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Das neue Management des persönlichen Verkaufs

Ideen, Lösungen und Praxisbeispiele von Krista Strauss

0409
2018
978-3-8169-8411-5
978-3-8169-3411-0
expert verlag 
Heinz K. Stahl

Zwei markante Umbrüche genügen, um sich die Notwendigkeit für ein neues Management des persönlichen Verkaufs vor Augen zu führen. Erstens, die Menschen lassen sich heute nicht mehr in eine Schablone pressen. Noch nie war die Vielfalt an Motiven, Wertvorstellungen und Lebensentwürfen so groß wie heute. Zweitens, die Automatisierung macht auch vor dem Verkauf nicht halt. Die Berechtigung dieser Funktion wird sich in Zukunft aus dem menschlichen Mehrwert ergeben, den sie zu bieten vermag. Wer Verantwortung für den Verkauf trägt, muss daher seine Mitarbeiter, seine Kunden und letztlich sich selbst besser verstehen. Dazu liefert dieses Buch die nötigen Grundlagen sowie anschauliche Beispiele aus der Praxis des persönlichen Verkaufs.

<?page no="0"?> Heinz K. Stahl Das neue Management des persönlichen Verkaufs Ideen - Lösungen - Praxisbeispiele expert[trl]verlag® Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="1"?> Heinz K. Stahl Das neue Management des persönlichen Verkaufs Ideen, Lösungen und Praxisbeispiele von Krista Strauss Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="2"?> Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="3"?> Prof. Dr. Heinz K. Stahl Das neue Management des persönlichen Verkaufs Ideen, Lösungen und Praxisbeispiele von Krista Strauss Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="4"?> Bei der Erstellung des Buches wurde mit großer Sorgfalt vorgegangen; trotzdem lassen sich Fehler nie vollständig ausschließen. Verlag und Autoren können für fehlerhafte Angaben und deren Folgen weder eine juristische Verantwortung noch irgendeine Haftung übernehmen. Für Verbesserungsvorschläge und Hinweise auf Fehler sind Verlag und Autoren dankbar. © 2018 by expert verlag, Wankelstr. 13, D-71272 Renningen Tel.: +49 (0)71 59-92 65-0, Fax: +49 (0)71 59-92 65-20 E-Mail: expert@expertverlag.de, Internet: www.expertverlag.de Alle Rechte vorbehalten Printed in Germany Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. ISBN 978-3-8169-3411-0 Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / www.dnb.de abrufbar. Bibliographic Information published by Die Deutsche Bibliothek Die Deutsche Bibliothek lists this publication in the Deutsche Nationalbibliografie; detailed bibliographic data are available on the internet at http: / / www.dnb.de Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="5"?> Vorwort Niemand kann sich heutzutage vor Schlagworten wie Automatisierung, Digitalisierung oder künstliche Intelligenz schützen. Dass uns Algorithmen vom Arbeitsleid eintöniger, Körper und Psyche verschleißenden Tätigkeiten befreien werden, ist an sich eine erfreuliche Botschaft. Zweifler befürchten allerdings, dass sich der Mensch der Maschine auch dort wird beugen müssen, wo er bislang ganz ordentliche Arbeit geleistet hat, etwa im Rechnungswesen oder in der Wirtschaftsprüfung, bei der Erstellung von Diagnosen und Therapien oder dem Durchforsten schwieriger Texte jeglichen Ursprungs. In den Expertisen zu diesem Thema bleibt eine Funktion meist ausgeklammert: der persönliche Verkauf. Da käme eben noch das Menschliche zum Zug, das auch von den klügsten Automaten nicht ersetzt werden könne. Wäre da nicht das Image des persönlichen Verkaufs. „Klinken putzen“, „Sich anbiedern müssen“, „Nervensägen“, die an fremden Türen klingeln, um den Leuten Produkte aufzuschwatzen das sind Assoziationen, die in den Köpfen vieler Menschen fest verankert sind. „Marketing“ hat traditionell einen besseren Klang. Dort spielt der persönliche Verkauf seit Jahrzehnten nur eine kleine Nebenrolle im Rahmen der „Kommunikationspolitik“. In der akademischen Welt ist man sich ohnedies einig. Weder Professoren noch Studenten halten den Verkauf für „sexy“. Jetzt, wo Marketing seinen ursprünglichen Glanz zu verlieren scheint und alltagssprachlich immer öfter mit Gags oder Trickserei verbunden wird, ist es an der Zeit, den persönlichen Verkauf aus dem Versteck zu holen. Dieses Buch ist aus Liebe zu dieser anspruchsvollen Funktion geschrieben worden. Und wer im Verkauf zu Hause ist, weiß, wie vielfältig diese Funktion ist. Deshalb kann dieses Buch auch mit keinem „one best way“ für alle Spielarten des Verkaufs aufwarten. Es bietet jedoch eine Fülle theoretisch fundierter und praxisbewährter Anregungen, aus denen sich der geschätzte Leser maßgeschneiderte Lösungen für seine Aufgaben erarbeiten kann. Apropos „Leser“. In diesem Buch ist immer wieder vom „Verkäufer“, „Kunden“ oder „Lieferanten“ die Rede. Ich verwende also nur das generische Maskulinum und flüchte nicht in Bindestriche, Binnen-Is oder was auch immer. Verkäufer, Kunde und Lieferant verstehe ich als Rollen, in denen ich gleichermaßen Frauen und Männer, Bigender und Agender, Pangender und Transmales, Two Spirits, Neutrois und noch viele andere herzlich willkommen heiße. Heinz K. Stahl Wien und München, im Januar 2018 Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="6"?> Geleitwort Der persönliche Verkauf hat kein gutes Image. In den Unternehmen sehen ihn manche als eine Art „Black Box“, in der eigene Regeln gelten, die noch dazu hartnäckig verteidigt werden. Andere blicken voller Neid auf den Verkäufer, der viele Freiheiten genießt und scheinbar mit leichter Arbeit viel Geld verdient. Und nicht wenige meinen, der persönliche Verkauf sei das Schmuddelkind unter den Managementfunktionen. Während Marketing, Logistik und IT in ihren eigenen Fachsprachen schwelgen, die Controller mit Kennzahlen blenden und sich in den Köpfen der Produktionsleute alles um Algorithmen dreht, wirkt der persönliche Verkauf wie ein Fossil, an dem gerade die neuen Erkenntnisse aus den Human- Sozial- und Neurowissenschaften spurlos vorbeizugehen scheinen. Der Verhaltenswissenschaftler Heinz K. Stahl räumt mit all diesen Vorurteilen und Missverständnissen auf. Er holt in diesem Buch den persönlichen Verkauf aus seiner Versenkung. In Zeiten, in denen alle den Blick auf unpersönliche digitale und agile Märkte richten, kommt hier der Mensch wieder zu seinem Recht: als Verkäufer und als Verantwortlicher für die Führung von Verkäufern. Stahl spannt einen weiten Bogen von der Persönlichkeit des Verkäufers bis zu der in der Praxis sträflich vernachlässigten Personalentwicklung im Verkauf. Er zeigt, wie Management und Führung im Verkauf von den neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen profitieren können. So beschreibt Stahl z.B. Führung als zirkulären Prozess ähnlich dem eines Tanzes von Führendem und Geführten. Heute treten sich diese oft auf die Füße oder auch vor das Schienbein. Tanzen will halt geübt sein. Stahl verzichtet wohltuend sowohl auf die üblichen Plattheiten als auch auf eine Verklärung des Verkaufs. Nach über 30 Jahren Praxiserfahrung im Management des Verkaufs traue ich mir ein Urteil zu: Dieses Buch macht Freude am Umgang mit Menschen, die den Verkauf zu ihrem Beruf gemacht haben. Ich wünsche diesem Füllhorn an neuen Ideen eine weite Verbreitung als verlässlichen Begleiter im verkäuferischen Alltag. Werner Schönenkorb Bergheim bei Köln, im Januar 2018 Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="7"?> Ein kurzer Wegweiser durch das Buch Über den Verkauf als anspruchsvolle und faszinierende Tätigkeit Die Vielfalt des menschlichen Wesens und der Beruf des Verkäufers Die Königsdisziplin des Managements in einer neuen, menschengerechten Form Die Folgen der Wertedynamik für die Führungspraxis im Verkauf Das Wesen der Leistungsmotivation und ihre Voraussetzungen Individuelle Unterschiede als Quelle erfolgreicher Führung Wer andere führen will, muss auch imstande sein, sich selbst zu führen Wege aus der Vermeidung neuartiger Situationen Die Hohe Schule der Zusammenarbeit zwischen Kunden und Lieferanten Zur Steuerung des Verkaufs über den Kundenwert Das Prinzip des Gebens und Nehmens im Verkauf Sieben Handlungsfelder für die Entwicklung der wichtigsten Ressource im Verkauf Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="8"?> Inhalt Vorwort Geleitwort Ein kurzer Wegweiser durch das Buch 1 Zur Psychologie des Verkaufs ............................................................. 1 1.1 Person schlägt Produkt........................................................................... 1 1.2 Wichtige Elemente des persönlichen Verkaufs ..................................... 2 1.2.1 Der erste Eindruck als Vorentscheidung ............................................... 3 1.2.2 Die Tugend der Achtsamkeit ................................................................. 5 1.2.3 Authentizität und Selbstdarstellung kein Widerspruch ...................... 7 1.2.4 Stimmung und Resonanz ..................................................................... 11 1.2.5 Die Kaufentscheidung.......................................................................... 14 1.2.6 Die Zweifel nach der Kaufentscheidung ............................................. 17 1.3 Aus der Praxis ..................................................................................... 18 1.4 Für die Praxis ....................................................................................... 21 2 Die Persönlichkeit des Verkäufers.................................................... 23 2.1 Die prägenden Merkmale der Persönlichkeit ...................................... 23 2.1.1 Der Übersensible und der Fels in der Brandung.................................. 25 2.1.2 Der Gesellige und der Zurückhaltende ................................................ 26 2.1.3 Der Neugierige und der Bewahrende................................................... 26 2.1.4 Der Verträgliche und der Kämpfer ...................................................... 27 2.1.5 Der Gewissenhafte und der Unstrukturierte ........................................ 28 2.2 Persönlichkeit und Verkauf ................................................................. 29 2.3 Aus der Praxis ..................................................................................... 31 2.4 Für die Praxis ....................................................................................... 33 3 Führung zwischen gestern und morgen........................................... 34 3.1 Von der Herrschaft zur Führung .......................................................... 35 3.2 Führung neu denken! ........................................................................... 38 3.2.1 Führen mit Agilität............................................................................... 40 3.2.2 Führen als zirkulärer Prozess ............................................................... 41 3.2.3 Führen durch Dienen............................................................................ 43 3.2.4 Führen als Balanceakt .......................................................................... 45 Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="9"?> 3.3 Aus der Praxis ..................................................................................... 51 3.4 Für die Praxis ....................................................................................... 55 4 Führen mit Werten............................................................................. 57 4.1 Das Phänomen der Wertedynamik ...................................................... 57 4.2 Die Individualisierung von Führung nach Werten .............................. 58 4.3 Die Einengung von Führung mithilfe von Werten .............................. 60 4.4 Die Vereinbarung von „Spielregeln“ als dritter Weg .......................... 62 4.5 Aus der Praxis ..................................................................................... 64 4.6 Für die Praxis ....................................................................................... 66 5 Führen mit Bedacht auf Motive........................................................ 68 5.1 Biogene und soziogene Motive............................................................ 68 5.2 Implizite und explizite Motive............................................................. 70 5.3 Das „Anschalten“ von Motiven ........................................................... 70 5.4 Das Leistungsmotiv ............................................................................. 72 5.5 Anspruchsniveau und Leistung............................................................ 76 5.6 Erfolg und Misserfolg .......................................................................... 79 5.7 Individualisierung der Führung nach Motiven .................................... 81 5.8 Aus der Praxis ..................................................................................... 83 5.9 Für die Praxis ....................................................................................... 86 6 Führen mit dem Reifegrad-Modell................................................... 88 6.1 „Reifegrad“ und Humankapital............................................................ 88 6.2 Die vier Dimensionen .......................................................................... 89 6.2.1 Können ................................................................................................. 89 6.2.2 Wollen .................................................................................................. 90 6.2.3 Dürfen .................................................................................................. 90 6.2.4 Sollen ................................................................................................... 91 6.3 Individualisierung der Führung nach dem „Reifegrad“....................... 92 6.4 Aus der Praxis ..................................................................................... 93 6.5 Für die Praxis ....................................................................................... 96 7 Die Kunst, sich selbst zu führen........................................................ 97 7.1 Elemente der intrapersonalen Kompetenz ........................................... 97 7.2 Die Fähigkeit zur Selbstreflexion ........................................................ 98 7.3 Die Fähigkeit zur Selbsteinschätzung.................................................. 99 7.4 Die Gewissheit der Selbstwirksamkeit .............................................. 101 7.5 Die Fähigkeit zum Umgang mit negativen Gefühlen ........................ 104 Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="10"?> 7.6 Die Fähigkeit zur Bewältigung von Stress ........................................ 106 7.7 Zuversicht und positives Denken....................................................... 109 7.8 Aus der Praxis ................................................................................... 111 7.9 Für die Praxis ..................................................................................... 112 8 Gegen die Angst vor der Kaltakquise............................................. 115 8.1 Etwas Theorie zur Angst vor der Kaltakquise ................................... 116 8.2 Zwei Optionen: Pest oder Cholera..................................................... 117 8.3 Wege aus der Vermeidung................................................................. 118 8.4 Aus der Praxis ................................................................................... 119 8.5 Für die Praxis ..................................................................................... 124 9 Die Gestaltung von Kundenbeziehungen....................................... 126 9.1 Kundenbeziehungen als Tauschveranstaltungen ............................... 126 9.2 Geänderte Bedingungen..................................................................... 127 9.3 Die Vertiefung von Kundenbeziehungen .......................................... 128 9.4 Kundenorientierung ........................................................................... 129 9.5 Kundennähe ....................................................................................... 131 9.6 Macht ................................................................................................. 135 9.7 Vertrauen............................................................................................ 139 9.8 Beziehungsqualität ............................................................................. 142 9.9 Kundenzufriedenheit.......................................................................... 144 9.10 Kundenbindung .................................................................................. 151 9.10.1 Die Arten der Kundenbindung........................................................... 152 9.10.2 Wege zur Kundenbindung ................................................................. 154 9.11 Kundenintegration.............................................................................. 157 9.11.1 Begrenzte Kundenintegration ............................................................ 158 9.11.2 Vertiefte Kundenintegration .............................................................. 160 9.12 Aus der Praxis .................................................................................... 163 9.13 Für die Praxis ..................................................................................... 165 10 Die Bewertung von Kundenbeziehungen....................................... 167 10.1 Die Grundlage der Kundenbewertung ............................................... 167 10.2 Kundenbewertung nach Umsatz ........................................................ 169 10.3 Kundenbewertung nach Nettoerfolg .................................................. 170 10.4 Kundenbewertung nach Deckungsbeitrag ......................................... 172 10.5 Kundenbewertung nach Prozesskosten.............................................. 173 10.6 Kundenbewertung nach dem Kapitalwert ......................................... 174 Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="11"?> 10.7 Kundenbewertung nach dem Kundenpotenzial ................................. 176 10.8 Kundenbewertung nach dem Portfolio-Prinzip ................................. 180 10.8.1 Kundenpotenzial und Beziehungsstärke ............................................ 180 10.8.2 Kundenpotenzial und Mitteleinsatz ................................................... 182 10.8.3 Potenzial der Neukunden und eigene Stärken ................................... 186 10.9 Aus der Praxis ................................................................................... 190 10.10 Für die Praxis ..................................................................................... 196 11 Steuerung durch Ziele und Vergütung........................................... 198 11.1 Die Formulierung von Zielen............................................................. 198 11.2 Etwas Zielpsychologie ....................................................................... 200 11.2 Ziele vorgeben, aushandeln oder freigeben? ..................................... 204 11.3 Das Zielvereinbarungsgespräch ......................................................... 206 11.4 Zielgrößen im Verkauf....................................................................... 207 11.5 Vergütungssysteme als Instrument der organisationalen Steuerung . 210 11.6 Vergütung mit Provision ja oder nein? ........................................... 213 11.7 Vergütung mit Zielprämien................................................................ 214 11.8 Weitere Aspekte einer zeitgemäßen Vergütung im Verkauf............. 217 11.9 Aus der Praxis .................................................................................... 219 11.10 Für die Praxis ..................................................................................... 222 12 Personalentwicklung im Verkauf ................................................... 224 12.1 Die Funktion der Personalentwicklung.............................................. 225 12.2 Die sieben Handlungsfelder der Personalentwicklung ...................... 228 12.2.1 PE durch Enkulturation...................................................................... 229 12.2.2 PE durch Handlungslernen ................................................................ 230 12.2.3 PE durch externen Wissenserwerb .................................................... 232 12.2.4 PE durch internen Wissenstransfer .................................................... 234 12.2.5 PE durch Persönlichkeitsentwicklung ............................................... 236 12.2.6 PE durch soziales Lernen................................................................... 239 12.2.7 PE durch Laufbahnplanung................................................................ 241 12.3 Aus der Praxis ................................................................................... 246 12.4 Für die Praxis ..................................................................................... 252 Zum Schluss ...................................................................................................... 254 Die Autoren ....................................................................................................... 255 Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="12"?> Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="13"?> 1 1 Zur Psychologie des Verkaufs Der Werber E LMO L EWIS (1872-1948) war der erste, der sich mit der Systematik des Dialog-Marketings auseinandersetzte. Seiner Zeit voraus, erstellte er das Verkaufsmodell AIDA. Dieses Akronym sollte zum Inbegriff für eine bestechend einfache Logik erfolgreicher Werbung und ebensolchen persönlichen Verkaufs werden (Bild 5-1). Bild 1-1: Das unverwüstliche AIDA-Prinzip Legionen von Verkäufern wurden nach den vier AIDA-Stufen des Verkaufsvorgangs trainiert und an die Verkaufsfront entsandt: A = Attention: In der ersten Stufe soll die Aufmerksamkeit des potentiellen Käufers für das Angebot gewonnen werden. I = Interest: In der darauffolgenden Stufe gilt es, über die Aufmerksamkeit hinauszugehen und das Interesse des Käufers am Angebot zu wecken. D = Desire: Nun muss der interessierte Käufer auch den Wunsch äußern, das angebotene Produkt zu besitzen oder die Dienstleistung zu nutzen. A = Action: Vor dieser letzten Stufe scheitern viele Verkäufer. Sie sind „schwach im Abschluss“. Es gelingt ihnen zu selten, den Wunsch des Käufers auch in einen konkreten Auftrag umzumünzen. 1.1 Person schlägt Produkt Das AIDA-Modell ist von seiner Idee her „angebotsgetrieben“. Im Mittelpunkt steht das Produkt oder die Dienstleistung. Dem ohnedies unvergleichlichen Angebot gehört die Bühne, auf welcher der Verkäufer beileibe nicht die Hauptrolle spielt. Er tritt bloß als lebendes Beispiel für den Nutzen des Produkts auf. Diese Inszenierung entspricht der Situation des frühen zwanzigsten Jahrhunderts, als der Käufer noch nicht Gefahr lief, angesichts einer überbordenden Angebotsvielfalt den Überblick zu verlieren. Dieser Fokus auf die Sachebene oder den Inhalt Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="14"?> 1 Zur Psychologie des Verkaufs 2 einer Botschaft erinnert an den Irrglauben von Politikern, man könne Menschen von einer bestimmten Politik überzeugen, indem man den Inhalten eines Programms den Vorrang einräumt vor den Personen, die letztlich die Inhalte verwirklichen sollen. Wie sagte doch der Kommunikationsforscher P AUL W ATZLAWICK (1921-2008) treffend: „Jede Kommunikation hat einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt, derart, dass letzterer den ersteren bestimmt.“ 1 Der Inhaltsaspekt bezeichnet die Sachebene des Gesprächs das neue Produkt, die Anwendungsmöglichkeiten, der besondere Nutzen der Beziehungsaspekt beschreibt, wie die Beteiligten zueinander stehen der Verkäufer als Freund, Partner, Helfer oder Berater und der Käufer als Gewinner, Beglückter, Nutznießer oder Weiterempfehlender. Es gibt keine unpersönliche und beziehungslose Sachbotschaft, es schwingt immer eine bestimmte Beziehungsqualität mit. Einstellung zu einer Person und die daraus entstehenden Gefühle wirken als Filter. Angst wird z.B. nicht verschwinden, wenn man dem Gegenüber sachlich erklärt, dass es keinen Grund für die Angst gibt. Erst muss die Gefühlslage akzeptiert werden, bevor über die Sachlage gesprochen werden kann. Diese Erkenntnis setzt sich spätestens mit der zunehmenden Sättigung der großen Märkte für Gebrauchs- und Verbrauchsgüter durch. Es wächst die Kaufzurückhaltung. Um den Kaufwiderstand zu überwinden, braucht es Persönlichkeiten. Der potenzielle Käufer muss dem Verkäufer zunächst bereitwillig das knapp gewordene Gut der Aufmerksamkeit schenken. Als nächstes muss der Verkäufer beim Gegenüber das Interesse an seiner Person hervorrufen, um es geschickt auf das angebotene Produkt umzulenken. Es gilt dann im Käufer den Wunsch zu wecken, doch so souverän, gewandt, humorvoll, elegant, weltläufig etc. wie der Verkäufer zu sein. Und das geht am besten über das beworbene Produkt. Schließlich muss dem Käufer das Gefühl vermittelt werden, mit seinem Kaufabschluss den Tag zu einem ganz besonderen gemacht zu haben. Das AIDA- Prinzip wird also nicht nur vorrangig auf das Produkt angewandt, sondern auf das Zusammenspiel zwischen der außergewöhnlichen Person des Verkäufers und dem dadurch aufgewerteten Produkt. 1.2 Wichtige Elemente des persönlichen Verkaufs Die Psychologie hat sich seit der „Erfindung“ des AIDA-Prinzips fundamental weiterentwickelt. Verhalten ist nicht mehr das Ergebnis eines einfachen Schemas, bei dem auf einen ausgeübten Reiz eine bestimmbare Reaktion folgt. Und die menschlichen Akteure sind keine gleichgeschalteten „black boxes“, sondern 1 W ATZLAWIK , P AUL ; B EAVIN , J ANET H.; J ACKSON , D ON J. (1990): Menschliche Kommunikation; Formen, Störungen, Paradoxien, 8. Aufl., S. 53, Bern. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="15"?> 1.2 Wichtige Elemente des persönlichen Verkaufs 3 höchst individuelle Systeme, in denen Verstand und Emotionen auf das Engste mit einander verknüpft sind. AIDA bietet eine zwar leicht erlernbare Dramaturgie des Verkaufsvorgangs, aus der vielfältigere Drehbücher entwickelt werden können. Dennoch ist anzuzweifeln, ob sich der persönliche Verkauf tatsächlich als eine hierarchisch geordnete Abfolge von Stufen dargestellt werden kann. Wir verlassen daher die Idee des „Modells“ und stellen im nachfolgenden Text einige wichtige Elemente des persönlichen Verkaufs aus psychologischer Sicht dar. Eine gewisse Ordnung ergibt sich insofern, als mit dem „ersten Eindruck“ und der „Kaufentscheidung“ Anfang und vorläufiges Ende eines Verkaufsvorgangs markiert werden. 1.2.1 Der erste Eindruck als Vorentscheidung Es dauert nur wenige Sekunden, dann steht das Urteil fest: Die Person ist mir sympathisch oder nicht sympathisch. Erfolgreiche Verkäufer wissen, dass der erste Eindruck, den sie beim Kunden hinterlassen, die Weichen für den weiteren Gesprächsverlauf stellt. Das Fatale daran ist, dass ein negativer erster Eindruck schwerer wiegt, als ein positiver. Er erscheint uns folgenreicher und mahnt uns daher zur Vorsicht. Unser Gehirn ist ein Hypothesen generierendes Organ. Es hat nicht im Entferntesten die Fähigkeit, die Realität in uns abzubilden. Es trifft lediglich Annahmen und vergleicht dabei immer mit schon bekannten Gesichtern, Stimmen, Gerüchen, Berührungen etc. Mehrdeutiges wird vereinfacht, sodass es die Anfangshypothese untermauert. Informationslücken werden gefüllt, indem Plausibles hinzugefügt wird. Bild 1-2: Die fünf Risiken des ersten Eindrucks Was sind nun die wichtigen Auslöser für den ersten Eindruck? Dem Psychologen A LBERT M EHRABIAN wird immer noch die „Regel“ untergeschoben, dass die Bedeutung einer gesprochenen Botschaft zu 7% durch Wörter, zu 38% durch die Stimme und zu 55% durch Mimik und Gestik bestimmt wird. Er hat dies inzwischen mehrfach widerrufen. Was für den persönlichen Verkauf bleibt, ist die Mehrabiansche Erkenntnis, dass die sogenannten „stillen Botschaften“ - etwa in Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="16"?> 1 Zur Psychologie des Verkaufs 4 typischen Verkäufersätzen wie „Tolles Haus haben Sie hier! “ oder „Sie sind eine kluge Frau! “ - von der so Angesprochenen rasch als Heuchelei entlarvt werden, weil sie unbewusst auch auf den Klang der Stimme und den Gesichtsausdruck des Verkäufers achtet. Immerhin, dass sensorische Reize direkter wirken als Worte, darf durchaus angenommen werden. Ein unsteter Blick mit häufigem Blinzeln signalisiert Unterwürfigkeit. Aussichtslos für einen Verkäufer, der auf den raschen Abschluss dringt. Ein Blickkontakt, der länger als zirka drei Sekunden währt, wird als unbehaglich empfunden. Sympathie und Vertrauensbereitschaft bleiben dann auf der Strecke. Und dann die Stimme. Sie ist quasi die unsichtbare Visitenkarte der Persönlichkeit. Eine tiefe Stimme ist hier von Vorteil. Sie wird in Souveränität und Zuverlässigkeit übersetzt. Umgekehrt gelten piepsige oder schrille Stimmen als Zeichen für ein unbedarftes, unsicheres und sprunghaftes Wesen. Die moderne Frau hat längst darauf reagiert. Eine Piepsstimme passt nicht zu ihrem Selbstbild. Als Folge des veränderten Rollenverständnisses, so vermuten Soziologen, haben sich in den vergangenen Jahrzehnten die Frauenstimmen etwa um eine Terz, das sind zwei bis drei Halbtöne, gesenkt. Besonders wichtig ist, die individuelle Indifferenzlage beizubehalten. Das ist jene Tonhöhe, in der man lange sprechen kann, ohne die Stimme zu ermüden. Wer sich daran gewöhnt hat, wird von seinen Zuhörern als authentisch, überzeugend und selbstbewusst wahrgenommen. Frauen liegen stimmlich oft über ihrer Indifferenzlage und wirken dadurch angestrengt und anstrengend. Junge Männer wiederum, die plötzlich eine Gruppe leiten sollen, der sie zuvor noch als Mitarbeiter angehörten, machen sich aus Unsicherheit künstlich klein. Entsprechend klein wird dann auch der für die Stimme so wichtige Resonanzraum. Sie sprechen dann undeutlich oder nuscheln gar. Auch mit dem Lächeln ist das so eine Sache. Es wird oft als Eisbrecher für schwierige Anbahnungssituationen empfohlen. Flugbegleiterinnen sollen z.B. die Passagiere immer freundlich und lächelnd bedienen, egal wie ihnen innerlich zumute ist. Selten wird ein solcher Kontakt als „stimmig“ im Sinne von glaubwürdig erlebt. Mit olfaktorischen Reizen, also Gerüchen, zu operieren, erweist sich im Verkaufsgespräch als riskant. Männer stufen in der Regel etwa parfümierte Verkäufer als weniger intelligent und vertrauenswürdig ein als solche ohne Eau de Toilette. Frauen reagieren meist umgekehrt. Zu den sensorischen Reizen gehört auch der Händedruck. Er sollte nicht länger als drei bis vier Sekunden dauern und fest sein. Auch bei Frauen, die dann als klug und weltoffen gelten. All dies gilt jedoch nur für den europäischen Kontext. Amerikaner verzichten oft auf den Händedruck, in der arabischen Welt sollte er leicht, in einigen asiatischen Ländern kurz und sanft ausfallen. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="17"?> 1.2 Wichtige Elemente des persönlichen Verkaufs 5 Was soll nun der Verkäufer tun, um von seinem Gegenüber nicht allzu rasch in eine Schublade gesteckt zu werden, aus der heraus er nur mehr gegen Widerstände kämpfen kann, die den normalen Kaufwiderstand noch verstärken? Er muss seine Wahrnehmung schärfen, das heißt, mit Achtsamkeit zu Werke gehen. 1.2.2 Die Tugend der Achtsamkeit Sehen, hören und fühlen heißt hier die Devise. Diese geschärfte Wahrnehmung sollte über das gesamte Verkaufsgespräch anhalten. Aufmerksamkeit ist die Voraussetzung dafür, dass wir aus der Überfülle an Reizen, denen wir ständig ausgesetzt sind, zuerst jene auswählen, die unser Interesse verdienen und somit in unser Bewusstsein gelangen dürfen. Achtsamkeit (englisch: mindfulness) geht über die Aufmerksamkeit hinaus. Wer achtsam ist, kann auf Schubladendenken (Stereotypen) verzichten und sich vielleicht sogar von festgefahrenen Vorurteilen zu befreien. In der Achtsamkeit registrieren wir das Wahrgenommene, ohne es sofort mit unseren Gedanken und Gefühlen und unserer Sprache gefangen zu nehmen. Wir werden uns bewusst, wie sehr unsere Sichtweise unzweckmäßig, eingeschränkt oder verengend sein kann, und dass man die Dinge eben auch aus anderen Blickwinkeln betrachten kann. Achtsam sind wir nicht, wenn wir uns vom „Autopiloten“ im Gehirn steuern lassen. Dieser leistet uns zwar unverzichtbare Dienste, indem er sich energiesparend um jene unfassbare Menge von 11 Millionen Bits (immerhin 1,4 Megabytes) kümmert, die in jeder Sekunde des bewussten Erlebens auf uns einprasseln. Veränderungen und neue Lösungswege sind im Autopiloten jedoch nicht vorgesehen. Dafür muss unser Bewusstsein einspringen, und zwar mit mickrigen 40 bis 50 Bits pro Sekunde. Nur in diesem Modus können wir achtsam und präsent agieren. Der Verkäufer ist in seiner ersten Episode mit dem möglichen Käufer auf Achtsamkeit geradezu angewiesen. Er wird scheitern, wenn er sich in seinem Verhalten einfach vom Autopiloten treiben lässt und sich dabei auf seine „Intuition“ oder „Erfahrung“ verlässt. Einem bis vor kurzem noch fremden Menschen achtsam begegnen zu wollen, heißt, bewusst nach Unterschieden zu suchen. Eine erfahrene Kosmetikverkäuferin meinte: „Ich kann an den Augen des Kunden ablesen, ob ich etwas Unpassendes gesagt habe. Und wenn mir jemand die Unwahrheit sagt, merke ich das sofort an seinem Ausdruck.“ Die Bereitschaft, einen Menschen auch anders zu sehen, öffnet den Weg zur Achtsamkeit. In diesem Zustand werden Gedanken, Gefühle, Aufwallungen, Körperempfindungen und dergleichen nicht nur aufmerksam und vorurteilsfrei wahrgenommen, sondern auch freundlichwohlwollend angenommen vermerken W ALACH et al. (2004). Diese positive Attitüde zeichnet den erfolgreichen Verkäufer aus; nicht den „Drücker“, der sich Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="18"?> 1 Zur Psychologie des Verkaufs 6 regelmäßig aus dem Staub machen muss, um nicht von seinen Taten wieder eingeholt zu werden. Achtsamkeit ist von außen schwer beobachtbar. Für Verkäufer, die den Grad ihrer Achtsamkeit einschätzen möchten, könnte der „Freiburger Fragebogens zur Achtsamkeit“ von W ALACH et al. (2004) hilfreich sein ( Bild 1-3). Die Antworten sollten so ehrlich und spontan wie möglich erfolgen. 1. Ich bin offen für die Erfahrung des Augenblicks. 2. Ich erkenne, dass ich nicht mit meinen Gedanken identisch bin. 3. Ich spüre in meinen Körper hinein, sei es beim Essen, Kochen, Putzen, Reden. 4. Wenn ich merke, dass ich abwesend war, kehre ich sanft zur Erfahrung des Augenblicks zurück. 5. Ich kann mich selbst wertschätzen. 6. Ich nehme wahr, wie sich meine Gefühle im Körper ausdrücken. 7. Ich bleibe mit unangenehmen, schmerzhaften Empfindungen und Gefühlen in Kontakt. 8. Ich achte auf die Motive meiner Handlungen. 9. Ich lasse mich von meinen Gedanken und Gefühlen leicht wegtragen. 10. Ich merke, dass ich nicht auf alles reagieren muss, was mir gerade in den Sinn kommt. 11. Ich beobachte meine Gedanken, ohne mich mit ihnen zu identifizieren. 12. Ich beobachte meine Gedanken, wie sie kommen und gehen. 13. Ich verliere mich im Inhalt meiner Gedanken. 14. Ich bin mir der Flüchtigkeit und Vergänglichkeit meiner Erfahrungen bewusst. 15. Ich betrachte Dinge aus mehreren Perspektiven. 16. Ich sehe, wie ich mir selbst Leiden schaffe. 17. Ich sehe meine Fehler und Schwierigkeiten, ohne mich zu verurteilen. 18. Ich nehme meine Gefühle wahr, ohne auf sie reagieren zu müssen. 19. Ich akzeptiere mich so wie ich bin. 20. Ich spüre auch in unangenehme Empfindungen hinein. 21. Ich bin in Kontakt mit meinen Erfahrungen, hier und jetzt. 22. Ich nehme unangenehme Erfahrungen an. 23. Ich beobachte das Kommen und Gehen von Erfahrungen. 24. Ich bin mir selbst gegenüber freundlich, wenn Dinge schief laufen. 25. Ich beobachte meine Gefühle, ohne mich in ihnen zu verlieren. 26. In schwierigen Situationen kann ich innehalten. fast nie eher selten relativ oft fast immer Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="19"?> 1.2 Wichtige Elemente des persönlichen Verkaufs 7 27. Ich wehre mich innerlich gegen unangenehme Gefühle. 28. Ich erlebe Momente innerer Ruhe und Gelassenheit, selbst wenn äußerlich Schmerzen und Unruhe da sind. 29. Ich bin ungeduldig mit mir und meinen Mitmenschen 30. Ich kann darüber lächeln, wenn ich sehe, wie ich mir manchmal das Leben schwer mache. Bild 1-3: Die 30-Item-Version des Freiburger Fragebogens zur Achtsamkeit. Quelle: W ALACH et al. 2004, S. 769f. 1.2.3 Authentizität und Selbstdarstellung kein Widerspruch Authentizität (griechisch: authentikós = echt) bedeutet Echtheit. Der Gegenpol wäre dann das Verfälschte, vom Original abweichende. In Zeiten hoher Unsicherheit ist Authentizität begehrt. Politiker sollen möglichst authentisch sein, Manager sowieso, und wer sich schon anmaßt, in die soziale Arena des Verkaufs zu steigen, der sollte kein Blender, Spieler oder Gaukler, sondern am besten er oder sie selbst sein. Dies gelingt am besten dann, wenn es der Verkäufer versteht, im Verkaufsgespräch Bilder seiner Persönlichkeit zu vermitteln, die (a) widerspruchsfrei sind und die (b) nicht alle Augenblicke anders interpretiert werden können. Widerspruchsfrei bedeutet, sich so zu verhalten, wie man sich selbst sieht, sodass das momentane Ausdrucksverhalten mit den eigenen Gefühlen übereinstimmt. Und die vermittelten Bilder sollten eine Gemeinsamkeit erkennen lassen. Nun hat aber Verkaufen (Politik und Management machen hier keinen Unterschied aus) sehr viel mit Selbstdarstellung zu tun. Als soziologischer Begriff bedeutet Selbstdarstellung die uns Menschen innewohnende Tendenz, im Beisein anderer unser „Selbst“ zu inszenieren. Inszenieren heißt in diesem Zusammenhang nicht, etwas vorzuspiegeln, sondern den oder die anderen zu beeinflussen. Dies gelingt am besten, wenn man die eigene Erscheinung nicht dem Zufall überlässt, sondern sie zu kontrollieren versteht. Zur Inszenierung dienen die gesprochene Sprache, die Körpersprache und ästhetische Mittel wie z.B. die Kleidung. Diese Präzisierung des Begriffs Selbstdarstellung ist schon deshalb notwendig, weil nach landläufiger Meinung Authentizität und Selbstdarstellung anscheinend nicht zusammenpassen: Wer authentisch ist, wirkt „echt“, wer Selbstdarstellung betreibt, „gespielt“. Wenn man jedoch „echt“ durch „widerspruchsfrei“ und „gespielt“ durch „kontrolliert“ übersetzt, fällt dieser Widerspruch in sich zusammen. Die folgenden Ausführungen sollen dies noch untermauern. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="20"?> 1 Zur Psychologie des Verkaufs 8 In der Sozialpsychologie wird seit langem grob zwischen zwei Typen von Selbstdarstellern unterschieden 2 : „starke“ und „schwache“. Dieser Gegensatz in der Fähigkeit zur Selbstüberwachung wird oft mit „flexibel“ versus „charakterstark“ beschrieben. Menschen lassen sich jedoch nicht nach einem simplen Entweder-oder kategorisieren. Wer menschliches Verhalten aufmerksam beobachtet, erkennt bei der Selbstdarstellung mehrere Spielarten ( Bild 1-4). Bild 1-4: Spielarten der Selbstüberwachung Ein starker „Selbstüberwacher“ klammert sich in sozialen Interaktionen nicht an sein Selbstbild, sondern passt das Verhalten der jeweiligen Situation an. Auf den Verkauf umgemünzt hieße dies z.B.: „Ich überlasse den Eindruck, den ich auf den Käufer machen will, nicht dem Zufall.“ Dieser Typus tritt in zwei Varianten auf. Als akquisitiver Selbstüberwacher ist er bemüht, seinem Gegenüber die „richtige“ Einstellung zu zeigen, um dessen Anerkennung und Zustimmung zu erlangen: „Wenn ich im Verkaufsgespräch den Eindruck habe, dass eine andere Verhaltensweise angebracht ist, kann ich mein Verhalten problemlos umstellen.“ 2 Für eine Vertiefung dieser Thematik sei der folgende Beitrag empfohlen: L OTHAR L AUX und K ARL -H EINZ R ENNER (2002): Self-Monitoring und Authentizität: Die verkannten Selbstdarsteller. In: Zeitschrift für Differentielle und Diagnostische Psychologie, 23 (2), S. 129-148. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="21"?> 1.2 Wichtige Elemente des persönlichen Verkaufs 9 Der protektive Selbstüberwacher ist bestrebt, Missbilligung durch „falsches“ Verhalten in sozialen Interaktionen zu vermeiden: „Oft wage ich es nicht, mich im Kundengespräch so zu verhalten, wie ich wirklich bin.“ Einen starken Selbstüberwacher schließlich, dem seine Wirkung auf andere nicht so wichtig ist, weil er die Darstellung primär an das eigene Selbst, also quasi an das interne Publikum richtet, könnte man als selbstbestätigenden Typ bezeichnen: „Mir tut es gut, wenn ich mich nach einem Verkaufsgespräch in meinem Selbst bestätigt fühle.“ Bleibt noch der schwache Selbstüberwacher. Er ist viel weniger achtsam gegenüber Signalen seines jeweiligen Gegenübers, die ihm die Angemessenheit der Selbstdarstellung in verschiedenen Situationen widerspiegeln könnten. Der schwache Selbstüberwacher strebt nach einer Übereinstimmung zwischen dem „wer er ist“ und dem „was er tut“. Dabei nimmt er in Kauf, mit anderen Personen anzuecken: „Ich bin wie ich bin und verbiege mich nicht ständig.“ Ein schwacher Selbstüberwacher ist leicht daran zu erkennen, dass er sich über verschiedene Situationen hinweg weitgehend gleich verhält. Er wirkt auf diese Weise authentisch und wird deshalb als „charakterstark“ wahrgenommen. In der Praxis des Verkaufs sind alle Spielarten der Selbstüberwachung vertreten. Dies überrascht nicht, da sich bei der Personalauswahl kaum jemand für solche Unterschiede und deren Einfluss auf den Verkaufserfolg interessiert. Der schwache Selbstüberwacher wird sich in einem Umfeld, in dem die Akquise von Neukunden und damit der gewiefte Umgang mit sozialer Vielfalt im Vordergrund steht, nicht wohl fühlen: „Ich mache gerne meinen Job, aber die Show ist nicht mein Ding.“ Menschen mit einer naturwissenschaftlichen Ausbildung, die etwa im anspruchsvollen, technisch orientierten Verkauf tätig sind, fallen nach unserer Erfahrung oft in diese Kategorie. Der protektive starke Selbstüberwacher wird von anderen Personen gerne als „netter Mensch“ geschätzt. Mit anderen anzuecken, um seinen Standpunkt durchzusetzen, kommt für ihn nicht in Frage. Das Machtmotiv ist bei ihm nur schwach ausgeprägt. Wenn es etwa um die rasche Einführung eines neuen Produkts bei gleichzeitiger hoher Wettbewerbsintensität geht, ist der protektive Selbstüberwacher fehl am Platz. Der Anfänger, häufig auch ein Berufswechsler, der sich zum Verkauf hingezogen fühlt und bei der Personalauswahl durch seine Extraversion überzeugt hat, wird nach unseren Beobachtungen oft als selbstbestätigender starker Selbstüberwacher agieren. Er nutzt die Interaktionsdichte des Verkaufs, um Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="22"?> 1 Zur Psychologie des Verkaufs 10 durch die vielen Rückmeldungen seinem angestrebten „Idealselbst“ näherzukommen. Er ist immerhin abschlussstärker als der protektive Typ. Mit einer professionellen Verkaufsbegleitung oder einem Mentoring 3 - Programm kann der selbstbestätigende starke Selbstüberwacher die Stufe der akquisitiven starken Selbstüberwachung erreichen. Dort ist ein erfolgreicher Verkäufer in der Regel schon angelangt. Dieser versteht es, mit seiner durch eine Vielzahl und Vielfalt sozialer Kontakte verfeinerten Selbstdarstellung den Eindruck auf andere zu steuern und zugleich authentisch zu sein. Zwischen diesen beiden Fähigkeiten besteht also kein Widerspruch. Die Verbindung zwischen Selbstdarstellung und Authentizität wird noch eindrucksvoller, wenn man das „Selbst“, von dem bisher immer die Rede war, kritisch unter die Lupe nimmt. Die Psychologie wird immer noch von Ansätzen beherrscht, die von einem konsistenten S ELBST als Ideal ausgehen. Im menschlichen Gehirn gibt es jedoch keine zentrale Stelle, die das I CH ausmacht. Es bietet sich vielmehr das Bild zahlreicher vernetzter Regionen, die auf jede neue Erfahrung flexibel reagieren. Ein Kern des S ELBST ist nicht zu erkennen. Das Ich- Bewusstsein ist eine „Als-ob-Konstruktion“ 4 des Gehirns, die sich fortlaufend selbst erschafft. Deshalb ist auch der modische Begriff der Selbstfindung so verquer. Selbsterfindung wäre angebrachter. Es gibt kein solitäres S ELBST 5 . Wir alle haben ein „multiplexes“ Selbst, weil wir in unterschiedlichen sozialen Situationen unterschiedliche Teile unseres Selbstmodells realisieren. Dabei sind wir jedoch meistens imstande, die verschiedenen „Selbste“ wieder zu einer einzigen Vorstellung des Selbst zu vereinigen. Die Fähigkeit zur „Ko-Bewusstheit“ (S CHULZ VON T HUN ) bewahrt uns vor einer pathologischen multiplen Persönlichkeitsstörung 6 . In einem solchen Fall ist es dem Patienten aufgrund von Erinnerungslücken nicht mehr möglich, eine Verbindung zwischen den verschiedenen Selbsten herzustellen. 3 Auf Mentoring wird auch in den Abschnitten 7.4 und 12.2.4 eingegangen. 4 Als-ob-Konstruktionen sind Fiktionen, die sich durch ihren Erfolg als nützlich erweisen. Religionen bauen z.B. auf Als-ob-Konstruktionen auf. Ihr Erfolg und damit Nützlichkeit besteht etwa in einem größeren sozialen Zusammenhalt (manchmal allerdings erkauft durch die Verfeindung mit anderen Als-ob-Konstruktionen) oder der Einhaltung moralischer Grundsätze. 5 Schon in G OETHE s Faust heißt es: „Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust. Die eine will sich von der andern trennen...“ 6 Die multiple Persönlichkeitsstörung oder Multiple Personality Disorder (MPD) wird auch als Dissoziative Identitätsstörung (DIS) bezeichnet. Merkmale sind wechselnde Vorstellungen von sich selbst, die mit unterschiedlichen Persönlichkeiten in Verbindung stehen und die alternierend das „Kommando“ über das eigene Handeln übernehmen. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="23"?> 1.2 Wichtige Elemente des persönlichen Verkaufs 11 Ein Verkäufer, unterwegs als starker akquisitiver Selbstüberwacher, versteht es, seine verschiedenen Selbste oder „Teilpersönlichkeiten“ je nach Situation in Szene zu setzen und sie danach wieder einzufangen. Die Selbste kooperieren dann wieder miteinander. Oder aber sie ringen um die bevorzugten Plätze auf der Bühne seiner Gesamtpersönlichkeit, was zu lange währenden Konflikten führen kann. Solange jedoch die inneren Verhältnisse einigermaßen geordnet sind und die Vernunft die verschiedenen „Teilpersönlichkeiten“ koordiniert, bleibt das innere Gleichgewicht gewahrt. Extreme werden erkannt und aussortiert. So besteht dann die Chance für das, was man die Vervollkommnung der Persönlichkeit nennt. 1.2.4 Stimmung und Resonanz „Positive Gefühle übertragen sich, negative leider auch.“ „Menschen kaufen zuerst Emotionen, dann Argumente.“ „Eine gute oder schlechte Stimmung haben wir nicht - wir machen sie uns.“ Solche Behauptungen aus der Alltagspsychologie mögen durchaus ihren Wert haben. Ihr Problem ist, dass sie mit Wörtern jonglieren und die Begriffe im Dunkeln lassen. Um die Frage nach dem Wert von Stimmungen im Verkaufsgespräch zu beantworten, müssen daher zunächst einige Begriffe festgezurrt werden ( Bild 1-5). Die Empfindung (englisch: sensation) ist die momentane Wahrnehmung eines bestimmten Körperzustandes. Sie löst einen neuronaler Erregungszustand aus, der in den entsprechenden Gehirnzentren ein inneres Bild hervorruft: „Es fröstelt mich“, „Mein Herz hüpft vor Freude“, „Mir ist ganz flau in der Magengrube“. Das Gefühl (englisch: sentiment) entsteht durch Benennen der Empfindung. Indem ich mir der Empfindung bewusst werde, erkenne ich das Gefühl: Da ist Freude, da ist Furcht, da ist Scham. Gefühle sind etwas Persönliches, etwas „Privates“. Sie bleiben in uns. Die Emotion (lateinisch: ex = heraus, motio = Bewegung) entsteht durch ein Bewerten des Gefühls, was mit einem bestimmten Gesichtsausdruck 7 verbunden ist. Dadurch kann die Emotion von anderen „abgelesen“ werden. Wir sind durchaus in der Lage, Emotionsausdrücke abzuschwächen, zu verstärken, zu maskieren, vorzuspielen etc. Solche „Emotionsarbeit“ kann Stress hervorrufen, wenn z.B. eine Verkäuferin lächeln soll, weil dies im Interesse der Firma ist, obwohl sie etwas anderes oder gar nichts empfindet. Wir über- 7 Nach dem Psychologen und Anthropologen P AUL E KMAN verfügt das menschliche Gesicht über 43 Muskeln, mit denen mehr als 10.000 Gesichtsausdrücke erzeugt werden können. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="24"?> 1 Zur Psychologie des Verkaufs 12 nehmen oft fremde Emotionen. Dann erleben wir etwa die Trauer genauso stark, wie die Person, die davon betroffen ist. Der Affekt (lateinisch: afficere = anregen) ist eine plötzlich auftretende Gefühlsaufwallung, die mit heftigen Veränderungen im Zustand des Organismus verbunden ist, z.B. schnellere Atmung und Herztätigkeit, höherer Blutdruck. Der Mensch verliert zum Teil die Herrschaft über sich selbst. Der Affekt klingt rasch ab, sofern er nicht durch weitere Stimuli aufgeschaukelt wird. Die Stimmung (oft auch „Laune“) ist ein länger andauernder Gefühlszustand, der von Schlüsselreizen ausgelöst wird. Dazu gehört alles, was einen Vergleich ermöglicht zwischen Erinnerungen an frühere Erlebnisse und der momentanen Situation, also etwa eine Stimme, ein Gesichtsausdruck, eine Geste, eine Körperhaltung, sprachliche Ausdrücke etc. Da oft mehrere Erinnerungen abgerufen werden, kann die Stimmung einen wellenartigen Charakter annehmen. Sie ist, anderes als die Emotion oder der Affekt, nicht leicht einschätzbar. Bild 1-5: Fünf wichtige Begriffe rund um die „Emotion“ Soll ein Verkaufsgespräch erfolgreich verlaufen, braucht es eine Stimmungslage, in die Käufer und Verkäufer bereitwillig eintauchen. Auf diese Weise entsteht Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="25"?> 1.2 Wichtige Elemente des persönlichen Verkaufs 13 ein Mitschwingen, eine Art von Synchronisation. Sie führt im Idealfall dazu, dass sich der potentielle Käufer voll verstanden fühlt: „Ja, genau so habe ich es gemeint ...“ Je größer das Ausmaß der Synchronisation ist, desto höher ist die Chance, dass Sympathie entsteht. Wenn jemand auf uns gut gelaunt wirkt und uns sympathisch ist, so imitieren wir seine Haltung, was wiederum unsere Stimmung hebt. Für diese Fähigkeit, Synchronisation im Verkaufsgespräch zu bewirken, gibt es drei Voraussetzungen, die bereits angesprochen wurden: Die Achtsamkeit, mit deren Hilfe der Verkäufer einfach mehr Signale aufnehmen kann als jemand, der oberflächlicher agiert; eine akquisitive starke Selbstüberwachung, mit der der Verkäufer den Eindruck auf sein Gegenüber nicht dem Zufall überlässt; und die Authentizität, durch die sich der Verkäufer widerspruchsfrei präsentiert. Wer die Fähigkeit zur Resonanz besitzt, vermag seine positive Stimmung in passende und wahrnehmbare Signale zu übersetzen oder zu codieren. Der Empfänger decodiert dann die Signale in eigene positive Gefühle oder Stimmungen. Das Geheimnis dieses Codierens besteht darin, dass Variationen der Stimmlage, der Gesichtsmuskulatur, der Körperhaltung und der Gestik, so aufeinander abgestimmt sind, dass sie vom Gegenüber als natürliche und sinnvolle Ganzheit wahrgenommen werden. Dieses Aufeinanderabgestimmtsein entzieht sich weitgehend der bewussten Kontrolle. Wohlmeinend formulierte Handlungsziele („Ich möchte jetzt unterhaltsam rüberkommen“) sind deswegen meist wirkungslos. Eine positive Stimmung kann nur dann übertragen werden, wenn die entsprechende Gefühlslage in mir selbst vorhanden ist. Damit schließt sich der Kreis zur Persönlichkeit des „idealen“ Verkäufers ( 2. Kapitel). Dieser bewegt sich überwiegend in einer gesunden Mittellage der Emotionalen Stabilität und der Extraversion. Übersetzt heißt das, der „ideale“ Verkäufer neigt weder zum „Übersensiblen“ noch zum „Fels in der Brandung“ und er strebt weder nach übermäßiger Geselligkeit noch nach permanenter Zurückhaltung. Und um das Maß voll zu machen: Ein solcher Verkäufer sollte auch mit einem guten Schuss (nicht zu viel, sonst kommt Leichtsinn ins Spiel) sanguinischem 8 Temperament gesegnet sein. In guter Stimmung achtet man eher auf positive Details („Man sieht, dieses Stück ist Handarbeit“), in schlechter Stimmung wird das Negative noch vergrößert („Da blättert ja schon jetzt die Farbe ab“). Auch nimmt die Bereitschaft, auf neue Meldungen aus der Umgebung zu reagieren, bei guter Stimmung ab. Man fühlt sich wohl und meint, auf zusätzliches Wissen nicht angewiesen zu sein. 8 Natürlich gilt die Lehre von den Temperamenten, die ihren Ursprung im 12. Jahrhundert hatte, heute als überholt. Für eine grobe Charakterisierung von Menschen taugt sie jedoch allemal. So wird z.B. der Sanguiniker als ein heiterer und lebhafter Mensch beschrieben, der allerdings auch zu Leichtsinn und Sprunghaftigkeit neigen kann. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="26"?> 1 Zur Psychologie des Verkaufs 14 Wer in positiver Stimmung ist, achtet besonders auf die Form, die „Verpackung“, das „Wie“ einer Mitteilung („Das hat sie aber schön gesagt“). Außerdem ist der „Sender“ wichtiger als der Inhalt. Bei schlechter Stimmung zählt hingegen der Inhalt einer Mitteilung mehr als alles andere. Der „Empfänger“ schärft seine Sinne, um nicht von Details überrascht zu werden. Professionelle Verkäufer wissen gut mit solchen Wirkungen unterschiedlicher Stimmungen umzugehen. 1.2.5 Die Kaufentscheidung Das Fühlen ist vom Denken nicht zu trennen. Es gibt im Gehirn keine Trennung zwischen kognitiven und emotionalen Arealen. 9 Somit kann man z.B. mit positiven Gedanken schlechten Gefühlen beikommen. Auch das Bewerten von Gefühlen, die dann als Emotionen ihren Ausdruck finden, ist ein Denkvorgang. Durch das Denken können wir in die Vergangenheit reisen oder die Zukunft vorwegnehmen. Empfindungen und damit Gefühle sind hingegen immer in der Gegenwart verankert. Erst durch die Verknüpfung von vergangenen Episoden oder Vorstellungen von zukünftigen Ereignissen mit Gefühlen entstehen Emotionen und Stimmungen. Beide haben keinen guten Ruf, wenn es um Entscheidung geht. Vielleicht als Erbe der Aufklärung, versuchen wir bei Entscheidungen möglichst den Verstand und damit das Denken walten zu lassen. Ein erfolgreicher Verkäufer wird sich daher nicht allein auf die gute Stimmung, die Synchronisation zwischen ihm und dem Käufer verlassen. Er wird danach trachten, den Käufer auch zu „informieren“. Der gewiefte Autoverkäufer, der erkennt, wie sehr sich der Käufer bereits emotional zu diesem „tollen Gefährt“ hingezogen fühlt, wird trotzdem noch Fakten wie Verbrauchswerte, CO 2 -Ausstoß, Beschleunigung oder Drehmoment nachliefern. Auf diese Weise stellt der Verkäufer sicher, dass der Käufer auch nach dem Kauf zu seiner Entscheidung steht und nicht unter einer Nachkaufdissonanz ( Abschnitt 1.2.6) leidet. Es gilt zwischen vier Arten von Kaufentscheidungen zu unterscheiden ( Bild 1-6). 9 Dafür gibt es mittlerweile einen neuen Begriff: Wir Menschen handeln „emorational“. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="27"?> 1.2 Wichtige Elemente des persönlichen Verkaufs 15 Bild 1-6: Vier Arten von Kaufentscheidungen Die bedeutungsvolle Kaufentscheidung. Für diese Entscheidung besitzt der Käufer keinerlei oder kaum Vorerfahrung. Die Folgen der Entscheidung sind für ihn wesentlich oder sogar existenziell. Der Zeitraum bis zur Kaufentscheidung ist entsprechend lang. Der Käufer wird sich daher der Produkt- oder Dienstleistungskategorie intensiv zuwenden, sich informieren, oder in der Marketingsprache, sich „involvieren“. Dieser Prozess unterliegt somit einer hohen kognitiven Steuerung. Eine positive Stimmung hilft bei der Vorauswahl. Sie lenkt die Aufmerksamkeit auf wenige, bedeutsam erscheinende Punkte. Der „Auftritt“ des Produkts, egal ob im Internet oder klassisch auf Papier, muss diese Stimmung stützen. Im Allgemeinen hat hier jener Verkäufer einen Wettbewerbsvorteil, der durch seine Selbstdarstellung eine hohe Glaubwürdigkeit vermitteln kann. Erfahrene Verkäufer fahren daher im Laufe des Verkaufsprozesses den Faktor „Stimmung“ sogar zurück etwa durch Verzicht auf Ablenkungen oder die Wahl einer eher nüchternen Büroatmosphäre , um die Fakten für sich sprechen zu lassen. Die erfahrungsgeleitete Kaufentscheidung. Hier liegen bereits Erfahrungen aus einem Erstkauf vor. Die Käufe von technischen Produkten - von Anlagen und Maschinen bis zu Geräten aus der digitalen Welt - sowie speziellen Dienstleistungen - von Versicherungs- und Wartungsverträgen bis zu Urlaubsreisen - sind Beispiele hierfür. Durch seine Erfahrung mit der Produkt- oder Dienstleistungskategorie hat der Käufer bereits eine Vorauswahl getroffen. Diese Menge an gedanklich abrufbaren Möglichkeiten nennt die Marketingforschung „Consideration 10 Set“. Darin sind Marken, Produkte, Hersteller, Händler oder Dienstleister enthalten, die der Käufer jederzeit in Betracht ziehen kann. Ist das Angebot des Verkäufers bereits Teil dieser Menge, so hat dieser einen markanten Startvorteil. Dann schlägt die Stunde des hartnäckigen 10 Englisch: to consider = in Betracht ziehen. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="28"?> 1 Zur Psychologie des Verkaufs 16 Verkäufers. Er muss sich beim Käufer immer wieder in Erinnerung rufen, ohne am Ende nur noch lästig zu fallen. Und er muss versuchen, durch geschicktes Fragen den kaufentscheidenden Faktor zu eruieren. Der Verkäufer, der gegen das „Consideration Set“ kämpfen muss, hat es wesentlich schwerer. Ohne flankierende analoge oder digitale Marketingunterstützung bleibt ihm die notwendige Aufmerksamkeit des Käufers verwehrt. Die gewohnheitsmäßige Kaufentscheidung. Als Beispiele taugen hier nicht nur Verbrauchs- und Gebrauchsgüter des täglichen Bedarfs oder einfache Dienstleistungen, sondern auch Prozess- und Hilfsgüter des produzierenden Sektors. Der gewohnheitsmäßig Entscheidende hat nur ganz wenige Optionen Marken, Produkte, Dienstleistungen, Lieferanten etc. in seinem Gedächtnis gespeichert. Dieser eng begrenzte Raum ist das sogenannten „Evoked 11 Set“. Für ihn gibt es kaum Gründe, diesen bewährten Kreis zu ändern oder zu erweitern, zumal er mit ihm seinen Suchaufwand minimieren kann. Sind dann z.B. die Produkte zur richtigen Zeit am richtigen Platz verfügbar, erfolgt die Dienstleistung unkompliziert und reibungsfrei, oder sind die Produkte in einem Online-Shop einfach und schnell auffindbar und stehen möglichst viele Zahlungsarten zur Auswahl, dann sind solche Kunden schwer zu knacken. Um das Evoked Set zu sprengen, kann der ambitionierte Verkäufer auf das menschliche Streben nach Neuartigkeit und Abwechslung (englisch: Variety Seeking) setzen. Wie bei der erfahrungsgeleiteten Kaufentscheidung gilt jedoch auch hier: Der persönliche Verkauf muss unbedingt mit Maßnahmen aus dem Marketing-Mix verzahnt werden. Sonst wird der einsame Verkäufer zur tragischen Figur. Die spontane Kaufentscheidung. Triviale Beispiele hierfür sind der rasche Griff nach Süßwaren, Taschenbatterien oder Zeitschriften an der Supermarktkassa. Eine solche Kaufentscheidung wird als risikolos empfunden. Sie geschieht als Reflex auf visuelle („sehen“), auditive („hören“), gustatorische („schmecken“) oder olfaktorische („riechen“) Sinnesreize, die eine positive Grundstimmung des Käufers verstärken oder sogar erzeugen können. Der Verkäufer wird daher alles unternehmen, um die Kaufbereitschaft durch solche Reize zu stimulieren. Ansonsten hält er sich am besten zurück. Die Idee, den Käufer etwa verbal zu beeinflussen, um mehr aus seiner Kaufneigung herauszuholen, kann leicht zum Bumerang werden. Wenn Menschen aus eigenem Antrieb spontan handeln, kann eine durchaus wohlgemeinte Intervention von außen als Einschränkung der persönlichen Freiheit empfunden werden. Die spontane Handlung unterbleibt. Die Sozialpsychologie nennt dies den „Korrumpierungseffekt“. 11 Englisch: to evoke = hervorrufen, wachrufen, erinnern an, erregen, auslösen. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="29"?> 1.2 Wichtige Elemente des persönlichen Verkaufs 17 Die spontane Kaufentscheidung unterscheidet sich grundsätzlich von der bedeutenden, der erfahrungsgeleiteten und der gewohnheitsmäßigen. Sie erfolgt automatisch und unbewusst. Dabei ist das sogenannte „System 1“ wirksam, das sind jene gedanklichen Prozesse, die immer aktiv sind und es uns daher ermöglichen, rasch und mühelos zu entscheiden. In dem Moment, in dem das Ergebnis einer Entscheidung unsicher oder riskant ist, kommt das „System 2“ ins Spiel. Bedeutende, erfahrungsgeleitete und selbst gewohnheitsmäßige Entscheidungen erfordern gedankliche Prozesse, die bewusst ablaufen, langsam und anstrengend sind und deshalb nur in bestimmten Situation aktiviert werden. 1.2.6 Die Zweifel nach der Kaufentscheidung Die Entscheidung für eine bestimmte Option bedeutet zugleich immer auch eine Entscheidung gegen die anderen Möglichkeiten, die zur Wahl standen. Nach allen vier der vorhin skizzierten Kaufentscheidungen können im Käufer Zweifel hochkommen, ob und inwieweit der Kauf für ihn tatsächlich vorteilhaft war. Philosophisch betrachtet hebt der Zweifel ein gefälltes Urteil auf und öffnet so den Raum für Ungewissheit. Diesen inneren Spannungszustand nennt man „Nachkaufdissonanz. Der Käufer fühlt sich in seinem inneren Gleichgewicht gestört. Die Intensität dieses Zustands wird umso höher sein, je negativer der Käufer die gewählte Option insgesamt bewertet („Ich hätte doch B kaufen sollen! “); je mehr ein bestimmtes Kaufelement, das für den Käufer besonders wichtig ist, von den Erwartungen abweicht („Die Farbe habe ich mir ganz anders vorgestellt! “); je positiver der Käufer die abgelehnten Möglichkeiten eingeschätzt („Mist, das andere sieht richtig cool aus! “); je größer die Folgen der getroffenen Entscheidung für den Käufer sind („Mit dem kann ich mich doch nicht sehen lassen! “); je stärker der Käufer nach der Entscheidung an die gewählte Option gebunden ist („Die nehmen mir das Zeug jetzt nicht mehr zurück! “); je mehr der Käufer rückblickend den Eindruck gewinnt, bei der Kaufentscheidung nicht ausreichend Herr der Lage gewesen zu sein („Ich habe dieses Produkt unbedingt haben müssen! “). Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="30"?> 1 Zur Psychologie des Verkaufs 18 Ein Verkäufer, der nach dem Motto verfährt „Die Kaufentscheidung ist gefallen, alles andere ist nicht mehr mein Bier“, hat seinen Beruf nicht verstanden. Der Verkauf endet nicht mit der Kaufentscheidung. Kundenbeziehungen, auch solche, die bloß Einmalkäufe darstellen, gehören zum immateriellen Vermögen des Lieferanten. Dieser Vermögenswert bemisst sich unter anderem auch am „Referenzwert“ des Kunden, also an seiner Bereitschaft, das Produkt, die Dienstleistung oder den Lieferanten weiterzuempfehlen. Je mehr „dissonante“ Kunden ein Unternehmen produziert, desto größer ist die Wertvernichtung, die es betreibt. Dabei muss nicht jede Kaufentscheidung in einen Zustand des Zweifelns münden. Wenn es z.B. gelingt, Gründe für eine Nachkaufdissonanz zu antizipieren, kann das Produkt, die Verpackung, die Anlieferung, die Übergabe an den Käufer, die erste Verwendung oder was auch immer zu einem „Verkaufserlebnis“ gestaltet werden. Die Dissonanz (Unstimmigkeit) weicht einer Konsonanz (Stimmigkeit), was sich für das Unternehmen des Verkäufers in einem höheren Kundenwert niederschlägt. Die meisten Menschen neigen dazu, sich die Kaufentscheidung im Nachhinein schönzureden. Das ist die einfachste Methode der Dissonanzreduktion. Kleine Abweichungen vom erwarteten Soll werden unterdrückt oder beschönigt. Wenn diese jedoch eine subjektive Toleranzschwelle überschritten haben, geschieht das Gegenteil: Das Negative wird übertrieben. 12 Die Unzufriedenheit schaukelt sich auf, die Anspannung muss abgeleitet, das innere Gleichgewicht wieder hergestellt werden. Früher ließ man sich über solche Erfahrungen im überschaubaren Kreis der Familie oder Freunde aus. Heute entzündet man in den sozialen Medien einen „Shitstorm“. Beschwerdeabteilungen, die von Unternehmen oft eingerichtet werden, um enttäuschte Käufer aufzufangen, sind dagegen machtlos. 1.3 Aus der Praxis Die Reden sind vorbei, der Beifall ist verklungen, überall entspannte Gesichter. Holger hat es wieder geschafft. Zum dritten Mal ist er „Verkäufer des Jahres“ geworden. Sein Unternehmen vertreibt Geräte und allerlei Zubehör für die professionelle Reinigung. Wir möchten gerne erfahren, was denn das Geheimnis seines Erfolges ist. Jetzt soll er einmal etwas durchschnaufen, dann beginnen wir unser Gespräch. Frage: „Verkäufer des Jahres“ - wie müssen wir uns das vorstellen: Waren sie schlauer, schneller, erbarmungsloser als die anderen? 12 Dies entspricht der sogenannten „Assimilations-Kontrast-Theorie“ der Sozialpsychologie. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="31"?> 1.3 Aus der Praxis 19 Holger: Vielleicht habe ich mehr Glück gehabt. Nein, ich bereite mich immer extrem gut auf den Verkaufstag vor. Ich versuche mich in eine Stimmung zu versetzen, die weder euphorisch ist, das wäre ja sowieso unmöglich, noch gedrückt ist. Es ist eine Stimmung, in der ich offen bin für alles Positive, eine Art freudiger Erwartung. Deshalb höre ich am Morgen auch keine Nachrichten. Vielleicht die Topmeldungen, um beim Kunden nicht ganz doof da zustehen, aber dann ist Schluss. Frage: Wäre ein aktuelles Ereignis in der Welt nicht ein guter Einstieg in ein Kundengespräch? Holger: Nein, Politik und Religion sind für Neukundengespräche ein absolutes „No-Go“. Sport ist auch riskant. Ich darf mich im Gespräch nie zu früh auf eine bestimmte Persönlichkeit festlegen. Ich versuche immer, mir aus einer Vielzahl von Signalen, die mir der Kunden aussendet, ein Bild zu machen. Ob das jetzt das Gesicht ist, die Kleider, die Körperhaltung, das Auto, das er fährt, Fotos an der Wand, Gegenstände am Schreibtisch oder was auch immer, ich setze das alles rasch in ein Ganzes um. Das ist mein persönliches „Radar“. Frage: Gut, jetzt haben sie ein Bild. Da kann es doch sein, dass sie auf Typen stoßen, mit denen sie aber auch gar nichts gemein haben? Holger: Und wenn schon. Jeder hat das Recht auf seine eigene Persönlichkeit. Das ist ja das Spannende an meinem Beruf. Frage: Wie stellen sie sich dann auf die unterschiedlichen Typen ein? Holger: Ich versuche, in die Rolle des Kunden zu schlüpfen. In die Rolle, die er gerade spielt, denn wir alle spielen ja verschiedene Rollen. Warum ich das tue? Ich signalisiere dem Kunden, wir beide sind uns ähnlich. Ein Verkaufstrainer sagte mir einmal, ich solle doch den Kunden nachahmen, etwa in der Körperhaltung oder im Gesichtsausdruck. Davon halte ich gar nichts. Ich bin ein neugieriger Mensch und verstehe es ganz gut, mit anderen die verschiedensten Interessen zu teilen. Ähnliche Interessen, darauf kommt es an. Wenn dann Verkäufer und potenzieller Kunde einander imitieren, ist das o.k. Aber das geschieht sicher unbewusst. Frage: Im Prinzip sind sie damit ein guter Schauspieler. Man könnte auch sagen ein Gaukler, ein Blender, ein Verführer. Holger: Nein, ich gebe den Menschen etwas. Ich gebe ihnen ein gutes Gefühl. Ich treibe sie nicht in die Enge, setze sie nicht unter Druck, bin nicht ungeduldig. Menschen sind oft dankbar, wenn ihnen jemand zuhört und nicht bloß so tut als Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="32"?> 1 Zur Psychologie des Verkaufs 20 ob. Da hilft mir das, was ich vorhin mit Stimmung meinte. Ich gehe ohne Anspannung in das Gespräch, bin wachsam, neugierig. Die meisten Menschen haben ein feines Gespür dafür, ob die Zuwendung ihnen gegenüber echt oder bloß gespielt ist. Frage: Schön, jetzt stimmt vielleicht das Zwischenmenschliche, aber wo bleibt das Produkt, und vor allem wie kommen sie zum Verkaufen? Holger: Ich bleibe beim Geben. Der Kunde kriegt von mir ein Produkt, das sein Leben besser, einfacher, bequemer, sicherer oder abwechslungsreicher macht. Das kann er nur von mir kriegen, weil ich ja so gut kenne. Deshalb ist die erste Phase des Gesprächs, der Einstieg, so wichtig. Der Kunde muss spüren, dass das Produkt auf ihn zugeschnitten ist. Dann entsteht in ihm der Wunsch, es auch zu haben. Natürlich muss er dafür bezahlen, aber der Betrag steht in keinem Verhältnis zum Nutzen. Ich „verkaufe“ nichts. „Verkaufen“ heißt, ich muss den Widerstand des Kunden brechen. Das erinnert mich an mein erstes Verkaufsseminar. Da war von der „Reaktanz“ die Rede. Immer dann, wenn sich Menschen in ihrer Wahlfreiheit eingeschränkt fühlen, reagieren sie trotzig. Dann wollen sie erst recht nicht. Frage: Müssen sie nicht manchmal passen, weil sie erkennen, das mit dem Wünschen ist doch nicht so einfach? Holger: Natürlich. Dann sage ich mir, nichts erzwingen, du brauchst ein nächstes Mal. Mein Ziel ist es dann, vom Kunden eine zweite Chance zu bekommen. Er muss mich in guter Erinnerung behalten. Ein kleines Geschenk hilft oft. Frage: Und was geschieht, wenn der Kunde doch nicht so zufrieden, um nicht zu sagen „glücklich“ ist mit dem Produkt. Holger: Nachfragen, nachfragen. Nie den Kunden nach seiner Wahl alleine lassen. Meist es sind es nur Kleinigkeiten, Missverständnisse in der Anwendung oder Meinungen anderer, die den Kunden dann verunsichern. Ich habe auch Fälle erlebt, wo der Kunde sagt „Gut, dass sie anrufen, ich brauche noch ein zweites Gerät.“ Frage: Gibt es irgendein Projekt, das sie in nächster Zeit anpacken möchten? Holger: Na ja, die Firma möchte die „Beschwerdeabteilung“ auflösen und die Verantwortung an den Außendienst delegieren. An sich ist der Begriff ziemlich daneben, weil sich „Beschwerde“ so nach Behörde oder Gericht anhört. Aber eine Abteilung „Kundendialog“, das ist etwas, was wir bräuchten. Da geht es nicht Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="33"?> 1.4 Für die Praxis 21 nur um das, was schiefgelaufen ist, sondern auch um Wünsche, Anregungen, Ideen und so fort. Ich bin jedenfalls dran an dem Projekt. 1.4 Für die Praxis Ist Holger ein „Verkaufstalent“? Wenn man darunter die seltene, weil in den Genen verankerte Begabung versteht, andere von einer Sache zu überzeugen, an die sie zuvor überhaupt nicht gedacht hatten, dann heißt die Antwort „nein“. Denn erstens hat die Art und Weise, wie Holger auf Menschen zugeht kaum etwas mit genetischer Veranlagung, aber viel mit Persönlichkeit zu tun. Und diese entwickelt sich durch frühzeitiges Beobachten, Imitieren und Praktizieren. Das 2. Kapitel dieses Buches geht ausführlich auf die Persönlichkeit des Verkäufers ein. Zweitens möchte Holger andere Menschen auf keinen Fall willfährig machen. Er ist vielmehr ein Meister im Erzeugen von Resonanz, also in der Anregung zum Mitschwingen. Darunter ist nichts Esoterisches oder langweilige Harmonie zu verstehen, sondern eine Episode, an deren Ende sich beide Seiten „reicher“ fühlen als zu deren Beginn. Was Holger dabei hilft, ist seine Fähigkeit, sich selbst zu führen. Dazu mehr im 7. Kapitel. Noch etwas unterscheidet Holger gerade von Verkaufsnovizen und Hochdruckverkäufern. Während diese meist sehr früh ihr Produkt in den Vordergrund rücken - wie der Marktschreier, der keine andere Möglichkeit hat, auf sich aufmerksam zu machen -, wartet Holger damit auf die passende Gelegenheit. Das erinnert an einen Grundsatz der Kommunikation, den der Psychotherapeut P AUL W ATZLAWICK (1921-2007) so formulierte: „ Jede Kommunikation hat einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt.“ 13 Der Inhaltsaspekt stellt das Was einer Mitteilung dar, der Beziehungsaspekt sagt etwas darüber aus, wie der Sender diese Mitteilung vom Empfänger verstanden haben möchte. Für W ATZLAWICK bestimmt der Beziehungsaspekt den Inhaltsaspekt. Für das Verkaufsgespräch bedeutet das: „Person schlägt Produkt.“ EWs ist die Art der Beziehung zwischen zwei Kommunikationspartnern (z.B. verläuft sie eher sachlich oder emotional, ist sie auf Dauer angelegt oder trägt sie ein Verfallsdatum), die das gegenseitige Verständnis erst ermöglicht oder begrenzt oder erschwert. Ein Verkaufsgespräch ist von vornherein gestört, wenn Unklarheit über die Beziehung besteht oder wenn Verkäufer oder Kunde versuchen, den Beziehungsaspekt aus der Kommunikation herauszuhalten. Erfolgreiche Verkäufer verstehen 13 W ATZLAWICK , P.; B EVIN , J. H.; J ACKSON , D. D. (1990): Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien. Bern, S. 53. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="34"?> 1 Zur Psychologie des Verkaufs 22 es eben, mit der angemessenen Form ein gegebenes Ziel zu erreichen, und nicht umgekehrt auf ein Ziel loszustürmen, wobei die Form nur Beiwerk ist. Weiterführende Literatur S CHULZ VON T HUN , F RIEDEMANN (2016): Miteinander reden, Band 3. Reinbek bei Hamburg. S TAHL , H EINZ K. (2013): Führungswissen. Erich Schmidt Verlag: Berlin. S TAHL , H EINZ K.; M ENZ , F LORIAN (2014): Handbuch Stakeholder- Kommunikation Überzeugende Sprache in der Unternehmenspraxis. Zweite, neu bearbeitete Auflage. Erich Schmidt Verlag: Berlin. S TORCH , M AJA (2006): Wie Embodiment in der Psychologie erforscht wurde. In: Maja Storch (Hrsg.): Embodiment. Die Wechselwirkung von Körper und Psyche verstehen und nutzen, S. 35-72, Huber: Bern. W ALACH , H ARALD ; B UCHHELD , N INA ; B UTTENMÜLLER , V ALENTIN ; K LEINKNECHT , N ORMANN ; G ROSSMANN , P AUL ; S CHMIDT , S TEFAN (2004): Empirische Erfassung der Achtsamkeit - Die Konstruktion des Freiburger Fragebogens zur Achtsamkeit (FFA) und weitere Validierungsstudien. In: Schweizerische Zeitschrift für Psychologie und ihre Anwendungen, S. 729-772. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="35"?> 23 2 Die Persönlichkeit des Verkäufers Verkaufen ist eine Frage des Talents, so eine gängige Meinung. Das AMS Österreich, vergleichbar mit der Bundesagentur für Arbeit in Deutschland, definiert Verkaufstalent z.B. als die „Fähigkeit, Waren oder Dienstleistungen in einem kurzen Zeitraum gewinnbringend an Kunden zu veräußern“. Wer Verkaufstalent besitzt, der fackelt also nicht lange, er überrumpelt den Käufer, ohne dass sich dieser zunächst überrumpelt fühlt. Und er versteht es, den Wert seiner Ware oder Dienstleistung als unvergleichlich darzustellen, woraus sich dann für ihn „ein gutes Geschäft“ ergibt. Talentierte Verkäufer nutzen jede Gelegenheit, ihr Talent unter Beweis zu stellen. So wie etwa der Verführungskünstler G IACOMO C ASANOVA (1725-1798), von dem Folgendes berichtet wird. Auf einer Reise von Venedig nach Mailand traf C ASANOVA einen reichen Mann, der mit besonderem Stolz ein altes Schwert mit sich führte. Er behauptete, es handle sich um das berühmte Schwert, mit dem der heilige P ETRUS dem Knecht M ALCHUS das Ohr abgeschlagen habe. Die anderen Reisenden schüttelten nur den Kopf. „Das kann nicht sein“, sagten sie, „wie wollt Ihr die Echtheit beweisen? “ Nur C ASANOVA bewunderte das Schwert und erklärte, ohne Zweifel sei das Schwert echt. Diese Bewunderung verfehlte nicht ihre Wirkung, denn C ASANOVA verkaufte gleich darauf dem stolzen Besitzer für tausend Zechinen 14 das dazugehörige Futteral. 