no="123"?> 9.8 Für stabile Prozesse 115 Der Alltag, in der Philosophensprache die Wirklichkeit, hält so bekanntermaßen so viele Störungen parat, dass ein Manager mit Reparaturen vollauf beschäftigt sein kann. Er arbeitet dann wie ein Feuerwehr-Kommandant: er ist immer der Erste, wenn es irgendwo brennt. Aber warum gibt es Manager? Sicher nicht, um dauernd als Erster Brände zu löschen, sondern um vor allem den Brand zu verhüten. Der Manager muss seinen Bereich sicher machen. Konkret ist er dazu da, um die Störungen des Alltags zu minimieren, indem er seine Prozesse (= Abläufe) derart standardisiert, dass sie stabil funktionieren. Man nennt das Ergebnis Prozess-Sicherheit. Der Begriff Prozess für einen Ablauf ist relativ neu. Der Ausdruck Prozesse meint, korrekt verwendet, die Ablauforganisation einer Firma, insbesondere die sog. „Kernkompetenzen“. Zum Beispiel die Montage in einer Autofabrik, die Konstruktion und Fertigung einer Kundenvariante in der Sondereinzelfertigung, die Kundenbetreuung in einer Bank oder die Projektleitung in einer Unternehmensberatung. Für jeden Kernprozess gelten: große Einfachheit mit wenigen Schnittstellen, hohe Stabilität und kurze Durchlaufzeit Das ist in der Regel nur durch eine radikale Neuauslegung zu erreichen. Zum Beispiel werden alle Kernprozesse der Baugruppen, die zum Montieren benötigt werden gestrafft. Hohe Produktivität und Raschheit sind die Folge. (Abbildung 9: Kernkompetenzen als Prozesse). Radikalität erfordert Macht und Mut. Wenn sich die Kernprozesse unter der Leitung ihrer Kümmerer aber neu ausgerichtet haben, gelten rasch einfachere Organisationsformen. Hier zeigt sich die radikal einfache Konzeption in überzeugender Weise: es geht um kurze Wege ohne Engpässe und Schnittstellen. Keine Funktion wird mehr „optimiert“ - was ja in der Regel nur eine Minimierung der Kosten bedeutet hat. Die Radikalität, mit der die Prozesssicherheit gewährleistet wird, beseitigt Unsicherheiten in Termin und Menge. Die Fertigungssteuerung greift ins Leere: sie wird nicht mehr benötigt und ersatzlos aufgelöst. Ein weiterer Beitrag zur Einfachheit. <?page no="124"?> 9 Praktische Hinweise 116 H B 011001 Copyright by Ch. Helfrich / FH München Copyright by Ch. Helfrich / FH München Kernkompetenzen als Prozesse Montage P1 P2 P3 P4 P = Prozess = Kernkompetenz Prozess 1: Kernkompetenz 1 L K König Kunde als Zentrum der Wertschöpfung Just-in-Time Abbildung 12: Kernkompetenzen als Prozesse 9.9 Für offenen Führungsstil „Von der Macht zur Passion“ Der Führungsstil in einer Firma entscheidet mehr als auf die erste Einschätzung erkennbar. Niemand spricht jedoch gerne darüber und möglicherweise ist ein Führungsstil auch nicht zu beeinflussen, jedenfalls nicht auf einfache Weise. Denn er ist extrem persönlichkeitsbezogen. Wer aber ändert die Persönlichkeit von Erwachsenen, die ihren Charakter längst entwickelt haben? Der offene Führungsstil wird vor allem dann bedrängt, wenn es um die Überforderung der eigenen Mannschaft geht und sich dadurch ein anderes Menschenbild für den Führenden anbietet. Dann muss sich zeigen, ob sich die edlen Leitbilder wie zum Beispiel Vertrauen und Großmut bewähren. - Überforderung Aus der Unterforderung des sklavenhaft gehaltenen kleinen Angestellten oder Arbeiters in der industriellen Massenmenschenhaltung entsteht eine dauernde Überforderung des globalisierten Mitarbeiters, der als Subunternehmer funktio- <?page no="125"?> 9.9 Für offenen Führungsstil 117 nieren muss: mehrere Sprachen, Computer-Bedienung und Netzwerkverständnis, soziale Kompetenz, Offenheit für Innovationen, Beweglichkeit zeitlich und räumlich sowie dauernde Bereitschaft zur Höchstleistung. Wie soll das möglich sein? Kann das auf einfache Weise funktionieren? Das heutige Anforderungsprofil ist meist höchst komplex, einfacher wird das Leben als Angestellter damit nicht. Mutmaßlich kann ein System, das die Mitarbeiter dauerhaft auf Höchstleistung trimmt, auf Dauer gar nicht funktionieren. Der Bruch des Einzelnen mit seinem natürlichen „Ich“ ist dann vorprogrammiert, möglicherweise von einigen sogar gewollt. Denn ein schwaches Individuum ist leichter steuerbar. Sind als individueller Problemlöser Alkohol und Nikotin beteiligt, weiß man, dass der Mitarbeiter schwächer werden und leichter zu führen sein wird. So entsteht bewusst und gesteuert eine jahrelange Abhängigkeit. Wer aber andere ausnützt, herumkommandiert und zu seinem eigenen Machterhalt benutzt, kann eine ganze Firma lahm legen. Der Manager, der seinen Aktienkurs besser kennt als seine Mitarbeiter und seine Produkte, handelt zwar im Zeitgeist, ist aber unmenschlich bis zur Dekadenz. Wie und wo soll da Kreativität da wachsen? Wie können da neue Ideen entstehen? Wo sind die Freiräume für Kreative, Mitdenkende und Vordenkende? Was ist hier einfach? Und wie hoch ist eigentlich der Kontrollaufwand? Diesen kennt niemand, aber er übersteigt möglicherweise bald die Wertschöpfung. - Menschenbilder Die Menschen - auch die Manager selbst - haben keine persönlichen Schutzzonen mehr, insbesondere, wenn sie nur nach Gewinn bezahlt werden. Irgendwelche Rücksichten auf irgendwelche Leute müssen nicht mehr genommen werden. Die Angestellten werden dadurch austauschbar. Das alte Menschenbild des seriösen, menschlichen, auf Stabilität und Nachhaltigkeit setzenden Patriarchen stirbt aus. Sein früheres Unternehmen als „Große Familie“ ist nur noch auf Gewinn ausgerichtet. Das neue Menschenbild gleicht einem Raubtier, aggressiv nach innen und außen. Ein Vereinfacher braucht jedoch das richtige Menschenbild für seine Umgebung. Er kennt die Regeln, mit denen man in einer starren, ja sterilen Umgebung die Dinge bewegt. Er weiß: nur wenn es Grenzen gibt, kann er sich bewegen und zwar in dem umgrenzten Raum, in dem er dann eine gewisse Hoheit ausüben kann. Und er weiß weiterhin, dass die beste Führung aus Vorbild-Sein besteht und dass er bei aller Offenheit Disziplin verlangen und jedem seine Grenzen zeigen muss. <?page no="126"?> 9 Praktische Hinweise 118 9.10 Für einfache Informations-Technologie (IT) Der Schlüssel zum Erfolg sind nicht die Informationen, es sind die Menschen. (Lee Iacocca) Keine andere Technologie hat unser Leben in den letzten Jahren mehr verändert als die Informations-Technologie (IT), die man früher als EDV (Elektronische Datenverarbeitung) bezeichnete. Viele unstrukturierte Informationen verleiten Menschen zu der Annahme, sie wüssten etwas. Und manche glauben, dass die technischen Neuentwicklungen in der Kommunikationsbranche die althergebrachten menschlichen Beziehungen komplett revolutionieren würden. Die IT dominiert das Denken und den beruflichen Alltag. Aber ist sie einfach genug? Entwickeln, organisieren, planen, analysieren und dann vermarkten, kurz: mit Schwung diejenige Information finden, die man im Augenblick braucht, um ein reales Problem zu lösen - das klingt vernünftig. Insbesondere, wenn man der viel diskutierten Hypothese anhängt (E. Händeler), dass der entscheidende Standortfaktor für Europa die Fähigkeit sein wird, mit Informationen rasch und richtig umzugehen. Von einer Über-Versorgung mit Information oder gar von Datenmüll ist dabei nie die Rede. Eine Information hat jedoch allein vom Begriff her etwas „in Form“ zu bringen: aus Information soll ja ein Ergebnis entstehen können. Dabei ist Weniger oft mehr, der Trend wichtiger als die Genauigkeit. Die Hypothese der Technokraten ist jedoch: dank der vielen neuen computergestützten Geräte wie GPS, Blackberry, Computer Aided Design, RFID u.a. sowie dem Internet stünde uns eine Beschleunigung der Informations-Versorgung und damit einhergehend eine stete Steigerung des materiellen Fortschritts bevor. Bekannte Beispiele für komplizierte IT-Lösungen sind der Sozial- oder Gesundheitsbereich, die Steuerberechnungen, fast alle unternehmensweiten, integrierten IT-Lösungen und die Simulations-Modelle, z.B. der Wettermacher und Klimaforscher. Das komplizierte System übernimmt dabei die führende Rolle, die Bediener und Nutzer sind die Sklaven. Niemals aber werden Systeme von Sklaven vereinfacht; stets gibt es nur Erweiterungen in Form neuer Funktionen und - in der Regel - für die Ausnahmen, an die man vorher nicht gedacht hatte. Immer wenn es heißt, die EDV erlaube das nicht, ist der Punkt erreicht, in dem nicht mehr der Manager, sondern das System bestimmt, was zu tun ist. Wir steuern möglicherweise auf eine Periode zu, in der komplizierte Systeme die Herrschaft ausüben und nicht mehr der Mensch, der Manager oder die Politik. Außerdem: wer versteht die komplizierten Systeme noch zur Gänze? Sei es ein deutsches Mautsystem, ein Sozial- oder Steuersystem, ein komplettes ERP- System (ERP = Enterprise Ressource Planning), vielleicht auch nur eine neue <?page no="127"?