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Andacht und Abenteuer

Berichte europäischer Jerusalem- und Santiago-Pilger (1320–1520)

0525
2000
978-3-8233-5003-3
978-3-8233-4003-4
Gunter Narr Verlag 
Ursula Ganz-Blättler

Jerusalem und Santiago de Compostela gehörten im späten Mittelalter zu den wichtigsten Fernpilgerzielen des christlichen Abendlandes. Jerusalem galt als "Nabel der Welt", während Compostela - nahe dem Kap Finisterre im Nordwesten Spaniens gelegen - gewissermaßen das "Ende der Welt" symbolisierte. Die Berichte, mit denen sich dieses Buch beschäftigt, entstanden in der Zeit zwischen Kreuzzügen und Reformation (1320-1520). Sie zeichnen ein lebendiges Bild damaliger Reiserealität und geben außerdem Einblick in eine Epoche des Umruchs. Die Texte stammen von Klerikern und Laien, von Mönchen, Adligen und Kaufleuten aus dem westeuropäischen Raum. Ursprünglich wurden sie in Latein oder der jeweiligen Landesprache abgefasst. Andacht und Abenteuer - die spirituelle und die säkulare Dimension - und dazu die Auseinandersetzung mit einer fremden Welt: Dieses Spannungsfeld, dem der spätmittelalterliche Pilger ausgesetzt war, ist uns neuzeitlichen Reisenden nicht unvertraut. Inwieweit nun aus Pilgern "Entdecker" wurden, die offenen Auges die Welt und in der Fremde ein Stück ihrer selbst erkundeten - das ist das Thema dieses vierten Bandes der Jakobus-Studien.

<?page no="1"?> Andacht und Abenteuer <?page no="2"?> J akobus-Studien 4 im Auftrag der Deutschen St.Jakobus-Gesellschaft herausgegeben von Klaus Herbers und Robert Plötz <?page no="3"?> Ursula Ganz-Blättler Andacht und Abenteu ·er Berichte europäischer Jerusalem- und Santiago-Pilger (1320 -1520) ~ GunterNarrVerlagTübingen <?page no="4"?> Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Ganz-Blättler, Ursula: Andacht und Abenteuer : Berichte europäischer Jerusalem - und Santiago -Pilger; (1320-1520) / Ursula Ganz-Blättler. -3., unveränderte Auflage. - Tübingen : Narr, 2000 Qakobus-Studien; 4) ISBN 3-8233-4003-4 NE: GT 3., unveränderte Auflage 2000 2., durchgesehene Auflage 1991 1. Auflage 1990 © 2000 · Gunter Narr Verlag Tübingen Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen . Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier . Druck: Müller+ Bass, Tübingen Verarbeitung: Gogl, Reutlingen Printed in Germany ISSN 0934-8611 ISBN 3-8233-4003-4 <?page no="5"?> Für Mark, zur Erinnerung <?page no="7"?> Inhaltsverzeichnis Vorwort ........................................ ...................................................................... vii 1. Einleitung: Soweit die Füsse tragen............................................................ 1 2. Forschungsstand ........................................................................................... 20 3. Westeuropäische Jerusalem- und Santiagoberichte, 1320-1520 .......... 39 4. Quellen: Woraus schöpfte der schreibende Pilger? ................................ 94 4.1. Der gemeinsame Weg .......................................................................... 95 4.2. Ältere Autoritäten ................................................................................ 99 4.3. Quellen für Mandevilles phantastische Kreaturen ..........................101 4.4. Das Phantom des "Baedekers"........................................................... 103 4.5. Andere Pilgerberichte ......................................................................... 106 4.6. Offene Ohren ....................................................................................... 110 4.7. Offene Augen ......................................................... .............................. 111 5. Interessen ..................................................................................................... 113 5.1. Das Pilgerziel ....................................................................................... 114 5.1.1. Das Erlebnis Jerusalem ............................................................ 115 5.1.2. Berg und Kloster Sinai ............................................................. 137 5.1.3. Das Erlebnis Santiago de Compostela................................... 145 5.2. Der wunder-volle Pilgerweg............................................................... 152 5.3. Stadt und Land ............................................... ..................................... 160 5.3.1. Die weite Welt, zum Greifen nah ........................................... 160 5.3.2. (Denk-)Abenteuer Alpinismus: ein Fallbeispiel.............•..... 166 5.3.3. Furchtbare Bergwelt und fruchtbares Land .......................... 169 5.4. Die Tierwelt des Orients .................................................................... 174 5.5. Menschen in der Fremde ................................................................... 179 5.5.1.Appetit auf das Exotische so und so.................................... 181 5.5.2.Das verfluchtevolckderSarracenen......................................... 195 5.5.3. Der Fremde als Gesprächspartner: Ist Toleranz lernbar? 209 5.5.4. Nationalstolz und Fremdenhass .............................................. 215 5.5.5. Fazit ............................................................................................ 220 6. Die Motivation: Warum reiste der Pilger? .............................................. 221 6.1. Die Buss- und Betfahrt ....................................................................... 225 6.2. Die Ritterfahrt ..................................................................................... 228 6.3. Die Neugierde als Beweg- und Konfliktgrund ................................ 237 7. Die Motivation: Wozu und für wen schrieb der Pilger? ........................ 248 7.1. Die Pilgerführer-Funktion .................................................................. 250 7.2. Die Geistliche Pilgerfahrt - Ersatz ohne Risiko.............................. 255 <?page no="8"?> vi 7.3. Der Pilgerbericht als Kreuzzugsaufruf ........................................... 264 7.4. Die belehrende Unterhaltungslektüre ............................................ 268 7.5. Die Ergebnisse der Motivforschung ............................................... 271 8. Das Ich-Bewusstsein im Lauf der Zeit .................................................. 273 9. Die Bildwelt des Pilgerberichts: Jerusalem und das Heilige Grab ....300 10. Die Stellung der Frau im Pilgerbericht. ................................................. 323 11. Schluss ........................................................................................................ 332 12. Abkürzungsverzeichnis ............................................................................. 336 13. Quellen- und Literaturverzeichnis .......................................................... 337 14. Register der Orts- und Personennamen ................................................ 349 15. Anhang: Katalog der edierten Pilgerberichte, 1320 - 1530 .................355 16. Register der Reisedaten ........................................................................... 421 16. Ausblick ...................................................................................................... 425 <?page no="9"?> Vll Vorwort Angefangen hat es mit der Neugierde, mit der Lust am Reisen - und mit der Lust am Schreiben. Schritt für Schritt, Absatz um Absatz nahm das (Denk-)Abenteuer seinen Lauf. Die Reise hat in diesem Fall zu neuen Erkenntnissen verholfen, hat unbekannte Perspektiven erschlossen und den Horizont erweitert. Was kann man Schöneres vom Reisen sagen? Ein Hinweis vorab: Der folgende Bericht stammt aus einer eidgenössischen Quelle. Es wird sich nicht vermeiden lassen, dass dem Leser, der Leserin hie und da sprachliche Eigenheiten auffallen gewisse Helvetismen ebenso wie die durchgängige Verwendung des in der Schweiz üblichen "ss". Danken möchte ich allen, die mich mit Proviant aus ihrem reichen Vorrat an Wissen versorgt haben, und besonders herzlich jenen, die mir treue Begleiter in guten und stürmischen Tagen waren. Dir, Rolf, für die Geduld, das technische und menschliche Fachwissen - und den sanften Druck, ohne den ich wohl noch immer abseits auf irgendwelchen Nebenwegen irren würde . Prof. Dr . Ludwig Schmugge (Zürich) für die Anregung und die Betreuung und Dr. Klaus Herbers (Tübingen) für die Unterstützung bei der Drucklegung. Allen Dozenten, Assistent(inn)en und Kommiliton(inn)en, die mich mit Hinweisen versorgten namentlich Mme Genevieve Bresc, Paolo Caucci von Saucken, Arnold Esch, Rudolf Schenda und Horst Wenzel, dann aber auch Klaus Bieberstein, Dorothea Christ, Stephan Deeg, Bernadette Ernst, Andreas Kaplony, Christian Krötzl, Andreas Meyer, Daniele Michels, Flavio Nuvolone, Hedwig Röckelein, Ursula Swinarski für die kritische Durchsicht des Textes, Maria Wittmer-Butsch und Andres Wysling. Und natürlich allen, die bei der Beschaffung von Büchern behilflich waren: Emma Ribbe, Ellen Flury und Susa Messerli (Historisches Seminar Zürich), Jasmin Aktag, Sibylle Fahrner, Christian Heilmann, Rita Jenatsch, Ludwig Kahler, Max Natiez, Ursula Röllin und Peter Steinmann (Zentralbibliothek Zürich) . End! ich Carlo Schenini, der den Laserdrucker zur Verfügung stellte, Thomas Halter, der mich das Lesen zwischen den Zeilen lehrte , und meinen Eltern, die mich stets ermutigt haben . Und der Römisch-Katholischen Zentralkommission des Kantons Zürich, die Wesentliches zur Drucklegung dieses Buches beigetragen hat. Diese Arbeit ist in Textverarbeitung entstanden. Die technischen Daten: MS-WORD Release 3.0 (MS-DOS) auf NCR PC 6. Satzherstellung auf Brother Laserprinter LP-15. <?page no="11"?> 1. Einleitung: Soweit die Fiisse tragen Man nimmt sich mit, wohin man geht. Schlecht wandern, das heisst, als Mensch dabei unverändert bleiben . Ernst Bloch 1 Reisen bedeutet: Aufbrechen, fortgehen. Das Alltägliche, Vertraute hinter sich lassen. Der Reisende setzt sich im Moment des Aufbruchs ein Ziel. Es kann ein Ort sein, den es zu erreichen gilt, ein Anlass, zu dem der Reisende pünktlich erwartet wird, eine freundschaftliche Begegnung vielleicht aber auch die vage Vorstellung von einem Glück, das innerhalb eines einmal abgesteckten Lebensraumes versagt bleiben müsste. Manchmal ist das Erreichen des anvisierten Ziels nicht der eigentliche Zweck des Unternehmens . In diesem Fall ist das Reisen kein notwendiges Übel, sondern umgekehrt das Ziel der willkommene Anlass, um vorerst einmal aufs Geratewohl unterwegs zu sein. Doch auch der scheinbar Ziellose hat sein Ziel: Es ist die (spielerische) Auseinandersetzung mit der Welt und mit sich selbst in dieser Welt. Die Reise wird Selbstzweck und hat trotzdem ihren tieferen Sinn. Es geht letztlich darum, sich selber zu finden. Reisend verändert der Mensch seinen Standpunkt. Neue Blickwinkel auf die Welt eröffnen sich ihm, und er wird gezwungen, Stellung zu beziehen. Mit der Distanz zur vertrauten Umgebung gewinnt der Reisende Abstand zu sich selbst; er schafft sich damit eine grundlegende Voraussetzung zur Selbsterkenntnis. "Die Seele baumeln lassen" damit hat Kurt Tucholsky treffend jene Gemütslage umschrieben, die heutige Ferienprospekte unter etwas weniger poetischen Schlagworten wie "Abschalten" oder "Ausspannen" subsumieren. Gemeint ist dasselbe, und es bewegt sich irgendwo zwischen der bloss zeitweiligen, damit letztlich illusionären, Flucht aus dem Alltag und dem durchaus heilsamen Abenteuer, in der Fremde ein Stück seiner selbst zu entdecken. So lange Menschen reisen, stellt sich die Frage: Was bewegt sie dazu? Was bewegt sie unterwegs, was am Ziel? Und: Wie beschaffen ist ihre "reactio" auf Fremdes, Ungewohntes welchen Standpunkt nimmt einer in der Fremde dem Fremden gegenüber ein? <?page no="12"?> 2 Solche Überlegungen erscheinen auf den ersten Blick sehr gegenwartsbezogen, und die angesprochene Problematik ist eine höchst aktuelle: Noch nie war das Reisen so einfach und bequem wie heute. Und nie zuvor war die Welt so greifbar nahe, ob real erschlossen durch ein nahezu lückenloses Netz von Verkehrsmitteln oder auf Knopfdruck abrufbar im massenmedialen Abbild. Niemals zuvor war aber auch die Auseinandersetzung mit dieser Welt so schwierig, so verantwortungs- und komplexbeladen, als Folge beständiger europäischer Kolonisationsbestrebungen von Kolumbus bis Kuoni. Der Blick zurück gewinnt erst unter Berücksichtigung solcher Gesichtspunkte die nötige Schärfe für Relationen und Konturen wobei man sich allerdings vor voreiligen Kurzschlüssen hüten muss. Die Einstellung der Gesellschaft zum Phänomen des Reisens war im Mittelalter eine grundsätzlich andere als heute. Neuzeitliche Reiseideale wie die unstillbare Neugierde auf unbekannte Kontinente hinter dem Horizont oder die romantische Sehnsucht nach dem Land, wo die Zitronen blühen, waren entweder unbekannt (was zu bezweifeln ist) oder dann tabu. Nicht das Individuum und sein allenfalls von Träumen und Sehnsüchten bewegtes Herz bestimmten den Standpunkt des menschlichen Ichs in der Welt. Alles Sinnen und Trachten war vielmehr auf ein gemeinsames Zentrum ausgerichtet, das ausserhalb der Reichweite menschlichen Strebens lag im schicksalhaften Willen Gottes. Der Platz jedes einzelnen innerhalb der Gesellschaft war vorgezeichnet, was den grossen Vorteil mit sich brachte, dass sich keiner um Sinn und Zweck seines Daseins zu kümmern brauchte. Das Reisen gewann innerhalb dieser festgefügten Ordnung einen ganz bestimmten spirituellen Stellenwert. Als ein Geworfener, Umhergetriebener war der Mensch zeit seines Lebens ein Fremder in einer ihm fremden Welt 1 und stets auf der Suche nach Erlösung im birorolisr.hen Jenseits. Sein Weg war vorgezeichnet als der eines Reisenden mit ganz bestimmtem Ziel: Das Leben selbst war nichts anderes als eine beschwerliche Pilgerfahrt, und das Erreichen des Ziels hing in nicht geringem Masse von der guten Führung des "Pilgers" angesichts der zahllosen Gefahren und Versuchungen unterwegs ab. Denn sein Weg konnte ihn ebensogut nach der heiligen Stadt des Herrn, nach Zion beziehungsweise in da~ biromlisr.be 1 Vergleiche dazu GERHART B.lADNER, Homo Viator, Mcdicval ldcas on Alienation and Order, Spcculum 42 (1967), S.233-259. Derselbe Aufsatz in: DERS., Images and ldcas in thc Middlc Agcs, Sclcctcd Studics in Histoiy and Art, Rom 1983 (Storia c Lcttcratura, Raccolta di studi c tcsti 156), Bd.2, S.937-974. Hier, S.942: "Tbc 'topoi' of 'xcnitcia' and 'pcregrinatio', of pilgrimagc, of homclcssness, of strangcness in this world, are among the most widcsprcad in carly Christian ascctic litcrature (...). <?page no="13"?> 3 Jerusalem führen wie (im schlimmsten Fall) nach Babylon, der Stadt des Antichrist. 2 Die Pilgerfahrt war Sinnbild des Lebens. 3 Und wie der mittelalterliche Mensch nicht zu seinem blassen Vergnügen lebte, so reiste er auch nicht ohne höhere Zweckbestimmung . Als ein Pilger suchte der Reisende definitionsgemäss nicht den Kitzel flüchtiger Abenteuer, sondern das Heil, das in der göttlichen Vergeltung für irdische Sünde und erlittene Pein bestand. Einmal am Pilgerziel angekommen , hoffte er auf Vergebung oder zumindest die Fürsprache und Gnade eines Heiligen, auf Linderung oder Heilung eines körperlichen Gebrechens, auf Rat und Rettung aus einer ausweglos erscheinenden Krisensituation. Nun war jedoch das Pilgern nicht das einzige sanktionierte Reisemotiv im Mittelalter. Andere Reisegründe mit höherer Zweckhaftigkeit für Angehörige verschiedener Stände und Klassen waren etwa die Predigt des Glaubens (in der Mission), der kriegerische Einsatz für die Verteidigung des Glaubens (im Kreuzzug) und nicht zuletzt der (Fern- )Handel, der seit dem 11. und 12. Jahrhundert in zunehmendem Mass von städtischen Patrizierfamilien betrieben wurde . 4 Was das Pilgern von den berufsbedingten Reisemotiven grundsätzlich unterschied, war (und ist) ein gewisser "Freizeitcharakter", mit anderen Worten der Zugang für Angehörige sämtlicher Klassen und Altersstufen. 5 Die Vorstellung, wonach die Menschen in früherer Zeit weitgehend zuhause blieben und, von etwaigen Ausflügen zum nächstgelegenen Marktflecken abgesehen, ihren Gesichtskreis kaum je über die Grenzen der dörflichen Lebensgemeinschaft hinaus erweiterten, muss nicht zuletzt 2 ~ON J.GURJEWITSCH, Das Weltbild des mittelalterlichen Menschen, München 1982 , S.59. 3 FRIEDERIKE HASSAUER, Eine Strasse durch die Zeit, Die mittelalterlichen Pilgerwege nach Santiago de Compostela, in: Epochenschwellen und Epochenstrukturen im Diskurs der Literatur- und Sprachhistorie, Frankfurt 1985,S.414: "Referenzmodell der mittelalterlichen Pilgerschaft ist die Konzeption einer Christenheit und einer Kirche 'in peregrinatio'. Analog erscheint das Erdenleben des Menschen als der lange Weg des homo viator durch die Zeit, dessen Ende der Tod die Ankunft im Raum des ewigen Heils markiert." 4 Dazu: GJARITZ./ AMÜLLER (Ed .), Migration in der Feudalgesellschaft, Frankfurt / New York 1988(Studien zur Historischen Sozialwissenschaft8). 5 LUDWIG SCHMUGGE, Zu den Anfängen des organisierten Pilgeiverkehrs und zur Unterbringung und Verpflegung von Pilgern im Mittelalter, in: H.C.PEYER (Ed .), Gastfreundschaft, Taverne und Gasthaus im Mittelalter, München/ Wien 1983, S.37: "Man kann heute ohne Übertreibung feststellen, dass das Pilgerwesen zu den bedeutendsten Phänomenen der mittelalterlichen Religiosität wie Mobilität gehört. Ohne Unterschied von Stand, Herkunft und Bildung ergriffen alle den Pilgerstab: Arme und Reiche, Kleriker wie Bauern, Könige ebenso wie Gelehrte, Männer, Frauen und Kinder. Wir können davon ausgehen, dass fast jedermann im Hoch- und Spätmittelalter, je nach Stand und Vermögen, Abkömmlichkeit und Devotion, mindestens einmal in seinem Leben eine Pilgerfahrt zu einem ferneren oder nahegelegenen Heiligtum unternommen hat.• <?page no="14"?> 4 aufgrund Erhebungen zur Zusammensetzung mittelalterlicher Pilgerschichten gründlich revidiert werden: Eine Untersuchung spätmittelalterlicher Testamente aus Aix-en-Provence belegt anschaulich, dass Pilgerfahrten von Angehörigen aller Gesellschaftsschichten absolviert oder doch zumindest gelobt wurden. 6 Eine Pilgerfahrtkonnte wenige Tage dauern und zu einem lokalen bezie- .hungsweise regionalen Wallfahrtsziel führen oder aber über beträchtliche Distanzen und Zeiträume hinweg zu einem Pilgerziel von überregionaler Bedeutung. Tausende von Kilometern wurden innert Monats- oder Jahresfrist zurückgelegt, um zu einem der drei grossen Fernp~erziele Rom, Jerusalem oder Santiago de Compostela zu gelangen. Diese drei "peregrinationes maiores", von denen der Pilger als geweihtes Andenken einen in Metall gegossenen Petersschlüssel (Rom), einen Palmzweig (Jerusalem) oder aber die berühmte Kammuschel (Santiago) heimbrachte, übten offenbar eine besonders starke spirituelle Anziehungskraft auf den gläubigen Christen aus. So bestätigen es jedenfalls die in jüngerer und jüngster Zeit unternommenen statistischen Erhebungen. Auch wenn sie vorerst nur punktuelle Daten liefern, illustrieren sie doch den gewaltigen Zustrom zu den drei zentralen Kultorten der Christenheit. Rom als Grabstätte der Apostel Petrus und Paulus und Sitz der päpstlichen Kurie sah sich im ersten offiziell deklarierten Heiligen Jahr von 1300 einem überwältigenden Ansturm von Pilgern gegenüber, nimmt man die Aussagen der Chronisten für bare Münze. Man kam, sah, betete und liess sich dafür den von Papst Bonifaz VIII. in Aussicht gestellten Vollablass von Sünde und Schuld auf sein Konto gutschreiben. Dazu erforderlich waren regelmässige Besuche der Sankt-Peters-Basilika und der Paulskirche "fuori le mura" während eines Aufenthalts von mindestens vierzehn Tagen. 8 Die Chroniken berichten von 200'000 und mehr Pilgern, die in 6 Vgl. N.COULEI', Jalons pour une histoirc rcligieusc d'Aix au Bas Mayen Age, in: Provence Historique 22, 1972, S.248: "Entre 1390 et 1450,cinquante-scpt testateurs - 4% des individus dont le testament nous est patvenu mentionnent le ~lerinage qu'ils ont fait, sont sur le point d'entrcprcndrc ou entendent faire. lls appartiennent A toutes ! es catcgories de la socictc, sans prcdominancc de l'une d'entrc elles." Von in Testamenten gelobten Pilgerfahrten aus geht auch Norbert OHLER, Zur Seligkeit und zum Trost meiner Seele, Lübecker unterwcp zu mittelalterlichen Wallfahrtsstätten, in: Zeitschrift des Vereins fiir Liibcckische Geschichte und Altertumskunde 63, 1983,S.83-103. 7 LUDWIG SCHMUGGE, Die Pilger, in: PETER MORAW (F.d.), Unterwcpscin im Spätmittelalter, Berlin 1985 (Zeitschrift fiir Historische Forschung, Beiheft 1), S.18. In der vorliegenden Arbeit soll nicht zwischen Pilgerreisen und Wallfahrten unterschieden werden. Eigentliche Unterscheidunpkriterien stellt WOLFGANG BRÜCKNER in: Zur Phänomenologie und Nomenklatur des Wallfahrtswescns und seiner Erforschung, in: Volkskultur und Geschichte, Festgabe Josef Diinninger, Berlin 1970, S.384-424, zur Diskussion. 8 FRANDS RAPP, Lcs ~lerinagcs dans la vie rcligieusc de l'occident mcdicval aux : ,cwC et ~ si«les, in: F.RAPHAEI.JG.SIEBERT u.a. (F.d.), Lcs ~lerinages de l'antiquitc <?page no="15"?> 5 dem einen Jahr ständig die Stadt belagerten, und sie verzeichnen bis zu 30'000 Neuankömmlinge pro Tag. Die Gesamtzahl der Pilger in diesem ersten Heiligen Jahr müsste demzufolge um die zwei Millionen betragen haben, und 1,2 Millionen sollen es fünfzig Jahre später anlässlich des zweiten derartigen Jubeljahres gewesen sein. Die Ziffern erscheinen übertrieben, geben aber doch den Eindruck der Zeitgenossen von einem aussergewöhnlichen Massenphänomen wieder. 9 Für Santiago de Compostela, das seinen Status als überregionales Pilgerziel und -zentrum wesentlich später als Rom und Jerusalem erreichte, sind bis zum Ende des 14. Jahrhunderts keine "Heiligen Jahre" analog zum römischen Jubeljahr belegt. 10 Erst seit Beginn des 15. Jahrhunderts wird Santiagopilgern in unregelmässigen Zeitabständen ein Vollablass gewährt, und zwar immer dann, wenn der Festtag des Apostels Jakobus (der 25. Juli) auf einen Sonntag fällt. 11 Schlüssige Zahlen zur Pilgerfrequenz fehlen, doch lassen sich anhand der von der englischen Krone ausgestellten Lizenzen für Pilgerschiffe für sechs von vierzehn Heiligen Jahren immerhin 7'650 englische Passagiere im 15. Jahrhundert nachweisen. In den sieben gleichfalls dokumentierten Normaljahren sind es zusammen nur 542 erwiesene Passagiere. Hochgerechnet ergäbe das für die vierzehn Heiligen Jahre rund 17'800 englische Pilger; nahezu gleich viele, wie für die 86 übrigen Jahre bezeugt sind (17'000 bis 25'000 Pilger). 12 biblique et classique ä l'occident medieval, Paris 1973, S.124-125.Zum Ablasswesen im speziellen vgl. N.PAULUS, Geschichte des Ablasses im Mittelalter vom Ursprunge bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts, 3 Bde, Paderborn 1922-1923. 9 RAPP, a.a.O., S.127-128.Dieselben Zahlen bei SCHMUGGEin: MORAW, S.22-23,und JEAN DELUMEAU, Movimento di pellegrini e assistenza nel Cinquecento, in: MARCELLO FAGIOLO/ MARIA LUISA MADONNA (Ed.), Roma Sancta - La cittä delle basiliche, Rom 198.5,S.92. Vgl. auch die Pilgerzahlen anno 1450 bei: HARRY KÜHNEL, Integrative Aspekte der Pilgerfahrten, in: FERDINAND SEIB'T / WINFRIED EBERHARD (Ed.), Europa 1500, Integrationsprozesse im Widerstreit, Stuttgart 1987,S.496-497. 10 Zum Ursprung des Jakobskultes und zu den Anfängen der Santiago-Pilgerfahrten vgl. ROBERT PLOTZ, Der Apostel Jacobus in Spanien bis zum 9. Jahrhundert, in SFGG 1,30, 1982, 19-145; DERS., Santiago-Peregrinatio und Jacobuskult mit besonderer Berücksichtigung des deutschen Frankenlandes, in: SFGG 1,31, 1984, S.25-135; DERS., Traditiones hispanicae beati Jacobi, Les origines du culte de Saint-Jacques ä Compostelle, in: Santiago de Compostela, 1000 ans de pelerinage europeen, Gent 198.5,S.27- 39; JAN VAN HERW AARDEN, The origins of the cult of StJames of Compostela, illi Journal of Medieval Histoiy 6, 1980, S.1-35, DERS., Saint James in Spain up to the 12 Centuiy, in LENZ KRISS-REITENBECK/ GERDA MÖHLER (Ed.), Wallfahrt kennt keine Grenzen, München/ Zürch 1984, ~-235-247,und DERS., Le pelerinage ä Saint- Jacques de Compostelle (XII au XVIIl si«le), in: Santiago de Compostela, 1000 ans de pelerinage, Gent 198.5,S.71-83. 11 BERNHARD SCHIMMELPFENNIG, Die Anfänge des heiligen Jahres von Santiago de Compostela im Mittelalter, in: Journal of Medieval Histoiy 4, 1978,S.291. 12 IUA MIECK, Zur Wallfahrt nach Santiago de Compostela zwischen 1400 und 1650, in: SFGG 29, 1978, S.489-490.Ebenfalls SCHMUGGE in: MORA W, S.26, und KÜHNEL in: Europa 1500,S.497. <?page no="16"?> 6 Die Zahlen belegen eindrücklich die Werbewirksamkeit der Heiligen Jahre. Was Jerusalem betr~ so sind die verfügbaren statistischen Zahlen ebenfalls fragmentarisch.1 Hypothesen lassen sich wiederum aufgrund überlieferter Angaben zu den zwischen Venedig und Jaffa verkehrenden Pilgerschiffen formulieren. Eliyahu Ashtor kommt bei 110 dokumentierten Schiffpassagen während des 15. Jahrhunderts und einer Kapazität von durchschnittlich 50 bis 60 Pilgern pro Schiff auf rund 6'000 beförderte Heiliglandfahrer - und zum Schluss, es habe sich bei der Pilgerreise nach Jerusalem zu diesem Zeitpunkt keineswegs um ein Massenphänomen gehandelt.14 Die unbestreitbare Attraktivität der drei Pilgerzentren Rom, Santiago de Compostela und Jerusalem leitet sich her von einer besonderen spirituellen Bedeutung der Orte, bezogen in erster Linie auf die (symbolische) Aussagekraft der biblischen oder kirchengeschichtlichen Geschehnisse daselbst. Gewiss förderte der Aufbau einer funktionstüchtigen Infrastraktur in allen drei Fällen die überregionale Resonanz auf den Christusbeziehungsweise den Heiligenkult, was aber doch nicht als alleini~ Erklärung für die überragende Bedeutung der drei Kultorte genügt. Diese Bedeutung war von Fall zu Fall kulturellen, wirtschaftlichen wie auch politischen Wandlungen unterworfen, wobei sich jedoch bestimmte Grundmotive und Grundmuster der Verehrung jeweils über den ganzen Zeitraum der Kultentwicklung hinweg verfolgen lassen. Hierzu ein kurzer Rückblick: Bis hin zu den ersten kaiserlichen Toleranzedikten zu Beginn des 4. Jahrhunderts erlebte Rom den ideologischen Konflikt zwischen christ- 13 WERNERGOEZ,Wandlungen desKrcuzzugsgedankens in Hoch-undSpätmittelalter, in: W.FISCHBR/ J.SCHNEIDER (F.d.), DasHeiligeLand im Mittelalter, Neustadt 1982, S.41. Goezleiteteinenallgemeinen Rückgang derPalästinafahrten ausderzunehmenden Konkurrenz vonneuenWallfahrtszielen undausderLancierung derrömischen Heiligen Jahreab, glaubt aberAnzeichen für eineneigentlichen Pilgerboomunmittelbar vorder Reformation undderEroberungPalästinas durchdieTürkenzuerkennen: •...wennman ausder nunmehrenormzunehmenden 2.ahleuropäischer Pilgerberichte diesenRückschluss ziehendarf.• 14 BLIYAHUASIITOR, Veneziaeil pellegrinaggio inTerrasantanelbassomedioevo, in: ASI524,1985, Disp.11, S.214-215. 2.ahlenmässig erfasstfindensichin denvonAshtor beigezogenen Quellen1'300Fahrgäste. Das sind wenige, vergleicht man mit einem Bericht RodulfGlabersausderZeit unmittelbar vordenKreuzzügen, wonachum1044 eine "unüberblickbare Menschenmenge" aus allenTeilender Welt nachJerusalem drängte.ZitiertnachJOHNWILKINSON, JerusalemPilgrimsBeforethe Crusades, Warminster 1m, S.147. 15 ZurUnterbringung undVerpflegung vonPilgernunterwegs vgl. ARNOLDLASS0TIA, Pilger-und Fremdenherbergen und ihre Gäste,in: WKKG,S.128-139; LUDWIG SCHMUGGB in: PBYER, S.37-60, undDERS., DieAnfängedesorganisierten Pilgerverkehrs imMittelalter, in: QFIAB64,1984, S.1-83. <?page no="17"?> 7 lieber Glaubenslehre und römischer Staatsgewalt als Folge von Predigtverboten, Prozessen und Pogromen. Selbst drastische Massnahmen vermochten aber die Verbreitun~ und allmähliche Durchsetzung des Chri stentums nicht zu verhindern. 6 Kultstättencharakter erlangten zunächst die Katakomben mit den in Wandnischen beigesetzten Gebeinen der Märtyrer. Im Zuge der ersten Kirchenbauten über den Grabstätten von Petrus und Paulus durch Kaiser Konstantin rückten diese zwei Orte in den Mittelpunkt des Pilgerinteresses. Kirchen wurden aber im gleichen Zeitraum auch zum Gedenken an andere Märtyrer errichtet. Infolgedessen erwarb sich Rom bald den Ruf, weltweit die meisten heiligen Stätten der Christenheit auf sich zu vereinigen.17. Bis ins Hochmittelalter blieb die Frequenz der Rompilger einigermassen konstant, und dies trotz der chronisch instabilen politischen Lage in den Gebieten, durch die die Pilger zogen. Im 12. und 13. Jahrhundert ist allerdings eine rückläufige Tendenz zu verzeichnen, umständehalber, da sich das Hauptaugenmerk der Gläubigen auf die Brennpunkte der Glaubenskriege in Palästina und Spanien richtete. 18 Den weiteren Niedergang der Rompilgerfahrt vermochte die römische Kurie durch die Einführung der "Heiligen Jahre" erfolgreich aufzuhalten. Nun waren die Apostel- und die Märtyrergräber nicht die einzigen römischen Wallfahrtsziele. Rom war, wenn auch während der Zeit des Schismas (1309 - 1378) und des Doppelpapsttums (bis 1417) in ständiger Konkurrenz zu Avignon, Papstresidenz und damit von alters her das geistige und materielle Zentrum einer mächtigen katholischen Kirche. Es lässt sich für die spätmittelalterliche Rompilgerfahrt kaum ausmachen, auf wen im Einzelfall die grössere Heilserwartung gerichtet war: auf die Märtyrer der frühen Kirche als Fürsprecher bei Gott oder auf Gottes leiblichen Stellvertreter auf Erden, der in eigener Kompetenz Ablässe in beliebiger Anzahl und Grösse verfügte. 19 Viele Pilger besuchten in päpstlicher Audienz weniger den Nachfolger Petri als den einflussreichen 16 Dazu W.H.C.FREND, The Risc of Christianity, London 1984. 17 BERNHARD KÖTI1NG, Peregrinatio religiosa, Wallfahrten in der Antike und das Pilgerwesen in der alten Kirche, Münster 1950und Reprint 1980,S.228 ff. 18 RAPP in: RAPHAEL u.a., S.120. Ebenso LAURA ONOFRI, Roma come Nuova Terrasanta, in: FAGIOLO/ MADONNA, S.28. 19 Dies veranlasste einen anonymen englischen Rompilger des späteren 15.Jahrhunderts zu der anzüglichen Bemerkung (frei nach Sankt Benedikt), wenn die Christen um die Menge der Ablässe in Rom wüssten, würden sie nicht so weit nach Jerusalem und nach dem Katharinakloster in der Wüste Sinai reisen. Vgl. FJ.FURNIVALL (Ed.), The Stacions of Rome and the Pilgrims Sca-Voyage, London 1867 und Reprint New York 1969 (Early English Text Society 39), S.10: • ... (Y)if men wuste.grete and smale/ Tbc pardoun tbat is.at grete Rome./ Tbei wo/ de teilen.In beore dome./ Hit were no neod. to mon in cristiante/ To paSSt: in to tbe boly lond.ouer tbe see,/ To Jerusa/ em .ne to kateI)'lle.l To bzinge monnes soule.out of pyne/ For pardoun tber is.witb-outen ende.• <?page no="18"?> 8 Politiker sie waren in erster Linie "geschäftlich", nämlich in diplomatischer oder apostolischer Mission unterwegs. 20 Unter dem Einfluss der Reformation und mit der Verbreitung des humanistischen Gedankengutes von Italien aus über die Alpen fand dann im Lauf des 16. Jahrhunderts eine Bedeutungsverlagerung statt. Die "Ewige Stadt" wurde wiederentdeckt als monumentales Freilichtmuseum der klassischen Antike, und auch die Pilgerreisen nahmen vermehrt den Charakter eigentlicher Bildungs- und Studienreisen an. 21 Jerusalem, Königsstadt und Stadt Gottes seit den Tagen Davids und Salomos, entwickelte sich zur gleichen Zeit wie Rom zu einem erstrangingen Pilgerziel, und dies ebenfalls im Anschluss an einen spektakulären Kirchenbau Konstantins über den Resten einer Grabstätte. Wobei sich das Heilige Grab in Jerusalem bis heute durch ein besonderes Charaktermerkmal vor den Apostel- und Heiligengräbern der Christenheit auszeichnet: Es ist leer. Und das mit gutem Grund, denn schliesslich erfüllte sich mit der leiblichen Auferstehung des Herrn am dritten Tag die Heilsgeschichte, getreu den Voraussagen der Propheten. Das leere Grab bezeugt den grundlegenden christlichen Glaubensinhalt, wonach Jesus Christus für die Sünden der Menschen starb und nach vollbrachter Mission "in corpore" aufstieg zum Vater im Himmel. 22 Weil aber im Zentrum der Jerusalemer Grabesverehrung nur die leere Gruft und sonst "nichts" zu finden ist, kein Knochenrest, kein Gnadenbild, lediglich indirekte Zeichen von Gottes leiblicher Anwesenheit, vergegenwärtigt sich der Pilger das Heilsgeschehen auf andere Weise: Er vollzieht die Stationen des Leidensweges Christi nach und wandelt so wortwörtlich in den Spuren Jesu. Welchen zentralen Platz die Stadt Jerusalem in der Weltanschauung des mittelalterlichen Christen innehatte, lässt sich beim Betrachten alter Weltkarten leicht feststellen. Die runde Weltscheibe mit der zentral gelegenen stilisierten Stadtsignatur für "Jerusalem" ist vom 12. bis noch ins 16. 20 Zur diplomatischen und allgemein politischen Funktion der mittelalterlichen Pilgerreisen von Fürsten und Herrschern vgl. URSULA SWINARSKI, Herrschen mit den Heiligen, Pilgerfahrten früh- und hochmittelalterlicher Herrscher (ca.500 -1200), Diss.phil. Zürich (im Druck). 21 Laut CHRISTIANE HIPPLER, Die Reise nach Jerusalem, Frankfurt 1987 (Europäische Hochschulschriften 1,968), S.52, tauchten •... schon während des 15. Jahrhunderts zwei neue Typen von Reisen auf, die nur noch am Rande mit dem kirchlichen Rom in Verbindung standen, die Kavaliersreisen und die Humanistenfahrten. Beide sind zunächst noch als ritterliche Pilgerfahrten auch in Palästina festzustellen, zeigen aber gerade in Rom schon früh ihren Charakter als Bildungsreisen. Hier war es vor allem die Begeisterung für das klassische Altertum, seine Literatur und Kunst, die die Reisenden nach Rom führte.• 22 EDMOND-RENE LABANDE, Recherches sur ! es pelerins dans l'Europe des Xf et Xlf siccles, in: CCM 1, 1958, S.159: "Par un paradoxe eclatant, le tombeau Je plus desire de Ja Chretiente est vide, c'est celui de Jerusalem: mais ce vide fonde precisement, en son principe meme, Ja foi du voyageur.• <?page no="19"?> 9 Jahrhundert wegweisend, jedenfalls solange, wie die "Neue Welt" jene "Alte Welt" der (vom Christentum beherrschten oder zumindest christlich definierten) Oekumene noch nicht endgültig aus der Bildmitte verdrängt hat. 23 Schon die jüdische Religion identifizierte den Weltmittelpunkt mit einer bestimmten Stelle innerhalb der heiligen Stadt Jerusalem; nach katholischer Tradition war dieser Weltnabel innerhalb der Grabeskirche lokalisiert. 24 Kein Pilger versäumte es, seinen Fuss auf diesen magischen (Anziehungs-)Punkt zu setzen. Zu unterscheiden von der historischen Stadt Jerusalem als Tatort der wichtigsten biblischen Geschehnisse ist die literarische und ikonographische Idee vom "bimmlisr.henJerusalem", deren Ursprung auf die Apokalypse des Johannes zurückgeht. Der Text der Apokalypse zeichnet ein detailgenaues Bild dieser städtischen Paradiesvorstellung, die dem mittelalterlichen Christen als Destination eine~ottgefälligen Lebens in zumeist stark stilisierter Form vor Augen stand. In der Vorstellung von Jerusalem als dereinstigem Schauplatz des Jüngsten Gerichts verband sich schliesslich das reale Bild der Stadt mit dem eschatologischen auf ideale Weise wer das Pech oder vielmehr das Glück hatte, in Jerusalem begraben zu werden, war der göttlichen Gnade am "Tag danach" doch schon bedeutend näher. 26 , Für den spätmittelalterlichen Christen schliesslich gewann Jerusalem als Stadt Gottes eine schmerzliche Bedeutung hinzu, jene eines für immer verlorenen Paradieses. 1291 fiel Akkon, die letzte und wichtigste Küstenfestung des christlichen Königreiches Jerusalem, an die Mameluken, die damals unter der Führung von Sultan Al-Ashraf Khalil standen. Damit 23 Dazu JORG-GEERD ARENTZEN, Imago Mundi Cartographica, Studien zur Bildlichkeit mittelalterlicher Welt- und Oekumenekarten unter besonderer Berücksichtigung des Zusammenwirkens von Text und Bild, München 1984 (Münstersche Mittelalter-Schriften 53), S.216-222.Vgl. auch WERNER MÜLLER, Die heilige Stadt, Roma quadrata, himmlisches Jerusalem und die Mythe vom Weltnabel, Stuttgart 1961, S53ff. 24 MÜLLER, a.a.O. S.180-181,zu den jüdischen Wurzeln des altchristlichen Mythos, wonach Golgotha als Grabstätte des Menschenvaters vorbestimmter Schauplatz der Erl~ung der Menschen durch den Menschensohn sein musste. Vgl. CHARLES COÜASNON, The Church of the Holy Sepulchre in Jerusalem, London 1974,S.40, und SYLVIA SCHEIN, Between Mount Mosiah and the Holy Sepulchre, The changing traditions of the Temple Mount in the Middle Ages, in: Traditio 41, 1985,S.157-180. 25 Offenbarung des Johannes, 21,2-22.Vgl. ROBERT KONRAD, Das himmlische und das irdische Jerusalem im christlichen Denken, Mystische Darstellung und geschichtliche Wirkung, in: Festschrift Johannes Spörl, Freiburg/ München 1965, S523-540, und CAROL HEIT'Z, L'architecture carolingienne, Les formes et leurs fonctions, Paris 1980, S.211ff (zu den verschiedenen Darstellun~formen im Mittelalter). 26 Dazu REINHOLD RÖHRICHT, Deutsche Pilgerreisen nach dem heiligen Lande, Innsbruck 1900, S.3, Anm.11. Geradezu als "One-way-trip to the Heavcnly Jerusalem" bezeichnet DONALD RHOWARD, Writers and Pilgrims, Medieval Pilgrimage, Narratives and Their Posterity, Berkeley 1980, S.11, die Heiliglandfahrt ihrem ursprünglichen Sinngehalt nach. <?page no="20"?> 10 endeten die Kreuzzüge, die ursprünglich den Zweck hatten, das Heilige Grab aus der Hand der Glaubensfeinde zu erretten, in einem gleichermassen militärischen wie ideologischen Debakel. Wenn eine Pilgerfahrt in ihrer psychologischen Dimension als Suche nach festen Orientierun~.punkten und dauerhaften moralischen Werten aufgefasst werden kann, so gilt dies insbesondere für die Palästinapilgerfahrt des späten Mittelalters. Jerusalem blieb zwar auch noch im 14. und 15. Jahrhundert die symbolisch bedeutsame Weltmitte - Symbol aber auch einer verlorenen Mitte und eines wankenden Gleichgewichtes und der "Krise". 28 Ein ganz anderes und keineswegs von Weltuntergangsstimmung geprägtes Bild vermittelt zum selben Zeitpunkt Santiago de Compostela, letzte Ruhestätte der Gebeine des Apostels Jakobus des Älteren. Beigesetzt wurden sie, so will es die Legende, gerade nicht innerhalb des religiösen Zentrums Jerusalem, wo Jakobus als der erste der Jünger Jesu das Martyrium erlitt, und auch nicht in Rom, der eigentlichen Urzelle der apostolischen Kirche. Buchstäblich am Ende der Welt, am Kap Finisterre, bestatteten getreue Jünger des Jakobus die Gebeine des Heiligen, und zwar nicht zufällig in Spanien, wo Jakobus der Sage nach lange Jahre als Prediger und Missionar gewirkt haben soll. 29 In ähnlicher Weise wie dem Heiligen Grab in Jerusalem sollte auch dem Apostelgrab des Jakobus im Nordwesten Spaniens wesentliche symbolische Bedeutung aus der Konfrontation mit dem Islam erwachsen. Eine der zentralen Legenden um den weitgereisten Apostel besagt, dass sich Jakobus in der historischen Schlacht von Clavijo im Jahr 844 als Feldherr von Gottes Gnaden an die Spitze des Heeres setzte, um durch 27 FREDDY RAPHAEL, Conclusion zu: Les pelerinages de l'antiquite biblique et classique a l'occident medieval (wie Anm.8), S: 165: "La mystique du centre parait repondre au besoin de l'homme de se rattacher a un point d'ancrage a partir duquel il puisse s'orienter. • 28 Vgl. GOEZ in FISCHER/ SCHNEIDER, S.41. Die Diskussion um die sog. Krise des Spätmittelalters, wie sie sii etwa in JOHAN HUIZINGAs Hauptwerk "Herbst des Mittelalters", Stuttgart 1961 , beschrieben findet, dauert an. Während einige Historiker die Berechtigung des Begriffs überhaupt in Zweifel ziehen, fordern andere eine Neudefinition unter Berücksichtigung der spezifischen spätmittelalterlichen Lebensverhältnisse. So FERDINAND SEIBT als Mitherausgeber von: Europa 1400, Die Krise des Spätmittelalters, Stuttgart 1984, S.9: "... mir scheint, für die vielfältigen politischen und sozialen, wirtschaftlichen und geistigen Erscheinungen des Lebens in Europa um 1400 ist sehr wohl ein umfassender Krisenbegriff am Platze. Nur haben die vielen Historiker, die ihn ohne weiteres gebrauchen, und die wenigen Skeptiker auf der anderen Seite, die ihn ablehnen und Gegenbeweise vorlegen, im allgemeinen ein falsches, nämlich ein unvollständiges Verständnis davon.• 29 Zur Jakobuslegende vgl. insbesondere PLÖTZ in: SFGG 1,30; HERWAARDEN in: WKKG; ausserdem R.AFLETCHER, Saint James's Catapult, The Life and Times of Diego Gelmirez of Santiago de Compostela, Oxford 1984, S.53 ff, und KLAUS HERBERS, Der Jakobswcg, Mit einem mittelalterlichen Pilgerführer unteiwegs nach Santiago de Compostela, Tübingen 1987,S.11 ff. <?page no="21"?> 11 seinen tatkräftigen Einsatz an der Front den siegreichen Verlauf der Reconquista einzuleiten. Ein Legitimationsunternehmen mit nachhaltigem Erfolg, hat doch das Bild des berittenen und gerüsteten, bis an die Zähne bewaffneten Apostels als ein furchteinflössender "Jacobus matamoros" ein vielfaches Echo in der ikonographischen Darstellung des Heiligen gefunden. 30 Bis heute ist dieses militarisierte Jakobusbild überall dort zum Einsatz gekommen, wo es entweder um (Rück-)Eroberungen oder dann ganz allgemein um die Durchsetzung nationalstaatlicher Ideen ging. Zunächst bekamen die maurischen Glaubensfeinde in Spanien den Schlachtruf "Santiago"zu hören; später waren es die Bewohner all jener Gebiete in Mittel- und Südamerika, wo die Spanier als Eroberer und Kolonialherren auftraten. Noch in diesem Jahrhundert vermittelte General Francisco Franco dem Jakobskult neue Impulse: Er ernannte den kämpferischen Maurentöter 1937 zum spanischen Nationalheiligen und rekrutierte ihn damit erneut für den Dienst, Vorreiter und Identifikationsfigur in einer "gerechten Sache" zu sein. 31 Heute, fünfzig Jahre später, widerfährt dem Heiligen, der als Schutzpatron der Ritter ebenso wie der Wallfahrer gilt, eine etwas weniger martialische Ehre. Im Zuge des neuerwachten Interesses für Pilgerreisen, das durchaus in Zusammenhang zu bringen ist mit einer allerorten zu beobachtenden und breitgefächerten postmodernen Mittelalter-Nostalgie, hat der Europarat eine Kampagne zur Wiederbelebung des Santiago- Reisekultes und zur Restaurierung der alten europäischen Jakobswege in die Wege geleitet. Für einmal geht es nicht um die Förderung eines nationalen, sondern um die eines internationalen, gewissermassen "kontinentalen" Zusammengehörigkeitsgefühls. 32 Zurück zum Mittelalter: Während alle die westeuropäischen Projekte zur Rückeroberung Jerusalems und des Heiligen Landes vom 13. bis zum 30 HERBERS, a.a.O., S.15. Zur Ikonographie des Apostels als "matamoros" (Maurentöter) und "strenuissimus miles" vgl. zuletzt ROBERT PLÖTZ, Imago Bcati lacobi, in: WKKG, S.248-264,und J.K.STEPPE, L'iconographie de Saint-Jacques le Majeur, in: Santiago de Compostela, 1000 ans de pelerinage europeen, Gent 198.5,S.129-153. 31 HERBERS, a.a.O., S.7. Eingedenk der englischen Namensform "James" für "Jakob" drängt sich die Frage auf, ob sich der englische Schriftsteller lan Fleming beim Schreiben seiner Kriminalromane von der Jakobuslegende leiten licss, als er seine eigene Version eines sagenhaft vielbegabten Kriegers gegen das Böse aus dem Osten aus der Taufe hob. Wesentliche Identitätsmerkmale des britischen Geheimagenten James Bond alias 007 stimmen jedenfalls bei näherer Betrachtung durchaus mit denen des mittelalterlichen Kreuzritter- und Pilgerpatrons überein. 32 EUROPARAT, Pressecommunique Strassburg vom 22. Juni 1987. Zu den Zielen der Kampagne gehört unter anderem die "misc en place d'une Strategie de scnsibilisation" in Bezug auf Pilgerwege und Pilgerziel. Dass die Wallfahrten nach Santiago de Compostela zurzeit eine regelrechte Renaissance erleben, geht auch aus der Tatsache hervor, dass im letzten Heiligen Jahr 1982 nicht weniger als sechs Millionen Pilger das Jakobusgrab in Galizien besucht haben (HERBERS, Jakobswcg, S.7). <?page no="22"?> 12 15. Jahrhundert scheiterten oder gar nicht bis zur Ausführungsreife gediehen, verhalf hier am "Ende der Welt" ein himmlischer Mitstreiter Schritt um Schritt zum Sieg über die Feinde der Christenheit. Oder, anders ausgedrückt: Signalisierte Jerusalem im späten Mittelalter die verlorene Mitte einer traditionellen Weltauffassung, so Santiago de Compostela und Kap Finisterre den Aufbruch in eine neue Welt, die rund war und hinter dem sichtbaren Horizont unbekannte, noch zu erschliessende Kontinente offenbarte. Der Reisende als Pilger ist nach neuzeitlicher Definition unterwegs zu jener Selbsterkenntnis, der eine Auseinandersetzung mit der Welt vorausgeht. Nach mittelalterlicher Definition ist er unterwegs zur Erkenntnis Gottes, der notwendigerweise die Abkehr von der Welt vorauszugehen hat. Ein Widerspruch? Vielleicht nur ein scheinbarer, denn die Extreme berühren sich, und in beiden Konzepten ist letztlich dieselbe Suche nach dem Sinn des Lebens enthalten. In der vorliegenden Arbeit wird es darum gehen, den Interessen und Motivationen spätmittelalterlicher Pilger beziehungsweise Reiseberichtverfasser nachzugehen. Wer schrieb? In welcher Weise und worüber schrieb einer? Welche persönlichen und gesellschaftlichen, allenfalls "nationalen" Interessen vertrat der schreibende Pilger? Welchen Zweck verfolgten und welche tatsächliche Funktion erfüllten Pilgerreise und Bericht im Lauf der Zeit? Schliesslich: Lässt sich eine "Verweltlichung" der Interessen und Motive feststellen, oder nimmt das in den Berichten gespiegelte Pilgerwesen selbst allmählich die veräusserlichten Züge eines reinen Gesellschaftsspiels an? Bei der Beantwortung dieser Fragen gehe ich auch von persönlichen Interessen und Motiven aus, wie ich sie anfangs skizziert habe: Was bewegte einen Menschen auf der Reise, und welches war seine Reaktion auf das, was seine Aufmerksamkeit erregte? Reagierte er gar nicht, blieb er gleichgültig, indifferent, sachlich? Reagierte er abwehrend und beharrte auf tradierten Standpunkten? Oder liess er sich allenfalls auf echte Auseinandersetzungen ein, mit dem Risiko, seinen einmal eingenommenen Standpunkt in Frage stellen zu müssen? Zu beachten gilt es dabei eine gewisse zeitbedingte Eigendynamik, die mittelalterlicher Literatur eigen ist: Sie spiegelt nur bedingt, "gefiltert" gewissermassen, eine bestehende soziale Realität wider; was der Filter passieren lässt, ist vor allem das jeweilig herrschende Idealbild sozialer Realität. 33 Zur Absicherung greift sie mit Vorliebe auf bereits vorliegende 33 GURJEWITSCH, S.344: "Die Realität war unermesslich reicher und vielgestaltiger. F.s sei jedoch unterstrichen, dass das Ideal eine wesentliche SO'LialeFunktion erfüllte und die <?page no="23"?> 13 schriftliche Autoritäten zurück. Eine vorgängige Klärung der Quellenfrage ist deshalb für jede analysierende Betrachtung unumgänglich. Zum Forschungsgegenstand: Im Zentrum steht die westeuropäische Pilgerliteratur aus vier unterschiedlichen Kulturkreisen nach Jerusalem. Zur Ergänzung und zum Vergleich werden Pilgerberichte nach einem viel jüngeren und unter ganz anderen Umständen entstandenen Fernpilgerziel, nämlich Santiago de Compostela, beigezogen. 34 Nun stammen derartige Texte keineswegs allein aus dem christlichabendländischen Kulturkreis. 35 Auch sind Berichte westeuropäischer Pilger nach Jerusalem zu allen Zeiten belegt und überliefert. 36 Berücksichtigt sind hier allein Jerusalem- und Santiagoberichte aus dem deutschen, dem italienischen, dem französischen und dem angelsächsisch/ irischen Sprachraum, gleichgültig, ob sie nun in Latein oder aber in der jeweiligen Volkssprache abgefasst wurden. Den zeitlichen Rahmen setzen zwei nicht ganz willkürlich gewählte Daten, nämlich die Jahreszahlen 1320 und 1520. 1322 wurde, seit der Vertreibung der Kreuzfahrerheere durch die Mameluken erstmals, zwölf Dominikanern ein ständiger Aufenthalt in wirkliche Lebenstendenz der mittelalterlichen Gesellschaft ausdrückte, die auf höchste Ziele orientiert war.• 34 Die Reiseberichte nach Rom bleiben, soweit sie nicht in Jerusalem- und Santiagoberichte integriert sind, als allzu sporadische Quellengruppe ausgeklammert. Zu den Zeugnissen englischer, französischer und deutscher Rompilger vgl. RICHARD in: WKKG, S.144, sowie GEORGE B.PARKS, The English Travcler to ltaly, Bd.1: The Middle Agcs to 1525, Rom 1954; YVES RENOUARD, Routes, ctapcs et vitcsscs de marche de France ä Rome, in: DERS., Etudes d'histoire m~i6vale, Paris 1968, Bd.2, S.6T1-697; GERD TELLENBACH, Glauben und Sehen im Romerlebnis dreier Deutscher des 15. Jahrhunderts, in: ERWIN GATZ (Ed.), Römische Kurie, Studien zu Ehren von Hermann Hoberg, Rom 1979, S.883-912.Zur Überiieferung der "Mirabilia" und anderer Pilgerführer vgl. auch A.WEISSTHANNER, Mittelalterliche Rompilgerführer, Zur Überlieferung der Mirabilia und lndulgentiae urbis Romae, in: Archivalische Zeitschrift, 1953,S.39-64. 35 Zu den Berichten russisch-orthodoxer Jerusalempilger vgl. KLAUS-DIEI'ER SEEMANN, Die altrussische Wallfahrtsliteratur, München 1976. S.30ff: Eine kritische Bcstandcsaufnahme der bisherigen Untersuchungen westeuropäischer Wallfahrtsberichte . Die wichtigsten islamischen Pilgerschriftsteller des späten Mittelalters waren zweifellos Ibn Battuta und Ibn Jubair. Vgl. zum Thema ABDEL MAGID TURKI, Souami, Hadji Rabah, R&its de pclerinages ä la Mecque, Etude analytique et joumal d'un pclerin, Paris 1979. Eine kune Einführung in die Welt der islamischen bzw. jüdischen Pilgerfahrten geben DOM GEORGES FARES, Lc pclerinage musulman, in: Lcttre de ügu~ 162, 1973, S.15-28, und A.ABECASSIS, Lcs lieux saints, P~lerinage hcbraique, pclerinage juif, in: Lcs pclerins de ! 'Orient et les vagabonds de l'Occident, Paris 1978,S.45-66. 36 Vgl. JOHN WILKINSON, Jerusalem Pilgrims Before the Crusades, Warminster 19T1; neuerdings DERS./ J.HILL, Jerusalem Pilgrimage 1099 - 1195,London 1988; HERBERT DONNER, Pilgerfahrt ins Heilige Land, Die ältesten Berichte chtjstlicher Palästinapilger (4.-7Jh.), Stuttgart 1979; ANDRES WYSLING, Heilig-Landfahrten im Mittelalter, untersucht an den westlichen Pilgerberichen des 1. Jahrtausends, Diss.phil. Zürich (im Druck); PETER GRADENWITZ, Das heilige Land in Augenzeugenberichten: Aus Reiseberichten deutscher Pilger, Kaufleute und Abenteurer vom 10. bis zum 19. Jahrhundert, München (dtv) 1984(vor allem 19. Jahrhundert) . <?page no="24"?> 14 Jerusalem sowie der Zugang zu den heiligen Stätten gewährt. Angehörige der Franziskaner lösten sie innert kurzem ab und etablierten sich in der Folge als die (bis heute) wichtigsten Infrastrukturlieferanten und Bezugspersonen der Jerusalempilger im Heiligen Land. 37 Das Jahr 1520 markiert in doppelter Weise den "Sinneswandel", der sich zu dieser Zeit gerade auch in Hinblick auf die Pilgerreisen in breiten Kreisen abzuzeichnen begann. Martin Luther veröffentlichte seine Programmschriften und gewann in der Folge als vehementer Kritiker des inflationären Ablass- und Pilgerwesens entscheidenden Einfluss auf die Popularität und gesellschaftliche Akzeptanz der Pilgerfahrten. Gleichzeitig hatte Magellans Schiffsmannschaft auf der anderen Seite des Erdballs das ambitiöse Abenteuer einer zwei Jahre dauernden Weltumsegelung zu bestehen. Ihm persönlich sollte es zum Verhängnis werden - und würde doch als erfolgreiches Exempel der menschlichen Überlegenheit über die Kräfte der Natur in die Geschichte eingehen. Das Zeitalter der europäischen Kolonialisierung der Welt hatte zu diesem Zeitpunkt bereits begonnen, und der "homo viator" war im Begriff, dem "homo faber" Platz zu machen. 1320 - 1520: Der Vergleich umfasst Pilgerberichte aus zwei Jahrhunderten, vier Kulturkreisen, drei (den drei schreibenden) Gesellschaftsschichten, nach zwei Destinationen und in eingeschränktem Mass von Mann und Frau. Zum Vorgehen: Dem etwas ausführlicheren Forschungsbericht folgt eine Präsentation der ausgewählten Berichte und ihrer Autoren sowie die Erörterung der schon erwähnten "Quellenfrage". Im Mittelteil der Arbeit kommen die Pilgerberichterstatter zu Wort; es geht hier um die Entwicklung der in den Berichten gespiegelten Interessen, und im Anschluss daran um die (explizit genannten oder auch verschwiegenen beziehungsweise vermutbaren) Reise- und Schreibmotive. Lässt sich aus den Quellen tatsächlich so etwas wie ein im Lauf der Zeit deutlicher in Erscheinung tretendes "Ich-Bewusstsein" herauslesen? Den Abschluss bilden zwei Betrachtungen von zwangsläufig fragmentarischem Charakter, die vor allem der Anregung zu noch eingehenderen Studien dienen möchten sie befassen sich mit den Illustrationen zu den Pilgerberichten sowie mit der Stellung der Frau im (vorwiegend von Männern geschriebenen) Pilgerbericht. 37 BEATRICE DANSEITB, Les pa! erinages occidentaux en Tem: Sainte, in: Archivum Pranci&canum Historicum, Rom 1979, S.108. Zur Rolle der Franziskaner im Heiligen Land vgl. auch WOLFGANG SCHNEIDER, Percgrinatio Hierosolymitana, Studien zum spätmittelalterlichen Jerusalembrauchtum und zu den aus der Heiliglandfahrt hervorgegangenen nordwcsteuropäischen Jerusalembrudeischaften, Diss. Münster 1982, S.37ff. <?page no="25"?> 15 Was verspricht die Spurensuche? In erster Linie Aufschlüsse über die Mentalität der Pilgerberichterstatter (und ihrer Leser) am Ende des Mittelalters. Womit die Absicht dieser Arbeit auch schon erklärt wäre, unter Einbezug zweier Termini allerdings, die in der Mediävistik nicht unumstritten sind. Was genau heisst denn "Mentalität"? Und: Wo lässt sich ein "Ende des Mittelalters" allenfalls zeitlich festlegen? Die nachfolgende Untersuchung möchte gerade in dieser Hinsicht der Begriffsklärung dienen und einen Beitrag zur Mentalitätsgeschichte des Mittelalters ebenso leisten wie zu der aktuellen Diskussion, ob und wo gegebenenfalls der berühmte Trennstrich zwischen Mittelalter und Neuzeit zu ziehen ist. Notwendig sind dazu ein paar einleitende Bemerkungen: 38 Die französische "histoire des mentalites" hat ihre Geburtsstunde 1928 mit der Lancierung der Zeitschrift "Annales"erlebt; Ziel war es, eine alle Bereiche umfassende historische Humanwissenschaft zu begründen. 39 Bis heute blieb der Begriff der "Mentalität", verschiedenen Definitionsversuchen zum Trotz, verschwommen. Es ging und geht da im wesentlichen um Weltbilder und Weltanschauungen von Gesellschaften oder Gesellschaftssegmenten40und auf Seiten der historischen Forschung darum, allfälligen Mentalitätsunterschieden durch einen entsprechend sensibilisierten Umgang mit dem vorhandenen Quellenmaterial auf die Spur zu kommen41. Eine mentalitätsgeschichtliche Untersuchung strebt danach, auf leise Töne und Mitteilungen zwischen den Zeilen ebenso zu achten wie auf das durchaus mögliche und sehr oft wahrscheinliche Auseinanderklaffen von erlebter Wirklichkeit und der literarischen Darstellung derselben.42 38 Zu beiden Fragekomplexen sind eben erst Resumes der Forschungsgeschichte erschienen: ELISABETH SCHRAlJf, Einleitung zu: CORD MECKSEPER/ ERNST SCHRAlJf (Ed.), Mentalität und Alltag -im Spätmittelalter, Göttingen 1985, S.5-7; HAGEN SCHULZE Mentalitätsgeschichte - Chancen und Grenzen eines Paradigmas der französischen Geschichtswissenschaft, in: GWU 36, 1985, S.247-270; STEPHAN SKALWEIT, Der Beginn der Neuzeit, Epochengrenze und Epochenbegriff, Darmstadt 1982. 39 SCHRAlJf in MECKSEPER/ SCHRAlJf, S.5. Zur Entstehungsgeschichte der Zeitschrift vgl. PAUL LEUILLOT, Aux origines des "Annales d'historie economique et sociale" (1928), Contribution ä l'historiographie fran~aise, in: Methodologie de l'histoire et des sciences humaines, Melanges en l'honneur de Femand Braudel, Toulouse 1973, S.317-328. 40 ROBERT MANDROU spricht von den "visions du monde"; zitiert nach SCHRAlJf, a.a.O., S.6. 41 Mit der Mentalitätsfrage eingehend befasst hat sich FRANTISEK GRAUS in seinen Werken. Zuletzt erschienen: DERS. (Ed.), Mentalität im Mittelalter, Methodische und inhaltliche Probleme, Sigmaringen 1987(Vorträge und Forschungen 35). 42 Eingehend mit dieser Problematik, gerade in Hinblick auf (frühneuzeitliche) Reiseberichte, befassen sich MICHAEL HARBSMEIER, Reisebeschreibungen als mentalitätsgeschichtliche Quellen, in: ANTON! MACZAK/ HANS JÜRGEN TEUTE- BERG (Ed.) Reiseberichte als Quelle europäischer Kulturgeschichte, Wolfenbüttel 1982 <?page no="26"?> 16 Unter dem Einfluss dieser "Nouvelle Histoire" verfeinerte vor allem die französische Religionsgeschichtsschreibung ihren Stil. Sie erweiterte ihr bis dahin ausschliessliches Interesse für ereignisgeschichtliche Daten und Taten kirchlicher Autoritäten und Instanzen zugunsten der religiösen Äusserungen des breiten Volkes und stellte die "piete- " beziehungsweise die "spiritualite populaire" in den Mittelpunkt zahlreicher neuer Untersuchungen. Das Pilgerwesen als besonders aussagekräftiger Typus internationaler und interkultureller Volksfrömmigkeit erhielt innerhalb dieser neuen religionsgeschichtlichen Betrachtungsweise einen wichtigen, ja zentralen Stellenwert. 43 Untersuchungen zur Volksreligion und Spiritualität im Mittelalter, gerade auch zur Frage der Pilgerfahrten, gibt es mittlerweile in kaum mehr überblickbarer Fülle. 44 Kongresse zu dem Thema finden weltweit von (Wolfenbütteler Forschungen 21), S.1-31, und HORSI' WENZEL, Reisebeschreibung und Selbsterfahrung, mit besonderer Berücksichtigung deutscher Entdeckerberichte aus der Neuen Welt, in: ARTUR BEIHKE (Ed.), Deutsche Literatur des Spätmittelalters, Ergebnisse, Probleme und Perspektiven der Forschung, Greifswald 1986 (Deutsche Literatur des Mittelalters 3), S.248-260. 43 Die wichtipten Namen sind ETIENNE DELARUELLE (Gesammelte Aufsätze in: La pictc populaire au moyen llge, Turin 1975), ANDRE VAUCHEZ (Gesammelte Aufsätze in: Religion et socictc dans l'occident mcdicval, Turin 1980), und FRANCIS RAPP (vgl. oben, Anm.8, sowie DERS., L'cglise et la vie religieuse en occident ä la fin du moyen age, Paris 1971, (Nouvclle Qio 25); DERS., Reflexions sur la religion populaire au moyen llge, in: BERNARD PLONGERON (Ed.), La religion populaire dans l'Occident chrctien, Paris 1976, S.51-98, und Les croyances et ! es pratiques populaires ä la fin du moyen llge, ebenda, S.105-121; DJlRS., Les nouvelles orientations de l'histoire religieuse de la France mcdicvale, du XIV' au milieu du xvf siecle, in: Tendances, perspectivcs et methodes de l'histoire mcdicvale, Paris 197], S.113-135; DERS., Mutations et difficultcs du pa! erinage ä la fin du moyen age, XIV'-XV"' siacle, in: JEAN CHELINI/ HENRY BRANTIIOMME (Ed.), , Les chemins de Dieu, Paris 1982, S.209-234). 44 Vgl. die Angaben von ANDRE VAUCHEZ, Religion et socictc ...; besonders in den drei literaturkritischen Artikeln. Weitere künlich erschienene Arbeiten zur "pictc populaire" im (Spät-) Mittelalter wären: PIERRE BOGLIONI, Pour l'ctude de la religion populaiI'i au moyen llge: Le probleme des sources, in: Foi populaire, foi savante, Actes du Vcolloque du Centre d'ctude d'histoire des religions populaires, Paris 1976, S.93-149; DERS., (Ed.), La culture populaire au moyen llge, Etudes prcsentces au 4e colloque de ! 'Institut d'ctudes mcdicvales de l'Univcrsitc de Montreal 2-3-avril 1977, Montreal 1978; DERS., Pelerinages et religion populaire: notes d'anthropologie et d'histoire, in: DERS./ BENOIT LACROIX (Ed.), Les paterinages au Quebec, Quebec 1981, S.5-27; DERS., Pelerinages et religion populaire au Moyen Age, in: WKKG, S.66-75; GASTON BOUTHOL, Les mentaijtcs, Paris 1971 (Que sais-je 545); R.DESCHAUX, La pictc populaire a la fin du XV"' siecle we a travers le Calendrier des Bergers, in: Senefiance 10, 1981, S.211-221; JEAN LECLERQ, Spiritualitc abstraite et dcvotions populaires a la fin du moyen llge, in: La vie spirituelle 64, 1984, S.649-658; RAOUL MANSELLI (Ed.), La religion populaire au moyen age, problemes de mcthode et d'hjstoire, Paris/ Montreal 1975; J.PAUL, La religon populaire au moyen age (a propos d'ouvrages recents), in: Rewe d'histoire de l'cglise de France 63, 1977, S.79-86; JEAN CLAUDE SCHMITT, "Religion populaire" et culture folkloristique, in: Annales Economies Soictcs Civilisations 31, 1976, S.941-953; La vie religieuse des clites et des masses dans la chrctientc du x: yC siacte (im Druck); La pictc populaire en France: rcpertoire <?page no="27"?> 17 Besan~n über Cambridge bis nach Kanada statt und ihren Niederschlag in zahlreichen Aufsätzen und Büchern. 45 Mit der Emanzipation von einem instanzenorientierten und autoritätsgläubigen Geschichtsbild des 19. Jahrhunderts musste sich auch die Vorstellung von genau datier- und damit festlegbaren Epochengrenzen in Frage stellen lassen. Schied das Wort "Renaissance" zur Zeit Jacob Burckhardts noch messerscharf zwei völlig unterschiedliche Denkwelten, so sieht sich der vielstrapazierte Begriff heute durch die neutrale Verwenbibliographique (im Druck). ROSALIND und CHRISfOPHER BROOKE, Popular Religion in the Middle Ages, Western Europc 1000-1300, London 1984; CLAIRE CROSS, Church and People 1450-1660: The Triumph of the Laity in the English Church, Atlantic Highlands (New Jersey) 1976; RONALD CHARLES FINUCANE, Miracles and Pilgrims, Popular Bcliefs in Medicval England, London/ Melboume/ foronto 1m ; KASPAR VON GREYERZ (Ed .), Religion and Society in Early Modem Europc (1500- 1800), London 1984; FRANCIS OAKLEY, The Western Church in the Later Middle Ages, Ithaca N.Y. 1979; JAMES OBELKEVICH (Ed .), Religion and the pcople, 800- 1700, Chapcl Hili 1979; HEIKO AUGUSfINUS OBERMAN, The Shapc of Late Medieval Thought, Birthpangs of the Modem Era, in: DERS./ CHARLES TRINKAUS (Ed.), The Pursuit of Holiness in Late Medicval and Renaissance Religion, Leiden 1974, S.3-25; CHARLES RADDING, Evolution of Medicval Mentalities, A Cognitivc- Structural Approach, in: American Historical Review 3, 1978, S5n-591; LIONEL ROTHKRUG, Religious Practices and Collectivc Perccptions: Hidden Homologies in the Renaissance and Reformation, in: Historical Reflexions 7,1, 1986, S.1-266; R W.SCRIBNER, Ritual and Popular Religion in Catholic Germany at the Time of the Reformation, in: Journal of Ecclesiastical Histoiy 35, 1984, S.47-n; JONATHAN SUMPTION, Pilgrimagc an Image of Medieval Religion, London 1975 und it.Rom 1981. MARGARET ASfON, Religiöse Volksbewegungen im Mittelalter, in: G.BARRACLOUGH (Ed.), Die Welt des Christentums, München 1982, S.148-17 4; HERBERT GRUNDMANN, Religiöse Bewegungen im Mittelalter, Darmstadt 19n ; H.MOLITOR, Frömmigkeit in Spätmittelalter und früher Neuzeit als historischmethodisches Problem, in: H.RABE (Ed.), Festgabe für Ernst W.Zeeden, Münster 1976, S.1-20; B.TÖPFER, Volksbewegungen und gesellschaftlicher Fortschritt im 14. und 15. Jahrhundert in West- und Mitteleuropa, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 26, 1978, S.713-729. EDITH CHORHERR, Zur religiösen Volkskunde Italiens, Ein Literaturbericht, in: Jahrbuch für Volkskunde, N.F.1, 1978, S.227-235; La religione popolare, Bologna 1971(Sacra doctrina 61); FRANCO BOLGIANI, Religione popolare, in: Augustinianum 21, 1981, S.7-75; GABRIELE DE ROSA, La religione popolare, Storia tcologia pastorale, Rom 1981; CARLO GINZBURG (Ed .), Religioni delle classi popolari, Ancona 1979 (Quademi storici 41); S.J>EZZEII A, La vita religiosa nel Quattrocento, Messina/ Florenz 1976 (Sccondo millennio, Problemi di Storia); LSARTORI (Ed.), Pellegrinaggioe religiosita popolare, Padua 1983. 45 GJ.CUMING/ DEREK BAKER (Ed.), Popular Belief and Practice, Papers read at the ninth summer mccting and the tenth winter mccting of the Ecclesiastical_Histoiy Society, Cambridge lm (Studies in Church Histoiy 8); PIERRE BOGLIONI/ BENOIT l.ACROIX (Ed.), Les religions populaires, Colloque international, Univcrsite Lava! , Quebec 1970, Quebec lm; ADESILEI'S/ G.LAPERRIERE (Ed .), Recherche et religion populaire, Collqgue international 1973, Montreal 1976; La piete populaire au moyen agc, Actes du 99e congres international des societes savantes (Besan~n 1974), Paris lm (darin : MICHEL MOLLAT, Lcs formes populaires de la piete au moyen Agc.); La religion populaire, Colloque international du centre national de recherches scientifiques, Paris 17-19 oct.lm, Paris 1979; Mouvcments populaires, mouvcments religieux au moyen Agc,in: Comite international des sciences historiques, Rapports 1, Stuttgart 1985,S.353-364. <?page no="28"?> 18 dung für verschiedene verwandte Phänomene (beispielsweise solche im 12. Jahrhundert) weitgehend relativiert. 46 Einzelne Autoren gehen bei ihren Versuchen der Epochenneudefinition soweit, die zuvor als besonders innovativ gefeierte Ära der Renaissance zu einer Art restaurativer Übergangszeit zwischen Scholastik und Barock zu degradieren. 47 Umgekehrt sprechen sich immer mehr Stimmen kritischer Fachleute gegen die traditionelle Auffassung vom späten Mittelalter als einer Zeit des all~meinen Wertezerfalls, des sozialen und wirtschaftlichen Niedergangs, aus. Erklärt man andererseits die ersten Entdeckungsreisen, die ja zeitlich exakt festgelegt werden können, zum Gradmesser der anbrechenden Modeme und setzt dementsprechend den "Beginn der Neuzeit" mit der quasi realiter erfolgten Widerlegung der Weltscheiben-Theorie durch Christoph Kolumbus anno 1492 gleich, so läuft man Gefahr, die mittelalterlichen, nämlich christlich-missionarischen Wurzeln von Kolumbus' Expansionsdrang zu übersehen. 49 Zweckmässiger erscheint es, den Beginn einer "neuen Ära" mit dem Auftakt zur Reformation in Deutschland im Jahr 1520 gleichzusetzen. Allerdings bleibt es auch in diesem Fall bei einem reinen Hilfsmodell, denn die Rücksicht auf andere, nichtlutherische Reformationsbestrebungen lässt im Grunde eine so präzise Datierung nicht zu. 50 46 SKALWEIT, Der Beginn der Neuzeit, S.13ff. Vgl. beispielsweise RICHARD WILLIAM SOUIHERN, Medieval Humanism and Other Studies, Oxford 1970,v.a. S.31: "I believe the period from about 1100 to about 1320 to have been one of the great ages of humanism in the history of Europe: perhaps the greatest of all.• 47 SKALWEIT, a.a.O., S.42-43. Zu revidieren wäre dementsprechend auch das herkömmliche Bild vom aufklärungsfeindlichen, dunklen Mittelalter; vgl. KLAUS ARNOLD, Das "finstere" Mittelalter, Zur Genese und Phänomenologie eines Fehlurteils, in: Saeculum 32, 1981,S.287-300. 48 F.RH.DU-BOULA Y vertritt beispielsweise in: An Age of Ambition, English Society in the Later Middle Ages, New York 1970, die These, dass England in der Zeit zwischen 1350und 1510zu seiner nationalen Identität gefunden habe. Vgl. dazu Boyd C.SHAFER, Faces of Nationalism, New Realities and Old Myths, New York 1972. 49 SKALWEIT, a.a.O., S.47 ff. JOACHIM LEITHÄUSER, Worlds Beyond the Horizon, New York 1955, S.30, unterstellt Kolumbus konkrete Kreuzzugsabsichten; die Fahrten nach Spanisch-Amerika hätten demnach lediglich der Geld- (bzw.Gold-)beschaffung gedient. Vgl. LUDWIG BÜHNAU, Entdeckung im Zeichen des Glaubens, Reisen und Pilgerfahrten in der Welt des Mittelalters, Wünburg 1965; CLAUDE KAPPLER, La vocation messianique de Christophe Colomb, in: Voyage, quete, pelerinage dans la littcrature et la civilisation mcdicvales, Aix 1976 (Senefiance 2), S.255-271; ABBAS HAMDANI, Columbus and the Recovery of Jerusalem, in: Journal of the American Oriental Society 99, 1979, S.39-48. Zur Verdrängung der Weltscheibendurch die Weltkugelvorstellung vgl. W.G.LRANDLES, De la terrc plate au globe terrestre, Une mutation cpistcmologique rapide (1480-1520),Paris 1980. SO SK,ALWEIT,a.a.O., S.76 ff. Und S.94 ein Appell an die wissenschaftliche Selbstkritik: "Die Grenzlinie zwischen den beiden Zeitaltern zeigt sich nicht immer in voller Deutlichkeit,ja, sie wird durch dasBeieinander von Wandelbarem und Beständigem, das der Geschichte nun einmal innewohnt, oft bis zur Unkenntlichkeit verwischt. Der Historiker kann daher ihren Verlauf niemals mit letzter Sicherheit und geschichts- <?page no="29"?> 19 Damit aber ist der Kernpunkt der ganzen Epochengrenzendiskussion ausgesprochen. Eine willentliche und wissentliche Unterscheidung zwischen "Mittelalter" und "Neuzeit" ist nach wie vor zweckdienlich und legitim. Nur sollte statt von Grenzen eher von sich überlappenden Grenzbereichen gesprochen werden und statt von den missverständlichen Begriffen "Krise" und "Neubeginn" lieber neutral von Interessens- und Funktionsverlagerungen. Wie vielfältig sich nämlich die Übergänge darstellen, wenn man den Rahmen etwas weiter steckt und den Vergleich über einen grösseren Zeitraum und einen weiteren räumlichen Bereich hinaus ausdehnt, möchte diese Arbeit anhand eines besonders komplexen, vielgestaltigen - und spannenden Forschungsgegenstandes belegen. Der spätmittelalterliche Pilgerbericht ist auch als Werk eines einzelnen beziehungsweise einer Redaktionsgemeinschaft Spiegel für den Zustand einer Gesellschaft: Ein facettenreicher und das Licht brechender, ein bisweilen in blossen Scherben vorliegender Spiegel von Alltag und Alltagsträumen, der ähnlich wie ein Hologramm noch im einzelnen Fragment das späte Mittelalter in seiner ganzen mehrdimensionalen Widersprüchlichkeit aufleuchten lässt. wissenschaftlich angemessen·, nur in kritischer Rückbesinnung auf die Problematik der eigenen Bewertungskriterien bestimmen.• <?page no="30"?> 20 2. Forschungsstand Der internationale Buchmarkt reagiert oft erstaunlich rasch auf aktuelle Trends und Zeitströmungen. Erscheinen zu einem Thema, das bis dahin nur gerade in der einschlägigen Fachpresse Resonanz fand, plötzlich reihenweise populärwissenschaftliche Abhandlungen, grossformatige Hochglanzbände und literarische Umsetzungen, so muss das Publikumsinteresse, muss die Nachfrage entsprechend beschaffen sein. Anders, nämlich allein mit den geschickten strategischen Überlegungen geschäftsbewusster Buchhändler, lässt sich ein so überraschender und bahnbrechender Verkaufserfolg wie jener von Umberto Ecos Mittelalterbuch "Il nome della rosa" nicht erklären. 1 Tatsächlich: Das Zeitalter der Kathedralen und Feudalstrukturen feiert eine Art Renaissance in dieser Zeit: Mittelalterliches Musik- und Schriftgut wird in exklusiven Boutiquen verkauft, Ausprägungen mittelalterlicher Spiritualität stossen auf breites Interesse, und soviel Licht fällt plötzlich auf die bis dahin so spärlich ausgeleuchtete Geschichte des 8. bis 15. Jahrhundert, dass bereits die Gefahr der Überbelichtung und der Überzeichnung der Konturen droht. Von all dem besonders stark betroffen ist das Pilgerwesen, diese als so besonders "typisch"geltende Ausprägung mittelalterlicher Lebensart.2 1 Der im Klostermilieu des 14. Jahrhunderts angesiedelte Kriminalroman verkaufte sich allein auf dem deutschen Buchmarkt 400'000mal in zwei Jahren und belegte von Oktober 1982 bis Oktober 1985 fast ununterbrochen den ersten Platz in der Belletristik- Bestsellerliste. Vgl. GERD KRUSE, Der geplante Erfolg eines 'Überraschungsbestsellers', in: HANS-JÜRGEN BACHORSKI (Ed.), Lektüren, Aufsätze zu Umberto Ecos 'Der Name der Rose', Göppingen 19&5(GAG 432), S.271, und JÜRGEN WERTI-IEIMER, Nei labirinti del tempo e del segno: cronaca di un best seller, in: RENATO GIOVANNOU, Saggi su 'II nome della rosa', Mailand 1985, S.320, Anm.1. Den Spielfilm von Jean-Jacques Annaud nach Ecos Buchvorlage sahen sich allein in der Schweiz knapp 400'000 Kinobesucher an; in der Jahresliste der erfolgreichsten Kinofilme belegt "Der Name der Rose" Platz 5 hinter "Out of Africa", der französischen Komödie "Trois hommes et un couffin" und den beiden reinen Action-Filmen "Top Gun" und "Rocky4". Aus: ZOOM Film/ IV/ Radio 15, 1987, S.15. Vgl. auch HANS BAUMANN/ ARMAN SAHIHI, Der Film: Der Name der Rose, Weinheim/ Basel 1986. 2 Im Buchhandel erschienen beispielsweise: D.KAMPE/ CH.WULF, Im Schatten der Milchstrasse, Tübingen 1981; ANfONIO BONEf CORREA, Santiago de Compostela, Die Wege der Pilger, it.Mailand 1981, dt.Freiburg/ Basel/ Wien 1982 (Die Welt der Religionen 1); JACQUES MADAULE, Jerusalem, Die heilige Stadt dreier Religionen, it.Mailand 1981, dt.Freiburg/ Basel/ Wien 1982 (Die Welt der Religionen 5); NORMAN POSTER, Die Pilger, Reiselust in Gottes Namen, dt.Frankfurt 1982 (amüsant geschrieben, doch trübt Posters Hang zum Anekdotischen gelegentlich den Scharfblick für logische Zusammenhänge); GÜNnlER lANCZKOWSKI, Die heilige Reise, Auf den Wegen von Göttern und Menschen, Freiburg/ Basel/ Wien 1982; PIERRE BARRET/ JEAN-NOEL GURGAND, Unterwegs nach Santiago, Auf den Spuren der Jakobspilger, frz.Paris 1978 und dt.Freiburwßasel/ Wien 1982 (eine anregende <?page no="31"?> 21 "Wallfahrt kennt keine Grenzen" unter diesem Titel fand 1984 eine Ausstellung im Bayerischen Nationalmuseum München statt. Neben einem reich ausgestatteten Sachkatalog erschien dazu ein umfangreicher Aufsatzband, der den Forschungsstand in Sachen westeuropäisches Pilgerwesen recht zuverlässig widerspiegelt.3 1985 war Gent Schauplatz einer ähnlich konzipierten Ausstellung speziell zur Geschichte des Jakobuskultes und der Santiago-Wallfahrt. Zu diesem Anlass erschienen gleich drei Publikationen mit Aufsätzen zu Detailfragen, wobei nicht wenige Autoren bereits Beiträge zum Münchner Aufsatzband geliefert hatten. 4 Es scheint sich da in der internationalen Wallfahrtsforschung eine Gruppe interessierter Fachleute aus verschiedenen (historischen) Disziplinen gefunden zu haben, welche die sich regelmässig bietenden Gelegenheiten zum Gedanken~ und Erfahrungsaustausch rege nutzt. 5 Zusammenstellung von Pilgerberichtzitaten, ergänzt durch eigene Reiseerlebnisse der beiden Autoren und eine umfangreiche Bibliographie); MARIE MADELEINE GAUTIIIER, Strassen des Glaubens, Reliquien und Reliquiare des Abendlandes, frz.Fribourg und dt.Aschaffenburg 1983; VERA und HELLMlIT HELL, Die grosse Wallfahrt des Mittelalters, Kunst an den romanischen Pilgerstrassen d~rch Frankreich und Spanien nach Santiago de Compostella, Tübingen 1964 "! nd 1985 ; FLORENCE BACCHETfA, En marche vcrs Compostelle, Un chemin de tra11Sformation, Genf 1986; H.G.KAUFMANN/ O.LECHNER, Der Weg der grossen Sehnsucht, Santiago de Compostela, München/ Zürich 1986; NORBERT OHLER, Reisen im Mittelalter, München 1986 (darin S.397-405: Eine spätmittelalterliche Pilgerreise ins Heilige Land); ICI.AUS HERBERS (Ed.), Der Jakobsweg, Mit einem flittelalterlichen Pilgerführer unterwegs nach Santiago de Compostela, Tübingen 1986 ; YVES BOTI1NEAU, Der Weg der Jakobspilger, Geschichte, funst und Kultur der Wallfahrt nach Santiago de Compostela, frz.Paris 1964 und 1983 , dt.(mit einer Einleitung und einem Zusatzkapitel sowie einer wertvollen Nachtragsbibliographie von Klaus Herbers) Gladbach 1987; BRIAN und MARCUS TATE, The Pilgrim Route to Santiago, engl.Oxford und span.Barcelona und ital.Vitoria (Spanien) 1987.Die zuletzt erschienen Pilgerreiseführer heutiger Tage sind: PAOLO ACQUISfAPACE (Ed.), Guida biblica e turistica della Terra Santa, Mailand 1986; WERNER SCHÄFKE, Nordwestspanien - Landschaft, Geschichte und Kunst auf dem Weg nach Santiago de Compostela, Köln 1987 (DuMont Kunst-Reiseführer); HANSJÖRG SING, Der Jakobsweg, Ulm 1987. 3 LENZ KRISS-RETfENBECK/ GERDA MÖHLER (Ed.), Wallfahrt kennt keine Grenzen, Themen zu einer Ausstellung des Bayerischen Nationalmuseums und des Adalbert Stifter Vereins, München und Zürich 1984; Eine umfassende Bibliographie von EDITH CHORHERR findet sich S543-568 (nicht themenspczifisch geordnet) . Vgl. Rezension von GEORGES PON in: Cahiers de civilisationm6dicvale29, 1986,S.388-390. 4 Santiago de Compostela, 1000ans de pclerinage europ6cn, (Ausstellungskatalog) Gent 1985; in französischer Sprache erschien von ALPHONSE DUPRONI' (Ed.) La quete du sacr6, Saint-Jacques de Compostelle, Tumhout 1985; in holländischer Sprache von JAN VAN HERWAARDEN (Ed.) Pelgrims door de eeuwen heen, Santiago de Compostela, Tumhout 1985. Zu den Namen, die in den 1984/ 1985erschienenen Publikationen mehrfach auftauchen, gehören diejenigen von Pierre-Andr6 Sigel und Jan van Herwaarden, von Robert Plötz, Kurt Köster, Ren6 de La Coste-M=li! re und Paolo G.Caucci von Saucken. Auf sie werde ich im Verlauf dieses Forschungsberichts noch zurückkommen. 5 Ähnlich wie die oben erwähnten Werke schlagen auch zwei früher erschienene Aufsatzsammlungen den Bogen vom mittelalterlichen zum modernen Pilgerwesen: Le pclerinage, Ouvrage publi6 avcc le concours du Ccntre de la Recherche Scientifique, <?page no="32"?> 22 Schon länger interdisziplinär angelegt sind die zahlreichen volkskundlichen Arbeiten auf demselben Gebiet. Vor allem die deutsche Volkskunde kann auf eine jahrzehntelange intensive Beschäftigung mit verschiedenen Aspekten des Wallfahrtswesens zurückblicken. 6 Soziologische und anthropologische Ansätze fanden sich hingegen bis vor kurzem hauptsächlich im französischen und angelsächsischen Sprachraum.7 Eine vielseitig interessierte Linguistin, Friederike Hassauer, hat schliesslich den Versuch unternommen, die mittlerweile reichlich abgegriffene Terminologie deutscher Wallfahrtsforscher mit semiotischer Spitzfindigkeit etwas aufzupolieren. 8 Bisher nur in Ansätzen mit einbezogen wurden medizingeschichtliche und psychohistorische Erkenntnisse. 9 Dafür befassen sich einige neuere Untersuchungen eingehend mit der rechtlichen Situation der Pilger, wobei die obrigkeitlich verhängten Strafpilgerfahrten und die stellvertretende Toulouse 1980 (Cahiers de Fanjeaux 15); JEAN CHEUNI/ HENRI BRANTI-IOMME, Les chemins de Dieu, Histoire des pelerinages chrctiens des origines a nos jours, Paris 1982. 6 Vgl. WOLFGANG BRÜCKNER, Wallfahrtsforschung im deutschen Sprachgebiet seit 1945, in: Zeitschrift für Volkskunde 55, 1959, S.115-129; LEOPOLD SCHMIDT, Wallfahrtsforschung und Volkskunde, in: ReligiöseVolkskunde, München 1964,S.47-67, und vor allem ISO BAUMER, Wallfahrt als Handlun~iel, ein Beitrag zum Verständnis religiösen Handelns, Bern/ Frankfurt 1977(Europäische Hochschulschriften 19,AbtA, 12), und DERS., Wallfahrt als Metapher, in: WKKG, S.55-64. 7 Vgl. FREDDY RAPHAEL, Le pelerinage, Approche sociologique, in: DERS. u.a., Les pelerinages de l'antiquit6 biblique et classique a l'occident m6diml, Paris 1973,S.11-30; ALPHONSE DUPRONr, Formes de la culture des masses: de la doltance politique au pelerinage panique, in: Niveaux de culture et groupes sociaux, Paris/ La Haye 1971; DERS., Pelerinage et lieux sacrcs, in: M6thodologie de l'histoire et des sciences humaines, M6langes en l'honneur de Fernand Braudel, Toulouse 1973, S.189-206; DERS., Puissances du pelerinage, perspectives anthropologiques, im oben erwähnten Aufsatzband "Saint-Jacques de Compostelle", Turnhout 1985, S.175-252; VICTOR und EDITH TURNER, Image and Pilgrimage in Christian Culture, Anthropological Perspectives, New York 1978. 8 Vgl. FRIEDERIKE HASSAUER, Eine Strasse durch die Zeit, Die mittelalterlichen Pilgerwege nach Santiago de Compostela, in: Epochenschwellen und Epochenstrukturen im Diskurs der Literatur- und Sprachhistorie, Frankfurt 1985, S.409-422, und DIES., Volkssprachliche Reiseliteratur: Faszination des Reisens und räumlicher ordo, in: H.RJAUSS/ E.KÖHLER/ H.U.GUMBRECHT/ U.MÖLK (Ed.), Grundriss der Romanischen Literaturen des Mittelalters 11, 1, Heidelberg 1986, S.215-239. Als allgemeinverständliche Einführungen eignen sich nach wie vor von RAYMOND OURSEL ~pelerins du moyen 4ge, Les hommes, ! es chemins, ! es sanctuaires, Paris 1963und 1978 (it. Mailand 1979), und von PIERRE ANDRE SIGAL Les marcheurs de Dieu, Pelerinages et pelerins au Moyen Age, Paris 1974. Letzterer hat Beiträge zur 'fypologie mittelalterlicher (Santiago-)Wallfahrer in nahezu sämtlichen der oben erwähnten Ausstellun~begleitbänden publiziert; vgl. WKKG, S.76-86, "Santiago de Compostela", S.97-101,und "Saint-Jacques de Compostelle", S.125-157. 9 Vgl. WILHELM THEOPOLD, Mirakel: Heilung zwischen Wissenschaft und Glauben, München 1983. Und MARIA BlITSCH, Historische und psychologische Aspekte mittelalterlicher Mirakelberichte, Lizenziatsarbeit bei Ludwig Schmugge, Hist. Sem. Zürich 1983; unter demselben Titel zusammengefasst in: Zeitschrift für Parapsychologie und Grenzgebiete der Psychologie27, 1985,S.209-233. <?page no="33"?> 23 Wallfahrt durch Berufspilger besondere Berücksichtigung finden. 10 Schliesslich führt auch die Erschliessung bisher unbeachteter Sach- und Textquellen zu neuen Erkenntnissen: Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang auf die Pilgerzeichenforschung und auf die Untersuchungen mittelalterlicher Testamente. 11 Einen kurzen Überblick über die komplexe Pilgerthematik, unter Einbezug kürzlich veröffentlichter Forschungsergebnisse, vermitteln zwei zusamenfassende Aufsätze von Ludwig Schmugge und Harry Kühnel. 12 Endlich ist auf die Begriffsdikussion zu verweisen, die anfangs der siebziger Jahre um die beiden deutschsprachigen Bezeichnungen des Pilgers und des Wallfahrers entbrannt ist. 13 Im Rahmen dieser Arbeit erweist sich die Unterscheidung des "Pilgers" als eines Individualreisenden vom "Wallfahrer" als dem Angehörigen einer Reisegruppe als wenig fruchtbar; ich ziehe es vor, die beiden Begriffe synonym für beides zu verwenden. 10 Vgl. etwa ETIENNE VAN CAUWENBERGH, Les pelerinages expiatoires et judicaires dans Je droit communal de Ja Belgique au moyen dge, Louvain 1922 (Universite de Louvain, Recueil de travaux 48); LOUIS TIIEO MAES, Mittelalterliche Strafwallfahrten nach Santiago de Compostela und Unsere liebe Frau von Finisterra, in: Festschrift Guido Kisch, Rechtshistorische Forschungen, Stuttgart 1955, S.99-118; CYRILLE VOGEL, Le pelerinage penitentiel, in: Revue des sciences religieuses 38, 1964, S.113-152; F.GARRISSON, Apropos des pelerins et de leur condition juridique, in: Etudes d'histoire du droit canonique dediees ä Gabriel Le Bras, Paris 1965, Bd.2, S.11~-1189; F.L.GANSHOF, Pelerinages expiatoires flamands ä St.Gilles pendant Je XIV' siede, in: Annales du Midi 78, 1966, S.391-407; JAN VAN HERWAARDEN, Opgelegde bedevaarten, Een studie over de praktijk van opleggen van bedevaarten (met name in den stedelijke rechtspraak) in de Nederlanden gedurende de late middeleuwen (ca.1300-<: a.1500),Assen/ Amsterdam 1978 (mit fn. Zusammenfassung S596-614); HENRI GILLES, Lex peregrinorum, in: Le pelerinage, Toulouse 1980 (Cahiers de Fanjeaux 15), S.161-189; GERARD JUGNOT, Le pelerinage et Je droit penal d'apres ! es lettres de remission accordees par Je roi de France, ebenda S.161-189. Zuletzt erschienen: LOUIS CARLEN, Wallfahrt und Recht, in: WKKG, S.87-100, und ausführlicher DERS., Wallfahrt und Recht im Abendland, Freiburg i.Ü. 1987 (Freiburger Veröffentlichungen aus dem Gebiete von Kirche und Staat 23). 11 Vgl. zu den Pilgerzeichen KURT KÖSTER, Mittelalterliche Pilgerzeichen, in: WKKG, S.203-223 (mit weiterführender Literatur hinten, S556-557), DERS., Les coquilles et enseignes de pelerinage de Saint-Jacques de Compostelle et des routes de Saint-Jacques en Occident, in: "Santiago de Compostela", S.85-95, und LISELOTTE KÖTZSCHE- BREITENBRUCH, Pilgerandenken aus dem Heiligen Land, in: Jahrbuch für Antike und Christentum, Erg.Bd.11, 1984, S.229-246; zu den Testamenten vgl. Einleitung, Anm.6. 12 LUDWIG SCHMUGGE, Die Pilger, in: PETER MORAW (Ed.), Unterwcgssein im Spätmittelalter, Berlin 1985 (Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 1), S.18-47; HARRY KÜHNEL, Integrative Aspekte der Pilgerfahrten, in: FERDINAND SEIBT/ WINFRIED EBERHARD (Ed.), Europa 1500, Integrationsprozesse im Widerstreit (Staaten, Regionen, Personenverbände, Christenheit), Stuttgart 1987, S.496- 509. 13 Vgl. dazu WOLFGANG BRÜCKNER, Zur Phänomenologie und Nomenklatur des Wallfahrtswesens und seiner Erforschung, Wörter und Sachen in systematischsemantischem Zusammenhang, in: Volkskultur und Geschichte, Festgabe für Josef Dünninger, Berlin 1970,S.384-424. <?page no="34"?> 24 Die zwei gegenläufigen Tendenzen zu detaillierten Einzelstudien einerseits und übergreifenden Vergleichsstudien andererseits lassen sich in ähnlicher Weise auch für die Beschäftigung der Forschung mit der mittelalterlichen Pilgerliteratur feststellen. Allerdings hat die Diversifikation in diesem Bereich sehr viel ältere und in gewisser Weise sprachlich bedingte Wurzeln. Bereits im 19. Jahrhundert, zur Zeit des Biedermeier und der Romantik, war das Mittelalter sehr "en vogue " und erfreute sich der Gunst eines breiten Publikums ebenso wie eines neu entfachten historischen Forschungseifers. 14 Für die Reiseberichte aus jener Zeit begannen sich zunächst die Topographen und Theologen zu interessieren, und zwar geschah dies vor dem Hintergrund machtpolitischer, vor allem kolonial- und kirchenpolitischer Rivalitäten. 15 Die nationalen Interessen sollten auf lange Zeit hinaus einer vergleichenden Rezeption hinderlich sein, indem sie dafür sorgten, dass deutsche Forschungsinstanzen vorwiegend "deut sche" Berichte interpretierten, kommentierten und edierten, französische die "französischen", italienische die "italienischen" und englische die "englischen" .16 Allerdings gibt es Unterschiede, die eine etwas eingehendere Betrachtung rechtfertigen. 14 Kurt Flasch, Professor für Philosophie an der Universität in Bochum, spricht in diesem Zusammenhang von einer "zyklisch auftretenden Zivilisationskrankheit". Für das Interesse breiter Kreise an Legenden und Geschichten aus dem Mittelalter spricht zum Beispiel die hohe Auflagenzahl des historischen Romans "Ekkehard" von JOSEPH VICTOR SCHEFFEL: 86 Auflagen waren es zu Lebzeiten des Dichters. 15 CHRISTIANE HIPPLER befasst sich in: Die Reise nach Jerusalem, Untersuchungen zu den Quellen, zum Inhalt und zur literarischen Struktur der Pilgerberichte des Spätmittelalters, Bern/ Frankfurt 1987, S.14-36, mit der deutschen Palästinapilgerberichtsforschung als einem fast beiläufigen "Nebenprodukt" der theologisch und topographisch ausgerichteten Orientalistik des letzten Jahrhunderts. Vgl. S.19 ff : •... die Pilgerliteratur verdankt ihre 'Entdeckung' dem wachen Eifer deutscher Fach-Wissenschaftler und ihren internationalen Eifersüchteleien am Rande der europäischen Politik, wenn auch nicht in so direktem Zusammenhang, wie es für die Mittelalter-Rezeption und die Entwicklung eines deutschen Nationalgedankens im 19. Jahrhundert vielleicht festgestellt werden kann. Jedoch auch die kirchliche Archäologie, die Bibelkunde, schliesslich die ganze Palästinographie als Zweig der Orientalistik verdankten ihren entscheidenden Aufschwung und Förderung im vorigen Jahrhundert letzten Endes der Politik, nämlich der direkten und indirekten politischen wie wirtschaftlichen Einflussnahme der europäischen Staaten im Nahen Osten.• 16 Um Editionen in den hauseigenen Publikationsreihen besorgt waren (und sind) vor allem der Literarische Verein Stuttgart (1843 gegründet) und der Deutsche Palästina-Verein (1878), die Socicte pour la publication de tcxtcs relatifs ä l'histoire et a la gcographie de ('Orient latin (1875) und Charles Schefers Rccueil de voyagcs et de documents pour scrvir ä l'historie de la gcographie (? ), das Archivuin Franciscanum Historicum in Quaracchi bei Florenz (1908), die Early English Text Society (? ), die Hakluyt Society (1846), die Camden Society (vor 1851) und die P! ! lcstine Pilgrims' Text Society (vor 1894). <?page no="35"?> 25 Ohne die Leistung der bis heute in vielen Belangen massgeblichen Patriarchen der Palästinographie, Titus Tobler und Reinhold Röhricht, 17 schmälern zu wollen, muss an dieser Stelle gesagt sein, dass gerade die unkritischen deutschen Berichteditionen, die bis zur Jahrhundertwende entstanden sind, gravierende Mängel aufweisen. Gefragt waren damals Fakten, nicht mentalitätsgeschichtliche Aussagen, und wo ein Text aus dem jeweiligen Interessensgebiet geographisch oder stilistisch ausscherte 8 wurde (mit oder ohne Vorwarnung) "geschnitten" und zurechtgestutzt. 1 Solches muss vereinzelt auch der internationalen Fachkollegenschaft aufgefallen sein. Lucy Toulmin Smith etwa, Herausgeberin der Reisebuchhaltung des späteren Königs Heinrich IV. von England, kann sich im Vorwort nicht genug über die Tatsache wundem, dass ihr deutscher Co- Editor die Palästinareise Heinrichs mit dessen Verlassen preussischen Einzugsgebietes kurzerhand abbrechen liess. 19 17 TITUS TOBLERs Hauptwerk, die Bibliographia Geographica Palaestinae, eine "kritischeÜbersicht gedruckter und ungedruckter Beschreibungen der Reisen ins Heilige Land", Leipzig 1867 und Amsterdam 1965 (Reprint), wurde von REINHOLD RÖHRICIIT erheblich eiweitert und unter demselben Titel als Bibliographia Geographica Palaestinae, Chronologisches Verzeichnis der von 333 bis 1878verfassten Literatur über das Heilige Land mit dem Versuch einer Kartographie, in Berlin 1890 veröffentlicht. Die verbesserte und vermehrte Neuausgabe von David H.K.AMIRAN, Jerusalem 1963, ist nach wie vor das zunächst zu konsultierende Nachschlagewerk der modernen Palästinapilgerberichtsforschung. Als Ergänzung dazu versteht sich PETER THOMSEN, Die Palästina-Literatur, Eine internationale Bibliographie in systematischer Ordnung mit Autoren- und Sachregister, 8 Bde, Leipzig/ Berlin 1908-lm. Weitere Standardwerke Röhrichts sind: Beiträge zur Geschichte der Kreuzzüge, 2 Bde, Berlin 1874; Die Pilgerfahrten nach dem Heiligen Lande vor den Kreuzzügen, in: Hist.Taschenbuch, Leipzig 1875, S.323-396; DERS./ HEINRICH MEISNER, Deutsche Pilgerreisen nach dem Heiligen Lande, Berlin 1880 (mit rund dreissig zuvor unveröffentlichten Berichten); Deutsche Pilgerreisen nach dem Heiligen Lande, Gotha 1889 (dasselbe ohne die edierten Berichte); Die Deutschen im Heiligen Lande, ein "chronologisches Verzeichnis derjenigen Deutschen, welche als Jerusalempilger und Kreuzfahrer sicher nachzuweisen oder wahrscheinlich anzusehen sind" (ca. 650-1291), Innsbruck 1894und Aalen 1968(Reprint); Geschichte des KönigreichsJerusalem, 1100- 1291,Innsbruch 1898; Deutsche Pilgerreisen nach dem Heiligen Lande, Innsbruck 1900 (wie Gotha 1889, aber erheblich eiweitert); schliesslich DERS., Geschichte des ersten Kreuzzuges,Innsbruck 1901. 18 Vgl. HIPPLER, S.22-23: "Tobler war auch der erste, der gezielt begann, Pilgerberichte (...) zu edieren. Leider hielt er sich dabei nicht immer an ein philologisch-kritisches Editionsverfahren. (...) Toblers Studien begaMen Schule zu machen, und immer mehr Historiker, Heimatkundler und Philologen wurden in Bibliotheken fündig und veröffentlichten in regionalen Zeitschriften die Pilgerberichte der mittelalterlichen Wallfahrer ihrer Stadt, Region oder ihrer Herrscherhäuser. (...) Ihr Interesse war allerdin~ auf den historischen Quellenwert der Texte hinsichtlich der von ihnen untersuchten Landes- oder Regionalgeschichtereduziert, ...• Übrigens war Titus Tobler Schweizer ein Appenzeller Landarzt, der die Palästinographie als Hobby betrieb. Und doch erwarb er sich auf diesem Gebiet den Ruf, der "Nestor" der deutschen Palästinaforschung zu sein. 19 LUCY TOULMIN SMITH, Expeditions to Prussia and the Holy Land, Made by Henzy Earl of Derby (Afterwards King Henry IV.), London 1894 (Camden Society, 2.ser.52), S.vi-vii,unter Bezugnahme auf HANS PRUIZ (Ed.dt.), Rechnungen über Heinrich von <?page no="36"?> 26 Eine derart respektlose Haltung Originaltexten gegenüber beschränkte sich keineswegs auf den Umgang mit mittelalterlicher Reiseliteratur. Dies jedenfalls lässt das Vorwort von Herausgeber Moritz Haupt zur Erstausgabe der "Zeitschrift für deutsches Altertum", Leipzig 1841,vermuten: Der Germanist zeigt sich darin hauptsächlich bestrebt, seinen Lesern "... soviel möglich lesbares" darzubieten und ihnen in Sachen Grammatik und Interpunktion grosszügig entgegenzukommen. "Die behauptung" nämlich, "was nur in einer einzigen handschrift vorhanden sei müsse immer buchstäblich abgedruckt werden ist in solcher allgemeinheit ausgesprochen ungiltig und oft nur eine beschönigung der arbeitscheu." Der fleissige Herausgeber hingegen selektionierte vor und bestimmte in eigener Regie, was in welcher Form lesbar (und lesenswert) war? IJ Handelt es sich hierbei um eine spezifisch deutsche Problematik? Wahrscheinlich nicht, denn auch die englische Ausgabe des lateinischen "Evagatorium" von Felix Fabri von 1897 lässt die angeblich uninteressanten Reise-Etappen einfach weg. 21 Immerhin publizierten die wichtigsten englischen und französischen Herausgeber früh schon (übersetzte) fremdsprachige Texte. Zur Ehrenrettung der deutschen Fachschaft sei gesagt, dass auch Reinhold Röhricht nicht nur deutsches Schrifttum publizierte, sondern auch den (lateinischen) Bericht des Italieners Jacopo da Verona, in einer französischen Zeitschrift übrigens. In der Einleitung würdigt er mit besonderer Sorgfalt zwei in München befindliche deutsche Abschriften des Originals. 22 Anders als bei Moritz Haupt anno 1841 klingt es 81 Jahre später in der Erstausgabe der "Deutschen Vierteljahresschriften für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte". Herausgeber und Verleger verpflichten sich darin einer absoluten philologischen Strenge und Gewissenhaftigkeit. Nicht dem Leser soll hier gedient und notfalls auf die Sprünge geholfen werden, sondern vielmehr" ... den verschiedenen Richtungen der Literaturgeschichte, deren lebendiges Nebeneinander für die heutige Lage Derby's Preussenfahrten, LeiJYLig1893. Vgl. allgemein zu den Preussenfahrten: WERNER PARAVICINI, Die Preussenreisen des europäischen Adels, in HZ 232, 1981, S.25-38, und DERS., Die Preussenreisen, Studien zur Mobilität und Mentalität des europäischen Adels im 14.Jahrhundert (inzwischengedruckt erschienen). 20 MORITZ HAUPT, Vorwort zur Zeitschrift für deutsches Altertum 1, 1841, S.V. Zu Moritz Haupt und seinem Verhältnis zu Pilgerberichten vgl. lßPPLER, S.14. 21 AUBREY STEWART (Ed.engl.), The Wanderings of Felix Fabri, London 1897 und Reprint New York 1971, 4 Bde (PPTS 7-10). Ägypten und die Heimreise nach Ulm fehlen. Die Lücke überbrückt hat inzwischen JACQUES MASSON (Ed.frz.), Faber Felix,voyage en Egypte 1483,3 Bde, Kairo 1975(Collection des voyageurs occidentaux en Egypte 14). 22 REINHOID RÖHRICHT (Ed.), Le pelerinage du moine augustin Jacques de Verone, in: ROL 3, 1895 und Reprint Brüssel 1964, S.155-302.Als •Jacob von Bern•, ohne Kommentar, führen ihn Röhricht und Meisner in ihrem Quellenband von 1880, S.43-64 auf. Wurde hier eine der deutschen Übersetzungen des lateinischen Textes aus dem 16. Jahrhundert als Original (eines Bemers) interpretiert? <?page no="37"?> 27 dieser Wissenschaft charkteristisch ist, ein gemeinsamer Wirkungsboden geschaffen werden." Einbezogen werden sollten insbesondere literatursoziologische Ansätze, und es sollten darüberhinaus" ... Untersuchungen zur Poetik und methodologische Erörterungen die Selbstbesinnung der Wissenschaft fördern. 1123 Erst ein derart breit angelegtes Konzept konnte die Gewähr bieten für einen vorurteilsfreien Zugang zur spätmittelalterlichen Gebrauchsliteratur der Pilgerberichte . Martin Sommerfeld brach den Bann wenig später mit seinem (ebenda erschienenen) Aufsatz "Die Reisebeschreibungen der deutschen J erusalempilger im ausgehenden Mittelalter". 24 Auch wenn vieles von dem, was in diesem Jahrhundert zum Thema der spätmittelalterlichen Palästinapilgerberichte geschrieben worden ist, von Sommerfelds Ansätzen keinen Gebrauch macht, 25 so hat doch er der deutschen Pilgerberichtsforschung der nächsten fünfzig Jahre die Richtung gewiesen. Er erkannte als erster der Pilgerliteratur den Status einer eigenständigen Textsorte mit spezifischen Gattungsmerkmalen zu und wies ohne Vorbehalte auf die genretypische Verquickung "authentischer", sprich selbstgesehener und selbsterlebter, Erzählmomente mit solchen, die aus fremden Quellen geschöpft waren, hin. Damit sprach Sommerfeld die Pilger/ Autoren vom zuvor immer wieder erhobenen Vorwurf des Plagiats und Leserbetrugs frei, forderte aber andererseits künftige Herausgeber und Kommentatoren, ob Germanisten (bzw. Romanisten und Anglisten) oder Historiker, zu einer eingehenden quellenkritischen Auseinandersetzung mit den Pilgertexten heraus. 26 Sommerfelds Anregungen haben Früchte getragen, und zwar reiften sie an ganz verschiedenen Forschungszweigen. Aus den letzten dreissig Jahren herausgepflückt seien hier nur die philologischen Arbeiten von 23 Vorwort zu: DVLG 1, 1923,S.V. 24 MARTIN SOMMERFELD, Die Reisebeschreibungen der deutschen Jerusalempilger im ausgehenden Mittelalter, in: DVLG 2, 1924,S.816-850.Vgl. dazu HIPPLER, S.28-31 und S.37 25 Beispielsweise F.BEHREND, Deutsche Pilgerreisen ins Heilige Land 1300-1600, in: Festschrift Georg Leidinger, München 1930,S.1-13. Nur beschränkt brauchbar ist auch die von einem bemerkenswerten Fleiss zeugende, aber leider ziemlich unsystematische Materialsammlung von HANS-JOACHIM LEPSZY, Die Reiseberichte des Mittelalters und der Reformationszeit, Diss.(masch.) Hamburg 1952. HIPPLER beklagt (S.31) "den Mangel an eigenen Ansätzen des Verfassers". 26 Inspirationsquelle für die vorliegende Arbeit ist Sommerfelds Studie insofern, als hier wie dort im Zentrum Mutmassungen zu den Interessen und Motiven der Pilger bzw. Berichterstatter zwischen Mittelalter und Neuzeit stehen . Und hier gibt es nach Meinung des Autors noch viel zu tun (S.818): "In der Tat: wer den Umwandlungen nachgeht, die vom Mittelalter zur Reformation geführt haben, und wer diese Umwandlungen nicht von ausscn her gegeben sieht, sondern als einen inneren Entwicklungsprozess des spätmittelalterlichen Geistes selbst, der findet hier, von diesem sehr speziellen und wie es scheint ganz isolierten Stoffkreis aus, einen Anknüpfungspunkt für den Prozess im ganzen.• <?page no="38"?> 28 Marjatta Wis, 27 die mehr beiläufigen Betrachtungen von Helmut Lahrkamp oder Gerd Tellenbach, 28 ein paar fundierte Einzelstudien mit neuen Erkenntnissen zu einzelnen Pilgerberichten 29 sowie die beiden Vergleichsstudien von Arnold Esch zu je vier im Anschluss an dieselbe Pilgerexpedition entstandenen Berichten. 30 Andererseits kommt keine moderne Edition oder Neuedition mehr ohne eine ausführliche philologische und historische Einleitung und einen umfassenden quellenkritischen Apparat aus.31 Deutsche (und österreichische) Dissertationen zur Reiseliteratur im Spätmittelalter sowie zu einzelnen Aspekten der Palästinapilgerberichte 27 Vgl. MARJATIA WIS, Zur Bedeutung der mittelalterlichen Palästina-Pilgerberichte für Wortforschung und Quellenkunde, in: Neuphilologische Mitteilungen 65, 1965, S.273- 297. Dazu HIPPLER, S.31-33(mit weiteren Literaturangaben). 28 HELMUf LAHRKAMP, Nordwestdeutsche Orientreisen und Jerusalemwallfahrten im Spiegel der Pilgerberichte, in: Orientalia Christiana 50, 1956, S.113-130; GERD TELLENBACH, Zur Frühgeschichte abendländischer Reisebeschreibungen, in: Historia Integra, Festschrift für Erich Hassinger, Berlin 1977, S.51-80. Die schreibenden Nürnberger Jerusalempilger sind seit jeher recht gut dokumentiert: TIIEODOR AIGN, Die Ketzel, Ein Nürnberger Handelsherren- und Jerusalempilgergeschlecht, Neustadt/ Aisch 1961 (Freie Schriftenfolge der Gesellschaft für Familienforschung in Pranken 12), und zuvor schon J.KAMANN, Die Pilgerfahrten Nürnberger Bürger nach Jerusalem im 15. Jahrhundert, in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte der Stadt Nürnberg 2, 1880,S.78-163. 29 Zum Beispiel HERBERT PEILKE, Felix Pabris Evagatorium über seine Reise in das Heilige Land, Eine Untersuchung über die Pilgerliteratur des ausgehenden Mittelalters, Bern/ Frankfurt 1976 (Europäische Hochschulschriften 1,155). Dazu HIPPLER, S.34, und die Rezension von VOLKER HONEMANN in: ADAL 108, 1979, S.170-172. Letzterer hat die Diskussion um die handschriftliche Überlieferung eines anderen prominenten Pilgerberichtes angeregt; vgl. HONEMANN, Zur Überlieferung der Reisebeschreibung Arnolds von Harff, in: ZDAL 107, 1978, S.165-178; HARTMUf BECKERS, Zur Reisebeschreibung Arnolds von Harff, in: AHVN 182, 1979, S.89-98, und DERS., Neues zur Reisebeschreibung Arnolds von Harff, in: RhVB 48, 1984, S.165- 178. Es wurden auch Einzelstudien ohne wesentlich neue Erkenntnisse publiziert, beispielsweise R.LAUPNER, Ein Mensch in seiner Gegenwart, Der Wallfahrtsbericht Peter Passbenders von Molsberg (...) zum hl.Grab in Jerusalem 1492/ 93,in: Festschrift für Hermann Heimpel, Göttingen 1971,Bd.2, S.247-265,oder PE"IER WELTEN, Reisen nach der Ritterschaft, Jerusalempilger in der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts, in: ZDPV 93, 1977, S.283-293 (zu Georg von Ehingen und seiner Reiseroute • allerdinp ist der Kilchberger Ritter womöglich gar nicht bis nach Jerusalem gekommen). 30 ARNOLD ESCH, Vier Schweizer Parallelberichte von einer Jerusalem-Fahrt im Jahre 1519, in: Gesellschaft und Gesellschaften, Festschrift Ulrich Im Hof, Bern 1982, S.138- 184, und DERS., Gemeinsames Erleben • Individueller Bericht, Vier Parallelberichte aus einer Reisegruppe von Jerusalempilgern 1480,in: ZHP 11, 1984,S.385-416. 31 Drei Beispiele aus jünpter Zeit: LEZA M.UPPER (Ed.), Peter Püesslis Jerusalemfahrt 1523 und Brief über den Pali von Rhodos 1522, in: Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich 50,3 (146.Neujahrsblatt), Zürich 1982 (mit sehr guter Einleitung). Etwas weniger umfassend GABRIELLE EHRMANN (Ed.), Georg von Ehingens Reisen nach der Ritterschaft, Göppingen 1979 (GAG 262); vgl. die Rezension von VOLKER HONEMANN in: ZDAL 110, 1981; und TIIOMAS KRAUS (Ed.), Stefan Baumgartners Reise zum Heiligen Grab 1498 mit Herzog Heinrich dem Frommen von Sachsen, mit einer Biographie von Lotte Kurras, Göppingen 1986 (GAG 445). <?page no="39"?> 29 sind in den letzten fünfzehn Jahren ein gutes halbes Dutzend erschienen. 32 Die methodisch konsequenteste Befragung der Pilgerberichtautoren nach offenkundigen wie verschwiegenen Interessen hat dabei Aleya Khattab geleistet. Sie nahm dazu nicht die gesamte Reiseroute, sondern nur einen bestimmten Ausschnitt unter die Lupe. 33 Die Beschränkung auf den geographischen Bereich "Ägypten" mag zwar vom Standpunkt der (im allgemeinen auf Wallfahrtsziele fixierten) Pilgerberichtforschung aus befremden, erlaubt jedoch erst systematische (und nicht nur punktuelle) Vergleiche der Darstellung verschiedener wiederkehrender Interessensschwerpunkte. Das Fazit der Untersuchung von Aleya Khattab: Zwischen Kreuzzugsende und Reformation fand innerhalb der Reisebeschreibungen eine deutlich feststellbare Ausweitung der Interessen ebenso statt wie eine Verlagerung von ursprünglich zielgerichtet frommen hin zu allgemein weltlichen, "humanistischen"Interessen. 34 Zu ähnlichen Schlüssen gelangt auch Claudia Zrenner. Ihre Untersuchung von Interessen und Motiven beschränkt sich auf einen ausserordentlich schmalen Zeitausschnitt (1475 - 1500), bezieht dafür aber Berichte aus den benachbarten Sprachregionen mit ein. 35 Das Fazit ihres Vergleichs: Textunterschiede inhaltlicher und stilistischer Art treten klar 32 Nicht alle sind in gedruckter Form zugänglich.Vgl. REINER MORITZ, Untersuchungen zu den deutschsprachigen Reisebeschreibungen des 14. bis 16. Jahrhunderts, Diss.(masch.) München 1970(er unterscheidet Pilger- und Entdeckerberichte und führt die "Wendung ins Persönliche" innerhalb der Berichte auf den reformationsbedingten Rückgang der Pilgeraufzeichnungen zurück); AHMED HAYDAR, Mittelalterliche Vorstellungen von dem Propheten der Sarazenen mit besonderer Berücksichtigung der Reisebeschreibung des Bernhard von Breidenbach (1483), Diss.phil. Berlin , 1971 (er untersucht religiöse Vorurteile am Beispiel eines in dieser Beziehung besonders aussagekräftigen Berichts); REINHARD PALM, Pilgerreisen und Orienterfahrung in Feyerabends Reyssbuch, Mandeville, Breydenbach, Rauwolff, Diss.(masch.) Salzburg 1982 (er porträtiert drei unterschiedlich motivierte Orientreiseberichte des 14. bis 16. Jahrhunderts in der jeweiligen Fassung der "Reyssbuch"-Ausgabe von 1584); WOLFGANG SCHNEIDER, Peregrinatio Hierosolymitana: Studien zum spätmittelalterlichen Jerusalembrauchtum und zu den aus der Heiliglandfahrt hervorgegegangenen nordwesteuropäischen Jerusalembruderschaften, Diss.phil. Münster 1982 (zur Geschichte des Heiligen Landes im späten Mittelalter und zum Einfluss der spätmittelalterlichen Jerusalemfahrten auf religiöses und gesellschaftliches Brauchtum im deutsch-holländisch-belgischenRaum). 33 ALEYA KHATIAB, Das Ägyptenbild in den deutschsprachigen Reisebeschreibungen der Zeit von 1285-1500,Frankfurt/ Bern 1982(Europäische Hochschulschriften 1,517). 34 KHATIAB, S.274-275: "Offenkundig hat seit der Mitte des 15. Jahrhunderts eine thematisch-stoffliche Bereicherung in den Reisebeschreibungen eingesetzt, die sich auf die Gebiete der Geschichte, Politik, Geographie, des Handels und der Kulturgeschichte erstreckt. Diese Horizonterweiterung wurde wesentlich durch die aufstrebenden weltlichen Wissenschaften im Gefolge des Humanismus angeregt.( ...) Die Schriften seit der Mitte des 15. Jahrhunderts stehen (...) an der Schwelle zwischen spätmittelalterlichem und modernem Geist.• 35 CLAUDIA ZRENNER, Die Berichte der europäischen Jerusalempilger (1475-1500), Ein literarischer Verglich mit historischem Kontext, Frankfurt/ Bern 1981 (Europäische Hochschulschriften 1,382.) <?page no="40"?> 30 zutage, sind aber nach Meinung der Verfasserin weniger durch die nationale als durch eine ständische Gruppenzugehörigkeit zu erklären . 36 Oie jüngsten germanistischen Studien zur Literatur der deutschen Pilgerreisen gehen insbesondere auf Fragen der Textüberlieferung und Verbreitung beziehungsweise Rezeption ein und befassen sich eingehend mit der literarischen Struktur der Berichte. 37 Während Dietrich Huschenbett auf die Individualität der Pilgerberichte innerhalb ihres Traditionszusammenhanges aufmerksam macht und Sommerfelds Forderung nach einer angemessenen Berücksichtigung der Pilgertexte durch die deutsche Philologie emeuert, 38 schwingt in Christiane Hipplers Fazit Resignation mit. Ausgehend von einem stilistischen Vergleich mit den spätmittelalterlichen Familien- und Geschäftschroniken des städtischen Patriziats lehnt sie die Zurechnung der Pilgerberichte zur "Reiseliteratur im engeren Sinne" sogar rundweg ab . 39 Allerdings präzisiert sie nicht, was unter ihrem eingeschränkten Reiseliteraturbegriff zu verstehen ist und versäumt es damit, ihre Kriterien zur Diskussion zu stellen. Es macht den Eindruck, als würden hier zum Schluss einer ansonsten von Vorurteilen freien Studie doch wieder philologische Qualitätsansprüche gestellt, denen die Pilgerberichte von ihrer Anl~e und Funktion her nicht oder nur unzulänglich zu genügen vermögen. 40 36 ZRENNER, S.145-146: "Bei genauer Gegenüberstellung der einzelnen Berichte zeigt sich, dass diese, unabhängig von den individuellen Zügen des jeweiligen Verfassers, in drei deutlich erkennbare Gruppen zusammengefasst werden können, die gemeinsame Merkmale von übernationalem Charakter aufweisen. Diese gemeinsamen Züge, die sowohl im Inhalt als auch in der Form der drei Gruppen zum Ausdruck kommen, sind eindeutig vom Stand und der Bildung des Verfassers geprägt, so dass man unschwer Texte mit typisch 'bürgerlichen', 'adligen' oder 'geistlichen' Interessen und Ausdrucksweisen unterscheiden kann.• Hier ist Vorsicht geboten: Nationale Unterschiede können nicht aufgrund eines derart punktuellen Vergleichs pauschal ausgeschlossen werden • sie treten bei der Berücksichtigung eines grösseren Untersuchungszeitraumes deutlicher hervor. 37 DIEI'RICH HUSCHENBE'IT, Die Literatur der deutschen Pilgerreisen nach Jerusalem im späten Mittelalter, in: DVLG 59: 1, 1985, S.29-46; CHRISTIANE HIPPLER, Die Reise nach Jerusalem , Frankfurt/ Bern 1986. 38 HUSCHENBE'IT, S.46 (Schluss): "Die deutsche Philologie sollte sich der deutschen Texte des 14. bis 16. Jahrhunderts annehmen und dabei berücksichtigen, dass selbst die Aufgabe einer Textsicherung noch nicht befriedigend gelöst ist.• 39 HIPPLER, S.210: "Wenn man jedoch die Funktion und die Bedeutung der spätmittelalterlichen Pilgerschriften auf den Bereich der Familienbücher und der 'geistlichen Buchführung' beschränkt, kann man nicht länger den Mangel an Individualität und Anschaulichkeit dieser Texte beklagen, da sie dann auch nicht länger der Reiseliteratur im engeren Sinne zuzurechnen sind.• 40 Ganz ähnlich ergeht es MICHAEL HARBSMEIER, der sich in seinem Aufsatz "Reisebeschreibungen als mentalitätsgeschichtliche Quellen• in: Reiseberichte als Quelle europäischer Kulturgeschichte, Wolfenbüttel 1982 (Wolfenbütteler Forschungen 21), S.1-31, eingehend mit der Problematik der Kriterien (allerdinp in Hinblick auf die frühneuzeitliche Literatur der Entdcckunpreisen) befasst. SeinerAnsicht nach haben es sowohl die traditionelle Geschichtsschreibung wie die Germanistik versäumt, ihn: Ansprüche in Bezug auf den "Wahrheitsgehalt" bcziehunpweise den "literarischen Wert• <?page no="41"?> 31 Allen Ausgrenzungsversuchen zum Trotz haben die lange verfemten deutschen Pilgerbuchautoren zu guter Letzt doch noch Eingang in das "Who's Who" der Literaturwissenschaft gefunden. Es empfiehlt sich neuerdings, bei der Identifizierung eines Berichterstatters zunächst in der revidierten Neuausgabe des deutschen Verfasserlexikons nachzuschlagen.41 Zu erwähnen bleiben in diesem Zusammenhang auch die zahlreichen Editionsvorhaben von bisher ungedruckten oder dann unzulänglich herausgegebenen Berichten. 42 Was Christiane Hippler veranlasst hat, ihr Quellenmaterial als ein durchwegs trockenes einzustufen, in welchem "... die anschauliche Schilderung religiöser Empfindungen" und "... persönliche Eindrücke" keinen Platz finden,43 ist unter Umständen nur die Konsequenz allzu eng gesteckter Grenzen. Ihre Schlussfolgerungen mögen berechtigt sein für das Gros der spätmittelalterlichen Pilgerberichte aus dem deutschen Raum was allerdings durch die Feststellungen von Aleya Khattab in Hinblick auf die Ägyptenreisen bereits dementiert wird. Keine Berechtigung besitzen sie jedenfalls für die Pilgerberichte aus dem romanischen und dem angelsächsischen Raum. Und deswegen wohl hat sich in Frankreich und Italien, in Grossbritannien und in den USA von jeher ein geradezu enthusiastischer wissenschaftlicher Eifer der Texte der spätmittelalterlichen Fernpilger angenommen. von Quellentexten soweit zu relativieren, dass Reiseberichte nicht mehr zwangsläufig zwischen Tisch und Bank geraten. Er plädiert dafür, das Manko zum eigentlichen Qualitätsmerkmal zu erheben und die "Eigenart der Reisebeschreibungen als eigentliches Erkenntnisobjekt anzusehen, d.h. die Reiseberichte nicht als Quellen zu den beschriebenen Ländern oder der literarischen Phantasie ihrer Autoren, sondern ganz einfach als Zeugnisse für die spezifJSCheDenkungsart des Verfassers und indirekt für die Mentalität seines Heimatlandes anzusehen• (S.1). Sein eigener Standpunkt, der des Ethnologen, steht ihm da allerdings auch wieder im Wege, äussert er sich doch bei Gelegenheit eines historischen Rückblicks über die mittelalterlichen Pilgerberichte wie folgt: "Der Einfluss der apodemischen Literatur macht sich hier nicht nur durch die grosse Zahl der Reiseführer, Reiseanleitungen und Itinerarien bemerkbar, sondern zeigt sich auch in der Monotonie der Texte, die kaum voneinander zu unterscheiden sind und nur in den seltensten Fällen zu solchen (proto-)ethnographischen Darstellungen fremder Lebensweisen ausholen, die für uns von besonderem Interesse wären."(S.23). 41 KURT RUH (Ed.), Die deutsche Literatur des Mittelalters, Verfasserlexikon, zweite und völlig neu bearbeitete Auflage, Berlin/ New York 1978 ff. Wichtig vor allem die Beiträge von Volker Honemann, Hartmut Beckers und Marjatta Wis. 42 Zuletzt MARIE-LUISE BULST-THIELE (Ed.), Johannes von Frankfurt, Opuscula: Itinerarius, Arenga, Collatio, Heidelberg 1986 (Der Text des Jerusalem-Pilgerberichts auf S.30-61). Geplant sind u.a. Neueditionen der deutschen Berichtfassungen von Felix Fabri und Bernhard von Breydenbach in der Reihe der "Göppinger Arbeiten zur Germanistik". 43 HIPPLER, S.213 (Schluss): "Die anschauliche Schilderung religiöser Empfindungen oder persönlicher Eindrücke blieb dem privaten Bereich, den mündlichen Berichten überlassen.• <?page no="42"?> 32 Dieser Enthusiasmus blieb im angelsächsischen Bereich nicht allein auf elitäre Forscherkreise beschränkt. Die Editionen der Palestine Pilgrims' Text Society, der Camden und der Hakluyt Society sprachen (und sprechen) durchwegs auch breitere Leserkreise an. Die britische und amerikanische Tradition zeichnet sich dabei durch eine Vielzahl ebenso allgemeinverständlicher wie sorgfältig recherchierter historischer Werke aus.w. Seitens der angelsächsischen Philologie wiederum ist eine deutlich spürbare Abneigung gegen allzu scharf gezogene Grenzen zwischen den literarischen Gattungen zu spüren. 45 In Frankreich nehmen Pilgerberichteditionen und Aufsätze zum Thema seit geraumer Zeit einen ungeahnten Aufschwung. Als eigentlicher Glücksfall ist in diesem Zusammenhang die Tatsache zu werten, dass noch 1972 ein bis dahin gänzlich unbekannter Jerusalempilgerbericht zutage gefördert und ediert wurde. 46 Die prompte Reaktion wirft ein bezeichnendes Licht auf die beträchtliche französische Aktivität und Produktivität auf diesem Gebiet. 47 Zu bedauern ist lediglich, dass Teilresultate dieser Aktivität und Produktivität nie an die Öffentlichkeit gedrungen sind und nach dem Brauch französischer Bildungsinstitute den Dornröschenschlaf 44 Sehr spannend zu lesen und keineswegs oberflächlich sind die Nacherzählungen der Pilgerexpeditionen anno 1483 und 1458: HllDA PRESCOTI, Friar Felix at Large, New Haven 1950 (auf den amerikanischen Buchmarkt beschränkte Ausgabe), DIES., Jerusalem Joumey, Pilgrimage to the Holy Land in the Fifteenth Century, London 1954 (deutsch unter dem Titel: Felix Fabris Reise nach Jerusalem, Freiburg/ Basel/ Wien 1960), und DIES., Once to Sinai, London 1957 (Fortsetzung zum vorgenannten Band); RJ.MITCHELL, Tue Spring Voyage, Tue Jerusalem Pilgrimage in 1458, London 1964. Allgemeiner, doch unter Berücksichtigung der schreibenden Pilger: MARGARET WADE l.ABARGE, Medieval Travellers, Tue Rieb and the Restless, London 1982. 45 Mehrfach wird anhand eines Vergleichs mit Geoffrey Chaucers "Canterbury Tales" auf die spezifisch literarische Struktur der spätmittelalterlichen Pilgerberichte verwiesen • mit dem Resultat einer angemessenen Berücksichtigung der zweifachen Erlebnisebene (der rationalen und der spirituellen) der Pilger. Zur wechselseitigen Beeinflussung vgl. EDMUND REISS, Tue Pilgrimage Narrative and the Canterbury Tales, in: Studies in Philology 67, 1970, S.295-305; CHARLES P.R.TISDALE, The Medieval Pilgrimage and lts Use in Tue Canterbury Tales, Diss. Princeton 1970; CHRISTIAN ZACHER, Curiosity and Pilgrimage, Diss. Baltimore/ London 1976 (äusserst anregend seine Überlegungen zur Unverträglichkeit einer neuzeitlich-unziemlichen Neugierde mit dem mittelalterlichen Pilgerideal); schliesslich DONAlD R.HOWARD, Writers and Pilgrims, Medieval Pilgrimage Narratives and their Posterity, Berkeley 1980. Zitat HOWARD, S.33: "lt is a temptation to linger over the fifteenth-century accounts of pilgrimages, for they arc the most fun to rcad. • 46 NOEL PINZUITI/ PIERRE TUCOO-CHALA (Ed.), Le voyage de Pierrc Barbatrc a Jerusalem en 1480, in: Annuaire Bulletin de la Societe de l'histoirc de France, Annees 1972-1973,Paris 1974, S.73-172. 47 Herausgegriffen seien hier zwei Editionen anonymer Pilgerberichte/ Pilgerfül\rcr aus älterer Zeit: M.H.OMONI' (Ed.), Un guide du pclerin en Terrc Sainte au XIV' si«le, in: Melanges M.Gustave Schlumberger, Paris 1924, S 436-450, und REGINE PERNOUD (Ed.), Un guide de pclerin de Terrc Sainte au W si«le, in: Cahiers d'histoirc et de bibliographie 1, Mantes 1940, S.5-85 (mit einer sehr guten Einführung in die Quellenproblematik). <?page no="43"?> 33 in irgendwelchen schwer zugänglichen Archiven schlummern. 48 Interessante Aufsätze sind hingegen weit verstreut in verschiedenen Publikationsorganen erschienen, so beispielsweise in der provenzalischen "Senefiance"- Reihe.49 Den Versuch einer umfassenden Gattungstypologie hat endlich Jean Richard unternommen, dabei besonders auf die funktionalen Unterschiede zwischen Pilgerbericht und Pilgerführer hingewiesen und gleichzeitig dargelegt, wo die immensen Schwierigkeiten beim Herausschälen derartiger Unterschiede liegen. 50 Erste Pilgerberichteditionen fanden in Italien bereits um die Mitte des 19. Jahrhunderts statt; allerdings musste der interessierte Historiker oder Linguist damals weitgehend ohne kritischen Apparat auskommen. 51 Ähn- 48 In lejzter Zeit fAULINE CANTONI, Les pelerinages ä J6rusalem et au Mont Sinai du XIV" au XVI siecle, Diss.(masch.) Paris (F.cole Nationale des Chartes) 1972; vgl. DIES., Les pelerinages ä J6rusalem et au Mont Sinai du xiyC au XVIe siecle (Zusammenfassung), in: Positions des theses, -F.cole Nationale des Chartes, Paris 1972, S.33-42. Ebenso die sorgfältige Ausgabe von Wilhelm von Boldensele durch CHRISTIANE DELUZ, Liber de quibusdam ultramarinis partibus et praecipue de Terra Sancta de Guillaume de Boldensele (1336), suivi de la traduction de Frere Jean le Long (1351), Diss.(masch.) Paris 1972; vgl. Würdigung durch G.SCHNATH, Neues über Wilhelm von Boldensele, in: Niedersächsisches Jahrhbuch für Landesgeschichte 48, 1976, S.433-435. Als weitere umfangreiche Untersuchung eines deutschen Textes (ohne Edition) PHILIPPE KOHLER, Arnold von Harff (1471-1505), chevalier, pelerin, 6crivain, 2 Bde (masch.) 1974 (Travail d'enseignement et de recherche , Univ.de Bordeaux III. Section d'Etudes Germaniques et Scandinaves). SchliCS§lichBEt>TRICE DANSETI'E, Les pelerinages occidentaux en Terre Sainte aux XIV" et xv<> siecles: Etude sur leurs aspects originaux et 6dition d'une "Relation anonyme de 1486", Diss .(masch.), 2 Bde, Paris 1977; vgl. DIES., Les pelerinages occidentaux en Terre Sainte: une pratique de la "D6votion Modeme• ä la fin du Moyen Age? (Zusammenfassung mit Edition der "Relation anonyme de 1486") in: AFH 1979, S.106- 133 und 331-428. 49 CHRISTIANE DELUZ, La"g6ographie" dans le liber de Guillaume de Boldensele, pelerin de la Terre Sainte 1336, in: Voyage, qu~te, pelerinage dans la litt6rature et la civilisation m6di6vales, Abc 1976 (Senefiance 2), S.25-39; DIES., Prier ä J6rusaJ~~ Permanences et 6volution d'apres quelques r6cits de pelerins occidentaux du yC au xvsiecles, 1, in: La Priere au Moyen-Age, Abc 1981 (Senefiance 10), S.187-210; ALAIN- JULIEN SURDEL, Oultremer: La Terre Sainte et ! 'Orient vus par des pelerins du xyC siecle, in: Images et signes de ! 'Orient dans l'Occident m6di6val, Abc 1982 (Senefiance 11), S.323-339. Von Christiane Deluz stammen weitere anregende Vergleichsstudien zu einzelnen Aspekten der Pil~erreise: DELUZ, lndiff6rence au temps dans ! es r6cits de pelerinage (du Xlle au XIV" siecle)? , in: Annales de Bretagne 83; 1976, S.3Q3-313,und DIES., Sent~ent de la nature dans quelques r6cits de pelerinage du XIV' siecle, in: Actes du 102 congres national des soci6t6s savantes Limoges 1977, 2, Paris 1979, S.69- 80. 50 JEAN RICHARD, Les r6cits de voyages et de pelerinages, Tumhout 1981 (Typologie des sources 38); vgl. Rezension von CHRISTIANE CRAECKER-DUSSART, Les r6cits de pelerinages, a propos d'une 6dition et d'un ouvrage r6cents, in: Le moyen 4ge 90 (ser. 4, 39): 1(1984), S.87-96. Eine Zusammenfassung unter Berücksichtigung weiterführender Aspekte erschien inzwischen im Münchner Ausstellun~katalog: DERS., Les relations de pelerinages au Moyen Age et ! es motivations de leurs auteurs, in: WKKG, S.143-153. 51 Vgl. G.PORRO (Ed.), Viaggio di Pietro Casola a Gerusalemme, tratto dall'autografo esistente nella Biblioteca Trivulzio, Mailand 1855 (nur 100 Ex.); CARLO GARGIOlLI <?page no="44"?> 34 lieh wie in Deutschland nahmen sich zunächst bibelexegetisch-topographische Interessen der Gesamtheit der Texte an und sorgten für eine lexikalische Erfassung des Textmaterials ebenso wie für Editionen. 52 Franziskanische Geistliche sind der Tradition entsprechend bis heute (seit 1945 wieder mit Standort Jerusalem) besonders aktiv um die Pilgerberichtforschung und Textpublikation bemüht. 53 Das Interesse an der spätmittelalterlichen Palästinaliteratur ist in Italien über 120 Jahre hinweg konstant geblieben, und Vergleichsstudien, beschränkt allerdings auf P~er italienischer Herkunft, sind in regelmässigen Abständen erschienen. Eine Art Bestandesaufnahme zum gegenwärtigen Forschungsstand liefert der 1982 erschienene Aufsatzband "Toscana e Terrasanta nel Medioevo", der zur Hauptsache aus Pilgertexten schöpft und vor allem mit der Frage nach den tatsächlichen Kosten einer spätmittelalterlichen Jerusalemreise neue Aspekte der Pilgerberichtforschung eröffnet. 55 Eingehende Untersuchungen, Aufsätze und Studien zur christlichen Palästinapilgerfahrt im Mittelalter stammen selbstverständlich nicht allein aus den Herkunftsländern der einzelnen Pilger. Auch die israelische Forschung befasst sich seit geraumer Zeit mit dem Thema, und zwar sind impressionistischen Betrachtungen inzwischensystematische Bemühungen (Ed.), Viaggi in Terra Santa di lionardo Frescobaldi (1384) ed altri de! secolo XIV (Simone Sigoli,Giorgio Gucci, un anonimo), Florenz 1862. 52 Insbesondere franziskanische Gelehrte haben sich an der Aufarbeitung der Geschichte ihrer Kongregation innerhalb der Geschichte des Heiligen Landes interessiert gezeigt. Vgl. GIROLAMO GOLUBOVICH, Biblioteca Bio-Bibliografica della Terra Santa e dell'Oriente Francescano, 6 Bde, Quaracchi (Florenz) 1906-1927,v.a. Bde 3-5, und DERS. (Ed.), II tratatto di Terra Santa e dell'Oriente di Frate Francesco Suriano, Missionario e Viaggiatore de! Secolo XV, Mailand 1900. 53 Publications of the Studium BiblicumFranciscanum,zunächst B.BAGATTI (Ed.orig.it.), Niccolo da Poggibonsi, libro d'Oltramare, Jerusalem 1945 (PSBF 1) und THEO- PHILUS BELLORINI/ EUGENE HOADE (Ed.engl.), Niccolo da Poggibonsi, a voyage beyond the sea, Jerusalem 1945 (PSBF 2). Ausserdem in englischer Sprache: BELLORINI/ HOADE (Ed.), Visit to the Holy Places of Egypt, Sinai, Palestine and Syria in 1384 by Frescobaldi, Gucci and Sigoli, Jerusalem 1948 (PSBF 6) und DIES., Francesco Suriano, Treatise on the Holy Land, Jerusalem 1949 (PSBF 8). Als Zusammenstellung von Berichten englischer und irischer Pilger erschien (wiederum in englischer Sprache): EUGENE HOADE (Ed.), Western Pilgrims, Jerusalem 1952 und Reprint 1970(PSBF 18). 54 Vgl. GAULEITA, Pellegrini e viaggiatori in Terrasanta, Bologna 1963; FRANCO CARDINI, Viaggiatori medievali in Terrasanta, in: RSI 80, 1968, S.332-339; S.CALZOLARI, M.Donati u.a., Viaggiatori e pellegrini italiani in Terrasanta fra Trecento e Quattrocento, 2 Bde., Florenz 1974-1975(Universita degli studi di Firenze, FacoltAdi magistero); und nochmals CARDINI, Pellegrini medievali in Terrasanta, in: RSI 93,1, 1982, S5-10. 55 FRANCO CARDINI (Ed.), Toscana e Terrasanta nel Medioevo, Florenz 1982 (Italia, Oriente, Mediterraneo 1); darin GIULIANO PINfO, I costi de! pellegrinaggio in Terrasanta nei secoli XIV e XV (dai resoconti dei viaggiatori italiani), S.257-284.Zu einzelnen Pilgerberichten ebenda Aufsätze von ACALAMAI (Alessandro Rinuccini), F.CARDINI (Mariano di Nanni) und LUCIA GAI (Marco di Bartolommeo Rustici). <?page no="45"?> 35 um eine Klassifizierung dieses bedeutenden landesgeschichtlichen Phänomens gefolgt. 56 Von Jerusalem kurz nach Santiago de Compostela: Was die Fortschritte der internationalen Forschung zum Thema anbelangt, so erstaunt zunächst die geringe Anzahl von Untersuchungen zur Pilgerliteratur 3 -femessen an der Fülle von Schriften zum Pilgerziel und zum Pilgerweg. Tatsächlich handelt es sich bei der seit der letzten Jahrtausendwende populären Wallfahrt in den Nordwesten Spaniens um ein archäologisch (und kartographisch) besser als literarisch dokumentiertes Phänomen, was nicht zuletzt zurückzuführen ist auf die vielfältigen kulturhistorischen und künstlerischen Spuren beidseits der massenhaft begangenen Pilgerwege, aber auch a: ufdie gemischte Zusammensetzung der Pilger aus weitgehend des Lesens und Schreibens unkundigen Männern und Frauen. In Spanien selbst hat sich vor allem seit der Ernennung des Jakobus zum spanischen Nationalheiligen anno 1936 eine rege Publikationstätigkeit entfaltet. Drei Zeitschriften teilen sich in die Bekanntgabe neuer Forschungsergebnisse leider sind sie in der Schweiz nicht erhältlich . 