15 2.1 Die prägenden Merkmale der Persönlichkeit Eine solche Begabung wird einem nicht einfach in die Wiege gelegt. Sie ist eng mit der wandelbaren Persönlichkeit verbunden. Oft werden Charakter und Persönlichkeit synonym verwendet. Der Charakter eines Menschen hat seinen Ursprung in der Ethik. Danach wird er durch bestimmte Tugenden geformt, also Eigenschaften, die zu einem vorbildhaften und wertvollen Handeln führen können. Heute leidet der Begriff des Charakters unter der Beliebigkeit seines Gebrauchs. So hat z.B. die Positive Psychologie 16 24 Charakterstärken identifiziert, die für ein „gutes“ Leben unabdingbar sind. Andere Denkschulen betonen wiederum die Erziehbarkeit des Charakters. Die Persönlichkeit (griechisch persona = Theatermaske) beschreibt die individuelle Ausprägung relativ stabiler Eigenarten im Denken, Fühlen und Handeln ei- 14 1000 Zechinen oder Dukaten entsprechen etwa 3,44 kg Feingold! 15 M ATTHIAS N ÖLLKE (2002): Anekdoten, Geschichten, Metaphern für Führungskräfte. Freiburg, Berlin, München, S.338. Anmerkung: . 16 Diese leitet sich aus der Humanistischen Psychologie ab, die der Frage nachgeht, wie sich der Mensch selbst verwirklichen und entfalten kann. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="36"?> 2 Die Persönlichkeit des Verkäufers 24 nes Menschen. Relativ stabil bedeutet, dass diese Eigenheiten zum Teil genetisch bedingt und stark von Einflüssen in der frühen Kindheit geprägt sind, aber dennoch über die ganze Lebensspanne veränderbar bleiben. In dem Stufenmodell ( Bild 2-1) des Psychoanalytikers E RIK H. E RIKSON (1902-1994) beeinflussen bestimmte Konflikte zwischen gegensätzlichen Wünschen und Anforderungen die Entwicklung der Persönlichkeit. Durch die intensive Auseinandersetzung mit diesen Konflikten reift die Persönlichkeit. Dabei ist wichtig, dass der positive Pol eines Gegensatzes zum Tragen kommt. Bild 2-1: Die acht Stufen der Persönlichkeitsentwicklung 17 So vermag z.B. eine feinfühlige Bezugsperson während des ersten Lebensjahres, dem sogenannten „extra-uterinen Frühjahr“ 18 , ein Urvertrauen entstehen lassen. Werden dem Kind hingegen körperliche Nähe und Geborgenheit verweigert, kann sich das Gefühl festsetzen, der Umwelt hilflos ausgeliefert zu sein. Es ent- 17 In Anlehnung an E RIK H. E RIKSON (1966): Identität und Lebenszyklus. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 55-123. 18 Der Biologe A DOLF P ORTMANN (1897-1982) argumentierte, dass der Mensch, im Vergleich zu anderen Primaten, eine „habituelle Frühgeburt“ sei und ein knappes Jahr (das „extrauterine Frühjahr“) in der sozialen Gemeinschaft benötige, um sozial anschluss- und damit überlebensfähig zu werden. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="37"?> 2.1 Die prägenden Merkmale der Persönlichkeit 25 steht ein Ur-Misstrauen. Solchen Menschen fällt es später schwer, stabile soziale Beziehungen aufzubauen. Sie neigen dazu, Erwartungen immer gleich ins Negative zuzuspitzen. Das Gefühl des Ur-Vertrauens liefert hingegen die Grundlage für eine kooperative Einstellung anderen Menschen gegenüber. In der differentiellen Psychologie wird die Persönlichkeit anhand von fünf Merkmalspaaren beschrieben. Diese „Großen Fünf“ gelten heute als das Standardmodell zur Erklärung der „Persönlichkeit“. 2.1.1 Der Übersensible und der Fels in der Brandung Menschen lassen sich zunächst einmal auf einen Kontinuum einordnen, das zwischen den beiden Polen „stabil, souverän, ruhig und sicher“ sowie „labil, ängstlich, nervös und unsicher“ liegt. Die beiden Gegensätze bilden die zentrale Achse der Persönlichkeit. Sie werden Emotionale Stabilität und Neurotizismus genannt. Eine mögliche Ursache für diese Spreizung liegt in der unterschiedlichen Erregbarkeit des limbischen Systems. 19 Bei Neurotizismus reagiert dieses Hirnareal überempfindlich. Menschen geraten dann leicht aus der Fassung oder aber sie nehmen Reize wahr, die anderen nicht zugänglich sind. Diese Balance findet man oft bei kreativen Menschen oder „schillernden“ Persönlichkeiten. Emotional stabile Menschen sind imstande, ihre Gefühle gut zu kontrollieren. In bestimmten Situationen wirken sie dann allerdings unpersönlich und wenig „greifbar“. Wie bei den anderen vier Merkmalspaaren sollte man deshalb die jeweiligen Pole nicht vorschnell mit „gut“ oder „schlecht“ belegen, um so zu einem vermeintlichen Ideal zu gelangen. Es gibt z.B. unübersichtliche Verkaufssituationen, in denen der „Fels in der Brandung“ durchaus seinen Platz hat, weil er nervöse Übertreibungen vermeidet. Ein hypersensibler Verkäufer würde hier vermutlich Bedauern ernten („Der arme Kerl steht unter Strom“) oder Abwehr hervorrufen („Und von dem soll ich was kaufen? “). Emotionale Stabilität und Neurotizismus bleiben über die gesamt Lebensspanne hinweg ziemlich konstant. Durch geeignetes Training kann man dessen ungeachtet die Gewichte in Richtung Stabilität 19 Das limbische System befindet sich oberhalb des Hirnstamms und unterhalb des Großhirns (Kortex). Als älteste neuronale Struktur, die sich in der Evolution beim Menschen herausgebildet hat, reguliert es die Emotionen, ist für den Gedächtnisprozess zuständig und an Triebverhalten, Kreativität sowie Motivation beteiligt. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="38"?> 2 Die Persönlichkeit des Verkäufers 26 verschieben. 20 Die Stichworte dafür lauten Bewegung, ausgewogene Ernährung, keine Drogen und ein konstanter Schlafrhythmus. 2.1.2 Der Gesellige und der Zurückhaltende Das nächste Merkmalspaar besteht aus Extraversion und Introversion. Diese Eigenschaften werden oft mit den Temperamenten des Sanguinikers und Cholerikers auf der Seite der Extraversion sowie die des Phlegmatikers und Melancholikers bei der Introversion in Verbindung gebracht. Menschen sind indessen nicht entweder „extravertiert“ oder „introvertiert“. Es gibt viele Abstufungen zwischen den beiden Polen. Vorwiegend Extravertierte richten ihr Leben nach außen hin aus. Ihre inneren Reize genügen nicht immer, um in einen optimalen kortikalen 21 Erregungszustand zu gelangen. Sie schöpfen ihre Kraft aus dem Austausch mit anderen Menschen. Extravertierte wirken dadurch gesprächig und bestimmt, energisch und dominant, begeisterungsfähig und abenteuerlustig. Introvertierte Menschen werden allgemein als still, zurückhaltend und wenig gesprächig gesehen. Sie haben jedoch nicht unbedingt Angst vor sozialen Kontakten. Sie sind zunächst einmal nur „in sich gekehrt“. Introvertierte vermeiden es, andere Menschen in unangenehme Situationen zu bringen. Geschieht dies dennoch, so leiden sie unter Schuldgefühlen. Der Einfluss der Umwelt auf die Ausprägung dieser Persönlichkeitsdimension ist eher gering. Wie bei Emotionaler Stabilität und Neurotizismus verändern sich Extraversion und Introversion über die Lebensspanne hinweg kaum. Auch wohlgemeintes Training wird hier wenig verändern können. Ein introvertierter Verkäufer kann zumindest als guter Zuhörer punkten. Er wird allerdings mit der Vielfalt und Intensität sozialer Kontakte nur schwer zurechtkommen. 2.1.3 Der Neugierige und der Bewahrende Offenheit für Neues steht der Bewahrung des Bestehenden und mithin einer konservativen Einstellung im Leben gegenüber. Wer offen ist für Erfahrungen pflegt häufig zahlreiche Interessen. Er ist wissbegierig, selbstbeobachtend und nachdenklich; macht sich Gedanken über die Zukunft; sieht sich selbst als kreativ und 20 Sonst wäre die These, dass unser Gehirn ein „plastisches“, also sich an seine Umwelt anpassendes System ist, widerlegt. Das Gehirn verändert ständig seine Strukturen (Synapsen, Nervenzellen, ganze Hirnareale), am intensivsten mit einer Lebensweise in abwechslungsreicher Umgebung. Diese sogenannte Neuroplastizität ist der Schlüssel für die zumindest teilweise Kompensation von Funktionen, die aufgrund des Alters abgeschwächt oder durch Schädigungen verlorengegangen sind. Es gilt somit: „Use it, or lose it! “ 21 „ Kortikal“ = die Gehirnrinde betreffend. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="39"?> 2.1 Die prägenden Merkmale der Persönlichkeit 27 phantasievoll oder gar künstlerisch; und ist möglicherweise liberaler als andere. Der Blick über den Tellerrand kennzeichnet ihn. Wer immer wieder experimentiert und dem Neuen nachjagt kann damit allerdings auch als wenig bodenständig und schnell gelangweilt gelten. Routinearbeit ist jedenfalls nicht sein Ding. Wer andererseits eher bewahrend eingestellt ist, verfügt häufig über Expertenwissen in einem Beruf oder Thema; er bewegt sich im Hier und Jetzt; seine Arbeitsweise ist pragmatisch, taktisch und rationell. Er empfindet sich wiederholende Tätigkeiten durchaus als angenehm, weil sie ihm Souveränität verleihen. Durch seine konservative Haltung kann er auf andere engstirnig und festgefahren wirken. Lässt man sich im Alter einfach treiben, so nimmt die Offenheit für Neues immer mehr ab ( Bild 2-2). Ältere Menschen interessieren sich im Allgemeinen weniger für neue Kunstrichtungen oder technische Innovationen. Sie bleiben ihren Gewohnheiten treu. Der portugiesische Schriftsteller J OSÉ S ARAMAGO (1922 2010) meinte einmal treffend: „Das Alter beginnt da, wo die Neugierde aufhört.“ Das menschliche Gehirn ist immer offen für Neues, man darf es nur nicht dagegen abschirmen. 2.1.4 Der Verträgliche und der Kämpfer Verträglichkeit als Ausdruck hoher Vertrauensbereitschaft bis hin zum Altruismus und Antagonismus als eine eher ichzentrierte Haltung, die auch rivalisierende Züge annehmen kann, bilden ein weiteres Gegensatzpaar. Verträglichkeit zeigt sich z.B. darin, dass sich die Person gerne anderen fügt und Toleranz als Wert verinnerlicht hat. Menschen mit einer hohen Ausprägung dieses Merkmals sind oft schnell emotional berührt, lassen andere gerne gewinnen, sind gute Mannschaftsspieler und sorgen für Harmonie. Auf Grund ihrer Nachgiebigkeit werden sie jedoch auch als prinzipienlos, unterwürfig oder konfliktscheu erlebt. Ob Verträglichkeit in allen Situationen hilfreich ist, darf bezweifelt werden. So meinte der z.B. Managementvordenker P ETER D RUCKER (1909 2005) einmal, Menschen an der Spitze müssten lernen, rücksichtslos zu sein. 22 Der Antagonistische ist im Umgang mit anderen häufig expressiv, hartnäckig oder aggressiv. Er versucht, die eigenen Interessen zu wahren, Recht zu bekommen oder zu gewinnen. So entsteht bei anderen oft der Eindruck, feindselig, unhöflich oder selbstgefällig zu sein. Die Verträglichkeit nimmt im Alter eher zu ( Bild 2-1). Dies hat vermutlich etwas mit dem sogenannten „PASA-Effekt“ 23 zu tun. Bei älteren Menschen verlagert sich die neuronale Aktivität sukzessive 22 Zur Ehrenrettung P ETER D RUCKER s sei angemerkt, dass er mit „rücksichtslos“ ausdrücken wollte, „Wer nicht die entsprechende Leistung bringt, gehört woandershin.“ 23 PASA = Posterior-Anterior Shift in Aging. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="40"?> 2 Die Persönlichkeit des Verkäufers 28 von den hinteren Hirnregionen (besonders dem Hinterhaupt- oder Okzipitallappen) in die vorderen Bereiche (vor allem in den dorsolateralen präfrontalen Kortex, einem Teil des Frontallappens der Großhirnrinde). Dadurch stellt sich mehr Gelassenheit ein, eine Vorbedingung für Altersweisheit. 2.1.5 Der Gewissenhafte und der Unstrukturierte Als Fünftes steht die Gewissenhaftigkeit, die neben einer Zielstrebigkeit auch Zuverlässigkeit und Selbstdisziplin umfasst, der Nachlässigkeit gegenüber, für die z.B. Spontaneität, ein rasches Wechseln zwischen Aufgaben und eine Vorliebe für Informalität charakteristisch sind. Gewissenhaftigkeit bedeutet, diszipliniert und zuverlässig auf Ziele hinzuarbeiten, gut vorbereitet und organisiert zu sein sowie Aufgaben nicht gleichzeitig, sondern sequentiell zu bearbeiten. Die verfügbare Zeit wird konzentriert eingesetzt. All dies kann auch dazu führen, als arbeitswütig, zwanghaft oder unflexibel zu gelten. Wer das Merkmal einer ausgeprägten Nachlässigkeit sein eigen nennt, ist in der Zielerreichung entspannt, spontan und nicht terminfixiert. Ablenkungen belasten ihn kaum. Er hat keine Schwierigkeiten, gleichzeitig an mehreren Aufgaben zu arbeiten. Dies kann dazu führen, dass ihn andere als unorganisiert oder wenig effizient erleben. Junge Erwachsene sind noch ziemlich planlos und unstrukturiert. Das ändert sich jedoch mit dem Ende der Pubertät rasant. Zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr steigt die Gewissenhaftigkeit merklich an ( Bild 2-2). Im Alter zehrt man dann von der Gewissenhaftigkeit, die vor allem durch bestimmte Tätigkeiten im ersten Beruf aufgebaut wurde. Bild 2-2: Drei Persönlichkeitsmerkmale und das Alter 24 24 Quelle: J ULE S PECHT (2012): Das flexible Ich. In: Gehirn & Geist, Heft 7-8, S. 38 Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="41"?> 2.2 Persönlichkeit und Verkauf 29 2.2 Persönlichkeit und Verkauf Beruf und Persönlichkeit beeinflussen sich wechselseitig. Persönlichkeitsmerkmale leiten unsere Berufswahl in eine bestimmte Richtung. Verträgliche Menschen werden sich eher von sozial (im Sinne von mitmenschlich) geprägten Berufen hingezogen fühlen, Gewissenhafte von Bereichen wie dem Rechnungswesen und Introvertierte werden Bibliotheken den Marktplätzen vorziehen. Einmal im Beruf, wirken bestimmte Anforderungen und Episoden immer wieder auf die Persönlichkeit zurück. Berufseinsteiger zeigen z.B. bereits nach zwei bis drei Jahren ein höheres Maß an Gewissenhaftigkeit als Studierende. 25 Jedenfalls kristallisieren sich durch diesen zirkulären Prozess im Lauf der Zeit bestimmte Verhaltensmuster heraus. Sie werden dann als „typisch“ für den Buchhalter oder Lehrer, die Krankenschwester oder Verkäuferin wahrgenommen. Können diese fünf Merkmalpaare der Persönlichkeit die Verkaufsleistung voraussagen? Nein, aber ihre Einschätzung schützt vor krassen Fehlentscheidungen, etwa bei der Personalauswahl. Außerdem sind, idealtypisch 26 betrachtet, zwei Verkäufertypen voneinander zu unterscheiden. „Typ A“ ist der „Jäger“. Er muss abschlussstark sein, denn er weiß, dass er dem Käufer nach dem Kaufvorgang vermutlich kein zweites Mal begegnen wird. „Der Schatten der Zukunft“ 27 ist für ihn extrem kurz. Er handelt im Jetzt. In Vorleistung zu gehen, um später im Form einer Gegenleistung davon zu profitieren, wäre höchst unzweckmäßig. „Typ B“ ist eher der „Pfleger“, der beziehungsorientiert agiert. Er rückt im ersten Kontakt mit dem möglichen Kunden sein Angebot bewusst in den Hintergrund. Empathie, die Fähigkeit, sich in andere Menschen hinein zu fühlen, ist seine Stärke. „Der Schatten der Zukunft“ ist für ihn lang. Er muss Vertrauenswürdigkeit beweisen, und das funktioniert nur in kleinen Schritten. Ein noch genaueres Bild entsteht, wenn man die beiden Verkäufertypen entlang der fünf Merkmalpaare der Persönlichkeit gegenüberstellt ( Bild 2-3). 25 Jule S PECHT (2012): Das flexible Ich. In: Gehirn & Geist, Heft 7-8, S. 38-44. 26 „Idealtypisch“ bedeutet, dass Unterschiede bewusst überzeichnet werden, um dadurch bestimmte Eigenschaften besser zu erkennen. 27 Wenn zwei Menschen miteinander über längere Zeit miteinander kooperieren wollen, so muss für sie der „Schatten der Zukunft“ hinreichend groß sein. Das heißt, die Chance, dass sich die beiden wieder treffen und die Bedeutung des nächsten Treffens müssen hoch sein. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="42"?> 2 Die Persönlichkeit des Verkäufers 30 Bild 2-3: Persönlichkeitsprofile für zwei unterschiedliche Verkäufertypen Emotionale Stabilität versus Neurotizismus: Typ A kann ruhig auf der sensibleren Seite liegen. Er muss aufmerksam sein, will er nicht wichtige Signale des Käufers übersehen oder überhören. Das wäre eine vergebene Chance. Typ B braucht die Ausstrahlung des Gefestigten. Er darf nicht zweifelnd oder leicht entmutigt wirken. Ein Wiedersehen mit ihm wird gerade deshalb als wertvoll empfunden, weil sein Verhalten frei von Überraschungen bleibt. Offenheit für Neues versus Bewahrung des Bestehenden: Aufgeschlossenheit für Erfahrungen und Neugier sind unabdingbar für den Beruf des Verkäufers. Dass dies für Typ A sogar noch wichtiger ist als für den Beziehungstyp, erklärt sich aus der größeren Vielfalt, die Typ A tagtäglich zu bewältigen hat. Die Offenheit für Neues äußert sich oft in einer Abneigung gegenüber monotonen Tätigkeiten. Verkaufsinnendienste machen häufig den Fehler, den Außendienst mit Regelwerken zu überziehen, die aus neugierigen Verkäufern „Verkaufsbeamte“ machen. Extraversion und Introversion: „Ein guter Verkäufer ist besonders kontaktfreudig“, lautet eine landläufige Meinung. Nach unseren Beobachtungen muss Typ A alles andere als besonders gesellig sein. Der schwatzhafte Verkäufer verliert sich bloß in der Verkaufsarena und vergisst dabei auf den Abschluss. Anders Typ B. Er darf die Extraversion ruhig ausleben, allerdings nur bis zu Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="43"?> 2.3 Aus der Praxis 31 einem bestimmten Punkt: Kundenbeziehungen sind keine Freundschaftsbeziehungen. Freundschaft lebt von gegenseitiger Unterstützung und Selbstlosigkeit. Sie braucht keinen ausdrücklichen Zweck wie eine Geschäftsbeziehung. Verträglichkeit versus Antagonismus: Macht, Leistung und Zugehörigkeit sind die drei grundlegende Motive des Menschen (dazu mehr im 5. Kapitel), die ganz wesentlich auch die Berufswahl beeinflussen. Der Verkäufertyp A ist machtmotiviert. Das Ergebnis seiner Machtausübung ist der erfolgreiche Kaufabschluss. Ein hohes Maß an Verträglichkeit käme einer inneren Blockade gleich. Für Typ B liegt die Grenze dort, wo Verträglichkeit in Nachgiebigkeit umschlägt. Dann ist er zwar überall gerne gesehen, aber meist nur, um zugleich ausgenutzt zu werden. Gewissenhaftigkeit versus Nachlässigkeit: Wie bei der Extraversion liegt auch bei der Gewissenhaftigkeit die landläufige Meinung verkehrt. Ein „guter Verkäufer“ wird oft als eine Art Künstler gesehen, der sich mit Spontaneität aus jeder Situation retten und daher auf Gewissenhaftigkeit getrost verzichten kann. Das Gegenteil ist der Fall. Erfahrene Verkaufsleiter wissen es: Gut vorbereitet und organisiert zu sein, ist eine Voraussetzung für Verkaufserfolg; für den Abschlussmotivierten sogar noch mehr als für den beziehungsorientierten Typ B. 2.3 Aus der Praxis Es ist bereits dunkel als Karl zuhause ankommt. Er ist müde von der langen Autofahrt und den vielen Kundengesprächen, die er an diesem Septembertag absolviert hat. Er ist nicht mehr der Jüngste mit seinen 54 Jahren. Seit nunmehr neun Jahren in seiner Firma möchte auf jeden Fall, auch wenn es schwierige Zeiten gab, bis zu seinem Ruhestand bleiben. Karl nimmt seine Unterlagen, packt sie auf den Schreibtisch und fährt den PC hoch. Er weiß, „Das Nachbearbeiten von Kundenzusagen ist mindestens so wichtig wie das Vorbereiten von Besuchsterminen.“ Es ist spät als er das Licht ausmacht, doch er fühlt sich gut. Karl denkt an seine „Kundenfamilie“. Viele Kunden sind fast seine Freunde geworden. „Verkaufen“ muss er eigentlich gar nicht. Er sei eben ein Typ, der mit allen gut auskommt, meinte einmal ein Kunde. Als Karl am nächsten Morgen zu seinem ersten Kundentermin eilt, kommt eine Nachricht: Die Geschäftsleitung hat entschieden, das Produkt B LOGO aus dem Sortiment zu nehmen. „Das darf doch nicht wahr sein“, fuchste sich Karl. Ausgerechnet sein Paradeprodukt, das Zugpferd für viele andere Produkte, wollen sie jetzt „killen“. Um zehn gibt es eine Telefonkonferenz, steht am Schluss der Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="44"?> 2 Die Persönlichkeit des Verkäufers 32 Nachricht. Der Geschäftsführer erläutert die Entscheidung und gibt erste Schritte der geplanten Vorgehensweise bekannt. Karl kommentiert verärgert: „Wie soll ich denn den Umsatzverlust wettmachen, wenn wir den Kunden anbieten, dass wir alle in den letzten 12 Monaten gekauften Produkte auf Gutschrift zurücknehmen? “ Der Geschäftsführer antwortet ruhig: „Karl, du bist Verkäufer. Kundenpflege ist wichtig, aber jetzt heißt es Überzeugen. Stelle doch deinen Kunden eines unserer neuen Produkte mit längerer Lebensdauer und einfacherer Handhabung vor. Sie können dann ihre Gutschrift sofort in neue Produkte investieren.“ Karl kontert: „Und was ist, wenn manche Kunden so verärgert sind über die jetzt dritte Änderung in kurzer Zeit, dass sie gar nicht mehr mit uns arbeiten wollen? “ Klar, die meisten würden ihm schon die Treue halten. Aber trotzdem werden viele meckern, die Mitbewerber in den Himmel heben, Preisnachlässe fordern, den Lieferservice bekritteln. Und er muss dann argumentieren, beruhigen, versprechen, widersprechen... Das mag er gar nicht. Karl atmet tief durch. Er wird einen „Bürotag“ einlegen, um das Ganze zu verarbeiten. Er braucht Zeit zum Überlegen. Karl geht seine Kundenlisten durch und rechnet sich als erstes aus, wie hoch im schlechtesten aller Fälle der Umsatzverlust sein könnte. Parallel dazu entwickelt er einen Aktionsplan für alle „A- und B-Kunden“ und ordnet die Kundenliste nach Priorität. Karl ist also gut vorbereitet und organisiert. Immer wieder muss er an die Worte des Geschäftsführers denken: „Karl, du bist Verkäufer. Kundenpflege ist wichtig, aber jetzt heißt es Überzeugen.“ Wie war denn das vor neun Jahren, als er anfing sein Gebiet aufzubauen? Er genoss es damals, Menschen für seine Produkte zu begeistern; gewann Neukundenwettbewerbe; lernte, Schwächen der Konkurrenz für sich zu nutzen; zeigte Anfängern, wie man sowohl gut zuhören als auch rasch zu Abschlüssen kommen kann. Also heißt es jetzt: Hinaus an die „Front“. Weg mit den negativen Gedanken an „argumentieren, beruhigen, versprechen, widersprechen...“ Es gilt, die alten Stärken wieder wachzurufen. Sechs Monate später präsentiert der Geschäftsführer im Rahmen einer Verkaufskonferenz die Auswirkungen des Produktionsstopps von B LOGO . Natürlich auch mit den Verkaufsumsätzen je Region. Karl grinst, als er nach vorne gerufen wird. Er soll berichten, wie er es geschafft hatte, alle seine Kunden auf die neuen Produkte umzustellen und damit den Deckungsbeitrag deutlich zu erhöhen. Karl bleibt sachlich, aber am Schluss kann er sich eine Bemerkung nicht verkneifen: „Natürlich ist die Beziehungspflege wichtig, aber eines dürfen wir nie vergessen wir sind Verkäufer! “ Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="45"?> 2.4 Für die Praxis 33 2.4 Für die Praxis Die beiden Verkäufertypen, der abschlussstarke „Typ A“ und der beziehungsorientierte „Typ B“, sind, wie bereits erwähnt, „idealtypisch“, also zugespitzt zu sehen. Sie schließen sich nicht gegenseitig aus. Allerdings können sich die jeweiligen Verhaltensweisen durch Gewöhnung, ein verkehrtes Selbstbild oder durch falsche Anreize verfestigen. Typ A wird dann leicht zum reinen „Drücker“, dem man keine langfristigen Kundenbeziehungen zutraut, und Typ B wird zum „Pfleger“, der in seiner Wohlfühloase das Verkaufen verlernt hat. Wiewohl es die perfekte Kombination kaum geben wird, sollte ein professionelles Verkaufsmanagement immer danach trachten, Einseitigkeiten vorzubeugen. Das kann durch gemeinsame Kundenbesuche ( Abschnitt 12.3.2), Mentoring ( Abschnitte 7.4 und 12.2.4) oder mithilfe einer Persönlichkeitsschulung geschehen. Weiterführende Literatur R OTH , G ERHARD (2017): Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten: Warum es so schwierig ist, sich und andere zu ändern. Aktualisierte und erweiterte Auflage, Stuttgart. S CHULZ VON T HUN , F RIEDEMANN (2016): Miteinander reden, Band 3. Reinbek bei Hamburg. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="46"?> 34 3 Führung zwischen gestern und morgen Der persönliche Verkauf ist ein wichtiges Element der Kommunikationspolitik. Diese wiederum flankiert im Konzept des Marketing-Mix die Angebots-, Konditionen- und Distributionspolitik. Gesteuert wird der persönliche Verkauf mit Zahlen. Ob Umsatz oder Menge, Anzahl der Neukunden oder Deckungsbeitrag, der Verkäufer als Mensch gerät dabei leicht in den Hintergrund. Hinzu kommt, dass sich seit den 1980er Jahren die Perspektive zweimal verschoben hat. Zunächst von den Produkten, die es an den Mann oder die Frau zu bringen galt, hin zur langfristigen Geschäftsbeziehung, womit die Vorzüge einer Kooperation zwischen Lieferant und Kunde hervorgehoben werden sollten. Mit der zunehmenden Sättigung vieler Märkte und der raschen Verbreitung digitaler Kommunikation meldete sich der Kunde stärker zu Wort. Der Kunde darf heute nicht mehr als manipulierbares Objekt gesehen werden, welches den ausgeklügelten Beeinflussungsversuchen des Verkäufers ausgeliefert ist. Der Kunde sondiert heute selbstbewusster denn je, äußert seine Wünsche offensiv, ergreift Initiativen, indem er sich z.B. „virtuellen Gemeinschaften“ 28 anschließt, um seine Nachfragemacht zu erhöhen, er prüft penibel die Vertrauenswürdigkeit des Lieferanten, testet die Produkte, ohne schon mit dem Kaufabschluss zu winken, arbeitet mit Produzenten zusammen, um innovative Produkte anzustoßen (Stichworte „Lead User“ und „Prosumer“) und so fort. Durch diese Emanzipation des Kunden rutscht der Verkäufer scheinbar in eine Nebenrolle. Aber nur scheinbar, denn bei Licht betrachtet ist der Verkäufer der Dreh-und Angelpunkt eines Unternehmens. Er verbindet nicht nur die Binnensphäre des Unternehmens mit dessen wichtigster Anspruchsgruppe jenseits der Unternehmensgrenze. 29 Der Verkäufer muss auch ständig für die Versprechen einstehen, die von den verschiedenen Funktionen, mit dem Marketing an der Spitze, in der sicheren Deckung des Unternehmensinneren produziert und dann in den Orbit des Unternehmens geschleudert werden. In dieser Rolle durchlebt der Verkäufer ständig „Momente der Wahrheit“. Das sind jene Episoden, in denen er vom Kunden widergespiegelt be- 28 Virtuelle Gemeinschaften (VG) sind soziale Netzwerke im Internet. Die ersten VG entstanden in den 1980er Jahren als nicht kommerzielle Newsgroups zum weltweiten Gedankenaustausch über Forschung, Computer, Freizeit, Musik usw. Mit der Verbreitung kommerzieller Online-Dienste wurden die virtuellen Gemeinschaften rasch als grundlegend neues Geschäftsmodell entdeckt. VG zeichnen sich durch hohes Medien-Involvement und kommunikativen Mut der Teilnehmer aus. Sie versuchen, die Angebote möglichst vieler konkurrierender Lieferanten zu sammeln, um den Mitgliedern maximale Auswahl und Verhandlungsmacht mit entsprechenden Lieferanten zu ermöglichen. 29 Dafür steht z.B. der englische Begriff „boundary spanning“. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="47"?> 3.1 Von der Herrschaft zur Führung 35 kommt, was die Produkt- und Leistungsversprechen tatsächlich wert sind. Um Menschen mit einer derart vielfältigen und anspruchsvollen Rolle zu führen, bedarf es mehr als fachliche Kompetenz. Den besten Berater oder Verkäufer als Anerkennung zum Verkaufsleiter zu adeln, gehört zu den typischen Fehlentscheidungen, die auf einer Unkenntnis von „Führung“ beruhen. Führung ist eine Profession. Dieser Begriff bedeutet so viel wie das Bekenntnis zu einer gesellschaftlich wertvollen Tätigkeit, die ein besonderes Wissen und ebensolche Fähigkeiten verlangt. Wie sehr sich diese Profession gewandelt hat und welche ihrer Spielarten im Verkauf sinnvoll zur Geltung kommen können, das soll Thema der nächsten Abschnitte sein. 3.1 Von der Herrschaft zur Führung Lange bevor von Führung die Rede war, dominierte die Herrschaft. Sie beruht auf der Abfolge von Befehl und Gehorsam. Am eindrücklichsten beschrieb dies der Philosoph P LATON (427 v. Chr. bis 347 v. Chr.), für den der Staat am besten von seinesgleichen, also Menschen mit philosophischem Durchblick, regiert werden sollte: „Das erste Prinzip von allen sei dieses: Niemand, weder Mann noch Weib, soll jemals ohne Führer sein. Auch soll niemandes Seele sich daran gewöhnen, etwas ernsthaft oder auch nur im Scherz auf eigene Hand allein zu tun. Vielmehr soll jeder, im Kriege oder mitten im Frieden, auf seinen Führer blicken und ihm gläubig folgen...“ 30 Zwei Jahrtausende später bricht der Philosoph und Diplomat N ICCOLÒ M ACHIAVELLI (1469-1527) mit den Vorstellungen von Moral, welche die Denker seit der Antike umgetrieben hatten. Wer herrschen will, müsse nicht fürchten, brutal zu sein. Er müsse nur das Notwendige tun, um das Ziel zu erreichen, und vor allem den richtigen Schein erzeugen. Zur Entlastung M ACHIAVELLI s sei angemerkt, dass er lediglich ein Spiegelbild der Herrschaft des Geschlechts der M EDICI ablieferte. Dennoch gilt der nach ihm benannte Machiavellismus auch heute noch als jenes Herrschaftsprinzip, das nach dem Motto „Der Zweck heiligt die Mittel“ alles Handeln der Nützlichkeit unterordnet. Ein Zeitsprung von vierhundert Jahren führt uns zum Soziologen M AX W EBER (1864-1920). Er sieht Herrschaft schon etwas differenzierter. Sie kann durch Regeln (also legal), durch Gewöhnung an eingelebtes Handeln (aufgrund von Tradition) oder durch Hingabe an eine Person (mit Charisma) begründet sein. Letztere beruht auf dem „Außeralltäglichen“, „nicht jedermann Zugänglichen“ im Erscheinungsbild eines Herrschers. Sie veranlasst die Gefolgschaft zu einer „ganz 30 Ein Zitat aus dem Werk „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ des Philosophen K ARL P OPPER . Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="48"?> 3 Führung zwischen gestern und morgen 36 persönlichen Hingabe“, führt zu einem Zustand von „Erregung“ und „Hoffnung“ und damit zu einer „Umformung von innen her“... 31 Die legale Herrschaft begegnet uns heute in der Bürokratie, die traditionale in Form von Privilegien einer sich einmauernden politischen Klasse und die charismatische überall dort, wo das „Außeralltägliche“ als Mittel gegen die Todsünde der Langeweile gesehen wird. Wenngleich sich die Begriffe „Führung“ und „führen“ von solchen, hier nur kurz skizzierten Vorstellungen von Herrschaft inzwischen gelöst haben: Es bleiben noch genügend Restmengen davon übrig, um vielerorts Führung suspekt zu finden oder sie mit dem Gummiwort „Leadership“ zu umschiffen. „Führen“ kommt von fahren (germanisch faran, althochdeutsch fuoren), reisen, sich bewegen oder auch leiten, lenken, ausführen (mittelhochdeutsch vüeren), ein Fahrzeug (z.B. eine Kutsche) führen. Der klassische Führungsbegriff setzt gerade an dieser Semantik des Steuerns eines Fahrzeuges an: der Mensch wird zum Zeug! Wer eine allgemein verbindliche Definition von „Führung“ sucht, wird kaum fündig werden. Dennoch stehen, egal ob ein Heer oder eine Behörde, ein Verein oder ein Unternehmen geführt werden soll, immer drei Dinge im Vordergrund, die Führung leisten muss: Durchsetzung (wie beim kraftvollen Steuern eines Fahrzeugs mit Lenkrad und Gaspedal), Ordnung (wie bei den Verkehrsregeln, die man ahnden bei Bedarf verschärfen kann) und Störungsfreiheit (wie beim Fahrzeug, das gewartet und repariert werden muss). Diese Notwendigkeiten werden meist folgendermaßen begründet: Menschen wollen geführt werden, weil sie im Grunde unmündig sind. Hier kommt die Sehnsucht nach der starken Hand zum Ausdruck. Die Vaterfigur, der strenge aber zugleich gütige und gerechte Patriarch, der Führer mit der unentrinnbaren Ausstrahlung, sie alle führen einen Zustand herbei, in dem die Geführten in den Kindheitszustand regredieren 32. Menschen müssen geführt werden, weil anders ihre Egoismen nicht einzuhegen sind. Es braucht den Bändiger, der die Geschlossenheit herstellt und bewahrt. Auch hier regiert also die starke Hand, allerdings nicht aus der Sehnsucht nach ihr, sondern weil ihr Eingreifen anthropologisch begründet wird. Ob sich allerdings unsere als Wildbeuter nomadisierenden Vorfahren tatsächlich nur durch straffe Führung zum modernen Menschen entwickeln konnten, ist umstritten. 31 Ein Zitat aus M AX W EBER s Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen 1922/ 1976, 5. Auflage, S. 140. 32 Regredieren bedeutet zurückfallen auf eine frühere Entwicklungsstufe. Gründe dafür können Überforderung, der Wunsch nach mehr emotionaler und sozialer Zuwendung oder ein unbewusstes Wachrufen früh erlernter Verhaltensmuster sein. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="49"?> 3.1 Von der Herrschaft zur Führung 37 Menschen haben seit jeher Ordnungen angestrebt, daher ist Führung als Ausdruck von Über- und Unterordnung etwas Naturgesetzliches. Hier wird das schon lange Bestehende einfach zum Notwendigen erklärt, was ein Nachdenken über oder gar ein Experimentieren mit anderen Möglichkeiten überflüssig macht. Menschen sind ungleich begabt, wodurch sich zwangsläufig führungsfähige Eliten herausbilden. Die Annahme des geborenen Führers, des „Great Man“, ist bequem. Es wird so getan, als gäbe es Menschen, die anderen in allen Belangen überlegen sind. Wer durch die Natur zum Führen auserkoren ist, darf sich keine Schwäche leisten. Organisationen sind störungsanfällig, daher bedarf es der Eingriffe durch ausgebildete Führungspersonen. Diese halten die Sozialmaschine „Organisation“ am Laufen, indem sie Abweichungen von den Vorgaben frühzeitig erkennen und ein zielkonformes Verhalten der einzelnen Rädchen sicherstellen. Egal welcher Begründung man folgt, „Führen“ wird klassischerweise als asymmetrische soziale Beziehung definiert, bei der der Führende „oben“ und der Geführte „unten“ ist. Oder aus einer anderen Perspektive betrachtet: Der Führende ist Subjekt, der Geführte Objekt. Demnach führt der Führende den zu Führenden nach dem Prinzip eines einfachen Zusammenhangs zwischen Ursache und Wirkung, also vorhersehbar ( Bild 3-1). Es gibt mehrere Gründe, warum dieses Prinzip nicht mehr haltbar ist. Bild 3-1: Die klassische Vorstellung von Führung Monokausales Denken bewährte sich in der Vergangenheit, weil unser Handeln kaum Rückkoppelungen mit den Umwelten zu verursachen schien. Die Welt stellt sich heute als so vielschichtig und unberechenbar dar, weil uns chaotische Prozesse weder bewusst noch intuitiv zugänglich sind. Alles hat wechselseitig Einfluss aufeinander. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="50"?> 3 Führung zwischen gestern und morgen 38 Niemand kann heute für sich beanspruchen nehmen, die „Wahrheit“ gepachtet zu haben. Auch wenn es unbequem klingt: Es gibt zahllose Vorstellungen von „Wirklichkeit“, und diese entstehen durch Kommunikation und nicht durch ein Abbilden der „Welt da draußen“. Die vor fast einem halben Jahrhundert einsetzende Dynamik der persönlichen und sozialen Werte verschärft diese Unberechenbarkeit noch weiter. Grautöne und ein „Sowohl-als-auch“ verdrängen die alte Einfachheit des „Entwederoder“, etwa in Form von „schwarz oder weiß“, „null oder eins“, links oder rechts“. Wir Menschen sind keine „trivialen Maschinen“ 33 , die auf einen bestimmten Reiz (Input) ein erwartbares Verhalten (Output) liefern. Wir sind vielmehr Wesen, die höchst unterschiedliche Pfade beschreiten, die wiederum in ebenso unterschiedliche Zukünfte führen. Die Arbeitsteiligkeit von Organisationen, und damit die wechselseitige Abhängigkeit ihrer Akteure, war noch nie so hoch wie heute - und sie wird vermutlich weiter zunehmen. 3.2 Führung neu denken! Diese Punkte werfen die Frage auf, ob es sinnvoll ist, Führung und Management zu trennen. Management ist der Versuch, Organisationen und deren Teileinheiten zu steuern. 34 Das Wort „Versuch“ ist wichtig, weil Organisationen nach der Gründungsphase beginnen, einen „Eigensinn“ zu entwickeln und sich selbst zu steuern. Diese Selbststeuerung verlangt nach Interventionen, welche die Organisation in die „richtige“ Richtung lenken sollen. Interventionen können jedoch aus Gründen, die oft verborgen bleiben, am Eigensinn der Organisation scheitern. Management funktioniert dann am besten, wenn es für seine Steuerungsversuche in ausgeglichener Weise drei Quellen heranzieht: Analyse, Inspiration und Erfahrung ( Bild 3-2). Diese Mischung ist das Kennzeichen erfolgreichen Managements. 33 Ein Ausdruck des Physikers und Erkenntnistheoretikers H EINZ VON F OERSTER (1911-2002). Ein Computer ist trivial. Ein bestimmter Tastendruck bringt ein genau bestimmtes Ergebnis auf den Monitor. Wenn nicht, ist die Software oder Hardware entweder kaputt oder dem Bediener ist der Eingabe-Ausgabe-Zusammenhang nicht klar. Der Mensch verhält sich hingegen nicht trivial. Er kann einen äußeren Reiz so oder auch ganz anders verarbeiten. Diese höchst individuellen inneren Operationen lassen eine Vorhersage des Verhaltens nicht zu. 34 Dieser Zweck der Steuerung wird natürlich auch auf Funktionen (z.B. Verkaufsmanagement) und Vorhaben (z.B. Projektmanagement) übertragen. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="51"?> 3.2 Führung neu denken! 39 Bild 3-2: Die drei Quellen des Managements „Führung“ ist eine (eminent wichtige) Teilmenge von „Management“. Es gibt ein Management ohne Führung (z.B. Product Management oder Facility Management), aber Führung in Organisationen 35 ist immer zugleich auch Management ( Bild 3-3). Der Unterschied besteht lediglich darin, dass Management auf die Organisation fokussiert ist und dabei die Menschen mitdenkt, während Führung die Menschen im Blick hat und die Organisation mitdenkt. Damit erledigt sich auch die Frage nach dem Unterschied zwischen Führung und „Leadership“. Führung wird ja gerne mit „Leadership“ verbrämt, um es dann als das Visionäre, Inspirierende und am System Arbeitende dem kleinkarierten, im System Ordnung schaffenden Management gegenüberzustellen. Organisationen Unternehmen sind nur eine besondere Form von Organisation brauchen Manager, die führen können, und keinen abgehobenen „Leader“, der über kleindenkenden Folgern schwebt. 36 35 Führung außerhalb von Organisationen, z.B. militärische oder politische Führung, weist bestenfalls spurenweise Verbindung zu Management auf. 36 Wer mehr zum Thema „Führung versus Leadership“ erfahren möchte, dem seien die Ansichten des kanadischen Managementdenkers H ENRY M INTZBERG empfohlen, so z.B. in D AVID C REELMAN (2012): Mintzberg’s Refreshing View of Leadership. Institute for Human Resources, Pontiac. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="52"?> 3 Führung zwischen gestern und morgen 40 Bild 3-3: Das Verhältnis zwischen Management und Führung Was „Führung“ heute mit einem Blick auf morgen und übermorgen ausmacht, soll nun anhand von vier Themenfeldern erörtert werden: Führen mit Agilität, Führen als zirkulärer Prozess, Führen durch Dienen und Führen als Balanceakt. 3.2.1 Führen mit Agilität Das Thema „Agilität“ ist beileibe nicht neu. Bereits vor über sechzig Jahren (in vergleichsweise stabilen Zeiten) definierte der Soziologe T ALCOTT P ARSONS (1902-1979) jene vier Fähigkeiten, die eine Organisation entwickelt haben muss, um überleben zu können: auf sich verändernde äußere Bedingungen reagieren = adaptation Ziele definieren und verfolgen = goal attainment Zusammenhalt und Inklusion sicherstellen = integration grundlegende Strukturen und Wertmuster aufrechterhalten = latency. Aus den Anfangsbuchstaben der englischen Begriffe ergibt sich das Acronym AGIL, das heute in aller Munde ist. In den 1990er Jahren war die agile Produktion (Stichwort „Simultaneous Engineering“) en vogue. Eine Dekade später machte die agile Softwareentwicklung mit Methoden wie „Scrum“ 37 von sich reden. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die agile Organisation und mit ihr das agile Management in den Blickpunkt rückte. 37 Englisch scrum = Gedränge. Auch eine Methode des Projekt- und Produktmanagements. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="53"?> 3.2 Führung neu denken! 41 Von den vier P ARSONS schen Fähigkeiten wird heute vor allem die Fähigkeit zur raschen Anpassung an Veränderungen in den Umfeldern von Organisationen hervorgehoben. Agilität ist aber mehr. Sie ist gleichsam die höchstmögliche Form der Anpassungsfähigkeit. Wer agil managen will, muss Veränderungen rechtzeitig antizipieren, oder, besser noch, die Zukunft nicht bloß erahnen, sondern sie mitgestalten, und der Konkurrenz möglichst zwei Schritte voraus sein. In diesem Zusammenhang taucht auch immer weder die alte Idee der „Lernenden Organisation“ auf. Vor allem aber wird für ein neues Führungsverständnis plädiert. Dabei wird zutreffend angemerkt, dass die Mitarbeiter heute oft für Führungskräfte tätig sind, die in erster Linie als ausgebildete Experten agieren. Das notwendige Rüstzeug für wirkungsvolles Führen haben sich diese Führungskräfte per Zufall, als Nachgedanken oder gar nicht angeeignet. Ihre Handlungsmaxime, mit Vorgaben und Zahlen Druck und Angst zu erzeugen, stehen jedoch einem agilen Führungsverständnis diametral gegenüber. Die agile Führungskraft stellt sich in den Dienst der Gruppe, um sie rasch zu einem Team zu formen und gemeinsam und schneller einen konkreten Nutzen für den Kunden zu schaffen. Dieses „Sich-in-den-Dienst-Stellen“ kommt in dem in Abschnitt 3.2.3 vorgestellten Ansatz „Führen durch Dienen“ zum Ausdruck. Was bedeutet nun Agilität für das Management des persönlichen Verkaufs? Es ist eine Aufforderung an die leitenden Personen dieses Metiers, Führung als Profession zu leben. Wer sich einer Profession verpflichtet fühlt, betreibt diese mit Leidenschaft und dem nie endenden Bestreben, darin noch besser zu werden. 3.2.2 Führen als zirkulärer Prozess 38 Wie weiter oben erwähnt, stellt sich „Führen“ klassischerweise als asymmetrische soziale Beziehung dar. Demnach führt der Führende den zu Führenden in einer Weise, die man linear-kausal nennen kann: Das Verhalten des Führenden (als Subjekt) bewirkt ein Verhalten des Geführten (als Objekt), wobei die Ursache immer der Wirkung vorausgeht. Eine Umkehrung ist ausgeschlossen. Dass sich diese Asymmetrie auch umkehren kann, weiß jeder, der schon einmal bemerkt hat, wie er in bestimmten Situationen von seinen Mitarbeitern geführt wird. Ja mehr noch, dass er von den Signalen des von ihm „Geführten“ abhängig ist, will er nicht Führung als einen wirkungslosen Soloakt betreiben. Führen ist in diesem Sinne eher als Tanz zweier autonomer Subjekte zu verstehen, bei dem einem die Führung zugeschrieben wird ( Bild 3-4). 38 Die folgende Ausführungen beruhen auf dem Artikel von H ANS R UDI F ISCHER und H EINZ K. S TAHL : Führen als Dienen. Zur Dialektik des Führens. In: Konfliktdynamik, 2. Jg., Heft 3, 2014, S. 238-243. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="54"?> 3 Führung zwischen gestern und morgen 42 Bild 3-4: „It takes two to tango“ oder „Wer führt, wird immer auch geführt” Das Wesen des Tanzes ist Bewegung und Interaktion. Die in unseren Breitengraden konventionell geregelte Führung des Herrn funktioniert nur, wenn die Dame sich führen lässt. Der Herr muss erkennen, dass die Dame ihm die Führung nur im Vertrauen darauf überlässt, dass er verständliche Führungssignale auszusenden vermag, die ihr Orientierung geben und so einen gemeinsamen Tanz entstehen lassen. Im gelungenen Falle entsteht Passung, Ergänzung und ein ästhetisches Ganzes. Um den Tanzpartner führen zu können braucht man das Wissen um die Grundschritte, die Schrittfolgen, die Formen und Figuren des Tanzes, der zur gerade gespielten Musik passt. Man braucht das Rhythmus-, Takt- und Körpergefühl, um das Wissen in praktisches Können zu verwandeln. Jeder, der getanzt hat, weiß, dass man nach wenigen Schritten bemerkt, ob der Partner führen kann, führen will, sich führen lässt oder nicht. Führen beim Tanz ist also kein linear-kausaler Prozess, bei dem der aktive und autonome Herr die passive, fremdbestimmte Partnerin führt. Tanzen ist vielmehr ein zirkulärer Prozess, in dem der Führende auch von dem Geführten geführt wird. Jeder ist vom anderen ebenso abhängig - wenn er oder sie den gemeinsamen Erfolg, der alleine nicht möglich ist, auch möchte - wie unabhängig. Damit schließt sich der Kreis: Führen - nicht nur beim Tanz - setzt sich selbst voraus ( Bild 3-5). Gelungene Führung „dient“ dem Gelingen des Tanzes und regt die Beteiligten dazu an, immer wieder zu tanzen und dabei auch kreative „Figuren“ zu wagen. Daraus kann der gesunde Gedanke des Wettbewerbs sprießen, will man es doch dem oder den anderen zeigen. Führen in Organisationen gelingt am besten dann, wenn der Führende aufgeklärt genug ist, um erkannt zu haben, dass die Führungsbeziehung auf Wechselseitigkeit beruht! Genau dies ist die Grundlage eines inzwischen eifrig diskutierten Führungsansatzes, des „Führens durch Dienen“. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="55"?> 3.2 Führung neu denken! 43 3.2.3 Führen durch Dienen „Dienen“ galt noch vor Kurzem als krasser Gegensatz zum Führen. Von daher scheint die Rede vom Dienen in Verbindung mit Führen auf den ersten Blick widersinnig. Der Führende kann doch nicht zugleich Diener sein, oder in einer Sprache der Vergangenheit, der Herr kann nicht auch Knecht sein. Es gibt allerdings auch Sprachfelder, in denen „dienen“ und „führen“ ohne vertikale Bedeutung gebraucht werden: „Dienen“ steht dann für ermöglichen, auf etwas hinaus laufen, bewirken, zum Ergebnis führen, jemandem nützlich und behilflich sein. Die Bedeutung von „dienen“ und „führen“ läuft somit ineinander. Und hier liegt der Kern der „Dienenden Führung“. Ihr Gelingen ist allerdings an einige Voraussetzungen gebunden. Bild 3-5: „Dienen“ und „führen“ laufen ineinander Aktiv Zuhören und sich bemühen, vorurteilsfrei zu verstehen. Vorurteile sind Denkschablonen, die man nur schwer los wird. Durch aktives Zuhören kann man sie zumindest infrage stellen. Andere akzeptieren und versuchen, sich in sie hineinzuversetzen. Oder wie es im Taoismus heißt: Immer wieder eine Meile in den Schuhen des anderen laufen. Immer wieder Gelegenheiten suchen, um Selbstreflexion zu betreiben. Wer es gelernt hat, sich selbst zu erkennen ( 7. Kapitel), wird auch die Menschen besser erkennen, für die er Verantwortung übernommen hat. Danach streben, bewusst zu leben und wahrzunehmen. Wer andere Menschen führen will, muss öfter den „Autopiloten“ ausschalten und sich in den Modus der Achtsamkeit begeben. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="56"?> 3 Führung zwischen gestern und morgen 44 Menschen dabei helfen, ihre persönlichen Fähigkeiten zu entfalten. Man muss es als Führungskraft tatsächlich tun und nicht nur über „Coaching“ schwadronieren. Überzeugen mit Argumenten. Dazu gehören das Abwägen von Gründen und das Gegenüberstellen von Meinung und Gegenmeinung. Wird abgebrühten Führungskräften mit einem solchen „dienenden“ Führungsmodell nicht zu viel abverlangt? Ähneln nicht viele Organisationen eher einem Haifischbecken als einem Ort des Helfens und Hineinversetzens in den Anderen? Wird hier nicht ein „Gutmenschentum“ propagiert, das mit den knallharten Bedingungen im Verkauf im Widerspruch steht. Gibt man Führungskräften die Zeit, sich mit der Wechselseitigkeit des „Dienens“ auseinanderzusetzen und über geglückte und missglückte Episoden aus ihrem Führungsalltag zu reflektieren, erntet man mehr Zustimmung als zunächst erwartet. Die Zyniker, denen es in der Dienenden Führung „zu arg menschelt“, bleiben dann in der Minderheit. Hier einige Stimmen von Führungskräften aus verschiedensten Branchen. 39 „Wenn die Mitarbeiter sehen, dass die Chefin glaubwürdig nach den Prämissen einer ‘Dienenden Führung‘ handelt, werden sie viel eher bereit sein, über ihren eigenen Schatten zu springen. Das Verteidigen des eigenen Territoriums - ein Erbe unserer steinzeitlichen Vergangenheit - erscheint dann plötzlich viel weniger wichtig, weil ‘das Ganze‘ attraktiver ist als der eigene kleine ‘Vorgarten‘.“ „Führungskräfte, die Menschen über lange Zeit als ‘Untergebene‘ führen, bemerken doch irgendwann, dass die Energie und Fähigkeiten dieser Menschen bloß in Verteidigungskämpfen verschwendet werden.“ „Nicht der umtriebige, dem Aktionismus verfallene Manager ist das Maß aller Dinge, sondern jener, der sich hin und wieder aus dem System ausklinkt, der beobachtet, andere Perspektiven einnimmt, eigene Vorurteile zu unterdrücken versucht...“ „Dienende Führung zeigt die Offenheit, den Wandel der Zeit ernst zu nehmen und die Bereitschaft zu einem anderen Denken mit dem starken Hang zu einem humanistischen Menschenbild.“ „Ich höre aufmerksam zu, sage die Wahrheit und erkläre das Warum. Damit ich meine Mitarbeiter kennenlernen und individuell behandeln kann, muss ich ein 39 Quelle: Heinz K. S TAHL (2014): Servant Leadership@work: Stimmen aus der Praxis. In: Leonhard J. Schnorrenberg, L. J.; Stahl, H. K.; Hinterhuber, H. H.; Pircher-Friedrich, A. M. (Hrsg.) (2014): Servant Leadership - Prinzipien dienender Führung in Unternehmen. 2., erweiterte Auflage. Berlin, S. 155-172. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="57"?> 3.2 Führung neu denken! 45 guter Beobachter sei. Ich muss zuhören, was sie wie sagen. Auf diese Weise kann ich ein robustes Vertrauen aufbauen.“ „Andere zu befähigen, erfolgreich zu sein, habe ich - oder zumindest bemühe ich mich darum - als ‘Glaubensbekenntnis‘ verinnerlicht. Nur durch Unterstützen und Fördern, durch Inspirieren und Ermutigen, kurzum durch „Dienen“, kann ich als Führungsperson das Leistungspotenzial der Fachspezialisten auszuschöpfen. „Die Dienende Führung ist eine Mut machende. Sie wirkt somit besonders anregend auf jene, die zwar mehr leisten könnten und mehr leisten wollten, die sich aber ihres Könnens nicht bewusst sind, weil die Möglichkeiten dazu fehlen, und deren Wollen ständig durch ein Nichtdürfen eingeschränkt wird.“ „Wer führt, dient anderen Menschen und manövriert keine Objekte.“ 3.2.4 Führen als Balanceakt Wer heute führt, ist fortlaufend mit Dilemmata 40 konfrontiert. Er muss handeln, obwohl für ihn die Bedingungen dafür und die Folgen daraus nicht überschaubar sind. Er soll Ergebnisse gemeinsam mit Personen erzielen, die er nur schwer kontrollieren und beeinflussen kann. Und er muss nachträglich noch die Verantwortung dafür übernehmen. Damit nicht genug, fühlen sich Führungskräfte oft zwischen Widersprüchen eingeklemmt. Diese entstehen aus dem in unserer Kultur verankerten Prinzip des „Entweder-oder“. Meister seines Faches ist derjenige, der einem einmal gewählten Grundsatz treu bleibt, diesen durchzieht, nicht wankt. Das „Oder“, also die andere Möglichkeit, bleibt dann ausgeklammert. Dadurch entstehen Spannungen, wie z.B.: „Für mich ist straffe Führung das Maß aller Dinge - oder soll ich doch die Zügel locker lassen? “ „Wenn ich rigoros kontrolliere, wie kann ich dann zugleich auf Vertrauen setzen? “ „Praktiziere ich Nähe zu den Mitarbeitern, so verliere ich Autorität; gehe ich auf Distanz, wirft man mir Kälte vor.“ „Ich bekenne mich zu einer exakten Planung, und doch muss ich ständig improvisieren.“ Die Kunst des Managements und damit Führens besteht offensichtlich darin, die richtige Balance zwischen widerstreitenden Kräften zu finden. Wer führt, muss nicht nur einen Drahtseilakt vollführen, sondern deren viele, noch dazu auf unterschiedlichen Seilen und bei unterschiedlichen Gelegenheiten. Dies bedeutet, Gegensätze bewusst nebeneinander oder nacheinander zur Geltung zu bringen. 40 Das Dilemma bezeichnet eine Situation, in der sich eine Person zwischen zwei Möglichkeiten entscheiden muss, von denen keine zum gewünschten Resultat führt. Paradox wäre hingegen eine Situation dann, wenn sich ein Vorschlag, eine Äußerung oder eine Aufforderung selbst widerspricht (z.B. „Sei spontan! “). Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="58"?> 3 Führung zwischen gestern und morgen 46 Extreme Pendelausschläge - z.B. chaotische Offenheit wird durch sektenartige Geschlossenheit ersetzt oder auf eine naive Vertrauensbereitschaft folgt Kontrollbesessenheit - können vermieden werden, wenn die Balance auf eine handhabbare Zone begrenzt wird ( Bild 3-6). Diese Art der balancierenden (als Vorgang) und balancierten (als Ergebnis) Führung erhöht die Handlungsmöglichkeiten einer Führungskraft. Ein Handeln im Entweder-oder spitzt hingegen alles auf eine Option zu und übertreibt dann notgedrungen. Bild 3-6: Die Zone der balancierenden und balancierten Führung Wer z. B. ausschließlich auf Effizienz setzt, entscheidet sich nicht nur gegen eine Verschwendung von Ressourcen, sondern auch gegen jede Form von Redundanz (lateinisch: redundantia = Überfluss, Überschuss). Diese kann jedoch, z. B. als Sicherheitspuffer oder in Form von Mehrfachstrukturen, die einen Wettbewerb der Ideen stimulieren, durchaus nutzenstiftend sein. Wer in seiner Organisation den Heldenmythos einer geschlossenen Kultur pflegt, wird jene Leute verlieren, denen der Sinn nach Vielfalt und Partizipation steht. Wer in seiner Organisation ständig den Turbo der Beschleunigung betätigt, begibt sich der Vorteile einer höheren Qualität, die eine Entschleunigung mit sich brächte. Wenn Führungskräfte vor solchen Dilemmata stehen, schlagen sie sich meist auf die Seite der „Strenge“. Dort sind unter anderem Distanz, Effizienz, Kontrolle, Geschlossenheit und Beschleunigung angesiedelt. Sie signalisieren konsequentes Handeln und passen somit besser in das Bild einer starken Führung als die vermeintlichen Gegenpole. Führung im Verkauf unterscheidet sich in dieser Hinsicht durch nichts von Führung in anderen Bereichen. Dennoch gibt es drei Balanceakte, die für den Verkauf besonders zuträglich sein könnten. Sie werden in den folgenden Abschnitten skizziert. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="59"?> 3.2 Führung neu denken! 47 Misstrauen versus Vertrauen Das Gegensatzpaar Misstrauen und Vertrauen bietet ein anschauliches Beispiel für das Balancieren. So kann es z.B. ratsam sein, innerhalb einer Organisation generell Vertrauen zu praktizieren - quasi als „Basso continuo“ 41 , um einen Vergleich aus der Barockmusik zu bemühen - und zugleich kritische Teilbereiche oder Prozesse durch konsequentes Misstrauen zu kontrollieren. Misstrauen ist nichts Anrüchiges. Es muss auch nicht unbedingt in einer sich selbstverstärkenden Spirale enden. Es gibt eben auch, wie beim Vertrauen, ein gesundes Misstrauen. Dieses speist sich nicht so sehr aus Erinnerungen an ärgerliche Vertrauensbrüche, sondern vielmehr aus einem intuitiven Umgang mit Unsicherheit. Die Devise des gesunden Misstrauens lautet: „Bis hierhin, aber nicht weiter“. Zum Glück schließen sich Vertrauen und Misstrauen nicht gegenseitig aus. So kann man in Organisation „Misstrauensbereiche“ definieren und auf einer Grundlage von Vertrauensbereitschaft aufsetzen ( Bild 3-7). Diese Punkte müssen vom Management begründet, in einer offenen Weise kommuniziert und mit Sanktionen versehen werden. Misstrauensbereiche wären z.B. aktive oder passive Bestechung; die korrekte Abrechnung von Reisekosten auch für autonome Einheiten wie dem Außendienst oder Forschung und Entwicklung; das Verhalten von Mitarbeitern, die im Unternehmen eine Monopolstellung genießen, weil sie z.B. über ein spezielles Wissen verfügen; die Position sogenannter „Gatekeeper“ oder „Schleusenwärter“, die entscheiden, ob, was, wie, wann und wieviel anderen innerhalb der Organisation mitgeteilt werden soll oder nach außen dringen darf; etc. Bild 3-7: Vertrauen und Misstrauen schließen sich nicht gegenseitig aus 41 Der Basso continuo (italienisch = fortlaufend, ununterbrochen) oder Generalbass bildet die Grundlage und damit das harmonische Gerüst der Barockmusik. Er verbindet tiefe Instrumentenstimmen (Basslinie) mit der Melodie. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="60"?> 3 Führung zwischen gestern und morgen 48 Auf diese Weise bewegt man sich in einer handhabbaren Zone der Balance, welche die beiden Extreme des blinden Vertrauens und des chronischen Misstrauens vermeidet. Blindes Vertrauen lädt geradezu ein, ausgenutzt zu werden. Und chronisches Misstrauen ist wie eine Krankheit, gegen die kein Medikament mehr hilft. Planen versus Improvisieren Sich auf die Zukunft einzulassen bedeutet‚ Erwartungen auf eine nur flüchtige Gegenwart zu projizieren. Während die Prognose die Zukunft lediglich beschreibt, hat die Planung einen bindenden Charakter. Sie schafft vorläufige Eindeutigkeiten, indem sie die Zahl der möglichen Annahmen und damit die Komplexität radikal reduziert. Wer plant, gibt sich zumindest den Anschein, professionell zu handeln. Allerdings sollte es im Management längst zur Selbstverständlichkeit gehören, nicht für die eine Zukunft, sondern für mehrere mögliche Zukünfte oder „Szenarien“ zu planen. Denn in Zeiten, in denen morgen schon wieder alles ganz anders sein kann, bröckeln die Annahmen der Planung meist bevor die ersten Schritte ihrer Realisierung überhaupt getan wurden. Wenn aber alles unbestimmt zu sein scheint, ist Improvisieren (italienisch: improvviso = unvorhergesehen) das Mittel der Wahl. Improvisierendes Handeln die Gelegenheit nutzend und auf Intuition vertrauend wird in vielen Fällen jeder Vorlage überlegen sein. Aus Musik und Tanz, Theater und Malerei nicht wegzudenken, ist Improvisieren im klassischen Management zwar Tatsache, aber nicht etwas, zu dem sich eine Führungskraft ganz offen und gerne bekennt. Nach wie vor verpönt ist das „Durchwursteln“ (englisch: muddling through). Es beinhaltet die Gefahr, alles dem kurzfristigen, ja momentanen Erfolg unterzuordnen. Die Orientierung geht verloren und das „große Ganze“ verschwindet allmählich aus dem Blick. Auch hier ist eine Balance anzustreben, wobei die beiden Extreme ausgeschlossen bleiben: die starre Planung, mit der man der Zukunft quasi seinen Optimismus aufzwingen will, und die totale Planlosigkeit, durch die Ausdauer und Beharrlichkeit letztlich überflüssig werden. Um es klar auszudrücken: Es geht um eine Balance zwischen reflektiertem Vorausschauen und intuitivem Sichbehelfen. Dazu braucht es einen Zielrahmen ( Bild 3-8), der für alle Mitarbeiter verbindlich ist. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="61"?> 3.2 Führung neu denken! 49 Bild 3-8: Planung und Spontaneität sind kein Widerspruch Der Zielrahmen bestimmt (a) wenige, aber überlegt ausgewählte Zielgrößen, die nicht verhandelbar sind, (b) die Zeit, für die der Zielrahmen gilt, (c) die Werte, an denen nicht gerüttelt wird, und (d) die Ressourcen, die ohne Wenn und Aber zur Verfügung stehen. Für die Mitarbeiter bedeutet dies: Sie lernen, die Freiräume innerhalb des Zielrahmens für das Erreichen des angestrebten Ganzen sinnvoll zu nutzen. Für sie ist Planung und Spontaneität kein Widerspruch, sondern gegenseitige Ergänzung. Distanz versus Nähe Wer führt, wird immer auch selbst geführt. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Asymmetrie zwischen Führendem und Geführten damit aufgehoben ist. Sie wird sich in bestimmten Situationen oder für eine gewisse Zeit umkehren, sie kann wechselseitig pulsieren, sie kann angefochten oder verteidigt werden. Die Asymmetrie begleitet jedenfalls die Führungsbeziehung vom Anfang bis zu ihrem Ende. Deshalb ist die gegenwärtige Mode, Führung als Coaching zu etikettieren, so problematisch. Ein Coach ist weder Berater noch Mentor oder Zampano. Coaching ist Hilfe zur Selbsthilfe, wobei sich die Beteiligten auf gleicher Augenhöhe befinden. Führung beinhaltet hingegen immer eine Distanz zwischen Führenden und Geführten. Das Bedürfnis nach Nähe und Distanz ist ein urmenschliches Phänomen. Schon das Neugeborene schwingt ständig zwischen der Nähe zur Mutter, um mit ihr zu interagieren, und der Distanz zur Mutter, um sich der Außenwelt zuzuwenden. Dieses Schwingen zwischen den Polen Nähe und Distanz ist eine wichtige Voraussetzung, dass das Kind sowohl die Fähigkeiten zu Kommunikation, Bezie- Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="62"?> 3 Führung zwischen gestern und morgen 50 hung und Anteilnahme als auch ein Selbstempfinden, Selbstsicherheit und Lebendigkeit entwickeln kann. Wird die Pendelbewegung gestört, so führt dies entweder zu gefühlsmäßiger Überflutung (zu viel Nähe, zu wenig Eigenraum) oder zu gefühlsmäßiger Verlassenheit (zu wenig Kontakt, zu viel Autonomie). Vielleicht haben deshalb manche Führungskräfte ein eigenartiges Verhältnis zu Distanz und Nähe. Betroffen davon sind bestimmte Persönlichkeitstypen. Für den Kategorischen ist Nähe entbehrlich, weil er ohnehin keinen Widerspruch duldet; bei Konflikten steht ihm jederzeit der Rückzug in die Enklave seines Büros offen. Der Zwanghafte kompensiert seine empathischen Defizite durch ein Festhalten an bestimmten Regeln; er hält Nähe nur dann aus, wenn sie zu seinen Normen passt. Der Geltung Suchende hat vielleicht als Kind unter Vernachlässigung gelitten; jetzt missbraucht er die Nähe als Mittel zum Streben nach Aufmerksamkeit und Dominanz. Der Narziss braucht mehr als die Selbstgewissheit von Größe; daher durchbricht er die Distanz immer wieder, um sich sein unfehlbares Selbst von anderen Menschen widerspiegeln zu lassen. Der dem Prinzip des Entweder-oder zugrundeliegende Ausschluss des Gegensatzes führt in eine Sackgasse. Wer nur auf Distanz führt, erzeugt notgedrungen eine Atmosphäre gefühlsmäßiger Leere. Neue Ideen werden gar nicht erst an ihn herangetragen. Die Mitarbeiter arrangieren sich mit der Situation. Wer indes immer nur kumpelhaft mit Nähe führt, wird als Führender nicht mehr wahrgenommen. Er läuft Gefahr, sein Ansehen durch pausenloses Schulterklopfen und übertriebene verbale oder sogar physische Nähe zu verspielen. Die schwierige Balance (Bild 3-9) besteht nun darin, einerseits die zur Beeinflussung nötige Distanz aufzubauen und sich andererseits zur richtigen Zeit, in der richtigen Art und im richtigen Ausmaß selbst zu öffnen. Wer diese Balance meistert, beherrscht die Hohe Schule des Führens. Sie kann erreicht werden. Eine Voraussetzung dafür ist die Fähigkeit und Bereitschaft zur Selbstreflexion. Darüber mehr im 7. Kapitel „Die Fähigkeit, sich selbst zu führen.“ Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="63"?> 3.3 Aus der Praxis 51 Bild 3-9: Nähe und Distanz: Der schwierige Übergang vom Entweder-oder zum Sowohl-als-auch 3.3 Aus der Praxis Das Unternehmen stellt Produkte für den Innenausbau und die Landschaftspflege her, hat vor zwei Jahren einen Mitbewerber übernommen und verfügt damit über einen Verkaufsaußendienst, der aufgrund der seiner exzellenten Marktabdeckung sehr schlagkräftig sein sollte. Dennoch, es läuft nicht rund im Verkauf. Simone ist seit einiger Zeit für die Personalentwicklung im Unternehmen verantwortlich und soll sich nun besonders um den Verkauf kümmern. Von den beiden Geschäftsführern hört sie widersprüchliche Vermutungen. „Wir investieren viel in Training, aber offensichtlich in das falsche“, meint der eine. „Wir brauchen eine straffere Führung, denn seit der Übernahme des Mitbewerbers hat sich bei uns eine fühlbare Bequemlichkeit eingeschlichen“, grollt der andere. Simone bereitet daraufhin eine Befragung des gesamten Außendienstes vor. Sie möchte zweierlei abfragen: Einmal die Arbeitszufriedenheit und Arbeitsunzufriedenheit 42 in der Mannschaft (der Ausdruck passt, denn der Außendienst ist extrem „männerlastig“), wobei sie sich an ein bekanntes Modell 43 anlehnt, das auch das Anspruchsniveau der Befragten berücksichtigt ( Bild 3-10); und zum anderen die Erwartungen, welche die Außendienstmitarbeiter im Hinblick auf die Personalführung hegen. 42 Simone geht dabei davon aus, dass der Gegenpol von Zufriedenheit die Abwesenheit von Zufriedenheit ist, genauso wie sich der Gegenpol von Unzufriedenheit in der Abwesenheit von Unzufriedenheit ausdrückt. 43 Gemeint ist das Modell der Arbeitszufriedenheit/ Arbeitsunzufriedenheit nach A GNES B RUGGEMANN . Simone hat damit bereits gute Erfahrungen gesammelt, wiewohl das Modell inzwischen von Y VONNE F ERREIRA wesentlich weiterentwickelt wurde. Dazu Y VONNE F ERREIRA (2009): FEAT - Fragebogen zur Erhebung von Arbeitszufriedenheitstypen. Zukunftsperspektive für das Zürcher Modell. Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie 53, S.177-193. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="64"?> 3 Führung zwischen gestern und morgen 52 Bild 3-10: Ein Modell der Arbeitszufriedenheit/ Arbeitsunzufriedenheit nach A GNES B RUGGEMANN 44 Da gerade durch die Vergrößerung des Außendienstes die Spannweite des Lebensalters von 23 bis 63 (! ) reicht, unterteilt Simone die Befragten in fünf Altersgruppen: I (Geburtsjahrgänge bis 1955), II (1956 bis 1965), III (1966 bis 1975), IV (1976 bis 1985) und V (1986 bis 1995). Ihre Annahme lautet: „Wir haben eine derart hohe soziale Vielfalt im Außendienst, dass sich diese in den Antworten zur Arbeitszufriedenheit und Arbeitsunzufriedenheit und zu den Erwartungen gegenüber der Führung widerspiegeln sollte.“ Von den 32 Fragen mit Antwortmöglichkeiten auf einer 4er-Skala zwischen „trifft voll zu“ und „trifft gar nicht zu“ beziehen sich 18 auf „Zufriedenheit“ und 14 auf „Führung“. Beispiele: 44 Ursprünglich publiziert in: A GNES B RUGGEMANN , P ETER G ROßKURTH und E BERHARD U LICH (1975): Arbeitszufriedenheit. Bern. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="65"?> 3.3 Aus der Praxis 53 Ich bin mit meiner Tätigkeit zufrieden und möchte gerne noch mehr erreichen. Die Tätigkeit ist genau das Richtige für mich und ich fühle mich dabei wirklich wohl. Da ich von meiner Tätigkeit nicht zu viel erwarte, kann ich damit zufrieden sein. Ich bin unzufrieden mit meiner Tätigkeit und wenn sich dabei nicht bald etwas ändert, suche ich mir eine andere Stelle. Ich habe bei meiner Arbeit genau den Freiraum, den ich brauche, um meine Ziele zu erreichen. Ich fühle mich manchmal bei meiner Arbeit alleingelassen und verliere dann die Orientierung. Ich schätze die klaren Vorgaben, weil ich mich dann auf das Wesentliche konzentrieren kann. Ich finde mit meinen Ideen und Lösungsvorschlägen bei meiner Führungskraft zu wenig Gehör. Ich fühle mich in meiner Arbeit so stark kontrolliert, dass ich nur das absolut Notwendige mache. Es wird bei Fehlern nicht nach Lösungen gesucht, sondern nach dem oder den Schuldigen. Simone verzichtet auf die Antwortmöglichkeit „Weiß nicht“. Sie möchte verhindern, dass sich die Befragten um eine Antwort drücken. Ergänzend fügt sie einige offene Fragen hinzu, um so Meinungen und Vorschläge zu erfassen. Zusammengefasst sehen die Ergebnisse der Befragung wie folgt aus. Die wenigen „Oldies“ der Altersgruppe I (Geburtsjahrgänge bis 1955) sind „pseudo-zufrieden“. Zwar werden ihre Erwartungen nicht ganz erfüllt, aber durch ihren begrenzten Zeithorizont sehen sie die Dinge gelassen. Dank ihrer Erfahrung haben sie sich mit dem praktizierten Führungsverhalten ihrer Vorgesetzten arrangiert. In der wesentlich größeren Altersgruppe II (Geburtsjahrgänge 1956 bis 1965) dominiert die „stabilisierte Arbeitszufriedenheit“. Der Soll-Ist-Vergleich ist Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="66"?> 3 Führung zwischen gestern und morgen 54 positiv und das Anspruchsniveau bleibt unverändert. Simone interpretiert dies als „Beamtenmentalität“. Sie erinnert sich, dass diese Altersgruppe bei Prämienwettbewerben kaum in Erscheinung tritt. Beim Punkt „Führungsverhalten“ werden von einigen die „starren, nicht verhandelbaren Vorgaben“ moniert - Die Mehrheit akzeptiert die Situation wie sie ist. Die große Altersgruppe III (Geburtsjahrgänge 1966 bis 1975) ist gespalten. Die eine Hälfte ist „konstruktiv unzufrieden“. Ihr Soll-Ist-Vergleich fällt negativ aus, das Anspruchsniveau bleibt unverändert, aber man möchte gerne etwas daran ändern. Eigene Vorschläge prallen jedoch offensichtlich an den Führungskräften ab, deren Führungsverhalten als „unbeweglich“ beschrieben wird. Die andere Hälfte weist eine „progressive Arbeitszufriedenheit“ auf. Ihr Soll-Ist-Vergleich ist positiv und das Anspruchsniveau steigt dadurch. Diese Gruppe schätzt die klaren Vorgaben der Führung, die ihr die Arbeit erleichtern. Die dominante Altersgruppe IV (Geburtsjahrgänge 1976 bis 1985) zeigt ein eindeutiges Bild. Die Befragten sind „resignativ unzufrieden“ mit ihrer Tätigkeit. Der Soll-Ist-Vergleich ist negativ und zur Kompensation senken sie das Anspruchsniveau ab. Das Führungsverhalten empfinden sie als „einengend“ und der Mündigkeit des einzelnen Mitarbeiters zuwiderlaufend. In der zweitkleinsten Altersgruppe V der „Youngsters“ (Geburtsjahrgänge 1986 bis 1995) sind nahezu alle „fixiert unzufrieden“. Der Soll-Ist-Vergleich fällt negativ aus, das Anspruchsniveau bleibt unverändert und auf Lösungsversuche wird verzichtet. Simone weiß aus Gesprächen, dass sich einige ständig kontrolliert fühlen, während andere wiederum das „altbackene“ Berichtssystem bekritteln. Dies schlägt sich auch in einer negativen Beurteilung des Führungsverhaltens nieder. Simones Annahme, „Wir haben eine derart hohe Diversität im Außendienst, dass sich diese in den Antworten zur Arbeitszufriedenheit/ Arbeitsunzufriedenheit und zu den Erwartungen gegenüber der Führung widerspiegeln sollten“, hat sich bestätigt. Befremdlich findet sie, dass die Antworten auf die offenen Fragen weniger Vorschläge als negative Kritik enthalten (Beispiel: „Ich laufe bei meinem Vorgesetzten ständig gegen eine Mauer.“) Simone kennt die Führungskräfte im Verkauf. Sie sind technisch überaus versiert und vertrauen offensichtlich darauf, dass sie damit auch die Voraussetzungen für Menschenführung besitzen. Die Geschäftsführung sieht das genauso. Simone erkennt, dass für sie das Projekt „Führung im Verkauf“ gerade erst begonnen hat. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="67"?> 3.4 Für die Praxis 55 3.4 Für die Praxis „Führung gestern“, das war zum großen Teil Herrschaft, für die sich bequemerweise immer eine Begründung finden ließ. Auch in ihrer abgemilderten Variante bedeutete Führung immer noch die einseitige Durchsetzung des eigenen Willens. Dem solcherart Geführten bleibt die Rolle des Objekts, das sich mit der einzementierten Asymmetrie abfinden muss. „Führung morgen“ wird soziale Interaktion sein. Die Digitalisierung, auch wenn man dieses Wort schon nicht mehr hören mag, wird die gegenseitigen Abhängigkeiten noch verstärken. Beobachten - Experimentieren - Reflektieren, dieser Dreischritt ersetzt den Aktionismus und die vergebliche Suche nach dem Königsweg, dem „one best way“. „Führung heute“ liegt im Schnittpunkt zwischen „gestern“ und „morgen“. Die Spannungen, die daraus entstehen, sind unübersehbar. Genauso wie die Chancen, sich im Wettbewerb um eine besonders knappe Ressource - begeisterungsfähige Menschen, die bereit sind anzupacken - einen Vorteil zu verschaffen. War es bis in die späten 1960er Jahre noch ohne weiteres möglich, eine Abteilung, ein Produktionsteam, eine Verkaufsmannschaft so zu führen, als wäre diese Einheit eine einzige Person, so ist das heute Illusion. Längst haben sich die Wertvorstellungen der Menschen von einheitlichen, tradierten Mustern abgelöst und den höchst unterschiedlichen Anschauungen über „sich selbst“, über „die anderen“ und über „die Welt da draußen“ angepasst. Wir Menschen sind zudem Wesen mit unglaublich vielen Handlungsoptionen. Und wir sind heute bereit, diese Handlungsoptionen auch auszuüben. Sitte, Moral und Tradition stehen uns dabei nicht mehr so sehr im Weg wie früher. Als Ergebnis muss Führung individualisiert werden. Das ist die neue Leitlinie von Führung! Wer führen will, muss sich dem einzelnen Mitarbeiter, der einzelnen Mitarbeiterin zuwenden. Zuwendung braucht mehr als Aufmerksamkeit. Sie wird erst durch ein Wissen über die individuellen Werte, Bedürfnisse und damit Motive der „Geführten“ möglich. Individualisierte Führung ist anstrengend, aber zugleich lohnend und durch nichts zu ersetzen. In der Praxis steht ihr allerdings eine gewaltige Hürde entgegen. Führungsspannen von 20 und manchmal weit darüber hinaus lassen eine Individualisierung nicht zu. Es gilt also abzuwägen, ob nicht der Nutzen aus einer individualisierten Führung - höhere Leistungsmotivation, Bindungsbereitschaft und Kundenorientierung - nicht wesentlich größer ist als die Kostenersparnis aus einer flachen Organisationsstruktur. Um Führung zu individualisieren, sind aus den Beeinflussungsmöglichkeiten jene auszuwählen, die den einzelnen Mitarbeiter angstfrei und bestmöglich zur Entfaltung bringen können. Es bieten sich dafür drei Wege an: Individualisierung anhand von Werten, mit Bedacht auf die Motive und mithilfe des „Reifegrades“ des einzelnen Mitarbeiters ( Bild 3-11). Diese drei Wege sind gerade für ein Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="68"?> 3 Führung zwischen gestern und morgen 56 erfolgreiches Verkaufsmanagement so wichtig, dass jedem dieser Wege eines der folgenden Kapitel gewidmet ist. Bild 3-11: Drei Wege zur Individualisierung von Führung Weiterführende Literatur F ISCHER , H ANS R UDI ; S TAHL , H EINZ K. (2014): Führen als Dienen. Zur Dialektik des Führens. In: Konfliktdynamik, Stuttgart, 2. Jg., Heft 3, S. 238-243. S TAHL , H EINZ K. (2005): Management in der Zeitenwende ein ständiger Balanceakt. In: Lernende Organisation Nr. 26, S. 22-30. S TAHL , H EINZ K. (2013): Leistungsmotivation in Organisationen - Ein interdisziplinärer Leitfaden für die Führungspraxis. 2., neu bearbeitete Auflage. Berlin. S TAHL , H EINZ K. (2014): Servant Leadership@work: Stimmen aus der Praxis. In: Leonhard J. Schnorrenberg, L. J.; Stahl, H. K.; Hinterhuber, H. H.; Pircher- Friedrich, A. M. (Hrsg.) (2014): Servant Leadership - Prinzipien dienender Führung in Unternehmen. 2., erweiterte Auflage, Berlin, S. 155-172. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="69"?> 57 4 Führen mit Werten Werte dienen dem Menschen als verbindliche Wegweiser für „richtiges“ Denken und Handeln. Sie sind für ihn damit ein Inbegriff des Selbstverständlichen. In unserem Kulturkreis löste der zügige Übergang von der Not und Knappheit der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg hin zum Massenwohlstand und einem wohlausgebauten Sozialstaat einen Wertewandel aus. Die alten Pflicht- und Akzeptanzwerte (z.B. Disziplin, Gehorsam, Unterordnung) wurden zum Teil gesprengt oder abgewertet und die lange im Verborgenen blühenden Selbstentfaltungswerte (z.B. Abwechslung, Spontaneität, Abenteuer) aufgewertet. Die im deutschen Kulturraum vor etwa vierzig Jahren in Gang gekommene Wertedynamik hat dazu geführt, dass sich immer mehr Menschen ihren eigenen „Wertecocktail“ mixen und die Rezeptur dafür von Zeit zu Zeit den Lebensphasen oder besonderen Umständen anpassen. 