> 9.10 Für einfache Informations-Technologie (IT) 119 multifunktionale Verkaufsabwicklung - immer braucht es Spezialisten, die das System überhaupt erst einmal verstehen und verständlich machen können. Datenmassen können ohne menschliches Eingreifen nicht sinnvoll ausgewertet werden. Das steht zwar im Gegensatz zu den auf IT-Seminaren geäußerten Hypothesen, aber Daten an sich sind wertlos und ohne Mitdenken und Hausverstand werden sie bald zu Datenmüll. Deswegen wird künftig der Hausverstand wieder vermehrt zu seinem Recht kommen. Der Hausverstand zeigt Skepsis gegenüber Datenmüll und allen Totalsystemen, deren Ehrgeiz es ist, ein totales Modell der Wirklichkeit zu bauen. Als geistiger Vater für die Denkweise, die zu diesem Abbildungswahn geführt hat, steht René Descartes (1596 - 1650), der das Koordinatenkreuz in die Welt gesetzt hat. Außerdem stammt von ihm das Berühmte: „cogito ergo sum“ (ich denke, also bin ich). In Analogie: erst wenn ich etwas im System erfasst habe, ist es überhaupt vorhanden. Das Erfassen von Daten kann man heute überall sehen, am deutlichsten in der Medizin. Erfasst wird alles in der Computer-Tomographie und sonstigen Digitalisierungs-Geräten. Die Gesundheit, um die es eigentlich geht, bleibt davon jedoch erst einmal unberührt. Den „Mut zur Einfachheit“ findet man selten in der IT. Oft laufen IT-Projekte nur deswegen aus dem Ruder: so werden alle Möglichkeiten, an die ein Programmierer überhaupt nur denken kann, in das System gegossen. Die Folge sind riesige Dateien, unzählige Spezialprogramme und lange Laufzeiten. Diese Kompliziertheit fordert eine aufwändige Wartung - alles persönlich erlebte Erfahrungen aus der Wirtschaft, die jeder kennt und über die gleichwohl niemand spricht. Immer noch wirkt und schützt der jahrzehntelange Mythos der EDV (=elektronische Datenverarbeitung). „Fighting complexity in IT - eine Aufforderung von McKinsey. Sie leiten einige berichtenswerte Leitlinien ab für den Manager: 1. Erkläre die Ursachen der IT-Komplexität 2. Begründe eine neue Kultur des Managements in der IT 3. Investiere in Beruhigung und Konsolidierung 4. Betrachte und reformiere die IT-Architektur 5. Vergebe und source aus, wenn es zu kompliziert wird (ähnliches hat man ja auch in der Fertigung für komplizierte Steuerung eines Eigenfertigungsteils, z.B. für Galvanik und Schleifen….) Der interessanteste Punkt ist Nr. 4: „Betrachte und reformiere die IT- Architektur“. Das ist leicht gefordert. Aber wer kann schon bei lebendigem Leibe die IT- Architektur ändern? <?page no="128"?> 9 Praktische Hinweise 120 Hypothesen vor Analysen - mehr Denken und weniger Zahlen - das ist eine mögliche, künftige Aufforderung für die neue IT-Architektur und damit zur Vereinfachung der IT. Denn: „Phantasie ist wichtiger als Wissen“. (Albert Einstein). Die Kreativen, die Querdenker müssten für jede IT-Konzeption gefragt werden. Davon kann derzeit überhaupt keine Rede sein, weil die IT in der Regel diktatorisch handelt. Der Kernsatz für eine wegweisende, einfache IT-Unterstützung ist: Setze die IT-Unterstützung auf die Kernprozesse und lasse sie damit rasch „Geld verdienen“! Kümmere Dich erst hinterher um Integration und Schnittstellen, falls überhaupt noch erforderlich. Das heißt: nicht die EDV-Spezialisten sollen die betriebliche Organisation gestalten, sondern die Manager und Personal-Verantwortlichen, denn diese verstehen etwas vom Menschen. Die Einfachheit fordert: alle benötigte Information zum Arbeitenden, dem Wertschöpfer. Demnach nicht nur die Arbeitspläne und -Zeiten, sondern das Bild, die Zeichnung, die Kosten, die Qualitätsvorschrift, der Behälter, das Woher und Wohin, die Fehler und ihre Reparaturen und evtl. sogar Informationen zum Kunden: „Vorsicht, Abnehmer ist oft angetrunken“. Die IT-Unterstützung für den Arbeiter ist dann maximal und sie ist einfach. 9.11 Für gesunden Hausverstand Man soll die Dinge so einfach machen wie möglich, aber nicht einfacher. (Albert Einstein 1879 - 1955) Gesunder Hausverstand ist eine der besten Bremsen für überbordende Kompliziertheit in Informations-Systemen, Organisationen und Bürokratien. Gute Manager brauchen z.B. kaum Bürokratie, weil sie nur wenige Informationen benötigen, vielleicht nur 5 oder 6 Kennzahlen (wie: Umsatz, Anzahl Aufträge, Deckungsbeitrag, Produktivitätsentwicklung, Reichweite). Sie brauchen keine „Entscheidungsbäume“ und keine 10 Seiten Aktivitätsprogramme. 5 m lange Netzpläne schicken sie an den Verfasser zurück. Gute Manager verlangen einfaches Denken und Organisieren, weil sie gern komplizierte Analysen durch ihren Hausverstand ersetzen. Man hört dann - oft ein wenig bewundernd -, dass er wieder einmal „aus dem Bauch“ heraus entschieden hätte. In einer Zeit großer Veränderungen und Krisen kann niemand für jede neue Situation die bestmöglichen Entscheidungsunterlagen erarbeitet haben. Es muss alles rasch gehen und dafür muss es einfach zu handhaben sein. Dafür steht der Hausverstand als verlässlicher Partner bereit. „Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit“ - wer seinen Hausverstand nicht gebraucht und mutig vereinfacht, wird jetzt, wenn die Margen kleiner werden, <?page no="129"?> 9.11 Für gesunden Hausverstand 121 recht schwierige Zeiten erleben. Einfachheit beginnt mit der Auswahl der wirklich wichtigen Probleme. Dann folgt das „Entfeinern“: braucht es die 2. Kommastelle tatsächlich, braucht es überhaupt Kommastellen, benötigt man genaue Zahlen oder ist der Trend vielleicht grundsätzlich besser? Der Glaube setzt ja immer dann ein, wenn eine Sache undurchsichtig geworden ist und nicht mehr verstanden werden kann. Dann entstehen die großen Systeme und Bürokratien als eine Art Religionsersatz: man ist mit der Systembedienung beschäftigt und stellt - wie jeder Gläubige - nichts mehr in Frage. Über allen Weisheiten steht schon immer der Hausverstand, um einfach denken, reden und handeln zu können Was immer und überall gezählt hat und zählt, ist eine Denk- und Handlungsweise, die ohne Umschweife zum Ergebnis kommt. Der Hausverstand sagt: eine Entschlackungs-Kur für den Körper und für die Organisation sind immer gesund und nie falsch. Er sagt aber auch, dass niemand die Freiheit haben darf, die Regeln, nach denen alle arbeiten, aus eigenem Gutdünken zu ändern. Das gäbe schlechten Absichten die notwendige Freiheit. Eine Erkenntnis, die schon immer galt, die weltweite Finanzkrise hat sie wieder in den Vordergrund gespült. Denn hier hat sich - gegen jede Organisatoren-Regel - das Finanzsystem seine Regeln selbst gegeben und sich darüber hinaus strikt gegen jede Kontrolle gewandt. Die Ergebnisse sind fatal. Leidtragende sind nicht die Manager, sondern - wieder einmal - die Mitarbeiter und Steuerzahler. ANREGUNGEN: Wenn nur die Hälfte der Praktischen Hinweise bei Ihnen zu einer vereinfachenden Gestaltung der Organisation führen kann, ist das Ziel dieser kleinen Ausarbeitung schon erreicht. Es ist aber auch denkbar, dass Sie ein Projekt „Einfachheit“ gründen und die Zwischenergebnisse periodisch abfragen. Die Leistungspakete können die Gliederungspunkte der vorliegenden Praktischen Hinweise sein. <?page no="130"?> 10 Einige Beispiele 122 10 Einige Beispiele 10.1 Firmen und Organisationen - ALDI Aldi ist ein überall verstandener Begriff geworden für Preiswürdigkeit und Qualität. Erreicht werden diese Ergebnisse durch eine vorher nirgends gekannte Einfachheit. Regale und Produktpräsentation sind schlicht, jede Filiale führt nur ca. 500 Artikel, denn die Preise für diese Zahl kann die Kassiererin noch im Kopf behalten. Es gibt nicht einmal ein Telefon, damit vom eigentlichen Geschäftszweck, nämlich Verkaufen, nicht abgelenkt werden kann. - Flat Tax Der berüchtigte Tarifdschungel ist vereinfacht, ja aufgelöst. Alles ist auf eine einzige Rate durchkalkuliert in einer Art Mischkalkulation. Die Vereinfachungen im Angebot bis zur Abrechnung decken einen guten Teil der Mindereinnahmen. - Internethandel Das Angebot, der Verkauf, die Lieferung und die Abrechnung über das angegebene Konto erfolgen ohne jegliches Papier, ja auch ohne Personal, sozusagen „mannlos“. Alles ist standardisiert und einfach. Probleme entstehen nur dann, wenn Unregelmäßigkeiten vorkommen (verspätete Lieferung, falscher Preis etc.) oder der Kunde eine nicht häufige Frage stellen möchte. - Finanzierungsfirma Anstelle der Abteilungen „Telefon“, „Protokoll“, „Bonitätsprüfung“, „Verträge“, „Preisermittlung“ und „Kundenkorrespondenz“ werden mit den gleichen Mitarbeitern mehrere „Prozessteams“ gegründet, die von diversen Spezialisten unterstützt werden (z.B. dem Zinsspezialisten, dem Kreditprüfer u.a.), aber für den jeweiligen Kreditauftrag immer nur einen einzigen Verantwortlichen haben. Statt einer Bearbeitungszeit von früheren 6 bis 14 Tagen über mehrere Schnittstellen und Abteilungen hinweg, dauert es jetzt exakte 4 Stunden, nicht mehr und nicht weniger. Die Produktivität ist damit um mehr als 100 % gestiegen, das <?page no="131"?