58 Solange sich der ausgeprägte Nationalismus in Spanien eine allzu kritische Auseinandersetzung mit Nationalheiligtümern verbat, verzeichnete auch die diesbezügliche Forschung kaum Fortschritte. Der mannigfaltigen Publikationstätigkeit zum Trotz ist die dreibändige Abhandlung "Las peregrinaciones a Santiago de Compostela" von Vazquez de Parga, Lacarra und Uria Riu bis zum heutigen Tag das primär zu konsultierende Nachschlagewerk zur mittelalterlichen Compostelafahrt geblieben. 59 Der 56 Eine Berichtanthologie mit Zitaten christlicher Pilger erschien in hebräischer Sprache von MICHAEL ISH-SHALOM, Christian Travellers to Erez Jisrael, Tel Aviv 1965. Die jün~te Bibliographie spätmittelalterlicher und neuzeitlicher Jerusalemreiseberichte stammt von NATHAN SCHUR, Jerusalem in Pilgrims and Travellers' Accounts, A Thematic Bibliography of Western Christian Itineraries 1300-1917,Jerusalem 1980; der alphabetische Index der Berichtausgaben S.115-139. 57 Einen Überblick zur Santiagoliteratur der letzten Jahre vermitteln die Bibliographien von BARREI'/ GURGAND, BERBERS, Jakobsweg, und BOTilNEAU dt. Vgl. auch die Bibliographie von EDITH CHORHERR in: WKKG, S.543-568,und J.FILGUEIRA VALVERDE, La litt6rature sur Je chemin du pelerinage de Saint-Jacques de Compostelle, in: Santiago de Compostela, S.183-194. 58 Es sind dies die Zeitschriften "Compostela", Boletin de Ja Archicofradia del Glorioso Apostol Santiago (seit 1948), "Compostellanum", Revista trimestrial de Ja archidiocesis de Santiago de Compostela, seccion de estudio jacobeos (seit 1956), und "Compostelle", Bulletin (seit 1970 Revue) du Centre d'Etudes Compostellanes p.p. la Soci6t6 des Amis de Saint-Jacques de Compostelle (seit 1960). 59 LUIS VAZQUEZ DE PARGNJOSE MARIA LACARRNJUAN URIA RIU, Las peregrinaciones a Santiago de Compostela, 3 Bde, Madrid 1948/ 1949und Reprint. Nicht zu verwechseln mit dem fast gleichlautenden anderen dreibändigen Werk aus derselben Zeit, das sich im wesentlichen auf eine eingehende Analyse der verschiedenen Pilgerrouten beschränkt: LUCIANO HUIDOBRO Y SERNA, Las peregrinaciones Jacobeas, 3 Bde, Madrid 1949/ 1950. <?page no="46"?> 36 erste Band versteht sich als allgemeine historische Übersicht von der Etablierung des Jakobuskultes bis zur Reformationszeit, der zweite Band rekonstruiert den Verlauf der Pilgerwege aus den vorhandenen Dokumenten (u.a . aus den Pilgerberichten), und der dritte Band besteht als eigentlicher Quellenband aus einer Sammlung von "Itinerarios y relatos de viajeros" sowie "Textos liturgicos, hagiograficos y literarios". Den Schlusspunkt setzen 27 Seiten Bibliographie, 60 Seiten Register und insgesamt 120 Illustrationen . Pilgerberichtauszüge und ganze Berichte in spanischer Übersetzung finden sich ausser im dritten Band von Vazquez de Parga auch in einigen weiteren, älteren wie jüngeren spanischen Textsammlungen. 60 Im Lauf der letzten Jahrzehnte haben schreibende Pilger immer wieder Eingang in englische Santiagostudien gefunden, doch ging es dabei weniger um die Person des Autors als um die konkreten Informationen, die er allenfalls in Hinblick auf die See- und Landwege zu bieten hatte. 61 Um englische wie auch französische Pilgerberichteditionen besorgt waren in etwa dieselben Institutionen wie in bezug auf die Palästinaberichte. In Italien scheint sich zurzeit ein kontinuierlich wachsendes Interesse für die spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Santiagoberichte abzuzeichnen . Es geht aber auch da weniger um literaturhistorische Interessen als um eine topographische Spurensuche mit dem Ziel, den Weg der einstigen italienischen Santiagopilger bis hin zur Einmündung in den 60 So in der Sammlung von JAVIER LISKE (Ed.), Viajes de extranjeros por Espana y Por tugal en los siglos XV, XVI y XVII, Madrid 1880 (S.9-65: Nicolaus von Popplau oder span.Popielovo), und in derjenigen von JOSE GARCIA MERCADAL , Viajes de Extranjeros por Espana y Portugal desde los tiempos mas remotos hasta fines del siglo XVI, 3 Bde, Madrid 1952-1962 (Bd.1, S.307-325: Popplau, S.419-427: Martyr d'Anendjan , S.429-548: Antonio de Lalaing und S548-599: Ein Unbekannter im Auftrag Philipp des Schönen). Bis vor kurzem nur gerade in der spanischen Übersetzung zugänglich war Sebald llsung: EMILIA GAYANGOS RIANO (Ed .), Viaje de Espana por un anonimo (Sebastian llsung) 1446-1448,tracudido directamente de! aleman, Madrid 1883. Inzwischen liegt aber auch eine Ausgabe in deutscher Sprache vor: VOLKER HONEMANN, Sebastian llsung als Spanienreisender und Santiagopilger, in: KLAUS HERBERS (Ed.), Deutsche Jakobspilger und ihre Berichte, Tübingen 1988 (Jakobus- Studien 1), S.61-95. 61 Vgl. etwa GEORGIANA GODDARD KING, The Way ofStJames, 3 Bde, New York/ London 1920; CONSTANCE M.STORRS, Jacobean Pilgrims from England, London 1964; DIES./ F.RCORDERO CARRETE, Peregrinos Inglcscs a Santiago en el siglo XIV, in: Cuademos de estudios Gallegos 20, 1965, S.193-224; DEREK WIUJAM LO - MAX, The First English Pilgrims to Santiago de Compostela, in: HENRY MAYR- HARTING/ RI.MOORE (Ed.), Studies in Medieval Histoi: y,Prcsented to RH.C . Davies (Festschrift), London 1985, S.165-175; RSTALLEY, Pclerinage maritime A Saint-Jacques, in: Santiago de Compostela, S.123-128.Besondere Beachtung verdient nach wie vor eine französische Untersuchung älteren Datums, die auf die aragonensischen Geleitschreiben zurückgreift: JEANNE VIELLIARD, Pclerins d'Espagne ä la fin du Moyen age entre 1379et 1422,in: Analecta Sacra Tarraconens .ia 12, aa ·rcelona 1936,S.265-300. <?page no="47"?> 37 bekannten "camino frances" nachzuweisen. 62 Dies geschieht nicht zuletzt im Rahmen der gegenwärtig aktuellen Bemühungen um eine historische Aufarbeitung und gleichzeitig Neubelebung des europäischen Compostelapilgerwesens. Die führende Rolle hat dabei Frankreich übernommen; nachdem die eigentliche Spurensuche im französischen Bereich als abgeschlossen gilt und der Wegverlauf ab Paris, Vezelay, Le Puy und Arles im wesentlichen bekannt ist, stehen kunsthistorische Studien und steht die Öffentlichkeitsarbeit in Form von Ausstellungen und populärwissenschaftlichen Werken im Vordergrund. 63 Damit kurz zur bisher ausgeklammerten deutschen Compostela- und Jakobusforschung. Sie befasste sich wiederum aufgrund dominierender national(istisch)er Interessen bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert mit den Santiago-Pilgerberichten und stellte zwei ersten Editionen umfangreiche einführende Bemerkungen zu den deutsch/ spanischen Wallfahrtsbeziehungen voran. 64 Um die Aufarbeitung und Interpretation 62 Vgl. vor allem die einschlägigen Publikationen des Centro italiano di studi compostellani in Perugia: PAOLO G.CAUCCI VON SAUCKEN u.a., I testi italiani del viaggio e pellegrinaggio a Santiago de Compostella e Diorama sulla Galizia, Perugia 1982 (PCISC 1); DERS., II cammino italiano a Compostella, Perugia 1984 (PCISC 2); GIOVANNI SCALIA (Ed.), II viaggio d'andare a Santo Jacopo di Galizia (Francesco Piccardi) in: Atti del Convegno Internazionale di Studi (Perugia, 23.-25.sept. 1983), II pellegrinaggio a Santiago de Compostela e la letteratura jacopea, Perugia 1985 (PCISC 3), S.311-343; ANrONIEITA FUCELLI (Ed.), L'itinerario di Bartolomeo Fontana (mit einem Vorwort von Paolo G.Caucci von Saucken), Perugia 1987 (PSISC 6). In derselben Reihe sollen demnächst Editionen von Domenico Laffi und Nicola Albani erscheinen. Vgl. auch von PAOLO G.CAUCCI VON SAUCKEN die zwei Aufsätze: La litt6rature de voyage et le pclerinage de Compostelle, in: Santiago de Compostela, S.173-181, und DERS., Le chemin italien de Saint-Jacques, in: Saint-Jacques de Compostelle, S.63-75. Zwei anonyme Pilgerberichte aus dem späten 15. Jahrhundert sind bereits 1972 und 1979 ediert worden: MARIO DAMONI'E (Ed.), Da Firenze a Santiago di Compostella, Itinerario di un anonimo pellegrino dell'anno 1477, in: Studi medievali 13, 1972, S.1041- 1071 (Text S.1050-1067); RENATO DELFIOL (Ed.), Un altro "itinerario" tardoquattrocentesco da Firenze a Santiago di Compostella, in: Archivio storico italiano 137, 1979, S.599-613 (Text S.602-613). 63 Eigentlicher "Doyen" der vom Europarat geförderten Compostela-Bewegung ist Marquis RENE DE LA COSI'E-MESSELIERE. Der Verfasser mehrerer Studien zum Pilgerweg und Pilgerziel hat schon 1961 die vielbeachtete Pariser Ausstellung "Pelerins et chemins de Saint-Jacques en France et en Europe du Xe siecle ä nos jours• sowie den nachfolgenden wegweisenden Aufsatzband gleichen Titels konzipiert und ist seither als Initiant oder Berater weiterer Ausstellungen entlang der französischen Jakobswege sowie als langjähriger Direktor der französischen "Soci6t6 des Amis de Saint Jacques de Compostelle" (und neuerdings des um eine Koordination der internationalen Forschungen bemühten "Centre Europ6en d'Etudes Compostellanes") heivorgetreten. Vgl. auch die jüngsten Publikationen: RENE DE LA COSI'E-MESSELIERE, Des chemins de Saint-Jacques et de quelques itin6raires jacobites, in: Santiago de Compostela, S.103- 121; DERS., Voies compostellanes, in: Saint-Jacques de Compostelle, S.37-62. 64 'IHEODOR HAMPE (Ed.), Deutsche Pilgerreisen nach Santiago de Compostella und das Reisetagebuch des Sebald Örtel (1521-1522), in: Mitteilungen aus dem germanischen Nationalmuseum, Nürnberg 1896, S.61-82; KONRAD HÄBLER (Ed.), Das <?page no="48"?> 38 der Santiago-Pilgerberichte verdient gemacht hat sich vor allem Ilja Mieck. 65 Nachzutragen wäre, dass sich das neuerwachte Interesse an der mittelalterlichen Compostelafahrt keineswegs auf die hier berücksichtigen Pilgerherkunftsländer Deutschland (und die Schweiz), Frankreich, Italien und England beschränkt. Wesentliche Beiträge zur allgemeinen Wallfahrtsforschun1 stammen aus den Beneluxländern, und dies nicht erst in jüngster Zeit. Unter den im folgenden untersuchten schreibenden Jerusalem- und Santiagopilgem befinden sich nicht weniger als vier "Belgier", nämlich Bertrandon de la Brocquiere, Ghillebert de Lannoy sowie Jean und Anselme Adorno. Ich werde sie künftig dem französischen oder deutschen Sprachraum zuordnen, bin mir aber der Unzulänglichkeit dieses Vorgehens bewusst. Wallfahrtsbuch des Hennannus Künig von Vach und die Pilgerreisen der Deutschen nach Santiago de Compostela, Strassburg 1899. 65 Vgl IUA MIECK, Les t6moignages oculaires du~lerinage ä Saint -Jacques de Compostelle, Etude bibliographique (du XIf au XVIII siecle), in: Compostellanum 22, 1977, S.203-232 (die Bibliographie der gedruckten und ungedruckten Santiago-Pilgerberichte ist inzwischen ergänzungsbedürftig); DERS., Zur Wallfahrt nach Santiago de Compostela zwischen 1400 und 1650, Resonanz, Strukturwandel und Krise, in: SFGG, 1, 29, 1978, S.483-534; DERS ., Kontinuität im Wandel, Politische und soziale Aspekte der Santiago-Wallfahrt vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, in: Geschichte und Gesellschaft 3, 1977,S.299-328; DERS., Osteuropäer in Santiago de Compostela, in: Forschung zur Osteuropäischen Geschichte 25, 1978. 66 Vgl. JULES DE sr.GENOIS ' Histoire des voyageurs belges du Xlle au XVIe siecle, 2 Bde, Brüssel 1846-1847; CJ .BONNEI', Bedevaart naar Jerusalem in 1525. De Bedevaarten in den ouden tijd. De Nederlandsche Bedevaarten in het algemeen en die naar Jerusalem in het bijzonder, in: Bijdragen voor de Geschiedenis van het Bisdom van Haarlem 11, 1884, S.1-182; ANDRE GEORGES, Le pelerinage ä Compostelle en Belgique et dans le Nord de la France, suivi d'une 6tude sur l'lconographie de Saint-Jacques en Belgique, Brüssel 1971(M6moires de l'Acad6mie Royale de Belgique, Qasse des Beaux- Arts, 2,13), und endlich die (bereits genannten) Werke von Jan van Herwaarden. Von besonderer Bedeutung dabei HERWAARDEN (Hg.), Pelgrims door de eeuwen heen, Santiago de Compostela, Tumhout 1985(Aufsatzband) . Als Übersicht zu den niederländischen Santiago- und Jerusalemfahrten dienlich: DERS., Pelerins des Pays-Bas, in: ALPHONSE DUPRONT (Ed .), La qu~te du sacre, Saint-Jacques de Compostelle, Tumhout 1985, S.158-171, und RW .M.VAN SCHEIK, Wer weite Reisen macht, Niederländische Palästinareisen und Palästinareiseberichte, in: M.GOSMAN/ J.V AN OS (Ed.), Non Nova Sed Nove, M61anges W.Noomen, Groningen 1984 (Mediaevalia Groningana 5), S.211-22. <?page no="49"?> 39 3. Westeuropäische Jerusalem- und Santiagoberichte, 1320 - 1520 Jeder mittelalterliche Mensch, ob Mann oder Frau, arm oder reich, Analphabet oder schreibgewandt, war potentiell ein (Fern-)Pilger. Den Pilgerstab ergriff man "ohne Unterschied von Stand, Herkunft und Bildung", und die in einigen proven~chen Testamenten bezeugten (tatsächlichen oder verhinderten) Wallfahrer zwischen 1390 und 1450 stammten "aus allen sozialen Schichten, ohne dass eine unter ihnen überwogen hätte". 1 Damit war aber längst nicht jeder Pilger auch ein potentieller Pilgerberichtverfasser. Es ist anzunehmen, dass sich die in den Quellen überlieferten "Massenzüge" nach Rom und nach Santiago zum weitaus grösseren Teil aus Pilgern rekrutierten, die des Schreibens unkundig waren und auch grundsätzlich andere Interessen als die einer anschliessenden schriftlichen Fixierung ihrer Reiseerlebnisse verfolgten. Anders bestellt ist es um die kostspielige Seereise ins Heilige Land, die im späten Mittelalter keine vergleichbaren Pilgermassen mobilisierte,2 sondern hauptsächlich einen ausgesuchten Kreis gutbetuchter Adliger und Stadtbürger und allenfalls Kleriker mit einem entsprechend freigebigen Mäzen lockte. 3 Zwar kamen die venezianischen Reeder und Anbieter von Pauschalarrangements für die Überfahrt den individuellen Möglichkeiten der Passagiere so weit entgegen, dass ein vermögender Reisender den dreifachen Preis wie sein bescheidenerer Mitreisender zahlte. 4 Es existierte somit ein gewisses soziales Gefälle zwischen Passagieren verschiedener Beförderungsklassen. Vergleicht man aber die durchschnittlichen Fahrkosten inklusive Landaufenthalt und Spesen mit den annähernd feststellbaren Lebenshaltungskosten jener Zeit, bleibt doch ein verhältnismässig exklusiver Kreis von Pilgeranwärtern übrig. Immerhin entsprachen die durchschnittlichen Reiseausgaben dem jährlichen Lebensunterhalt für eine dreibis vierköpfige Familie den Verdienstausfall während der monatelangen Abwesenheit nicht mitgerechnet. 5 Einern anderen Vergleich zufolge war für die Heiliglandreise dasselbe Barvermögen aufzutreiben wie für den Bau eines stattlichen Wohnhauses. 6 1 Vgl. Einleitung, Anm5 und 6. 2 Vgl. Einleitung, Anm.14. 3 Bis hin zum Hochmittelalter waren die Jerusalempilger vornehmlich Geistliche, seit der Kreuzzugszeit auch Ritter, und im Verlauf des 13. Jahrhunderts nahm der Anteil der Laien immer mehr zu. RICHARD, Les licits, S.37. 4 PINfO in: CARDIN! , Toscana e Terrasanta, S.265. 5 PINfO, S.277. 6 Soviel, nämlich 300 Gulden, bezahlte der Engelberger Benediktinermönch Heinrich Stulz 1519. UFFER (Ed.Füessli), Einleitung, S.14. <?page no="50"?> 40 Landreisen sind billiger als Seereisen, Individualreisen leichter auf das Portemonnaie des Reisenden abzustimmen als fest gebuchte Gruppenreisen diese beiden Grundregeln finden sich schon in Hinblick auf den mittelalterlichen Pilgertourismus bestätigt. 7 Eine erste statistische Erhebung zur quantitativen Entwicklung der westeuropäischen Pilgerberichte/ Pilgerführer nach Jerusalem und Santiago belegt den zahlenmässigen Unterschied in augenfälliger Weise: 8 Jahr 1301-1320 1321-1340 1341-1360 1361-1380 1381-1400 1401-1420 1421-1440 1441,-.1460 1461-1480 1481-1500 1501-1520 1521-1540 Total: Jerusalemtexte 4 12 10 7 12 9 20 21 42 48 49 28 262 Santiagotexte 2 2 4 4 7 7 7 5 38 7 PINfO, S.278: "II poter compiere il viaggio a piedi scma spcsc di trasporto, la possibilitä di ottenere questuando il nccessario per nutrirsi, l'alloggio ehe offrivano gli ospizi sorti numerosi lungo i principali itinerari • e all'occorrcma, soprattutto nella buona stagione, non era un grosso sacrificio dormire all'aperto -, la mancama di csosi pcdaggi, tutto questo rendeva i grandi pellegrinaggi di terra accessibili a molti. Dall'altra parte, per i motivi su cui abbiamo insistito sopra il viaggio a Gerusalemme era alla portata, nell'Occidente europeo, solo di ceti assai ristrctti." 8 Das Zahlenmaterial stammt aus ROEHRICJIT, Bibliographia Geographica Palaestinae (künftig abgekürzt BOP), und aus MIECK, Temoignages oculaires (künftig abgekürzt TO). Mitgezählt wurde alles, was sich im entferntesten als (gedruckter oder ungedruckter) westeuropäischer Pilgertext klassifizieren und einigermasscn genau datieren liess. Letzteres Kriterium ausscr acht gelassen, wären es nach Jerusalem allein im 14. Jahrhundert ungefähr 30 und im 15. Jahrhundert nochmals 60 Texte mehr. Der Begriff "Pilgertext• umschreibt dabei lediglichden Zusammenhang mit einer Pilgerreise, entweder des Autors oder dann des anvisierten Lesers. Es handelt sich also nicht du! 'Chwcgsum originäre Pilgerzeugnisse, sondern zu einem grosscn Teil um Abschriften ("Übersetzungen, Kompilationen, Auszüge•, wie HUSCHENBEIT, S.31, präzisiert) oder dann um Anleitungen zu einer theoretischen "Reise im Geiste•. Die Zahlen sind einstweilen als Näherungswerte zu betrachten. <?page no="51"?> 41 Das Zahlenmaterial spricht für sich, steht doch einer verhältnismässig überschaubaren Anzahl von 38 Santiagotexten im selben Zeitraum die siebenfache Menge von Jerusalemtexten gegenüber. Mit der unterschiedlichen Zusammensetzung der spätmittelalterlichen Jerusalem- und Santiagoexpeditionen lässt sich dieses Ungleichgewicht nur annähernd erklären, fehlt doch die Begründung, weshalb denn die schreibenden Kleriker, Adligen und städtischen Oberschichtangehörigen das "elitäre" Jerusalem als Pilgerziel und/ oder Berichtobjekt derart offensichtlich bevorzugten. Ins Auge sticht aber auch die annähernde Übereinstimmung der beiden Entwicklungstendenzen: 53 respektive 55 Prozent aller Texte stammen aus dem Zeitraum 1460 bis 1520, und dann mündet der allgemeine "Boom" mit dem Anbrechen des Reformationszeitalters in einer deutlichen Stagnationsphase. Der Historiker mit der Absicht einer übergreifenden Vergleichsstudie sieht sich mit zwei grundlegenden Fragen konfrontiert: Wie will er den Begriff "Pilgerbericht" definieren, und welche einigermassen repräsentative Wahl trifft er anschliessend aus den in Frage kommenden Quellentexten? Eine Begriffsbestimmung wurde bisher erst ansatzweise versucht entweder, weil der Begriff des Pilgerberichts für den, der ihn anwendete, als Terminus in einem bestimmten Kontext feststand, oder dann, weil der kritisch Hinterfragende um die Schwierigkeiten seines Unternehmens wusste. In der Praxis bewährt hat sich die ordnungshalber vorgenommene Unterscheidung zwischen "Pilgerbericht " und "Pilgerführer", wobei im Einzelfall die Unterschiede gradueller Natur sind und Überschneidungen zwischen den beiden Genres fast schon genretypisch. Stilistisches Kriterium ist die Präsenz des Autors: Tritt er hinter den von ihm verfassten/ kolportierten Text zurück oder im Gegenteil als reisendes und berichtendes Individuum in Erscheinung? 9 Ich selbst möchte an dieser Stelle bewusst (noch) keine weiterführende Begriffsbestimmung vornehmen, um die möglichen Erscheinungsformen meines Arbeitsmaterials nicht von vornherein einzuschränken . Vom prominenten (und demzufolge oft zitierten) Meisterwerk der frühen Reiseliteratur bis hin zur beiläufigen Reisenotiz in einem Geschäfts- oder Haushaltbuch kann in dieser Auswahl theoretisch alles vertreten sein . Ebenso sind Jerusalem beziehungsweise Santiago nicht zwangsläufig die anvisierten Reiseziele, sondern bisweilen lediglich "gelegenheitshalber" besuchte 9 Auf diesem Kriterium baut RICHARD seine komplexe Pilgerbericht-Typologie auf, die auch Einzelfällen und "Zwittern• nach Möglichkeit gerecht wird: Rccits de voyages (Typologie des sources) , S.23: "Ce qui distingue dcsonnais le rccit de ~lerinage du guide, m! me si leur but est analogue, c'est que le narrateur entend faire connaftrc sa propre peregrinatio.• Und DERS., in: WKKG, S.143: "Ce qui caract6rise ces guides, c'est que leur auteur (...) ne se met pas en scene.• <?page no="52"?> 42 Durchgangsstationen. Allerdings berufe ich mich auf die oben gemachte Unterscheidung, indem nur Texte berücksichtigt sind, deren Autoren auf eine eigene (selbst erlebte oder allenfalls erdachte, auf die eigene Initiative hin oder in Begleitung eines höhergestellten Arbeitgebers unternommene) Reise Bezug nehmen. Das willaber nicht heissen, dass dieselben Berichte nicht auch, gewollt oder unbeabsichtigt, eine Pilgerführerfunktion hätten wahrnehmen können. 10 Die vorliegende Eingrenzung von Berichten aus rund 300 in Frage kommenden Quellen erfolgt nicht nach streng neutralen Kriterien (beispielsweise aufgrund von Stichproben), sondern einigermassen willkürlich aufgrund der Verfügbarkeit einerseits und der persönlichen Forschungsinteressen andererseits. Es sind alles gedruckte Texte (mit Abweichungen vom ursprünglichen Manuskript muss also gerechnet werden), und es sind in der Regel Texte namentlich bekannter Autoren (wobei die Identität dieser "bekannten" Autoren vielfach genauso Rätsel aufgibt wie diejenige der bis heute anonym gebliebenen Verfasser oder Auftraggeber). Die ausgewählten Texte stehen dabei stellvertretend für andere, die ebenso bemerkenswert, vielsagend oder auch einfach "typisch" wären. Wobei die Frage bleibt, ob eine Selektion nach neuzeitlichen Interessensschwerpunkten (ich frage nach "Motiven" und "Funktionen" und richte mein Augenmerk von daher besonders auf die ausführlichen, die "persönlichen" und "aussagekräftigen" Texte) tatsächlich Gewähr für eine repräsentative Auswahl bietet, will heissen: dem Qualitätsbegriff des untersuchten Zeitraumes in etwa angemessen ist. Es ist das Los der Mediaevisten, letztlich immer nur Versuchsmodelle mittelalterlicher Denkart aufstellen zu können. Dabei gehören die Pilgerberichte allerdings zu den stabileren Bauteilen, und die Beschäftigung mit ihnen ist ebenso legitim wie lohnend unter der Voraussetzung, dass das eigene Denkgebäude gelegentlich mit hinterfragt wird. Zur Überlieferung: Mit der Etablierung des Buchdrucks ab 1460 fanden die Pilgertexte eine zunehmende und zum Teil auch bemerkenswert rasche Verbreitung. 11 Das Medium des Pilgerführers soll auf diesem Wege sogar zum veritablen "Massenmedium" avanciert sein. 12 Langanhaltende Popula- 10 RICHARD, R6cits, S.19: "Toujours est-il que les deux genres rcstent tres voisins. (...) II est cvidemment difficile de dirc si un tel texte est, dans l'intention de son auteur, un guide ä l'usage des ~lerins ou un r6cit de ~lerinage." 11 Vgl. HUGH WillIAM DAVIF.S, Bernhard von Breydenbach and His Joumey to the Holy Land 1483/ 84, A Bibliography, London 1911 und Reprint Utrecht 1968, S.vii: Breydenbach kehrte 1484 von seiner Pilgerreise zurück. Der gleich anschliessend zusammengestellte Bericht seiner Reise wurde zwischen 1486 und 1522 insgesamt zwölfmal in fünf verschiedenen Sprachen gedruckt. 12 Bereits SOMMERFELD erwähnt, dass die Jerusalemfahrer vor der Abreise in Venedig "geschriebene, später gedruckte, jedenfalls ziemlich früh fabrikmässig hergestellte <?page no="53"?> 43 rität erlangten die Pilgertexte vor allem durch die Aufnahme in die ersten gedruckten Sammelbände von Reiseberichten gegen Ende des 16. Jahrhunderts.13 Da, wo keine jüngere, kommentierte Edition greifbar war, musste ich zwangsläufig auf solche älteren Früh- und Sammeldrucke zurückgreifen. Grundsätzlich ist die zuletzt erhältliche Ausgabe in der Originalsprache die für mich massgebliche. Andererseits soll in der nun folgenden Präsentation der Texte und ihrer Autoren auf nützliche weitere Editionen und Übersetzungen hingewiesen werden. Zur Vermeidung eines babylonischen Sprachgewirrs werde ich künftig sämtliche Zitate in deutscher Sprache wiedergeben und liefere die Originalfassung, wo zur Kontrolle notwendig, im Anmerkungsapparat mit. Die Jahreszahl in Klammern bezieht sich jeweils auf das (wahrscheinliche) Reisedatum. Die Vorstellung der Quellen erfolgt übrigens nicht durchwegs in chronologischer Reihenfolge, damit die Aufmerksamkeit gegebenenfalls auf symptomatische Ähnlichkeiten und Unterschiede innerhalb von Standes- und Nationengruppen gelenkt werden kann. Symon Semeonis (Jerusalem: 1323- 1324) "Von der persönlichen Lebensgeschichte des Symon Semeonis wissen wir nur, was er selbst über sich erzählt".14 Immerhin erfährt man von dem irischen Mönch angelsächsischer (nicht keltischer) Herkunft, dass er dem Orden der Franziskaner angehörte und zusammen mit einem Ordensbruder namens Hugo Illuminator oder Hugh le Luminour von Clonmel aus zu seiner etwas mehr als zwölf Monate dauernden Ägypten- und Palästinareise aufbrach. Die beiden verliessen Irland am 16. März 1323 und reisten über London, Paris, Nizza und Genua nach Venedig. Hier blieben sie sieben Wochen, dann schifften sie sich ein nach Pola (Istrien) und folgten lateinischePilgerführer"hätten kaufenkönnen.Und weiter,S.829f: "Auchdie Franziskaner des Zionklosters hielteneinensolchenFührerfeil; jedochversahensich fastausnahmslos diePilgerbereitsinVenedigmitdiesemPilger-Baedeker (wiewirwohl sagenmüssen), umsichwährendder Fahrtvonubereiten. (...) Die oft insWörtliche gehendeÜbereinstimmung derweitausmeistenPilgerreisen des14.bis16.Jahrhunderts hinsichtlich der locasanctaerklärtsichausdemZurückgreifen der Pilgerauf diesen Baedeker." Dazuspätermehr. 13 1584erschienin Frankfurt dasvondemverlegerischen PionierSigmundFeyerabend herausgegebene "Reyssbuch", eineSammlung von18Jerusalemberichten ausdenJahren 1095bis 1573. MitalsAutorendabeisindu.a.LudolfvonSudheim, JohnMandeville, HansTucher,FelixFabriundBernhardvonBreydenbach. Zum"Reyssbuch" (undzur verlegerischenPolitikSigmundFeyerabends) vgl. MAX B0EHME,Die grossen Reisesammlungen des 16. Jahrhundertsund ihre Bedeutung, Strassburg1904und ReprintAmsterdam1%2,sowieREINHARDPALM, Pilgerreisen undOrienterfahrung inFeyerabends Reyssbuch, Diss.phil. Salzburg 1982. 14 AUBREY GWYNN, Einleitung zu: MARI0ESP0SIT0 (Ed.), ItinerariumSymonis Semeonis AbHybemia AdTerramSanctam, Dublin1960, S.3. <?page no="54"?> 44 den venezianischen Küstenstützpunkten in Dalmatien und Albanien bis nach Kreta. Vier Tage, vom 10. bis zum 14. Oktober, dauerte die Direktpassage von Kreta bis Alexandria. Am 23. Oktober waren Symon und Hugo in Kairo und blieben da wiederum einige Wochen. Die Weiterreise musste Symon zu seiner grossen Trauer alleine antreten, denn am 26. November starb Hugo nach fünfwöchiger Krankheit und wurde in Babylon (dem alten Stadtteil von Kairo) beigesetzt. Nach Erhalt eines Freibriefes von der zuständigen mamelukischen Behörde begab sich Symon Semeonis am 1. Dezember in die Wüste und erreichte Jerusalem über Gaza nur neun oder zehn Tage später. Mitten in der Schilderung der heiligen Stätten bricht der Text ab über die Heimreise des irischen Mönchs weiss man nicht mehr, als dass sie ihn erneut über Kairo (hier war er am 2. Februar 1324) und vermutlich über Rom, Mailand und Pavia zurück nach England und Irland führte. Während eines längeren Aufenthaltes in Norwich dürfte dabei die Niederschrift des Itinerariums stattgefunden haben. Der lateinisch geschriebene Text ist einzig in einer zwischen 1335 und 1352 entstandenen Abschrift erhalten. Das Manuskript befindet sich in Cambridge (Corpus Christi College, Nr. 407) und ist zusammen mit den Berichten von Wilhelm von Rubruck (1253 - 1255) und Odoricus de Pordenone (1320) eingebunden in einen Codex mittelalterlicher Reiseschriften. Der Schreiber hatte offenbar eine unvollständige Vorlage zur Verfügung, denn aus einigen Andeutungen Symons lässt sich entnehmen, dass sein Bericht die Rückreise mit einschloss. Das "Itinerarium" gelangte mit der Erstausgabe 1778 an die Öffentlichkeit und erfuhr auch im Anschluss an die zweite Edition durch Girolamo Golubovich kaum Beachtung, obgleich der neugierige Mönch in bezug auf die Bräuche und vornehmlich die ökonomischen Verhältnisse in den besuchten Ländern so originelle wie originäre Beobachtungen liefert. MARIO ESPOSITO (Ed.), Itinerarium Symonis Semeonis Ab Hybernia Ad Terram Sanctam, Dublin 1960 (Scriptores Latini Hiberniae 4). <?page no="55"?> 45 Humbert de Dijon (Jerusalem: 1330) Der französische Dominikaner, dessen Biographie gänzlich im Dunkeln liegt, verliess Frankreich sehr wahrscheinlich bereits im Herbst 1329 und schiffte sich in Aigues-Mortes nach Zypern ein. Er nahm dabei als Begleiter an einer zweifachen diplomatischen Mission teil: Der neugewählte Patriarch von Jerusalem, Pierre de la Palu, hatte den päpstlichen Auftrag, mit dem Sultan der Mameluken um eine freiwillige Übergabe der heiligen Stätten zu verhandeln, und zudem sollte er in Zypern eine wichtige französische Fürstenhochzeit zelebrieren. Die Übereinstimmung der Daten und Routen deutet daraufhin, dass Humbert de Dijon im Gefolge von Pierre de la Palu reiste. Ausgangspunkt für seine Pilgerreise war somit Zypern er verliess die Insel zusammen mit dem Patriarchen und dem Bischof Guillaume Durant um den 1. Februar 1330, im Anschluss an die glücklich vollzogene Hochzeitszeremonie. Erstes (diplomatisches Missions-)Ziel war Kairo, und so war die Begegnung mit Palästina eine einstweilen flüchtige. Man landete in Akkon und begab sich über Lydda, Rama und Gaza direkt nach Kairo. Erst der Rückweg wurde zur eigentlichen Pilgerroute: Humbert durchquerte die Wüste, bestieg den Berg Sinai, gelangte erneut nach Gaza und erreichte Jerusalem über Beersheba, Hebron und Bethlehem. Weitere besuchte biblische Stätten waren Bethanien und Jericho, der Jordan und das Tote Meer, Emmaus, Silo, Sichern.,Samaria, Naim, Nazareth, der Berg Tabor, Kaphamaum, Damaskus, Beirut, Tripolis und Antiochia. Von Laiazzo aus fuhr er zurück nach Zypern. Vor der endgültigen Heimkehr hielt er sich längere Zeit krankheitshalber in Neapel auf und redigierte hier auf Wunsch der Gattin von Robert d'Anjou seine Reisebeschreibung, die er am 25. Januar 1332 zusammen mit einem Begleitbrief überreichte . Der im Stil eines Pilgerführers gehaltene Bericht ist in einer einzigen Abschrift aus dem 15. Jahrhundert überliefert und wiederum eingebunden in eine Sammlung von (griechischen und lateinischen) Texten verschiedenen Inhalts (Rom, Biblioteca Casanatense, Codex 1700). "D'importance modeste et de diffusion minime", so klassifizieren ihn die Herausgeber, und deswegen wohl entgingen die 33 lateinischen Blätter des Dominikaners aus Dijon der Aufmerksamkeit sämtlicher Palästina-Bibliographen . 15 TIIOMAS KÄPPELI/ PIBRRE BENOIT (&l.), Un pelerinage dominicain in6dit du XJyC si~le, l..e Liber de locis et conditionibus Terrae sanctae et Sepulcro d'Humbert de Dijon O .P. (1332), in: Revue Biblique 62, 1955, S.513-540. 15 Der Text ist nicht vollständig ediert . Vgl. S.513, Anm.2: "Nous supprimons quelques passages (indiqucs par des points), ou l'auteur cite ou rcsume des textes bibliques .• <?page no="56"?> 46 WilhelmvonBoldensele(Jerusalem, 1334-1336) Sein ursprünglicher Name war Otto Wilhelm von Nienhusen (Neuenhausen), doch nahm er den Namen des Adelsgeschlechts seiner Mutter an. Der deutsche Dominikaner verliess den Orden St.Paul in Minden 1330, um in Avignon die päpstliche Genehmigung zur Heiliglandreise einzuholen.16Sein Aufenthalt in Avignon fiel in eine Zeit grossangelegter Kreuzzugsprojekte. Im Frühsommer des Jahres 1334 schiffte er sich in Noli (Italien) an Bord eines genuesischen Schiffes in Richtung Orient ein, verbrachte zunächst einen Monat in Konstantinopel und blieb einen weiteren Monat in Zypern. Wie Humbert de Dijon streifte er nur kurz die Palästinaküste und bereiste zunächst ausgiebig die Umgebung von Kairo (Januar bis März 1335). In nur zehn Tagen durchquerte er (zu Pferd! ) die Wüste nach dem Katharinakloster auf der Halbinsel Sinai. Das Heilige Land erreichte er im April; seine Ankunft in Jerusalem datiert vom 4. Mai 1335.Bis September blieb er in Galiläa, besuchte die heiligen Stätten und ausserdem Damaskus. Noch im Herbst kehrte er, offenbar auf dem Landweg, nach Westeuropa zurück und redigerte sein "Liber de ultramarinis partibus" bei einem längeren Winteraufenthalt in Prag. Im Frühling 1336 übergab er das Werk seinem Auftraggeber, dem Kardinal Elias Talleyrand von Perigord, Bischof von Auxerre, und kehrte dann nach Deutschland zurück. Hier starb er in Köln, nur zwei Jahre später. Der lateinische Text ist in mindestens 27 lateinischen Manuskripten erhalten und 1351 von einem Jean le Long (Jean d'Yppres) ins Französische übersetzt. worden. Die Verbreitung war dementsprechend gross und wurde noch gefördert durch die zwei Editionen von Basnage/ Canisius (1604 bzw. 1725) und Grotefend (1852). Der Bericht ist in zehn Kapitel gegliedert. Die Berichtroute von Ägypten über den Sinai nach Jerusalem entspricht derjenigen von Symon Semeonis und Humbert de Dijon vielleicht lagen ähnlich wie bei Humbert bestimmte, nicht explizit genannte Gründe für eine erstrangige Priorität von Kairo vor. Wie Symon Semeonis jedenfalls erhielt Boldensele hier am Hof des Sultans einen Freipass zum ungehinderten Besuch der heiligen Stätten. CHRISTIANE DELUZ (F.d.),Uber de quibusdam ultramarinis partibus et praecipue de Terra Sancta, de Guillaume de Boldensele (1336), suivi de la traduction de Frere Jean le Long, Diss.(masch.) Paris (Sorbonne) 1974. 16 Die folgende Datierung nach DELUZ (Ed.Boldensele ), Einleitung, S51. <?page no="57"?> 47 Ludolhon Sudheim(Jerusalem: 1336- 1341) Die Lebensdaten des Pfarrherrn aus Sudheim (Westfalen) sind weitgehend unbekannt. Ludolf stammte aus der Nähe von Paderborn und war als Geistlicher in der Diözese Osnabrück tätig. Er verbrachte insgesamt fünf Jahre im Orient. Die in seinem Bericht wiedergegebene Reiseroute ist ebenso sprunghaft wie die seiner Vorgänger Humbert de Dijon und Wilhelm von Boldensele; sie führt im Anschluss an die Ankunft im Heiligen Land gleich weiter nach Ägypten, um sich dann gewissermassen "rückwärts" über den Sinai nach Jerusalem und in den Norden nach Damaskus und Beirut hin zu ziehen. Der in Kapitel gegliederte Bericht liegt in verschiedenen Versionen vor. Der Fall ist kompliziert, gibt es doch zwei lateinische Fassungen, von denen die kürzere nur gerade in einer Kompilation durch Nicolaus da Huda überdauerte und die Frage aufwirft, ob der Kompilator getreulich den ansonsten verschollenen Text abschrieb, oder ob er jene andere überlieferte, die "offizielle"(und somit alleinige) Version bis zur Unkenntlichkeit umformte. Ebenso ungeklärt blieb bis heute die Frage, ob Ludolf seinen Bericht zunächst in der lateinischen oder in der deutschen Sprache schrieb. 17 So oder so gilt er als der erste gedruckte Pilgerschriftsteller überhaupt, denn lateinische Drucke erschienen bereits 1468 und 1472, deutsche ebenfalls schon 1468 und 1477. Der Text verdankt übrigens sein Entstehen dem ausdrücklichen Wunsch des Paderborner Bischofs Balduin von Steinfurt und erfuhr erst nachträglich die unter den deutschen Reiseberichten des 14.Jahrhunderts weiteste Verbreitung. FERDINAND DEYCKS (Ed.), Ludolphi Rectoris &: clesiae Parochalie in Suchern, De Itinere Terrae Sanctae Liber, Stuttgart 1851(BLVS 25). 17 RICHARD, Recits, S.41: "Un cas particuli~rement complexe est celui du recit de ~lerinage Jaiss6 par le eiere du dioc~ d'Osnabrück, Ludolf, qui mourut eure de Sudheim: le texte qu'il avait ecrit en allemand fut traduit en latin, complete par des chapitres empruntes notamment a Thietmar de Merseburg, puis recrit sous une forme abregee par Nicolas de Hude." DELUZ (Ed.Boldensele) begünstigt S.38 die Theorie, wonach De Hudas Kompilation auf einem ansonsten verschollenen lateinischen Text Ludolfs von 1341basiert, während die offizielle Berichtfassung erst 1349-1361entstand. Der Herausgeber der niederdeutschen Fassung, IVAR VON STAPELMOHR, verneint überdies S5 f. die (von Richard übernommene) Behauptung, Ludolf habe zunächst deutsch geschrieben; ebenso KHATIAB, S.23. Der Fall wäre noch zu klären. Tatsache ist, dass auch andere Pilgerautoren mehrere Berichtversionen hinterliessen. <?page no="58"?> 48 Jacopo da Verona (Jerusalem: 1335) Wie bereits erwähnt ist er 1880 als Jacob von Bern unter den Deutschen Pilgerreisen von Röhricht und Meisner auf&eführt (doch wurde ihm später die nationale Identität zurückerstattet). Der Veroneser Augustiner bereiste 1335 als ungefähr Fünfzigjähriger das Heilige Land inklusive Sinai und Ägypten und besuchte vor der Heimreise nochmals Damaskus und Beirut. Dem lateinischen Bericht gehen als "Proemium" ein Pilgerführer und Gebete voraus, dann folgt die Reisebeschreibung in 14 Kapiteln mit eingestreuten Daten, die eine ziemlich präzise Rekonstruktion der Route ermöglichen: 7.5.1335 ab Verona, 29. 5. ab Venedig, 30. 7. an Jaffa, 5. 8. an Jerusalem, 23. 8 ab Jerusalem in Richtung Sinai, 30. 9. an Kairo, anfangs Oktober ab Beirut. Hier bricht die Reisebeschreibung ab. Der Text ist in einer lateinischen Kopie (Cheltenham, Nr. 6650) und zwei deutschen Abschriften aus dem 15. bzw.16. Jahrhundert (beide in München) erhalten, wobei das lateinische Manuskript auf fol.130 b eine Skizze des Berges Sinai enthält. Die Verbreitung dürfte ausserordentlich beschränkt gewesen sein. REINHOLD RÖHRICHT (Ed.), Le palerinage du moine augustin Jacques de V6rone (1335), in: ROL 3, 1895 und Reprint Brüssel 1964,S.155-302. Niccolo da Poggibonsi (Jerusalem: 1346-1350) Von dem Franziskaner aus der Toskana weiss man nicht mehr, als was er in seinem eigenen "Libro d'Oltramare" über sich erzählt: Dass er aus der Stadt Poggibonsi stammte und sein Vater Corbizzo hiess. Seine vierjährige Reise vom 1. 3. 1350 (Abreise von Poggibonsi nach Venedig) bis Frühling 1350 (Ankunft in Venedig am 25.12.1349) führte ihn zuerst nach Zypern, wo er sechs Monate als Hofkaplan zubrachte, und dann weiter nach Jaffa und Jerusalem. Hier tat er als Geistlicher vier Monate Dienst in der Grabeskirche und hatte in dieser Zeit ausgiebig Gelegenheit, dieses Bauwerk genau zu studieren. Er blieb ein volles Jahr in Palästina, bevor er von Beirut aus nach Alexandria segelte, um vor der endgültigen Heimkehr die Rundfahrt Sinai-Gaza-Damietta anzuschliessen. Sein in zahlreiche Kapitel gegliederter Bericht in italienischer Sprache erfuhr weiteste Verbreitung, einmal in den zwanzig regulären Manuskripten unter Niccolos Namen, dann aber auch in zahlreichen Raubdrucken 18 Vgl. HUSCHENBETf, S.34, wonach es die Herausgeber lediglich versäumten, darauf hinzuweisen, dass es sich bei dem ihnen vorliegenden deutschen Text um eine Übersetzung aus dem 16. Jahrhundert handelte. <?page no="59"?> 49 des 16. Jahrhunderts, die entweder als "Viaggio da Venetia" ohne Angabe des Verfassers oder dann unter den Namen Noe Bianco beziehungsweise Joanne Cola kursierten. Diese vielfach gedruckten Ableger sind nun aber offenbar nicht einfach Kopien von Niccofös Bericht, sondern ihrerseits Rückübersetzungen ins Italienische aus einer von allen individuellen Merkmalen bereinigten deutschen Fassung, die alsPilgerführer diente und auch den Nürnberger Pilger Gabriel Muffel ins Heilige Land begleiten sollte. Zu diesem Schluss kommt C.D.M.Cossar, der den bis anhin für Muffels eigenen Pilgerbericht gehaltenen deutschen Text edieren wollte und dabei auf eine mehr als zufällige Verwandtschaft mit Niccolo da Poggibonsi und den späteren Niccofö-Derivaten stiess. 19 ALBERTO BACCHI DELLA LEGA (Ed.), Ubro d'Oltramare di Fra Niccolo da Poggibonsi, 2 Bde, Bologna 1881(Scelta di curiosita letterarie inedite o rare da! secolo XIII-XVII182 und 183). Sir John Mandeville (Jerusalem: "1322-1356") Das Reisebuch des aus St.Albans gebürtigen und nach seinem Tod 1372 in Lüttich beigesetzten Engländers ist früh schon westeuropäisches Allgemeingut geworden, und sein Autor genoss bis in die Neuzeit höchste Popularität. Der vielseitig begabte Arzt, Philosoph und Astrologe bereiste nach eigener Aussage Ägypten, den Sinai und Palästina, im Anschluss daran Indien, China und das Pfefferland, und er stiess bis in unmittelbare Nähe des Paradieses vor. Mandevilles von exotischen Wundern und allerlei grotesk-skurrilen Fabelwesen bevölkerter Weltreisebericht entstand 1356 und traf den Nerv der Zeit sowie den Geschmack eines breiten Publikums. Röhricht zählt nicht weniger als 50 französische Handschriften des 14. bis 16. Jahrhunderts auf, 65 deutsche (von Michel Velser und Otto von Diemeringen übersetzt), 34 lateinische, 31 englische, zehn italienische, fünf tschechische, drei dänische, je zwei holländische und irische sowie eine spanische nicht mitgerechnet die unzähligen Druckausgaben und neuzeitlichen Editionen. 20 Für unsere Begriffe wirkt die aus einer mittelalterlichen Pilgerreise sich entwickelnde universale Weltbetrachtung Mandevilles höchst "modern" - Kolumbus selbst liess sich unter anderem durch -Mandevilles Spekulationen über die Kugelgestalt der Erde zu seinen epochemachenden Entdeckungsreisen inspirieren. Und doch war Mandevilles Welt "im 19 Aus Gabriel Muffels Palästinareisc wurde dann, trotz Pilgerführer im Gepäck, nichts: Er reiste im Gefolge von Lco von Rozmital (vgl. weiter unten) mit nach Santiago de Compostela, und dann ging der fürstlichen Gesellschaft kurz vor Venedig das Geld aus. 20 BOP, S.79-85.Vgl. KHATIAB, S.25, die von 250-300erhaltenen Manuskripten spricht und dem Werk für den deutschen Bereich den Charakter eines Volksbuchs zuerkennt. <?page no="60"?> 50 Grunde die Fabelwelt des Mittelalters", 21 und damit gelangen wir zum springenden Punkt. Was Mandeville auf seiner Reise gesehen und erlebt haben will, stammt aus dem reichen Legendenschatz des Mittelalters und streckenweise aus den Werken seiner tatsächlich gereisten Pilgerkollegen. Denn der dramaturgisch begabte Kompilator und Literat war nie im Fernen Osten und auch nicht im Pfefferland, obwohl ihn etliche genasführte Palästinaforscher noch um die Jahrhundertwende liebend . gerne dahin verwünscht hätten. 22 Übrigens gibt es auch für die detailliert beschriebene Pilgerfahrt nach Jerusalem keinen realen Anhaltspunkt. Und zu guter Letzt stimmt nicht einmal der Name des Autors, denn John Mandeville hiess richtig Jean de Bourgoigne, zubenannt "a la barbe". Ob Fabulierer oder Weltreisender im Geiste, Betrüger oder Dichter: Der federgewandte Abenteuerschriftsteller und Bestsellerautor, ein "Karl May des späten Mittelalters", übte auf die Pilgerberichterstatter der Folgezeit massgeblichen Einfluss aus. ERIC JOHN MORRALL (Ed.dt.bzw.schwäbisch), Sir John Mandevilles Reisebeschreibung, in deutscher Übersetzung von Michel Velser. Nach der Stuttgarter Papierhandschrift Cod. HBV 86, Berlin 1974(Deutsche Texte des Mittelalters 66). Lionardo Frescobaldi, Simone Sigoli und Giorgio Gucci (Jerusalem: 1384 - 1385) Mehrere Berichterstatter innerhalb der gleichen Reisegesellschaft sind ein Glücksfall, weil sich im Vergleich der Texte Details der Pilgerfahrt rekonstruieren lässt. Die Interessen und Motive der Pilger dürften sich überdies, falls unterschiedlich, in individuell verschiedener Weise in den Berichten niederschlagen. Die drei Florentiner, welche 1384 an derselben italienischen Pilgerexpedition teilnahmen, stammten allerdings aus ähnlichen Verhältnissen. Sowohl Lionardo Frescobaldi wie Simone Sigoli waren adlig, wobei letzterer im Gegensatz zum diplomatischen Gesandten Frescobaldi niemals öffentliche Ämter bekleidete. Giorgio Gucci wiederum 21 EJ.MORRALL (Ed.Mandeville), Einleitung, S.xiv. 22 ALBERT BOVENSCHEN bezeichnet ihn in seinen "Untersuchungen über Johann von Mandeville und die Quellen seiner Reisebeschreibung", S.200, als "groben literarischen Fälscher" und sein (inzwischen weitgehend rehabilitiertes) Buch als plumpes "Machwerk". Sein erschütterter wissenschaftlicher Glaube unterstellt dem frühen Romancier betrügerische Absichten und malt hypothetisch aus, wie MandeviUes Persönlichkeit bei einem Auffliegen seines "das Licht der Welt scheuenden Treibens• doch gewiss "in ein höchst zweifelhaftes Licht" geraten wäre. Wobei ihn dies (wiederum nach Bovenschens ethischem Massstab) •... in den Augen seiner Mitwelt, deren Gunst ihm als Arzt ja sehr am Herzen liegen musste, herabsetzen und sein Ansehen für immer schädigen musste.• Soweit kam es dann doch nicht. <?page no="61"?> 51 war politisch tätig und im Jahr vor der gemeinsamen J erusalemreise als Botschafter in Rom. Aber er war nicht "von Stande" und betrachtete sich, wie aus seinem Reisebericht hervorgeht, als einfacher Begleiter von Lionardo Frescobaldi. Die Route: 12. oder 13. 8. 1384 ab Florenz, 4. 9. ab Venedig, 27. 9. an Alexandria, 19. 10. ab Kairo, 2. 11. ab Sinai, 22. 11. an Jerusalem, 2. 12. ab Jerusalem, 9. 12. an Damaskus. Am 29. Januar 1385 reisten Frescobaldi und Sigoli ab und schifften sich in Beirut für die Rückfahrt nach Venedig ein, während Gucci noch bis zum 10. März in Damaskus blieb, am 10. 4. Beirut verliess und schliesslich am 21. 5. Venedig und zehn Tage später seine Heimatstadt Florenz erreichte. Die drei Berichte sind in sieben gemeinsamen Handschriften (Frescobaldi und Gucci) und mehreren Einzelmanuskripten (Frescobaldi acht, Gucci acht und S~oli drei) überliefert und blieben bis ins letzte Jahrhundert ungedruckt. Doch sind sie bisweilen zu Vergleichszwecken bei der Edition anderer Pilgertexte beigezogen und bei der Gelegenheit auszugsweise zitiert worden. Alle drei Berichte sind in der Volkssprache verfasst und tragen Tagebuch-Charakter, doch unterscheiden sie sich formal im Aufbau. Giorgio Gucci hat als einziger eine Kapiteleinteilung und liefert im Textanhang zwei Listen mit den Namen der Expeditionsteilnehmer und mit sämtlichen Reisespesen nach. Dafür unterlässt Simone Sigoli im Text jeglichen Hinweis auf die unterwegs zu erwerbenden Ablässe und listet diese in seinem Anhang sorgfältig auf. Frescobaldi und Gucci scheinen beim Schreiben gegenseitig Einblick in die entstehenden Berichte genommen zu haben, wogegen Sigoli später schrieb, gelegentlich auf Frescobaldi und Gucci zurückgriff und seinen Text am 4. 10. 1390beendigte. CARLO GARGIOLLI (Ed.), Viaggi in Terra Santa di Lionardo Frcscobaldi (1384) ed altri del sccolo XIV (Simone Sigoli, Giorgio Gucci, un anonimo), Florenz 1862. Darin: - Frcscobaldi, Viaggio di Terra Santa, S.3-149, - Sigoli,Viaggio al Monte Sinai, S.152-268, - Gucci, Viaggio ai Luoghi Santi, S.271-438. 23 Zu den Codices RENATO DELFIOL, Su alcuni problemi codicologico-tcstuali concementi le rclazioni di pcllegrinaggio fiorcntine del 1483, in: CARDINI, Toscana e Terrasanta, S.139-176. Demnach existiert von Guccis Bericht eine abweichende zweite oder von unbekannter Hand überarbeitete Textfassung - und aus deISClben Pilgergesellschaft ein vierter, anonymer Bericht, der aber ein "volgarizziamento mandavilliano" und somit gut erdichtet sein dürfte . Zudem e.-wähnt Delfiol einen gemeinsamen Berichtentwurf von Frcscobaldi und Gucci, der in Röhrichts Angaben fehlt. <?page no="62"?> 52 Lorenz Egen und Peter Sparnau (Jerusalem: 1385) Der wohlhabende Augsburger Baumeister (und Bürgermeister) Lorenz Egen (1418 +) hinterliess ebenso wie sein Pilgergefährte Peter Sparnau aus Erdfurt einen kurzen Rapport der von derselben Reisegesellschaft unternommenen Jerusalemreise. Die Wegfahrt erfolgte am 30.7.1385 in Erdfurt, und die Route führte über Venedig nach Alexandria und Kairo, durch den Sinai und über Gaza nach Jerusalem, von Beirut nach Rhodos und der kleinasiatischen Küste entlang nach Konstantinopel, schliesslich auf dem Landweg durch Ungarn und nach Wien. Beide Berichte sind deutsch geschrieben, in lediglich einem (Sparnau) beziehungsweise zwei (Egen) Manuskripten überliefert und dienten wohl hauptsächlich dem Eigengebrauch. Egens Reiserapport bricht in Rhodos ab und ist im übrigen nicht viel mehr als eine knappe Aufzählung der ablassverheissenden heiligen Stätten mit eingestreuten persönlichen Bemerkungen. Sparnau setzt ein Ablassverzeichnis an den Anfang und verleiht seinem Bericht mit den fortwährenden Vermerken aller unterwegs besorgten Vorräte und der entsprechenden Ausgaben den Charakter einer eigentlichen Pilgerbuchhaltung. F.KEINZ (Ed.), Wie Lorenz egen von Augsburg etc. zoch gen Sant kathareinen, in: Das Ausland 38, 1865, S.917-919.- REINHOLD RÖHRICHf (Ed.), Die Jerusalemfahrt des Peter Spamau und Ulrich von Tennstädt, in: Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin 26, 1891,S.479-491. Thomas Brygg (und Thomas Swinburne) (Jerusalem: 1392- 1393) Über den Autor weiss man weniger als über seinen mitgereisten Auftraggeber: Thomas Swinburne (1415+) entstammte einem altem englischen Adelsgeschlecht, wurde 1390 von König Richard II. zum Schlossherr von Guines ernannt und war ab dem 8. März 1404 Bürgermeister von Bordeaux. Thomas Brygg war sein Reisebegleiter und Protokollführer unterwegs und übernahm dieses doppelte Amt entweder als einfacher Knappe oder aber als Kaplan. Die beiden Jerusalempilger verliessen Guines am 6. 8. 1392, schlossen sich in Venedig einer adligen deutschen Reisegesellschaft an und stachen am 2. 9. in See. Am 20.10. erfolgte die Landung in Alexandria, und nach zehntägigem Aufenthalt reiste man weiter nach Kairo. Die weiteren Etappen: 8. 11. ab Kairo, 19. 11. an Katharinakloster (Sinai). Nach drei Tagen bereits Weiterreise nach Gaza (an 3. 12.), Hebron (7. 12.), Bethlehem (8. 12.) und Jerusalem (Aufenthalt vom 9. bis 17. 12.). Am 25. 12. an Damaskus, am 3.1.1393 an Beirut, wo die Pilger nach zwölftägiger Wartezeit ein Schiff nach Rhodos besteigen. <?page no="63"?> 53 Die Reisedauer betrug insgesamt 159 Tage. Davon in Jerusalem verbracht wurden acht Tage. Der in einer einzigen Handschrift (Caius College, Cambridge, Nr. 449) überlieferte lateinische Bericht ist eine weitgehend neutral gehaltene Beschreibung heiliger Stätten und anderer Sehenswürdigkeiten und beschränkt sich auf ein knappes topographisches Itinerar, sobald sich der Leser dem Ziel Jerusalem nähert. Den Schluss des im Original zwei Blätter umfassenden Textes bilden eine Zeichenerklärung für die verwendeten Ablass-Symbole und (wiederum) eine detaillierte Liste der unterwegs getätigten Ausgaben. Comte RIANf (Ed.), Voyage en Terre-Sainte d'un maire de Bordeaux au~ siede, in: AOL 2 B, 1884, S.378-388. Richard Kyngston (und Henry, Earl of Derby) (Jerusalem: 1392 - 1393) Als Henry von Bolingbroke, der Earl of Derby, im Jahr 1390 zu einer Reihe von Abenteuer- und Ritterreisen aufbrach, hegte er wahrscheinlich noch keine Aspirationen auf den englischen Königsthron. Er war der einzige legitime Sohn Johns of Gaunt, des Grafen von Aquitanien und Lancaster, ein Enkel Edwards III., gerade 25 Jahre alt und seit zehn Jahren verheiratet mit Marie de Bohun, die alsMitgift erhebliche Ländereien in Henrys Familie einbrachte. Neun Jahre später war er als Henry IV. König von England. Die Ritterfahrten des Earl, die in punkto Aufwand und Personal einem wohlorganisierten Kriegszug gar nicht unähnlich waren und mindestens zur Hälfte von seinem Vater finanziert wurden, führten ihn zweimal nach Preussen und anschliessend ins Heilige Land. Wie aus den Aufzeichnungen der Reisebuchhaltung hervorgeht, wurde der junge Earl unterwegs als höchst einflussreicher und bedeutender Prinz behandelt. Und um diese auf beiden Reisen geführten Rechnungsprotokolle geht es hier. Es haben sich von den sogenannten "Preussenreisen" hochgestellter europäischer Adliger im 14. Jahrhundert mindestens acht solche Haushaltbücher erhalten. Sie lassen sich durchaus als nach ganz bestimmten Gesichtspunkten zusammengestellte "Reiseberichte" lesen und interpretieren. 24 Verantwortlich für die Buchführung zeichnete in diesem 24 Vgl. WERNER PARA VICINI, Die Preussenreisen des europäischen Adels, in: HZ 232, 1981, S.30, Anm.17: F.s sind dies drei Rechnungen des Grafen Wilhelm N. von Holland - Hennegau, zwei bisher unveröffentlichte Rechnungen des Johann von Ch4tillon-Blois, eine Reiserechnung des Grafen Wilhelm VI. von Holland-Hennegau und dann die zwei Rechnungsprotokolle über Henrys erste Preussenfahrt (1390-1391) und die anschliessende Heiliglandreisc 1392-1393. Die Herausgeberin LUCY T.SMm-1 erwähnt S.xx für den englischen Raum noch weitere solcher "Wardrobe Account Books", die seit Henry III. in <?page no="64"?> 54 Fall Richard Kyngston, Erzdiözesan von Hereford und als Schatzmeister des Earl of Derby speziell für kriegerische Belange zuständig. Als Buchhalter brauchte er nicht eigens mitzureisen; es hätte genügt, im Anschluss an die Reise alle Kassenzettel zu ordnen und den Rechnungsabschluss vorzunehmen. Jedoch tritt Kyngston unterwegs mehrmals in Erscheinung: Er war unter den mindestens acht Begleitern Derbys, die Jerusalem und die heiligen Stätten mit besuchten, und er liess vor der Rückreise nach England in Venedig das Zaumzeug der Pferde flicken. Er war Angehöriger eines mobilen Hofstaates, der kaum kleiner war als der eines residierenden Fürsten. Ungefähr fünfzig Personen reisten bis Venedig mit, darunter Offiziere und Ritter, Herolde, etliche Hofbeamte mit genau festgelegter Kompetenz und eine vollständige Militärblaskapelle mit drei Trompetern und drei Pfeifern. 25 Allerdings überwinterte der Grossteil der Mannschaft vor Venedig in Treviso, und ein kleineres Kontingent blieb in Jaffa zurück. Die Route der zweiten Reise nach Preussen und nach Jerusalem: 16. bis 24. 7. 1392 Reisevorbereitungen in Lynn. 24. 7. Einschiffung in Heacham, Norfolk. 10. 8. Ankunft in Danzig. Nach einem auffallend kurzen Ausflug nach Königsberg, der Destination der ersten Preussenreise, verliessen die Engländer Danzig am 22. 9. 26 Durch Böhmen gelangte man über Görlitz, ~rag, Wien, Klagenfurt, Villach am 22. 11. nach Treviso vor Venedig. Vorausgereiste Hofbeamte hatten inzwischen bereits alles Notwendige zur Seereise und zur Überwinterung der zurückbleibenden Leute und Pferde veranlasst, so dass sich der fürstliche Tross schon am anderen Tag in Venedig einschiffen konnte. Bis zur erneuten Landung in Venedig Ende März 1393 sind die Angaben undatiert, weil offenbar unterwegs auf See keine Gehälter gezahlt und die Einkäufe aller Passagiere gemeinsam getätigt wurden. Doch führte die Route der Mittelmeerküste entlang über Korfu, Modon und Rhodos nach Jaffa und von da über Rama nach Jerusalem und zurück. Die Heimreise erfolgte über Padua, Verona, Mailand, Turin und quer durch Frankreich. In Paris war man am zunehmender Zahl nachgewiesen werden könnten und längstens einer Edition wert wären: •A complete collection of all still extant in public or private archivcs would open indeed an invaluable store for exploring the ways and means, the demand and supply, the manners and customs, the history of prices, the public and private economy in the course of the fourteenth century.• 25 SMI'IH (Ed.Kyngston), a.a.O., S.livund xcvii. 26 SMI'IH (Ed.Kyngston), a.a.O., S.xliii-xlix: Offenbar wurden die Dienste der Engländer diesmal nicht benötigt, worauf man sich anstatt zur Rückkehr zur Weiterreise nach Jerusalem entschloss. In einer anderen Quelle ist von einer "Flucht" Derbys aus Preussen die Rede, nachdem Angehörige seines Gefolges im Streit einen Landsmann getötet hatten. Im Rechnungsbuch sind keine Anhaltspunkte zu einer überstürzten Abreise auszumachen - Derby zahlte die Beerdigungskosten und eine Spende für die Armen, und damit war die Sache offenbar erledigt. <?page no="65"?> 55 22. 6., in Calais am 28. 6., in Dover am 30. 6., in Canterbury am Tag darauf und in London am 5. 7. 1393. Der Bericht des Schatzmeisters Richard Kyngston beschränkt sich auftragsgemäss auf Angaben zu den Reiseteilnehmern sowie auf die getätigten Einkäufe, auf Spesen, Löhne, Geschenke (überreichte wie erhaltene), wohltätige Gaben, Bankgeschäfte und anderes Finanzielles unterwegs. Geschrieben ist er in einem mit Abkürzungen durchsetzten "Fachlatein" mit englischen und französischen Einschüben und erhalten in einer Handschrift sowie zwei parallelen Editionen, wobei die deutsche Übersetzung von Hans Prutz mit dem Verlassen deutschsprachiger Gebiete abbricht und für die Palästinareise ohne Belang ist. LUCY TOULMIN SMITH (Ed .), Expeditions to Prussia and the Holy Land, Made by Henry, Earl of Derby (Afterwards King Henry N.) In the Years 1390 -1 and 1392 - 3, Being the Accounts kept by bis Treasurer during two years, London 1894 (Camden Society, 2. ser . 52.). Niccolo di Martono (Jerusalem : 1394 - 1395) Auch über diesen Niccolo weiss man nicht viel mehr, als was er selber über sich schreibt. Der Notar aus der italienischen Kleinstadt Carinola hatte den Erzdiakon des Städtchens zum Bruder, war klein von Gestalt, nicht allzu mutig, verheiratet, kurzsichtig und Nichtschwimmer. Er verliess die Hafenstadt Gaeta am 17. 6. 1394 auf einem Schiff, das zu einem Flottenverband von fünf Pilgerschiffen gehörte. Unter den Jerusalemfahrern waren auch zwei Freunde Niccolos, Antonaccio de Aspello und Cobello de Dyrano. Unterwegs legte Niccolos Schiff eine sechs Tage dauernde Rast in Rhodos ein und erreichte Alexandria am 25. 7. Niccolo liess sich Zeit beim Besichtigen der Sehenswürdigkeiten Ägyptens und brach schliesslich, nach einem einwöchigen Aufenthalt in Kairo (19. bis 27. 8) mit einer ersten Pilgergruppe zur Wüstenexpedition nach dem Sinai auf. Eine -gute Woche nur dauerte der Besuch von Jerusalem inklusive der umliegenden heiligen Stätten (28. 9. bis 7. 10.). Um sein sicherheitshalber auf dem Pilgerschiff in Alexandria zurückgelassenes "Reservegeld" wiederzuerlangen, musste Niccolo drei Wochen lang in Rama warten, bis auch die zweite Pilgergruppe alle Besichtigungen absolviert hatte. Mit "seinem" Schiff fuhr er der Küste entlang von Jaffa nach Beirut und wechselte dann den schwimmenden Untersatz, um schneller voranzukommen er hoffie, in Rhodos Antonaccio de Aspello wiederzufinden. Die Rechnung ging nicht auf, denn das auf Zypern gefundene Genueser Pilgerschiff lief Rhodos aus Furcht vor einem im Hafen ankernden katalanischen Korsarenschiff gar nicht an, und Niccolo fand nur mit Glück ein Boot, das ihn nach Rhodos brachte. <?page no="66"?> 56 Hier traf er seinen Freund wieder und sicherte sich auch endlich einen Platz auf einem Pilgerschiff in Richtung Venedig. Doch bewirkte unterwegs eine unliebsame Begegnung mit Piraten eine Kursänderung beziehungsweise die überstürzte Flucht aufs griechische Festland. Es dauerte Wochen und Monate, bis die Pilger endlich ein Boot zur Weiterfahrt auftreiben konnten eine Weiterreise über Land erschien aufgrund der Kriegsgefahr zu riskant. Erst im kommenden Frühling, am 7. Mai 1495, war es Niccolo und seinen Gefährten vergönnt, wieder italienischen Boden zu betreten. Ein dreiwöchiger Fussmarsch brachte den Notar zurück nach Carinola, wo der leidgeprüfte Pilger zu allem Unglück erfahren musste, dass seine Frau nur wenige Wochen zuvor verstorben war. Niccolos mit lebhaften Gefühlsäusserungen durchsetzter Reisebericht ist in (italienisch gefärbtem) Latein verfasst und nicht im Original, dafür aber in einer Abschrift aus dem Jahr 1397 überliefert (Paris, Bibl.Nat., Nr. 6521). Im weiteren existieren handschriftlichte Auszüge, die aus dem 17. oder 18. Jahrhundert stammen. Eine Verbreitung des Textes hat also in keiner Weise stattgefunden, und dies ist wohl der Hauptgrund dafür, dass Niccolos (Leidens-) Geschichte bis heute unverdient wenig Beachtung gefunden hat. LEON LE GRAND (Ed.), Relation du pelerinage ä Jerusalem de Nicolas de Martoni, notaire italien (1394 - 1395),in: ROL 3, 1895 und Reprint Brüssel 1964, S.566-669. Margery Kempe (Jerusalem: 1413 - 1414, Santiago: 1417) Hausfrau und risikofreudige Geschäftsfrau aus Lynn. Ehefrau und Mutter von 14 Kindern. Mystikerin und Pilgerin aus Passion. Schlagfertige und selbstbewusste Globetrotterin. Heilige, Häretikerin, Hexe oder Hysterikerin je nach Standpunkt des Beobachters. Das sind nur ein paar der Stichworte, die auf die bemerkenswerte Tochter von John Brunham, einem der einflussreichsten Bürger der damals florierenden Stadt Lynn, zutreffen. Seit der Wiederentdeckung ihrer Autobiographie vor fünfzig Jahren beschäftigt die initiative Lynner Bürgerin die Gemüter der Fachwelt sowie einer (immer breiter werdenden) Öffentlichkeit. Ob unglücklich verheiratete Neurotikerin oder lediglich eine etwas exzentrische Angehörige der oberen Mittelschicht - Margery passte nicht in den Rahmen, den die wohlgeordnete bürgerliche Gesellschaft Englands im 15. Jahrhundert den Entwicklungsmöglichkeiten von Frauen ihres Schlages steckte. 27 Und ebensowenig passt sie ins Bild traditioneller historischer Kategorien. 27 Vgl. CLARISSA W.ATKINSON, Mystic and Pilgrim, Tue "Book" and the World of Margeiy Kempe, lthaca/ London 1983,S.13: • .•.She had loyal friends and supporteIS, but <?page no="67"?> 57 Zu ihrem Leben: 1373 in Lynn ( damals "Bishop's Lynn", später "King's Lynn") geboren, lebte sie bis zu ihrer Eheschliessung mit John Kempe (ca. 1393) ein unauffälliges Dasein. Als ihr erstes Kind geboren wurde, stand sie Todesängste aus. Ein verständnisloser Priester schürte offenbar ihre Panik, worauf sie erstmals Visionen hatte. Ihr künftiges Leben war geprägt vom (zumeist aussichtslosen) Kampf gegen weltliche Versuchungen aller Art. Ein starkes Geltungsbedürfnis (sie wusste um ihre "Eitelkeit" und litt darunter) verleitete sie zu riskanten geschäftlichen Unternehmungen: Sie gründete eine Brauerei und erlitt Konkurs, sie eröffnete einen Müllereibetrieb und erlitt erneut finanziellen Schiffbruch. In sich gehend, erfuhr sie erst jetzt ihre mystische Bekehrung; sie schwor allem Ehrgeiz und allen übrigen lustbetonten Erfahrungen ab. Margery benötigte etliche Jahre, um ihren Mann von der Notwendigkeit eines keuschen Ehelebens zu überzeugen, doch dann, nach dreizehn weiteren Kindern, war es soweit: John Kempe willigte ein unter der Bedingung, dass sie künftig auf ihr regelmässiges Fasten verzichte - und als die Wohlhabendere in der Familie seine Schulden bezahle. Nun war sie frei von allen ehelichen Verpflichtungen, frei aber auch, zu gehen, wohin es sie nach dem Willen ihrer bimmlisc.henEingebungen zog. Ihr erstes von höherer Warte ausersehenes Ziel war Jerusalem, ihr zweites Rom, und weitere Pilgerfahrten führten sie nach Santiago in Spanien, nach Preussen und nach diversen näher gelegenen Wallfahrtszielen. Sie verliess England im Jahr 1413 (genaue Daten zu den einzelnen Etappenorten fehlen), um eine an zwischenmenschlichen Abenteuern reiche Pilgerals Lebensreise anzutreten. Jeweils nach Lynn zurückgekehrt, verschlechterte sich ihr Gesundheitszustand derart, dass eine weitere Pilgerreise angezeigt schien. 1417 war Margery in Santiago de Compostela. Das Wechselspiel von Reise und Rückkehr, Rekonvaleszenz und Rückfall wiederholte sich noch einige Male, und erst 1431 kehrte Margery nach Lynn und in den Schoss ihrer Familie zurück. John Kempe hatte einen schweren Treppensturz erlitten und war völlig gelähmt - und Margery blieb, um ihn bis zu seinem Tode aufopferungsvoll zu pflegen. Ihre letzte Reise datiert von 1433 - 1434. Sie selbst starb nach 1438 im Alter von 60 bis 70 Jahren. Die Berichte von der Jerusalemreise (1413-14) und der Santiagoreise (1417) fügen sich nahtlos ein in Margerys Biographie, die sie kurz vor ihrem Tod diktierte, weil sie selber nicht schreiben konnte. 28 Das Werk she did not fit comfortably into the social and rcligious pattems available to women in her time and place.• 28 Sie ist somit die eigentliche Verfasserin, und ihre Schreiber sind lediglich "Ghostwriter". Vgl. ANGELA M.LUCA, Women in the Middle Ages, Brighton 1983, und ihre Formulierung S.143: • ... She wrote her 'Book of Margcry Kempe' with the aid of amanuenses.• <?page no="68"?> 58 gibt einige Rätsel in Hinblick auf seinen ursprünglichen Sinn und Zweck auf und ebenso in bezug auf seinen "Wahrheitsgehalt" wie jede Selbstbiographie ist auch diese letztlich als eine von Wunschvorstellungen geprägte Fiktion zu verstehen. Von dieser ersten in der englischen Volkssprache geschriebenen Biographie kannte man jahrhundertelang nicht mehr als die sieben Textseiten, die Wynkyn de Worde 1501 und 1521 wiederholt in Pamphleten abdruckte. Die einzige existierende Abschrift des Originals datiert aus dem 15. Jahrhundert und blieb vom 16. bis ins 20. Jahrhundert verschollen. Die Auffindung des Manuskripts durch seinen damaligen Besitzer William Butler-Bowdon (1934) kam einer kleineren Sensation gleich, und der Text wurde so rasch wie möglich im Original sowie in einer angeglichenen englischen Fassung ediert. SANFORD BROWN MEECH/ HOPE EMILY ALLEN (Ed.), The Book of Margery Kempe, The text from the unique MS. owned by Colonel W.Butler-Bowdon (vol. 1. Edited with introduction and glossary by Prof. Sanford Brown Meech, with prefatory note by Hope Emily Allen, and notes and appendices by Sanford Brown Meech and Hope Emily Allen), London 1940(Early English Text Society 212). Nompar de Caumont (Santiago: 1417, Jerusalem: 1419 - 1420) Der Gutsbesitzer aus der Gascogne (nach 1390 - 1428) stammte aus einem prominenten Adelsgeschlecht, dessen wechselvolle Geschichte vom 10. bis ins 18. Jahrhundert dokumentiert ist. Schon der Vater pilgerte in jungen Jahren nach Jerusalem, und der Sohn hielt auch diese Familientradition bewusst aufrecht. Die Familie derer von Caumont war aufgrund eines Generationen zurückreichenden Lebensverhältnisses der englischen Krone verpflichtet und mehrfach in diplomatische und militärische Scharmützel infolge französischer Gebietsansprüche verwickelt. 1399 hatte der englische König die weitreichenden Besitzungen von Nompars Grossvater (und Namensvetter) offiziell bestätigt und ihn gleichzeitig mit der Ernennung zum Seneschall von Aquitanien in eines der höchsten zu vergebenden Hofämter berufen. Der Enkel verlebte seine Kindheit zwar in der Blütezeit derer zu Caumont, doch begann in der Folge das politische Glück der Familie (und damit ihre Loyalität) rasch zu schwinden. Nur zehn Jahre nach seiner im Alter von knapp 25 Jahren unternommenen ersten Pilgerreise kam Nompar bei einem französischen Überfall ums Leben. Von seinen beiden Söhnen ging der eine, Namensvetter und englandtreu wie sein Vater, um 1442 ins Exil nach Bordeaux, während Brandelis die Seiten wechselte und prompt das dem Bruder abgenommene Landgut Caumont von der französischen Krone zurückerhielt. <?page no="69"?> 59 Beiden Kindern zugeeignet hat der Vater übrigens eine Erziehungsschrift, die "Dits et Enseignements", die er noch vor Antritt der Pilgerreisen 1416 in Versform verfasste. 29 Beide Werke, das explizit pädagogische wie das Pilgerbuch, sind vom selben ritterlichen Ehrenkodex bestimmt und weisen von daher stilistische Gemeinsamkeiten auf. Dem eigenen Pilgerbericht schickt Nompar überdies ein faktisches und moralisches Testament voraus, in welchem er eine friedliche Regelung seines Nachlasses im Falle der Nichtheimkehr anordnet. Die Fahrt nach Santiago de Compostela dauerte vom 8. 7. 1417 (Abreise von Schloss Caumont) bis zum 3. 9. desselben Jahres und ist im Bericht der wesentlich längeren und viel ausführlicher geschilderten Jerusalemreise als knappes Verzeichnis von Etappenorten und Distanzen nachgestellt. Die Route der Jerusalemfahrt: 27. 2. 1419 ab Caumont , 30 über Barcelona und Mallorca per Schiff nach Kreta, Rhodos und Jaffa. In der Grabeskirche wurde er am 8. 7. zum Ritter geschlagen. Die Rückreise zog sich unerwartet in die Länge. Anschliessend an einen zweimonatigen (freiwilligen) Aufenthalt auf Rhodos sorgten Herbststürme und ein Blitzeinschlag an Bord für erhebliche Verzögerungen, und Nompar sah sich gezwungen, den Winter auf Sizilien zu verbringen. Nach weiteren Zwischenfällen gelangte er endlich der sardischen Küste entlang über die Balearen zurück nach Barcelona und auf Schloss Caumont. Der fahrende Ritter stiftete in Jerusalem einen persönlichen Ritterorden ohne weitere historische Bedeutung. Die Aufnahmebedingungen hat er in seinen Reisebericht eingefügt. Den Schluss macht ein ausführliches Verzeichnis der unterwegs gekauften Reliquien und übrigen Andenken. Das eine überlieferte Manuskript enthält das Pilgerbuch in proven~ch angehauchtem Französisch sowie Nompars in Versen geschriebenes Erziehungsbuch (London, British Museum, Egerton Nr. 890). Es trägt die Handschrift eines einzelnen (zumindest annähernd) zeitgenössischen Schreibers. Marquis LEUEVRE DE lA GRANGE (Ed.), Voyaigc d'oultremer en Jherusalem, Paris 1858 und Reprint Genf 1975. 29 Vgl. J .GALY (Ed .), Le Livre Caumont ou sont contenus )es dits et enseignements du Seigneur de Caumont composes pour ses enfans en l'an 1416, Paris 1845. 30 Nompar de Caumont nennt als Abreisedatum den 27.2.1418, doch zählt er, wie damals üblich, erst den Ostertag als Jahresbeginn . Vgl. NOBLE (Ed.Caumont), S.22 unten , sowie DE lA GRANGE, Einleitung dazu, S.xv,Anm.1. <?page no="70"?> 60 Ghillebert de Lannoy (Jerusalem: 1403 - 1408? , 1421 - 1422 und 1446 - 1447; Santiago: 1407 und 1435) Der burgundische Edelmann, Soldat, Diplomat und Reisende aus Passion ebenso wie Profession (1386 - 22.4.1462) war einer von zwei Spionen, die Philippe le Bon in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts mit einem ganz bestimmten Auftrag in den Orient entsandte. Es ging darum, die Chancen und Aussichten eines neuerlichen Kreuzzuges abzuklären, genauer: die militärischen Stärken und Schwächen der islamischen Gegenseite auszukundschaften. Auf fürstliche Order inspizierte Ghillebert de Lannoy in den Jahren 1421 und 1422 die ägyptisch-syrische Küstenlinie, währenddem Bertrandon de la Brocqui~re zehn Jahre später die strategische Organisation der türkischen Armee unter die Lupe nahm. Offiziell traten sie beide als J erusalempilger auf - und beide Male war das Pilgergewand mehr als nur ein Deckmantel für die verkappte Geheimdienstoperation. Ghillebert war nahezu ein Leben lang unterwegs, als Kreuzritter (in Spanien und in Preussen), Botschafter oder eben "Geheimagent". Dabei führten ihn diese Geschäftsreisen auch immer wieder zu regionalen und internationalen Wallfahrtszielen, die er, ganz Pilger, andächtig besuchte. 1431 war er in Lough Derg an der irischen Westküste, im Heiligen Jahr von 1450 wie alle Welt in Rom, 31 zweimal aus Anlass kriegerischer Unternehmungen in Spanien (mit Zwischenhalt in Santiago de Compostela) und insgesamt dreimal im Heiligen Land. So vielfach bewandert wie als Globetrotter war Ghillebert de Lannoy auch als Schriftsteller. Neben seinem Reisebuch, das in Hinblick auf die behandelte Zeitspanne (13. bis 65. Altersjahr) einer eigentlichen Autobiographie gleichkommt, verfasste er zwei Erziehungsschriften, in denen er die ritterlichen Ideale seiner Zeit pro~~erte, und ausserdem in jüngeren Jahren ritterliche Liebesballaden. 2 Innerhalb der gesammelten Reiseerlebnisse des Ritters entfallen auf die erste und dritte Orientfahrt sowie auf die beiden Santiagofahrten jeweils nur einige wenige zusammenfassende Zeilen. Hingegen steht die zweite Jerusalem- und Sinaireise mit dem doppelten Spionage- und Pilgermotiv im Zentrum. Die ausgedehnte und abenteuerreiche Reiseroute führte zunächst auf dem Landweg nach Konstantinopel und dann 31 Vgl. RICHARD, in: WKKG, S.149. 32 Die Erziehungsschriften sind Philipps Erben ("L'instruction d'un jeune prince") und Ghilleberts eigenem Sohn ("Lcs enscignements patemels") zugeeignet und beide in Potvins Ausgabe der "Oeuvres• abgedruckt. Zu den Liebesgedichten vgl. MARGARET WADE LABARGE, Ghillebert de Lannoy: Burgundian Traveller, in: Histo: ry Today 26, 3, 1976, S.154: Er teilte diese Leidenschaft mit seinem Freund Jean de Werchin, dem Seneschall von Hainault, der u.a. auf Ghilleberts zweiter Nahostrcisc 1421 als Begleiter dabei war. <?page no="71"?> 61 nach Rhodos, wo Ghillebert alle Gefährten bis auf zwei zurückliess, um unauffälliger beobachten zu können. Die Rundreise Kairo-Sinai-Kairo erscheint wie alle anderen Exkursionen zu christlichen Pilgerzielen in Ägypten knapp zusammengefasst, und die Weiterreise nach Jerusalem und von da über Rhodos und Venedig zurück in den Westen wird nur kurz gestreift. Aber: An den kurzangebundenen persönlichen Bericht schliessen sich in zwei ausführlichen Sonderkapiteln die eigentlichen "pelerinages" (ein Pilgerführer zu allen unterwegs besuchten heiligen Stätten) an sowie die "rapports" ein militärischer Führer zu allen wichtigen strategischen Punkten der ägyptischen und syrischen Küstenlinie unter deutlich anderen Gesichts- und Interessensschwerpunkten. Diese "rapports" sind in mehreren Handschriften überliefert, haben also offenbar ihr Fachpublikum an diversen europäischen Fürstenhöfen innert nützlicher Frist erreicht. Eine Drucklegung erfuhr das französisch geschriebene Reisebuch aber nicht vor dem 19. Jahrhundert, und die Popularität blieb beschränkt. CHARLES P01VIN, (Ed.), Oeuvres de Ghillebert de Lannoy, voyageur, diplomate et moraliste. (...) Avec des notes geographiques et une carte par J.C.Houzeau, Louvain 1878. Bertrandon de la Brocquiere (Jerusalem: 1433-1438? ) war als Kanzler in leitender Stellung am Hofe Philipps des Guten tätig und erhielt im Jahr 1432 einen Auftrag zur Ausspionierung der türkischen Streitkräfte. Die Mission beinhaltete ihre Risiken: Neben der Gefahr einer Entdeckung von Bertrandons vorrangiger Reiseabsicht drohte im Orient auch die Pest. Bertrandons Weg unterschied sich zunächst in nichts von dem eines "gewöhnlichen" Jerusalempilgers. Seine vorausgegangene Romvisite unterschlägt er im Bericht mit der Begründung, die Stadt kenne man inzwischen zur Genüge. 33 Er verliess Venedig am 8.5.1433 und reiste über Jaffa und Rama nach Jerusalem. Der für einen Pilger ungewöhnlich lange Aufenthalt hier erklärt sich aus dem krankheitsbedingten Abbruch von Bertrandons geplantem Ausflug zum Sinai. Laut eigener Aussage fasste der Pilger/ Spion erst jetzt, in der Zeit der Rekonvaleszenz, den einsamen Entschluss, auf dem Landweg in seine Heimat zurückzukehren. Die höchst abenteuerliche Reise in Gesellschaft gleichfalls heimkehrender türkischer Mekkapilger, Genueser Händler und eines Mailänder Diplomaten führte Bertrandon über Bursa, Konstantinope~ Sofia, Belgrad und Wien wieder ins Burgund. Sie verschaffte ihm ausgiebig Gelegenheit zu detaillierten Beobachtungen, gleichzeitig aber auch intensive Kontakte mit 33 SCHEFER (Ed.Brocqui~rc), S.4. <?page no="72"?> 62 der türkischen Bevölkerung, deren Lebensart er offensichtlich mehr und mehr zu schätzen wusste. Die umfassende, mit persönlichen Erfahrungen und Empfindungen angereicherte Reisebeschreibung ist in französischer Sprache und als fortlaufende Erzählung nach Tagebuchnotizen verfasst. Den Schluss macht ein ebenso detaillierter wie brillanter Rapport zur Infrastruktur und Organisation der türkischen Streitmacht: ein eigentliches "Organigramm", das sogar konkrete Insidertips zur eleganten Überlistung des Gegners anbietet. Den Text sowohl des Reisebuches wie des Rapports schrieb Bertrandon de la Brocquiere offenbar erst 1455auf ausdrücklichen Wunsch seines Auftraggebers nieder, vier Jahre vor Bertrandons Tod. Es haben sich davon wiederum mehrere französische Handschriften erhalten, währenddem Drucke erst im letzten Jahrhundert erfolgten. In englischer Sprache ist der Bericht eben erst neu herausgegeben worden. 34 CHARLES SCHEFER (Ed.), Le voyage d'oultremer de Bertrandon de la Brocquiere, in: RVDHG 12, Paris 1892. Georg von Ehingen (Jerusalem: 1454- 1456,Santiago: 1457) Der Traum von der "Reconquista" des Heiligen Grabes in Jerusalem brachte nicht nur traditionsbewusste Adlige mit konkreten Spionageabsichten nach Palästina, sondern auch solche mit diffusen, in der Imagination eher als in Tat und Wahrheit ausgelebten Kreuzzugsambitionen. An die Grenze dessen, was vom Ideal des Kreuzritters noch zu verwirklichen blieb, stiess beispielsweise der aus einem alten schwäbischen Adelsgeschlecht in Kilchberg gebürtige Georg von Ehingen (1428 - 1508), der schlichtweg jede Gelegenheit beim Schopf packte, um zu reisen und zu kämpfen und auf diese Weise" ... zu einem im Sinne spätmittelalterlichen Tugendrittertums perfekten ritterlichen Leben zu gelangen". 35 Er stand in österreichischen und württembergischen Diensten und verband auf seiner Nahostwie einer anschliessenden Spanienreise das Kriegführen übergangslos mit dem Pilgern. Auf Rhodos nahm er an einem Verteidigungsangriff der Johanniter gegen die Türken teil; in Spanien zeichnete er sich durch die Unterstützung des portugiesischen Königs gegen den Sultan von Fez und bei der Verteidigung der Stadt Ceuta (1457) als loyaler "miles Christi" aus. 34 GAI.EN RKLINE (Ed.engl.), Thc voyage d'oultremer by Bertrandon de la Brocquiere, NewYork/ Bern 1988. 35 So VOLKER HONEMANN in seiner Rezension zur Ehingen-Edition von Gabriele Ehrmann, S.48. <?page no="73"?> 63 Allerdings wirft Georgs Reiserapport, der ganz ähnlich wie derjenige von Ghillebert de Lannoy die Dimensionen einer Autobiographie annimmt, Fragen zum tatsächlichen Expeditionsverlauf auf und lässt an der Authentizität der beschriebenen Jerusalempilgerfahrt zweifeln. 36 Nimmt man den im Bericht wiedergegebenen Routenverlauf genauer unter die Lupe, so ergeben sich Unstimmigkeiten. Nach eigener Aussage kam Georg von Rhodos über Zypern, Beirut, Nablus und Nazareth nach Jerusalem , wollte dann in Begleitung eines anonymen Basler Mönchs über "Damaskus" in die Sinai-Wüste und weiter nach "Babylon",doch brachen die beiden die Sinai-Expedition vorzeitig ab. Georg gelangte über Hebron und Alexandria zurück nach Zypern und Rhodos und konnte erst nach einem längeren Krankheitsaufenthalt die Heimreise nach Schwaben antreten. Die Stadt Damaskus wurde dabei offenbar mit dem "ager damascenus" bei Hebron verwechselt und das Babylon des Alten Testaments mit dem Kairoer Stadtteil gleichen Namens. Der Verdacht liegt nahe (und wird durch die kurzangebundene Art, in welcher Georg die Sehenswürdigkeiten Jerusalems abhandelt, erhärtet), dass der Pilger aus unerfindlichen Gründen in Zypern oder bereits in Rhodos hängenblieb und sich den Rest der Jerusalemfahrt als unverzichtbaren Hauptbestandteil seiner Kollektion von Ritterreisen aus diversen (mündlichen) Informationsquellen zusammenreimte. Zu Georgs Abstecher nach Santiago de Compostela findet sich im Bericht seiner Portugal-Expedition lediglich der knappe Hinweis, er hätte hier die Pferde gewechselt. Anschliessend schiffte er sich in La Coruiia nach Lissabon ein. Die "Raysens nach der Ritterschafft" von Georg von Ehingen (den Titel hat Georgs Enkel Sigmund von Hornstein dem Buch vorangesetzt) sind in drei Manuskripten aus dem 16. Jahrhundert sowie einer Bearbei tung aus dem Jahr 1579 überliefert. Der Text ist 1600 in Augsburg gedruckt worden . GABRIELE EHRMANN (Ed.), Georg von Ehingen, Reisen nach der Ritterschaft, Edition, Untersuchung, Kommentar, Göppingen 1979(GAG 262). 36 Diese Zweifel formuliert erstmals PEIER WEL1EN, Reisen nach der Ritterschaft, S.292. Die weiterführenden Anregungen verdanke ich KLAUS BIEBERSIEIN, Tübingen, Mitarbeiter des topographischen Forschun~rojekts "Orte und Wege der Bibel". <?page no="74"?> 64 Hans Bernhard von Eptingen (Jerusalem: 1460) Der Schlossherr aus Pratteln mit späterem Bürgerrecht zu Basel und Einsitz im Basler Rat absolvierte seine Jerusalempilgerfahrt nicht als Individualtourist, sondern als Mitglied der Reisegesellschaft von Herzog Otto von Bayern. Die Reise auf der Normalroute Venedig-Jaffa-Venedig verlief problemlos und dauerte mit den üblichen Zwischenhalten von Mitte März bis Anfang Oktober 1460. Der autobiographische Reisebericht von Hans Bernhard von Eptingen ist ein Ausschnitt aus seiner Familiengeschichte der von Eptingen und damit Teil einer Reihe von Schilderungen ritterlicher Turniere und Abenteuer. Der unerschöpflichen Neugierde verdankt der schriftstellernde Edelmann die Anschaulichkeit seiner Reisebeschreibung - und seiner gewandten Feder einen Ehrenplatz in Peter Dürrenmatts "Schweizer Geschichte". 37 Dem eigentlichen Bericht geht eine Reihe von Ratschlägen für Pilger voraus. Der Text ist in einer Abschrift aus dem 16. Jahrhundert überliefert und liegt vorerst in zwei unvollständigen Fassungen, einer stark gekürzten von einem unbekannten Herausgeber und einer lediglich nacherzählten, vor. Eine vollständi~ Edition von Familiengeschichte und Pilgerbericht ist in Vorbereitung. Reise des Ritters Hans Bernhard von Eptingen nach Palästina im Jahr 1460, in: Schweizerischer Geschichtsforscher 7, 1828, S.313-402 (Teile der Meerfahrt sowie Ablässe im Heiligen Land weggelassen). Roberta da Sanseverino und Gabriele Capodilesta (Jerusalem: 1458 - 1459) reisten beide in der gleichen Pilgergesellschaft. Diese Jerusalemfahrt vom Frühling 1458 ist besonders gut dokumentiert: Mit dabei waren als weitere Chronisten der Engländer William Wey3 9 und Juan Matteo Butigella (der die Informationen zu seiner "Historia de la Terra Santa" zur Hauptsache aus Jacques de Vitry bezog). Die Berichte von Anton Pelchinger ("Von der schickung vnd gestalt des heiligen grabs vnseres herren Jhesu Christ zu Jerusalem vnd aller lanndt die darvmb ligunt ...") und eines unbekannten Holländers sind ungedruckt geblieben. Übrigens gedachte ein vornehmer 37 PETER DURRENMATI, Schweizer Geschichte, Zürich 19632, S.105: "So erscheint uns (...) dieser Ritter als Mensch auf der Schwelle zweier Zeiten: des in sich gekehrten eigentlichen Mittelalters und der beginnenden Renaissance mit .ihrer Entdeckung der Eigenwerte des Menschen." 38 DOROTI-IEA A.CHRISf hat mir freundlicherweise ihr Manuskript zur Verfügung gestellt. In der hier benutzten Ausgabe fehlen vor allem die Angaben des Autors zu den Ablässen in Jerusalem und Umgebung. 39 Vgl. weiter unten. <?page no="75"?> 65 Mitpilger William Weys, John Tiptoft, einen Zeichner mit auf die Reise zu nehmen, doch kam entweder etwas dazwischen oder dann blieb diese bildliche Dokumentensammlung verschollen. 40 Der Mailänder Roberto da Sanseverino (1417 - 1487) war ein Neffe des Francesco Sforza und als vielbeschäftigter "Mann des Schwertes" ebenso wie als Politiker das prominenteste Mitglied der Expedition. 41 Er reiste mit Gefolge und nahm auch sicherheitshalber seinen Hausarzt mit. Seine Nahostfahrt wird vereinzelt mit (nicht näher bezeichneten) politischen Motiven in Verbindung gebracht; rätselhaft erscheint in diesem Zusammenhang ein an ihn gerichteter Brief von Paolo Ramusio aus dem Jahr 1483, in dem dieser dem Pilger vorwirft, er habe religiöse und weltliche Angelegenheiten durcheinandergebracht und in Kairo mit dem Gedanken an eine Weiterreise nach Indien gespielt. 42 Dank seiner privilegierter Stellung und dank den guten Beziehungen zum Kapitän konnte sich Sanseverino die Seereise unterwegs nach Wunsch angenehmer gestalten. Heimgekehrt, ging er wieder seiner Doppelbeschäftigung als Politiker in Friedens- und Armeeangehöriger in Kriegszeiten nach und kam schliesslich, im hohen Alter von siebzig Jahren, 1487 bei einer Schlacht ums Leben. Gabriele Capodilesta stammte aus einem Adelsgeschlecht in Padua und trat, ausser mit seiner Reisebeschreibung, auch als Bürgermeister der Stadt Perugia (1473 - 1475) öffentlch in Erscheinung. Er lud Roberto da Sanseverino und noch andere Reisegefährten im Anschluss an die gemeinsame Pilgerreise zu sich nach Padua ein; die beiden italienischen Berichtschreiber kannten sich also persönlich. Der Reiseverlauf lässt sich aus den erhaltenen Daten nahezu lückenlos rekonstruieren und sei hier nur kurz resümiert: am 30. 4. fuhr die Mailänder Gesellschaft los, verabschiedet von einer grossen Menschenmenge. Am 16. 5. schlossen sich ihr in Padua Gabriele Capodilesta und sein Neffe Antonio an. Bereits am nächsten Tag schiffte man sich in Venedig ein und erreichte Jaffa nach nur vier Wochen Überfahrt am 19. 6. Die beiden Tagebücher stimmen in Bezug auf die verzeichneten Daten und Stätten überein bis zur Trennung Capodilestas von der übrigen Gesellschaft. Da bricht Capodilestas Datierung ab, und einem nachfolgenden kurzen Sinai- Reisebericht merkt man die Herkunft aus anderer Quelle deutlich an. Offensichtlich fuhr Capodilesta ohne den Abstecher in die Wüste auf der Normalroute via Jaffa und Venedig nach Hause zurück, während Sanseverino den fakultativen zweiten Teil der Pilgerreise mit absolvierte und seine 40 Vgl. RJ .MITCHELL, The Spring V oyagc, London 1964, S.42. 41 Wie bekannt sein Name und sogar sein Gesicht waren, belegt u.a. die Tatsache, dass eine Münze mit seinem Porträt geschlagen wurde. Vgl. Abbildung bei MITCHELL, a.a.O., zu S.42. 42 MITCHELL, a.a.O ., S.151. <?page no="76"?> 66 Tagebuchnotizen mit gewohnter Detailtreue weiterführte. Die Heimreise im Winter gestaltete sich unter erschwerten Bedingungen äusserst mühsam und langwierig; erst im Januar 1459 kehrte Sanseverinos Reisegruppe wieder nach Mailand zurück. Die beiden Reisebeschreibungen in italienischer Sprache weisen gewisse Übereinstimmungen auf, die auf eine gegenseitige Kontaktnahme während der Berichtabfassung hindeuten. Deutlicher sind aber die Unterschiede in Form und Stil: Während Sanseverino geradlinig den eigenen Reiseerlebnissen folgt, fügt Capodilesta zu jeder besuchten heiligen Stätte die dort rezitierten Gebete und Gesänge hinzu. Aus dem Pilgertext wird so eine eigentliche Pilgerliturgie. Die eingestreuten Handzeichnungen weisen ihren Autor (Capodilesta? ) als nicht unbedingt geübten, aber präzis beobachtenden Gelegenheitskünstler aus. Sanseverinos Text ist in sechs Handschriften überliefert, Capodilestas "Itinerario" in vier Manuskripten und in einem Druck, den der Autor offenbar in seiner Eigenschaft als Bürgermeister um 1475persönlich in die Wege leitete. GIOACCHINO MARUFFI (Ed.), Viaggio in Terra Santa fatto e descritto per Roberto da Sanseverino, Bologna 1888 (Scelta di curiosita letterarie inedite o rare dal secolo XIII - XVII 229), 200 Exemplare; Reprint durch die "Commissione per i testi di lingua" noch ausstehend. - ANNA lAURA MOMIGLIANO LEPSCHY (Ed.), L'"Itinerario" di Gabriele Capodilesta, in: DIES., Viaggio in Terrasanta di Santo Brasca, Mailand 1966(I cento viaggi 1), S.161-241. William Wey (Santiago: 1456,Jerusalem: 1458und 1462) Was George Williams in seiner Einleitung zur (ersten und bisher einzigen) Wey-Edition von 1857 schreibt, klingt vertraut: "Of the author of the three Itineraries now first printed, little is known except what may be gathered from the writer's own account of himself ...',4 3• Die wichtigste Information stammt aus Bruder Williams' eigener Feder: Zum Zeitpunkt seiner Reisen gehörte er dem 1442 durch Heinrich VI. gegründeten königlichen Stift Eton ("Eton College") an. Offenbar gehörte William Wey nicht zu den Gründungsmitgliedern der königlichen Stiftung, sondern wechselte innerhalb der ersten zehn Jahre ihres Bestehens von Oxford nach Eton gebürtig war er aus Devonshire. Da es den Angehörigen des Eton-Stiftes nicht gestattet war, ohne triftigen Grund länger als sechs Wochen abwesend zu sein, holte sich der Pilger die notwendige Erlaubnis zur Jerusalemreise vom Stifter persönlich. Das entsprechende Schreiben von König Heinrich VI. an William Wey hat sich in den Archiven des Eton College auffinden lassen. 44 Lange blieb 43 GEORGE WILLIAMS, Einleitung zu BANDINEL (Ed.Wey), S.i. 44 WILLIAMS, a.a.O., S.ii-iv(mit einem Abdruck des königlichen Schreibens). <?page no="77"?> 67 William Wey nicht in Eton, denn zugelassen waren hier ausschliesslich weltliche Kleriker ohne Ordenszugehörigkeit. Es scheint aber, dass William kurz nach seiner zweiten Jerusalemreise ins benachbarte Augustinerkloster Hedington überwechselte jedenfalls lässt eine von zeitgenössischer Hand zu Beginn des Originalmanuskripts angeführte Liste mit liturgischem Inventar, das William Wey aus Palästina heimbrachte, um es der Heiliggrabkapelle von Hedington zu vermachen, auf eine schon damals besonders enge Beziehung zu diesem Kloster schliessen . Laut einer Notiz auf dem Originalmanuskript ist William Wey hier in Hedington am 30. November 1476 gestorben. Seine zweite Jerusalemreise nahm er gemäss eigenen Angaben mit 55 Jahren in Angriff: das Geburtsjahr müsste somit 1407 gewesen sein. 45 Es folgen ein paar Angaben zum Verlauf der drei Pilgerfahrten 1458, 1462 und 1456. Obwohl William Wey zunächst nach Santiago reiste, folgt die Beschreibung dieser Pilgerfahrt den beiden anderen nach Jerusalem im Anhang nach. Nach Meinung der Herausgeber muss dahinter keine Absicht stecken; vielleicht war auch bloss ein zerstreuter Buchbinder für die Umstellung verantwortlich. William Weys ausgeprägter Ordnungssinn kommt bereits beim Aufbau seiner Reiseerzählungen klar zum Ausdruck. Einem detaillierten Inhaltsverzeichnis in lateinischer Sprache folgen umgangssprachliche Tips des erfahrenen Pilgers zum Geldwechseln und zu den absolut notwendigen Besorgungen unterwegs nach Jerusalem. Ebenfalls in englischer Sprache abgefasst ist ein gereimter (und damit leicht memorierbarer) Wegweiser zu den heiligen Stätten . Noch systematischer ist das Ablassverzeichnis in Form eines regelrechten Abzählverses gehalten. Dann wird es lateinisch: Wey gibt zehn triftige Motive zur J erusalemreise an, beschreibt in diesem Zusammenhang eingehender die zu besuchenden Stätten, und endlich beginnt "The Narrative of William Wey'. Aufgelockert durch vereinzelte weitere Einschübe informativer Art (diverse Distanzentabellen, ein griechisches und ein hebräisches Wörterverzeichnis, schliesslich ein Kommentar zu der ursprünglich dem Bericht beigefügten Heiliglandkarte) erzählt William Wey, was immer seiner Ansicht nach einem künftigen Pilger dienlich sein könnte. Die Daten: 1458 fuhr Wey von Eton via Rom nach Venedig und bestieg hier am 18. 5. eines der zwei Pilgerschiffe mit insgesamt 197 Pilgern an Bord. Die Landung in Jaffa erfolgte am 21. 6., der Aufenthalt in Jerusalem dauerte vom 24. 6. bis zum 2. 7. Am nächsten Tag machte sich das Pilgerschiff auf den Heimweg, und nach 16 Wochen Abwesenheit war William Wey wieder in Venedig (die Abwesenheit von Eton dauerte 39 Wochen). 45 WILLIAMS, a.a.O., S.iv-vi. <?page no="78"?> 68 Nahezu gleich lang, nämlich siebenunddreissigeinhalb Wochen, dauerte die zweite J erusalemreise, die William in Begleitung zweier anderer englischer Priester desselben Vornamens unternahm. 13. 3. 1462: Wegfahrt von Grossbritannien. 22. 4.: Ankunft in Venedig. 26. 5.: Abfahrt von Venedig. 11.10.: Zurück in Venedig. 1.12.: Ankunft in Dover. Verhältnismässig kurz geht der vielgereiste Geistliche auf seine Pilgerfahrt "... ad sanctum Jacobum in Ispannya" ein, die er 1456 unternahm. Wiederum mit königlicher Lizenz verliess er Eton am 27. 3., erreichte Plymouth am 30. 4., fuhr mit der "Mary Whyte" (mit der zusammen noch fünf andere Pilgerschiffe ausliefen) am 17. 5. ab und erreichte den Hafen La Coruiia ("Grwne") wenige Tage später am 21. 5. Die Heimreise führte Weywiederum über La Coruiia (ab 5. 6.) und Plymouth (an 9. 6.) zurück an den Ursprungsort. Der Bericht ist ebenfalls thematisch angelegt; sein Verfasser ging soweit, ein Pilgerlied (mit Noten) wiederzugeben und was in diesem Fall keineswegs selbstverständlich ist ein akribisch genaues Compostela-Ablassregister zu erstellen. Jene Landkarte des Heiligen Landes übrigens, auf die der Berichtverfasser mehrfach Bezug nimmt, ist nicht in den Text integriert und deshalb wohl auch nicht im selben Band mit diesem herausgegeben worden. BULKELEY BANDINEL (Ed.), The Itineraries of William Wey, Fellow of Eton College to Jerusalem, A.D. 1458 and A.D. 1462; and to Saint James of Compostella, A.D.1456. Prom the Original Manuscript in the Bodleian Llbraiy printed for the Roxburghe □ ub, London 1856. Gabriel Tetzel und Schaschek (Santiago: 1465 -1467) Sie beschrieben beide im Grunde dieselbe Reise, nämlich die "Ritter-, Hof- und Pilgerreise" (in dieser Reihenfolge) des böhmischen Fürsten Baron Lev z Rozmitalu a Blatne a na Primde - oder kurz: Leo von Rozmital (1426 - 1480). Dieser Herr war der eigentliche Initiant der Reise und erscheint in seiner Eigenschaft als Auftraggeber der Berichte erwartungsgemäss auch als Hauptperson in den Reisebeschreibungen seiner beiden Begleiter. Sein böhmischer Landsmann Schaschek amtete als offizieller Protokollführer, währenddem der Nürnberger Gabriel Tetzel (1479 +) als einfacher Mitläufer im Tross der hierarchisch abgestuften Reisegesellschaft mehr Bewegungsfreiheit genoss. Hier ein Patrizier aus altem Nürnberger Geschlecht, da ein mit den höfischen Gebräuchen bestens vertrauter böhmischer Adliger; hier ein Pilger und Globetrotter aus Passion (Tetzel soll bereits 1432 und 1436 zusammen mit Peter Rieter aus der bekannten Nürnberger Pilgerfamilie ausgedehnte Reisen nach Mailand, Wien und endlich Jerusalem unternommen haben, und mit ihm nach Santiago reiste der spätere Jerusalem- <?page no="79"?> 69 pilger Gabriel Muffel), da ein Reisender von Standes wegen, dem Turniere und diplomatische Empfänge die bedeutungsvolleren Etappenorte markierten: Die Unterschiede sind im direkten Vergleich der beiden Texte leicht auszumachen . Während Tetzel treu und oft treuherzig das gemeinsame Reiseerlebnis von Nürnberg durch Deutschland, England, Frankreich nach Spanien und über Italien zurück nach Nürnberg wiedergibt, spannt Schaschek den geographischen Bogen weiter und ergänzt seinen pflichtgemäss unpersönlichen Santiago-Reisebericht durch einen der konventionellen Pilgerführer nach den Destinationen Palästina, Sinai und Ägypten. Tatsächlich fasste der reisende Staatsmann, Diplomat, Ritter und Pilger Leo von Rozmital als eigentlichen Höhepunkt seiner Reise die Seefahrt nach Jerusalem ins Auge. Den Traum vom Heiligen Grab musste der fahrende Fürst allerdings kurz vor Venedig in den Wind schreiben, denn die standesgemäss üppigen Bankette zu Ehren zahlreicher gekrönter Häupter hinterliessen zu diesem Zeitpunkt nur mehr gähnende Leere in der Reisekasse. Die Route in Stichworten: Prag war am 26. 11. 1465 für rund vierzig Reiseteilnehmer Ausgangspunkt der Fahrt. Nürnberg, Heidelberg, Köln, Brüssel, Calais-Dover (eine rauhe Überfahrt im März 1466), Canterbury, London, Salisbury, St.Malo (eine noch stürmischere Passage im April 1466 verschlug die Reisegesellschaft zunächst nach Guernsey), Nantes, Orleans und Tours waren die Stationen vor Erreichen der Pyrenäen . Die spanischen und portugiesischen Fürstenhöfe wurden trotz etlicher widriger Umstände der Reihe nach aufgesucht; Santiago de Compostela erscheint in dieser Aufzählung der Stationen als eigentlicher Wendepunkt. Weiter ging es nach Südfrankreich, über Montpellier und Avignon nach Mailand und zum nächsten Wendepunkt Venedig, und die Heimreise führte über Graz und Wiener-Neustadt zurück nach Prag. Das böhmische Original von Schascheks Bericht ist verlorengegangen, doch hat sich ein lateinischer Abdruck von 1577 in wenigen Exemplaren erhalten. Gabriel Tetzels Manuskript ist im Jahr 1837 entdeckt und bald darauf zusammen mit dem lateinischen Text nach Schaschek in der Bibliothek des Literarischen Vereins Stuttgart herausgegeben worden. I.A.SCHMELLER (Ed.), Des böhmischen Herrn Leo's von Rozmital Ritter-, Hof- und Pilger-Reise durch die Abendlande 1465-1467,beschrieben von zweien seiner Begleiter, Stuttgart 1844 (BLVS 7): Schaschek S.1-142,Tetzel S.143-196. <?page no="80"?> 70 Jean (und Ansehne) Adorno (Jerusalem: 1470-1471) Vater und Sohn gingen gemeinsam auf die Reise zwar gilt der Sohn Jean als der eigentliche Verfasser der Reisebeschreibung, doch war der Vater Ansehne die treibende Kraft der ganzen Unternehmung. Die Jerusalemverehrung wie auch die Öffentlichkeitsarbeit auf diesem Gebiet war bei den Adornos festverankerte Familientradition. Der Name Adorno stammte ursprünglich aus Genua; um 1269 liess sich Oppicino Adorno in Flandern nieder und begründete in Brügge eine fmanziell ebenso wie politisch einflussreiche Dynastie. Oppicino unternahm selber in jungen Jahren eine Palästinapilgerfahrt, genauso wie etliche Generationen später die Gebrüder Pieter (Ansehnes Vater) und Jacob. Diese beiden stifteten zur Erinnerung an die eigene Reise in ihrer Heimatstadt eine Jerusalemkapelle in den originalen Abmessungen der Heiliggrabkapelle, die am Palmsonntag 1429 geweiht wurde und fortan Begräbnisstätte der Familie Adorno war. 46 Ansehne (1424 - 1483) wuchs im ritterlichen Standesdenken auf, genoss eine höfische Erziehung im Umkreis von Philippe le Bon und stand später in Diensten Karls des Kühnen. Beziehungen diplomatischer und militärischer Natur unterhielt Ansehne auch mit dem schottischen Königshof. Im Jahr 1477 suchte er hier nach politischen Auseinandersetzungen Zuflucht; sechs Jahre später fiel er, als Vertrauter des schottischen Königs Jakob III., einem Mordanschlag zum Opfer. Jean verfolgte als ältestes von Ansehnes zwölf Kindern eine etwas andere Laufbahn als die militärisch-diplomatische des Vaters: 1444 geboren, verbrachte er seine Studienjahre an der Universität von Pavia und erwarb sich hier eine solide Ausbildung als Jurist und Notar. Diplomat wurde auch er, allerdings vornehmlich in kirchlichen und nicht weltlichen Kreisen. Mehrmals reiste er im Auftrag von Kardinal Hugonet zum Papst nach Rom und zum König von Neapel. Als Lohn winkte ihm ein beschaulicher Lebensabend: Von 1488 bis zu seinem Tod im Jahr 1511 war Jean als Kanoniker im Stift St.Pierre von Lille wohl versorgt. Vater Ansehne verliess Brügge am 19. 2. 1470 und reiste über Pavia, wo sein Sohn mit zur Reisegesellschaft stiess, zunächst nach Rom. Weil die beiden ausgeprägten Individualisten partout nicht über den üblichen Pilgerumschlagplatz Venedig nach Palästina gelangen wollten (als Grund geben sie im Reisebericht die Furcht vor Seuchen auf dem überfüllten Pilgerschiff an), teilte sich die flandrische Reisegruppe auf. Fünf Pilger folgten der üblichen Route über Venedig, die anderen fünf reisten auf einem Handelsschiff ab Genua (7. 5. 1470) zunächst nach Tunis (24. 5.) und dann über Kreta nach Alexandria (Ankunft am 17. 7.). Auf der Route 46 Zur Familie Adorno und zur Jerusalemkapelle vgl. SCHNEIDER, S.97 ff . <?page no="81"?> 71 über den Sinai und das Katharinakloster erreichten die Pilger das Heilige Land und fuhren von da, nach Aufenthalten in Damaskus und Beirut, zurück nach Italien und nach Brügge (Ankunft am 3. 4. 1471). Hier redigierte Jean seine Tagebuch-Aufzeichnungen und kehrte anschliessend zu seinen Studien nach Pavia zurück, währenddem Vater Anselme den fertigen Bericht dem König von Schottland als Bericht-Auftraggeber und Gönner der Expedition übergab. Der lateinisch geschriebene Text ist in zwei verschiedenen Manuskriptfassungen überliefert, denn Sohn Jean überarbeitete den Bericht im Jahr 1510 und erweiterte ihn um einige persönliche Erinnerungen, als Kanoniker in Lille, acht Monate vor seinem Tod. 47 Es existiert im übrigen ein weiterer Bericht von derselben Expedition in flämischer Sprache. Autor ist ein gewisser Romboudt de Doppere, der zwar nicht in eigener Person mit dabei war, aber die Tagebuchnotizen eines ungenannten Begleiters der Adornos ausschrieb. 48 JACQUES HEERS/ GEORGETTE DE GROER (Ed.lat . und frz.), Itineraire d'Anselme Adorno en Terre Sainte (1470 - 1471), Paris 1978 (Sources d'Histoire Medievale Publiees par ! 'Institut de Recherche et d'Histoire des Textes). Sebald Rieter jun. und Hans Tucher (Jerusalem: 1479- 1480) Ganz ähnlich wie mit den Adornos in Brügge verhält es sich mit den Patrizier- und Pilgergeschlechtern der Rieter und Tucher im spätmittelalterlichen Nürnberg. "Über die Nürnberger Familien Pfinzing, Haller, Muffel, Rieter oder Tucher ist viel geschrieben worden. Die Pilgerfahrten gehörten bei ihnen offensichtlich ebenso zur Familientradition und gesellschaftlichen Pflicht wie die Anteilnahme am künstlerischen und literarischen Leben der Stadt.',4 9• Die miteinander eng befreundeten Nürnberger Kaufleute Sebald Rieter (1488+) und Johannes Tucher (1428 - 1491)sind nicht nur gemeinsam gepilgert, sondern haben auch gemeinschaftlich ihre Tagebuchaufzeichnungen redigiert. Sie sind wohl nicht in erster Linie als arme Sünder, sondern sehr bewusst als wohlhabende Patrizier auf die Reise gegangen; dies lässt sich schon aus der Tatsache ableiten, dass Sebald Rieter seinen persönlichen Koch mitnahm. 47 Zu der Frage, ob die längere zweite Berichtversion erst kurz vor Jean Adornos Tod entstand und nicht eventuell sogar die ursprüngliche war, die dann zur offiziellen Berichtversion zurechtgestutzt wurde, vgl. HENRI PLATELLE, Le pelerinage en Terre Sainte d'Anselme Adorno (1470-1471) d'aprcs un ouvrage rcccnt, in: Melanges de Science rcligieusc 39, 1, 1982,S.21 f. 48 PLATELI..E, S.23. Die Herausgeber von 1978nehmen demgegenüber an, es handle sich hier um eine flämische Übersetzung des Adorno-Textes. 49 HIPPLER, S.90. <?page no="82"?> 72 Leicht unterschiedlich nahmen die beiden Freunde ihren offenbar stillschweigenden Auftrag als Pilgerratgeber wahr: Während Rieter am Ende seines Berichts ein detailliertes Ausgabenverzeichnis aufführt, liefert Tucher im Anhang neben explizit formulierten Reisetips eine Liste der Entfernungen zwischen allen "christlichen Königreichen" nach. Die Route nach Santiago de Compostela ist dabei mit inbegriffen. Das Reisetagebuch des Hans Tucher ist ausführlicher und vermerkt auf bestimmten Strecken jeden einzelnen Tag, angefangen vom 6. 5. 1479 (Abreise von Nürnberg) bis zur erneuten Ankunft in Venedig am 17. 3. 1480. Die Pilger reisten auf der "Normalroute" über Venedig und Jaffa nach Jerusalem und weiter über die Stationen Gaza und Sinai nach Kairo und Alexandria. Zumindest Sebald Rieter stammt aus einer Familie mit einer Pilger - Tradition, die mehrere Generationen überdauerte. Sein Grossvater Peter besuchte 1428 Santiago de Compostela und 1436 (gemeinsam mit Gabriel Tetzel) Jerusalem. Sein Vater Sebald war 1462 in Santiago und nur zwei Jahre später ebenfalls in Jerusalem. Und alle schrieben sie mehr oder weniger ausführliche Berichte über ihre Reisen, so dass sich das schriftstellerische Werk der Familie schliesslich zu einer eigentlichen familiären Reisechronik verband. Der Pilgerbericht Johannes Tuchers hat in Manuskripten und frühen Wiegendrucken (sechs Ausgaben erfolgten noch vor 1500) weite Verbrei tung gefunden. Auch der Abdruck in Sigmund Feyerabends Reise-Enzyklopädie von 1584 hat zum Ruhm der Schrift beigetragen - und ausserdem dafür gesorgt, dass der Text sowohl in inhaltlicher wie formaler Hinsicht auf die spätere deutsche Pilgerliteratur nachweislichen Einfluss hatte. Als Gemeinschaftswerk, analog zum Rieter'schen Reisebuch, hat die Familie Tucher übrigens ein "Memorialbuch" hinterlassen, eine Chronik der wichtigsten familiären und gesellschaftlichen Ereignisse aus den Jahren 1386 bis 1499. REINHOID RÖHRICHl'/ HEINRICH MEISNER (Ed .), in: DIES., Das Reisebuch der Familie Rieter, Tübingen 1884 (BLVS 168), S.36-149. - ERHARD PASCHER (Ed.der Ausgabe Strassburg 1484 im Faksimile), Das Reisebuch des Hans Tucher, Klagenfurt 1978 (armarium 3). <?page no="83"?> 73 Hinrieb Dunkelgud (Santiago: 1479) Über den Kaufmann aus Lübeck sind wir hauptsächlich aus dem von ihm selbst geführten Geschäftstagebuch unterrichtet. Es handelt sich dabei um eine zu persönlichen Zwecken angelegte Materialsammlung, die "... Waarennamen, Waarenpreiseund Handelsgeschichtliches allerArt" in sich vereinigt. Angefangen wurde dieses "Memorial- oder Geheim-Buch" aus Anlass von Hinrieb Dunkelguds Wallfahrt nach Santiago de Compostela im Jahre 1479, und es findet sich darin ein unmittelbar vor der Reise aufgesetztes Testament, als dessen Vollstrecker Dunkelguds Braut in spe sowie ihr Vater bestimmt sind. Die Hochzeit fand wenige Wochen nach der Rückkehr des Pilgers im Oktober 1479 statt aus den kargen Daten zum Wallfahrtsverlauf selbst lässt sich eine Reisedauer von etwa fünf einhalb Monaten (2. 2. bis ca. 21. 7.) herauslesen. Was sonst zur Person des pilgernden Geschäftsmannes bekannt ist: Dunkelgud stammte aus der Nähe Lübecks und kam in jungen Jahren vom Land in die Stadt, um hier bei einem Krämer die Lehrzeit zu absolvieren. Vom Lehrling brachte er es durch Fleiss und Geschäftstüchtigkeit zum Teilhaber und schliesslich zum Inhaber des Geschäftes. Im Anschluss an Santiagowallfahrt und Heirat fand Dunkelgud Eingang in die etablierten Kreise Lübecks, er erhielt das Bürgerrecht der Stadt, trat in die Leichnams-Brüderschaft der ortsansässigen Krämer ein, hatte seinen eigenen Sitz in der Lübecker Jacobi-Kirche inne und trat verschiedentlich als Stifter guter Werke in Erscheinung. In dem Geschäftstagebuch findet sich die glänzende Laufbahn des Krämers im Detail dokumentiert: Schon 1480 konnte Hinrieb Dunkelgud seinen Laden auf drei benachbarte Häuser ausdehnen, und 1489 kam eine weitere Filiale hinzu (sie wurde allerdings 1509 wieder verkauft). Der letzte geschäftliche Eintrag datiert vom 12. 11. 1517, eine letzte Testamentfassung aus dem Jahr 1519. Über die Reise, die den Anstoss zu Dunkelguds Tagebuchnotizen gab, ist aus dem Text nur Fragmentarisches zu erfahren. Als Etappenorte sind Hamburg, Brüssel sowie auf der Heimreise Hannover (alles grosse Handelsumschlagplätze) auszumachen; als Reisebegleiter genannt ist ein gewisser Hans Sledom. Die Eintragungen lassen immerhin erkennen, dass der Lübecker Santiagopilger unterwegs geschäftliche Interessen verfolgte und wahrnahm. Vazquez' Annahme, wonach Dunkelgud seine "motivos religiosos y mercantiles" in idealer Weise zu verbinden wusste, ist' demzufolge nicht von der Hand zu weisen. WILHELM MANfELS (Ed.), Aus dem Memorial- oder Geheim Buche des Lübecker Krämers Hinrieb Dunkelgud, in: DERS., Bcitrligc zur lübisch-hansischen Geschichte, Jena 1881,Kap. 9, S.1-23. <?page no="84"?> 74 Eustache de la Posse (Santiago: 1479 - 1480) Ähnlich wie sein norddeutscher Berufskollege Hinrieb Dunkelgud wusste der flämische Handelsmann Eustache de la Posse aus Tournai unterwegs nach Santiago de Compostela das Andächtige mit dem Nützlichen zu verbinden. Allerdings waren die Umstände anders, und auch der Bericht von der kombinierten Geschäfts- und Pilgerreise entstand unter anderen Bedingungen. Nicht als Wallfahrer, sondern in seiner beruflichen Eigenschaft als Sklavenhändler geriet Eustache de la Posse im Jahr 1479 vor der spanischen Küste in portugiesische Gefangenschaft. Er hatte es unterlassen, eine portugiesische Handelslizenz zu lösen, ein Vergehen, welches in diesen scharfbewachten Grenz- (und Konkurrenz- )Gewässern mit drastischen Strafen geahndet wurde. Zum Tode verurteilt, landete Eustache in Alcacer do Sal im Kerker, doch konnte er sich nach einer abenteuerlichen Flucht auf spanisches Hoheitsgebiet retten. In seinem Reisebericht zählt er sich fortan zu den "pelerins", und das nicht ohne Grund: Durch sein Missgeschick und den damit verbundenen Verlust sämtlicher Waren und Einnahmen vollkommen mittellos geworden, war er fortan ganz wie ein armer Pilgerbruder auf die Mildtätigkeit der Wirtshäuser und Herbergen entlang der grossen Reisewege angewiesen. Und er hatte Glück: Ein flämischer Landsmann, der nicht weiter allein reisen wollte, nahm sich seiner an und versprach, bis zur gemeinsamen Heimkehr für ihn aufzukommen. Eine Bedingung war an das grosszügige Angebot geknüpft: Eustache sollte nach Santiago de Compostela mitkommen. Als ein (eher widerwilliger) Reisebegleiter also verbrachte Eustache de la Posse den Jahreswechsel 1479/ 1480 in Santiago, um anschliessend so rasch als möglich zu seinen Geschäften in Tournai zurückzukehren. Von dem ausführlichen Abenteuerreisebericht dieses aus purer Not zum Pilger gewordenen flämischen Handelsreisenden hat sich in Valenciennes eine Abschrift aus dem Jahr 1548 in französischer Sprache erhalten. Eustache de la Posse erwähnt selber einmal einmal die Entdeckungsreisen des Amerigo Vespucci die Abfassung des Berichts dürfte also erst rund vierzig Jahre nach den denkwürdigen Geschehnissen jener Jugendtage stattgefunden haben. RFOULCHE-DELBOSC (Ed.), Eustache de la Posse, Voyage ä la cOte occidentale d'Afrique, en Portugal et en Espagne (1479-1480), in: Revue Hispanique 4, 1897, S.174-201. <?page no="85"?> 75 Felix Fabri (Jerusalem: 1480 und 1483 - 1484; Geistliche Pilgerfahrt 1492) Man ist sich in bezug auf den weitgereisten Ulmer Mönch und Prediger einig: Sein Reisekompendium ist bis heute "... le recit le plus complet de l'experience d'un pMerin" 50 geblieben, und der Autor darf zu Recht als der eigentliche "Proust of the Genre" 51 gelten. Felix "Fabri" (1438 oder 1441 - 1502) war Abkömmling eines adligen Zürcher Patriziergeschlechts, verlor als Fünfjähriger seinen Vater im Alten Zürichkrieg und war von da weg schlecht auf die Eidgenossen zu sprechen. Aufgewachsen in Diessenhofen bei Schaffhausen und auf der Kyburg bei Winterthur, 52 nahm Felix Schmid anno 1452 im Basler Dominikanerkloster das Studium der Theologie auf und trat 1468 ins Predigerkloster von Ulm ein. Hier wurde er Lesemeister und Generalprediger. Zweimal bereiste der Mönch, der auch sonst in Konventsangelegenheiten viel unterwegs war (1476 beispielsweise in Rom), das Heilige Land. Die erste Reise 1480 (mit nur neuntägigem Aufenthalt in Jerusalem) scheint den engagierten Pilger keineswegs befriedigt zu haben; dies um so mehr, als eine von ihm gelobte Reise nach dem Katharinakloster auf Sinai nicht zustande kam. Zwar boten sich zwei Engländer als Reisebegleiter an, doch sie waren leider der deutschen Sprache ebensowenig mächtig wie er der englischen. Hierauf schloss er sich als palästinakundiger Kaplan im April 1483 einem adeligen Pilgerquartett an, welches gegen Rat und Gebet für seinen Lebensunterhalt unterwegs aufzukommen versprach. Die Route folgte dem bekannten Pilgerweg über Venedig und die Küstenstädte des Balkan sowie die Ägäis-Inseln nach Jaffa. Dem (mehr als vierzigtägigen) Aufenthalt in Jerusalem mit zahlreichen Ausflügen schloss sich diesmal die langersehnte Weiterreise in den Sinai und nach Ägypten an . Im Januar 1484 kehrte Felix Fabri nach Ulm zurück. Von 1485 datiert ein im Evagatorium erwähnter Besuch bei Niklaus von der Flüe in der Innerschweiz. Eventuell plante Fabri eine dritte Reise in den Orient; auf diese Absicht schliessen lässt eine Pilgerlizenz, die am 21. Oktober 1489 auf seinen Namen ausgestellt wurde. 53 Gestorben ist Felix Fabri zuhause im Ulmer Predigerkonvent am 14. März 1502 - und in seiner Pilgertracht bestattet worden. Bemerkenswert an der literarischen Tätigkeit des vielgereisten Mönchs ist sein Bemühen, den Ansprüchen seiner Leserschaft umfassend Genüge zu tun. Das drückt sich in der Quantität des überlieferten Werks ebenso 50 RICHARD, Les recits, S.21. 51 HOWARD, S.38. 52 Die biographischen Angaben nach A.DUV AL in DHGE 16, Sp.326; nach KHATIAB, S.33,wäre von Schloss Kiburg in Österreich die Rede. 53 A.DUV AL im DHGE 16, Sp.328. <?page no="86"?> 76 aus wie in dem Ehrgeiz, die verschiedenen Geschmäcker diverser Zielpublika individuell zu befriediegen. Mit nur einem Buch hätte sich Fabri ebensowenig zufriedengegeben wie mit nur einer Reise. Von der ersten J erusalemfahrt hat sich ein schmales Pilgerbüchlein in Versen erhalten, dessen Fazit nach Resignation klingt: "Nu bhiet dich Got, du holge statl/ nit werd ich dich sehen im zit all min lebtag." Der zweiten Fahrt voraus gingen offenbar minutiöse Studien zum Thema; Fabris profundes Wissen schlägt sich in nahezu jedem Satz seines 1'500 Seiten starken Hauptwerks, des um 1494 vollendeten und in zehn Handschriften überlieferten dreibändigen Evagatoriums in lateinischer Sprache, nieder. 1492, noch vor der Fertigstellung des Evagatoriums, erschien (ebenfalls handschriftlich) Fabris "Sionspilgerin", eine stark stilisierte und mit meditativen Gebetsbetrachtungen durchsetzte Pilgerfahrt im Geiste, die der Prediger anonym auf die Bitte einiger sächsischer Nonnen hin verfasste. Mit inbegriffen ist hier die Pilgerfahrt nach Rom und nach Santiago de Compostela, und die Darstellung der Reise-Etappen legt die Vermutung nahe, Felix Fabri habe auch die Jakobswege aus eigener Anschauung kennengelemt. 54 Ebenfalls aus einer Auftragsarbeit resultierte schliesslich die deutsche "Kurzfassung" des Evagatoriums, vollendet wohl noch vor 1494 und geschrieben für Fabris adelige Reisebegleiter und Gönner. Dieses handlichere Buch, unter etwas anderen Interessensschwerpunkten als das Evagatorium zusammengestellt, fand weite Verbreitung und erschien zwischen 1556 und 1663 in sechs oder sieben Druckausgaben, unter anderem auch in Sigmund Feyerabends "Reyssbuch". Felix Fabri war nicht nur Reiseschriftsteller. Ein ursprünglich als Schlussteil des "Evagatorium" geplanter Exkurs zu Fabris Wahlheimat Ulm wuchs sich zu einem eigenständigen Werk mit dem Titel "Descriptio Theutoniae, Sueviae et civitatis Ulmensis" aus. In seiner Eigenschaft als Prediger verfasste er diverse religiöse Abhandlungen und Traktate (eines handelte "Von dem regiment der andechtigen witwen"), und überdies gab er 1482 die Schriften des Mystikers Heinrich Seuse heraus. KONRAD DllITRICH HASSLER (F.d.), Fratris Felleis Fabri Evagatorium in Terrae Sanctae, Arabiae et Egypti peregrinationem, 3 Bde, Stuttgart 1843 • 1849 (BLVS 2-4). • Ejgentliche beschreibung der hin unnd wider farth zu dem Heyligen Lanndt gen Jerusalem/ und furter durch die grosse Wüsteney zu dem Heiligen Bergk Horeb Sinay/ darauss zu vcmemen waswunders die Pilgrin hin und wider auff Land und wasscr zu erfahren und zu besehen haben/ Uber die mass kurtzwcilig und luostig zu lesen/ sonderlich denen so der Heiligen schrifft ettwas erfahrn sein/ Vormals im druck nie dergleichen aussgangen, Ulm 15S6. - R.RÖHRIClIT/ HEINRICH MEISNER (F.d.), Felix Fabris Sionspilgerin, in: Dies., Deutsche Pilgerreisen, S.278-296 (Auszüge).· ANTON BIRLINGER (F.d.), Bruder Felix Fabers gereimtes Pilgerbüchlein, München 1864. 54 Dahingehend äussert sich etwa ROBERT PLÖT'Z in: Santiago de Compostela, 1000 ans de ~lerinage, S.249. <?page no="87"?> 77 Pierre Barbatre und Santo Brasca (Jerusalem: 1480) Im Jahr 1480 wurde Rhodos von den Türken belagert, und die unsichere Lage im östlichen Mittelmeer hielt viele potentielle J erusalempilger von ihrem Vorhaben ab. Nur ein Pilgerschiff mit etwa 60 Heiliglandfahrern an Bord brach in diesem Frühling von Venedig auf; unter ihnen waren nicht weniger als vier künftige Berichterstatter . 55 Neben Felix Fabri und einem namentlich nicht bekannten Kleriker aus Paris 56 haben ein weiterer französischer Geistlicher namens Pierre Barbatre und der Mailänder Edelmann Santo Brasca ihre Reiseeindrücke schriftlich festgehalten. Pierre Barbatre (ca. 1425 *) war Priester im französischen Vernon und führte sein Reisetagebuch allem Anschein nach zum Eigengebrauch. Der Name ist spanischer Herkunft und war zu jener Zeit in Frankreich recht verbreitet mehr ist über den Verfasser ebensowenig herauszufinden wie über die "Wirkungsgeschichte" seines Werks . Das Originalmanuskript wurde erst kürzlich, 1972, aufgefunden (was zur Annahme berechtigt, dass wohl auch heute noch etliche bisher unentdeckte Pilgerschriften ihren Dornröschenschlaf in irgendwelchen verstaubten Archiven träumen). Santo Brasca (1444/ 45 - 1522/ 23) war ein einflussreicher Mailänder Beamter und trat verschiedentlich als Diplomat in Diensten der Sforza an die Öffentlichkeit; einige Briefe von seiner Hand haben sich erhalten. Nach dem Tod des Bruders Erasmus anno 1502liess Santo Brasca für sich und seine Familie eine Allerheiligen-Kapelle in der Mailänder Euphemia- Kirche bauen. Die zwei Inschriften, die er anbringen liess, geben in schöner Weise sein Selbstbild wieder, dasjenige eines "... magnificus eques aureatus", eines gottesfürchtigen "... Hierosolymamperegrinatus",der "in utraque / ingua",in allen Sprachen, bewandert sein will. Jedenfalls konnte er anders als sein vielseitig gebildeter Mitpilger Felix Fabri neben Lateinisch auch Griechisch. 57 Seinem Pilgerbericht hat Santo Brasca denjenigen seines Vorläufers Gabriele Capodilesta aus Padua zugrunde gelegt. Auch die aus Gebeten und Gesängen gebildete Pilgerliturgie, die den Berichttext von Stätte zu 55 Eine eingehende Vergleichsstudie zu den vier Berichten hat ARNOLD ESCH vorgelegt: Gemeinsames Erlebnis individueller Bericht, Vier Parallelberichte aus einer Reisegruppe von Jerusalempilgern 1480, in: ZHF 11, 1984, S.385-416. 56 Der 1517 erstmals gedruckte und 1882 neu edierte Bericht des französischen Geistlichen bleibt hier unberücksichtigt. Vgl. CHARLES SCHEFER (Ed .), Le Voyage de la saincte cyte de Hierusalem ..., Paris 1882. Dazu MICHEL ZINK, Pourquoi raconter son voyage? Debuts et prologues d'une chronique de la Croisade, in: Senefiance 2, 1976, S.248-253; ESCH, Gemeinsames Erlebnis, S.391; ZRENNER, S.36-40, und die Angaben im Anhang. 57 Zu den Inschriften vgl. Einleitung von ANNA LAURA MOMIGLIANO LEPSCHY (Ed.Brasca/ Capodilesta), S.23; zu Felix Fabris offensichtlicher Unkenntnis des Griechischen vgl . FEILKE, S.41. <?page no="88"?> 78 Stätte begleitet, stammt aus dieser Quelle. Der in zwei Manuskripten (Mailand und Venedig) erhaltene Text dürfte bereits in der Absicht einer späteren Veröffentlichung konzipiert worden sein, lag er doch schon 1481 gedruckt vor. Weitere Editionen folgten 1497 und 1519. PIERRE TUCOO-CHALA/ NOEL PINZUTI (Ed.), Le voyage de Pierre Barbatre ä Jüusalem en 1480, in: Annuaire - Bulletin de la Societe de l'histoire de Prance, annees lm-1973, Paris 1974, S.73-172.- ANNA l.AURA MOMIGLIANO LEPSCHY (Ed.), Viaggio in Terrasanta di Santo Brasca, Mailand 1966 (I cento viaggi 1) (Text: S.45- 150). Bernhard von Breydenbach und Paul Walther von Guglingen (Jerusalem: 1483 -1484) Auch auf Fabris zweiter Palästinareise war der Ulmer Mönch nicht der einzige, der sich zum Zweck einer Berichtabfassung emsig Notizen machte. Dieses Mal waren es zwei Pilgerschiffe, und mindestens fünf Reiseteilnehmer dokumentierten die Expedition. Allerdings gehörte der flämische Ritter Joos de Ghistele nicht direkt zur Pilgergesellschaft, sondern war auf eiene Faust und eigenwilliger Route vier Jahre lang im Orient unterwegs, und Georg von Gumppenberg beschränkte seine Ansichten von unterwe~ auf die kurze Wiedergabe eines vorgefertigten Jerusalem- Pilgerführers. 9 Als "geschlossene Gesellschaft" könnte man die Gruppe der deutschen Pilger bezeichnen, denn sie reiste von Aufbruch bis Ankunft gemeinsam und auch auf demselben Weg zurück. Unter ihnen eines der prominentesten Mitglieder war der Mainzer Domdekan Bernhard von Breydenbach (ca.1440 - 1497), ein Spross aus altem oberhessischem Adel (derer von Breydenbach zu Breidenstein bei Biedenkopf an der Lahn), der in seiner Jugend Kanoniker am Domstift zu Mainz war und nach Studium und Doktorat in Jurisprudenz sowohl in weltlich-fürstlichen wie in geistlichbischöflichen Rechtsinstituten zu Ämtern, Würden und Pfründen kam. Die Pilgerreise unternahm er in Gesellschaft eines gleichfalls einflussreichen Mannes: Graf Johann von Solms-Lich war seit 1477 regierender Fürst zu Hessen. Zur Mainzer Pilgergesellschaft gehörten ausserdem als 58 Die Ausgaben: Le voyage en Orient de Josse van Ghistele, in: Revue Generale de Bruxelles, 37, 1883, S.723-764, und 38, 1884, S.46-71 und 193-210; Büchergilde "Die Poorte•, Voyage naar den Lande van Belofte (1481-1485), Antwerpen 1936; schliesslich RENEE BAUWERS-PREAUX (Ed.frz.), Joos van Ghistele, Voyage en Egypte, 1482- 1483, Paris 1976 (Voyageurs occidentaux en Egypte 16) (Berichtteil Ägypten, aus dem Flämischen übersetzt). Dazu: Sf.GENOIS, 1, S.155-193; zwei Beiträge in: The Geographical Journal 83, 1934, S.410-415,und 85, 1935, S.108 f.; ferner ZRENNER, S.70- 73, und die weiteren Angaben hinten im Anhang. 59 Vgl. RÖHRICHT/ MEISNER (Ed.), Deutsche Pilgerreisen, S.115-119. <?page no="89"?> 79 Begleiter des Fürsten der Ritter Adam von Bicken sowie als Begleiter des Domdekans mit künstlerischem "Sonderauftrag"der Utrechter Maler und Buchdrucker Erhard Reuwich. Die wesentlichen Daten der Expedition: 25. 4. 1483 ab Mainz, über Speyer, Ulm und Innsbruck nach Venedig. Hier Einschiffung am 1. 6. Über Parenzo, Korfu, Modon, Rhodos und Zypern ging es nach Jaffa (Ankunft am 7. 7.). Währenddem die meisten Pilger nach dem üblichen zehntägigen J erusalemaufenthalt auf demselben Weg zurückreisten, blieben einige, unter ihnen Breydenbach und Fabri, vier Wochen, um die Weiterreise ins Land der Pharaonen und des Alten Testamentes vorzubereiten. Erst in Jerusalem stiess der Franziskaner Paul Walther (ca. 1422 *) aus Guglingen (Güglingen) zu der deutschen Pilgergruppe. Er stammte aus einfachen Verhältnissen, trat mit 18 Jahren der Bruderschaft vom Heiligen Grab bei und wurde mit 36 Jahren in den Franziskanerorden aufgenommen. Als er 1481 zu einer Reise ins Heilige Land aufbrach, war er 60 Jahre alt. Mehr als ein Jahr hielt er sich in Jerusalem bei den Brüdern des Sionskloster auf, bevor er sich der Gesellschaft von Breydenbach und Fabri anschloss, um mit ihnen über die Route via Sinai und Ägypten heimzukehren. Was wir über den palästinakundigen Klosterbruder nicht aus seinen eigenen Aufzeichnungen oder aus denjenigen seiner Mitpilger Breydenbach und Fabri erfahren, bleibt leider im Dunkeln, insbesondere Ort und Datum und Umstände seines Todes. Das einzige Manuskript von Paul Walthers Heiliglandbeschreibung ist erst gegen Ende des letzten Jahrhunderts ins Blickfeld der Palästinaforschung geraten. Es handelt sich um einen im bayerischen Neuburg aufbewahrten Codex von 369 Seiten, wovon 122 Seiten das eigentliche Itinerar mit persönlichen Bemerkungen und Selbstreflexionen des Autors beinhalten. Es folgen Abhandlungen offizieller Natur über die Erschaffung der Welt und die Geschichte des jüdischen Volkes, die Geschichte von J esu Wirken und Leiden unter Einbezug der entsprechenden Örtlichkeiten, eine Geschichte der Stadt Jerusalem vom Jahr Null bis ins 15. Jahrhundert, eine Zusammenstellung der verschiedenen Glaubensbekenntnisse in Jerusalem und zum Schluss eine geographische Auflistung der Nationen im übrigen Orient. Die Sprache ist Latein. In der bisher einzigen Ausgabe sind die Ortsskizzen des Mönchs wiedergegeben, nicht aber die in der Handschrift enthaltenen fremdsprachigen Alphabete; die dem Itinerar folgenden Traktate sind stark gekürzt worden. Im Gegensatz zu Paul Walthers Text sollte der Pilgerbericht des Mainzer Domherrn weite Verbreitung finden: Nicht weniger als zwölf Druckfassungen in fünf verschiedenen Sprachen sind aus den Jahren zwischen 1486 und 1522 überliefert. Man darf annehmen, dass Breydenbach die Reise bereits in der Absicht einer späteren Berichtveröffentlichung ange- <?page no="90"?> 80 treten und den Utrechter Künstler Erhard Reuwich von vornherein mit der Anfertigung der Illustrationen beauftragt hat. Tatsächlich sind Reuwichs Howchnitte und insbesondere die vor Ort entworfenen Stadtansichten weit über den Popularitätsgrad des zugrundeliegenden Berichts hinaus berühmt geworden. Redaktor des Werks war ein Theologe, der Heidelberger Dominikaner Martin Roth . Ihn macht man im wesentlichen für den Ausbau von Breydenbachs Tagebuchnotizen zu einem eigentlichen Pilgerlexikon verantwortlich. Bernhard von Breydenbach seinerseits verfasste neben dem Reisetagebuch eine kleine Reise-Instruktion auf Wunsch eines jungen Grafen und angehenden Pilgers. MATIHIAS SOllWECK. (Ed.), Fratris Pauli Waltheri Guglingensis Itinerarium in Terram Sanctam et ad Sanctam Catharinam, Tübingen 1892 (BLVS 192) (Itinerar vollständig, sonst gekürzt). - SIGMUND FEYERABEND (Ed.dt.), Beschreibung der Rheyscunnd Wallfahrt, so derwolgebome Herr, Herr Johann, Graffzu Solms etc., im Jhar nach Christi Geburt 1483,vollnbracht, wie solches von ehmgemeltem herm von Breitenbach sclbs schriftlich vcrfassett und an tag geben, in: Rcyssbuch, Frankfurt 1584,fol.50a-122a(ohne die Hob: schnitte). Konrad von Grünemberg (Jerusalem: 1486) Der Patrizier und Politiker aus Konstanz am Bodensee hat ein paar Jahre vor seinem Reisebuch, 1483, ein handschriftliches Wappenbuch mit Abbildungen von rund 2'000 Adels- und Familienwappen verfasst. Standesbewusst, wie er war, brachte "Cunrat Grünenberg der jung" das Kunststück fertig, aus der Zunft seines Vaters aus- und in die ehrenwertere Konstanzer Gesellschaft "auf der Katze" überzutreten. Ab 1485 erscheint er in den Ratsbüchern als Ritter, wurde also noch vor seinem Heiliggrabbesuch mit der Ritterwürde ausgezeichnet. 