4.1 Das Phänomen der Wertedynamik Wie treffend der Begriff Wertedynamik ist, beweist die Tatsache, dass wir seit einiger Zeit schon mit einem weiteren Ergebnis dieses Prozesses konfrontiert werden. Eine Abteilung, eine Projektgruppe, eine Verkaufsmannschaft wird sehr wahrscheinlich aus verschiedenen Altersgruppen zusammengesetzt sein. Im Extremfall sollen Menschen der „Wirtschaftswunder-Generation“ und „Baby- Boomer“ mit Angehörigen der als Xer, Y und Zer bezeichneten jungen „Generationen“ an einem Strang ziehen. Zwar ist der Begriff Generation irreführend 45 , dennoch ist auffallend, dass viele Menschen innerhalb einer solchen Alterskohorte in ihren Wertvorstellungen einigermaßen übereinstimmen. Der Druck, sich konform zu verhalten, um sozial anerkannt zu werden, dürfte dabei eine wesentliche Rolle spielen. Hier einige Unterschiede zwischen diesen sogenannten Generationen. Die „Wirtschaftswunder-Generation“ (vor 1955 geboren) ist außenorientiert und daher statusbewusst; Prestige hat einen hohen Stellenwert; die Bereitschaft, stabile soziale Bindungen einzugehen, ist intakt; Loyalität bedeutet ihr viel. Diese Generation folgt dem klassischen Arbeitsethos „Arbeiten um zu leben“. Dabei steht „Hierarchie“ für Ordnung. Die „Baby-Boomer“ (Geburtenjahrgänge etwa 1955 bis 1965) wuchsen mit Zukunftsgläubigkeit und Hoffnung auf; sie sind durchsetzungsfähig und den- 45 Der hier verwendete Begriff hat nichts mit Abstammung im biologischen oder genealogischen Sinn zu tun und orientiert sich auch nicht an einem konstanten Generationenabstand von z.B. 25 Jahren. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="70"?> 4 Führen mit Werten 58 noch teamfähig, idealistisch und umweltbewusst, emanzipiert sowie konkurrenz- und konflikterprobt. Selbstbestimmung und postmaterielle Werte spielen für sie eine große Rolle. Die „Generation X“ (Geburtenjahrgänge etwa 1966 bis 1979) ist multikulturell eingestellt, gut informiert, experimentierfreudig, erlebnishungrig und technikbegeistert; sie lebt beziehungsorientiert, wenn auch in einer eher oberflächlichen Weise. Loyalität ist für sie kein bestimmender Wert. Die „Generation Y“ (Geburtenjahrgänge etwa 1980 bis 1995) hebt sich von den vorigen Generationen deutlich ab; sie ist „digital affin“; Leistung wird bejaht, allerdings muss die Gegenleistung stimmen. Dabei dürfen eine „Work-Life-Balance“, freie Zeiteinteilung und Spaß an der Arbeit nicht zu kurz kommen. Die „Generation Z“ (Geburtenjahrgänge ab etwa 1996) lebt ganz und gar in der digitalen Welt; Pünktlichkeit, Gründlichkeit, Ordnung und Struktur gehören nicht zu den auffälligen Kennzeichen; „Mein Auto, meine Jacht, mein Pferd“ Danke! Viele „Zer“ wollen „etwas bewegen“, vielleicht sogar die Welt zu einem besseren Platz machen. 4.2 Die Individualisierung von Führung nach Werten Werte sind Vorstellungen, die innerhalb einer Kultur als wünschenswert gelten und auf diese Weise das Denken und Handeln von Menschen leiten. Diese Orientierungsfunktion der Werte kann im Idealfall dazu führen, dass Menschen ihr Dasein in einem größeren Zusammenhang erkennen und dadurch Sinn erfahren. Der Umgang mit Werten ist schwierig, weil zwar viel darüber gesprochen wird (man denke an die Diskussionen über die Integration von Zugewanderten), aber dennoch Begriffsunklarheit herrscht. Um die Anwendung von Werten in der Führung etwas zu erleichtern, werden in der folgenden Tabelle ( Bild 4-1) jene Werte unseres Kulturraums kurz beschrieben, die für das Handeln in Organisationen prägend wirken können. In dieser Liste fehlt das Vertrauen. Es taucht zwar in vielen Leitbildern als Wert auf, ist jedoch ein Mittel zur Bewältigung der Zukunft. Wer vertraut, geht ein Wagnis ein, erhöht jedoch dadurch die Zahl seiner Handlungsmöglichkeiten, anders als der Misstrauende, der alles ins Negative zuspitzt. Vertrauen ist also kein Wert, sondern es hat einen Wert, einen enormen sogar ( Abschnitt 3.4.1). Wertschätzung wird hier entgegen manchen Einwänden in der Literatur sehr wohl zu den Werten gezählt. Wer sich von Wertschätzung in seinem Handeln leiten lässt, hat immer den ganzen Menschen im Blick. Anders als ihr Gegenteil, die Geringschätzung, zählt sie somit zu den wünschenswerten Vorstellungen innerhalb einer Kultur. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="71"?> 4.2 Die Individualisierung von Führung nach Werten 59 Bild 4-1: Beispiele von Werten, welche die Führung in Organisationen prägen können Wert Achtung Akzeptanz Anerkennung Autonomie Beharrlichkeit Bescheidenheit Commitment Disziplin Ehrlichkeit Ernsthaftigkeit Fairness Freiheit Geborgenheit Gelassenheit Gemeinschaftssinn Geradlinigkeit Gleichheit Großzügigkeit Höflichkeit Humor Individualität Konservativismus Loyalität Menschlichkeit Mut Offenheit Ordnung Partizipation Pflichtbewusstsein Prinzipientreue Pünktlichkeit Respekt Rücksicht Selbstbeherrschung Selbstverwirklichung Sicherheit Sparsamkeit Spontaneität Toleranz Verantwortung Verbindlichkeit Verschwiegenheit Vorurteilslosigkeit W echselseitigkeit W ertschätzung Zusammenhalt Zuverlässigkeit Anmerkungen Geht über die W ertschätzung hinaus, ist quasi „Hochschätzung“ Drückt eine Zustimmung aus, im Gegensatz zur eher passiven Toleranz Offene (nicht verdeckte) Bestätigung, auch W ürdigung, z.B. einer Leistung Möglichkeit, sein Handeln selbst zu bestimmen Durchhaltevermögen, das über die bloße Ausdauer hinaus geht Einfachheit der Lebensführung, Verzicht auf Protz und Luxus Selbstverpflichtung; Bereitschaft sich an eine Person / Gemeinschaft zu binden Einhalten vorgegebener oder selbst auferlegter Vorschriften / Verhaltensregeln Nichts beschönigen; die W ahrheit sagen; nicht täuschen, um anderen zu schaden Gegensatz von Leichtsinn Sich an Spielregeln halten und damit Anstand und Gerechtigkeit wahren Ohne Zwang zwischen verschiedenen Möglichkeiten entscheiden können Streben nach Nähe, W ärme, Ruhe, Frieden; ist mehr als Zugehörigkeit In schwierigen Situationen die Fassung / unvoreingenommene Haltung bewahren Das Ego zurückstellen, um mit anderen zusammen etwas zu unternehmen Sich unkompliziert und ohne Schnörkel verhalten Alle Menschen als grundsätzlich gleich betrachten, z.B. in ihren Rechten & Pflichten Anderen etwas zukommen lassen, das über das Normalmaß hinausgeht Entgegenkommendes Benehmen, das auf kulturell gültigen Umgangsformen beruht Als W ert: In einer misslichen Situation trotzdem lachen Den Einzelnen mit seinen Eigenheiten akzeptieren; Gegensatz zur Kollektivität Bestreben, Bestehendes zu bewahren und zu erhalten Eine auf Vernunft basierende innere Verbundenheit mit Personen / Organisationen Die liebevolle, auch helfende Zuwendung zu anderen Menschen Etwas wagen; sich bewusst in eine unsichere Situation begeben Geistig neugierig sein; bereit für neue Ideen; aufmerksam für eigene / fremde Gefühle Streben nach Aufgeräumtheit und Übersichtlichkeit Teilhabe an der W illensbildung und an Entscheidungen Bereitschaft, seine Aufgaben korrekt zu erfüllen An übergeordneten Grundsätzen auch dann festhalten, wenn dies unbequem ist Verabredeten Zeitpunkt oder Termin präzise einhalten Die W ürde des anderen achten und keinesfalls verletzen Den Bedürfnissen des anderen Vorrang vor den eigenen W ünschen einräumen Die eigenen Gefühle beherrschen Das Ziel, die eigenen Möglichkeiten und Fähigkeiten möglichst auszuschöpfen Die Freiheit von Gefahren und unvertretbaren Risiken Der maßvolle Umgang mit Geld und wirtschaftlichen Gütern Handeln auf eigenem Antrieb in einer überraschenden, unvorhergesehenen W eise Fremde Überzeugungen, Handlungsweisen, Sitten gelten und gewähren lassen Sich die Folgen des eigenen Handelns auch zurechnen lassen Konsequent und standhaft zu einer Zusage / Absichtserklärung stehen Vertraulichkeit in W ort und Schrift wahren Sich in der Einschätzung anderer nicht von vorschnellen Urteilen leiten lassen Eine erhaltene Leistung oder Gabe in entsprechender W eise ausgleichen Den anderen in seiner Ganzheit positiv bewerten Das Band der Übereinstimmung und des Gemeinsinns anstreben Eine erwartete Qualität oder Handlungsweise immer wieder aufs Neue erfüllen Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="72"?> 4 Führen mit Werten 60 Je mehr sich die Werteprofile der Mitarbeiter einer Organisation voneinander unterscheiden, umso schwieriger wird es, diese Menschen mit einer Soll- Vorstellung „einzufangen“. Und umso wichtiger ist es für eine Führungskraft, die Wertvorstellungen seiner Mitarbeitenden zu kennen, einzuschätzen, zu erfühlen. Wer etwa Autonomie oder Individualität als obersten Wert verinnerlicht hat, wird anders zu „führen“ sein, als jemand, dem der Sinn nach Geborgenheit oder Zusammenhalt steht. Selbstbeherrschung als Wert verlangt ein anderes Führungsverhalten, als Spontaneität. Auf einen Mitarbeiter, der nach Selbstverwirklichung strebt, wird sich eine Führungskraft anders einstellen müssen als auf jemand, dessen Handeln von Disziplin bestimmt ist; und so fort. Bild 4-2 zeigt ein Beispiel aus der Praxis. Die Leiterin des Verkaufsinnendienstes fertigte für jeden ihrer zehn Mitarbeitenden anhand von Gesprächen und Beobachtungen ein Werteprofil an, um sich besser auf jeden Einzelnen einstellen zu können. Bild 4-2: Beispiel für die Individualisierung von Führung nach Werten: Hier ist, im Gegensatz zu Bild 4-3, der einzelne Mitarbeiter wichtig. 4.3 Die Einengung von Führung mithilfe von Werten Die Individualisierung von Führung kostet Zeit und Energie. Außerdem denken die meisten Führungskräfte beim Thema „Werte“ nicht so sehr an die vielfältigen Lebenswelten des einzelnen Mitarbeiters, als vielmehr an die Möglichkeiten oder Notwendigkeiten, bestimmte Werte als Richtschnur für das tägliche Handeln in der Organisation vorzugeben. Jedes soziale System, vom Verein bis zum Konzern, ist für sein Überleben auf gemeinsame Werte angewiesen. Diese bilden sich im Laufe der Zeit quasi als Nebenprodukt des laufenden Geschäfts aus. Führungskräfte geben sich in der Regel damit nicht zufrieden. Sie greifen von Zeit Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="73"?> 4.3 Die Einengung von Führung mithilfe von Werten 61 zu Zeit in diese selbstregelnden Prozesse ein. Dazu dienen ihnen Instrumente wie Führungsgrundsätze oder Leitbilder. Mit ihrer Hilfe sollen die für die Organisation zentralen Wertvorstellungen in einer Form zum Ausdruck gebracht werden, welche die Menschen in der Organisation zu einer Verinnerlichung dieser Werte veranlasst. Diese Einengung von Führung mithilfe von Werten ist gleichsam der Gegenpol zur Individualisierung. Schon aus dem Wort Leitbild lässt sich diese Funktion der Vereinheitlichung ablesen. Organisationen sind anonyme Gebilde, in denen sich vieles außerhalb der Sinne ihrer Mitglieder abspielt. Diese müssen sich daher selbst ein „Bild machen“ von „ihrer“ Organisation, müssen sich also Vorstellungen, Vermutungen oder Ahnungen hingeben. Solche Bilder stellen Als-ob-Konstruktionen dar, in denen reine Vernunftwahrheiten (wie sie z.B. der Managementjargon mit Kennzahlen oder mit Begriffen wie Strategie, Effizienz, Positionierung und vieles mehr zu vermitteln sucht) keinen Platz finden. Das „Leitbild“ soll den Wunsch der Organisationsmitglieder nach Übersicht, Klarheit und Ganzheit erfüllen, indem das Bild einer Organisation, eines Unternehmens projiziert wird ( Bild 4- 3). Bild 4-3: Beispiel für die Einengung von Führung mithilfe von Werten: Hier ist, im Gegensatz zu Bild 4-2, die Organisation wichtig. Dazu passt die bekannte S UFI -Geschichte von den drei Blinden, die zum ersten Mal auf einen Elefanten stoßen. Dabei schließt jeder von einem bestimmten Teil, den er zu fassen bekommt („groß und breit wie ein Teppich“, das Ohr; „ein langer hohler Schlauch“, der Rüssel; „groß und fest wie eine Säule“, der Fuß), auf das ganze Tier, wodurch es zu völlig unterschiedlichen Vorstellungen von einem Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="74"?> 4 Führen mit Werten 62 Elefanten kommt. Auch die Unternehmensmitglieder müssen etwa von ihrem Büro, dem Lager, der Fabrik, dem Labor, der Position im Außendienst auf die ganze Unternehmung schließen. Das Leitbild soll sie dazu „anleiten“, ihre „blinden Flecken“ zu ignorieren und dafür ein skizzenhaftes Wunschbild zu akzeptieren oder sogar zu verinnerlichen. Dies macht deutlich, wie oft einem Leitbild der erwartete Erfolg versagt bleiben muss. Eine Führungskraft oder die Führungsspitze, die von einer, nämlich ihrer Wirklichkeit ausgeht und diese durchzusetzen versucht, hat das „Leitende“ im Leitbild falsch verstanden. Die Unternehmensmitglieder reagieren auf ein oktroyiertes Leitbild, indem sie sich nun erst recht eine „zweite Wirklichkeit“ schaffen, wodurch das Ganze noch unüberschaubarer und undurchsichtiger wird. Selbst wenn die Führungsspitze nicht mit „Organisationsblindheit“ geschlagen ist und sehr wohl ein Gespür für die individuellen Vorstellungen entwickelt hat, besteht noch immer die Gefahr, dass sie mit dem „Soll“ des Leitbildes dem „Ist“ der Wirklichkeit zu weit vorauseilt. 4.4 Die Vereinbarung von „Spielregeln“ als dritter Weg Ein Leitbild nicht einfach von oben zu oktroyieren, sondern unter Mitwirkung vieler, wenn nicht sogar aller Mitglieder einer Organisation „demokratisch“ zu erarbeiten, ist zwangsläufig ein sehr aufwendiger Prozess. Erstens müssen die Mitglieder die Möglichkeit erhalten und auch wahrnehmen, ihre ureigensten Bilder und Vorstellungen offenzulegen. Zweitens braucht es Zeit und Räume, um von diesen Fragmenten zu einem gemeinsamen Bild zu gelangen. Drittens müssen die Teilnehmer an diesem Prozess die Disziplin aufbringen, das für die Organisation Wesentliche vom Wünschenswerten aber letztlich Nebensächlichen zu trennen. Schließlich müssen die Soll-Vorstellungen so entwickelt werden, dass sie normativ 46 anspornend wirken, ohne die Mehrheit der Mitglieder zu überfordern. Das Schwierige daran ist, einerseits genügend Selbstorganisation zuzulassen, um die notwendige Offenheit zu erreichen, und andererseits von außen immer dann zu intervenieren, wenn der Erkundungsprozess auszuufern droht. Hinzu kommt 46 Im Sinne von bindend, richtungsweisend, verbindlich, verpflichtend. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="75"?> 4.4 Die Vereinbarung von „Spielregeln“ als dritter Weg 63 noch, dass wir Menschen von Natur aus als Teil unseres anthropologischen Erbes kleingruppenorientiert 47 sind. Gruppen sind Orte hoher Gefühlsdichte, im Gegensatz zur abstrakten Organisation, die dem Einzelnen noch dazu ständig narzisstische Kränkungen 48 zufügt, etwa im Sinne von „Auf mich hört man ja nicht“, „Den Menschen interessiert hier niemand“. Das Arbeiten in Gruppen ist für die Leitbilderstellung auch deshalb wichtig, weil gerade große Organisationen meist in mehrere Identitäten oder Kulturen zerfallen. Schon aus diesem Grund sind viele Schleifen innerhalb der Organisation nötig, um ein „sinn“volles Bild zu entwickeln. Am Ende steht dann oft ein Leitbild, das viel Zeit und Mühe gekostet hat, inzwischen aber von einer sich rasch ändernden Wirklichkeit überholt wurde. Gerade für den Verkauf bietet sich neben der Individualisierung von Führung mit Werten, die unter Umständen mit einem geringeren Zusammenhalt erkauft werden muss, und der Einengung von Führung mithilfe von Werten, die als Bevormundung empfunden werden kann, ein dritter Weg an: die Selbstbestimmung durch Vereinbarung von Spielregeln. Dabei verständigen sich die Mitglieder einer Gruppe pragmatisch 49 auf bestimmte Wertvorstellungen und Verhaltensweisen, welche die Zusammenarbeit innerhalb der Gruppe zu fördern und die Verbindungen zu anderen Einheiten der Organisation zu stärken vermögen. In Gruppen, deren Größe überschaubar sein muss, legen die Teilnehmer ihre persönlichen Leitmotive offen. Oft genug haben sich durch langjährige Zusammenarbeit bereits bestimmte Regeln als nützlich erwiesen. Bei dieser Gelegenheit der Offenlegung können auch Tabus gebrochen und Gewohnheiten hinterfragt werden. Die Lebenspraxis zeigt deutlich: Menschen halten sich an Spielregeln, die sie untereinander vereinbart und damit sich selbst auferlegt haben, viel eher als an von außen vorgegebene Normen. In der Gruppe muss jedenfalls um einen Ausgleich zwischen dem Nutzen der Spielregeln und dem Verlust an persönlicher Freiheit gerungen werden. Der Nutzen liegt auf der Hand: Spielregeln schaffen Verlässlichkeit und Sicherheit. Sie beruhen auf der Annahme, dass sich alle daran halten werden. Das schafft Vertrauen und macht das Handeln einfacher. So muss dann nicht in jeder sozialen Situation angemessenes Verhalten bestimmt oder gar die Regeln, die gelten sollen, immer wieder ausgehandelt werden. 47 Nach Y UVAL N OAH H ARARI , Eine kurze Geschichte der Menschheit, München 2014, lebten die Jäger und Sammler in kleinen Gruppen von einigen Dutzend bis wenigen Hundert Personen. Diese Gruppen spalteten sich einerseits immer wieder in Splittergruppen auf, andererseits bildeten sie mit benachbarten Gruppierungen einen Stamm. 48 Quelle: P ETER H EINTEL (1993): „Vision“ und Selbstorganisation, in: Sollmann, U.; Heinze, R. (Hrsg.): Visionsmanagement, Zürich 1993; S. 144. 49 Pragmatisch bedeutet, sich von Dogmen zu lösen und das zu tun, was einen praktischen Nutzen abwirft. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="76"?> 4 Führen mit Werten 64 Bild 4-4: Die Bindungswirkung von vereinbarten Spielregeln. 4.5 Aus der Praxis In einem Unternehmen, das Systeme für betriebliche Sicherheit herstellt, wurden vor kurzem die Vertriebe für Deutschland, Österreich und die Schweiz zu einer „Region DACH“ zusammengefügt. Nun gibt es zwar, global gesehen, wesentlich größere kulturelle Unterschiede als zwischen diesen drei Ländern, dennoch war die auseinanderstrebende Vielfalt, schon aufgrund der verschiedenen „Generationen“, spürbar. Für Martina, die neue Chefin des Verbundes, bedeutet dies ein Umlernen. Sie war zuvor für Österreich verantwortlich und muss nun auch mit Berliner, Leipziger, Berner und anderen Eigenheiten zurechtkommen. Martina kündigt in einem ersten Rundbrief an, Führungsgrundsätze für DACH erstellen zu wollen. Die ersten Reaktion aus „dem Feld“ waren heftig: „Wir brauchen keine wolkigen Stehsätze“, „Hatten wir schon, hat nicht funktioniert“, „Wir sind doch mündig genug, um selbst zu entscheiden“. Na wenn dem so ist, dachte Martina, sollen sie sich selbst zusammenraufen. Aber, würde das nicht zugleich ihre Führungsautorität untergraben? Sie lässt dem Zweifel freien Lauf. Dann der Gedanke, die Mannschaft (Mannschaft? Ja, genau wie im Sport) soll sich doch ihre Spielregeln selbst entwickeln. Diese Idee kommt beim nächsten DACH-Meeting überraschend gut an. Martina spricht kurz über „Werte“, vermeidet jedoch zu viele Andeutungen in Richtung Ethik. Stattdessen bemüht sie einige Vergleiche aus Sport und Spiel. Sie lässt in gemischten Gruppen den Wertekatalog ( Bild 4-1) durchkämmen, um die Verkäufer mit einer für sie nicht alltäglichen Materie vertraut zu machen. Sie sollen sich auf einige wenige Werte oder Handlungsweisen verständigen, die ihnen für eine gedeihliche Zusammenarbeit besonders wichtig erscheinen. Die Gruppen müssen mehrere Runden drehen. Schließlich geht es darum die einzelnen Punkte in alltagssprachlich formulierte Spielregeln („Bitte keine Anglizismen“, so ein Einwurf, „Und kein Management-Blabla“, ein anderer), zu übersetzen. Nach einem nicht einfachen Prozess, der am Feilen von sprachlichen Details fast zu scheitern droht, dann das Ergebnis, das alle doch sehr zufrieden scheinen lässt. Es haben sich sechs handlungsleitende Punkte herauskristallisiert. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="77"?> 4.5 Aus der Praxis 65 Wir in DACH: Unsere Spielregeln für den Umgang miteinander Prinzipientreue: Wir verpflichten uns, die gemeinsam erarbeiteten Spielregeln auch einzuhalten. Respekt: Wir pflegen einen Umgang miteinander, der durch gegenseitige Achtung geprägt ist. Gleichbehandlung: Wir billigen allen, unabhängig von Alter, Geschlecht, Herkunft und anderen Merkmalen, die gleichen Rechte zu. Vertrauen: Wir streben danach, das Vertrauen anderer zu erringen und uns dieses Vertrauens auch würdig zu erweisen. Lösungsorientierung: Wenn etwas funktioniert, machen wir mehr davon; wenn etwas nicht funktioniert, machen wir etwas ander(e)s. Offenheit: Wir sind immer offen für neue Wege und Begegnungen. Es gibt noch Stimmen, die „Pünktlichkeit“ und „Wertschätzung“ als bedeutsam reklamieren. Im Plenum setzt sich jedoch die Ansicht durch, dass diese beiden Werte durch „Respekt“ aufgefangen werden. Martina verzichtet bewusst darauf, das Ganze auf Hochglanzpapier drucken zu lassen. Sie achtet vielmehr darauf, dass die Spielregeln unaufdringlich, fast beiläufig, aber möglichst an allen passenden Stellen sichtbar sind. Es gibt danach immer wieder Gelegenheiten, wo sich zwei oder mehrere DACH-Verkäufer in kritischen Situationen auf die vereinbarten Spielregeln beziehen oder berufen können. Nach zwei Quartalen, in denen DACH versucht, einen inneren Zusammenhalt zu finden, gibt es einen neuen Vorschlag. Drei Verkäufer zeigen sich zunächst angetan von der Erfahrung, „dass die Spielregeln wirklich gut funktionieren, weil sie uns nicht aufgezwungen wurden und weil wir uns nicht ständig mit Missverständnissen herumschlagen müssen.“ Was aber noch fehle, sei „so etwas Ähnliches für unser Verhältnis nach außen, also zu unseren Kunden“. „Klar, eigentlich logisch“, „warum nicht“, „aber einfach muss es sein“ lauten einige Antworten. Nun hat man ja schon einige Erfahrungen gesammelt, aus einer unübersichtlichen Menge von Möglichkeiten etwas Praxistaugliches zu entwickeln, dem sich auch alle verpflichtet fühlen. Das Verhältnis zu den Kunden zu definieren, fällt somit allen leichter. Den Begriff „Spielregeln“ hält man für das Innenverhältnis reserviert. Am Ende des Prozesses stehen daher „Leitlinien“. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="78"?> 4 Führen mit Werten 66 Wir in DACH: Leitlinien für den Umgang mit unseren Kunden Der Kunde ist für uns weder Freund noch bloße „Adresse“. Er ist unser Geschäftspartner, mit dem wir auf gleicher Augenhöhe verhandeln und mit dem wir eine dauerhafte Beziehung anstreben. Diese Dauerhaftigkeit wird uns dann am besten gelingen, wenn wir dem Kunden einen erkennbaren Nutzen bieten können. Dafür gilt es, unsere Produkte und unser Wissen zu individuellen Lösungen zu bündeln. Dauerhaftigkeit hat jedoch auch zur Bedingung, dass wir mit der Pflege der jeweiligen Geschäftsbeziehung angemessene Erträge ernten. Deshalb achten wir darauf, unsere knappen Mittel - Zeit, Energie, Wissen, Geld - möglichst nutzbringend einzusetzen. 4.6 Für die Praxis Egal ob Leitbilder, Grundsätze oder Spielregeln, sie wirken normativ. Das heißt, sie geben vor, was oder wie etwas sein soll. Ihr Zweck besteht in Fall von DACH darin, einer Gruppe von Verkäufern, die gewohnt sind, sich als Einzelkämpfer durchzuschlagen, zu mehr Homogenität und Zusammenhalt zu verhelfen. Das Vehikel dafür ist die Sprache. Ob die DACH-Mannschaft bei ihren Vorhaben die „richtige“ Sprache getroffen hat, darüber kann man streiten. Unbestreitbar ist, dass die von DACH erstellten Spielregeln und Leitlinien dem üblichen Managementjargon entsagen. Von oben oktroyierte „Mission Statements“ und ähnliche Produkte sind meist vollgepfropft mit Visionen, Positionierung, Effizienz, Kompetenz, Optimierung und dergleichen. Die Sprache von DACH ist schlicht und wird beim Lesen kaum heftiges Herzklopfen hervorrufen. Manche Sätze würden vielleicht sogar einem Kleintierzüchterverein gut anstehen. Den Leuten von DACH ging es eben darum, für sich und niemand anderem etwas auszuarbeiten, woran sie sich auch halten können. Der „Pragmatismus“ (griechisch: pragma = Handlung, Sache), diesen Spielregeln zugrunde liegt, passt hier gut ins Bild. Nicht die Ästhetik, sondern die Nützlichkeit steht im Vordergrund. Vielleicht wird deshalb auch auf Metaphern verzichtet. Solche Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="79"?> 4.6 Für die Praxis 67 bildhaften Ausdrücke 50 können durchaus Gedanken und Gefühle wecken und Dinge verstehbar machen. Immer vorausgesetzt, es sind sprachliche Könner am Werk. Rund um die Fußball-WM 2006 wurden Leitbilder und sogar Geschäftsberichte fleißig aufgepeppt mit Metaphern wie „rote und gelbe Karte“, „Angriff“, „Verteidigung“, „Volltreffer“, „Spielvarianten“, „Zug zum Tor“, „Abseits“, „richtige Aufstellung“, „Teamgeist“, „Kapitän der Mannschaft“, „Ersatzbank“ und so fort. Auch der „Libero“ durfte mitspielen, obwohl es diese Position im Fußball gar nicht mehr gibt. Das Ganze wurde zum Eigentor, denn die Texte wirkten aufgesetzt und austauschbar. Wer die Sprache für sein Management metaphorisch anreichern will, sollte daher auf den Rat von Linguisten nicht verzichten. Weiterführende Literatur H EMEL , U LRICH (2007): Wert und Werte: Ethik für Manager - Ein Leitfaden für die Praxis. München. L AY , R UPERT ; P OSÉ , U LF D. (2006): Die neue Redlichkeit: Werte für unsere Zukunft. Frankfurt am Main. S TAHL , H EINZ K. (2016): Die Rolle von Bildern bei der Führung von kleinen und mittleren Unternehmen. In: Heinz K. Stahl; Hans H. Hinterhuber (Hrsg.): Erfolg im Schatten der Großen Wettbewerbsvorteile für kleine und mittlere Unternehmen. Zweite, völlig neu bearbeitete Auflage. Berlin, S. 219-232. 50 Organisationen werden gerne mit Metaphern belegt, z.B. die Organisation als Maschine, Räderwerk, Organismus, Kultur, Gehirn, Orchester und so fort. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="80"?> 68 5 Führen mit Bedacht auf Motive Menschliches Handeln und Motive sind untrennbar miteinander verbunden. Handeln kann man sich als eine Tätigkeit vorstellen, die auf einen Zweck, ein Ziel, ein Ende gerichtet ist. Diese Tätigkeit muss nicht unbedingt von Anfang an bewusst erfolgen. Wichtig ist, dass der Handelnde zumindest im Nachhinein darin einen Zweck erkennen kann. Bei einem Agieren im Affekt wäre das z.B. nicht der Fall. Die zum Handeln gehörenden Motive tarnen sich als Beweggrund oder Bedürfnis, als Wunsch oder Drang zum Handeln. Ein Motiv ist aus psychologischer Sicht, anders als etwa das Motiv in der Kunst, wo es für ein kennzeichnendes Element steht, ein Ausdruck für Antrieb oder Bewegung. 5.1 Biogene und soziogene Motive Motive sind zum Teil an physiologische Prozesse gebunden, entstehen aber auch im Zuge der persönlichen Entwicklung und der Sozialisation 51 . Die biogenen oder primären Motive, wie etwa Hunger, Durst oder Sexualität, gehören zur ersten Gruppe. Sie sind weitgehend, aber nicht ausschließlich genetisch bedingt. Wir wissen heute, dass die Wirkungen einer bestimmten genetischen Prädisposition - egal ob zur Fettsucht, Intelligenz oder Leistungsfreude - in starkem Maße auch von Umwelteinflüssen abhängen. Der aufstrebende Forschungszweig der Epigenetik 52 räumt mit der populären Vorstellung auf, Gene seien starr. Stattdessen werden sie ein Leben lang durch Umwelteinflüsse an- oder abgeschaltet. Zur zweiten Gruppe zählen jene Motive, die sich durch soziales Lernen entwickeln, wobei die frühkindlichen Phasen besonders prägend wirken. Sie werden soziogene oder sekundäre Motive genannt. Beispiele sind Anschluss, Macht und Leistung. 53 Beide Motivarten wirken meist zusammen. Etwa beim Durst, der 51 Sozialisation ist das Ergebnis eines zweifachen Prozesses. Auf der einen Seite das Hineinwachsen des Menschen in seine soziale Umwelt und deren Selbstverständlichkeiten, ob dies nun Werte, Normen oder Gebräuche sind. Parallel dazu entwickelt der Mensch jedoch seine eigene Identität, wodurch es zu Spannungen und Konflikten zwischen den sozialen Erwartungen der Gesellschaft und den individuellen Motiven kommen kann. 52 „Wer die Gene kennt, kennt auch den Menschen“. Diese Euphorie des Jahres 2000, als das erste entzifferte Human-Genom präsentiert wurde, ist mittlerweile verflogen. Inzwischen wissen wir: Gene steuern zwar biologische Prozesse, sie werden aber zugleich auch selbst gesteuert. Der Mensch ist somit mehr als die Landkarte seiner Gene. 53 Manchmal wird auch Neugier als soziogenes Motiv bezeichnet. Naheliegender ist es jedoch, Neugier als biogenes oder primäres Motiv zu sehen. Bereits wenige Stunden nach der Geburt zeigen Neugeborene Verhaltensweisen, die typisch sind für eine systematische Untersuchung des eigenen Körpers. Später wird dann die nächste Umgebung und zwischen dem 8. und dem 10. Monat die weiter entfernte Umwelt erkundet. Das Motiv der Neugier ist für die weitere geistige Entwicklung fundamental wichtig. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="81"?> 5.1 Biogene und soziogene Motive 69 zwar zunächst biogen ist, aber in gemütlicher Runde am Abend dann seinen soziogenen Charakter zeigt. Der Psychologe D AVID M C C LELLAND (1917-1998) beschreibt die drei soziogenen Motive folgendermaßen 54 ( Bild 5-1): Das Leistungsmotiv äußert sich im Streben nach Erfolg bzw. dem Vermeiden von Misserfolg. Es wird in der anhaltenden Neigung deutlich, die eigene Tüchtigkeit an einem Gütemaßstab zu messen. Unternehmertum ist z.B. ohne ein ausgeprägtes Leistungsmotiv kaum denkbar; eine Karriere im Sport schon gar nicht. Das Machtmotiv ist von dem Wunsch gekennzeichnet, andere Menschen zu beeinflussen. Das Streben nach Dominanz ist lediglich eine bestimmte Ausprägung dieses Motivs. Machtmotivierte finden sich in Berufen wie Manager, Lehrer und Berater wieder. Aber auch für den abschlussstarken Verkäufertyp ( Ausführungen im 2. Kapitel) ist das Machtmotiv ein wesentlicher Antriebsfaktor. Das Anschlussmotiv ist Ausdruck des Bedürfnisses nach sozialer Anerkennung, freundschaftlichen Beziehungen und Harmonie mit den Mitmenschen. Pflegeberufe sind auf dieses Motiv angewiesen. Ebenso Tätigkeiten, in denen das Einzelkämpfertum hinter kooperativen Arbeitsweisen zurücktreten muss. Auch der beziehungsorientierte Verkäufertyp ist in der Regel anschlussmotiviert. Bild 5-1: Die drei grundlegenden soziogenen Motive nach D AVID M C C LELLAND 54 Zum ersten Mal beschrieben in D AVID M C C LELLAND (1961): The achieving society, Princeton. Basale soziogene Motive Leistung Achievement Macht Power Zugehörigkeit Affiliation Ursachen sowohl angeboren als auch früh erworben Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="82"?> 5 Führen mit Bedacht auf Motive 70 5.2 Implizite und explizite Motive Wenn wir auf eine Wissensfrage antworten, dann erfolgt dies als Teil unseres Bewusstseins. Die dafür notwendigen Such- und Findungsprozesse laufen jedoch unbewusst ab. Diese Unterscheidung zwischen unbewusst und bewusst findet sich in dem Begriffspaar implizite und explizite Motive wieder. Erstere beruhen auf früh erlernten Vorlieben und sind gefühlsmäßig aufgeladen. Sie veranlassen uns, immer wieder auf bestimmte Anreize zu reagieren, ohne dabei nachzudenken. Implizite Motive entziehen sich der Selbstbeobachtung („Introspektion“) und können daher auch nicht einfach abgefragt werden. Explizite Motive sind uns hingegen bewusst, können sehr wohl direkt erfasst werden und spiegeln das eigene Selbstbild wider. Die Anzahl impliziter Motive ist klein, explizite Motive gibt es in Fülle. Im Idealfall stimmen implizite und explizite Motive überein. Dann decken sich die inneren Vorstellungen mit den äußerbaren Absichten. Eine solche „Motivkongruenz“ verleiht uns Menschen jene Selbstbestimmtheit, die Voraussetzung für ein ausfüllendes Berufsleben ist. Oft klaffen allerdings implizite und explizite Motive dauerhaft auseinander. Trifft z.B. ein stark ausgeprägtes explizites Leistungsmotiv („Ich will anpacken“) auf ein schwach ausgeprägtes implizites Leistungsmotiv, so können die Folgen fatal sein. Die Person will zwar Leistung zeigen, weil der Erfolg Belohnung verspricht. Die Tätigkeit selbst wird jedoch als mühselig, langweilig und somit alles andere als erstrebenswert erlebt. Der einzige Antrieb besteht darin, das Selbstbild zu bestätigen. Diese Willensanstrengung kann auf Dauer nicht durchgehalten werden. Es kommt zu einer „volitionalen 55 Erschöpfung“ verbunden mit niedriger emotionaler Stabilität und nicht zuletzt psychosomatischen Beschwerden. 5.3 Das „Anschalten“ von Motiven Explizite Motive sind nicht immer aktiviert. Sie bedürfen vielmehr einer Anregung durch bestimmte Situationsmerkmale. Diese Anreize besitzen gleichsam einen „Aufforderungscharakter“. Die Wechselwirkung zwischen Motiven und Anreizen bestimmt dann die Richtung, Intensität und Dauer des von ihr ausgelösten Verhaltens ( Bild 5-2). Dies wirft die so oft gestellte Frage auf, wie Menschen in Organisationen zu Leistung „motiviert“ werden können. Mit Druck, mehr Geld oder vielleicht mit einem Motivationstrainer? Hinter einer solchen Frage steht das Bild des Menschen als Reiz-Reaktions-Apparat, als hierarchisch gestaffeltes Bedürfnisbündel (wie in dem bekannten Modell von A BRAHAM 55 Der Begriff „volitional bezieht sich auf die Willenskraft die notwendig ist, um von einem bestimmten Motiv zur entsprechenden Handlung zu gelangen. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="83"?> 5.3 Das „Anschalten“ von Motiven 71 M ASLOW 56 ), nicht aber als mündiger und gleichberechtigter Partner der Führungskraft. Motivierung bedeutet hier das Eingeständnis, dass Arbeit als solche nicht belohnend wirkt, sondern durch Stimuli von außen annehmbar gemacht werden muss. Eine solche Motivierung ist jedoch schwer vorstellbar, weil jeder Motivierungsversuch von außen immer zuerst vom Menschen auf seine Attraktivität überprüft und im positiven Fall in eine Motivation von innen umgewandelt wird. Jemanden, und noch dazu auf Dauer, gegen seine inneren Einstellungen „motivieren“ zu wollen, ist unmöglich. 57 Motivation ist also grundsätzlich intrinsisch, und der in einschlägigen Literatur und Weiterbildung so beliebte Gegenpart der „extrinsischen“ Motivation daher entbehrlich. Bild 5-2: Motivation als Ergebnis einer Wechselwirkung zwischen Motiv und Anreiz. Das dynamische Wesen der Motivation liegt darin, ein Ziel zu haben und sich darauf hinzubewegen, sich anzustrengen und sich nicht davon abbringen zu lassen, dieses zu erreichen. Die unterschiedlichen Formen von Motivation, wie Wollen, Streben, Bemühen, Hoffen etc., haben eine Gemeinsamkeit, die der Psychologe F ALKO R HEINBERG (2008, S. 15) so beschreibt: „Die aktivierende Ausrichtung des momentanen Lebensvollzugs auf einen positiv bewerteten Zielzu- 56 A BRAHAM M ASLOW gilt als einer der Begründer der „Humanistischen Psychologie“, die sich als dritter Weg neben dem Behaviorismus (das objektive Erfassen von Verhalten ohne Berücksichtigung psychischer Vorgänge) und der Psychoanalyse (das Erforschen unbewusster Prozesse menschlichen Denkens, Fühlens und Handelns) zu etablieren suchte. Er nahm an, dass sich in der Entwicklung des Menschen fünf aufeinander folgende und somit hierarchisch angeordnete Bedürfnisse ausbilden würden, denen er knapp vor seinem Tod noch ein sechstes Bedürfnis, die Transzendenz, hinzufügte. 57 Mehr dazu in R EINHARD K. S PRENGER (1991): Mythos Motivation. Wege aus einer Sackgasse. Frankfurt am Main. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="84"?> 5 Führen mit Bedacht auf Motive 72 stand.“ Dieser Zielzustand kann sich auch darauf beziehen, etwas Unangenehmes abzuwehren. Motive wirken nicht isoliert. Sie werden auf der einen Seite von Gefühlen beeinflusst. Wir Menschen wiederholen Handlungen, bei denen wir Lust empfunden haben und vermeiden solche, bei denen wir Unlust verspürten. Auf der anderen Seite spielen immer auch Kognitionen, also die verschiedenen Formen des Denkens, mit. Bevor wir handeln, kalkulieren wir meist jene Umstände mit ein, die für das Erreichen eines bestimmten Ziels förderlich oder erschwerend sind. Und wir fragen uns immer, ob es sich denn auch lohnt, dieses Ziel zu verfolgen. Der Neuling in einer Verkaufsgruppe mag zwar den Ehrgeiz besitzen, Verkäufer des Jahres zu werden. Dennoch wird seine Motivation danach zu streben gedämpft sein, wenn er die Erfolgschancen angesichts seines vielleicht noch kleinen Gebietes oder der Konkurrenz erfahrener Kollegen als verschwindend gering einstuft. Umgekehrt kann die Erfolgsaussicht, dass er z.B. bald alle Artikelnummern seines Sortiments auswendig beherrscht, durchaus hoch sein. Er wird sich jedoch dieser Aufgabe kaum unterziehen, weil ihr Wert für ihn viel zu gering ist. 5.4 Das Leistungsmotiv Ist der Mensch von Natur aus ein leistungsmotiviertes Wesen? Wenn nein, dann bestünde die Gegenthese in einem Bild des Menschen als antriebsarmem Wesen, das nur mit Druck, Zwang oder Strafe zu „Leistung“ gebracht werden kann. So war z.B. der von Natur aus als „faul“ betrachtete Arbeiter in den Fabriken der industriellen Revolution des späten 18. Jahrhunderts das Objekt strenger Disziplinierung. Und wenn heute bereits am Donnerstag das Wochenende als lustvoller Abschied vom Arbeitsleid der Restwoche eingeläutet wird, nährt dies den Eindruck, die moderne Gesellschaft degeneriere zur reinen Freizeitgesellschaft, in der eine schmale Schicht von Leistungswilligen auf immer mehr Leistungsverweigerer trifft. Diese Annahme wird allerdings durch keine seriöse empirische Untersuchung gestützt. Das Problem ist vielmehr, dass der Einzelne heute mehr Möglichkeiten hat als je zu zuvor, sein Leistungsbedürfnis zu befriedigen. Leistung im Beruf konkurriert mit vielen anderen Betätigungsfeldern. Ob sich jemand als Arbeitswütiger, Vereinsmeier, Hobbybastler oder Extremsportler ausleben möchte, hängt von seinen persönlichen Präferenzen ab. Das natürliche Bedürfnis nach Leistung ist kein ausschließlich menschliches Merkmal. Vielen Affenarten und auf jeden Fall unseren nächsten Verwandten, den Schimpansen und Bonobos, kann durchaus eine Art von Leistungsmotivati- Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="85"?> 5.4 Das Leistungsmotiv 73 on zugeschrieben werden. Der Unterschied scheint in der als HAR1 58 bezeichneten Gensequenz zu liegen. Dieser winzige DNA-Abschnitt dürfte dafür verantwortlich sein, dass sich die menschliche Großhirnrinde in wenigen Millionen Jahren so rasch zu ihrer derzeitigen Größe entwickeln konnte. Damit gehörte die Leistungsmotivation in ihrer absichtsvollen, über bloße Belohnungsmechanismen (wie eben z.B. bei Schimpansen) hinausgehenden Weise tatsächlich zur Natur des Menschen. Dabei ist allerdings zu bedenken, dass das Leistungsmotiv durch die jeweilige Kultur überformt wird. Vergleicht man etwa Südkoreaner mit Kubanern oder Norweger mit Franzosen so lässt sich hinter der jeweiligen kulturellen Prägung nur schwer das Gemeinsame ausmachen. Zudem bringt die Wertedynamik in unserem Kulturraum auch neue Motive hervor (Stichworte „Selbstverwirklichung“, „Spaß“, „Mut zu zivilem Ungehorsam“), die das Leistungsmotiv stützen, aber auch in den Hintergrund drängen können. Die Frage der kulturellen Überformung des Leistungsmotivs wird überall dort brisant, wo kulturelle Vielfalt („Diversity“) - ob gewollt oder hingenommen - die Organisation prägt. Dies kommt bei der Zusammensetzung von Gruppen besonders zum Ausdruck. Wer in einer Kultur hoher Unsicherheitsvermeidung (z.B. Portugal, Griechenland) sozialisiert wurde, wird eher durch aufgabenfremde Anreize wie Arbeitsplatzsicherheit und klare Regeln geleitet werden, während Personen, die aus einer risikofreudigen Kultur stammen (z.B. Großbritannien, USA) Selbstbestimmung und Freiräume suchen werden. In maskulinen Kulturen (z.B. Japan, Italien) sind die gesellschaftlichen Rollen klar getrennt und die männliche Rolle zeichnet sich durch implizites Leistungsstreben kombiniert mit Dominanzverhalten aus. In eher femininen Kulturen (z.B. Niederlande, Norwegen) regt hingegen das gemeinsam erzielte Ergebnis zu höherer Leistung an, sodass hier das Leistungsmotiv häufig mit einem starken Anschlussmotiv gepaart ist. Wie problematisch solche Verallgemeinerungen jedoch sind, zeigt das Beispiel Japan. Japan lebt eine Kultur mit hoher Unsicherheitsvermeidung, geringer Mobilität und beträchtlicher Verhaltensnormierung. Trotzdem wirkt dieser an sich einengende Hintergrund nicht negativ auf leistungsorientiertes Handeln, Anstrengung und Ausdauer aus. Wie die anderen expliziten Motive ist auch das Leistungsmotiv keinesfalls immer präsent. Es wartet ab, bis sich eine passende Gelegenheit zum Handeln bietet. Unter bestimmten Bedingungen kann es sich jedoch so richtig entfalten: 58 Im Lauf der Evolution kam es zwischen Schimpansen und Menschen immer wieder zu Veränderungen im jeweiligen Erbgut. Der Gen-Abschnitt HAR1 (HAR steht für Human Accelerated Regions) spielt bei der Embronalentwicklung des Gehirns eine besondere Rolle. Er ist vermutlich der Grund dafür, dass das menschliche Gehirn so viel komplexer ist als das der Schimpansen. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="86"?> 5 Führen mit Bedacht auf Motive 74 Die Handlung muss ein erkennbares Ergebnis liefern, das anhand von Maßstäben der Güte oder Menge bewertet werden kann. Für den Verkäufer gehört das Bewerten ohnedies zum täglichen Geschäft. Er braucht daher, anders als etwa der Künstler und andere Freischaffende, konkrete Maßstäbe wie Absatz, Umsatz, Deckungsbeitrag, Anzahl der Neukunden und dergleichen. Die Anforderungen an die Handlung dürfen weder zu leicht noch zu schwer sein. Besonders im Verkauf kommt das Leistungsmotiv dann am besten zur Geltung, wenn die Anforderungen weder so hoch sind, dass sich Dauerstress einstellt, noch so niedrig sind, dass man keinerlei Ansprüche an sich zu stellen braucht ( Bild 5-3). Ziele, die nicht nur nicht erreichbar scheinen, sondern tatsächlich nicht erreichbar sind, töten das Leistungsmotiv genauso ab wie dehnbare Ziele, die nach Bedarf so interpretiert werden können, wie man es gerade braucht. Chronische Unterforderung (Stichwort „Bore-out- Syndrom“) dämpft das Leistungsmotiv, weil hier die positiven Erwartungsgefühle, wie etwa der Stolz auf die eigene Leistung, fehlen. Bild 5-3: Das Leistungsmotiv zwischen Über- und Unterforderung Um das Handlungsergebnis bewerten zu können, muss ein Vergleichsmaßstab vorliegen und ein bestimmter Normwert für verbindlich gehalten werden. Ein professionelles Verkaufsmanagement macht durch Vergleiche und Wettbewerbe sowie das Einschwören auf verbindliche Ziele davon reichlich Gebrauch. Erfahren Verkäufer mit hoher Leistungsorientierung, dass ihre Leistung nicht an die anderer Personen heranreicht, so werden sie sich in der Regel dafür entscheiden, ihre Anstrengungen zu erhöhen. Wer hingegen schon Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="87"?> 5.4 Das Leistungsmotiv 75 an Überforderung leidet, wird Gründe für sein Versagen in seinem Umfeld suchen oder einfach resignieren. Die Handlung muss vom Handelnden gewollt und das Ergebnis von ihm selbst zustande gebracht worden sein. Wer den Beruf des Verkäufers gewählt hat, verfügt gewöhnlich über die nötige Willenskraft, Handlungsbarrieren zu überwinden sowie die Überzeugung, aus eigener Kraft bestimmte Ziele zu erreichen. Wenn Erfolge der eigenen Fähigkeit zugeschrieben werden, wird die Selbstwirksamkeitserwartung immer wieder bestätigt. Dann ist es aber auch kein Problem, Misserfolge der eigenen Unfähigkeit zuzuschreiben und gewappnet mit dieser Frustrationstoleranz 59 einen neuen Versuch zu wagen, die Anstrengungen zu erhöhen. Vorbilder können das Leistungsmotiv durchaus anstacheln. Wenn ich als Verkäufer beobachte, dass ein anderer, der mit ähnlichen Fähigkeiten ausgestattet ist wie ich es bin, eine bestimmte Aufgabe meistert, dann werde auch ich mir diese Aufgabe zutrauen. Je ähnlicher ich diesen anderen wahrnehme, desto stärker wird dessen Einfluss auf meine Leistungsbereitschaft sein. Soziale Unterstützung hat dieselbe Wirkung. Verkäufer, denen Mut gemacht wird und denen die Zuversicht signalisiert wird, dass sie eine bestimmte Aufgabe zu meistern imstande sind, werden lernbereiter sein, als jene, die z.B. in einer Angstkultur die eigene Hilflosigkeit ständig bestätigt bekommen. Alle diese Bedingungen erhöhen die bereits angesprochene Selbstwirksamkeitserwartung 60 (SWE). Diese beruht auf der Annahme, dass man als Person sehr wohl Einfluss auf sein Umfeld ausüben kann. Es sind nicht nur äußere Umstände, andere Personen, das Schicksal, Zufall, Glück und Pech, die Erfolg oder Misserfolg verursachen. Untersuchungen zeigen, dass Personen mit einem starken Glauben an die eigenen Fähigkeiten ausdauernder, weniger anfällig für Angst und Depressionen und somit erfolgreicher im Berufsleben sind. Dies lässt sich aus der Tatsache erklären, dass Personen mit einer hohen SWE auch hohe Ansprüche an sich selbst stellen und deshalb herausfordernde Aufgaben suchen. Eine vollbrachte Leistung bestätigt oder erhöht dann die eigene SWE. So entsteht ein positiver Kreislauf: Erfolg erzeugt weiteren Erfolg. 59 Die Fähigkeit, mit Enttäuschungen umzugehen, ohne dabei in Aggression, Resignation oder Regression (Rückfall in die Kindheitsrolle) zu flüchten. 60 Ein Konzept des kanadischen Psychologen A LBERT B ANDURA . Die Selbstwirksamkeitserwartung oder SWE (im Englischen „perceived self-efficacy“) bezeichnet die Erwartung, aufgrund eigener Fähigkeiten erwünschte Handlungen erfolgreich selbst ausführen zu können. Ein Mensch, der daran glaubt, selbst etwas zu bewirken und auch in schwierigen Situationen selbstständig handeln zu können, hat demnach eine hohe SWE. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="88"?> 5 Führen mit Bedacht auf Motive 76 Das Leistungsmotiv formt sich in den Phasen der frühkindlichen Entwicklung. In dessen Verlauf können sich drei typische Leistungshaltungen 61 ausbilden: Eine selbstbewusste Leistungshaltung, die mit der eigenen Persönlichkeit eine Einheit bildet. Solche Personen nehmen hohe Leistungsforderungen an, ohne dadurch verunsichert zu werden. Ein Glücksfall für jedes Verkaufsmanagement. Zugleich auch ein Beleg dafür, wie wichtig es ist, bei der Personalauswahl, wenn immer möglich, auf die Biographie des Bewerbers zu achten. Eine defensive Leistungshaltung, die Leistungsansprüchen aus dem Weg geht. Damit will die Person verhindern, ihr mühsam erreichtes Autonomiegefüge zu verlieren. Eine langjährige Tätigkeit im Verkauf führt oft zu einer psychologischen Abnutzung. Die ständige Anpassung an Menschen, mit denen nur oberflächliche Kontakte möglich sind, ermüdet. Wachsende Erfolglosigkeit löst dann einen negativen Kreislauf aus: Misserfolg erzeugt weiteren Misserfolg Eine kompensatorische Leistungshaltung, die im Leistungserfolg die Möglichkeit sieht, seine eigene Umwelt zu gestalten, Lebensenergie zu bündeln und das Selbstwertgefühl zu stärken. Anders als der Verkäufer mit einer selbstbewussten Leistungshaltung, der schließlich zum „Hochdruckverkäufer“ werde kann, legt der kompensatorische Typ viel Wert auf Gespräche, in denen er den Sinn seiner Tätigkeit erkennen kann. 5.5 Anspruchsniveau und Leistung Wenn es darum geht, sich für eine bestimmte Aufgabe zu „motivieren“, so spielen zwei Faktoren eine besondere Rolle: das individuelle Anspruchsniveau und der Erfolgsanreiz, der aus der Einschätzung der jeweiligen Situation entsteht. Das Anspruchsniveau ist quasi die Höhe der Messlatte, die eine Person für die Bewältigung einer Aufgabe wählt. Erscheint ihr das Leistungsziel erstrebenswert, wird sie sich die Messlatte höher legen als im umgekehrten Fall. Erfahrungen von Erfolgen in ähnlichen Situationen wirken bestätigend und spornen dazu an, das Anspruchsniveau zu erhöhen. Misserfolgserfahrungen haben eine gegenteilige Wirkung. Dies bedeutet, dass Menschen ihr Anspruchsniveau nach der Erfolgswahrscheinlichkeit ausrichten. Demzufolge müssten wir uns bei gleicher Wertigkeit des Leistungsziels und bei freier Aufgabenwahl immer für die leichteste Aufgabe entscheiden. Dies ist je- 61 Die Ausführungen sind inspiriert von J ÜRGEN G EISSLER und seinem Buch „Psychologie der Karriere“, München 1977. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="89"?> 5.5 Anspruchsniveau und Leistung 77 doch nicht der Fall, vor allem nicht in Situationen, in denen Erfolg oder Misserfolg ohne schwerwiegende Folgen verbunden sind. Das Erfolgserleben hängt eben auch vom Erfolgsanreiz ab. Dieser ist umso höher, je schwieriger die Aufgabe und je größer der damit verbundene Stolz ist, sie geschafft zu haben. Der Psychologe J OHN A TKINSON (1923-2003) nahm an, dass Erfolgswahrscheinlichkeit und Erfolgsanreiz miteinander verknüpft sind. Daraus ergibt sich eine umgekehrte U-Funktion ( Bild 5-4): Je größer die Erfolgswahrscheinlichkeit, desto kleiner ist der Erfolgsanreiz und umgekehrt. Eine extrem schwierige Aufgabe hat zwar einen hohen Erfolgsanreiz, aber eine so geringe Erfolgswahrscheinlichkeit, dass sie keine Motivation auslöst. Die Leistungsmotivation ist am höchsten bei mittelschweren Aufgaben, die zwar anspruchsvoll, aber auch erreichbar sind. Bild 5-4: Die Verknüpfung von Erfolgsanreiz und Erfolgswahrscheinlichkeit Leistungsmotivation braucht Rückmeldungen. Personen haben oft Erfolgserwartungen, die auf der Einschätzung ihrer eigenen Leistungsfähigkeit beruhen. Kommt es, etwa in einer Führungsepisode, zu einer Diskrepanz zwischen Rückmeldung vom Vorgesetzten und der eigenen Leistungseinschätzung, so neigen Mitarbeiter dazu, die negative Leistungsrückmeldung anzuzweifeln oder sie einfach zu ignorieren, weil sie nicht ihrer eigenen Einschätzung entspricht. Es gibt weder eine Garantie dafür, dass der Mitarbeiter negative Rückmeldungen nutzt, um aus Fehlern zu lernen, noch dass ihn die positiven Gefühle nach einem zurückgemeldeten Erfolg dazu veranlassen, seine Anstrengungen auf ein anspruchsvolleres Ziel zu richten. Wenn eine Rückmeldung das Leistungsmotiv tatsächlich stimulieren soll, so gilt es Folgendes zu beachten. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="90"?> 5 Führen mit Bedacht auf Motive 78 Eine Rückmeldung muss eindeutig sein und sich nur auf solche Teile der Aufgabe beziehen, die der Empfänger der Rückmeldung durch seinen persönlichen Einsatz auch beeinflussen kann. Positive Rückmeldungen werden viel aufmerksamer wahrgenommen und erinnert als negatives Feedback. Ein Feedback darf nicht pauschal oder verallgemeinernd sein. Es sollte persönlich formuliert sein, sich nicht auf Beobachtungen und Eindrücken anderer beziehen und am besten als Einladung zum Dialog erfolgen. Rasches positives Feedback erhöht die Leistungsmotivation. Durch seine Unmittelbarkeit wirkt es glaubwürdig und somit anspornend. Aufgeschobenes positives Feedback bewirkt meist das Gegenteil, weil es nicht mehr eindeutig einer bestimmten Leistung zugeordnet werden kann. Rasches negatives Feedback vermag die Leistungsmotivation bei Experten zu steigern, weil diese ihren Status erhalten wollen. Bei Anfängern mit einer Tendenz zur Misserfolgsvermeidung kann es lähmend wirken. Aufgeschobenes negatives Feedback senkt die Leistungsmotivation bei Experten. Sie sind mental immer „sprungbereit“ und fühlen sich durch den Aufschub kritischer Rückmeldungen in ihrem Antrieb gehemmt. Bei Anfängern kann aufgeschobenes negatives Feedback die Leistungsmotivation erhöhen, wenn sie in der Zwischenzeit Lernfortschritte erlebt haben. Ausschließlich positive Rückmeldungen unterliegen dem Abnutzungseffekt. Es braucht immer stärkere Anreize, um die Leistungsbereitschaft anzuregen. Wer laufend negatives Feedback abkriegt, wird sein Anspruchsniveau schrittweise absenken, um weitere Misserfolge zu vermeiden. Gelingt es, negatives Feedback zwischen zwei Schichten von positivem Feedback quasi als „Sandwich“ zu verpacken, so bleibt zumindest ein positives Selbstwertgefühl erhalten. Lob, als besondere Form der Rückmeldung, ist eine Kunst. Es muss zeitnah und konkret sein: „Frau Müller, das haben Sie super gemacht! “ wäre viel zu vage. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="91"?> 5.6 Erfolg und Misserfolg 79 Lob muss authentisch sein, darf also keine Widersprüche etwa zwischen den Worten und der Mimik erkennen lassen. Lob ist mehr als nüchterne Anerkennung: Der Gelobte soll die Begeisterung des Lobenden auch spüren. Lob muss zudem überraschen. Es wirkt dann am besten, wenn es unerwartet kommt. Eines steht fest: Lobhudelei wirkt demotivierend. 5.6 Erfolg und Misserfolg Leistungsmotivation beruht auf den emotionalen Grunderlebnissen des Strebens nach Erfolg und der Furcht vor Misserfolg. Beide verschränken sich miteinander und können sogar bei ein und derselben Person in verschiedener Ausprägung auftreten. 62 Idealtypisch betrachtet also bewusst vereinfachend, um voneinander abzugrenzen ergeben sich aus dem Streben nach Erfolg und der Furcht vor Misserfolg vier Motivationstypen: Erfolgsorientierte, Übermotivierte, Anspruchslose und Misserfolgsgefangene ( Bild 5-5). Natürlich ist die Welt nicht so gestrickt, dass man Menschen einfach in eine der vier Kategorien steckt und danach entsprechend zu „steuern“ versucht. Wenn man jedoch annimmt, dass sich bei den meisten Menschen eine der vier Orientierungen immer wieder in den Vordergrund drängt, dann vermag diese grobe Skizze doch einige Anhaltspunkte dafür zu bieten, wie sich Führung mit den unterschiedlichen Formen der Leistungsmotivation auseinandersetzen soll. Erfolgsorientierte haben sich die Offenheit für Neues erhalten und gehen mit Optimismus und Selbstvertrauen, jedoch ohne Überheblichkeit an Aufgaben heran. Dabei wählen sie einen mittleren Schwierigkeitsgrad, bei dem sie ihre Tüchtigkeit unter Beweis stellen können. Erfolgsorientierte brauchen keine Führung im Sinne von Kontrolle und Disziplinierung. Ihre Leistungsbereitschaft („Wollen“) ist in der Regel mit einem hohen Bedürfnis nach Freiräumen („Dürfen“) verbunden. 62 B RUNSTEIN , J OACHIM C.; H ECKHAUSEN , H EINZ . (2010): Leistungsmotivation. In: Heckhausen, J.; Heckhausen, H. (Hrsg.): Motivation und Handeln, 4. Aufl., , Heidelberg, S. 180. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="92"?> 5 Führen mit Bedacht auf Motive 80 Bild 5-5: Vier Typen von Leistungsmotivierten. Übermotivierte arbeiten hart, um erfolgreich zu sein und Anerkennung zu ernten. Ihr Leistungsstreben wird aber zugleich von Misserfolgsangst geprägt. Sie treten dann die Flucht nach vorn an und versuchen, ihre Versagensängste durch vermehrte Anstrengung zu überwinden. Sie handeln in der Folge oft planlos und übereilt. Oder sie halten rigide an eingeübten Lösungsschemata fest und verlieren sich bei der Bearbeitung einer Aufgabe im Detail. Übermotivierten mangelt es an der Fähigkeit, die eigenen Anstrengungen auf ein optimales Maß zu regulieren 63 . Ein Führen durch ständiges kritisches Beobachten und Erfolgsdruck ist kontraproduktiv. Übermotovierte brauchen die vorsichtig lenkende Hand einer erfahrenen Führungsperson, die ihr ausgeprägtes „Wollen“ in die richtigen Bahnen lenkt. Anspruchslose fühlen sich weder von Erfolgen angezogen noch sind sie über mögliche Misserfolge sonderlich besorgt. Sie gehen Anstrengungen aus dem Weg und stehen Leistungen eher gleichgültig gegenüber. Sie sind damit in einem Zirkel gefangen, der sich um Antriebsschwäche und Perspektivenlosigkeit dreht 64 : Beide bedingen einander und treiben solche Menschen immer mehr in das „Nichtwollen“. Immerhin sind Anspruchslose weniger ängstlich und besorgt als Misserfolgsgefangene. Sie haben ihr Anspruchsniveau von gesellschaftlichen Standards (z.B. „Leistung zählt“) abgekoppelt und sich in 63 J OACHIM C. B RUNSTEIN und H EINZ H ECKHAUSEN ,. (2010): Leistungsmotivation. In: Heckhausen, J.; Heckhausen, H. (Hrsg.): Motivation und Handeln, 4. Aufl., , Heidelberg, S. 180. 64 Auslöser für diesen Teufelskreis sind oft physiologische Defekte (z.B. eine Unterfunktion der Schilddrüse, Schlafstörungen) oder psychische Störungen, denen wiederum physiologische oder psychosoziale Ursachen zugrunde liegen. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="93"?> 5.7 Individualisierung der Führung nach Motiven 81 der Komfortzone eingerichtet. Führung stößt bei den Anspruchslosen an ihre Grenzen. ( auch Abschnitt 8.4) Misserfolgsgefangene fürchten den Misserfolg, können aber Erfolgen wenig abgewinnen. Sie leiden unter einem niedrigen Selbstkonzept, was durch den Wettbewerbsdruck im Beruf leicht zu erlernter Hilflosigkeit 65 und Depression führen kann. Auch der Perfektionist ist letzten Endes ein Misserfolgsgefangener. Beim geringsten Gedanken an ein Nichtgelingen hat er sofort mit negativen Gefühlen zu kämpfen. Bei Misserfolgsgefangenen versteckt sich das „Wollen“ hinter der Ängstlichkeit. Eine Mut machende Führung wird bei solchen Menschen vor allem beim „Können“ ansetzen. Sie wird versuchen, es auf ein Niveau bringen, das dem Misserfolgsgefangenen die Anerkennung von Kollegen sicherstellt und damit ein höheres Selbstwertgefühl beschert. Coaching und Mentoring können diesen Prozess unterstützen. 5.7 Individualisierung der Führung nach Motiven Für eine Führung, die individuell auf den einzelnen Mitarbeiter eingehen möchte, stellen sich einige Fragen: Wie schätze ich den Mitarbeiter im Hinblick auf sein dominantes soziogenes Motiv ein? Inwieweit stimmen Motiv und Berufswahl überein, etwa das Motiv andere Menschen zu beeinflussen und der Beruf des Verkäufers im Außendienst? Oder klaffen Motiv und Berufswahl auseinander, was dann zu inneren Spannungen („Dissonanzen“) führen kann? Inwieweit lassen sich beobachtbare Leistungsschwankungen daraus erklären? Habe ich als Führungskraft genug getan, um z.B. in Gesprächen ein Gefühl für die Motivstruktur meines Mitarbeiters zu bekommen? Welche Rahmenbedingungen muss ich schaffen und welche Anreize bieten, damit sich die Leistungsmotivation des jeweiligen Mitarbeiters entfalten kann? So grundlegend die drei soziogenen Motive nach D AVID M C C LELLAND auch sein mögen, die Arbeitswelt hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Eigenen Beobachtungen in der Praxis legen es nahe, das Modell von M C C LELLAND zu erweitern. Da sich Motiv und Bedürfnis überlappen, kann die folgende Auf- 65 Anhaltende Angst kann zu einem Zustand führen, den der Psychologe M ARTIN S ELIGMAN „erlernte Hilflosigkeit“ nennt. Sie ist eine Konsequenz des andauernden Gefühls, das Ergebnis von Ereignissen nicht mehr beeinflussen zu können. Das Verhaltensrepertoire wird so sehr eingeschränkt, dass Versuche, die missliche Situation zu ändern, gar nicht erst unternommen werden. Diese Hilflosigkeit kann unter bestimmten Bedingungen in die Depression führen. Vor allem dann, wenn sich die Person die Ursache der Misere selbst und nicht etwa äußeren Umständen zuschreibt; wenn sie den Zustand verallgemeinert und nicht als besonderen Fall sieht; und wenn sie das Problem als andauernd und nicht als vorübergehend einschätzt. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="94"?> 5 Führen mit Bedacht auf Motive 82 gliederung in sechs, die Arbeitswelt von heute bestimmenden Motive ( Bild 5- 6) auch so gelesen werden: „Menschen haben ein ausgeprägtes Bedürfnis zum Beispiel nach ...“ Bild 5-6: Grundlage für eine Individualisierung von Führung nach Motiven Selbstbestimmung: Dieses Motiv beinhaltet das Bedürfnis nach organisatorischen Freiräumen sowie Möglichkeiten, die eigenen wahrgenommenen Fähigkeiten auch ausleben und Entscheidungen frei treffen zu können. Selbstbestimmung setzt den Glauben an den freien Willen des Menschen 66 voraus. Anerkennung: Ein universelles menschliches Bedürfnis, das aber gerade in der Welt der Organisationen zu wenig Aufmerksamkeit erfährt. Zwar wissen inzwischen die meisten Führungskräfte dass Anerkennung wichtig ist, aber nicht wie man sie den Mitarbeitern zeigt. Auch die notorische Klage, in Organisationen des deutschsprachigen Kulturraums werde zu wenig gelobt, fällt in diese Rubrik. Verbundenheit: Der Mensch ist ein Kleingruppenwesen. Die Überschaubarkeit der Gruppe bietet ihm die nötige Geborgenheit, um auch Gefühle zu zeigen was ihm in der anonymen Großorganisation verwehrt bleibt. Mit der Demontage der klassischen Familie wächst das auch Bedürfnis nach Zugehörigkeit. 66 Manche Neurowissenschaftler bezweifeln, dass es so etwas wie einen freien Willen gibt. Die meisten Prozesse im Gehirn liefen unbewusst und automatisch ab. Der freie Wille sei deshalb eine Illusion. Dagegen lässt sich einwenden, dass diese Illusion eine überaus nützliche, lebensbejahende ist, welche die Besonderheit des menschlichen Wesens überhaupt erst begründet. Selbstbestimmung Maßgebliche Motive in der heutigen Arbeitswelt Anerkennung Verbundenheit Abwechslung Sicherheit Lebensbalance Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="95"?> 5.8 Aus der Praxis 83 Abwechslung: Eine der Kardinalsünden unserer Zeit ist die Langeweile. Alle möglichen Wirtschaftszweige arbeiten permanent daran, dieses Gefühl gar nicht erst aufkommen zu lassen. Das Spektrum des Motivs der Abwechslung reicht von der gesunden Neugier bis zum süchtig machenden „Sensation Seeking“. Sicherheit: Dass in Zeiten, in denen morgen schon alles wieder ganz anders sein könnte, ein Bedürfnis nach Stabilität und Ordnung besteht, muss nicht extra begründet werden. Da passt ins Bild, dass viele Universitätsabsolventen liebend gerne im öffentlichen Dienst unterkämen. Und, dass die Gründerszene, trotz sprudelnder Fördergelder, nur an wenigen Orten „boomt“. Lebensbalance: Sie beschreibt die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Karriere und Kinder, Arbeit und persönlicher Sphäre. Zum verklärten Arbeitsethos „Leben um zu arbeiten“ und dem auf den reinen Nutzen reduzierte Grundsatz „Arbeiten um zu leben“ tritt inzwischen das Konzept „Leben beim Arbeiten“ („Work-Life-Blending“) hinzu. 67 Diese Skizze zeigt, wie sehr die Präferenzen von Menschen voneinander abweichen können. Arbeitszufriedenheit und damit die Leistungsmotivation hängen wesentlich vom Grad der Erfüllung solcher persönlicher Präferenzen ab. Überall dort, wo Arbeitsrecht und Kultur dies zulassen, hat sich die Entgeltpolitik in Organisationen bereits darauf eingestellt. Das „Cafeteria-Modell“ ist ein Beispiel dafür. Die Mitarbeiter können aus einem Angebotskorb des eigenen Unternehmens, meist nach einem Punktesystem, jene Entgeltleistungen auswählen, die ihren Präferenzen am besten entsprechen. Für die Funktion der „Führung“ greift dies natürlich zu kurz. Sie darf nicht nur die materiellen Anreize im Blick haben. Selbstbestimmung, Anerkennung, Verbundenheit, Abwechslung, Sicherheit und Lebensbalance sind im Wesentlichen immaterieller Natur. Sie wirken nicht bloß für den Augenblick, sondern betreffen die Persönlichkeit des Mitarbeiters und seine Lebensumstände. 5.8 Aus der Praxis Das Wort „neu“ will er nicht mehr hören. Schließlich ist Benno nun schon seit 18 Monaten Leiter der Kundendienstabteilung eines Herstellers von Reinigungsge- 67 Der Human-Ressource-Experte C HRISTIAN S CHOLZ kritisiert diese Entwicklung in seinem Buch „Mogelpackung Work-Life-Blending“ (2017). Die Megatrends Digitalisierung, Flexibilisierung und Virtualisierung würden einseitig zulasten der Menschen umgesetzt. Work- Life-Blending vereinnahme „metastasenartig“ das ganze Leben. Die angebliche Freiheit führe nur zur Selbstausbeutung. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="96"?> 5 Führen mit Bedacht auf Motive 84 räten. Aber in diesem inhabergeführten Unternehmen wird Tradition groß geschrieben, sodass man hier eher in Jahrzehnten denkt als in Monaten. Manche Kundenbeziehungen wurden vom Vater auf den Sohn „vererbt“. Benno, der von außen zum Unternehmen stieß, spürt, dass sich die Welt auch in seiner Branche viel schneller dreht als früher. Die Kunden sind ungeduldiger geworden und verzeihen nicht mehr so leicht einen Fehler. Von seinen acht Mitarbeitern ist einer „schon ewig dabei“ und nun nahe am Rentenalter, aber er will auf keinen Fall aufhören. Ein Azubi wurde vor einem Jahr übernommen, zwei junge Mitarbeiterinnen heuerten von einem Mitbewerber an, als dieser in wirtschaftliche Schieflage geriet. Die restlichen vier sind „Eigengewächse“, einer davon überzeugter Single und die anderen mit Familie unterschiedlicher Größe und mit unterschiedlichen finanziellen Verpflichtungen. Eine bunte Truppe also, deren Motive weit auseinanderklaffen. Mit der Sicherheit des Arbeitsplatzes allein - die Fluktuationsrate, auf die man im Unternehmen besonders stolz ist, liegt unter 3 % kann Benno nicht allzu viel bewegen. Benno enthält sich bewusst eines bestimmten „Führungsstils“, der für seine Abteilung „optimal“ sein soll. Er versucht stattdessen, sein Repertoire an Führungsmöglichkeiten auf den einzelnen Mitarbeiter ausrichten. Er kennt mittlerweile die Herkunft seiner Mitarbeiter und die Lebensphasen, in denen sie sich befinden. Es fällt ihm daher nicht schwer, anhand von Beobachtungen, Episoden und Gesprächen einzuschätzen, was jeden von ihnen antreibt, kalt lässt oder manchmal irritiert. So findet z.B. nicht jeder Mitarbeiter sein Glück in selbstbestimmter Arbeit. Klare Vorgaben und feste Strukturen sind nicht selten der bessere Weg zu solider Arbeitszufriedenheit. Bei manchen können öffentlich geäußerte Anerkennung Wunder wirken, andere lockt man eher mit einer Geldprämie aus der Reserve. Während einige die Geborgenheit der Gruppe suchen, bleiben andere lieber im Modus des Einzelkämpfers. Das Ergebnis seiner Einschätzungen fasst Benno in einem Raster zusammen ( Bild 5-7). Müller und Ohnsorg sind schon lange im Unternehmen und aufeinander eingespielt. Sie arbeiten überaus strukturiert und vertreten einander im Urlaubsfall. Beide brauchen den regelmäßigen, gemeinsamen „Jour fixe“, bei dem Benno ihnen nicht zu knappe Rückmeldungen gibt. Bei den fallweisen Kegelabenden der Gruppe blühen sie auf und sind enttäuscht, wenn wieder einmal nicht alle dabei mitmachen. Das trifft besonders auf Sieg zu, der als selbstbewusster Single maximalen Freiraum bei und außerhalb der Arbeit braucht. Benno gewährt ihm einen großen Vertrauensvorschuss, den er allerdings mit drei Kontrollpunkten verbindet: Die Monatsstatistik muss Sieg pünktlich liefern; Beschwerden von definierten Schlüsselkunden sind an Benno ohne Ausnahme weiterzuleiten; und zwei Tage pro Monat verbringt Sieg im Außendienst, um die Verkäufer zu Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="97"?> 5.8 Aus der Praxis 85 unterstützen. Bild 5-7: Beispiel für die Individualisierung von Führung nach Motiven Brandt gehört zu den „Neuen“. Sie ist unsicher, hat eine übergroße Angst vor Fehlern und lehnt sich deshalb stark an Müller und Ohnsorg an. Benno wendet viel Zeit für Mut machende Einzelgespräche auf. „Heute hatte ich wieder Therapiesitzung“, sagt Benno dann an Abend scherzhaft zu seiner Frau. Foster ist rundum zufrieden und wird von den anderen „Glückskind“ genannt. Benno muss ihr klare und anspruchsvolle Ziele setzen, um sie aus der Komfortzone des Mittelmaßes zu locken. Martens werkt seit Jahren am Umbau eines alten Hauses. Man solle ihm ja nicht mit „Motivation und dem ganzen Zeugs“ kommen, sagte er zu Benno. Er brauche „Konkretes“. Geldprämien wirken bei ihm in der Tat wie ein Treibsatz. Hönig ist als „Schöngeist“ der Mannschaft zwar nicht übermäßig belastbar, aber äußerst gewissenhaft und bei vielen Kunden angesehen. Benno hat deshalb zugestimmt, dass Hönig sein durch Lohnverzicht aufgefülltes Zeitwertkonto in ein sechsmonatiges Sabbatical umwandelt. Da die Abteilung schon jetzt mehr als ausgelastet ist, wird das Personal um eine Kraft aufgestockt. Bleibt noch Seibt. Sie hat sich als Neue rasch eingearbeitet und signalisiert, dass sie vielseitig ist. Benno hat ihr soeben ein Projekt übertragen, in dem sie sich laufend mit Produktion und Logistik abstimmen muss. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="98"?> 5 Führen mit Bedacht auf Motive 86 5.9 Für die Praxis Unsere Arbeitswelt ist normiert. Die Arbeitsplätze sind definiert, die Arbeitszeiten fixiert, die Leistungen vorgegeben, die Entlohnung ist abgesichert. Dafür wurde in der Vergangenheit hart gekämpft. Mit den Kundenwünschen verhält es sich genau umgekehrt. Sie sind unberechenbarer und vielfältiger geworden. Die beiden Seiten passen nicht zueinander. Da Märkte, so sie denn funktionieren, auch unbarmherzig sein können und eine Ignoranz von Kundenwünschen sofort bestrafen, hat die Kundenwelt hier die Oberhand. Für die Unternehmen bedeutet dies einen ständigen Balanceakt. Es gilt die Vorzüge der Normierung - Ordnung, Sicherheit, Vereinfachung - zu bewahren und zugleich der Individualität sowohl im Unternehmen selbst als auch in den Beziehungen zur Kundenwelt genügend Raum zu geben. Individuelle Leistung hat bestimmte Voraussetzungen: Zunächst genetische Faktoren, denn nicht jeder kann ein E INSTEIN , eine N ETREBKO oder ein R ONALDO werden; dann frühkindliche Prägungen, die Weichenstellungen verursachen, die später nicht mehr veränderbar sind; und schließlich Umweltbedingungen, welche Individualität fördern oder hemmen können. Das führt uns zu Benno zurück. Eingezwängt in ein Korsett aus tarifvertraglichen und betrieblichen Regelungen muss er einen Weg aus der „Durchschnittsfalle“ 68 finden. In diese Falle gerät, wer Individualität als anstrengend, das Gleichmaß störend oder gar als lästig empfindet. Der Durchschnitt ist erstens unklug, weil wertvolle Ressourcen nicht genutzt werden. Er ist zweitens gefährlich, weil alle Problemlösungen nur um eine vermeintliche Mitte kreisen, sodass die Probleme immer wieder zurückkehren. Und der Durchschnitt ist drittens ungerecht, weil er den einzelnen Mitarbeiter daran hindert, seine individuellen Fähigkeiten zum Wohle des Ganzen zu entfalten. Der Durchschnitt kommt einem Würfel gleich, der auf jeder Seite dieselbe Augenzahl hat, z.B. drei. Damit wird beim Würfeln zwar eine magere Eins vermieden, zugleich gibt es aber auch keine Sechs, also keinen Volltreffer. Benno will sich mit einem Durchschnitt nicht begnügen. Er braucht möglichst viele Sechsen, um im Wettbewerb um anspruchsvolle und unberechenbare Kunden bestehen zu können. Indem Benno versucht, die jeweils tonangebenden Motive seiner acht Mitarbeiter Selbstbestimmung, Anerkennung, Verbundenheit, Abwechslung, Sicherheit, Lebensbalance - zu erkunden und im Rahmen seiner Möglichkeiten darauf einzugehen, schafft er eine wichtige Voraussetzung für individuelle Leistung. 68 Dieser Begriff ist auch der Titel eines Buches des Genetikers M ARKUS H ENGSTSCHLÄGER , das wegen seiner Originalität in die weiterführende Literatur aufgenommen wird. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="99"?> 5.9 Für die Praxis 87 Weiterführende Literatur B RUNSTEIN , J OACHIM C.; H ECKHAUSEN , H EINZ (2010): Leistungsmotivation. In: Heckhausen, J.; Heckhausen, H. (Hrsg.): Motivation und Handeln, 4. Aufl., Heidelberg, S. 145-192. H ENGSTSCHLÄGER , M ARKUS (2012): Die Durchschnittsfalle. Gene - Talente Chancen. Salzburg. S PRENGER , R EINHARD K. (2014): Mythos Motivation. Wege aus einer Sackgasse. Frankfurt am Main. S TAHL , H EINZ K. (2013): Leistungsmotivation in Organisationen - Ein interdisziplinärer Leitfaden für die Führungspraxis. Zweite, neu bearbeitete Auflage, Berlin. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="100"?> 88 6 Führen mit dem Reifegrad-Modell Überall dort, wo Menschen über längere Zeit miteinander kooperieren, brauchen sie Werte als „Leitlinien“, um das gegenseitige Verständnis Verhalten danach auszurichten. Werte führen so automatisch zum „Sollen“. In dem Moment, indem die unterschiedlichen menschlichen Motive in den Blickpunkt rücken, kommt man zum „Wollen“. Um für die Individualisierung von Führung zu einem „360-Grad“-Bild des einzelnen Mitarbeiters zu kommen, fehlen noch zwei Elemente. Das erste ist trivial, es handelt sich um das „Können“. Das zweite erschließt sich nach kurzem Nachdenken. Mit zwei Ausnahmen, dem Militär und der Bürokratie, weisen soziale Systeme immer Freiräume auf, die zum Wohl des Gemeinsamen genutzt werden können. Hier kommt das „Dürfen“ ins Spiel. 6.1 „Reifegrad“ und Humankapital Zusammengenommen bilden die vier Dimensionen Können, Wollen, Sollen und Dürfen den „Reifegrad“ eines Mitarbeiters ab ( Bild 6-1). Er gibt Antworten auf folgende Fragen: Wie hoch ist das persönliche Humankapital ( Abschnitt 12.2.1), über das der Mitarbeiter verfügt? Inwieweit ist der Mitarbeiter auch bereit, dieses Vermögen 69 in die Organisation einzubringen? Wie sehr trägt der Mitarbeiter dazu bei, dass sein ureigenes Humankapital durch Integration in die Abläufe und Prozesse der Organisation zu einem organisationalen Humankapital 70 werden kann? Die Idee des Reifegrads hat gegenüber der Führung mit Werten und der Führung mit Bedacht auf Motive einen wesentlichen Vorzug: Mitarbeiterführung wird als Investition verstanden. Dadurch gewinnen die Mitarbeiter, weil ihre Arbeit nicht ständig nur mit Kosten in Verbindung gebracht wird; und die Organisation gewinnt, weil durch den Investitionsgedanken etwas verwirklicht werden kann, was heute oft nur in Sprechblasen existiert: Nachhaltigkeit. 69 „Vermögen“ oder „Humanvermögen“ wäre tatsächlich der passendere Begriff, doch hat sich letztlich das „Kapital“ durchgesetzt, vermutlich weil es bessere Zähl- und damit Messbarkeit suggeriert. 70 Das heißt, zu einem Humankapital, das der Organisation zumindest zum Teil auch dann erhalten bleibt, wenn der Mitarbeiter die Organisation verlässt. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="101"?> 6.2 Die vier Dimensionen 89 Bild 6-1: Das Modell des Reifegrads 6.2 Die vier Dimensionen Können, Wollen, Sollen und Dürfen sind zusammengesetzte Größen. Das nachfolgende Beispiel soll deutlich machen, wie die vier Dimensionen des Reifegrads in je drei Elemente aufgeschlüsselt werden können. 6.2.1 Können Diese Dimension umfasst das Wissen, die Fähigkeiten und die Fertigkeiten, die nötig sind, um die mit einer Funktion verbundenen Aufgaben zu erfüllen. Zum Können eines Verkäufers gehören z.B.: Fachkenntnisse = erlerntes und durch Erfahrung erworbenes Wissen als Voraussetzung dafür, nicht nur Kontaktpflege zu betreiben, sondern auch Kaufabschlüsse zu erzielen. Interpersonale Kompetenz = die Fähigkeit mit einer wechselnden Vielfalt von Menschen zu interagieren und dabei auch dauerhafte Kundenbeziehungen aufzubauen. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="102"?> 6 Führen mit dem Reifegrad-Modell 90 Methodenkompetenz = das Beherrschen von Arbeitstechniken und Verfahrensweisen für die Planung, Vorbereitung, Durchführung und Nachbearbeitung der Kundenkontakte. Das Spektrum des Könnens reicht ganz allgemein vom „Anfänger“ (z.B. Praktikant, Lehrling) bis zum „Könner“ (z.B. Meister, Experte). Im Verkauf wären das etwa der „Neueinsteiger“ und der „Verkaufsprofi“. 6.2.2 Wollen Das Wollen charakterisiert die Bereitschaft eines Mitarbeiters, das eigene Wissen sowie seine Fähigkeiten und die Fertigkeiten auch tatsächlich einzusetzen, um die mit einer Funktion verbundenen Aufgaben zu erfüllen. Dieses Wollen setzt sich z.B. aus folgenden Elementen zusammen: Anspruchsniveau = die Höhe des eigenen Leistungsanspruchs in typischen Arbeitssituationen; z.B. „Für mich gilt: Kein Tag ohne Auftrag“. Erfolgszuversicht = eine positive Zukunftserwartung, mit der auch herausfordernde Aufgaben in Angriff genommen werden; z.B. „Ich pack‘ das“. Frustrationstoleranz = die Fähigkeit, Enttäuschungen, Ärger und Rückschläge auszuhalten und konstruktiv damit umzugehen; z.B. „Jetzt erst recht“. Die beiden Gegensätze des Wollens sind der „Leistungsminimierer“, der seine Entfaltung außerhalb der Lohnarbeit sucht und findet, und der „Übermotivierte“, der hart arbeitet, um erfolgreich zu sein, aber nur schwer zu bremsen ist. ( Bild 5-5) 6.2.3 Dürfen Dürfen beschreibt die Bereitschaft eines Mitarbeiters, sein Wissen sowie seine Fähigkeiten und Fertigkeiten selbstständig zur Erfüllung von Aufgaben einzusetzen, die nicht ausdrücklich definiert, aber mit der Funktion logisch verknüpft sind. Bestandteile dieses Dürfens sind z.B.: Internale Kontrollüberzeugung = ein positives oder negatives Ergebnis wird als Konsequenz des eigenen Handelns anerkannt; z.B. „Das ist mir gut gelungen“ oder „Das habe ich leider verbockt“. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="103"?> 6.2 Die vier Dimensionen 91 Heuristische Kompetenz = das „Gewusst wie“ oder die Fähigkeit, sich in unübersichtlichen oder neuartigen Situationen zu helfen wissen; z.B. „Ich finde mich überall gut zurecht“. Selbstermächtigung = den Mut zu haben, die eigenen Machtmittel zu erkennen und diese in Aushandlungsprozessen auch tatsächlich einzusetzen; z.B. „Ich weiß mich schon durchzusetzen“. Die Ausprägungen des Dürfens reichen vom „Formalisten“, der nur mit exakten Vorgaben seine Leistung erbringt, bis zum „Freischwebenden“, der sich ungebunden fühlt und deshalb Freiräume sucht, findet und für die Organisation nutzt. 6.2.4 Sollen Das Sollen lässt sich an dem Grad ablesen, mit dem eine Person die impliziten (stillschweigend vorausgesetzten) und expliziten (allgemein bewussten) Werte und Normen seiner Organisation verinnerlicht hat. Das Sollen kann z.B. anhand folgender Merkmale eingeschätzt werden: Identifikation = die Werte und Normen der eigenen Organisation werden nach kritischer Prüfung Schritt für Schritt übernommen; z.B. „Da gehe ich mit“. Commitment = sich einer übernommenen Aufgabe, eines Projekts, einer Zielsetzung verpflichtet zu fühlen; z.B. „Dazu stehe ich“; Verantwortungsbewusstsein = die Bereitschaft, sich die Folgen des eigenen Handelns auch zurechnen zu lassen; z.B. „Ich bringe das wieder in Ordnung“. Die beiden Pole des Sollens sind der „Einzelkämpfer“, der mit den Werten und Normen der Organisation wenig zu tun haben will, und der „Firmenmensch“, der voll in „seiner“ Organisation aufgeht und alle anderen Interessen hintanstellt. Bild 6-2 zeigt, welche Bandbreiten in den vier Dimensionen des Reifegrads möglich sind. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="104"?> 6 Führen mit dem Reifegrad-Modell 92 Bild 6-2: Extremausprägungen der vier Dimensionen des Reifegrads 6.3 Individualisierung der Führung nach dem „Reifegrad“ Können, Wollen, Dürfen und Sollen kann man nicht im wissenschaftlichen Sinn „messen“. Wer jedoch als Führungskraft die Verantwortung für andere Menschen übernommen hat, sollte sehr wohl in der Lage sein, die ihm anvertrauten Menschen entlang dieser vier Dimensionen einzuschätzen. Beobachtungen und Gespräche sind dafür die Quellen, Vorurteilsfreiheit und Achtsamkeit die Voraussetzungen für deren Interpretation. In Bild 6-3 wird gezeigt, wie die eingeschätzten Ausprägungen auf den vier Dimensionen den „Reifegrad“ in Form einer Fläche ergeben. Wie ein solcher Reifegrad für die Individualisierung von Führung eingesetzt werden kann, wird in dem nachfolgenden Beispiel aus der Praxis beschrieben. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="105"?> 6.4 Aus der Praxis 93 Bild 6-3: Beispiel für die Darstellung des Reifegrads 6.4 Aus der Praxis Anja, die Personalleiterin, hat einige Neuigkeiten von der jüngsten Tagung zum Thema „Organisation 4.0“ mitgebracht. Sie trifft sich gerade mit Doris, der Leiterin der „Verkaufsregion Süd“ dieses Unternehmens, das Produkte für den betrieblichen Hautschutz herstellt. Doris ist gerade dabei, die Jahresgespräche mit ihren Verkäufern vorzubereiten. „Diese jährlichen Mitarbeitergespräche mit den Bewertungen und dem ganzen administrativen Kram sind doch out“, sagt Anja. „Der ständige Dialog zwischen Führungskraft und Mitarbeiter, das permanente Feedback, das ist es, was wir heute brauchen.“ Einige große Unternehmen würden das schon praktizieren. „Klingt logisch“, meint Doris, „nur wie soll ich dann Dinge mit meinen Leuten besprechen, die mit einem ‚Passt schon‘, ‚Toll gemacht‘ oder ‚Nächstes Mal bitte schneller‘ nicht erledigt sind? “ Man hatte sich im Unternehmen vorgenommen, die Personalentwicklung im Verkauf voranzutreiben und vor allem die Mitarbeiterführung nicht mehr dem Gutdünken einzelner Führungskräfte zu überlassen. Führung sollte individueller und damit zielgenauer gestaltet werden. War das jetzt Schnee von gestern? Die Diskussion zwischen den beiden wogt hin und her. Doris erinnert Anja daran, dass sie von dem Reifegrad-Modell doch sehr angetan war und dass man dieses Instrument bei nächster Gelegenheit testen wollte. „Wir könnten doch beides miteinander verbinden“, wirft sich Doris ins Zeug. „Kurze Rückmeldungen an den Mitarbeiter so oft und sinnvoll wie möglich, und zugleich einmal im Jahr ein grundlegendes Gespräch über ‚Können‘, ‚Wollen‘, ‚Dürfen‘ und ‚Sol- Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="106"?> 6 Führen mit dem Reifegrad-Modell 94 len‘. „Aber ohne Schulnoten oder Ähnliches“, darauf besteht Anja. „Machen wir doch einmal ein solches Gespräch gemeinsam“, schlägt Doris vor. Robert (sein Zuname ist ein Zungenbrecher und so hatte er nichts dagegen, gleich von Beginn an einfach mit dem Vornamen angesprochen zu werden) ist der perfekte Kandidat für das vereinbarte Gespräch zu dritt. Seit knapp einem Jahr im Unternehmen hatte er bei der Einstellung Ambitionen für die Position eines Key Account Managers gezeigt. Doris lädt Robert zum Gespräch ein und bittet ihn, sich mit einer Selbsteinschätzung darauf vorzubereiten. Sie verzichtet auf eine akademische Definition der Reifegraddimensionen und erläutert stattdessen Können, Wollen, Dürfen und Sollen anhand von Beispielen. Im Hinblick auf das „Können“ war schon bei der Einstellung vereinbart worden, dass sich Robert intensiv mit der Produktvielfalt auseinandersetzt und sich eine genaue Tourenplanung zurechtlegt. In seiner früheren Tätigkeit war er gewohnt, eher zufallsgesteuert zu arbeiten. Mit dem „Wollen“ sollte es eigentlich kein Problem geben. Robert war im Bewerbungsgespräch als begeisterungsfähiger junger Mann aufgefallen, der vom Sport her eine hohe Leistungsbereitschaft mitzubringen schien. Das Unternehmen versucht, neben einigen unverrückbaren Punkten, wie z.B. systematische Kundenbearbeitung, ein ausführliches Berichtswesen und korrekte Abrechnungen, den Verkäufern möglichst viele Freiheiten einzuräumen, um von deren Ideen zu profitieren. Die Produktentwicklung ist schließlich stark verkaufsgetrieben. Das „Dürfen“ wird also ein Thema sein. Die Firma arbeitet mit einem „Ethik-Kodex“, in dem sowohl Grundsätze im Hinblick auf „Umwelt“ und „Gesellschaft“ als auch interne Verhaltensregeln festgelegt sind. An diesem „Sollen“ kommt kein Mitarbeiter vorbei, da lässt auch Doris nicht locker. Robert ist zunächst überrascht, dass er im Gespräch nun Anja und Doris gegenübersitzt. Ist das ein Tribunal? Nein, beruhigt Anja, er möge doch das Ganze als logische Fortsetzung des Einstellungsgesprächs sehen. Damit kann Robert leben. Er knüpft gleich an den „Kulturschock“ an, den er in den ersten Tagen nach seinem Eintritt in die Firma überstehen musste, und berichtet von seinen Erfahrungen mit den Kunden und Produkten. Nach zehn Monaten im neuen Job fühlt er sich firm in der Anwendung der meisten Produkte. Er habe gelernt, dass Zeit ein kostbares Gut sei, und plane deshalb seine Kundenbesuche sorgfältiger, als er es von früher her gewohnt war. Doris bestätigt dies, hakt aber dann bei der Produktkenntnis nach. Das Gespräch dreht sich um Präsentationstechniken, die ungenutzten Möglichkeiten der breiten Produktpalette, die Notwendigkeit, einfache Kundendienstarbeiten selbst durchzuführen und so fort. Man einigt sich auf ein „Weiterentwicklungsprogramm Stufe 2“, das unter anderem auch gemeinsame Kundenbesuche mit Doris und einige Trainingstage in der „Region West“, dem Vorzeigegebiet des Unternehmens, beinhaltet. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="107"?> 6.4 Aus der Praxis 95 Das wird Robert auch beim „Wollen“ helfen. Er gibt freimütig zu, dass er nach einigen „Flops“ bei Kunden ziemlich am Boden war. „Allein im Feld, da hätte ich Unterstützung gebraucht, aber da war nichts“. Er vermisse den direkten Kontakt mit der Möglichkeit, sofort „etwas loszuwerden“. Die Blicke von Anja und Doris kreuzen sich. Erstere denkt, „Habe ich doch gesagt“. Und Doris fragt sich, „sind wir wirklich so ein kaltes Unternehmen? “ Robert legt nach. „Die meisten Kunden arbeiten unter enormem Zeitdruck. Da bleibt für Höflichkeit oder Rücksichtnahme kein Platz. Wenn sich das dann an einem Tag häuft, fühlst du dich wie geschreddert.“ Robert hat hier offensichtlich einen Punkt. Anja ist nun froh, bei diesem Gespräch dabei zu sein. Der Kontakt zwischen Innen- und Außendienst, zwischen Leitung und Verkäufern wird jedenfalls ein Thema für das nächste nationale Verkaufsmeeting sein. Sie hat schon einige Lösungen im Kopf. Anja und Doris wird nun klar, die einzelnen Punkte hängen zusammen. Wenn Robert nicht beim Können weitergeholfen wird, schlittert er in die Misserfolgsvermeidung und sein Wollen wird immer mehr gedämpft. Dann ist es aber auch mit dem Dürfen nicht weit her, denn großartige Ideen oder kreative Lösungen beim Kunden sind unter diesen Umständen nicht zu erwarten. Sie kommen schließlich zum Sollen. Wie sich denn Robert mit dem „Ethik-Kodex“ fühle, fragt Anja. „Das mit der Verantwortung gegenüber Umwelt und Gesellschaft finde ich prima! “, antwortet Robert. Er findet es wohltuend, bei der Anwendung der Produkte ein reines Gewissen zu behalten. Auch wenn er gegenüber den Mitbewerbern manchmal preislich den Kürzeren ziehen muss. Und die internen Verhaltensregeln? „An einige muss ich mich erst gewöhnen“, meint Robert. Mit der „Selbstbeherrschung“ als Verhaltensregel könne er z.B. wenig anfangen. „Warum darf ich nicht manchmal meine Emotionen zeigen? “ Und bei der „Ehrlichkeit“ solle man sich fragen, ob sich denn wirklich alle daran halten, immer „die Wahrheit zu sagen und nichts zu beschönigen“. Ansonsten ist Robert froh, sich an bestimmten Regeln orientieren zu können. Anja, seit über zwanzig Jahre bei diesem Familienunternehmen, merkt noch an: „Die Geschäftsleitung hat inzwischen erkannt, dass die Regeln auf den Prüfstand kommen müssen. Wir werden alle Mitarbeiter daran beteiligen. Das ist fix.“ Das Gespräch zwischen Anja, Doris und Robert endet mit dem gemeinsamen Gefühl der Nützlichkeit. Es wurde weder leeres Stroh gedroschen, noch ein Verhör geführt oder alles der Bürokratie untergeordnet. Anja fühlt sich in dem bestätigt, was sie als wichtigen Punkt von der Tagung mitgebracht hat: mehr Kontakt, mehr Dialog. Doris wiederum ist es gelungen, einen Mitarbeiter mit Potenzial noch besser einschätzen als zuvor und ihr Führungsverhalten danach ausrichten. Und Robert fühlt sich gut aufgehoben in seiner neuen Firma. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="108"?> 6 Führen mit dem Reifegrad-Modell 96 6.5 Für die Praxis Individualisierung ist das Leitmotiv des neuen Führens. Die Einwände dagegen sind nicht von der Hand zu weisen. „Woher soll ich die Zeit nehmen, um mich dem einzelnen Mitarbeiter noch mehr zuzuwenden? “ „Individualisierung ist mühsam, um nicht zu sagen mühselig.“ „Ich habe 30 ‚Direct-Reports‘, wie soll ich das schaffen? “ „Da kommen vielleicht Dinge auf mich zu, die etwas für einen Psychotherapeuten sind“. Solche Einwände werden gerne entkräftet mit Sätzen wie „Studien haben gezeigt, dass ...“ Natürlich haben Studien gezeigt, dass die Vervielfältigung der Werte, Motive und letztlich Lebensmodelle nicht mehr mit einer pauschalen Führung aufgefangen werden können. Es genügt jedoch der gesunde Menschenverstand, um zu erkennen, dass weder die Suche nach dem „optimalen Führungsstil“ noch der Rückzug auf eine als „Leadership“ verbrämte Führungsstärke der Weg sein kann, um Menschen heute freiwillig zu einer „nachhaltigen“ Leistung zu veranlassen. Um über die unentbehrlich gewordene Zuwendung zum einzelnen Mitarbeiter im Verkauf nicht nur zu reden, sondern sie auch zu leben, dafür kann das Reifegrad-Modell als brauchbares Instrument dienen. Weiterführende Literatur N EUBEERGER , O SWALD (2015): Das Mitarbeitergespräch: Praktische Grundlagen für erfolgreiche Führungsarbeit, 6. Auflage, Heidelberg. S CHOLZ , C HRISTIAN ; S TEIN , V OLKER ; B ECHTEL , R OMAN (2011): Human Capital Management: Wege aus der Unverbindlichkeit. München. S TAHL , H EINZ K. (2013): Führungswissen. Berlin. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="109"?> 97 7 Die Kunst, sich selbst zu führen Erfolgreiche Verkäufer zeichnen sich durch die Fähigkeit aus, mithilfe einer Vielfalt kommunikativer Mittel auch eine Vielfalt sozialer Kontakte aufzubauen, weiterzuentwickeln und zu erhalten. Eine solche interpersonale Kompetenz ist wesentlich präziser gefasst als der Allerweltsbegriff der „sozialen“ Kompetenz, die heute so ziemlich alles umfasst, was im Hinblick auf wünschenswertes soziales Verhalten gut und teuer ist: Konflikt-, Kontakt-, Kritik-, Koordinations-, Durchsetzungs-, Integrationsfähigkeit, die unvermeidliche Empathie und vieles mehr. Die „Schwester“ der interpersonalen Ressource ist die intrapersonale Kompetenz. Alle an der Verkaufsfront Tätigen brauchen sie, egal ob sie in direktem Kundenkontakt stehen oder den Verkauf steuern sollen. 71 Keine Funktion der Wirtschaft ist derart auf andere Menschen fixiert wie der der persönliche Verkauf. Da kann es leicht passieren, dass auf den Umgang mit sich selbst und den eigenen Gefühlen einfach vergessen wird. Dieses Fremdwerden mit sich selbst beginnt ganz harmlos, indem man sich vormacht, sein Inneres „im Griff zu haben“ und jederzeit souverän agieren zu können. Der fortschreitende Prozess der Entfremdung endet gerade heute immer häufiger in emotionaler Erschöpfung und verminderter Leistungsfähigkeit, vom Verlust persönlicher Erfüllung ganz zu schweigen. Wer die Kunst beherrscht, sich selbst zu führen, dem gelingt es auch, die verschiedenen „Selbste“ ( Abschnitt 1.2.3) dazu zu bringen, miteinander zu kooperieren, auch wenn diese „Teilpersönlichkeiten“ immer wieder um die vordersten Plätze auf der Bühne der Gesamtpersönlichkeit wetteifern. 7.1 Elemente der intrapersonalen Kompetenz Die intrapersonale Kompetenz setzt sich aus zwei Teilen mit je drei Elementen zusammen. Die Fähigkeit zur Selbstreflexion führt über die Selbsteinschätzung zur Gewissheit der Selbstwirksamkeit. Diese drei Elemente erfordern die Bereitschaft, sich mit dem eigenen Innenleben auseinanderzusetzen und Schlussfolgerungen daraus zu ziehen. Auf der anderen Seite führt die Fähigkeit zum Umgang mit negativen Gefüh- 71 Die intrapersonale Kompetenz ist natürlich nicht nur für Verkäufer wichtig. Siehe dazu z.B. S TAHL / L ECHNER (2018): Blick nach Innen. Wirkungsvolle Führung durch intrapersonale Kompetenz. Zeitschrift für Organisationsentwicklung, Heft 1. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="110"?> 7 Die Kunst, sich selbst zu führen 98 len über die Bewältigung von Stress zu Zuversicht und positivem Denken. Diese drei Elemente verlangen die Bereitschaft, von den Schlussfolgerungen aus dem ersten Teil in den Handlungsmodus zu wechseln und an sich zu arbeiten. Die intrapersonale Kompetenz ist ein Ausdruck persönlicher Reife. Sie einfach vorauszusetzen wäre naiv. An ihr ein Leben lang zu arbeiten ist hingegen erstrebenswert und belohnend. Bild 7-1 zeigt das Modell der intrapersonalen Kompetenz, dessen Elemente nun erläutert werden sollen. Bild 7-1: Das Modell der intrapersonalen Kompetenz 7.2 Die Fähigkeit zur Selbstreflexion In vielen Berufen herrscht das, was der Soziologe É MILE D URKHEIM (1858-1917) „soziale Dichte“ nannte: Die hohe Anzahl zwischenmenschlicher Kontakte. Im Verkauf ist die soziale Dichte besonders hoch. Wer in diesem Metier tätig ist, befindet sich ständig nur im „Außen“, bei Interessenten, Käufern, Vermittlern, Händlern, etc. Das „Innere“ hat sich dem zu fügen. Die Handlungsmuster laufen meist routiniert ab. Verkäufer legen sich bereits früh „Drehbücher“ für die unterschiedlichen Auftritte zu. Ihr Arbeitsalltag verläuft meist „unreflektiert“. Dabei ist das Reflektieren oder bewusste Beobachten und Nachdenken über sich selbst (so vielschichtig dieses Selbst auch sein mag, wie wir schon gesehen haben) ein Privileg der Gattung Mensch. Nur Menschen können in ein Verhältnis zu sich selbst treten. 72 Nur sie können sich auf ihr eigenes Erleben beziehen. 72 Diese Sonderstellung des Menschen bezeichnet H ELMUTH P LESSNER (1892-1985), Hauptvertreter der Philosophischen Anthropologie, als „exzentrische Positionalität“. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="111"?> 7.3 Die Fähigkeit zur Selbsteinschätzung 99 „Erkenne dich selbst“, lautet die Aufforderung, die den Eingang zum Orakel von Delphi schmückte. Philosophie und Psychotherapie betrachteten die Selbstreflexion 73 und die damit verbundenen Einsichten immer schon als probates Mittel zur persönlichen Weiterentwicklung. „Werde, der du bist! “, ein Satz, der dem griechischen Dichter P INDAR (etwa 520 bis 446 v. Chr.) zugeschrieben wird, trifft dieses Ansinnen sogar noch besser. Investiere gelegentlich etwas Zeit in die Innenschau und Du erhältst eine üppige Dividende in Form von Selbsterkenntnis. Zum Beispiel bei der abendlichen Reflexion über den Tag. Sie ermöglicht es, sich Dinge bewusst zu machen, die sonst im Unterbewusstsein verloren gegangen wären. Natürlich bedarf dies der Bereitwilligkeit, sich das Reflektierte auch einzugestehen und zur Grundlage des zukünftigen Handelns zu machen. Und noch eines muss gegeben sein: Der innere Nörgler, der sich schon früh in unser Leben eingeschlichen hat, darf nicht die Oberhand gewinnen. Auf sein miesepetriges „Das kannst Du nicht“ oder „Das schaffst Du nicht“ gibt es nur die Antwort: „Jetzt zeig ich’s Dir! “. 7.3 Die Fähigkeit zur Selbsteinschätzung Wer zur Überschätzung neigt, richtet sein Augenmerk auf seine Stärken, arbeitet beständig daran, sie zu verbessern und spielt seine Schwächen herunter oder kennt sie gar nicht. Wer zur Unterschätzung tendiert, denkt viel an seine Schwächen, übertreibt, wenn er sie benennen soll und bemüht sich unablässig sie zu beseitigen. Verkäufer mit wenig Erfahrung trauen sich häufig bestimmte Dinge nicht zu, obwohl sie dazu fähig wären. Andere wiederum überschätzen sich, weil sie aufgrund mangelnder Erfahrung nicht zu unterscheiden vermögen, was sie tatsächlich können, was sie bloß meinen zu können oder was sie gerne können möchten. Die eigenen Grenzen zu erkennen ist ebenso wertvoll, wie um die eigenen Stärken zu wissen. Eine solche optimale Selbsteinschätzung ist allerdings rar und fällt einem nicht in den Schoß. Man muss daran arbeiten. Glücklich ist, wer jemand zur Seite hat, der ihm dabei hilft. Gespräche zur Selbsteinschätzung - freiwillig, ohne Druck und auf gleicher Augenhöhe - sind das Mittel der Wahl. Von den Instrumenten zur Selbsteinschätzung hat sich eines in der Praxis besonders bewährt: das auch wissenschaftlich anerkannte „Bochumer Inventar zur berufsbezogenen Persönlichkeitsbeschreibung“ (BIP). Es ist besonders auf die außerfachlichen Fähigkeiten ausgerichtet. Das BIP zieht 250 Fragen heran, die 14 73 Der Begriff „Selbstreflexion“ wird erst mit S IGMUND F REUD so richtig zum Leben erweckt. Für ihn war Selbstreflexion eine Art von „talking cure“ oder „Nacherziehung“ mit dem Ziel, das Verworrene, Verborgene und Unbewusste eines Menschen durch Selbstdarstellung ins Bewusstsein zu heben und damit das Wissen über die eigene Person zu vertiefen. H ELMWART H IERDEIS : „Selbstreflexion als Element pädagogischer Professionalität“. Vortrag am Institut für Erziehungswissenschaften der Universität Innsbruck am 26. 10. 2009. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="112"?> 7 Die Kunst, sich selbst zu führen 100 berufsbezogenen Schlüsselkompetenzen aus 4 Bereichen zugeordnet sind ( Bild 7-2). Bild 7-2: Die vier Bereiche für eine Selbsteinschätzung nach dem BIP Die berufliche Orientierung deckt die Leistungsmotivation, Gestaltungsmotivation und Führungsmotivation ab. Die entsprechenden Fragen lauten z.B.: „Inwieweit stellen Sie hohe Leistungsanforderungen an sich? “ „Wie wirken Sie auf Prozesse ein? “ „Wie wirken Sie auf Personen ein? “ Das Arbeitsverhalten gliedert sich in Gewissenhaftigkeit, Flexibilität und Handlungsorientierung. Fragen sind z.B.: „Wie wichtig sind Detailorientierung und Perfektionismus für Sie? “ „In welchem Ausmaß sind Sie willens, sich immer wieder umzustellen? “ „Wie zielgerichtet setzen Sie Entscheidungen in Handlungen um? “ Die interpersonalen Kompetenzen umfassen Sensitivität, Kontaktfähigkeit, Soziabilität (= die Fähigkeit, Fähigkeit, sich in eine Gemeinschaft einzufügen und wirkungsvoll mit anderen zusammenzuarbeiten), Teamorientierung und Durchsetzungsstärke. Beispiele von Fragen zu den fünf Untergruppen: „Wie sicher erspüren Sie die Gefühle anderer? “ „In welchem Umfang verhalten Sie sich gegenüber anderen offensiv? “ „Wie wichtig ist Ihnen ein harmonisches Miteinander? “ Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="113"?> 7.4 Die Gewissheit der Selbstwirksamkeit 101 „Wie stark bevorzugen Sie Teamarbeit? “ „Mit welcher Vehemenz verfolgen Sie anderen gegenüber Ihre Ziele? “ Die psychische Konstitution setzt sich aus Emotionaler Stabilität, Belastbarkeit und Selbstbewusstsein zusammen. Sie wird z.B. so abgefragt: „In welchem Ausmaß sind Sie emotional robust? “ „Wie viel wollen und können Sie sich an Belastung zumuten? “ „Wie überzeugt sind Sie von sich als Person? “ Die Fragen sind mithilfe einer sechsstufigen Antwortskala mit den Polen „trifft voll zu“ bis „trifft überhaupt nicht zu“ zu beantworten. Natürlich lassen sich solche Merkmale nicht, wie etwa die Temperatur, auf einer Skala mit einem festgelegten Nullpunkt messen. Die Selbsteinschätzung bezieht sich vielmehr auf den Durchschnitt einer Referenzgruppe. Die Aussage „Bei Rolf ist die Bedeutung eines harmonischen Miteinanders hoch ausgeprägt“ bedeutet somit: „Im Vergleich zu anderen ist die Bedeutung eines harmonischen Miteinanders bei Rolf hoch ausgeprägt.“ Das BIP ist kein Instrument, das alleine zu robusten Aussagen über die Selbsteinschätzung führt. Es eignet sich am besten als Ergänzung zu Beobachtungen und Gesprächen. 7.4 Die Gewissheit der Selbstwirksamkeit Die Überzeugung, dass ein bestimmtes Handlungsergebnis aus eigener Kraft erzielt werden kann, ist gerade für die „Sandwich“-Positionen im mittleren Management des Verkaufs besonders wichtig. Dies schon deshalb, weil sich aus der oft fehlenden Beteiligung an der Willensbildung („Die Geschäftsführung“, „die Zentrale“ oder „die da oben“ haben so entschieden) eine resignative Arbeitszufriedenheit 74 entwickeln kann: Die Ansprüche an die eigene Person werden immer mehr gesenkt und Herausforderungen tunlichst gemieden, um so im Job einfach über die Runden zu kommen. Wer sich hingegen seiner Selbstwirksamkeit bewusst ist, besitzt nicht nur eine höhere Ausdauer und ist weniger anfällig für Angststörungen. Seine optimistische Grundhaltung führt auch dazu, dass er Erfolgschancen, selbst bei scheinbar unlösbaren Aufgaben, für die ihm die Erfahrung fehlt, höher einschätzt als weniger selbstwirksame Personen. Er arbeitet einfach länger und intensiver an der Lösung und ist nach Misserfolgen weniger frustriert. 74 Für eine Vertiefung des Themas „Arbeitszufriedenheit“ sei folgendes Buch empfohlen: A GNES B RUGGEMANN , P ETER G ROSKURTH und E BERHARD U LICH (1975): Arbeitszufriedenheit. Bern. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="114"?> 7 Die Kunst, sich selbst zu führen 102 Wie bei der Selbsteinschätzung gibt es auch für die Beantwortung der Frage „Wie hoch ist meine Überzeugung, dass ich ein bestimmtes Handlungsergebnis aus eigener Kraft erzielen kann“ ein bewährtes Hilfsmittel: Die „Skala zur allgemeinen Selbstwirksamkeitserwartung“ (SWE-Skala) von S CHWARZER und J ERUSALEM (1999). Sie besteht aus zehn Items mit dem Antwortformat (1) stimmt nicht, (2) stimmt kaum, (3) stimmt eher, (4) stimmt genau: 1. Wenn sich Widerstände auftun, finde ich Mittel und Wege, mich durchzusetzen 2. Die Lösung schwieriger Probleme gelingt mir immer, wenn ich mich darum bemühe. 3. Es bereitet mir keine Schwierigkeiten, meine Absichten und Ziele zu verwirklichen. 4. In unerwarteten Situationen weiß ich immer, wie ich mich verhalten soll. 5. Auch bei überraschenden Ereignissen glaube ich, dass ich gut mit ihnen zurechtkommen kann. 6. Schwierigkeiten sehe ich gelassen entgegen, weil ich meinen Fähigkeiten immer vertrauen kann. 7. Was auch immer passiert, ich werde schon klarkommen. 8. Für jedes Problem kann ich eine Lösung finden. 9. Wenn eine neue Sache auf mich zukommt, weiß ich, wie ich damit umgehen kann. 10.Wenn ein Problem auftaucht, kann ich es aus eigener Kraft meistern. Der Psychologe A LBERT B ANDURA (1997) nennt vier Quellen, aus denen sich eine hohe Gewissheit der Selbstwirksamkeit speist. Sie werden im Folgenden etwas abgewandelt, um sie mit eigenen Erkenntnissen aus der Praxis zu verknüpfen ( Bild 7-3). Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="115"?> 7.4 Die Gewissheit der Selbstwirksamkeit 103 Bild 7-3: Die Quellen der Selbstwirksamkeit Erlebte Erfolge. Sie erhöhen die Selbstwirksamkeit, während Misserfolge das Gegenteil bewirken. Zu Erfolg gesellt sich Erfolg - ein Beispiel für eine positive Rückkopplung oder den „Matthäus-Effekt“ 75 . Um diese Spirale in Gang zu bringen, sollte man Handlungsziele mit überprüfbaren Teilzielen oder Zwischenschritten formulieren. Für einfache bis mittelschwere Aufgaben eignet sich ein „Probehandeln“, also ein gedankliches Durchspielen einer Handlung (etwa wie im Sport) oder ein Abwägen von Handlungsoptionen (z.B. wie beim Schach). Damit verringert sich das Misserfolgsrisiko, während das eigene Anspruchsniveau für die nächste Aufgabe steigt. Vergleich mit anderen. Fehlt es in bestimmten Bereichen an eigenen Erfahrungen, kann die wahrgenommene Selbstwirksamkeit durch die Beobachtung anderer erhöht werden. Wenn Menschen mit vergleichbaren Fähigkeiten imstande sind, eine schwierige Aufgabe zu bewältigen, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass man sich diese Aufgabe auch selbst zutraut. Darin liegt auch der Wert von Coaching und Mentoring. Während der Coach mit seinem Gegenüber auf gleicher Augenhöhe arbeitet („Learning with“), wirkt der Mentor als Vorbild („Learning from“). Der entscheidende Punkt beider Methoden ist das Loslassen: Nur wer dem anderen seinen eigenen Weg finden lässt, schenkt ihm das Gefühl des selbstbestimmten Handelns. 75 „Denn wer da hat, dem wird gegeben werden, und er wird die Fülle haben; wer aber nicht hat, dem wird auch, was er hat, genommen werden.“ (M ATTHÄUS -Evangelium, Kapitel 25, Vers 29). Wer nichts aus seinen Ressourcen macht, der wird enteignet. Oder: Wenn Erfolg einmal da ist, vermehrt er sich nahezu automatisch. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="116"?> 7 Die Kunst, sich selbst zu führen 104 Körperliche Wahrnehmungen. Nach dem Neurowissenschaftler A NTONIO D AMASIO bilden sie die Grundlage unserer Entscheidungen. Er nennt sie „somatische Marker“ 76 . Sie helfen uns beim Denken, sie drängen uns bei Entscheidungen in eine bestimmte Richtung, sie warnen uns vor Situationen, die wir schon einmal als schädlich erlebt haben und sie lenken unsere Aufmerksamkeit auf das Wichtige. Während wir denken, verknüpft das Gehirn unsere inneren Bilder mit den Empfindungen unseres Körperzustandes. Wohlige Empfindungen lassen die Denkprozesse schneller ablaufen, fördern die Kreativität und erhöhen den Mut, Dinge anzupacken. Niedergeschlagenheit hemmt die Denkprozesse und steuert sie in einen Teufelskreis der immer gleichen negativen Vorstellungen. Unsere Selbstwirksamkeitserwartung hängt somit auch davon ab, inwieweit es gelingt, körperliche Reaktionen auf ungewohnte Anforderungen (z.B. Herzklopfen, Schweißausbrüche, Übelkeit etc.) zu kontrollieren. Zuspruch und Ansporn. Oft ist es schwierig, das eigene Handeln selbst einzuschätzen. Unsicherheit wirkt dann lähmend und lässt nach Wegen der Vermeidung suchen. Zuspruch und Ansporn von einer geachteten Person können hingegen die wahrgenommene Selbstwirksamkeit erhöhen. Im Verkauf geschieht dies viel zu selten. Aufforderungen wie „Schaue jedem Kunden drei Sekunden in die Augen“, „Gib Dein Bestes“ oder „Bringe jede Woche vier Neukunden“ lassen den Angesprochenen eher hilflos zurück. Irgendwann wird er diese Hilflosigkeit nicht mehr los. Er fühlt sich nur mehr als Opfer der Umstände und der Menschen, die ihn umgeben. 7.5 Die Fähigkeit zum Umgang mit negativen Gefühlen Wenn sich Bedrücktheit, düstere Vorahnungen oder Zorn einmal verfestigt haben, dann sind Angst, Wut, Trauer, Scham oder was auch immer, ständige Begleiter. Gerade Führungskräfte wenden oft enorme Energien auf, um solche Gefühlslagen zu verbergen. Die innere Erregung wird dann vom Körper absorbiert, was zu den bekannten Beschwerden von muskulärer Verspannung bis Bluthochdruck führen kann. Die verschiedenen Möglichkeiten der Gefühlsregulierung erwerben wir zwar schon früh über wichtige Bezugspersonen. Dennoch können wir die Fähigkeit zum Umgang mit negativen Gefühlen auch später noch weiterentwickeln. Manche Menschen schwören z.B. darauf, negative Gefühle durch positive Vorstellungen zu neutralisieren. Wer etwa Ärger spürt, sollte gleich da- 76 Körperliche Wahrnehmungen begleiten ständig unsere inneren Bilder markieren sie als angenehm oder unangenehm. D AMASIO wendet sich damit gegen den klassischen Dualismus von Geist und Körper. Für ihn hängt die Vernunft von unserer Fähigkeit ab, bestimmte Wahrnehmungen der Körperlandschaft („Empfindungen“) mit bestimmten Gefühlen zu verbinden. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="117"?> 7.5 Die Fähigkeit zum Umgang mit negativen Gefühlen 105 nach etwas tun, was ihm Spaß macht, Freude bereitet, ihn aufheitert. Laut neuerer Hirnforschung gehören Handlungsabsichten, Gefühle, Gedanken, aber auch der entsprechende Körperausdruck zum selben neuronalen Netzwerk. Gefühle rufen physische Reaktionen hervor; 77 das ist bekannt. Man krümmt sich vor Schmerz, gähnt vor Langeweile oder droht vor Wut zu platzen. Es kann aber auch umgekehrt geschehen: Körperausdrücke erzeugen bestimmte Gefühle. Ein Bleistift im Mund lässt uns die Mundwinkel anheben und macht uns dadurch fröhlich; das Sitzen auf einem gepolsterten Stuhl stimmt uns milder als das Ausharren auf einer harten Holzbank; ein bitterer Geschmack im Mund lässt uns strenger werden; mit einem warmen Kaffeebecher in der Hand beurteilen wir die Umgebung positiver als dies mit einem Glas kalten Wasser der Fall wäre. Diese Umkehrung vom Körperlichen in Richtung Gefühl ist der Ausgangspunkt für das sogenannte Embodiment 78 . Auf diese Weise kann man etwa lernen, durch einen erlernbaren Körperausdruck von Wut auf Gelassenheit umzuschalten. Da jeder Mensch Gefühle unterschiedlich verkörpert, verlangt Embodiment individuelle Ausdrucksmuster: Sich etwa wie eine fest verwurzelte Eiche zu platzieren, den Brustkorb weiten oder den Blick weit in die Ferne schweifen lassen. Der Umgang mit negativen Gefühlen kann auch mit dem Selbstberuhigungs- Coaching nach J ENS -U WE M ARTEN und J ULIUS K UHL (2011) verbessert werden. Die Kernfrage dieser Methode lautet: Wie können wir aus der Rolle des Opfers oder Erdulders in eine Haltung des Gestaltens wechseln? Ähnlich wie beim Embodiment gilt auch hier: Wir müssen Verantwortung für die eigenen Gefühle übernehmen. Und wir müssen lernen, uns Erfolgserlebnisse selbst zu geben. Wer zu allererst seine Fähigkeit zum Umgang mit negativen Gefühlen einschätzen möchte, dem sei der „Emotionale-Kompetenz-Fragebogen“ (EKF) von 77 Schon Gedanken genügen, um körperliche Reaktionen hervorzurufen. Wer z.B. in ein Gespräch verwickelt wird, in dem es um das Altern geht und in dem dabei Worte wie Rente, Falten, graue Haare, Stock etc. fallen, wird danach wahrscheinlich langsamer oder sogar gebückter gehen. Diese Reaktion ist als „Florida-Effekt“ bekannt. 78 Embodiment (= Verkörperung von Gedanken) ist eine Erkenntnis der Kognitionswissenschaft, nach der menschliche Gedanken in konkreten körperlichen Erfahrungen wurzeln. Wer sich z.B. die Hände wäscht, fühlt sich nachher auch mentaler „reiner“ und legt einen höheren moralischen Anspruch an den Tag. Umgekehrt gilt: Wenn sich Menschen im Anschluss an eine unrechte Handlungen einer Reinigung unterziehen, entlastet dies das Gewissen. Man spricht hier vom „Macbeth-Effekt“. Zur praktischen Anwendung von Embodiment seien die Schriften von M AJA S TORCH und F RANK K RAUSE empfohlen. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="118"?> 7 Die Kunst, sich selbst zu führen 106 H EINER R INDERMANN (2009) empfohlen. Mit vier Skalen werden zwei Fähigkeiten erfasst: Gefühle bei sich selbst wie auch bei anderen Personen, z.B. anhand des Verhaltens, der Sprache, Mimik und Gestik, wahrzunehmen und zu verstehen; mit eigenen Gefühlen umzugehen und sie adäquat auszudrücken. Wer möchte, kann im Anschluss mithilfe zweier zusätzlicher Skalen seine „Emotionale Kompetenz“ als Gesamtheit überprüfen. 7.6 Die Fähigkeit zur Bewältigung von Stress Wer negative Gefühle gut bewältigen kann, ist auch eher in der Lage, mit Stress fertig zu werden. Häufig wird in diesem Zusammenhang das Konstrukt der Resilienz (lateinisch: resilire = zurückspringen) ins Spiel gebracht. Resilienz beschreibt die Widerstandsfähigkeit, die es uns ermöglicht, nach widrigen Ereignissen und psychischen Belastungen wieder unser Gleichgewicht zu finden. Wie ja der Begriff Resilienz in der Physik die Eigenschaft eines Stoffes ausdrückt, nach Verformung in den ursprünglichen Zustand zurückzukehren. Resiliente Menschen erleben nicht alles nur negativ. Sie können einem bösen Vorfall sogar positive Seiten abgewinnen und sie vergessen schlechte Ereignisse schnell. Die Bewältigung von Stress muss bei der Diagnose beginnen. Mit dem „Stressverarbeitungsfragebogen“ (SVF) von G ISELA E RDMANN und W ILHELM J ANKE (2008) kann aufgedeckt werden, wie jemand gewohnheitsmäßig, also unabhängig von der jeweiligen Situation, mit Belastungen durch Stress umgeht. Dies kann, so die beiden Autoren, entweder in einer Weise erfolgen, welche das Stressniveau noch erhöht (z.B. durch Selbstbeschuldigung) oder aber so, dass der Stresspegel abgesenkt wird (z.B. durch positive Selbstbekräftigung). Der SVF liefert wertvolle Hinweise auf die im Lauf unseres Lebens erlernten Verhaltensweisen, die wir zur Stressbewältigung einsetzen. Hier einige Beispiele. Günstig wirkende Stressverarbeitung Bagatellisierung: Die Stärke, Dauer oder Bedeutung einer Belastung wird abgewertet; „Ich sage ich mir, so schlimm ist das doch gar nicht! “ Ablenkung: Man schwenkt auf stressfreie Aktivitäten um; „Ich denke einfach an Dinge, die mir richtig Spaß machen! “ Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="119"?> 7.6 Die Fähigkeit zur Bewältigung von Stress 107 Situationskontrolle: Es wird versucht, wieder den „Durchblick“ zu erlangen; „Ich habe einen Plan, wie ich aus der Misere rauskommen kann! “ Positive Selbstinstruktion: Man spricht sich Mut zu, das Heft des Handelns in der Hand zu halten; „Ich weiß, dass ich das Problem lösen kann! “ Soziale Unterstützung: Es werden Aussprache und persönliche Zuwendung gesucht; „Ich lasse ich mir von jemandem helfen! " Ungünstig wirkende Stressverarbeitung: Vermeidung: Man drückt sich vor bestimmten Belastungen; „Das tue ich mir auf keinen Fall an! “ Gedankliche Weiterbeschäftigung: Es fällt es schwer, an etwas anderes zu denken; „Ich komme von diesen Gedanken einfach nicht los! “ Resignation: Man lässt sich mit einem Gefühl der Hilflosigkeit treiben; „Egal was ich tue, es nützt ja doch nichts! “ Aggression: Es wird versucht, aufgestaute Energie abzuleiten; „Ich zanke mich rasch mit jemandem, der mir in die Quere kommt! “ Soziale Abkapselung: Man zieht sich von anderen zurück; „Ich möchte mit denen nichts zu tun haben! “ Solche Hinweise auf die eigenen Verhaltensweisen können der Startpunkt sein für ein schrittweises Vorarbeiten zur Stressbewältigung auf vier Pfaden ( Bild 7-4), die sich in der Praxis als hilfreich erwiesen haben. Pfad 1: Lernen, der notorischen Zeitknappheit zu entkommen. Ja, aber wie? Etwa indem wir wieder lernen, warten zu können; Langeweile als Quelle der Inspiration begreifen; reizfreie oder „faule“ Momente nicht verbannen, sondern sie als nützlichen Rhythmuswechsel schätzen; immer wieder kleinere Pausen einlegen; die „To-do“-Liste“ durch eine „Let-it-be“-Liste ersetzen und auf diese Weise das Nichtnotwendige einfach entsorgen. Wer diese Selbstdisziplin aufbringt, kann sich schon zu den außergewöhnlichen Menschen unserer Zeit zählen. Immer mehr Führungskräfte versuchen, ihr als viel zu knapp empfundenes Zeitkonto durch eine Reduktion des Schlafpensums aufzufüllen. Acht Stunden Schlaf seien etwas für „Hinz und Kunz“, sechs Stunden reine Zeitvergeudung, vier Stunden reichten vollkommen aus. Dabei wissen wir aus der Schlafforschung: Wer nicht ausreichend schläft, kann nicht mehr logisch denken. Schlafmangel fördert im Gehirn die gefühlsmäßige Verarbeitung von Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="120"?> 7 Die Kunst, sich selbst zu führen 108 Reizen und blockiert so die verstandesmäßige Kontrolle die ideale Grundlage für noch mehr Stress. Bild 7-4: Vier Pfade zur Bewältigung von Stress Pfad 2: Ernsthaft versuchen, die Irritationen der ständigen Erreichbarkeit auszuschalten. Immer mehr Menschen finden es normal, immer erreichbar zu sein. Damit befinden sie sich in einem permanenten Alarmzustand. Aber auch wenn nichts passiert, ist eine gewisse Anspannung immer präsent, da sich das Gehirn sich in einem halben Arbeitsmodus befindet. Unser Körper kann mit kurzzeitigen, auch hohen Belastungen gut umgehen. Dauerbelastungen, und damit sind nicht bloß einige Stunden gemeint, bringen den Körper aus dem Gleichgewicht. Empfehlungen, der ständigen Erreichbarkeit zu entkommen, gibt es genug. Sie sind zum Teil trivial, und werden dennoch kaum befolgt: sich nicht nur über den Job zu definieren (leicht gesagt, wenn man in seinem Job vielleicht sogar aufgeht); öfter nein sagen; den Computer auf lautlos stellen; einen festen Zeitraum bestimmen, in dem man E-Mails beantwortet; einfach über diese Krux reden mit dem Vorgesetzten und den Kollegen (die manchmal das größere Problem der ständigen Erreichbarkeit sind). Pfad 3: Üben, die Anspannung und innere Unruhe abzuleiten. Der erste Schritt ist der schwierigste: Wir sollten uns den Zustand zunächst einmal eingestehen und nicht versuchen, „cool“ zu sein. Nur dann sind wir auch für den nächsten Schritt bereit, nämlich aus der misslichen Situation herauszugehen; etwas für uns selbst und unser eigenes Wohlbefinden zu tun; nicht darauf zu warten, dass ein anderer plötzlich mit Balsam kommt; den eigenen Körper fragen: „Was brauchst du? “, „Was könnte dir im Augenblick gut tun? “ Vielleicht antwortet er: „Meine Muskeln sind total angespannt und verkürzt“. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="121"?> 7.7 Zuversicht und positives Denken 109 Dann kann ein Wechsel zwischen gezielter Muskelanspannung und Lockerung Wunder wirken. Auch die Atmung lässt sich willentlich beeinflussen. Anspannung geht immer mit einer flachen Brust-Atmung einher. Um sich rasch zu beruhigen, sollte man daher die Ausatmung etwas verlängern 79 , und zwar in den Bauch hinein. Dabei kann man mit den aufgelegten Handflächen fühlen, wie sich der Bauch durch die Bewegung des Zwerchfells zurückzieht. Wichtig ist natürlich auch, die innere Energie in Bewegung umzuleiten. Das Treppenhaus ist nicht der schlechteste Ort dafür. Pfad 4: Stresssituationen „umrahmen“ und sie so in ihr positives Gegenteil verkehren. Einen „Rahmen“ kann man sich in diesem Zusammenhang als Schema vorstellen, welches wir für bestimmte Situationen (z.B. eine Geburtstagsfeier, eine Gerichtsverhandlung, ein Verkaufsgespräch) verwenden, um das Leben einfacher zu gestalten. Ich muss nicht vor oder in jeder möglichen Situation darüber nachdenken, was am zweckmäßigsten zu tun oder zu lassen ist. Auch die meisten Stresssituationen sind „gerahmt“. Hartnäckige Gedankensplitter wie „hilflos“, „unlösbar“ oder „unfähig“ führen dazu, sodass Wege aus der Situation versperrt bleiben. Zum Glück hat jedes Ding zwei Seiten. So kann etwa der Stressauslöser „Meine Kollegen schütten mich jeden Tag mit E-Mails zu“ umgedeutet werden in „Meine Kollegen schätzen mich als so kompetent ein, dass sie mich möglichst überall dabei haben wollen.“ Oder: „Ich soll mehr Kundenbesuche in der gleichen Zeit absolvieren“ kann umgerahmt werden in „Ich werde Zeit sparen, weil ich meine Kundenbesuche sorgfältiger plane und vorbereite.“ In beiden Fällen wird ein neuer Rahmen gesetzt, in welchem nun positive Gedanken wie „funktioniert doch“, „ist machbar“ oder „ich weiß, wie es geht“ dominieren. 7.7 Zuversicht und positives Denken Die Regulation negativer Gefühle gepaart mit der Fähigkeit zur Stressbewältigung öffnet den Weg zu einer zuversichtlichen Haltung. Damit verschiebt sich die Ursachenzuschreibung von Ereignissen, was man bei Führungspersonen gut beobachten kann. Mit negativen Gefühlen Belastete oder Stressgeplagte schreiben die Ursachen von üblen Ereignissen grundsätzlich sich selbst zu, während Zuversichtliche sie in der jeweiligen veränderbaren Situation sehen. Pessimistische Führungskräfte verallgemeinern oft, optimistische betrachten hingegen missliche Ereignisse als Ausreißer, die sich keinesfalls wiederholen müssen. Wie beim „blinden“ Vertrauen, das ins Ungemach führen kann, gibt es auch bei der Zuversicht eine Einschränkung. Vom „Rumpelstilzchen-Syndrom“ eines über- 79 Dafür kann man z.B. beim Luftholen bis vier und beim Ausatmen bis sechs zählen. Das hilft beim Abschalten, da man erst mal mit dem Zählen beschäftigt ist und nicht mit negativen Gedanken. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="122"?> 7 Die Kunst, sich selbst zu führen 110 bordenden Optimismus können ganze Führungsgremien betroffen sein, wie Beispiele von wertvernichtenden Unternehmenskäufen oder Fusionen zeigen. 80 „Gesunde“ Zuversicht kann sich hingegen selbst verstärken. Positiv eingestellte Menschen zeigen eine bessere Merkfähigkeit, sind dadurch ideenreicher, vermögen besser zuzuhören und sind aufmerksamer. Ein solcher „dispositionaler Optimismus“ 81 kann mit dem „Life Orientation Test“ (LOT-R) von H EIDE G LAESMER (2008) gut gemessen werden. Seine zehn Items sind mit dem Antwortformat „trifft ausgesprochen zu“, „trifft etwas zu“, „teils/ teils“, „trifft kaum zu“ und „trifft überhaupt nicht zu“ hinterlegt. 1. Auch in ungewissen Zeiten erwarte ich normalerweise das Beste. 2. Es fällt mir leicht, mich zu entspannen. 3. Wenn bei mir etwas schief laufen kann, dann tut es das auch. 4. Meine Zukunft sehe ich immer optimistisch. 5. In meinem Freundeskreis fühle ich mich wohl. 6. Es ist wichtig für mich, ständig beschäftigt zu sein. 7. Fast nie entwickeln sich die Dinge nach meinen Vorstellungen. 8. Ich bin nicht allzu leicht aus der Fassung zu bringen. 9. Ich zähle selten darauf, dass mir etwas Gutes widerfährt. 10. Alles in allem erwarte ich, dass mir mehr gute als schlechte Dinge widerfahren. Als ermutigend ist anzumerken, dass - eine ausreichende Grundintelligenz vorausgesetzt - an der Kunst, sich selbst zu führen, auch im Erwachsenenalter noch erfolgreich gearbeitet werden kann. Die dazu erforderlichen Schritte sind allerdings nicht selbstverständlich. Sie erfordern Geduld, Ausdauer und teilweise auch die Unterstützung von Personen außerhalb der eigenen Organisation. 80 „Heute back' ich, morgen brau' ich, übermorgen hol' ich der Königin ihr Kind. Ach, wie gut ist, dass niemand weiß, dass ich Rumpelstilzchen heiß'! " Es herrscht Überoptimismus, das heißt, es wird nur der günstigste Verlauf angenommen. Komplizierungen werden wohlweislich übersehen. Man will den kommenden Ereignissen gleichsam seinen Optimismus aufzwingen. 81 Eine besondere Form des Optimismus, mit Ergebniserwartungen verallgemeinert werden, z.B. „Ich sehe stets die guten Seiten der Dinge”. Solche Optimisten blicken zuversichtlich in die Zukunft, wobei egal ist, ob sich die Dinge von allein positiv entwickeln oder ob man selbst dazu etwas beiträgt. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="123"?> 7.8 Aus der Praxis 111 7.8 Aus der Praxis 82 Clemens ist Marketingdirektor eines 5-Sterne-Hotels in den Alpen. Das Haus hat eine lange, erfolgreiche Geschichte und war in mancherlei Hinsicht ein Pionier im Tourismus. Die Zeiten der Alleinstellungsmerkmale sind jedoch vorbei. Daher arbeitet Ingrid, die neue Geschäftsführerin eifrig daran, neue Angebote für neue Zielgruppen zu formulieren. Die Riege der langgedienten Mitarbeiter hat dabei beträchtliche Mühe, die Vorstöße in unbekanntes Terrain mitzumachen. Scheinbar zu Recht, denn die Stammgäste des Hauses wissen wenig anzufangen mit Angeboten, die auf hippe, junge Städter zugeschnitten sind. Strukturen und Prozesse müssen an diese Angebote angepasst werden, was drastische Veränderungen und personelle Konsequenzen zur Folge hat. Für Unruhe im Haus ist gesorgt. Clemens sieht sich zwischen zwei Lagern: Er kennt das Haus und seine Gäste seit über 20 Jahren und fühlt sich den langgedienten Mitarbeitern verbunden. Zugleich versteht er den Bedarf nach Veränderung, steht Ingrid loyal gegenüber und schätzt die neuen Ideen. Er fühlt sich eingeklemmt zwischen den Beschwerden der Gäste und der nachdrücklichen Forderung der Geschäftsführung nach mehr Buchungen. Immer öfter überkommt ihn ein Gefühl der Überforderung, sodass er sogar über Kündigung nachdenkt. Im jährlichen Mitarbeitergespräch trägt Clemens seine Nöte der Geschäftsführerin vor. Diese empfiehlt ihm, doch mit einem Mentor zusammenzuarbeiten, der dem Haus seit langem nahesteht. Clemens ist - durchaus typisch für die Hotelbranche - von einem Arbeiten rund um die Uhr geprägt. Der Mentor setzt daher zuerst beim Faktor Zeit an. Clemens lernt, Auszeiten nicht als Makel zu empfinden, sondern sie vielmehr als kurze Findungspausen bewusst und regelmäßig einzuplanen. Nicht am Abend, wenn die Reserven aufgebraucht sind, sondern im Tumult des betrieblichen Alltags. Solche Unterbrechungen nutzt Clemens zur Selbstreflexion, zur Rückschau auf sich selbst. Dies hilft ihm abzuschätzen, welche Schritte welche Auswirkungen haben werden. Clemens erkennt, wie wertvoll es sein kann, Schlüsselpersonen des Veränderungsprozesses, z. B. aus den Bereichen Unterkunft und Verpflegung, in seine Reflexion einzubeziehen. Auch geht er inzwischen mit unangenehmen Situationen anders um. Er verharrt nicht mehr einfach in Zorn, Enttäuschung oder Ohnmacht. Mithilfe der sozialen Unterstützung durch den Mentor gewinnt er wieder die Situationskontrolle zurück. 82 In Anlehnung an Heinz K. S TAHL ; R OSEMARIE L ECHNER (2018): Führung beginnt bei Selbstführung. Zeitschrift für Organisationsentwicklung, Heft 1. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="124"?> 7 Die Kunst, sich selbst zu führen 112 Über den Mentor stößt Clemens schließlich auf das Konzept der Achtsamkeit. Doch Vorsicht, soll er jetzt etwa im Lotussitz stundenlang vor einer weißen Wand sitzen und auf sein eigenes Atmen zu achten? Der Schritt zur Meditation ist für ihn zu groß. So besucht einen Schnupperkurs über „Mindfulness-Based Stress Reduction“ 83 (MBSR). Dabei kommt er zwar über den „Body Scan“, also dem achtsamen inneren Abtasten des Körpers in Ruhe, nicht hinaus. Zwar ist Stress ist nach wie vor Clemens‘ Begleiter, er ist jedoch der ständigen Erreichbarkeit entkommen. Er hat es geschafft, stressige Situationen so umzurahmen, dass er ihnen sogar etwas Positives abzugewinnen vermag. In dieser optimistischen Stimmungslage hat er einen Einfall, eine Art von „Damaskus-Erlebnis“ 84 : „Wie wäre es, wenn unser Hotel den Gästen ein hochwertiges Achtsamkeitstraining anböte? “ Das Motto: „Die Oase für Körper & Geist“. Das beeindruckende Bergpanorama mit inbegriffen. Und ein erfahrendes Personal, das nicht ständig zum Lächeln aufgefordert werden muss, weil es die Gäste einfach mag. Die Idee zündet. Ingrid ist von der Idee begeistert und streckt bereits die Fühler nach einem Achtsamkeitstrainer aus, der zur Kultur des Hotels passt. Die Veränderungen werden von der Belegschaft nicht mehr als Notausgang aus der Misere, sondern als Grund, sich auf etwas Neues zu freuen, wahrgenommen. Zwei langjährige Mitarbeitende scheiden aus, die Hürden der Umstellung waren für sie zu hoch. Alle anderen ziehen mit. 7.9 Für die Praxis Erfolgreiches Verkaufen und erfolgreiches Führen haben etwas gemeinsam: Beide verlangen ein hohes Selbstwertgefühl. Dies bedeutet für den erfolgreichen Verkäufer wie für den Leitenden im Verkauf: Nichts verdrängen, sondern sich alle Absichten und Handlungen, Werte und Gefühle bewusst machen. Im Jetzt und Hier leben. Sich immer wieder fragen: „Was mache ich gerade? “, „Wie mache ich es? “ „Wie fühle ich mich dabei? “ 83 Ein von dem Stressforscher J ON K ABAT -Z INN Ende der 1970er Jahre entwickeltes Programm zur Stressbewältigung. Wichtig ist hier die Achtsamkeit, die über die Aufmerksamkeit hinausgeht, weil sie absichtsvoll ist, weil sie sich auf den gegenwärtigen Moment und nicht auf Vergangenheit oder Zukunft bezieht und weil sie sich jeglicher Wertung enthält. 84 Bezeichnet ein Erlebnis, das einer Person zu einer grundlegenden Selbsterkenntnis verhilft, wodurch sich ihre Einstellung und ihr Verhalten zum für sie Positiven verändert. Der Begriff bezieht sich auf eine im Neuen Testament erwähnte „Vision“ des P AULUS von Tarsos, der vor den Toren der Stadt Damaskus den gekreuzigten J ESUS als den zu Gott erhöhten M ESSIAS erkannte. Aus dem ungläubigen S AULUS wurde so der Missionar P AULUS . Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="125"?> 7.9 Für die Praxis 113 Sich selbst annehmen, statt sich zu seinem eigenen Feind zu machen. Nur wer einen freundlichen Umgang mit sich selbst pflegt, kann auch andere für sich einnehmen. 85 Das eigene Auftreten nicht dem Zufall überlassen, sondern es steuern und daran unablässig feilen. Denn die soziale Welt ist eine Bühne, 86 eine komplizierte noch dazu, mit Publikum, Darstellern, Außenseitern, Kulissen und so manchen Unwägbarkeiten. Bereit sein, das eigene Leben in die Hand zu nehmen. Wer sich auf einen Schutzengel oder die glückliche Fügung verlässt, hat dieses Leben schon aus der Hand gegeben. Daraus folgt: Die eigenen Fähigkeiten nutzen, um selbstgesteckte Ziele zu erreichen. Dazu einen Vertrag mit sich selbst abschließen, am besten schriftlich. Das erhöht die Zugkraft solcher selbstgesteckten Ziele. Eine der schwerwiegendsten Pathologien von Führung ist der süchtig machende Aktionismus. Er suggeriert Einsatzbereitschaft und Dynamik, indem er das Handeln vor das Denken stellt. Für eine Innenschau besteht dann weder Zeit noch Anlass. Dadurch werden folgenreiche Signale übersehen und Handlungsoptionen versäumt. Gerade in Veränderungsprozessen, eine der Bewährungssituationen von Führung auch im Verkauf, beweist die intrapersonale Kompetenz ihren Wert. Sie einfach vorauszusetzen, wäre naiv - an ihr ein Leben lang zu arbeiten hingegen erstrebenswert und belohnend. Weiterführende Literatur B ANDURA , A LBERT (1997): Self Efficacy: The Exercise of Control. Duffield. E RDMANN , G ISELA ; J ANKE , W ILHELM (2008): Stressverarbeitungsfragebogen. Stress, Stressverarbeitung und ihre Erfassung durch ein mehrdimensionales Testsystem. 4., überarbeitete und erweiterte Auflage. Göttingen. G LAESMER , H EIDE (2008): Die deutsche Version des Life-Orientation-Tests (LOT-R) zum dispositionellen Optimismus und Pessimismus. In: Zeitschrift für Gesundheitspsychologie, 16 (1), S. 26-31. 85 Im Sinne von T HOMAS H OHENSEE und dem Inhalt seines Buches „Der innere Freund - Sich selbst lieben lernen“. 86 „Die ganze Welt ist Bühne und alle Frauen und Männer bloße Spieler, sie treten auf und gehen wieder ab.“ W ILLIAM S HAKESPEARE (1564-1616), „Wie es euch gefällt“, zweiter Aufzug, siebente Szene. Es liegt an unseren Fähigkeiten, aus dem Leben eine Kunst zu machen. Jedem von uns ist diese Chance gegeben. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="126"?> 7 Die Kunst, sich selbst zu führen 114 H OHENSEE , T HOMAS (2014): Der innere Freund - Sich selbst lieben lernen. 3. Auflage, München. H OSSSIEP , R ÜDIGER ; P ASCHEN , M ICHAEL (2003): Bochumer Inventar zur berufsbezogenen Persönlichkeitsbeschreibung. Göttingen. M ARTENS , J ENS -U WE ; K UHL , J ULIUS (2011): Die Kunst der Selbstmotivierung. Neue Erkenntnisse der Motivationsforschung praktisch nutzen. 4. Aufl., Stuttgart. R INDERMANN , H EINER (2009): Emotionale-Kompetenz-Fragebogen (EKF) Manual. Göttingen. S CHWARZER , R ALF ; J ERUSALEM , M ATTHIAS (Hrsg.) (1999): Skalen zur Erfassung von Lehrer- und Schülermerkmalen. Dokumentation der psychometrischen Verfahren im Rahmen der Wissenschaftlichen Begleitung des Modellversuchs Selbstwirksame Schulen. Berlin: Freie Universität Berlin. S TAHL , H EINZ K.; L ECHNER , R OSEMARIE (2017): Führung beginnt bei Selbstführung. Zeitschrift für Organisationsentwicklung, Heft 4. S TORCH , M AJA ; K RAUSE , F RANK (2009): Selbstmanagement - ressourcenorientiert. Grundlagen und Trainingsmanual für die Arbeit mit dem Zürcher Ressourcen Modell. 4. Auflage, Bern. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="127"?> 115 8 Gegen die Angst vor der Kaltakquise Anna beobachtet Florian, während er die Produktbroschüren in seiner Arbeitstasche verstaut. Er wirkt angespannt und gereizt. Sie fragt: „Ist alles in Ordnung? “ Florian antwortet, ohne sie anzusehen: „ Ich muss heute Kaltakquise machen. Du weißt ja, was uns die Firma als Verkaufsziel vorgegeben hat. Wir müssen bis zum Jahresende mindestens 15 Neukunden bringen.“ Eine Stunde später. Florian parkt seinen Firmenwagen in Sichtweite einer der Firmen seiner Kaltakquise- Liste. Diese hatte ihm sein Verkaufsleiter übergeben. Ab sofort muss er wöchentlich in der neuen CRM-Software alle Kaltakquise-Aktivitäten eintragen und in einem Monatsgespräch über die Ergebnisse Bericht erstatten. Seine Gedanken kreisen um die Formulierungen, die sein Verkaufsleiter dafür verwendete: „Schlagzahlenmanagement heißt ab jetzt die Devise“, „Wir brauchen mehr Umsatz durch das Neukundengeschäft“, „Es geht um die Sicherung der Arbeitsplätze im Vertrieb“. Florian schwitzt. Er fühlte sich schon seit dem frühen Morgen nicht wohl. In seinem Darm rumort es. Er sieht ein Cafe´ am Ende der Straße und entschließt sich, noch schnell einen Espresso zu trinken. „Danach starte ich los“, murmelt er zu sich. Als er zum Wagen zurückkommt, um seine Arbeitstasche zu holen, klingelt das Mobiltelefon. Sofort nimmt er den Anruf an. Wieder eine willkommene Gelegenheit, das hinauszuzögern, was er so gar nicht mag: dieses „Klinkenputzen“. Nach dem Telefonat macht er sich einige Notizen zum Besprochenen und schlendert langsam die Straße entlang. Florian malt sich aus, was ihn nun erwartet. Das Betreten des Firmengebäudes, seine Frage am Empfang „nach dem Einkauf“, die kritischen Blicke der Person am Empfang, ihr leicht genervter Anruf, ob denn jemand im Einkauf Zeit habe für „wie war denn noch ihr Name? “ und das unangenehme Gefühl, abgewiesen zu werden. Das Schlimmste an der Kaltakquise sind eben die fadenscheinigen Ausreden, die er zu hören bekommt. „Leider hat die zuständige Einkäuferin keine Zeit, sie ist in einer Besprechung, versuchen Sie es doch ein anderes Mal.“ Oder „Wir haben im Moment kein Interesse an Ihren Produkten.“ Und dazu noch die geringschätzenden Blicke, die er noch in seinem Rücken spürt, wenn er das Gebäude verlässt. Florian hasst die Kaltakquise, doch hat er eine andere Wahl, wenn er seinen Job behalten will? Die Geschäftsleitung war unmissverständlich: Wer die Vorgaben nicht erfüllt, der fliegt. Das Gefühl des Versagens kriecht durch Florians Körper. Selbstzweifel überkommen ihn. Er wirft Arbeitstasche und Jacke auf den Rücksitz und startet den Firmenwagen. „Dieser Besuch hätte sowieso nichts ge- Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="128"?> 8 Gegen die Angst vor der Kaltakquise 116 bracht.“ Also auf zur nächsten Adresse. „Aber dieses Mal mache ich ernst“, verspricht er sich. 8.1 Etwas Theorie zur Angst vor der Kaltakquise In den meisten Klassifikationen der Basisgefühle scheint neben Zorn, Freude, Traurigkeit, Vertrauen, Ekel, Überraschung oder Neugierde nicht die Angst, sondern Furcht auf. In der Alltagssprache wird kaum zwischen den beiden Begriffen unterschieden. Manche Philosophen und Psychologen, die sich mit einer solchen Einebnung nicht zufrieden geben, sehen einen fundamentalen Unterschied zwischen Angst und Furcht. Während die Angst in dem Gefühl einer möglichen, nicht genau bestimmbaren Bedrohung besteht, ist unter der Furcht jenes Gefühl zu verstehen, das einem angesichts einer identifizierten Gefahr überfällt. Die Angst ist gleichsam blind, während die Furcht auf eine bestimmte Bedrohung gerichtet ist. Ein gezieltes und konstruktives Handeln ist dem Verängstigten schwer möglich. Wer hingegen Furcht vor etwas oder jemandem empfindet, weiß wovor er fliehen oder wem er offensiv begegnen soll. Geht nun das Gefühl des Verkäufers, der auf sich allein gestellt mit einem ihm völlig Unbekannten einen Kontakt anbahnen möchte, in Richtung Furcht oder Angst? Der Kontakt soll ja möglichst über eine flüchtige Aufmerksamkeit hinausgehen, soll Interesse an einem Angebot auslösen und eher früher als später in einen konkreten Wunsch und sogar eine Kaufentscheidung münden. Verhielte sich dieses unbekannte Wesen wie eine Schlange oder Spinne, dann wäre es Furcht. Das Objekt zieht uns in seinen Bann. Wir denken an den Biss und seine Folgen. Begegnungen mit Menschen sind hingegen diffus. Sie können erfreulich und bereichernd, aber auch enttäuschend und zerstörerisch ausgehen. Diese Verunsicherung ist der Ausgangspunkt für jenes Gefühl, das wir Angst nennen. Das Fatale an der Angst ist, dass eine bestimmte Handlung, die unter ihrem Einfluss zustande kommt, im Gehirn an dieses Gefühl angekoppelt wird. Dies führt dazu, dass in Zukunft alles, was mit vergleichbarem Handeln zusammenhängt, auch mit Angst in Verbindung gebracht wird. Handeln ist dann nicht mehr selbstbestimmt. Die Amygdala, eine mandelkernartige Struktur im stammesgeschichtlich älteren Teil des Gehirns, die unter anderem für das Entstehen und die Steuerung von Emotionen zuständig ist, beginnt, immer mehr Hirnfunktionen zu kontrollieren. Schließlich übernimmt sie auch die Instanzen des Wahrnehmens, Denkens und Erinnerns. „Angst überfällt einen“, „Angst macht dumm“, „Angst lähmt“, heißt es im Volksmund. Angst schaukelt sich auf, genauso wie Misstrauen oder Aggression. Der Auslöser für den Teufelskreis der Angst ist entweder ein äußerer Reiz (der Verkäufer Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="129"?> 8.2 Zwei Optionen: Pest oder Cholera 117 klingelt am Tor des möglichen Käufers) oder ein inneres Signal (die Vorstellung des Verkäufers, jetzt die Initiative ergreifen zu müssen). Darauf folgt die Verarbeitung des Reizes oder Signals (etwa als inneres Bild, was jetzt alles schief laufen könnte), was z.B. Herzklopfen hervorruft. In der nächsten Stufe wird das Verarbeitete bewertet. Die Angst färbt es sofort negativ: „Ich werde sicher brüsk abgewiesen werden“. Ab jetzt steht das Tor für die nächste Steigerung, das Gefühl der Hilflosigkeit, weit offen. 8.2 Zwei Optionen: Pest oder Cholera Zwei Optionen bieten sich nun an. Entweder man klinkt sich aus der angstmachenden Situation aus, um die unangenehmen Folgen zu vermeiden („Ich mache kehrt, das bringt eh nichts“). Oder man bleibt im Teufelskreis und erfährt Stress als Vorbereitung für Kampf oder Flucht ( Bild 8-1). Körperliche Reaktionen wie Herzrasen, Schwitzen oder Schwindel gehören dazu. Wer im Teufelskreis der Angst verbleibt, spitzt seine Vorstellungen immer mehr ins Negative zu. Der Körper wird laufend angeschaltet und die Entspannung blockiert. Damit wird die Option der Vermeidung immer attraktiver und schließlich als Rettungsanker auch ausgeübt. Bild 8-1: Das Verlockende an der Vermeidung Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="130"?> 8 Gegen die Angst vor der Kaltakquise 118 Wer allerdings Situationen meidet, die an sich gar nicht gefährlich sind, schränkt seinen Handlungsspielraum unnötigerweise ein. Es fehlen ihm dann jene Erfahrungen, ohne die es keine persönliche Weiterentwicklung, kein persönliches Wachstum geben kann. Das Selbstvertrauen erfährt keine stärkenden Impulse mehr, sodass auch Situationen gemieden werden, die ohne weiteres zu bewältigen wären. Stattdessen führt das Vermeidungsverhalten zu einer Verschwendung von Lebensenergie. Ohne uns dessen bewusst zu werden, erlernen wir auf diese Weise eine Phobie. Der bloße Gedanke an eine angstmachende Situation löst dann bereits körperliche Reaktionen wie Schwitzen oder Zittern aus. Die Angst des Verkäufers vor der Akquise neuer Kunden wurzelt in der Vorstellung, von anderen Menschen zurückgewiesen zu werden. Die frühe Kindheit, scheinbar fern und überwunden, taucht wieder auf. Kleine Kinder verbinden die Ablehnung durch die Eltern mit dem Gedanken, nicht in Ordnung zu sein und deshalb verstoßen zu werden. Diese Abhängigkeit vom Wohlwollen anderer kann sich in vergleichbaren Situationen auch später in den Vordergrund drängen. Der zu akquirierende Kunde, der „nein“ sagt, löst im Verkäufer reflexhaft das Gefühl aus, nicht gemocht zu werden, obwohl es viele Gründe für das „Nein“ geben kann. Die persönliche Zurückweisung nagt am Selbstbild: Was ist denn eigentlich falsch an mir? Die Kluft zwischen dem mühsam gezimmerten Selbstbild und einem durch mürrische „Neins“ oder Ausflüchte wie „keine Zeit“ bedrohlicher werdenden Fremdbild wächst. Welchem Verkäufer kann man es daher verübeln, wenn er die verletzend wirkende Situationen der „Kaltakquise“ zu vermeiden versucht? 8.3 Wege aus der Vermeidung Leider führt die Vermeidungsstrategie unausweichlich in einen nächsten Teufelskreis. Auf Dauer lässt sich eine schwache Kaltakquise nicht kaschieren. Werden Verkaufsziele nicht erreicht, kommt es zu Schuldgefühlen und einem Auseinanderklaffen zwischen den Anforderungen an die Aufgabe als Verkäufer und den wahrgenommenen eigenen Fähigkeiten diesen gerecht zu werden. Wieder eine Quelle von Stress, der sich zu einem Verlust der Selbstwirksamkeitserwartung hochschaukeln kann. Wer allerdings seinen Beruf als Verkäufer liebt, wird nicht umhinkönnen, sich Methoden der Angstbewältigung zuzuwenden. Dafür bieten sich folgende Möglichkeiten an: Ein Expositionstraining. Hier erlebt der Verkäufer kaltakquisitorische Episoden ohne die Möglichkeit vor der Situation zu fliehen, jedoch in Begleitung eines unterstützenden Mentors. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="131"?> 8.4 Aus der Praxis 119 Die Senkung der emotionalen Anspannung. Der Verkäufer lernt, sein Bewusstsein für Anspannung auslösende Gedanken, Gefühle, körperliche Signale und Verhaltensweisen zu schärfen, um so zu einem höheren Grad der Selbstkontrolle zurückzufinden. Atemübungen in Verbindung mit einer Imagination. Der Verkäufer versucht bei vollem Bewusstsein mit vorzugsweise geschlossenen Augen positive, entspannende innere Bilder wachzurufen und diese gewissermaßen mit dem „inneren Auge“ wahrzunehmen. Die Anwendung metakognitiver 87 Techniken. Diese bieten einen Ausweg aus dem Aufmerksamkeitssyndrom, bei dem die Gedanken dauernd um die Sorge „Kaltakquise kann ich nicht! “ kreisen. Der Verkäufer beobachtet sich und sein Denken gleichsam aus der Vogelperspektive und lernt auf diese Weise, das Heft des Handelns wieder in die Hand zu bekommen: „Nächstes Mal zeige ich es allen, wie das geht! “. Kognitive Umstrukturierung. Sie stellt sich gegen die abwegige Vorstellung, der Mensch müsse ständig rein verstandesmäßig und damit ohne Gefühle denken und handeln. Mithilfe der kognitiven Umstrukturierung kann der Verkäufer schädliche Denkmuster („Ich darf bei der Kaltakquise ja nicht scheitern! “) durch hilfreiche, der gesunden Lebenspraxis geschuldete Denkweisen („Ich darf bei der Kaltakquise scheitern so viel ich will! “) ersetzen. Die Frage ist nun, wie sehr solche aus der Therapie der Angststörungen abgeleiteten und vielfach bewährten Techniken in der Verkaufspraxis überhaupt angewendet werden. Oder ob sich Verkäufer nicht intuitiv bestimmte Maßnahmen zurechtlegen, die zwar einer wissenschaftlichen Fundierung entbehren, aber in der Praxis funktionieren. Oder ob sie gar „weiterwursteln“ mit einem ungewissen Ausgang für ihr Unternehmen und sich selbst. Wir gingen hinaus in die Praxis, um verwertbare Antworten auf diese Fragen zu erhalten. 8.4 Aus der Praxis Dazu wurden zunächst 60 Außendienstmitarbeiter aus den verschiedensten Branchen befragt. Auf der Grundlage dieser Ergebnisse führten wir neun leitfadengestützte Interviews von erfahrenen Personen mit Führungserfahrung im persönlichen Verkauf durch, um einzelne Punkte noch stärker auszuleuchten. 87 Auf der kognitiven Ebene befassen wir uns unmittelbar mit Daten, Sachverhalten oder Problemen. In dem Moment, in dem wir über diese Denkvorgänge nachdenken, wechseln wir auf die metakognitive Ebene. Ähnlich wie bei der Metakommunikation, bei der die Kommunikation zum Gegenstand der Kommunikation wird. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="132"?> 8 Gegen die Angst vor der Kaltakquise 120 Nur etwa 2% der Befragten sieht in der Kaltakquise ausdrücklich „ein großes Problem“ für sich oder gibt an, dass die Akquise von neuen Kunden „nicht zu den eigenen Stärken“ zählt. Der Rest der Antworten verteilt sich auf „Geht so“ (18%) und „Komme gut zurecht“ (74%). Dass jemand bei der Kaltakquise „regelrecht aufblüht“, wurde nur von einem Befragten angegeben. Etwas weniger als die Hälfte der Verkäufer erfährt eine praktische Hilfestellung durch die Begleitung vom unmittelbaren Vorgesetzten ( auch Bild 8- 2). Oft wird argumentiert: „Wer es nicht alleine schafft, ist im Verkauf fehl am Platz.“ Trainings für die Kaltakquise werden, wenn überhaupt, nur sporadisch durchgeführt. Externe Verkaufstrainer spielen dabei keine Rolle. Nur 14% der gemeinsamen Besuche werden im Voraus geplant und vorbereitet. Dabei dominiert die Recherche in analogen und digitalen Quellen. Dass die Begleitung bei der Kaltakquise nicht sehr systematisch abläuft, lässt sich aus der (vom Verkäufer so empfundenen) geringen Rückmeldung und der nur sporadisch durchgeführten Dokumentation schließen. Die überwiegende Anzahl der Außendienstmitarbeiter (fast 60%) muss sich auf den Bekanntheitsgrad des eigenen Unternehmens oder „die eigene Erfahrung“ verlassen. Mit der Reputation des eigenen Unternehmens und dem Bekanntheitsgrad seiner Marke(n) erhöht sich die Chance auf einen Ersttermin bei einem potentiellen Kunden deutlich. Im gleichen Ausmaß sinkt die Anspannung des Verkäufers vor der Kaltakquise. Bild 8-2: Hilfestellung bei der Kaltakquise Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="133"?> 8.4 Aus der Praxis 121 Fast die Hälfte der Befragten fühlt sich vor der Kaltakquise emotional angespannt. Die Betroffenen versuchen dann zum Beispiel, ihr Bewusstsein zu schärfen für Anspannung auslösende körperliche Signale (Herzklopfen, Empfindung der Enge, trockene Kehle, erhöhter Puls etc.) oder auch für Verhaltensweisen, die zur Kategorie der Übersprunghandlungen 88 gehören (wie Brille auf- und absetzen, an der Kleidung zupfen, die Verkaufsunterlagen ordnen oder Herumlaufen). Mit dieser Bewusstseinsschärfung wollen die Verkäufer zu einem höheren Grad der Selbstkontrolle zurückzufinden. Auch Atemübungen gehören zu solchen Entspannungsritualen. ( Bild 8-3) Bild 8-3: Versuche zur Verringerung der emotionalen Anspannung Wer vor der Kaltakquise emotional angespannt ist, probiert nach einiger Zeit auch gerne etwas anderes aus. Der (wenig spezifische) Versuch, sich von dem Gedanken „Kaltakquise kann ich nicht! “ zu lösen, wird am häufigsten genannt ( Bild 8-4). An zweiter Stelle liegt das Bestreben, schädliche Denkmuster (z.B. „Ich darf bei der Kaltakquise ja nicht scheitern! “) durch unterstützende Denkweisen (z.B. „Ich darf bei der Kaltakquise scheitern so viel ich will! “) zu ersetzen. Dass sich Verkäufer durchaus auch mit therapeutischen Methoden beschäfti- 88 Wird der normale Ablauf einer Handlung gestört, so kann die dadurch aufgestaute Energie durch ein anderes Verhalten abreagiert werden. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="134"?> 8 Gegen die Angst vor der Kaltakquise 122 gen, zeigt die Bedeutung, welche der Körperhaltung beigemessen wird. Die Technik des Power Posing 89 , also der Versuch, durch die eigene Körpersprache nicht nur sein Auftreten, sondern auch die Selbstwahrnehmung positiv zu beeinflussen, wird häufig angewandt. Telefonische Kaltakquise grundsätzlich im Stehen durchzuführen, gilt zum Teil als Erfolgsrezept. Überraschenderweise zählen einige Verkäufer sogar auf NLP 90 , um mit der Kaltakquise besser zurechtkommen. NLP vermag zwar nicht die Hemmschwelle zur Kaltakquise senken, aber mit seiner Hilfe kann der Verkäufer offensichtlich Sicherheit im Verkaufsgespräch gewinnen. Etwa durch „Pacing“, bei dem der Verkäufer Körpersprache, Gestik und Mimik, Stimmlage, Sprechgeschwindigkeit und Sprache an die Eigenheiten des Käufers angleicht. Anders als plumpes Nachäffen, ist Pacing ein (erlernbares) unauffälliges Spiegeln, das Übertreibungen meidet. Es erzeugt einen „Rapport“ zwischen Verkäufer und Käufer, was die Erfolgswahrscheinlichkeit des Verkaufsgesprächs erhöht. Bild 8-4: Weitere Methoden, sich auf die Kaltakquise vorzubereiten Auch die Rückkopplung mit Kollegen, um sich Mut zu holen und die Anspannung zu dämpfen, wird oft genannt. Dies hilft gegen das Gefühl, „an der 89 Die Einnahme einer kraftvollen Körperhaltung soll angeblich den Testosteronspiegel im Blut erhöhen und den Gehalt an Cortisol senken. Vergleichsstudien konnten diesen Effekt allerdings nicht bestätigen. 90 NLP steht für Neuro-Linguistisches Programmieren. Der Begriff soll verdeutlichen, dass sich etablierte Prozesse im Gehirn (neuro) durch die Wirkung von Sprache (linguistisch) verändern (programmieren) lassen. NLP ist ein Sammelbecken für Methoden der Selbst- und Fremdbeeinflussung, der Kommunikation und der gezielten Veränderung. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="135"?> 8.4 Aus der Praxis 123 Front“ allein gelassen zu werden. „Wir können nicht verlieren, sondern nur gewinnen“, ist ein typischer Mut machender Spruch, in den alle mit einstimmen. Aufputsch- und Beruhigungsmittel, Alkohol und Nikotin werden gemieden. Ebenso wenig die aus der Anti-Stress-Therapie bekannte Technik, Atemübungen mit positiv besetzten Bildern im Kopf zu verbinden. Dies scheint den meisten „zu kompliziert“ oder „zu mühsam“. Ein knappes Drittel der Befragten gibt unumwunden zu, „Ich laviere mich einfach durch“. Mehr als die Hälfte versucht zumindest, „die Vorgaben des Unternehmens so gut es geht zu erfüllen“, obwohl sie Kaltakquise gar nicht mag. Immerhin akzeptieren die meisten Verkäufer die Aufforderung zu mehr Kaltakquise als unvermeidlichen Teil ihres Berufsbildes. In den Interviews wurde sehr frei über die Erfahrungen mit älteren Mitarbeitern bei der Kaltakquise gesprochen. Hätten sich „die 50+“ einmal an eine Vermeidungshaltung gewöhnt, so sei es nahezu unmöglich, sie aus der Rückzugszone zu bewegen, lautet eine typische Erfahrung. Im Extremfall fielen sie sogar in die Kategorie der „Anspruchslosen“ ( Abschnitt 5.6). Diese fühlen sich weder von Erfolgen angezogen noch sind sie über mögliche Misserfolge sonderlich besorgt. Die Schonung der eigenen Ressourcen wird zum obersten Ziel. Zwischen einer fast demonstrativ selbstbewussten Haltung gegenüber der Kaltakquise („Geht so“ oder „Komme gut zurecht“) und dem Eingeständnis, dass Kaltakquise doch mit einer hohen emotionalen Anspannung verbunden ist, besteht ein gewisser Widerspruch, der aber nicht überrascht. Ein Mindestmaß an Selbstwertgefühl gehört zur Grundausrüstung eines Verkäufers. Wer bereitwillig zugibt, dass die Kaltakquise für ihn ein großes Problem sei oder zumindest nicht zu den eigenen Stärken gehört, schleppt ständig einen unsichtbaren Rucksack voller Selbstzweifel mit sich. Daher arrangiert man sich zunächst mit dem Problem. Man mag sie nicht, die Kaltakquise, und versucht daher, nicht daran zu denken, nicht darüber zu reden oder sie zu vermeiden. Wer dem Beruf des Verkäufers treu bleibt, erkennt allerdings bald, dass dies nicht die Lösung sein kann. Dann kommen die vielen kleinen Techniken ins Spiel, die man von einschlägigen Seminaren her kennt, von Kollegen erfahren oder sich selbst zurechtgelegt hat. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="136"?> 8 Gegen die Angst vor der Kaltakquise 124 8.5 Für die Praxis Die Angst vor der Kaltakquise ist eine Angst vor der Zurückweisung, vor dem Nein des Käufers. Ein „Ich muss es mir noch einmal überlegen“ wird dann als Hoffnung auf ein mögliches Ja dankbar entgegengenommen. Wohlwissend oder zumindest ahnend, dass dieses mögliche Ja in den meisten Fällen nur einen Aufschub für das unerbittliche Nein bedeutet. Im B2B-Geschäft suchen nicht wenige Verkäufer diesen Aufschub, indem sie zuerst den „kleinen Entscheider“ aufsuchen, etwa den An- oder Verwender auf der untersten Sprosse der organisatorischen Leiter, der dann mit der Zusage „Ich werde das weiterleiten“ in ihnen einen Hoffnungsschub auslöst. Das Schlimme an der Angst des Verkäufers vor dem Nein ist, dass auch der Käufer von ihr infiziert werden kann. Die Abschlussangst des Verkäufers erhöht automatisch die Angst des Käufers, sich auf etwas einzulassen, woraus es - Rücktrittsrecht hin oder her - kein Entkommen gibt. Wer nicht an seine Fähigkeiten glaubt, sendet unbewusst Signale aus, die vom Gegenüber als Bestätigung seiner Bedenken interpretiert werden. Indem der Verkäufer ein bestimmtes Verhalten des Käufers erwartet, trägt er selbst dazu bei, dass dieses Verhalten auch wirklich eintritt. Und schon hat sich der Verkäufer wieder ein Nein des Käufers eingehandelt. Sich durchlavieren, die Vorgaben so gut es geht zu erfüllen und die Hoffnung, es werde schon irgendwie gut gehen führen, all dies führt nur dazu, dass sich der Verkäufer in der Annahme wiegt, die Dinge seien ohnedies im Lot. Wozu also etwas verändern? Eine dienende Führungskraft wird so etwas nicht einfach hinnehmen. Sie wird zuallererst die Begleitung der Kaltakquise nicht dem Zufall überlassen, sondern systematisch gestalten. Planung, Vorbereitung, Durchführung, Rückmeldung, Dokumentation und Wiederholung sind die notwendigen Schritte dafür. Eine dienende Führungskraft wird sich auch der Schwäche älterer Mitarbeiter bei der Kaltakquise widmen. Die Ursachen dieser Schwäche liegen meist auf der Hand: Sie wird zu spät erkannt und es wird zu wenig oder gar nichts in die Vorbeugung investiert. Eine wirksame Therapie zu nennen, fällt zugegebenermaßen schwer. Die Führungspraxis zeigt, dass das klassische Verhaltenstraining zu oft scheitert, weil sich gerade ältere Menschen nicht mit Methoden vollpfropfen und dressieren lassen. Verhaltenstraining prallt am Menschen ab. Ein Handlungstrai- Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="137"?