> 10.2 Systeme und IT-Architektur 123 heißt: mit der gleichen Anzahl Mitarbeiter werden jetzt mehr als doppelt so viele Anfragen bearbeitet. - Alltag Die Einfachheit des Alltags ist über die Jahrhunderte als eine Art Konstante anzunehmen. Jeder Stammtisch, jede Gruppe, jedes Gespräch unter Freunden, jeder Parkwächter, jegliches Abstimmen und Koordinieren und alles im Alltags- Geschehen Verankerte, wie Einkaufen, Parken, Zahlen, Taxi fahren etc. ist weltweit immer gleich, organisiert sich selbst und benötigt keinerlei Input von außen. Die Internet-Firma Cisco wirbt in Anzeigen: „Die Komplexität soll vom Anwender fern gehalten werden“. Dann folgt eine kurze Beschreibung eines neuen Prinzips. Genau darum geht es. Der Alltag muss einfach sein und bleiben. Weitere Alltags-Beispiele sind - Bus- und U-Bahn-Fahren im Einheitstarif - die Bedienungselemente der Autos, Gas, Bremse und Kupplung, wenn es sie überhaupt noch gibt und nicht durch Automatik ersetzt wurden - Berührungslos gelesene Liftkarten - Ski-Bindungen - Fernsehbedienungen - Handys, die sich auf die Funktion Telefonieren beschränken - Autobahnschilder - Bankomaten - … Der Alltag ist überall einfach. Er war es, ist es und wird es immer sein. Kein Diktator hat jemals versucht, hier etwas zu verändern. 10.2 Systeme und IT-Architektur - Systeme für Produktionsplanung und -Steuerung (PPS-Systeme) Wenn es um Einfachheit geht, dann ist die beste Fertigungssteuerung keine Steuerung, das beste Lager ist kein Lager: das Material kann ohne Lagerberührung an den Arbeitsplatz geliefert werden, die Regeln für Ausschuss und Kontrolle können dezentral funktionieren, das ehemalige PPS-System ist desinvestiert (=abgeschafft) und damit auch der ganze Wust von Rückmeldungen und Planungen, und die Produkte kommen dennoch - oder gerade deswegen? - kostengünstig und termingerecht in kürzerer Lieferzeit zum Kunden. Dies bedeutet eine Steigerung des Ertrags und meistens auch des Marktanteil. Diese Vereinfachungen werden nur zusammen mit den Wertschöpfern erreicht und meistens <?page no="132"?> 10 Einige Beispiele 124 gegen den Widerstand der Experten und der Hierarchie. Voraussetzung dafür sind die schon diskutierte Prozesssicherheit und Mut, ja nachgerade Kühnheit. - Management für die IT Das Management der IT oder die Verantwortlichen für das IT-System hängen von der Produktivität ihres Bereiches ab. Sie sind Bestandteile des sog. Wasserkopfes und haben die üblichen Probleme um die Verbindung zu den Wertschöpfern aufrecht zu erhalten. Dann sagt man zu Recht, dass das Management die Bodenhaftung verloren hat. Aufwändige Kontrollsysteme, Sitzungen, E-Mails und jede Menge von Missverständnissen sind die Folge. Nur wenn das Management für die IT mit den operativ Tätigen, den „Wertschöpfern“ zu einer Einheit eingebunden ist, liefert es als Zentrale die notwendigen Strategien, Ziele und andere Vorgaben für die gebotene Einfachheit. Dann ist durch gute Planung und Kontrolle effektives Management entstanden, welches unerlässlich für jede Organisation ist. Man kann sogar sagen, dass jeder Angestellte und Arbeiter ein Recht hat auf effektives Management, auf gute Führung hat. - Sondereinzelfertiger Jede Firma einer Sondereinzelfertigung (Fassaden, Maschinenbau u.a.) lebt von der Durchsteuerung der Kundenaufträge, die sich niemals wiederholen, eben weil es sich um eine Sonderfertigung handelt. Das Ziel heißt immer die geplanten Größen für Lieferzeit, Kosten, Qualität und Deckungsbeitrag einzuhalten. Was liegt also näher, als jedem Auftrag sein eigenes Auftragsmanagement, sein Team, seine eigene Lagerfläche, ja auch seine eigene IT-Unterstützung zu geben? Es entstehen damit lauter kleine, auftragsbezogene „Kampfeinheiten“. Die Firma ist in die einzelnen Aufträge gegliedert, die Zentralfunktionen wurden ausgedünnt. So entsteht eine vorbildliche Einfachheit. Zentrallager und andere Zentralfunktionen sind verschwunden, nur die zentrale Finanzbuchhaltung erfüllt noch die vom Fiskus geforderten Vorgaben. 10.3 Unkonventionelle Schritte zur Einfachheit - Persönliche Arbeitstechnik des Chefs Der Tag hat 1440 Minuten, für seine geplanten Ergebnisse hat niemand mehr Zeit zur Verfügung - eine ziemlich triviale Überlegung. Damit beschäftigen sich jedoch einige erstaunlich erfolgreiche Bücher. Die fehlende Einfachheit in der persönlichen Arbeitstechnik wird katalogisiert und mit zahlreichen Tipps und Handlungsschritten beschrieben. Im Wesentli- <?page no="133"?> 10.3 Unkonventionelle Schritte zur Einfachheit 125 chen geht es immer um das Benennen der künftigen Tätigkeiten und das Zuteilen eines Zeitbudgets dafür, manchmal auch der Priorität. Ein überzeugter Vereinfacher wird auch hier seine Natur ausleben. Er wird seine Umgebung zu einem einfachen und übersichtlichen Lebensraum ausbauen. In diesem Lebensraum ist keine Rede von einer höheren Ordnung oder einem System, dem man zu gehorchen habe. Er macht aus den gegebenen Organisationen und Umständen das Beste, spürt Freiräume auf und lässt sein, was sich nicht ändern lässt. Denn was sich nicht ändern lässt, muss man irgendwann verachten. Persönliche Arbeitstechnik kann einfach sein, kompliziert und chaotisch. Kaum jemals wird über sie referiert. Immer beherrscht irgendeine Art des Systemdenkens das Feld: Prioritäten, Weglassen, Verkürzen - alles richtig, selbst die dicken Kalender mit dem Titel Time Management. Dann haben wir den Einzelarbeitsplatz aufgeräumt. Ist das im Sinne des Einzelnen? Fühlt er sich noch wohl? Oder ist er mit seiner Zeitplanung zur Wirkungslosigkeit verbannt? - Produktivitätsreserven Die künftigen Produktivitätsreserven liegen - wie schon gesagt - in den so genannten weichen Faktoren, wie zum Beispiel - Leistungsbereitschaft, - Verlässlichkeit, - Fairness, - Sozialverhalten, - Vertrauen, - Begeisterung, ehrliches Arbeitsklima, - Forderung und Förderung, - Zeitmanagement im positiven Sinne, - Gesundheit und die berühmten - Vorschläge zur Verbesserung der eigenen Arbeit Alles Begriffe, die sich jeglicher Digitalisierung entziehen und auf ein starkes Management angewiesen sind, denn für diese „weichen“ Faktoren braucht es viel Kraft und Zeit. Unsere urbanisierte Welt braucht gesunde Manager, die ausstrahlen, damit sie „ankommen“ und zur Nachahmung anregen. - Gesundheit Gesunde Mitarbeiter bewegen sich, lachen und reden - sie brauchen keine Psychopharmaka. Gleichzeitig entfallen die modischen Komplexkrankheiten wie Allergien und vegetative Störungen als psychisch bedingte Leiden. <?page no="134"?> 10 Einige Beispiele 126 Nach allem, was wir wissen, wird künftig die geistige und körperliche Gesundheit der entscheidende Produktionsfaktor für die Wirtschaft sein, wie ja schon mehrfach als Hypothese geäußert. Gesunde und loyale Mitarbeiter sind die allererste Voraussetzung für einfache Organisationsformen ohne Überwachung. - Eigenverantwortung Nur wenn jeder eigenverantwortlich in seinem Job arbeitet, kann die Organisation einfach sein. Jeder ist jede Sekunde für sich selbst verantwortlich. Eines der wenigen Prinzipien, auf das niemand verzichten kann. Im Grunde genommen sogar die Voraussetzung für die freiheitlich rechtliche Grundordnung unseres Staatswesens, aber auch für eine funktionierende, einfache Organisation. Nach der Fähigkeit zur Eigenverantwortung müssen die Mitarbeiter ausgewählt werden. Das ist allen Personal-Chefs ins Stammbuch zu schreiben. Eigenverantwortung kommt in der herkömmlichen Betriebswirtschaftslehre nicht vor. - Kennzahlen Auch ein einfaches Kennzahlen-Visualisieren ist kein Selbstläufer. Für das nachhaltige Funktionieren braucht es immer ein „Alpha-Tier“, einen Motivator, einen Begeisterer oder einen Fahnenträger, der die großen Ziele zu den seinigen macht. Die Vorgaben müssen natürlich machbar sein und - ex definitione - messbar. Das sind zwei wichtige Voraussetzungen für einen wirkungsvollen Kennzahlen-Einsatz. Das öffentliche Ausstellen der Ergebnisse stellt einen überraschend großen Motivator dar. Auch Lob wirkt als sehr starke Motivation. „Wissen Sie, ich bin jetzt ca. 40 Jahre in dieser Firma und ich wurde noch nie gelobt“ - muss denn so eine Lustlosigkeit sein? Die einfachsten Kennzahlen, z. B. der Produktivität in der Montage stellen stets die Krönung eines Projektes dar. Sie garantieren Nachhaltigkeit, weil jeder stolz ist und sein kann. Eine einfachere Methode für nachhaltige Produktivitätssteigerung gibt es nirgends. - Veraltete Konzepte Alle Eliten haben zu jeder Zeit ihre erlernten, früher auch erfolgreichen Konzepte bemüht, um neuen Herausforderungen zu begegnen. In einer neuen Krise - wie der globalen Finanzkrise oder der Energie-Ernährungskrise usw. - sind diese alten Konzepte zur Lösung ungeeignet. Neue Epochen wurden immer schon durch große Krisen eingeleitet. Das Wort Krise hat jedoch eine Doppelbedeu- <?page no="135"?