60 Konrads Pilgerfahrt dauerte vom 22. 4. 1486 (ab Konstanz) bis zum Winter desselben Jahres (am 16. 11. Ankunft in Venedig) und führte nur gerade nach Jerusalem und zurück, bei 13 Tagen Aufenthalt in der Stadt und Umgebung. Noch drei Mitreisende schrieben unabhängig voneinander einen Pilgerbericht, nämlich Girolamo Castiglione, 61 ein Georges Lengherrand 62 und ein anonymer Pilger aus Rennes. 63 60 Vgl. dazu WINFRIED SI'ELZER in: 2verfasscrlcxikon 3, S.288. •... vielleicht wurde er anlässlich des Besuches Friedrichs m. in Konstanz im August 1485 zum Ritter geschlagen.• 61 Nur ein Frühdruck: W.SCHOMBERGER (Ed.), Fior de Terra Santa, Messina 1499. Dazu GAETANO OLIVA, Di due cdizione Mcssincsc, in: Archivio storico Siciliano, 2.scr. 17, 189? ,S.312-332; F.RAIMONDINO, Un incunabolo rarissimo, II Fiorc de Terra Santa di Girolamo Castiglione (1486),Palma di Mallorca 1942. 62 Eine Ausgabe bis heute: Lc marquis GODEFROY DE MENILGLAISE (Ed.), Voyage de Georges Lcngherrand, maycur de Mons en Haynaut, a Venisc, Rome, Jerusalem, Mont Sinai et le Kayrc, Mons 1861 (Societe des bibliophiles Belges seant ä Mons 19). <?page no="91"?> 81 Die Palästina-Pilgerfahrt des Konstanzer Ritters dauerte etwas mehr als ein halbes Jahr: Am 22. 4. 1486 verliess er Konstanz, um nach einem mehrwöchigen Aufenthalt in Venedig und neun Wochen Seereise am 14. 8. Jerusalem zu erreichen; am 17. 8. verliess er Jerusalem bereits wieder und erreichte Venedig am 16. 11. "Summa ausgewesendreiunddreissig Wochen"so endet Konrads Bericht. Der Text ist 1487 fertiggestellt worden, hat sich in zwei handschriftlichen Versionen sowie einer Aargauer Abschrift von 1568 erhalten und ist in diesem Jahrhundert in einer neudeutschen Umsetzung ediert worden. Schwarzweiss wiedergegeben finden sich darin auch einige der schönen, zum Teil von Erhard Reuwich inspirierten Federzeichnungen des Autors. Ein Bild von ihrem Originalzustand machen kann man sich, indem man die Santo Brasca/ Capodilesta-Edition von Anna Laura Momigliano Lepschy zur Hand nimmt; hier finden sich einige von ihnen zu Illustrationszwecken farbig reproduziert. 64 JOHANN GOI..DFRIEDRICH/ WALTER FRÄNZEL (Ed.neudt.), Ritter Grünembergs Pilgerfahrt ins HeiligeLand 1486,Leipzig o. J. (1912) (Voigtländers Quellenbücher 18). Francesco Suriano (Jerusalem: ev. 1462, 1481- 1484 und 1493 - 1515) war nicht nur selbst ein (mehrmaliger) Jerusalempilger, sondern gehörte in seiner Eigenschaft als langjähriges Oberhaupt der Jerusalemer Monte- Sion-Kongregation ebenso zur "anderen Seite" der von den Franziskanern gestellten Wallfahrts-Infrastruktur im Heiligen Land. In seiner Hand und Verantwortung lag während zweier Amtszeiten das Wohl der westeuropäischen Pilgergesellschaften, eine Tatsache, die Francesco Suriano als ausserordentlichen Heiliglandkenner ausweist, bei der Untersuchung seines literarischen Werks aber auch entsprechend berücksichtigt werden will. Für das hohe Amt profilierte sich der Sohn einer adeligen venezianischen Handelsfamilie (1450 ca.1529) durch die zahlreichen Reisen, die er bereits in früher Jugend auf dem Handelsschiff seines Vaters unternahm und die ihn unter anderem auch (im Jahr 1462) in den Nahen Osten führten. Die auf diese Weise erworbenen Griechisch- und Arabischkenntnisse Dazu: FJ.Mone's Anzeiger für Kunde der teutschen Vorzeit 1835, S.273 ff.; ST.GENOIS, 1, S.33-34; ZRENNER, S.74-79. 63 Vgl. BEATRICE DANSEITE (Ed.und trad.), Anonyme de Rennes, in: DIES., Les ~lerinages occidentaux en terrc sainte ..., in: AFH 1979, S.330-428.Dazu: MORIN in: Rewe des soci~t6s savantes, ser.2, 4, 1860,S.235-246; AlAIN SURDEL, Oultremer, in: Senefiance 11, 1982,S.323-339. 64 Vgl. MOMIGLIANO LEPSCHY (Ed.Brasca/ Capodilesta), Tafeln 31-34 und Titelblatt farbig, Tafeln 8-12, 14-15,20 und 25-27schwanwciss. <?page no="92"?> 82 dürften mit ein Grund gewesen sein, dass Suriano, der mit 25 Jahren dem Franziskanerorden beitrat, von 1481 bis 1484 als Vorgesetzter in den Konvent nach Beirut berufen wurde. Von hier aus reiste er des öfteren geschäftlich nach Jerusalem. Heimgekehrt ins Kloster Piscignano in Umbrien, schrieb er auf Bitten seiner Schwester, die ihrerseits Klarissin in Foligno war, eine erste Fassung seines "Trattato" nieder. 1493 reiste er, diesmal als Guardian des Sionsklosters, erneut ins Heilige Land und blieb hier mehrere Jahre. Er besuchte 1494 das Katharinakloster auf der Halbinsel Sinai, predigte 1505 in Kairo vor der venezianischen Handelskolonie, geriet hier zwischen 1510 und 1512 in den portugiesisch-türkischen Auseinandersetzungen als Geisel zeitweilig in Gefangenschaft und kehrte endlich, nach der Niederschrift einer zweiten Berichtfassung, im Jahr 1515 endgültig nach Umbrien zurück. Hier überarbeitete er seine Textvorlage ein weiteres Mal, bevor er 1524 die Drucklegung seines Heiliglandbuches an die Hand nahm. Surianos "Trattato di Terra Santa e dell'Oriente" basiert zwar im wesentlichen auf der Orientreise, die der Mönch 1481 bis 1484 unternahm, jedoch weiten sich die einzelnen Reiseabschnitte zu Exkursen mit stark reflexivem Charakter aus. Ungewöhnlich ist die dramaturgische Form dieser Exkurse: Es handelt sich um fingierte Dialoge zwischen Bruder und Schwester. In die umfassende Nahost-Abhandlung mit eingebaut ist auch eine literarische Liturgiefeier zu Ehren der Gottesmutter Maria. Überliefert ist Surianos Text in verschiedenen Fassungen: Der erste Entwurf von 1485 ist in einer Abschrift in Perugia erhalten und eventuell sogar in Venedig gedruckt worden. Der zweite Entwurf von 1514 findet sich, in Francesco Surianos eigener Handschrift übrigens, in Perugia. Eine weitere gleichfalls in Jerusalem entstandene Fassung ist verschollen, wird aber von Jerusalempilgern des 16. Jahrhunderts zitiert. Die autorisierte Druckfassung des Jahres 1524 schliesslich hat sich in einem beschädigten sowie einem nahezu vollständigen Exemplar erhalten. Die Ausgabe von Girolamo Golubovich aus dem Jahr 1900 ist schwer zu fassen, weshalb die Belegstellen künftig zusätzlich in der leichter zugänglichen englischen Übersetzung zitiert sein sollen. GIROLAMO GOLUBOVICH (Ed.), Il trattato di Terra Santa e dell'Oriente di Frate Francesco Suriano, Missionario e Viaggiatore de! Secolo XV (Siria, Palestina, Arabia, Egitto, Abissinia ecc.), Edito per la prima volta nella sua integritä su due Codici della Comunale di Perugia e sul testo Bindoni, Mailand 1900 (mit einer ausführlichen Biographie Surianos, SJOCIV-LXII). - THEOPHILUS BELLORINIJEUGENE HOADE (Ed.engl.), Fra Francesco Suriano, Treatise on the Holy Land, Jerusalem 1949(PSBF 8) (mit einem Vo1W0rtvon Bellarmino Bagatti). <?page no="93"?> 83 Pietro Casola (Jerusalem: 1494) begab sich ins Heilige Land just zu der Zeit, als Francesco Suriano Obmann der Franziskaner in Jerusalem war. Die beiden sind sich begegnet, doch zeigt sich Casola im allgemeinen wenig erbaut von der Betreuung durch die franziskanischen Brüder. Der auch sonst mit spitzzüngingen Bemerkungen nicht geizende Jerusalemfahrer (1427 - 1507) gehörte als Priester am Dom von Mailand und langjähriger Gesandter der mailändischen Republik in Venedig zur humanistisch gebildeten intellektuellen Elite der Stadt und ebenso zur lokalen Prominenz. Entsprechendes Aufsehen erregten in Mailand sowohl der Aufbruch des zur Zeit seiner Pilgerfahrt nahezu siebzigjährigen Geistlichen am 14. Mai 1494 wie auch die Wiederkunft ein halbes Jahr später am 14. November. Abweichungen von der üblichen Pilgerroute (Jerusalem retour via Venedig) erlaubte der gedrängte Zeitplan keine. Pietro Casolas Reisebericht, erhalten im Originalmanuskript von der Hand des Autors, hat die ihm zustehende internationale Beachtung bis heute nicht gefunden. Die original italienische Edition von 1855, in limitierten 100 Exemplaren auf den Markt gebracht, ist heute kaum noch aufzutreiben. Die leichter zugängliche englische Ausgabe von 1907 ist schon aufgrund ihrer informativen Einleitung zur Geschichte des venezianischen Pilgertransitwesens lesenswert. Auch zu Casola gibt es übrigens einen Parallelbericht: Ebenfalls 1494 reiste ein Deutscher (ohne Namen, vielleicht Ludwig Freiherr von Greiffenstein) nach Jerusalem und beschrieb seine Reise. Laut Arnold Esch handelt es sich um einen Bericht "von ganz gewöhnlichem Mittelmass." 65 G.PORRO (Ed .), Viaggio di Pietro Casola a Gerusalemme, tratto dall'autografo esistente nella Biblioteca Triwlzio, Mailand 1855 (100 Ex.). - MARY MARGAREf NEWEIT (Ed .engl.), Canon Pietro Casola's Pilgrimage to Jerusalem in the year 1494, Manchester 1907 (Text S.115-345). Hieronymus Münzer (Santiago: 1494 -1495) Der angesehene Arzt, Astronom und Geograph Hieronymus "Monetarius" (ca. 1460 - 1508) stammte ursprünglich aus Feldkirch, studierte Medizin in Pavia, doktorierte im Jahre 1479, erwarb im Jahr darauf das Nürnberger Bürgerrecht, gehörte zum Kreis der humanistisch gebildeter Wissen- 65 Vgl. TH.SCHON (Ed.), Eine Pilgerfahrt in das heilige Land im Jahre 1494, in: Mitteilungen des österreichischen Instituts für Geschichtsforschung 13, 18~ S.435-469 (Ausgabe des Berichtmittelteils ohne Hinfahrt und Schluss). Dazu: RUHRICHT, Deutsche Pilgerreisen, S.183-187; SCHNEIDER, S.44, Anm.2; ESCH, Gemeinsames Erlebnis, S.412-416 (Vergleich mit Casola, hier zitiert S.413.). <?page no="94"?> 84 schafter am Hofe Kaiser Maximilians und muss ein wohlhabender Mann gewesen sein. Seine ausgedehnte Spanien- und Frankreichreise im Jahr 1494 unternahm er, ähnlich wie schon eine längere Rom- und Italienreise anno 1484, in der vordringlichen Absicht, der in seiner Heimatstadt grassierenden Pest, dem "Schwarzen Tod", aus dem Weg zu gehen. Nicht direkt belegt ist ein weiterer möglicher Grund: ein Auftrag seitens des deutschen Kaisers, den spanischen König vom Nutzen einer Erkundungs- und Entdeckungsreise in ozeanische Gefilde zu überzeugen. 66 So oder so - Hieronymus Münzer traf im Januar 1495 mit dem spanischen König Ferdinand zu einer geheimen Unterredung zusammen, und der Verweis auf dieselbe im Reisebericht mündet ein in ein regelrechtes Fürstenlob. In Spanien hielt sich der Pilger und Bildungsreisende aus Nürnberg knappe vier Monate auf, vom 17. 9. 1494 bis zum 9. 2. des folgenden Jahres. Die sorgsam geplante Rundfahrt führte ab Perpignan der Ostküste entlang von Barcelona über Valencia zu den maurischen (Kultur-)Zentren Granada und Sevilla, der Westküste entlang wieder nach Norden über Lissabon nach Santiago de Compostela, dann ins Landesinnere nach Toledo und Madrid und schliesslich nach Zaragoza und Roncesvalles. Der Aufenthalt in Santiago de Compostela dauerte acht Tage, vom 13. bis zum 21. Dezember. Als wesentlich eindrücklicheres Pilgerziel erscheint im Bericht von Hieronymus Münzer Guadeloupe: Während Santiago lediglich mit einigen wenig schmeichelhaften Bemerkungen bedacht wird, beschreibt er hier das Leben der ansässigen Mönche bis in Küchen- und Schlafzimmerdetails. Der Codex, der die Reiseaufzeichnungen des Arztes enthält und aus der Feder seines Freundes Schedel stammt, enthält nebst dem Itinerarium das schon erwähnte Lob des spanischen Königspaares und einen Aufsatz mit dem Titel "De inventione Africae maritimae et occidentalis videlicet genee per infantem Heinricum Portugalliae". 67 Die einzige Edition in der Originalsprache Latein ist 1920 erschienen, gibt aber wie nach ihr auch etliche spanische Übertragungen nur den iberischen Abschnitt der Reise wieder. LUDWIG PFANDL (FA.), Itinerarium Hispanicum Hieronymi Monetarii, 1494-1495, in: Rewe Hispanique 48, 1920,S.1-179(fcxt S.4-144). 66 Der Grund zur Annahme einer Unterredung in diesem Sinne ist ein Aufsatz aus der Feder Hieronymus Münzers, der sich als Zusatz zum eigentlichen Itinerarium erhalten hat und die portugiesischen Entdeckungsreisen jener Tage zum Thema hat. Herausgegeben hat ihn FRIEDRICH KUNSI'MANN (FA.), Hieronymus Münzers Bericht über die Entdeckung der Guinea, mit einleitender Erklärung, in: Abhandlungen der königlich-bayerischen Akademie der Wissenschaften, Hist. KI. 7, 2, München 1854. Vgl. PFANDL (FA.Münzer), S.147-149. 67 Vgl. oben. <?page no="95"?> 85 Hermannus Künig von Vach (Santiago: ca. 1495) Wann dieser mittellose Mönch des Servitenordens seine eigene Santiago- Pilgerfahrt absolviert hat, ist nicht mit Sicherheit festzustellen. Seinen Pilgerführer schöpfte er jedenfalls aus der eigenen Anschauung und Erfahrung und vollendete ihn, fertig zum Druck, am 26. 7. 1495. Die von dem Elsässer im Text empfohlene Route nimmt ihren Anfang in Einsiedeln und führt über Luzern, den Brünig, Bern, Genf, Valence, Nimes und die "Obere Jakobsstrasse" via Pamplona und Burgos nach Santiago de Compostela. Das Ziel findet keine spezielle Beachtung; unmittelbar an die Hinreise schliesst sich die Rückkehr auf der "Niederen Strasse" via Bordeaux, Orleans, Paris und Brüssel an. Hermann Künigs Santiago-Pilgerführer in (leicht merkbaren) Versen hat weiteste Verbreitung und Beachtung gefunden, doch über die Identität und Motivation seines Autors wird noch immer gerätselt. 68 Dem Erstdruck in Strassburg (? ) von 1495 folgten innerhalb der nächsten 25 Jahre fünf oder sechs Neuauflagen an verschiedenen Orten. KONRAD HÄBLER (Ed .), Das Wallfahrtsbuch des Hennannus Künig von Vach und die Pilgerreisen der Deutschen nach Santiago de Compostela, Strassburg 1899 (Einleitung S.7-88, dann Faksimile der Druckausgabe Strassburg 1495). Arnold von Harff (Jerusalem und Santiago: 1496 - 1498) Schon der Dialekt, in dem das umfangreiche Reisebuch von Arnold von Harff (1471 - 1505) gehalten ist, weist den Autor als "Beinahe-Niederländer" aus . Arnold von Harff stammte aus einem alten niederrheinischen Adelsgeschlecht, war der mittlere Sohn eines Landvogtes, ist als Kommilitone der Universität Köln nachgewiesen und stand (als Reiseberichterstatter zumindest) in den Diensten des Herzogs Wilhelm IV. von Jülich und Berg. Seine rund anderthalbjährige Weltreise in mehrere Kontinente trat Arnold von Harff sehr jung, nämlich mit 25 Jahren, an. Zwar deklarierte er sie nachträglich ausdrücklich als "Pilgerfahrt", doch zog er unterwegs die Gesellschaft von Kaufleuten derjenigen von Pilgern vor. Lediglich in Begleitung zweier Handelsreisender brach er am 7.11.1496 von Köln auf. Erstes Ziel war Rom, wo er eine Woche Station machte. Die folgenden Etappen erinnern an die Reisen früheren Pilgerkollegen aus dem 14. Jahr- 68 Nähere Aufschlüsse verspricht die in Aussicht gestellte Neuedition des Pilgerführers von Künigvon Vach durch VOLKERHONEMANN. <?page no="96"?> 86 hundert: Von Venedig ging es auf einem Handelsschiff nach Alexandria, nach Besuchen der Einsiedeleien von Antonius und Paulus in der Nitria- Wüste und einem längeren Aufenthalt in Kairo folgte der beschwerliche Marsch durch die Wüste zum Katharinakloster im Sinai. Hier nun nimmt die Reiseschilderung immer literarischere Züge an und erinnert dabei mehr und mehr an die fabulierten Orient-Abenteuer von Sir John Mandeville. Die Grenze zwischen Realität und Fiktion verschwimmt: War Arnold von Harff "wirklich"als Muslim verkleidet in der verbotenen Stadt Mekka? Wagte er sich wahrhaftig auf die asiatische Insel Socotora und bis ins afrikanische Königreich Moabar vor? War er, wie er vorgibt, in Madagaskar, suchte er tatsächlich nach den Quellen des Nils - und fand sich, statt wie erhofft im Paradies, auf den (in mittelalterlichen Weltkarten als Hügelkette verzeichneten) "Mondbergen" wieder? Auch dem erzählerisch begabten niederrheinischen Landedelmann hat man die phantastischen Passagen seiner ausgedehnten Pilgerreise lange nicht verziehen. 69 Kairo ist der Ort, wo der fahrende Ritter erneut Fuss fasst; seine Spuren führen von da nach Gaza (wo Arnold von Harff drei Wochen lang im Gefängnis sass), nach Hebron, Bethlehem und endlich nach Jerusalem. Damaskus beschliesst den Heiliglandteil der Schilderung: Arnold von Harff schloss sich einer Handelskarawane nach Konstantinopel an, blieb da eine ziemliche Weile und reiste dann auf dem Landweg durch die Länder des Balkan (mit einem Abstecher nach Ungarn) zurück in den Westen. Wieder in Italien, fasste der unermüdliche Pilger den Entschluss zur Wallfahrt nach Santiago de Compostela und absolvierte sie unverzüglich allerdings zeigt er sich von der spanischen Gastfreundschaft nicht sonderlich begeistert. Letztes Pilgerziel war der Mont Saint-Michel (eine geplante Expedition zum St.Patricks-Heiligtum von Lough Derg in Irland kam nicht zustande), der letzte wichtige Etappenort Paris (hier liess er sich von Ludwig XII. zum Ritter schlagen), und endlich, am 10.10.1498,kehrte er zurück ins heimatliche Köln. 70 Aus dem fahrenden Ritter wurde ein sesshafter Mann, ein Reiseberichterstatter, ein Ehemann (Margarethe von dem Bongart wurde 1504 seine Frau) - und er starb, gerade 34jährig, im Jahr 1505. Das Reisebuch des Arnold von Harff ist zwar in mehreren Handschriften, jedoch nicht im (Früh-)Druck überliefert. Limitiert in der Zahl 69 Vgl. LEONARD KORTII in: Die Reisen des Ritters Arnold von Harff in Arabien, Indien und Ost-Afrika, Ein Beitrag zur Geschichte der Erdkunde, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 5, 1883, S.201: Der Erdkundler kann sich den Tadel nicht verkneifen,• ... dass der Verfasser seinen Ruhm bei der Nachwelt durch eine Reihe von Erdichtungen zu erhöhen gesucht hat.• 70 Die Annahme von Herausgeber EWAlD VON GROOTE, dass Arnold von Harff am 10.10.1499zurückgekommen sei, hat sich zwar zum Teil bis heute gehalten, darf aber als widerlegt gelten. Vgl. VOLKER HONEMANN, Zur Überlieferung der Reisebeschrci- · bung Arnolds von Harff, in: ZDAL 107, 1978,S.165,Anm.3. <?page no="97"?> 87 und somit der Verbreitung, dürften die einzelnen Codices die ihnen zustehende Beachtung dennoch gefunden haben (ein Exemplar beispielsweise war im Besitz von Clemens Brentano). Die zahlreichen farbigen Federzeichnungen, im Original vielleicht von der Hand des Autors, sind in der bisher einzigen neuzeitlichen Edition aus dem Jahr 1866 als Holzschnitte wiedergegeben, doch blieb ihr einzigartiger Charakter im wesentlichen erhalten. Auf das spezifische Interesse der internationalen Sprachforschung sind von jeher die polyglotten Übersetzungshilfen des vielgereisten Pilgers gestossen. Die verschiedentlich geforderte (und inzwischen auch projektierte) Neuausgabe des allmählich rar werdenden Textbandes kann vorderhand nicht an die Hand genommen werden, da die der Groote'schen Edition zugrundeliegenden Handschriften allesamt verschollen oder dann nicht zugänglich sind. 71 EWAID VON GROOTE {Ed.), Die Pilgerfa~ des Ritters Arnold von Harff von Cöln durch Italien, Syrien, Agypten, Arabien, Athiopien, Nubien, Palästina, die Türkei, Frankreich und Spanien, wie er sie in den Jahren 14% bis 1499 vollendet, beschrieben und durch Zeichnungen erläutert hat. Nach den ältesten Handschriften und mit deren 47 Bildern in Holzschnitt herausgegeben, Köln 1860. Hans Schürpff (Jerusalem: 1497 - 1498) Der Ratsherr und Söldnerhauptmann Hans Schürpff (1500 +) stammte ursprünglich aus Willisau, liess sich aber 1462 in Luzern einbürgern. Nach Luzern kam er, um seine Berufslehre zu absolvieren, eröffnete später sein eigenes Tuchgeschäft und brachte es, hauptsächlich dank gutdotierten Erbschaften, zu einem höchst ansehnlichen Vermögen. Die politische Laufbahn weist ihn ebenso wie die militärische als Angehörigen der patrizischen Oberschicht aus: In den Burgunderkriegen (1475 - 1476) war er Hauptmann und wurde möglicherweise bei Grandson verwundet; er wurde 1477 in den Kleinen Rat gewählt und versah zweimal, 1479 - 1484 und 1492 - 1493, das Amt des Stadtbaumeisters. Seine J erusalemreise, die er wohl eher zufällig im Gefolge von Herzog Bogislaus von Pommern unternahm, begann am 1. 4. 1497 und verlief nicht ohne Zwischenfälle. Womit viele Pilgerschiffpassagiere jener Zeit beständig rechneten, hier wurde es Tatsache: Vor der griechischen Küste wurde das Schiff von türkischen Patrouillenbooten angegriffen, nachdem der Kapitän auf wiederholte Aufforderungen, die venezianische Flagge zu hissen und eine Schiffsdurchsuchung zu gewähren, nicht reagiert hatte. Es kam zum Gefecht, die kämpfenden Pilger erlitten Verluste (unter anderem 71 PHILIPPE KOHLER, Arnold von Harff (1471-1505),chmilier, ~lerin, ~. Bordeaux 1974, S.50, fordert statt einer Neuausgabe eine allgemein zugängliche neuhochdeutsche Übertragung oder einen Reprint der Groote'schen Edition. <?page no="98"?> 88 kam Schürpffs Gefährte Hans von Meggen ums Leben), das Pilgerschiff geriet in Brand, und die Passagiere mussten sich ergeben. Nach der juristischen Abklärung des Falles allerdings einigten sich die Parteien auf eine finanzielle Abfindung zugunsten der Türken. Auf Kreta wurde das havarierte Schiff wieder instandgestellt, und dann ging die Pilgerfahrt weiter nach Jaffa und nach Jerusalem. Der Aufenthalt dauerte nur wenige Tage. Weitere Abenteuer erlebten Hans Schürpff und sein Begleiter Hans Wagner auf der Rückfahrt, verpassten die beiden doch nach einem Landaufenthalt auf Rhodos ihr Schiff und mussten ein Boot anheuern, um es einzuholen. Genugtuung unter den Pilgern verbreitete alsdann die Nachricht eines venezianischen Kriegsschiffes, der Hauptmann des einen angriffigen Türkenschiffes sei inzwischen in Konstantinopel hingerichtet und die Besatzung bis auf einen jungen Burschen umgebracht worden. Nach einem weiteren Schiffswechsel vor der apulischen Küste gelangten die Schweizer Pilger endlich wieder aufs Festland. Am 19.1.1498 war Hans Schürpff zurück in Luzern. Nur einen Tag später starb sein Sohn Heinrich im Alter von 22 Jahren. Von der Pilgerreise des Herzog Bogislaus von Pommern sind zumindest zwei weitere Beschreibungen überliefert. 72 Hans Schürpffs Gefechts- und Wallfahrtsprotokoll hat sich in der Luzerner Zentralbibliothek in einem Manuskript aus der Feder von Peter Wächter (1498) erhalten und ist offenbar vom Schreiber mit einfachen Federzeichnungen ausgeschmückt worden. 73 Die zwei Editionen sind neueren Datums. JOSEF SCHMID (Ed.Schürpff), Luzerner und Innerschweizer Pilgerreisen zum Heiligen Grab in Jerusalem vom 15. bis 17. Jahrhundert, Luzern 1957, S.XIV - XXIII (Lebenslauf), S.LXXVIII und 1-36. 72 Vgl. v.a. den im Auftrag des Herzo~ erstellten offiziellen Rapport von Martin Dalmar: SIGMUND FEYERABEND (Ed.), Herrn Bugislai X. Hertzogen zu Pommern/ Reyss ins gelobte Land/ im jar 1496, in: Reyssbuch, Frankfurt 1584,fol.47b-49b. Dazu und zu den übrigen Nachrichten, die dieselbe Reise betreffen die ausführlichen Angaben von DIETRICH HUSCHENBEIT, Herzog Bogislaus X. von Pommern, in: "'verfasserlexikon 1, Sp.927-928. 73 Der Titel lautet: "Hie in disem Büchlin Sind zu vinden Hüpsch seltzam materien und geschichten, so den personlich Erfarcnt Hatt Hans Schürpff, (...) mit andern sinen mit Brudern, als sy denn uff dem mer und land gehalten, und zu dem Helgen grab gereyst Hand. Ouch nit me hiegsetzt wirt, denn das der obgenannt Hans schürpff selbs gescchen und erfarcn, Und nit nach Hörsegen concipiert Hatt." <?page no="99"?> 89 Anonymus (und Sir Richard Guylforde) (Jerusalem: 1506) "The author of this Journal, for such it really is, was the Chaplain to Sir Richard Guylforde by whom the pilgrimage was undertaken: further than this we are without information, as even bis name is unrecorded. 1174 Der Schatten eines grossen Namens liess in diesem Fall die Identität des Autors im Dunkeln wenn ich den "Anonymus" dennoch unter den explizit genannten Berichterstattern einreihe, dann deshalb, weil seine gesellschaftliche Stellung aus dem Text unschwer abzulesen ist und weil er hier keineswegs nur als Sprachrohr seines ursprünglichen Auftraggebers in Erscheinung tritt. Wer war Sir Richard Guylforde? Als Vertrauter des Earl of Richmond (der ihm aufgrund erwiesener Kriegsdienste die Ritterwürde verlieh) und noch mehr als Bediensteter und Günstling d; ~ Königs, Henry VII., war er zumindest" ... a person of known eminence". Von vergleichbarem Rang war unter den Teilnehmern der englischen Palästina-Expedition von 1506 allenfalls John Whitby; er war Prior von Gisburn, legte aber kurz vor der Abreise sein Amt nieder. Am 8. 4. 1506 schiffte sich die Pilgergesellschaft in Rye (Sussex) ein. Die Reise über Paris, Lyon, Pavia und die übliche Route ab Venedig (3. 7.) stand unter einem schlechten Stern. Schon bei der Landung in Jaffa am 18. 8. waren die beiden prominentesten Pilger der Gruppe ernsthaft krank . Nach der Ankunft in Jerusalem am 31. 8. wurde Sir Richard Guylforde und John Whitby zwar die nötige Ruhe und Pflege zuteil, doch war es bereits zu spät: Am 5. 9. verstarb John Whitby, und in der folgenden Nacht, wenige Stunden nach der Beerdigung Whitbys, auch Ritter Guylforde. Die Bestattung fand so rasch wie möglich statt, und schon am nächsten Tag ging die Gesellschaft wieder zum Pilgeralltag inklusive Besichti gungen über. Im Falle des Tagebuchschreibers und Kaplans des verstor benen Sir Richard bedeutet dies: Berichterstattung wie zuvor, ohne spürbare Änderung der Intention oder Motivation . Die Vermutung liegt nahe, dass zwischen Guylforde und seinem Kaplan in bezug auf den Bericht kein eigentliches Auftragsverhältnis bestand, sondern dass der Kaplan seine Tagebuchnotizen aus eigenem Antrieb aufschrieb. So liesse sich auch erklären, weshalb die Heimfahrt, die sich offenbar recht mühselig gestaltete, mit 27 Seiten Text mehr Platz im Bericht einnimmt als die Hinreise. Der Rapport des Kaplans in der Form eines wenig oder gar nicht redigierten Reisetagebuches ist in London gedruckt worden. Das einzige erhaltene Exemplar dieses Druckes diente später als Grundlage einer Neuedition. 74 ELUS (Ed.Guylforde's Chaplain), Einleitung, S.v. 75 ELUS (Ed .), a.a.O . <?page no="100"?> 90 Im Testament von Sir Richard Guylforde, das am 10. Mai 1508 eröffnet wurde, findet sich keinerlei spezielle Vorsorgeregelung in Hinblick auf die geplante Pilgerreise - Guylfordes (zweite) Ehefrau Anne erhielt eine jährliche Apanage und sein Sohn Edward den Rest. Lady Guylforde blieb übrigens bis ins hohe Alter als Hofdame im Gefolge des Königs und ist noch 1531 in der Buchhaltung des königlichen Haushaltes erwähnt. Sir HENRY ELLIS (Ed.), The Pylgiymage of Sir Richard Guylforde to the Holy Land, A. D. 1506, from a copy believed to be unique, Prom the Press of Richard Pynson, London 1851(Camden Society 16). Lucas Rem (Santiago: 1508) Der Augsburger Kaufmann (1481-1541) unternahm im Auftrag des Handelshauses der Weiser (neben dem Fugger'schen war es das bedeutendste der Stadt) zahlreiche Auslandsreisen und verband das Geschäftliche auf geschickte Weise mit dem Angenehmen (einer Bade-kur), dem Erbaulichen (einer Kunstreise) oder eben mit dem Religiösen je nach Destination. Sein über Jahre und Jahrzehnte hinweg geführtes Reisetagebuch kommt insgesamt einer eigentlichen Autobiographie, einer Zusammenfassung von Rems bewegtem, geschäftigen Leben gleich. Die Stationen der Lehrjahre, die Lucas Rem in jungen Jahren absolvierte, waren zur Hauptsache Venedig (1494), Mailand (1498) und Lyon (1499). Für die nächsten sieben Jahre (1501-1508) übernahm Rem in Lissabon die Vertretung der Weiser im Indienhandel. Den mehrjährigen Aufenthalt in Portugal beschloss der Handelsvertreter mit einer Spanien- Exkursion, die ihn unter anderem am 20. 10. 1508 auch für zwei Tage nach Santiago de Compostela führte. Nach einem Abstecher Richtung England kam Lucas Rem erst im Januar 1509 "... mit grosfreden II wieder nach Augsburg. Da hielt es ihn aber nicht, sondern er reiste weiter nach Venedig und Rom, Genua und Marseille und nach Paris. Am 4.8.1509, wenige Tage nach "Sant Jacobstag", landete Lucas Rem mit einem Schiff erneut in Galizien und sass da eine Woche bei Windstille fest, nur zwölf Meilen vor Santiago: " ... und dorft nit dar raissen,sorgendetwaz versaumen. 11 Nach einem weiteren Aufenthalt in Lissabon und einer weiterem Reise durch (den Süden von) Spanien erreichte Lucas Rem am 9. 5. 1510 Lyon und endlich am 30. 5. 1510 wieder Augsburg. Sein Stosseufzer "Gotthab lob! Ain weitte,schwere, groseRais vollbracht! " spricht für sich. Lucas Rem blieb weiterhin unstet, unternahm weitere (geschäftliche) Reisen, vorwiegend innerhalb des deutschsprachigen Raumes, und die letzte Eintragung von seiner Hand datiert vom 2.9.1540. Ein Enkel setzte <?page no="101"?> 91 ergänzend darunter, dass Lucas Rem am 22. 9. 1541 im Alter von 60 Jahren verstorben sei. Das im Besitz der Stadtbibliothek Augsburg befindliche Reisetagebuch des Lucas Rem ist erst 1860als Beitrag zur Augsburger Handelsgeschichte erstmals gedruckt erschienen als eine ergiebige Quelle zur frühneuzeitlichen Mentalitätsgeschichte ist es bisher nicht zur Kenntnis genommen worden. B.GREIFF (Ed.), Tagebuch des Lucas Rem aus den Jahren 1494 -1541, Ein Beitrag zur Handelsgeschichte der Stadt Augsburg, mitgeteilt, mit erläuternden Bemerkungen und einem Anhange von noch ungedruckten Briefen und Berichten über die Entdeckung des neuen Seeweges nach Amerika und Ostindien versehen, in: 26. Jahres- Bericht des historischen Kreis-Vereins im Regierungsbezirke von Schwaben und Neuburg für das Jahr 1860,Augsburg 1861. Ludwig Tschudi, Melchior Zur Gilgen, Heinrich Stulz und Hans Stockar (Jerusalem: 1519) Von der nahezu zwanzigköpfigen eidgenössischen Pilgergesellschaft, die 1519 den Freiburger Peter Falk auf dessen zweiter Jerusalemfahrt begleitete, 76 haben mindestens vier Begleiter ihre Reiseeindrücke schriftlich festgehalten. Es waren zwei venezianische Pilgerschiffe in diesem Frühling Richtung Palästina unterwegs, und tatsächlich findet sich ein weiterer "Parallelbericht" auch aus den Reihen der Passagiere an Bord des anderen Schiffes. 77 Zurück zu den Schweizer Berichten - und zu der ausserordentlich seltenen Möglichkeit der vergleichenden Analyse von nicht weniger als vier voneinander abweichenden Arten der Wahrnehmung von Pilgerziel und Pilgerweg. 78 76 Seine erste Jerusalemreise hat Peter Falk 1515 unternommen, und sein Mitpilger Bernhard Mussy hat über die Fahrt einen Bericht geschrieben . M.VON DIESBACH (Ed.), Les pelerins Fribourgeois, in: Archives de l'histoire de Fribourg 5.1S.209-217 (Textauszug) und S.264-273 (Vertrag mit dein Schiffspatron). Dazu: ROHRICHT , Deutsche Pilgereisen, S.206-208; Wilhelm J .MEYER, Ein Reiseandenken von Peter Falck an dessen Jerusalemfahrt von 1515, in: Schweizer Sammler, 3, 2, 1929, S.25-27. Zwar nicht ein eigenständiger Bericht, aber als von den Pilgern benütztes Handbuch sehr wohl von Interesse ist der Baedeker, den ein weiterer Schweizer wieder mit nach Hause brachte: JEAN -PIERRE BODMER, Werner Steiners Pilgerführer, in: Zwingliana 12, 1, 1964, S.69-73. 77 Der Verfasser ist Dietrich von Kettler. Vgl. H.HOOGEWEG (Ed .), Eine westfälische Pilgerfahrt nach dem Heiligen Lande vom Jahre 1519, in: Zeitschrift für vaterländische Geschichte und Alterthumskunde 47, 1889, S.165-208, und 48, 1890, S.55-84. Dazu : ARNOLD ESCH, Vier Schweizer Parallelberichte von einer Jerusalem-Fahrt im Jahre 1519, in: Gesellschaft und Gesellschaften, Festschrift Ulrich Im Hof, Bern 1982,S.141. 78 Die anregende Vergleichsstudie von Esch lwt diesbezüglich kaum mehr Fragen offen . Zu den offiziellen und inoffiziellen Reisemotiven sämtlicher Schweizer Pilger von 1519 vgl. UFFER (Ed.Füessli), S.50-54. <?page no="102"?> 92 Ludwig Tschudi von Gräpplang (1495 - 1530) stammte aus einer bekannten Glarner Adelsfamilie und stand schon vor seiner Palästinareise wie auch später in (fremden und eidgenössischen) Kriegsdiensten. Er war ein Freund Huldrych Zwinglis, wurde im Jahr 1528 Freiherr zu Gräpplang und starb 1530 mit 35 Jahren. Melchior Zur Gilgen (1474 - 1519) stammte aus einem der führenden patrizischen Geschlechter der Stadt Luzern und war von Beruf Goldschmied, aber auch Wirt und Weinhändler und vor allem Soldat. Der Jerusalempilger Hans Schürpff war sein Pate, und mit ihm zusammen diente er (den Angaben des Herausgebers zufolge als Hauptmann) im Schwabenkrieg 1499. Das höchste politische Amt des Schultheissen blieb ihm, wie auch seinem Paten, versagt, doch sass er bereits als 21jähriger, von 1495 bis zu seinem frühen Tod, im Kleinen Rat der Stadt. Der Nidwaldner Heinrich Stulz (ca.1486 - 1548) war der älteste Sohn eines Stanser Ratsherrn und wurde von der Mutter nach dem Tod des Vaters der Obhut des Klosters Engelberg übergeben. Er begleitete die hohen Herren Tschudi und Zur Gilgen als Kaplan. Der Benediktiner und Verwalter des Konvents pendelte in seinem bewegten Leben einige Male zwischen dem geistlichen und dem weltlichen Stand hin und her. In jungen Jahren trat er, noch vor dem Empfang der Weihen, aus dem Kloster aus, heiratete und gründete einen eigenen Hausstand. Später allerdings verliess er Frau und Kinder, um erneut in den Orden einzutreten. Hans Stockar schliesslich (1490 - 1556), aus Schaffhausen gebürtiger Wein-, Salz- und Pferdehändler, bezog ähnlich wie seine adligen Mitpilger Tschudi und Zur Gilgen seine Einkünfte aus dem Kriegsdienst (Marignano 1515) und aus der Politik. Bildliche Dokumente (ein gemaltes Porträt sowie eine in Stockars Auftrag geschlagene Münze) weisen ihn ausser als Jerusalemauch als Rom- und Santiagopilger aus. Die gemeinsame Palästinafahrt von Tschudi, Zur Gilgen, Stulz und Stockar dauerte ein knappes halbes Jahr, von der Abreise Zur Gilgens in Luzern am 21. 5. 1519 bis Ende November desselben Jahres. Auf der Heimfahrt brach an Bord des Pilgerschiffes die Pest aus, und zwei prominente Schweaer Pilger fielen ihr zum Opfer: Am 4. Oktober starb Melchior Zur Gilgen, zwei Tage später Peter Falk, und beide wurden auf der Insel Rhodos bestattet. Melchior Zur Gilgens Reisetagebuch ist nachträglich von zwei Schreibern um die fehlenden Etappen der Rückkehr ergänzt worden, und zwar nach der Vorlage des Reiseberichtes von Heinrich Stulz. Dessen Originalmanuskript ist nicht mehr vorhanden, doch ist die erhaltene Kopie im Engelberger Kloster noch zu Lebzeiten des Autors erstellt worden. Auch von Hans Stockar fehlt das Originalmanuskript; die überlieferte Kopie entstand kurz nach dem Tod des Autors und enthält die Heimreise, nebst einem Rückblick auf den Besuch der heiligen Stätten . Ludwig Tschudis <?page no="103"?> 93 Bericht wurde als einziger bereits früh (1606) gedruckt, doch stammt die Druckfassung zu grossen Teilen von Ludwigs berühmtem Bruder Aegidius, der das Reisetagebuch nach dem Vorbild des "Evagatorium" von Felix Fabri zu einer eigentlichen Palästina-Enzyklopädie ausbaute. MELCHIOR TSCHUDI (Ed .), Reyss und Bilgerfahrt, zum Heyligen Grab. Dess Edlen und Gestrengen Herren Ludwigen Tschudis. In welcher nit allein die fürnemb sten Stätt unnd öhrter, Dess Heyligen Landts Palestinae, und der gantzen gegne daselbst herumben, sonder auch ausserhalb deren , vil andere denckwürdige Stätt, Inseln, Öhrter, und derer Inwohner, mancherley Sitten, Art unnd gebräuch, etc. Neben deme auch, was gedachte Herren, sampt seiner gesellschafft, auff diser Reyss, zu Wasser und Landt begegnet unnd widerfahren : Gantz trewlich unnd aussführlich, sampt einem fleissigen Register, vermeldet unnd beschriben werden . Getruckt in dess Fürstl. Gottshaus S.Gallen Reychshoff, Rorschach am Bodensee, bey Bartholome Schnell im Jahr , 1606. • JOSEF SCHMID, Luzerner und Innerschweizer Pilgerreisen zum Heiligen Grab in Jerusalem vom 15. bis 17. Jahrhundert, Luzern 1957, S.XXIV • XXVII (Lebenslauf), LXXVIII- LXXIX und 39-53(Ed. Zur Gilgen).· Ebenda, S.LV • LVIII (Lebenslauf), LXXX • LXXXI und 223-256(Ed. Stutz). • KARL SCHIB (Ed.), Hans Stockars Jerusalemfahrt 1519 und Chronik 1520- 1529,Basel 1949 (Quellen zur Schweizer Geschichte , N. F. 1, 4). Heinrich Wölfli (Jerusalem: 1520 -1521) war Chorherr am Berner Münster (1470 - 1532/ 1534), gilt als Lehrer von Huldrych Zwingli und trat auch als Verfasser einer Lebensgeschichte von Niklaus von der Flüe literarisch in Erscheinung. Die reformatorische Gesinnung des frommen Humanisten wird in seinem Jerusalembericht verschiedentlich deutlich, kämpfte er doch augenscheinlich mit seiner doppelten Berufung zum Wallfahrer und zum Wallfahrtskritiker. Seine etwas mehr als ein Jahr dauernde Palästinareise von Bern via Venedig retour (20. 4. 1520 - 3. 5. 1521) verlief ohne grössere Zwischenfälle bis auf einen Sturm, der Wölfli und seine Gefährten veranlasste, kurz vor der Rückkehr nach Venedig das Schiff zu wechseln und schliesslich aus Sicherheitsgründen den Landweg zu wählen. So gelangten die Reisenden entgegen ihren ursprünglichen Absichten über Neapel auch nach Rom, doch zeugt die Schilderung des 24tägigen Rom-Aufenthaltes von wenig Begeisterung. Das lateinisch geschriebene Original des Berichtes ist verschollen, doch hat sich eine gekürzte deutsche Fassung von 1582 erhalten . Die schönen farbigen Handzeichnungen darin stammen vermutlich aus späterer Zeit, nämlich vom Berner Johann Jakob Dünz (1649 +), und sind in der bibliophilen Ausgabe von 1929 mit enthalten. HANS BLOESCH (Ed.), Heinrich Wölflis Reise nach Jerusalem 1520/ 1521,Bern 1929 (Veröffentlichung der Schweizer Bibliophilen Gesellschaft, Jahresgabe 1928). <?page no="104"?> 94 4. Quellen: Woraus schöpfte der schreibende Pilger? Gelesen, gehört, gesehen und im Moment der Niederschrift oder nachträglichen Redaktion aus dem Gedächtnis abgerufen so setzt sich aus kleinen und grösseren Erinnerungsbauteilen Stück um Stück die schriftliche Darstellung des Pilgerfahrtserlebnisses zusammen. Wer den Pilgerbericht, in Wahrheit das Konglomerat aus individuellen und überlieferten Ansichten, aus unmittelbar gegenwärtigen und bereits verblassten Eindrücken, aus Wirklichkeit und Wunschvorstellungen, unbesehen rezipiert und mit dem ursprünglichen Erlebnis gleichsetzt, der muss in seiner Interpretation des Textes zu falschen Schlüssen gelangen. Überdies bringt er sich um einen der spannendsten Aspekte seiner literarischen Analyse, um die Fahndung nach den bewusst oder unbewusst mit eingebauten "Realitätsfiltern" nämlich. Das Problem der Quellenkritik stellt sich ja keineswegs nur bei mittelalterlichen Texten jeder Augenzeugenbericht ist zunächst einmal danach zu befragen, was tatsächlich gesehen und in welchem (ideologischen) Licht es gesehen wurde. Im Normalfall eines Reise-berichtes wird nun allerdings von der Annahme ausgegangen, dass der Autor eine sich ihm präsentierende subjektive Wirklichkeit so objektiv wie möglich darzustellen und wiederzugeben sucht. Diese stillschweigende Annahme aber hat gerade bei der Rezeption spätmittelalterlicher Pilgerberichte mit zu den bekannten und immer wieder zitierten Negativbefunden einseitig faktenorientierter Historiker geführt. 1 Was der mittelalterliche Pilger in seinem Bericht als Wirklichkeit aus- und wiedergibt, lässt sich mit den Begriffskategorien "subjektiv'' und "objektiv" nur bedingt fassen. Als objektive Wahrheit erschien ihm nicht unbedingt, was er subjektiv als solche empfinden mochte die individuelle Ansicht hatte im Gegenteil vor der Autorität der überlieferten Tradition zurückzutreten. 2 Nur so wird begreiflich, weshalb die häufigen Zitate aus älteren Werken so selten als solche gekennzeichnet sind, weshalb Erlebnisse anderer Pilgerautoren als die eigenen ausgegeben werden, oder weshalb die Nacherzählung einer Pilgerreise unvermittelt in der Fabelwelt 1 Dazu HUSCHENBEIT, S.45: "So interessant und nützlich das Zusammentragen einzelner Fakten auch ist, so gelangen die Texte doch erst zu ihrer vollen Aussagefähigkeit, wenn ihre Individualität innerhalb ihrer Tradtitionszusammenhangcs gesehen wird und umgekehrt alle Änderungen und Brüche in Tradtition und Funktion wiederum den Einzeltext unter neuen Perspektiven beleuchten ...•. 2 Vgl. GURJEWITSCH, S.128: "Der Gegensatz der grundlegenden Wertorientierungen des Mittelalters und der Neuzeit wird klar, wenn man sich in die Worte von Wilhelm von Conches hineindenkt: 'Wir erzählen die Alten nach und legen sie aus, aber wir erfinden nichts Neues'( ...), denn 'die Alten waren um vieles besser als die Gegenwärtigen'." <?page no="105"?> 95 mittelalterlicher Weltkarten weitergesponnen wird. Wer dennoch auf der vergleichenden Untersuchung kollektiver und individueller Reise-Erfahrung beharrt, kommt nicht darum herum, die von den Pilgerautoren "versäumte" Arbeit der Spurensicherung von Quellen und Vorbildern nachzuholen. "C'est en effet apres ce travail seulement qu'on peut apprecier ce qui est le temoignage personnel du voyageur. 113 Der Forderung nach einer umfassenden vergleichenden Quellenuntersuchung ist bisher nicht nachgekommen worden. Es bestehen auch innerhalb des Komplexes der bekannten Pilgerschriften derart vielschichtige Bezüge und gegenseitige Abhängigkeiten, dass eine solche Arbeit leicht den Aufwand und Umfang eines Tobler'schen oder Röhricht'schen Lebenswerkes annehmen könnte. In Anbetracht der Konsequenzen sei hier stattdessen auf die Tradition zurückgegriffen, Hinweise auf allgemein genretypische Fremdeinflüsse mit aussagekräftigen Beispielen zu illustrieren.4 4.1. Der gemeinsame Weg Das gemeinsame Erlebnis der Pilgerfahrt verband nicht nur die zur gleichen Zeit oder gar im Rahmen derselben Expedition reisenden Pilger, sondern ebenso jene, die nacheinander den gleichen Weg unter die Füsse und Schiffsplanken nahmen. Eine über Jahrzehnte und Jahrhunderte gleichbleibende Route inklusive der kontinuierlich bestehenden pilgertechnischen Infrastruktur fand ihren literarischen Niederschlag notgedrungen in einer nahezu identischen Abfolge von Etappenorten. Hier ist der erste und hauptsächliche Grund für die augenfällige formale Gleichförmigkeit vieler Pilgerschriften zu suchen. 5 Diese Infrastruktur betraf im Fall von Santiago de Compostela lediglich die (nach Pilgerklassen abgestuften) Verpflegungs- und Übernachtungsstationen entlang der Jakobswege es blieb der Verantwortung jedes einzelnen Wallfahrers überlassen, zu welchen Zeitpunkt und auf welche Weise er dahin gelangte. 6 3 RICHARD, Les recits, S.60. 4 Zu dieser Tradition bekennen sich ZRENNER, KHATIAB und HIPPLER ebenso wie RICHARD und HUSCHENBE'IT, der S.41-42 einräumt: "Die Forschung hat dieses Problem bisher nur punktuell an einzelnen Texten berücksichtigt.• 5 Zur Gleichförmigkeit als gattungsspczifischem Wesensmerkmal vgl. HIPPLER, S.37 f. Bereits SOMMERFELD weist S.819 auf den Zusammenhang zwischen Weg und Erzählstruktur hin und vermutet Aufschlüsse über "Wirkungen und Motive• am ehesten bei Abweichungen vom streng geregelten Weg. 6 Eine Übersicht über die Jakobswcge vermittelt die Karte bei HERBERS, Jakobsweg, Frontispiz (sie ist aus BOTIINEAU, Les chemins de Saint-Jacques, Paris 1964, <?page no="106"?> 96 Demgegenüber war die Seereise nach Jerusalem auf der vor allem für deutsch- und französischsprechende Pilger üblichen Strecke Venedig- Jaffa inbegriffen in einer Art Pauschalarrangement: Dem einzelnen Pilger wurde gegen entsprechendes Entgelt die gesamte Organisation der Reise abgenommen; mit der Buchung der Fahrt übergab er sich der Obhut zunächst des Schiffseigners, später der franziskanischen Autoritäten im Heiligen Land. Die venezianische Regierung stellte eine limitierte Anzahl von Lizenzen zur exklusiven Beförderung von Heiliglandpilgern aus und versuchte verschiedentlich, allerdings nur bedingt erfolgreich, die "wilde" Beförderung von Pilgern auf Handelsschiffen nach anderen Destinationen wie Beirut und Alexandria zu unterbinden.7 Eine Frühjahrspassage und bei Bedarf eine weitere im Herbst konzentrierten den Pilgerstrom ins Heilige Land auf im Maximum zwei saisonale Höhepunkte. Mit dem Schiffseigner wurde aufgrund eines festen Preissystems ein Beförderungsvertrag abgeschlossen, der alle vereinbarten Dienstleistungen Punkt für Punkt enthielt in verschiedenen Pilgerberichten findet er sich wörtlich wiedergegeben. Der Kapitän übernahm auch während des Aufenthalts im Heiligen Land die Verantwortung für das Wohlergehen seiner Passagiere. Die Mittelmeerroute war nur geringfügigen Änderungen unterworfen und führte, unterbrochen durch etliche Landaufenthalte, in vier bis sieben Wochen zunächst der jugoslawischen Adriaküste entlang und dann über Korfu und die griechische Küstenstadt Modon nach Candia (Kreta), Rhodos, Zypern und Jaffa. Hier wartete man auf den Empfang durch den Guardian des Sionsklosters in Jerusalem, und nach zumeist langwierigen Zollformalitäten durch die lokalen Behörden erfolgte der gemeinsame Eselsritt in rund zwei Tagen nach Jerusalem. Einheimische Muslime übernahmen die Beförderung durch Reittiere und stellten verschiedentlich Tributforderungen, doch lagen Unterkunft und Verpflegung sowie das gedrängte Besichtigungsprogramm der heiligen Stätten ganz in den Händen der in Jerusalem ansässigen Franziskaner. 8 Sie bestimmten die Abfolge der gemeinsam zu besuchenden Stationen innerhalb der Stadt, leiteten aber auch die Ausflüge in die nähere Umgebung Jerusalems, nach entnommen): Ein Netz von Pilgerstrassen überzog das mittelalterliche Europa, wobei die vier Hauptrouten (von Tours, V~elay, Moissac und Toulouse her kommend) jenseits der Pyrenäen bei Puente Ja Reina in eine einzige Strasse, den "camino franca&• via Burgos und Lcön, mündeten. 7 Dazu Eliyahu ASHTOR, Venczia eil pcllegrinaggio in Terrasanta nel basso mediocvo, in: ASI 524, 1985, S.197-223.Besonders ausführlich auch NEWETJ: ' (Ed.Casola), S5-113. Bine organisierte Pilgerbeförderung gab es nach 1500 auch von Marseilleund Antwerpen aus; vgl. Wolfgang SCHNEIDER, Percgrinatio Hierosolymitana, S51. 8 Zur Geschichte der franziskanischen Präsenz im Heiligen Land und zu den Dienstleistungen, welche die Mönche im einzelnen erbrachten, zusammenfassend SCHNEIDER, S.38-45. <?page no="107"?> 0 D ....... _ ... - -~.. ~ ... ".. v,... ~·Rhoo · ............... ~ 97 •. as. • • Zypcnv-? ". Candia •• •• •• •. (J •• Beirut .... -. . Da~askus·• Jaffa ·•~ / Jerusalem : • • -·· ; llZ8 -_.,: .: . ; Kairo •. • · Die Pilgerschiffrouten nach Palästina und Ägypten {14J15Jh). <?page no="108"?> 98 Bethanien, Bethlehem und Jericho, zum obligaten Bad im Jordan und zum Toten Meer. Selbst beim kürzesten Aufenthalt von manchmal bloss zehn Tagen gehörten drei in der Grabeskirche verbrachte Nächte zum festen Pilgerprogramm; hier fand schliesslich, üblicherweise in der dritten Nacht, für die adligen Reiseteilnehmer die feierliche Zeremonie des Ritterschlages vom Heiligen Grab statt. Die ständige Präsenz der Mönche wirkte über die äusserliche Gestaltung des Heiliglandaufenthaltes hinaus und prägte das Erlebnis Jerusalem in entscheidender Weise. Nicht von ungefähr waren die Franziskaner für die an den Führungen teilnehmenden Pilger "... die entscheidenden Vermittler von frommen Traditionen und christlichen Vorstellungen, auch wenn ihre Ausführungen nie ganz frei von religiösen Vorbehalten und Einflüssen der gerade herrschenden Lehrmeinung und Kirchenpolitik gewesen sein dürften." 9 Der Einfluss der franziskanischen und der venezianischen Pilgerfahrtsorganisation schwand erst dort, wo sich unentwegte Pilger zur Weiterreise nach der Sinai-Halbinsel in die Obhut muslimischer Führer und Dolmetscher begaben. Während die einen Pilger auf demselben Weg zurückkehrten, den sie gekommen waren, und in Jaffa das wartende Schiff nach Venedig bestiegen, setzten die anderen den Weg auf eigene Verantwortung fort. Ihre Route führte quer durch die Wüste zu dem unter orthodoxer Leitung stehenden Katharinakloster und schliesslich, nach der Besteigung der heiligen Berge Sinai und Horeb, weiter nach Ägypten, nach dem "Balsamgarten" von Matarieh, nach Kairo und Alexandria. Hier mussten sich jene Pilger, die nicht über persönliche Beziehungen und das Privileg eines ensprechenden Geleitbriefes verfügte1J selber nach einer Handelsschiffpassage zurück nach Venedig umsehen. 0 Die umgekehrte Route über Alexandria und durch den Sinai nach Jerusalem, wie sie von einigen Pilgergruppen des ausgehenden 14. Jahrhunderts gewählt und noch von den beiden Adornos und Arnold von Harff vorgezogen wurde, brachte die betreffenden Reisenden zwar um alle Vorzüge einer bis in die Details durchorganisierten Tourenreise, beinhaltete aber auch den Verzicht auf die Nachteile einer derartigen "Massenabfertigung". Ausgangspunkt für die Rückreise nach Italien war in diesem Fall Beirut, der Handelshafen von Damaskus.11 9 HIPPLER, S.62. 10 Während sich Aleya Khattab intensiv mit dem Bild Ägyptens im deutschsprachigen Reisebericht auseinandersetzt, findet der Sinai-Abschnitt der französischsprachigen Pilger eine entsprechende Würdigung bei MAHFOUZ LABIB, Pelerins et voyageurs au mont Sinai, Kairo 1961 (Publications de l'lnstitut Fran~ d'Archeologie Orientale du Caire/ Recherchesd'Arch~ologie,de Philologieet d'Histoire 25). 11 Eine Übersicht über die Routen der Orientpilger vermittelt die Karte. Eine gute Einführung in Fragen der wirtschaftlichenBeziehung zwischenEuropa und dem Nahen Osten liefert im übrigen ELIYAHU ASIITOR, Europäischer Handel im spätmittel- <?page no="109"?> 99 4.2. Ältere Autoritlten Von der Gleichförmigkeit der Pilgerberichte war bereits die Rede sie lässt sich durch die Gleichförmigkeit der Pilgerrouten zwar mitbegründen, aber noch nicht erklären. Das Geheimnis der inhaltlichen wie formalen Ähnlichkeit ist vor allem in der gängigen Praxis mittelalterlicher Informationsbeschaffung zu suchen, abzuschreiben - und zwar ohne Skrupel und nur selten unter Angabe der ursprünglichen Quelle. Wie heisst es in der Bibel? ''AmAnfang wardas Wort,und das Wortwar bei Gott, und das Wortwar Gott. (...) Alle Dinge sind durch dasselbegeworden, und ohne dasselbeist auch nicht einesgeworden,das gewordenist." 12 Für die Wahrhaftigkeit einer Erkenntnis bot nicht das mit den eigenen Augen Gesehene Gewähr, sondern erst die Berufung auf ältere und anerkannte Autoritäten . In der mittelalterlichen Geisteswelt "... galt die Originalität des Gedankens nicht als Würde, und im Plagiat sah man keine Sünde". 13 Die Abschrift bestätigte vielmehr die Zuverlässigkeit der einmal als "wahr" erkannten Quelle: Was immer schon "so war" und in der stets gleicher Weise dargestellt wurde, galt unverändert weiter. Der blass beobachtende Chronist hingegen setzte sich der Gefahr des Irrtums und der Täuschung aus: Seine menschliche Schwäche liess die Dinge vielleicht in einem ~alschen, einem anderen als dem ideologisch vorgegebenen Licht erscheinen. Unter diesem Gesichtspunkt ist die explizit formulierte Zurückhaltung von Ludolf von Sudheim in persönlichen Ansichten eher zu begreifen nicht nur als Ausdruck eines mittelalterlichen Bescheidenheitstopos, sondern auch als Ausdruck seines Bemühens um die "objektive Wahrheit". Nun soll aberniemandglauben,dass ich allesund jedes, was ich aufzunehmen gedenke, mit eigenenAugen gesehenhabe. Sondern ich habe einigesaus altenSchriftenübernommenund anderesvon glaubwürdigen Personen gehört. Was hier und dort geschriebenund ennittelt wurde, habe ich zusammengetragenund überlassees dem weisen Urteil des Lesers. 14 12 Joh . 1, 1-3, Beginn des Johannes-Evangeliums. 13 GURJEWITSCH, S.128. 14 SUD HEIM, ed.Deycks, S.2: • Verumtamen nullus credat, me omnia et singula, quae inserere propono, ocu/ is vidisse, sed ex antiquis gestis bene aliqua extraxisse, et aliqua ex veridicis hominibus audisse, quae omnia, in quibus Jocis scribantur et inveniantur, discreti Jectorisiudicio dwd committendum. • <?page no="110"?> 100 Der Pilgerbericht ist im folgenden grundsätzlich als Kompilation zu verstehen, als ein kompliziertes, bestimmten kompositorischen Regeln folgendes, schwer durchschaubares Geflecht von schriftlichen und mündlichen Aussagen unterschiedlicher Herkunft. Was aber blieb von dem persönlichen Reiseerlebnis darin hängen? Erstaunlich viel, wie die Ausbeute zeigen wird. Geht es nun zunächst darum, dieses Grundgerüst von Überlieferungen modellhaft zu skizzieren, dann nicht in der Absicht, "Wahrheit" und "Lüge"voneinander zu trennen, sondern mit dem Ziel, den individuellen Anteil des Autors an seinem im besten Sinne literarischen - Werk darzulegen. Grundlegende Quelle für Informationen zum Heiligen Land war die BibeI. 15 In dem "Evatagorium" von Felix Fabri mit den wiederkehrenden episch-breiten Exkursen fällt auf, dass bei der Erwähnung einer heiligen Stätte sogleich die dazugehörige Stelle aus dem Neuen oder Alten Testament zitiert und erörtert wird. Schon in der Einleitung findet sich die Absicht des Autors angesprochen, er habe die Angaben der Heiligen Schrift an Ort und Stelle nachprüfen wollen. 16 Gegenüber den Schriften der Kirchenväter und Scholastiker verhält sich Fabri nicht anders und nennt sogar (im Gegensatz zu den allermeisten seiner Pilgerkollegen) die Namen: Vincent de Beauvais, Isidor von Sevilla, Albert Magnus, Beda. 17 Bisweilen kommen auch Autoritäten der Antike wie Horaz und Flavius Josephus zu Wort. 18 Kritik an den "Vätern" masst sich Felix Fabri dabei nicht an. Er beruft sich vielmehr derart vertrauensvoll auf sein literarisches (Vor-)Wissen, dass er überall dort als Chronist in Verlegenheit gerät, wo seine eigene Anschauung mit dem, was zu dem betreffenden Ort geschrieben steht, beim besten Willen nicht mehr in Übereinstimmung zu bringen ist. Der "Balsamgarten" von Matarieh, in dem sich Maria und ihr Kind auf der Flucht nach Ägypten versteckten, war der Sage nach allein durch rechtgläubige Gärtner, durch Christen, zu bewirtschaften, ansonsten die kostba - 15 Zur Verbreitung der Bibel im späten Mittelalter vgl. ~ DELARUELLE, La vie rcligieuse dans les pays de langue fran~isc ä la fin du xv" si~cle, in: DERS., La piete populaire au moycn 4ge, Turin 1980, S. 437-464, und ausserdem F.FALK, Die Bibel am Ausgang des Mittelalters, Ihre Kenntnis und ihre Verbreitung, Köln 1905, und OTIO SI'EGMÜLLER, Überlieferungsgcschichte der Bibel, Zürich 1%1 (Geschichte der Textüberlieferung der antiken und mittelalterlichen Literatur 1). 16 FABRI, Evag. 1, S.2: •... concordantiassanctarumscripturarumcum Jocis, et Jocacum scripturisquantumpotui, investigavi et signavi. • 17 Zum Beispiel: Evag. 1, S.108 (Vincent, Spcculum Naturale) und S.414 (Ders., Spcculum Historiale), S.109(Isidor), S.157 (Albert Magnus), S.383 (Bcda). 18 Evag. 1, S.408 (Horaz) und S.419 (Joscphus neben Vincent, Spcc. Hist .). Allgemein zum Aufbau von Felix Fabris Exkursen vgl. FEILKE, S.206; ebenda befassen sich Kap. 1-III mit dem Einfluss der mittelalterlichen Alexander-, Amazonen- und Trojasage auf Form und Inhalt des Evagatorium. <?page no="111"?> 101 ren Pflanzen zugrunde gehen würden. Doch Fabri erblickte ebenda Christen und Muslime einträchtig bei der Gartenarbeit und wunderte sich. 19 Legenden wie diese pflegten sich über eine lange Tradition von Kompilationen fortzupflanzen. Ohne explizite Quellenangabe ist bisweilen kaum mehr auszumachen, ob nun ein Autor auf das ursprüngliche "Original" oder auf eine spätere Abschrift zurückgegriffen hat - oder auf eine mündliche Erzählung. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die (oft fabulösen) Hintergrundinformationen, die von belesenen Pilgerautoren zu den geographischen Punkten von theologischer und kirchengeschichtlicher Bedeutung zusammengetragen wurden, direkt oder indirekt aus sehr viel älteren Überlieferungen stammen dürften. Die Bibel selbst (mit inbegriffen die apokryphen Schriften) ist älteste Autorität und damit wichtigste Referenz. 4.3. Quellen für Mandevilles phantastische Kreaturen Die mittelalterliche Orient-Entdeckungsreise des Dichters Jean de Mandeville endet nicht an der Grenze der damals bekannten Welt, sondern führt den Leser darüber hinaus weiter in die Welt der Fabelwesen. Und genau das hat ihm die Wissenschaft übelgenommen: Dass er flunkernd nicht im Bereich des zumindest ansatzweiseWahrscheinlichen blieb, sondern scham- und hemmungslos zu Exkursen ins absolut Phantastische ausholte, seinen eigenen Anspruch auf Glaubwürdigkeit gleich selber ad absurdum führend. Die Kritiker, die Mandeville mangelnde Raffinesse vorwarfen, übersahen dabei zwei Dinge: dass die Grenze zwischen dem Glaubwürdigen und dem Unwahrschein-lichen im Mittelalter einen anderen Stellenwert als zu ihrer Zeit besass - und überdies ganz woanders verlief. 20 Eine Frage bleibt: Glaubte Mandeville selber, was er getreu seinen Vorbildern aufschrieb? Glaubte er an die Existenz dessen, was ihm zuvor in Wort und Bild als bizarres Zeugnis von Gottes Schöpfungsreichtum präsentiert worden war? Die wunderbaren und oft wunderlichen Tier- und Menschengeschöpfe, welche jenseits von Indien oder China Land und Wasser bevölkern sollen, 19 Evag. 3, S.15; dazu FEILKE, S.71 und S.99 (als mögliche Quelle gibt er Burcardus de Monte Sion an). Zum Balsamgarten vgl. MICHEL JULLIEN, Der Muttergottesbaum in Matarieh, Erinnerungen an den Aufenthalt der Heiligen Familie in Ägypten, Regensburg 1906. 20 Nochmals GURJEWITSCH, S.369: "Im Mittelalter glaubte man bei weitem nicht mehr wahllos an alles (...). Doch die Grenze zwischen dem Wahrscheinlichen und dem Unwahrscheinlichen befand sich in jener Zeit nicht dort, wo sie heute verläuft.• <?page no="112"?> 102 entstammen nicht einfach der blühenden Phantasie des Engländers, sondern ähnlich wie die Legenden aus Bibel und Kirchengeschichte einer langen literarischen und bildlichen Tradition. Fabelwesen wie diejenigen Mandevilles finden sich in mittelalterlichen Land- und Seekarten wieder, wo sie leere Flächen dekorativ und gleichzeitig vor den Gefahren des Unbekannten warnend überwuchern. In Stein gehauen sind sie bizarrer Fassadenschmuck gotischer Kathedralen, und als farbige Miniatur illustrieren sie fürstliche Stundenbücher . 21 Mandevilles Exoten haben schriftliche Vorbilder der "Einfüsser" jenseits des Ozeans, der mit seinem einzigen, überdimensionierten Fuss schneller als jeder Mensch laufen und ihn überdies als Schattenspender verwenden kann, ist belegt bei Plinius, Solinus, Isidor und Vincent de Beauvais. Die Tradition geht auf die Antike zurück. 22 Als Gewährsleute für den ersten Berichtteil (Pilgerreise nach Jerusalem; Expedition nach Indien und China) wurden Reiseschriftsteller vorgezogen: Odoricus de Pordenone, Marco Polo - und Boldensele. 23 Mandeville war gewiss kein plumper Kopist was er aus fremden Werken extrahierte, waren allgemein anerkannte Tatsachen, die er in dramaturgisch geschickter Weise zu einem anschaulichen, lebendigen Welt-Ganzen verknüpfte. Die oben gestellte Frage, ob er selber an das Vorhandensein seiner schillernden "Merveilles" glaubte oder sich mehr als Schöpfer mittelalterlicher Science Fiction verstand, ist dabei eher von zweitrangiger Bedeutung. Wesentlicher scheint mir die Feststellung, dass sein literarisches Reisebuch innert Kürze selbst den Status einer "älteren" und damit vertrauenswürdigen Autorität erlangte, auf die sich nachfol- 21 Das Thema findet in der Kunst- und Literaturgeschichte vielfältige Beachtung. Zuletzt erschienen u.a. (mit ausführlicher Literaturlisten und vielen Illustrationen) CLAUDE KAPPLER, Monstres, d6mons et meivcilles ll la fin du Moycn Age, Paris 1980, und Cl.AUDE LECOUTEUX, Les monstres dans la litt6rature allemande du moycn age, Contribution ll 1'6tude du meivcilleux m6di6val, Göppingen 1982 (GAG 330). Vgl. auch die Einführung "Fabelwesen"von RUDOLF SCHENDA in: KURT RANKE u.a. (Ed.), Enzyklopädie des Märchens, Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung, Bd.4, Sp.763-773. 22 MORITZ, S.13-14(andere Beispiele mit Quellen zitiert bei BOVENSCHEN, S.292-293). Abbildungen wie diese finden sich in der von Stemmler edierten Strassburgcr Mandeville-Druckausgabe 1499,S.104,aber auch in KAPPLER, Monstres, S.124-125. 23 BOVENSCHEN, S.206 ff. Odoricus de Pordenone reiste als Missionar um 1320 nach China und schrieb einen Bericht, der viel Beachtung fand. Zum Thema der mittelalterlichen "Entdeckungsreisen" allg. JEAN-PAUL ROUX, Les explorateurs au Moycn Age, Paris 1985(ein Buch mit gleichemTitel erschien bereits 1961). <?page no="113"?> 103 gende Reisende wie Arnold von Harff (und Kolumbus) stillschweigend berufen sollten. 4.4. Das Phantom des "Baedekers" Wo immer sich Pilger zu einem Fernpilgerort aufmachten, herrschte ein akuter Informationsnotstand. Man konnte den Weg erfragen, (nicht sehr exakte) Landkarten zu Rate ziehen - oder nachlesen, welcher Weg der beste, welche Herberge ratsam und was sonst noch wichtig zu wissen war. Für den angehenden Santiagopilger gab es zu diesem Zweck bis 1495 nur ein Standardwerk, und das war der "Liber Sancti Jacobi" aus dem 12. Jahrhundert. 24 Rompilger griffen zur Vorbereitung und Gestaltung ihres Besichtigungsprwamm mit Vorliebe auf ein Exemplar der "Mirabilia Romae" zurück. Den Jerusalempilgern stand eine reiche Literatur zum Thema zur Verfügung, ob sie nun von ihresgleichen stammte oder von Fernostreisenden wie Marco Polo und Odoricus oder direkt von Vertretern der bereits genannten venezianischen und franziskanischen Pilgerfahrts-Infrastruktur. Im letzteren Fall ist die Sachlage komplizierter, als es den Anschein macht, denn es gilt zunächst, einen eigentlichen "Mythos" der Pilgerberichtforschung etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Reinhold Röhricht hat die Hypothese seinerzeit aufgestellt, und Martin Sommerfeld hat sie unbesehen zum Grundsatz erhoben. "Dreierlei Quellen haben wir für diese Pilgerreisen zu unterscheiden. Erstens der geschriebene, später gedruckte, jedenfalls ziemlich früh fabrikmässig hergestellte lateinische Pilgerführer, ausschliesslich die unterwegs zu besichtigenden Heiltümer und die loca sancta des Heiligen Landes nebst den dort zu erlangenden Ablässen und den für die einzelne Stellen und Tage vorgeschriebenen Gebeten enthaltend; er war in Venedig käuflich. Auch die Franziskaner des Zionklosters hielten einen solchen Führer feil; jedoch versahen sich fast ausnahmslos die Pilger bereits in Venedig mit diesem Pilger-Baedeker (...). Die oft ins Wörtliche gehende Übereinstimmung der weitaus meisten Pilgerreisen des 14. bis 16. Jahrhunderts 24 JEANNE VIEL~ (Ed.), Le guide du pelerin de Saint-Jacques de Compostelle, Macon 1938 und 1978 (Bibliotheque de l'Ecole des hautes ~tudes hispaniques 24). Und HERBERS (Ed.), Jakobsweg, sowie DERS., Der Jakobuskult des 12. Jahrhunderts und der "Uber Sancti Jacobi": Studien über das Verhältnis zwischen Religion und Gesellschaft im hohen Mittelalter, Wiesbaden 1984 (Historische Forschungen 7). 25 Vgl. LSCHUDT, Le Guide di Roma, Wien 1930, und vor allem A.WEISSIHANNER, Mittelalterliche Rompilgerführer, Zur Überlieferung der Mirabilia und lndulgentiae urbis Romae, in: Archivalische Zeitschrift 1953, S.39-64. <?page no="114"?> 104 hinsichtlich der loca sancta erklärt sich aus dem Zurückgreifen der Pilger auf diesen Baedeker." 26 So bestimmt sich hier Sommerfeld äussert, und so klar er die Zusammenhänge darlegt so klar, dass ganze Generationen von Literaturhistoriker(inn~n dieselben ohne weitere Nachprüfung zu bestätigen bereit waren, 2 so unbestimmt und schmal ist bis heute die Basis, auf die er sich bei diesen Behauptungen stützt. Die Grundthese von der Existenz schriftlicher Pilgerführer, die den Heiliglandfahrem bei der Orientierung halfen und oft wortwörtlich in deren Berichte übernommen wurden, sei hier nicht in Frage gestellt. Sommerfeld nennt das Beispiel von Sebald Rieter, wo Intention und Funktion des vom Vater geerbten "lateinisch puchlein" ebenso zutreffen wie der Herkunftsort Venedig. 28 Reinhold Röhricht beruft sich unter anderem auf zwei in Venedig gedruckte Pilgerführer-Exemplare von 1491 und 1520. 29 Reichen aber diese und ein paar weitere dokumentierte Beispiele aus, um die Thesen aufzustellen, dass die Baedeker "fabrikmässig"hergestellt und in entsprechend hohen Auflagen vertrieben wurden, · dass "fast ausnahmslos"jeder Pilger seinen Baedeker unterwegs bei sich trug, und dass die Franziskaner vom Sionskloster im Geschäft mit der schriftlichen Pilger-Information eine Art Monopol innehatten? Man dürfe sich nicht darüber wundern, dass nur ganz wenige Exemplare der Pilgerführer die Jahrhunderte überdauert hätten, meint zum ersten Punkt Beatrice Dansette. 30 Gerade das aber hat Dietrich Huschenbett getan: Er wirft die Frage auf, weshalb etwa die "Mirabilia Romae" in sovielen Exemplaren erhalten geblieben seien, währenddem heute in Venedi§ kein einziger ebenda gedruckter Heiliglandführer mehr aufzutreiben sei. 1 Für die Existenz organisierter Vertriebssysteme spricht höchstens der indirekt "Indizienbeweis"der Textvergleich von sympto- 26 SOMMERFELD, S.829-830. Vgl. dieselben Aussagen bei RÖHRICJIT, Deutsche Pilgerreisen, S.8 und 43. 27 BeispielsweiseREGINE PERNOUD in der Einleitung zu dem von ihr 1940 herausgegebenen"Guide du ~lerin", S.S-6,und ähnlich BEATRICE DANSETI'E im VoIWOrt zur Edition des "Anonymede Renncs•, S.123. 28 SOMMERFELD, S.830. 29 RÖHRICJIT, BGP, S.267. 30 S.123: "Quelqucs guidcs sculement on ne s'en 6tonnera pas sont parvcnus jusqu'ä nous, sign6s par des F~rcs Mineurs, tout ä Ja fois itin6raircs spirituels et manuels de pricrcs." 31 HUSCHENBE'IT, S.39, Anm.44: •Allerdings scheint Vorsicht geboten zu sein, käufliche Pilgerführer (z.B. in Venedig) einfach vorauszusetzen.• <?page no="115"?> 105 matisch ähnlichen Pilgerbericht-Passagen, der auf eine Verwendung von stets gleichen schriftlichen Vorlagen hindeutet. 32 Belege für Bemühungen von kirchlicher Seite, den Handel mit den Baedekern in Gang (beziehungsweise in den Griff) zu bekommen, gibt es allerdings: 1356 erschien die von der römischen Kurie autorisierte Version eines bereits 1137 abgefassten Heiliglandführers, die aber kaum Verbreitung fand. 33 Und in der Zürcher Zentralbibliothek findet sich ein Büchlein, das 1519 vom Schweizer Jerusalempilger Werner Steiner in Venedij (! ) erworben wurde. Herausgeber war Johannes Host von Romberch, Seelsorger der Deutschen in Venedig, der Inhalt umfasst neben zwei theoretischen Schriften die "Descriptio Terrae Sanctae" des Burcardus de Monte Sion, und die Auflage dieses tatsächlich "fabrikmässi~ hergestellten Baedekers betrug die gewaltige Menge von tausend Stück. Werner Steiners Reiseführer liefert auch gleich den Beleg dafür, dass ein Pilger seinen Führer unterwegs bei sich trug, dass er angesichts der Heiligen Stätten darin blätterte und die Seiten mit Randnotizen versah. 36 Von unterwegs vorgenommenen handschriftlichen Eintragungen bis hin zum Einbezug des Gesamttextes in den allenfalls geplanten eigenen Pilgerbericht war dann natürlich nur noch ein kleiner Schritt. Zu klären bleibt die Frage, inwiefern die franziskanischen Ordensbrüder vom Sionskloster in Jerusalem Einfluss auf die Herstellung und Verbreitung solcher Schriften hatten. Das Beispiel des erwähnten Burcardus "de Monte Sion" ist dabei von besonderer Bedeutung, beeinflusste doch das Werk dieses franziskanischen Mönchs wie kaum ein zweites die Berichterstattung über das Heilige Land im Spätmittelalter. 37 Von den Idealen der Minderen Brüder inspiriert erscheinen ausserdem sämtliche Orientierungsschriften, die wie Werner Steiners Pilgerführer eingebun- 32 RICHARD, in: WKKG, S.143, beruft sich auf die in der franziskanischen Poggibonsi- Edition von 1945 vorgenommenen Untersuchungen und nennt, wiederum ohne Begründung, Venedig als wichtigsten Vertriebsort solcher "tabulae". 33 Zum Autor Fretellus, zum Werk und zu dessen Verbreitung vgl. P.BOEREN (Ed.), Rorgo Fretellus de Nazarcth et sa dcscription de la Terrc Sainte, Histoirc et cdition du texte, Amsterdam 1980 (Verhandelingen der K. Neder. Akad. der Wetcschapcn, Lctterkunde 105) 34 Romberch Kyrspcnsis ist gemeint; vgl. hier, Anhang, 1519. 35 Vgl. dazu JEAN-PIERRE BODMER, Werner Steiners Pilgerführer, in: Zwingliana 12, 1964-1968, S.69-73. 36 BODMER, S.71. 37 RICHARD, Lcs rccits, lokalisiert hier den flicsscnden Übergang zwischen Pilgerbericht und Pilgerführer, die "Dcscriptio Terrae Sanctae• ist, je nach Form und Gebrauch durch den Leser, beides. Vgl. auch HIPPLER, S.116: "Sein Bericht wurde zur meistvcrbreiteten Palästinaschrift des Mittelalters": Es sind 93 Handschriften überliefert, der Erstdruck erfolgte 1475 in Lübeck. Ausgaben {Auswahl): J.C.M.LAURENr (Ed.), Peregrinatorcs medii aevi quatuor: Burchardus de Monte Sion, Ricoldus de Monte Croce, Odoricus de Foro Julii, Wilbrandus de Oldenburg, Leipzig 1864; AUBREY STEWART (Ed.engl.), London 1896 (PPTS 12); auch in FEYERABEND (Ed.dt.), Rcyssbuch, Frankfurt 1584, fol.455a-466a. <?page no="116"?> 106 den sind in eine Summe anderer Texte mit religiös-erbaulichem Inhalt. In Sevilla befinden sich zwei Manuskripte von 167 respektive 154 Blättern Umfang, die neben je einem Heiligland-Itinerar noch weitere lateinische Traktate enthalten einen Psalmenkommentar, eine Beichtabhandlung, Predigten eines Franziskaners und eines Geistlichen unbestimmter Herkunft, einige "Sprüche der Philosophen" sowie einen Kommentar von Augustinus oder Hieronymus einerseits, und Predigten des hl.Cesarius, fünf Texte zum Leben und Werk des hl.Franziskus von Assisi, die Ordensregel der Minoriten, ein Gebetsverzeichnis sowie weitere Schriften, die sich eindeutig an franziskanische Leser richten, andererseits. 38 Es lässt sich leicht ausmalen, dass solche sorgfältig zusammengestellten mittelalterlichen "Reader's Digest"-Buchauszüge zunächst in geistlichen Kreisen zirkulierten, aber auch im Falle eines Vertriebs durch weltliche Dienstleistungsbetriebe an ein interessiertes Pilgerpublikum ihren liturgischpädagogischen Gehalt beibehielten. Was folgert daraus? Dass die Aussagen von Reinhold Röhricht und Martin Sommerfeld zum Thema grundsätzlich berechtigt sind, auch wenn der darin erhobene Anspruch auf Allgemeingültigkeit noch der Überprüfung bedarf. Als Quelle für die spätmittelalterlichen Pilgerberichte sind die ideologisch gefärbten Orientierungstexte der Franziskaner von grundlegender Bedeutung. "Die schriftlichen Führer der Franziskaner liefern schliesslich der grossen Masse der Pilgerberichte aus dem 15. Jahrhundert die inhaltliche und formale Struktur vor. 1139 Bei dem mysteriösen "Baedeker" (in dieser bestimmten Einzahl) aber handelt es sich um ein Phantom, dass mit den verschiedenartigen Texten, die zu unterschiedlichen Zeiten als Pilgerführer Verwendung finden mochten, nicht so einfach zur Deckung gebracht werden kann. 4.5. Andere Pilgerberichte Pilgerführer wurden in Pilgerberichte integriert, und umgekehrt nahmen Pilgerberichte die Funktion von Pilgerführern wahr. Es handelt sich hier also nicht um zwei verschiedene Genres topographischer Beschreibungen, sondern um zwei Aspekte ein- und desselben literarischen Phänomens. 38 Vgl. MANUEL DE CASI'RO (Ed.), Dos itinerarios de Tierra Santa de los siglos XIV y XV, in: Hispania Sacra 20, 1957, S.443-486(Beschreibung der Handschriften, Text der Itinerare wiedergegeben). Vgl. auch, speziell zur Frage cjes franpskanischen Einflusses: DEIARUELLE, Deux guides de Terre Sainte aux xiV' et XVsi~les, in: DERS., La pi~t~ populaire au moycn Age,Turin 1980, S.547-553. 39 HIPPLER, S.140. <?page no="117"?> 107 Der Unterschied liegt weniger in formalen Kriterien oder in der erkennbaren Identität des Verfassers als in der jeweiligen Lesart begründet. 40 Daraus ergibt sich, dass jeder Pilgerbericht wiederum Vorbild und Quelle für andere Pilgerberichte werden konnte, womit auch gleich die Kontinuität der Gattung gewährleistet blieb. Ein paar Beispiele: - Burcardus de Monte Sion haben wir schon kennengelernt; Felix Fabri zitiert ihn mehrfach offen, 41 - Ludolf von Sudheim erwähnt zwar die Pilgerreise seines Vorgängers Wilhelm von Boldensele, nicht aber die Tatsache, dass er ganze Partien aus Wilhelms Werk übernahm, 42 - Ludolf von Sudheim wird wiederum von Felix Fabri als Quelle zitiert, 43 und ausserdem soll er (unter anderem) den Reisebericht des Jean Adorno inspiriert haben, 44 - Jean de Mandevilles Reiseerzählung, die wie der Text von Ludolf von Sudheim früh im Druck zugänglich war, soll Spuren nicht bloss beim belesenen Felix Fabri hinterlassen haben, 45 sondern ebenso um nur ein paar weitere Beispiele zu nennen bei Gabriele Capodilesta, 46 Hans Bernhard von Eptingen 47 und Francesco Suriano, 48 - Auch Felix Fabri und Bernhard von Breydenbach sind von der pilgernden Nachwelt als Koryphäen geschätzt und entsprechend häufig kopiert oder zitiert worden: Ludwig Tschudis Redaktor griff auf Fabri zurück, 49 und Heinrich Wölfli erwähnt den Breydenbach. 50 Bei einigen der von Herausgebern und Literaturhistorikern fortwährend kolportierten Abhängigkeiten ist kaum mehr auszumachen, worauf sich die entsprechenden Vermutungen ursprünglich gestützt haben. Bei 40 Vgl. RICHARD, Les recits, S.19: "Toujours est-il que les deux genres restent tres voisins. (...) II est evidemment difficile de dire si un tel texte est, dans l'intention de son auteur, un guide ä l'usage des pelerins ou un recit de pelerinage.• 41 Erstmals im Evag. 1, S.182. Ebenda, S.383,sagt er aus, er habe Burcardus' Text unterwegs bei sich getragen kaufte er ihn (wie Werner Steiner 30 Jahre später) in Venedig? 42 Vgl. SUDHEIM, ed.Deycks. Zu der Abhängigkeit von Boldensele vgl. RÖHRICHT, Deutsche Pilgerreisen, S.90, und MORITZ, S.36. · 43 FABRI, Evag. 1, S.424. Ebenda, S.327 ff, zitiert Fabri übrigens den Bericht von Hans Tucher . 44 Nach RICHARD, Les recits, S.40. 45 Vgl. FEILKE, S.67. 46 Vgl. die Angabe von MOMIGUANO LEPSCHY (Ed.), S.34. 47 So BERNOULLI, Herausgeber der Nacherz.ählung,S.20. 48 Vgl. die Angabe von BAGATTI (im Vorwort zur engl. Suriano-Ausgabe), S.12. 49 Nach ESCH, Vier Schweizer Parallelberichte, S.155. 50 WÖLFLI, ed.Bloesch, S.57. Bernhard von Breydenbachs vielfach gedruckter Bericht hatte vor allem in Hinblick auf die Holzschnitte seines Begleiters Erhard Reuwich "vorbildliche"Wirkung. Dazu später mehr. <?page no="118"?> 108 näherer Betrachtung erweist sich denn auch häufig Reinhold Röhricht als Urheber der Gerüchte - und zwar ohne Quellen- und Stellenangabe. 51 Santiagopilger konnten nicht wie Orientreisende auf eine vergleichbare Anzahl vorgängig verfasster Pilgerberichte zurückgreifen, doch sind auch hier vereinzelt Querbezüge nachgewiesen. Der bereits erwähnte "Liber Sancti Jacobi" aus dem 12. Jahrhundert scheint allein dem Nürnberger Arzt Hieronymus Münzer als Vorlage gedient zu haben: Teile daraus exzeptierte er als Hintergrundinformation zu seiner eigenen Santiago- Beschreibung.52 Ein gedruckter Pilgerführer stand erst mit der Erstausgabe des Hermannus Künig von Vach von 1495 zur Verfügung. Vorher gab es für Jakobspilger keine "fabrikmässig" hergestellten Orientierungsschriften: "Das beliebte Bild des mit einem Pilgerführer versehenen Compostela-Fahrers ist (...) bis etwa 1500 ins Reich der Legende zu verweisen; für die Jahre danach ist es nur sehr bedingt anwendbar.'.s 3 Ob Arnold von Harff bereits von Künig von Vachs Reise-Vademecum wusste und davon Gebrauch machte, ist ungewiss. 54 Abhängigkeitsverhältnisse entstanden verständlicherweise besonders leicht da, wo Pilger gemeinsam reisten und gemeinsam ihre Berichte schrieben oder überarbeiteten. Gemeinsamkeiten waren aber durch die blasse Gleichzeitigkeit der Reise noch nicht gegeben. Die Texte von Thomas Brygg und Richard Kyngston beziehen sich zum Teil auf denselben Reiseabschnitt, weisen aber schon in der Form keinerlei Ähnlichkeit auf. Die beiden Begleiter von Leo von Rozmital stammten aus einem so unterschiedlichen Milieu, dass es nicht erstaunt, wenn ihre Beschreibungen kaum je aufeinander Bezug nehmen. Ebensowenig entstand der Reisebericht des William Wey in Abhängigkeit von den italienischen Berichten des Capodilesta und des Sanseverino oder gibt es zwischen den Reisebeschreibungen eines Felix Fabri, eines Santo Brasca und eines Pierre Barbatre über klimatische Beobachtungen hinausgehende Ähnlichkeiten.55 Freundschaftliche Beziehungen unterhielten hingegen Sebald Rieter und Hans Tucher sowie Felix Fabri und Bernhard von Breydenbach unterwegs - Beziehungen, die in den erhaltenen Reisebeschreibungen 51 Auf RöhrichtsunorthodoxeArbeitsweise und die Gefahrder Spekulationauf diesem Gebietweist KHATIAB, S.126, hin. 52 Vgl. MÜNZER, ed.Pfandl, S.95und155. .53 MIECK, Zur Wallfahrt nach Santiago, S.511. 54 KOHLER verweist zwar aufdieparallelenRoutenvonArnoldvonHarffundKünigvon Vach,vermagaber keine inhaltlichenoderformalenÜbereinstimmungen festzustellen. Bd.2,S.121: "Harffn'a pas pu enrichirson r6citgr4cc a cc texte. II n'cstccpendant pas cxcluqueHarffaitutiliseccguideen tantqueltelau coursduvoyage. • 55 Auf die besondereProblematikund Quellenlagevon Parallelberichten geht ESCH in seinen beidenAufsätzenein. Vgl.v.a: DERS., Gemeinsames Erlebnis,individueller Bericht, S.385ff. <?page no="119"?> 109 deutlichen Niederschlag gefunden haben. 56 Weitergehende Kontakte scheinen auch zwischen Paul Walther von Guglingen und Breydenbach bestanden zu haben, 57 nicht aber zwischen Walther und Felix Fabri. 58 Wie weit die Zusammenarbeit gemeinsam gereister Berichtautoren bisweilen gehen konnte, zeigt das hier folgende Textbeispiel von Roberta di Sanseverino und Gabriele Capodilesta. Unter dem gleichen Datum (21. Mai) finden sich die Einträge: - Dominicadie xxj di Mazo, orzandopure strictamenteconpochissimo vento,scopersenocirchale xiiij hore uno monte chiamato / a inchoronata, dove inchomincia/ e Iso/ e de Siberich,ehe e una citadedi Schiavonia de laprefataSignoria.Et costezandotuto lo / icto de/ marefino a / exxijhorecon ventopochissimofezenopocha via. (...) 59 - La domengaxxi de magyo orzandopur strettementecum pochissimo ventoscoperscenocerchaa / exiiii horeuno monte chiamatola Nicoronata dove comenza/ a inso/ ode Sibenichcitadede / a Dalmatia,sotoposta a / aprefata illustrissimade Vinezia.Et costezandotuto e/ di lo litto de/ mare, fina a le xxii hore, cum pochissimo vento feceno pocho camino; (...) (i() . Deutlich zutage treten die Parallelen auch innerhalb der vier eidgenösischen Jerusalem-Berichte von 1519: Zumindest bei Tschudi, Zur Gilgen und Heinrich Stulz herrscht eine oft verblüffende Einmütigkeit, während Hans Stockar im allgemeinen abseits steht. 61 Es geht bei den hier aufgezeigten Beispielen von inhaltlichen Zusammenhängen und formalen Abhängigkeiten nicht darum, den Weg zurück zur Primärquelle zu verfolgen oder lückenlose Verbindungsketten herzustellen. Dazu wären weitere aufwendige Textvergleiche notwendig, wie sie von Rainer Moritz und Aleya Khattab durchgeführt worden sind. Immerhin sollte deutlich geworden sein, wie stark der mittelalterliche Heiligland-Pilgerbericht einer literarischen Tradition verpflichtet war einer Tradition, die es bei der Frage 56 KHATIAB untersucht S.148 ff detailliert den Routenverlauf von Sebald Rieter und Hans Tucher ab Gaza und weist die textlichen Parallelen nach. Ab S.163 tut sie dasselbe mit den Parallelberichten von Felix Fabri und Bernhard von Breydenbach mit verblüffenden Ergebnissen, lassen sich doch sogar unterschiedliche Tagesausflüge zeitlich genau festlegen. 57 Nach MORITZ, S.85. 58 FABRI, Evag. 2, S.108, erwähnt zwar den Mitpilger Paul Walther von Guglingen, ohne ihnjedoch (wie andernorts Bernhard von Breydenbach) als Mitautor auszuweisen. 59 SANSEVERINO, ed.Maruffi, S.27. (i() CAPODILFSI'A, ed.Momigliano Lepschy, S.167. 61 Dazu ESCH, Vier Schweizer Parallelberichte, S.142-143. <?page no="120"?> nach den persönlichen Aspekten innerhalb eines Berichtes stets mit zu hinterfragen gilt. 4.6. Offene Ohren können bereits als Indiz dafür gewertet werden, dass sich ein Pilger um Informationen aus erster Hand bemühte. Wer dazu noch Fragen stellte in der Hoffnung, sein aus Büchern stammendes Vorwissen an Ort und Stelle überprüfen und vertiefen zu können, erweist sich im nachhinein als fast schon humanistisch-kritischer Geist. Der unkritische Pilger hingegen integrierte in seinen Bericht Wissenswertes "vom Hörensagen", vorzugsweise aus dem weiten Reich der Fabel und des Aberglaubens, ohne zu hinterfra gen oder gar Zweifel anzumelden. Hauptsache, der Informant war "vertrauenswürdig", was in diesem Fall viel eher mit "rechtgläubig" als mit "sachverständig" zu übersetzen ist. Das Kriterium der konfessionellen Herkunft eines Gerüchtes entschied darüber, ob es als pädagogisch wertvolles "exemplum" im Bericht Verwendung fand - oder bestenfalls Erwähnung als kurioses Beispiel eines exotischen Wunderglaubens. Zweifel waren offenbar einmal erwünscht, im anderen Fall aber ganz und gar nicht am Platz. Vereinzelt nur lassen leidgeprüfte christliche Pilger in ihrer Chronik erkennen, dass sie beispielsweise an dem "vornehmlich anekdotischen Charakter" der Erläuterungen zuständiger Franziskaner 62 - Anstoss nahmen. Skepsis äussert sich bisweilen in einem der betreffenden Wunderlegende vorangesetzten "dicitur" oder "dicesi", einem relativierenden "ondit" oder "mansagt": Der Chronist enthob sich mit dieser Formulierung der Verantwortung für den Wahrheitsgehalt seiner (Nach-)Erzählung. Schliesslich boten Kontakte mit der Bevölkerung bei aller Skepsis - Gelegenheit, dazuzulernen, und zwar auf beiden Seiten. Wilhelm von Boldensele liess sich von einem einheimischen Dolmetscher dazu überreden, seine Besichtigung der einstigen Stätten von Sodom und Gomorrha fallenzulassen nach Ansicht des Muslim hatte ein Pilger die von Gott zur Verehrung freigegebenen und nicht die verfluchten Orte aufzusuchen. 63 Ludolf von Sudheim hatte das Glück, einen zum Christentum übergetrete- 62 SCHNEIDER, S52; und nochmals ebenda zum Einfluss der Minderen Brüder: "Nach der Ankunft im Heiligen Land befanden sich die Pilger ganz in der Obhut der Franziskaner. Fast keine Schritt konnten sie ohne deren Begleitung gehen, wenn sie die Heiligen Stätten besuchten." 63 BOLDENSELE, cd.Deluz, S.272-273: • Ad qucm Jocumcum ircproponcrcm, sarraccnus intcrprcsmihi dixit,pro Jocisquibus dcus bcncdixitpcrcgzinusvcnist4non dcbcs ad Joca acccdcrcquc malcdictioncmaltissimimc111c111nt. Quo vctbo cdificatus et rationabilitcr rctractatus,directumitcr adjordanisfluviumprosequcbar." <?page no="121"?> 111 nen Islam-Renegaten als Auskunftsperson zum Felsendom in Jerusalem zu finden; und konnte sich so auf eine gleichermassen kompetente wie vertrauenswürdige Quelle stützen. 64 Kaum je Skrupel in bezug auf andersgläubige Informanten bekunden in ihren Berichten Jacopo da Verona und Niccolo da Poggibonsi: Beide zogen gegebenenfalls auch die "Sarazenen"zu Rate, und Jacopo scheint die präzisen Auskünfte von Juden unterwegs besonders geschätzt zu haben. 65 Fragende schon von Berufes wegen waren die beiden burgundischen Kreuzzugsspione Ghillebert de Lannoy und Bertrandon de la Brocqui~re, Fragende aus Berufung hingegen die beiden Universalreisenden Felix Fabri und Arnold von Harff. Der Mönch sammelte mündliche Informationen, um das Allgemeinwissen seiner Zeit zu revidieren und allenfalls zu erweitern. Der Ritter sammelte mündliche Auskünfte, um anderen Reisenden die Verständigung zu erleichtern: Er liefert in seinem Bericht Fragen und Antworten zu Unterkunft und Verpflegung in neun fremden Sprachen, und zwar so, wie er die Worte und Sätze selbst gehört hat oder haben will. 66 Soweit die Beispiele dafür, was ein Pilger unterwegs aufschnappte, erlauschte, vorgetragen bekam, erfragte und sinngemäss bis wortgetreu wiederzugeben suchte. 4.7. Offene Augen Ludolf von Sudheim gab dem Gelesenen und Gehörten den Vortritt vor dem Gesehenen und verhehlte seine Wertschätzung der Theorie nicht: Nun soll aber niemand glauben, dass ich alles und jedes (...) mit eigenen Augen gesehen habe. Sondern ich habe einiges aus alten Schriften übernommen und anderes von glaubwürdigen Personen gehört. 61 Nur wenige Jahre später gab sich ein italienischer Kollege, der Franziskaner Niccolo aus der Toskana, wesentlich praxisbezogener: Ich, Bruder Niccolo da Poggibonsi, hatte bei meiner Fahrt übers Meer im Sinn, alle Dinge selbst besuchen zu wollen und nicht eher in meine Heimat zurückzukehren. Und was ich also mit den Augen . erblickte und mit den Händen berührte, auch etwa anderweitig erfragte, habe ich, 64 SUDHEIM, cd.Deycks, 74. 65 Vgl. POGGIBONSI, ed.Bacchi della Lega, 1, S.247, sowie VERONA, cd.Röhricht, S.236 und 224. 66 Zur Frage der Verständigung zwischen Pilgern und Einheimischen später mehr. 67 Vgl. oben, Anm.14. <?page no="122"?> 112 sobald ich überdie Sache Bescheidwusste,auf ein Paarkleiner Tafeln, die ich beimir trug,geschrieben. 68 Es prallen hier zwei Extreme aufeinander, die sich zwar nicht ausschliessen, aber auf anschauliche Weise das Spannungsfeld ausloten, dem sich der spätmittelalterliche Pilger mit seinem Traditionsbewusstsein - und mit seiner Neugierde aussetzte. Denn, allen Unkenrufen der frühen Pilgerberichtforschung zum Trotz: Es bleibt auch nach Abzug der schriftlichen und mündlichen Fremdeinflüsse in jedem Fall eine ganze Menge Selbstgesehenes und Selbsterlebtes übrig, in dem einen Fall weniger und im anderen Fall mehr. 69 Die Ausbeute ist im einzelnen von der jeweiligen Disposition des Autors zur Selbstentäusserung abhängig, und das heisst auch, von spezifischen g,esellschaftlichen Rahmenbedingungen, auf die noch zurückzukommen ist. 0 Den auf herkömmliche Traditionen besonnenen Ludolf von Sudheim und den auf Sinneseindrücke erpichten Niccolo da Poggibonsi jedenfalls verbindet, dass sie beide ein kollektives Wertesystem aus der Heimat mit in die Fremde nahmen. Es sollte ihnen helfen, den eigenen Standpunkt innerhalb dieser instabilen fremden Welt der unbekannten Erscheinungen zu behaupten. 71 Von daher bieten "offene Augen" eines Pilgers an sich noch keine Gewähr dafür, dass seine Sicht der Dinge eine unverstellte war. Kollisionen des sich offenbarenden Bildes von der Welt mit dem eigenen Weltbild waren unvermeidlich und fielen umso heftiger aus, je festgefügt das zuvor gefasste Weltbild war. 68 POGGIBONSI, ed. Bacchi della Lega, 1, S.47: •Ma io, frate NicolodaPoggibonsi, quando passaioltramare,! animo mio puosi di volere tutte cose visitare,ein altro modo non voleremairitomarein miopaese. E quelloehe coglioccivedea, e rolle mani toccava, e anehealtruidomandando, e coniio eradellacosaben certifidato, e io Joscrivevain su un pajo di tavolelle,eheallatoportava. • 69 SOMMERFELD geht S.383auf den ausserordentlichen "Fortschritt in der Beobachtung ethnologischer und klimatischer, ökonomischer und sozialer, botanischer und zoologischer Phänomene" ein, den er innerhalb der deutschsprachigen Pilgerliteratur des 15. Jahrhunderts beobachtet hat. Berichte italienischer Pilger waren von diesem "Virus" bereits im 14.Jahrhundert befallen, wie das Beispiel Niccolos zeigt. 70 Dazu WENZEL, Reisebeschreibung und Selbsterfahrung, hier S.249: "Jede Reisebeschreibung interpretiert die Welt nach Massgabe der kollektiv gesicherten Wahrnehmungsmöglichkeiten, und als Medium der Weltauslegung dient sie zugleich der individuellen Selbstfindung.• 71 Vgl. dazu ROLF SPRANDEL, Mentalitäten und Systeme, Neuzugänge zur mittelalterlichen Geschichte, Stuttgart 1m, v.a. dessen Feststellung S.87, •...dasssich das Bewusstsein von der Bedeutung der eigenen Gruppe besonders bei der .Konfrontation mit fremden Gruppen entwickelte. Geltung und Ansehen der eigenen Gruppe als Verhaltensmassstab setzen den Vergleich der eigenen Gruppe mit anderen Gruppen voraus.• Gleiches gilt für das Individuum und dessen Konfrontation mit fremden Objekten und Individuen. <?page no="123"?> 113 5. Interessen "Inter esse" heisst: "dabei sein", bedeutet Teilnahme und Anteilnahme. Wer an einer spätmittelalterlichen Pilgerfahrt nach dem Heiligen Land oder nach dem spanischen Galizien teilnahm, nahm definitionsgemäss in erster Linie Anteil am Erreichen des Pilgerziels. Doch auch der Weg dahin hatte seine Reize. Die Interessen, die sich im Bericht eines Pilgers niederschlagen, sagen genausoviel über den Autor und seine Sicht der Dinge aus wie über die Weltsicht jener, die er als Leserschaft seines Buches ins Auge fasste. Jener Spiegel, den der Berichterstatter aufgrund bewährter Ansichten sowie eigener Beobachtungen von der Welt entwarf, um ihn seinen Zeitgenossen vorzuhalten, war im Grunde ein Brennspiegel, dessen Fokus von den tradierten gesellschaftlichen Vorstellungen bestimmt blieb. 1 Wo nun allerdings schwerpunktmässige Interessensverlagerungen auftreten, sei es in bezug auf das Pilgerziel oder in bezug auf den Weg dahin, da signalisieren sie (womöglich tiefgreifende) Umwandlungsprozesse in der Mentalität einer sozialen Gruppe oder auch der Gesellschaft schlechthin. Ein kleines Wort strukturiert die Interessen innerhalb des Pilgerberichts, und zwar in dem umfangreichen Weltreisebuch des Arnold von Harff ebensogut wie in der knappen Zusammenfassung von Lorenz Egens Reise- Etappen: der Verbindungspartikel "item". Item steht lateinisch und damit universal für "... und dann" und findet sich besonders gehäuft überall da, wo ein Berichterstatter nicht bewusst auf stilistische Abwechslung bedacht war.2 Dieses "Item" ist als charakteristischer Baustein des Genres zu betrachten: Wo eine Beschreibung geprägt ist durch" ... ein eintöniges Aufzählen von Sachverhalten, ein stereotypes Nacheinander von Gegenstän- 1 Zum Bild des Reiseberichts als Weltspiegel vgl. HARBSMEIER, S.7: "Die Darstellung anderer und fremder Verhältnisse und Verhaltensweisen funktioniert wie ein Spiegel. Herodot hat ihn den Griechen vorgehalten, die darin die Skythen, die Perser, die Barbaren haben sehen wollen. Die historische und ethnographische Forschung hat die meiste Zeit mit dem oft an Sisyphos erinnernden Versuch zugebracht, die offenen und versteckten Verzerrungen dieses Spiegels zu entzerren, um der Wahrheit über die Skythen, Perser, Chinesen usw. auf die Spur zu kommen und damit Herodot und seinesgleichen 'den Prozess zu machen'. Die hier (in Harbsmeiers Aufsatz) genannten Beiträge erlauben uns einen ganz anderen Blick in diesen Spiegel, in dem wir darin Herodot und die Griechen neu entdecken.• 2 Vgl. v.a. HIPPLER, S.142-143,die den "item"-gespiclctenBerichten keine stilistischen Qualitäten über den Charakter• ... unreflektierter, gleichgültigerAneinanderreihungen der immer gleichenTatsachen und Ereignisse"hinaus abgewinnen mag. <?page no="124"?> 114 den", da verstärkt "das Ausmass der Verwendun: f des Wortes 'item' (...) noch die Tendenz der informativen Aufzählung." Mit der eingehenderen Behandlung eines Sachverhaltes wird jedoch der Abstand von "item" zu "item" weiter; die quantitative Häufigkeit des Verbin-dungspartikels steht somit als Gradmesser für die Intensität der individuellen (beziehungsweise im Bericht individuell gewürdigten) Aufmerksamkeit einem Gegenstand gegenüber. Die "Item"-Partikel sind Gitterpunkte eines unterschiedlich weitmaschigen Beziehungsnetzes und begrenzen den Aktionsradius, innerhalb dessen sich die Interessen der Pilger auf Wanderschaft begeben. 5.1. Das Pilgerziel Ob die Reise in Richtung Sonnenaufgang nach Jerusalem führte und weiter in den Orient oder aber in Richtung Sonnenuntergang nach Santiago de Compostela und zurück in beiden Fällen war ein Grab das Ziel und markanter Wendepunkt der Pilgerfahrt. Hier erfüllte sich der Auftrag des Pilgers, einmal am Grabe des auferstandenen Herrn, das andere Mal am Grabe seines bis ans Ende der Welt vorgedrungenen Jüngers. Hier konzentrierte sich das mystische Erlebnis auf einen einzigen, in der mittelalterlichen Kosmologie genau determinierten, Punkt: Hier also war das Heil zum Greifen nahe. 4 Mit dem Besuch des Pilgerziels verknüpft waren aber auch weitere institutionell vorgegebene Besuche an kultisch bedeutsamen Stätten: Der Santiagopilger überzeugte sich durch einen Augenschein vom "Ende der Welt" in Finisterre und besichtigte die Steinplatte, auf welcher einst Jakobus ruhte ein Fussabdruck des Heiligen ist darin sichtbar. 5 Dem Jerusalempilger war das Wandeln in Christi Fussstapfen an sich schon kultische Handlung, ob es nun die Stätten der Passion betraf oder die Orte seines Wirkens: Bethlehem als Stätte der Geburt, der Jordan, wo sich der Nachvollzug des neutestamentlichen Taufritus bei den sportlicheren unter den Pilgern zum eigentlichen Schwimmausflug ans andere Ufer und zurück auswachsen mochte. Schliesslich der Ort des Triumphes, die Himmelfahrtskapelle auch hier hatte sich ein Fussabdruck als sieht- und 3 KHATIAB, S.201(mit Bezug auf Lorenz Egen). 4 Zur "biblisch bestimmten Signatur" Jerusalems als Weltmitte vgl. ausführlich JÖRG- GEERD ARENTZEN, Imago Mundi Cartographica, Studien zur Bildlichkeit mittelalter-licher Welt- und Oekumenekarten unter besonderer Berücksichtigung des Zusammenwirkens von Text und Bild, München 1984(Münstersche Mittelalter-Schriften 53), S. 216-222; zu Santiago de Compostela als ebenfalls "überreich befrachteter Räumlichkeit" HASSAUER, Eine Strasse durch die Zeit, S.409ff. 5 Nach TETZEL, ed.Schmeller, S.178. <?page no="125"?> 115 ertastbarer Beweis für die irdische Existenz des Gottessohnes (und die Kraft, mit der er sich vom Boden abhob) erhalten. 6 5.1.1. Das Erlebnis Jerusalem liess trotz der effizienten Bemühungen des Franziskanerordens um eine zunehmende Standardisierung des Pilgerverkehrs, die in der Berichterstattung des 14. - 16. Jahrhunderts so deutliche Spuren hinterlässt, keinen Besucher und keine Besucherin gleichgültig. Dies festzuhalten, scheint mir wichtig, da im allgemeinen die Gefahr besteht, von der im Bericht eines Pilgers festgestellten gleichgültigen Haltung auf dessen tatsächliche Gefühlslage damals zu schliessen. Die Begeisterung der spätmittelalterlichen Jerusalempilger beim Anblick des ersehnten Zieles mag nicht in jedem Reisebericht "adäquat" zum Ausdruck kommen dort aber, wo sie spürbar wird, auferlegt sie sich keinerlei Schranken. Das mystische Erlebnis der Ankunft fand im Fall von Jerusalem gleich mehrere Male statt: "Ankunft" bedeutete schon der erste Anblick der Palästina-Küste vom Meer her, es folgten die erste Berührung des heiligen Bodens in Jaffa, später der erste Anblick der Stadt, der Einzug auf Eseln (der an das prominente Vorbild Jesu Christi gemahnte), und schliesslich der erste von zumeist drei nächtlichen Heilig-Grab-Besuchen. Alle diese Stufen der Ankunft lösten beim Pilger eine tiefe Bewegung aus wobei im Falle der Landung in Jaffa zusätzlich die Erleichterung, endlich wieder festen Boden unter den Füssen zu spüren, aus einigen der Berichte spricht. Mit dem Anblick der zwei Wachttürme im Hafen von Jaffa nahm die vorgeschriebene Gebets- und Gesangsliturgie bereits ihren Anfang: Kaum ein Berichterstatter vergisst zu erwähnen, dass die an Bord des Schiffes befindlichen Geistlichen das "Te Deum" anstimmten, in welches die Pilger ergriffen einstimmten. 7 Jacopo da Verona beschreibt anschaulich, wie er beim Betreten des Heiligen Landes sogleich auf die Knie fiel, um "... hingestrecktund mit Tränen in den Augen" mehr als zwanzig Stellen des gesegneten Bodens zu küs- 6 Der fussabdruck ist heute noch zu besichtigen; laut "Nagels Reiseführer Israel", Genf 1970 , S.363,ist es der linke. 7 SANSEVERINO, ed .Maruffi, S.65; CAPODILESTA und SANTO BRASCA, ed. Momigliano Lepschy, S.179 und S.63; RIETER, ed.Röhricht, S.51; TUCHER, ed.Pascher, S.15; FABRI, Evag. 1, S.184; GRÜNEMBERG, ed.Goldfriedrich, S.63; CASOLA, ed.Porro, S.51, ed.Newett, S.220; SCHÜRPFF, ZUR GILGEN und STULZ, ed.Schmid, S.12, S.48 und S.234; ANONYMUS (Guylforde), ed.Ellis, S.15. <?page no="126"?> 116 sen. 8 Dieselbe Bewegung überkam den frommen Pilger zwei Tage später beim Anblick Jerusalems: Sogleichstiegich vom Esel, warfmich zu Boden und küsste diesegesegnete Erde, auf welcherder seligeChristusmit seinen Füssen einst wandelte. Und ich lobte meinen Herrn,der es für richtiggehalten und mir Sünderdie Gnade erwiesenhat, diesalleszu sehen und zu berühren. 9 Mit dem Sehen und Berühren meinte es J acopo von Verona durchaus ernst und wörtlich, und er ging noch einen kleinen Schritt weiter vom Anschauen und Anfassen zum An-Sich-Nehmen: Der reliquienhungrige Mönch (und Ahnvater ähnlich emsiger Bildungstouristen von heute) hat sich vor seinem Besuch der heiligen Stätten mit geeignetem Werkzeug eingedeckt und daraufhin in der Grabeskirche und anderswo von allen bedeutungsvollen Säulen und Steinen Stücke weggeschlagen, währenddem seine Mitpilger die Wächter ablenkten. 10 Es muss eine recht anstrengende Form der Christusverehrung gewesen sein, wie er an anderer Stelle zu verstehen gibt: "... et ego vidi, tetigiet de lapide cum difficultateaccepi,quod duruslapisest." 11 Seine eigene Sammeltätigkeit schien ihm nicht verwerflich, doch zeigt er sich im selben Atemzug ungehalten über jene Kollegen vor ihm, welche die heiligen Stätten als Steinbruch missbraucht und bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt hätten. 12 Auch Ludolf von Sudheim äussert sich zur frommen Leidenschaft der Souvenirjägerei besorgt: Wenn das Grab Christi Stück um Stück weggetragen werden könnte, wäre es schon lange verschwunden, moniert er. Und wenn es auch ein riesiger Berg wäre; kaum ein Sandkorn bliebe übrig. 13 Niccolo da Poggibonsi verbrachte ganze vier Monate in Jerusalem und hatte als Angehöriger der Franziskaner freien Zugang zur Grabeskirche. Seine Architekturbeschreibung des Bauwerks ist so exakt wie die eines modernen Kunstführers und führt selbst die einzelnen Gebäude-Inschriften im Wortlaut auf. Der Bedeutung der Heiliggrabkapelle für die christliche Identität war er sich wohl bewusst, wie sein eloquentes Predigerwort zuhanden des frommen Lesers belegt: 8 VERONA, cd.Röhricht, S.180. 9 VERONA, S.182: •... statim de azinodescendiet pro.stratustcrramdeosculatusfu4 quam Cristusbencdictussuis pcdibus pcrambulavitet JaudaviDominum meum, qui dignatus cst mihi darcpcccatorigratiamsua vidcndiet tangcndi." 10 Das Beispiel der Grabeskirche: VERONA, S.18.S. 11 VERONA, S.188. 12 Ebenda. 13 SUDHEIM, cd.Dcycks, S.80: "Nam si scpulcrumChristiper grana et arcnasposset dcportari,jam ultraJongatcmpora,etiamsi maximusnos esset, fuissct deportatum, ita ut vix ibidcm unaarcnapcrmansissct• <?page no="127"?> 117 Werje hier drin sein durfte, sollte unserem HerrnJesus ChristusDank sagen,denn es ist wahrhaftigkeinerso hartherzig,dass erhierseine Tränen zurückzuhaltenvennöchte, dass er nicht laut weinen müsste, wenn er in diese überausheiligeKapelleeintritt . Denn dies ist ein heiligerOrt, und es ist ein heiligesGrab,aus welchemderguteJesus auferstandenist, der die Welterlösthat. Etc. 14 Hätte Bruder Niccolo die englische Jerusalemfahrerin Margery Kempe kennengelernt, so hätte in ihr das eigene Pilgerideal ohne Zweifel wiedererkannt. Denn: Margery Kempe wurde bei der Verinnerlichung ihrer zahlreichen religiösen Erlebnisse stets bis zum Äussersten getrieben. Wiederkehrende Tränenausbrüche und Schreikrämpfe zeugen von der Heftigkeit der Bewegung, sobald ihr Pilgerherz höher schlug. Beim Anblick der Stadt Jerusalem geriet die praktizierende Mystikerin völlig ausser sich: Da aus lauterFreudeund aus dem Überschwangder Gefühle heraus, den sie bei der OffenbarungunseresHerrn empfand fiel sie fast von ihremEsel, denn sie vennochte die Seligkeitund Gnadenicht zu fassen, die Gott ihrerSeele gewährte. Da warenaber zwei Pilgeraus den Niederlanden, die gingenzu ihr und bewahrtensie vor dem Fallen, und einer von ihnen war ein Geistlicher.Er legteihr Kräuterin den Mund, um sie zu beruhigen,denn erglaubte,sie hätte einenAnfall gehabt. Und so halfen sie ihr weiternach Jerusalem.15 Drei Wochen weilte die fromme Pilgerin in der Stadt, hatte eine Reihe mystischer (Schlüssel-).Erlebnisse und auch Visionen. Sie sah Christus als Gekreuzigten vor sich,16und am Grab Mariens unterhielt sie sich angeregt mit der Gottesmutter und ihrem Sohn: Während letzterer sich bereit erklärte, Margery um ihrer frommen Verdienste willen von den gelobten Pilgerfahrten nach Rom und Santiago de Compostela zu dispensieren (was sie nicht annehmen mochte), erwies sich Maria als solidarisch mit der ständig in Tränen ausbrechenden Pilgerin. Auch sie und Maria Magdalena hätten um den Gekreuzigten geweint und sich ihrer Tränen nicht geschämt.17 14 POGGIBONSI, cd.Bacchi della Lega, 1,S.63-65. 15 KEMPE, ed.Meech, S.67: • Than, for joy that sehe had & the swetnes that sehe feit in the dalyawnce of ooyr Lord, sehe was in poynt to a fallyn of hir asse, for sehe myth not beryn the swetnesse & grace that Ood wrowt in hir sowie. Than tweyn pylgrymysof Duchemen went to hir & kept hir fro fallyng, of whech the on was a preste. And he put spyc: ysin hir mowth to comfort hir, wenyng sehe had ben seke. & so they holpyn hir forth to Jerusalem .• 16 KEMPE, S.70. 17 KEMPE, S.72-73. <?page no="128"?> 118 Nompar de Caumont beruft sich bei seiner Auflistung von heiligen Stätten und Ablässen in Jerusalem wie viele seiner Kollegen auf eine standardisierte Vorlage, und doch beschreibt er den Besuch der Grabeskirche in durchaus persönlichen Worten. Allerdings richtet sich das Augenmerk seines Berichtes weniger auf das mystische Erlebnis, welches er vielleicht ebenfalls verspürte, sondern auf das Prozedere des Ritterschlaf vom Heiligen Grab und auf die Stiftung eines eigenen Ritterordens. 1 Auch vermerkt er mit sichtlichem Stolz seinen persönlichen Rekord von vier nächtlichen Grabbesuchen statt der üblichen drei. 19 Dieser Luxus kam Nompar teuer zu stehen, musste er doch auf diese Weise erheblich mehr als den üblichen Tribut an die muslimischen Türhüter entrichten. 20 Zum Vergleich: Der Zutritt zur Grabeskirche kostete um 1392 jedesmal sechs Dukaten, wie die beiden Reiserechnungen der damals in Jerusalem weilenden englischen Edelleute, des Earl of Derby und des Thomas von Swinburne, übereinstimmend vermelden. 21 Die beiden burgundischen Orientpilger und -kundschafter Ghillebert de Lannoy und Bertrandon de la Brocquiere befassen sich mit dem Thema "Jerusalem" unter rein strategischen Gesichtspunkten oder dann nur flüchtig. In Ghilleberts persönlichem Reiserapport erscheint die Stadt lediglich als Durchgangsstation: " ...und dann nach Jerusalem und zu den Stätten ringsherum, die man nach Pilgergewohnheit besucht. Von da kehrte ich nach Rhodos zurück und ansch/ iessend nach Venedig auf dem gewohnten Weg, und schliesslich kam ich zurück über Deutschland, wo mich der Bastard von Lorhaine §: efangennehmen liess, doch der Comte de Waudemont liess mich befreien." 2 In einem zweiten Anlauf trennt Ghillebert den Pilgerstandpunkt scharf vom Standpunkt des Kundschafters: Dem (wörtlich aus einer Vorlage übernommenen) Pilgerführer nach den heiligen Stätten von Syrien und Ägypten folgt ein eigenständiges Kapitel, betitelt "Die Berichte ('Les rapports') über die Reisen zu verschiedenen Städten, Häfen und Flüssen, die ich 1422 unternahm, in Ägypten ebenso wie in Syrien". 23 In diesem Rapport mit offensichtlich militärischer Funktion nimmt Jerusalem den von 18 CAUMONT, ed.de la Grange, S50 bzw.S.75-76. 19 CAUMONT, S58 : "Toutes foix hi ay-je entre quatre: et cest avantatge dizoient que ne avoient plus fait ha autres qui yffussent estt! ..." Spätere Rekordjäger übertrumpften Nompar noch; so berichtet der Kaplan von Sir Richard Guylforde (ANONYMUS, S.46) von insgesamt sechs in der Grabeskirche verbrachten Nächten. 20 Ebenda: "... et pour chacune entree et yssue avez a paier argent aux Sarrazins. • 21 Vgl. KYNGSTON, ed.Smith, S.278 (unter den "Almosen" aufgeführt), und BRYGG, ed.Riant, S.388 (es sind hier genauer sechseinhalb Dukaten und beim zweiten Mal - •ad sanctum introitum" -vier "grossl'). 22 LANNOY, ed.Potvin, S.71. Künftig sollen Textstellen nur noch dann im Original wiedergegeben werden, wenn in ihnen individuelle Meinungen und Gefühle zum Ausdruck kommen. 23 LANNOY, S.99. <?page no="129"?> 119 der religiösen Bedeutung für einmal völlig losgelösten - Stellenwert eines zu erobernden Objektes ein. Ghillebert de Lannoy vermerkt die karge und unfruchtbare Umgebung der Stadt, zählt Burgen und Befestigungen auf und gelangt zu der (etwas vagen) Hypothese, dass die Stadt bei angemessener Truppenstärke verhältnismässigleicht einzunehmen wäre. 24 Auch Bertrandon de la Brocquiere fasst sich kurz, so kurz, dass die Beschreibung sämtlicher heiliger Stätten in und um Jerusalem in einem Satz Platz findet: Und als wir in besagter Stadt Jerusalem angekommen waren und die üblichen Pilgerschaften absolviert hatten, begaben wir uns zu dem Berg, wo unser He" vierzig Tage fastete, und von da zum Jordanfluss, wo er getauft wurde; und auf der Rückreise unternahmen wir die üblichen Pilgerschaften, also jene zur Johanneskirche, die beim Fluss ist, zu Sankt Magdalena und Sankt Marta, wo unser He" den Lazarus von den Toten auferweckte; und dann kehrten wir nach Jerusalem zurück, von wo wir erneut aufbrachen, um nach Bethlehem zu gehen, wo unser He" geboren worden ist. 25 Weiter unten lässt er eine kurze Situationsbeschreibung von Jerusalem folgen, jener einst grossen und blühenden, verteidigungsmässiggünstig im Gebirge gelegenen Stadt, die jetzt aber - "... zum Elend und Aufruhr der Christenheit" unter islamischer Hoheit steht. 26 Zwei Monate brachte der burgundische Edelmann gesamthaft in der Gottesstadt zu, 27 doch treten in seinem Bericht die Erlebnisse des Pilgers hinter jene des Kundschafters mit politischem Auftrag zurück. Noch ein dritter fahrender Ritter jener Tage begnügte sich mit einem knappen Rapport: Georg von Ehingen, 28 dessen Text die Jerusalemfahrt lediglich als eine unter vielen Etappen seiner "Reisen nach der Ritterschaft" wiedergibt: Da dannen weh ich mitt gelaitt über land uff acht tag räss und kam inn et/ ich gross stett mit namen Tiro, Saffedo und Allollosso, darnach gen 24 lANNOY , S.143: •... et ne samble riens forte contre puissance de gens, car Japlus grant force qui y est sy est qli eile assaz fort assise.• 25 BROCQUIERE, ed.Schefer, S.11. 26 BROCQUIERE, S.12: •Iherusalem a este une bonne et grande ville et meilleutre par samblant qli elle d est de present. Elle est assise eo fort pays de montaignes, et est en Ja subjectiton du Souldan, qui est grant pitie et confusion a tous / es Crestiens.• 27 Ebenda . 28 Vgl. EHRMANN (Ed .Ehingen), 2, S.91: "Georg nennt keine der heiligen Stätten namentlich, und die (seine) Autobiographie unterscheidet sich dadurch wesentlich von der Gruppe der Pilgerberichte. Auch vom Erhalt des Ritterschlags am Heiligen Grab ist in der Autobiographie keine Rede .• Dazu WELTEN, S.292, mit der Bemerkung, Georg habe laut eigener Aussage den Ritterschlag bereits auf der Hinfahrt in Rhodos erhalten . <?page no="130"?> 120 Nassareth, dannen gen Jerusalem und zoch allso vir dass gallileisch meer, dan das land haist Gallilea. Allss ich nun die hailigen stett gesuocht und den mertail durch gongen und XV tag zuo Jerusalem und darinn beliben war, stann mein gemüet, wytterzuo sant Catharina und gen Baballonia zuo ziehen. 29 Hans Bernhard von Eptingen erscheint in seinem Jerusalem-Bericht (beziehungsweise in der vorliegenden Edition aus dem Jahr 1822, die die aufgelisteten Ablässe des Pilgers kommentarlos unterschlägt) als Pragmatiker ohne allzu grosse Ehrfurcht vor der spirituellen Bedeutung des Ortes, dafür aber mit einer grossen Neugierde in bezug auf alles Unbekannte. Die Gewohnheit, wonach die Pilger beim Anblick der Stadt von den Eseln stiegen und teils sogar barfuss in Jerusalem einzogen, wird von einigen Autoren als liturgische Zeremonie im Sinne einer Demutsbezeugung geschildert. 30 Anders Hans Bernhard, der nachträglich die muslimischen Eseltreiber für die Schikane verantwortlich macht, "... dann sie uns nit vorwärts wollten lassen reiten. n3l Auch wenn in der vorliegenden Ausgabe ausgerechnet die so bedeutsamen (weil genretypischen) Angaben zu den unterwegs bezogenen Ablässen fehlen, lässt sich des Pilgers (Haupt-)Interesse an diesen Dingen unschwer aus der Bemerkung folgern, mit der er die Beschreibung des Pilgerrundgangs eröffnet: Item am Monta; da giengen wir die heilige Stätt zu besehen und den Ablass zu holen. 2 Hans Bernhards materialistischer Gesichtspunkt äussert sich bisweilen in einem pragmatischen Schönheitssinn ("schön" ist die Geburtskirche von Bethlehem, und zwar ist sie verziert mit Glasstücken, "... gross wie Bohnen ")33, dann wieder in der beiläufigen Schilderung massentouristischer Aspekte wie etwa der lukrativen Devotionalien -''Ki'ämerey"mitten in der Grabeskirche. 34 Was immer aus dem Rahmen des Üblichen fiel oder gar den Reiz des Verbotenen an sich hatte, zog den neugierigen Pilger unwiderstehlich in seinen Bann. Am liebsten hätte er den Felsendom, das islamische Heiligtum an der Stelle des einstigen Zweiten Tempels, von innen besichtigt; er kam aber lediglich in die Nähe des Vorplatzes und begnügt sich mit der 29 EHINGEN, ed.Ehrmann, 1, S.33. Mit • Babylod' ist im allgemeinen Kairo gemeint, doch erweist sich Georg als anfällig für Verwechslungen, wie WELTEN, S.291, vermutet. 30 Beispielsweise von GUCCI, ed. Gargiolli, S.362. 31 EPTINGEN, S.355. 32 EPTINGEN, S.357. 33 EPTINGEN, S.375. 34 EPTINGEN, S.380. <?page no="131"?> 121 Beschreibung desselben. 35 Mitten in die Aufzählung der heiligen Stätten gerät ihm auch die Schilderung einer hübschen Strassenszene: Ein "Heide" beförderte auf seinem Esel fünfzig oder sechzig Hühner, alle kunstvoll ausbalanciert, "... und dass ihm keins hinwegtaufte nahm mich Michel wunder. "36 Zumindest an einem Punkt bekundet Hans Bernhard von Eptingen gewissermassen höhere Interessen: Wie er, gegen ein Entgelt von vier Dukaten, den Ritterschlag im Heiligen Grab empfing und seinerseits weitererteilte, erzählt er mit ehrfürchtigem Stolz. "... Und das ist ein würdig, schön, löblich Ding, welchersrecht halt": Mit diesen Worten le_p er dem geneigten Leser die Pflichten der Heilig-Grab-Ritter ans Herz.3 William Wey bietet seinen Lesern gleich mehrere Zugänge zum Erlebnis Jerusalem, wobei er sich selbst als den ''Wegweiser" nach Möglichkeit aus dem Spiel lässt. Der Bericht ist zweisprachig gehalten die offiziellen Informationen seitens der Franziskaner leitet Bruder William lateinisch weiter, währenddem die englischen Tips für angehende Jerusalempilger aus dem Fundus seines eigenen Erfahrungswissens stammen dürften. Hingewiesen sei hier auf jenen eigenständigen Reiseführer in englischer Sprache, der die Form eines mehrstrophigen Merkverses (oder Gebetes) hat und die Anreise von Venedig bis Bethlehem abdeckt . Distanzen, Sehenswürdigkeiten und Hinweise auf die jeweils erhältlichen Ablässe lassen einen praktischen Verwendungszweck vermuten, doch sollte sich der Leser bereits in Gedanken an die genannten Stätten verset zen können: Also att that casteland thatplace Ys beryedseynt Cleophas. Thensgo weeforth and ryghtly By Sylo and Abaramathy; Anti, when wee bepassyd thatplace, We schalse Jerusalemin shortspace. Then lmele wee downe apoun ourelme, When weethat holy cytesee,· For to all that thydyrcome Ysyeve and grauntful remyssioun. 35 EPTINGEN, S.359. Was ihm versagt blieb, rühmen spätere Pilger wie Felix Fabri und Arnold von Harff als persönliche Heldentat: die Besichtigung der Moschee unter Umgehung der islamischen Sicherheitsvorkehrungen. Nach übereinstimmender Ansicht der Pilger musste dem christlichen Glauben abschwören oder sterben, wer bei einer solchen Freveltat erwischt wurde. Zur Geschichte und Bedeutung des Bauwerks vgl. auch HERIBERT BUSSE, Vom Felsendom zum Templum Domini, in: W.FISCHER / J.SCHNEIDER (Ed .), Das HeiligeLand im Mittelalter, Neustadt 1982,S.19-32. 36 EPTINGEN, S.379. 37 EPTINGEN, S.380-381. <?page no="132"?> 122 Afore the templedorelyetha ston, That owreLord Jhesufyl apon; Forhe barehys crosse; / so gretewoo, Thatthe manhode myghtnoferthergo. 38 Vater und Sohn Adorno singen in ihrem Bericht das Lob der heiligen Stadt, obgleich deren Glanz bröckelte: Auch wenn sie heute nicht mehr wieeinstin Schönheitund im Schmuck der Paläste,Häuser und Tempel erglänzt,so strahlt sie doch mehr als damals durchdie HeiligkeitdergeweihtenStätten.Denn sie ist die Stadt der Städte, die heiligsteunterden heiligen,die Hauptstadt aller Völker, der Ort unseresHeils im Mittelpunktder Welt, in der Mitte der Erde gelegen,von Gott erwähltund geheiliget. 39 Die Beschreibung der Stadt Jerusalem erfolgt im üblichen Rahmen einer neutralen Pilgerführung, wobei allerdings einzelne Informationen von der (schriftlichen) Vorlage abweichen und eigene Schlüsselerlebnisse oder gar Betroffenheit ahnen lassen. So etwa empfehlen Jean und Anselme Adorno als besondere Attraktion "Jerusalem by Night", zu geniessen vom Ölberg aus: Der Felsendom sei zu bestimmten Zeiten hell erleuchtet und ein wirklich spektakulärer Anblick. 40 Sie beschreiben ausserdem das Funktionieren der städtischen Wasserversorgung und die Rolle jenes "... sehrschönen" Aiuädukts, der damals offenbar Wasser aus Hebron nach Jerusalem leitete. Bei den beiden Texten der Nürnberger Kaufleute Rieter und Tucher ist auffallend, wie frei und persönlich gestaltet die beiden Beschreibungen Jerusalems erscheinen von jenem Moment an, da die Nicht-Sinaipilger ihre Heimfahrt angetreten hatten. Aus dem offiziellen Pilgerprogramm entlassen, konnten die zurückgelassenen Ägyptenreisenden die ihnen verbleibende Zeit bis zur Weiterreise frei nutzen und einteilen. In diesem Fall betrug die Wartezeit fünf Wochen, und Sebald Rieter vermerkt mit Stolz, sie hätten in dieser Zeit "durchheymlichhilft derhayden" auch einige 38 WEY,cd.Bandinel,S.8-19(hierS.8-9). 39 ADORNO, cd.Hccrs, S.254 f. Was die Vorstellung von Jerusalem als Erdmittelpunkt betrifft, ist innerhalb der Pilgerberichte eine signifikante Bedeutungsverlagerung festzustellen: Der Kaplan von Sir Richard Guylfordewird anno 1506 (ANONYMUS, S.27) präziser vom ••.. Mittelpunktder bewohntenErdt! 'sprechen.Dies in Analogie zu den Feststellungen von W.G.LRANDLES, De la terrc plate au globe terrcstrc, Une mutation 6pist6mologiquerapide(1480-1520), Paris1980(Cahiersdes annales38). 40 ADORNO, S.256: • Si velis plene civitatematque templum(...) conspicere,ascende montem Oliveti precipuenocte, tempore horarumsuarum,quia tune videbis Jampadaspene infinitasin templo interiusJucentes.• 41 Ebenda. <?page no="133"?> 123 Stätten besucht, "... die anderpi/ gram da vor langejar nit besuchen hetten mögen. ,.4 2 Hans Tucher liefert eine Beschreibung des Tagesablaufs mit den nach wie vor stattfindenden regelmässigen Kontakten zu den Mönchen des Monte-Sion-Klosters: Item als nun die pi/ gram von lernsalem weg waren,mochten wir uns bass berüren in der stat umbzuogeen, wann wir minder anlauffs do hetten dann dieweildie pi/ gram do warnund wurdenalso bekannt das die heiden unsergewon wurden das ichgiengwo ich wolt. (...) Wirgiengen auch alle tag zu morgens in das closter auf! den berg syon/ und hörten do mess und das ampt und giengennach mittagauch dahin zuo der vesper, und zuo den barfüsermünichen. Do vertribenwir vil zyt dieweilwirdo waren. 43 Die zwei deutschen Mönche Felix Fabri und Paul Walther von Guglingen, beide 1483 in Jerusalem, fassten ihre Freude bei der Ankunft am langersehnten Pilgerziel auf zwar ähnlich eloquente, aber dennoch grundverschiedene Art in Worte. Der Gefühlssturm, dem sich Paul Walther ausgesetzt sah, verkehrte die Freude, Jerusalem von weitem zu erblicken, beinahe in ihr Gegenteil. "Cumsummo affectu"näherte sich die Pilgergesellschaft der Stadt, und das heisst, in den Worten Paul Walthers, mit zusammengeschnürtem Herzen, innigen Sündenbekenntnissen und brennenden Absolutionerwartungen, unter Seufzern und Tränen. 44 Ganz anders Felix Fabri, der diesen ersten Anblick der heiligen Stadt zu einem dramatischen Berichthöhepunkt ausgestaltet hat: DerHauptgrundfür unsereweiteReise warlernsalem, die lieblichsteder Städte, derenDuft überden Erdkreiszieht und die Gläubigenvon überallherzusammenströmen lässt.Also stiegenauch wir aus dem Tal der Terebinthenhinauf, wandtenuns nicht längergen Osten,sondern südwärtsund folgten dem Hügelweg, stiegenzwischenSteinwällenemporzu den Obstgärten, zu den Öl- und Feigenbäumen.Dann wandten wirden Blick nach rechts,und siehe, wie ein Blitzstrahlleuchtetedie Stadt auf: lernsalem, die heilige,oft gewürdigteund immerfortwürdigenswerte. 45 42 RIETER, ed.Röhricht, S.86. 43 TUCHER, ed.Pascher, S.43-44. 44 WALIBER, ed.Sollweck, S.114. 45 FABRI, Evag. 1, S.235-236: •Evagationis nostrae causapraecipua erat dulcissima civitas lherusolyma, cujus oder per orbem flagrans undique ad eam currere facit fideles. ltaque de vaJJe Therebinthi ascendimus, et dimisso oriente contra austzvm in divo montis processimus, et ad hortos arbozvm, olerum, et ficorum venimus inter macerias ascendentes. Et conjectis oculis ad de.xteram, ecce ut fulgur civitas sancta saepe nominata et saepissime nominanda Jerusalem emicuit • <?page no="134"?> 124 Es folgt im Text ein festliches Freudengebet mit der Anmerkung des Autors, sie hätten nur in Gedanken vor Freude singen dürfen, um nicht die muslimischen Begleiter zu verärgem. 46 Schliesslich aber fühlt sich der Mönch, ähnlich wie Paul Walther, bemüssigt, seinen Freudenausbruch als den eines aufrechten Christenmenschen zu deklarieren: Diese Fröhlichkeit entstammte nicht blinder Leidenschaft, sondern der Vernunft, und nicht einem momentanen Anfall von Begierde, sondern einem Anlass, der reiner Hingabe würdig ist. Nicht Freude in ausschweifender Konsequenz war es, sondern Freude, die der inneren Reife verpflichtet ist; Freude, die nicht zum Lachen reizt, sondern seufzen macht; die nicht den Leib erschüttert,·sondern die Glieder beugt; die nicht den Mund zum Gelächter verzieht, sondern die Gesichtszüge zum Weinen sammelt; die nicht zum Schwatzen verleitet, sondern zum Schweigen; die nicht die Masse sucht, sondern den stillen Winkel; die endlich nicht laut rufen macht, sondern im Geiste beten und Psalmen singen. 41 Fabris Beschreibung der Stadt erstreckt sich im folgenden über mehrere hundert Seiten theologischer, mythologischer und historischer Exkurse, die immer wieder durchsetzt sind von persönlichen Erfahrungen. So vermerkt er stolz, mehr als zehnmal hätte er sich in dem verbotenen Felsendom aufgehalten, "... obwohl ich immer ängstlich und zitternd hineinging und herauskam . .48 Selbst die Beschreibung der Grabeskirche versieht er mit etwas "human tauch": Anlässlich seines ersten Besuches im Jahr 1480 achtete er, den Blick zur Decke gewandt, zuwenig auf seine Schritte und trat versehentlich jene Stelle mit Füssen, wo Jesus unmittelbar nach der Kreuzabnahme gelegen hatte. 49 Auch erinnert er sich an eine Stelle in der Kreuzauffindung-Kapelle, deren Echo die Pilger verblüffte," ... weshalb ich, wenn ich alleine dort war, mit voller und lauter Stimme die Antiphone der Kreuzfindung und auch Hymnen sang. ..so 46 Evag.1, S.236-237. 47 Ebenda: • Hoc enim gaudiumnon ex passioneerat, sed ex ratione,non ex praesentiarei concupisdbilis, sed rei ex charitatediligibilis: non erat gaudium disso/ utionemfaciens, sed maturitatem inducens, non exdtat risum, sed movet ad singultum: non dissolvit corpus, sed concutit artus: non dilatat 06 ad ridendum, sed constringitvultum ad flendum: non movet ad loquendum, sed ad silendum; non pordit in publicum, sed retrahitin angulum: non facitc/ amare, sed spirituorareet psallere." 48 Evag. 1,S.254. 49 Evag.1, S.1.82-283. 50 Evag. 1, S.298.Vgl. Evag.1,S.374: Ebenso gerne sang er in der Kirche Maria Himmelfahrt. <?page no="135"?> 125 In bezug auf die oft zitierten bizarren Pilgerpraktiken im ausgehenden Mittelalter ist Fabri der ideale Gewährsmann; er legte sich in einer gar bildlich geratenen Version der "Imitatio Christi" in den am Ölberg zu besichtigenden Körperabdruck des Herrn und vergass nicht anzumerken, dass Jesus Christus etwas grösser gewesen sei als er selbst. 51 Mehrfach vergleicht Fabri die eigene Anschauung mit dem entsprechenden Bibelwort. Dass die Stelle am Ufer des Teich Siloah, wo Bathseba ein Bad nahm und bei dieser Gelegenheit dem sie beobachtenden König David in die Augen stach, vom Palast des Königs aus gar nicht einsehbar ist, nö~ ihm in der lateinischen Textfassung ein verwundertes Kopfschütteln ab. 2 In der deutschen Version aber spinnt er seine Gedanken weiter und kommt zu der an sich einleuchtenden Erklärung, "... das vileichtDavid ein summerhausshat hie undegehabt/ nahebeim bachaus dem sahe er diefrawe nacket.•s 3 Mehrere Stosseufzer belegen die fromme Lust des Pilgers, hier in Jerusalem, am Ziel der Wünsche, zu verharren und am Ende nie mehr fortzugehen. Denn: Das weiss ich gewiss, dass ich vom Anblick Jerusalemsnie genug bekommenkonnte.Je ausgiebiger nämlicheinerdie Stadt anschaut,um so anziehendererscheintsie ihm; auf geheimnisvolleWeisefordert sie die Zuneigungdes einzelnengeradezuheraus. 54 Felix Fabris Abschied von Jerusalem schliesslich, der zweite und endgültige von 1483, dem die Weiterreise in den Sinai und nach Ägypten folgte, gestaltet sich in der Erinnerung zu einer durchaus persönlich gehaltenen, bewegenden Liebeserklärung aus: Nicht ohne Trauerim Herzenund TränenverliessenwirJerusalem,die Stadt derSehnsucht,mit Schluchzenund Weinen.Ichfür mein Teil bin niemalsin dieserWeltan irgendeinemOrtliebergewesenals in Jerusalem, und ich habe hierdie angenehmstenTageund StundenmeinesLebens verbracht. 55 51 Evag. 1, S.382. 52 Evag. 1, S.417-418. 53 FABRI dt., fol.61b. 54 Evag. 2, S.90: • Hoc enim pro certo sdo, quod aspectu illius civitatisnumquam potui satiari,quanto enim quis diutiuseam aspicit,tanto magissibi dulcescit,et quodammodo hominisaffectumad se rapit.• 55 Evag. 2, S.332: "... non autem sine cordis tristitia, nec sine lacrimis exivimus de desiderabilicivitate Jerusalem, sed cum singultibus et fletibus. Ego pro parte mea numquamin hoc mundo in aliquolocolibentiusfui, quamin Jerusalem,etjocundissimas dies et horasibi habui• <?page no="136"?> 126 Auch seinem zeitweiligen Reisegefährten Paul Walther von Guglingen fiel der Abschied von Jerusalem schwer. Mehr als ein Jahr war er bei den Brüdern vom Monte-Sion-Konvent zu Gast und revanchierte sich durch gelegentliche Handreichungen für die ihm erwiesene Gastfreundschaft: Er half beim Tellerwasche11,schleppte Feuerholz herbei oder machte sich im Klostergarten nützlich. 56 Als ihm der Guardian endlich nahelegte, mit der nächsten Pilgergesellschaft weiterzureisen, und ihm sogar den offiziellen Auftrag erteilte, am burgundischen Hof um Unterstützung für die Franziskaner in Jerusalem zu werben, sträubte sich Paul Walther gegen die Wegweisung und bat inständig, noch bleiben zu dürfen. Der Guardian, gleichzeitig der Vorsteher der franziskanischen Kongregation im Heiligen Land, musste ihn an das Gehorsamkeitsgelübde erinnern, bevor er schweren Herzens einwilligte. 57 Paul Walther liefert in seinem Bericht zu der in Jerusalem zugebrachten Zeit Informatives zu Ordensangelegenheiten und Wissenswertes zum Alltag der übrigen hier ansässigen Kongregationen. So erwähnt er etwa Massenwallfahrten, die von den Mönchen unterschiedlicher Ordenszugehörigkeit jeweils ausserhalb der Pilgersaison gemeinsam unternommen wurden. Die von einigen Pilgerkollegen so besonders geschätzten Verbotenen Früchte scheinen ihn übrigens weniger gereizt zu haben: Das Angebot, die zu einer Moschee umfunktionierte Abrahamshöhle bei Hebron zu besichtigen, lehnte er ab mit dem Hinweis, er wolle seine Seele nicht unbedacht der Gefahr der Verdammnis aussetzen. 