> 8.5 Für die Praxis 125 ning 91 scheint vielversprechender zu sein. Mit ihm gelingt es eher, den Menschen zu erreichen und ihn zu „bewegen“. Verhalten ist trügerisch, denn es kann auch passiv sei. Handeln ist hingegen immer willentlicher Natur. Eine Führungskraft, die sich zumindest zum Teil den Grundsätzen verpflichtet fühlt, die in diesem Buch beschrieben sind, wird sich dem einzelnen Verkäufer als helfende Hand zuwenden. Sie wird abgestimmt auf die Persönlichkeit des Verkäufers mit Methoden experimentieren, die das Verhalten in neuartigen Situationen von Angst befreien können: z.B. mit einem Expositionstraining, bei dem der Verkäufer gemeinsam mit einem Mentor kaltakquisitorische Episoden erlebt, ohne vor der Situation fliehen zu können; mit Techniken zur Senkung der emotionalen Anspannung, wodurch der Verkäufer zu einem höheren Grad der Selbstkontrolle zurückfinden kann; mithilfe von Atemübungen in Verbindung mit positiven inneren Bildern; durch Metakognition, mit deren Hilfe der Verkäufer lernt, das Heft des Handelns wieder in die Hand zu bekommen; und nicht zu vergessen durch kognitive Umstrukturierung, die dem Verkäufer hilft, den negativen Gedanken des Scheiterns die Kraft zu nehmen und sie durch unterstützende Denkmuster zu ersetzen. Weiterführende Literatur B RÖER , H OLGER (2012): Schnecken hüpfen nicht: Erfolgreich Neukunden gewinnen mit System. München. W OLF , D ORIS (2011): Ängste verstehen und überwinden. Mannheim. P OSÉ , U LF (2015): Training 4.0 Wie Personalentwicklung der Zukunft aussieht. Marketing-Börse, D-68753 Waghäusel. 91 Ein Verhaltenstraining beruht auf Reizen, die vom Trainer gesetzt werden, um eine bestimmte Reaktion hervorzurufen. Der Mensch bleibt dabei eine „black box“. Das von R UPERT L AY und U LF P OSÉ ( auch weiterführende Literatur) entwickelte Handlungstraining berücksichtigt hingegen das Individuelle des Menschen, seine Einmaligkeit und Einzigartigkeit. Es setzt bei den Einstellungen an. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="138"?> 126 9 Die Gestaltung von Kundenbeziehungen Eine gelungene Kaltakquise könnte der Beginn einer Kundenbeziehung sein. Der Begriff „Beziehung“ ist so sehr in unserem Sprachbewusstsein verankert, dass wir uns kaum Gedanken machen über seinen tieferen Sinn. Es gibt mathematische und physikalische Beziehungen, Freundschafts-, Liebes- und Geschäftsbeziehungen und vieles mehr. Dabei geht es immer um ein Bezogensein zwischen zwei oder mehreren Größen (z.B. in der Mathematik), Dingen (z.B. in der Physik) oder Menschen (z.B. im täglichen Zusammenleben). Dieses Bezogensein ist die Voraussetzung dafür, dass zwischen den Größen, Dingen oder Menschen ein Austausch stattfinden kann. Damit ist auch klar, dass es eine Beziehung entweder geben kann oder nicht. Ein Zwischenstadium, etwa im Sinne von „ein bisschen Beziehung“, scheidet aus. Mit anderen Worten, wenn Größen, Dinge oder Menschen miteinander in Beziehung stehen, hat dies Konsequenzen. Die Beteiligten schränken ihre Freiheiten ein, um damit in den Zustand einer neuen Eigenschaft zu gelangen. Was hat es im Fall von Kundenbeziehungen mit einer solchen neuen Eigenschaft an sich? 9.1 Kundenbeziehungen als Tauschveranstaltungen Kundenbeziehungen kann man sich als eine Abfolge von Episoden vorstellen, in denen getauscht wird. Erweisen sich diese Tauschvorgänge für beide Seiten, den „Kunden“ und den „Lieferanten“, immer wieder als vorteilhaft gegenüber anderen Möglichkeiten zu tauschen oder überhaupt auf einen Tausch zu verzichten, so bleibt die Kundenbeziehung bestehen. Anderenfalls meldet eine der beiden Seiten Widerspruch an oder bricht die Beziehung mehr oder weniger abrupt ab. Was wird denn in einer Kundenbeziehung „getauscht“? Getauscht wird nicht nur Leistung gegen Geld. Es wird vielmehr alles auf die Waagschale der Beziehung geworfen, was die beteiligten Organisationen und Menschen an Ressourcen zu bieten haben: Ansehen, Glaubwürdigkeit, Zuverlässigkeit, Sympathie, Wissenszugang, Größenvorteile, Vernetztheit, um nur einige beispielhaft zu erwähnen. Dieser Tausch von Ressourcen gehorcht einem grundlegenden Prinzip, das letztlich die Robustheit und damit Dauerhaftigkeit einer Kundenbeziehung entscheidend bestimmt: die Reziprozität oder Wechselseitigkeit. Ihre Grundregel lautet: „Ich gebe, damit du gibst“. Sie scheint in der heutigen Zeit egal, um welche Art von zwischenmenschlicher Beziehung es sich handelt immer mehr von ihrer Selbstverständlichkeit zu verlieren. „Ich habe gegeben, aber du gibst nichts Gleichwertiges zurück“, so könnte man die Erfahrungen mit der brüchig gewordenen Wechselseitigkeit zusammenfassen. Deshalb halten Organisationsforscher Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="139"?> 9.2 Geänderte Bedingungen 127 schon seit geraumer Zeit Ausschau nach anderen natürlichen Formen des Aufeinander-bezogen-Seins. Dies gipfelte in der Euphorie rund um den Schwarm. Besonders die Bienen kamen dabei ins Visier. Bei ihnen scheint zu gelten „Ich helfe anderen, damit auch mir geholfen wird“. Leider erfolgt diese Reziprozität rein instinktmäßig. Der Mensch als „instinktarmes“ 92 und extrem kulturabhängiges Wesen kann hier nicht mit. Das harmonische und konfliktfreie Verhalten im Schwarm bleibt dem Menschen verwehrt. 9.2 Geänderte Bedingungen Die späten 1980er Jahre erlebten eine Wiederentdeckung der Geschäfts- und damit der Kundenbeziehung. Triebfeder waren vor allem die enorm gestiegenen Kosten für die Akquisition von Neukunden. Die gängige Formel lautete damals: Einen neuen Kunden zu akquirieren kostet im Schnitt fünf bis sechs Mal so viel wie eine bestehende Kundenbeziehung zu erhalten. Auch wenn diese Zahl empirisch nicht abgesichert war, die Relation allein genügte für eine Rückbesinnung auf jene kaufmännische Tradition, die nicht so sehr in der einmaligen Transaktion, sondern vielmehr in der zeitlich unbegrenzten, gegenseitigen Verpflichtung zwischen zwei Geschäftspartnern einen besonderen Wert sah. Rasch wurde deutlich, wie sehr die Idee der gegenseitigen Verpflichtung kulturell geprägt ist. Während in Europa eine Kundenbeziehung im Lauf der Zeit immer mehr dem Grundsatz von „Treu und Glauben“ folgt, stellt etwa in den USA der Vertrag ein unverzichtbares Bindeglied zwischen Kunden und Lieferanten dar. 93 Seit den 1980er Jahren haben sich die Bedingungen, unter denen sich die Führung von Organisation und ebenso die Gestaltung von Kundenbeziehungen bewähren müssen, markant verändert. Unsere Welt ist komplexer geworden („Alles scheint mit jedem verbunden zu sein“), sie ist volatiler geworden („Pendelausschläge treten immer häufiger und heftiger auf“) und Entwicklungen lassen sich deshalb immer schwerer einschätzen („Morgen kann alles schon wieder ganz anders sein“). Das hat Folgen für die Attraktivität von Kundenbeziehungen. In einer komplexen, volatilen und unsicheren Welt, kommen langfristige Bindungen einer Fesselung gleich. Es gilt, sich die Wendigkeit zu bewahren, um nicht auf dem falschen Fuß erwischt zu werden. Das Umgekehrte trifft jedoch genauso zu. In einer komplexen, volatilen und unsicheren Welt müssen sich die Akteure auf das besinnen, was sie tatsächlich am besten beherrschen. Eine hohe 92 Der Philosoph, Anthropologe und Soziologe A RNOLD G EHLEN (1904 -1976) sah den Menschen als ein besonders „weltoffenes“ Wesen, das ohne festgelegte Verhaltensmustergeboren wird und sich Verhaltenssicherheit durch „Kultur“ immer erst erwerben muss. 93 So wichtig z.B. der Kaufvertrag für die einzelne Transaktion zwischen Verkäufer und Käufer auch ist, so besteht der Vorteil einer langfristigen Geschäftsbeziehung eben darin, Vertrags- und Kontrollkosten durch Vertrauen und Vertrauenswürdigkeit zu ersetzen. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="140"?> 9 Die Gestaltung von Kundenbeziehungen 128 Arbeitsteiligkeit kann in einer langfristigen Geschäftsbeziehung wirksamer und kostengünstiger bewältigt werden, als in einer Unzahl von einzelnen Transaktionen. Grund genug also, sich mit der Gestaltung von Kundenbeziehung näher zu befassen. 9.3 Die Vertiefung von Kundenbeziehungen Ein systematisches Management von Kundenbeziehungen kann auf Dauer nur funktionieren, wenn das Unternehmen seine Politik zunächst einmal auf den Markt ausrichtet, also eine marktorientierte Unternehmensführung betreibt. Das ist leichter gesagt als getan. Die Besonderheit der Marktorientierung, etwa im Gegensatz zu einer dominanten Produktions-, Effizienz- oder Technologieorientierung, wird anhand der Unterscheidung zwischen Binnen- und Außenperspektive eines Unternehmens deutlich. Aus der Binnenperspektive muss das Unternehmen eine Grenze zur Außenwelt ziehen, um seinen Zusammenhalt abzusichern und sich vor allzu vielen Irritationen von außen zu schützen. Die Grenze kann gedanklich eine bloße Linie, ein Zaun oder, wenn Abschottung versucht wird, eine Mauer sein. In der Außenperspektive versucht das Unternehmen die Grenze so offen wie möglich zu halten, um Veränderungen in der Außenwelt als Chance zu nutzen. Die Kunst einer marktorientierten Unternehmensführung besteht in einem Sowohl-als-auch von Binnen- und Außenperspektive. Will man tatsächlich die Kundenbeziehungen in den Mittelpunkt der unternehmerischen Tätigkeit stellen, so reicht ein Fokus auf „den Markt“ nicht aus. Der Kunde muss aus der Anonymität des Marktes befreit werden. Kundenorientierung darf nicht nur aus einem Lippenbekenntnis bestehen. Ihre praktische Seite besteht daher darin, die optimale Kundennähe zu finden. Optimal heißt, die Kosten der Kundennähe (z.B. Recherchen, Kontakte, Service) gegen ihren Nutzen (z.B. Zufriedenheit, Bindung, Weiterempfehlung) abzuwägen. Wie andere soziale Beziehungen auch, sind Kundenbeziehungen immer asymmetrisch. Die Ressourcen, mit denen Kunde und Lieferant einander beeinflussen können, sind ungleich verteilt. Da unter den heutigen Marktbedingungen das Gleichgewicht meist zugunsten des Kunden verschoben ist, muss bei der Gestaltung von Kundenbeziehungen die Kundenmacht mitgedacht werden. Dasselbe gilt für das Kundenvertrauen. Auch dieses ist wechselseitig zu verstehen: als Vertrauen des Kunden in den Lieferanten und umgekehrt. Art und Ausmaß von Kundenmacht und Kundenvertrauen entscheiden über die Qualität der Kundenbeziehung und damit auch über ihre Lebensdauer. Die Qualität lässt sich an der Kundenzufriedenheit ablesen, die wiederum die Intensität der Kundenbindung bestimmt. In ihrer stärksten Form führt sie zur Kundenintegration, bei der sich die Grenzen zwischen Kunden und Lieferant nahezu auflösen. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="141"?> 9.4 Kundenorientierung 129 In Bild 9-1 werden die wichtigsten Schritte zur Vertiefung von Kundenbeziehungen dargestellt und in den folgenden Abschnitten erläutert. Bild 9-1: Schritte auf dem Weg zur Vertiefung einer Kundenbeziehung 9.4 Kundenorientierung Organisationen im Allgemeinen und Unternehmen im Besondern sind soziale Systeme, die eine Eigendynamik aufweisen und daher nur in begrenztem Ausmaß steuerbar sind. Diese Eigendynamik wird z.B. bei den Strategien deutlich. Diese sind immer eine Mischung aus bewusst geplanten Handlungsschritten und vielen kleinen Entscheidungen von Personen, Gruppen, Abteilungen etc., die sich zu bestimmten Mustern formen. Dass Unternehmen nur begrenzt steuerbar sind, leitet sich auch aus der Komplexität der Umfelder und der eingeschränkten Fähigkeit des Menschen ab, diese Komplexität zu verarbeiten, geschweige denn zu beherrschen. Diese Verquickung von Eigendynamik, Komplexität und begrenzter Steuerbarkeit verlangt nach Vorgaben, die allgemein genug sind, um selbstregulierenden Prozessen Raum zu geben, und die zugleich ausreichend präzise sind, um die Handlungen im Unternehmen zu kanalisieren. Man spricht ganz allgemein von Orientierungen. Gelingt es, die maßgeblichen Führungskräfte vom Sinn einer bestimmten Leitorientierung (z.B. auf den Markt, auf Wettbewerb, Ertragskraft, Effizienz, Technologieführerschaft etc.) zu überzeugen, diese Überzeugung zu kommunizieren und Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="142"?> 9 Die Gestaltung von Kundenbeziehungen 130 die Kommunikation durch vorbildliches Handeln noch zu untermauern, kann sich diese Orientierung in eine Grundhaltung im Unternehmen entwickeln. Sie ist dann auch von außen als solche erkennbar und trägt damit zur Unverwechselbarkeit des Unternehmens bei. Die Kundenorientierung ist eine solche Grundhaltung. Als besondere Form der Marktorientierung steht bei ihr der einzelne Kunde im Vordergrund. Bei Gütern des täglichen Bedarfs wird sehr oft nicht der Konsument, sondern der Handelspartner „Kunde“ sein (müssen). Die Kundenorientierung unterscheidet sich wesentlich von einer anderen Haltung, die der Marktorientierung zugeordnet werden kann, der Verkaufsorientierung. Diese hat den Verkaufs- oder Einkaufsakt im Blick und liefert die entsprechenden Instrumente dafür. Kundenorientierung sieht den Kunden hingegen als Mittelpunkt eines Investitionsvorhabens. Ihr Zeithorizont geht damit weit über den der Verkaufsorientierung hinaus. Kundenorientierung verlangt eine Öffnung der Unternehmenskultur mit einer Akzeptanz von Meinungsvielfalt und der Bereitschaft, Entscheidungen nicht nur von „oben nach unten“ zu treffen, sondern auch gemeinsam zu suchen. Mit der Öffnung steigen allerdings auch die „Preise“, die für die Vorteile einer solchen Kultur zu entrichten sind. Es muss mehr zugehört und abgewogen, überzeugt und ausgehandelt werden. Der Weg dorthin kann mühselig sein. Außerdem gilt, je offener eine Kultur ist, desto weniger kann sie die, besonders in turbulenten Zeiten gefragte Sicherheit bieten. Ein kundenorientiertes Unternehmen wird daher eine Balance zwischen Öffnung und Schließung der Unternehmenskultur suchen müssen. Traditionsbewusste technikorientierte Unternehmen oder solche, die über lange Zeit vorwiegend effizienz- oder finanzwirtschaftlich geführt wurden und die sich nun kundenorientiert verhalten wollen, stoßen dabei regelmäßig auf ein Hindernis. Sie haben sich, ohne es zu wollen, in ihrer Kultur „eingeschlossen“. Einflüsse von außen werden nur zugelassen, wenn sie mit der gewachsenen Lebenswelt des Unternehmens verträglich sind. Wer Kundenorientierung in seiner Organisation tatsächlich leben will, muss bestimmte Barrieren beiseiteschaffen. Dazu einige Beispiele. Fehlendes Vertrauen zwischen Zentrale und Außenstellen führt dazu, dass der Kunde zwischen die Mühlsteine der Organisation des Lieferanten gerät. Durch mangelnde Abstimmung zwischen den Abteilungen ist die Organisation so sehr mit sich selbst beschäftigt ist, dass der Kunde zur Nebensache oder gar zum Störfaktor wird. Ressort-Egoismus und Funktionsdenken schaffen künstliche Schnittstellen, die dem Kunden die Beziehung zum Lieferant regelmäßig vermiesen. Es fehlen horizontale Geschäftsprozesse, die z.B. in der Entwicklung, im Marketing Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="143"?> 9.5 Kundennähe 131 etc. beginnen, aber immer beim Kunden enden. Arroganz und Überheblichkeit, beide eine Art von Selbstschutz, weisen auf verdeckte Mängel innerhalb der Organisation hin, die man auf diese Weise zu kaschieren versucht. Organisationen mit einer „Tüftler“-Kultur sind oft so sehr in die eigene Technik verliebt, dass sie dabei den Kunden vergessen. Sie erzeugen dann etwas, nur um sich selbst daran zu begeistern. Kundenorientierung muss „belohnt“ werden! Unmittelbare (nicht irgendwann in der Zukunft liegende), ehrlich gemeinte positive Rückmeldungen an den jeweiligen Mitarbeiter wirken meist mehr als ausgeklügelte Anreizsysteme. 9.5 Kundennähe Kundennähe ist die praktische Konsequenz der Kundenorientierung. Sie lässt sich anhand von vier Dimensionen darstellen (Bild 9-3). Bild 9-2: Die Dimensionen der Kundennähe Organisationale Kundennähe. Sie wird dort besonders hoch ausgeprägt sein, wo z.B. Hersteller und Zulieferer unter einem Dach integriert sind, wie dies etwa in der Autoproduktion der Fall sein kann. Große organisationale Distanz ist z.B. für den indirekten Export charakteristisch, bei dem Hersteller und Abnehmer nur über Absatzmittler oder bestenfalls auf Messen miteinander in Berührung kommen. Da grenzenlose Wirtschaftsräume und eine weltweite Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="144"?> 9 Die Gestaltung von Kundenbeziehungen 132 Arbeitsteilung längst Tatsache geworden sind, sollte auch die Überbrückung der organisationalen Distanz zwischen Organisationen jeglicher Art zum Pflichtfach der Unternehmensführung gehören. Im „Internationalisierungs- Mix“ gerade kleiner und mittelgroßer Unternehmen sollten daher neben dem Export auch die vielfältigen Formen von Kooperation vertreten sein. Dies kann formlos oder geregelt geschehen, z. B. über Liefer-, Produktions-, Vertriebs-, Know-how-, Lizenz-, Gegengeschäfts-, Systemverträge, ohne Kapitalbeteiligung oder als eigenständiges Joint Venture, mit einem einzigen Partner oder als Netzwerk. Immer steht die Optimierung der organisationalen Distanz zum Kunden im Vordergrund. Sachliche Kundennähe. Sie bezieht sich auf das Wissen des Lieferanten über die Art, den Zweck, das Leistungsangebot und die Prozesse des Kunden. Die sachliche Kundennähe wird dann besonders groß sein, wenn der Lieferant z.B. in die Produktentwicklung des Kunden eingebunden ist. Sie wird besonders gering ausgeprägt sein, wenn der Lieferant nur ein Randbedürfnis des Kunden abdeckt und sich sonst, etwa aus Bequemlichkeit, Zeitmangel oder Leichtsinn, überhaupt nicht um ein Wissen über das Kundenunternehmen bemüht. Eine solche sachliche Distanz ist riskant. Dem Lieferanten können einerseits zusätzliche Geschäftsmöglichkeiten entgehen, andererseits wird er austauschbar, weil er im „Gedächtnis“ des Kunden nicht verankert ist und bei Kaufentscheidungen nicht in Erwägung gezogen wird. Prozessuale Kundennähe. Sie wird dann hoch sein, wenn die betrieblichen Prozesse des Kundenunternehmens mit jenen des Lieferanten eng verzahnt sind. Daraus ergibt sich eine Abfolge von Kontakten zwischen Kunde und Lieferant, in denen die Erwartungen des Kunden bestätigt oder enttäuscht werden und somit Zufriedenheit oder Unzufriedenheit entsteht. In dem Moment, in dem Schnittstellen (kommt ja von „zer“schneiden) zu Nahtstellen (von „nähen“ im Sinne von Zusammenfügen) werden, entsteht prozessuale Nähe. Ein Beispiel: In einem Hotelbetrieb sind die Kontaktpunkte mit dem Kunden 94 - Suche, Ankunft, Parken, Gepäckabgabe, Check-In, Weg zum Zimmer, Aufenthalt im Zimmer, Zimmerservice etc. - aufs Engste mit allen Schritten des eigenen Unternehmensprozesses - „Navigation“ des Kunden, Organisation des Gepäcktransports, Rezeption und Registration, Bestellannahme, Speisenzubereitung, Saunabetrieb etc. - verwoben. „Just-in-time“- Zulieferung ist ein anderes Beispiel für große prozessuale Nähe. Umgekehrt kann ein Lieferant, der Freitagmittag beharrlich das „Wochenende“ einläutet, 94 Solche Kundenkontaktpunkte werden auch „Touchpoints“ genannt. An jedem Kontaktpunkt entstehen neue Erfahrungen. Hier kann sich das Bild des Kunden vom Lieferantenunternehmen bestätigen oder wandeln. Das Ziel eines Touchpoint-Managements muss es daher sein, bei jedem Kontakt mit dem Kunden dessen Erwartungen zumindest zu erfüllen. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="145"?> 9.5 Kundennähe 133 obwohl viele Kunden gerade am Samstag Hochbetrieb haben, keine prozessuale Nähe zum Kunden behaupten. Personale Kundennähe. Während bei der organisationalen Nähe die geografische Entfernung eine wichtige Rolle spielt, ist es bei der personalen Nähe die physische Präsenz. Fehlt sie, wie etwa beim Tele- oder Online-Verkauf, oder ist sie schwach ausgeprägt, weil sich z. B. eine gewisse Besuchsfrequenz nicht lohnt, wird personale Distanz in Kauf zu nehmen sein. Generell gilt, dass wir andere eher mögen, wenn sie in unserer Nähe sind, weil Nähe die Kommunikationsmöglichkeiten erweitert. Nähe erzeugt Anziehung. Dabei ist die wahrgenommene Ähnlichkeit wichtig. Je ähnlicher die Einstellungen 95 von Personen, desto größer ist die Anziehung; und je wichtiger eine Einstellung für die Person(en) ist, umso stärker ist diese Wirkung. Für eine personale Nähe zum Kunden ist es daher nicht egal, wer mit welchen Personen auf der Kundenseite in regelmäßigem Kontakt steht. Frauen sind im Allgemeinen beziehungsorientierter als die mehr auf den Erfolg der einzelnen Transaktion fixierten Männer. 96 Sie können fehlende Einstellungsähnlichkeit leichter umgehen, da ihre höhere Bereitschaft zur Selbstöffnung 97 einen Beziehungsaufbau erleichtert. Der Grundsatz „Je mehr Kundennähe umso besser“ gilt nur bedingt. Es gibt eine Zone der produktiven Kundennähe. Zu wenig Kundennähe freut die Konkurrenz, die so leicht punkten kann. Zuviel des scheinbar Guten, ist entweder eine Verschwendung knapper Ressourcen oder die Kundenbeziehung mutiert zu einer Freundschaftsbeziehung, was nicht Sinne wirtschaftlichen Handelns ist. Hier einige Empfehlungen, um die Kundennähe auszutarieren. Organisationale Nähe: Alle Möglichkeiten des Online-Verkaufs testen/ nutzen Telefonbetreuung testen/ ausweiten/ verbessern 95 Einstellungen bezeichnen unsere Bereitschaft, auf eine Sache oder Person immer in der gleichen Weise zu reagieren, und zwar mit Gefühlen (emotional), mit einem Wissen (kognitiv) oder mit bestimmten Handlungen (konativ). Dies gibt den Mitmenschen eine gewisse Sicherheit, unser Handeln einschätzen zu können. Wer dagegen „sein Fähnchen immer nach dem Wind dreht“, gilt im Allgemeinen als oberflächlich und prinzipienlos. Einstellungen sind daher relativ stabil und nur schwer zu ändern. 96 Die stärkere Beziehungsorientierung von Frauen ist mehr als eine bloße Zuschreibung. Seriöse Untersuchungen scheinen dies zu bestätigen, z.B. M ANFRED H ASSEBRAUCK : Romantische Männer und realistische Frauen - Geschlechtsunterschiede in Beziehungskognitionen. In: Zeitschrift für Sozialpsychologie (2003), Seiten 25-35. 97 Selbstöffnung meint keinen „Seelen-Striptease“, sondern die Fähigkeit, dem Gegenüber im richtigen Ausmaß, in angemessener Weise und zum passenden Zeitpunkt einen Teil seines Selbst preiszugeben. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="146"?> 9 Die Gestaltung von Kundenbeziehungen 134 Regionale Kundenforen einrichten Reiserouten und Verkaufsgebietseinteilung optimieren Regionale Messen auf ihre Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit überprüfen Die verschiedenen „Rollenträger“ im Kundenunternehmen (z. B. Entscheider, Verwender, Meinungsbildner etc.) identifizieren Kunden in das eigene Unternehmen einladen Kundenferne Bereiche im eigenen Unternehmen (auch das Führungsgremium! ) animieren/ verpflichten, regelmäßige Kundenkontakte wahrzunehmen Sachliche Nähe: Die vom Kunden wahrgenommene Qualität der Produkte/ Leistungen eruieren Ebenso Ursachen und Häufigkeit nicht erfüllter Qualitätsanforderungen und Reklamationsfälle feststellen und das eigene Handeln danach ausrichten Den Kontakt zu relevanten „Rollenträgern“ des Kundenunternehmens (z.B. Sicherheitsbeauftragte, „Gatekeeper“, Einkäufer) intensivieren Den Kunden frühzeitig über Maßnahmen und Änderungen im eigenen Unternehmen informieren Statt eines (nur auf negative Abweichungen ausgerichteten) „Beschwerdemanagements“ einen (auch Anregungen und Verbesserungsvorschläge des Kunden berücksichtigenden) „Kundendialog“ 98 einrichten Auf Anregungen des Kunden auch antworten Meinung des Kunden über die Geschäftspolitik und Geschäftsprozesse einholen Vertrauenswürdige Kunden in strategische Überlegungen und in die Produktentwicklung einbinden Prozessuale Nähe: Die Zeitempfindlichkeit des Kunden herausfinden Nur Terminzusagen machen, die auch einzuhalten sind Die vom Kunden wahrgenommene Termineinhaltung herausfinden Eine „Landkarte“ mit den wichtigsten „Kundenprozessen“ erstellen Die Fähigkeit des eigenen Unternehmens testen, auf Sonderwünsche flexibel zu reagieren und Unvorhergesehenes zu verarbeiten Routinevorgänge auf Reibungsverluste untersuchen, die möglicherweise schon zur Gewohnheit geworden sind Auf den richtigen „Eindruck“ (z.B. fachkundig, hilfsbereit, flexibel, zuverlässig, vertrauenswürdig etc.) an den wichtigsten Kontaktpunkten mit dem Kunden achten 98 In der Schweiz gibt es seit einigen Jahren das Berufsbild Fachfrau/ Fachmann Kundendialog. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="147"?> 9.6 Macht 135 Personale Nähe: Die Eigenheiten des Kunden verstehen lernen und dokumentieren Das Personal für die Vielfalt von sozialen Kontakten, Beziehungen und Kommunikationsmöglichkeiten sensibilisieren Voraussetzungen schaffen, dass die Bewältigung „kritischer“ Situationen geübt werden kann Bei wichtigen Kunden auf eine personale Übereinstimmung 99 („matching“) mit der Kundenseite achten Schon bei der Suche und Auswahl von Verkaufspersonal die Eignung für personale Nähe berücksichtigen Auf personale Kontinuität in bewährten Beziehungen achten Gleichfalls darauf achten, dass Geschäftsbeziehungen nicht zu reinen Freundschaftsbeziehungen werden 9.6 Macht Während das englische Wort „power“ auf Kraft schließen lässt, wird das deutsche Wort „Macht“ reflexhaft mit Missbrauch, Besessenheit oder Unterdrückung in Verbindung gebracht. Dabei besteht überhaupt keine Einigkeit darüber, was Macht eigentlich bedeutet. Die klassische Definition stammt von M AX W EBER , dem Übervater der Soziologie. Er versteht Macht „als jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht.“ 100 Der Politologe R OBERT D AHL definiert Macht wiederum so: „A besitzt Macht über B in dem Ausmaß, in dem er B veranlassen kann etwas zu tun, das er sonst nicht getan hätte.“ 101 Der Philosoph M ICHEL F OUCAULT besteht darauf, dass man Macht von Herrschaft trennen müsse. Erstere sei nichts anderes als eine wettkampfmäßige Beziehung zwischen Menschen, die sich in gegenseitiger Einflussnahme ausdrückt, während Herrschaft die Kontrolle dieser wettkampfmäßigen Verhältnisse anstrebt. 102 99 Ist die Kundin z.B. leidenschaftliche Kunstsammlerin und der Verkäufer ein Kunstbanause, der entscheidende Kontakt im Kundenunternehmen ein passionierter Golfspieler und die Verkäuferin eine Golfgegnerin, der Einkäufer eines Großkunden hingebungsvoller Familienvater und der Verkäufer überzeugter Single, dann ist die Übereinstimmung („matching“) zwar nicht ausgeschlossen, aber zumindest schwierig. 100 M AX W EBER (1976): Wirtschaft und Gesellschaft - Grundriss der verstehenden Soziologie, 1. Halbband, 5. Aufl., Tübingen, S. 28. 101 R OBERT A. D AHL (1957): The Concept of Power. In: Behavioral Science, 2. Jg., Juli, S. 201-218. 102 H ANS -H ERBERT K ÖGLER (2004): Foucaults Machtbegriff: Eine Definition in sieben Stichpunkten. In: Kögler, H-H.: Michel Foucault, 2. Auflage. Stuttgart. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="148"?> 9 Die Gestaltung von Kundenbeziehungen 136 Für den Verhaltenswissenschaftler D AVID M C C LELLAND ist Macht das Bedürfnis „to feel strong“. Erst dadurch komme es eventuell zu einem Drang, machtvoll zu handeln. Andere zu beeinflussen, sei eine von mehreren Möglichkeiten, dieses Bedürfnis zu befriedigen. 103 Das Gemeinsame an diesen Definitionen ist die bewusste Einflussnahme. Macht hat immer mit Einfluss zu tun, aber nicht jeder Einfluss gründet auf Macht. Sympathie ist ein gutes Beispiel dafür. Sie vermag andere Menschen massiv zu beeinflussen, kann aber nicht bewusst, quasi mit Knopfdruck, herbeigeführt werden. Wer hingegen bestimmte Machtmittel im Köcher hat, kann diese bewusst zur Einflussnahme einsetzen. Was bedeutet dies nun für Kundenbeziehungen? Sie sind grundsätzlich asymmetrisch, was in einem Machtgefälle zwischen den Beziehungspartnern zum Ausdruck kommt. Dieses Machtgefälle ist das Ergebnis eines sozialen Aushandlungsprozesses, in dem sich der (scheinbar) Machtüberlegene und der (scheinbar) Machtunterlegene gegenüberstehen. Warum „scheinbar“? Weil im Verlauf des Aushandlungsprozesses der Machtunterlegene dem Machtüberlegenen durchaus Paroli bieten oder ihn sogar übertreffen und sich das Machtgefälle umkehren kann. Die Kassiererin in der Tankstelle, die den mit einer Pistole herumfuchtelnden Räuber durch forsches Auftreten in die Flucht schlägt, wäre dafür ein Beispiel. „Aushandlung“ bedeutet eben, dass beide Kontrahenten versuchen, aus ihren Machtquellen jene Machtmittel zu schöpfen, mit denen sie in einer bestimmten Situation ihre Zielvorstellungen gegenüber dem anderen durchsetzen oder die Zielvorstellungen des anderen durchkreuzen können. Wer Macht ausüben oder verhindern will, dass Macht auf ihn ausgeübt wird, muss dem Gegenüber glaubhaft signalisieren, dass er über bestimmte Quellen verfügt, aus denen er Machtmittel schöpfen kann, die dem anderen Vorteile verschaffen oder Nachteile zufügen können. Die Verkaufsleiterin besitzt durch ihre Position eine Machtquelle, aus der sie belohnen oder tadeln kann. Der Experte verfügt über knappes Spezialwissen, das ihn unentbehrlich macht. Die Sekretärin, die den Zugang zu ihrem Chef steuert, der Monteur, der als einziger weiß, wie man ein heikles Ersatzteil einbaut, der Beziehungsfreudige, der über eine Vielfalt an Kontakten verfügt, sie alle haben die Möglichkeit, Macht auszuüben, wenn sie dazu bereit sind. Damit wird auch deutlich, wie wichtig die Inszenierung des Aushandlungsprozesses der Macht ist. Ablehnen, versprechen, drohen, dramatisieren, beschönigen, bluffen, verkürzen, „cool bleiben“ - die ganze Palette von Taktiken der Selbstdarstellung kommt hier zur Anwendung. Nicht die „objektive“ Logik des Verhältnisses zwischen Kunde und Lieferant bestimmt letztlich das Handeln der Beteiligten, sondern ihre subjektiven, oft ganz und gar „falschen“ Vorstellungen. 103 D AVID C. M C C LELLAND (1975): Power: The Inner Experience. New York. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="149"?> 9.6 Macht 137 In Kundenbeziehungen kann das Machtgefälle beide Seiten begünstigen. Ein knapper Rohstoff, eine exklusive Technologie, hohes Ansehen, räumliche Nähe, Vorteile aus schierer Größe und Erfahrung können dem Lieferanten eine Machtüberlegenheit bescheren. Die meisten Märkte sind heute allerdings Käufermärkte, sodass wir uns im Folgenden auf die Macht des Kunden konzentrieren. Diese speist sich aus zwei Quellen: aus der Beweglichkeit des Kunden und aus der Abhängigkeit des Lieferanten. Die Beweglichkeit des Kunden. Der Machtvorteil gegenüber dem Lieferanten wird umso größer sein, je weniger sich der Kunde an den Lieferanten gebunden fühlt oder tatsächlich gebunden hat: vertraglich (z.B. durch das „Kleingedruckte“), emotional (z.B. weil „die Chemie stimmt“), technisch (z.B. weil der Kunde in einem System „eingesperrt“ ist), ökonomisch (z.B. weil die Konditionen im Moment unschlagbar scheinen) oder moralisch (etwa weil der Lieferant kostenlose Vorleistungen erbracht hat). Das Machtgefälle wird auch umso mehr den Kunden begünstigen, je mehr vergleichbare alternative Lieferquellen diesem offenstehen und je geringer er den Aufwand für die Anbahnung einer neuen Beziehung einschätzt. Die Abhängigkeit des Lieferanten. Um diese Machtquelle zu bewerten, muss sich der Kunde in die Lage des Lieferanten versetzen und die Frage stellen: „Wie hoch ist der Verlust, der dem Lieferanten entstünde, wenn wir die Geschäftsbeziehung mit ihm beendeten? “ Je höher der Umsatzverlust oder der entgehende Deckungsbeitrag ist, der dem Lieferanten bei einem Beziehungsabbruch droht, desto deutlicher wird das Machtgefälle zugunsten des Kunden ausfallen. Auch andere mögliche Verluste sind zu berücksichtigen: das Cross- Selling-Potenzial des Kunden (zusätzliche, über das Sockelgeschäft hinausgehende Umsätze), das Referenzpotenzial (die Bereitschaft, den Kunden weiterzuempfehlen) und das Lernpotenzial (der Beitrag des Kunden zur Weiterentwicklung von Prozessen und Produkten des Lieferanten). Durch Kreuztabellierung der beiden Machtquellen des Kunden in den Ausprägungen „hoch“ und „niedrig“ ergeben sich aus der Sicht des Verkaufsmanagements vier typische Machtbeziehungen ( Bild 9-3). Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="150"?> 9 Die Gestaltung von Kundenbeziehungen 138 Bild 9-3: Vier typische Machtverhältnisse aus der Sicht des Lieferanten Der übermächtige Kunde sieht keinen Grund, sich an den Lieferanten zu binden und weiß zudem dessen Abhängigkeit auszunutzen. Manchmal bietet sich dem Lieferanten die Chance, aus der Umklammerung des Kunden auszubrechen. Der scheinbar unbedeutende Zulieferer stoppt plötzlich die Just-in- Time-Lieferungen von Modulen an den Autohersteller. Dessen Bänder stehen still. Sofort machen Zahlen über die täglichen Ertragseinbußen die Runde. Die Abhängigkeit hat sich umgekehrt. Ein solcher Schritt ist entweder eine taktische Notfallmaßnahme, um dem Übermächtigen eine Grenze aufzuzeigen, oder eine Verzweiflungstat, um Wehrhaftigkeit zu signalisieren. Strategisch gesehen führt dies nicht weiter. Ein übermächtiger Kunde sollte immer Anlass dafür sein, die eigene Position zu hinterfragen. Beliebig austauschbar zu sein bedeutet, dass das Angebot keinen oder einen zu geringen Wettbewerbsvorteil im Hinblick auf Preis, Zeit oder Qualität aufweist. Und extrem abhängig zu sein heißt, dass das Kunden-Portfolio unausgewogen ist. Grund genug also, sich mit der eigenen Unternehmensstrategie auseinanderzusetzen. Der Kunde als Chance könnte auf ein Erfolgsmodell des Lieferanten hinweisen. Zwar ist dessen Abhängigkeit von dem betreffenden Kunden hoch, zugleich scheint der Kunde jedoch bereit zu sein, seine Beweglichkeit gegen die Vorteile aus der Geschäftsbeziehung einzutauschen. Neu gegründete Unternehmen finden sich oft in einer solchen Lage wieder. Ihr Angebot kommt gut an, aber es fehlen die Ressourcen, um die Kundenbasis rasch zu verbreitern. Beweglichkeit des Kunden Abhängigkeit des Lieferanten hoch niedrig hoch niedrig Übermächtiger Kunde Kunde als Kleinod Kunde als Chance Kunde als Fragezeichen Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="151"?> 9.7 Vertrauen 139 Vom Kunden als Kleinod kann man nie genug haben. Starke Bindung und geringe Abhängigkeit verleiten allerdings oft dazu, die Kundennähe zu vernachlässigen und Ressourcen aus der Kundenbeziehung abzuziehen. Eine Kundenbewertung ( 10. Kapitel) kann hier Abhilfe schaffen. Kleinode unterteilt man am besten in Segmente, je nachdem wie groß ihr Potenzial für Wachstum und Weiterempfehlung ist. Der Kunde als Fragezeichen kauft da und dort und hin und wieder, ohne sich zu binden. Die Kundenbeziehung einfach auf Sparflamme laufen zu lassen, widerspräche einem professionellen Verkaufsmanagement. Aus einem Fragezeichen kann oft ein Kleinod werden. Deshalb lautet die Empfehlung: Den Kunden einfach besser kennenlernen, auf Details achten, nicht sofort aufgeben. Wer im Verkauf tätig ist, muss eher ein Foxterrier sein als ein Pudel. 9.7 Vertrauen „Lieber Geld verlieren als Vertrauen“, meinte R OBERT B OSCH einmal. Das war 1921. In dieser Krisenzeit mit galoppierender Inflation war es gar nicht selbstverständlich, dass ein Produzent durch pünktliche Lieferung qualitativ einwandfreier Ware das Vertrauen seiner Kunden zu gewinnen suchte. Denn der Aufbau von Vertrauenswürdigkeit benötigt Geduld - und damit Zeit. Dies führt insbesondere bei „jungen“ Kundenbeziehungen sowie bei Lieferanten, deren Geschäft erst im Aufbau begriffen ist, in ein Dilemma. Die Vertrauenswürdigkeit steht genau dann nicht zur Verfügung, wenn sie am dringendsten benötigt wird. Für das „Anspringen“ einer Kundenbeziehung muss der Lieferant daher seine Reputation in die Waagschale werfen oder auf Sympathie setzen. Die Reputation eines Unternehmens bestimmt sich nach den von ihren Interessen- und Anspruchsgruppen („Stakeholder“) gehegten Qualitätserwartungen. Solche positiven, indifferenten oder negativen Erwartungen entstehen sowohl durch eigene Erfahrungen mit dem Unternehmen als auch durch Hörensagen. Die Reputation wird oft als besonderes „Kapital“ bezeichnet. In dieser Denkweise gehört dann das Reputationskapital zusammen mit den Human-Ressourcen (Humankapital), den gewachsenen Strukturen (Strukturkapital) und den Außenbeziehungen (Beziehungskapital) zu den vier wichtigen immateriellen Vermögensteilen einer Organisation. Sympathie kann ein Auslöser für das Entstehen von Vertrauen sein. Sie wirkt über die Ähnlichkeit zwischen zwei Personen. Dabei sind es weniger äußerliche Merkmale, die hier eine Rolle spielen. Es zählen vor allem Alter, Geschlecht, soziale Zugehörigkeit und Grundüberzeugungen, so diese denn am Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="152"?> 9 Die Gestaltung von Kundenbeziehungen 140 Beginn einer Beziehung überhaupt zu Tage treten. Eine Übereinstimmung („matching“) zwischen Verkäufer und Käufer kann in der Praxis immerhin helfen, Startschwierigkeiten beim Aufbau von Kunden-Lieferanten- Beziehungen zu vermeiden. So erlebte z. B. ein Nahrungsmittelhersteller eine herbe Enttäuschung, als er seinen Großverbraucher-Außendienst durch die Einstellung von jungen, männlichen, akademisch ausgebildeten Ökotrophologen (Hauswirtschafts- und Ernährungswissenschaftler) aufzuwerten suchte. Die meisten Bezugspersonen der Kunden waren jedoch weibliche, angelernte Hilfskräfte mittleren Alters. Die Ähnlichkeits- und damit Vertrauensschwelle erwies sich rasch als viel zu hoch. Für eine dauerhafte Kundenbeziehung sind Reputation und Sympathie allein zu wenig. Es gibt zwei soziale Normen 104 , die sich in der Praxis für den Aufbau und Erhalt von Vertrauen als besonders wirksam erwiesen haben: Ehrlichkeit und Wechselseitigkeit. Ehrlichkeit. Die Forderung danach scheint trivial. Aber, gerade bei der Aushandlung von Macht ( Abschnitt 9.5) werden Dinge gerne verfälscht, verzerrt, verschwiegen oder verkürzt. Ehrlichkeit wirkt hier als Korrektiv. Persönliches Vertrauen ist eine riskante Vorleistung, mit deren Hilfe die Komplexität sozialer Beziehungen verringert werden kann. Diese riskante Vorleistung ist auf Ehrlichkeit angewiesen. Denn wenn List und Tücke die Oberhand gewinnen, kippt Vertrauen rasch in Misstrauen ( Bild 9-4), mit dem Ergebnis, dass nur mehr das Negative zählt. Wechselseitigkeit. Ach sie kann den Boden für gesundes Vertrauen bereiten. Wer sich an der Norm der Wechselseitigkeit („Reziprozität“) ausrichtet, meint: „Ich gebe, weil ich erwarte, dass du zurückgibst“. 105 Die Vorleistung des einen verpflichtet den anderen zu einer späteren Gegenleistung. 106 Damit sinkt das Risiko, enttäuscht zu werden. Menschen, die mit der Wechselseitigkeit auf Kriegsfuß stehen, weil sie sich z. B. ständig vor Ausbeutung fürchten, haben es schwer mit langfristigen Beziehungen. 104 Soziale Normen sind verpflichtende Auffassungen darüber, wie man sich in einer sozialen Beziehung verhalten soll. Verpflichtend bedeutet, dass ein Nichteinhalten der Norm sanktioniert wird. Solche Sanktionen können diffus sein (z.B. ein bestimmter Gesichtsausdruck, der ablehnend interpretiert werden kann), subtil erfolgen (z.B. durch leichten Sarkasmus), aber auch offen und direkt vollzogen werden (z.B. als Strafe bei einem Gesetzesverstoß). 105 Ähnlich auch die lateinischen Formeln do ut des („Ich gebe, damit du gibst“) und quid pro quo („Dieses für das“). 106 Dies kann zu machiavellistischem Verhalten verleiten. Ein Beispiel dafür ist das „Don- Corleone-Prinzip“. Dabei werden passenden Leuten Gefälligkeiten erwiesen oder besser aufgedrängt, um dann im geeigneten Moment die Gegenleistung einzufordern. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="153"?> 9.7 Vertrauen 141 Gesundes Vertrauen beruht auf einem Halbwissen. Man kann eine Situation nicht vollständig überblicken - sonst bräuchte man ja kein Vertrauen und man ist auch nicht vollkommend unwissend - dann würde man „blind“ vertrauen, und das kann tödlich sein. Vertrauen baut die notwendige Brücke. Es erlaubt Handlungen „auf Vorschuss“, die ansonsten unterblieben wären oder aufwendig hätten recherchiert werden müssen. Mit Vertrauen gewinnt man Zeit, spart Such- und Kontrollkosten und schont seine Ressourcen. Wer das Vertrauen seiner Kunden erworben hat und laufend pflegt, sammelt eine Art Kapital an. Dieses Reputationskapital wirkt wie ein Pfand. Die bestehenden Beziehungen werden dauerhafter und neue können einfacher geknüpft werden, weil (siehe oben) die Reputation als Vertrauensanker wirkt. Das ist es, was R OBERT B OSCH im Sinn hatte, wenn er lieber Geld verlieren wollte als Vertrauen. Vertrauen baut sich, wie gesagt, langsam und in kleinen Schritten auf. Dazu braucht es viele Situationen, in denen es sich bewähren kann. In Kundenbeziehungen zählt das persönliche Vertrauen und nicht das Systemvertrauen. Dieses ist ein Zutrauen in die Funktionsweise des Geldes, der Gesetze, der Infrastruktur etc. Das Systemvertrauen beruht auf Anonymität. Persönliches Vertrauen ist hingegen darauf angewiesen, dem anderen in das Gesicht blicken zu können. Brief, E-Mail, Video und Internet sind kein Ersatz dafür! Klingt altmodisch, aber die Notwendigkeit des Blicks in das Gesicht des anderen ist Teil unseres anthropologischen Erbes. 107 Wie das Misstrauen. Es kommt immer dann ins Spiel, wenn enttäuschte Erwartungen und Verunsicherungen eine bestimmte, von Person zu Person unterschiedlich hohe Schwelle überschreiten. Der Vertrauenspuffer ist ein Beispiel für diese Schwelle. Wir reagieren in der Regel nicht auf die allererste Enttäuschung mit Misstrauen, sondern rücken uns zunächst die Welt so zurecht, dass wir zumindest in einem Zustand der Indifferenz verharren können. Jenseits der Schwelle kommt es dann allerdings zu einer „überschießenden“ Reaktion ( Bild 9-4), die das Misstrauen so schwer bändigen und noch schwerer bis unmöglich auf den Pfad des Vertrauens zurückbringen lässt. Trotz dieses Gegensatzes, gibt es dazu etwas Beruhigendes zu vermelden. Wir Menschen können Vertrauen und Misstrauen nebeneinander wirken lassen. Das eine schließt das andere nicht vollkommen aus. Für eine langfristig angelegte Kundenbeziehung bedeutet dies ein Sowohl-als-auch. Es gilt Kundenvertrauen aufzubauen, zu entwickeln und zu pflegen. Zugleich sind aber auch, wenn sinnvoll, mögliche Misstrauenspunkte zu definieren, zu begründen und offen innerhalb der Beziehung zu kommunizieren. Dieser offene Umgang mit Misstrauen kann alle Bereiche einer Kundenbeziehung umfassen, also z.B. Produktqualität, Lieferung, Zahlung. 107 Vor dem Entstehen der Sprache war Homo sapiens zur Verständigung auf einfache Laute, Gestik und Mimik angewiesen. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="154"?> 9 Die Gestaltung von Kundenbeziehungen 142 Bild 9-4: Entwicklung von Vertrauen und Misstrauen 9.8 Beziehungsqualität Das Wesen einer Kundenbeziehung besteht darin, dass die Beteiligten ihre Freiheiten einschränken, um durch längerfristige Kooperation einen Mehrwert zu erzielen. Die Einschätzung, inwieweit dieser Zweck tatsächlich erfüllt wird, drückt sich in der Beziehungsqualität aus. Anders als etwa bei einem Werkstoff, dessen Qualität aufgrund bestimmter Anforderungen gemessen weder kann, entzieht sich die Beziehungsqualität einer solchen neutralen Möglichkeit. Kunde und Lieferant haben unterschiedliche Interessen und sie werden die Beziehungsqualität folglich unterschiedlich bewerten. Je weiter diese Bewertungen auseinanderklaffen, desto geringer ist die Überlebenschance für die Beziehung. Anhand eines Praxisbeispiels lässt sich das zeigen. Die Abhängigkeit des Lieferanten L von einem Kunden K ist besonders hoch. Das Prinzip der Wechselseitigkeit oder des fairen Austausches hat hier nie funktioniert. So wird L versuchen (müssen), diese Abhängigkeit zu reduzieren, indem er seinen Kundenstamm erweitert. Dazu benötigt L Ressourcen, die er zumindest teilweise aus der Beziehung mit K abziehen wird. Das bleibt K natürlich nicht verborgen. Die alternativen Lieferquellen werden für ihn plötzlich attraktiver. K sendet also entsprechende Signale an L. Dieser muss reagieren und bietet K eine Kompensation in Form eines Preisnachlasses an. K erkennt darin ein Potenzial für weitere Vorstöße. L bleibt ab der nächsten Preiskonzession jedoch hart. Die Beziehungsqualität hat sich für ihn wesentlich verschlechtert. Wachsendes Misstrauen gegenüber K schlägt nun zunehmend auch auf die persönlichen Beziehungen durch. Von „Kundennähe“ kann kaum mehr die Rede sein. Für L steht die Beziehung auf der Kippe. Aus der Sicht von K ist die Beziehungsqualität sogar gestiegen. K hat inzwischen einem alternativen Lieferanten AL Chancen angedeutet. K profitiert nun von dessen Vorleistungen und genießt noch dazu die Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="155"?> 9.8 Beziehungsqualität 143 Preisvorteile, die sich L abringen ließ. K hatte nie mit einem Ende der Beziehung gedroht. Stattdessen stand immer sehr subtil eine „stille Abwanderung“ im Raum. Hat nun K alles richtig gemacht? Kurzfristig gesehen, ja. K hat das Maximum aus seiner Position herausgeholt. Über einen längeren Zeitraum betrachtet, verliert jedoch K die Vorteile einer robusten Kundenbeziehung, so etwa niedrigere administrative Kosten durch gegenseitiges Vertrauen; Teilhabe am Wissen und der Erfahrung des Lieferanten durch niedrigere Barrieren zwischen den Partnern; Vorteile bei Preisen & Konditionen, ohne Abstriche bei den Ressourcen machen zu müssen; Zugewinn beim Ansehen (Reputationskapital) als zuverlässiger Akteur. K wird sein „Spiel“, den Lieferanten auszupressen, nicht oft wiederholen können. Mit sinkendem Ansehen muss er mit wachsendem Misstrauen anderer Lieferanten rechnen. Misstrauen schlägt sich aber immer in höheren Transaktionskosten nieder. Das sind vor allem Kosten für Verhandlungen, Verträge, Versicherungen, Abwicklung und Kontrollen. Die Beziehungsqualität markiert gleichsam den Schicksalsbereich einer Kundenbeziehung. Auch wenn in den heutigen Käufermärkten das Machtgefälle zugunsten des Kunden verschoben ist: Die Machtunterschiede dürfen nicht so krass sein, dass Kundenbeziehungen von vornherein an kurzes Ablaufdatum tragen. Macht ist immer auch mit Vertrauen verwoben. Einem extrem Machtüberlegenen wird man nie gesundes Vertrauen entgegenbringen können, weil man jederzeit mit Druck und letztlich mit der eigenen Ohnmacht rechnen muss. Gegenseitiges Vertrauen ist jedoch der Humus, auf dem robuste Kundenbeziehungen gedeihen. „Leben und leben lassen“ wäre keine schlechte Umschreibung dieses Grundsatzes. Zusammengefasst speist sich eine hohe Beziehungsqualität - und damit eine hohe Chance für die Dauerhaftigkeit einer Kundenbeziehung - aus drei Gleichgewichten. Macht darf nicht so ungleich verteilt sein, dass der Machtunterlegene, egal ob Kunde oder Lieferant, sein Interesse an der Beziehung verliert. Die Bereitschaft zu persönlichem Vertrauen muss gegenseitig sein, sonst kippt die Beziehung in eine Misstrauensbeziehung ohne Überlebenschance. Die Verantwortung innerhalb der Beziehung muss fair verteilt sein, was am zweckmäßigsten mithilfe von „Spielregeln“ für die Beziehung geschieht. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="156"?> 9 Die Gestaltung von Kundenbeziehungen 144 9.9 Kundenzufriedenheit Die Beziehungsqualität erzeugt bestimmte Erwartungen auf beiden Seiten. Aus der Sicht des Beziehungsmanagements stehen natürlich die Erwartungen des Kunden im Vordergrund. Der Vergleich zwischen Erwartungen und tatsächlich Erlebtem spiegelt sich in der Kundenzufriedenheit wider. Dabei ist zu beachten, dass geringfügige negative Abweichungen von der erwarteten Leistung in der Regel „geschluckt“ werden. Die Erwartungen werden an die Wahrnehmung angeglichen oder „geschönt“. Überschreiten die Abweichungen jedoch einen bestimmten Toleranzbereich (der von der Person und Situation abhängt), so werden die Unterschiede dann übertrieben. Kundenzufriedenheit ist damit ein Schwellenwert. Der Vergleichsprozess zwischen Erwartung und Ist produziert Zufriedenheit, wenn die Erwartungen eindeutig übertroffen, und Unzufriedenheit, wenn sie eindeutig unterschritten werden. Allerdings haben negative Abweichungen einen größeren Einfluss auf das Ergebnis des Vergleichsprozesses als positive. Das Positive nützt sich ab oder wird als selbstverständlich angenommen. Tritt der Fall ein, dass das erwartete Niveau genau erreicht wird oder die Abweichungen gering sind, dann fehlt zwar die Unzufriedenheit, der Kunde ist aber auch nicht zufrieden. Er erlebt das Gefühl der Indifferenz. Damit ist nicht ein Zustand der Empfindungslosigkeit oder Gleichgültigkeit gemeint. Indifferenz entspricht vielmehr einem energiesparenden Modus der Urteilslosigkeit. Wir laufen eben nicht durchs Leben, indem wir ständig anstrengende Soll-Ist-Vergleiche anstellen. Viele Dinge genügen uns einfach so, wie sie sind. Aus der Zufriedenheitsforschung wissen wir zudem, dass Zufriedenheit und Unzufriedenheit von unterschiedlichen Faktoren verursacht werden. Nach der „Zweifaktoren-Theorie“ des Psychologen F REDERIC H ERZBERG gibt es einmal die Hygiene-Faktoren, die quasi die Voraussetzung dafür sind, dass Unzufriedenheit nicht entsteht, und dann die Motivatoren, die Zufriedenheit erst hervorbringen. Damit ist der Gegenpol von Zufriedenheit nicht Unzufriedenheit, sondern die Abwesenheit von Zufriedenheit. Genauso wie das Gegenteil von unzufrieden nicht zufrieden, sondern nicht unzufrieden heißen muss. H ERZBERG hatte oft die Hygiene-Faktoren mit „Zuckerbrot“ (carrot) und „Peitsche“ (sticks) verglichen. Zielführender ist es, sie als Sockel aufzufassen, auf dem die Motivatoren aufbauen. Diese Idee lässt sich praxisnah auf die Kundenzufriedenheit umlegen ( Bild 9-5). Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="157"?> 9.9 Kundenzufriedenheit 145 Bild 9-5: Die Muss- und Plus-Faktoren der Kundenzufriedenheit Die „Muss-Faktoren“ lösen bei Nichterreichen der Erwartungen des Kunden Unzufriedenheit aus, erzeugen aber noch keine Zufriedenheit, wenn die Erwartungen erreicht oder übertroffen wurden. Hier wird die Asymmetrie zwischen negativen und positiven Abweichungen nochmals deutlich. Die Pünktlichkeit der Züge ist z. B. ein Muss-Faktor für die Deutsche Bahn. Eine Verbesserung der Pünktlichkeit würde zwar Unzufriedenheit abbauen, aber noch keine signifikante Zufriedenheit, sondern vielmehr Indifferenz hervorrufen, also einen Zustand der Unaufgeregtheit. Werden die „Plus-Faktoren“ verfehlt, so entsteht keine Unzufriedenheit, weil der Kunde etwas Besonderes gar nicht erwartet hat. Werden die Plus- Faktoren dennoch erfüllt, so kann man den Kunden auf diese Weise überraschen, verblüffen, begeistern etc. Allerdings wird der Kunde nicht bereit sein, Plus-Faktoren gegen Muss-Faktoren aufzurechnen. Eine chronisch unpünktliche Bahn kann sich z. B. nicht aus ihrer Bredouille befreien, indem sie gratis Kaffee oder Zeitungen an ihre Kunden verteilt. Bei der „Messung“ der Kundenzufriedenheit sollte man nicht in den Fehler verfallen, aus Abwanderungs-, Wiederkauf- oder Rückgewinnungsraten auf die Kundenzufriedenheit zu schließen. Unzufriedene Kunden können aus Bequemlichkeit weiter kaufen und zufriedene abwandern, weil sie z.B. eine andere Lieferquelle testen möchten. Eine Analyse der Kundenbeschwerden vermag durchaus Hinweise auf Verbesserungsmaßnahmen zu liefern. Allerdings ist nicht jede Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="158"?> 9 Die Gestaltung von Kundenbeziehungen 146 Beschwerde repräsentativ. Auch die Anzahl und der Inhalt von Kundenbeschwerden lassen keine Rückschlüsse auf die allgemeine Kundenzufriedenheit zu, da sich meist nur eine kleine Teilgruppe tatsächlich beschwert. Die Beschwerdeanalyse sollte nur in Kombination mit anderen Methoden angewandt werden. Eine wirkliche „Messung“ der generellen Zufriedenheit kann am ehesten durch multiattributive Verfahren erfolgen. Hier werden die Zufriedenheitsgrade für alle als wichtig geltenden Aspekte der angebotenen Leistung erhoben. Bei Industriegütern sind dies z. B. die Zufriedenheit mit Produkten, Anwendungstechnik, Service und sonstigen Dienstleistungen sowie mit Ersatzteilversorgung, logistischen und administrativen Prozessen. Diese Teilzufriedenheiten werden dann meist durch Addition zu einer Gesamtzufriedenheit verknüpft. Allerdings vermag diese Methode, bedingt durch die Standardisierung der Interviews, nicht allzu viele Hintergrundinformationen über die Bedürfnisse und Wünsche der Kunden zu liefern. Solche Fragestellungen verlangen nach Verfahren, die für die Ermittlung von Zufriedenheit nicht Merkmale, sondern Ereignisse und Prozesse heranziehen. Im Dienstleistungssektor hat sich dafür das sogenannte „Blueprinting“ oder „Service Mapping“ bewährt. Dabei wird der Kunde eingeladen, sich auf einen „Kundenpfad“ zu begeben. Dieser stellt den Ablauf des gesamten Dienstleistungsprozesses anhand von Symbolen oder Fotos bildlich dar. Der Kunde kann damit das Dienstleistungserlebnis noch einmal nachzuvollziehen und die Erlebnisse in den einzelnen Kontaktpunkten schildern ( Bild 9-6). Die Erlebnisse werden klassifiziert oder auf einer Skala bewertet. Bild 9-6: Prinzip des Kundenpfads am Beispiel „Restaurantbesuch“ Es ist auch möglich, die Untersuchung von vornherein auf Ereignisse zu beschränken, die von der Norm abweichen. Die „Methode kritischer Ereignisse“ Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="159"?> 9.9 Kundenzufriedenheit 147 („Critical-Incident-Technique“) befragt Kunden nach außergewöhnlich positiven oder negativen Erlebnissen. Die Kunden werden gebeten, sich mit Hilfe offener, standardisierter Fragen an Ereignisse zu erinnern, die sich auf erlebtes Verhalten beziehen. Eine Eröffnungsfrage dieser Methode könnte z.B. lauten: „Wenn sie sich an den letzten Werkstattbesuch bei uns erinnern, an welches besonders angenehme oder missliche Erlebnis müssen sie dabei denken? “ Die Ereignisse dürfen nicht zu lange zurückliegen, um noch detailliert erinnert werden zu können: „Da hat mich der Mitarbeiter noch abends zurückgerufen und mir mitgeteilt, dass mein Auftrag erledigt wurde“. Oder: „Die Dame an der Rezeption ließ mich sage und schreibe zehn Minuten warten, bis sie wieder zurück war“. Zumeist werden negative Erlebnisse besser behalten und auch weitererzählt. Die Kunst dieser Interviewtechnik besteht darin, die befragte Person gedanklich in die Situation eintauchen zu lassen und handlungsbezogene Fragen zu stellen: „Wie hat der Mechaniker reagiert, als sie ihm den Schaden zeigten? “ „Und was ist dann geschehen? “ Dabei spielen Zeit, Ort, die beteiligten Personen, Gegenstände etc. eine wichtige Rolle. Mithilfe eines Leitfadens kann der Interviewer bei Unklarheiten nachfragen oder einem Abschweifen begegnen, um die Linie des Interviews beizubehalten. Die Auswertung der geschilderten Ereignisse erfolgt nach Häufigkeit oder eventuell dem Grad der Ärgerlichkeit. Die Methode der kritischen Ereignisse liefert auch brauchbare Hinweise für die Muss- und Plus-Faktoren der Zufriedenheit. Will man z.B. herausfinden, wie sich Rezeptionistinnen in einem Hotel verhalten sollen, um zur Kundenzufriedenheit beizutragen, so können die Kunden nach kritischen Ereignissen während ihres Hotelaufenthalts befragt werden. Überall dort, wo die Servicequalität der einzige Faktor zur Differenzierung des Angebots ist, führt kein Weg an der Methode des „Mystery Shopping“ vorbei. Sie kommt einer teilnehmenden, verdeckten und zum Teil auch strukturierten Beobachtung gleich. Der Einsatz anonymer Testkonsumenten wird seit langem praktiziert. Man denke etwa an den G UIDE M ICHELIN oder die S TIFTUNG W ARENTEST . Um Schwachstellen und Verbesserungsmöglichkeiten aufzudecken, können auch eigene Mitarbeiter als „Pseudokunden“ auftreten. Fluggesellschaften setzen z. B. erfahrene Mitarbeiter ein, um Kollegen oder Teams anonym zu beobachten und nach der Einhaltung bestimmter Standards zu bewerten. Allerdings gilt es dabei eine schwierige Balance zu wahren zwischen Transparenz und Anonymität. Erstere ist notwendig, um dem Verfahren das Odium des Ausspionierens zu nehmen. Andererseits muss die Anonymität gewährleistet sein, um Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="160"?> 9 Die Gestaltung von Kundenbeziehungen 148 den unerwünschten „Hawthorne-Effekt“ zu vermeiden. Grob gesagt: Wenn sich Menschen beobachtet fühlen, ändern sie ihr Verhalten. 108 „Fokusgruppen“, in denen Mitarbeiter des Lieferanten gemeinsam mit Kunden über deren Erwartungen, Wünsche und Probleme diskutieren, sind ein praktikabler Weg, um die Kundenzufriedenheit besser zu verstehen. Eine typische Fokusgruppe besteht aus höchstens zehn Kunden, die für zwei bis drei Stunden Themen diskutieren, die vom Auftraggeber vorher eingegrenzt wurden. Gegenüber anonymen Befragungen haben Fokusgruppen den Vorteil, dass die teilnehmenden Personen beobachtet werden können. Non-verbale Kommunikation und das Verhalten in der Gruppe liefern wertvolle Hinweise auf die Einstellungen der Kunden zu Produkten, Leistungen und Personal des Lieferanten. Gerade im Dienstleistungssektor empfiehlt es sich, sich nicht mit einer Gesamtzufriedenheit zu bescheiden, sondern auch Teilzufriedenheiten zu berücksichtigen, etwa die Zufriedenheit mit der Dienstleistung selbst, mit dem Personal, der Ausstattung der Räume, der Atmosphäre etc. Mit der Dienstleistung verknüpft ist die Preiszufriedenheit. Ihr wird in der Praxis zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. 109 Der Faktor „Preis“ wird in der Regel auf die Preishöhe und das Preis- Leistungs-Verhältnis reduziert. Will man jedoch Kunden langfristig zufriedenstellen, muss man den Preis als Element der Kundenbeziehung und nicht bloß des einzelnen Kaufvorgangs in Betracht ziehen. Die Preiszufriedenheit ist das Ergebnis der Preiserfahrungen, die der Kunde in den einzelnen Phasen des Kaufprozesses gesammelt hat ( Bild 9-6). In der Orientierungsphase ist der Kunde mit einem Suchaufwand konfrontiert, der für ihn zu einer Belastung werden kann. 110 Der „Tarifdschungel“ in den vielen, mittlerweile deregulierten Dienstleistungsmärkten (z.B. Verkehr, Telekom, Strom) ist ein Beispiel dafür. Der Anbieter, der hier mit Einfachheit und Transparenz dagegen hält, kann einen ersten Vorteil in der Preiszufriedenheit für sich verbuchen. 108 Versuchspersonen, denen während einer Untersuchung mehr Aufmerksamkeit zu Teil wird, zeigen selbst bei einer Verschlechterung der äußeren Arbeitsbedingungen eine höhere Arbeitsleistung. Diese überraschende Wirkung wurde „Hawthorne-Effekt“ genannt, nach einer nordamerikanischen Fabrik, in welcher der Soziologe E LTON M AYO (1880-1949) über mehrere Jahre unterschiedliche Einflussfaktoren der Arbeitsproduktivität untersuchte. 109 H ERMANN D ILLER , Lehrstuhl für Marketing an der Universität Erlangen-Nürnberg, hat schon in den 1990er Jahren grundlegende Untersuchungen zum Thema Preiszufriedenheit durchgeführt. 110 Deshalb zeigen z.B. Konsumenten oft ein Entscheidungsverhalten, das „satisficing“ (satisfy = befriedigen; suffice = genügen, ausreichen) genannt wird. Um den Suchaufwand zu begrenzen, bricht der Konsument die Suche nach einem Produkt regelmäßig genau dann ab, wenn er die erstbeste Alternative gefunden hat. Sie muss ausreichen, um ein bestimmtes Bedürfnis zu befriedigen. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="161"?> 9.9 Kundenzufriedenheit 149 Bild 9-7: Die Phasen des Kaufprozesses In der Bewertungsphase kann der Anbieter Zufriedenheit schaffen, indem er den Kunden über unterschiedliche Qualitätsmerkmale und Preislagen, über Preisbündel, Preisausnahmen etc. aufklärt. Je individueller eine solche Preisberatung ausfällt, umso niedriger wird das vom Käufer empfundene Preis- Leistungs-Risiko sein. Allerdings, gerade bei individualisierten Preisleistungen, wie Reparaturentgelten, Beratungshonoraren oder langfristigen Leistungsverträgen, bei denen die tatsächlichen finanziellen Belastungen eines Kunden zum Kaufzeitpunkt schwer überschaubar sind, können auch Pauschalpreise oder Full-Service-Verträge die Preiszufriedenheit des Kunden erhöhen. Zu bedenken ist ferner, dass der Käufer durch ständig wechselnde Preise leicht das Maß für den Wert einer Ware oder Leistung verliert. In der Entscheidungsphase rücken Preisoffenheit und Preisehrlichkeit des Anbieters in den Vordergrund. Die Preiszufriedenheit wird steigen, wenn der Käufer nicht befürchten muss, in Preisvereinbarungen verstrickt zu werden, die unfair sind oder nicht eingehalten werden. Abrupte und noch dazu massive Preisnachlässe erzeugen oft das Gefühl, dass die Preise in der Vergangenheit weit überzogen waren. Sie wirken so als Auslöser für Preismisstrauen. Der verunsicherte potenzielle Käufer wird dann von einem Kauf absehen oder auf die nächste Preissenkung warten. In der Nachkaufphase spielt die Preiszufriedenheit besonders dann eine Rolle, wenn der Preis einer Dienstleistung erst im Nachhinein festgelegt werden kann. Dies ist z.B. bei Beratungshonoraren, Reparaturdienstleistungen und anderen individualisierten Dienstleistungen der Fall, oder wenn die Qualität der erbrachten Dienstleistung von den Erwartungen abweicht und der Käufer vom Anbieter Kulanz erwartet. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="162"?> 9 Die Gestaltung von Kundenbeziehungen 150 Preiszufriedenheit ist zwar kein Garant für die längerfristige Bindung eines Kunden, aber ein wichtiger Mosaikstein für die Gestaltung dauerhafter Kundenbeziehungen. Genauso wie sich die Gesamtzufriedenheit aus Teilzufriedenheiten zusammensetzt, lässt sich auch die Preiszufriedenheit in verschiedene Merkmale zerlegen ( Bild 9-7). Danach ist die Preiszufriedenheit das Ergebnis von Preisvertrauen und Preisfairness, die wiederum von Preisklarheit, Preissicherheit, Preiszuverlässigkeit, Preisgünstigkeit und Preiswürdigkeit bestimmt sind. Bild 9-8: Ein Modell der Preiszufriedenheit Preisklarheit: Die Preise müssen vollständig, richtig, nachvollziehbar, übersichtlich und nach dem aktuellen Stand ausgezeichnet werden. Preissicherheit: Die Preise dürfen nicht geschönt und eine Preisberatung muss jederzeit möglich sein. Preiszuverlässigkeit: Die Preise dürfen keine versteckten Nebenkosten enthalten und bei Unzufriedenheit mit der Leistung wird kulant vorgegangen. Preisgünstigkeit: Die Preise müssen dem Vergleich mit der Konkurrenz standhalten. Preiswürdigkeit: Die Preise müssen dem Kunden im Vergleich zur erbrachten Leistung angemessen erscheinen. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="163"?> 9.10 Kundenbindung 151 Preisvertrauen: Sind Preisklarheit, Preissicherheit und Preiszuverlässigkeit gegeben, so entsteht Preisvertrauen. 111 Der Kunde muss nicht ständig die Preise überprüfen, wodurch er sich Kontrollaufwand erspart. Preisfairness: Sind Preiszuverlässigkeit, Preisgünstigkeit und Preiswürdigkeit gegeben, so entsteht Preisfairness. Der Kunde sieht seine Preis-Erwartungen erfüllt oder sogar übertroffen und fühlt sich dadurch in seiner Kaufentscheidung bestätigt. 9.10 Kundenbindung Kundenbindung grenzt sich vom bloßen Wiederkaufverhalten ab. Dieses kann auch dem Zufall oder der Bequemlichkeit geschuldet sein. Kundenbindung bedeutet „Commitment“ oder „innere Verpflichtung“. Der Kunde steht trotz kurzfristig attraktiv erscheinender Alternativen zur Beziehung, weil für ihn nicht die einmalige Transaktion, sondern das Ergebnis aus einer Vielzahl vergangener und zukünftiger Austauschvorgänge als Wertmaßstab gilt. Mit dieser Verpflichtung schränkt der Kunde seine Wahlfreiheit und Handlungsmöglichkeiten bewusst ein. Er nimmt dies in Kauf, solange der Lieferant seinerseits ein Commitment zur Beziehung zeigt. Diese gegenseitige Verpflichtung kommt in dem Begriff „Kundenbindung“ zu wenig zum Ausdruck. Es geht keineswegs darum, den Kunden einzufangen, ohne dass er es bemerkt, um ihn dann so zu „fesseln“, dass er sich nicht allzu leicht befreien kann. Das Kleingedruckte in Verträgen wäre ein Beispiel für eine solche Fesselung. Wer sich in seiner Freiheit eingeengt fühlt, wird sich dagegen wehren. Die Sozialpsychologie hält dafür den Begriff der „Reaktanz“ bereit. Sie ist eine Überreaktion auf einen drohenden oder tatsächlichen Freiheitsverlust. Ein gefesselter Kunde wird mit Aggression gegenüber dem Anbieter antworten (z.B. durch harsche Kritik in den sozialen Netzen) und zugleich die alternativen Anbieter im Markt aufwerten (was für diese eine ideale Möglichkeit zum Einstieg darstellt). Es bleibt also festzuhalten: Der Kunde bindet sich grundsätzlich selbst an einem Lieferanten. Ein Beziehungsmanagement kann dafür die notwendigen Bedingungen schaffen und Anreize bieten. Kundenbindung ist ein Prozess mit dem Ziel der Verbundenheit. Alles andere ist Überrumpelung, Geiselhaft oder Knebelung. Für den Lieferanten hat die Verbundenheit eine Reihe handfester Vorteile. Er kann für eine gewisse Zeit mit Zahlungsströmen rechnen und besitzt damit mehr Planungssicherheit. Angriffe der Konkurrenz laufen zunächst ins Leere. Der Kunde wird Fehler des Lieferanten eher tolerieren, weil er sie in den größeren 111 Dieses Preisvertrauen wird vernichtet, wenn z.B. Stromanbieter den Kunden mit günstigen Konditionen und unübersichtlichen Vertragstexten „binden“ und dann im zweiten Jahr mit heftigen Preiserhöhungen zuschlagen. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="164"?> 9 Die Gestaltung von Kundenbeziehungen 152 Beziehungszusammenhang einordnen kann. Latente Probleme werden zu offenen, wodurch die Gefahr einer „stillen Abwanderung“ des Kunden sinkt. Vertrauen ersetzt Verträge und verringert dadurch den Kontrollaufwand. Positive Mundwerbung führt zu höherer Bekanntheit des Lieferanten. Auf der Habenseite stehen für den Lieferanten die Aufwendungen für Maßnahmen zur Verbundenheit, eine geringere Beweglichkeit und eine höhere Transparenz seiner Organisation. Die Vorteile für den Kunden liegen in einer größeren Verhandlungsmacht durch die Abhängigkeit des Lieferanten. Das verringert die Beschaffungskosten und erleichtert den Zugang zu Know-how und Kundendienstkapazität des Lieferanten. Dafür muss der Kunde darauf verzichten, einen Wettbewerb zwischen mehreren Lieferanten („Multiple Sourcing“) für sich zu nutzen und von der Preisdynamik in beweglichen Märkten (z. B. Strom, Kommunikation) zu profitieren. 9.10.1 Die Arten der Kundenbindung Die Verbundenheit des Kunden mit dem Unternehmen des Lieferanten kann mehrfach begründet sein ( Bild 9-8): vertraglich, emotional, technisch, ökonomisch oder moralisch. 112 Vertragliche Verbundenheit. Langfristige Bezugsverträge stellen den offenkundigsten Bindungsversuch des Lieferanten dar. Sie wird bei einem Machtgefälle zugunsten des Kunden nur teuer zu erkaufen und im Konfliktfall kaum zu halten sein. Eine robuste Kundenbeziehung rein auf Verträgen aufzubauen, ohne ihr auch Raum für emotionale und andere Bindungsmöglichkeiten zu geben, kann nur dann funktionieren, wenn die Beziehung einen Projektcharakter mit einer bestimmten Lebensdauer besitzt. Emotionale Verbundenheit. Die Ritualisierung von Kundenbeziehungen ist ein Beispiel für diese Art der Bindung. Erinnerungswürdige Episoden, etwa Kundenstammtische, Aufmerksamkeiten zum Geburtstag oder Nachfragen per Telefon, können eine emotionale Bindung entfalten. Ebenso Kundenzeitschriften und vor allem Kundenklubs, die das Gefühl einer persönlichen Ansprache vermitteln. Diese haben noch den Vorteil, dass mit dem Erlebnis ein konkreter Nutzen (z.B. soziale Kontakte, neues Wissen) verbunden ist. 112 Hier ergibt sich eine Analogie zur Kundenmacht ( Abschnitt 9.5) Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="165"?> 9.10 Kundenbindung 153 Bild 9-9: Arten der Kundenbindung im Rahmen einer gegenseitigen Verpflichtung Technische Verbundenheit. Werden Produkte und Leistungen aufeinander abgestimmt und miteinander zu einem System verknüpft, so bindet sich der Kunde durch seine Entscheidung technisch, oft auch organisatorisch und auf jeden Fall längerfristig an einen bestimmten Lieferanten. Der Vorteil eines solchen „Alles aus einer Hand“ erweist sich allerdings oft als wirtschaftlicher Nachteil. Der Kunde kauft unter Umständen Teile oder Leistungen, die er gar nicht benötigt oder auf andere Weise billiger beschaffen könnte. Ökonomische Verbundenheit. Der Kunde investiert z. B. in Sachgüter, Personal, Ausbildung, Training, Organisation, um die Beziehung zum Lieferanten aufzubauen und/ oder zu erhalten. Die Bindungswirkung darf sich nicht darin erschöpfen, dass solche Investitionen bei einem Abbruch der Beziehung wertlos werden (man spricht in diesem Zusammenhang von „sunk costs“). Ökonomische Verbundenheit entsteht vielmehr durch eine als fair empfundene Verteilung von Lasten und Nutzen. Moralische Verbundenheit. Auch die Gewissenskosten können einer eventuellen Abwanderung des Kunden entgegenstehen. Üblicherweise fühlt sich gut, wer nach seinem Gewissen handelt, also z.B. eine einmal eingegangene Ver- Gegenseitige Verpflichtung Vertragliche Verbundenheit Technische Verbundenheit Emotionale Verbundenheit Ökonomische Verbundenheit L I E F E R A N T K U N D E Moralische Verbundenheit Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="166"?> 9 Die Gestaltung von Kundenbeziehungen 154 pflichtung nicht einfach bricht. Gewissenskosten wirken bindend, wenn sie in die wirtschaftliche Abwägung eines Lieferantenwechsels mit einfließen. In Kulturen mit einer niedrigen „Grenzmoral“ 113 , wird dies allerdings kaum der Fall sein. 9.10.2 Wege zur Kundenbindung Bei der Kundenbindung ist auch zu berücksichtigen, was im Rahmen der Kundenbeziehung gekauft wird. Sachgüter bieten andere Möglichkeiten der Kundenbindung als Dienstleistungen. Allerdings greift diese übliche Unterscheidung zu kurz. Die Grenzen zwischen Sachgütern und Dienstleistungen verschwimmen immer mehr. Bei genauerer Betrachtung stellen alle Wirtschaftsobjekte „Leistungsbündel“ dar, wenn auch mit einem unterschiedlichen Mix aus Materialität und Immaterialität. Auch das scheinbar „reine“ Sachgut enthält immaterielle Komponenten und auch die Dienstleistung ist auf materielle Komponenten angewiesen. Will der Bäcker sein Brot verkaufen, muss er dafür eine Verkaufsleistung oder vielleicht sogar eine Beratung erbringen. Der Gärtner kommt bei seinem Gartenservice nicht ohne Geräte und diverse Zusatzmittel aus. Um eine Kundenbindung aktiv zu gestalten, bieten sich für Leistungsbündel mit Produktcharakter vier Wege an: das Leistungsprogramm, Preise & Konditionen, die Kommunikation und die Distribution. Für die Kundenbindung bei überwiegend immateriellen Leistungsbündeln kommen noch das Personal, die Prozesse und das Erscheinungsbild hinzu ( Bild 9-9). Leistungsprogramm. Kundenbindung ist ohne Individualisierung des Leistungsangebots nicht denkbar. Produktionsmethoden nach dem Plattform- oder Baukastenprinzip sind längst gängige Praxis. Auch mit immateriellen Leistungen wie Planung, Schulung, Anwendungsberatung, Wartung und Finanzierung kann das Leistungsprogramm den individuellen Erwartungen des Kunden angepasst werden. Allerdings besteht dabei die Gefahr, dass das Unternehmen den Überblick verliert über die angebotene Vielfalt und die daraus resultierenden höheren Kosten. 113 Nach dem Prinzip der Grenzmoral wird moralisches Handeln dann erfolgen, wenn eine Mindestbedingung erfüllt ist: Der Nutzen des Handelns (z.B. das Gefühl, etwas getan zu haben, was innerhalb einer Gruppe, einer Organisation oder der Gesellschaft als rechtens angesehen wird) muss den Aufwand, der notwendig ist, um moralisch zu handeln (z.B. einem bestimmten Verlangen zu widerstehen oder den reinen Eigennutzen hintanzustellen), gerade noch übersteigen. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="167"?> 9.10 Kundenbindung 155 Bild 9-10: Wege zur Kundenbindung Preise & Konditionen. Eine nichtlineare Preisbildung ist heute Standardinstrument der Kundenbindung. Mengenrabatte, Bonusprogramme und zweiteilige Tarife und gehören dazu. Bei einem zweiteiligen Tarif berechnet der Lieferant einen Grundpreis, der mit einem attraktiven Verbrauchspreis kombiniert wird. Die Bindungswirkung einer nichtlinearen Preisbildung ist umso stärker, je genauer der Kunde seinen zukünftigen Bedarf einzuschätzen vermag. Im gewerblichen Verbrauchsgütergeschäft kommen oft Preiskonzepte zur Anwendung, bei denen der Kunde nicht mehr für das Produkt, sondern für die daraus erstellte betriebliche Leistung bezahlt. Einer Großwäscherei oder einer Kantine wird dann z.B. nicht mehr die bezogene Menge Wasch- oder Spülmittel, sondern ein Preis für das Kilogramm sauberer Wäsche oder den Kasten in der Maschine gespülten Geschirrs berechnet. Eine Kundenbindung über den Preis kann auch mit Preisvertrauen und Preiszufriedenheit erreicht werden ( Abschnitt 9.8). Kommunikation. Neben den Kundenkarten, deren Bindungswirkung durch ihre Allgegenwart (die Zahl der Kundenkarten hat in Deutschland längst die 100-Millionen-Marke überschritten) immer mehr gegen null geht, sind es die Kundenklubs, die sich eines zunehmenden Interesses erfreuen. In den 1980er Jahren in Deutschland zur Umgehung des damaligen Rabattgesetzes ins Leben gerufen, stellt der Kundenklub heute ein überaus anspruchsvolles Bindungsinstrument dar. Kundenklubs lösen eine Selbstauswahl jener Interessenten aus, die dem Klubbetreiber oder den angebotenen Produkten und Dienstleistungen bereits positiv gegenüberstehen. Neben einer engen emotionalen Beziehung zwischen Kunde und Unternehmen steht der Nutzwert für den Kunden im Vordergrund. Wie z.B. beim Dr. O ETKER Back-Club, der seine Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="168"?