> 10.3 Unkonventionelle Schritte zur Einfachheit 127 tung: es heißt nicht nur Gefahr, sondern auch Chance: Chance zu neuen Konzepten, in unserem Falle die Chance zur Einfachheit. Jeder Paradigmenwechsel verlangt nach neuen Konzepten für neue Lösungen. Die veralteten Konzepte wirken in der Krise in der Regel als Verkomplizierer. Sie helfen kurzfristig, langfristig jedoch kaum und stehen der Vereinfachung durch gänzlich Neues hartnäckig im Weg. Sie verhindern dadurch die notwendigen Anpassungen von Wirtschaft und Gesellschaft. - Vermeiden von Überorganisation Wenn bei einem Mittelständler mit ca. 150 Mitarbeitern ein teures Groß-System für einige Hunderttausend Euro eingesetzt wird, ist das ein sicheres Indiz für Überorganisation und Kompliziertheit. Die Möglichkeiten der Vereinfachung wurden nicht genutzt, sie wurden vielleicht gar nicht gesehen. Dieser Überorganisation begegnet man häufig: alles soll von einem anonymen System erledigt werden. Unsere Wirtschaft, Gesellschaft und die so genannten Manager scheinen zu erschlaffen, denn sie überlassen den Systemen gerne die Herrschaft. Niemand fragt mehr nach anderen Möglichkeiten der Organisation, z.B. denen durch vereinfachen. Wenn ein Seminar mit dem Slogan „Simplify your Supply Chain Management“ beginnt und wenn dann nur noch über die IT-Schnittstellen zwischen dem Groß-System und den Zusatzprogrammen referiert wird, dann scheint das Seminarthema wohl verfehlt. Oder wenn die Kommission zur „Vereinfachung des deutschen Steuersystems“ 300 Seiten abliefert. Ist diese hohe Seitenzahl nicht auch ein Indiz für zu große Kompliziertheit in der Arbeitsweise der Kommission? Oder in der Medizin! Haben Sie kürzlich einen „Medical Checkup“ hinter sich gebracht? Früher ging man zum Hausarzt, dieser hat die üblichen Untersuchungen gemacht, wie Blutdruck und Puls messen, Gewicht, Röntgen, vielleicht Ultraschall einzelner Organe und eine Blutentnahme für das Labor. Nach zwei Stunden war man fertig und hatte einige Tage später sein Testat: gesund. Heute geht das nicht mehr so einfach. Der Hausarzt macht mehrere Termine, jeweils um Tage versetzt. So wird es kompliziert, man braucht Zeit und man muss planen. Dann schreibt er Überweisungs-Scheine für den Urologen, den Onkologen, den Dermatologen und vielleicht noch sonstigen -logen. Das kostet wieder viel Zeit und - Geld. Auch die neuen Termine sind ziemlich kompliziert einzuplanen. „Bin ich jetzt gesünder, lebe ich länger? “ Der noch nicht standardisierte Prozess „Medical Checkup“ hat das Achtfache an Aufwand und Geld sowie möglicherweise das 100-fache an Daten als früher erzeugt. An der Aussage „Gesund“ hat sich jedoch nichts geändert. „Man kann nie wissen, wir müssen alles ganz genau erfassen und das Ganze ist sehr wichtig zur Vorsorge“ hört er als Antwort auf die Frage, wozu das alles gut sein soll. <?page no="136"?> 10 Einige Beispiele 128 Genau das hört auch von den vielen EDV-und Organisations-Chef. Alles muss erst einmal erfasst werden. Dann kann es ja zum Beispiel durch „Data-Mining“ ausgenützt werden. Wenn es nichts nützt, dann schadet es auch nichts. Wie wird sich diese Spirale zum Komplizierten in zwanzig Jahren ausgewirkt haben? Könnte man nicht heute schon auf manches Verzichten? Was sagt der Hausverstand dazu? Würde er gerne verzichten? - Verzichten Der Arzt, der Anwender, der Handbuchschreiber, der Kunde, der Kommentator, der Disponent etc. sie alle behandeln viel Überflüssiges und sind dadurch überfordert. In einer weisen Selbstbeschränkung läge die Stärke - in Einfachheit. Wenn man einfach lebt, braucht man weniger an Materiellem und schon gar nichts an Kompliziertem. Das Verzichten braucht Größe und Mut. Es eröffnet jedoch auch neue Chancen, denn überall hat sich ein Zuviel festgesetzt. Verzicht und Einfachheit gelten auch in der Sprache. Sonst entsteht Kauderwelsch, wenn auch gesellschaftlich höchst angesehen. Jedes Betriebswirtschafts- Studium ermöglicht wissenschaftlich geprägtes, jedoch in der Umsetzung wertloses und dummes Zeug zu reden, Kauderwelsch eben. Ein gewaltiges Konvolut von komplizierten Zusammenhängen, die vom „Bauch“ des Unternehmers sofort ersetzt und ausgehebelt werden können. Wir sollten lernen zu verzichten auf aufwändige Analysen, Prognosen und Arbeitskreise. Es kommt sowieso immer anders als prognostiziert. Die Prognosen der Wirtschaftsweisen sind ein prominentes Beispiel dafür. Um dies zu fordern, benötigt man kühne Fahnenträger. - Fahnenträger anstatt Bedenkenträger Die Welt besteht aus Fahnen- und Bedenkenträgern. Bekanntlich sind die Letztgenannten in der Überzahl. Überall lauern sie, die Bedenkenträger, die einem erklären, dass das Neue, das Einfache gerade in ihrem Bereich nicht funktionieren könne, leider. Von irgendeiner Belegschaft sind maximal 10% zu den Fahnenträgern zu rechnen. Das Verzichten, Vereinfachen, Abschmelzen sowie Verschlanken sind offenbar nur sehr schwer durchzusetzen. Immer entstehen Bedenken. Leicht dagegen wirkt das Verkomplizieren, das mit jeder Neuerung gern verbunden wird. Jede Vereinfachung wird sich aber auch bald zu den wichtigen, weil wertschöpfenden Tätigkeiten fortpflanzen. Immer führt es zu großen Bedenken, wenn sich ein Betrieb aus eigener Kraft reorganisiert (wie z.B. Porsche vor seiner Erfolgsphase) oder wenn sich eine Gesellschaft (z. B. Groß-Britannien in der Thatcher-Ära) zu einer besseren Organisation mit einem höheren Effizienz aufraffen muss. <?page no="137"?> 10.3 Unkonventionelle Schritte zur Einfachheit 129 Aus der Praxis kann ich einige einfache Regeln für Fahnenträger zitieren: (Quelle: Norbert Zimmermann, Berndorf-Gruppe, Österreich) - Mut zum Experiment - Geistig Aufmachen zum Kooperieren - Durchhalten: „Kurs halten“ - Leidensdruck: nur er bewegt die Welt - Selbstverantwortung und Marktnähe - Alle auf einer Höhe: aber einer führt - Freimachen der positiven Reserven - Freude an der Verbesserung als Wertebasis - Dezentralität, Flexibilität und Eigenverantwortung - Vertrauen ist die Basis und bestimmt den Führungsstil - In Zeiträumen denken - Vielfalt und andere Kulturen positiv sehen - Aushalten des Spagats zwischen Improvisation und Chaos Nach diesen einfachen Regeln wuchs ein sehr erfolgreicher Konzern heran. Unseriöses konnte sich in diesem Regelwerk nicht entwickeln. - Checklisten Für die effektiven Vereinfachungen im Operativen Bereich bewähren sich Checklisten. Sie fassen einiges des bereits Diskutierten zusammen. Jede Vereinfachung erlebt leider auch Rückschläge, Dellen, in denen die Kraft für Innovation nachlässt und wo man sich danach wieder auf das große Ziel konzentrieren muss. Wer im Unternehmen vereinfacht und vor den Schwierigkeiten nicht zurück schreckt, wirkt zuerst als Primitivling und später als mutiger Innovator. Auf diesem nur scheinbar primitiven Gebiet glaubt doch jeder mitreden zu können. Zur Versachlichung der Diskussionen empfiehlt sich eine weitere Checklist: - Wann war die letzte Vereinfachungs-Maßnahme? Wie lange lebt die aktive Organisation unverändert? - Gibt es Vergleichszahlen zur Bestimmung der Produktivität (Output/ Input z.B. Anzahl Aufträge pro Mitarbeiter) - Sind schon alle Arbeiten vereinfacht und mit einem Zeitbudget versehen? - Sind die Abläufe einfach? Hat sie jemand auf radikale Vereinfachung überprüft? Zum Beispiel die Versorgung mit Material durch den Lieferanten papierlos durch eine e-mail des Verbrauchers vor Ort? - Gibt es laufend auftretende Fehler? - Wie wird die Qualität gemessen? - Wo gibt es noch Schnittstellen-Probleme? <?page no="138"?