58 Ist Bernhard von Breydenbachs Bericht mehr von der ordnenden Hand eines dazu berufenen Redaktors als von den Erlebnissen des Reisenden selbst geprägt, so gilt das noch in verstärktem Masse für den zentralen Abschnitt, der sich (in der Form eines Pilgerführers) mit dem offiziellen Jerusalem-Besichtigungsprogramm befasst. Sobald dieser Abschnitt mit der Schilderung der Abreise der früher heimgekehrten Pilger endet, wird der Text des Mainzer Domherrn mitteilsamer: Der Autor vermerkt die grosse Hitze in der Stadt, die spürbar grössere "... gemach und ruhe", ja sogar eine gesteigerte Freundlichkeit der "Heiden" den wenigen zurückgebliebenen fremden Gästen gegenüber. 59 Diesen persönlichen Notizen 56 WALTIIER, S.181. 57 WALTIIER, S.171-l'n. Die freundschaftlichen Beziehungen zwischen dem Jerusalemer Konvent und dem burgundischen Fürstenhaus gründeten auf dem gemeinsamen Interesse an einer (allerdings mit unterschiedlichen Methoden verfolgten) Rückgewinnung des verlorenen Terrains im Orient. Von den Kreuzzugsträumen der Burgunder und anderer europäischer Herrscherhäuser profitierten auch die Pilger, indem jene für die Bereitstellung und Renovation von Unterkünften (etwa dem Hospital in Rama) aufkamen. Vgl. dazu SCHNEIDER, S.42 f. 58 WALTHER, S.159. 59 BREYDENBACH, ed.Feyerabend, fol.63b-Ma. <?page no="137"?> 127 folgt sogleich wieder ein erschöpfend langer theologischer Exkurs ("Zu haben ein vollkommenere verstandnuss der heyligen Sttitt umb Jerusalem liegend ..."), zusammengestellt wohl von Martin Roth unter Verwendung älterer Vorlagen. Anschaulicher ist da im Sinne des Wortes - Erhard Reuwichs Beitrag zu Breydenbachs J erusalembeschreibung: eine Karte, 27 cm hoch und 127 cm lang, die in ihrer Weitwinkel-Optik ganz Palästina abdeckt, das Mittelstück aber einer detailreichen Gesamtansicht von Jerusalem widmet, unter deutlich subjektiver Perspektive übrigens. 60 Konrad Grünemberg (der Erhard Reuwichs Holzschnitte vorlagen- und naturgetreu in seine Reisebeschreibung übernommen hat) erscheint in seinem Text als ein Mann der direkten Rede und unverblümten Ansichten, und so kommt er auch im Jerusalem-Abschnitt ohne Umschweife zur Sache: Desselben Tags der vierzehnte Tag im August, um zehn vor Mittag kamen wir zu der heiligen Stadt Jerusalem, die sich Gott erwählt hat zu seinem Leiden. Davor stiegen wir ab von den Eseln und pngen in die heilige Stadt, und alsobald wirhinein kamen, warAblass. 6 Ähnlich freimütig äussert er sich später mehrmals zur anstrengenden Hauptbeschäftigung des Ablasserwerbs: Einmal vermerkt er, sie seien abends der Hitze und der Müdigkeit zum Trotz nochmals ins Tal Josaphat hinuntergestiegen, "... Ablass halber"; 62 ein andermal lehnten die Pilger die Besichtigung einer Klosterruine dankend ab, denn "... daselbst ist gar kein Ablass, darum es die Pilgerauch nicht aufsuchen. 1163 Dafür scheint sich der reisende Ritter lebhaft für alles Fremde und Exotische in Jerusalem interessiert zu haben: So unverfroren neugierig musterte er aus nächster Nähe den Felsendom, dass er nur knapp einer Prügelei mit dort betenden Gläubigen entging. 64 An anderer Stelle belauschte er das ihm unverständliche "Gugug" betender Muslime und wurde erneut davongejagt. 65 Und so reiht sich Abenteuer an Abenteuer, aufgelockert durch die Zeichnungen, um deretwillen er offenbar alle die neugierigen Streifzüge durch diese "Terra incognita" unternahm. 66 60 Erhard von Rcuwichs Standpunkt ist der (bereits von den Adornos als Aussichtspunkt gerühmte) Ölberg zu dieser verblüffend naturalistischen Stadtdarstellung später mehr . 61 GRÜNEMBERG, ed.Goldfriedrich , S.80. 62 GRÜNEMBERG, S.91. 63 GRÜNEMBERG, S.115. 64 GRÜNEMBERG, S.82-83. 65 GRÜNEMBERG, S.85. 66 Auch auf Grünemberp Zeichnungen und deren bisweilige Abhängigkeit von Erhard von Reuwich wird noch zurückzukommen sein. <?page no="138"?> 128 Noch die Schilderung des offiziellen Heilig-Grab-Besuches zeugt von Konrads optischen Ausschweifungen: Er zog insgeheim einige als Sichtschutz angebrachte Matten beiseite, um die anderen christlichen Kongregationen beim Gottesdienst zu beobachten, 67 er erinnert sich an die von der Grabkapelle gebrochenen Steinsouvenirs seiner Mitpilger 68 und daran, dass die Teppiche auf welchen sie der Bequemlichkeit halber knieten, geliehene waren.69Und doch vergisst er auch nicht, auf die grosse Ergriffenheit, welche die Pilger an diesem heiligen Ort empfanden, hinzuweisen: Da wurden gesehen solche andächtigegute Christen beim Beten in KreuzesWeisesitzend,mit Tränen,die den Pilgrimfrei von den Augen fielen, also dass sie dasAngesichtnicht benetzten.Und sagteein jeder, dass ihm in allenseinen Tagenkeine Nacht und so vielZeit, als wirim heiligenTempel waren,nie kürzergewesensei. Auch, so einer kommt auf den Berg Calvarie,sagtendie Pilgrimefast aus einem Mund, dass keinerdie halbeKraft noch TapferkeitseinesLeibes mehr habe,so ganz erschrockenund ernsthaftwird einer,aus Kraft und Gegenwartdieser allerheiligstenStätte. 70 Hier das tief bewegende religiöse Erlebnis, dort die unersättliche Neugierde auf alles Fremde, Verbotene, und dazwischen die Ablass- und Reliquienjagd als sportlicher Auswuchs eines kommerzialisierten Pilgerbetriebs: Konrads Text belegt auf augenfällige Weise, dass hier die Übergänge vom "Hohen" zum "Niedrigen" nahtlos verlaufen, und dass ein spätmittelalterlicher Pilger keineswegs "heuchelte", wenn er absurde (in unseren Augen), offensichtliche (für unsere Begriffe) Widersprüchlichkeiten glatt übersah. Einer allerdings hat genauer hingeschaut und sich die Widersprüche gemerkt, um sie nachträglich in seinem Reisebericht zu glossieren und aufs Korn zu nehmen. Pietro Casola war gewiss ebenso gottesfürchtig wie Paul Walther, so fromm auch wie Konrad von Grünemberg es unterscheidet ihn jedoch von diesen und anderen Schriftsteilerkollegen der ungeniert artikulierte Durchblick in spirituellen Dingen. Das beginnt bereits bei der Wertung der landschaftlichen Umgebung von Jerusalem ("Das Land scheint mir sehr öde und verwilderl; da warenkeine Früchtezu sehen noch kamen wir an einem schönenBrunnen vorbei . Das sind nicht Landschaften 67 GRUNEMBERG, S.100. 68 GRÜNEMBERG, S.98-99. 69 GRÜNEMBERG, S.94. 70 GRÜNEMBERG, S.99. <?page no="139"?> 129 wie die Italiens.") 71 und findet seine Fortsetzung in der Schilderung des Pilger-Rundgangs, wo ihm die Franziskaner vom Monte Sion zur bevor zugten Zielscheibe seines Spottes geraten: Ich sage nicht, dass hier irgendwelche Antiphone oder Gebete gesprochen worden wären, denn diese Patres sprachen keine; sie erklärten bloss in Latein und im Dialekt, was das für Stillten seien und nichts weiteres. Viele Pilgerberichte allerdings, sowohl italienische wie solche von jenseits der Alpen, erwiihnen, dass früher Antiphone und Gebete passend zu den besuchten Stillten gesprochen wurden. Ich kann nur sagen, dass dies tatsiichlich nicht geschah. Ich will gerne glauben, dass die Brüder ein paar der üblichen Zeremonien vergessen haben, weil sie uns doch in solch grosserHast diese Stillten gezeigthaben. 12 Besonders scharf ins Gericht geht Pietro Casola mit dem Guardian des Monte-Sion-Klosters, der ja seinerseits kein anderer war als Casolas gleichfalls schriftstellernder Landsmann Francesco Suriano: Er soll wenig mitmenschliche Nächstenliebe den Pilgern gegenüber erwiesen haben; keiner mochte ihn; selbst den aufmerksameren Mönchen waren unter seinem Regiment die Hände gebunden - und überdies soll er den Pilgern untersagt haben, die Herberge ohne zuvor eingeholte Genehmigung zu verlassen. 73 Was die spirituellen Erlebnishöhepunkte beim gemeinsamen Pilgerrundgang betraf, liefert Casola die dazugehörigen misslichen Umstände, wie er sie erlebte. So musste die erste Nacht in der Grabeskirche kurzfristig auf ein anderes Datum verschoben werden, weil die Pilger dagegen rebellierten, den überrissenen Eintrittspreis zu bezahlen.7 4 Mit geradezu zynischer Ironie gibt er am Ende seinen ganz persönlichen Eindruck von der damaligen (er)baulichen Substanz der heiligen Stadt wieder: "DieStadt bietet einen schönen Anblick ihre Moschee." Und er do~,relt nach: "Anderes iihnlich Schönes habe ich in dieser Stadt nicht gesehen." 71 CASOI.A, cd.Ncwctt, S.244; cd.Porro, S.63: "E pacse aJ mio vcdere molto arido e sclvatico: li non sc vcdcvanofructi,ne incontravamoqualchebellafontana.Non sono de lipacsi de ltalia.• 72 CASOI.A, S.247/ S.64: "lo non li metto, sc li dicessiantiphonene orationi,perche quelli patri non Jediccvano; solo diccvanoin latinoc in vulgareehe eranoquelliloghi,e altro non si diet: va. Ben gli eranodreto de moltiitinerariie ltalianie ultramontaniin vulgaree in / stino, ehe ne faccvano mentione, come alias sc diccvano antiphone e oratione apropriatca quclliloghisc visitavcnalo diro quellonon e stato in effccto,crcdoben ehe Jagrandefrt: zahavcvaqucllifratia mostran: iquellilochi,facesscnointerlassarequa/ ehe co&a de/ usata • 73 CASOI.A, S.245/ S.64. 74 CASOI.A, S.249/ S.65. 75 CASOI.A, S.251 und S.253bzw. S.66 und S.67: •Essa cita ha de belloper vcdere quella SUB Moschca. ·r Altro de bcllonon vidiin dictacitadc.. <?page no="140"?> 130 Casolas Sinn für bauliche Ästhetik scheint erst in Bethlehem auf seine Kosten gekommen zu sein, rühmt er doch die Geburtskirche daselbst als die schönste Kirche 11 ••• zwischen Venedigund Bethlehem 1116 und schildert ihre Vorzüge bis hin zu den 44 eigenhändig nachgezählten Säulen im Innern. Und sonst? Auf den Besuch des Jordans war der an sich rüstige Siebzigjährige der grossen Hitze wegen nicht erpicht und überliess es den anderen P~ern, das zwar ablassbringende, aber meistens dreckige Wasser zu trinken. Ebenso verschmähte er in Jerusalem das Wasser der heiligen ''Probaticapissina", in welchem Kranke und Gebrechliche zu baden pflegten in der Hoffnung auf eine wunderbare Genesung: ''Als ich all den Schmutz sah, liessich die Sache bleiben; mir reichtees schon, die Hände da drinzu waschen. 1178 Pietro Casolas harsche Kritik an den selbst beobachteten Missständen des Pilgerwesens steckt häufig zwischen den Zeilen oder ist in ein gezielt plaziertes Bonmot verpackt - und nicht jene eines verbitterten Idealisten mit allzuhoch gesteckten Erwartungen, sondern viel eher die eines lebenserfahrenen Menschen, den so leicht nichts (mehr) erschüttern kann. 79 Francesco Suriano entwickelt in seiner Stadtbeschreibung ein ähnlich vertrautes Verhältnis zu "seinem"Jerusalem wie alle die (franziskanischen) Geistlichen, welche länger als nur einen kurzen Pilgerbesuch lang hierbleiben konnten. Inmitten seiner an sich traditionellen Auflistung heiliger Stätten und dazugehöriger Ablässe sorgen scheinbar locker eingestreute Zwischenfragen der "Schwester" für dramaturgische Spannung. Was im übrigen die verbotenen Früchte angeht: Während Francescos deutscher Mitbruder Paul Walther angesichts des in Aussicht gestellten Besuchs der Abrahamshöhle bei Hebron um sein Seelenheil fürchtete, versuchte der Guardian von Monte Sion nach eigener Aussage mehrfach, da hinein zu gelangen vergeblich. 80 Arnold von Harff interessierte sich jeweils brennend für das, was sich hinter den verschlossenen Türen anderer Religionsgemeinschaften abspielen mochte. Wenn man seiner Behauptung Glauben schenken will, wagte er sich als Mameluk verkleidet sogar in den heiligen Bezirk der 76 CASOlA, S.263/ S.'n: "Quel/ a Gicsiade Bethleema me parc sii Japiu bcllada Venczia fin in Bethleem, e non ehe bcllama bellissima. • n CASOlA, S.266 bzw.S.268/ S.74: "Qucstofiume Jordanoin quello Joconon e piu Jargo quanto e e/ nostro navilio,ehe vene in porta Ticincse: e profundo et ba Jafangamolto alta e tenentc,quasi come fangade bagni, e 1aquatoroide come quel/ ade/ Po: quando e purgata e bellade vederc. Moltiper devotionene bibcno, et io li lassaibeverc. • 78 CASOlA, S.249/ S.65: •... de li pcrcgrinimolti ae bcvevano,io vcdendoquellaspurr: itiaJa lassaiinpacc.,bastandome e/ / avarc de Jemani" 79 Vgl. das Porträt, das HllDA PRESCOTI, engl.S.39, von ihm zeichnet: "'Ibis dignitaty of the church, decply leamed in matters of liturgybut disillusioned and seasoned by sixtecn years as sccrctaty at the Milanese Embassy in Rome, looked at the world with a gaze at once critical and amused. • 80 SURIANO, ed.Bellorini, S.151; ed.Golubovich, S.137. <?page no="141"?> 131 Kaaba in Mekka . 81 Ausserdem will er sich mehrfach in den Moscheen Jerusalems aufgehalten haben, was er einmal niederschreibt ("... dan ich mit hu/ ff mijns truttzelmans eyns mammeloicken dar in gefoirt wart")8 2 und ein anderes Mal gar durch die Erzählung ausschmückt, wie ihn sein mamelukischer Begleiter in dessen Haus in der Nacht zuvor stilgerecht ausstaffierte. 83 Dass er für seine ungebührliche Neugierde Lehrgeld zahlen musste, lässt sich aus der dürren Bemerkung bei Gelegenheit seines Felsendom-Besuches schliessen: Weil er sich zuvor bereits in einer Moschee erwischen liess, sass er für eine Weile in Gaza im Gefängnis. Die näheren Umstände seiner Verhaftung verschweigt er da allerdings, und auch die (als wahrscheinlich anzunehmende) Tatsache, dass er um den Preis seiner Freilassung den christlichen Glauben verleugnen musste. 84 Die üblichen Stationen der Pilgerschaft innerhalb von Jerusalem beschreibt Arnold von Harff in dem um Objektivität bemühten Pilgerführerstil seiner Vorläufer. Eine persönliche Anteilnahme kommt erst anlässlich seiner detailverliebten Schilderung der Ritterschlag-Zeremonie im Heiligen Grab zum Ausdruck: Da nae was dae eyn alt ritterbroeder,her Hans von Pruyssen genant, der die pylgrum die des begerende sijnt zo ritter sleyt, der vff die tzijt by yem hat eyn gulden swert ind tzweyn gulden spoeren, mich fraegende, oft ich ritter werden wo/ de. ich antwort,jae. hee fraeget, oft ich rittergenoiss ind eelich van vader ind moder were, des ich hoeffde also. hee heyss mir eynen voiss vur ind den andren nae vff dat heylige graeff settzen. dae speyn er mir beyde spoeren vmb. dar nae guyrt er mir dat sweert vff mijne lyncke sijdt ind spraich: tzuych vss dat sweert ind sitz vff dijn knee vur das heylige graeff, nym dan dat sweert in die lyncke hant ind lege tzweyn finger vss der rechter hant dar vff ind sprich mir nae: As ich eelich ritter man eynen wijden vemen weech gewandelt, groiss druck lijden ind ongemaich geleden habe vmb ere ind dat heylige lant Jherusalem zo suechen ind nv die stede der martiryen vnsers heren Jhesu Crist ind dat heylige graeff funden het, mijne sunden zo besseren ind eyn rechtferdich leuen an mich nemen wil, begeren dar vmb alhie goetz ritter zo werden ind geloeue dat bij mijner truwen ind eren die weduwen weysen kirchen kluysen ind arm lude zo beschinnen, ouch nyemantz noch vmb guet noch vmb gelt noch fruntschafft noch maichschafft vnrecht he/ ffen zo recht maichen ind ich mich halden sal, as eyme eirbaren ritter zo getzempt, as mir got helft ind dat heylige graeff. doe ich dit gedayn ind 81 HARFF, ed .Groote, S.134. 82 HARFF, S.166. 83 HARFF, S.178. 84 Ebenda und S.160. Vgl. auch (mit der Vermutung, Arnold sei insgeheim und lediglich pro forma zum Islam übergetreten) KOHLER, 2, S.164. <?page no="142"?> 132 nae gesprochen hat, nam hee mir dat sweert usser mijner hant ind sloich mich dae mit vff mijnen ruck sprechende: stant vff ritter in ere des heyligen graeffs ind des ritters sijnt Joerijen ere, soe moiss got van hemelrich geuen, dat ich ritterind ander mijne mit gesellen die rittersijnt aeder gelagen werdent den eyt nyet brechen en moissen. Amen. 85 Arnold von Harffs Jerusalem-Beschreibung ist ausserdem aufgelockert durch eines seiner zahlreichen Glossare. Unter diesen hebräischen (''lutsche spraich") Sprachbeispielen und Floskeln findet sich übrigens auch jenes "... Vrauwe laist mich dese nacht bij uch slaeffen", das unterwegs in mehreren Sprachen wiederkehrt und in dem frommen niederrheinischen Ritter immer wieder den Lebemann mit diesseitigen Wünschen und Interessen aufscheinen lässt. 86 Hans Schürpff schildert die Dinge in und um Jerusalem in einem pragmatisch-handfesten Erzählstil, der bei materiellen wie spirituellen Sachverhalten gleichermassen Verwendung findet. Den Auftakt zum offiziellen Pilgerprogramm macht dabei der aus dem Mund eines mitfühlenden Franziskaners stammende Ausspruch: "Hütt weind wir üch lassen ruowen, jr sind müed. Aber mom müessent jr jn das tal Josaphat und an Ölberg.' 81 Im Verlauf der Pilgerprozession von einer Stätte der Passion zur nächsten stellte er (wie vor ihm bereits andere Kollegen unterschiedlicher Herkunft) Grössen- und Distanzenvergleiche mit heimatlich vertrauten Orten und Strecken an. Er konnte sich auf diese Weise die Leidensgeschichte des Herrn viel plastischer vor Augen führen, bei dem Gedanken beispielsweise, dass Jesus sein Kreuz genausogut hätte von dem einen Ende der Luzerner Hofbrücke zum anderen tragen können wie auf den Kalvarienberg hinauf. 88 Mitten in der Liste der heiligen Stätten aufscheinende Fremdkörper wie etwa die Jerusalemer Apotheke oder auch das Quartier der Tuchhändler verraten die nicht ganz verdrängten weltlichpraktischen Interessen. 89 Ansonsten erscheint der Luzerner in seinem Referat als der durchwegs brav den "... guoten ba,fuossen" folgende, zur 85 HARFF, S.173-174. Der erwähnte Hans von Preussen war über viele Jahre für die Gestaltung des Ritterschlag-Prozederes verantwortlich. Vgl. zu dem (später eingehender gewürdigten) Thema der Ritterschaft vom Heiligen Grab die genannten Werke von VAI.MAR CRAMER, sowie HIPPLER, S.72-77, und SCHNEIDER, S.54: "Nach den vorliegenden Zahlen haben mehr als vierzig Prozent der deutschen Pilger den Grabesritterschlag erhalten. Rechnete man die vielen 'Bediensteten', die bei höfischen Pilgergesellschaften die Angehörigen angesehener Fürstenhäuser begleiteten, so läge die entsprechende Prozentzahl höher." 86 HARFF, S.189: •... plonosa anoge tzogeffeitzelga sec haleglli' heisst besagte Anfrage auf hebräisch. 87 SCHÜRPFF, ed.Schmid, 5.15. 88 SCHÜRPFF, S.18. 89 SCHÜRPFF, S.19. <?page no="143"?> 133 gegebenen Zeit staunende und schaudernde, treuherzig die genannten Stätten und Ablässe notierende Durchschnittspilger. Ähnlich wie Hans Schürpff stellt auch der Kaplan des Sir Richard Guylforde gelegentlich anschauliche Vergleiche zu Phänomenen her, die ihm von zuhause bekannt gewesen sein müssen. Und ausserdem gibt er seine persönliche Wertung der Dinge freimütig zum besten: Die Grabeskirche erinnerte ihn in Form und Ausstattung an "den Tempel" in London, 90 doch noch besser gefiel ihm die Kirche über dem Mariengrab.91Und am allerschönsten, nämlich unvergleichlich schön, fand er die Geburtskirche Mariens in Bethlehem: "/ neuer saw nor herde of a f ayrer lytell churche in all my lyfe. 1192 Der aufmerksame Kaplan beschreibt die Führungen durch die Franziskaner-"brethren"von einem zwar persönlichen, doch gänzlich unkritischen Standpunkt aus und notiert auch gewissenhaft, welche Mahlzeiten wann und wo eingenommen wurden. Im Anschluss an ein besonders festliches Mahl ("... a right honest dyner") schliesslich erfolgte die Aushändi~g von Pilgerattesten und Reliquien durch die Mönche vom Sionskloster. 93 Und dann war es bald schon Zeit, Abschied zu nehmen: All the foresayd pylgrymage thus done, we made vs redy, and by one assent dressed vs to our galye, and there we toke humbly our leue of / holy places and of / moste blessyd cytie of Jherosalem, rekenynge ourselfe not so happy to se any more the same in all our lyues, and thankynge Almyghty God with all our hertes of / grete grace that he gaue vnto vs to se and rysyte the sayde blessyd places and holy cytie ones in our lyues or thanne we dyed, (...) Unter den schreibenden Eidgenossen von 1519 erweist sich der Engelberger Klosterökonom Heinrich Stulz als der getreueste Chronist persönlicher, das heisst hier: amüsanter oder unangenehmer, Erlebnisse. Seine Vorliebe für das Menschlich-Allzumenschlichemochte er auch hinsichtlich der Jerusalem- und Heiliglandabschnitte seiner Erzählung nicht verheimlichen. 94 Und so gerät ihm bereits die Landung in Jaffa zum 90 ANONYMUS (Guylfordc), cd.Bllis, S.24: "The disposycionand makynge of the sayd Temple of the Holy Sepulcreis roundeat the west ende, and cstwarde fourmydalter the makynge of a churche,moche what alter the fourme and makyngr: of the Temple at London, saffe it is fer excedyngr: in grctenesseandhathe wondermanyyles, crowdes,and vautes,chapels,and dyuysyons, hygheand lowe,ingreatenoumbrc.• 91 ANONYMUS, S.31: "This sepulcreis somwhat more than the sepulcreof our Sauyor Criste,and it is of whytemarble...• 92 ANONYMUS, S.36. 91 ANONYMUS, S.39. 94 Die Jerusalem-Beschreibung des anderen lnncrschwcizcrs Pilgers, Mclchior Zur Gilgen, bleibt nach den Worten von Herausgeber SCHMID, S.49, im Rahmen des Bekannten, <?page no="144"?> 134 Anlass für ein heiteres Müsterchen aus seinem unerschöpflichen Schatz an Pilgeranekdoten: Und da warent geordnet schriber von den Türcken unnd Heiden und ouch von den Barfuossen; die schriben einen nach dem andren ann; und fragt mich der Barfuoss und die andren in latin: Wie heist du? Jch sprach: Jch heiss Henricus Stulcz. Do sprach einer: Heist du Riga Stu/ tus? Jch liess es darby beliben und sprach zuo mier saelber, wie kumpt es, das die din namen so wol wüssent und doch diner fründen keiner nie ist hie gesin und du saelber ouch nit. 95 Als Berichterstatter zeigt sich Heinrich Stulz wie vor ihm der andere, der englische Kaplan immer wieder um das leibliche Wohl der Pilger besorgt. Im Anschluss an den Einzug in Jerusalem schildert er den Imbiss, welchen die Franziskaner offerierten, nämlich "... brott und hirsch", dazu kühlen, ''fast guotten win" und "guott wasser". 96 Und unmittelbar an den Bericht von der ersten unter Fasten zugebrachten Nacht in der Grabeskirche schliesst sich Heinrichs Bemerkung, die hungrigen Pilger hätten sich jeder "... heim an sin tisch und kuchj" gesehnt. 97 Gelegentlich lockert er die trockene Aufzählung der gemeinsam besuchten heiligen Stätten durch die beiläufige Schilderung improvisierter Mahlzeiten auf: Als es einmal in der Pilgerherberge nichts zu essen gab, kochten die Gäste selbst und assen Eier, dazu "... habermuoss und kaess und brott und trübel". 98 Für die Schilderung des spirituellen Jerusalem-Erlebnisses bleibt daneben wenig Platz bei genauer Betrachtung reduziert es sich auf den tapfer unter Beweis gestellten guten Willen der Pilger, die Strapazen des anstrengenden Besuchsprogramms klaglos zu ertragen: Und die heimsuochung der helgen stette geschach alles mitt grosserliebe und andacht, dann wo das nitt were gesin, so waere es nitt müglich gewsin, das wier es haettent moegen erzügen vor hicz und von hunger und durst, wiewol wier alwaegen eppsches an klein by uns hatten. 99 Die Zeremonie der Verleihung der Grabritterwürde, für den adeligen Glarner Gutsherr Ludwig Tschudi gewiss einer der grossen Höhepunkte "wie wir dies in allen Reisebüchern von HI.-Land-Fahrem lesen" weshalb er diesen zentralen Abschnitt nicht in die Edition des Textes aufgenommen hat. 95 SI'ULZ, ed.Schmid, S.236. 96 SI'ULZ, S.237-238. 97 SI'ULZ, S.240. 98 SI'ULZ, S.243. 99 Ebenda. <?page no="145"?> 135 der Pilgerfahrt, 100 kommt bei Heiri Stulz schlecht weg: Ohne besondere Ehrerbietung oder gar Rührung berichtet er davon und lässt so nebenbei sein Verständnis durchblicken für jene zwei Mitpilger, die angesichts der mit der Würde verbundenen Bürde vor dem Ritterschwur zurückschreckten, "... wannes warlichein herttereid ist.• 101 Der Schaffhauser Kaufmann Hans Stockar berichtet lediglich von der gemeinsamen Heimreise, kommt aber in einem eingeschobenen Rückblick auf die heiligen Stätten Jerusalems zu sprechen . In seiner Zusammenfassung bringt er allerdings mehr noch als die spirituellen seine beruflichen Interessen zum Ausdruck : Und im halgenland hand wiervil wunderbar/ ichdinggesechen,das ich nit als schribenkann, un zu Jerusalemund im halgenland vil seltzamer diereq61. und Kuffmannschatzund von gold und silba und edlem gestian ( ... ). Bleibt Heinrich Wölfli, der trotz seines reformatorischen Hintergrundes von ehrlicher Rührung bewegt in Jerusalem, der Stadt seiner Sehnsucht, einzog. Er listet die heiligen Stätten mitsamt den dazugehörigen Bibelgeschichten und Legenden getreulich und zumeist den Ausführungen der "barfüssigen" Pilger-Führer folgend auf. Wo allerdings die Widersprüche zwischen dem Gezeigten und dem in der Heiligen Schrift Bezeugten bisweilen krass ausfielen, fühlte er sich bemüssigt, dezidiert Stellung zu beziehen: Unnd schämtensich ettlichefranciscanermünch nütt, denn das sie den schlechten ein/ alten bilgerendörffend fürgän, S.Peter sye da (in der Nähe von Rama) von Christozum apostelamptbrufftworden,so doch das der Evangelischenhistorizuwider,die da heiterzilget,das das bim Galileischenmeerbschähen. 103 100 TSCHUDI, S.307-311,sehr detailliert und mit persönlicher Anteilnahme geschildert . 101 STIJLZ, S.246-247: Der eine "Dienstverweigerer" war der nichtadelige Nildaus von Mcggcn; er widerstand allen Bemühungen von Peter Falk und Mclchior Zur Gilgen, ihn zum Schwören des Eides zu bewegen, indem er scherzhaft meinte, er wolle doch lieber weiter • roubcd' und •kriegen". Zur allgemein schwindenden Bedeutung der Ritterwürde im späten Mittelalter vgl. PHILIPPE CONI'AMINE, Points de wc sur la chcvalcric cn Francc ä la fm du Mayen Agc, in: Francia, Forschungen zur westeuropäischen Geschichte 4, 1976,S.255-285. Hier S.271: Der Titcl verlangte in praktischer Konsequenz nach einem höheren Lebensstandard (einer kompletten Rüstung, mehreren Pferde, Dienstpersonal), den sich immer weniger altadelige Familien aus Prestigegründen leisten konnten oder mochten . 102 SfOCKAR, cd.Schib, S.11. 103 WÖLFLI, cd .Blocsch, S.62. <?page no="146"?> 136 Auch sonst scheint sich Wölfli als bibelfester und in theologischen Streitfragen bewanderter Fachmann mehr als einmal mit den "franciscaner münch" und ihrem auf handfestem Nützlichkeitsdenken basierenden Glaubensverständnis überworfen haben. Zwar hält er sich innerhalb seines Berichts aus der zu seiner Zeit offen entbrannten Debatte um Sinn und Unsinn der Jerusalempilgerei nach Möglichkeit heraus. Die materialistischen Auswüchse des Pilgerbooms aber standen ihm unterwegs täglich vor Augen. Und so beantwortet er die unter seinen Mitpilgern offenbar heftig diskutierte Frage, ob die Mönche vom Sionskloster den Versorgungsdienst für die Pilger aus purer Nächstenliebe oder aus der Lust am eigenen Profit unterhielten, diplomatisch auf seine Weise: Ich hatt gnug an dem was mir ward. Aber andere die ein durstigere läberen hatten, die meintends nitt. 104 Auf eine zunehmende "Verweltlichung"der Jerusalem-Pilgerfahrt, gerade in Zusammenhang mit der hierarchisch strukturierten, durchorganisierten Massenabfertigung der Pilger ist schon verschiedentlich hingewiesen worden. 105 Allerdings sollte diese Veräusserlichung des Pilgergedankens und der Pilgerpraxis nicht mit einer wachsenden Gleichgültigkeit in religiösen Dingen oder gar einer zunehmend populäreren Heuchelei nichtvorhandener reliS! öser Gefühle zum eigenen materiellen Vorteil kurzgeschlossen werden. 106 Wie tief und aufwühlend das angestrebte spirituelle Jerusalem-Erlebnis im Extremfall sein konnte, belegen allein schon die Bekenntnisse der bedingungslos gläubigen und in ihrem mystischen Erleben hemmungslos "entäusserten" Margery Kempe. Alle suchten sie letztlich dasselbe, Margery Kempe mit ihren spektakulären Auftritten und den vertraulichen Gesprächen mit der Gottesmutter Maria, J acopo von Verona mit seinem Sammelsurium bedeutungsschwerer 104 WOLFLI, S.46. 105 Vgl. SOMMERFELD, S.825: "Es entspricht der allgemeinen, seit der Mitte des 14. Jahrhunderts stetig zunehmenden Verweltlichung des Wallfahrtsmotivs, dass die Zeitdauer, die auf die Besichtigung der loca sancta und überhaupt auf den Aufenthalt im Heiligen Lande veiwandt wird, vergleichsweise immer kleiner wird. Mehrjähriges, ja nur halbjähriges Durchwandern des Heiligen Landes, wie es doch für die von Tobler herausgegebenen Descriptiones terrae sanctae des 8. bis 12. Jahrhunderts die Regel war, ist mir für diesen Zeitraum des 14. bis 16. Jahrhunderts nicht bekannt geworden." 106 Übereinstimmend dazu HUIZINGA, S.246: "Das Volk lebte dahin in dem Schlendrian einer ganz veräusserlichten Religion, es besass dabei einen festeingewurzelten Glauben, der wohl Ängste und Entzückungen mit sich brachte, den Ungelehrten aber keine Streitfragen und keinen geistigen Kampf auferlegte, wie es dann der Protestantismus tun sollte. (...) Man darf den unausgesetzten Kontrast zwischen starker und schwacher religiöser Spannung nicht so erfassen wollen, indem man die Herde in Fromme und Weltkinder scheidet und sich vorstellt, der eine Teil des Volkes hätte immerwährend streng religiös gelebt, während die anderen nur äusserlich fromm gewesen wären." <?page no="147"?> 137 Steinbrocken, Hans Bernhard von Eptingen und Konrad von Grünemberg mit ihren Listen abgehakter Ablassorte, Bruder Felix und Bruder Paul Walther mit ihrer überschwenglichen Freude, die sich hier im Schluchzen, dort im Singen äusserte, Hans Schürpff mit seinem naiven Wunderglauben und Pietro Casola mit seiner scharfen Kritik. Sie alle suchten nichts weniger als das Heil, die Erlösung von seelischen Spannungen an jenem Ort, wo einst ein einzelner die gesamte Menschheit von der drückenden Last ihrer Verschuldung zu befreien versprach. Ob sie ihr Heil mit ihrer Art des Suchens schliesslich auch gefunden haben das ist die andere Frage, auf die der Pilgerbericht nur indirekt Antworten liefert. 5.1.2. Berg und Kloster Sinai Bis zum Jahr 1480 unternahm nahezu jeder unter den hier näher betrachteten Jerusalempilgern vor oder nach dem Jerusalembesuch auch eine Sinai-Expedition, mit Ausnahme konkret von Symon Semeonis, dem Earl of Derby und seinem Buchhalter Richard Kyngston, von Margery Kempe, Nompar de Caumont, Bertrandon de la Brocquiere, Georg von Ehingen, Hans Bernhard von Eptingen, Gabriele Capodilesta und William Wey. Gabriele Capodilesta hat dennoch eine Beschreibung der Weiterreise ab Jerusalem in seinen Bericht mit eingefügt, um der Vollständigkeit seines "Pilgerführers" halber. Symon Semeonis ging den zu seiner Zeit üblichen Weg vom Alten ins Neue Testament (mit Landung in Alexandria und Heimreise ab Beirut), ohne es Humbert de Dijon, Wilhelm von Boldensele, Ludolf von Sudheim und all den anderen gleichzutun und einen Abstecher nach dem Berg Sinai einzukalkulieren er war lediglich in Ägypten und Palästina. Gleiches gilt für Georg von Ehingen, der die umgekehrte Direktroute wählte, weil ihm der Ausflug zum Sinai zu gefährlich erschien. Bertrandon de la Brocquiere schliesslich wurde unterwegs krank und musste seine Sinai-Reise umständehalber abbrechen. Nach 1480 scheint sich mehr und mehr die Beschränkung auf das wesentlich bequemer zu erreichende Hauptziel Jerusalem durchgesetzt zu haben. Dies dürfte zusammenhängen mit der bereits erwähnten, unterschiedlich effizienten Infrastruktur: Wusste sich der Pilger in Jerusalem aufgehoben in der Obhut europäischer Geistlicher, so war er bei der Weiterreise auf sein eigenes Organisationstalent und auf muslimische Dienstleistungsbetriebe angewiesen. Felix Fabri fand anlässlich seiner ersten Jerusalemreise nur gerade zwei gleichgesinnte Pilger, die mit ihm zusammen das Wagnis der Wüstenexpedition auf sich genommen hätten es waren aber zwei Engländer, mit <?page no="148"?> 138 welchen er sich nur mühsam hätte verständigen können. 107 Fabri schätzte sich glücklich, die verpasste Sinaireise 1483 zusammen mit einer grösseren Pilgergruppe nachholen zu können. Weshalb hingegen der ebenfalls zweimal nach dem Heiligen Land aufgebrochene William Wey weder 1458 noch 1462 weiter nach Ägypten und nach dem Sinai ziehen mochte, bleibt Spekulation. 1462 könnten politische Umstände mit eine Rolle gespielt haben, erwähnt William doch eine "Invasionvon Arabern", die selbst den sonst üblichen Jordan-Ausflug nicht habe ratsam erscheinen lassen. 108 Später als 1483 lassen sich unter den hier genannten Palästinareisenden lediglich noch die zwei pilgernden Individualisten Francesco Suriano und Arnold von Harff durch die Wüste nach dem Sinai befördern; alle anderen begnügen sich mit der direkten Route hin und zurück über Jaffa und Venedig. Ein Hauptgrund dafür dürfte der Umstand gewesen sein, den ein weiterer (hier nicht berücksichtiger) Berichterstatter anno 1519, nämlich Dietrich von Kettler, bei seiner Beschreibung der sog. Katharina- Kapelle in Bethlehem anmerkt: ... und wey nicht to sunte Ka.thrinenberch kan kommen, und doit syn gebet vordem altar, dey vordeyntso vil afflates,als 04 hey up den berge Synay wergewest,und dar is afflaitvon allensunden. 00 Also liess sich derselbe Ablass, den man sich mit der Wüstenreise zu verdienen hoffie, auf weit weniger beschwerliche Weise auch in Bethlehem erwerben zum Vorteil der katholischen Kirche notabene, die die bei solchen Gelegenheiten reichlich fliessenden Spendengelder nicht mehr in griechisch-orthodoxe Taschen verschwinden sah. Mit dem Pilgerziel Sinai sind zwei religionsgeschichtliche Ereignisse VOQ weitreichender Bedeutung verknüpft: Hier bekam Moses von Gottvater die Gesetzestafeln überreicht. Und ebenfalls hier nahm die "Vita" der heiligen Katharina von Alexandria ihren glücklichen Ausgang nach Erleiden ihres Martyriums wurde sie von Engeln auf den Berg Sinai getragen und später im Kloster, das ihren Namen trägt, beigesetzt. 110 Es ist 107 Vgl. FABRI, Evag. 1, S.41-42. 108 WEY, S.99. 109 Vgl. H.HOOGEWEG (Ed.), Eine westfälische Pilgerfahrt nach dem Heiligen Lande vom Jahre 1519, in: Zeitschrift für vaterländische Geschichte und Altertumskunde 48, 1889,S.61. 110 Zur Geschichte des Sinailtlosters, zu den Sinaipilgem und zum Nachwirken der Katharina-Legende vergleiche allg.: M.H.LRABINO, Le monastere de Sainte Catherine (Mont Sinai), Souvenirs 6pigraphiques des anciens ~lerins, in: Bulletin de Ja Soci6t6 Royale de Gwgraphie d'Egypte 19, 1937, S.21-126; AS.ATIYA, Le monastere de Ste.Catherine, Kairo 1950; MAHFOUZ l.ABIB, Pelerins et voyageurs au mont Sinai, Kairo 1961 (Publications de l'lnstitut Fran~is d'archwlogie orientale du Caire / Rccherches d'Archwlogie, de Philologie et d'Histoire 25); B.VAN DE WALLE, Sur les traces des ~lerins flamands, hennuycrs et li6geois au Monastere Sainte-Cath6rine du <?page no="149"?> 139 durchaus denkbar, dass die im späten Mittelalter äusserst populäre Heilige mehr Pilger anlockte als der einst in einem Weidenkorb aufgefundene Hüter der Gesetzestafeln oder der (heute noch zu besichtigende) "brennende Dornbusch". Niccolo di Martono jedenfalls konnte die Ankunft im Sinaikloster kaum erwarten, war doch Katharina die Namenspatronin einer Kapelle, die von seiner Familie in Carinola gestiftet worden war. 111 Auch Felix Fabri verband mit ihrem Namen angenehme Erinnerungen: Am Kathrinentag (25. 11.) des Jahres 1452 war er ins Basler Dominikanerkloster eingetreten und legte auf den Tag genau ein Jahr später das Mönchsgelübde ab.11 2 Mit dem Erreichen des Klosters am Fusse des Sinai sind im allgemeinen keine spirituellen Ankunftserlebnisse verknüpft. Spürbar ist jedoch die Erleichterung der erhitzten, durstigen Wüstenwanderer beispielsweise im Text des Niccolo da Poggibonsi: Am 22. Tag (derReise ab Kairo)stiegenwirauf einengrossenBerg,und am Abend zur Zeit der Vespere"eichten wirdas berühmteKlosterder heiligenKatharina.Sobald wires von weitem erblickten,hatten wir das Gefühl,von den Toten auferstandenzu sein,denn wirwarensehr müde, und das Wasser war knapp, weil einigeAraber, denen wir begegnet waren,davon weggenommenund uns nurweniggelassenhatten.Als wir das Kloster e"eichten, fanden wir da griechischeMönche, und viele traten aus dem Kloster heraus, um uns zu sehen. Sobald wir in ihrer Mitte waren,umarmten wiruns allemit grosserHerzlichkeit. 113 Wilhelm von Boldensele erregte mit seiner Ankunft zu Pferd grosses Aufsehen unter den Mönchen, denn die Wüstendurchquerung wurde für gewöhnlich nur mit Kamelen gewagt. 114 In seinem sonst eher trockenen, Sinai, in: Annales de la Societe d'emulation de Bruges 101, 1964,S.119-147; J.GALEY, Sinai and the Monasteiy of St.Catherine, New York 1980 (dt .1982); BENO ROTHENBERG (Ed.), Sinai, Pharaonen, Bergleute, Pilger und Soldaten, Bern 1979; PHILIP MAYERSON, Tue Pilgrim Routes to Mount Sinai and the Annenians, in: Israel Exploration Journal 32,1, 1982, S.44-57; W.STÜWER, Katharinenkult und Katharinenbrauchtum in Westfalen, in: Westfalen 20, 1935, S.62-100; PEl'ER ASSION, Die Mirakel der HI. Katharina von Alexandrien, Untersuchungen und Texte zur Entstehung und Nachwirkung mittelalterlicher Wunderliteratur, Diss. Heidelberg 1969. 111 Vgl. LE GRAND, Ed.Martono, S.567. 112 FABRI, Evag. 2, S.462. 113 POGGIBONSI, 2, S.123-124: "Lo XXIl.dl salimosuper unagrandemontagna; e Ja sera,a ora di Ve.lS'pro, giugnemoa que/ Jogl.oriosomonasteriodi santaCaterina. Quando noilo vedemodi Jungi,ben ci pazve essere risuscitati da morte, pcrche noi eravamo molti afaticati, e ! acqua ci venia meno; pcro ehe parecchi Arabi ehe noi incontramo,s1 ce ! avevanoto/ ta,ehe poca ce ne Jassarono. Quandofummogiunti aJ monistero,s1trovamo monacigreci, e assairluscironofuori de/ munisteroa verderd; e quando fummo per md Joro,tutti ciabracciamocongrande carita.• 114 BOLDENSELE, S.229. <?page no="150"?> 140 informativen Bericht vermerkt er ausserdem die gute Behandlung durch die griechisch-orthodoxen Brüder. 115 Das Pilgerprogramm beschränkte sich auf verschiedene Rundgänge durch das Kloster. Besondere Aufmerksamkeit zogen jeweils die Gebeine der heiligen Katharina auf sich: Auf wunderbare Weise pflegte Öl von ihnen zu tropfen, und die Pilger sammelten dieses Fluidum, um es als kostbare "Kontaktreliquie"mit angeblich heilbringenden Kräften mit nach Hause zu nehmen. 116 Höhepunkt jedes Sinai-Besuchs war im Sinne des Wortes die Besteigung der beiden Hausberge des Klosters, des Horeb oder "Mosesbergs" und des weit höheren Dschebel Katharina (2637 m). Die Begriffe geraten den Pilgern gelegentlich durcheinander, weil das Massiv alsGanzes unter dem Namen "Berg Sinai"bekannt war. Felix Fabri hat zur Klärung der Sachlage eine Skizze des Querschnittes verfertigt und seinem Evagatorium beigefügt.11 7 Niccolo da Poggibonsi beschreibt in anschaulicher Weise die Aussicht vom Katharinaberg in Richtung Rotes Meer, dahin, wo einst der Pharao mit seinen Soldaten bei der Verfolgung des Volkes Israel den Tod in den Fluten fand, und vermerkt zum gleichen Tagesausflug: "... vom Abstieg taten uns die Füsseso weh und ebensodie Schienbeineund die Stelle unter den Knien, dass wirnichtaufrechtstehenkonnten." 118 Im Gegensatz zu den beiden weiterhin sachlich referierenden Berichterstattern Humbert de Dijon und Wilhelm von Boldensele liess auch Ludolf von Sudheim diskret seinen Muskelkater durchblicken, indem er schrieb, dass dieser Berg ausserordentlich mühsam zu erklettern sei. Die späteren Pilger, wie er keineswegsgeübte Alpinisten, bestätigen seinen Eindruck durchwegs. 119 Jacopo da Verona zeichnete schon 150 Jahre vor Felix Fabri einen Lageplan, doch hatte er nicht wie jener einen Gesamtüberblick im Sinn, sondern versuchte sich in der Darstell~ der wichtigsten heiligen Stätten entlang des Aufstiegs zum Mosesberg. 1 Einziges Gebäude ohne Giebel- 115 BOLDENSELE, S.235. 116 Vgl. DLJON, S.524: "ltem in eademabbatia,in quadamcapsade mannore albo iuxta altare maius, est corpusbeatissimaeCatberinae,de quo quidem corpore emanat continue quoddamspissumoleum quasialbum, quodpropriis vidioculisac recepi et etiam mecum porto.• Man beachte: Er sah das Wunder • mit eigenenAugerf und hatte sein Ölfläschchen auch noch zum Zeitpunkt der Niederschrift bei sich. 117 Vgl. PABRI, Evag. 2, S.477und hier, folgende Seite links. Legende: • 1.MonasteriumS. Catharinae. 2. Montispars inferiorOreb, Heliae et Helisaei 3. Mons Moysis.4. Mons S. Catharinae. S. MonasteriumXL Sanctorom." 118 POGGIBONSI, 2, S.161. 119 SUDHEIM. S.68: "ldem mons alio Jaboriosusascenditur." Vgl. beispielsweise SAN- SEVERINO, S.136; ADORNO, S.236; 1UCHER, S.78. 120 Die Abbildung (rechts) aus VERONA, S.235: Man beachte das Kloster (mit Kirchturm), die Kapelle zu Ehren der heiligen Katharina, eine weitere zu Ehren des Propheten Elias, die Moschee (vgl. dazu auch Jacopos Sehimpftirade, S.234) und das Kirchlein unterhalb des Gipfels, wo Moses von Gott die Gesetzestafeln erhielt. <?page no="151"?> 1. 141 kreuz ist die Moschee (über die der Zeichner im Text nicht genug lästern kann), und ausserdem abgebildet findet sich die legendäre Felsenquelle, die Moses mit blossen Stockschlägen zum Sprudeln brachte. Das Wasser war (in den Worten von Humbert de Dijon diesmal) "... dulcissimuset suavissimusad bibendum". 121 s. Felix Fabri krönt seinen mit zahlreichen Legenden ausgeschmückten Bericht mit der Schilderung eines freudigen Ereignisses, das er sich selbst und seinen Mitpilgern oben auf dem Gipfel des Katharinabergs bereitete . Er hatte nämlich als einziger daran gedacht, einen Proviantkorb mitzubringen, und lud nun alle Gefährten zu einem improvisierten Festschmaus "zuhause" bei seiner Braut Katharina ein. Das Essen glich einem internationalen Picknick: Bei diesem FestmahlwarenGrafen,Ritter,Priesterund Mönche dabei, und überdiesweitereLaien,häretischeChristen, ja sogarSarazenenund Araber,die allevon denRestenin meinemKorbgegessenhaben.Es gab zwargenügendWein,da anderePilgerihreFlaschenmitgebrachthatten, aberes hemchte Mangelan Wasser. Als einerderAraberunterunseren Gästendies bemerkte,nahm ersich einenKmg und ranntenicht,nein, er schlittelteförmlich den Berg hinunter und kam nach kurzer Zeit zurück mit dem Kmg vollfrischem Wasser, das er aus eineruns unbe- 121 DIJON, S525 . <?page no="152"?> 142 kannten Quellegeschöpfthaben muss. Und so mischten wir den Wein mit Wasser,und erst,als wirallesleergetrnnkenund -gegessenhatten,bis auf die Krumen und die kleinstenKörnchensogar,beendetenwirunser Mahl. Niemals auf meinerganzen Wanderschaftist mein Korb so vollständigleerund ausgerliumt gewesenwiean diesem Ort. 122 Schon am anderen Tag machte sich der unermüdliche Mönch auf, um mit einer Gruppe von Pilgern, die am Tag zuvor im Kloster geblieben waren, "seinen" Katharinaberg ein zweites Mal zu besteigen. Diesmal wurde Bruder Felix oben auf dem Gipfel von der erregenden Vorstellung überfallen, dass es von nun an heimwärts ging. Prompt erging er sich in patriotischen Gefühlen, die sein Bericht in geläuterter Form folgendermassen wiedergibt: Wie freudvoll und entzückend es ist (heimzukehren),kann nur jener Mensch ermessen,dersich langegenugin Jemen Gegendenaufgehalten und im Exil in einemfremden Land gelebthat, unterMenschen, die er nicht kennt und deren Sitten und Spracheer nicht versteht; der längere Zeit bei einem Volkzugebrachthat, das eine andereReligionund einen anderenRitus hat und einenfremden Gott verehrt.Er allein,.sage ich, verstehtdas Sprichwort: ~ schönstenist es doch daheim.' 123 Paul Walther von Guglingen gehörte mit zu den Gästen, die Bruder Felix am Fundort der Gebeine der heiligen Katharina bewirtete. Er erwähnt den Imbiss, allerdings ohne die für Felix Fabri so bedeutsamen Umstände. 124 Wiederum erweist sich dieser Franziskaner im Gegensatz zu dem sich unbekümmert freuenden Dominikaner als ein grüblerischer Mensch; er dachte angesichts der grandiosen Aussicht noch nicht an die bevorstehende Heimreise, sondern erst einmal an den bevorstehenden gefährlichen Abstieg: Oh wie beschwerlichist doch der Wegund gänzlichunbequem. Und der Berg steht steil aufgerecktwie eine Dachstiege.Übrigenstat ich beim Abstieg einem sehr geflihrlichenStu,z von einem Stück Fels: Hlitten 122 PABRI, Evag. 2, S.463. 123 PABRI, Evag. 2, S.466: •...quod quam gaudiosissimum et delectabile fuerit, non intellegit nisi is, qui in procul existentibus regionibus moram traxerit et in alienis terris exul fuerit et cum populo sibi ignoto, cujus nec mon: s nec Jinguamintellegit, conversatus fuerit et in gente alterius sectae,alterius ritus, alterum Deum quodammodo colendo ad tempus manserit. IJJe, inquam, intellegit hoc poeticum: Dulce natale so/ um.• BREYDENBACH klingt (fol.103a) ähnlich. 124 Vgl. WALnIER,S.207. <?page no="153"?> 143 mich nicht der He" und die seligeKatharinabeschützt,wäre ich zweifellos umgekommen. 125 Anders erlebte Felix Fabri den Abstieg; seine Schilderung erweckt den Eindruck eines übermütigen Wettrennens vom Berg herunter. Am Ende war das Schuhwerk der Pilger ganz zerschlissen doch ein aus Gesundheitsgründen unten gebliebener Ritter schenkte Felix Fabri zu dessen Freude ein Paar neue Schuhe. 126 Francesco Suriano hat das Sinaikloster im Februar besucht und auf den Berggipfeln noch Schnee vorgefunden. 127 Obwohl der Franziskaner und Konventsvorsteher schon aus Konkurrenzgründen nichts Gutes von den Sinai-Mönchen zu berichten weiss (und ihnen nachsagt, sie würden die Leichen der innerhalb der Klostermauern verstorbenen Pilger draussen im Eselsfriedhof verscharren), scheint er sich an der Stätte von Moses' Zwiesprache mit Gott ausserordentlich wohl gefühlt zu haben: Auf dieserganzen Reise habe ich (hier) den grösstenRespekt empfunden, den meisten Trostund diegrössteReue; jedenfallsnicht wenigerals in Jerusalem,ehermehr; und insbesonderean der Stelle, wo der Dornbusch stand. Wann immer ich mich dahin stellte, erfuhr mein Geist völligeLäuterung. 128 Bei der Ankunft im Sinaikloster hatte der Franziskaner-Obmann erfahren müssen, dass der Abt gerade eben bei einem Überfall durch bewaffnete Araber ums Leben gekommen war. Pietro Casola berichtet über diesen Zwischenfall, was er von den Jerusalemer Mönchen (vom Guardian persönlich? ) zu hören bekam; aus Sicherheitsgründen verzichtete daraufhin Casolas Pilgergruppe auf die ursprünglich geplante Sinai-Expedition. 129 Wie sehr die Sinai-Pilgerfahrt damals offenbar aufgrund der Warnungen der Franziskaner aus der Mode kam, belegt auch Arnold von Harffs Schilderung seiner Ankunft im Kloster: Item as wirnv an dit cloistersent Kathrijnenqwaemenontfyngenvns die broedergar waellind warengar vroedat sij noch eyns cristenvss desen 125 Ebenda: • 0 quam asperaest viaet omninoinculcata, et erectusest mons quasiasccnsus tccti Et dcsccnsu fcd casum valdepcriculosumde quadampctra, et nisi dominus et bcataKatherinaeustodisscnt mc, indubitantermortuusfuisscm." 126 FABRI, Evag. 2, S.474-475. 127 SURIANO, S.189/ S.177. 128 Ebenda: • In tuto questo viazo ho havuto grandissimadcvotione e consolationee conpontionc,non meno, ma quasipiiJehein Hierusalem: maximein quelJocodove era cJ Rubo: ognivoltaehe viintravame sentivatuto rcnovarin spirito.• 129 Vgl. dazu die Schilderung von SURIANO, S.187-188/ S.175-176, und die entsprechende Bemerkung von CASOLA, S.345/ S.112. <?page no="154"?> 144 landen sien moechten, as sij sachten in tzeyn (zehn! ) vurgan,1,en jaeren weregeyn cristenpylgrymvan den / atijnschenaldaegeweest. 1 Er beschreibt, was vor ihm andere Pilger (in besonders persönlicher Färbung Niccolo da Poggibonsi und Felix Fabri) wiedergaben, nämlich die weite Aussicht vom Gipfel des Katharinabergs aus: Item deser berch Synay is gar hoech. man suyt ouer alle berge daer vmtrynt vonft sees daichreysenwijt. man suyt aber eyn hoich gruys/ ich gebirchssuyden wartzind dat rode mer dat eyme duncket dat it nyet me dan drij mylen van dan en lege,dan it is me dan drittha/ ff daichreyse. ouch suyt man oft desem berghSur ind He/ im, dae Moyses lange tzijt mit den kindem van Jisrahelgelegenhat drij daichreyssvan her. ouch suyt man eyn kleyn steetgenThor genant, lijgende oft dem roden mer, dae alle specienvssJndyen an / enden. 131 Hübsch übrigens der Kontrast zwischen Felix Fabri und Arnold von Harff: Während sich der vielgereiste Mönch in Anbetracht der weiten Welt zu seinen Füssen allmählich nach der Heimat sehnte, entwickelte der fahrende Ritter angesichts der Fülle dieser Welt neue Reisegelüste und hielt sich, vom Anblick des Nahen Ostens offenbar noch nicht gesättigt, auch gleich noch die Gewürzländer des Femen Ostens vor Augen. Der mehrwöchige Ausflug in die Wüste Sinai bescherte dem spätmittelalterlichen Jerusalempilger mit dem Katharinakloster ein populäres Pilgerziei in welchem es Reliquien zu küssen und Ablässe zu holen gab. Zum anderen konfrontierte er ihn unter durchaus religiös-spirituellen Vorzeichen mit so ungewohnten topographischen Abenteuern wie der Traversierung von Hunderten von Meilen reinem Wüstensand und der Erklimmung höchster Berggipfel. Beides wird von den meisten Pilgern (unter Würdigung der eigenen Anstrengung) entsprechend vermerkt. In jedem Fall ist das Sinai-Gebirge Nahtstelle zwischen dem Heiligen Land und Ägypten und markiert die Grenze, jenseits derer der Reisende aus dem Bannkreis der traditionell besuchten Stätten heraustrat um unweigerlich in den Bannkreis so mancherlei exotischer ''Wunder" nichtbi blischer Herkunft zu geraten. Beides schlägt sich im Pilgerbericht nieder, und zwar, entsprechend der Routenwahl, als zunehmender oder schwindender Anteil individuell erlebter (Seh-)Abenteuer. Hinter diesem primär literarischen Phänomen aber vermutet Ägypten-Expertin Aleya Khattab tiefere psychologische Motive: "Die meisten Pilger kehrten nach der Pilgerfahrt direkt in ihre Heimat zurück. Wenige Reisende schlossen noch 130 HARFF, S.121. 131 HARFF, S.127. <?page no="155"?> 145 eine Ägyptenreise an, bevor sie heimkehrten. Diejenigen also, die Ägypten besuchten, hatten offensichtlich andere Beweggründe als nur religiöse.( ...) Die Besucher Ägptens wollte, so scheint es, aus der Enge des Mittelalters heraus, sie hatten das Bedürfnis, andere Länder kennenzulernen und zu bewundern." 132 5.1.3. Das Erlebnis Santiago de Compostela Sechs Pilgerberichterstatter, nämlich Margery Kempe, Nompar de Caumont, Ghillebert de Lannoy, William Wey, Georg von Ehingen und Arnold von Harff eine Mystikerin, ein Geistlicher, vier "fahrende" Ritter beschreiben gleichermassen ihre Jerusalemwie ihre Jakobuspilgerfahrt(en).133 Allerdings räumen vier unter ihnen diesem zweiten Pilgerziel nicht mehr als einen dürren Satz innerhalb der gesamten Reisebeschreibung ein: - Margery Kempe gab sich auch während ihres vierzehn Tage dauernden Spanienaufenthaltes regelmässigen Ausbrüchen akuter "deuocyon" hin, hatte "... many gret cryes in the mende of owr Lordys Passion, wyth plentyouws terys of Compassyon", und pilgerte anschliessend gleich weiter , über Bristol "... to the B/ od of Hay/ es" (Wilsnack).1 34 - Nompar de Caumont berichtet von der zunächst unternommenen Santiagowallfahrt erst im Anschluss an die ihm wichtiger erscheinende Jerusalemreise und beschränkt sich mit Ausnahme einer ausfühlichen Schilderung des sogenannten "Hühnerwunders" im wesentlichen auf eine Auflistung der Reiseetappen von der Gascogne nach Galizien und zurück. 135' - Ghilleberts "Bericht" vom ersten Santiagobesuch im Jahr 1407 beschränkt sich auf eine flüchtige Notiz: "Item von da begab ich mich nach Saint-Jacques und kam über Navarra zurück ...". 136Bei der Erwähnung der zweiten, kaum ausführlicher geschilderten Santiagoreise treten immerhin die näheren Umstände zutage: "Im Jahr (14)35, am 20.Februar,ging ich von 132 KHATIAB,S.16. 133 Nichtnachgewiesenist eine Fahrtvon FelixFabrinachSantiagode Compostela . Seine "Sionspilgerin" (mit der beiläufigenErwähnungauchdieserWallfahrt)nimmtinnerhalb der Pilgerliteratur eine Sonderstellungein und soll in einemanderen Zusammenhang etwasnäherunterdie Lupegenommenwerden. 134 KEMPE,S.110. 135 CAUMONf,S.141-150 . Zum "Hühnerwunder• (zur Legendevon der Rettungdes Gehenktenund der Wiederbelebung gebratenerPoulets) vgl. ROBERTPLÖTZ,"derhunlr hinder dem altar saltu nicht vergessen", Zur Motivgeschichte eines Flügelaltarsder KempenerPropsteilcirche , in: Epitaphfür GregorHövelmann, Beiträgezur Geschichte des Niederrheins, Geldern1987, S.119-170. 136 lANNOY,S.14. <?page no="156"?> 146 Arras weg (...) und kam überLand nach Saint-Jacquesin Galizien,um das Gelübdezu erfüllen,das ich beim HinschiedmeinerFrau abgelegthatte.11137 - Georg von Ehingen notiert bei der Chronik der kriegerischen Ereignisse im "küngrychlschpanien" lediglich, dass er und seine Gefährten einmal "... durch ettlichgross stett, Burschess (Bourges)und ander biss zuo sant Jacoben" kamen und entweder da oder auf dem Weg dahin die von den Strapazen der Reise erschöpften Pferde auswechselten.138 Bei einer blassen Namensnennung der Stadt belassen es auch die drei ausser an Reliquien immer auch an geschäftlichen Dingen interessierten - Kaufleute Hinrieb Dunkelgud, Eustache de la Fasse und Lucas Rem. 139 Und selbst der gewissermassen "offizielle" Reiseführer des Hermannus Künig von Vach lässt zwischen der detaillierten Beschreibung von Anreise und Rückreise just das Pilgerziel aus. Bleiben William Wey und Arnold von Harff, Schaschek, Gabriel Tetzel sowie Hieronymus Münzer. Bruder William setzt in seiner Abfolge der beschriebenen Pilgerfahrten genau wie Nompar de Caumont - Jerusalem an die Spitze, obgleich die Reisen dahin später alsdiejenige nach Santiago de Compostela stattfanden. Ansonsten erscheint das spanische Wallfahrtsziel im Bericht nicht anders geschildert alsdas orientalische: William Wey breitet über acht Seiten hinweg einen reichhaltigen Katalog statistisch bedeutsamer Daten und Fakten aus. ·von seiner Wissbegierde und seinem Talent zum Zuhören kündet dabei bereits der erste Abschnitt, der die Hierarchie der in Santiago wirkenden kirchlichen Würdenträger durchleuchtet.140 Es folgt ein topographischer und geographischer Beschrieb der Region, eine fromme Reiseanekdote (ein englischer Pilger bat Bruder William um Rat, ob er die gelobte Santiagowallfahrt trotz seiner schweren Krankheit vollenden sollte er liess sich zur Weiterreise bewegen und wurde prompt gesund), ein weiteres Wunder aus eigener Anschauung (ein Mann verlor seine Brieftasche und versprach eine Nacktwallfahrt zum heiligen Jakob; der Dieb wurde gefasst und das Versprechen postwendend eingelöst), dann die Strophe eines Pilgerliedes, wieder unterwegs Vernommenes zur Vita des Jakobus, eine detaillierte Beschreibung der 137 LANNOY, S.173-174: • Van trente et cincq,Je vingtieme jour de febvrier,partis d Arms (...) et nien aJay a Saint-Jacquesen Galice,parterre, pouracompJirJe veu quejavoye faitau trespasde man femme.• 138 EHINGEN, S.45-46. Und ebenda: • Mier deten och ettlichder grosten hengstvon un&S, dander wegist war/ ichgantz verr.• . 139 Vgl. DUNKELGUD, ed.Mantels, S.12; DE LA POSSE, ed.Foulche-Delbosc, S.201; REM, ed.Greiff, S.9. 140 WEY, S.153-154: "lbidemaudivide ministriseccJesieilliusComposteJanesanctiJacobi ...•. Selbst die Einkünfte sind aufgelistet: Ein Kardinal oder Bischof erhielt im Jahr fünfzig Dukaten, ein Kanoniker mit ständiger Residenz zwanzig Dukaten. <?page no="157"?> 147 Kathedrale zu Santiago; endlich zwei Sonderkapitel, gewidmet den zu besichtigenden Reliquien und den zu erwerbenden Ablässen. 141 Das auffallende Desinteresse, welches die meisten Berichterstatter in bezug auf das erwiesenermassen populäre - Pilgerziel Santiago an den Tag legen, wird durch die wenigen ausführlicheren Reisechroniken zum Teil bestätigt und zum Teil erhellt. Zur Zeit des fahrenden Fürsten Leo von Rozmital etwa herrschten in Santiago de Compostela anarchische Zustände: Der Erzbischof war von Aufrührern gefangengesetzt worden, die Kathedrale wurde belagert: Zu der zeit war gross krieg: man lag vor der / drehen ein mächtiger hell . Mit dem hie/ tens die von Sant Jacob, und hetten die / drehen ganz umbiegt und schussen hinein mit büchsen in die / drehen; so schussen die in der / drehen wider herauss. Und der Hell und die stat von Sant Jacob hetten den bischof sant Jacobs / drehen heraussen auf einem schloss gefangen, und des bischofs muoter und sein bruoder waren in der / drehen und ein cardina/ . 142 Ein Waffenstillstand musste ausgehandelt werden, bevor die höfische Pilgergesellschaft die Kathedrale betreten und den Reliquien des Jakobus ihre Reverenz erweisen konnte . Der Hofchronist Schaschek beschränkt sich auf eine unpersönliche Wiedergabe der Fakten, einesteils zum Bürgerkrieg und andererseits zu den Reliquien. 143 Gabriel Tetzel vermerkt auch einige am Rande des Kampfgeschehens beobachtete Einzelheiten wie die Zweckentfremdung der belagerten Kathedrale zum Militärcamp und Pferdestall. 144 Sein Gesamteindruck der Stadt : Sant Jacobs stat ist ein / eins k/ eins stät/ ein, mittelmässig, nit zu gross, und sind frum / eut darin, wievo/ sie desmals wider den bischof und die / drehen waren. 145 Schliesslich beschreiben Tetzel wie Schaschek den gemeinsam unternom- 141 Zuletzt WEY, S.159(" Hec sunt reliquie...") und S.159-161 ("Hec sunt indulgencie..."). Der Engländer strebt als einziger Berichtautor eine Strukturierung seines Santiago- Abschnitts analog zum bekannten Jerusalem-Schema an. Er gibt dabei aber, wie er mehrfach betont, durchwegs "gehörte" (und nicht etwa gelesene) Informationen weiter. 142 TETZEL, ed.Schmeller, S.175. Und MIECK, Zur Wallfahrt, S513: Yanez de Moscoso hicss der "mächtige Hen" . Bereits im frühen 12. Jahrhundert kam es zu einer Bürgerrevolte gegen Enbischof Diego Gelmircz; dazu HERWAARDEN, Lc ~lerinage ä Saint- Jacques de Compostelle, in: Santiago de Compostela, 1000ans de ~lerinage, Gent 1985, S.72, und die Biographie Diego Gelmircz' (RA.FLEfCHER, Saint James's Catapult, The Life and 1imes of Diego Gelmircz of Santiago de Compostela, Oxford 1984). 143 SCHASCHEK, ed.Schmeller, S.85-88. 144 TETZEL, S.ln. . 145 Ebenda. <?page no="158"?> 148 menen Ausflug ans "Ende der Welt" (Finisterre), wobei beide Berichterstatter auch auf die Sache mit den stetig an Aktualität und Bedeutung gewinnenden (portugiesischen) Entdeckungsfahrten eingehen. Von Sant Jacob ritt wir auss gem Finstern Stern, als es dann die bauren nennen, es heisst aber Finis te"ae. Do sieht man nichts anders essethinüber dann himel und wasser, und sagen, das das rner do so ungestüm sey, das niemand mug hinüber faren, man wiss auch nit, wass dogesset sey. Als man uns saget, so hetten et/ ich wollen erfahren wass doch gensseit wlir, und waren mit galeyen und näffen gefaren; es wär aber niemand herwider kumen. 146 Schaschek erzählt jene Geschichte, die Tetzel nur gerüchtehalber weitergibt, im Detail: Der König von Portugal (Heinrich IV.) liess demzufolge drei Schiffe ausrüsten und liess sie mit dem Auftrag, bis zum jenseitigen Ufer des Weltmeeres vorzudringen, in See stechen. Nach zwei Jahren Fahrt aber gerieten die Schiffe in eine schwarze Düsternis, und als sie hindurch waren, lag eine Insel vor ihnen mit Häusern, Gärten und Weinbergen, ausserdem mit Unmengen von Gold und Silber. Weil die Mannschaft Unheil fürchtete, nahm sie nichts davon weg und fuhr weiter. Bald türmten sich vor ihnen die Wellen mit lautem Getöse immer höher auf; wieder berieten sich die Männer und beschlossen, zwei Schiffe sollten die Weiterfahrt wagen, das dritte aber heimkehren, falls die anderen beiden verschollen bleiben würden. So geschah es: Von den zwei Schiffen hörte niemand mehr etwas, und das dritte kehrte unbeschadet vom Rand der Welt zurück, um dem König Bericht zu erstatten. 147 Spanien dürfte in der Zeit der Rozmital'schen "Ritter-, Hof- und Pilgerreisen" (1465-1467) nicht gerade die ideale Destination für eine luxusverwöhnteHofgesellschaft gewesen sein. Dies zeigt der Interessensvergleich schlagartig: Von den sonst so häufig geschilderten fürstlichen Empfängen und Banketten steht in dem spanischen Berichtabschnitt Gabriel Tetzels und Schascheks nichts mehr zu lesen. Stattdessen herrschte die Angst vor Pestzügen und vor Raubüberfällen. 148 In Sachen Verpflegung war die Pilgergesellschaft völlig auf sich gestellt; ein Umstand, der Gabriel Tetzel zur Klage bewog: "... also das ich mein, das 146 Ebenda. 147 SCHASCHEK, S.88-91. 148 TE"f'ZEL, S.178-179bzw. S.171. Zum Banditentum vgl. MIECK, Zur Wallfahrt, S.511 f: "Uberfälle .auf Pilger hatte es natürlich immer gegeben, aber seit der Mitte des 15. Jahrhunderts beginnt sich in der Anti-Pilger-Kriminalität eine neue Dimension abzuzeichnen, die organisierte Wegelagerei." <?page no="159"?> 149 die Zigeuner in allen landen ~ar viel he"licher gehalten werden, dann wir in dem land gehalten wurden. 1114 Auch Hieronymus Münzer zeigt sich von der spanischen Gastfreundschaft wenig angetan. Insbesondere dem Pilgerziel Santiago de Compostela gegenüber hegte er gemischte Gefühle: Der Boden ist gut, und die Gärten der Stadt sind voll von Orangen und Zitronen, Pfirsichen, Pflaumen und anderen Früchten. Aber die Leute dort sind schweinisch (...) und faul je weniger sie sich im Landbau anstrengen, umso mehr Mühe geben sie sich, den Pilgern das Geld aus der Tasche zu ziehen. 150 Den Bericht zur Kathedrale schmückt eine Grundriss-Skizze: 151 tnpclk-. J TI.J.c,s --~ ·- - ----- ···- -- ·--t------+--- • lt l~ sn: VoJ ? f Ot: 1~~5 149 TEI'ZEL, S.171. 150 MÜNZER, ed.Pfandl, S.94: • Ager autem eius bonus est, et civitatisortulipleni sund aranciiset limonibus,pomis persids,prunis et a/ iisfructibus.Sedpopulusadeoporcinus (...) et piger est, quod cu/ tureterre minus intendit, ut plurimum ex questupereginorum vivunt." · 151 Vgl. MÜNZER, S.75. <?page no="160"?> 150 Es folgt die Wiedergabe eines passenden Abschnittes aus dem "Liber Sancti Jacobi"; Münzers Bericht ist hier somit der einzige, der explizit auf eine schriftliche Vorlage zurückgreift. Den Abschluss macht ein (unmissverständlich kritisches) Resume der Eindrücke vom Treiben in der Kathedrale: Und dauernd ist ein solches Volksgeschrei in der Kirche, dass man es nicht für möglich halten möchte. Mässig ist da die Ehrfurcht. Der heiligste der Apostel wäre doch würdiggenug, inniger verehrt zu werden. Man nimmt an, dass er gemeinsam mit zwei Jüngern, dem einen zur Rechten und dem anderen zur Linken, unter dem Hochaltar begraben liegt. Sein Leib ist allerdings noch von keinem da gesehen worden. Selbst im Jahr 1487, als der König von Kastilien dort war, hat ihn keiner gesehen. Vertrauensvollglauben wir, was uns Menschen rettet. 152 Hieronymus Münzer und Gabriel Tetzel zeigen in auffälliger Übereinstimmung mehr Begeisterung für das andere spanische Pilgerziel Guadeloupe, wobei Unterschiede in der Interessenslage bestehen: Der Nürnberger Gelehrte und Arzt war offenbar von der reichhaltigen Bibliothek der Mönche und der zweckmässigen Einrichtung der Krankenabteilung besonders angetan, währenddem sich sein Landsmann am Chorgesang der Mönche sowie an der reichen Ausstattung von Kloster und Kirche ergötzte. 153 Arnold von Harff lässt, ganz ähnlich wie Hieronymus Münzer, seiner Kritik am Pilgerziel Santiago de Compostela freien Lauf. Seine Welterfahrenheit muss dabei zu der bemerkenswert skeptischen Beurteilung des berühmten Wallfahrtsortes mit beigetragen haben, hatte er doch die Gebeine des Apostels Jakobus "des Älteren" zuvor schon in Toulouse zu sehen bekommen und dachte nun, sich gewisse Glaubenszweifel (die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lassen) leisten zu dürfen: Doch ich begeert mit groisser schenckonge dat man mir dat heylige corper tzoenen (=zeigen) weulde. mir waert geantwort, soe wer nyet getzlich geleufft, dat der heylige corper sent Jacobs des meirre apostel in 152 MÜNZER, S.98: •Et continuo tantus clamorest in ccclesiapopuli, ut nundinas crederes. Modica ibi devotio est. Dignus esset sanctissimus apostolus, ut maiori n: verencia veneraretur. Sepultus autem creditur sub altaro magno cum duobus suis discipulis, quorum unus a dextris et alius a sinistris. Corpus autem a nullo visum est. Etiam anno Domini 1487, dum Rex Castelle ibi esset, non vidit. Sola fide credimus, que salvat nas homines." 153 MÜNZER, S.111, und TETZ.EL, S.186. Von besonderer Bedeutung wohl die beiläufige Bemerkung Tetzels: "Und der oberst in dem claster ist ein Teutscher (...)." Vgl. im übrigen ANGUS MAC KAY, Spain in the Middle Agcs, London l'Tn, S.190: "Tltis isolated monastery even rivalled Compostela as a pilgrimagc center. • <?page no="161"?> 151 deme hoi/ gen altaer leege ind dae an tzwyuelt ind dat corper dan sien wurde, van stlmt an moiste er unsynnich werden wie eyn raesen (=rasender) hunt. dae mit hat ich der meynonghe genoich ind vir gyngen voert vff die sacrastie. 154 Zwar wird Santiago de Compostela bei der Gelegenheit durchaus wohlwollend als "eynkleyn schoyne / ustich steetgen"beschrieben. Von der Tatsache allerdings, dass er sein Essen unterwegs selber zubereiten musste, zeigt sich der Ritter ebensowenig begeistert wie vor ihm Gabriel Tetzel, und er klagt, diese Pilgerfahrt sei allenfalls Bettlern zuzumuten, die gestohlen oder gemordet oder ihren Herrn ruiniert und verraten hätten. 155 Entsprechend vernichtend klingt Arnolds Gesamturteil, ehe er sich wiederum gastlicheren Gefilden zuwendet: Summa summmum ist Hyspanien gar eyn buesser (=böseres) lant as ich in der Turkijen mit der cristenheytfunden hane ind dae man eyns mans (nicht) me spottet dan in Hyspanien. 156 . Auch ohne die Bereitstellung einer ausgebauten Infrastruktur wie im Falle von Jerusalem scheint also in Santiago de Compostela zu dieser Zeit ein Kommerzialisierungprozess des Pilgerwesens stattgefunden zu haben. 157 Auffällig dabei: Gerade weil das Moment der obrigkeitlichen Kontrolle viel weniger stark ins Gewicht fiel als in Palästina, dürften sich negative (beziehungsweise als negativ empfundene) Konsequenzen für die bessergestellten und vereinzelt auch zu qualitativen Vergleichen befähigten Pilger ergeben haben. Wer -wie Margery Kempe und William Weyübers Meer nach Santiago de Compostela gelangte, bekam diese Konsequenzen naturgemäss weniger zu spüren. Eine allgemeine Krise der Jakobuswallfahrt kann jedoch aus den lakonischen und zumeist von Enttäuschung zeugenden Bemerkungen der schreibenden Pilger noch nicht gefolgert werden allenfalls eine "qualitative Dekadenz" bei weiterhin starken und eher noch zunehmenden Pilgerfrequenzen.158 154 HARFF, S.233. 155 HARFF, S.234. 156 HARFF, ed.Groote, S.230. DerHerausgeber derenglischen Umsetzung flicht das zum besserenVerständnis derStellebeitragende "nicht" ein; vgl. HARFF, ed.Stewart, S.271. 157 Vgl . MIECK, Zur Wallfahrt, S.508: "Deutlicherkennbarist eine Tendenzzur Veräusserlichung undzurEntpersönlichung derSantiago-Wallfahrt." 158 MIECK, a.a.O., S.517: "Dergegenwärtige Forschungsstand erlaubt es,dieDekadenz der Santiago-Wallfahrt seit dem15.Jahrhundert alsgesichert anzusehen. Parallel zudieserqualitativen- Veränderungerlebte die Compostela-Fahrt einen ausgesprochenen Höhepunkt, wobeiZahlundTypender Pilgerdie negativeEntwicklung ohneZweifel begünstigten.• Und S.518 : "DiewirklicheKriseder Santiago-Wallfahrt stand noch bevor.• <?page no="162"?> 152 5.2. Der wunder-volle Pilgerweg Wer glaubt, wird selig. Dieses Konzept bewährte sich für den mittelalterlichen Wallfahrer nicht erst am Pilgerziel, sondern auch auf dem Weg dahin, war doch die zu durchwandernde Welt (und Jean de Mandeville lieferte dazu die Bestätigung) "... ungewöhnlich inhaltsreich. Neben den Erdenwesen, Gegenständen und Erscheinungen schloss sie auch eine andere Welt in sich ein, die aus dem religiösen Bewusstsein und dem Aberglauben geboren wurde." 1 Anders ausgedrückt: Der Mythos besetzte die "wirkliche" Welt, die in ihren Grenzbereichen (noch) unerforscht war und die menschliche Vorstellungskraft beflügelte, anstatt sie in ihre Schranken zu weisen, mit den populären Helden und Heiligen aus Bibel und Volksglaube und ausserdem mit heidnischen Figuren aus dem Sagenkreis der klassischen Antike. Dem Reisenden begegneten diese legendären Gestalten und ihre Geschichten allerorten. Der Schreibende hatte nichts weiter zu tun, als sich die schönsten mythischen Blüten herauszupflücken und sie als schmückendes Beiwerk mit pädagogischem Odeur zwischen die Buchdeckel seines Reiseberichts zu legen. Der fleissigste Botaniker unter den Pilgerautoren war dabei zweifellos Felix Fabri: Sein dickes "Herbarium", sprich: Evagatorium, quillt förmlich über von theologischen und anderen mehr oder weniger logischen Exkursen, die er mit Hilfe seines immensen literarischen Vorwissens aus den selbstgeschauten und ihm vom Hörensagen bekanntgewordenen Fakten herausdestilliert hat. 2 Fabri unterscheidet dabei scharf zwischen den mehrheitlich zur Unterhaltung eingeflochtenen Sagen antiken, also heidnischen, Ursprungs und den erbaulichen, der Belehrung dienenden "seriösen" Erzählungen aus biblischer und/ oder kirchengeschichtlicher Quelle. Das heisst: Während er 1 GURJEWITSCH, S.70. Und S.368 ff, zu den Bemühungen der Geistlichkeit, den Wunderglauben der Zeit in geordnete Bahnen zu lenken: "Das Wunder stellte ein zu effektives Mittel des sozial-psychologischenEinwirkens auf die Gläubigen dar, als dass es sich die Kirche hätte erlauben können, es zu verachten." Weiterführende Literatur: H.GÜNTER, Psychologie der Legende, Studien zu einer wissenschaftlichen Heiligengeschichte, Freiburg 1949; F.LOTfER, Legenden als Geschichtsquellen, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 27, 1971,S.195-202; DERS., Methodisches zur Gewinnung historischer Erkenntnisse aus hagiographischen Quellen, in: HZ 229, 1979, S.298-356; PETER-MICHAEL SPANGENBERG, Maria ist immer und überall, Die Alltagswelten des spätmittelalterlichen Mirakels, Frankfurt 1987. 2 FEILKE liefert S.206 das Grundgerüst zum Aufbau von Fabris Exkursen, nämlich a: Erläuterung des Namens, b: Zitieren antiker und christlicher Referenzen, c: Nennung der wichtigen Persönlichkeiten, die an der Sache mitbeteiligt waren oder über sie berichteten, d: Vergleiche mit ähnlichen Erscheinungen in früherer Zeit oder anderswo, allenfalls e: Fabris eigene Interpretation der Geschehnisse. <?page no="163"?> 153 die einen regelmässig als "unwahre" Fiktionen der griechischen oder römischen Autoren zu erkennen gibt, äussert er an den anderen kaum je Zweifel. 3 Die Aufnahme des Mythischen in den Pilgerbericht erfüllte einen wichtigen (Legitimations-)Zweck: Wenn doch jede heilige Stätte und jede Reliquie am Weg ein Stück der biblischen Heilsgeschichte oder der christlichen Kirchengeschichte erzählte, dann legte der Pilgerweg fortwährend Zeugnis ab von der Stimmigkeit und Gottgefälligkeit dieser Geschichte und wurde seinerseits zum beispielgebenden religiösen Lehrpfad. Zweifel am Wahrheitsgehalt einer Erzählung traten von daher zunächst dort auf, wo die Quelle keine kirchlich sanktionierte war. Die Echtheit einer biblischen Stätte, einer Reliquie oder eines schriftlich oder mündlich beglaubigten Wunders hingegen wurde erst in Frage gestellt, wenn die eigene Anschauung mit dem geschilderten Sachverhalt nicht mehr übereinstimmte. Beispiel: Die prekäre Personalsituation im Garten von Matarieh . Mythische Züge nahm die Welt unter Umständen schon wenige Meilen nach dem Verlassen der heimatlich vertrauten Kloster-, Burg- oder Stadtmauern an. Berge eigneten sich für die Besetzung mit Legenden und Sagen schon aufgrund ihrer topographischen Sonderstellung weder der Orientpilger Paul Walther von Guglingen noch der Spanienfahrer Hermannus Künig von Vach kommen in ihrem Bericht an dem zerklüfteten Hausberg der Luzerner, dem "monsfractus" (Pilatus), vorbei, ohne die mit ihm verbundene Sage zu erwähnen. 4 Weitere Legenden dieser Art, die sich um wundertätige Gesteine und Gebeine rankten, begleiteten den gläubigen Pilger auf dem gesamten Weg bis ans Ziel. Venedig als Stadt der besonders reichen Reliquien-Schätze nimmt in den Palästinaberichten eine Sonderstellung ein. Hier hatten die meisten Jerusalemreisenden eine längere Wartezeit bis zur Abfahrt der Pilgerschiffe zu gewärtigen, und die liess sich auf besonders sinnvolle Weise mit der Besichtigung heilsgeschichtlich bedeutsamer (und ablassträchtiger) Objekte nutzen: 3 FEILKE , S.135 und a .a.O. 4 WALTIIER, S.15 (insb. Anm .2); KÜNIG, fol.2. Zu der Legende: Der Statthalter Pilatus soll kurz nach seiner Rückkehr aus Palästina in Rom gestorben sein, worauf der Leichnam im Tiber versenkt wurde. Als ständige Unwetter die Stadt heimsuchten, erinnerte man sich an den Unseligen, dessen Seele keine Ruhe finden konnte , und beschloss, die Gebeine dort beizusetzen, wo sie keinen Schaden anrichten würden. So geschah es: Pilatus wurde in einen Bergsee jenseits der Alpen geworfen und verhalf so einem anonymen Felsmassiv zu einem eigenständigen Namen (die alte Bezeichnung "mons fractus" oder "brochen birg" lebt bis heute in der Alpbezeichnung "Fräkmünt" fort). Der "Pilatusgeist" aber soll nach wie vor sein Unwesen treiben und am Karfreitag über den See schwimmen. Und die Luzerner Stadtregierung sorgt dafür, dass keiner auf den Berg steigt und aus Vorwitz die Ruhe des Geistes stört, denn dann müssten schwere Unwetter über die Stadt hereinbrechen . <?page no="164"?> 154 Da lagent wir still VII wuchen und ein tag und gesachent da unzalich vil heltum (=Heiltümer, also Reliquien) jm mer jn den klöstem. Hie merck von eim kloster im mer und was da für helltum syg. Ein kloster jn dem mer, da litt Sant Helena libhafftig, und da ist ein stuk von dem helfen crütz, und der turnen von Constantino dem keyser und was Sant Helena sun; und ein stuck von der brust Sant Marien Magdalenen, und ein thom uss der kron Cristj. Jtem es litt ouch jn demselben kloster Cosmas und Daminianus und sust vast vil heltum, das zuo schriben langwiligwurdt. 5 Erwartungsgemäss erweisen sich das Heilige Land und das Sinai-Gebirge als Hochburgen der Wunderzeichen Gottes. Bei näherer Betrachtung einzelner Erzählungen, die nicht in der ursprünglichen Heiligen Schrift zu finden sind, wird auch deutlich, welche ideologischen Interessen zum Teil hinter den anekdotischen christlichen "Machtdemonstrationen" stecken. Zur Stärkung des Glaubens und damit zur Förderung der religiösen Identität gegen innen trugen jene Geschichten be~ welche einzelne in der Bibel weit verstreute Etappen des Heilgeschehens über weite Zeiträume hinweg zu einer geradlinigen historischen Abfolge von bisweilen abenteuerlicher Logik verknüpften. Das wohl bekannteste und von den Pilgern verschiedentlich zitierte Beispiel ist jenes von der Kreuzholzlegende, das eine folgerichtige Gerade zieht von der Erbsünde des Menschenvaters Adam im Alten Testament bis zur Erlösung der Menschheit durch den ans Kreuz genagelten Gottessohn Jesus Christus im Neuen Testament: Mandeville schildert in seinem "Pilgerbericht" den Anfang der Legende, wonach Adams Sohn Seth von einem Engel drei wunderwirkende Samenkörner erhielt, die er auf Geheiss des Engels seinem toten Vater in den Mund legte. Aus dem Schädel Adams wuchs in der Folge ein dreifach verschlungener, stattlicher Baum der selbe Baum, den viele Menschenleben später ahnungslose Handwerker zur Herstellung des Kreuzes Christi verwenden sollten. 6 Felix Fabri nimmt den Faden auf und spinnt ihn weiter: Die Königin von Saba erkannte das mittlerweile von der Sintflut bis zum Berg Libanon geschwemmte - Holz des Baumes als das künftige Kreuzholz wieder, worauf König Salomo es in das Fundament seines Tempels mit einbauen liess. 7 Nachzutragen bleibt der Schluss der Legende: Der Holzstamm aus dem (inzwischen zerstörten) Tempel wurde seiner Bestimmung auf dem Golgatha-Hügel zugeführt, und das herabrinnende Blut des Gottessohns erlöste den noch immer im Holz eingeschlos- 5 SCHURPFF, S.3. 6 MANDEVILLE, S.7. 7 PABRI, Evag. 1, S.414. <?page no="165"?> 155 senen Schädel Adams mit solcher Wucht, dass der Felsen gespalten wurde, in den das Kreuz gerammt war. 8 Von dieser Kreuzholzlegende kursierten offenbar verschiedene Versionen je nachdem, aus wieviel Sorten Holz das Christuskreuz am Ende gefertigt war. Gemeinsame Grundlage aller Fassungen ist eine jüdische Tradition, die das Adamsgrab an der Stelle des Salomontempels (heute: Felsendom) lokalisiert. 9 Auch die dreissig Silberlinge, um die Judas den Jesus verriet, haben der Sage nach eine bis ins Alte Testament zurückreichende Vorgeschichte. 10 Eine weitere Passionslegende weiss zu berichten, dass der zur Rechten des Herrn gekreuzigte Schächer dem Retter seiner Seele schon Jahre zuvor alsKind begegnet sei. 11 Eine andere Gattung wundersamer Erzählungen sollte augenscheinlich dem religiösen Vormachtanspruch gegen aussen, gegenüber Islam und Judentum, Nachdruck verleihen. Zu dieser Gruppe gehört etwa die Sage von dem Steinquader, auf den sich laut Niccolo da Poggibonsi lediglich Christen, keinesfalls aber "Sarazenen" niederzusetzen vermochten. 12 Und Felix Fabri berichtet von einem Tor im Sinaifelsen, das von keinem Juden - und sei er alsChrist verkleidet passiert werden könne. 13 Die unterschwellige propagandistische Absicht dringt besonders deutlich bei einer Wundererzählung durch, die sowohl Felix Fabri wie Francesco Suriano ihrer Beschreibung der Geburtskirche Mariens hinzugefügt haben: Vor einiger Zeit, als der Vater des jetzigen (muslimischen) Türhüters den Pilgerverkehr in der Kirche kontrollierte, pflegte er masslos übersetzte Eintrittsgelder zu fordern (Fabri) und den Mönchen vom Sionskloster das Messelesen zu verbieten (Suriano). Eines Nachts aber erschien Maria dem Türhüter im Traum und drohte ihm und seiner Familie Tod und Verderbnis an, wenn er sein unfreundliches Betragen nicht augenblicklich ändere. In der Version des Guardians vom Monte Sion findet der vor Angst zitternde Sarazene gerade noch Zeit, seinen Kindern die bevorzugte Behandlung der Franziskaner ans Herz zu legen, bevor er (innert drei Tagen) stirbt. Die Fassung des Ulmer Dominikaners 8 Evag. 1, S.303; Fabri gibt die zu seiner Zeit populäre Ansicht wieder, dass die "Schädelstätte" wegen Adams Schädel so geheissen habe, und dass demzufolge die in der zeitgenössischen Malerei wiederholt auftauchenden Totenschädel unterhalb des Kreuzes als Adamsschädel zu interpretieren seien. 9 Dazu CHARLES COÜASNON, The Church of the Holy Sepulchre in Jerusalem, London 1974, S.40: "The legend of Adam's Tomb at Golgotha was totally unknown to the Evangelists." Weiterführende Literatur zum Thema: SABINO DE SANDOU, II Calvario e il S.Sepolcro, Jerusalem 1974; SYLVIA SCHEIN, Between Mount Mosiah and the Holy Sepulchre, The changing traditions of the Temple Mount in the .Middle Ages, in: Traditio 41, 1985,S.157-180. 10 Vgl. SUDHEIM, S.84,und PABRI, Evag. 1, S.426. 11 Vgl. FABRI, Evag. 2, S.404. 12 Vgl. POGGIBONSI, 1, S.48. 13 Vgl. PABRI, Evag. 2, S.454-455. <?page no="166"?> 156 endet versöhnlicher, indem der Türhüter bereut und inskünftig allen Pilger kostenlosen Zutritt zum Grab der Gottesmutter gewährt. 14 Felix Fabris Haltung zu den von ihm erzählten Legenden ist nicht immer eindeutig. Zwar gibt er die meisten unter ihnen mit einem bestätigenden Kommentar wieder, doch die wenigen, die aus zweifelhafter Quelle zu stammen scheinen, versieht er mit einem relativierenden "Man sagt, dass ...". Solches ist beispielsweise der Fall bei der jüdischen Überlieferung von der unerklärlichen Transparenz der massiven Gesetzestafeln, die Gott Moses überreichte die Schrift soll durch den Stein wie durch dünnes Pergament hindurchgeschimmert haben. Und das zweite Paar der Tafeln (nachdem Moses die Originale zerschlagen hatte und sich im Namen Gottes neue machte) soll gar aus lauterem Saphir bestanden haben. Bruder Felix' diplomatischer Kommentar dazu: Wieviel Wahrheitaber diese Geschichtenenthalten,überlasseich dem verständigenMenschen zu entscheiden.Sie verleitenjedenfalls nicht zu einem Irrglauben,ebensowenigwie die erdichtetenFabeln, die ich gelegentlich,wo sie mir begegnen,einfüge. 15 Scharf gezogen war die Grenze zwischen Glaube und Aberglaube jedenfalls dort, wo es um Sagenhaftes aus dem islamischen Kulturkreis ging. Jean Adorno etwa erfuhr an der nordafrikanischen Küste von genuesischen Kaufleuten den Grund, weshalb die einheimischen Frauen ihre Gesichter verhüllten: Sie glaubten, dass der Blick eines Muslim im Gegensatz zum Blick eines Christen schwanger mache. ''Dasist albernes Geschwätz/ " kommentiert Adorno. 16 Francesco Suriano berichtet von dem Wirken muslimischer Wunderheiler in Alexandria mit durchgehend spöttischem Unterton, und er lässt zum Vergleich ein paar christliche Wunder folgen. Unbestritten bleibt hingegen die legendäre Heilkraft der Simeons- Reliquien in einer Kirche an der dalmatischen Küste. 17 Und doch lassen sich in einzelnen Berichten vor allem geistlicher Autoren - Bestrebungen feststellen, die ständig anwachsende Reliquien- und Legendenflut auf ein vernünftiges Mass zurückzudämmen, die anerkannten Wunder von den billigen Nachahmungen prestigesüchtiger Mönche und geldgieriger Einheimischer zu scheiden und nachfolgende Pilger vor den Gefahren der Leichtgläubigkeit zu warnen. 14 Vgl. SURIANO, cd.Bellorini, S.113; cd.Golubovich, S.100; und FABRI, Evag. 1, S.373. 15 FABRI, Evag. 2, S.489: "Quid autem ista veritatishabeant, committo descreto viro; nullumerroreminducunt,sicutnecfictionespoeticas,qasetiamdumoccununt, induco. • 16 ADORNO, S.146: •... sed hocridiculosum et fabulO&Um est• 17 Vgl. SURIANO, S.212 ff bzw. S.24Z,S.210ff bzw. S.251. <?page no="167"?> 157 Wilhelm von Boldensele schrieb in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts das (in der Scholastik gebräuchliche) Sprichwort "Ubinatura sufftcit, non est ad miraculum recurrendum - "Wo die natürliche Erklärung genügt, sollte man sich nicht auf Wunder berufen" nieder; er bezog sich dabei auf die "Weinenden Säulen" von Jerusalem und auf eine natürliche Entstehung der Feuchtigkeit durch Kondensation. 18 Felix Fabri nimmt Wilhelms Gedankengang 150 Jahre später auf und fügt an seine Beschreibung desselben Phänomens die Bemerkung, es sei zwar richtig, nicht auf Wunder zurückzugreifen, wo die Natur als Erklärung ausreiche dennoch dürfe man das einfache, an solche Dinge glaubende Voile nicht als abergläubisch zurückweisen. Wenn nämlich Steine das Lob des Erlösers singen könnten, wie es Lukas im 19. Kapitel besage, dann sollten sie auch fähig sein, den Tod des Erlösers zu beweinen, selbst wenn es nicht in der Bibel stehe. Denn: ''Es ist leichterfür einen Stein, zu weinen, als Loblieder zu singen." 19 Im Falle der berühmten Milch Mariens (einem Sekret, das nach der übereinstimmenden Aussage der Pilger auf wunderbare Weise von der Felswand einer Grotte bei Bethlehem herabtropfte) liefert Fabri zunächst die physikalische Erklärung: Kondenswasser. Die Konsequenzen dieser Aussage bedenkend - Liebfrauenmilch war ein beliebtes Souvenir und die überirdische Herkunft unbestritten -, relativiert er allerdings die Tragweite seiner Behauptung: Fern sei es von mir, mit dieserAussage die Ehre, den Lobpreis und die Ehrerbeitung für die selige Jungfrau Maria zu schmälern. Es wäre ja möglich, dass die Milch gerade woanders aufbewahrt oder durch ein Wunder jemandem übergeben worden ist, oder dass besagter Fels, auf welchen der originale Milchtropfen der Sage nach fie~ von diesen himmlischen Tröpfchen die Kraft übernommen hat, selber Milch abzusondern. 20 Konsequent verhält sich Felix Fabri allein in seiner Ablehnung "neuer", sprich: offensichtlich gefälschter Reliquien. Zum Aufklärer wird er so in Bethlehem, wo er den zu "Opfern des Kindermords" erklärten, zum Verkauf feilgebotenen Baby-Skeletten, die offenbar aus -einem obskuren 18 Vgl. BOLDENSELE, S.263-264. 19 FABRI, Evag. 1, S.293-294: "Faci.Jiusest enim, Japidem lacrymari, quam laudes dccantarc.• 20 Evag. 1, S.450: "Absit tamen a me, ut per hoc dictum aliquiddemam honoris,laudis et revcrentiabeatissimaeVirginiMariae.Possibileenim est, aliundelac consezvatumesse, vcl miraculosealicuidatum, vcl quod rupespraedicta,super quam lactisgutta cecidise dicitur,virtutemaccepitab illacoelestiguttulalactis,quod semperlacstillet• <?page no="168"?> 158 Handel mit Früh- und Totgeburten stammten, jede Authentizität abspricht. Fabri, empört: Und so werden die Gläubigen Christi verspottet und um ihr Geld gebracht. Diese Ungläubigen wissen nämlich um unser brennendes Verlangen, Reliquien zu besitzen, und deshalb verkaufen sie Holz, angeblich vom heiligenKreuz,und Nägel und Domen und Knochen und vieles andere, um die Unvorsichtigenzu hintergehen und um ihr Geld zu betrügen. Ich gebe nicht viel auf neue Reliquen aus Übersee, besonders nicht, wenn sie von Sarazenen oder den falschen Ostchristen gekauft sind. Anders verhält es sich mit den heiligen Brocken von den heiligen Stätten und mit ähnlichen Dingen. 21 Pietro Casola, der kirchliche Würdenträger aus Mailand, lässt seine Zweifel in heiklen Angelegenheiten stets durchblicken. Als von Natur aus skeptischer Zeitgenosse sorgte er vor und nahm zusätzlich zu den allgemein empfohlenen zwei Proviantsäcken mit Geld und "Geduld" einen dritten, prallgefüllt, mit auf die Reise, um gegebenenfalls daraus schöpfen zu können. Dieser dritte Sack war der des "Glaubens", und Casola musste mehrmals, wie er jeweils maliziös anmerkt, tief hineingreifen, denn "... sonst wäre die Reise vergebensgewesen. .2 2 Der für gewöhnlich bereitwillig gläubige bis gutgläubige Ritter Arnold von Harff hätte Casolas dritten Sack in bezog auf einige zwielichtige Angelegenheiten unterwegs gut gebrauchen können. Mit seinen unziemlichen Fragen erregte er nämlich den Unwillen lokaler Geistlicher dort, wo ihm dieselben Reliquien ein zweites oder gar drittes Mal an verschiedenen Orten gezeigt wurden. Die Gebeine des Apostels Matthias sah er in Rom und in Padua, 23 die des Jacobus Minor in Venedig und Santiago de Compostela, 24 jene des Jacobus Maior ausser in Santiago de Compostela noch in Toulouse, 25 und die des heiligen Dominicus in Santo Domingo de la Calzada und ausserdem in Bologna. 26 Einen Armknochen des heiligen Thomas will er sowohl in Rom wie in Maastricht, auf der Insel Rhodos 21 Evag. 1, S.452: • Sciunt enim infldeles illi ardens desiderium nostrum pro habendis reliquiis, et ideo disponuntIigna,tamquamde sanc: tacrucc et clavos, et spinas, et ossa, et multa talia,ut incautosdeludant, et pecuniis spolient Non multi valorissunt apud me reliquiae novae de transmarinispaztibus asportatae,praecipue quae sunt emtae a Sarraccnis, vel ab orientalibusChristianisfalsis. Secus est de lapillissanctisa Jods sanctis etc." 22 Vgl. CASOLA, S.229 bzw. S.247/ S53 bzw. S.64: "Bin questi lochiperche sono tanto desprexiatida quelli cani mori, e non sono in altra veneratione,bisognaaprire quello teno sachoehese chiamael sachode Ja fede, altramentesi farebbeel viaggioindamo.• 23 Vgl. HARFF, S.17 und S.215. 24 HARFF, S56 und S.233. 25 HARFF, S.233 und S.223. 26 HARFF, S.10 und S.228. <?page no="169"?> 159 und zudem in Calmia (Indien) zu Gesicht bekommen haben. 27 Arnolds Kommentar lautet jedes Mal knapp: "Ichlaesseaber derpaffen irrungegot scheyden",mit dem einen schärferen Nachsatz: "... die en moissen ind wyllent nyet onrechthauen. "28 Offene Kritik äussert er allenfalls in bezug auf jene Wunder, die nicht kirchlich sanktioniert waren. Bei Damaskus etwa gab es einen Steinblock, zu dem Christen wie Ungläubige pilgerten, um ihre Rückenschmerzen loszuwernden. Arnold von Harffs Missbilligung mündet ein in eine regelrechte Standpauke: 0 wat gelouues (=Glaube, hier: Abe,glaube) is leyderdat, der wirgar vil in vnsen landen hauen ind geleuuen! 29 Wie sich der Berner Pfarrer Heinrich Wölfli über die "franciscaner münch" ereiferte, die den "schlechten einfalten bilgeren" beliebige Orte als Stätten der Heiligen Schrift verkaufen würden, haben wir ja bereits erfahren.30 Zwar waren die Pilger bereit, vieles zu glauben. Naiv waren sie trotzdem nicht, wie der "... immer deutlicher hervortretende Skeptizismus gegen die Heilkraft und gegen die legendär-historische Erläuterung und Beglaubigung der Reliquien ..." zeigt. 31 Dasselbe gilt wohl für die spätmittelalterliche Leserschaft, die nicht alles für bare Münze nahm und sich dennoch mit Vorliebe Geschichten von wunderbaren Tieren, Pflanzen und Menschen erzählen liess. 32 27 HARFF, S.17, S.73 und S.141. Dazu (und ebenso zu einigen weiteren Reliquien, deren Echtheit Arnold in Zweifel zieht) GERD TEI.LENBACH, Glauben und Sehen im Romerlebnis dreier Deutscher des 15. Jahrhunderts (Nicolaus Muffel, Nicolaus Lanckmann, Arnold von Harff), in: ERWIN GA'IZ (Ed.), Römische Kurie, Kirchliche Finanzen, Vatikanisches Archiv, Studien zu Ehren von Hermann Hoberg, Rom 1979 (Misc.hist.Pont. 46, 2), S.883-912. 28 Hier: HARFF, S.228. Dazu TEI.LENBACH, Glauben und Sehen, S.909: "So gering an Zahl diese Bemerkungen sind, so wenig polemisch ihr Ton ist, für diese Zeit sind sie immerhin auffallend.• 29 HARFF, S.197. Die Gegend scheint auch sonst reich an wunderwirkenden Mineralien gewesen zu sein: Der Kaplan von Sir Richard Guylforde notierte sich, dass die rötliche Erde vom Damaszenerfeld das •... fallyngc euylf (die Epilepsie) vertreibe (ANONY- MUS, S.54). 30 Nochmals: WÖLFU, S.42. 31 Vgl. SOMMERFELD, S.839(Zitat). 32 Vgl. KHATIAB, S.241. <?page no="170"?> 160 5.3. Stadt und Land Die Städte, die am Weg zum Pilgerziel lagen, waren zum einen Stationen zum Sich-Ausruhen von der letzten und zum Sich-Vorbereiten auf die nächste Etappe, dann aber auch wie wir gesehen haben - Zwischenziele mit einer Menge von Reliquien, die es aufzusuchen, Ablässen, die es zu holen, und Legenden, die es weiterzuerzählen gab. Nicht zu vergessen die Funktion der Stadt als "Stadt", nämlich als politischer, wirtschaftlicher und kultureller Knotenpunkt: In dieser Funktion war die Stadt für den reisenden Adeligen, Geistlichen oder Kaufmann unter vielerlei Gesichtspunkten von Bedeutung. 1 Der nachfolgende kurze Streifzug auf der Suche nach weltlichen Sonderinteressen beschränkt sich auf die fünf damaligen Levante-Metropolen Venedig, Damaskus und Beirut, Kairo und Alexandria. Konstantinopel wäre ein weiterer die Untersuchung lohnender Anziehungspunkt, zumindest für die Jerusalempilger mit unkonventioneller Routenwahl. 2 5.3.1. Die weite Welt, zum Greifen nah Venedig war im 15. Jahrhundert das eigentliche Sammelbecken für Jerusalempilger, bedingt durch die nahezu absolute Führungsposition im Levantehandel und in der Mittelmeer-Schiffahrt.3 Die Beschreibung der Stadt bildet denn auch in einigen Fällen den Auftakt zur offiziellen Palästina-Reisebeschreibung.4 Zumindest für die "ultramontanen", also die von 1 Dennoch geht SOMMERFELD, S.826, zu weit, wenn er den Besuchern von Alexandria oder Damaskus jede Aufmerksamkeit für die religiösen Attraktionen abspricht und pauschal festhält: •... dorthin führen nur weltliche Zwecke (Kaufmannsinteressen! ) oder Abenteuerlust.• 2 Zum Bild Konstantinopels im spätmittelalterlichen Pilgerbericht vgl. VAN DER VIN, Travellers to Greece and Constantinople, Ancient Monuments and Old Traditions in Medieval Traveller's Tales, 2 Bde, Istanbul 1980. Unter den beigezogenen Autoren sind Wilhelm von Boldensele, Ludolf von Sudheim, Niccolo di Martono und Bertrandon de la Brocquicre. 3 Die Konkurrenzstadt Genua bevorzugten nur wenige Pilger, beispielsweise die Adornos. Literatur zum Thema: EUJAHU ASIITOR, Europäischer Handel im spätmittelalterlichen Palästina, in W.FISCHER/ J.SCHNEIDER (Ed.), Das Heilige Land im Mittelalter, Neustadt 1982, S.107-126; DERS., Levant Trade in the Later Middle Ages, Princeton 1983; DERS., Venezia eil pellegrinaggio ~Terrasanta nel basso mcdiocvo, in: ASI 524, 1985,2, S.197-223; J.HEERS, Genes au : ,cv--me siccle, Aspects cconomiques et problcmes sociaux; B.ZKEDAR, Merehants in Crisis, Genocsc and Venetian Men of Affairs and the Fourtcenth-Centuiy Depression, Yale 1976; DAVID JACOBY, Pclerinage m6di6val et sanctuaires de Terre Sainte: la perspective venetienne, in: Ateneo Veneto 24, 1-2, 1986,S.27-58. 4 SOMMERFELD, S.836. Vgl. den Beginn des gereimten "Pilgerführers" bei WEY, S.8: •Fro Venyse to Port Jaff by the see/ Hyt ys ijm. myle and hundzys thre; / And yn that sce therys a place/ Wher the wbale swalowydJonas. (...) etc.•. <?page no="171"?> 161 jenseits der Alpen stammenden Pilger aus dem englischen, dem französischen und dem deutschen Sprachraum scheint Venedig ein Anziehungspunkt von herausragender Bedeutung gewesen zu sein, Demgegenüber bleiben die italienischen Berichte sachlich und gehen im Anschluss an einige kurze Bemerkungen zumeist gleich zur Seereise übergehen . Venedig war in erster Linie ein Wartesaal für die Fremden, die sich nicht wie die Mailänder oder die Florentiner einen Aufbruch "in letzter Minute" leisten konnten . Mit den Partnerstädten Venetiens in Palästina und Ägypten verhielt es sich gerade umgekehrt: Währenddem ein Niccolo da Poggibonsi oder ein J acopo da Verona in ihren um 1350 verfassten Reiseberichten bereits ein lebhaftes Interesse für das gewerbliche Leben von Alexandria und Kairo, Beirut und Damaskus bekunden, kommt in den Berichten "deutscher " Herkunft erst bei den Nürnberger Kaufleuten Sebald Rieter und Hans Tucher (1479) eine vergleichbare Anteilnahme zum Ausdruck. Keine Probleme mit der Darstellung weltlicher Interessen bekundet hingegen der Bericht des irischen Mönchs Symon Semeonis: In diesem um 1350 entstandenen Text ist jede Weltstadt , ob London, Canterbury, Paris oder die Papstresidenz Avignon, Genua oder Venedig, Alexandria oder Kairo eine Attraktion um ihrer selbst willen, sehens- und beschreibenswert wegen ihres exotischen Flairs ebensogut wie aufgrund ihrer Bedeutung für den katholischen Glauben. Ein paar Beispiele verdeutlichen diesen "deutsch-irisch-italienischen" Unterschied: Ludolf von Sudheim konnte nicht umhin, eine bewundernde Lobrede auf die reiche Stadt Damaskus in seinen Reisebericht aufzunehmen. Seiner Klage über das im Jahr 1291 zerstörte Akkon räumt er allerdings bedeutend mehr Platz ein: Der kirchenpolitische Symbolgehalt der am längsten gehaltenen Kreuzfahrerfestung dominiert über die praktische Bedeutung einer Handelsmetropole. 5 Wilhelm von Boldensele konzentriert seine Schilderung des Kairoer Stadtlebens auf ein paar bemerkenswerte Einzelheiten, welche auch spätere Berichterstatter immer wieder von neuem in Erstaunen setzen sollten: die öffentlichen Hühnerbrutöfen 6 und die Pyramiden. Wilhelm erweist sich auch hier, wie im Fall der "weinenden Säulen" in Jerusalem, als Aufklärer, indem er der landläufigen Auffassung widerspricht, es handle sich um die legendären Getreidespeicher für die 5 Vgl. SUDHEIM, S.97-98 und S.39-47. 6 BOIDENSELE, S.224-225: •&t in cadro domus ampla et ad modum stube demissa in qua sunt multe fomaces, etiam demisse, super quas in palea ponuntur ova quanta quilibet vo/ uetit aportare et sine gallinarum cubatione naturali ex certo temperamento ignis in formacibus matetia fetus maturatur in ovis et pulli cxeunt suo tempore arte effectum nature mirabiliter prosequente, statimque ut pulli ex testis ovorum erumpetint, dantur dominis quorum ova fuerunt, asportanturque et nuttiuntur. Unde et in hiis partibus est maxima copia gallinarum. Hoc mirabilius reputo omnibus que videtim in hiis Jods." Vgl. dazu : HIPPLER, S.149. <?page no="172"?> 162 den Ägyptern einst verheissenen sieben mageren Jahre.7 Die Legende sollte sich allerdings, kolportiert von anderen schreibenden Pilgern, bis in die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts halten. 8 Symon Semeonis war von der Funktion der Pyramiden als altägyptische Getreidespeicher überzeugt, wusste aber den Namen der monumentalen Bauwerke respektive die geometrische Bezeichnung nicht. Er behilft sich mit einer Beschreibung, die an Genauigkeit nichts zu wünschen übrig lässt: Drei sind es, und zwei davon so gross und hoch, dass sie von weitem eher Berggipfeln als Komspeichem ähneln. Der dritte, zwar nicht so gross und hoch wie die anderen, ist im Aussehen und in der Gestalt genau gleich wie sie. Im unteren Teil nun sind sie genau viereckig und von gewaltigerAusdehnung; je höher sie werden, umso schmäler werden sie, und die Viereckform bleibt, ist aber ganz zuoberst sehr schmal und spitz. 9 Als scharfer Beobachter, der kaum je auf schriftliche Informationsquellen, dafür aber öfters auf lokale Auskunfstpersonen zurückgriff, erweist sich der irische Mönch immer wieder in seinem Kairo-Abschnitt. Gleich zu Beginn stellt er Vergleiche an: Kairo erschien ihm mindestens zweimal so gross wie Paris und viermal so dicht bevölkert. Im Gegensatz zu Paris aber waren die Häuser nicht gemauert, sondern aus Backstein und Lehm gefertigt - oder dann aus leichtem Holz und Palmrohr. 10 Er beschreibt den chaotischen Strassenverkehr, den Überfluss an Konsumgütern aller Art, 11 Sitten und Gebräuche der Einwohner, die topographische Lage zwischen Wüste und Nil und besonders eingehend den aufwendigen Lebensstil des Sultans und dessen Residenz. Hübsch die Schilderung eines Zeitvertreibs, der unschwer als eine Art Polospiel identifiziert werden kann: 7 BOLDENSELE, S.226-228 (mit der wörtlichen Wiedergabe einer lateinischen, unter weiteren •scripturas diversorum ydiomatuni' gefundenen Felsinschrift). 8 Vgl. zum Beispiel VERONA, S.242; POGGIBONSI, 2, S.93 f; MANDEVILLE, S.36; MARTONO, S.602; SANSEVERINO, S.143; RIEI'ER, S.115. ADORNO, S.190 tippt hingegen richtig auf antike Gräber, und FABRI, Evag. 3, S.42-44,widerlegt die Volksmär in gewohnter Eloquenz. 9 SEMEONIS, ed.Esposito, S.84: •Ad eandem partem ultra memoratam insulam, ad 3 miliaria ad radicem deserti, sunt illa granaria qui fedt Joseph, de quibus scribitur (in) Oenesi. Et sunt 3, quorum duo sunt tante magnitudinis et altitudinis, quod potius a remotis videntur montium cacumina quam granorum custodilia. Tertium vero, licet non sit multum magnum nec altum in comparatione ipsorum, tamcn ab eis in forma et figura in nullo discrcpat lpsa enim sunt in parte inferiori quadratissima et amplissima, et in parte superiori prout plus asccndunt magis stricta, et sie stricta quod observata quadratudine, cacumen cujuslibct se valdc strictum demonstrat et acuum.• 10 SEMEONIS, S.'12. 11 SEMEONIS, S.74. Es sei unmöglich, den Reichtum in Worte zu fassen, schreibt er. Frische Bohnen und andere Landprodukte seien den ganzen Winter hindurch feilgeboten worden. <?page no="173"?> 163 Auf diesem Platz gönnt sich der Sultan bisweilen Erholung in Gesellschaft seiner Admiräle und der anderen Annee-Offiziere. Ihr Spiel gleicht dabei jenem, das von den Schäfern in christlichen Ländern mit einem Ball und mit gebogenen Stöcken gespielt wird. Mit dem Unterschied, dass diese Edelleute und ihr Sultan den Ball nur zu Pferd reitend schlagen. Sie spielen aber nicht in militärischer Weise, und die Pferde und ihre Reiter werden nicht in Behendigkeit, Kraft und anderen soldatischen Tugenden geprüft, wie es mit den christlichen Soldaten in entsprechenden Spielen, Turnieren und anderen militärischen Übungen geschieht. Es ist übrigens anzunehmen, dass dabei etliche Pferde und Reiter Verletzungen erleiden, und viele unter ihnen nicht mehr zum militärischen Einsatz kommen. 12 Selbst die Steuerordnung und die Rechtsprechung der Stadt veranlassen Symon zu eingehenden Schilderungen - Fischer hatten dem Sultan für ihr Patent erhebliche Beiträge in Geld und Naturalien zu entrichten, und das Justizwesen zeichnete sich nach Symons wohlmeinender Auffassung durch ihr hohes Niveau ebenso wie durch das streng gewahrte Prinzip der Gleichberechtigung aus. 13 Dies sind nur ein paar wenige Beispiele für Symon Semeonis' ausserordentlich weitgefasstes Interessespektrum und seine wache Bereitschaft, zu interpretieren, zu vergleichen, zu urteilen. Aber auch die italienischen Autoren jener Tage erweisen sich in bezug auf das pulsierende Leben der Orientstädte als erheblich weniger wortkarg als ihre deutschsprachigen Zeitgenossen: - Jacopo da Verona baut seine Schilderung Kairos weitgehend auf eigenen Beobachtungen auf und schliesst mit einem Exkurs zur aktuellen politischen Lage Ägyptens . 14 In Damaskus bekundet der Mönch kaufmännische Interessen , schwärmt von den Gärten der Stadt und erinnert sich selbst noch an die Menge der Kamele, die ihm da hochbeladen begegneten. 15 - Niccolo da Poggibonsi hätte nach eigenem Bekunden noch vieles über Damaskus zu erzählen gewusst, was er aber um der Kürze seines Berichts 12 SEMEONIS, S.76. Die Betrachtung des Spiels endet mit dem verächtlichen Seitenhieb, aufgrund der zu erwartenden Verluste lasse der Sultan es nur selten spielen und ziehe die Jagd oder einen anderen "weibischen"Sport vor: •Et binc cst quod raro predicto Judo utitur Soldanus, sed illum in actus venaticos commutat et effeminatos. • Die Stelle findet sich auch erwähnt bei ROUX, Les explorateurs au Moyen Age, S.230; die Nahost-Pilger sind hier ansonsten bewusst weggelassen. 13 SEMEONIS, S.79 und S.80. 14 VERONA, S.239-245,S.247-251.Auf die Vermutung, seine Informationen hätten einen militärischen Nutzwert gehabt oder zumindest angestrebt, soll etwas später eingegangen werden. · 15 VERONA, S.290-293. <?page no="174"?> 164 willen wegzulassen beschloss 16 aber auch so erstreckt sich sein Beschreibung der Stadt über neun Seiten. - Wie vor ihm der eben genannte Niccolo da Poggibonsi lässt sich der adelige Florentiner Bankier Lionardo Frescobaldi zu Fragen des Geldwesens in Kairo aus, 17 er beschreibt ausführlich Gewerbe und Handel, Sitten und Gebräuche doch Vorrang vor all dem hat das Militärische und Diplomatische, also die ägyptische Heeresorganisation und (in Alexandria) eine private Audienz beim Stellvertreter des Sultans. 18 - Frescobaldis Mitpilger Giorgio Gucci und Simone Sigoli legen in ihren Berichten gleichfalls ein reges berufsbedingtes Interesse an den Tag, was sich in den angeregten Schilderungen des internationalen Handels in Ägypten und Syrien niederschlägt. Dass Giorgio Gucci ganze drei Monate in Damaskus zubrachte, ist nicht zu übersehen. 19 - Bei den adligen italienischen Pilgern rücken demgegenüber die Berichte von diplomatischen Empfängen in den Vordergrund, so etwa bei Roberta de Sanseverino, der innerhalb seiner ausführlichen Schilderung der Kairoer Attraktionen nicht zu erwähnen vergisst, dass ihn da der Botschafter der Insel Rhodos zu sich bat. 20 Im Laufe des 15. Jahrhunderts räumen dann auch die Berichtautoren aus dem deutschen und dem französisch-belgischen Sprachraum den weltlich-touristischen Interessen mehr Spielraum neben den primären Pilger- Interessen ein. Bertrandon de la Brocquiere wird auf diese Weise zum Gewährsmann für die wirtschaftshistorische Forschung als Augenzeuge für den Aufschwung des Baumwollhandels im Palästina. 21 Jean Adorno beweist Sinn für die architektonischen Schönheiten der Weltstadt Kairo~ Damaskus aber erschien ihm so herrlich schön wie das Paradies selbst. 2 .t. Bei Sebald Rieter und Hans Tucher standen wiederum merkantile Aspekte im y ordergrund: Bezeichnend ist hier die beiläufiJe Anmerkung Tuchers, in Agypten verkaufe man das Holz nach Gewicht. Die universalen Interessen von Felix Fabri fanden in den Städten unterwegs reiche Nahrung: Er flicht grundsätzlich zu jedem Ort von grösserer Bedeutung (für die Christenheit) einen Exkurs ein, wobei sich zu den obligatorischen mythologischen und religionsgeschichtlichen Abschnitten 16 Vgl. POGGIBONSI, 2, S.9. 17 FRESCOBALDI, ed.Gargiolli, S.43-44; POGGIBONSI, 2, S.59. 18 FRESCOBALDI, S.39-41 (die ägyptische Armee) und S.24-27 (die Audienz). 19 Vgl. GUCCI, S.399-411. 20 SANSEVERINO, S.142. 21 Vgl. dazu ASIITOR, in: FISCHER/ SCHNEIDER, S.110 ff (auch Ghillebert de Lannoy, Roberto di Sansevcrino, Pietro Casola und Franccsco Suriano liefern offenbar Indizien für den Verlauf der Baumwollhandelskonjunktur in Palästina). 22 Vgl. ADORNO, S.184 f und S.326. 23 TUCHER, S.87. <?page no="175"?> 165 auch topographische und wirtschaftliche gesellen. 24 Unter den Zeitgenossen bringt sein zeitweiliger geistlicher Mitpilger Paul Walther von Guglingen noch am deutlichsten eine zweckhafte Orientierung an Kirchen und Klöstern zum Ausdruck, 25 währenddem andere Reisende bereits deutlich humanistisch geprägte Interessen an den Tag legen. Pietro Casola etwa lässt seiner fast hobbymässig anmutenden Lust an schönen Märkten freien Lauf und beweist anderswo in Hinblick auf architektonische Zusammenhänge eine beachtliche Fachkompetenz: Kein Pilger ausser ihm hat bei der Besichtigung des Dogenpalasts in Venedig sogar die bestehenden Renovationspläne eingehend studiert und kommentiert. 26 Von der Vorliebe des Santiagopilgers Hieronymus Münzer für gutbestückte Bibliotheken war schon die Rede er beschreibt auch verschiedentlich das lokale Kanalisationsst.stem, wo es ihm als technische Meisterleistung erwähnenswert erschien. 7 Arnold von Harff konnte sich offenbar, als Kaufmann verkleidet, in Kairo frei bewegen und zahlte sogar den ermässigten Tribut: Zwei statt der von Pilgern verlangten fünf Dukaten. In der Folge beschreibt er eingehend, was er sah und was ihm begegnete, was ihn erstaunte und welche Gespräche er (unter anderem mit dem Sultan) führte. 28 Von allen bemerkenswerten Dingen, Tieren und Menschen scheint er eigenhändig Skizzen angefertigt zu haben, die er später (als Umsetzungen von anderer Hand? ) in die Endfassung seines Berichtes einfügte. Kein Wunder, hat Arnold von Harff in der Fachwelt seinen Spitznamen als ''journaliste en quete de sensationel" weg, und wird sein scharfes Auge mit einer "... veritable cam.faa vivante" verglichen. 29 Von echten, nicht bloss fingierten Kaufmannsinteressen leiten liess sich schliesslich der Schafthauser Salz- und Pferdehändler Hans Stockar im zypriotischen Famagusta: Er schildert hier die Salzgewinnung in derart kompetenter Weise, dass seine eigene fachliche Kompetenz ausser Zweifel steht. 30 Der summarische Überblick über die "städtische" Interessensentwicklung lässt zwei vorläufige Schlüsse zu: Einmal erscheinen diese Interessen als verhältnismässig stark schichtspezifisch, durchaus analog zu der Feststellung von Claudia Zrenner, wonach" ... die Interessen und Werturteile des einzelnen jeweils stark von seinem Stand, d.h. von seiner Bildung und seinem Beruf geprägt sind. 1131 Allerdings findet die daraus gefolgerte 24 Ein Beispiel: FABRI, Evag. 3, S.174 ff (zu Alexandria). 25 Dazu ZRENNER, S.67: "Im Vordergrund seines Denkens steht offensichtlich das Wohl der Kirche und seine eigene Rolle als Priester." 26 CASOl.A, S.126 ff/ S.7 ff. 27 MÜNZER, S.6 und S.115 (Bibliotheken). 28 HARFF, S.85-115. 29 So urteilt KOHLER, 1, S.69. 30 STOCKAR, S.28-29; dazu ESCH, Vier Schweizer Parallelberichte, S.168-169. 31 ZRENNER, S.145. <?page no="176"?> 166 Hypothese, wonach diese Interessen im Pilgerbericht unabhängig von der geographischen respektive sprachlichen Herkunft der Autoren zum Ausdruck kommen würden, innerhalb eines zeitlich weiter gefassten Betrachtungsraumes keine Bestätigung mehr. Wichtig ist ausserdem der Hinweis, dass die materiellen Interessen zwar im Lauf der Zeit an Bedeutung zunehmen und auch quantitativ mehr und mehr Raum in den Pilgertexten einnehmen, ohne jedoch die spirituellen Interessen zu verdrängen. Es scheint hier vielmehr zu einem mehr oder minder friedliches Nebeneinander, einer "Symbiose"bisweilen sogar, zwischen den einander gar nicht so fremden Welten oder Weltanschauungen gekommen zu sein entsprechend der These von Johan Huizinga, wonach im späten Mittelalter das ganze Leben so von Religion durchtränkt war, "... dass der Abstand zwischen dem Irdischen und dem Heiligen jeden Augenblick verlorenzugehen drohte. 1132 5.3.2. (Denk-)Abenteuer Alpinismus: ein Fallbeispiel Francesco Petrarca (1304 - 1374) ist eine der populärsten Gestalten des italienischen Humanismus und nach wie vor eine der Schlüsselfiguren zum Verständnis jenes fliessenden Übergangs zwischen Mittelalter und Neuzeit. Der Dichter, zu dessen Freunden der Auftraggeber von Wilhelm von Boldenseles Pilgerbericht zählte 33 und ebenso Giovanni Boccaccio, dessen "Decamerone" wiederum Geoffrey Chaucers "Canterbury Tales" inspirierte, dieser Dichter also hat selbst zwei bedeutsame Beiträge zur Pilgerliteratur und zur Reiseliteratur im allgemeinen verfasst. Die beiden Werke,das "Itinerarium Syriacum" und der Brief mit der Schilderung des Aufstiegszum Mont Ventoux in Südfrankreich, vermögen die Problematik des Verhältnisses eines spätmittelalterlichen Reisenden zu Stadt und Land anschaulich zu illustrieren und seien deshalb hier beigezogen. 34 Petrarcas "Itinerarium Syriacum" aus dem Jahre 1358ist wahrscheinlich blass deswegen nicht zum Bericht einer tatsächlich vollbrachten Palästinareise geraten, weil der Humanist die Seereise fürchtete und deswegen die Einladung eines adeligen Mailänders zur gemeinsamen Jerusalempilger- 32 HUIZINGA, S.217. 33 Vgl. DELUZ (&l.Boldensele), S.88-92,und insb. DIES., La •gcographie" dans le Uber de Guillaume de Boldensele, S.29: "Le rccit de son voyage lui fut demandc par le Cardinal Elie de Talleyrand Pcrigord, un des personnages marquants de la Cour d'Avignon, lettrc ami de Pctrarque, t~ intercssc par les missions vcrs l'Asie que la Papautc organisait alors, et donc curieux de s'instruire sur les terres d'outremer. • 34 Die verwendeten Ausgaben: GIACOMO LUMBROSO (FA.), L'Itinerarium del Petrarca, in: Atti della Reale Accademia dei Uncei 4,4, 1888, S.390-403; PIERRE JUUAN (&l.lat.und frz.), Francesco Petrarca, L'ascension du Mont Ventoux, Carpentras 1937. Das "Itinerarium• scheint neu durch ANTONIO ALTAMURA als "Viaggio in Terrasanta, Volgarizzamento inedito del Quattrocento", Neapel 1979, ediert worden zu sein: vgl. dazu CARDINI, in: RSI 93,1, 1981,S.9. <?page no="177"?> 167 reise ausschlug. Der zum Pilgern entschlossene Freund bat ihn hierauf um einen kleinen Reiseführer, der ihn unterwegs auf die wichtigsten Sehenswürdigkeiten aufmerksam machen sollte. Petrarca tat ihm den Gefallen und schrieb den gewünschten Text mit der Versicherung, ihn zumindest im Geiste von Ort zu Ort zu begleiten. Zu jeder Stätte von historischer Bedeutung empfiehlt nun Petrarca ein dreifaches "Pilgerprogramm", nämlich a: Betrachtungen über die wahrhaft christliche Lebensführung zum Heil der Seele, b: wissenschaftliche Erörterungen zum Wohl des Geistes, und c: Erinnerungen an die geschichtlichen Ereignisse zur Erquickung des Herzens. 35 Soweit die Exposition. Bei der Durchführung scheint der Autor allerdings den Punkten b und c eine gewisse Vorzugsstellung eingeräumt zu haben. So kommt es, dass der Dichter nicht allein die heiligen Stätten und dazugehörigen Legenden im Stil der traditionellen Palästina-Berichterstattung aufführt, sondern dazu noch mit spürbar grösserer Anteilnahme auf die einstigen und die aktuellen Sehenswürdigkeiten seiner engeren italienischen Heimat verweist, so zum Beispiel auf die Fresken in Neapei die erst vor ganz kurzer Zeit von dem "·· ✓ rinceps pictornm nostriaevi", nämlich Giotto, geschaffen worden waren. Auch die biblischen Stätten in und um Jerusalem erscheinen unter Petrarcas universalem Gesichtswinkel weniger mystisch verklärt als anderswo und sind aufgeführt in erster Linie als historische Zeugen vergangener Grösse, deren Vergegenwärtigung zu individuellen Geschichtsbetrachtungen anregen soll. So betrachtet, hat Damaskus Vorrang vor Jerusalem, und Alexandria verdankt ihre Bedeutung nicht der heiligen Katharina, sondern Alexander dem Grossen. Der kurze Text schliesst mit der freundschaftlichen Aufforderung: "Tibi domi, mihi ad mea studia redeundum"- ''Du musstjetzt nachHause und ichzu meinenStudienzurückkehren. ,J? Soweit der prominente Zeitgenosse der beiden gleichfalls vom Humanismus "infizierten" Realpilger Jacopo (da Verona) und Niccolo (da Poggibonsi). Jenes andere, frühere Werk, das sich mit einer etwas unkonventionellen Bergbesteigung befasst, kann als ideale Wegleitung zu den ambivalenten Naturbetrachtungen der Pilger im 14., 15. und 16. Jahrhundert gelten. Die Natur an und für sich besass nämlich im Mittelalter keine besondere Qualität. Oder, präziser ausgedrückt: Hatte der Mensch im frühen Mittelalter ein verhältnismässig ungebrochenes Verhältnis zur Natur, indem er kaum je zwischen Objekt (Natur) und Ich-Subjekt unterschied und sich 35 PETRARCA, Itinerarium, S.393. Vgl. zu den hier zitierten Passagen auch ZACHER, S.17 (und Anmerkungen). 36 PETRARCA, Itinerarium, S.398. 37 PETRARCA, Itinerarium, S.403. <?page no="178"?> 168 selbst im wesentlichen als Teil jenes anderen verstand, 38 so setzte die christliche Askese an die Stelle dieses harmonischen Weltbildes ein dualistisches, in dem nun aber die Natur gering geschätzt aber gar als Werk des Teufels verdammt wurde. Eine eigentliche Rehabilitierung der Natur setzte im 12. Jahrhundert mit der Scholastik und einem intensiveren Studium der die Menschheit (die Christenheit) umgebenden Welt ein. Doch auch noch als Schöpfung Gottes blieb die Natur unselbständig, ein Ding ohne Eigenwert. 39 Erst ein allfälliger Gebrauchswert für die Menschen machte dieses "Ding" interessant ansonsten konnte etwa ein Bernhard von Clairvaux, in religiöse Betrachtungen versunken, den Gestaden des Genfersees entlang spazieren, ohne den See als Naturschönheit überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. 40 Wie die negative Einstellung der Kirche zur Natur "per se" die Einstellung eines schreibenden Menschen zur Naturschilderung "an sich" beeinflusste, bringt ein um 1350 geschriebener Brief von Francesco Petrarca deutlich zum Ausdruck: Er schildert darin den am eigenen Leib durchlittenen Konflikt eines neugierigen Landschaftsbetrachters, dem die Natur zum Selbstzweck gerät und damit unversehens zum Anlass für ein schlechtes Gewissen. 41 Am 26. April 1336 zog es Francesco Petrarca auf den Gipfel des Mont Ventoux. Will man seinem Bericht Glauben schenken - und ihm damit über die literarische Qualität hinaus auch einen unmittelbar dokumentarischen Wert zubilligen so bestieg er den Berg im Alleingang, getrieben von derselben Neugierde wie der moderne Höhenwanderer, von da oben herabzuschauen und die Aussicht zu geniessen. In seinem brieflichen Reisebericht nun gerät ihm die Episode zur universellen Auseinandersetzung mit dem Leben, insbesondere mit der symbolhaften Deutung des Lel,ens als Pilgerfahrt. Auf dem Gipfel (1912 m.ü.M.) angekommen, schwärmt Petrarca vom unvergleichlichen Überblick, den er hier oben gewonnen hat, und er beschreibt die Rundsicht über Marseille, das Rhonedelta und Aigues-Mortes. 42 Inmitten dieser Betrachtung muss ihn das ungute Gefühl, ein Sakrileg zu begehen, beschlichen haben; er schildert, wie er in Gedanken versun- 38 Vgl. dazu GURJEWITSCH, Weltbild des mittelalterlichen Menschen, S55. 39 GURJEWITSCH, S59. 40 GURJEWITSCH, S.62; mit der Einschränkung, das Beispiel lasse sich nicht verallgemeinern," ... da es unzulässig ist, einen Durchschnittsmenschen nach diesem fanatischen Glaubensanhänger und leidenschaftlichen Verfechter der Abkehr von der Welt zu beurteilen." 41 Zu Petrarcas Besteigung des Mont Ventoux auch ZACHER, S.38 f; zu zwei anderen, ähnlich konfliktbeladenen Berichten spätmittelalterlicher "Gipfelstürmer" (Michault Tallcvcnt und Antoine de la Sale) vgl. ROBERT DESCHAUX, La d6: ouverte de la montagne par deux 6crivains fran~is du quinzicme siccle, in: Voyage, qu! te, pclerinagc dans la litterature et la civilation medievales, Aix 1976 (Senefiance 2), S.61-71. 42 Vgl. PETRARCA, L'ascension, S.22-23. <?page no="179"?> 169 ken nach der mitgebrachten Reiselektüre, nämlich Augustinus' "Bekenntnisse", griff, das Büchlein an einer beliebigen Stelle aufschlug und zu lesen begann: "... Und die Menschen gehen hin und bestaunen die Berggipfel und die unendlichen Meeresströme, die weiten Wasserfälle und die Ufer des Weltm,f! ,eresund den Lauf der Sterne - und sie vernachlässigen dabei sich selbst. 43 Betroffen und einigermassen verunsichert muss Petrarca die "Confessiones" wieder im Reisegepäck verstaut haben. Und er vollzog den Abstieg vom Mont Ventoux in beschämtem Schweigen, und er ging hin, um bei dem geistlichen Adressaten seines Briefes Rat zu suchen in der Hoffnung, trotz seines Vagabundenlebens doch noch das Heil der Seele zu erlangen. Was den humanistischen Gelehrten und Schriftsteller auf "seinen" Schicksalsberg trieb, sollte übrigens um 1520 den Ostschweizer Humanisten Vadianus zu einer (von der Luzerner Obrigkeit mit Missfallen beobachteten) Besteigung des Pilatus verleiten, sollte noch so manchen Extrem-Alpinisten bis heute beflügeln - und vielleicht auch jene Radsportler, die alljährlich anlässlich der Tour de France die Herausforderung "ihres" Mont Ventoux annehmen: Es war und ist der Drang (oder Zwang), bis zum Äussersten zu gehen, bis zur Grenze des Menschenmöglichen und individuell Machbaren vorzustossen. 5.3.3. Furchtbare Bergwelt und fruchtbares Land Was die Begeisterungsfähigkeit der schreibenden Pilger für die allenthal ben gesichtete "romantische Bergwelt" anging, so ist davon auf Anhieb nichts zu spüren . Zwar wird die Besteigung heiliger Berge wie des Moses- und des Katharinenbergs auf Sinai, des Berg Tabor oder des Quarantäneberges, wo Jesus vierzig Tage fastete, pfichtschuldig vermerkt. Ansonsten aber ist ein Gebirgszug bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts vorwiegend "schendlichst" und ''wild scheuzlich'lf'\ ''gruyslich'.4 5 bzw. "greuous'.46, und keiner findet die "... altissimos montes, horribiles et infrnctuoses'.4 1 einfach so, als Wunder der Natur, schön. Auch Felix Fabris in anderem Zusammenhang zitierter Lobpreis wird sogleich durch den Zusatz relativiert, der Autor wüsste bei dieser Gelegenheit viele Schauergeschichten über andere Berge, nämlich schreckliche und furchteinflössende, zu erzählen. 48 43 Zitiert nach PEI"RARCA, L'asccnsion, S.24. 44 TETZEL, S.167 und S.185. 45 HARFF, S.127. 46 ANONYMUS, S.5. 47 WAL1HER, S.199. 48 Vgl. FABRI, Evag. 2, S.479. <?page no="180"?> 170 Gleiches gilt für die "... äusserst schlimme und gefährliche" Wüste, 49 die infolge der mörderischen Hitze von Mai bis September besser nicht bei Tag in Angriff genommen werden sollte 50 und im allgemeinen dieselbe Mühsal bereitete wie das gefürchtete Meer: Lebensmittelknappheit, (Sand-)Stürme und die Anst vor Raubüberfällen. Im Gegensatz dazu findet sich die Fruchtbarkeit des ägyptischen Nildeltas besonders eindrücklich geschildert. Nach dem Urteil des irischen Mönch Symon Semeonis war das Nilland das fruchtbarste der Welt überhaupt: Er fand hier bis auf Äpfel und Birnen alles im Überfluss, auch Rosen, die zur Fabrikation von Rosenwasser bestimmt und "... ebenso schön zum Anschauen wie gut zum Riechen und Schmecken ..." waren. 51 Auch Wilhelm von Boldensele und Ludolf von Sudheim lassen sich bewundernd über die "... schönen, unendlich weiten und in allen guten Dingen überaus reichen Landgebiete" aus und scheinen zu bedauern, dass die Sarazenen da keinen Weinbau betrieben. 52 Ebenen und Gärten vermochten das Herz der Pilger zu entzücken: Ghillebert de Lannoy schwärmt für eine der "... schönsten Ebenen der Welt" und hatte die gleiche fruchtbare Damaszener Landschaft vor Augen wie vor ihm Jacopo da Verona,53 währenddem Konrad von Grünemberg auf dem Weg nach Jerusalem (dem bekanntlich Pietro Casola keinen landschaftlichen Reiz abzugewinnen vermochte) "... eine gar anmutige und schöne Heide" fand. Und "... unterwegs waren auch viele Äcker mit Baumwolle besät. "54 Es ist ein durchwegs materialistischer Schönheitssinn, der aus den spätmittelalterlichen Pilgerberichten spricht und stets bevorzugt nach dem wirtschaftlichen Nutzen der betrachteten Natur fragt, nicht nach derem ästhetischen Selbstzweck. 55 49 SUDHEIM, S.69. 50 DIJON, S.523. 51 SEMEONIS, S.68: "Hec autem terra inter totius mundi terras est nobilissima et formosissima, ratione sue magne pulcritudinis et ubertatis, magne pulcritudinis et amenitatis, magne opulentie et Jocupletations, magne planitudinis et Jevitatis et etiam magne fortuitudinis et iumitatis. • Etc. 52 BOLDENSELE, S.245; vgl. ähnlich SUDHEIM, S.51. 53 Vgl. LANNOY, S.158,und VERONA, S.290. 54 GRÜNEMBERG, S.78. 55 Vgl. KHATIAB, S.255: "Die Natur bewegt mehr den Verstand der mittelalterlichen Reisenden als deren Gefühle." Etwas differenzierter argumentiert DELUZ in ihrer Spezialstudie zum Thema: Sentiment de la nature dans quelques rccits de pelerinage du ~ si~le, in: Actes du 102e Congres national des soci6tes savantes, Paris 1979,S.69-80 (mit u.a weiteren Beispielen aus Semeonis, Boldensele, Verona, Sudheim und Martono ). Sie weist (S.72) darauf hin, dass aus dem Fehlen von spezifischen Ausdrücken für den "Naturgenuss" nicht auf eine Absenz des Genusses selber geschlossen werden könne. Nur genoss der Reisende nicht mit den Augen allein, sondern mit sämtlichen Sinnen, gewissermassenmit "Herzen, Mund und Händen". <?page no="181"?> 171 Und doch: Es lassen sich vereinzelt Anzeichen für einen individualistischeren, auch egoistischeren Umgang mit der Natur und ihren Reizen erkennen. Wo sich solches bei den geistlichen Pilgern bemerkbar macht, sind verhältnismässig rasch ganz ähnliche Konflikte programmiert, wie sie der frühe Humanist und passionierte Berggänger Francesco Petrarca in dem Mont-Ventoux-Brief beschreibt. Dazu zwei Beispiele: Francesco Suriano schildert seinen Aufstieg zum heiligen Quarantäne- Berg als recht spannendes Individual-Abenteuer: ... an derStelle befindetsich eine kleineKo.pellezum Gedächtnisan das Mysterium. Dahin also (wollten wir): Neugieriggewissennassen und ohne grosseRücksichtnahmeauf Leib und Leben liessen wir (mit mir noch der LaienbruderGabrielvon Montone und ein weitererLaie) die Mengeder Brüderhinteruns und klettertenmit grössterMühe, wobei wir uns mit Hand und Knie und mit dem ganzenKörpervon Fels zu Fels hangelten.Wäreich dabei ausgerutscht, hätte man mich unten am Fuss des Bergeswiedergefundens' doch mit GottesHilfe klettertenwir hinauf und hinunterohne Unfall. 6 Soweit die erste, ursprüngliche Bericht-Fassung von 1485.In der offiziellen späteren Fassung hat der Franziskaner-Guardian ein Stück weit Selbstzensur geübt; 1514 liest sich dieselbe Stelle kürzer und weit weniger dramatisch: "... aberals ich dahinkam, mit BruderGabrielvon Montone und Bruder Lukas von Civitella,nahmen wir den Weggeradeaushinauf zur Grotte,und wirgingenauf allen vierenuntergrosserGefahr,hinabzustürzen. 161 Felix Fabri bekam die Folgen für seine unschickliche Neugierde am eigenen Leib zu spüren. Er, der nach eigener Aussage sogar an den Stürmen auf hoher See, die alle anderen Pilger tief erschreckten, Gefallen fand, 58 vermochte auch der kargen Wüste eigenständige Reize abzugewinnen. Ausgerechnet in der Einöde entpuppt sich hier ein echter Landschafts-Geniesser: Unterall dem, was eine Pilge"eisedurch die Wildniserträglichmacht, ist die Hauptsache,dass täglich,ja fast zu jeder Stunde, neue Gegenden 56 SURIANO, S.142,Anm.(a)/ S.129, Anm.1: •... in Jo qua/ Joco ~ una capelletain memoria del mysterio. In Ja quale, como curioso,et poco existimandoJa vita corporale,insieme cum frc. Gabrit: lloda Montone et un altro seculare,lassataJa moltitudine delli frati, saliti cum grandissimadifficulta agrapandocum mano, gr: necbiaet tucta Japersona de saxo in saxo,per modo ehe salitoehe me fosse Ja pasta, me seriaritrovatoallaradicedel monte; tandem cum Jodivinoadiutoriosalimoet descendemosenzaJesione. • 57 Ebenda, S.141/ S.129: •... ma io, quando vi andai,cum frate Gabrielda Montone e [rate Lucha da Civitt: lla, pigliamo Ja via drita a JansiJda Ja grota, et andamo in brancholoni cum grandepericolo de caderc. • 58 Vgl. FABRI, Evag.1, S52 . <?page no="182"?