> 9 Die Gestaltung von Kundenbeziehungen 156 Mitglieder für einen geringen Beitrag „die ganze Welt des Backens“ erleben lässt. Der S WATCH Club wiederum richtet sich weltweit an Sammler von Swatch-Uhren. Auch im B-to-B-Geschäft florieren Kundenclubs. Mit Seminaren, Themenforen, Rechtsberatungen, internen Betriebsvergleichen und Ähnlichem wird eine Kommunikationsdichte erreicht, die Verbundenheit erzeugen kann. Distribution. Eine hohe Qualität des Lieferservice sticht nach wie vor manch anderes Mittel der Kundenbindung in seiner Wirkung aus. Hier kommen die bereits angesprochenen „Momente der Wahrheit“ zum Tragen. Das sind jene Episoden, in denen der Kunde erlebt, ob und inwieweit der Lieferant seine Zusagen auch einhält. Dazu gehören die Termintreue als übergeordnete und die Lieferzuverlässigkeit als spezielle Größe; die Beschaffenheit der Lieferung oder die Ausführung der vereinbarten Dienstleistung; die Lieferflexibilität als Fähigkeit, auf Wünsche des Kunden einzugehen; die problemlose Rücknahme, Entsorgung oder Rezyklierung. Auch scheinbar altbackene Konzepte wie der Heimverkauf (z.B. von Bankberatern, Friseuren oder Reisebüros), ein kostengünstiger Einlagerungsservice (z. B. für Reifen, Möbel oder Sportgeräte) oder die Einrichtung von Vorratslägern beim Kunden (z.B. um Engpässen vorzubeugen) können heute noch bindungswirksam sein. Personal. An dessen Können und Wollen entscheiden sich die Qualität einer Dienstleistung und damit die Chance für eine Kundenbindung. Diese Qualität kann auch mit ständigem Lächeln nicht standardisiert werden. Maschinen sind jeden Tag gleich „gut drauf“, Menschen nicht. Ob Deutschland tatsächlich, wie immer behauptet, eine „Servicewüste“ ist, sei dahin gestellt. Eine „barsche und unfreundliche Kommunikation“, „mangelnder Fokus auf die Bedürfnisse der Kunden“ oder die Attitüde, dass „Service mit vermeidbarem Aufwand gleichgesetzt wird“, ist weniger kulturbedingt als vielmehr das Ergebnis einer unprofessionellen (wenn auch schwierigen) Personalbeschaffung, -auswahl, -einführung und -entwicklung. Schon aus diesem Grund ist das 12. Kapitel dieses Buches den „sieben Handlungsfeldern für die Entwicklung der wichtigsten Ressource im Verkauf“ gewidmet. Prozesse. Dazu gehören im Wesentlichen die Abläufe, ohne die eine Dienstleistung gar nicht möglich ist. Diese Abläufe müssen z.B. so gestaltet sein, dass Spitzen- und Randzeiten der Nachfrage mit dem bereitgehaltenen Angebot austariert werden können. Mithilfe variabler Preise kann die Nachfrage immerhin etwas gesteuert werden. Natürlich gilt, dass der Kunde, der bereit ist mehr auszugeben, auch eine besondere Leistung erwartet. Wenn der anspruchsvolle Fluggast von einem persönlichen Assistenten bis zum Abflug begleitet wird oder der Transfer zum Flieger mit einer Nobelkarosse erfolgt, müssen die Abläufe genau stimmen. Andererseits rücken die Prozesse auch Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="169"?> 9.11 Kundenintegration 157 dort in den Vordergrund, wo Massen von Kunden mit einer Dienstleistung versorgt werden soll. Eine automatisierte Telefonauskunft, Waschanlage oder Fahrkartenausgabe wird Kunden zwar nicht begeistern, sie aber bei Nichtfunktionieren zu vehementen Gegnern des Anbieters machen. Die Prozesse tragen dann zur Bindung bei, wenn sie beim Kunden ein Gefühl der Mühelosigkeit hervorrufen. Erscheinungsbild. Dienstleistungen sind Erfahrungsgüter. Ihre Qualität kann erst nach dem Konsum festgestellt werden. Das Erscheinungsbild, das ein Anbieter von immateriellen Leistungsbündeln abgibt, liefert zumindest Hinweise auf die zu erwartende Qualität. Ausstattung und Ambiente, der „Auftritt“ des Personals und das sichtbare Umfeld des Unternehmens gehören zu diesem Erscheinungsbild. Seine Wiedererkennbarkeit ist ein Erfolgsfaktor für Filial- und Franchise-Systeme. Der Kunde wird sich jedoch erst dann an den Lieferanten von Erfahrungsgütern binden, wenn die durch das Erscheinungsbild geweckten Erwartungen immer wieder bestätigt werden. Damit schließt sich der Kreis zum Personal und zu den Prozessen. Das Personal dürfte sich kein Durchhängen erlauben und die Prozesse müssten stets pannenfrei ablaufen. Eine derartige Perfektion ist unrealistisch. Gottseidank kommt uns dabei eine menschliche Eigenheit zu Hilfe ( Abschnitt 1.2). Kleine Abweichungen von einem erwarteten Soll werden von uns hingenommen. Wir bleiben beim gewohnten Lieferanten. Erst wenn diese Abweichungen eine subjektive Toleranzschwelle überschritten haben, geschieht das Gegenteil: Wir überspitzen das Negative und versuchen, die ursprüngliche Bindung so rasch wie möglich aufzulösen. 9.11 Kundenintegration Es gilt verschiedene Arten von Kundenintegration zu unterscheiden. Drei davon, die trügerische, die aktivierende und die notwendige, haben zwar die Mitwirkung des Kunden zum Ziel, aber eine Öffnung der eigenen Organisation und der Prozesse ist dabei nicht vorgesehen oder hält sich in Grenzen. Sie stellen eine begrenzte Form der Kundenintegration dar. Bei der vertieften Kundenintegration öffnet sich der Lieferant dem Kunden, um ihn in den Innovationsprozess einzubinden. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="170"?> 9 Die Gestaltung von Kundenbeziehungen 158 9.11.1 Begrenzte Kundenintegration Bei der trügerischen Kundenintegration wird der Kunde - nolens volens - in die Rolle des „arbeitenden Kunden“ gedrängt. In immer mehr Bereichen lagern Unternehmen Leistungen einfach an den Kunden aus, der dann keine andere Wahl hat, als sich die Bahnkarte selbst auszudrucken, das Obst im Supermarkt selbst abzuwiegen oder seine Bankgeschäfte von zu Hause zu erledigen. Der Kunde wird quasi zur unbezahlten Arbeitskraft des Lieferanten. Die aktivierende Kundenintegration ist der Versuch, den zunächst anonymen Kunden zur Mitwirkung zu bewegen, um dann schrittweise mehr über ihn zu erfahren. So verwandelt sich dann „Laufkundschaft“ in mitwirkende Kunden. Direktmarketing war, historisch gesehen, der erste Versuch, potenzielle Kunden nicht nur anzusprechen, sondern sie auch zu einer Antwort, z.B. per Telefon, zu bewegen. Heute gibt es mit dem Internet ein hochgradig interaktives Medium. Der Kunde „klopft“ hier zunächst nur an, erwartet dann aber Interaktion. Aus dieser Mobilisierung des Kunden kann sich eine Integration entwickeln, in der dem Kunden nicht mehr die Rolle des bloßen „Objekts“ zufällt. Die notwendige Kundenintegration bleibt in bestimmten Situationen niemandem erspart. Will der Kunde eine höchst persönliche Dienstleistung in Anspruch nehmen, so muss er dem Anbieter z.B. sich selbst, bestimmte Gegenstände, seine Tiere und Pflanzen, persönliche Daten etc. zur Verfügung stellen. Man spricht von „externen Faktoren“, die als Produktionsfaktoren in den Prozess der Leistungserstellung eingebracht werden müssen. Ohne den Kopf des Kunden gibt es keinen Haarschnitt und keine neue Frisur, ohne Trennung vom fahrbaren Untersatz keine Reparatur, ohne zumindest kurzem Abschied von der geliebten Katze kein Krallenschneiden, ohne Preisgabe persönlicher Daten keinen Bankkredit etc. Bei technischen Gütern vollzieht sich diese Individualisierung oft in Stufen ( Bild 9-10). Dass ein standardisiertes Produkt ohne Auswahlmöglichkeit einfach vom Lager des Lieferanten gekauft wird, beschränkt sich heute auf anspruchslose Güter, die einfach in den Produktionsprozess einfließen. Auch die Möglichkeit, aus einer Anzahl standardisierter Produkte auswählen zu können, bedeutet noch keine wirkliche Individualisierung. Erst wenn bestehende Produkte nach den Vorstellungen des Kunden zu einem neuartigen Ganzen gebündelt werden, kann von Individualisierung die Rede sein. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="171"?> 9.11 Kundenintegration 159 Auf der nächsten Stufe geht die Individualisierung über das Bündeln hinaus. Aus einem Baukasten mit bestehenden Komponenten wird in mehreren Verfahrensschritten ein Produkt erstellt, das die Ansprüche des Käufers erfüllt. Die individuelle Zusammenstellung von Ausstattungsmerkmalen von Automobilen wäre hier zu nennen. Auf der letzten Stufe, der Herstellung von maßgeschneiderten Produkten, werden heute die entsprechenden Teile oft individuell vorgefertigt und in einem standardisierten Verfahren fertiggestellt. Etwa bei Kleidungsstücken, die zwar nach Maß entworfen, aber in Massenproduktionsverfahren hergestellt werden. Bild 9-11: Beispiel für die Kundenintegration zur Individualisierung eines Produktes Kundenbindung kann, muss aber nicht Ziel einer solchen notwendigen Kundenintegration sein. Selbst wenn der Kunde so sehr in den Prozess der Leistungserstellung des Anbieters eingebunden ist, dass dieser für ihn ein Produkt nach Wunsch herstellt, kann dies eine einmalige Transaktion bleiben. Die Individualisierung muss nicht in einer vertieften Kundenbeziehung münden. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="172"?> 9 Die Gestaltung von Kundenbeziehungen 160 9.11.2 Vertiefte Kundenintegration Bei der vertieften Kundenintegration wird der Kunde in den Innovationsprozess des Lieferanten eingebunden. Voraussetzung dafür ist eine bereits bestehende Kundenbeziehung, in der sich der Kunde als absolut vertrauenswürdig erwiesen hat. So sehr gegenseitiges Vertrauen ein Merkmal dauerhafter und robuster Kundenbeziehungen darstellt, in diesem Fall liegt die Last der Vertrauenswürdigkeit beim Kunden. Dafür erhält er im Gegenzug Zugang zu einem Prozess, dessen Ergebnis einen erheblichen Wettbewerbsvorteil für ihn abwerfen könnte. Wie die Individualisierung von Produkten, so ist auch die Integration des Kunden in den Innovationsprozess ein Vorgang mit verschiedenen Stufen ( Bild 9-11). Bild 9-12: Integration des Kunden in den Innovationsprozess Bei einer Befragung zu Leistungsanforderungen, Produktmerkmalen und Funktionalitäten bleibt der Kunden passiv. Seine Rolle wird wesentlich aktiver, wenn er als Ideengeber in Gruppendiskussionen oder Workshops eingebunden ist. Bereits auf dieser Stufe der Kundenintegration muss sich der Lieferant im Hinblick auf seine Absichten und Pläne dem Kunden öffnen. Wirkt der Kunde dann auch an der Bewertung und Auswahl der Ideen mit, ist er bereits voll in den Innovationsprozess eingebunden; etwa wenn neue Produktideen anhand eines morphologischen Kastens 114 erarbeitet werden. 114 Der Morphologische Kasten ist eine Kreativitätstechnik, bei der unterschiedliche Produktparameter kombiniert werden, um so zu einer Vielzahl an denkbaren Lösungen zu gelangen, die ansonsten durch das gewohnte, eindimensionale Denken verborgen blieben. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="173"?> 9.11 Kundenintegration 161 Bei der Erstellung von Produktkonzepten ist nochmals das Erfahrungswissen des Kunden gefragt. Ab dieser Stufe ist der Anteil des Kunden an dem neuen Produkt bereits so groß, dass es kaum einen Weg zurück gibt. Ein Scheitern der Kooperation wäre in dieser Phase für den Lieferanten fatal. Häufig wird der Kunde zu spät in die Produktentwicklung integriert, etwa wenn die Entwicklungskosten aus dem Ruder zu laufen beginnen. Soll der Kunde tatsächlich als Co-Entwickler fungieren, so sollte er schon ab der Ideenfindung in den Innovationsprozess eingebunden werden. Auf der höchsten Stufe der Kundenintegration simuliert der Kunde auch den Markteintritt des neuen Produktes. In dieser Rolle leistet er einen wertvollen Beitrag, um die Risiken und Kosten der Produkteinführung zu begrenzen. Eine Zwitterstellung nimmt der sogenannte „Lead-User“ ein. Darunter versteht man Personen oder kleine Unternehmen, die sich aus eigenem Interesse intensiv mit einem bestimmten Problem auseinandersetzen, für das der Markt noch keine geeignete Lösung bereithält. Der Lead-User erkennt latente Bedürfnisse wesentlich früher als die breite Masse der Anwender. Er bezieht seine Motivation aus der Rolle des Vorreiters. Anders als der Tüftler ist der Lead-User auf Kooperation eingestellt und damit der ideale Partner, um Hand in Hand mit etablierten Unternehmen neue Lösungen zu generieren. Ein Lead-User handelt auch oft nach dem Motto „Not macht erfinderisch“. Das „Heureka-Prinzip“ 115 hilft ihm dabei, etwas überraschend Neues zu schaffen. So wurde z.B. das Mountainbike von Radfahrern entwickelt, die mit den herkömmlichen Fahrrädern ihrer Leidenschaft des Querfeldeinfahrens nur unzureichend frönen konnten. Sie experimentierten so lange mit Radaufhängungen, Reifen, Rahmen und Federungen, bis daraus das heutige Mountainbike entstand. „Car sharing“ wurde ebenfalls aus einer Not geboren. Autofahrer störte es, dass ihre Autos, die sie nur für die Fahrt zur Arbeit benötigten, die übrige Zeit ungenutzt herumstanden. Sie begannen damit, im privaten Kreis ihre Autos gemeinsam zu nutzen. Diese Idee wurde später von kommerziellen Anbietern aufgegriffen. Auch der Kurznachrichtendienst SMS war keine Entwicklung der Mobilfunkindustrie. Eine Studentin hatte das Bedürfnis, sich über Wohnungsanzeigen auf dem Laufenden zu halten, und verschickte dafür neben Telefonaten auch Textnachrichten über die Mobilfunknetze. Um Kunden zur Teilnahme im Innovationsprozess zu mobilisieren, sind der Phantasie keine Grenzen gesetzt. Ein Hersteller von Gartengeräten lädt z.B. lang- 115 Benannt nach dem griechischen Mathematiker A RCHIMEDES (287-212 v. Chr.), dessen Ausruf „Heureka“ („Ich habe es gefunden“) heute mit einem gedanklichen Durchbruch in Verbindung gebracht wird. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="174"?> 9 Die Gestaltung von Kundenbeziehungen 162 jährige Kunden ein, die im eigenen Haus entstandenen Ideen zu bewerten und daraus neue Produkte anzudenken. Ein Getränkehersteller bietet ausgewählten Kunden an, Mitglied in seiner exklusiven Innovationsplattform zu werden, um an der Entwicklung einer neuen Generation von Getränken mitzuarbeiten. Ein Hersteller von Bastlerbedarf stellt Kunden eine eigene Werkstatt zur Verfügung, in der sie neue Materialien ausprobieren können; der kreativste Bastler wird einmal im Jahr in der Regionalzeitung gefeiert. Beratungsfirmen holen Beschäftigte des Kunden ins eigene Haus, um sie an der Entwicklung neuer Konzepte zu beteiligen. In der Software-Branche ist es ohnedies üblich, dass an der Entwicklung einer individuellen Software-Lösung der Kunde beteiligt ist. Selbst die Barrieren zum Gral der Marketingideen werden immer öfter gesenkt. Kunden sollen dann z.B. Anzeigen oder Werbespots selbst kreieren und an Kampagnen mitarbeiten. Dessen ungeachtet, werden Innovationen immer noch abgeschottet von der Außenwelt innerhalb der eigenen Organisation betrieben. Nur so könnten Produkte vor Imitationen geschützt sowie schneller und ausgereifter am Markt angeboten werden, lautet die Begründung. Die Unternehmen errichten auf diese Weise eine unsichtbare Barriere. Alles was an Neuerung von außerhalb der eigenen Firma kommt, wird nicht als Bereicherung oder Ergänzung gesehen, sondern abgewehrt. Dieses „Not-Invented-Here“(NIH)-Syndrom gedeiht besonders in Gruppen oder ganzen Organisationen, die über lange Zeit ungestört blieben und so ein Monopolbewusstsein für ihr Spezialgebiet entwickeln konnten. Die aktuelle Antwort darauf heißt „Offene Innovation“. 116 Sie beruht auf einer Verknüpfung eigener Ressourcen mit externen Akteuren, wie Zulieferer, Softwareanbieter, Consultingfirmen, Finanzdienstleister, Universitäten, Fachhochschulen und Forschungsinstituten. Dadurch können die Entwicklungszeiten (time-to-market) verkürzt und die Entwicklungskosten (cost-to-market) verringert werden. Durch die Vielzahl und Vielfalt an externen Akteuren erfordert Offene Innovation allerdings Ressourcen, über die gerade kleine und mittlere Unternehmen kaum verfügen. Außerdem steigt das Risiko, dass internes Wissen zu Netzwerkpartnern durchsickert oder wertvolles Personal zu diesen abwandert. KMU sollten sich daher mit anderen Partnern zusammenschließen, um durch die Teilung von Ressourcen und Risiken von den Vorteilen der Offenen Innovation zu profitieren. Drei Möglichkeiten zeichnen sich dabei ab: Eine Kooperation in- 116 H ENRY C HESBROUGH (Open innovation: The new imperative for creating and profiting from technology, Watertown 2003) nennt diesen Ansatz der Neuprodukt-Entwicklung „Open Innovation“: “A distributed innovation process, based on purposively managed knowledge flows across organisational boundaries, using pecuniary and non-pecuniary mechanisms, in line with the organisation´s business model.” Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="175"?> 9.12 Aus der Praxis 163 nerhalb regionaler Cluster 117 ; die sogenannte Koopetition, also die Zusammenarbeit mit einem Konkurrenten in bestimmten Bereichen der Wertschöpfungskette; und „Cross-Industry Innovation“ als Rekombination von Wissen aus anderen Branchen. So verwendet etwa der N ESPRESSO Milchaufschäumer das magnetische Antriebsprinzip von Labormischern und der N IKE S HOX Turnschuh eine Dämpfungstechnik aus der Formel Eins. 9.12 Aus der Praxis Auch die Moral kann bindend wirken Ein Handwerker, der hochwertige Spezialschuhe für „Business, Gala und Golf“ anfertigt, bekommt zwar hin und wieder Dankschreiben von zufriedenen Kunden, doch ein Wiedersehen mit ihnen ist ein eher rares Ereignis. Dabei sollten ihm seine drei Geschäftsfelder und die Tatsache, dass die Kunden der gehobenen Einkommensschicht angehören, eine wesentlich höhere Wiederkaufsrate bescheren. Ideen, einen Newsletter einzurichten, Tage der offenen Tür anzubieten oder einen Kundenklub zu starten, scheitern am hohen Aufwand. Die Tochter des Handwerkers wickelt seit einiger Zeit den Einkauf von Leder und Zubehör ab. Sie kennt die Arbeitsbedingungen in den Gerbereien, besonders in Afrika. Bei Gesprächen mit Kunden spürt sie immer wieder deren starkes Interesse an Fragen der Umwelt und Gesellschaft. Dem möchte sie entgegenkommen, indem der Betrieb den Kunden beim Kauf der Schuhe einen besonderen „moralischen Mehrwert“ bietet. Sie überzeugt ihren Vater von der Idee, einen Fonds für notleidende Kinder in Marokko einzurichten. Bei jedem Kauf eines Paars Schuhe, fließen 10 Euro in den Fonds. Sollte der Kunde darüber hinaus selbst einen Betrag zuschießen, so werden ihm 10 Euro für den nächsten Kauf gutgeschrieben. Dieses Konzept wird sowohl analog wie digital professionell präsentiert. Rasch kommen die Kunden aus ihrer Deckung. Es scheint, als ob das gute Gewissen, ohne instrumentalisiert zu werden, als tragfähige Brücke für dauerhafte Kundenbeziehung dienen könnte. Im Moment werden jedenfalls eifrig Kundentermine vereinbart. Preisphantasie lohnt sich Die Friseurbranche gilt als einer der schwierigsten Dienstleistungssektoren. Äußerst preissensible Kunden, die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns und 117 Ein regionaler Cluster ist eine räumliche Konzentration von Unternehmen, die auf verschiedenen Ebenen der Wertschöpfungskette miteinander kooperieren und dabei auch mit speziellen Dienstleistern und Institutionen wie Fachhochschulen oder Universitäten verbunden sind. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="176"?> 9 Die Gestaltung von Kundenbeziehungen 164 die schwierige Suche nach optimalen Standorten sind nur drei Merkmale dieser Situation. Die Inhaberin einer mittelgroßen Friseurkette weiß davon ein Lied zu singen. Sie muss Kostendisziplin mit hoher Qualität und Andersartigkeit verbinden ein schwieriger Balanceakt. Hinzu kommt, dass ihr Geschäft zu sehr von der Laufkundschaft abhängig ist. Sie braucht mehr zufriedene Stammkunden, die dann auch Mundwerbung für ihre Kette betreiben. Kundenbindung durch „Andersartigkeit“ klingt gut, aber deren Möglichkeiten sind begrenzt oder schon ausgeschöpft. Das Leistungsprogramm ist bereits äußerst vielfältig, die Fortbildung des Personals wird unter den Stichworten „Wellness, Beauty und Kosmetik“ konsequent betrieben und so fort. Was ist eigentlich mit den Preisen? Senken - geht nicht. Da hat sie eine Idee. Statt fixer Preise, die säuberlich ausgezeichnet und von Zeit zu Zeit mit Bauchschmerzen erhöht werden, führt sie variable Preise ein. Die Preise schwanken je nach Wochentag und sogar Uhrzeit. Jedem Kunden wird so ein vollkommen individuelles „Leistungspaket“ angeboten. Beide Seiten profitieren. Die Kunden von den Preisvorteilen und das Unternehmen von einer besseren Auslastung. Bereits nach den ersten neun Monaten hat sich die Wiederbesuchsrate verdoppelt. Kundentreue wirkt ansteckend Der kleine Ort liegt in einer beschaulichen Gegend abseits der großen Touristenströme. Er kämpft gegen den Trend zu Kurzurlauben und riesigen „Events“ an Wochenenden oder Brückentagen. Der Flecken lebt ganz altmodisch - vom langjährigen Gast. Treue Urlauber werden hier belohnt. Mitten am Hauptplatz mit seinen schmucken Häusern steht eine Säule mit quadratischem Grundriss, aus der ursprünglich ein Denkmal für verstorbene Gemeindeväter hätte werden sollen. Seit Jahren hat die Säule jedoch einen anderen Zweck. Urlauber lassen sich hier gegen einen geringen Kostenbeitrag ihren Namen und das Datum ihres allerersten Besuchs eingravieren. Sie setzen sich so ihr eigenes Denkmal. Auch ein gewisser Wettbewerbsgedanke mag hier eine Rolle spielen, denn mit jedem weiteren Jahr steigt der „Wert“ des Urlaubsgastes. Die Neulinge unter den Urlaubern fühlen sich jedenfalls bestätigt: Das kann doch nur ein guter Ort sein, bei so viel Treue. Wer die freie Natur vorzieht, lässt auf einer der Bänke auf einer Anhöhe mit Rundblick ein Schild mit seinem Namen anbringen. Das Wiederkommen wird so zu einem kleinen Erlebnis, zu dem man auch Freunde und die Familie mitbringen kann. Im einzigen Hotel des Orts, es gibt noch zahlreiche solide Gasthöfe, findet der Stammgast seinen Bademantel mit eingesticktem Namen im Schrank hängen. Und in der Ortszeitung erscheint regelmäßig eine Rubrik, in der langjährige Urlauber zitiert werden. Neben dem Lob auf den Ort, darf das Zitat auch durchaus kritisch sein. Das Fazit: Wertschätzung erzeugt Verbundenheit. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="177"?> 9.13 Für die Praxis 165 9.13 Für die Praxis In diesem Kapitel spielt die „Bindung“ eine große Rolle. Von einer abnehmenden Bindungsbereitschaft ist oft zu hören und zu lesen. Wir binden uns nicht mehr so leicht wie früher an Gegenstände, Personen, Gruppen oder Organisationen. Soziologen, wie etwa G ERHARD S CHULZE , äußern die Vermutung, dass dies auf die dominierende „Innenorientierung“ von heute zurückzuführen sei. 118 Sie steht als Synonym für eine Erlebnisorientierung: „Erlebe dein Leben! “ scheint zum kategorischen Imperativ unserer Zeit geworden zu sein. Entertainer, Animateure, Reisebegleiter, Psychologen, Therapeuten, Sozialarbeiter, Freizeitpädagogen und andere bieten sich als berufsmäßige Erlebnishelfer an. Die israelische Soziologin E VA I LOUZ 119 schlägt in dieselbe Kerbe. Uns fehlten, anders als noch im 18. und 19. Jahrhundert, die soziologischen Mechanismen, Menschen untereinander zu vergleichen. Es gäbe keine Standes- und Moralgrenzen mehr, die uns sagen, wer der richtige Partner für uns ist. Dies führe dazu, dass wir uns immer mehr uns selbst zuwenden und uns ständig mit der eigenen Psyche beschäftigten. Hinzu kommt, dass wir überall zu viel Auswahl vorfinden. Wir befinden uns permanent im „Entscheidungssog“ und können am Ende keine klare Auswahl mehr treffen. Zu viel Auswahl zersetzt unsere Fähigkeit, uns zu binden. Übertragen auf Kundenbeziehungen bedeutet dies: Der Stammkunde nicht anders als der Stammgast, Stammwähler, Stammleser oder Stammhörer ist ein flüchtiges Wesen geworden. Der Kunde von heute sieht noch weniger Anlass als früher, sich vertraglich an einen Lieferanten zu ketten. Auch die emotionale Bindung ist brüchiger geworden, weil Abwechslung eben mehr Lustgewinn verspricht. Den Kunden über eine bestimmte Technik zu binden, funktioniert nur noch dort, wo nicht ständig eine Neuerung von der nächsten abgelöst wird. Die ökonomische Bindung wiederum wird durch die Attitüde des „Geiz ist geil“ unterminiert. Und wenn wir tatsächlich, wie nicht nur Kulturpessimisten monieren, in einer Zeit sinkender Grenzmoral ( Abschnitt 9.9) leben, dann auch ist die Hoffnung auf eine moralische Selbstbindung des Kunden („Jetzt bin ich schon so lange Kunde..., da kann ich doch nicht....“) auf Sand gebaut. Aufbau, Entwicklung und Erhalt von langfristigen Kundenbeziehungen bedeuten für den Lieferanten Knochenarbeit. Er muss jede auch noch so marginal erscheinende Möglichkeit nutzen, um vom Kunden immer wieder als bevorzugte Option 118 Zu dieser Thematik sei das nach wie vor hochaktuelle Buch von G ERHARD S CHULZE „Die Erlebnisgesellschaft“, Frankfurt am Main, 1993, empfohlen. 119 Nachdenkenswert sind die Ausführungen von E VA I LOUZ in ihrem Buch „Warum Liebe weh tut“, Frankfurt am Main, 2012. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="178"?> 9 Die Gestaltung von Kundenbeziehungen 166 unter mehreren Anbietern wahrgenommen zu werden. Dieses „immer wieder“ ist eminent wichtig. Es genügt nicht mehr, sich auf einen einzigen Wettbewerbsvorteil eine starke Marke, einen attraktiven Standort, einen professionellen Kundendienst zu verlassen. Die Präferenzen der Kunden ändern sich in rascher Abfolge (Stichwort „Abwechslung“ von vorhin) und der Lieferant muss sein Angebot dieser Beweglichkeit anpassen. Weiterführende Literatur B UBER , R ENATE ; H OLZMÜLLER , H ARTMUT H. (2007): Qualitative Marktforschung. Konzepte — Methoden — Analysen. Wiesbaden. D ILLER , H ERMANN (1997): Preismanagement im Zeichen des Beziehungsmarketing. In: DWW, 57. Jg., Heft 6, S. 749-763. D ILLER , H ERMANN (2006): Die Bedeutung des Beziehungsmarketing für den Unternehmenserfolg. In: Hippner H., Wilde K.D. (Hrsg.): Grundlagen des CRM. Wiesbaden. D ILLER , H ERMANN (2007): Preispolitik. Stuttgart. H ERRMANN , A NDREAS ; W RICKE , M ARTIN ; H UBER , F RANK (2000): Kundenzufriedenheit durch Preisfairness. In: Marketing ZfP, 22, S. 131-143. H INTERHUBER , H ANS H.; M ATZLER , K URT (2000): Kundenorientierte Unternehmensführung. Kundenorientierung - Kundenzufriedenheit - Kundenbindung, 6. Aufl., Wiesbaden. H OFBAUER , G ÜNTER (2013): Customer Integration. Prinzipien der Kundenintegration zur Entwicklung neuer Produkte. Heft Nr. 26 aus der Reihe „Arbeitspapiere - Working Papers“, Technische Hochschule Ingolstadt. H OMBURG , C HRISTIAN (2000): Kundennähe von Industriegüterunternehmen, 3. Auflage, Heidelberg. K LEINALTENKAMP , M ICHAEL ; F LIEß , S ABINE ; J ACOB , F RANK (Hrsg.) (1996): Customer Integration. Von der Kundenorientierung zur Kundenintegration. Heidelberg. S CHWAB , R EGINA (2006): Customer Relationship Management (CRM). Konzeption zur Planung, Umsetzung und Kontrolle eines Kundenbindungs- Management-Systems am Beispiel der Automobilbranche. Hamburg. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="179"?> 167 10 Die Bewertung von Kundenbeziehungen Viele Unternehmen verfolgen eine Strategie der Umsatzmaximierung. Schließlich gehört das Umsatzvolumen gemeinsam mit der Mitarbeiterzahl zu den Kennzeichen von „Größe“. Entgeltpolitik und Anreizsysteme unterstützen oft eine solche Ausrichtung. Defizite und Schwächen in der Kundenarbeit bleiben dann hinter den scheinbar großen Zahlen verborgen. Die Forderung nach Wachstum tut noch ein Übriges, um kritische Fragen zur Kundenstruktur zu unterdrücken. Eine steigende Kundenzahl gilt als Beleg für ein erfolgreiches Verkaufsmanagement. Wer fragt dann noch danach, ob der kundenbezogene Aufwand in einem angemessenen Verhältnis zu den erzielten Erlösen steht? In welchem Umfang einzelne Kunden oder Kundengruppen zum Unternehmensergebnis beitragen? Welchen „Wert“ die einzelnen Kundenbeziehungen für die Unternehmung darstellen? Ein Unternehmen der Medizintechnik fand z. B. heraus, dass in einer als vorbildlich eingeschätzten Region zwei Drittel der Kundenbeziehungen Verluste einfuhren. Hinzu kam, dass das profitable Drittel, das alle anderen subventionierte, inzwischen in den Fokus der Konkurrenz geraten war. Die Ursache der krassen Erfolgsstreuung wurde in einer beliebig praktizierten Kundennähe ausgemacht. Manchen Kunden wurde eine Betreuung nahezu aufgedrängt, wodurch an anderen Stellen die Ressourcen fehlten. Die Organisation wurde daher „gestrafft“. Der Außendienst verlor die Freiheit der Kundenbearbeitung an eine zentrale Stelle. Damit wurde allerdings auch die Leitlinie der vom Unternehmen ursprünglich als „nachhaltig“ proklamierten Kundenorientierung infrage gestellt. Einige Außendienstmitarbeiter bildeten daraufhin Koalitionen mit ihren bevorzugten Kunden gegen das eigene Unternehmen. Drohenden Kundenabwanderungen begegnete man immer öfter mit Preiskonzessionen. Sonderwünsche von Kunden wurden mit dem Hinweis auf das umfangreiche Standardprogramm abgewiesen. Schwächen, wie ein unregelmäßiger Lieferservice, konnten durch Besuchshäufigkeit nicht mehr ausgebügelt werden. Die Reputation des Herstellers sank. Mit einer fortlaufenden Bewertung der Kundenbeziehungen hätte das Unternehmen diesen Schnellschuss in die falsche Richtung vermeiden können. 10.1 Die Grundlage der Kundenbewertung Im Mittelpunkt eines aussagefähigen Bewertungssystems steht die Weiterentwicklung der aktuellen Kundenbeziehungen. Die Kundenbewertung soll Antworten auf die Frage liefern, wo knappe Ressourcen - Zeit, Geld, Wissen, Erfahrung, persönliche Fähigkeiten - am zweckmäßigsten zu investieren sind. Wäh- Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="180"?> 10 Die Bewertung von Kundenbeziehungen 168 rend der Kunde in der marktorientierten Unternehmensführung meist anonym bleibt, ist beim kundenorientierten Management der Suchscheinwerfer auf die einzelne Kundenbeziehung gerichtet. Damit werden individuelle Daten sichtbar, auf denen ein Bewertungssystem aufbauen kann. Zu den Grunddaten gehören z.B. im „Business-to-Consumer“-Geschäft 120 das Lebensalter, die familiäre Situation, der Grad der Ausbildung und die Einschätzung der Kaufkraft. Im „Business-to-Business“-Geschäft 121 sind es z.B. die Rechtsform, Beteiligungen und Verflechtungen. Noch wichtiger ist es, alle Personen zu erfassen, die in der Kundenbeziehung eine besondere Rolle spielen und somit zum sogenannten „Buying Center“ gehören: etwa Anfrager, Beeinflusser, „Gatekeeper“, Anwender, Meinungsführer, Einkäufer und Entscheider. Die Potenzialdaten umfassen den geschätzten Gesamtbedarf in einer oder mehreren Produktbzw. Dienstleistungsgruppen. Wichtig sind hier z. B. bei B2C-Daten zur „Lebenssituation“ des Kunden (Schule, Beruf, Partnerschaft, Ruhestand), die auf dessen aktuellen Bedarf nach bestimmten Produkten oder Dienstleistungen schließen lassen oder die Restlaufzeiten bei Verträgen; bei B2B die Restnutzungsdauer von Maschinen und Geräten; Die Aktionsdaten sind jene Aufwendungen, die für die Entwicklung einer bestimmten Kundenbeziehung getätigt wurden und ihr daher direkt zugerechnet werden können. Beispiele für solche speziellen „Inputs“ des Lieferanten sind Kundenbesuche, Serviceleistungen, individuelle Problemlösungen, Produkttests, ungeplante Dienstleistungen zur Kontrolle und Wartung etc. Die Erfassung und Zurechnung auf den einzelnen Kunden wird in der Praxis oft vernachlässigt, was einer aussagefähigen Kundenbewertung von vornherein Grenzen setzt. Die Verhaltensdaten sind Aufzeichnungen von Beobachtungen besonderer Verhaltensweisen des Kunden. Negative Beispiele sind ein auffälliges Storno- und Rücksendeverhalten, eine schlechte Zahlungsmoral oder ein permanenter Druck auf Preise und Konditionen. Positiv zu vermerken wäre z.B. eine wirksame Mundwerbung des Kunden, die Bereitschaft zur Mitwirkung an neuen Produkten oder hohe Kundentreue trotz starken Wettbewerbsdrucks. 120 Auch mit „B2B“ abgekürzt. Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen und Privatpersonen. 121 Auch mit „B2C“ abgekürzt. Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen und Unternehmen, wobei letztere auch nicht gewinnorientierte Organisationen, wie Universitäten, öffentliche Krankenhäuser etc., sein können. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="181"?> 10.2 Kundenbewertung nach Umsatz 169 Für Unternehmen mit hohen Kundenzahlen mag der Aufwand für eine derartige Datenerfassung abschreckend wirken. Dennoch, erst die Summe der Grund-, Potenzial-, Aktions- und Verhaltensdaten aller, oder fürs Erste zumindest der subjektiv „wichtigen“, Kundenbeziehungen, unterscheidet erfolgsorientiertes von herkömmlichem Verkaufsmanagement. Bild 10-1 zeigt Möglichkeiten der Bewertung von Kundenbeziehungen, vom simplen Kriterium des Umsatzes bis zur anspruchsvollen, aber aussagefähigeren Methode des Kundenportfolios, die erst recht auf eine konsequente Datenerfassung je Kundenbeziehung angewiesen ist. Bild 10-1: Ausgewählte Möglichkeiten der Bewertung von Kundenbeziehungen 10.2 Kundenbewertung nach Umsatz Eine simple und in der Praxis häufig verwendete Methode zur Bewertung von Kundenbeziehungen ist die Ordnung der Kunden nach fallender Umsatzgröße. Eine solche ABC-Analyse ( Bild 10-2) beruht auf dem bekannten P ARETO - Prinzip 122 . Danach wäre es üblich, wenn etwa 80 Prozent des Gesamtumsatzes mit nur 20 Prozent der Kunden erwirtschaftet würden. Je steiler die Gerade dieser A-Kunden ansteigt, desto höher sind der Konzentrationsgrad des Kundenstamms und damit die Abhängigkeit von solchen umsatzstarken Kunden. Die Crux der ABC-Analyse sind die C-Kunden. Allzu oft werden ihre Umsätze als Mitnahmegeschäft betrachtet. C-Kunden sind treu, weniger preisempfindlich als die Großen und sie verursachen einen vergleichsweise geringen Betreuungsaufwand so wird jedenfalls argumentiert. Diese Begründung steht jedoch oft auf tönernen Füßen. Jeder Kunde bewirkt schon durch seine Existenz gewisse Grundkosten. Und diese fallen selbst dann an, wenn die Beziehung vorübergehend „stillgelegt“ wird und keine Umsätze ge- 122 Das Pareto-Prinzip ist nach dem italienischen Wohlfahrtökonomen V ILFREDO P ARETO (1848-1923) benannt. Er beobachtete, dass 80 Prozent des italienischen Bodens im Besitz von nur 20 Prozent der Bevölkerung wahren. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="182"?> 10 Die Bewertung von Kundenbeziehungen 170 tätigt werden. Eine hohe Kundenzahl wirkt immer kostentreibend, weil gewisse Informationskosten für jeden Kunden in gleicher Höhe anfallen. Hinzu kommt, dass C-Kunden meist Kleinstaufträge erteilen. Diese verursachen fixe Abwicklungskosten, die unabhängig vom Auftragsvolumen anfallen. Bei C-Kunden können zwar in der Regel höhere Preise erzielt werden, die Betreuungskosten bleiben jedoch meist in einem Gemeinkostenblock verborgen. C-Kunden sind häufig auch die treuesten Kunden für C-Produkte. Diese müssen in kleinen Losgrößen produziert werden und erhöhen die Variantenvielfalt. Der Verkaufsaußendienst kämpft oft mit Zähnen und Klauen gegen deren Eliminierung aus dem Sortiment. Bild 10-2: Typisches Ergebnis einer ABC-Analyse auf Basis „Umsatz“. 123 10.3 Kundenbewertung nach Nettoerfolg Um den Nettoerfolg einer Kundenbeziehung zu ermitteln, werden dieser einmal die Nettoerlöse und dann (im Extremfall) sämtliche, im Unternehmen anfallenden Kosten direkt als Einzelkosten oder indirekt als Gemeinkosten zugerechnet. Eine Kundenbewertung auf Basis Nettoerfolg beruht somit auf Vollkosten. Es wird nicht getrennt in Kosten, die unabhängig von der Inanspruchnahme der eigenen Organisation durch den Kunden anfallen, und solchen, die sehr wohl der Kundenbeziehung zugeordnet werden können. Die Verfechter des Prinzips der Vollkostenrechnung argumentieren, dass nur so die notwendige Transparenz der Kundenbeziehung gewährleistet sei. 123 Quelle: C HRISTIAN H OMBURG und D ANIEL D AUM (1997): Marktorientiertes Kostenmanagement. Frankfurter Allgemeine Zeitung, Wirtschaftsbücher: Frankfurt a. Main 1997, S. 59. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="183"?> 10.3 Kundenbewertung nach Nettoerfolg 171 Tatsächlich bewirkt jedoch diese Vorgehensweise das Gegenteil. Fixkosten müssen in erheblichem Umfang proportionalisiert werden. Dies unterstellt eine Gleichartigkeit der kundenspezifischen Leistungen, obwohl ja gerade die Individualisierung, also der Zuschnitt auf den einzelnen Kunden, der Ausgangspunkt für eine Kundenorientierung ist. Die Nettoerfolgsrechnung weist damit „falsche“ Kundengewinne oder -verluste aus. Dies wird besonders deutlich, wenn die Vertriebskostenarten nach einem Umsatzschlüssel auf die Kunden verteilt werden. Profitable Kundenbeziehungen mit hohen Umsätzen und geringer Inanspruchnahme von Lieferantenressourcen werden so abgewertet, unprofitable mit niedrigen Umsätzen hingegen aufgewertet. Die Eignung des Nettoerfolges für die Kundenbewertung hängt davon ab, wie hoch die kundenspezifischen Einzelkosten sind. Je höher ihr Anteil an den Gesamtkosten ist, desto eher kann eine Schlüsselung der verbleibenden Gemeinkosten in Kauf genommen werden. So ist z. B. bei Kundenbeziehungen mit individueller Auftragsfertigung gegen eine Anwendung der einfachen Vollkostenmethode wenig einzuwenden. Diese Einfachheit ist auch der Grund dafür, dass in der Praxis der Nettoerfolg nach wie vor ein verbreitetes Kriterium zur Aufdeckung der Kundenstruktur darstellt. Nettoerfolg und Umsatz lassen sich miteinander kombinieren ( Bild 10.3). In diesem Beispiel scheinen die Mittelkunden ertragsmäßig das Rückgrat des untersuchten Unternehmens zu bilden, die Kleinkunden gar nicht so schlecht abzuschneiden und die Großkunden unter dem Gesichtspunkt der Vollkostenzurechnung einer dringenden Überprüfung zu bedürfen. Solange man die Ergebnisse einer Kundenbewertung auf Basis „Nettoerfolg“ nicht überinterpretiert, liefert diese Art der Berechnung zumindest ein etwas differenzierteres Bild als der bloße Umsatz. Bild 10-3: Beispiel für die Kombination von Umsatz und Nettoerfolg Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="184"?> 10 Die Bewertung von Kundenbeziehungen 172 10.4 Kundenbewertung nach Deckungsbeitrag Zum Unterschied von der Nettoerfolgsrechnung werden bei der Kundenbewertung auf Basis Deckungsbeitrag lediglich jene Erlös- und Kostenteile auf einzelne Kunden zugerechnet, die durch die Kundenbeziehung verursacht werden und somit bei ihrer Beendigung entfallen würden. Es gilt also das „Identitätsprinzip“ 124 . Kosten können so als „relative Einzelkosten“ behandelt und müssen nicht mehr als „unechte Gemeinkosten“ 125 aufgeschlüsselt werden. Die Differenz zwischen den Teilerlösen und Teilkosten ist ein Kunden-Deckungsbeitrag. Er gibt an, wie viel die Kundenbeziehung zur Deckung der Gemeinkosten und darüber hinaus zum Gesamterfolg des Unternehmens beiträgt. Die in der Praxis am häufigsten angewandte Methode folgt dem Schema einer stufenweisen Deckungsbeitragsrechnung ( Bild 10-4). Diese kann sehr einfach dem jeweiligen Geschäftstyp (z. B. Herstellung oder Handel, Zustellung oder Abholung, Sachgut oder Dienstleistung) angepasst werden. Die Einfachheit wird allerdings damit erkauft, dass bestimmte Kosten letztlich doch geschlüsselt werden müssen, um zu hohe und damit wenig aussagefähige Deckungsbeiträge zu vermeiden. Bild 10-4: Beispiel für die stufenweise Berechnung von Deckungsbeiträgen 126 124 Kosten werden einer Bezugsgröße, z.B. dem hergestellten Produkt, nur dann zugerechnet, wenn sie auf den gleichen operativen Ursprung zurückgeführt werden können. 125 Das sind solche Kosten, die zwar prinzipiell einer Bezugsgröße als Einzelkosten zugerechnet werden könnten (z.B. für Kleinmaterial, Reinigungs- und Schmiermittel, Strom-, Wasser- und Gasverbrauch), wegen des Zurechnungsaufwands jedoch wie „echte“ Gemeinkosten behandelt und durch Schlüsselung zugeteilt werden. 126 Quelle: J ÖRG L INK (1995): Welche Kunden rechnen sich? In: absatzwirtschaft, 33. Jg., Heft 10, 1995, S. 108-110. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="185"?> 10.5 Kundenbewertung nach Prozesskosten 173 10.5 Kundenbewertung nach Prozesskosten Betrachtet man eine Kundenbeziehung nicht als Objekt, das wie ein Gegenstand bewertet werden kann, sondern als Prozess, der sich als Summe vieler Teilprozesse laufend erneuert, so ist es naheliegend, zumindest die Vertriebsgemeinkosten nicht zu schlüsseln, sondern den kundenbezogenen Prozessen zuzurechnen. Dies gelingt, wenn man die „Kostentreiber“ („cost drivers“) der einzelnen Teilprozesse ermittelt. Ein Kostentreiber ist eine Bezugsgröße, welche die Veränderung der Kosten proportional mit der unterschiedlichen Inanspruchnahme von Leistungen verbindet. So kann z.B. für den Teilprozess „Auftragsbearbeitung“ die Auftragsanzahl oder die Auftragsgröße Kostentreiber sein. Bild 10-5 zeigt die Teilprozesse des Hauptprozesses „Kundenbetreuung“ und wie die kostenverursachenden Tätigkeiten und Kostentreiber definiert werden können. Bild 10-5: Der Hauptprozess „Kundenbetreuung“ mit den Tätigkeiten und Kostentreibern am Beispiel eines Herstellers technischer Verbrauchsgüter Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="186"?> 10 Die Bewertung von Kundenbeziehungen 174 Für jeden Teilprozess kann anhand der Kostentreiber ein durchschnittlicher oder sogar kundengruppenspezifischer Teilprozesskostensatz errechnet werden. Ein Beispiel: 4000 Kundenbesuche pro Periode schlagen mit 800.000 € Kosten zu Buche, was einen Teilprozesskostensatz von 200 € ergibt. Für eine Auftragsbearbeitung mit 6000 Aufträgen pro Periode als Kostentreiber und 1,8 Mio. € Kosten für diesen Teilprozess wäre der Teilprozesskostensatz 300 € pro Auftrag. Durch Addition aller Teilkostenprozesssätze erhält man den Kostensatz des Hauptprozesses „Kundenbetreuung“. Auf diese Weise werden die kundennahen Vertriebsgemeinkosten über die in Anspruch genommenen Prozessstufen und nicht durch Zuschlagsbasen, wie dem Umsatz, bestimmt. Die Vielschichtigkeit eines Kundenprozesses wird so offengelegt. Durch Variation bestimmter Kostentreiber, z. B. Besuchshäufigkeit oder Auftragsgröße, können die Konditionen für den einzelnen Kunden den tatsächlich anfallenden Kosten angepasst werden. So theoretisch überzeugend eine Kundenbewertung nach „Prozesskosten“ auch sein mag, ihre praktische Umsetzung ist mit einem verhältnismäßig hohen Aufwand verbunden. 10.6 Kundenbewertung nach dem Kapitalwert Rückt man den Investitionscharakter von Kundenbeziehungen in den Vordergrund, so muss periodenübergreifend gedacht werden. Dafür bietet sich der „Customer Lifetime Value“ CLTV an. Er verkörpert den Wert einer Kundenbeziehung, den sich der Lieferant am Ende der geschätzten Lebensdauer dieser geschäftlichen Verbindung erwarten darf. Oder genauer: Der CLTV ist der Kapitalwert der Gewinnrückflüsse, die das Investitionsprojekt „Kundenbeziehung“ während seiner Lebensdauer generiert. Der wunde Punkt dieses Verfahrens ist die Lebensdauer. In den meisten Fällen hat eine Kundenbeziehung kein Ablaufdatum, sondern wird mit einem offenen Ende eingegangen. Ein Steuerberater kann z.B. damit rechnen, seinen Klienten von dessen ersten Schritt in die Berufslaufbahn bis zum Ausscheiden zu betreuen. Für einen Gastronomen hingegen, der sein Lokal auf fünf Jahre gepachtet hat, wird die Idee einer Investition in Stammgäste immer weniger attraktiv, je näher das Ende der Pachtzeit rückt. Man kommt also nicht umhin, passend zur Natur des Geschäfts, eine Annahme für die Lebensdauer der Kundenbeziehung zu treffen. In der Rechnung selbst werden die in jedem Jahr erwarteten Differenzen zwischen Einnahmen und Ausgaben (vereinfachend als Erlöse und Kosten dargestellt) mit einem Diskontsatz auf den Gegenwartszeitpunkt abgezinst und dann summiert. Der Kalkulationszinsfuß wird so gewählt, dass er der Verzinsung der besten Anlagealternative entspricht. Bild 10-6 zeigt das Schema einer CLTV-Rechnung, das ein Unternehmen aus dem technischen Verbrauchsgütergeschäft für sich entwickelt hat. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="187"?> 10.6 Kundenbewertung nach dem Kapitalwert 175 Die Periode von fünf Jahren wird der Einfachheit halber gewählt, und nicht weil man mit einer Lebensdauer der Kundenbeziehung von nur fünf Jahren rechnet. 1. Jahr 2. Jahr 3. Jahr 4. Jahr 5. Jahr Summe Erlöse aus Produkten Erlöse aus Wartung Erlöse gesamt = Einnahmen Technische Vorlaufkosten Einschulung des Personals Laufende Anpassungskosten Variable Kosten Kundenfixe Kosten Logistik Laufende Betreuungskosten Garantien und Entsorgung Kosten gesamt = Ausgaben Einnahmen minus Ausgaben Diskontierte Beträge CLTV Bild 10-6: Schema einer CLTV-Rechnung aus dem technischen Verbrauchsgütergeschäft 127 Überall dort, wo der Wert vielschichtiger und langfristiger Kundenbeziehungen ermittelt werden soll, vor allem im Business-to-Business-Geschäft, lassen sich mit der CLTV die Chancen und Risiken einer solchen Investition gut abschätzen. Hinzu kommt, dass jede einzelne Erlös- und Kostenposition auf wertsteigernde und risikomindernde Maßnahmen hin untersucht werden kann. So könnten etwa bestimmte Vorlaufkosten durch Kostenerstattungsverträge eliminiert, laufende Kosten durch Vereinfachung des Produktaufbaus verringert oder Reklamationskosten durch Qualitätssicherung verringert werden. Auf der Erlösseite wäre es z.B. denkbar, Vorlauferlöse, wie F&E-Subventionen oder Steuervergünstigungen, durch zwischenbetriebliche Kooperation abzusichern, laufende Erlöse durch „Cross-Selling“ zu erhöhen oder Folgeerlöse durch Lizenzeinnahmen zu realisie- 127 Nach einer Darstellung von C HRISTIAN H OMBURG und D ANIEL D AUM (1997): Marktorientiertes Kostenmanagement. Frankfurter Allgemeine Zeitung, Wirtschaftsbücher: Frankfurt am Main, S. 101. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="188"?> 10 Die Bewertung von Kundenbeziehungen 176 ren. Bei einer hohen Kundenzahl sollte man vor den Datenmengen nicht kapitulieren. Die CLTV-Methode ist selbstverständlich auch auf Kundengruppen anwendbar. 10.7 Kundenbewertung nach dem Kundenpotenzial Mit dem Ende einer Kundenbeziehung lösen sich Erwartungen und zukünftige Möglichkeiten (Potenziale) in Luft auf. Diese nicht ausgeschöpften Größen können den erwarteten Umsatz oder Deckungsbeitrag aus dem Basisgeschäft, dem Sockelpotenzial, weit übersteigen. So geht beispielsweise das Cross-Selling- Potenzial verloren, also die Chancen, aus dem Querverkauf verwandter Produkte oder Leistungen zusätzliche Erlöse zu erzielen; mit einer positiven Mundwerbung 128 des Kunden oder gar einer aktiven Weiterempfehlung (Referenzpotenzial) kann nicht mehr gerechnet werden; und schließlich entfällt auch die Möglichkeit, aus der Kooperation mit dem Kunden zu lernenu7nd das daraus gewonnene Erfahrungswissen etwa für die Produktentwicklung oder die Prozessoptimierung zu nutzen (Lernpotenzial). Diese vier Potenziale bieten sich daher für eine erste Bewertung von Kundenbeziehungen aus der Perspektive der Möglichkeiten an ( Bild 10-7). Bild 10-7: Bewertung von Kundenbeziehungen nach Potenzialen 128 Mundwerbung ist die Kommunikation zwischen zwei oder mehreren Personen über einen Anbieter und dessen Leistungsangebot. Die besondere Wirkung der Mundwerbung beruht auf zwei Merkmalen: Sie ist direkt, d.h., sie wird nicht durch Medien wie TV oder Zeitschriften vermittelt; und sie ist privat, dadurch nicht kommerziell und somit besonders glaubhaft. Die Meinungsbildung in den sozialen Netzen ist ein Beispiel dafür. Mundwerbung kann eine positive, neutrale oder negative Wirkung entfalten. Es ist bekannt, dass negative Erfahrungen häufiger weitergegeben werden und auch einen stärkeren Einfluss auf die Kaufentscheidung ausüben als positive. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="189"?> 10.7 Kundenbewertung nach dem Kundenpotenzial 177 Potenziale ergeben sich aus den bisherigen Erfahrungen mit einer Kundenbeziehung, die auf einen Zeitpunkt in der Zukunft projiziert werden. Dabei wird angenommen, dass der Mitteleinsatz für den Erhalt der Kundenbeziehung auf dem aktuellen Niveau verbleibt. Nur so können die Grenzen für das Basisgeschäft, die Querverkäufe, die Weiterempfehlungen und die Wertsteigerungen durch Zusammenarbeit ausgelotet werden. Die Idee, alle vier Potenziale in Form von Deckungsbeiträgen auszudrücken, um so in der Summe zu einem gewinnähnlichen monetären Kundenwert zu gelangen, 129 ließ sich in der Praxis nicht verwirklichen. Zu oft mussten Kunstkniffe gerade für das Referenz- und Lernpotenzial angewandt werden, um diese direkt in Geldwerten auszudrücken, was letztlich zu spekulativen Ergebnissen führte. Deshalb ist es sinnvoller, von dem als Umsatz ausgedrückten Sockelpotenzial auszugehen, und davon die drei abgeleiteten Größen das Cross-Selling-, das Referenz- und das Lernpotenzial - als Prozentsätze vom Sockelpotenzial zu schätzen ( Bild 10-8). Bild 10-8: Die Ableitung des Cross-Selling-, Referenz- und Lernpotenzials als Prozentsätze vom Sockelpotenzial Von einem solchen vereinfachten, indirekten Verfahren kann zwar keine wissenschaftliche Genauigkeit erwartet werden. Als Kompromiss hat es sich jedoch inzwischen als praxistauglich erwiesen. In Bild 10-9 werden die fünf Schritte zur Ermittlung des Kundenpotenzials skizziert. 129 Diese durchaus plausible Idee stammt von J ENS C ORNELSEN . Siehe dazu z.B. die Publikation: Kundenwert Begriff und Bestimmungsfaktoren. Arbeitspapier Nr. 43 des Lehrstuhls für Marketing, Universität Erlangen-Nürnberg, 1997. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="190"?> 10 Die Bewertung von Kundenbeziehungen 178 Bild 10-9: Fünf Schritte zum Kundenpotenzial 1. Schritt. Das Sockelpotenzial der Kundenbeziehung wird ermittelt. Es umfasst den auf den gewählten Zeitpunkt hochgerechneten Jahresumsatz jener Produkte und Leistungen, die den Gegenstand und damit das Basisgeschäft der Kundenbeziehung darstellen. Für einen Bankkunden können dies die normalen Transaktionen sein, für ein Stahlwerk das Feuerfestmaterial und die dazugehörigen Serviceleistungen, für eine Klinik die Systeme zur Handdesinfektion. 2. Schritt. Das Cross-Selling-Potenzial der Kundenbeziehung wird geschätzt. Es umfasst den Jahresumsatz der Produkte und Leistungen, die durch den Verkauf zusätzlicher, auf den Kernkompetenzen 130 des Lieferanten beruhender Produkte und Leistungen generiert werden können. „Cross-Selling“ wird z. B. betrieben, wenn ein Hersteller von Reinigungsgeräten auch die dazugehörigen Reinigungsmittel, eine Bank ihren Kunden auch Versicherungen, ein Warenhaus auch Reisen oder ein Gebäudereiniger auch Sicherheitsdienste verkauft. In jungen Kundenbeziehungen können die Umsätze aus Cross-Selling den tatsächlichen Möglichkeiten weit hinterherhinken. Das Potenzial wird als Prozentsatz vom Sockelpotenzial geschätzt. 3. Schritt. Das Referenzpotenzial der Kundenbeziehung wird geschätzt. Es ist ein Maß dafür, inwieweit der Kunde durch die Weitergabe von positiven Meinungen über den Lieferanten und dessen Produkte und Leistungen das Kaufverhalten anderer Kunden zugunsten des Lieferanten zu beeinflussen vermag. Dieser Einfluss ist vor allem abhängig von der Reputation, die dem Kunden zugeschrieben wird und die ihn damit als vertrauenswürdigen Gesprächspartner ausweist; dem Wissen des Kunden über die Produkte und Leistungen des Lieferanten; 130 Die Kernkompetenz einer Organisation ist die Gesamtheit von Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten, die für den Kunden (a) deutlich erkennbar und (b) wichtig ist, sowie (c) im Vergleich zu den Konkurrenten einmalig und (d) generell nur schwer imitierbar ist. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="191"?> 10.7 Kundenbewertung nach dem Kundenpotenzial 179 der Dichte des sozialen Netzes, in das der Kunde eingebunden ist; der Position, die der Kunde in diesem Netz einnimmt (z. B. meinungsbildend oder abwartend); der Häufigkeit, mit welcher der Kunde themenspezifische Gespräche im sozialen Netz führt; dem Grad der Zufriedenheit mit den Leistungen des Lieferanten. Das abstrakte Referenzpotenzial muss nun in ein Verhältnis zum Umsatz aus dem Sockelpotenzial gebracht werden. Dies geschieht durch die Beantwortung der folgenden Frage: „Um welchen Prozentsatz kann das Sockelgeschäft durch die Gewinnung neuer Kunden gesteigert werden, wenn es gelingt, den Kunden zu einer Weiterempfehlung unserer Produkte oder Leistungen zu veranlassen.“ Diese und die nächste Frage sind zwar nicht aus dem Handgelenk zu beantworten, aber durch gemeinsames Überlegen kommt man zu durchaus plausiblen Werten. 4. Schritt. Das Lernpotenzial der Kundenbeziehung wird geschätzt. Es besteht aus den verwertbaren Erfahrungen, die der Lieferant innerhalb eines bestimmten Zeitraumes aus einer Kundenbeziehung gewinnt. Ein solches Erfahrungswissen kann Lernprozesse auslösen, die zu höherer Effizienz und Qualität und damit zu einer Wertsteigerung des Unternehmens führen. Das Spektrum dieses Wissens reicht vom Beheben verborgener Produktmängel oder Leistungsdefizite bis zur gemeinsamen Entwicklung neuer Produkte und Leistungen. Um das ebenfalls abstrakte Lernpotenzial in eine Umsatzgröße umzuwandeln, muss - ähnlich wie beim Referenzpotenzial eine Antwort auf die folgende Frage gefunden werden: „Um welchen Prozentsatz kann der Wert des Sockelgeschäft gesteigert werden, wenn es gelingt, das Erfahrungswissen aus der gemeinsamen Geschäftsbeziehung für verbesserte Prozesse, Produkte, Leistungen etc. zu nutzen? “ 5. Schritt: Aus den vier geschätzten Potenzialen ergibt sich das als Jahresumsatz ausgedrückte Kundenpotenzial wie folgt: Sockelpotenzial als Umsatz + Cross-Selling-Potenzial berechnet als %-Satz vom Sockelpotenzial + Referenzpotenzial berechnet als %-Satz vom Sockelpotenzial + Lernpotenzial berechnet als %-Satz vom Sockelpotenzial Als allein stehende Größe ist das Kundenpotenzial wenig aussagefähig. Erst im Vergleich mit anderen Kundenbewertungen zeigt sich sein Wert für Analysen Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="192"?> 10 Die Bewertung von Kundenbeziehungen 180 und Entscheidungen. Am besten gelingt dies in einer zweidimensionalen Darstellung nach dem Portfolio-Prinzip. 10.8 Kundenbewertung nach dem Portfolio-Prinzip Durch das Aufspannen einer Matrix wird neben dem Kundenpotenzial eine zweite Dimension eingeführt, was die Kundenbewertung aussagefähiger und anschaulicher macht. Die Gestaltung der beiden Achsen ist frei wählbar und kann so dem Charakter des jeweiligen Geschäfts angepasst werden: Spielt Wachstum eine besondere Rolle? Haben wir es mit Massenkunden zu tun oder eher mit einer Situation, wie sie etwa für die Investitionsgüter oder die Zulieferindustrie typisch ist? Tendieren die Vorlieben der Kunden eher nach einem „Besser“ oder „Vielfältiger“ oder „Billiger“? Treten wir gegen einige wenige oder gegen zahlreiche Konkurrenten an? Wie sollen wir unsere knappen Ressourcen am wirksamsten auf die bestehenden oder die zu entwickelnden Kundenbeziehungen verteilen? 10.8.1 Kundenpotenzial und Beziehungsstärke Bild 10-10 zeigt ein Kundenportfolio mit den beiden Dimensionen „Kundenpotenzial“ und „Beziehungsstärke“. Mit dem Kundenpotenzial ( Abschnitt 10.7) wird die Attraktivität des Kunden für den Lieferanten dargestellt. Die Beziehungsstärke kehrt die Sichtweise um und zielt auf die Attraktivität des Lieferanten für den Kunden ab. Beide Dimensionen, das Kundenpotenzial und die Beziehungsstärke, werden anhand der Ausprägungen „sehr gering“, „eher gering“, „eher hoch“ und „sehr hoch“ unterteilt. Da das Kundenpotenzial als Umsatzgröße vorliegt, können einfach vier Klassen gebildet werden. Die Beziehungsstärke als Ausdruck der Bindungsbereitschaft des Kunden kann jedoch nicht einfach in eine monetäre Größe „umgerechnet“ werden. Man kann sich immerhin damit behelfen, die Kunden anhand von Beobachtungen und Erfahrungen vier Gruppen zuzuordnen: Kunden zeigen „keine Bindungsbereitschaft“. Solche Kunden bauen auf ihre Beweglichkeit und betreiben bewusst nur Einmalgeschäfte. So sichern sie sich auch die Möglichkeit, Lieferanten gegeneinander auszuspielen. Kunden zeigen eine „geringe Bindungsbereitschaft“. Dies bedeutet, dass der Kunde entweder abwartet, weil er am Anfang des Lebenszyklus der Beziehung steht, oder dass der Lieferant zu wenig unternommen hat, um den Kunden zu einer stärkeren Bindung zu veranlassen. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="193"?> 10.8 Kundenbewertung nach dem Portfolio-Prinzip 181 Kunden zeigen eine „bedingte Kundentreue“. Diese beruht auf einem nüchternen Abwägen von Nutzen und Kosten der aktuellen Beziehung und einem gelegentlichen Vergleich mit anderen Optionen. Die bedingte Kundentreue ist relativ stabil. Sie läuft auch viel weniger Gefahr, wie die Anhängerschaft in eine Freundschaftsbeziehung zu münden, da für den Kunden die Sachlichkeit einen zu hohen Stellenwert einnimmt. Kunden zeigen „Anhängerschaft“. Sie ist das Ergebnis einer Idealisierung und damit eine Form von Irrationalität. Durch die emotionale Aufladung der Beziehung kommt der Lieferant unter Umständen in den Genuss einer sehr aktiven und positiven Mundwerbung des Kunden. Allerdings können Enttäuschungen 131 die Anhängerschaft rasch in das Gegenteil verkehren. Politik und Sport liefern hierfür anschauliche Beispiele. Anhängerschaft zu erhalten, erfordert daher besonderes Fingerspitzengefühl. Das Kundenportfolio mit den beiden Dimensionen „Kundenpotenzial“ und „Beziehungsstärke“ liefert als Ergebnis fünf Kundengruppen: Bild 10-10: Kundenportfolio mit fünf Kundengruppen 131 Mehrere, aufeinander folgende Enttäuschungen können sich hingegen so sehr ins Negative aufschaukeln, dass die Anhängerschaft in Gegnerschaft kippt. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="194"?> 10 Die Bewertung von Kundenbeziehungen 182 Die „Paradekunden“ zeichnet die Kombination von hohem Kundenpotenzial mit ebensolcher Beziehungsstärke aus. Sie sind das erstrebenswerte Ziel jedes Verkaufsmanagements. Der Lieferant nimmt, oft trotz Wettbewerbsdrucks, eine bevorzugte Stellung ein. Dass die Beobachtung und Pflege solcher Kundenbeziehungen besondere Aufmerksamkeit und entsprechenden Mitteleinsatz verlangen, versteht sich von selbst. Die „Stammkunden“ kommen zwar nur auf ein geringes Kundenpotenzial, bilden jedoch aufgrund ihrer Loyalität einen relativ sicheren Kundenstamm. Sie sichern damit eine Grundauslastung für den Lieferanten. Die „Mitnahmekunden“ sind durch ein niedriges Kundenpotenzial und eine geringe Bindung charakterisiert. Sie bilden das Mitnahmegeschäft, da sich Bindungsressourcen wegen des geringen Potenzials nicht rechnen. Die Nutzung des Online-Verkaufs oder die Verlagerung der Beziehung auf eine Handelsstufe sind Optionen, die bei diesen Kunden laufend zu prüfen sind. Die „Prüfkunden“ weisen zwar ein hohes Kundenpotenzial auf, werden aber als wenig bindungsbereit eingeschätzt. Sie kaufen z.B. nur sporadisch oder nach zähen Preisverhandlungen. Prüfkunden werfen damit Fragen auf. Ist unser Angebot so wenig attraktive, dass wir als austauschbar eingestuft werden? Was haben wir bislang unternommen, um dem Kunden eine Bindung schmackhaft zu machen? Warum will sich der Kunde unbedingt seine Beweglichkeit im Markt bewahren? Die „Weder-noch-Kunden“ sind ebenso mit einem Fragezeichen versehen. Anders als die Prüfkunden bilden sie in der Regel nur eine kleine Restgröße. Sie können im Moment keiner der vier Gruppen - Parade-, Stamm-, Mitnahme- und Weder-noch-Kunden zugeordnet werden. Es empfiehlt sich daher, sie bei Gelegenheit neu einzuschätzen. 10.8.2 Kundenpotenzial und Mitteleinsatz Vergleicht man die übliche Kunden-Klassifizierung nach Umsatz oder Deckungsbeitrag in A-, B- und C-Kunden, so wird die Überlegenheit der Portfolio- Methode deutlich. Sie verlangt jedoch fast zwingend einen nächsten Schritt. Kundenpotenziale sind keine Selbstläufer. Um sie auszuschöpfen, bedarf es Ressourcen. So ist es also nur logisch, ein weiteres Portfolio mit den Dimensionen „Kundenpotenzial“ und „Mitteleinsatz“ zu erstellen. Um zu einer überschaubaren Darstellung zu gelangen, wird für beide Dimensionen eine 3er-Skala verwendet. Das Kundenpotenzial liegt als Umsatzgröße vor und wird in diesem Fall in „hoch“, „mittel“ und „gering“ unterteilt. Beim Mitteleinsatz interessiert nicht so sehr die absolute Höhe, sondern vielmehr ob er zur Ausschöpfung des Kun- Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="195"?> 10.8 Kundenbewertung nach dem Portfolio-Prinzip 183 denpotenzials „erhöht“ werden muss oder „in etwa beibehalten“ oder sogar „gesenkt“ werden kann. Gerade die letzte Möglichkeit wird in der Praxis oft übersehen. In der ersten Phase einer Kundenbeziehung müssen nicht selten Anfangsinvestitionen getätigt werden, die in den folgenden Phasen wegfallen können. Mit wachsendem Vertrauen zwischen den Geschäftspartnern erübrigt sich zudem ein hoher Vertrags- und Kontrollaufwand. Und je besser man den Kunden kennt, desto eher lässt sich abschätzen, was der Beziehung tatsächlich förderlich und worauf der Kunden besonders anspricht. Die drei Stufen „Mitteleinsatz erhöhen“, „Mitteleinsatz in etwa halten“ und „Mitteleinsatz senken“ können durch Vergabe von Punkten in Zahlen umgewandelt werden: Mitteleinsatz „erhöhen“: +2 bis +4 Punkte Mitteleinsatz „in etwa halten“: +1 bis 1 Punkte Mitteleinsatz „senken“: 2 bis 4 Punkte Mitteleinsatz ist ein weiter Begriff. Er lässt sich jedoch mithilfe der vier Kriterien Leistungsprogramm, Preise & Zahlung, Kommunikation und Distribution konkretisieren. Leistungsprogramm: Um das Kundenpotenzial voll auszuschöpfen, müssen unter Umständen Produkte oder Leistungen den Kundenanforderungen angepasst werden, was einen erhöhten Mitteleinsatz bedeutet. Umgekehrt können durch Vereinfachung und Standardisierung Ressourcen eingespart werden. Preise & Zahlung: Mehr Volumen bedeutet auch mehr Kundenmacht. Preisverhandlungen werden nicht einfacher, wenn der Kunde die zunehmende Abhängigkeit des Lieferanten auszunutzen versteht. Ein höherer Mitteleinsatz ist dann einzuplanen. Ist die Zahlungsweise des Kunden schon jetzt schleppend, so könnte in Zukunft eine Absicherung notwendig sein. Kann der Lieferant hingegen auf eine hohe Preiszufriedenheit ( Abschnitt 9.8) des Kunden zählen, so wird sich der Mitteleinsatz zumindest halten lassen. Kunden, die per Vorkasse zahlen, schonen sogar die Ressourcen des Lieferanten. Kommunikation: Eine höhere Kundenpenetration 132 macht auch eine höhere Qualität, Frequenz und Intensität der Kundenkontakte notwendig, was beim Mitteleinsatz zu berücksichtig ist. Kundenbesuche schlagen hier besonders zu 132 Kein schönes Wort, aber Teil des Marketingjargons. „Kundendurchdringung“ wäre noch schlimmer. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="196"?> 10 Die Bewertung von Kundenbeziehungen 184 Buche. Mit Telefon- oder Online-Verkauf ließe sich dagegen der Mitteleinsatz senken - und zugleich die Interaktivität steigern. Distribution: Besondere Ansprüche an die Lieferfähigkeit, eine hohe Reklamationsbereitschaft oder schwierige Zustellung sind nur einige Beispiele, die für einen höheren Mitteleinsatz sprechen können. Gelingt es andererseits den Kunden z.B. auf Abholung oder zentrale Anlieferung umzustellen, so kann der Mitteleinsatz gesenkt werden. Nach der Einschätzung des Mitteleinsatzes kann dieser nun mit dem „Kundenpotenzial“ zu einer 3x3-Matrix verbunden werden ( Bild 10-11). Bild 10-11: Kundenpotenzial und Mitteleinsatz als Dimensionen eines Portfolios für bestehende Kunden Die Matrix besteht aus neun Feldern: Feld I stellt eine „Idealposition“ dar. Hier wird erwartet, dass die hohen Vorleistungen für den Aufbau und die weitere Entwicklung der Kundenbeziehung diese soweit gefestigt haben, dass der Mitteleinsatz nun gesenkt werden kann. Das Gegenstück in Feld IX ist eine ökonomisch widersinnige Kombination. Er wäre eine Vergeudung, auf ein geringes Kundenpotenzial mit einem höheren Mitteleinsatz zu antworten. Sollten Kunden in diesem Feld auftauchen, so lässt dies auf einen Denkfehler bei der Kundenbewertung schließen. Kundenbeziehungen in Feld IV (hohes Kundenpotenzial und Mitteleinsatz in etwa halten) kommen dem „Ideal“ von Feld I sehr nahe. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="197"?> 10.8 Kundenbewertung nach dem Portfolio-Prinzip 185 Außer Diskussion stehen die Kunden in V, während jene in Feld VI (geringes Kundenpotenzial und Mitteleinsatz in etwa halten) zu einer Belastung für die Ressourcen werden könnten. Die Felder I, II und III erfordern jedenfalls Handlungsdisziplin, ist doch eine Senkung des Mitteleinsatzes leichter gesagt als getan. Die freiwerdenden Mittel aus den drei Feldern bieten sich dafür an, das hohe Kundenpotenzial in Feld VII und eventuell Feld VIII besser auszuschöpfen. Zusammengefasst stellt sich das Bild wie folgt dar: Bild 10-12: Die neun Felder eines Portfolios für bestehende Kunden im Überblick Anhand eines Beispiels aus der Medizintechnik wird in Abschnitt 10.9 gezeigt, (a) wie das Kundenpotenzial für eine bestimmte Kundenbeziehung schrittweise ermittelt werden kann, (b) wie die bewerteten Kundenbeziehungen eines bestimmten Gebietes in einem Portfolio zu platzieren sind und (c) welche Schlussfolgerungen das Verfahren ermöglicht. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="198"?> 10 Die Bewertung von Kundenbeziehungen 186 10.8.3 Potenzial der Neukunden und eigene Stärken Das Verhältnis von Mitteleinsatz zu Kundenpotenzial ist nicht nur für bestehende, sondern auch für zu akquirierende Kunden eine wichtige Steuerungsgröße. Zuvor muss sich der Lieferant jedoch eine kritischen Frage stellen: „Inwieweit reichen die eigenen Stärken im Vergleich zur Konkurrenz aus, um mit bestimmten Neukunden eine langfristige Geschäftsbeziehung anzupeilen? “ Es ist ökonomisch wenig sinnvoll, Neukunden zu akquirieren, bei denen von vornherein feststeht, dass die eigenen Stärken nicht ausreichen, um die Kundenbeziehung mit einem komparativen Konkurrenzvorteil (KKV) abzusichern. Ein KKV liegt vor, wenn der Nettonutzen 133 , den der Kunde aus einer Geschäftsbeziehung erzielt, dauerhaft über dem Nettonutzen aus Konkurrenzangeboten liegt. Ein KKV muss vom Lieferanten kommunikativ unterstützt und gegenüber der Konkurrenz laufend verteidigt werden. Nicht zuletzt muss er für den Lieferanten einen wirtschaftlichen Vorteil beinhalten. Der Kunde wiederum muss den Nettonutzen auch als wirtschaftlich bedeutsam wahrnehmen. Er wird dabei bestimmte Defizite im Leistungsangebot des Lieferanten gegen Pluspunkte aufrechnen, die für ihn besonders wichtig sind. So kann z.B. ein Nachteil bei der Kulanz durch technische Überlegenheit des Produkts, ein höherer Preis durch geringere Betriebs-, Wartungs- und Entsorgungskosten oder ein geringer Bekanntheitsgrad durch einen rührigen Kundendienst ausgeglichen werden. Entscheidend ist, dass die Gesamtbilanz positiv ist und für die absehbare Zukunft auch so bleibt. Um das Portfolio-Prinzip für die Akquisition von Neukunden anzuwenden, müssen wieder die beiden Dimensionen präzisiert werden. Das „Potenzial der Neukunden“ ergibt sich aus der Summe von vier Schätzungen: des Sockelpotenzials als Umsatzgröße sowie des Cross-Selling-, Referenz- und Lernpotenzials als prozentuelle Anteile vom Sockelpotenzial. Wie bei den bestehenden Kunden wird auch bei dieser Bewertung zwischen „hoch“, „mittel“ und „gering“ unterschieden. Da man bei Neukunden nicht auf konkrete Umsätze zurückgreifen 133 Der Netto-Nutzen einer Leistung ergibt sich aus den nutzenstiftenden Merkmale eines Angebotes abzüglich des entgangenen Nutzens, der durch bestimmte Leistungsmerkmale wie Preise oder Zahlungskonditionen hervorgerufen wird. Es ist die Aufgabe von Marketing, dafür Sorge zu tragen, dass die den Kunden angebotenen Leistungspakete zu einem positiven Netto-Nutzen führen. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="199"?> 10.8 Kundenbewertung nach dem Portfolio-Prinzip 187 kann, ist die Unschärfe hier natürlich größer. Wenn man jedoch bedenkt, dass in der Praxis die Akquisition von Neukunden allzu oft ohne Datengrundlage erfolgt, so kann selbst eine grobe Schätzung nur von Vorteil sein. Dies gilt auch für die „eigenen Stärken“. Analog dem Mitteleinsatz werden diese Möglichkeiten, einen KKV aufzubauen und zu verteidigen, mithilfe der bekannten vier Kriterien konkretisiert: Leistungsprogramm, Preise & Zahlung, Kommunikation und Distribution. Leistungsprogramm: Typische Quellen für einen KKV sind die Anpassung des Angebotes an die Erfordernisse des Kunden vor dem Kauf (z.B. Beratung, Planung, Vorführungen, Gratistests, Probeläufe etc.), beim Produkt (z.B. Funktionalität, Verpackung, Form, Farbe, Geruch, Leistungsfähigkeit, Zusatzleistungen, Bündelung zu einem System etc.), beim Kaufvorgang (z.B. Emotionalisierung, Inszenierung, Zuverlässigkeit, Funktionsüberprüfung, Inbetriebnahme etc.) und nach dem Kauf (z.B. Nachkaufdissonanz 134 beseitigen, Garantie, Kulanz, Umtausch, Recycling etc.). Preise & Zahlung: Preiszufriedenheit ist hier ein typischer KKV. Der Weg dorthin führt über eine wertorientierte Preisgestaltung 135 . Sie beruht auf der Fragestellung: Worin besteht für den Kunden der Mehrwert unseres Angebots und wieviel ist dieser bereits, dafür zu bezahlen? Auch Zahlungskonditionen, die an die Zahlungsfähigkeit des Kunden angepasst sind (z.B. an saisonale Einflüsse, an Schwankungen der Liquidität) können vom Kunden als KKV wahrgenommen werden. Kommunikation: Auch wenn sich Geschäftsbeziehungen nicht in Freundschaftsbeziehungen verwandeln sollten, spielt die emotionale Bindung immer eine Rolle. Die Frequenz, Intensität und Qualität der Kontakte sowie der „Auftritt“ der Personals kann dem Rechnung tragen und so die Messlatte für die Konkurrenz entsprechend hoch legen. Auch ein personalisierter Online- 134 Abschnitt 1.2.6 135 Eine kostenorientierte Preissetzung blendet die Leistung aus, weil nur die Deckung der Kosten zählt. Die traditionelle Aufschlagskalkulation geht damit vollkommen an den Bedürfnissen des Kunden vorbei. Eine wettbewerbsorientierte Preisgestaltung wiederum verliert den Kundennutzen aus den Augen, weil alles nur gebannt auf die Preise der Konkurrenz blickt. Bei einer wertorientierten Preisgestaltung dient der Wert, der für den Kunden geschaffen wird, als Maßstab für die Preissetzung. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="200"?> 10 Die Bewertung von Kundenbeziehungen 188 Verkauf (Stichwort „Eins-zu-Eins-Marketing“) bietet Chancen für einen KKV, weil hier viele Unternehmen nach wie vor auf Uniformität und langweilige Seriosität setzen. Distribution: Zügige Auftragsabwicklung und prompte Verfügbarkeit der Produkte und Leistungen, Pünktlichkeit, Kostentransparenz und Automatisierung von Routinevorgängen, kurze Antwortzeiten, Sendungsverfolgung und prompte Ersatzteilversorgung sind nur einige Quellen, aus denen sich komparative Konkurrenzvorteile ergeben können. Im nächsten Schritt wird untersucht, inwieweit die „eigenen Stärken“ gemessen an den Kriterien Leistungsprogramm, Preise & Zahlung, Kommunikation und Distribution sowie verglichen mit der Konkurrenz so „hoch“ sind, dass die Erwartungen des Kunden erfüllt oder sogar übertroffen werden können, „gerade ausreichend“ sind, damit das eigene Unternehmen gegenüber der Konkurrenz nicht deutlich abfällt, so „unzureichend“ sind, dass die Gestaltung einer langfristigen Kundenbeziehung, zumindest für die nächste Zeit, eine Illusion bleiben muss. Vor einer Vergabe von Punkten müsste man die vier Kriterien aus der Sicht des jeweiligen Kunden gewichten. Da aber in den meisten Fällen das Wissen über einen neuen Kunden bei weitem nicht ausreicht, um dessen Prioritäten zu abzuschätzen, wird man sich mit einer gleichen Gewichtung zufrieden geben und die Schätzung später nachjustieren müssen. Die Bewertung der eigenen Stärken erfolgt wieder in drei Stufen mit den folgenden Punktezahlen: Die „eigenen Stärken“ sind „hoch“: +2, +3, +4 Punkte Die „eigenen Stärken“ sind „gerade ausreichend“: +1, 0, 1 Punkte Die „eigenen Stärken“ sind „unzureichend“: 2, 3, 4 Punkte Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="201"?> 10.8 Kundenbewertung nach dem Portfolio-Prinzip 189 Die Dimension „eigene Stärken“ wird nun mit dem „Potenzial der Neukunden“ zu einer Neun-Felder-Matrix verbunden ( Bild 10-13). Bild 10-13: „Potenzial von Neukunden“ und „eigene Stärken“ als Dimensionen eines Portfolios für zu akquirierende Kunden Aus dieser Darstellung ergibt sich eine klare Rangfolge für die Investition knapper Mittel in den Aufbau von langfristigen Kundenbeziehungen: Feld I hat mit der Kombination aus einem als hoch eingeschätzten Potenzial der anvisierten Neukunden plus den ebenso als hoch eingestuften eigenen Stärken Vorrang vor allen anderen Feldern. Hier scheint es nicht nur sinnvoll, sondern sogar geboten, in Kundenbeziehung zu investieren. Neukunden in Feld II kommen ebenfalls als Investitionskandidaten in Frage; sie bilden allerdings zunächst eine Reserve. Feld IV ist nachrangig zu behandeln; zu hoch ist das Risiko der eigenen Stärken, um hier vorschnell zu investieren. Das Feld III bildet eine zweite Reserve. Neukunden im Feld V kommen in die Kategorie „Wiedervorlage“. Die Kunden in den Feldern VI, VII, VIII und IX weisen ein derart ungünstiges Verhältnis von geschätztem Potenzial zu den Möglichkeiten des Lieferanten, einen KKV aufzubauen geschweige denn zu verteidigen, dass sich hier ein Mitteleinsatz wohl verbietet. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="202"?> 10 Die Bewertung von Kundenbeziehungen 190 In der Zusammenfassung stellen sich die einzelnen Felder so dar: Bild 10-14: Die neun Felder eines Portfolios zu akquirierende Kunden im Überblick Die Verfahrensschritte der Abschnitte 10.7 und 10.8 werden im Anschluss an diese theoretischen Ausführungen anhand eines Beispiels aus der Medizintechnik nochmals verdeutlicht. Es wird gezeigt, wie das Kundenpotenzial für eine bestimmte Kundenbeziehung schrittweise ermittelt werden kann, wie die bewerteten Kundenbeziehungen eines bestimmten Gebietes in einem Portfolio zu platzieren sind und welche Schlussfolgerungen sich daraus ergeben. 10.9 Aus der Praxis Der Verkaufsleiter (VL) einer Geschäftseinheit für Medizintechnik, die Gebietsverantwortliche (GV) und der zuständige Produktmanager (PM) tauschen Daten, Meinungen und Erfahrungen aus. VL hat einen guten Überblick über das nationale Kundenportfolio, GV kennt natürlich die insgesamt 64 Kunden ihres Gebiets am besten und PM muss sich Fragen zu den Möglichkeiten und Grenzen des Marketings gefallen lassen. Die erste Kundenbeziehung, die nun gleichsam als Übung zur Bewertung ansteht, besteht seit achtzehn Monaten. Potenziale sind in die Zukunft gerichtete Größen. Daher müssen VL und GV zunächst einen Zeithorizont festlegen, auf den sich die Potenziale beziehen. In diesem Beispiel versucht man abzuschätzen, was mit dieser Kundenbeziehung in zwei Jahren von heute im Hinblick auf das Basisgeschäft, die Zusatzverkäufe, die Weiterempfeh- Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="203"?> 10.9 Aus der Praxis 191 lungen und Wertsteigerungen durch Zusammenarbeit mit dem Kunden erreicht werden kann. 1. Schritt. Das Sockelpotenzial der Kundenbeziehung wird auf €18.000 geschätzt. Es umfasst die für die festgelegte Periode von zwei Jahren hochgerechneten Umsätze der Produkte, die das Basisgeschäft der Kundenbeziehung ausmachen. 2. Schritt. Das Cross-Selling-Potenzial ergibt sich aus der Überlegung, dass der Umsatz aus dem Sockelpotenzial durch Zusatzverkäufe aus einem „benachbarten“ Sortiment um etwa 20% gesteigert werden kann. 3. Schritt. Der Kunde genießt eine hohe Reputation in der Branche. Durch Weiterempfehlungen konnten bereits ein mittelgroßer Kunde und zwei Testkunden gewonnen werden. VL und GV sehen hier ein Referenzpotenzial, das dem Unternehmen Umsatzzuwächse durch Neukunden von mindestens 10% des Sockelpotenzials bringen könnte. 