> 10 Einige Beispiele 130 Ich gebe zu, dass es in der Organisation keine ewigen Wahrheiten gibt. Dennoch kann man sich mit derartigen Checklisten helfen. Man muss dabei gar nicht den neuen Begriff des Komplexitäts-Managements berühren. Hier eine weitere Checklist: - Welche Märkte haben sich geändert (Regionen, Branchen, Segmente) - Wie groß sind die Veränderungen auf allen Ebenen des Unternehmens - Kann das Produktprogramm standardisiert werden? (Produkte, Dienstleistungen, Marktpositionierung) - Können die Prozesse standardisiert werden? (Organisation, Verantwortlichkeiten, Wertströme, Ressourcen, Lieferanten) Kompliziertheit entsteht vor allem durch Variantenvielfalt, sei es in den Prozessen oder sei es im Produkt. In der Produktgestaltung (Konstruktion) kann die Variantenvielfalt durch folgende, bewährte Maßnahmen bekämpft werden: - Modularisierung, - Plattformkonzepte, - Gleichteilemaximierung - Varianten-Genehmigungsverfahren - ……… „Weniger Teile bedeuten weniger Komplexität, weniger Komplexität bedeutet geringere Kosten“. (U. Hackenberg, Volkswagen AG ) <?page no="139"?> 11 Lob der Einfachheit 131 11 Lob der Einfachheit Zu jeder Vereinfachung gehört das Wissen um das Ganze und die Grenzen. Am Anfang mögen einige Zitate stehen: - „Alles Große und Edle ist einfacher Art“. (Gottfried Keller, 1819 - 1890) - „Einfachheit ist das Resultat der Reife“. (Friedrich Schiller, 1759 - 1805). - „Weisheit und Einfachheit gesellen sich gern“. (Chinesisches Sprichwort). - „Große Kunst ist dann erreicht, wenn man nichts mehr weglassen kann“. - „Einfachheit ist schwierig zu erreichen! “ (Saint Exupéry 1900 - 1944). - „Viele Worte, die gemacht werden, um einfache Gedanken mitzuteilen, sind ein untrügliches Zeichen der Mittelmäßigkeit“. (A. Schopenhauer, 1788 - 1860). Bei aller zitierten Weisheit: Einfachheit ist immer das Ergebnis unternehmerischen Wollens; sie entsteht nicht von selbst. Wenn z. B. Vorstände selbst ihre E-Mails schreiben und wichtige Papiere eigenhändig kopieren, dann wollen sie ein Zeichen geben für Einfachheit am Arbeitsplatz. Es gibt nur zwei Säulen für eine gelungene Vereinfachung: - Vertrauen sowie - Großmut seitens der Chefs. Weniger Zentralismus bei dezentralen Strukturen vereinfacht jede Organisation, weil sie weniger kanalisierte Übertragungswege und Kontroll-Mechanismen benötigt. Beispiele dafür gibt es inzwischen zuhauf. Ganze Management-Ebenen sind weggefallen. (Abbildung 10: Einfachheit durch weniger Zentralismus). <?page no="140"?> 11 Lob der Einfachheit 132 Helfrich 20081214 Einfachheit durch weniger Zentralismus LK = Leitungs- und Koordinationsfunktionen W = Wertschöpfungsfunktionen Ablauf Zentrale Weisung und dauernde Kontrolle LK W LK W Prozess Zielvereinbarungen Auftrags- Fertigmeldung Selbstorganisation Abbildung 13: Einfachheit durch weniger Zentralismus Anstelle der zentralen Weisung und dauernden Kontrolle sind Zielvereinbarungen getreten und eine einfache, dezentrale Organisation verringert den Kommunikationsbedarf der Mitarbeiter. Die dauernde Informations-Berieselung von oben sowie die befohlene Kommunikation können entfallen. Diesen Weg sind schon viele Firmen gegangen und von keiner einzigen hat man gehört, dass es eine Sackgasse gewesen sei oder der Weg gar zurückgegangen werden musste. Ein Lob der Einfachheit kommt dann auch vom Controlling: die Produktivität ist im letzten Jahr durch die neue, einfachere Organisation um 20% gestiegen! Produktivitätsfortschritte um 20% pro Jahr oder darüber erscheinen manchen als ein Wunder. Sie glauben, es seien dann eben 20% oder mehr Mitarbeiter frei gestellt worden. Zum Leute-Entlassen braucht es aber keinen Manager, das kann ja auch der Pförtner, wenn man ihn nur ließe. In der Einfachheit steckt eine gewaltige Kraft. Eine Kraft, wie sie offenbar alles Ursprüngliche in sich hat. So eine Art Ur- Energie, die sich zeigt in allen Fällen einer gelungenen Reorganisation zur Einfachheit. Diese wird gekennzeichnet durch das höchst einfache Prinzip: nur die Wertschöpfung wird unterstützt, alles Übrige abgeschnitten oder zumindest begrenzt. Damit müssen Transport- und Lagerarbeiten, Büro- und Koordinierungstätigkeiten, Computer- und Personalfragen neu angedacht werden. <?page no="141"?> 11 Lob der Einfachheit 133 Wir erwarten in Zukunft große Änderungen in der Weltwirtschaft und damit auch in jedem Arbeitsumfeld. Die alten Zeiten, in denen man noch extrapolieren konnte, um eine stabile Zukunft planen zu können, werden wohl nicht mehr zurück kommen. Aber wenn es nur noch Neubeginn-Situationen hat und man sich nie mehr irgendwo einfach ausruhen und fallen lassen kann? Dann kommt irgendwann, aber sehr sicher das „Burnout-Syndrom“ und alles kommt zum Stehen, auch die Gesundheit. Spätestens dann wird es Zeit sich für Einfaches in Beruf und Privatem zu interessieren. Einfach funktionierten früher die Viehmärkte und Börsen, egal in welchem Kontinent, nach den immer gleichen, jedem verständlichen Regeln. Jeder war für seine Tätigkeit, auch wenn sie schwierig gewesen sein sollte, voll verantwortlich. In der heutigen Organisationslehre gibt es den Begriff der „Operativen Verantwortung“, die dem Einzelnen bei seiner Tätigkeit mehr Kompetenz und Handlungsspielraum zuteilt. Es wird dadurch unternehmerisches Verhalten in den ehemals mechanistisch organisierten Bereichen gefordert und manchmal auch eingeführt. Die alten Berufsbilder sind jedoch verschwunden. Wenn die Hierarchien flach geworden sind, gibt es auch keine der üblichen Beförderungen mehr: vom Gruppenleiter, Abteilungsleiter, Hauptabteilungsleiter zum Vorstand. Wie wird der normale Angestellte damit fertig? Die flotte Losung „von der Macht zur Passion“ gilt halt nicht für Karriereträume. Man muss froh sein, wenn man eine Aufgabe bekommen hat und diese Aufgabe mit den Jahren größer wurde. So wird die einfache, bewegliche Organisation ohne träge Hierarchie das Leitbild der Zukunft werden. <?page no="142"?> 12 Blick in die Zukunft 134 12 Blick in die Zukunft Wer mit Weitblick und Mut seine bestehende Organisation vereinfacht, wird demjenigen überlegen sein, der sich nur auf das Verwalten konzentriert und im Übrigen über die Lohnhöhe klagt. Nur Leidensdruck verändert die Welt: nie wird es Vereinfachungen ohne äußeren Druck geben, insbesondere wenn die bisherige Organisation mit ihren Strukturen, Abläufen und Methoden früher Erfolg hatte. Der Druck zur Einfachheit im Organisieren wird also mehr und mehr von äußeren Krisen erzeugt werden und diese werden nicht kleiner, sondern sehr viel größer werden. Dadurch wird immenser Leidensdruck entstehen. Manche Organisationen werden wegen ihrer Einfachheit überleben, daraus kann dann durchaus ein Beitrag für künftige Generationen abgeleitet werden. Vielleicht heißen ja die neue Basis-Innovationen der westlichen Welt schlicht „Einfachheit“ und „Gesundheit“, nach den früheren Basis-Innovationen „Elektro“, dann „Automobil“ und zuletzt „Computer“. So ist jeder schlecht beraten, wenn er sich nicht bald mit einfacheren Strukturen, Abläufen und Methoden auseinandersetzt. Wie in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts, als die EDV die Buchhaltung eroberte: wer da nicht mitmachte, flog wegen Unproduktivität bald aus dem Markt. KISS - „Keep it simple and stupid”. Dieses in Bronze gegossene Motto wird bei jeder Führungskraft auf den Schreibtisch gestellt werden. Dann wird aus Zeit- und Geldmangel nicht mehr so viel analysiert werden. Produktiver werden durch Ausprobieren im „Trial and Error“-Verfahren wirkt sowieso in vielen Projekten besser als aufwändige Analysen. Und es ist billiger. Es gab und gibt eine Führungs- und eine Wertschöpfungsebene. Wir müssen ein Scharnier zwischen diesen beiden Ebenen finden, damit sich das Oben nicht zu weit vom Unten abkoppeln kann. „Immer mit beiden Beinen auf dem Boden bleiben“ - dieses Leitbild dazu wurde schon einmal erwähnt. Dazu sollte jeder eine vorgegebene Zeit „unten“ arbeiten müssen, z.B. im Service, in der Werkstatt oder irgendwo anders „mitten im Leben“ stehen. Der Manager wird in Zukunft dieses Scharnier zwischen dem Oben und Unten bauen, aber auch Brücken zwischen dem Neandertaler und dem Homo Oeconomicus. Das war zwar schon immer ein Teil der Führungsverantwortung, wird morgen jedoch schwieriger sein, weil das Irrationale wegen der größer gewordenen Angst gewachsen sein wird. Die künftige Einfachheit lehnt sich wieder verstärkt an die Leitbilder unserer europäischen Kultur: Fleiß, Ehrlichkeit, Vertrauen und Offenheit - daraus besteht ja auch unsere von Max Weber beschriebene Arbeitsethik. <?page no="143"?