> 172 auftauchen,die anders sind in der Beschaffenheitvon Luft und Erde, und Bergevon neuerFonn und Farbe.Der Mensch staunt ob all dieser Vielfalt,und er wünschtsich, mehr davonzu sehen.Denn immer wieder taucht etwasNeues auf, wovon sich derMenschhinreissenlässt, ob nun aufgrundder wunderlichenFonn der Gebirgeoder·aufgrundder Farbe von Erde und Gestein oder aufgrund der Mannigfaltigkeitder Kiesel, oder auch wegender gewaltigenSchroffheit,Einöde und Weite alles Dinge, die den NeugierigenFreudemachen. Ich für mein Teil bekenne, dass ich mehr Vergnügengefundenhabe an der Weiteund Unfruchtbarkeit der Wüste und an ihrerfurc: hten-egenden Beschaffenheit, als ich jemals angesichtsderFruchtbarkeit,derguten Lage und der von Natur aus anziehendenSchönheitÄgyptensempfunden habe. 59 Dies aber bekennt Felix Fabri als"gebranntes Kind" einmal nämlich trieb ihn seine Neugierde von der in der Wüste lagernden Pilgergesellschaft fort. Unter dem Vorwand, seine Gebete in Ruhe lesen zu wollen, hatte er sich weggeschlichen und war auf einen Hügel gestiegen, " ... um zu sehen, was auf dem Gipfel war,und um einen Überblicküber die Wüste zu gewinnen." In der Folge hatte er sich verirrt und seine Gefährten erst nach langer, ängstlicher Suche wiedergefunden unter Selbstanklagen und reuevollem Psalmengesang. 60 Kritik an der Neugierde anderer üben, ungeachtet der eigenen im Bericht zutage tretenden Wissbegierde, die zwei spätberufenen Puristen unter den geistlichen Pilgern, Pietro Casola und Heinrich Wölfli. Während der Mailänder die anzügliche Bemerkung fallen lässt, der Ausflug zum J ordanfluss habe im Fall seiner Pilgergesellschaft mehr aus Fürwitz denn aus Frömmigkeit stattgefunden, äussert sich der Berner ungehalten über zwei polnische Pilger, die ihrerseits den Quarantäne-Berg mehr aus Frechheit und "wunderfitzige" denn aus Andacht bestiegen hätten. 61 Einen in jeder Hinsicht befriedigenden Kompromiss dürfte einzig Hieronymus Münzer gefunden haben. Auf seiner Spanienreise verschaffte er sich, wo immer er eine Stadt erreichte, als erstes einen Überblick aus der Vogelpersfektive, und er stieg zu diesem Zweck auf jeden verfügbaren ... Kirchturm. 6 Zur Natur im engeren Sinn (in der praktisch nutzbaren wirtschaftlichen Bedeutung) wie auch im erweiterten Sinn (innerhalb eines ideolo- 59 PABRI, Evag. 2, S.424 (Schluss der Textpassage): "Fateorhocde me ipso, quod majorem delectationem habui in solitudinis vastitate, stenlitate et in ejus hordbili dispositione, quam umquam habuerim in Aegpti feztilitate, habilitate et in ejus desiderabili pulchritudine.• 60 PABRI, Evag. 2, S.421-423. 61 Vgl. CASOLA, S.266/ S.74, und WÖLPLI, S.66. 62 Vgl. MÜNZER, beispielsweise S.6, S.43 und S.101. <?page no="183"?> 173 gisch nutzbaren mythologischen Kontexts) gehört nicht zuletzt die Pflanzenwelt. Ein reformierter Botaniker und Arzt, Leonhard Rauwolff, sollte in den Jahren 1573 - 1576 den Orient und Palästina bereisen, nicht um Reliquien und Legenden zu sammeln, sondern Heilpflanzen ein in den Augen der Pilger von 1320 bis 1520 wohl reichlich "ketzerisches" Unternehmen.63 Es gibt aber pflanzliche Topoi, die besonders innerhalb der Ägyptenbeschreibung regelmässig wiederkehren. Zu ihnen gehören die schon erwähnten Balsampflanzen von Matarieh, 64 und ausserdem die Banane als "Adamsapfel". 65 Die exotische Frucht wird von vereinzelten Pilgern als besonders schmackhaft geschildert, 66 wesentlicher erscheint im Bericht jedoch die Erwähnung des Kreuzes, das nach übereinstimmender Aussage sichtbar wird, sobald man die Frucht, gleich, ob im rechten oder im schrägen Winkel zur Krümmung, entzweischneidet. 67 Wieder einmal bestätigt sich Felix Fabri als aufklärerisch wirkender kritischer Geist, der das Kruzifix als blasse Zufallserscheinung bezeichnet. 68 Ein erklärtermassen rein botanisches Interesse legt nur einmal einer der Pilger an den Tag: Pietro Casola vertrieb sich die Zeit des Schiffsaufenthaltes vor Venedig mit der ausgedehnten Suche nach Kräutern für einen Salat. 69 63 Vgl. den Reisebericht mit zahlreichen Abbildungen der gefundenen Gräser und Blüten: DIETMAR HENZE (Ed.), Leonhard Rauwolff, Aigentliche beschreibung der Raiss in die Morgenlander, Graz 1971. Auch im Reyssbuch des SIGMUND FEYERABEND, fol.276a-349a. Dazu: PJUNGINGER, Leonhard Rauwolf • ein schwäbischer Ant, Botaniker und Entdeckungsreisender des 16. Jahrhunderts, Heidenheim 1965. 64 Arnold von Harff meldet 1498 den vollständigen Ruin des Gartens: HARPP, S.109. 65 Vgl. MARJATIA WIS, Zur Bedeutung der mittelalterlichen Palästina-Pilgerberichte für Wortforschung und Quellenkunde, in: Neuphilologische Mitteilungen 66, 1965, S.290: "Es wurde die Banane nach der alten, in der Levante aufgenommenen Pilgertradition als die Frucht, 'in quo Adam peccavit', angesehen, und die Bezeichnungen 'Para-diesapfel', 'Adamsapfel' rühren daher ." 66 So etwa von SEMEONIS, S.63: "Unde sciendum (est) quod poma paradisi, judicio meo salvo meliori, inter omnia pomorum genera primatum optinent sua incomparabili bonitate." Es folgt eine detaillierte Beschreibung und der Hinweis auf die legendäre Bedeutung als "Passionsfrucht". 67 Zum Beispiel BOIDENSELE, S.249; POGGIBONSI, 2, S.193; MANDEVILLE, S.34; ADORNO, S.168; TUCHER, S.95; SURIANO, S.223/ S.224. . 68 PABRI, Evag. 2, S.6: "Utique crucisstigma non est so/ um, sed aliquid superpositum apparet,quod nos Christiani putamus esseimaginem Crucüvd. • 69 Vgl. CASOLA, S.331-332/ S.105-106: "Io conalcunialtriandaimolto errandoper quelli monti per volere un insalata.Como ho dicto sono tanto sechi, ehe non se trovava una erbalongs uno dito.• <?page no="184"?> 174 5.4. Die Tierwelt des Orients Wie die exotischen Pflanzen Balsam und Bananenstaude gehören auch die exotischen Tiere Elefant und Giraffe zum erwartbaren Inventar einer jeden spätmittelalterlichen Ägyptenbeschreibung. Und ebenso wie in der Botanik vermischen sich in der orientalischen Zoologie Realität und Phantasie beziehungsweisepersönliche Anschauung und Mythologie. Der nahtlose Übergang zwischen den beiden Wirklichkeitsebenen kommt besonders deutlich bei den Schilderungen gefährlicher und glückbringender Meereswesen zum Ausdruck. So berichtet Ludolf von Sudheim von Fabelfischen, die Löcher in die Schiffswandbeissen, sobald man ihre Wut auf sich lenkt. 70 Niccolo da Poggibonsi erzählt von dem Fisch mit Menschenkopf, den einer seiner Pilgergefährten am Ufer des Roten Meeres gesehen haben will. 71 Wo jemals Delphine den Weg der Pilgerschiffe kreuzten (als ''Meerschweine"bezeichnet sie Bernhard von Breydenbach), verhiessen sie ein günstiges Geschick oder verfügten über Wunderkräfte: Als etwa die Seeleute, mit denen Nompar de Caumont unterwegs war, einen Delphin harpunierten und an Bord ziehen wollten, soll sich sogleich ein gefährlicher Sturmwind haben. 72 Gesehenes und Gelesenes oder Gehörtes vermischt Arnold von Harff in besonders überzeugender Weise. Nicht nur, dass er von den persönlich mitverfolgten Kämpfen zwischen einem Wal und dem Meeresdrachen Leviathan oder zwischen Meerkuh und Meerochse berichtet; er gibt das Duell der Giganten und der gehörnten Meeresviecher nach der eigenen Anschauung, wie er versichert bildlich wieder. 73 Seiner Beobachtungsgabe etwas nachgeholfen haben dürften dabei literarische Vorlagen: die "Bestiaires" vielleicht, populäre mittelalterliche "Leitfäden der symbolischen Zoologie", wie Aaron Gurjewitsch sie nennt, 74 oder dann Konrad von Megenbergs "Buch der Natur". Dieses Lexikon der weltweiten Naturerscheinungen entstand 1349 / 1350,zur gleichen Zeit also wie Jean de Mandevilles fabulöses Reisebuch, und erfuhr eine ähnlich grosse Verbreitung: Bis 1499 erschien es sechs- 70 Vgl. SUDHEIM, S.12-14. 71 POGGIBONSI, 2, S.107-108. 72 BREYDENBACH, fol.53b-54a; CAUMONf, S.33-34. Ähnliche Geschichten erzählen auch SANSEVERINO, S.37, und CAPODILESI'A, S.170; SANTO BRASCA, S.55, und BARBATRE, S.113. 73 HARFF, S.137 und S.147. Vgl. hier, nächste Seite. 74 GURJEWITSCH, S.68. Einführende Literatur zum Thema: GABRIEL BIANCIO'ITO, Bestiaires du Moyen Age (zu Pierre de Beauvais, Guillaume le Qerc, Richard de Fournival, Brunetto Latini etc.), Paris 1980. Vgl. auch: R.REINISCH (Ed.), Le bestiaire, Das Tierbuch des normannischen Dichters Guillaume le Oerc, Reprint Wiesbaden 1967 (Altfranzösische Bibliothek 14). <?page no="185"?> 175 oder siebenmal im Druck und ausserdem in zahlreichen Handschriften. 75 Von Harffs Seeungeheuer finden sich bis in Details des Aussehens und des Verhaltens getreu wiedergegeben: Von dem meertracken: Draco maris haizet ain mertrack. daz ist ain grausam mertier und ist lanch und an der groeze sam ain rehter track, lin daz er niht flügel hlit. der mertrack hlit ainen knodohten swanz und hlit ain klainz haupt nlich seiner groezen. ' sein piz ist vergiftigpaideu läuten und den vischen in dem mer. er hlit prait flozzen an der flügel stat, dli mit er swimt in dem wazzergar snell und weiten weit. Etc. Von dem meerrind: Foca haizt ain meerrint, sam der vorscher spricht. daz ist gar ain starkez tier und verände,t sein stat niht gern, ez wont all zeit gern an der stat, dli ez diu nlitar gemacht hlit. ez ist gar ain küen tier und gar zornik und doch niht gegen fremden tiern, neur gegen seim hausgesind, wan ez vichtet alle zeit mit seiner frawen, und ez si eltoet; stJ wirft ez si danne von seiner stat und nimt ain ander, der tuot ez auch als{) und treibt daz stJ lang, unz daz ez selber stirbt oder unz in sein weib überwindet und den ohsen toett. etc. 76 Unterschiedlich ausgefallen ist die Deutung eines gehörnten Tieres, das sowohl Felix Fabri wie Bernhard von Breydenbach in der Wüste zu Gesicht bekamen. Rhinozeros oder Einhorn? Während der Ulmer Dominikaner den Unterschied zwischen dem einen und den anderen erklärt und das Einhorn als Allegorie Jesu vorstellt (und somit in diesem Fall eher an ein Nashorn zu glauben bereit war), schildert der Mainzer Domherr das in der Ferne gesichtete Wesen eindeutig als Einhorn. Mit der Folge, dass Erhard Reuwich, der mitgereiste Illustrator des Reiseberichts, der 75 Vgl. FRANZ PFEIFFER (Ed .), Konrad von Megenberg, Das Buch der Natur, Stuttgart 1861 und Reprint Hildesheim 1%2, Einleitung, S.V: "F.sgibt wenige Bücher aus jener Zeit, die in so zahlreichen Handschriften verbreitet waren .• 76 MEGENBERG, ed .Pfeiffer, S.234-235bzw. S.237. <?page no="186"?> 176 selbst nur bis Jerusalem gelangte, ein prächtiges Exemplar dieser seltenen Rasse in seine Menagerie der orientalischen Tierwelt aufgenommen hat.TI Was nun die "wirkliche"Tierwelt angeht, so fällt es gelegentlich schwer, aus den auf den ersten Blick individuellen Schilderungen das allenfalls eingeflossene literarische Vorwissen herauszudestillieren. Ein Beispiel: In Konrad von Megenbergs Naturkundebuch findet sich die Meinung kolportiert, im hohen Alter wären Elefanten nicht mehr in der Lage, ihre Knie zu beugen. 78 Genau dasselbe schreibt auch Simone Sigoli. 79 Ansonsten aber ist seine Beschreibung des Elefanten eine persönlich gehaltene, die sogar zu erkennen gibt, dass die zu Schauzwecken in Kairo vorgeführten Tiere speziell zum Kämpfen abgerichtete Kriegselefanten waren . 80 Sigolis Reisegefährte Giorgio Gucci referiert ähnlich, ergänzt aber 1 er habe wesentlich längere Stosszähne alshier zuvor in Venedig gesehen. 8 Ein erstauntes Kopfschütteln bei den Ägyptenreisenden rief jeweils der Anblick der Giraffe hervor. Hier war ein Lebewesen, so bizarr, dass seiner Erscheinung mit Vergleichen aus der allgemein bekannten Tierwelt kaum mehr beizukommen war. Simone Sigoli gab sich zwar redlich Mühe: Die Giraffe sieht beinahe aus wie der Strauss, nur hat die Brust keine Federn und stattdessen ganz weisse und feine Wolle. Sie hat den Schwanz eines Pferdes, und die Füsse beziehungsweise die Hinterbeine sind eineinhalb Armlängen hoch, die Vorderbeine drei Armlängen. Sie hat die Füsse eines Pferdes und die Beine eines Vogels, der Hals ist dünn und drei Armlängen lang und länger,und der Kopf ist wie der des Pferdes, aber blond. Sie besitzt zwei Hörner wie ein Hammel und isst Korn und Brot wie das Pferd. Der Sultan besitzt vier von diesen Tieren. Zum Anschauen ist sie wahrlich ein sehr zusammengewürfeltes Ding. 82 Unter den Ägyptenreisenden räumen etliche auch dem einheimischen Nutzvieh mehrere Berichtseiten ein; allen voran Symon Semeonis, der im Anschluss an den Hinweis auf die ägyptische Pflanzenwelt und Duftwasserproduktion gleich zu den Ochsen, den Schafen und Ziegen und zur wirtschaftlichen Bedeutung derselben übergeht. 83 Wo die Tiere nicht anders aussahen alsjene, die auf vertrauten heimatlichen Fluren weideten, erregten sie dennoch seine Aufmerksamkeit: Neben Ziegen, die durch ihre Schädelform zum Grasrupfen geradezu prädestiniert waren ("... was sich TI Vgl. FABRI, Bvag. 2, S.441-442, und BRBYDBNBACH, fol.lOlb, sowie Reuwichs Illu stration in: GECK, S.35. Dazu auch FBILKE, S.116-119. 78 Vgl. MBGBNBBRG, S.136. 79 Vgl. SIGOLI, S.184-185. 80 Ebenda, S.185. 81 GUCCI, S.298. 82 SIGOLI, S.181-182. 83 SEMBONIS, S.71. <?page no="187"?> 177 als äusserst praktisch erweist, wachsen in jenem Land doch kaum Sträucher oder Bäume, ausgenommen Frnchtbäume"), sah er solche, die sich in nichts von den Ziegen anderer Gegenden unterscheideten. Die Pferde wiederum erschienen ihm von zierlicher Statur, nicht stark genug, um Waffen zu tragen, aber flink und lebhaft wie die irischen Ponies eben. 84 Die in den Beschreibungen konsequent wiederkehrenden zoologischen Eigenheiten finden sich in den bildlichen Darstellungen eines Erhard von Reuwich (1483) und eines Arnold von Harff (1496) durchaus bestätigt . Der direkte Vergleich enthüllt aber auch ein paar Verwandschaften "ersten Grades": Offensichtlich hat sich Arnold von Harff bei der Wiedergabe der Giraffe oder auch des ägyptischen Breitschwanzschafes durch die Illustrationen in Breydenbachs Pilgerbericht inspirieren lassen.s.sAndererseits ist sein Krokodil wesentlich lebensechter ausgefallen als Erhard von Reuwichs lindwurmähnlicher "cocodrillus": 86 84 Ebenda. 8.5 Vgl. die Abbildungen bei GECK, S.35 (folgende Seite), und (hier) HARFF, S.102 (Giraffe) bzw. S.93 (Schaf mit Fettschwanz). 86 Vgl. GECK, ebenda, und HARFF, S.82 (als Federzeichnung übrigens abgebildet bei RICHARD, in: WKKG, S.147). <?page no="188"?> 178 Während einige unter den immer wieder beschriebenen Tiere zum Beispiel die ägyptischen Brieftauben von der in vielen Dingen höherste henden Kultur der orientalischen Gastländer Zeugnis ablegen, 87 künden andere Schilderungen von den unzureichenden hygienischen Bedingungen unterwegs: ... Unndmomdess wasich alsfoll lüsen,das es rigletund stuonden mine brnederzuo ringumm mich und lachettenminen und hulffentmier dielüss abläsen. Soweit Heinrich Stulz anno 1519 zur Ungeziefer-Plage auf dem Pilgerschiff. 88 Ein anderer Heinrich, der "Lupulus" gerufen wurde, las sich nur wenige Monate später nicht weniger als 230 Exemplare der lästigen Blutsauger von den Kleidern - und bemerkt dazu, die hätten ihm Schlimmeres angetan als alle Mauren und Araber zusammen. 89 87 Die Brieftauben finden sich u.a bei SEMEONIS, S.47, und bei FABRI, Evag. 3, S.59-60, beschrieben. 88 STULZ, S.231. 89 WÖLFLI, S.65. <?page no="189"?> 179 5.5. Menschen in der Fremde Ganz hinten in Konrad von Megenbergs Sammelsurium bemerkenswerter Naturphänomene tummeln sich die ''Wundermenschen", die in fernen Ländern jenseits des bewohnten Erdkreises wohnen sollen und ähnlich auch die Randgebiete mittelalterlicher Weltkarten bevölkern. Unter ihnen findet sich beispielsweise der von Jean de Mandeville geschilderte und in zahlreichen illustrierenden Holzschnitten abgebildete "Einfüsser" wieder . 1 Es ist sowohl im enzyklopädischen "Buch der Natur" wie im Reisebuch des Mandeville eine diffuse Neugierde für exotische Völker und ihre Sitten und Gebräuche festzustellen, die offenbar die Schriftsteller und ihre Leser, die Reisenden wie die Daheimgebliebenen in gleichem Masse bewegte. 2 Diese Neugierde aber fragte nicht nach Dichtung oder Wahrheit, nach Mythos oder Realität.3 Davon also handelt der folgende Abschnitt . 4 Die Lust an exotischen menschlichen Wunderwesen lässt sich übrigens leicht bis in die heutige Gegenwart verfolgen man denke nur an die "Freaks" als vielbestaunte Variete-Attraktionen auch noch in diesem Jahrhundert, oder an den Yeti und alle die siamesischen Zwillinge, die bei sommerlicher Nachrichtenflaute unsere Zeitungsspalten füllen helfen. Arnold von Harff hat den diesbezüglichen Erwartungen seiner Leserschaft in jeder Hinsicht Befriedigung verschafft. 5 Und doch gehört er als Reiseschriftsteller bereits einer späteren Generation neugieriger Weltentdecker als Mandeville an, indem er mehrfach zu ethnologischen Studien in Wort und Bild ausholt und (mehr oder weniger flüchtige) zwischenmenschliche Kontakte zum Gegenstand seiner Betrachtungen macht. Arnold scheint die Begegnung mit fremden Völkern und ihren Vertretern geradezu gesucht zu haben; und selbst, wenn ihm letztere in der Beschreibung zu recht passiven Objekten seines Forschungsdranges geraten, so 1 Vgl. MEGENBERG, S.490. 2 Vgl. RICHARD, Les recits, S.66: "La curiosite pour ! es moeurs des peuples lointains est tres grande .• 3 Dazu (in bezug auf reale und imaginäre Fernostreisen aus den Tagen der "Bestiaires" und "Livres de merveilles") ROUX, Les explorateurs au Moyen Age, S.224: "La vogue de l'exotisme etait si grande que de purs sedentaires n'hesitaient pas ä se faire passer pour des explorateurs, racontant leurs imaginaires prouesses, affmnant qu'ils avaient w de leurs yeux,entendus de leurs oreilles ce que'ils rapportaient. • Und S.232: "La litterature d'imagination impose ses lois au recit authentique". 4 Zum Thema der Darstellung fremder Kulturen in Berichten von Pilgern und anderen Reisenden ist übrigens eben eine vergleichende Analyse erschienen: STEPHAN DEEG, Das Eigene und das Andere, Strategien der Selbst- und Fremddarstellung in frühen deutschen Reiseberichten, Liz.arbeit (masch.), vorgelegt bei Prof. Paul Michel, Zürich 1989. 5 Dazu KOHLER, 1, S.65. <?page no="190"?> 180 lässt sich immerhin die Ahnung einer aus der Reisepraxis herrührenden toleranteren Einstellung aus gelegentlichen Berichtpassagen herauslesen. Bewusst ist hier nicht von "Pilgerpraxis"die Rede, denn in seiner Funktion als Pilger lernte der spätmittelalterliche Fernreisende fremde Religionsgemeinschaften, nicht aber fremde Menschen kennen - und verachten oder bestenfalls ignorieren. 6 Ausnahmen bestätigen in diesem Fall die Regel: Neben Arnold von Harff wäre hier hauptsächlich der "Inidividualtourist" Bertrandon de la Brocquiere zu nennen, der nach intensiven Auseinandersetzungen mit der Mentalität und Sprache der muslimischen Türken sogar ein paar unterwegs geschlossene Freundschaften mit im Reisegepäck nach Hause trug. Ansonsten aber erscheint die Kluft zwischen den verfeindeten Religionen unüberbrückbar, selbst wenn die ethnologischen Interessen der Pilgerautoren mit einem signifikanten Vorsprung der Vertreter aus dem italienischen Sprachraum im Laufe des 15. Jahrhunderts deutlich zunehmen.7 Toleranz scheint dabei ein Fremdwort geblieben zu sein und sollte auch nicht mit jener dünkelhaft-patriarchalischen Haltung verwechselt werden, die einige wohlmeinende Pilger mit Missionsgelüsten hie und da in ihren Berichten an den Tag legen. Wo sich Gelegenheit zur Überprüfung und allenfalls Revidierung von Vorurteilen bot, im tagtäglichen Umgang mit einheimischem Pilgerpersonal vor allem, erwies sich die Sprachbarriere als oft unüberwindliches Hindernis . Die Bereitschaft zur Kommunikation war da sie manifestiert sich beispielsweise in den verblüffend zahlreichen überlieferten Fremdsprachen-Alphabeten und Glossaren, auf die speziell eingegangen werden soll. Schliesslich lassen sich in den Pilgerberichten jener Zeit auch Anzeichen innereuropäischer Spannungen ausmachen, die sich (nicht anders als heute) in hartnäckigen "nationalen" Vorurteilen niederschlugen. Inwieweit daraus die Entwicklung "nationalistischer"Gefühle abgeleitet werden kann und darf, soll ebenfalls näher untersucht werden. 6 Im Fall der Palästinareisen war der Franziskanerkonvent auf dem Monte Sion offenbar auch in dieser Hinsicht richtungsweisend. Vgl. dazu SURDEL, S.332: "Les pratiques franciscaines supposaient une prise en charge constante des ~lerins qui accaparait l'attention des fidales occidentaux et la dctournait du spectacle de la Palestine contemporaine. Teiles furent, selon nous, ! es causes directes de la stupcfiante indiffcrence (...) lors de leur rencontre avec ! 'Islam." 7 Vgl. KHATTAB, S.260: "Immer stärker tritt der Mensch in den Mittelpunkt der Beschreibung.• Demgegenüber will HARBSMEIER, S.23, in den Pilgertexten "nur in den seltensten Fällen" solche "(proto-)ethnographischen Darstellungen fremder Lebensweisen" ausgemacht haben . <?page no="191"?> 181 5.5.1. Appetit auf das Exotische so und so Ungefähr zur Halbzeit seiner Orientreisebeschreibung verlässt Jean de Mandeville den Weg des imaginären Pilgers und schlägt den Weg des imaginären Weltentdeckers ein: Als ich üch vor geseython von mengerlaywegzuo dem hailigengrab, und gen Sant Katherinen,und gen Babilonia, als ich vor gesprochen hän, daz willich nun laussenfaren und wil üch sagen,ob es üch gefeit, von mengerwunderlichenynsel, und von mengerlaywunderlichenlütten, und wunderlichentierenund landen. Wann enthalbmers manig ding ist das man mag gar harlglouben by uns, und ist doch sicherwar, als ich üch es sag. 8 Und so geht er hin und schildert Tracht und Gebräuche der legendären Amazonen oder der Hundshäuptigen, beschreibt die Zyklopen und die Kopflosen, die Augen und Mund auf der Brust tragen, die Mundlosen und die Riesenlippigen, die allesamt in einem sagenhaften Königreich von vierundfünfzig Inseln leben. 9 Arnold von Harffs Ausflug in die Welt der Mythologie führt ihn in ähnlich phantastische Gefilde: Auch er skizziert (in Wort und Bild jeweils) die Amazonen und die "Cynocephali" (Hundsköpfigen) und dazu die dunkelhäutigen Bewohner der riesigen Schneckenschalen auf Lack. 10 In bezug auf fremde Menschen in den tatsächlich durchstreiften Landgebieten oder auf unterwegs angesteuerten Inseln ist das Interesse der Pilger im allgemeinen ein reichlich oberflächliches und beschränkt sich auf Äusserlichkeiten wie Form und Gestalt, Tracht und Schmuck, Landessitten und kulturelle Bräuche sowie allenfalls die Religion, so es sich nicht um die vertraute lateinisch-katholische handelt. Allerdings offenbaren sich diese Interessen nicht zwingend: Die ohnehin kurzangebundenen Berichte von Lorenz Egen und Peter Spamau kommen beispielsweise gänzlich ohne Menschenbeschreibungen aus. Wilhelm von Boldensele und Ludolf von Sudheim erwähnen lediglich die grundlegenden Fakten. Die Beduinen in der Wüste Sinai beispielsweise assen kein Brot und waren gemäss Wilhelms Beschreibung "...braune 8 MANDEVILLE, S.93. 9 Vgl. MANDEVILLE, S.99, S.121 und S.125. Abbildungen dazu: SI'EMMLER (Ed.), Strassburger Druckausgabe 1499,S.132 und S.127. 10 Vgl. HARFF, S.136, S.144-145 und S.143-144. Arnolds "Hundsköpfige" sind wesentlich menschenähnlicher ausgefallen als diejenigen von Mandevilles Illustrator. Er könnte sie so gesehen zu haben wenn es schwarzafrikanische Sklaven waren, die man ihm auf dem Sklavenmarkt von Kairo als exotische Sagenwesen "verkaufte". <?page no="192"?> 182 Menschen,stark und schnell.Sie tragenals WaffenSchild und Speer,und sie leben mit umherziehendenKamelen, die wir Dromedarenennen. Wenn sie wollen, legen sie an einem Tag beträchtliche Wegstreckenzurück. Sie umwickelnKopf und Nacken mit einem langenschmalen Leintuch, benutzen nicht Pj"eil und Bogen wie andereSarazenenund scherensich wenigum den Sultan." 11 Vom Sklavenmarkt in Kairo berichtet Wilhelm trocken, im Reportagestil ohne spürbare Anteilnahme, man kaufe und verkaufe da Männer wie Frauen, und der Preis für einen Sklaven variiere je nach Jugend, Kraft, Geschicklichkeit, Gesundheit und Schönheit. 12 Zur selben Zeit beschreiben der Ire Symon Semeonis und die Norditaliener Jacopo da Verona und Niccolo da Poggibonsi, allesamt Geistliche wie Wilhelm und Ludolf, persönliche Begegnungen mit fremden Menschen, und ihre Berichte verraten eine geradezu detailverliebte Beobach tungsgabe. Bruder Symon zum Beispiel achtete auf das Schuhwerk der "Saraceni", und er bemerkt, solche Schuhe, wie sie bei ihm zuhause die Knaben tragen würden, hätten hier lediglich die Kameltreiber, Arbeiter und armen Leute an. 13 Ihm gerät sogar die Sklaverei zur Ansichtssache, verwahrt er sich doch gegen die irrige Meinung (gegen die "... LügengeschichtenverrückterWeiber",um bei seiner Ausdrucksweise zu bleiben), die da besagt, Sklaven würden in diesen Ländern wie Ochsen gehalten. Wohl hätten die Leibeigenen des Sultans den Verlust ihrer Freiheit zu beklagen, dafür aber genössen sie Privilegien, hätten genug zu essen für sich und ihre Familie und ein angemessenes Salär. "Vondaher,so meinen wir,sind viele von ihnen auf diese Weisebessergestellt, was zumindest die lebensnotwendigen Dingeangeht,als wennsie in ihrenUrsprungsländern gebliebenwären. 1114 Während sich der Ire an anderer Stelle über die Stellung der Frau und die Witwengesetze innerhalb der kretischen Gesellschaft auslässt, 15 erinnert sich Jacopo da Verona genau an die Ringe, die die Damen von Otranto, ·ihrer gesellschaftlichen Stellung entsprechend in den Ohren trugen. 16 Der Veroneser Mönch geriet später in Famagusta mitten in eine Trauerfeier und liess sich von den singenden und musizierenden Frauen 11 BOLDENSELE, S.240: •Bruni homincs sunt fortcs et veloces,pro annis scutum et lanceam portantcs, camelis ambulentibus insident quos dromedarios dicimus, uno die multum itineris valde si voluerint peragentcs, capud et collum involvunt panno lineo longissimo,necgeneraliterutunterarr: ubusut c: cteri sarrac: cni, parum curantsoldanum." 12 BOLDENSELE, S.225. 13 SEMEONIS, S.61: •Nec calciamentisutuntur Sarac: cni, sed scalpissubsoleis rubeis,minime pedem cooperientibusnisi in parte anterioritantum, e.xc: cptis camelariis,operariiset pauperibus,qui confonniter in Hybemicispueris calciantur,et equitibus qui communiter stivaldosrubeosseu albosportant, sed tantum ad genua e.xtendentes. • 14 Vgl. SEMEONIS, S.91: • Unde secundum nostramcstimationem eorum multi, quantum ad illaque sunt victuinecessaria,meliusibi stant quam in terranativastarent.• 15 Vgl. SEMEONIS, S.43. 16 Vgl. VERONA, S.173. <?page no="193"?> 183 die griechischen Liedtexte übersetzen. 17 Niccolo da Poggibonsi scheint seinen Appetit auf zwischenmenschliche Kontakte mehrheitlich aus respektvoll gewahrter Distanz befriedigt zu haben. In seinem Bericht bringt er einmal die Verwunderung über die Kunst muslimischer Frauen, mit der Zunge laut zu trillern, zum Ausdruck - und ein anderes Mal sein Befremden über die Tatsache, dass die besitzlosen Beduinen in der Wüste soviele Kinder in die Welt stellten. Als aber ein paar Araberfrauen den Spiess umdrehten und ihrerseits neugierig nähertraten, ergriffen die Pilger die Flucht. 18 Und das gastfreundliche Angebot der Kameltreiber, mit ihnen und ihren Angehörigen zu essen, lehnten sie rundweg ab: Und am Abend kamen sie alle, um uns beim Essen zuzuschauen, und brachten uns eine grosse Schüssel mit Kamelfleisch. Sie dachten wohl, dass wir davon essen würden. Offenbar waren sie überzeugt von der Grösse und Besonderheit ihres Geschenks und glaubten,für uns wäre es dasselbe. Aber wir wollten das Zeug nicht einmal sehen und liessen es mit Dank durch unseren Übersetzerzu,ückschicken. 19 Andere Begegnungen hinterliessen bei Bruder Niccolo einen tiefen Eindruck. Wie ihm ein Zigeuner sein Schicksal aus der Hand las, schildert er ausführlich. Und ebenso detailliert beschreibt er die zirzensischen Künste eines Athletenö den er in Gaza beobachtete so stark wie Samson soll er gewesen sein. 2 Auch die drei 1384 gereisten Florentiner legen verschiedentlich ethnologische Interessen an den Tag; während sich Lionardo Frescobaldi über die Strassenküchen in Kairo (ein beliebtes Reisebericht-Sujet) auslässt, erwähnen Simone Sigoli und Giorgio Gucci das Elend der über hunderttausend Obdachlosen in denselben Strassen. 21 Sigoli beschreibt auch eine ägyptische Hochzeitszeremonie, Frescobaldi hingegen den Verlauf einer Gerichtsverhandlung in Damaskus, der die interessierten Pilger beiwohnen durften. 22 Dass das Interesse am Fremdartigen soweit gehen konnte, ein Exemplar der fremden Spezies mit nach Hause zu bringen, bezeugt im Einzelfall die Reisebuchhaltung des Earl of Derby. Er brachte offenbar Falken und Papageien als Souvenirs mit nach Hause und liess auf Zypern einen Käfig 17 Vgl. VERONA, S.lTI-178. 18 Vgl. POGGIBONSI, 1, S.105; POGGIBONSI, 2, S.120, und POGGIBONSI, 2, S.173. 19 POGGIBONSI, 2, S.174-175: • E Jasera tutti veaneroa verdercimangiare, e a recarr: i uno grandecatinodi came di camello, pensandoehe noi ne mangiassimo; e arccavallaper grandeprescnte e novita; e rod credevanoehe fusse a noi; ma noi nollavolemopur vedere, e rifacemolariportare, e fan: grazieal nostrointerpito. • 20 POGGIBONSI, 2, S.26-29, und POGGIBONSI, 2, S.180-183. 21 FRESCOBAIDI, S.49-50; SIGOLl, S.189-190,und GUCCI, S.288-289. 22 SIGOLl, S.176-179; FRESCOBAIDI, S.138-139. <?page no="194"?> 184 für einen Leoparden bauen ausserdem wollte der spätere König Heinrich seinem Hof auch einen echten Eingeborenen vorführen und liess zu diesem Zweck einen Sarazenen namens "Henry" (! ) über Calais und Dover nach England schaffen. 23 Während Ghillebert de Lannoy vorwiegend Begegnungen mit höhergestellten Personen, die seinem eigenen diplomatischen Rang entsprechen, schildert, interessierte sich Bertrandon de la Brocqui~re augenscheinlich ebenso dafür, wie man in fremden Ländern Brot buk oder Teppiche knüpfte. 24 Der Sklavenmarkt in der damaligen türkischen Hauptstadt Bursa erfüllte ihn mit Mitleid für die menschliche Ware (die in diesem Fall christlichen Glaubens war), der ferne Anblick einer schönen Edeldame in Konstantinopel hingegen mit grösster Neugierde. Er verbrachte nach eigener Angabe einen ganzen Tag ohne Mahlzeit, nur um den Moment nicht zu verpassen, als sie nach Moschee-Besuch und Mittagessen wieder auf ihr Pferd stieg. Endlich hatte er sich so nahe herandrängen können, dass er sie sich ungestört besehen konnte: Sie schien mir genauso schön oder noch schöner als zuvor. Und ich näherte mich derart. dass man mir befahl, zurückzutreten. Es schien mir da, es wäre nichts Schlechtes über sie zu sagen, ausser dass sie das Gesicht geschminkt hatte, was gewiss nicht nötig war, denn es war jung und von heller Farbe. Und sie trug in ihren Ohren, an jedes Ohr angehängt, breite,flache Ringe aus Gold, besetzt mit verschiedenen Edelsteinen, daruntermehr Rubinen als anderen. 25 Ein besonderes Flair für schöne Frauen, ihre Trachten und Verhaltensweisen, ist kaum einem unter den adligen Rittern auf Reisen abzusprechen. Hans Bernhard von Eptingen kann sich etwa in seinem Bericht über die Stadt Parenzo kaum mehr vom Volkstanz der Einwohner und insbesondere von den hübschen Gewändern der Tänzerinnen losreissen. Tanzten die einen in "... geruchten sidnen Röcken" mit "... silbern übergüld'ten Knöpfen, als gross als rothe Treybelbeer" daran, so hatten die anderen "... Röck mit beschlagnen Ermlen, und selber übergüld'ten Spenglen eines Dumen breit, auch köstliche silbere Gürtel, ein Spenglein an dem anderen". Es folgen eingehende Schilderungen der tief ausgeschnittenen Decolletes, der Schuhe und der Haartracht, bevor Hans Bernhard in aller Ausführlichkeit zur Beschreibung des Tanzes übergeht: 23 Vgl. SMITH(Ed.Kyngston), S.lxvi, und S.lxix. Es handelte sich offenbar um einen zum Christentum bekehrten Renegaten aus Rhodos, dessen weiteres Schicksal im dunkeln liegt. Die Tiere finden sich ebenda (S.lxv) erwähnt. 24 Vgl. BROCQUIERE, S.91-92, und S.138. 25 BROCQUIERE, S.135 (Sklavenmarkt), und S.156-157. <?page no="195"?> 185 ... und wann sie stellen! an den Tanz, so neigt sich eins einen We~ das andere den andern We~ und sehen einander nit an; dessgleichen wann sie ufhören so kehren sie die Rucken zusammen und neigen sich als vorstaht, und geht dann Jegliches ungefähr an sein Statt, und ohne Danken oder ander Reden . ltem es nimmt auch kein Mann keine bey der Hand, dann sie haben weisse Tüchlein, die nehmen sie zu beyden Seiten in die Hand, und tummlen sich dann die Gesellen fast. ltem diss war auch alles nit anderst, dann gemein schlecht Stadtvolk und nit Edel. 26 Auf Kreta sah Hans Bernhard die schönen Frauen "in den Fenstern liegen" und ebenso zwischen Jaffa und Jerusalem. Allerdings sollen die zuletzt genannten Objekte seiner Bewunderung verschleiert gewesen sein das Lob selbst der unsichtbaren Schönheit scheint dann doch mehr ritterlicher Topos denn schlichtes fachmännisch-männliches Pauschalurteil zu sein . 27 Wo allerdings das Objekt seiner ungenierten Betrachtung kein weibliches war, geht dem Edelmann das schriftstellerische Feingefühl im Umgang mit fremden Völkern ab. So lebte in Jugoslawien, frei nach Ritter Hans Bernhard, ein "... arm, ruch, durstig Volck von Gebauren", und die Bauern auf Kreta waren schlechtweg "... böse".'28Wie stark die Wissbegierde der Pilger voyeuristische Züge trug, illustriert die folgende Aussage Hans Bernhards: In Rama stieg der Ritter nachts mit Kollegen auf das Dach ihrer Herberge, um den "Heiden" heimlich zuzuschauen beim "... beten, singen, rufen, essen, trinken und bey ihren Weibern liegen". 29 In Gabriel Tetzels Bericht von der Ritter-, Hof- und Pilgerreise des böhmischen Fürsten Leo von Rozmital nehmen die Schilderungen ritterlicher Vergnügungen breiten Raum ein. Zur Art dieser Vergnügungen ein Beispiel: "Und wenn mein he" wolt, so mocht er die mächtigsten frawen laden allein; die vergunt man jm, und waren mit meinem he" frolich." Die üppigen Festbankette forderten allerdings ihren Preis: "Also hielt mein he" mit allen dingen ser ein kost/ ich freudenreichs leben, das unmassen vil gelts kostet. "30 Die Folgen liessen sich schliesslich kurz vor Wien nicht mehr länger verheimlichen, und die anschliessend an die Spanien-Wallfahrt geplante Heiliglandfahrt musste ausfallen . Denn: "Aldo hett mein he" ausgezert und nimmer gelts, und versetzet einem juden zu der Neuenstat einen kostlichen ermel, der was wol zehen tausend gulden wert, umb zwelf hundert gulden. ,Jl 26 Die ganzePassage: EPTINGEN, S.326-327. 27 EPTINGEN, S.340 (Kreta), und S.352 (Rama) . '28 EPTINGEN, S.329, bzw. S.337. 29 EPTINGEN, S.349. 30 TETZEL, S.152, und ebenda . 31 TETZEL, S.195. <?page no="196"?> 186 Das dermassen aufwendige" ... kurtzweiligweltlichleben"verschaffte der vergnügungssüchtigen Reisegesellschaft intensivere Kontakte vorzugsweise mit der weiblichen Bevölkerung und machte dabei selbst vor Klosterpforten nicht halt. Gabriel Tetzel zu Neuss, in der Nähe von Köln gelegen: Do ist serein kost/ ichfrawenclosterund die al/ erschonstenklosterfrawen die ich ie gesehenhab. (...) Und die klosterfrawenwaren von kleidung serhübs geschmucktund kunten die alle,feinstententz, und iede het iren knecht, derjr dient und vortrat,und lebtennach allem jrem willen,und mag sagen, das ich all mein tagso vil hübscherweiberin einem k/ oster niegesehenhab. 32 Das "Exotische" hatte für den Europareisenden Gabriel Tetzel wie auch für den Orientreisenden Hans Bernhard von Eptingen offenbar zwei Gesichter ein anziehendes weibliches und ein abstossendes männliches. Nur so lässt sich erklären, weshalb in der nordspanischen Stadt Burgos "...ein bös mordischvolk von dem gemeinenman" zuhause sein sollte, währenddem die dort beheimateten Frauen und Jungfrauen durchaus Sympathie erfuhren: Sie "... tanzen garkost/ ich tänz auf die heidnischenmainun& und sein all brauneweiber,und schwartzaugen,und essen und trinken wenig und sehen die landfarergern und haben die Teutschenlieb. "33 Dem ist fürs erste nichts beizufügen. Vater und Sohn Adorno waren sich über die verschiedenen "Gefahren" im Zusammenhang mit den unbeschreiblich weiblichen Anziehungskräften im Orient im klaren. Sie vermieden es vorsichtshalber schon, den Frauen auf Sardinien zu tief in die Augen zu schauen, denn es hiess, sie trügen Edelsteine in den Pupillen und hätten deswegen den Bösen Blick. 34 Jean berichtet sßäter von den Hochzeitsbräuchen der Muslime und von ihren Bordellen, erzählt von dem tunesischen Schreiber ohne Arme, der ungeheuer flink mit den Füssen zu schreiben vermochte, und er wirft die Frage auf, ob wohl die Tätowierungen der Tunesier mittels Feuer eingebrannt worden seien. 36 Wie in dem anderen zitierten Fall von Hans Bernhard von Eptingen reichte auch bei den Adornos das Interesse an den Sitten der "Ungläubigen" bis in den Intimbereich. Die folgende Beschreibung belegt 32 TETZEL, S.152, und (fextpassage) S.148-149. 33 Vgl. TETZEL, S.168, und S.170. 34 ADORNO, S.64: • Affinnant aliquiin Sardiniamulieres esse gemmasin oculorum pupillishabentesque visu,si quem forte irateconspexerint, perimunt Ex hiisnullas vidimusnec videreconcupivimusne forte iratenos conspexissent • 35 ADORNO, S.87, und ebenda. 36 ADORNO, S.110-112 (Schreiber), und S.120: "... scd quomodopicturaillaque nunquam nec tempore nec Jotionedeletur infixa sit, nunquam intellegerepotui Credo ignitam esse." <?page no="197"?> 187 auch gleich die im späten Mittelalter übliche Freizügigkeit in diesen Dingen: Die Männer urinieren niedergekauert wie unsere Frauen, was wir oft beobachtet haben. Und nach vollbrachter Tat nehmen sie Erde und reinigendas Glied damit. Ich nehme an, die Frauen machen es auch so, aber wir haben es nicht beobachtet, denn sie sind in ihrem ganzen Verhalten wie die Frauen bei uns, oder sogar noch mehr als bei uns schamhaft und scheu. 37 Unter den deutschen Pilgerautoren, die alle in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts ein spezifisches Interesse an fremden Völkern bekunden, ist wiederum Felix Fabri der ausführlichste. Bemerkenswert ist sein Mitgefühl für die Opfer sozialer Missstände; es tritt etwa bei der Schilderung des harten Seemannslebens zutage, aber auch bei der Beschreibung des Sklavenmarktes in Alexandria: Man verkauft da nämlich den Sohn unter den Augen seiner schmerzerfüllten Mutter, dort die Mutter zur Schmach und Schande des Sohnes. Hier wird die Ehefrau vor dem en-ötenden Ehemann wie eine Hure behandelt und einem anderen Manne übergeben,dort das Kleinkind von der Brust der Mutter §: rissen, und die bis ins Innerste aufgewühlte Mutter von ihm getrennt. Der direkte Kontakt mit den Einheimischen im Heiligen Land hat in der Beschreibung durch Felix Fabri etwas vom Kitzel des Verbotenen an sich. Die Beziehungen scheinen heimlicher und entsprechend gespannter Natur gewesen zu sein beidseits übrigens. In Rama bohrten offenbar einige muslimische Frauen aus Neugier Löcher in die Wände der Herberge, um sich die Pilger aus der Nähe zu besehen. Ein Mönch fühlte sich verpflichtet, zwecks Ruhe und Ordnung die Gucklöcher wieder zuzupflastem. 39 Und in Jerusalem luden die beiden Töchter des Pförtners vom Pilatus- Haus die Pilger zu einer heimlichen Besichtigung ein - und lüfteten bei dieser Gelegenheit ihre Schleier. 40 In Gaza schliesslich machten einige 37 ADORNO, S.72: • Viri enirn,quemadmodum faciunt nostre mulieres, inclinati ad terrarn, uti scpc vidimus, urinam spargunt caque sparsa terram sumunt qua virgam tergunt Credo et ita mulieres faccre, quod non vidiums, quia in ombinbus suis negociis quemadmodum et nostre et ! orte magis quam nostre pudicc et verecunde sunt • 38 Vgl. FABRI, Evag. 1, S.125-126 (Matrosen auf See), und Evag. 3, S.166: "Ibi enim venditur filius inspiciente et dolente matre, ibi venditur mater in confusionem et despcctum filii, ibi marito erubesccnte uxor ut scortum deluditur et alü viro traditur, ibi parvulus a sinu matris rapitur et commotis totis visccribusmater ab eo scparatur." 39 Evag. 1, S.224. 40 Evag. 2, S.135. <?page no="198"?> 188 wohlhabende Sarazeninnen mit Gefolge ihre Aufwartung. Dieses Mal baten die Pilger, ihre Gesichter besehen zu dürfen: Als sie dies hörten, brachen sie in schallendes Gelächter aus und befahlen ihren Dienerinnen,ihre Schleier wegzunehmen. Sie taten es, und ihre Geschichtererschienenganz schwa,z wie Kohle, denn es waren Äthiopierinnen.Bei diesem Anblick taten wirfleissig so, wie wenn wir uns vor der Schwä,ze fürchten und sie verabscheuenwürden. Hierauf baten wir auch die Herrinnen,ihre Schleierzu lüften. So geschah es - und es warenweisseund schöne Damen, ebenso anständigwie ansehnlich. 41 Die mit Bruder Fabri mitgereisten Pilger von 1480, Pierre Barbatre und Santo Brasca, entwickelten unterschiedliche Interessen schon in bezug auf die Bevölkerung der Lagunenstadt Venedig: Während Barbatre in einem seiner seltenen persönlichen Exkurse äusserst detailliert prunkvolle Pfingst-Prozession schildert, reiht Santa Brasca unter den Sehenswürdigkeiten der Stadt (irgendwo zwischen Waffenarsenal und Markuskirche) eine Bettlerin aus dem fernen Kastilien ein, die ohne Arme geboren worden war, aber auch mit den Füssen sämtliche"... weiblichenHausarbeiten" auszuführen imstande war. 42 Für die muslimischen Frauen scheint der Mailänder hingegen gar nichts übrig gehabt zu haben: "DieFrauensind von geringembeziehungsweisegar keinem Nutzen, denn sie tun gar nie irgend etwas. "43 · Sowohl Bernhard von Breydenbach wie Paul Walther von Guglingen gehen kurz auf die Zigeuner von Modon (Peloponnes) ein. 44 Die ethnographischen Bemerkungen des Mainzer Domdekans sind zumeist durchsetzt von mythologischenElementen (die womöglich aus der Feder Martin Roths, des Redaktors, stammen). Ein Beispiel: Die Kreterinnen sollen Hexenkräfte besessen haben, 41 Evag. 2, S.373: "Hoc cum audMssent, valde ridcbant cum caehinnis et pcdisscquis irnpcrabant vela Jcvare. Quae cum Jevarent, apparebant vultus carum denigratac, sieut carboncs, quia erant Aethiopissac. Quod dum vidissemus, cum industria fccimus, ae si territi esscmus propter nigredinem et cas abominaremus, et pctMmus, ut et dominae vela JcvarenL Bt ita fccerunt, et fuerunt albae et formosae dominac, verccundae et reverentialcs.• 42 Vgl. BARBATRE, S.105-107,und SANfO BRASCA, S.49: • Ja quale dona mangia et bcve con li pcd4 cuxc, taglia, lila, inaspa con li picdi quanto faria udaltra con Je manc; ehe ccrto era una prodigiosa cma da vederc, et da lei concomM1 tuto el populo con molte elimosinc.• 43 SANfO BRASCA, S.70: "Le done sono da puocha imo nulla utilita, ehe mai fano cma alcuna." 44 Vgl. BREYDENBACH, fol.SSa, und WALTHER, S.82. Sie sind nicht die einzigen: Bereits SEMEONIS berichte t (S.45) von den Zigeunern auf Kreta. <?page no="199"?> 189 ... also/ dass wann eine Fraw in der Insel ein Mann beisset/ oder mit den Nägeln kratzt/ so muss der Man von stund an sterben/ als ob er von dem aller vergifftigstenWunn wer verletzt worden. 45 Von grösserer Wirklichkeitstreue als der legendenumrankte Text erscheint Erhard von Reuwichs bildlicher Beitrag zur Darstellung fremder Völker. In seinen Holzschnitten finden sich die Trachten der Sarazenen, Juden, Griechen, Syrer und Abessinier exakt wiedergegeben. 46 Der Franziskaner Paul Walther vermischt dort Reales und Legende, wo es ihm nützlich erscheint - oder wo er Gerüchte über nicht persönlich aufgesuchte Mittelmeerinseln kolportiert. Er berichtet so von "Milam" (dem alten Melos), dass hier die Frauen zahlreich, schön und wohlgestalt wären, die Männer hingegen krumm und dick und selten. Im Gegensatz zu den Männern wären die Frauen allesamt von Natur aus musikalisch begabt. 47 Was Paul Walther über die bereitwillig zur Schau getragenen weiblichen Reize der Venezianerinnen aussagt, zeugt von persönlicher Anschauung - und einiger moralischer Entrüstung: Die Männer gehen sittsam und kostbar gekleidet in den Strassen, die Frauen zwar auch kostbar, aber völlig schändlich gewandet. Sie kommen nämlich auf unverschämte Weise ausstaffiert daher, mit Schultern, die bis zu den Brüsten entblösst sind. Ihre anderen Laster, die Gott kennt und er allein beurteilen und strafen kann, übergehe ich hier schweigend. 48 Diesem missbilligenden Pauschalurteil von der geistlichen Warte aus schliesst sich Konrad von Grünemberg nicht an im Gegenteil. Es scheint fast, als hätte Konrad vom reizvollen Anblick der tief dekolletierten Venezianerinnen gar nicht genug bekommen können, so überaus begeistert klingt des Ritters "Minnesang", von dem hier nur der Schluss wiedergegeben sei: 45 BREYDENBACH, fol.SSa. 46 Die Abbildungen der Hol7.schnitte bei GECK, S.25. Der Vergleich beispielsweise der "Sarazenen• von Erhard Reuwich und Konrad von Grünemberg zeigt, wie stark letzterer bei ersterem abgekupfert hat. Eigenständig erscheint hingegen die Grünemberg'sche Darstellung der mamelukischenen Tracht . 47 WALTHER, S.83: • In eademinsulaet civitatesunt valdepulchrcet speciosemuliercset multe, viri vero sunt deformes et pauci et grossi; muliercsex naturaliindinationesunt omnes apte ad musicalia! ' 48 WAL1HER, S.51: "Viri ambulantboneste et prctiose vestitiin plateis, muliercs vero prctiose sed tuxpissime.Nam inverccundenudatisscapulisusquead uberaambulant,de vitiisaliis,que deus in eis novit, solusipse iudicarcet corrigercbabet,de quibus ego hie supersedeo. • <?page no="200"?> 190 ... Was soll ich sagen von den Hennelinkehlen und liebreizenden Hälsen. Nichts war an ihren Gestalten Unlöbliches. Ihre äussere Bildung und Fonn zeugten von ihres Inneren edler Wohlgestalt und Vernunft. Und ich kann nimmer glauben, Helena sei schöner gewesen zu Zeiten da Menelaus lud Paris zu Gaste. Noch dass so schämig und reizend drein sah Andromache, da sie in der heiligen Ehe dem Hector eben ward vennählt. Und wie man sagt, dass Orpheus mit dem süssen Getöne seiner Harfe alle Ohren auf sich gezogen, also lenkten diese Frauen die Menschen, dass wohin sie sich kehrten, die ihnen folgten mit ihren Augen. Und wär kein Wunder, wenn solcher Frauen Männer und Ehegatten immerdar vor Wonne sprängen gehörnter als die brünstigen Hirsche. Alle Rede war von ihnen, einer sah sie an, andere sprachen von ihnen, und manch einer zeigte auf sie. Und die Frauen, so sie es merkten, zeigten wieder auf uns und lachten unser. Und wie wohl es Mittag war, wollte doch keiner vor Hunger der Herbergegedenken. (Mein Schreiben davon ist zu lang geraten.) 49 So galant fällt die Schilderung nur da aus, wo Konrads weibliches Schönheitsideal Bestätigung fand wesentlich ungnädiger verfuhr er mit den Angehörigen fremder Kulturkreise. Die arabischen Frauen erschienen ihm durchwegs "... gar elend, mit langem schwarzen Haar, und haben Brüste, hängen bis auf die Gürte~ und daran lange, schwarze Warzen. ,.SO Eine gewisse Neugierde legt Konrad auch in bezug auf männliche Trachten und Lebensweisen an den Tag dort etwa, wo er die Gewänder der Mameluken nach der eigenen Ansicht (und nicht etwa nach einer Holzschnittvorlage von Erhard Reuwich) im Bild wiedergibt. 51 Eingehend beschreibt er eine selbst beobachtete Trauerzeremonie auf Korfu und einen Gottesdienst nach griechischem Ritus bei dessen Besuch er sich allerdings derart über die ihm fremden Zeremonien amüsierte, dass er vor lauter Lachen nicht mehr beten konnte. 52 Zurück zu den schönen Frauen in Venedig und zu einer weiteren dezidierten Meinung eines Pilgers bezüglich ebendieser Schönheit. Pietro Casola scheint zwar die von seinem geistlichen Kollegen Paul Walther von Guglingen geäusserte negative Ansicht durchaus geteilt zu haben. Jedoch zeigt er sich von der Freizügigkeit der Venezianerinnen mehr belustigt als 49 GRONEMBERG, S.26-27 (man beachte zum Schluss die fromme Einsicht des Pilgers). SO GRÜNEMBERG, S.78. Zum Topos der Hängebrust in der Darstellung weiblicher "Wilder" ein Literaturhinweis: BERNADETI'E BUCHER, La sauvage aux seins pendants, Paris 19'n. Dazu auch HARBSMEIER, S.4. 51 GRÜNEMBERG, S.130. 52 GRÜNEMBERG, S.44-45 (Trauerzeremonie), und S.49. <?page no="201"?> 191 empört, und die entsprechende Schilderung ist mit gezielten spöttischen Bemerkungen durchsetzt: Ihre Frauen scheinen mir die meisten klein zu sein. Denn wenn sie es nicht wären,würdensie nicht die Schuhe oder besserSandalen so hoch tragen,wie sie es tun. Ich habe tatsächlichsolche (...) gesehen,die waren mindestens eine halbe MailänderElle hoch. So hoch waren sie, dass einigeFrauen zu Riesinnen werden,wenn sie sie tragen- und bestimmt sind sie beim Gehen in ständigerGefahr,zu fallen, solangesie nicht von ihren Sklaven kräftiggestützt werden."( ...) Diese Venezianerinnen,vor allem die hübschen, versuchenin der Öffentlichkeitso viel wie möglich von ihrem Busen zu zeigen,von Brust und Schultern,meine ich. Soviel, dass ich mich des öfteren, wenn ich sie zu sehen bekam, darüber wunderte,dass ihnen die Kleidernicht einfach vom Rücken fielen." (...) "Siefürchten auch die Fliegennicht, die sie beissen,und haben deshalb keine Eile, sich zu bedecken,wenn ihnen ein Mann unerwartetbegegnet. Ich habe beobachtet,dass sie nichtzuviel Geldfür Tücherausgeben,um damit ihre Schulternzu verhüllen.Viel/ eichtgefällt diese Sitte anderen Leuten mir gefälltsie nicht. Ich bin ein Priesterauf dem Wegzu heiligen Dingen,und ich verspürtenicht den geringstenWunsch,mich weiter in ihrLeben einzumischen. 53 Kommentare ähnlich ironischen Kalibers liefert der Priester etliche in seinem Bericht, zu den unterwegs beobachteten Menschen ebenso wie zu den besehenen heiligen Stätten und Reliquien. Zu der anscheinend noch offenherzigeren Gewandung der Frauen auf der Insel Curzola notiert er, sie hätten da wohl keine Angst vor Erkältungen. 54 Francesco Suriano beweist in seinen abschätzigen Bemerkungen zu fremdländischen Trachten und Sitten weit weniger Humor als sein Mailänder Priesterkollege. Zwar bescheinigt er den Armeniern, dass sie in ganz Jerusalem die schönsten Männer und Frauen gewesen seien. 55 Dafür scheint er die Zyprioten nicht besonders gemocht zu haben ("... sie leben fast alle im Konkubinat"),und an den Kretern lässt er kein gutes Haar. Die Frauen seien eitel und wie Wespen, runzelig, schlechtgelaunt und giftig, die Männer aber total undiszipliniert. 56 53 CASOLA, S.144-145/ S.44-45. 54 CASOLA, S.327/ S.103: "Vcstissenoin publico como Vent: ziani. Le Jorodonne non debbono temer freddo, vannoscopertein tutto da Jemamelle in suso: JespaJJe e Jopetto e scoperto,fanno quelle donne ehe Je mamelleretenghanoli Joropann4 e non li eascino fino sopralipedi • 55 SURIANO, S.88/ S.76: "Qucsti Anneni sono li pili belli homeni e done ehe siano in HierusaJem.• 56 SURIANO, S.236/ S.243 (Zyprioten), und S.240/ S.249: "Le done sono vane,stizose,grintose, brontolose, e piene de veneno; ma li homeniindisciplinatissimi. • Er vermerkt weiter <?page no="202"?> 192 Der Seitenblick auf die Spanienfahrer des ausgehenden 15. Jahrhunderts enthüllt im allgemeinen dasselbe Bild negativer Überzeichnungen. Hieronymus Münzer vermochte den tief aus~eschnittenen Gewändern der Frauen von Valencia nichts abzugewinnen. 7 Von einem Sklavenmarkt berichtet er ohne ersichtliches Mitgefühl: 14 von 87 Sklaven seien unterwegs auf der Seereise von Teneriffa ums Leben gekommen, und andere seien krank geworden. Es seien dunkle Menschen gewesen, die Frauen unter ihnen kräftig gebaut, "... aber in ihren Bräuchen sind sie wie Tiere, denn sie haben bisherohne Gesetzegelebtund Götzenangebetet. ,.s 8 Es folgt ein Loblied auf König Ferdinand, der mit dem christlichen Glauben auch den Fortschritt auf die Kanarischen Inseln gebracht haben soll: Was alles bringendoch Unterrichtungund sorgfältigesBehtm'enfertig: Aus Tieren in MenschengestaltwerdenzivilisierteMenschent 59 Hermannus Künig von Vach scheint ebenfalls nicht viel von den Fremden in seinem Fall den Spaniern gehalten zu haben: Gleich zu Beginn weist er auf die schlechten Scherze hin, die sie da mit den Pilgern zu treiben pflegten. 60 Später folgen Verweise auf Pilgertechnisches, Unterkunft und Verpflegung: Im J akobsspital von Montpellier sei der Wirt "... den tatschen nicht holt",und im Spital von Nachera tue die Wirtin den Pilgern viel "Schalckeyt"an. Doch das gebeizte Fleisch sei da sehr gut.61 Die ethnographischen Interessen von Arnold von Harff sind wie jene des Grünemberg nicht zu übersehen. Fünfzehn gezeichnete Studien fremdländischer Trachten durchsetzen den Bericht hier als BeisP.iel die berühmten Venezianerinnen.62 Und unüberhörbar dringt aus seinen Sprachbeispielen ein Bedürfnis nach (intimeren) Kontakten, wenn er bittet: "... goedefrauwelaistmich bij uch oben (ähnlich wie Breydenbach), auf Kreta seien ausser Frauen keine giftigen Tiere anzutreffen. Die Kreter scheinen sich überhaupt kaum Sympathien bei den Heiliglandpilgem e1WOrbenzu haben: WEY kolportiert (S.57), was• ... de illis dicitut', dass nämlich die "Cretensessemper mendaces,male bestid' seien. Und auch noch anno 1507 wird beim ANONYMUS, S.13,von einem •... iyght euyllpeopld' die Rede sein. 57 Vgl. MÜNZER, S.30: "Tamen in anterioriparte omncs (vestite) sunt aperte usque ad mamillaset ut quasipapillasarborumviderepossis. Et omncs se fucant in facic et olcis aquisqueodoriferisse coinquant,quod malumcst.• 58 MÜNZER, S.24: •... sed sunt bestialcs in moribus,quiabactenussub nullalege vixerunt, sed omncsydolatrefuerunt• 59 Ebenda: • 0 quid fadt doctrinaet diligenda,que bcstiasin humanecorporefacitbomincs et mansuetosr 60 KÜNIG, (unpaginiert) fol.1. 61 Vgl. KÜNIG, fol.4, und fol.6. 62 Die Venezianerinnen bei HARPF, S.54. <?page no="203"?> 193 slaeffen." Dem Satz folgt bisweilen ein "... frauwe alwege byn ich in vrem gebede (=Bett)" - und die Aufforderung "... weschtmir dit hempt. ..6 3 Arnold hat seinen Pilgerweg nicht etwa, wie man annehmen möchte, mit einer Reihe gebrochener Mädchenherzen gepflastert. Seine "Minne" war handfesterer Art und fand in den zahlreichen Bordellen entlang der (Pilger-)Strassen gegen bare Münze Erfüllung. Sein arabisches Vokabular beweist es: Das Verb "nyco", das der niederdeutsche Ritter mit "frauwieren" wiedergibt, übersetzt Hans Stumme mit "coitum habere" ( = lat. für: Was immer ein seriöser Orientalist anno 1914 nicht deutsch und deutlich zu benennen wagte). 64 Eine Pilgerreise liess sich eben, der Mentalität der (weltlichen) Zeitgenossen entsprechend, durchaus mit amourösen Abenteuern vereinbaren; 6.5 aussergewöhnlich ist höchstens, dass sie ausgerechnet in einem Pilgerbericht (wenn auch nur inoffiziell und zwischen den Zeilen) Spuren hinterlassen. Die in aller Welt gesammelten Erfahrungen und Erkenntnisse hat Arnold von Harff so schlicht wie ergreifend zusammengefasst: Item in deserstat Meylaen dunckt mich nae mijnem dummen erkentenyss dat ich dae die schoenschtefrauwen gesien hane van alle mijner wandelongeind zo Venedichdie koestlichsteind zo Coellendie hoemodischste ( =hochmütigsten) ind in deme koninckrijchvan Moabar die allerswartzte. 66 Unter den vier schreibenden Eidgenossen von 1519 ist wiederum der Engelberger Mönch der gesprächigste, was die menschlich-allzumenschlichen Interessen angeht. Wie so vielen Vorläufern und Zeitgenossen fielen auch ihm sogleich die "... gar schönen wyber"auf. In seinem Fall waren sie auf Kreta zu besehen, so man(n) Lust hatte, "... aber es hat unser keineryr kein acht,dann wierwarentnit do,um da, sunderuf einergoczfart. "6? Es gab da auch einmal "... Türggenund Heidenund Mammalucken, das sind verlougnettCristen"auf einem Schiff im Hafen von Jaffa, die waren dem Heiri Stulz nicht geheuer, und umgekehrt: 63 Alle Zitate HARFF, S.76 64 HARFF, S.112. Vgl. HANS STUMME, Das Arabische und das Türkische bei Ritter Arnold von Harff, in: Festschrift Ernst Windisch, Leipzig 1914, S.133. Dazu auch ARMIN HETZER, Wie ist Arnold von Harffs Wörtervcneichnis (1496) zu lesen? Ein Beispiel für das Ineinandergreifen von albanischer und deutscher Sprachgeschichtsforschung, in: Balkan-Archiv, N.F.6, 1981, S.250-251. Hier die Bestätigung dafür, dass "Herberge• nach Wahl der Wörter und Redewendungen dem "Freudenhaus• nahegcstanden haben muss. 6.5 Vgl. HUIZINGA, S.172: "Wallfahrten waren sehr beliebt für Liebesabenteuer .• Und Beispiele dazu S.224f. 66 HARFF, S.217-218. 67 STIJLZ, S.232. <?page no="204"?> 194 ... sy sachenuns an, als hettentwierhom gehan,·wiersachent sy ouch an als waerent sy wilde thiergesind und sy nit fil heimlicherwarent und ouch nitfil andersdann thier. 68 Heinrich Wölfli schliesslich erweist sich in Hinblick auf weibliche Attraktionen wie Paul Walther von Guglingen und Pietro Casola vor ihm als tadelnder Geistlicher: "Unndda hab Ich mich angfangenzu verwundern,ab der unlydenlichen grossen Hoffart und geilheit der wyberen imm HertzogthummMeyland, unnd ducht mich, ich sähe in einerjeden die Proserpinam,das ist dertüfel selbst. 1169 Ansonsten beschreibt er mit Verwunderung fremde Bräuche wie etwa den Tanz der Knaben in Padua oder ein maurisches Fest, das "... vil kurtzwils"bot - und den Einheimischen das seltene Schauspiel fremdländischer Durchreisender.7° Sein wunderlichstes Menschenwesen fand Heinrich Wölfli allerdings nicht weit weg von zuhause, in Italien genauer in Mantua. Dasselbswasein mensch, derhatt dennassenso eingrosseNasen, das ich desglichenmin läptagnie gsähen. 71 68 STIJLZ, S.241. 69 WÖLFU, S.15. 70 WÖLFU, S.24 (Tanz der Knaben), und S.63. 71 WÖLFU, S.16. Die Illustration dazu von späterer Hand, vermutlich von Johann Jakob Dünz. <?page no="205"?> 195 5.5.2. Das verfluchtevolck derSarracenen... 1 Die Geschichte der Beziehungen zwischen Christentum und Islam ist lang und bewegt, und die Beziehung selbst war nie eine ungetrübte. Ein spätmittelalterlicher Pilger, ob er nun nach Palästina oder auf die iberische Halbinsel reiste, sah sich auf Schritt und Tritt den Zeugnissen dieser Geschichte ausgesetzt. Die "Heiden"(als die sie stereotyp und gewissermassen offiziell benannt wiederkehren) waren als Ungläubige nicht nur vom himmlischen Paradies ausgeschlossen (ein Umstand, der hie und da sogar zu Mitleidsbezeugungen innerhalb der Pilgerberichte führen mochte), sondern vor allem Angehörige der verhassten Kreuzzugs-Siegesmacht und damit für die Orientierungskrise des spätmittelalterlichen Rittertums gewissermassen mitverantwortlich. Überdies hatte die Ausbreitung des türkischen Osmanenreiches im 15. Jahrhunderts eine unmittelbare Bedrohung des christlichen Westens zur Folge die Lage blieb gespannt.2 1 Vgl. FABRI, dt., fol.117a: Fabri schimpft da über das •... verfluchte volck der Sarracenc/ die nit wirdig sind das sie den gutten wein trincken der da wuchssc/ ..." Der Dominikanennönch wusste wohl um die religiöse Vorschrift, die den Angehörigen des Islam das Weintrinken verbietet, aber er mochte den Muslimen den Boden nicht gönnen, auf dem der• gute Wein"wuchs. Die Bemerkung ist somit eine eminent politische. 2 Zur Geschichte der Orient-Okzident-Beziehungen (in Realität und Ideologie) gibt es eine umfangreiche Spezialliteratur. Ein Streifzug: D.M.VAUGHAN, Europe and the Turk 1350-1700,Liverpool 1954; NORMAN DANIEL, Islam and the West, Tbc Making of an Image, Edinburgh 1960; DERS., Tbc Arabs and Medieval Europe, London 1975; DERS., Tbc Cultural Barrier, Problems in the Exchange of ldeas, Edinburgh 1975, S.137 ff; RICHARD WllLIAM SOUTI-: IERN,Western Views of Islam in the Middle Ages, Cambridge (USA) 1%2; AZIZ SATIY A, Crusade, Commercc and Culture, Bloomington 1964, und dt., Kreuzfahrer und Kaufleute, Die Begegnung von Christentum und Islam, Stuttgart 1968; JOHN W.BOHNSIEDT, Tbc lnfidcl Scourge of God, Tbc Turkish Mcnacc As Seen by Gcnnan Pamphlctccrs of thc Reformation Era, Philadelphia 1968; JULIA GAUSS, Toleranz und Intoleranz zwischen Christen und Muslimen in der Zeit vor den Kreuzzügen, in: Saeculum 19, 1968, S.362-389; YSSAR ÖNEN, Das Bild der Türkei in deutschen Reisebeschreibungen des 16. Jahrhunderts, in: Gcistesgeschichtlichc Perspektiven, Festschrift Rudolf Fahmer, Bonn 1%9, S.129-145; R.BURNS, Christian-islamic Confrontation in the West: Tbc Thirteenth-Ccntury Dream of Convcrsion, in: Amcrican Historical Review76, 1971,S.1386-1434; JEAN RICHARD, Orient et Occidcnt au Moycn Agc, Contacts et relations, London 1975; DOROTHEE METZLITZKI, Tbc Matter of Araby in Medicval England, New Havcn/ London 1977; LCAHEN, Islam and thc Mcdicval West, Albany 1980; B.LEWIS, Tbc Muslim Discovery of Europe, New York/ London 1982; DERS., Orient et Occidcnt au tcmps des croisades, Paris 1983; P.SENAC, L'imagc de l'autre, L'occidcnt m6di6val facc a l'lslam, Paris 1983; C.F.BECKINGHAM, Betwccn Islam and Christendom, Travcllcrs, Facts and Lcgcnds in thc Middlc Ages and thc Renaissance, London 1983 (CS scries 175); BENJAMIN ZKEDAR, Crusadc and Mission, European Approaches Toward thc Muslims, Princeton 1984; V.P.GOSS (Ed.), Tbc Meeting of Two Worlds, Cultural Exchange Betwcen Bast and West During thc Pcriod of thc Crusades, Kalamazoo 1986; Orientalische Kultur und europäisches Mittelalter, in: Miscellanea Mcdiacvalia 17, 1986. <?page no="206"?> 196 Aber: Die islamische Religion galt nicht unbedingt als Fremdkörper in der mittelalterlichen Weltauffassung, sondern erhielt als von Gott in die Welt gesandte Strafe für die menschlichen Schwächen der Christen sehr wohl ihren (provokativen) Sinn und Zweck.3 Grundsätzlich hätte nun für den spätmittelalterlichen Reisenden im Heiligen Land oder in Spanien eine Chance zu echten zwischenmenschlichen Begegnungen mit Muslimen und damit die Möglichkeit zur Revidierung jahrhundertealter vorgefasster Meinungen bestanden. Nur: Musste es nicht gerade einem in Religionsangelegenheiten reisenden christlichen Pilger, so er Geistlicher oder Ritter und nicht womöglich von Berufs wegen toleranter Kaufmann war, ausserordentlich schwer fallen, über den eigenen Schatten zu springen? Skepsis scheint angebracht. 4 Wenn sich Wilhelm von Boldensele und Ludolf von Sudheim, später Lorenz Egen und Peter Sparnau und auch um etliches später - Hans Schürpff mit abfälligen Bemerkungen gegenüber dem Islam zurückhalten, sollte dies noch nicht als Gleichgültigkeit, geschweige denn als Toleranz verstanden werden . Vielmehr ist das Schweigen symptomatisch für die "Faktizität",jene trockene Sachlichkeit, die den meisten deutschen Pilgerschriften aus dem 13. und 14., gelegentlich auch noch 15. Jahrhundert, eigen ist. 5 Die persönliche Haltung kommt bei Wilhelm und Ludolf sehr wohl zum Ausdruck, in spärlichen, dafür umso deutlicheren Bemerkungen. So erscheint hier der ägyptische Sultan als Vorreiter und Werber für den Islam, der den "... wie die Tiere" in Unwissenheit lebenden Arabern das "teuflischeGesetz" des Mohammed und alle damit zusammenhängenden Lügengeschichten aufgezwungen habe. Und die Legenden, die sich dem 3 Dazu GURJEWITSCH, S.69: "Alles in dieser Welt war geordnet, auf seinem Platz; (...) jegliches Geschöpf bis zum Teufel und zum bösen Heiden Mohammed spielte die ihm vorbestimmte Rolle im Programm der Vorsehung und erfüllte die ihm beschlossene Pflicht.• Allerdings: Die Integration des Islam ins christlich zentrierte theologische Weltbild licss sich nicht einfach einfür allemal durchführen, sondern blieb (laut SOUIHERN, Western Views, S.3): •... the most farreaching problem in medieval Christendom.• Im Verlauf des Mittelalters entwickelten sich mehrere theologische Erklärungsmuster für das Paradoxon des fremden Glaubens, abhängig von dem jeweiligen politischen und wirtschaftlichen Kräfteverhältnis zwischen Islam und Christentum. 4 Skeptisch äussert sich DANIEL, Cultural Barrier, S.166: "The dogmatic filter excluded evexylslamic ideas except deformed to 'provc' a Christian argument, so succcssfully,that the only cascs of lslamicing that came before the Inquisition were those of unhappy Moors who had been forced or tricked into Christianity.• Und KEDAR, Crusade and Mission, S.87, meint zu den Auswirkungen einer direkten Kontaktnahme (hier bezogen auf die KrcU1.Zugszeit): "Proximity to the Muslims evidently did not guarantee an accurate perception of their beliefs; the writer's preexisting notions and possibly his exposure to Oriental Christan views about Islam must havc been more decisivc factors than the opportunity for direct contacts with the Muslim themselvcs.• 5 Zum Beispiel KHATIAB, S.200. <?page no="207"?> 197 Hörensagen nach um eine sagenhafte islamische Stadt ranken, werden handkehrum als 11 mendacia 11 (=Lügen) entlarvt. 6 Wesentlich deutlicher äussem sich Jacopo da Verona und Niccolo da Poggibonsi. Der Veroneser Mönch konstatiert mit Empörung, dass er in Rama mitanhören musste, wie die Muezzine "... Mohammeds gänzlich verdorbenes und verdammenswertes Gesetz" vom Minarett der Moschee verkündeten. Der Grund für seine Wut: Die Moschee war bis kurz vorher eine christliche Kirche gewesen.7 Jacopo da Verona widmet den islamischen Bräuchen, die er durchwegs als tierische bis teuflische Abartigkeiten verdammt, ein eigenes Kapitel. Es beginnt mit den Worten: ''Jetzt werde ich vom verbrecherischen Ritus Mohammeds erzählen, aber nur ein bisschen, denn er ist völlig abscheulich. 11 Auf ein wenig schmeichelhaftes Porträt des Religionsstifters folgt eine detaillierte Beschreibung aller denkbaren sexuellen Ausschweifungen, die Mohammed gepredigt haben soll. Das Weintrinkverbot wird als absichtsvolle Provokation gegen das Sakrament der Kommunion ausgelegt. Und hinter dem Verbot, Schweinefleisch zu essen, steckt laut Jacopo eine Legende: Ein Schwein machte Mohammeds Kleider dreckig, und aus Wut verfluchte er die ihm zugewandte Seite des Tieres. Später verbot er seinen Anhängern, von dieser Seite des Schweines zu essen doch keiner wusste mehr, wohin der Fluch des Propheten 'etroffen hatte. So will es der Mönch von Sarazenen selbst gehört haben. Etwas moderater als der Veroneser geht Niccolo di Poggibonsi bei seiner Verurteilung der islamischen Grundsätze vor. Unbestritten ist Mohammeds Rolle als die des verbrecherischen Volksverführers. Die 11••• annen Sarazenen II aber, die sich tatsächlich verführen lassen, erscheinen als im Grunde bedauernswerte Unglückliche, die ihren Ruin mit ihrer Unwissenheit heraufbeschworen haben. 9 Bemerkenswert an den pauschalen Rundumschlägen, die Symon Semeonis austeilt, ist lediglich die Quelle, auf die er sich beruft: Der irische Mönch hatte offenbar Zugang zum Koran . 10 Die breit ausladenden 6 Vgl. BOLDENSELE, S.217 f (Sultan), und SUDHEIM, S58. 7 VERONA, S.181. Ähnlich seine Empörung bei Gelegenheit des Aufstiegs auf den Berg Sinai, S.234: Gott habe aufgrund der Sünden der Menschen beschlossen, das Böse (die Moschee) neben dem Guten (der Kapelle) zu plazieren es sei aber bloss eine kleine Moschee. 8 Vgl. VERONA, S.259-264 (der Beginn der Passage): "Nunc dicamus de scelerata lege Mahometi et pauca, cum sit omnino abominabilis.• 9 Vgl. POGGIBONSI, 1, S.111-112: •E, in quello tempo (...) fu nato quello iniquo seduttore della gente, cioe Maumetto, profeta dd Saracini tapin~ dd quali egli c di loro dannazione.• 10 Vgl. zum Beispiel SEMEONIS, S58-62.: Zu den Gebetsvorschriften zitiert er Sure 27, zu den Reinigungsvorschriften die Suren 11 und 13 aus diesen "verfluchten• Gesetzesworten, •... que apud ca; tantum appretiantur, quantum apud nos appretiatur Ewangelium Sancti Johannis ewangeliste. • <?page no="208"?> 198 Schilderungen islamischer Verhaltensweisefi die im wesentlichen auf der eigenen Anschauung zu beruhen scheinen, 1 lassen ihn nie seinen Standpunkt des Gegenpropagandisten vergessen. Theologische Argumente wider den Islam hat Symon seinen Beschreibungen zwar kaum je beizufügen, dafür aber Kraftausdrücke in Hülle und Fülle. Mohammed wird gleich mehrfach im selben Atemzug als "... porcus vilissimus"und "mu/ ierumamator",alles in allem also als ein "sexbesessenes Monster" tituliert. 12 Handkehrum ist er der "Sohn Satans", und seine Anhänger (der Sultan nicht ausgenommen) benehmen sich wie die Schweine. 13 Symons Fazit über die Bewohner Ägyptens lautet vernichtend, sie seien liederliche, gemeine, unwissende und in ihrem ganzen Benehmen viehische Leute. 14 Interessanterweise aber legt er einem Muslim und einigen zum Islam übergetretenen Christen, die anlässlich einer Gepäckkontrolle auf ein paar Heiligenbilder stiessen und über die christlichen Pilger zu schimpfen begannen, dieselben Vorwürfe in den Mund, die er umgekehrt den anderen "Irrgläubigen" gegenüber zu äussem pflegt. 15 Es scheint ihm dabei nicht besonders schwer gefallen zu sein, sich (vorübergehend) an die Stelle des entrüsteten Anhängers Mohammeds zu versetzen. Auch Jean de Mandeville lästert an einer Stelle zum Beispiel über die Araber, dieses "... vo/ ck allerbosheit vol und allerbössen sytten". 16 Und er bringt es wie Symon Semeonis fertig, einmal in "fremder Zunge" und mit den Worten eines Andersgläubigen zu argumentieren. In einem (fiktiven) Dialog nämlich lässt er den Sultan zu einer negativen Beurteilung der Christen ansetzen. Die pädagogische Absicht des Autors ist dabei unverkennbar: Der Sultan wirft den Christen vor, sie würden die Gesetze ihres Gottes nicht einhalten, sie wüssten beim Weintrinken nicht Mass zu halten, vermöchten sich nicht einheitlich zu kleiden, wären ihren 11 Vgl. SEMEONIS, S.62: Von den sarazenischen Frauen wciss er zu berichten, dass auf ihren Arm- und Fussreife Koranworte eingraviert waren - und dass sie die Finger- und Zehennägel färbten. 12 Vgl. SEMEONIS, S.50, und S.62. 13 SEMEONIS, S.64 ("... primogenitus Sathane Machometu$'), bzw. S.80; sie• ... sie essen wie Hunde oder dreckige Schweine, ohne allen Anstand (...), indem sie die Hände ablecken und die Bärte vo/ lk/ eckern, und sie vollführen alle möglichen, unsäglich viehischen Greueltaten, bis sie voll sind.• Ähnlich detailliert geht Symon (S.50 und S.60, S.74-76) auf die sexuellen Praktiken der Andersgläubigen ein, mit der Beteuerung, alles sei auf diese Weise im Koran vorgeschrieben. 14 SEMEONIS, S.72: "/ tem sciendum (est) quod prefate terre coloni sunt turpes, viles et impersonat4 moribus et gestu bestiis totaliter conformes.• 15 Vgl. SEMEONIS, S.48: • Wach! hii sunt canes et porci vilissim4 qui non credunt Machometum esse prophetam Dei et nuntium, sed ipsum in suis prr: dicationibus superstitiosis continue blasfemant, ed ad hec alios inducunt aflirmantes vanitates et insanas fabulas, dicentes Deum filium habere et ipsum esse Jesum, filium Marie.• Etc. 16 MANDEVILLE, S.44. <?page no="209"?> 199 Ehefrauen untreu - und hätten nur um all der aufgezählten Sünden willen das Heilige Land aus den Händen verloren . Und dar umb daz ir nit wel/ tenttuon daz üwergebotist, so gat üch üwer ding hinder sich, und hond verlom das land, daz besitzendwir und wissend wo/ daz wir daz habend von üwersünd wegen,und nit von unser sterckinwegen. 17 Die beiden Florentiner Frescobaldi und Sigoli verbreiten weiter die unter Pilgern besonders beliebten Gemeinplätze, dass der Muezzin in einem fort zu unzüchtigen Handlungen aufrufe - und der Fastenmonat Ramadan lediglich Deckmantel für nächtliche Ausschweifungen aller Art sei. 18 Simone Sigoli kann sich denn auch des Seufzers nicht erwehren, wie schade es doch sei, dass das Heilige Land, dieses "bel/ issimopaese", an derart "bruttagente"habe fallen müssen. 19 Giorgio Gucci als der dritte in der Florentiner Pilgergruppe bemerkt lediglich, die Orientalen führten kein besonders reinliches Leben ansonsten ist sein Bericht auffällig frei von Pauschalurteilen. Er wagt es sogar, die Pilgerfahrt nach Mekka um der besseren Anschaulichkeit willen mit der christlichen Wallfahrt nach Rom zu vergleichen . 20 Niccolo di Martono wiederum verbindet Alltag und Religion, wo er beobachtete Unbequemlichkeit mit dem Wirken Gottes in Verbindung bringt: Die Araber lebten seiner Ansicht nach ohne festen Wohnsitz in der Wüste, weil der Fluch Gottes sie getroffen habe. 21 Ganz ohne Verständnis scheint Nompar de Caumont den Angehörigen jener anderen Religion mitsamt ihrem "Baffomet de M~cque" begegnet zu sein: Er zeigt sich äusserst ungehalten über die Tatsache, dass diese "falschen Hunde" anlässlich der Zelebrierung einer Messe keinerlei Respekt für die Bedeutung der betreffenden Kirche an den Tag legten. 22 Die zwei burgundischen Kundschafter Brocqufäre und Lannoy müssen in ihrer Eigenschaft als Ritter mit dem Auftrag, Hintergrundinformationen zu einem künftigen Kreuzzug zu sammeln, ihre vorgefasste Meinung in Hinblick auf den Erbfeind des christlichen Westens gehegt haben . Ande- 17 MANDEVILLE, S.90 (zum Abschluss einer ausführlichen, aber neutral gehaltenen Beschreibung der islamischen Religionssitten). 18 Vgl. FRESCOBALDI, S.29: "B 'I Jorogridaresi c di benedire lddio e Maometto; poi dicono: crescete e multiplicate,ed altreparole disoneste.• Ähnlich SIGOU, S.173. Zum Fastenmonat: FRESCOBALDI, S52; SIGOU, S.175; ähnlich bereits VERONA, S.259- 264. 19 SIGOU, S.210. 20 Vgl. GUCCI, S.404(Reinlichkeit), und S.354-355. 21 MARTONO, S.606: •... non habentpropriasmansionesa Dei maledicdones... .• 22 CAUMONf, S.48 (" Baffomef'), und S.47-48: " ... et / es fauxchiensden tenoient campte, ains s en moncoyent,en cette ditte eglise a grantpardonance...•. <?page no="210"?> 200 rerseits bot sich ihnen wie kaum einem anderen unter ihren Pilgerkollegen die Gelegenheit, eine unabhängige Meinung zu bilden. Ghillebert de Lannoys Bericht bietet wenig Anhaltspunkte zur Klärung dieser Frage dass er den Islam als "Sekte" nahezu ohne gehässige Bemerkungen schildert, kann ebensogut im traditionellen Sinne als trockene Aufzählung von Sachverhalten gedeutet werden wie als bewusste Zurschaustellung politischer Neutralität. 23 Wenn überhaupt bei einem spätmittelalterlichen Pilger von einem Lernprozess in Sachen religiöser Toleranz die Rede sein kann, dann trifft dieser Fall wohl einzig und allein auf Bertrandon de la Brocquiere zu. Auf jeden Fall sind innerhalb seiner Reisebeschreibung vereinzelt Äusserungen zu finden, die nicht mehr ins traditionelle Schema der pauschalen Negativurteile passen, ja sogar unverhohlene Bewunderung für die Lebensart der "anderen" verraten. Ein Beispiel: Sie (=die Türken) sind sehr zuvorkommende Menschen im gegenseitigen Umgang und redliche Leute . Ich habe oft beobachtet, dass man, wenn wir assen und da ein armer Mann vorbeikam, ihn einlud, mit uns mitzuessen was wir doch gewiss nie tun würden. (...) Die Türken sind fröhlich und heiter und singen gerne Heldenlieder. Und wer mit ihnen zusammenleben will, der muss bei all dem mithalten können. Es sind Leute von grosserAusdauer, mit -einem harten Leben, und sie schlafen wie die Tiere irgendwo auf der Erde, wie ich es unterwegs beobachtet habe. 24 Allerdings meint Bertrandons Toleranz in diesem Zusammenhang die Lebensweise der Muslime und nicht etwa ihre Religion (zu welcher er sich ausschweigt). Immerhin zeigt er sich beeindruckt von der religiösen Toleranz seiner zeitweiligen Gastgeber. Unterwegs mit einer von Mekka heimkehrenden Pilgerkarawane geriet er nämlich als "unwürdiger Christ" einmal in eine ungemütliche Situation, als ein paar Begleiter ein Komplott gegen ihn schmiedeten. Sein Freund, ein Mameluk, nahm ihn persönlich in Schutz und bedeutete ihm, sie hätten schliesslich Brot und Salz miteinander geteilt - und überdies habe Gott die Christen ebensogut wie die 23 Nur einmal wird lANNOY deutlich; seiner Ansicht nach lag in Mekka der Leib des" ... tres dccepvable ( = verachtenswerten) Mahommef' begraben (S.83). Mekka stimmt übrigens nicht, doch ist in nahezu allen Pilgerberichten in diesem Zusammenhang von Mekka statt von Medina die Rede: Vgl. dazu KHATIAB, S.267. 24 BROCQUIERE, S.96-97: "Ilz sont moult charitables gens / es ungs aux aultrcs et gens de bonne foy. J'ay veu souvent, quant nous mengions, que sil passoit un povre homme aupres d eulx, ilz Je faisoient venir mengier ave nous. Ce que nous ne ferions point. (...) Les Tun: z sont lies et joyeu/ x et chantent volentiers chansons de geste, et qui veult vivre avcc eulx, il ne fault faire bonne chiere. Ilz sont gens de grant paine et de petite vie et couchent a terre comme bestes pa Jaou je / es ay veuz en chemin." <?page no="211"?> 201 Sarazenen geschaffen. 25 Nur zum Schluss, da, wo der weitgereiste Spion endlich auf seinen politischen Auftrag zurückkommt, kann er sich die eine despektierliche Bemerkung gemünzt auf die in den Balkan vorgedrungenen Türken nicht verkneifen: ... und es scheint mir eine grosse Schande zu sein, dass die Christenheit von solchen Menschen unterjocht wird, sind sie doch weit wen~r werl, als von ihnen und ihrem Wirken gemeinhin angenommen wird. Hans Bernhard von Eptingen lässt nur wenig Abschätziges einfliessen, allenfalls nebenbei eine Bemerkung wie: "Da kommen die Heiden um uns zu besehen oder zu stehlen oder zu bekümmern, dann sie meynen ihrem Gott daran zu dienen." 21 Auch William Wey lässt seine Meinung, ob vorgefasst oder unterwegs angeeignet, aus dem Spiel einmal erwähnt er, dass es auf der Insel Rhodos Hunde gebe, die könnten Christen und Türken eindeutig voneinander unterscheiden, und ein anderes Mal vermerkt er beiläufig die Begegnung mit einigen Sarazenen, die offenbar zum Christentum überzutreten wünschten. 28 Roberta da Sanseverino verkleidete sich wie seine gleichfalls hochgestellten adeligen Reisegefährten bei der Ankunft des Pilgerschiffes in Jaffa, um nicht erkannt und geschröpft zu werden. Sein Kommentar dazu: Nur die ohnehin beschränkten Sarazenen bemerkten auf diese Weise nicht, wen sie von Fall zu Fall vor sich hätten. 29 Er warnt ausserdem davor, je mit Muslimen einen Disput in Religionsfragen anzufangen sie seien im Bekehren ausserordentlich geschickt. Einmal übrigens scheint ihm bei einer unvorhergesehenen Reiseprogramm-Verzögerung die Wut über diese "... porzi cani Saraceni" hochgestiegen zu sein. 30 Dass sich grosse Herren auf der Pilgerfahrt sicherheitshalber verkleiden sollten, vermerkt auch Gabriele Capodilesta; ansonsten konzentriert er seine verbalen Attacken auf den Religionsstifter Mohammed, dessen "... dreckiger Leib" von den islamischen Pilgern (wiederum) in Mekka aufgesucht werde. 31 Der von Capodilesta verwendete Kraftausdruck "... sporcissimo corpo de 25 Vgl. zu der Episode BROCQUIERE, S.72. 26 BROCQUIERE, S.202-203: "... et me sambJe que c cst grant pitic que Ja Crcstientc soit soubzmise par tellcs gens, et cst moins de eh= bcaucoup que ! on ne cuide d eulx et de Jeurfait." 27 EPTINGEN, S.322. 28 Vgl. WEY, S.94 (die Hunde), und S.98-99. 29 SANSEVERINO, S.69: "Tuti sc vestitero con piu strancc vestimente poterono, per son csscrc cognosciuti; ma in aJchuni Ja natura non pcrsc Ja ragione sua, pcro ehe, quantonche fuscro viJmente et i: xtrancamente vestit4 non di meno uno homo di bono ingenio ncl 'haerc havcria iudicato quello erano: ma talle pcrspicatia non fo ne Ii saraccni, quantunque quasi in ogni cossa siano malitiosi et ribaJdi• 30 Vgl. SANSEVERINO, S.151 (Disput in Glaubensfragen), und S.193. 31 Vgl. CAPODILESI'A, S.180 (Verkleidung), und S.231. <?page no="212"?> 202 Machometh" findet sich übrigens bei Santo Brasca, rund dreissig Jahre später, wieder; von Sanseverino hingegen hat Santo Brasca den guten Rat übernommen, sich nicht in Diskussionen einzulassen es stehe nämlich eine hohe Strafe darauf. 32 Gemäss der Interpretation der Adornos diente das Verbot der Glaubens-Diskussion nicht dem Schutz der Pilger, sondern im Gegenteil dem Schutz der islamischen Glaubensangehörigen vor der unwiderstehlichen Anziehungskraft des Christentums: Mittels Drohungen und mit dem blanken Schwert würden die widerstrebend Gläubigen zum Festhalten an ihrem Irrglauben gezwungen.3 3 Sie seien eben völlig verführt und verblendet: "Abersie haben Ohrenund hörennichts, sie sind gescheitund verstehen nichts. Unglückübersie bis ans Ende ihrerTage! .34 Offene Sympathie äussern Vater und Sohn Adorno wie schon Bertrandon de la Brocquiere für gewisse türkische Lebensformen wie etwa die hochgehaltene Gastfreundschaft es sei ja eine heilige Pflic~ Fremde zu bewirten, doch für die Türken sei sie die allerheiligste. Wiederum betrifft die Toleranz nicht die Religion selbst; der Islam konnte nach den Auskünften dieser beiden Pilger allein durch Erpressung, nackte Gewalt und die Leichtgläubigkeit des Volkes funktionieren. 36 Sebald Rieter und Hans Tucher waren sich zwar einig darüber, dass" ... der Türke" die Gegend von Morea in Griechenland "... sehr verdorben" habe. 37 Ansonsten halten sich die zwei Nürnberger Kaufleute mit negativen Bemerkungen zurück. Tucher gibt nebenbei bekannt, dass er in Alexandria "... von einem heiden mit ein brotmesserin den halss gestochen" worden sei, und auch sonst sei von den Einheimischen immer wieder "... vil widerwertigkeit" zu erwarten gewesen. 38 Felix Fabri, der berufsmässige Prediger, ist unter den Berichtautoren der. rhetorisch gewiefteste Propagandist wider den Islam. Was immer mit dem muslimischen Ritus zusammenhängt, wird von ihm in breiten Exkursen abgehandelt und nach Möglichkeit ad absurdum geführt. Der Fastenmonat Ramadan: Genau das Richtige für diese tierischen, allen fleischli- 32 Vgl. SANI'O BRASCA, S.140(wie CAPODILESTA, S.231), und S.129. 33 ADORNO, S.74: Jeden Freitag weisen angeblich die Priester in der Kirche den Koran und das Schwert vor, und sie sagen: "Das ist Euer Gesetz. Glaubt, glaubt, oder ihr werdet geköpft.• Dazu Jean: • Non ergo bonafide sed errore vel tremore credunt.• 34 ADORNO, S.66 ("verführt und verolendef'), und S.348: •... sed aures babent et non audiunt,intellectumbabent et non intelligunt.Ve illis in fine dierum suorum.• 35 ADORNO, S.324. 36 Völlig verständnislos stand Jean Adorno dem Weintrinkverbot gegenüber. Vgl. S.70: •Hoc micbi inter cetera suaprecepta artius (= grausamer) et minus humane conditioni conveniensvisumcst.• 37 Vgl. RIETER, S.10, und TUCHER, S.46. 38 TUCHER, ebenda (Brotmesser), und S.64. <?page no="213"?> 203 chen Genüssen zugetanen Menschen . 39 Oder sein Verdacht, die Sarazenen hätten geheime religiöse Zeremonien: perverse Ausschweifungen wahrscheinlich, durchs Band weg. 40 Ähnlich wie Symon Semeonis scheint Felix Fabri nach Möglichkeit auf Informationen aus erster Hand zurückgegriffen zu haben . Bei einem seiner Spaziergänge durch Jerusalem hörte er den Gesang von Knaben aus einer islamischen Gebetsschule nahe bei einer Moschee. Aus purer Neugier steckte er den Kopf ins Schulzimmer . ... ich näherte mich dem Eingang der Schule und spähte hinein, und da sassen sie geordnet auf der Erde und verkündeten ihre Sprüche alle gemeinsam mit lauter Stimme. Sie neigten dabei Kopf und Rücken, wie es auch die Juden beim Beten tun. Dabei wiederholten sie die Worte so oft, dass ich sie und die dazugehörigeMelodie im Gedächtnis behalten konnte. Das klang so: 41 · : t.. • ■ "••r,••.,l"h Ha y Ja Ha lyl Ja lach Ha y Ja Ha lyl Ja lach Ha y Ja Ha lyl la lach. Bruder Felix' Evagatorium ist eine unerschöpfliche Quelle auch für die gegenseitigen Sabotageakte, in die der kalte Glaubenskrieg zwischen Pilgern und Einheimischen für gewöhnlich auszuarten pflegte. Dass letztere gezielt alle Steinbrocken, welche die Pilger küssen wollten, mit Dreck verschmierten , vermochte der Ulmer Mönch alsStrafe Gottes für die Sünden der Christen noch zu akzeptieren. In rasende Wut versetzte ihn offenbar erst ein junger Sarazene, der einen Gottesdienst in Bethlehem sabotierte, indem er lachend den Messwein austrank. Noch bei der Schilderung der Freveltat gerät Fabri ins Stammeln: "Oh verdammenswerte Dummheit/ Oh verblendete Umnachtung! Oh sinnloser Wahnwitz! Etc. 1142 Rache ist süss: An dem Ort, den die Muslime alsGrabstätte von Jesus verehrten, brachte Fabri gleich mehrere Male und mit Absicht eine zu liturgischen Zwecken errichtete Steinbeige zum Einstürzen. Und zweimal geschah es, dass einer von Fabris Reisegefährten nachts heimlich auf das Dach einer örtlichen Moschee stieg, um durch die Dachluke ins Innere zu 39 Vgl. FABRI, Evag. 2, S.517: • 0 monstJuosum jejunium (=Fastenzeit) et carnslibus hominibus et bcstislibus aptum! ' · 40 Evag. 3, S.91: •... suspcctos habco Ssrrsccnos de sliquibus occultis twpitudinibus, quamvis ritus in sc manifeste sit pcssimus et turpissimus.• 41 Evag.1, S.322. 42 Vgl. Evag. 1, S.380 (Gottesstrafe), und 2, S.193. <?page no="214"?> 204 sch ... zum grenzenlosen Vergnügen seiner Kollegen. 43 Begleitet waren solche Scherze (sofern sie ans Tageslicht kamen) von temperamentvollen Unmutsäusserungen. Kurz: "Wirhaben sie auf deutsch verfluchtund sie uns auf arabisch.Und wederhaben sie uns noch wirsie verstanden. ,M Gelegentlich scheint der Prediger Felix Fabri bei der Niederschrift seines Berichtes dermassen in Rage geraten zu sein, dass die Rhetorik förmlich mit ihm durchbrannte da etwa, wo er zu einem historischen Rückblick auf die Zeit der Religionsgründung ansetzt: Zu dieserZeit hat Mohammed, der Teufelin Person,der Erstgeborene von Asmodeus, dem Sohn von Belial, derBote Satans, der Ve"äter der Welt und Verwin-er derMenschheit,der Zerstörerder l(jrche Gottes,der falsche Prophet,der Vorläuferdes Antichrist und der Antichrist selber, die Inkarnation jeglichen Irrglaubens,der Verdreherder göttlichen Gesetze, der Verfolgerder Gläubigen und der Ausbund sämtlicher Falschheit,angefangen, seinen Wahnsinnzu verbreiten(...). 45 Ins gleiche Horn stossen auch Bernhard von Breydenbach und sein Redaktor Martin Roth, die in einem Sonderkapitel ("Ders~acenen i"thumb unnd verfluchtGesatz") alle Gründe auflisten, um deretwillen man die Mohammedaner - und insbesondere Mohammed, diesen "Strassenräuber"und "Mörder", dieses ''unreinSchwein"hassen müsse. Die religiösen Gesetze sind erneut als Ausbund aller Verderbnis dargestellt, der Koran erfährt eine wenig schmeichelhafte Analyse, und den Anhängern des Islam blüht ebenso wie den Juden am Tag des Jüngsten Gerichts ein schlimmes Ende. 46 In diesem fremdbearbeiteten, zu didaktischen Zwecken aufbereiteten Text nach Zeichen von wohlwollender Neugierde oder gar Toleranz zu fahnden, wäre ein hoffnungsloses Unterfangen. Paul Walther von Guglingen gehört zu den zurückhaltenden Kommentatoren auch in religiösen Dingen; seine Verurteilung der "unanständigen" islamischen Bräuche erfolgt pauschal und kurzangebunden, und wo 43 Evag. 1, S.275 (Steinbeige ), und 2, S.228: • Mi/ esautempraefatusnocte surgensascendit super testudinem muscheae,et per foramen in eam sterr: orizavit; magnuum inter nos risumconcitavit, libenteretiam vidimusomnes.• Und ähnlich 2, S.358. 44 Evag. 2, S.408: • Nos enim maledictionesteutonicasintulimuset ipsi nobis arabicaset conclamavimus, necipsi nos, necnos eos intelleximus. • 45 Evag. 2, S.242: •E! o temporeMachometus,diabolusincamatus,primogenitusAsmode4 filius Belia~nuntiusSatanae,deceptororbis,confusiomundi, destructorecclesiae De4 propheta falsus,praecursorAntichristi et Antichristus,complementumhaeresium,corruptor divinazumJegum,persecutor fidelium ac totius falsitatisprodigium, vesaniam suam ostentarecoepit" 46 BREYDENBACH, fol.75b-88a. Die Mohammedaner werden demnach• .•. zuletzt in die eusserlicheFmstemuss/ zuihrem vcrdamptenProphetenohne zweiffelewigvctstossen. • <?page no="215"?> 205 der Leib Mohammeds Erwähnung findet, ist er selbstverständlich "... maledictus". 47 Gänzlich frei von solchen Topoi erscheint anfänglich der Reisebericht des Konrad von Grünemberg. Noch den Belästigungen durch spottende Einheimische vermag Konrad mit milder Ironie zu begegnen. Nach der Ankunft des Pilgerschiffs beispielsweise, unterwegs von Jaffa nach Jerusalem, hatten ... die Heiden und verleugneten Christen (=die Mameluken) ihre Fastnacht und Freude mit uns und lachten und schrien über uns Schubuppup, Schubuppup, und ritten vor und neben uns bei anderthalbhundert Pferden. Unter denen sahen wir manchen feinen Gesellen, dem sein edles Benehmen trefflich und gar schön anstand (...). 48 Seine neutrale Schilderung der islamischen Sitten übernimmt zwar Gemeinplätze, sucht aber von Fall zu Fall nach Entschuldigungen für das seltsame Gebaren. Ein Beispiel: Dass die Sarazenen, Türken und Heiden Unzucht mit Tieren treiben würden, glaubt er unbesehen. Doch er schreibt dazu, es sei eben nicht jeder "... geschickt und fähig" genug, eine Frau zu gewinnen. Und er relativiert, die "... frommen Heiden ihres Glaubens" (man beachte die Wendung! ) seien auch dagegen. 49 Die Mameluken finden sich beschrieben als "... ein Teil gar treffliche, hübsche Gesellen in ihrem feinen Benehmen" inwieweit bei diesem Kompliment ehrliche Auffassung und inwieweit Sarkasmus mit im ~iel ist, mag ein Vergleich mit der entsprechenden lliustration enthüllen. Jedenfalls holt der ideologische Glaubenskrieg auch diesen neugierigen Ritter noch ein, und zwar in Hinblick auf ebendiese Mameluken: ... dass recht viele verleugnen und zu ihrem schändlichen, bösen Glauben kommen, hat der grosse Ketzer und Schelm und Feind unsers wahren, echten, christlichen Glaubens (=Mohammed) solchen Verleugnem Gottes viel Freiheit vor andern Heiden zugestanden. 51 Pietro Casola ist in seinem Fazit kurz angebunden und kaum misszuverstehen: Mit einem Mohammedaner über den Glauben diskutieren zu wollen, sei sinnlos, denn sie seien leicht reizbar. Er selber gibt sich mit der Bemerkung zufrieden, "... sie mögen so grossartigund gelehrt sein, wie Du 47 WAL'TIIER, S.235 (islamische Bräuche), und S.247. 48 GRÜNEMBERG, S.69. 49 GRÜNEMBERG, S.128. 50 GRÜNEMBERG, S.130. 51 Ebenda. <?page no="216"?> 206 willst; in ihrer M sind sie eben doch wie Hunde. "5 2 Immerhin wusste der kunstsachverständige Mailänder die Kulturgüter der "... grossartigen und gelehrten"Muslime zu schätzen, Glaubenskrieg hin oder her. Francesco Suriano misst in seinem "Traktat" die islamischen Lebensweisen, ob kult- oder alltagsbezogen, direkt an den entsprechenden christlichen Bräuchen und lässt keine Zweifel offen, welchen er den Vorzug gibt: Wenn sie beten, wenden sie sich nach Süden gegen das Grab Mohammeds, während wir und nach Osten und die Juden sich nach Westen wenden. Die Mlinner tun die Hausarbeit und schleppen Wasser und weben, und die Frauen erledigen alles Geschäftliche. Die Frauen tragen Lasten auf ihren Schultern, und die Mlinner tragen sie auf dem Kopf. Die Mlinner essen im Sitzen, die Frauen im Stehen. Väter sind verpflichtet, ihre Töchter, nicht aber ihre Söhne, zu ernähren - und eher noch die Bastarde als die legitimen. Ihre Barbiere sitzen bei der Arbeit, und die Kunden stehen. Sie trinken den ganzen Tag, nur nicht, wenn sie essen. Sie waschen andauernd ihre Hlinde, und ihre Hlinde sind doch immer schmutzig. Die Frauen tragen nur ein Gewand, die Mlinner tragen deren drei oder vier. Zum Zeichen der Ehrerbietung nehmen wir die Kopfbedeckung ab, sie die Schuhe. Die Frauen tragen Hosen, und die Mlinner gehen ohne. Im Monat Lent (=Oktober) essen wir am Tag, sie aberfasten bei Tag und fressen wie die Tiere bei Nacht. Wir adressieren einen Brief erst, wenn er geschrieben ist, sie aber fangen mit der Adresse an. Wir urinieren im Stehen, sie niedergehockt wie die Weiber. Wir mögen Hunde, sie Katzen. Wir trinken Wein, sie Wasser. (...) Um der Kürze willen lasse ich vieles andere weg. Und ich fasse zusammen: Wenn sie könnten, würden sie rückwärts gehen, nur um sich von uns zu unterscheiden. 53 Hieronymus Münzer begegnete dem Islam im Süden Spaniens und bleibt in seiner Beurteilung zwiespältig zwar anerkennt er die Religion keineswegs und erinnert an die siegreiche Reconquista, doch er rühmt die Sarazenen gleich mehrmals für ihr technisches Geschick im Kanalisationsbau.54 Milde (beziehungsweise eine bemerkenswerte Zurückhaltung, was Negativurteile betrifft) legt Arnold von Harff in seinem Bericht an den Tag. Allerdings ist es eine Milde mit missionarischen Hintergedanken, damit nicht etwa mit Toleranz zu verwechseln: 52 Vgl. CASOLA, S.257/ S.69. 53 SURIANO, S.203-204/ S.199-200. 54 Vgl. MÜNZER, S.99(Reconquista), und S.40bzw.S.54. <?page no="217"?> 207 Dan ich sayn dir in der waerheyt, dat die heyden nyet van vnsem heren Jhesu ind van vnser lieuer vrauwen »yssen zo sagen, as men in deme lande nyet predicken en moyss. as ich idt in der waerheyt wael dar vur halde, dat men in deme lande predicken moechte sij weren balde zo bekeren, als sij gar licht/ ich geleuuen (=glauben). 55 Bemerkenswert die Logik des Ritters: Gerade weil die "heyden" so besonders leichtgläubig seien, liessen sie sich womöglich ohne grosse Anstrengung zum christlichen Glauben bekehren. Der Kaplan des Sir Richard Guylforde schrieb zu einer Zeit (1507), da die akute Türkengefahr für den Westen grösser war als je zuvor. Die Existenz der Andersgläubigen liess sich weder durch fromme noch andere Wünsche aus dem Gesichtskreis verdrängen; im Bericht des Anonymus ist sie als einfach, gewissermassen als status quo, gegeben. Das Augenmerk des Kaplans richtet sich anstatt auf Grundsatzfragen auf die aktuelle Problematik, und zweimal nimmt der Bericht indirekt Bezug auf sie. Unmissverständlich politisch ist die Bemerkung, die Türken hätten doch genug angestammtes Hoheitsgebiet und bräuchten nicht auch noch Griechenland, "... with many other countreys", zu besetzen. 56 In Jerusalem fiel dem Kaplan auf, wie sehr doch die Lateiner im Heiligen Land in der Minderheit waren die "SOllasyns" und die übrigen neun christlichen Kongregationen beiseite gelassen, zählte er ledig! ich um die dreissig "... Catholyk criste men" mit festem Wohnsitz der Stadt. 57 Als (beredtes) Beispiel für die Ansichten der vier Eidgenossen von 1519 in Glaubensdingen mag erneut Heinrich Stulz dienen: Seine pauschalisierte negative Meinung zum Islam zieht sich wie ein roter Faden durch den Bericht. Bereits im Hafen von Jaffa begegnet dem Leser ein" ... unreiner mentsch", und er entwickelt sich alsogleich zum" ... boesen keiben", als er Geld von dem Engelberger Mönch fordert. 58 Andere ''Keiben" hatten nach der Rückeroberung der christlichen Kreuzfahrer-Stützpunkte eine Kichenruine abgetragen, um mit den Steinen ihre Häuser zu bauen. 59 Was die Belästigungen durch die Einheimischen betrifft, geht der Engelberger bis in die pikanten Details: "... und zuon zitten hattent sy eim 55 HARFF, S.105; eine neutrale Beschreibung der islamischen Sitten und Riten S.99-102. 56 Vgl. ANONYMUS, S.13: "And all the countrc ofTroya is the Turkes owne countrc by inhezytance, and that countre is properly called nowe Turlcey; and none other. Neuerthelassc he hath lately vsvrped Grcce, with many other countrcys, and caJJeththeym aJJ Turkey.• 57 ANONYMUS, S.23: Die Sarazenen zählt er nicht zu den neun in Jerusalem wirkenden Glaubensgemeinschaften, •... for they; by supportacion of the Mamoluke, haue all the Cytie and londe and aJJother secte in their gouemaunce, thraldome, and subjeccyon (. .. )." 58 SfULZ, S.236. 59 SfUI.Z, S.244. <?page no="218"?> 208 den ars dar und liessent ein furcz gegen eim, das inen ein froitt was und schud ( =schadete) uns nitt Jill." Oder, anlässlich der gemeinsam mit Melchior Zur Gilgen durchlittenen Nacht in einer Grube bei Jaffa: "... und lüffent die schelmen ze ring umm uns alsamen und mitt lob seichttent uff uns. ,.60 Melchior Zur Gilgen verschweigtübrigens die Episode. Dass die christlichen Pilger ihre Verachtung umgekehrt nicht viel subtiler zeigten, hat sich schon gezeigt. Bleibt Heinrich Wölfli er scheint Verständnis für die muslimischen Bewohner des Heiligen Landes aufgebracht zu haben und qualifiziert den Pilgertourismus als eine den Einheimischen willkommene Geldanlage. Arme Leute seien es, die ihre Esel an die Pilger vermieten würden, schreibt er. Doch den betenden Muezzin fand er eine Zumutung (er "... schrie mehr"), und die islamische Religion nennt er kurz und bündig eine "... Mahometische Unsinnigkeit"). 61 Es gab neben den Angehörigen des Islam noch weitere Opfer der konstanten Verachtung durch die abendländischen Pilger; die Juden gehörten dazu und überdies sämtliche Repräsentanten der Ostkirche, die vor allem den Geistlichen unter den Pilgern zur Zielscheibe grimmiger Hasstiraden geraten. Gemäss dem Pauschalurteil von Arnold von Harff taten die Juden nichts anderes als" ... bedriegen ve"aeden ind vmbringen" das Vokabular ist unschwer als biblisch vorgegebenes und damit ideologisch vorbestimmtes zu erkennen. 62 Das drastischste Beispiel einer institutionellen, sprich kirchlichen Empörung gegen die Ostchristen, diese "... Häretiker und Schismatiker", ist einmal mehr Felix Fabri. Dafür spricht eine bezeichnende Episode, die sich offenbar erst nach seiner zweiten Rückkehr aus dem Heiligen Land zutrug. Ein Mönch des Sinaiklosters begab sich da nach Europa, um Spendengelder für die Restauration des Klostergebäudes zu sammeln. Er kam auch nach Ulm in der Hoffnung, hier einen wohlmeinenden Fürsprecher zu finden. Stattdessen wetterte Felix Fabri derart von der Kanzel herab gegen den armen "... anathematizatus" (Verfluchten), dass dieser die Stadt überstürzt in der Angst vor Verfolgungverliess. 63 60 Vgl. srurz, S.241 (Furz), und S.248. 61 Vgl. WÖLFLI, S.44 (F.sel), S.64 (Muezzin), und S.32. 62 HARFF, S.160.Ludolfvon Sudheim erwähnt übrigens in der Paderbomer Version seines Berichtes die Judenverfolgungen im deutschen Reich anno 1348-1349(SUD HEIM, S.99; dazu DELUZ, Ed.Boldenscle, S.38 und Anm.S), und Pierrc Barbatrc war 1480 Augenzeuge, als die Leiche eines zuvor unter Mordverdacht stehenden Juden öffentlich geschändet wurde (BARBATRE, S.108; dazu auch ESCH, Gemeinsames Erlebnis, S.394 und Anm.28). 63 Die ganze Episode: FABRI, Evag. 2, S.506-507. <?page no="219"?> 209 5.5.3. Der Fremde als Gesprächspartner: Ist Toleranz lernbar? Der tägliche Kontakt mit einzelnen Muslimen (die in den weitaus meisten Fällen dem einheimischen Pilgerpersonal zuzurechnen waren), veranlasste die Pilger immerhin dazu, dem einen oder anderen Anhänger der verhassten islamischen Religion gegenüber eine etwas wohlwollendere Haltung einzunehmen. Aus einem kurzzeitigen Dienstverhältnis konnte sich durchaus ein (kurzzeitiges) Freundschaftsverhältnis entwickeln - oder auch das Gegenteil: Und hiess min eseltriberObohey,gar ein boeser, ungeschafnerbueb, und hatt ouch den grind,dett mierfil lydesan mit hoeischen ( = Ansprüche stellen), denn zuo essen,denn zuo trincken (...) Es was kein ruowby imm. 64 Ein wegkundiger Führer und Dolmetscher aus Rama mit Namen Said findet lobende Erwähnung bei Niccolo da Poggibonsi ("... er war ein aufrechterund guter Mann, gemessen daran, dass er mohammedanischen Glaubens war"),aber auch volle 35 Jahre später bei den beiden Florentinern Lionardo Frescobaldi und Simone Sigoli: ... und sein Name warSaeto. Er warein alterMann von 70Jahren,und er war,für einen Sarazenen,ein rechtguterMensch. Er hat mir erzählt, dass er in seinem Leben die Pilger,die nach dem Kathrinenklosterund zum Heiligen Grab gezogenseien, siebenundsechzigmalbegleitethabe, diesesMal nicht mitgerechnet. 65 Margery Kempe hatte etliche Machtkämpfe mit dem aus England mitgebrachten Dienstpersonal auszufechten: Die Bediensteten weigerten sich beispielsweise, Margerys Verzicht auf fleischliche Kost mitzumachen. Schon vorher "... sagteauch ihrepersönlicheDienstmagd,sie ertragees nicht länger,in ihrerGesellschaftzu reisen. 1166 Im Heiligen Land aber fand die von ihren Begleitern verstossene Pilgerin Hilfe und Solidarität bei den Einheimischen, die sie mit Respekt behandelten. Die Unterstützung ging 64 Soweit der Kommentar von Heinrich STIJIZ, S.237, zu dem Netvenkrieg, den er offenbar mit seinem Escltrciber ausfocht. 65 Vgl. POGGIBONSI, 2, S.116, FRESCOBALDI, S.31-32, und SIGOU, S.170: "... e aveva nome Saeto, uomo anticodi bene 70anni, ed era, sccondoSaradno,assaibuon uomo, e dissemiehe d suoidi egliaveafatto scorta li pellegrinieheandavanoa Santa Caterina e a/ Santo Sepolcrosessantascttevoltc,senzaquellaehe veniaconnoi.• 66 Vgl. KEMPE, S.63, und S.61-62: •... & hir 0111'1 maydenalsoseydensehe xuld no Jengar gon in her felaschep, & thei scyden thei woldynhan a-weyhyr maydenfro hir that sehe xuld no strumpet ( = Dime) be in hyreumpany." <?page no="220"?> 210 so weit, dass ein Sarazene gegen Bezahlung, ist anzunehmen die erschöpfte Engländerin unter den Arm nahm, um sie auf den Gipfel des Quarantäne-Berges zu tragen. 67 Kein Wunder, lautet Margerys Fazit anlässlich weiterer ihr erwiesener Wohltaten seitens der ansässigen Bevölkerung: "... und sie fand, alle Völker hätten sie,J"t und zuvorkommend behandelt, ausgenommen ihre eigenenLandsleute.' Bertrandon de la Brocquiere hatte auf seiner Heimreise über Land ausgiebig Gelegenheit, in den Genuss der türkischen Gastfreundschaft zu kommen. Wohltätige Muslime begegneten ihm bereits, als er auf dem Weg durch die Wüste krank wurde und deswegen seine Sinai-Expedition abblasen musste. Einer der Araber, die die Reisegruppe eskortierten, nahm den Fiebernden kurzerhand zu sich nach Hause: Und da (in der Zeltsiedlung der Araber) konnte ich mich etwa sechs Stunden ausruhen. Da sie sehen konnten, dass ich sehr krank war, kamen Bekannte meines Begleiterszu viert oder zu fünft, um mir vom Esel herunterzu helfen. Sie betteten mich auf eine Matratze, die ich bei mir hatte, und dann behandelten sie mich nach ihrer Methode: Sie kneteten und kniffen mich solange mit ihren Händen, bis ich vor Müdigkeit und Erschöpfung einschlief. Und sie stahlen mir nichts und krümmten mir kein Haar wie sie es leicht hätten tun können, wenn sie gewollt hätten. Ich hatte nämlich zwei Kamele bei mir, beide mit Wein und Fleisch beladen, und dazu gut zweihundert Dukaten. 69 Als Bertrandon später den Beschluss fasste, sich der von Mekka heimkehrenden Pilgerkarawane eines Türken namens Hoyabarach anzuschliessen, schrieb ihm ein sprachgewandter Jude die wichtigsten türkischen Begriffe auf einen Zettel. Also verlangte er auf türkisch für sein Pferd Gerste und Häcksel mit dem Ergebnis, dass die umstehenden Türken den stotternden Fremdling mit seinem Zettel auslachten, sich über die seltsame Schrift 67 KEMPE, S.74. Franceso SURIANO, vermerkt in seinem "Trattato", S.131/ S.118, die Sarazenen hätten eine besondere Verehrung für die Nonnen des Bizoche-Klosters, die in Jerusalem für die Pilgerinnen sorgten. Sie würden denselben Respekt aber auch anderen Frauen, seien sie christlichen, jüdischen oder islamischen Glaubens, erweisen. 68 KEMPE, S.75: •Also the Sarazinesmad mych of hir & conueyd hir & Jcddynhir abowtyn in the cuntrcwhersehewoldgon. & sehe fond alle pcpyl good on-to hir & gcntyl saf only hir ~ cuntrcmen. • 69 BROCQUIERE, S.23: •Et Jarcposayenviron six heures; et Vo/ ßDS ma ! orte malladie, vinrcnt quatrc ou cinq de Jacongnoissance de celluy qui me conduysoit et me feisrcnt descendrc de mon asne et me feisrcnt couchiersur ung matrasque je portoys et me medecynercnt a Jeurguyse, et mepestrirent et me pinchercnttant de Jeursmainsque, de forr: e de travaiJ, je niendormys. Et ne niostercnt riens, ne me feisrcnt nuJ despJaisir qli ilz eussentpeu faire s ilz eussent vouJu,carj avois deux camelzchargiez de vin et de viandes et si a~ biendeuxcensducas. • <?page no="221"?> 211 auf dem Zettel wunderten und spontan beschlossen, ihn "richtig" Türkisch zu lehren: Von da weg gaben sie sich dermassen Mühe, mir die Sprache beizubringen, dass sie mir einen Begriff so lange und auf so verschiedene Art und Weise vorsagten, bis ich nicht anders konnte, als ihn im Gedächtnis zu behalten. Und als ich von ihnen wegging,konnte ich das meiste von den Dingen, die ich für mich und für mein Pferd brauchte, (auf türkisch) verlangen. 70 Unterwegs wurde der burgundische Adelige von türkischen Reisegefährten aufgefordert, Wein zu besorgen, was er umgehend tat. Als sie ihn aber zum Mittrinken einluden, brachte er sich in eine missliche Lage, denn er hatte lange vor ihnen genug. Seine Weigerung, weiterzutrinken, versetzte die nicht mehr ganz Nüchternen in helle Wut. Endlich liess ihn einer, "... mit dem ich sehr gut befreundet war, und der mich 'kardays', das heisst 'Bruder', nannte'~ laufen und erklärte sich bereit, Bertrandons Anteil an den folgenden Runden mit zu trinken. 1171 Und so geht es weiter es kam zum gemeinsamen Besuch eines Bades und sogar zum theologischen Gespräch, als die Muslime sein Interesse an ihren Gebeten zur Kenntnis nahmen und umgekehrt "... sehr befriedigt schienen, als ich ihnen mein Vaterunser vorsagte, welches ihnen wie ein Wunder vorkam. 1172 Nur aus diesen direkten Kontakten lassen sich jene bemerkenswert toleranten Äusserungen herleiten, die Bertrandons Kommentare zur türkischen Lebensart prägen. An die eigene Toleranz (und diejenige des Lesers) appelliert sein Kommentar, wo er den Abschied von einem guten mamelukischen Freund (der ihm die Reise mit der Karawane ermöglichte und ihm unterwegs Schutz gewährte) schildert: Ich schreibe dies, um mir in Erinnerung zu rufen, dass mir ein Mann nicht unseres Glaubens zur Ehre Gottes soviel Gutes getan hat. 73 Hier hat ein Pilger, wenn auch nicht unbedingt in dieser Eigenschaft, ein bisschen Rücksicht auf die (religiösen) Gefühle anderer gelernt, indem er mit den "Fremden" ass und schlief, ihre Sprache sprach (oder zu sprechen 70 Die ganze Episode BROCQUIERE, S.63-64. Schluss: • Depuis celleheure, ils furent sy embesoingniezde rrl apprendre II parler qliilz me disoient tant de fois une chose et en tant de manieresqli il falloit que je Jareteinsse.Et quantje me party d eulx,je savoye demanderJapluspart de toutes / es chosesqui rrl estoyent necessairespour mcy,et pour mondit cheval." 71 BROCQUIERE, S.79-80. 72 BROCQUIERE, S.96. 73 BROCQUIERE, S.121. <?page no="222"?> 212 begann) und ihre Kleider trug dieselben Kleider, in denen er nach Abschluss der Balkanreise vor seinen Herzog, trat, um Bericht über die militärische Stärke des Feindes zu erstatten .... 4 So weit wie Bertrandon de la Brocquiere hat sich kein anderer spätmittelalterlicher Pilger den jeweiligen Landessitten angepasst, doch gingen ein paar der oberflächlichen Kontakte unversehens tiefer. Hans Bernhard von Eptingen verschaffte sich die Freundschaft eines" ... jung Heidlein",indem er den Knaben auf seiner Flöte spielen liess. Und Felix Fabri schätzte sich glücklich, als er anlässlich seiner zweiten Heiliglandreise den Eseltreiber vom ersten Mal wiederfand - "... wiewol er schwartzvnd grausam/ ichwas von angesicht vnnd gestalt. 1175 Den bewährten, hochbetagten Reiseführer Elphahallo scheint anlässlich einer gemeinsamen Mahlzeit auch Paul Walther von Guglingen sympathisch gefunden zu haben; Felix Fabri aber verleiht dem Schmerz über den Abschied von Elphahallo bewegten Ausdruck: Ich schäme mich zu sagen, dass ein paar Pilgerbei seinerAbreise (in Kairo) Tränen in den Augen hatten.Aber eben: Er warfür uns wie ein Vater,und wirbliebenzurück,wievon unserem Vaterverlassen. 76 Dass eine Pilgerreise wie im Falle von Bertrandon de la Brocquiere gewissermassen zum Sprachaufenthalt umfunktioniert wurde, darf als reine Ausnahmeerscheinung gewertet werden. Andererseits ist das Interesse an fremden Alphabeten und Vokabularen erstaunlich oft bezeugt. Die Frage ist, ob diese Wissbegierde irgendwelche praktischen Zwecke verfolgte oder ganz allgemein auf jene schon erwähnte "zweckfreie"Neugierde, jene Lust am Exotischen und Exklusiven, zurückzuführen ist. 77 74 Vgl. den Rapport zum Schluss des Berichts: BROCQUIERE, S.260-261. Zur ambivalenten Haltung Bcrtrandons gegenüber dem Islam als einer faszinierenden Welt einerseits und einer akuten Bedrohung des christlichen Westens andererseits vgl. auch SURDEL, S.334-335. 75 Vgl. EPTINGEN, S.390-391,und FABRI, Evag.1, S.208,bzw. FABRI dt., fol.32b. 76 FABRI, Evag. 3, S.32: "Pudet me dicere,quod in ejus recessupropter tristitiamaliqui percgriniJachrimati sunt, quiaerat nobissicutpater, et in ejus recessuquasiorbatipatrc mansimus." 77 HIPPLER, S.83, denkt mehr an eine ergänzende Funktion der Sprachbrocken im Sinne einer lautmalerischen Illustration der Reise-Atmosphäre. Sie zitiert dazu Johann Geiler von Kaysersberg, der sich dagegen aussprach, aus purer Eitelkeit Sprachfetzen als exklusive Reise-Mitbringsel herumzureichen. Vgl. dessen Schriften "Der Bilger mit seinen Eygcnschaften auch Figuren", ed. LDACHEUX, in: DERS.(Ed.}, Die ältesten Schriften Geilers von Kaysersberg, Freiburg 1882, und "Der christliche Pilger", ed. PHILIPPE DE LORENZI, in: DERS.(Ed.), Geilers von Kayserberg ausgewählte Schriften nebst einer Abhandlung über Geilers Leben und echte Schriften, Bd.3, Trier 1881/ 1883. <?page no="223"?> 213 Die Forderung, sich mit fremden Sprachen auseinanderzusetzen, hat bereits um 1300 der katalanische Franziskanermönch Ramon Lull erhoben . Er schlug vor, Seminarien für orientalische Sprachen einzurichten, um so die Mentalität des verhassten Erbfeindes besser verstehen (und bekämpfen) zu können. 78 Mehrheitlich unterhaltende Absichten dürften hingegen hinter . Jean de Mandevilles fremdsprachigen Alphabeten gesteckt haben: In einigen Handschriften seines "Reiseberichts" fmden sich derartige Zusammenstellungen , darunter das griechische und hebräische , das sarazenische neben einem sehr phantasievollen chinesischen sowie ein "pentexorisches" Alphabet. 79 Er gibt auch, wie nach ihm beispielsweise Konrad von Grünemberg und Arnold von Harff, eine phonetische Umschrift des islamischen Glaubensbekenntnisses mitsamt Übersetzung wieder: "Lalelech,ella, alla, Machmeth rosol, alla hoch." - ''Es ist nit wann ain got, und Machmettsin warerbott. 180 Für die internationale Sprachforschung bieten die Pilgerberichte ein reiches und noch lange nicht ausgeschöpftes Quellenmaterial. Das gilt besonders für die Entwicklung des jeweiligen Aussprachemodus, geben doch die Berichtautoren einen sprachlichen Eindruck (annähernd) so wieder, wie sie ihn damals zu hören vermeinten. 81 Fremdsprachige Alphabete, zum Teil mit lateinischer Umschrift, finden sich in den Berichten William Weys, 82 der beiden Adornos, 83 bei Paul Walther von Guglingen, 84 Bernhard von Breydenbach, 85 Arnold von Harft86 und Ludwig Tschudi . 87 Symon Semeonis liefert vereinzelte griechi- 78 Vgl. zuletzt SCHNEIDER, S.40 (zu Ramon Lulls Forderung nach Sprachschulen) , und DELUZ (Ed.Boldensele), S.62 (Ramon Lull als Propagandist für einen neuerlichen Kreuzzug) . Weiterführende Literatur: B.ALTANER, Glaubenszwang und Glaubensfreiheit in der Missionstheorie des Raymundus Lullus, Ein Beitrag zur Geschichte des Toleranzgedankens, in: Historisches Jahrbuch 48, 1928, S.586-610, und E.W.PLATZECK, Raimund Lull, Sein Leben - Seine Werke die Grundlagen seines Denkens , 2 Bde, Düsseldorf 1962-1964. 79 Dazu LE'ITS, Sir John Mandeville, London 1949, S.151 ff sowie Abbildung, S.144. Auf die Entwicklung der griechischen Sprachkenntnisse innerhalb der Levante geht VAN DER VIN, S.171-181, ein . 80 Vgl. MANDEVILLE, S.92; ähnlich GRÜNEMBERG, S.123, und HARFF, S.105. Der Satz lautet phonetisch "richtig" in etwa: "Läh ill! hi illallah wah Moh_! mmed rass_! ! _I allah ." 81 Vgl. dazu die in Kap .3 aufgelistete Spezialliteratur und ausserdem die zwei eingehenden Studien in KOHLER, 2, S.145-150 ("Arnold von Harff linguiste"), und KHATTAB, S.282-325 ("Die arabische Sprache bei Breydenbach, Harff und Grünemberg"). 82 Vgl. WEY, S.102: •... pro illis qui volunt legere Grccum, scribam alphabctum.• Das hebräische Alphabet : S.116. 83 ADORNO, S.92: Arabisch, mit lateinischer Umschrift. 84 Die vier verschiedenen Alphabete sind leider nicht in der vorliegenden Ausgabe enthalten. 85 Es sind sieben verschiedene, von Erhard Rcuwich gezeichnet . Vgl. dazu: GECK, Ab bildungen S.25 und 29, und KHATTAB, S.282 ff. 86 Er kopierte alle nach Erhard von Reuwichs Vorlagen. Vgl. dazu KOHLER, 2, S.146. 87 Laut SCHÖNENBERGER; Die Jerusalemfahrt des Ritters Ludwig Tschudi , Mets 1949, S.21, sind es im Manuskript elf Stück . <?page no="224"?> 214 sehe und hebräische Volks- und Kongregationsbezeichnungen, Konrad von Grünemberg nur gerade die arabische Umschrift seines Namens und die des Namens seines Knechts. 88 Echte phonetische Wörterverzeichnisse haben hingegen William We~ 89 Sebald Rieter, 90 Eustache de la Fosse, 91 Bernhard von Breydenbach, natürlich Arnold von Hartf3 und endlich Hans Stockar 94 vorzuweisen. Der niederdeutsche Ritter Arnold von Harff war zwar nicht der erste unter diesen "Sprachforschern", gewiss aber der gründlichste. Seine neun Wörter- und Zahlenlisten sind (im Gegensatz zu den sieben gezeichneten Alphabeten) offenbar weitgehend "vor Ort" entstanden, und ebenso die auf einen praktischen Nutzen hin ausgerichteten Polyglott-Sätze in: slowenischer, albanischer, griechischer, arabischer, hebräischer, türkischer, ungarischer, baskischer und bretonischer Sprache . Die statistisch häufigsten und wohl unterwegs meistgebrauchten Sätze sind: "Waskostet das? " und "Ich will es kaufen." Ge sechsmal), gefolgt von "Wienennt man das? " und den Grussformeln "GutenMorgen"und "Guten Abend". Bis auf die schon erwähnten häufigen Nachfragen nach weiblicher Gesellschaft im Bett (auf slowenisch, griechisch, arabisch, hebräisch und baskisch) ist das Vokabular durchaus mit demjenigen eines modernen Durchschnitts-Touristen vergleichbar. Zu den Fragen nach den landesüb lichen Warenbezeichnungen und -preisen gesellen sich solche nach Unterkunftsmöglichkeiten, nach dem Weg zur Stadt, nach dem lokalen Geldwechselkurs und nach der Möglichkeit der Kleiderreinigung ("Waschmein Hemd! "). Bezeichnend scheint in diesem Zusammenhang ein Umstand zu sein, der die (nicht nur sprachlich) intensiven Kontakte eines Bertrandon de la Brocqui~re, eines Arnold von Harff, erst ermöglichte. Beide verkleideten sich (Bertrandon als Türke, Arnold je nach Gegebenheit als venezianischer Kaufmann oder Mameluk) 95 und legten mit dem Pilgerhabit zumindest für eine Weile auch den Pilgerstatus ab. Echte Begegnungen mit Angehörigen der islamischen Religion waren offenbar mit der Rolle des Pilgers nicht zu vereinbaren. Und Misstrauen 88 Vgl. SEMEONIS, S.54 (dazu: David Wasserstein, Semitic Terms in the Itinerarium Symonis Semeonis, in: Peritia 2, 1983, S.215-224), und GRÜNEMBERG, S.68. 89 Vgl. WEY, S.102-116 (häufig gebrauchte griechische Wörter und Sätze, die Zahlen, ein alphabetisch von A bis Z geordnetes Wörterverzeichnis, hebräische Begriffe, das hebräische Alphabet), und S.140-142 (weitere griechische Begriffe). 90 RIETER. S.148: Die arabischen Zahlen . 91 POSSE, S.182: Wortbeispiele in einer mir unbekannten Sprache . 92 Er liefert (fol.llSa-b) 200 arabische Wörter nebst den Zahlen von 1 bis 30. Vgl. dazu: KHATIAB, S.295 ff. 93 Vgl. die Spezialliteratur unter Kapitel 3 bezüglich Arnold von Harff. 94 STOCKAR, S.13: Fünf Zeilen lang •... Sprachender Hiaden". 95 Vgl. HARFF, S.85, und S.205. <?page no="225"?> 215 oder gar offen zur Schau getragene Abscheu gehörte mit zum traditionellen Erscheinungsbild eines Pilgerberichtes. Toleranz lässt sich allenfalls in Ansätzen feststellen, ist dann aber in der Regel leicht als "Missionstoleranz" oder (vor allem bei den bürgerlichen Pilgern wie Sebald Rieter und Hans Tucher) als "Kaufmannstoleranz" zu erkennen. So oder so dürften ideologische wie kommerzielle Interessen hinter dem scheinbaren religiösen Desinteresse gestanden haben. Daraus auf eine allgemeine Zeitströmung zunehmender religiöser Toleranz zu schliessen, scheint mir gewagt und (in Anbetracht der weiteren Entwicklung des zur selben Zeit anbrechenden Kolonisations-Zeitalters) allenfalls Wunschdenken zu sein. 96 5.5.4. Nationalstolz und Fremdenhass Bleiben wir einen Moment bei Claudia Zrenner: In ihrer Vergleichsstudie zu den europäischen Pilgerberichten zwischen 1475 und 1500 stellt sie eine Frage, die verlockende Perspektiven eröffnet. "Sollten sich in den Aufzeichnungen nur die ständischen und individuellen, also vor allem die von Bildung und Beruf des Verfassers abhängigen Merkmale nachweisen lassen, so wäre eine der Ausgangshypothesen dieser Arbeit bestätigt, nämlich dass die regionale Herkunft des Reisenden keinen wesentlichen Einfluss auf seine Sicht, seine Interessen, Ideale und Werturteile, ausübt; somit könnten die Berichte der europäischen Pilger des 15. Jhs., und wahrscheinlich des gesamten Mittelalters, als eine über die Sprachgrenzen hinausreichende Einheit erfasst werden. Dies würde die kulturelle Einheit Westeuropas im ausgehenden Mittelalter bezeugen. 1197 Später sieht Claudia Zrenner diese Hypothese dahingehend bestätigt, dass sich zwar die ständischen Unterschiede als prägend erwiesen hätten, dass sich die regionale Herkunft des jewe~n Autors hingegen kaum auf Inhalt und Form der Darstellung auswirke. Da nun irrt die Literaturhistorikerin doppelt: Tatsächlich treten die regionalen Unterschiede deutlicher zutage, sobald der Untersuchungszeitraum vergrössert wird. Im 14. Jahrhundert schon schrieben italienisch sprechende Pilger so beredt und geprägt von persönlichen Ansichten wie deutsch sprechende Pilger erst im ausgehenden 15. Jahrhundert. 96 Vgl. ZRENNER, S.122 ("... als Kaufleute waren sie an konfessionellen Unterschieden kaum interessiert"), und S.146 ("... gleichzeitig wird an den Pilgerberichten deutlich, dass durch den wachsendem Kontakt mit fremden Völkern auch religiöse Toleranz entsteht.") 97 ZRENNER, S.123. 98 ZRENNER, S.145. <?page no="226"?> 216 Zum anderen ist das, wofür der spätmittelalterliche Pilgerbericht als Spiegel steht, bestimmt nicht die" ... kulturelle Einheit Westeuropas". 99 Im Gegenteil: Es spiegeln sich in diesen Texten kulturelle Unterschiede, die zum Teil in geradezu krasser Weise als gegenseitige national(istisch)e Vorurteile und Selbstabgrenzungen in Erscheinung treten. 100 Dazu ein paar Beispiele: Wie bereits erwähnt, liess sich Felix Fabri auf dem Gipfel des Katharinabergs zu patriotischen Heimatgefühlen hinreissen, die er mit bemerkenswertem Pathos schildert. Erinnern wir uns auch an die Santiagofahrer Gabriel Tetzel und Hermannus Künig von Vach: Ihren Texten zufolge hatten die Frauen im spanischen Burgos "... die Teutschen lieb", aber ein Wirt in Montpellier war "... den tatschen nicht holt". Die Beispiele lassen sich erweitern: Felix Fabri zog es vor, nach Hause zu fahren, anstatt die Sinaireise in der Gesellschaft zweier Engländer, deren Sprache er nicht verstand, zu unternehmen. Und Pietro Casola wartete mit seinem individuellen Rundgang durch die Jerusalemer Grabeskirche, bis sich die Menge der "Ultramontanen" zerstreut hatte. 101 Die Pilgergesellschaften blieben nach Sprache und Nation geschieden unter sich. Wie sehr die eigene Herkunft den Reisenden stets vor Augen stand, lässt sich auch anhand der häufigen Vergleiche fremder mit heimatlich vertrauten Phänomenen ermessen: Ludolf von Sudheim vergleicht einen Brunnen auf dem Libanon mit einem anderen Brunnen in Paderborn, für Niccolo da Poggibonsi war die Gegend rings um Bethlehem bewaldet wie die Landschaft rings um sein Heimatdorf, und der See Genezareth erinnerte einige Norditaliener an den Gardasee. 102 Die Grabeskirche in 99 Eine Entwicklung in der entgegengesetzten Richtung zu Hipplers These erscheint tatsächlich naheliegender. Nach dem Fall Akkons wurde eine Vereinigung der westlichen Stosskräfte als Vorbedingung zum Gelingen eines "passagium generale" zwar immer wieder gefordert, doch wurde die Forderung immer mehr als unrealistisch erkannt. Vgl. Werner GOEZ, Wandlungen des Kreuzzugsgedankens in Hoch- und Spätmittelalter, S.42: "Die Völker, Reiche und Fürstentümer Europas lernten sich zusehends als eigene Grössen zu begreifen, die einen 'superior in terris' (wie einst Barbarossa) nicht anerkannten und die gemeinsame Zugehörigkeit zur 'christianitas' immer weniger realisierten." Weiterführende Literatur zum Nationalismusgedanken: &LEMBERG, Geschichte des Nationalismus in Europa, 1950; BOYD C.SHAFER, Faces of Nationalism, New Realities and Old Myths, New York 1972; J.SZUECS, "Nationalität" und "Nationalbewusstsein" im Mittelalter, Versuch einer einheitlichen Begriffssprache, 1.-2.Teil, 1972(Acta Historica 18). 100 GOE2, S.42: Rivalitäten und Streitigkeiten scheinen auch schon zwischen den Kreuzfahrern unterschiedlicher nationaler Herkunft an der Tagesordnung gewesen zu sein. Vgl auch: LUDWIG SCHMUGGE, Über "nationale" Vorurteile im Mittelalter, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 38, 1982,S.439-459. 101 CASOLA, S.261/ S.71: "lo vedendo ehe lera calataJafuria de li ultramontani, tomai di novo a farc quelle visitationi con lo mio candeloto aceso, facendo tocharc quelle devocioni e lochi a li miei patemostri, senz altro impedimento. • 102 Vgl. SUDHEIM, S.37; POGGIBONSI, 1, S.235; FRESCOBALDI, S.130-131, und CAPODILESTA, S.223. <?page no="227"?> 217 Jerusalem gemahnte den Anonymus von 1507 an einen Tempel in London, sah jedoch in den Augen anderer Pilger aus wie die Kirche Sant'Antonio di Padua, wie eine Mischung aus San Lorenzo in Mailand und Pantheon in Rom oder aber wie die Sebaldskirche in Nürnberg. 103 Felix Fabri fragte sich bei Gelegenheit, wie hoch wohl die Giraffe in Kairo ans Ulmer Stadthaus hinaufreichen würde; Hans Schürpff vergleicht in der Grösse die Stadt Rama mit Zürich, Jerusalem mit Basel und den J erusalemer Tempelplatz für sich genommen mit Luzern; Heinrich Stulz schliesslich fühlte sich beim Anblick der Salzseen auf Zypern an den Lowerzersee bei Schwyzerinnert. 104 Manche Pilger betonen ihre nationale oder regionale Zugehörigkeit mit geradezu chauvinistischem Stolz. Vater und Sohn Adorno empfehlen dem künftigen Heiliglandpilger drei Dinge, nämlich Gesundheit, Geld - und eine französische Herkunft, weil nämlich die Sarazenen vor den Franzosen den meisten Respekt hegen würden. 105 Felix Fabri stimmt mitten im Bericht ein Loblied auf seine Heimatstadt Zürich an. 106 Dem Mailänder Pietro Casola schliesslich schmeckte sein "Nostrano" eindeutig besser als der Venezianer Wein. Er erzählt auch, wie er für einen Freund in Venedig Mailänder Spezialitäten kochte, weil ja (wie er zuvor bemerkt) die Venezianer so beschäftigt seien mit ihren Handelsgeschäften, dass sie nicht mehr darauf achten könnten, was sie essen würden. 107 Felix Fabri gibt seiner tiefen Abneigung gegen Franzosen und Italiener verschiedentlich Ausdruck, wobei die Ressentiments auf Gegenseitigkeit beruht haben dürften. Anlässlich der Mittelmeer-Überfahrt anno 1480 kam es zu Reibereien zwischen den Franzosen und den Deutschen an Bord, denn erstere hielten es angesichts der gespannten Lage (Rhodos wurde von den Türken belagert) für allzu riskant, weiterzufahren. Dass eine französische Reisegruppe, unter ihnen der Bischof von Orl6ans das Boot verliess und umkehrte, kam dem Ulmer Mönch sehr gelegen: Denn die Franzosen sind stolze und leidenschaftliche Menschen, und deshalb glaube ich, dass es göttliche Vorsehung war, die sie von uns trennte und das Schiff auf diese Weise säuberte. Mit ihnen zusammen wären wir wohl kaum ohne Blutvergiessen und Mord nach Jerusalem gekommen. 108 103 Vgl. CAPODILESfA, S.201; SANTO BRASCA, S.92, bzw. CASOLA, S.276; TIJ. CHER,S.19. 104 Vgl. PABRI, Evag. 3, S.30; SCHÜRPPP, S.16, S.18, und ebenda; STIJLZ, S.251. 105 Vgl. ADORNO, S.92. 106 FABRI, Evag. 3, S.30. 107 Vgl. CASOLA, S.131/ S.9 (Wein), S.154/ S.19(Spezialitäten), und S.130/ S.8. 108 PABRI, Evag. 1, S.38-39: "Sunt enim Francihomines superoi et passionatissimi; ideo divinadispositioneactum esse crcdo, ut sepamrcntura nobis, et gal~ sie rcpurgarctur. <?page no="228"?> 218 In der gereimten Fassung von Fabris Pilgerbericht ist die gleiche Episode beschrieben, doch sind die Gegensätze diesmal verschärft geschildert, um ein besseres Licht auf die "... Titschbilgerschaft"zu werfen: "... die bischoff und dFranzosenvm send gefarenhoim/ die edelstarck Titschbilgerschaft/ sind vnarschrockenbliben,befalhent Got irsach. 