4. Schritt. Der Kunde ist in der Anwendung der Produkte äußerst penibel und trägt durch Anregungen und Verbesserungsvorschläge zur Wertsteigerung des Sortiments bei. Das Lernpotenzial wird auf etwa die Hälfte des Referenzpotenzials, also 5%, geschätzt. 5. Schritt. Das Verhältnis der vier Potenziale sieht somit so aus: Sockelpotenzial: 100% Cross-Selling-Potenzial: 20% vom Sockelpotenzial Referenzpotenzial: 10% vom Sockelpotenzial Lernpotenzial: 5% vom Sockelpotenzial Daraus ergibt sich ein als Jahresumsatz ausgedrücktes Kundenpotenzial von €18.000 x 1,35 = €24.300. 6. Schritt. Um das Kundenpotenzial einzuordnen, bilden VL und GV drei Klassen. Die Bandbreite der aktuellen Umsätze dient ihnen dabei als Richtschnur. Kundenpotenzial über €20.000: „hoch“ Kundenpotenzial von €10.000 bis €20.000: „mittel“ Kundenpotenzial unter €10.000: „niedrig“ Das Kundenpotenzial der Kundenbeziehung fällt somit in die Klasse „hoch“. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="204"?> 10 Die Bewertung von Kundenbeziehungen 192 7. Schritt. Inwieweit der zur Ausschöpfung des Kundenpotenzials notwendige Mitteleinsatz erhöht werden muss, in etwa gleichbleiben oder gar gesenkt werden kann, wird mithilfe von vier Kriterien abgeschätzt. Leistungsprogramm: Um das Kundenpotenzial voll auszuschöpfen, müssen nach Ansicht von GV einige Produkte den Anforderungen dieses Kunden angepasst und die technische Betreuung intensiviert werden, was einen erhöhten Mitteleinsatz bedeutet (+1 Punkt). Preise & Zahlung: Die Zahlungsbereitschaft des Kunden wird von VL als gut eingeschätzt. Eine Absicherung wird auch in nächster Zeit nicht notwendig sein. Die Preisverhandlungen dürften sich in Zukunft zwar als etwas intensiver erweisen, aber insgesamt sollte der Mitteleinsatz hier gehalten werden können (null Punkte). Kommunikation: Der Kunde verlangt, „gehört“ zu werden. Die Frequenz und Qualität der Kontakte, besonders in Form gemeinsamer Kundenbesuche von VL und GV, muss erhöht werden (1 Punkt). Distribution: GV erwartet, dass die aktuelle Lieferfähigkeit ausreichend ist. Außerdem sollte das von PM für den Kunden entwickelte neue Verpackungssystem zu niedrigeren Logistikosten führen ( 1 Punkt). Zusammengefasst entspricht die geschätzte Veränderung des Mitteleinsatzes ( Bild 10-15), ohne Gewichtung der vier Kriterien 136 , einem Punkt (+2 minus 1) . Bild 10-15: Beispiel für die Einschätzung des notwendigen Mitteleinsatzes 8. Schritt. Um den Mitteleinsatz einzuordnen, bilden VL und GV die drei bekannten Kategorien ( Abschnitt 10.8.2): 136 In diesem Beispiel wird auf eine Gewichtung der vier Kriterien verzichtet, da diese für den Kunden von gleicher Bedeutung sein dürften. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="205"?> 10.9 Aus der Praxis 193 Mitteleinsatz „erhöhen“: +2 bis +4 Punkte Mitteleinsatz „in etwa halten“: +1 bis 1 Punkte Mitteleinsatz „senken“: 2 bis 4 Punkte Der Mitteleinsatz für die Kundenbeziehung kann somit „in etwa beibehalten“ werden. 9. Schritt. Nun kann die Kundenbeziehung in einer 3x3-Matrix mit den beiden Dimensionen „Kundenpotenzial“ und „Mitteleinsatz“ platziert werden ( Bild 10-12). Die Matrix besteht aus neun Feldern mit den Extrempositionen hohes Kundenpotential und niedrigerer Mitteleinsatz (Feld I) sowie geringes Kundenpotenzial und erhöhter Mitteleinsatz (Feld IX). Die bewertete Kundenbeziehung liegt im Feld II, der zweitbesten aller Kombinationen. 10. Schritt: Nachdem nun GV mit dem Verfahren vertraut ist, bewertet sie selbständig die verbleibenden 63 Kundenbeziehung ihres Gebiets, um die Matrix zu befüllen ( Bild 10-16) und eine Diagnose des Kundenportfolios zu erstellen. VL und PM stoßen später dazu, um das Ergebnis auf sich wirken zu lassen. Bild 10-16: Beispiel für ein Portfolio mit bestehenden Kundenbeziehungen VL fällt auf, dass in dem untersuchten Gebiet mehr als doppelt so viele Kundenbeziehungen mit geringem Potenzial bestehen (die Summe der Felder III, VI und IX = 27) als solche mit einem hohen (die Summe der Felder I, IV und I II III IV V VI VII VIII IX Kundenpotenzial hoch mittel gering Mitteleinsatz erhöhen in etwa halten senken 3 6 12 5 10 8 4 7 9 Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="206"?> 10 Die Bewertung von Kundenbeziehungen 194 VI = 12). Beschreitet GV hier möglicherweise den „Weg des geringsten Widerstands“? Die Anzahl der Kundenbeziehungen, bei denen der Mitteleinsatz gesenkt werden kann (die Summe der Felder I, II und III = 21), entspricht etwa jener, bei denen der Mitteleinsatz erhöht werden sollte (die Summe der Felder VII, VIII und IX = 20). Das Bild scheint also einigermaßen ausgeglichen. Allerdings, dass bei 7 Kunden (Feld IX) der Mitteleinsatz erhöht werden soll, obwohl die Kundenpotenziale gering sind, findet VL fragwürdig: Was unterscheidet die 12 Kunden in Feld III, bei denen der Mitteleinsatz offenbar gesenkt werden kann, von den angesprochenen 7 Kunden? Bei den drei Kunden mit hohem Potenzial (Feld I) den Mitteleinsatz zu senken, scheint VL riskant. GV und PM argumentieren, dass hier hohe Anfangsinvestitionen in Musterlieferungen, Vorführungen und Mitarbeiterschulung geleistet wurden, die nun schrittweise auslaufen. Anhand dieser und weiterer Diskussionspunkte vereinbaren VL und GV die folgenden nächsten Schritte: Die 24 Kundenbeziehungen in den Feldern I, II, IV und V (immerhin fast 40% des Kundenbestands) sind besonders attraktiv, weil sie ein hohes bis mittleres Potenzial bieten und anscheinend keinen erhöhten Mitteleinsatz erfordern, um dieses Potenzial auszuschöpfen; sie sollten daher unter besonderer Beobachtung stehen. Feld III zeigt ein klares Bild: Der Mitteleinsatz für die 12 Kundenbeziehungen (zurzeit eine relativ hohe Besuchsfrequenz von GV) wird vorsichtig zurückgefahren. Die 4 Kundenbeziehungen im Feld VII kommen ebenfalls in die engere Wahl; ein erhöhter Mitteleinsatz wird als gerechtfertigt angenommen. Die 8 Kundenbeziehungen im Feld VI werden unverändert weitergeführt. Bei den 9 Kundenbeziehung im Feld VIII wird geprüft, ob hier ein erhöhter Mitteleinsatz tatsächlich gerechtfertigt ist. Die fragwürdigen 7 Kunden in Feld IX werden entweder einem Fachhändler übertragen oder, wie von PM vorgeschlagen, in das eigene, inzwischen gut funktionierende Online-Geschäft verlagert. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="207"?> 10.9 Aus der Praxis 195 11. Schritt. GV legt zum Schluss der Besprechung eine Liste mit 12 „vielversprechenden“ potenziellen Kunden vor. Es wird vereinbart, dass GV gemeinsam mit PM diese möglichen Kunden im Hinblick auf deren Potenzial und andererseits auf die eigenen Stärken des Unternehmens von GV und PM nach dem inzwischen bewährten Verfahren untersuchen. Das Ergebnis sieht wie folgt aus ( Bild 10-17): Bild 10-17: Beispiel für ein Portfolio mit Neukunden Die 12 potenziellen Kunden weisen mit einer Ausnahme tatsächlich ein mittleres bis hohes Kundenpotenzial auf. Die von GV und PM ermittelten eigenen Stärken reduzieren jedoch die Anzahl der Investitionskandidaten auf 4 (Feld I). 3 potenzielle Kunden (Feld II) verbleiben als „Reserve“. Freiwerdende Ressourcen aus den bestehenden Kundenbeziehungen der Felder I, II und III ( Bild 10-16) könnten in die Entwicklung der neuen Kundenbeziehungen (Felder I und II) investiert werden. Für die möglichen Kunden in den Feldern IV, V und VI sieht GV zunächst keinen Handlungsbedarf. Der (große) Kunde in Feld VII bräuchte nach Meinung von PM völlig neue Produktvarianten ( Bild 10-17), was zurzeit unrealistisch ist. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="208"?> 10 Die Bewertung von Kundenbeziehungen 196 10.10 Für die Praxis Kundenbeziehungen sind Investitionsprojekte. Einerseits muss in den Kundenstamm investiert werden, um ihn zu erhalten und auszubauen. Andererseits verlangen der Substanzverlust durch Kundenabwanderung und das Streben nach Wachstum gezielte Investitionen in die Anbahnung und Entwicklung neuer Kundenbeziehungen. In beiden Fällen geht es darum, knappe Mittel dort einzusetzen, wo später Einnahmen zu erwarten sind, die sich in einem höheren Wert des eigenen Unternehmens niederschlagen. Diese knappen Mittel sind nicht nur sachlicher und finanzieller Natur, sie umfassen auch Zeit sowie die persönlichen Ressourcen all jener, die für die Gestaltung von Kundenbeziehungen verantwortlich sind. Dazu gehören Wissen und Erfahrung, geistige, emotionale und praktische Fähigkeiten, körperliche Konstitution und der Antrieb zum Handeln. Gerade beim Aufbau neuer Kundenbeziehungen zeigt sich immer wieder, wie rar die Fähigkeit ist, Kontakte zu knüpfen und persönliches Vertrauen zu entwickeln, statt von vornherein auf Verträge zu setzen, die ohnedies immer unvollständig sind, weil sie nie alle Eventualitäten berücksichtigen können. In Kundenbeziehungen zu investieren, ohne die Chancen für den Erfolg zu bewerten, kommt einem Blindflug gleich. Deshalb die Empfehlung für die Praxis: Mit einem einfachen Verfahren beginnen und dieses schrittweise zu einem für das eigene Unternehmen brauchbaren Navigationssystem erweitern, das Investitionsentscheidungen unterstützen kann. Wissenschaftliche Genauigkeit ist dabei weder möglich noch notwendig. Weiterführende Literatur B ACKHAUS , K LAUS ; S CHNEIDER , H ELMUT (2009): Strategisches Marketing, 2. Auflage, Stuttgart. B RUHN , M ANFRED ; G EORGI , D OMINIK ; T REYER , M ATHIAS ; L EUMANN , S IMON (2000): Wertorientiertes Relationship Marketing: Vom Kundenwert zum Customer Lifetime Value. Baden-Baden. F RIEDRICH VON DEN E ICHEN , S TEPHAN A.; H INTERHUBER , H ANS H.; M ATZLER , K URT ; S TAHL , H EINZ K. (2004): Durch Kooperation den Kundenwert steigern. In: Hinterhuber, Hans H.; Matzler, K. (Hrsg.): (2006): Kundenorientierte Unternehmensführung. Kundenorientierung - Kundenzufriedenheit - Kundenbindung, 5. Aufl., Wiesbaden, S. 443-461. H ELM , S ABRINA ; G ÜNTER , B ERND ; E GGERT , A NDREAS (Hrsg.) (2017): Kundenwert. Grundlagen - Innovative Konzepte - Praktische Umsetzungen. 4. Auflage, Wiesbaden. K RAFFT , M ANFRED (2007): Kundenbindung und Kundenwert. Heidelberg. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="209"?> 10.10 Für die Praxis 197 S TAHL , H EINZ K.; H INTERHUBER ; H ANS H. (Hrsg.): Erfolg im Schatten der Großen Wettbewerbsvorteile für kleine und mittlere Unternehmen. Zweite, völlig neu bearbeitete Auflage, Berlin. V OETH , M.; H ERBST , U. (2013): Marketing-Management: Grundlagen, Konzeption und Umsetzung, Stuttgart. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="210"?> 198 11 Steuerung durch Ziele und Vergütung „Ich will einfach, dass der Innendienst die Leute draußen optimal unterstützt“, „Sie müssen mehr Neukunden bringen“, „Wir werden in Zukunft unsere Verkäufer selbst ausbilden“, „Ich will in diesem Monat euer Bestes sehen“, „Mehr Frauen in den Verkauf - das gilt für uns mehr denn je“. Alles hehre Absichten oder vielleicht Zielvorstellungen, aber keine Ziele. Bei Absichten und Zielvorstellungen muss man sich nicht festlegen. Selbst wenn man eine Zielgröße benennt, wie etwa „mehr Kaufabschlüsse“ oder „eine Senkung der Kundenabwanderungsrate“, bleibt immer noch die Möglichkeit sich durchzumogeln, indem das „Wann“ immer wieder in die Zukunft verschoben, das „Was“ nach Gutdünken bestimmt und das „Wieviel“ den jeweiligen Umständen angepasst wird. Der Verkauf kann mit solchen Unschärfen nicht funktionieren. Weder eine Absicht, noch eine Zielvorstellung und auch nicht eine Zielgröße können die Zugkraft eines Ziels entfalten. Ein Ziel entsteht durch die passende Formulierung. Wie in der Chemie ist eine Formulierung ein Gemisch aus Substanzen, das nach einer Rezeptur hergestellt wird und sich wirkungsvoll anwenden lässt. 11.1 Die Formulierung von Zielen Ziele sollen SMART formuliert werden, lautet eine Maxime der klassischen Managementlehre. Dieses Akronym, das vor 50 Jahren von dem Psychologen E DWIN A. L OCKE in einem Artikel 137 über die Zielsetzungstheorie in die Welt gesetzt wurde, ist seitdem so bekannt, dass es anmaßend scheint, daran auch nur ein wenig zu rütteln. Genau dies soll im Folgenden geschehen. Die fünf Eigenschaften von SMARTen Zielen - specific (spezifisch), measurable (messbar), attainable (erreichbar), realistic (realistisch) und timely (zeitgebunden) - werden den eigenen Erfahrungen und vor allem der heutigen Zeit (die sich mit den 1960er Jahren nicht vergleichen lässt! ) etwas angepasst. Dies hat allerdings einen Schönheitsfehler: Ein griffiges Akronym lässt sich daraus nicht bilden. Ein Ziel verdient diese Bezeichnung, wenn es, ausgehend von einer Absicht, einer Zielvorstellung oder einer Zielgröße, in folgender Weise formuliert wird ( auch Bild 11-1). 137 E DWIN A. L OCKE (1968): Towards a theory of task motivation and incentives. In: Organizational Behavior and Human Performance, 3, 157-189. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="211"?> 11.1 Die Formulierung von Zielen 199 Bild 11-1: Was bei der Formulierung eines Ziels zu berücksichtigen ist Konkret: Ein Ziel soll eindeutig, präzise und damit messbar sein; letzteres wird sich bei qualitativen Zielen nicht immer bewerkstelligen lassen. Zeitlich definiert: Es soll mit einem konkreten Termin, oder Terminen für Teilziele, versehen sein. Überlegt: Ein Ziel soll weder überfordern, weil es dann z.B. schnell frustrierend wirkt und zum Aufgeben veranlasst, noch soll es unterfordern, weil dann die Belohnung durch die Zielerreichung so gering ausfällt, dass Arbeitszufriedenheit und Leistungsbereitschaft sinken und das „Boreout-Syndrom“ 138 droht. Herausgehoben: Die Formulierung eines Zieles soll ein außergewöhnliches Ereignis sein, weil es sich so stärker im Gedächtnis einprägt und die Zielbindung erhöht. Ergebnisorientiert: Mitarbeitern, Anfänger eingeschlossen, sollte nicht vorgeschrieben werden, wie sie ihr Ziel erreichen sollen, weil durch diese Einengung die Zielsetzung zur Farce wird. Was zählt ist das Ergebnis, der Weg dorthin steht dem Mitarbeiter offen. Begleitend: Unter dem Einfluss hoher Komplexität und Unsicherheiten ist es ratsam, den Zielerreichungsprozess des Mitarbeiters zu unterstützen, indem z.B. überprüft wird, ob die Ausgangsbedingungen noch stimmen oder ob der Mitarbeiter noch über die nötigen Ressourcen verfügt. Erst dann einzugreifen, 138 Ähnlich dem Burnout-Syndrom, das durch eine starke Erschöpfung und Gleichgültigkeit infolge Überforderung gekennzeichnet ist, handelt es sich beim Boreout-Syndrom um ein durch Unterforderung entstehendes Gefühl der Leere und Bedeutungslosigkeit. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="212"?> 11 Steuerung durch Ziele und Vergütung 200 wenn der Mitarbeiter das Ziel verfehlt hat (ein missverstandenes „Management by Exception“ also) ist in der heutigen Zeit der falsche Weg. Ein Beispiel: Der Verkaufsleiter teilt mit dem Mitarbeiter die Zielvorstellung, dass der Deckungsbeitrag seines Gebiets erhöht werden soll. Um daraus ein vereinbartes Ziel zu formulieren, müssen die folgenden Punkte berücksichtigt werden. Konkret: Es handelt sich um den Deckungsbeitrag III, der sich nach unternehmensinterner Definition wie folgt berechnet wird: Die Bruttoerlöse eines Jahres minus die Erlösschmälerungen minus die Herstellkosten minus die dem Gebiet zurechenbaren Marketingkosten minus die dem Gebiet zurechenbaren Verkaufskosten. Der Deckungsbeitrag III soll von € 94.000 auf € 106.000, also um 13 %, erhöht werden. Zeitlich definiert: Der Deckungsbeitrag III soll Ende 2019 13 % über dem des Jahres 2018 liegen. Überlegt: Die letzten beiden Steigerungen betrugen 8 % bzw. knapp unter 10 %, wobei zwei neue Produkte erst gegen Ende der letzten Periode zur Marktreife gelangten. Die Mitarbeiterin ist seit dreieinhalb Jahren für das Gebiet verantwortlich und hat sich gut eingearbeitet. Sie sieht das Ziel von € 106.000 als herausfordernd, aber machbar an. Herausgehoben: Das Ziel wird im Rahmen einer Besprechung ohne Zeitdruck und außerhalb der betrieblichen Routine schriftlich fixiert. Ergebnisorientiert: Verkaufsleiter und Mitarbeiter diskutieren erste Maßnahmen zur Zielerreichung. Der Verkaufsleiter übernimmt dabei eine beratende, aber keine bestimmende Rolle ein. Begleitend: Verkaufsleiter und Mitarbeiter vereinbaren einige Etappen auf dem Weg zur Zielerreichung, um bei diesen Gelegenheiten Fortschritte, Hindernisse, veränderte Bedingungen, mögliche Unterstützung etc. zu diskutieren. 11.2 Etwas Zielpsychologie Ein Ziel ist ein positiv besetztes inneres Bild, das im Unterschied etwa zur Erinnerung auf ein zukünftiges Ergebnis gerichtet ist. Dieses Ergebnis wird durch bewusstes Handeln angestrebt, das mit persönlicher Anstrengung verbunden ist. Ein Ziel muss immer wieder aktiviert werden, und das kostet Energie. Wer sich hingegen in seinem Handeln auf den energiesparenden „Autopiloten“ ( Ab- Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="213"?> 11.2 Etwas Zielpsychologie 201 schnitt 1.2.2) verlässt, braucht kein Ziel. Stattdessen lösen bestimmte Signale oder „implizite Codes“ ein erlerntes Verhalten aus. Ein Ziel kann seinen Ursprung in der handelnden Person selbst haben, etwa durch die Vorbildwirkung anderer oder durch die pure Vorstellung eines angenehmen Ergebnisses; mit anderen Personen ausgehandelt werden, wobei der Prozess, der zu der Vereinbarung führt, von den Beteiligten als fair und angemessen empfunden werden muss; von einer anderen Person vorgegeben werden, wenn die Machtressourcen (z.B. die Möglichkeit andere zu belohnen oder zu bestrafen, ein besonderes Wissen, eine starke Persönlichkeit etc.) zwischen ihr und dem Adressaten ungleich verteilt sind. Selbstgesetzte und vereinbarte Ziele wirken durch den Vorsatz „Ich will“. Ohne Ziele geben wir rascher auf; es fehlt einfach die Orientierung. „Wer nicht weiß, wo er hin will, darf sich nicht wundern, wenn er woanders ankommt“, wird M ARK A UREL (121-180) zitiert. Nur wer seine Ziele kennt, weiß auch, ob er Erfolg hat, denn Erfolg besteht ja im Erreichen selbstgesetzter oder vereinbarter Ziele. Erfolg steigert die Selbstachtung und das Selbstwertgefühl, was wiederum Mut macht, sich neue Ziele zu setzten. Gedankliche Ziele werden leicht wieder vergessen. Viele Studien zeigen: Wer seine Ziele schriftlich fixiert, erhöht die deutlich Wahrscheinlichkeit, sie zu erreichen. Es ist auch vorteilhaft, wenn man seine Ziele täglich sieht oder sie jemand anderem mitteilt. Die Crux an den vorgegebenen Zielen ist, dass das einengende „Ich muss“ in ein befreiendes „Ich will“ umgewandelt werden muss. Dies gelingt am ehesten, wenn um die innere Zustimmung des Adressaten gerungen wird. In manchen sozialen Situationen - etwa beim Befehl oder der strikten Anweisung unterbleibt dieses Ringen, weil sich der Aufgabensteller seiner Machtüberlegenheit sicher wähnt. Auch mit den gerade im Verkauf so beliebten „Tell-and-sell“-Zielen („Verkaufe bis Ende des Monats mindestens fünf Geräte, sonst ...“) wird sich ein inneres „Ich will“ kaum einstellen. Die resultierende Angst vor den Konsequenzen verhindert, dass der Adressat ein inneres Ziel aktiviert. Er fällt stattdessen zurück in das früh erlernte Verhaltensmuster des Gehorsams. Oder er kann versuchen, dem auferlegten Zwang zu entkommen, um seine persönliche Freiheit wiederzuerlangen. Scheint auch dies unmöglich, bleibt ihm nur noch, sich wie der Fuchs zu verhalten, dem die Trauben ohnedies zu sauer sind: Er redet sich die Situation durch Dissonanzreduktion schön ( Abschnitt 1.2). Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="214"?> 11 Steuerung durch Ziele und Vergütung 202 Fasst man die wesentlichen Untersuchungen zur Zielpsychologie zusammen 139 , so scheinen zwei Erkenntnisse gesichert. Mit zunehmendem Schwierigkeitsgrad der Zielerreichung steigt die Wahrscheinlichkeit der Zielerreichung zunächst kurvilinear an, um in einem Bereich mittleren Schwierigkeitsgrades ihren Höhepunkt zu erreichen. Dies entspricht den Beobachtungen in der Praxis, dass ein geringer Schwierigkeitsgrad der Zielerreichung Menschen dazu veranlasst, sich in die „Komfortzone“ zurückzuziehen ( Abschnitt 5.6). Umgekehrt treibt ein andauernd zu hoher Schwierigkeitsgrad Akteure in die „Stresszone“, weil sie z.B. einen ständigen Kontrollverlust erleben oder laufend mit der eigenen Hilfslosigkeit konfrontiert werden. Erst in der „Lernzone“ erleben wir Menschen den Schwierigkeitsgrad als anstrengend genug, um eigene Ressourcen zu mobilisieren, und realistisch genug, um nicht zu resignieren ( auch Bild 11-2). Bild 11-2: Schwierigkeitsgrad und Zielerreichung Je genauer die Leistungsziele bestimmt sind, desto höher ist die Leistungsbereitschaft. Die Begründung dafür liegt auf der Hand. Durch eine Spezifizierung des Zieles werden Handlungsspielräume, Vorlieben, Neigungen oder Ablenkungsmöglichkeiten eingeengt. Genau das ist ja das Problem mit den Absichten. Der Vorsatz „Demnächst höre ich mit dem Rauchen auf“ wird we- 139 Diese Zusammenhänge sind besonders gut dargestellt bei E DWIN A. L OCKE und G ARY P. L ATHAM (2002): Building a Practically Useful Theory of Goal Setting and Task Motivation. In. American Psychologist, 57 (9), S. 705-717. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="215"?> 11.2 Etwas Zielpsychologie 203 sentlich weniger Zugkraft entfalten als z.B. „Ab meinem kommenden Geburtstag gibt es keine einzige Zigarette mehr im Haus“. Ein wohlgemeintes „Tu was du kannst“ lässt viel Raum für Interpretationen und fördert damit kaum die Leistungsbereitschaft. Zusammengefasst bedeuten diese beiden Punkte für den Verkauf: Schwierige, aber nicht unerreichbare Ziele, die messbar und auf den einzelnen Verkäufer abgestimmt sind, bilden die Grundlage für überdurchschnittliche Leistungen. Daneben spielen jedoch noch vier andere Faktoren eine wichtige Rolle. Die Mitsprache bei Entscheidungen über die Art und Höhe des Ziels erzeugt das Gefühl persönlicher Freiheit und Autonomie, was sich positiv auf die Leistungsmotivation auswirkt. Größeres Durchhaltevermögen und die Bereitschaft, vor Problemen auf dem Weg zur Zielerreichung nicht zurückzuschrecken, sondern nach Lösungen zu suchen, sind ein Kennzeichen dafür. Die Bindung an das Ziel, egal ob es selbst gewählt, ausgehandelt oder vorgeben, wird umso stärker sein, je attraktiver der Verkäufer den Zustand der Zielerreichung einschätzt. Das kann je nach persönlicher Präferenz z.B. eine Geldprämie, soziale Anerkennung („Verkäufer des „Monats“) oder ein höheres Selbstwertgefühl („Ich habe es geschafft! “) sein. Die Zielbindung wird auch umso höher sein, je weniger attraktiv die Alternativen sind, also z.B. sich nicht anzustrengen oder in der Gruppe einfach „mitzuschwimmen“. Rückmeldungen über Fortschritte oder Ergebnisse auf dem Weg zur Zielerreichung sind bei schwierigen Vorhaben besonders wichtig. Das Führungsrezept „Management by Exception“ wird gerade im Verkauf oft so ausgelegt, dass die Mitarbeiter auf dem Weg der Zielerreichung bewusst allein gelassen werden. Eine „Zielbegleitung“, bei der etappenweise mit dem Verkäufer Zwischenergebnisse, geänderte Umstände und notwendige Unterstützung erörtert werden, führt nach unserer Erfahrung zu einer wesentlich höheren und dauerhaften Leistungsbereitschaft. Die Einschätzung der Selbstwirksamkeit ist gerade im persönlichen Verkauf so wichtig. Verkäufer, die überzeugt sind, dass sie Dinge kraft ihrer Fähigkeiten bewegen können und nicht den Launen der Kunden oder dem Zufall ausgeliefert sind ( Abschnitt 5.4), setzen sich auch höhere Ziele. Sie suchen und finden Wege, ihre Arbeit bei und mit den Kunden ständig zu verbessern. Aufgabe der Führung ist es, die Einschätzung der Selbstwirksamkeit ihrer Verkäufer zu fördern, und nicht die Persönlichkeit mit brachialen Methoden („Da haben sie wieder Mist gebaut! “) zu brechen. Und nicht zu vergessen: Verkäufer, die von ihrer Selbstwirksamkeit überzeugt sind, reagieren auf negatives Feedback, indem sie ihre Anstrengungen zur Zielerreichung erhöhen. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="216"?> 11 Steuerung durch Ziele und Vergütung 204 11.2 Ziele vorgeben, aushandeln oder freigeben? Bereits in den 1950er Jahren entwickelte P ETER D RUCKER (1909 2005) das Konzept des „Management by Objectives“ (MbO). Die Mitarbeiter sollen danach ihre tägliche Arbeit an vereinbarten Zielen ausrichten und so im Sinne der Unternehmensstrategie agieren. Die Leistung wird danach beurteilt, inwieweit die Mitarbeiter die vereinbarten Ziele tatsächlich erreicht haben. Die Umsetzung dieser Idee scheitert jedoch vielfach in der Praxis aus mehreren Gründen. Aus einem an sich einfachen und plausiblen Prinzip entwickelt sich oft ein bürokratisches System mit hohem Zeit- und Verwaltungsaufwand. Die grundsätzlichen Absichten hinter den Zielen werden den Mitarbeitern vorenthalten. Auch werden häufig zu viele Ziele benannt und vereinbart, wodurch die wirklich wichtigen aus dem Blick geraten. Die Frage nach den Ressourcen, die für die Erreichbarkeit der Ziele erforderlich sind, bleibt unbeantwortet. Und vor allem: Die Ziele werden nicht den individuellen Fähigkeiten, Motiven oder Wertvorstellungen angepasst. Aus heutiger Sicht stehen für den Prozess der Zielbildung drei Möglichkeiten zur Verfügung ( Bild 11-3): Ziele vorgeben, Ziele aushandeln und Ziele freigeben. Bild 11-3: Die Möglichkeiten der Zielbildung im Vergleich Das Vorgeben von Zielen aufgrund der Machtüberlegenheit des Anweisenden ist die klassische Form der Zielbildung. Eine Vereinbarung, wie beim MbO, unterbleibt am Ende dieses meist kurzen Prozesses. Einer Partizipation des Mitarbeiters an der Zielbildung steht entweder das Prinzip der Über- und Unterordnung, eine vorgeschobene Dringlichkeit oder eine geschlossene Kul- Vorteile Nachteile Voraussetzungen Ziele vorgeben Kurzer Prozess, wenig Aufwand Geringe Selbstwirksamkeit, schwache Zielbindung Stabiles, berechenbares Umfeld ohne Überraschungen Ziele freigeben Hohe Zielbindung, Entlastung der Führung Management verliert Kontakt zum Geschehen Hoher Reifegrad der Mitarbeiter, offene Organisationskultur Ziele aushandeln Beide Seiten des Prozesses kommen zu Wort Versuchung, in eine „Basar“-Methode zu verfallen Bereitschaft zur Perspektivenvielfalt, Ehrlichkeit auf beiden Seiten Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="217"?> 11.2 Ziele vorgeben, aushandeln oder freigeben? 205 tur 140 des Unternehmens entgegen. Damit unterbleibt jedoch die Zielbindung als wichtige Voraussetzung für eine hohe Leistungsbereitschaft des Adressaten. Es versteht sich von selbst, dass diese Variante des Führens mit Zielen im Verkauf (wie natürlich im Management ganz allgemein) keinen Platz hat. Eine „weichere“ Form besteht darin, Ziele durch die Kraft des Überzeugens vorzugeben. Das kann in bestimmten Situationen hingegen durchaus zweckmäßig sein. Etwa bei Verkäufern mit einem niedrigen „Reifegrad“ ( 6.Kapitel), wenn eine Entscheidung rasch getroffen werden muss oder wenn die Bedingungen so eindeutig sind, dass es keine Alternativen gibt. Von den vielen Arten des Überzeugens - rational, emotional, taktisch, rhetorisch, moralisch - ist hier das Überzeugen mit Argumenten, also plausiblen Gründen, gemeint. Ziele freizugeben ist weit von der Maxime des klassischen Managements - Planen, Organisieren, Kontrollieren - entfernt. Die Idee dahinter ist, die Verantwortung für die Leistung vollständig an den einzelnen Verkäufer oder an Verkaufsteams zu übertragen. 141 Die Begründung lautet: Verkäufer arbeiten naturgemäß nah am Kunden und können daher am besten beurteilen, welche Verkaufsziele realistisch sind. Die Voraussetzungen für die praktische Anwendung dieser Art der autonomen und dezentralen Steuerung sind enorm. Das Management muss so diszipliniert sein, dass es auch dann nicht eingreift, wenn die Leistung augenscheinlich nicht seinen Vorstellungen entspricht. Der „Reifegrad“ der Verkäufer muss überdurchschnittlich hoch sein, um die Autonomie tatsächlich zu leben und nicht für eigene Zwecke zu missbrauchen. Schließlich ist die Variante des Freigebens von Zielen nur mit einer offenen Organisationskultur vereinbar. Eine solche Offenheit zeichnet sich zwar durch Flexibilität, Wandelbarkeit und Innovationsfähigkeit aus, muss aber dafür mit Abstrichen bei Stabilität, Ordnung und Orientierung erkauft werden. Ziele freizugeben wird kann daher keine Blaupause, sondern bestenfalls eine rare Ausnahme für die Verkaufssteuerung sein können. Die dritte Möglichkeit zu einer Zielvereinbarung zu gelangen, besteht im Aushandeln von Zielen. Sie lässt Mitsprache des Verkäufers zu, kann durch- 140 In einer geschlossenen Kultur steht der Schutz des Kollektives und nicht der des Individuums im Vordergrund; damit ist Homogenität wichtiger als Vielfalt; und Entscheidung werden an der Spitze gefällt und nicht gemeinsam mit der Basis gesucht. 141 Das Prinzip, die Zielsetzung auf jene Personen oder organisatorische Einheiten zu verlagern, die näher am betrieblichen Geschehen sind und damit auch rascher auf Veränderung im Umfeld reagieren können, ist verwandt mit dem Managementmodell des „Beyond Budgeting“. Dessen Motto lautet: „Weg mit den Ritualen der Budgetierung! “ Es beruht unter anderem darauf, keine fixierten Ziele auszuhandeln, sondern relative (z.B. durch einen Vergleich mit anderen Einheiten) und flexible Ziele (z.B. um kontinuierliche Verbesserungen anzustoßen) zu setzen. Damit sollen die Mitarbeiter angeregt werden, selbst Verantwortung zu übernehmen und nicht im Befolgen von starren Plänen zu verharren. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="218"?> 11 Steuerung durch Ziele und Vergütung 206 aus eine starke Zielbindung bewirken und bevorzugt Mitarbeiter mit einer hohen Selbstwirksamkeitserwartung. Der Haken dieser Methode liegt im Übergang vom Aushandeln zum Feilschen. Der orientalische Basar wird dann zum Vorbild und das Aushandeln von Zielen letztlich zu einem Ritual, in dem das arithmetische Mittel zwischen den Extrempositionen, die natürlich mit Überzeugung und Ernsthaftigkeit vertreten werden, als Richtschnur dient. Ein Ausweg aus dieser Malaise besteht darin, dass die Beteiligten lernen, für sich eine Aushandlungskultur zu entwickeln. Tricksen und Täuschen sind dabei Tabus und die Bereitschaft, immer auch die Perspektive der Gegenseite einzunehmen, ein Muss. Bewährt sich die Methode des Aushandelns in der Praxis, dann hat auch ihre Kultur Bestand. 11.3 Das Zielvereinbarungsgespräch Der Ablauf eines Gespräches zum Aushandeln von Zielen könnte sich für den Verkaufsleiter wie folgt gestalten: Zu allererst Barrieren beseitigen, wie z.B. den Schreibtisch, der dem Führenden zur Abgrenzung seines eigenen Territoriums dient und von vornherein festlegt, wer in dem folgenden Gespräch das Sagen hat. Eine angenehme Atmosphäre schaffen und einen ungezwungenen Einstieg finden. Menschen, die im Verkauf arbeiten, sollten Meister der Gesprächsführung sein. Kurz die Gründe, das Ziel, die Inhalte und den Zeitrahmen des Gesprächs benennen. Nicht die Schwächen in den Vordergrund rücken, weil der Mitarbeiter dann in eine Verteidigungsposition gerät. Stattdessen z.B. fragen, was notwendig ist, damit der Mitarbeiter etwas besser oder das Gute öfter machen kann. Wenn sinnvoll, die vier Dimensionen des Reifegrad-Modells ( 6. Kapitel) als Grundlage für das weitere Gespräch heranziehen. Den Mitarbeiter einladen, sein Ziel und die Gründe dafür zu präsentieren. Dabei versuchen, sich in den Mitarbeiter hineinzudenken. Das Ziel und Gründe des Mitarbeiters auf ihre Plausibilität untersuchen. Widersprüche müssen nicht unbedingt auf eine Taktik des Mitarbeiters zurück- Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="219"?> 11.4 Zielgrößen im Verkauf 207 zuführen sein. Man kann Dinge auch einfach übersehen. Die eigenen Vorstellungen über Ziel und Gründe präsentieren, ohne den Eindruck zu erwecken, dass diese mehr wert sind, als jene des Mitarbeiters. Differenzen überbrücken, indem z.B. über notwendige Ressourcen, geänderte Arbeitsweisen, Training und Anreize gesprochen wird. Das Ziel überprüfen, ob es konkret genug, realistisch und mit einer Zeitmarke versehen ist. Mit dem Mitarbeiter eine „Zielbegleitung“ diskutieren, z.B. indem Teil- oder Etappenziele vereinbart und mögliche Ereignisse erörtert werden, die den Grad der Zielerreichung beeinträchtigen können. Nun das Ziel vereinbaren und die getroffene Übereinstimmung in schriftlicher Form festhalten. Damit wird sie etwas Besonderes, Nichtalltägliches erlebt. Dies erhöht die Zielbindung. 11.4 Zielgrößen im Verkauf Der Grundsatz professioneller Unternehmensführung, die Verwirklichung strategischer Pläne nicht ausschließlich auf monetäre Zielgrößen wie Gewinn, Cashflow oder ROI zu stützen, sondern vielmehr ein ausgewogenes System an Kennzahlen 142 heranzuziehen, gilt auch für den Verkauf. Es empfiehlt sich daher, aus der Fülle möglicher Zielgrößen sowohl ergebnisorientierte („Output“) als auch einsatzorientierte („Input“) auszuwählen. Beide können je nach Messbarkeit quantitativer oder qualitativer Natur sein ( Bild 11-4). Umsatz ist der „Klassiker“ unter den quantitativen Output-Größen. Der gemessene Output enthält dann oft auch Umsätze, die mit Preisnachlässen, Sonderkonditionen oder hohem Betreuungsaufwand erkauft wurden, was die Vergleichbarkeit beeinträchtigt. Ein Deckungsbeitrag je Verkaufsgebiet, Produkt- oder Kundengruppe oder sogar einzelnem Kunden wäre als Zielgröße 142 Eine ausschließlich auf finanzielle Daten ausgerichtete Leistungsmessung und -bewertung behindert die Realisierung von Strategien in Organisationen. Anfang der 1990er Jahre führten daher R OBERT S. K APLAN und D AVID P. N ORTON den Gedanken der Ausgewogenheit (balanced) ein und konkretisierten diesen anhand eines übersichtlichen Berichtsbogens (Scorecard). Die so entstandene „Balanced Scorecard“ soll als Brücke zwischen der Unternehmensstrategie und ihrer Verwirklichung dienen. Dabei werden die herkömmlichen finanziellen Kennzahlen durch drei zusätzliche Perspektiven ergänzt: die Kunden-, die interne Prozesssowie die Lern- und Entwicklungsperspektive. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="220"?> 11 Steuerung durch Ziele und Vergütung 208 die bessere Wahl. Allerdings wird in der Praxis der Deckungsbeitrag oft auf einer zu hohen Ebene berechnet, z.B. als „Listenpreise minus Erlösschmälerungen“. Dadurch fallen wichtige Kosten, die dem Verkaufsgebiet, der Produkt- oder Kundengruppe oder dem einzelnen Kunden direkt zugerechnet werden können, unter den Tisch. Eine Senkung der Kundenabwanderungsrate hat einen überaus positiven, in der Praxis oft unterschätzten Einfluss auf das finanzielle Ergebnis. Für diese Zielgröße gibt es keinen Ersatz. Es ist auch ratsam, das sogenannte „Cross-Selling“, also Verkäufe von verwandten oder das Basisgeschäft ergänzenden Produkten und Leistungen, als eigenes Verkaufsziel zu vereinbaren, da die Bereitschaft der Kunden zu solchen „Querkäufen“ mit der Anzahl der vom selben Lieferanten gekauften Produkte in der Regel abnimmt. Bild 11-4: Beispiele für Zielgrößen im Verkauf Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="221"?> 11.4 Zielgrößen im Verkauf 209 Qualitative Output-Größen dienen zur Ergänzung quantitativer Zielmarken. Sie erfüllen ihren Zweck dann am besten, wenn sie „operationalisiert“ werden können. Operationalisierung bedeutet, einen abstrakten Begriff, wie z.B. Kundenzufriedenheit, mithilfe beobachtbarer Indikatoren messbar zu machen. Viele der qualitativen Zielgrößen, wie z.B. Kundenzufriedenheit, Image oder Reputation 143 , sind aufwendig, weil sie regelmäßiger (! ) Befragungen etwa von Kunden oder der interessierten Öffentlichkeit bedürfen. Bei den quantitativen Input-Größen soll z.B. die Kennzahl „Anzahl der Kundenbesuche pro Tag“ sogenannte „Durchhänger“ aufdecken. Begründet wird diese in der Praxis so beliebte Zielgröße mit der Forderung „Der Außendienst gehört auf die Straße“ - was zugleich Ausdruck einer Misstrauenskultur ist. Übersehen wird dabei, dass eine niedrige Besuchsfrequenz oft zu einem wesentlich höheren Verkaufserfolg führt, wenn z.B. die Besuche nach Kaufpotenzial ausgewählt und gut vorbereitet werden, zum richtigen Zeitpunkt erfolgen und mit dem passenden Angebot verbunden sind. Der fleißige 144 Außendienstler wird den planenden und überlegt vorgehenden nur ganz selten ausstechen. Auch die qualitativen Input-Größen erhalten ihre Aussagekraft erst durch Operationalisierung. Dies wird bei einer in der Praxis häufig eingesetzten Zielgröße, der „Einarbeitung eines neuen Mitarbeiters“, besonders deutlich. Diese Zielgröße ist eigentlich ein Prozess, der vom Vorgesetzten bestenfalls sporadisch beobachtet werden kann. Messbar wird die Zielgröße erst dadurch, dass das angepeilte Ergebnis der Einarbeitung aufgeschlüsselt wird, z.B. in „Mitarbeiter kennt die Eigenschaften der Produkte“, „Mitarbeiter beherrscht die Anwendungstechnik der Produkte“, „Mitarbeiter liefert aussagefähige Besuchsberichte“ etc. Ziele und Vergütung sind gerade im Verkauf eng miteinander verknüpft. Das Thema Vergütung ist ein Minenfeld und zugleich ein Gebiet voller Chancen. Aus diesem Grund kommt in den folgenden Abschnitten immer wieder H EINZ -P ETER K IESER 145 , ein bekannter Experte für das Vergütungsmanagement, zum Wort. 143 Image und Reputation sind nicht dasselbe. Image entsteht durch individuelle Wahrnehmung und Vergleich mit Bekanntem, Reputation hingegen erst dadurch, dass viele Menschen ein Reputationsobjekt beobachten und die Bewertungen darüber austauschen. ( auch Abschnitt 9.8) 144 Man könnte auch argumentieren, dass Fleiß unter den heutigen Bedingungen des Wirtschaftens keine Tugend mehr ist. Fleiß ist viel mehr „die erzwungene und erpresste Unterwerfung unter ein rigides Zeit-und Produktionsmanagement“, so der Philosoph K ONRAD P AUL L ISSMANN in einem Vortrag auf dem Philosophicum Lech, 2017. 145 Unternehmensberatung - Managementberatung Dr. Finkenrath Dr. Kieser + Partner, Hambrunner Str. 24, D-74731 Walldürn-Hornbach. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="222"?> 11 Steuerung durch Ziele und Vergütung 210 11.5 Vergütungssysteme als Instrument der organisationalen Steuerung H EINZ -P ETER K IESER hat das Wort: Die variable Vertriebsvergütung dient heute einer angemessenen Honorierung von zielkonformen Leistungen und nicht mehr einer falsch verstandenen Motivation. Ein wirkungsvolles Vergütungssystem setzt an der Strategie der Organisation an, unterstützt deren Ziele und wird damit zum Instrument der Steuerung der ganzen Organisation ( Bild 11-5). Bild 11-5: Der Weg von der Strategie zur Vergütung und zurück Jede Organisation verfolgt mehrere Ziele, die aus einer Strategie abgeleitet sein sollten. Schon mit dem Begriff „Strategie“ wird in der Praxis viel Schindluder getrieben. Eine Idee oder ein Plan für die Zukunft ist noch lange keine Strategie. Wenn sie ihren Namen verdient, muss eine Strategie eine Grundrichtung erkennen lassen, z.B. Wachstum, Konsolidierung, Schrumpfung, Internationalisierung; das Verhältnis zur Konkurrenz definieren, also z.B. Angriff, Verteidigung, Kooperation, Coopetition 146 ; und die besonderen Potenziale der Organisation hervorheben, etwa Größe, technische Überlegenheit, Andersartigkeit, Schnelligkeit. 146 Ein Kunstwort aus cooperation und competition. Bezeichnet die Fähigkeit und Bereitschaft, mit einem Konkurrenten in bestimmten Bereichen der Wertschöpfung zu kooperieren. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="223"?> 11.5 Vergütungssysteme als Instrument der organisationalen Steuerung 211 Die daraus abgeleiteten Organisationsziele reichen von den bekannten finanziellen Größen über die Marktstellung, den Diversifizierungsgrad und das Wertschöpfungsdesign hin zu abstrakten, aber nicht minder wichtigen Größen wie Kundenzufriedenheit, Attraktivität als Arbeitgeber und Mitarbeiterbindung. Diese Ziele werden über die verschiedenen Hierarchiestufen „kaskadiert“ 147 , bis der einzelne Mitarbeiter z.B. weiß, welchen Deckungsbeitrag er beisteuern muss, damit das übergeordnete Organisationsziel erreicht wird, welche Kunden er in einem bestimmten Marktsegment gewinnen oder ausbauen muss, damit das Unternehmen sein Marktstellungsziel erreicht, welche Produkte zu forcieren sind, damit das Unternehmen seine Erträge sichern kann; und so fort. Ergänzung durch den Autor: Ziele sind keine Selbstläufer. Ihr Schicksal entscheidet sich an vier Instanzen ( Bild 11-6): Bild 11-6: Die vier Instanzen, an denen Ziele scheitern können Ziele versanden, wenn die Führung ein schlechtes Vorbild abgibt. Nervosität, wenn etwa Unerwartetes die Zielerreichung gefährdet, steckt rasch Abteilungen oder die ganze Organisation an. Die Führung verliert so den Nimbus der Souveränität und lädt die Menschen in der Organisation geradezu ein, in Hektik, Resignation oder Hilflosigkeit zu verfallen. Oder aber die Schattenorganisation übernimmt hinter den Kulissen das Kommando, um mithilfe von Seilschaften und Koalitionen die eigenen Interessen durchzusetzen. 147 Ein Begriff aus der Elektrotechnik, der „In-Reihe-Schaltung“ von elektronischen Teilen bedeutet. In der Managementlehre wird „kaskadieren“ verwendet, um eine stufenweise, von der obersten zur untersten Hierarchiestufe verlaufende interne Kommunikation zu beschreiben. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="224"?> 11 Steuerung durch Ziele und Vergütung 212 Die Strukturen der Organisation können sich als derart änderungsresistent erweisen, dass die Ziele darin versickern. Die klassische Managementweisheit, dass die Strukturen der Strategie zu folgen haben, erweist sich allzu oft als falsch. Zweckmäßiger wäre es, die Strukturen auf die Strategie vorzubereiten. Dazu müsste man allerdings Abschied von der populären Methode der „Bombenwurfstrategie“ nehmen: Dabei wird ein strategisches Konzept schlagartig und unwiderruflich in die laufende Organisation „geworfen“, in der Annahme, dass „die Strukturen“, an vorderster Front das besonders betroffene mittlere Management, die Leerstellen des Konzepts improvisierend ausfüllt. Die Menschen in den Strukturen sollen ihr Detailwissen bereitwillig in den Prozess einbringen, obwohl sie zuvor durch Geheimhaltung davon ausgeschlossen waren. Die Kultur einer Organisation verstanden als die Summe aller Selbstverständlichkeiten, die von der Mehrheit ihrer Mitglieder geteilt wird - ist mit den Strukturen wechselseitig verbunden. Sie vermag Ziele zu blockieren oder zu befördern. Wenn es darum geht, sich gegen aufoktroyierte Ziele zu wehren, entwickeln Kulturen beträchtliche Phantasie und Energie. Nicht Protest und Widerspruch sind es, die Ziele blockieren, sondern verdeckte Handlungen gleichsam hinter den Kulissen. Umgekehrt kann eine Kultur als Katalysator für die Zielerreichung fungieren, wenn die Ziele in ihr - durch Partizipation vieler und nicht über sie hinweg - durch einen „Bombenwurf“ entwickelt werden. Mutiert das Controlling zum Selbstzweck, zum Produzenten von Zahlenfriedhöfen oder gar zur „Kontrolle“ 148 , so werden Ziele entweder zum Fetisch oder nicht mehr ernst genommen. Gerade im Verkauf ist es sinnlos, im Nachhinein zu kontrollieren, ob ein Ziel erreicht wurde oder nicht. Das Ergebnis ist dann nicht mehr veränderbar. Mit einem Controlling kann hingegen auf ein Ziel zugesteuert und die Zielerreichung unterstützt werden. Deshalb ist ein Berichtswesen, das den Verkauf z.B. über den unterjährigen Zielfortschritt informiert, unverzichtbar. Fazit: Das Vergütungssystem ist in vielerlei Hinsicht das Abbild der Organisation, aus der es sich entwickelt hat. Es wirkt im positiven Fall verstärkend, im negativen einengend, auf die Strategie und deren Ziele zurück ( Bild 11-5). 148 Kontrolle ist Überprüfung, Controlling ist Steuerung. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="225"?> 11.6 Vergütung mit Provision ja oder nein? 213 11.6 Vergütung mit Provision ja oder nein? Die klassische Form variabler Vergütung im Verkauf ist die Umsatzprovision. Sie wird zweifach begründet: Sie soll (a) zu einer möglichst hohen Leistungsmotivation beim Verkäufer führen und sie ist (b) betriebswirtschaftlich sinnvoll, weil das Einkommen direkt mit der Leistung verbunden ist. Die erste Begründung geht von einer schlichten Interpretation menschlicher Motivation aus. Wie bei einem Esel, dem als Anreiz eine Karotte vors Maul gehalten wird, um ihn dazu zu bringen, eine Last zu tragen oder in eine bestimmte Richtung zu laufen, wird dem Verkäufer eine Belohnung in Aussicht gestellt. Dass dieser dann auf weitere Belohnungen wartet, ehe er die nächste Aufgabe ausführt, wir dabei in Kauf genommen. Denn mit der Zeit gelingt etwas, das in der Psychologie als Konditionierung 149 bezeichnet wird: Durch wiederholte Reize wird ein bestimmtes Verhalten ausgelöst oder neues Verhalten erlernt. Für den Verkäufer ist die Aussicht auf die Provision der Reiz, der ihn von einem Verkaufserfolg zum nächsten eilen lässt. Ganz nach dem Motto „Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied“. Und so wie Willy Loman in A RTHUR M ILLER s Theaterstück „Tod eines Handlungsreisenden“: Er erntet zunächst die unbegrenzten Früchte seines Berufs, bis ihn die erlernten Automatismen im Stich lassen und er sich schließlich das Leben nimmt. Die Koppelung zwischen Provision und Motivation ist also schwach. Wer als Handelsvertreter sein Brot verdient, weiß worauf er sich als selbstständiger Gewerbetreibender einlässt. Für den angestellten Verkäufer, der einen Teil seines Einkommens als Provision geriert, kann diese variable Form der Entlohnung als Leistungsanreiz erweisen, sie muss es aber nicht. Nach unseren Beobachtungen wünschen sich nicht wenige Verkäufer ein planbares, weil risikoloses Einkommen, dessen Höhe innerhalb einer bestimmten Bandbreite ruhig schwanken darf, aber vom erzielten Umsatz entkoppelt sein sollte. Gerade die jüngeren Generationen wollen nicht von einer einzigen ökonomischen Größe abhängen. Sie möchten vielmehr auch berücksichtigt wissen, wie ihre Leistung zustande gekommen ist und welche Wirkung diese Leistung auf das Organisationsganze hat. Die betriebswirtschaftliche Begründung für den Provisionsverkauf ist solide. Fixkosten sind Bereitschaftskosten, die auch ohne jegliche Leistung entstehen. Diesem Problem entgeht, wer etwa Handelsvertreter beschäftigt, die (naturgemäß) auf reiner Provisionsbasis arbeiten. Das Problem verkleinert, wer dem angestellten Verkäufer einen möglichst hohen variablen Anteil seines Einkommens 149 Es gibt zwei Arten von Konditionierung. Bei der klassischen Konditionierung wird ein gegebenes Verhalten durch einen neuen, „unnatürlichen“ Reiz ausgelöst (der „Pawlowsche Hund“ als Beispiel). In der operanten Konditionierung wird neues, „erwünschtes“ Verhalten durch das Herbeiführen einer Belohnung erlernt (die Maus in der sogenannten „Skinner-Box“ als Beispiel). Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="226"?> 11 Steuerung durch Ziele und Vergütung 214 zumutet. Die Provision vom Umsatz mag für einfache Verkaufstätigkeiten durchaus sinnvoll sein. Etwa wenn die Produkte oder Leistungen wenig erklärungsbedürftig sind, der Verkäufer keinen Spielraum bei Preisen und Zahlungskonditionen besitzt und die Tourenplanung vorgegeben ist. Die Höhe der Umsatzprovision bemisst sich dann an der Effizienz (möglichst viele Kundenbesuche in einer bestimmte Zeit) und zugleich an der Effektivität des verkäuferischen Einsatzes (z.B. möglichst viele Produkte aus dem Sortiment nicht nur anzubieten, sondern tatsächlich zu verkaufen). Werden dem Verkäufer Freiräume in seiner Tätigkeit eingeräumt, etwa weil die Produkte mit speziellen Dienstleistungen verbunden sind, weil bei größeren Kunden mehrere Ansprechpartner zu berücksichtigen sind (z.B. Einkäufer, Verwender, Sicherheitsbeauftragter, Entscheider etc.), weil der Verkäufer selbst entscheiden muss, wann er wem, wie oft und in welcher Weise besucht etc., dann ist die Provision an einen Deckungsbeitrag zu koppeln. Nochmals: Den Deckungsbeitrag gibt es nicht ( Abschnitt 11.4). Er ist vielmehr in einer mehrstufigen Rechnung so zu ermitteln, dass das Verursacherprinzip 150 der Kosten möglichst zum Tragen kommt. 11.7 Vergütung mit Zielprämien H EINZ -P ETER K IESER hat das Wort: Ein „atmender“ Einkommensanteil, der von der Leistung des Verkäufers abhängt, ist durchaus sinnvoll. Allerdings arbeiten immer weniger Organisationen mit provisionsbezogenen Vergütungssystemen. Dafür gewinnen Zielprämien, besonders für anspruchsvolle und beratungsintensive Produkte, immer mehr an Boden. Während Provisionen, egal ob vom Umsatz oder einem Deckungsbeitrag, bereits beim ersten Euro der Leistungserbringung wirksam werden, vergüten Zielprämien nur die Leistung innerhalb eines Zielkorridors. Ein solcher Korridor kann z.B. zwischen 80% und 120% des mit dem Verkäufer vereinbarten Ziels liegen. Die Zielprämie wird dann bei 80% Zielerfüllung ausgelöst und erreicht ihre maximale Höhe bei einem Übererfüllungsgrad von 120%. Unter 80% be- 150 Ein Verkäufer „verursacht“ z.B. Erlösschmälerungen aufgrund seiner Preis-und Konditionengestaltung, Wegekosten, Servicekosten für seine Kunden, Kosten eines für ihn anfertigten Werbematerials etc. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="227"?> 11.7 Vergütung mit Zielprämien 215 steht das Gehalt des Verkäufers nur aus dem Fixum des Mitarbeiters ( Bild 11- 7). Den Zielkorridor nach oben zu begrenzen, in unserem Beispiel mit 120%, ergibt schon deshalb einen Sinn, weil Ergebnisse oberhalb dieses Punktes auf eine zu vorsichtige Zielvereinbarung hindeuten oder aus glücklichen Umständen resultieren können. Bild 11-7: „Klassische“ Variante der Zielprämie Unternehmen mit einem schwer planbaren Geschäftsverlauf (z.B. im Anlagen- und Maschinenbau oder in der Software-Entwicklung) definieren meist breite Zielkorridore, z.B. 70% bis 130%. Unternehmen in relativ stetigen Umfeldern (z.B. Massenkonsumgüter) engen hingegen die Bandbreite ein, z.B. auf 90% bis 110%. Ein breiter Zielkorridor lässt die Vergütungsgerade schwächer steigen als ein schmaler. Diese Spreizung des Zielkorridors, z.B. von 90% bis 110% oder von 70% bis 130%, sollte nicht dem Belieben des Mitarbeiters unterliegen. Sonst könnte ein Verkäufer, der sein Einkommensrisiko verringern möchte, eine breite Spreizung und damit einen sanfteren, „langweiligerer“ Verlauf seiner Einkommenskurve wählen. Eine individualisierende Führung des Verkaufs, etwa nach dem Reifegrad des Mitarbeiters ( 6. Kapitel), darf eben nicht so weit getrieben werden, dass jeglicher Druck 151 , das Anspruchsniveau nach oben anzupassen, aus dem System entfernt wird. Die „klassische“ Vergütung mit einer Zielprämie weist zwischen dem unteren und dem oberen Leistungspunkt einen linearen Kurvenverlauf auf ( Bild 11-7). 151 Mit „Druck“ ist hier nicht der berüchtigte Leistungsdruck gemeint, der meist mit Angst verbunden ist und schließlich zum Ausgebranntsein führt. Druck kann auch in einer sanfteren Weise ausgeübt werden, etwa über „Nudging“ (Anstupsen). Ausgangspunkt dafür ist die menschliche Neigung, immer wieder gegen die eigenen langfristigen Interessen zu handeln. Durch „Nudges“ soll der Mensch glauben, dass er will, was er soll. Werden z.B. die Stufen nach oben zu einer Art Klaviatur umgebaut, so regt dies den Spieltrieb und die Neugier der Menschen an und sie werden dann eher die Stufen benutzen als mit der Rolltreppe hochfahren. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="228"?> 11 Steuerung durch Ziele und Vergütung 216 Allerdings kann es gute Gründe dafür geben, den linearen Verlauf der Zielprämiengeraden zu verlassen. Dazu zwei Beispiele. Der Verkäufer erhält in seiner Zielprämie noch eine Basisvergütung, wenn er den unteren Leistungspunkt ( Bild 11-8) erreicht. Diese Spielart ist „mitarbeiterfreundlich“, da dem Verkäufer auch bei einer relativ schwachen Leistung noch ein Auffangnetz geboten wird. Bild 11-8: „Mitarbeiterfreundliche“ Variante der Zielprämie Oft wird ein Vergütungsverlauf eingesetzt, der dem Verkäufer höhere Einkommenschancen als Risiken signalisiert. Erreicht wird dies, indem man den Verlauf der Zielprämiengeraden zwischen 100% Zielerreichung und dem oberen Endpunkt des Zielkorridors steiler wählt als zwischen dem unteren Leistungspunkt und der 100%igen Zielerreichung. Ein solcher Vergütungsverlauf soll dem Verkäufer einen Anreiz bieten, sich nicht mit einer 100%igen Zielerreichung zufrieden zu geben, sondern vielmehr seine Verkaufsanstrengungen zu erhöhen ( Bild 11-9). Bild 11-9: „Anspornende“ Variante der Zielprämie Zusammengefasst weist die Vergütung über Zielprämien gegenüber einem Provisionssystem oder gar einem reinen Festgehalt handfeste Vorteile auf: Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="229"?> 11.8 Weitere Aspekte einer zeitgemäßen Vergütung im Verkauf 217 Es werden keine Leistungen vergütet, die ohnedies das „Grundrauschen“ des Geschäfts darstellen. Die Steuerung kann somit über vielfältige, für die Organisation relevante Ziele erfolgen und ist überdies nicht von einer einzelnen finanziellen Größe wie Umsatz oder Deckungsbeitrag abhängig. „Einkommensexplosionen“, die langfristig das Einkommensgefüge im Unternehmen sprengen können, werden vermieden. Da die unterschiedlichen Voraussetzungen der einzelnen Verkäufer berücksichtigt werden, kommt man dem Ziel einer Vergütungsgerechtigkeit näher. Die Vergütung mit Zielprämien ist einfach und transparent. Dies ist nicht zuletzt wichtig, da immer mehr Unternehmen und Verkäufer unter zwar gut gemeinten, aber viel zu kompliziert aufgesetzten Systemen leiden. 11.8 Weitere Aspekte einer zeitgemäßen Vergütung im Verkauf H EINZ -P ETER K IESER hat das Wort: Eine besondere Art von Zielen, die bei einer zeitgemäßen Vertriebsvergütung heute eine zunehmend wichtige Rolle spielen, sind die Aktivitäts- und Maßnahmenziele. Solche Vergütungskriterien haben den Zweck, die Aufmerksamkeit der Mitarbeiter in ihrer täglichen Arbeit auf jene Vorleistungen zu lenken, die bei einer reinen Vergütung, z.B. vom Umsatz oder Deckungsbeitrag, unterbleiben würden, weil sich der Erfolg erst viel später einstellt. So etwa bei Projektgeschäften mit langer Vorlaufzeit, wo Umsatz und Deckungsbeitrag erst nach Monaten oder Jahren anfallen. Derartige Aktivitäts- und Maßnahmenziele werden in der zeitgemäßen Vertriebsvergütung häufig über ein „Scoring“-System honoriert. Der Mitarbeiter sammelt für bestimmte, zielführende Aktivitäten und Maßnahmen Punkte, deren Höhe von deren Wirksamkeit für den langfristigen Erfolg des Unternehmens abhängt. Ändern sich die Rahmenbedingungen für den Verkauf, so können angestammte Leistungskriterien durch zusätzliche ergänzt oder gegen neue ausgetauscht werden. Auf jeden Fall sollten nicht mehr als fünf Leistungskriterien vergütet werden, um die nötige Transparenz aufrechtzuerhalten. Die Kriterien für den variablen Teil des Gehalts ergeben sich aus den jeweiligen strategischen Notwendigkeiten und Zielsetzungen des Unternehmens, z.B. Wachstum, Erhöhung der Qualität oder Durchsetzung höherer Preise. Dabei ist unbedingt auf die Gewichtung Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="230"?> 11 Steuerung durch Ziele und Vergütung 218 der einzelnen Kriterien zu achten, wie das folgende Beispiel aus der Verbrauchsgüterindustrie zeigt: 75% des variablen Anteils am Gehalt stammen von Individualzielen, z.B. Umsatz oder Absatz, Deckungsbeiträgen aus dem eigenen Verkaufsgebiet, neuen oder strategisch wichtigen Produkten oder Neukunden, eine höhere Marktdurchdringung, eine Verbesserung der Kundenstruktur, Forcierung der Sortimentsbreite, Abbau von Kleinaufträgen etc. 15% machen Gruppenziele aus, z.B. ein bestimmter Umsatz oder mehr Neukunden über alle Verkaufsgebiete, ein höherer Marktanteil, ein Deckungsbeitrag, den die ganze Abteilung oder Außendienstgruppe zu erbringen hat etc. 10% des variablen Anteils können über Kollektivziele erreicht werden, z.B. Unternehmensgewinn, Return on Investment (ROI) oder operativer Cashflow 152 . Formuliert man möglichst viele Vergütungskriterien in Form von Deckungsbeiträgen, so befindet sich auch das Unternehmen auf der sicheren Seite. Zielerfüllungen und auch Zielübererfüllungen bleiben bezahlbar, weil nicht nur der Output (z.B. Umsatz), sondern auch der Ressourceneinsatz (z.B. spezielle Schulungen oder Werbemaßnahmen) in die Berechnung einfließt. In einer zeitgemäßen Vertriebsvergütung werden die Mitarbeiter im Außen- und Innendienst vor allem in solche Ziele eingebunden, die als Erfolgstreiber für das Unternehmen wirken. Die durchaus übliche Vorgehensweise, am Anfang des Jahres Ziele zu vereinbaren und dann am Jahresende zu überprüfen, ob der Mitarbeiter seine Ziele auch erreicht hat 153 und welche Vergütung ihm zusteht, ist alles andere als leistungsfördernd. Die Psychologie lehrt uns, dass sich rasches Feedback durch seine Unmittelbarkeit positiv auf die Leistungsmotivation auswirkt. Deshalb kommt der Wert einer „atmenden“ Vergütung erst dann voll zur Geltung, wenn während des Jahres öfters darauf geachtet wird, ob sich der Mitarbeiter auf dem richtigen Weg zur Zielerreichung befindet. Zu diesem Zweck empfiehlt es sich, das jeweilige Jahresziel in Etappenziele (z.B. Monats- oder Quartalsziele) zu teilen und am Ende jeder Etappe Soll-Ist-Vergleiche mit dem Mitarbeiter zu besprechen. 152 Der operative Cashflow ist das Ergebnis aller zahlungswirksamen Geschäftsvorfälle aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit. Er stellt das Potential eines Unternehmens dar, sich aus eigener Liquidität zu finanzieren. 153 Nach dem Prinzip des „Management by Exception“ greift der Führende erst dann ein, wenn ein Ziel offensichtlich verfehlt oder nicht erreicht wird. Damit ist die Versuchung groß, Abweichungen vom Ziel zu verschleiern, um negativen Reaktionen zu vermeiden. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="231"?> 11.9 Aus der Praxis 219 Zeitgemäße Vergütungskonzepte im Verkauf bieten dem jeweiligen Mitarbeiter ein Wahlrecht. Innerhalb gewisser Grenzen kann er den variablen Anteil am Gehalt selbst bestimmen. Dies ermöglicht es, die Vergütung an die Motivstruktur ( Abschnitte 5.7 und 5.8) des Mitarbeiters anzupassen. Ein Mitarbeiter, der den variablen Teil seines Gehalts im Vertrieb als zu hoch ansieht, fühlt sich durch das Vergütungssystem möglicherweise bedroht. Andere Mitarbeiter wiederum ziehen den hohen variablen Anteil vor, weil ihre Einkommenschancen besonders bei Zielübererfüllung beträchtlich steigen. 11.9 Aus der Praxis H EINZ -P ETER K IESER hat das Wort: In einem Industrieunternehmen mit einem hohen Anteil an Projektgeschäften wird auf ein neues Vergütungssystem umgestellt. Das Management erhofft sich davon eine flexiblere (individuelle Kundenwünsche spielen eine immer größere Rolle), effizientere (es gibt einen Wildwuchs an Fördermaßnahmen) und effektivere (die Wachstumsziele werden zu oft verfehlt) Führung seiner Mitarbeiter. Diese umfassen den gesamten Außen- und Verkaufsinnendienst sowie Marketing und die Führungskräfte im Verkauf. Mit dem neuen System werden die Vergütungskriterien unterschiedlicher Unternehmensbereiche logisch miteinander verknüpft, wodurch interne Reibungsverluste vermieden werden sollen. Der variable Einkommensanteil wird von bisher 10 auf 25 Prozent des Gesamteinkommens der betro enen Mitarbeiter erhöht. Die Besonderheit des neuen Vergütungsmodells besteht darin, dass es äußerst attraktive Mehrvergütungen für Zielübererfüllungen bereithält. Der Mitarbeiter kann bei entsprechender Leistung bis zum Dreifachen des variablen Vergütungsanteils verdienen, der ihm bei Zielerfüllung zustünde. Lag die Zielprämie für 100% Zielerreichung bislang bei 15.000 Euro pro Jahr, so kann ein Mitarbeiter mit einem entsprechenden Spitzenergebnis nunmehr bis zu 45.000 Euro variabel verdienen. Die zusätzlichen Deckungsbeiträge rechtfertigten diesen beträchtlichen Einkommensanstieg. Die Außendienstmitarbeiter wurden bisher mit einer Provision auf die selbst getätigten Umsätze entlohnt. Mit dem Einstieg in das neue Vergütungskonzept werden folgende fünf Kriterien per Zielprämien vergütet. Der Auftragseingang im Außendienstgebiet. Diese Größe fand sich bis jetzt in der Vergütung nicht wieder, obwohl die Mitarbeiter nach diesem Kriterium straff gesteuert wurden. Mit dem Auftragseingang sollen nun Verbindungen zum absoluten Marktanteil und zur Produktionsauslastung hergestellt werden. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="232"?> 11 Steuerung durch Ziele und Vergütung 220 Der Deckungsbeitrag aus Strategiekunden. Dabei handelt es sich um Kunden, die zwar in der Regel nur 20 bis 30 Prozent des Umsatzes und Ertrags erwirtschaften, aufgrund ihrer strategischen Bedeutung jedoch auf- und ausgebaut werden sollten. Mit der variablen Vergütung will man auch verhindern, dass die Abwanderung solcher Kunden allzu leicht hingenommen wird. Die Forcierung strategisch wichtiger Produkte. Über dieses Kriterium sollen neue, renditestarke Produkte sowie ausbauwürdige Artikel gefördert werden. Vergütet wird der Deckungsbeitrag aus diesen Produkten, um die Aufmerksamkeit der Mitarbeiter auf solide Preise und ebensolche Konditionen zu lenken. Persönliche Ziele. Aus einem Pool möglicher Vergütungskriterien können vom Verkaufsleiter maximal zwei ausgewählt werden, z. B. Neukunden- Akquise, Deckungsbeitrag aus bestimmten Marktsegmenten, Ausbau bestimmter Potenzialkunden, Forcierung bislang vernachlässigter Produktbereiche etc. Potenzialziele. Als Brücke zur Potenzialentwicklung der Mitarbeiter werden auch nicht messbare (sogenannte „weiche“) Leistungskriterien in das Vergütungssystem eingebaut, die dem Reifegrad des Mitarbeiters angepasst sind, z.B. die Fähigkeiten zur Selbstreflexion, Selbstdarstellung oder Kooperation. Die Mitarbeiter im Verkaufsinnendienst sind traditionell bestimmten Außendienstmitarbeitern zugeordnet. Sie erhielten bislang eine Provision auf den Deckungsbeitrag, den die Gruppe erzielte. Mit dem Umstieg auf das neue Vergütungssystem werden nun Leistungskriterien vergütet, die mit jenen der Außendienstmitarbeiter eng verknüpft sind: Auftragseingang der kombinierten Gruppe aus Außendienst und Innendienst. Deckungsbeitrag aus Strategiekunden dieser Gruppe. Forcierung strategisch wichtiger Produkte. Qualität der vom Inndienst vereinbarten Kundenbesuchstermine, gemessen als Verhältnis von realisierten zu vereinbarten Terminen. Potenzialziele als Brücke zur Potenzialentwicklung und analog zu den Mitarbeitern im Außendienst. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="233"?> 11.9 Aus der Praxis 221 Die Verkaufsleiter werden mit Leistungskriterien bedacht, die (a) mit der Tätigkeit ihrer Mitarbeiter verbunden sind, und (b) mit solchen, die ihre Aufgaben als Führungskraft widerspiegeln. Neben dem Auftragseingang im jeweiligen Verantwortungsbereich der eigenen Mitarbeiter sind dies: Deckungsbeitrag aus strategisch wichtigen Kunden der Mitarbeiter. Deckungsbeitrag des gesamten Verkaufs zur Schärfung der ganzheitlichen Sicht. Projektziele für die Weiterentwicklung der Abteilung, z.B. die Einführung neuer Führungsinstrumente und -methoden, die Umstrukturierung der Abteilung, Kostensenkungsprogramme etc. Persönliche Ziele zur Weiterentwicklung der Führungskompetenzen. Für die Mitarbeiter im Bereich Marketing gelten folgende Vergütungskriterien, die an jene der Verkäufer angebunden werden: Auftragseingang im Planungszeitraum. Deckungsbeitrag des Gesamtvertriebs im Planungszeitraum. Persönliche Ziele, z.B. bestimmte Produkte erfolgreich zu vermarkten, Werbe- und Messekonzepte zu erstellen oder eine umsatzwirksame Rücklaufquote aus Messen und besonderen Werbemaßnahmen zu erzielen. Potenzialziele zur Weiterentwicklung der Marketingexpertise. Als Ergebnis des neuen Vergütungssystems berichtet das Unternehmen von einer ausgesprochen positiven Ertragsentwicklung. Das Wachstum konnte erheblich gesteigert werden. Besondere Kundenwünsche werden nicht mehr als Belastung verstanden, die es zu vermeiden gilt. Die Leistungsmotivation der Mitarbeiter hat sich spürbar verbessert. Dies dürfte unter anderem darauf zurückzuführen sein, dass die Mitarbeiter zum ersten Mal in ein transparentes Vergütungssystem mit konkreten Zielen und nachvollziehbaren Chancen und Risiken eingebunden sind. Sie wissen nun, was von ihnen erwartet wird und was sie im Gegenzug vom Unternehmen dafür erwarten dürfen. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="234"?> 11 Steuerung durch Ziele und Vergütung 222 11.10 Für die Praxis H EINZ -P ETER K IESER hat das Wort: Eine zeitgemäße Vergütung im Verkauf sollte folgende Merkmale aufweisen: Vergütungssysteme im Verkauf sind heute kein rein operatives Instrument mehr. Sie sollen vielmehr auch die Erreichung langfristiger Unternehmensziele sicherstellen, z.B. die Entwicklung neuer Marktsegmente, die Verbesserung der Liquidität des Unternehmens oder die Ertragskraft des Produktsortiments. Es sind alle Mitarbeiter und Führungskräfte im Außen- und Innendienst in Ziele einzubinden, die sich aus den übergeordneten Unternehmenszielen ableiten. Dies stellt vor allem sicher, dass nicht nur eine Handvoll Führungskräfte an der Erreichung der Unternehmensziele arbeiten, während alle anderen ihre Partikularziele verfolgen. Die Erfolgswahrscheinlichkeit von Verkaufsaktivitäten steigt dadurch deutlich. Die Zeiten, in denen nur ein Leistungskriterium, also meist der Umsatz oder - professioneller - ein Deckungsbeitrag, vergütet wurde, sind vorbei. Da Unternehmen immer mehrere Ziele zugleich verfolgen, muss sich diese Pluralität auch im Vergütungssystem niederschlagen. Die Leistungskriterien sind so aufeinander abzustimmen, dass sie sich gegenseitig stützen. Durch eine Entlohnung von Deckungsbeiträgen statt Umsätzen oder Mengen werden Unternehmensgewinne bereits „an der Verkaufsfront“ abgesichert. Dies erzieht die Mitarbeiter zudem zu unternehmerischem Denken und Handeln. Mehrleistung muss sich für den Mitarbeiter lohnen! Die herkömmliche Vergütung über Provisionen fördert ein Mehr-von-demselben. Provisionen vergüten bereits die erste Leistungseinheit, sodass die vergangene Aufbauleistung des Mitarbeiters jährlich immer wieder aufs Neue honoriert wird. Der größte Teil der Provision verpufft so für Basisleistungen, während nur ein Bruchteil auf einen Verkauf durch mehr Anstrengung entfällt. Die variablen Anteile der Vergütung sind nennenswert zu gestalten. Mit „Sahnehäubchen“ ist nichts zu bewirken. Im Außendienst ist heute ein variabler Einkommensanteil von bis zu 30% üblich; im Innendienst werden nicht selten 15% des Einkommens variabel verdient. Um die Vergütung gerecht zu gestalten, sollten z.B. gleiche Zielprämien in Gebieten mit unterschiedlichen Marktpotenzialen verdient werden können. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="235"?> 11.10 Für die Praxis 223 Klassische Provisionen benachteiligen Verkäufer in potenzialschwachen Gebieten. Auch sogenannte „weiche“, also nicht zähl- oder messbare Kriterien (z.B. Produktkenntnis, Kommunikationsverhalten, Kooperationsbereitschaft) werden heute anhand eines ausführlichen Entwicklungsgesprächs in die variable Vergütung einbezogen. Eine zeitgemäße Vertriebsvergütung weist somit ein hohes Maß an Flexibilität auf. Marktveränderungen, neue Wettbewerbsverhältnisse oder neue Strukturen und Prioritäten des Unternehmens lassen sich in ein solches Vergütungssystem einbauen, ohne Verträge oder Betriebsvereinbarungen ändern zu müssen. Ein maßgeschneidertes Vergütungssystem macht sich bezahlt. Dabei ist wichtig, die Mitarbeiter mit einem neuen Vergütungssystems nicht einfach zu konfrontieren, sondern sie am Verfahren zu beteiligen. Auch hier liefert uns die Psychologie einen wertvollen Hinweis. Für die meisten Menschen zählt die Verfahrensgerechtigkeit, also der Weg zur Verteilung von Nutzen und Lasten, mehr als die Verteilungsgerechtigkeit, das Ergebnis des Verfahrens. 154 Sie sind sogar bereit Opfer zu bringen, wenn das Verfahren, das zu der Verteilung führte, mit ihrer Beteiligung und damit transparent und angemessen verlief. Weiterführende Literatur K IESER , H EINZ -P ETER (2017): 7 Tipps für eine moderne Vertriebsvergütung. In: Vertriebsmanager.de, Magazin des Bundesverbandes der Vertriebsmanager BdVM, Berlin. K IESER , H EINZ -P ETER (2016): Variable Vergütung im Vertrieb - 10 Bausteine für eine motivierende Entlohnung im Außen- und Innendienst, Verlag Springer Gabler, Wiesbaden. K IESER , H EINZ -P ETER (2008): Moderne Vergütung im Verkauf - Leistungsorientiert entlohnen mit Deckungsbeiträgen und Zielprämien. Verlag Wissenschaft und Praxis, Sternenfels. 154 Für Leser, die sich für dieses auch für den persönlichen Verkauf so wichtige Thema interessieren, sei die folgende Publikation empfohlen: S TEFAN L IEBIG (2010): Warum ist Gerechtigkeit wichtig? Empirische Befunde aus den Sozial- und Verhaltenswissenschaften. In: Fetchenhauer, D.; Goldschmidt, N.; Hradil, St.; Liebig, St. (Hrsg.): Warum ist Gerechtigkeit wichtig? S. 10-25. Roman-Herzog-Institut, München. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="236"?> 224 12 Personalentwicklung im Verkauf Zwischen Personalmanagement und Human Resource Management liegen zwar Welten, dennoch werden die beiden Begriffe oft synonym gebraucht. Da „HR“ („eitschar“) einfach flotter klingt, wird selbst eine dürftige Personalverwaltung gerne in HR-Management umetikettiert. Das Personalmanagement ist anderen Managementfunktionen, wie etwa Produktion, F&E oder Marketing, in der Regel nachgelagert. Es ist folglich eher reaktiv und zudem auf Standardisierung bedacht. Human Resource Management sollte hingegen in die Unternehmensführung integriert, vorausschauend angelegt, auf individuelle Unterschiede Bedacht nehmend und somit ressourcenorientiert sein. Ressourcenorientierung betont den positiven Unterschied. 155 Sie orientiert sich nicht an Defiziten und Schwächen, sondern an den Stärken und Fähigkeiten der beteiligten Menschen. Bild 12-1 zeigt die Vielfalt der Teilfunktionen eines Human Resource Managements, das weit über eine bloße Personalverwaltung und nicht minder weit über ein auf das Nötigste getrimmtes Personalmanagement hinausgeht. Die Bereitstellungsfunktionen reichen von der Personalplanung, über die vorbereitende Teilfunktion des Personalmarketings zur Personalbeschaffung und schließlich zur Personalauswahl. Die Bewertungsfunktionen dienen dem Beobachten, Einschätzen, Vergleichen, Anstoßen und Dynamisieren der Human-Ressourcen. Deshalb findet sich darin auch die Führungsgestaltung. Wer sonst, außer dem Human Resource Management, hat in einer Organisation die Möglichkeit, „Führung“ zu beobachten, zu bewerten und daraus Empfehlungen abzuleiten? Die Performanzbewertung 156 hat nichts mit dem englischen performance zu tun, sondern meint die Einschätzung der Leistung, die sich nicht auf das WAS beschränkt, sondern auch das WIE, also die Wirkung, mit einschließt. Die Aktivierungsfunktionen umfassen neben der betrieblichen Ausbildung, der Personaleinführung („Onboarding“ 157 ) und der Personalentwicklung auch die 155 Der Psychotherapeut S TEVE DE S HAZER (1940-2004) meinte dazu einmal sinngemäß, wir könnten ohne weiteres wissen was besser ist, ohne unbedingt wissen zu müssen, was gut ist. 156 In der Linguistik bezeichnet Performanz die Wirkung von Sprache (z.B. das Ja-Wort bei der Eheschließung), während Kompetenz für das (unbewusste) Beherrschen von Sprache steht. 157 Teil des Jargons im Human Resource Management. Leitet sich aus dem englischen „taking on board“ ab und umfasst alle Maßnahmen, welche die Integration neuer Mitarbeiter fördert. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="237"?> 12.1 Die Funktion der Personalentwicklung 225 Gestaltung von Strukturen und Kultur. Die Begründung dafür ist dieselbe wie bei der Führungsgestaltung. Bei den Unterstützungsfunktionen wird sich die Personalpolitik in kleineren Unternehmen auf eine personalpolitische Leitlinie (z.B. Diversität, Partizipation, Flexibilität) beschränken. Konfliktmanagement & Mediation bezieht sich auf die internen und externen Ressourcen, auf die ein professionelles HR-Management für die Bewältigung schwerwiegender Konflikte zurückgreifen kann. Personalfreisetzung ist schließlich jene Teilfunktion, aus der Rückschlüsse auf die ethische Verfasstheit einer Organisation gezogen werden können. Bild 12-1: Das 4x4-Modell des Human Resource Managements Von den 16 Teilfunktionen besitzen die Personalauswahl und die Personalentwicklung ein besonderes Gewicht. Erstere, weil eine Fehlauswahl hohe Folgekosten nach ziehen kann. Letztere, weil von ihr der Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit einer Organisation abhängt. 12.1 Die Funktion der Personalentwicklung Der übergeordnete Zweck der Personalentwicklung setzt am Konzept des Humankapitals an. Ein Begriff, der zum Widerspruch herausfordert. Eine mit der Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="238"?> 12 Personalentwicklung im Verkauf 226 Frankfurter Goethe-Universität verbundene Jury erklärte 2004 das Humankapital zum Unwort des Jahres. Die Bezeichnung degradiere nicht nur die Arbeitskräfte in Betrieben, sondern mache den Menschen ganz allgemein zu einer nur noch ökonomisch interessanten Größe. Dabei soll der Begriff Humankapital den Menschen eben nicht herabwürdigen, sondern vielmehr die Werthaltigkeit seines Wissens, seiner Fähigkeiten und Fertigkeiten als besonderes Gut herausstellen. Menschen stellen ihr Potenzial in Form von Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten Organisationen 158 als Tauschgut zur Verfügung. Dieses Gut kann jedoch nicht getrennt werden von den höchst unterschiedlichen persönlichen Überzeugungen, Werten und Bedürfnissen. Organisationen bekommen ja immer den „ganzen Menschen“ und nicht nur den jeweiligen „verwertbaren“ Kern, den man gerne als Produktionsfaktor Arbeit bezeichnet. Dieser „Input“, oder wenn man so will, die „Persönlichkeit“, ist das originäre Humankapital. In diesem sind neben dem durch Ausbildung erworbenen Wissen und Können auch alle Erfahrungen aus früheren Tätigkeiten enthalten. Die Organisation, die sich des originären Humankapitals bedient, kann es weiter entwickeln oder brach liegen lassen. Sie kann es in Strukturen einbetten oder es kurzfristig ausbeuten. Sie kann Bedingungen schaffen, die den Motiven der Menschen möglichst gerecht werden oder durch Angst, Stress und Zwänge das natürliche Wollen strangulieren. Jedenfalls formt die Organisation aus den einzelnen originären Humankapitalien ein abgeleitetes oder derivatives Humankapital. Dieses ist auf die aktuellen wie zukünftigen betrieblichen Notwendigkeiten ausgerichtet. Das originäre Humankapital repräsentiert also das, was jemand in ein Arbeitsverhältnis investiert; das derivative das, was die jeweilige Organisation daraus macht. Bei jedem Wechsel zu einer anderen Organisation löst sich aus dem gesamthaften derivativen Humankapital ein neues originäres und kann anderswo wieder investiert werden. Jeder Wechsel ist zugleich mit einem Verlust von Humankapital verbunden. Verloren geht dabei jener Teil, der auf die jeweiligen Bedingungen einer Organisation zugeschnitten ist und deshalb außerhalb von ihr kaum oder gar nicht verwendet werden kann. Arbeitslosigkeit vernichtet natürlich Humankapital. Erstens, gehen durch Nichtgebrauch Routinen und Fertigkeiten verloren. Zweitens, wird Wissen nicht mehr aktualisiert. Und drittens kann sich durch längere Arbeitslosigkeit in den betroffenen Menschen eine Misserfolgsakzeptanz festsetzen, die in Resignation, Angst und schließlich „erlernter Hilflosigkeit“ mündet. 