> 12 Blick in die Zukunft 135 Der unaufhaltsame technische Fortschritt wird dadurch nicht verhindert. Dadurch wird der Alltag zwar beeinträchtigt werden, denn er wird kurzfristig komplizierter sobald eine neue Technik Einzug hält. Es gibt nur zwei Strategien gegen diese Komplexitäts-Zunahme: - entweder durch eine weitere Erhöhung der Komplexität, denn diese ist nur durch weitere Komplexität zu steuern - oder durch Zerschlagen in Teilbereiche, demnach durch Dezentralisation und einfachere Organisation Es ist klar, welcher der beiden Wege der bessere ist. Änderungen sind nur bei größerer Einfachheit leichter und rascher möglich. Wie wollen wir denn sonst überleben bei den absehbaren, rasch wechselnden Mutationen von Märkten, Krisen und Techniken ohne ununterbrochene Änderungsbereitschaft? Wie ginge dies ohne einfache Organisation, in der sich jeder mit seinen Ideen einbringen kann? Und: Wenn diese Vereinfachung gelungen sein wird, brauchen wir Europäer uns vor nichts und niemandem zu fürchten. Denn auf unserem Kontinent leben Kreativität und Mut zu Neuem wie nirgendwo sonst auf der Welt! Gelungene Vereinfachung sollte als Kenngröße zum Benchmarking benutzt werden können, ähnlich wie die Entwicklung der Kapitalrendite und Investitionsquote usw. „Divide et impera“ (= teile und herrsche) oder teile, damit Du Chef sein kannst, ist offenbar nichts Neues. Kleineres zu managen und zu vereinfachen macht weniger Kopfzerbrechen als Größeres. Mit dem Teilen braucht es keine wechselnden Konzepte mehr, sondern die Konzentration liegt auf der Verbesserung der Details. Das zugrunde liegende Konzept muss nicht jeden Tag neu diskutiert werden. „Den Elefanten erst schlachten und dann in Schnitzel aufteilen“, „Das Problem zerschneiden und aufteilen“ und ähnliche Formulierungen haben sich als Leitlinien im betrieblichen Alltag längst bewährt. Der Einfachheit gehört die Zukunft! Daran kann es bei sinkenden Margen keinen Zweifel geben. Denn wir werden uns die aufwändigen Systeme bald gar nicht mehr leisten können. Auch der Alltag wird sich einiges an Einfachheit zurück erobern. Werden wir dann eines Tages in ideal einfacher Organisation vollkommen geworden sein? Kaum, denn in einer unruhigeren Welt wird es kaum Zeit für Stabilisierung geben, die es braucht, um vollkommen zu werden. Aber auch, weil es heißt: <?page no="144"?> 12 Blick in die Zukunft 136 „Fortschritt ist der Weg vom Primitiven über das Komplizierte zum Einfachen.“ Wir brauchen den Fortschritt, die Einfachheit heute dringender denn je! ANREGUNGEN: - Wie sieht Ihre Organisation in zehn Jahren aus? Gibt es dafür eine Idee? - Haben Sie Einfachheit als Gestaltungsfeld schon entdeckt? Dafür eine kleine, einfache Checklist: - Fördern des intellektuellen Austauschs im Team - Offenheit für neue Ideen und Querdenker - Anpassen für rasche Änderungen - Flexibilität - Agieren bevor der Leidensdruck schmerzt - Aufteilen in kleinere Einheiten, wo immer möglich - Zulassen von Selbstorganisation - Zurückdrängen der Systemzwänge und der Bürokratie - Sicher machen der Prozesse: der Alltag muss ohne den Chef zu bewältigen sein! - IT: der Anwender darf die Systemzwänge niemals spüren <?page no="145"?> 13 Literatur 137 13 Literatur 1. Meinard M IEGEL , Die deformierte Gesellschaft, 2. Auflage 2004, Ullstein, Berlin , 2004 2. Meinard M IEGEL , Epochenwende, List Taschenbuch, Berlin, 2007 3. Fredmund M ALIK , Führen - Leisten - Leben, Heyne, München, 2001 4. Fredmund M ALIK , Management, Das A und O des Handwerks, Frankfurter Allgemeine Buch, 2005 5. Dieter B RANDES , Einfach managen, Piper, München, 2005 6. Dieter B RANDES , Die 11 Geheimnisse des Aldi-Erfolges, München, 2006 7. Cyril N. P ARKINSON , Parkinsonsches Gesetz und andere Studien über die Verwaltung (1957), Econ Taschenbücher, München, 2001 8. Bill B ONNER , Addison W IGGIN , Das Schuldenimperium, Riemann, München 2006 9. N EVIODOW , Der 6. Kondratieff, Rhein-Sieg Verlag, St. Augustin, 1996 10. D IAMOND , Kollaps, Warum Gesellschaften überleben oder untergehen, S. Fischer-Verlag Frankfurt/ M, 2. Auflage 2005 11. Erik H ÄNDELER , Kondratieffs Welt, Brendows Verlag, Moers, 2005 12. S. D. L EVVIT , S. J. D UBNER , Freakonomics, HarperCollinsPublishes Inc., 2005 13. Otto W ASSERMANN , Das intelligente Unternehmen, VDI-Verlag, Berlin, 2001 14. Tom D E M ARCO , Timothy L ISTER , Der Faktor Mensch im DV- Management, Carl Hanser Verlag, München - Wien,1999 15. Wendelin W IEDEKING , Das Davidprinzip, Macht und Ohnmacht der Kleinen, Wagenbach, Berlin, 2003 16. M. H AMMER + C HAMPY , Business Reengineering, Campus, 2003 17. Martin S CHERER , Der Gentleman, Plädoyer für eine Lebenskunst, dtv, München, 3. Auflage 2004 18. Cay VON F OURNIER , Die zehn Gebote für ein gesundes Unternehmen, Campus, Frankfurt/ M., 2005 19. Werner Tiki K ÜSTENMACHER , Simplify your life, Campus Verlag, Frankfurt/ M. 2004 20. Jeremy R IFKIN , Der europäische Traum, Campus-Verlag, Franfurt/ M, 2005 21. Niklas L UHMANN , Soziale Systeme, suhrkamp taschenbuch, Frankfurt/ M. 2006 <?page no="146"?> 13 Literatur 138 22. Christian R EIERMANN , Gründlich mit Anspruch, das Programm der Bundesregierung zum Bürokratieabbau zeitigt erstaunliche Folgen: mehr Planstellen, mehr Koordinierung, mehr Verwaltungsaufwand, Spiegel 9/ 2006, Seite 107 23. Harry G. F RANKFURT , Bullshit, Suhrkamp, Frankfurt/ M., 2006 24. Jim C OLLINS , Good to Great, HarperCollins Publishers Inc., New York, 2001 25. Richard S ENNETT , Die Kultur des Neuen Kapitalismus, Berlin Verlag, Berlin, 2005 26. Wolf L OTTER , Verschwendung, Hanser München - Wien, 2006 27. Peter von M ATT , Die Intrige, Theorie und Praxis der Hinterlist, München 2006 28. Paul K ENNEDY , Aufstieg und Fall der großen Mächte, Fischer Taschenbuchverlag, 35. Tausend, Januar 1992 29. M ACHIAVELLI , Der Fürst, Kröner, Stuttgart, 1966 30. Peter N OLL , Der kleine Machiavelli, Pendo, 2003 31. H ABERMAS , Die neue Unübersichtlichkeit, Frankfurt, 1985 32. Maria P RUCKNER , Warum arbeiten Organisationen effektiv? , www.managementkybernetik.com , 2002,Cwarel Isaf Institute 33. N ACHTIGALL und B ÜCHEL , Das große Buch der Bionik, Deutsche Verlags Anstalt, Stuttgart - München, 2000 34. Hermann S IMON , Simon für Manager, Econ Düsseldorf Wien, 1991 35. John K OTTER , Abschied vom Erbsenzähler, Econ, Düsseldorf Wien, 2. Auflage, 1991 36. Fred W ILBERT , Kanban auf dem Vormarsch in der Logistik, Maschinenmarkt, Würzburg, 2007. 37. Michael M ITTERAUER , Warum Europa? Mittelalterliche Grundlagen eines Sonderwegs, C. H. Beck, München, 4. Auflage, 2004 38. McKinsey & Company, Inc., Günter R OMMEL u.a., Einfach überlegen, Schäfer Poeschel, Stuttgart, 1993 39. Ronald W RIGHT , Eine kurze Geschichte des Fortschritts, rowohlt, Hamburg, 2006 40. Gerhard D AMMANN , Narzissten, Egomanen, Psychopathen in der Führungsetage, Hauptverlag, Bern, Stuttgart, Wien, 2007 41. K. S CHILLING , Geschichte der Sozialen Idee, Kröner, Stuttgart, 1966 42. G. H ÖHLER , Warum Vertrauen siegt, Düsseldorf, 2003 43. Rupert R IEDL , Strukturen der Komplexität, Springer, Berlin, 2000 44. Werner S IEGERT , Ohne Ziele keine Treffer, Kastner, Wolznach, 2006 45. John Maeda, Simplicity, Spektrum, Elsevier GmbH München, 2007 <?page no="147"?> 14 Abbildungsverzeichnis 139 14 Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: T-Modell für Mitarbeiter-Qualifikationen: ............................... 17 Abbildung 2: E-Funktion: ............................................................................... 19 Abbildung 3: Freiräume innerhalb enger Grenzen: ........................................ 62 Abbildung 4: Produktgestaltung nur am Beginn eines Prozesses ....................79 Abbildung 5: Stücklisten-Vereinfachung .......................................................80 Abbildung 6: Radikale Vereinfachung ...........................................................80 Abbildung 7: Radikale Vereinfachung des Prozesses.: .................................. 99 Abbildung 8: Radikale Vereinfachung: .......................................................... 99 Abbildung 9: Einfachheit in neueren Organisationsformen: ........................ 105 Abbildung 10: 10 Regeln zur Einfachheit: ..................................................... 106 Abbildung 11: Blaue und Rote Hälfte des Menschen: .................................. 113 Abbildung 12: Kernkompetenzen als Prozesse: ........................................... 