11109 Zur ange: blichen Unversöhnlichkeit der deutschen und der italienischen Natur zieht Felix Fabri ein sozialgeschichtlichinteressantes Fallbeispiel zu Rate: Die besondere Eigenart des Wachhundes eines deutschen Herbergswirts in Venedig soll es gewesen sein, zweifelsfrei zwischen Geweils freudig begrüssten) Deutschen und (wütend verbellten) Ausländern, vor allem Italienern, unterscheiden zu können. Dazu Fabris Kommentar: Die Deutschen sehen in diesem Hund den Beweis, dass deutsche Menschen in vergleichbarer Weise,wie er mit den Italienern verfeindet ist, selbstniemalsmit ItalienerneinAuskommen finden un4 umgekehrt. Denn diese SorteFeindschaftist tief in derjeweiligenNatur verwurzelt. Weil das Tier aber keine Vernunfthat und nur von seinen Instinkten geleitetist,kämpft es endlosgegendie Italieneran, wie es ihm die Natur befiehlt.Die Menschen wissensich hingegenmit Hilfe der Vernunftzu beherrschen, und sie unterdrückendas Hassgefühl,welcheseigentlichin ihrerNaturliegt. llO Heinrich Wölfli umschreibt seine Feindbilder nicht annähernd in derart eloquenter Weise. Aber er hatte sie, und er steht zu ihnen: dort etwa, wo er die Venezianer als"... schiereHeiden"apostrophiert, und da, wo er eine fehJgeschlagenefranzösische Attacke auf das türkisch besetzte Beirut mit den Worten kommentiert, Hochmut und Stolz der Franzosen hätten sich nun doch wohl unter dem allgemeinen Spott (der übrigen Nationen) etwas gelegt. 111 Und die Franzosen? Anselme und Jean Adorno nehmen zwar so manches fremde Volk aufs Korn, aber die "Theutonici"(die sie unterwegs Vix cnim cum cis vcnisscmus in lcrusalcm sinc sanguinis cffusionc et aliquorum occisionc." 109 FABRI, ger., S.7. Zu der Episode auch: ESCH, Gemeinsames Erlebnis, S.401; mit dem aufschlussreichen Hinweis, dass in einem (hier nicht berücksichtigten) französischen Parallelbericht die Rede von zwei umkehrenden deutschen Rittern ist! 110 FABRI, Evag. 1, S.84: "Tbcutonici recipiunt in illo canc argumcntum, quod sicut implacabilitcr ltalicis inimicatur: sie homincs thcutonici nunquam intcgro cordc cum Italicis conveniunt, et c convcrso; cum il/ a inimicitia sit in natura radicata. Scd quia bcstia rationc caret et passionibus movetur inccssabilitcr litigat cum Italicis, natura instigantc. Homines vcro retionc sc cohibcnt, et affcctum inimicitac, qui in natura cst, supprimunt rationc.• 111 Vgl. WÖLFLI, S.19 (Venezianer), und S.74. <?page no="229"?> 219 nur selten angetroffen zu haben scheinen), lassen sie mit ihren Verbalattacken ungeschoren. "... Ungebärdig, wild, unzähmbar,pflichtvergessen und in ihren Sitten völlig verdorben",das sind ihrer Meinung nach die Korsen. Und schlimmer noch die Sizilianer: "DasVolk ist von derschlimmsten Sorte; man sagt zwar, [ast alle Inselvölkerseien schlecht,aberdie Sizilianersind die Schlimmsten." 12 Sämtliche hier aufgeführten Pauschalurteile weitgereister westlicher Pilger wären noch auf allfällige Bezüge zu aktuellen politischen Ereignissen zu überprüfen. Ohne die Abklärung des jeweiligen Hintergrundes sind sie lediglich symptomatische Ausprägungen einer bestimmten Geisteshaltung, die auf einen allgemeinen kulturellen Austausch nicht gerade erpicht zu sein schien. 113 Haben die spätmittelalterlichen Fernpilgerfahrten einen Beitrag zur Völkerverständigung geleistet? Auf der Basis des hier zusammen-getragenen Materials ist man versucht, die Frage grundsätzlich zu verneinen. Gewiss, Reisen bildete schon damals. Allerdings nur unter der Voraussetzung, dass die Bereitschaft vorhanden war, Neues kennenzulernen. Vorurteile konnten genausogut erhärtet werden, wo ernsthafte Auseinandersetzungen gemieden und stattdessen bestätigende Ansichten zu vorgefassten Meinungen gesucht wurden. Genau dies dürfte der Fall bei den von vornherein ideologisch determinierten Pilgerfahrten gewesen sein was uns hier gelegentlich als Toleranz begegnet, ist im besten Fall eine durchaus von Interessen geleitete Kaufmannstoleranz. Geradezu paradox mutet aber unter diesen Umständen die "Erklärung" an, welche Vater und Sohn Adorno ihrem Pilgerbericht voransetzen. Es ist da die Rede von jenen "albernen" Geistern, die glaubten, es gäbe nur ihr Land auf dieser Welt oder, noch schlimmer, glaubten, ihr Vaterland wäre das einzig gute und schöne in der Welt. Alle übrigen Länder aber würden sie folgerichtig als "rückständig", "gesetzlos" und "unzivilisiert"einstufen. Von dieser bornierten Haltung also glauben sich Jean und Anselme weit entfernt: Aber werden Erdkreiskennt oderdurchstreifthat,fällt nicht auf derartig dumme und nutzloseIrrtümerherein.Er erkenntvielmehrals ein in den menschlichen Belangen Erfahrener,dass der natürlicheHimmels/ auf 112 Vgl. ADORNO, S.56 (Korsen), und S.148: "... populuspessimusest, quoniamcommuni famafaturinsulaniquasiomnesma/ 4 Ciculiautem pessimi • 113 Vgl. ganz allgemein dazu: DANIEL, Cultural Barrier. Und hier besonders S.8: "Xenophobia is a basic condition of humanity." Zu berücksichtigen wäre diese (dcsillusionerende) Erkenntnis etwa bei der Frage, inwieweit das europaweite Netz der mittelalterlichen Jakobswcge tatsächlich einem internationalen Kulturaustausch in beiden Richtungen förderlich war. <?page no="230"?> 220 anderswo der gleiche ist wie zuhause, und dass die Menschen überall von ihrer Bestimmung und einem schwankenden Geschick geleitet sind die einen als Könige und Fürsten, die anderen als Untergebene, die einen als Wohlhabende, die anderen als Bedü,ftige, die einen als Freie, die anderen als Unterjochte, die einen als Rechtschaffene, die anderen als Verdorbene, die einen als vom Glück Begünstigte, die anderen als vom Pech Verfolgte. 114 Im Weiterspinnen ihrer idealistischen These die sich dann als schöne Illusion herausstellt, wie wir gerade eben und überhaupt in diesem Kapitel auch in bezug auf die Herren Kollegen festgestellt haben berufen sich Vater und Sohn Adorno sogar auf Sokrates, der nie ein einzelnes Land als sein Vaterland betrachtet habe, sondern gesagt habe, er gehöre der ganzen Welt als Bewohner und Bürger an; und ein Hauch von (offenbar in dieser Beziehung noch verfrühter) Renaissanceluft weht durch den Pilgerbericht. 5.5.5. Fazit Blicken wir kurz zurück auf die Entwicklung der Interessen, wie sie in den Pilgerschriften des 14. bis 16. Jahrhunderts zum Ausdruck kommen. Wenn sich eine annähernd gerade Linie ausmachen lässt, so ist es nicht die einer geradlinigen Entwicklung von den religiösen Interessen weg hin zu den weltlichen Interessen. Wohl erweitert sich, in Hinblick auf das Pilgerziel ebensogut wie in bezug auf Städte und Landschaften, Pflanzen, Tieren und Menschen unterwegs der (literarische) Horizont, wobei ein italienischer Entwicklungsvorsprung vor allem im 14. Jahrhundert unverkennbar ist (und sich im 15. Jahrhundert allenfalls noch in der ironisch-distanzierten Haltung eines Pietro Casola niederschlägt). Doch verdrängen diese aus einer weltlichen Neugierde resultierenden Interessen (die nicht wirklich neu sein dürften, aber womöglich erst zu diesem Zeitpunkt im Reisebericht aufscheinen) keineswegs die traditionellen spirituellen Pilger-Interessen. 114 ADORNO, S.26: • At qui orbem vel nomnt velpcrlustraruntin hujuscemodicrroribus insanisincptisquc non incidunt, scd rcmm bumanB1Umcxpcrtcs, fcrc talcm esse ccli natura/ cmcursum apud alios qualisapud cos est judicant atquc homines passim fato inconstantcqucfortuna rcgi et aliquosrcgcntcs,aliossubditos,aliquosJocuplctcs,alias cgcnos, quosdam ingcnuos, quosdam humilcs, quosdam studiosos, quosdam pravos, quosdamsccundos,quosdammiscros esse scntiunt• <?page no="231"?> Halt an, wo lauffst Du hin? Der Himmel ist in Dir; suchst Du Gott anderswo, Du fehlst ihn für und für. Angelus Silesius 6. Die Motivation: Warum reiste der Pilger? 221 Befragt man die Berichte spätmittelalterlicher Pilger mit Destination Jerusalem oder Santiago de Compostela nach den Intentionen ihrer Autoren, so ergibt sich kein eindeutiges Bild. Die Heterogenität der Motive spiegelt sich auch in der Sekundärliteratur wieder: Tendierte man noch zu Beginn dieses Jahrhunderts dazu, die spirituellen Motive von den weltlichen scharf zu trennen,1 so hat sich inzwischen eine wesentlich differenziertere Sichtweise durchgesetzt. 2 Einigkeit herrscht heute bezüglich der Tatsache, dass im gleichen Bericht ganz unterschiedliche Motive offen oder versteckt zutage treten können. Eine Kategorisierung primär nach Intentionen und Funktionen könnte dem Reichtum an möglichen und von Fall zu Fall zutreffenden Beweggründen niemals gerecht werden. Die Frage nach der Motivation sucht nicht (mehr) nach eindeutigen Antworten das macht sie reizvoller und gleichzeitig die Beantwortung schwieriger.3 Hier sollen in erster Linie die zwei offiziell anerkannten, der Jerusalem- und Compostelawallfahrt aufgrund der historischen Entwicklung geradezu immanenten Beweggründe näher beleuchtet werden: die Buss- und Betfahrt sowie die (seit der Zeit der Kreuzzüge und der Reconquista zur Tradition gewordene) Ritterfahrt. Ausser Betracht fallen die (beson- 1 Vgl. JAKOB BERG, Altere deutsche Reisebeschreibungen, Diss. Giessen/ Alsfeld 1912, S.1: "Die Reisen zerfallen in zwei grosse Klassen: Pilgerreisen und Reisen mit weltlichem Zweck." 2 Vgl. LSCHMUGGE, Kollektive und individuelle Motivstrukturen im mittelalterlichen Pilgerwesen, in: GJARITZ/ AMÜLLER (Ed.), Migration in der Feudalgesellschaft, Frankfurt/ New York 1988, S.263-289. .Dazu auch HIPPLER, S.65-80 (zum Aspekt des Handels, der Orientromantik und der Abenteuerlust, aber auch der Flucht aus einer misslichen Situation und der ritterlichen lnitiationsreise) und SCHNEIDER, S.49-50. 3 Vgl. ATKINSON, Mystic and Pilgrim, S57: "Medieval people went on pilgrimages for all kinds of reasons to satisfy their curiosity, to 'cxperience an alternative mode of social being' (or to get away from home ), and most of all to establish contact with the numinous quality of holy places and holy objects.• Ähnlich UFFER (Ed.Füessli), S51, mit der Vermutung, dass oft Abenteuerlust hinter frommen Beweggründen oder gelehrten Interessen steckte, ohne dass deswegen das Frömmigkeitsmotiv als treibende Kraft an Bedeutung verlor . <?page no="232"?> 222 ders für Santiago de Compostela vielfach bezeugten) Fälle von Straf- und Ersatzwallfahrten: Es ist mir kein Fall bekannt, wo ein von einer kirchlichen oder weltlichen Justizbehörde zur Pilgerfahrt verurteilter Delinquent (oder dessen Stellvertreter) einen Pilgerbericht geschrieben oder den peniblen Anlass zur Reise in seinem Pilgerbericht vermerkt hätte. 4 Es folgt zunächst eine Zusammenstellung explizit genannter und offensichtlicher Reisemotive, die sich von Fall zu Fall mit den genannten Grundmotiven Busse und/ oder Ritterschaft auf geschickte Weise verbinden liessen. Auch dabei handelt es sich um prinzipiell von der Kirche anerkannte Reisemotive, die, entsprechend dem jeweiligen sozialen Stand eines Geistlichen, eines Adeligen oder eines Patriziers, dessen berufliches Fortkommen begl! ,IlStigtenoder überhaupt erst ermöglichten. - Die Mission: 5 Unter den hier näher betrachteten Berichtautoren gibt Paul Walther von Guglingen als einziger zu erkennen, dass er gerne zu Missionszwecken im Heiligen Land geblieben und später weiter nach Indien gereist wäre. 6 Die Bitte wurde ihm vom Guardian des Monte-Sion- Konvents abgeschlagen und er selbst unter Berufung auf sein Gehorsamkeitsgelübde nach Hause geschickt.7 Ein anderer J erusalempilger mit Missionsabsichten war Ignatius von Loyola, der prominenteste unter den Mitpilgern von Peter Füessli anno 1523. Die Sionsbrüder schickten auch ihn unter Androhung der Exkommunikation zurück, worauf der verhinderte Missionar einige Jahre später die "Gesellschaft Jesu", den Jesuitenorden, gründete. 8 - Die Diplomatie: 9 Reisen mit eindeutig politischem Charakter unternahmen die beiden burgundischen Edelleute Ghillebert de Lannoy und Bertrandon de la Brocquiere, deren Pilgerfahrten in erster Linie den Zweck eigentlicher Spionage-Expeditionen in fürstlichem Auftrag verfolgten. Die Reisemotive liessen sich sehr wohl vereinbaren, betrachtet man das Auskundschaften möglicher Kreuzzugsziele und aussichtsreicher Kreuzzugsstrategien als extreme Ausprägung der Pilgerals Ritterfahrt. Einige der Pilger scheinen unterwegs eine diplomatische Mission erfüllt zu haben dies ein Aspekt, der eher bei den dokumentierten Santiago-Fahrten als bei den Jerusalem-Reisen ins Gewicht fällt. Leo von Rozmital war 4 Vgl. die Literatur zum Komplex der als Strafen verhängten Pilgerfahrten, vor allem: CARLEN, Wallfahrt und Recht im Abendland. 5 Zu den eigentlichen Femost-Missionsreisen vgl. ROUX, Les explorateurs au Moyen Age, und (in Kürze) RICHARD, Les licits de voyages, S.28-29. 6 Vgl. WALTIIER,S.124. 7 WALTIIER (wie gehabt), S.173-174.Vgl. dazu SCHNEIDER, S.43: Die franziskanische "Custodia Terrae Sanctae• hatte keine Missionserlaubnis. Deswegen konzentrierte sie sich ganz auf die Aufgabe der Pilgerbetreuung im Heiligen Land. 8 Vgl. dazu UFFER (Ed.Füessli), S.62-65. 9 RICHARD, Les iicits de voyages, fasst S.25-30 die diplomatischen und die missionarischen Expeditionen als Reisen mit einem• ... caractere politique• zusammen. <?page no="233"?> 223 in unbekannten politischen Angelegenheiten unterwegs, und ebenso Hieronymus Münzer, der bei Gelegenheit seines Aufenthalts in Madrid mit König Ferdinand und Isabella von Kastilien über die Aussichten der spanischen Entdeckungsfahrtsprojekte gesprochen haben soll. 10 Reisten Fürsten selbst (beispielsweise Leo von Rozmital oder der Earl of Derby und spätere König Henry), so geriet dem offiziellen Hofberichterstatter (Schaschek respektive Henrys Buchhalter Richard Kyngston) die Schilderung der Reise (bzw. die Aufzählung der Reisespesen) in der Hauptsache zur Dokumentation der reihum abgehaltenen höfischen Empfänge. Das anschaulichste Beispiel einer fürstlichen Jerusalem-Pilgerreise mit allem höfischen Prunk liefert der Bericht des Hans von Mergenthal zur Wallfahrt von Herzog Albrecht von Sachsen im Jahre 1476. Bevor sich der fürstliche Tross in Venedig einschiffte, zog er quer durch Italien von der einen als Höflichkeitsbesuch deklarierten Machtdemonstration zur nächsten. Und der Reisebericht des Hofchronisten entspricht streckenweise mehr einem traditionellen "Fürstenlob"als einem Pilgertagebuch. 11 - Der Handel: 12 Geschäftliche Beziehungen unterwegs scheinen die Jakobspilger Hinrich Dunkelgud und Lucas Rem ebenso unterhalten zu haben wie ihr flämischer Kollege Eustache de la Fosse, der sich seinerseits erst unter dem Druck der äusseren Umstände vom Kaufmann zum mittellosen Pilger wandeln sollte. 13 Nur am Rande mitberücksichtigt werden können hier die verschwiegenen Motive, zu deren Ergründung eine intensivere Beschäftigung mit dem Leben der schreibenden Pilger nötig wäre. Zu überraschenden Ergebnissen kommt beispielsweise Leza M.Uffer in bezug auf die Eidgenossen, die an der Jerusalemfahrt von 1519 teilnahmen: Ein schlechtes Gewissen als Grund zur Buss- und Betfahrt vermutet er bei Heiri Stulz (der zunächst sein Kloster verliess und später wiederum seine Familie) ebenso wie bei Werner Steiner, dem als Homosexuellen eine gesellschaftliche Ächtung 10 Vgl. SCHMELLER (Ed .Schaschek/ fetzel), S.XIII, und PFANDL (Ed.Münzer), S.148- 149. 11 Vgl. RÖHRICHT, Deutsche Pilgerreisen, S.142-155, und ZRENNER, S.19; der Bericht des HANS VON MERGENfHAL wurde 1586 in Leipzig gedruckt (ed .Hieronymus Weller). Vgl. allgemein zur politischen Funktion der Pilgerfahrten von Fürsten und Herrschern: URSULA SWINARSKI, Herrschen mit den Heiligen, Diss.phil. Zürich (im Druck). 12 Es existierten bereits im 15. Jahrhundert Reiseführer, die von reisenden Kaufleuten speziell für andere Kaufleute zusammengestellt wurden. Das bekannteste Beispiel: FRANCESCO BALDUCCI PEGOLOTI1 (ed.Evans), La pratica della mercatura, Cambridge 1936.Vgl. dazu : RICHARD, Les recits de voyages, S.33-34. 13 Bei Hinrieb Dunkelgud und Lucas Rem finden sich die Reisenotizen recht eigentlich ins Geschäftstagebuch integriert. MIECK, Zur Wallfahrt, prägt S501 den Begriff des "Gelegenheitspilgers" für jene "... Personen, die irgendeine Reise in die Nähe des Wallfahrtsortes geführt hatte und die nun die Gelegenheit wahrnahmen, die berühmte Stadt (Santiago de Compostela) gleichsam en passant zu besuchen ." Er meint damit auch den Ritter und Abenteurer Georg von Ehingen. <?page no="234"?> 224 widerfuhr, und endlich bei Thomas Stocker, der 1509 den Pfarrhelfer von Bischofszell umbrachte und dafür mit dem Kirchenbann belegt wurde. Peter Falk schliesslich, der diese Heiliglandfahrt (seine zweite) initiierte, sollte offenbar vor der Tagsatzung erscheinen und wollte nicht, aus Furcht vor einem politischen Zwist: In seinem Fall war die Pilgerreise ein willkommenes Ausweichmanöver. 14 Die Flucht aus einem bedrückenden Alltag mag oft als unterschwelliges psychologisches Motiv mit eine Rolle gespielt haben - Margery Kempes Reisebiographie ist da gewiss nicht das einzige, wohl aber das sprechendste Beispiel. 15 Von einer Flucht aus folgenschweren gesellschaftlichen Orientierungs- und Identitätskrisen wird in den folgenden Abschnitten gelegentlich die Rede sein, doch sollte man nicht soweit gehen, in der ·Pilgerreise lediglich ein probates Mittel zu sehen, um "... Mühsal und Pl1en jenes schrecklichen Gefüges der mittelalterlichen Welt zu vergessen". 1 So pauschal gesehen müsste nämlich auch jede Ferienreise heutiger Tage alsverzweifelter Versuch gewertet werden," ... Mühsal und Plagen" unserer schönen neuen Welt zu entrinnen. Schliesslich ist ein gewisses Quantum an Abenteuerlust keinem der gesprächigeren unter den schreibenden Pilgern abzusprechen, wie bereits aus den bisherigen Abschnitten unschwer zu erkennen ist. Diese Abenteuerlust scheint, in Gestalt einer weltlichen Neugierde oder eines bisweilen nahezu wissenschaftlich zu nennenden Forschungsdranges, eine nicht zu unterschätzende Rolle gespielt zu haben. Bei den weltlichen Pilgern war es eine fast schon "gewerbsmässige", 17 bei den geistlichen Pilgern eine mehrheitlich konfliktbeladene Rolle, weil sich die Neugierde als Ausdruck der Weltzugewandtheit mit dem mönchischen Ideal der Weltabgeschiedenheit doch nur bedingt in Einklang bringen liess. Es sind somit drei grundlegende Reisemotive, die in der Folge anhand von Pilgeraussagen näher betrachtet werden sollen: die Buss- und Betfahrt mit ihrem pragmatischen Ausdruck in Form des Ablasswesens, die Ritterfahrt in ihrer materiellen Ausprägung als "Reise nach der Ritterschaft" beziehungsweise der (Grabes-)Ritterwürde, und die Neugierde alsweltzugewandter Beweg- und auch Konfliktgrund. 14 Vgl. UPFER (Ed.Fücssli), S.52-54. 15 Dazu ATKINSON, Mystic and Pilgrim, S.57: "Margecywent because God told her to go, and her departure for Jerusalem was also her departure from home.• 16 Dies meint reichlich überspitzt POSTER, in: DERS., Die Pilger, Reiselust in Gottes Namen, S.10. 17 ZRENNER, S.119,gesteht die Neugierde und Abenteuerlust lediglich den Rittern als Tatmotiv zu und geht darin soweit, diesem Typus die Bezeichnung als "Pilger• abzusprechen, da hier endlich die weltlichen Motive überwiegen würden. <?page no="235"?> 225 6.1. Die Buss- und Betfahrt Das religiöse Grundmotiv der Jerusalemwie auch der Compostelafahrt ist die Bittfahrt, und der ursprüngliche Hauptzweck die Anrufung Jesu oder Jacobi mit der Bitte um Sündenvergebung im Jenseits (Bussmotiv) oder mit der Bitte um Hilfe in schwerer diesseitiger Not. Es wäre nun falsch, anzunehmen, die "weltlichen" Motive hätten das religiöse Motiv mit der Zeit verdrängt oder gar abgelöst. Vielmehr entwickelten Busse und Gebet selber materiellere, ~eifbarere Formen, denn eine wachsende" ... Furcht vor dem Fegfeuer" 8 verlangte nach immer handfesteren und zuverlässigeren Sicherheiten vor der ewigen Verdammnis. 19 Dem Drang nach guten Werken kam die Kirche mit der Institution des Ablasses entgegen. 20 Dieser Ablass war (und ist in etwas symbolischerer Form heute noch) der statistisch erfass- und zählbare Lohn für die tätige Reue. Dem J erusalempilger winkten an der Stelle, wo der Auferstandene den drei Frauen erschien, sieben Jahre nachgelassenes Purgatorium, an der Stelle von Christi Himmelfahrt hingegen war Ablass von aller Sünde und Pein. 21 Erste derartige (damals aber noch nicht ortsgebundene) Vollablässe bot die Heiliglandreise den Kreuzrittern von 1095; mit der Institutionalisierung der Heiligen Jahre zogen Rom (ab 1300) und Santiago de Compostela (ab dem 15. Jahrhundert) nach. Das Reisemotiv der Busse lässt sich leicht aus entsprechenden Angaben der Berichtautoren (meist zu Beginn des Berichtes) herauslesen oder aber aus einer symptomatischen Anhäufung von Ablassorten und Ablassbeträgen . 22 Niccolo di Poggibonsi zählt insgesamt im Verlauf seiner Reise 26 volle und 92 Teilablässe. Bei Lorenz Egen gerinnt die Auflistung 18 HUIZINGA, S.309. 19 Vgl. UFFER (F.d.Püessli), S51: "Der Glaube war im Verständnis des Spätmittelalters immer mehr zu einer Angelegenheit des Einzelnen und zu seiner persönlichen Leistung geworden.• 20 Seit 1350 (seit der Etablierung der Kirchenschatzlehre) ist die katholische Kirche offizielle Verwalterin jener mächtigen Resevc an guten Taten, die Jesus Christus gemeinsam mit den Kirchenheiligen bereitstellte, um so den sündigen Christenheit gegen ein Entgelt eigener guter Werke (und dazu gehört die Pilgerfahrt) zu helfen, die eigene Fegefeuerstrafe oder die eines anderen Bedürftigen zu vermindern. Zur Geschichte des Ablasswesens: N.PAULUS, Geschichte des Ablasses im Mittelalter vom Ursprunge bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts, 3 Bde, Paderborn 1922-1923. Zu den (offenbar niemals kirchlich bestätigten) Ablässen in Jerusalem vgl. Bd.2, S.305-312,und Bd.3, S.281-285; zu jenen in Santiago de Compostela Bd.2, S.324-325,und Bd.3, S.285-286 (zusammengefasst bei: HIPPLER, S.67-71). 21 Hier wiedergegeben nach dem ersten Pilgerbericht, der die (von den Franziskanern eingeführten) Ablässe überhaupt vermerkt: POGGIBONSI, 1, S.125 (Visitatio), und S.170. Die Liste von Jacopo da Verona ist laut PAULUS, 2, S.308-309, ein späterer Zusatz. 22 HIPPLER, S.70, deutet die Ablasslisten auch anders, als Ausdruck des Stolzes, "da" gewesen zu sein, nlimlich. <?page no="236"?> 226 von 17 besuchten Ablassorten in acht Fällen zur blassen Formel (''Indem selben Talejosophat ist unserfrauwen sant mariagrabdo ist a.a.s.do b.i.g. 11 ). Hans Bernhard von Eptingen listet nicht weniger als 25 Vollablässe und 74 Teilablässe auf, die aber in der vorliegenden Ausgabe fehlen. Pietro Casola geht, hundert Jahre nach Lorenz Egen, nur noch summarisch vor: ''Anallen Ortensind grosseAblässe. 1123 Allerdings: Vom Verhältnis einzelner Pilger zu den Ablässen auf einen bestimmten Grad von Frömmigkeit schliessen zu wollen, wäre allein schon angesichts der toposartigen Wiederkehr dieses Pilgerführerelementes vermessen. Und doch wirft die zentrale Bedeutung des Ablasses und die allmähliche Reduktion des Pilgerprogramms in Jerusalem auf ein blasses S~eln und Auflisten von Ablässen (man erinnere sich an die Klagen von Konrad von Grünemberg oder Pietro Casola) ein bezeichnendes Licht auf die zunehmende Routine im Umgang mit dieser pilgertechnischen Institution. 24 Für die Santiagopilger(in) Margery Kempe, Nompar de Caumont, Ghillebert de Lannoy, Georg von Ehingen, Hinrieb Dunkelgud, Eustache de la Fasse, Hermannus Künig von Vach, Arnold von Harff und Lucas Rem habe ich im übrigen keinen signifikanten Bezug zwischen Besuchsjahr und allfälligen Heiligen Jahren feststellen können. 25 Als allgemeines Pilgerziel nennt jedoch Hermannus Künig von Vach, 11 ... Römisch gnad und ablasszuo verdienen. 1126 Was viele Berichtautoren als Beweggrund angeben, den Wunsch nämlich, Jerusalem und die heiligen Stätten mit eigenen Augen zu sehen, ist wahrscheinlich als durchaus komplexe Mischung aus Bussmotiven und Neugierde, aus vagen Vorstellungen vom Himmlichen Jerusalem als endgültigem Pilgerziel und der Sehnsucht nach einem festen Orientierungspunkt in einem brüchig gewordenen Wertesystem zu deuten. 27 Diesen Wunsch äussem sowohl Symon Semeonis (formuliert als Begehren, den Spuren Jesu und mehr noch den Spuren der alttestamentlichen Pilgervorbilder Isaak und Abraham zu folgen), wie Niccolo di Poggibonsi und ausserdem Niccolo di Martono, Margery Kempe, 23 Vgl. EGEN, S.918 ("... ablass aller sunded' bzw. "... bin ich gewesen'), und CASOI.A, S.260/ S.71 ("In tutti Ji loghi sono de grandi indulgentie."). Die Angaben zu EPTINGEN von DOROTIIEA CHRIST. Eigentliche Ablassforschungen scheint der Franziskaner- Guardian Franccsco Suriano betrieben zu haben; vgl. PAULUS, 3, S.282-283. 24 WlllJAM WEY listet zehn Beweggründe auf, die den Pilger zur Heiliglandreise motivieren die •lndulgencili' figurieren (S.25, und S.27-28) an vierter Stelle. 25 In den Heiligen Jahren von Santiago de Compostela fällt der Namenstag des Jakobus (25. 7.) auf einen Sonntag. Als gesicherte Heilige Jahre gelten (laut MIECK, Zur Wallfahrt, S.489, Anm.31): 1423, 28, 34,45, 51, 56, 62, 73, 84 und 1490. 26 KÜNIG, fol.1. 27 Zum letzten Punkt auch ZRENNER, S.136. <?page no="237"?> 227 Sanseverino und Capodilesta, Jean Adorno (in Gemeinschaft mit dem äusserst neuzeitlich anmutenden Motiv, "... auf die Entdeckungsreisezu verschiedenenLdndern und Meeren und zu den vielfältigenBrauchen der Menschen zu gehen"), Felix Fabri (zusammen mit dem Motiv, die Bibel durch die persönliche Anschauung besser verstehen zu lernen), Pierre Barbatre und endlich Pietro Casola, der bei dieser Gelegenheit die Vorgeschichte seiner Pilgerfahrt darlegt: Er lrPe offenbar das Gelübde ab, die Reise unter allen Umständen zu wagen. Durch ein Gelübde verpflichtete sich auch Margery Kempe, wobei ihr Fall besonders interessante Aspekte eröffnet. Sie gelobte auf dem Heimweg, zwischen Jerusalem und Jaffa, spontan Rückkehr zu den soeben besuchten heiligen Stätten, doch Jesus entband sie von der Verpflichtung mit der Zusage, durch blosses Beten könne sie die zu den Stätten gehörenden Ablässe ebenfallsfür sich oder andere erwerben. 29 Häufig steht aber auch ein allgemein formuliertes Bussmotiv am Anfang des Pilgerberichtes: Jacopo da Verona etwa brannte darauf," ... die unglücklicheSeele zur Pforte des Heils hinzuführen",und Paul Walther von Guglingen stellt an den Anfang seines Textes eine mit autobioiaphischen Details durchsetzte Klage über sein nutzlos vertanes Leben. Drei von vier Schweizer Berichterstattern unternahmen die gemeinsame Reise anno 1519 in einträchtiger Formulierung "... zuo trostallen geleubigenseelen und zuo besserungmins süntlichenläbens und umm widerbringungminer verlornen zitt, darinich vil versumnusgehepthan (...). "3l Solche Aussagen sind ebenso ernst zu nehmen wie die uns materialistisch bis heuchlerisch anmutenden Auswüchse des Eifers nach Heiltumsbesitz (man erinnere sich an Jacopo da Veronas Steinsammelaktionen) . Zwar nahmen einzelne Pilger durchaus das Ausmass der Veräusserlichung religiöser Inhalte wahr so kritisiert Felix Fabri das Abschlagen von Steinen zu Devotionalienzwecken ganz entschieden: Nicht aus Ehrfurcht begehensie diese Verstümmelungen.Sondern ein paar habsüchtigeAdelige tun es, die irgendwelcheKi,rchenoderAltäre gestiftethaben, um damit den Zulauf der Menschenzu ihrenKi,rchenzu fördern und davon Gewinnzu haben.So verleitetsie die Ruhmsucht. 32 28 Vgl. zum Beispiel SEMEONIS, S.24; ADORNO, S.30; FABRI, Evag. 1, S.2-3; CASOLA, S.115/ S.1-2. 29 Vgl. KEMPE, S.75. 30 Vgl. VERONA, S.172; WALIBER, S.1-4. 31 Hier zitiert nach Sl'ULZ, S.223. 32 FABRI, Evag. 2, S.97: • Has corrosionesnon fadunt dcvotionis causa, scd aliqui nobiles curios4aliquarumecclesiatumvel altariumpatroni hoc fadunt, ut illisrebus suis ecclesiis concursumhominum excitentet quaestumhabeant,et ita avaritia eos instigat(...). • <?page no="238"?> 228 Einige der Berichtautoren führen im Anhang eigens eine Liste mit den unterwegs käuflich erworbenen Andenken auf, so Nompar de Caumont, in dessen Aufzählung sich Devotionalien (ein Fläschchen, gefüllt mit Jordanwasser) mit persönlichen Souvenirs (sieben Paar weisse Handschuhe aus feinem Leder) abwechseln. 33 Allein schon diese Auflistungen religiöser und weltlicher Souvenirs ohne Unterscheidung der Art der Wertschätzung - Ludwig Tschudis Andenkenliste breitet sich auf vier Seiten Anhang aus illustrieren den nahtlosen Übergang von dem einen Aufmerksamkeitsbereich zum anderen, wie er für den Umgang der (nichtgeistlichen) Pilger mit "heiligen" Dingen symptomatisch erscheint. 34 6.2. Die Ritterfahrt Zuerst so wüss, dass ich Hans Bernhard von Eptingen, Ritter vo,gemeldt, diese gemeldte Heerfahrt und Erfahrung der Händel vollbracht hab in dem Jahre, als man zahlt von Christi Geburt Tausend Vierhundert und im Sechzigsten Jahre, und hebt also an, wie hernach staht. Soweit der tapfere Schweizer Kriegsmann in der Einleitung zu seinem Reisebericht kaum zu glauben, dass die grossartig als "Heerfahrt" bezeichnete Expedition nichts anderes war als die Pauschalreise Venedig - Jaffa - Jerusalem retour, Kost und Logis und Reiseführung inklusive. 35 Die pompöse Umschreibung und Übertreibung trifft insofern den Kern der Sache, als sie Hans Bernhards Wunschbild einer kriegerischen Jerusalemfahrt anschaulich zum Ausdruck bringt. Die Wallfahrt als Kreuzfahrt, wenn auch lediglich im übertragenen, symbolischen Sinn nur sie liess sich mit dem ritterlichen Ehrenkodex vereinbaren. 36 Die Logik ist bestechend: Liess sich die Kreuzfahrt als kriegerische Fortsetzung der einstigen Pilgerreisen deklarieren, dann mochte auch umgekehrt eine spätmittelalterliche Pilgerfahrt als legitime Fortsetzung des Kreuzzugs mit anderen Mitteln gelten. 37. Politisch brisant war die Angelegenheit angesichts der wachsenden Bedrohung Westeuropas durch die Osmanen mehr denn je. Nicht länger verhehlen liessen sich aber auch gewisse "Degenerationserscheinungen": Dass ein zum friedlichen Pilgertourismus verknurrter stolzer Krieger damit zufrieden sein musste, sich im 33 Vgl. CAUMONf, S.136-139. 34 Vgl. TSCHUDI, S.326-331. 35 Vgl. EPTINGEN, Einleitung, S.313. 36 Dazu GURJEWITSCH, S.280: "Der Kreuzzug galt als ein heIVOrragendes Beispiel kriegerischer Praxis, der Ordensritter war der Idealtyp des Ritters.• 37 Zum ersten Teil RICHARD, Les rccits, S.23: "La croisade est un iter Hierosolymitanum et les cro~ sont des •~Ierins'." <?page no="239"?> 229 schwachen Abglanz einstiger Triumphe zu sonnen, dokumentiert den desolaten Zustand jenes Rittertums, dessen Fahne Hans Bernhard von Eptingen hier verbissen hochhält. Tatsächlich hatte der Verlust des letzten christlichen Territoriums in Palästina schwerwiegende Folgen für die feudale Gesellschaft des Mittelalters und ihre Ideale, schwand doch mit der Durchsetzbarkeit des Machtanspruchs auf die heiligen Stätten der Christenheit der höchste Sinn und Daseinszweck der Ritterschaft unweigerlich dahin. Gewiss, das Rittertum an und für sich erfuhr im 15. Jahrhundert eine letzte kulturelle Hochblüte am burgundischen Hof Philipps des Guten die mitkultivierten neuen Kreuzzugsprojekte aber (um deretwillen Ghillebert de Lannoy und Bertrandon de la Brocquiere ihre Kundschafter-Touren durchführten) trugen mehrheitlich idealistisch-illusionäre Züge. 38 Bestand das Leben eines Ritters definitionsgemäss aus der aktiven Teilnahme an Kriegszügen nebst höfischen Vergnügungen, wobei beides stark ritualisierte Züge annehmen konnte, 39 so kamen sowohl Georg von Ehingen (als aktiv Kämpfender) wie auch Leo von Rozmital (als Politiker und Teilnehmer an gesellschaftlichen Anlässen aller Art) diesem Ideal besonders nahe. Dem "peregrino caballeresco" bedeutete der Besuch von Santiago de Compostela auch wenn dieser im Bericht nicht unbedingt den zentralen Platz einnahm mehr als lediglich einen frommen Abstecher: J akobus hatte sich ja in seiner Eigenschaft als Vorkämpfer und Mitstreiter der Reconquista zum eigentlichen Patron der Ritter gemausert. 40 Ein solcher 38 Vgl. MARGARET WADE LABARGE, Medieval Travellers, S.114: "Crusading at the end of the Middle Ages bad degenerated into a merely fashionable activity." Weiterfüh rende Literatur zum Thema : J .D .HINI'ZEN, De kruistochtplannen van Philips den Goede , Rotterdam 1918; ATIYA, Tbc Crusade in the Later Middle Ages, London 1938, v.a. S.490-509; DERS., The Aftermath of the Crusades, in: KM.SEITON (Ed.), A History of the Crusades . Bd.2, Madison 1975 (auch wichtig: SEITON, Bd.2, Madison 1969); C.MARINESCO, Philippe le Bon, Duc de Bourgogne et la Croisade, in: Actes du vf congres international d'Etudes Byzantines (27.7. - 2.8.1948), Bd.1, Paris 1950, S.147- 168; DERS ., Philippe le Bon, Duc de Bourgogne et la Croisade 2, 1453-1467, in: Bulletin des etudes portugaises et de ! 'Institut Fram; ais au Portugal, 1949, S.3-28; H.WOLTER, Das Ende des Kreuzfahrerzeitalters, in: Handbuch der Kirchengeschichte 3, 2, Freiburg 1968, S.356-362; WERNER GOEZ, Wandlungen des Kreuzzu~gedankens in Hoch- und Spätmittelalter, in: W.FISCHER/ J.SCHNEIDER (Ed .), Das Heilige Land im Mittelalter, Neustadt 1982, S.33-44; P.ROUSSEI', Histoire d'une ideologie: La croisade, Lausanne 1983; JEAN RICHARD, Croisades et missions en Terre d'Orient: La participation fran~ise, XIf - W si«les, in: Les Reveils missionnaires en France du Moyen Age a nos jours, Paris 1985,S.19-53; N.HOUSLEY, Tbc Later Crusades 1274-1571,Oxford (im Druck). Vgl. auch: DELUZ (Ed .Boldensele), S.59-89; SCHNEIDER, S.30-44; VAN DER VIN, S.86ff. 39 Vgl. GURJEWITSCH, S.284. 40 Zum Begriff des "peregrino caballeresco" (nach VAZQUEZ u.a.) MIECK, Zur Wallfahrt; er ordnet (S.500-501)·die meisten Compostela-Berichtverfasser diesem Typus zu: Für sie war die Reise in erster Linie "... ein interessanter Zeitvertreib, der reichlich <?page no="240"?> 230 "peregrino caballeresco" war nicht zuletzt der Earl of Derby, der seine Heiliglandreise mit einer (zweiten) Kreuzzugsexpedition Richtung Osten kombinierte. Zwar lassen die buchhalterischen Angaben in der vorliegenden Reiserechnung kaum Schlüsse hinsichtlich der Motivation zu. Es liegt aber auf der Hand, dass hier ein ambitionierter Vertreter des britischen Hochadels ein standesgemässes Betätigungsfeld, eine Trainingsmöglichkeit dereinst geforderter Führungsqualitäten 41 ewissermassen, auf dem Kreuzzugsschauplatz Preussen suchte und fand. Kreuzzugsvorbereitungen als Reisemotiv werden übrigens nicht blass den zwei burgundischen Hofkundschaftem Ghillebert de Lannoy und Bertrandon de la Brocqufäre nachgesagt. Wilhelm von Boldensele hatte womöglich ebenfalls den Auftrag, die Augen in bezug auf strategisch auswertbare topographische Details offen zu halten. Und von Roberta de Sanseverino hat sich ein in Ragusa geschriebener Brief an seinen Onkel Francesco Sforza erhalten, in welchem er Überlegungen zu einem günstigen Anlegeplatz für christliche Invasoren anstellt, "Weilich weiss,dass Ihre Hoheit begierigsind, von den Fortschrittender Türken Kenntnis zu erhalten (•••). "42 Der Ehrgeiz so mancher christlicher Pilger, möglichst brisantes militärisches Geheimmaterial zu beschaffen, blieb im anderen Lager nicht unbemerkt. Die Gerüchte um neue westliche Kreuzzugsprojekten führten da und dort zu verschärften Sicherheitsmassnahmen und gelegentlich zu nervösen Reaktionen in der Bevölkerung. J acopo da Verona verzichtete schon aus Gründen der Vorsicht auf eine Besichtigung Alexandrias, nachdem da Gerüchte im Umlauf waren, die italienisch sprechenden Christen seien allesamt verkappte Spione. 43 Derselbe Verdacht fiel auch einmal auf Bertrandon de la Brocquiere, doch rechtfertigte dieser seine Absicht, über Land in den Westen zurückzukehren, geistesgegenwärtig mit der Ausrede, Abwechslung erwarten licss und mit( ...) seinen Risiken dem Gedanken der Aventure in glücklicherWeise entsprach." 41 Vgl. SMITH (Ed.Kyngston), S.xvi-xvii: "During the reign of Edward III, when, after the fall of Acre in 1291 the crusades to Palestine bad long been at an end, it became the fashion among the gigher nobility and gentry, espccially when an unwelcome truce (=Waffenstillstand) interrupted the wars in France, to fulfill their vows (=Rittergelübde) by joining either the kings of Spain in a raid against the Moors or the Prussian knights against their pagan neighbours." Zum Phänomen der spätmittelalterlichen Preussenals Ersatzkreuzfahrten vgl. auch: WILLIAM URBAN, The Baltic Crusade, Princeton 1975; WERNER PARAVICINI, Die Preussenreiscn des europäischen Adels, in: HZ 232, 1981,S.25-38(mit weiterer Literatur), und DERS., Die Preussenreiscn, Studien zur Mobilität und Mentalität des europäischen Adels im 14. Jahrhundert (soeben erschienen); E.CHRISTIANSEN, The Northem Crusades, The Baltic and the Catholic Frontier 1100-1525, London 1980. 42 Vgl. DELUZ (Ed.Boldensele), S.92-95,und GARGIOLU (Ed.Sanseverino), S.XX. Zu den Pilgern mit "Kreuzzugsauftrag"auch VAN DER VIN, S.86f. 43 VERONA, S.244. <?page no="241"?> 231 der venezianisch-genuesische Konflikt hätte den Seeweg unsicher gemacht. 44 Mit ähnlichen Verdächtigungen sahen sich auch noch Pietro Casolas Reisegefährten anno 1494 sowie diejenigen von Heinrich Wölfli um 1520konfrontiert. 45 Arnold von Harff wurde anlässlich seiner Audienz bei Sultan Kait-Bey in Kairo in die Zange genommen und nach dem Wahrheitsgehalt kursierender Gerüchte über einen französischen Kreuzzug ausgefragt. Er antwortete, wie ihm zuvor geraten worden war, ausweichend und halb "... mit loegen reden", dass er nichts über die Geschäfte des Königs von Frankreich wisse. Später wurde er in derselben Angelegenheit zur Audienz beim türkischen Sultan in Konstantinopel gebeten. Und scheint bei dem überraschenden Angebot, in türkische Dienste überzutreten, tatsächlich für einen Moment mit dem Gedanken gespielt zu haben, die Fronten zu wechseln: Hee leysse mich ouch fraegen, wer ich were, war ich weulde ind wat ich in den landen zo doin hette. ich antwort, ich were van Venedich ind tzoegen vnser koemenschaff (=Kaufmannsgeschäften) nae, as die Venecianer zo dem tzijt gar wale (=wohl) mit deme turckschen keyser stunten. der duytsche (=deutschsprachige Dolmetscher) saicht mir, wie sijn here gesaicht hette, ich moest eyn ander man sijn (=den Beruf wechseln), man seulde mir bieden des maentz tzweyhundert ducaeten zo geuen ind mich bij mijme gelouuen zo laissen, dat ich sijn diener wurde. durch vrucht (=Furcht) ich sorcht, sij wurden mir des neit halden, as ich mich vssgegeuen hat vur eynen kouffman ind sulde mich dan vur eynen tzuldenar (=Söldner) vssgeuen. dar vmb klafft ich mich mit guden reden van yen (=redete ich mich aus der Sache heraus) ind saicht yen zoe, wan ich mijme heren zo Venedich rechenschafft van mijner koemenschafft gedayn hette, wulde ich weder komen. anders were ich wae/ 1in meynongen geweest (=hätte ich schon Lust gehabt), des turckschen heysers hoeff vierader vonff jaer versoichtzo hauen. 46 Ist der Ablass als gewissermassen materialisiertes Ziel der Bussfahrt zu erklären, dann gilt dasselbe für den Ritterschlag als Lohn der (ursprünglichen Kreuz-)Ritterfahrt. Interessanterweise scheint es weder in Santiago de Compostela noch in Rom einen ganz ohne kriegerische Zusatzleistung erwerbbaren Ritterschlag für Pilger ähnlich demjenigen von Jerusalem 44 BROCQUIERE, S.128-129. 45 Vgl. CASOI.A, S270/ S.76, und WÖLFU, S.52. 46 Vgl. HARFF, S.86 (Kairo), u~d S.204-205. Übrigens will MANDEVIU...E nach eigenen Angaben (S.23) seinerseits in Agypten Dienst geleistet haben. <?page no="242"?> 232 gegeben zu haben. 47 Die Aussicht, im Rahmen einer feierlichen Zeremonie am heiligsten Ort der Christenheit zum Heiliggrabritter geschlagen zu werden, dürfte hingegen so manchen spätmittelalerlichen Jerusalem- Pilger-Aspiranten geradezu beflügelt haben. 48 Ghillebert de Lannoy führt in seiner Erziehungsschrift "L'instruction d'un jeune prince" drei Gelegenheiten auf, die einem Adeligen die Chance zur Erhebung in den Ritterstand bieten würden: zum einen die "... Feste grosser Hemcher und Könige" mit ihren Turnieren, zum anderen die Pilgerfahrt nach dem Heiligen Grab, und schliesslich der aktive Krieg gegen die Sarazenen. 49 Dieselben Möglichkeiten zählt auch Antoine de La Sale in einer nach Form und Zweckbestimmung vergleichbaren Schrift ("La Salade") auf, mit dem Unterschied, dass hier noch eine weitere Möglichkeit genannt ist: •~ultres se font (chevalier) a Seinte Katerine, ou ilz ont leurs devocions." Hieraus liesse sich die Anziehungskraft des Katharina-Heiligtums mitten in der Wüste Sinai zu einem Gutteil erklären wenn nur erwiesen wäre, dass es diesen Katharina-Ritterschlag tatsächlich als feste Institution gegeben hat. 50 Zwar ist in vereinzelten spätmittelalterlichen Pilgerberichten von einem im Sinai-Kloster zu erwerbenden Ritterschlag die Rede: Philipp von Katzenellenbogen soll ihn nach Auskunft seines Berichterstatters Eduard Wanschafft im Jahr 1433 erhalten haben. Und der Berner Niklaus von Diesbach führte laut Grabinschrift den Titel "milesSinai". 51 47 FABRI, Evag. 2, S.8, erwähnt einen Rittcxschlag in Zusammenhang mit einer Tibcr- Brückc in Rom, meldet aber nicht, auf welche Weise er erworben werden konnte. Kein direkter Zusammenhang bestand zwischen Santiagofahrern und den Angehörigen des Santiago-Rittcrordcns; vgl. dazu DOM MAUR COCHERIL, L'ordre militaire de Santiago, in: GABRIEL LE BRAS, Lcs ordres religicux, la vic et l'art, Paris 1979, S.705- 710, und BERND SCHWENK, Aus der Frühzeit der geistlichen Ritterordens Spaniens, in: JOSEF PLECKENSTEIN / MANFRED HELLMANN (Ed.), Die geistlichen Ritterorden Europas, Sigmaringen 1980 (Vorträge und Foxschungcn, hg. vom Konstanzcr Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte 24), S.109-139. 48 Vgl. SOMMERFELD, S. 823: "Viele von unseren Pilgern bekennen es von sich ganz offen, oder emihlen es von ihren Mitpilgern, dass ihr eigentliches Wallfahrtszicl die Et: ! angung der Rittexschaft vom Heiligen Grabe ist.• Anekdotisches dazu führt ROHRICHT, Deutsche Pilgerreisen, S.21, und Anm.268-269,auf. 49 LANNOY (gleiche Ausgabe), S.413. 50 Vgl. dazu JENNIPER R.BRAY, Tbc Medieval Military Order of St.Kathcrine, in: Bulletin of thc Institute of Historical Research 61, 1983,S.1-6 (das La Sale-Zitat S.2), sowie LABIB, S.84 f und SCHNEIDER, S.218. Zum Rittertum im Spätmittelalter allgemein vgl. PHILIPPE CONTAMINE, Points de we sur la chevalerie en France ä la fin du Mayen Agc, in: Francia 4, 1976,S.255-285(das La Sale-Zitat hier S.72). 51 Vgl. REINHOLD RÖHRICHT/ HEINRICH MEISNER (Ed.), Die Pilgerreise des letzten Grafen von Katzenellenbogen (1433-1434), in: Zeitschrift für deutsches Altertum, N.P. 14, 1882, S.348-371(hier: S.355), und MAX VON DIESBACH (Ed.), Hans von der Grubcns Reise- und Pilgerbuch 1435-1467, in: Archiv des historischen Vereins vom Kanton Bern 14, 1894, S.97-151; dazu auch: PETER WELTEN, Reisen nach der Rittexschaft, in: ZDPV 93, 1977,S.292. <?page no="243"?> 233 Die spärlichen Notizen lassen sich allerdings bloss zu einem Gerücht unbekannten Ursprungs verdichten - Jennifer R.Bray hat bei ihren Nachforschungen keine konkreten Anhaltspunkte für die Existenz des rittermässigen "Katharinen-Ordens" finden können. 52 Zurück zum Ritterschlag vom Heiligen Grab: 53 Bezeugt ist er bereits im Bericht des Wilhelm von Boldensele, jedoch liegen sein Ursprung und seine Entwicklung aus dem Kreuzrittertum im Dunkeln. 54 Es scheint, dass der Brauch, Ritter zu schlagen, zu Zeiten Wilhelms von Boldensele auch durch Laien ausgeübt werden konnte, bevor er im Verlauf des 15. Jahrhunderts als institutionalisiertes Recht an die Franziskaner vom Monte Sion überging. Sie waren somit künftig für die Gestaltung und Verwaltung dieses Bereichs der Heiliglandpilßerfahrt genauso verantwortlich wie beispielsweise für das Ablasswesen. Als berühmtester "Rittermacher" fungierte von 1479- 1499 ein deutschstämmiger Edelmann namens Johannes von Preussen, der mit den Fran- 52 Vgl. BRAY, S.6. Es gibt weitere vereinzelt erwähnte Ritterschlagprozeduren, deren Bedeutung über den Einzelfall hinaus unklar bleibt. So weist Felix Fabri auf einen in Kairo zu eiwcrbenden "St.Georgs-Ritterschlag" hin (vgl. FABRI, Evag. 3, S.51) und ergänzt, die Georgsritter hätten in unseren Breitengraden einen guten Ruf als geschickte und mutige Leute. 53 Als Literatur zum Thema unübertroffen ist die (abschnittweise in chronologische Reihenfolge) publizierte Studie von VALMAR CRAMER: DERS., Der Ritterschlag am Heiligen Grabe, Zur Entstehung und Frühgeschichte des Ritterordens vom Heiligen Grabe, in: Das Heilige Land in Vergangenheit und Gegenwart, Gesammelte Beiträge und Berichte zur Palästinaforschung 2, Köln 1940, S.137-199 (Palästinahefte des Deutschen Vereins vom Heiligen Lande 24-27); DERS., Das Rittertum vom heiligen Grabe im 14. und 15. Jahrhundert, in: HLVG, GBBPF 3, Köln 1941, S.111-200 (PHDVHL 33-36); DERS., Das Rittertum vom Heiligen Grabe im 16. Jahrhundert, Der Übergang zu einem Ritterorden unter der Schutzherrschaft der Päpste, in: HLVG. GBBPF 4, Köln 1949, S.81-159 (PHDVHL 37-39); DERS., Der Ritterorden vom Heiligen Grabe vom Beginn des 17. Jahrhunderts bis zur Reform durch Pius IX. (1600- 1868), in: HLVG, GBBPF 5, Köln 1950, S.97-176(PHDVHL 28-? ? ). Zusammengefasst (ohne den wissenschaftlichen Apparat) in: DERS., Der Ritterorden vom Heiligen Grabe von den Kreuzzügen bis zur Gegenwart, Köln 1952 (PHDVHL 46-48). Eine neue Studie, die dezidiert auf den Unterschied zwischen dem älteren Kanonikerorden und dem hier gemeinten Ritterorden eingeht, stammt von KASPAR ELM: Kanoniker und Ritter vom Heiligen Grab, in: FLECKENSl'EIN / HEU.MANN (Ed.), Die geistlichen Ritterorden Europas, Sigmaringen 1980 (Vorträge und Forschungen, hg. vom Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte 24), S.141-169. Vorwiegend mit dem Kanonikerorden befasst sich DOM MAUR COCHERIL, Les chevaliers du Saint- Scpulcre in: GABRIEL LE BRAS, Les ordres religieux, Ja vie et l'art, Paris 1979, S.699- 703. Vgl. auch ZRENNER, S.132ff sowie SCHNEIDER, S.54, und S.206-212. 54 Die erste überlieferte Schilderung der Ritterschlag-Zeremonie bei BOLDENSELE, S.260: •Post missam feci duas milites nobiles supra sepulcbmm gladias accingcndo ct alia observando, quc in prolcssionc militads ordinis ficd coasucvemnt• Die Zeremonie erscheint in der Beschreibung des Dominikaners bereits als Usus, als überlieferte Gewohnheit. Vgl. dazu CRAMER, Zusammenfassung, S.12. 55 Vgl. ELM, S.143-144. <?page no="244"?> 234 ziskanem auf dem Monte Sion zusammenlebte. 56 Mit zunehmendem Einfluss der Franziskanermönche scheint die Zeremonie mehr und mehr liturgischen Charakter angenommen zu haben, dafür aber verlor das Adelskriterium an Bedeutung. Ein Grabesritter verpflichtete sich nur noch symbolisch, Gutes zu tun und (als vornehmste Pflicht) die Bestrebungen nach einem neuerlichen Kreuzzug zu unterstützen. Doch er gehörte nicht mehr einer real existierenden Korporation (im Sinne eines Ritterordens mit organisatorischen Bindungen) an. 57 Wichtig war, für die ursprünglich allein empfangsberechtigten Adeligen genauso wie für die mit der Zeit vermehrt zugelassenen städtischen Patrizier, die Prestige-Funktion: Zwischen 1450 und 1500 wurde der Ritterschlag "... mehr und mehr zum Mittel, eine weltliche Ehrenstellung zu erlangen und erreicht dabei seinen Höhepunkt. • 58 Der Gascogner Nompar de Caumont, der mit seiner Jerusalemreise eine familiäre Tradition fortsetzte, plante seinen Aufstieg in den Ritterstand von langer Hand voraus und sicherte sich die Hilfe eines Gefährten mit brauchbaren Referenzen bereits in Rhodos: In dieser Stadt hatte es einen jungen, guten und gescheiten Ritter aus einer grossen Linie des Königshauses von Navan-a, der hiess Sancho de Chaux und war ein Bruder von Jehan de Chaux, seinerseits Graf von Vaiguier. Weil es nötig warfür mich, einen Ritter bei mir zu haben, der mich zum Ritter des Heiligen Grabes schlagen konnte, nahm ich diesen aufgrund der genannten Vorzüge mit mir und auch wegen der guten Sitten, die ich an ihm erkannte, und wegen des guten Rufes, den er genoss. Dieser Ritter, der grosse Lust und auch das Talent dazu hatte, begleitetemich also nach Jerusalem, wo er mich im Angesicht des heiligen Grabes unseres Herrn zum Ritter machte, und zwar an einem · Samstag, den achten Juli, als man das Jahr 1419uihlte. 59 Der frischgebackene Ritter hat hierauf in Jerusalem seinen eigenen privaten Ritterorden gegr_: ündet; die Statuten und Insignien schildert er in einem Sonderkapitel. 60 56 Ein ausführliches Porträt dieser Figur zeichnet CRAMER, Zus.fassung, S.28. 57 ELM, S.144-145. Ebenda: Erst im 16. Jahrhundert lassen sich zentrale Organisationsbestrebungen feststellen mit dem Ziel, alle Grabesritter zur "Reconquista" des Heiligen Grabes zu mobilisieren. 58 ZRENNER, S.133. Nach den Hochrechnungen von SCHNEIDER, S.54, hätten mindestens 40 Prozent der deutschen Jerusalempilger den Grabesritterschlag erhalten. Gemessen an der Gesamtheit der im späten Mittelalter erteilten Ritterschläge war der Anteil der Grabesritter nach CONrAMINE, S.272,jedoch marginal. 59 CAUMONr, S.44.Ebenda, S.3: Schon der Vater Nompars war in Jerusalem. tiO Vgl. CAUMONr, S.75-76.Dazu HUIZINGA, S.114: •... die Gründung von Ritterorden war seit der Mitte des vienchnten Jahrhunderts eine wahre Mode geworden. Jeder Fürst musste seinen Orden haben, selbst der hohe Adel blieb nicht zurück.• <?page no="245"?> 235 Für Hans Bernhard von Eptingen, den verspäteten Schweizer "Kreuzzugsteilnehmer", war das Erlebnis der Ritterschlag-Prozedur derart prägend, dass er die Zeremonie (ebenfalls in einem Sonderkapitel) minutiös beschreibt, angefangen bei der eidesstattlichen Erklärung, er sei adligen Geblüts, bis hin zur stolz vermerkten Weitergabe der soeben erhaltenen Ritterwürde an seine Gefährten - und zur abschliessenden Entrichtung des Obolus von vier Dukaten an die Barfüssermönche, "... dann das ist ihr Recht . "6l Ähnlich präzis und in feierlichem Ton wie Hans Bernhard beschreibt Roberta di Sanseverino "seinen" Ritterschlag. Bernhard von Breydenbach hingegen bleibt kurz und allgemein, ebenso Konrad von Grünemberg, der zwar seinen Rittertitel an anderer Stelle verschiedentlich stolz betont ihn aber womöglich ganz woanders erhalten hat. 62 Arnold von Harff erscheint in seinem Bericht nicht nur als ein eifriger Sammler von Ablässen, sondern ebenso von Rittertiteln, denn er hat zu der Heiliggrab-Ritterwürde unterwegs möglichst viele weitere hinzu erworben, um dann in Paris befriedigt Bilanz ziehen zu können: Item (...) s/ oich mich koeninck Loitwich van Franckrijch (=Louis XII.) vur deme a/ taer ritter, des ich begerende was, as mich alle cristen koeninck ind heydensche heren ritterges/ agenhatten. 63 Am eingehendsten befasst sich einer mit der Ritterschlag-Zeremonie und ihrer Bedeutung, der selber nicht Ritter wurde, aber doch zu den blaublütigen Pilgern zählte. Felix Fabri gibt in mehr als drei Dutzend Artikeln (40 sind es im Evagatorium, 37 in der deutschen Berichtfassung) die Verpflichtungen wieder, derer sich ein Ritter des Heiligen Grabes bewusst sein müsse, und ebenso die Vorzüge, durch welche sich seiner Meinung nach diese Ritterwürde von den anderen unterschied. Er entwirft dabei ein äusserst facettenreiches Bild der Ritterals Männerwürde in jener Zeit. Gleich im ersten Artikel widersetzt sich Bruder Felix der landläufigen (und durchaus zutreffenden) Meinung, wonach manch einer allein um der Ritterschaft willen ins Heilige Land ziehe vielmehr geschehe die Reise zum Zwecke des frommen Besuchs der biblischen Stätten "... vnd vmb des Ablas willen". 64 Laut Fabri ist die Ritterschaft vom Heiligen Grabtugendsamer als andere, da sie ohne Neid, Hoffart und Geiz (offenbar Begleiterscheinungen der ritterlich-höfischen Karriere sonst) auskomme, und 61 EPTINGEN, S.381. 62 Vgl. SANSEVERINO, S.103; BREYDENBACH, fol.62b; GRÜNEMBERG, S.116-117, und beispielsweise S.35. 63 HARFF, S.24S. 64 Vgl. FABRI, Evag. 2, S.6, und (hier) dt., fol.7la. <?page no="246"?> 236 unschuldiger, denn sie werde ohne Blutvergiessen gewonnen. 65 Im 26. Artikel räumt er ein, die Bedingung der adeligen Abstammung werde derzeit nicht mehr so streng gehandhabt, wobei der Anlass zu dieser Einschränkung (ein Streit unter den Mitpilgern um die Frage der Zulassung einiger "untauglicher", weil nichtadeliger Aspiranten) nur gerade im deutschen Bericht Erwähnung findet. 66 Weiter verteidigt der Mönch die Ritter gegen den spöttischen Vorwurf, das sei doch eine wenig ehrenvolle Ehre, unter lauter mitreisenden "... altenweibern/ bei mönchenundpfaffen" Ritter zu werden, und er betont die mühevollen Bedingungen inklusive "... Hunger/ dorst/ hitzelfrost/ gestanck/ verachtung/ ubelliegen/ etc." ein Aspirant müsse sich überdies Belästigungen ohne Gegenwehr gefallen lassen, "... und muss darzu seinenfeinden gelt geben. ,1',? Diese Ritterwürde sei aber auch die "... allersicherste" für Seele und Gewissen, denn andere Ritterschaften würden erworben "... mit vil üppigkeiten/ undungötlichenumbstenden." Wer unterwegs sterbe, komme per Vollablass geradewegs in den Himmel. 68 Unter all die frommen und klassenbewussten Argumente für die JerusalempilgeralsRitterreise hat sich aber auch eines alszwölftes eingeschlichen, das Fabris eigene Reiselust, seinen humanistisch beeinflussten Drang nach Horizonterweiterungen sowohl gegen aussen wie nach innen, augenfällig dokumentiert: Ein Edelman derzu dem heyligenGrabzeucht/ dererferthviel von der weit wesen/ ersieht mancherleylandt und leut/ an beiden orten des Meers/ undin dem Meer/ undInseln des Meers/ Dalehrtein mensch viel das zu dem Adel gehört/ Wennein unerfarnerEdelman taug nicht/ In d'Pilgerschafft erferth ein mensch/ wasChristenund unchristenist/ was Türcken unnd Sa"acenen/ was Moren unnd Tartar/ wasJuden und Samaritani/ wasArabenund Mamalucken.Es lernetauch erkennen/ was gutte Christenund böse Christensind/ wasfreundt und feindt sind/ was wol und ubelstehet/ Wasglückund unglückist/ Wastugentund untugent ist/ Das lernet ein vernünfftigerwamemenderRitter als in der Pilgerschafft/ Aberdas allernützesteist/ das einerda lernet/ dasein mensch in der Pilgerschafft/ sich selbst bass lerneterkennenin xa. wochen/ denn sonst in xn. jaren.All mein tagehab ich mich selbestnie bass mögen sehen/ denn auff derfarth/ und besonderauff dem Schiff/ da regetsich alles das im menschen ist/ tugentund wunder/ Unnddie erfahrungist 65 Ebenda, S.6-7, und fol.71b-72a. 66 FABRI, Bvag. 2, 5.10, und dt., fol.74a und fol.76a (Streit). Noch später sollten sich sogar Protestanten zum Ritter schlagen lassen; vgl. RÖHRICIIT, Deutsche Pilgerreisen, 5.21 und Anm.268. 67 FABRI, dt., fol.74b, und ähnlich Bvag. 2, S.10-11. 68 Ebenda, fol.75b-76a, und 5.11. <?page no="247"?> 737 nicht an anderen Ritterschajften/ die man nimpt an den Königs höfen/ oder im streitt. 69 Der Pilgerweg als Weg der Selbsterkenntnis für einmal ohne den sonst üblichen Umweg über die Erkenntnis Gottes in Worte gefasst! Dass die bürgerlichen Pilger nach dem adeligen Privileg des Heilig- Grab -Ritterschlages geschielt hätten, lässt sich aus den betreffenden Pilgerberichten nicht schlüssig nachweisen.7° Allenfalls lässt sich ein Streben der bürgerlichen Pilger nach adeligen Privilegien aus der Entwicklung bürgerlicher Familientraditionen von Jerusalem-Pilgerreisen analog zu den fürstlich/ adeligen Traditionen (Nompar de Caumont reiste wie sein Vater, Georg von Ehingen für den verhinderten Vater) herauslesen. 71 Für einen angestrebten Prestige-Gewinn spricht schliesslich auch Hans Tuchers gegenteilige Beteuerung, er sei ganz gewiss "... allein umb gotes ere und meiner sei selikeit und keines romes, fürbiczes, noch and(erer) leichtferikeit willen" nach Jerusalem gezogen. 72 6.3. Die Neugierde als Beweg- und Konfliktgrund Was jedes Kind zur Entfaltung seiner Persönlichkeit braucht, was dem modernen Bildungstouristen wie dem wissenschaftlich Forschenden, dem Historiker so gut wie dem Journalisten als Grundbedingung seiner Tätigkeit und Arbeit selbstverständlich erscheint, musste den mittelalterlicher Kirchenvätern suspekt erscheinen, gerade weil die Entfaltung der individuellen Persönlichkeit kein erstrebenswertes Ziel darstellte. Im Gegenteil: "Das Ideal der mittelalterlichen Gesellschaft war der Mönch, der Heilige, der Asket, der Mensch, der sich maximal von den irdischen Interessen, den Sorgen und Versuchungen abgewandt hat und daher mehr als alle übrigen Gott nahestand. 1173 69 Fabri, dt, fol.72b-73a, und ähnlich Evag. 2, S.8. 70 ZRENNER, S.120, nimmt es jedenfalls an. Der beiläufige Hinweis von KHATIAB, S.31, der besagt , Hans Tucher habe sich 1479in Jerusalem zum Ritter schlagen lassen, beruht wahrscheinlich auf einem Irrtum, denn die nüchterne Beschreibung der Zeremonie (vgl. TUCHER, S.41, und RIETER, S57) lässt nichts dergleichen vermuten. 71 Sebald Rieter junior vertrat schon die dritte Generation reisender und schreibender Pilger in Jerusalem; sein Vater und sein Grossvater hatten zudem noch Santiago de Compostela besucht. 72 TUCHER, S.3. Vgl. dazu CONTAMINE, S.272: Nach Ramon Lull verlieh _nicht der Grabesritterschlag, sondern der bei königlichen Festen ausgeteilte (wesentlich exklusivere) höfische Ritterschlag dem Träger am meisten Prestige. Dazu würde passen, dass der Kaplan des (in Jerusalem verstorbenen) Sir Richard Guylforde die Zeremonie des Ritterschlages schlicht zu erwähnen vergass; vgl. ANONYMUS, S.40-41. 73 GURJEWITSCH, S.279. <?page no="248"?> 238 Die eigene Neugierde als Reisemotiv bestreiten denn auch auffallend viele unter den ausführlicheren Berichtautoren: Bertrandon de la Brocqui~re will keinesfalls aus "... Prahlsucht" oder "... Eitelkeit" gehandelt haben, der Bürgerliche Hans Tucher nicht aus "... fürbicz noch anderer leichtferikeit", und auch der Geistliche Heinrich Wölfli bestreitet in seinem Fall Ruhmsucht oder Fürwitz als Antriebskraft. 74 Was hier in wohlformulierten Einleitungs- und Schlussworten zutage tritt, mag zu einem Gutteil Topos beziehungsweise die Furcht vor dem Vorwurf der Unbescheidenheit gewesen sein. Es klingt aber gleichzeitig eine Idealvorstellung des Pilgers hier an, die bei einigen wenigen Autoren explizit als solche bezeichnet erscheint. Felix Fabri beispielsweise zitiert als Mentor Eberhard von Württemberg: Dieser meinte, es gehörten drei Dinge zum Leben eines Mannes, nämlich die Heirat, die Anzettelung eines Krieges sowie die Pilgerreise nach Jerusalem. Letztere sollte dabei mit der Absicht, Gott zu loben, und nicht aus Leichtfertigkeit oder Neugierde, aus Lust am Pomp der Welt oder an anderen eitlen und vergänglichen Nichtigkeiten vollbracht werden.7 5 Ähnlich streng klingt Fabris italienischer Mitreisender Santo Brasca in seinem (an den Schluss des Berichts gefügten) "Pilgerratgeber": Für den, der diese heiligste Reise zu unternehmen wünscht, gilt als unabdingbare Voraussetzung, dass der Mensch diese heiligste Fahrt antrete in der ausschliesslichen Absicht, jene heiligsten Geheimnisse unter Tränenvergiessenzu besuchen, zu betrachten und anzubeten, auf dass der gütige Jesus ihm seine Sünden vergebe - und nicht in der Absicht, etwas von der Welt zu sehen oder aus Ehrgeiz oder aus Vennessenheit, um nachher sagen zu können: Ich bin da gewesen, ich habe das und das gesehen, etc,·um somit später unter den Menschen besser dazustehen, wie es vielleicht einige tun, für welche in diesem Fall das Wort gilt: Mögen sie dereinst ihren Lohn empfangen. 16 Verpönt bis vedemt kann nur sein, was mit Vorliebe in weiten Kreisen praktiziert wird ("wie es vielleicht einige tun ...'} Dem mittelalterlichen Pilger aufgrund solch rigoroser Begriffsbestimmungen die Neugierde abzusprechen, hiesse, ihn zu verkennen. Hier gilt es zu bedenken, dass der 74 Vgl. BROCQUIERE, S.261; TUCHER (nochmals S.3); WÖLFU, S.11. 75 Vgl. FABRI, Evag. 1, S.26-27. 76 SANTO BRASCA, S.128: •La instruetionede soprapromissaa dascunoehe desidrafare questo sanctissimoviagio ~ questa, videlicet ehe, primo, dispona f homo fare e/ viagio solamente ad intentionede visitare,comtemplareet adorarecongran effusione de Jaehrime quellsanctissimimisterij,adcioehe lesu benignogliperdona li suoi peccati et non ad intentione de vedere de/ mondo o per ambitioneo per exaltationede dire: io sono stato, io ho veduto etc.,per esser poi sublimatoda Jihomini,como forse fano aleun4Ji qualiin questo casoexnunereceperuntmercedemsuam." <?page no="249"?> 239 Pilgerbericht als durchaus beispielhaftes Stück Mittelalter-Literatur, eher dazu neigte, Spiegel von gesellschaftlichen Idealen als Spiegel einer "... unermesslich reicheren und vielgestaltigeren" gesellschaftlicher Realität zu sein. 77 Bei näherer Betrachtung werden jedoch signifikante Unterschiede sieht- und fassbar . Gruppiert man etwa die Berichte nach der Herkunft und nach dem sozialen Stand der Autoren, so lässt sich rasch erkennen, dass die weltlichen Pilger offener zu ihren weltlichen Interessen stehen und seltener Interessenskonflikte beschreiben als die geistlichen Pilger. Andererseits thematisieren die italienischen Geistlichen Interessenskonflikte wesentlich früher als ihre deutsche Kollegen, nur um sich alsbald einer weltlichen Unbekümmertheit, vergleichbar derjenigen der gleichzeitig gereisten Ritter und Bürger, hinzugeben. Wilhelm von Boldensele , Ludolf von Sudheim und vermehrt noch Lorenz Egen und Peter Spamau entsprechen in dem, was sie (nicht) über ihre Reise schrieben, präzise jenem von Felix Fabri und Santo Brasca propagierten Pilgerideal. Gleiches gilt, unter etwas anderen Vorzeichen, für die Radikalpilgerin Margery Kempe : Hier spielte neben dem asketischen Ideal der Pilgerin das mehr gefühlsbetonte der Mystikerin eine grosse Rolle. Sir John Mandeville hingegen entspricht in seiner Rolle des reisenden Ich-Erzählers dem Typus des "neugierigen Pilgers" in Reinkultur: Einmal erscheint er als frommer Büsser, der die Augen fest auf die Spuren Jesu geheftet hat, und dann wieder als fahrender Ritter auf der Suche nach phantastischen Abenteuern. Damit wird Mandevilles fiktiver Reisebericht zum Paradebeispiel für jenes historische Paradoxon, das Christian Zacher in seiner Studie "Curiosity and Pilgrimage" als Wertekonflikt des spätmit telalterlichen Individuums zwischen den Zeiten, hier: zwischen der Neugierde als Sünde und der Neugierde als Tugend, umschreibt. 78 Bei der Verfolgung seines Gedankengangs orientiert sich Zacher ausschliesslich an literarischen Werken, ohne die "Realien", die Dokumente real vollzogener Pilgerreisen, mitzuberücksichtigen . Hätte er sie mit einbezogen, wäre ihm aufgefallen, dass der diagnostizierte Wertekonflikt für den Ritterstand mit einer immanenten, geradezu berufsmässigen Abenteuerlust weit weniger Bedeutung hatte als für den geistlichen, speziell den mönchischen Stand. Betroffen von dem Wertekonflikt - und hin- und hergerissen zwischen Pflicht und Neigung waren vor allem Klosterinsassen, Mönche und spezi- 77 Nochmals GURJEWITSCH, S.344. 78 Vgl. CHRISl1AN ZACHER, Curiosity and Pilgrimage, Baltimore/ London 1976; hier S.5. Zacher leitet seine These aus drei literarischen Fallbeispielen aus dem englischen Sprachraum des 14. Jahrhunderts ab aus Richard de Burys "Philobiblon", aus Geoffrey Chaucers "CanterburyTales" und aus Mandcvilles Reisebuch. <?page no="250"?> 240 ell Nonnen. In Hinblick auf letztere hat schon Papst Bonifaz im 7. Jahrhundert ein Rompilgerfahrts-Verbot durchzusetzen versucht. 79 Das Konzil von Chfilon verbot im Jahr 813 Pilgerfahrten von Priestern ohne vorherige Erlaubnis durch den zuständigen Bischof. Papst Urban bekräftigte die Regel in seinem berühmten Kreuzzugsaufruf von 1096, weil er Missbräuchen (also Jerusalemreisen mit anderen als primär spirituellen Motiven) vorbeugen wollte. 80 Ein deutliches Machtwort von Bernhard von Clairvaux setzte schliesslich jeden inskünftig zu einer Pilgerreise aufbrechenden Mönch von vornherein ins Unrecht: Sache der Mönche ist es, nicht das irdische,sondern das himmliche Jerusalemzu suchen, und dies nicht im Vorwärtsgehenmit den Füssen, sondernim Voranschreitenmit den Empfindungen. 81 Auch ein Mann der Renaissance wie Francesco Petrarca, der den persönlich durchlittenen Konflikt mit der eigenen Neugierde so schuldwie selbstbewusst in Szene zu setzen wusste, sieht sich in seinem literarischen Werk dem Konflikt erst in jenem Moment ausgesetzt, da er den Standpunkt des humanistischen Weltentdeckers mit demjenigen des Theologen vertauscht und bei den schriftlichen Autoritäten Zuflucht sucht. Tatsächlich scheint der Konflikt geradezu die Mönche und die Humanisten heimgesucht zu haben: Niccolo di Poggibonsi und Felix Fabri aber waren, gewissermassen in "Personalunion", beides. Niccolo di Poggibonsi wollte gemäss eigener Aussage "... alles sehen". Prompt blieb bei einem Strandbummel am Roten Meer zuerst sein Auge und dann sein Herz an einem weltlichen Ding hängen: Ichfand da einenEdelstein,von dem ich annahm - und man erzlihltees mir so -, er sei mehr wertals einfettes Landgut. Und er warso anmutig und so schöngearbeitet, dass kein Menschauf Erdenihn hätte nachmachen können. Undfü,rdie Treue,die ich ihm erwies,und fü,rden Fleiss, mit dem ich ihn zu behalten trachtete,hat sich Gott folgendennassen gerächt: Wieer mich ihnfinden liess,liessermich ihn verlieren.Und so habe ich ihn in der Wüsteverloren. Aber ich habe ihm dennassen nachgetrauert,und anderemit mir, dass ich jetzt noch, da ich mich an ihn erinnere,nicht mehrfroh sein kann und traurigwerdeer war doch so gefertigt,dass ihn sich ein Menschenhe,zniemals allein nach Beschreibungen vorstellenkönnte, und die Sprache nicht seine Machart oder Schönheitwiedergebenkann. Ich war traurignicht so sehr wegenseines 79 Vgl. Oll.ES CONSTABLE, Opposition to Pilgrimage in the Middle Ages, in: Studia Gra-tiana 19. 1976,S.123-146,hier: S.127. 80 Vgl. CONSTABLE, S.128 (Konzil von Ch41on),und S.133. 81 CONSTABLE, S.137. <?page no="251"?> 241 Wertes,sondernwegenseinerKostbarkeitund Schönheit.So schön war er/ 82 Mehrmals betont auch Fabri seine wache Neugierde in nicht-spirituellen Belangen dort etwa, wo er bekanntgibt, niemals in Versuchung geraten zu sein, den J erusalemer Felsendom von innen zu besichtigen "... obwohl auch ich selbergerneneue und wunderlicheDinge anschaue.• 83 Sein breit angelegter Exkurs zum Roten Meer gerät ihm von daher zur Exkursion in zeitgenössische Entdeckergefilde: Er berichtet (wie übrigens auch Bernhard von Breydenbach) von einem altägyptischen Kanalbauprojekt zwischen Nil und Rotem Meer und kommt dabei unversehens auf die aktuelle Suche nach einer direkten Seewegverbindung Europa - Fernost zu sprechen. Er hält entsprechende Bemühungen für aussichtslos, ... auch wenn ein gewisserKönig von Spanien zu unsererZeit ausprobierthat, wieman vom Westozean,also vom äusserenMeer,dasjenseits der Sliulen des Herku/ es (=Gibraltar)liegt,in den Ostozeanund ins Indische Meergelangenkönnte.Aber sein Versuchblieb vergebens,· es wirdgemunkelt,er hätte einigebisherunbekannteund wertvolleInseln entdeckt. 84 Ohne Zweifel bezieht sich Felix Fabri auf die erste Amerikafahrt des Christoph Kolumbus, der am 4.3.1494 Spanien erreichte und zuvor die Inseln Watting, Kuba und Haiti gestreift hatte. 85 Zum Schluss des topographischen Exkurses ernennt sich Bruder Felix (ob mit Stolz oder Selbstironie, sei dahingestellt) zum neuzeitlichen Weltreisenden mit dem Ausruf: 82 Vgl. POGGIBONSI, 1, S.47 ("... allessehen"), und 2, S.108-109: "Unapietra prcziosaio trova4Jaqualeio eredendo,ehe cosl rri era detto, di clladovcvavalerepiu d uno grosso podere, et era tanto Jeggiadra e tanto ben Javorata, ehe uomo sopra terra non/ avria saputacontraffare; e per Jafede eh'io ci avcva e Jasollidtudineeliio facevadi eustodirla, ldio ne fcce vendettain queste modo: conicllime Jafcce trovare,coslme Jafccepezdere, ehe per Jo discrto io Japezdei Ma io ti ebbi tanto dolore e altri con meco, ehe anco quando me ne ricorda,io non sono sl Jieto,eliio non diventidolente; ma eil era sl fatta, ehe cuore di persona non potrebbe per uditamai imaginare,ne linguadirc il modo e Je bellezze coniera fatta: non ne fui tanto dolente per Jasua valuta,come fui per Ja sua prcziosita e bellezza,tanto era bellar 83 FABRI, Evag. 2, S.229: "Quamvisetiam ego ipsl: libenter nova et curiosavideam,ad templum tamenilludingrediendumnumquamfui tentatus....• 84 Vgl. FABRI, Evag. 2, S.536: •... quamvisrex quidamHispaniaeconatussit aevo nostro perquirerc vias deveniendi ob aceonoocddentali,de mari schilicett: Xteriori, quod est ultra frctum Herr: uleum,in occanum orientalem et in mare indicum, sed in vanum conatusest, reperissctamen diciturquasdamprius incognitasinsulaspretiosas. • BREY• DENBACH, erwähnt fol.105a dasselbe Kanalbauprojekt. Dazu KHA'ITAB, S.172-174. 85 Der Hinweis auf Kolumbus' Entdcckun~fahrt fehlt in der deutschen Ausgabe. Daraus schlicsst JACQUES MASSON (Ed.Fabri fn.), S.VIII, und S.345, Anm.426, der Mönch hätte sein Hauptwerk, das Evagatorium, später als den deutschen Bericht und mehr als zehn Jahre nach der Rückkehr von der zweiten Reisefertiggestellt. <?page no="252"?> 242 Sieh, Leser, welch weite Wanderung weg von meiner ursprünglichen Pilgerfahrthabe ich unternommen und bin nahezu durch die ganze Welt geschweift, in Anbetracht der zerklüfteten Berge und Felsen hier vor unseren Augen! 86 Auch Paul Walther von Guglingen, Fabris frommer und häufig von Selbstzweifeln geplagter franziskanischer Kollege, erscheint in seinem Bericht nicht völlig gegen weltliche Versuchungen gefeit jedenfalls hat er sich den Elefanten in Venedig nach ei~ner Aussage "... ex quadam curiositate et raritate"aus der Nähe besehen. Von Francesco Surianos erster, mehr weltlich orientierter Fassung seines Pilgertraktats war schon die Rede. Am Ende der später entstandenen, offiziellen Druckfassung bittet der Franziskanerprior für allfälliJe Verstösse gegen die gültige katholische Lehrmeinung um Verzeihung tatsächlich hat er ein paar der individualistischeren Passagen seines ursprünglichen Textes in Hinblick auf die Drucklegung weggelassen. Unter all den geistlichen Pilgern erscheint Pietro Casola als der unbefangenste, was das Verhältnis zur eigenen Neugierde betrifft: Wie vor ihm Niccolo da Poggibonsi wollte er "alles sehen", was zu sehen ihm unterwegs möglich wurde. Er schaute sich schon in Venedig kräftig um, in der Absicht, die Zeit bis zur Abfahrt des Pilgerschiffes totzuschlagen. 89 Sein Fazit kennen wir: Das Reliquienbetrachten sei ein weit würdigeres Pilgerwerk als das Ausschauhalten nach eitlen Frauen. Nebenbei bemerkt: Im Vergleich zu der traditionellen Kritik am Pilgerwesen, wie sie bei den Kirchenvätern hie und da zum Ausdruck kommt, erscheint die kritische Haltung der Reformatoren gar nicht so besonders revolutionär, sondern vielmehr als Rückbesinnung auf alte, unveräusserbare Werte. Gregor von Nyssa beispielsweise schrieb bereits zur Zeit des Augustinus, das Reisen bringe einen Menschen Gott nicht näher, und der Heilige Geist sei in Jerusalem geradesogut wie in jeder anderen Stadt zuhause. 90 Dieselbe Ansicht vertritt letztlich ein Martin 86 FABRI, Evag. 2, S.538: •Ecce, Jcctor,quantam evagationemnune a propasito pe~ grinationis fcci, gyrandopaene unver.rummundum, occasionescissorummontium et rupiumhieante oculosnostros! ' 87 Vgl. WALTIIER, S.54. 88 Vgl. SURIANO, S.244 und Anm.bJS.258: "Ne igiturin me sit aliquiserror, nihil a/ iud teneo, nisi quod EcclesiaCatholicatenet et docct. Si quid autem esset ex me male dietum, aut ignorantia,que in me sedulo viget, aut Japsu manus scribentis, aut quacumquealiade eausa,ex nuneprout ex tune habcopro non dieto, subüdensque me corrcctionieuiuscumquepcritiorisad JaudemDei Amen.• 89 Vgl. CASOIA, S.125/ S.6: •... e qucstosoloper transtullarmein el tempo avevaa starein tantopozto- Volsivederetutto quelloa me e statopoissibilevedere,(... J' etc. 90 Zitiert nach: CONSTABLE, S.126. <?page no="253"?> 243 Luther, wenn er das spirituell verbrämte Fernweh seiner Zeitgenossen aufs Korn nimmt: Denn was künnen wir ein anderheiligGrab verstehen,denn die Heilige Schrift( ...), denn nach dem Grab, da der Herrin gelegenhat, welches die Sarazeneninne haben,fragt Gott gleichso viel als nach allen Küen von Schwyz. Beziehungsweise: Wie er (derApostel Jakobus) in Hispoaniamgekommen ist gen Compostel, da die gross walfahrthin ist, da haben wirnu nichts gewissvon dem: et/ ich sagen, er lig in Frankreichzuo Thalosa, aber sy seind jrer sach auch nit gewiss.Darnmb lass man sy Ligenund lauf! nit dahin, dann man waisstnit, ob sant Jacob oder ain todterhund oder ein todts ross da liegt,(...) lassraisenwerda wilbleibdu dahaim. 91 Als vom Neugierde-Konflikt am meisten heimgesuchter geistlicher Pilger erweist sich denn auch ausgerechnet der "Protestant" Heinrich Wölfli: Er mochte trotz der wachsenden Kritik am Pilgerwesen nicht "daheimbleiben" und sucht sich dafür in seinem Reisebericht beständig zu rechtfertigen. 92 Was all seinen Vorgängern als gottgefälliges Werk erschien, fragwürdig allenfalls aufgrund der weltlichen Versuchungen unterwegs, das erscheint bei ihm als fragwürdig "per se", als Luxus nämlich, den man eigentlich besser durch das Gebet und durch Almosen ersetzen würde. 93 Und doch reiste Wölfli als devoter und enthusiastischer Jerusalempilger ins Heilige Land, wobei er sich (im vollen Bewusstsein seiner Inkonsequenz) leidlich elegant aus der Affäre zieht: Der Heiland werde ihm die Fahrt doch wohl nicht" ... zu argemrächnen", habe er ihn doch auch am Ende wieder gesund nach Hause gebracht. 94 Dabei erscheint der Widerspruch zwischen dem frommen und dem neugierigen Pilgers unlösbar: Schon in der Einleitung betont Wölfli, ja nichts "... wunderfitziges" erzählen zu wollen, und doch beeilt er sich, beizufügen, einige Dinge habe er extra zum Lachen eingefügt.95 . 91 Zitiert nach: FRITZ BEHREND, Deutsche Pilgerreisen ins heilige Land, S.4, sowie KLAUS HERBERS, Der Jakobswcg, S.11-12. 92 Gemäss UFFER (Ed.Füessli), S.48, Anm.5, ist als wahrscheinlich erster Protestant am Heiligen Grab ein Aarauer, nämlich der Apotheker Daniel Ecldin (1553) anzunehmen; sein Reisebericht ist im "Reyssbuch" von SIGMUND FEYERABEND enthalten und erschien gedruckt in Basel 1774. 93 So WÖLFLI, S.12. 94 Ebenda. 95 Ebenda . Das würde den Hinweis auf den Mann mit der grossen Nase in Mantua erklären . <?page no="254"?> 244 Unter den adligen Pilgern dominiert die offen eingestandene oder sogar als Tugend betonte Neugierde, ob bei Hans Bernhard von Eptingen, dem die Schiffe auf dem Meer eine 11••• lust zu schauen II waren, oder etwas später bei Konrad von Grünemberg, der seinesgleichen als 11••• wir Unersättlichen in unserer Begierde, fremde, seltsame Dinge zu sehen ... 11 umschreibt. 96 Arnold von Harff scheint es als kurzweiliwn Zeitvertreib erachtet zu haben, Städte und Landschaften zu besehen, und seine wie Konrads Zeichnungen sprechen eine deutliche Sprache. Bertrandon de la Brocquiere bezeichnet sich einmal als Jerusalempilger und dann wieder als Ritter mit diplomatischem Auftraj ohne dass die Motive miteinander in Konflikt zu geraten scheinen. Als einziges Problem stellte sich ihm offenbar die Frage, wieweit er innerhalb des Pilgerberichts zu seinem Spionageauftrag stehen sollte und durfte. Was Ghillebert de Lannoy mit dem Einschub einer Ablassliste versucht, eine Kaschierung der Primärabsicht nämlich, gerät bei Bertrandon gewissermassen zur Flucht nach vorne zum Bekenntnis einer spontanen und selbstbewussten Lust auf Pioniertaten nämlich. Als ich krank im Bett lag und wieder langsam zu Kräften kam, erinnerte ich mich daran, wie ich gewisse Leute sagen hörte, es sei unmöglich für einen Christen, über Land ins französische Königreich zurückzukehren. Aber nach meinem Dafürhalten - und ich sage nicht, dass es stimmen muss scheint es mir, dass einem Mann mit Kondition und durchschnittlicher Kraft, Mühsal zu ertragen, sowie genügend Geld und Gesundheit alles zu e"eichen möglich ist (...). Und so habe ich mich mit Hilfe unseres Herrn und seiner glo"eichen Mutter, die beide ihre Unterstützung keinem versagen, der sie guten Willens darum bittet, entschlossen, die Überlandroute von Jerusalem nach dem Königreich Frankreich einzuschlagen oder aber hie,zubleiben. 99 Letztlich reiste Bertrandon mit dem Auftrag, einen Bericht zu schreiben, und die Tatsache, dass es sich bei diesem Bericht um einen militärischen Rapport und nicht um einen Pilgerbericht im traditionellen Sinn handelte, 96 Vgl. EPTINGEN, S.325, und GRONEMBERG, S.34. 97 Vgl. HARFF, S.210. 98 Vgl. BROCQUIERE, S.2 (Pilger),und S.1 odcrS.261. 99 BROCQUIERE, S.25-26: • Et moy estant au Jict de ma maladie, que je commen,ay a revenir a sante, me souvins que j avois oy dire a aucuns que cc seroyt chose impossible a ung Crestien de revenir parterre jusques au reaulme de Francc. Eta mon entendement, Jequel je ne dis point qu'il soit Sfeur, il me samble, que a ung homme assez bien complectionne pour endurer peyne et de mo/ Cnne force, mais qilil ait argent et sante, que toutes choses Juy sont possibles de faire (...). Adonc me deliberay a I aide de Nostre Seigneur et de sa glorieuse mere, qui oncques ne faiJJit a nul qui de bon cueur Jarequeist, de faire ledict chemin par terre depuis lherusalem jusques au reaulme de Francc ou de y demeurer.• <?page no="255"?> 245 enthob ihn allfälliger Interessenskonflikte. Und doch verschleiert er im Nachwort die wahre Absicht seines Schreibens in bezeichnender Weise: Was die fremden Länder betrifft, von denen ich gesprochen habe (...), so bitte ich die Leser, mir dies nicht als Prahlsucht, Stolz oder Eitelkeit auszulegen, sondern ich habe sie aus zwei Gründen beschrieben: Falls erstens irgendein Edelmann dahin gehen möchte, so kann er hier den Weg erfragen und finden, sofern ich wahrgesprochen habe . Zum zweiten hat mir mein sehr verehrterHerr, der Herzog, aufgetragen, dass ich, falls ich freie Zeit zum Schreiben haben sollte, einen Text verfassen sollte nach dem kleinen Memorialbuch, welches ich in einem kleinen Büchlein anlegte. 100 Nompar de Caumont liefert in seinem Bericht das Beispiel eines ganz und gar dem asketischen Pilgerideal verpflichteten Heiliglandfahrers. Seiner Einleitung nach zu urteilen, betrachtete er das mönchische Lebensideal und das ritterliche Ideal (welches in seiner Schilderung der persönlichen Vorgeschichte zur Grabesritterwürde anklingt) nicht als Gegensatzpaar, sondern als im Grunde identisch. Folgerichtig beklagt er den allüberall zutage tretenden Niedergang des letzteren und die schlimmen Auswüchse eines falsch verstandenen ritterlichen Ethos. Ein Ausschnitt aus Nompars nur zum Teil toposartiger Elegie zum desolaten Zustand dieser irdischen Welt: Denn jeder weiss wohl, dass diese Erde nicht unsere Heimat und Bleibe ist. Sie bedeutet Tod und elende Mühsal, ist voller Arbeit und Wehklagen. Also müssen wir Sorge tragen, dass wir das ewige Leben erlangen und nicht dermassen auf die weltlichen Dinge ha"en und derart das Herz an die Vergnügungen dieses Zeitalters hängen, dass wir darob die ewige Freude verpassen. Und zum Schluss müssen wir alles hinter uns lassen und wissen doch nicht Stunde und Zeitpunkt. Und nichts und niemand kann dem Tod entgehen. (...) Und ich habe oft an diese Dinge gedacht und bin sehr traurig,schmerzerfüllt und beklommen, wenn ich an den Tod denke, der macht, dass Körper und Seele auseinander gehen und ich nicht weiss, welchen Weg ich einschlagen soll. Aber gut wie es Gott geflillt. Wenn wir an die Gefahren denken, die wir zu bestehen 100 BROCQUIERE, S.261: "Et au regartdes autrespays dontfay parlc par avant (...), je prie aux liseurs qu'ilz ne me Je vuellent imputer a vaine gloire, ne a orguei~ ne a vantancc,maisje l ayfaitpour deuxraisons, l une se aucunnoblehommc y vouloitaler, iJ pourra demandcrcc chcmin et trouverascje dis vcritc,l autre raisonpour cc que mon tresredoubtcscigncurMonseigneurJeduc ni a commandcqueja fcisse mcttre cn cscript, sclon unc pctite memoire quc j cn avoitfait cn ungpctit Jivret,quantf avoyc cu Joissir dcscriprc.• <?page no="256"?> 246 haben, wann immer uns die Lust ankommt, Böses zu tun versagen wir nicht so oft und so fortwährend? Doch dann wird uns bewusst, dass man nicht damit aufhört, Kriegezu führen, Dörfer einzunehmen, Feuer zu legen, Frauen zu vergewaltigen,das Volk zu dezimieren, um deretwi/ len unser He" soviel erlitten hat, die Menschen zu töten, die Diener Gottes mit Füssen zu treten und die Kirchen, die doch Tempel des Herrn sind. Und dazu kommen viele andere Gewaltakte, die ich nicht aufzählen mag. 101 Der formale Aufbau dieser Klage und die von Nompar verwendeten Bilder erinnern nicht von ungefähr an den Totentanz, den "Danse Macabre", das wohl bekannteste Sinnbild einer mit Faszination gemischten Furcht vor dem Sterben, die das Gefühlsleben der Wätmittelalterlichen Menschen in so dominierender Weise bestimmte. 2 Was hier zum Ausdruck kommt, ist nicht eine neuzeitlich-weltlich angehauchte Neugierde auf irdische Sinnesfreuden, sondern eine Form der spirituellen, transzendentalen Sinngebung, die ins Jenseits verweist und von daher wohl auch in den Bereich der spätmittelalterlichen "Devotio Moderna" einzuordnen ist. 103 Unter den schreibenden Ritterpilgern des ausgehenden Mittelalters ist Nompar de Caumont mit seinem" ... dtgout des choses terrestres" und dem leidenschaftlich propagierten asketischen Ideal die Ausnahme, die in diesem Fall die Regel bestätigt. 104 Was aber, wenn sich ein schreibender Pilger gleichzeitig Nompars jenseitsbezogene Gedankenwelt und Bertrandons diesseitig verwurzeltes 101 CAUMONf, S.18-19: "Car chacunpuet bien savoir que cest monde riest pas notre domicile ne demeure, ainsest mort et painemiserable,pleine de trevailet de tristcce. Et donquesdevonsnous estre diligensavoirJavie de durt! e,non pas tant Je euer auxdt! lizde cest siede que ayonsaperdieJejoie sanslin, et au derrier / auronsnous tout a lcssier et savonsI eure ne quant, carnulls nepuet faillir a Jemort (...). Et je ay souvantpansst! en ces chou~ et suy moult trist, doulantet marriquant me souvientde Jemort que fera Je dt! partimentdu corps et de I annc, et je ne say quel chemin aura a tenir, mes bon, se Dieu plest Et til nous souvenoitdu perill que avons a passer quant avons voulentt! de malfere ne fallirons pas si souvant ne si longuemant; mes poy nous en membre et appar que l en ne ccssc de fere guerres,prendreIieux,bouter feux, forsserfemmcs, destruiere Jepeuple qui tant a Nostre Seigneurha coust,.et tuer les hommcs,pi/ her Jesserviteurs de Dieu et Jeseglizesqui sont templeNostreSeigneur, e plusiems autresviolencesqueje ne nomme pas.• 102 Zum Thema des Totentanzes vgl. HUIZINGA, S.201 ff. 103 Vgl. HUIZINGA, S.268. Zum Stellenwert der Pilgerfahrten innerhalb der "Devotio Modema" vgl. DANSE'ITE, Les pcl6rinages occidentaux en Terre Sainte, Une pratique de la "D6votion moderne", in: AHF 1979, S.106-133, und S.331-428. In punkto weiterführender Literatur (v.a. von ETIENNE DELARUELLE, FRANCOIS RAPP und ANDRE VAUCHEZ) vgl. die entsprechenden Angaben in Kap.1. 104 DE LA ORANGE (Ed.Caumont), S.xvj. ("d6go0t"); und HUIZINGA, S.247: "Der in Tapferkeit und Liebe wunelnde ritterliche Hochmut stiess genauso wie der rauhe Sinn des Volkes das geistliche Ideal von sich." <?page no="257"?> 247 Streben nach individualistischer Selbstbestätigung zum Vorbild nahm? Dann war es entweder um seine Seelenruhe geschehen oder aber um das einheitliche Erscheinungsbild seines Reiseberichts. Betrachtet man die im Bericht der Adornos explizit genannten Beweggründe, so werden Wider sprüche offenbar, die für die Entstehungszeit des Textes symptomatisch sind und vielleicht gar auf einen Generationenkonflikt zwischen dem Vater und dem Filius hindeuten. Ist in der Einleitung noch von lebenserfahrenen Globetrottern die Rede, die nach dem Vorbild des Sokrates - "... derganzen Weltangehören" und sich aufmachten, "... verschiedeneLänder und Meereund die vielfältigen Bräuche der Menschen zu erkunden", 105 so vollzieht sich im Berichtfinale eine abrupte Kehrtwende. Da steht dann nämlich zu lesen: Nachdem wir viele Landstricheund den Zustand vielerOrte sovie die geringfügigenBräuche der verschiedenen Völker aus nächster Nähe besehenhatten, sahen wirein, dass die Welt ringsumtrügerischist, voller Versuchungenund haltlos, dass nichts an ihr ewi/ &undvon Dauer ist, vielmehralles wankelmütigund vergänglich." Etc. Am Ende einer als Weltreise deklarierten Pilgerfahrt steht hier die Verachtung für die Welt, 107 und mit der Heimkehr in die vertraute Umgebung ist die Rückkehr zu den alten, nur rhetorisch in Frage gestellten Werten verknüpft. Der Flirt der Pilger mit der Welt bleibt innerhalb des Pilgerberichts jedenfalls letztlich ohne Folgen. 105 Vgl. ADORNO, S.30. 106 ADORNO, S.424. 107 Ebenda, S.426: •mundi (...) contcmptus'. <?page no="258"?> 248 7. Die Motivation: Wozu und für wen schrieb der Pilger? Was den Pilger auf oder erst nach der Reise dazu bewegte, ein Tagebuch zu führen beziehungsweise einen Pilgerbericht zu verfassen, hing zumeist mit der eigentlichen Reisemotivation eng zusammen. Vereinfacht ausgedrückt: Eine Buss- und Betfahrt zog die entsprechenden literarischen Ambitionen vorausgesetzt einen informativen Bericht für potentielle Nachahmer nach sich; der Bericht eines verspäteten Kreuzritters beinhaltete an prominenter Stelle einen Aufruf an lesende Ritterkollegen, das Heilige Land zurückzuerobern; die Beschreibung einer primär aus weltlicher Neugierde betriebenen Abenteuerfahrt schliesslich richtete sich in erster Linie als erbauliche Unterhaltungslektüre an gleichfalls abenteuersüchtige Leser. 1 Kombinationen von verschiedenen (explizit genannten oder unbewussten) Motiven scheinen auch hier eher die Regel als die Ausnahme dargesellt zu haben: Sir John Mandeville wendet sich an nachfolgende Pilger ebenso wie an den potentiellen Heiliggrab-Rückeroberer und den lediglich in Gedanken reisenden Freizeit-Leser, während Felix Fabri verschiedene Fassungen seiner Reiseschilderung für diverse unterschiedliche Zielpublika gestaltet hat. Die Schreibmotive erscheinen insgesamt weniger standesgebunden als die Reisemotive: Kaufleute schrieben für nachfolgende Pilger jeglichen Standes. Ritter und Mönche verstanden sich gleichermassen als Kreuzzugspropagandisten, als Wissensvermittler in spirituellen oder weltlichen Dingen oder einfach nur als Chronisten in eigener Sache. Eine wichtige Rolle spielten dabei etwaig vorgegebene Rahmenbedingungen: das Vorhandensein eines Schreibauftrags zum Beispiel oder dann der Radius des ursprünglich angepeilten Lesezirkels. Säuberlich auseinanderdividieren lassen sich die Funktionen der einzelnen Pilgerberichte nicht. Hingegen lassen sie sich nach den verschiedenen Intentionen der Autoren einteilen und "katalogisieren". Zur Bestimmung der primären Funktionen soll ein Hilfsmodell aus der Publizistikwissenschaft beigezogen werden der spätmittelalterliche Pilgerbericht ist ja durchaus alsKommunikationsmittel zu verstehen, seit der Verbreitung des Buchdruckes unter Umständen auch als "Massenmedium".2Ausser Betracht fällt dabei der Pilgerbericht als ein rein privates 1 Dazu auch: LSCHMUGGE, Kollektiveund individuelle Motivstrukturcn im mittelalterlichen Pilgeiwcscn,in: GJARIT'Z)AMÜLLER (Ed.), Migration in der Feudalgcscllschaft, S.263-289. 2 Als erster Pilgerbericht kam 1468 jener von Ludolf von Sudheim gedruckt in Umlauf . Eine für damalige Verhältnisse "massenhafte" Verbreitung fanden auch die Reisebücher <?page no="259"?> 249 Erinnerungsbuch ohne Veröffentlichun~absicht oder als integrierender Bestandteil einer Geschäftsbuchhaltung . Als Beitrag zu einer Familienchronik erfüllt der Pilgerbericht bereits die Bedingung einer Teilöffentlichkeit - und eine pilgerpropagandistische Funktion, wenn auch nur im engeren Familienkreis, über Generationen hinweg. Die Publizistikwissenschaft unterscheidet in einem verschiedentlich bewährten Funktionsmodell vier grundlegende Ziele einer medialen Botschaft : die Information als Bestandteil der objektiven Berichterstattung, die Korrelation oder Meinungsbildung, zum Beispiel im Kommentar, die Transmission oder Vermittlung von Kultur, im weitesten Sinn, die Gratifikation - Unterhaltung als belohnendes Freizeitmoment. 4 Nun sind diese vier grundlegenden Funktionen auf das Wertesystem der neuzeitlichen Gesellschaft zugeschnitten und lassen sich nicht tel quel auf das ganz anders geartete mittelalterliche Wertesystem übertragen. Es bleiben wohl auch nach einer entsprechenden Modifizierung des Hilfsmodells vier (Haupt -)Funktionen für die spätmittelalterlichen Pilgerberichte übrig, doch verschiebt sich deren Bedeutung etwas. Die unterhaltende Funktion als Selbstzweck fällt analog zur Neugierde als selbstgenügsamem Reisemotiv zunächst einmal als sanktioniertes Berichtmotiv ausser Betracht. Stattdessen verschmelzen die Transmissions- und die Gratifikationsfunktion zur dialektischen oder "belehrenden" Unterhaltung, mit allerdings wachsendem Schwergewicht im Unterhaltungsbereich.5 Als neue Funktion tritt neben die Information für angehende Pilger eine andere, die sich am zutreffendsten als "Kompensation" umschreiben lässt: Der Pilgerbericht erfüllt für jenen Leser/ jene Leserin, der/ die aus bestimmten Gründen von einer realen Pilgerfahrt Abstand nimmt oder nehmen muss, die Funktion einer gedanklichen "Ersatzwallfahrt". von Niccolo di Poggibonsi, Jean de Mandeville und Bernhard von Brcydenbach. Zur bisherigen publizistikwissenschaftlichen Auswertung mittelalterlichen Schrifttums vgl. übrigens: JOACHIM BENZINGER, Zum Wesen und zu den Formen der Kommuni kation und Publizistik im Mittelalter, in: Publizistik 15, 1970,S.295-318. 3 Nach ZRENNER, S.64, verfasste Paul Walther von Guglingen den ersten Teil seines Berichts, das Reisetagebuch nämlich, zum ausschliesslich privaten Gebrauch. Im Gegensatz zu dem von Richard Kyngston geführten Rechnungsbuch zu den Preussen- und Heiliglandcxpeditionen des Earl of Derby erfüllten die Geschäftstagebücher kaufmännischer Pilger durchaus kommunikative Funktionen; nach HIPPLER, S.183, ging es bei diesen "Memorialbüchern• hauptsächlich um familiengeschichtliche Aspekte . 4 Vgl. dazu: ULRICH SAXER, Funktionen der Massenmedien in der modernen Gesellschaft, in: RUPERT KURZROCK (Ed .), Medienforschung, Berlin 1974,S.22-23. 5 Nach SOMMERFEID, S.827: "Der Verweltlichung der Motive der Wallfahrt( ...) entspricht immer deutlicher die Verweltlichung der Motive der Niederschrift des Berichts.• <?page no="260"?> 250 7.1. Die Pilge.rführer-Funktion Ursprünglich als "Baedeker" für nachfolgende Pilger gedacht ist im Normalfall alles, was ohne erläuternde Einleitungs- und Schlussworte auskommt. Den Autoren erschien die grundlegende informative Funktion offenbar dermassen als Selbstverständlichkeit, dass darüber kein Wort verloren werden musste. Wo die Pilgerführer-Funktion nicht explizit genannt ist, weisen sehr oft unpersönliche Formeln ("man geht ...") oder die Verwendung der direkten Rede ("Du kommst hierauf ...") in diese Richtung. Mancher auch zu anderen Zwecken bestimmter Pilgertext scheint sich bei Gelegenheit der Beschreibung der heiligen Stätten in und um Jerusalem auf die ursprüngliche Pilgerführertradition berufen zu wollen und wandelt sich vorübergehend zum reinen Orts- und Distanzensowie Ablassverzeichnis im Dienste des Nächsten. Die zwei Dominikanermönche Wilhelm von Boldensele und Humbert de Dijon schrieben beide in fremdem Auftrag, und in beiden Fällen ging es laut Geleitbrief lediglich darum, Fachwissen allgemeiner Art zum Heiligen Land zu vermitteln. Von einem erweiterten Zielpublikum (in Gestalt potentieller Pilger etwa) oder auch weiteren Motiven (der Kreuzzugsvorbereitung bei Wilhelm von Boldensele beispielsweise) ist nicht die Rede. 6 Ludolf von Sudheim wendet sich hingegen direkt an den potentiellen Heiliglandpilger nach ihm; er gibt gleich zu Beginn seines Berichts zu beachten, dass zunächst die entsprechende Lizenz des Papstes eingeholt werden müsse, und er gibt gesondert Auskunft für Überlandwie für Seereisende.7 Jacopo da Verona spezifiziert seine Pilgerführer-Absicht; er möchte mit seiner Reisebeschreibung bereits bestehende Pilgerbücher auf den neuesten Informationsstand bringen . 8 Dasselbe Ziel geben auch Roberta di Sanseverino und Sebald Rieter, letzterer in Hinblick auf das Pilgerbuch seines Vaters , bekannt. 9 Sir John Mandeville gibt als offizielles Schreibmotiv an, angehenden Reisenden zu den heiligen Stätten (ob Pilgern oder Kreuzfahrern, bleibt offen) mitteilen zu wollen, "... welchen weg sie ziehen sullend. 1110 Giorgio Gucci führt zum Zwecke der Pilgerinformation eine äusserst detaillierte Liste sämtlicher Geldausgaben der Florentiner Reisegesellschaft auf - 6 Vgl. BOLDENSELE, S.196, und DIJON, S516-517: "... ut de Jods sanctis Tenae Sanctae aliquavobispro memoiialibrcviter et succinctetranscribercm(...). Verom cum memoira hominis Jabilissit in hac vita (...), (...) tractatumfaciamaliqualem: visa, tacta et audita veraciterenanando.• 7 Vgl. SUDHEIM, S.3 (Papstlizenz); S.3-4 bzw. 6 ff (Landweg), und S.16 ff. 8 Vgl. VERONA, S.172. 9 Vgl. SANSEVERINO, S.7, und RIEfER, S.62. 10 MANDEVILLE, S.3. <?page no="261"?> 251 offenbar das Ergebnis einer unterwegs sor~ältig geführten Buchhaltung über den jeweiligen Inhalt der Reisekasse. 1 Bei Lionardo Frescobaldi deutet lediglich die zunehmende Anhäufung von heiligen Stätten im Bereich des institutionalisierten Jerusalem-Rundganges auf eine allfällig angestrebte Pilgerführer-Funktion hin. Simone Sigoli wiederum spricht seinen Leser gelegentlich vertraulich mit ''Du"an: Er möchte ihn aufmerksam machen auf die Länder unterwegs, auf Landessitten und Wege, auf die benötigte Reisezeit von Gegend zu Gegend - und überdies auf alles, was sich unterwegs an Sehenswertem findet. 12 Die Absicht, späteren Reisenden Informationen zu liefern, findet sich explizit genannt bei Nompar de Caumont und Bertrandon de la Brocquiere, währenddem Ghillebert de Lannoy bis auf einen beiläufigen Hinweis auf seinen Kundschafterauftrag keinerlei Schreibmotive formuliert. 13 Hans Bernhard von Eptingen wendet sich gleich zu Beginn seines Textes mit konkreten Ratschlägen an seine frommen Nacheiferer: "Item, weralso diese Fahrt vollbringenwill ...", der hole zunächst die Pilgerlizenz ein, sei spätestens vierzehn Tage vor Abfahrt des Schiffes in Venedig und vergesse nicht, den Vertrag mit dem Schiffseigner abzuschliessen. Es folgen praktische Tips, was mitzunehmen war: Kleider zum Wechseln," ... dass einer nit stets in einem Kleid sey, und voll Läus werd",weiter ein "... Schissstuhl",diverse unentbehrliche Reiseutensilien - "... und lueg,dass du eingut TheilSeifen habest,a/ / erleyzu wäschen. " 14 Brauchbare Tips hat auch William Wey in seinen (ebenso systematischen wie übersichtlichen) Pilgerreiseführer eingestreut; es steht da beispielsweise, zum Jordan müsse man unbedingt Brot, Wasser, Eier, Wein und Käse mitbringen, denn seitens der Reiseleitun~ sei hier kein Zwischenhalt "... ad comedendum vel bibendum" vorgesehen. 5 Vom materiellen zum geistigen Rüstzeug: Während Roberta di Sanseverino und Santo Brasca (beide im selben Wortlaut anzüglich bemerken, es lasse sich in jenen Ländern der Geldbeutel beim besten Willen nicht geschlossen halten, geht Sanseverinos Reisegefährte Gabriele Capodilesta auf die spirituellen Voraussetzungen zum Gelingen der Pilgerfahrt ein. 16 Unabdingbar ist demzufolge eine wahrhaft fromme 11 GUCCI, S.419-438.Dazu ausführlich: G.PINfO, I costi del pellegrinaggio in Terrasanta nei secoli XN e XV, in: F.CARDINI (Ed.), Toscana e Terrasanta nel medioevo, Florenz 1982 (ltalia, Oriente, Mediterraneo 1), S.257-284. 12 Vgl. beispielsweise SIGOU, S.159-160 (das "Du• bei der Erläuterung des Bananen- Mirakels), und S.153. 13 Vgl. CAUMONr, S.29-30; BROCQUIERE, S.261; LANNOY, S51 (der Hinweis.auf den Schreibauftrag). 14 Alles EPTINGEN, S.314-322. 15 WEY, S.75: •... ideoquenecesseest ut portenturpanis,aqua, 011a cocta,vinum,caseuset alianecessariaet specialiterconfortativa. • 16 Vgl. SANSEVERINO, S.155, und SANTO BRASCA, S.129; CAPODILESI'A, S.236. <?page no="262"?> 252 Einstellung, die Beichte und die Kommunion vor Antritt der Reise, aber auch der Abschluss eines Testamentes zur Regelung der familiären Angelegenheiten im Todesfall.17 Der Bericht der beiden Adornos liefert zwar keinen Programmhinweis auf eine beabsichtigte Pilgerführer-Funktion, später aber doch vereinzelte Ratschläge vor allem jenen, auf keinen Fall die Pilgergaleeren ab Venedig zu benutzen, denn da herrschten Enge und Raum.not, und die Gefahr, sich mit irgendwelchen Krankheiten anzustecken, sei nicht zu unterschätzen_1s Als eigentliches Pilgerhandbuch hat Hans Tucher seinen Bericht konzipiert. Der Titel: "Ein underrichtung von einem burger Hanns tucher von Nüremberg wie man sich halten sol wer zu dem heyligen grab über mer faren und die heiligen stet also suochen wil".Zur erhofften Propagandawirkung äussert er sich wie folgt: Auf! das aber ander from christenlich brüder die in andechtiger begird und guoter cristenlicher maynunge sölche reyse zuo thuon vorhaben möchten durch underrichtunggelegenheit und schicklikeit der lande und menschen der selben sovil dester begirigerwerden, und dester minder beschwert ab sölcher langer reise entphahen hab ich obgenantet hanns tucher in guoter brüderlicher meinung ein/ eltiklich und schlecht/ ich menigklich in schriften wöllen enden was ich der do sichtiklich und eygentlichgesehen erfaren und erkundigen hab. 19 Dem persönlichen Reisetagebuch folgt in einem informativen Anhang eine Beschreibung der Jerusalemer Grabeskirche (Felix Fabri hat sie unter Angabe der Quelle übernommen), eine Liste mit Meilenangaben, die ganz Europa bis nach Santiago de Compostela abdeckt, sowie eine sechsseitige Kommissionenliste, was alles in Venedig einzukaufen und zu besorgen sei unter anderem eine Reiseapotheke mit "... IJjf lulae pestilentiales" und "... allerley confeckt" zwecks besserer Verdauung. Gerade nicht als Pilgerführer wollte Felix Fabri seinen deutschen Bericht verstanden wissen, ... wenn ich weiss wo/ das jr Pilgerbüchlein habet/ die ewer liltem und vorfaren edelleut/ haben mit grosser vemunfft geschrieben/ odder Bücher 17 Ein Testament findet sich bei CAUMONI', S.3-15,als Bestandteil des Reiseberichtes im Wortlaut aufgeführt. Das Testament des in Jerusalem verstorbenen Sir Richard Guylforde hat sich sonst erhalten (vgl. ELLIS, Ed.Anonymus, S.ix,und S.xi). 18 Vgl. ADORNO, S.54.Ganz im Gegensatz dazu der ANONYMUS, S.83: Er bedauert, nicht die Venedig-Route gewählt zu haben, und rühmt sie als die •... beste and moste surcsf'. 19 TUCHER, S.1 (Titel), und ebenda. 20 Vgl. TUCHER, hier S.106-109,und FABRI, Evag. 1, S.327ff (Zitat Grabeskirche). <?page no="263"?> 253 die ander Pilger haben gemacht/ die auch zu Jerusalem unnd zu Sant Katharina sindt gewesen/ in denen alle ding klarer beschrieben sindt denn ichs möcht setzen (...). Mit fleiss habe ich auch nicht geschrieben/ wie viel meilen von einem ort zu dem andern sein/ und wie viel zerung und gelts auf! die farth gang/ wenn die ding sindt ungewiss zu schreiben (...). Ich habe auch nicht geschrieben wie viel schritt oder fusstritt eine heylige stett von der andern ligt/ wenn das ist so offt aussgemessen unnd worden beschrieben/ das ich mich des nichts an hab wöllen nemen. 21 Zur erwähnten Flut von Pilgerschriften trug (neben Felix Fabri) Bernhard von Breydenbach einiges bei. Wie sein geistlicher Kollege und Mitpilger verfasste er mehrere Pilgerschriften; neben dem von fremder Hand redigierten und mit Holzschnitten ausgestatteten Hauptwerk eine schmale, knapp zwanzigseitige "Reise-Instuction" für den Grafen von Hanau-Lichtenberg, mit praktischen Ratschlägen beispielsweise zur geeigneten Kleidung, zum Schuhwerk und zum Essen unterwegs. 22 Wie sein Vorgänger und Berichtvorbild Gabriele Capodilesta hat auch Santo Brasca seine Pilgerschrift ausser an aktive Pilger an passive "Pilger im Geiste" gerichtet. Während Capodilesta jedoch lediglich Ratschläge moralischer Art erteilt, ergänzt Santo Brasca diese um zahlreiche materielle Tips aus dem eigenen Erfahrungsschatz. Dazu kommt das hübsche Sprichwort, ein angehender Pilger benötige zwei Beutel, den einen wohlgefüllt mit zweihundert venezianischen Gulden, den anderen mit Geduld. 23 Bei Pietro Casola sind es, wie wir festgestellt haben, bereits drei Beutel: Im dritten steckt der "Glaube". Ebenfalls drei Beutel vermerkt Arnold von Harff, mit dem Unterschied, dass sich diesmal "vursichticheyt" und ''wijsheyt"in dem ominösen dritten Beutel befinden sollten. 24 Arnold von Harff hat sein Reisebuch von vornherein als Pilgerführer deklariert, wenn auch im speziellen für seine fürstlichen Auftraggeber. Allgemein möchte er nützliche Ratschläge erteilen ("... so yemant des zo synne wurde, der dese pylgrymmacien volbrengen weulde, dat hee dit boich oeuerlese ind nemen zo danck dit vur eyne gude wegewijse ..."), und zwar würde er dies lieber noch mündlich tun ("... ouch wereich selffs muntlich b,E dir, leser, ich wulde dir dis ... besser vnderrichten",bemerkt er des öfteren). Im allerletzten Satz gibt er sich dem Leser gegenüber erneut als "... pylgrum weech wijser ind dichter" zu erkennen letzteres womöglich sehr 21 FABRI, dt., fol.3a-b. 22 Diese zweite Pilgerschrift findet sich enthalten in: RÖHRICHT und MEISNER (Ed.), Deutsche Pilgerreisen, S.120-145. 23 Vgl. SANfO BRASCA, S.128. 24 Vgl. HARFF, S.260. 25 HARFF, S.1-4; S.96 ("... were ich(. ..) bij dii'), und ähnlich S.150. <?page no="264"?> 254 bewusst in Anspielung auf seinen literarischen Ausflug in die Welt der Mythen. 26 Arnolds Santiago-Bericht erscheint noch mehr als reiner Pilgerführer, beschränkt sich weitgehend auf die Auflistung von Etappenorten und Distanzen und wendet sich vertraulich an ein (pilgerndes) Du. Damit kommt er in der Funktion dem explizit als Pilgerführer bezeichneten Reisebuch des Hermannus Künig von Vach sehr nahe. 27 Dieser beginnt folgendermassen: Ich hennannus künig von Vach/ Mit gottes hülff wil mach/ Eyn kleynes büchelyn/ Das sal sant jacobsstrass genant syn/ Dar jnne ich wil leren wege und stege/ Und wie syner eyn jglicher jacobsbruder sal pflegen/ Mit drincken und auch mit essen/ Auch wil ich dar jnne nicht vergessen/ Mancherley bössheit die die kappuon( = Fremden, eigentlich: Eunuchen) triben/ Da von wil ich hübsche lere schriben/ Davor sich eyn jglicher brüder sal hüten." Etc . 28 Dass Hermannus Künig von Vach besonders den armen Jakobsbruder als Adressaten seiner Pilgerratschläge ins Auge fasste, wird besonders aus jenen Ratschlägen ersichtlich, die sich mit dem Schuheflicken oder mit der (beschränkten) Freigebigkeit der Menschen unterwegs befassen. 29 Was die Warnungen vor "... mancherley bössheit" betrifft, so hält sich der Elsässer Pilgerfahrtsexperte auffällig zurück; womöglich ein Indiz dafür, dass er die Pilger in ungünstigen Zeiten (man denke an die entsprechenden Klagen von Gabriel Tetzel bis Arnold von Harff! ) zwar vorwarnen, nicht aber durch die Anhäufung von Schauergeschichten von ihrem löblichen Vorhaben abbringen wollte. Dass ein Schreibauftrag nicht unbedingt das einzige Schreibmotiv darstellte, zeigt der Reisebericht des Kaplans von Sir Richard Guylforde. Zwar ist dem Titel des Buches zu entnehmen, dass es sich hier um die Schilderung einer fürstlichen Reise-Expedition handelt, 30 und deren Autor tritt als "Hofberichterstatter" vorerst in den Hintergrund. Aber nicht für lange: Geht der Kaplan schon bei der Beschreibung des Weges nach Jerusalem auffallend freigebig mit persönlichen Ansichten und Meinungen um, so verstärkt sich der Eindruck, er selbst sei die Hauptfigur dieser Reiseschilderung, schlagartig mit dem beiläufig notierten - Tod von Sir 26 HARFP, S.260. Dazu VOLKER HONEMANN, Zur Überlieferung der Reisebeschreibung Arnold von Hanfs, in: ZDA 107, 1978,S.168. 27 Vgl. HARFP, S.214-234(v.a. S.218 ft), und KÜNIG, fol.1. 28 KÜNIG, fol.4. 29 Vgl. KÜNIG, ebenda (Schuhmacher); fol.6 und fol5 bzw. fol.10. 30 Vgl. das Titelblatt des erhaltenen Druck-ExemplaIS; ANONYMUS, S.1 (es folgt das Wappendes Auftraggebers). <?page no="265"?> 255 Richard. Zu erwarten wäre in diesem Moment eine (toposartige) Klage über den Hinschied des "Titelhelden" sowie eine Neuorientierung innerhalb der Konzeption des Berichts. Nichts davon: Der Kaplan geht über zu weiteren Pilgerrundgängen, schildert Land und Leute (und in bewegten Worten die mühselige Heimfahrt) und wendet sich mit zahlreichen Reisetips an potentielle Nachfolger (''Andit is tobe noted that ..."), ohne je seine Intentionen explizit darzulegen oder sein Zielpublikum zu benennen. 31 Auf eine Erläuterung ihrer Schreibmotive haben neben vielen anderen auch die vier Eidgenossen Tschudi, Zur Gilgen, Stulz und Stockar verzichtet. Wie seinerzeit Felix Fabri im Vorwort seines deutschen Berichtes bestreitet Heinrich Wölfli eine Pilgerführer-Funktion seines Textes, allerdings aus grundsätzlichen Erwägungen heraus: ... unnd lass dich min bispilzu sölichem nitt reitzen,der du daheimen dem He"en vil sichererunn rüwigerdienenmagst. 32 Er schlägt wie vierhundert Jahre vor ihm bereits die Moraltheologen Hildebert von Le Mans und Lambert le B~gue (in Hinblick auf die pilgernden Mönche) stattdessen vor, das Geld für die teure Jerusalemfahrt in Armenspeisungen und Almosen zu investieren. 33 7.2. Die Geistliche Pilgerfahrt - Ersatz ohne Risiko Unter jenen fünf Autoren, die ihren Reisebericht speziell für (zum Pilgern im allgemeinen nicht zugelassene) Klosterinsassen verfasst haben, fällt auf, dass alle irgendwo beiläufig auf weltliche Phänomene mit verderblichem Einfluss hinweisen. Niccolo da Poggibonsi weiss ein Lied von Edelstein- Lust und -Verlust zu singen, Gabriele Capodilesta betont die "Devotion" als wichtigste Voraussetzung zur Pilgerreise, Santo Brasca verbittet sich als Reisemotive Abenteuerlust oder Ehrgeiz, und Francesco Suriano hat anscheinend fromme Selbstzensur geübt. Felix Fabri schliesslich schildert (als einziger Nicht-Italiener unter den hier genannten Verfassern) ähnlich wie Francesco Petrarca eine Bergbesteigung, die mit schlechtem Gewissen endete. Es scheint somit zwischen den eigenen Skrupeln in bezug auf die 31 Vgl. ANONYMUS, S.40 (Sir Richard Guylfordes Tod und Begräbnis), und beispielsweise S.63 (der Autor sorgt sich um seine Reisegefährten auf hoher See). Keine Erwähnung findet übrigens die Ritterschlagzeremonie in Jerusalem; zu diesem Zeitpunkt war die geschilderte Reise bereits keine Fürstenreise mehr. 32 WÖLPLI, S.12. 33 Ebenda; vgl. (zu den beiden früheren Pilgerfahrtskritikem) CONSTABLE, Opposition to Pilgrimage in the Middle Ages, S.143-144. <?page no="266"?> 256 weltlichen Versuchungen und der erklärten Absicht, verhinderten Pilgern eine Kompensationsmöglichkeit in literarischer Form zu liefern, durchaus ein signifikanter Zusammenhang bestanden zu haben. Niccolo da Poggibonsi fasst in seinem Buch nicht ein speziell mönchisches Zielpublikum, jedenfalls aber alle aus irgendwelchen Gründen verhinderten "Möchtegern-Pilger" als Adressaten ins Auge: Und der Grund, weswegenich mir mit all dem soviel Mühe gegeben habe, istfolgender: Zum einenhält die Annut viele,die ein grossesVerlangenin sich tragen,die heiligenStättenzu besuchen,ab.Andere lassen es wegen der allzugrossenMühsel bleiben. Und einige,weil sie die Lizenz nicht bekommen können, die man beim Papstbeantragenmuss. 34 Gabriele Capodilesta schrieb im Auftrag der Äbtissin und der Nonnen des St.Bernhards-Konvents in Padua, demzufolge für Frauen, die: ... zum Zwecke der eigenen Seligkeit dieses ausserordentlichfromme und beschaulicheLeben gewähltund dafü,rdas tätigeLeben hintersich gelassenhaben, und die eben deshalb vielleichtnicht in der Lage sind und dazu kommen, soviel Nutzen (=eigentlich: Früchte) mit eigenen Augen zu sehen und zu erfahren. 35 Zur Teilnahme im Geiste sollte im folgenden besonders die komplett aufgeführte Pilgerliturgie mit den an Ort und Stelle vorgebrachten Gesängen und Gebeten einladen. Santa Brasca erweist sich hier als der getreue Nachschreiber Capodilestas, verwendet er doch fast genau dieselben Worte, um sein Pilgerbuch dem Adressaten, nämlich Antonio Landriani, Schatzmeister von Ludovico Sforza, genannt "il Moro", ans Herz zu legen. 36 Als Grund, weshalb Antonio Landriani nicht selber zu einer Pilgerreise aufbrechen mochte, gibt Santo Brasca einen weltlichen an: seine übermässige Beanspruchung durch Beruf und Privatleben. 37 In der Folge wendet sich der Autor doch auch mit vorwiegend konkreten Ratschlägen an tatsächliche Nacheiferer. 34 POGGIBONSI, 1, S.47-48: "E Ja ragioneperche di questo niaffaticava,si c questa: prima, ehe molti, ehe annogrande voluntadi visitarcJelante luogora,a molti nuoce Ja poverta, e altri Jascianoper troppa fatica, e chi per non potere averc Iicenzia,ehe si debba averc; dal Papa." Ein Geistlicher beantragte seine Pilgerlizenz direkt bei seinem Vorgesetzten, also beim Abt oder Bischof. Wer seine Pilgerlizenz einzuholen vergass, konnte das Versäumte laut RÖHRICHT, Deutsche Pilgerreisen, S.6, nachholen, indem er die Lizenz beim Guardian des Monte-Sion-Klosters beantragte, 35 CAPODILESI'A, S.164: "... haverper beatitudinesuapresa et electaquesta devotissima vitacontemplativc,JasciataJaactivavita,per Jaqualnunpossendo Vo/ forsipervenirc als personal vedere e cognoscimentodi tantofruto (...)." 36 Vgl. SANTO BRASCA, S.45. 37 Ebenda: "... per Jegrandissimesue occupationepubliceet private(..•)." <?page no="267"?> 257 Felix Fabri und Francesco Suriano haben sich mit ihren Hauptwerken beide bewusst an ein klösterliches Publikum gewandt: Fabri schrieb sein Evagatorium für seine dominikanischen Ulmer Mitbrüder, Suriano für seine Schwester Sixta und die übrigen Nonnen im Klarissenkloster Santa Lucia in Foligno. 38 Angestrebt war in beiden Fällen ein nach Möglichkeit vollständiger Report der eigenen Reise-Erfahrung, angereichert durch pädagogisch sinnvolle Exkurse zu Gott und seiner Schöpfung. So detailverliebt dabei die Schilderung auch durchaus weltlicher Dinge ausfallen mochte, stets bleibt doch die Absicht spürbar, der Jerusalemreise durch die theologische Aufbereitung einen höheren Sinn und der Beschreibung der Reise einen höheren Zweck zu verleihen. Das Streben nach dem höheren Ideal der Pilgerschaft kommt sowohl beim Dominikaner Felix Fabri wie beim Franziskaner Francesco Suriano dort in seiner reinsten Form zum Ausdruck, wo der Erzähler gewissermas sen vom Boden seiner irdischen Pilgerschaft abhebt und sich in die literarischen Gefilde der "Geistlichen Pilgerfahrt" begibt. Bei Suriano geschieht dies im Rahmen eines Sonderkapitels, in welchem die Schilderung der Pilgerprozession in der Jerusalemer Grabeskirche zu einer Hymne auf das Leid der um ihren Sohn trauernden Gottesmutter Maria umgeformt und transzendiert erscheint: Zu jeder Station der Passion Jesu finden sich bewegte Selbstgespräche der trauernden Gottesmutter, dazu Dialoge mit dem frommen Pilger (beziehugsweise Leser) sowie Gebete. 39 Die "Sionspilgerin" von Felix Fabri ist eine Auftragsarbeit für die Nonnen eines schwäbischen Dominikanerklosters und erhalten als anonymes Werk eines gewissen Ulmer Dominikanermönchs, der "... me denn ain mal in das heiligeLand gezogenwar", in einem Manuskript aus der Hand von Schwester Felicitas Lieberin, Medlingen 1494. 40 Der Autor (der sich aus den in der Einleitung geschilderten Umständen leicht identifizieren lässt) tritt hier gänzlich hinter sein Werk zurück und schickt statt seiner seine Leserschaft als "... Syon pilgrim" auf eine (rein gedankliche) Jerusalem-Wanderschaft . 38 Vgl. FABRI, Evag. 1, S.l, und SURIANO, S.19/ S.l. 39 Vgl. SURIANO, S.52-76/ S.34-63; dazu BAGATTI in der Einleitung zur englischen Edition, S.12: •... he writes a spccimen of a sentimental pilgrimage to the Holy Scpulchrc on the model of the sacrcd dramas common in that epoch. • 40 Vgl. die Einleitung von RÖHRICIIT, S.278, zur Teilausgabe in: DERS./ MEISNER, Deutsche Pilgerreisen, S.278-296. Literatur zu Fabris Sionspilgerin: G.VEESEN- MEYER, Ein Gang durch die Kirchen und Kapellen Uhns um das Jahr 1490, nach Felix Fabris Sionspilgerin, in: Verhandlungen des Vereins für Kunst und Altertum in Ulm und Oberschwaben, 1, 1869, S.29-44; M.WIEGANDT, Felix Fabri, Dominikaner, Reiseschriftsteller, Geschichtsschreiber 1441/ 42 - 1502, in: Lebensbilder aus Schwaben und Franken 15, 1983, S.1-28. Kurz auch: ROBERT PLÖTZ, Pclerinage spirituel de Felix Fabri (pclerin de Sion), in: Santiago de Compostela, 1000 ans de pclerinagc europ«n, Gent 1985, S.249, und JAN VAN HERW AARDEN , Lc pclerinage a Saint-Jacques de Compostelle,ebenda,S.82. <?page no="268"?> 258 Der bruder wirt angelangtvon den closterfrowen in Schwaben des selben Sant Dominicus ordes und von den samnungfrowen und von clausnerenund andernandechtigengut willigenkinden, das er sin leplichenpilgerfartwellsetzenals ain bild ainergaistlichenpilgerfaret,ab der si möchtin nemen ainform dergaistlichenpilgerfart. 41 Die fromme Bitte erscheint dem angesprochenen Bruder erst einmal "... ze hoch und ze gaistlich",und er verweist die Bittstellerinnen auf ein vorhandenes solches Werk, nämlich das "Itinerarium mentis in deum" bzw. die "Wegfertikait dess gemietz in got" des hl.Bonaventura. 42 Aber die Nonnen bestehen darauf, von seiner eigenen Pilgerfahrt zu hören und dabei "... in ir ruw und in irm closterlebenstet beleibenund mit ettwaziebungentugentsamlich pilgrin des hailigen lands werden". 43 Der folgende Vergleich dieser "geistlichen" mit der leiblichen Jerusalem-Pilgerfahrt enthüllt das gemeinsame Ziel in Gestalt des Himmlischen Jerusalems: Darum ouch die leiplichen·ritterpilgrinleiplichgenJerusalemziehen, ob sy in der weitschwaifenfart zu dem irdeschenJerusalemmigintfinden ainen spurzu dem himelschenJerusalem.Also wellenwirsprechen,die gaistlichenkind uss der leiplichenfart dess predigersvon Ulm nemen ain geschick/ ikait zu dem gaistlichenwegze gan mit dem gemietin got. 44 Zwar führen beide Wege, der geistliche wie der leibliche, den Pilger hin zu den Toren des Himmlischen Jerusalem mit dem massgeblichen Unterschied allerdings, dass jene im Geist ohne alle "... leiplichaus schweifung" auskommt. Der Pilgerweg durch unbekannte Länder und Städte, so reich an Entbehrungen wie an Versuchungen, wird kurzerhand wegrationalisiert und ersetzt durch die fromme Meditation. 45 Interessant ist die nun folgende Begriffsbestimmung: Als "Sionspilger" umschreibt Fabri die im Geiste Reisenden, als "Ritterpilger" aber bezeichnet er die realen Pilger, die unterwegs mancherlei Hindernisse materieller wie spiritueller Art zu meistern hatten. Jerusalemdaz hailiggrab ze suchen, ist ain hailigebegirlichefart mit groser gn.ad und ablas,aber sy ist weitschwaifund vollsorgenleip/ ichze 41 FABRI, Sionspilgerin, S.282. 42 Ebenda. Bonavcntura: Italienischer Scholastiker und Mystiker (1221-1274),General des Franziskanerkapitels. 43 FABRI, Sionspilgcrin, S.278. 44 Ebenda. Auch KEMPE nennt (S.67) ausdrücklich das Himmlische Jerusalem als persönliches Pilgeniel. 45 Vgl. FABRI, Sionspilgcrin, S.282: "Doain clostermensch oderain anderandechtigfrom still mensch underricht witt, wie er die hailigen pilgerfert so/ verbringen on leiplich aus schweifung." <?page no="269"?> 259 tun, as die ritter pilgrin tund. Die Syon pilgrin sind andechtiger und migen me trostung enpahen in ir pilge,farl, denn die ritterpilgrin. Die pilge,farl der ritterpilgrin von Ulm und wider gen Ulm hat von Jernsalem CCXXXIX tagraissen,aber die Syon pilgrin haben CCV/ II tagraisen und kumen dennoch! vi/ weitter und an me stett, denn die ritterpilgrin, wenn die ritterpilgrin ligen offt still und ligt ina übel und haben vil hindemuss, daz die Syon pilgrin nit hindert; auch so tund die Syon pilgrin so gross tagraisen in ainem tag offt, daz ain ritterpilgrin nit mecht verbringenin X tagen, und daz gipt sich offt. 46 Felix Fabri hat auch die beiden anderen grossen Fernpilgerreisen nach Santiago de Compostela und Rom in diesen literarischen Pilgerreiseführer mit aufgenommen, allerdings nur zur Ergänzung, wie er selber sagt: "... bessren f/ eiss hab ich getan ze ordnen die pilge,farl Jerusalem dess hai/ igen lands, denn gen Rom oder zu Sant Jacob von dess wegen, daz die stett des hailigen lands me arwecken den menschen zu andacht und sind hai/ iger ( .•.). ',41 Der Text der "Sionspilgerin" besteht im wesentlichen aus genauen Angaben, bei welcher Gelegenheit "unterwegs" welche Messen gelesen werden sollen und welche Gesänge wo anzustimmen sind. Der liturgische Charakter des Werks legt die Vermutung nahe, es habe innerhalb der kirchlichen Liturgie Verwendung gesucht und vielleicht auch gefunden. Ob Felix Fabri selbst mit seinem Pilgerbüchlein in der Tasche auf Tournee ging, um Vorträfe vor" ... zahlreichen Scharen von Nonnen" zu halten, ist nicht erwiesen . 4 Eine parallele Erscheinung lässt sich jedenfalls in Villingen bei Donaueschingen nachweisen: Hier liess die innovative Äbtissin des lokalen Klarissen-Konvents für ihre Nonnen alle Stationen des Jerusalemer Kreuzweges auf Steintafeln vermerken und entlang eines Rundganges innerhalb der Klostermauern anbringen. Dabei handelte es sich um mehr als einen lediglich symbolischen Akt, scheint doch Papst Innozenz VIII . ihrem Gesuch um eine Gewährung der "originalen" Jerusalem-Ablässe umgehend entsprochen haben. 49 Kompensationsmöglichkeiten für verhinderte Fernwallfahrer wurden von diversen geistlichen Institutionen (und zu ihnen zähle ich in diesem Moment Felix Fabri) nicht nur in literarischer Form zur Verfügung 46 FABRI, Sionspilgerin, S.288 und Arun.1 (zum Vergleich): Fabris eigene Fahrtdauer betrug im Jahr 1480 215 Tage, 1483-1484hingegen 289 Tage. 47 FABRI, Sionspilgcrin, S.288. 48 Diese Vermutung äusscrt RÖHRICI-IT, Ed.Sionspilgcrin, S.278. 49 Vgl. dazu (und allgemein zur Kreuzwegthematik): RENATE STEGMAIER-BREIN- UNGER, Die hailigen Stett Rom und Jerusalem, Reste einer Ablasssammlung im Bickenkloster in Villingen, in: Freiburger Diözesan-Archiv 91, 1971, S.176-201; zu Fabris "Sionspilgerin" übrigens S.193. Kurz auch: HIPPLER, S.70. <?page no="270"?> 260 gestellt, sondern genauso häufig in Gestalt architektonischer Bauten. 50 Dazu gehören die Heiliggrab-Kopien in zumeist rein symbolisch nachempfundener Gestalt, wie sie sich in ganz Europa vereinzelt heute noch finden lassen. 51 Vereinzelt haben sich solche Heiliggrab-Anlagen zu eigentlichen Kalvarienberg-Anlagenausgeweitet,so zum Beispiel diejenige in Görlitz, von welcher später noch die Rede sein wird: Sie wurde von Stadtbürgermeister Georg Emmerich gestiftet und in den Jahren 1481 - 1504 gebaut. 52 Derselbe Georg Emmerich hatte zweimal (1465 und 1476) das Heilige Land bereist und beim zweiten Mal innerhalb der Grabeskirche Messungen durchgeführt, wie aus dem Reisebericht des Mitpilgers Hans von Mergenthal hervorgeht: Die zweyEheleut von Görlitz/ habendas muster vom HeiligenGrabezu Hierusalemgenommen/ und darnachzu Görlitzheraussenvor der Stadt 50 Allgemein zur Problematik der mittelalterlichen "gtfographieen chambre", wie sie JEAN RICHARD hübsch umschreibt, vgl: DERS., Voyages reels et voyages imaginaires, instruments de la connaissance gtfographique du Moyen Age, in: DERS., Croises, missionnaires et voyageurs, London 1983, S.211-220.Allgemeines zur Thematik der geistlichen Pilgerreisen: RRUSCONI, Gerusalemme nella predicazione populare quattrocentesca tra millennio, ricordo di viaggio e luogo sacra, in: Bollettino dell' lnstituto storico italiano per il Medioevo, 1978,S.229-247; ETIENNE DELARUELLE, La piete populaire a la fin du moyen-age, in: DERS., La piete populaire au moyen-age, Turin 1980, S.413-453 (zur Kreuzwegverehrung); CHRISl1ANE DELUZ, Prier a Jerusalem, in: La Pri~re au Moyen-Age, Paris 1981, S.200 f (zur Entstehung des Kreuzweggedankens); Jan van HERWMRDEN, Geloof en geloofsuitingen in den late middeleeuvc in de Nederlanden: Jerusalembedevarten, lijdensdevotie en kruiswcgvcrering, in: Bijdragen en Medelingen betreffende de geschiedenis der Nederlanden 98, 1983, S.400-429. Vgl. auch: MICHEL-JEAN PICARO, Croix (chemin de), in: Dictionnaire de Spiritualite, Sp.2576-2606,sowie kurz und prägnant: SCHNEIDER, S.224ff (mit weiterführender Literatur). 51 Vgl. SCHNEIDER, S.229 f. Der Vater von Anselme Adorno liess wie viele andere heimgekehrte Jerusalempilger eine Heiliggrabkapelle bauen, zum Nutzen des familiären Rufs und Frommen der Mitchristen. Zur Thematik allgemein vgl. GUsrAV DALMAN, Das Grab Christi in Deutschland, Leipzig 1922; ROMUALD BAUERREISS, Sepulcrum Domini, Studien zur Entstehung der christlichen Wallfahrt auf deutschem Boden, München 1936; A.SCHWARZWEBER, Das Heilige Grab in der deutschen Bildnerei des Mittelalters, Freiburg 1940; J.HUBERT, Les imitations du Saint-Sepulcre au moyenage, in: La revue fran~ise de l'elite europeenne 3, 1950, S.53-71; ANTON DÖRRER, Heiliggräber, Grabandachten, Karwochenspiele, Beispiele aus Tirol, in: Ostern in Tll'Ol 169, 1957,S.181-219; A.H.BREDERO, Jerusalem dans l'occident medieval, in: Melanges RCrozet, 1, Poitiers 1966, S.259-270; WOLFGANG GÖTz, Heilig-Grab-Bauten, in: DERS., Zentralbau und Zentralbautendenz in der gotischen Architektur, Berlin 1968, S.218-236; D.NERI, 11Santo Scpolcro riprodotto in Occidente, Jerusalem 1971; GENE- VIEVE BRESC-BAUTIER, Le Saint-Sepulcre de Jerusalem et l'occident au moyen..ßge, Diss.(masch.) Ecole des Chartes, Paris 1971; DIES., Zusammenfassung, in: Positions des th~, Ecole nationale des c~a! ! _~ Paris 1971,S.15-25; DIES., Les imitations du Saint- Sepulcre de Jerusalem (IX -xvsi~les), Archeologie d'une devotion, in: Revue d'histoire de Ja spiritualite 50, 1974,S.319-342; F.CARDINI, Le riproduzioni occidentali del Santo Scpolcro e Luoghi Santi, in: Citta di Vita 40, 1985,S.33-44. 52 Vgl. HELGA MÖBIUS, Passion und Auferstehung in Kultur und Kunst des Mittelalters, Wien 1978,S.81-82. <?page no="271"?> 261 eine Capellenlassenbawen/ undein Grabin allergestalt/ wiedas Heilige Grabzu Hierusalemist. 53 Als Hilfsmittel bei der Vergegenwärtigung der Stätten im Heiligen Land mochten überdies Kreuzwegdarstellungen dienen, angebracht hinter Klostermauern (wie in Villingen), an Kirchenwänden oder auch an Wegrändern draussen in Feld und Wiese. 54 Die literarischen "Geistlichen Pilgerfahrten" wiederum bilden ein eigenständiges Genre, dessen Spuren sich weit über das späte Mittelalter hinaus zurückverfolgen lassen, während es in zeitlicher Kontinuität wenn auch einem starken Bedeutungswandel unterworfen bis hin zur Romantik Bestand haben sollte. 55 Hierbei wurde mehr oder weniger auf den (auch von Felix Fabri aufgegriffenen) Gedanken des Lebens als "Pilgerfahrt" Bezug genommen. Als Beispiel sei hier kurz die "Pilgerfahrt des träumenden Mönchs", aufgezeichnet um 1430 von Peter de Merode, genannt es handelt sich dabei um eine deutsche Übertragung der im späten Mittelalter international verbreiteten "Pelerinage de la vie humaine" von Guillaume de Deguileville (um 1350). 56 Erzählt wird die Reise eines Mönchs im Traum nach Jerusalem : 53 Vgl. RÖHRICIIT, Deutsche Pilgerreisen, S.131-132,und MERGENIHAL, unpaginiert. 54 Vgl. die Literatur oben zum Stellenwert des Kreuzweges innerhalb der "Devotio Modema"; zu den baugeschichtlichen Aspekten überdies: E.KRAMER, Kreuzweg und Kalvarienberg. Historische und baugeschichtliche Untersuchung, KehVStrassburg 1957 (Studien zur deutschen Kunstgeschichte313). 55 Literatur dazu (Auswahl}: F.C.GARDINER, The Pilgrimage of Desire: A Study of Theme and Genre in Medieval Literature, Leiden 1971; JÜRGEN HAHN, The Origins of the Baroque Concept of Peregrinatio, Chapel Hill 1973 (Univ.of North Carolina, Studies in the Romance Languages and Literatures 131); S.WENZEL, The Pilgrimage of Life as a Late Medieval Genre, in: Medieval Studies 35, 1973, S.370-388; ETIENNE DELARUELLE, Le pelerinage intt! rieur au XV" siecle, in: DERS., La pi6t6 populaire au moyen-4ge, Turin 1980, S555-561; DIETRICH HUSCHENBEIT, Von landen und ynselen, Literarische und geistliche Meerfahrten nach Palästina im späten Mittelalter, in: N.R WOLF (Ed .