158 Unternehmen sind nur eine besondere Form von Organisationen, deshalb wird hier dieser weiter gefasste Begriff verwendet. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="239"?> 12.1 Die Funktion der Personalentwicklung 227 Bild 12-2 zeigt den in sich geschlossenen Prozess der Personalentwicklung (PE). Die Bedarfsschätzung ergibt sich aus den systematischen Mitarbeitergesprächen, die in professionell geführten Organisationen in der Regel jährlich 159 durchgeführt werden. Das im 6. Kapitel dieses Buches skizzierte „Reifegradmodell“ kann dazu dienen, diese Gespräche tatsächlich ressourcenorientiert zu gestalten. Der PE-Plan führt den Bedarf in konkrete und zeitlich definierte Maßnahmen über. Nach deren Durchführung warten die beiden kritischen Stufen der Transfersicherung und Erfolgskontrolle. Bild 12-2: Schema eines Personalentwicklungsprozesses Auf die Transfersicherung wird oft vergessen. Unterbleibt der Transfer der von einzelnen Mitarbeitern erworbenen Kompetenzen zu den relevanten Gruppen oder in die ganze Organisation, so verfehlen PE-Maßnahmen die notwendige Wirkung auf die Humankapitalbilanz. Im schlimmsten Fall erodiert sogar das Humankapital. 160 Die Erfolgskontrolle der PE-Maßnahmen ist der zweite wunde Punkt. Woran soll der Erfolg gemessen werden und wie soll der Effekt der PE aus dem anderer Faktorenwie Stimmung, Wirtschaftslage oder Konkurrenzsituation, herausgerechnet werden? Unternehmen helfen sich oft damit, die Ziele der PE in die „Balanced Scorecard“ des Unternehmens zu integrieren. Beispiele 159 Heute wird oft dafür plädiert, das rituelle jährliche Gespräch durch eine gegenseitige Bewertung zwischen „peers“ (engl. peer = gleichrangig, hier Kollegen) oder überhaupt durch eine „permanentes“ Feedback zu ersetzen. Zum anderen führen manche Unternehmen zwei Gespräche pro Jahr, wobei z.B. Potentialeinschätzung und Laufbahnentwicklung von Fragen der Einstufung und Entgeltgestaltung getrennt werden. 160 Dies ist etwa dann der Fall, wenn in Branchen mit einer niedrigen Halbwertszeit des Wissens die geleisteten PE-Investitionen den Wertverlust an Humankapital nicht mehr kompensieren können. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="240"?> 12 Personalentwicklung im Verkauf 228 hierfür sind die Kundenabwanderungsrate; Rüst-, Warte- und Durchlaufzeiten; Qualitätsnormen und Toleranzgrenzen; die allgemeine Fluktuationsrate sowie die Verbleiberate von Neuzugängen und Leistungsträgern; die Arbeitsausfallsrate. 12.2 Die sieben Handlungsfelder der Personalentwicklung In Bild 12-3 wird der Versuch unternommen, das weite Feld der Personalentwicklung (PE) in konkrete, durch ihren Zweck bestimmte Handlungsfelder zu gliedern. Handlungsfeld Zweck Theoretische Grundlagen Beispiele PE durch Enkulturation Umwandlung von personenbezogenem in organisationales Humankapital Vergemeinschaftung durch die Internalisierung von Werten und Normen Checklisten „Bootcamp“ Patensystem PE durch Handlungslernen Erwerb von praktischer Intelligenz am Arbeitsort „Learning by Doing“ Philosophie des Pragmatismus Job Rotation Job Enlargement Job Enrichment PE durch externen Wissenserwerb Erwerb von Wissen und Kompetenzen, die in der eigenen Organisation nicht verfügbar sind Explizites Lernen außerhalb der eigenen Organisation „Blended Learning“ Außer-Haus-Seminare PE durch internen Wissenstransfer Förderung der Diffusion vorhandenen Wissens und vorhandener Kompetenzen innerhalb der Organisation Umwandlung von implizitem in explizites Wissen Austauschforen Altersgemischte Gruppen Gleitender Übergang in den Ruhestand PE durch Persönlichkeitsentwicklung Hilfestellung bei der Förderung und Deblockierung persönlicher Ressourcen Ressourcenorientierung Die Plastizität der Persönlichkeit Coaching Mentoring Resilienz-Training PE durch soziales Lernen Förderung des kooperativen Verhaltens in arbeitsteiligen Organisationen Mechanismen der Gruppendynamik und die Vermeidung sozialer Dilemmata Lernstatt Qualitätszirkel PE durch Laufbahnentwicklung Langfristige Ausrichtung der PE durch Bündelung von Kompetenzen (verstanden als Wissen + Fähigkeiten + Fertigkeiten) Strategisches Human Resource Management Führungslaufbahn Projektlaufbahn Expertenlaufbahn Bild 12-3: Die sieben Handlungsfelder der Personalentwicklung Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="241"?> 12.2 Die sieben Handlungsfelder der Personalentwicklung 229 12.2.1 PE durch Enkulturation Enkulturation ist das Hineinwachsen in eine neue Kultur. Dies kann auf drei Ebenen geschehen: der Makroebene der Gesellschaft (die Migrationsthematik wird meist auf diese Ebene reduziert), der Mesoebene mit Unternehmen, Vereinen, Milieus, Szenen, Clans etc., und der Mikroebene der Familie, Kleingruppen, Gangs etc. Enkulturation erfolgt unbewusst durch schrittweise Aneignung der von der Mehrheit der Mitglieder einer bestimmten Kultur geteilten „Selbstverständlichkeiten“. Darunter fallen jene Wertvorstellungen (z.B. „Gleichheit ist für uns besonders wichtig“), Einstellungen (z.B. „Wir versuchen vorurteilsfrei zu handeln“) und Verhaltensmuster (z.B. „Wir duzen einander“), die von der Mehrheit verinnerlicht wurden und daher nur sehr selten hinterfragt werden. Da Menschen immer mehreren sozialen Systemen angehören, wird die Enkulturation in ein bestimmtes System in der Regel unvollständig sein. Eine Ausnahme bildet die Sekte. Hier muss das werdende Mitglied allen anderen kulturellen Bindungen ausdrücklich abschwören, um dem System „mit Haut und Haaren“ anzugehören. Bild 12-4: Der Stellenwert der Enkulturation für Humankapital, Wettbewerbsfähigkeit und Organisationserfolg Die Beispiele für die Enkulturation in Organisationen ( Bild 12-5) reichen von „Checklisten“ mit den wichtigsten Merkpunkten, speziell angefertigtem Einführungsmaterial, Gesprächen mit den neuen Kollegen bis zu Willkommensveranstaltungen, „Onboarding“-Seminaren und „Bootcamps“. Letztere beschreiben eigentlich den Ort der Grundausbildung im US-amerikanischen Militär. Der Begriff steht heute für das rasche und intensive Eintauchen in ein sehr spezifisches kulturelles Umfeld. Die aufwendigste und erfolgversprechendste Methode der Enkulturation ist das Patensystem. Der Pate oder die Patin soll sich dem neuen Mitarbeiter zuwenden, ihn persönlich betreuen und vertraut machen mit der neuen Arbeitsumgebung, den anderen Mitarbeitern sowie den geschriebenen und ungeschriebenen Regeln der Organisation. Der Pate kennt die formellen und in- Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="242"?> 12 Personalentwicklung im Verkauf 230 formellen Strukturen, besitzt Anerkennung, Respekt und Vertrauenswürdigkeit. Das Vertrauensverhältnis zwischen dem Paten und dem neuen Mitarbeiter bleibt oft auch nach der Phase der Begleitung (in der Praxis meist sechs Monate) bestehen. Bild 12-5: Beispiele für „Onboarding“ 12.2.2 PE durch Handlungslernen Theoretische Grundlage ist das „Learning by doing“, einer Idee, die auf den Gründer der Pfadfinderbewegung R OBERT B ADEN -P OWELL (1857-1941) zurückgeht. Etwas weiter gefasst, ist Handlungslernen ein Ausfluss der gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Amerika entstandenen Philosophie des Pragmatismus. Danach erlangt der Mensch neue Einsichten durch Reflexion vielfältiger Erfahrungen, die er dann laufend in größere persönliche, zwischenmenschliche und organisatorische Zusammenhänge einordnet. Voraussetzungen dafür sind Mut zum Entdecken neuer Fähigkeiten, Übung in Ausdauer, Überwindung von Frust und Misserfolg sowie die Entfaltung von Zivil-Courage. Angewandt auf die Personalentwicklung in Organisationen, lässt sich das Handlungslernen anhand von vier Vorgehensweisen beispielhaft beschreiben ( Bild 12-6). Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="243"?> 12.2 Die sieben Handlungsfelder der Personalentwicklung 231 Bild 12-6: Möglichkeiten des Handlungslernens Coaching am Arbeitsplatz: Der Mitarbeiter bleibt in seiner Arbeitsumgebung und erhält unmittelbare Rückmeldungen über seine Tätigkeit. Es gibt keine gestellten Übungsszenen und keine fremden Übungsorte, sondern es wird „in vivo“ 161 gearbeitet. Coach und Coachee analysieren gemeinsam das Arbeitsverhalten und erarbeiten gemeinsam Änderungsmöglichkeiten. Coaching am Arbeitsplatz ist auch eine einmalige Gelegenheit, nicht nur das Lernen, sondern auch das „Entlernen“ 162 zu üben. Der lange Weg des Abwerfens von Ballast und zur der Überwindung von Trägheit wird hier in kleine Schritte unterteilt. Jeder Schritt des Entlernens verleiht ein Gefühl des Leichterwerdens und regt so zu nächsten Schritten an. Im Verkauf ist diese Form der PE als „Bordsteinkonferenz“ ( Abschnitt 12.3) bekannt. Job Rotation: Mitarbeiter tauschen nach einer bestimmten Ordnung den Arbeitsplatz mit ihren Kollegen und übernehmen deren Aufgaben. Ziel ist die Erweiterung und Vertiefung von Fachkenntnissen. Job Rotation ist typisch für Traineeprogramme und dient auch als Vorbereitung auf den nächsten Laufbahnschritt. Beispiele: Auf eine Woche Fahrwerks-Montage folgt jeweils eine Woche Motor- und Getriebemontage, dann Innenausstattung und schließlich Elektrik & Funktionsprüfung; danach wieder Beginn von vorne. Nach einem halben Jahr im Verkaufsinnendienst für ein Jahr Übernahme eines Verkaufsgebietes im Außendienst, danach sechs Monate Assistent der Leiterin des 161 Lateinisch: vivo = lebend. Hier im Sinne von „im normalen betrieblichen Alltag“ verwendet. 162 Dem Schriftsteller A NDRÉ G IDE (1869 1951) wird das das folgende Zitat zugeschrieben: „Man entdeckt keine neuen Weltteile, ohne den Mut zu haben, alte Küsten aus den Augen zu verlieren.“ Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="244"?> 12 Personalentwicklung im Verkauf 232 Kundendienstes, anschließend Vorbereitung für die Nachfolge des ebenfalls rotierenden Innendienstleiters. Job Enlargement: Der Umfang der Arbeit wird erweitert, die Arbeitsteilung hingegen verringert. Gleichartige Aufgaben oder im Arbeitsablauf vor- oder nachgeordnete Aufgaben werden zum ursprünglichen Arbeitsgang hinzugefügt. Damit können die Nachteile einer übermäßigen Spezialisierung (Stichwort „Taylorismus“) abgeschwächt werden. Beispiele: Bisher zuständig für die reine Auftragsannahme, nun auch Überprüfen der Verfügbarkeit der Ware und Einhaltung der Termine. Ein Fachverkäufer wird Key Account Manager und fungiert damit als Schnittstelle zwischen einigen Schlüsselkunden und seinem Unternehmen. Seine Rolle ähnelt der eines Generalisten ( Abschnitt 12.2.7) Job Enrichment: Der bisherige Aufgabenbereich wird angereichert, indem der Mitarbeiter qualitativ höherwertige und anspruchsvollere Aufgaben übernimmt, die zuvor einer höheren hierarchischen Ebene zugeordnet waren. Beispiele: Einfachen Routineaufgaben in der Produktion werden Wartung, Reparatur und Qualitätskontrolle hinzugefügt. Eine Sachbearbeitung im Verkauf wird durch Hinzufügen von Planungs- und Kontrollaufgaben aufgewertet, was einen größeren Entscheidungsspielraum bedeutet. 12.2.3 PE durch externen Wissenserwerb Zweck ist der Erwerb von Wissen, verknüpft mit jenen Fähigkeiten und Fertigkeiten, die in der eigenen Organisation nicht verfügbar sind. Die theoretische Grundlage ist das explizite Lernen außerhalb der eigenen Organisation. Beim expliziten Lernen werden die Lernschritte geplant, die Lernziele festgelegt und die Lerninhalte bewusst eingeprägt. Beim impliziten Lernen ist zwar das übergeordnete Lernziel bekannt, nicht jedoch der Lernablauf. Implizit Gelerntes kann auch dann abgerufen werden, wenn die Aufmerksamkeit während des Lernvorgangs nicht bewusst darauf gerichtet war. Beispiele hierfür sind psychomotorische Fertigkeiten wie Fahrradfahren oder kognitive Fähigkeiten wie das Ausführen einer einfachen Rechenaufgabe. Das Wissen, das durch implizites Lernen erworben wurde, kann nicht vollständig verbalisiert werden. Es können nur Details mithilfe expliziter Formulierungen (z.B. „Ich mache es eben so und so...“) erklärt werden. Und noch etwas: Explizites Lernen schließt implizites nicht aus; dieses läuft oft sozusagen nebenher mit. Durch explizites Lernen wird aus Tatsachen und Ereignissen Wissen geformt. Speicherort ist das deklarative Gedächtnis des Neokortex (Großhirnrinde). In seinem episodischen Teil sind persönliche Erlebnisse entlang einer Zeitleiste ab- Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="245"?> 12.2 Die sieben Handlungsfelder der Personalentwicklung 233 gespeichert, im semantischen Teil das Faktenwissen ohne Zeitbezug. Da beide Teile eng miteinander verbunden sind, können wir uns Fakten besser einprägen, wenn sie gleichsam mit einer bestimmten Episode hinterlegt ist. Dies erklärt auch den Erfolg des „Storytelling“. Der Verkäufer, der die Vorzüge seines Angebots in eine Geschichte verpackt ( Bild 12-7), wird erfolgreicher sein, als sein Kollege, der sich mit Daten, Befunden und sogenannten Fakten abmüht. Eine Geschichte braucht keine Legitimation, wie dies bei der Weitergabe von Faktenwissen der Fall ist. Sie legitimiert sich durch die Praxis ihrer Erzählung selbst. Argumente erreichen bestenfalls den Verstand. Geschichten wirken hingegen viel tiefer; sie sind „bewohntes Gedächtnis“. Bild 12-7: Anwendung des Storytelling abseits der Personalentwicklung Eindimensionales Lernen, wie etwa durch einen ereignisarmen Frontalunterricht, ist daher weniger wirksam als z.B. das „Blended Learning“. Dieses Konzept kombiniert (englisch: to blend = mischen) verschiedene Lernmethoden und Medien miteinander. Beispielsweise werden Lerninhalte über selbstgesteuertes E- Learning, Webcasting oder virtuelle Klassenräume in digitaler Form vermittelt; das Ganze wird ergänzt durch „klassische“ Face-to-Face-Kommunikation sowie praktisches Lernen mit unmittelbarer Rückmeldung, Rollenspiele, Gruppenarbeiten etc. Ein solches „hybrides“ Lernen ist erfolgreicher, weil es eine größere Bildervielfalt im Gehirn erzeugt. Wichtig ist dabei, dass Präsenz- und Online- Phasen aufeinander abgestimmt sind. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="246"?> 12 Personalentwicklung im Verkauf 234 12.2.4 PE durch internen Wissenstransfer Der Zweck besteht darin, die Diffusion vorhandenen Wissens samt der damit verknüpften Fähigkeiten und Fertigkeiten innerhalb der Organisation zu fördern. Theoretische Grundlage ist die Umwandlung von implizitem in explizites Wissen. Dabei ist allerdings Vorsicht angebracht. Reines Faktenwissen (z.B. wie ein Getriebe funktioniert oder die Daten eines Produkts, das verkauft werden soll) kann problemlos weitergeleitet werden. Dafür braucht es keine Theorie. Je mehr allerdings dieses Wissen an bestimmte Fähigkeiten und Fertigkeiten gebunden ist (z.B. wie ein funktionsuntüchtiges Getriebe wieder instand gesetzt werden kann oder wie bei Menschen der Wunsch nach einem bestimmten Produkt geweckt werden soll), desto mehr widersetzt es sich seiner Übertragung. Dieses gebündelte Wissen ist immer an erfolgreiche Handlungen gebunden und damit etwas rein Persönliches. Es ist daher mehr als implizites (unausgesprochenes) Wissen, es verkörpert „Könnerschaft“ 163 . Diese lässt sich jedoch nicht einfach „explizieren“, also äußern, erläutern, begreiflich machen. Wir haben es also mit einem Wissensspektrum zu tun, das von den beiden Polen „reines Faktenwissen“ und „personalisierte Könnerschaft“ begrenzt ist. Die folgenden Beispiele für eine Personalentwicklung durch internen Wissenstransfer ( Bild 12-8) berücksichtigen diese Vielfalt. Austauschforen: Menschen sind Kleingruppenwesen ( Abschnitte 4.4 und 5.7). In der vertrauten Einheit der kleinen Gruppe sind sie bereit, Gefühle zu zeigen, „Fehler“ zuzugeben und sich auf Kooperation einzulassen. „Austausch“ bedeutet ja nichts anderes, als dem Prinzip der Wechselseitigkeit ( Abschnitt 9.6) zu folgen. Ich gebe mein Wissen preis, weil ich erwarten kann, dass die anderen es genauso tun. Altersgemischte Gruppen: Die Vielfalt an Werteprofilen und Lebensmodellen führt unweigerlich zu Problemen in der Verständigung zwischen den „Generationen“ 164 . Der interne Wissenstransfer scheitert oft an diesen Barrieren. Dabei kann dieser in beiden Richtungen funktionieren: Von Alt zu Jung, wenn nicht belehrend vorgegangen wird. Und von Jung zu Alt, wenn, wie etwa beim sogenannten „Reverse Mentoring“, bei dem junge Mitarbeiter ihr „Internetwissen“ an ältere (durchaus auch Führungskräfte! ) weitergeben. 163 Zur Schwierigkeit der Umwandlung von implizitem in explizites Wissen sei folgende Lektüre empfehlen: G EORG S CHREYÖGG und D ANIEL G EIGER (2003): Kann die Wissensspirale Grundlage des Wissensmanagements sein? Diskussionsbeiträge des Instituts für Management, Nr. 20, Freie Universität Berlin. 164 Es handelt sich hier um Alterskohorten, die statistisch auffällig bestimmte gemeinsame Wertvorstellungen pflegen. Beispiele für solche „Generationen“ sind die Wirtschaftswunder-Generation, die „Baby-Boomer“, die Generationen X, Y und Z sowie die „Curling- Kinder“. ( Abschnitt 4.1) Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="247"?> 12.2 Die sieben Handlungsfelder der Personalentwicklung 235 Bild 12-8: Möglichkeiten einer Personalentwicklung durch internen Wissenstransfer Das Stafetten-Modell: Die gesetzliche Regelung der Altersteilzeit ist eine wichtige Voraussetzung, um vom traditionellen abrupten Wechsel des „heute noch voll dabei“ zum „morgen im Ruhestand“ wegzukommen. Die Möglichkeiten reichen von der aufgabenorientierten variablen Arbeitszeit (AVAZ) bis zu Zeitautonomie und Zeitkonten. Für den internen Wissenstransfer bietet sich das Stafettenmodell an. Es kombiniert den gleitenden Ausstieg aus dem Erwerbsleben mit einem gleitenden Einstieg von ausgelernten Personen. Beide teilen ihre Stelle in der Phase des Übergangs. Damit besteht die Chance, langjährige Erfahrung mit neuestem Wissensstand zu verbinden. Meister-Lehrling-Beziehung: Wie bereits erwähnt, kann Könnerschaft nicht einfach von einer Person auf eine andere oder gar auf eine ganze Organisation übertragen werden (wie dies der zweifelhafte Begriff des „Wissensmanagements“ suggeriert). Die Meister-Lehrling-Beziehung bietet die Möglichkeit, implizites Wissen vom Könner auf den Novizen zu übertragen. Ihr Erfolg PE durch internen Wissenstransfer Austauschforen Meister- Lehrling- Beziehung Mentor- Mentee- Beziehung Altersgemischte Gruppen Stafetten- Modell Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="248"?> 12 Personalentwicklung im Verkauf 236 hängt von der Kombination dreier Elemente ab: Beobachten, Imitieren 165 und gemeinsam Üben. Diese Kombination ist durch nichts zu ersetzen und erklärt auch die Überlegenheit des dualen Ausbildungssystems. Einsteiger in den Verkauf können durch Beobachten, Imitieren und Üben von Kundengesprächen soziale Schemata 166 erlernen, mit deren Hilfe sie sich in verschiedensten Verkaufssituationen besser zurechtfinden können. Mentor-Mentee-Beziehung: Sie ist vergleichbar mit der Meister-Lehrling- Beziehung. Allerdings wird der Mentor dem Mentee nicht nur Könnerschaft vermitteln, sondern auch Lebenserfahrung mitgeben. Der Mentee wird auf diese Weise Zusammenhänge erkennen, die er sich sonst über „Versuch und Irrtum“ erarbeiten müsste. Der Mentor arbeitet natürlich anders als der Coach. Er nimmt den Mentee an die Hand, während der Coach dem Coachee Hilfe zur Selbsthilfe anbietet 167 . 12.2.5 PE durch Persönlichkeitsentwicklung Der Zweck der PE durch Persönlichkeitsentwicklung liegt darin, verborgene Potenziale zu wecken und/ oder Blockaden zu beseitigen, die eine Entfaltung vorhandener Potenziale verhindern. Im Gegensatz zu früher geht man heute nicht mehr von starren „Charakterzügen“ aus ( Abschnitt 2.1). Persönlichkeit besteht vielmehr aus relativ überdauernden Verhaltenstendenzen oder Dispositionen. Diese beschreiben die Wahrscheinlichkeit, dass sich eine Person in ähnlichen Situationen erneut so verhalten oder befinden wird. Die Persönlichkeit als Ganzes wird dadurch „plastisch“. Dies ist schon deshalb plausibel, weil sich unser Denken, Fühlen und Handeln aus dem Zusammenspiel vieler gleichzeitig oder aufeinander folgender Aktivitäten in den unterschiedlichsten Gehirnarealen ergibt. Diese „funktionelle Multi-Zentralität“ des Gehirns hat zur Folge, dass auch an der Ausformung und Weiterentwicklung der Persönlichkeit eine Vielzahl von Gehirnarealen beteiligt ist. Anhand des Vier-Ebenen-Modells ( Bild 12-9) des Neurobiologen G ERHARD R OTH (2007) lässt sich untersuchen, inwieweit die Persönlichkeit nach der Pubertät aus neurobiologischer Sicht überhaupt beeinflusst werden kann. 165 Imitation ist eine überaus wirksame Form des Lernens. Die Spiegelnervenzellen im Gehirn erlauben es uns, Handlungen nachzuahmen. Sie spielen eine zentrale Rolle in der kindlichen Entwicklung und im menschlichen Miteinander. 166 Ein soziales Schema ist ein Wissen, wie man sich in bestimmten Situationen verhalten soll. Dieses Wissen ist Teil des impliziten Gedächtnisses und kann daher, ohne dass es bewusst in Erinnerung gerufen wird (wie z.B. Radfahren oder Schwimmen), wirksam werden. 167 Oder anders ausgedrückt: Mentoring ist „learning from“, Coaching hingegen „learning with“. ( Abschnitt 7.4) Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="249"?> 12.2 Die sieben Handlungsfelder der Personalentwicklung 237 Bild 12-9: Die vier Ebenen der Persönlichkeit aus neurobiologischer Sicht 168 Ebene der existenziellen Grundlagen: Sie ist der stammesgeschichtlich älteste Teil des Gehirns. Sie sichert unsere biologische Existenz und reguliert über elementare Körperfunktionen und angeborene Antriebe solche Verhaltensweisen wie Flucht und Angriff, Wut und Aggressivität oder Dominanz- und Paarverhalten. Diese Ebene hat den stärksten Einfluss auf unser Verhalten, ist aber weitgehend genetisch festgelegt und damit kaum veränderbar. Dies betrifft vor allem das Temperament, das sich im Laufe des Lebens nicht mehr wesentlich verändert. Die Personalentwicklung hat keine Chance, hier einzugreifen. Ebene der emotionalen Konditionierung: Auf ihr schlagen sich jene nachgeburtlichen Lernvorgänge nieder, deren Ergebnis wir als elementare Gefühle kennen, etwa Furcht, Freude, Verachtung, Ekel, Neugierde, Hoffnung und Enttäuschung. Schon das Kleinkind lernt, was ihm Lust und Freude bereitet und deshalb angestrebt werden sollte. So entsteht das Belohnungs- und Motivationssystem im Gehirn, das unser Verhalten maßgeblich beeinflusst. Die Ebene der emotionalen Konditionierung ist durch Erfahrung veränderbar. Am ehesten gelingt dies durch langes Einüben, die eigenen Gefühlslagen ange- 168 In Anlehnung an G ERHARD R OTH (2007): Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten. Warum es so schwierig ist, sich und andere zu ändern. Stuttgart. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="250"?> 12 Personalentwicklung im Verkauf 238 messen zu regulieren. Für die Personalentwicklung finden sich dazu Hinweise im 8. Kapitel, „Die Kunst sich selbst zu führen“. PE sollte auch in der Lage sein, ein Training für Resilienz ( Abschnitt 7.6) anzubieten. Dessen Ziel besteht nicht darin, dass Menschen zunächst „ausgepowert“ werden, um sie danach schnell und unbeschadet wieder ans Werk gehen zu lassen. Resilienz- Training setzt an der Persönlichkeit an. Resiliente Menschen sind weniger aggressiv und belastbarer; sie haben ihre Impulse mehr unter Kontrolle als Nichtresiliente; sie sind auch eher bereit, über ihre Gefühle zu sprechen und Hilfe anzunehmen; sie sind offener für Neues und gehen mehr aus sich heraus. Damit können drei, für den persönlichen Verkauf essentielle Persönlichkeitsmerkmale positiv beeinflusst werden: Emotionale Stabilität, Extraversion und Offenheit für Neues. Ebene des individuellen und sozialen Lernens: Hier ist der Erziehungserfolg gespeichert. Soziales Verhalten, moralisches Abwägen, das Abschätzen von Risiken und Chancen, die Steuerung der Aufmerksamkeit, die Orientierung im Raum, das Erkennen von Gesichtern und die Empathie gehören dazu. Diese Ebene beeinflusst das Verhalten in Maßen. Sie ist im Wesentlichen veränderbar durch rege soziale Interaktionen mit einer Vielfalt von Menschentypen. Dadurch kann auch eine Vielfalt sozialer Schemata erlernt werden, also ein Wissen darüber, wie Personen treffsicher zu kategorisieren sind, welche soziale Rollen wie zu spielen sind und welches „Drehbuch“ in welcher Situation am passendsten anzuwenden ist. All dies ist erlernbar. Nicht durch das klassische, einmalige Verkaufstraining in einem Seminar, sondern durch einen Trainer, der den Verkäufer immer wieder begleitet und ihn dabei gezielt einer Vielfalt von Menschen und Situationen aussetzt. Ebene der Sprache und Intelligenz: Sie wird von der linken Hirnhemisphäre beherrscht. Zu ihr gehören der präfrontale Kortex, in dem das Arbeitsgedächtnis sowie die beiden Sprachzentren, das Wernicke-Areal 169 für das Sprachverständnis und das Broca-Zentrum 170 für die Sprachmotorik, ihren Sitz haben. Auf dieser Ebene wohnen auch Logik und Mathematik, die Fähigkeit zum Problemlösen und das Erkennen von Symbolen. Dieser Teil hat von sich aus keinen Einfluss auf das Verhalten, sondern wirkt nur in Verbindung mit den anderen Ebenen. Bleibt die Sprache. Stimmlage, Sprechtempo, Betonung, Sprechpausen, die Verbindung zu Mimik, Gestik und Körperhaltung sind nur einige Stichworte für die Möglichkeiten, ja Notwendigkeiten der Personalentwicklung hier unterstützend einzugreifen. Die Sprache des Verkäufers entscheidet darüber mit, wie der Käufer denkt und handelt, was er wahrnimmt und woran er sich erinnert. 169 Benannt nach dem Neurologen C ARL W ERNICKE (1848-1905). 170 Benannt nach dem Mediziner P AUL B ROCA (1824-1880). Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="251"?> 12.2 Die sieben Handlungsfelder der Personalentwicklung 239 12.2.6 PE durch soziales Lernen Zweck der PE durch soziales Lernen ist die Förderung des kooperativen Verhaltens in arbeitsteiligen Organisationen. Als theoretische Grundlagen seien die Mechanismen der Gruppendynamik und das Vermeiden sozialer Dilemmata genannt. Gruppen pendeln in der Regel zwischen zwei Polen: Integration und Differenzierung. Integration liefert über Gemeinsamkeiten, Ähnlichkeiten, gleiche Erlebnisse und Sichtweisen den nötigen Zusammenhalt. Differenzierung wiederum sorgt für Irritationen, Spannungen, gegensätzliche Meinungen und damit für Unterschiede. Ein gelingender Gruppenprozess braucht beides. So entstehen sich ergänzende Rollen, so wird die rasche Angleichung von Meinungen vermieden und auf diese Weise können vermeintliche Vorteile als widersinnig erfahren werden. Die Grundfrage sozialen Lernens lautet: Welche Möglichkeiten gibt es, Menschen besser auf die Notwendigkeit von Kooperation vorzubereiten? Für Organisationen sind Antworten darauf schon deshalb wichtig, weil ihre Strukturen längst nicht mehr rein auf Über- und Unterordnung basieren. Wechselseitige Abhängigkeiten spielen eine immer größere Rolle. Und im Vertrieb ist die Kooperation, welche gegenseitiges Vertrauen voraussetzt, der Grundpfeiler dauerhafter Kundenbeziehungen. Um Kooperation als motivationale Orientierung sowohl in Gruppen als auch zwischen Personen und Organisationen zu verankern, helfen Spielregeln 171 ( Abschnitt 4.4). . Auf der Suche nach einem Spiel, das sich besonders gut zum „Erlernen“ von Kooperation eignet, hatte der Politikwissenschaftler R OBERT A XELROD 172 eine Idee. Er lud zu Beginn der 1980er Jahre Spieltheoretiker aus verschiedenen Disziplinen ein, Computerprogramme zu präsentieren, die einen Ausweg aus dem leidigen „Gefangenendilemma“ zu böten. Dieses Gedankenmodell ist typisch für viele Abläufe in modernen Gesellschaften: Jeder tut das, was für ihn am besten scheint - und schadet damit der Gemeinschaft und schließlich sich selbst. Beispiele reichen vom Schwarzfahren in öffentlichen Verkehrsmitteln bis hin zur egoistisch motivierten Kinderlosigkeit. Die Experten traten in zwei Turnieren mit ihren Programmen gegeneinander an. Die siegreiche Strategie des Mathematikers A NATOL R APAPORT (1911-2007) trug den Namen T IT FOR T AT (Übersetzt etwa „Wie du mir, so ich dir“). Aus ihr lassen sich fünf einfache Spielregeln für die Kooperation innerhalb und zwischen Organisationen ableiten: 171 Schließlich kommt dem Spielen für die Entwicklung der Kooperationsfähigkeit eine wichtige Funktion zu. Darauf bestand schon der Entwicklungspsychologe J EAN P IAGET (1896- 1980). Er untersuchte die Regeln, die sich Kinder in einfachen, bis in die späten Kindheitsphasen praktizierten Gemeinschafts- und Gesellschaftsspielen selbst schaffen und mit deren Hilfe sie die Fähigkeit zur Rollenübernahme (role-taking) und Zusammenarbeit erwerben. 172 Mehr dazu in R OBERT A XELROD (2009): Die Evolution der Kooperation. Oldenburg. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="252"?> 12 Personalentwicklung im Verkauf 240 Sei grundsätzlich kooperationsbereit und beende die Kooperation niemals als erster. Sollte der Partner aufhören zu kooperieren, so schlage zurück (deshalb „tit for tat“) und beantworte dieses nicht-kooperative Verhalten mit ebensolchem. Sei jedoch im nächsten Spielzug nachsichtig und bereit, nach der Vergeltung wieder zu kooperieren und verfalle nicht auf ein „Niemals-wieder“. Achte auf Verständlichkeit, das heißt, sei in deinem Verhalten für den Partner berechenbar. Trachte danach, dass der „Schatten der Zukunft“ 173 (A XELROD ) so groß wie möglich ist. Diese letzte Voraussetzung für Kooperation ist dann am ehesten erfüllt, wenn die „Spieler“ immer wieder und in kurzen Abständen aufeinandertreffen. Die Sanktionen für Nicht-Kooperation müssen schmerzhaft genug sein, damit zukünftige Gewinne nicht so kräftig abgezinst werden, dass die Beteiligten „den Spatz in der Hand der Taube auf dem Dach“ 174 vorziehen. In der Praxis wird diese Strategie des „tit for tat“ kaum auf Anhieb funktionieren. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass ihre Spielregeln sehr wohl Lernprozesse auslösen und begleiten können. Dazu zwei Beispiele. Lernstatt: Mitarbeiter bilden eine Kleingruppe (etwa 6 bis 8 Teilnehmer) und treffen einander regelmäßig, z.B. einmal die Woche, für ein bis zwei Stunden und über einen Zeitraum von einigen Monaten. Gegenstand der Lernstattarbeit 175 sind die bessere gegenseitige Verständigung zwischen den Teilnehmern und der Austausch von betrieblichen Erfahrungen. Die Themen werden von den Teilnehmern eingebracht. In der Lernstatt wird zwangsläufig auch die eigene Wahrnehmung geschärft, wodurch Vorurteilen und Klischees begegnet werden kann. Dies ist die Voraussetzung dafür, um den Nutzen von Vertrauenswürdigkeit und Kooperation zu erproben. Die Gruppensitzungen werden von einem erfahrenen Mitarbeiter, z.B. Leiter einer Verkaufsgruppe im Außendienst oder Koordinator im Verkaufsinnendienst, moderiert. Qualitätszirkel: Ebenfalls eine Kleingruppe, deren Mitglieder (in der Regel 5 bis 10) in etwa gleichrangig sind und die gemeinsame Erfahrung im Betrieb 173 Der „Schatten der Zukunft“ ist dann groß, wenn die Beteiligten wissen, dass sie sich wiedersehen werden. 174 Das italienische Sprichwort „Meglio un uovo oggi che una gallina domani" („Besser heute ein Ei als morgen eine Henne“) trifft diesen Sachverhalt allerdings noch besser. 175 BMW war hier Vorreiter. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="253"?> 12.2 Die sieben Handlungsfelder der Personalentwicklung 241 oder in Außenbeziehungen besitzen. Die Gruppe trifft sich in regelmäßigen Abständen unter Anleitung eines geschulten Moderators. Ziel ist es, systematisch nach Verbesserungsmöglichkeiten bei den Arbeitsprozessen und Arbeitsbedingungen, der Produktqualität, der Kooperation mit Lieferanten, den Schnittstellen zwischen Innen- und Außendienst, der Kundennähe etc. zu suchen. In der Reinform (Japan) werden Qualitätszirkel in der Freizeit und auf freiwilliger Basis durchgeführt. 12.2.7 PE durch Laufbahnplanung Laufbahnplanung ist die langfristige Ausrichtung der PE. Sie ähnelt einer Reiseroute durch das Unternehmen, die vom Human Resource Management gemeinsam mit dem Mitarbeiter geplant wird. Den Ausgangspunkt der Reise bildet der Abgleich zwischen der Selbsteinschätzung des Mitarbeiters und den Potenzialeinschätzung all jener, die den Mitarbeiter bislang führten oder begleiteten. Im Unterschied zur Reiseplanung kann das Reiseziel nur umrissen werden. Der Weg dorthin wird in Etappen mit Zwischenzielen aufgeteilt, wobei für die bevorstehenden Etappen schon für das notwendige Gepäck und die Ausrüstung gesorgt wird. Ob das Endziel auch erreicht wird, hängt von den erfolgreich absolvierten Etappen ab. In der Tradition des deutschsprachigen Kulturraums war der Reiseweg bislang ein geradliniger. Man spricht auch heute noch von der „Kaminkarriere“. Anders als in der angelsächsischen Kultur gibt es in der Kaminkarriere keine Serpentinen, die etwa den reisenden Marketing-Mitarbeiter auch in die Produktion, die Logistik oder sogar in das Rechnungswesen führen können. Inzwischen verlaufen die Karrierewege nicht mehr so geradlinig wie früher. Auch bei uns hat eine über Schnupperzeiten hinausgehende Job-Rotation Eingang in die Laufbahnplanung gefunden. Und noch etwas hat sich geändert. Es muss nicht immer die Führungslaufbahn sein, mit der man oft reflexhaft den wahren beruflichen Erfolg verknüpft. In jüngster Zeit hat das Dreilaufbahnen-Modell rasch Fuß gefasst ( Bild 12-10). Eine wesentliche Voraussetzung für den Erfolg dieses Modells liegt darin, die drei Laufbahnen sowohl in der finanziellen Ausstattung als auch im Hinblick auf das soziale Ansehen gleichwertig zu gestalten. Wer es in den vergangenen Zeiten steiler Hierarchien nicht in eine Führungsposition geschafft hatte, musste oft mit einem Makel leben. Ob als Experte oder Projektverantwortlicher, man galt als „Kleber“. Heute sind die Organisationen flacher und Führungspositionen damit rarer geworden. Parallel dazu nimmt die Anzahl und die Komplexität von Projekten immer mehr zu und die Investitionen in spezifisches Wissen werden riskanter. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="254"?> 12 Personalentwicklung im Verkauf 242 Bild 12-10: Das Dreilaufbahnen-Modell Auf den ersten Stufen sind die Laufbahnen noch durchlässig, was ein frühes Umsteuern ermöglicht. So heißt es etwa bei der B OSCH AG: „Jede unserer drei Laufbahnen - die Fachlaufbahn, die Führungslaufbahn in der Linie oder die Laufbahn im Projekt - hat mehrere Etappen, in denen Ihre Aufgaben Zug um Zug komplexer und verantwortungsvoller werden. Je mehr Erfahrung Sie gewinnen und je mehr Herausforderungen Sie erfolgreich meistern, desto weiter kommen Sie. Dabei sind Sie nicht auf eine Laufbahn festgelegt. Immer unterstützen wir Sie mit kompetenter Beratung sowie Trainings und Weiterbildungen.“ Der Schwerpunkt der Führungslaufbahn liegt nicht mehr in der Durchsetzung eigener Vorstellungen selbst gegen den Willen der Geführten, sondern im Erkennen, Nutzen und Entwickeln der Human-Ressourcen, mit denen unternehmerische Ziele verwirklicht werden können. Der Verkaufsleiter uralter Schule, der noch im Verborgenen kontrollierte, ob und wann einer seiner Verkäufer das Haus verließ, wäre hier fehl am Platz. Wer heute im Verkauf führen will, muss Folgendes können: Konzeptionell denken. Abstrakte Ziele sind nicht über Druck und Angst zu erreichen, sondern mit Ideen, welche die Mitarbeiter zu überzeugen oder sogar zu begeistern vermögen. Mit Zahlen nicht bloß hantieren. Vielmehr gilt es, sinnvolle Zahlen selbst zu erstellen, Abweichungen rasch zu erkennen und sie in wirksame Maßnahmen zu übersetzen. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="255"?> 12.2 Die sieben Handlungsfelder der Personalentwicklung 243 Vermittelnd wirken zwischen dem Unternehmen und dem eigenen Team. Der Leitende darf sich also weder mit seinen Leuten „gegen die da oben“ oder „die da drinnen“ verbrüdern, noch sich gänzlich unempfänglich für die Belange seiner Mitarbeiter verhalten. Individualisierend führen. Die Rahmenbedingungen und Anreize sind auf die unterschiedlichen Wertvorstellungen, Handlungsmotive und Reifegrade der Mitarbeiter auszurichten. Sich ein Marketingdenken zulegen. Damit den Wettbewerb analysieren, Zielgruppen definieren, an der Positionierung der Produkte und Leistungen mitarbeiten sowie eine am Nutzen für den Kunden orientierte Preispolitik praktizieren. Die Rolle des Trainers verinnerlichen. Das bedeutet, seinen Außendienst nicht nur zu begleiten, sondern auch mit ihm zu üben und alle Maßnahmen der Personalentwicklung im Verkauf mitzugestalten. Ein positives Menschenbild verkörpern und fördern. Ein Menschenbild, das den Menschen als fähig sieht zu lernen, das Gelernte zu erhalten und, wenn die Bedingungen dafür gegeben sind, auch weiterzuentwickeln. Die Projektlaufbahn ist auch aus dem Verkauf nicht mehr wegzudenken. Überall dort, wo technische Systemlösungen angeboten werden, hat sie sich besonders bewährt. Wer die Verantwortung für ein Projekt übernimmt, sollte sich vor allem durch Folgendes auszeichnen: Die Fähigkeit, ein Team zu formen. In einer Gruppe stimmen sich die einzelnen Akteure gerade soweit miteinander ab, dass sie ihre individuellen Ziele erreichen. Für den Erfolg eines Projektes wird das nicht genügen. Um den notwendigen Übergang von der Gruppe zum Team zu schaffen, müssen deren Mitglieder zweierlei gelernt haben: Dass das Erreichen eines gemeinsamen Ziels letztlich lohnender ist als das Verfolgen individueller Ziele und dass Kooperation der beste Weg dorthin ist. Für diesen kritischen Übergang steht dem Projektverantwortliche in der Regel nur wenig Zeit und Mittel zur Verfügung. ( auch Abschnitt 12.2.6) Ein hohes Maß an Koordinationsfähigkeit. Die Einflussmöglichkeiten auf die an einem Projekt beteiligten Menschen beschränken sich, anders als bei der Führungslaufbahn, auf das Überzeugen. Ein Projektverantwortlicher verfügt nur über geringe oder gar keine Machtmittel. Die verschiedenen Personen eines Projektteams berichten ja in aller Regel nach wie vor an ihre Vorgesetzten. Was ihm bleibt, ist das, was man im Englischen „Mana- Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="256"?> 12 Personalentwicklung im Verkauf 244 gement by Persuasion“ nennt. Der Produkt- oder Marken-Manager 176 ist ein klassisches Beispiel dafür. Jemanden von etwas zu überzeugen, verlangt, dass dieser von sich aus seine bislang gehegten Überzeugungen ändert oder sogar über Bord wirft. Dies wird umso eher gelingen, je weniger er bereits in seine Überzeugungen investiert hat - Zeit, Geld, Energie - und je weniger eine Änderung seinen Selbstwert beeinträchtigt. Daraus wird schon ersichtlich: Das (horizontale) Management eines Projekts verlangt sogar noch mehr interpersonale Kompetenz ( Abschnitt 7.3) als (vertikales) Führen. Das Beherrschen der Methoden des Projektmanagements. Wer ein Projekt initiieren, planen, realisieren, kontrollieren und abschließen soll, muss Folgendes können: Struktur und Ablauf eines Projektes darstellen; Problemursachen identifizieren; Soll-Ist-Vergleiche zwischen geplanten und tatsächlichen Endterminen durchführen; Ressourcen für das Projekt planen und kontrollieren, auch um einer Verschwendung vorzubeugen; die Risiken eines Projekts bewerten; Konflikte frühzeitig erkennen, damit sie noch einigermaßen auf Vernunft basierend gelöst werden können. Sollte ein Projekt im Verkauf tatsächlich so vielschichtig und folgenreich sein, wie dies vor allem in der Software-Entwicklung der Fall ist, so sollte auch die S CRUM 177 - Methode beherrscht werden. Dabei wird ein Projekt in kurze, gleichlange Zeitabschnitte („Sprints“) aufgeteilt. Mithilfe solcher Arbeitspakete sind dann Fortschritte möglich, ohne dass die Anforderungen zu Beginn exakt definiert werden, zumal sie sich ohnedies laufend ändern. Auch die Fachlaufbahn beinhaltet eine unternehmerische Komponente. Wer über knappes Spezialwissen verfügt, darf dieses Wissen nicht bei sich einschließen oder als Monstranz vor sich hertragen, sondern soll durch die praktische Anwendung dieses Wissens den Wert der eigenen Organisation steigern. Dieser drückt sich in Unternehmen z.B. im Marktwert aus, in Non- Profit-Organisationen etwa anhand der Reputation oder der Erfüllung des gesellschaftlichen Auftrags. Die Einrichtung einer Fachlaufbahn ist nur in größeren Organisationen sinnvoll. Hier gibt es z.B. bereits einen Funktionsbereich „Forschung & Entwicklung“ und es haben sich einige Kernprozesse herauskristallisiert, die wettbewerbsentscheidend sind. Der Erfolg der Organisation hängt dann oft von Schlüsselpositionen ab, deren Inhabern man Fachkarrieren anbieten muss. Am häufigsten ist die Fachlaufbahn in technisch anspruchsvollen B-to-B-Branchen anzutreffen. 176 Beide Funktionen tragen zwar ein hohes Maß an Verantwortung in sich, sie sehen aber keine Möglichkeiten vor, andere Funktionsträger im Unternehmen anzuweisen. Es bleibt also das Überzeugen (engl.: to persuade) mit guten Gründen und Argumenten. 177 Englisch scrum = Gedränge, z.B. beim Rugby. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="257"?> 12.2 Die sieben Handlungsfelder der Personalentwicklung 245 Die Laufbahn des Schlüsselkunden-Managers oder Key Account Managers (KAM) mit den Stationen „Junior“ und „Senior“ oder „national“ und „international“ ist eine „hybride“ Konstruktion. Ein KAM braucht die koordinativen Fähigkeiten eines Projektverantwortlichen, Er muss zugleich über ein spezielles Wissen verfügen, um als Schnitt- oder besser Nahtstelle zwischen dem „Buying Center“ ( Abschnitt 10.1) des Kunden und der eigenen Organisation zu fungieren. Ein KAM ist somit kein Starverkäufer. Er ist vielmehr zugleich Spezialist für die Überbrückung von Unternehmensgrenzen und Generalist mit einem breiten betriebswirtschaftlichen Wissen ( Bild 12.11). Die angesprochene hybride Natur des KAM kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass von ihm auf der einen Seite analytisches und planerisches Vorgehen, auf der anderen Seite unternehmerisches Denken verlangt wird. Bild 12-11: Beispiel für die Brückenfunktion eines Key Account Managers Der KAM analysiert z.B. die Potenziale, Strukturen und saisonalen Abhängigkeiten des Kunden. Er plant und kontrolliert das eigene Leistungsangebot, Umsätze, Preise und damit auch Deckungsbeiträge. Der KAM unterstützt den Kunden z.B. bei der Optimierung von Geschäftsprozessen, der Verbesserung bestehender Produkte und Dienstleistungen, der Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen oder der gemeinsamen Erschließung neuer Geschäftsfelder. Bei manchen Zulieferern in der Kfz-Industrie besitzt der KAM eine derart dominierende Rolle, dass ihm alle kundenbezogenen Bereiche, also z.B. Logistik, Verkauf, Marketing, Qualitätskontrolle, Konstruktion, unterstellt sind. Damit wird aus einer koordinierenden eine klassische Führungsfunktion. Die Organisationsform des KAM wird in der Praxis umso häufiger eingesetzt, je Funktionen des eigenen Unternehmens Marketing Verkauf Logistik Produktion Entwicklung Oberstes Management Buying Center des Schlüsselkunden Initiator Gatekeeper Verwender Beeinflusser Entscheider Einkäufer Die Brückenfunktion des KAM Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="258"?> 12 Personalentwicklung im Verkauf 246 größer das eigene Unternehmen und je vielschichtiger dessen Leistungsangebot ist sowie je mehr der Lieferant von einem Schlüsselkunden abhängig und je undurchsichtiger oder turbulenter das Marktumfeld ist ( Bild 12-12). Bild 12-12: Häufige Bedingungen für die Wahl eines Key Account Managements 12.3 Aus der Praxis Eine systematische Personalentwicklung ist keineswegs nur den großen Organisationen vorbehalten. Auch kleine und mittlere Einheiten können einzelne Handlungsfelder dazu verwenden, ihre Human-Ressourcen schwerpunktmäßig weiterzuentwickeln. Dazu drei Beispiele aus der Praxis. Ein „Onboarding“-Programm: Beitrag zur Enkulturation In einem Unternehmen für Betriebshygiene gibt es eine kuriose Situation. Während die durchschnittliche Fluktuationsrate für das gesamte Unternehmen so um die 6% schwankt, ist sie in der großen und wichtigen Abteilung „Vertrieb“ fast drei Mal so hoch. Auffallend ist dabei der Aderlass an neuen Mitarbeitern in den ersten zwölf Monaten nach Eintritt. Hausintern spottet man schon über die Abteilung „Sprungbrett“, die zwar interne Karrieremöglichkeiten anpreise, aber die Menschen dann möglichst rasch nach außen „katapultiere“. Auf Exit-Gespräche hatte man bislang verzichtet, da die Ursache für die Abwanderung ohnedies auf der Hand zu liegen schien: die mangelnde Ausdauer der jungen Generation. Teamleiterin Erika, die berufsbegleitend einen Kurs in Human Resource Management besucht, überzeugt den Abteilungsleiter, nun doch Austritts-Interviews durchzuführen. Die ersten Ergebnisse sind ernüchternd. Neulinge erhalten zwar eine Checkliste mit den wichtigsten Regeln und Hinweisen, bleiben dann aber sich selbst überlassen. Die Assistentin des Abteilungsleiters, der an sich die Be- Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="259"?> 12.3 Aus der Praxis 247 treuung obliegt, ist hoffnungslos überlastet. Kollegen kümmern sich zum Teil rührend um die Neuen. Wenn dann aber das hektische Monatsende naht, ist auch dafür keine Zeit mehr. Verwirrend für die Neuen ist auch die Unternehmenssprache mit ihren „eigenartigen Kürzeln“ und die Tatsache, dass sich zwar viele duzen, manche jedoch sehr förmlich miteinander umgehen. Erika bekommt schließlich, worum sie bei der Leitung geworben hat: Sie setzt ein Patensystem ins Werk. Zwei „Patinnen“ und einen „Paten“ hat sie schon dafür gewonnen. Seit über zehn Jahren im Unternehmen freuen sie sich auf die Aufgabe, die sie zusammen zirka 12 Stunden Zeit pro Monat „kosten“ wird. Zu viert erarbeiten sie ein „Onboarding“-Programm mit den folgenden Schwerpunkten. Die neuen Mitarbeiter erfahren gleich zu Beginn, was sie in den kommenden Wochen erwartet. Der oder die Neue wird von der Patin oder vom Paten durch das Unternehmen geführt und den Kollegen vorgestellt. Auch die anderen Abteilungen werden besucht, um dem neuen Mitarbeiter die Zusammenhänge zu vermitteln. Der unmittelbare Vorgesetzte klärt mit dem neuen Mitarbeiter, was von ihm erwartet wird. Umgekehrt macht auch dieser deutlich, was er sich erwartet. Die Produktpalette wird nochmals erklärt. Der neue Mitarbeiter arbeitet von Beginn weg an konkreten Aufgaben und betätigt sich nicht nur als Beobachter (wie in der Vergangenheit geschehen). Die Werte des Unternehmens werden nicht indoktriniert oder über das (ohnedies veraltete) Leitbild transportiert, sondern anhand von Beispielen vermittelt. Nach drei Monaten gibt es eine Feedbackrunde. Nach sechs Monaten folgt die zweite Runde, die den neuen Mitarbeiter, wenn alles wunschgemäß abgelaufen ist, schonend in seine „Selbstständigkeit“ entlässt. Zwölf Monate nach Einführung des Patensystems zeigt sich folgendes Bild. Von acht neu eingestellten Personen musste man sich von einer trennen; sie hatte sich überschätzt. Von den sieben zum Teil schon voll in die Arbeitsabläufe integrierten Mitarbeitern sind acht „äußerst zufrieden“ und die anderen „zuversichtlich gestimmt“. Erika macht folgende, etwas vereinfachende Rechnung auf: Die Investitionen in das Patensystem belaufen sich für das Jahr, einschließlich der Op- Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="260"?> 12 Personalentwicklung im Verkauf 248 portunitätskosten 178 , auf zirka € 10.000. Dem steht ein Nutzen durch höhere Produktivität, eingesparten Aushilfskräften und entfallendem Rekrutierungsaufwand von mindestens € 50.000 gegenüber. Keine schlechte Rendite also. „Vor-Ort-Coaching“: Handlungslernen im Verkauf Es weht ein frischer Wind in der Geschäftseinheit für „Bäckereibedarf” eines internationalen Unternehmens. Horst ist gerade zurück aus Australien, wo er diesen Geschäftszweig erfolgreich weiterentwickeln konnte. Er setzt in seiner neuen Verantwortung als Verkaufsleiter auf „Kerbside-Coaching“ 179 , getreu seinem Grundsatz, dass im Verkauf ein Training am Ort des Geschehens durch nichts zu ersetzen ist. In der deutschen Muttergesellschaft kann man weder mit dem Begriff noch der Idee viel anfangen. Die „Bordsteinkonferenz“ genannte Verkaufsbegleitung hat sich hier überlebt. Sie erwies sich als zu lästig für die Leitenden, die sich in die Niederungen des Verkaufsgesprächs begeben mussten; für die Verkäufer, die sich übermäßig kontrolliert fühlten; und für die Kunden, die das Ganze oft als Überfall empfanden. Horst lässt sich davon nicht beirren. Er zeigt den Teamleitern ein Video von seinen Trainings in „down under“ und entwirft dann gemeinsam mit ihnen ein Programm mit folgenden Eckpunkten. Der Kunde muss mit dem „Vor-Ort-Coaching“, wie es inzwischen genannt wird, einverstanden sein. Der Außendienstmitarbeiter fragt beim Kunden an und begründet den Wunsch, z.B. mit dem Bestreben, die Qualität der Kundenbetreuung laufend zu erhöhen. Damit wird für den Kunden auch die Rolle des Begleitenden klar. Es geht eben nicht um Repräsentieren und auch nicht um Kontrolle, sondern um Lernen. Unmittelbar vor dem Kundenbesuch macht der Verkäufer die begleitende Führungskraft mit der Geschichte und dem Stand der Kundenbeziehung vertraut. Im nächsten Schritt ist der Verkäufer gefordert, ein anspruchsvolles und zugleich realistisches Ziel für das Kundengespräch zu formulieren, z.B. einen 178 Pate und Patinnen können für zirka 12 Stunden im Monat ihrer „normalen“ Arbeit nicht nachgehen. Der Nutzen, der dem Unternehmen dadurch entgeht, sind Opportunitätskosten oder Kosten der entgangenen Möglichkeit(en). 179 Englisch: kerbside = Bordsteinkante. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="261"?> 12.3 Aus der Praxis 249 Auftrag zu erhalten, ein neues Produkt einzuführen, einen konkreten Lösungsvorschlag zu unterbreiten etc. Außerdem muss der Mitarbeiter einen „Plan B“ skizzieren, für den Fall, dass das Gespräch anders als geplant verlaufen sollte. Zu Beginn des Gespräches wird dem Kunden nochmals die Absicht des Besuchs erläutert. Die Führungskraft zeigt während des Gesprächs Wertschätzung gegenüber dem Mitarbeiter, um dessen Selbstwertgefühl zu stärken. Die begleitende Führungskraft beschränkt sich daher möglichst auf die Rolle des Beobachters. Dezente „soziale Verstärker“, etwa ein Wiegen mit dem Kopf, ein Nicken oder eine Erwiderung des Blicks, können durchaus sinnvoll sein. Bei Fehlern oder einem drohenden Entgang des Auftrags darf die Führungskraft auf keinen Fall das Heft in die Hand nehmen, da damit die Rollenverteilung aufgehoben würde und ein Coaching nicht mehr möglich wäre. Gegen Ende des Gesprächs bedankt sich die Führungskraft beim Kunden für die Möglichkeit des Besuchs und lässt noch ein einige anerkennende Worte über ihn und den Mitarbeiter fallen. Nach dem gemeinsamen Besuch bittet die Führungskraft den Mitarbeiter, den Verlauf des Gesprächs aus seiner Warte zu schildern. Dem folgt ein allgemeines Feedback, bei dem zunächst die positiven Seiten betont und erst dann die Defizite angesprochen werden. Ziel des Coachings ist es, die Ressourcen des Mitarbeiters zu mobilisieren, um bei ihm einen Lernprozess aus eigener Kraft in Gang zu setzen. Coaching liefert dem Coachee den einen oder anderen Spiegel, in dem sich dieser anders als bisher erkennen kann. Deshalb sollen Verbesserungsmöglichkeiten, wenn sinnvoll, in eine Frageform gekleidet werden, z.B. als einladende Frage („Welche Möglichkeiten sehen Sie ...? “), hypothetische Frage („Angenommen Sie würden ...? “), zirkuläre Frage („Was wäre bei einem anderen Kunden geschehen ...? “) Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="262"?> 12 Personalentwicklung im Verkauf 250 oder skalierende Frage („Erinnern Sie sich, wie Sie auf den Einwand des Kunden reagierten. Für wie wirksam halten Sie Ihre Entgegnung, wenn Sie dafür eine Skala von 1 bis 10 verwenden...? "). Auf das Ausfüllen von Formularen wird beim „Vor-Ort-Coaching“ verzichtet: Lediglich die wesentlichen Übereinkünfte als Ergebnis des Besuchs werden schriftlich festgehalten. Horst lässt die Einführung des Programms von einem externen Trainer begleiten. Alles andere hätte den Erfolg gefährdet. Bestimmte Sequenzen müssen immer wieder geübt, um letztlich von den coachenden Führungskräften auch verinnerlicht zu werden. Apropos Erfolg: Niemand möchte mehr auf das „Vor-Ort- Coaching“ verzichten. Weder die Verkäufer, die damit an Souveränität gewonnen haben, noch die Führungskräfte, die ihr Führungsverhalten um eine wichtige Komponente erweitern konnten. Und selbst die Kunden nicht, die sich einer ehrlich gemeinten Aufmerksamkeit gewiss sein können. Eine „Verkaufsakademie“: Externer Wissenserwerb für KMU Die Region hat ihren landschaftlichen Reiz und wirkt etwas abgeschlossen. Dieser Eindruck täuscht, denn es siedeln sich hier immer mehr kleinere Unternehmen aus den unterschiedlichsten Branchen an, deren Markterfolge weit über die Region hinausreichen. Eines der Probleme, die viele der ansässigen Unternehmer eint, ist die Aus- und Weiterbildung im Verkauf. Die Erfahrungen mit externen Verkaufsseminaren sind entmutigend. Zu oft versuchen selbsternannte Spitzenverkäufer die Teilnehmer quasi zu hypnotisieren, lehren zweifelhafte Methoden oder liefern Plattheiten. Drei Unternehmer - ein Hersteller von Minipumpen, ein Spezialist für Zelte und Planen sowie ein Anbieter von Beregnungssystemen - beschließen daraufhin, die Aus- und Weiterbildung im Verkauf selbst in die Hand zu nehmen. Sie heben eine gemeinsame „Verkaufsakademie“ aus der Taufe. Räumlichkeiten dazu sind an der Hand, eine Trainerin wird nach einer Ausschreibung im Internet übereinstimmend nominiert. Die Zielsetzung für die Akademie formulieren die Unternehmer so: „Wir wollen Menschen, die mit Freude an den Beruf des Verkaufens herangehen, aber entweder keine entsprechende Praxis besitzen oder sich das Verkaufen selbst beigebracht haben, jene Fähigkeiten und Fertigkeiten vermitteln, die sie für erfolgreiche Abschlüsse und den Aufbau langfristiger Kundenbeziehung benötigen.“ Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="263"?> 12.3 Aus der Praxis 251 Die Programmschritte ( Bild 12-13) werden zwischen Unternehmen und Trainerin abgestimmt, ohne letztere einzuengen. Die Kosten verteilen sich nach der Zahl der teilnehmenden Personen auf die Unternehmen. Die Initiative „Verkaufsakademie“ bleibt natürlich niemandem in der Region verborgen. Die Teilnehmer berichten zum Teil begeistert über die ersten Schritte. Zwei Unternehmer geben daraufhin ihre Warteposition auf und schließen sich der Kooperation an. Bild 12-13: Die Module der Verkaufsakademie Dieser Verlauf bestätigt die Erfahrung, dass es für kleine und mittelgroße Unternehmen einen Hebel gibt, mit dessen Hilfe sie zumindest zu „virtueller“ Größe gelangen können. Dieser Hebel heißt Kooperation. An Grenzen stößt allerdings, wer versucht, z.B. ein Dutzend oder mehr Einzelkämpfer oder Kleinunternehmer auf Anhieb zu einer Kooperation zu veranlassen. Ohne Promotoren 180 die ohnedies nicht leicht zu finden sind und ohne feste Spielregeln mit Sanktionen lösen sich erste Bindungen meist rasch auf. Eine Kooperation zwischen zwei oder drei Unternehmen hat weit größere Aussichten, von der Startrampe tatsächlich abzuheben. In einer solchen überschaubaren Zusammenarbeit kann sich das unverzichtbare persönliche Vertrauen entwickeln; die gegenseitigen Abhängigkeiten können besser austariert werden; und das Risiko der großen Gruppe, nämlich von „Trittbrettfahrern“ ausgenutzt zu werden, entfällt. Diese Art der einfa- 180 Personen, die kraft ihrer Persönlichkeit oder ihrer Fähigkeiten imstande sind, Veränderungsprozesse, zu denen auch überbetriebliche Kooperationen gehören, anzustoßen, weiter zu entwickeln, am Leben zu erhalten und zu einem erfolgreichen Ende zu führen. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="264"?> 12 Personalentwicklung im Verkauf 252 chen Kooperation kann so als Keimzelle fungieren, an die sich weitere Akteure schrittweise andocken. 12.4 Für die Praxis Die Personalentwicklung ist neben der Personalauswahl die wichtigste und natürlich auch kostenintensivste Teilfunktion eines Human Resource Managements. Evaluiert, im Sinne einer systematischen Untersuchung des Nutzens von PE insgesamt, wird in der Praxis selten, weder im Verkauf noch in anderen Bereichen. Meist behelfen sich Organisationen damit, die Zufriedenheit der Lernenden mit PE-Maßnahmen, und hier vor allem externe, abzufragen. Lernerfolg, Verhaltens- oder gar Einstellungsänderungen einzuschätzen, erweist sich in den meisten Fällen als zu aufwendig. Noch dazu, wo diese auch auf andere Faktoren, nicht zuletzt persönliche oder organisationale Stimmungen, zurückgeführt werden können. Bleiben noch bestimmte Kennzahlen. Damit sind nicht etwa Umsatz je Kunde oder Mitarbeiter gemeint. Diese sind von so vielen Faktoren abhängig, dass der Einfluss der Personalentwicklung darin verschwindet. Zweckmäßiger ist es, kritische Erfolgsfaktoren zu definieren und ihre Erfüllung über einen längeren Zeitraum hinweg regelmäßig zu erfassen. Solche kritischen Erfolgsfaktoren spielen dann z.B. beim Handlungslernen („Training on the Job“) die Hauptrolle. Drei Beispiele dazu. Umsatzstruktur. Zum Beispiel von Produkten mit einer höheren Marge, von Produkten in der Einführungs- oder Wachstumsrate, von Produkten mit einer Sogwirkung innerhalb des Sortiments, von Produkte in bestimmten ausbaufähigen Kundengruppen oder Regionen etc.; Kundenstruktur. Ausgedrückt als Verhältnis der Anzahl der Kunden mit einem bestimmten Merkmal, z.B. Technologieführer, Systemkäufer, Meinungsbildnerin, Kaufkräftiger, Prestigeträger) zur Gesamtzahl aller Kunden in einem Verkaufsgebiet. Besuchserfolg. Bestimmt als Verhältnis des Aufwandes für Kundenbesuche zum erzielten Deckungsbeitrag in einem bestimmten Verkaufsgebiet; Angebotserfolg. Definiert als Verhältnis von erhaltenen Aufträgen zu erstellten Angeboten. Auch bei diesen Kennzahlen darf man nicht von einer kausalen Beziehung zwischen Ursache (PE-Maßnahme) und Wirkung (Erfüllung eines kritischen Erfolgsfaktors) ausgehen. Immerhin zeigen sie einen korrelativen oder tendenziel- Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="265"?> 12.4 Für die Praxis 253 len Zusammenhang 181 auf. Sie stellen damit ein wesentlichen Fortschritt dar gegenüber einer Personalentwicklung, die im Blindflug betrieben wird. Weiterführende Literatur B ECKER , M ANFRED (2013): Personalentwicklung: Bildung, Förderung und Organisationsentwicklung in Theorie und Praxis. Stuttgart. R OTH , G ERHARD (2007): Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten. Warum es so schwierig ist, sich und andere zu ändern. Stuttgart. S CHREYÖGG , G EORG ; G EIGER , D ANIEL (2003): Kann die Wissensspirale Grundlage des Wissensmanagements sein? Diskussionsbeiträge des Instituts für Management, Nr. 20, Freie Universität Berlin. 181 Eine Korrelation ist im Unterschied zur Kausalität keine Ursache-Wirkungs-Beziehung, sondern ein auf Wahrscheinlichkeiten beruhender und damit vom Zufall beeinflusster Zusammenhang zwischen Merkmalen, Ereignissen etc. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="266"?> Zum Schluss 254 Zum Schluss Spätestens seit den 1980er Jahren gibt es eine große Erzählung: Die Veränderung der Welt. Hieß es früher noch Abschied nehmen - etwa vom Management, vom Marketing, vom Verkaufen, vom Verbraucher - so sind es heute die radikalen Umbrüche - Digitalisierung, Automatisierung, künstliche Intelligenz -, die uns bevorstehen. Auch der persönliche Verkauf kann sich der Digitalisierung nicht entziehen. Kluge elektronische Geräte werden die Emotionen des Kunden erkennen und sich haarscharf daran erinnern, was der Kunde zuletzt gewünscht, gesucht, angesprochen, probiert, gekauft, bemängelt oder abgelehnt hat. Ob im Außendienst oder im Geschäft, der elektronische Assistent ist immer dabei. Aber auch der Kunde hat seinen digitalen Partner ständig um sich. Er liefert ihm in jeder Situation Antworten, Hinweise, Ratschläge, Empfehlungen, Bewertungen, Vergleiche oder Warnungen. Diese Gewöhnung schafft Vertrauen. Dem Verkäufer erwächst auf diese Weise ein neuer Konkurrent. Im Zweifel vertraut der Käufer seinem elektronischen Helfer mehr als dem Verkäufer. Für den persönlichen Verkauf bedeutet dies, er muss das einlösen, was in dem Wort „persönlich“ steckt. Der Verkäufer wird gegen die allgegenwärtigen Algorithmen nur bestehen können, wenn er dem Kunden einen menschlichen Mehrwert bietet. Dieser Mehrwert muss attraktiv genug sein, damit der Kunde neben seinem digitalen Assistenten auch jemanden aus Fleisch und Blut neben sich akzeptiert. Der Mehrwert kann spontan aus einer Situation heraus entstehen; aus einer zündenden Idee, die dem Kunden Abwechslung verschafft; durch ehrlich gemeinte persönliche Anerkennung, die der kühle elektronische Assistent nie zustande bringt; aus der Freude des Kunden über Neues, das in einem gemeinsamen Projekt entwickelt wurde; durch Hilfestellung für die Bewältigung der Zukunft, die sich nicht in vagen Sicherheitsversprechen erschöpft. Dieses Buch ist jenen Frauen und Männern gewidmet, die Verantwortung für das Management des persönlichen Verkaufs tragen. Für sie sind Anpassungen und Veränderungen nichts Neues. Wie sich die angekündigten Umbrüche tatsächlich gestalten werden, steht noch in den Sternen. Eines scheint indes gewiss zu sein: Wer im persönlichen Verkauf auch in Zukunft erfolgreich führen will, muss sich noch mehr als bisher für den Menschen interessieren. Der Mensch, egal ob als Mitarbeiter oder Kunde, wird noch informierter, noch wacher und noch selbstbewusster sein. Klassisches Management und herkömmliche Verkaufstechnik - beide auf das Überwinden von Widerständen ausgerichtet - werden dann nicht mehr funktionieren. Die Weichen für ein anderes Denken und Handeln zu stellen, ist ein Anliegen dieses Buches. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="267"?> Die Autoren 255 Die Autoren Prof. Dr. Heinz K. Stahl ist ein Brückenbauer. Als Research Associate am Interdisziplinären Institut für Verhaltensorientiertes Management, Wirtschaftsuniversität Wien, als wissenschaftlicher Leiter von Lehrgängen am Management Center Innsbruck und als Kooperationspartner des Zentrums für Systemische Forschung und Beratung in Heidelberg, versucht er, Erkenntnisse aus den Human-, Sozial- und Neurowissenschaften für die Managementpraxis nutzbringend zu machen. Seine Bücher wie etwa „Führungswissen“, „Leistungsmotivation in Organisationen“ oder „Handbuch Stakeholder-Kommunikation“ sind Belege dafür. Das vorliegende Buch hat Stahl aus Liebe zum persönlichen Verkauf geschrieben. Krista Strauss, MBA, ist eine Praktikerin. Seit vielen Jahren als Geschäftsführerin der Region DACH eines internationalen börsennotierten US-Konzerns tätig, leitet sie heute ein 40-köpfiges Verkaufs- und Marketingteam. Ihre Karriere ist geprägt von einer Offenheit für Neues und dem Bestreben, dieses Neue auch in der täglichen Managementpraxis anzuwenden. Strauss vermittelt ihr Erfahrungswissen sowohl an Führungskräfte im Verkauf als auch an Studierende an Fachhochschulen. In diesem Buch gibt sie ihre vielfältigen Beobachtungen in der Praxis wieder. Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="268"?> Prof. Dr. Heinz K. Stahl pg Modernes Kundenmanagement Ein Weiterbildungsbuch als Brücke zwischen Wissenschaft und Praxis 3., aktualis. Aufl. 2009, 228 S., 55 Abb., 11 Tab., 44,00 €, 57,50 CHF (Praxiswissen Wirtschaft, 47) ISBN 978-3-8169-2737-2 Zum Buch: Der Autor verfolgt mit diesem Buch drei Ziele: die für die Praxis wichtigsten Begriffe klarzustellen, die sich das Wort »Kunde« einverleibt haben, damit eine Übersetzungsarbeit zwischen Wissenschaft und Unternehmenspraxis zu leisten und den Leser anzuregen, sich im eigenen Unternehmen mit einzelnen Ideen auseinanderzusetzen, zu experimentieren und Erfahrungen zu sammeln. Dem Leser werden anhand von Kurzbeschreibungen und Fallbeispielen, Kommentaren und Hinweisen für die Praxis Einsichten in die Zusammenhänge aller wichtigen kundenbezogenen Konzepte vermittelt. Er kann damit in seinem Unternehmen die Basis für eine erfolgreiche Umsetzung von Kundenorientierung schaffen. Inhalt: Kundenorientierung: Wie man die Bedingungen dafür schafft - Kundenabwanderung: Was man daraus lernen sollte - Kundennähe: Welche Distanzen zu überwinden sind - Kundentreue: Was sie wirklich bedeutet - Kundenintegration: Wenn der Kunde mitwirken soll - Kundenbindung: Wenn man der Kundentreue nachhelfen will - Kundenbeziehungen: Geschäftliches und Menschliches - Kundenmacht: Ein Blick hinter die Kulissen - Kundenvertrauen: Warum es so wertvoll ist - Kundenzufriedenheit: Von Erwartungen und Überraschungen - Kundenkontakte: Auf alten und neuen Wegen - Kundenbewertung: Gegen das reine Umsatzdenken Das Buch wendet sich an - Führungs- und Fachkräfte aus den Bereichen Verkauf, Kundenmanagement, Marketing, Logistik und Planung - Geschäftsführer, Business Unit Manager, Projektleiter, Key Account Manager usw., denen eine praktizierte Kundenorientierung am Herzen liegt - Studenten und weiterbildungswillige Praktiker, die einen Zugang zu der noch jungen Disziplin des Beziehungsmanagements suchen. Rezensionen: »Durch die breit angelegte Auseinandersetzung mit den zahlreichen Konzepten und Begriffen des Kundenmanagements liefert der Autor einen anschaulichen Leitfaden für die Umsetzung von Kundenorientierung im Unternehmen. Damit ermöglicht das Buch dem Manager im Marketing und in der Unternehmensführung, sich einen übersichtlichen Einblick in das weite Gebiet des Kundenmanagements zu verschaffen.« (Die Unternehmung) »Nach der Lektüre des Buches ist der Kunde für den Leser - vor allem für den Praktiker - keineswegs mehr ein unbekanntes Wesen.« (F.A.Z Blätterbare Leseprobe und einfache Bestellung unter: www.expertverlag.de/ 2737 Bestellhotline: Tel: 07159 / 92 65-0 • Fax: -20 E-Mail: expert@expertverlag.de Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="269"?> Dipl.-Ing. Peter Kairies P: \AK\D So analysieren Sie Ihre Konkurrenz Konkurrenzanalyse und Benchmarking in der Praxis 10., neu bearb. u. erw. Aufl. 2017, 201 S., 74 Abb., zahlr. Checkl., 44,80 €, 57,50 CHF (Praxiswissen Wirtschaft, 134) ISBN 978-3-8169-3383-0 Zum Buch: Wer sich auf internationalen Märkten behaupten will, braucht brandaktuelle Informationen über seine Wettbewerber. Zur langfristigen Sicherung des Markterfolgs ist die gezielte Überwachung von relevanten Wettbewerbern unerlässlich. Das Buch gibt Ihnen einen umfassenden Überblick über praxisgerechte Methoden, neue Internetquellen und Online-Tools, mit denen Sie Konkurrenzinformationen beschaffen, analysieren, präsentieren und gezielt verwenden können. Inhalt: Warum eine gezielte Konkurrenzüberwachung immer wichtiger wird - Stand der Konkurrenzforschung - Ziele und Aufgaben der Konkurrenzanalyse - Aufbau eines Konkurrenzüberwachungssystems (CIS) - Internetquellen und Online-Tools - Wie Sie relevante Wettbewerbsinformationen gewinnen - Was Sie über Ihren Wettbewerb wissen sollten - Techniken zur Auswertung und Präsentation von Konkurrenzanalysen - Fallbeispiel: Durchführung einer internationalen Wettbewerbsanalyse - Organisatorische Voraussetzungen - Wie Sie eine Wettbewerberdatenbank aufbauen - Wie Sie Konkurrenzinformationen in erfolgreiche Vertriebs-, Marketing- und Wettbewerbsstrategien umsetzen - Benchmarking: Orientieren Sie sich am Besten - Konkurrenzanalyse: Ihr Unternehmen auf dem Prüfstand Sie erhalten Impulse, konkrete Hilfen und Anleitungen für Ihre Praxis. Alle notwendigen Tools werden vorgestellt, und ihre Anwendung wird erklärt. Beispiele zeigen Ihnen, "wie andere es machen". Checklisten und Arbeitsblätter ermöglichen Ihnen, das Gelernte sofort in die Praxis umzusetzen. Im Anhang finden Sie hilfreiche Adressen und Internetlinks sowie einen "Check", wie professionell die Konkurrenzanalyse in Ihrem Unternehmen aufgestellt ist. Die Interessenten: Das Buch richtet sich an Mitarbeiter und Leiter aus Produktmanagement, Marketing, Marktforschung und Vertrieb - an alle, die mit Konkurrenzanalysen zu tun haben. Rezensionen: »Das Buch liefert einen umfassenden Überblick über praxisgerechte Methoden, neue Internetquellen und Tools, mit denen sich Konkurrenzinformationen beschaffen, analysieren, wirkungsvoll präsentieren und gezielt verwenden lassen. Der Leser erhält Impulse, konkrete Hilfen und Anleitungen für die Praxis.« Erfurter Hefte zum angewandten Marketing Der Autor: Peter Kairies gilt als einer der renommiertesten Spezialisten für die Konkurrenzanalyse und das Produktmanagement. Er studierte Verfahrenstechnik und Wirtschaftswissenschaften. Langjährige Industriepraxis in leitenden Positionen im Produktmanagement, Marketing und Vertrieb. 25 Jahre Erfahrung als Trainer und Berater. Mehr als 26.000 Teilnehmer haben seine Seminare besucht. Er trainiert und coacht Fach- und Führungskräfte in namhaften Unternehmen. Zahlreiche Veröffentlichungen. Peter Kairies ist Unternehmensberater und Geschäftsführer von MSC Management Seminar Center GmbH. www.peterkairies.de Bestellhotline: Tel: 07159 / 92 65-0 • Fax: -20 E-Mail: expert@expertverlag.de Blätterbare Leseprobe und einfache Bestellung unter: www.expertverlag.de/ 3383 Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="270"?> Warren P. van Hasz .jpg Verkaufspsychologisches Know-How Konsequente Durchsetzung in harten Verkaufsverhandlungen 2016, 154 S., 20 Abb., 29,80 €, 38,80 CHF (Praxiswissen Wirtschaft, 143) ISBN 978-3-8169-3324-3 Zum Buch: Kundenverstehen bedeutet nicht, es jedem Kunden um jeden Preis recht zu machen. Die Kunst ist, die richtigen Register zu ziehen. Voraussetzung dafür ist der Einblick in die innere Welt des Kunden, das Erkennen seiner Bedürfnislagen und die richtige Art und Weise der Kundenkommunikation. Dabei gilt es, sowohl die eigenen Verkaufsziele im Auge zu behalten als auch die eigene Persönlichkeit. Die Idee für dieses Buch entstammt unserer Philosophie empirisch zu forschen und als eine Art Katalysator für Erkenntnisse aufzutreten. Diese Erkenntnisse zu sammeln, auszuprobieren und dann in Trainingsmodule zu transformieren, auf die Alltagstauglichkeit zu prüfen und in hoch spannenden Trainings weiterzugeben, ist das Ziel unserer Arbeit. Vor diesem Hintergrund hat der Autor interessante Literatur für Sie durchgearbeitet und die wichtigsten Aspekte hier für Sie, die Leser, zusammengefasst und durch Fritz und Paul in den Alltag transportieren lassen. Erleben Sie mit Fritz, wie er die Welt der Psychologie, der Neuroökonomie kennen und schätzen lernt, und wie er sukzessive anfängt, sein Verhalten in Frage zu stellen. Wie er lernt, dass Profis eben trainieren, oder besser: üben, üben, üben ... Inhalt: Das zentrale Organ: das Gehirn - Psychologie - Entscheidungsfindung und Neuroökonomie - B2B- Verkauf - Der Preis - Psychologisches Verhandeln: Ein kleiner Ratgeber Die Interessenten: Das Buch bietet Verkäufern, Verkaufsleitern, Vertriebsleitern ebenso wie kaufmännischen Ausbildern und Trainern Hintergrundinformationen, um Methodenkompetenz auch in neuen Situationen anwenden zu können. Rezensionen: »In diesem Buch begeben sich der fiktive Verkäufer Fritz und sein ebenso fiktiver Leiter Business Development Paul auf eine kleine gemeinsame Erkundung der menschlichen Psyche im Hinblick auf den Verkaufsprozess. Dabei wechseln sich sachliche Infomationen des Autors zum Tema, Dialogszenen zwischen den beiden Figuren und kurze »Gedankenblitze« von Fritz ständig ab.« aquisa - Dialogmarketing und E-Commerce Der Autor: Warren P. van Hasz ist Verkaufs- und Managementtrainer und Vertrags-Partner des Instituts für Wirtschaftspädagogik IWP. Er durchlief alle Stationen einer klassischen Laufbahn im Bereich Verkaufs- und Führungskraft. Diese Erfahrungen fließen in seine Trainings mit ein, die von seinen Teilnehmern gerade deswegen gelobt werden. Seine Trainertätigkeit umfasst u.a. die Themen Kommunikation und Führung, in Dienstleistungs- und Konsumgüterbranchen sowie die Branchen von Investitionsgütern und erklärungsbedürftigen Produkte und das Projektgeschäft, insbesondere im Bereich Lösungsverkauf. Bestellhotline: Tel: 07159 / 92 65-0 • Fax: -20 E-Mail: expert@expertverlag.de Blätterbare Leseprobe und einfache Bestellung unter: www.expertverlag.de/ 3324 Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE <?page no="271"?> Zwei markante Umbrüche genügen, um sich die Notwendigkeit für ein neues Management des persönlichen Verkaufs vor Augen zu führen. Erstens, die Menschen lassen sich heute nicht mehr in eine Schablone pressen. Noch nie war die Vielfalt an Motiven, Wertvorstellungen und Lebensentwürfen so groß wie heute. zweitens, die Automatisierung macht auch vor dem Verkauf nicht halt. Die Berechtigung dieser Funktion wird sich in Zukunft aus dem menschlichen Mehrwert ergeben, den sie zu bieten vermag. Wer Verantwortung für den Verkauf trägt, muss daher seine Mitarbeiter, seine Kunden und letztlich sich selbst besser verstehen. Dazu liefert dieses Buch die nötigen Grundlagen sowie anschauliche Beispiele aus der Praxis des persönlichen Verkaufs. Inhalt: Zur Psychologie des Verkaufs - Die Persönlichkeit des Verkäufers - Führung zwischen gestern und morgen - Führen mit Werten - Führen mit Bedacht auf Motive - Führen mit dem Reifegrad-Modell - Die Kunst, sich selbst zu führen - Gegen die Angst vor der Kaltakquise - Die Gestaltung von Kundenbeziehungen - Die Bewertung von Kundenbeziehungen - Steuerung durch Ziele und Vergütung - Personalentwicklung im Verkauf Das Buch wendet sich an Führungskräfte im Verkauf, Verkäufer vor der Übernahme einer Führungsverantwortung im Verkauf, Unternehmer mit einem Fokus auf den persönlichen Verkauf, Unternehmensgründer und Marketingexperten, die ihre Kenntnisse des persönlichen Verkaufs erweitern möchten, Personalverantwortliche, die besonders in den Verkauf eingebunden sind, sowie Studierende im Bereich der Absatzwirtschaft. expert[talverlag® ISBN 978-3-8169-3411-0 9 1111J�Jn�11111111 9 [! t1n1111 Lizenziertes Exemplar für managerSeminare Verlags GmbH AUSSCHLIESSLICH FÜR REZENSIONSZWECKE