116 Abbildung 13: Einfachheit durch weniger Zentralismus ................................ 132 <?page no="148"?> 15 Sachverzeichnis 140 15 Sachverzeichnis A bgrenzungsprobleme................. 25, 97 Abhängigkeit..............................25f, 117 Absicherung .................................. 11, 63 Änderungen.............................. 13, 133ff Aggressivität ..................................... 113 Amortisation ................................. 6, 110 Anwesenheitszeit ................................ 34 Arbeitsethik....................................... 134 Arbeitskosten ...................................... 61 Arbeitskreis ..........................40f, 48, 103 Aufstiegschancen ................................ 94 Ausgleich ................................ 21, 64, 69 Ausnahme .................................. 23, 88ff B edenkenträger.......................... 59, 128 Begeisterung ................................. 27, 51 Begriffs-Gebäude ................................ 43 Beschäftigungsprogramm ................... 41 Beschleunigung........................... 21, 118 Betriebsabrechnungsbogen ........... 13, 83 Bodenhaftung .. 11, 16, 24 f., 55, 57,100f Bürokratie-Abbau ......................... 24, 61 C orporate Identity ....................... 31, 51 D atenarmut ...................................... 108 Datenmasse ....................................... 119 Dezentralisieren .................................. 16 Disziplin ............................................ 117 Dokumentationen .......................... 12, 41 Durchlaufzeit............. 28, 66, 75, 87, 107 E igeninitiative ................................... 16 Eigenverantwortung .................... 49, 126 Engpässe ............................... 24, 72, 101 Entmythologisierung........................... 52 Entschlackungs-Kur .......................... 121 Erfahrungsgruppen.............................. 21 Ertragssteigerung ............................ 9, 24 Ethik ................................................ 3, 36 Europäer .............................................. 94 F rühwarn-Instrument ........................ 35 Frustration............................... 28, 54, 94 Führungsformen ......................... 56, 114 Führungsstil ............................... 60, 116f G elassenheit............................. 57f, 108 Gemeinschaft ....................... 30f, 51, 113 Genauigkeit............................. 7, 28, 118 Großmut.................................... 109, 116 Grundvertrauen................................... 55 H andschlag ..................................... 114 Handschlagqualität ..................... 15, 101 Hausverstand ............... 11, 28, 111, 120f Herzinfarkt.......................................... 37 Heuschrecken ............................... 11, 56 Höchstleistung ............................ 37, 117 Hydra .................................................. 22 I neffizienz.......................................... 98 Inkompetenz ................................... 4, 58 Innovation.......................... 109f,117,129 Innovator........................................... 129 Interaktivität ....................................... 30 Intrigen ..................................... 6, 56, 65 K ampf ............................................... 57 Kernkompetenzen............................... 84 KISS ........................................... 10, 134 Kompetenz.................................... 50, 96 Komplexitätsfalle .................. 7 f., 23, 25 Komplexitätskosten ........................ 4, 83 Komplexitätstreiber ................ 18, 20, 63 Komplexitätswahn .............................. 52 Kontrollaufwand......................... 48, 117 Kontrollsysteme.................................. 64 Kontrollwahn .................................... 108 Koordination................................. 29, 97 Koordinierungsbedarf......................... 12 Korsett ................................................ 53 Kostenfaktor ..................................... 114 Kundenauftrag .................................... 97 <?page no="149"?> 15 Sachverzeichnis 141 L ebensstandard.................................. 40 Leidensdruck..................................... 129 Leistungsanforderung ....................... 111 Leitbild ...................................... 3, 7, 100 Lieferzeit ....................................75, 123f Lohnsumme........................................... 4 M achterhalt ............................... 97, 117 Machtkampf ........................................ 33 Machtzentrum ............................. 24, 107 Magengeschwüre ................................ 50 Managementethik.............................. 102 Marktplatz ........................................... 32 Misstrauen........................................... 54 Mobbing .......................................... 6, 32 Modell ................................................. 23 Mut ......................................... 105f, 113f N aturgesetz ........................................ 63 Nischen ....................................... 50, 111 O rganisationsentwicklung................. 46 Organisationsmodell ..................... 72, 96 Organisationsprobleme ................... 7, 28 P erfektionismus ................................. 21 Perfektionisten .................................... 56 Produktivität............................ 40, 47, 72 Produktivitätsfresser ........................... 12 Produktivitätssteigerung ............... 41, 56 Produktivitätszuwächse................. 47, 53 Prozess-Sicherheit..................... 104, 115 Q ualitätsvorschrift........................... 120 R adikalität ....................................... 115 Realwelt .............................................. 26 Redundanzen................................. 43, 72 Reibungen ........................................... 64 Rituale ........................................... 53, 55 S ackgasse ..................................... 53, 96 Selbstbehauptung ................................ 57 Selbstbestätigung ................................ 30 Selbstbewusstheit ................................ 54 Selbstorganisation ........................ 72, 94 Selbstregelung..................................... 70 Selbstüberschätzung ........................... 31 Selbstverantwortung ........................... 54 Soziale Gerechtigkeit.................... 39, 48 Sprache ............................................... 22 Stabilität.................................. 15, 31, 61 Standortnachteil ................................ 4, 6 Starrheit .............................................. 59 Stillstand ............................................. 50 Substanzwelt.............................. 26, 100f Systemzwänge ............................ 51, 103 T eiloptima ........................................... 7 Termintreue .................................. 85, 97 Toleranz .............................................. 58 Totallösung ......................................... 44 Transparenz .................................. 56, 58 Ü berorganisation....................... 25, 127 Überwachung.......................... 23, 48, 52 Überwachungssystem ................... 16, 44 Unsteuerbarkeit....................... 26, 48, 97 Unternehmensethik............................. 62 Unternehmenssteuern ......................... 14 V erbesserung....................... 54, 56, 103 Verfallsdatum ..................................... 15 Verlangsamen ................................... 112 Verpflichtung...................................... 63 Verständigung..................................... 30 Vollkostenzuschlagskalkulation ......... 34 Vorschriften ................................. 13f, 70 W asserkopf.................... 25f, 61, 71, 94 Wertschöpfer ............................. 54, 123f Wertschöpfung .........................22f, 107f Wissensgesellschaft ............................ 54 Z ehn Gebote........................ 10, 46, 102 Zeiteinsparung .................................. 100 Zeitgeist ......................... 23, 41, 43, 49 f. Zeitwirtschaft.............................. 61, 114 Zentral-Computer ......................... 70, 72 Zusammenarbeit ............... 30, 37, 47, 57 Zusammenhalt .................................... 29 <?page no="150"?> Dipl.