}, Wissensorganisierende und wissensvermittelnde Literatur im Mittelalter, Perspektiven ihrer Erforschung, Wiesbaden 1987 (Wissensliteratur im Mittelalter 1), S.187 ff. Vgl. auch SCHNEIDER, S.223f. 56 ADRIAAN MEIJBOOM (Ed .dt.), Die Pilgerfahrt des träumenden Mönchs, nach der Kölner Handschrift herausgegeben, Bonn/ Leipzig 1926 (Rheinische Beiträge und Hil~sbücher zur germanischen Philologie und Volkskunde 10). Vgl. auch: JJ. SI'ÜRZINGER (Ed.), Guillaume de Deguileville, Le Pelerinage de Ja vie humaine, London 1893 (Roxburghe Qub }, und AVRIL HENRY (Ed.engl.), The Pilgrimage of the Lyfe of the Manhode, translated anonymously into prose from the first recension of Guillaume de Deguileville's poem 'Le pelerinage de Ja ie humaine', 2 Bde, London 1985- 88 (Early English Text Society288/ 292). Literatur dazu: STANLEY LEMAN GALPIN, On the Sources of Guillaume de Deguileville's Pelerinage de 1'4me,in: PMLA 25, 1910, S.275-308; RTUVE, Allegorical lmagineiy, Same Medieval Books and Their Posterity, Princeton 1966, S.145-218; HEITMAN, Artikel zu Deguileville, in: Festschrift Hans Flasche, 1973; JOSEPH M.KEENAN, The Cistercian Pilgrimage to Jerusalem in Guillaume de Deguileville's Pelerinage de Ja vie humaine, in: Studies in Medieval Cistercian histoiy 2, S.166-185; ROSEMARIE BERGMANN, Die Pilgerfahrt zum <?page no="272"?> 262 Soe duchte mich in dem droememyn/ We dat ich wereeynftlgerym/ Ind hedde den weckgestaen/ inde stat vanJhernsalemzo gaen. Bald erweist sich das Ziel als Himmlisches Jerusalem und die Traumreise als Lebensreise, die den Träumenden mit unzähligen allegorischen Gestalten konfrontiert: "Gottes Gnade" und ''Redelichkeit" begleiten den Pilger auf seinem mühseligen Weg, unterwegs wirft sich der Gottesgnade eine wilde Dame namens "Nature" zu Füssen, Aristoteles verliert ein (reichlich manipuliertes) Wortduell gegen die "Sapientia", und "Caritas" erklärt dem Pilger beziehungsweise dem Leser die Bedeutung der christlichen Sakramente. Pilgertasche und -stab finden sich umgedeutet zu Symbolen für Glaube und Hoffnung, die Rüstung aber, welche dem Träumer allzuschwer zum Tragen erscheint (sie besteht aus diversen frommen Tugenden), wird ihm von Frau "Gedächtnis" hinterhergetragen. 58 Immer wieder müssen die zwei himmlischen Begleiterinnen den schwachen Erdensohn aus den Händen von Laster-Allegorien aller Art retten, bis der mittelalterliche "Jedermann" schliesslich in dem Moment, da ihn der Tod mit seiner Skeletthand berührt, erwacht. Zwei Momente sind für das Genre bezeichnend: die Verbindung von Traum und Pilgerfahrt einerseits 59 der Symbolismus, der hier seine farbigsten Blüten treibt, andererseits. 60 Die allegorische Deutung des Lebens als Pilgerfahrt findet sich auch in zahlreichen zeitgenössischen Abbildungen vergegenwärtigt, beispielsweise in der Darstellung des "Pilgerschiffs", das den wankelmütigen Christen durch Stürme und Widrigkeiten sicher ans andere Ufer und damit ins Himmelreich befördert. 61 Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Feststellung, dass auch der "ganz normale" Pilgerbericht von dieser allegorischen Ausgestaltung des Themas in Wort und Bild in erheblichem Masse beeinflusst worden ist'wo immer ein Pilgerberichtautor literarische Ambitionen an den Tag legt, geschieht es im Sinne einer Transzendenz in Richtung der "Geistlichen Pilgerfahrt". 62 himmlischen Jerusalem, Wiesbaden 1983; AVRIL HENRY, The Illuminations in the Two Illustrated Middle English Manuscripts of the Prosc "Pilgrimage of the Lyfe of the Manhode", in: Scriptorium 37, 2, 1983,S.264-273. 57 Träumender Mönch, S.3. 58 Alle geschilderten Episoden in: Träumender Mönch, S.42-129. 59 Vgl. etwa auch HOWARD, S.9: "The drcam is a one-wayjoumcy like a pilgrimage, the wakening a retum home.• 60 Vgl. dazu HUIZINGA, S.293: Im Zuge der fortwährenden Versinnbildlichung sämtlicher Lebensmomente geriet die Welt immer mehr zum• .••reinen Rechenexempel." 61 Es handelt sich rechts um das Titelblatt einer gedruckten Erziehungsschrift ohne Erscheinungsort und Datum. Verleger war (so sagt es der Frosch oben auf dem Stundenglas) Christoffel Froschauer in Zürich. 62 Vgl. auch SCHNEIDER, S.224: "Die Berichte des 15. und 16. Jahrhunderts erfüllten die Punktion von Ersatzbibeln .... • <?page no="273"?> 263 ~~e _6t! _gcr f "2itf 6itt idig,ettattc/ ~ilr•i'omden~inei,accerfonc. ~iG 6ucl2Un ~alt inne vier inicfd. ''Das Bilger schiff bin ich genant / Far vom elend ins vatterlant." Anonym (ChristoffelFroschauer),ZentralbibliothekZürich,Zwingli244. <?page no="274"?> 264 7.3. Der Pilgerbericht als Kreuzzugsaufruf Dass der Kreuzzugsgedanke als ritterliches Pilgerideal weit über die Zeit der Kreuzzüge hinauswirkte und unter dem Zeichen der Bedrohung des Westens durch das Osmanenreich neues Gewicht erhielt, haben wir gesehen. Selbst die erste Entdeckungsreise von Kolumbus basierte zunächst auf der politischen Idee, die Möglichkeiten eines Umklammerungsbündnisses zwischen Europa und den Tataren gegen die vordringenden Türken abzuklären. 63 Kreuzzugspropaganda betrieben in ihren Werkenbeispielsweise Marino Sanudo Torselli (der Ältere), Emmanuel Piloti, Jean Germain und Philippe de M6zi~res alles Autoren, denen das Genre des Pilgerberichts inhaltlich wie formal nahestand, ob sie nun selber gereist waren oder angehende Kreuzfahrer beziehungsweise Pilger mit Informationen zu versorgen suchten. 64 Charakteristische Züge dieser literarischen Kreuzzugsaufrufe finden sich vielfach in den spätmittelalterlichen Pilgerberichten wieder, wo sie als formale Elemente mit den ideologisch-rassistischen Bemerkungen über den Islam als Religion und "Philosophie" durchaus in Einklang stehen. Ludolf von Sudheim wird bei der Beschreibung Alexandrias entgegen seiner sonstigen Gewohnheit der Zurückhaltung in persönlichen Ansichten auch ohne entsprechenden Auftrag kurz zum abwägenden Strategen: Diese Stadt erscheint nach menschlichem Ermessen nicht einnehmbar. Und dennoch wäre sie leicht zu erobern.Davon mehr zu sagen ist nicht meine Angelegenheit. 65 In wesentlich aggressiverer Weise setzt sich Jacopo da Verona (der seinerseits auf die Besichtigung Alexandrias verzichtete, um sich nicht leichtfertig dem Spionageverdacht auszusetzen) mit diesen Angelegenheiten auseinander. Gleich zu Beginn seines Berichtes beklagt er den desolaten Zustand der heiligen Stätten (an welchem er selber auch nicht völlig unschuldig war) sowie die Tatsache, dass "... um unserer Schwäche und Sünden willen" jetzt alles in sarazenischer Hand sei. Später liefert er durchaus brauchbare strategische Hinweise zu den Burgen und Befestigungen im Heiligen Land, "... welche man, so die Überfahrt wirklich zustande kommen würde, erobern müsste. "66 63 Vgl. ATIYA, Toe Cmsade in the Later Middle Ages, S.8. 64 Zu den Autoren und ihrem Werk: ATIYA, S.114-127 (Marino Sanudo); S.208-212 (Emmanuel Piloti); S.205-208(Jean Germain); S.136-154(Philippe de M6zi! res). 65 SUDHEIM, S.36: • Haec civitashumonnovisuiinexpugnabilisvidctur et tamcn facilitcr essetcapicnda. De quo mihiplus dicerenon cst cura. • 66 VERONA, S.172 (Schwäche und Sünden), und S.224-225. <?page no="275"?> 265 Konkreter noch äussert sich Jean de Mandeville, der nicht einfach zu toposartigen Klagen ansetzt, sondern gleich massive Beschuldigungen an die Adresse von europäischem Adei Kaiser und Papst richtet . ... Da von wirchristennach Cristosigentgenant,und uns sunder/ ichnun genant hatt. Aber / aiderwir habent als vil ze schaffend und ze fechtend under uns selber,das wirunsererbe/ assentbesitzenund niessentdie unsä/ igenhaiden (...) Und daz ist dergrossenhe"en schuld, die wederfrid noch suon machend und / ond dasfo/ ck gon ze gleicherwiss als ain hirt dernit sinderschauff achtelt,wann ainesgatt hin, das anderher.Da von gevie/ es den zwain höptem, dem babst und dem kayser,so mochtend wir wo/ unser land gewinnen.Wann es sichergott wo/ gefieledas wircristen ain ainung under uns hettend und und beraittendze gewynnenunser land. Sichermich duncket das nit lang zitt fur gang, wir/ ewynnend das hailigland, und kome wyderin derrechtenerbenhand. 6 Die politischen Anspielungen sind unüberhörbar und zu verstehen als Appell an Papst und Kaiser, sich für die Einigkeit der christlichen Länder in diesen Zeiten dominierender "Privatinteressen" stark zu machen. 68 Allerdings erscheint sein zum Schluss leicht illusionärer Kommentar noch immer nicht als Kreuzzugsaufruf im engeren propagandistischen Sinn und Mandeville selbst nicht als glühender Verfechter des Kreuzzugs-gedankens, "... but he was writingf or the entertainmentof wou/ d-be-crusaders. "6 9 Lionardo Frescobaldi äussert sich zur Stadt Beirut in einer beiläufigen Bemerkung dahingehend, das Verteidigungskastell sei "... nicht so stark befestigt,dass es nicht durchSoldaten von hierim Nahkampf erobertwerden könnte." Dies sein einziger Beitrag zum Thema. 70 Nompars (de Caumont) Bedauern über die Dekadenz des Rittertums seiner Zeit kommt gleich mehrfach zum Ausdruck, so etwa in seiner Kritik der Tätigkeit der Johanniter-Ordensritter auf Rhodos: aus Mangel an Courage würden sie lieber untereinander Krieg führen als gegen die Ungläubigen anzutreten. Unter den Pflichten der Grabesritter zählt er als erste auf, die Kirche zu schützen; schon als zweite das Bestreben, mit ganzer Kraft die Eroberung des heiligen Landes zu fördern. 71 67 MANDEVILLE, S.2-3. 68 Vgl. ATIY A, S.7: •... with the new concentration on home troubles and home aggrandisement, 'international' eo-operative movements based on wider motives, such as the crusades, grew more and more remote from realities with the waning of the Middle Ages in England and France." 69 Soweit BENNE'IT, S.72. 70 FRESCOBALDI, S.145: "II castello non e si forte ehe non si vincessi per battaglia di mano da gente d'arme di qua.• 71 Vgl. CAUMONI', S.44 (Johanniter), und S.51-52. <?page no="276"?> 266 Nicht eigentlich als Kreuzzugspropaganda sind auch die Schriften von Ghillebert de Lannoy und Bertrandon de la Brocquiere konzipiert sie enthalten vielmehr konkretes Anschauungsmaterial zur Verwirklichung entsprechender Projekte. Genaue Vorstellungen von seinem Zielpublikum hatte dabei Bertrandon: Um die Herzen der Edelleute, die etwas von der Welt sehen wollen, anzuregenund zu locken (...), (...) habe ich diese kleine Reise, die ich gemacht habe, aufschreibenlassen, so dass, f al/ s irgendeinchristlicher König oder Prinz die EroberungJerusalemsin Angriff nehmen und eine schlagkräftigeAnnee über Land dorthinführen möchte, derselbe hier etwas erfährtvon den Dörfernund Städten, den Gegenden,Landschaften, Flüssen, Bergen und Pässen, und von den Ländern und den Fürsten,die übersie hemchen, von Jerusalembis nach dem Fürstentum Burgund. 12 Zum Schluss folgt der offizielle Rapport von Bertrandons Beobachtungen zur Taktik und Stärke des türkischen Heeres, eingeleitet durch ein aufschlussreiches "Fähigkeitszeugnis", welches sich der weitgereiste Ritter selber ausstellt: Und nachdem ich nun ein wenigmit den Türkenzusammengelebt habe und mir ihre Art zu leben und zu kämpfen gemerkt habe und auch vieles von respektablenLeuten gehörthabe, die ihrerseitsdie Türken bei ihren Unternehmungenbeobachtethaben, masse ich mir an - und diesbezüglich besserlnf armiertesollen mich korrigieren-, davon ein wenigesnach meinem Dafürhaltenzu erzählen. 73 Tatsächlich erweist sich der Burgunder als kompetenter Militärstratege, der die Stärken und Schwächen der türkischen Armee gegenüber den westeuropäischen Kampfmethoden genau abzuwägen und zu kommentieren versteht. Zum Beispiel scheinen die türkischen Pfeile und Bogen auf so günstige Weise anders als die westlichen konstruiert gewesen zu sein, dass zwar türkische Pfeile auf westliche Bogen, die westlichen Pfeile aber nicht auf die türkischen Bogen passten ein nicht zu unterschätzender taktischer Vorteil.7 4 Dennoch kann sich ein heutiger Leser des Eindrucks 72 BROCQUIERE, S.1-2. 73 BROCQUIERE, S.216: •Et pour ce que/ ay ungpeu hantc/ es Turcz et veu Jeurmaniere de faire,tant en Jeurfa~n de vivrcque en Jeurshabillemensde guerre, et aussique/ ay ouypader de notablesgcns qui / es ont veuz en Jeursgrans affaires,je me suis enhardy, saulveJacorrectionde ceulxqui se congnoisscnten cest chosemieulxqueje ne fais, <I en parlerungpou selon mon entendement• 74 Vgl. BROCQUIERE, S.227. <?page no="277"?> 267 nicht erwehren, Bertrandon habe selber seine Zweifel am Gelingen einer allfälligen Invasion im Orient gehabt, wenn er zum Schluss die Hypothese aufstellt, fähige Truppen unter guter Führung französische, englische und deutsche würden ausreichen, vorausgesetzt, es wären ~enug Soldaten, um über Land geradewegs nach Jerusalem zu marschieren. : s Zu einem Stück flammender Kreuzzugspropaganda gerät der Bericht von Bernhard von Breydenbach, wo der Autor (oder allenfalls der Bearbeiter Martin Roth) den Zweck all der vorausgegangenen Verwünschungen des Islam erläutert. Unter dem Motto "Wider den Erbfeind soft jedennan willig kriegen" steht zunächst ein Aufruf an die "... Führer und Beschinner/ König und Fürsten", doch endlich Frieden untereinander zu schliessen, dann folgt der Appell an die christlichen Ritter, ihrem Titel gefälligst wieder etwas mehr Ehre zu erweisen: Was kommet (bitt ich euch) für ehre oder nutz darauss/ dass jr so viel Arbeit unnd Kosten daran leget unnd darzu wendet/ unnd doch kein andern Sold empfahet/ denn Sünd/ bissweilen Schand/ oder auch offtermals den Todt? Ihr bedeckt euwere Rossz mit seiden Thüchem/ und mahlet Schild und heim/ Sattel/ Zäum und Sporen/ mit sampt dess gantzen Leibs Wehr/ es muss alles mit Gold und Silber erglaisten/ und mit solchem kostbarlichem gezierde und unnützer Hoffart eyletjr offt zu dem tode. 0 was grosser hülff und stewer möchte auss solchem uberflüssigem und eytelen Kosten/ den jr in solchen thorheiten vergiesset/ der gemeinen Christenheit wider die Ungläubigenerschiessen/ wenn derselbe Kost zu solchem heyligengebrauch von euch gekehret würde? 16 Paul Walther von Guglingen und Felix Fabri unterstützen gleichfalls wortgewaltig den "heiligen Krieg", der eine mit einem "... inbrünstigengebet um wiedergewinnung des hl.landes durch die Christen", der andere beispielsweise mit einer sehr einseitigen Darstellung der Geschichte der Kreuzzüge. 77 Als schärfster Kriegstrieber unter den hier befragten Berichtautoren entpuppt sich Bruder Felix anlässlich seiner Predigt, die er den frischgebackenen Grabesrittern deutscher Nation offenbar noch innerhalb der Grabeskirche hielt. Das rhetorische Meisterstück ist Wort für Wort im Evagatorium wiedergegeben und gipfelt in dem Aufruf: 75 BROCQUIERE, S.230: "Et pour ce, me sable il que geas notables et de bon gouvemement comme ces m nations que jay nomme cy dessus, <! estassavoir Franfais, Anglois et Allemans, sont asses souff,sans, et eulx bien unis ensamble en nombrc competent, pourroient alerpar terrcjusques en Jherusalem.• 76 BREYDENBACH, fol.97a. 77 Vgl. WALTIIER, S.310, und Anm.1 (leider fehlt der Wortlaut des Gebets in der Ausgabe); FABRI, Evag. 2, S.249-323. <?page no="278"?> 268 Wachtalso auf, tapfersteRitter,und erhebtEuch, um die Schmähungen unseres Gottes und die Schändungdes christlichenVolkes zu rächen, wie es einstdie gewaltigstarkenMakkabäertaten, und trachtetdarnach, die Ungläubigenzu töten oder zu vertreibenund das Erbe des Herrn zurück in die Christenheit zu holen! 78 Ein edler Ritter von altem Schrot und Korn - Ludwig Tschudi taxiert denn auch schon beim ersten Anblick der Stadt Jerusalem die Befestigungsanlagen und bemerkt dazu im Bericht, zur Eroberung müssten eigentlich zweihundert Bewaffnete ausreichen: Dies ein weiterer typischer Ausdruck jener "... Spionagegelüste und Kreuzfahrer-Allüren, wie man sie in manchen Jerusalem-Schilderungen ritterlicher Pilger antrifft. 1179 7.4. Die belehrende Unterhaltungslektüre Als kurzweilige Lektüre zum Zeitvertreib hatte der Pilgerbericht einiges zu bieten: spannende Reiseabenteuer und fromme Erbauung, exotischen Kitzel und christliche Selbstbestätigung. Nur hätten die spannenden Abenteuer und der Kitzel des Neuen und Unbekannten allein als Legitimation zur Abfassung eines Reisebuches niemals ausgereicht. Für die schreibenden Pilger des 14. bis 16. Jahrhunderts galt diesbezüglich in weit stärkerem Masse, was sich auch noch für die Reisebeschreibungen des 18. Jahrhunderts feststellen lässt: "Die wachsende Bereitschaft der Autoren, sich zu 'inneren', individualpsychologischen Motiven zu bekennen, bleibt zunächst auf ihre Eigenschaft als Reisende beschränkt: als Reisebeschrei ber beziehen sie ihre Legitimation hingegen nach wie vor aus äusseren Zweckbestimmungen." 80 Das heisst in diesem Fall: Nicht die Unterhaltung des Lesers war für den schreibenden Pilger das vorgegebene Ziel, sondern allenfalls eine belehrende Abart, die dem Leser zumindest beiläufig moralische Werte vermittelte. Die Richtung der zu vermittelnden Moral aber war eindeutig zweckbestimmt: Es ging um die Wahrung und Beförderung der christlichen Tugenden. Selbst da, wo der Pilger als Reisender mehr und mehr zur Neugierde als einer individualistischen Antriebskraft steht und sogar (im Einzelfall des Bertrandon de la Brocquiere) neue Ansichten aus der persönlichen Anschauung entwickelt, so werden doch im Pilgerbericht 78 FABRI, Evag. 2, S.16. 79 TSCHUDI, S.240; dazu ESCH, Vier Schweizer Parallelberichte, S.160. 80 Vgl. WIU.IAM E.Sl'EW ART, Die Reisebeschreibung und ihre Theorie im Deutschland des 18. Jahrhunderts, Diss.Köln/ Bonn 1978, S.120. <?page no="279"?> 269 keinerlei Konsequenzen für das Weltbild des Lesers entwickelt. Im Gegenteil: Mit dem reisenden Ich-Erzähler als Identifikationsfigur kehrt der Leser wohlbehalten in den Alltag und das bestehende Wertegefüge seines gesellschaftlichen Systems zurück auch wenn dieses an sich revisionsbedürftig wäre. Der Pilgerbericht steht somit nicht im Dienste eines irgendwie gearteten Fortschritts, er trägt allenfalls eskapistische Züge wie die moderneren (Reise- )Abenteuerromane auch. Immerhin lässt sich feststellen, dass einige Autoren eine Öffnung des Zielpublikums über die Standesgrenzen hinweg anstreben ein sicheres Indiz für die Bereitschaft, den Unterhaltungsbedürfnissen einer breiten Allgemeinheit Rechnung zu tragen. Jean de Mandeville hat seinen "Pilgerbericht" bewusst in französischer Sprache (und nicht in der Kirchensprache Latein) verfasst, um ihn, wie er sagt, breiteren Kreisen einer interessierten Leserschaft zugänglich zu machen: Und wissend daz ich diss buoch in frantzosersprachmachet, dar umb daz es jeder man desterbass verstünde,und daz ich ouch desterbass den lutten möcht zu verstondgeben min maynung,wann ouch yedermahn nit verstätlattin.Darumb machetich es infrantzosersprach,und das ain jeglich he"e, ritterund frowe die gern lessent,möchten diss buoch/ essenund verston. 81 Die Behauptung von Bellarmino Bagatti, wonach die drei Florentiner Berichterstatter "... for the domestics who served them and for all who had in mind to travel overseas" schrieben, lässt sich anhand der Texte von Lionardo Frescobaldi, Giorgio Gucci und Simone Sigoli nicht schlüssig beweisen. 82 Hingegen hoffte Felix Fabri, den dienenden Stand ebenso wie des Lesens unkundigen Frauen und Kinder mit zum Publikum seines deutschen Berichttextes zählen zu dürfen: Aber so ichfü,rwarweiss/ dassdiss Büchleinkommen wirdtewernkindern und Haussfrawen/ ewerndienern/ knechtenund mägden in die hende/ und wirdtewerneigenenleutenvorgelesen/ sohab ichs desto / enger gemacht. (...) Dabey hab ich auch etwannkindtlich/ lecherlichsachen/ diesich verlauffenhaben in derreyse/ hinzugesetzt/ undschimpfliche Fabeln die ich gehörthabe/ und man saget/ dieda odder dort beschehensein/ das ewerekind/ jungeleut/ knabenund töchter/ destolieber 81 MANDEVILLE, S.4. Dazu RICHARD, Lcs rccits, S.44: Die Volkssprache tauchte in der Reiseliteratur aus der Zeit des 3. und 4. Kreuzzuges erstmals auf. Poggibonsi schrieb als erster Italiener italienisch; der erste volkssprachlich deutsche Pilgerbericht war der eines anonymen Kölners um 1330. 82 Vgl. BAGATTI in der Einleitung zur engl.Ausgabe, S.18. <?page no="280"?> 270 diss büch/ ein lesen/ und bey den ernstlichenHeyligen Stedten/ auch etwas frö/ ichs fünden/ damit sie lange wey/ e vertreiben. Wenn meine meinung ist nich das jemandt diss Büchlein lese/ in denen stunden so man ernsthafftig soll sein/ und mit tapffern sachen soll umbgehn. Aber so ein menschs sonst müssig gienge unnd zeit ver/ üre/ Oder so ein Ritter des Heyligen Grabes wo/ t sein Wa/ farlh wider in gedechtnuss bilden/ so mag er in diesem Büchlein lesen. Die pädagogische Funktion findet sich im deutschen Vorwort auch explizit formuliert: "Wenn ich hoffe das diss Büchlein Gott ehrlich werd sein/ und euch meinen vier he"en wo/ gefe/ / ig/ den nechsten menschen besser/ ich/ und mir verdien/ ich/ Amen. ..s 3 Konrad von Grünemberg zitiert einen Freund Platons, Archytas von Tarent, um seine eigene pure Lust am Erzählen zu rechtfertigen. Dieser Philosoph "... meint, dass wenn ein Mensch durch Gottes Kraft in eine Lage käme, da er Natur und Ansehn der ganzen Welt, auch der Gestirne Schönheit schauen könnte, ihm solch Ergetzen und Verwundern doch wenig Freude bringe, so er nicht einen hätte, dem er's erzählt: so hab auch ich Ritter Conrat Grünemberg, auf meiner Wallfahrt zu dem heiligen Grabe meiner lieben Gönner und Freunde eingedenk, was ich des Seltsamen, Gefälligen und Wunderbarlichen gesehen hab, auf diesen nachfolgenden Blättern abgebildet und aN{ das genauest mit Fleiss, soviel ich haben konnte, getreulich dargestellt.' Die Mitteilungsfreude als Schreibmotiv spricht auch schon aus früheren Reiseberichten, aus demjenigen von Hans Bernhard von Eptingen (der dem geneigten Leser erzählen wollte, "... was ich gesehen hab, und mir begegnet ist und ergangen") etwa oder aus Eustache de la Fosses iberischem Abenteuerbericht ("... pour vous advertir de / a vraye verite')- 85 Arnold von Harff lässt nichts über allfällige Unterhaltungsabsichten verlauten, doch sprechen seine Einschübe zu phantastischen fremden Ländern und Geschöpfen eine deutliche Sprache. 86 Gezielte pädagogische Absichten verfolgte unter den Santiagopilgem allein Lucas Rem, wenn man der später hinzugesetzten Überschrift seines Pilgerberichts beziehungsweise Haushaltbuches Glauben schenken darf: "Lucas Remen dess III verzaichnis seines gantzen / ebens, thun und lassens darob seine nachkumme ein Exempel der tugend nemen könden, damit sy sich zu Fleiss und Fürsichtigkeit gewenen, dameben sich von liederlichen 83 FABRI, dt., fol.3a, und fol.4a. 84 GRÜNEMBERG, S.13. 85 Vgl. EYI1NGEN, S.322, und POSSE, S.175. 86 Vgl. dazu KOHLER, 1, S.65: Arnold suchte die Erwartungen alt jener Leser zu befriedigen, welche •... intoxiqu6cs par les chirn~rcs d'un Mandcvilte• waren: "Gui! fer, 6difier et distrairc, telles sont tes trois pr6occupations essentielles de notrc auteur. • <?page no="281"?> 271 unnütz ding, essen, trinken, spielen, pracht enthalten, welches leichtigklich geschieht, so sy dem anfang wehren und in nutzlichen tugentlichen sachen ir kurtzweil suochen und damit die zeit zuobringen. " 87 Bedachtsamkeit ("Fleiss") und Sparsamkeit sind die hier beschworenen bürgerlichen Tugenden, die es zu kultivieren gilt, währenddem anderes entweder Geld kostet oder kein Geld einbringt und so oder so dem Geschäft schadet. Die materialistische Sicht- und Lebensweise der bürgerlich-patrizischen Kaufleute zählte gleichzeitig zu den besonders gottgefälligen, was sich etwa ablesen lässt an dem Kürzel "+ Jhus maria + ", mit dem jedes einzelne Kapitel von Rems Geschäfts- und Privattagebuch beginnt. Heinrich Wölfli schliesslich bestreitet in der Einleitung die Absicht, er habe ein Ruhmesblatt in eigener Sache verfassen wollen: Lieber Läser du solt nitt meinen, das ich dise min syrische reiss in gschrifft verfasset, uff das ich mir selb damitt ettwas rums bj den nachkommen Schöpffete, so villicht einer under den selben sin wird, der mitt dem läsen disers büchlins begärrtedie Zyt zu vert,yben. 88 Zusammenfassend lässt sich zu den Schreibmotiven festhalten, dass das Genre der Pilgerschriften in dieser Hinsicht nicht ein von anderen literarischen Vorbildern losgelöstes Phänomen darstellte, sondern Einflüsse von verschiedener Seite verarbeitete. Verwandtschaften bestanden zu den literarischen "Geistlichen Pilgerfahrten", zu den Hetzschriften gegen die Ungläubigen sowie zur vielfältigen Bildungsliteratur des späten Mittelalters. Primäre und grundlegende Funktion blieb jedoch jene des Pilgerführers. 7.5. Die Ergebnisse der Motivforschung Die Beweggründe einerseits der schreibenden Pilger, sich auf den Weg zu machen, und andererseits der pilgernden Autoren, ihre Reiseerlebnisse niederzuschreiben, deuten auf geradezu symptomatische Weise auf jene Krise hin, in welcher sich ein Teil der Gesellschaft in der Umbruchzeit des 14. bis 16. Jahrhunderts offenbar befunden hat. Betroffen war der Adelsstand, sofern er sich weiterhin den traditionellen höheren Idealen verschrieb und nicht (wie Arnold von Harft) unbekümmert den weltlicheren Vergnügungen ritterlicher Lebensart als Lebenskunst frönte. Orientierungsprobleme stellten sich auch dem schreibenden Klerus, weil die Span- 87 REM, S.3. Zur Familiengeschichte als Möglichkeit der Selbstdarstellung einflussreicher Patrizierfamilien vgl. HIPPLER, S.183-184. 88 WÖLPU, S.11. <?page no="282"?> 272 nung zwischen der höheren Sinngebung und der realen Ausprägung des Pilgerwesens immer grösser und augenfälliger wurde, und weil sich die geistlichen Pilger selbst in Konflikte zwischen Pflicht und Neigung hineinmanövrierten. Nicht gezeichnet von Rechtfertigungsbedürfnissen erscheinen hingegen die Berichte der pilgernden Bürger/ Patrizier, die hier wohl gerade deshalb seltener zu Wort gekommen sind. Als aufstrebende Gesellschaftsschicht verfügte das städtische Bürgertum nicht allein über genügend Geldmittel zur Finanzierung der aufwendigen (Luxus-)Pilgerreisen, sondern auch über ein genügend stabiles Selbstbewusstsein (ständisches Nutzdenken), um den Fernpilgerfahrten neue Werte abzugewinnen. Die Jerusalemfahrt gewann nach aussen mehr und mehr den Charakter einer Prestige-Angelegenheit für vermögende Klassen, währenddem die Santiago-Reise beiläufig zur diplomatischen oder kaufmännischen Reise umfunktioniert wurde. Dieser spürbare Niedergang des Pilgerwesens (der sich nicht in einer abnehmenden Frömmigkeit zu ·äussern brauchte) war noch nicht zwangsläufig ein quantitativer, äusserte sich aber darin, dass im Zuge eines zunehmend materialistischen Denkens Ablass und Ritterwürde immer mehr zu einer quantitativen Grösse verkamen eine Entwicklung, gegen die die Reformatoren auf der Basis älterer kirchlicher Kritikvehement protestieren sollten. Während sich die feudale Oberschicht und der Klerus an die alten und von der Realität längst überholten moralischen Werte zu klammern suchten, war das Bürgertum offenbar flexibel genug, sich dem "Zeitgeist" anzupassen, was das Pilgern und das Reisen im allgemeinen betraf. An höheren Idealen hatte es keine zu verlieren, dank bestimmten neuzeitlichen Idealen aber der Nutzen- und Gewinnmaximierung hatte es einiges zu gewinnen: Geld sowie Ansehen, ersteres nicht zuletzt in den durch die Ent deckungs- und Eroberungsreisen erschlossenen Kolonien in Übersee. Die bürgerlichen Fernpilgerfahrten können dazu, was die Tatmotive betrifft, durchaus als Auftakt betrachtet werden. Nach der Motivation befragt, erweist sich der Pilgerbericht zwischen Mittelalter und Neuzeit als recht präzises "Fieberthermometer" für gesellschaftliche Krisensymptome. Und doch spricht aus den Pilgerschriften eine sich wandelnde Weltauffassunj; dem Aufbruch zu neuen Ufern steht im Namen Gottes und des Profits nichts mehr im Weg. · 89 Frei nach: INES ORIGO, Im Namen Gottes und des Profits, Lebensbild eines toskanischen Kaufmanns der Frührenaissance (Francesco di Marco Datini, 1335-1410), dt.München 1985. <?page no="283"?> 273 8. Das Ich-Bewusstsein im Lauf der Zeit Margery Kempe schrieb - oder diktierte ihre Wallfahrtserlebnisse als zentralen Teil einer umfassenderen Lebensbeschreibung. Dabei waren alle Stationen ihres Lebens im Grunde genommen als Etappen ein- und derselben Pilgerfahrt zu verstehen, einer mühseligen Wanderschaft aus dem Dunkel ans Licht, analog zur mystischen Bildungs- und Erweckungsreise des "Träumenden Mönchs". Als pädagogisches Exempel wollten auch die beiden Ritter Ghillebert de Lannoy und Georg von Ehingen ihre Kollektion von Ritterreisen verstanden wissen. Und in derselben Weise deutete ein Enkel von Lucas Rem die Lebenschronik seines Grossvaters. Mit dem Unterschied gegenüber Margery Kempe, dass sich hier jeweils ein Lebensbild wie eine Patchworkdecke aus lauter Reise-Erzählungen zusammensetzt. Offenbar erschien das Unterwegs-Sein den beiden Rittern und dem Kaufmann Berufung genug, und erst die Summe aller Reisen ergab ein (sinnvolles) Lebenswerk. Man darf die genannten vier Beispiele, zumindest in Ansätzen, als autobiographisch bezeichnen . 1 Aleya Khattab geht noch weiter und spricht dem Genre der mittelalterlichen Reiseschriften "im Prinzip" eine Zugehörigkeit zur literarischen Gattung der Autobiographie zu: "Zwar haben die Reisenden insbesondere äussere Geschehnisse geschildert. Sie beschrieben weder ihre eigene Entwicklungsgeschichte noch das Innere ihrer Psyche. Trotzdem zählen sie als Selbstdarsteller, denn als solche haben sie einen Ausschnitt ihres Lebens registriert denjenigen nämlich, den die Zeitdauer ihrer Reise umfasst. Ja, manchmal bieten die Verfasser sogar Ausschnitte ihres Lebens vor der Reise." 2 Der Pilgerbericht als (mehr oder weniger umfassender Ausschnitt einer) Autobiographie: Inwieweit eine solche Zuordnung denkbar und auch 1 Vgl. GOODMAN, The Piety of John Brunham's Daughter, S.349: "Herc, then, wc havc autobiographical fragments rccalled, some of them from a hazily distant contcxt, by an ailing woman of about sixty,caught up in continucd controvcrsy and intensity of personal emotion."; GEORG HOLZWARIB, Aspekte zur Gattung und zur Sprachform der Autobiographie, in: E.KLUCKERT/ DERS., Georg von Ehingen, S.44: "'Autobiographie' ist es, ob von ihm geschrieben oder nur diktiert.• HIPPLER, S.184 und S.194, dif• fcrcnziert in bezug auf Lucas Rem und Georg von Ehingen, beide hätten wohl ihr Leben aufgezeichnet, aber im Dienste einer Familienchronik; die autobiographischen Züge hätten einen unreflektierten und nicht im modernen Sinn literarischen Charakter. Den Begriff der Autobiographie vermeidet auch MARGARET WADE LABARGE, Ghillebert de Lannoy, S.154; sie nennt sein Buch •... a straightforward and impcrsonal account of bis various military cxpcditions, diplomatic missions, official appointments and many pilgrimagcs.• 2 KHATIAB,S .332. <?page no="284"?> 274 erlaubt ist, hängt im wesentlichen von der Begriffsdefinition ab. Lässt man in bezug auf die Autobiographie qualitative Kriterien auf der Seite und definiert (wie etwa Peter Sloterdijk) jedes auf den Schreiber selbst bezogenes Schreiben als einen Beitrag zur "... Sozialgeschichte des öffentlichen Redens über das eigene Leben", dann darf gegebenenfalls von einem generell autobiographischen Charakter der Pilgerliteratur gesprochen werden.3 Nun ist die Diskussion um den Stellenwert der Reise- und insbesondere Pilgerschriften innerhalb der Entwicklung der Autobiographie bis vor kurzem auf ganz unterschiedlichen Ebenen geführt worden. Während sich die deutsche Literaturwissenschaft vorwiegend auf die Entwicklung der Autobiographie als einer typisch neuzeitlichen Ausprägung von Individualität konzentriert hat und die spätmittelalterlichen Reiseschriften innerhalb dieses Konzepts allenfalls als unfertige "Vorstufe"aufzunehmen bereit war, hat die englische Literaturgeschichte seit jeher die Wechselbeziehungen zwischen den frühen Selbstzeugnissen als Bekenntnisliteratur und den mystischen Strömungen des Mittelalters zu ergründen gesucht. 4 3 Vgl. HIPPLER, S.190: Sie spricht den Pilgerschriften des 14. bis 16. Jahrhunderts autobiographische Züge zu, allerdings nicht im modernen Sinne "literarische", sondern durchwegs unreflektierte. Zur Diskussion um den Begriff der Autobiographie in der deutschen Literaturwissenschaft vgl. den Überblick von HORSI' WENZEL, Zu den Anfängen der volkssprachigen Autobiographie im späten Mittelalter, in: Daphnis, Zeitschrift für Mittlere Deutsche Literatur 13, 1984, S59-15. Das Zitat aus PETER SLOTERDIJK, Literatur und Organisation von Lebenserfahrung, Autobiographien der Zwanziger Jahre, München/ Wien 1978,ebenda, S.60. 4 Vgl. etwa: WERNER MAHRHOlZ, Deutsche Selbstbekenntnisse, Ein Beitrag zur Geschichte der Selbstbiographie von der Mystik bis zum Pietismus, Berlin 1919; ADOLF REIN, Über die Entwicklung der Selbstbiographie im ausgehenden deutschen Mittelalter, in: Archiv für Kulturgeschichte 14, 1919, S.193 ff; MARIANNE BEYER- FRÖHLICH, Die Entwicklung der deutschen Selbstzeugnisse, Leipzig 1930 (Deutsche Selbstzeugnisse 1); KARL BIHLMEYER, Die Selbstbiographie in der deutschen Mystik des Mittelalters, in: Theologische Quartalschrift 114, 1933, S504-544; INGEBORG SCHIEWECK, Zur Manifestation des Individuellen in der frühen deutschen Selbstdarstellung, Eine Studie zum Autobiographen Bartholomäus Sastrow (1520 - 1603), in: Weimarer Beiträge 6, 1957, S.885 ff; GEORG MISCH, Geschichte der Autobiographie, Bd.4, 2: Von der Renaissance bis zu den autobiographischen Hauptwerken des 18. und 19. Jahrhunderts, Frankfurt 1969. Und andererseits: M.OSBORN, The Beginnings of Autobiography in England, Los Angeles 1959; ROY PASCAL, Design and Truth in Autobiography, Cambridge (USA) 1960, und dt. Die Autobiographie, Gestalt und Gehalt, Stuttgart/ Berlin/ Köln/ Mainz 1963; MARY M.MC LAUGHLIN, Abelard as Autobiographcr, Thc Motives and Mcaning of His 'Story of Calamities', in: Spcculum 42, 1967, S.463-488; JAMES OLNEY, Metaphors of Seif, Princcton 1972; DERS. (Ed.), Autobiography, Essays Thcoretical and Critical, Princcton 1980; ROBERT BELL, Metamorphoses of Spiritual Autobiography, in: Journal of English Litcrary History 44, 1977, S.108-126; schlicsslich MARY G.MASON/ CAROL HURD GREEN, Joumeys: Autobiographical Writings by Women, Boston 1979; und DIES., The Other Voice, Autobiographies of Woman Writcrs, in: OLNEY (Ed.), Autobiography, Princcton 1980, S.207-235. <?page no="285"?> 275 Inzwischen sind auch im deutschen Sprachraum die Erwartungen bezüglich der individualistischen Aussagekraft von Selbstzeugnissen etwas relativiert worden, und es hat sich die Einsicht durchgesetzt, 11••• dass die Frühformen literarischer Selbstthematisierung nicht als unentwickelte Vorformen der klassisch-bürgerlichen Autobiographie des 18. und 19. Jahrhunderts einzuschätzen und am Vorbild einer daraus abstrahierten Gattungsidee zu messen sind, sondern als Beispiele historischer Sinnkonstitution von eigener Signifikanz". 5 Neue Aspekte und Impulse hat auch der Einbezug der Psychologie in die Autobiographie-Diskussion gebracht. 6 Diese "psychohistorische" Dimension lässt sich unter Berücksichtigung der Vorbehalte, die sich bei der Übertragung moderner Denk-Konstellationen auf die mittelalterliche Denkungsart stets aufdrängen durchaus auch auf Reisebeschreibungen, so sie als Ausschnitte von Lebensbeschreibungen betrachtet werden, anwenden.7 Insbesondere, wo es um die Ermittlung des "individuellen Anteils" des Pilgerberichtautors an seinem Werk geht, kommt man um die Auseinandersetzung mit den in der Neuzeit erprobten literaturanalytischen Hilfsmodellen kaum herum. Seit jeher gilt die (literarische) Ausprägung des Individualismus als eine Errungenschaft der Neuzeit und geradezu als Erkennungszeichen für die anbrechende, in dieser Beziehung bahnbrechende Renaissance. 8 Inzwischen sieht sich der Individualismus-Begriff relativiert durch eine differenziertere Betrachtungsweise: Die literarische Selbstentblössung einer Margery Kempe etwa weist eher auf Einflüsse von Werken wie Augustinus' "Confessiones" hin als auf humanistische Vorbilder. 9 5 WENZEL, Zu den Anfängen der volkssprachigen Autobiographie im späten Mittelalter, S.61. 6 Vgl. etwa: BRUCE MAZLISH, Autobiography and Psycho-analysis, in: Encounter 35, 1970, S.28-37; KARLJ.WEINTRAUB, Autobiography and Historical Consciousness, in: Critical lnquiry 1, 1975, S.821-848; CHRISTINE DOWNING, Re-Visioning Autobiography: Tue Bequest of Freud and Jung, in: Soundings 60, 1977, S.210-228. 7 Vgl. zur diesbezüglichen Verwandtschaft von Autobiographie und Reiseliteratur auch WENZEL, Reisebeschreibung und Selbsterfahrung, S.249: "Beide Textformen sind notwendig miteinander verbunden, sie zeigen (...) die korrespondierenden Aspekte desselben Vorgangs: hier dominiert die Aneignung des eigenen gesellschaftlichen Seins, dort die Wahrnehmung der fremden Welt, jeweils dargestellt durch einen Autor, der sich im Akt des Schreibens als vergesellschaftetes Ich manifestiert.• 8 Vgl. etwa JACOB BURCKHARDT, Die Kultur der Renaissance in Italien, Frankfurt 1961, oder ERNST CASSIRER, The Individual and the Cosmos in Renaissance Philosophy, Oxford 1963bzw. New York 1964. 9 Vgl. dazu GORDON LEFF, Tue Dissolution of the Medieval Outlook, An Essay on Intellectual and Spritual Change in the Fourteenth Century, New York 1976, S.22: "The so-called discovcry of the individual begins if with such individualists as many of the early Christian fathers, it can be said to begin at all with St.Augustine's exploration of the soul; (...) Within the medieval tradition the individual was the measure of nothing taken for himsclf; he owcd bis mcaning to God; and awareness of seif must be transcended by awareness of God . That was only accentuated in the fourteenth and <?page no="286"?> 276 Die Persönlichkeit eines Reiseberichterstatters wird nicht erst und nicht zwangsläufig in jenem Moment fassbar, da eine eigentliche Ich- Erzählung einsetzt auch wenn sich im Laufe des 14. bis 16. Jahrhunderts besonders im deutschsprachigen Jerusalem-Pilgerbericht eine Entwicklung hin zum "Ich" als erzählender Hauptfigur als eine durchaus symptomatische nachweisen lässt. 10 Näheren Aufschluss gibt von Fall zu Fall die subjektive "Standortbestimmung", das heisst, die Bestimmung des Rollenbewusstseins, über welches ein Reiseschriftsteller als Reisender wie als Erzähler von Fall zu Fall verfügte. Als hilfreich bei der Untersuchung dieses Rollen- oder auch "Ich"- Bewusstseins (hier nicht: Selbstbewusstsein) erweist sich ein Modell, welches schon Aleya Khattab zur Bestimmung der Form der Reiseschriften (in ihrem Fall: des 13. bis 15. Jahrhunderts) beigezogen hat. Es geht dabei um" ... die Feststellung der dynamischen Subjekt-Objekt-Beziehung" im Reisebericht um eine modellhafte Darstellung jenes labilen Gleichgewichtes also, von dem bereits im Zusammenhang mit dem Realitätsverständnis des mittelalterlichen Schriftstellers die Rede war.11 Diese psychologische Beziehung aber lässt sich vereinfacht in drei möglichen Entwicklungsschritten darstellen: 1. Das Objekt steht im Vordergrund. Im Reisebericht überwiegt das trockene Aufzählen von Fakten zu den unterwegs angetroffenen Dingen und Phänomenen . Das Subjekt verschwindet fast völlig hinter der Faktizität des Beschriebenen. 2. Das Subjekt drängt in den Vordergrund. Die eigene Meinung den betrachteten und beschriebenen Objekten gegenüber erscheint explizit oder implizit formuliert. Die Eindrücke des Subjekts bestimmen die Form der Kompositions- und Stilmittel. fifteenth centurics both in the theology of God's absolute power and in the spirituality of the individual's direct rapport with God, whether through mystical union or God's word revealed in the Bible." Weitere Literatur zum Stellenwert des Individuums in Mittelalter und Modeme: WALTER ULLMANN, Individuum und Gesellschaft im Mittelalter, Göttingen 1974 (Kleine Vandenhocck-Reihe 1370); LOUIS DUMONT, Essais sur l'individualisme, Une perspective anthropologique sur l'ideologie moderne, Paris 1983; HORSf WENZEL (Ed.), Typus und Individualität im Mittelalter, München 1983 (Forschungen zur Geschichte der älteren deutschen Literatur 4). 10 Schon Martin Sommerfeld weist auf die Tatsache hin," ... dass aus dem anfänglich ganz objektiv gehaltenen Bericht immer mehr eine 'Wir' - oder 'Ich'-Erzählung wird." Er belegt aber auch anhand eines Beispiels willkürlich gemischter Erzählformen, dass im Normalfall keine bewusste "... schriftstellerische Absicht" dahinter geltend gemacht werden kann 11 Vgl. vorne, Kapitel 4. Es kann im folgenden nicht darum gehen, Denkkategorien der Neuzeit unbesehen auf die "mittelalterliche Mentalität" zu übertragen, hingegen der Versuch unternommen werden, deren Aussagekraft und Anwendbarkeit in diesem speziellen Grenzbereich zu überprüfen . <?page no="287"?> 277 3. Das Subjekt dringt immer tiefer in die Welt des Objekts ein. Die Spannung zwischen den beiden erscheint fast völlig aufgehoben: Das Subjekt geht im Objekt förmlich auf. 12 Wie sich nun der Pilger als Erzähler gegenüber der unterwegs angetroffenen Objektwelt verhält, haben wir im einzelnen gesehen: Entweder weicht er dem Konflikt des eigenen mit dem ihm fremden Wertesystem aus in die Indifferenz des (scheinbar) "objektiv'' referierenden Berichts (1.), oder er thematisiert diesen Konflikt unter absoluter Beibehaltung seines Standpunktes, der je nachdem ein standesmässig oder herkunftsmässig determinierter ist (2.). Nur im Ausnahmefall gelangt ein "Pilger" soweit, sein gesellschaftlich vorbestimmtes Wertesystem zumindest vorübergehend in Frage zu stellen dies aber wäre die Vorbedingung zur 3. Stufe und zu einer tatsächlichen Verhaltensänderung gegenüber der unterwegs beobachteten Objektwelt. Geht man die Reihe der Berichtautoren nochmals in chronologischer Abfolge durch und achtet diesmal besonders auf die Stellung des (explizit genannten oder auch implizit gemeinten) "Ich"innerhalb der Erzählung, so lassen sich im Vergleich womöglich Rückschlüsse auf das Rollenbewusstsein der Autoren (als Handlungsträger einerseits, als erzählende Hauptfigur andererseits) ziehen. 13• Gleich am Anfang steht ein Autor, der in seinem unbekümmerten Umgang mit der eigenen Rolle als Ausnahme-Erscheinung dasteht: Symon Semeonis. Was da, umrankt von literarisch ausgeschmückten spirituellen Motiven, als Wir-Erzählung beginnt ("... de Hybemia profecti sumus, fratres amoris bitumine in Christo constricti, Symon Semeonis (et) Hugo Illuminator, ordinis Fratrum Mino,um professores, ...), 14 entwickelt sich in der Fremde rasch zu einer thematisch weitgefassten Kollektion individueller Beobachtungen und Ansichten. Das Exotische erscheint vom Standpunkt des westlichen Augenzeugen aus nicht immer wohlwollend referiert und mehr als einmal unter Bezugnahme auf heimatlich vertraute Phänomene (beispielsweise irische Schuhe oder irische Pferde) direkt relativiert. Mit pointierter Schärfe tritt jeweils der Islamkritiker Symon Semeonis auf, der sogar den Koran zum ideologischen "Bumerang" umzufunktionieren versteht. 12 Vgl. KHATIAB, S.199; sie zitiert ihrerseits JOSEPH STRELKA, Der literarische Reisebericht , in: Jahrbuch für Internationale Germanistik 3, 1, 1971,S.63-75. 13 Es ist dies ein Versuch, der Forderung nachzukommen, wonach die Individualität der einzelnen spätmittelaltcrlichen Pilgerschriften innerhalb des Traditionszusammenhanges näher zu beleuchten ist. Vgl·. HUSCHENBEIT, S.45. 14 SEMEONIS, S.24. <?page no="288"?> 278 Interessanterweise setzt sich hier einmal die Rolle des Beobachters von derjenigen des Ideologen ab, bei der Schilderung des Gebetsrituals nämlich: Zwar wurde nach Anleitung des "Teufelsbuches" ("... exlegis preceptodiabolice")gewissermassenungültig gebetet, aber die Haltung der Betenden erschien sowohl dem Autor wie seinem Gefährten ("... judicio nostro salvo meliori ...") als eine untadelig fromme. 15 Nur einmal tritt Symon Semeonis explizit als Handlungsträger, nämlich als messelesender Kaplan, in Erscheinung, 16 bevor es zum einschneidenden Bruch im Reisebericht kommt. SymonsFreund Hugo starb in Kairo, im Haus eines Sarazenen, an der Ruhr, und es folgt eine bewegende Totenklage des so jäh verlassenen Reisenden in der Ich-Form. 17 Anschliessend zieht sich Symon als Erzähler wieder in den Hintergrund zurück. Künftig ist mit ''wir"stets die Reisegruppe als Ganzes gemeint; ansonsten dominiert die "Reiseführerfunktion" der Drittperson- Erzählung. Humbert de Dijon, ebenfalls der franziskanischen Kongregation zugehörig, schrieb gemäss dem Urteil der Herausgeber einen eher "...unpersönlichen, monotonen und weder unter dem geographischen noch unter dem archäologischen Aspekt besonders interessanten" Bericht. 18 Ganz anders dürfte die Auftraggeberin des "Liber de locis et conditionibus Terrae sanctae" von dem Werk gedacht haben die Königin von Sizilien, der auch das Geleitwort zu Beginn gewidmet ist. Hier wie am Anfang des eigentlichen Reiserapports gibt sich Humbert unmissverständlich als Autor zu erkennen. Obwohl der Text als.Baedeker konzipiert ist und eben nicht als Beschreibung von Humberts eigener Reise, fliesst die Persönlichkeit des Autors gelgentlich mit ein, etwa da, wo er "um der Kürze willen" nicht alles Erstaunliche beschreiben will, was rings um die Pyramiden ausserdem noch zu finden ist, 19 oder da, wo er in der Bethlehemer Geburtskirche an einem kleinen Marmor-Altar die Messe las. 20 Gegen Ende seines Berichtes bestätigt er den Wahrheitsgehalt des zuvor Ausgesagten mit dem Satz: ''Egotarnen illa hie exprimam,quae ipse personalitervisitavi. " 21 Hier also beruft sich ein Nahostreisender des frühen 14. Jahrhunderts auf die eigene Ansicht als Quelle und nicht auf die 15 Vgl. SBMBONIS, S.58. 16 SBMBONIS, S.86. 17 Vgl. SBMBONIS, S.94 ff. 18 Vgl. KÄPPBLI/ BBNOIT (Bd.Dijon), S.515. 19 DUON, S.522: • Unde cirr: aista horrea sunt multa mirabilia stupenda, quae causa b~ vitatis non scribo.• 20 Vgl. DUON, S.527: "... et ex alio Jatere estlocus, in quo stabat B. V. ( = beata virgo) Maria, quando ip&umpeperit, sed modo est ibi factum unum altare parvum de mannore albo, in quo potest quicumque vult, si habest necessaria, celebrare, quod et ego feci devotione pennaxima instigatus.• 21 DUON, S.540. <?page no="289"?> 279 Aussagen älterer Autoritäten gemäss dem Auftrag einer höheren Instanz, die sich (aus naheliegenden Gründen, spricht doch Humbert seine Auftraggeberin als "... Jerusalem et Sici/ iae Reginam" an) einen Überblick über den aktuellen Stand der Dinge zu verschaffen hoffte. Wilhelm von Boldensele und Ludolf von Sudheim haben sich bereits als Faktensammler mit nur seltem ablesbarem individuellen Engagement ausgewiesen. Gemeinsam ist ihnen mit ihren deutschsprachigen Landsleuten Lorenz Egen und Peter Spamau ein (nahezu) wertfreier Umgang mit beobachteten und beschriebenen Phänomenen. Ausserdem halten sie (wie auch Symon Semeonis und wie Humbert de Dijon) ihre eigenen Reise-Erlebnisse nach Möglichkeit aus ihrem neutral gehaltenen Wegbeschrieb heraus. Bei der näheren Betrachtung allerdings zeigen sich wesentliche Unterschiede. Während Ludolf von Sudheim seine Person höchstens am Rand als Vermittler von Informationen aus zweiter Hand einbringt, 22 erzählt Wilhelm von Boldensele mit Ausnahme der unpersönlich formulierten Exkurse, die jeweils mit "... et sciendum ..." eingeleitet sind, durchwegs in der Ich-Form. Allerdings rapportiert dieses "Ich" allein die Orte, wo es war, und die Dinge, die es sah. Nur sehr vereinzelt lässt es sich auf eine Wiedergabe von individuellen Reiseerlebnissen, von Wertungen und Gefühlen ein. Handlungsträger ist die erste Person Singular dort etwa, wo sie Bewunderung für die Hühnerbrutanstalt in Kairo empfindet, den Pyramiden die einstige Funktion als Getreidespeicher abspricht, sich hoch zu Ross von den Mönchen des Katharinaklosters bestaunen lässt und schliesslich ihre Gastfreundschaft lobt, die beruhigende Sicherheit durch die Geleitbriefe des Sultans vermerkt sowie das Privileg, einen eigenen Schlüssel zur Grabeskirche besessen zu haben, die Tatsache bedauert, dass das süsse J ordanwasser ins bittere Salzwasser des Toten Meeres einmündet, und endlich betont, pilgernd nicht immer die üblichen Verkehrswegen eingehalten zu haben. 23 Ein paar weitere Textstellen geben auch ohne expliziten Rückbezug auf die Person des Autors dessen prägnante Meinung wieder ("Ubi natura sufficit, non est ad miraculum recuTTendum. "). Insgesamt überwiegt der 22 Zum Beispiel SUDHEIM, S.74: "Et ut veraciter audivi a Sarracenis rcnegatis, quod nul/ us Sarracenus ipsi rupi (= gemeint ist der Steinblock in der Mitte des Felsendomes) est ausus appropinquarc, et de Jonginquis partibus Sarraceni veniunt ipsum devote visitarc.• 23 Vgl. BOLDENSELE, S.235 (Behandlung durch die Mönche auf Sinai), S.230-231(Geleitbriefe des Sultans), S.260-261 (Schlüssel zum Grab), S.275 ("Ach quod tam sacer fluvius et dclectabilis, tam detestabili Jacuiadmiscetur"), und S.277: • Et sciendum quod in bac mca pcrcgrinatione non scmpcr secutus sum publica itinera et vulgaria, scd pro visitandis sanctis Jocisbinc inde voluntarie multociens deviavi." <?page no="290"?> 280 Eindruck eines auf das Wesentliche der Information beschränkten, präzisen Reiserapports. 24 Denselben Eindruck vermitteln auch die kurzen Berichte von Lorenz Egen und Peter Spamau. Allerdings betont ersterer seine persönliche Anwesenheit an den aufgezählten heiligen Stätten (mit Ablass) ausserordentlich: Genau sechsundvierzigmal folgt dem aufgelisteten Ort die stereotype Formel "dabin ich gewesen",in achtunddreissig Fällen reduziert auf ein simples "b.i.g. ".Und achtzehnmal beteuert er: "das hab ich gesehen", fünfmal davon im abgekürzten Verfahren (''h.i.g. ").Beiden zwei in der 1. Person Singular vollzogenen Bädern in ägyptischen Brunnen (das eine Mal im Balsamgarten von Matarieh, das andere Mal in der Wüste) dürfte es sich im übrigen nicht um individuelle Erfrischungsaktionen, sondern um rituelle Waschungen ähnlich denen im Jordanfluss gehandelt haben. Lorenz Egens Reisegefährte Peter Spamau geht ebenfalls, ohne auf individuelle Reise-Erfahrungen einzugehen, nach dem "Du"-Ablassführer zu Beginn des Textes zu einem "Wir"-Berichtüber, um die gemeinsam absolvierten Stationen der Pilgerfahrt ohne weitere Ausschmückung aneinanderzureihen. Die vier hier skizzierten Berichte von Jerusalempilgern deutscher Zunge aus dem 14. Jahrhundert entsprechen somit, sieht man von stilistischen Unterschieden ab, dem Bild eines (annähernd) wertneutralen Reiserapports: "Der Erzähler tritt in den Hintergrund, das Stofflich-Faktische gel~ in den Vordergrund. Es fehlen gänzlich Reflexionen des Verfassers." Dieses Zurückstellen des eigenen Status als Erzähler und/ oder Hauptfigur geschieht offenbar sehr bewusst ob freiwillig (im Dienste der Information) oder unfreiwillig (aus Gründen der Konvention), ist schwer zu sagen. Nicht ganz so zurückhaltend gibt sich Sir John Mandeville, der Dichter unter den Pilgerberichterstattern des 14. Jahrhunderts. Die Illusion einer selbsterlebten Reise hält er nicht allein durch diee anschauliche Darstellung der "unterwegs" beschriebenen Phänomene aufrecht, sondern auch durch den kunstvollen Einbezug der eigenen Person als einer "live" mit dabeigewesenen. Bei näherem Zusehen gibt allerdings dieses gereiste und beobachtet habende "Ich"wenig wirklich Persönliches preis; weder äussert es Gefühle, noch kommt ihm die beschriebene teils biblisch, teils von Legenden inspirierte Umwelt im positiven oder negativen Sinne zu nahe. Stattdessen umgibt sich Mandeville als "Pilger" so gut wie als ''Weltreisen- 24 So auch das Urteil von HOW ARD, S.30: "lt is not a personal or autobiographical account • hc uscs'I' as an objcctive obscrvcr, not a participant in thc action, says nothing of his fcllow pilgrims, and rccounts fcw personal anccdotcs. All thc samc, onc gcts a lively sense of his zcstful curiosity, his powcrs of obscrvation, and his active mind. • 25 Soweit KHATIAB, S.204. <?page no="291"?> 281 der" mit Zeugen, die die reale Präsenz des Autors vor Ort bestätigen könnten, würde man sie (es sind allerdings Nicht-Christen) danach fragen. So will dieser Karl May des Mittelalters einige Zeit im Dienste des Sultans am Hof von Kairo zugebracht habe~ wobei der Sultan versucht haben soll, ihm eine Ehefrau zu vermitteln. Er will sich auch mit den Mönchen vom Sinai-Kloster unterhalten und vom Sultan die schon erwähnte Standpauke über die degenerierte Christenheit angehört haben . Selbst der Grass -Khan von China soll sich bei ihm nach dem christlichen Glauben erkundigt haben. 27 Alle diese Kontaktnahmen beschränken sich indes auf einen höflichen Gedankenaustausch, und dessen Wiedergabe trägt den pädagogischen Nebenabsichten des Autors Rechnung. Die italienischsprachigen Jerusalempilger des 14. Jahrhunderts entwickeln in ihren Berichten ein weit ausgeprägteres literarisches Selbstbewusstsein als ihre zur gleichen Zeit gereisten deutschsprachigen Kollegen. Eigene Erlebnisse, Werturteile und Gefühle werden hier wie selbstvertändlich mit eingebracht, wenn auch in unterschiedlichem Masse. Wo aber in den deutschen Berichten der achtziger Jahre und in den lateinischen Berichten fünfzig Jahre früher geradezu mit der Lupe nach Spuren der Persönlichkeit des Autors fahnden muss, ist diese in den (durchwegs volkssprachlichen) Pendants italienischer Herkunft durchwegs präsent. Dass die italienischen Texte innerhalb eines ganz anderen kulturellen Umfeldes respektive auf einer anderen Entwicklungsstufe des literarischen Selbstverständnisses entstanden sein müssen, liegt auf der Hand. Jacopo da Verona schreibt zumeist in der Wir-Form von den Erfahrungen seiner Reisegruppe, tritt jedoch gelegentlich aus der Gemeinschaft heraus, um (seltener) eigene Reise-Erlebnisse zu schildern und (häufiger) die gemeinsam empfundenen Gefühle unterwegs zu illustrieren. Zu diesen Gefühlen zählte als erstes die Angst: Zwar fürchteten sich alle Pilger vor dem gewaltigen Gewitter auf hoher See, "... ich aberstelltemich aus lauter Angst ins Rettungsboot,machte die Schiffstürezu und flehte zu Gott aus ganzemHerzen,ermögeuns doch aus diesergrossenGefahrerretten". 28 Stellvertretend für seine Reisegefährten verschmachtet er schier auf Zypern oder empfindet bleierne Müdigkeit bei der Ankunft im Katharinakloster, aber mehrfach äussert er auch grosse Freude, vor allem beim Anblick der in der Bibel genannten Stätten des Heiligen Landes. 29 Zu den persönlichen Erlebnissen des Veroneser Mönchs scheinen materielle (am Jordanfluss will er Bananen direkt von der Staude gegessen 26 Vgl. MANDEVILLE, S.23-24. 27 Vgl. MANDEVILLE, S.42 (Mönche), S.89-90 (Sultan) und S.132 (Gros.s-Khan). 28 VERONA, S.175: •... ego autem cum magno timorr: stabam in scandalaria, clausisportis galee,et rogabamDeum toto corde,ut nos de hocgrandipericuloliberaret• 29 Vgl. VERONA, S.179 (Hitze auf Zypern), S.230 (Müdigkeit im Kloster) , z.Bsp. S.194 oder S.211-212 (Freude beim Anblick der heiligen Stätten). <?page no="292"?> 282 haben) wie auch spirituelle gehört haben (er steckte den Ko~ in das Loch, wo das Kreuz Christi bis zur Fertigstellung verankert war). Selbst noch das "b.i.g."oder "h.i.g."eines Lorenz Egen findet bei ihm eine individualistische Steigerung hin zum "... ich sah, berührteund (...) nahm davon" oder auch "... ichginghin,fand und trugmit mir weg". 31 Niccolo da Poggibonsi kleidet seine Angst vor den Mittelmeerstürmen und vor den Piraten jeweils in expressives Jammern, und dazu gesellt sich die Angst des zur Besitzlosigkeit verpflichteten franziskanischen · "Poverello", von unnachgiebigen Zöllnern schikaniert zu werden. 32 Ein paar Zwischenfälle schildert er mit sichtlichem Stolz auf seine aktive Mitwirkung am glücklichem Ausgang. Einmal spielte sein langer Stock eine entscheidende Rolle bei der Rettung eines im Jordan badenden Reisegefährten ("erwäreuntergegangen, hätte ich nicht aufgepasst...'). 33 Ein anderes Mal schildert er das haarsträubende Abenteuer, wie er auf der Heimreise von Räubern überfallen und gefesselt wurde, worauf er die Stricke durchbiss und heimlich die Flucht ergriff; nachts im Wald erschreckten ihn gespenstische Geräusche derart ("... da warkein Haar auf meinem Kopf, das nicht zu Bergestand"), dass er den Morgen sicherheitshalber auf einem Baum sitzend erwartete. 34 Von einem ausgeprägten Rollenbewusstsein alsAutor zeugt im übrigen die Bericht-Einleitung, in welcher Niccolo zum Versuch ansetzt, das Copyright seines Buches zu schützen. Die anagrammatische Verschlüsselung des Autorennamens alsMarkenzeichen sollte den Text davor bewahren, kopiert oder einem anderen Autor zugeschrieben zu werden. Dem Unternehmen war allerdings wenig Erfolg beschieden. 35 Die drei schreibenden Florentiner um 1385 treten zwar vergleichsweise nicht mehr so stark als Individualisten in Erscheinung, dennoch sind ihre Schriften deutliche Zeugnisse ihrer eigenen und eben nicht irgendeiner Pilgerfahrt. Während Simone Sigoli alsReferent gleichsam für die gesamte Pilgergesellschaft dem "Wir"verhaftet bleibt und nur gemeinsame Erleb- 30 Vgl. VERONA, S.210(Bananen), und S.222(Loch). 31 Vgl. VERONA, S.188,und S.222. 32 Vgl. POGGIBONSI, 1, S.14-23 bzw. Kap.4 und 5 (Angst auf hoher Sec), und S.32-34 (Angst vor Zöllnern). 33 POGGIBONSI, 1, S.311: • E uno mio compagnoafogava,sc non fusse i1 buono acorgimcntocliio cbbi(...).• 34 POGGIBONSI, 1, S.229-235.Vor allem S.233: •... alloraio non avcvocapelloin testa, ehe non mi si arricdassc(...).• 35 In ihrer Einleitung zur englischen Edition listen BELLORINJ/ HOADE 63 Ausgaben aus dem 16. bis 19. Jahrhundert auf, mehrere davon unter dem Namen "Noe Bianco•; vgl. S.XXX-XXXII. Dazu auch (mit der Edition einer von Gabriel Muffel als Reiseführer verwendeten und mit Illustrationen versehenen deutschen Version, die ihrerseits die Grundlage zu Rückübersetzungen ins Italienische gewesen sein könnte): C.D.M. COSSAR (Ed.altdt.), The Gcrman Translation of Niccoli'l da Poggibonsi's Libro d'Oltramare, Göppingen 1985(GAG 452). <?page no="293"?> 283 nisse wie etwa die Audienz beim Konsul in Ägypten und gemeinschaftliche Gefühle wie die Erleichterung nach einem misslungenen Betrugsversuch wiedergibt, 36, bricht Lionardo Frescobaldi öfters aus der Wirin die Ich- Erzählung aus, um autobiographische Details oder individuelle Beobachtungen mitzuteilen. Giorgio Gucci verbleibt wie Simone Sigoli als Erzähler innerhalb der Gruppe der Pilger, holt aber bisweilen zu persönlichen Randbemerkungen aus. Von den Stosszähnen des Elefanten in Kairo zeigt er sich nicht besonders beeindruckt, weil er wie bereits festgestellt grössere Exemplare schon in Venedig zu Gesicht bekommen hatte. Ausserdem stimmte ("... al mio parere'~"meinerAnsicht nach") das Material der Geisselungs- Säule in Jerusalem tatsächlich mit dem Stein eines in Rom besichti,ren Stücks von derselben Säule überein, bewies also dessen Authentizität.3 Auch wenn in dem zuletzt genannten Beispiel das Individuum nicht sonderlich bestrebt erscheint, sich von seiner Gruppe abzugrenzen, unter diesen Umständen also allenfalls von einem "gemeinschaftlichen Subjekt" als Hauptperson die Rede sein kann, so kommt doch diesem gemeinschaftlichen Subjekt erheblich mehr Gewicht zu als in den gleichzeitig entstandenen Berichten deutscher Herkunft. Bedeutsam erscheint hier nicht allein, was erwähnt und beschrieben wird, sondern auch, wie es entsprechend der eigenen (Gruppen-)Erfahrungbeschrieben wird. Eine Bestätigung dazu liefert auch die 1394 entstandene Reisebeschreibung von Niccolo di Martono, die gleichermassen mit angenehmen wie mit traurigen Erlebnissdetails aufwartet. Sie gibt sogar zu erkennen, dass die individualistische Sicht der Dinge nicht immer eine besonders klare war: Niccolo war kurzsichtig und vermochte deshalb ("... propter nimiam debilitatemvisus") vom Schiff aus die Küstenlinie von Sizilien nicht zu erkennen. 38 Schwimmenkonnte er auch nicht; kein Wunder, sind sämtliche von Niccolo geschilderten Meeres- und Fluss-abenteuer mit anschaulichen Beispielen individueller Angstausbrüche gespickt. 39 Offenbar kehrte der Notar und Nichtschwimmer infolge der ausgestandenen Ängste unterwe§g mit vorzeitig ergrautem Bart- und Haupthaar nach Carinola zurück. Der schlimmste Schock aber sollte ihm noch bevorstehen der Tod seiner Frau. Es ist nicht nur eine toposartige Klage, welche Niccolo di Martono hier zum Schluss anstimmt. Die Worte sind vielmehr Ausdruck einer tiefempfundenen Trauer, die so gross war, "... dass ich venneinte, nicht mehr weiterlebenzu können. Um so mehr, da ich vernehmenmusste, 36 Vgl. SIGOU, S.164-165 (Audienz), und S.206-208 (Betrupversuch) . 37 GUCCI, S.376-377. 38 Vgl. MARTONO, S578. 39 Vgl. MARTONO, S.627, und (zum Beispiel) S581 und S592. 40 So äussert sich MARTONO, S.627. <?page no="294"?> 284 wa,um sie gestorbenwar: Weilsie den übergrossenSchmerz übermeine verzögerteHeimreisenicht mehr ausgehaltenhatte. ,Al Über die angelsächsische Pilgerliteratur desselben Zeitraumes lässt sich nichts ähnlich Einheitliches aussagen. Symon Semeonis dürfte eine Ausnahme-Erscheinung in bezug auf die stilistische Freizügigkeit seines Buches genauso wie in bezug auf seine anglo-irische Herkunft gewesen sein - Verbindungen zu frühhumanistischen Kreisen sind jedenfalls nicht nachgewiesen. 42 Nur sehr beschränkt vergleichen lassen sich die beiden Texte aus den neunziger Jahren des 14. Jahrhunderts. Der eine, als zweckgebundene Aufzählung von buchhalterischen Angaben ohne literarische Ambitionen verfasst, vermerkt immerhin so intime Dinge wie die Essensvorräte für den gesamten Tross oder die Zusammensetzung der fürstlichen Blaskapelle unterwegs. 43 Thomas Brygg lässt in seiner Auftragsarbeit für den mitgereisten Ritter Thomas Swinburne keinerlei persönliches Engagement einfliessen; er gibt sich (wie Humbert de Dijon) zu Beginn des Reiserapports als Autor zu erkennen, tritt jedoch in der Folge, abgesehen von gelegentlichen Abstechern in die referierende Wir-Erzählung, völlig hinter die Auflistung von rund einhundert "/ tem"-Stationen (und rund fünfzig Ausgabeposten analog zu denjenigen in Richard Kyngstons Reisebericht) zurück. Eine Ausnahme unter den spätmittelalterlichen Pilgerberichten stellt auch in dieser Hinsicht das Werk von Margery Kempe dar. In ihrer diktierten Lebensbeschreibung, die im wesentlichen als Summe von spirituellen Erlebnissen analog zu demjenigen der Pilgerreisen aufzufassen ist, erscheint das "Subjekt" Margery gelegentlich fast als "Objekt" einer inquisitorischen Fall-Untersuchung. Als "... this creature"wird sie denn auch durchwegs von ihren Schreibern bezeichnet es macht fast den Anschein, als hätten die Chronisten selbst ihre Zweifel gehabt, ob es sich hier um eine Heilige und nicht doch am Ende um eine Hexe handelte. In Anbetracht jener überbordenden Gefühlswelt, die hier so anders als sonst gewissermassen zum Hauptinhalt einer Pilgerschrift avanciert, ist man versucht, Margerys Autobiographie geradezu als "egozentrisch" zu bezeichnen. Allerdings hat hier das reisende und diktierende Individuum 41 MARTONO, S.668: • Cum applicui ad domum meam et non inveni ipsam meam condam uxo~m, omnes spiritus et sensus mei fuerunt stupefacti ex nimio dolo~ in tantam quod non crr: didi posse vive~ super terram, eo maxime quod notorium fuit quod ex dolo~ immenso quem habuit propter me tardantem vr: nm: ad domum meam mortua fuit • 42 AUBREY OWYNN geht in der Einleitung zu Mario F.spositos Scmeonis-Edition, S5 auf den Ausnahmestatus des irischen Pilgerberichts, nicht aber auf allfällige literarische Einflüsse ein. 43 Vgl. SMITII (Ed.Kynpton), S.lxü (der Vorrat für vierzig bis fünfzig Mann umfasste auf dem Pilgerschiff u.a. 2250 Eier, zweitausend Stück Datteln, eintausend Pfund Mandeln und etwelche Süssigkeiten), und S.xcvii(drei Pfeifer und drei Trompeter reisten mit nach Jerusalem). <?page no="295"?> 285 (man darf getrost von einer Ich-Erzählung in der dritten Person sprechen) eine ganz bestimmte beispielhafte Funktion. Margery tritt gewissermassen hinter die Pilgerin und Mystikerin als Leitfigur zurück und präsentiert ihr Leben, das Leben einer armen und doch auserwählten Sünderin, als "exemplum". Das jedenfalls ist ihre Absicht gelegentlich allerdings scheint die starke Persönlichkeit dieser resoluten Frau die Oberhand über das angestrebte Image der demütigen Büsserin gewonnen zu haben. Dass die Schilderung persönlicher Gefühle und Erlebnisse im Pilgerbericht nicht zwangsläufig aus individualistischen (also "neuzeitlichen") Motiven erfolgen muss, sondern unter Umständen dem Streben nach traditionellen mittelalterlichen Idealen Ausdruck gibt, belegt der Jerusalem- und Santiagobericht von Nompar de Caumont. Die auf die eigene Reise bezogenen Einschübe des frommen Ritters sind häufig in einem symbolischen Kontext zu verstehen. Jener Blitzeinschlag an Bord des Pilgerschiffs, der sogar einen Brand zur Folge hatte, erscheint ebenso als Gotteszeichen gedeutet wie Sturm oder Flaute . 44 Andere Erzählungen in der Ich-Form wie jene von der Rekrutierung eines geeigneten Ritterschlag-Erteilers oder auch die Jagdszenen anlässlich eines witterungsbedingten Zwangsaufenthaltes auf Sizilien zeigen Nompar bei der Erfüllunf ritterlicher Ideale oder zumindest bei einer standesgemässen Betätigung. 4 Inmitten all der Episoden ritterlicher Selbstdarstellungen entpuppt sich Nompar de Caumont aber doch auch bei Gelegenheit als selbstbewusstes Individuum mit eigener Meinung: Die Zuckerfabrikation bei Palermo kam, seinem Kommentar nach zu urteilen, infolge der Aufbereitungsmethoden reichlich teuer zu stehen, und eine Burg erschien ihm schlicht als "... die schönste,ich ichje gesehenhabe. "46 Die zweite der drei Orient-Reisen von Ghillebert de Lannoy ist im Rahmen der umfassenderen Reise -Autobiographie, abgesehen von den deskriptiven Passagen des Pilgerführers und des militärischen Rapports, durchwegs in der Ich-Form gehalten . Allerdings teilt dieses ''Ich" ähnlich wie im Beispiel Wilhelms von Boldensele kaum je individuelle Details zum Reiseverlauf mit. 47 Auch einige spektakuläre Abenteuer wie den Raubüberfall in der Moldau-Gegend oder jene Episode, da sich seine Begleiter verirrten, die drohende Gefahr schliesslich ("... da passiertemir noch ein weiteresAbenteuer"), von den Tataren gefangengenommen zu werden, dies alles also erzählt er im trockenen Rapport-Stil ohne spürbare 44 Vgl. CAUMONf, S.93. Dazu ROHRICIIT, Deutsche Pilgerreisen, S.14: Der Gedanke durchzieht alle Pilger-Schilderungen von Unwettern auf hoher Sec; häufig ~en bei solchen Gelegenheiten weitere Pilgerfahrten gelobt. 45 Vgl. CAUMONf, S.109. 46 Vgl. CAUMONf, S.117(Zuckerproduktion), und S.134. 47 Dazu etwa PRESCOTI, Jerusalem Joumcy, S.24: "lt is idlc to hopc to find in such a documcnt any disclosurc of thc writer's pcrsonality.• <?page no="296"?> 286 persönliche Betroffenheit. Sein Rollenverständnis bleibt dasjenige des detailgenauen, aber wertneutralen Informationslieferanten. Dass Bertrandon de la Brocquiere in persönlichen Details weitergeht als sein (allenfalls von Standesinteressen geleiteter) Landsmann und Mitspion Ghillebert, wurde schon verschiedentlich dargelegt. Für sein geradezu skrupelloses Selbstverständnis als neugieriges Individuum sprechen all jene Passagen, die er augenscheinlich aus purer Erzähl-Lust und nicht mit strategischen Hinterabsichten in seinen den Reisebericht mit eingeflochten hat. Dazu gehören neben den zahlreichen menschlichen Begegnungen unterwegs auch ein paar Abenteuer kulinarischer Art. In der Türkei kam der fahrende Ritter sowohl in den Genuss von Kebab wie auch einer als ''Kaymack" bezeichneten Joghurt-Spezialität. Letzteres schmeckte gut und süss; "... und ich ass davon, bis ich beinahe platzte, denn seit dem Ort Kutahieh hatte ich kaum mehr etwas zu mir genommen. ,.48 Weniger behagte seinem Gaumen offenbar die Konfrontation mit Kaviar in Olivenöl - Futter für die Griechen sei das, oder wenn nichts Besseres zu haben sei, meint er verächtlich. 49 Georg von Ehingen erscheint in seiner Reise-Autobiographie mehr standesals ichbewusst, als Ritter nämlich ohne individuelle Charakterzüge. Ähnlich wie Ghillebert de Lannoy erzählt er seine Reiseabenteuer nur in knappen Andeutungen. In Damaskus etwa "... wurden ich unnd mein gesell gefangen und hart geha/ / ten. Und doch uff dass / etzst wurden mir ledig es costet uns wo/ XXX Docaten ". so Die eigene Trauer wird als Gefühl der Betroffenheit derart umschrieben, dass man die Betroffenheit selbst zumindest "zwischenden Zeilen" herauslesen kann. Eine Episode auf der Heimfahrt von Jerusalem, kurz vor der Ankunft auf Zypern: "Und aber er (=ehe) mier dahin kamen, starb mir mein gese/ ~ der vom geschlecht ain Münch von Basse/ war. Der ward von der gal/ een innss mer geworffen. Ab so/ / ichem thod ich gantz beschwert ward. Gott weil siner seil gnedig und bannhertzig sin. .Sl Georgs Standesgenosse Hans Bernhard von Eptingen scheint hingegen mit Vorliebe die schönen und erheiternden Erlebnisse unter persönlicher Anteilnahme wiedergegeben zu haben. "Schön" und von daher mitteilenswert fand er (zumindest scherzeshalber) auch das eigene Aussehen: "... so hatt ich gar einen schönen Bart, das ist den heiden gar angenehm. "52 Ob ihn 48 BROCX)UIERE, S.130: • Nous trouvasmesaussyaudit villaigede Jacraymede buffle qui est tresbonneet doulce qli ilz appelentKaymacet en mengaytant que je cuidaycrever, cardepuisCottbay je riavoieguieresmengi6." 49 Vgl. BROCX)UIERE, S.135: • Et fu en ceste villede Bourse ou je mengaypremierement du cavyaireavecluyle dolive, lequel, quant on ria aultre cbose que mengier,ne vault gueiresquepour / es Grecz. • 50 EHINGEN, 1, S.34. 51 EHINGEN, 1, S.35. 52 Vgl. EPI1NGEN, S322. <?page no="297"?> 'JB7 die Eitelkeit oder ein Schuss Selbstironie zu dieser Randbemerkung verleitete, sei dahingestellt; Schadenfreude beweist Hans Bernhard jedenfalls des öfteren in bezug auf die ''Heiden". Einmal berichtet er mit sichtlichem Genuss, wie er sich um das Weggeld drückte, indem er vorgab, sein Gefährte hätte schon für ihn bezahlt. Ein anderes Mal erschwindelte sich der Ritter ein Privileg, indem er (anlässlich der Rückkehr in den Hafen von Venedig) noch eine Weile "krankheitshalber" auf dem Schiff zu verbleiben wünschte . Dabei war er aber nicht krank, "... sunder ich that's von lust wegen. "5 3 William Wey ging in seinem Bemühen, einen umfassenden Pilgerführer für sämtliche Jerusalempilger-Bedürfnisse zu liefern, bis zur Selbstaufgabe seines Status als Augenzeuge und Autor. Entsprechend den unterschiedlichen Standpunkten, die er hier von Abschnitt zu Abschnitt dooimmt , wechselt die Identität des Erzählenden einmal von der ''Ich"in die umfassendere "Wir"-Form, versetzt sich andernorts an die Stelle der an konkreten Pilgertips interessierten Leserschaft ("... und wählt Euch an Bord einen Schlafplatz, der genügend Licht und Luft verheisst ...", etc.), 54 um endlich innerhalb der deskriptiven Passagen völlig in der Drittperson ("man") aufzugehen. In der "lch"-Erzählung verharrt Bruder William hingegen auf weiten Strecken des Santiago-Reiseberichts. Hier konnte er offenbar auf keinerlei Vorbilder zurückgreifen, sondern musste seinen Pilgerführer weitgehend aus eigenen Beobachtungen und Erfahrungen zusammenstellen. Auf den eigenen Standpunkt bewusst verzichten das tun in ihren Heiliglandberichten auch die beiden italienischen Teilnehmer der Expedition von 1458, allerdings aus unterschiedlichen Motiven. Beide referieren die gemeinsamen Reise-Erlebnisse in der 3. Person Plural; während sich die Zurücksetzung der eigenen Person bei Gabriele di Capodilesta aus der Absicht erklärt, eine Art geistlichen Pilgerführer zu verfassen, ahmt der Text von Roberto di Sanseverino den Stil der fürstlichen Reisechroniken nach. Mit dem Unterschied, dass hier ein hoher Adeliger nicht schreiben liess, sondern gleich selber als Autor aufzutreten gedachte . Er bemüht sich denn auch redlich, seinen Namen "Sr. Ruberto" häufig genug hinzusetzen, auf dass sein Bericht nicht als unpersönlicher Pilgerführer missverstanden werden sollte. Von einer persönlichen Betroffenheit zeugen wiederum Schilderungen von Krankheiten - und von den Todesängsten, die Roberta auf seiner äusserst mühseligen Heimfahrt im Winter auszustehen hatte. 55 Und einige wenige Male verrät der Autor die Identität mit der handelnden 53 Vgl. EPTINGEN, S.391 (Wegzoll), und S.399. 54 WEY, S.90. SS Vgl. SANSEVERINO, S.188 (Krankheit), und beispielsweise S.2n und S.288. <?page no="298"?> 288 Hauptfigur: "... und ich habe da den Kopf einer Schlange gesehen, grösser als der im Schloss von Pavia. ,.S 6 Schascheks und in gewissem Sinne auch Gabriel Tetzels Bericht von der multifunktionalen Europareise ihres Herrn Leo von Rozmital gehören zu den oben erwähnten fürstlichen Chroniken. Die eindeutige Zuteilung der Protagonistenrolle hindert die Autoren aber nicht daran, ihre eigene Person mit einzubeziehen und bei Gelegenheit ins rechte Licht zu rücken. Wie bewusst dies geschieht, ist schwer zu sagen. Gabriel Tetzel aus Nürnberg ist der "inoffiziellere" Schreiber und erscheint als nicht direkt dem höfischen Gefolge Angehörender weniger an bestimmte Standesregeln gebunden als sein böhmischer Kollege. So geht er mit den eigenen Reise-Erlebnissen, mit Beobachtungen, Meinungen und Gefühlen verhältnismässig freizügig um. Er vergisst auch nicht, seine speziellen Verdienste um das Wohl des Fürsten zu betonen: ''Do must mein herr in ein klein schifflein sitzen und hinauss zu dem grossen varen. Do kam der grosst wind und fortun ( = Stunn) an uns, das wir schier ertrunken waeren, und mit grosser not in das gross schiff kamen. Und hetens nit hen' Jan (das war ein Geselle des Fürsten) und Gabriel Tetzel gethan, so waer ir he" Lew, als er in das gross schiff wollt sitzen, ertrunken. ,.S 7 Mit starkem Seegang hatte offenbar auch der Chronist Schaschek zu kämpfen, allerdings anlässlich eines Ringkampfturniers, welches am Hofe Philipps des Guten stattfand: "Anschliessend an den Ringkampf sorgte der Herzog dafür, dass Wein und Konfekt aufgetragenwurden, und davon wurde soviel auf den Boden verschüttet, dass man denken mochte, es wäre nicht mit Gold aufzuwiegen. Und doch boten mir die Herzoginnen davon in solchem Übe,fluss an, dass ich kaum in die Herberge zurückfand, denn ich war betrnnken. ,.SB Auf den auffälligen Widerspruch zwischen Vor- und Nachwort zum Reisebericht von Jean und Anselme Adorno habe ich schon hingewiesen: Da zogen allem Anschein nach zwei Renaissance-Menschen aus, um die Welt zu entdecken, und sie kehrten zurück zu den mittelalterlichen Werten, um ebendieser Welt zu entsagen. Es stellt sich hier die Frage nach einem Generationenkonflikt, denn der Text "... traduit sans doute deux personnalites, sans doute deux temperaments, deux cultures peutetre differentes. 1159 Nun dürfte der Sohn Jean den toposartigen Schluss des Reisewerks nicht allein auf Wunsch des (ini Buch selbst als Mann von Welt und Globetrotter definierten) Vaters hinzugesetzt haben. Gewiss war Jean aufgrund seiner Rechtsstudien an der Universität von Pavia geradezu 56 SANSEVERINO, S.152 (in Kairo). 57 TETZEL, S.153. 58 SCHASCHEK, S.26. 59 Vgl. HEERS (Ecl.Adomo), Einleitung, S.7. <?page no="299"?> 289 prädestiniert, "progressiver" zu denken als sein Vater, der ein Ritter "alter Schule" war, erzogen am Hofe Philipps des Guten und im Dienste allmählich erlöschender Standesideale. Es scheint vielmehr so, als hätte sich hier ein Gesinnungswandel innerhalb des Schreibers Jean vollzogen. Tatsäch lich wurde Jean Adorno nach seinen Studien und im Anschluss an eine Zeitspanne ritterlicher Vergnügungen und der (erfolglosen) Suche nach einer standesgemässen Lebensaufgabe im Juli 1479 Kanoniker, währenddem sein Vater Anselme noch 1475vom burgundischen Herzog mit einer diplomatischen Mission in Persien betraut wurde. 60 Seine späteren Lebensdaten liefert Jean Adorno gleich selber, in seiner überarbeiteten zweiten Fassung des Reiseberichts, die er 1510, vierziJf Jahre nach dem Ereignis, als Mönch im Alter von 66 Jahren vollendete. Diese zweite Berichtfassung enthält, im Gegensatz zu derjenigen von Francesco Suriano, mehr autobiographische Details als die erste, die gemeinsam mit dem Vater erarbeitet wurde. Erst eine detailliertere Vergleichsstudie vermöchte womöglich zu ergründen, welcher von den beiden in Wahrheit der "Progressivere"war. Von den zwei Nürnberger Kaufleuten Sebald Rieter und Hans Tucher erweist sich Tucher als der individualistischere Berichterstatter. Während Rieter stets die Reise-Erlebnisse einer Dreiergruppe innerhalb der Pilgergesellschaft wiedergibt (neben ihm und Johannes Tucher gehörte noch Otto Spiegel dazu), 62 schildert Tucher auch individuelle Einzelaktionen. Beispielsweise verhalf er den Franziskanermönchen vom J erusalemer Sionskloster zu einer eigenen Sonnenuhr und brachte so gewissermassen der lateinisch-christlichen Bevölkerung der Stadt Gottes die Segnungen der modernen Zeitmessung ins Haus: "Ichmachte auch den munichen an die / drehenauf! dem bergSyon ein sunnen or, das sy allwegsehen mugen umb welchezyt es am tagist, so die sunn scheint.Zuo der ore sy grossfreud und gefallenhetten.Es regnetgarseltenim jar do selbst/ dannnur im november und december. Ich machet in die or gegenden mittag an die / drehen,so hoch das die xii stund zeigenmag, und in an vil enden im c/ osterdo sy die sehen mugen. .6 3 60 Dazu HEERS, Einleitung, S.15. 61 Ausschnitte davon sind bei HEERS, (Ed.Adorno) im Anhang abgedruckt; vgl. S.430-493. 62 Vgl. zum Beispiel RIEI'ER, S.124, und TUCHER, S.93: Die Schilderung des Zwischenfalls in Alexandria, als Tucher mit einem Brotmesser verletzt wurde, worauf er und Otto Spiegel vorübergehend im Gefängnis landeten. 63 TUCHER, S.44. Der Umgang mit der Zeit als quantitative und qualitative Grösse ist stark mentalitätsabhängig, und das Zeitverständnis eines Menschen/ einer Gruppe ist verknüpft mit der jeweiligen Weltanschauung. Vgl. (zur Rolle der Zeit in der mittelalterlichen Weltauffassung) GURJEWITSCH, S.162 und S.174-17S. Und, speziell zum Zeitbegriff der spätmittelalterlichen Pilger, DELUZ, lndiff6rence au temps dans ! es r6cits de pelerinage? , in: Annales de Bretagne 83, 1976, S.303-313. Weitere Sekundärliteratur führt HASSAUER, Eine Strasse durch die Zeit, S.422-423, auf . <?page no="300"?> 290 Hinrieb Dunkelguds Haushalts- und Geschäftsbuch, begonnen bei Gelegenheit der Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela anno 1479, ist genausowenig wie Richard Kyngstons Reisebuchhaltung nach bewussten Meinungsäusserungen oder gar Selbstreflexionen zu befragen, denn die Funktion beider Texte war ebensowenig öffentlicher wie literarischer Natur. Anders der Text des flämischen Zeitgenossen Eustache de la Fosse, der doch ähnlich wie Dunkelgud aus einer eigenwilligen Mischung von Kaufmanns- und Pilgerinteressen heraus unterwegs war. Allerdings: Was ihn dazu bewegt hat, nach vierzig Jahren auf sein Jugendabenteuer in Portugal und Spanien zurückzukommen, weiss man (wie im Falle von Jean Adorno) nicht. Zu vermuten ist hier der Ehrgeiz eines Patriziers, der geneigten Nachwelt ein Zeugnis von der eigenen Ausserordentlichkeit zu hinterlassen ein durchaus neuzeitliches Motiv also. Tatsächlich steht im Zentrum dieser Reiseschilderung jene spannend beschriebene Flucht aus portugiesischer Gefangenschaft, in deren Verlauf aus dem Kaufmann (und Sklavenhändler) Eustache ein mittelloser, auf die Freigebigkeit seiner Umwelt angewiesener "Jakobspilger" wurde. 64 Unter den in Fülle mitgeteilten unfreiwilligen Reiseabenteuern findet sich auch ein erotisches: Als er einigen jungen Frauen unterwegs zwei Stoffdecken zu verkaufen versuchte, widerfuhr ihm so etwas wie eine geistige Absenz. Er vermag sich bloss noch zu erinnern, wie er ihr Haus verliess; ohne Decken, aber auch ohne Kauferlös, "... und ich weiss nicht, wiemich dieseFrauenverhexten."Wieder zur Besinnung gekommen, kehrte der Geprellte um und ging in das Haus, um seine Ware zurückzufordern. Eine der Frauen forderte ihn mit eindeutiger Gestik auf, "ChoqueChoque" mit ihr zu machen, "... wozu ich allerdingskeine Lust hatte,so erbostwarich überden VerlustmeinerbeidenDecken,die verschwundenblieben. ,.65 Mit sichtlichem Stolz vermerkt Eustache zum Schluss den herzlichen Empfang, den die Stadt Brügge ihrem lange vermissten und verloren geglaubten Sohn bereitete. 66 Wir haben Felix Fabri bereits als den mitteilsamsten unter den Pilgerberichtautoren des 14. bis 16. Jahrhunderts kennengelernt und gleichzeitig als einen der traditionsbewusstesten. Innerhalb der unterschiedlichen Berichtfassungen zuhanden einer unterschiedlichen Leserschaft kommt die Persönlichkeit dieses Dominikanermönchs ebenso in ihrer schillernden Vielfältigkeit wie in ihrer mentalitätsgeschichtlich bedingten Widersprüchlichkeit zum Ausdruck. Allein aus seinem umfangreichen "Evagatorium" lassen sich soviele individuelle Erfahrungen, Gefühle und Wertungen zusammenstellen, dass sie eine breit angelegte Kollektion von Anek- 64 Vgl. POSSE, S.192 ff. 65 FOSSE, S.183-184. 66 POSSE, S.201. <?page no="301"?> 291 <loten zum spätmittelalterlichen Pilgerfahrts-Tourismus ergäben. Dazu nur ein (weiteres) Beispiel: Am Morgen nach einer unter freiem Himmel in den Bergen von Ein Geddi verbrachten Nacht schickte sich Bruder Felix an , seine aus gelbem Leder gefertigten, engen Reitstiefel anzuziehen, und stellte mit Schaudern fest, dass etwas Lebendiges im dem einen Stiefel steckte. Da alle anderen schon zur Abreise bereit auf ihren Eseln sassen, schlug Felix den betreffenden Fuss mitsamt Stiefel kräftig gegen einen Felsen, in der Meinung, damit dem "Skorpion" den Garaus gemacht zu haben. Erst beim nächsten Zwischenhalt untersuchte er den Stiefel näher und stiess dabei auf weichen, stinkenden - Menschenkot. Verärgert über den vermeintlichen schlechten Scherz ritt er weiter, um erst viel später bei einer neuerlichen Inspektion ·auch noch einen zerquetschten Mistkäfer zutage zu fördern. Dieser also war der Übeltäter, der den Dreck im Stiefelschaft plazierte "... und dabei venneinte,mein Untennieterzu werden." Es folgt sogleich ein zoologischer Exkurs, zunächst zum Nestbau der Mistkäfer und dann zur mythologischen Bedeutung des Skarabäus für die alten Ägypter . 67 Welchem ausserbiblischem - Vorbild Felix Fabri mit seiner Reise und seiner ausschweifenden lateinischen Pilgerschrift implizit nacheiferte, verrät die Heimkehr-Episode aus Evagatoriums-Sicht. Wie der weitgerei ste Mönch nach den vielfältigsten Abenteuern endlich zurück nach Ulm und ins heimatliche Dominikanerkloster gelangt, sind seine Mitbrüder zur Vesper in der Kapelle versammelt. Keiner ist da, ihn zu begrüssen bis auf den Wachhund, der den weit umhergetriebenen Pilger sogleich am Schritt erkennt und ein derartiges Freudengebell anstimmt, dass alle Mönche zusammenströmen, um den Heimgekehrten wie einen vom Tode Auferstandenen zu feiern. 68 Homer lässt grüssen. Pierre Barbatre hatte als Pilgerschriftsteller weder explizite Ambitio nen noch implizite Vorbilder: Er gibt einfach einen getreuen Rapport all der Dinge, die ihm unterwegs nach Jerusalem erwähnenswert erschienen. Wo nichts Bemerkenswertes zu notieren war, reduziert sich der Bericht auf eine reine Liste von Etappenorten. Barbatre gibt der Wir-Erzählung den Vortritt und profiliert sich als erzählendes Individuum nur an Stellen, die dafür sprechen, dass er den Bericht zur persönliches Erinnerung und nicht für eine breitere Öffentlichkeit bestimmt haben wollte. 69 Da stahl 67 FABRI, Evag. 2, S.165-167. 68 FABRI, Evag. 3, S.466-467. Dazu HOWARD, S.19 und S.46 ff: Er vertritt die These, wonach •... homecoming did not fit the idea of pilgrimage": Fabris breit angelegte Schilderung der Heimkehr verweist seiner Ansicht nach bereits in die Neuzeit. Die These wäre anhand der noch früheren italienischen Heimkehr-Schilderungen (Roberto di Sansevcrino liefert eine) zu überprüfen . 69 Soweit TIJCOO-CHALA/ PINZUTI (Ed.Barbatre), S.86. Vgl. auch ESCH, Gemeinsames Erlebnis, S.390: "Sein umfangreicher Bericht wirkt unter den vieren als der 'privateste' und hat auch keinen erkennbaren Adressaten.• <?page no="302"?> 292 unterwegs ein Soldat seine Trinkflasche, dreimal sah er vom Pilgerschiff aus fliegende Fische, und als einziger unter den Chronisten vermerkt er, dass eine Pilgerin in Rama von einem Skorpion gebissen wurde. 70 Auch Santo Brasca tritt als Einzelperson in den Hintergrund, schreibt in der "Wir"-Form oder rein deskriptiv . Dass sich der Bericht konkret um die Jerusalemreise von 1480 und nicht um irgendeine Heiliglandfahrt dreht, wird (ähnlich wie bei Santo Brascas Vorbildern Capodilesta und Sanseverino) aus vereinzelten individualistischeren Schilderungen deutlich. Bernhard von Breydenbach und Paul Walther von Guglingen haben ihre Werke in grundsätzlich verschiedener Weise konzipiert. Während der Franziskaner den ersten Berichtteil mit zahlreichen privaten Einschüben und Monologen angereichert hat, trägt die fremdbearbeitete Pilgerschrift des Mainzer Domdekans den Charakter eines allgemeinen und geradezu offiziellen Nachschlagewerkes zum Thema "Naher Osten". Verstreut finden sich zwar auch hier persönliche Ansichten und Erlebnisse in der Wir -Erzählung wieder, doch jenen unglückseligen Zwischenfall, als Bernhard von Breydenbach, unterwegs krankgeworden, aus seinem Kamel- Sattelkorb fiel und dabei auch noch 200 Dukaten verlor, muss man bei seinen schreibenden Mitpilgern nachlesen.7 1 Die von Paul Walther mitgeteilten Reise-Abenteuer können sich an Originalität und Freimütigkeit getrost mit den von Felix Fabri geschilderten messen, waren allerdings in weit geringerem Masse (nämlich gar nicht) für die Öffentlichkeit bestimmt. Über mehrere Tage (und Berichtseiten) hinweg rapportiert er etwa den Streit oder besser Kleinkrieg, den er mit seinem Reisegefährten Johann Wild in Norditalien ausfocht. Wild hatte sich offenbar eine schwere Erkältung zugezogen und zog sich nun als kranker Mann so langsam vorwärts, dass die beiden tatsächlich in Venedig ihr Schiff verpassten und zurück nach Mantua marschieren mussten. Zu allem Übel verirrten sie sich bei einbrechender Dunkelheit, und endlich brach Paul Walthers aufgestauter Ärger wie Blitz und Donner über den armen Johann herein. Allerdings setzten sie den beiderseitigen Entschluss, sich an diesem Punkt zu trennen, doch nicht in die Tat um, nachdem die Wut erst verraucht war. 72 Unter persönlicher Anteilnahme berichtet der Franziskaner auch von dem Unglücksfall, als ein Mitpilger und Nichtschwimmer beim Baden im Jordan ums Leben kam . Felix Fabri, der im darauffolgenden Jahr sein bereits geschildertes J ordanbad absolvierte, beruft sich in Hinblick auf seine Gewissensnöte auf diesen konkreten Todesfall . 73 70 Vgl. BARBATRE, S.91 (Trinkflasche), S.127 (fliegende F"ISChe), und S.131. 71 Vgl. dazu FABRI, Evag. 2, S.543-S45,und WALTIIER, S.216-217. 72 Vgl. WALTIIER Die Episode S.21-26. Eine Zusammenfassung der Ereignisse liefert PRESCOTI, Jerusalem Joumey, S.36-38. 73 Vgl. dazu WALTIIER, S.120, und FABRI, Evag. 2, S.39-40. <?page no="303"?> 293 Konrad von Grünemberg stellt sich gleich zu Beginn vor als Ritter, der "... unersättlich" war, ''fremde seltsame Dinge zu sehen." Seiner Reisebeschreibung nach zu urteilen, steckte er allerorten aus purer Neugierde die Nase in fremder Menschen Angelegenheiten und konnte zumeist nur durch rasche Flucht verhindern, dass ihm erzürnte Muslime einen Hieb darauf versetzten. Seine diesbezüglichen Abenteuer erzählt er gerne und ausführlich im Falle eines gemeinsamen Besuchs des türkischen Bades in Jerusalem, der damit endete, dass die Pilger mit den unheilschwangeren Worten" ... Undar undar marfus roch roch" davongejagt wurden, stellte er den Schauplatz des Geschehens auch gleich bildlich dar. 74 Sieht man von Eustache de la Fosse ab, der um 1520 die Beschreibung eines Jugendabenteuers und nicht die einer Pilgerreise ins Auge fasste, so ist der Mailänder Priester Pietro Casola der einzige unter den hier berücksichtigen Autoren, auf dessen Werk die dritte eingangs erwähnte Entwicklungsmöglichkeit der Subjekt-Objekt-Beziehung wenigstens in Ansätzen zutrifft. Jene Spannung zwischen dem erzählenden "Ich"und den mit erzähltechnischen Mitteln festgehaltenen Dingen scheint in Casolas Pilgerbuch tatsächlich über weite Strecken aufgehoben. Das zeigt sich etwa in der Selbstverständlichkeit, mit welcher der Autor sich selbst als handelndes Subjekt in die Erzählung mit einbringt, umgekehrt aber auch in der ironischen Distanz, die Pietro Casola seinem Status als Pilger und Pilgerberichterstatter gegenüber gelegentlich zu erkennen gibt. In seiner literarischen Darstellung einer Jerusalem-Pilgerreise des ausgehenden 15. Jahrhunderts erscheint dieser italienische Kleriker fast wie ein schöP-ferischer, kritischer und manchmal auch eitler Feuilletonist unserer Tage. 75 Francesco Suriano gehört mit zu den exhibitionistischen Berichtautoren des späten 15. Jahrhunderts, auch wenn er seinen Pilgertraktat im Grunde als eine "Geistliche Pilgerfahrt" für seine Schwester Sixta im Klarissenkloster von Foligno konzipierte. Lediglich in der inoffizielleren früheren Berichtfassung findet sich (anlässlich der Heimreise von Jerusalem) eine dramatische Schilderung, wie der zeitweilige Guardian der Franziskaner im Heiligen Land am Steuer der Pilgergaleere einen persönlichen Triumph über Wind und Wetter (und die Standesdünkel professioneller Seeleute) errang. 76 Hieronymus Münzer beschreibt nicht nur in der "lch"-Form, was immer ihm beschreibenswert erschien, sondern lässt auch subjektive Wertungen 74 GRUNEMBERG, S.117(Abbildung) und S.117-119(fext). 75 Das Lachen angesichts der "seriösen" Dinge im Leben, wie es in Umberto Beos literarischer Mittelalter-Darstellung "Der Name der Rose" als Erzfeind jeglicher theologischer Doktrin auftritt, ist durchaus als Indiz für ein zunehmendes humanistisches Selbstbewusstsein zu werten. Vgl. dazu auch: PAUL BAROLSKY, Infinite Jest, Wit and Humor in ltalian Renaissance Art, Columbia/ London 1978. 76 Vgl. SURIANO, S.243-244,Anm.(b )/ S.252-253,Anm.2. <?page no="304"?> 294 einfliessen. Zu seinen Standardbesuchen diverser Kirchturmspitzen gehört jeweils der Ausruf, wie schön doch von hier der Anblick der Stadt sei, und seinen spannenden "Sportbericht" von einem Kampfspiel, das mit Rohrstöcken ausgetragen wurde, ergänzt er um den Kommentar "Numquam vidi tarn pulcrum spectaculum"- "Nie zuvor sah ich ein schöneres Schauspiel. 'm Seine subjektive Meinung ist öfters die eines Moralisten, und ihr Einbezug hat belehrende Funktion. So betont er seinen Status des aufgeklärten Humanisten, indem er einen alten Volksglauben in bezug auf eine mit geheimnisvollen magischen Kräften ausgestattete Höhle als Humbug erklärt. Er vermerkt auch die Hinrichtung einiger "sodomitischer"(homosexueller) Christen mit Genugtuung," ... denn das verstösstgegendie Natur (gemeint: derMenschen)und ist tierisch. " 78• Im Gegensatz zum Ich-Erzähler Hieronymus Münzer tritt der Jakobpilger und Berichtautor Hermannus Künig von Vach bewusst hinter sein Werk zurück. Es ist dieselbe Haltung, die in bezug auf die Jerusalem-Pilgerfahrt Humbert de Dijon, Thomys Brygg und andere auszeichnete und die sich der Gefahr des "Identitätsverlusts" geradezu leichtfertig aussetzt: Es würde genügen, die erste und die letzte Seite des Textes verlorengehen zu lassen, und die Pilgerliteratur wäre um einen "anonymen" Baedeker reicher. Dass sich etliche Autoren, im 14. so gut wie im 15. Jahrhundert, dieser Gefahr aussetzten, zeugt nicht von mangelndem Profilierungsstreben, sondern höchstens von der Macht der (literarischen) Konvention . Denn in der Mönchskutte steckte auf jeden Fall ein Sympathisant der humanistischen Strömungen seiner Zeit, wie aus der einzigen wirklich subjektiven (und nicht zweckgebundenen) Meinungsäusserung heraus deutlich wird. Künigs Kommentar zur Universitätsstadt Paris: "... da hyn eynyglicherzuotzeügtder dan wil werdenwyss/ Jnkünsten und rechtenbeyde geistlichoderweltlich/ Uffertrichsach ich nye derstatglich. 1179 Arnold von Harff schmückt sowohl die realen Berichtpassagen des "weechwijsers"wie auch die fiktiven Mandeville-Anleihen des "dichters" sehr gerne mit den eigenen Erlebnissen und Abenteuern aus - oder dann lassen ·sich diese zwischen den Zeilen seiner fremdsprachigen Verständigungshilfen herauslesen . Einiges ergänzt er um der Anschaulichkeit willen mit Illustrationen, die an die photographischen Selbstbildnisse moderner Touristen gemahnen. So, wie er sich in Jerusalem, in Santiago de Compostela, in Köln und an anderen Pilgerzielen jeweils im Gebet zusammen mit dem Patron abbilden lässt, erscheint er andernorts in abenteuerlichen Situationen und Positionen, denen er sich unterwegs ausgesetzt sah. Die 77 Vgl. etwa MÜNZER, S.6 (Aussicht über Barcelona) und S.101 (Turm in Numancia), und S.64. 78 MÜNZER, S.4142: "... quiacontranaturamcst et bcstialcquid." 79 KÜNIG, fol.10. <?page no="305"?> 295 "weltlichsten" Beispiele dieser bildlichen Selbstdarstellung finden sich bei Gelegenheit der Wüstendurchquerung (der Pilger auf dem Kamel) sowie anlässlich der Gefangenschaft in Gaza (der Pilger in Ketten). 80 Der Stil des Reisebuches von Hans Schürpff erinnert in seiner kurzangebundenen Rapporthaftigkeit und stilistischen Schlichtheit an die deutschen Berichte des späten 14. Jahrhunderts, an Lorenz Egens und Peter Sparnaus Texte. Wie jene hält sich der Luzerner Patrizier eng an die Fakten und verzichtet auf jegliche persönliche Darstellung des Gesehenen und Erlebten. Er liefert im übrigen (vorausgesetzt, die vorliegende Edition gibt den Text vollständig mit Vor- und Nachwort wieder) weder explizite Reisenoch Schreibmotive, so dass die Frage offen bleibt, aus welchen Gründen er den Konventionen des Genres in so strengem Sinne zu entsprechen suchte. Wohl möglich, dass er seine Rolle als diejenige eines Hofchronisten im traditionellen Sinn verstand, reiste er doch mit demselben Schiff wie Herzog Bogislaus von Pommern ins Heilige Land . Aus der Wir-Erzählung in die subjektive Sicht des persönlich Betroffenen wechselt Hans Schürpff ganz zum Schluss, und noch durch die bewusste Zurückhaltung hindurch ist die Trauer des heimgekehrten Familienvaters zu spüren: "Dennhie heim, da fand jch erst, dar mir grossetrurigkeit bracht,wiewolmir Gottftüsch und gsund har heim hatt gehulffen; fand jch minen sun Heinrichenjn grosserkranckheitund starb.Als jch am fritag 80 Die Abbildungen: HARFF, S.116-117 (Kamel), und S.159-160 (im Gefängnis). <?page no="306"?> 2% kam, verschied er momdess am samstag. Also hatt ein end dise vartt zum kürtzisten begriffen. ,.Sl Richard Guylfordes Kaplan und Reisechronist bleibt namentlich nicht genannt, und doch prägt seine subjektive Sicht der Dinge den Pilgerbericht, wird seine Person als die eines wachen Beobachters und vielseitig interessierten "Entdeckers" fassbar. Er schreibt durchwegs in der Wir- Form, ohne dass der Tod seines Herrn (und eigentlichen Bericht-Protagonisten) als weitreichende Zäsur erkennbar würde. Auch wo er nicht in die Ich-Erzählung verfällt, steuert der Autor gelegentlich individuelle Aspekte bei. Zwar bricht der Anonymus gelegentlich ab, wo eine geschilderte Episode weiter als sonst üblich (oder schicklich) vom eingeschlagenen Pilgerführer-Weg abzuweichen droht, 82 aber er bringt sein Ego mit ins Spiel, ob als Autor, der seine Quellen nennt, 83 oder dann als unterwegs Freude und Trauer empfindendes Subjekt. 84 Die Reisenotizen von Lucas Rem sind ähnlich denjenigen in Hinrieb Dunkelguds Geschäfts- und Haushaltsbuch als Teil einer halbprivaten Autobiographie zu verstehen, enthaltend die Lehr- und Wanderjahre des Augsburger Kaufmanns. Persönliche Bemerkungen zum Verlauf der Spanienreise vom Oktober 1508 sucht man in der knappen Zusammenfassung der wichtigsten Etappen vergebens. Und dennoch sollte man das vom Herausgeber entworfene Charakterporträt eines "wortkargen, trockenen, zurückhaltenden, kurz angebundenen Mannes" nicht unbedingt als verbindlich betrachten. 85 Denn: Das Selbstbild des wortkargen Schriftstellers Lucas Rem lässt allenfalls Rückschlüsse auf den Schriftsteller Lucas Rem zu, nicht aber auf Rollen, die er im Leben ausserdem noch gespielt haben mag. Ein Flair für Naturschönheiten, Kunst und Religion kann man Rem jedenfalls nicht absprechen. Und dazu kommt sein Sinn für das Lebenskünstlerische in Verbindung mit dem (auch schon bei anderen Handelsreisenden festgestellten) Nutzdenken, beispielsweise in Hinblick auf eine seiner Frankreich-Reisen: "Tat dise 73 teg ain wunderschone kurtzweilige Rais mit guoter geselschaft und der Compa nutz mit einbringen der schulden. "86 81 SCHURPFF, S.34. 82 Vgl. ANONYMUS, S.56 (die Pilger wurden von Sarazenen belästigt und fürchteten sich, •... whiche were Jonge to wiyte, &c."). 83 Vgl. ANONYMUS, S.46: •I sawe not this temple within, but I wiyte as I hetde therof there, and sawe by wrytynge. • 84 Vgl. ANONYMUS, S.64: Infolge der unsicheren Wetterverhältnisse hatte sich die englische Pilgergesellschaft geteilt; und der Kaplan war offenbar in Sorge, ob und wo er seine verirrten Schäfchen wiederfinden würde. ss Vgl. GREIFP (&1.Rem), s.xvn. 86 REM,S.S. <?page no="307"?> 297 Unter den vier schreibenden Eidgnossen von 1519 erscheint Ludwig Tschudi als wenig individualistischer Referent, wohl deshalb, weil er (wie vor ihm Bernhard von Breydenbach) seine Reisenotizen nicht eigenhändig überarbeitete. Dennoch finden sich subjektiv geschilderte Erlebnisse wie die zufällige Begegnung mit einem ehemaligen Waffengefährten auf Zypern, oder der Augenzeugenbericht von der Auseinandersetzung mit einem offensichtlich an Kleptomanie leidenden jungen Mann an Bord des Pilgerschiffes. 87 Auch das Pilgertagebuch von Melchior Zur Gilgen geht mit subjektiven Erzählungen sparsam um; der Autor verstand sich offenbar mehr als Stellvertreter der ganzen Pilgergruppe denn als eigentlicher Protagonist seines Textes. Bisweilen differenziert er und liefert Details, so im Fall der Jordantaufe, wo er die exakte Reihenfolge, wer wem zu welchem Zeitpunkt zum entsprechenden Ablass verhalf, angibt. 88 Bevor das Tagebuch Zur Gilgens auf der Heim.fahrt plötzlich abbricht, weist der letzte Eintrag bereits auf die sich später ausbreitende Epidemie an Bord des Pilgerschiffes hin. Der Schiffseigner wurde in Nikosia krank, was den Landaufenthalt auf Zypern um Wochen verlängerte. "... doran die bilgergrossenbeschwerdtrugent,und gancz vnwiligwarend.• 89 Melchior Zur Gilgen sollte Rhodos nicht mehr erreichen; er starb unterwegs zwischen Zypern und Rhodos an der Pest. Wie einmal Zur Gilgen, so verschweigt auch Hans Stockar eine eher peinliche Reise-Episode, die erst in den "Klatschspalten" des Pilgerberichts von Heinrich Stulz ans Licht kommt: Bei einem Streit zwischen Stockar und den Eseltreibern (es ging um den Preis für den Ausflug zum Jordan) verlor der Schafthauser offenbar seinen Esel und gleichzeitig den Brotsack des Engelberger Mönchs mitsamt Inhalt, "... vnd was spis darin,fil kaess vnd brottund gesotneeyervnd min bettbuoch.• 90 In seiner nüchternen Beschreibung der Dinge tritt Stockar nur selten mit Emotionen und Meinungen hervor. Wo er detailliert auf die zypriotischen Salzfelder eingeht, ist er ganz der von Berufsinteressen geleitete Handelsmann. Wo er hingegen schildert, wie er den kranken Melchior Zur Gilgen an Bord des Pilgerschiffs pflegte, erscheint er als Mensch mit einem unüberwindlichen Ekel vor Krankheit und Tod. Er schimpft noch im nachhinein, ohne besonderes Mitgefühl für den damals im Sterben liegenden Gefährten zu äussern, über den Gestank am Krankenlager und 87 Vgl. TSCHUDI, S.29 (Begegnung auf Zypern), und S.89-91. Zum Zypern-Aufenthalt und zu den dort verschiedentlich angetroffenen Bekannten vgl. ESCH, Vier Schweizer Parallelberichte, S.170-171. 88 ZUR GILGEN, S.49. Vgl. dazu ESCH, S.142-143: Tschudis Aussage (S.295) ist mit derjenigen Zur Gilgens identisch, was belegt, dass Zur Gilgens Tagebuch dem Bearbeiter Aegidius Tschudi als Vorlage diente. 89 ZUR GILGEN, S.52; dazu ESCH, S.172. 90 STULZ, S.245.Dazu auch ESCH, S.161. <?page no="308"?> 298 über seine "... grosmüg und arbatt", die er mit der Betreuung Zur Gilgens auf sich lud. Sein Fazit: "Undich wettnit 30 dugattnemen, das ich das mer dett, das ich im dett, und so besen geschmack müst liden, als lang ich vorliad. " 91 Ganz anders als die eben angeführte Klage Stockars klingt, was Heinrich Stulz über die Ereignisse auf dem Pilgerschiff und namentlich über das Sterben des Luzerner Mitpilgers zu berichten weiss. Offenbar begann Melchior Zur Gilgen in seinen Fieberträumen irr zu reden: Der Versuch der Umstehenden, auf seine Phantasievorstellungen einzugehen, um ihm auf diese Weise eine letzte Freude zu bereiten, mündete in ein ebenso gespenstisches wie rührendes Schauspiel: "Alsobrachttentwierher Melcher mitt grossermartterdurch das loch hinab, wann erzuo eim kind was worden, vnd hette doch simm saelbergaem gehulffen; vnd thettentinn in her meister Wemherskaemerlinvff sin bett. Do sprach er: Jst das vnserbadstübly? Das was das hinderst(=letzte) worttmit vemunft,wann wierdarvorgar ein guotten muott darynhattengehanmitt singenvnd trincken,das allementschen vns zuolost, vnd zuogentvns all ab nacket,dasfrowtte yn noch.Aber ,vierhettent ym gaem gethan,· es wasabernütt andersdan dertod." 92 Die Skrupe~ die Heinrich Wölfli in seinem Pilgerbericht an der Schwelle zur Reformation formuliert, betreffen einerseits seinen Status als Pilger in einer Zeit harscher Kritik am Pilgerwesen, zum anderen seinen Status als Pilgerschriftsteller mit (seinen Beteuerungen zufolge) keinerlei Ambitionen, sich "... ettwas rums bj den nachkommen" zu erwerben. Sie hindern ihn allerdings nicht daran, etliche egozentrische Reiseschilderungen mit einzufügen, welche insgesamt ein facettenreiches Charakterbild dieser schillernden Pilgergestalt ausmalen. Ob es um Wölflis gesundheitliches Befinden an Bord des Pilgerschiffs geht oder um die Tatsache, dass sein Zinnfläschchen infolge der Ungeschicklichkeit eines Mitpilgers in einem Bach davonschwamm, stets geht der Berner Geistliche von den eigenen Überlegungen und Empfindungen vor Ort aus. Auf diese Weise lernt der geneigte Leser nebst den heiligen Dingen auch die unkonventionellen Seiten des Jerusalempilger- Alltags um 1520 kennen die Geschichte beispielsweise, wie sich Wölfli zwei Decken kaufte und bei der Gelegenheit sein (schwarz angelaufenes, nicht etwa illegal importiertes) Geld "... wäschen" liess, wie an Bord der Pilgergaleere ein Brand ausbrach ("He" Gott, wie erschrackich ..."), wie er einem betrügerischen Herbergswirt auf dem Weg nach Rom ein Huhn stibitzte und es rupfte, oder auch, wie ihn der dreiste Diebstahl seines schönen Messers schmerzte: "Unndrüwetmich das mässermeh, das es mir 91 SI'OCKAR, S.28-29. Vgl. S.34: Immerhin nahm er es auf sich, der Familie Zur Gilgen in Luzern die Hiobsbotschaft zu überbringen. 92 STIJLZ, S.252. <?page no="309"?> 299 so lieb was, als das es köstlich wäre,dann ich hatts die gantze ~te reissgar flyssig a/ / wägengha/ ten, unnd an denen heiligenortten brucht, unnd musst jetzund so liederlichdrnmm khon. 1193 Heinrich Wölfli erinnert hier nicht nur an Niccolo di Poggibonsi und dessen Lamento über den Verlust eines kostbaren Edelsteins, sondern auch an Jacopo da Verona und dessen Reliquiensammelwut wozu sonst hat wohl der Berner sein Messer "... an denen heiligenorttenbrucht"? Dass sich in (fast) jedem Text Spuren einer individualistischen Gestaltung (sowohl der Reise wie des Reiseberichts) finden lassen, zeigt der Querschnitt durch zweihundert Jahre spätmittelalterlicher Jerusalem- und Santiago-Literatur. Weitreichender als die wachsende Bedeutung eines explizit handelnden und berichtenden ''Ego"innerhalb der Pilgerliteratur erscheint von daher die Entwicklung des tatsächlichen Rollenbewusstseins: Je mehr sich, in der Jerusalem-Berichterstattung zumindest, die Faktizität als charakteristisches Merkmal des Genres (bedingt durch den Einfluss des omnipräsenten franziskanischen Leitbilder) auf den zentralen Berichtteil und die Beschreibung der heiligen Stätten konzentrierte, je mehr Einfluss andererseits die weltlichen Berichtelemente aufgrund der Erwar-tungshaltung eines breiteren Publikums auf die "Rahmenhandlung" (Hin- und Rückreise) der beschriebenen Pilgerfahrt gewannen, 94 um so dringender stellte sich das Problem der Rollendefinition. Eine Standortbestimmung, ob explizit formuliert oder stillschweigend vollzogen, wurde unumgänglich. 95 93 WOLFLI, S.110. 94 SIGMUND FEYERABEND spricht den Berichtautoren (im "Reyssbuch", fol.2) "... ein natürliche begierd/ Just und liebe viel und mancherlCJ' ding zu wissen unnd zu erfahren" zu und betont den weltlichen Aspekt der Texte: •Endlich befinden sich auch hierin allerhand wunderbarliche geschieht und historien/ so den guthertzigen Leser erlustigen/ und höhern sachen nachzudencken/ auch in dergleichen oder andere weg der Welt brauch und gelegenheit durr: h reysen zu erkunden/ erwecken und auffmundtern können.• Dazu: PAl.M, S.8 f. 95 GORDON LEFF spricht in: Dissolution of the Medieval Outlook, S.91-92, von einer allmählichen Zersetzung der mittelalterlichen Sehweise im 14. und 15.Jahrhundert. "The Christian assumptions remained unimpaired, but they were being put to a new meaning, which in nearly evexy case involved emancipation from what could not be actually ascertained by human experience or scientific enquixy or derived from logic 01'.need he held on faith." Zum Bemühen um die Integration neuer Weltbilder in die Literatur des ausgehenden Mittelalters vgl. etwa: WETZLAFF-EGGEBERT, Deutsche Literatur im späten Mittelalter, 1250-1450, Bd.3: Neue Sprache aus neuer Welterfahrung, Reinbek 1971, S.42-52, und R WEIMANN (Ed.), Realismus in der Renaissance, Aneignung der Welt in der erzählenden Prosa, Berlin/ Weimar 1977. <?page no="310"?> 300 9. Die Bildwelt des Pilgerberichts: Jerusalem und das Heilige Grab Das bildliche Illustrationsmaterial zu den Pilgerberichten nach Jerusalem und Santiago de Compostela ist bisher noch nicht einer vergleichenden Analyse unterzogen worden. 1 Zwar sind seit den sorgfältig recherchierten Einzelstudien von Reinhold Röhricht zu den Pilgerkarten von Marino Sanudo, William Wey und Erhard Reuwich (dem Illustrator des Berichts von Bernhard von Breydenbach) immer wieder Einzeluntersuchungen zu den in einigen Manuskripten und Editionen zu findenden Federzeichnungen und Holzschnitten erschienen. 2 Im übri§en bleibt nur, auf die entsprechenden Nachschlagewerke zu verweisen. 1 VALMAR CRAMER hat die Thematik kurz aufgegriffen: DERS., Meister der Farbe und des Stiftes als Pilger in Jerusalem, in: Das Heilige Land 84, 1952,~-18. Vgl. auch: ZER VILNAY, Tue Holy Land in Old Prints and Maps, Jerusalem 1963 (nicht ausschliesslich auf Pilgerberichte bezogen), den Ausstellungskatalog "Undique ad terram sanctam", Cartographic Exhibition Prom the Eran Laor Collection, Bcrman Hall, Jewish National and Univcrsity Library Jerusalem, Jerusalem 1976, sowie (als Bibliographie zum Thema): Illustrierte Reisebücher aus alter Zeit, Coburg 1963. 2 Vgl. REINHOLD RÖHRICIIT, Marino Sanudo sen. als Kartograph Palästinas, in: ZPDV 21, 1899, S.84-126, und Abb.; DERS., Die Palästinakarte Bernhard von Brcydenbachs, in: ZPDV 24, 1901,S.129-135,und Tafeln 1-3; DERS. , Die Palästinakarte des William Wey, in: ZPDV 27, 1904, S.188-193, und Abb. Zu Bernhard von Breydenbach (Erhard Reuwich) ausserdem: HUGH W.DAVIES, Bernhard von Breydenbach and His Journey to the Holy Land, Utrecht 1968; HELMUT LEHMANN-HAUPT, Die Holz: schnitteder Brcydenbachschen Pilgerfahrt als Vorbilder gezeichneter Handschriftenillustration, in: Gutenberg -Jahrbuch 1929, S.152-163; RUTHARDT OEHME, Die Palästinakarte aus Bernhard von Brcydenbachs Reise in das Heilige Land 1486, in: Zentralblatt für Bibliothekswesen, Beiheft 75, 1950, S.70-83; NIKOLAUS ADLER, Rcuwichs Illustration zum Pilgerbericht des Mainzer Domdekans Bernhard von Breidenbach (1483/ 84), in: Das Heilige Land 84, 1952, S.14 . Etliche der Holz: schnitte sind wiedergegeben in: ELISABETII GECK, Bernhard von Brcydenbach, Die Reise ins Heilige Land, Wiesbaden 1961. Zu Arnold von Harff: VOLKER HONEMANN, Zur Überlieferung der Reisebeschreibung Arnolds von Harff, in: ZPDA 107, 1978, S.165-178 (mit einem Verzeichnis aller Handschriften inklusive der Federzeichnungen); HART- MUT BECKERS, Neues Zur Reisebeschreibung Arnolds von Harff, Die Handschrift Dietrichs V. von Millendonk-Drachenfcls vom Jahre 1554 und ihre Bedeutung für die Rezeptions- und Überlieferungsgeschichte, in: RhVB 48, 1984, S.102-111 (S.106: Ausschmückung der Handschrift) . Zu den Holz: schnitten in einigen Mandeville-Druckausgaben vgl. J.W.BENNEIT , Tue woodcut illustrations in the English Edition of Mandcville's Travcls, in: Papers of the Bibliographical Society of America 47, 1953, S59- 69, und CLAUDE KAPPLER, Monstres, dcmons et merveillies a Ja fin du Mayen Age, Paris 1980(zahlreiche Illustrationen). 3 Beispielsweiseauf RICHARD MUTHER, Die deutsche Bücherillustration der Gotik und Frührenaissance (1460-1530),2 Bde, München/ Leipzig 1884 (zu Rcuwichs Holz: schnitten: Bd.1, S.89-91); H.KUNZE, Die Geschichte der Buchillustration in Deutschland, Das 15. Jahrhundert, 2 Bde, Leipzig 1975 (zu Rc'lWichs Palästinakarte S.266-271); La ville au moycn 4ge, Gravure allemande du XV' si~le, (Ausstellungskatalog) Genf 1975; FRANK-DIETRICH JACOB, Historische Stadtansichten, Entwicklungsgeschichtliche und quellenkundliche Momente, Leipzig 1982(zu Rcuwichs Jerusalemdarstellung: 5.23). <?page no="311"?> 301 So rar auch die bildlichen Zeugnisse von Objekten und Geschehnissen innerhalb der Gesamtheit der mittelalterlichen Pilgerschriften erscheinen mögen, 4 so bedeutungsvoll sind sie doch unter Umständen für die Verbreitung und Wirkungsgeschichte des betreffenden Werks.Wobei sich natürlich zunächst wiederum die Frage nach der Urheberschaft sowie nach den Einflüssen und Vorbildern stellt: Zeichnete ein Pilger selbst oder liess er zeichnen? Sind nachträglich eingefügte lliustrationen aufgrund von originalen Skizzen oder einfach so, auf Wunsch des Herausgebers, entstanden? 5 Bis heute fehlt ein Überblick über die tatsächliche Anzahl erhaltener Bericht-lliustrationen sei es, dass die Zeichnungen bei der Ausgabe (aus technischen oder finanziellen) Gründen weggelassen wurden, 6 sei es, dass illustrierte Reiseberichte noch keine adäquate Ausgabe gefunden haben.7 Bereits Jacopo da Verona hat sein Manuskript mit einfachen Strich- Skizzen illustriert das Beispiel vom Sinai ist weiter vorne angeführt. Niccolo da Poggibonsi hat zwar selbst keine Zeichnungen zu seinen detaillierten Beschreibungen angefertigt, doch sind spätere, namenlose Ausga- 4 RICHARD, l.es recits, S.50-51: "On notera en terminant que rares sont ! es relations de voyages de ~lerinages, ! es guides, qui ont etc completes par une illustration correspondante au texte. (...) 11faut attendre le W siede pour voir les ouvrages dont nous parlons s'enrichir d'une documentation figuree, rapportee par les narrateurs qui l'ont dessinee ou fait dessiner au cours de leur voyage.• 5 Ein klarer Fall ist der (am eingehendsten untersuchte) des Erhard Reuwich. Ansonsten ist man auf Spekulationen angewiesen: Die Federzeichnungen in Heinrich Wölflis Heiliglandbericht werden Johann Jakob Dünz (1649+) zugeschrieben, währenddem die Zeichnungen in den erhaltenen und verschollenen Arnold von Harff-Manuskripten wahrscheinlich auf Skizzen des Pilgers beruhen. Die an sich bildgetreuen Holzschnitte in der Groote-Ausgabe wären somit Interpretationen von Interpretationen (verschollener) Originale. Vgl. dazu HONEMANN, Zur Überlieferung, S.169: Ein in der Bonner Universitätsbibliothek aufbewahrtes Manuskript von 1591 trägt zu den 39 farbigen Tuschzeichnungen den Vermerk: "Gemalt zu essen dun: h mich Katrein a Bram". 6 Hieronymus Münzer hat offenbar seinen Spanienbericht ausser mit dem Grundriss der Kathedrale von Santiago de Compostela noch mit weiteren sechs Federzeichnungen ausgeschmückt, die in der vorliegenden Ausgabe fehlen; vgl. PFANDL (Ed.Münzer), S.156. 7 Eben erst sind Originaltext und Illustration des Textes von Sebald llsung (1446-1448in Spanien und Santiago de Compostela) herausgegeben worden; vgl. VOLKER HONEMANN (Ed.), Sebastian llsung als Spanienreisender und Santiagopilger, in: KIAUS HERBERS (Ed.), Deutsche Jakobspilger und ihre Berichte, Tübingen 1988 (Jakobus-Studien 1), S.61-95. Laut HÄBLER (Ed. Künig von Vach), S.57, Anm.2, wurden die zahlreichen Handzeichnungen auch separat in einem Photoband veröffentlicht,• ... das Buch ist allerdings nie in den Handel gelangt.• Illustrationen aus der Hand des Autors enthält offenbar auch der Reisebericht des Florentiners Marco di Bartolommeo Rustici, dessen Veröffentlichung in Aussicht gestellt worden ist. Vgl. dazu: LUCIA GAI, La "dimostrazione dell'andata de! Santo Scpolcro" di Marco di Bartolommeo Rustici Fiorentino (1441-1442), in: CARDINI (Ed.), Toscana e Terrasanta, S.189-233; hier: S.193. <?page no="312"?> 302 ben seines Textes (ähnlich wie die späteren Mandeville-Druckausgaben) mit Illustrationen ausgeschmückt worden. 8 Niccolo di Martono beschliesst die Beschreibung der Elefanten in Kairo mit dem Satz: "Die Gestalt derselben entspricht derjenigen in der bildlichen Darstellung." 9 Ob er sich dabei auf eine ganze Tradition von Abbildungen beruft oder allenfalls auf eine (ursprünglich) mitgelieferte Illustration, wird nicht ersichtlich. Prächtige Miniaturen weist der Reisebericht von Bertrandon de la Brocquiere auf, wobei der Zeichner eher auf bestehende Vorlagen denn auf eine persönliche Ansicht zurückgegriffen zu haben scheint. Bildlich wiedergegeben sind unter anderem eine Stadtansicht von Jerusalem sowie die Berichtübergabe von Bertrandon an den Auftraggeber Philipp den Guten am burgundischen Hof. 10 Georg von Ehingen hat alle christlichen Machthaber, denen er zwischen Palästina und Portugal begegnet sein will, von eigener Hand porträtiert, nicht aber die Städte und Orte, in denen er sich aufhielt. 11 Eine der bekanntesten frühen Heiliglandkarten überhaupt stammt von William Wey, doch hat auch Gabriele Capodilesta, sein Reisekollege von 1458, Kartenskizzen vom Heiligen Land und zum Weg in den Sinai und nach Ägypten sowie eine bemerkenswert wirklichkeitsgetreue Zeichnung von der Aussenansicht der Jerusalemer Grabeskirche angefertigt. 12 Zwei Abbildungen (besser: Strichzeichnungen) weist offenbar der Bericht von Jean Adorno auf: Bei der einen soll es sich um die Darstellun§ des arabischen Alphabets handeln, und die andere stellt eine Münze dar. 1 Was die Grabeskirche und das Heilige Grab, die zentralen Punkte des Jerusalempilger-Interesses, betrifft, so sind neben den ausführlichen künstlerischen Darstellungen (auf die gleich näher eingegangen wird) ebenfalls einfachere Skizzen zu finden: Santo Brasca liefert einen rudimentären Kirchengrundriss, 14 und Felix Fabri akzentuiert seinen Jerusalem-Report dreimal mit dem Signum des offenen Grabes. Es dürfte sich 8 Vgl. dazu: C.D.M.COSSAR,The German Translation of Niccolo da Poggibonsi's Libro d'Oltramare, Göppingen 1985 (GAG 452), S.30-32 (mit einer Auswahl von Abbildungen). 9 MARTONO, S.601: •Formaipsomm cst sicut dcpingitur." 10 Beide Abbildungen (MS Bibl.Nat.Paris, Fr.9087, fol.85v. und 152 v.) wiedergegeben in MARGARETWADE-IABARGE, MedievalTravellers, London 1982,S.69 (Jerusalem) und S.185(Berichtübergabe). 11 Die Abbildungen in EHRMANN (Ed.Ehingen), 2, Anhang. Vgl. dazu MORITZ, S.69: "Diese Miniaturen wird sich Ehingen zur Erinnerung angefertigt haben und wahrscheinlich als Beweis für seinen Bericht um zu zeigen, dass er mit den von ihm beschriebenen und in ganz Europa bekannten Persönlichkeiten wirklich zusammengekommen war." 12 Zu Williams Palästinakarte und zu Gabrieles Abbildung der Grabeskirche demnächst mehr. Gabrieles Zeichungen sind wiedergegeben bei MOMIGUANO LEPSCHY (Ed.Capodilesta), vis-ä-visS.213und S.220. 13 Vgl. ADORNO, S.92 (das Alphabet mit lateinischer Umschrift), und S.206. 14 SANTO BRASCA, S.145. <?page no="313"?> 303 dabei um eine traditionelle bildliche Form der Auferstehung Christi handeln, findet sich doch eine ganz ähnliche symbolische Darstellungsweise auch auf dem Frontispiz der 1524 gedruckten Ausgabe von Francesco Surianos "Trattato" wieder: Ein Franziskaner und eine Klarissin (? ) erweisen hier dem Auferstandenen ihre Reverenz. 15 Einfache Planskizzen von den besuchten heiligen Stätten schliesslich sind vereinzelt im Palästinabericht des Paul Walther von Guglingen anzutreffen. 16 Unter den schreibenden Pilgern von 1483/ 84 zeichnet Bernhard von Breydenbach für die Beschaffung von besonders reichem und anschaulichem Bildmaterial verantwortlich. Die wohl populärste aller mittelalterlichen Pilgerschriften verdankt ihren Ruhm nicht zuletzt den Holzschnitten des (selber auf weiten Strecken mitgereisten) Utrechter Künstlers und Verlegers Erhard Reuwich . Tier- und Menschendarstellungen sind hier zu finden, daneben aber auch etliche grossformatige Stadtansichten, die sich als wegweisend für die Entwicklung des künstlerischen Holzschnitts (nicht nur) im Bereich der Städtebilder erweisen sollten. 17 Die neben einer realistischen Ansicht von Venedig bekannteste Städte- Darstellung ist zweifellos jene von Jerusalem; sie findet sich integriert in eine Landkarte, die das Gebiet von Palästina abdeckt von Syrien bis Ägypten, genauer von Tripolis im Norden bis Alexandria im Süden. Die Karte ist 0,27 Meter breit und 1,27 Meter lang und bereits eingehend gewürdigt worden. 18 Während das Karten-Mittelteil einer nahezu wirklichkeitsgetreuen Stadtansicht Jerusalems vom Ölberg aus entspricht, schliessen sich links Palästina und rechts die Halbinsel Sinai und Ägypten als schematisierte mittelalterliche Wegekarten an, durchsetzt von schriftlichen Erklärungen. Offensichtlich entwarf der Künstler diese im Stilistischen stark abweichenden Partien nicht nach der eigenen Ansicht: Die Pyramiden beispielsweise erscheinen als spitze, langgezogene "Prismen". Offenbar beschränkt sich die Funktion der Karte hier auf diejenige eines informativen (bildlichen) Pilgerführers. Zur Wirkungsgeschichte von Erhard Reuwichs Holzschnitten gehört einerseits die weite Verbreitung im Zusammenhang mit der frühen Drucklegung des Breydenbach'schen Berichtes, gehört aber auch eine 15 Vgl. FABRI, Evag. 1, S.309; Evag. 2, S.1; Evag. 2, S.220. Und BELLORINI/ HOADE (ed.Suriano ), Figur 2. 16 Vgl. WALTIIER, S.161,S.166, und S.228-229. 17 Vgl. dazu MUTIIER, Die deutsche Bücherillustration, Bd.l, S.91: Reuwichs Bilder "... sind in der Tat die vorzüglichsten Hol7.schnitte, deren Deutschland in dieser Zeit sich rühmen kann. Die Ansichten der Städte nebenbei die ersten auf Autopsie (=eigener Ansicht) beruhenden topographischen Darstellungen - und die Bilder aus dem Völkerleben des Orients atmen eine Wahrheit und Naturtreue, wie sie in späterer Zeit nur von wenigen Reisebeschreibem erreicht wurde." 18 Vgl. oben, Anm.2. In voller Länge findet sich die Karte wiedergegeben bei GECK, Bernhard von Breydenbach, S.20/ 21; ausserdem (stark verkleinert) bei ZRENNER, im Anhang, und hier, S.317,Abb. 9. <?page no="314"?> 304 vielfache Kopistentätigkeit, innerhalb des Pilger-Umfeldes genauso wie ausserhalb. Zu erkennen sind die Übernahmen leicht: Wo immer in einer frühneuzeitlichen Jerusalem-Ansicht spiegelverkehrte Elemente vorkommen, deutet dies auf einen Abklatsch vom Reuwich'schen Palästinakarten- Mittelteil hin. Ein besonders eifriger Nachzeichner war auch Konrad von Grünemberg, der zwar auch originäre Zeichnungen zu seinem Heiliglandbericht beisteuerte, zumindest teilweise aber auf eine Druckausgabe von Breydenbachs Pilgerschrift zurückgegriffen haben muss. 19 Besonders weit sollte es jenes Pilgerschiff bringen, das Erhard Reuwich mehrmals in unterschiedlicher Perspektive festgehalten hat: In einer Druckausgabe der Seefahrten des Kolumbus findet es sich, geradewegs zum "Entdeckerschiff' umgerüstet, vor der amerikanischen Westküste wieder. 20 Unter den mittelalterlichen Jakobspilgern haben wir Hieronymus Münzer sowie den Allround-Pilger Arnold von Harff als schreibende und zeichnende Reise-Chronisten kennengelernt. Der einzige in zeitgenössischen Drucken herausgegebene Santiago-Pilgertext jener Tage ist der Pilgerführer des Hermannus Künig von Vach. Die verschiedenen Editionen sind mit einem in Holz geschnittenen Bildnis, entweder des Pilgerpatrons Jakobus oder (häufiyer) des im Text angesprochenen "iacobsbruders", geschmückt worden. 2 Schliesslich se~ neben dem Frontispiz zur Druckausgabe von Richard Guylfordes Pilgerfahrt, nochmals der J erusalembericht von Heinrich Wölfli erwähnt, der erst nachträglich (1582) mit Illustrationen versehen wurde, die der Pilgerschrift eher den Charakter eines spannenden Abenteuerromans als den eines frommen Bildungsbuches verleihen. Im folgenden soll kurz auf die Jerusalem- und Heilig-Grab-Darstellungen innerhalb der genannten Pilgerberichte eingegangen werden; es ist dies der Versuch, sie in den Rahmen vorhandener bildlicher Traditionen einzuordnen. 22 Zurückzukommen ist dabei auch auf die oben schon skizzierten Begriffe des "Himmlischen Jerusalem" und der Heiliggrab-Nach- 19 Vgl. dazu LEHMANN-HAUPT, Die Hol7.schnitteder Breydenbachschen Pilgerfahrt als Vorbilder, S.161-163. 20 Zwei der Pilgerschiffansichten finden sich auf Weltreise ertappt gewissermassen in der besagten Druckausgabe wieder. Vgl. DA VIES, S.60-61,und hier, S.313, Abb. 1 und 2. 21 Vgl. die Abbildungen bei HÄBLER (Ed.Künig von Vach), S.56 (Strassburg oJ.), S.58 (Nürnberg oJ.), und S.60 (Leipzig 1521); und ebenso bei HELMUf BAUCKNER, Die Wallfahrt nach Santiago de Compostela, in: Das Markgräflerland 2, 1985, S.61 (Strassburg um 1500), S.74 (Nürnberg um 1520), und S.57 (Leipzig 1521). 22 In bezug auf Santiago de Compostela scheint sich keine mittelalterliche Bild-Tradition analog zu der "hierosolymitanischen" herausgebildet zu haben. Der früheste erhaltene Stadtplan datiert aus dem Jahre 1595und wurde deutlich erkennbar zu Zwecken der Verteidigung vor einem allfälligen englischen Seeangriff konzipiert. Vgl dazu: MARIA DEL CARMEN FOLOAR DE LA CALLE, Plan de la ville de Santiago, 1595,in: SDC, 1000 ans de ~lerinage europeen, S.232-233(mit Abb.). <?page no="315"?> 305 bildungen zurückkommen. 23 Wie zuvor an die Texte stelle ich an die Bilder die Frage, wo der jeweilige Autor zwischen Topos und subjektiver Anschauung gestanden haben mag. Kann innnerhalb des Kontexts der spätmittelalterlichen Jerusalem-Pilgerfahrt eine Entwicklung des Jerusalembildes vom Schema hin zur Realitätsnähe abgelesen werden? Und: Wie steht es um die Perspektive der Darstellung, die sich ja erst durch die Festlegung eines bestimmten, individualistischen Beobachter-Standpunktes ergeben konnte? 24 Jerusalem blieb in der bildlichen Auffassung des Christentums bis ins späte Mittelalter Mittelpunkt und Nabel der Welt. Die Oekumene als der von Menschen bevölkerte, bekannte Teil der Erde erstreckte sich von Gibraltar im Westen bis nach Kathay (China) im Osten, und südwärts dehnte sich der afrikanische Kontinent bis hin zur Terra Incognita. Genau im Fadenkreuz lag Jerusalem, die Stadt, um die sich (nach der ideologischen Vorstellung von der Welt als Weltscheibe) alles drehte. 