-Ing. Nick Eckert Innovationskraft steigern mit LOBIM Eine praxisnahe Methodenkopplung von TRIZ und Bionik - Entwicklung und Konstruktion; Maschinen und Maschinenelemente 2017, 234 S., 143 farb. Abb., 39,00 €, 51,00 CHF (Reihe Technik) ISBN 978-3-8169-3325-0 Zum Buch: Das vorliegende Buch bietet dem Leser eine Vielzahl von Lösungsangeboten anhand innovativer Grundprinzipien aus Natur und Technik. Die klassischen 40 TRIZ Grundprinzipien werden durch bionische Prinzipien zu einer sehr einfachen, neuen Methode erweitert und anhand von Beispielen erklärt. Das Buch soll außerdem zu Innovation motivieren und Mut machen. Dazu wird erklärt, dass Innovation ein immanenter Bestandteil der natürlichen und menschlichen Evolution ist. Durch neueste Erkenntnisse der Kreativitätsforschung und anhand von Erfinderbiografien wird versucht, die innovative Persönlichkeit und den kreativen Prozess zur erklären. Es wird auf die Rahmenbedingungen für ein innovatives Klima ebenso eingegangen, wie auf die Notwendigkeit neuer Innovationsmethoden. Inhalt: Chemische, biologische und physikalische Evolution und Innovation - Kurze Geschichte der menschlichen Innovation - Merkmale innovativer Persönlichkeiten mit beispielhaften Biografien - Erkenntnisse aus der Kreativitätsforschung zum kreativen Prozess - Rahmenbedingungen für Innovation in Unternehmen - Kurzer Abriss bekannter Innovationsmethoden - LOBIM als neuartiger, praxisnaher Methodenverbund aus TRIZ und Bionik - Beispiele zur schnellen Inspiration bei der Lösungssuche - Anwendungsbeispiele von LOBIM aus der Automobilindustrie Die Interessenten: Das Buch ist ein Gewinn für Entwicklungsingenieure, private und professionelle Erfinder, Manager und Mitarbeiter von F&E, ebenso für technisch, naturwissenschaftlich und auch wirtschaftlich interessierte Studenten und Lehrer Rezensionen: »Das vorgelegte Buch ist hervorragend! Sorgfältig strukturiert, mit vielen konkreten Beispielen und Bildern visualisiert, regt es die Phantasie zum Erfinden an. Es sollte sowohl in der Lehre als auch in Entwicklungs- und Konstruktionsabteilungen gute Impulse generieren« GFPMagazin - Gesellschaft für Produktionsmanagement e.V. Der Autor: Nick Eckert, geboren 1968. Maschinenbauingenieur, seit 2002 Entwicklungsingenieur bei einem globalen Zulieferer für automobile Sicherheit. 2000 - 2002 Vertriebsingenieur und Produktingenieur bei verschiedenen anderen Industrieunternehmen. 1995 - 2000 Konstruktionsingenieur in der Automobilindustrie. Zahlreiche Patente auf dem Gebiet der Fahrzeugsicherheit. Seit 2004 Tätigkeit als TRIZ - Moderator. Beschäftigt sich nebenberuflich mit Bionik. Mitglied des Berliner Arbeitskreises TRIZ Blätterbare Leseprobe und einfache Bestellung unter: www.expertverlag.de/ 3325 Bestellhotline: Tel: 07159 / 92 65-0 • Fax: -20 E-Mail: expert@expertverlag.de <?page no="151"?> Dr. Egon Freitag Lexikon der Kreativität Grundlagen - Methoden - Begriffe 2018, 264 S., 39,80 € (Reihe Technik) ISBN 978-3-8169-3299-4 Zum Buch: In der Zeit beschleunigter Globalisierung und Digitalisierung ist Kreativität zu einem wichtigen Wettbewerbsfaktor geworden. Der Wettbewerb der Wirtschaft auf den regionalen, nationalen und globalen Märkten verlangt von den Managern und allen Mitarbeitern eine kontinuierliche Innovationsfähigkeit und kreative Strategien, um die Potenziale in ihren Unternehmen optimal zu entwickeln. Der Begriff »Kreativität« hat inzwischen auch Eingang in fast alle Lebensbereiche gefunden. Dieses Lexikon enthält alle grundlegenden Begriffe und Probleme zur Kreativität des Menschen, um dieses faszinierende Thema für einen breiten Interessentenkreis zu erschließen. Im Zentrum der Darstellung stehen Fragen und Probleme der kreativen Persönlichkeit, des kreativen Prozesses und Produktes, der angewandten Kreativität, Methoden der Ideenfindung und Problemlösung. Weitere Schlüsselbegriffe sind: Kreativwirtschaft, kreatives Denken, Selbstverwirklichung, Innovation, Intuition, Persönlichkeitstypen kreativer Intelligenz, Leistungsmotivation, intrinsische und extrinsische Motivation u. v. m. Alle Begriffe werden umfassend definiert und durch Literaturangaben ergänzt. Die Neuartigkeit, Tiefe und Dichte der Informationen zu den einzelnen Stichwörtern der theoretischen und angewandten Kreativitätsforschung ist bisher einzigartig, da noch kein derartiges Nachschlagewerk existiert. Dieses Lexikon dient der begrifflichen Orientierung auf dem wichtigsten Bewährungsfeld menschlicher Selbstverwirklichung und bietet auch zahlreiche Anregungen, um die eigene Kreativität zu steigern, für den persönlichen und unternehmerischen Erfolg. Die Interessenten: Das »Lexikon der Kreativität« wendet sich an Manager, Ingenieure, Techniker, Designer, Architekten, Marketing- und Werbefachleute, freiberuflich Tätige, an alle kreativen Persönlichkeiten in der Wirtschaft, Technik, Kultur, in den Wissenschaften und in den Medien, an Auszubildende, Studierende, Stellenbewerber und Stellenwechsler, von denen Kreativität erwartet wird, und an alle, die an Erfolg und Karriere interessiert sind. Rezensionen: »Freitag bietet dem Leser einen komprimierten Einblick in das, was eine kreative Persönlichkeit ist und ausmacht, wie jene »Schöpferkraft des Menschen« differenzierter beschrieben und erläutert werden kann, wie kreatives Denken entsteht. « (Lehmann-Pape) Der Autor: Dr. phil. Egon Freitag, wissenschaftlicher Autor, arbeitet über Kreativitätsforschung und literarische Kreativität. Er veröffentlichte u.a. die Studien »Die Kunst zu schreiben« und »Der kreative Prozess« sowie eine Biografie über Johann Gottfried Herder. Blätterbare Leseprobe und einfache Bestellung unter: www.expertverlag.de/ 3299 Bestellhotline: Tel: 07159 / 92 65-0 • Fax: -20 E-Mail: expert@expertverlag.de <?page no="152"?> Doz. Dr. rer. nat. habil. Dietmar Zobel .jpg TRIZ für alle Der systematische Weg zur Problemlösung 4., vollständig überarb. und erw. Aufl. 2018, ca. 330 S., 65 Abb., 10 Tab., 39,80 €, 52,00 CHF (Reihe Technik) ISBN 978-3-8169-3424-0 Zum Buch: Ausgehend von einer Einführung zu den klassischen Kreativitätstechniken beschreibt der Autor Entwicklung und praktische Anwendung von TRIZ zum Lösen schwieriger Probleme auf erfinderischem Niveau. Kernpunkt ist die Überwindung des typischen Kompromissdenkens durch das Lösen unlösbar erscheinender Widersprüche. Zahlreiche - darunter eigene - Beispiele belegen den Branchen übergreifenden Nutzen der Lehre. Der Autor hat die auf den Arbeiten von Altschuller basierende Methode entscheidend weiter entwickelt und seine umfang-reichen Industrieerfahrungen eingebracht. Methodisch geht das Buch über die gezielte Förderung der technischerfinderischen Kreativität weit hinaus: Denkmethode rangiert vor Erfindungsmethode. Die 4. erweiterte Auflage integriert die Morphologie und bringt eigene exzentrische Beispiele zum Operator Abmessungen/ Zeit/ Kosten. Inhalt: ARIZ und TRIZ in ihrer ursprünglichen Form - TRIZ-Werkzeuge in moderner Ausprägung - Quellen und Vorläufer der Altschuller-Methodik - TRIZ-eine universell einsetzbare Methode - Methodische Erweiterungen und praktische Beispiele - Anhang. Die Interessenten: Manager und Mitarbeiter aus F & E, Erfinder, Systemanalytiker, Erfindungsmethodiker, Patentanwälte, alle an Neuerungen und Erfindungen Interessierte, Lehrer und Hochschullehrer, Studenten naturwissenschaftlich-technischer Fachrichtungen, Marketing-Experten, Werbefachleute, bildende Künstler Rezensionen: »Wer eine gut verständliche, kurzweilige und fundierte Einführung zum Thema und den Hintergründen sucht, ist bei dem neuen Buch von Dietmar Zobel gut aufgehoben. Das Buch bietet einen hervorragenden Einstieg.« Mitteilungen der deutschen Patentanwälte »Der Autor gibt wertvolle Denkanstöße. Seine eigenen erfinderischen Leistungen sprechen für die Qualität der Methodik. Das Buch wendet sich an Techniker und Naturwissenschaftler, ebenso gut können die angeführten Prinzipien aber auch in Bereichen wie Wirtschaftswissenschaften, Marketing, Werbung und selbst für künstlerische Aufgabenstellungen inspirierend sein.« Naturwissenschaftliche Rundschau Der Autor: Dietmar Zobel, Jahrgang 1937. Industriechemiker, Erfinder, Fachautor, Methodiker. Leitende Industrietätigkeit 1962 - 1992. Promotion 1967, Habilitation 1974 (jeweils als Externer). Zahlreiche Patente und Fachpublikatio-nen (meist auf dem Gebiet der Anorganischen Phosphorchemie). Heute tätig als Autor, Gutachter, Berater, Methodikdozent und - Branchen übergreifend - als TRIZ-Trainer (www.dietmarzobel.de) Blätterbare Leseprobe und einfache Bestellung unter: www.expertverlag.de/ 3424 Bestellhotline: Tel: 07159 / 92 65-0 • Fax: -20 E-Mail: expert@expertverlag.de