25 Was das irdische Jerusalem für die irdische Welt, blieb das himmlische Jerusalem (entsprechend der biblischen Voraussage in der Apokalypse, Johannes 21) für das jenseitige Paradies: Geistiges Zentrum, angestrebter Ort der Erfüllung, Hoffnungsträger - und determiniert durch die runde oder quadratische äussere Gestalt, die zwölf Tore und Ge nach Kontext) die Symbolfigur des Gotteslamms. Angesichts der Tatsache, dass das mittelalterliche Idealbild sowohl des irdischen wie auch des himmlischen Jerusalem eine starke Affinität zur Rundform aufweist (der Nabel! ), ist es nicht verwunderlich, wenn runde 23 Vgl. die unter Kapitel 7 aufgeführte themenspezifische Literatur. Und ausserdem die grundlegenden Werke zur Architektur als religiösem Bedeutungsträger mit zumindest teilweise liturgischer Funktion: GÜNIBR QANDMANN Mittelalterliche Architektur als Bedeutungsträger, Berlin 1951 und 1978"'; L HAUTECOEUR, Mystique et architecture, Symbolisme du cercle et de la coupole, Paris 1954; WERNER MÜLLER, Die heilige Stadt, Roma quadrata, himmlisches Jerusalem und die Mythe vom Weltnabel, Stuttgart 1961; CAROL HEITZ, Architecture et liturgie ä 1'6poquecarolingienne, Paris 1963, S.102 ff; DERS., L'architecture r6ligieurse carolingienne, ! es formes et leurs fonction, Paris 1980, S.209 ff; ADOLF REINLE, Zeichensprache der Architektur, Zürich/ München 1976,S.127ff. 24 Dazu GURJEWITSCH, S.86: "Die von den Künstlern der Renaissance von neuem entdeckte Linearperspektive verlangt die Anwesenheit eines Beobachters, der von einem unbeweglichen Punkt aus alle Teile des Bildes betrachtet, die daher unter einem ganz bestimmten Winkel zu sehen sind." 25 Vgl. hier, S.314,Abb. 3 und 4. Dazu (Literaturauswahl): M.DESTOMBES, Monumenta cartogra-phica vetustioris aevi, 1, 1964 (Wiedergabe alter Weltkarten mit Jerusalem im Zentrum); HANS BLUMENBERG, Die Genesis der kopernikanischen Welt, Frankfurt 1975; W.G.LRANDLES, De la terre plate au globe terrestre, Une mutation 6pist6mologique rapide (1480-1520), Paris 1980 (Cahiers des annales 38); JÖRG- GEERD ARENTZEN, Imago Mundi Cartographica, Studien zur Bildlichkeit mittelalterlicher Welt- und Ökumenekarten unter besonderer Berücksichtigung des Zusammenwirkens von Text und Bild, München 1984(Münstersche Mittelalter-Schriften 53). <?page no="316"?> 306 oder elliptische, in jedem Fall: symbolische Darstellungen der Stadt vom Frühchristentum bis hin zum Zerfall der Kreuzfahrerstaaten dominieren. 26 Eine der frühesten christlichen Jerusalem-Darstellungen findet sich auf dem Mosaikbild von Madeba; es stammt aus dem 6. Jahrhundert nach Christus. 27 Was auf den ersten Blick stark schematisch wirkt, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als durchaus realistische Stadt-"Ansicht", die mit den zahlreichen Umklappungen nach oben und nach unten geschickt zu einem besseren Verständnis der tatsächlichen Proportionen beiträgt. Der Betrachter schwebt gewissermassen knapp über dem Boden und guckt nach allen Seiten um sich, ohne dass sich ein einzelner, bestimmter Beobachter-Standort ausmachen liesse. Im Norden (links) liegt das Damaskustor, dann folgt ein Platz mit einer freistehenden Säule, von dem die durchgehende Hauptstrasse, von Säulen beidseits gesäumt, ausgeht. In der Stadtmitte biegt man gewissermanssen nach rechts (unten) von dieser Strasse ab und steht vor der Grabeskirche, einem Gebäude (hier auf dem Kopf gestellt) mit runder Kuppel und einem zweifarbig gestreiften Vorplatz. In der Folge wird das Vorstellungsbild von Jerusalem immer schematischer. Die bevorzugte Darstellungsform ist die runde, nachdem auch Beda im 8. Jahrhundert die Kreisvorstellung nachdrücklich bestätigt hat. 28 Unter dem Einfluss der Kreuzfahrten erst scheinen realistischere Aspekte Eingang ins sanktionierte Bild Jerusalems gefunden zu haben: Die Kartenskizze von Pietro Vesconte zum Kreuzzugsaufruf des Marino Sanudo senior (an der Wende zum 14. Jahrhundert entstanden) zeigt kein rundes Jerusalem mehr, aber es bleibt toposartig auf die wesentlichen Punkte (heilige Stätten, Befestigungen) beschränkt und deutlich zweckgebunden (Führerfunktion! ). 29 Wie steht es nun aber um das Jerusalembild der spätmittelalterlichen Pilger, die das Objekt ihrer frommen Begierde doch mit eigenen Augen 26 Vgl. dazu: ALFRED STANGE, Basiliken, Kuppelkirchen, Kathedralen, Das himmlische Jerusalem in der Sicht des Jahrhunderts, Regensburg 1964; ROBERT KONRAD, Das himmlische und das irdische Jerusalem im christlichen Denken, Mystische Vorstellungen und geschichtliche Wirkung, in: C.BAUER/ L.BOEHM/ M.MÜLLER (Ed.), Speculum historiale, Geschichte im Spiegel von Geschichtsschreibung und Geschichtsdeutung, Festschrift Johannes Spörl, Freiburg/ München 1965, S.523-540; HANS-FRIEDRICH RESKE, Jerusalem caelestis, Bildformeln eines christlichen Zentralgedankens in der deutschen geistlichen Dichtung des 11. und 12. Jahrhunderts, Diss.Tübingen, Göppingen 1973. 27 Vgl. Abb. 5. Literatur dazu: H.GUTHE, Das Stadtbild Jerusalems auf der Mosaikkarte von Madeba, in: ZDPV 28, 1905,S.120-130und Tafel VI (farbig); HERBERT DONNER / HEINZ LIPPER, Die Mosaikkarte von Madeba, Wiesbaden 1m (Abhandlungen des Deutschen Palästina-Vereins); C.ANDRESEN, Betrachtungen zur Madebakarte in Göttingen, in: Pietas, Festschrift B.Kötting, Münster 1980,S.539-588. 28 Vgl. Abb. 6. Und (zu Beda) GUTHE, S.123. 29 Vgl. Abb. 7. Dazu (und allgemein zur Entwicklung der mittelalterlichen Palästina-Kar tographie): RÖHRICHT, Marino Sanudo, S.84-126. <?page no="317"?> 307 sahen, und die von daher auf eine realitätsnahe Darstellung (von eigener oder fremder Hand) Wert legen mochten? Leider ist zu der hübschen, vielfarbigen Jerusalem-Miniatur aus dem Pariser Manuskript von Bertrandon de la Brocquieres Reiserapport kaum Näheres bekannt. 30 Immerhin deutet die verblüffende Realitätsnähe des Felsendoms auf eine entspre chend realistische Zeichenvorlage hin, die ihrerseits auf einem persönlichen Augenschein beruht haben mag. Kein Interesse an einer wirklichkeitsnahen Interpretation bekundet William Wey mit seiner, nahezu abstrakten, Gestaltung einer (zur Zusatzinformation potentieller Pilger konzipierten) Palästinakarte . 31 Sein "Ihernsa/ em" ist eine kompakte, wehrhafte Stadtanlage mit übergrossem Tor, vielen Türmen und einer dominanten Kuppel dem Felsendom? Der Kidron-Fluss, der mitten durch die Anlage fliesst, wird am anderen Ende "ausgespuckt" und entschwindet Richtung Totes Meer (man beachte hier die versunkenen Städte, unter anderem Sodom und Gomorrha! ) Die Karte stellt eine repräsentative Sammlung aller für den potentiellen Palästinapilger bedeutsamen geographischer Informationen dar und beschränkt sich somit, durchaus rollenbewusst, auf die Beantwortung der grundlegenden Frage in bezug auf Jerusalem: "Wie komme ich dahin? " In diesem Zusammenhang von darstellerischem Unvermögen zu sprechen wäre etwa so verfehlt, wie eine moderne Strassenkarte von Israel, Massstab 1: 500'000, aufgrund ihrer mangelhaften künstlerischen Raumtiefe geringzuschätzen . Erhard Reuwichs Jerusalemabbild nimmt innerhalb der Breydenbach'schen Druckausgaben einen zentralen Platz ein, ist informativer und dekorativer Höhepunkt zugleich. Und mehr als das zumindest, was die nähere Umgebung des Tempelplatzes angeht, ist man versucht, detaillierte Vergleiche mit einer heutigen Ansichtskarte oder Ferienphotographie anzustellen. Der Ausschnitt aus der in der Breite mehr als einen Meter messenden Palästinakarte kann hier lediglich verkleinert wiedergegeben werden. 32 Bereits in den Randzonen der Stadt wird das Streben nach Wirklichkeitstreue eingeholt von den Bedürfnissen der Führerfunktion: Links unten ist Jaffa mit dem im Hafen wartenden Pilgerschiff zu erkennen, in der Mitte unten Rama, und am rechten Bildrand liegen Emmaus und Bethlehem. Blickt man hingegen auf den Tempelplatz, das Zentrum der Bildkomposition, so lässt sich als Standpunkt des Zeichners unschwer und eindeutig der Ölberg ausmachen. Die Blickrichtung ist westlich, und die 30 Die Abbildung bei BROCQUIERE (ed.Schefer), S.2/ 3: Vue de Jerusalem en 1460 (Bibl.nat., ms.franc. 9087, fol. 85v). 31 Vgl. Abb. 8. Dazu (mit Wiedergabe der Karte und einem topographischen Index) RÖH - RICHT, William Wey,S.188~193. 32 Vgl. Abb . 9. <?page no="318"?> 308 Realitätsnähe einzelner markanter Gebäude geht so weit, dass "grobe" Unstimmigkeiten sogleich ins Auge fallen: Reuwich liefert nämlich anstelle der hier angebrachten Westansicht der Grabeskirche die Ansicht der Südfassade (schräg rechts hinter dem Felsendom, direkt über dem rechten Abschluss des Tempelplatzes). Der Grund ist einfach der, dass Reuwich die offenbar attraktivere Südfassade der Kirche bereits im Grossformat vorliegen hatte. 33 Eine verkleinerte Wiedergabe derselben mochte der Identifizierung eher dienlich sein als die akkurate Wiedergabe dessen, was der ferne Betrachter vor Augen hatte - und sparte erst noch ein gutes Stück Arbeit. Konrad von Grünemberg hat Reuwichs Jerusalem-Ansicht inklusive der veränderten Perspektive in bezug auf die Grabeskirche getreulich kopiert, liefert daneben aber auch Ansichten der näheren Umgebung Jerusalems nach eigener Anschauung. 34 Es sind im Zuge des rasch expandierenden Holzschneidehandwerks um und nach 1500 eine Reihe weiterer Reuwich-Kopien entstanden (kenntlich jeweils an der um 90 Grad "gedrehten" Grabeskirche), aber auch zeitgenössische Jerusalem-Darstellungen ohne erkennbare Beeinflussung durch den Illustrator von Bernhard von Breydenbach. Von Jerusalem zur Grabeskirche, die im Verlauf einer bewegten Geschichte mehrmals ihre äussere Gestalt änderte. 35 Erbaut wurde sie im 4. Jahrhundert durch Konstantin, als Basilika mit angegliedertem Kuppelbau . Im Jahr 614 brannte das gesamte Interieur nieder; nach weiteren 33 Vgl. Abb . 12. 34 Vgl. GRÜNEMBERG, S.104-105 (Jerusalem nach Reuwich), und S.132-133 (fal Josaphat). 35 Es gibt zur Baugeschichte der Jerusalemer Grabeskirche eine umfassende Literatur . Hier ein paar weiterführende Hinweise zu grundlegenden und neueren Werken: K.SCHMALTZ, Mater Ecclesiarum, Strassburg 1918; NEIL C.BROOKS, Tue Sepulchre of Christ in Art and Liturgy, in: Illinois Press 7, 2, 1921, S.7-13; C.GURLITf, Das Grab Christi in der Grabeskirche in Jerusalem, in: Festschrift Paul Qemen, Düsseldorf 1926; ANDRE GRABAR, Martyrium, 2 Bde, Paris 1943/ 1946; Th.BELLORINI/ E.HOADE (Ed.), Fra Bemardino Amico, Plans of the Sacred Edifices of the Holy Land, Jerusalem 1953 (PSBF 10); K.J.CONANT, Tue Original Buildings at the Holy Sepulchre, in: Speculum 31, 1956, S.1-48; ANDRE PARROT, Der Tempel von Jerusalem, Golgotha und das heilige Grab, Zollikon 1956; E.A.MOORE Tue Ancient Churches of Old Jerusalem, Tue Evidence of the Pilgrims, Beirut 1961; EJNAR DYGGVE, Sepulcrum Domini, Form und Einrichtung, in: Festschrift Friedrich Gerke,Baden-Baden 1962, S.11- 20; KRAUTHEIMER, Early Christian and Byzantine Architecture, Bungay 1969 (Pelican Histm: y of Art, Z 24); A.OVADIAH, Corpus of the Byzantine Churches in the Holy Land, Bonn 1970(Theophaneia 22); M.DE VOGUE, Les cglises de la terre sainte, (ev.Reprint) Toronto 1973; CHARLES COUASNON, Tue Church of the Holy Sepulchre in Jerusalem, London 1974; SABINO DE SANDOU, II Calvario e i1 Santo Sepolcro, Jerusalem 1974; Bellarmino BAGATTI/ Emmanuele Testa, II Golgota e la croce, Ricerche storico-archeologiche, Jerusalem 1978; MAX KÜCHLER/ CHRISTOPH UEHUNGER (Hg.), Jerusalem - Bilder - Steine, Festschrift Hedi und Othmar Keel, göttingen 1987; RD.PRINGLE, Church Buildings in the Crusader Kingdom of Jerusalem: a corpus (im Druck) . <?page no="319"?> 309 Teilzerstörungen durch Feuer und Erdbeben wurde sie 1009 dem Erdboden gleichgemacht. Um 1050erfolgte der Wiederaufbau, und in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts übernahmen die Franziskaner die Aufsicht über das Heilige Grab. 1681 stürzte der obere Teil des Turmes ein und wurde im 18. Jahrhundert abgetragen. Der letzte Brand ereignete sich 1808 und machte einmal mehr die Wiederherstellung des Gebäudeinneren notwendig. 1863 - 1868 ersetzte eine metallene Kuppel die bisherige aus Steinquadern. Kürzlich, nämlich im Jahr 1972, wurde die Südfassade der Kirche renoviert. Die Abbildung gibt in etwa die heutige Ansicht der J erusalemer Heilig-Grab-Kirche wieder. 36 Was nun die Darstellung der Grabeskirche durch die Pilger beziehungsweise deren Illustratoren im 14. bis 16. Jahrhundert angeht, verraten sie nicht nur eine bemerkenswerte Beobachtungsgabe, sondern (als Merkmal der subjektiven Standortbestimmung) erstmals auch Perspektive, oder zumindest Ansätze einer perspektivischen Gestaltung. Die Handzeichnung von Gabriele Capodilesta ist gewiss nicht um irgendwelcher künstlerischer Ambitionen willen entstanden, und der Umgang mit der Linearperspektive scheint dem Zeichner alles andere als geläufig gewesen zu sein. 37 Doch sind im Vergleich mit dem neuzeitlichen Kupferstich alle wesentlichen Bauelemente klar erkennbar : Die Kuppel, der Turm links, zwei Fenster oben, zwei Türen unten, die Treppe rechts und der Platz davor. Erhard Reuwichs Abbildung desselben Gebäudes ist zwar nicht die erste nach der eigenen Ansicht gezeichnete, aber dochjewiss die präziseste unter den frühen Darstellungen der Grabeskirche. Nur die Proportionen der einzelnen Bauteile scheinen etwas verschoben, ansonsten "stimmt"das Bild: Anhand dieser Vorlage könnte man getrost darangehen, den mittlerweile eingestürzten Teil des Turmes links zu rekonstruieren, derart zuverlässig erscheinen Reuwichs Vorgaben zum Turmhelm oder zur Anordnung der Säulen im obersten Stockwerk. Bis in Details stimmen der Holzschnitt um 1483 und der Kupferstich aus der Modeme überein nur der Rest eines einstigen Torbogens vorne links weist bei Reuwich in die entgegengesetzte (eigentlich logischere) Richtung. Zu erkennen ist auch, dass die rechte Tür der Grabeskirche bereits im 15. Jahrhundert zugemauert war. Die Version des Konrad Grünembei; r ist auf den ersten Blick mit derjenigen Erhard Reuwichs identisch.3 Signifikante Unterschiede im Detail weisen darauf hin, dass er wohl die gesamte Bildkomposition, mit eingeschlossen die Menschenansammlung auf dem Vorplatz, dem Illu- 36 Vgl. Abb . 10. 37 Vgl. Abb. 11. 38 Vgl. Abb. 12. 39 Vgl. Abb . 13. <?page no="320"?> 310 strator Breydenbachs abgeguckt hat, diese aber um der noch grösseren Genauigkeit willen aus den eigenen Beobachtungen ergänzt hat. Man beachte nur das eingezeichnete Mauerwerk, die Treppe auf der Kuppel (hat beides auch Gabriele Capodilesta) sowie den üppigen Wildwuchs auf dem "Dachgarten". Die Grabeskirche im Reisebericht von Heinrich Wölfli wirkt gegenüber den Darstellungen durch Reuwich und Grünemberg deutlich mehr aus der Phantasie geschöpft. 40 Es ist nicht anzunehmen, dass der Illustrator von 1582 (wahrscheinlich Johann Jakob Dünz aus Bern) das Originalgebäude zu Gesicht bekam. Von der Grabeskirche zum Grab, dem eigentlichen Hauptziel jedes mittelalterlichen Jerusalem- und Palästinapilgers, und zu dessen bildlichen wie architektonischen Nachbildungen im Lauf der Zeit. Durchaus exakte Abbilder der Grabkapelle in ihrem ursprünglichen konstantinischen Zustand sollen die entsprechenden Ansichten auf zahlreichen frühchristlichen Elfenbeintäfelchen sein. 41 Es wird angenommen, diese frühchristliche ~elle sei innerhalb der Kirche von einem Rundbau umgeben gewesen, 4 und dieser hätte die Vorstellung einer "runden" Grabanlage geprägt, welche so lange die Tradition der europäischen HeilfGräber (hier im Konstanzer Münster) so ausgeprägt beeinflusst hat. 4 Dass die reale Grabkapelle diesen Vorstellungen längst nicht mehr entsprach, störte nicht: Wesentlicher war der symbolische Gehalt der runden Form. Erhard Reuwich bildet die Grabkapelle seiner Zeit (1555 wurde sie erneuert und dabei stark verändert) als einen massigen Blockbau mit einer zierlichen Turmkapelle auf sechJ Säulchen ab. 44 Grünembergs Version ist diesmal offenbar keine Kopie: 5 Wohl ist das bildlich wiedergegebene Objekt als ein- und dasselbe erkennbar, doch sind die Proportionen und Einzelheiten zu unterschiedlich für eine direkte Verwandtschaft der beiden Darstellungen. Es haben sich auch noch andere Abbildungen der Jerusalemer Grabkapelle vor 1555 erhalten, die im Vergleich jene Realitätsnähe enthüllen, die insbesondere den Reuwich'schen Holzschnitt auszeichnet. 46 40 Vgl. WOLFLI, S.54. 41 Vgl. Abb. 14. Zum Heiligen Grab in der Elfenbeinschnitzerei vgl. auch CONANT, The Original Buildings at the Holy Sepulchre, S.4. 42 CONANT, S.44 f. 43 Vgl. Abb. 15. 44 Vgl. Abb. 16. 45 Vgl. Abb. 17. 46 Eine weitere naturgetreue, in den Proportionen jedoch etwas eigenwillige Ansicht findet sich nebst anderen Illustrationen in dem kürzlich edierten Pilgerbericht von Stefan Baumgartner (1498); sie muss nach der eigenen Anschauung angefertigt worden sein und bekundet etwelche Mühe mit der Perspektive: TIIOMAS KRAUS (Ed .), Stefan Baumgartner, Reise zum heiligen Grab 1498 mit Herzog Heinrich dem Frommen von <?page no="321"?> 311 Besonders frappant erscheint dabei die Ähnlichkeit mit einer dreidimensionalen Nachbildung der Grabkapelle, die im schlesischen Görlitz errichtet wurde. Es handelt sich um ein in den originalen Abmessungen nachgebautes "Heiliges Grab" als Bestandteil einer grossangelegten Kalvarienberg-Anlage,47 aber nicht etwa um ein Monument im klassischen runden Schema, sondern um eine nahezu detailgetreue - Kopie des Bauwerks in Jerusalem. 48 Wie bereits erwähnt, wurde die Grabkapelle von dem zweimaligen Jerusalempilger und Görlitzer Bürgermeister Georg Emmerich gestiftet und in den Jahren 1481- 1504 gebaut. Die Geschichte der Entstehung hat einen eminent politischen Hintergrund: Emmerich brachte es durch eine gezielte Provokation indem er die Tochter seines ärgsten Widersachers vergewaltigte fertig, dass die Gegenpartei (Anhänger der Hussiten in Böhmen) zu den Waffen griff, worauf er sich der "Aufrührer" per Justizverfahren und Todesurteil entledigte. Die (erste) Pilgerfahrt war Zeugnis seiner Busse,49 die Stiftung der Grabesanlage aber Ausdruck seines politischen Triumphes . Vergleicht man die freistehende Görlitzer Kapelle mit dem Holzschnitt von Erhard Reuwich, so sind die Übereinstimmungen nicht von der Hand zu weisen. Hat der Görlitzer Baumeister Reuwichs Holzschnitt als Vorlage zur Hand gehabt, oder arbeitete er nach Angaben des Stifters? 50 Sowohl Sachsen (mit einer Biographie von Lotte Kurras) Göppingen 1986 (GAG 445); die sieben Fedeneichnungen (darunter die Grabkapelle, Abb.16) im Anhang . 47 Vgl. Abb. 18. Dazu HELGA MÖBIUS, Passion und Auferstehung in Kultur und Kunst des Mittelalters, Wien 1978, S.78-82. Weiterführende Literatur zur Entstehung und Geschichte der Görlitzer Kalvarienberg-Anlage: RJECHT, Urkundliche Nachrichten über Georg Emmerich, in: Neues Lausitzisches Magazin 68, 1892,S.85-164; DERS., Aus der Geschichte der Stadt Görlitz, in: Görlitz, Berlin 1925 (Monographien deutscher Städte), S.20-28; GUSfAV DALMAN, Das Heilige Grab in Görlitz und sein Verhältnis zum Original in Jerusalem, in: Neues Lausitzisches Magazin 89, 1913,S.198-244,NSL 92, 1916, S.211-214,und NSL 93, 1917,S.140-143; DERS., Die Kapelle zum Heiligen Kreuz und das Heilige Grab in Görlitz und in Jerusalem, Görlitz 1916; DERS., Das Grab Christi in Deutschland, Leipzig 1922,S.81-87; E.H.LEMPER, Die Kapelle zum Heiligen Kreuz beim Heiligen Grab in Görlitz, Baugeschichte und Ikonologie, in: Kunst des Mittelalters in Sachsen, Festschrift Wolf Schubert, Weimar 1967, S.142-157; FRANK.- DIETRICH JACOB, Die Görlitzer bürgerliche Hausanlage der Spätgotik und Frührenaissance, Görlitz 1972. 48 Es ist dies allerdings nicht die erste "originalgetreue" Kopie: Das "Heilig Grab" von Eichstätt wurde 1147 von einem Krcuzzugsheimkehrcr gestiftet und stimmt in der Grundform mit den späteren Abbildungen der Jerusalemer Grabeskapelle überein. Vgl. dazu: JOSEPH SCHLECHr, Die Kirche des heiligen Grabes, in: Eichstätts Kunst, München 1901, S.91-93; DALMAN, Das Grab Christi in Deutschland, S~, und REINLE, Zeichensprache der Architektur, S.127f. 49 RÖHRICHT, Deutsche Pilgerreisen, S.131-132,umschreibt das Pilgermotiv dezent: Emmerich war unterwegs nach Jerusalem •... zur Busse für eine an der Tochter eines Bürgers Bcnigna Horschel verübte Gewaltthat.• 50 Die Frage stellt MÖBIUS in: Passion und Auferstehung, S.82. <?page no="322"?> 312 als auch: Georg Emmerich benützte zwar die zweite Pilgerfahrt, um Messungen am Original in Jerusalem anzustellen, scheint aber auch im Besitz zumindest der Palästinakarte aus Breydenbachs Pilgerbuch gewesen zu sein. 51 Vom Ideal einer runden (Himmel-)Stadt hin zu nahezu photographisch genauen bildlichen Darstellungen, mit deren Hilfe sich ein abgebildetes Gebäude rekonstruieren liess: Wenn diese Entwicklung wiederum nicht als eine geradlinige missverstanden werden sollte, so illustrieren die Zeichnungen und Holzschnitte doch in eindrücklicher Weise den Anteil, welche die Pilger alswahrhaftige "Augenzeugen" an der Ausbildung eines neuzeitlich-realistischen Stadtbildes gehabt haben. 52 Deutlicher fast noch als die Pilgerschriften geben darum deren Illustrationen eine allmähliche Veränderung grundlegender Weltbilder zu erkennen, bedingt durch die eigene Anschauung, will heissen: durch die Bereitschaft, die eigene Anschauung als "Wahrheit" anzuerkennen. Mit dem einen gültigen Weltbild gingen jedoch auch die einzig gültigen Wertevorstellungen verloren: Was nicht mehr gottgegeben, sondern vielmehr dem "gesunden Menschenverstand" anheim gegeben war, musste auch immer wieder von neuem hinterfragt werden. Der "Sinn"des menschlichen Tuns war nicht mehr einfach da, sondern musste zunächst gesucht und gefunden werden, und das war gewiss keine leichte Aufgabe. 51 Vgl. ROHRICIIT, Deutsche Pilgerreisen, S.132. 52 Dazu JACOB, Historische Stadtansichten, S.21-22: "Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich die Darstellung der Stadt aus dem religiösen Zusammenhang löst und den Schritt zur Darstellung der Stadt 'an sich' getan wird." Nach Jacob ist dieser Schritt mit der Darstellung lnnsbrucks durch Albrecht Dürer, 1494,vollzogen. <?page no="323"?> 313 Abb. 1 und 2: Zweimal Erhard Reuwichs "Pilgerschiff'': unterwegs nach Palästina (GECK, S.31) und nach der Neuen Welt (DAVIES, S.60-61). <?page no="324"?> 314 - ·fl, , ·; - " . ·i 1 ! J 1r. rP, t : ~~~~~ ~- , 1 • l O : / §'~~ ~~ ~ ~rr; =: : r~ Oriens A S I A J b. 3: Nachzeichnung der Ebstorfer Weltkarte von ca. 1235 ( aus: NZZ vom 24.2.1990). Abb. 4: "Orbis Breviarum" nach Zacharia Lillo, Florenz 1463 (RANDLES, S.15). Septetrio 1----------------: --, Meridies Tanais Nilus EVROPA APHRICA <?page no="325"?> \J.- 1- ! i- 1 l- "1{~~ "0 "", } .., ! 1 • f~'o/ "".'\ ! "/ ,>; . +; o,i Ydt ' ; ,.; v,\ 315 Abb. 5: Jerusalem, Mosaikkarte von Madaba (aus: ZDPV 28, 1905,Taf.4). Abb. 6: Wegekarte mit Jerusalem-Plan, 13. Jh., Den Haag (MÜLLER). Abb. 7: Jerusalem-Plan von Marino Sanudo Torselli, 1308 (ZDPV 21, 1898,Taf.4). <?page no="326"?> 316 <?page no="327"?> Abb. 9: Palästina-Karte von Erhard Reuwich, Ausschnitt verkleinert (ZRENNER, Anhang). w tj <?page no="328"?> 318 Abb.10: Grabeskirche (BELLORINI/ HOADE, ed. Florentiner 1384, Frontispiz). Abb.11: Grabeskirche "dal Manoscritto cli Capodilesta presentato al convento cli San Bemarclino cli Padova" (LEPSCHY, S.188). <?page no="329"?> Abb.12: Erhard Reuwich, Grabeskirche (GECK, S.20). Abb . 13: Grabeskirche bei Konrad von Grünemberg (S.95). 319 <?page no="330"?> 320 Abb. 14: Täfelchen aus Elfenbein, Bayerisches Nat. Mus. München (HEITZ 1%3, Taf. XL). - Abb. 15: Konstanz, Mauritiuskapelle, 2. Hälfte 13.Jh. (MÖBIUS, Bild 110). <?page no="331"?> 321 Abb. 16: Erhard Reuwich, Grabkapelle (GECK, S.21). - Abb. 17: Grabkapelle des Konrad von Grünemberg (S.98). <?page no="332"?> 322 Abb . 18: Görlitz, Heiliges Grab, 1481-1504 (MÖBIUS, Bild 119). ' . ' ' ,_ A -=~ ..... · ... ,~}"i <?page no="333"?> 323 10. Die Stellung der Frau im Pilgerbericht War das Forschungsgebiet der Pilgerliteratur im letzten Jahrhundert noch eine reine Männerangelegenheit (und welches Forschungsgebiet war das nicht? ), so setzten sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten in zunehmendem Mass Historikerinnen und Literaturwissenschaftlerinnen mit dem Phänomen der Pilgerreisen und Pilgerschriften auseinander. Emily Hope Allen, R.J; Mitchell und Hilda Prescott, Regine Pernoud und Beatrice Dansette, Jeanne Vielliard, Marjatta Wis und Margaret Wade Labarge, Genevieve Bresc-Bautier und Pauline Cantoni, Lucia Gai und Antonietta Fucelli, Gabrielle Ehrmann und Elisabeth Geck, Anna Momigliano Lepschy und Christiane Deluz, Clarissa Atkinson und Christiane de Craecker-Dussart, Lucie Polak und Yvonne Bellenger, Claudia Zrenner, Aleya Khattab und Christiane Hippler, Friederike Hassauer: Sie sind (längst nicht vollständig aufgezählt) die Frauen, welche in der letzten Zeit Pilgerberichte analysiert und kommentiert, ediert und im grösseren Zeitraum und/ oder topographischem Raum miteinander verglichen haben. So bedeutend die Stellung der Frau in der Pilgerbericht-Forschung inzwischen ist: Mit der Stellung der Frau innerhalb der Pilgerliteratur hat sich noch niemand eingehender befasst und beispielsweise die Frage aufgeworfen, weshalb etwa 99,9 Prozent aller Pilgerberichte im späten Mittelalter von Männern stammen. Die Frage scheint zunächst müssig, war doch die Stellung der Frau innerhalb der mittelalterlichen Literatur wie überhaupt im öffentlichen Leben des Mittelalters eine bescheidene: 1 Hie und dort eine publizierende 1 Eine Literaturauswahl zum Thema der (schreibenden) Frau im Mittelalter: MICHAEL KAUFMAN, Spare Ribs: The Conception of Women in the Middle Ages and the Renaissance, in: Soundin~ 56, 1973, S.139-163; WILLIAM MATIHEWS, The Wife of Bath and All Her Sect, in: Viator 5, 1974, S.413-443; C.ERICKSON/ K.CASEY, Women in the Middle Agcs, A Working Bibliography, in: Medieval Studies 38, 1976; RENATA BRIDENTHALJCLAUDIA KOONZ (Ed.), Becoming Visible: Women in Europcan Histoiy, Boston 1977; FRANCES und JOSEPH GIES, Women in the Middle Agcs, New York 1980; SHULAMITH SHAHAR, Die Frau im Mittelalter, Hamburg 1981; FRIE- DERIKE HASSAUER, Die "Menschwerdung• der Frau, Zur Geschichte des Wissens über die Frau und zur Geschichte seiner Diskurse, in: B.CERGIUGLINI / U.GUMBRECHT (Ed.), Der Diskurs der Literatur- und Sprachhistorie, Wissenschaftsgeschichte als Vorgabe einer Neuorientierung, 1982; ANGELA M.LUCA, Women in the Middle Ages, Religion, Marriage and Letters, Brighton 1983; EDITH ENNEN, Frauen im Mittelalter, München 1984; PETER KETSCH, Frauen im Mittelalter, Bd.2: Frauenbild und Frauenrechte in Kirche und Gesellschaft, Quellen und Materialien, Düsseldorf 1984; KATHARINA M.WILSON (Ed .), Medieval Women Writers, Athens (USA) 1984; P.DINZELBACHER/ D .RBAUER (Ed.), Frauenmystik im Mittelalter, Ostfeldern 1985 (Vorträge und Diskussionsergebnisse der Wiss.schaftl. Studientagung der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart, 22.-25.Feb. 1984 in Weingarten); CLAUDIA OPITZ, Frauenalltag im Mittelalter, Biographien des 13. und 14. Jahrhun- <?page no="334"?> 324 Klosterfrau mit herausragendem literarischen Engagement (beispielsweise Hrotsvit von Gandersheim, um 935 - 975) oder mit einem unleugbaren Fachwissen (Hildegard von Bingen, 1098 - 1179), ausserdem die schreibenden Mystikerinnen (zu welchen auch Margery Kempe zu zählen wäre), und endlich eine Dichterin im 14. Jahrhundert, die sogar von ihren Werken leben konnte: Christine de Pisan (um 1365nach 1429). 2 Andererseits war, den Erkenntnissen aus neueren Untersuchungen zufolge, der Anteil der Frauen an den mittelalterlichen Pilgerbewegungen ausserordentlich hoch. Man ging gewissermassen "en famille" auf Wallfahrt, und spätmittelalterliche Pilger-Darstellungen bestätigen diesen Eindruck.3 In Hinblick auf die Pilgerberichte nach Jerusalem und Santiago de Compostela sieht das Verhältnis allerdings ganz anders aus offenbar hat es sich bei der Mehrheit der mittelalterlichen Pilgerinnen um des Lesens und Schreibens unkundige Laien gehandelt. Autorinnen von Compostela-Berichten sind mir nicht bekannt, 4 doch Palästinaberichte gibt es vor allem in frühchristlicher Zeit sowohl von Pilgerinnen wie über Pilgerinnen. Der bemerkenswerteste unter ihnen ist zweifellos derjenige der Nonne Egeria (oder Aetheria), der um 400 entstand und eine der frühestene erhaltenen Pilgerschriften überhaupt darstellt.5 Ihre zum Teil ausserordentlich prominenten Nachfolgerinnen liessen hingegen schreiben : Die Wallfahrt der heiligen Paula ist uns durch Hieronymus überliefert, und in dieselbe Kategorie der Heiligenviten fällt derts, Weinheim/ Basel 1985; NATALIE ZEMON DAVIS, Frauen und Gesellschaft am Beginn der Neuzeit, Berlin 1986; schliesslich GISELA BRINKER-GABLER, Deutsche Literatur von Frauen, Band 5: Vom Mittelalter bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, München 1988. 2 Zu Christine de Pisan vgl. E.MC LEOD, The Order of thfiiRose, The Life and ldeas of Christine de Pisan, London 1975; C.C.WILLARD, A 15 Century View of Woman's Role in Medieval Society, Christine de Pizan's 'Livre des rois Vertus', in: R T.MOREWEDGE , The Role of Woman in Medieval Society, New York 1975; CHA- RITY CANNON WILLIARD, The Franco-ltalian Professional Writer: Christine de Pizan, in: K.M.WILSON (Ed.), Medieval Women Writers, Athens (USA) 1984, S.333- 363. 3 Vgl. die Stiche von Hans Burgkmair, Au~burg, und Lucas von Leyden (beide 1508), abgebildet in: DUPRONT (Ed.), La quete du sacre, Saint-Jacques de Compostelle , Tumhout 1985. Es handelt sich in beiden Fällen um Jakobspilger (kenntlich an der Muschel). 4 Hingegen haben sich verschiedentlich Testamente von (angehenden) Santiagopilgerinnen erhalten. Ein ediertes Beispiel wäre : ANGELA MARIUITI DE SANCHEZ-RIVERO (Ed.), Testamento de Beta Pencin (19 febrero 1357) antes de irse peregrina a Santiago de Galicia, im Anhang zu: DIES . (Ed .), Da Venexia per andar a mcser San Zacomo de Galizia per la via de Chioza (Edition eines anonymen Pilgerberichts), in: Principe de Viana 28, 1967,S.512-514. 5 Es gibt zahlreiche Editionen und Sekundärwerke . Vgl. fcIERRE MARA VAL (Ed.), Silvia (Aquitanie), Journal de voyage (und : Lettre sur Ja B e Egerie de Valerius Du Bieno), Paris 1982 (Sources chretiennes 296); RUDOLF FISCHER (Ed.), Itinerarium Egeriae (Peregrinatio Aetheriae ), Oberdorf 1986 (Texte lateinischer Schriftsteller). <?page no="335"?> 325 die "Peregrinatio" der heiligen Melanie. 6 Die bewegenden Abenteuer der Margareta von Froidmont mitten in den Kreuzzugswirren um 1187 hat ihr Bruder Thomas niedergeschrieben . 7 Margery Kempes Protokollführer waren womöglich ihr eigener Sohn sowie ein unbekannt gebliebener Kleriker, und Alfonso Pecha schrieb die Jerusalemreise der Brigitta von Schweden nieder. 8 Jene der Maria Hippolyta von Calabrien (1474) endlich hat ein gewisser Jacobus kurz rapportiert. 9 Für die geringe Anzahl bekannter J erusalempilgerinnen muss es Gründe geben : Was hat die Frauen von der ursprünglichsten aller Pilgerfahrten abgehalten, oder hat sie daran gehindert, über ihre Reise zu schreiben? In erster Linie Verbote, erlassen zum Schutz der Frauen ausgerechnet vor den Nachstellungen der Männer unterwegs. Schon im Jahr 747 zeigte sich Papst Bonifaz besorgt über die hohe Zahl von Romrilgerinnen, die unterwegs in Frankreich oder Italien zu Prostituierten 1 (beziehungsweise zur Prostitution gezwungen) wurden. Offenbar wurde die reisende Frau ohne männliche Begleitung als Freiwild betrachtet, und ein geflügeltes Wort besagte: "Als Pilgerinfortgehen und als Hure zurückkommen ." 11 Das Konzil von Friuli beschloss 796n97, Nonnen sei künftif: die Erlaubnis zur Pilgerfahrt nach Rom oder sonstwohin zu verweigern; 2 von da weg blieb offenbar die Schicht der schreibenden Frauen, der potentiellen Berichterstatterinnen also, zuhause hinter Klostermauern. Endlich verbot Papst Gregor XII. (1406 - 1415) die J erusalemreise sämtlichen Frauen zur Entschädigung für entgangene Ablässe sollten sie die schon erwähnten "Geistlichen Pilgerfahrten" unternehmen; Reisen zum Heil in konzentrierter Form gewissermassen und ohne Risiko irgendwelcher Tugend-Einbussen . 13 Trotz all dieser Einschränkungen und Vorbehalte sind Frauen nach Jerusalem gepilgert, entweder in der Begleitung ihres Ehemannes oder auch gelegentlich in Männerkleidung, um Nachstellungen zu entgehen. 6 Dazu RICHARD, Les recits, S.19. 7 Vgl. dazu: PAUL GERHARD SCHMIDT, Peregrinatio periculosa, Thomas von Froidmont über die Jerusalemfahrten seiner Schwester Margareta, in: Festschrift Franco Munari, Hildesheim 1985/ 1986. 8 Der Bericht selber ist verloren. Vgl. dazu: ARON ANDERSSON, St.Brigitta and the Holy Land, Stockholm 1973. Weitere Literatur im Anhang (1372). 9 Es gibt zwei Ausgaben: REINHOLD RÖHRICHT (Ed.), Die Wallfahrt der Henogin Maria Hippolyta von Calabrien nach dem heiligen Lande (1474), in: ZDPV 14, 1891, S.12-16; MARCELLINO DA CIVEZZA (Ed .), Hippolyta Maria, ducissa Calabriae, Peregrinationes Terrae Sanctae, in: Le Missioni Francescane in Palestina, Florenz 1897, S.170-172. 10 Vgl. CONSTABLE, Opposition to Pilgrimage in the Middle Ages, S.127. 11 SOMMERFELD, S.822. 12 CONSTABLE, S.131. 13 RÖHRICHT, Deutsche Pilgerreisen, S.6. <?page no="336"?> 326 Auf der ersten Reise von Georg Emmerich, dem Stifter der Görlitzer Heiliggrab-Kapelle, soll ihn eine Frau in Mönchskleidern, die Witwe Agnes Finger, begleitet haben. 14 In zahlreichen Pilgerberichten tauchen mitgereiste Pilgerinnen auf - und genau da möchte ich mit meiner abschliessenden Fragestellung nachhaken. Wie tauchen sie auf? Mit anderen Worten: Wie erscheint die pilgernde Frau in den Reisebeschreibungen ihrer Kommilitonen, wie verhielten sich diese ihr gegenüber, und wie reagierten sie auf den Einbruch des "schwachenGeschlechts"in eine, wie wir feststellen konnten, von ritterlichen und geistlichenIdealen besetzten Männerdomäne? Dass es sich um eine solche handelte, deuten ja schon gewisse Passagen in Arnold von Harffs Sprachführer für polyglotte Pilger und Abenteuerer an. Aber auch die auffälligen Sonderinteressen an den Trachten und Bräuchen der weiblichen Bevölkerung fremder Länder sprechen dafür. Jenes "ritterliche" Verhalten den unterwegs erspähten Frauen gegenüber haben wir ausgiebig kennengelernt: Positive Gefühle und Ambitionen stellten sich ein, wenn besagte Einheimische ausreichend exotisches Flair besass und darüberhinaus die unabdingbaren Voraussetzungen zur Bewunderung, nämlich Jugend, Schönheit und nach Möglichkeit einen angemessen edlen Stammbaum mitbrachte. Ihre in der einen oder anderen Hinsicht minderbemittelten Geschlechtsgenossinnen traf hingegen Verachtung oder auch der blanke Abscheu man vergleiche die Beschreibungen Konrads von Grünemberg etwa der Venezianerinnen und der einen Araberin oder Felix Fabris Schilderung einer Begegnung mit sarazenischen Edelfrauen und ihren schwarzen Sklavinnen. Die Frau erscheint somit nicht alslobens- und liebenswert an sich; sie "wird"es erst, wenn und indem sie den entsprechenden männlichen Idealvorstellungen entgegenkommt. Für den Pilgerbericht trifft durchaus zu, was Johan Huizinga für das Idelbild der Liebe in der spätmittelalterlichen Literatur festgestellt hat: "Alle diese konventionellen Formen der Liebe sind Männerwerk. Auch wo sie in idealisierte Formen gekleidet ist, bleibt die ganze erotische Kultur durch und durch männlich-selbstsüchtig. Was sind die immer wiederholten Schmähungen der Ehe und der Schwächen der Frauen, ihrer Untreue und ihrer Eitelkeit anders als der Deckmantel männlicher Selbstsucht? " Und er zitiert Christine de Pisan: ''Aufalle diese Schmähungenantworte ich nur,nicht die Frauensind es, die dieseBüchergemachthaben." 15 14 ROHRICHI', Deutsche Pilgerreisen, S.131-132. 15 HUIZINGA, Herbst des Mittelalters, S.188. Zum literarischen Bild der Frau als Projektion von Mlinnervorstellungen (hier: in der Liebesdichtung der Renaissance) vgl. auch: MAURICE VALENCY, In Praisc of Love, New York 1961.V.a. das Fazit, S.210: •... ultimately, this poctry has little to do with women.• <?page no="337"?> 327 In ein derart ich-bezogenes Männerbild von der Frau passt nun die Frau als Pilgerin ganz und gar nicht, denn sie steht ihm ja nicht als fernes, passives Objekt seiner allfälligen Bewunderung zur Verfügung, sondern ist aktiv handelndes, mitreisendes Subjekt und rückt als solches nicht nur ihm, sondern unter Umständen auch seinem ritterlichen Selbstwertgefühl bedrohlich nahe. Wie bewältigt man ein Problem am einfachsten? Man verdrängt es - und verdrängt werden die mit nach Jerusalem pilgernden Frauen überall und ständig aus der verschworenen Männergesellschaft, ob an Bord des Pilgerschiffs oder am Ziei wo sie in ein eigenes Frauenhaus gesteckt werden (was sich natürlich auch durch die strikte Geschlechtertrennung in klösterlichen Bereichen erklärt) oder gar (bei der Sinai-Visite zum Beispiel) von einigen der heiligen Stätten ausgeschlossen bleiben. Man muss nicht erst Margery Kempe zum Umgang ihrer Reisekollegen mit ihr, der "creature", befragen: Felix Fabri ist in dieser Beziehung ein ebenso präziser, manchmal mitfühlender, gelegentlich aber auch chauvinistischparteiischer Chronist. Bereits anlässlich der ersten Pilgerfahrt von Bruder Felix kamen zu seiner nicht geringen Verwunderung ein paar ältere Pilgerinnen mit aufs Schiff und sorgten, ohne persönliches Dazutun, sogleich für Streit unter den Passagieren: Es waren da ausserdemmit uns zusammen einigehochbetagteFrauen, sechs fromme und reiche Matronen,die wünschten,über das Meer zu den heiligenStättenzufahren. Ich warerstauntüberdie Kühnheit dieser alten Frauen, die sich vorAltersschwächekaum auf den Beinen halten konnten und doch ihre eigene Gebrechlichkeitvergossen,sich in die Gesellschaftjunger Ritterbegabenund die Mühsal starkerMännerauf sich nahmen. Darüberwarenallerdingsdie hochmütigenEdelleute verärgert,und sie erwogen,das Schiff, in welchemsich diese Matronenhinüberführen lassen würden,nichtzu besteigen.Denn sie erachtetenes als Schande, sich die Ritterwürdein der GesellschaftalterFrauenzu holen. Und so versuchtendiese stolzen Gemüter, uns alle dazu zu bewegen, nicht dasjenigeSchiff zu wählen, mit welchem die alten Frauen reisen würden.Andere aber, weisere und vernünftigereRitter, widersprachen jenen Hochmütigen und freuten sich über die Bussfertigkeit dieser Matronen in der Meinung,dass durch ihre FrömmigkeitunsereSchiffsfahrt sicherer( = eig.gesünder)sein werde.Deswegenentstand nun ein kaum mehr zu schlichtenderStreitunterden Edelleuten,und er dauerte solange,bis Gottjene Hochmütigenaus unsererMitte nahm. Diefrommen Matronenaberbliebenbei uns, von derAbfahrt bis zurAnkunft. 16 16 Vgl. PABRI, Evag. 1, S; Jl-32 . <?page no="338"?> 328 Später waren es jene verachteten "altersschwachen" Frauen, die sich auf hoher See, bei Wind und Wetter und starkem Seegang, rührend um die seekranken Pilger bemühten und sich dabei "... nach Gottes Vorsehung"als widerstandsfähiger erwiesen als diese stolzen Ritter so der Mönch schadenfroh.17 Sehr viel weniger gefiel dem Ulmer Dominikaner auf seiner zweiten J erusalemreise die offenbar recht temperamentvolle Gattin eines Flamen, die als einziger weiblicher Passagier mit demselben Schiff wie Fabri unterwegs war die anderen Pilgerinnen befanden sich alle auf dem zweiten Schiff. Sein Stosseufzer: "Um die Wahrheitzu sagen, waren die sieben altenFrauen,mit welchenich beim erstenMal reiste,(...) rnhigerund weniger zu sehen als dieseeine Greisin.1118 Zuvor schon vermerkt Felix Fabri unter den Gepflogenheiten an Bord jene, die besagt, dass die weiblichen Passagiere ihre Mahlzeit durchwegs in ihren Kabinen und nicht etwa am gemeinschaftlichen Tisch einzunehmen hatten. 19 Offensichtlich bestand die Tugend der braven Pilgerin vor allem darin, nicht aufzufallen und nach Möglichkeit unsichtbar zu bleiben. Diese flämische Pilgerin allerdings mochte sich nicht im Hintergrund versteckt halten und fiel in welchem Zusammenhang, verschweigt Fabri unangenehm auf. So kam es, dass sie, als sie in Rhodos die Abfahrt des Pilgerschiffs verpasste, von niemandem vermisst wurde ausser gerade von ihrem Gatten ("... denn sie machte sich über alleMassen verhasstmit ihrem dummen Geschwätzund ihren vorlautenEinmischungenin unnützeAngelegenheiten.").20 Wenig Freude empfand die Pilgergesellschaft, als die selbständige Frau in Zypern wieder zu ihnen stiess: Sie war auf einem anderen Boot nachgefolgt, und Felix Fabri scheint sie doch für die Notlage, in welche sie durch die Abfahrt des Pilgerschiffs geraten war, ein wenig bemitleidet zu haben. 21 Ein ähnlicher Zwischenfall ereignete sich übrigens in der Umgebung des Jordan; da blieb eine andere Pilgerin eine Weile lang unauffindbar . Die sarazenischen Begleiter suchten nach ihr, währenddem die Pilger warteten, "... obzwarein paar grobeund grausameRittermurrten,weil wegen einer einzigenalten Frau die gesamteExpeditionins Stocken geriet.Wäre es nach ihrem Willengegangen,hätten wir dieseAlte als ganz verlorenaufgege- 17 Evag.1,S.43. 18 Evag. 1, S.150: "Nampro vero dico, quod VII (sie! ) illae vetulae, cum quibus prima vice transfretavi(..) quietoresfuerunt et rariusvidebantur,quam i/ Jaunicaanus." 19 Vgl. Evag.1, S.137. 20 Evag.1, S.169 : "De illius autem mulierisnemo tristis erat absentia,nisi maritus ejus, quia fecerat se ultramodum odiosum suis fatuis Jocutionibuset curiosisindagationibusrerum inutilium." 21 Vgl. Evag. 1, S.178. <?page no="339"?> 329 ben." 22 Auf dem Fusse folgt ein erzieherischer Exkurs, ein Vergleich der menschenfreunlichen Sarazenen mit den mürrischen christlichen Rittern, und erneut der schadenfrohe Seitenhieb, dass der Anführer der Nörgler später als kranker Mann "... in die Hände der alten Frauen fiel und unter Tränenjene um Hilfe bat, die erzuvor verachtethatte." 23 In diesen "Solidaritätskundgebungen" des Mönchs mit den Pilgerinnen ist einiges von der schwelenden Feindschaft zwischen Adel und geistlichem Stand zu spüren, die etwa Huizinga anklingen lässt. 24 Eine echte Solidarität ist es nicht, denn auch Felix Fabri schlägt sich zu guter Letzt auf die Seite der "hochmütigen Ritter". Dass sich die Reise vom Jordan zurück nach Jerusalem zu einem höchst anstrengenden Nachtmarsch entwickelte, wobei sich die hochbetagten Pil~rinnen erneut als "... stärkerals Männer und tapfererals Ritter" erwiesen, kommentiert der Chronist zwar noch mit einem biblischen Exkurs zur Schwäche der Frau in Salomons Zeiten sowie einem Loblied auf den weisen Ratschluss Gottes, der diese Frauen zur Beschämung der Stolzen derart erstarken liess. Darauf folgt jedoch ein "Rückzieher", eine Entschuldigung für das weite Abschweifen vom eigentlichen Thema der Pilgerfahrt: "Aber was vertrödleich mich dennassen mit dem Lobpreis dieseralten Frauen! Das soll für den Augenblickgenügen. 1126 Dass das Reisen in Gemeinschaft mit Frauen als etwas Schimpfliches empfunden wurde, zumindest von den Pilgern mit ritterlichen Ambitionen, kommt in diesen Zitaten ebenso zum Ausdruck wie etwa in Fabris Rede zur Verteidigung der Heilig-Grab-Ritterwürde. Er verwahrt sich da ausdrücklich gegen den Vorwurf, diese Ritterwürde sei "weibisch", weil sie unter Umständen in weiblicher Gesellschaft erworben werde. 27 Was Fabris Meinung zum weiblichen Geschlecht im allgemeinen betrifft, so ist sie geteilt; zwar rühmt er die Frömmigkeit der alten Pilgerinnen in den höchsten Tönen, doch macht er letztlich Gott für deren Tapferkeit und deren Immunität gegen die Seekrankheit verantwortlich. Ansonsten sind Frauen "... von Natur aus ängstlich.'J.8Jene strikte Regel der Mönche im Katharinenkloster auf Sinai, keiner Frau Einlass zu gewähren, inspiriert ihn gar zur Wiedergabe eines bösen Scherzgedichtes: 22 Evag. 2, S51 : •... quamvis aliquimilites rudes et crudeles munnurarcnt, quod propter unam vetulam totus cxeritusinquietateratur,et si quis sccutus fuisset corum consilium, vr: tulamillam omnino dimisissemusin pcrditionc.• 23 Vgl. Evag. 2, S.32-33. 24 Vgl. HUIZINGA, S.247: "Der in Tapferkeit und Liebe wurzelnde ritterliche Hochmut stiess genau so wie der rauhe Sinn des Volkes das geistliche Ideal von sich.• 25 FABRI, Evag. 2, S.79. 26 Evag. 2, S.80: • Ut quid pracconioillarumvetu/ arumtantum immoror! Sufflciat ergo ad praescns." 27 Vgl. Evag. 2, S.10. 28 Evag. 2, S.35: • Mirabar de mulieribus,sociabusnostris,cum tamen muliercssint timidae, quod ita audacterinccdebant. • <?page no="340"?> 330 An einem Ort,wo Frauenleben, Wirdes nichtRuh' noch Friedengeben. Es sind halt untereinemDach Nie Weibund Ruhe, ohne Krach. Zuletztkann nur, werlebtallein, So rechtvon Herzenglücklichsein. 29 Wie im Falle des Sinaiklosters blieb übrigens auch in Rom Pilgerinnen der Zugang zu verschiedenen Kirchen verwehrt. 30 In bezug auf Jerusalem kenne ich nur den von Felix Fabri geschilderten Fall, dass die Pilgerinnen vor der Quelle des Siloah-Brunnens warten mussten, bis ihnen jemand das ablassträchtige Wasser zu bringen geruhte. Das Gedränge drinnen beim Wasserschöpfen sei nicht unbedingt "ladylike" gewesen, erläutert Fabri. 31 Gewiss ist, dass die Pilgerinnen in Jerusalem nicht gemeinsam mit ihren Ehegatten wohnen durften, sondern in einem Frauenkloster in der Nähe des Monte Sion untergebracht waren. In seiner Eigenschaft a4 Guardian des Sionsklosters nennt Francesco Suriano die Voraussetzungen zur Aufnahme: "... um der Rechtschaffenheitund der Ehrerbietungwillen, und um jeden Verdachtzu besänftigen,sind nur ältereFrauen mit gutem Leumund und untadeligemBenehmenzugelassen. "3 2 Die persönlichere erste Berichtfassung spricht bei dieser Gelegenheit von einer Pilgerfahrt der Klarissen von Foligno ins Heilige Land. 33 Schliesslich erwähnt auch Pietro Casola zahlreiche Mitf,.ilgerinnen, allerdings ohne besondere positive oder negative Würdigung. Was den Frauen unterwegs zusätzlich blühen konnte, war der Verdacht, eine Hexe zu sein. Als das Pilgerschiff, mit welchem Nompar de Caumont unterwegs war, in eine Windflaute geriet, fiel einem der Reisenden auf, dass sich eine Mitpilgerin etwas gar nahe beim Steuerruder aufhielt. Er äusserte die Vermutung, womöglich sei sie es, die das Wetter beeinflusse. 35 Und damit schliesst sich der Kreis: Wo Pilgerinnen auftreten und Beachtung in den Berichten der Pilger finden, erscheinen sie im allgemeinen als lästige Anhängsel, als prinzipiell feige (so nicht Gott ein Exempel zu statuieren beschliesst und ihrem Mut Flügel verleiht) und 29 Frei übersetzt nach Evag. 2, S503: • Ubi sunt mulieres, ibi nec pax, nec quies, nec sub eodem tecto habitant quies et mulieres, et qui non litigat coelebs est.• 30 Vgl. HARFF, S. 16 und S.17. 31 Vgl. FABRI, Evag. 1, S.418-419. 32 SURIANO, S.131/ S.118. 33 Vgl. SURIANO, S.131,Anm.a) / S.118, Anm.1. 34 CASOLA, S.161/ S.22: Er zählt insgesamt 170 Pilger, darunter Männer wie Frauen, verschiedene Geistliche, "Ultramontane" wie Italiener. 35 Vgl. CAUMONT, S.122. <?page no="341"?> 331 womöglich mit irgendwelchen dämonischen Zauberkräften begabt. Wir stecken mittendrin im Zeitalter der Inquisition und der Hexenprozesse. 36 Und umgekehrt: Wie erscheint der Mann im Pilgerbericht der Frau, hier: in der Reisebiographie der Margery Kempe? Mehrfach scheint sie, ihrem Bericht nach zu urteilen, Verehrung als eventuell Heilige durch die Geistlichkeit erfahren zu haben, Hohn und Spott jedoch seitens der weltlichen Mitreisenden oder auch der Bewohner christlicher Nationen. Auf ihr inständiges Flehen hin sagte ihr Gott zu, sie vor aller "... wykked mennys power"der ''MachtböserMänner"also, zu beschützen. 37 Und er tat gut daran, waren es doch durchwegs Männer, die sie laut Bericht eine "... fals ypocryte"und Schwindlerin schimpften, 38 in Unannehmlichkeiten stürzten (der Diebstahl des Bettlakens! ) oder sie voller Abscheu anspuckten, wenn sie sich in Verzückung wand, während man(n) gleichzeitig ihre Hexenkräfte fürchtete. 39 Doch Margery Kempe bewies ein gesundes Mass an Selbstvertrauen und Schlagfertigkeit: Als ein reicher Mann aus Bristol, der sie "... nicht als gute Frau betrachtete",alle Hebel in Bewegung setzte, damit sie nicht an Bord des Pilgerschiffes nach Santiago de Compostela gelassen würde, drohte sie einfach und wirkungsvoll mit dem Ausschluss vom Himmei falls er sie nicht mitfahren lasse, und brauchte noch andere "... scharpwordys". 40 Das Stück Selbständigkeit, welches sich diese gewiss nicht emanzipierte, aber doch von ihrem Leiden an der (Um-)Welt zu bemerkenswerten Leistungen getriebene Frau im Verlauf ihrer Pilgerreisen eroberte, war ein vergängliches. Wie die anderen Pilger und Autoren auch kehrte sie irgendwann nach Lynn zurück, heim zu ihrem Ehemann, den sie nach seinem fatalen Treppensturz hingebungsvollpflegen sollte bis zu seinem Tod. 36 Vgl. KEI'SCH, Frauen im Mittelalter, Bd.2, und v.a. S.27: "Das Frauenbild des Mittelalters wurde wesentlich von den Aussagen der Kirche über den Wert der Frau, ihrer gesellschaftlichen Rolle und Funktion bestimmt." Und ausserdem, in Hinblick auf das Bild der Frau im (literarischen) Pilgerbericht: HOPE P.WEISSMAN, Antifeminism and Chaucer's Characterization of Women, in: GEORGE ECONOMOU (Ed.), Geoffrcy Chaucer, New York 1975, S.93-110. · 37 KEMPE, S.32. 38 KEMPE, S.13. 39 Vgl. KEMPE, S.13 (Schwindlerin), und S.105 (Abscheu und Furcht). 40 Vgl. KEMPE, S.108. <?page no="342"?> 332 11. Schluss 'We cannot change by travelling." Norman Daniel 1 Die Interessen und Motive der europäischen Jerusalem- und Santiagopilger des ausgehenden Mittelalters anhand ihrer Reiseschriften zu untersuchen und zu hinterfragen, das war das Hauptziel dieser Arbeit. Darüberhinaus sollte es darum gehen, den mentalitätsgeschichtlichen Quellenwert der Pilgerliteratur zu verifizieren, um auf diese Weise zu Rückschlüssen auf den Verlauf und die "Grauzonen" der vieldiskutierten Epochenschwelle zwischen Mittelalter und Neuzeit zu gelangen. Die weitgesteckte Fragestellung liess eher vielals eindeutige Ergeb nisse erwarten und ein entsprechend heterogenes Gesamtbild. Grosse Fragezeichen müssen überdies dort bestehen bleiben, wo sich bedingt durch den im Mittelalter üblichen Umgang mit schriftlichen und mündlichen Quellen die Grenze zwischen Ansicht und Abschrift, zwischen dem Ausdruck des subjektiven Empfindens und dem überlieferten Topos, nicht klar und eindeutig ziehen lässt. Im Rahmen der gesteckten Ziele hat diese Arbeit immerhin Ansätze zur Analyse und Diagnose liefern können; sie versteht sich dem-entsprechend als vielleicht zu tiefschürfenderen Einzeluntersuchungen anregende - Probebohrung in einem zwar schon mehrfach sondierten, aber nach wie vor im geologischen Zusammenhang noch unerforschten Gebiet. Nicht zuletzt wartet noch ein ganzer Berg von Pilgerschriften in verschie denen europäischen Bibliotheken und Archiven auf (planmässige) Grabungs- und Hebungsarbeiten. Die hier untereinander verglichenen Pilgerberichte stammen aus den drei führenden Gesellschaftsschichten Europas im 14., 15. und 16. Jahrhundert (Ade~ Klerus und Patriziat) sowie aus vier Sprachräumen (dem deutschen, dem französischen, dem italienischen und dem angelsächsischen). Sie waren, wie wir gesehen haben, nahezu ausschliesslich von Männern geschrieben, weil verschiedene von Männern bestimmte - Umstände entweder die pilgernden Frauen am Schreiben oder aber die 1 NORMAN DANIEL, The Cultural Barrier, Problems in the Exchange of ldeas, Edinburgh 1975: Schluss. <?page no="343"?> 333 schreibenden Frauen am Pilgern hinderten. Und schliesslich betrafen die Berichte zwei Pilgerziele mit unterschiedlichem heilsgeschichtlichen Kontext: Jerusalem und Santiago de Compostela. Dass die Jerusalemberichte gegenüber den Compostela-Pilgerschriften zahlenmässig ausserordentlich stark dominieren und ausserdem charakteristische Züge eines eigenständigen literarischen Genres aufweisen, ist ebenso auf die unterschiedliche Bedeutung der beiden Orte wie auf die unterschiedliche Zusammensetzung des jeweiligen Pilgerpublikums zurückzuführen. Jerusalem war mit seinem verlockenden "Sonderangebot" des Ritterschlags ein ausgesprochen elitäres Pilgerziel, erreichbar auf dem (weit bequemeren und nicht allzu riskanten) Seeweg nur gerade für Pilger mit Vermögen oder guten Beziehungen. Andererseits ermöglichte erst ein gewisser Grad von (mit Geld eher noch als mit Geist verbundener) Bildung, einen Pilgerbericht zu schreiben bzw. andere Berichte und weiteres, älteres Quellenmaterial zu lesen. Die Strukturen des Genres wurden im wesentlichen durch die nahezu perfektionierte Jerusalem-Infrastruktur der Franziskaner bestimmt, währenddem die "demokratischer" organisierte Compostela-Pilgerreise keine Nachfrage und keinen wirklichen Absatzmarkt für Pilgerberichte als Pilgerführer entwickelte. Offenbar bot sie den potentiellen Berichtschreibern mit ihren vergleichsweise höheren Komfort-Ansprüchen auch weniger Anreiz zur Niederschrift ihrer (nicht nur spirituellen) Erlebnisse wo schriftliche Selbstzeugnisse einer absolvierten Santiago-Fahrt vorliegen, sprechen aus ihnen zumeist externe Primärabsichten und erst in zweiter Linie Pilgermotive. Zu den Interessen und Motiven: Durchgehende Entwicklungslinien vom 14. bis ins 16. Jahrhundert ziehen zu wollen, erweist sich als heikles Unterfangen. Zwar sind Gewichtsverlagerungen spürbar, indem etwa neben das ursprüngliche spirituelle Interesse und neben das Motiv der Heilssuche andere, weltliche Beweggründe treten. Die Berichte werden denn auch in den Bereichen ausserhalb der "Kernzone" farbiger und nehmen hier auch vermehrt individualistische Züge an. Diese Gewichtsverlagerung aber erscheint aussagekräftiger für ein im Wandel begriffenes Selbstverständnis spätmittelalterlicher Literatur (an die Stelle der schriftlichen Autoritäten tritt mehr und mehr die subjektive Auffassung) als für eine sich wandelnde "Reisemoral" der Pilger. Was genau die Pilger zwischen 1320 und 1520 unterwegs und am Ziel ihre Reise erlebt und empfunden haben, und was den nachhaltigeren Eindruck hinterliess die Gewänder der Venezianerinnen oder die Gebeine der heiligen Katharina mitten in der Wüste lässt sich anhand der mitgeteilten Informationen nicht wirklich rekonstruieren: In dieser Hinsicht ist der Pilgerbericht eine nur beschränkt aussagekräftige, weil <?page no="344"?> 334 (wenn auch in unterschiedlichem Masse) befangene Quelle. Näherungswerte allerdings sind möglich. Zu den Unterschieden in den Interessen und Motiven: Das Standesdenken der Pilger scheint tatsächlich sowohl bei den Beweggründen zur Pilgerschaft und Pilgerschrift wie auch bei der Bewertung der Dinge, die dem Reisenden unterwegs begegneten, eine nicht zu unterschätzende Rolle gespielt zu haben. Zwar interessierten sich geistliche Pilger gleichermassen für weltliche Phänomene wie ihre Reisegefährten aus dem Adels- und aus dem bürgerlichen Stand. Doch der Moralkodex war ein offensichtlich anderer. Deutlich wird das in der Auseinandersetzung mit der eigenen Neugierde: Was dem Edelmann eine ritterliche Tugend war und den Kaufleuten unter den Angehörigen des städtischen Patriziats geradezu Berufspflicht, das erschien dem Pfarrer und dem Mönch als tadelnswert oder auch (sofern er selbst das Opfer war) als peinliche Entgleisung, deren Schilderung zumeist eine pädagogische Absicht verfolgte. Was die Motivation zur Reise und zur Abfassung eines Berichts betrifft, so lassen sich Unterschiede vor allem zwischen den zwei traditionell führenden Gesellschaftsschichten (Adel und Klerus) und dem aufstrebenden Patriziat feststellen. Zwar suchten alle drei Stände in der Pilgerfahrt eindeutig die Bestätigung bestehender Werte und waren allenfalls bereit, ihren Standort zugunsten einer höheren gesellschaftlichen Anerkennung zu verändern. Doch hatten nicht alle der mit der eigenen Pilgerschaft angestrebten Ideale und Sinngebungen eine Zukunft: Anzeichen einer Krise nicht (nur) einer individuellen und nicht zwangsläufig einer gesamtgesellschaftlichen, sondern vielmehr einer schichtspezifischen Identitätskrise sind unverkennbar. Zu den Unterschieden in der (sprachlichen, geographischen) Herkunft der Berichte lässt sich nur für den italienisch- und den deutschsprachigen Raum eine eindeutige Aussage machen. Jener Umbruchprozess, den die Berichtautoren deutscher Zunge im 15. Jahrhundert vollziehen, indem sie das reine Pilgeritinerar (mit Führerfunktion) zur subjektiv gefärbten Reiseschilderung (mit pädagogischer oder ansatzweise unterhaltender Funktion) weiterentwickeln, muss im italienischen Sprachraum schon vor 1350 in vollem Gange gewesen sein, in Analogie zu der hier wesentlich früheren Ausbreitung humanistischen Gedankengutes. Was die französischsprachigen Berichte angeht, so stammen die hier berücksichtigten Beispiele zum grössten Teil aus dem Adelsstand und bleiben von daher auch in erster Linie dem ritterlichen Kreuzfahrerideal verpflichtet. Die angelsächsischen Berichte wiederum zeichnen sich hauptsächlich durch ihre Originalität aus der eine Jerusalempilger erzählt frei von der Leber weg (Symon Semeonis), der andere straft seinen Hofberichterstatter-Status Lügen (der Kaplan von Sir Richard Guylforde). Wo <?page no="345"?> 335 aber einem Berichtvorbild nachgeeifert wird, geschieht dies in geradezu atemberaubender Perfektion: William Wey liefert Pilgertips zu jedem Anlass in der passenden Form, und Margery Kempe funktioniert analog zum Vorbild der "Geistlichen Pilgerfahrt" ihr ganzes Leben zu einer solchen um. Das Verhältnis der verschiedensprachigen Pilger untereinander war im übrigen ein frostiges bis offen feindseliges. Das gemeinsame Reisen scheint somit nicht zur Entwicklung eines "europäischen Gedankens" beigetragen zu haben, sondern, im Gegenteil, zur Ausprägung eines patriotischen Heimatgefühls oder gar eines, man ist versucht zu sagen, chauvinistischen "Nationalismus". Schliesslich ist nochmals auf die Affinität der Pilgerliteratur (im gesamten hier behandelten Zeitraum) zur literarischen (in Einzelfällen: liturgischen) Extremform der Geistlichen Pilgerfahrt hinzuweisen. Es sind hier durchaus zukunftsweisende Ansätze vorhanden, scheint sich doch in der Folgezeit eine Art Spaltung innerhalb der Jerusalem-Reiseschriften vollzogen zu haben. Während es Nahost-Reisebeschreibungen bald auch ohne spirituellen Hintergrund zu kaufen und zu lesen gab (Leonhard Rauwolff! ), zog sich der eigentliche Pilgerfahrtskult im Zuge der Gegenreformation mehr und mehr in den stillen Winkel der Kontemplation "im Geiste" respektive "an Ort und Stelle" zurück.2 Es bleibt die Frage nach dem individuellen Lernprozess, die ich zu Beginn dieser Untersuchung aufgeworfen habe: Die Frage, ob in der Auseinandersetzung mit der Welt und mit dem "Ich"in dieser Welt die Möglichkeit wahrgenommen wurde, die eigenen (Vor-)Urteile zu überprüfen und allenfalls zu revidieren, muss hier weitgehend negativ beantwortet werden. Sie richtet sich auch offensichtlich an das falsche Medium, denn der Pilgerbericht trägt definitionsgemäss konservative Züge. Er wahrt die Tradition und beinhaltet in der Heimkehr des schreibenden Pilgers gleichzeitig die Abkehr von den fremden, den anderen Werten. Im Pilgerbericht sublimiert sich das Erlebnis der Reise letztlich zum Traumbild einer Pilgerfahrt. Träume aber sind Abenteuer ohne Folgen. 2 Vgl. SCHNEIDER, S.224: "Die Berichte des 15. und 16. Jahrhunderts erfüllten die Funktion von Ersatzbibeln.". Und ETIENNE DEI.ARUELLE, Les grandes processions de penitents de 1349 et 1399, in: DERS., La pi6t6 populaire au moyen 4ge, S.144: "Le pclerinage remplace Ja croisade et Je chemin de croix remplacera bientOt Je pclerinage." <?page no="346"?> 336 12. Abkürzungsverzeichnis ADAL ADB AFH AHVN AOL ASI BBB BGP BLVS CCM DHGE DVLG GAG GWU HZ JMH PPTS PSBF QFIAB RhVB ROL RSI RVDHG SFGG TO WKKG ZDAL ZDPV ZHF ZRPh Anzeiger für deutsches Altertum und deutsche Literatur (ab 1979: ZDAL) Allgemeine Deutsche Biographie Archivum Franciscanum Historicum Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein Archives de ! 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Register der Orts- und Personennamen Aargau 81 Adorno, Anselme 38, 70 f, 98, 122, 186, 202, 213,217,218,247,252,288 Adorno, Jacob 70 Adorno, Jean 70 f, 98, 107, 122, 156, 164, 186,202,213,217,218,227,247,252,288~ 302 Adorno, Oppicino 70 Adorno, Pieter 70 Adria 97 ~gäis 75 Agypten 29, 43, 46, 47, 48, 49, SS, 61, 69, 75, 79,98,100,118,137,144,161,164,176,198, 302,303 Aigues-Mortes 45, 169 Akkon 9,45,161 Albert Magnus 100 Alcacer do Sal 74 Alexander, der Grosse 167 Alexandria 44, 48, 51, 52, 55, 63, 70, 72, 86, 97,98,137,156, 160,161,167,230,265 Anjou, Robert 45 Anonymus von Rennes 81 Antiochia 45 Aquitanien 53, 58 Aristoteles 263 Arles 37 Aspello, Antonaccio 55 Augsburg 52, 63, 90 f Augustinus 106, 169, 242, 275 Auxerre 46 Avignon 46,69,161 Babylon 3, 44, 63 Balearen 59 Balkan 75, 86 Barbatre, Pierre 77 f, 108, 188, 227, 291 Barcelona 59, 84 Basel 64, 75, 217 Bathseba 125 Baumgartner, Stefan 310 Bayern, Otto 64 Beauvais, Vincent 100, 102 Beda 100, 306 Beersheba 45 ~gue, l..ambert 255 Beirut 45, 47, 48, 51, 52, SS, 63, 71, 82, 97, 98,137,160,161,218,266 Belgrad 61 Bern 85,93 Bethanien 45, 98 349 Bethlehem 45, 52, 86, 98, 114, 120, 121, 130, 133,138,157,216,278,307 Bianco, Noe 49 Bicken, Adam 79 Biedenkopf (an der Lahn) 78 Bingen,Hildegard 324 Bischofszell 224 Bloch, Ernst 1 Boccaccio, Giovanni 166 Böhmen 54, 68, 311 Bohun, Marie 53 Boldensele, Wilhelm 46 f, 102, 107, 110, 137, 139, 140, 157, 161, 166, 170, 181, 1%, 230, 233,239,250,279,285 Bologna 158 Bonavcntura 259 Bongart, Margarethe 86 Bonifaz vru. 4, 240, 325 Bordeaux 52, 58, 85 Bourges 146 Bourgoigne, Jean ( = Mandeville, John) SO Brentano, Oemens 87 Breydenbach, Bernhard 78 f, 107, 108, 126, 174, 175, 188, 204, 213, 235, 241, 253, 268, 292, 300, 303 f Brigitta, Heilige, von Schweden 325 Bristol 146 Brocquiere, Bertrandon 38, 60, 61 f, 111, 118, 119, 137, 164, 184, 199, 200, 202, 210, 212,214,222,229,230,238,244,251,266, 270,286,302 Brunham, John 56 Brygg, Thomas 52 f, 108, 284 Brügge 70f Brünig 85 Brüssel 69, 73, 85 Burckhardt, Jacob 17 Burgos 85, 186, 216 Burgund 60, 61 Bursa 61, 184 Butigella, Juan Matteo 64 Calabrien, Maria Hippolyta 325 Calais 55, 69, 184 Candia (=Kreta) % Cambridge 44, 53 Canterbury SS, 69, 161 Capodilesta, Antonio 65 Capodilesta, Gabriele 64 f, 77, 81, 107, 108, 109,137,201,227,251,255,287,302,309 Carinola 55, 139, 285 <?page no="360"?> 350 Casola, Pietro 83 f, 128, 137, 143, 158, 165, 170, 172, 173, 190, 194, 205, 216, 217, 220, 226,227,231,242,253,293,330 Castiglione, Girolamo 80 Caumont 58 Caumont, Brandelis 58 Caumont, Nompar 58 f, 118, 137, 145, 174, 199,226,228,234,237,245,251,266,285, 320 Cesarius 106 Ceuta 62 Ch41on 240 Chaucer, Geoffrey 166 Cheltenham 48 China 49, 101, 305 aairvaux, Bernhard 168, 240 Qavijo 11 aonmel 43 Cola, Joanne 49 Curzola 191 Damaskus 45, 46, 47, 48, 51, 52, 63, 71, 86, 98,159,160,161,163,167,183,286 Damietta 48 Daniel, Norman 332 Dansette, Beatrice 104 Danzig 54 David, König 125 Deguileville, Guillaume 261 f Derby, Henry Earl of 53 f, 118, 137, 223, 230 Deutschland 69 Devonshire 66 Diemeringen, Otto 49 Diesbach, Niklaus 232 Diessenhofen 75 Dijon 45 Dijon, Humbert 45 f, 137, 140, 250, 278, 284 Donaueschingen 259 Doppere, Romboudt 71 Dover 55, 68, 69, 184 Dunkelgud, Hinrieb 73 f, 146, 223, 226, 290 Dünz, Johann Jakob 93, 194, 310 Durant, Guillaume 45 Dürrenmatt, Peter 64 Dyrano, Cobello 55 Eco, Umberto 20 &! ward III. 53 Egen, Lorenz 52 f, 113, 181, 196, 225, 239, 279,280 Ehingen, Georg 62 f, 119, 137, 145, 146, 226, 229,237,273,286,302 Einsiedeln 85 Elsass 85 Emmaus 45, 307 Emmerich, Georg 260, 311, 316 Engelberg 92 f England 69, 91 Eptingen, Hans Bernhard 64 f, 107, 120, 137, 138, 184, 186, 201, 212, 226, 228, 229, 235,244,251,270,286 Erdfurt 52 Eton 66f Pabri, Felix 26, 75 f, 77, 93, 100, 107, 108, 111, 123, 137, 139, 140 f, 142, 144, 152, 155, 157, 164, 169, 171, 173, 175, 187, 202, 208, 212,216,217,227, 235 f, 238,239, 240, 241, 248,252,256,257~267,269,290,292,302, 326,327 Falle, Peter 91, 92, 224 Pamagusta 165, 185 Feldkirch 83 Felsendom 111,120,122,124,127,131,155, 307 Ferdinand, König 84, 223 Fez 62 Finger, Agnes 326 Pinisterre, Kap 10, 12, 114, 147 Flandern 70 Plavius Josephus 100 Florenz 51 Plüe, Niklaus (Bruder Klaus) 75, 93 Poligno 82, 293, 320 Posse, Eustache 74 f, 146, 214, 223, 226, 270, 290,293 Pranco,Prancisco 11 Frankreich 69, 84 Franziskus von Assisi 106 Freiburg 91 Prescobaldi, Lionardo 50 f, 164, 183, 199, 209,251,265,269,283 Proidmont, Margareta 325 Püessli, Peter 222 Fugger, Handelsfamilie 90 Gaeta 55 Galiläa 46 Galizien 90, 113, 145 Gandersheim, Hrotsvit 324 Gardasee 216 Gascogne 58,145 Gaunt, John 53 Gaza 44,45,48,52, 72,86,187,295 Genezareth, See 216 Genf 85 Genfersee 168 Genua 43,70,90,161 Germain, Jean 264 Ghistele, Joos 78 Gibraltar 305 Giotto 167 Gisbum 89 Glarus 92 Golgatha 155 Gomorrha 110, 307 <?page no="361"?> Görlitz 54, 260, 311, 316 Grab, Heiliges 62, 69, 80, 98, 115, 118, 121, 128,131,135,232,233,235,236,300f~329 Grabeskirche 48, 59, 98, 116, 118, 120, 124, 129,133,134,216,253,256,302,307,308 Granada 84 Grandson 87 Graz 69 Gregor XII. 325 Greiffenstein, Ludwig 83 Grünemberg, Konrad 80 f, 127, 128, 137, 170, 205, 213, 214, 226, 235, 244, 270, 293, 308,309,310 Guadeloupe 84, 150 Gucci, Giorgio 50 f, 164, 176, 183, 199, 250, 269,283 Guernsey 69 Guglingen 79 Guines 52 Gumppenberg, Georg 78 Guylforde, Anne 89 Guylforde, &! ward 89 Guylforde, Richard 89 f, 133, 207, 254, 296, 304,334 Haiti 241 Hamburg 73 Hannover 73 Harff, Arnold 85 f, 98, 103, 108, 111, 113, 130, 138, 143, 145, 146, 150, 158, 165, 174, 175,177,179,181,192,206,208,213,226, 235,244,253,255,270,273,294,304 Haupt, Moritz 26 Heacham, Norfolk 54 Hebron 45,52,63,86,122,126,130 Hedington 67 Heidelberg 69, 80 Heinrich IV. 25, 84, 148 HenryIV. 53 HenryVI . 66 Henry VII. 89 Hereford 54 Hessen 79 Hieronymus 106,324 Homer 291 Horaz 100 Horeb 98,140 Hornstein, Sigmund 63 Host von Romberch, Johannes 105 Huda, Nicolaus 47 Hugo Illuminator 278 Hugonet, Kardinal 70 Huschenbett, Dietrich 104 Illuminator, Hugo 43 Indien 49,65,90,101,159,222 Innerschweiz 75 Innozenz VIII., Papst 261 Innsbruck 79 Israel 307 Italien 84, 86 351 Jaffa 6, 48, 54, 55, 59, 61, 64, 65, 67, 72, 75, 79, 88, 89, 96, 98, 115, 133, 138, 185, 193, 201,207,208,227,307 Jakob III. 70 Jakobus 5, 10, 11, 21, 35, 36, 37, 114, 147, 148,150,229,243,304 Jericho 45, 98 Jerusalem 4, 6, 8, 10, 12, 13, 40, 41, 43, 45, 46,47,48,49, 50,52,53,55,56,58, 60, 61, 62, 64, 66, 68, 70, 71, 75, 77, 78, 80, 81, 83, 85,87,89,91,93,96, 102,105,111,114,115 ff, 146, 157, 166, 170, 185, 187, 191, 207, 216, 217, 221, 223, 225, 226, 227, 228, 235, 238, 240, 243,.244, 250, 255, 261, 269, 283, 292,295,300f~324,325,329,330,333 Jerusalem, himmlisches 3, 9, 226, 258, 263, 304 Jordan 45, 98, 114, 130, 138, 172, 281, 292, 297,328,329 Kairo 44,45,46,48,51,52,55,61,65, 72,82, 86,98,160,161,162,163,164,165,176,183, 217,231,278,283,302 Kait-Bey 231 Kapharnaum 45 Karl der Kühne 70 Kastilien 188 Kastilien, Isabella 223 Katharinaberg 140, 142, 144, 169, 216 Katharinakloster 46, 52, 71, 75, 82, 86, 98, 139,143,144,208,281,329 Katzenellenbogen, Philipp 232 Kempe, John 57, 321 Kempe, Margery 56 f, 117, 136, 137, 145, 151, 209, 224, 226, 239, 273, 275, 284, 324, 327,320,335 Kettler, Dietrich 138 Khalil, AI-Ashraf 9 Kidronfluss 307 Kilchberg 62 Klagenfurt 54 Köln 46, 69, 85 f, 294 Kolumbus, Christoph 2, 18,49, 103, 241, 264 Königsberg 54 Konstantin, Kaiser 7, 8, 308 Konstantinopel 46, 52, 60, 86, 88, 160, 184, 231 Konstanz 80 Korfu 54, 79, 96, 190 Kreta 44,59, 70,88,96,185, 193 Kuba 241 Künigvon Vach, Hennannus 85 f, 108, 146, 153,192,216,226,254,294 Kyburg 75 Kyngston, Richard 53 f, 108, 137, 223, 284 La Corui\a 63, 68 <?page no="362"?> 352 La Sale, Antoine 232 Laiazzo 45 Lancaster 53 Land, Heiliges 12, 14, 39, 46, 47, 48, 49, 53, 60, 68, 71, 75, 79, 81, 83, 86, 96, 103, 105, 113, 115, 138, 144, 154, 187, 207, 209, 222, 248,250,260,281,293,302 Landriani, Antonio 256 Lannoy, Ghillebert 38, 60 f, 111, 118, 145, 170, 184, 199, 222, 226, 229, 230, 232, 244, 251,266,273,285 Le Mans, Hildebert 255 Le Puy 37 Lengherrand, Georges 80 Levante 160 Libanon 154,216 Lieberin, Felicitas 257 Lille 70 Lissabon 63, 84, 90 London 43,55,59,69,89, 133,161 Long, Jean 46 Lough Derg 60, 86 Lowerzersee 217 Loyola, lgnatius 222 Lübeck 73 Ludwig XII. 86 Lull, Ramon 213 Luminour, Hugh 43 Luther, Martin 14, 242/ 43 Lüttich 49 Luzern 85,87,91,133,153,217 Lydda 45 Lynn 54,56 Lyon 89,90 Maastricht 158 Madagaskar 86 Madrid 84, 223 Magellan 14 Mailand 44,54,65,68, 77, 78,83,90,217 Mainz 78f Mallorca 59 Mandeville, John 49 f, 86, 101, 107, 152, 154, 174,179,181,198,213,239,248,250,265, 269,280,294,302 Mantua 194, 292 Marignano 92 Marseille 90, 168 Martono, Niccolö 55 f, 139,227,282 f, 302 Matarieh 98, 100, 153,173,280 May, Karl 50, 281 Medlingen 257 Megenberg, Konrad 175, 176, 179 Meggen, Hans 88 Mekka 61,86,131,210 Melanie, Heilige 325 Mergenthal, Hans 223, 261 Merode,Peter 261 Mezieres, Philippe 264 Minden 46 Mittelmeer 160 Moabar 86 Modon 54,79,96,188 Mohammed 196 ff Moldau 285 Mondberge 86 Mont Saint-Michel 86 Monte Sion, Burcardus 105, 107 Montpellier 69, 192, 216 Mosesberg 140 Muffel, Gabriel 49, 69 München 48 Münzer, Hieronymus 83 f, 108, 146, 149, 165,172,192,206,223,293,304 Nablus 63 Nachera 192 Naim 45 Nantes 69 Nazareth 45, 63 Neapel 45, 93, 167 Neuburg 79 Nidwalden 92 Nienhusen, Otto Wilhelm ( = Boldensele, Wilhelm) 46 Nil 162,170,241 Nikosia 297 Nitria-Wüste 86 Nizza 43 Noli 46 Norwich 44 Nürnberg 68, 71,83,217 Ntmes 85 Nyssa, Gregor 242 Ölberg 122, 125, 303, 307 Orleans 69, 85,217 Osnabrück 47 Otranto 182 Oxford 66 Paderl>orn 47,216 Padua 54,65,77,158,217 Palästina 7, 10, 26, 27, 29, 34, 35, 36, 45, 49, 69, 70, 91, 93, 115, 127, 137, 139, 151, 160, 164,167,173,184,229,302,324 Palermo 285 Palu, Pierre 45 Pamplona 85 Paradies 9,49,86, 164,195 Parenzo 79, 184 Paris 37, 43, 54, 56, 77, 85, 86, 89, 90, 161, 162,294 Paula, Heilige 324 Pavia 44, 70, 83, 89, 288 Pecha, Alfonso 325 Pelchinger, Anton 64 Perpignan84 <?page no="363"?> Perugia 65, 82 Petrarca, Francesco 166 f, 171, 240, 255 Pfefferland 49 Philippe le Bon 60, 61, 70, 229, 288, 289, 302 Pilatusberg (bei Luzern) 153 Piloti, Emmanuel 264 Pisan, Christine 324, 326 Piscignano 82 Platon 270 Plinius der Ältere 102 Plymouth 68 Poggibonsi 48 Poggibonsi, Niccolo 48 f, 111, 112, 116, 139, 140, 144, 155, 161, 163, 167, 174, 182, 183, 197, 209, 216, 225, 226, 240, 242, 255, 282, 299,301 Pola 43 Polo, Marco 102, 103 Pommern, Herzog Bogislaus 87, 88, 295 Pordenone, Odoricus 44, 102, 103 Portugal 63, 90, 302 Prag 46, 54, 69 Pratteln 64 Prcussen 53, 57, 60, 184 Prcussen,Johannes 233 Proust, Marcel 75 Pyrenäen 69 Quarantäneberg 169,172,210 Quellen des Nils 86 Ragusa 230 Rama 45, 54, 55, 61, 136, 187, 209, 217, 292, 308 Ramusio, Paolo 65 Rauwolff, Leonhard 173, 335 Rem, Lucas 90 f, 146, 223, 226, 270, 272, 273,296 Rennes 80 Reuwich, Erhard 79, 80, 81, 126, 175, 177, 189, 190, 300, 303 ff Rhodos 52,54,55,59, 61,62, 77, 79, 88,92, 96,158,164,201,217,266,297,328 Rhone 168 Richard II. 52 Richmond, Earl of 89 Rieter, Peter 68, 72 Rieter, Sebald 71 f, 72, 104, 108, 122, 161, 164,202,214,250,289 Röhricht, Reinhold 25, 103 f, 108 Rom 4,6, 7,10,39,44,45,51,57,60,61,67, 70, 75, 76, 84, 85, 90, 92, 93, 117, 158, 217, 225,231,240,259,283,298,325,330 Roncesvalles 84 Rotes Meer 140,174,240,241 Roth, Martin 80, 127, 188, 204,268 Rozmital, Leo 68 f, 108, 147, 185, 224, 229, 288 Rye 89 Sachsen, Herzog Albrecht 223 Salisbury 69 Salomo 154 Samaria 45 353 Sanseverino, Roberto 64 f, 108, 109, 164, 201,227,230,235,250,251,287f Santiago de Compostela 4, 5, 6, 10, 13, 35, 39,42,56,58, 60,62, 66,68, 72, 73, 74, 76, 83, 87, 90, 94, 95, 108, 114, 117, 145 f, 158, 221,225,226,230,231,242,252,254,259, 290,294,304,324,331,333 Santo Brasca 77 f, 108, 188, 238, 239, 251, 253,256,258,292,302 Santo Domingo de la Calzada 157 Sanudo,Marino 264,300,306 Schaffhausen ·75, 92 Schaschek 68~146,147,223,288 Schedel 84 Schottland, König von 71 Schürpff, Hans 87 f, 92, 132, 137, 196,217, 295 Schwaben 63 Schwyz 217 Semeonis, Symon 43 f, 46, 137, 161, 162, 163, 170, 176, 182, 197, 203, 213, 226, 277, 284,334 Seuse, Heinrich 76 Sevilla 84, 106 Sevilla, Isidor 100, 102 Sforza, Familie 77 Sforza,Francesco 65,230 Sforza, Ludovico 256 Sichern 45 Sigoli, Simone 50 f, 164, 176, 183, 199, 209, 251,269,282 Silesius, Angelus 222 Silo 45 Sinai 46, 47, 48, 49, 51, 52, 55, 60, 61, 63, 65, 69, 71, 72, 75, 79, 82, 86, 98, 137 ff, 154, 155, 181,208,216,232,301,302,303 Sinai, Berg 45, 48, 98, 137 ff Sionskloster 79, 81, 82, 96, 103, 104, 105, 123,126,129,133,136,155,233,289,330 Sizilien 59 Siedern, Hans 73 Socotora 86 Sodom 110, 307 Sofia 61 Solinus 102 Solms, Johann 78 Sokrates 220, 247 Sommerfeld, Martin 103 f Spanien 57, 60, 62, 69, 84, 90, 206, 241 Spamau, Peter 52 f, 181, 196, 239, 279, 280 Speyer 79 Spiegel, Otto 289 St.Albans 49 <?page no="364"?> 354 St.Malo 69 St.Patrick 86 Stans 92 Steiner, Werner 105,105,223 Steinfurt, Balduin 47 Stockar,Hans 91~ 109,135,165,214,297 Stocker, Thomas 224 Strassburg 85 Stulz, Heinrich 91 f, 109, 133,194,207, 217, 234,297 Stuttgart 69 Sudheim, Ludolf 47 f, 99, 107, 110, 111, 112, 116, 137, 140, 161, 170, 174, 181, 196, 216, 239,250,264,279 Suriano, Francesco 81 f, 107, 129, 130, 138, 143, 155, 156, 171, 191, 206, 242, 255, 258, 293,330 Suriano, Sixta 82, 293 Sussex 89 Swinburne, Thomas 52 f, 118 Syrien 118, 164 Tabor, Berg 45, 169 Tal Josaphat 127 Talleyrand, Elias 46 Tarent, Archytas 270 Teich Siloah 125 Tetzel, Gabriel 68 f, 72, 146, 147, 150, 151, 185,216,255,288 Tiptoft, John 65 Tobler, Titus 25 Toledo 84 Toskana 48, 111 Toulouse 150, 158 Totes Meer 45, 98, 307 Tournai 74 Tours 69 Treviso 54 Tripolis 45 Tschudi, Aegidius 93 Tschudi, Ludwig 91 f, 107, 109, 134, 215, 228,269,296 Tucher, Hans 71 f, 108, 122, 161, 164, 202, 237,238,252,289 Tucholsky, Kurt 1 Tunis 70 Turin 54 Ulm 75, 79,208,217,291 Umbrien 82 Ungarn 52,86 Urban, Papst 240 Utrecht 80 Vadianus 169 Valence 85 Valencia 84, 192 Valenciennes 74 Velser, Michel 49 Venedig 6, 43, 48, 51, 52, 54, 61, 64, 65, 67, 69, 70, 72, 75, 77, 78, 79,80, 82,83,86,88, 89, 90, 93, 96, 98, 103, 104, 105, 121, 138, 153, 158, 160, 161, 165, 174, 176, 188, 217, 242,283,287,292 Ventoux, Berg 166, 168 Vesconte, Pietro 306 Vernon 77 Verona 48, 54 Verona, Jacopo 26, 48 f, 111, 115, 136, 140, 161, 163, 167, 170, 182, 197, 227, 230, 250, 264,281,301 Vespucci, Amerigo 74 Vezelay 37 Villach 54 Villingen 259 Vitiy, Jacques 64 Wächter, Peter 88 Wagner,Hans 88 Walther, Paul 78 f, 109, 123, 126, 128, 130, 137, 142, 153, 165, 187, 189, 194, 204, 212, 213,222,227,242,267,292,303 Wanschafft, Eduard 232 Watting 241 Weiser, Handelsfamilie 90, 91 Wey, William 64, 65, 66 f, 108, 121, 137, 145, 146, 151, 201, 213, 251, 287, 300, 302, 307, 335 Whitby, John 89 f Wien 52, 54, 61, 68 Wiener-Neustadt 69 Wild,Johann 292 Wilhelm IV. von Jülich und Berg 85 Wilhelm von Rubruck 44 Willisau 87 Wilsnack 145 Winterthur 75 Wölfli, Heinrich 93 f, 107,135,159, 172, 194, 208, 218, 231, 238, 243, 255, 272, 299, 304, 310 Worde, Wynkyn 58 Württemberg, Eberhard 238 Yppres, Jean 46 Zaragoza 84 Zur Gilgen, Melchior 91 f, 109, 208, 298 Zürich 105,217 Zwingli, Huldiych 92, 93 Zypern 45, 46, 48, 55, 63, 79, 96, 177, 217, 286, 297, 297, 328 <?page no="365"?> 355 15. Anhang: Katalog der edierten Pilgerberichte,1320- 1530 Die hier folgende Liste stellt den Versuch dar, Reinhold Röhrichts Standardwerk der "Bibliographia Geographica Palaestinae" sowie Ilja Miecks bibliographische Studie zu den Santiago-Pilgerschriften auf den aktuellen Stand von 1988 zu bringen. Berücksichtigt ist die Pilgerliteratur westeuropäischer Provenienz, wobei der Begriff der "Pilgerliteratur" wie auch der geographische Herkunftsradius bewusst nicht zum vornherein eingeschränkt wird. Was folgt, soll in erster Linie ein Arbeitsinstrument sein und kein um jeden Preis vollständiges Kompendium. Ausgeklammert bleibt die jüdische, islamische und die griechischbeziehungsweise russisch-orthodoxe Pilgerliteratur. Was letztere betrifft, so sei nochmals auf Klaus-Dieter Seemanns umfassende Studie zur altrussischen Wallfahrtsliteratur verwiesen. Als Informationsquellen dienten (neben den allgemeinen biographischen und bibliographischen Handbüchern) in erster Linie Titus Toblers Bibliographia Geographica Palaestinae, Reinhold Röhrichts Bibliographica Geographica Palaestinae, Röhrichts Deutsche Pilgerreisen nach dem Heiligen Lande, der Band desselben Titels von Röhricht und Meisner, Peter Thomsens Palästina-Literatur, Girolamo Golubovichs Biblioteca Bio-Bibliographica, Aziz SAtiyas Crusade in the Later Middle Ages, Eugene Hoades Western Pilgrims, Beatrice Dansettes Pelerinages occidentaux en Terre Sainte, Nathan Schurs Jerusalem in pilgrims and travellers' accounts, Ilja Miecks Temoignages oculaires des pelerinages a Saint- Jacques de Compostelle, die Peregrinaciones von Vazquez de Parga u.a. sowie die Testi italiani del viaggio e pellegrinaggio a Santiago de Compostela von Paolo G.Caucci von Saucken. Mitberücksichtigt wurden die Literaturverzeichnisse der neueren Buchtitel zum Thema sowie die Bände der "International Medieval Bibliography'', 1984-1988.Die Liste datiert von Ende Mai 1988. In Anbetracht des anhaltenden Interesses für die mittelalterlichen Pilgerzeugnisse ist in der nächsten Zeit mit weiteren Editionen sowie Korrekturen zu rechnen. Einige Hinweise zur Benutzung des Katalogs: - Die Liste ist chronologisch angeordnet, wobei das angegebene Datum entweder das Reisejahr betrifft oder aber, wo dieses nicht bekannt ist, das Jahr der Abfassung respektive Drucklegung. Weil die Chronologie nach heutigen Erkenntnissen nicht immer mit derjenigen von Röhricht , BGP, übereinstimmt, oft aber Röhrichts detaillierte Angaben (zu Originaltiteln <?page no="366"?> 356 beispielsweise) weiterhelfen, ist die bibliographische Suchnummer des BGP-Katalogs jeweils in Klammern beigefügt. - Wo neben dem eigentlichen Verfasser des Textes ein Auftraggeber existiert, unter dessem (möglicherweise populärerem) Namen das Werk kursiert, sind im beigefügten alphabetischen Register beide aufgeführt. - Spätmittelalterliche Namen stellen den Historiker vor bisweilen unlösbare Identifizierungsprobleme: Welches ist der Vorname, was ein "echter" Familienname und was eine simple geographische Herkunftsbezeichnung (ohne Besitzanspruch)? Um der Einfachheit halber verwende ich im Register eine in der Praxis bewährte, aber etwas willkürliche Namensgebung und berufe mich, wo immer möglich, auf einen Zweitnamen als "Nachnamen". Also: Felix fabri, Gilles le Bouvier, dit Berry. Aber: Hermannus Künig von Vach, Heilige Brigitta (von Schweden), Paul Walther von Guglingen. Es empfiehlt sich, im Zweifelsfall alle Namensbestandteile im Register durchzugehen, um auf das Jahr der Reise(n) zu stossen. Jerusalem-, Orientberichte (auch Geistl. Pilgerfahrten/ Kreuzzugsaufrufe) 1320: Odoricus de Pordenone (183) (Konstantinopel, Bagdad und weiter; war nicht in Jerusalem) MARCELLINO DA CIVEZZA (Ed.), Rom 1859. - J.C.M.LAURENT (Ed.), in: Peregrinatores Medii Aevi quattuor, Leipzig 1864, S.143-158. - Voyages en Asie de Frere Oderic de Pordenone, Paris 1890 (Rec.de voy.et de doc.pqur servir ä l'hist.de gcogr.10). - HENRY CORDIER (Ed.), Voyages en Asie au XW siede du bienheureux frere Oderic de Pordenone, Paris 1891. - H.WYNGAERT (Ed.), in: DERS . (Ed.), Itinera et relationes fratrum minorum saeculi XIII et XIV, Quaracchi 1929. - GIORGIO PULLE (Ed.ital.), Mailand 1931. - H.MATROD (Ed.), Paris 1932. - RENE GROUSSET (Ed.), Oderic de Pordenone, De Venise ä Pckin au moyen age, Paris 1938 (Les beaux voyages d'autrefois) . • HENRIETTE DEMOUUN (Ed .fn.), Oderic de Pordenone, Paris 1939.- GILBERT STRASMANN (Ed.), Konrad Steckeis deutsche Übertragung der Reise nach China des Odorico de Pordenone, Berlin 1968 (Texte des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit 20). Literatur: HENRY YULE, II beato Oderico de Pordenone ed il suoi viaggi, London 1881; GIROLAMO GOLUBOVICH, II beato Odorico da Pordenone O.F.M ., Note critiche bio-bibliografiche, in: AFH 10, 1917, S.17-46; DERS. in: BBB 3, 1919, S.374- 393; A.C.MOULE, A Life of Odoric of Pordenone, in: T'oung Pao 22, 1920, S.275-290; DERS., A small contribution to the Study of the Bibliography of Odoric, in: T'oung Pao 22, 1920,S.301-322,und 23, 1921,S.387-393; D.SCHILLING, War der Selige Oderich von Pordenone, O.F.M., in Japan? , in: AFH t5, 1942, S.153-176; Richard HENNIG, Terrae Incognitae, 4 Bde, Leiden 1944-1956 , Bd.3, S.191-198; ROUX, Les explorateurs, S.131-137. 1320: Franciscus Pipinus de Bononia (184) (Domenicano Pipino) TITUS TOBLER (Ed.), in: DERS., Dritte Wanderung, Gotha 1859, S.400-412. - LUIGI MANZONI (Ed.), Di frate Francesco Pipini da Bologna, Bologna 1896 (100 Ex.).Text: S.74-90.• GOLUBOVICH (Ed .teilweise), in: BBB 3, 1919,S.207-209. <?page no="367"?> 357 Literatur: LUIGI MANZONI, Frate Francesco Pipino da Bologna, de PP.Predicatori, geografo, storico e viaggiatore, in: Atti e Mem.RDeputazione d'istoria patria per la prov.di Romagna 13, 1895,S.257-334. 1321: J ourdain Catalani de Severac HENRI CORDIER (Ed.lat./ frz.), Jourdain Catalani de Scverac, Les merveilles de l'Asie (Mirabilia descripta), Paris 1925. 1323: Symon Semeonis (191) J .NASMITH (Ed.), Itineraria Simonis Simeonis et Willelmi de Worcestrc, Quibus accedit Tractatus de Metro, in quo traduntur rcgulae, a scriptoribus medii aevi in versibus leoninis observatae, Cambridge 1778. - GIROLAMO GOLUBOVICH (Ed.), Itinerarium fratrum Symonis Semeonis et Hugonis illuminatoris ordinis fratrum Minorum professorum ad Terram Sanctam A.D.1322 (sie.), in: BBB 3, 1919,S.237-282. - MARIO ESPOSITO (Ed.), Itinerarium Symonis Semeonis Ab Hybernia Ad Terram Sanctam, Dublin 1960 (Scriptorcs Latini Hiberniae 4). - EUGENE HOADE (Ed. engl.), Itineraryof PatherSimon Fitzsimons, in: Western Pilgrims, S.2-46. Literatur: MARIO ESPOSITO, The Pilgrimage of an Irish Franciscan in A.D.1322, in: Hermathena 16, 1911, S.264-287; RA.S.MACALISTER, The Pilgrimage of Symon Simeonis, in: Quarterly Stetements ofthe Palestine Explor. Fund . 44, 1912, S.153-156; GIROLAMO GOLUBOVICH, Frati Simone e Ugo eil loro itinerario in Terra Santa (1323), in: Palestina 2, 1929, S.171-173; AZIZ S.ATIYA, The Crusades in the Later Middle Ages, London 1938, S.491; DAVID WASSERSTEIN, Semitic terms in the Itinerarium Symonis Semeonis, in: Peritia 2, 1983,S.215-224. 1323: Anonym (Pilgerbericht in katalanischer Sprache) J .PIJOAN (Ed.), Un nou viatge a Terra Santa en catala, in: Istitut d'estudis Catalans Anuari 1907,S.307-384.Text: S.374-384. 1327: Antonius de Reboldis de Cremona (187) (1327 und 1330 in Jerusalem) REINHOLD RÖHRICHT (Ed .), Das Itinerarium ad sepulchrum Domini des Antonius de Reboldis de Crcmona, in: ZDPV 13, 1890, S.153-174.- Pilgerfahrt des Antonius von Crcmona zum Grabe des Herrn 1327und 1330(ed.dt.), in: Das Heilige Land 37, 1893,S.99-114.- GOLUBOVICH (Ed.), in: BBB 3, 1919,S.326-342. 1330: Humbert de Dijon THOMAS KÄPPELI/ PIERRE BENOIT (Ed.), Un ~lerinage dominicain inedit du XIr siecle, Le Llber de locis et conditionibus Terrae sanctae et Sepulcro d'Humbert de Dijon O.P. (1332), in: Revue Biblique 62, 1955,S513-540. Naclrwcis: DANSETI'E, in AFH 1979,S.130. 1330: Antonius de Reboldis de Cremona (vgl. oben: Jerusalem 1327) <?page no="368"?> 358 ca .1330: Paulinus Puteolanus (189) G.M.TIIOMAS (Ed.), De passagiis in Terram Sanctam, Excerpta ex "Chronologia magna" codicis latini 394 bibliothecae ad d.Marci Veneriarum auspice Societate illustrandis Orientis latini monumentis, Venedig/ Paris 1879 (mit Plänen von Jerusalem undAkko). Literatur: VON WAAGER, Hinweis auf Ms. "Cycommences les croniques de Jerusalem", mit Abb ., in: Kunstblatt 49, 1847, S.194-195. ca.1332: Guillaume Adam Baron VON REIFFENBERG (Ed.), De modo Sarracenos extirpandi, in: Le chevalier au cygne et Godefroid de Bouillon 1, App.(Doc.rel.aux croisades) , Brüssel 1846, S.227- 312 (Mon .pour SCIV.a l'hist.des provinces de Namur, de Hainaut et de Luxembourg 4). - CH.KOHLER (Ed.), in: Rec.des Hist.Crois. (Doc.armen .2). Literatur: Documents relatifs a Guillaume d'Adam, in: ROL 10, 1903-1904, S.16 ff .; ATIY A, S.490-509. 1334: Wilhelm von Boldensele (192) HENRICUS CANISIUS (Ed .), Thesaurus monumentorum ecclesiasticorum et historicorum, Ingolstadt 1604, 5, S.95-142; auch hg. durch BASNAGE, Thesaurus sivc anti quae lectiones, Amsterdam 1725, 4, S.332-257. - JOACHIM HEINRICH JÄCK, Teiledition (dt.) in: Taschenbibliothek der wichtigsten und interessantesten See- und Landreisen durch Palästina, Nürnberg 1827-1830,2.Teil, S.109-162. - KARL LUD - WIG GROTEFEND (Ed.), Des Edelherrn Wilhelm von Boldensele Reise nach dem Gelobten Lande, in: Zeitschrift des historischen Vereins für Niedersachsen 1852, S.209-286. - FERDINAND KHULL (Ed .dt.), Zweier deutscher Ordensleute Pilgerfahrten nach Jerusalem in den Jahren 1333 und 1346 nach ihren eigenen Aufzeichnungen erzählt : nebst einer Beigabe: Beschreibung des heiligen Landes durch Johann von Würzburg (1170), in: Gaben des katholischen Pressvereins, Graz 1895 (Boldensele S.1- 46). CHRISTIANE DELUZ (Ed.), Liberde quibusdam ultramarinis partibus et praecipue de Terra Sancta, de Guillaume de Boldensele (1336), suivi de la traduction de Frere Jean le Long, Diss.(masch.) Paris (Sorbonne) 1974. Literatur: KARL LUDWIG GROTEFEND , Ergänzender Artikel zur Boldensele- Edition 1852, in: Zeitschrift der deutschen morgenländischen Gesellschaft 1862, S.710- 713; GEORG SCHNATH, Drei Niedersächsische Sinaipilger um 1330, in: Festschrift Percy Ernst Schramm, Wiesbaden 1964, 1, S.461-477; DERS., Neues über den niedersächsischen Orientreisenden Wilhelm von Boldensele (1334135),in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte 48, 1976, S.433-435; CH.DELUZ, La "geographie" dans Je liber de Guillaume de Boldensele, pelerin de la Terre Sainte, in: Voyage, qu! te, pelerinage dans la litterature et la civilisation medievales, Aix 1976 (Senefiance 2), S.25-39; HARTMUT BECKERS, Der Orientreisebericht Wilhelms von Boldensele in einer ripuarischen Überlieferung des 14Jahrhunderts, in: RhVB 44, 1980, S.148- 166; SOMMERFELD, S.844-845; ATIYA, S.160-161; LEPSZY, S.24-27; FEILKE, S.87-89; HOWARD, S.29-31; J.P.A.VAN DER VIN, Travcllers to Greece and Constantinople, Ancient Monuments and Old Traditions in Medieval Travcllers' Tales , 2 Bde, Istanbul 1980, 1, S.25-30; KHATIAB, S.38-39; HIPPLER, S.131-133. 1335: Jacopo da Verona (198) FERDINAND KHULL (Ed.dt .), Zweier deutscher Ordensleute Pilgerfahrten nach Jerusalem in den Jahren 1333 und 1346 nach ihren eigenen Aufzeichnungen erzählt: nebst einer Beigabe: Beschreibung des heiligen Landes durch Johann von Würzburg (1170), in: Gaben des katholischen Pressvereins, Graz 1895. - REINHOLD RÖH - RICHT (Ed.) , Lc pelerinage du moine augustin Jacques de Verone (1335), in: ROL 3, <?page no="369"?> 359 1895 und Reprint Brüssel 1964, S.155-302. • UGO MONNEREr DE VILLARD (Ed .), Jacopo da Verona, Liber peregrinationis, Rom 1950 (D Nuovo Ramusio ~)- - Teilweise ed. in: GOLUBOVICH, BBB 4, 1923, S.235-241. • Auszüge dt . in: RÖH - RICHT/ MEISNER, Deutsche Pilgerreisen nach dem Heiligen Lande, Berlin 1880, S.43-64. th Litcratur: J.BRASLAWSKI, Jacques de Verone on the Jews of Palestine in the 14 century, in: Bulletin of the Jewish Palestine Exploration Society 4, 1936-1937, S.27-32; ATIY A, S.165-168; HIPPLER, S.135-138. 1336: Ludolf von Sudheim (195) Gedruckt als: Descriptio terrae sanctae et itineris ejus Hierosolymitani, o.O., oJ. Zu weiteren frühen Drucken (lat. und dt.) vgl. BGP, S.77-78. • SIGMUND FEYER- ABEND (Ed.dt.), Reyssbuch, Frankfurt 1584, fol.433a-454b. • FERDINAND DEYCKS (Ed .), Ludolphi Rectoris Ecclesiae Parochalie in Suchern, De Itinere Terrae Sanctae Liber, Stuttgart 1851 (BLVS 25). - G.A.NEUMANN (Ed.2.Vers.), Lde S., De Itinere Terrae Sanctae, in: Les archives de ! 'Orient latin, Paris 1884, 2 b, S.305-377. • AUBREY STEWART (Ed.engl .), Ludolph von Suchem's Description of the Holy Land, and of the way thither, London 1895 und Reprint 1971 (PPTS 12). • IVAR VON STAPELMOHR (Ed.niederdt.), Ludolfs von Sudheim Reise ins Heilige Land, nach der Hamburger Handschrift herausgegeben, Diss. Lund 1937 (Lunder Germanistische Forschungen 6). Literatur: FERDINAND DEYCKS, Über ältere Pilgerfahrten nach Jerusalem, mit besonderer Rücksicht auf Ludolrs von Suchen Reisebuch des heiligen Landes, Münster 1848; EVELT, Ludolf von Sutheim, in: Zeitschrift für vaterländische (westfälische) Geschichte und Altertumskunde, N.F.10, 1859, S.1-22; H.KURDIAN , A Note on the 'Description of the Holy Land and of the way thither' by Ludolph von Suchern (1350), in: Journal of the American Oriental Society 55, 1935, S.102-104; GEORG SCHNATH, Drei Niedersächsische Sinaipilger um 1330, in: Festschrift Percy Ernst Schramm, Wiesbaden 1964, 1, S.461-477; ATIYA, S.168-171; LEPSZY, S.27-34; MORITZ, S.27-37; HOWARD, S.31-32; VAN DER VIN, 1, S.30-37; KHATIAB, S.23-24; HIPPLER, S.133-135. 1337 Albrecht der Schöne von Brandenburg (Reise erwähnt von Peter Suchenwirth) ALOIS PRIMISSER (Ed.), Peter Suchenwirth, Von purgraf Albrechten von Numberch, in: Peter Suchenwirt's Werke aus dem vienehnten Jahrhunderte, ein Beytrag zur Zeit- und Sittenschichte, zum ersten Mahle in der Ursprache aus Handschriften herausgegeben, und mit einer Einleitung, historischen Bemerkungen und Wörterbuche begleitet von Alois Primisser, Wien 1827 und Reprint Wien 1961. - HIPPLER, S.94-95 (Zitat aus dem Lobgedicht, die Jerusalemreise betreffend) . ca.1342: Fray Blas de Buysa (21) ALONSO MARTIN (Ed .), Relacion vcrdadera y copiosa de los Sagrados Lugares de Jerusalem y Tierra Santa de Ja misericordias divinas que em ellos resplendecen de las muchos trabajos y afficiones que por conservallos en piudad christiana padecen los Religiosos de! Seraphico Padre San Francesco (...) ordenado por el P.Fray Blas y Buysa, Madrid 1622. - Weiterer Druck : Salamanca 1624. 1344: Anonym (202) GIROLAMO GOLUBOVICH (Ed .), Itinerarium cujusdam Anglici Terram Sanctam et alia loca sancta visitantis, in: BBB 4, 1923, S.395-3% (Ein! .) und S.427-460 (Text). - <?page no="370"?> 360 DERS. (Ed.), Itinerarium cujusdam Anglici Terram Sanctam et alia loca sancta visitantis, Florenz 1936. - G.B.CAO (Ed? ), II viaggio in ltalia di un pellegrino inglese nel 1344 in: Bollettino della Societä Geografica ltaliana 63, 1927, S.476-496. - EUGENE HOADE (Ed .engl.), Itinerary of a Certain Englishman, in: Western Pilgrims, S.63-72. 1346: Rudolph Frameynsberg (204) HENRICUS CANISIUS (Ed.), Itinerarium nobilis viri Rudolphi de Frameynsberg in Palestinam, ad montem Sinai et in Aegyptum, in: DERS., Thesaurus monumentorum ecclesiasticorum et historicorum, Bd5, Ingolstadt 1604; neu herausgegeben durch BASNAGE, Thesaurus sivc antiquae lectiones, Amsterdam 1725, Bd.4, S.358-360. 1346: Niccolo da Poggibonsi (203) F.ZAMBRINI (Ed.), Viaggio in Terra Santa descrito da Anonimo trecentista, Bologna 1867 (106 Ex.). - Gedruckt auch in Imola, 1872 und 1878. - ALBERTO BACCHI DELl.A LEGA (Ed.), Libro d'Oltramare di Fra Niccolo da Poggibonsi, 2 Bde, Bologna 1881 (Scelta di curiositä letterarie inedite o rare da! secolo XIII -XVII 182 und 183). - B.BAGATTI (Ed.), Niccolo da Poggibonsi, Libro d'Oltramare, Jerusalem 1945 (PSBF 1). -T.BELLORINI/ E.HOADE (Ed .engl.), Niccolo da Poggibonsi, a voyage beyond the sea, Jerusalem 1945 (PSBF 2). - C.D.M.COSSAR (Ed.altdt.), The German Translation of Niccolo da Poggibonsi's Libro d'Oltramare, Göppingen 1985 (GAG452). Literatur. GOLUBOVICH, BBB 5, 1927, S.1-24 (mit älterer Lit.); ATIYA, S.492; CAIZOLARI u.a., 1, S.244-262; HOW ARD, S57, Anm.6. 1347: Philippe de Mezieres E.BLOCHEf (Ed.teilweise), Neuf chapitres du "Songe du vieil pelerin" de Philippe de M6zieres relatifs ä ! 'Orient, in: ROL 4, 18%, S.364-379 und S.605-614, und 5, 1897, S.144-154. - GEORGE WILLIAM COOPl.AND (Ed.), Philippe de M6zieres, Le songe du vieil pelerin, 2 Bde, Cambridge 1%9. Text : Bd.1, S.190-405. litcntur. N.IORGA, Philippe de M6zieres (1326-1405) et la croisade au~ siecle, Paris 1896; DORA M.BELL, Etude sur le songe du vieil pelerin de Philippe de M6zieres (1327-1405), Genf 1955; ATIYA, S.136-154. 1348: Nicolaus da Huda (205) (Kompilation nach Ludolf von Sudheim) W.ANEUMANN (Ed.), Nicolaus da Huda, Notabilia de Terra Sancta, in: AOL 2 b, 1884, S.305-377. Literatur. DELUZ (Ed.Boldensele ), S.38. ca.1348: Anonym (206) CARLO GARGIOW (Ed .), Viaggi in Terra Santa di Lionardo Frescobaldi (1384) ed altri del secolo XIV (Simone Sigoli, Giorgio Gucci, un anonimo ), Florenz 1862, S.441-450. - MICHELE MELGA (Ed.), Viaggi in Terra Santa descritti da Anonymo trecentista, Neapel 1862. Text: S.7-16. - GOLUBOVICH (Ed.), in: BBB 5, 1927, S.34- 37. Literatur. CAIZOLARI u.a., Viaggiatori, 1, S.241-243; RENATO DELFIOL, Su alcuni problemi codicologici testuali concementi le relazioni di pellegrinaggio fiorentine del 1384, in: CARDIN! (Ed.), Toscana e Terrasanta, S.139-176. <?page no="371"?> 361 ca.1348: Guillaume Deguileville (Geistliche Pilgerfahrt; "Pilgerfahrt des träumenden Mönchs") ADRIAAN MEIJBOOM (Ed.dt .), Die Pilgerfahrt des träumenden Mönchs, nach der Kölner Handschrift herausgegeben, Bonn/ Leipzig 1926 (Rheinische Beiträge und Hilfsbücher zur germanischen Philologie und Volkskunde 10). - JJ.STÜRZINGER (Ed.), Guillaume de Deguileville, Le Pelerinage de la vie humaine, London 1893 (Roxburghe Club). -AVRIL HENRY (Ed.engl.), The Pilgrimage of the Lyfe of the Manhode, translated anonymously into prose from the first recension of Guillaume de Deguileville's poem 'Le pelerinage de la ie humaine', 2 Bde, London 1985-88 (Early English Text Society 288/ 292). Literatur: SfANLEY LEMAN GALPIN, On the Sources of Guillaume de Deguileville's Pelerinage de l'ame, in: PMl.A 25, 1910,S.275-308; R TUVE, Allegorical lmaginery, Seme Medieval Bocks and Their Posterity, Princeton 1966, S.145-218; HEIT- MAN, Beitrag zu Deguileville, in: Festschrift Hans Flasche, 1973; JOSEPH M.KEENAN, The Cistercian Pilgrimage to Jerusalem in Guillaume de Deguileville's Pelerinage de la vie humaine, in: Studies in Medieval Cistercian history 2, S.166-185; ROSEMARIE BERGMANN, Die Pilgerfahrt zum himmlischen Jerusalem, Wiesbaden 1983; AVRIL HENRY, The Illuminations in the Two lllustrated Middle English Manuscripts of the Prose "Pilgrimage of the Lyfe of the Manhode", in: Scriptorium 37, 2, 1983,S.264-273. 1349: Messer Dolcibene FRANCESCO ZAMBRINI (Ed.), Viaggio de! Santo Sepolcro, in: Eccitamento, Giornale di filologia (...) 1, 1858,S.51-60. Literatur: GOLUBOVICH, in: BBB 5, 1927,S.50-51. 1350: Giovanni di Marignolli (207) (Johannes von Marignola) DOBNER (Ed .), Itinerarium orientale, in: DERS., Monum.hist.Bohem.11, Prag 1768, S.113 ff. - J.G.MEINERT (Ed .dt.), Johannes von Marignola, Reise in das Morgenland, Prag 1820. - YULE (Ed.teilweise), Cathay and the Way Thither, Bd.2, London 1866, S.309-394, und Reprint 1914, S.177-269. - ANGELO DE GUBERNATIS (Ed.teilweise), in: DERS., Viaggiotori ltaliani, 1875,S.142-161.- P.ANASfASIUS VAN DEN WYNGAERT (Ed.), in: DERS., Itinera et relationes fratrum minorum saeculi XIII et XIV, Quaracchi 1929, S.271-296. - GOLUBOVICH (Ed.teilweise), in: BBB 4, 1923, S.257-309. 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S.55-61. - Ed. in: Antiquites Russes, 2, S.416-420. ca.1350: Anonym GIROLAMO GOLUBOVICH (Ed .), Viaggio del Santo Sepolchro il quale fecie uno Fiorentino, in: BBB 5, 1927,S.345-347. 1356 erschienen: Sir John Mandeville (196) (Phantastischer Reisebericht: Naher und Ferner Osten) Gedruckt als: Here begynneth a lytel treatyse or booke named Joan Mandevyll knyght born in Englande in the town of saynt Albone and speketh of the wayes of the holy lande towarde Jherusalem and of marueyles of Ynde and of other dyuerse countrees. Westminster (Wynkyn de Worde) 1499. - Zu weiteren frühen Drucken und Handschriften vgl. 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Petrarca, in: Atti della Reale Accademia dei Lincei 4,4, 1888,S.390-403.-ANTONIO ALTAMURA (Ed.) , Viaggio in Terrasanta, Volgarizzamento inedito de! Quattrocento, Neapel 1979. Nachweis: FRANCO CARDIN! , in: RSI 93,1, 1981,S.9. 1360: Pierre de Thomas LDE MAS LATRIE (Ed.teilweise), in: DERS ., Histoire de l'ile de Chypre sous Je regne des princes de Ja maison de Lusignan, 3 Bde, Paris 1855-1861, 2, S.281-284. - GOLUBOVICH (Ed .teilweise), in: BBB 5, 1927,S.n-80 . Literatur: GOLUBOVICH, in: BBB 5, 1927, S.95-96 und S.200-202; ATIYA, S.128- 136. 1365: Anonym (Einwohner von Millau) B.DE GAUDEUAC, Un pelerinage ä Jerusalem au Xllf siecle (sie! ), in: Mem.de la Soc.des lettres (...) de l'Aveyron (28 Seiten). Nachweis: THOMSEN, Palästina-Literatur 5, S563. 1372: Heilige Brigitta von Schweden (Auftrag) (Verfasser ist Alfonso Pecha) Bericht ist verloren. Literatur: GOLUBOVICH , in: BBB 5, 1927, S.168-183, ARON ANDERSSON, St.Brigitta and the Holy Land, Stockholm 1973. Zur Vita der heiligen Brigitta vgl. auch: CLAREIS, Leben und Offenbarungen der hl.Brigitta, Regensburg 1888; RlNGSEIS, Leben der hl.Brigitta nebst Nachrichten über die Birgittinnenklöster, Regensburg 1890; BINDER, Die Hl.Birgitta von Schweden und ihr Klosterorden, München 1891; BRINKMANN, Den heilige Birgitta, Kopenhagen 1893; ISAK COL- LIJEN (Ed.), Birgitta of Sweden, Acta et Processus Canonizacionis Beate Birgitte, Uppsala 1924-1931 (Samlingar utgivna av Svenska Fornskrift sällskopet 1); DERS. (Ed .), Birgerus Gregorii Legenda Sante Birgitte, Uppsala 1956 (SuaSFs 4); LENNART HOLL.MAN (Ed .), Den Heliga Birgittas Revelaciones Extravagantes, Uppsala 1956 (SuaSFs 5); CARL-GUSfAV UNDHAGEN, Pirger Gregerssons Birgitta-Officium, Uppsala 1960 (SuaSFs 6); WILLIAM PATIERSON CUMMING (Ed.), The Revelations of Saint Birgitta, London 1929; F.RJOHNSfON, The Cult of St.Bridget of Sweden in Fifteenth -Centuxy England, Master's Thesis, Manchester 1947; JOHANNES JORGENSEN, Saint Bridget of Sweden, 2 Bde, engl.London 1954; ERlC COLLEDGE, Epistola solitarii ad reges: Alphonse of Pecha As Organizer of <?page no="374"?> 364 Birgittine and Urbanist Propaganda, in: Medieval Studies 18, 1956, S.19-49; ANI1IONY BUTKOVITCH, Revelations: Birgitta of Sweden, Stockholm 1972; BARBARA OBRIST, The Swedish Visionacy: Saint Bridget, in: KATIIARINA M.WILSON (Ed.), Medieval Women Writers, Athens (USA) 1984,S.227-251. 1374: Anonym (218) (1374 verfasst und 1422 ergänzt) HENRICUS CANISIUS (Ed.), Epitome bellorum sacrorum in qua etiam descriptio Palaestinae, in: DERS., Thesaurus monumentorum ecclesiasticorum et historicorum, Bd.6, Ingolstadt um 1600, S.249 f.; neu herausgegeben durch BASNAGE, Thesaurus sive antiquae lectiones, Amsterdam 1725,Bd.4, S.426-446. 1376: Johann von Bodman (219) ALFONS SEMLER (Ed.), Die Pilgerreise des Johann von Bodman, in: Mitteilungen aus dem germanischen Nationalmuseum, Nürnberg 1910,S.127-146. Literatur: Anzeiger für Kunde der teutschen Voneit, 1835, S.273 ff .; RÖHRICHT, Deutsche Pilgerreisen, S.81,82, 85 und 94. 1377: Hertel von Lichtenstein (220) (Kompilation aus früherem Text: Philippus, 1285-1291) JOSEPH HAUPT (Ed.), in: Österreichische Zeitschrift für katholische Theologie 10, 1871, S.511-540. - DERS. (Ed.dt.), Philippi Liber de terra sancta, oder Hertels von Lichtenstein Pilgerbüchlein deutsch von Leupolt Augustiner, Wien 1872. Nachweis der Vorlage: W.A.NEUMANN, in: Österreichische Zeitschrift für katholische Theologie 11, 1872,S.19. ca .1380: Anonym (221) (Pilgerführer nach Jerusalem, Santiago und Rom) Laut BOP : Rom, oJ ., und als: Via prima quae est diversorum locorum mundi distantia demonstrativa, in: LELEWEL, Geographie du moyen 4ge, 3, Epilogue, S.285-308. 1384: Lionardo Frescobaldi (222) GUGUELMO MANZI (Ed .), Viaggio in Egitto e Terra Santa, Rom 1818. - PIEI'RO FIACCADORI (Ed.), Parma 1845. - CARLO GARGIOLU (Ed.), Viaggi in Terra Santa di Lionardo Frescobaldi (1384) ed altri del sccolo XIV (Simone Sigoli, Giorgio Gucci, un anonimo), Florenz 1862. -T.BELLORINI/ E.HOADE, (Ed.engl.), Visit to the Holy Places of Egypt, Sinai, Palestine and Syria in 1384 by Frescobaldi, Gucci and Sigoli, Jerusalem 1948 (PSBF 6). Literatur: RENATO DELFIOL, Su alcuni problemi codicologico-testuali concementi le relazioni di pellegrinaggio fiorentine del 1483,in: CARDINI, Toscana e Terrasanta, S.139-176; GOLUBOVICH, BBB 5, 1927, S.245-247; ATIYA, S.173-175; CAlZOl.ARI u.a., Viaggiatori 1, S.263-279. 1384: Giorgio Gucci (223) CARLO GARGIOLU (Ed.), Viaggi in Terra Santa di Lionardo Frescobaldi (1384) cd altri del sccolo XIV (Simone Sigoli, Giorgio Gucci, un anonimo), Florenz 1862. T.BELLORINI/ E.HOADE, (Ed.engl.), Visit to the Holy Placcs of Egypt, Sinai, Palestine and Syria in 1384by Frescobaldi, Gucci and Sigoli, Jerusalem 1948 (PSBF 6). <?page no="375"?> 365 Literatur: RENATO DELFIOL, Su alcuni problemi codicologico-testuali concementi Je relazioni di pellegrinaggio fiorentine de! 1483, in: CARDINI, Toscana e Terrasanta, S.139-176; FRANCO CARDIN! , Nota su Mariano di Nanni, rettore di San Pietro a Ovile in Siena, e sul suo pellegrinaggio ai luoghi santi, ebenda S.181: erwähnt einen Briefwechsel zwischen Mariano und Gucci, worin von einer Kritik des Mystikers Giovanni delle Celle an Guccis Pilgerfahrt die Rede ist; GOLUBOVICH, BBB 5, 1927, S.245-247; CALZOLARI u.a., Viaggiatori 1, S.193-313. 1384: Simone Sigoli (224) Nach RÖHRICHT, BGP, ediert als: Viaggio al Monte Sinai testo di lingua citato nel Vocabolario ed or per Ja prima volta publicato ..., Florenz 1929. - Weitere Ausgaben: Neapel 1831 und 1839, Mailand 1841, Parma 1844 und 1853, Neapel 1855. - CARLO GARGIOLLI (Ed .), Viaggi in Terra Santa di Lionardo Frescobaldi (1384) ed altri de! secolo XN (Simone Sigoli, Giorgio Gucci, un anonimo ), Florenz 1862. - PIETRO FIACCIADORI (Ed.), I viaggi in Terra Santa di Simone Sigoli Fiorentino e Ser Mariano da Siena ..., Parma 1865. - Weitere Ausgaben gemäss BGP: Turin 1873, Florenz 1883. - T.BELLORINI/ E.HOADE, (Ed.engl .), Visit to the Holy Places of Egypt, Sinai, Palestine and Syria in 1384 by Frescobaldi, Gucci and Sigoli, Jerusalem 1948 (PSBF 6). Literatur: RENATO DELFIOL, Su alcuni problemi codicologico-testuali concementi Je relazioni di pellegrinaggio fiorentine de! 1483, in: CARDINI, Toscana e Terrasanta, S.139-176; GOLUBOVICH, BBB 5, 1927, 245-247; CALZOLARI u.a., Viaggiatori 1, S.179-293. 1385: Lorenz Egen (225) F.KEINZ (Ed.), Wie Lorenz egen von Augsburg etc. zoch gen Sant kathareinen, in: Das Ausland 38, 1865, S.917-919. Literatur: KHAITAB, S.26; HIPPLER, S.139-14Q; W.HARTNACK in: DLMa-Verfasserlexikon 1, Sp.506; KARIN SCHNEIDER in: ~erfasserlexikon 2, Sp.365. 1385: Peter Spamau (226) REINHOLD RÖHRICHT (Ed.), Die Jerusalemfahrt des Peter Spamau und Ulrich von Tennstädt, in: Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin 26, 1891, S.479- 491. - N.IORGA folgt Spamaus Route von Konstantinopel bis Wien in: Acte si Fragmente, Bukarest 1897, 3, S.1-2. Literatur: HIPPLER, S.139-140. 1389: Johannes de Hese (227) (Text über Priester Johannes, kurz auch zu vollbrachter Jerusalem-Pilgerfahrt) OPPERT (Ed.), in: DERS., Der Priester Johannes, Berlin 1864, S.180-193. Literatur: JULES DE ST.GENOIS, Histoire des voyageurs Belges, Brüssel 1846-1847, 1,S.36-37. 1390: Graf Hugo m. von Montfort (Reise erwähnt in Gedicht eines Unbekannten) RÖHRICHT (Ed.), in: Deutsche Pilgerreisen, Innsbruck 1900, S.98-99. Litcratur: HANS W.HAGEN, Hugo von Montfort, in: DLMa-Verfasserlexikon 4, Sp.518-526. <?page no="376"?> 366 1392: Henry, Earl of Derby (Auftrag) (229) und Richard Kyngston (Verfasser) HANS PRUTZ (Ed.dt.), Rechnungen über Heinrich von Derby's Preussenfahrten 1390-91 und 1392, Leipzig 1893 (Publikationen des Vereins für die Geschichte der Provinzen Ost- und Westpreussen). • LUCY TOULMIN SMITH (Ed.), Expeditions to Prussia and the Holy Land, Made by Heruy, Earl of Derby (Afterwards King Henry IV.) In the Years 1390-1 and 1392-3, Being the Accounts kept by his Treasurer during two years, London 1894 (Camden Society, 2.ser.52.). I..itcntur. G.RPAULI, Über ein Rechnungsbuch zur zweiten Kreuzfahrt des Grafen Heinrich von Derby aus den Jahren 1392-93, in: Nachrichten der Göttinger Gesellschaft für Wissenschaft 8, 1880, S.329-340, und 14, 1881, S.315-357; WERNER PARA- VICINI, Die Preussenreisen des europäischen Adels, in: HZ 232, 1981, S.25-38 (benutzte Derbys Rechnungsbuch als Quelle unter anderen). DERS., Die Preussenreisen, Studien zur Mobilität und Mentalität des europäischen Adels im 14Jahrhundert, Habilitationsschrift, Mannheim; E.CHRISTIANSEN, The Northem Crusades, The Baltic and the Catholic Frontier 1100-1525,London 1980, insb. Kap.6, S.132-170. 1392: Thomas Swinburne (Auftrag) (230) und Thomas Brygg (Verfasser) Comte RlANf (Ed.), Voyage en Terre-Sainte d'un maire de Bordeaux au xiyC siecle, in: AOL 2 B, 1884, S.378-388. • E.HOADE (Ed.engl .), Thomas Brygg, The Itinerary in the Holy Land of Lord Thomas of Swynbume, Commander of the Fort of Guines and later Mayor of Bordeaux, in: DERS., Western Pilgrims, S.77-86. I..itcntur. ATIYA, S.176-178; CALZOLARI u.a, Viaggiatori, S.6. 1393: Johannes Schiltberger (277) Verschiedene Drucke bis ca.1700. • AJ.PENZEL (Ed.), München 1813 und München 1814. - KARL FRIEDRICH NEUMANN (Ed.), Reisen des Johannes Schiltberger in Europa, Asia und Africa, München 1859. - J.BUCHAN TELFER/ F.BRÜN (Ed.engl.), The Bondage and Travels of lohann Schiltberger, a Native of Bavaria, London 1879 (Hakluyt Society). • V.LANGMANTEL (Ed.), Hans Schiltbergers Reisebuch, Tübingen 1885 (BLVS 72). • Ediert als: Inselbüchlein, Leipzig 1917. • ELISABETI: I GECK (Ed.), Hans Schiltbergers Reisebuch, Faksimilie-Druck der Ausgabe Augsburg ca.1476, Wiesbaden 1969 (mit bibliographischen Angaben zu den frühen Drucken). I..itcntur. V.LANGMANTEL, Schiltberger-Studien, in: Das Ausland 56, 1883, S.166- 171; DERS., Johannes Schiltberger, in: ADB 31, 1890, S.262-264; J .BERGBAUER, Das Itinerar des Münchener Orientreisenden Hans Schiltberger von der Zeit seines Autbruchs aus der Heimat (1394) bis zu seiner Gefangennahme durch Tamerlan in der Schlacht bei Angora (1402), in: Petermanns Mitteilungen 60, 1914, S.263-265; ROSE GRÄSSEL, Das Reisebuch des Hans Schiltberger, ohne Angaben; HENNIG, Terrae Incognitae, 3, S.325-333; LEPSZY, S.35-38; KHATTAB, S.26-28. 1394: Niccolo di Martono (231) (Nicolas de Martoni) LEON LE GRAND (Ed .), Relation du pelerinage a J6rusalem de Nicolas de Martoni, notaire italien (1394-1395), in: ROL 3, 1895 und Reprint Brüssel 1964, S.566-669. • Auszüge in: GOLUBOVICH, BBB 5, 1927, S.305-3QCJ. I..itcntur. C.ENLART, Notes sur Je voyage de Nicolas de Martoni en chypre, in: ROL 4, 1896, S.423-432; ATIYA, S.175-176; VAN DER VIN, 1, S.37-52. <?page no="377"?> 367 1395: Ogier VIII., Baron d'Anglure (Auftrag) (232) (Verfasser unbekannt) Gedruckt in Troyes 1621. - LDE MAS lATRIE (Ed.teilweise), in: DERS., Histoire de l'ile de Chypre sous le regne des princes de la maison de Lusignan, 3 Bde, Paris 1855-1861, 2, S.430-434. - Ausgabe Paris 1858. - FRANCOIS BONNARDOT/ AUGUSTE LONGNON, Le Saint voyage de Jerusalem, Paris 1878 (Societe des anciens textes fram; ais). - Kurzer Auszug in: La Terre Sainte 5,1880, No.44. - A.PAUPHILEf (Ed.), Ogier d'Anglure, Le saint voyage de Jherusalem, in: Ders., Jeux et sapience du Moyen Age, Paris 1951, S.380-447. - ROlAND A.BROWNE (Ed.engl.), The Holy Jerusalem Voyage of Ogier VIII., Seigneur d'Anglure, Gaines 0 ville 1975. Literatur. ATIYA, S.178-183; SURDEL, S.323-339. 1395: Anonym (bis auf Anfang und Schluss identisch mit Poggibonsi) F.ZAMBRINI (oder G.GHMZZANI), Viaggio in Terra Santa descritto da anonimo tracesitesta, testo inedito (1395), Bologna 1867. Literatur. BELLORINI/ HOADE (Ed.Poggibonsi), S.XXX, S.XXXV und S.XXXIX. 14. Jh.: Pierre de Pennis CHARLES KOHLER (Ed.), Pierre de Pennis, Libellus de locis ultramarinis, in: ROL 9, 1902, S.313-383. Literatur. ATIYA, S.172-173. 14. Jh.: Anonym (Anonimo Panciatichiano, Ms. Florenz) A.GREGORINI (Ed.), Itinerario in Terra Santa, in: DERS., Le relazioni in lingua volgare dei viaggiatori italiani in Palestina nel secolo XIV, in: Annali della Reale Scuola Normale di Pisa 12, 1886 (Serie Filosofia e Filologia 12), S.69-80. - M.DARDANO (Ed.), Un itinerario dugentesco per la Terra Santa, in: Studi medievali 3, 7, 1966,S.154-196. Literatur. LUCIA GAI, in: Franco CARDIN! (Ed.), Toscana e Terrasanta, S.215, Anm.30. 14. Jh.: Anonym (199) (Anonymus Coloniensis, Vorlage zur zweiten Textfassung des Ludolf von Sudheim) BENFEY (Ed.), Bericht eines ungenannten Klerikers aus Köln, in: DERS., Orient und Occident, 1, 1862, S.452-480 und S.627-647. - RRÖHRICHT/ H.MEISNER (Ed.), Ein niederrheinischer Bericht über den Orient, in: Zeitschrift für deutsche Philologie 19, 1886,S.1-86. Literatur. KHATIAB, S.8 (zur Abhängigkeit des Sudheim-Textes). 14. Jh.: Anonym (251) (Ms. Wien) W.A.NEUMANN (Ed.), Hec sunt peregrinaciones et loca Terre Sancte, in: Österreichische Zeitschrift für katholische Theologie 11, 1872,S.9-11. <?page no="378"?> 368 14. Jh.: Anonym (254) (Ms. Evreux) H.OMONr (Ed.), Journal d'un pelerin fran~is, 1383, in: ROL 3, 1895, S.457-459. - DERS.(Ed.), Un guide du pelerin en Terre Sainte au ~ siecle, in: Melanges Schlumberger, Paris 1924,S.436-450. Literatur: ATIYA, S.185-186. 14. Jh.: Anonym (259) (Ms. Miltenberg) LUDWIG CONRADY (Ed.), Itinerarium Terrae sanctae, in: DERS., Vier rheinische Palästina-Pilgerschriften, Wiesbaden 1882,S.1-46 (Text S.20-46). 14. Jh.: Anonym (261) (Fortsetzung der Sächsischen Weltchronik) •Nu wilich sagen,wieiz gestaltin deme tempelezu Jerusalem,da daz heiligegrabinne ist. So man inget zu der rechten hant, so ist der berg Calvarie(... J, ed.in: Monum. Germ.Histor., Auctores ling.vemacul., Bd.2, 1877,S.298-299. 14. Jh.: Anonym (267) (Pilgerführer; nach RÖHRICHT, BGP, Vorlage zu zahlreichen Beschreibungen der Heiligen Stätten, etwa von Ghillebert de Lannoy, Schaschek, Sebald Rieter jun. und anderen) Peregrinationes Terrae Sanctae (quae a modemis peregrinis visitantur. "Et est sciendum"). Zahlreiche Sonderdrucke, so Venedig 1491 und Venedig 1520. - H.C.MAX- WELL LYTE (Ed.), A List of the Holy Places in the Neighbourhood of Jerusalem, in: Report of the Royal Commission of Historical Manuscripts 10, 1885, App.4, S.297 ff. - GOLUBOVICH (Ed.teilw.), in: BBB 5, 1927,S.347-350und S.368. Nachwcis: RÖHRICHT, in: ZDPV 16, 1893,S.275. 14. Jh.: Anonym F.BONNARDOT/ A.LONGNON (Ed.), Ci sunt li Saint leu de Jerusalem, in: DIES. (Ed.Anglure, 1395), S.115-120. 14. Jh.: Anonym (Ms. Sevilla, Bibl.Colomb.) MANUEL DE CASTRO (Ed.), Dos itinerarios de Tierra Santa de los siglos XIV y XV, in: Hispania Sacra 10, 1957,S.443-486. Literatur: ETIENNE DELARUELLE, Deux guides de Terre Sainte aux ~ et W siecles, in: DERS., La piete populaire au moyen age, Turin 1980, S.547-553. 14. Jh.: Anonym Ch.CI..ERMONr-GANNF..AU (Ed.), ltineraire d'un pelerin fran~is du~ siecle de Damas a Naplousc, in: Recueil d'archeologie orientale 3, 1899, S.259-264. Nachwci&: THOMSEN, Palästina-Literatur 1, S.68. <?page no="379"?> 369 14. Jh.: Anonym CHARLES KOHLER (Ed .), Memoria Terre Sancte, Deux projets de croisade en Terre-Sainte, in: ROL 10, 1903-1904,S.406-457. Literatur. ATIYA, S.184-18.5 . 14. Jh.: Anonym (Ms. Verona, "... sconosciuto al Röhricht e ad altri") GIROLAMO GOLUBOVICH (Ed.), Peregrinationes tocius Terre Sancte, in: BBB 5, 1927,S.350-355. 14. Jh.: Anonym , (Ms. Paris, Bibl.Naz.) GIROLAMO GOLUBOVICH (Ed .), Processionale Jerusolymitanum, in: BBB 5, 1927,S.356-365. 14. Jh.: Anonym (Ms. Paris, Bibi. Arsenal) GIROLAMO GOLUBOVICH (Ed.teilweise), Processionale Terrae Sanctae, in: BBB 5, 1927,S.365-367. 14. Jh.: Anonym (möglicherweise identisch mit Niccolo da Poggibonsi) FRANCESCO ZAMBRINI (Ed .), Viaggio da Venezia a Gerusalemme, Testo inedito de! secolo XIV, lmola, Galeati 1872. Nachweis: RÖHRICHT/ MEISNER, Deutsche Pilgerreisen, S565; BELLO- RINI/ HOADE (Ed .Poggibonsi), S.XXXIX. 1403: Ghillebert de Lannoy (276) (1403, 1421 und 1446 nach Jerusalem, 1407 und 1435 nach Santiago) JOHN WEBB (Ed.or.frz .und engl.), A Survey of Egypt and Syria, Undertaken in the year 1422 by sir Gilbert de Lannoy, in: Archaeologia Britannica 1827, 12, 187, S.281- 444 (mit Plänen von Jaffa und Akko). - M.C.P.SERRURE, (Ed.), Voyages et ambassades de messire Ghillebert de Lannoy, chevalier de la Toison d'Or, seigneur de Santes, TronchieMes, Beaumont et WaMgnies (1399-1450),publie par ! es soins de M.C.P.Serrure et d'apres un manuscrit de sa bibliotheque, inkl: Explication de quelques noms geographiques, glossaire et carte itineraire des voyages de G.de Lannoy tracee par J.Lelewel, Mons 1840 (Publications de la Societe des Bibliophiles de Mons 10); 100 Ex. - CHARLES POTVIN, (Ed.), Oeuvres de Ghillebert de Lannoy, voyageur, diplomate et moraliste. (...) Avec des notes geographiques et une cartc par J.C.Houzeau, Louvain 1878. - JOACHIM LELEWEL (ed.Auszüge), Ghillebert de Lannoy et ses voyages en 1413,1414et 1421,commentes en fran~is et en polonais par Joachim Lelewel, Posen 1844und Brüssel 1845. Literatur. GACHET, Examen critique des voyages et ambassades de G.de Lannoy, Brüssel 1843; JULES DE ST.GENOIS, Histoire des voyageurs Belges, 2 Bde, Brüssel 1846-1847, 1, S.130-153; MARGARET WADE LABARGE, Ghillebert de Lannoy, Burgundian Travcller, in: History Today 26, 3, 1976, S.154-1~3 und 207; RACHEL ARIE, Un seigneur bourguignon en terre musulman au xv"' si«le: Ghillebert de <?page no="380"?> 370 Lannoy, in: Le Moyen Age 85, 1977,S.283-302; ATIYA, S.190-197; PRESCOTI, S.23- 25 (dt.S.20-22); MIECK, TO, S.11-12. Zu den Erziehungsschriften Ghillebert de Lan noys vgl. PHILIPPE CONTAMINE, Points de vue sur Ja chevalerie en France ä Ja fin du Moyen Age, in: DERS ., La France au~ et : xyCsiecle, London 1981,S.269 ff . 1411: Frater Frederico da Cava (Ms. Florenz, Bibl.Landau) W.A.NEUMANN (Ed.teilweise), Beiträge zur Kenntnis der Palästina-Literatur, in: ZDPV 14, 1891,S.117-129. I.itcratur: AFH 1921,S.245-246; BELLORINI/ HOADE (Ed.Poggibonsi), S.XXX. 1413: Nicolo da Este (Auftrag) (279) und Luchino dal Campo (Verfasser) GIOVANNI GHINASSI (Ed.), Viaggio a Gerusalemme (...) descritto da Luchino dal Campo ed ora per Ja prima volta messo in luce, Turin 1861 (Collezione di opere inedite o rare dei primi tre secoli della lingua dell'Emilia). I.itcratur: ATIYA , S.184; CALZOLARI u.a., Viaggiatori 1, S.314-331; DJ .HUGEN, Small Birds of Cyprus, in: Paideuma 2, 1974,S.229-238. 1413: Nicolo da Este (Auftrag? ) (Verfasser unbekannt) RSIMEONI (Ed? ), Viazo al Santo Sepolcro per lo marchese Nicolo da Este, in Rerum ltalicarum Scriptorum 20, oJ. , S50-52. I.itcratur: CALZOLARI u.a., Viaggiatori 1, S.320-321und S.331. 1413: Margery Kempe (1413 nach Jerusalem, 1417 nach Santiago de Compostela) Here beginneth a short treatise of contemplation taught by our Lord Jesu Christ or taken out the book of Margeiy Kempe, ancress of Lynne, abgedruckt (sieben Seiten) in: John E.G .GARDNER, The Ceil of Self-Knowledge,London 1910 (New Medieval Llbraiy). - WILLIAM BUILER-BOWDON (Ed .mod.engl.), The Book of Margeiy Kempe, A modern version by W.Butler-Bowdon, London 1936. - DERS., The Book of Margeiy Kempe, A modern version by W.Butler-Bowdon, With an Introduction by R W.Chambers, London/ I'oronto 1954 (The World's Qassic 543) - SANFORD BROWN MEECHJHOPE EMILY ALLEN (Ed .), The Book of Margeiy Kempe, The text from the unique MS. owned by Colonel W.Butler-Bowdon (vol.1. Edited with introduction and glossaiy by Prof. Sanford Brown Meech, with prefatoiy note by Hope Emily Allen, and notes and appendices by Sanford Brown Meech and Hope Emily Allen), London 1940 (Early English Text Society 212) - ERIC COLLEDGE (Ed .auszugsweise), in: DERS ., The Mediaeval Mystics of England, New York 1%1, S.283-304. - Auszüge in: WILLIAM PROVOSI', The English Religious Enthusiast: Margeiy Kempe, in: K.M.WILSON (Ed.), Medieval Women Writers, Athens (U$A 1984), S.297-319. I.itcratur. Berichte zur Wiederentdeckung des "Book of Margeiy Kempe" in: The Times vom 30.9.1936,S.13, und: The Tablet vom 24.10.1936,S.570.Von einer Benediktinerin aus Stanbrook stammt: Margeiy Kempe and the Holy Eucharist, in: Downside Review 56, 1938,S.468-482; KATHERINE CHOLMELEY, Margeiy Kempe, Genius and Mystic, London 1947; MARTIN THORNTON, Margeiy Kempe, An Example in the English Pastoral Tradition, London 1960; SARA LOU BERRY, Religious Imagineiy in The Book of Margeiy Kempe, Diss. Univ. of Florida 1%2; A.RESZKIEWICZ, <?page no="381"?> 371 Main Sentence Elements in the Book of Margery Kempe, A Study in Major Syntax, London 1962; LOUISE COLLIS, The Apprentice Saint, London 1964, dt .als: Leben und Pilgerfahrten der Margery Kempe, Erinnerungen einer exzentrischen Lady, Berlin 1986; EDMUND COLLEDGE, Margery Kempe, in: JAMES WALSH (Ed.), Pre - Reformation English Spirituality, New York 1965; KARL ROBERT STONE , Middle English Prose Style, Margery Kempe and Julian of Norwich, The Hague 1970 (Studies in English Literature 36); JOHN C.HIRSCH, Author and Scribe in The Book of Margery Kempe, in: Medium Aevum 44, 1975,S.145-150; ANTHONY GOODMAN, The Piety of John Brunham's Daughter, of Lynn, in: DEREK BAKER (Ed .), Medieval Women, Oxford 1978 (Studies in Church History, Subsidia 1), S.347-358; EJ.WATKIN, On Julian of Norwich and In Defense ofMargery Kempe, Exeter 1979; MARY G.MASON, The Other Voice, Autobiographies of Woman Writers, in: JAMES OLNEY (Ed.) , Autobiography, Essays Theoretical and Critical, Princeton 1980, S.207-235; DIES./ CAROL HURD GREEN (Ed .), Journeys, Autobiographical Writings by Women, Boston 1979; SUSAN DICKMAN, Margery Kempe and the English Devotional Tradition, in: MARION GLASSCOE (Ed.), The Medieval Mystical Tradition in England, Exeter 1980, S.156-172; CAROLINE WALKER BYNUM, Jesus as Mother, Studies in the Spirituality of the High Middle Ages, Berkeley 1982; CLARISSA W.ATKINSON, Mystic and Pilgrim, The 'Book' and the World of Margery Kempe, Ithaca/ London 1983; HOPE PHYLLIS WEISSMAN, Margery Kempe in Jerusalem, Hysterica Compassio in the Late Middle Ages, in: Acts of interpretation, S.201-217; MARY RUSSELL, The Blessings of A Good Thick Skirt, Women Travellers and Their World, London 1986, und dt.als: Vom Segen eines guten festen Rocks, Aussergewöhnliche Lebensgeschichten weiblicher Abenteurer und Entdeckungsrei sender, die auf der Suche nach ihrem Lebensziel mit allen Konventionen brachen, Bern/ München/ Wien (ohne Bibliographie) 1987; PRESCOTI, Jerusalem Journey, S.18-21(dt .S.14-17); HOWARD, S.34-35 (mit negativer Wertung) . 1416: Iacopo da Sanseverino (283) Viaggio fatto da lacopo da Sanseverino con altri gentiluomini e da esso descritto, Lucca 1868(100 Ex.). Literatur: PASQUALE ROTONDI, Studi e ricerche intorno a Lorenzo e Jacopo Salimbeni da Sanseverino, Pietro da Montepulciano e Giacomo da Recanati, Fabriano 1936 (Argomenti di arte marchigiano 1); CALZOLARI u.a., Viaggiatori 1, S.332-339; LUCIA GAI, in: CARDIN! (Ed.), Toscana e Terrasanta, S.214,Anm .26. 1418: Hans Porner (284) LUDWIG HÄNSELMANN (Ed.), Hans Porners Meerfahrt, in: Zeitschrift des historischen Vereins von Niedersachsen 1875,S.113-156. 1419: Nompar de Caumont (285) (1417 nach Santiago de Compostela, 1419 nach Jerusalem) Marquis LELIEVRE DE LA GRANGE (Ed .), Voyaiged'oultremer en Jherusalem, Paris 1858 und Reprint Genf 1975.·PETERS.NOBLE (Ed.), Le Voyatge d'oultremer en Jherusalem de Nompar, Seigneur de Caumont, Oxford 1975 (Medium Aevum Monographs. New Series 7). • Auszüge in: Revue catholique d'Alsace, 1858, S.330-334, und 1861, S.208-218; Das heilige Land 1860, S.18-21 und 43-48; JEANNE VIEL- L~ (Ed.), Le guide du pclerin de Saint-Jacques de Compostelle, Texte latin du XII sitcle, M4con 1938 (Bibliothtque de l'Ecole des hautes etudes hispaniques 24), S.132-140. Literatur: M.DE XIREY, Rezension zur Pilgerbuchausgabe De la Granges in: Bibi.de l'Ecole des Chartes 1858,·s .377-381; DU FRESNE DE BEAU COURT, Un voyage en Terre Sainte au XV' si~le, Paris 1859; KING, Tbc Way of Saint James, 3, S.580-586; <?page no="382"?> 372 VAZQUEZ u.a., 1, S.90 und 218-221; PRESCOTI, S.21-22 (dt.S.17-18); MIECK, TO, S.11-12; SURDEL, Oultremer, S.328 ff . ca.1419: Anonym (331) (fälschlicherweise Claude Mirebel, vgl. unten 1452, zugeschrieben) ALE Gl.A Y (Ed? ), in: Catalogue descriptif des Manuscripts de la Bibliothcque de Lille 26, 1848, S.107, No.ISS. - H.MORANVILLE (Ed.), Un pelerinage en Terre Sainte et au Sinai au XV: siede, 1419-1425,in: Bibl.F.c.des Chartes 66, 1905, S.70-106. Litemtur. JULES DE Sf .GENOIS, Histoire des voyageurs Belges, Brüssel 1846-1847, 1, S.34-36. 1420: Emmanuel Piloti (Kreuzzugsprojekt, Piloti reiste selbst) Baron VON REIFFENBERG (Ed.fr.z.), De modo Sarracenos extirpandi, in: Le chevalier au cygne et Godefroid de Bouillon 1, App .(Doc .rel.aux croisades), Brüssel 1846, S.312-419 (Mon.pour serv.a ! 'bist.des provinces de Namur, de Hainaut et de Luxem bourg 4). - P.H.DOPP (Ed.), Traitc sur le passage en Terre Sainte (1420), Paris 1958. Litemtur. MOMIGLIANO LEPSCHY (Ed .Capodilesta/ Brasca), S.261, Anm .110; ATIYA, S.208-212. ca.1420: Anonym (Ms . Osnabrück) HERMANN DELLA VALLE (Ed.) , Ein Osnabrücker Palästina-Reisebericht aus dem Jahre 1420,in: Osnabrücker Mitteilungen 59, 1939, S.99-115. ~is: THOMSEN, Palästina -Literatur 7, S533; H.LAHRKAMP, Nordwestdeutsehe Orientreisen und Jerusalemwallfahrten, S.24, Anm.37. 1421: Ghillebert de Lannoy (vgl. oben: Jerusalem 1403) 1421: Anonym (859) (Pilgerführer nach Jerusalem, Santiago und Rom, gereimt) •Hcrc bcginnctb the way that is mar/ ccdand madc wit Mount Joicz from thc Land of Engelond vnto Sent Jamcz in Galis and from thcnnez to Rom and from thcnncz to Jeruzalcm and so againe into Engelond (... J, ed.in: HAKLUYTIJS Posthumus or PURCHAS, Pilgrims, Contayning a History of the World in Sea Voyages and Lande Travells by Englishmen and Others, London 1625, Bd.2, S.1230-1245. - Auch in der neueren Ausgabe: HAKLUYTIJS, 1905-1907,7, S527-570 . -Auszüge in: VAZQUEZ u.a, 1, S.84 und S.215-217,und 3, S.122-126.th Litemtur. E.S.DE BEER, An English XV Century Pilgrimage Poem, in: Notesand Queries For Readers and Writers 187, 1944, S.244-248; MIECK, TO, S.10 ("Ende 14. Jh.") und S.21. 1422: Felice Brancacci (288) (reiste nach Kairo, nur vereinzelte Notizen zu hl.Stätten) DANTE CATELLACCI (Ed.), Diario di Felice Brancacci ambasciatore con Carlo Federighi al Cairo, in: ASI 8, 1881, S.157-188. <?page no="383"?> 373 Literatur: Elenco dei documenti orientali (...) negli archivi di Firenze 6, 2, Florenz 1878. 1422: Johannes Poloner (289) (mit Landkarte) TOBLER (Ed.), in: Descriptiones Terrae Sanctae ex saeculo VIII, IX, XI et XV, Leipzig 1874 und Reprint New York 1974, S.225-281 und S.497-522. - AUBREY SI'E- WART (Ed.engl.), Johannis Poloner, Description of the Holy Land, London 1894 (PPTS6). 1423: König Erik von Pommern (Reisebericht - oder Zusammenstellung aus diversen Quellen? ) W.MOLLERUP (Ed? ), Kong Erik af Pommern, Udenlandsreise, 1423-1425,in: Historisk Tidsskripft 5, ser.3, 1882,S.713-743. Nachweis: THOMSEN, Palästina-Literatur A, S.641. 1426: Johannes Bassenhammer (291) HERSCHEL (Ed.), Pilgerführer(" Daz ist die ordnung wie man sich halten so/ uber mer und auch die heiligen stet besuchen"), in: Anzeiger für die Kunde der deutschen Vorzeit 1863,S.319-322. Literatur: Serapeum 1854,S.232, und 1855,S.13; DLMa-Verfasserlexikon 1, Sp.177. 1426: Pfalzgraf Ludwig III. (Auftrag) (294) Johannes von Frankfurt (Verfasser) MARIE-LUISE BULST-THIELE (Ed.), Johannes von Frankfurt, Opuscula: ltinerarius, Die Pilgerfahrt des Pfalzgrafen Ludwig III. ins Heilige Land 1426/ 1427 und Ansprachen, Heidelberg 1986. 1427: Anonym (295) (Ms.Rom) MARCELLINO DA CIVEZZA (Ed.), Incipit libellus descriptionis Terre Sancte et peregrinationum ipsius extractus a variis hystoriis, cronicis et sanctarum scripturarum sententiis (...), in: Le Missione Francescane in Palestina, Florenz 1894,S.4-10, S.65-71, S.188-201,S517, S577-585, S.641-650,S.707-710,und